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Full text of "Mekka"

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MEKKA 


VON 


D\  C.  SNOITCK  HURGRONJE. 


MIT  B1I,DER- ATLAS. 


HKStAI  SGEGKBEN  VON  » UKT  KONINKL1JK  IN5TITUUT  VOOB  DK  TA  AL-,  LAND-  KN  VOLK  ENK  UN  DK 
VAN  NKDEHLANDSCH-INDIE  TK  ’s-GHAVENUAGE.” 


I. 

DIE  STADT  UND  IHRE  HERREN. 


H A A G 

MARTINUS  NIJHOFF 
1888. 


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vs 

M2 

v . l '2 

INHALT. 


Seito 

VORRBDR  ■ . . . , : . , , , . , . , , . . . XI  — XXIII. 

I.  .I)i£_Stadx  , , , , , , , = . s , , , . t 1-23. 


Lage  und  VertheidigungBzustand  1 — 2.  Die  Moschee : die  Ka‘bah 
2 fl.,  ihre  Bekleidung  \ — 5.  Der  7-emzcinbninnen  5 — 6.  Trink- 
wasser  in  Mekka  und  Umgegend;  die  Wasserleitung  der  Xebe- 
dah  6 — 10.  Die  Ka'bah-treppen , die  Kanzel  und  der  Maqäm 
Ibrahim-,  das  Thor  der  Ben?  Schebah  11.  Allmähliche  Erwei- 
terung der  Moschee  12.  Die  vier  Maqäm's  13 — 5.  Der  lotzte 
Umbau  (1672—7);  Totaleindruck  des  Haram  16—7.  Fromme 
Stiftungen  17.  Der  Sei  (Uoberschwemmung)  und  die  Bauten  zu 
seiner  Ablenkung  18 — 20.  Weitere  heilige  Stätten ; der  Friedhof 
cl-Ma'lä  20 — 2.  Hauptstraßen  und  vornehme  Geb&udc  in  Mekka 
22—3. 

II.  Mekka unter  den  Cttat.teen.  — Entstehung  des 

Suheripatr.  — Die  Soiterteb  bis  1200  ■ ■ . . . 24  — 74 

Stammtafel  I. 

Politische  Lage  Mekka’s  unter  dem  Propheten  und  seinen 

drei  ersten  Nachfolgern  (630—  6fl)  24 — 5.  Veränderungen  infolge 
der  Omatjadenhorrschaft  26 — 7.  Oppositionsparteien:  die Schi'ah 
und  Abdallah  ihn  Zubair  (bis  682)  28 — 9,  Entstehung  der 
»Schule”  ; Mekka  und  Medina  werden  heilige  Städte  ( Hara- 
mein) 29 — 30.  Charakter  der  Bevölkerung  30 — 2.  Stellung  der 
Aliden  in  Westarabien  während  der  Oniajjadcnregiernng  32 — 5. 

Die  Hasaniden  im  Hidjäz  36 — 7.  Sie  werden  von  den  Arabern 
verehrt  38 — 9.  Das  Abbasidenclialifat  (seit  760);  hasanidische 
Empörungen  gegen  dasselbe  in  Westarabien  39 — 12.  Weitere 


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VI 


INHALT. 


Seile 


Zersetzung  der  Einwohnerschaft  von  Mekka  42 — 3.  Mekka  von 
Aliden  geplündert  43 — 4.  Folgen  der  Zerstückelung  des  Abba- 
sidenrcichs  (833 — 91)  45 — 6 : hasanidische  Strassenräuber  46 — 7: 
zunehmender  Einfluss  der  Aliden  in  der  muslimischen  Welt  47 — 9. 

Die  Qannaten  (seit  891h  Anarchie  und  Unsicherheit  in  Ara- 
bien 49—50.  Entweihung  Mekka's  durch  die  Qarmaten  (930) 

50 — 1.  Politische  Verhältnisse  Beit  der  Oarinatenwnth  : Wett- 
bewerb der  muslimisrhen  Kilrsten  um  ili«  Sehnt/herrsrhafl  iihnr  < 

Mekka  51 — 3.  Die  Fatimidenchalifen  in  Egypten  (seit  869); 

Abhängigkeit  des  Hidjäz  vom  Nillande  54.  Entwickelung  der  v 

Alidenmacht:  Scherife  54 — 7.  Herrschaft  der  Müsäiri's  über 
Mekka  (seit  ± 061)  57  ff. : Dja'far,  der  erste  Grossscheril  (bis 
db  980)  58.  Seine  Söhne  ‘Isa  (bis  994)  und  Ahu’l-Futüh  (994 — 

1039) : Letzterer  als  Kandidat  filr  die  Chalifenwflrdc  59.  Sein 
Sohn  Muhammed  Schukr  (1039 — fll);  Charakteristik  dieser 
Dynastie  60 — i.  Das  Haus  der  Sulaimäni’s  oder  Ben i Abi  'l-Tninb 
im  Kampfe  mit  ilen  Hawäschim:  der  jfemknische  Fürst  ac-I'ii- 
lailii  stellt  die  Ordnung  wieder  her  (1003)  6t — 3.  Die  Dy- 
nastie der  Hawäschim  (1063 — 1201);  ihr  Verhhltniss  zu  den 
Sultanen  des  Islam’a.  Abu  Häachim  (10fl3 — 84)  schachert  mit 
den  Hoheitsreehten  63 — 5.  Sein  Sohn  QSsim  (1094— 1124)  und 

die  übrigen  Hawäschim  bis  1201,  Berichte  eines  spanischen  I’il-  > 

gers  (1183  und  85):  politische  und  religiöse  Gesinnung  der 
Grossscherile ; Zaiditen  65 — 8.  Saladin  09.  Verhalten  seiner  Dy- 
nastie gegen  die  Könige  von  Mekka  70 -1.  Alidische Raubritter 
im  Hidjäz  71 — 2.  Gründe  fortwährender  Anarchie  in  den  IJu- 
ramein  72 — 3.  Qatädah  entreisst  (1201,  2 oder  3)  den  mit 
einander  kämpfenden  Hawäschim  die  Herrschalt  73—4. 

HI.  Die  Söhne  QatXdah’s  bis  zue  Wahhabitenzeit 

(1200-1788) 75-137. 

Stammtafel  II. 

Qatädah  (±  1201 — 211;  seine  Politik.  Sonderbares  Verhalten 

gegen  die  Schutzherren  75—7.  Seine  Heignng  für  die /.aiditen- 

imäme  in  lernen  77—8.  Sein  Testament;  er  •wird  von  seinem  ! 

Sohne  Hasan  ermordet  78.  Qatädah’s  Söhne  und  Enkel  bis  1254; 

Egypten  und  J&men  kämpfen  um  die  Schutzherrsehaft  78—  80. 

Zerstörung  des  Abbasidenchalilats  und  F.mporkoinmen  der  Mam- 
iukenmacht  in  Egypten : Baibars.  Der  Grosascherif  Abu  Numejj 
(1254—1301)  80—2.  Das  »Herkommen"  der  Scherito  82  IT. 

Bedeutung  der  Mahmal't  beim  Haddj  83—4.  Die  Söhne  Abu 
Numiijj's  (1301  — 46)  im  Kampf  um  die  Herrschaft,  Egypten  und 


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INHALT. 


VH 


Seit« 

Babylonion.  Die  /.aiditen  ton  Jemen  84—6.  Theilung  der  Ein- 
künfte des  Scherifats  86—7.  Die  Periode  'Adjläns  (1346— 76); 
Mitregentschaft  seines  Sohne«.  »Herkömmliche"  Abschaltung  von 
Steuern  87—9.  Die  Fürsten  von  Mekka  werden  Schäfi'iten  und 
verfolgen  die  Zaiditen  89.  Regierung  der  Sühne  ’Adjlans  (1376 — 

1426),  namentlich  Hasans  (seit  1396)  90  fl.  Die  Cirkassier- 
sultane  in  Egypten  (seit  1382)  als  SchuUherren.  Fremde  Pilger 
91.  Einnahmequellen  der  Scherife;  die  Zölle  von  Djiddali  wer- 
den ihnen  (1462)  abgenomuion  92—3.  Beamten  und  Armeeder 
Scherile  94—6.  Ihre  Lelienswoise  96—8.  Barakät  (1426—66); 
türkische  »Residenten”;  die  Harb-stümme  am  I’ilgerwego  98  — 9. 

Barakät  weigert  sich,  den  Huf  des  Maljmal-kameels  zu  küssen. 

Sein  Sohn  Muhammeil  (1466—97)  und  der  grosse  Cirkassier 
Qäitbey  100.  Qfutbey’s  Haddj  101.  Barakät  II  (1497  — 1626). 

Die  Portugiesen  und  die  Othmanli’s.  Eroberung  Egyptens  durch 
Selim  und  gewandte  Politik  Barakäts  101  -3. 

Stammtafel  in. 

Abu  Numejj  (1625 — 66)  und  sein  Sohn  Hasan  (1666 — 1601) 
regieren  ungestört  unter  den  ersten  Othmanen  seit  der  Erobe- 
rung Egyptens.  Verhältnis«  zu  den  Türken  104 — 5.  Mnhmal’». 

Die  Stillungen  der  Sultane  von  Stambul  105 — 6.  Ihre  Vorliebe 
Dir  den  hanafitischen  Ritus.  Aenderung  der  (ierichtsverwaltung 
in  Mekka.  Abu  Numfejj  »der  letzte  gute  Scherif”  106—8.  Wie- 
deraufnahme der  Bruderkämpfe  unter  seinen  Söhnen  und  Enkeln 
(1601 — 31),  sobald  die  Decentralisation  im  türkischen  Reiche 
anfängt.  Die  Imäme  von  (än'a  108 — 10.  Der  Kampf  um  die 
Einnahmen  und  das  heilige  Gesetz  HO — 11.  Sonstiges  Gewohn- 
heitsrecht der  Scherife  111  ff.;  ihr  Verfahren  gegen  ihre  Un- 
terthanen  111 — 2.  Verhältnis»  der  verschiedenen  Hasanidenfa- 
milien  (Itewi . . .)  zu  einander  und  zum  Grossscherif  112—4. 
Familiengesetze  115 — 8.  Diwi  Zeid , "Abadilah  und  Dein  Ba- 
rakät seit  1631.  Zeid  (1631 — 66)  und  die  türkischen  »Resi- 
denten” 118 — 20.  Anti-türkische  Gesinnung  in  Mekka  120. 
Anti-schi'itiscbe  Politik  der  Pforte  in  der  heiligen  Stadt  ; Perser 
und  Zaiditen  120 — 4.  Sa'd’s  erstes  Scherifat  (1666 — 72)  124 — 5. 

Ein  ausserordentlicher  »Resident"  bringt  die  Di'wi  Barakät  auf  , 
den  Thron  (1672 — 84)  125 — 6.  Neuer  Streit  wegen  der  Ein- 
nahmen; die  Häupter  der  Däwl  Zeid  in  Konstantinopell26— 7. 

Geschenke  aus  Indien  und  Atjeh  127 — 8.  Neues  Scherifat  Sa'd's 
und  anderer  Diwi  Zeid  (1684 — 1704)128 — 31 . Aberglaube  der 
Scherife  131 — 2.  Zweites  Scherifat  der  Dewi  Barakät  (1704 — 

11).  Die  Türkei  und  nicht-türkische  Mächte  in  Mekka  132 — 3. 


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VHI  INHALT. 

Seite 

Unbedeutende  Versuche  der  Dewi  Barakut  bis  1770.  Die  Diwi 
Zeki  seit  1711:  Mas'üd  (1782 — 3 und  34 — 62)  und  Mesä'id 
(1752 — 70)  133 — 5.  Alle  anderen  Familien  treten  in  den  Hin- 
tergrund. Die  Imäme  von  fan'ä  130.  Serür  (1773 — 88)  und 
Ghälib  (1788 — 1813)  135 — 7.  Der  Sultan  von  Marokko  wünscht 
sich  Serür  zum  Schwiegersohn  137. 

IV.  Das  Sohebifat  im  letzten  Jahbhotdert  (1788— 1887).  138—189. 

Anfänge  des  Wahhabitismus  und  Geringschätzung  dieser  Be- 
wegung von  Seiten  der  Mckkaner  138 — 140.  Hauptzüge  der 
neuen  Lehre  140 — 42.  Ihn  Abd  el-Wahhab  und  Ibn  Sa'ud ; das 
Innere  Arabiens  ein  geeigneter  Boden  für  die  Reform;  Mekka 
naturgemäss  derselben  abgeneigt  142—43.  Dewi  Zeid  und  Wah- 
habiten  143—44.  Ghälib  eröffnet  den  Kampf;  Aehnlicbkeit  der 
Verhältnisse  mit  denen  zur  Zeit  des  Propheten.  Untliätigkeit 
der  Pforte  145—7.  Ghälibs  Vertrag  mit  dem  Wahhabiten-emir 
(1789)  1 47.  Wiederaufnahme  der  Feindseligkeiten ; Ghälib  schickt 
eine  Gesandschaft  nach  Dar'ijjah  148.  Sein  Schwager  'Uthmän 
M-Medhaifi  tritt  zum  Wahhabitismus  über  148—9.  Ghälib  zieht 
sich  nach  Djiddah  zurück;  Mekka  unterwirft  sich  den  Wahha- 
biten  (1803)  149 — 50.  Djiddah  vergeblich  von  ihnen  belagert; 
nach  dem  Abzüge  des  Emirs  erobert  Ghälib  Mekka  wieder 

150— 51.  Belagerung  Mekka’s;  Ghälib  ergiebt  sich  (1806) 

151 —  52.  Die  Reform  in  Mekka  152.  Muhammed  Ali  in  Egypten  ; 
ersto  Expedition  gegen  die  Wahhabiten  (1 811)  153.  Muhammed 
Ali  in  Mekka  (1813);  sein  treuloses  Verfahren  gegen  Ghälib 
154 — 55.  Jahja  ibn  Serür  (1813 — 27)  wird  Grossscherif  155. 

Weitere  Kämpfe  gegen  die  Wahhabiten  156.  Muhammed  Ali's 
Anordnungen  in  Mekka  157.  Der  Grossschorif  todtet  denScherif 
Schambar  in  der  Moschee  und  flieht  157—8.  Abd  el-Muttalib 
vorläufig  eingesetzt  158.  Muhammed  Ali  setzt  das  Haupt  der 
'Abädilah,  Muhammed  (1827  — 61)  ein;  Abd  41-Muttälib’s ver- 
geblicher Kampf  und  Flucht  158—60.  Cholera  und  allerlei 
Unruhen;  Empörung  der  'Asir  161 — 62.  Der  Grossscherif  ent- 
zweit sich  mit  dem  Pascha  und  wird  nach  Egypten  gefordert 
162.  Der  Hidjäz  kommt  unter  Verwaltung  der  Pforte  (1840); 
der  Grossscherif  Muhammed  kehrt  nach  Mekka  zurück  162 — 3. 

Intriguen  Abd  M-Muttälib’s  in  Konstantinopcl  163—4.  Kriegs- 
Züge  des  Grossscherifs  gegen  die  Wahhabiten , die  'Asir  und 
Jemen  164.  Die  Häupter  der  ‘Abädilah  werden  nach  Konstan- 
tinopel gefordert  ; Abd  M-Muttälib  wird  Grossscherif(1861— 6) 

165—6.  Sein  rohes  Auftreten  gegen  die  türkischen  «Residenten” 


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INHALT. 


IX 


166.  Er  weigert  sich  Abeetzungsurkunden  anzuerkennen  1 07. 
Aufstand  in  Mekka  wegen  des  Verbots  dos  Sklavenhandels  167  — 8. 
Kampf  des  Abd  el-Muttdlib  gegen  den  aus  Konstantinopel  ge- 
schickten Muhammed;  er  wird  gefangen  genommen  und  Mo- 
hammed wieder  Grossscherif  (1856  — 8)  168.  Christenmord  in 
Djiddah  (16  Juni  1868)  169.  Abdallah,  Muhammads  Sohn, 
wird  FQrst  von  Mekka  (1868—77)  170.  Die  neue  Zeit  (der 
Sueskanal,  der  Telegraph)  170— 71.  Ein  mekkanische«  Freikorps 
gegen  die  Russen.  Die  türkische  Runoaukratie  in  Mekka  171. 
Charakter  Abdallah’s;  seine  Kriegszüge  172—73.  Husein,  der 
Bruder  Abdallahs,  folgt  ihm  nach  (1877 — 80):  seine  Ermordung 
173.  Der  alte  Abd  el-Muttälib  zum  letzten  Mal  (1880  —2);  er  wird 
vom  Volke  verehrt  trotz  der  Missregierung  174 —75.  Bittschriften 
der  Mekkaner  um  seine  Absetzung  176.  Othman  Pascha  über- 
listet den  heiligen  Sünder;  dieser  bleibt  bis  zu  seinem  Tode 
(1888)  in  ehrenvoller  Haft  in  Mekka  176— 77.  ’Aun  dr-Rafiq , 
Bruder  Ijuseins,  wird  Grossscherif  (1882—  );  sein  Charakter 
178—79.  Verhältniss  zu  Othman  Pascha;  Folgen  der  Duulit&t 
der  Gewalt  in  Mekka  179—81.  Hisshelligkeiten  wegen  der  Rechts- 
verwaltung und  wegen  Beduinenangelegenheiten  181—  84.  ’Aun 
zieht  (1886)  mit  seinem  Anhang  nach  Medina  184—5.  Nach 
der  Versetzung  Othman  Pascha's  kehrt  er  zurück  185.  Die  Po- 
litik des  neuen  »Residenten”  185—86.  Dieser  wird  durch  den 
energielosen  (’afwet  Pascha  ersetzt  186.  Stellung  der  Bevölker- 
ung zum  Scherifat  und  zu  der  Pforte  186  —88.  Die  Türken 
als  Pioniere  europäischer  Kultur  188—89. 

Anhang  

Einleitendes  191—93.  Bericht  über  eine  Razzia  Abd  M-Mutta- 
libs  und  daraus  entstandene  Misshelligkeiten  zwischen  ihm  und 
dem  türkischen  Gouverneur  (Juni  1881)  194  —203.  Bittschrift 
der  Mekkaner  an  den  Sultan  um  die  Absetzung  des  Grosssche- 
rifs  Abd  el-Mutüilib  (August  1881)  204  — 215.  Amtlicher  Bericht 
Ober  eine  Züchtigung  der  Beduinen  in  der  Nähe  von  Jambu' 
(Märe  1886)  216  —221.  Aufrührerischer  Anschlagezettel  gegen 
Othman  Pascha  (Ende  1886)  222  —25.  Trauergedicht  vom  Schech 
Bedewi  auf  den  Tod  des  Grossecherifs  Abdallah  (1877)  226  — 28. 

Grundriss  von  Mekka. 

Grundriss  der  Moschee. 


Seite 


191-228 


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VORREDE. 


Die  Bearbeitung  der  Ergebnisse  meines  einjährigen  Aufenthalts 
in  Djiddah  und  Mekka  (1884 — 5)  *)  hat  vorzüglich  aus  zwei  Grün- 
den eine  unerwünschte  Verzögerung  erlitten.  Meine  plötzliche  Aus- 
treibung aus  dem  heiligen  Gebiet  verhinderte  mich  daran,  die 
unter  verhältnissmässig  günstigen  Umständen  angefangene  Erfor- 
schung ruhig  abzuschliessen  und  das  gesammelte  Material  gleich 
unversehrt  mitzuführen.  Zweitens  erschien  es  mir  immer  mehr  als 
noth wendig,  den  Skizzen  aus  dem  heutigen  Leben  der  Mekkaner, 
welche  der  zweite  Band  dieses  Werkes  bringen  wird , eine  zusam- 
menfassende Darstellung  der  Geschichte  der  heiligen  Stadt  voraus- 
zuschicken ; eine  derartige  Arbeit  erfordert  aber,  wenn  sie  nicht 
gar  zu  oberflächlich  sein  will , viel  Zeit. 

Schon  die  Thatsache,  dass  ich  in  Mekka  mit  Quellen  für  die 
Geschichte  der  Stadt  bekannt  wurde,  die  uns  einen  Einblick  in 
die  Vorgänge  der  beiden  letzten  Jahrhunderte  gewähren , machte 
die  Behandlung  dieser  in  Europa  nur  sehr  dürftig  bekannten  Pe- 


1)  Ei  neu  kurzen  Bericht  über  meine  Reise  findet  man  in  der  Münchener  Allgemeinen 
Zeitung  vom  16  November  1885;  einigo  Ergebnisse  in  den  Verhandlungen  der  Gesellschaft 
für  Erdkunde  zu  Berlin , ßd.  XIV,  S.  138  ff. 


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XII 


riode  wünschenswert  ').  Auch  in  Bezug  auf  die  früheren  Zeiten 
besitzen  wir  aber  in  keiner  europäischen  Sprache  eine  historische 
Uebersieht , worin  die  Hauptmomente  des  politischen  Lebens  im 
Gebiete  von  Mekka  hervortreten  und  somit  die  Vergangenheit 
zum  Verständniss  der  Gegenwart  verwerthet  wird.  In  europäischen 
Bibliotheken  finden  sich  Handschriften  der  berühmtesten  Werke 
über  die  Geschichte  Mekka’s;  dieses  behandelt  hauptsächlich  die 
Geschichte  der  Heiligthümer  und  der  frommen  Stiftungen,  jenes 
fügt  auch  die  Biographien  berühmter  Mekkaner  oder  Daten  über 
die  Verwaltungsgeschichte  hinzu;  die  späteren  Chronisten  ziehen 
die  Bücher  ihrer  besten  Vorgänger  aus  und  verzeichnen  ausserdem, 
was  sie  selbst  erlebt  und  gesehen  haben.  Solche  Quellen  macht 
man  der  europäischen  Wissenschaft  zunächst  am  besten  durch  kri- 
tische Textausgaben  nutzbar;  damit  auch  Geschichtsforscher,  die 
nicht  Orientalisten  sind , daraus  schöpfen  können , sind  eigentlich 
zuverlässige  Uebersetzungen  nothwendig  und  kann  man  sich  mit 
verkürzten  Wiedergaben  nicht  begnügen.  Prof.  F.  Wüstenfeld  hat 
uns  in  seinem  vierbändigen  Werke  Die  Chroniken  der  Stadt  Mekka 
(Göttingen,  1857 — 1861)  einige  von  den  wichtigsten  Quellen  im 
Urtexte  zur  Verfügung  gestellt,  die  uns  bis  gegen  das  Jahr  1000 
der  Hidjrah  führen,  und  im  vierten  Bande  durch  einen  Auszug  in 
deutscher  Sprache  den  Nichtorientalisten  einen  flüchtigen  Einblick 
in  den  Inhalt  jener  Chroniken  gewährt.  Vor  wenigen  Jahren  veröf- 


l)  A.  Zohine  hat  in  seinem  Arabien  und  die  Araber  »eit  hundert  Jahren  (Halle,  1875) 
dio  wichtigsten  Werke  europäischer  Reisenden  nicht  ohne  Qeschick  bearbeitet.  Immerhin 
kommt  keine  neuere  Darstellung  der  politischen  Verhältnisse  im  Hidjaz  dor  von  Burck- 
bardt,  Travel»  ts  Arabia  1:405  ff.  gegebenen  gleich.  Die  Hauptquellen  blieben  jedoch 
auch  diesem  trefflichen  Forscher  verschlossen;  sonst  hätte  or  nicht  geschrieben:  ,Jor 
„nobody , in  thi»  country , thinh»  0/ commii/iny  to  paper  the  event»  0/ hi»  oien  time»"  (I:  411— 9), 
denn  bis  zum  heutigen  Tag  hat  es  nicht  an  Chronisten  der  heiligen  Stadt  gefehlt. 


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XIII 


fentlichte  derselbe  Gelehrte  in  manchmal  etwas  freier  deutscher 
Wiedergabe  Auszüge  au9  einem  biographischen  Werke,  in  denen 
vorzüglich  Daten  über  das  Leben  der  Scherife  des  1 lten  Jahrhun- 
derts der  Hidjrah  und  der  jenen  Fürsten  nahestehenden  Personen 
enthalten  sind  ').  Diese  und  ähnliche  Werke  sind  zwar  unentbehr- 
liche Hülfsmittel  zum  Vcrständniss  der  geschichtlichen  Entwicke- 
lung des  Scherifats,  leisten  aber  ihre  Dienste  erst  nach  kriti- 
scher Bearbeitung  des  Inhalts  unter  Hinzuziehung  anderweitiger 
Zeugnisse.  Vielleicht  bietet  sich  mir  später  die  Gelegenheit,  den 
Fachgenossen  die  von  mir  heimgebrachten  arabischen  Texte  ge- 
druckt vorzulegen,  oder  wenigstens  die  Partien  der  jüngsten  Chro- 
niken von  Mekka  zu  edieren,  in  denen  wirklich  Neues  oder  bisher 
Unveröffentlichtes  enthalten  ist.  In  diesem  Bande  ist  nicht  die 
Mittheilung  aller,  wenngleich  wichtigen,  Einzelheiten  aus  jenen 
Werken  beabsichtigt,  sondern  die  Einführung  des  Lesers  in  das 
öffentliche  Leben  der  heiligen  Stadt  vom  Anfang  des  Islam’s  bis 
auf  unsere  Zeit.  Sowohl  der  Umfang  der  einschlagenden  Litteratur 
als  die  beschränkten  Kräfte  des  Verfassers  werden  hoffentlich  dem 
Leser  als  mildernde  Umstände  gelten,  wenn  er  nach  der,  unter 
seiner  Führung  geduldig  vollendeten,  Reise  das  Ziel  nur  von  ferne 
erblickt.  Die  Bedeutung , welche  Mekka  als  Geburtsort  des  Islam’s, 
als  geistiges  Centrum  und  Ziel  der  Wallfahrt  durch  alle  Zeiten  für 
die  muhammedanische  Welt  gehabt  hat,  macht  es  begreiflich , dass 
man  kaum  eins  von  den  vielen  tausend  Erzeugnissen  der  arabischen 
Litteratur  durchlesen  kann , ohne  dieser  oder  jener  werthvollen  Notiz 


1)  Die  Scherife  von  Mekka  im  XI  (XVII)  Jahrhundert  von  F.  Wüstenfeld,  Göttingen 
1885.  Dieses  Werk  citieren  wir  mit:  „Wüstenf.,  Scherife”,  die  Chroniken  der  Stadt 
Mekka  mit  CM. 


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XIV 


über  die  Stadt  Allahs  zu  begegnen.  Namentlich  aus  allerlei  Ge- 
schichtswerken , Reisebeschreibungen , biographischen  Sammelwerken 
Hesse  sich  ohne  Zweifel  Vieles  nachtragen , das  auch  in  den  Rahmen 
unserer  Darstellung  wohl  passen  würde.  Soviel  darf  ich  aber  wohl 
hoffen,  dass  keine  Hauptsachen  übersehen  sind  und  dass  der  Leser 
ein  im  Ganzen  richtig  getroffenes  Gesammtbild  jener  eigentüm- 
lichen Gesellschaft  bekommen  wird,  umsomehr,  da  es  mir  vergönnt 
war,  mehr  als  sechs  Monate  lang  das  Leben  der  Mekkaner  als 
ihrer  Einer  mitzuleben  und  so  einen  Standpunkt  zu  gewinnen, 
von  welchem  aus  die  Berichte  über  die  Vergangenheit  sich  leichter 
zusammenfassen  und  ergänzen  lassen  als  in  der  Studierstube. 

Etwas  Subjektives  wird  freilich  jeder  Verwerthung  anhaften;  von 
vorne  herein  muss  ich  sagen , dass  mein  Buch  nicht  für  Solche 
geschrieben  wurde,  die  mit  einem  übrigens  sehr  gelehrten  Recen- 
senten  Wüstenfeld’s  *)  die  Berichte  »über  Heber  sch toemm ungen  und 
n Restaurationen  der  Käabah"  als  n sachliche  Notizen  von  allgemei- 
nnerem  Interesse"  an  und  für  sich  höher  schätzen  als  "die  uns 
« weniger  interessierenden  Personalien  der  in  Mekka  lebenden  Scherife". 
Aus  unserem  ersten  Kapitel  wird  man  ersehen,  dass  die  Restau- 
rationen der  Kacbah  gar  nichts  zu  bedeuten  haben,  während  die 
Ueberschwemmungen  alle  paar  Jahre  in  gleicher  Weise  Mekka 
heimsuchen  und , abgesehen  von  graduellen  Unterschieden , auf 
gleichem  Wege  die  gleiche  Verheerung  anstiften.  Auch  in  der 
Scherifengeschichte  wiederholen  sich  allerdings  die  nämlichen  Er- 
scheinungen manchmal  in  den  13  Jahrhunderten,  die  wir  zu  durch- 
wandern haben , und  daher  haben  wir  vielfach , zur  Vermeidung  der 
Monotonie,  Einzelheiten  mehr  angedeutet  als  beschrieben.  Es  giebt 


1)  ETborhardj  N[eatlo]  im  Litterarixchen  Ventralblatt , 11  September  1886,  S.  11514,  Sp.  SJ. 


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XV 


aber  doch  in  jenem  Zeitraum  ein  Stück  Geschichte  der  Menschheit 
zu  verzeichnen , und  der  Verfasser  kann  uicht  leugnen , dass  Men- 
schen ihm  interessanter  sind  als  immer  aufs  Neue  sich  bildende 
Giessbäche. 

Viele  der  von  mir  benutzten  Quellen  bedürfen  hier  keiner  be- 
sondern  Erwähnung,  da  die  Hinweisung  in  den  Bemerkungen  den 
Fachgenossen  genügen  wird;  mit  Tab  und  IA  sind  die  bekannten 
Geschieh ts werke  Tabari’s  und  Ibn  al-Athlr’s  bezeichnet;  die  von 
Proff.  de  Goeje  und  Wüstenfeld  herausgegebenen  geographischen 
Werke  sind  bloss  mit  den  Namen  der  Verfasser  citiert.  Drei  für 
unsere  Darstellung  besonders  ergiebige  Bücher  haben  Anspruch 
auf  eine  kurze  Beschreibung. 

Zwei  von  denselben  schliessen  sich  den  oben  genannten , von 
Wüstenfeld  veröffentlichten  Chroniken  an;  sie  wurden  in  meiner 
Biographie  des  1886  gestorbenen  //Rektors  der  mekkanischen  Uni- 
versität”')  besprochen.  Das  eine, 

wurde  laut  der  Einleitung  1095  H.  (1684)  vom  Verfasser,  aa- 
SindjärT,  redigiert,  und  scheint  bisher  in  Europa  unbekannt  zu 
sein.  As-8indjäri  gehörte  zu  einer  schon  sehr  lange  in  Mekka  sess- 
haften Familie;  er  selbst,  sowie  sein  Vater  und  Grossvater  waren 
mit  den  regierenden  Scherifen  befreundet,  nahmen  einen  gewissen 
Antheil  am  politischen  Leben  der  Stadt  und  kamen  den  jeweiligen 
Fürsten  bei  ihrem  Regierungsantritt  fast  regelmässig  mit  Gedich- 
ten entgegen.  Der  Chronist  theilt  viele  von  diesen  Erzeugnissen 
mit;  bisweilen  macht  seine  Erzählung  den  Eindruck,  als  habe  er 
während  eines  heftigen  Kampfes  um  die  Herrschaft  zwischen  zwei 


1)  Bijdragon  van  het  Koninklijk  Nederlaucbch-Indisch  Institunt , 5e  Volgreeka , II : 3+4  IT., 
vorzüglich  370  ff. 


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XVI 


Scherifen  fleissig  an  einem  Gedichte  gearbeitet,  mit  dem  er  den 
Sieger,  sei  es  der  Eine  oder  der  Andere,  bei  seinem  ersten  öS  ent- 
liehen Empfang  begrüssen  konnte.  Er  theilt  aber  auch  wichtigere 
Dinge  mit;  für  die  ältere  Zeit  benutzte  er  viele  bisher  unveröffent- 
lichte Quellen,  und  über  3ein  eigenes  Jahrhundert  war  er  selbst- 
verständlich sehr  gut  unterrichtet  und  ergänzt  er  in  willkommener 
Weise  die  Daten  Muhibbl's.  Vielleicht  hat  er  sein  Werk  nicht  ab- 
geschlossen , denn  mein  Exemplar  enthält  Notizen , die  bis  zum 
Jahre  1124  H.  (1712)  forllaufen  und  dann  ohne  eigentlichen 
Schluss  abbrechen.  Die  Notizen  werden  seit  dem  Jahre  der  Redak- 
tion allmählich  kürzer  gefasst  und  nachlässiger  redigiert;  während 
das  Corpus  des  Werkes  in  gutem  Stile  geschrieben  ist,  begegnet 
man  auf  den  letzten  Seiten  schrecklichen  Vulgarismen  ').  Wahrschein- 
lich hat  also  dem  Greise  die  Zeit  gefehlt,  die  Ereignisse  seiner 
letzten  Lebensjahre  der  Chronik  einzuverleiben , und  hat  er  ebenso 
wie  sein  jüngster  Nachfolger,  Ahmed  Dahlän,  seine  Arbeit  unvoll- 
endet hinterlassen.  Ich  besitze  eine  schlechte  Kopie  des  nicht  sehr 
schönen  Exemplars,  das  dem  oben  erwähnten  //Rektor”  gehörte; 
zu  einer  Ausgabe  genügt  dieselbe  nicht,  aber  für  diese  Darstel- 
lung hat  sie  mir  wichtige  Dienste  geleistet;  ich  bezeichne  die  Ko- 
pie mit  MK. 

Das  andere  Geschichtswerk  heisst  *L-äI  ^_i  J.5QC3I  SL-oüLä». 
rt^«J!  JJUI  und  hat  den  //Rektor”  oder  besser  Schech  el-c Ulamä 
Sejjid  Ahmed  ibn  Zen!  Dahlän  zum  Verfasser.  In  meinem  oben 
citierten  Aufsatze  habe  ich  Auszüge  davon  im  Texte  und  in  hol- 
ländischer Uebersetzung  mitgetheilt.  Für  die  ältere  Zeit  enthält 

1)  Z.  B.  S.  445  meines  Exemplars  ■.  »X>  i_Ä>-  LSLJI  = „der  Pascha  von  Djiddah.” 
Ks  ist  »ehr  wohl  möglich , das  diese  Aufzeichnungen  (hei! wem'  der  Fodor  oinos  Vetters 
des  Verfassers  entstammen , denn  dieser  wird  einmal  Ton  Al)  (8.  198)  citiort. 


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xvi  r 


dies  Werk  nicht  viel  mehr  als  einen  Auszug  aus  as-Sindjäri;  weit 
mehr  als  die  Hälfte  desselben  handelt  aber  von  den  beiden  letzten 
Jahrhunderten , theils  nach  den  besten  geschriebenen  Quellen , theils 
nach  der  eignen  Erfahrung  des  mehr  als  achtzigjährigen  Greises. 
Einem  Werke,  das  er  nur  mit  dem  Namen  des  Verfassers  als 
Li  citiert,  entnahm  Dablän  verschiedene  von  Sindjän  ab- 
weichende Einzelheiten  über  die  Vorzeit;  für  die  erste  Hälfte  des 
18*»“  Jahrhunderts  tritt  ar-Ridha  als  Augenzeuge  auf  *).  Dieser  Quelle 
schliesst  sich  ein  wenig  später  die  Chronik  eines  gewissen  Abdallah 
Abd  es-Schakür  an , der  über  die  zweite  Hälfte  des  181«“  und  den  An- 
fang 1 9*«“  Jahrhunderts  *)  berichtet  und  namentlich  als  Augenzeuge 
der  Wahhabitenherrschaft  Aufmerksamkeit  verdient.  Es  finden  sich 
von  dem  Werke  des  Abd  es-Schakür  sehr  wenige  Exemplare  in  Mekka ; 
hoffentlich  gelingt  es  mir  nächstens,  eine  Kopie  zu  erwerben.  Für 
die  Periode,  die  mit  der  Rückeroberung  des  Hidjäz  durch  Mu- 
harumed  Ali  anfangt,  brauchte  der  alte  Gelehrte  bloss  seine  per- 
sönlichen Erinnerungen  und  Erlebnisse  aufzuzeichnen;  er  führte 
seine  Notizen  fort  bis  ins  Jahr  1884.  Seitdem  wurde  er  von  den 
politischen  Wirren  seiner  Vaterstadt  ganz  in  Anspruch  genommen , 
bis  er  1886  in  Medina  starb.  Ein  seltener  Glücksfall  ermöglichte 
mir  die  Beschaffung  einer  Abschrift  seines  unvollendeten  Manu- 
skripts, welche  ich  mit  AD  bezeichne*), 
ln  beiden  Chroniken , der  von  Sindjän  und  der  von  Dablän , 


1)  AD  885  ßr  das  Jahr  1140  H.  (1727).  AD  304  ßr  1157  H.  (1744).  Näheres  habe 
ich  bisher  über  diesen  Chronisten  noch  nicht  ermittelt. 

2)  AD  322,  359,  494  citiert  seine  Angaben  resp.  über  die  Jahre  1184  H.  (1770), 
1200  H.  (1786),  1220  H.  (1805) 

3)  Die  Anführung  der  Seiten  in  den  Bemerkungen  hat  allerdings  für  die  Loser,  so- 
lange die  Texte  nicht  ediert  sind,  nur  geringes  Interesse;  ich  bin  aber  gern  bereit,  die 
Manuskripte  solchen  Fachgenossen,  die  sich  dafür  besonders  interessieren,  zur  Benutzung 
zu  übersenden. 


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xvni 


fand  ich  einzelne  wichtige  Angaben  über  die  in  Westarabien  zur 
Herrschaft  gelangten  Alidenfarailien  aus  einem  Werke  über  die  Ge- 
nealogie der  Aliden  angeführt,  die  mich  auf  die  nähere  Bekannt- 
schaft mit  letzterem  begierig  machten.  Auf  meine  Anfrage  stellte 
mir  Herr  Geheimrath  Dr.  W.  Pertsch  das  einzige  in  Europa  be- 
kannte Exemplar,  Na.  1758  des  Katalogs  der  herzoglichen  Biblio- 
thek zu  Gotha,  freundlichst  zur  Verfügung.  Leider  ist  diese  Hand- 
schrift der  ^JUall  StX*£,  deren  Verfasser  828  H.  in  Kirmän  starb, 
verzweifelt  korrupt;  ein  völlig  unwissender  Abschreiber  hat  dieselbe 
nach  einem  falsch  gebundenen  Exemplar  angefertigt,  sodass  die 
Herstellung  der  Anschlüsse  eine  weitläufige  Untersuchung  erfordert. 
Erst  nachdem  ich  mit  grosser  Mühe  einige  wichtige  Notizen  aus 
diesem  Exemplare  excerpiert  hatte , gelangte  ich  in  den  Besitz  einer 
in  Lacknau  nach  einem  ziemlich  guten  Exemplare  besorgten  Li- 
thographie desselben  Werkes  '),  in  welchem  für  die  Geschichte  der 
Aliden  und  ihrer  Parteien,  vorzüglich  aber  der  Hasaniden  und 
ihrer  westarabischen  Heimath  überaus  werthvolle  Quellen  ausge- 
beutet sind.  Die  Lithographie  habe  ich  mit  OT  (D),  das  Gothaer 
Manuskript  mit  OT  (Ms.)  bezeichnet. 

Bezüglich  der  Transkription  arabischer  Wörter  habe  ich  im  All- 
gemeinen die  in  meinem  « Mekkanische  Sprichwörter  und  Redens- 
narten”,  S.  6 ff.  angegebenen  Regeln  befolgt;  nur  sind  hier  der 
ausserhalb  der  Fach  werke  üblichen  Schreibung  mehr  Koncessionen 


gemacht  als  dort,  und  die  Laute  und  j»,  mit  dj  und  sch  statt 
mit  den  für  Nichtorientalisten  undeutlichen  Symbolen  <j  und  l wie- 


dergegeben. Somit  ist  hier  die  Schreibung  noch  weniger  konsequent 


als  in  meiner  früheren  Publikation , die  neben  ethnographischen , 


1)  Vorgl.  Brill,  Oatalogue  p&iodique  N°.  7,  585. 


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XIX 


auch  linguistische  Zwecke  verfolgte;  die  Fachgenossen  kann  das 
nicht  irreführen , und  den  anderen  Lesern  wird  es  angenehmer  sein. 

Mit  Ausnahme  von  N°«  I und  III ')  sind  alle  Bilder  im  beige- 
fugten Atlas  nach  meinen  oder  eines  von  mir  in  der  Photo- 
graphie unterrichteten  Arabers  Aufnahmen  reproduciert  oder  aber 
nach  meiner  Sammlung  mekkanischer  Gegenstände  gezeichnet. 

Vier  zum  zweiten  Bande  gehörende  Tafeln  in  Farbendruck  wer- 
den zuerst  im  »Internationalen  Archiv  für  Ethnographie”  (Redak- 
teur Herr  J.  D.  E.  Schmeltz)  mit  einer  kurzen  Beschreibung  er- 
scheinen. Da  nämlich  die  Ausgabe  ohnehin  für  das  »Koninklijk  In- 
stituut”  erhebliche  Kosten  herbeiführte , machte  Herr  P.  W.  M.  Trap, 
der  bekannte  Verleger  des  »Archivs”,  dem  Institut  das  Anerbie- 
ten , jene  Tafeln  für  diese  Auflage  umsonst  zu  liefern , wenn  diesel- 
ben zuerst  in  seiner  Zeitschrift  erscheinen  sollten. 

Für  mich  liegt  das  Hauptrcsultat  meiner  Reise  nicht  sosehr  in 
dem  Zustandekommen  dieses  Buches,  als  in  dem  dauernden  Ein- 
fluss meines  Aufenthalts  im  geistigen  Centrum  des  Islam's  auf 
meine  ferneren  Islamstudien.  Es  war  die  lebhafte  Empfindung  eines 
Mangels,  die  bei  mir  den  Wunsch  erregte,  mich  einige  Zeit  völlig 
in  die  muslimische  Welt  hineinzuleben.  Wie  dem  Orientalisten  in 
Europa  die  von  ihm  studierten  Sprachen  meistens  nicht  recht  zum 
Eigenthum  werden , weil  er  sie  nur  mit  dem  Auge  beobachtet  und 
nicht  mit  dem  Ohre,  so  bleibt  seine  Vorstellung  von  dem  geistigen 
und  gesellschaftlichen  Leben  der  Orientalen  gewöhnlich  lückenhaft 
solange  ihm  nur  die  Bücher  als  Zeugen  dienen.  Sehr  erfreulich 
ist  es  darum , dass  man  sich  jetzt , z.  B.  in  Paris  und  in  Berlin , 

1)  N°.  I ist  nach  einer  von  (^<iidiq  Bey  (jetzt  Pascha)  aufgenommenen  Photographie  mit 
einigen  Zusätzen  im  vorderen  Theile  gezeichnet,  N°.  III  reproduciert  unverändert  eine 
Aufnahme  desselben  Mannes. 


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XX 


durch  die  Gründung  praktischer  Schulen  mit  orientalischen  Hülfs- 
lehrern  diese  Lücken  möglichst  auszufiillen  bestrebt.  Nichts  kann 
aber  die  eigne  Anschauung  ersetzen,  wenngleich  deren  fruchtbare 
Wirkung  durch  fleissiges  Quellenstudium  bedingt  ist  und  ein  jahre- 
langer Aufenthalt  im  Orient  an  sich  noch  nicht , wie  das  Publikum 
allzuleicht  annimmt,  zum  Urtheil  über  alle  und  jegliche  Verhält- 
nisse berechtigt.  In  dem  so  selten  von  Europäern  besuchten  Lande 
konnte  ich  natürlich  in  mehr  als  einer  Richtung  Material  sammeln ; 
mein  Ziel  blieb  aber  immer  die  Beobachtung  des  Lebens  des  Is- 
lands, und  alles  Andere  diente  mehr  oder  weniger  als  Hiilfsmittel 
zu  dessen  Erreichung.  Somit  wird  die  Verwerthung  meiner  Beo- 
bachtung allmählich  stattfinden,  solange  der  Islam  den  Hauptge- 
genstand meiner  Forschung  bildet.  Dies  hebe  ich  mit  darum  hervor, 
weil  sich  daraus  ergiebt,  dass  meine  innige  Dankbarkeit  gegen  Alle, 
die  mein  Unternehmen  gefördert  haben , auch  nach  der  Vollendung 
dieses  Werkes  unvermindert  fortbestehen  wird.  Ohne  die  freigebige 
materielle  Unterstützung  des  Koninklijk  Nederlandsch-lndisch  Insti- 
tuut , welches  ausserdem  die  Kosten  dieser  Ausgabe  sowie  uieiner 
früheren  linguistischen  Publikation  übernommen  hat,  wäre  mir  die 
Ausführung  meines  Planes  sehr  schwierig  geworden ; die  Hollandsche 
Maatschappij  der  Wetenschappen  in  Haarlem  und  das  Utrechtsch 
Genootschap  voor  Kumten  en  Welenschappen  erleichterten  auch  ihrer- 
seits meine  Aufgabe  durch  einen  Beitrag.  Die  Leidener  Gemeinde- 
verwaltung gewährte  mir  einen  Urlaub,  hätte  dies  aber  schwerlich 
thun  können , wenn  sich  nicht  Prof.  P.  A.  van  dkr  Lith  erboten 
hätte,  während  meiner  Abwesenheit  meine  Pflichten  als  Lehrer  an 
der  Indischen  Schule  auf  sich  zu  nehmen.  Noch  bevor  ich  an  eine 
derartige  Lösung  einer  Hauptschwierigkeit  dachte,  kam  mir  mein 


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XXI 


verehrter  Freund  mit  seinem  gütigen  Anerbieten  entgegen  und  hob 
dadurch  die  letzten  Bedenken  gegen  die  Fortsetzung  der  angefan- 
genen Versuche.  Trotz  so  vieler  Mitwirkung  wäre  es  nicht  noth- 
wendig  meine  Schuld  gewesen,  wenn  meine  Reise  ihr  Ziel  verfehlt 
hätte;  meine  Freunde  in  der  Heimath  konnten  in  Arabien  nichts 
für  mich  thun  und , wer  die  lokalen  Verhältnisse  auch  nur  ober- 
flächlich kennt,  weiss,  wie  viele  Hindernisse  der  Forscher  dort  zu 
überwinden  hat,  bis  er  dem  Gegenstände  seines  Studiums  ruhig 
gegenübersteht  und  sagen  kunn:  jetzt  fängt  mein  eigenstes  Werk 
an.  Die  Herren  J.  A.  Kruxt,  Generalkonsul  der  Niederlande  in 
Pinang  (bis  Anfang  1885  in  Djiddah)  und  P.  N.  van  oek  Chijs, 
Konsul  von  Schweden  und  Vicekonsul  der  Niederlande  in  Djiddah, 
haben  einen  so  hervorragenden  Antheil  an  dem  Erfolge  meines 
Unternehmens,  dass  ihre  Namen  eigentlich,  statt  in  der  Vorrede, 
auf  dem  Titel  dieses  Buches  verzeichnet  werden  sollten.  Gleich  vom 
Anfang  an  habe  ich  von  keiner  Seite  mehr  Ermuthigung  und  Hülfe 
erfahren  als  von  Herrn  Kruyt , der  gerade  mit  Urlaub  in  Holland 
war,  als  ich  meinen  Plan  endgültig  fasste;  ich  hatte  das  Glück, 
mit  ihm  zusammen  die  Reise  nach  Djiddah  zu  machen , und  während 
des  halben  Jahres,  das  bis  zu  seiner  Versetzung  nach  Pinang  und 
meiner  Reise  nach  Mekka  verfloss,  habe  ich  ausser  unbeschränkter 
Gastfreiheit  bei  ihm  stets  unermüdliche  Bereitwilligkeit  gefunden, 
mir  in  jeder  Beziehung  zu  helfen.  Nach  meiner  Ankunft  auf  ara- 
bischem Boden  gab  ihm  Herr  van  der  Chijs  in  dieser  Hinsicht  nichts 
nach  und,  als  Herr  Kruyt  nach  den  Straits  Settlements  abgereist 
war,  vertrat  er  mir  gegenüber  auch  dessen  Stelle.  Während  meines 
Aufenthalts  in  der  heiligen  Stadt  vermittelte  er  meinen  Verkehr 
mit  der  Aussen  weit,  und  nach  meiner  Vertreibung  war  er  meiuc 


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XXII 


Zuflucht.  Nach  der  Heimreise  hätte  ich  ohnehin  manchmal  die  Güte 
meines  Freundes  in  Anspruch  genommen,  wäre  es  auch  nur,  um 
die  Geschichte  des  Hidjaz  in  ihrer  weiteren  Entwickelung  zu  ver- 
folgen, nachdem  ich  selbst  ein  Stück  davon  mit  erlebt  hatte.  So 
aber,  da  ich  mitten  aus  meiner  Arbeit  herausgeholt  wurde  und 
nicht  einmal  Gelegenheit  hatte,  meine  eigenen  Sachen  alle  aus 
Mekka  mitzunehmen,  hätte  ich  ohne  die  Liebenswürdigkeit  des 
Herrn  van  der  Chijs,  der  meine  Angelegenheiten  ganz  zu  den  sei- 
nigen  machte,  manchen  erheblichen  Verlust  erlitten.  Durch  viel- 
jährigen Aufenthalt  mit  dem  Lande  und  seinen  Bewohnern  vertraut 
wie  kaum  ein  Anderer,  hat  er  seit  mehr  als  drei  Jahren  keine 
meiner  Bitten  unerfüllt,  keine  meiner  Fragen  unerledigt  gelassen; 
selbst  weiss  er  am  besten , dass  dies  etwas  sagen  will ! 

Viele  meiner  Landsleute  werden  mehr  oder  weniger  tadelnd  fra- 
gen, warum  mein  Werk  in  fremder  Sprache  erscheint;  Einige 
haben  schon  ihre  Bedenken  geäussert.  Zunächst  muss  ich  antwor- 
ten , dass  ich  nicht  zum  eignen  Vergnügen  den  litterarischen  Selbst- 
mord begangen  habe,  denn  ich  weiss  zu  gut,  dass  man  ebenso- 
wenig in  zwei  Sprachen  den  gleichen  Stil,  wie  etwa  zwei  Cha- 
raktere haben  kann.  Die  eine  fremde  Sprache  ganz  ebenso  gut 
schreiben  wie  ihre  Muttersprache,  schreiben  beide  schlecht.  Auf 
der  anderen  Seite  fühle  ich  den  ultrapatriotischen  Tadlern  gegen- 
über keinerlei  Verpflichtung,  zumal  die  meisten  zu  den  //Lesern” 
gehören , die  zweifellos  nach  einem  Einblick  in  den  gut  niederlän- 
dischen Titel  zur  Tagesordnung  übergehen  würden.  Man  schreibt 
aber  doch,  um  gelesen  zu  werden,  und  es  wäre  thöricht,  allen 
Pflegern  einer  Wissenschaft  zuzumuthen , dass  sie  die  Sprachen 
jeder  Nation  erlernen , wo  ihr  Fach  ein  paar  Vertreter  findet. 


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XXIII 


Unsere  Väter  schrieben  Latein,  wir  benutzen  moderne  Kommuni- 
kationsmittel , beides  mit  gleichem  Zweck.  Der  Gebrauch  der  la- 
teinischen Sprache  hat  sich  immermehr  für  nichtklassische  Gegen- 
stände als  unmöglich  erwiesen;  er  gewährte  den  Vortheil,  dass 
bedeutende  Verstösse  gegen  die  Grammatik  nur  wenigen  Lesern 
auffielen.  Mit  neueren  Sprachen  muss  man  etwas  vorsichtiger  ver- 
fahren; die  Güte  meines  geliebten  Lehrers,  Herrn  Prof.  Nöldkke 
in  Strassburg,  hat  mir  über  diese  Schwierigkeit  hinweggeholfen, 
dn  er  mein  Manuskript  einer  stilistischen  Revision  unterzogen  und 
dann  noch  eine  Korrektur  gelesen  hat. 

Da  dies  Buch  keine  Dätailsammlung , sondern  eine  Uebersicht 
der  geschichtlichen  Entwickelung  geben  will,  habe  ich  es  vorgezo- 
gen , nicht  durch  einen  Index,  sondern  durch  eine  ausführliche 
Inhaltsangabe  das  Nachschlagen  zu  erleichtern.  Schliesslich  bemerke 
ich  noch,  dass  die  Jahreszahlen  im  Texte  des  Werkes,  wo  nicht 
anders  angegeben , nach  europäischer  Zeitrechnung  bestimmt  sind ; 
in  den  Stammtafeln  dagegen  habe  ich  die  Angaben  über  die  Re- 
gierungsdauer der  einzelnen  Fürsten  in  ihrer  ursprünglichen,  mus- 
limischen Form  gelassen. 

Leiden,  Mai  1888. 


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I. 

DIE  STADT. 


Das  enge,  öde  »Thal  ohne  Getreide”  *),  welches  durch  Muhainmed 
in  die  Weltgeschichte  eingeführt  wurde,  ist  seit  etwa  1000  Jahren 
von  arabischen  Schriftstellern  wiederholentlich  mit  der  Genauigkeit 
beschrieben  worden , welche  man  heutzutage  bei  einem  Bädeker 
voraussetzt.  Dies  erleichterte  den  wenigen  Europäern , welche  zu 
Forschungszwecken  verkleidet  in  Mekka  eindrangen , die  Erfüllung 
des  topographischen  Theiles  ihrer  Aufgabe ; sonst  wäre  est  sogar  dem 
trefflichen  Burckhardt  kaum  gelungen,  1814  einen  Grundriss  der 
heiligen  Stadt  zu  zeichnen , der  noch  jetzt  als  sicherer  Führer  gelten 
darf,  und  den  ich  mit  einigen  Berichtigungen  für  dieses  Werk  repro- 
duciert  habe.  Die  Topographie  Mekka’s  ist  aus  verschiedenen  Gründen 
so  wenig  der  Veränderung  fähig,  dass  der  europäische  Leser,  dem 
die  arabischen  Quellen  verschlossen  sind,  für  alle  Hauptsachen  der 
Beschreibung  sich  mit  Burckhardt  begnügen  kann.  In  den  aller- 
letzten Jahren  ist  aber  für  die  Reproduktion  einiger  wichtiger  Ge- 
bäude, namentlich  der  Moschee,  die  Photographie  verwendet  worden ; 
ausser  einigen  vor  8 Jahren  von  einen  türkischen  Offizier  aufgeno- 
mmeneu  Bildern , besitze  ich  zwei  schöne  mit  meinem  Apparat  an- 
gefertigte Photographien,  welche  zusammen  das  Material  zu  den 
beigefügten  Abbildungen  I und  II  geliefert  haben.  Zur  weiteren 


1)  So  heisst  Mekka  Quran  14:40.  Die  Mekkaner  sagen  Maikak  oder  M'eHek-,  bei 
solchen  allbekannten  Namen  folgen  wir  der  herkömmlichen  Schreibung. 


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2 


Einführung  brauche  ich  hier  also  nur  das  Wichtigste  hervorzuheben , 
mit  Hinweisung  auf  einen  1887  von  mir  in  Berlin  gehaltenen  Vortrag '). 

In  das  allseitig  von  Bergen  eingeschlossene  Mekkathal  gewähren 
drei  Wege  (von  N.,  NW.  und  S.)  Eintritt;  zur  Vertheidigung  der 
Stadt  wurden  diese  drei  Zugänge  vielleicht  schon  im  9teQ  Jahr- 
hundert mit  Mauern  verschlossen , von  welchen  jede  mit  einem  oder 
mehreren  Thoren  versehen  war s).  Im  Laufe  der  fortwährenden  Kämpfe 
der  Herren  Mekka’s  unter  einander  sowie  gegen  Fremde  wurden 
diese  Mauern  manchmal  zerstört  und  wiederhergestellt.  Der  Stamm- 
vater der  heutigen  Scherife  (um  1200)  scheint  besondere  Sorge  auf 
ihre  Befestigung  verwendet  zu  haben;  wenige  Jahre  vorher  waren 
dieselben  fast  ganz  zertrümmert.  Im  Anfang  des  1 nten  Jahrhunderts 
war  bei  mancher  Belagerung  die  Rolle  der  Mauern  sehr  wichtig; 
um  1500  waren  sie  jedenfalls  unbedeutend,  und  in  der  Mitte  des 
Ißaten  Jahrh.  zeugten  nur  noch  kleine  Reste  von  ihrem  früheren 
Dasein.  Die  Ersetzung  von  Bogen,  Speer  und  Lanze  durch  Flinte 
und  Kanone  hat  die  Abschliessung  überflüssig  gemacht ; drei  kleine 
Festungen 1 2  3)  auf  den  umgebenden  Bergen  schützen  Mekka  gegen 
jeden  Angriff  von  der  Art  wie  die,  welchen  es  bisher  ausgesetzt  war. 

Die  Unveränderlichkeit  der  Topographie  Mekka’s  hat  in  erster 
Linie  ihren  Grund  in  der  grossen  Moschee,  dem  Uaram,  welches 
sich  im  mittleren,  breitesten  Theile  des  Thaies  befindet;  das  Haram 
darf  weder  verlegt  noch  verkleinert  werden,  ist  jetzt  auch  der  Ver- 
grösserung  kaum  fähig  und  nicht  bedürftig.  Um  diese  Stätte  hat 
sich  von  jeher  das  Leben  der  Stadt  bewegt.  Die  in  der  Mitte  der 
Moschee  befindliche  Ka'bah  (Länge  12,  Breite  10,  Höhe  15  Meter) 
ist  plump  und  nicht  einmal  regelmässig  aus  dem  Steine  der  Berge 
Mekka’s  gebaut;  in  der  östlichen  Ecke  ist  der  /'schwarze”  und  in 
der  südlichen  der  »südliche”  Stein  auf  5 Fuss  Höhe  dermaassen 
cingemauert,  dass  man  beim  Umgänge  beide  mit  der  Hand  berühren, 


1)  Verhandlungen  dar  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin,  Band  XIV , N°  3,  S.  143  II, 

2)  Für  die  Geschichte  der  Mauern  und  Thore  vergl.  CM  II:  609,  272-3,  230,  298, 
309;  111:13;  Mokaddasi  74;  lbn  Jubnir,  ed.  Wright.,  108  ff.,  112-3;  Al)  61. 

3)  Die  grösste  (südliche):  qafat  I)jijad  sicht  man  im  Hintergründe  des  kleinsten  Bildes 
der  Moschee. 


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3 


den  heiligsten,  »schwarzen”,  küssen  kann.  Das  Heiligthum  galt  schon 
zur  Zeit  Mubamineds  als  uralt;  von  seinem  Ursprünge  wusste  man 
nichts.  Die  Legende,  dass  Abraham  und  Ismael  auf  Gottes  Befehl 
das  Gebiiude  errichtet  hätten,  wurde  zuerst  von  Muhammed  offen- 
bart, als  er  sich  entschloss,  den  altheidnischen  Tempel  sammt  seinem 
Ritus  ')  ziemlich  unverdaut  in  den  Islam  aufzunehmen.  Im  lsten  Jahr- 
hundert des  Islam’s  stritt  man  sich  über  die  Frage , ob  jene  Patriar- 
chen der  Ka'bah  die  Form  gegeben  hatten,  welche  sie  zur  Zeit 
Muhammeds  zeigte,  oder  eine  andere  *).  Die  weltlich  gesinnte  Partei 
der  Omajjadenchalifen  wollte  die  heidnische  Gestalt  des  Heiligthums 
unverändert  lassen ; die  Opposition , welche  Abdallah  ibn  Zubair  zum 
Gegenchalifen  wählte,  berief  sich  auf  prophetische  Aussprüche  für 
das  Gegentheil:  ihr  zufolge  sollten  zwei  Thüren  in  der  NO.  und 
SW.  Seite  der  Ka'bah  an  die  Stelle  der  einen  vorhandenen  treten, 
und  zwar  nicht  wie  diese  mit  einer  Schwelle,  zu  welcher  man  auf 
einer  Treppe  hinaufsteigen  musste,  sondern  auf  ebnem  Boden. 
Ausserdem  müsste  der  halbkreisförmige  Raum , welcher  jetzt  durch  die 
niedrige  Mauer  ( Uidjr , Bild  N°.  2) s)  begriinzt  wird , als  zum  Hei- 
ligthum gehörig,  hinzugezogen  werden.  Im  Jahre  684,  als  Mekka 
die  Haupstadt  des  Gegenchalifats  Abdallahs  war,  führte  er  diesen 
Plan  aus  und  gab  somit  der  Ka'bah  die  Form  eines  Stiefelabsatzes.  Das 
neue  Gebäude  wurde  während  der  Belagerung  Mekka’s  durch  die 
Feldherren  der  Omajjaden  vom  Feuer  hart  mitgenommen ; der 
Menschenschlächter  Uaddjadj  vernichtete  die  Gewalt  der  Empörer 
und  gab  703  der  Ka'bah  ihre  altheidnische  Form  wieder.  Seitdem 
hat  die  officielle  Lehre  zwischen  den  Thatsachen  und  den  frommen 
Wünschen  so  vermittelt,  dass  der  Uidjr- raum  als  mit  zur  Ka'bah 
gehörig  betrachtet,  auch  mit  in  den  Umgang  um  das  Heiligthum 
aufgenommen  wird,  aber  nicht  zu  einem  Theile  des  eigentlichen 
Gebäudes  gemacht  werden  darf.  Bald  steigerte  sich  die  abergläubische 


1)  TJobcr  dio  Geschickte  und  die  Beschreibung  dos  Ritus  vergl.  mein  „Het  Hokknan- 
sche  Feest”  und  Wellhsusen’s  „Reste  nrsbischon  Heidentumes.” 

2)  lieber  dio  Baugeschichte  der  Ka'bah  in  islamischer  Zoit  vergl.  u.  a.  Tab.  II: 
o1"a,  olv,  Aöfj  CM  I:  307  ff.;  111:55  ff.;  146  ff  203  , 207,  224  ff;  MK  233  ff. 

3)  Wo  nicht  anders  angegeben,  beziehen  sich  dio  Nummern  auf  beide  Bilder  der  Moschee. 


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i 


VerehruDg  der  Ka'bah  dermaassen,  dass  man  nur  dann  und  wann 
die  allernoth wendigsten  Ausbesserungen  zu  machen  wagte ; zur  gründ- 
lichen Maassregel  der  Nicderreissung  um  sie  wieder  aufzubauen  fehlte 
den  Fürsten  der  fanatischen  Bevölkerung  gegenüber  der  Muth.  Als 
die  Mauern  1611  einzustürzen  drohten,  half  man  mit  einem  Gürtel 
aus  vergoldetem  Kupfer  nach;  erst  nachdem  der  Sturz  nach  einer 
Ueber8chwemmung  1630  wirklich  angefangen  hatte,  entschloss  man 
sich  zur  vollständigen  Rekonstruktion  mit  möglichst  wenig  neuen 
Bausteinen.  Seitdem  blieb  die  Kacbah  wie  sie  war:  ein  mit  anti- 
quarischer Sorgfalt  bewahrtes  Monument  des  alten  Arabiens  ’). 

Während  an  dem  Bau  nicht  gerüttelt  werden  durfte,  galt  es 
immerfort  für  sehr  verdienstvoll,  die  Kacbah  zu  verschönern  und 
zu  schmücken.  Die  alte  Sitte , dem  »Hause”  Geschenke  zu  weihen , 
die  darin  aufbewabrt  wurden , kam  im  Islam  allmählich  ab  ’) ; 
die  edlen  BenI  Scbebah,  welche  seit  vorislamischer  Zeit  bis  heute 
das  Amt  der  Thorhüter  verwalten , sagten  schon  bald  ihren  Besuchern, 
die  Diener  und  Nachbarn  des  Hauses  könnten  die  Gaben  besser 
gebrauchen  als  das  Heiligthum  selbst,  und  dass  ihnen  dies  Ernst 
war,  zeigten  sie  seit  dem  2 t«“  Jahrhundert  des  Islam’s  allzu  deut- 
lich, denn  mancher  Empörer  und  mancher  bedrängte  Statthalter 
prägte  sich  aus  den  in  der  Ka'bah  aufbewahrten  Schätzen  klingende 
Münze.  Nur  Leuchter  wurden  bis  in  die  späteste  Zeit  dann  und 
wann  der  Kacbah  geschenkt  und  ohne  praktischen  Zweck  im  Inneren 
aufgehängt.  Ferner  Hessen  die  hohen  Gönner  manchmal  den  Boden 
des  Hauses  neu  pflastern  oder  die  Thür  erneuern  ’),  und  die  Thür 
sowie  die  über  den  Hidjr  hervorspringende  Dachrinne  (Mlzäb)  mit 
Silber-  oder  Goldblech  überziehen1 2 3 4),  trotzdem  auch  hier  das  Werth- 
metall manchmal  von  frevlerischen  Händen  geraubt  wurde.  Ununter- 


1)  Eia  Mekkaner,  der  bei  diesem  letzten  Umbau  den  schwarzen  Stein  für  sich  beob- 
achtete, erzählt  (MK  239),  das  Innere,  d.  h.  der  eingemanerte  Theil  desselben,  habe 
graue  (w»  j -,i)  Farbe  und  die  länglich  viereckige  Form  eines  (arabischen,  hölzernen) 
Hausschlüssels. 

2)  Vergl.  CM  1:155  ff.,  173;  111:  60 ff.;  MK  passim. 

3)  CM  III:  145  ff.;  IA  XI : 150;  Ibn  Jubair  121-5;  MK  219. 

4)  CM  1:145  ff.,  147,  201;  111:53  ff.,  86;  IA  XI:202;  MK  211. 


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brochen  blieb  die  Befolgung  der  auch  schon  altheidnischen  Sitte , das 
»Haus”  zu  bekleiden  *).  Die  ersten  Chalifen  behängten  die  Ka'bah 
mit  feinen  egyptischen  anstatt  der  gewohnten  jemenischen  Stoffe; 
der  zunehmende  Luxus  führte  bald  schwere  Seidentücher  von  rother, 
gelber,  grüner  oder  weisser  Farbe  ein;  jeder  von  den  Fürsten, 
welche  das  Protektorat  über  Mekka  beanspruchten , wollte  seine  Vor- 
gänger und  Mitbewerber  bei  dieser  Gabe  an  Pracht  und  Reichthum 
überbieten. 

Zu  Anfang  des  9ten  Jahrhunderts  schickte  der  Chalif  jährlich  drei 
neue  Kleider;  in  späterer  Zeit,  namentlich  seit  dem  Verfall  des 
Chalifats,  fand  die  Sendung  nicht  so  regelmässig  statt.  Von  den 
cirkassischen  Sultanen,  welche  bis  1516  Egypten  beherrschten  und 
die  heiligen  Städte  beschützten , pflegte  jeder  bei  seinem  Regierungs- 
antritt ein  neues  Küwah  zu  senden ; seitdem  die  Othmanli’s  an  ihre 
Stelle  traten,  kommt  jedes  Jahr  aus  Egypten  ein  neues  Kleid  aus 
schwarzem  Brokat , mit  goldgesticktem  Gürtel  auf  ’/j  der  Höhe ; die 
Kosten  werden  aus  dazu  gestifteten  Grundstücken  im  Nillande  bezahlt, 
und  mit  den  abgenutzten  Kiswah’s  treiben  die  Benl  Schebah  einen 
ergiebigen  Handel. 

Es  steht  ziemlich  sicher,  dass  Mekka  weder  der  Ka'bah  noch 
dem  schwarzen  Steine  sein  Dasein  verdankt;  mehr  Wahrscheinlich- 
keit hat  die  Annahme,  dass  der  unweit  des  »Hauses”  befindliche, 
von  einem  Gebäude  (Bild  N°.  3)  umschlossene  Zemzerabrunnen  *) 
die  Ansiedelung  veranlasst  habe 5).  Hat  das  Wasser  schon  damals 
ungefähr  die  gleiche  Zusammensetzung  gehabt  wie  jetzt,  so  wäre 
es  vielleicht  die  purgative  Wirkung,  welche  die  Heiligkeit  des 
Brunnens  begründet  hat;  sind  dagegen  durch  Verunreinigung  neue 
Bestandtheile  hinzugetreten  , so  wäre  es  ursprünglich  gutes  Trink- 
wasser gewesen.  Von  Muhammeds  Zeit  an  bezeugen  die  Berichte 
den  nämlichen  Zustand  wie  jetzt:  von  jeher  spricht  man  von  dem 


1)  CM  1:31,  60,  104,  140  ff.,  146,  173  ff.;  11:54,  351;  III : 67  ff.,  99,  173, 
212-4,  217,  219,  221;  lbu  Jubair  80 ff.,  181;  MK  passim. 

2)  VergL  schon  CM  1 : 299  ff,  333. 

3)  Vergl  meinen  oben  citierten  Vortrag,  S.  146  ff.  und  die  dort  angeführto  Abhandlung 
Ton  Dr.  P.  ran  Romburgh. 


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//schweren”,  nicht  gerade  angenehmen  Geschmack  des  Wassers1 * *); 
aus  sehr  alter  Zeit  haben  wir  Berichte  *)  über  den  starken  Wechsel 
des  Geschmacks,  und  letzteren  entsprechen  die  Ergebnisse  der 
neuerdings  von  Dr.  P.  van  Romburgh  ausgeführten  Analyse  mehrerer 
zu  verschiedenen  Zeiten  geschöpften  Proben  des  Wassers;  die  Zusam- 
mensetzung zeigt  eine  Unbeständigkeit,  deren  Ursache  bisher  uner- 
mittelt  ist.  Damals  wie  jetzt  glaubte  mancher,  das  Wasser  des 
Zemzem  fliesse  und  der  Brunnen  erhalte  seine  Zufuhr  aus 
mehreren  Quellen 4).  Die  Frage  muss  vorläufig  unerledigt  bleiben. 
Die  thörichten  Erzählungen  über  den  Zemzem,  welche  man  in  Europa 
in  Umlauf  gesetzt  hat,  habe  ich  in  meinem  Berliner  Vortrag  besei- 
tigt. Dem  Glauben  schmeckt  das  Wasser  gut;  ihm  dient  es  als 
Heilmittel  für  jede  Krankheit.  Verwandte  des  Propheten , die  Abba- 
siden  5 6),  beanspruchten  die  Ehre  (und  die  Vortheile  ?)  der  Verkeilung 
des  Zemzemwassers  als  ihr  herkömmliches,  von  Muhammed  auf  alle 
Zukunft  bestätigtes  Privileg;  ihre  Stellung  war  somit  eine  ähnliche 
wie  die  der  Bern  Schebah.  Nachdem  ihnen  aber  das  viel  ergiebigere 
Chalifat  zu  Thcil  geworden,  scheinen  sie  allmählich  den  Zemzem 
vergessen  zu  haben ; seit  Jahrhunderten  ist  die  Bedienung  des 
Brunnens  ein  Gewerbe  wie  jedes  andere.  Die  Zemzemi’s  bilden  eine 
Zunft,  obgleich  der  Zutritt  zum  Zemzem  und  der  Gebrauch  des 
Wrassers  nominell  jedem  freisteht;  ihre  Belohnung  verlangen  sie  für 
ihre  Arbeit  und  ihr  Geschirr. 

So  lange  wir  Mekka  kennen,  hat  es  seinen  Bewohnern  kein 
süsses  Wasser  in  genügender  Menge  geliefert;  nur  wenige  von  den 
dort  gegrabenen  Brunnen  *)  enthielten  zu  gewissen  Zeiten  etwas 
brauchbares.  Von  Alters  her  holte  wer  nur  konnte  seinen  Bedarf 
von  ausserhalb  7).  Wir  wollen  hier  einen  Augenblick  die  Moschee 
verlassen,  und  sehen  mit  welchen  Kosten  und  welcher  Arbeit  Mekka 


1)  Vergl.  noch  CM  1:70,  2S9.  8)  CM  1:293—4,  Mokaddasi  101. 

3)  CM  1:440.  4)  CM  1:300. 

5)  CM  1:71.  Ob  wirklich  die  Haschimidon  gcbon  lange  vor  dem  Islam  den  Zemzem 

verwaltet  haben  oder  Mubammeds  Oheim  'Abbüs  dor  orsto  aus  dioser  Familie  war,  der 

diesos  Amt  bekleidete,  steht  allerdings  dahin. 

6)  CM  1 : 430  ff.  7)  Vergl.  CM  1 : 69-70;  III : 40. 


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nothdürftig  mit  Wasser  versehen  wurde ').  Zur  Zeit  Muäwijah’s 
(661 — 80)  konnten  die  meisten  Mekkaner  eine  von  den  vielen  kleinen 
Wasserleitungen  benutzen , welche  dieser  Chalif  zur  Berieselung 
seiner  Pflanzungen  im  heiligen  Gebiete  Mekka’s  machen  Hess;  er 
hatte  sogar  besondere  Einrichtungen  zur  Erleichterung  dieser  allge- 
meinen Benutzung  getroffen.  Die  damit  verbundenen  Schwierigkeiten 
wollte  um  710  der  Statthalter  Mekka’s  Chälid  al-Qasri , ein  rücksichts- 
loser Omajjadendiener , dadurch  heben  *),  dass  er  aus  dem  2 Stunden 
östlich  gelegenen  Muna-thale  durch  bleierne  Röhren  süsses  Wasser 
bis  in  die  Moschee  führte;  man  erzählt,  dass  damit  Geringschätzung 
des  Zemzem  beabsichtigt  war.  Wie  dem  auch  sei , als  die  Abbasiden 
750  die  Herrschaft  antraten,  gehörte  die  Vernichtung  dieses  Kon- 
kurrenten ihres  eignen  heiligen  Brunnens  zu  den  ersten  Neuerungen 
ihres  Vertreters  in  Mekka.  Die  alten  Leitungen  Muäwijah’s  waren 
inzwischen  vernachlässigt  worden,  und  ihr  Wasser  genügte  dem 
Bedarf  nicht  mehr;  auch  nachdem  Ilärün  ar- Raschid  einige  hatte 
ausbessern  und  in  eine  Hauptleitung  vereinigen  lassen,  herrschte 
thatsächlich  Wassermangel.  Da  liess  sich  nun  810  Zubaidah,  die 
Gemahlin  Härüns,  die  Sache  angelegen  sein  und  brachte  mit  un- 
geheuren Kosten  eine  Leitung  zu  Stande,  die  wohl  immer  den 
Bedürfnissen  Mekka’s  und  der  östlich  von  Mekka  gelegenen  Wall- 
fahrtsorten genügt  hätte,  wenn  nicht  den  Mekkanern  aller  Zeiten 
jede  Art  von  Gemeinsinn  gefehlt  hätte.  Selbstverständlich  musste  das 
Wasser  von  Osten  kommen , denn  diese  ganze  Gegend  erhebt  sich 
von  der  Meeresküste  an  bis  nach  Täif ; auch  befinden  sich  die  Ver- 
sammlungsorte des  Haddj  in  einer  fast  geraden  Linie  östlich  von 
Mekka  auf  dem  Wege  nach  Täif.  In  der  verhältnissmässig  wasser- 
reichen Gegend  Hunain,  nahe  bei  Täif,  fanden  sich  durch  Wasser- 
leitungen gut  berieselte  Saatfelder;  diese  kaufte  Zubaidah  an  , führte 
die  vereinigten  Leitungen  bis  nach  Mekka  und  lenkte  den  Weg 
einiger  entlegener  Leitungen  der  Umgegend,  von  denen  7 als  beson- 

1)  Vcrgl.  CM  1 :442  ff;  11:33  ff.,  52-3,  119,  12S  ff.,  314;  111:129,  198  f„  224, 
335  ff,  392—3;  lbn  Jubair  124  f.;  MK  214  , 257,  291,  298  , 302,  337,  358  , 4481.  AD 
315,  448. 

2)  Vcrgl.  Tab.  II:  Ml,  irr.;  CM  1:339—40,  11:172;  LA  IV:  424— 5. 


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ders  ergiebig  namhaft  gemacht  werden , in  das  gleiche  Bett.  Auch 
wurden  von  den  umliegenden  Bergen  her  Kanäle  gegraben,  damit 
ein  Theil  der  in  diesen  Ländern  zwar  seltenen,  aber  sehr  starken 
Regengüsse  der  Leitung  zu  Gute  komme.  Ausser  dieser,  'Ain  ljunain 
('<?»  Uenen),  ‘Ain  Zubaidah  (cen  Zebedah)  oder , nach  einer  der  be- 
deutendsten Hiilfleitungen,  cen  Muse  käse  k 1 j genannten  Leitung,  Hess 
sie  noch  eine  andere  machen,  deren  Wasser  einige  Meilen  östlich 
von  'Arafat,  im  Wadi  Na'uiän  entsprang;  diese  floss  die  grosse 
'Arafatebene,  wo  das  eigentliche  Haddj  anfängt,  entlang , füllte  hier 
in  ihrem  Laufe  einige  Behälter  und  floss  dann  bis  nach  dem  Muna- 
thale  *),  wo  sie  in  das  riesige  bir  Zebedah  endete,  sodass  die  Pilger 
auch  hier  während  der  drei  jährlichen  Feiertage  reichlich  versehen 
wurden.  Den  Mekkanern  machte  es  82G  Marnün  noch  bequemer, 
indem  er  die  bis  dahin  im  oberen  (NO.)  Theile  der  Stadt  abschlies- 
sende Leitung  nach  unten  durchzog , und  die  verschiedenen  Stadt- 
theile  mit  Behältern  beschenkte.  Trotz  alledem  berichtet  uns  fast 
jeder  mekkanische  Chronist  aus  seiner  eignen  Zeit  von  einer  manchmal 
viele  Jahrzehnte  umfassenden  Periode  des  Wassermangels  ’).  Die 
Mekkaner  und  ihre  Landesväter  beschränkten  sich  darauf,  während 
der  Pilgerfahrt  fremden  Fürsten  und  vornehmen  Herren  ihre  Noth 
zu  klagen;  nicht  eiumal  die  Kosten  einer  regelmässigen  Aufsicht 
oder  einer  schnellen  Ausbesserung  der  im  Anfang  leicht  heilbaren 
Schäden,  welche  die  etwas  rohe  Natur  der  Leitung  veranlasste, 
wollten  sie  selbst  übernehmen.  Die  Annalisten  der  heiligen  Stadt 

1)  Für  die  Bedeutung  yve  » Wasserleitung  (manchmal  abwechselnd  mit  »Ls  gebraucht) 

vergl.  n.  a.  Bekri  v.v — a,  6;  a. f,  15;  CM  1:  339 — 40  (cf.  335  »Ls),  443 — 4;  111:335. 

Ein  Bronnen,  gleichviel  mit  Quell-  oder  Grundw&sser , heiastt  bir;  die  Quelle,  welche  ihr 

u 

Wasser  einer  Leitung  zuführt,  heisst  wohl  oinmal  jJ’—ä  (CM.  11 : 52),  aber  häufiger  j.1 

(CM.  111:224,  335),  vulgär  , und  so  auch  in  der  unten,  S.  9,  Anm.  citierten 
Notiz.  Die  Zebedah  heisst  auch  wohl  im  Gegensätze  zur  ’6n  'Arafat:  'en  MakJcah , 
Wasserleitung  Mekka’s;  jetzt  sind  beide  vereinigt. 

2)  Die  klassische  Aussprache  des  Namens  Miua  ist  ebensosehr  ausser  Brauch  gerathen 
wie  die  ältoro  Aussprache  Djuddah  für  Djiddah ; wir  schreiben  also  wie  Einheimische  und 
Fremde  jetzt  sprechen : Muna. 

3)  Schon  in  alter  Zeit  wurde  in  den  hier  geführten  Kämpfen  die  Wasserleitung  gewaltsam 
zerstört,  z.  B.  im  Jahre  882  (CM  II:  201;  Tab.  III : l*«li). 


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verzeichnen  die  immer  wiederkehrenden  Ausbesserungen  und  spenden 
den  Fürsten  und  Ministern , welche  dieselben  veranlassten , ge- 
bührendes Lob , um  andere  zu  ermuntern , jenen  nachzustreben ; 
die  Herren  Mekka’s  aber  suchten  immer  möglichst  viel  von  den 
grossen  für  die  Wasserleitung  geschickten  Geldsummen  direkt  oder 
indirekt  für  ihre  eigenen  Zwecke  zu  verwenden.  Nach  einem  von 
dem  in  'Iräq  herrschenden  Mongolenfürsten  1326  zur  gründlichen 
Wiederherstellung  der  zerstörten  Leitung  nach  Mekka  geschickten 
Beamten,  Namens  Bäzän,  hiess  seitdem  ein  bedeutender  Theil  der 
Wasserwerke  innerhalb  der  Stadt  und  südlich  bis  zum  Bassin  des 
Mädjin  (jetzt:  Mädjid):  cen  Bäzän1 2).  Weiteres  Detail  können  wir 
hier  übergehen;  bezeichnend  ist  aber  die  Thatsache,  dass  im  Jahre 
1562,  als  die  Gemahlin  des  türkischen  Sultans  Sulemän , die  längst 
vernachlässigte  Leitung  auf  ihre  Kosten  auszubessern  befahl,  ein 
Jahr  lang  Arbeit  und  Geld  vergeblich  verschwendet  wurden,  weil.... 
kein  Mensch  mehr  wusste , dass  die  oben  erwähnte  Leitung  von  'Arafat 
nie  weiter  als  bis  Muna  fortgeführt  worden  und  also  von  der  »Leitung 
von  Mekka”  verschieden  war.  Nach  einem  Jahre  kam  man  zur  Ent- 
deckung, dass  nur  dadurch  die  ‘en  'Arafat  mit  der  andern  »Leitung 
von  Zebcdah”  vereinigt  werden  konnte,  dass  man  durch  50  Ellen 
vom  härtesten  Steine  hindurchbohrte,  und  dazu  fehlten  damals  die 
rechten  Mittel.  Durch  riesige  Holzfeuer,  welche  alles  in  der  Umge- 
gend verfügbare  Holz  aufzehrten,  erweichte  man  jedes  Mal  die 
erreichbare  Oberfläche  des  Steins,  und  erst  1572  ward  die  Arbeit 
fertig,  nachdem  viele  Menschenleben  und  »die  Schätze  Qärüns”  in 
unnüthiger  Weise  geopfert  waren.  Von  da  an  bis  in  unsere  Zeit 
ging  es  nicht  besser  als  vorher;  ausser  den  immer  sich  wiederholenden 
Verheerungen  der  Natur,  wurde  in  den  politischen  Wirren  des  Landes 
die  Leitung  auch  wohl  von  Menschenhänden  unbrauchbar  gemacht, 
z.  B.  1805  von  den  Wahhabiten  s).  Meistens  war  man  schon  froh, 


1)  Vergl.  CM  11:59— 3,  119,  130—1;  111:4*5. 

2)  Ms.  Leid.  2021,  fot.  59  vo.  enthält  eine  Not«  aus  dem  Jahre  1246  H.  (1831)  über 
eine  verheerende  Ucborschwcmmung  östlich  von  Mekka,  wobei  auch  die  Werke  der 
Wasserleitung  ganz  zerstört  wurden;  mitten  in  der  Erwähnung  der  Maassregeln,  welche 
der  Grosascherif  Muhammed  dagegen  nahm , bricht  die  Erzählung  ab. 

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wenn  das  Wasser  nicht  allzuviel  Geld  kostete;  unentgeltlich  war  es 
fast  nie  zu  haben.  Die  Energie  des  Generalgouverneurs  Othman 
Pascha  (18S2 — 86)  hat  diesem  Uebelstande  abgeholfen.  Dieser  liess 
zwar  fortwährend  freiwillige  und  erzwungene  Gaben  von  den  Be- 
suchern und  den  Einwohnern  Mekka’s  einsanmieln,  deren  Ertrag 
nach  Ansicht  der  Betroffenen  nicht  ausschliesslich  den  Wasserwerken 
zu  Gute  kam;  aber  was  soll  man  machen  in  einem  Lande  ohne 
eigentliche  Steuern,  wo  die  Regierungsbearnbten  manchmal  nicht 
bezahlt  werden?  Die  Hauptsache  war,  dass  er  die  'Arafatleitung 
für  die  Versammlungsorte  der  Pilger  sowie  für  Mekka  wieder  nutzbar 
machte;  jeder  Mekkaner  hat  jetzt  unweit  seiner  Wohnung  einen 
Behälter,  der  nie  versagt,  und  kleine  Springbrunnen  sind  durch 
die  Stadt  zerstreut;  auch  hat  man  für  dieses  Lebensbediirfniss 
nichts  mehr  zu  zahlen.  Der  genannte  Wäll  hat  auch  für  Djiddah, 
wo  man  bisher  nur  Cisternen  für  Regenwasser  hatte,  eine  Leitung, 
die  sogenannte  W'ezlrijjah , gemacht  *).  Hoffentlich  widmen  nun  auch 
seine  Nachfolger  dem  Werke  einige  Aufmerksamkeit,  welches  den 
Namen  der  Zebedah  in  Mekka  unsterblich  gemacht  hat. 

Kehren  wir  aber  in  den  Raum  der  Moschee,  und  zwar  zunächst 
zum  Zemzemgebäude  zurück;  dieses  wurde  erst  in  islamischer  Zeit 
errichtet , um  den  Brunnendienern  die  Arbeit  zu  erleichtern  und  zur 
Aufbewahrung  der  Schöpfgeräthe.  Das  obere  Stockwerk  war  schon 
in  sehr  alter  Zeit  gleichsam  das  Amtszimmer  des  Rejjis , d.  h.  des 
Oberhauptes  der  Mu’eddinln  (welche  zu  den  5 täglichen  Gottesdien- 
sten *)  aufrufen) ; der  Rejjis  pflegt  hier  bei  feierlichen  Gelegenheiten 
Gebete  für  das  Heil  der  Herren  Mekka’s  mit  lauter  Stimme  abzu- 
leiern ; auch  benutzen  wohl  hohe  türkische  Beamten  dieses  Zimmer , 


1)  Schon  1672 — 3 war  von  einer  Wasserleitung  für  Djiddah  die  Rode  (MK  287);  der 
Plan  scheint  damals  nicht  zur  Ausführung  gelangt  zu  sein. 

2)  Fernerhin  bezeichnen  wir  diese  aus  einem  Complex  von  genau  geregelten  Bewegu- 
ngen und  der  Hersagung  bestimmter  Formeln  bestehenden  rituellen  Verrichtungen  mit  dem 
arabischen  Namen  $alat,  weil  die  europäischen  Sprachen  kein  entsprechendes  Wort  bieten. 
Der  Muslim  darf  dieselbe  in  der  Moschee  oder  anderswo , allein  oder  im  Verein  mit 
•anderen  abhalten;  in  letzterem  Falle  stellen  sich  Alle  in  Reihen  auf,  und  steht  Eiuer 
voran,  dem  die  Anderon  zu  folgen  haben  wie  8oldaten  dem  Befehlshaber.  Die  Bezeichnung 
des  Voranstehenden  mit  dem  Namen  „Vorbeter”  ist  ebenso  falsch  wio  „Gebet”  für  qaldt\ 
auch  für  jenen  behalten  wir  also  den  einheimischen  Namen  imm . 


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11 


um  ihren  Freitagsgottesdienst  in  der  Nähe  der  Kacbah  und  dennoch 
im  Schatten  abzuhalten. 

Die  zwei  schönen,  mit  Rädern  versehenen  Treppen  (Bild  II,  N°.  4 
und  5)  von  denen  je  eine  vor  die  Ka'bahthür  geschoben  wird, 
so  oft  man  das  Heiligthum  dem  Publikum  öffnet , sind  Geschenke 
von  indischen  Fürsten  aus  neuester  Zeit;  sie  traten  aber  an  die 
Stelle  von  anderen,  abgenutzten;  die  Höhe  der  Schwelle  machte 
ja  von  jeher  eine  Treppe  unentbehrlich. 

Fast  ebenso  hoch  wie  die  Erzählungen  von  der  Kacbah  und  dem 
Zemzem  reichen  die  Legenden  vom  Maqäm  Ibrahim  ')  hinauf,  einem 
heiligen  Steine  aus  heidnischer  Zeit,  den  erst  die  Muhammedaner 
durch  verschiedene  Legenden  mit  dem  Patriarchen  in  Verbindung 
setzten.  Man  bewahrte  denselben  bald  in  der  Ka'bah , bald  in  einem 
kleinen  steinernen  Behälter  im  Boden  unterhalb  der  Ka'bahthür , 
meistens  aber,  wie  auch  heutzutage,  an  dem  Orte,  wo  jetzt  die 
kleine  Kuppel  steht,  zunächst  der  Kanzel  (Bild  II,  N°.  6).  Die 
Kuppel  ist  etwa  700  Jahr  alt ; die  Hälfte  des  Raumes  unter  ihrem 
Dache  umschliessen  vier  Wände  von  dichtem  eisernem  Gitterwerke , 
innerhalb  dessen  sich  der  bekleidete  Kasten  mit  dem  uMaqfrn"  be- 
findet; die  offene  Hälfte  dient , alten  Traditionen  gemäss,  als  Standort 
für  den  Imäm  beim  Gottesdienste , seit  der  Herrschaft  der  vier  ortho- 
doxen Riten  speciell  für  den  Imäm  der  SchafFiten.  Auf  diesen  Ge- 
brauch des  Maqäm  kommen  wir  nachher  zurück.  Der  Gebrauch  einer 
Kanzel  (Mimbar)  für  den  Prediger  gehört  zum  exotischen  Luxus , den 
zuerst  die  Omajjadenfürsten  einführten ').  Spätere  Fürsten  schenkten 
immer  schönere  Kanzeln,  die  jetzige  (Bild  N°.  7)  wurde  1549 
vom  Sultan  Sulemän  gestiftet.  Das  kleine  freistehende  »Thor  der 
BenI  Schebah"  (Bild  II,  N°.  1)  bewahrt  die  Erinnerung  an  die  engen 
Grenzen  der  Moschee  zur  Zeit  Muhammeds;  das  Haram  soll  sich 
damals  nach  allen  Seiten  in  ungefähr  gleicher  Entfernung  von  der 
Ka'bah  erstreckt  haben.  Was  Muhammed  in  Jahre  680  zur  Moschee 
Mekka’s  machte,  war  ja  nichts  anderes  als  der  kleine  freie  Platz 


1)  Vrgl.  CM  I:  278—9,  H:  260,  III:  418;  Ihn  Jabair  81—2. 

2)  CM  1:383;  vergl.  auch  111:114,  204,  221,  224;  65  ff. ; MK  179;  Jahrbuch  dos 
Hidjär.  für  1303,  8 119  dos  arab.  Textes. 


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12 


um  die  Ka'bah;  ihre  Mauern  nichts  anderes  als  die  der  umlie- 
genden Häuser;  ihre  Thore  die  Gassen  zwischen  diesen  Wohnungs- 
complexen  ').  Schon  die  Chalifen  Omar  und  Othmän  mussten  dem 
jetzt  international  gewordenen  Heiligthum  mehr  Raum  verschaffen: 
angrenzende  Wohuungen  wurden  angekauft  und  niedergerissen , das 
Haram  bekam  seine  eigene  Mauer.  Abdallah  ibn  Zubair  (684)  er- 
weiterte den  Tempel  ebenfalls  und  baute  über  den  Mauern  ein 
kleines  Dach:  wer  nicht  seit  seiner  Jugend  an  die  Höllenhitze 
Mekka’s  gewöhnt  war,  konnte  sonst,  sobald  die  Sonne  hoch  am 
Himmel  stand,  die  Moschee  nicht  besuchen.  Der  Omajjadenfürst 
Walld  bethätigte  auch  hier  seine  Neigung  zu  Bauten  durch  Ver- 
schönerung und  Vergrösserung;  es  hat  übrigens  kaum  ein  Chalif 
von  den  Omajjaden  oder  Abbasiden  einige  Jahre  ruhig  regiert,  ohne 
seinen  Namen  durch  eine  Verbesserung  des  Haram  verewigt  zu  haben. 
Unter  den  Abbasiden  eröffnet  Manfür  die  Reihe;  von  grösster  Be- 
deutung sind  aber  die  zwei  Vergrösserungen  ( Zijädah’a ) welche 
MabdT  resp.  777  und  781  anordnete.  Ein  'l’heil  des  Strombettes 
(so  zu  sagen)  vom  Mekkathale  und  auch  ein  Stück  des  alten  Mas'a 
(des  Weges  zwischen  den  heiligen  Stätten  flafa  und  Merwah,  Grun- 
driss, 24)  wurden  zur  Moschee  gezogen,  der  Mas'a  bekam  den 
verlorenen  Raum  durch  Niederreissung  von  Häusern  auf  der  andern 
Seite  zurück.  Auch  die  anderen  (N.  und  W.)  Seiten  der  Moschee 
verlegte  Mahdi  nach  aussen  und  umgab  den  geräumigen  Hof  mit 
Säulenhallen,  wofür  die  Säulen  aus  Syrien  und  namentlich  aus 
Egypten  herbeigesehaflt  wurden;  die  breiten  Hullen  überdeckte  ein 
schönes  Dach  aus  Teakholz.  Noch  zwei  Vergrösserungen  von  geringe- 
rem Umfang  gaben  der  Moschee  ihren  heutigen  Flächenraum  von 
27,  Hektar:  Mu'tadhid  nahm  894  die  letzten  Reste  des  Rathhauses 
der  heidnischen  Mekkaner  in  das  Haram  auf;  jenes  soll  ungefähr  beim 
jetzigen  Maqäm  der  Hanafiten  (Bild  N°.  8)  angefangen  und  sich 
weiter  nach  Norden  erstreckt  haben.  Muqtadir  vergrösserte  918 
die  Moschee  noch  etwas  noch  Westen.  Inzwischen  waren  auch  viele 

1)  Vorgl.  CM  I:  300  ff.,  II:  378,  HI:  74  ff.  (bis  aim  Ende  des  Werkes);  1A  II: 
419,  UI:  67;  lbn  Jubair  80  ff.;  Jahrbuch  des  Hidjnz  für  1303,  S.  127  ff.  des  arab.  Toxtes. 


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13 


andere  Neuerungen  eingeführt,  um  dem  allzu  rohen  altarabischen 
Götzenhause  in  den  Augen  von  Pilgern  aus  orientalischen  Gross- 
städten einigen  Glanz  zu  verleihen.  Für  das  Aufrufen  zum  (Jalat 
waren  schon  anstatt  der  Standorte  für  die  Mü’edclin's  auf  dem  Dache 
der  Moschee  ringsum  einige  Manärah's  (Minarete)  gebaut , welche 
später  allmählich  bis  zur  Siebenzahl  vermehrt  wurden  ').  Um  die 
Ka'bah  herum  waren  schon  einige  kleine  Pfeiler  gepflanzt  zur  Ver- 
bindung von  Drähten,  an  welchen  Lampen  aufgehängt  wurden  zur 
Beleuchtung  des  Matäf  für  die  Frommen , die  zur  Abend-  und  Nacht- 
zeit den  heiligen  Umgang  machen  *).  Zu  den  wichtigsten  Verände- 
rungen , welche  die  Einrichtung  der  Moschee  seit  der  letzten  Ver- 
grösserung  erlitten  hat , zählt  die  Errichtung  der  Maqam'g  *)  d.  h. 
Standorte  für  die  Imäme  (vergl.  S.  10,  Anm.  2)  der  vier  orthodoxen 
Riten.  Jede  andere  Moschee  zählt  zu  einem  von  diesen  Riten,  hat 
daher  auch  nur  einen  solchen  Standort ; sind  bei  einem  Gottesdienste 
Bekenner  einer  anderen  Schule  der  Gesetzeserklärung  als  die  des 
fungierenden  Imams  zugegen,  so  verpflichtet  sie  das  Gesetz, diesem 
dennoch  nachzubeten.  Ursprünglich  war  denn  auch  im  mekkanischen 
tlaram  die  einzige  Stelle  des  Imäm’s  die  oben  bezeichnete  hinter 
dem  «Maqnm  Ibrahim".  Die  Mehrzahl  der  Mekkaner  gehörte  der 
schäfFitischen  Schule  an,  zu  der  sich  auch  die  Abbasiden-chalifen 
bekannten;  somit  wurde  diese  Stelle  nur  von  schäfi'itischen  Imämen, 
eingenommen  und  ist  auch  bis  jetzt  der  Maqäm  as- Schaßt  geblieben. 
Da  nun  aber  die  meisten  (alidischen)  Scherife  Westarabiens,  welche 
später  in  den  heiligen  Städten  zum  höchsten  Ansehen  gelangten, 
in  jenen  Zeiten  der  zaiditischen  Partei  anhingen , und  diese  Abthei- 
lung der  Schi'ah  ihre  eigne  Richtung  in  Sachen  der  Gesetzeserklä- 
rung hatte,  so  nimmt  es  nicht  Wunder,  dass  schon  aus  alter  Zeit 


1)  Vergl.  CM  1:831,  332  f.j  UI : 48*  ff. 

2)  CM  1 : 200 — 202  und  MK.  Auf  dein  Hilde  der  Moschee  sieht  mau  je  zwischen  zwei 
kupfernen  Pfeilern  sieben  gläserne  Ooll&mpon  aufgehängt  Man  vergleiche  ausser  den  Hit 
dern  auch  den  Grundriss  der  Moschee,  welcher  hauptsächlich  den  vor  droi  Jahren  nach 
dem  letzton  Umbau  vom  Gonieofficier  (jftdiq  Pascha  gezeichneten  Grundriss  reproduciert. 

3;  Vergl.  CM  111:196,  289—90,  419;  Ibu  Jubair  100  ff.;  MK  140  ff.,  257.  Bild 
No.  6 (Maq&m  Ibrahim,  zugleich  M.  dor  SchAfiiten)  No.  8 (M.  der  Uanafitou),  No.  9 
(M.  der  Mälikiten),  No.  10  (M.  der  H&mbaliten). 


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berichtet  wird , die  Zaiditen  hielten  ihre  Gottesdienste  im  Haram  für 
sich , wenngleich  nirgends  von  einem  besondern  Magäm  der  Zaiditen 
die  Rede  ist.  Das  Fremdenelement  gelangte  im  Laufe  der  Zeit  in 
Mekka  zu  immer  grösserer  Bedeutung ; jedes  muhammedanische  Reich 
war  nicht  nur  bei  der  Pilgerfahrt  vertreten , sondern  hatte  auch  in 
der  heiligen  Stadt  seine  ständige  Kolonie  von  «Gästen”  oder  «Nach- 
barn” des  Gotteshauses.  Dieses  Zusammenleben  führte  von  selbst 
allerlei  Streitigkeiten  herbei , meistens  Aeusserungen  kleinlicher  Eifer- 
sucht. Die  grössten  Fürsten  des  Islam’s  machten  einander  noch  dazu 
fortwährend  die  Schutzherrschaft  über  das  heilige  Gebiet  streitig ; jeder 
von  ihnen  wollte  seinen  Unterthanen  den  Ehrenplatz  in  Mekka  zu- 
gesichert wissen.  Auch  kam  es  dahin , dass  keiner  von  ihnen  den 
Ritus  seines  Landes  auf  diesem  internationalen  Gebiete  amtlich  igno- 
riert sehen  wollte.  Das  Datum  steht  nicht  fest ; es  scheint  aber , dass 
im  Laufe  der  ersten  Hälfte  des  12ton  Jahrhunderts  der  bezeichnete 
Wetteifer  die  vier  Magäm  g hat  erstehen  lassen.  Die  Gelehrten  ärger- 
ten sich  sehr  über  die  unerlaubte  Neuerung,  zumal  dieselbe  in  der 
Praxis  zu  heilloser  Verwirrung  führte.  So  oft  es  zugestanden  wurde, 
dass  alle  vier  Imäme  den  nämlichen  Gottesdienst  zu  gleicher  Zeit 
aufingen , gerieth  die  ganze  Gemeinde  bei  dem  Durcheinander  der 
Stimmen  in  Zweifel  ’);  wollte  man , um  diesem  Uebel  zu  entgehen , 
für  jeden  von  den  5 täglichen  Gottesdiensten  eine  Reihenfolge 
anordnen , so  mussten  schon  beim  Calät  des  Sonnenuntergangs  zwei 
Riten  wegen  des  kurz  bemessenen  Zeitraums  wegfallen , und  bei  der 
Bestimmung  für  die  andern  4 Qalat’s  geriethen  die  Riten  mit 
einander  in  Konflikt.  Bis  zum  heutigen  Tage  ist  denn  auch  diese 
Ordnung  eine  crux  für  die  Obrigkeiten  geblieben  und  unterliegt 
dieselbe  häufigem  Wechsel.  Die  Mälikiten  und  namentlich  die  Ham- 
baliten  spielten  in  diesem  Streite  wegen  ihrer  geringeren  politischen 
Bedeutung  eine  untergeordnete  Rolle.  Die  Hanafiten  aber,  zu  welchen 


\)  Die  „Schulen*’  dor  Gesetzeserklärung  weichen  bekanntlich  in  vielen  Einzelheiten 
bezüglich  des  $aldt  von  einander  ab;  wird  ein  <;aUÜ  goiueiuschaftlich  abgohalten,  so  dieueu 
gewisse  Ausrufe  des  Vorbotors  zur  Regelung  der  verschiedenen  Positionen.  Hier  konnte  cs 
nun  Vorkommen,  dass  dieser  und  jener  von  den  Versammelten  die  Stimme  eines  von 
den  drei  andern  Imämen  mit  der  des  ihrigen  verwechselten. 


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die  letzten  cirkassischen  Fürsten  Egyptens  und  die  Sultane  von 
Konstantinopel  zählen,  sahen  manchmal  mit  Neid,  dass  dem  ur- 
sprünglichen (sclmfi'itischen)  Ritus  der  Mekkaner,  der  Ehrenplatz 
hinter  dem  Maqäm  Ibrahim  blieb.  Als  1400  ein  grosser  Theil  der 
Moschee  durch  eine  schreckliche  Feuersbrunst  zerstört  war,  liess 
der  Sultan  Faradj  von  Egypten  den  Maqäm  al-tlanafi  absichtlich 
viel  schöner  wiederherstellen  als  die  anderen ; sechs  Jahre  später  sah 
er  sich  aber  genöthigt , das  Gebäude  durch  ein  einfacheres  zu  ersetzen. 
Nach  der  Eroberung  Egyptens  und  Arabiens  durch  die  Türken, 
baute  der  erste  Vertreter  des  Sultans  von  Stambul  in  Mekka  1517 
anstatt  des  alten  Maqäm  al-l/ana/i  eine  prachtvolle  Kuppel,  aber 
auch  diese  Neuerung  wurde  rückgängig  gemacht,  als  der  Sultan 
Sulcmän  1540  die  Restaurierung  und  den  Umbau  der  ganzen  Moschee 
in  die  Hand  nahm.  Trotzdem  erlangte  der  Maqäm  des  hanatitischen 
Ritus,  wie  aus  der  Abbildung  ersichtlich,  schon  durch  sein  Stock- 
werk und  seine  Grösse  eine  Auszeichnung  vor  den  anderen.  Die 
Zaiditen  verschwanden  seit  der  Türkenherrschaft  gänzlich  vor  der 
Bühne.  Der  Maqäm  al-Uambali  wurde  vor  einigen  Jahren  aus  sym- 
metrischen Gründen  von  Othman  Pascha  einige  Schritte  versetzt; 
ausser  dieser  Abweichung  von  den  früheren  Bildern  des  Ilaram  wird 
man  in  unserer  Aufnahme  noch  das  Fehlen  von  zwei  Kuppelgebäuden 
bemerken , welche  von  den  ersten  Jahrhunderten  des  Islam’s  an  zu 
verschiedenen  Zwecken  dienten  *),  kürzlich  aber  auf  den  Befehl 
Othman  Pascha’s  niedergerissen  wurden.  Auch  den  Thoren  der 
Moschee  wandten  Fürsten  und  Reiche  ihre  Aufmerksamkeit  zu; 
auf  den  grösstentheils  direkt  an  die  Strasse  stossenden  Süd-  und 
Ostseiten  sind  dieselben  nicht  weniger  schön  ausgeführt  und  mit 
Schnörkeln  und  frommen  Inschriften  versehen  als  auf  den  beiden 
anderen , wo  die  Thore  den  Zutritt  zu  langen  Gängen  zwischen  den 
angrenzenden  Gebäuden  öffnen.  Ein  bedeutender  Raum  rings  um  die 
Ka'bah  wurde  ebenso  wie  der  Boden  der  Säulenhallen  mit  schönen 
Marmorsteinen  gepflastert8);  nach  diesem  Raume  ( Matßf ) führten 


1)  Vergl.  CM  II:  337—8,  111:430;  MK  203;  Jahrbuch  dos  UidjiU  für  1303,  S.  127 
des  arab.  Textes. 

2)  Zwei  grüne,  rum  Pflaster  des  Uidjr  gehörende  Steiuo,  welche  nach  den  Chronisten 


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von  den  Hauptthoren  gepflasterte  Pfade  durch  die  übrigens  mit  Kies 
bestreute  Ebene.  Die  Beleuchtung  machte  man  immer  reichlicher 
durch  Vermehrung  der  gläsernen  Lampen  im  Matäf  und  in  den 
Säulenhallen,  durch  Hinzufügung  von  Laternen  bei  den  Maqämen 
und  im  Centrum  der  Moschee. 

Ein  bedeutender  Umbau,  durch  welchen  die  Moschee  fast  gänzlich 
ihre  heutige  Gestalt  erhielt,  wurde  1572 — 7 auf  den  Befehl  Selims 
des  Zweiten  vorgenommen.  Abgesehen  von  den  vielen  nothwendigen 
Ausbesserungen  in  allen  Theilen  des  Gebäudes,  ist  hier  vorzüglich 
die  ganz  neue  und  charakteristische  Ueberdachung  der  Säulenhallen 
erwähnenswerth ; das  chronischer  Verfaulung  ausgesetzte  Dach  aus 
Teakholz  wurde  durch  eine  grosse  Anzahl  von  kleinen  übertünchten 
Kuppeln  ersetzt ; die  vier  dem  Innern  der  Moschee  zugewandten 
Ränder  des  Daches  bekamen  hübsche  Zinnchen.  So  entstand  all- 
mählich um  die  rohe  Ka'bah , welche  Muhammed  noch  als  genügend 
für  Allah  und  seine  aus  dem  ärmsten  Lande  der  Welt  zusammen- 
strömenden Gäste  betrachtete,  ein  Tempel  für  den  civilisierten  Gott 
des  späteren  Islam’s,  ein  Ganzes  dessen  Totaleindruck  weder  an- 
ziehend noch  abstossend , aber  doch  ganz  einzigartig  wirkt.  Gerade 
das  Sonderbare  des  Haram  erleichert  es  dem  frommen  Besucher, 
Geheimnisse  in  das  Bild  hineinzudenken  ; den  Forscher  erinnert  jedes 
Detail  an  eine  Seite  aus  der  Religionsgeschichte:  die  griechischen 
und  egyptischen  Tempeln  entnommenen  Säulen  unter  den  türkischen 
Kuppelchen ; die  kalligraphisch  ausgeführten  Aeusserungen  des 
strengsten  Monotheismus  unter  den  Zinnchen  der  Dachränder;  die 
steinernen  Fetische  der  alten  Araber,  jetzt  inniger  verehrt  als  zur 
Zeit  des  Heidenthums,  und  wesentlich  ebenso  unverändert  wie  das 
//alte  Haus”;  die  4 Maqäm’s,  Monumente  des  heftigen  Kampfes 
und  der  Divergenz,  die  das  Gesetzesstudium  verursachte,  aber  wie 
sie  da  alle  friedlich  der  Ka'bah  zugewandt  stehen,  zugleich  Denk- 
mäler des  Einverständnisses,  das  der  überaus  katholische  Instinkt 
des  Islam’s  herbeiführte;  die  ehrfurchtsvollen  Gäste  aus  allen  Län- 


um  855  nach  Mekka  kamen,  sind  in  der  populären  Anschauung  zu  Gräbern  dca  Ismaöl 
und  der  Hagar  geworden. 


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dem  zwischen  Marokko  und  China ! Nur  Einzelheiten  sind  nach 
dem  Plane  eines  Künstlers  gearbeitet;  das  ganze  Haram  ist  mit 
dem  Islam  allmählich  herangewachsen.  Eigenthümlich  prägt  sich 
diese  natürliche  Entstehungsgeschichte  darin  aus,  dass,  ebensowiedie 
Kacbah  selbst,  auch  die  Moschee  weder  zwei  Seiten  von  gleicher 
Länge  noch  einen  rechten  Winkel  hat,  während  der  Boden  von 
Osten , Norden  und  Süden  nach  der  Mitte  zu  und  gleichfalls  von 
Osten  nach  Westen,  sich  unregelmässig  senkt.  Ein  Stück  Verwal- 
tungsgeschichte bewahren  noch  einige  Gebäude,  welche  die  NW. 
und  SW.  Seiten  der  Moschee  begrenzen  und  Mndrasnh's  genannt 
werden.  Eine  Madraaah  ist  ein  zur  Wohnung  von  Lehrern  und 
Studierenden  der  heiligen  Wissenschaften  eingerichtetes  Haus;  die 
frommen  Stifter  fügten  denselben  fast  immer  andere  unbewegliche 
Güter  hinzu , um  aus  deren  Ertrag  das  Gebäude  zu  unterhalten  und 
die  Pfleger  der  Wissenschaft  zu  besolden  l).  Gewöhnlich  dauerte  es 
nicht  lange,  bis  die  Untreue  der  Verwalter  und  die  gewaltsamen 
Eingriffe  der  Regierenden  Alles  seiner  ursprünglichen  Bestimmung 
entzogen  hatten.  So  konnte  denn  auch  im  Laufe  der  Zeit  zu  wie- 
derholten Malen  das  gleiche  Gebäude  von  verschiedenen  Frommen 
»auf  ewig”  für  gleichartige  Zwecke  bestimmt  werden , jedes  Mal 
mit  möglichst  grossem  Aufwand,  bei  welchem  die  Vermittler  ihre 
Rechnung  machten.  Mir  wurde  gleich  nach  meiner  Ankunft  von 
vielen  Mekkanern  gerathen,  eine  der  verfügbaren  Madrasak's  ganz 
oder  theilweise  zu  miethen;  der  gewesene  Grosswezir  von  Atjeh 
(vulgo : Atschin)  bewohnte  eine  sehr  schöne  Madrasah , und  eine 
andere  wurde  als  Amtsgebäude  der  Kommission  für  die  Wasserlei- 
tung benutzt.  Aehnlich  steht  es  mit  den  vielen  durch  die  ganze 
Stadt  zerstreuten  Auquf  (Plur.  v.  Waqf  ■=  fromme  Stiftung). 

Die  Baugeschichte  der  Moschee  gedenkt  einer  Unzahl  von  um- 
fangreichen Ausbesserungen  in  jedem  Jahrhundert  des  Islam’s ; diese 
wurden  zwar  theilweise  durch  solche  Unglücksfälle  wie  die  oben  er- 
wähnte Feuersbrunst  oder  durch  die  Entwendung  des  Gold-  und 
Silberschmucks  und  die  ärgerliche  Nachlässigkeit  der  Behörden  erfor- 


1)  VorgL  u.a.  CM  UI:  211-9;  220.  313,  351  ff.,  417. 


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dert ; grössten theils  hatten  die  Zerstörungen  aber  einen  andern  Grund. 
Muslimischen  Gelehrten  zufolge  soll  Allah  seinem  heiligen  Wasser 
den  etwas  //schweren”  Geschmack  verliehen  haben , damit  nicht  die 
Fürsten  der  Erde  den  Zemzem  zum  Gegenstand  des  Kampfes  machten ; 
ausser  diesem  Bitterwasser  bietet  Allah  seinen  Gästen  bloss  Steine, 
Sand  und  eine  unerträgliche  Hitze ; als  wäre  das  alles  nicht  genug , 
stellte  er  noch  östlich  vom  Mekkathale  den  darin  Wohnenden 
einen  immer  drohenden  Feind  ihres  Lebens  und  Eigenthums:  den 
Sei1)  entgegen.  Wenn  es  östlich  von  Mekka  regnet,  eilen  die  rasch 
sich  bildenden  Giessbäche  durch  die  nach  Westen  sich  senkende 
Gegend  dem  Meeresstrande  zu;  das  eDge,  von  NO.  nach  SW. 
abfallende  Mekkathal  bildet  nur  eine  kleine  Bucht  in  dem  Flussbett 
des  Regenwassers  auf  dieser  Breite.  Die  Ueberschwemmung,  der 
Sei  schleppt  hier  alles  fort,  was  sich  auf  seinem  Wege  findet;  man 
muss  diesem  Wege  fern  bleiben,  oder  aber  ihm  durch  widerstands- 
fähige Werke  eine  Richtung  geben,  wo  er  nur  wenig  Unheil  stiften 
kann.  Letzteres  thaten  in  ihrer  Weise  schon  die  heidnischen  Mek- 
kaner;  in  islamischer  Zeit  handelte  es  sich  vorzüglich  darum,  die 
Moschee  gegen  die  entweihenden  Besuche  des  Feindes  zu  schützen 
und  das  Mas'a  (Grundriss,  24)  frei  zu  halten,  wo  während  des 
ganzen  Jahres  die,  welche  die  cümraA  (kleine  Wallfahrt)  verrichten , 
hin  und  her  gehen  müssen.  Ein  Blick  auf  den  Grundriss  der  Stadt 
genügt , um  zu  zeigen , dass  beide  gerade  in  der  Mitte  des  Weges 
liegen , welchen  naturgemäss  der  Sei  vom  oberen  Stadttheile  (Ma'lä) 
zum  unteren  (Mesfalah)  nehmen  muss;  diese  Stellen  sind  also  in 
erster  Linie  der  verheerenden  Gewalt  des  Stromes  ausgesetzt;  auch 
lässt  er  hier  nach  dem  Vorüberziehen  eine  Masse  Schlamm  und  Koth 
zurück.  Nach  einer  heftigen  Ueberschwemmung  baute  daher  der 


1)  Vergl.  CM  1:116,  276,  342ff,  394  ff.;  11:301  ff.j  III : 75  !.,  78,  lOlff.,  191,285, 
411  ff.;  Tab.  II:  1.1*1— f.;  BelÄdsorf,  ed.  do  Goejo,  53— 5; MK  217 , 233, 257, 301 , 373; 
AD  303,  446 — 7 ; Wüstenf.  Schfcrifo,  S.  41 — 2;  Jahrbuch  des  Hidj&ifor  1303,  S,  129  des  arab. 
Textes.  Den  Gesinnungsgenossen  des  E.  N.  (Lit.  Centralblatt,  11  Sepl.  1886,  S.  1314, 
2 Sp.)  zu  Liebe  füge  ich  hier  die  Jahreszahlen  der  berühmtesten  Ueborsch wem m ungen 
hinzu,  welche  in  bisher  unveröffentlichten  Werken  aufgezahlt  werden:  1019,  1024,1033, 
1039,  1055,  1073.  1091,  1153,  1208,  1278  der  Hidjrah. 


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19 


Chalif  Omar  einen  grossen  Damm  aus  Steinblöcken  und  Erde,  wie 
man  glaubt  auf  der  Höhe  des  jetzigen  Mudda'a  (Grundriss , 22) ; 
dadurch  wurde  der  Strom  oberhalb  der  Stadt  nach  rechts  und  links 
gelenkt  und  fand  seinen  Weg  nach  unten  durch  zwei  andere  Haupt- 
strassen auf  beiden  Seiten  der  Moschee.  Bei  einem  Sei  im  Jahre  700 
zeigte  sich  dann  dieses  Werk  ungenügend , und  der  Omajjade  Abd 
al-Malik  beauftragte  einen  christlichen  Architekten  mit  der  Ausbe- 
sserung und  der  Hinzufügung  anderer  Bauten  zur  Ablenkung  des 
Wassers.  Christliche  Maurer  schickten  ja  die  Omajjaden  auch  zum 
Bau  der  Moschee  nach  Mekka;  die  strenge  Ausschliessung  der 
Nichtmuhammedaner  datiert  erst  aus  abbasidischer  Zeit.  Trotz  alle- 
dem verzeichnen  die  Chronisten  eine  lange  Reihe  von  solchen 
Ueberschwemmungen , denen  Häuser  erlagen  und  in  welchen  Men- 
schen und  Vieh  ertranken , während  die  Moschee  manchmal  Tage 
lang  mit  Wasser  gefüllt  blieb.  Hinzu  kommt,  dass  die  Moschee  und 
andere  heilige  Häuser  in  Mekka  aus  einem  besondern  Grunde 
schlimmer  vom  Wasser  heimgesucht  werden  als  die  meisten  Woh- 
nungen. Das  Bodenrelief  zeigte  von  jeher  auch  im  Centrura  der 
Stadt  grosse  Unebenheiten;  in  allen  Vertiefungen  blieb  natürlich 
das  Wasser  mit  seinem  Schlamm  und  Koth  nach  dem  Sei  am 
längsten  stehen.  Die  Moschee  liegt  nun  aber  wie  eine  tiefe , riesige 
Waschschüssel  inmitten  der  Stadt;  das  Wohnhaus  des  Propheten 
und  der  Laden  Abu  Bekr’s  (beide  im  Zuqäq  el-hadjar,  Grundriss, 
25) , die  Geburtshäuser  Muhammeds  und  Ali’s  (beide  im  Schi'b 
el-Maulid , Grundriss , 20)  und  ähnliche  Ziele  des  frommen  Besuchs 
scheinen  jetzt  unterirdische  Wohnungen  zu  sein.  Der  Boden  der 
Stadt  erhöht  sich  nämlich  allmählich  infolge  des  von  jedem  bedeu- 
tenden Sei  hereingetragenen  Schlamms.  Mag  man  gleich  hie  und  da 
etwas  austiefen  und  reinigen , beim  Neubau  muss  man  immer  die 
Grundlagen  etwas  höher  machen;  Qafä  und  Merwah  (Grundriss,  28 
und  28)  waren  vorher  Hügel,  und  jetzt  heben  sie  sich  kaum  be- 
merkenswerth  von  der  Strasse  ab.  Die  heiligen  Stätten  hat  man 
aber  fortwährend  künstlich  im  alten  Zustande  erhalten,  sodass  dort 
die  Erhöhung  wenigstens  sehr  viel  langsamer  vor  sich  gegangen  ist 
als  anderswo.  Daher  sah  man  sich  schon  bei  der  letzten  Vergrö- 


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20 


sserung  der  Moschee  (918)  genöthigt,  dort  wo  nicht  die  Moschee- 
mauer oder  die  Mauern  der  angrenzenden  Häuser  die  Räume  schützten, 
also  in  den  Thoreingängen,  hohe  steinerne  Treppen  zu  bauen.  In 
jedes  Thor  führen  von  der  Aussenseite  mehrere  Stufen  hinauf;  von 
jeder  Thorschwelle  führen  noch  mehrere  Stufen  in  die  Säulenhallen 
hinab , welche  selbst  wieder  bedeutend  höher  liegen  als  der  Moschee- 
hof, in  dessen  tiefstem  Theile  die  Ka'bah  steht.  Wird  dieser  Wall 
nun  auch  gut  erhalten,  so  bleibt  die  Moschee  bei  einem  grösseren 
Sei  doch  nur  dann  frei,  wenn  desseu  Hauptwege  breit  und  tief 
genug  sind;  dies  ist  aber  nur  mittels  alle  paar  Jahre  vorzunehmender 
Austiefungen  zu  erzielen.  Den  meisten  Herren  Mekka’s  ging  der 
Sinn  für  grosse  Werke  des  Friedens  ab;  so  oft  das  Wasser  etwa 
einen  Meter  hoch  die  Moschee  füllte , warteten  sie,  bis  es  gesunken 
war,  und  ermunterten  dann  durch  ihr  Beispiel  die  ganze  Bevölke- 
rung , sich  an  der  Reinigung  des  Haram  zu  betheiligen.  Der  Sultan 
Muräd  liess  1576  nach  einem  verheerenden  Sei  durch  unterirdische 
Röhren  dem  von  den  nordwestlichen  Bergen  herabströmenden  Wasser 
einen  Ausweg  zur  südwestlichen  Seite  der  Moschee  machen ; durch 
Niederreissung  aller  Häuser  auf  der  südöstlichen  Seite  der  Moschee 
erweiterte  er  hier  das  Flussbett , und  liess  das  ganze  Mesfalah  (Grun- 
driss, 5)  bedeutend  austiefen.  Seitdem  haben  sich  die  Verhältnisse 
etwas  verbessert , aber  aus  dem  oben  mitgetheilten  Verzeichniss 
ersieht  man,  dass  dennoch  der  Erbfeind  dann  und  wann  in  eiuer 
den  Mekkanern  unvergesslichen  Weise  gehaust  hat.  Wird  Mekka 
selbst  von  starkem  Regen  betroffen,  so  fliesst  zwar  die  Hauptmasse 
nach  Westen  und  Süden  ab;  die  niedrigsten  Stadtheile,  und  na- 
mentlich die  Moschee,  stehen  aber  gleich  unter  Wasser.  Im  Jahre 
1885  war  ich  einmal  in  der  Moschee,  als  es  zu  regnen  anfing; 
nach  einer  Viertelstunde  stand  das  Wasser  zwei  Fuss  hoch  rings 
um  die  Ka'bah.  Sogar  diese  in  ganz  Arabien  heissersehnte,  Segen 
und  Fruchtbarkeit  bringende  Gottesgabe  ist  der  heiligen  Stadt , wenn 
sie  ein  seltenes  Mal  dahin  kommt,  zum  Fluch. 

Von  einigen  heiligen  Stätten  ausserhalb  der  Moschee  war  schon 
die  Rede.  Zum  Ritus  gehören  nur  Qafa  *)  und  Merwah  *)  am  Anfang 

1)  Grundriss,  28.  2)  Grundriss,  23. 


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21 


und  Ende  der  breitesten  Strasse  (Mas'a),  deren  oberer  Theil  ein 
bedeutender  Markt  ist.  Mehr  oder  weniger  sind  alle  Hauptstrassen 
Märkte;  auf  den  vorne  gegen  die  Häuser  angebauten  steinernen 
Sitzen  stellen  die  Kaufleute  ihre  Waaren  aus.  Das  westlich  vom 
Mas'a  sich  abzweigende  Sueqah  (Grundriss,  8)  hingegen  hat  auf 
jeder  Seite  eine  ununterbrochene  Reihe  von  Gebäuden , welche  nur 
als  Läden  eingerichtet  sind.  Die  Verehrung  der  angeführten  Geburts- 
und Wohnhäuser  und  anderer  Erinnerungsstätten  aus  der  ersten 
Periode  des  Islam’s  hat  schon  früh  angefangen  *);  auch  haben  die- 
selben wohl  frühzeitig  als  Zufluchtsort  gedient  für  beliebte  Fetische , 
wie  die  jetzt  noch  darin  vorhandenen  schwarzen  s)  und  grünen  ’) 
Steine.  Der  späteren  Legende  zufolge  haben  letztere  z.  B.  Muhammed 
oder  Ali  bei  ihrer  Geburt  aufgenommen;  thatsächlich  haben  die 
meisten  wohl  gleichen  Ursprung  mit  den  ofliciell  anerkannten , in 
die  Ka'bah  eingemauerten  Steinen  und  dem  A/aqäm  Ibrahim.  In 
der  engen  Steinstrassc  (Grundriss,  25)  sind  zwei  schwarze  Steine 
ganz  für  sich  je  auf  einer  Seite  in  die  Mauern  befestigt;  die  eine 
soll  Muhammed  bcgrüsst  haben , die  andere  in  einer  Aushöhlung 
den  Eindruck  seines  Ellbogens  bewahren.  Alle  werden  in  gleicher 
Weise  verehrt.  Auch  der  fromme  Besuch  von  heiligen  Gräbern  in 
der  Umgegend  sowie  auf  dem  grössten , nördlichen  Friedhofe  Mek- 
ka’s,  dem  Alcflä,  ist  schon  früh  bezeugt1 2 * 4);  dieser  vermummte 
Todtenkult  hat  aber  im  Laufe  der  Zeit  bedeutend  zugenommen. 
Während  man  früher  die  wahrscheinlich  echten  Gräber  einiger  Lo- 
kalheiligen , wie  Abdallah  ihn  Zubair  und  Abdallah  ibn  Omar  be- 
suchte, hat  man  erst  viel  später  angefangen  zu  wissen,  wo  Chadi- 
djah  *)  und  Aminah , Muhammed’s  Gattin  und  seine  Mutter , beerdigt 
waren,  und  seit  der  Türkenherrschaft  sind  deren  vermeintliche 
Grabkuppeln  die  geschätztesten  Ileiligthümer  des  Ma'lä  geworden. 
Die  Zahl  der  übrigen  Grabkuppeln  von  heiligen  Scherifen , Mystikern 


1)  Vergl.  u.  a.  CM  1:422  ff.,  432  ff.,  481;  11:17;  Mokaddasi  102;  Ibu  Jubair  109. 

2)  Ibu  Jubair  110,  114  ff,  164.  3)  Ibn  Jubair  163. 

4)  Vergl.  die  in  Anm.  1 angeführten  Stellen. 

5)  Der  Grossscherif  Rnmcithah  (1346)  soll  schon  im  Grabe  Chadtdjah’a  beerdigt  worden 
sein  (MK  134);  dasselbe  geschieht  heutzutage  mit  vornehmen  Schorifen. 


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22 


usw.  auf  dem  Ma'lä , im  Schebekah  und  stellenweise  auch  in  den 
Strassen  und  auf  den  Wegen  ist  Legion.  Die  alten  heiligen  Berge: 
der  Abu  Qubes  auf  der  östlichen  Grenze  der  Stadt,  der  Hiräoder 
Lichtberg  nordwestlich,  der  Thor  südlich  von  Mekka,  und  allerlei 
heilige  Höhen  und  Höhlen  in  der  Nähe  der  (östlichen)  Pilgersta- 
tionen Muna  und  ‘Arafat  sind  jetzt  alle  mit  Hülfe  von  Legenden 
aus  Muhammeds  Leben  oder  aus  der  Patriarchenzeit  dem  Islam, 
namentlich  dem  populären  Glauben , einverleibt. 

W er  von  jenen  östlich  gelegenen  Haddjstätten  in  die  Stadt  kommt, 
beobachtet  schon  im  nördlichen  Beduinenviertel  Ma'äbdah  (Grundriss , 
41)  ein  Haus,  welches  man  in  dieser  Umgebung  wohl  einen  Palast  nen- 
nen darf;  dasselbe  wurde  zuletzt  von  dem  seiner  Herrschaft  entsetzten 
Grossscherif  Abd  el-Muttalib  bewohnt;  am  Friedhofe  vorbei  geht 
es,  der  Ma'lästrasse  entlang,  hinunter  in  die  Hauptstrasse,  wo  Omar 
seinen  Wall  baute,  in  das  Mudda‘a  (Grundriss,  22).  Biegt  man  aber 
gleich  rechts  ab,  so  führt  der  Weg  zum  Qarärahviertel  (Grundriss , 
9),  wo  der  genannte  Scherif  und  seine  Verwandten  ebenfalls  stattliche 
Wohnhäuser  errichtet  haben.  Auch  die  Paläste  des  jetzt  regierenden 
Grossscherifs  und  seines  verstorbenen  Bruders  (Grundriss,  18  und 
19)  liegen  im  oberen  Stadttheile,  an  der  Hauptstrasse , durch  dessen 
Mitte  der  Sei  jetzt  theilweise  nach  unten  strömt;  dieselbe  geht  durch 
die  Stadtviertel  Ghazzah , Süq  el-lel  (Nachtmarkt , in  welchem  meine 
Wohnung  war)  und  Quschäschijjah , und  sie  zählt  auf  beiden  Seiten 
eine  Reihe  vornehmer  Häuser.  Auf  der  lücke,  wo  diese  Hauptstrasse 
in  das  Mas'a  (Grundriss,  24)  endet,  steht  die  Chäfkijjeh  (Grundriss, 
32),  wo  der  öfter  genannte  türkische  Statthalter  Othman  Pascha 
(1882 — 86)  wohnte  und  seine  Amtszimmer  hatte.  Ein  Wirrwarr  von 
engen,  halbdunkeln  Gassen  durchschnöidet  das  Innere  der  Stadt- 
viertel; die  breiten  Hauptstrassen  mit  ihren  drei- und  mehrstöckigen 
Häusern  machen  einen  beinahe  modernen  Eindruck ; die  Häuser 
scheinen  noch  mehr  Stockwerke  zu  enthalten , als  wirklich  der 
Fall  ist,  weil  die  in  der  heissen  Jahreszeit  als  Schlafzimmer  die- 
nenden Dachterrassen  allerseits  von  kleinen  Mauern  aus  Backstein 
umgeben  sind.  Das  Aeussere  der  ganzen  Stadt  macht  ebenso  wie 
die  Moschee  den  Eindruck  einer  höchst  seltsamen  Mischung  von 


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23 


Kulturen;  elende  Beduinenhütten , bienenkorbartige  Wohnungen  der 
Tekrürineger , mehr  oder  weniger  stattliche  Wohnungen,  wie  man 
sie  auch  anderwärts  in  muhammedanischen  Städten  sieht , und  jetzt 
noch  die  ganz  modernen  Bauten  des  Othman  Pascha : das  von  ihm 
errichtete  nach  dem  Sultan  benannte  llegierungsgebäude  (die  Ha- 
mldijjah,  Grundriss,  31),  von  dessen  Vorderseite  maD  den  oberen 
Theil  auf  dem  kleinen  Bilde  der  Moschee  im  Hintergründe  sieht, 
mit  der  grössten , vom  Pascha  restaurierten  Festung  im  Rücken ; 
die  moderne  Hauptwache  (Grundriss , 43),  welche  er  gegenüber 
seiner  Wohnung  nahe  beim  Qafö  erbaut  hat ');  seine  neue  Festung 
auf  dem  Djebel  Hindi.  Die  beiden  Strassen,  welche  südlich  und 
westlich  von  der  Moschee  das  Mudda'a  und  die  Ghazzah — Süq  el- 
lel — Quschäschijjah-Strasse  fortsetzen,  führen  durch  Stad  viertel,  welche 
einen  etwas  weniger  vornehmen,  sonst  aber  den  andern  durchaus 
gleichartigen  Typus  zeigen. 

Einen  einzigen  Vortheil  soll  Allah  den  Menschen  in  diesem  seinem 
unheimlichen  Wohnorte  und  in  dessen  nach  allen  Seiten  einige 
Stunden  weit  sich  erstreckenden  heiligem  Gebiet  auf  ewige  Zeiten 
gewährt  haben : die  absolute  Sicherheit.  Hier  sollte  ein  ewiger  Go- 
ttesfriede herrschen;  unverbrüchlich  heilig  sollte  hier  da3  Leben 
jedes  Menschen  und  fast  aller  Thiere  und  Pflanzen  sein.  Muhatnmed 
nahm  diese  nützliche  Satzung  vorn  arabischen  Heidenthura  in  seine 
Religion  herüber,  nachdem  er  selbst  das  heilige  Gesetz,  ausnahms- 
weise von  Gott  dazu  berechtigt  wie  er  sagte,  einmal  übertreten 
hatte.  Die  Muhammedaner  sind  von  da  an  bis  auf  unsere  Zeit  dem 
Beispiele  des  Propheten  gefolgt,  nicht  seinem  Worte-,  in  keiner  mo- 
hammedanischen Stadt  haben  die  Parteien  heftiger  gegen  einander 
gewüthet  als  hier : die  Stadtviertel  bekämpften  sich  fortwährend , 
die  fremden  Besucher  lieferten  hier  förmliche  Schlachten , die  Nach- 
kommen Muhammeds  lebten  hier  tausend  Jahre  lang  in  einem  nur 
durch  kurze  Waffenruhe  unterbrochenen  Bruderkriege.  Wir  wollen 
jetzt  die  Hauptmomente  des  unruhigen  politischen  Lebens  der  Mek- 
kaner  in  ihrer  geschichtlichen  Entwickelung  verfolgen. 

1)  Vergl.  die  Bilder  dieser  Gebäude. 


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MEKKA  UNTER  DEN  CHALIFEN.  - ENTSTEHUNG 
DES  SCHERIFATS.  — DIE  SCHERIEE  BIS  1200. 


Als  Muhammed  630  nach  siebenjährigem  Kampfe  seine  Vaterstadt 
durch  Vertrag  einnahm,  waren  die  Quraischiten  mehr  von  der  Ge- 
walt seiner  Religion  überzeugt  als  von  ihrer  Wahrheit;  später,  als 
sie  selbst  durch  den  Islam  zur  Grösse  gelangten  , wurden  sie  wirklich 
in  ihrer  Weise  Muslime.  Der  Prophet  erleichterte  ihnen  den  Ueber- 
gang  durch  vielerlei  Koncessionen ; in  Allahs  Namen  versprach  er 
ihnen  die  Fortdauer  des  alten  Kultus  und  des  vortheilhaften  Handels. 
Nach  wie  vor  blieb  das  Centrum  des  jungen  Staates  in  Medina, 
der  Heimath  der  »Helfer"  Muhammeds  und  dem  zweiten  Vaterlande 
der  ausgewanderten  Gläubigen  Mekka’s.  Zum  Statthalter  von  Mekka 
ernannte  der  Prophet  einen  Mann  aus  einem  vornehmen  mekkanischen 
Geschlechte,  der  erst  eben  durch  die  Gewalt  der  Thatsachen  zum 
Islam  bekehrt  war,  und  als  die  Mekkaner  auf  die  Nachricht  von 
Muhammeds  Tode  hin  schleunig  ins  Heidenthum  zuriickfielen  , machte 
diesem  Manue  seine  Beziehung  zum  Eroberer  solche  Angst,  dass  er 
sich  versteckte,  bis  das  Glück  der  muslimischen  W affen  seine  Stam- 
mesgenossen aufs  Neue  bekehrte  ').  Unter  den  drei  ersten  Chalifen  s) 
(632 — 56)  bleibt  die  Verwaltung  in  den  Händen  von  Mekkanern , 


1)  IA  11:201,  208,  24S  f. 

2)  Vergl.  CM  11:158,  160—63,  17,  36,  42—3;  1 : 380— 81 ; IA  II : 201 , 208 , 
845  t;  HI : 15  , 30  , 62,  146,  167. 


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STAMJV 

Ali  X Fat  iniah 


I.  Hasan  II 

~ i 


3 Abdallah  al-Mahdh 

I 


i 

5.  Muhammed  Nafs  Zakijjah  6 Ibrahim 


7.  Mosa  al-IJj 


i n-g 


9.  Abdallah  a^-^’alih 


12.  Ctlifc 

I 

16.  Muhammed  a*-SchA‘ir 


13.  Mosa  II 

I 


17.  Ua'ud 


18.  Mohammed  at-Tha'ir 


22.  Ablallth 

I 

Ali 

I 

S dlai  man 

i 

Husain 

i 

'i«t 

i 

Abdalkarim 


J 

28~H  u&ain 


25.  Abo  Dja'far  Muhammed 


27.  Abn  Hfochim  Muhammed 

i 

80.  Abdallah 


28.  Abu  Muhummed  I)ja  i 
nach  840(366?  .357?  368?)— 37< 


I 

M uta  in 

I 

Idris 


84.  Muhammed  (??)  ’I*« 

, I . . 870(oder  früher)-384 
38  Dja  i'ar  (P?)  v 7 

40  Abu  Hüichitn  Mulinnuned  5) 

455  (resp.  461)— 487 

1 


43.  Qatadah  41.  Abu  Fulnitnh  QttNiin 
(Stammvater  aller  487 — 517  (8?) 

übrigen  Scherife 

von  Mekka)  F*ulmtnb 

617(8?)— 527 


82  Abu  ’l-Futüh 
384—  430 

I 

36  Muhammed  fe 
430—453  (464 


1)  I 

Ihn  lja 
wird,  L 

(Leid  1 


45.  laa 

656  (7?)— 670 


J 

44  Huachim 
627—649  (561  ?) 

I_  . ! 

46.  Qasim 

519  (551 P)- 668(7?)  17.  Mukthir  571.572— P 18  DK*ud  570 -71 , 57* 

I 

19.  Mangür  (?)  593-7 1 

NB.  Diese  Tafel  enthält  die  Genealogie  1°  solcher  Hasaniden,  welche  aus  irgend  einem  Grunde 
der  Sühne  QatadahY  Die  Namen  derjenigen,  welche  diese  Würde  bekleidet  haben,  sind  fett 
wirklich  regiert  hat.  Die  Jahreszahlen  sind  hier  uach  mohammedanischer  Zeitrechnung  angst 


47.  Mukthir  671,672—? 
584-97  (98  P 99  ? 03  ??) 


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FEL  I. 

:r  Mohammeds) 


“ “1 

1.  Zaid 

4.  Hasan  III 

I 

8.  Ali 

(starb  im  Kerker  Manfort  OT  (0)169) 

U.  Husain  scbahld  al-Fachch 

10.  Ibrahim 

”|  15.  Jttsuf  al-Uchaidhir 

14.  Sulaiman  ! 

i I I 

10.  Da  ad  20.  Ismail  21.  Mohammed 

I 

bu  *1  Fatik  Abdallah 

, I 

Abdarrahman  ■) 

I 

x ,t-TnJJtl>  Du'ud  (?) 

— 2 (?)  402-8  (?) 

I 

33  Wahhäa 

I 


. Humzah  37.  Im 

>61  (464-471  ??)  | 

n 39.  ’Ulajj 

(ihm  widmete  Zaroachschari  den  Kisschaf, 
OT(  D)  105  (M*)37) 


die  (ein  Grabstein)  bei  CM  II:  208  schiebt  zwischen  N°«  24  und  26  einen  Qasim  ein;  nicht  nur 
.)  ignoriert  ihn,  sondern  OT  (D)  103 — 5,  (Ms)  87ro,  wo  dieser  Zweig  recht  eingehend  behandelt 
cm  Qasim  keinen  Raum. 

lere  Genealogie  Pja'fars  wird  mit  Recht  von  CM  II:  206  verworfen;  OT  (D)  115,  Obaidalll 
14ro  bestätigen  die  hier  gegebene. 


älteren  Geschichte  Mekka’s  Erwähnung  verdienen  2°  aller  Scherife  von  Mekka  bis  auf  das  Hans 
kt.  Fragezeichen  hinter  den  Namen  bezeichnen  Zweifel  in  den  Quellenschriften,  ob  der  betreffende 


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und  zwar  meistens  von  vornehmen  Quraischrten.  Die  Person  des 
Statthalters  hat  schon  in  dieser  Periode  nur  ausnahmsweise  hohe 
Bedeutung ; daraus  erklärt  es  sich , dass  die  Chronisten  manchmal 
unsicher  sind  über  die  Reihenfolge,  die  Dauer  der  Verwaltung  usw. 
Zwei  Ausnahmen  verdienen  Erwähnung : ein  Statthalter  Mekka’s  liess, 
als  er  zum  Chalifen  Omar  nach  'Usfan  reiste,  einen  Freigelassenen  ') 
als  seinen  Stellvertreter  zurück ; als  ihn  Omar  deswegen  tadelte , 
sBgte  er,  der  Mann  sei  ein  Quränkenner,  worauf  Omar  die  Berech- 
tigung dieses  neuen  Adels  ausdrücklich  anerkannte.  Aus  der  Anste- 
llung eines  Hadhramiten  zurZeit  Othmün’s  *)  erhellt,  dass  Hadhra- 
maut  schon  in  vorislamischer  Zeit  seine  Kolonisten  ausschickte , und 
dass  Letztere  schon  damals  in  Mekka  als  Mitbürger  angesehen  wurden. 
Die  Bedeutung  dieses  rührigen  Volkes  für  Mekka  wird  durch 
mehrere  alte  Zeugnisse  bestätigt  *).  Beim  heidnischen  Haddj  pflegte 
ein  Quraischit  als  oberster  Leiter  der  versammelten  Pilger  bei  den 
Zügen  von  einem  heiligen  Orte  zum  andern  aufzutreten  und  die 
herkömmliche  Ordnung  beim  Lagern  in  den  Stationen  aufrecht- 
zuerhalten. Seitdem  das  Fest  islamisiert  war,  ging  jährlich  vom 
Sitze  der  Regierung  (also  zunächst  von  Medina)  der  grosse  Pilgerzug 
aus,  angeführt  vom  Chalifen  oder  einem  von  diesem  ernannten 
Befehlshaber;  die  Führung  beim  Haddj  wurde  entweder  diesem  oder 
dem  Statthalter  Mekka’s  übertragen.  Die  Chronisten  erwähnen  fast 
jährlich  den  Mann  , dem  jene  Ehre  zu  Theil  wurde ; wir  werden  diese 
Angaben  nur  insofern  anführen , als  sie  für  die  Geschichte  der  hei- 
ligen Stadt  Interesse  haben. 

Die  Ermordung  Othmäns  eröffnet  für  Medina  und  Mekka  eine 
neue  Aera.  Die  Häupter  der  altmckkanischen  Aristokratie,  die  Omajja- 
den , waren  durch  ihre  Vergangenheit  anfangs  im  Islam  auf  eine 
bescheidenere  Stellung  angewiesen.  Bei  den  Eroberungen,  welche 
aus  der  Gemeinde  Muhammeds  in  wenigen  Jahren  ein  mächtiges 
Reich  machten,  fanden  sie  Gelegenheit  durch  ihre  Klugheit  und 
Tapferkeit  den  Einfluss  zu  gewinnen , den  die  Religion  als  solche 


1)  CM  11:36,  161.  2)  IA  III : 146,  167. 

3)  CM  1:440  , 461,  48G;  IA  II : 182,  229,  203,  281  j 111:302. 


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26 


ihnen  versagte.  Der  gewaltsame  Tod  ihres  Verwandten , nicht  ohne 
Mitschuld  Ali’s,  enthob  sie  jeder  Beschränkung:  „sie  erhoben  die 
»Häupter  und  fingen  ira  Hidjäz  zu  reden  an"  J).  Der  Vetter  und 
Schwiegersohn  Muhammeds,  Ali,  hatte  kein  Glück  beim  Antreten 
des  heissersehnten  Chalifats:  ausser  den  weltlich  gesinnten  Omajja- 
den  sah  er  sich  gegenüber  gleich  noch  eine  feindliche  Partei  von 
alten  Genossen  des  Propheten , und  bald  trennten  sich  auch  die 
rigoristischen  Chäridjiten  von  ihm.  Der  Erste,  der  ihm  den  Hand- 
schlag der  Huldigung  gab,  batte  eine  verdorrte  Hand8),  und  un- 
fruchtbar waren  alle  seine  und  seiner  zahllosen  Nachkommen  Versuche, 
wirklich  Grosses  in  der  Welt  zu  erreichen.  Ali  musste  gleich  nach 
Babylonien  ziehen  zum  Kampfe  gegen  die  Widersacher ; der  Schwer- 
punkt des  Islams  lag  schon  ausserhalb  Arabiens.  Mit  Recht  sagte 
ihm  ein  Freund:  »zieh  nicht  von  Medina  fort,  denn  sonst  kommt 
»nimmer  ein  Fürst  der  Muslime  hierher  zurück  1”*);  er  konnte  aber 
nicht  anders.  Die  Zeit,  wo  es  hiess:  »die  Entscheidung  ist  die 
»Entscheidung  MedinaY’ 4)  war  vorüber.  Ali  blieb  ein  um  die  Herr- 
schaft kämpfender  Chalif;  in  den  fünf  Jahren,  die  bis  zu  seinem 
Tode  (661)  verliefen,  entschied  sich  der  säkularisierte  Islam  für  die 
weltklugen  Omajjaden  als  Herrscher  und  erkor  sich  Damaskus  zur 
Hauptstadt.  Die  grossen  Ereignisse  zogen  die  energischen  Einwohner 
Mekka’s  aus  ihrer  Heimath  fort  nach  dem  Kampfplatze;  hier  blieben 
hauptsächlich  fromme  Weltsentsager,  Mucker  und  Maulhelden  oder 
auch  solche  zurück,  die  das  Leben  in  Ruhe  gemessen  wollten.  Aus 
Furcht  leisteten  sie  bald  diesem,  bald  jenem  den  Huldigungseid  s); 
ohne  Anstand  konnte  Ali  ihnen  als  Statthalter  seinen  Vetter  aus  dem 
Hause  Abbas  und  sogar  einen  Medinenser  schicken  •).  Das  Fest 
hielten  beide  Parteien  (die  Ali’s  und  die  der  Omajjaden)  noch  heilig ; 
als  sich  660  von  beiden  Seiten  ein  Pilgerzug  mit  seinem  Führer 
einstellte,  übertrugen  sie  im  Einvernehmen  mit  einander  die  Füh- 
rung des  Haddj  einem  dritten. 

Während  der  19jährigen  Regierung  des  ebenso  energischen  als 


1)  IA  III : 167.  2)  IA  m : 153.  3)IAin:180.  4)  IA  111:181. 

5)  IA  III:  321fr.  6)  IA  in:  180,  291,  315,  317-8;  CM  11:163—4  , 234 


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politisch  gewandten  Muäwijah  schlossen  sich  zwar  auch  die  meisten 
nicht-alidisch  gesinnten  //Genossen  Muhammeds”  den  Aliden  in 
gemeinsamem  Widerwillen  gegen  den  //Tyrannen”  an,  aber  keiner 
wagte  es  hervorzutreten.  Wo  Verheissungen  nicht  verschlugen, 
zähmte  der  Chalif  die  Unwilligen  durch  Drohungen : den  ältesten 
Sohn  Ali’s,  Hasan,  kaufte  er  ab;  dem  zweiten,  llusain,  hielt  er 
das  Schwert  entgegen.  Seine  Statthalter  über  Mekka  waren  theils 
seine  Verwandten,  theils  andere  ihm  ergebene  Quraischiten  *).  Die 
Chronisten  machen  nur  einige  von  denselben  namhaft,  zählen  aber 
alle  Statthalter  von  Medina  auf.  Medina  blieb  die  Hauptstadt  Ara- 
biens; es  war  nicht  ganz  umsonst  ein  halbes  Jahrhundert  lang  der 
Sitz  der  muslimischen  Regierung  gewesen.  Ausserdem  lag  es  der 
neuen  Hauptstadt  am  nächsten;  von  hier  bis  Mekka  braucht  eine 
Karawane  noch  10  Tage,  ein  berittener  Eilbote  4 — 5.  Die  fürst- 
lichen Befehle  erreichten  daher  Mekka  durch  die  Vermittelung  des 
Gouverneurs  von  Medina;  die  Stadt  Gottes  stand  in  gleichem  Ab- 
hängigkeitsverhältniss  zur  Stadt  des  Propheten , wie  das  2 — 3 Tage- 
reisen östlich  von  Mekka  gelegene  Täif  zu  Mekka.  Manchmal  wurden 
schon  in  dieser  Zeit  die  drei  Städte , auch  wohl  noch  der  eigentliche 
Hidjäz  und  Jemämah  dazu,  von  einem  Beamten  verwaltet,  der  in  Medina 
residierte  und  sich  in  den  anderen  Orten  vertreten  liess.  Wenn  ein 
Verwandter  von  Muäwijah  zum  Statthalter  von  Täif  ernannt  wurde, 
so  sagte  die  Welt:  »der  ist  beim  ABC";  bekam  er  Mekka  hinzu, 
so  hiess  es:  //er  ist  zum  Qurän  vorgerückt”;  wurde  er  aber  Wäll 
von  Medina,  so  sagte  man:  //jetzt  kann  er  den  Qurän  auswendig”  ’). 

Die  vereinigte  Opposition , welcher  auch  viele  in  den  Provinzen 
zerstreute  Unzufriedene  angehörten,  harrte  in  Medina  und  Mekka 
des  günstigen  Augenblicks  zum  Handeln ; mit  dem  Tode  Muäwi- 
jah’s  schien  dieser  gekommen  zu  sein.  Husain,  als  Haupt  der  damals 
schon  auch  in  Jemen  s)  und  Babylonien  (Träq)  zahlreichen  alidischen 
Partei,  und  Abdallah  ibn  Zubair,  der  die  Interessen  der  //Genossen 
Muhammeds”  vertrat,  gleichviel  ob  sie  des  Propheten  Freunde  oder 

1)  CM  II:  163  ff.,  41,  42;  Tab.  U:  tl,  tv,  vt,  al,  vf,  ao,  ba,  lol,  «1. 

2)  Tab.  II:  hv.  3)  IA  III : 321  ff;  Tab.  H : tvo. 


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Verwandte  waren,  weigerten  sich,  dem  Jezid zu  huldigen , flüchteten 
sich  von  Medina  nach  dem  entlegeneren  Mekka,  um  von  dieser 
Freistätte  aus  die  Opposition  zu  organisieren ').  Vielleicht  nicht 
ohne  bösen  Willen  rieth  Ibn  Zubair  dem  Enkel  des  Propheten , 
sich  an  die  Spitze  seiner  zahlreichen  aber  unzuverlässigen  Anhänger 
in  Träq  zu  stellen.  Ilusain  ging,  seine  Partei  war  aber  schon  wieder 
eingeschüchtert,  und  in  der  Nähe  von  Taff  (Kerbela)  wurde  er 
mit  etwa  20  von  seinen  männlichen  Verwandten  abgeschlachtet.  Zu 
bemerken  ist  hier,  dass  die  Ansprüche,  welche  die  Häupter  der 
Familie  Muhammeds  erhoben , nicht  etwa  absolut  waren  oder  jede 
Diskussion  ausschlossen  *),  und  dass  die  Söhne  Ali’s  zu  ihrem  poli- 
tischen Unglück  mehr  Habgier  als  Ehrgeiz  bethätigten *).  Der  Tod 
Ilusains  verschärfte  den  Fanatismus  der  alidischen  Sc/nah  (d.  h. 
Partei),  vermehrte  aber  ihre  Thatkraft  nicht.  Das  Haupt  der  Oppo- 
sition in  Mekka:  Abdallah  ibn  Zubair  gewann  auch  ausserhalb 
Arabiens  Anhänger  und  vertauschte  die  bescheidene  Rolle  eines 
»Schützlings”  des  heiligen  Hauses  gegen  die  des  Prätendenten  auf 
das  Chalifat.  Nur  l1 * * 4/»  Jahr  konnten  sich  die  Statthalter  Jezlds ') 
behaupten;  682  wurden  sie  aus  den  heiligen  Städten  verjagt.  Von 
da  an  bis  692  bezeichnen  fromme,  namentlich  mekkanische  Ge- 
schichtschreiber Ibn  Zubair  als  den  Chalifen  von  Gottes  Gnaden 
mit  Mekka  als  Hauptstadt5).  Nachdem  683  Jezld’s  Soldaten  in 
Medina  durch  ein  schreckliches  Blutbad  die  Gewalt  der  »Genossen- 
partei”  gebrochen  hatten , waren  sie  nahe  daran , in  Mekka  ein 
Gleiches  zu  thun,  trotz  der  Unverletzbarkeit  des  heiligen  Gebietes, 
auf  welche  Ibn  Zubair  sich  verliess;  der  Tod  Jezlds  rief  die  Tru- 
ppen aber  nach  der  Hauptstadt,  und  in  den  nächsten  Jahren  verhin- 
derten Thronfolgestreitigkeiten  und  der  Parteienkampf  in  Babylonien 
die  Omajjaden  daran , energisch  gegen  Tbn  Zubair  vorzugehen. 


1)  Tab.  II : fit  ff.  2)  Vergl.  z.  ß.  don  Brief  Fusains  Tab.  H : 1t . 

8)  Die  übrig  gebliebenen  Verwandten  Husains  in  Medina  nahmen  gleich  Goschonke 

von  Jerid  an  Tab.  — ao. 

4)  CM  II:  166  ff,  42;  Tab.  II : flt  ff,  f.l* . 

5)  CM.  II:  18  ff,  171 1 Tab.  ll;frrff,  aff  ff 


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Diesmal  war  also  Mekka  ein  politisches  Centrum , und  wurde  Me- 
dina, so  lange  es  ging,  von  dort  aus  verwaltet.  Ibn  Zubair  war 
weder  ein  Muster  von  Frömmigkeit  noch  von  Gerechtigkeit;  er 
vertrat  aber  die  Söhne  derjenigen , welche  bis  zur  Omajjadenherrschaft 
die  höchste  Autorität  besessen  hatten  und  sich  nun  nicht  gleich  den 
veränderten  Verhältnissen  fügen  konnten.  Scheinbar  stand  diese  Partei 
der  Religion  näher,  und  ihre  Häupter  wurden  später  die  Helden 
des  Volksglaubens.  692  katn  der  eiserne  Omajjadendiener  IJaddjädj 
mit  seinem  Heere,  die  Einwohner  der  Harnmein  (heiligen  Stiidte) 
abermals  empfindlich  zu  lehren , dass  Ungehorsam  gegen  die  Omajja- 
den  eine  Todsünde  sei.  Mekka  wurde  trotz  seiner  Heiligkeit  mit 
Feuer  und  Schwert  heimgesucht,  Ibn  Zubair  getödtet.  »Unser  Herr 
Ibn  Zubair”  ist  immer  noch  ein  bedeutender  Heiliger  der  Mekkaner. 
Wir  haben  oben  (S.  25)  die  Bedeutung  der  Führung  des  grossen 
Pilgerzuges  besprochen;  während  der  Regierung  des  Ibn  Zubair, 
ereignete  es  sich  '),  dass  ausser  diesem  Chalifen  der  Mekkaner,  sich 
drei  andere  »Führer”  zum  Haddj  seitens  dreier  politischen  Parteien 
(Omajjaden , Sehfiten , Chäridjiten)  einfanden.  Gleichwie  früher  wurde 
ein  Abkommen  getroffen,  so  dass  jetzt  jeder  seine  eigenen  Leute 
anführte;  statt  eines  entfalteten  sich  an  den  Versammlungsorten 
vier  Liwa » (Anführerfahnen),  wie  in  späteren  Zeiten  die  verschie- 
denen Mahmal's  beim  Haddj  von  der  politischen  Zerrissenheit  des 
Islam ’s  jährlich  Zeugniss  ablegten. 

Der  Sieg  des  Haddjädj  löste  die  nicht-alidische  Genossenpartei 
als  solche  endgültig  auf');  zum  Bewusstsein  ihrer  Kraft  und  ihrer 
Schwäche  gelangt,  zog  sie  sich  auf  das  geistige  Gebiet  zurück, 
welches  die  Gewalthaber  ihr  nicht  streitig  machen  konnten ; die 
Kenntniss  der  Quräns  und  der  Ueberlieferung , die  Entwickelung 
des  heiligen  Gesetzes  mussten  die  Omajjaden  diesen  geistigen  »Erben 
des  Propheten”  überlassen  und  sich  mit  der  durch  das  Schwert 
errungenen  weltlichen  Gewalt  begnügen.  In  Medina  gründeten  sie 


1)  Tab.  1I:vaI — f und,  mit  abweichender  Datierung,  CM  11:235,  vergl.  al-Ja'qflbf, 
ed.  Hontema,  H : 311. 

2)  Tab.  U:A*f. 


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die  älteste  Schule  des  Gesetzesstudiums;  in  der  heiligen  Wissen- 
schaft blieb  noch  lange  Zeit  die  Stimme  der  Baramein  entschei- 
dend. Die  Praxis  der  Machthaber  sollte  oft  genug  gegen  die  Theorie 
dieser  Autoritäten  verstossen,  und  an  Konflikten  mangelte  es  nicht; 
die  Noth  lehrte  aber  die  Doctores  bald , nur  selten  über  die  theo- 
retische Missbilligung  hinauszugehen.  Sie  nährten  aber  durch  ihre 
Lehre  und  ihr  Beispiel  in  den  Haramein  eine  unzufriedene , aufrüh- 
rerische Stimmung,  und  viele  von  ihnen  blieben  noch  lange  sehr 
geneigt,  Thron prätendenten  zu  unterstützen,  von  deren  Herrschaft 
sie  besseres  erhofften.  Ein  ewiger  Kampf  gegen  Medina  und  Mekka 
hätte  die  Fürsten  in  weiten  Kreisen  unpopulär  gemacht;  solange 
keine  Gefahr  drohte,  sahen  sie  den  Einwohnern  manches  nach.  Als 
der  Chalife  Walld  710  zum  Haddj  durch  Medina  reiste,  liess  er 
sich  von  einem  Gesetzeslehrer  grossen  Mangel  an  Höflichkeit  ge- 
fallen ').  Charakteristisch  für  die  Situation  ist  folgende  Erzählung ’) : 
Mehr  als  ein  Omajjadenchalife  wollte  die  hölzerne  Kanzel  Muham- 
meds  und  seinen  Stab  (jedenfalls  plumpe  Gegenstände,  die  in  der 
Hauptstadt  einen  komischen  Effekt  gemacht  hätten)  von  Medina  nach 
Damaskus  bringen , damit  diese  Reliquien  nicht  in  den  Händen 
der  »Mörder  Othmäns”  blieben.  Verschiedene  Umstände,  einmal 
gar  eine  plötzlich  eintretende  Sonnenfinsterniss  hielten  sie  von  der 
Ausführung  des  Vorhabens  zurück.  Der  Chalife  Sulaimän  sagte , als 
er  davon  hörte:  Ich  hätte  nicht  gern,  dass  man  einem  von  uns  so 
etwas  nachsagen  könnte  ....  »was  sollen  wir  damit?  Wir  haben 
»die  Welt  genommen  und  sie  ist  in  unseren  Händen : sollten  wir 
»jetzt  eins  von  den  Wahrzeichen  des  Islam’s  begehren  ? Nein , das 
»wäre  Unrecht!” 

Medina  wurde  bei  der  Wiederherstellung  der  Omajjadenherrschaft 
naturgemäss  wieder  die  Hauptstadt  Arabiens;  es  nimmt  daher 
nicht  Wunder,  dass  die  Chronisten  in  ihren  nach  Jahren  geordneten 
Angaben  manchmal  nur  den  Statthalter  von  Medina  erwähnen  *); 


1)  Tab.  II : tm  ff.  2)  IA  m : 385—6. 

3)  Vergl.  2 ß.  Tab.  II : vof,  avI“,  1f.  etc.  — CM  II:  171  ff.  zählt  nach  den  besten 
Quellen  alle  bekannten  Statthalter  Mekka’s  für  diese  Periode  auf;  ich  habe  alle  Angaben 


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hie  und  da  fügen  sie  hinzu,  dass  derselbe  auch  über  Mekka  und 
Täif  angestellt  war,  oder  wer  in  diesen  Städten  seine  Stelle  vertrat. 

Es  waren  immer  Omajjaden  oder  treue  Omajjadendiener.  Manch- 
mal wurde  es  ihnen  schwer,  mit  ihren  dünkelhalten  Unterthanen 
ruhig  auszukommen.  Als  der  Chalife  Walid  (705 — 15)  diesen  den 
Gefallen  that,  ihnen  einen  frommen  Regenten,  den  ängstlich  reli- 
giösen Prinzen  Omar  ibn  Abd  al-'AzTz  zu  schicken,  trug  Letzterer 
den  Wünschen  der  Bevölkerung  in  solchem  Grade  Rechnung,  dass 
die  Indisciplin  bald  ein  Gegengift  erforderte.  Sein  Nachfolger  Chä- 
lid  al-Qasrl  führte  strenge  Polizeimaassregeln  ein  und  verletzte 
rücksichtslos  die  religiösen  Vorurtheile  der  Mekkaner1);  er  war  es, 
der  den  Zemzern  durch  eine  Wasserleitung  zu  ersetzen  versuchte. 
Jede  Schwäche  der  Behörden  wurde  ausgebeutet;  Rebellion  und 
Muckerei  bildeten  die  Spezialität  dieser  Städter,  deren  Typus  sich 
unter  dem  Einfluss  der  geschichtlichen  Vorgänge  im  Laufe  der  er- 
sten zwei  Jahrhunderte  des  Islam’s  völlig  umbildete.  »Verwöhnte 
Leute,  untüchtig  zum  Kriege”1),  »Äajofj-trinker”1)  heissen  in  die- 
sem Zeiträume  die  Medinenser,  und  7G2  sagt  man  zu  dem  in  Medina 
gegen  die  Abbasiden  aufgestandenen  Aliden : «Du  bist  in  einer  Stadt 
»ohne  Geld  und  ohne  Männer  aufgestanden”  *).  Die  Mekkaner  He- 
ssen schon  Ibn  Zubair  im  entscheidenden  Moment  im  Stich  s);  Abd 
al-Malik  wundert  sich  691 , wie  man  «einen  Beduinen  *)  aus  Mekka 
«zum  Kriegführen  aussenden  konnte”  7),  und  ein  zur  Unterwerfung 
Mekka’s  ausgesandter  Feldherr  des  eben  genannten  Aliden  sagt 
(702)  zu  einem  Warner:  »Du  Webersohn,  vor  den  Mekkanern 
»glaubst  du  mir  Angst  einzuflössen  ?”  •).  Energische  Statthalter 
machen  ihrem  Aerger  über  die  Frechheit  dieser  Maulhelden  in  ver- 


Tabari’a  and  Ibn  al-Athir's  verglichen,  führe  die  Stellen  hier  aber  nicht  an,  da  aie  sehr 
leicht  aufzufinden  sind  nnd  Fist  so  ziemlich  alle  benutzt  hat.  Zerstreute  Daten  Boden  sich 
CM  1 : 397 , 400;  II;  36  , 41,  43,  44,  86. 

1)  CM  1:265— 6,  Tab.  II:  I Hl,  Irr.;  IA  IV:  424— 5;  vergl.  oben  S.  7. 

2)  IA  V : 197.  3)  Tab.  III : M“f  I ; Satelt/  ist  oine  süsee  Mehlsuppe. 

4)  Tab.  HI : Uv.  5)  Tab.  II:  afo  f. 

6)  Beduine  heisst  hior  so  viel  als  Dummkopf;  vergl.  auch  Tab.  H : IM7,  2 usw. 

7)  Tab.  II : afo  . 8)  Tab.  II : W. . 


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sichtlichen  Reden  Luft *).  Die  rigoristischen , aber  zugleich  charak- 
tervollen Chäridjiten  fanden  hier  kein  Gehör;  einen  besseren  Bo- 
den boten  die  Haramein  den  Aliden  für  ihre  heimlichen  Umtriebe. 
Hier  sollte  auf  eine  Geschichte  der  Schfah  hingewiesen  werden ; 
da  diese  aber  noch  geschrieben  werden  muss,  wollen  wir  jetzt, 
theilweise  vorausgreifend,  die  Grundlagen  der  Macht  der  Aliden  in 
Westarabien  etwas  beleuchten. 

Das  Wort  Schfah , welches  nichts  anderes  als  Partei  bedeutet  *), 
wird  schon  in  früher  Zeit  speciell , dann  aber  fast  ausschliesslich , 
auf  die  Partei  der  Aliden  angewendet.  Mit  gutem  Grund,  denn 
sie  war  seit  dem  Rückzuge  der  Genossenpartei  und  der  Besiegung 
der  Chäridjiten  die  einzige  überall  vertretene,  immer  geheim  oder 
öffentlich  wirkende  Opposition.  Zahlreich  wie  Parasiten , zerstreuten 
sich  die  Söhne  Ali’s  über  die  islamische  Welt;  ihr  gemeinsames 
Ziel  war , ihrem  Hause  den  Hauptantheil  an  dem  Besitze  des  Islam  s 
zuzusichern.  War  ja  der  Hauptgrund  von  Ali’s  Unzufriedenheit 
gegen  Abu  Bekr,  dass  dieser  Grundstücke,  welche  der  Prophet  als 
Haupt  der  Gemeinde  besessen  hatte,  nicht  als  Erbe  der  Familie  Mu- 
hammeds  betrachten  wollte;  namentlich  die  »Gärten  von  Fadak” 
veranlassten  Ali  zur  Bildung  einer  Partei;  noch  in  späten  Zeiten, 
wo  diese  Pflanzungen  zu  einer  Kleinigkeit  für  den  Islam  geworden 
waren , konnte  sich  ein  Chalife  bei  den  Aliden  dadurch  beliebt 
machen , dass  er  ihrem  Geschlechte  dieses  arabische  Grundstück 
zurückerstattete  *).  Das  war  dann  eine  blosse  Form  , aber  die  Aliden 


1)  Tab.  n : im,  iroa—  1. 

2)  Die  Seitab  des  Propheten”  Ibn  Hischäm  323,  die  „SchCah  Othmans”  Tab.  II : Bf , 
„der  Omajjaden”  Tab.  II:  va P,  „der  Abbasidon”  IA  V : VI,  und  zahllose  ähnliche  Beispiele 
Beugen  von  der  Fortdauer  des  Gebrauchs  in  allgemeinem  Sinne  auch  in  nachqur&ni- 
seber  Zeit. 

3)  CM  111:131,  IA  XII:  275;  Ja'qüW  ed.  Houtsma  11:142,  3ß6.  Z.  17.  Charak- 
teristisch ist  die  Diskussion  der  Aliden  mit  den  Abbasiden  über  die  beiderseitigen  An- 
sprüche Tab.  III:  7*1,  ft*1*.!.,  f tJ VJ {.,  o!*t,  *liv,  wo  nicht  eia  droit  dir- in , sondern  die 
Vergangenheit  und  gemachten  Verabredungen  den  Ausschlag  gebeu.  Vergl.  auch  den  poe- 
tischen Streit  des  Ibn  al-Mu  ta»  mit  den  Aliden,  wo  dieser  Abbaside  ihnen  aurult:  „Lasset 
„die  Löwen  (d,  h.  uns)  den  Kaub  zorreissen  und  sättiget  euch  dann  an  dem,  was  sie 
„übrig  lassen;  wir  haben  dio  Omajjaden  in  ihrer  Wohnung  gotödtet,  unser  sind  also  von 
„Hechts  wegen  die  SpoliaV  (CM  111:154 — 6). 


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33 


strebten  immerfort  nach  dem  was  »die  Gärten  Fadaks”  zur  Zeit 
Muhammeds  waren:  dem  schönsten  Bissen  vom  Tisch  der  Muslime. 
Dieser  war  für  die  ebenso  fruchtbare  wie  anspruchsvolle  Familie 
nur  dann  zu  erzielen , wenn  sie  selbst  über  den  Beutel  verfügten ; 
der  Beutel  aber  und  das  Schwert  sind  nach  orientalischer  Auflassung 
die  Prärogative  der  Fürsten.  Darum  strebten  die  Aliden  überall  nach 
der  Herrschaft,  wo  nicht  die  Machthaber  ihnen  sehr  reichlich  die 
Hände  füllten ; in  nahezu  allen  Ländern  standen  sie  mit  den  Un- 
zufriedenen den  Herrschern  gegenüber  und  versprachen  jenen  das 
Beste,  wenn  sie  den  Aliden  zur  Gewalt  verhiilfen.  Daraus  erklärt 
es  sich , dass  die  Parteiprogramme  der  Aliden  eine  ebenso  bunte 
Abwechselung  darbieten  wie  die  islamische  Welt,  dass  sie  so  viele 
altnationale  Elemente  des  Glaubens  und  der  Sitten  beherbergten, 
welche  der  officielle  Islam  von  sich  stiess.  Von  einer  religiösen  oder 
politischen  Dogmatik  der  SchFah  kann  also  nicht  die  Rede  sein; 
sogar  das  Prinzip  der  Erblichkeit  der  Chalifen würde  vertraten  die 
Aliden  nur  in  solchen  Ländern,  wo  der  Boden  dazu  geeignet  war. 
Die  verschiedenen  Abtheilungen  der  Alidenfamilie  zerwarfen  sich 
daher  manchmal  unter  sich , weil  eine  den  anderen  zu  weit  oder 
auch  nicht  weit  genug  ging;  die  Zerstreuung  und  auch  wohl  ent- 
gegengesetzte Interessen  verursachten  bald  die  Spaltung.  Es  gab 
Zweige,  welche  ihre  eigene  Staatslehre,  ihre  eigene  Tradition  und 
Gesetzeskunde  entwickelten;  andere  nahmen  persisches  Wesen  in 
ihren  Schutz1);  wieder  andere  waren  ganz  orthodox  und  sprachen 
nur  von  der  Theilung  der  //Beute."  Jede  einzelne  Abtheilung  hatte 
wieder  eine  vielbewegte  Geschichte,  sodass  ihr  von  ihrem  Ursprünge 
nur  der  Name  übrig  blieb : ursprünglich  bildeten  die  Zaiditen  *) 

1)  Die  Verfolgungen,  denen  die  Häupter  der  Aliden  von  Seiten  der  Behörden  ausge- 

sotzt  waren,  wirkten  indirekt  mit  zur  Erleichterung  ihrer  Anbequemung  an  fremde»  Wesen: 
schon  762  musste  ein  Hasanido  die  Gastfreiheit  eines  hoidnisohen  Fürsten  von  Sind  in 
Anspruch  nohmen  (Tab.  III : ),  und  viele  Alidon  flüchteten  sich  in  das  Land  der 

Dailamiten,  deren  Unglaube  lange  Zeit  sprichwörtlich  war. 

„ • 

2)  LA  V Ms.  Leid.  2021,  fol.  52  r°  Läj! 

gjl  jülo  ; dagegen  fol.  98  r°,  ab  im  Jahre 

1070  H.  der  zaiditische  Imam  von  Jemen  JJadhramaut  eroberte:  3 (sic) 

^ W<0 

5 


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34 


einen  Gegensatz  zu  den  Rüfiähiten  -,  im  12*°n  Jahrhundert  konnte 
man  die  Zaiditen  Arabiens  als  Räfidhilen  bezeichnen  *),  weil  sie 
dort  und  damals  den  Orthodoxen  schroff  gegenüber  standen.  Eine 
einheitliche  Durstellung  vom  Leben  und  Treiben  der  SchPah  lässt 
sich  nur  in  Bezug  auf  ein  bestimmtes  Land  innerhalb  eines  gewissen 
Zeitraums  geben. 

In  Westarabien  lag  der  älteste  Grundbesitz  der  Aliden,  der  erste 
Grund  zur  Bildung  der  «Partei’’;  nicht  nur  die  «Gärten  von  Fadak” 
und  ähnliche , welche  Ali  als  Erbe  seines  Schwiegervaters,  des  Prophe- 
ten nur  beanspruchte , sondern  auch  Grundstücke,  welche  Muham- 
ined  ihm  geschenkt  hatte;  die  ersten  Chalifen  fügten  denselben  des 
Friedens  halber  dies  und  jenes  hinzu,  und  man  kann  sich  denken, 
dass  Ali,  als  er  selbst  zum  Chalifat  gelangt  war,  die  Gelegenheit 
zur  Vermehrung  des  Familienbesitzes  nicht  unbenutzt  liess1  2 3).  Die 
Omajjaden  suchten  sich  die  transigenten  Söhne  Hasans  und  Husains 
durch  neue  Schenkungen  dieser  Art  zu  verbinden , weshalb  denn 
auch  Ali,  der  Sohn  Husains  die  Omajjaden  bei  ihrer  Vertreibung 
aus  Medina  683  beschützte5);  die  Dankbarkeit  dauerte  aber  selten 
länger  als  die  Furcht.  Alle  Zweige  der  Alidenfamilie , auch  die  Nach- 
kommen von  Dja'far,  dem  Bruder  Ali’s,  waren  unter  den  Grund- 
besitzern der  heiligen  Provinz  reichlich  vertreten  und  wurden  auch 
hier  wie  der  Sand  am  Meer;  obgleich  immerfort  viele  nach  reiche- 
ren Ländern  auszogen , wurden  jeder  neuen  Generation  die  alten 
Grenzen  zu  enge. 

Es  versteht  sich,  dass  sie  die  unzufriedene  Stimmung  der  Städter 
nach  Kräften  nährten;  so  gewannen  sie  sich  die  Zuneigung  der 
grossen  Mehrzahl.  Ihre  Stellung  als  Grundbesitzer  verschaffte  ihnen 
schon  so  in  weiten  Kreisen  Einfluss , und  die  mit  der  Zeit  zu- 
nehmende Verehrung  der  Person  Muhammeds  wurde  auch  auf 


1)  lbn  Jubair  100. 

2)  Vergl.  BelÄdsori,  ad.  de  Oooje,  14;  Bekri  174,  417,  706,  804;  Tab.  II : l“!f  (Husain 

verspricht  Schenkungen  f.1,1  7 f!.,  10  usw. ; IA  V:  170,  172—3; 

Mokaddasi  83,  lbn  Haukal  28 — 9,  Istakhrt  21. 

3)  Tab.  H : f.1 . 


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35 


seine  Nachkommen  übertragen.  Ketzerei  und  fremde  Sitten,  wel- 
che in  andern  Ländern  den  Aliden  die  Herzen  gewannen,  hätten 
in  dieser  Umgebung  ihre  Popularität  beeinträchtigt;  man  verlangte 
aber  von  diesem  neuen  Adel  auch  keinen  rigoristischen  Wandel. 
Wie  sich  anderswo  die  Aliden  und  ihre  Anhänger  vielfach  durch 
Liebe  zum  Weine  auszeichneten1 2 * * *),  so  war  es  auch  hier:  ein 
omajjadischer  Statthalter  von  Medina,  droht  einer  alidischen  Frau, 
die  ihn  nicht  heirathen  will,  er  werde  ihren  Sohn  wegen  des 
Weintrinkens  bestrafen  *),  und  der  nächste  Anlass  zur  alidischen 
Empörung  in  den  heiligen  Städten  785  war  eben  eine  solche  Be- 
strafung, «-während  man  doch  in  Traq  nichts  Uebles  im  Trinken 
fand”  ’).  Nicht  alle  Einwohner  der  Uaramein  waren  alidischer  Ge- 
sinnung; alle  politischen  Parteien  waren  hier  mehr  oder  weniger 
vertreten , aber  die  Beliebtheit  des  Hauses  der  Fätimah  bei  der 
Mehrzahl  steht  schon  in  der  Omajjadenzeit  ausser  Frage.  Die  717 
abgeschaffte  öffentliche  Beschimpfung  Ali’s  wagte  man  727  nicht 
wieder  einzuführen*);  Ali,  der  Sohn  Husains,  wurde  verehrt  *);  der 
eben  erwähnte  Statthalter,  der  eine  alidische  Frau  schlecht  behan- 
delte, abgesetzt*);  als  der  in  'Iräq  aufgestandene  Urenkel  Ali’s, 
Zaid,  740  getödtet  war,  liess  der  Chalife  nicht  ohne  Grund  sei- 
nen Kopf  in  Medina  ausstellen  7),  und  thatsächlich  hatte  später  die 
nach  ihm  benannte  zaiditische  Partei  in  West-  und  Südarabien 
ihre  Hauptsitze. 

Um  diese  Zeit  und  lange  nachher  war  die  fruchtbare  Gegend 
um  und  westlich  von  Medina  der  Focus  alidischen  Einflusses  in 
Arabien;  den  Aliden  gehörte  Jambu'*),  zwischen  dem  gleichna- 
migen Hafen  und  Medina,  und  manches  Grundstück  im  benach- 
barten Gebiete  der  Djuhainah  (Djehenah)-stämme  am  Berge  Radhwa; 
ehi  anderes  Centrum  hatten  sie  hier  in  Suwaiqah  9)  (Sweqah),  von 
anderen  Ortschaften  zu  schweigen.  Hier  zankten  sich , zur  grössten 


1)  IA  IV  : 141,  XI:  158  i OT  <M‘.)  71  v0  heisst  ein  Alida  „dar  Weinachlauch.” 

2)  Tab.  II:lfe..  3)  Tab.  III : ooi’ . t)  1A  V : 13 , 98. 

5)  Tab.  II : tUf.  6)  Tab.  U:lWff.  Jaqftbt,  ad.  Houtama  11:375. 

7)  1A  V:  181  ff.  8)  Vorgl.  die  obon  3.  34,  Anm.  2 citierten  Stallen. 

9)  Bekrf  124,  792—3;  Kitäb  al-Aghäni  IV:  91;  OT  (D)  77  ff  , 90-1,  98. 


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36 


Freude  ihrer  Feinde,  Hasaniden  und  Husainiden,  ja  auch  Hasa- 
niden  unter  sich , über  die  Administration  der  Besitztümer  Ali’s '). 
Ueberwiegend  war  hier  die  Bedeutung  der  Söhne  Hasans,  und, 
da  diese  auch  fernerhin  in  der  Geschichte  der  Uaramein  eine  her- 
vorragende Rolle  spielen , wenden  wir  nur  ihnen  unsere  Aufmerk- 
samkeit zu  ’).  Von  den  beiden  Söhnen  Hasans  kommt  nur  Hasan 
(auch  wohl:  Hasan  II),  der  Herr  von  Suwaiqah,  in  Betracht ; denn 
die  Nachkommen  des  anderen , Zaid , haben  sich  zuerst  den  omajja- 
dischen  und  abbasidischen  Chalifen  gegen  ihre  Verwandten  ange- 
schlossen , sodass  sie  von  Letzteren  als  Spione  verschrien  wurden 1 *  3 * * *); 
im  9ton  und  10ton  Jahrhundert  haben  sie  die  Dailamiten  islamisiert 
und  mit  ihrer  Hülfe  in  Tabaristan  eine  alidische  Dynastie  gegrün- 
det *);  dem  Lande  der  Uaramein  führten  sie  nur  spärliche  alidische 
Elemente  zu s). 

Die  Nachkommen  des  Hasan  II  haben  sich  zwar  theilweise  über 
die  ganze  Welt  bis  nach  Afrika  und  Chorasan  zerstreut,  aber  die 
meisten,  und  namentlich  die  Familie  von  Hasan ’s  II  Urenkel  Abd- 
allah af-Qälih e),  haben  Arabien  bevölkert  mit  nach  Tausenden 
zählenden  kräftigen  Geschlechtern 7 * *).  Die  Echtheit  ihrer  Abstam- 
mung ist  im  grossen  Ganzen  unanfechtbar.  Trotz  der  Sorgfalt, 
welche  man  von  jeher  •)  ihren  Geschlechtsregistern  zuwandte,  ka- 
men zwar  bedenkliche  Fälle  vor*),  und  falsche  Ansprüche  auf  ali- 
dische Abstammung  sind  wohl  einmal  durch  die  Gewalt  der  Herr- 
scher echten  gleichgesetzt l0);  aber  so  leicht  solches  in  entlegenen 
Ländern  und  Grossstädten  stattfinden  konnte,  so  schwierig,  ja  fast 
unmöglich  war  es  in  Arabien , zumal  dieser  Adel  zwar  bedeutende 

1)  OT  (D)  78,  82.  2)  OT  (M*.)  8 v°  ff.  (D)  45  ff.  3)  OT  (D)  -19  f. 

4)  IA  VI : 85;  Tab.  10.  Isao,  flfv;  IA  VUI.  78,  90  ff.,  138  ff.;  OT  (M*.)  63  ff.  (D) 

63  ff.,  71  ff 

5)  OT  (M*.)  28  ¥»  — 29  v°,  (D)  49  f.,  52,  55,  60,  66  ff,  69  . 70. 

6)  Vergl.  Stammtafel  I,  9. 

7)  Vergl.  für  Westarabion  OT  (D)  90,  91  ff.,  99,  102,  107,  108,  109  ff 

8)  Tab.  in . Hf. 

9)  Die  Genealogen  selbst  theilen  solche  mit,  z.  B.  OT  (D)  86 ; auch  «rw.ilinen  sie  Falle, 
wo  die  Vaterschaft  durch  XsLs  festgestellt  wurde. 

10)  Einen  solchen  Fall,  wo  der  Protest  des  nichts  verschlug,  erwähnt  OT  (M*.) 

44  r®  (D)  116  mit  einem  sli'j . 


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37 


Kolonien  nach  auswärts  schickte,  aber  selbst  von  dort  keinen  Zu- 
wachs bekam,  ln  ihrer  Umgebung  kannte  sie  jedermann;  die  Ah- 
den selbst  aber  kannten  ihre  Verwandten  in  Arabien,  und  es  war 
in  ihrem  eignen  Interesse,  fraglichen  Ansprüchen  misstrauisch  zu 
begegnen.  Ihr  ganzes  Wesen  unterschied  sie  immer  mehr  von  den 
übrigen  Menschen : ihre  Töchter  gaben  sie  nur  ihresgleichen  zur 
Ehe,  sie  hatten  ihre  eigene  Kleidung,  Waffen  usw. ; bei  den  ech- 
ten, viehzüchtenden  Arabern  mit  ihren  einfachen  Sitten  sind  ge- 
nealogische Irrthümer  selten.  Ein  Zweig  dieser  Hasaniden , die 
BenI  Uchaidhir  ’),  kam  im  Laufe  der  Zeit  nach  Jemämah  und  ge- 
langte dort  zur  Herrscherwürde;  nachdem  ihre  Herrschaft  erloschen, 
blieben  sie  hier  sesshaft  und  »bewahrten  ihren  Adel,  ohne  sich  mit 
»Anderen  zu  vermischen,  aber  ihre  Stammtafeln  sind  ihnen  unbe- 
»kannt;  man  nennt  sie  BenI  Jüsuf”  *);  ihre  Echtheit  war  den  Ge- 
nealogen weniger  verdächtig  als  die  mancher  angesehenen  Aliden- 
familie  in  den  Hauptstädten. 

Von  ihrem  Adel  konnten  die  Tausende  nicht  leben ; wenn  die 
Grundstücke  der  Väter  den  Söhnen  nicht  genug  eintrugen,  versuch- 
ten sie  in  verschiedener  Weise  ihr  Glück.  Einige  haben  sich  als 
Gelehrte,  Dichter,  Richter,  Emire  berühmt  gemacht;  die  meisten 
aber  lebten  wie  die  Kinder  des  Landes  als  Dörfler  und  als  Bedui- 
nen ’),  in  der  bittersten  Armuth  ihren  Adelsstolz  aufrecht  erhaltend, 
der  ja  überall  als  berechtigt  anerkannt  wurde.  Gar  viele  legten 
sich  in  der  Folge  auf  das  landesübliche  Handwerk  der  Räuberei, 
und  aus  diesen  Raubrittern  sind  die  berühmtesten  Geschlechter 
hervorgegangen.  Es  dürfte  manchen  Wunder  nehmen , dass  dieser, 
schiesslich  nur  auf  der  Religion  beruhende,  Adel  gerade  bei  den 
Beduinen,  die  sonst  als  Muster  des  Leichtsinns  und  der  Skepsis  zu 
gelten  pflegen,  so  allgemeine  Anerkennung  fand,  dass  der  vornehm- 
ste Beduinenschech  sich  vor  dem  ärmsten  Schcrife  erhebt,  ihm  die  Hand 


1)  Vergl.  Stammtafel  1, 15,  20,  21. 

2)  OT  (Ms.)  14?°  (D)  95 

3)  Voll  den  Nachkommen  de»  Hasan  II  werden  z.  B.  OT  (D)  98,  100,  10211.  Ge- 
schlechter genannt,  ron  denen  es  heisst:  äj^b  mit  Angabe  des  Wohnorts  (102  ff. 
„ringsum  Mekka”). 


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küsst  und  ihm  das  Beste  giebt,  was  er  hat.  Die  landläufige  Vorstellung 
von  dem  Mangel  an  Frömmigkeit  der  Beduinen  ist  aber  wenigstens  in 
ihrer  Allgemeinheit  falsch,  und  geht  theilweise  auf  vorurtheilsvolle  mus- 
limische Städter  zurück. *)  Letztere  können  sich  eben  keine  andere 
Frömmigkeit  denken  als  die  ihrige,  welche  immer  mehr  oder  we- 
niger mit  spitzfindiger  Kasuistik  und  Dogmatik  verknüpft  ist;  sie 
begreifen  nicht,  dass  die  Beduinen,  für  deren  Erziehung  Andere 
sich  nicht  sonderlich  bemüht  haben , sich  den  Islam  in  ihrer  Weise 
assimilieren.  Und  trotz  diesem  Vorurtheil,  welches  den  Beduinen 
im  Auge  des  Städters  von  vorne  herein  als  ungläubig  erscheinen 
lässt,  haben  wir  aus  der  Zeit  Saladins  ein  unverdächtiges  Zeug- 
niss  *)  von  Beduinen , deren  natürliche , in  ganz  gesetzwidrigen  For- 
men sich  äussernde  Frömmigkeit  den  Städtern  dermaassen  imponierte, 
dass  sie  um  ihre  Fürbitte  wetteiferten.  Es  waren  die  Sarwstämme 
aus  Jämen , welche  jährlich  Mekka  mit  einem  Theile  seines  Bedarfs 
an  Getreide,  Honig  usw.  versahen’);  vom  officiellen  Islam  wussten 
sie  nichts,  kannten  nicht  einmal  das  islamische  Vaterunser  (Sürah  I des 
Quräns).  Nun  ist  aber  von  den  frühesten  Zeiten  bis  jetzt  die  Vereh- 
rung der  Beduinen  gerade  für  heilige  Personen  (man  nenne  dieselbe 
religiös,  abergläubisch  oder  etwas  von  beiden)  vielfach  bezeugt. 
In  der  Kameeischlacht  beriechen  die  Azditen  den  Koth  des  Kameels 
»ihrer  Mutter  Ai'schah” , und  er  erscheint  ihnen  wie  Moschus  *) ; die 
Tajj  waren  die  treuen  Helfer  Ali’s5)  und  Husains*);  wer  unter 
Beduinen  Anhang  für  eine  Partei  erwerben  will , spielt  sich  als  Hei- 
ligen oder  Aliden  auf7);  man  denke  auch  an  die  Bedeutung  des 
cJqid‘)  bei  den  heutigen  Beduinen  und  an  ihren  Heiligenkult  •). 

Wir  kennen  jetzt  den  Boden , auf  welchem  dem  Hause  des  Pro- 
pheten ein  immer  stärkerer  Anhang  erstand,  der  genügte,  zur 
günstigen  Zeit  die  vorhandenen  zweifelhaften  Elemente  zu  gewinnen, 
die  feindlichen  niederzuwerfen.  Während  der  Omajjadenzeit  war 

1)  Vergl.  auch  Wellhausen,  Reste  altarabischen  Hcidcntumos,  S.  192. 

2)  Ihn  Jubair  132  ff. 

3)  Vergl.  auch  CM  H:  310,  311,  318;  111:12. 

4)  IA  III : 203.  5)  IA  m 1 182-3.  6)  Tab.  II : t**.f . 

7)  Tab.  III : rru — 1 , Wo , 1-6. 

8)  Burckhardt,  Bedouins  1 : 297.  9)  ibid.  959—60. 


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derselbe  schon  recht  bedeutend ; als  747  beim  Haddj  eine  chäri- 
djitische  Bande  aus  Siidarabien  die  Fahne  der  Empörung  erhob  *), 
wusste  der  Statthalter  Mekka’s  keinen  besseren  Ausweg  als  die 
Sendung  angesehener  Vermittler,  unter  diesen  Abdallah,  den 
Urenkel  Hasan’s  II.  Mekka  fiel  ohne  Kampf  in  die  Hände  des  Chä- 
ridjiten;  Medina  widerstand  etwas  länger;  es  sollen  700  « Sawiq - 
triuker”  gefallen  sein.  Der  Empörer  wurde  aber  von  Merwäns 
Truppen  geschlagen  und  getödtet;  die  kurze  Herrschaft  der  Rigo- 
risten Hess  in  den  Baramein  keine  Spur  zurück  «). 

Der  Verfall  der  Ouiajjadenherrschall  vereinigte  viele  zerstreute 
Theile  des  Hauses  Muhammeds  zu  gemeinsamer  Opposition ; eine 
erfolgreiche  Mission  wurde  organisiert,  allen  Unzufriedenen  die  Er- 
füllung ihrer  Wünsche  versprochen , wenn  ein  Mann  aus  dem 
»Hause”  zur  Regierung  kommen  würde.  Natürlich  beherbergte 
Mekka  manches  Haupt  dieser  Partei;  auch  wurden  hier  Zusammen- 
künfte gehalten,  in  welchen  man  Agitationspläne  festsetzte ’);  daran 
betheiligten  sich  mit  den  Aliden  die  klügeren  Abbasiden , welche 
dem  Propheten  als  Agnaten  gleich  nahe  standen ; der  Vorzug  Ali’s 
als  Schwiegersohn  Muhammeds  und  der  Aliden  als  Muhammeds 
Nachkommen  musste  der  politischen  Ueberlegenheit  der  Abbasiden 
das  Feld  räumen.  Nach  der  Besiegung  der  Omajjaden  750  nahmen 
diese  die  Beute  ganz  für  sich  in  Anspruch  und  trösteten  ihre  alidi- 
schen  Vettern  mit  der  Aussicht  auf  reichliche  Abfälle  ‘).  Als  der 
letzte  Omajjadenchalif  in  der  entscheidenden  Schlacht  den  abbasi- 
dischen  Führer  erkannte , soll  er  gesagt  haben : »Gäbe  Gott  dass 
»Ali  selbst  mich  an  seiner  Statt  bekämpfte  1 Ali  und  seine  Söhne 
»haben  ja  keinen  Autheil  an  dieser  Herrschaft !”  *) 

Die  nächste  Folge  der  Abbasidenherrschaft  für  die  Baramein  be- 
stand darin , dass  während  der  Blüthezeit  dieser  Dynastie  die  Statt- 
halter meistens  Prinzen6)  aus  dem  fürstlichen  Hause,  sonst  aber 


1)  IA  V : S85  ff ; CM  n : 179  336,  Jn'qflbi  II : 406.  8)  IA  V : 886. 

3)  IA  V : 858,  264;  Tab.  lU:lft“ff.;  vergl.  auch  Ja'qübi  11:392. 

4)  Vergl.  oben  8.  32  Arnn.  3.  6)  Tab.  HI  :r.f . 

6)  D.  h.  nicht  gerade  Söhne  von  Chalifon , sondern  Mitgiiodor  des  sehr  zahlreichen  Ab- 
basidongeschieohta. 


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andere  ihnen  nahe  stehende  Personen  waren  ').  Medina  blieb  in 
politischem  Sinne  der  Hauptposten,  Mekka  hatte  aber,  gewöhnlich 
mit  Täif  vereinigt,  manchmal  einen  eigenen  Statthalter;  auch  fungier- 
ten diese  Würdenträger  in  der  Regel  als  Anführer  des  Haddj. 

Die  Unzufriedenheit  der  Aliden  äusserte  sich  bald  überall,  wo 
nicht  Schwert  und  Gift  der  Abbasiden  sie  niederhielten,  in  Unru- 
hen und  Empörungen;  in  Westarabien  zuerst  762  unter  Man?ür. 
Abdallah , das  Haupt  der  Hasaniden  in  der  Umgegend  von  Medina , 
hatte  den  neuen  Chalifen  für  ihre  Schenkungen  Ruhe  versprochen, 
obgleich  er  und  seine  Söhne  behaupteten , von  Manijür  betrogen  zu 
sein,  da  dieser  früher  einem  von  jenen,  dem  Muhammed*),  ira  Ge- 
heimen gehuldigt  habe5).  Solche  prinzipielle  Beschwerden  machten 
sich  aber  nur  dann  geltend,  wenn  man  glaubte,  mehr  als  den 
»Rest  der  Beute"  erzielen  zu  können4);  die  beiden  Söhne  Abdal- 
lahs, Muhammed5)  und  Ibrahim5),  glaubten,  ihre  Zeit  sei  gekom- 
men , sich  zu  solchem  Zwecke  in  Arabien  und  ‘Iräq  eine  aktive 
Partei  zu  bilden*):  Muhammed  blieb  in  Medina,  Ibrahim  reiste 
nach  Küfali;  sobald  Beide  fertig  waren,  sollte  Muhammed  als  Chalif 
proklamiert  werden.  Kaum  hatte  Man?ür  davon  Wind  bekommen, 
da  ordnete  er  gegen  die  Brüder  eine  so  energische  Verfolgung  an , 
dass  sogar  Muhammed  sich  manchmal  bei  den  ihm  ergebenen 
Stämmen  am  Radhwa-berge  nicht  ganz  sicher  wusste 7).  Die  Hetzjagd 
zwang  die  Zaudernden,  hervorzutreten;  IbrSbim  erschrak  vor  einem 
bösen  Vorzeichen*)  und  behauptete,  nur  ungern  Krieg  zu  führen*); 
Muhammed  gewann  zwar  mit  Leichtigkeit  Mekka,  erlag  aber  noch 
eher  als  sein  Bruder  dem  allgemeinen  Schicksal  alidischer  Präten- 
denten. Bemerkung  verdient  es,  dass  die  geistigen  Erben  der  »Ge- 


1)  CM.  II  : 181  ff.  zählt  die  Gouverneure  der  nächstfolgenden  Poriode  auf;  auch  hier 
habe  ich  dio  Angaben  Tab.’s  und  IA*s  verglichen,  führe  dieselben  aber  nur  an,  wenn  be- 
sondere Gründe  dazu  vorhandon  sind. 

2)  Vergl.  Stammtafel  1,5.  3)  Tab.  HL  : lf  P ff. ; OT  (D)  82  ff. 

4)  Vergl.  Ja'qübl  II : 432—3. 

5)  Vergl.  Stammtafel  I,  5,  6;  Muhammed  hatte  dio  Zunamen:  „der  Mahdi”  und  „die 
reine  Seelo.” 

6)  Vergl.  ausser  den  eben  angeführten  Stellen  Ja'qübi  II : 441  f.,  450  ff. 

7)  Tab.  111:111,  11a  ff.  8)  Tab.  HI: Ml. 

Tab.  m -.nr. 


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41 


nossenpartei”,  die  Imäme  der  orthodoxen  Gesetzeskunde,  Abu 
Hanifah  und  Mälik  dieser  alidischen  Bewegung  durch  ihre  Autorität 
Vorschub  leisteten.  Mehr  noch  als  die  Omajjaden  waren  die  Abba- 
siden  genöthigt,  auf  die  Aliden  Rücksicht  zu  nehmen1);  nament- 
lich die  Haramein  erschienen  dem  Chalifen  Mamjür  und  seinen 
Nachfolgern  daher  als  eine  höchst  schwierige  Provinz.  Die  von 
dem  Chalifen  Mahdi  783  neu  eingerichtete  Post  über  Medina  nach 
Mekka  und  Jämön s)  sollte  wohl  in  erster  Linie  den  Verwaltern 
ihre  Aufgabe  erleichtern.  Dies  verhinderte  nicht,  dass  drei  Jahre 
darauf  wieder  ein  Hasanide  aus  der  Gegend  von  Medina,  Husain 
ibn  Ali 3)  aus  Jambu',  die  heiligen  Städte  mit  roher  Gewalt  heim- 
suchte *).  Sei  es , dass  die  Unzufriedenheit  wegen  Verminderung  der 
Alidengehiilter  auch  ihn  ergriffen  hatte,  oder  dass  wirklich  Aerger 
wegen  der  Bestrafung  eines  weiutrinkenden  Verwandten  der  Haupt- 
grund war,  786  zog  er  in  Medina  gegen  die  Abbasiden  aus,  und 
als  er  von  dort  vertrieben  wurde,  ging  er  mit  seinen  Anhängern 
nach  Mekka.  In  Medina  soll  er  schlimm  gehaust  haben , obgleich 
die  schfitische  Tradition  ihn  als  einen  Heiligen  darstellt;  in  glei- 
cher Weise  wurden  fast  alle  alidischen  Empörer  nach  ihrem  Tode 
verherrlicht,  und  die  spätere  orthodoxe  Tradition  ist  auch  in  dieser 
Beziehung  durch  und  durch  schfitisch.  Der  Anführer  des  Haddj 
von  Seiten  der  Abbasiden  grill  den  Heiligen  bei  dem  */»  Stunde 
von  Mekka  entfernten  Orte  Fachch  an  und  tödtete  ihn  und  viele 
seiner  Anhänger;  daher  ist  dieser  Hasanide  in  der  Geschichte  als 
»der  Märtyrer  von  Fachch”  berühmt  geworden.  Der  Ort,  wo  er  mit 
den  Seinigen  fiel  und  begraben  wurde,  wird  bis  zum  heutigen  Tag 
von  den  Mekkanern  heilig  gehalten ; er  heisst  jetzt  es-Schühadä  (die 
Märtyrer);  viele  Städter  haben  dort  ihre  Sommerfrische,  aber  nur 
Gelehrte  wissen , welchem  Ereigniss  der  Ort  seinen  Namen  verdankt  *). 

1)  Tab.  m : nr . 2)  Vgl.  z.  B.  Tab.  III , SM  , alv . 3)  Tab.  III : alv . 

4)  Vergl.  Stammtafel  I,  II. 

6)  Tab.  UI  ;aal  ff.,  cf.  U VI:60f;  CM  1:435,  501-2;  11:185,  212-3;  Ja'q&bi 
H 488  ff.;  OT  <M*.)  22  - 23  r°. 

6)  NB!  der  heutige  Grossscherif , ein  ziemlich  belesener  Mann,  kannte  die  Geochichto 
nicht  einmal.  Die  meisten  heutigen  Mekkancr  glauben,  Abdallah  ibn  Omar  sei  dertbegnt- 

• 


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42 


Der  Prophet  soll  einmal , als  er  an  Fachch  vorbeikara , gesagt 
haben;  //Hier  wird  ein  Mann  aus  meinen  Hause  mit  seinem  gliiu- 
//bigen  Anhang  getödtet  werden ; vom  Himmel  werden  Leichen- 
»kleider  und  Wohlgerüche  für  sie  herabkommen ; ihre  Geister 
»werden  ihren  Körpern  vorangehen  ins  Paradies!” 

Die  Bevölkerung  Mekka’s  nahm  schon  an  diesem  Kampfe  so  gut 
wie  gar  keinen  Antheil;  die  enormen  Geldsummen,  welche  die 
Abbasiden  in  den  Haramein  verschwendeten,1)  verfehlten  ihren  Ein- 
fluss auf  den  Charakter  dieser  Städter  nicht.  Zusammen  mit  den 
oben  (S.  31)  angedeuteten  Umstanden  machten  diese  Gaben  aus 
der  Mehrzahl  der  Mekkaner  eine  wenig  gebildete,  aber  sehr  ein- 
gebildete Gesellschaft,  welche  sich  in  dem  öden  Gottesthale  be- 
rechtigt glaubte,  auf  Kosten  der  mehr  begüterten  Muslime  zu 
leben,  von  den  Gewalthabern  Alles  zu  fordern  und  dagegen  nicht 
einmal  Gehorsam  zu  leisten , immer  zum  Aufruhr  geneigt  und  im 
Grunde  dennoch  feige.  Die  Reichthümer,  mit  denen  namentlich 
Harun  ar-Raschld  auf  seinen  9 Pilgerzügen  um  sich  warf,  zogen 
auch  viele  Fremde  nach  der  heiligen  Stadt  und  beschleunigten  die 
Zersetzung  der  Reste  altmekkanischen  Wesens.  Ohne  Anstand  konnte 
Härün  einen  fr  eigelassenen  Berbersklaven  als  Gouverneur  nach 
Mekka  senden  *).  Die  Umgestaltung  der  beiden  altarabischen  Städte 
in  Wallfahrtsorte  des  Islam’s  lässt  sich  sehr  gut  an  einem  litterari- 
schen  Streite  beobachten,  der  unter  der  Regierung  Amins  (809 — 13) 
stattfand  ’).  Der  abbasidische  Prinz , der  damals  die  Haramein  ver- 
waltete, verlegte  seinen  Sitz  von  Medina  nach  Mekka,  und  liess 


ben.  Als  man  dem  Chalifon  den  Kopf  dos  heiligen  Rebelion  überreichte,  soll  er  sehr 
zornig  geworden  sein  (Tab.  III : eie);  gleiche  Entrüstung  zeigte  Jozid  beim  Empfange  des 
Kopfes  Husains  (Tab.  II : !**6a). 

1)  Vorgl.  z.  B.  CM  DI:  99,  111. 

2)  CM  1:397;  II  :40,  18C;  Tab.  ffi:vl*41 — f<.  Höchst  wahrscheinlich  wäre  es  ihm  da- 
gegen schon  sehr  übel  geuommon,  wenn  er,  wie  soino  omajjadischen  Vorgänger  dies  thaten, 
christliche  Architekten  nach  Mekka  geschickt  hätte. 

3)  MK  97  ff. ; AD  9.  Etwas  zu  stark  heisst  es  M'.  Leid.  2021 , fol.  90  r° : „Soit 
„dem  Jahre  200  dor  H.  waren  die  qnraischitischcn  Einwohner  Mckka's  durch  die  immer 
„wioderkehreuden  alidischen  Aufstände  zunichte  goworden,  und  Mekka  enthielt  statt  der 
„Quraisch  nur  dio  Anhänger  der  Hasaniden,  einen  Mischmasch  von  Leuten,  hauptsäch- 
lich aus  Abjssinien  und  Zeile'  horstammende  Freigelassene." 


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43 


dort  seinen  Sohn  als  Stellvertreter  zurück.  Vielleicht  that  er  dies 
aus  persönlichen  Gründen,  möglich  ist  aber,  dass  er  selbst  die 
Aufgabe  erfüllen  wollte,  den  in  der  Ka'bah  aufgehängten  Vertrag 
zwischen  Amin  und  Mamün  herauszunehmen  und  zu  verbrennen; 
genug,  die  Medinenser  äusserten  ihren  Unwillen  in  einem  Gedichte, 
welches  die  Vorzüge  ihrer  heiligen  Stadt  vor  Mekka  betonte.  Die 
Mekkuner  bekämpften  ihrerseits  in  einem  Gedichte  diese  Anrnaa- 
ssung;  erst  ein  Dichter  aus  Djiddah  stellte  das  richtige  Maass  wie- 
der her.  Mamün  freute  sich  über  das  glückliche  Vorzeichen , dass 
ihn  gerade  von  den  heiligen  Städten  die  erste  Huldigung  erreichte '). 

Die  Regierung  Mamüns  (813— -33)  war  eine  Zeit  von  alidischen 
Ausschreitungen,  namentlich  im  liidjäz  *)  und  in  Jemen.  Ein  815 
in  Hräq  als  Vertreter  bald  dieses,  bald  jenes  Aliden  hervorgetrete- 
ner Feldherr  schickte  einen  Hasaniden  nach  Medina  und  den 
Hasaniden  Husain  al-Aftas  nach  Mekka s).  Medina  wurde  ohne 
Kampf  gewonnen , und  aus  Mekka  zog  sich  der  abbasidische  Statt- 
halter zurück;  als  gleich  darauf  Ibrahim  ibn  Müsa,  der  Bruder 
jenes  Aliden,  den  Mamün  in  seiner  schfitischen  Periode  zu  seinem 
Nachfolger  ernannte,  in  Jemen  einzog,  wurde  ihm  gleichfalls  kein 
Widerstand  geleistet.  Er  hauste  hier  in  einer  Weise,  die  ihm  den 

1)  Tab.  ni:AT. 

2)  Ich  gebrauche  diesen  Namen  hier  und  fernerhin  in  dem  boi  uns  üblichen  (eigentlich 
anrichtigen,  vgl.  meinen  Berliner  Vortrag,  S.  138  Anin.)  Sinn  von:  Provinz  der  heili- 
gen Städte. 

3)  Tab.  HI : IaI  ff. ; IA  VI : 215,  CM  II : 238.  Die  Namen  der  Husainiden,  wclcho  hier 
für  uns  von  Interesse  sind,  findet  man  in  folgender  Tafel  fett  gedruckt: 

Ali  X Fatimah 

„I 

Hämin 

I 

Ali 

| 

Muhammed  Ali 

I I 

Dja'far  ao-C8diq  Hasan 

, | , I 

Husain  al-Afta« 

MlUa  Muhammed  nd-Dihüdj 


Ali  Kidha  Ibrahim 


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Beinamen  »Schlächter”  zuzog1);  Husain  al-Aftas  nahm  inzwischen 
das  in  der  Ka'bah  vorhandene  Gold  und  plünderte  die  Mekkaner 
unter  dem  Vorwando,  die  ihnen  geraubten  Güter  seien  Pfände  der 
Abbasiden  *).  Da  er  nun  die  Nachricht  vom  Tode  seines  Senders 
in  'Iräq  erfuhr , huldigte  er  dem  in  Mekka  anwesenden  Muhammed 
ad-Dlbädj,  in  dessen  Namen  er  auch  ferner  wahre  Schandthaten 
verübte.  Die  alidischen  Schriftsteller  behaupten , Muhammed  selbst 
sei  unschuldig  gewesen;  dem  widerspricht  aber  allerlei.  Endlich 
wurde  dem  Terrorismus  durch  eine  Armee  Mamüns  ein  Ziel  ge- 
setzt; Muhammed  und  seine  Anhänger  mussten  fortziehen.  Als  er 
am  Berge  Radhwa  eine  Zuflucht  gefunden  hatte , fing  er  gleich  an , 
von  dort  aus  gegen  Medina  zu  agieren;  schon  816  musste  er  aber 
Mamün  um  Verzeihung  bitten,  welche  dieser  ihm  gewährte. 

Gegen  den  »Schlächter”  lbrählm , dessen  Bruder  jetzt  schon  als 
Thronfolger  galt,  musste  818  der  neue  Statthalter  Mekka’s  die  Stadt 
zur  Gegenwehr  in  Stand  setzen,  und  auch  diesmal  hielten  dazu, 
wegen  Mangel  an  anderen  Mitteln , die  heiligen  Schätze  her  ’).  Der 
Schlächter  eroberte  die  Stadt,  musste  aber  bald  nach  Jemen  zurück- 
kehren und  verlor  dann  die  kaum  erlangte  Herrschaft.  Ausser  in 
diesen  Raub-  und  Mordscenen  zeigte  sich  Mamüns  Abhängigkeit  von 
den  Aliden  noch  darin , dass  er  zwei  Nachkommen  Ali’s  als  Gou- 
verneure über  Mekka  einsetzte  *).  Tiefe  Wurzeln  hatte  die  Aliden- 
verehrung  schon  geschlagen , da  die  Ritter  sich  ohne  Bedenken 
über  alle  Schranken  der  Religion  hinwegsetzen  durften,  auf  welcher 
gerade  ihr  Adel  beruhte. 

ln  der  60jährigen  Periode  nach  dem  Tode  Mamüns  eilt  das 
Abbasideureich  seiner  Auflösung  entgegen.  Die  Chalifen  behaupten 
sich  zuerst  durch  stetige  Vergrösserung  ihrer  Privatarmee  von  Tür- 
kensklaven , werden  aber  dadurch  von  diesen  Banden  und  ihren 
Anführern  ganz  abhängig,  bis  zu  Anfang  des  10ten  Jahrhunderts 


1)  CM  n : 189,  190,  239.  2)  CM  1, 172-3;  T»b.  HI , l.w— 1 . 

3)  CM  1: 168;  JVqöht  II ; 514. 

4)  CM  TI  • 191 — 2;  Tab.  111:1.1*1.  Andere  alidische  Bewegungen  in  Jemen  unter 
Mamün  Tab.  HJ:  I.W— I“. 


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45 


Letztere  als  Fürsten  das  Centrum  des  Reiches  verwalten  und  ihren 
Herren  nur  den  Namen  übrig  lassen.  Damit  ging  eine  rasche 
Decentralisation , die  Entwickelung  der  grössten  Provinzen  zu  selb- 
ständigen Reichen  Hand  in  Hand.  Endlich  regten  sich  in  der  all- 
gemeinen Verwirrung  die  Aliden  freier  und  kräftiger  als  zuvor , 
während  durch  all  diese  Unruhen  die  Verkehrswege  unsicher  wurden 
und  die  Fälle  von  Hungcrsnoth  und  Theuerung  sich  häuften.  Von 
alledem  bekam  Mekka  seinen  Antheil. 

Administriert  wurde  die  Stadt  allerdings  noch  meistens  von 
abbasidischen  Prinzen  niedrigeren  Ranges,  und  diese  leiteten  auch 
das  Haddj;  wie  sehr  dieses  Amt  aber  herabgesunken  war,  zeigt 
schon  die  Thatsache,  dass  zwischen  ihnen  und  dem  Chalifen  häu- 
fig andere  mit  der  Statthalter-  oder  vielmehr  Vasallenwürde  beklei- 
dete Personen  als  ihre  Vorgesetzten  auftraten.  Manchmal  (z.  B.  in 
den  Jahren  847  '),  868  *)  und  870  ’)  waren  dies  fürstliche  Prinzen, 
denen  wohl  nur  der  Titel  zu  Theil  wurde;  mehr  Bedeutung  hatte 
es,  dass  der  Chalif  den  türkischen  Heerführern  Aschnäs*)  und 
Itäch8),  als  sie  841  und  849  nach  Mekka  pilgerten,  die  Ober- 
hoheit über  alle  Provinzen  gewährte , welche  sie  durchreisten : man 
sah  schon , in  welche  Barbarenhände  allmählich  das  Schicksal  des 
Islam’s  gelegt  wurde,  um  so  deutlicher,  da  Aschnäs  den  Sultanstitel 
fülirte  •).  Auch  bekamen  die  Mekkaner  schon  wiederholentlich  den 
Vorgeschmack  des  Elends , welches  der  Mangel  einer  kräftigen  cen- 
tralen Autorität  dieser  internationalen  Stadt  bereiten  sollte.  Der 
//Scheusliche,”  der  als  Pseudo-alide  seit  869  7)  mit  seinen  schwar- 
zen Sklavenbanden  Ostarabien  und  cIräq  verheerte,  wusste  zweimal 
(879  und  882)  durch  seinen  Vertreter  die  faktische  Oberhoheit  über 
Mekka  zu  gewinnen,  und  der  Feldherr,  der  ihn  beide  Male  ver- 
trieb, war  selbst  nicht  gerade  immer  der  gehorsame  Diener  des 
Chalifats').  Ein  anderes  Mal  (883)  waren  es  einerseits  die  Trup- 

1)  Tab.  UI=  «VI  CM  1 = 240  cf.  209. 

2)  CM  n : 196.  3)  Tab.  HI : Lf  I— r . 

4)  Tab.  III : Ma— 1.  B)  Tab.  111 : ItV“ . 

6)  So  heisst  es  wenigstem  CM  Ul : 127.  7)  Tab.  1U : Ivf  f ff. 

8)  Tab.  Ufr;  CM  ü:  201. 


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pen  des  unter  bloss  nomineller  Oberhoheit  des  Chalifen  Egypten 
beherrschenden  Tuluniden , andererseits  die  Vertreter  der  Autorität 
des  in  Persien  noch  selbständigeren  ^affariden , welche  sich  beim 
Uaddj  in  den  Strassen  Mekka’s  wegen  des  Vorranges  bekämpften  ’); 
die  Zeit  war  vorbei , wo  Alle  sich  beim  Pilgerfeste  um  die  eine 
Fahne  des  Chalifen  schaarten ; was  früher  Ausnahme  war  *),  wurde 
fast  zur  Regel , dass  sich  nämlich  auf  der  Ebene  von  'Arafat  mehrere 
Banner  von  konkurrierenden  Fürsten  entfalteten , und  nur  selten 
blieb  die  heilige  Stätte  dabei  vom  Kampf  verschont.  Ob  denn  die 
Bevölkerung  Mekka’s  selbst  sich  zu  alledem  bloss  passiv  verhielt? 
Nicht  ganz;  namentlich  beim  letztgenannten,  blutigen  Kampfe 
betheiligten  sich  gewisse  Mekkaner  ganz  energisch,  und  im  Hin- 
blick auf  die  öfter  berührte  allmähliche  Umgestaltung  der  Ein- 
wohnerschaft ist  es  interessant  zu  erfahren , wer  diese  waren.  Im 
alten  Mekka,  auch  in  den  ersten  Jahren  des  Islam’s,  hätten  in 
solchem  Falle  die  edelsten  Geschlechter  der  Quraischiten  ihre  Rolle 
gespielt;  jetzt  war  die  Frage,  für  welche  von  den  Parteien  die 
Fleischer-  und  die  Getreidehändler zunft  eintreten  würden , und  ihre 
Hülfe  wurde  den  Egyptern  für  tjutes  Geld  zu  Theil.  Einige  Jahre 
früher  hatten  die  beiden  Zünfte  mit  einander  in  der  heiligen  Stadt 
gekämpft  und  sich  kaum  zu  einer  Waffenruhe  während  des  Haddj 
überreden  lassen  *),  und  ein  Jahrhundert  später  benutzte  das  näm- 
liche Gesindel  die  Namen  der  SchFah  und  Sunnah  als  Anlass  zu 
Raufereien 1 * 3  4).  Die  politischen  Missstände  brachten  aucli  für  dieses 
arme  Land  Jahre  des  Hungers  (z.  B.  874  und  880)  mit  sicli '); 
ausserdem  streiften  im  Hidjäz  und  auf  den  Pilgerstrassen  raub- 
süchtige Beduinen*).  Daher  wurde  regelmässig  ein  Statthalter  mit 
der  Sorge  für  die  Sicherheit  des  Mekkaweges  beauftragt T);  man 


1)  Tab.  III:  tut“—  f ; CM  II:  198  f,  240;  nach  Tab.  HI : lt“r  hätte  auch  schon  iwei 
Jahre  vorher  ein  ähnlicher  Kampf  stattgehabt. 

9)  Vergl.  oben  8.  29,  39. 

3)  Tab.  IM  : 'I.a,  CM  n s 240;  1 : 348.  JH : 145. 

4)  Mokaddasi  102,  cf.  CM  II  =14.  5)  CM  II:  310,  Tab.  HI : IaaI. 

6)  Tab.  III : irTo  ff.,  llff , Hfl ; CM  H : 240. 

7)  Tab.  III:  lt“o1 , UV. 


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findet  dies  Amt  sachgemäss  mit  der  Statthalterschaft  der  öst- 
lichen Provinzen  Arabiens  vereinigt *).  Die  Aliden  Arabiens , wel- 
che auch  gelegentlich  das  Pliindern  zu  den  ihnen  gebührenden 
Abfallen  rechneten,  thaten  sich  bei  jenen  Raubzügen  energisch 
hervor. 

Während  der  Regierung  des  Chalifen  Mutawakkil  (843 — 61) 
war  cs  z.  B.  ein  Hasanide  aus  der  uns  bekannten  Familie  des 
Llasan  II , Muhammed , der  Dichter  *)  genannt , welcher  den  Pil- 
gerzügen gewerbsmässig  den  Weg  verlegte.  Rücksichtlich  einer  der 
von  ihm  verübten  Plünderungen  liegt  uns  eine  hübsche  Erzählung 
vor s) : eine  vornehme  Pilgerinn  aus  Baghdad , die  im  Namen  sei- 
nes erlauchten  Ahnen,  des  Propheten,  sein  Erbarmen  erflehte, 
bewegte  sein  Herz  dermaassen,  dass  er  ihr  alles  Geraubte  schenkte 
und  ohne  Beute  heimkehrte.  Später,  als  er  seine  Sünden  im  Ker- 
ker Mutawakkiis  büsste,  kam  ihm  dies  zu  statten.  Die  Dame  be- 
suchte ihn  häufig  und  wusste  es  zu  vermitteln , dass  ein  Lobgedicht 
vom  poetischen  Räuber  auf  Mutawakkil  Letzterem  überreicht  und 
der  Dichter  infolge  dessen  begnadigt  wurde. 

Allüberall  regten  sich  inzwischen  die  Aliden ; sie  gaben  ihre 
Stimme  bei  der  Wahl  des  Nachfolgers  Mutawakkiis  *)  ab , und  die- 
ser lohnte  ihnen  mit  einem  Reskript  an  seinen  Statthalter  in  Me- 
dina, welches  die  Weisung  enthielt,  die  Aliden  recht  gut  zu  be- 
handeln 5).  Seit  864  folgt  in  'Iräq  eine  alidische  Empörung  der 
anderen  *),  und  gleichzeitig  ersteht  in  Tabaristan  mit  Hülfe  der 
durch  Aliden  islamisierten  Dailamiten  eine  bedeutende  hasanidische 
Dynastie’).  Natürlich  ging  Mekka  nicht  leer  aus.  Isnm'Il  ibn  Jüsuf*), 
wieder  ein  Abkömmling  Hasan ’s  II,  fiel  865  in  Mekka  ein  *), 

1)  Tab.  881  bekam  eiu  emfluasreichor  Beäuinenschech  (von  den  Tajj)  dieses  Amt 

Tab.  in . rt  .1 . 

2)  Vergl.  Stammtafel  I,  16.  3)  OT  (D)  95—7,  (M>.)  16  r°  — v°. 

4)  Tab.  in : te.r.  5)  Tab.  IH  : Ifll . 

6)  Tab.  HI : lote  ff.,  IHvff.,  tv.1,  UM. 

7)  Tab.  lUiteir— IT,  10*0—1,  l*W— f,  1111“— f,  |Af.,  Im.,  Uaf  ff.,  Ilf . . 

8)  Vergl.  Stammtafel  I,  20. 

9>  Tab.  m.llff— o,  11*1;  Ja'qöbt  0:609-10;  CM  1:343,  II ; 10,  195,  239-40, 
111:145;  OT  (I))  91-2  (M»)  12  t°. 


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verjagte  den  abbasidischen  Statthalter,  plünderte  dessen  Wohnung 
und  die  Häuser  aller  Regierungsfreunde,  nahm  Alles,  was  sich  an 
Werthsachen  in  der  Ka'bah  faud,  und  eine  eben  aus  Baghdad  ein- 
getroffene Geldsumme  für  die  Ausbesserung  der  Wasserleitung,  be- 
gab sich  dann  nach  Medina , wo  er  in  ähnlicher  Weise  seine  Adels- 
rechte geltend  machte,  kam  abermals  nach  Mekka  zurück,  besuchte 
auch  Djiddah,  um  dort  den  Kaufleuten  und  Schiftern  ihre  Habe 
zu  nehmen , und  feierte  zum  Schluss  das  IJaddj  allein  mit  seiner 
Gesellschaft,  da  kaum  ein  Mekkaner  sich  herauswagte.  Nachdem 
ihn  die  Pocken  866  weggerafft , setzte  sein  Bruder  Muhammed  >) 
sein  Werk  fort,  wurde  aber  bald  von  einer  Armee  des  Chalifen  in 
die  Flucht  geschlagen  und  zog  nach  der  Provinz  Jemämah.  Hier 
hatte  er  besseres  Glück , denn  bei  seinem  Tode  hinterliess  er  den 
Seinigen  die  erbliche  Würde  des  Emirs  *).  Man  ersieht  aus  dieser 
Geschichte,  wie  wenig  rücksichtsvoll  die  Mekkaner  von  dem  neuen 
Adel  des  Landes  behandelt  wurden.  Die  Bevölkerung  der  heiligen 
Städte,  deren  Parteinahme  zur  Grösse  der  Aliden  mitgewirkt  hatte , 
war  eben  nur  noch  durch  wenige  Geschlechter  vertreten ; die  Uebri- 
gen  waren  Städter  von  der  Art,  auf  welche  alle  echten  Araber 
mit  Verachtung  herabsehen.  Letztere , namentlich  die  Beduinen , 
bildeten  längst  den  hauptsächlichen  Anhang  der  Aliden;  von  den 
Bewohnern  der  heiligen  Städte  verlangten  diese  nicht  viel  mehr  als 
Furcht  und  Gehorsam. 

Gegen  mehrere  Verwandte  Ismails  sah  sich  der  Chalife  veran- 
lasst einzuschreiten ; 869  liess  er  dessen  Oheim  Müsa  II s)  in  Su- 
waiqah  auf  heben , und  nach  Baghdad  führen 4).  Als  unterwegs 
Beduinen  zu  seiner  Rettung  anrückten,  soll  ihn  sein  Begleiter 
vergiftet  haben  ; die  Araber  befreiten  aber  seinen  Sohn  Muhammed  *), 
den  Stammvater  fast  aller  //Scherife  von  Mekka.”  Kurz  darauf 
ward  Medina  auf  einige  Jahre  der  Schauplatz  eines  Kampfes  um 
die  Herrschaft  zwischen  Hasaniden,  Husainiden  und  Djaffariden  *). 
Es  ist  leicht  abzusehen , wie  eng  das  Schicksal  des  Hidjäz  bei  der 

1)  Stammt.  I,  81.  8)  Vergl.  oben  S.  37. 

3)  Stammtafel  I,  13.  4)  OT  (D)  106-7. 

6)  Stammtafel  1,  18.  6)  Tab.  III : llf I , f./T—f,  ri.o . 


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weiteren  Desorganisation  des  Chalifenreiches , mit  der  Geschichte 
jener  drei  Familien  verknüpft  werden  sollte.  Zunächst  drängt  aber 
eine  andere  Gewalt  diese  Wirkung  noch  ein  wenig  zurück.  In  dem 
Bericht  über  das  Ende  der  eben  besprochenen  Periode  von  unge- 
fähr 60  Jahren  (891)  finden  wir  die  ersten  Angaben  über  die 
Qarmatensekte  ■). 

Die  innere  Geschichte  dieser  neuen  Religionsgemeinde  bleibt  uns 
verborgen,  da  fast  nur  höchst  parteiische  Berichte  von  Gegnern 
vorliegen.  Soviel  steht  aber  sicher,  dass  die  Bewegung  ursprüng- 
lich eine  pseudo-alidische  war,  d.  h.  für  ihre  Zwecke  schfütische 
Neigungen  ausbeutete,  und  dass  sie  in  einer  esoterischen  und 
exoterischen  Lehre  die  Mittel  besass,  sich  verschiedenen  religi- 
ösen und  abergläubischen  Bedürfnissen  anzubequemen.  Für  un- 
seren Zweck  haben  wir  es  bloss  mit  der  negativen  Seite  der 
Qarmatenbewegung  zu  thun : nicht  was  die  Führer  gründen , son- 
dern was  sie  vernichten  wollten,  interessiert  uns  hier;  und  dar- 
über herrscht  kein  Zweifel.  In  ‘Iräq  und  Persien,  in  Syrien, 
Süd-  und  Ostarabien  (Jemen  und  Bahrain),  überall  bekämpfen  die 
Qarmaten  den  officiellen  Islam , und  überall  ist  ihr  nächstes  Ziel 
die  Zerstörung  des  Abbasidenchalifats , welches  sie  immer  noch  als 
den  politischen  Hort  der  bekämpften  Religion  betrachten.  In  kurzer 
Zeit  erreichten  sie  glänzende  Erfolge,  und  als  sie  in  Bahrain  ein 
mächtiges  Reich  gegründet  hatten,  glaubten  sie  dem  zuckenden 
abbasidischen  Körper  auch  in  Mekka  einen  empfindlichen  Stoss 
versetzen  zu  müssen.  Wenn  sie  einmal  durch  die  That  bewiesen , 
dass  Mekka  sich  keines  speciellen  Schutzes  von  Allah  rühmen  durfte , 
wenn  sie  den  Fetisch  der  arabischen  Religion , den  schwarzen  Stein , 
siegend  davontrügen,  so  hätte  der  Islam  eine  unheilbare  Wunde 
im  Herzen.  In  dieser  falschen  Erwartung  verlegten  sie  nun  zunächst 
von  916  an  den  Pilgerzügen  den  Wegs);  diese  waren  bekanntlich 
längst  an  keine  ullzugrosse  Sicherheit  gewöhnt,  und  hatten  zuletzt 


])  Tab.  III : fiff — I". . Vcrgl.  über  die  Geschichte  der  Qarmaten:  M.  3.  de  Goeje, 
Memoires  d’  histoire  et  de  giograpbio  orientales  (2.  cd  ) , N°  1,  Leide  1886. 

8)  De  Goeje,  Lo.  S.  84— 5. 

7 


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50 


von  Seiten  der  Tajj -stamme  mehrere  Angriffe  erlitten  ').  Jetzt  wurde 
die  Wallfahrt  manches  Jahr  geradezu  unmöglich.  Die  Anfänge  der 
Qarmatenwirthschaft  (um  891)  eröffnen  für  den  Hidjäz  eine  unge- 
fähr siebzigjährige  Periode  chaotischer  Verwirrung,  die  sich  erst 
von  960  an  allmählich  etwas  klärt.  Die  nominellen  Oberherren  der 
heiligen  Stadt,  deren  wirksame  Autorität  hier  schon  so  äusserst  ge- 
ring war , lebten  in  ihrer  eignen  Residenz  in  so  bedrängter  Lage , 
dass  der  Nothschrei  der  Mekkaner  kaum  ihre  Ohren  erreichte.  Als 
Letztere  906,  durch  die  Machtentfaltung  der  Qarmaten  in  Jemen 
geängstigt,  eine  Gesandtschaft  mit  der  Bitte  um  Hülfe  nach  Bagh- 
dad  schickten , beauftragte  die  Regierung  einen  freigelassenen  Sklaven 
des  Chalifen , der  seit  894  *)  über  Mekka  bestellt  war , mit  einer 
Sendung  nach  Jemen  zur  Niederwerfung  der  Feinde.  Der  nach 
dessen  Tode  910  ihm  in  Jörnen  nachgefolgte  Ihn  Mulähiz  wird  wohl 
nur  desshalb  als  »Sultan  von  Mekka”  bezeichnet,  weil  es  während 
all  dieser  Unruhen  in  Mekka  keinen  Vertreter  des  Chalifen  gab. 
So  blieb  es,  bis  die  Qarmaten  Mekka  eroberten,  denn  auch  der 
berühmte  türkische  General  des  Chalifen , Münis , der  Bekämpfer 
der  Qarmaten,  wurde  zwar  912  u.  A.  mit  dem  Hidjäz  belehnt , war 
aber  nur  Statthalter  in  partibut  ’) ; und  beim  Jahre  918  erfahren 
wir  zufällig,  dass  ein  Qädhl  Muhammed  ibn  Müsa,  welcher  als 
Aufseher  der  letzten  Vergrösserung  der  Moschee  thätig  war,  fak- 
tisch die  Stadt  verwaltete  *).  Die  Chronisten  wissen  nicht  einmal 
genau,  wie  der  Mann  hiess s),  der  diese  Stellung  innehatte , als  930 
zur  Wallfahrtszeit  1500  qarmatische  Krieger  die  Einwohner  und 
Pilger  zu  Tausenden  niedermetzelten , alle  Heiligthümer  entweih- 
ten, den  schwarzen  Stein  aus  der  Ka'bah  herausbrachen  und 
nach  Bahrain  fortschleppten.  Diesen  schrecklichen  Ereignissen  zum 
Trotz  glauben  die  frommen  Muslime  bis  zum  heutigen  Tag , Mekka 
sei  durch  die  Hülfe  Allahs  im  Stande,  jeden  Feind  von  aussen 

1)  Z.  B.  899  und  900,  IA  VII:  338— 9j  Tab.  III : 1*111 . 

2)  CM  II : 202 — 4 zählt  Fäsi  die  ihm  bekannten  Statthalter  dieses  ganzen  Zeitraums 

auf;  der  oben  erwähnte  hiess  ^ (=  -äIm)  ; vergl.  auch  CM  1:342; 

111:144;  Tab.  111 : IT.f , WaI;  IA  VIII : 9^  sein  Tod  IA  VUI  : 47- 

3)  IA  VT.TI : 56.  4)  CM  1 : 344.  5)  Vergl.  de  Goeje,  8. 104 — 5. 


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abzuwehren.  Die  Gelehrten,  welche  allein  von  jener  erschütternden 
Ausnahme  Kenntniss  haben,  erklären  den  Fall  durch  ein  Wunder; 
etliche  hundert  Ungläubige,  sagen  sie , werden  Tausenden  gegenüber 
unwiderstehlich , sobald  der  unergründliche  Wille  Allahs  sie  als  In- 
strumente braucht *).  Wären  die  Mekkaner  nicht  feige  gewesen , und 
hätten  die  Chnlifen  statt  Geld  zur  Erweiterung  der  Moschee  Männer 
nach  Mekka  geschickt,  so  hätte  Allah  sein  Haus  kaum  dieser  Ent- 
weihung preisgegeben. 

Der  Gedanke  einer  Eroberung  Mekka’s  lag  den  Qarrnaten  fern; 
sie  wollten  hier  nicht  reformieren , nur  zerstören , nicht  eigentlich 
Mekka,  sondern  den  Chalifen  und  seine  Religion  treffen;  was  wei- 
ter aus  der  Stadt  wurde,  kümmerte  sie  nicht.  In  ihrer  Erwartung 
von  den  Erfolgen  des  Raubes  des  schwarzen  Steines  sahen  sie  sich 
getäuscht;  die  Ka'bah  blieb  nach  wie  vor  das  Ziel  der  frommen 
Pilger.  Diesen  wurde  noch  einige  Jahre  lang  der  Weg  zum  Hei- 
ligthume  unsicher  gemacht  *);  seit  939  hielten  die  Qarrnaten  es 
aber  für  vortheilhafter , den  Wallfahrern  gegen  hohe  Geldsummen 
den  Durchzug  zu  gestatten  *) , und  im  Jahre  950  lieferten  sie 
sogar  den  schwarzen  Stein  zurück  *).  Einige  muslimische  Historiker 
nennen  vermuthungsweise  einen  Abbasiden  als  den  Gouverneur 
von  Mekka,  der  bei  der  Zurückbringung  des  Steines  zugegen 
war  5).  Damit  sind  ihre  Daten  über  die  Verwaltung  der  Stadt  wäh- 
rend des  ganzen  jetzt  von  uns  besprochenen  Zeitraums  zu  Ende. 
Der  Hidjäz  wurde  bei  der  Zerstückelung  des  Chalifenreichs , vom 
Gesichtspunkte  der  grossen  muslimischen  Politik  betrachtet,  gleich- 
sam ein  herrenloses  Gebiet , das  man  ebenso  wie  den  grössten  Theil 
Arabiens,  als  entlegen  und  unergiebig,  seinem  Schicksal  überliess; 
in  unseren  Tagen  ist  es  ja  mit  dem  Lande,  ausser  einigen  Küs- 
tengegenden und  den  Haramein , ganz  ebenso  bestellt.  Den  Annali- 
sten konnte  es  gleichgültig  sein , wie  die  zahllosen  kleinen  Emirate 
hiessen , welche  dort  in  stetem  Wechsel  und  Kampf  ihr  kurzes  Da- 
sein verbrachten ') . In  Bezug  auf  Mekka  und , wegen  der  Moschee 

1)  AD  17,  vgl.  eine  ähnliche  Erklärung  anderer  Ereignisse,  de  Goeje,  8.98,  Anm.  1. 

2)  de  Goeje,  8.  III  ff.  3)  de  Goeje,  S.  137  ff.,  140. 

4)  de  Goeje,  S.  146.  S)  CM  III:  166. 

6)  Oben  S.  37  sahen  wir  z.  B.,  wie  die  alidisehon  Genealogen  zufällig  eine  Notiz 


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und  der  Grabstätte  Muhammeds,  auch  auf  Medina,  blieb  aber 
die  Ausübung  gewisser  Oberhoheitsrechte  für  die  Fürsten  des  Is- 
lam’s  immer  von  Bedeutung.  Von  jeher  wurde  hier  im  Freitagsgottes- 
dienste für  das  Heil  des  regierenden  Chalifen  gebetet;  dieses  Gebet 
war  in  allen  Ländern  zum  Symbol  des  Gehorsams  der  Bevölke- 
rung geworden , an  diesen  heiligen  Stätten  legte  die  öffentliche 
Meinung  demselben  ausserdem  eine  besondere  Wirkung  bei.  Am 
jährlichen  Pilgerfeste  spiegelten  sich  immer  die  politischen  Zu- 
stände in  der  grossen  Versammlung  in  der  Ebene  'Arafat  ab;  der- 
jenige, dessen  Stellvertreter  hier  als  Führer  auftrat,  war  in  den 
Augen  der  Menge  der  Oberherr  der  Gläubigen;  bedeutenden  po- 
litischen Empörungen  entsprach  auf  diesem  Boden  die  Zertheilung 
der  Pilgermenge  in  verschiedene  Gruppen  je  unter  ihren  Häuptern 
oder  gar  im  Kampf  um  den  ersten  Rang.  Wer  sich  hier  nicht  zu 
behaupten  wusste,  verscherzte  in  allen  muslimischen  Gebieten,  die 
beim  Haddj  vertreten  waren,  einen  Theil  seines  Ansehens.  Die 
Ehre,  Beschützer  der  Uaramein  zu  heissen,  wurde  daher  zum 
Zankapfel  zwischen  den  vielen  selbständigen  Reichen,  welche  auf 
den  Trümmern  des  Chalifats  entstanden ; bei  ihrem  Wettbewerb 
kam  es  vor,  dass  mehrere  konkurrierende  Fürsten  sich  gleich- 
massig  als  die  mächtigsten  Vasallen  des  Chalifen  geltend  machen 
wollten,  während  andere  als  offene  Gegner  des  Schattenchalifats 
hervortraten.  Den  Ausschlag  gab  manchmal  die  Stärke  der  Heeres- 
abtheilungen , welche  die  Fürsten  ihren  Pilgerkaravanen  zum  Schutze 
mitgaben;  nicht  weniger  bedeutend  war  aber  die  Gesinnung  der  Mek- 
kaner  selbst , d.  h.  deijenigen , welche  sich  dort  zur  höchsten  Gewalt 
emporgeschwungen  hatten.  Sehr  einfach  waren  die  Motive , welche  die 
Parteinahme  dieser  Herren  bestimmten : der  Fürst,  der  ihnen  die  gröss- 
ten Geschenke  gab,  dessen  Land  der  heiligen  Stadt  die  meisten  Lebens- 
bedürfnisse zuführte  und  dessen  Macht  sie  am  ersten  erreichen  konnte, 
kurz  der  ihnen  die  grösste  Hoffnung  und  Furcht  einflösste , konnte 
sich  auf  ihre  Zuneigung  verlassen.  Standen  sich  mehrere  in  dieser 

über  ein  Emirat  in  Jomum&h  im  3ten  Jahrhundert  der  üidjrah  bewahrt  haben,  weil 
die  Emire  oiner  grossen  Alidonfainilio  angehörten;  sehr  häufig  heisst  es  in  OT  von  einem 
Alidengeschlechto , dass  soino  Mitglieder  mächtige  Emire  in  dieser  oder  jener  Gegend  vom 
Hidjaz,  von  Jemfen  oder  CentraUr&bien  geworden  seien. 


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Hinsicht  gleich , so  vermittelten  die  Herren  Mekka’s  ein  Abkom- 
men, durch  welches  keine  Partei  sich  für  zurückgesetzt  hielt. 

Die  Wirkung  der  hier  skizzierten  Verhältnisse  fing  in  unserer 
Periode  (891  bis  gegen  961)  erst  an.  Schon  vor  dem  völligen  Zu- 
sammenbruch des  Chalifats,  den  die  Orientalen  auf  936  ')  ansetzen, 
zeigte  sich  unter  den  Tuluniden  die  hervorragende  Bedeutung 
Egyptens  für  den  Hidjäz.  Die  Qarmatenwuth  stellte  dann  aber  eine 
Pause  in  der  Entwickelung  der  auswärtigen  Beziehungen  Mekka’s 
dar.  Gleich  nachdem  die  Wege  nach  der  heiligen  Stadt  wieder 
geöffnet  waren , bekämpften  sich  fast  jährlich  bei  Mekka  die  Führer 
der  Pilgerzüge  aus  Egypten  und  aus  Baghdad:  diese  vertraten  die 
Bujidensultane , welche  die  Abbasidenchalifen  dermaassen  schützten , 
dass  sie  sich  nicht  rühren  konnten ; jene  vertraten  die  in  Egypten 
herrschende  Dynastie  der  Ichschididen , welche  keinem  fremden 
Sultan  zwischen  sich  uud  dem  Chalifen  Hoheitsrechte  zuerkennen 
wollte  Bald  gewannen  diese,  bald  jene  den  Ehrenplatz,  bald 
mussten  sie  sich  (z.  B.  970)  darein  theilen;  auf  die  Dauer  behielt 
aber  Egypten  die  Oberhand , und  der  Osten  musste  sich  seit  981 
sogar  einige  Jahre  gänzlich  von  der  Wallfahrt  zurückziehen.  Die 
egyptische  Macht,  welche  dies  erwirkte,  war  aber  längst  nicht  mehr 
die  der  Ichschididen,  denn  969  hatte  eine  neue,  mächtige  Dynastie 
von  dem  Nillande  Besitz  ergriffen »). 

Seit  dem  Jahre  909  begegnen  wir  in  Westafrika  den  Anfän- 
gen eines  Reiches,  dessen  Gründer  Obaidallah  das  Haupt  jener 
neuen  Religionsgemeinde  war,  zu  welcher  die  Qarmaten  zählten; 
gleichviel  woher  er  stammte:  den  Seinen  galt  er  als  Nachkomme 
von  Ali  und  Fätimah , daher  seine  Dynastie  als  die  der  Fatimiden. 
Seine  Nachfolger  rücken  immer  weiter  nach  Westen  vor,  bis  es 
ihnen  969  gelingt,  Egypten  zu  erobern;  Mu'izz  verlegte  dann 
hieher  den  Sitz  seiner  Regierung.  Der  Zusammenhang  dieser  Fati- 
miden mit  den  Qarmaten  wurde  immer  lockerer,  und  sobald  jene 
zur  politischen  Macht  gelangt  waren , lehnten  sie  ihre  Solidarität 

1)  1A  VIII : 211  f.,  875. 

2)  Vergl.  IA  VIII:  SSO.  S82,  451  j CM  11:843— 4. 

3)  IA  VIII ; 435  , 456. 


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mit  irgend  einer  Partei  in  kluger  Weise  ab1 2 * *).  Schon  918,  also 
längst  bevor  sie  Egypten  eroberten,  suchten  sie  vergebens  ihre 
Stellung  durch  das  Protektorat  der  Uaramein  zu  kräftigen ; iiu  Hidjäz 
traute  man  ihrer  Macht  nicht  genug  s).  Jetzt  aber,  wo  sie  als  ali- 
disebe  Gegenchalifen  den  machtlosen  Abbasiden  und  deren  Buji- 
denerairen  gegenüberstanden , forderten  sie  den  Ehrenplatz  in  Mekka 
als  ihr  Recht.  Im  Jahre  969,  sagen  die  Chronisten,  erwarben  die 
Fatimiden  beim  Haddj  um  theures  Geld  den  ersten  Rang  mit 
Ausschluss  der  Abbasiden,  und  seitdem  gehörte  in  den  Uaramein 
die  Ehre  der  Erwähnung  im  Freitagsgebete  dem  Meistbietenden  ’). 
Dies  gilt  im  weitesten  Sinne;  in  den  nächsten  Jahren  z.  B. 
entschied  der  Kampf  beider  Parteien ; als  aber  die  Mekkaner  976 
beim  Thronwechsel  in  Egypten  mit  der  Huldigung  zurückblieben, 
liess  der  Fatimide  die  Stadt  belagern  und  die  Zufuhren  von  Egypten 
einstellen ').  »Der  Hidjäz  ist  immer  von  Egypten  abhängig  wegen 
der  Lebensmittel”  schrieb  wenige  Jahre  später  ein  Geograph 5) ; 
fand  die  übliche  Nilüberschwemmung  nicht  statt,  so  gab  es  in 
Mekka  ein  Jahr  der  Ilungersnoth  “).  Von  verschiedenen  Seiten 
wurden  der  armen  Stadt  wegen  der  an  und  für  sich  so  unbedeu- 
tenden Ehrenstellung  am  Freitag  und  beim  Haddj  Gaben  und 
Drohungen  entgegengehalten , und  die  lokalen  Autoritäten  ent- 
schieden sich  gewöhnlich  für  das,  was  ihr  persönliches  Interesse 
als  wünschenswerth  erscheinen  liess. 

Wer  waren  aber  diese  Herren , die  von  ihren  //Beschützern” 
allerseits  bald  verlockt,  bald  bedrängt  wurden?  In  dem  siebzig- 
jährigen Zeiträume,  den  wir  jetzt  durchwandert  und  ab  und  zu  auch 
schon  überschritten  haben,  war  diese  Herrschaft  gerade  im  Werden 
begriffen.  Die  Angaben  über  die  Verwaltung  Mekka’s  waren , wie 
wir  sahen,  weniger  als  dürftig;  die  Zustände  wiesen  meistens  auf 
totale  Anarchie  hin.  So  war  es;  aber  solche  Verhältnisse  konnten 
nur  dazu  dienen,  die  Keime  alidischer  Herrschaft,  welche  wir  in 

1)  Vergl.  IA  VIII:«  mU!'  er  O*  v-Äl',  vorgl.  ISO. 

2)  TA  VIII : 83—4.  3)  CM  II : 245,  cf.  MK  «0. 

4)  1A  VIII : 491,  CM  II : 246.  5)  Mokaddasi  104. 

6)  CM  II : 310. 


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früheren  Jahren  im  Hidjäz  beobachteten , zur  Entwickelung  zu 
bringen. 

Wie  hold  lächelte  das  Glück  den  Aliden  in  dieser  Periode!  Im 
Lande  der  Dailamiten  und  Tabaristan  behaupteten  sie  ihre  Macht '), 
welche  schon  897  dem  Chalifen  gewaltig  imponierte  *).  Als  die  dort 
regierenden  Hasaniden  ihren  Verwandten  in  den  Landern  des  Cha- 
lifen grosse  Geldsummen  zuschickten , glaubte  dieser  dagegen  ein- 
schreitcn  zu  müssen;  er  Hess  sich  aber (895) zur  rechten  Zeit  durch 
einen  Traum , in  welchem  ihm  AH  erschien , davon  abhalten  *).  Dieser 
Traum  war  ebenso  zeitgemäss  wie  der,  den  ein  Jahrhundert  später 
der  Chalif  Qädir  träumte,  als  die  Dailamiten  seinen  Vorgänger  des 
Thrones  entsetzten:  auch  ihm  erschien  Ali  und  sprach:  «Diese 
»Herrschaft  wird  dir  zufallen,  und  dein  Leben  dabei  verlängert  wer- 
»den;  thue  aber  meinen  Nachkommen  und  meiner Schfah  wohl!”4). 
Diese  Bedingung  bekam  volle  Geltung,  seitdem  (945)  die  daila- 
mitische  Familie  der  Bujiden  die  unumschränkte  Gewalt  in  Baghdad 
erworben  halte5).  Sie  Hessen  zwar  die  Abbasidenchalifen , welche  sie 
nach  Belieben  ein-  und  absetzten , in  ihrem  Palaste  ein  Zerrbild  der 
alten  Herrschergrösse  darstellen,  zeigten  aber  gleich  durch  allerlei 
Anordnungen,  dass  sie,  wie  alle  ihre  Landsleute,  gute  Schfiten 
waren  *).  Unter  solchem  Schutze  trat  nun  überall  der  bekanntlich 
längst  vorhandene  Einfluss  der  Aliden  unverhohlen  zu  Tage.  In 
Baghdad  machten  die  Sehfiten  bald  herausfordernde  Kundgebungen 
und  entstanden  infolge  dessen  Strassenkämpfe , welche  sich  mehr 
als  anderthalb  Jahrhundert  hindurch  regelmässig  wiederholten7); 
der  Sturm  wurde  sogar  den  Bujiden  selbst  mit  der  Zeit  zu  mächtig, 
und  die  Seldschuken,  welche  ihnen  in  der  Sultanswürde  nachfolg- 
ten, brauchten  lange  Zeit,  bis  die  verwöhnte  »Partei”  sich  wieder 
zur  Ruhe  bequemte.  Der  schon  vorhin  bedeutende  Einfluss  der 


1J  Vorgl.  oben  8.  47;  IA  VIII : 60.  Gl  ff,  78,  «1,  42t,  443. 

2)  Tab.  IH  : fU. 

3)  Tab.  III : flfv ; vergl.  noch  Tlöl , IT.. — I,  17«\,  fftt“ . 

4)  IA  IX  = 57.  5)  IA  VUI : 340. 

fl)  Vergl.  IA  VIII:  403  , 407  , 413  usw. 

7)  Vergl.  z.  R.  IA  IX:  119,  126,  146—7  , 216—7  , 248  usw.  und  IX:  329. 


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Alidenbäupter  auf  die  Chalifeuwahl ')  vermehrte  sich  unter  diesen 
Umständen ').  Schon  vor  der  Bujidenherrschaft  benutzte  man  (z.  B. 
935  ’))  mit  bestem  Erfolge  die  Dienste  der  allgemein  verehrten  Aliden 
zur  Sicherung  des  Lebens  der  Mekkapilger;  die  Wegelagerer  waren 
ja  zum  grossen  Theil  ihre  Verwandten!  Der  Vertrag  von  939,  kraft 
dessen  die  Qarmaten  die  Wege  gegen  gewisse  Abgaben  eröffneten, 
kam  durch  alidische  Vermittelung  zu  Stande;  unter  den  Bujiden 
wurden  die  Häupter  der  Aliden  von  'Iräq  regelmässig  als  Emire 
des  Pilgerzuges  angestellt;  sie  waren  es,  die  in  Mekka  die  Sache 
der  Bujiden  gegen  Ichschididen  und  Fatimiden  verfochten.  In  ihren 
späteren  Kämpfen  gegen  die  Beduinenstämme,  welche  den  Pilger- 
karawanen auflauerten , standen  ihnen  die  mächtigen,  durchaus 
schfitisch  gesinnten 4)  Emire  der  Asadbeduinen  (die  Bern  Mazjad) 
bei 5).  Die  Bujiden  gingen  in  der  Bekleidung  der  Alidenhäupter 
mit  den  wichtigsten  Aemtern  manchem  Chalifen  allzu  weit  •) ; diese 
vergassen  aber,  dass  ohne  solche  Gunstbeweise  jene  ihren  Einfluss 
wahrscheinlich  zum  Nutzen  der  Fatimiden  Egyptens  verwendet 
hätten  7) , und  was  sich  daraus  ergeben  hätte , zeigt  die  Thatsache , 
dass  noch  1058  die  Masse  der  Bevölkerung  'Iräqs  der  Huldigung 
jener  Gegenchalifen  wohl  geneigt  war*).  Immer  mehr  wurde  es 
offenbar,  dass  überall,  wo  die  Centralgewalt  sich  einen  Augenblick 
weniger  merkbar  machte,  die  Aliden  über  die  Volksmasse  verfügten  *). 

Die  Söhne  Ali’s  werden  in  der  anarchischen  Periode,  in  welcher 
sich  ihre  bisher  unterdrückte  Macht  nach  allen  Seiten  hin  entwi- 
ckelte, zuerst  regelmässig  von  den  Chronisten  mit  dem  Titel;  ScAe- 
rifc,  d.  h.  Edle,  bezeichnet.  Früher  hiessen  so  die  Häupter  aller 
vornehmen  arabischen  F’amilien,  aus  welcheu  der  Stamm  seine  Häupter, 
die  Stadtbevölkerung  ihren  Rath  erwählte  10).  Solche  Familien  hatten 

1)  IA  VIII : 275,  308.  2)  IA  IX  = 286.  3)  IA  VIII : 232. 

4)  IA  IX : 209,  396 j X : 306.  5)  IA  IX:  167,  172. 

6)  IA  IX  = 129,  183—4.  7)  IA  IX  = 156-7,  cf.  166,  406. 

8)  LA  IX : 441.  9)  Vorgl.  z.  B.  Damaskus  i.  J.  970,  IA  VIII 1 437. 

10)  Für  diesen , jedem  Arabisten  bekannten  Sprachgebrauch  sei  nur  auf  Tab.  11» 

4,  18;  of  1 , 17;  IIltT'ö  verwiesen.  Der  Plural  oL&l  klingt  heutzutage  in  Arabion  vor- 
nehmer als  das  weibliche  bildet  im  Sprachgebrauch  wie  in  der  Schrift- 
sprache deu  Plural  . 


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längst  keine  Bedeutung  mehr  für  das  Leben  des  Islam’s;  ihr  Titel 
ging  auf  den  aus  dem  Islam  hervorgekommenen  Adel  der  Aliden 
über.  Ebenso  ging  es  mit  dem  Titel  Sejjid  (Sajjid)  d.  h.  Herr  • 
auch  dieser  wurde  alidisch,  bald  mit  Scherif  gleichbedeutend , bald 
davon  unterschieden ; jeder  Unterschied  der  beiden  Ausdrücke  ist 
aber  zeitlich  und  örtlich  beschränkt  •). 

In  Westarabien  brauchten  die  Scherife  nicht  einmal  die  Bujiden ; 
ein  bischen  Anarchie  genügte  dazu,  das  Land  ganz  in  ihre  Hände 
zu  legen.  Ueber  die  nächsten  Veranlassungen  oder  Vorbereitungen 
zur  Gründung  des  Scherifats  von  Mekka  erfahren  wir  nur  wenig. 
Vereinzelte  Notizen,  wie  die,  dass  914  beim  Haddj  ein  Hasa- 
nide  Namens  Muhammed  ibn  Sulaimän  als  Prätendent  auf  die 
Chalifenwürde  hervortrat1 2 3),  oder  dass  941  die  Pilgerkaravane  den 
Besuch  Medina’s  aufgeben  musste,  weil  dort  ein  gefürchteter  Alide 
die  Herrschaft  erworben  hatte  s) , besagen  nicht  viel.  Wichtiger  ist 
schon  der  Bericht  von  einem  Aufstande 4)  des  Hasaniden  Muham- 
med ibn  Müsa  II s)  in  Medina  gegen  den  Chalifen  Muqtadir(908 — 35); 
wir  erinnern  uns,  dass  dieser  von  ihm  ergebenen  Beduinen  befreit 
worden  war,  als  ein  Beamter  des  Chalifen  ihn  sammt  seinem  Vater 
nach  Baghdad  führen  wollte  •).  Sonst  herrscht  über  diese  mächtige 
Scherifenfamilie  ein  gleiches  Stillschweigen  wie  über  Alles,  was  den 
Hidjäz  anbetrifft,  bis  um  die  Mitte  des  4ten  Jahrhunderts  der  Hidj- 
rah  (±961),  wo  wir  sie  auf  einmal  als  Beherrscherin  Mekka’s  wie- 
derfinden. Wunder  nehmen  kann  uns  dies  nicht  nach  Allem,  was 
wir  von  ihren  früheren  Beziehungen  zur  heiligen  Stadt  schon  wissen. 

Die  Zeitgenossen  hat  es  wohl  noch  weniger  gewundert  als  uns, 


1)  Scherife  heissen  heutzutage  in  Westarabieu  nur  dio  Hasaniden,  deren  Vorfahren 
Mekka  beherrscht  haben.  Der  regierende  Grossscherif  legt  diesen,  wenn  er  zu  oder  auch 
von  ihnen  redet,  den  Titel  Sejjid  bei;  selbst  wird  er  von  der  Bovölkorung  als  Sejjidand 
d.  h.  „unsor  Herr’*  bezeichnet.  Sonst  wird  der  Namo  Sejjid  hier  bloss  auf  die  Husainiden 
bezogen,  obgleich  bekanntlich  dio  Sfejjid’s  von  J&men  Hasaniden  waren.  In  Egypten,  Sy- 
rien usw.  nennt  man  alle  Abkömmlinge  Muhammods  Scherife;  so  war  es  ja  vorhin  in 
Arabien  ebenfalls,  ln  Indien  werden  Sejjid  und  Scherif  wieder  in  ganz  andorer  Weise 
unterschieden  als  im  Hidjaz. 

2)  MK  107;  Leid.  Hs.  2021,  fol.  92  r°,  101  r°. 

3)  IA  VIII  : 2S3.  4)  MK  121. 

5)  Stammt.  I,  18.  6)  Oben  S.  48. 

8 


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58 


da  ihnen  die  fortwährenden  Umtriebe  der  Ilasaniden  in  Westara- 
bien besser  bekannt  waren;  die  Eroberung  Mekka’s durch  Djcffar  *), 
den  Urenkel  jenes  Muhammed,  dessen  Empörung  gegen  Muqtadir 
wir  eben  besprachen,  erschien  ihnen  so  wenig  als  ein  Ereigniss, 
dass  sie  nicht  einmal  das  Datum  notierten.  Hatten  nicht  seine 
Oheime  schon  oftmals  die  heilige  Stadt  "erobert”?  Die  Erfahrung 
zeigte  ihnen , dass  dieses  »öde  Thal”  durch  die  Wallfahrt  mit  allen 
Gottesgaben  reichlich  versehen  wurde;  mancher  von  den  alidischen 
Raubrittern  dürfte  schon  nach  dem  dauernden  Besitz  dieser  reichen 
Stadt  ira  hungrigen  Lande  gestrebt  haben ; sie  fürchteten  sich  aber 
vor  den  Heeren  der  Chalifen.  Die  Zeit  der  Anarchie  hob  diese 
Furcht  auf : was  musste  sich  der  Chalif  nicht  alles  gefallen  lassen ! 
Es  könnte  sein,  dass  die  Fatimiden  Egyptens  Dja'far  direkt  zur 
Eroberung  Mekka’s  ermuthigt  haben,  um  so  einen  bequemen  Ver- 
mittler für  die  Erlangung  der  Oberhoheitsrechte  zu  bekommen , 
denn  ein  Schriftsteller  sagt , Dja'far  sei  aus  Medina  lortgezogen , 
nachdem  durch  die  Fatimiden  ein  Kampf  beigelegt  war,  den  die 
Hasaniden , Husainiden  und  Dja'fariden  hier  mit  einander  führten  *). 
Zwischen  951  und  961  der  einen  1 * * *),  966,  7 oder  8 der  andern*) 
arabischen  Autorität  zufolge,  fing  Dja'fara  Herrschaft  an,  um  nach 
etwa  20  Jahren*)  oder  im  Jahre  980  5)  mit  seinem  Tode  zu  enden. 
Von  seinen  Regierungsthaten  finden  wir  nur  verzeichnet*),  dass  er 
den  türkischen  General,  der  den  Fatimidenchalifen  in  Mekka  ver- 
trat, tödtete  und  unter  den  un  bot  massigen  Beduinen  um  Mekka 
herum  das  Schwert  walten  liess,  bis  sie  sich  ergaben.  Dem  Fati- 
miden soll  er  seinen  Sohn  zugeschickt  haben,  als  gäbe  er  zu,  dass 
man  die  Blutrache  an  ihm  vollzöge,  thatsächlich  aber  mit  Ent- 
schuldigungen, welche  günstige  Aufnahme  fanden.  So  hätte  schon  der 
erste  Scherif  von  Mekka  den  in  der  Folgezeit  immer  wichtigeren 
Kampf  zwischen  Fürsten  und  Residenten  in  blutiger  Weise  inau- 


1)  Vergl.  Stammtafel  I,  28.  2)  MK  112. 

3)  CM  II : 205—6.  4)  OT  (D)  115. 

5)  So  bestimmt  das  Datum  eine  Raudglosso  OT  (D)  115 , luunlicli  370  BL ; die  anderen 

Quellen  lassen  dasselbe  unbestimmt. 

6)  OT  (D)  115. 


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guriert.  Unter  seiner  und  seines  Sohnes  'Isa  (bis  994)  *)  Regierung 
befestigte  sich  die  Oberherrschaft  der  Fatirniden ; oben  *)  sahen  wir 
aber,  dass  die  Ausübung  derselben  nicht  immer  ohne  Schwierigkeit 
stattfand,  denn  976  musste  die  Anerkennung  des  neuen  Chalifen 
durch  Aushungerung  von  Mekka  erzwungen  werden.  Nach  dieser 
Stadt  verlegte  sich  seit  der  anarchischen  Periode  und  der  dadurch 
entstandenen  relativen  Selbständigkeit  des  Hidjäz  der  politische 
Schwerpunkt,  der  früher,  solange  sich  die  Leitung  der  Uaramein 
wesentlich  ausserhalb  Arabiens  befand,  sachgemäss  in  Medina  ge- 
legen hatte. 

Tsa’s  Bruder  und  Nachfolger  Abu’l-Futüh  3)  (994 — 1089)  machte 
mehr  von  sich  reden.  Seine  Regierungszeit  fiel  theilweise  zu- 
sammen mit  der  des  halbverrückten  Fatirniden  Häkim  in  Egypten. 
Während  Häkim  die  längst  aufgegebenen  Traditionen  seiner  Väter 
wieder  aufnahm,  und  allerlei  anti-islamische  Neuerungen  einführte, 
kam  Abu’l-Futüh  auf  den  Gedanken , sich  selbst  als  Chalifen  huldigen 
zu  lassen.  Möglich  ist,  dass  Häkim  die  Bewohner  des  Hidjäz  durch 
seine  Ketzereien  geärgert  habe*);  in  diesem  Falle  hat  solches  dem 
Abu’l-Futüb  aber  doch  nur  zum  Vorwand  gedient.  Veranlasst  wurde 
sein  thörichtes  Beginnen  dadurch,  dass  der  Sohn  eines  von  Häkim 
getödteten  Grosswezirs  sich  rachedürstend  zu  den  Häuptern  der  in 
Syrien  mächtigen  Tajj-beduinen  geflüchtet  hatte  und  nun  glaubte, 
gegen  den  Mörder  seines  Vaters  einen  Gegenchalifen  ausspielen  zu 
können.  Abu’l-Futüh  ging  auf  den  Plan  ein  und  zog,  nachdem 
die  Bevölkerung  des  Hidjäz  ihm  gehuldigt,  um  1011  mit  einem 
angeblichen  Schwerte  Ali’s  und  dem  Stab  des  Propheten  zu  den 
Tajj  nach  Syrien.  Die  Beduinenhäupter  kamen  ihm  zwar  freudig 
entgegen , aber  der  neue  Chalife  bemerkte  bald , dass  die  Geldge- 
schenke, welche  Häkim  ihnen  schleunig  zuschickte,  bessere  Wir- 
kung thaten  als  seine  Reliquien ; er  eilte  also  im  nächsten  Jahre 
nach  Mekka  zurück,  wo  inzwischen,  wie  es  scheint,  einer  von 
seinen  Verwandten , sei  es  ein  Bruder  oder  Abu’t-Tajjib  Dä’üd  5) 

1)  Vorgl.  Stammtafel  1,31;  CM  II:  206-7;  OT  (D)  116;  MK  118. 

8)  S.  54.  3)  Stammtafel  I,  32;  CM  II : 207  ff  ; OT  (D)  116; 1A  IX:  233,  317. 

4)  Vorgl.  MK  111—2,  vielleicht  auch  IA  IX:  154. 

5)  Stammtafel  I,  29. 


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60 


aus  der  Familie  Sulaimäns,  unter  Mitwirkung  Hakims  an  seine  Stelle 
getreten  war.  Diesen  zu  vertreiben,  sich  mit  Hakim  auszusöhnen 
und  alle  weitreichenden  Pläne  aufzugeben , war  Alles , was  dem 
Gelegenheitschalifen  zu  thun  übrig  blieb.  Wenn  es  weiter  heisst, 
dieser  dritte  Grossscherif  habe  der  Herrschaft  der  in  Medina  em- 
porgekommenen Husainidenfamilie  ein  Ende  gemacht  *),  so  bedeutet 
dies  nur,  dass  er  ihnen  auf  einige  Zeit  seine  Uebermacht  fühlbar 
machte,  denn  noch  Jahrhunderte  lang  war  in  Medina  Husainiden- 
scherifen  die  Hauptrolle  Vorbehalten.  Um  1023  erweckte  die  Frevelthat 
eines  Egypters  grosse  Aufregung  in  Mekka 1 *  3 4 5 6) ; mit  dem  Ausrufe : » wie 
lange  noch  soll  dieser  Stein  vergöttert  werden  ?”  versuchte  er  durch 
Knittelschläge  den  schwarzen  Fetisch  zu  zerbrechen.  Es  dauerte  einige 
Zeit , bis  einer  von  den  feigen  Mekkanern  ihn  anzugreifen  wagte ; als 
ihn  aber  einer  getödtet,  da  betheiligte  sich  der  ganze  Pöbel  an 
der  Ausplünderung  seiner  Landsleute.  Uebrigens  verliefen  die  Tage 
Abu’l-Futüh’s  und  seines  Sohnes  Muhammed  Schukr’)  (1039 — 1061), 
von  ein  paar  schweren  Hungerjahren  abgesehen  *),  ziemlich  ruhig. 
Dem  Schukr  werden  gleichwie  seinem  Vater  grosse  Dichtergaben 
nachgerühmt *) ; von  jenem  und  seiner  Schwester  erzählt  man  ein 
paar  alberne  Anekdoten , deren  eine  die  unglaubliche  Körperkraft 
der  beiden  fürstlichen  Personen  darthun  soll ').  Sein  Tod  führte 
einen  schrecklichen  Kampf  zwischen  den  Hasaniden  herbei,  weil  er 
keine  männliche  Nachkommen  hinterliess 7 8).  Die  mekkanischen 
Chronisten  bezeichnen  den  Zweig  des  Hasanidenstammes , der  mit 
Schukr  endet,  nach  dem  Stammvater  Müsa  II*)  als  Müsäuns , 
obgleich  dieser  Name  mit  ganz  gleichem  Recht  auf  zwei  von  den 
drei  übrigen  Scherifenfamilien  oder  -klassen  ( Tabaqät ) anzuwenden 


1)  CM  n : 207.  9)  CM  II:  249—60,  MK  112,  U IX  : 234. 

3)  Stammtafel  I,  35;  CM  11:209—10;  IÄ  X:19;  OT  (D)  116  ff.  (M*.)  44  v°.  OT 

weicht  in  der  Datierung  des  Todes  Schukr’s  (464  II.  = 1071/2)  von  allen  andern  (Quel- 
len abj  wahrscheinlich  hat  sich  hier  ein  Fehler  oingeschliehon. 

4)  1A  IX:  378,  422,  435;  CM  11:310. 

5)  Vergl.  auch  Nassiri  Khosrau,  od.  Ch.  Schefer  (Paris  1881),  S.  183. 

6)  Vergl.  ausser  OT  noch  AD  22 — 4. 

7)  Es  kann  uns  hier  gleichgültig  sein,  ob  Schukr’s  Tochter,  wioCM  11:210  will,  sich 
wirklich  mit  dom  späteren  Grossscherif  Abu  Hasch  im  Muhammed  verheirathet  hat. 

8)  Stammtafel  I,  13. 


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wäre;  der  genealogische  Sprachgebrauch  hängt  aber  von  zufälligen 
Veranlassungen  ab.  Die  MüsäwT’s  verfolgten  — abgesehen  von  dem 
thörichten  Versuche  Abu’l-Futüh’s  — keine  hohe  politischen  Ideale. 
Es  war  ihnen  leid , dass  sie  in  Medina  wegen  der  weiten  Entfer- 
nung nicht  mehr  als  zeitweilige  Eingriffe  machen  konnten ; Mekka 
beuteten  sie  aus'),  so  gut  es  ging,  und  altem  Herkommen  gemäss 
machten  sie  mit  ihnen  untergebenen  Beduinen  ab  und  zu  eine 
Razzia  in  benachbartes  Gebiet.  Das  Wohlergehen  der  Mekkaner 
nahmen  sie  sich  kaum  zu  Herzen , und  viel  weniger  noch  die  Si- 
cherheit der  Pilgerwege.  Die  Abgaben , welche  die  grossen  Pilger- 
karavanen  seit  939  den  Qarmaten  zu  entrichten  hatten , gingen , 
als  die  Bedeutung  dieser  Sekte  abnahm,  auf  die  Beduinen  über, 
deren  Gebiet  die  Wege  durchkreuzten  *).  Seit  986  folgten  immer 
mehr  Nomaden , auch  in  Centralasien , der  Gewohnheit , keinen 
Pilger  ohne  Zahlung  durchzulassen  s).  Trotzdem  gehörten  Plünder- 
ungen der  Pilger  nicht  zu  den  Seltenheiten;  bald  behauptete  ein 
Beduinenschech,  man  habe  ihn  das  vorige  Mal  mit  falschem  Gelde 
bezahlt1 2 * 4),  bald  gab  man  keine  Gründe  an4),  und  es  kam  vor,  dass 
grade  die  Beduinen , welche  die  Wallfahrer  zum  Schutz  begleiteten , 
sie  aller  Habe  beraubten  •).  So  musste  manchmal  die  Wallfahrt 
aus  einem  Lande  unterbleiben;  namentlich  in  cIräq,  dem  Sitze  des 
Chalifats,  kam  dies  häufig  vor7).  Bemerkenswerth  ist,  dass  schon 
damals  die  Länder,  deren  Entfernung  von  Mekka  die  grösste  war, 
die  eifrigsten  Pilger  aussandten ; wenn  man  in  Träq  vor  Furcht 
zu  Hause  blieb,  bemühten  sich  die  Chorasaner  auf  irgend  einem 
W ege  ihr  heiliges  Ziel  zu  erreichen  *).  Alle  diesen  Verhältnisse 
haben  sich  bis  in  unsere  Zeit  nur  der  Form  nach  geändert. 

Nach  dem  Tode  Schukr’s  wusste  zunächst  die  Familie,  welcher 
der  oben  (S.  59)  erwähnte  Abu’t-Tajjib  angehörte  und  die  daher 


1)  Der  Odekrte  Nassiri  Khosrau  wurde  als  solcher  bei  seiner  Ankunft  in  Üjiddah  von 
dem  Sklaven,  der  hier  Schukr  vortrat,  höflich  empfangen  und  von  dor  Entrichtung  der 
gewöhnlichen  Abgaben  verschont.  (O.  c.  S.  183).  Aehnlieh  verfuhren  auch  die  späteren 
Scherife. 

2)  de  Goeje , Memoire» , S.  193 ; IA  IX  102.  3)  IA  IX ; 229  , 292. 

4)  IA  IX : 74.  5)  IA  IX  : 129,  145.  6)  IA  IX : 294. 

7)  IA  IX  : 302,  CM  II : 245  ff.  8)  IA  IX  : 229  , 260—1. 


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den  Namen  Bern  Abi' t-Tajjib , oder  auch  nach  älteren  Vorfahren 
die  Namen  von  Fätiki’s  und  Sulainmm's  trägt,  durch  rohe  Gewalt 
sich  gefürchtet  zu  machen  Während  diese  Scherife  raubten  und 
plünderten,  nahm  die  edle  Familie  der  SchcbT’s,  welche  vom  Pro- 
pheten im  Amt  der  Thorhüter  der  Ka'bah  bestätigt  war,  alles 
Gold  und  Silber,  das  sich  in  und  an  dem  Hause  Allahs  befand , in 
ihren  Privatbesitz.  Das  war  dem  frommen,  erst  vor  Kurzem  in 
Jemen  zur  Herrschaft  gelangten  Fürsten  ag-^ulaibl  zuviel8);  1063 
mit  grossem  Gefolge  zum  Haddj  nach  Mekka  gekommen,  stellte 
er  Ordnung  und  Sicherheit  wieder  her  und  setzte  der  Willkür  der 
Scherife  enge  Schranken.  Ganz  Mekka  athmete  auf,  und  die  Mek- 
kaner  sind  des  Lobes  dieses  Fürsten  voll.  Den  Scherifen  aber  er- 
schien ein  solcher  Mann  als  ihr  gemeinsamer  Feind;  nach  wenigen 
Wochen  bereiteten  sie  sich  säramtlich  zum  Kampfe  und  sagten 
zum  Eindringling:  »Setze  von  uns  ein,  wen  du  willst,  zieh  aber 
fort  aus  unserer  Stadt!”  Sehr  knapp  wird  mit  diesen  Worten  die 
Situation  charakterisiert;  seit  der  anarchischen  Periode  war  Mekka 
das  Privateigenthum  des  mächtigsten  oder  des  von  einem  mächtigen 
Fürsten  vorgezogenen  Hasaniden.  Der  fromme  Fürst  zog  aus,  be- 
stellte aber  als  Herrn  der  Stadt  einen  Mann  aus  dem  Hause  der 
Hawäschim  (d.  h.  Häschimiden),  welche  zur  Unterscheidung  von 
dem  früher  besprochenen  Zweige  der  Musätol’s , nach  ihrem  Stamm- 
vater Abu  Häschim  •)  so  bezeichnet  werden.  Natürlich  wurde  es 
diesem  Abu  Häschim  Muhammed  *)  gleich  nach  der  Abreise  des 
Fürsten  recht  schwer,  sich  gegen  die  zurückgesetzten  SulaimänT’s 
zu  behaupten.  Er  gehörte  einer  mächtigen  Familie  an;  schon  sein 
Vater 5)  und  sein  Grossvater  *)  heissen  Emire , was  Einige  dahin 
verstehen  wollen,  dass  sie  während  der  Wirren  nach  dem  Tode 
Schukr’s  einen  Augenblick  über  Mekka  regiert  hätten  7).  Aber  auch 
die  Sulaimäni’s  waren  gewaltige  Herren,  und  sie  räumten  das  Feld 
erst  nach  erbittertem  Kampf,  während  dessen  manchmal  der  Held 
der  Sulairaänl’8,  Uamzah  ibn  Wahhäs1) , auf  einige  Zeit  die  Herr- 

1"»  CM  11:208,  21011.;  OT  (D)  10311.;  MK  114.  Sie  heissen  auch  Harabi’s. 

2)  Vergl.  ausser  den  oben  angeführten  Stellen  IA  IX:  422 — 3,  X :19,38. 

3)  Stammt  1,  27.  4)  Stammt  I,  40.  5)  Stammt.  1,  38. 

6)  Stammt.  I,  34.  7)  OT  (D)  120.  8)  Stammt  I,  36. 


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schaft  gewann.  Aus  solchem  stetem  Wechsel  erklärt  sich  die  Ver- 
schiedenheit der  Angaben  über  den  Regierungsantritt  Abu  Häschim’s 
und  die  Dauer  der  Herrschaft  Hamzah’s  *);  das  Wichtige  ist , dass 
Abu  Häschim  *)  von  1063 — 1094,  in  den  ersten  Jahren  im  Kampfe 
mit  den  Sulaimänl’s,  regiert  hat. 

Das  neue  Herrscherhaus  befolgte  die  alten  Grundsätze;  in  ge- 
radezu unverschämter  Weise  schacherte  Abu  Häschim  mit  den 
Oberhoheitsrechten.  In  Baghdad  hatten  jetzt  die  Seldschukensultane 
die  Stellung  inne,  welche  die  Bujiden  zuerst  bekleidet  hatten.  Der 
Scherif  wusste,  dass  dem  Sultan  viel  daran  lag,  seine  Grösse  im 
heiligen  Lande  anerkannt  zu  sehen;  1070  liess  er  den  Namen  des 
Fatiiuiden  im  Freitagsgebet  durch  die  des  Abbasiden  und  des 
Seldschukensultans  ersetzen  und  bekam  dafür  eine  beträchtliche 
Geldsumme’).  Solange  Egypten  unter  den  Fatimiden  stand,  war 
dort  die  officielle  Religion,  trotz  aller  Toleranz,  schf itisch;  der 
Wechsel  des  Protektorats  hatte  also  für  Mekka  scheinbar  auch  dog- 
matische Folgen,  welche  sich  hauptsächlich  in  dem  Wortlaut  des 
Aufrufs  zum  Gottesdienste  offenbarten.  Wurde  Baghdad  als  poli- 
tische Hauptstadt  anerkannt,  so  ertönte  von  den  Minareten  Mek- 
ka’s:  «Auf  zum  Heile”  statt  des  schFi tischen : «Auf  zürn  besten 
Werke”;  dieser  an  und  für  sich  unbedeutende  Unterschied  war  von 
jeher  ein  Schibboleth  der  beiden  Parteien  *).  Die  Formel  scheint 
den  Mekkanern  gleichgültig  gewesen  zu  sein,  nicht  aber , dass  jetzt 
durch  die  Habgier  des  Scherifs  »die  Zufuhren  von  Egypten  auf- 
hörten”. Nach  dem  Tode  des  Chaiifen  und  des  Sultans  erklärte 
sich  Abü  Häschim  1075  wieder  frei  und  verkaufte  abermals  das 
Gebet  cum  annexis  dem  Fatimiden,  änderte  dann  1076  seine  An- 
sicht gegen  Schenkungen  aus  Baghdad  •)  und  wiederholte  diese 

1)  CM  II : 210 — 1,  OT  (D)  105.  Dia  Angabe  OT’s,  derzufolgo  Hamzah  7 Jahre  lang  im 
Kampfe  mit  den  Hawäschim  regierte,  dürfte  richtig  sein,  wenn  man  OT’s  Köhler  in 
Bezug  auf  das  Todesjahr  Schukr’s  (464  H.)  verbessert  (453);  nach  dem  Jahre  460  H. 
war  Abu  Häschim  entschieden  Gebieter  Mekka’s.  ln  den  7 vorhergehenden  Jahren  konnte 
der  Chronist  nach  Belieben  oinon  oder  den  andern  als  wirklichen  Herrscher  bezeichnen. 

2)  Vergl.  CM  II:  210-2  , 255;  OT  <D)  110  ff.;  IA  X ; 162. 

3)  IA  X:41,  cf.  CM  11:253,  wo  die  Aenderung  etwas  früher  angesotzt  wird. 

4)  In  Syrien  wurde  dio  Bevölkerung  zu  dieser  Zeit  durch  die  Aenderung  der  Formel 

aufs  Höchste  aufgeregt  IA  X:42 — 3.  5)  IA  X ; 67. 


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\ 


Komödie  in  zwei  Akten , so  oft  sich  ihm  die  Gelegenheit  darbot l). 
Dieses  Verhalten  empörte  schliesslich  die  Sultane  von  Baghdad , und 
seit  1091  schickten  sie  mehrere  Turkmenenbanden  nach  Mekka, 
die  ihnen  zugefügten  Beleidigungen  zu  rächen s) ; Abü  Iläschira 
soll  sich  im  Kampfe  gegen  diese  Wilden  ausgezeichnet  haben ; den 
Mekkanern  erwuchs  aber  aus  alledem  unsägliches  Glend.  Gegen  sein 
Lebensende  verfuhr  der  Scherif  nun  aber  rücksichtsloser  als  je  zuvor. 

Den  Leiden  der  Pilger,  die  über  Baghdad  reisten,  fügte  er  ein 
neues  hinzu.  Die  Beduinen  machten  ihnen,  sowie  auch  den  Pilgern 
aus  Syrien  und  Egypten  immerfort  viel  zu  schaffen;  sogar  die 
mächtigeren  Fürsten  konnten  nicht  jedes  Jahr  eine  genügende  Be- 
deckung auf  so  lange  Zeit  entsenden , und  die  Entrichtung  der 
Abgaben  machte  diese  Fürsorge  gar  nicht  entbehrlich  3).  Die  exces- 
sive  Bevorzugung  der  Aliden  hörte  unter  der  Seldschukenherrschaft 
allmählich  auf  ').  Es  blieb  ihnen  zwar  fast  überall  leichter  als  ir- 
gend wem,  entscheidenden  Einfluss  zu  gewinnen'),  aber  sie  hatten 
nicht  länger  das  Monopol  der  wichtigsten  Staatsämter.  So  waren 
die  Führer  der  Pilgerzüge  seit  etwa  1076*)  nicht  Aliden,  sondern 
türkische  Kriegsleute,  bald  sogar  einflussreiche  Eunuchen7).  Mit 
dieser  Neuerung  wuchs  nun  der  Uebermuth  des  Scherifs  immer 
mehr.  Beim  Hadjj  des  Jahres  1076  kühlte  er  seine  Verstimmung 
gegen  die  Herren  Baghdads  an  den  Pilgern  aus  'Iräq;  er  liess  es 
wenigstens  hingehen,  dass  seine  Sklaven,  welche  den  Kern  der 
Kriegsmacht  der  Scherife,  wie  aller  arabischen  Emire,  bildeten, 
mit  den  Leuten  Streit  suchten  und  auf  sie  losschlugen.  Der  Anführer 
vertheidigte  aber  seine  Landsleute  mit  gutem  Erfolg  *).  Später  ging 

1)  IA  X : 105,  146j  CM.  11:254. 

2)  IA  X 135,  137.  Man  bedenke,  dass  der  Wettkampf  zwischen  Seldschuken  und  Fa- 
timiden  durch  die  oben  S.  50  hervorgehobene  schwankende  Gesinnung  der  Bevölkerung 
Baghdads  an  Bedeutung  gewann. 

3)  IA  X : 111,  146—7 , XI : 19 , 3G0.  4)  IA  X : 329. 

ß)  Vergl.  IA  X : 104,  465;  XI:47,  153,  155,  165,  250-1;  XU:  81,  248—9  , 275. 

6)  IA  X : 108,  393. 

7)  Im  Jahre  1119,  IA  X:382,  vergl.  XI:  6$.  ln  diesem  Zusammenhang  ist  es  be- 

merkenswert)!, dass  vom  6ton  Jahrh.  der  Hidjrah  an  wichtige  politische  Missionen  von 
Seiten  der  Chalifon  statt,  wie  vorhin,  angesehenen  Aliden,  meistens  den  Häuptern  der 
Q&fi's  anvertrant  werden.  So  begegnen  wir  dem  ivxüIA  XI : 281 , 304, 320 — 1, 

335  j XII:  196.  8)  CM.  11:254.  C 


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65 


Abu  lläschim  in  seinem  Zorn  über  die  Sendung  der  Turkmenen 
so  weit,  dass  er  1094  die  Pilger  auf  dem  Heimwege  förmlich  aus- 
plündern Hess  ').  Natürlich  erfolgte  von  Baghdad  eine  Truppensen- 
dung zur  Züchtigung  des  Scherifs;  bevor  dieselbe  eintraf,  war  Abu 
lläschim  gestorben , seinem  Sohne  Qäsim  *)  die  Mühe  hinterlassend , 
sich  die  Türken  durch  langen  Kampf  vom  Halse  zu  schieben.  Dieser 
Lage,  sowie  der  Thatsache  gegenüber,  dass  die  Hoheitsrechte  aus 
den  bekannten  Gründen  meistens  den  Fatimiden  verblieben , be- 
schränkten sich  die  Haddj-emire  aus  Baghdad  in  den  nächstfolgenden 
Jahren  auf  eine  gebieterische,  fast  herausfordernde  Aufführung  in 
Mekka;  es  blieb  aber  beim  bewaffneten  Frieden. 

Im  Jahre  1121  stiftete  ein  alidiscber  Gelehrte  aus  Baghdad  gegen 
Qäsims  tyrannische  Regierung  in  Mekka  eine  Empörung  an  *); 
jedoch  gelang  es  dem  Scherif,  seinen  Gegner  nach  Bahrain  za 
vertreiben.  Sein  Sohn  Fulaitah  *) , der  ihm  1124  nachfolgte,  soll 
gerechter  gewesen  sein  als  sein  Vater,  was  allerdings  nicht  viel 
besagt.  Man  rühmt  ihm  nach  s) , dass  er  einige  indirekte  Steuern 
(MukRs)  abschaffte;  solche  sind  den  frommen  Muslimen  stets  be- 
sonders verhasst  gewesen,  und  sie  finden  für  diese  Gesinnung  eine 
Stütze  im  kanonischen  Recht.  Sie  ärgern  sich  weniger  über  direkte 
Gelderpressnngen  von  reichen  Leuten  als  über  die  regelmässige  Be- 
steuerung von  Handelswaaren , Lebensmitteln  oder  etwa  Abgaben 
von  Pilgern,  die  man  schon  zu  dieser  Zeit  in  Mekka  zu  erheben 
pflegte  •).  Solche  Steuern  gab  es  in  Mekka  bereits , als  die  Chalifen 
die  Stadt  noch  wirklich  beherrschten  *);  man  kann  sich  denken , dass 
sich  die  Scherife  diese  Einnahmequelle  nicht  verschlossen. 

Es  lohnt  sich  für  unseren  Zweck  nicht,  die  Regierungen  der 
übrigen  Hawäackim  •)  ins  Einzelne  zu  verfolgen,  welche  bis  1200 

1)UX:  153.  8)  Stammt.  I,  41;  CM  II : 218;  OT  (D)  181 ; U X : 435. 

3)  IA  X : 420.  4)  CM  II : 218;  OT  (D)  121;  IA  XI : 5,  184. 

5)  IA  X : 435.  6)  CM.  11:256,  vorgl.  oben  S.  61,  Anm.  1. 

7)  Vergl.  für  das  Jahr  912  A.  von  Kremer,  „üeber  das  Einnahmebadget  des  Abba- 
sideureichos  im  Jahre  306  H ”,  S.  50. 

8)  Die  Angaben  ihrer  Rogier ungsjahre  in  Stammtafel  I sind  folgenden  Quollen  ent- 
nommen: CM  11:213  ff.,  256  ff.;  OT  (O)  121  (T.j  IA  X:184,  XII : 68.  Die  Jahreszahl 
593  Q.  für  das  Itegierungsendo  Mukthirs  und  das  Schcrifat  seines  Neffen  Man  für  finden 
sich  nur  in  OT. 

9 


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(nach  Anderen:  1201  oder  2)  »das  heilige  Gebiet  Gottes,”  wie  ein 
zeitgenössischer  Schriftsteller1 * * *)  es  ausdrückt,  »als  ihre  Erbschaft 
»betrachteten,  deren  Vermiethung  an  die  Pilger  ihnen  zustand”. 
Alle  hatten  unausgesetzt  gegen  ihre  eigenen  Brüder,  Oheime,  Nef- 
fen ihre  Herrschaft  mit  dem  Schwerte  zu  behaupten;  namentlich 
seit  dem  Tode  Tsa’s  wäre  es  daher  nicht  möglich , mit  Sicherheit 
für  jedes  Jahr  zu  bestimmen,  wer  die  »Erbschaft”  in  der  Hand 
hatte ; alle  walteten  aber  ihres  Amtes  in  gleicher  Weise.  Die  tür- 
kischen Emire , welche  die  Haddjkarawanen  begleiteten , hatten 
immer  eine  schwierige  Aufgabe ; nachdem  1 145  die  Banden  des 
Scherifs  die  Pilger  aus  Baghdad  in  der  Moschee  ausgeplündert  hat- 
ten, erfasste  die  unfähigen  Inhaber  jenes  Amtes  solche  Angst,  dass 
sie  das  nächste  Mal  die  Reise  nicht  anzutreten  wagten  ’).  Auch 
später,  als  kräftigere  Führer  da  waren , vernachlässigten  doch  die 
frechen  schwarzen  Kriegsknechte  des  Scherifs  keine  Gelegenheit,  die 
Gäste  Allahs  zu  berauben5);  1161  hatte  denn  auch  der  Grosscherif 
vom  vorigen  Jahre  her  beim  Herannahen  der  Karawane  ein  so 
böses  Gewissen , dass  er  ohne  Weiteres  aus  der  Stadt  entfloh  *). 
Um  sich  in  ähnlichen  Fällen  besser  helfen  zu  können  und  auch 
zur  erfolgreicheren  Bekämpfung  ihrer  rebellischen  Verwandten 
bauten  die  Herren  Mekka’s  eine  Burg  auf  dem  Berge  Abü  Qubes; 
natürlich  wurde  dieselbe  ab  und  zu  zerstört.  Die  Hudel-beduinen  muss- 
ten schon  in  dieser  Periode5)  einem  Scherife  gegen  den  andern 
helfen ; von  Anfang  an  führten  sie  die  Sitte  ein , der  heiligen  Stadt 
solche  Besuche  nur  gegen  gute  Belohnung  abzustatten,  und  diese 
nahmen  sie  selber  durch  Plünderung.  Einmal  (1176)  versuchte  der 
Emir  aus  Baghdad , dem  Befehle  seiner  Vorgesetzten  gemäss , das 
ganze  Uasanidengeschlecht  zu  entthronen.  Die  Uusainidenscherife, 
welche  bisher  *)  das  weniger  ergiebige  Medina  beherrschten , sollten 
unter  dem  Schutze  Baghdads  über  Mekka  eingesetzt  und  so  den 
dortigen  Herrschern  zu  bleibendem  Danke  verpflichtet  werden  7). 


1)  Ibn  Jubair,  75.  8)  IA  X:68,  XI:70,  96  ff.,  CM  11:855. 

3)  MK  118,  IA  XI:  189—90.  4)  CM  II : 213. 

6)  MK  118.  6)  IA  X : 212—3,  XII : 12. 

7)  CM  II : 257. 


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Bald  gewahrte  aber  der  Türke,  dass  man  den  neuen  Scherif keinen 
Tag  länger  in  Mekka  dulden  würde,  als  die  fremden  Truppen  dort 
verblieben;  er  setzte  daher  Dä5üd,  den  Bruder  des  nach  schwerem 
Kampfe  vertriebenen  Mukthir,  ein.  Der  Pöbel  Mekka's  vertheidigte 
selbst  seine  patentierten  Raubritter,  deren  Herrschaft  er  schon  als 
durch  die  Gewohnheit  geheiligt  betrachtete. 

Obgleich  der  Vertreter  Baghdads  beim  Reste  in  Mekka  fortwährend 
für  eine  politisch  hochwichtige  Person  galt '),  herrschten  doch  ägyp- 
tische Einflüsse  vor.  Die  Pseudo-aliden  Egyptens,  in  der  letzten 
Zeit  vielmehr  ihre  Hausmeier,  welche  faktisch  die  Herrschaft  aus- 
übten, waren  in  der  Regel  »Beschützer  der  Uaramein",  was  nicht 
verhinderte,  dass  auch  manche  kleine  Dynastie  von  Jemen  hier 
mit  grösster  Ehrfurcht  behandelt  wurde.  Mekka  bedurfte  der  Ge- 
treidezufuhren aus  Südarabien  ebenso  sehr  wie  aus  Egypten;  im 
12*®“  Jahrhundert  entstand  dort  Hungersnoth,  wenn  durch  Missernte, 
Unsicherheit  der  Wege  oder  den  Unwillen  eines  jomenischen  Fürsten 
die  jährliche  Kornkarawane  der  Sarw-stämme  *)  aus  Jörnen  ausblieb ; 
im  16ton  Jahrhundert  bestand  diese  Lage  unverändert  fort  ’).  Hätten 
sich  die  Scherife  von  Mekka  durch  religiös-politische  Motive  be- 
stimmen lassen , so  hätten  sie  ebenfalls  vielleicht  die  nämlichen 
Länder  bevorzugt,  denn  in  beiden  hatte  die  Schfah,  die  alidische 
Partei,  die  Oberhand.  Ihre  Abstammung,  vorzüglich  aber  die  Ge- 
schichte ihrer  Familie,  die  von  jeher  im  Ilidjäz  gegen  alle  nicht- 
alidischen  Chalifen  gekämpft  hatte,  macht  es  von  vorn  herein  wahr- 
scheinlich, dass  die  Hawäschim  nicht  zu  den  politisch  gänzlich 
indifferenten  Aliden  zählten.  Es  liegt  uns  aber  gerade  aus  den 
letzten  Jahren  ihrer  Herrschaft  das  bestimmte  Zeugniss  des  be- 
rühmten spanischen  Pilgers  Ibn  Djubair  vor,  der  1183  und  85 
Mekka  besuchte  und  dessen  genauer  Bericht  über  seinen  dortigen 
Aufenthalt  unser  Bild  von  den  damaligen  Verhältnissen  in  will- 
kommener Weise  vervollständigt.  Dieser  sagt  ausdrücklich  ‘) , die 
Scherife  des  Hidjäz  seien  Zaiditen , d.  h.  sie  hingen  der  religiös- 

1)  Ibn  Jubair  171—2.  2)  Vergl.  oben  8.  88. 

3)  Ibn  Jubair  132  ff  ; CM  11:311,  318;  01:12. 

1)  Ibn  Jubair,  100 ff. 


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politischen  Richtung  der  Schfah  an,  welche  sich  nach  Zaid,  dem 
Urenkel  Husains1),  nannte.  Wir  haben  oben  schon  bemerkt,  dass 
dieser  Name  nicht  zu  jeder  Zeit  und  an  jedem  Orte  gleiche  Be- 
deutung hat.  Nur  soviel  hat  er  von  Alters  her  besagt,  dass  die 
Neigung  zu  alidischen  Prätendenten  mit  der  Befolgung  einer  eige- 
nen, von  den  anderen  Schulen  abweichenden  Gesetzeserklärung 
liand  in  Hand  ging.  Beides  aber,  die  zaiditische  Politik  und  die 
zaiditische  Gelehrsamkeit  passten  sich  den  wechselnden  Verhältnissen 
in  hohem  Grade  an.  So  erklärt  es  sich , dass  in  einem  Zeitraum 
z.  B.  ein  berühmter  orthodoxer  Historiker  das  Lob  zaiditischer  Ge- 
lehrten singt  *)  und  unser  vielleicht  etwas  hyperorthodoxe  Spanier 
die  Zaiditen  »Rafldhiten  und  Schimpfer”  nennt.  Letzteres  sagt  er 
mit  Bezug  auf  die  Scherife  Westarabiens ; dabei  darf  man  nicht 
vergessen,  dass  der  Pilger  vom  Westen  allen  Grund  hatte,  die 
arabischen  Scherife  sehr  ungünstig  zu  beurtheilen.  Es  führt  aus, 
wie  die  Zaiditen  in  Mekka  ihre  Gottesdienste  mit  dem  oben  ’) 
erwähnten  schfitischen  Aufruf,  getrennt  von  den  Bekennern  der 
übrigen  »Schulen",  abzuhalten  pflegten;  auch  in  anderen  Punkten 
hebt  er  ihre  Sonderstellung  hervor*)  und  erwähnt  Misshelligkeiten, 
welche  anlässlich  der  Bestimmung  des  Festkalenders  zwischen  dem 
Grossscherife  und  den  nicht-schfitischen  Autoritäten  entstanden  *). 
Unter  schfitischem  Schutze  waren  die  Ansprüche  der  mekkanischen 
Scherife  wohl  am  besten  gesichert;  solange  ihnen  die  Wahl  zwischen 
schfitischen  und  nicht-schfitischen  Schutzherren  geboten  wurde, 
waren  ihre  persönlichen  Sympathien  gewiss  auf  jener  Seite.  Wir 
wissen  aber,  wie  in  der  Praxis  die  Herren  Mekka's  ihre  politische 
Richtung  mit  dem  Winde  änderten.  Noch  oberflächlicher  war  ihr 
religiöses  Bekenntniss;  Schriftgelehrte  waren  sie  nicht,  und  ihr 
Gesetz  war  die  Willkür. 

1)  Mit  der  Abstammung  hat  solches  „zaiditische*'  Bekenntniss  nichts  zu  thun;  w&rones 
ja  Hasaniden,  welche  ün  Lande  dor  Dailamiton  als  zaiditischo  „lumme”  zuerst  Mission 
trieben,  daun  aber  eino  Dvnastio  gründeten;  das  Gleiche  gilt  von  den  zaiditischen  Imämon, 
welche  seit  1197  einen  grossen  Thetl  Jemens  beherrschten. 

2)  IA  X : 465.  Von  einem  zaiditischen  Imam  in  Jemen  heisst  es  OT  (D)  164,  dass  er 
„grosse  Bücher  über  die  Gesetzeserklärung  ( Fiqh ) schrieb,  in  welchon  er  sich  der  Rieh- 
„tung  des  Abu  Hanifah  näherte.’* 

3)  8.  63.  4)  Ibn  Jubair  143. 


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Das  Pilgerfest  des  Jahres  1 1 60  *)  führte  einen  Mann  nach 
Mekka,  der  schon  damals  eine  vornehme  Stellung  inne  hatte, 
dem  die  Zukunft  aber  weit  grösseres  versprach : es  war  der 
Oheim  Saladins,  durch  dessen  Hand  (1169 — 72)  Egypten  auf 
immer  den  Fatimiden  entrissen  werden  sollte.  Die  Gründung  der 
durch  Saladin  in  Europa  berühmt  gewordenen  Dynastie  der  Ajju- 
biden  fällt  also  in  die  letzte  Zeit  der  Hawäschim  von  Mekka. 
Nachdem  Saladin  in  Egypten  festen  Euss  bekommen  hatte,  musste 
er  sich  entscheiden , welches  von  den  beiden  Schattenchalifaten  er 
anerkennen  würde:  das  fatimidische , welches  er  ganz  in  der  Hand 
hatte,  das  aber  im  Orient  für  ketzerisch  galt,  oder  das  abbasi- 
dische,  unter  dessen  Fahne  er  anderen  asiatischen  Fürsten  gegen- 
über als  konkurrierender  Vasall,  nicht  als  Feind  zu  agieren  hätte. 
Er  betrachtete  die  Frage  vom  rein  politischen  Standpunkte  und 
gab  nach  einigem  Zaudern  den  Abbasiden  den  Vorzug  *) ; für  den 
Fall , dass  sein  Versuch , ein  unabhängiges  Fürstenthum  in  Egypten 
zu  gründen,  fehlscblagen  sollte,  Hess  er  1174  seinen  Bruder  einige 
kleine  Fürstenthümer  in  Jemen  erobern,  die  ihm  als  Rückhalt 
dienen  konnten  *).  Die  auf  ihrem  Wege  nach  Südarabien  durch 
Mekka  ziehenden  Truppen  flössten  dem  Sc’nerif  Mukthir  gehörige 
Angst  ein.  Saladins  Bruder  führte  zwar  seinen  Plan,  die  Scherife 
ganz  zu  beseitigen,  nicht  aus;  die  Ehrenstellung  beim  Haddj  ge- 
hörte aber  von  jetzt  an  den  Ajjubiden,  im  Freitagsgebete  wurde 
nach  dem  Abbasidenchalifen  und  dem  Scherif,  Saladins  und  sei- 
ner Familie  gedacht  ‘),  sein  Statthalter  in  Jemen  galt  mehr  oder 
weniger  als  Aufseher  der  Haramein.  Einige  von  den  schlimmsten 
Missbrauchen,  welche  die  Regierung  der  Scherife  kennzeichneten, 
wurden  abgeschafft.  Zu  den  Einnahmen  der  Scherife  gehörte  ausser 
den  verhassten  indirekten  Steuern , willkürlichen  Erpressungen  von 
reichen  Leuten  in  Mekka  *),  dem  Ertrage  von  Raubzügen  und  von 
gelegentlichen  Plünderungen  fremder  Pilger,  eine  Kopfsteuer*),  die 


1)  IA  XI : 174.  9)  IA  XI : 941—2. 

3)  IA  XI:  260 ff.,  vergl.  Ibn  Jubair,  146;  IA  XU: 85,  113. 

4)  Ibn  Jubair  75,  95.  5)  Ibn  Jubair  164,  167,  181. 

6)  Ibn  Jubair  52,  75;  CM  II:  259. 


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namentlich  von  solchen  Pilgern  erhoben  ward , welche  nicht  unter  dem 
Schutze  eines  in  Mekka  gefürchteten  Herrschers  standen.  Ausser 
den  Pilgern  Jemens  waren  vorzüglich  die  aus  dem  fernen  Westen 
(Spanien , Marokko , Algier)  dieser  Besteuerung  der  Erfüllung  einer 
religiösen  Pflicht  unterworfen.  Die  sich  weigerten,  in  einem  der 
Häfen  des  Rothen  Meeres  den  Beamten  des  Scherifs  die  verlang- 
ten Goldstücke  zu  entrichten,  wurden  schwer  bestraft;  man  er- 
zählte von  Fällen,  wo  Pilger  an  ihren  Testikeln  aufgehängt  worden 
waren ! Saladin  nahm  alle  Rücksichten  auf  den  Adel  der  Scherife ; 
die  frevelhafte  Kopfsteuer  schaffte  er  zwar  ab,  erkannte  aber  dem 
Herrn  Mekka’s  zur  Entschädigung  jährlich  eine  bedeutende  Geld- 
summe und  eine  Kornsendung  aus  Egypten  zu.  Traf  die  Sendung 
nicht  genau  zur  bestimmten  Zeit  ein , so  erlaubte  die  Habgier  des 
Scherifs  den  Pilgern  nicht,  von  Djiddah  nach  Mekka  zu  reisen, 
bevor  sie  die  solidarische  Verantwortlichkeit  für  den  ganzen  Betrag 
übernahmen  ’).  Saladins  Bruder  in  Jemen  beschränkte  sich  darauf, 
bei  jedem  Aufenthalt  in  Mekka  einige  empfindliche  Beweise  seines 
Uebergewichts  zu  geben:  1186 1 *  3)  schaffte  er  den  schfitischen  Auf- 
ruf zum  Gottesdienste  ab,  prägte  Münze  mit  Saladins  Namen, 
und  tödtete  eine  Anzahl  von  den  »Sklaven  Mekka’s”,  die  als  »Lan- 
zenträger” des  Grossscherifs  ungehindert  zu  stehlen , zu  rauben  und 
zu  morden  gewohnt  waren;  der  Scherif  selbst  zog  sich  bei  dieser 
Gelegenheit  auf  seine  hohe  Burg  zurück.  Jene  privilegierten  Misse- 
thäter  waren  es,  die  bei  feierlichen  Gelegenheiten  die  Leibwache 
des  Königs  von  Mekka  bildeten ; von  diesen  Lanzenträgern  um- 
geben, trat  er  an  Neumonds-  und  Freitagen  in  das  Heiligthum 
ein  und  machte  den  siebenmaligen  Umgang  um  die  Ka'bah , wäh- 
rend ein  junger  Mu'eddin  mit  kräftiger  Stimme  von  dem  oberen 
Stockwerke  des  Zemzemgebäudes  ein  Gebet  für  das  Heil  des  Für- 
sten ertönen  liess’). 

Wie  innig  musste  der  orientalistische  Islam  schon  damals  von 


1)  Iba  Jobair  74  ff.  2)  CM  II : 214. 

3)  Ibn  Jobair  96,  123 — 4;  dass  auch  die  nächsten  Verwandten  des  jeweiligen  Grosa- 
scherifs ihre  Hecreemacht  hatten,  ist  schon  durch  die  Kämpfe,  welche  sie  gegen  den 

Herrscher  zu  führen  pflegten,  wahrscheinlich;  CM  11:213  bestätigt  es  aber  ausdrücklich. 


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schfitischem  Geiste  durchdrungen  sein , dass  man  solche  Zustände 
im  heiligen  Lande  allenthalben  zwar  bedauerte,  aber  dennoch  dul- 
dete! De  spanische  Pilger  sagt  allerdings,  das  Schwert  sei  als 
einziges  Heilmittel  für  die  Krankheiten  Westarabiens  zu  betrach- 
ten *),  und  wenn  er  die  grosse  Zahl  der  Ijasaniden,  Husainiden 
und  Dja'fariden  in  dieser  Gegend  und  die  bittere  Armuth  mancher 
von  diesen  Scherifen  bespricht s),  so  will  er  damit  keineswegs  ihre 
Uebelthaten  entschuldigen.  Im  Orient  war  die  herrschende  Stim- 
mung äusserst  nachgiebig  gegen  das  »Geschlecht  des  Gottesgesand- 
ten”; als  Beleg  diene  folgende  Geschichte,  welche  sich  gerade  in 
der  jetzt  von  uns  behandelten  Periode  abgespielt  hat 5).  Der  treulose 
christliche  Fürst  von  Kerak  machte,  feierlichen  Verträgen  zum 
Trotz,  die  Karawanenwege  im  Gebiete  Saladins  unsicher  und 
wusste  sogar  mit  Hülfe  von  Beduinen  1182  Schiffe  ins  rothe  Meer 
zu  bringen , welche  dort  gegen  die  Küste  operieren  sollten.  Sala- 
din  forderte  gleich  seinen  Bruder  in  Jemen  zur  Bekämpfung  dieser 
Franken  auf;  auch  von  Egypten  aus  wurden  sie  angegriffen,  und 
beim  nächsten  Haddj  wurden  am  Opfertage,  ausser  Kameelen  und 
Schaafen,  auch  einige  gefangene  Europäer  geschlachtet.  Kurz  bevor 
die  erwähnte  Aufforderung  den  Prinzen  in  Jemen  erreichte,  war 
ein  berühmter,  vielgereister  damascener  Dichter1 * * 4)  auf  dem  Wege 
von  Medina  nach  Mekka  bis  aufs  Hemd  ausgeplündert  worden. 
Die  Räuber  waren  hasanidische  Scherife  aus  dem  vornehmen  zahl- 
reichen Geschlechte  des  üä’üd  ibn  Müsa  II  *),  also  nahe  Verwandte 
der  Grossscherife  von  Mekka.  Der  Stammvater  Dä’üd  war  schon 
ein  mächtiger  Patriarch  gewesen;  seine  Nachkommen,  welche  nicht 
das  Glück  hatten , eine  Stadt  ausbeuten  zu  können , legten  sich  in 
der  Umgegend  von  Qafrä  auf  das  Räuberhandwerk.  Der  beraubte 
Dichter  schüttelte  seinen  Zorn  in  einigen  Versen  aus , welche  darauf 
berechnet  waren,  Saladins  Bruder  zur  Züchtigung  der  Scherife  an- 
zutreiben. »Sage  nicht”,  so  redet  er  den  Prinzen  an , »ich  will  die 


1)  Ibn  Jnbair  75  ff.  2)  Ibn  Jubair  73 — 4. 

3)  OT  (D)  109  ff.,  112  ff;  vorgl.  IA  XI  : 310,  323. 

4)  Vergl.  über  ihn  auch  Ibn  Challiitan  II : ‘105  ff.  der  Qairiner  Ausgabe  von  1299  H. 

5)  Stammtafel  I,  17. 


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72 


»Küste  der  Franken  erobern;  wenn  da  heiligen  Krieg  führen  willst, 
»so  richte  dein  Schwert  gegen  Leute,  die  Gottes  Gesetz  zunichte- 
»machen,  und  reinige  mit  deinem  Schwerte  Gottes  Haus;  sage 
»nicht:  die  Uebertreter  sind  Söhne  der  FStimah;  wenn  sie  die  Zei- 
»ten  der  Ilarb  (der  Omajjaden)  erlebt  hätten,  so  hätten  sie  ja 
»gegen  Hasan  gekämpft !”  Der  Dichter  selbst  erzählt , dass  er  nach 
Vollendung  seines  Gedichtes  unruhig  schlief;  im  Traume  erschien 
ihm  Fätimah , die  sich , ohne  seinen  Gruss  zu  erwidern , von  ihm 
abwandte  und,  nach  dem  Grunde  ihres  Zornes  gefragt,  gleich- 
falls in  Versen  ihrem  Aerger  über  die  Beschimpfung  ihrer  armen 
Kinder  Ausdruck  gab.  Nicht  schlecht  sind  sie,  so  sprach  die  Hei- 
lige, sondern  unglücklich;  das  tückische,  ungerechte  Schicksal  ist 
gegen  uns.  Um  Muhammeds  Willen  verehre  sein  Geschlecht;  was 
dir  Schlechtes  von  ihnen  widerfährt,  dafür  wirst  du  im  Jenseits 
reichlich  entschädigt ! Der  Dichter  erwachte  und  bat  in  einem 
neuen  Gedichte  um  Verzeihung.  Bei  Gott,  sagt  er,  sollte  mich 
einer  von  ihnen  mit  rebellischem  Schwerte  oder  Lanze  durchboh- 
ren , so  werde  ich  seine  That  als  eine  schöne  preisen  1 

Aehnlich  ist  die  Verehrung,  welche  man  den  Scherifen  in  den 
weitesten  Kreisen  bis  zum  heutigen  Tage  entgegenbringt;  man 
setzt  bei  ihnen  gar  keine  besondere  Kenntniss  von  der  Religion 
noch  Seelenadel  voraus ; man  ehrt  in  ihnen  den  Propheten , von  dem 
sie  abstammen,  und  man  glaubt,  dass  durch  Allahs  Willen  ihr 
Segen  und  Fluch  die  Wirkung  nicht  verfehlen , jede  That  der  Liebe 
und  Nachsicht  gegen  sie  bei  Gott  ihren  Lohn  findet , ja  dass  sogar  die 
fromme  Berührung  ihrer  körperlichen  Hülle  segensreiche  Folgen  hat. 

Die  relative  Unthätigkeit  der  muslimischen  Fürsten  den  Miss- 
ständen der  Scherifenhcrrschaft  gegenüber  war  aber  ausser  in  der 
populären  Alidenverehrung  noch  in  dem  Wesen  und  der  Geschichte 
aller  muhammedanischcn  Reiche  begründet.  Deren  Blüthe  und  Kraft 
überdauerte  nur  selten  die  Lebenszeit  ihrer  Gründer;  sogar  in 
diesen  günstigsten  Zeiten  waren  aber  die  Kräfte  der  Sultane  durch 
näher  liegende  Interessen  in  Anspruch  genommen  als  die  kostspie- 
lige, ermattende  und  keine  Dauer  versprechende  Herstellung  der 
Ordnung  in  einem  Lande,  welches  die  Natur  selbst  jeder  Kultur 


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73 


verschlossen  zu  haben  scheint.  Auch  der  mächtige  Saladin  konnte 
hier  nur  ausbessern,  nicht  reformieren;  es  musste  ihm  genug  sein, 
dass  ihm  alle  höchsten  Ehren  im  Freitagsgebete  und  beim  Iladdj 
erwiesen  wurden.  Man  könnte  glauben , dass  jetzt , wo  ein  nomi- 
nell abbasidisches  Sultanat  an  die  Stelle  des  ketzerischen  Chalifats 
von  Egypten  getreten  war,  der  alten  Eifersucht  zwischen  den  Pil- 
gerfiihrern  der  Boden  entzogen  war.  Saladins  Huldigung  hatte 
aber  nur  den  machtlosen  Chalifen  and  die  officielle  Religion  zum 
Gegenstände:  die  schfitischen  Richter  ersetzte  er  durch  solche,  die 
sich  zum  Hauptritus  des  Abbasidenreichs,  dem  schäfi'itischen , be- 
kannten ; Befehle  aus  Baghdad  hätte  er  jedoch  zurückgewiesen. 
Der  Anführer  der  Pilgerkarawane  von  Syrien  '),  der  als  Vertreter 
Saladius  1188  an  den  Haddjstationen  die  Abzeichen  der  fürstlichen 
Würde  aufstellte*)  und  die  fürstlichen  Trommeln  schlagen  Hess, 
hatte  deswegen  mit  dem  Emir  von  Träq  einen  blutigen  Kampf  zu 
führen.  Der  Syrer  behauptete,  die  beide  Karawanen  hätten  nichts 
mit  einander  zu  thun,  und  gab  somit  auch  die  ideelle  politische 
Einheit  des  Islain’s  auf.  Viele  von  seinen  Leuten  wurden  getödtet; 
nach  wie  vor  spielte  aber  der  Fürst  von  Egypten  hier  die  Hauptrolle, 
ohne  bedeutenden  Einfluss  auf  die  inneren  Angelegenheiten  Mek- 
ka’s  auszuüben. 

Die  letzten  Häschimiden  lebten  so  sorglos  in  stetem  Bruderkriege 
dahin,  dass  man  kaum  begreift,  wie  so  lange  keiner  von  ihren 
zahlreichen  hungrigen  Verwandten  in  Westarabien  auf  den  Gedan- 
ken kam,  beiden  Parteien  den  umstrittenen  Besitz  zu  entreissen. 
Vielleicht  haben  die  Chronisten  nur  den  erfolgreichen  Versuch  der 
Erwähnung  gewürdigt s).  Im  fruchtbaren  Stammsitze  der  Söhne 
Hasan’s  II,  in  der  Gegend  von  Jainbu',  hatte  der  vierte  Zweig 
dieses  Stammes'),  der  für  Mekka  Bedeutung  erlangen  sollte,  sich 
zu  frischer  Kraft  entwickelt.  Qatüdahi 2 3 4) , der  gegen  Ende  des  12ten 


1)  IA  XI : 370— 71  j CM  11:259—60;  MK  120. 

2)  Ob  dies  r1*  noch  aus  einer  Kahne  bestand,  oder  schon  damals  die  Sitte  der 
Mahmar » cingoführt  war,  ist  aus  den  Quollen  nicht  lu  ermitteln. 

3)  CM  n : 214,  in : 83;  MK  121. 

4)  Stammt.  I,  22.  5)  Stammt.  I,  43;  U,  1. 

10 


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74 


Jahrhunderts  an  der  Spitze  dieser  Abtheilung  stand , bekam  all- 
mählich die  südlich  von  seiner  Heimath  nach  Mekka  zu  liegenden 
Striche  (z.  B.  Qafrä)  in  seinen  Besitz;  sein  Blick  war  längst  auch 
auf  Mekka  gerichtet,  nur  harrte  er  des  günstigen  Augenblicks. 
Unsere  Quellen  gestatten  uns  nicht,  zu  entscheiden,  ob  er  1201, 
2 oder  3 seinen  Plan  ausgeführt  hat;  sie  haben  aus  jener  verwirrten 
Zeit  nicht  einmal  die  Erinnerung  bewahrt,  wer  von  beiden  , Mukthir 
oder  Mancür,  von  Qatädah  entthront  wurde.  Während  alle  darüber 
einig  sind,  dass  Qatädah  sich  zuvor  einen  bedeutenden  Anhang  in 
der  Stadt  gebildet  hatte , findet  man  über  den  entscheidenden  Ein- 
griff zwei  unvereinbare  Berichte.  Nach  dem  einen  nahm  Qatädah’s 
Sohn  Uanzalah  die  Stadt  ein  und  brachte  dort  erst  Alles  zum  Ein- 
züge des  Vaters  in  Ordnung;  der  andere  sagt,  Qatädah  habe  listig 
das  Fest  des  27ste11  Redjeb  benutzt,  die  entleerte  Stadt  zu  besetzen. 
An  jenem  Tage  gedenken  die  Muslime  der  legendarischen  »Him- 
melreise” Muhammeds,  die  Mekkaner  feierten  aber  ausserdem  den 
Gedenktag  der  Vollendung  des  Ka'bahbaues  durch  Abdallah  ibn 
Zubair.  Sie  pflegten  allesammt  am  27sten  Redjeb  eine  glänzende 
cUtnra/t  (kleine  Wallfahrt)  zu  begehen,  wozu  sie  zunächst  das  hei- 
lige Gebiet  ringsum  Mekka  verlassen  müssen.  Während  also  alle 
Mekkaner  auf  ungeweihtem  Boden  das  Pilgergewand  anlegten,  sei 
Qatädah  hereingezogen.  Wie  dem  auch  sei,  er  machte  der  faulen 
Hawäschim-dynastie  ein  Ende  und  steckte  seinem  Hause  doch 
etwas  weitere  Ziele  als  das  Fressen  des  Pilgerraubes  in  Mekka, 
bis  ein  stärkeres  Raubthier  ihn  bei  Seiten  schöbe.  Mit  seinem  Auf- 
treten beginnt  eine  neue  Periode  im  Leben  Mekka’s,  welche  noch 
nicht  zum  Abschluss  gekommen  ist,  denn  obgleich  die  Verhältnisse 
im  Laufe  der  letzten  688  Jahre  in  mancher  Beziehung  verändert 
sind,  Vieles  ist  in  Westarabien  heute  noch,  wie  es  damals  war,  und 
die  Söhne  Qatädah’s  sind  noch  die  Könige  des  llidjäz. 


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STAMA 


Qntttdnh 


2.  Hasan  C17  (8?) — 619  (20?) 


8.  Ali 

.1 

8.  Hnt*un  Abu  Sa‘d  689 — S 


6.  1*1  ri» 

I 

11.  Ghflnim  £ 670 


7.  DjammAz  Rn — Dh  651 


12.  Mulmmm«*d  Abu  Num^ii  { 


I 


18.  Rnmeithnli  701 — Uq  748  14.  Humeidh.h  (,— Uh  701,  703— Dh  ’ 

(bis  731  vielfach  unterbrochen)  714 — Sn  716,  M — Rh  II  718 


17.  Mubarak 


I 


18.  Mughamis  747 — 60 


1«.  Thogbah  748— S1  760,  763— Dh  754 
M — Dh  767,  Uh  758—762 


23  ’AqTl  Dh  788  24.  Ali  Dh  788 


25.  inan  Dh  788— Dh  789 
Sn  792— Dh  794 


82  Ali  827— Uh  828 


26.  Ahmed  Dh  78S 

I 27. 

88.  Muhammed  780 — Dh  788  gj  --q< 


4 

40.  Ahmed  Dj ftxflo  Sl-Dq  908.  be*  .—  Rg  909  41.  Hazza'  »)  Dh  906,  IJj  1 907 

I 

45,  Ali  910—13  (t) 

1)  Vergl.  Stammt.  I,  43  2)  So,  nicht  HizI*  (Wüstenfeld)  wird  dieser  Name  gesprochen 


N fl.  In  dieser  Tafel  sind  die  Namen  aller  Scherife  aufgeführt,  welche  von  Qat&dah  bis  zum  zweiten  Abo  Noi 
habe;  hinter  deu  Jahreszahlen  bezieht  sich  ein  Fragezeichen  nur  auf  diese.  Die  Scherife,  welche  nur  ei 
Herrschaft  gelangten  gleich  durch  das  Fehlen  der  Jahreszahl.  Fett  gedruckt  sind  bloss  die  Namen  s 
Monate  sind  der  Reihe  nach  mit  den  Anfangsbuchstaben  M,  Rb  1 , Rb  II,  Dj  I,  Dj  II,  Rg,  Sn,  I 


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ITAFEL  II. 


597  (8?  «17  (8?) 

. | 

4.  Khdjih  6*9— »8.  Uh  651— Rb  1 659  5.  Idrtt  81  659- Kb  11  669 

I I 

: 661  9 Ghlniiu  Rb  II— S1  65*  10.  Muhammrd  (?)  Uh  701—703 

-663— g 701 


8, 


15.  Abul-Gheith  Uh  701  — 703. 
Uh  713—  g 714 


10. 


22 


‘Uteifth  Uh  701—703 
M 719— M 731 

M uhtmmrd  Uj  II — Uh 


20.  Sind  747—50,  760—68 


*1.  'A.4J)hii  !)M  746 — 774  (vielfach 
unU-rbrueben)  774 — 777  (honori»  aau) 


(?) 

760 


.hmrd  88.  Knbc^ch  29  M uhemmed  794.  80.  Ali  Sn  789— 81  797 , 31  llu.aii 

-Sn  788  S)  797— Kb  11  793  827— Uh  828  Rb  11 798— Uj  II  829 


34.  Rumeithah 

Dh8l8— Kn819  35 . s»r..knt  36.  Ahmed  811  37.  Ali  38.  Abu’l-QMim 

Uh  809— Sn  859  Sn  846—81  846  Dq  846—850 

39.  Muhammeil  Sn  859 — M 903 

* I 


4 i2.  BaraUnt  M 903 — Dq  931  43.  Qlitb tj  M 310— (J  918  44  Huraeidhah  Kg  909-M  910 


40.  Muhamraed  Aba  Nnm^JJ 
Sn  918—  974  (honoris  causa  bis  M 992  f) 


bjj  regiert  haben  Ein  Fragezeichen  hinter  dem  Namen  bezeichnet  den  Zweifel,  ob  der  Betreffende  uberhaapt  regiert 
Verbindungsglieder  oder,  weil  ihr  Name  im  Buche  vorkommt,  mit  eingetragen  sind,  unterscheidet  man  von  den  zur 
eher  Fürsten  von  Mekka,  welche  für  ihr  Zeitalter  ganz  hervorragende  Bedeutung  hatten.  Die  Namen  der  arabischen 
i,  Sl,  Dq,  Dh  bezeichnet. 


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III. 

DIE  SÖHNE  QATÄDAH’S  BIS  ZUR  WAHHABI- 
TENZEIT.  (1200-1788). 


Qatädah  ’)  ragt  sehr  weit  über  alle  seine  Vorgänger  und  viele 
von  seinen  Nachfolgern  hervor;  in  seinem  Lande  und  für  seine 
Zeit  war  er  ein  politisches  Genie  Alle  seine  Thaten  verfolgen  den 
Zweck , ein  möglichst  unabhängiges  Fürstenthum  des  ganzen 
Hidjäz  zu  gründen;  zur  Erreichung  dieses  Zieles  waren  ihm  na- 
türlich alle  Mittel  gut,  deren  sich  orientalische  Politiker  zu  bedie- 
nen pflegen,  und  namentlich  schonte  er  kein  Blut.  Dass  er  trotz 
aller  Anstrengung  sein  Werk  unvollendet  hinterliess,  daran  waren 
die  äusserst  schwierigen  Verhältnisse  schuld,  gegen  welche  er  anzu- 
kämpfen hatte.  Der  Hidjäz  war  innerlich  in  fast  soviele  Parteien 
zertheilt,  als  es  wichtige  Ortschaften  gab;  die  Heiligthümer  veran- 
lassten  ein  jährliches  Rendez-vous  der  muslimischen  Grossmächte, 
die  Berichte  von  einem  erwachenden  politischen  Leben  im  Hidjäz 
nicht  ohne  Misstrauen  aufnehmen  konnten  ; auch  war  Qatädah  schon 
nicht  jung  mehr,  als  er  die  Hauptstadt  eroberte. 

Auf  die  Einnahme  Mekka’s  soll  Qatädah  die  Wiederherstellung 
der  zertrümmerten  Mauern  3)  haben  folgen  lassen ; er  unterwarf  sich 
die  Stadt  Täif  und  die  um  dieselbe  sesshaften  Thaqlfstämme  ’)  und 
setzte  den  früher  angefangenen  Kampf  gegen  die  Husainiden  Me- 


1)  Stammt.  I,  48;  II,  1.  2)  Vergl.  oben  S.  2.  8)  MK.  122. 


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76 


dina’s  fort  ').  Dos  früher  in  dieser  Gegend  gewonnene  Gebiet  nicht 
zu  verlieren,  baute  er  in  Jambu'  eine  Festung  und  Hess  dort  eine 
Desatzung  unter  dem  Befehl  eines  seiner  Söhne  zurück  ’).  Mit  der 
gewöhnlichen  Geschäftsführung  beauftragte  er  einen  Wezir  5)  und 
wandte  der  Bildung  eines  zahlreichen  Heeres  von  Freien  und  Skla- 
ven besondere  Sorgfalt  zu  *).  Die  Grenzen  seiner  Herrschaft  bildeten 
nördlich  Medina  und  Jambu',  südlich  Hali  in  Jemen*). 

Die  auswärtige  Politik  Qatädah’s  scheint  zunächst  etwas  räthsel- 
haft.  Das  Reich  Saladins  war  zwar  nach  dessen  Tode  getheilt  und 
somit  geschwächt,  aber  es  macht  doch  den  Eindruck  unüberlegter 
Frechheit,  wenn  Qatädah  1215  dem  die  Wallfahrt  vollziehenden  Sohne 
'Adils5),  der  ihn  fragt,  wo  er  einkehren  soll,  auf  die  Strasse  hin- 
weist; kein  Wunder,  dass  dieser  gleich  darauf  den  Scherif  von  Medina 
mit  Truppen  gegen  Qatädah  unterstützte.  Viel  schlimmer  verdarb 
er  es  mit  dem  Chalifen  von  Baghdad  beim  Haddj  von  1212  *).  Ein  As- 
sassine, der  sich  unter  den  'iräqischen  Pilgern  befand,  ermordete 
während  der  Piigerversammlung  im  Thale  Muna  einen  Scherif,  der 
dem  Qatädah  sehr  ähnlich  gewesen  sein  soll.  Gleich  schliesst  Qatädah, 
der  Mörderdolch  sei  vom  Chalifen,  und  zwar  gegen  ihn , gemiethet, 
und  greift  mit  Scherifen  und  Sklaven  raubend  und  mordend  alle 
Träqenser  an.  Die  Anwesenheit  einer  Schwester  'Adils  aus  Syrien 
konnte  nur  theilweise  den  Zorn  des  Scherifs  einschränken ; gegen 
Zahlung  einer  beträchtlichen  Geldsumme  durften  die  Pilger  ihre 
religiösen  Pflichten  erfüllen  und  dann  eilends  abziehen.  War  der 
Verdacht  Qalädah’s  begründet,  oder  suchte  er  vielmehr  einen  Anlass 
zum  Streit?  Wie  dem  auch  sei,  er  besann  sich  nachträglich  und 
schickte  seinen  Sohn  mit  einigen  von  seinen  Leuten  in  Leichenge- 
wändern mit  gezogenen  Schwertern  als  Sühnopfer  zum  Chalifen; 
er  hat  wohl  gewusst,  dass  man  ihr  Blut  nicht  in  unnützer  Weise 
vergiessen  würde.  Der  Chalife  Nägir  schickte  die  Gesandtschaft  mit 
Geschenken  zurück,  lud  dann  aber  den  Vater  selbst  zu  einem 
Besuche  ein.  Qatädah  antwortete  spöttisch  mit  einem  Gedichte,  in 

1)  IA  XU:  184;  CM  11:214.  2)  MK  124.  3)  MK  125. 

4)  IA  Xll : 2C1,  cf.  CM  II : 214.  5)  CM  11 : 2G3. 

6)  CM  II:  260  ff.;  IA  X1I:195;  MK  123—4;  OT  (D)  125. 


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77 


welchem  er  das  Leben  im  eignen , armen  Lande  dem  Reisen  in 
die  Fremde  vorzieht.  »Es  geht  mir”,  so  schliesst  er,  »wie  dem 
»Moschus;  ausserhalb  eures  Landes  dufte  ich;  bei  euch  würde  ich 
»zu  Grunde  gehen  (verduften)”  *).  Die  spätere  Legende  lässt  ihn 
zuerst  nach  Baghdad  reisen , dann  aber , nachdem  ihm  eine  Ge- 
sandtschaft entgegen  gekommen,  in  deren  Gefolge  sich  gefesselt  Löwen 
befinden,  mit  dem  Ausrufe  zurückkehren : ich  gehe  nicht  in  ein 
Land , wo  Löwen  gefesselt  werden ! Wozu  aber  die  herausfordernde 
Verwegenheit,  wenn  er  in  seinem  armen  Lande  ruhig  zu  bleiben 
wünschte?  Das  Räthsel  löst  sich  einigermaassen  durch  die  Mitthei- 
lung eines  Schriftstellers  aus  Jemen  *) , Qatädah  habe  sich  eifrig 
für  die  gerade  in  seinen  Tagen  in  Südarabien  emporgekommene 
zaiditische  Dynastie  des  Hasaniden  al-Man^ür  bemüht.  Schfiten  zai- 
ditischer  Farbe  trieben  seit  Jahrhunderten  in  Jemen  eine  erfolgreiche 
Propaganda;  1197  gründete  ein  vlrnärn”  von  hasanidischem  Stamme 
hier  ein  zaiditisches  Reich  und  schickte  Gesandtschaften  mit  der 
Bitte  um  Hülfe  an  die  Parteigenossen  bis  in  die  entlegensten 
Länder s).  Die  Meisten  antworteten  selbstverständlich  mit  den  besten 
Wünschen  und  mit  Geldsendungen ; von  Qatädah  heisst  es  aber, 
er  habe  energisch  die  Interessen  des  Imäms  verfochten.  Soviel  ist 
aus  Qatädah’s  Worten  und  Handlungen  klar,  dass  er  alle  auswär- 
tigen Beziehungen  nur  als  Mittel  zum  Zwecke  seines  westarabischen 
Königreichs  betrachtet  hat.  Wahrscheinlich  hat  er  einen  Augenblick 
geglaubt,  das  neue  Imämat  von  Qan'ä  könnte  auf  der  Weltbühne 
eine  Stellung  neben  Egypten  und  'Iräq  erobern,  und  dann  wäre 
ihm  natürlich  kein  Oberherr  lieber  gewesen  als  dieser  stammver- 


1)  MK  123 — i,  OT  (D)  125;  der  Aalass  zum  Gedichte  ist  bei  IA  XII : 261  ein  wenig 
anders;  an  der  Hauptsache  ändert  daa  aber  nichts. 

2)  M*.  Leid.  1956,  II : fol.  11  r°  (citiert  in  Landbergs  Katalog,  S.  67  f.);  vergl.  OT 
(D)  166;  JA  XII:  113. 

3)  Die  ji-muuLseheu  Schriftsteller  überschätzen  wohl  manchmal  die  Bedeutung  der  poli- 
tischen Geschichte  ihrer  Heimath  für  das  Ausland.  Ich  besitze  eine  Handschrift  über 
die  Geschichte  Jemens  im  lOten  Jahrh.  II.,  der  als  Anhang  zwei  von  den  vielen  Send- 
schreiben des  Imäms  al-Mnajjad  beigegeben  sind,  welche  er  an  den  persischen  Schah 
Abbas  und  an  die  Scberife  von  Mekka  schickte,  um  Beide  zur  Mitwirkung  gegen  die 
Türken  anzutreiben.  Man  kann  sich  denken,  dass  keiner  von  diesen  Fürsten  sich  im  Ge- 
ringsten durch  solche  Einladungen  bestimmen  Hess. 


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78 


wandte  Fürst  eines  dem  seinigen  in  mancher  Beziehung  ähnlichen 
Landes.  Die  Erfahrung  hat  ihn  wohl  bald  eines  Bessern  belehrt; 
er  blieb  zwar,  wie  die  meisten  seiner  Verwandten , Zaidite  und  ein 
guter  Freuud  des  Imams,  ohne  aber  dessen  Kämpfe  zu  führen.  In 
seinem  Testament  *)  ertheilte  er  seinen  Verwandten  folgende  War- 
nung: Lasset  euch  nicht  auf  allzu  enge  Beziehungen  mit  fremden 
Mächten  ein : «denn  Allah  hat  euch  und  euer  Land  durch  dessen 
u Unzugänglichkeit  geschützt , sodass  man  nur  mit  grösster  Anstrengung 
« hineingelangt” . Nach  der  Wiedereroberung  Jemens  durch  einen  Enkel 
'Adils  121(5  wurden  im  öffentlichen  Gebet  in  Mekka  ausser  dem  Cha- 
lifen  und  dem  Scherif  auch  die  ajjubidischen  Herren  Egyptens,  Syriens 
und  Südarabiens  genannt8).  Im  letzten  Lebensjahre  Qatädah’s, 
1221  *),  machten  sich  schon  in  Mekka  durch  das  Fehlen  der  Perser 
beim  Haddj  die  Folgen  der  schrecklichen  Mongoleneinfalle  be- 
merkbar; in  den  folgenden  Jahren  wurde  die  Theilnahme  einer 
Karawane  aus  cIräq  am  Haddj  eher  Ausnahme  als  Regel. 

Der  alte  Grossscherif  schmiedete  noch  als  Siebzigjähriger  immer 
neue  Pläne  zur  vollständigen  Unterwerfung  des  »unzugänglichen 
Landes”;  zuletzt  unternahm  er  eine  grosse  Expedition  gegen  Me- 
dina. Krankheit  halber  musste  er  die  persönliche  Theilname  an 
derselben  aufgeben , nach  Mekka  zurückkehren  und  seinen  Brüdern 
und  Söhnen  die  Führung  überlassen.  Es  wurde  ihm  nicht  vergönnt, 
ruhig  zu  sterben.  Sein  Sohn  Hasan ')  glaubte  zu  wissen , dass  sein 
Vater  vorhabe,  nicht  ihn , sondern  einen  Oheim  zum  Nachfolger  zu 
ernennen;  dem  vorzubeugen,  tödtete  er  den  vermeintlichen  Kan- 
didaten und , da  ihm  hinterbracht  ward , sein  Vater  wolle  ihn  den 
Mord  mit  seinem  eignen  Leben  büssen  lassen,  wandte  er  sich 
eilends  nach  Mekka,  dem  kranken  Greise  einen  verfrühten  Tod  zu 
bereiten.  Darauf  berief  er  seinen  in  Jambu'  als  Befehlshaber  der 
Festung  weilenden  Bruder  zu  sich  und  erschlug  auch  diesen;  die 
übrigen  Mitbewerber  entzogen  sich  durch  die  Flucht  einem  gleichen 
Ende,  und  Hasan  war  Fürst  der  Gottesstadt *) ! Am  nächsten  Feste 

1)  MK  128.  2)  CM  n : 263.  8)  CM  11 : 265,  cf.  268. 

4)  IA  XII : 262  ff. ; CM  II:  263  ff.,  Stammtafel  II,  2. 

5)  CM  II : 215;  IA  XII:  268— 9,  303;  MK  124. 


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79 


(1121  oder  22)  opferte  er  seinem  Misstrauen  den  Emir  der  Kara- 
wane von  'Iräq,  den  er  in  Verdacht  hatte,  auf  der  Seite  seines 
Bruders  Rädjib  zu  stehen,  that  dann  aber  der  Plünderung  der 
armen  Pilger,  auf  welche  seine  Banden  gierig  losstürzten , durch 
sein  Verbot  Einhalt:  der  Ueberbringer  des  Verbots  brachte  als  Be- 
glaubigung den  Turban  des  Grossscherifs  mit.  Seiner  Tyrannei  setzte 
bald  der  Ajjubide  Mas'üd,  der  im  Namen  seines  in  Egypten  re- 
gierenden Vaters  Jemen  zurückerobert  hatte,  ein  Ziel.  Dieser  Prinz, 
dessen  Leichtsinn  und  unverschämtes  Gebahren  gegen  die  Vertre- 
ter des  Chalifen  die  Historiker  hervorheben  ’),  versagte  den  Sche- 
rifen  jede  Theilnahme  an  der  höchsten  Gewalt  und  setzte  seine 
Heerführer  als  Statthalter  von  Mekka  ein.  Als  aber  nach  seinem  Tode 
einer  von  diesen,  Nür  öd-dln , Jemen  zu  seinem  unabhängigen 
Gebiete  machte  (1282),  knüpfte  er  wieder  mit  den  Söhnen  Qatä- 
dah’s  an,  weil  er  in  Mekka  einen  vorgeschobenen  Posten  gegen 
die  egyptisehe  Macht  brauchte.  Egypten , wo  die  Ajjubiden  all- 
mählich zum  Spielzeug  ihrer  türkischen  Mamluken  (Sklavenkrieger) 
wurden,  wollte  sich  seine  lloheitsrechte  nicht  nehmen  lassen,  und 
so  wurde  der  Hidjäz  zum  Kampfplatz  zwischen  beiden  Mächten. 
Die  zehnjährige  Periode  der  Ruhe,  wo  Medina  von  Damaskus  und 
Mekka  von  Jemen  aus  für  die  gleiche  ajjubidische  Dynastie  re- 
giert wurden  ’),  war  zu  Ende , sobald  der  nördliche  und  der  süd- 
liche Theil  des  Reiches  Saladins  zu  selbständigen  türkischen  Für- 
stenthümern  geworden  waren  *).  Während  der  busainidische  Scherif 
von  Medina  gewöhnlich  der  egyptischen  Sache  diente,  spielten 
beide  Mächte  gern  basanische  Kandidaten  zum  Throne  Mekka’s 
gegen  einander  aus;  dies  war  dem  südlichen  Reiche  wegen  der 
örtlichen  Verhältnisse  am  leichtesten,  und  solange  der  Emir  von 
Jemen  eine  bedeutende  Person  war , regierte  er  doch  eigentlich 
selbst.  Er  war  es*),  der  1240  die  indirekten  Steuern  in  Mekka 
feierlich  abschaffte,  sein  Arineefübrer  stellte  dieselben  freilich  kurz 
darauf  wieder  her.  Der  Grossscherif  hatte  sogar  eine  Zeit  lang  sei- 

1)  CM  n : 266.  2)  CM  II : 266—7. 

3)  CM  II : 216  ff.,  312.  4)  CM  II : 268. 


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ncn  Aufenthalt  im  Wadi  Marr  ausserhalb  Mekka’»  ').  Schon  aus 
diesem  Grunde  und  auch  wegen  der  fortwährenden  Eingriffe  Egyp- 
tens haben  die  Söhne  und  Enkel  Qatädah’s'J,  welche  bis  1254 
einander  den  Rang  streitig  machten,  geringe  Bedeutung. 

Die  nächsten  Jahre  führten  in  der  muslimischen  Welt  fol- 
genschwere Umwälzungen  herbei : 1258  zerstörten  die  Mongolen 
Baghdad,  vernichteten  das  zu  einem  Kleinstaat  herabgesunkene 
Chalifat  der  Abbasiden  und  nahmen  somit  der  traditionellen  Pil- 
gerkaravane  aus  Träq  die  letzte  Spur  der  politischen  Bedeutung  ’). 
Unterdessen  hatte  der  Mamlukenfürsl  Baibars  für  Egypten  eine 
neue  Glanzperiode  eröffnet  , welche  des  eitlen  Prunkes  nicht  be- 
durfte , den  dieser  Türke  mit  einem  zu  ihm  geflüchteten , von  ihm 
als  Chalifen  eingesetzten  Abbasiden  trieb.  Auch  ohne  diese  Gau- 
kelei war  Baibars  jetzt  der  mächtigste  Fürst  des  Islam’s  und 
wurde  auch  in  den  Haramein  als  solcher  anerkannt.  Nach  Mekka 
schickte  zwar  der  Emir  von  Jemen  noch  1255  Truppen , welche 
zu  vertreiben  den  Scherifen  nicht  leicht  wurde «);  und  später , 
z.  B.  1261  5),  wussten  diese  Fürsten  durch  Geldvertheilungen  und 
Schenkung  von  Kleidern  für  die  Ka'bah  den  zweiten  Rang  im 
öffentlichen  Gebet , nach  den  egyptischen  Sultanen , für  sich  zu  be- 
halten , manchmal  auch  durch  ihre  Truppen  den  Bruderkriegen 
der  Scherife  die  gewünschte  Richtung  zu  geben  *);  das  entscheidende 
Wort  war  aber  bei  den  Mamluken.  Diese  überliessen  die  Verwal- 
tung der  heiligen  Stadt  wieder  gänzlich  der  Scherifen , und  sie 
konnten  das  thun,  weil  ein  energischer  Mann,  Muhamraed  Abu 
Numejj  ’),  Urenkel  QatSdah’s  und  Stammvater  aller  nach  ihm  zur 
höchsten  Würde  gelangten  Scherife,  beinahe  ein  halbes  Jahrhun- 
dert lang  (1254 — 1301)  die  Lage  wesentlich  beherrschte.  Ihm  wird 
ebenso  wie  seinem  Vater  grosse  Tapferkeit  nachgerühmt.  Letzte- 
rer*) hatte  eine  abyssinische  Sklavin  zur  Mutter;  diese  Concubinen 
sind  von  jeher  bei  den  Scherifen  und  anderen  Mekkanern  beson- 


1)  CM  II:  217  ff.  AD  35  ff. 

3)  CM  11 : 269—71. 

5)  CM  11:271 

7;  Stammt.  II,  11;  CM  II:  218  ff 


2)  Vergl.  Stammt.  II,  4,  7,  8,  9. 

4)  CM  II : 218. 

6)  CM  II : 272—3,  vergl  AD  37—8. 
8)  Stammt  II,  8. 


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ders  beliebt  gewesen.  Als  er  noch  ganz  jung  zum  ersten  Male  in 
den  Kampf  mitzog,  rief  ihm  die  Mutter  nach:  Benimm  dich  gut, 
mein  Junge,  denn  wenn  du  dich  tapfer  erweisest,  wird  man  sagen  : 
sehet  den  Nachkommen  des  Propheten!  wenn  nicht,  so  wird  es 
heissen:  er  hat  ja  eine  Sklavin  zur  Mutter!1 * * *)  In  solcher  Lehre  war 
auch  Abu  Numejj  gross  gezogen ; sonst  hätte  er  nicht  so  lange  unter 
den  mit  echt-alidischer  Fruchtbarkeit  sich  stets  vermehrenden  Sehe- 
rifen  das  Uebergewicht  behalten.  Mit  seinem  Oheim  Idrls ')  war  er 
allerdings  genüthigt  bald  um  die  Herrschaft  zu  kämpfen , bald 
deren  Yortheile  zu  thcilen  , und  nachdem  er  diesen  getödtet,  musste 
er  auf  kurze  Zeit  seinem  mit  Hülfe  des  Husainiden  von  Medina 
herbeieilenden  Vetter  Ghänim  ’)  weichen ; aber  in  allen  Kämpfen  behielt 
Abu  Numejj  schliesslich  das  Feld.  Mit  seinem  Schutzherrn  ver- 
fuhr er  in  ganz  eigenthümlicher  Weise.  Als  Baibars  1 209  selbst 
zum  Haddj  kam*),  fand  er  Abu  Numejj  mit  seinem  Oheim  Idris 
in  heftigem  Streit;  durch  sein  Machtwort  wurden  Beide  genöthigt, 
sich  zur  gemeinsamen  Herrschaft  zu  verständigen,  aber,  damit  sich 
nicht  nach  seiner  Abreise  der  Kampf  gleich  erneuere,  blieb  auf  die 
eigene  Bitte  der  Scherife  eine  egyptische  Heeresabtheilungin  Mekka 
zurück.  Damals  standen  von  solcher  Kontrolle  noch  keine  unange- 
nehme Folgen  zu  befürchten.  Die  Wiederaufnahme  des  Kampfes  blieb 
trotzdem  nicht  aus;  auch  hat  Abu  Numejj  in  der  Folge  augen- 
scheinlich mehr  als  einmal  die  Ausplünderung  der  egyptischen  Haddj- 
karawane  veranlasst  oder  begünstigt5).  Einmal  Hess  der  egyptische 
Sultan  sich  kaum  durch  die  Entschuldigungen  und  Geschenke  Abu 
Numejj’s  davon  abhalten,  ihm  eine  starke  Heeresmacht  auf  den 
Hals  zu  schicken ; so  blieb  es  bei  der  Drohung. 

Der  Grossscherif  wusste  für  sich  und  seine  Nachkommen  so  sehr 
den  Vorrang  vor  allen  Verwandten  zu  gewinnen , dass  in  seinen 
letzten  Lebenstagen  nur  die  Frage  entstand , wer  von  seinen  Söhnen 
ihm  nachfolgen  werde.  Den  unvermeidlichen  Kampf  möglichst  lange 
hinauszuschieben,  verfügte  Abü  Numejj  selbst,  dass  Rumeithah  •) 

1)  AD  36.  2)  Stammt.  II,  5. 

3)  Stammt.  II,  9.  4)  Vorgl.  auch  CM  II : 271-2. 

5)  Vergl.  auch  CM  11:272 — 1 6)  Stammt.  II,  13  und  14. 

11 


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und  Humeidhah  ')  sich  in  das  Emirat  theilen  sollten,  und  übergab 
ihnen  kurz  vor  seinem  Tode  (1301)  die  Geschäftsführung.  Seine 
lange  Regierung  hatte  die  Grundlagen  der  Herrschaft  der  Söhne 
Qatädah’s  befestigt;  zu  diesen  Grundlagen  gehörten  natürlich  auch 
die  ungeschriebenen  Gesetze  oder  Gewohnheitsregeln  (‘ Adah's  oder 
Qänüns) , welche  das  Verhältniss  des  Fürsten  von  Mekka  zu  seinen 
Verwandten , seinen  Unterthanen  und  seinen  Schutzherrn  bestimm- 
ten, und  die  Formen,  in  denen  dieses  Verhältniss  zum  Ausdruck 
kam.  Dies  alles  brauchte  man  nicht  erst  zu  erfinden;  die  Scherife 
setzten  ja  in  Mekka  grösstentheils  die  Lebensart  fort,  die  sie  seit 
Jahrhunderten  in  verschiedenen  Theilen  des  Hidjäz  beobachtet  hat- 
ten; die  Kämpfe,  Bündnisse,  Schlichtung  von  Streitigkeiten  zwischen 
den  Mitgliedern  dieses  Adels,  Alles  fand  nach  »altem  Herkommen” 
statt , welches  zwar  in  stetem  Werden  begriffen  war,  aber  trotzdem 
seinen  Bekennern  zu  jeder  Zeit  als  fest  und  uralt  gegolten  hat. 
Das  Emirat  der  internationalen  heiligen  Stadt  musste  sich  zwar  in 
mancher  Beziehung  anders  gestalten  als  die  Emirate  der  übrigen 
in  Arabien  als  Grossgrundbesitzer  oder  Stamraeshäupter  herrschenden 
Scherife;  dazu  wurde  aber  das  »Herkommen”  nur  umgebildet,  es 
fand  keine  Neubildung  statt.  Detaillierte  Berichte  über  diese  Regeln 
des  öffentlichen  Lebens  in  Mekka  liegen  erst  aus  späterer  Zeit  vor; 
obgleich  die  Hauptsachen  gewiss  schon  aus  der  Zeit  Abu  Numejj's 
herstammen , wollen  wir  eine  Skizze  des  Ganzen  bis  dahin  aufschie- 
ben, wo  uns  dieses  fertig  entgegentritt.  Einiges  verdient  aber  schon 
jetzt  unsere  Aufmerksamkeit. 

Anlässlich  des  Todes  Abu  Numejj’s*)  finden  wir  schon  als 
eine  ständige  Sitte  erwähnt,  was  auch  fernerhin  von  den  Gross- 
scherifen  und  ihren  angesehensten  Verwandten  berichtet  wird , 
dass  man  nämlich  mit  ihrer  Leiche  einen  feierlichen  siebenma- 
ligen Umgang  um  die  Kacbah  hielt,  sie  also  nach  ihrem  Tode 
gleichsam  noch  einmal  die  religiöse  Handlung  verrichten  liess , 
welche  sie  im  Leben  bei  allen  feierlichen  Gelegenheiten  zu  ver- 

1)  Stammt.  II,  13  und  14. 

2)  AI)  38.  Zur  Zeit  des  Verf.  von  MK  war  die  noch  vieler  Ansicht  ketzerische  Sitte  der 
Umgango  mit  den  fürstlichen  Leichen  langst  abgeschafft;  dos  Datum  der  Abschaffung 
kaunte  mau  damals  (im  Laufe  des  I7ten  Jahrhunderts)  nicht  mehr. 


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richten  pflegten;  auch  wurde  über  dem  Grabe  Abu  Numejj’s, 
gleichwie  über  denen  seiner  berühmtesten  Nachfolger,  auf  dem 
Ma'läfriedhofe  eine  Kuppel  erbaut.  Es  scheint  mir  sehr  fraglich,  ob 
die  egyptische  Ueberlieferung  *)  Recht  hat , wenn  sie  den  Ursprung 
der  Sitte,  von  Egypten  und  andern  Landern  jährlich  ein  Mahmal *) 
zum  Haddj  zu  senden,  gerade  in  die  Tage  des  Abu  Num£jj  und 
des  Baibars  verlegt.  Maimal  ist  der  ursprüngliche  allgemeine  Name 
aller  jener  Sanften , in  welchen  man  zu  Kameel  reist  und  welche , 
je  nach  ihrer  verschiedenen  Form  und  Einrichtung,  Schuqduf, 
Hudadj  oder  Sailek  ')  heissen ; diese  speciellen  Namen  haben  den 
allgemeinen  aus  dem  gewöhnlichen  Sprachgebrauch  verdrängt.  Der 
Name  Mahmal  dient  seit  Jahrhunderten  zur  Bezeichnung  der  leeren, 
prachtvoll  ausgeschmückten  und  überdeckten  Sänften , welche  die 
muslimischen  Fürsten , die  in  Mekka  einen  Ehrenplatz  beanspruchen 
konnten,  jährlich  zum  Pilgerfeste  sandten.  Wir  haben  oben*)  ge- 
sehen , dass  von  Alters  her  der  Herr  der  Gläubigen  oder,  wer  seine 
Stelle  vertrat , auf  der  Ebene  'Arafat  eine  Falrne  aufzupflanzen  pflegte 
und  dass  später  die  politische  Zerstückelung  des  lslam’s  die  Viel- 
heit der  Fahnen  herbeiführte;  auch  war  schon  die  Rede  von  nicht 
genauer  beschriebenen  »Zeichen”  der  fürstlichen  Würde,  welche  in 
'Arafat  um  den  Vorrang  kämpften  *).  Nun  wäre  es  allerdings  mög- 
lich, dass  die  Wallfahrt  einer  Fürstin  Egyptens  in  einem  pracht- 
vollen Mahmal  den  Sultan  Baibars  (1272  oder  77)  auf  den  Gedanken 
geführt  hätte,  als  »Zeichen”  seiner  Würde  fortan  ein  Mahmal  mit 
der  Pilgerkarawane  nach  Mekka  zu  schicken');  nur  bliebe  es  dabei 
sonderbar,  warum  alle  konkurrierenden  Fürsten  ohne  Verzug  diesem 
Einfalle  gefolgt  wären.  Ein  prachtvolles  Mahmal  kam  1321  aus 


1)  Vorgl.  die  ausgezeichnete  Beschreibung  bei  Laue , Mannera  and  Customs  of  the 
modern  Egyptians,  5tl1  edition,  II : 161  ff. 

2)  Vergl.  Bild  V,  wo  Othman  Pascha,  Gouverneur  dos  tfidjaz,  1886  das  Mahmal  von 
Egypten  in  Empfang  nimmt. 

3)  Vergl.  mein  „Mekkanischo  Sprichwörter  und  Redensarten”  i.  vv.,  und  Ibn  Jubair 
63,  178. 

4)  8.  29,  39. 

6)  Vergl.  zuletzt  noch  CM  11:265 — 6 (Jahr  1222),  11:271  (.in  den  Jahren  1257 
und  1262). 

6)  Lane,  a.  a.  0. 


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cIräq'),  und  erst  1472  gelang  es  den  Egyptem  *),  diesen  Mitbe- 
werber auf  immer  zu  beseitigen;  1380  mussten  die  Sclierife  das  Malmal 
des  Fürsten  von  Jemen,  dessen  Wohlthaten  sie  ungern  verscherzt 
hätten , gegen  Uebergrifle  von  Seiten  der  Egypter  schützen  s) , und 
dieses  war  jedenfalls  nicht  das  erste  »/Zeichen”  ')  der  Art  aus  Südara- 
bieu.  Man  wird  versucht,  irgend  einen  Zusammenhang  dieses  MaimaFs 
mit  der  vielfach  bezeugten  arabischen  Sitte  vorauszusetzen,  portative 
Heiligthümer  auf  Reisen  und  namentlich  im  Kampfe  mit  sich  zu  füh- 
ren 5);  die  »Leute  der  Stadviertel”  in  Djiddah  pflegen  noch  immer  bei 
Volksfesten  MahmaF s anzufertigen : jedes  Stadtviertel  bekommt  einen 
speciellen  Festtag  zugewiesen  und  veranstaltet  einen  Aufzug,  der 
namentlich  durch  sein  Maimal  die  (gewöhnlich  verfeindeten)  ande- 
ren Quartiere  überbieten  will.  Wie  dem  aber  auch  sei,  das  Mali- 
mal  als  unpersönlicher  Vertreter  des  Schutzherrn  Mekka’s  und  sol- 
cher Fürsten , die  mit  ihm  wetteifern , begegnet  bald  nach  der  Re- 
gierung Abu  Numejj’s  als  »herkömmlich”,  und  ebenso  die  //Eh- 
renbezeigung” ( Chidmal  al- Maimal)  der  Scherife  diesem  leeren 
Gestell  gegenüber.  Sie  reisten  demselben  entgegen,  erhielten  von 
dem  das  Maimal  und  die  Pilgerkarawane  begleitenden  Emir  ein 
Ehrenkleid , welches  ihnen  die  fortdauernde  Zufriedenheit  des  Schutz- 
herrn bezeugte.  Von  schwachen  Scherifen  forderten  die  Haddjemire 
manchmal  Ehrenbezeigungen  erniedrigender  Art,  gegen  welche  sich 
dann  ihre  Nachfolger  sträubten;  die  Begegnung  wurde  wohl  zur 
Gefangennahme  eines  missliebig  gewordenen  Grossscherifs  benutzt; 
kurz,  die  MaimaF s dienten  Jahrhunderte  lang  als  Barometer  für 
die  politische  Witterung  Mekka’s. 

Der  Sohn  des  einstigen  Nebenbuhlers  Abu  Numejj’s,  Muhammed  ibn 
Idrls  *),  konnte  nicht  verhindern , dass  die  Erbschaft  ausschliesslich 
dessen  Söhnen  zufiel.  Diese  führten  aber  mit  einander,  wenn  sie  nur 
freie  Hand  hatten , einen  erbitterten  Kampf  um  die  Beute,  der  fast  den 
ganzen  Zeitraum  1301 — 4G  ausfüllte  7).  Die  Mamlukensultane  Egyp- 

1)  CM  11:278.  2)  MK  160.  3)  CM  11:287,  cf.  SH. 

4)  „Zeichen”  aus  J&men  ohne  nähere  Bezeichnung  begegnen  CM  IT : 265 — 6,  281 — 2. 

6)  Vergl.  de  Goeje,  Memoiros  d’histoiro  et  de  gcographie  orientales , 2.  ed.,  N°  1,  8. 180. 

6)  Stammt.  II,  10. 

7)  CM  H;  220 ff.,  275  ff.;  MK  130 ff.;  OT  (D)  126  ff.;  Stammt.  II,  13,  14,  15,  16. 


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tens  griffen  nur  dann  und  wann  ein , meistens  weil  die  Parteien  selbst 
darum  baten ; einer  oder  zwei  von  den  Brüdern  wurden  dann  in  Egypten 
gefangen  gehalten,  bis  die  Missregierung  der  andern  den  höchsten 
Grad  erreichte.  Dann  schickte  man  jene  zurück,  gewöhnlich  unter 
der  Bedingung  der  Abschaffung  einiger  drückender  Steuern  ; die 
Erfüllung  dieser  Verpflichtung  vergassen  sie  ausnahmslos.  Humeidhah 
entfloh  1315  der  egyptischen  Haft  und  versuchte  wieder  einmal 
eine  andere  Macht  gegen  Egypten  ins  Feld  zu  ziehen.  In  cIräq  war 
als  Niederschlag  der  Mongoleneinwanderung  ein  muhammedanisches 
Mongolenreich  entstanden;  Humeidhah  erregte  bei  dem  Fürsten 
desselben , Chodäbende , die  Begierde  nach  der  Ehre  der  Erwäh- 
nung im  öffentlichen  Gebet  in  Mekka  und  versprach  ihm  diese, 
wenn  er  ihm  zur  Besiegung  seiner  Brüder  verhelfe.  Die  Sache  wurde 
von  Chodäbende  eifrig  in  die  Hand  genommen , durch  seinen  plötz- 
lichen Tod  verlief  aber  das  Unternehmen  in  den  Sand.  Unter  Cho- 
däbende’s  Sohn  Abu  Sa'ld  erlangte  die  Pilgerkarawane  von  'Iräq 
mit  ihrem  Mabmal  etwas  vom  alten  Glanze  zurück  *);  auch  machte 
dieser  Fürst  sich  um  die  raekkanische  Wasserleitung  sehr  verdient  ’). 
Politische  Bedeutung  batte  das  aber  kaum,  und  Humeidhah  war 
unterdessen  durch  einen  vom  Sultan  Egyptens  gedungenen  Dolch 
ums  Leben  gebracht.  Wenngleich  die  anderen  Brüder  sich  nicht 
auf  ähnliche  Abenteuer  einliessen , so  war  doch  ihre  Neigung  zu 
ihrem  egyptischen  Schutzherrn  recht  kühl;  sie  erwirkten  von  ihm, 
als  Ersatz  für  die  Besteuerung  der  Lebeusmittel  der  Mekkaner,  die 
Stiftung  einer  beträchtlichen  jährlichen  Kornsendung  aus  Oberegyp- 
ten (1322) s)  und  erhoben  die  Steuern  wie  zuvor;  sie  erbaten  sich 
Truppen  zur  Beendigung  ihrer  Streitigkeiten  und  überwarfen  sich 
dann  gleich  mit  den  Heerführern  *),  lieferten  ihnen  sogar  in  den 
Strassen  Mekka’s  Gefechte,  in  deren  einem  der  egyptische  Emir 
und  sein  Sohn  (1330)  getödtet  wurden;  sie  gestatteten,  dass  im 
heiligsten  Theile  der  Moschee  zaiditische  Vorbeter  nicht  nur  regel- 
mässig Gottesdienste  abhielten,  sondern  öffentlich  für  den  Imäm 
der  Zaiditen  in  Jemen,  also  implicite  für  den  Untergang  der  egyp- 

1)  CM  H : 278.  2)  CM  II : 53,  yergl.  oben  8.  9. 

3)  CM  11:278.  4)  MK  133,  rergl.  CM  11:222,  279—80 


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tischen  Dynastie , beteten , und  erst  beim  Herannahen  eines  egyp- 
tisehen  Heeres  machten  sich  diese  Agitatoren  (1325)  zeitweise  aus 
dem  Staube.  Kein  Wunder,  dass  Sultan  Nägir  I einmal  den  Ent* 
Schluss  fasste,  die  unwürdigen  Söhne  der  Tochter  Muhammeds 
sämmtlich  auszurotten ; die  Gelehrten  traten  aber  energisch  für  den 
in  der  Religion  begründeten  Adel  ein.  Das  Mabmal  aus  Jemen  wurde 
ebenso  wie  vorhin  aus  rein  materiellen  Gründen  von  den  Scherifen 
gegen  die  Egypter  geschützt  ');  als  der  Emir  von  Südarabien  aber 
die  Ka'bah  mit  einem  Kleide  und  einer  neuen  Thür  beschenken 
wollte,  verhinderten  sie  dies,  weil  solche  Gaben  ihnen  nicht  ge- 
nützt und  also  unnöthiger  Weise  den  Aerger  des  Oberschutzherrn 
erregt  hätten.  Ohne  Grösse  des  Charakters  oder  besondere  Fähig- 
keit, war  doch  Rumeithah  auf  die  Dauer  seinen  Brüdern  über- 
legen ; ihm  blieb  schliesslich  die  Alleinherrschaft.  Schon  ein  Jahr 
vor  seinem  Tode  gab  der  bevorstehende  Thronwechsel  seinen  Söh- 
nen *)  Anlass , einander  zu  bekriegen.  Das  vernünftige  Testa- 
ment Qatädah’s  schien  bei  seinen  Nachkommen  völlig  in  Verges- 
senheit gerathen  zu  sein : cAdjlän  reiste  eigens  dazu  nach  Egypten, 
seine  Anstellung  und  einige  Hülfstruppen  einzuholen;  hier  wie 
überall  waren  die  Aliden , denen  es  leicht  gewesen  wäre,  die  Ge- 
schichte des  Islam’s  zu  lenken , durch  ihre  Habgier  zur  Schwäche 
verdammt.  Mit  Recht  sagt  der  grosse  Historiker  Ibn  Chaldün,  die 
einzigen  Aliden,  denen  es  nach  menschlichem  Ermessen  möglich 
wäre,  als  //rechtgeleitete  Fürsten”,  als  MahdI’s  an  die  Spitze  des 
Islam’s  zu  treten , wären  in  den  späteren  Zeiten  die  Scherife  West- 
arabiens . . . wenn  nicht  ihre  ewige  Uneinigkeit  ihre  Kraft  lähmte. 
Der  Fürst  von  Egypten  versuchte  diesmal , dadurch  eine  Verstän- 
digung herbeizuführen,  dass  er  den  Hauptgegenstand  des  Familienstrei- 
tes , die  Einkünfte  Mekka’s , zwischen  ‘Adjlän  und  dreien  von  seinen 
Brüdern  vertheilte,  sodass  jener  */«,  diese  zusammen  die  andere 
Hälfte  bekämen.  Es  war  diese  Regelung  im  Grunde  nur  die  Fixie- 
rung der  bis  dahin  als  selbstverständlich  geltenden  Sitte,  das  sich 
das  regierende  Familienhaupt  das  Wohlwollen  seiner  einflussreichsten 

1)  CM  II : 281—8. 

8)  Stemmt.  H,  18,  19,  20,  21;  CM  U:  222  ff.,  282  ff.;  316;  MK  135  ff 


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Verwandten  durch  theilweise  Befriedigung  ihrer  Habgier  erkaufte. 
Seitdem  machten  solche  Verwandten  dem  Grossscherife  gegenüber  das 
Recht  auf  einen  bestimmten  Antheil  als  ein  //herkömmliches”  gel- 
tend; der  Friede  wurde  aber  durch  dieses  »Herkommen”  in  keiner 
Weise  gefördert.  Zu  den  alten  Streitfragen  kam  jetzt  die  neue : was  ge- 
hört zum  persönlichen  Eiukominendes  Herrschers,  und  welche  Einnah- 
men sind  als  Regalien  der  Theiiung  zu  unterziehen  P Auch  waren  die 
Einkünfte  ganz  unbestimmter  Art;  ein  Grossscherif , der  zu  viel 
erhob,  erweckte  Unzufriedenheit  und  leistete  so  der  Sache  seiner 
Nebenbuhler  Vorschub;  wer  dagegen  mit  seinen  Unterthanen  glimpf- 
lich verfuhr,  konnte  die  Hiinde  seiner  Verwandten  nicht  füllen.  So  heisst 
es  denn  in  der  Folge  in  den  Chroniken  Mekka’s  Jahr  auf  Jahr:  da 
kündigten  die  Brüder  oder  Vettern  des  Grossscherife  ihm  den  Ge- 
horsam wegen  der  ewigen  Frage  der  herkömmlichen  Gehälter '). 
Nach  drei  Jahren  zogen  schon  die  drei  Brüder ‘Adjläns  unzufrieden 
von  Mekka  fort;  nur  einem  gelang  es,  ihm  später  und  bis  1361 
mit  wechselndem  Erfolge  entgegenzutreten.  Die  Jahre  1346 — 75 
darf  man  trotzdem  als  die  Periode  cAdjläns  bezeichnen,  denn  die 
Regierungsjahre  Thuqbah’s  sind  meistens  solche,  worin  er  neben 
seinem  Bruder  den  zweiten  Rang  einnahm,  oder  sie  bilden  kurze 
Unterbrechungen  von  dessen  Herrschaft.  Nur  einmal  (1359)  setzte 
die  egyptisehe  Regierung,  des  ewigen  Haders  überdrüssig,  beide 
Brüder  ab  und  führte  mittels  einer  Truppensendung  die  Einsetzung 
eines  nach  Jemen  entflohenen  Bruders  s)  und  eines  in  Egypten  be- 
findlichen Vetters l) *  3i  durch.  Die  rücksichtslosen  Türken  und  die  an- 
spruchsvollen Scherife  vertrugen  sich  niemals;  ein  blutiger  Kampf 
zwischen  den  Leuten  eines  der  neu  angestellten  Scherife  und  den 
zu  seinem  Schutze  anwesenden  Türken  veranlasste  die  Rückkehr 
der  Letzteren  nach  Egypten , wo  der  Sultan  auf  den  Bericht  von 
diesen  Vorgängen  abermals  schwur,  jetzt  alle  Scherife  auszurotten  *). 


l)  rt~j’  i 

3)  Stammt  II,  SO.  3)  Stammt.  II,  22. 

1)  l)ie  Scherife  hatten  bei  dieser  Gelegenheit  die  Dreistigkeit  so  weit  getrieben,  dass 
sie  gebogene  Türken  in  Jambu'  als  Sklaven  verkauften. 


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88 


Wären  die  Zustände  in  Egypten  besser  geordnet  gewesen,  die  That 
wäre  vielleicht  dem  Worte  gefolgt.  Der  Sultan  überlegte  sich  aber 
die  Sache  noch  einmal  und  schickte  schliesslich  den  gefangenen 
‘Adjlän  zurück;  dessen  Hauptgegner  Thuqbah  starb  gerade  zur 
rechten  Zeit,  und  ‘Adjlän  brauchte  jetzt  nur  noch  für  die  Erhaltung 
der  höchsten  Würde  in  seinem  Hause  Sorge  zu  tragen.  Die  Weise, 
wie  er  dies  zu  Stande  brachte,  wurde  wegen  ihrer  Zweckmässigkeit 
zu  einer  von  den  öfters  erwähnten  »Gewohnheiten”  der  späteren 
Scherife:  er  nahm  sich  seinen  Sohn  Ahmed  13G1  zum  Mitregenten 
und  wies  ihm  */«  der  Einkünfte  als  Gehalt  an,  führte  also  bei 
seinem  Leben  allmählich  den  Uebergang  herbei,  der  nach  seinem 
Tode  sonst  nur  gewaltsam  hätte  stattfinden  können.  Da  er  noch 
dazu  1372  des  Lebens  satt  die  Stadt  verliess , um  seine  drei  letzten 
Jahre  auf  dem  Lande  zu  verbringen , und  fernerhin  weiter  nichts 
als  die  Erwähnung  im  Gebete  für  sich  verlangte,  konnte  er  aus- 
nahmsweise sterben , ohne  den  Gedanken , dass  seine  Söhne  schon 
mit  gezogenen  Schwertern  sich  gegenüber  ständen. 

Die  Mekkaner  wären  wohl  berechtigt  gewesen  , diese  Nachkommen 
des  Propheten  mit  unter  den  Balawi  (Unglücken)  aufzuzählen , mit 
welchen  Allah  sein  »ödes  Thal”  ausgestattet  hat.  Die  vielen  Hun- 
gerjahre Mekka’s,  denen  manchmal  schreckliche  Seuchen  folgten, 
wurden  nur  theilweise  durch  Regenmangel  oder  Missernte  in  Egyp- 
ten verursacht;  das  Uebrige  thaten  »unsere  Herren  die  Scherife” 
hinzu.  Die  drückenden  Steuern  Hessen  sich  diese  immer  wieder  von 
den  egyptischen  Fürsten  um  schwere  Jahrgelder  abkaufen , aber , 
obgleich  die  Abschaffung  auf  hohen  Befehl  durch  auf  den  Moschee- 
säulen eingegrabene  Dokumente  veröffentlicht  wurde  '),  setzten  sie 
sich,  »altem  Herkommen”  gemäss , gleich  darüber  hinweg , und  mit 
derselben  Konsequenz  verwendeten  sie  niemals  einen  Pfennig  auf 
gemeinnützige  Zwecke. 

Die  politische  Abhängigkeit  von  Egypten  consolidierte  sich  immer 
mehr;  gegen  bedeutende  Geldsummen  Hess  ‘Adjlän  einige  Jahre 
(1359 — 69)  den  Namen  des  Mongolensultans  von  Baghdad  mit  in 


1)  Vergl.  2.  B.  CM  II : 286  (im  Jahre  1365). 


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das  Gebet  aufnehmen  ');  er  sorgte  aber  dafür,  dass  dieser  Form 
keine  weitere  Bedeutung  beigelegt  wurde,  und  als  das  Geld  aus- 
blieb, hörte  auch  das  Beten  auf.  Auf  der  anderen  Seite  hat  cAdj- 
län , ohne  Zweifel  den  egyptischen  Gönnern  zulieb,  1353  eine 
Verfolgung  gegen  die  Sekte  unternommen  *),  zu  welcher  sich  seine 
Ahnen  bekannten.  Die  Zaiditen  hatten  immer  noch  ihre  eigne 
Stelle  in  der  Moschee,  sogar  ihr  eignes  Mirabar  (Kanzel);  sie  be- 
teten hier  selbstverständlich  für  ihre  jemenitischen  Imäme,  die 
Stammesgenossen  'Adjläns.  In  Zeiten,  wo  kein  besonders  reges 
politisches  Leben  unter  den  Schriteu  Jemens  herrschte,  war  dies 
ganz  unschuldig;  wurden  ja  dort  auch  sunnitische  Gelehrte  und 
sogar  Richter  geduldet.  Nur  wenn  die  eifersüchtigen  Egypter  zahl- 
reich in  Mekka  waren,  zogen  sich  die  »Ketzer”  etwas  zurück. 
'Adjlän  liess  die  bekanntesten  Vertreter  dieser  Lehre , deren  Haupt- 
fehler die  Liebe  zu  seinen  Vorfahren  war,  geissein,  den  standhaf- 
ten Mueddin  zu  Tode,  den  Imam  bis  er  »sich  bekehrte  von  der 
»Ansicht,  als  wären  Blut  und  Gut  der  Schäfi'iten  von  Gottes 
»wegen  erlaubt  (=  vogelfrei).”  Praktisch  hatte  diese  Lehre  damals 
und  dort  die  gleiche  Bedeutung  wie  heutzutage  in  protestantischen 
Ländern  die  Ansicht  gewisser  Katholiken,  dass  die  Tödtung  der 
Ketzer  ein  verdienstvolles  Werk  sei;  der  Nachkomme  üatädah’s 
geisselte  aber  mit  ägyptischem  Kurbasch.  Die  specielle  Erwähnung 
der  Schäfi'iten,  wo  doch  das  Gleiche  von  den  übrigen  Schulen  gilt, 
hat  ihren  Grund  in  der  damals  noch  von  dem  Abbasidcnreiche 
überkommenen  vorwiegenden  Bedeutung  dieses  Ritus,  dem  die 
Mehrzahl  der  Bevölkerung  Unteregyptens,  Syriens  und  Westarabiens 
angehörte.  Augenscheinlich  waren  die  mekkanischen  Scherife  — 
ganz  leise,  sodass  ein  Datum  sich  nicht  einmal  annähernd  bestim- 
men lässt  — zu  diesem , in  politischem  Sinne  herrschenden  Ritus 
übergetreten ; namentlich  die  regierende  Familie , denn  von  den 
übrigen  ist  es  weniger  wahrscheinlich.  In  religiöser  Beziehung  war 
es  natürlich  gleichgültig , zu  welchem  Madhab  diese  Aliden  zählten, 


1)CMD: 286.  8)  MK  136. 


12 


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denn  ihnen  schien  jedes  göttliche  Gesetz  nur  zum  Uebertreten  ge- 
geben zu  sein. 

Die  Regierung  der  Söhne  'Adjläns  hatte,  wie  gesagt,  schon  bei 
dessen  Leben  begonnen  (1361),  und  sie  dauerte  nach  seinem  Tode 
noch  51  Jahre  fort  (1375 — 1426)').  Anfangs  schien  es,  als  hätte 
'Adjlän  durch  die  Wahl  seines  Nachfolgers  für  die  ganze  Periode 
Ordnung  geschaffen,  denn  11  Jahre  lang  regierte  Ahmed  ungestört 
und , dem  väterlichen  Beispiele  folgend , nahm  er  sich  schon  seinen 
ganz  jungen  Sohn  Muhammed  zum  Mitregenten.  Ahmed  hatte  aber 
gewaltsam  jede  Regung  seiner  Verwandten  unterdrückt ; manche  von 
diesen  schmachteten  in  seinem  Kerker;  sobald  er  starb  (1386),  war 
die  Partei  der  Gefangenen  auf  Mittel  bedacht,  sich  zu  rächen.  Sie 
fand  ihren  Hauptvertreter  in  einem  Neffen  'Adjläns  *),  der  in  Egyp- 
ten seine  eigne  Anstellung  einholte  und  dem  Emir  der  Pilger- 
karawane, in  dessen  Begleitung  er  nach  Mekka  kam,  den  Rath 
ertheilte,  sich  durch  Meuchelmord  des  jungen  Muhammed  zu  ent- 
ledigen , sobald  er  zur  Ehrenbezeigung  sich  dem  Maimal  näherte. 
Der  schnöde  Plan  wurde  ausgeführt;  dem  Anstifter  gelang  es  aber 
nicht,  eine  Regierungspartei  zu  bilden;  auf  die  Dauer  konnte  er 
nur  in  der  unter  Scherifen  gebräuchlichen  Weise  Opposition 
treiben,  d.  h.  die  zum  Sitze  des  Gegners  führenden  Wege  un- 
sicher machen , seine  Unterthanen  wo  immer  möglich  berauben , 
seine  Feinde,  namentlich  unter  den  Beduinen,  zu  Angriffen  er- 
muntern. Ein  anderer  Sohn  'Adjläns:  Hasan  (1396 — 1426)  war 
ihm  überlegen  durch  seine  Klugheit  sowohl  im  Verkehre  mit  seinen 
rührigen  Verwandten  als  namentlich  durch  sein  diplomatisches  Ge- 
schick den  Schutzherren  gegenüber.  Hasan  zeigte  den  gleichen 
Sinn,  der  im  Testamente  Qatädah’s  Ausdruck  gefunden  hatte; 
sein  Aufenthalt  in  Egypten  vor  seiner  Anstellung  hatte  ihn  aber 
gelehrt,  dass  die  veränderten  Zeiten  andere  Mittel  zur  Erreichung 
des  Ziels  seines  Vorfahren  nothwendig  machten.  Er  wurde  gleich 
über  den  ganzen  Hidjäz  eingesetzt  und  wusste  auch  seine  Autorität 
bei  den  immer  noch  in  Medina  regierenden  Husainiden  zur  Geltung 

1)  Vergl,  Stammt.  II.  23-31;  CM  II:  225  IT.;  287  ff.;  111:187  ff;  MK  138  ff 

2)  Stammt  II,  25. 


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zu  bringen  ').  Energisch  betrieb  er  die  Vermehrung  seiner  Heeres- 
macht , um  etwaigen  Intriguen  seiner  in  Egypten  verweilenden  Ver- 
wandten die  Spitze  bieten  zu  können ; kam  aber  aus  Egypten  der 
Bericht  von  seiner  Absetzung  (so  1410  und  15),  so  zog  er  mit 
aller  Kraft  seine  Leute  zusammen,  bereitete  sich  thatsächlich  zum 
Widerstand,  blieb  aber  durchaus  höflich  und  scheinbar  seinem 
- Schutzherrn  untergeben.  Er  schickte  dann  eine  Gesandtschaft  nach 

Egypten  zur  Aufklärung  des  bedauerlichen  »Missverständnisses”, 
vergass  nicht  die  nöthigen  Geschenke  mitzugeben , und  die  Wie- 
dereinsetzung blieb  nicht  lange  aus  9).  Dann  hatte  er  das  Recht , 
seine  unwilligen  Verwandten  im  Namen  des  Sultans  zu  bekämpfen, 
und  wurde  bald  wieder  Herr  der  Hauptstadt.  Die  Fürsten , mit 
welchen  er  in  dieser  Weise  ein  leidliches  Verhältnis  herzustellen 
wusste,  waren  nicht  mehr  die  Mamlukensultane;  seit  1382  hatten 
die  Cirkassier  den  Thron  besetzt,  über  den  sie  längst  verfügten. 
Von  Sklaven-soldaten  waren  sie  zu  Herren  ihrer  Herren  geworden, 
und  die  Dynastie  erfrischte  sich  stets  durch  neue  Zufuhr  aus  ihrer 
Heimath,  bis  die  Othmanen  134  Jahre  später  Egypten  unterjochten. 
Hasan  trat  auch  dieser  neuen  Macht  gegenüber  für  seine  anderen  fürst- 
lichen Gönner  ein;  er  hielt  die  Egypter  mit  Gewalt  von  der  Belei- 
digung des  MalmaVs  aus  Jemen  zurück  ä).  Die  Bedeutung  solcher 
Fremden , welche  nie  Ansprüche  auf  einen  Rang  im  heiligen  Gebiete 
erhoben  hatten,  war  im  Zunehmen;  grosser  Besuch  von  Tökrüri- 
negern  und  Maghribinern  *)  wird  z.  B.  bei  den  Festen  von  1826 
und  84  berichtet;  zu  den  Einnahmen  des  Scherifats  trugen  solche 
Pilger  nicht  wenig  bei.  Damals  wie  jetzt  lag  aber  die  wahre  Gold- 
grube der  Mekkaner  in  Indien;  dorther  kamen  steinreiche  Pilger, 
die  Schätze  um  sich  her  streuten , und  die  frommen  Fürsten 
wollten  sich  durch  Gaben  und  Stiftungen  das  segenbringende  Gebet 


1)  CM  H:  228.  IH : 200. 

2)  Auf  die  höflichen  Einwendungen  Hasans  gegen  die  Möglichkeit  seiner  Absetzung 
antwortete  ihm  ein  Emir  der  Haddjk&rawane  ängstlich:  „Dies  ist  ja  eure  Stadt  von  jeher, 
und  der  Sultan  hat  euch  lieb!"  MK  145. 

3)  CM  11 : 287 — 8.  Auch  aus  ßaghdad  kamen  dann  und  wann  in  dieser  Periode  Pil- 
gerkarawanen  mit  einem  Makmal  CM  II : 290  ff. 

4)  AD  45,  MK  133. 


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der  Bewohner  Mekka’s  erwerben.  Ein  Bericht  über  eine  bedeutende 
Sendung  des  Fürsten  von  Bengalen,  die  während  der  Regierung 
Hasans  stattfand,  gewährt  uns  einen  Einblick  in  die  Art,  wie  die 
Grossscherife  ihre  Regierungspflicht  auffassten.  Die  für  ihn  selbst 
bestimmten  Geschenke  nahm  Hasan  in  Empfang;  von  den  Gaben, 
welche  den  Mekkanern  zu  Gute  kommen  sollten,  nahm  er  in  her- 
kömmlicher Weise  ein  Drittel;  die  für  eine  zu  gründende  Madrasah 
und  ein  Stiftshaus  für  Arme  erforderlichen  Häuser  und  Grundstücke 
lieferte  Hasan  aus  seinem  Privateigenthum  uin  theures  Geld;  eine 
bedeutende  Summe  zur  Ausbesserung  der  Wasserleitung  übernahm 
er  zu  administrieren;  das  indische  Schiff,  welches  mit  Geschenken 
für  Medina  beladen  war,  scheiterte  zur  rechten  Zeit  in  der  Nähe 
von  Djiddah , worauf  Hasan  sich  das  »herkömmliche”  ’/«  des  Inhalts 
zueignete;  da  aber  der  Husainide  von  Medina  nicht  ganz  unter- 
würfig war,  belegte  er  das  diesem  Zukommende  mit  Beschlag1 * *)! 
Man  sieht  gleich , dass  bei  der  Entwickelung  des  früher  von  uns 
berührten  »Herkommens”  die  Scherife  dem  Kapitel  »Einnahmen” 
eine  besondere  Aufmerksamkeit  widmeten.  Zu  den  regelmässigen 
Einnahmen  gehörten  ausser  den  erwähnten  Abgaben  der  schutzlosen 
Pilger  (darunter  auch  viele  aus  dem  fernen  Osten  *) , aus  Ostara- 
bien: Qatif  und  el-Hasa,  sowie  aus  Jemen5)),  dem  */,  der  ge- 
scheiterten Schiffe , dem  '/s  der  Geschenke  für  die  Mekkaner,  immer 
noch  die  indirekten  Steuern , welche  fortwährend  ganz  oder  theil- 
weise  feierlich  abgeschafft 4)  und  doch  herkömmlich  weiter  erhoben 
wurden , das  */10  aller  importierten  Waaren , auf  welchen  Betrag 
die  Scherife  sich  gewöhnlich  nicht  beschränkten  s) , und  endlich  die 
ebenfalls  nicht  allzu  peinlich  berechneten  Zehntel  der  Ladung  in- 
discher Schiffe,  welche  in  Djiddah  ankerten.  Die  Erpressungen, 
denen  diese  ausgesetzt  waren,  veranlassten  1395  die  Schiffer, 
den  Räuberhafen  zu  meiden  “);  bald  nachher  verständigte  man  sich 

1)  CM  III : 198  ff.  8)  CM  II : 298—9.  S)  MK  189. 

4)  Z.  B.  CM  H:  268,284 — 6;  111:205,  223.  Charakteristisch  ist,  dass  die  ägyptischen 

Sultane  von  der  befohlenen  Abschaffung  dor  Einfuhrzölle  die  aus  *Iraq  und  Indien  im- 

portierten Waaron  ausnah  men. 

6)  MX  148.  6;  AD  48. 


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aber  wieder , und  der  Betrag  dieser  Zölle  erschien  dein  egyptiscben 
Schutzherrn  so  bedeutend,  dass  er  1452  die  Erhebung  an  sich  zog  l * 3 4) 
und  die  Sultane  in  der  Folge  sich  nur  unwillig  dazu  entschlossen, 
dem  Grossscherife  bald  , bald  '/»  oder  V*  zu  überlassen;  in  den 
daraus  entstehenden  Streitigkeiten  beriefen  beide  Parteien  sich  fort- 
während auf  das  »Herkommen.”  Die  Theilung  der  Zölle  führte  seit 
1425  die  Anfänge  einer  regelmässigen  Kontrolle  der  Scherifenverwal- 
tung  von  Seiten  der  Schutzherrn  herbei;  wenigstens  zu  der  Zeit 
wo  die  indischen  Schilfe  einzutreffen  pflegten , amtierte  in  Djiddah 
ein  Zollbeamter  des  Sultans.  Schon  vorhin  (1416)  hatten  die  Cir- 
kassiersultane  das  Oberhaupt  der  Türken  in  Mekka  mit  der  Ver- 
keilung der  aus  Egypten  nach  der  heiligen  Stadt  geschickten  Gaben 
beauftragt  und  somit  gezeigt,  wie  eng  ihr  Vertrauen  auf  die  Sche- 
rife  begranzt  war,  obgleich  diese  den  Titel  von  »Stellvertretern  des 
Sultanats”  ’)  führten.  Die  unregelmässigen  Einnahmen  waren  sehr 
verschiedener  Art.  Von  den  Schenkungen  fremder  Fürsten  und 
Grossen  war  bereits  die  Rede  ’);  obgleich  die  Hoheitsrechte  kein 
Gegenstand  des  Kaufs  mehr  waren,  verstand  es  sich  doch  von 
selbst , dass  die  Fürsten  Egyptens  ihr  heiliges  Schutzgebiet  jährlich 
beschenkten,  und  auch  andere  Sultane,  z B.  die  Othmanli's  schon 
längst  vor  der  Eroberung  Constantinopels , schickten  jährlich  des 
Segens  halber  dem  öden  Thale  ihren  Tribut.  Kamen  sie  selbst  zum 
Haddj,  so  erwartete  man  von  ihnen  nicht  weniger  als  einen  Gold- 
regen. Von  allen  frommen  Stiftungen  heisst  es  nach  einigen  Jahren : 
die  Söhne  Hasans  haben  Hand  darauf  gelegt.  Die  Sitte  muslimi- 
scher Fürsten , in  ihrem  Gebiete  reich  gewordene  Leute  auf  ein- 
mal der  Feindschaft  zu  beschuldigen  und  ihnen  dann  gleichsam 
gegen  ein  Lösegeld  Ruhe  und  Sicherheit  zu  bieten , wurde  schon 
sehr  früh  von  den  Scherifen  befolgt  *).  Ebenso  »herkömmlich”  war 
die  Besteuerung  der  Ausführung  gemeinnütziger  Werke  im  heili- 

1)  MK  145  vgl.  147,  148,  160  usw. 

9)  iULJUJI  CM  II:  227. 

3)  Vergl.  u.a.  noch  CM  11.274— 5 , 277  , 281;  Ul : 204  818. 

4)  Ibn  Jubair  167 , vergl.  AD  61 — 2.  Die  Schebi’s , welche  sieb  manchmal  aus  (Icon  Ker- 
ker des  Scherifs  laskaufen  mussten,  verdienten  nichts  besseres;  den  Kaufleuten  machten 
die  Scherife  aber  manchmal  ihr  Qebiet  unbewohnbar. 


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gen  Gebiete.  Wer  die  Heiligthiimer  auf  seine  Kosten  verschönern 
wollte,  bedurfte  früher1)  zunächst  der  nicht  unentgeltlichen  Er- 
laubnis des  Chalifen , sodann  musste  er  sich  die  des  Scherifs  er- 
kaufen, und  dieser  verlangte  wohl  einmal  eine  Summe  für  sich, 
eben  so  gross  wie  die,  welche  für  das  fromme  Werk  bestimmt 
war.  Die  Inschriften , welche  die  Vollendung  verewigten , durften 
aber  nicht  die  Namen  der  Urheber,  sondern  nur  die  des  regieren- 
den Fürsten  erwähnen.  Der  Grundsatz,  dass  auf  solche  Werke  ver- 
wendetes Geld  eigentlich  von  Rechtswegen  den  Scherifen  zukam, 
wurde  in  gleicher  Weise  von  den  Thorhütern  der  Kacbah  (den 
Schebfs)  auf  jede  Bereicherung  ihres  Heiligthums  angewendet;  wer 
die  Ka'bahthür  oder  die  Dachrinne  mit  neuem  Golde  überziehen 
liess,  musste  ihnen  den  Werth  des  verbrauchten  Goldes  zahlen’). 
In  der  Regel  behielten  sich  die  Herren  Mekka’s  die  Festsetzung 
der  Preise  aller  ersten  Lebensbedürfnisse  vor  ’);  auch  dieses  »Her- 
kommen” gereichte  ihnen  zum  grossen  Vortheil,  der  Bevölkerung 
aber  zu  nicht  geringem  Schaden.  Starb  ein  Fremder,  ohne  in 
Mekka  Erben  zu  hinterlassen,  so  fiel  sein  Vermögen  dem  Scherife 
zu ; die  egyptischen  Sultane  verfügten  1 440 , dass  der  Ertrag  die- 
ser Entäusserungen  in  ihre  Kasse  fliessen  sollte  *).  Ein  anderes 
Mittel , das  Erbrecht  zu  vereiteln , bestand  darin , dass  man  von 
einem  reichen  Verstorbenen  nachwies,  er  habe  sein  Vermögen  nicht 
durch  die  vom  kanonischen  Gesetze  vorgeschriebenen  Abgaben  »ge- 
reinigt”, worauf  der  Grossscherif  den  unreinen  Besitz  ganz  an  sich 
zog 5).  Die  Beduinen , welche  dem  Scherife  gehorchten , brachten , 
sofern  sie  nicht  gar  zu  arm  waren , ihre  Huldigung  in  der  Form 
von  Steuern  dar;  die  selbständigen  Stämme  wurden  zur  günstigen 
Zeit  vom  Scherife  für  Rebellen  erklärt  und  zum  Gegenstände  eines 
Raubzugs  gemacht. 

Für  die  (namentlich  finanzielle)  Geschäftsführung  ernannten  die 
Scherife  ihre  Wezire e),  meistens  mit  allen  Kniffen  orientalischer 

1)  Ibn  Jubair  126—7,  IA  XI : 202,  MK  118.  2)  MK  183,  18*. 

3)  AD  105.  4)  MK  148.  6)  AD  125—6. 

6)  CM  II : 222  usw.  Id  Mekka  selbst  hiess  der  auch  mit  der  Marktpolizei  beauftragte 
Wezir  schon  in  früher  Zeit  Hakim  und  sein  Amt  Hakämah ; bis  zum  heutigen  Tag  wird 
der  Marktaulseher  (MuMatib)  in  Mekka  Hakim  genannt. 


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Verwaltung  vertraute  Leute  fremder  Herkunft;  die  Statthalter  waren 
je  nachdem  Beduinenhäupter,  Scherife  oder  Fremde;  die  Zollbeam- 
ten gehörten  zu  beiden  letztgenannten  Kategorien , oder  sie  wur- 
den aus  der  Armee  des  Fürsten  von  Mekka  genommen.  Die  Hee- 
resmacht bestand  immer  noch  dem  Kerne  nach  aus  Leibeigenen 
und  Freigelassenen:  von  diesen  Schwarzen  war  kein  Versuch  zu 
befürchten,  ihre  Herren  zu  verdrängen.  Von  den  Fremden  wurde 
diese  Bande,  ganz  wie  zur  Zeit  Ibn  Djubair’s,  nicht  selten  mit 
dem  Namen  der  »Räuber  Mekka’s”  bezeichnet;  statt  des  damaligen 
officiellen  Titels  von  »Lanzenträgern”  heissen  sie  später  gewöhnlich 
»Scherifensklaven”  oder  Quwwäd  (Plur.  von  Qäid,  eigentlich : 
Führer)  *).  Beide  Namen  sind  meistens  gleichbedeutend;  der  letz- 
tere bezeichnet  aber  auch  speciell  die  Freigelassenen,  welche  mit 
irgend  einem  Amte  oder  Kommando  betraut  sind  *).  Diese  besitzen 
selbst  wieder  Sklaven  und  bilden  dieselben  zu  Soldaten  heran  s). 
Fremden  Soldaten  und  überhaupt  jeder  fremden  Gesammtheit  ge- 
genüber bildeten  diese  Scherifensklaven  eine  meistens  feindlich 
gesinnte  Korporation,  und  es  kam  vor,  dass  sogar  der  Befehl  ihrer 
Herren  nicht  ira  Stande  war,  den  Zorn  dieser  Neger  zu  bändigen. 
Sie  waren  Privateigenthum  ihrer  Herren ; der  regierende  Scherif 
verfügte  über  die  reichlichsten  Mittel,  seine  Sklavenarmee  zu  ver- 
mehren, aber  auch  alle  die  vornehmsten  Verwandten  des  Fürsten 
besessen  Banden  von  Leibeigenen,  mit  denen  sie  manchmal  den 
Herrscher  bekämpften.  Die  Freigelassenen  schlossen  sich  bei  vor- 
kommenden Streitigkeiten  nach  eignem  Willen  einer  Partei  an ; die 
Parteinahme  der  Beduinenstämme  des  Hidjäz  hing  mit  tradition- 
nellen  Beziehungen,  aber  auch  mit  der  Höhe  des  gebotenen  Lohns 
zusammen.  So  machte  sich  dringend  das  Bedürfniss  einer  Söldner- 
armee geltend , welche  von  allen  jenen  zufälligen  Verhältnissen 
unabhängig  war  und  dem  jeweiligen  Herrscher  zur  Verfügung  stand. 
Sicher  ist,  dass  wenigstens  bald  nach  der  Regierungszeit  Hasans 
(vielleicht  schon  früher)  ein  solches  Heer  von  eigentlichen  Soldaten 


1)  CM  11:381,  896—7;  AD  43—4,  48—49  , 50—58;  MK  143  usw. 
8)  MK  144.  3)  Letztere  heizsen  bj** Jl  CM  II:  896 — 7. 


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i 


^Asäkir),  meistens  Südarabern,  gebildet  wurde1 * 3 4 5 *);  später  wurden 
auch  andere , sogar  nichtarabische  Elemente  hinzugezogen  s).  Diese 
kämpfen  die  Kämpfe  des  Fürsten  als  solchen ; ist  er  endgültig  be- 
siegt, so  gehen  sie  eo  ipso  zum  Sieger  hinüber*);  dadurch  nehmen 
sie  in  den  Kriegen  zwischen  den  Scherifen  wohl  einmal  eine  neu- 
trale Stellung  ein  *).  Wie  in  vielen  anderen  muslimischen  Ländern  *), 
war  auch  hier  das  Recht,  täglich  einige  Male  vor  seinem  Hause 
Trommel  schlagen  zu  lassen , ausschliesslich  dem  Fürsten  eigen ; bei 
jedem  Thronwechsel  gingen  daher  die  Tubul,  d.  h.  die  Musik bande, 
mit  den  »Soldaten”  zum  neuen  Herrn  hinüber.  So  oft  der  Fürst 
oder  einer  von  seinen  Bevollmächtigten  einen  beutereichen  Raubzug 
vollführt  hatte,  schickte  er  einen  Eilboten  (Mubasscür)  nach  Mekka; 
derselbe  brachte  einem  vornehmen  Scherife  nach  dem  andern  die 
erfreuliche  Nachricht  und  wurde  von  diesen  mit  Kleidern  beschenkt ; 
die  Scherife  aber  hissten  Fahnen  auf  ihren  Wohnungen  •). 

Die  Lebensart  der  Scherife  war  im  Ganzen  die  einfache  aller  grossen 
arabischen  Emire ; noch  heutzutage  sieht  der  türkische  Staatsbeamte 
mit  Erstaunen  den  gemeinsten  Beduinen  sich  dem  Grossscherif  nähern, 
ihn  beim  Knie,  bei  der  Hand,  beim  Barte  fassen,  ihm  die  unbe- 
deutendsten Streitfragen  mit  grösster  Ausführlichkeit  vorlegen,  ihm 
widersprechen  oder  ins  Wort  fallen.  Der  Türke  vergisst  dabei  ge- 
wöhnlich, dass  dies  vertrauliche  Verhältniss  nicht  wenig  zum  Ein- 
fluss und  zur  relativen  Unentbehrlichkeit  der  Scherife  beiträgt.  In 
der  Kleidung  und  Bewaffnung  unterschieden  sich  die  Scherife  schon 
früh  von  den  »Bürgerlichen”,  und  war  es  auch  nur  durch  beson- 
ders weite  Aermel  der  Obergewänder 7).  Bei  feierlichen  Gelegenheiten 
aber  trug  der  Grossscherif,  beziehungsweise  auch  sein  Mitregent, 


1)  AD  160.  Sie  heissen  ä*l**J'  £ , später  auch  iUlujg'JI. 

8)  Vergl.  AD  518,  wo  Ghülibs  Armee  (am  1790)  aus  400  Jemeniten,  400  Jüü'-bodui- 
nen,  400  Hadhramitcn , 400  Maghribinern  und  400  Afghanen  zusammengesetzt  ist. 

3)  MK  451,  AD  850  , 893;  ^ 

4)  AD  335. 

5)  Vergl.  mein  „Mekkanische  Sprichwörter  etc.”,  S.  48,  IA  VIII:  507,  XI:  178, 

Xn  i 49,  289. 

6»  AD  170,  184,  808  usw.  7)  CM  HI:  132. 


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das  ihm  von  seinem  Schutzherrn  verliehene  Ehrenkleid.  Bis  zum 
heutigen  Tage  gilt  bei  den  Muslimen , sogar  unter  Bürgersleuten , 
die  Beschcnkung  mit  einem  Obergewande  als  eine  Auszeichnung; 
bekanntlich  gehörten  solche  Gaben  immer  zu  den  grössten  Gunst- 
beweisen von  muslimischen  Fürsten  und  fanden  dieselben  vorzüglich 
bei  der  Einsetzung  oder  Bestätigung  vornehmer  Beamten  statt.  Den 
Scherifen  kamen  Ehrenkleider  von  jeher  von  ihren  fürstlichen  Gön- 
nern mit  den  Haddjkarawanen  zu;  so  schickten  auch  die  egyptischen 
Sultane  jährlich  mit  dem  Maimal  ein  Bestätigungsdiplom  ')  und 
ein  Ehrenkleid.  Fand  aber  mitten  im  Jahre  ein  Thronwechsel  statt, 
so  brachte  eine  speciclle  Gesandtschaft  den  Anstellungsakt  und  das 
fürstliche  Gewand  für  den  neuen  Regenten.  In  diesen  und  ähn- 
lichen Fällen  wurde  die  Stadt  einige  (gewöhnlich  3 oder  7)  Tage 
festlich  geschmückt  und  Nachts  beleuchtet , gleichviel  ob  die  Freude 
der  Bevölkerung  gross  genug  war,  sich  in  so  kostspieliger  Weise 
zu  äussern , oder  nicht,  denn  die  ganze  Belustigung  fand  damals 
wie  noch  heutzutage  auf  hohen  Befehl  statt  *).  Am  ersten  Feiertage 
ritt  der  Fürst  im  neuen  Ehrenkleide  mit  den  Notabilitäten  Mekka’s 
zur  Moschee;  das  Diplom  oder  sonstige  vom  Sultan  gekommene 
Schreiben  wurde  in  der  Nähe  der  Ka'bah  feierlich  verlesen ; der 
Grossscherif  vertheilte  auch  seinerseits  Ehrengewänder  an  die  an- 
wesenden hohen  Personen  und  machte  zum  Schluss  die  feierlichen 
Umgänge  um  die  Ka'bah,  während  der  Schebi  in  der  offnen  Kac- 
bahthür  und  der  Jlejjis  (Oberhaupt  der  Mu'eddins)  auf  dem  Zem- 
zemgebäude  mit  lauter  Stimme  für  sein  Heil  beteten  *).  Kam  ein 
neuer  Scherif  von  ausserhalb  der  Stadt  (z.  B.  aus  Egypten) , oder 
kehrte  der  Fürst  von  einer  längeren  Reise  zurück,  so  erfolgten  die 
gleichen  Ceremonien ; er  blieb  dann  zunächst  ausserhalb  der  Stadt, 
um  in  der  Nacht  in  Pilgerkleidung  die  obligatorische  »kleine 
Wallfahrt”  machen  und  am  Tage  darauf  im  Festgewande  seinen 
Einzug  halten  zu  können.  'Türkische  Regierungspersonen  gaben  wohl 
ihr  Ehrengewand  dem  von  ihnen  mit  einem  Befehl  Beauftragten 


1)  Diese,  ebenso  wie  die  Einsotxungsdiplome,  heissen  . 

2)  AD  *2  , 65 , 234  uaw.  3)  AD  47 , 49 , 52 , 55 , 56 , 57  elc.  Vergl.  auch  oben  S.  70. 

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zur  Beglaubigung  mit ') , oder  ihr  Siegelring  diente  als  solche  *). 
Bei  den  Seherifen  stellte  meistens  der  Turban  symbolisch  die  Person 
des  Gewalthabers  dar,  wie  wir  dies  oben  (S.  79)  an  einem  Bei- 
spiele sahen , und  wie  auch  1256  *)  der  Grossscherif  sich  mit  herab- 
hängendem Turban  beim  Haddjemire  wegen  begangener  Grobheit 
entschuldigte.  Beim  Tode  eines  angesehenen  Sclierifs  legten  seine 
Verwandten  während  der  Trauertage  schwarze  Kleidung  an  ‘).  Diese 
Eigentümlichkeiten  füliren  wir  hier  auf,  weil  sie  zusammengehören, 
und  weil  die  meisten  zur  Zeit  Hasans  fertig  ausgebildet  waren; 
andere,  irn  höchsten  Grade  charakteristische  «Herkommen"  der 
Hasaniden  Westarabiens  besprechen  wir  unten,  weil  unsere  ara- 
bischen Quellen  nur  für  diese  späteren  Zeiten  alles  erforderliche 
Detail  bieten,  obgleich  das  Wesentliche  gewiss  auch  schon  von 
unserer  Periode  gilt. 

Drei  Söhne  Hasans  machten  sich  schon  bei  Lebzeiten  des 
Vaters  das  «zweite  Ehrenkleid”  mit  dem  dazu  gehörenden  Theile 
der  Einnahmen  und  der  Aussicht  auf  die  Thronfolge  streitig;  dem 
Wunsche  Hasans  entsprechend,  erkannte  der  Sultan  nur  Barakät 
als  Mitregenten  an.  Letzterer  blieb  in  diesem  Amte  20  Jahrelang; 
1426  folgte  er  seinem  in  Egypten  verstorbenen  Vater  nach  und 
konnte  sich  gegen  die  Kämpfe  und  Intriguen  seiner  Brüder  mit 
wenigen  Unterbrechungen  bis  zu  seinem  Lebensende  (1455)  be- 
haupten 5).  Gegen  die  Vertreter  Egyptens  benahm  sich  Barakät 
nach  dem  Beispiel  seines  Vaters  nicht  grob  sondern  mit  schlan- 
genartiger Vorsicht.  Er  konnte  aber  nicht  verhindern , dass  der 
1438  auf  den  Thron  erhobene  Cirkassiersultan  gleich  bei  seinem 
Regierungsantritt  den  Grund  zu  einer  Institution  legte,  welche  den 
späteren  Seherifen  immer  mehr  zum  Dorn  im  Auge  wurde.  Gele- 
gentlich waren  schon  vorhin  •)  für  besondere  Zwecke  türkische 
Truppen  nach  Mekka  geschickt  worden , deren  Befehlshaber  dort 
in  der  Ausführung  seines  Auftrags  neben , um  nicht  zu  sagen 


1)  IA  IX : 439.  8)  IA  XI : 63. 

3)  CM  II:  2G9.  4)  AI)  131— 8. 

5)  CM  II : 238 , 341;  MK  146  ff.;  Stammt.  11:35—8. 

6)  Vorgl.  obon  S.  85,  93;  CM  11:284,  m : 204. 


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über,  dem  Scherife  eine  selbständige  Stellung  einnahm;  auch  führte 
die  Theilung  der  Zölle  in  Djiddah  direkte  fremde  Einmischung 
herbei.  Jetzt1)  wurde  aber,  dem  Namen  nach  in  erster  Linie  zur 
Aufsicht  über  Bauten  an  der  Moschee,  eine  ständige  Besatzung 
von  50  türkischen  Reitern  nach  Mekka  gelegt  unter  einem  Emir 
der  den  Titel  eines  «Aufsehers  der  heiligen  Städte”  *)  bekam , und 
in  den  nächsten  Jahren  ’)  bekleidete  eine  ganze  Reihe  von  türkischen 
Beamten  diese  Würde,  bald  zugleich  mit  dem  «Emirat  der  Türken 
in  Mekka”,  bald  mit  einem  andern  Türkenoberhaupte  neben  sich; 
ausserdem  wurden  dem  „Stellvertreter”  in  Djiddah  ausgedehntere 
Vollmachten  zuerkannt,  sodass  Barakät  1455  es  für  angezeigt  hielt, 
durch  dessen  Vermittelung  mit  dem  egyptischen  Hofe  über  die 
Wahl  eines  Nachfolgers  zu  verhandeln.  Allzu  deutlich  gab  der 
Schutzherr  hiermit  zu  erkennen , dass  ihm  das  Scherifat  ein  leider 
nicht  zu  beseitigendes  Hinderniss  und  jedes  Mittel,  dessen  Bedeu- 
tung zu  schmälern , ihm  willkommen  sei.  Die  Stürme  im  politi- 
schen Leben  des  Islam’s  haben  zwar  die  Entwickelung  dieses  Amtes 
wiederholentlich  verzögert;  man  darf  aber  den  1438  ernannten 
Emir  Südün  als  den  Vorläufer  der  späteren  Gouverneure  betrach- 
ten , welche  im  Hidjäz  eine  ähnliche  Aufgabe  erfüllten  wie  euro- 
päische Residenten  an  mediatisierten  indischen  Höfen. 

Zwischen  Mekka  und  Medina  streiften  um  diese  Zeit  (seit  1413) 
die  von  den  mächtigen  Benl  Läm  aus  der  Umgegend  Medina’s 
vertriebenen  Harbbeduinen  umher,  und  die  Gefahren,  welche  sich 
aus  ihren  Räubereien  für  die  Pilger  ergaben , bestimmten  Barakät 
zur  Sendung  einer  Warnung  an  die  Fürsten  Egyptens  *).  Der  Mangel 
an  Kontinuität  in  der  Verwaltung  der  egyptischen  und  türkischen 
Sultanate  hat  diesen  Räuberstämmen  Gelegenheit  gegeben,  bis 
heute  ihr  Unwesen  weiter  zu  treiben. 


1)  CM  m : 216.  2)  jkli . 

3)  Vergl.  n.  A.  CM  111:217,  219,  220,  226,  290,  343. 

4)  MK  147.  Aus  einer  Notiz  von  Istakhri,  22,  sowio  aus  dor  32«*«!«  Maqämah  dos 
liariri  (worauf  mich  Prof.  Nöldeko  hin  weist)  geht  hervor,  dass  schon  im  4ten  und  6ten 
Jahrhundert  dor  Hidjrah  Uarbstümme  zwischen  Medina  und  Mekka  gesessen  haben.  Jeden- 
falls hatte  die  Unsicherheit  seit  1413  ihren  Grund  in  einer  Wanderung  nördlicher  Harbbo- 
duineu  nach  dem  Süden. 


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100 


Der  ausserordentliche  Glanz,  der  die  Wallfahrt  eines  Wezirs  des 
Othmanensultans  Murad  II  (1447)  umgab,  war  ein,  damals  in 
Mekka  noch  nicht  verstandenes,  Vorzeichen  neuer  politischer  Um- 
wälzungen von  grösster  Tragweite. 

Die  Folgen  der  Fehler  früherer  Scherife , welche  in  ihrem  Kampfe 
auf  Leben  und  Tod  um  die  »Beute”  die  Hülfe  der  Schutzherreu 
um  jeden  Preis , sogar  gegen  erniedrigende  Bedingungen  erkauft 
hatten,  lasteten  schwer  auf  ihren  Nachfolgern;  so  hatten  die  käm- 
pfeoden  Prophetensöhne  einmal  die  Verpflichtung  übernehmen  müssen, 
jährlich  ihre  Huldigung  dadurch  darzubringen,  dass  sie  dem  Ka- 
meel  des  fürstlichen  Mahmnl'a  den  Huf  küssten.  Dem  fein  gebildeten 
Barakät,  zu  dessen  Freunden  der  berühmte  schäfVitische  Gelehrte 
Ahmed  ibn  Hadjar  zählte,  war  das  zuviel;  1440  wusste  er  die 
Abschaffung  dieser  Unsitte  zu  erwirken  ’).  Ihm  folgte  sein  Sohn 
Muhammed  *),  wenigstens  äusserlich  fast  der  glücklichste  aller  Gross- 
scherife;  denn  1455 — 97  war  es  ihm  vergönnt  zu  regieren,  ohne 
dass  sich  Brüder  oder  Vettern  gegen  ihn  erhoben,  und  ohne  be- 
deutende Schwierigkeiten  mit  dem  Sultanate.  Die  Tradition  war 
ihm  günstig;  seit  der  Zeit  'Adjläns  hatte  sich  die  Herrscherwürde 
nur  in  gerader  Linie  fortgesetzt.  Er  war  ein  tüchtiger  Mann ; gegen 
die  kampffähigen  Zebedstamme  *)  in  den  westlichen  Küstengegen- 
den unternahm  er  persönlich  einen  Streifzug,  der  ihnen  auf  lange 
Zeit  Respekt  einflösste.  Es  fehlte  ihm  nicht  an  Gewandtheit;  als 
der  Sultan  ihn  1472  zu  einem  Besuch  auflorderte,  sandte  er  sei- 
nen Sohn  Barakät  und  den  Qädhi  von  Mekka,  welche  mit  gros- 
sen Ehren  empfangen  wurden , befolgte  aber  für  seine  Person  den 
Rath  Qatädah’s.  Sein  langes  Leben  gereichte  ebenfalls  ihm  und 
seinen  Nachkommen  zum  Vortheil;  kein  Nebenzweig  konnte  fer- 
nerhin mit  den  Söhnen  Barakats  konkurrieren.  Von  höchster  Be- 
deutung war  aber  das  Zusammentreffen  seiner  Regierung  mit  der 
des  tüchtigsten  aller  Cirkassiersultane , des  Qäitbey  (1468 — 96), 


1)  MK  148.  8)  CM  11:348,  111:830  ff.;  MK  149  ff;  Stammt.  U,  39. 

e » 

3)  Die  saasen  damals  zwischen  Chulaip  und  Rabigh  ME  150.  Es  wurdeu  auch 

von  Barakats  Söhnen  mehrere  bedeutende  Haubzügo  namentlich  nach  Jemen,  unternommen. 


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dessen  ilerrschertalent  auch  den  Schutzländern  mächtig  imponierte. 
Natürlich  schaffte  auch  dieser  bei  seinem  Regierungsantritt  feierlich, 
die  indirekten  Steuern  in  Mekka  ab;  er  hat  aber  seinen  Namen 
auch  durch  bleibende  Denkmäler  in  Mekka  beliebt  gemacht.  1480 
kam  er  selbst  zum  Haddj,  die  vielen  schönen  und  nützlichen  auf 
seinen  Befehl  ausgeführten  Bauten  in  Augenschein  zu  nehmen.  Ein 
Minaret  von  ganz  eigener  Bauart,  eine  Madrasah,  eine  Moschee 
im  Thale  Muna  werden  immer  noch  von  den  Mekkanern  nach  ihrem 
Urheber  Qäitbey  benannt;  sein  Besuch  war  eine  epochemachende 
Erscheinung  im  Leben  der  Mekkauer;  jedes  Wort  und  jeder  Schritt 
des  populären  Sultans  wurde  in  den  Annalen  verzeichnet,  auch  der 
Zug  nicht  vergessen,  dass  ihm  beim  Hineintreten  in  die  Moschee 
der  Turban  vom  Haupte  fiel;  der  weltlich  erzogene  Fürst  war  ohne 
Pilgerkleidung  in  das  Heiligthum  gekommen , kein  Gelehrter  wagte 
einen  Tadel  aber . . . Allah  war  grösser  als  Qäitbey  1 Wie  hoch  sein 
Einfluss  auf  die  ruhigen  Verhältnisse  Mekka’s  zu  veranschlagen  ist , 
zeigte  die  energische  Wiederaufnahme  des  Kampfes  um  Mekka, 
sobald  Muhammed  gestorben  war. 

Sein  Sohn  , der  zweite  Barakät ')  (1497 — 1525),  setzte  die  von  sei- 
nem Urgrossvater  Hasan  ibn  ‘Adjlän  inaugurierte  Politik  mit  nicht 
weniger  Geschick  fort  als  sein  Vater;  einige  Jahre  der  Mitregierung  und 
ein  langer  Aufenthalt  in  Egypten  während  seiner  Jugend  hatten  seine 
günstige  Veranlagung  wohl  entwickelt;  auch  seine  Tapferkeit  wird 
sehr  gelobt.  Ihm  fehlte  aber  der  Respekt  gebietende  Rückhalt  in  Egyp- 
ten , denn  dort  war  seit  Qäitbey ’s  Tode  an  die  Stelle  der  wirklichen 
Monarchie  wieder  eine  vielköpfige  Regierung  getreten,  die  allerlei 
Intriguen  offnen  Weg  bot.  Zwei  von  seinen  Brüdern  s)  gestatteten 
ihm  in  den  ersten  Jahren  keinen  Augenblick  der  Ruhe;  während 
die  Türken  und  überhaupt  die  Fremdenkolonien  in  Mekka  auf  der 
Seite  Barnkäts  standen , unterstützten  vornehme  Mekkaner  (z.  B.  der 
Oberrichter)  seine  Gegner,  und  erwarben  sich  diese  die  Hülfe  der 
Zebedstämme,  sowie  des  husainidischen  Herren  von  Jambuc.  Bara- 
kät selbst  wurde  einmal  durch  Verrath  vom  egyptischen  Emire  ge- 

1)  Stammt.  II,  4*,  vgl.  40  , 41,  43  , 44;  CM  11:348  ff.,  111:844  ff  ; MK  158  ff. 

8)  Stammt.  U,  40,  41. 


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fangen  genommen  und  nach  Egypten  geführt.  Aus  der  Haft  ent- 
flohen, bildete  er  sich  nun  auch  eine  Partei  aus  raubgierigen  Beduinen 
(Ben!  Läm,  'Utebah  ')  usw.)  und  zog  mit  ihnen  gegen  Mekka,  wo 
die  armen  Gäste  Gottes  wieder  die  Zeche  zahlen  mussten.  Es  ge- 
lang ihm,  die  egyptischen  Autoritäten  durch  Geschenke  zur  An- 
erkennung seiner  Errungenschaft  zu  bewegen ; die  feindlichen  Ze- 
bedslämme  suchte  er  mit  Raub  und  Mord  heim.  Ein  ihm  wohlge- 
neigter Bruder  und  ein  Sohn  wurden  seine  Mitregenten  *);  da  Beide 
ihm  in  den  Tod  vorangingen,  kam  diese  Würde  an  seinen  jünge- 
ren, sehr  geliebten  Sohn  Muhammed  Abu  Numcjj  ').  In  diesen 
Tagen  fingen  die  Handelsunternehmungen  der  Portugiesen  in  In- 
dien an,  den  Egyptern  Sorge  zu  machen;  ein  roher  Emir  wurde 
mit  den  nötbigen  Schilfen  ins  Rothe  Meer  geschickt,  der  die  un- 
abhängigen Fürsten  von  Jemün  verrätherisch  ausrottete  und  1511 
die  Stadt  Djiddah  mit  einer  Mauer  umgab*).  Dies  soll  er  haupt- 
sächlich deshalb  gethan  haben,  weil  der  Hafen  viel  von  den  Streif- 
zügen der  Beduinen  zu  leiden  hatte;  vielleicht  wollte  er  zugleich 
die  Abwehr  europäischer  Eindringlinge  ermöglichen. 

Vorläufig  machte  aber  den  Egyptern  mehr  als  die  neue  Macht  im 
Süden  der  Türkensturm  von  Norden  zu  schaffen.  Als  der  letzte  Cirkas- 
siersultau  1512  den  Grosscherif  zum  Besuche"  einlud , schickte  dieser 
in  herkömmlicher  Weise  an  seiner  statt  den  achtjährigen  Thronfolger 
Abu  Nurnejj,  dessen  günstiger  Eindruck  auf  den  Sultan  dadurch  noch 
erhöht  wurde,  dass  ein  zufälliges  Wort  des  Knaben  ihm  die  Besiegung 
seiner  Feinde,  der  Othmanen,  zu  weissagen  schien.  Wenig  dachte 
er  damals,  dass  derselbe  Knabe  4 Jahre  später  am  gleichen  Orte 


1)  Die  Wiedergabe  der  gebräuchlichen  Aussprache  dieses  Namens  durch  Atoibah 

stammt  ebenso  wie  die  Transkriptionen:  Hadel,  'Ajun  (Augen)  usw.  daher,  dass 
viele  Europäer  den  unbestimmten  Vokal  und  das  «nach  nicht  richtig  boobachten 

können,  und  dieser  für  ihro  Ohren  nach  Gutturalen  den  Laut  eines a zu  bekommen  scheint ; 
mau  spricht  wirklich  Hedel  oder  Hudcl,  'Etebah  odor  Utöbah  (e  =»  Schewa).  Sogar  der 
Name  'Utbman  erscheint  dort,  wo  das  £ recht  scharf  gesprochen  wird,  dom  ungeübten 
Europäer  als  Athmän,  Mu'in  (resp.  Me  in)  als  Ma-in, 

2)  Stammt  II,  43,  45.  3)  Stammt  II,  46. 

4)  CM  III ; 244  ff.  Diesor  Emir  Husain  atKurdi  wird  von  einheimischen  Schriftstellern 
(MK  162)  wohl  als  der  erste  eigentliche  Gouverneur  (Watt)  von  Djiddah  bezeichnet, den 
die  Schutzherren  bestellten.  Ueber  eine  ältere  Mauer  um  Djiddah  vergl.  Nassiri  Khosrau, 
ed.  Ch  Schcfer,  S.  181. 


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103 


im  Namen  seines  Vaters  dem  neuen  Herrn , dem  othmanischen 
Eroberer  Egyptens  huldigen  sollte.  In  seinen  ruhigen  Regierungs- 
jahren unterhielt  Barakät  mit  dem  Cirkassier  einen  poetischen  Brief- 
wechsel, in  welchem  einer  dem  anderen  an  Schmeichelei  nichts 
nachgab  *);  sobald  Sellm  aber  1516  Egypten  erobert  batte,  hielt 
sich  der  poetische  Grossscherif  durch  zeitgemässe  Aenderung  der 
Adresse  seiner  Lobspendungen  die  türkischen  Heere  vorn  Leibe.  Ein 
vormaliger  Oberrichter  von  Mekka,  der  beim  Einzuge  Sellms  in 
Cairo  aus  dem  Gefängniss  der  Cirkassier  erlöst  wurde,  machte 
dem  neuen  Herrn  gleich  klar,  dass  eine  Truppensendung  zur  Un- 
terjochung des  Uidjäz  überflüssig  sei,  weil  der  Grossscherif  ohne- 
dies die  Huldigung  nicht  verweigern  werde.  Die  Othmanen  sind 
auf  ihren  Eroberungszügen  immer  als  die  Vertheidiger  des  Islam's 
gegen  Unglauben  und  Ketzerei  aufgetreten;  dies  bot  den  doppelten 
Vortheil,  dass  die  Tapferkeit  ihrer  Soldaten  durch  Fanatismus  er- 
höht und  ihr  blutiges  Werk  den  Gelehrten  und  an  vielen  Orten 
auch  dem  Pöbel  zum  Gotteskriege  wurde.  Gegen  die  neu  aufge- 
kommene persische  Dynastie,  welche  eine  schfitische  Sekte  zur 
Staatsreligion  erhoben  hatte  * ) , konnten  sic  diesen  fanatisierenden 
Trumpf  mit  grossem  Erfolge  ausspielen,  aber  auch  die  Eroberung 
Egyptens  bekam  einfen  frommen  Anstrich , da  man  dieselbe  dem 
Volke  als  durch  die  heimlichen  Beziehungen  der  Cirkassier  zum 
neuen  Ketzerreiche  erfordert  darstellte s).  Die  Grossscherife  hätte 
man  als  Tyrannen  und  noch  dazu,  trotz  ihrer  schäfi'itischen  Rich- 
tung, schTitischer  Gesinnung  verdächtige  Leute  angreifen  können. 
Wo  aber  die  Unterwerfung  ohne  Gewalt  erfolgte,  waren  die  Oth- 
manen sehr  nachgiebig,  und  dass  ihr  "Fanatismus”  nicht  frei  von 
politischen  Motiven  war,  zeigt  sich  an  dem  Mangel  jedes  Rigo- 
rismus in  ihrer  Verwaltung;  strenge  Einschärfung  des  religiösen 
Gesetzes  wäre  ihnen  selbst  verderblich  geworden.  Dennoch  zeigten 
sich  die  Folgen  des  Wechsels  der  Schutzherren  in  der  Veränderung 
mancher  Verhältnisse  im  Hidjäz.  Zunächst  stellte  sich  die  Ruhe 
unter  den  Scherifen  wieder  her,  wie  sie  zur  Zeit  Qäitbey’s  ge- 


1)  MK  158-9.  2)  Vergl.  CM  Btt i 259  ff.  8)  CM  III : 277. 


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104 


herrscht  hatte:  Abü  Nuuiejj  ')  wurde  beim  Tode  seines  Vaters 
(1525)  vom  Mitregenten  Thronfolger  und  regierte  ungestört  bis 
1566,  wo  er  freiwillig  seinem  Sohne  und  bisherigen  Mitregenten 
Hasan*)  die  ganze  Geschäftsführung  überliess,  und  dieser  herrschte 
bis  1601,  ohne  dass  sich  ein  Verwandter  gegen  ihn  erhoben  hätte. 
Dieses  Jahrhundert  der  Waffenruhe  war  keineswegs  der  organisa- 
torischen Thätigkeit  der  Türken  zu  verdanken , sondern  bloss  der 
einschüchternden  Wirkung  der  überall  vom  Siege  begleiteten  tür- 
kischen Waffen;  die  Heeresabtheilungen,  welche  auf  ihrem  Wege 
nach  Jemen  durch  Mekka  zogen  ’)  und  unbeanstandet  die  Moschee 
zur  Kaserne  einrichteten , und  die  Berichte  von  der  beispiellosen 
Grausamkeit,  womit  sie  dort  bei  der  zweiten  Eroberung  gegen  die 
Anhänger  der  zaiditischen  Imäme  verfuhren,  machten  jene  Wir- 
kung um  so  nachhaltiger.  Die  vernünftige  Politik  Barakäts  ver- 
schonte ihn  und  sein  Land  mit  solchen  Stürmen;  Abü  Nuuiejj 
und  Hasan  durften  als  Vasallen  des  Sultans  von  Konstantinopel 
innerhalb  ihrer  Grenzen  ihre  Herrschaft  befestigen:  von  Chaibar, 
Jambuc  und  Medina  bis  nach  Hali  und  ins  centralarabische  Hoch- 
land hinein  dehnte  sich  ihr  Gebiet  aus ‘).  Abü  Nuuiejj  ging  etwas 
zu  weit,  als  er  1547  ohne  Auftrag  den  südlichen  Hafen  Djazän 
einem  selbständigen  Emir  entriss;  der  Wäll  (Gouverneur)  von  Jemen 
wies  die  Beamten  des  Scherifs  zurück  und  gab  zu  erkennen , dass 
dessen  Befugnisse  nur  bis  Hali  reichten*).  Sehr  gut  wurde  es  dage- 
gen aufgenommen , als  Abü  Numejj  1541  mit  grösster  Anstrengung 
die  bis  Djiddah  gekommenen  portugiesischen  Schiffe  verjagte,  und 
er  bekam  dafür  vom  Sultan , wie  das  seinen  Vorgängern  von  den 
Egyptern  bewilligt  war,  */,  der  Eingangszölle  dieses  Hafens.  Später*) 
(1603),  als  diese  Einnahmequelle  allzu  spärlich  floss,  wurde  sie 
durch  den  Ertrag  von  Grundstücken  des  Sultans  ersetzt. 

Geschah  es  infolge  eines  geheimen  Auftrags  oder  nur  aus  per- 
sönlichem Aerger,  dass  der  Pascha,  welcher  die  Haddjkarawane 


1)  Stammt.  II,  46  cf.  UI,  1.;  CM  11:344,  MK  171  ff. 

9)  Stammt  ni,  3;  MK  187  ff;  CM  UI,  416;  WüsUmf.  Scherife,  S.  3 ff 
3)  CM  m :300  t,  363  ff  4)  MK  185,  Al)  72. 

6)  MK  178.  6)  MK  209. 


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STAMM 

l.  Mulinmn 


2.  Ahmed  Kb  1 947—981  (2?) 


8.  Haan 


5.  ABDALLAH  Kb  II  1040— C;  1041  6.  Mu  nd  ?— 1003  7.  Urnern  ?— ? 8.  Aba  Tllib  Dh  1003 

| j”  ’ j 17.  MciA'id  18.  Mubain 

14.  Uuaein  15  Mohammed  16.  Ilamad  „ I , »j  ” 1012— Kn  1037  19 

27  Muhamraed  j So-Dhl 


Q— Sn  1041  M — Kg  1077 


33.  Ghalib 


28.  ZKI1)  i;  1041— M 1077 


26.  Abdallah 


32.  Mithain 


41.  ‘Aun 


60.  Abd  il-Mu’ln 


58  Muhainmctl 


1243— Rg  1267 
9n  1272— Sn  1274 


42  Ahmed 
Sl.  1099— Rg  1101 


34.  Ha  d M 1077— Dh  1082 
Dh  1103— Dh  1106 
Rb  II  1106— Sl  1113  , Sl  1116 


43.  Haid  Dj  II— Sl  1099 
M — Dh  1103, 

Sl  1118 — Hb  I 1 116 
Dh  1116  — Rg  1117 
l)q  1123— M 1129 


51  Abdallah  52.  Ali  63.  Mnx'tid  64.  I 

M 1129— Dj  1 1130  Dj  I — Dh  1 130  Dj  I— Sn  1145  Dh 

ilj  II  1136—  Dq  1143  Kn  1140— Rh  1 1165 

60.  Herür  Dq  111 

69.  Jahja  Dq  1! 


I 

59.  Muhammad 
Dq  1143— Dj  I 1145 
Sn  1146— Kn  1146 


35.  Ahmed  1080- 
Dq  1095— Dj  1 


44.  Abd  hl-Muhain 
Rb  I 1116 


63.  Abdallah  64.  Ali 

Sn  1274— Dj  11  1294  t 1287 


■hharaf  geb.  1267,  Ali  Mohammed  Huaeiu 
geat.  1288  geb  1276  geh.  1281 


I 

65.  Husein 
Sn  1294— Kb  II  1297 


N&vir 


66.  ‘Aan  i>r-Rafiq 
Dq  1299— 

I 

M uhammni  Abd  £l-Aii? 
geb  1291 


1)  Vergl.  Stammtafel  II,  46. 


2)  Dieser  Name  hat  die  Diminutivform;  die  Schreibung  Fahid 


NB.  Diese  Tafel  enthält  die  Genealogie  der  Groasscherife  von  Aba  Nam&jj  bis  auf  unsere  Zeit.  Ebenso  wie  ial 
nymi  der  Familien,  welche  in  dieaem  ganzen  Zeitraum  die  Geschichte  des  llidjaz  beherrscht  haben,  I 
bedeutend  abweich  , sind  dem  heutigen  Gebrauche  entsprechend  transkribiert.  Die  Abkürzangen  für  die  I 
Mitglieder  aafgefiihrt,  denen  wahrscheinlich  in  der  nächsten  Zukunft  eine  Rolle  in  der  Geschichte  ihres 


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AFEL  U\. 


Abu  >»  ') 

I 


Bl  (2?) — Dj  II  1010 


4.  BABAKAT 


j II  1012 


9.  AM  il-Muttilib 

I 


10  IdrI*  11.  Heheid1)  12.  Ibrahim  13  MOaa 

Dj  II  1012— M 1034  Dj  111012-1019 

24.  Muhammad  23.  IJamzah 

20.  Ahmed  21.  Muhammad 

Kn  1037— y 1039  I 22.  Mar'nd  23.  AM  H-  Am  80.  Buruhal  31.  Jala 

29  Haachim  g 1039—Kb  II 1040  So-I)hl041  üb  1082-Rb  II 1093 

87.  AMallah  Dh  1 108—  RblUlOC  I 


40.  Muhammed 


1082 

>99 


"i 


SB.  Sa’Td 

Kb  II  1093 -Dq  1095 


39  Jahja  Dh  1130— Hg  1132 
Dh  1134— Dh  1133 


36.  Ijuaein 

I 

46.  Muhain 
Rg  1101 — M 1 103 


45.  Mubarak 
Rg  1132— Üb  1134 
M— Dj  1 1136 


47.  lUaein 


37.  AMallah 
Rb  I— Dj  II  1184 


49  AM  M*Karim 
Rb  1116— Dq  1123 
(zweimal  unterbrochen) 


48.  Barakat  Dh  1133 
M 1136 


55.  Meaa'ld 

Rb  I 1166— M 1184 


56.  Abmed  M— Rb  I 1184 
Dj  II 1184  — Dq  1186 


Rb  II  1202 
- Sn  1242 


61.  AM  il-Mn'ln  Rb  II 1202 
M— Rb  1 1218 


62  Ghnlib  Rb  1 1 1202— Dq  1228 

I 

70.  Abd  M-Muttdlib  M— (;1243 
Rn  1267— Sn  1272 
Dj  II  1297 — Sl  1299 


67.  Abdilah 


68.  SnlUn 
t 128*3 


istenf.,  Scherife)  ist  unrichtig. 


imta^el  II  siud  auch  hier  nur  die  Namen  mehr  oder  weniger  hervorragender  Fürsten  fett  gedruckt.  Die  drei  Epo- 
durch  Kapitalschrift  bemerkiieh  gemacht.  Solche  Namen,  deren  volksthümliche  Aussprache  von  der  grammatischen 
aunamen  sind  die  gleichen  wie  in  Tafel  II.  Von  den  'AbJUlilah  sind  einige  der  jüngsten  Generation  angc hörende 
Jcs  zufallen  wird. 


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105 


1551  anführte,  ernste  Versuche  machte,  den  Scherif  zu  tödten? 
Die  erste  Voraussetzung  hat  viel  für  sich,  weil  der  Sultan  dem 
Scherif  zwar  beruhigende  Aufklärung  schickte  und  die  Handlungs- 
weise des  Pascha’a  tadelte,  dieser  aber  trotzdem  kurz  darauf  zum 
Gouverneur  von  Jemen  ernannt  wurde.  Der  Emir  von  Djiddah , 
die  mit  speciellen  Missionen  nach  Mekka  gesandten  Beamten  und 
die  Haddj-emirc  blieben  dem  Scherif  durchaus  missliebige  Erschei- 
nungen. Das  an  und  für  sich  schon  nicht  angenehme  Verhältniss 
wurde  dadurch  noch  schlimmer,  dass  Türken  und  Araber  Menschen 
ganz  verschiedenen  Schlages  sind,  von  denen  der  Eine  wenig  Ver- 
ständniss  für  die  Eigenthümlichkeiten  des  Andern  besitzt ; die  Emire 
aber  zeigten  sich  nicht  von  ihrer  liebenswürdigen  Seite.  Die  Ma/jmaF « 
nahmen  auch  die  Othmanen  als  Symbole  ihrer  Hoheit  über  Mekka 
herüber;  zuerst  (1517)  fügten  sie  den  herkömmlichen  syrischen  und 
egyptischen , welche  jetzt  beide  im  Gefolge  ihrer  Statthalter  reisten , 
ein  neues  aus  ihrer  europäischen  Hauptstadt  hinzu.  Diese  Neuerung 
wurde  aber  bald  aufgegeben ; dagegen  verlangte  der  Wäll  von  Je- 
men 1556,  dass  ihm  nicht  weniger  als  seinen  syrischen  und  egyp- 
tischen Kollegen  das  Aufstellen  eines  Mahmats  gestattet  würde , und 
von  da  an  bis  1630 ')  nahmen  wirklich  die  Scherife  dieses  dritte 
»Zeichen”  der  Türkenmacht,  wenngleich  mit  etwas  weniger  Aus- 
zeichnung als  die  beiden  andern , feierlich  in  Empfang ; — ein 
solcher  Anspruch  eines  Gouverneurs  zeigt  schon  die  Keime  der  für 
das  Ganze  verhängnissvollen  Selbständigkeit  der  einzelnen  Theile 
des  türkischen  Reichs.  Dass  übrigens  Egypten  seine  Bedeutung  für 
den  Hidjäz  nicht  verlor,  lag  in  der  Natur  der  Sache;  wenn  sich 
nicht  zufällig  ein  specieller  Kommissär  des  Sultans  in  Mekka  befand, 
ging  jede  wichtige  Bitte  oder  Mittheilung  des  Scherifs  an  den  Sultan 
über  Cairo,  und  unter  gewöhnlichen  Umständen  waren  die  Rath- 
schläge des  Wall’s  von  Egypten  über  arabische  Angelegenheiten 
maassgebend.  Je  mehr  in  späterer  Zeit  die  Centralregierung  von 
ihrer  Macht  einbüsste,  um  so  enger  stellte  sich  der  alte  Zusam- 
menhang des  Ijidjäz  mit  dem  Nillande  wieder  her. 


1)  MK  181. 

14 


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106 


Die  erfreulichsten  Folgen  der  neuen  politischen  Lage  für  die 
Mekkaner  bildeten  die  vielen  Stiftungen  der  auf  ihren  Titel  von 
u Dienern  der  heiligen  Städte”  stolzen  Othmanen. 

Altherkömmlich  waren  bekanntlich  die  mehr  oder  weniger  regel- 
mässigen jährlichen  Korn-  und  Geldsendungen  aus  Egypten  für 
die  Haramein.  Qäitbey  hatte  dieselben  zuletzt  genau  geregelt  und 
bedeutend  vermehrt  *) : die  Scherife  erhielten  theils  als  Geschenk , 
theils  als  Ersatz  für  abgeschaffte  Abgaben  jährlich  eine  Geldsumme; 
die  ergiebigen,  zu  Auqäf  gemachten  Grundstücke  sollten  ausserdem 
jedes  Haus  in  Mekka  und  Medina  mit  Korn  versehen  , vielen  auch 
noch  ein  Geldgeschenk  liefern;  die  Stiftshäuser  in  Mekka  hatten 
gleichfalls  ihre  Auqä f in  Egypten,  und  sogar  die  Räuber  der  Pil- 
gerwege wurden  aus  diesen  Fonds  befriedigt.  Allein  von  der  Geburt 
an  leidet  jedes  Waqf  an  einer  tödtlichen  Krankheit;  nach  wenigen 
Jahren  gestaltet  sich  die  Verwaltung  der  Art,  dass  kaum  ein 
Pfennig  für  den  ursprünglichen  Zweck  verwandt  wird.  Die  Sultane 
der  Türkei,  welche  schon  vor  der  Eroberung  Egyptens  auch  ihrer- 
seits jährliche  Sendungen  nach  Mekka  angeordnet  hatten  s) , haben 
in  dem  Zeitraum , den  wir  jetzt  besprechen , unausgesetzt  die  alten 
Stiftungen  für  die  Haramein  wiederhergestellt  und  neue  hinzuge- 
fügt ’).  Es  gehörte  zu  den  wichtigsten  Funktionen  der  Haddj-emire, 
die  richtige  Vertheilung  der  verschiedenen  Qarr’s  oder  Qurrah's 
(eig.  Geldbeutel),  Qadaqah’s , Dac/ärah’s  zu  besorgen.  Namentlich 
die  egyptische  Korn-yadaqah  bildete  allmählich  eine  Lebensbedingung 
für  die  Gäste  Allahs  und  seines  Gesandten ').  Im  ersten  Kapitel 
war  schon  die  Rede  von  den  Bauten , welche  die  Sultane  von 
Stambul  im  16*«“  Jahrhundert  in  Mekka  veranlassten ; ausser  der 
Moschee  und  den  wissenschaftlichen  Anstalten  trugen  sie  für 
solche  Heiligthümer  wie  das  Grab  Chadidjah’s ')  und  das  Geburts- 
haus Muhammeds  besondere  Sorge.  Weniger  angenehm  als  diese 


1)  CM  m : 829.  8)  CM  in : 256,  261. 

3)  CM  III : 28+  ff.,  331  388  ff.,  415  f. 

4)  Die  Medinenaer  genosson  nämlich  nicht  weniger  als  die  Mekkaner  von  den  frommen 
Stiftungen. 

5)  MK  178 — 9. 


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107 


Verbesserungen  berührte  die  Mekkaner  der  gleich  vom  ersten  tür- 
kischen Emir  unternommene  Umbau  des  Maqäm  der  Hanafiten  zu 
einer  grossartigen  Kuppel,  und  dieser  Umbau  wurde  denn  auch 
wenige  Jahre  später  rückgängig  gemacht.  Die  Türken  waren  sehr 
eifrige  Hanafiten  und  verschafften  trotz  der  theoretischen  Gleichbe- 
rechtigung, wo  sie  es  nur  vermochten,  gern  ihrer  Richtung  den 
Vorrang.  Wo  die  Beamten  in  ihrem  Eifer  zu  weit  gingen , waren 
die  höchsten  Behörden  vernünftig  genug , das  Gleichgewicht  wieder- 
herzustellen ; immerhin  wurde  in  Arabien  das  Centralisierungsbe- 
streben  der  Türken  in  Bezug  auf  die  kanonische  Rechtspflege  sehr 
unangenehm  empfunden.  Dem  internationalen  Charakter  der  Be- 
völkerung entsprechend  hatte  Mekka  vier  Richter,  für  die  Bekenner 
der  vier  Riten;  weil  der  Kern  der  Bevölkerung  von  der  Abbasi- 
denzeit  her  schäfi'itisch  war,  bekleidete  der  scbäfi'itische  Richter 
den  höchsten  Rang , und  namentlich  seitdem  die  regierenden 
Scherife  ihre  schfitische  Richtung  auf  gegeben  hatten  und  Scha- 
fften geworden  waren,  galt  der  Qädhi  dieses  Ritus  als  der  Ilaupt- 
richter  und  wurde  wohl  schlechtweg  der  Q/idhi  genannt.  Die  Er- 
nennung lag  je  nach  den  Verhältnissen  der  Zeit,  in  der  Hand  des 
Schutzherrn  oder  des  Scherifs;  der  Vorschlag  ging  immer  von 
diesem  aus,  zumal  die  Inhaber  des  Amtes  ausnahmslos  geborene 
Mekkaner  waren.  So  war  das  Amt  ein  mekkanisches , und  drei 
Jahrhunderte  lang  gehörten  die  Hauptqädhl’s  einer  Familie ')  an. 
Die  Othmanen  führten  zur  grossen  Bestürzung  der  oligarchischen 
Mekkaner  die  jährliche  Sendung  eines  neuen  Hauptrichters  aus 
Konstantinopel  ein  *).  Diese  Neuerung  ärgerte  nicht  bloss  die  Ari- 
stokraten der  Stadt,  sondern  auch  das  Volk,  denn  die  türkischen 
Qädhl’s  waren  und  blieben  in  Mekka  Fremde,  und  da  das  Amt 
jetzt  nach  türkischer  Sitte  jährlich  versteigert  wurde,  mussten  die 
vor  Gericht  gezogenen  Mekkaner  den  Preis  mit  gehörigen  Zinsen 
zahlen.  Die  dringende  Bitte  Abu  Numejj’s  (1539)’)  vermochte 
nicht,  die  hohe  Pforte  zur  Umkehr  von  dieser  auflösenden 


1)  AD  58  ff.;  CM  II:  XVII  ff;  Wüstest.  Scherife,  S.  13. 
9)  Vorgl.  u.  ».  CM  III ; 344. 

3)  MK  173. 


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108 


Maassregel  zu  bewegen.  Den  Schäfi'iten  blieb  aber  zunächst  der 
Vorrang  zugesichert ') ; die  ausschliesslich  hanafitische  Rechtspflege 
im  Hidjäz  wie  in  allen  türkischen  Landern  datiert  aus  der  neu- 
esten Zeit. 

Abu  Numejj  und  Hasan  fanden  in  der  langen  Zeit  des  Familienfrie- 
dens Gelegenheit,  verschiedene  Razzia's  ins  Innere  zu  unternehmen 
und  ihre  Müsse  im  geselligen  Verkehr  zu  verbringen.  Es  hatte  im 
Hidjäz  wie  in  jedem  arabischen  Lande  immer  Hofpoeten  gegeben, 
welche  das  Lob  der  aufgehenden  Sterne  sangen  und  dabei  ein 
Stück  Geld  verdienten.  Jetzt  blühte  die  Hofpoesie  mehr  als  zuvor, 
und  wenn  man  die  abgeschmackten  Schmeicheleien  und  die  durch- 
sichtige Bettelei  mit  in  den  Kauf  nimmt,  muss  man  sagen,  dass 
Sprachkunde  und  Literatur  in  der  heiligen  Stadt  lobcnswerthe 
Pfleger  hatten.  Der  Bau  eines  //das  Glückshaus”  s)  genannten  Pa- 
lastes von  Hasan  rief  Gedichte  hervor,  welche  die  Eifersucht  seines 
Bruders  erweckten  und  infolge  dessen  zu  neuen  Gedichten  polemi- 
scher Natur  Anlass  gaben 1 2 3 4  5).  Von  Hasan  werden  anekdotenhafte 
Richtersprüche  erzählt,  und  er  soll  literarische  Neuerungen  in  den 
Kanzleistil  eingeführt  haben4). 

Ein  damaliger  Schriftsteller5)  sagt,  mit  dem  Tode  Hasans  (1601) 
sei  die  Reihe  der  guten  Scherile  geschlossen , gleichwie  der  kurz 
zuvor  gestorbene  Sultan  Muräd  III  der  letzte  gute  Sultan  der  Türkei, 
und  der  kurz  darauf  dahingeschiedene  Mauläja  Ahmed  der  letzte 
tüchtige  Sultan  von  Marokko  gewesen  seien.  Wenn  die  rhetorische 
Figur  einen  Sinn  hat,  so  ist  es  der,  dass  vom  Anfang  des  17tou 
Jahrhunderts  an  die  türkische  Regierung  immer  weniger  im  Stande 
war,  die  rasch  eroberten  Länder  kräftig  zu  regieren.  Im  Hidjäz 
brachen  die  alten  Wirren  mit  neuer  Kraft  aus,  und  die  Schutz- 
herren entbehrten  der  Mittel,  dem  erblichen  Uebel  abzuhelfen.  Die 


1)  CM  m,  116;  MK  204. 

2)  Dm  iol*— J jlo,  ungefähr  dort,  wo  jetzt  die  Thkkijjah  Mirrijjah  (Grundriss , 30)  stellt. 

3)  MK  187. 

4)  Nämlich  im  Wortlaut  der  Tajrin  d.  h.  Gewerbelicenien , welche  mithin  schon  in 
dieser  Zeit  für  die  Ausübung  gewisser  Gewerbe  in  Mekka  erforderlich  waren. 

5)  Schibab  »1-Chafudji  bei  AD  80. 


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109 


einflussreichsten  Söhne  und  Enkel  Hasans  standen  wieder  mit  ge* 
zogenen  Schwertern  um  den  Thron  und  den  Beutel  herum , und  die 
nächsten  30  Jahre  (1601 — 31)  *)  klärten  die  Lage  nur  insofern, 
dass  seitdem  feststand,  welche  von  den  vielen  von  Abu  Numejj 
herstammenden  Familien  fernerhin  die  Spitzen  der  kämpfenden  Par- 
teien und  dementsprechend  beim  Siege  ihrer  Partei  die  Könige 
Mekka’s  sein  sollten.  Misshelligkeiten  zwischen  den  Leibeigenen 
(Quwioä d)  und  Söldnertruppen  ( Djibnlijjah ) der  Scherife  wurden 
(1611)*)  durch  Strassenkampf  erledigt;  der  Pöbel  Mekka’s  wagte 
es  wieder,  (1623)  einen  auf  der  Durchreise  nach  Jemen  befind- 
lichen türkischen  Gouverneur  in  der  Moschee  mit  Steinen  zu  wer- 
fen J);  der  türkische  Mufti  wurde  (1639)  auf  Befehl  des  dermali- 
gen  Grossscherifs  getödtet '),  und  nur  der  Mitwirkung  von  dessen 
feindlichen  Verwandten  verdankte  der  durchreisende  Pascha  Qän?üh 
die  Gelegenheit , diesen  Scherif  verrätherisch  zu  -tödten.  Jede  Ein- 
mischung der  Türken  entstammte  fortan  der  individuellen  Absicht 
von  Beamten;  1628  unterstützte  ein  Wall  von  Jemen,  dessen 
Flotte  bei  Djiddah  gescheitert  war,  aus  persönlichem  Aerger  gegen 
den  Fürsten  Mubsin  die  Oppositionspartei , und  rein  persönlich  war 
der  1626  von  einem  andern  Wäll  ausgeübte  Zwang,  die  Festpre- 
digt im  schäfi'itischen  Mekka  einem  hanafitischen  Gelehrten  zu 
übertragen  s).  Die  SchäfTiten  behaupteten  unter  dem  Schutze  der 
Scherife  das  Feld  in  dem  Streite  der  auch  zu  literarischen  Schar- 
mützeln Anlass  gab').  In  Jemen  waren  die  Schfiten  unter  Füh- 
rung der  zaiditischen  Imäme  aufs  Neue  zu  einer  gegen  die  Türken 
kämpfenden  Partei  geworden  *);  seitdem  war  der  Hof  dieser  Imäme 
von  CanH  die  Zuflucht  vieler  von  ihren  Verwandten  verfolgten 
Scherife,  wo  sie  immer  Schutz,  oft  auch  direkte  Unterstütz- 
ung fanden ').  So , in  politischem  Sinne , ist  die  Aeusserung  Nie- 

1)  Stammt,  m,  5,  6,  8,  10,  11,  15,  18,  20,  28 j MK  808  IT.;  AD  81  ff. j Wüsten! 
Scherife,  S.  11  ff. 

2 ) MK  214.  3)  MK  217. 

4)  Vergl.  auch  Wüatenf.  Scherife,  S.  33—4. 

5)  MK  220  ff.  6)  Wüatenf.  Scherife,  S.  32,  57 — 8. 

7)  Die  oben,  S.  77,  Anm.  3,  angeführten  Sendschreiben  dieser  Imäme  datieren  aus  dieser  Zeit 

8)  Vorgl  z.  B.  229,  MK  243:  der  Scherif  Ahmed  ibn  Mas'üd  versuchte  zuerst  1628 
durch  die  Gunst  des  Imams  von  (^an’ä  zum  Groosscherifat  zu  gelangen,  aber  vergeblich; 


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buhrs  ')  zu  verstehen,  die  Scberife  hiessen  (1763)  zwar  orthodox, 
stünden  aber  im  Verdachte  zaiditischer  Gesinnung;  jede  religiöse 
Ansicht  ist  ihnen  recht,  die  ihrer  Herrschaft  als  Stütze  dienen  kann. 

So  konnten  die  Hasaniden  sich  wieder  nach  Herzenlust  um  die 
»Einnahmen”  *)  raufen.  In  den  ruhigen  Zeiten , wo  die  Schutzher- 
ren eine  wirksame  Kontrolle  ausübten , gab  die  Theilung  nur  wenig 
Anlass  zu  Schwierigkeiten ; der  regierende  Scherif  gab  den  ihm  am 
nächsten  stehenden  Familien  soviel  als  nöthig  war , damit  sie  sich 
nicht  an  hoher  Stelle  beschwerten ; sein  Haupttheilhaber  blieb  aber 
sein  Sohn , der  ihm  nachzufolgen  bestimmt  war  ’).  Liess  sich  dage- 
gen der  Druck  von  oben  wenig  fühlen,  so  hatte  die  Theilung  zwi- 
schen Brüdern  und  Vettern  hauptsächlich  die  Bedeutung  einer  Frie- 
densbedingung ; Meinungsverschiedenheit  über  den  Inhalt  dieser 
ungeschriebenen  Verträge  oder  über  deren  Ausführung  hob  den 
FYiedenszustand  auf.  Die  angesehensten  von  Abu  Numejj  *)  stamm- 
enden Familien  beanspruchten  seit  der  Abschwächung  der  Oth- 
manenherrschaft  meistens  */4  aller  Einkünfte  des  Scherifats 5)  während 
der  Grossscherif  für  sich  und  seine  Theilgenossen  */«  mit  der  Ver- 
pflichtung behielt,  die  Kosten  der  Armee  usw.  ganz  auf  seine  Rech- 
nung zu  nehmen.  Es  bedarf  wohl  keiner  ausführlichen  Darlegung, 
dass  selbst  in  den  seltenen  Fällen , wo  diese  Regelung  theore- 
tisch allerseits  anerkannt  wurde,  die  Praxis  Verwickelungen  herbei- 
führen musste ; zumal  die  Stellung  der  einzelnen  Familien  in  jeder 
neuen  Generation  eine  andere  war.  Es  kam  vor,  dass  die  Willkür 
des  türkischen  Beamten  in  Djiddah  über  die  Ansprüche  unzufrie- 
dener Seherife  entschied , und  dieser  ihnen  einen  Theil  der 
Zölle  auf  Abrechnung  auszahlte;  ja  es  wurde  ihm  sogar  einmal 
vorgeschlagen , durch  einen  Wechsel  einige  aus  Mekka  ausgezogene 


erroisto  dum  zum  Sultan  nach  Constantinopol , wo  ihm  oin  ehrenvoller  Empfang  zu  Thoil 
wurde.  Bald  darauf  erkrankte  er  und  starb  in  der  Hauptstadt  ebenso  plötzlich,  wie  viele 
andere  von  seinen  Verwandten,  welche  dahin  ihre  letzte  Zuflucht  nahmen. 

1)  Beschrijving  ran  Arabie,  S.  3-19. 

2)  passim ; die  Bezeichnung  der  Anthoilo  wurde  oben 
S.  87  angegeben. 

3)  Vergi.  oben  8.  88.  4)  Stammt  III,  1. 

5)  Vergi.  u.  A.  MK  209j  AD  114,  132,  139-40;  Wüstenf.,  Seherife,  8.  81. 


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Scherife  zu  ermächtigen,  ihren  Antheil  selbst  von  den  von  Djiddah 
nach  Mekka  gehenden  ilandelskarawanen  zu  erheben  *) ! Das  von 
einem  energischen  Scherif  (Mas'üd,  1734 — 52)  angelegte  Register 
der  Einnahmen  und  die  Buchführung  über  die  Verkeilung  waren 
gleich  nach  seinem  Tode  ausser  Geltung  gekommen  und  abge- 
schafft *).  Einmal  (1704  *)  wurde  der  Versuch  gemacht,  den  Streit 
zwischen  dem  Grossscherif  und  seinen  Verwandten  dem  Richter  zu 
unterbreiten,  damit  das  kanonische  Gesetz  entschiede.  Wie  sollte 
aber  Gottes  Gesetz  zwischen  Raubrittern  richten?  Der  Grossscherif 
behauptete.  Alles,  was  seine  Verwandten  von  den  Einnahmen  be- 
kämen , wäre  seinerseits  als  freiwillige  Schenkung  zu  betrachten , die 
höchstens  in  der  moralischen  Verpflichtung  gegen  Blutsverwandte 
begründet  sei;  die  andere  Partei  hielt  dem  entgegen,  ihre  Rechte 
beruhten  auf  dem  seit  Qatädah’s  Zeiten  anerkannten  "Herkommen”. 
Der  einzige  Erfolg  war  der , dass  die  Parteien  nach  heftigen  gegen- 
seitigen Beschimpfungen  aus  einander  gingen  und  später  verschämt 
eingestanden , sie  hätten  ihre  adeligen  Zwistigkeiten  doch  nicht  vor 
aller  Welt  blosslegen  sollen.  Es  wird  hier  am  Platze  sein,  die  Fa- 
miliengesetze dieses  westarabischen  Adels  etwas  eingehender  zu 
beschreiben  *) ; die  Quellen  über  die  Periode  der  othmanischen 
Herrschaft  sind  in  dieser  Beziehung  die  ergiebigsten. 

Bisher  haben  wir  fast  nur  die  Schattenseiten  des  Lebens  der 
Scherife  kennen  gelernt;  in  ihren  Verhältnissen  zur  Aussen  weit 
treten  diese  naturgemäss  aufs  Schärfste  hervor.  Ausdrücklich  sei 
betont,  dass  mancher  Scherif  sich  durch  die  Tugenden  auszeich- 
nete, welche  die  Araber  an  einem  Emir  am  höchsten  schätzen: 
Freigebigkeit,  Gastfreiheit,  praktische  Einsicht,  Treue  gegen  seine 
Verbündeten  und  Sinn  für  Gerechtigkeit,  wo  ihrem  Richterspruche 
Fragen  anheimgestellt  wurden,  deren  Entscheidung  ihre  persönlichen 
Interessen  nicht  berührte.  Fast  alle  zogen  einem  nach  ihrer  Ansicht 


1)  AD  223  (Jahr  1705)  Auch  heutzutage  geben  die  anständigeren  Beduinen,  die  Pil- 
gerkarawanen ausplündern , in  Ermangelung  von  Wechseln,  den  Beraubten  Quittungen, 
in  denen  sie  den  Empfang  eines  Werthes  von  so  und  soviel  bescheinigen,  damit  die  Ke- 
gierung  den  Betrag  von  den  rückständigen  herkömmlichen  Jahrgeldcrn  abziohe ! 

2)  AD  337.  3)  MK  338,  AD  188-9. 

4)Vergl.  oben  S.  98. 


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schmachvollen  Leben  den  Heldentod  vor;  viele  zeichneten  sich  ausser 
durch  Tapferkeit  auch  durch  literarische  Begabung  und  Schlagfer- 
tigkeit in  der  Diskussion  aus.  Jeder  vornehme  Hasanide  hatte  in 
der  Stadt  und  unter  den  Beduinen  seinen  Kreis  von  Anhängern, 
die  sich  auf  seinen  Schutz  verlassen  konnten;  das  Asylrecht  wurde 
von  Seiten  der  Familienhäupter  unumschränkt  sogar  auf  alle  Frem- 
den erstreckt , die  es  nachsuchten,  und  der  Grossscherif  wagte  es 
nicht,  die  Ausübung  desselben  zu  beanstanden  *).  Abgesehen  aber 
von  solchen  arabischen  Bräuchen  und  persönlichen  Beziehungen  war 
die  Hauptmasse  der  Bevölkerung  Mekka’s  sammt  den  Pilgern  den 
Scherifen  ein  Gegenstand  der  Ausbeutung ; die  Beduinen , mit 
denen  sie  dann  und  wann  feindlich  in  die  Stadt  einzogen,  waren 
so  zu  sagen  ihre  Jagdhunde,  die  Nichtadeligen  auf  gegnerischer 
Seite  das  Wild.  Wenn  sich  selbst  bei  uns  nach  jahrelanger  Herr- 
schaft der  Gleich heitsprincipien  die  wirkliche  Anwendung  derselben 
doch  im  besten  Fall  wesentlich  auf  Menschen  gleicher  Bildung 
beschränkt , so  darf  es  wohl  natürlich  heissen , dass  der  mittelalter- 
liche Adel  Arabiens  die  meisten  Tugenden  nur  innerhalb  des  eig- 
nen Kreises  in  vollem  Maasse  ausübte;  die  ungeschriebenen  Ge- 
setze, welche  das  Verhältniss  der  Scherife  unter  sich  beherrschten, 
zeigen  uns  die  Lichtseite  ihres  Charakters. 

Die  mekkanischen  Hasaniden  theilten  sich  wegen  Verschiedenheit 
der  Interessen  in  unzählige  Gruppen , deren  Centrum  je  eine  Fa- 
milie bildete;  solch  eine  leitende  Familie  verdankte  ihre  Bedeu- 
tung der  grossen  Zahl  oder  der  Tüchtigkeit  ihrer  Mitglieder.  Schon 
im  14*®“  Jahrhundert  ’)  begegnen  wir  der  seitdem  immer  häufige- 
ren Bezeichnung  dieser  Familien  als  »Dem  (eigentl.  Dawl)  N.  N.” 
d.  h.  »die  Leute  des  N.  N.”,  wobei  N.  N.  den  Namen  irgend  eines 
hervorragenden  Vorfahren  vertritt.  Die  Wahl  der  Eponymi  ist  ge- 
wöhnlich mehr  historisch  als  logisch  begründet : Dem  Rumeithah ') 
heissen  die  dem  Hasan  *)  feindlichen  Familien,  obgleich  Hasan 

1)  1679  flüchtete  sich  ein  Mann  aus  Sawakin,  der  in  einem  Streite  einen  Türken  ge- 
tödtet  hatte,  in  das  Haus  eines  Scherifs  „und  dieser  nahm  ihn  nach  ihrem  Ilerkom- 
„mrn  in  seinen  Schutz  nnd  half  ihm  aus  Mekka  fort.”  AU  135  vgl.  auch  Hl. 

3)  CM  II : 321.  3)  MK  Ml,  vcrgl.  Stammt.  II,  13. 

1)  Stammt.  II,  31. 


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113 


selbst,  als  Enkel  Rumeithah’s,  eigentlich  mit  dazu  gehört;  Demi 
Uasan  ’)  heissen  einige  vom  seihen  Hasan  stammende  Familien , 
welche  nach  Jemen  ausgewandert  und  dort  zu  grosser  Macht  ge- 
langt waren,  im  Gegensatz  zu  den  in  Mekka  herrschenden  Nach- 
kommen desselben,  obgleich  fast  alle  die  unzähligen  uDfod'g",  die 
seit  der  Regierung  Hasans  im  Hidjäz  Ansehen  erwarben , der  Ab- 
stammung nach  ebenfalls  zu  den  DewI  Hasan  gehören.  Statt  dem 
Namen  des  Vorfahren  Demi  vorzusetzen , bildet  man  auch  wohl 
einfach  den  Plural  desselben  und  spricht  z.  B.  regelmässig  von 
den  Schambar’s  (Schenäbrah) , den  Mun'ims  (Menä'mah),  den  Ab- 
dallahs ('Abädilah)  d.  h.  den  Nachkommen  der  Scherife  Scham- 
bar 1 2 3) , Abd  nl-Mun'im , Abdallah ; in  diesen  Fällen  ist  aber  der 
Gebrauch  des  Wortes  Demi  mit  dem  Namen  auch  zulässig.  Der 
ganze  Kampf  um  Mekka  wird  nun  von  der  Parteistellung  der  ver- 
schiedenen Demi  beherrscht.  Ganz  voran  stehen  die  Brüder  und 
Vettern  des  jeweiligen  Fürsten ; deren  «Dem'  sind  natürlich  noch 
wenige , sie  verfugen  dagegen  über  die  Mittel  Sklaven  zu  kaufen , 
eine  Heeresmacht  zu  bilden , und  nur  durch  ihre  Vermittelung 
können  Fernerstehende  etwas  abbekommen.  Jenen  und  dem  Herr- 
scher selbst  folgen  die  älteren  und  zahlreicheren  selbständigen  Fami- 
lien nach  Maassgabe  ihrer  Häupter;  die  Gruppierung  unterliegt 
bedeutendem  Wechsel.  Die  Häupter  der  älteren  Familien  verdanken 
der  Stellung  ihrer  Vorfahren  mehr  oder  weniger  werthvollen  Grund- 
besitz; die  jeweiligen  Prinzen  bekommen  unschwer  etwas  von  den 
Krongiitern.  Die  Gegend  um  das  Grundstück  eines  solchen  Land- 
herrn wird  theilweise  von  seinen  Demi , theilweise  von  Dörflern  und 
Beduinen  bewohnt , die  alle  von  selbst  in  einem  Abhängigkeits- 
verhältniss  zu  ihm  stehen  ; daher  heisst  die  Gegend  sein  Gebiet 
(Bilüd)  *).  Nach  allen  Seiten  erstrecken  sich  von  Mekka  aus  diese 
»Gebiete” : bald  hört  man  von  einem  Prinzen , der  nach  dem  Wädl 
Blschah  in  Jemen  reist,  um  seine  Güter  zu  ordnen,  bald  zieht  ein 


1)  AD  803,  371,  414. 

2)  So,  und  nicht  Baschir  lautot  der  bei  Wüstenf.  Scherife  in  der  Stammtafel  mit  14 
numerierte  Name. 

3)  Yergl.  z.  B.  MK  406,  407,  423;  AP  280. 

16 


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114 


1 

i 


in  Mekka  wohnhaftes  Farailienhaupt , unzufrieden  mit  dem  Gross- 
scherif,  nach  seinem  Gebiete  in  ar-Rukänl  (zwischen  Mekka  und 
Djiddah) ; im  Wadi  Marr , auch  schlechthin  »der  Wädi”  genannt , 
liegen  Grundstücke  verschiedener  Scherife,  und  nicht  weniger  in 
der  fruchtbaren  östlichen  Gegend  bis  nach  Täif.  Eigentliche  Unter- 
thanen  des  Grossscherifs  kann  man  diese  Herren  (»unsere  Herren” 
heissen  sie)  kaum  nennen;  auch  wenn  jener  nicht  gewöhnlich  zu 
Hause  schon  mehr  als  genug  zu  thun  hätte,  würden  sie  sich  von 
ihm  keine  direkte  Einmischung  gefallen  lassen;  er  ist  das  Haupt 
der  Familienhäupter,  primws  inter  pares.  Es  giebt  zu  jeder  Zeit 
Häupter  von  Dems,  die  mit  »unserem  Herrn”  von  Mekka  nichts 
zu  thun  haben  wollen ; von  den  übrigen  sagt  man , sie  »stehen 
mit  ihm  in  Verbindung”  J).  Die  Spitzen  der  vornehmsten  verbün- 
deten Familien  leben  meistens  in  Mekka , denn  zu  den  Bedingungen 
der  »Verbindung”  gehört  natürlich  ein  Antheil  an  den  Einnahmen, 
und  schon  die  Kontrolle  erfordert  ihre  Anwesenheit  in  der  Haupt- 
stadt. Hinzukommt,  dass  beim  Tode  des  Grossscherifs  die  Entschei- 
dung über  die  Thronfolge  in  der  Hand  der  in  Mekka  lebenden 
Familienhäupter  liegt,  sofern  nicht  eine  fremde  Macht  gewaltsam 
dazwischentritt.  Entstehen  nun  aber  Misshelligkeiten , so  werden 
die  Familienhäupter  zu  Parteiführern;  die  kampffähigen  Stadtbe- 
wohner (Hadhramiten , Jemeniten  usw.)  betheiligen  sich  an  der 
Parteibildung,  und  ausserhalb  reisen  Abgesandte  unter  den  Be- 
duinen. Irgend  ein  Anlass  kann  unter  solchen  Umständen  zum 
Strassenkainpf  führen , aus  dem  der  entscheidende  Krieg  entsteht ; 
manchmal  aber  befiehlt  schon  vorher  der  Fürst  den  ihm  verwandten 
Aufwieglern,  innerhalb  einer  gewissen  Frist  seine  Biläd  (sein  Ge- 
biet) zu  verlassen , oder  aber  die  Unzufriedenen  ziehen  freiwillig 

1)  ME  350,365  usw.  aiAxlxj , es  ist  swischen  ihnen  XJUliu , aJUc.  Ein  Haupt,  wel- 
ches diese  Verbindung  mot  dem  Oberhaupte  abbricht,  y*  --  3?. ; solcher  Austritt 

findet,  abgesehen  von  politischen  Gründen,  auch  s.  B.  deswegen  statt,  weil  der  Betref- 
fende sich  einen  Mord  oder  ein  anderes  schweres  Vcrgohen  hat  zu  Schulden  kommen 
lassen,  wofür  der  Grossscherif  die  Verantwortlichkeit  nicht  übernehmen  kann,  und  dosson 
Bestrafung  der  ganzen  Familie  zur  Schando  gereichen  würde;  z.  B.  MK  350.  Die  weniger 
vornehmen  Häupter  mit  ihren  Familien  sind  wieder  äi«e  dor  einflussreichen  Partei- 
führer, AD  191  usw. 


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115 


aus.  Im  letzteren  Falle  ist  der  Auszug  einer  Kriegserklärung  gleich 
und  hat  sichs  der  Fürst  zu  versehen,  dass  nächstens  alle  Karawa- 
nenwege in  seinem  Gebiete  unsicher  gemacht  werden , bis  sich 
irgend  ein  ehrwürdiges  Familienhaupt  ins  Mittel  legt  und  eine  Ver- 
ständigung herbeiluhrt ').  Früh  oder  spät  ist  jeder  Bruch  der  »Ver- 
bindung” der  Anfang  eines  Krieges;  ein  kräftiger  Grossscherif 
sucht  die  Feinde  in  ihrem  Lager  auf  und  verlegt  zur  grossen 
Freude  der  Mekkaner  den  Kampf  ausserhalb  der  Stadt;  dies  ist 
aber  sehr  schwer , und  die  meisten  warteten , bis  die  Ausgezogenen 
mit  ihren  durch  Beutelust  aufgehetzten  Beduinen  über  das  arme 
Mekka  herfielen.  Dann  kämpfte  man  bis  diese  Hunde  Herren  der 
Stadt  waren,  oder,  da  sie  sahen,  die  »Zeit  des  Gewinns”  sei 
nicht  gekommen,  den  Kampf  aufgaben  und  davonliefen.  Die  Sche- 
rife  selbst  kämpften  immer  tapfer  mit;  manchmal  fanden  die  ge- 
schätztesten Häupter  den  Tod,  obgleich  selten  die  Zahl  der  Ge- 
tödteten  nach  unseren  Begriffen  beträchtlich  war;  überhaupt  geben 
die  Araber  derartigen  Kampf  auf,  sobald  theure  Männer  gefallen  sind. 

Hat  sich  der  Kampf  zu  Gunsten  des  Regierenden  entschieden, 
so  erbittet  sich  der  Besiegte  eine  Frist a) , seine  Sachen  zu  ordnen ; 
gewöhnlich  wird  ihm  dieselbe  gewährt,  trotzdem  sie  mehrere  Mal 
benutzt  wurde,  die  Wiederaufnahme  des  Kampfes  vorzubereiten  ‘). 
Solchem  Missbrauche  vorzubeugen,  verlangte  der  Sieger  als  Bedin- 
gung der  gewährten  Frist  nicht  selten,  dass  ihm  der  friedliche 
Auszug  des  Feindes  durch  einflussreiche  Scherife  verbürgt  werde*); 
jedoch  wurde  die  llebertretung  solcher  nothgedrungenen  Verabre- 
dungen nicht  als  eine  schwere  Sünde  betrachtet , und  deswegen  wird 
dem  besiegten  Fürsten  immer  nur  eine  kurze  Frist  gelassen , weil  seine 
Stellung  ihm  die  schnelle  Sammlung  neuer  Mittel  allzusehr  erleichtert. 
Ein  besiegter  Grossscherif,  der  die  Stadt  verlassen  muss,  vornehme 


1)  Solche  freiwillige  Verbannung  heisst  wohl  , die  Exilierten:  ajjti» 

AD  199,  910 j bei  Allem  hoisst  es:  oder 

9)  äkp  oder  ibö  heisst  sie,  AD  150,  161 — 9 usw. 

3)  AD  900.  i ) AD  980. 


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Familienhüupter,  deren  Treiben  den  Herrscher  veranlasst , sie  aus  seinem 
Gebiete  zu  verweisen,  feindliche  Scherife,  die  von  aussen  her  in  die 
Stadt  einfielen , aber  abgeschlagen  wurden , Alle  haben  in  Mekka 
bewegliches  und  unbewegliches  Eigenthum , Verwandte  und  Ange- 
hörige, Leute,  die  offen  als  ihre  Anhänger  hervorgetreten  sind; 
diesen  wäre  es  unmöglich , bei  jedem  Wechsel  der  Verhältnisse 
mit  den  Parteihäuptern  aus-  oder  wieder  einzuwandern.  Auch  wird 
das  nicht  von  ihnen  verlangt.  Da  bleibend,  wären  sie  jedoch  der 
Willkür  des  Siegers  preisgegeben , wenn  es  nicht  das  heilige  »Her- 
kommen” anders  verfügte;  diesem  zufolge  geht  der  Besiegte  zu 
einem  von  den  angesehensten  Scherifenhäuptern , sei  es  ein  Gegner 
oder  ein  solcher,  der  sich  nicht  am  Kampfe  betheiligt  hat,  und 
fordert  zuerst  dessen  Schutz,  der  nicht  verweigert  werden  kann1). 
Von  dem  Augenblick  an,  und  hätte  er  auch  den  Schutz  in  der 
vollen  Hitze  des  Gefechts  verlangt,  ist  er  »im  Angesicht”’)  des 
Angerufenen,  d.  h.  jedes  ihm  zugefügte  Leid  gilt,  als  wäre  es 
diesem  geschehen;  nur  muss  der  Beschützer  Zusehen,  dass  sein 
Schützling  die  Bedingungen  bezüglich  der  Frist  erfüllt.  Seiner  Ob- 
hut vertraut  der  Unterliegende  oder  Exilierte  nun  gleich  alle  seine 
in  Mekka  befindlichen  Güter,  sowie  das  Leben  und  die  Sicherheit 
aller  seiner  Verwandten,  Angehörigen  und  Anhänger  an’);  so  tief 
wurzelt  diese  Sitte  im  Leben  der  Scherife,  dass  die  Person  des 
Vertrauensmannes  manchmal  im  Einverständniss  mit  dem  Haupte  der 
siegenden  Partei  gewählt  wird.  Hundertmal  war  ein  siegender  Sche- 
rif  im  Stande , seine  Hauptgegner  auf  einmal  auszurotten  oder  ins 
Gefängniss  zu  werfen;  nur  die  feste  Ueberzeugung,  dass  solcher 
Frevel  der  Anfang  vom  Ende  des  ganzen  Geschlechts  wäre,  hielt 
sie  davon  zurück.  Wir  könnten  die  oben  angeführten  Beispiele  des 
Bruder-  und  Vatermordes  in  der  Familie  Qatädah’s  mit  einigen 


l)  *1  (jr>- 

3)  Vergl.  ausser  deu  obeu  angeführten  Stellen  z.  B.  MK  345 — 6,  400  , 451;  AD  211, 
250:  Jar'fah  begreift  alles  ihm  Angehörige,  Meuschou 

und  Habe,  in  sich;  bisweilen  heisst  es  ausführlicher:  U jsJLäjLb 

Kl 


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vermehren ; trotzdem  fällt  es  auf,  wie  sehr  man  im  jahrhundertelan- 
gen Kampf  das  Blut  (es  war  ja  das  eigene!)  schonte.  Auch  der  Kerker 
fand  gegen  die  Spitzen  der  Familien  nur  ausnahmsweise  Anwendung. 

Heilig  und  unverletzbar  waren  die  im  liause  des  vertriebenen 
Scherifs  aufgespeicherten  Schätze  in  der  Hand,  die  soeben  das 
Schwert  gegen  ihn  führte,  heilig  das  Leben  seiner  Leute,  ob- 
gleich man  wusste , dass  sein  Auszug  nach  Norden , Süden  oder 
Osten  der  Anfang  einer  neuen  Sammlung  von  Streitkräften  war 
und  dass  die  Parteigenossen  in  der  Stadt  hoffnungsvoll  des  neuen 
Angriffs  harrten.  Das  einzige  Mal '),  wo  die  Schlüssel  des  Palastes 
eines  verjagten  Fürsten  seinem  Vertrauensmann  entrissen  wurden, 
vermochte  der  Wille  aller  Scherife  nichts  gegen  den  Gewaltstreich 
eines  mächtigen  türkischen  Beamten  (1672).  Von  der  Verpflichtung , 
das  Leben  und  die  Habe  seiner  Widersacher  in  Mekka  im  Schutze 
eines  Verwandten  unversehrt  zu  lassen,  wollte  sich  einmal  (1705)*) 
ein  über  das  immer  neue  Auflodern  der  Kriegsfackel  empörter 
Scherif  lossagen.  Jede  wichtige  Phase  des  politischen  Lebens  wurde 
den  Städtern  durch  einen  Munädi  (Ausrufer)  bekannt  gemacht;  das 
Auftreten  eines  neuen  Thronprätendenten  sowohl  als  der  Regie- 
rungsantritt eines  Siegers  wurden  dadurch  eingeführt,  dass  der  Mu- 
nädl  in  allen  Strassen  ausrief:  » das  Gebiet  gehört  Allah  und  dem 
»Sultan  und  unserem  Herrn  dem  Scherif  N.  N.  (bez. : und  der  Scherif 
»X.  ist  sein  Theilgenosse  für1/»  oder*/,)”’).  Der  Scherif Sa'ld (1705) 
liess  nun  aber  bei  einer  solchen  Gelegenheit  allen  Angehörigen 
seiner  grössten  Feinde  unter  den  Familienhäuptern  den  Aufenthalt 
in  Mekka  kündigen.  »Keiner  von  den  Verwandten  der  DewI  Scham- 
»bar,  der  DewI  Djäzan , der  DewI  Barakät  und  der  DewI  Thuqbah” , 
so  rief  der  Munädi,  »übernachte  in  der  Stadt;  wer  diesem  Befehle 
»zuwiderhandelt , dessen  Leiche  wird  ans  Kreuz  geschlagen , sein 
»Haus  geplündert.”  Höchst  entrüstet  eilten  alle  vornehmen  Scheri- 
fenhäupter  zum  Grossscherif , tadelten  ihn  wegen  dieses  unerhörten 
Frevels  und  sagten : »So  etwas  würde  ein  Beispiel  unter  uns  dar- 


1)  MK  284—6.  2)  MK.  40‘J,  AD  224. 

3)  Vorgl.  z.  B.  AD  98,  232  uaw. 


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118 


»stellen , demzufolge  fernerhin  Leute  und  Habe  ’)  eines  aus  der  Stadt 
»ziehenden  Seherifs  dem  Tod  und  der  Plünderung  ausgesetzt  wären. 
»Das  können  wir  nicht  zulassen , weil  die  Gesammtheit  dabei  zu 
»Grunde  ginge.”  Und  der  Befehl  wurde  durch  eine  neue  Bekannt- 
machung rückgängig  gemacht.  Die  Ehrfurcht,  welche  die  arabischen 
und  fremden  Muslime  allen  vornehmen  Scherifen  erwiesen , war 
auch  ein  Grund  , der  diesen  Adel  von  jedem  Vernichtungskampf 
abrathen  musste.  Dass  »unsere  Herren  die  Scherife”  unausgesetzt 
einander  bekämpften,  gehörte  nun  einmal,  wie  es  schien,  zur  gött- 
lichen Weltordnung;  da  man  sie  aber  alle  wegen  ihres  Blutes  ver- 
ehrte, wie  musste  wohl  die  allgemeine  Gesinnung  gegen  solche 
sein , die  dieses  heilige  Blut  geringgeschätzt  und  vergeudet  hätten ! 
Feierlich  pflegte  der  Sieger  sich  am  Leicheubegängniss  seines  ge- 
fallenen Gegners  zu  betheiligen  *);  das  Grab  manches  Scherifs  wurde 
von  allen  Hasaniden  als  unverletzbare  Freistätte  geachtet,  sodass 
jeder  Schützling  desselben  ihr  Schützling  war5).  Solche  Grabstätten 
waren  die  Heiligthümer,  solche  Familiengesetze  die  Religion  dieser 
vom  Islam  verzogenen  Prophetenkinder. 

Gegen  Ende  der  dreissigjährigen  Periode,  die  wir  zuletzt  durch- 
wanderten, wussten  die  Scherife  (1631)  kein  besseres  Mittel,  den 
drohenden  Kampf  um  die  Thronfolge  einen  Augenblick  zu  beschwö- 
ren, als  die  Wahl  eines  alten,  ehrwürdigen  Familienhauptes,  das 
augenscheinlich  nicht  weit  mehr  vom  Grabe  war : Abdallah  *) 
der  Sohn  Hasans  übernahm  die  Aufgabe,  eine  Vermittelung  anzu- 
bahnen. Er  übergab  die  Regierung  seinem  Sohne  Mohammed, 
liess  aber  den  energischen  Vertreter  der  mächtigsten  verwandten 
Familie  aus  dem  Süden  zur  Theilnahme  an  der  Herrschaft  auffor- 
dern: Zeid 5),  den  Urenkel  Hasans.  Gegen  die  Austeilung  der 
beiden  erhob  zieh  nur  von  einer  Seite  ein  bedenklicher  Wider- 
stand: die  Nachkommen  Barakät'g  •),  des  Bruders  Hasans,  verlang- 
ten einen  Antheil  an  den  Einnahmen,  und  erst  nachdem  ihnen 


1)  Auch  hier  hoisacn  beide  zusammen 

2)  AD  212  usw.  3)  AD  S3  usw. 

4)  Stammt.  HI,  5,  MK  239  ff.  AD  93-6. 

6)  Stammt.  III,  26.  6)  Stammt,  in,  4. 


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das  versprochen  war,  stellte  sich  die  Ruhe  her.  ' Abädilah , Deici 
Zeid  und  Demi  Barakul ; dies  sind  die  drei  Geschlechter,  um  deren 
Rivalität  sich  die  weitere  Geschichte  Mekka’s  bewegt.  Bis  1694 
redeten  allerdings  die  Dewi  Mas'üd  *)  und  Dewi  Abd  el-Muttalib  ’) 
ein  Wörtchen  mit;  seitdem  blieb  ihnen  aber  keine  Rolle  übrig, 
und  immer  waren  sie  nur  Mitbewerber  zweiten  Ranges.  Zunächst 
diente  das  Glück  den  Dewi  Zeid  (1631 — 72) s) ; als  1632  meute- 
rische Truppen  ihren  Befehlshaber  in  Jemen  verliessen  und  sich , 
da  sie  auf  ihrem  Wege  nach  Norden  durch  Mekka  zogen , von 
zwei  ehrgeizigen  Scherifen ’)  als  Werkzeug  gegen  Zeid  und  Mu- 
haramed  gebrauchen  Hessen , verlor  Muhammed  in  einem  Treffen 
das  Leben,  und  die  Hülfstruppen , welche  dem  Zeid  eilig  aus 
Egypten  zukamen , konnten  ihm  nur  die  Stadt  wiedergewinnen 
helfen.  Zeid  (1631 — 66)  war  eine  kräftige  Gestalt  vom  Schlage 
Qatädah’s  *) ; im  Süden,  im  Wädl  Bischah  geboren,  verbrachte  er 
dort  einen  grossen  Theil  seiner  Jugend,  da  sein  Vater  meistens 
im  freiwilligen  »Exil"  lebte;  so  wurde  ihm  das  »unzugängliche" 
Land  recht  zur  Heimath , die  ausländische  Kontrolle  dagegen  ein 
zu  vertilgendes  Unkraut.  Die  Einsicht  seines  in  Egypten  zum  Di- 
plomaten gewordenen  Vorfahren  Hasan s),  der  die  Türken  nach 
türkischer  Methode  unschädlich  machte,  ging  ihm  gänzlich  ab. 
Eine  Erhöhung  seines  Antheils  an  den  Djiddah’schen  Zöllen  hat 
er  noch  erbettelt  und  gegen  die  oben  erwähnten  Meuterer  unvor- 
sichtig den  egyptischen  Gouverneur  um  Hülfe  gebeten ; als  nun 
aber  der  1642  über  Djiddah  bestellte  hohe  türkische  Beamte 
( Qandjaq ) 1646  zum  Inspektor  der  heiligen  Stadt  ( Scheck  el-iJaratn ) 
ernannt  wurde  •)  und  in  Mekka  möglichst  viel  von  der  Verwal- 
tung an  sich  zu  ziehen  suchte,  da  trat  Zeid,  aufs  Höchste  empört, 
einen  Streifzug  durch  Arabien  an , nachdem  er  einen  Sohn  seines 
verstorbenen  Mitregenten  zum  Stellvertreter  ernannt  und  einen  Be- 
duinen heimlich  damit  beauftragt  hatte,  den  Türken  aus  der  Welt 


1)  Stammt.  IXT,  6,  9;  Wüsten/.,  Seherife,  S.  35 — 6. 

2)  MK  243  ff.,  AD  95  ff , Wüatenf.,  Scherifo  S.  36  ff;  M«.  I^oid.  2021,  fol.  104  ff 

3)  Stammt.  III,  19,  23.  4)  Vorgl.  oben  S.  75  ff 

5)  Vcrgl.  oben  S.  90  f.  6)  MK  253  ff. 


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zu  schaffen.  Sein  Hass  gegen  die  Othmanen  war  durch  die  Ent- 
sendung eines  Eunuchen  des  Sultans  zum  Haddj  des  Jahres  1639  J) 
nicht  wenig  vermehrt;  diesem  Neutrum  hatte  der  Sultan  Muräd 
die  allerhöchsten  Vollmachten  über  alle  Länder  ertheilt,  die  er 
durchreisen  musste,  und  Zeid  erfuhr  aus  Egypten,  dass  dort  der 
Gouverneur  dem  Sklaven  ausserordentliche  Ehre  erwiesen  hatte. 
Unschlüssig  sah  er  dem  verächtlichen  Haremshunde  entgegen , als 
ihm  die  erfreuliche  Nachricht  von  dem  plötzlichen  Ableben  Muräd’s 
überbracht  wurde,  wodurch  die  Sendung  alle  Bedeutung  verlor. 
Den  Mekkanern  erschien  dieser  Zufall  als  eine  Fügung  der  Vor- 
sehung zu  Gunsten  des  Scherifs.  Der  Eunuch  wurde  jedoch  später 
zum  Inspektor  von  Medina  ernannt  und  war  gerade  bei  seinem 
Kollegen  für  Mekka  in  Täif  auf  Besuch,  als  dieser  dem  Dolche 
des  von  Zeid  beauftragten  Beduinen  erlag.  Zeid  kehrte  darauf  in 
seine  Stadt  zurück  und  zog  1649  nach  Medina;  hier  wurde 
während  seines  Aufenthalts  der  türkische  Qädhi,  gewiss  nicht  gegen 
seinen  Wunsch,  ermordet.  Sehr  begreiflich  ist  es  bei  alledem,  dass 
ein  WälT  von  Djiddah  in  Verbindung  mit  einem  Verwandten  Zeids 
ihn  zu  stürzen  versuchte;  Zeid  schlug  aber  seine  Gegner  in  die 
Flucht,  und  als  der  nach  Egypten  entflohene  Gouverneur  1651  als 
Anführer  der  Haddjkarawane  mit  dem  Mahmal  wiederkam , reichte 
Zeid  ihm  zur  Begrüssung  statt  der  üblichen  Umarmung  vorsichts- 
halber nur  die  Hand 1  2 3).  Seitdem  blieb  jene  herzliche  Form  der  Be- 
grüssung, welche  seiner  Zeit  eine  andere,  erniedrigende  ersetzt 
hatte,  ausser  Brauch;  die  kühle  Höflichkeit  wurde  »herkömmlich”  *). 
Die  Mekkaner  hatten  ihrerseits  Gründe  des  Aergers  genug,  um 
mit  ihren  Herren  gegen  die  Türken  einig  zu  sein:  saufende, 
halbwilde  Soldaten,  jährlich  ein  neuer,  mit  den  lokalen  Verhält- 
nissen gar  nicht  vertrauter  Qädhi,  Bevorzugung  der  fremden,  ha- 
nafiti8chen  vor  der  einheimischen  schäfih tischen  Schule , woraus 


1)  MK  251,  M*.  Leid.  2021,  fol.  116  ff. 

2)  Vergl.  auch  Ms.  Leid.  2021 , fol.  108  r°. 

3)  Uebrigons  fand  auch  schon  1480,  als  der  Sultan  QAitbey  die  Wallfahrt  machte , die 
Begrüssung  zwischon  ihm  und  dem  ihm  entgogengoreisten  Scherif  dadurch  statt,  dass 
beide  Fürsten  zu  Pferde  einander  die  Hand  reichten. 


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sich  noch  in  dieser  Zeit  eine  literarische  Polemik  ergab  *).  Der 
oben  genannte  Eunuch  hatte  vielleicht  Hecht,  als  er  eine  absicht- 
liche Verhöhnung  des  Türkenregiments  darin  erblickte,  dass  während 
seiner  Anwesenheit  ein  ItnSm  beim  Qalät  zwei  Quränkapitel  reci- 
tierte , in  denen  eines  gottvergessenen  Volkes  und  eines  feindlichen 
Angriffs  auf  Gottes  Stadt  Erwähnung  geschieht  *).  Die  geschicht- 
liche Entwickelung  der  Verhältnisse  wurde  von  den  Mekkanern 
dahin  interpretiert,  dass  die  Autorität  des  Oberhauptes  des  Islam’s 
in  den  heiligen  Städten  göttlicher  Anordnung  gemäss  ausschliesslich 
durch  die  Scherife  ausgeübt  wurde;  die  Einsetzung  eines  fremden 
Heerführers  als  eigentlichen  Stellvertreter  des  Sultanats  erschien 
hier  als  theoretisch  unberechtigt  und  die  praktischen  Folgen  dieser 
Institution  gereichten  dem  beliebten  mekkaniscben  Herkommen  fast 
ausnahmslos  zum  Schaden. 

In  einer  Hinsicht  mussten  alle  Scherife  der  türkischen  Poli- 
tik Rechnung  tragen : das  heilige  Gebiet  durfte  den  Erbfeinden 
der  Sultane  von  Stambul  nicht  länger  offen  stehen.  Sehr  ge- 
schickt haben  die  Othmanen  es  verstanden , den  Kampf  gegen 
die  Perser  zu  einem  Religionskampf  zu  machen ; der  Gegensatz 
zwischen  Orthodoxie  und  Schritismus  wurde  durch  ihren  Einfluss 
schärfer  als  je  zuvor  betont.  In  maassgebenden  Kreisen  galt  es 
früher  als  anständig,  auch  schrilischer  Gelehrsamkeit  und  Fröm- 
migkeit die  gebührende  Ehre  zu  zollen,  sc hTi tische  Ausschrei- 
tungen auf  Rechnung  einzelner  Heissblütigen  und  des  dummen 
Pöbels  zu  schreiben;  auch  die  Differenzen  zwischen  den  vier 
«Schulen”  gaben  ja  manchmal  Anlass  zu  Strassenkämpfen  ’)  und 
gehässigen  Handlungen  der  Ultra’s,  sodass  ein  in  dieser  Bezie- 
hung unparteiischer  Fürst  als  musterhaft  gelten  konnte 4).  Seit 
dem  fünfzehnten  Jahrhundert  wurden  einerseits  schf itische  Elemente 
im  officiellen  Islam  mehr  als  früher  vorherrschend , und  den  Schul- 


1)  M*.  Leid.  2021,  fol.  119  v°. 

2)  M‘.  Leid.  9021,  fol.  106  v1 2 3 4 ; es  waren  die  Suren  89  and  105. 

3)  Vergl.  t.  B.  IA  X:71— 9,  80—1;  XI : 133,  15*— 5,  165,  219,  2*7,  3*6,  372—3; 
XII;  49,  86-7,  10*. 

4)  1A  IX : 260,  266. 

16 


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difierenzen  wurde  die  Spitze  abgebrochen  ; andererseits  bewirkten  die 
Türken,  dass  alle  Organe  der  heiligen  Wissenschaft  die  Zugehö- 
rigkeit zu  einer  specifisch  schfitischen  Partei  als  Taraffudh  ver- 
dammten. In  Mekka  erfuhren  die  Perser  gleich  nach  der  Erobe- 
rung von  den  Türken  manche  schlechte  Behandlung ')  und  dienten 
als  Sündenböcke,  wo  man  immer  solche  brauchte.  Der  1588  ge- 
stohlene Schlüssel  der  Kasbah  wurde  selbstverständlich  bei  einem 
Perser  gefunden , und  solche  Anlässe  zur  Kühlung  des  türkischen 
Uebelwollens  blieben  nicht  unbenutzt.  Im  Jahre  1638,  wo  der  Sul- 
tan Muräd  Baghdad  den  Persern  abnahm,  kam  nun  der  Befehl  an 
Zcid,  alle  jener  Ketzernation  Angehörenden  aus  Mekka  zu  vertrei- 
ben und  solchen  fernerhin  die  Wallfahrt  zu  verbieten.  Die  Scherife, 
so  eifersüchtig  sie  sonst  auf  ihre  Rechte  bestanden  , fürchteten  nichts 
sosehr  als  den  Verdacht  von  Beziehungen,  die  an  höchster  Stelle  als 
ketzerisch  verrufen  waren,  zumal  ihre  Abstammung,  ihre  zaiditi- 
sche  Vergangenheit  und  der  unvermeidliche  Verkehr  mit  den  Imä- 
inen  von  Jemen  solchen  Verdacht  gar  zu  leicht  als  begründet  er- 
scheinen liess.  Sie  sahen  wohl  ein,  dass  jede  Hingebung  an  eine 
politische  Idee  ihnen  verhängnisvoller  werden  konnte  als  die  schlimm- 
sten Vergehen  in  der  Verwaltung.  Zeid  gehorchte  also  dem  Befehle , 
obgleich  er  die  Ausweisung  zweifellos  ebenso  sehr  bedauerte  wie  die 
Mekkaner  besseren  Standes,  da  das  persische  Geld  nicht  wenig 
zum  Wohlstände  der  Stadt  beitrug.  Bloss  der  Pöbel  schloss  sich 
dem  antipersischen  Fanatismus  der  Türken  an  aus  Gründen , denen 
das  Dogma  ebenso  fern  stand  wie  die  Politik.  Heimlich  freuten  die 
»Söhne  der  Stadtviertel”  sich  nämlich  darüber,  dass  die  Scherife 
den  Persern  soviel  Duldung  zeigten,  als  die  türkische  Kontrolle  nur 
zuliess;  die  geringste,  wenngleich  fingierte,  Uebertretung  von  Sei- 
ten eines  Mitglieds  der  wohlhabenden  Perserkolonie  diente  seitdem 
als  Vorwand  zur  allgemeinen  Plünderung  der  Ketzer,  an  welcher 
sich  die  türkischen  Soldaten  nicht  ungern  betheiligten.  Bald  ver- 
diente ein  Perser  den  Tod , weil  er  sich  als  Mahdi  aufspielen 
wollte8),  bald  fiel  der  Pöbel  über  sie  her,  weil  die  Ka'bah  in  einer 


1)  MK  903,  vergl.  199. 

2)  MK  269,  M»  Leid.  2021,  fol.  116  r°  (Jahr  1671). 


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Nacht  beschmutzt  worden  war,  obgleich  die  anständigen  Mekkaner 
die  Plünderer  selbst  als  Urheber  der  Entweihung  betrachteten  '). 
Trotz  allen  Gefahren,  denen  sie  ausgesetzt  waren,  kamen  fast  jedes 
Jahr  Perser  zum  Haddj;  die  Araber,  welche  ihren  Reiseweg  be- 
herrschten , gewannen  der  Verketzerung  ebenfalls  eine  ergiebige 
Seite  ab  und  erhoben  schwere  Summen  für  ihren  //Schutz”.  Die 
Scherife  empfingen  nach  wie  vor  die  reichen  Ketzer  als  willkommene 
Gäste,  sobald  dem  »Residenten”  die  Mittel  oder  die  Energie  zur 
Durchführung  seines  Willens  fehlten;  1700  und  1701  ')  warf  man 
ihnen  sogar  vor,  dass  sie  ihren  proscribierten  Gästen  gestatteten, 
die  Moschee  zu  benutzen,  als  wäre  dieselbe  ihre  Privatwohnung, 
und  die  Türken  empfanden  es  als  eine  Beleidigung,  dass  1701 
jenen  zulieb  in  der  Festpredigt  specifisch  schl'itische  Formeln  aus- 
gesprochen wurden.  Dreissig  Jahre  später  wiederholten  sich  die  al- 
ten Greuelscenen  *),  und  als  1744  der  gewaltige  Perserkönig  Nädir- 
schah  eine  Gesandschaft  nach  Mekka  schickte,  um  die  Herstellung 
eines  fünften  Maqäm ')  für  den  (Dja'furi tischen)  Ritus  der  Perser 
zu  erwirken,  empfing  der  Scherif  dieselbe  zwar  höflich,  wagte  es 
aber  nicht  dem  Befehle  aus  Constantinopel  zu  widerstreben , und 
schickte  die  Perser  dem  Sultan  zu  5).  Gegen  die  Zaiditen  wiitheten 
die  Türken  nicht  weniger  als  gegen  die  Dja'fariten.  Die  Nähe  der 
Residenz  der  Imäme  von  Jemen,  ihre  Verwandtschaft  mit  den 
Scherifen , der  Handelsverkehr  der  beiden  Länder,  die  Gleichartig- 
keit beider  Dynastien , alles  machte  für  Mekka  ein  freundschaft- 
liches Verhältniss  erwünscht.  Den  offenen  Anschluss  au  das  Imämat 
von  Qancä  vermieden  die  Scherife  zwar  ängstlich,  und  1672  sahen 
sie  sich  gcnöthigt,  die  zaiditischen  Pilger  zurückzuweisen ');  auch 
//bekehrten”  sich  in  Mekka  ansässige  Zaiditen  zum  banafitischen 
Ritus,  und  Zweifel  gegen  den  Ernst  eines  solchen  Uebertritts  äus- 
serte  sich  in  körperlicher  Misshandlung  des  Bekehrten  7).  Zaiditische 
Prinzen,  die  wegen  F'amilienstreits  ihre  Heimath  verlassen  mussten. 


1)  MK  207  (Jahr  1677);  solche  Beschmutzung  ging  öfter  in  Medina  und  Mekka  einer 
Razzia  gegen  dio  Perser  voraus. 

2)  MK  379,  380.  3)  AD  287.  4)  Vergl.  oben  S.  13  ff. 

ß)  AD  304  ff.  6)  MK  273,  AD  121.  7)  MK  279. 


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fanden  jedoch  (z.  B.  1680)  ')  in  Mekka  nicht  weniger  freundliche 
Aufnahme  als  so  mancher  ausgewichene  Scherif  bei  den  Ijasaniden 
im  Süden ; dagegen  verschlugen  die  türkischen  Einwendungen  nichts. 

Zeid  machte  durch  Kaubzüge  und  sonstige  Reisen  im  Inneren 
den  Kamen  des  Herren  Mekka’s  mehr  gefürchtet,  als  seit  langer 
Zeit  der  Fall  gewesen ; ausserdem  wusste  er  die  bedeutendsten 
Familienhäupter,  namentlich  die  c Abädilah , so  weit  zu  befriedigen, 
dass  sie  ihm  den  ersten  Rang  ungestört  überliessen.  Bei  den  be- 
kanntesten Dem  Zeid  (gewöhnlich  Zcd  gesprochen)  finden  sich  die 
Eigentümlichkeiten  ihres  Stammvaters  wieder.  Den  türkischen  Schutz- 
herren gegenüber  benehmen  sie  sich,  wie  ein  eigensinniger  Knabe 
mit  einem  strengen,  aber  unaufmerksamen  Vormund  verfahren  würde: 
empfindlicher  Züchtigung  immer  gewärtig,  aber  überzeugt,  dass 
ihre  Anwendung  grösstentheils  vom  Zufalle  abhängt,  woher  denn 
auch  das  Streben  nach  Gehorsam  als  überflüssig  gilt. 

Sacd'),  der  Sohn  Zeids,  (1666 — 72)  hatte  während  seiner  kurzen 
ersten  Regierung  mit  Hamüd , dem  Sohne  Abdallah ’s  und  bisweilen 
auch  mit  einem  von  seinen  eigenen  Brüdern  zu  kämpfen  und  be- 
kam von  Seiten  seiner  Verwandten  erst  Ruhe,  nachdem  er  allen 
Berücksichtigung  ihrer  Ansprüche  verheissen  hatte.  Mit  dem  «-Re- 
sidenten”, dem  Q'andjaq  von  Djiddah,  überwarf  er  sich  wegen  der 
Verrechnung  der  Einfuhrzölle,  und,  dem  väterlichen  Beispiele  fol- 
gend, befahl  er  beim  Haddj  1671  ’)  seinen  Bravo’s,  jenen  zu 
tödten.  Der  Versuch  misslang;  da  der  Pascha  in  Mekka  keine 
Hülfe  fand,  zog  er  nach  Norden  und  knüpfte  mit  einem  andern 
Zweige  der  Familie  an.  Sacd  richtete  sowohl  an  seinen  dortigen 
Verwandten  als  an  Hamüd  die  Aufforderung  zum  Zusammengehen 
gegen  den  Türken  i »unser  Interesse  ist  auch  das  eure”  4)  schrieb 
er  Beiden.  Das  hätten  die  Scherife  immer  bedenken  sollen;  die 
Richtigkeit  dieses  Grundsatzes  wurde  ihnen  aber  bloss  in  der  höch- 
sten Noth  klar.  Jetzt  verhalf  die  Einigkeit  ihnen  zum  Siege;  der 


1)  MK  339  ff  8)  Stammt  UI,  34. 

3)  MK  270 — 1,  AD  114  ff.  Andere  setzen  das  Ereignis»  auf  das  Jahr  1G72  au. 

4)  tdJLiju  liuJu 


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Pascha  wurde  abgesetzt  und  starb  auf  der  Heimreise  ebenso  plötz- 
lich wie  mancher  Scherif,  der  Konstantinopel  besuchte! 

Die  Beendigung  dieser  Periode  der  Macht  der  Dewi  Zeid  war 
das  Werk  eines  früher  in  Mekka  ansässigen,  ebenso  klugen  als 
gelehrten  Maghribiners , des  Muhammed  ibn  Sulemän.  Gleichviel 
was  ihn  angetrieben  hat : Feindschaft  gegen  Sa'd , Ehrgeiz , heiliger 
Eifer  für  eine  bessere  Ordnung  in  Mekka,  oder  etwas  von  allen 
dreien , er  wusste  den  Grosswezir  in  Stambul  zu  überreden , dass 
er  ihm  die  ausgedehntesten  Vollmachten  ertheilte,  mit  allen  guten 
Mitteln  den  Uebelständen  in  Mekka  abzuhelfen.  Heeresabtheilungen 
aus  Syrien  und  Egypten  begleiteten  ihn  zur  Wallfahrt  des  Jahres 
1672  und  waren  beauftragt,  nach  seinen  Maassnahmen  einzuschrei- 
ten. Jeder  Versuch,  Sa'd  in  die  Falle  zu  locken,  schlug  fehl;  man 
musste  sich  damit  begnügen,  dass  er  mit  seinem  Bruder  Ahmed, 
die  Absicht  der  Truppensendung  ergründend,  von  Mekka  fortzog. 
Für  den  Maghribiner  lag  es  auf  der  Hand,  sich  zur  Erreichung 
seiner  Ziele  eines  Scherifs  zu  bedienen,  der  nur  ihm  die  Würde 
verdankte  und  über  den  er  somit  nach  Belieben  verfügen  konnte. 
Er  wählte  das  Haupt  der  angesehenen,  von  Hasan’s  Bruder  Ba- 
rakät ’)  stammenden  Familie,  welche  es  bisher  nicht  zum  Regieren, 
nur  zur  Mitberechtigung  auf  die  Einnahmen  gebracht  hatte:  Ba- 
rakät  *)  ibn  Muhammed.  Dieser  Scherif  und  auch  sein  Sohn  und 
Nachfolger  SaTd s)  bekleideten  die  Würde  bloss  als  Nothhelfer 
(1672 — 84),  und  ihre  Personen  treten  gegen  die  Erscheinung  des 
ausserordentlichen  //Residenten”  völlig  in  den  Schatten.  Die  mek- 
kanischen  Schriftsteller  sind  des  Aergers  voll  über  diesen  Eindring- 
ling, geben  uns  jedoch  durch  ihre  sachlichen  Mittheilungen  eine 
günstige  Meinung  von  seiner  Tüchtigkeit  als  Verwalter.  Seine  re- 
formatorische  Thätigkeit  setzte  sich  nämlich  ohne  Bedenken  über 
alles  »Herkommen”  hinweg,  und  seine  neuen  Ordnungen  gereichten 
mehr  den  Fremdenkolonien  und  den  armen  Mekkanern  zum  Vor- 
theil als  der  Aristokratie  oder  der  Bürgerschaft  der  heiligen  Stadt. 

1)  Stammt.  III , 4.  2)  Stammt.  III,  30. 

3)  Stammt.  III,  38;  vorgl.  über  dio  Regierung  der  beiden  Dewi  BarmLU;  MK  278  ff., 
AD  123  ff,  Wüstenf.  Scberife,  S.  75  ff. 


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Die  Verwaltung  der  frommen  Stiftungen  wurde  von  ihm  ohne 
Berücksichtigung  der  Ansprüche  damaliger  Besitzer  von  Grund  aus 
neu  geregelt;  die  indirekten  Steuern,  die  Gewerbe-  und  Handels- 
licenz,  welche  schwer  auf  die  Lebensbedürfnisse  drückte,  schaffte 
er  ab  und  suchte  zu  verhindern , dass  der  Scherif  sich  */4  des  jähr- 
lich für  die  Mekkaner  geschickten  Korns  aneignete,  weil  ihm  ja 
als  Ersatz  für  dies  Herkommen  regelmässig  ein  Geldbetrag  ange- 
wiesen wurde.  Die  beim  Geburtsfeste  Muhammeds  gebräuchlichen 
Aufzüge,  die  festlichen  Versammlungen  am  Todestage  eines  im 
Schebekah  begrabenen  Heiligen  wurden  verboten , weil  sie  regel- 
mässig zur  Unsittlichkeit  und  zu  allerlei  Ausschreitungen  Anlass 
gaben.  Allen  Missbrauchen  (und  mit  solchen  waren  die  Bräuche 
Mekka’s  unlöslich  verknüpft)  trat  der  Maghribiner  rücksichtslos 
entgegen , natürlich  zur  grössten  Entrüstung  aller  Mekkaner.  Dass 
ihm  keiner  öffentlich  seine  Feindschaft  zeigte,  verdankte  er  ledig- 
lich seinem  Rückhalt  in  Konstantinopel  und  dem  Eindruck  der 
Truppen , welche  ihn  bei  seiner  Ankunft  begleiteten.  Nach  dem 
Tode  des  Gross wezirs  (1675)  neigte  sich  seine  Sonne  gleich  zum 
Untergang,  und  zwei  Jahre  darauf  musste  er  nach  Medina  aus- 
wandern. 1680  wurde  ihm  verstattet,  als  Privatmann  nach  Mekka 
zurückzukehren  und  zu  sehen,  wie  seine  Neuerungen  sämmtlich 
rückgängig  gemacht  waren;  noch  vor  der  Verdrängung  der  Dewi 
Barakät  wurde  er  in  schmählicher  Weise  aus  Mekka  verjagt  ’).  Mit 
seinem  Sturz  begann  diese  Herrschaft  der  Dewi  Barakät  sofort  zu 
sinken.  Ihm  verdankte  es  diese  Familie,  dass  sie  bis  ins  Jahr 
1770  den  Dewi  Zeid  eine  erhebliche  Konkurrenz  machen  konnte, 
denn  bei  den  Arabern  wiegt  es  schwer,  wenn  ein  Prätendent 
einem  Zweige  angehört,  der  einmal  den  Thron  inne  gehabt  hat; 
Said  war  aber  nicht  der  Mann  dazu , die  zerrüttete  Erbschaft  seines 
Vaters  gegen  die  energischen  Dewi  Zeid  zu  vertheidigen. 

Von  Anfang  an  war  es  den  Dewi  Barakät  zur  Bedingung  ge- 
macht, dass  die  übrigen  Regierungsfamilien  zusammen  von  den 
Einnahmen  geniessen  sollten.  Während  der  Verwaltung  des  Maghri- 

1)  MK  307—8. 


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biners  hatten  sich  Alle , nach  einigem  Zaudern  auch  das  zuerst 
ausgezogene  Haupt  der  'Abädilah , damit  zufrieden  gegeben.  Die 
beiden  abgesetzten  Söhne  Zeids  hatten  nach  ihrer  Flucht  verschie- 
dene Stämme  zu  feindlichen  Unternehmungen  gegen  Barakät  ver- 
anlasst, dann  aber,  als  diese  Empörungen  zu  keinem  Resultate 
führten , die  Reise  nach  Konstantinopel  angetreten.  Vom  Sultan 
reichlich  beschenkt  und  in  Statthalterposten  eingesetzt,  hielten  sie 
stets  den  Blick  auf  die  Heimath  gerichtet,  und  wiederholte  Befehle 
aus  Stambul  zur  Auszahlung  eines  beträchtlichen  »Antheils”  an 
ihre  weiblichen  Verwandten  in  Mekka  zeugten  von  dem  Einfluss 
ihres  Wortes.  Unterdessen  reisten  auch  andere  Familien  häupter 
nach  Stambul,  um  sich  über  die  Zurückhaltung  ihrer  "Antheile’’ 
zu  beschweren , und  führte  in  Mekka  die  Uneinigkeit  der  in  die 
Einnahmen  sich  theilenden  Familien  die  volle  Anarchie  herbei. 
Jedes  Familienhaupt  nahm  das,  wozu  es  sich  berechtigt  glaubte, 
ohne  Vermittelung  der  Grossscherifs ; vier  Sklavencorps  mit  Zu- 
behör wirthschafteten  in  altgewohnter  Weise  und  hoben  alle  Sicher- 
heit der  Bürger  auf.  Die  DewI  Mas'üd  ')  standen  an  der  Spitze  der 
Opposition,  welche  dermaassen  zunahm,  dass  der  Grossscherif  ge- 
nöthigt  war,  sich  Hülfe  aus  Stambul  zu  erbitten.  Der  Sultan  ging 
aber  auf  den  Vorschlag  des  Ahmed  ibn  Zeid 1 *  3)  ein , und  entsandte 
ihn  1684  zur  Herstellung  der  Ordnung  als  Grossscherif  nach  Mekka. 

Unter  den  vielumstrittenen  Einnahmen  des  Scherifats  nahmen 
nach  wie  vor  die  Geschenke  indischer  Fürsten  eine  bedeutende 
Stelle  ein;  theilweise  wurden  solche  durch  Gesandscliaften  mit 
freundschaftlichen  Briefen  vom  Herren  Mekka’s  erbettelt  ’) ; auch 
reisten  oftmals  andere  Scherife  oder  Mitglieder  der  Schebah- 
familie ')  zu  ähnlichen  Zwecken  nach  dem  Goldlande , wenn  ihre 
Gläubiger  in  Mekka  ihnen  die  Hölle  zu  heiss  machten.  Der  "grosse 
Mogul”  (Barakäts  Zeitgenosse  war  Aurangzeb)  stellte  schliesslich 
einen  bestimmten  Jahresbeitrag  fest,  den  sein  Nawwäb  von  Suratte 
nach  Mekka  zu  entrichten  hatte,  und  Niebuhr4)  berichtet,  dass 

1)  Stammt.  QI,  6.  2)  Stammt.  IQ,  35. 

3)  MK  292,  308,  384,  344  iisw.  4)  MK  195. 

5)  lieschrijving  van  Arabie,  S.  350. 


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diese  Quelle  erst  nach  der  Mitte  des  IS*«®  Jahrhunderts  infolge 
der  englischen  Eingriffe  nach  und  nach  versiegte.  Unter  der 
Regierung  Sa'tds  kam  eine  von  dessen  Vater  ausgeschickte  Bettel- 
gesandtschaft nach  vierjähriger  Abwesenheit  (1688)  zurück;  nach 
langem  vergeblichem  Warten  auf  eine  Audienz  bei  Aurangzeb 
waren  die  fürstlichen  Bettler  auf  Rath  guter  Freunde  nach  Atjeh 
weiter  gereist  und  .brachten  nun  von  diesem  Lande,  wo  die  recht- 
gläubige Herrscherin  sich  durch  den  Besuch  sehr  geschmeichelt 
fühlte , prachtvolle  Geschenke  und  namentlich  viel  Gold  mit.  Selbst- 
verständlich entstand  darüber  unter  den  Scherifen  eine  brüderliche 
Rauferei  ’). 

Die  Bedeutung  der  Dewi  Zeid ’),  die  1684 — 1704  mit  vielerlei 
Unterbrechung  das  Scherifat  innehatten,  koncentriert  sich  in  Sa'd, 
dem  Sohne  Zeids.  Sein  Bruder  Ahmed,  der  zuerst  geschickt  ward , 
lebte  nicht  ganz  vier  Jahre  mehr;  seine  anderen  Brüder  und 
Vettern  führten  theils  einen  erfolglosen  Kampf  gegen  ihn , theils 
wirkten  sie  für  die  gemeinsamen  Interessen  mit  Sa'd  zusammen ; 
sein  Sohn  Satd  war  aber,  so  lange  der  Vater  lebte,  bloss  sein 
Stellvertreter  oder  sein  Werkzeug.  Als  Sa'd  selbst  zuerst  aus  dem 
ehrenvollen  Exil  zurückkam  (1692),  trug  er  eine  türkische  Kopf- 
bedeckung; diese  wurde  aber  bald  durch  die  arabische  ersetzt,  und 
damit  war  so  ziemlich  die  ganze  Aenderung,  welche  Sa'd  in  der 
Türkei  erlitten  hatte,  abgethan;  seine  Art  war  der  des  Vaters 
ähnlich  geblieben , und  bis  zur  Todesstunde  hat  er  den  Kampf  mit 
seinen  Verwandten  und  mit  den  Türken  der  bequemen  Ruhe 
vorgezogen.  Nur  Eins  hatte  er  während  seines  Aufenthalts  im 
Norden  gelernt:  was  man  den  Willen  oder  den  Befehl  des  Sultans 
nannte,  war  lediglich  der  jeden  Augenblick  der  Aenderung  fähige 
Ausspruch  einer  Versammlung  voller  Streit  und  Ränke;  wer 
draussen  stand  war  daher  völlig  berechtigt,  unangenehmen  neuen 
Befehlen,  die  man  ihm  in  des  Sultans  Namen  überbrachte,  den 
Glauben  zu  versagen.  So  haben  es  bis  in  die  jüngste  Zeit  die 


1)  MK  309,  AD  146—7. 

2)  Stammt.  111,  34,  35,  43,  44,  46 : MK  31C  ff.,  AD  146  ff  ; Wüsten!  Scherife,  S.  86  ff. 


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DewI  Zeid  gemacht;  jedem  //Residenten”  oder  Anführer  der  Pilger- 
karawanen , der  ihnen  ihre  Absetzung  mittheilte , betheuerten  sie 
ihren  Gehorsam  gegen  den  Sultan , jedoch  hinzufügend , dass  sie 
Absetzungsfirmane  zunächst  als  gefälscht  oder  durch  verleumderische 
Berichte  hervorgerufen  betrachteten.  Kam  aber  der  Befehl  nicht 
direkt  vom  Sultan , sondern  vom  egyptischen  Pascha , so  hies3  es  *): 
//Den  Befehlen  des  Sultans  schulden  wir  Gehorsam;  die  Gewalt 
//des  Paschas  dagegen  beschränkt  sich  auf  Unter-  und  Oberegyp- 
//ten ; dort  setze  er  ein  und  ab , wen  er  will ; zwischen  ihm  und 
»Mekka  steht  unser  Schwert.”  Dieses  stolze  Gerede  verhinderte 
nicht,  dass  168S — 90  mit  Hülfe  des  Pascha's  die  DewI  Mas'üd  in 
Mekka  einrückten , um  unter  der  Herrschaft  ihres  Ahmed  ibn 
Ghälib  *)  die  ihnen  vorenthaltenen  //Herkömmlichkeiten”  *)  selbst 
zu  nehmen.  Die  Autorität  Ahmed’s  war  aber  nur  stark  genug  für 
Oppositionszwecke,  und  als  dem  Pascha  von  Djiddah  klar  wurde, 
dass  er  sich  ohne  seine  fortwährende  Unterstützung  nicht  behaupten 
konnte,  antwortete  er  dem  Scherif  auf  eine  Bitte  um  Hülfe  gegen 
die  Düwl  Zeid : //O  Scherif ! wir  haben  Mekka  zu  überwachen ; zur 
»Abwehr  des  Feindes  von  ihm  kämpfen  wir  bis  zum  Tode.  Die 
»Scherife  aber  sind  deine  Vettern ; in  eure  Kämpfe  mischen  wir 
»uns  nicht!”I) * 3 4)  Zu  solchem  Fischen  im  Trüben  waren  die  Gouver- 
neure genöthigt,  weil  die  zur  vollen  Beherrschung  des  Zustandes 
erforderlichen  Truppen  nur  in  den  seltenen  Fällen  hergeschickt 
wurden,  wo  einflussreiche  Türken  in  eine  mekkanische  Intrigue 
verwickelt  waren.  So  erwirkte  1G94  ein  nach  Stambul  zurückberu- 
fener Gouverneur  von  Djiddah  die  Absetzung  seines  alten  Feindes 
Sa'd  und  setzte  das  Haupt  der  heruntergekommenen  DewI  Abd 
äl-Mutinlib 5)  ein , dem  es  natürlich  noch  weniger  als  den  DewI 
Mascüd  gelang,  die  DewI  Zeid  zu  beseitigen;  nach  vier  Monaten 
wurde  er  von  Sa'd  vertrieben  und  zog  mit  dem  andern  unglück- 


I)  Worte  Saids  MK  333—4,  AD  155—8. 

8)  Stammt.  DI,  42 j bei  Wiistcnf.,  Schorife,  ist  dieser  Ahmed,  Stammtafel  XVI  (62;, 
an  eine  falsche  Stelle  gerathen. 

3)  Dies  heisst  . 

4)  MK  345.  5)  Stammt.  UI,  37. 

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\ 


liehen  Thronkandidaten , Ahmed , der  unterdessen  schon  vergeblich 
die  zaiditischen  Imärae  im  Süden  um  Hülfe  gebeten  hatte,  nach 
Stambul,  wo  Beide  nicht  lange  darauf  starben.  Ahmed  erwarb  sich 
als  Dichter  einigen  Ruhm;  trotz  dieser  Bildung  zahlte  er  während 
seiner  bedrängten  Regierung  seine  Truppen  mit  Münze,  die  er 
aus  dem  Golde  der  Ka'bah  prägen  liess ').  Seitdem  jene  beiden 
zum  Sultan  gereist  waren,  hatten  die  DewI  Zeid  es  hauptsächlich 
mit  den  'Abädilah  und  den  DewI  Barakät  zu  thun;  beide  Fami- 
lien machten  aus  dem  alten  und  immer  wieder  neuen  Grunde 
unausgesetzt  Opposition , und  namentlich  die  Barakät  wurden  dabei 
von  dem  Vertreter  des  Sultans  wenigstens  ermuthigt.  Nach  dem 
Tode  dieses  Würdenträgers  1698  versuchte  Sa'd  mit  allzu  naiver 
Schlauheit,  dem  Sultan  zu  beweisen,  dass  die  Einsetzung  seines 
Sohnes  Sacld  als  Qandjaq  von  Djiddah  sehr  vortheilhaft  wäre,  weil 
dieser  dann  die  Kosten  der  Sicherheit  des  Pilgerweges  im  Hidjäz 
ganz  übernehmen  wollte;  als  *Schech  Öl-Haram"  könnte,  wie 
ehedem , ein  Beamter  niedrigen  Ranges  fungieren  *).  Die  Antwort 
war  natürlich , die  hohe  Pforte  ziehe  es  vor , ihre  eigenen  Residen- 
ten zu  wählen,  und  es  stellte  sich  sogar  bald  heraus,  dass  diesen 
Beamten  durch  geheime  Instruktionen  weitgehende  Befugnisse 
ertheilt  waren. 

Sa'd  bewährte  in  glücklichen  Raubzügen  und  in  der  Abwehr  vieler 
Angriffe  seiner  Vettern  die  bekannte  Tapferkeit  seines  Geschlechts; 
nach  jeder  Vertreibung  aus  Mekka  sammelte  er  im  Nu  zahlreiche 
t ihm  ergebene  Beduinenbanden , die  ihm  für  den  Preis  einer  kleinen 
Plünderung  ihre  Hülfe  gewährten;  wurde  er  belagert,  so  rief  er 
in  der  schlimmsten  Noth  mit  Trommelschlag  den  ganzen  Pöbel 
Mekka’s  zum  Kampf  gegen  die  Türken  und  Türkenfreunde  auf. 
Endlich  verlor  jedoch  uueh  die  schwer  geprüfte  Bevölkerung  die 


1)  MK  349.  Schon  865  uud  881  hatton  bekanntlich  mekkanische  Statthalter  in  gleicher 
Weise  das  Heiligthum  entweiht  (CM  1:843,  111:145);  1185  wurden  in  Mokka  Mün- 
zen geprägt  mit  Saladins  Namen  (CM  11:214);  1289  im  Namen  des  nur  kurze  Zeit 
über  Mekka  regierenden  Husainidon  Djammäz  (MK  129);  gegen  Ende  des  17ten  J&hrh. 
ist  wiederholentlich  von  Falschmünzern  die  Rode  (MK  338,  382).  Nach  Niebuhr  gab 
es  1762  nur  ausländische  Münzsortou  im  Hidjoz  (Roiseboschreibung  1,  283). 

2)  MK  397. 


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Geduld;  der  Pascha  von  Djiddah  aber  schrieb  dem  Türken  Verächter: 
Wenn  ihr  nicht  im  Stande  seid,  die  euch  bedräugenden  Scherife 
abzuwehren , »so  zieht  aus  dem  Gebiete  aus , denn  die  Herrschaft 
»gebührt  dem , der  sie  zu  bewahren  weiss”  *).  Den  Einwendungen 
der  auf  Sa'ds  Seite  stehenden  geistlichen  Autoritäten  Mekkas  hielt 
der  Pascha  die  ihm  ertheilte  Bevollmächtigung  entgegen,  zu  jeder 
Zeit  den  Scherif  einzusetzen,  den  er  für  geeignet  halten  werde. 
Das  Haupt  der  Dtswl  Barakät , Abd  el-Karlm  *),  musste  trotzdem 
seine  Ernennung  mit  dem  Schwerte  zur  Geltung  bringen , und  Sa'd 
gab  die  Hetzjagd  mit  »den  Hunden  des  Hidjäz”  ’)  nicht  auf,  bis 
er  selbst  eine  tödtliche  Wunde  empfangen  hatte.  Vor  seinem  letzten 
Einzuge  in  Mekka  wollte  Sa'd  bereits  verzweifelnd  fortgehen,  als 
ihm  ein  Wahrsager  den  guten  Erfolg  seines  Unternehmens  ver- 
bürgte und  dadurch  den  gesunkenen  Muth  wieder  aufweckte  *). 

Rammähn  (so  nennt  man  diese  Geheimkünstler  im  Hidjäz , gleich- 
viel ob  sie  ihre  Prophezeiungen  aus  dem  Sande,  Rami,  oder  aus 
Muscheln  und  anderen  Gegenständen  herauslesen)  und  Zauberer  stan- 
den trotz  dem  Verbote  des  Islam’s  bei  den  Scherifen  in  Ansehen.  Dem 
gottlosen  Tyrannen  Ahmed  ibn  Abd  el-Muttalib  wurde  1628  seine 
dereinstige  Herrschaft  von  einem  Mystiker,  einem  Scheche , der  ihn  in 
die  Tarlqah  eingeweiht  hatte,  vorausgesagt  *).  Sa'd  bekam  von  einem 
heiligen  Asketen  in  dunkler  Orakelsprache  den  Bericht  über  eine  un- 
heildrohende Vision , kurz  bevor  der  Maghribiner  Muhammed  ibn  Sule- 
män  *)  (1672)  mit  den  egyptischen  und  syrischen  Truppen  gegen  ihn 
anrückte T).  Zu  gleicher  Zeit  wurde  aber  von  einem  heiligen  Sejjid 
dem  Scherif  Barakät  das  Aufgehen  seines  Glückssterns  angekündigt  ’). 
Ein  Rammäl  berechnete  dem  Zeid,  wann  ihn  seine  Mutter  kon- 
cipiert  hatte,  und  daraus  ergab  sich,  dass  seine  Entwickelung  im 
Mutterleibe  11  Monate  gedauert  hatte’).  1734  tödtete  ein  Bruder 


1)  MK  390.  2)  Stammt.  ILI,  49. 

3)  So  beteichnete  ein  paar  Jabro  später  Einer  von  den  'Abädilah  die  Beduinenbanden 
der  Dijwi  Zeid  AD  237. 

4)  AD  207.  5)  MK  227  ff.,  AI1  90-3. 

6)  Vergl.  oben  S.  135  ff.  7)  MK  272. 

8)  AD  126.  9)  M*.  Leid.  2021,  fol.  104  v° 


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des  Grossscherifs  Mas'ttd ')  einen  maghribinischen  Zauberer,  weil 
dessen  Kunst  seinen  Neffen  Muhammed  zum  Kampfe  gegen  ihn 
befähigt  hatte , und  alle  Diener  des  Scherifs  harnten  auf  den  Leich- 
nam , um  den  Zauber  endgültig  zu  lösen  *).  Niebuhr  ’)  erhielt  während 
seines  Aufenthalts  in  Djiddah  (1762)  die  Bitte  vom  Grossscherif 
Mesfud , aus  den  Sternen  zu  erspähen , ob  sein  damals  gegen  ihn 
aufgestandener  Bruder  ihn  besiegen  werde.  Auch  heutzutage  lieben 
es  die  Scherife , wenn  sie  gesellig  zusammen  sind , den  für  die  Thron- 
folge in  Betracht  kommenden  Brüdern  wahrsagen  zu  lassen , obgleich 
dies  von  den  meisten  lediglich  als  Spass  betrachtet  wird ; Ernst  und 
Scherz  sind  bei  solchen  Dingen  nicht  leicht  zu  unterscheiden. 

Den  Döwl  Barakät  war  trotz  ihrem  besseren  Verhältnis»  zu  den 
Othmanen  kein  Augenblick  der  Ruhe  vergönnt.  Ihre  siebenjährige 
Verwaltung  (1704 — 11)*)  wurde  1705  noch  einmal  von  Said  un- 
terbrochen; die  DewI  Zeid  lauerten  ununterbrochen  mit  den  »Hun- 
den des  Hidjäz”  jeder  Schwäche  ihrer  Gegner  auf.  Diesen  wurde 
ihre  Aufgabe  dadurch  bedeutend  erschwert,  dass  infolge  der 
zunehmenden  Decentralisation  des  Türkenreiches  die  Rivalität  zwi- 
schen Syrien  und  Egypten  wieder  auflebte.  Seit  1707  stritten 
sich  aufs  Neue  die  beiden  Haddj-emire  um  den  Vorrang  ihrer 
Mahmal’s  und  das  Recht,  vor  dem  Andern  aus  Mekka  zu  zie- 
henf);  dieser  Zwiespalt  hatte  zur  Folge,  dass  die  Egypter  und 
die  iu  Mekka  liegenden  Janitscharen  sich  den  DewI  Zeid  anschlos- 
sen, während  der  Pascha  von  Djiddah  und  die  syrischen  Anführer 
für  die  Barakät  Partei  nahmen.  Die  Scherifensklaven  erdreisteten 
sich  in  dieser  Lage  wieder,  wegen  der  geringsten  individuellen  Be- 
leidigung allesammt  gegen  die  türkischen  Soldaten  aufzutreten6); 
auch  die  Scherife  Hessen  sich  keinen  fremden  Eingriff  gefallen. 
Als  der  syrische  Emir  1711  für  das  Recht  des  Emirs  von  el-Hasa 
eintrat , ohne  Zahlung  von  Abgaben  mit  seinen  Landsleuten 


1)  Stammt.  QI , 63. 

8)  AD  300  f.  Diesor  Zauberer  soll  nämlich  in  ähnlicher  Weise  wie  einmal  der  Prophet 
dadurch,  dass  er  mit  Sand  und  Steinchon  nach  dem  feindlichen  Hoere  warf,  die  Schlacht 
entschieden  haben. 

3)  Koisobeschrcibung  1 : 275.  4)  Stammt.  QI,  MK  395  ff. ; AD  800  ff. 

5)  MK  486—7  , 440.  6)  MK  43]  (Jahr  1708). 


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die  Pilgerschaft  zu  verrichten'),  erwiderten  die  Scherife,  sie  seien 
gewohnt,  ihre  Verhältnisse  zu  nicht-türkischen  Ländern  nach  eignem 
Ermessen  zu  ordnen , und  dabei  blieb  es.  1710  hatten  sich  schon 
die  meisten  Scherifenfamilien  mit  den  cAbädilah  an  der  Spitze  der 
Opposition  thätig  angeschlossen  und  den  südlichen  Hafen  Qunfudah 
geplündert;  jetzt  wandte  sich  auch  der  Pascha  aus  Syrien  gegen 
die  Barakät,  und  Ende  1711  war  der  Enkel  Zeids,  Sa'td,  wieder- 
eingesetzt. Der  ffSchech”  der  Barakät,  dessen  eigener  Sohn  auf  die 
Seite  des  Gegners  übergetreten  war,  zog  sich  auf  seine  Besitzthümer 
im  Wädl  (d.  h.  Marr  ez-Zahrän)  zurück.  Im  weiteren  Verlauf  des 
18*«“  Jahrhunderts  gewann  die  Macht  der  DewI  Zeid  immer  feste- 
ren Boden;  wer  die  ältere  Geschichte  des  Scherifats  kannte,  wäre 
noch  im  letzten  Jahrzehnt  des  Jahrhunderts  berechtigt  gewesen, 
dieser  Familie  die  Fortdauer  ihres  Grossscherifats  mit  Ausschluss 
der  Nebenzweige  vorauszusagen.  1718 — 20  war  diese  Würde  aller- 
dings in  den  Händen  eines  von  den  DewI  Barakät:  Jahja  ihn 
Barakät1);  dieser  war  1684  bei  der  ersten  Vertreibung  seiner  Fa- 
milie nach  Stambul  gezogen,  hatte  seit  1691  im  Dienste  des  Sul- 
tans die  syrische  Pilgerkarawane  durch  das  Gebiet  der  Räuberstämme 
Nordwestarabiens  begleitet 3)  und  war  während  der  zweiten  Herr- 
schaft der  DewI  Barakät  nach  Mekka  zurückgekehrt.  Die  beiden 
Söhne  Sa'lds,  welche  nach  dessen  Tode  (1716)  nach  einander  die 
Erbschaft  antraten,  konnten  mit  ihren  Verwandten  nicht  auskom- 
men , auch  deshalb , weil  sie  den  Rathschlägen  des  eigentlichen 
Hauptes  der  Döwl  Zeid,  Abd  el-Mubsin’s  *) , des  Vetters  Sa'Id’s, 
kein  Gehör  schenkten.  Abd  el-Muhsin,  dem  man  einen  //seit  Qa- 
tädah’s  Zeiten  ungesehenen  Einfluss  auf  die  Scherife”  nachrühmt , 
hätte  ohne  Widerspruch  den  Sitz  seines  Vetters  einnehmen  können ; 
er  zog  es  aber  grundsätzlich  vor  und  rieth  es  allen  seinen  Ver- 
wandten , die  Bürde  des  Grossscherifats  Anderen  zu  überlassen , da 
jede  Einsetzung  der  Anfang  einer  Absetzung  und  damit  verbun- 
denen Austreibung  aus  //dem  Gebiete"  sei;  er  wollte  ruhig  seine 
Güter  verwalten.  Dass  er  diese  Theorie  befolgte , war  die  Hauptstütze 

1)  MK  415.  8)  Stammt.  III,  39;  AI)  258  ff. 

S)  MK  353.  4)  Stammt.  UI,  14. 


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der  Regierung  Jahja’s;  nach  seinem  Tode  (1718)  zeigte  es  sich, 
dass  sein  Bruder  Mubarak  l)  anderer  Ansicht  war,  und  Jahja  musste 
bald  das  Feld  räumen.  Er  bekam  dann  zwar  auf  seine  Vorstellun- 
gen bei  der  Pforte  Ilülfstruppen  und  die  Erlaubnis,  mit  den  DewI 
Zeid  gründlich  abzurechnen , konnte  aber  mit  einem  ausschliesslich 
türkischen  Anhänge  in  Mekka  nicht  Stand  halten.  Sein  Versuch, 
durch  Abtretung  der  Herrscherwürde  an  seinen  Sohn  Barakät  *) 
(1723)  die  finanziellen  Ansprüche  der  Scherife  hinfällig  zu  machen 
und  eine  neue  Rechnung  zu  eröffnen,  hatte  nur  zur  Folge,  dass 
ihm  jetzt  Alle  offen  entgegentraten;  noch  im  selben  Jahre  mussten 
sich  Beide , Vater  und  Sohn , nach  Syrien  zurückziehen.  Nicht  glück- 
licher verlief  die  gegen  1770  von  den  DewI  Barakät  unter  einem 
Neffen  des  eben  erwähnten  Barakät  angezettelte  Bewegung.  Zwei 
Jahre  lang  vermochten  ihre  mit  Hülfe  des  damals  von  der  Pforte 
völlig  unabhängigen  Pascha’s  von  Egypten  unternommenen  An- 
griffe nichts  gegen  den  wackeren  Mesäfid,  der  die  Haddjemire 
Syriens  auf  seine  Seite  zog,  und  die  augenblickliche  Unsicherheit, 
welche  Mesä'ids  Tode  folgte , gewährte  dem  Barakäthaupte  Abdallah ’) 
doch  bloss  vier  Monate  lang  den  Namen  der  Herrschaft.  Kaum 
waren  die  egyptischen  Krieger  abgezogen , da  erhoben  sich  die  DewI 
Zeid  wieder  und  verdrängten  nun  auf  immer  die  DewI  Barakät 
von  der  Bühne,  die  sie  ohne  den  Maghribiner  Muhamraed  ibn 
Suleman  *)  vielleicht  niemals  betreten  hätten. 

Ein  Blick  auf  die  Stammtafel  (III)  erzeugt  schon  den,  übrigens  durch 
die  Thatsachen  bestätigten , Eindruck , dass  nach  dem  Tode  des 
einflussreichen  , aber  in  Zurückgezogenheit  lebenden  Abd  el-Mubsin  5), 
die  Söhne  Sa'Tds  ohne  Schwierigkeit  seine  Vettern  beseitigt  haben, 
und  dass  unter  jenen  Söhnen  (resp.  Enkeln)  *)  Mas'üd  (1732 — 3 
und  1734 — 52)  und  Mesä'id  (1752 — 70)  den  nur  selten  beanstan- 
deten Vorrang  bekleideten.  Beide  regierten  7) , nachdem  ihr  Bruder 
Abdallah  *)  gestorben  war  und  dessen  Sohn  Muhammed  *)  die  Macht 

1)  SUmmt.  III,  45;  AD  263  ff.  2)  Stammt.  III,  48;  Al)  275  ff. 

3)  Stammt  III,  57;  AD  323  ff.  4)  Vergl.  oben  S.  125  f. 

5)  SUmmt.  III,  44.  6)  Stammt.  111,  51,  52,  53,  54,  55,  5G,  59. 

7)  Vergl.  über  die  Dfewl  Zeid  seit  1724:  AD  277  ff. 

8}  SUmmt.  III,  51.  9)  Stammt.  ID,  59. 


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135 


seiner  Oheime  hatte  kennen  lernen , fast  ununterbrochen  eine  lange 
Reihe  von  Jahren , und  zwar  Beide  bis  zu  ihrem  Tode.  Unterdes- 
sen waren  die  Söhne  des  jüngeren  von  den  zwei  Brüdern  *)  zu  einer 
kräftigen  neuen  Generation  herangewachsen , welche  nach  dem  Ab- 
leben Mesä'ids  nur  ein  paar  Jahre  brauchte,  ihrem  Oheim  Ahmed*) 
kjar  zu  machen , dass  jetzt  ihre  Zeit  gekommen  sei.  Die  Macht- 
stellung der  DewI  Zeid  erhellt  auch  daraus,  dass  die  Hauptgegner 
der  Emire  von  Mekka  in  diesem  Jahrhundert  meistens  der  eignen 
Familie  angehören.  1734  machte  noch  das  hochangesehene  Haupt 
der  'Abädilah,  Muhsin 1 *  3),  einen  Anlauf,  sich  mit  Unterstützung  des 
Emirs  der  syrischen  Karawane  des  Scherifats  zu  bemächtigen;  seit- 
dem beschränkte  sich  jedoch  die  Opposition  dieses  Hauses  sowie 
der  Barakät  auf  drohende  Auszüge  und  Strassenraub , oder  Eifer- 
süchteleien in  Mekka  wegen  vermeintlicher  Missachtung  der  niemals 
aufgegebenen  relativen  Selbständigkeit  der  Häupter.  So  schlugen 
1732  die  Scherife  grossen  Lärm,  weil  der  Fürst  das  Haus  eines 
Verwandten,  der  seinem  Befehl  zum  Auszuge  nicht  schnell  genug 
gehorchte,  umzingeln  Hess,  und  die  Entrüstung  wiederholte  sich 
im  selben  Jahre  wegen  Verletzung  des  Schutzrechtes  eines  von  den 
'Abädilah , der  einen  von  seinen  Sklaven , trotzdem  er  einen  bam- 
balitischen  Gelehrten  getödtet  hatte,  nicht  ausliefern  wollte*).  1760 
machte  Mesä'ids  Bruder  Ahmed  ihm  Vorwürfe,  weil  der  von  ihm 
einem  Sklaven  von  Mesä'ids  Wezir  gegen  dessen  Herrn  gewährte 
Schutz  durch  Mesä'ids  Gleichgültigkeit  wirkungslos  blieb  5). 

Abgesehen  von  dem  letzten,  oben  erwähnten  Thronprätendenten 
aus  dem  Hause  Barakät,  schaarten  sich  alle  Unzufriedenen,  wenn 
sie  den  Herrscher  wirklich  stürzen  wollten , immer  um  einen  von 
den  DewI  Zeid.  Die  Stellung  des  Paschas  von  Djiddah  sank  in 
diesem  Jahrhundert  tief  herab;  es  ist  mehr  als  fraglich,  ob  dies 
Amt  regelmässig  besetzt  war.  Höchst  selten  greift  die  türki- 
sche, oder  sagen  wir  lieber:  greifen  die  syrische  und  die  egypti- 
sche,  Regierung  in  den  Lauf  der  Ereignisse  ein,  und  dies  ge- 

1)  Stammt.  UI,  60,  61,  62.  2)  Stammt.  III,  50. 

3)  Stammt.  UI,  32;  rergl.  AD  302.  4)  AD  288  ff. 

5)  AD  316  f. 


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schieht  dann  ausschliesslich  beim  Haddj , denn  zu  jeder  anderen  Zeit 
fehlten  die  zur  Durchführung  eines  Befehls  erforderlichen  Truppen. 
Als  die  fortwährenden  Misshelligkeiten  mit  dem  Gouverneur  von 
Djiddah  wegen  der  Theilung  der  Zölle  1748  dem  Scherif  Mas'üd 
allzu  verdriesslich  wurden,  zog  er  mit  seinem  Ileere  gegen  den 
Hafen  und  zwang  den  Pascha  zur  Flucht  übers  Meer.  Die  Pforte 
begnügte  sich  damit,  dem  empörten  Fürsten  einen  gefügigeren 
Wäll  zu  schicken ') ! Den  ab  und  zu  in  grösster  Eile  von  den  Haddj- 
emiren  getroffenen  Anordnungen  fehlte  aber  jeder  Zusammenhang 
mit  den  obwaltenden  Verhältnissen  uud  jede  Kontinuität  unter  ein- 
ander. Die  gewaltsame  Ersetzung  Mesä’ids  durch  seinen  Bruder 
Dja'far  z.  B.  (1760)  wurde  nach  der  Rückreise  der  Pilgerkarawane 
von  selbst  zu  nichte.  Etwas  mehr  Einfluss  übten  jetzt  wieder  die 
Imäme  von  Jemen  (Qan'ä)  aus:  ein  Scherif,  der  die  Seele  aller  Op- 
position gegen  Mesäcid  und  seine  Söhne  war,  fand  einmal  (1758) s) 
beim  Imäme  selbst,  ein  anderes  Mal  (1776)  bei  dessen  Statthalter 
in  Luhejjah  J)  eine  Zuflucht;  das  erste  Mal  erwirkte  der  lmäm  so- 
gar für  ihn  die  Erlaubniss  des  Grossscherifs , nach  Mekka  zurück- 
zukehren; 1776  lieferte  er  den  Empörer  auf  die  Vorstellungen  Se- 
rürs  aus.  Eine  Erhöhung  der  Einfuhrzölle  in  Mekka  gab  dem  lmäm 
1771  Anlass,  zu  verbieten,  dass  seine  Kaufleute  mit  Getreide  nach 
Mekka  reisten ; der  Scherif  sandte  eiligst  eine  Gesandtschaft , seinen 
Verwandten  im  Süden  zu  besänftigen.  Diese,  übrigens  unumgäng- 
lichen, Beziehungen  setzten  die  Herren  Mekka’s  jetzt  keinem  Ver- 
dachte mehr  bei  den  Türken  aus,  da  Jemen  längst  dem  Gesichts- 
kreise der  Pforte  entrückt  war;  nur  wo  die  Ketzerei  eine  politische 
Seite  hatte , wie  bei  der  Gesandtschaft  Nädirschah’s  ‘),  mussten  sich 
die  Scherife  in  Acht  nehmen. 

Die  Söhne,  welche  Mesäfld  nach  kurzer  Unterbrechung  durch 
die  Barakät  und  durch  Mesä'ids  Bruder  Ahmed , nachfolgten , waren 
Serür5)  (1773—88)  und  Ghälib*)  (1788 — 1813);  als  Serür  starb, 
trat  der , wie  es  scheint , sehr  wenig  energische  Abd  el-MuTn  5) 

1)  AD  309.  8)  AD  314  f. 

3)  AD  338.  f.  4)  Vergl.  oben  8.  183. 

5)  Stammt.  DI,  60,  62,  61;  AD  332  ff. 


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137 


freudig  sein  Recht  dem  Ghälib  ab.  Beide  waren  in  ihren  Tugenden 
und  ihren  Fehlern  echte  DewI  Zeid.  Serür  hatte  unausgesetzt  gegen 
die  unter  seinem  Oheim  Ahmed  vereinigten  feindlichen  Scherife  zu 
kämpfen,  bis  er  jenen  1779  in  einem  Treffen  gefangen  nahm;  auch 
dann  noch  wirkten  ‘Abädilah  und  Andere  ihm  sogar  durch  eine 
Verschwörung  gegen  sein  Leben  in  Mekka  entgegen.  Die  allge- 
meine Unruhe  ermunterte  viele  Beduinenstämme  (Hudel,  Schebän 
und  vorzüglich  die  Harb)  zu  unbotmiissigen  Handlungen;  seit  1742 
hatten  die  Herren  Mekka’s  ihre  südlichen  Besitzthümer  gegen  feind- 
liche Verwandten  zu  schützen,  die  I)6wl  Hasan  *) , welche  sich  fünf 
Tagereisen  südlich  von  Mekka  zu  grosser  Macht  aufgeschwungen 
hatten.  Serür  überwand  alle  Schwierigkeiten  glücklich ; der  Ruhm 
seines  Namens  klang  bis  zum  äussersten  Westen  der  Länder  des 
Islam’s.  1779  sandte  der  Fürst  von  Marokko  ihm  zum  Haddj  nicht  nur 
reiche  Geschenke,  sondern  auch  seine  Tochter  in  Begleitung  zweier 
von  ihren  Brüdern,  die  sie  dem  Scherif  zur  Frau  anboten.  Diese 
Verbindung  führte  auch  in  den  Jahren  1783  und  87  die  Sendung 
grossartiger  Geldgeschenke  von  Mauläja  Muhammed  herbei ').  Kurz 
vor  seinem  vorzeitigen  Tode,  1787  im  Geburtsmonat  des  Prophe- 
ten, gab  Serür  anlässlich  der  Beschneidung  von  seinen  und  ande- 
rer Scherife  söhnen  glänzende  Feste,  an  denen  sich  die  ganze  Stadt 
betheiligte  und  wobei  die  Armen  nicht  vergessen  wurden.  Kein 
Mensch  ahnte  damals,  dass  einige  Tage  später  Serür  sterben  sollte ; 
noch  viel  weniger  dachten  die  Mekkancr  daran , dass  Umwälzungen 
im  Inneren  Arabiens  in  ihrer  weiteren  Entwickelung  die  DewI  Zeid 
stürzen  sollten. 


1)  Nach  Hasan  ihn  'Adjlan ; vorgl.  oben  8.  113. 

2)  1783  kamen  Goldstücke,  auf  deneu  Qurnn  IX : 34  geprägt  war.  Im  Jahro  1787  wird 
ausserdem  die  Ankunft  zweier  sehr  bedeutenden  Gold-yadaqak’s  aus  Indien  erwälint. 


18 


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IV. 


DAS  SCHERIFAT  IM  LETZTEN  JAHRHUNDERT 
1788-1887. 


Der  Vorzeichen  einer  nahenden  Katastrophe  hatte  es  genug 
gegeben;  nur  fand  sich  zur  rechten  Zeit  kein  Deuter.  Ein  grosser 
Komet  war  Mai  oder  Juni  1770  am  Himmel  erschienen;  erst 
die  Nachwelt  erblickte  darin  die  Ankündigung  gewaltiger  Kriege, 
mit  denen  arge  Ketzer  die  Länder  Allahs  heimsuchen  würden.  Jahr- 
hunderte früher  hatte  schon  al-FäsT  in  einem  Gedichte  überliefert, 
dass  dreissig  Jahre  nach  dem  Erscheinen  eines  langen,  glänzenden 
Kometen  Ketzer  aus  östlichem  Lande  kommen  würden  J).  Als  sich 
nun  aber  der  Unheilsbote  zeigte,  wusste  man  in  Mekka  schon  langst , 
dass  im  ostarabischen  Hochlande  ein  Mann  als  Reformator  des  Islam ’s 
aufgetreten  war,  die  Emire  von  Dar'ijjah  und  in  ihrem  Gefolge 
allmählich  ganz  Centralarabien  für  seine  Lehre  gewonnen  hatte  und 
mit  allen  Kräften  bestrebt  war,  den  halbtodten  Islam  überall  durch 
sein  Wort  oder  sein  Schwert  neu  zu  beleben.  Zur  Zeit  Mas'üd’s  *) 
waren  bereits  dreissig  gelehrte  Wahhabiten  nach  Mekka  gekommen, 

1)  AD  321  ff.  Das  dem  Fäsi  zugoschriebene  Gedicht  hebt  folgendermaassen  an : 

QxjbLi'  sAju  L\._j  Iw«  135 

gjl  yüy  OiLJI 

Das  Uebrigo  enthält  eine  hier  nicht  im  Geringsten  zutreffende  Weissagung  über  die  Er- 
scheinung des  Mahdi’s,  der  dom  Ketzerweacn  ein  Ziel  setzen  wird. 

2)  AD  372  ff. 


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189 


den  Vertretern  der  Wissenschaft  den  gereinigten  Monotheismus  zu 
predigen  und  vorläufig  ihr  Recht  auf  ungehinderte  Betheiligung  am 
Haddj  zur  Anerkennung  zu  bringen ; wenn  man  den  mekkanischen 
Chronisten  Glauben  schenken  darf,  sind  die  Gesandten  sehr  schlecht 
behandelt  worden.  Später  wiederholten  die  Wahhabiten  ihren  Ver- 
such, so  oft  ein  neuer  Grossscherif  die  Regierung  antrat,  immer 
ohne  Erfolg.  Das  Anerbieten  Serürs , ihnen  gegen  eine  etwas 
höhere  Abgabe,  als  die  Perser  zu  zahlen  pflegten,  die  Wallfahrt  zu 
gestatten,  lehnten  sie  stolz  ab.  Wir  finden  in  den  diesbezüglichen 
Berichten  keine  Spur  davon , dass  die  Mekkaner  den  Gesandtschaften 
irgend  welche  Bedeutung  beigelegt  hätten ; höchst  wahrscheinlich 
haben  sie  mit  grossstädtischer  Verachtung  auf  die  gelehrt  sein  sol- 
lenden Dörfler  und  Beduinen  herabgesehen.  Unter  Ghälibs  Regie- 
rung wurden  sie  in  empfindlicher  Weise  eines  Bessern  belehrt. 

Bei  dieser  Reformhewegung  hat  es  die  Geschichte  von  Mekka 
ebenso  wie  vorhin  bei  der  Qarmatensekte  ‘) , lediglich  mit  der  ne- 
gativen Seite  der  Erscheinung  zu  thun.  Uebrigens  sind  uns  die 
Lehren  und  die  Geschichte  der  Wahhabiten  sehr  viel  genauer  be- 
kannt als  die  jener  Feinde  des  Islam’s,  obgleich  wir  bis  jetzt 
auf  keine  Arbeit  verweisen  können , in  der  die  arabischen  und 
europäischen  Quellen  verwerthet  sind.  Die  jüngsten  arabischen  Chro- 
nisten Mekka’s  sind  aus  einleuchtenden  Gründen  sehr  ausführlich 
über  dieses  Thema;  sie  erzählen  den  Lebensgang  des  Muhammed 
ibn  Abd  el-Wahhäb,  wie  er  in  Medina  den  besten  Unterricht  ge- 
noss, wie  aber  seine  Lehrer  schon  damals  bedenkliche  Zeichen  auf- 
keimender Ketzerei  bei  ihm  beobachteten ; sie  begleiten  ihn  ferner  auf 
seinen  Reisen  und  bei  seiner  Rückkehr  in  die  Heimath , das  Land , 
wo  einst  der  Gegenprophet  Musailimah  zur  Zeit  Muhammeds  seine 
teuflischen  Offenbarungen  auskramte!  Sie  beleuchten  die  Frechheit , 
mit  der  so  ein  Wüstenmensch  die  Behauptung  aufstellte,  nahezu 
alle  muslimischen  Gelehrten  der  letzten  acht  Jahrhunderte  seien  im 
Irrthum  befangen  gewesen , und  die  Thorheit  des  Emirs  Muhammed 
ibn  Sa'üd,  der  sich  einreden  liess,  der  von  Ibn  Abd  öl-Wahhäb 


1)  Vergl.  oben  S.  49. 


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140 


i 

j 

i 


gereinigte  Islam  müsse  durch  sein  Schwert  zuerst  über  Arabien , 
dann  über  die  ganze  zum  Islam  sich  bekennende  Welt  verbreitet 
werden.  Seit  etwa  1740,  sagen  sie,  fing  der  in  den  Pfaden  Mu- 
sailimah’s  und  der  Qarmaten  tretende  Irrlehrer  an , viel  von  sich 
reden  zu  machen.  Auf  die  Daten , mit  denen  diese  Schriftsteller 
unsere  Kenntnisse  vom  Wahhabitismus  bereichern , können  wir  hier 
nicht  tiefer  eingehen ; für  uns  handelt  es  sich  um  die  Frage : wie 
hat  diese  Reformbewegung  auf  den  Hidjäz,  namentlich  auf  Mekka 
eingewirkt  ? 

Unser  einem  ist  es  leichter,  zu  verstehen,  was  Muhammeds  Of- 
fenbarungen für  seine  Zeitgenossen  besagten , als  einem  im  Islam 
erzogenen  Gelehrten.  Wollen  wir  aber  den  heutigen  Islam  kennen 
lernen,  so  hilft  uns  jenes  Verständniss  dazu  nur  theilweise, denn  der 
Muhammedaner  darf  in  jedem  Texte  nur  das  finden,  was  die 
neuern  Erklärer  herausinterpretiert  oder  hineingelegt  haben.  Ihre 
Erklärung  ist  nicht  das  Werk  des  Propheten , sondern  das  Resul- 
tat des  jahrhundertelangen  Entwickelungsganges  seiner  Religion 
unter  allerlei  Einflüssen , die  zur  Zeit  Muhammeds  nicht  vorhanden 
waren.  Für  die  heutigen  Muslime  haben  der  Qurän  und  die  hei- 
ligen Ueberlieferungen  daher  fast  keine  reelle,  sondern  bloss  rituelle 
Bedeutung;  man  recitiert  die  Offenbarungen,  aber  was  sie  enthalten 
oder  vielmehr  enthalten  sollen,  das  lernt  man  aus  den  Handbüchern 
der  Gesetzeskunde  und  der  Glaubenslehre.  Zwischen  dem  Gläubi- 
gen und  Allahs  Worte  stehen  die  scholastischen  Gelehrten , deren 
Aussagen  auf  die  Autorität  der  Gründer  der  vier  »Riten”  oder 
Schulen  zurückgehen.  Die  schwerste  Anstrengung  des  Geistes  be- 
fähigt den  modernen  Muhammedaner  nicht  mehr,  sich  in  die  Ver- 
hältnisse Westarabiens  vor  1300  Jahren  hineinzudenken ; ein  ge- 
waltiger Sprung  war  es,  der  den  Ibn  Abd  el-Wahhäb  über  die 
Kluft  hinwegsetzte.  Keine  Umgebung  ist  mehr  dazu  geeignet,  das 
Auge  eines  günstig  veranlagten  Menschen  dem  ursprünglichen  Sinn 
des  Quräns  zu  öffnen  wie  das  in  jeder  Beziehung  nur  wenig  ver- 
änderte Stammland  des  Islam’s;  nirgends  stehen  die  Sprache  und 
die  Sitten  jenem  Ursprünge  näher  als  hier. 

Gleichviel  welche  Eindrücke  für  den  Mann  bestimmend  gewesen 


! 

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141 


sind,  Ibn  Abd  el-Wahhäb  hat  den  Gegensatz  zwischen  dem  alten 
und  dem  modernen  Islam  vorzüglich  in  zweierlei  Hinsicht  erfasst. 
Der  Luxus  und  die  daraus  entspringende  Unsittlichkeit  stehen  in 
grellem  Widerspruch  mit  der  dem  Ciurän  zu  Grunde  liegenden 
Lehensanschauung;  wird  dem  Menschen  ein  neues  Genussmittel 
bekannt,  so  tritt  der  Islam  demselben  regelmässig  zunächst  feind- 
lich entgegen.  Wenn  aber  das  Uebel  einmal  allzu  weit  um  sich  ge- 
griffen hat,  so  fangen  die  Gelehrten  an  zu  paktieren:  den  Taback 
z.  B.  haben  sie  zuerst  verdammt,  später  jedoch  für  erlaubt  erklärt. 
Unser  Reformator  wollte  von  solchen , im  Namen  der  heiligen  Wis- 
senschaft gemachten  , Zugeständnissen  nichts  wissen ; da  nun  in 
seiner  Umgebung  gerade  der  Taback  das  üblichste  Genussmittel 
war , so  hat  sich  sein  Verdammungsurtheil  über  den  modernen  Luxus 
am  Greifbarsten  in  seiner  Verpönung  des  Tabackrauchens  offenbart. 
Wo  er  mit  städtischer  Kultur  in  Berührung  kam,  erstreckte  sich 
sein  Rigorismus  in  gleichem  Maassc  auf  die  Musik , den  Gebrauch 
von  Seide,  Gold  und  Silber  zur  Kleidung  und  zum  Schmuck  der 
Männer  und  ähnliche  in  muslimischen  Ländern  angenommene  Un- 
sitten. Das  Andere,  das  seinen  religiösen  Eifer  erregte,  war  die  al- 
lenthalben eingeschlichene  Beeinträchtigung  des  quränischen  Mono-  ( 
theismus  durch  den  Heiligenkult.  Die  Anrufung  von  Propheten.) 
und  Heiligen  um  ihre  Vermittlung  bei  Alluh  bildet  namentlich  bei!) 
Ungelehrten  die  Brücke  zur  Vielgötterei ; die  Gelehrten , welche  jene 
für  erlaubt  erklären , leisten  dieser  Vorschub.  Gottesgesandte  una 
Fromme  können  uns  nach  ihrem  Tode  weder  nützen  noch  schaden ; 
nur  Allah  lebt  und  stirbt  nicht.  Vom  Teufel  sind  also  die  unzäh- 
ligen Grabkuppeln , nach  denen  die  Muslime  pilgern , als  wohnte 
Gott  darin;  entweiht  wird  Muhammeds  heilige  Stadt  Medina  durch 
den  Kult  des  Grabes  des  Propheten  und  seiner  grössten  Genossen. 
Zur  Reinigung  des  Islam’s  ist  die  Ausrottung  solcher  heidnischen 
Bräuche  und  Gegenstände  erforderlich ; man  muss  aber  auch  dem 
Uebel  die  Wurzel  nehmen.  Die  Wurzel  ist  die  formelle  Unwahrheit, 
dass  man  die  göttliche  Offenbarung  nur  durch  gewisse  Vermitte-  ■ 
lung  verstehen  könne,  ist  mit  einem  Worte  die  Lehre  von  der,. 
Autorität  der  vier  orthodoxen  Riten.  Somit  ist  die  Grundlage  der  ■ 


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142 


Reform  von  selbst  gegeben : die  selbständige  Erforschung  des  Sinnes 
der  Offenbarung  muss  zu  jeder  Zeit  die  buchstäbliche  Treue 
in  der  Befolgung  ihres  Inhalts  ermöglichen.  Solcher  Lehre  dienten 
die  Zunge  und  die  Feder  des  Ibn  Abd  el-Wahhäb , das  Schwert 
des  Ibn  Sa'üd  auf  ihrem  Zuge  durch  Arabien.  Im  Innern  begegne- 
ten sie  vielem  zur  Bearbeitung  geeigneten  Material:  unter  den  sess- 
haften Arabern  war  die  Schule  des  Ibn  Harabal  vielfach  vertreten , 
welche  solchem  Rigorismus  sehr  geneigt  ist;  die  Beduinen  dagegen 
leben  grösstentheils  in  ähnlicher  //Unwissenheit”  auf  religiösem  Ge- 
biete wie  zur  Zeit  Muhammeds  und  stehen  nicht  weniger  als  da- 
mals der  Wirkung  einer  einfachen  Religion  offen , die  sich  auch 
durch  materielle  Mittel  imponierend  als  eine  Gewalt  darthut.  Die 
einfache  Gerechtigkeit  und  Strenge  der  ersten  Wahhabiten-emire, 
die  grossen  Erfolge,  auch  die  reiche  Beute,  welche  den  »Gläubi- 
gen” manchmal  zu  Theil  wurde,  erregten  hier  Neigung,  dort 
Furcht,  dort  wieder  Habgier;  in  wenigen  Jahren  wuchs  das  Wah- 
habitenreich  zur  Hauptmacht  Arabiens  heran. 

Die  übrige  Welt  bot  der  wahhabitischen  Lehre  geringe  Aussicht 
auf  Erfolg;  nirgends  Hess  sich  dieser  weniger  erwarten  als  in  den 
heiligen  Städten.  Was  die  Reform  abschaffen  wollte,  das  gehörte 
gerade  zu  den  Lebensbedingungen  der  Mekkaner  ’)  und  Medinenser: 
die  Heiligenkuppeln  tragen  alle  den  Fremdenführern  und  den 
Thorhütern  ihre  Zinsen  ein,  und  allzugrosse  Sittenstrenge  hat  hier 
niemals  geherrscht.  Die  eigentliche,  dem  quraischitischen  Kern  assi- 
milierte Bevölkerung  ist  immer  einfach  und  sittsam  geblieben;  die 
Fremdenkolonien  und  Soldaten,  sowie  der  Pöbel  führten  eine  Le- 
bensweise, der  das  wahhabitische  Regiment  als  ein  unduldbares 
Joch  erscheinen  musste.  Dazu  kam , dass  die  auffallendsten  Lehr- 
sätze des  Reformators  ganz  dazu  angethan  waren , in  Laienkreisen 
heftiges  Aergerniss  zu  erregen.  Muliammed,  dessen  Namen  man  in 
Mekka  bei  jedem  Feste  in  Lobgesängeu  feiert,  dessen  Grabstätte 

1)  Vergl.  auch  Djabarti,  'Adj&ib  al-Athär  111:255  ff.,  wo  es  u.  A.  heisst:  jf-ü 

^9*'  vJä-^5  (M*  tfs  f3  I/Üj  [^>i!  l#'l 


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143 


in  Medina  zu  besuchen  der  Mekkaner  für  das  grösste  Glück  hält, 
sollte  ein  gewöhnlicher,  zu  keiner  Verehrung  berechtigter  Mensch 
sein ! Die c JJlamü,  die  Gottesgelehrten  alle  auf  Irrwegen ! Und  der  dies 
alles  auszusprechen  wagte,  war  so  zu  sagen  ein  Bauernsohn,  ein 
Araber  aus  dem  Innern,  wo  die  Kunst  des  Lesens  und  Schreibens 
schon  als  eine  wichtige  Errungenschaft  gilt! 

Die  politische  Seite  der  Bewegung  haben  die  Scherife  bis  zur 
Zeit  Ghälibs  leichtsinnig  übersehen.  Im  Innern  Arabiens  gab  es 
von  jeher  zahllose  kleinere  Emirate , wie  z.  B.  das  von  Dar'ijjah 
vor  der  wahhabitischen  Bewegung;  die  Grossscherife  hatten  immer 
soviel  zu  Hause  zu  thun,  dass  die  Herstellung  eines  politischen 
Zusammenhangs  zwischen  jenen  Atomen  von  ihnen  nicht  einmal 
geplant  wurde.  Hatten  ein  solcher  Emir  oder  seine  Angehörigen 
sich  etwas  zu  Schulden  kommen  lassen , so  freuten  sich  schon  die 
Leute  des  Scherifs  auf  die  Beute  bei  dem  zur  Bestrafung  zu  un- 
ternehmenden Kaubzuge.  Den  meisten  Emiren  war  der  König  von 
Mekka  ungefähr  das,  was  diesem  der  Sultan  von  Stambul  war:  der 
höchste  Würdenträger  des  Islam ’s,  mit  dem  sie  in  Berührung  traten. 
Sein  Adel  und  seine  Macht  gaben  ihm  ein  Recht  auf  ihre  Ehren- 
bezeigungen und  Geschenke,  wenngleich  sie  ihre  eignen  Sachen 
am  liebsten  selbst  ordneten.  Das  Verhältniss  war  ebenso  unregel- 
mässig und  wechselnd  wie  die  arabischen  Emirate  selbst;  sobald 
nun  aber  ein  Anderer  die  Einigung  zu  Stande  brachte,  wozu  den 
Scherifen  die  Zeit  fehlte,  mussten  diese  sich  einer  gefährlichen 
Konkurrenz  versehen.  Ihn  Sa'üd’s  Konkurrenz  war  nun  um  so  be- 
denklicher, weil  sie  auf  einer  religiösen  Idee  beruhte,  die  sich 
mit  keiner  Beschränkung  ihrer  Maehtsphäre  zufrieden  gab. 

Die  DewI  Zeid  schenkten  den  Zeichen  der  Zeit  erst  Aufmerksam- 
keit, als  es  zu  spät  war;  den  Gesandtschaften  der  Wahhabiten  be- 
gegneten sie  manchmal  mit  verletzender  Geringschätzung  *),  und 

1)  Mas' Ad  hat  einmal  während  seiner  Regierung  ein  Verbot  gegen  das  Tabackrauchon 
erlassen.  Gleichviel  ob  er  den  Genuss  an  und  für  sich  als  unerlaubt  betrachtet,  oder, 
wie  Andere  behaupten,  nur  das  öffentliche  Hauchen  in  deu  Kaffeohausern  als  unanständig 
verpönt  hat,  an  wahhabitischen  Einfluss  ist  daboi  nicht  denken  (vergl.  AD  306).  Aehn* 
liehe  Erlasse  gingen  öfter  von  Scherifen  aus,  dio  damit  gewöhnlich  angesehenen  Gelehrten 
einen  Gefallen  tliaten. 


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144 


Serür  war  bloss  darauf  bedacht,  durch  die  neue  Ketzerei  die  Ein- 
träglichkeit des  Haddj  zu  vermehren,  ohne  zu  begreifen,  dass  die 
Neumuslime  solche  Bedingungen  grundsätzlich  ablehnen  mussten 
und  dass  die  Ausschliessung  vom  Haddj  sie  am  Ende  zu  Feind- 
seligkeiten herausfordern  könnte.  Der  Gedanke  der  gewaltsamen 
Verbreitung  wohnte  dieser  Reform  ebensosehr  iune  wie  der  Reli- 
gion Muhammeds;  da  jedoch  die  Mittel  der  Wahhabiten  einst- 
weilen nur  auf  arabische  Verhältnisse  berechnet  waren , konnten 
Ibn  Sa'ud  und  seine  Nachfolger  nur  selten  Pläne  der  Wcltcrobe- 
rung  hegen;  ausserdem  gab  es  unter  den  Herrschern  dieses 
Geschlechts  neben  kriegerischen  auch  friedliche  Naturen.  In  Bezug 
auf  die  heiligen  Städte  waren  sie,  wie  es  scheint,  fast  durchgängig 
zu  gelindem  Verfahren  geneigt;  so  hatte  es  ja  der  Prophet  auch 
gemacht.  Die  Unverletzbarkeit  des  heiligen  Gebietes  nahmen  sie 
sehr  viel  ernster  als  die  Prophetenkinder.  Unterdessen  war  die 
neue  Lehre  und  die  damit  verbundene  Anerkennung  der  Autorität 
der  Emire  von  Dar'ijjah  auf  allen  Seiten  schon  bis  über  die  Gren- 
zen des  Gebietes  vorgedrungen , das  die  DewI  Zeid  als  das  ihrige 
betrachteten. 

Ghalib  musste  im  Laufe  des  Jahres  1788  seine  Herrschaft  erst 
durch  Niederwerfung  seiner  widerstrebenden  Brüder  befestigen , die 
verschiedene  Hudel-  und  Thaqlf-stämme  gegen  ihn  aufwiegelten ; 1790 
machte  ein  ehrgeiziger  Scherif  den  Versuch,  eine  Bewegung  gegen 
Ghälib  zu  Gunsten  seiner  unmündigen  Neffen,  der  Söhne  Serürs, 
anzuzetteln,  und  kaum  war  diese  Schwierigkeit  überwunden,  als 
die  DewI  Hasan  im  Süden  l)  aufs  Neue  das  Gebiet  Ghälibs  be- 
drohten , wodurch  eine  Razzia  gegen  diese  Scherife  erforderlich 
wurde.  Erst  nach  Beseitigung  dieser  Hindernisse  konnte  Ghälib 
sich  überlegen,  in  welcher  Weise  er  dem  Wahhabitenstrorae  einen 
Damm  entgegensetzen  sollte.  An  Ausdauer  hat  es  der  tapfere  Emir 
in  dem  beinahe  sechszehnjährigen  Kampfe  gegen  die  Uebermacht 
nicht  fehlen  lassen ; es  ist  freilich  Uebertreibung  seiner  mekkanischen 
Lobredner,  wenn  sie  die  Zahl  seiner  Expeditionen  auf  56  brin- 


1)  Vergl.  oben  8.  137. 


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145 


gen  *),  aber  man  kann  nicht  leugnen , dass  er  kein  Mittel  zur 
Rettung  seines  Gebiets  unbenutzt  gelassen  hat.  Trotz  allem  Unter- 
schiede drängt  sich  die  Aehnlichkeit  dieses  Kampfes  mit  dem  12 
Jahrhunderte  früher  zwischen  dem  heidnischen  Mekka  und  dem 
Propheten  geführten  dem  Beobachter  auf.  Heute  wie  damals  war 
der  Angriff  kräftig  und  unermüdlich  durch  sein  religiöses  Prinzip, 
dem  die  Mekkaner  bloss  einen  zähen  Konservatismus  entgegenhal- 
ten konnten ; heute  wie  damals  verkannten  die  Mekkaner  die  Be- 
deutung der  Reform,  bis  es  zu  spät  war,  derselben  zu  steuern. 
Abd  el-'AzIz  und  sein  Sohn  Sa'üd  waren  ebenso  wie  der  Prophet 
den  Mekkanern  gegenüber  äusserst  nachgiebig  und  Hessen  auch 
nach  vollständigem  Siege  hier  alles  fortbestehen , was  nicht  offenbar 
gegen  ihre  Religion  verstiess.  Auch  betrachteten  die  Scherife  und 
die  Mekkaner  den  Kampf  wesentlich  nur  vom  praktischen,  welt- 
lichen Gesichtspunkte  aus;  die  Scherife  zeigten  später  durch  die 
That,  dass  nicht  die  Lehre  der  YVahhabiten  ihren  Widerstand 
herausforderte,  und  unter  mekkanischen  Gelehrten  fand  der  Refor- 
mator einzelne  Bewunderer,  so  lange  er  noch  in  der  Ferne  blieb 
und  die  zuchtlosen  Beduinen  in  ungekanntem  Maasse  zu  Ordnung 
und  Ruhe  zwang  *) ; sobald  dagegen  die  Folgen  der  Reform  für  das 
Leben  der  Mekkaner  abzusehen  waren , überstimmte  der  Erhaltungs- 
trieb alle  anderen  Argumente:  Laien  und  Gelehrte,  die  Döwl 
Zeid  und  ihre  Unterthanen  sahen  ein , dass  ihre  gemeinsamen  In- 
teressen sich  mit  dem  Wahhabitismus  nicht  vertrugen. 

Von  1791  an  hörte  Ghälib  nicht  auf,  Expeditionen  gegen  die 
nominell  seinem  Gebiete  angehörenden,  von  den  Scherifen  aber 
niemals  wirklich  regierten  Araber  auszuschicken , deren  Anschluss 
an  die  mächtigen  Wahhabiten  durch  die  Vernachlässigung  von 
Seiten  ihrer  Oberherrn  sehr  erleichtert  war.  Nach  Süden  gingen 
seine  Truppen  bis  über  das  Blschahland  hinaus,  nach  Norden 
und  Nordosten  bis  ins  Qaijlm  und  hinter  Medina,  nach  Osten 
überschritten  sie  die  Grenzen  des  Gebietes  von  Täif;  seine  Brüder 
Abd  el-Mu'In  und  Abd  el-'AzIz  und  sein  Schwager  ’Uthmän  el- 

1)  Al)  143  fl.,  hauptsächlich  nach  dem  Zeitgenossen  Ghälibs,  Abdallah  Abd  ia-Schakiir. 

8)  AD  390. 

19 


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146 


MedhäifT  mussten  unausgesetzt  das  ganze  Land  durchstreifen.  Je 
mehr  der  Fürst  die  Stärke  seiner  Gegner  schätzen  lernte,  um  so 
dringender  bat  er  die  syrischen  und  egyptischen  Pilgerführer  bei 
jedem  Haddj  um  ihre  Hülfe,  aber  ohne  den  geringsten  Erfolg.  In 
Syrien  und  in  Baghdad  war  der  VVahhabitenname  schon  gefürchtet, 
sodass  die  zur  Begleitung  der  Haddjkarawanen  befohlenen  Offiziere 
nicht  die  geringste  Lust  hatten,  sich  auf  eigene  Faust  und  ohne 
absehbaren  Nutzen  grosser  Gefahr  auszusetzen.  Zwei  Gesandtschaf- 
ten, welche  Ghälib  1793  und  98  nach  Konstantinopel  schickte, 
kamen  ebenfalls  enttäuscht  zurück;  die  europäische  Politik  nahm 
dort  alle  Aufmerksamkeit  in  Anspruch.  Statt  der  verlangten  Hülfe 
sandte  der  Sultan  Ende  1798  nach  den  heiligen  Städten  den 
lächerlichen  Befehl,  man  solle  sich  zur  Abwehr  eines  möglichen 
Angriffs  von  Seiten  der  Franzosen  rüsten , weil  diese  nach  der 
Eroberung  Egyptens  vielleicht  Mekka  und  Medina  einnehmen 
möchten.  Auf  seine  eigenen  Kräfte  angewiesen , konnte  Ghälib  aber 
nichts  Bleibendes  erreichen.  Auf  die  Bewohner  der  ausgedehnten, 
wahhabitischem  Einflüsse  offenstehenden  Grenzländer  hätte  er  sich 
nur  dann  verlassen  können,  wenn  er  im  Stande  gewesen  wäre,  sie 
durch  bedeutende  Besatzungen  gegen  eventuelle  Angriffe  zu  schüt- 
zen. Wie  die  Dinge  lagen , hatte  der  Scherif  kein  Recht , sich  über 
die  «Treulosigkeit”  jener  Leute  allzusehr  zu  entrüsten , denn  von 
traditioneller  Anhänglichkeit  konnte  bei  ihnen  nicht  die  Rede  sein , 
und  auch  jetzt  noch  gab  ihnen  der  Fürst  keine  andere  Beweise 
seiner  Gnade  als  empfindliche  Züchtigungen  beim  geringsten  Ver- 
dacht. Es  war  ihnen  nicht  zu  verdenken , dass  sie  sich  nach  dem 
eiligen  Abzüge  solcher  Vertreter  der  Scherifatsrechte  auf  die  erste 
Einladung  dem  in  jeder  Hinsicht  imponierenden  Emirate  der  Wah- 
habiten  anschlossen.  Dabei  gewann  die  segensreiche  Wirkung  der 
Reform  ihr  nicht  bloss  die  Furcht,  sondern  auch  die  Verehrung 
der  Araber.  Die  Bewohner  der  heiligen  Städte  und  ihresgleichen 
hatten  von  jeher  die  in  Leben  und  Denken  dem  civilisierten  Islam 
fernstehenden,  «ungläubigen”  Beduinen  geschmäht , ohne  durch  innere 
Mission  ihre  Erziehung  zu  fördern.  Der  Methode  Ibn  Abd  el-Wah- 
häb’s  gelang  es  dagegen,  in  wenigen  Jahren  aus  Tausenden  von 


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147 


w Hunden  der  Wüste”,  an  deren  Bildungsfähigkeit  die  Städter  ver- 
zweifelten, eine  leidlich  gesittete  Gesellschaft  zu  bilden. 

Die  Beduinen  wurden  durch  den  Wahhabitismus  nicht  reformiert , 
sondern  zuerst  islamisiert ; selbst  betrachteten  sie  mit  Recht  ihren 
späteren  Abfall  als  einen  Rückfall  ins  Heidenthum.  Dem  auf  viel- 
fach mit  Blut  besiegeltes  »Herkommen”  gegründeten  Reiche  der 
Söhne  Qatädah’s  fehlten  die  Waffen  gegen  eine  fest  zusammenhal- 
tende, junge  Religionsgemeinde.  1799  entschloss  sich  Ghälib  vor 
Ermattung  mit  Abd  el-cAzIz,  dem  Emire  von  Dar'ijjah , einen  Ver- 
trag zu  schliessen,  worin  die  Grenzen  der  beiderseitigen  Macht- 
sphären genau  festgesetzt  wurden.  Die  Stämme  rings  um  die  heili- 
gen Städte  und  um  Täif  sollten  mit  diesen  und  einigen  anderen 
Städten  das  Gebiet  Ghälibs  bilden,  wogegen  den  »Rechtgläubigen” 
der  Zutritt  zu  den  Heiligthümern  freigegeben  wurde;  diese  Bedin- 
gung erinnert  wieder  an  die  628  vom  Propheten  mit  den  Qurai- 
schiten  geschlossene  Waffenruhe.  Hätte  nicht  Baghdad  die  Wahha- 
biten  damals  zusehr  beschäftigt , so  wäre  ohne  Zugeständnisse  re- 
ligiöser Natur  von  Seiten  Ghälibs  kaum  eine  Uebereinkunft  getroffen. 

Im  Mai  1800  fanden  sich  die  Wahhabiten  in  grosser  Zahl  unter 
dem  Emir  Sa'üd  zum  Haddj  ein;  Ghälib  kam  ihnen  in  jeder  Weise 
entgegen  und  beeilte  sich , als  bei  ‘Arafat  seine  Leute  mit  einigen 
von  jenen  zu  zanken  anfingen , mit  seinem  Machtworte  den  Frieden 
herzustellen.  Die  beiden  Fürsten  tauschten  schöne  Geschenke  aus, 
und  es  schien , als  wäre  der  Streit  endgültig  beigelegt.  Das  war 
jedoch  eben  nur  Schein;  die  aggressive  Religion  konnte  auf  die 
Dauer  keine  andere  Schranken  anerkennen  als  die  ihrer  Macht. 
Was  konnte  Abd  el-'Aziz  dafür,  wenn  die  auf  allen  Seiten  das  Scheri- 
fat  umgebenden , zur  neuen  Religion  sich  bekennenden  Stämme  eine 
erfolgreiche  Propaganda  unter  ihren  Nachbarn  trieben , ungeachtet 
der  politischen  Trennung  ? Und  wenn  solche  Bekehrungen  Zerwürf- 
nisse verursachten , so  stellten  diese  doch  keinen  Vertragsbruch  von 
Seiten  des  Wahhabiten-emirats  dar?  Schon  1800  eroberten  wah- 
habitisch  gesinnte  Stämme  den  Hafen  Hali,  der  die  normale  Süd- 
grenze des  Scherifats  bildete.  Ghälib  vertrieb  sie  uud  züchtigte  die 
armen  Einwohner  wegen  ihrer  (/Untreue”  in  grausamer  Weise; 


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I 


in  Hali  erbeutete  Kinder  wurden  in  Mekka  als  Sklaven  verkauft, 
als  wären  ihre  Eltern  Heiden  gewesen.  Reumüthig  kamen  die  Bür- 
ger von  Hali  1802  nach  Mekka  und  flehten  ihren  gestrengen  Herrn 
um  eine  Besatzung  an.  Er  gab  ihnen  wenige  Krieger  mit,  die 
nach  acht  Monaten  wieder  von  den  Wuhhabiten  vertrieben  wurden. 
Auch  Qunfudah  erlitt  sehr  starke  Angriffe;  der  ganze  Süden  war 
bereits  wesentlich  wahhabitisch.  Als  Ghälib  den  VVahhubiten-emir 
brieflich  über  diese  Vorgänge  zur  Rede  stellte,  lehnte  dieser  jede 
Verantwortlichkeit  für  solche  selbständige  Handlungen  verschiedener 
Stammeshäupter  ab;  was  aber  die  religiöse  Propaganda  betrifft, 
darüber  war  ja  nichts  abgemacht.  Es  wurde  jedoch  immer  klarer, 
dass  z.  B.  unter  den  Zahrän-stäramen , alten  Verbündeten  der  Sche- 
rife,  faktisch  auf  politischen  Anschluss  an  den  Reformator  hinge- 
wirkt wurde.  Sicherheit  zu  erlangen  schickte  Ghälib  eine  Gesandt- 
schaft nach  Dar'ijjah:  vornehme  Scherife,  einen  Beduinenschech  und 
seinen  Schwager  'Uthmän  el-Medhäifi;  diese  sollten  die  Erneuerung 
des  Vertrags  herbeifübren.  Der  Schwager  Ghälibs  war  ein  tüchtiger 
und,  wie  es  scheint,  zugleich  ein  gebildeter  Mann;  die  Egypter, 
welche  ihn  später  als  Gefangenen  Muhammed  Alis  kennen  lernten, 
bewunderten  ihn  und  bedauerten,  dass  ein  so  trefflicher  Mann 
nach  Konstantinopel  in  den  Tod  geschickt  wurde.  Wichtige  Gründe 
müssen  ihn  bewogen  haben , seiner  Sendung  untreu  zu  werden  und 
auf  die  Seite  des  Gegners  überzutreten.  Ausser  persönlichem  Ehr- 
geiz und  vielleicht  persönlichen  Beschwerden  gegen  Ghälib  hat 
wahrscheinlich  religiöse  Ueberzeugung  die  Bekehrung  bewirkt.  Ge- 
nug, er  traf  in  Dar'ijjah  geheime  Verabredungen  mit  Abd  el- 
'Azlz  und  seinem  Sohne  Sa'üd ; die  Uebrigen  bekamen  bloss  leere 
Worte  mit  nach  Hause.  Auf  der  Rückreise  trennte  sich  'Uthmän 
unweit  Täif  von  seinen  Gefährten  und  besetzte  mit  einigen  Leuten 
eine  starke  Stellung  in  der  Nähe;  der  Renegat *)  wurde  einer  von  den 


1)  Die  inekkanischen  Chronisten  erlauben  sich  bei  der  Erwähnung  solcher  Bekehrungen 
(ausser  der  allerdings  gezwungenen  Bokohrung  der  Mekkaner  selbst,  die  sie  mit  mög- 
lichst zweideutigen  Worton  verhüllen)  ein  albernes  Wortspiel:  statt  ^ 

„or  trat  der  Religion  bei”  sagen  sie:  J-iO  „er  trat  in  den  Lehm.” 


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149 


eifrigsten  Mitarbeitern  an  der  Zerstörung  der  Macht  Ghälibs.  Zuerst 
allein,  dann  vereinigt  mit  dem  wahhabitischen  Emir  des  Blschah- 
landes  richtete  sich  nun  'Uthmän  gegen  Taif , dessen  Vertheidigung 
Februar  1803  von  Abd  cl-Mu'fn  und  dem  zur  Hülfe  herbeigeeilten 
Ghälib  aufgegeben  werden  musste,  weil  sie  sich  nicht  mehr  auf 
die  Gesinnung  ihrer  eigenen  Beduinen  verlassen  konnten,  und  weil 
sie  erfuhren,  die  Hauptmacht  der  beiden  Emire  rücke  jetzt  gegen 
die  bisher  immer  geschonte  heilige  Stadt  heran.  So  war  Täif  er- 
obert; 'Uthmän  blieb  hier  als  Emir  zurück  und  sandte  dem  Sa'üd 
die  frohe  Nachricht.  Dieser  kam  nun  auch  selbst  mit  einem  Heere 
und  stand  während  des  von  vielen  Maghribinern , vom  Sultan  von 
Maskat  und  anderen  Grössen  besuchten  Haddj  nur  drei  Tagereisen 
von  Mekka.  Ghälib  machte  einen  letzten,  verzweifelten  Versuch, 
den  Anführern  der  Karawanen  aus  Syrien  und  Egypten  ihre  Ver- 
pflichtung zur  Hülfeleistung  klar  zu  machen;  Beide  beschränkten 
sich  auf  einen  vorsichtigen  Briefwechsel  mit  Sa'üd  und  zogen  ab, 
die  letzte  Hoffnung  des  Scherifs  mit  sich  nehmend. 

Dieser  hätte  sich  jetzt,  da  die  Othmanen  in  ihrer  Apathie  be- 
harrten,  wie  sein  Schwager  dem  grossmüthigen  Feinde  in  die  Arme 
werfen  können;  dazu  war  er  jedoch  zu  stolz  oder  zu  vorsichtig.  Er 
zog  sich  in  die  letzte,  für  die  Wahhabiten  uneinnehmbare  Feste 
zurück:  März  1803  ging  er  nach  Djiddah,  dessen  hohe  Mauer*) 
mit  ein  paar  Kanonen  und  einigen  Soldaten  zur  Abwehr  aller  Be- 
duinenangriffe mehr  als  genügte.  Dass  seinem  Auszuge  die  Ueber- 
gabe  Mekka’s  folgen  musste,  wusste  er  wohl;  wahrscheinlich  fand 
dieselbe  sogar  nach  einem  von  ihm  selbst  festgesetzten  Plane  statt. 
Sein  eigener  Bruder  Abd  öl-Mu'In  leitete  die  Verhandlungen  ein 
und  schickte  dem  Sa'üd  eine  Deputation  von  mekkanischen  Vor- 
nehmen und  Gelehrten , die  sich  im  Namen  Abd  el-Mu'Tn’s  und 
der  Bevölkerung  dem  Emir  von  Dar'ijjah  unterwarfen  in  Worten , 
welche  dieser  nur  als  Ausdruck  der  Bekehrung  auflassen  konnte. 
Dass  sie  dies  nicht  ohne  heimlichen  Vorbehalt  thaten , wusste  der 
Emir  ebensowohl  als  der  Prophet  solches  von  den  Bürgern  seiner 


1)  Yergl.  oben  8.  102  Anm. 


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150 


von  ihm  eroberten  Vaterstadt  gewusst  hatte;  auch  Sa'üd  sah  wohl 
ein , dass  Feinde  nur  allmählich  bekehrt  werden.  Ende  April  zog 
er  feierlich  in  die  Stadt  ein , Abd  el-Mu'fn  und  alle  geistlichen 
Autoritäten  huldigten  feierlich  dem  Wahhabiten,  der  nun  vor  der 
versammelten  Bevölkerung  eine  Rede  hielt,  ganz  nach  dem  Muster 
der  von  Muhammed  bei  der  Eroberung  des  heidnischen  Mekka 
ausgesprochenen : durch  das  Schwert  Sa'üd’s  hatte  Allah  die  Mek- 
kaner  aus  der  Finsterniss  des  Polytheismus  in  das  Licht  der  wahren 
Religion  geführt.  In  den  nächsten  Tagen  mussten  die  Mekkaner 
den  Wahhabiten  Hülfe  leisten  bei  der  Zerstörung  aller  Grabkuppeln 
und  der  Einsammlung  aller  Tabackspfeifen  und  Musikinstrumente, 
welche  auf  Scheiterhaufen  verbrannt  wurden ; alle  den  Propheten 
verherrlichenden  Formeln  im  Aufrufe  zum  Qalät  und  sonst  wurden 
strengstens  untersagt;  die  dünkelhaften  Städter  mussten  sich  einen 
Elementarunterricht  in  der  Religion  von  diesen  //ungebildeten”  Leu- 
ten gefallen  lassen , und  vor  Furcht  machten  sie  zu  Allem  ein 
andachtvolles  Gesicht.  Nach  erfolgloser  Einladung  an  Ghälib  zur 
Unterwerfung  belagerte  Sacüd  nun  eine  Woche  lang  vergeblich  und 
mit  schwerem  Verluste  Djiddah;  auf  dem  Rückzuge  unterwarf  er 
sich  die  im  »Wädi”  (Marr  ez-Zahrän)  sesshaften  Scherife,  über 
welche  er  einen  von  den  DewI  Barakät  einsetzte,  und  zog  endlich 
mit  seinen  Truppen  nach  dem  Stammlande  zurück,  eine  kleine 
Besatzung  in  Mekka  zurücklassend. 

Wenn  Sa'üd  geglaubt  hat , der  Sauerteig  des  //Monotheismus”  werde 
jetzt  seine  Wirkung  in  Mekka  ohne  äusseren  Zwang  vollenden , so  hat 
er  sich  sehr  getäuscht.  Schon  Anfang  Juli  kam  Ghälib  zurück,  be- 
mächtigte sich  ohne  Schwierigkeit  der  Stadt  und  nahm  von  dort  aus  den 
Kampf  gegen  cUthmän  und  den  Emir  von  Blschah  wieder  auf.  Beim 
folgenden  liaddj  liess  endlich  der  Emir  von  Syrien  auf  Ghälibs  Bitte 
150  Soldaten  bei  ihm  zurück ; mit  diesen  und  den  aus  Djiddah  mitge- 
führten Kanonen  konnte  er  sich  die  Belagerer  vom  Leibe  halten. 
Bald  darauf  nahm  er  den  von  jeher  zum  Scherifat  gehörigen  Hafen 
el-Lith  durch  eine  combinierte  Operation  zu  Wasser  und  zu  Lande 
und  stellte  seine  Autorität  über  den  »Wadi”  wieder  her.  Während 
Ghälib  hier,  namentlich  durch  die  Tapferkeit  des  Scherifs  Rädjih 


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151 


von  den  Scheniibrah  ')  grosse  Erfolge  errang , ging  ihm  durch  die 
»Bekehrung”  der  Ilarbbeduinen  im  Norden  Jambuc  verloren.  Der 
Scberif  wandte  sich  in  seiner  Noth  an  zwei  gerade  in  Djiddah  ge- 
ankerte englische  Schiffe  um  Hülfe  gegen  jenen  Hafen;  aber  auch 
ohne  diese  gelang  es  ihm,  denselben  zurückzuerobern.  Was  nützte 
ihm  schliesslich  aber  solcher  Gewinn , während  die  allenthalben 
herrschende  Unsicherheit  die  Zufuhren  von  Mekka  abschnitt  und 
der  syrische  Emir  1805  nicht  nur  keine  neue  Hülfstruppen  ge- 
währte, sondern  sogar  die  alten  mit  zurücknahm  und  von  'Utbmän 
el-Medhäifi  für  eine  Geldsumme  seinen  sicheren  Rückzug  erkaufte? 
Täif  konnte  Ghälib  diesem  nicht  entreissen ; dagegen  gingen  immer 
mehr  Scherife  von  den  'Abädilah , Barakät , Menä'mah  und  an- 
deren zum  Feinde  über.  Sogar  seine  eigenen  Neffen,  die  auf  seine 
Macht  eifersüchtigen  Söhne  Serürs,  verliessen  ihn,  und  einige  Führer 
seiner  Sklaventruppen  liess  Ghälib  aus  Misstrauen  umbringen.  All- 
mählich war  das  heilige  Gebiet  von  einer  Mauer  von  feindlichen 
Beduinen  umgeben , durch  welche  es  nur  dann  und  wann  mit  grösster 
Mühe  einer  kleinen  Karawane s)  gelang  nach  Djiddah  durchzubre- 
chen, um  einige  Lebensmittel  für  die  Ausgehungerten  zu  holen. 
Viele  Mekkaner  benutzten  diese  Gelegenheit , dem  Schreckensorte 
zu  entfliehen;  die  zahlreichen  ausgewanderten  wurden  in  Djiddah 
gar  nicht  freundlich  aufgenotnmen.  Seit  August  1805  fing  unter  der 
Leitung  el-Medhäifi’s , des  Emirs  von  Blschah  und  des  Schechs 
der  'Aslr-stämme,  auf  Befehl  Sa'üds  die  förmliche  Belagerung  Mek- 
ka’s  an ; der  Rückfall  der  Mekkaner  hob  nach  Ansicht  des  Wahha- 
biten  die  Unverletzbarkeit  des  Gebietes  auf,  ebenso  wie  zur  Zeit 
des  Propheten  der  Friedensbruch  der  Quraischiten  jenen  zur  ge- 
waltsamen Einnahme  Mekka’s  berechtigte.  Die  Hungersnoth  über- 
stieg alle  Grenzen , die  Pest  fing  zu  wüthen  an ; wer  von  den  armen 
Städtern  den  kranken  Körper  der  eifersüchtigen  Aufsicht  Ghälibs 
entziehen  konnte,  rettete  sein  Leben  ins  feindliche  Lager.  Im  Fe- 
bruar 1806  eröffnete  Ghälib  Verhandlungen  mit  den  Belagerern; 

1)  Oben  8.  113. 

8)  Diese  Karawanen  hiesaen  OjOj  , Plnr.  von  Oj  AD  495  usw. 


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152 


lieber  als  der  Verlust  seiner  Würde  war  ihm  die  Anerkennung  der 
wahbabitischen  Oberherrschaft,  die  sich  ihm  jetzt  als  unerlässliche 
Bedingung  aufdriingte.  Die  vorläufige  Abmachung,  derzufolge  Ghälib 
sein  Gebiet  aus  der  Hand  des  Eroberers  zurückerhielt,  wurde  von 
Sacüd  genehmigt,  und  die  Wahhabitisierung  Mekka’s  mit  frischer 
Kraft  durchgeführt.  Der  Scherif  ging  darauf  selbst  nach  Djiddah 
und  verstärkte  die  Besatzungen  in  diesem  Hafen  , in  Jambu\  Ma?wac 
und  Sawakin  l),  vielleicht  mit  der  Absicht , für  alle  Nothfülle  einen 
Rückhalt  zu  haben  ; bald  erheischten  allerlei  Unordnungen  in  Mekka, 
vorzüglich  Strassenkämpfe  zwischen  Türken  und  Scherifensklaven , 
seine  Rückkehr. 

Nachdem  nun  Mekka  endgültig  wahhabitisches  Gebiet  gewor- 
den war,  fingen  Ghälibs  Verwandten  an,  bei  Sa'üd  gegen  ihn  zu 
iutriguieren : sein  Schwager  el-Medhäifl  verlangte  seine  Beseiti- 
gung, weil  er  die  Ordnung  nicht  aufrecht  zu  erhalten  verstehe ; sein 
Neffe  Abdallah  ibn  Serür,  der  vier  Jahre  vergebens  in  Konstan- 
tinopel seine  Ernennung  zum  Grossscherif  nachgesucht  hatte,  reiste 
ebenfalls  zum  Wahhabiten.  Der  redliche  Emir  war  aber  solchen 
Einflüssen  verschlossen , und  als  der  enttäuschte  el-Medhäifl  seinem 
Schwager  durch  Raubzüge  von  Beduinen  in  seinem  Gebiete  die 
Aufgabe  der  Regierung  zu  erschweren  suchte,  thaten  strenge  Be- 
fehle aus  Dar'ijjah  diesem  Unwesen  Einhalt.  180?  wiesen  die  Wah- 
habiten die  Pilgerkarawanen  aus  Syrien  und  Egypten  endgültig 
zurück;  in  den  vorigen  Jahren  hatten  diese  schon  viel  von  Raub- 
zügen zu  leiden ; auch  war  ihnen  angesagt , fernerhin  nicht  mit 
dem  thörichten  Prunk  der  MahmaF s den  Heiligthümern  zu  nahen. 
Jetzt,  da  die  Wahhabiten  beide  heiligen  Städte  beherrschten,  ver- 
sagten sie  den  Türken  als  Hauptvertretern  des  ausgearteten  Islam’s 
den  Zutritt.  So  weit  musste  es  kommen , bevor  die  Pforte  zur 
Einsicht  kam,  dass  cs  um  ihr  Ansehen  in  den  Jj aramein  geschehen 


1)  Mft^wa'  und  SawAkin  gehörten  bekanntlich  nicht  zum  Gebiete  der  Scherifo,  wenn- 
gleich sie  dort  ihre  Handelsagenten  hatten;  da  aber  die  Türken  in  diesen  Jahren  die  Küs- 
ten des  Rothen  Moores  thatsächlich  aufgabon  und  Ghalib  nun  nach  langem  Kampfe  zum 
Vasall  der  Wahhabiten  geworden  war,  konnte  er  sich  für  berechtigt  halten,  die  Verwal- 
tung auch  der  westlichen  Hafen  zu  übernehmen.  Kr  entsandte  nach  jedem  Hafen  200 
türkische  Soldaten  und  einen  „Wezir”  AD  506. 


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153 


sei,  wenn  nicht  ohne  Verzug  der  verlorene  Boden  wiedergewonnen 
würde.  Endlich  bekam  der  schlaue  Arnautenführer  Muhamtned  Ali 
Pascha,  der  schon  eifrig  mit  der  Wiedereroberung  Egyptens  aus 
der  Hand  der  Mamlukcn  beschäftigt  war,  den  Auftrag,  sobald  die 
Umstände  es  ihm  gestatten  sollten , das  heilige  Land  von  den  anti- 
türkischen Ketzern  zu  reinigen.  Bis  die  Vernichtung  der  Mamlu- 
kenmaeht  zu  Ende  geführt  war,  wurde  es  1811,  und  erst  dann 
konnte  Muhammed  Ali  die  Ausrüstung  von  Truppen  gegen  die 
Wahhabiten  in  die  Iiand  nehmen.  Fünf  Jahre  hat  also  die  Re- 
form in  Mekka  geherrscht,  aber  wesentlich  wirkte  diese  Herrschaft 
nur  auf  das  öffentliche  Leben,  und  sie  wurde  als  ein  schwerer 
Druck  empfunden.  Der  Krieg  hatte  namentlich  durch  Hunger  und 
Pest  die  Bevölkerung  decimiert  und  die  mekkanische  Ernte  d.  h. 
die  Wallfahrt  jahrelang  zunichte  gemacht;  jedes  beliebte  Vergnügen 
war  jetzt  verpönt ; zwangsweise  wurden  die  bequemen  Leute  zur 
Verrichtung  der  Qalät’a  in  der  Moschee  angehalten;  die  Schutzpa- 
trone der  Stadt  hatten  ihre  heiligen  Wohnungen  verloren:  wem 
sollte  man  jetzt  seine  Noth  klagen?  Ein  längerer  Zeitraum  und 
mehr  Müsse  zur  inneren  Reform  hätte  vielleicht  eine  gewisse  As- 
similation an  die  neue  Lehre  bei  den  Mekkanern  bewirkt;  jetzt 
war  man  noch  nicht  weit  über  Angst  und  Schrecken  hinaus,  als 
die  Nachricht  die  heilige  Stadt  erreichte,  der  Sultan  des  Islam ’s  habe 
endlich  Zeit  gefunden , sich  um  den  Hort  der  Religion  zu  kümmern. 

Die  erste,  im  September  1811  abgegangene  Expedition  unter 
dem  Befehl  Tusun’s,  des  Sohnes  Muhammed  Ali’s , verlief  unglück- 
lich; sie  musste  sich  schon  von  (pafrä  zurückziehen.  An  dem  besse- 
ren Erfolge  der  zweiten  (Anfang  1812)  hatten  die  reichen  Geld- 
schenkungen an  die  Beduinen  wenigstens  ebensoviel  Antheil  wie 
die  egyptischen  Waden.  Medina  ward  bald  erobert,  und  Anfang 
1813  gingen  von  Jambu'  Truppen  in  Schiffen  nach  Djiddah,  um 
von  dort  aus  die  Wahhabiten  in  Mekka  anzugreifen.  Ghglib  scheint 
sich  von  Anfang  an  durch  heimlich  geführten  Briefwechsel  mit 
Muhammed  Ali  verständigt  zu  haben.  Entschieden  übertrieben  ist 
die  Behauptung  mekkanischer  Schriftsteller,  Ghälib  sei  auch  unter 
dem  Wahhabitendruck  stets  den  Türken  innerlich  treu  geblieben ; 

so 


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154 


er  hat  vielmehr,  wie  alle  guten  DewI  Zeid,  den  Othmanen  nie 
getraut.  Er  war  aber  zu  klug,  zu  glauben,  die  VVahhabiten  könn- 
ten auf  die  Dauer  mit  ihren  arabischen  Kriegsmitteln  einer  Gross- 
raacht  Stand  halten;  seine  feste  Ueberzeugung , die  Türken  würden 
sich  nicht  ganz  Arabien  nehmen  lassen , ermunterte  ihn , den  ver- 
zweifelten Kampf  immer  wieder  aufzunehmen.  Nach  der  Ein- 
nahme von  Mekka  durch  Ibn  Sa'üd  konnte  Ghalib  aber  nicht  wis- 
sen, wann  die  Pforte  endlich  aus  ihrem  Schlafe  aufwachen  werde; 
er  fügte  sich  daher  ohne  Weiteres  ins  Unvermeidliche.  Die  Sche- 
rife  wussten  jedoch  durch  Erfahrung,  was  Ibn  Chaldün  aus  seinen 
historischen  Studien  entnahm , dass  nämlich  Westarabien  durch 
seine  Arrnuth  und  die  unheilbare  Zersplitterung  des  an  und  für 
sich  mächtigen  Scherifenclements  auf  eine  sekundäre  Rolle  im  Is- 
lam angewiesen  war;  auch  kannten  sie  sehr  wohl  die  naturnoth- 
wendige  Abhängigkeit  des  Hidjäz  von  Egypten , welche  erst  seit 
der  Eröffnung  des  Sueskanals  virtuell  aufgehoben  ist.  Die  Eile,  mit 
Muhammed  Ali  anzuknüpfen,  ist  daher  bei  ihm  auch  ohne  beson- 
dere Türkenfreundschaft  erklärlich.  Dass  Gold  und  verrätherische 
Handlungen  die  Hauptwaffen  des  Pascha’s  gegen  die  Wahhabiten 
waren,  geben  auch  solche  Berichterstatter  zu,  die  sich  über  seine 
Siege  freuten.  Mekka  fiel  fast  ohne  Kampf  in  die  Hände  der  Egyp- 
ter;  mit  Ghälibs  Hülfe  wurde  auch  Taif  erobert  und  el-Medhäifi 
als  Gefangener  nach  Caüro  geschickt.  Ende  1813  kam  der  erste 
Vicekönig  von  Egypten  selbst  nach  Mekka , wo  ihm  Ghalib  freund- 
lich, aber  sehr  vorsichtig  entgegenkam. 

Es  macht  einen  tragischen  Eindruck , wie  die  theils  gefangenen , 
theils  in  naivem  Vertrauen  auf  das  Türkenwort  nach  Egypten  ge- 
reisten Wahhabitenhäupter,  deren  edles  Wesen  dort  die  Bewunde- 
rung der  Gebildeten  erregte , zum  Spott  einer  unwissenden  Menge 
durch  Cai'ro  geführt  und  dann  nach  Konstantinopel  befördert  wur- 
den, wo  ein  schmählicher  Tod  das  Ende  ihrer  Leiden  bildete.  Was 
die  neue  Lehre  eigentlich  war,  davon  hatte  man  dort  keine  Ah- 
nung; von  Arabien  machte  man  sich  in  der  Reichshauptstadt  eine 
so  märchenhafte  Vorstellung,  dass  er  nach  den  //Siegen”  Tusun’s 
1813  möglich  war,  in  feierlichem  Aufzuge  in  Konstantinopel  auf 


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155 


goldenen  Tellern  die  zurückeroberten  »Schlüssel”  von  Mekka,  Me- 
dina , Djiddah  und  Täif  dem  Volke  zu  zeigen ! Vielleicht  hatte  auch 
die  unwürdige  Behandlung  Ghälibs  von  Seiten  seines  Schutzherrn 
in  dieser  Unwissenheit  ihren  Grund  und  hat  man  ihn  auf  Gerüchte 
hin  für  einen  Kryptowahhabiten  gehalten.  Möglich  ist  indessen , dass 
man  zwei  Würfe  mit  einem  Steine  thun  und  die  Gelegenheit  be- 
nutzen wollte,  den  energischen  Mann  durch  ein  gefügigeres  Sub- 
jekt zu  ersetzen.  Ghälib  scheint  schon  Wind  davon  bekommen  zu 
haben,  dass  Muhammed  Ali  beauftragt  war,  ihn  in  eine  Falle  zu 
locken.  Wie  freute  er  sich,  als  dieser  gleich  auf  seinen  Vorschlag 
einging,  die  egyptischen  Truppen  von  Djiddah  auf  einem  Umwege, 
und  nicht  durch  Mekka,  nach  Täif  zu  schicken,  »weil  sie  sonst 
nicht  genug  Wasser  findeu  würden”!  Fast  gänzlich  verschwand  sein 
Misstrauen , als  Muhammed  Ali  mit  ihm  das  Innere  der  Kacbah 
besuchte  und  ihm  dort  einen  feierlichen  Eid  leistete,  er  werde  nie 
etwas  gegen  Ghälib  unternehmen.  Der  Vicekönig  verstand  aber  die 
Treue  in  seiner  Weise  und  plante  mit  seinem  Sohne  Tusun  einen 
Streich,  dem  der  Araber  erliegen  musste.  Angeblich  wegen  eines 
Streites  mit  seinem  Vater  nach  Djiddah  abgereist,  bat  Tusun  den 
Scherif  brieflich,  die  Beilegung  zu  vermitteln.  Dieser  ging  darauf 
ein  und  bat  Tusun,  nachdem  er  dessen  Vater  günstig  gestimmt 
hatte,  nach  Mekka  zurückzukehren.  Als  Tusun,  dieser  Bitte  Folge 
leistend,  wiedergekommen  war,  eilte  Ghälib  zu  ihm;  der  Sohn  des 
Eidgenossen  Ghälibs  liess  seinen  Gast  in  verrätherischer  Weise  ge- 
fangennehmen und  bewirkte  durch  Drohungen , dass  er  seine  arg- 
losen Söhne  zu  sich  berief,  worauf  man  ihm  mittheilte,  der  Sultan 
wünsche  ihn  persönlich  zu  sehen , er  müsse  also  zunächst  nach  Cairo 
reisen.  Ein  schlauer  Mekkaner,  Ahmed  TurkI,  dem  Ghälib  früher 
mehrfach  wichtige  Missionen  anvertraut  hatte , half  mit , seinen  Herrn 
zu  betrügen.  Damit  nun  aber  dieser  Gewaltstreich  keine  Aufregung 
unter  den  Mekkanern  hervorrufe,  liess  Muhammed  Ali  in  grösster 
Eile,  bevor  noch  etwas  in  die  Oeflentliehkeit  gelangt  war,  den 
Neffen  Ghälibs,  Jabja  ibn  Serür  (1813 — 27) ')  einsetzen.  Ghälib 


1)  Stammt.  III,  G9. 


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156 


bekam  in  seiner  ehrenvollen  Haft  eine  sehr  geringe  Entschädigung 
. für  die  recht  bedeutenden  Besitztümer,  welche  er  in  Mekka  zu- 
rückliess,  und  musste  bis  an  sein  Lebensende  (1816)  in  Saloniki 
verbleiben.  Seinem  Neffen  wurde  aber  auch  nicht  mehr  als  der 
Name  der  Herrschaft  gelassen;  dem  Pascha,  den  Muhammed  Ali 
bei  seiner  Abreise  aus  dem  Hidjäz  in  Mekka  einsetzte,  ertheilte  er 
den  Befehl,  sich  in  allen  wichtigen  Dingen  den  Rathschlägen  des 
niederträchtigen , schlauen  Ahmed  Turkl  zu  fügen ; für  die  beson- 
deren Takt  und  Erfahrung  erheischenden  Verhandlungen  mit  Bedui- 
nen und  Scberifen  habe  er  sich  nicht  mit  dem  Grossscherif,  son- 
dern mit  einem  dienstfertigen  Scherif  aus  dem  Hause  der  Menä'mah  •) 
zu  berathen.  Bis  ins  Jahr  1815  war  der  Vicekönig  selbst  mit  der 
Befestigung  seiner  Herrschaft  über  das  heilige  Land  und  der  Unter- 
werfung der  widerspänstigen  Stämme  Westarabiens  beschäftigt, 
während  Tusun  an  der  Spitze  bedeutender  Heeresabtheilungen  Arabien 
in  verschiedenen  Richtungen  durchzog.  Nach  dem  Tode  Tusun’s 
musste  sein  Bruder  Ibrahim  die  von  jenem  unternommene  Operation 
gegen  das  Centrum  der  Wahhabitemnacbt  fortsetzen ; ihm  gelang  es 
1818,  das  Emirat  zu  einem  nur  für  das  politisch  unwichtige  Innere 
Arabiens  beträchtlichen  Staate  herabzudrücken.  Leicht  wurde  ihm 
diese  Aufgabe  nicht;  für  die  Kameele,  welche  bei  der  Beförderung 
der  ihm  von  seinem  Vater  nachgeschickten  Verstärkung  verwandt 
wurden,  sollen  180000  Dollars  (Maria-Theresia-Tlialer)  ausgegeben 
sein.  Die  weitere  Geschichte  des  Wahhabitenreiches  hat  auf  die 
heiligen  Städte  in  keiner  Weise  eingewirkt.  Der  grösste  Theil  Cen- 
tralarabiens wurde  allmählich  bambalitisch , behielt  also  viel  vom 
Rigorismus  ohne  die  Ketzerei. 

In  Mekka  weiss  man  jetzt  gar  nichts  mehr  von  dem  Inhalt  der 
Lehre  Ibn  Abd  el-Wrahhäb’s;  die  populäre  Ansicht  stellt  die  Wahha- 
biten  als  Intellektualisten  dar  und  sieht  in  ihnen  vorzüglich  die 
Heiligthumschänder.  Was  man  von  einem  freundlichen  Verhältniss 
der  Baramein  zu  dieser  Sekte  gefabelt  hat,  gehört  dem  Reiche  der 
Dichtung  an;  namentlich  in  Medina  ist  die  Stimmung  fanatisch 
gegen  die  Wahhabiten. 

1}  Oben  S.  113 ; er  kiel»  Scham ber  ibn  Mubär&k. 


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157 


Muhammed  Ali  hat  bekanntlich  Egypten  und  den  Hidjäz  zwar 
im  Auftrag  der  Pforte  erobert,  nach  vollführter  Arbeit  aber  diese 
Gebiete  ganz  selbständig  verwaltet  und  seinen  Nachkommen  als 
Erbgut  gesichert.  Als  die  beiden  Mahmats  wieder  zum  Haddj  ka- 
men , war  also  ganz  wie  früher  das  egyptische  sowohl  als  das 
syrische  ein  »Zeichen”  des  Sultans,  aber  doch  mit  einigem  Unter- 
schiede; die  Mekkaner  wussten  es  auch,  dass  die  geheimnisvolle 
Sänfte  aus  Egypten  eine  Macht,  die  aus  Syrien  bloss  einen  Schatten 
vertrat.  Um  so  lebhafter  wurde  dies  empfunden , weil  Muhammed 
Ali  so  klug  war,  April  1815  vor  seiner  Rückreise  nach  Egypten 
selbst  die  Neuordnung  der  natürlich  wieder  in  Verfall  gerathenen 
frommen  Stiftungen  im  Nillande  zu  Gunsten  der  Mekkaner  in  die 
Hand  zu  nehmen.  Er  sorgte  dafür,  dass  jeder  irgendwie  hülfsbe- 
dürftige  Einwohner  Mekka’s  seitdem  sagen  musste:  meinen  Lebens- 
unterhalt verdanke  ich,  neben  Gott,  unserem  Efendi  Muhammed 
Ali.  Die  Bürger  erhielten  jährlich  aus  der  » Djiräjeh ” einen  Betrag 
an  Korn  zugewiesen ; für  Arme  fanden  täglich  Vertheilungen  von 
Brod  und  Suppe  statt l 2) ; bis  zum  heutigen  Tag  gedenken  die  armen 
Mekkaner  des  ersten  Vicekönigs  als  des  Urhebers  dieser  unent- 
behrlichen Gaben.  Solchen , die  sich  um  die  heilige  Wissenschaft 
verdient  machten  oder  andere  Ansprüche  geltend  machen  konnten, 
wurden  Gehälter  zuerkannt;  so  legte  sich  die  in  Mekka  durch  des 
Pascha’s  treulose  Thaten  erregte  Verstimmung. 

Auch  nach  dem  Tode  des  verschmitzten  Ahmed  Turkl  (1820) 
blieb  Jabja  ibn  Serür  von  der  Theilnahme  an  der  Geschäftsführung 
ausgeschlossen;  die  jeweiligen  Pascha’s  wählten  sich  andere  Mit- 
telspersonen und  überliessen  die  Zähmung  der  Scherife  und  Bedui- 
nen nach  wie  vor  dem  obenerwähnten  Schambar  ibn  Mubarak. 
Diesem  Verwandten , dessen  Vorfahren  seit  Hasan  ®)  von  der  Regie- 
rung ausgeschlossen  waren , verzieh  Jabja  die  Ausbeutung  des  Un- 
glücks der  DewI  Zeid  nicht.  Er  vollzog  seine  Rache  in  der  altge- 


1)  In  der  Tekkijjeh  M^rijjeh  neben  dem  neuen  Regiexungsgebttude;  vergl.  den  Grün* 
driss  der  Moschee. 

2)  Stammt.  IQ,  3 


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wohnten  Weise  der  Scherife:  Anfang  1827  durchstach  er  an  einem 
Abend  Schambar  in  der  heiligen  Moschee.  Darauf  in  sein  Haus 
zurückgekehrt,  versuchte  er,  dieses  in  Vertheidigungszustand  zu 
setzen ; als  jedoch  der  Pascha  Kanonen  in  der  Richtung  aufstellen 
liess,  versprach  er,  die  Landreise  nach  Egypten  anzutreten.  Hiermit 
fing  die  alte  Geschichte  des  Verhältnisses  der  Scherife  zu  ihren 
Schutzherren  wieder  an : Jahja  ging  natürlich  nicht  nach  Egypten , 
sondern  nach  dem  Norden  zu  den  Harbbeduinen,  um  diese  zu 
einer  Partei  gegen  den  Pascha  und  dessen  Werkzeuge  zu  vereinigen. 
Ahmed  Pascha,  der  Vertreter  Muhammed  Ali’s  in  Mekka,  wusste 
dagegen  nichts  Besseres  zu  thun,  als  einen  feindlichen  Verwandten 
Jahja’s  einzusetzen , bis  der  Vicekönig  selbst  Bericht  erhalten  und 
Befehle  geschickt  haben  werde.  So  folgte  denn  August  1827  Abd 
el-Mut  tälib ’) , Sohn  GhSlibs,  seinem  exilierten  Oheim  nach  und 
traf  gleich  die  nüthigen  Maassregeln  zur  Abwehr  eines  Angriffs  der 
»Hunde”  von  Harb;  er  versammelte  nämlich  seine  Hunde,  die 
Hudeliten  und  ihre  Nachbarn.  Muhammed  Ali  verfügte  aber  in 
anderem  Sinne.  Die  Erfahrung  im  Hidjäz  hatte  ihn  gelehrt,  dass 
die  Türken  für  die  Behandlung  der  Beduinen  die  Vermittlung  der 
Scherife  brauchten ; in  Ermangelung  jedes  persönlichen  Einflusses 
können  die  Türken  hier  nur  durch  bedeutende  Uebermacht  oder 
durch  Unmassen  von  Gold  etwas  erreichen.  Dieses  wäre  zu  theuer, 
jenes,  abgesehen  von  den  Kosten,  wegen  der  geographischen  Ver- 
hältnisse immerhin  sehr  schwierig.  Die  Wüstenthiere  bezwingt  man 
am  besten  durch  ihresgleichen ; zu  zähmen  oder  in  Rotten  zum 
Kampfe  zu  vereinigen  sind  sie  fast  nur  durch  die  Hand  der  von 
ihnen  verehrten  Scherife.  Man  braucht  sich  aber  bei  der  Wahl  der 
Zahmer  nicht  auf  eine  Familie  zu  beschränken ; ebenso  wohl  wie 
die  DewI  Zeid  eignen  sich  dazu  deren  ebenbürtige  Mitbewerber. 
Muhammed  Ali  ergriff  ohne  Bedenken  die  Gelegenheit,  das  an 
ziemlich  grosse  Selbständigkeit  gewöhnte  Haus  der  DewI  Zeid  durch 
ein  anderes  zu  ersetzen;  er  zog  die  seit  1667  im  Schatten  weilen- 
den cAbädilah  ans  Licht.  Neben  den  DewI  Zeid  hatten  diese  von 


1)  Stammt.  ID,  70. 


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jeher  eine  Stellung  eingenommen , dass  ihnen  die  von  den  Türken 
vorgeschobenen  Barakät  kaum  gleichkamen , weit  über  den  anderen 
namhaften  Geschlechtern  der  Schenäb’rah,  Menä'inah  usw.  Wenn- 
gleich in  späterer  Zeit  nur  selten  Leute  von  ihnen,  wie  Mubsin  *) , 
als  Prätendenten  auftraten,  so  nahmen  sie  doch  an  der  Berathung 
aller  wichtigen  Angelegenheiten,  der  Wahl  des  Grossscherifs  usw., 
einen  hervorragenden  Antheil.  Ihre  Zufriedenheit  mussten  die  DewI 
Zeid  oftmals  theuer  kaufen,  ihr  Missvergnügen  war  im  Stande,  das 
ganze  Land  aufzuwiegeln,  Handel  und  Verkehr  zu  zerstören.  Ihr 
Hauptvertreter  zur  Zeit  Muhatnmed  Ali’s,  Muhammed  *),  war  bei 
der  Entstehung  der  eben  beschriebenen  Unruhen  gegen  40  Jahre 
alt;  als  der  Vicekönig  im  Hidjäz  verweilte,  hatte  Muhammed  ihm 
bei  der  Unterjochung  der  unbändigen  'Aslr-stämme  im  Süden  tapfer 
zur  Seite  gestanden,  und  seit  der  Rückkehr  jenes  nach  Egypten  war 
der  Scherif  als  Emir  der  'Aslr  in  diesem  unheimlichen  Lande  ge- 
blieben. 1824  gelang  es  ihm  nur  mit  Hülfe  aus  Egypten  ihm  zuge- 
schickter regulären  Truppen,  die  Ordnung  einigermaassen  aufrecht 
zu  erhalten.  Beim  Hinschwinden  der  Wahhabitenmacht  verlor  dieses 
südliche  Gebiet  viel  von  seiner  Wichtigkeit  und  liess  man  die  cAsIr 
nach  und  nach  unbeaufsichtigt.  Muhammed  ibn  cAun  (so  heisst  er 
gewöhnlich,  weil  sein  Grossvater  Eponymus  des  neuen  Clans  der 
DewI  'Aun  wurde)  reiste  nuu  nach  Egypten  und  lernte  hier  während 
seines  dreijährigen  Aufenthalts,  was  Hasan  ibn  'Adjlän  und  seine 
Söhne  zu  ihrem  Vortheil  verstanden , die  DewI  Zeid  dagegen  manchmal 
zu  ihrem  Schaden  vergessen  hatten : die  Kunst , mit  den  fremden 
Schutzherren  ohne  aufreibende  Konflikte  zu  verkehren.  Seinem  klu- 
gen , gemässigten  Benehmen  verdankte  er  jetzt  seine  Erhebung  auf 
den  Thron  seines  Vorfahren  Abdallah  (1827 — 51)’).  Kaum  hatte 


1)  Stammt.  III,  32.  2)  Stammt.  111,58. 

3)  Wahrscheinlich  sind  ungefähr  zu  dieser  Zeit  die  dor  Regierung  näher  stehenden 
Scherifo  allmählich  zum  hunafi tischen  Ritus  übergetruton.  ßurckhardt  (Travels  in  Arabia  , 
1:430  f.)  fand  in  dieser  Beziehung  (1814)  Alles  noch  beim  Alton:  die  Scherifo  im  In- 
neren zum  guten  Theilo  Zaiditen,  die  regierende  Familie  und  ihre  nächsten  Verwandten 
Schafi'iton,  obgleich  in  Vordacht  zaiditischor  Sympathien.  Jetzt  sind  die  einflussreichen 
Scherife  in  Mekka  Allo  Hanafiten,  was  sie  nicht  verhindert,  den  allzu  eifrigen  Türkeu 
gegenüber  manchmal  die  Wünscho  der  schati'itischen  Bevölkerung  in  rituellen  Angelegen- 
heiten zu  vertreten. 


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160 


die  Nachricht  Täif  erreicht,  wo  der  Pascha  und  Abd  el-Muttalib 
sich  eifrig  gegen  Jahja  rüsteten , als  Abd  el-Muttalib  den  Türken 
mit  Drohungen  von  dort  verjagte , seine  Stämme  weiter  auf  den 
Kampf  gegen  die  egyptischen  Soldaten  vorbereitete  und  seinem 
Neffen  Jahja  schrieb,  ihre  Interessen  seien  durch  die  neuen  Ver- 
hältnisse geeinigt.  Muhammed  ibn  cAun  gewann  bald  nach  seiner 
Ankunft  in  Djiddah  ohne  schweren  Kampf  die  gegen  ihn  zusam- 
mengehetzten Hunde;  er  befriedigte  ihre  Gehässigkeit  aus  dem 
gefüllten  Beutel,  den  ihm  Muhammed  Ali  auf  die  Reise  mitge- 
geben hatte.  Jahja  war  unterdessen  mit  seinen  Harbi's  angerückt, 
neigte  sich  aber,  als  ihm  das  Geschehene  berichtet  wurde,  zur 
Annahme  der  vom  neuen  Grossscherif  angebotenen  günstigen  Be- 
dingungen. Abd  el-Muttalib  hingegen  bewährte  sich  gleich,  wie  in 
seinem  ganzen  späteren  Leben , als  Fortsetzer  der  ungefalschten 
Tradition  der  DewI  Zeid.  Theils  durch  Ueberredung,  theils  durch 
Gewalt  einigte  er  seine  nächsten  Verwandten , sandte  seinen  Bruder 
Ali  aus  zur  Aufwiegelung  der  regierungsfeindlichen  Stämme,  ver- 
stärkte sich  mit  allen  verfügbaren  Mitteln  in  Täif  und  warf  die 
dort  befindlichen  ‘Abädilah  in  den  Kerker.  Den  später  berühmten 
Sohn  des  Scherifs  Muhammed,  Abdallah,  entzogen  gute  Freunde 
diesem  Schicksal  und  sandten  ihn  heimlich  seinem  Vater  zu.  Erst 
nach  2 2- tägiger  Belagerung  durch  Muhammed  mit  seinen  Arabern 
und  den  egyptischen  Truppen  gab  Abd  el-Muttalib  die  Vertheidi- 
gung  auf  und  ging,  nachdem  ihm  und  seinen  Verwandten  Sicherheit 
versprochen  war,  in  das  Lager  des  Gegners.  Hier  wurde  er  gut  auf- 
genommen; trotzdem  entfloh  er  in  der  Nacht  mit  seinem  Bruder 
Jahja,  und  die  verrätberische  Mittheilung  des  Jahja  ibn  Serür  er- 
möglichte den  Türken  nur,  Jahja  wieder  einzufangen.  Abd  el- 
Muttalib  trat  nun  eine  Irrfahrt  an  durch  die  fremden  Einflüssen 
verschlossenen  arabischen  Gebiete,  bis  sich  ihm  1881  eine  günstige 
Gelegenheit  bot,  mit  der  syrischen  Pilgerkarawane  nach  Damaskus 
und  dann  weiter  nach  Konstantinopel  zu  reisen.  Hierzu  hätte  er 
sicht  nicht  entschlossen , wenn  nicht  in  der  Zwischenzeit  die  poli- 
tische Witterung  eine  ganz  andere  geworden  wäre. 

Gleich  vom  Anfang  seines  Scherifats  an  bestrebte  sich  Muham- 


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161 


med  ibn  'Aun , seinem  Gebiete  die  alten  Grenzen  wiederzugeben , 
und  in  den  ersten  Jahren  hatte  er  viel  Glück.  Gegen  Mitte  1831 
suchte  zum  ersten  Mal  die  Cholera  Mekka  heim,  zu  deren  zahl- 
losen Opfern  auch  der  egyptische  Pascha  zählte.  Dessen  Nachfolger 
musste  mit  seinen  Miliztruppen  ( Nizämijjah ) gegen  die  türkischen 
Irregulären , welche  rückständigen  Sold  forderten , einen  ungleichen 
Kampf  aufnehmen  und  wurde  Ende  1831  zum  Auszug  nach  Egyp- 
ten genöthigt. 

Solche  Unordnung  wäre  kaum  vorgekommen , hätte  nicht  damals 
der  Kampf  gegen  seinen  Lehnsherrn  Mahmud  alle  Kräfte  Muhara- 
med  Ali’s  in  Anspruch  genommen.  Da  sein  Versuch  zur  Beilegung 
vergeblich  blieb,  entwich  der  Scherif  nach  dem  östlich  gelegenen 
Ilada’  und  wartete  dort,  bis  die  Milizsoldaten  die  Irregulären  nach 
Djiddah  vertrieben  hatten,  worauf  sich  diese  aus  Furcht  vor  den 
Folgen  ihrer  Rebellion  nach  allen  Richtungen  zerstreuten.  Die 
Miliz  plünderte  einige  Läden  in  Mekka,  bequemte  sich  dann  aber 
wieder  zu  ruhigen  Sitten.  Ende  1832  kam  aus  Egypten  Ahmed 
Pascha,  der  auch  früher  bereits  die  Regierung  in  Mekka  vertreten 
hatte.  Zwischen  ihm  und  Muhamined  ibn  cAun  entstanden  bald 
Misshelligkeiten.  Seit  1833  erlaubte  sich  nämlich  ein  neu  aufgetre- 
tener Emir  der  'Asir-stämme , deren  Gebiet  an  die  südliche  Grenze 
des  Scherifats  stösst , allerlei  Uebergriffe  in  das  Land  der  Blschah , 
Zahrän , Ghämid  und  anderer  seit  alter  Zeit  dem  Könige  von 
Mekka  ergebener  Stämme.  Der  Scherif  zog  gegen  die  Grenze  und 
war  seiner  Ansicht  nach  nahe  daran , das  Ziel  der  Einschüchterung 
zu  erreichen , musste  jedoch  in  Ermangelung  der  nöthigen  Verstär- 
kungen, die  er  vergeblich  von  Ahmed  Pascha  verlangte,  unver- 
richteter Dinge  zurückziehen.  Beide,  der  Scherif  und  der  Pascha, 
schoben  einander  die  Schuld  des  Misslingens  zu  und  erprobten  die 
Geduld  Muharamed  Ali’s  mit  ihren  Briefen  gegen  einander  solange , 
bis  er  1836  die  Parteien  nach  Calro  forderte.  Beide  Hessen  also 
Stellvertreter  in  Mekka  zurück  und  reisten  ab,  ihre  Sache  dem 
Vicekönig  zu  unterbreiten.  Nach  langem  Hin-  und  Herreden  ging 
Muhammed  Ali  auf  den  Vorschlag  seines  Pascha’s  ein,  ihn  vor- 
läufig allein  zurückzusenden;  er  übernahm  es,  in  drei  Monaten  die 

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'Aslr  zu  unterwerfen ; der  Scherif  musste  als  unfreiwilliger  Gast  in 
Calro  bleiben.  Dies  dauerte  bis  1840;  denn  Ahmed  Pascha  zog  zwar 
mit  einem  von  den  Schenäbrah-scherifen  und  einem  aus  seiner 
Heimath  vertriebenen  Schech  der  'Aslr  gegen  die  Feinde,  erzielte 
aber  nur  geringe  Resultate.  Vielleicht  hätte  sich  dieser  Zustand 
noch  länger  hingezogen , wäre  nicht  inzwischen  der  Vertrag  abge- 
schlossen , durch  welchen  der  Hidjäz  mit  Syrien  wieder  unter 
direkte  Verwaltung  der  Pforte  gestellt  wurde.  Mit  Nichts  war  es 
jetzt  dem  Vicekönig  so  eilig  als  mit  der  Heimkehr  seiner  im 
Hidjäz  befindlichen  Truppen ; diese  anzuordnen , schickte  er  den 
ihm  immerhin  ergebenen  Muhammed  ibn  'Aun  in  seine  Heimath 
zurück.  Mit  vielem  Geschick  entledigte  sich  der  Scherif  seines  Auftrags; 
die  in  dem  Harblande  in  schwerem  Kampfe  befindlichen  Abthei- 
lungen wusste  er  unversehrt  herauszuziehen  und  ohne  Konflikte 
mit  dem  im  Süden  gebliebenen  Garnisonen  nach  Egypten  zu  be- 
fördern. Seine  Wiedereinsetzung  beim  Uebergang  verdankte  er 
jedenfalls  dem  mächtigen  Einfluss  Muhammed  Ali’s.  In  Konstan- 
tinopel befand  sich  seit  beinahe  10  Jahren  der  dunkelfarbige  Abd 
öl-Muttälib,  in  dem  die  Art  seines  Ahnen  Zeid  nicht  weniger  frisch 
wieder  auflebte,  als  sie  sich  in  Sa'd , Sa'id , Mas'üd  und  zuletzt  in 
seinem  Vater  Ghälib  ausgeprägt  hatte.  Ihm  hatte  der  Sultan  Mah- 
mud die  Erbschaft  seiner  Väter  versprochen , sobald  der  Krieg  mit 
dem  rebellischen  Vicekönig  von  Egypten  beendet  sein  werde;  höchst 
wahrscheinlich  war  er  denn  auch  den  Schwierigkeiten  nicht  fremd, 
welche  die  Harbstämme  dem  Muhammed  Ali  bereiteten.  Mabmüd 
hat  jedoch  die  Rückerstattung  des  Hidjäz  nicht  selbst  erlebt,  und 
sein  Nachfolger  hat  sich  wahrscheinlich  durch  Muhammed  Ali  zur 
Enttäuschung  der  DewI  Zeid  bestimmen  lassen;  so  blieb  Muham- 
med auch  unter  dem  neuen  Herrn  Grossscherif  von  Mekka  und 
Emir  des  eigenthümlichen  Gebietes,  dessen  Grenzen  fast  täglichem 
Wechsel  unterliegen. 

Seit  der  Niederwerfung  der  Wahhabiten  war  der  Vicekönig  von  Egyp- 
ten in  Mekka  immer  durch  einen  Pascha  vertreten,  der  den  Titel  Mu- 
häfiz  Makka/t,  »Bewacher  Mekka’s”  führte.  Die  Othmanen  schickten 
in  altherkömmlicher  Weise  einen  »Wäll  von  Djiddah”,  zugleich 


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»Schech  al-Haram”,  wie  wir  diese  Residenten  oben  in  sehr  verschie- 
denen Macht  Verhältnissen  kennen  gelernt  haben.  Natürlich  liess  man 
die  Anordnung  der  frommen  Stiftungen , die  übrigens  nur  in  Egypten 
administriert  werden  konnten,  unverändert. 

Obgleich  die  'Abädilah  friedlicheren  Sinnes  sind  als  die  DewT 
Zeid , so  ist  doch  die  Einigkeit  zwischen  einem  seiner  Würde  be- 
wussten Grossscherif  und  dem  »Residenten”,  der  ja  schliesslich  das 
allerhöchste  Misstrauen  gegen  den  Fürsten  leibhaft  darstellt,  ein 
Ding  der  Unmöglichkeit.  Beide  Mächte  müssen  mit  einander  in 
Streit  gerathen,  sofern  sich’s  nicht  eine  gefallen  lässt,  im  Schat- 
ten der  andern  zu  schlafen.  Bereits  1844  fingen  die  Misshelligkei- 
ten zwischen  Muhammed  ibn  'Aun  und  dem  Wäll  von  Djiddah  an. 
Die  angeblichen  Gründe  solchen  Streites  sind  immer  unerheblich; 
dass  einige  vom  Scherif  eingesetzte  Emire  zuviel  von  der  zu  erhe- 
benden Zakät  für  sich  behielten,  wäre  in  den  dortigen  Verhält- 
nissen ein  lächerlicher  Grund  zur  Entzweiung.  Ausser  persönlicher 
Verstimmung  mag  aber  das  Treiben  des  Abd  el-Multalib  von  Kon- 
stantinopel aus  mit  hineingespielt  haben  , denn  es  kann  kaum  zufällig 
sein,  dass  die  Zerwürfnisse  in  Mekka  mit  dem  Umschwung  der 
Gesinnung  der  Pforte  zu  Gunsten  der  DewI  Zeid  zusammentrafeu. 
Uebrigens  bat  der  Pascha  die  Regierung,  den  Ali  ibn  Ghälib,  den 
Bruder  Abd  el-Muttälibs  zu  schicken,  scheinbar  aus  gleichgültigen 
Gründen,  wie  aber  Muhammed  ibn  cAun  mit  Recht  glaubte, 
thatsächlich  zur  Vorbereitung  neuer  Dinge.  Muhammed  schrieb 
über  diese  Angelegenheit  seinem  alten  Freunde,  dem  Vieekönig 
von  Egypten ; vielleicht  könne  der  diesen  Streich  hintertreiben , da 
Ali  über  Egypten  reisen  musste.  Muhammed  Ali’s  Liebenswürdig- 
keit versagte  nicht;  er  empfing  Ali  mit  grossen  Ehren;  sein  Gast 
erkrankte  aber  plötzlich  und  starb  (1845).  Der  Grossscherif  war  un- 
terdessen nach  el-Mub'üth , nördlich  von  TSif,  ausgezogen,  wo 
ihn  eine  Truppenabtheilung  des  in  Djiddah  befindlichen  Wäli’s 
beobachtete.  Muhammed  Ali  erwirkte  nun  aber  auch  noch  die  Ab- 
setzung dieses  ersten  Residenten  neuen  Bestandes;  derselbe  nahm 
sich  aus  gekränktem  Ehrgeiz  das  Leben.  Sein  Nachfolger  kam  bes- 
ser mit  Muhammed  aus.  1S46  zog  der  Grossscherif  im  Auftrag 


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der  Pforte  gegen  den  Wahhabitenfürsten  Faigäl  in  er-Rijädh , das 
die  Stelle  des  verfallenen  Dar'ijjah  eingenommen  hatte,  weil  dieser 
wieder  zu  viel  Einfluss  gewann.  Der  Nachkomme  Sa'üds  war  froh, 
sich  gegen  Leistung  einer  jährlichen  Abgabe  von  10000  Dollars 
die  Expedition  vom  Leibe  zu  halten;  bis  zum  Tode  Fanals  (1865) 
scheint  die  Zahlung  regelmässig  stattgefunden  zu  haben.  Auch  nach 
anderen  Richtungen  trat  Muhammed  thätig  auf : mit  den  'Aslr-stäm- 
men  schloss  er  nach  einigen  Gefechten  einen  Vertrag  ab,  der  die 
Grenzen  der  beiderseitigen  Gebiete  festsetzte;  auch  für  solche 
Dinge  brauchen  die  Türken  einen  Scherif,  denn  ihre  eigene  Bu- 
reaukratie  würde  einen  formellen  Verzicht  auf  jene  niemals  beherrsch- 
ten und  völlig  werthlosen  Gebiete  für  unzulässig  erklären.  Der  viel 
später  erfolgten  Wiedereroberung  Jemens  durch  die  Othmanen  ar- 
beitete Mubammed  ibn  'Aun  dadurch  vor , dass  er  Hudedah , Mochä , 
Zebld  und  Bet  el-faqlh  einem  dort  emporgekommenen  Scherif  ent- 
riss, und  in  Qan'ä  einen  ihm  ergebenen  Abkömmling  der  dortigen 
Imäme  gewaltsam  an  die  Stelle  des  regierenden  setzte.  Dieser  Ge- 
legenheits-imäm  wurde  allerdings  bald  nach  dem  Abzüge  seines 
Schutzherrn  ermordet. 

Während  der  langen  Abwesenheit  des  Scherifs  hatte  der  Pa- 
scha *)  (der  dritte  seit  dem  Ende  der  egyptischen  Verwaltung) 
verschiedentlich  versucht,  eine  neue  Verwaltung  der  sogenann- 
ten /'Sultansstiftungen”  ( Auqäf  sullänijjah)  einzuführen.  Wir  ha- 
ben schon  öfter  die  Geschichte  aller  frommen  Stiftungen  in 
Mekka  angedeutet;  die  meisten  werthvollen  Häuser  sind  hier  zu 
irgend  einer  Zeit  behufs  einer  Stiftung  angekauft  und  auf  ewige 
Zeiten  unveräusserlich  zu  einem  guten  Zwecke  bestimmt  worden , 
dann  aber  allmählich  von  einer  Hand  in  die  andere  so  überge- 
gangen, dass  ihnen  nur  noch  der  Name  des  Waqf  blieb.  Der 
Name  genügt  aber,  um  zu  verhindern,  dass  ein  gesetzlich  gültiger 
Verkauf  solcher  Häuser  stattfinde,  trotzdem  die  Veräusserung  in 


1)  AD  giebt  dio  Namen  aller  dieser  Würdenträger  sowie  die  Dauer  ihrer  Verwaltung 
an;  im  Rahmen  unserer  übersichtlichen  Darstellung  ist  für  dioso  Angaben  kein  Raum, 
zumal  die  überwiegende  Mohrzahl  bloss  in  verschiedener  Mischung  die  allbekannten  Eigen- 
schaften türkischer  Verwaltungsbeambten  zeigt. 


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der  gegebenen  Lage  praktisch  nothwendig  werden  kann.  Beiden 
streitigen  Anforderungen  gerecht  zu  werden , umgeht  man  das  Ge- 
setz durch  Bezeichnung  dieser  Kaufverträge  mit  einem  eigens  dazu 
erfundenen  Namen:  Faräghah , »Ueberlassung”  gegen  einen  Werth- 
betrag nennt  man  sie,  und  der  Käufer  wird  nicht  « Eigen  tliii  euer”, 
weil  ein  Waqf  nicht  Gegenstand  des  Eigenthums  sein  kann , son- 
dern er  »legt  die  Hand”  auf  eine  derartige  Wohnung l).  So  unge- 
setzlich nun  auch  ursprünglich  die  Veräusserung  dieser  Häuser  war, 
so  lässt  sich  doch  nicht  leugnen,  dass  wer  jetzt  gegen  einen  ent- 
sprechenden Preis  »die  Hand  auf  eine  Waqf-wohnung  gelegt  hat” 
dadurch  nach  geltendem  Gesetze  ein  Recht  erworben  hat.  Jeden- 
falls geht  es  nicht  an,  die  unter  dem  Schutze  der  Behörden  zu 
Stande  gekommen  Faräghah' 's  auf  einmal  für  ungültig  zu  erklä- 
ren; für  einen  Gouverneur,  der  so  etwas  unternehmen  will,  han- 
delt es  sich  selbstverständlich  um  die  freie  Verfügung  über  grosse 
Einkünfte,  nicht  um  eigentliche  Wiederherstellung  der  alten  Auqaf. 
Der  Pascha  versuchte,  die  grössten  Gelehrten  für  seine  Nichtig- 
erklärung zu  gewinnen , und  setzte  sogar  den  sich  beharrlich  wei- 
gernden hanafitischen  Mufti  ab.  Schliesslich  ging  aber  heimlich  eine 
Gesandtschaft  von  Gegnern  des  Wäll’s  nach  Konstantinopel,  und 
1849  erfolgte  dessen  Absetzung.  Sein  Nachfolger  bekam  vom 
Grosswezir  Reschld  Pascha  bald  den  Auftrag,  die  'Abädilah  bei 
Seite  zu  schieben. 

Es  war  dem  scldauen  Abd  el-Muttälib  gelungen,  jenen  höchsten 
Würdenträger  zu  seinem  persönlichen  Freunde  zu  machen ; gegen 
die  wahren  Interessen  der  Türkei  hat  der  Minister  das  Haupt  der 
DewT  Zeid  treulich  unterstützt.  Anfang  1851  kamen  die  beiden 
Söhne  Muhammeds,  Abdallah  und  Ali,  dem  Wunsche  des  Wäll’s 
gemäss  nach  Djiddah  zur  Besprechung  einiger  Geschäftssachen.  Die 
Einladung  war  eine  List,  der  Söhne  habhaft  zu  werden  und  so 

1)  Durch  ein  ähnliches  Mittel  ermöglicht  man  bekanntlich  den  Verkauf  solcher  Gegen« 
stünde,  die  wegen  ihrer  unreinen  oder  verbotenen  Natur  nicht  gesetzlich  verkauft  werden 
können.  Hunde,  Schweine,  Wein,  Musikinstrumente  können  nicht  „verkauft”  werden, 
sondern  oino  Partei  „zieht  die  Hand  davon  ab”  gegen  eine  Leistung  von  der  anderen 
Partei,  welche  „die  Hand  darauflegt”  ond  kein  „Eigenthum”  (tikL«) , sondern  oino  „be- 
sondere Beziehung”  zum  Gegenstände  erwirbt. 


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dem  Vater  die  Thür  des  Widerspruchs  zu  verschliessen.  Einer  von 
den  DewI  Zeid  hätte  dennoch  dem  Gebot,  über  Djiddah  nacli 
Konstantinopel  zu  reisen , feindliche  Maassregeln  entgegengesetzt : 
die  ‘Abädilah  verwerteten  ihre  Erfahrung  besser;  Muhammed  ging 
ohne  Widerspruch  und  übergab  das  Scherifat  dem  zum  vorläufigen 
Stellvertreter  Abd  el-Muttalib’s  eingesetzten  Manfttr  ibn  Jahja, 
einem  Sohne  des  von  Muhammed  Ali  zuerst  angestellten  Grosssche- 
rifs.  Als  Abd  el-Muttalib  (1851 — 56)  selbst  angekommen  war, 
zeigten  seine  Thaten  gleich , wie  gering  er  die  Vormünde  schätzte , 
denen  er  in  Konstantinopel,  solange  es  nöthig  war,  geschmeichelt 
hatte.  Er  reiste  in  das  Harb-land  und  erbaute  sich  in  diesem  vor 
Eingriffen  der  Regierung  am  besten  gesicherten  Gebiete  einige 
Festungen , welche  bei  einem  eventuellen  Konflikt  als  Rückhalt 
dienen  konnten ; mit  dem  Pascha , der  seine  Regierung  vorbereitet 
hatte,  überwarf  er  sich  gleich  und  bekam  auf  seine  Bitte  durch 
den  Einfluss  des  Grosswezirs  einen  andern  zugeschickt.  Mit  dem 
neuen  war  die  Freundschaft  ebenfalls  bald  zu  Ende , und  als  einmal 
auf  den  Pascha  aus  Methnä,  wo  der  Scherif  eine  Sommerfrische 
hatte,  einige  Flintenschüsse  abgefeuert  wurden,  von  denen  einer 
seinen  Fez  durchbohrte,  konnte  dieser  nicht  an  Zufall  denken. 
Wieder  wurde  der  Gouverneur  durch  einen  andern  ersetzt , der  aber 
gleich  bei  Abd  el-Muttalib  in  Verdacht  gerieth,  mit  seiner  Gefan- 
gennahme beauftragt  zu  sein ; unmöglich  ist  es  nicht , dass  die 
Freunde  des  Scherifs  Recht  hatten , als  sie  ihn  bei  einer  Wafl'en- 
übung , der  er  mit  dem  Pascha  zuschaute , warnten , das  ganze  Spiel 
sei  nur  dazu  veranstaltet,  ihn  unvorbereitet  festzunehmen.  Unbe- 
merkt wusste  sich  der  Scherif  zu  entfernen  , und  ritt  nun  eilends 
nach  Täif,  wo  er  sich  zur  Abwehr  aller  Eingriffe  von  Seiten  tür- 
kischer Behörden  vorbereitete. 

Wir  kennen  ja  die  Theorie,  mit  der  solches  Benehmen  ent- 
schuldigt wurde:  die  Treue  gegen  den  Sultan  schliesst  die  Be- 
kämpfung seiner  schlechten  Diener  nicht  aus.  Auf  einen  Eil- 

bericht  des  nach  Djiddah  gereisten  Wäll’s  kam  Oktober  1855 

ein  ausserordentlicher  Bevollmächtigter  der  Pforte  dorthin,  die 
Wiedereinsetzung  des  verdrängten  Muhammed  ibn  ‘Aun  durch- 


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zusetzen.  Mit  unüberwindlicher  Standhaftigkeit  weigerte  sich  AlxI 
el-Muttälib  auch  jetzt,  die  Echtheit  des  hohen  Befehls  anzuerken- 
nen ; er  wüthete  vielmehr  in  Täif  gegen  vornehme  Anhänger  seines 
Konkurrenten.  'Aqll,  der  unter  der  Regierung  Muharnmeds  Scheck, 
der  SejjiiT s J)  gewesen  war  und  zu  den  treuesten  Freunden  seines 
Gönners  zählte,  hatte  zwar  Abd  el-MuUülib  bei  seiner  Ankunft  mit 
einem  Gedichte  begrüsst,  aber  dadurch  dessen  Misstrauen  nicht 
entkräftet.  Da  der  Scherif  nun  seine  Hand  in  den  Beschlüssen  der 
Pforte  zu  erkennen  glaubte,  liess  er  ihn  bei  Nacht  auf  heben  und 
in  seinen  Kerker  werfen , wo  er  nach  zwei  Tagen  ....  starb  j seine 
Freunde  behaupteten,  ihm  seien  die  Testikeln  zerdrückt  worden. 
Bevor  nun  der  Bevollmächtigte  der  Pforte  zum  Handeln  schreiten 
konnte , ereignete  sich  in  Mekka  ein  Zwischenfall , den  ich  an  einem 
andern  Orte  bereits  mit  den  eigenen  Worten  des  jüngsten  mek- 
kanischen  Chronisten  mitgetheilt  habe  *).  Ein  durch  thörichte 
Einmischung  der  europäischen  Diplomatie  veranlasster  Befehl  zur 
Einstellung  des  Sklavenhandels  war  kurz  zuvor  nach  Djiddah  ge- 
kommen; demzufolge  wies  der  Wäll  seinen  Stellvertreter  in  Mekka 
an,  alle  Sklavenhändler  zusammenzurufen  und  ihnen  den  //Willen 
des  Sultans”  mitzutheilen.  Man  kann  sich  denken,  dass  in  der 
heiligen  Stadt  eine  so  rücksichtslose,  nicht  bloss  gegen  das  Her- 
kommen. sondern  gegen  das  göttliche  Gesetz  verstossende  Maassregel 
nicht  gütlich  aufgenommen  wurde.  In  einem  schrecklichen  Aufruhr 
wurden  viele  türkische  Soldaten  und  Beamten  gelödtet;  Gelehrte 
und  Vornehme  stimmten  diesmal  dem  Pöbel  bei.  Von  den  in  Mekka 
anwesenden  Scherifen  waren  die  einflussreichsten  der  Stellvertreter 
und  Neffe  Abd  el-Muttälib's , Mangür  ibn  Jaljja  ibn  Serür,  und  der 
zum  vorläufigen  Vertreter  des  neuen  Grossscherifs  bestimmte  Ab- 
dallah ibn  Nä9ir  ’) ; beide  thaten  ihr  Möglichstes , die  Gemüther 
zu  beruhigen,  und  zogen  dann,  um  jedem  Verdachte  der  Bethei- 

1)  Die  Sejjid’s  d.  h.  hier  die  Abkömmlinge  Husains,  deren  Genealogie  sicher  steht, 
bilden  eine  eigene  Korporation  in  Mekka,  unter  einem  Haupte,  das  früher  von  den  Mit- 
gliedern selbst  gewählt  und  von  den  Behörden  nur  bestätigt  wurde,  jetst  aber,  seit  der 
zunehmenden  Centralisierung  der  Gewalt,  von  dem  Scherif  und  dom  Will  oder  von  dem 
mächtigsten  von  Beiden  scino  Anstellung  erhält. 

2)  Bijdragen  van  het  Kon.  Nod.  Ind  Instituut,  5e  Volgroeks,  Deel  II:  376  ff.,  396  ff. 

3)  D.  h.  Abdallah  ibn  Nayir  ibn  Fawwäz  ibn  Jan  (Stammt  III,  41). 


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ligung  zu  entgehen , nach  Djiddah.  Das  alte  Haupt  der  Dewi  Zeid 
aber  ergriff  freudig  die  Gelegenheit,  die  Türken  als  Uebertreter 
des  Gesetzes , sich  selbst  dagegen  als  den  Vertheidiger  des  Heiligen 
darzustellen ; er  kam  mit  einigen  Scherifen  und  Beduinenschechen 
nach  Mekka  und  zog  der  Kriegsmacht  der  ‘Abädilah  und  Türken 
bis  Bahrah  auf  dem  Wege  nach  Djiddah  entgegen.  Die  gewöhn- 
lichen Mittel  thaten  aber  die  gewohnte  Wirkung;  viele  Beduinen 
Hessen  sich  herüberziehen,  sodass  der  Alte  den  ungleichen  Kampf 
aufgeben  musste.  Unter  solchen  Umständen  wäre  nun  Einer  von 
den  ‘Abädilah  nach  Konstantinopel  gereist;  Abd  el-Muttälib  ver- 
sprach, der  Tradition  der  Dewi  Zeid  gemäss,  über  Land  dorthin 
zu  reisen,  zog  jedoch  nach  Täif,  vertrieb  die  dort  liegenden  tür- 
kischen Truppen  und  brachte  in  grösster  Eile  wieder  »Hunde” 
und  Jäger  zusammen.  Zwischen  Januar  und  April  1856  schickte 
er  dreimal  Truppen  gegen  Mekka.  Als  aber  im  April  Muhammed 
ibn  'Aun  in  Djiddah  an  kam , waren  die  Belagerer  schon  wieder 
zurückgeschlagen  und  konnte  man  gleich  gegen  Täif  Vorgehen.  Hier 
spielte  sich  ganz  die  gleiche  Geschichte  ab,  die  1827  von  den  näm- 
lichen Schauspielern  am  selben  Orte  aufgeführt  war;  bloss  der 
Ausgang  war  verschieden.  Der  alte  Sohn  Ghälibs  Hess  auch  diesmal 
kein  Mittel  des  Zwangs  und  der  Ueberredung  unversucht,  seine 
sehr  in  die  Enge  getriebenen  Leute  zusammenzuhalten;  endlich 
öffneten  aber  seine  Anhänger  dem  Sieger  die  Thore  der  Stadt  und 
wurde  er  selbst  gefangen.  Nach  dem  ursprünglichen  Plane  sollte 
er  jetzt  nach  Saloniki  geführt  werden,  um  dort,  wie  früher  sein 
Vater,  den  Rest  seiner  Tage  zu  verbringen-  dem  Einfluss  seines 
alten  Freundes  Reschid  Pascha  verdankte  er  die  Erlaubniss,  wie 
nach  seiner  ersten  Besiegung  in  Konstantinopel  zu  wohnen.  Na- 
türlich öffnete  diese  Liebenswürdigkeit  dem  Grossscherif  den  Weg 
zu  neuen  Intriguen , denn  bei  Abd  el-Muttälib  nahm  ganz  wie  bei 
seinem  Urgrossvater  Sa‘d , die  Kampflust  nach  jeder  neuen  Wunde  zu. 

Muhammed  ibn  ‘Aun  war  zu  alt,  in  seinem  zweiten  Scherifat 
(1856 — 58)  noch  Bedeutendes  zu  leisten ; sein  zweiter  Sohn  Ali  und 
sein  Neffe  Abdallah  ibn  Nä9ir  führten  faktisch  die  Geschäfte.  Aus 
der  Geschichte  des  Scherifats  hat  die  Pforte  wenigstens  diese  Lehre 


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entnommen,  dass  man  Präteudenten  und  muthmnassliclie  Thron- 
folger am  besten  in  Konstantinopel  oder  jedenfalls  in  der  Türkei 
behalt.  Ein  rühriges  Haupt  der  Dewi  Zeid  wahrend  der  Regierung 
eines  von  den  ‘Abädiiah  im  llidjäz  zu  lassen , heisst  zwei  Kampf- 
hähne in  einen  Käfig  einschliessen.  Auch  der  Sohn  oder  der  Bruder 
des  Fürsten , der  in  weniger  bewegten  Zeiten  das  Scherifat  als  seine 
Erbschaft  betrachten  darf,  kann  unter  Umständen  in  Mekka  durch 
seine  Ungeduld  dem  Herrscher  Schwierigkeiten  bereiten.  Wahr- 
scheinlich gehörte  diese  Erwägung  zu  den  Gründen , aus  denen  der 
Sultan  den  ältesten  Sohn  Muhatnraeds,  Abdallah,  der  schon  wäh- 
rend des  ersten  Scherifats  des  Vaters  zeitweise  dessen  Stellvertreter 
gewesen  war,  diesmal  in  Konstantinopel  zurückhielt  und  jenem  den 
jüngeren,  Ali,  nach  Mekka  mitgab.  Ali  übernahm  einstweilen  die 
Führung  des  Scherifats,  als  sein  Vater  im  März  1858  verschied; 
die  bedauernswerthen  Ereignisse,  die  am  15  Juni  dieses  Jahres  in 
Djiddah  stattfanden , gaben  der  Pforte  Anlass , Abdallah's  Absen- 
dung noch  bis  zum  Oktober  zu  verschieben.  In  meinem  oben  ci- 
tierten  Aufsatze  *)  habe  ich  die  in  Europa  bekannten  Berichte  über 
den  Christenmord  in  Djiddah , dessen  Ursachen  und  Folgen , mit 
den  Angaben  eines  zeitgenössischen  arabischen  Chronisten  ergänzt. 
Das  Bombardement  des  Hafens  wäre  vielleicht  nicht  erforderlich 
gewesen  zur  Erlangung  der  Genugthuung,  die  kurz  darauf  in  der 
Form  der  Entsendung  eines  aus  Europäern  und  Türken  zusammen- 
gesetzten Richterkollegiums  mit  ziemlich  unbeschränkten  Vollmachten 
erfolgte:  immerhin  ist  der  Eindruck,  den  diese  Machtentfaltung 
der  Franken  hervorrief,  trotz  dem  dadurch  verschärften  Frankenhass, 
nicht  ohne  Nutzen  gewesen.  Beim  arabischen  Pöbel  scheint  nun 
einmal  jeder  Belehrung  eine  gründliche  Einschüchterung  vorangeheu 
zu  müssen.  Es  bleibt  aber  Schade,  dass  Schiesspulver  und  Alkohol, 
rohe  Gewalt  und  Trunksucht  neben  theils  heuchlerischer,  theils 
dummer  Antisklavereipolitik  für  die  Orientalen  im  grossen  Ganzen 
die  augenfälligen  Merkmale  europäischer  Kultur  bilden.  Allah  al- 
mutla'äu  l 


1)  Bijdragen  v»u  hot  Kon.  Nod.  lud.  Instituut,  60  Volgrocks,  l)ool  II:  381  IT.,  399  IT. 

22 


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170 


Der  feingebildete  arabische  Edelmann  Abdallah  ’)  (1858 — 77) 
trat  die  Regierung  erst  an,  nachdem  den  europäischen  Anforderun- 
gen durch  den  Tod  der  Hauptschuldigen  (?)  Gerechtigkeit  wider- 
fahren war.  In  seiner  Jugend  war  er  lange  genug  in  Arabien,  um 
seine  geistige  Konstitution  vor  dem  Einfluss  der  türkischen  Fäul- 
niss  zu  schützen;  in  formellen  Dingen  war  ihm  die  fremdem  We- 
sen gegenüber  gefügigere  Natur  eigen,  durch  welche  sich  die 
'Abädilah  von  den  DewI  Zeid  unterscheiden ; etwas  Weltklugheit 
hatte  er  auch  in  Konstantinopel  gelernt.  Ziemlich  ruhig  war  wäh- 
rend seines  20jährigen  Scherifats  das  heilige  Land,  wozu  vielleicht 
einige  Aufsehen  erregende  Vorgänge  in  dessen  Nähe  das  Ihrige 
beitrugen.  Die  Eröffnung  des  Sueskanals  wurde  von  den  Bewoh- 
nern Westarabiens  als  ein  Unglück  betrachtet;  man  erinnerte  an 
die  Erzählung,  dass  schon  Ilärün  ar-Itaschld  den  Plan  dazu  ge- 
fasst hatte,  sich  aber  von  seinem  Grosswezir  davon  abhalten  liess, 
damit  nicht  den  Christen  der  Zutritt  zu  den  muslimischen  Häfen 
allzusehr  erleichtert  werde.  Thatsächlich  hat  aber  das  grosse  Werk 
für  dieses  Land  noch  mehr  Bedeutung  dadurch , dass  die  Othma- 
nen  jetzt  viel  schneller  und  wirksamer  in  das  politische  Leben  des 
Hidjäz  eingreifen  können.  Als  vor  einigen  Jahren  Djiddah  ausser- 
dem telegraphisch  mit  der  übrigen  Welt  verbunden  und  bald  dar- 
auf der  //Draht”  bis  nach  Mekka  und  Täif  durchgeführt  wurde, 
zeigte  sich  diese  politische  Bedeutung  des  Sueskanals  noch  klarer. 
Was  nützte  es  früher,  ob  die  Pforte  nach  dem  Eintreffen  von  Be- 
richten über  Kämpfe  zwischen  den  Scherifen  einen  der  Sachlage 
möglichst  angemessenen  Entschluss  fasste?  Bevor  die  Befehle  des 
Sultans,  geschweige  seine  Truppen,  Mekka  erreichten,  war  viel- 
leicht der  von  ihm  eingesetzte  oder  anerkannte  Scherif  schon  un- 
möglich geworden.  So  musste  sehr  viel  dem  jeweiligen  Wäll  über- 
lassen bleiben , was  bei  dem  steten  Wechsel  dieser  Würdenträger 
und  ihrer  manchmal  recht  gründlichen  Unfähigkeit  dem  Eigensinn 
der  Scherife  grossen  Spielraum  gewährte.  Heutzutage  tritt  ein  ener- 
gischer Wäll  einem  böswilligen  Grossscherif  gleich  mit  der  Drohung 


1)  Stammt.  111,  63. 


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entgegen , er  werde  telegraphisch  mit  Angabe  der  Gründe  seine 
Entlassung  nachsuchen.  Schon  zur  Zeit  Abdallahs  machte  sich  der 
Anfang  der  neuen  Aera  den  Küstenländern  bemerkbar.  Die  Rück- 
eroberung Jemens  durch  die  Türken  (1872),  wobei  die  letzten 
Reste  der  Macht  der  Imäme  von  Qan'a  vernichtet  wurden,  musste 
bei  den  Nachbarn  den  Gedanken  erregen,  das  Sultanat  des  Is- 
lam’s  habe  wieder  einmal  das  Bewusstsein  seiner  Grösse  und  sei- 
ner Pflichten  bekommen.  Diesem  Eindruck  that  der  russisch-türki- 
sche Krieg  nur  wenig  Abbruch , denn  die  Bevölkerung  glaubt 
hier  Keinem,  der  von  den  Niederlagen  der  »Meere  Gottes”  berich- 
tet. ln  Mekka  betete  man  für  den  Sieg  der  muslimischen  Waffen, 
Sammlungen  für  die  Kriegskasse  fanden  statt  (die  bösen  Zungen 
sagten  freilich , die  einsammclnden  Beamten  verwechselten  häufig 
diese  Kasse  mit  ihrer  eignen  Tasche),  und  endlich  hörte  man , der 
Sultan  habe  geruht,  mit  dem  rebellischen  Russen  Frieden  zu  sehlies- 
sen.  Von  der  Naivetät  der  gebildeten  Mekkaner  kann  man  sich  aus 
Folgendem  eine  Vorstellung  bilden : Der  Grossscherif  Abdallah  wollte 
seine  Anhänglichkeit  an  den  Schutzherrn  dadurch  beweisen , dass 
er  den  Mekkanern  Gelegenheit  zur  Watfenübung  gab.  Unter  grosser 
Betheiligung  von  Knaben,  Männern  und  altersschwachen  Greisen 
fand  der  Unterricht  statt.  Einige  Bedenken  scheint  die  praktische 
Brauchbarkeit  dieser  improvisierten  Armee  wohl  bei  den  Kriegs- 
leuten selbst  erregt  zu  haben;  man  begründete  aber  die  Nützlich- 
keit der  Maassregel  damit , dass  den  Russen  ein  heilsamer  Schrecken 
eingeflösst  werde,  und  allgemein  erzählt  man  in  Mekka  von  dem 
schauderhaften  Eindruck , den  die  Bewaffnung  der  heiligen  Stadt 
in  ganz  Europa  hervorgerufen  hat! 

1869  bekamen  Mekka,  Medina,  Djiddah  und  T’äif  ihren  Antheil 
an  dem  aus  Notabilitäten  der  Städte  und  Beamten  zusammenge- 
setzten Räthen  und  Höfen , mit  denen  die  moderne  türkische  Bu- 
reaukratie  ihre  Unterthanen  beglückt  hat.  Ein  Medjlti  al-ldärah 
soll  etwa  wie  ein  Gemeinderath  fungieren,  ein  Medjlw  at-Tamjiz 
ist  mit  einem  Theile  der  Rechtspflege  beauftragt,  ein  Medjlis  at- 
Tidjärah  hat  (bloss  in  Djiddah)  sich  mit  für  den  Handel  wichtigen 
Fragen  zu  beschäftigen;  in  Wirklichkeit  blühen  diese  Institute  un- 


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172 


gefiihr  ebenso  schön  wie  das  Getreide  in  dem  Steinboden  Mekka’s, 
aber  die  türkische  Verwaltung  hat  die  Kunst  erlernt,  Alles,  Geld 
und  Reformen,  aus  reinem  Papier  anzufertigen.  Im  Jahrbuch  des 
Hidjäz  werden  die  wohllöblichen  Mitglieder  der  Räthe  aufgeführt; 
die  Städter  wissen  jedoch,  dass  nur  die  hohen  Beamten  und  per- 
sönlich einflussreichen  Einheimischen  etwas  ausrichten , einerlei  ob 
sie  im  Medjli»  sitzen  oder  draussen.  Viele  Mekkaner  haben  sogar 
bis  zum  heutigen  Tag  von  dem  Dasein  der  Medjälw  nicht  das  Ge- 
ringste erfahren. 

Alles  in  Allem  hatte  der  Scherif  Abdallah  eine  sehr  günstige 
Zeit,  den  edlen  Herrn  zu  spielen.  Altmekkanische  Bürger,  die 
selbst  dergleichen  Erfahrungen  gemacht  hatten , erzählten  mir  von 
gewissen  Kniffen  des  Fürsten  zur  Vergrösserung  seines  Besitzes. 
Wo  verschiedene  Mitglieder  einer  Familie  zusammen  die  Einkünfte 
einer  Stiftung  zu  theilen  hatten,  wusste  Abdallah  diesem  und  jenem 
klar  zu  machen,  die  anderen  nähmen  zu  viel,  und  so  Familien- 
prozesse zu  veranlassen , die  man  ihm  unterbreitete.  Diese  pflegten 
sich  sehr  in  die  Länge  zu  ziehen  und  das  Endresultat  war  immer, 
dass  ein  bedeutender  Theil  des  umstrittenen  Besitzes  während  des 
Streites  an  den  Scherif  übergegangen  war.  Solche  Opfer  brachten 
die  Leute  aber,  wenngleich  aus  Dummheit,  immerhin  freiwillig; 
später  schüttelten  sie  die  Köpfe  über  die  »Politik  unseres  Herrn”, 
stimmten  aber  dennoch  dem  allgemeinen  Lobe  über  seine  Person 
durchaus  bei.  Dieses  Lob  spendet  die  ganze  Bevölkerung  des  Hidjäz 
in  erster  Linie  seiner  Gerechtigkeit,  Mässigung  und  kraftvollen 
Würde  im  Verkehr  mit  den  ihm  untergebenen  Beduinen  und  Dörflern. 
Ihn  fürchtete,  wer  ein  böses  Gewissen  hatte;  seinem  Richterspruch 
fügten  sich  freiwillig  die  unbändigen  Wüstensöhne.  Auch  durch 
Tapferkeit  zeichnete  er  sich  aus.  Wiederholt  machten  ihm  die  ‘Aslr- 
stärnme  zu  schaffen;  1864  kamen  nach  einer  mit  dem  Sultan  ge- 
troffenen Verabredung  Truppen  aus  Egypten,  Abdallah  bei  der 
Zurückdrängung  der  cAsIr  über  die  alten  Grenzen  behiilflich  zu 
sein ; da  aber  der  Vicekönig  IsmäM  Pascha  die  Soldaten  allzubald 
zurückverlangte , musste  Abdallah  schliesslich  mit  den  Rebellen 
einen  unbefriedigenden  Vertrag  schliessen.  1868  unternahm  er  auf 


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178 


eigene  Faust  Razzia’s  gen  Osten,  und  18Gü  zog  er  aufs  Neue  gegen 
die  ‘Aslr,  die  in  den  südlichen  Theilen  des  Scherifats  und  in  den 
Häfen  Hudedah  und  Mochä  roh  wirtschafteten.  Im  folgenden  Jahre 
kam  eine  türkische  lleeresabtheilung,  die  von  Abdallah  angefangene 
Eroberung  zu  vollenden , und  dieser  Expedition  schliesst  sich  die 
Unterwerfung  Jemens  an  Anlässlich  des  Todes  Abdallahs  (st.  1877 
in  Täif)  machte  der  seitdem  verstorbene  Beduinendichter  BedewT 
ein  Trauergedicht,  von  dem  ich  eine  schöne  Kopie  besitze.  Solche 
Gedichte  werden  jedem  hinscheidenden  Fürsten  nachgesungen,  jeder 
Neue  wird  mit  Versen  bewillkommnet;  von  Unzähligen  habe  ich 
aber  gehört,  dass  es  diesmal  keine  inhaltsleere  Form  war1). 

Regelrecht  wie  vor  20  Jahren  fand  auch  jetzt  die  Thronfolge  statt; 
Abdallah's  ältester  Bruder  Huscin  war  natürlich  in  Konstantinopel, 
wo  man  diese  Kandidaten  mit  Pascha-  und  VVezirtiteln  ausstattet 
und  zu  Mitgliedern  des  Hofrathes  ( Medjlis  es-schöra)  *)  ernennt. 
Vorläufig  wurde  also  das  Emirat  dem  als  weniger  gefährlich  in 
Mekka  lebenden  jüngeren  cAun  er-Rafiq  übertragen,  der  aber 
gleich  nach  der  Ankunft  Uuseins  (1877 — 80)  zum  Sultan  reisen 
musste.  Unter  der  Regierung  Huseins  kamen  mehrere  europäische 
Reisende  nach  Täif.  Der  sanftmüthige,  vielleicht  nicht  immer  ge- 
nügend energische  Scherif  wurde  in  gewissen  Kreisen  europäischer 
Sympathien  verdächtig;  doch  war  er  beliebt  und  scheint  der  Grund 
zu  seiner  allgemein  tief  bedauerten  Ermordung  anderswo  gesucht 
werden  zu  müssen  Hat  reiner  Wahnsinn  den  Dolch  des  elenden 
Afghanen  gelenkt,  der  den  Fürsten,  als  er  Djiddah  besuchen 
wollte,  bei  seinem  Einzuge  erstach?  Weil  von  persönlicher  Rache 
nicht  die  Rede  sein  kann , bleibt  sonst  nur  die  Möglichkeit , dass 
Andere  zur  Erreichung  ihrer  Zwecke  den  modernen  Assassinen  ge- 
miethet  haben.  Gleich  nach  seinem  Tode  wurde,  mit  Abweichung 
von  der  jetzt  schon  »herkömmlichen”  Nachfolge  der  cAbädilah , aus 
Konstantinopel  der  Greis  aus  dem  Hause  der  DewI  Zeid  geschickt, 
auf  den  man  mit  Recht  das  arabische  Sprichwort  anwenden  kann: 


1)  Vergl.  das  Gedicht  im  Anhang;  auch  Ch.  Dougbty  (Travels  in  Arabia  Desorta)  hörte 
dom  regierendem  Schorif  Huscin  Gutes  n&chrühmeu,  jedoch  hinzufügon:  so  wie  Abdallah 
war,  ist  er  nicht.  2)  So  spricht  man  in  Mekka. 


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174 


//nichts  füllt  des  Menschen  Auge  (d.  h.  befriedigt  seine  Habgier) 
//ausser  dem  Staube  (des  Grabes).”  Die  Vermuthungen,  welche  sich 
aus  dieser  Reihenfolge  der  Thatsachen  ergeben  könnten , liegen  auf 
der  Hand.  Alle  Mittel  sind  vergeblich  angewandt , des  Mörders  Mund 
vor  seiner  Hinrichtung  zu  öffnen. 

Abd  el-Muttalib  (1880 — 82)  reiste  zuerst  nach  Jambu'  und  Me- 
dina, dann  über  Djiddah  nach  Mekka,  wo  ihm  die  vernünftigsten 
Leute  höflich,  unterwürfig,  aber  innerlich  nichts  weniger  als  froh 
entgegenkamen.  Seine  nächsten  Verwandten  und  die  Hauptmasse 
der  Bevölkerung  dagegen  jubelten  wegen  seiner  Rückkehr.  Allerlei 
wirkte  mit,  das  runzelige,  dunkle  Antlitz  des  Scherifs  in  den 
Augen  des  Pöbels  mit  einem  Heiligenschein  zu  umgeben.  Sein 
hohes  Alter,  seine  Abstammung  von  Zeid,  dessen  Nachkommen 
seit  2 V*  Jahrhundert  den  Hidjäz  beherrscht  haben , seine  beiden 
früheren  Regierungen,  deren  sich  nur  die  Aelteren  noch  erinner- 
ten, die  hohe  Gunst,  in  der  er  augenscheinlich  bei  allen  Sultanen 
stand,  trotzdem  er  deren  Vertreter  regelmässig  bekämpft  hatte, 
Alles  schien  der  populären  wunderliebenden  Phantasie  zu  einer 
hohem  Welt  zu  gehören.  Was  machte  es  den  ferner  Stehenden , 
dass  der  Greis  bei  den  feierlichen  Empfangen  viele  angesehene 
Bürger  grob  anredete,  dass  er  (wie  man  sich  erzählte)  zum  Reich- 
thum gelangten  hadhramitischen  Kaufleuten  die  gemeine  Herkunft 
ihrer  Väter  vorwarf,  Andere  wegen  ihrer  Prankenfreundlichkeit 
beschimpfte?  Den  populären  Wahn  zerstörten  auch  die  schlechten 
Regierungsthaten  nicht,  mit  denen  er  in  Mekka  sein  drittes  Sche- 
rifat  eröffnete;  sie  gaben  zunächst  seinem  Auftreten  einen  geheim- 
nissvollen , mittelalterlichen  Anstrich.  Wenn  er  drei  angesehene 
Leute,  deren  Gesinnung  ihm  verdächtig  war,  in  der  Nacht  gefan- 
gennehmen und  dann  so  geissein  liess,  dass  zwei  von  ihnen  den 
Wunden  erlagen,  so  zeigte  dies  eine  ungewohnte  Machtvollkom- 
menheit; diese  machte  er  auch  gegen  Scherife  geltend,  denn  einer 
von  den  cAbädilah,  der  einem  von  Abd  el-Muttalibs  Palästen 
gegenüber  ein  Haus  erbaut  hatte,  musste  sich  die  Niederreissung 
desselben  gegen  eine  geringe  Entschädigung  gefallen  lassen.  Im  Mai 
1881  reisten  seine  Weiber  mit  Militärbegleitung  nach  Täif  und 


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175 


erregteiv  brutale  Handlungen  dieser  Leibwache  den  Unwillen  zweier 
an  dem  Wege  lagernden  ‘Utebah-stämme;  gleich  berief  der  Scherif 
die  Theqlf,  Hudel  und  andere  Beduinen , sowie  80  Leute  aus 
'Huf  und  100  Iladhramiten  aus  Mekka  zu  sich,  die  von  seinen 
Leuten  beleidigten  Beduinen  wegen  ihrer  Empfindlichkeit  zu  züch- 
tigen, und  als  diese  sich  um  Abhülfe  an  den  Wäll  wandten,  hörte 
Abd  el-Muttalib  auf  keine  Einwiinde  und  führte  nach  alter , fast 
vergessener  Sitte  die  ungerechte  Razzia  durch.  Dem  zusammenge- 
rafften Pöbel  erschien  er  dadurch  als  ein  Fürst  vom  echten  Schrot 
und  Korn , ja  die  Schwäche  des  Walls  verschaffte  ihm  sogar  unter 
den  türkischen  Officieren  und  Beamten  einen  Anhang  *). 

Drückender  als  diese  Gewalttaten  war  es  für  die  Bevölkerung, 
dass  er  alle  von  seinem  Vorgänger  ertheilten  Licenzen  ( Taqärir ) 
als  ungültig  betrachtete  und  aufs  Neue  durch  Vermittelung  seiner 
Freunde  und  Verwandten  verkaufte,  dass  Richtersprüche  nur  um 
theures  Geld  zu  haben  waren  und  keiner  berechtigten  Klage  abge- 
holfen wurde.  Auch  solche  Uebel  treffen  aber  vorzüglich  nur  die 
Wohlhabenden,  abgesehen  davon,  dass  die  Mehrzahl  immer  geneigt 
ist,  das  Unrecht  den  Gehülfen  des  Fürsten,  nicht  ihm  selbst  zuzu- 
schreiben. Wirklicli  standen  dem  Scherif  zwei  rücksichtslose  Ge- 
schäftsführer von  schlimmster  Art  zur  Seite,  ein  Syrer  und  ein  aus 
Jemen  Gebürtiger;  ganz  ohne  den  Willen  ihres  Herrn  hätten  sie 
jedoch  ihre  scheusliche  Wirthschaft  nicht  lange  treiben  können. 

Lange  konnte  es  so  nicht  dauern , bis  die  Regierung  des  Grei- 
ses, ganz  abgesehen  von  dem  Urtheil  über  seine  Person,  den 
meisten  Mekkanern  unerträglich  wurde;  die  Opposition  fand  in  den 
zahlreich  vertretenen  ‘Abädilah , mit  dem  in  Mekka  weilenden  Ab- 
dilah  *)  an  der  Spitze , eine  kräftige  Stütze.  In  solchen  Fällen  greift 
man,  sobald  man  mächtiger  Helfer  sicher  ist,  zum  Mittel  der  Bitt- 
schriften. Sofern  diese  an  die  schwachen  Wäll’s  gerichtet  wurden , 
die  Einer  nach  dem  Andern  auf  hohen  Befehl  versuchten  mit  dem 
Scherif  auszukommen,  verschlugen  sie  nichts.  Endlich  wandten  sich 

1)  Vergl.  don  Bericht  über  diese  Ereignisse  im  Anhang. 

2)  Stammt.  III , 67 ; dieser  seltsame  Name  kommt  ziemlich  häufig  vor  und  wird  immer 

aJl  geschrieben.  Dass  cs  der  Name  Abdallah  ohne  Artikel  ist,  darüber  herrscht 

kein  Zweifel. 


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die  Notabilitäten  Mekka’s  durch  die  Vermittelung  zufällig  anwe- 
sender hoher  Beamten  der  Pforte  direkt  an  die  Regierung  mit 
Madhbatah'  t (Darlegungen),  die  mit  ihren  Namen  unterschrieben 
waren.  Ich  besitze  eine  Abschrift  jener  Madhbatah  ‘),  der  die  Abset- 
zung Abd  el-Muttälibs  gefolgt  ist;  ausführlich  werden  darin  die  von  den 
//Gehülfen  des  Emirats”  verübten  Greuel  aufgezählt,  die  Erfolglo- 
sigkeit aller  Bitten  an  die  verschiedenen  Wäli’s  hervorgehoben,  die 
Verzweiflung  der  Bürger  beschrieben , denen  für  die  Sicherheit  ihres 
Lebens  und  Eigenthums  (so  heisst  es)  der  Schutz  fremder  Mächte 
schliesslich  lieber  wäre  als  die  Fortdauer  des  unleidlichen  Zustandes. 

Es  wurde  in  Konstantinopel  als  eine  höchst  schwierige  Auf- 
gabe betrachtet,  den  mittelalterlichen  Scherif  unschädlich  zu 
machen.  Damit  dieser  keinen  Verdacht  schöpfe,  schickte  man  ihm 
zuletzt  den  alten  ‘Izzet  Pascha  als  Gouverneur  zu,  denselben, 
der  sich  20  Jahre  früher  neben  ihm  die  zweite  Rolle  hatte  ge- 
fallen lassen.  Zugleich  kam  aber  der  höchst  energische  Othman 
Nun  Pascha  November  1881  mit  einer  frischen  Truppensendung 
als  Kommandant  der  Garnisonen  des  Hidjäz  hierher  mit  dem  Auf- 
trag, die  Wiedereinsetzung  der  'Abädilah  vorzubereiten,  so  dass 
sich  daraus  kein  langer  Kampf  entwickelte.  Othman  Pascha  er- 
kannte gleich,  dass  es  wichtig  sei,  dein  Greise  jetzt  nicht  wieder 
die  Gelegenheit  zu  geben,  sich  nach  jedem  entscheidenden  Kampfe 
nach  Täif  oder  zu  seinem  »Hunden”  im  Harblande  zu  flüchten; 
in  Anbetracht  der  Verehrung , die  das  Volk  für  den  heiligen  Sünder 
hegte,  wollte  er,  wenn  irgend  möglich,  jedes  Gefecht  vermeiden. 
Nach  einigen  vergeblichen  Versuchen  zur  Ueberlistung  schritt  der 
im  Juni  1882  zum  Wäll  ernannte  Othman  Pascha  zur  Ucberra- 
schung,  liess  ganz  heimlich  in  der  Nacht  das  Landhaus  des  Sche- 
rifs  in  el-Methnä  (nördlich  von  Täif)  umzingeln  und  auf  den  näch- 
sten Bergen  sogar  Kanonen  aufstellen , während  die  'Abädilah-sche- 
rife  sich  mit  befreundeten  Beduinen  im  Hintergründe  befanden. 
Bei  der  Morgendämmerung  gingen  die  Kommandanten  in  den  Pa- 
last und  zeigten  dem  Grossscherif  die  officielle  Urkunde  über 


1)  Vergl.  den  Text  und  dio  UeberacUung  obiger  Madhbatah  im  Anhang. 


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seine  Absetzung ; nachdem  er  sich  draussen  umgeschaut  hatte , 
schenkte  er  der  Mittheilung  Glauben.  Gefangen  wurde  er  zuerst 
nach  Täif  gebracht,  später  durfte  er  aber  unter  steter  Bewachung 
eins  von  seinen  grossen  Häusern,  die  Bajädhijjeh,  ein  wenig 
oberhalb  Mekka’s  am  Wege  nach  Muna,  beziehen.  Hier  blieb  er 
bis  zu  seinem  Tode  (29  Januar  188G);  noch  zu  seinen  Lebzeiten 
wurde  seine  Wohnung  in  den  Augen  des  Volkes  wie  ein  Heili- 
gengrab ; der  Pöbel  hätte  sich  kaum  gewundert , wenn  der  Sohn 
Ghälibs  unversehens  noch  einmal  mit  seinen  Beduinen  in  Mekka 
siegreich  eingezogen  wäre ; er  selbst  war  jetzt  wohl  überzeugt , dass 
die  Aera  der  Dampfer,  des  Telegraphen  und  der  Hinterlader  für 
seinesgleichen  keinen  Platz  übrig  liess.  So  schied  die  mittelalter- 
liche Figur  dahin;  an  seinem  Begräbnisse  betheiligten  sich  Othrnan 
Pascha  und  der  neue  Grossscberif,  während  das  Volk  sich  drängte 
und  Einige  sich  von  Dachterrassen  herabliessen , um  nur  irgend 
einen  Theil  des  heiligen  Körpers  berühren  zu  können.  Theils  mag 
auch  beim  Wäll  und  dem  Grossscberif  religiöse  Ehrfurcht  im  Spiele 
gewesen  sein , denn  in  solchen  Dingen  denken  gerade  jene  Herren 
sehr  wenig  folgerichtig;  theils  lag  darin  die  Aengstlichkeit  die 
Götzen  der  grossen  Menge  in  keiner  Weise  zu  verletzen,  ln  dem 
Grabe  Chadldjah’s,  wo  schon  so  viele  Fürsten  Mekka’s  ruhen, 
wurde  die  Leiche  beigesetzt.  Es  bleibt  möglich,  dass  zu  irgend 
einer  günstigen  Zeit  wieder  einmal  einer  von  den  DewI  Zeid 
die  Erbschaft  seiner  Väter  mit  den  Wallen  in  der  Hand  von  den 
'Abädilah  zurückfordert;  mit  Abd  el-Muttalib  ist  aber  der  letzte 
Sprössling  dieses  Stammes  zu  Grabe  getragen,  in  dem  Zeid  sich- 
selbst  wiedergefunden  und  den  Qatädah  als  seinen  geistigen  Erben 
anerkannt  hätte. 

Othrnan  Pascha  hielt  es  zur  Vorbeugung  von  Unruhen  nament- 
lich unter  den  Beduinen  für  nütbig,  der  Absetzung  sofort  die 
Anstellung  eines  neuen  Scherifs  folgen  zu  lassen , und  zwar  eines , 
dem  man  gleich  persönlich  huldigen  könnte.  Sonst  wäre  es  den 
DewI  Zeid  leicht  geworden , seine  Handlung  als  anti-arabisch  dar- 
zustellen und  alle  Wüstenthiere  gegen  den  Türken  ins  Feld  zu 
ziehen.  Darum  behauptete  er,  der  dort  anwesende  Abdilah  sei  vom 

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Sultan  zum  Grossscherif  ernannt,  und  dieser  nahm  die  Huldigung 
der  Beduinenliäupter  und  Städter  entgegen.  Nach  Ansicht  vieler 
Mekkaner  hoffte  der  Wäll  wirklich , seinen  Freund  Abdilah  als 
Fürsten  bei  sich  zu  behalten  und  zu  bewirken , dass  der  muth- 
maassliche  Thronfolger,  der  in  Konstantinopel  befindliche  ältere 
Bruder  cAun  *),  beim  Sultan  bleibe.  cAun  wurde  aber  angestellt, 
und  Abdilah  musste  sich  in  Stambul  mit  den  üblichen  Titeln  und 
dem  Sitze  im  Medjlia  ea-Schura  begnügen. 

cAun  ist  noch  nicht  ganz  fünfzig  Jahre  alt;  von  seiner  persön- 
lichen Erscheinung  kann  man  sich  nach  meiner  photographischen 
Aufnahme  eine  Vorstellung  machen , wenn  man  bedenkt , dass  der 
Scherif  anstatt  des  schweren,  unbequemen,  mit  Orden  behängten 
Ehrenkleides  in  der  Stadt  immer  eine  einfache,  schwarze  oder  doch 
dunkelfarbige,  dünne  Djubbah  trägt,  auf  Reisen  im  Inneren  trägt  er 
die  Kopfbedeckung  der  vornehmen  Beduinen : das  Kopftuch  ( Qemädah) 
mit  dem  Bande  ( cAqäl ) ’).  Wie  beinahe  alle  Scherife  aus  fürstlicher 
Familiem  acht  er  im  Empfangssaale  und  im  Diwan  den  Eindruck 
eines  feinen  Edelmannes,  dem  die  edelsten  Formen  zur  Natur  ge- 
worden sind.  In  der  Verwaltung  seines  Hauswesens  soll  er  etwas 
tyrannisch  und  launisch  sein;  auch  strebte  er  wenigstens  bis  18S5 
in  keiner  Weise  nach  Popularität.  Nur  am  Freitage  empfing  er 
allgemeinen  Besuch , aber  jedermann  wusste , dass  eine  beschränkte 
und  auserlesene  Anzahl  ihm  erwünscht  war  und  dass  die  Bespre- 
chung nicht  von  ihm  selbst  angeregter,  zur  Verwaltung  gehörender 
Gegenstände  ihn  verstimmte.  An  andern  Tagen  war  er  ausser  für 
Freunde  und  Bekannte  fast  unzugänglich;  es  gab  während  meines 
Aufenthalts  z.  B.  Leute  aus  Täif,  die  nur  dazu  nach  Mekka  ge- 
kommen waren , seinem  Urtheil  eine  Frage  zu  unterbreiten , aber 
sechs  Monate  vergeblich  auf  eine  Audienz  harrten.  In  gewissen  Krei- 
sen erzählte  man  sich,  seine  religiösen  Ansichten  seien  gar  nicht 
unbedenklich,  er  sei  ein  »Failasüf ',  d.  h.  eine  Art  Freidenker. 
Solche  Urtheile  bilden  sich  nur  über  Scherife,  die  zurückgezogen 


1)  Stammt.  III,  CG. 

2)  Zu  den  Merkmalen  der  stiidtischon  Scherifenkleidung  gehört  der  aus  dem  Turban 
hcrausstcekeudo  Zipfel , den  man  auf  den  Bildern  der  Scherife  im  Bilderatlaa  beobachten  kann. 


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179 


leben;  sonst  sieht  man  ihnen  in  diesem  Lande,  wo  kein  Mensch 
eigentlichen  Unglaubens  verdächtig  ist,  Vieles  nach  und  ist  man 
geneigt,  seltsame  Aeusserungen  eher  ihrer  tiefen  Erkenntniss  als 
ihrer  Heterodoxie  zuzuschreiben.  'Aun  liebt  es  übrigens,  sich  als 
tiefsinnig  und  zur  Skepsis  geneigt  aufzuspielen;  dies  hat  aber  für 
seine  Denkungsart  doch  nur  geriuge  Bedeutung.  Durch  persönli- 
chen Verkehr  mit  dem  Fürsten  habe  ich  den  Eindruck  gewonnen, 
dass  er  den  Minimalanforderungen  des  Islam’s  in  seinem  Denken 
und  Thun  einigermaassen  genügt , jedoch  dem  Aberglauben , na- 
mentlich wenn  er  einen  wissenschaftlichen  Anstrich  hat,  die  Thür 
offen  hält.  Unsere  modernen  Spiritisten  könnten  ihr  Glück  bei  ihm 
versuchen ! 

Seine  Zurückgezogenheit  und  der  damit  zusammenhängende 
Mangel  an  Zuneigung  bei  den  Unterthanen  wäre  bis  Ende  1886 
theilweise  aus  der  Anwesenheit  Othman  Pascha’s  in  Mekka  ')  zu 
erklären , da  dieser  durch  sein  überaus  energisches  Auftreten  dem 
Emir  des  Hidjäz  immer  mehr  Beschränkungen  auferlegte.  Im  Laufe 
unserer  Darstellung  haben  wir  öfter  auf  die  unvermeidlichen  Rei- 
bungen hingewiesen,  zu  denen  die  Zweitheilung  der  höchsten  Ge- 
walt im  Hidjäz  Anlass  giebt.  Mit  der  Wahhabitenherrschaft  und 
der  darauf  gefolgten  Einsetzung  eines  neuen  Scherifengeschlechtes 
durch  Muhammed  Ali  hat  sich  das  Verhältniss  allerdings  in  ge- 
wisser Beziehung  vereinfacht.  In  deu  bedeutendsten  Häfen  ist  die 
Verwaltung  seitdem  türkisch  geworden , die  Zollerhebung  geschieht 
ohne  jegliche  Einmischung  des  Fürsten,  dem  ein  bestimmter  Jahres- 
gehalt zuerkannt  ist;  das  Kommando  der  Armee  ist  dem  Wäll  oder 
einem  besonderen  Stabsofficier  übertragen,  welche  beide  nur  aus 
Konstantinopel  Befehle  oder  Instruktionen  bekommen.  Im  Uebrigen 
ist  aber  die  Begrenzung  der  beiderseitigen  Machtbefugnisse  unsi- 
cherer und  komplicierter  als  in  einem  neuannektierten  indischen 
Reiche  zwischen  dem  Fürsten  und  dem  Residenten.  Erstlicli  beruht 


1)  Dor  Gouverneur  {Wall  Wild  fit  el-ljidjdt  el-DjalUah  und  Scheck  el-JJaram)  hat  jetzt 
seinen  Sitz  in  Mekka;  nur  in  der  heissesten  Jahreszeit  zieht  er,  wenn  die  Verhältnisse 
es  gestatten,  ebenso  wie  der  Grosascherif,  nach  Toif.  In  Djiddah  führt  ein  Stellvertreter 
(Qdimmaqdm)  die  Verwaltung. 


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180 


in  Indien  die  Dualität  für  das  Bewusstein  der  Eingeborenen  zum 
guten  Theil  auf  der  Verschiedenheit  der  Religion,  die  der  fremden 
Einmischung  unverletzbare  Schranken  setzt;  zweitens  werden  hier 
die  Abmachungen  genauer  formuliert,  schriftlich  fixiert,  und  wenn- 
gleich der  besiegte  Fürst  den  Inhalt  des  Vertrags  ab  und  zu 
vergisst,  so  sind  immer  geschulte  europäische  Beamten  da,  seinem 
Gedächtniss  zu  Hülfe  zu  kommen.  Im  Hidjäz  nichts  von  alledem; 
die  nach  muslimischer  Ansicht  an  und  für  sich  verhiinguissvolle 
Abweichung  vom  natürlichen,  monarchischen  Prinzip  entbehrt  jeder 
theoretischen  Grundlage;  schriftliche  Verträge  von  muslimischen 
Fürsten  mit  ihren  Vasallen  kommen  ohne  fremde  Einmischung 
schwerlich  zu  Stande,  da  keine  der  Parteien  sich  auf  immer  bin- 
den will  und  das  »Herkommen”  jeweiliger  Ausdehnung  der  Au- 
torität mehr  Spielraum  gewährt.  Wie  es  aber  mit  der  Schulung 
der  türkischen  Gouverneure  steht , braucht  hier  wohl  kaum  ausführ- 
lich dargelegt  zu  werden.  Dieser  hat  als  Soldat,  jener  als  Student 
der  heiligen  Wissenschaft , ein  dritter  als  Diener  eines  Wezirs 
angef'angen;  den  meisten  fehlt  die  Lust,  Bleibendes  zu  schaden, 
da  unkontrollierbare  Umtriebe  in  der  Umgebung  der  Pforte  sie  un- 
versehens ihres  Postens  entsetzen  und  Anderen  die  Früchte  ihrer 
Arbeit  zu  geniessen  geben.  Alles  hängt  daher  von  den  Personen 
ab ; diese  nehmen  hier  im  öffentlichen  Leben  immer  noch  den  Platz 
ein,  den  bei  uns  Institute  und  Gesetze  erobert  haben.  In  den 
Bestellungsdiplomen  der  Scherifc  und  WalT’s  dienen  die  hochklin- 
genden Phrasen  dazu,  jeder  Präcision  auszuweichen  und  die  Ge- 
danken zu  verhüllen.  Ein  selbstbewusster  Scherif  beansprucht  als 
herkömmlich  die  höchste  Gewalt  über  das  Land  von  Hali  im 
Süden  bis  etwas  nördlich  von  Medina  und  östlich,  so  weit  dieselbe 
von  den  Beduinen  und  Dörflern  anerkannt  wird ; er  bestimmt 
seine  Stellung  zum  Sultan  dermaassen , dass  dieser  ihm  den  Wäll 
und  die  Garnisonen  zur  Verfügung  stellt,  damit  ihm  die  Ausübung 
seiner  Herrschaft  nicht  zu  schwer  werde.  Ein  gefügiger  »Resident” 
schliesst  sich  höflich  dieser  Anschauung  an  unter  der  Bedingung, 
dass  seinen  Feinden  kein  Anlass  gegeben  werde,  ihn  in  Konstan- 
tinopel der  Pflichtvergessenheit  anzuklagen , und  namentlich , dass 


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181 


ihm  die  Gelegenheit  zur  Füllung  seines  Beutels  nicht  genommen 
werde.  Ist  dagegen  der  Wall  ein  treuer  Verfechter  der  türkischen 
Interessen,  so  nimmt  er  zum  Ausgangspunkt  seiner  Anschauung 
die  »herkömmliche”  Herrschaft  der  Fürsten  des  Islam’s  über  diese 
Länder,  wobei  die  Grossscherife  nur  die  Rolle  von  Gehülfen  zu 
spielen  haben;  vollständige  Autorität  erkennen  sie  ihnen  nur  über 
die  Mitglieder  ihrer  Adelskorporation  zu,  sofern  diese  es  nicht  vor- 
ziehen, sich  an  die  türkischen  Behörden  zu  wenden.  Im  Uebrigen 
halten  sie  sich  nur  dann  zur  Berathung  mit  den  Fürsten  verpflichtet, 
wenn  es  ihnen  für  die  Verwaltung  als  wünschenswerth  erscheint, 
und  behaupten  sie  ihr  Recht,  nöthigenfalls  direkt  mit  andern  Mit- 
telspersonen zu  verhandeln.  Die  Garnisonen  will  ein  energischer 
Gouverneur  ganz  selbständig  verwalten ; aber  auch  die  Bawärdi 's 
(d.  h.  die  aus  Freien  und  Leibeigenen  zusammengesetzte  Leibwache 
des  Scherifs)  und  die  Bischah  (d.  h.  die  nach  diesem  südlichen 
Stamme  benannte  Gendarmerie)  will  er  seiner  direkten  Aufsicht  nicht 
entziehen  lassen,  weil  die  Bewaffnung  und  Besoldung  dieser  Reste 
des  fürstlichen  Heeres  wenigstens  nominell  von  dem  Sultan  ausgeht. 

Aus  alledem  erhellt  zur  Genüge,  dass  ein  so  überaus  kräftiger 
Wäll  wie  Othman  Pascha  nur  mit  einem  sehr  gefügigen  Scherif 
in  gutem  Einverständniss  leben  kann.  cAun  ör-Raflq  hat  aber  ge- 
zeigt, dass  er  nicht  der  Mann  war,  sich  mit  dem  Schlafe  im 
Schatten  des  Türken  zu  begnügen.  Vier  Jahre  dauerte  es,  bis  die 
stets  zunehmenden  Misshelligkeiten  zum  Ausbruch  kamen.  Der 
Pascha  erwies  dem  Fürsten  äusserlich  alle  Höflichkeit,  stattete  ihm 
wöchentlich  einen  Besuch  ab,  verweigerte  ihm  auch  keineswegs 
einen  Antheil  an  den  finanziellen  Ergebnissen  solcher  von  ihm 
vorgenommenen  Neuerungen,  mit  denen  der  Scherif  einverstanden 
war.  Wie  alle  seine  Vorgänger  wusste  auch  Othman  Pascha  von 
jeder  Summe,  die  durch  seine  Hände  ging,  etwas  für  sich  und 
seine  Freunde  einzustecken.  Was  ihn  von  jenen  unterschied,  war, 
dass  er  dabei  auch  etwas  leistete,  ohne  ängstlich  zu  fragen,  wer 
davon  geniessen  würde.  Die  Wasserleitung  von  Zebedah  hat  er 
wieder  für  Mekka  und  die  Haddjstationen  nutzbar  gemacht,  für 
Djiddah  liess  er  zuerst  eine  machen,  eine  neue  Hauptwache  und 


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182 


ein  grosses  Regierungsgebäude  hat  er  erbaut,  zwei  Festungen  er- 
neuert, die  Moschee  ausgebessert  und  verschönert,  eine  bessere 
Ordnung  in  vielen  Zweigen  der  Stadtverwaltung  hergestellt.  Es  war 
ihm  dabei  nicht  zu  verargen , dass  er  nun  seine  Pläne  nicht  durch 
die  hie  und  da  vom  Scherif  gemachten  Einwände  durchkreuzen 
liess,  aber  natürlich  empörte  diesen  so  offenbare  Geringschätzung 
seiner  Stellung.  Ihr  Antagonismus  kam  zunächst  am  häufigsten  in 
der  Rechtspflege  zum  Ausdruck. 

In  allen  muslimischen  Ländern  zeigt  die  Rechtspflege  einen  nach 
unseren  Begriffen  höchst  verwirrten  Charakter.  Dass  die  QädhI’s  mei- 
stens weder  fähig , noch  geneigt  sind , das  heilige  Gesetz  gewissenhaft 
anzuwenden,  ist  eine  Kleinigkeit;  auch  ohnehin  wäre  dieses  in  der 
Schule  ausgebildete  Recht  praktisch  im  grossen  Ganzen  unanwendbar; 
von  jeher  haben  die  Fürsten  und  ihre  Vertreter,  die  Statthalter  und 
Emire,  das  Kriminalrecht  und  die  wichtigsten  Theile  des  sonstigen 
Rechts  ausser  dem  Familienrecht  praktisch  ganz  an  sich  gezogen ; in 
späterer  Zeit  führte  die  türkische  Regierung  sogar  moderne  Gesetz- 
bücher ein , die  jedoch  aus  allbekannten  Gründen  aus  den  papiernen 
Schranken  nicht  heraustreten.  Der  Wille  der  Verwaltung  ist  überall  die 
höchste  Norm  der  Rechtspflege;  allerlei  Einflüsse  wirken  darauf  bestim- 
mend ein.  Da  nun  aber  das  unbrauchbare  Gesetz  göttlich  sein  soll , ist 
dessen  officielle  Abschaffung,  auch  nur  theilweise,  unmöglich ; jedem 
menschlichen  Gesetz  muss  die  Klausel  hinzugefügt  werden,  dass 
man  die  darin  behandelte  Frage  auch  nach  dem  heiligen  Schar c 
behandeln  darf,  und  kein  Gouverneur  kann  in  einem  Process  der 
Berufung  einer  Partei  auf  den  QädhI  widersprechen.  Meistens  sind 
die  Unterthanen  klug  genug,  den  QädhI  unerwähnt  zu  lassen, 
wenn , wie  gewöhnlich , nur  dem  Verwalter  die  Mittel  zur  Durch- 
führung seines  Ausspruchs  zu  Gebote  stehen;  der  populären  An- 
schauung ist  der  QädhI  zum  geistlichen  Richter  geworden , dessen 
kanonisches  Gesetz  man  bloss  auf  gewisse  Angelegenheiten  anzu- 
wenden pflegt  und  zu  dem  man  in  seltenen  Fällen  zum  Himmel 
schreiender  Ungerechtigkeit  auch  auf  andern  Gebieten  seine  Zuflucht 
nimmt.  In  Mekka  sind  nun  aber  die  weltlichen  Richter  wieder  zwei , 
deren  Befugnisse  je  nach  ihrer  persönlichen  Bedeutung  schwanken. 


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183 


Ein  Unruhestifter  wird  von  türkischen  Soldaten  aufs  türkische  Amt 
geführt;  ein  anderer,  der  zufällig  von  Bawärdl’s  ertappt  wurde, 
kommt  vor  den  Grossscherif  oder  dessen  Qäimmaqäm  (einen  Scherif, 
der  seinen  Herrn  in  gewöhnlichen  Fällen  vertritt) ; dieser  wird  in  das 
Gefängniss  des  Fürsten,  jener  in  das  des  Wäll’s  gebracht.  Längere 
Gefängnissstrafe  biissen  die  Mekkaner  in  der  Festung;  den  Zutritt 
zu  diesem  Kerker  beansprucht  der  Scherif  für  seine  Schergen  nicht 
weniger  als  der  Wäll  für  die  Türken.  Jeden  Rechtshandel  unter- 
breiten die  Mekkaner  nach  freier  Wahl  dem  Wäll  oder  dem  Sche- 
rif; die  Bestimmung,  derzufolge  dieser  nur  solche  Fragen  ent- 
scheiden könne,  bei  denen  eine  Partei  ein  Scherif,  ein  Beduine, 
ein  geborener  Mekkaner  und  auf  alle  Fälle  kein  geborener  Türke 
sei,  gilt,  wie  alle  Regeln,  nur  sofern  die  persönlichen  Verhältnisse 
sie  nicht  aufheben. 

Allerlei  Momente  wirken  entscheidend  auf  die  Wahl  des  Ge- 
richtshofes von  Seiten  der  Unterthanen ; wer  kann , wählt  natürlich 
denjenigen  zum  Richter,  dessen  Sprüche  der  Andere  nicht  zu  be- 
anstanden wagt.  Wenig  nützte  es  z.  B.  wenn  Einer  nach  der  Ent- 
scheidung ‘Aun's  seinen  Widersacher  in  den  Kerker  führen  sah, 
Othman  Nun  aber  am  selben  Tage  den  Gefangenen  befreien  liess; 
und  solche  Fälle  gehörten  während  meines  Aufenthalts  nicht  zu 
den  Seltenheiten.  In  dieser  Lage  wird  die  Wahl  des  Richters  von 
vornehmen  Personen  gleich  zur  Parteinahme;  der  Gegensatz  ver- 
schärft sich  so  bei  jedem  an  sich  gleichgültigen  Rechtshandel. 

Othman  Pascha  wollte  auch  in  das  Gebiet  eingreifen , das  die 
Scherife  vor  Allem  als  das  ihrige  betrachten : die  Verwaltung  der 
Beduinen  und  die  Sorge  für  die  Sicherheit  der  Karawanenwege. 
Dass  die  Scherife  mit  geringeren  Mitteln  hier  mehr  erreichen  kön- 
nen als  die  Türken , haben  wir  schon  hervorgehoben ; will  aber  der 
Wäll  keinem  vom  Scherif  auf  eigene  Faust  geplanten  Unternehmen 
seine  Mitwirkung  schenken,  so  wird  es  auch  diesem  schwer.  Hat 
der  Wäll  nun  ein  Interesse  dabei,  der  Welt  zu  zeigen,  wie  nutz- 
los das  Auftreten  des  Scherifs  ist,  liegt  dem  Scherif  andererseits 
daran , den  Wäll  als  ohne  seine  Hülfe  machtlos  darzustellen , so 
thun  Beide  bestenfalls  nichts,  oder  blinde  Eifersucht  verführt  sie, 


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184 


die  Maassnahmen  des  Andern  durch  heimliche  Umtriebe  zu  ver- 
eiteln, und  Beide  geben  einander  der  Pforte  gegenüber  die  Schuld 
an  dem  misslichen  Zustande. 

So  ging  es  mit  cAun  und  Othrnan.  Zwischen  Mekka  und  Djid- 
dah  und  zwischen  Mekka  und  Llth  wurden  die  Wege  durch  Räu- 
ber unter  dem  Patronat  des  früheren  Qäimmaqams  von  Mekka, 
Ali  es-Serüri,  unsicher  gemacht;  1886  weigerte  sich  ein  mächtiger 
Harbschech,  Bin  ‘Asim,  der  jährlich  vor  dem  Haddj  aus  Mekka 
nach  Medina  reisenden  Karawane  den  Weg  zu  öffnen , weil  er  sein 
volles  Jabrgeld  nicht  erhielt.  Diesen  und  ähnlichen  Uebeln  wollte  Oth- 
man  allein  entgegentreten,  und  der  grollende  cAun  vermehrte  des 
Pascha’s  Streben  nach  der  Alleinherrschaft  durch  seinen  Wider- 
stand. So  wurde  diesmal  nichts  aus  der  üblichen  Wallfahrt  zutn 
Grabe,  bis  der  Haddj  vorüber  war;  dann  setzte  Othrnan  seine 
Pläne  durch,  züchtigte  mit  ausschliesslich  türkischen  Truppen  die 
Aufrührer  und  Hess  die  Karawane  reisen.  Indessen  standen  die 
beiden  Herren  längst  mit  einander  auf  möglichst  gespanntem  Fuss, 
hatten  wiederholt,  jeder  von  seinem  Gesichtspunkte,  der  Pforte 
die  unhaltbare  Lage  dargelegt,  bekamen  aber  zur  Antwort  den  Be- 
fehl, sie  sollten  sich  besser  vertragen.  Jetzt  zog  der  Scherif  mit 
seinen  vornehmsten  Anhängern  nach  Medina , schickte  von  dort 
eine  Gesandschaft  an  die  Pforte  mit  der  Bitte,  entweder  ihn  oder 
den  Wall  abzusetzen , weil  ihm  die  Rückkehr  nach  Mekka  unmög- 
lich sei,  solange  Othrnan  dort  sein  Unwesen  treibe.  Mit  cAun 
verliess  u.  A.  der  Mufti  der  Schäfi'iten , zugleich  Oberhaupt  der 
TJlarnä 1),  die  Stadt , aber  auch  Othrnan  hatte  unter  den  angese- 
hensten Gelehrten  seine  Freunde.  Die  Partei  des  Scherifs  suchte 
in  verschiedener  Weise  den  Gouverneur  bei  der  Bevölkerung  miss- 
liebig zu  machen;  seine  Fehler,  auch  solche,  an  denen  cAun  mit- 
schuldig war,  wurden  vergrössert,  sogar  ein  Versuch,  in  jedem 
Stadviertel  eine  Kommission  für  die  Stadtreinigung  einzusetzen 
ihm  als  eine  Hauptsünde  angerechnet.  Eines  Morgens  waren  an 


1)  Seino  Biographie  habe  ich  in  den  Bijdragen  van  het  Kon.  Nod.  Ind.  Instituut,  5e  Volg* 
rock»,  Deel  II : 344  ff.  gegeben. 


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185 


den  Wänden  der  Moschee  Zettel1 2)  angeklebt,  in  denen  der  »Ein- 
tritt ins  Paradies  ohne  Abrechnung”  demjenigen  verheissen  wurde, 
der  den  »verfluchten  Wäll”  aus  der  Welt  schaffe;  der  gottlose 
Mensch  hatte  sich  u.  A.  erdreistet,  auf  Einwände  gegen  die  Neue- 
rung bezüglich  der  eben  erwähnten  Kommissionen  zu  antworten , 
auch  in  Starabul  gebe  es  solche,  und  »Mekka  sei  doch  nicht  bes- 
ser als  Stambul”  ! 

Während  der  Abwesenheit  des  Scherifs  konnte  der  »Verfluchte” 
schalten  und  walten,  wie  er  wollte  und  liess  die  Gelegenheit  nicht 
unbenutzt.  Die  Pforte  gab  durch  ihre  Entscheidung  Keinem  von 
Beiden  Unrecht,  versetzte  aber  den  Wall  nach  Aleppo  und  über- 
trug dem  Gouverneur  von  Aleppo,  Djemil  Pascha,  die  Verwaltung  des 
Hidjäz.  Noch  bevor  dieser  eingetroffen  war , reiste  Othman  ab  (Decem- 
ber  1 886)  und  kehrte  cAun  nach  Mekka  zurück , wo  er  in  grösster 
Eile  den  besten  Freunden  des  Wäli’s  ihre  Stellen  nahm,  auch  solchen  , 
deren  Amt , von  Ausnahmefällen  abgesehen , nur  durch  die  Behörden 
in  Konstantinopel  besetzt  wird.  Oberhalb  der  Thür  seines  Palastes 
liess  er  in  einen  rothen  Stein  die  Worte  eingraben:  Amt  des  edlen 
Emirats  und  der  erhabenen  Regierung  *),  kurz  er  bestrebte  sich  in 
jeder  Weise,  dem  neuen  Wäll  ein  besseres  »Herkommen”  aufzuer- 
legen als  das  von  dem  vorigen  befolgte. 

Djemil  Pascha  verfuhr  zwar  ganz  anders  als  sein  Vorgänger, 
aber  der  Erfolg  war  ziemlich  derselbe.  Der  Bevölkerung  öffnete 
Djemil  die  Thür  nicht  so  weit  wie  Othman , zu  dem  jeder  freien 
Zutritt  hatte;  dem  Scherif  gegenüber  spielte  er  den  Beamten, 
der  ihm  gern  Alles  zu  Gefallen  thäte,  aber  ohne  die  Erlaubniss 
seiner  Vorgesetzten  keinen  Schritt  vom  vorgezeichneten  Wege  ab- 
weichen dürfe.  Solcher  Politik  war  cAun  auf  die  Dauer  nicht  gewach- 
sen ; die  Neubesetzung  wichtiger  Aemter  musste  er  rückgängig  machen 
weil  Djemil  mit  Bedauern  sich  verpflichtet  erklärte , über  Alles  nach 
Konstantinopel  Bericht  zu  erstatten.  Die  Gefangennahme  des  von 
Othman  Pascha  als  Emir  über  »den  Wädl”  eingesetzten  Scherifs 


1)  Vergl.  den  Text  und  die  Uebersetzung  dieses  Zettels  im  Anh&ug. 

2)  BJJo. 

24 


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186 


Abdiiah  >)  ibn  Zibn,  welche  'Atro  heimlich  und  gewaltsam  mit 
seinen  Blschah’s  und  Bawärdl’s  vornahm , erregte  gleichfalls  so 
grosses  Erstaunen  beim  Wäll,  dass  noch  am  selben  Tage  die  Be- 
freiung erfolgte.  Durch  eine  ganz  falsche  Darstellung  des  Sachver- 
halts hatte  cAun  vorher  versucht,  vom  Wäll  gegen  jenen  Emir 
Hülfe  zu  bekommen,  sei  es  in  der  Form  von  Truppen  oder  von 
Hinterladern  für  seine  Bawärdl’s;  er  behauptete  nämlich,  bei  einem 
Besuche  im  Wädl  angegriffen  worden  zu  sein.  Djemll  hatte  aber 
unter  Hinweisung  auf  seine  beschränkten  Befugnisse  abgelehnt. 
Dem  Diplomaten  gefiel  indessen  ein  so  langweiliger  Wirkungskreis 
in  der  unausstehlichen  Hitze  nur  massig;  auf  seine  wiederholte 
Bitte  enthob  ihn  die  Pforte  des  schwierigen  Amtes  und  entsandte 
Qafwet  Pascha,  der  schon  1880 — 82  die  gleiche  Stellung  inne  gehabt 
hatte.  Qafwet  nimmt  seine  Aufgabe  möglichst  leicht;  leben  und 
leben  lassen  scheint  sein  Grundsatz  zu  sein.  Ihn  verhindert  kein 
Ehrgeiz , dem  Scherif  gegenüber  den  gehorsamen  Diener  zu  spielen ; 
seine  Habgier  kann  er  auch  so  befriedigen.  Othman  Pascha  ist 
neuerdings  als  Wäll  nach  Jemen  abgegangen ; sollten  einmal  neue 
Verwickelungen  im  Hidjäz  wieder  das  Auftreten  eines  Mannes  er- 
fordern, so  wird  die  Pforte  ihn  ohne  Zweifel  nach  seinem  mehr 
als  4 Jahre  gut  verwalteten  Posten  zurückschicken  ....  wenn  sie 
vernünftig  handeln  will. 

In  dem  jetzt  schon  beinahe  tausendjährigen  Kampfe  zwischen  den 
einheimischen  Herren  von  Gottes  Gnaden  und  den  auswärtigen 
Beschützern  steht  die  Bevölkerung  in  letzter  Instanz  fa3t  regel- 
mässig auf  Seiten  der  Scherife.  Vom  Sultan  al-Islam  darf  man 
nichts  Uebles  sagen,  sein  Name  wird  allgemein  geehrt,  aber  kein 
Mekkaner  kann  den  Saum  seines  Gewandes  berühren , er  thront  in 
unerreichbarer  Ferne;  seine  Vertreter  sind  verderbte  Leute,  deren 
Einer  zerstört,  was  der  Andere  errichtet  hat.  »Unsere  Herren  die 
Scherife”  sind  die  reinsten  Hidjäzener,  die  es  giebt,  ihre  Tugen- 
den und  Fehler  sind  die  ihrer  Umgebung,  sie  bilden  den  höch- 


1)  aJ*  iXtc.  Er  gehört  zu  dem  Hause  der  l)ewi  Huscin  (Stammt.  111,  47),  einer  U n- 
tcrabtheiluag  dor  Dewi  Barakat. 


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187 


sten  Adelsstand  im  Islam,  ihre  Herrschaft  scheint  dem  Volke  von 
der  Schöpfung  her  zu  datieren,  sie  gehört  ebenso  zum  Lande  wie 
die  Bewohner.  Auch  fürchtet  der  gemeine  Mann  Sejjidanä  schliess- 
lich mehr  als  Efbidinü  (den  Wäll),  weil  »unser  Herr”  zu  einer 
grossen  einheimischen  Familie  gehört  und  die  geheimsten  Trieb- 
federn des  Lebens  kennt,  während  »unser  Efendi”  jeden  Augen- 
blick wieder  ein  Homo  novu#  ist,  der  nur  den  Tarbüsch  (Fez) 
und  die  Unkenntniss  des  Arabischen  mit  seinem  Vorgänger  ge- 
meinsam hat.  Sejjtdanä  dankt  aber  einen  grossen  'l'heil  der  Zunei- 
gung seiner  natürlichen  Vertretung  des  alten  Mekka  gegen  das 
Centralisationsstreben  der  Türken.  In  alten  Zeiten  war  Söjjidana 
das  Haupt  aller  Scherife,  und  weil  die  Scherife  eine  herrschende 
Stellung  im  Hidjäz  inne  hatten,  war  er  der  Herr  des  Hidjäz,  so- 
fern nicht  von  seinen  Genossen  dieser  ihm  widerstrebte,  jener  sich 
gegen  ihn  erhob.  Neben  ihnen  ward  in  den  Städten  der  Adels- 
korporation der  Sejjitfs  (Husainiden)  grosse  Ehre  zu  Theil,  die 
aber,  da  die  Sejjid’s  hier  keine  politische  Rolle  beanspruchten , rein 
religiösen  Charakter  behielt.  Unbeanstandet  war  auch  die  kleine 
selbständige  Machtssphäre  der  wenig  zahlreichen  Beni  Sckebah, 
deren  Adel  aus  vorislamischer  Zeit  datierte  und  von  Muharamed 
durch  die  Bestätigung  im  Amte  der  Ka'bahhüter  neuen  Glanz  be- 
kommen hatte.  Dann  kamen  die  verschiedenen  Zünfte  mit  den  von 
ihren  Mitgliedern  gewählten  Zunftmeistern , die  Fremdenkolonien , 
die  sofern  sie  etwas  bedeuteten,  auch  ihre  eigenen  Häupter  hatten, 
die  Stadtviertel , deren  Pöbel  je  ein  geschlossenes  Ganze  unter 
Führung  eines  »Schech  des  Viertels”  bildete ; kurz  die  ganze  Stadt 
zerfiel  in  Korporationen,  die  ebenso  viele  Imperia  mit  mehr  oder 
weniger  beschränkter  Macht  darstellten,  nur  dass  die  Korporation 
»unserer  Herren”  allenthalben  als  das  Imperium  der  Imperia  aner- 
kannt war.  So  leicht  es  den  Scherifen  wurde,  mit  diesen  unter  sich 
immer  uneinigen  Abtheilungen  auszukommen , bald  eine  gegen  die 
andere  zu  hetzen , bald  allen  durch  eine  herbeigerufene  Menge  von 
»Wüstenhunden”  Respekt  einzuflössen , so  sehr  machte  sich  für  die 
fremden  Schutzherrn  das  Bedürfniss  der  Einigung  geltend,  und  diese 
konnte  nur  durch  Auflösung  der  Korporationen  erreicht  werden. 


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188 


Bis  zum  heutigen  Tag  bestehen  die  Zünfte  und  Adelskorporationen 
fort,  auch  die  Stadtviertel  ergötzen  sich  gelegentlich  noch  an  einer 
herkömmlichen  Schlägerei;  der  Form  dieser  Institutionen  wird  aber 
der  Inhalt  tropfenweise  entzogen.  Etwas  mehr  Kraft  und  Konti- 
nuität von  Seiten  der  türkischen  Regierung  hätte  längst  gründlich 
mit  den  mittelalterlichen  Rudimenten  aufgeräumt.  Beim  Fortschrei- 
ten der  zerstörenden  Wirkung  der  türkischen  »Kultur”  empfinden 
die  Mekkaner  am  lebhaftesten,  dass  ihre  konservativen  Interessen 
mit  denen  der  Scherife  zusammenfallen ; die  Macht  »unserer  Her- 
ren” ist  ja  im  alten  Bestände  begründet.  Daher  liegt  der  türkischen 
Regierung  bei  der  Einführung  von  Neuerungen  sehr  viel  'an  der 
Mitwirkung  eines  von  der  Bevölkerung  geehrten  Fürsten.  So  müs- 
sen die  Prophetenkinder  wohl  oder  übel  selbst  als  mächtige  Instru- 
mente dienen  beim  Abbruch  der  Grösse  ihres  Geschlechts. 

Es  ist  eine  wahre  Schmach  für  alle  muslimischen  Reiche  seit 
dem  Verfall  des  Chalifats,  dass  keines  je  im  Stande  war,  im  hei- 
ligen Lande  auch  nur  wenige  Jahre  Ruhe  und  Sicherheit  aufrecht 
zu  erhalten;  das  liegt  andern  Erbfehleraller  muslimischen  Dynastien, 
die  schon  bald  nach  ihrer  Geburt  die  Keime  der  Fäulniss  zeigen 
und  dann  der  nöthigen  Müsse  zur  Erledigung  ferner  liegender 
Geschäfte  entbehren.  Mit  den  heutigen  Kommunikationsmitteln  wäre 
die  Ordnung  des  Hidjäz  sogar  für  die  Türkei  keine  allzu  schwere 
Aufgabe,  wenn  nur  das  Geld  nicht  fehlte.  Die  Türkenverwaltung 
wird  vielfach  verleumdet;  bei  aller  Verdorbenheit  ist  sie  doch  nicht 
tödlich  krank,  solange  sie  Leute  vom  Schlage  Othman  Pascha’s 
aufweisen  kann.  Wenn  nicht  der  finanzielle  Bankerott  die  Beamten 
zwänge,  selbst  in  ihrer  Weise  Mittel  zu  beschaffen,  und  so  jede 
Disciplin  unmöglich  machte,  so  wäre  Othman  ein  mustergiltiger 
Gouverneur. 

Die  Mehrzahl  der  Europäer  sieht  in  der  Europäisierung,  wenn 
nicht  der  Bevölkerung,  doch  der  Verwaltung  orientalischer  Länder 
die  Bedingung  ihres  Glücks.  Dann  müssen  sie  aber  auch  beden- 
ken, dass  die  Türken  unbewusst  dieser  Umwälzung  Vorarbeiten; 
die  Araber  wissen  das  am  besten  und  pflegen  bei  jedem  neuen 
unerwünschten  Eingreifen  der  »Pantalontragenden”  Beamten  zu 


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189 


sagen : sie  sind  wahrhaftig  reine  Christenhunde ! Ein  englischer 
Schriftsteller  setzte  vor  einigen  Jahren  auseinander,  dass  die  west- 
arabischen Angelegenheiten  nothwendig  durch  eine  europäische 
Macht  beaufsichtigt  werden  müssten , schon  wegen  des  hohen  Inte- 
resses , das  Mekka  als  geistiges  Cent  rum  des  Islam ’s  für  solche 
Reiche  beansprucht,  die  muhammedanische  Unterthanen  haben. 
Wie  dem  auch  sei,  solche  Beeinflussung  wird  sich  ohne  heftige 
Stösäe  in  dem  nächsten  Jahrhundert  jedenfalls  am  leichtesten  durch 
türkische  Vermittelung  ausüben  lassen.  Nur  vom  romantischen  Ge- 
sichtspunkte aus  wäre  die  Auflösung  der  altmekkanischen  Verhält- 
nisse Zu  bedauern ; die  Romantik  muss  aber  auch  anderswo  den 
Anforderungen  des  praktischen  Lebens  Raum  geben. 


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ANHANG. 


Die  hier  theils  mit,  theils  ohne  Uebersetzung , theils  nur  in 
Uebersetzung  mitgetheilten  Dokumente  aus  dem  heutigen  Mekka  wer- 
den zunächst  die  Orientalisten,  dann  aber  noch  solche  Leser  inte- 
ressieren , die  nicht  nur  den  fremden  Besucher  Mekka’s,  sondern  auch 
die  Mekkaner  selbst  über  die  Verhältnisse  ihrer  Stadt  hören  möchten. 

N°.  I und  II  gewähren  einen  Einblick  in  die  schreckliche  Miss- 
regierung Abd  el-Muttülibs  während  seines  dritten  Scherifats  1 880  — 
82  (vergl.  oben  S.  174  tf.).  N°.  I giebt  ziemlich  unverändert  eine 
in  meinen  Besitz  gelangte  (nichts  weniger  als  fehlerfreie)  Kopie 
eines  Berichts  über  die  brutale  Behandlung,  welche  zwei  ‘Utebah- 
stämme  von  den  Leuten  des  Scherifs  erlitten,  und  die  dadurch  ver- 
schärften Misshelligkeiten  zwischen  dem  Grossscherif  und  dem  Wäll. 
N°.  II  reproduciert  in  gleicher  Weise  meine  Kopie  der  im  August  1881 
von  den  Mekkanern  an  den  Sultan  gerichtete  Bittschrift  (vergl.  oben 
S.  176)  um  die  Absetzung  Abd  el-Muttälibs,  welche  thatsächlich 
im  Jahre  darauf  erfolgte.  Ich  hätte  wohl  noch  ein  paar  Fehler  des 
Abschreibers  mehr  korrigieren  können,  als  ich  gethan  habe;  da  aber 
das  Ganze  weder  sprachlich  noch  stilistisch  strengen  Anforderun- 
gen genügt,  habe  ich  diese  Pedanterie  für  überflüssig  gehalten. 

N°.  III  und  IV  versetzen  uns  in  die  Zeit  des  energischen  Gene- 
ral-gouverneurs  Othman  Pascha  1882 — 86  (oben  S.  176  ff.),  der 
den  alten  Abd  el-Muttalib  absetzte  und  dem  neuen  Grossscherif 
'Aun  seine  Stelle  im  Schatten  zuwies.  Beide  Dokumente  datie- 


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192 


ren  aus  der  Periode  des  Streites  zwischen  beiden  Autoritäten. 
N°.  III  ist  ein  Brief,  den  Othman  von  einem  zur  Niederwerfung 
der  feindlichen  Beduinen  nach  Jambuc  geschickten  Officier  erhielt; 
das  Auftreten  dieser  Beduinen  hing  mit  den  Räubereien  am  Wege 
zwischen  Mekka  und  Medina  zusammen , und  wir  sahen  oben , dass 
der  Wall  und  der  Grossscherif  cAun  beide  zeigen  wollten , wie  un- 
fähig der  Andere  sei,  die  Ordnung  allein  aufrecht  zu  erhalten. 
Unter  diesen  Umständen  lag  der  Verdacht  nahe,  dass  die  Feinde 
Othmans  im  Einverständniss  mit  dem  Scherif  handelten.  Den  (na- 
türlich türkischen)  Brief  des  Offiziers , worin  die  Niederwerfung  der 
Beduinen  berichtet  wurde,  liess  nun  Othman  gleich  in  der  von  ihm 
in  Mekka  eröffneten  Druckerei  in  arabischer  Uebersetzung  mit  einer 
warnenden  Zuschrift  von  seiner  Hand  drucken  , um  die  ihm  feindliche 
Partei  des  Königs  von  Mekka  einzuschüchtern.  Ich  hielt  es  für  un- 
nöthig,  das  gedruckte  Original,  das  sich  der  Form  nach  durch  nichts 
Charakteristisches  auszeichnet,  hier  noch  einmal  zu  veröffentlichen. 
N°.  IV  ist  eine  zum  Aufruhr  und  zur  Ermordung  Othmans  auf- 
rufende Proklamation  (oben  S.  184 — 5),  die  in  verschiedenen  Exem- 
plaren durch  unbekannte  Hände  Ende  1885  in  der  heiligen  Moschee 
angeklebt  wurde.  Sie  ist  augenscheinlich  von  den  niederträchtigsten 
Feinden  Othmans  abgefasst , deren  heiliger  Aerger  sich  hauptsächlich 
auf  ihren  Antheil  am  egyptischen  Korn  bezog. 

In  diesen  vier  Schriftstücken  sind  Vulgarismen  im  Sprachgebrauch 
und  im  Stil  häufig  vertreten;  trotzdem  darf  man  dieselben  nicht 
als  Zeugen  vom  Vulgärarabisch  der  heiligen  Stadt  betrachten.  Die- 
sen Dialekt  kann  man  aus  meinem  n Mekkanische  Sprichwörter 
und  Redensarten”  einigermaassen  kennen  lernen ; aus  Briefen  und 
Schriftstücken  lernt  man  keine  arabische  Umgangssprache,  zumal 
die  Schreiber  und  solche  Privatleute , welche  ihre  Briefe  selbst  schrei- 
ben , einen  ganz  eigenen  Jargon  zu  diesem  Zwecke  benutzen , der 
wohl  hie  und  da  lokale  Eigenthümlichkeiten  zeigt,  im  Ganzen  aber 
so  zu  sagen  international  ist.  Die  Briefe  z.  B.,  welche  van  den  Berg’s 
Werke  über  Iladhramaut  als  Sprachproben  beigegeben  sind , könn- 
ten, abgesehen  von  ein  paar  hadhramitischen  Wörtern,  in  jedem 
beliebigen  arabischen  Lande  geschrieben  sein  und  stehen  zur 


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193 


Umgangssprache  der  Hadhär’mah  in  ähnlichem  Verhältnis  wie  ein 
in  Leiden  abgefasstes  notarielles  Aktenstück  zur  gewöhnlichen  Rede 
meiner  Mitbürger *). 

Endlich  habe  ich  das  berühmte  Trauergedicht  (oben  S.  173)  auf 
den  edlen  Grossscherif  Abdallah  von  dem  inzwischen  selbst  gestorbe- 
nen Dichter  BedewI  in  Täif  als  eine  Probe  der  besten  literari- 
schen Erzeugnisse  des  heutigen  Hidjäz  als  N°.  V beigegeben.  Eine 
Uebersetzung  würde  kein  richtiges  Bild  des  Originals  geben , und 
die  Fachgenossen  werden  das  Gedicht  auch  so  verstehen. 


lj  l)ur  gewöhnliche  Araber,  für  den  ein  gowerbsmässiger  Schreiber  oder  ein  kundiger 
Freund  einen  Brief  geschrieben  hat,  hört  faktisch  mit  nicht  weniger  Erstaunen  die  go- 
heimnis8Tollen  Worte,  die  ihm  vorgelesen  werden,  als  bei  uns  ein  dummer  Bauer,  dom 
der  Notar  sein  eigenes  Testament  vorträgt.  Hadhramiteu  haben  mich  in  solchen  Fällen 
manchmal  gefragt:  Steht  jotzt  wirklich  darin,  was  ich  ihm  (dein  Schreiber)  vorgesagt  habe? 


25 


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I. 


BERICHT  ÜBER  EINE  RAZZIA  ABD  fei,- MUTT  A LI  BS  ÜND  DARAUS 
ENTSTANDENE  MISSHELLIGKEITEN  ZWISCHEN  IHM  ÜND  DEM 
TÜRKISCHEN  GOUVERNEUR  (JUNI  1881). 


TEXT. 

'~J j — ^ 0 A5  jAulVi  > iu^yS'1'  ^ 

0V\j  ^ j*  ^ i3  o^~  y_)*^  o*  1? 

y>  W ' — L ''  i ( \-XA  9^^a)\  %vjVw>\  J 3 ^Vj ^ > ' i j — \ 

cA\  >o  *— *i c«j 

v • f*  CrJ^-r*  '-rJ f Tr*''  ^ J*>.  oJjVi  y^j  Ti.  Je  ilVi*  J>y  >_i;\ia)\  *1» J* 


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I. 

BERICHT  ÜBER  EINE  RAZZIA  ABD  feL-MUTTALIBS  UND  DARAUS 
ENTSTANDENE  MI8SHELLIGKEITEN  ZWISCHEN  IHM  UND  DEM 
TÜRKISCHEN  GOUVERNEUR  (JUNI  1881). 


UEBERSETZUNG. 

Wir  theilen  euch  hierbei  mit,  dass  die  Beziehung  zwischen  dem 
Grossscherif  (Abd  el-Muttalib)  ’)  und  dem  Wäll  (Qafwet  Pascha)  *) 
sehr  getrübt  und  jetzt  gänzlich  zerstört  ist.  Die  Ursache,  durch 
welche  die  euch  bekannte , längst  vorhandene  innerliche  Feindschaft 
zwischen  Beiden  jetzt  zum  Ausbruch  gelangt  ist,  liegt  in  der  An- 
gelegenheit der  Razzia.  Diese  Razzia  wurde  folgendermaassen  ver- 
anlasst: Als  die  Weiber  des  Grossscherifs  in  Begleitung  des  Scherifs 
Dachll  Allah  el-'Iwädji s)  und  des  (Geschäftsführers  Abd  el-Muttä- 
libs)  Muhammed  Djäbir  el-Jemänl1 * 3 4 5)  auf  der  Reise  von  Mekka  nach 
Täifs)  bei  es- Sgl , eine  Tagereise  vor  Taif  angekommen  waren, 
Hessen  sie  sich  dort  bei  einem  Brunnen  nieder.  In  der  Nähe  des 


1)  Dessen  letztes  Seherifat  dauerte  vom  Mai  1880 — September  1883 ; vorgl.  oben  8. 171  ff. 

3)  Dieser  war  Oktober  1880 — December  1881  Generalgouverneur  des  Hidjaz.  Derselbe 
bekleidet  ancb  jetzt  wieder  das  gleiche  Amt. 

3)  Dieser  Scherif  ist  der  Schwiegersohn  Abd  M-Muttälibs. 

1)  Dieser  war  der  Geschäftsführer  Abd  M-Muttälibs ; früher  soll  er  wegen  Diebstahl 
seines  Amtes  als  Kassierer  der  Douane  in  Undedah  entsetzt  sein;  vergl.  über  ihn  unten  S.  300. 

5)  Alle  vornehmen  Mckkaner  gehen  bekanntlich  in  der  heissesten  Jahreszeit  nach  den; 
kühleren  Täif,  wo  sie  ihro  Sommerwohnungen  haben. 


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196 


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o-*pV?"  siJd\j>  Vi>  cAt/*^  °y^  Cr^d®^  Cr*  "r** 


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197 


Brun  Dens  lagerten  aber  zwei  Beduinenstämme  von  den  'Utebah  ’), 
die  Qithamah  und  die  Thibatah  genannt.  Als  diese  am  Mittag  mit 
ihrem  Kleinvieh  zum  Brunnen  herabkamen , um  es  zu  tränken , 
wiesen  die  Leute  des  Scherifs  sie  zurück  und  entstand  zwischen 
ihnen  ein  Streit.  Sobald  Ibn  61-cIwädji  (der  oben  genannte  Scherif) 
und  Muhammed  Djäbir  den  Lärm  hörten,  befahlen  sie  gleich  ihren 
Dienern , die  Leute  festzunehmen  und  ihr  Kleinvieh  abzufassen. 
Bei  dem  Vieh  waren  bloss  Weiber,  kleine  Knaben  und  ein  Greis. 
Dem  Greise  banden  sie  nun  mit  Stricken  die  Arme  auf  dem 
Rücken  zusammen , den  Weibern  nahmen  sie  die  Burqif's  (Schleier) 
ab  *)  und  behielten  das  Kleinvieh  bei  sich.  Die  Knaben  und  die 
Weiber  flohen  nun  zu  ihren  Leuten  und  schrien  ihnen  zu,  was 
vorgegangen  war.  Auf  der  Stelle  bewaffneten  sich  die  Männer  und 
stellten  sich  (beim  Brunnen)  ein.  Das  war  am  Nachmittag  (cAfr) ; 
die  Leute  des  Scherifs  hatten  gerade  aufgeladen  und  die  Kameele 
in  eine  Reihe  gestellt  (zum  Aufbruch).  Da  fand  nun  die  Begegnung 
statt  und  entstand  ein  Kampf  mit  Feuergewehren ; von  den  Beduinen 
wurde  einer  getödtet,  auf  der  Seite  des  Scherifs  fielen  einer  von  seinem 
Hause  und  ein  leibeigener  Baicärdi  auf  beiden  Seiten  wurden  viele 


1)  Die  'Utebah  (N&mo  des  Einzelnen:  ’Utebi)  wohnen  in  Taif  und  Zeima und  an  verschie- 
denen Orten  ain  Wege  zwischen  Mekka  und  Taif,  ferner  von  Mokka  bis  ins  Qayim , wo 
ihre  Niederlassungen  östlich  von  denen  der  Harbstammo  liegen.  Sie  zerfallen  in  zwei 
Hauptgruppen , deren  jode  sich  wieder  in  (resp.  6 und  10)  Stämme  theilt.  Wir  geben  hier 
die  Namen  dieeor  Stämme  sowie  die  Bezeichnung  der  einzelnen  zu  ihnen  gehörenden 
Mitglieder  an: 


I.  cr-Rawaqah  (Rauqt) 

1.  et-Thibntnh  (ThubeitS) 

2.  M-Hufät  (Häfi) 

3.  öl-Humran  (Humräni) 

4.  M-Fizr&n  (Fizranl) 

5.  isl-Hibyan  (Hubyani) 

6.  M-Mazham  (Mazhami) 


II.  el-Baraqah  (Barqdtot) 

1.  cl-Hawum’dah  (min  D&wf  Hamid) 

2.  td-Da'djanijjin  (Da'djäni) 

3.  M-Miqatah  ( Muqati). 

4.  cl-Chanafir  (Chanfäri) 

5.  fer-Rüsän  (Ruweisl) 

6.  ee-Schajabin  (Schoibani) 

7.  el-'CJyamah  (‘Uyeimi) 

8.  el-Qithainah  (Quthami) 

9.  el-Hamtir’qah  (Himriqi) 

10.  ed-Delab’hah  (Dal  bald) 

2)  Das  war  also  eine  symbolische  Gefangennahme;  cs  würde  allzusehr  gegen  die  Sitten 
verstosson,  Beduinen weiber  gefangen  zu  halten. 

3)  Bawdrdijjah  heisst  die  aus  Freien  und  Leibeigenen  zusammengesetzte,  mit  Flinten 
bewaffnete  Leibwache  des  Grossscherifs.  Während  meines  Aufenthalts  in  Mekka  erhielten 


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198 


oySi'i  Jo^l  ^ ßjj  cA^'  O*  cA*^  *— ‘ 

V— X<\Aall  ^y^f— * (^  y*GL* 2 

(A\  ^r-^j  oyLJ\  ü*  jj-  Je  u_iAiaJ\  j Jic.\ , ^^as-  jU>  U 
^j;\lai\  (J*\  Je.  oAr1^  ei*  _}J»<  ^ J^>_5  iji"^*j  v_»JJ  ^ ,jV. _/«i\ 

Cr*  (1<^U  ^-s-j  ii)  J*  *A?  j-jU»-  Jej  ^ 

\*->  ^-i _/r  crA  OS^  ^\**\  ^yb\iX\  ^ ^ • 

* — *i Cr*  cA*^  A -yjL^ai  cA  <^e  J&  e*^/L— i \ 3 

ic.V^  ^ al>l*l^  Je  j Jlf-\  'Jj  ft*  (J'a>‘  ^ O'  j-'iij  (^J^i 
Cr*J  (V***lj  (M-  O*  .J**'-^  <V^  (k-J  Jp  cA^  •-j 

\jrr^  <i  Py^y  o^J  -A  ^ jjV\  cA  <\>-^ 

liLi\  wj^i;  <u jL-M  3 U\a\#  Wjt*  j'  Ji _A*^  cry^ 


1)  Meine  Abschrift  hat  hier  cryU ; dies  ist  aber  ein  Schreibfehler. 


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i-VUtüc^U 


199 


verwundet.  Die  Beduinen  waren  aber  die  Stärkeren;  als  die  Leute 
des  Scherifs  dies  sahen , erbaten  sie  sich  Gnade  von  den  Beduinen , 
gaben  ihnen  den  gefesselten  Mann  frei  und  erstatteten  ihnen  das 
Kleinvieh  und  die  Weiberschleier  zurück.  Diese  nahmen  das  an 
und  gingen  ruhig  ihres  Wegs.  Als  die  Leute  des  Scherifs  in  Täif 
ankamen  und  ihm  über  das  Vorgegangene  Bericht  erstatteten , 
wurde  er  zornig  und  liess  in  Täif  durch  einen  Ausrufer  ( Munädi ) l) 
zur  Razzia  gegen  die  beiden  Stämme  aufrufen.  Auch  schrieb  er  an 
die  Thaqlf-,  Hudel-  und  andere  Stämme,  dass  sie  sich  zur  Razzia 
gegen  die  bezeichneten  Stämme  rüsten  sollten.  Den  Einwohnern 
von  Täif  befahl  er,  80  Mann  zu  stellen , den  Hadhrarniten  von 
Mekka  100.  Als  dies  alles  im  Gange  war,  kamen  acht  von  den 
vornehmsten  Leuten  aus  den  (gegen  den  Scherif)  rebellischen 
Stämmen  (nach  Täif);  zwei  von  ihnen  sind  dem  Namen  nach 
allgemein  bekannt:  Ibn  Djureischlm  und  Ibn  Ilämid.  Sie  be- 
gaben sich  ungestört  zum  Wäll  und  flehten  ihn  an,  dass  er  den 
Scherif  für  sie  um  Gnade  bitte,  damit  dieser  sie  nicht  zum  Ge- 
genstand einer  Razzia  mache.  Sie  betheuerten  dem  Pascha,  dass 
sie  sich  in  keiner  Weise  rebellisch  betragen  und  nichts  gegen 
die  Karawane  (der  Weiber  des  Scherifs)  gethan  hätten,  dass  viel- 
mehr die  Leute  des  Scherifs  feindlich  gegen  sie  aufgetreten  seien, 
da  sie  ihren  Mann  gefangen  nahmen  und  ihr  Kleinvieh  bei  sich 
behielten;  sie  hätten  also  bloss  ihre  Habe  und  ihr  Leben  verthei- 
digt.  Jetzt  (sagten  sie)  ergeben  wir  uns  in  das , was  die  Regierung 
verfügt;  wenn  ihr  wollt,  bringen  wir  einige  Männer  als  Geissein, 
die  ihr  gefangen  setzen  könnt  zur  Verbürgung  der  Sicherheit  des 
Weges  *) , oder  wir  wollen  alle  mit  unseren  Familien  kommen  und 


die  freien  Bawärdi’s  monatlich  7^  Maria-Theresia-Thaler , die  Sklaven  5 als  Gehalt.  Mit 
den  Bvtchah  (nach  diesem  Stamme  benannte  Gensdarmen)  bilden  sie  die  letzten  Ueberreste 
der  Armee  des  Königs  von  Mekka;  die  Aufsicht  über  diese  Trappen  versuchen  aber 
energische  türkische  Gouverneure  möglichst  an  sich  zu  ziehen. 

1)  Vergl.  oben  S.  117. 

2)  So  ist  die  gewöhnliche  Art,  von  den  Beduinen  Sicherheit  zu  erlangen , dass  sie 
einer  Verabredung  nachkommcn  werden.  Jährlich  bleiben  auch  beim  Abzug  einer  Pilger- 
karawane aus  Mekka  nach  Medina  einige  Zehnor  von  Barb-beduinen  als  Geissein  im 
Gcfungniss  in  Mekka,  bis  die  Pilger  mit  heiler  Haut  zurückgekommen  Bind. 


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201 


in  der  Nähe  des  Pascha’s  lagern  — wir  stehen  unter  dem  Befehl ! 
Der  Wäll  versprach  ihnen  Sicherheit  für  die  Nacht,  bewirthete 
sie  bei  sich  und  verhiess  ihnen,  dass  er  beim  Seherif  ein  Sicher- 
heitsgelöbniss  für  sie  erwirken  werde.  Dann  ging  er  mit  den  Be- 
duinen nach  Methnä  ’)  zum  Scherif  und  erbat  von  ihm  ein  solches 
Gelöbniss  für  die  Beduinen,  und  dass  er  keine  Razzia  gegen  sie 
unternehme,  wenn  sie  friedlich  allen  Anforderungen  des  Scherifs 
Folge  leisteten.  Dieser  gab  sich  damit  zufrieden , und  der  Wäll 
ging  mit  den  Beduinen  zurück.  Einige  Stunden  später  sandte 
aber  der  Scherif  zum  Wäll  und  erklärte,  er  wolle  den  Ausgleich 
nicht  annehmen  , für  die  Beduinen  gebe  es  bei  ihm  nur  das  Schwert ! 
Der  Wäll  wurde  sehr  ärgerlich  wegen  dieser  Sinnesänderung  und 
(fragte),  wie  es  denn  möglich  sei,  dass  man  Leute,  welche  die 
Gnade  der  Regierung  erfleht  hätten,  bekriege.  Zuerst  sandte  er  den 
Mufti,  den  Scherif  zu  überreden;  dieser  nahm  aber  den  Vorschlag 
nicht  an;  dann  sandte  er  den  Defterdär  (Kassenführer  der  Provinz) 
und  den  Liwa  (General),  der  die  Garnison  kommandiert,  damit 
die  ihn  überredeten,  aber  gleichfalls  vergebens.  Die  beiden  Letzte- 
ren waren  eben  die  Anstifter  der  Uneinigkeit  zwischen  dem 
Wäll  und  dem  Scherif,  sie  neigten  zur  Partei  des  Scherifs  und 
halfen  ihm  in  allen  Dingen.  Die  Weigerung  des  Scherifs,  den  Aus- 
gleich anzunehmen , machte  den  Wäll  sehr  ärgerlich,  und  er  Verbot 
(dem  Garnisonskommandanten)  ’),  dem  Scherif  Truppen  und  sonstige 
Mittel  zur  Razzia  zu  geben.  Der  Garnisonskommandant  suchte  den 
Wäll  zu  überreden  und  wollte  Soldaten  auf  die  Razzia  mitgeben, 
aber  der  Wäll  genehmigte  es  nicht,  sodass  zwischen  Beiden  ein 
heftiger  Streit  entstand.  Der  Wäll  enthielt  sich  aber  der  Hülfelei- 
stung  ’).  Jene  acht  Beduinen  liess  der  Wäll  in  Sicherheit  unter  Be- 
gleitung von  Reitern  nach  ihrem  Wohnort  zurückkehren.  Der 
Scherif  rüstete  sich  nun  zur  Razzia  ohne  (türkische)  Truppen.  Die 


1)  Landhaus  mit  Gurten  de«  Grossst tiorifs  in  der  Nähe  von  Tiifc  Vergl.  oben  8.  166. 

2)  (,’afwet  Pascha  war  nämlich  selbst  mit  dem  Oberbefehl  über  die  Garnisonen  des 
Hidjäz  beauftragt 

3)  Der  Ausdruck  ist  seltsam,  wahrscheinlich  ist  statt  zu  lesen 

20 


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202 


«Afc  4>j!  »— iA\ai\  ^V*\  -XjM  -X-P- 

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203 


ThaqTf-stämme  und  die  Leute  von  Täif  sind  unter  dem  (oben  er- 
wähnten) Sohne  el-'Iwädjl’s  und  dem  Scherif  Abd  el-Madjld , Emir 
von  Täif,  (gegen  die  zu  züchtigenden  Stämme)  gezogen.  Von  Mekka 
aus  zog  der  Scherif  Harnzah  mit  Iludel-  und  Djabädilah-stämmen 
auf  dem  Thanijjah-wege  und  der  Scherif  Ali  ibn  Sa'd,  Qäiui- 
maqäm  von  Mekka  auf  dem  Wege,  der  an  6s- Sei  vorbeiführt, 
mit  Hadhramiten  aus  Mekka  und  Leuten  aus  den  (hauptsächlich 
von  Beduinen  bewohnten)  Stadtvierteln  el-Ma'äb’dah , Djirwal  und 
anderen,  zusammen  ungefähr  500  Mann.  Jetzt  erfahren  wir,  Ali 
ibn  Sa'd  ’)  sei  in  6s-Sel  angekommen  und  Harnzah  in  Rehah 
(Rlbah?),  wo  ein  Theil  jener  Beduinen  wohnt.  Drei  Häuser  soll 
Letzterer  verbrannt,  15  Mann  von  den  Thibatab  und  15  von  den 
Qithamah  gefangen  genommen  haben.  Die  von  Täif  gekommenen 
Banden  sollen  noch  nichts  verübt  haben.  Der  Bericht  bezüglich 
Hamzah’s  ist  erst  heute  eingetroffen ; seitdem  ist  nichts  Neues 
berichtet.  Dies  glaubten  wir  euch  mittheilen  zu  müssen;  höchst 
wahrscheinlich  wird  ein  Abkommen  getroffen  werden  nach  dem , 
was  uns  von  dem  Gerede  der  Leute  zu  Ohren  gekommen  ist! 

Dieser  Bericht  über  die  bezeichneten  Vorgänge  ist  geschrieben 
am  18.  Redjeb  1298  (Mitte  Juni  1881). 


1)  Ali  ibn  Sa'd  es-Scrüri,  damals  Qäimmaqäm  des  Grossscheriis  in  Mekka,  ist  seit  der 
Absetzung  Abd  bl-Mutt&libs  (1882)  und  dem  Regierungsantritt  cAun’s  der  Iiauptführor 
aller  Rauberstamme , «eiche  die  Wege  von  Mokka  nach  Lith  und  stellenweise  auch  nach 
Djiddah  unsicher  machen. 


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XX. 

BITTSCHRIFT  DER  MEKKA NKR  AN  DEN  SULTAN  UM  DIB  ABSETZUNG 
DES  GR088SCHERIFS  ABD  EL-MUTTALIB  (AUGUST  1881.) 


TEXT. 

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11. 


BITT8CIIRIFT  DER  MKKKANKR  AN  DEN  801, TAN  OM  DIE  ABSETZUNG 
DK8  GR08S8CHRR1FS  ABD  EL-MUTTÄI.IB  (AUGUST  1881). 


UEBERSETZUNG. 

Darstellung  des  Zustandes  und  islamitische  Ermahnung  an  seine 
Excellenz  Suleimän  Bey '),  Jäwer  (Adjutant)  der  Hohen  Regierung, 
damit  er  sie  der  Barmherzigkeit  des  Sultans  vorlege;  wir  bitten 
Gott  bei  der  Majestät  Seines  besten  Geschöpfes  (des  Propheten), 
dass  er  ihm  beistehe ; gelobt  sei  der  allein-Ewige , der  Seinen  Willen 
an  Seinen  Dienern  vollzieht!  Gelobt  sei  Der,  in  Dessen  Hand  die 
Herrschaft  über  alle  Dinge  — zu  Ihm  kehrt  ihr  zurück!*).  Er  ist 
der  Gewalthaber  über  Seine  Diener  *),  Lob  sei  dem  Weisen ! Er 
giebt  und  befriedigt,  aber  einige  von  den  (Menschen)  sind  ihm 
ungehorsam  und  betragen  sich  als  Tyrannen '),  während  andere 
Gerechtigkeit  geübt  und  das  Böse  beseitigt  haben.  Zu  Seiner  herr- 
lichen Weisheit  gehört  eB,  dass  er  den  Ungehomamen  in  den 
Ländern  lange  Frist  gewährt,  wie  sich  das  aus  Seinem  Worte  er- 
giebt1 * 3 4 5):  »Wir  werden  sie  fürwahr  einmal  treffen  von  einer  Seite, 

1)  Dieser  kam  den  8.  August  1881  nach  Djiddah  als  Begleiter  der  nach  Tfcif  exilierten 
Staatsgefangenen  Nun,  Mahmud  DAniad  und  Midhat  Pascha. 

9)  Vorgl.  Quran  36 : 81. 

3)  Vergl.  Quran  6: 18. 

4)  Der  hier  gebrauchte  Ausdruck  wird  im  Quran  häufig  auf  Pharao,  das  Urbild  aller 
Tyrannen , ango  wendet. 

5)  Quran  7 : 181,  68  :44,  wo  von  Ungläubigen  die  Rede  ist. 


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206 


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207 


»woher  sie  es  nicht  erwarten.”  0 Gott!  schütze  uns  mit  Deinem 
herrlichen  Schutz  und  führe  uns  zum  Dir  wohlgefälligen  Gehorsam 
gegen  Dich!  Stärke  die  Sache  unseres  Glaubens,  schone  unser  Blut, 
gieb  uns  Sicherheit  für  unsere  Habe , (wir  bitten  darum)  bei  Deinem 
Diener,  den  Du  auserwählst  und  an  dem  Du  Gefallen  hast  (d.  h. 
dem  Propheten) ; setze  nicht  über  uns  ein , wer  Dich  nicht  fürchtet 
und  für  uns  kein  Erbarmen  hat,  o Herr!  Wir  beten  zu  Dir,  o 
unser  Herr!  also  erhöre  uns,  wie  Du  es  versprochen  hast;  Du  hast 
ja  gesagt  (und  Dein  Wort  is  die  Wahrheit):  »Betet  zu  mir  und  ich 
»werde  euch  erhören.”  *). 

Hiermit  berichten  wir  unserer  Hohen  Regierung  über  das  was 
uns  widerfahrt,  nämlich  die  herrschende  Unsicherheit.  Seitdem  im 
Jahre  1297  (Mai  1880)  die  Karawane  des  (neuen)  Grossscherifs 
(Abd  el-Muttalib,  Stammtafel  III,  70)  im  geehrten  Mekka  ankam 
bis  zum  heutigen  Tag  leben  wir  im  schlimmsten  Elend  wegen  der 
Ungerechtigkeiten,  die  uns  in  verschiedener  Weise  widerfahren. 
Zuerst  sind  an  uns,  altmekkanischen  Bürgern,  schreckliche  Dinge 
und  enorme  Gewaltthaten  geschehen,  wie  weder  wir  noch  unsere 
Vorfahren  solche  gekannt  haben  von  der  Zeit  an,  wo  die  Hände 
der  Hohen  Regierung  uns  umfasst  und  mit  der  Barmherzigkeit  der 
Othinanen  umfangen  haben.  So  ist  es  u.  A.  allgemein  bekannt , dass 
Einige  von  uns  ohne  jegliche  Schuld  zu  Tode  gegeisselt  worden 
sind  und  Anderen  unter  irgend  einem  Vorwände  ihr  Gut  genom- 
men ist.  Sie  (die  Vertreter  des  Emirats)  kaufen  z.  B.  Sachen,  ohne 
deren  Preis  zu  zahlen,  oder  sie  fordern  den  Leuten  mit  Gewalt 
Geld  ab , wenn  diese  aber  einen  Schuldschein  verlangen , weigern 
sie  sich,  den  zu  geben.  Von  ihrem  Gelde  gilt  dann:  es  ist  fort! 
denn  sie  haben  keinen  Schein ; der  Fiscus  des  Emirats  nimmt  bloss 
ein,  giebt  aber  nie  heraus.  Anderen  von  uns  wurden  die  Woh- 
nungen ohne  Prozess  abgenommen.  Wenn  man  auch  eine  Klage 
einreichte,  wer  würde  darauf  hören?  Will  einer  von  den  Verge- 
waltigten die  Barmherzigkeit  des  Emirats  erflehen , so  findet  er 
dazu  keinen  Weg,  denn  die  Diener  verhindern  ihn  daran,  den 
Grossscherif  zu  sehen ; die  Beamten  weisen  jeden  zurück , der  eine 

1)  Quraa  10 : GZ. 


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208 


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209 


auf  das  Emirat  bezügliche  Angelegenheit  hat.  Es  sind  das  die 
Gehiilfen  des  Emirats,  Härüt  und  Marüt'),  d.  h.  der  Syrer“) 
und  der  Jömenite  *).  Anderen  von  uns  ist  ihr  Lebensunterhalt1), 
wodurch  sie  gegen  Elend  gesichert  waren  , abgenommen , und  der 
Betrag  is  durch  das  Emirat  nach  seinem  Gefallen  Anderen  gegeben. 
Das,  wovon  sich  1000  Muslime  ernährten,  raubte  man  ihnen  und 
wandte  es  einem  Manne  aus  dem  Gefolge  des  Emirats  zu.  Achte 
nun  um  Gottes  Willen  auf  diese  Art  der  Gerechtigkeit,  die  wahr- 
haft unerhört  ist!  Ich  möchte  wissen,  ob  diese  Geisselungen  und 
Entwendungen  von  Hab  und  Gut  etwa  in  irgend  einer  Weise  ge- 
setzlich heissen,  sei  es  nach  göttlichem  oder  menschlichem  Rechte? 
Kurz , unser  Zustand  lässt  sich  folgendermaassen  beschreiben : Wenn 
uns  das  Unsrige  genommen  wird , finden  wir  keinen , der  uns  dazu 
verhilft  oder  das  Uebel  von  uns  abwehrt;  wenn  wir  schreien,  hört 
keiner  auf  uns;  es  ist,  wie  der  Dichter  sagt: 

»Du  hast,  als  du  schrieest,  einen  Lebenden  angerufen, 

»Es  ist  aber  kein  Leben  in  dem,  welchen  du  anrufst!” 

Was  nun  aber  das  Uebel  anbelangt,  das  uns  zwar  nicht  direkt 
betrifft , dessen  Folgen  uns  aber  erreichen , so  ist  es  das  was  den  Be- 
duinen widerfährt,  die  Korn,  Butter,  Kleinvieh  und  dergleichen 
nach  Mekka  bringen.  Allen  diesen  Beduinen,  die  mit  den  erwähn- 
ten Waaren  nach  Mekka  kommen,  ging  es  von  Anfang  (der  Re- 
gierung Abd  fsl-Muttalibs)  an  in  folgender  Weise.  Sie  reisten  in 
Sicherheit  hierher 5) , kamen  nach  Mekka , verkauften  auf  dem  Markte 
ihre  Waaren , nahmen  den  Preis  in  Empfang , sahen  sich  dann  aber 
unversehens  von  Leuten  des  Scherifs  umzingelt,  die  sie  -zu  einem 
von  dessen  (oben  erwähnten)  Gehülfen  führten.  Sobald  ein  solcher 
Beduine  zu  ihm  hereintrat,  fing  der  Beamte  an,  ihm  zu  drohen, 
stellte  ihn  den  Anwesenden  gegenüber  als  einen  Aufrührer  dar  und 

1)  Dies  sind  die  beiden  Engel,  welche  nach  Qu  ran  II:  96  die  Menschen  die  Zauberei 
lehrten  und  somit  alles  Uebel  in  dor  Welt  anstifteten,  das  durch  die  Ausübung  dieser 
verbotenen  Kunst  herbeigeführt  wurde. 

9)  KArail  Efendi  t^-Schami  (aus  Damaskus)  war  der  Sekretär  Abd  el-Mutt&libs  während 
dessen  letzter  Regierung. 

3;  Muhammed  Djabir  el-Jermini ; vergl.  oben  S.  195  Anm. 

4)  Hier  sind  Antheile  an  der  ägyptischen  Korn-^adaqah  gemeint. 

5)  Diese  Worte  bilden  eine  otwas  freio  Uebcrsetzung  des  zweifellos  verdorbenen  Textes. 

97 


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210 


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ij£&\  uil^>V\  jjU\  o-i;\j:  «iilj  Jjjtu  \iU  Uyije.  wiL^Vl 

Jp  j*  cA  ii  (*4^  3^ 

G y\+£?j  d*~y  y?  ^c"  Cfb  J*  Aj  ^ ^i  Aj\  \ii>-^ 

^Yl  iö'jU  je  »j-Ai»  U 'Jj  ^y«4  £*-*3  &*  v • r*  U (J>-  _j-ÜV  3 

y\  kiiij  £j  >j jai\  'j^j  <a«i\  \jjj  |f  oi\  ^ ii*  y y_j  yy  j»y\ 

v*  yv«  jliv»  yjL^\  j ®ju  (i  >»Y\  '-*A  er*  Jji  ^*  J^"  T^j 

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211 


nahm  ihm  das  für  die  erwähnten  Waaren  erlangte  Geld  ab.  Darauf 
warfen  sie  einen  solchen  auf  einen  Tag  ins  Gefangniss  und  befreiten 
ihn  erst  auf  die  Bitte  irgend  einer  Mittelsperson;  das  ganze  Ver- 
fahren bezweckte  nur  ihm  sein  Geld  zu  nehmen.  Wären  nun 
aber  diese  Beduinen  wirklich  Aufrührer  und  Rebellen,  so  kämen 
sie  gewiss  nicht  mit  diesen  Lebensmitteln  nach  Mekka,  sondern 
blieben  vielmehr  in  ihrem  Gebiete.  Das  Uebel,  dessen  schlimme 
Folgen  auch  uns  treffen,  besteht  nun  darin,  dass,  wenn  ein  sol- 
cher Beduine  aus  ihren  Händen  befreit  und  zu  seinem  Stamme 
zurückgekehrt  ist  und  ihnen  erzählt  hat,  wie  er  von  Seiten  des 
Emirats  oder  von  dessen  Gefolge  behandelt  wurde,  seine  Stammes- 
genossen für  ihn  Partei  nehmen  und  sich  zu  Feindseligkeiten  rüs- 
ten; dann  trifft  aber  uns  das  Unheil.  Zuerst  nämlich  halten  sie 
dann  die  Zufuhren  der  Lebensmittel  zurück,  und  infolge  dessen 
steigen  die  Preise  dieser  sowohl  als  anderer  Waaren.  Zweitens 
fangen  sie  an , die  Strassen  der  Muslime  unsicher  zu  machen. 
Kurz,  was  die  Beduinen  befallt,  trifft  auch  uns,  und  wir  haben 
noch  unser  unmittelbares  Leiden  dazu.  Wir  können  nur  dulden 
und  ertragen , denn  wir  stehen  in  keiner  Verbindung  mit  den  Be- 
duinen, sodass  wir  zu  ihnen  auswandern  und  bei  ihnen  wohnen 
könnten,  und  uns  fehlt  die  Gewalt  zur  Abwehr  des  Uebels.  Wir 
haben  keine  Zuflucht  ausser  Allah  und  der  Hohen  Regierung  und 
Deren  Vertretern  in  unserer  Mitte.  Von  Anfang  an  haben  wir  denn 
auch  alle  die  erwähnten  Vorgänge,  die  während  der  Verwaltung 
seiner  Excellenz  Näschid  Pascha  ’)  stattfanden  und  alle  Ungerechtig- 
keiten, die  uns  trafen,  diesem  mitgetheilt;  wir  haben  damit  aber 
nichts  erzielt:  das  Uebel  wandte  er  nicht  von  uns  ab  und  verhalf 
uns  nicht  zu  dem,  was  uns  abgenommen  war.  Wir  hatten  von 
seiner  Excellenz  erwartet,  dass  er  eins  von  Beiden  thäte:  sei  es, 
dass  er  (das  Uebel  von  uns  abgewandt  hätte,  oder  dass  er)  was 
ihm  berichtet  war  und  was  er  mit  uns  Vorgehen  sah,  der  Barm- 
herzigkeit unserer  Regierung  vorlegte,  wenn  ihm  selbst  die  Macht 
abging,  das  aufzuheben.  Unsere  Regierung  hat  ja  am  ersten  für 


1)  Dieser  war  August  1879  — Oktober  1880  Genenügouvarueur  des  Hidjkz. 


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212 


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218 


uns  zu  sorgen;  wir  sehen  aber  nur  das  Aeussere  der  Sache:  das 
Uebel  ist  nicht  von  uns  abgewandt.  Wir  wissen  nicht,  ob  unsere 
Regierung  das  Alles  erfahren  hat  oder  nicht. 

Gleichfalls  haben  wir  unserem  Efendi  Qafwet  Pascha  *),  so  lange 
er  die  Verwaltung  führt,  berichtet,  was  uns  geschah.  Die  Folge  war 
jedoch  nur,  dass  nach  jeder  Klage  das  Elend  zunahm,  während 
unser  Efendi  doch  von  Allem  Zeuge  war.  Von  unserem  Efendi  (Allah 
verlängere  sein  Dasein!)  sahen  wir  nur,  dass  er  die  Vergewaltig- 
ten und  Beraubten  (mit  Worten)  zu  besänftigen  suchte. 

Wir  wissen  nicht,  ob  wirklich  das  Emirat  die  Erlaubniss  be- 
kommen hat , uns  zu  Grunde  zu  richten , und  unser  Efendi  keine 
Befugniss  besitzt,  über  diese  Dinge  zu  berichten;  ober  ob  unser 
Efendi  zwar  schon  berichtet,  die  Regierung  ihm  aber  den  Befehl  er- 
theilt  hat,  das  Emirat  nicht  an  dem  zu  verhindern,  was  dasselbe 
verübt;  oder  ob  er  die  Berichterstattung  vernachlässigt  hat.  Unser 
Zustand  ist  verzweifelt  und  unser  Denken  erschöpft.  Wir  wissen 
nicht,  ob  unsere  Regierung  von  den  Bittschriften  Kenutnis  trägt, 
die  wir  ihren  hiesigen  Vertretern  überreicht  haben,  oder  nicht. 
Sind  ihr  dieselben  unbekannt,  so  steht  sie  schuldfrci  vor  Allah 
und  wird  sie  unsere  Sünden  nicht  zu  büssen  haben.  Ist  aber  das 
Unheil , welches  über  uns  ergangen  ist , unserer  Regierung  bekannt 
gemacht  und  vernachlässigt  sie’s,  dem  abzuhelfen,  so  sagen  wir: 
»Allah  ist  uns  genug  und  auf  ihn  darf  man  sein  Vertrauen  setzen!” 1 2  3) 
Dan  wollen  wir  ausharren , bis  »Er  einen  Entschluss  ergreift , der 
sicher  ausgeführt  wird”  *)  und  bis  er  uns  seine  nahe  Rettung 
bereitet : Er  hört  und  erhört ! Ist  unserer  Regierung  noch  nichts 
von  unserer  Lage  zu  Ohren  gekommen , so  überreichen  wir  ihr 
jetzt  diese  Bittschrift  und  sehen  dem  Erfolg  entgegen.  Wir  sind 
auf  Gottes  Schutz  und  den  der  Hohen  Regierung  angewiesen : 
diese  wird  für  uns  verantwortlich  sein  »am  Tage,  wo  weder  Be- 
»sitzthum  noch  Söhne  Einem  nützen , sondern  nur  das  Erscheinen 
»vor  Allah  mit  reinem  Herzen"  *).  Jeder  Hirt  ist  verantwortlich 

1)  Vergl.  über  diesen  Gouverneur  oben  S.  186,  8.  195,  Anm. 

2)  Qur&n  3:107  usw.  3)  Qur&n  8:43,  4G. 

4)  Qu  ran  26 : 87 — 8. 


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214 


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215 


für  seine  Heerde ; wir  aber  stehen  unter  der  Obhut  der  Regierung , 
nicht  ihrer  Diener.  Du  siehst  uns  im  schrecklichsten  Elend : »der 
Lebensodem  ist  uns  bis  in  die  Kehle  gestiegen” ')  und  »die  ganze 
weite  Erde  ist  uns  zu  enge  geworden”  *).  Einige  von  uns  hat  der 
Zustand  schon  dahin  geführt , dass  sie  sich  in  den  Schutz  der 
fremden  Mächte  begeben  haben  zur  Schonung  ihres  Blutes  und  zur 
Sicherstellung  ihrer  Habe.  Wir  ersuchen  unsere  Regierung,  dass 
sie  mit  dem  Auge  des  Mitleids  und  des  Erbarmens  auf  uns  blicke 
und  dieses  Uebel  von  uns  wegnehme,  damit  unser  Herrgott  sie  nicht 
wegen  unserer  Sünden  bestrafe,  und  damit  nicht  diese  Vorgänge 
ihren  Verfall  und  den  Untergang  ihrer  Gewalt  verursachen. 

Wir  sind  die  Nachbarn  von  Gottes  Haus,  und  wir  haben  Gott 
gepriesen,  o edler  (Sulemän)  Bey , weil  er  uns  mit  deiner  An- 
kunft beglückt  hat.  Wir  bitten  dich,  diese  Angelegenheiten  zu 
untersuchen  und  unserer  Regierung  mitzutheilen , was  du  Unrechtes 
an  uns  geschehen  siehst  und  was  wir  dir  unterbreitet  haben.  Sei 
du  bei  deiner  glücklichen  Rückkehr  in  der  Residenz  wie  unsere 
Zunge  und  berichte  vom  Unrecht,  das  du  gesehen  hast  und  was 
deine  Ohren  erreicht  hat  und  dir  überbracht  ist.  Wir  übergeben 
unsere  Sache  dem  Weisesten  aller  Richter,  Er  ist  uns  genug  und 
auf  ihn  darf  man  sein  Vertrauen  setzen. 


1)  Vergl.  Qurin  56 : 82. 

2)  Qiiran  9 : 25,  119;  vergl.  auch  z.  B.  IA  VIII : 142  ^ *,ir 


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TTT. 

AMTLICHER  BERICHT  ÜBER  EINE  ZÜCHTIGUNG  DER  BEDUINEN  IN 
DER  NÄHE  VON  JAMBU'  (MÄRZ  1886). 


Dies  ist  die  Ueberxetzunrj  des  Briefes  von  dem  Kommandanten 
der  Miliztruppen,  die  zum  Bau  einer  Mauer  und  einer  Festung 
nach  Jambu  abgeschickt  sind , Muhammed  Lutfi  Beg,  datiert  den  13. 
März  (sic)  1803  (1886). 

Wir  erfuhren  am  12*®°  des  laufenden  Monats,  dass  die  Bedui- 
nen der  Beni  Ibrahim  und  alle  Bewohner  von  Jambu'  en-Nachl ') 
sowie  einige  Beduinen,  die  mit  den  Stämmen  des  Obcrschechs 
Ibrahim  ibn  Mutliq s)  in  Verbindung  stehen,  und  der  ^ariü;irah- 
starnm  von  den  Djehenah  s)  sich  vereinigt  hatten  und  übereinge- 
kommen waren,  unsere  kaiserlichen  Truppen  zu  bekämpfen,  das 
Thor  von  Jambu'  el-Babr  ’)  zu  zerstören , die  Stadt  anzugreifen  und 
zu  plündern.  Am  zweiten  Tage  nach  der  Ankunft  des  Muhäfiz 
(Gouverneurs)  von  Medina , als  er  gelandet  und  in  das  Regierungsge- 
bäude eingezogen  war,  sahen  wir  alle  jene  oben  erwähnten  Schelme 


1)  Jambu'  cn-Nachl,  d.  h.  das  Palraen-Jambu',  liegt  ± 6 Stunden  nordöstlich  vom  Hafen 
Jambu*  el-Bahr  (Jambu*  am  Meere)  und  enthält  einige  Dörfer  mit  fruchtbaren  Pflan- 
zungen. 

2)  Vor  gl.  über  diesen  Sch&ch  die  Anmerkung  hinter  diesem  Briefe. 

3)  ln  dem  Verzeichnis»  der  Djehenahstämme , welches  wir  in  der  Anmerkung  hinter 
diesem  Briefe  mittheiien,  kommen  die  (/arayirah  nicht  vor;  vielleicht  bilden  sie  eine  Un- 
terabtheilung irgond  eines  der  dort  erwähnten  Stämme. 


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gegenüber  der  rechten  Seite  des  Lagers  der  kaiserlichen  Truppen 
hervortreten  in  Entfernung  einer  halben  Stunde.  Sie  traten  in  die 
früher  von  den  egyptischen  Truppen  gemachten  Schanzen  ein  und 
fingen  dann  an , Lärm  zu  schlagen  und  herauszufordern.  Darauf 
machten  sie  sich  daran , eine  Mauer  zu  bauen ; nachdem  ich  dies 
gesehen  und  mich  überzeugt  hatte,  dass  ihr  Aufenthalt  mit  dem 
Geschütze  unserer  Schiffe  vom  Meere  aus  wohl  zu  erreichen  war , 
verständigte  ich  den  Marinekommandanten  durch  Signale,  dass  er 
mit  Bomben  auf  sie  schiesse,  und  wenn  er  unsere  Truppen  gegen 
die  Verstärkungen  stürmen  sehe,  das  Feuer  einstelle.  Mit  der  Be- 
stürmung beauftragte  ich  den  Blmbäschi  Bekr  Efendi  mit  150 
Mann , nämlich  zwei  Kompagnien , und  ich  nahm  unter  eignem 
Kommando  eine  Kompagnie  und  eine  Kanone,  die  ausgesende- 
ten Truppen  im  Rücken  zu  stützen.  Im  Lager  und  für  die  Ver- 
theidigung  der  Stadt  iiess  ich  drei  Kompagnien  zurück  mit  dem 
Befehl , uns , sobald  es  nöthig  sei , die  erforderliche  Hülfe  zu  leisten, 
und  ich  theilte  Alles  dem  Stellvertreter  des  Qäimmaqäms  mit.  Als 
nun  das  Kanonenschiessen  und  die  Bestürmung  anging  und  ich  mit 
den  Meinigen  hinterher  schlich,  warteten  die  Schelme,  bis  die 
Stürmer  auf  300  Schritt  von  jenen  Befestigungen  gelangt  waren, 
dann  flohen  sie  aber  wie  die  Heuschrecken  und  zogen  sich  in  die 
1000  Schritt  weiter  gelegenen  Werke  zurück.  Als  ich  nun  sah, 
dass  der  genannte  Blmbäschi  Bekr  Efendi  jene  ersten  Befestigun- 
gen zur  Basis  seiner  Operation  nahm  und  l1/,  Kompagnie  darein 
legte,  verstärkte  ich  ihn  durch  eine  Kanone  und  eine  Kompagnie 
zum  Angriff  der  Festungswerke,  in  welche  die  Schelme  sich  ge- 
flüchtet hatten.  Als  dieser  Plan  zur  Ausführung  gelangte  und  sie 
des  Untergangs  gewiss  waren,  verliessen  sie  auch  die  zweite  Reihe 
von  Befestigungen  und  rannen , ohne  eine  Flinte  abzufeuern,  in  die 
Ebene.  Hier  bildeten  sie  geschlossene  Reihen;  zu  ihnen  gesellten 
sich  Fahnen  («c),  Fusskampfer  und  Dromedarreiter,  und  sie  hatten 
augenscheinlich  vor,  die  Stadt  von  solchen  Stellen  zu  bestürmen , wo 
ihnen  keine  Soldaten  entgegenstanden.  Wir  richteten  nun  gegen 
sie  l'/j  Kompagnie  von  den  versteckten  Soldaten  und  einige  unter 
dem  Befehle  des  Jäzbäschl  Othman  Efendi  stehende  Zaptijjeh’s 

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(Polizeisoldaten),  um  ihnen  den  Eindruck  zu  machen , dass  wir  sie 
umzingeln  wollten.  Als  sie  dies  sahen,  glaubten  sie,  es  rückten  be- 
trächtliche Kräfte  gegen  sie  an,  und  flohen  in  grösster  Eile.  Wir 
aber  verfolgten  sie  gegen  zwei  Stunden , wobei  viele  von  ihnen  den 
Tod  fanden ; dann  kehrten  wir  zurück  und  beteten  um  den  fort- 
währenden Sieg  der  glorreichen  kaiserlichen  Truppen.  Als  ich  unsere 
Soldaten  aber  auf  die  Leichen  losstürzen  sah , die  Köpfe  abzuhauen , 
habe  ich  dies  aus  einleuchtenden  Gründen  verboten.  Wir  sind  dann 
nach  unserem  Lager  zurückgekehrt,  ohne  dass  den  Soldaten  irgend 
etwas  Schlimmes  begegnet  wäre.  Am  zweiten  Tage  erfuhr  ich , dass 
die  Beduinen  auf  das  Schlachtfeld  zurückgekommen  seien,  die 
Todten  auf  Eseln  mitzuluhren.  Augenzeugen  veranschlagten  deren 
Zahl  auf  150  und  die  Verwundeten  gleichfalls  auf  150. 

Der  Kommandant  der  Truppen 
MIRALAI  MUHAMMED  LUTFI. 

Beachtet,  o Leute!  was  der  bezeichnete  Kommandant  schreibt 
und  entnehmt  daraus  die  Nutzanwendung!  Beachtet,  wie  jene  Be- 
duinen das  Maass  überschritten  haben,  wie  aber  die  Hohe  Regie- 
rung sich  das  Wohlergehen  ihrer  Unterthanen  und  die  Sicherheit 
ihres  Eigenthums  und  Lebens  angelegen  sein  lässt  und  mit  allen 
Mitteln , wie  z.  B.  dem  Bau  von  Festungen  und  Mauern , danach 
strebt.  Jene  Uebelthäter  wirkten  auf  das  Gegentheil  hin  und  woll- 
ten die  Soldaten  zu  Grunde  richten,  die  wir  geschickt  haben  um 
Jambu'  am  Meere  durch  den  Aufbau  seiner  Mauer  und  die  Er- 
richtung einer  Festung  zu  schützen.  Nachdem  die  Soldaten  Nacht 
und  Tag  ihre  Arbeit  darauf  verwendet  hatten,  verübten  Jene  was 
sie  verübten  (d.  h.  sie  suchten  die  Werke  zu  zerstören , welche  dazu 
dienen  sollten,  erfolgreicher  gegen  sie  vorgehen  zu  können).  So  kam 
über  sie,  was  sie  durch  das  Wandeln  auf  schlechten  Wegen  verdient 
hatten;  das  Irregehen  führt  zum  Elend  und  zum  Untergang!  Der 
Kampf  wurde  uns  (unserem  Herzen)  freilich  schwer,  weil  die  beiden 
Parteien  Muslime  waren ; aber  die  Beduinen  haben  den  bezeichneten 
Kommandanten  zu  solchem  Vorgehen  gezwungen , und  so  hat  sie 


4 


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erreicht , was  sie  erreicht  hat ! Zweifelt  nicht  daran , dass  Alle , die 
sich  gegen  den  Herrn  der  Gläubigen  (d.  h.  den  Sultan  der  Türkei) 
erheben , ein  Gleiches  treffen  wird ! Die  Einsichtsvollen  werden 
daraus  die  Nutzanwendung  entnehmen;  denen,  so  Andere  auf  Irr- 
wege führen , stehen  die  schlimmen  Folgen  ihrer  Handlungen  bevor. 

Den  24.  Djumäda  II  1808  (Ende  März  1886) 

Der  Wäll  und  Kommandant  der  Gar- 
nisonen im  Hidjäz 

OTHMAN. 


Anmerkung.  Bezüglich  der  in  obigem  Briefe  erwähnten  Stämme 
bemerken  wir,  dass  die  Djehenah,  soviel  wir  erfahren  haben,  in 
21  Abtheilungen  (Stämme)  zerfallen , von  denen  die  der  Bern 
Ibrahim  mit  ihren  sechs  Schechen  (Hamid  ibn  Milium , Ahmed  el- 
Meschaddaq,  es-Scherif  Hamad  el-cAjjäschi , Ahmed  Abu  Ruqeibah, 
Td  Haltlt , Ahmed  es-Scheteiri)  als  die  bedeutendste  gilt.  Die  übri- 
gen 20  Stämme: 


1.  Qajäd’lah  (QeidalänT) 

2.  Mesäwa  (Mesäwl) 

3.  Hibd  (Hebeidl) 

4.  Refä'ah  (Refä^I) 

5.  TJqb  (TJqeibl) 

6.  Mebajja  (Mebajjäwl) 

7.  Nattäfln  (Nattäfl) 

8.  Bedeid  (Bedeidi) 

9.  Meräwin  (Mcrwänl) 

10.  Fawnidah  (Fädi) 


11.  Himadah  (Himadl) 

12.  Haschäk’lah  (Haschkeil) 

13.  Qudhät  (Qädhi) 

14.  Niza  (Nizäwl) 

15.  'Aläwen  (‘Alwänl) 

16.  Qajäj’dah  (Qajjädi) 

17.  Ile^einät  (He?einätl) 

18.  Dibjän  (Dibjänl) 

19.  Benl  Kelb  (K61bl) 

20.  Theqäfah  (Theqäfi) 


haben  je  einen  Schech , ausser  N°.  4 , der  unter  zwei  Schechen  steht. 

Die  Namen  der  Scheche  haben  insofern  Interesse,  als  sich  aus 
einigen  ergiebt,  wie  immer  noch  ganze  Stämme  nach  den  Eigen- 
oder Familiennamen  des  Schechs  benannt  werden.  Als  Emir  über 
alle  Djehenah -Stämme  gilt  der  Scherif  Scharaf  ibn  Abd  el-Mun'im. 
Die  Djehenah  bildeten , wie  wir  dies  oben  gezeigt  haben , die  älteste 


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Stütze  der  Macht  der  Hasaniden  in  Westarabien,  namentlich  in 
ihren  Sitzen  zwischen  Medina  und  dem  Meere. 

Der  Schech  Ibrahim  ibn  Mu(liq , dessen  Verbündeten  im  Briefe 
erwähnt  werden,  gehört  zu  einem  von  den  zahlreichen  Harb-stämmen, 
die  seit  900  Jahren  allen  Beherrschern  Westarabiens  soviel  zu 
schaffen  machen.  Die  Hauptabtheilungen , in  welche  die  Gesammt- 
heit  der  Harb-stämme  zerfällt,  sind 

I die  benI  Säum,  II  die  m&srüh. 

Die  benI  sälim  wohnen  an  der  Haupt-  oder  Sultanstrasse  zwischen 
Medina  und  Jambuc  und  zwischen  Medina  und  Bedr.  Sie  zerthei- 
len  sich  in  zwei  Gruppen: 

1.  Die  Meräwjiah  (Merawwabl)  und  kleinere  Gruppen,  die  sich 
ihnen  anschliessen , unter  dem  Obersehech  Na^är  ibn  cAbbäs.  Die 
kleineren  Gruppen  sind  die  BenI  Maljmüd  und  die  Auläd  Abu 
’l-Häja  (zusammen  auch  die  Hawäzim  genannt),  mit  den  Meräw’hah 
zusammen  26  Stämme  mit  34  Schechen. 

2.  Die  9 Stammgruppen  (Ahäm’dah , BenI  cAmr,  Rihalah , Me- 
hämid,  Qirahah,  BenI  Jchja,  Sa'ädln,  Tumam , Cubh),  welche  man 
zusammen  mit  dem  Namen  von  Mejm «»-stäm  m en  bezeichnet.  Es 
sind  23  Stämme  mit  40  Schechen  unter  dem  Obersehech  Hudeifah 
ibn  Sacd.  Zu  den  als  raubsüchtig  verrufenen  Abäm’dah  zählen  die 
Sechär’nah  (Secharl),  deren  Schech  der  erwähnte  Ibrahim  ibn 
Mutliq  ist. 

Die  Mäsküh  bilden  drei  Gruppen  (Zebcd , 'Auf  und  BenI  'Amr), 
zusammen  22  Stämme  unter  ebenso  vielen  Schechen  mit  dem  Ober- 
schech  Abdallah  ibn  (vielfach  bin  gesprochen)  'Asim  (eigentlich  i . 
Der  Stamm , der  direkt  vom  Oberscheche  regiert  wird , hat  den 
Namen  der  'Usiim  ('Asml),  und  sein  Hauptsitz  ist  Chulei? ; übrigens 
wohnen  diese  Stämme  am  Fural-wege  zwischen  Mekka  und  Me- 
dina, am  westlichen  Wege,  auch  zwischen  Bedr  und  Räbigh  und 
zwischen  Räbigh  und  Wädl  Fätmah.  Oben  (S.  184)  haben  wir 
gesehen,  dass  der  eben  genannte  Schech  Bin  'Asim  im  Jahre  1886 
mit  seinen  Beduinen  den  Pilgerkarawanen,  die  von  Mekka  nach 


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Medina  reisen  wollten,  den  Weg  verschloss,  wodurch  der  übliche 
Besuch  des  heiligen  Grabes  vor  dem  Haddj  vereitelt  wurde. 

Vielleicht  bietet  sich  mir  später  die  Gelegenheit,  die  übrigen  von 
mir  gesammelten  Daten  über  die  heutigen  Namen , Wohnsitze  usw. 
der  arabischen  Stämme  zu  veröffentlichen. 


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IV. 


AUFRÜHRERISCH  ER  ANSCH  LAGEZETTEL  GEGEN  OTHMAN  PA8CHA 

(ENDE  1885). 


TEXT. 

f ab  Jjj\  L ^ jl 

J j£\  <#\  j^L  j oV«xJl  \ _/>•)  cx^af  ^yAU  Lu»  JaL  ^Ljt  'i 

V^»v\j*5^  öj^j  X>  v>*  cf“ 

> ^U\  iü\i  J,  JAal\j  J.t  \i*\  J ^ jf  > b*  ^ ÖjlJl\ 
* OV**^  j\ju\  4*^5  8jW  ^ £ tux»  jb  »J.sYl  l_rAf  Ja\ 
^ j^JA\  JU*  S S j ^lU*  Ji*  [1.  ^rwaj  \a  >'  > VM> 
«l£L’  Jj  AiJ.  _*Ji  'La  (^Y\=)  ^ i£>f  ^ J^ibJ  ü*  'j-fb  La  Ja 


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XV. 


AUFRÜHRERISCHER  ANSCHLAG EZETTEL  OEOF.N  OTHMAN  PASCHA 

(ende  1885). 


UEBERSETZUNG. 

Und  wer  nicht  entscheidet  nach  dem , was  Allah  offenbart  hat, 
die  sind  die  Ungläubigen  / *) 

Es  sei  euch  bekannt,  ihr  Leute  von  Mekka,  dass  dieser  Wäll 
(Gouverneur)  vorhat,  die  (modernen)  Anordnungen  (der  türkischen 
Regierung)  in  der  heiligen  Stadt  Allahs  einzuführen ; also  wachet 
auf  aus  eurer  Nachlässigkeit  und  stehet  auf  von  eurem  Schlafe ! 
Duldet  nicht,  dass  die  (weltlichen)  Gesetze  in  Wirkung  gesetzt 
werden,  denn  sie  bilden  nur  den  Anfang,  wie  jedem,  der  die  ge- 
ringste Einsicht  hat,  einleuchtet.  Der  Beweis  für  unsere  Behaup- 
tung liegt  darin , dass  er  (der  Wäll)  dem  Medjlis  al-ldärah  (dem 
Gemeinderath) s)  seinen  Plan  vorgelegt  hat , in  jedem  Stadtviertel 
drei  Leute  (zu  bestellen),  zwei  uScheche"  und  einen  « Gewählten 
und  Imäm  des  Viertels Als  darauf  die  Mittglieder  des  Medjlis 
ihm  sagten:  //Dergleichen  geht  nicht  in  Mekka”,  hat  der  Verfluchte 
erwiedert:  //Ist  Mekka  besser  als  Konstantinopel?  Wir  werden  die 
Sache  mit  Gewalt  durchführen.”  Darum,  ihr  Mekkaner!  hat  sich 

1)  Quräu  5:  IS.  8)  Vorgl.  oben  S 173. 


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224 


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225 


ein  Verein  constituiert  unter  dem  Namen  »Der  Islamitische  Ver- 
ein”; wer  demselben  beitreten  will,  der  frage  nach.  Das  Ziel  des 
Vereins  ist,  diesen  verfluchten  Wall  und  den  Qaigarli ')  umzu- 
bringen. Wer  nicht  im  Stande  ist  beizutreten,  der  klage  zu  Allah 
bei  Seinem  heiligen  Hause,  dass  die  allgemeine  Sicherheit  zerstört 
ist , weil  dieser  WSli  noch  immer  regiert.  In  Bezug  auf  das 
Korn  des  Dßräjeh  (der  egyptischen  Stiftung)  will  dieser  Verfluchte 
Prozesse  veranlassen  (um  dadurch  die  Verfügung  über  das  Korn 
zu  bekommen);  hört  also  auf  keinerlei  Einwendung  von  ihm  und 
nehmt  euren  Antheil  bloss  vollständig  an  (d.  h.  lasset  euch  unter 
keinem  Vorwand  Abzüge  gefallen  . Achtet  auch,  ihr  Leute  von 
Mekka,  auf  die  Tödtung  des  Scherifs  und  seines  Sklaven'),  wie 
man  ihnen  die  Köpfe  abgeschnitten  und  sie  nach  Mekka  gebracht 
hat  zu  diesem  verfluchten  Wäll,  wie  derselbe  befohlen  hat,  sie  in 
allen  Hauptstrassen  Mekka’s  (zur  Warnung)  auszustellen , und  wie 
die  Soldaten  damit  herumgegangen  sind.  Was  sind  das  für  Thaten , 

schändlicher  als  was ')  verübt  hat ! Darum , wer  diesen 

Mann  tödtet , tritt  ohne  Abrechnung  in  das  Paradies  ein  / Der  Zweck 
der  Anstellung  von  Schechen  und  einem  Gewählten  für  jedes  Stadt- 
viertel ist  die  Anordnung  einer  Volkszählung  in  jedem  Quartier, 
um  so  die  Grundsteuer  und  andere  in  den  neuen  Gesetzen  bestirn- 
ten Abgaben  *)  zu  erheben , wie  (der  er  Wäll)  dies  im  Medjlis  al- 
Idärah  offen  eingestanden  hat. 

Von  Seiten  des  Islamitischen  Vereins. 


1)  Dieser  war  Hakim  von  Mekka,  d.  h.  Marktaufseher  und  Polizieoberst. 

2)  Beide  waren  von  Othman  Pascha’»  Truppen  bei  der  Züchtigung  von  Räuberbanden, 
zu  denen  sie  gehörten,  getödtot  worden. 

3)  Das  in  der  Uebersetzung  ausgelassene  Wort  weise  ich  nicht  zu  erklären. 

4)  Ich  woiss  nicht  genau , welche  Abgaben  hier  an  zweiter  Stelle  gemeint  sind. 


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V. 


TRAÜKKGEDICHT  VOM  8CHECH  BEDKWI  AUF  DEN  TOD  DES 
GKOS8SCHEIUF8  ABDALLAH  (1877). 


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1)  Die  beinahe  durchgängig  vofcalisiertc  Abschrift  hat  hier  jj\>. 


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227 


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1)  Der  Orossseherif  war  nämlich  in  Täif  gestorben  und  wurde  also  beim 
Grabe  des  Abdallah  ibn  'Abbäs  beerdigt. 

2)  Hier  hat  das  V»  von  \j^\  unseren  Beduinendichter  irre  geführt , und  konstru- 
iert er  weiter,  als  wäre  eine  Negation  Türangegangen. 


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228 


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1)  Die  Abschrift  hat  '^. 


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Man  bittet,  folgendo  Druckfeliler  gleich  zu  verl>essern: 


S.  202 

Z. 

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lies: 

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MEKKA 


VON 

rx  C.  SNOUCK  HURGRONJE. 


MIT  BILDER- ATLAS. 


HERAUSQKGEBEN  VON  ■ HUT  KONINKT.IJK  IN8TITUÜT  VOOR  DE  TAAL-,  LAND-  EN  VOLKENKÜNDE 
VAN  NBDERLANDSCH-INDIB  TB  ’s-OKAVENHAOB.” 


II. 

AUS  DEM  HEUTIGEN  LEBEN. 


HAAG 

MARTINUS  NIJHOFF 
1889. 


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INHALT. 


Seite 

Vorrede xv-xvm. 

I.  Abdsseres  Leben 1 — 101. 


In  Mekka  vertretene  Nationen  1 — 2.  Weltliche  Motive  zur 
Niederlassung  in  Mekka : Handel , Bettelei , Wucher  (Inder  und 
Hadhraraiten)  2 — 4.  Gewerbe  der  Jemeniten , Hidjäzi’s , Harbi's , 
Neger  4 — 5.  Egyptische  Weiber.  Die  Djäwah  5.  Bewohner  Cen- 
tralarabiens 5—6.  Verhältnis»  der  Fremdenkolonien  zu  den  Be- 
hörden; Scheche  der  Hadhramiten  und  Seleraäni’s  6 — 7.  All- 
mählicher Uebergang  der  Fremden  aus  ihrem  Sonderkreise  in 
die  mekkanische  Gesellschaft  7 — 8.  Eigenes  Gepräge  der  letzte- 
ren 8.  Fehden  zwischen  den  Stadtvierteln  8 — 9.  Firqah  und 
Nnqa  9 — 10.  Die  einzige  Erwerbsquelle  aller  Mekkaner;  ihr 
Charakter  10 — 11.  Das  Sklavenelement:  Cirkassier;  Päderastie 
H — 2.  Nubier  und  »Schwarze”.  Belustigung  dieser  Sklaven  (71»  m- 
burah)  12 — 3.  Stellung  der  Freigelassenen  13 — 4.  Sklaven  aus 
Britisch-  und  Niederländisch-Indien.  Abyssinier  14 — 5 Der  Skla- 
venmarkt 15 — 7.  Behandlung  der  Sklaven  18 — 9.  Der  Antiskla- 
vereischwindel in  Europa  20 — 3.  Eunuchen  (Agha’s , Tawaschx's) 
24.  Aemter  und  Gewerbe  der  Mekkaner:  die  Thorhüter  der 
Ka'bah  (Schebi’s)  24 — 5.  Die  ZemzemVt;  Art  der  Ausbeutung 
des  heiligen  Brunnens  25 — 7.  Gewerbslicenzen.  Heilige  Erinne- 
rungsstätten und  deren  Ausbeutung  27 — 8.  Die  Fremdenführer 
(ilelawwif's,  Scheche):  ihre  Bevollmächtigten  in  Djiddah  28 — 9. 
Die  Scheche  als  Mittelspersonen  zwischen  dem  Pilger  und  Allem  , 
was  er  braucht  29 — 31.  Gesellschaftliche  Stellung  der  Scheche 


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31 — 2.  Ihre  Zunft  und  deren  Unterabtheilnngen  32 — 3.  Pfuscher 
in  der  Fremdenführung  ( Djarrär’s ) 33—4.  Wie  man  in  die 
Zunft  aufgenommen  wird  34.  Zunftfcst  ( Mv'allimijjeh ) bei  der 
Aufnahme  35.  Befugnisse  des  Zunfthauptes  35 — 6.  Andere  Kor- 
porationen 36.  Leute,  die,  ohne  ein  Gewerbe  auszuüben,  von 
den  Pilgern  leben  37 — 8.  Vermiethung  der  Wohnungen : alle 
Mekkaner  Gastwirthc  38.  Baumaterialien  und  Bauart  38  —9. 
Vorhalle  (Dihliz),  kleine  Zimmer  im  Erdgeschoss  ( Meqä'id ) 
39 — 40.  Abtritt,  zugleich  Badezimmer  und  Wasserkammer  (Bef 
et-mä , Tahärah ) 39 — 40.  Sille  im  Erdgeschoss.  Bedingungen 
heim  Hinaufsteigen  zur  Treppe  41 — 2.  Nothkiicben  (Merakkab) 
und  Dachterrassen  ( Seliih ) , Schlafzimmer  (Mebil)  und  sonstige 
Orte , wo  man  schläft  42 — 3.  Salons  (Mhljlis) ; ihre  Ausstattung 
43 — 4.  Andere  Zimmer  (Cu/fah , Muacchar,  Cliazünah);  die 
Küche  (Matbach)  44.  Die  Mitbewohner  eines  Hauses  44 — 5.  Hüt- 
ten ('  Uascha h's)  der  Vororte  45.  Art  der  Vermiethung  von 
Wohnungen  an  Pilger  46 — 7.  Einfluss  der  Schoche  auf  die  Wahl 
der  Wohnung  47.  Bedeutung  des  Mondkalenders  für  Mekka  47 — 8. 
Wie  die  Mekkaner  den  ersten  Monat,  Huhnrram,  verleben. 
Volksthümliches  Urtheil  über  die  Küfir’s  48 — 9.  Flottes  Lehen 
der  Mekkaner  im  orsten  Theile  des  Jahres  49 — 50.  Sommer- 
aufonthalt in  Taif  50 — 4.  Der  ‘Aschürätag  (40  Muharram).  Oeff- 
nung  dor  Ka'bah.  Heimreise  der  letzten  Pilger  nach  der  Rückkehr 
der  »zweiten  Karawane"  von  Medina  54 — 2.  Der  zweite  Monat , 
Qafar : das  Fest  der  heiligen  M/jmünah  52 — 3.  Gesellschaften 
zur  Reise  nach  Mdjmünah  (Baachkah’s)  und  deren  KassenfUhrer 
(Qajjrmi's)  53.  Religiöse  und  weltliche  Bestandtheile  des  Festes; 
Musik  und  Unzucht  54 — 5.  Das  Fest  von  es-Schuluzdä  55—6 
Der  »letzte  Mittwoch"  des  Cafar  56 — 7.  Der  dritte  Monat,  RabV 
dl-Aunml : Geburtsfest  Muhammeds  57.  »Predigt”  und  feier- 
licher Aufzug  an  demselben  58 — 9.  Nächtliche  Belustigungen. 
Der  vierte  und  fünfte  Monat  bilden  die  Zeit  der  Eheschlies- 
sungen 56.  Der  sechste  Monat,  Djumäda  ’I-Achir:  Fest  des 
Schech  Mahmud  59 — 60.  Wie  die  Damen  das  Fest  begehen  60 — 1. 
Musik  der  Sängerinnen.  Proben  der  Strassenpoesie  64 — 4.  Les- 
bische Liebe  64.  Das  Fest  des  heiligen  dt-Ma hdalx;  seine  Legende 
64 — 5.  Quartierkampfe  an  solchen  Festtagen  65.  Andere  Heilige 
Mekka’s:  Wäli  Djauhar,  el-Mahdjub.  Monatliche  Feier  zu  Ehren 
der  Chadidjah  und  der  Aminah  66.  Wöchentlicher  Besuch  des 
Friedhofs  67—8.  Art  der  Verehrung  der  Chadidjah 

und  Aminah  68 — 9.  Der  siebte  Monat,  Btdßb:  das  Fest  des 
heiligen  Gentist,'  die  von  ihm  gegründete  mystische  Bruderschaft 
69 — 70.  Das  Fest  dor  Himmelfahrt  Muhammeds  70—4.  Seit- 


INHALT.  VII 

Seite. 

sarae  Sitte  der  Medinenaer  an  diesem  Festtage  71 — 2.  Konser- 
vativer Charakter  der  Medinenser:  Mekka  in  der  wahren  Mitte 
zwischen  Medina  und  Djiddah  72 — 3.  Medina  die  heilige  Stadt 
der  Mekkaner.  Sehnsucht  nach  dem  heilige  Grabe  74 — 5.  Ka- 
rawanen der  mm  Grabe  Pilgernden.  Die  Redjebijjeh  der  Mekka- 
ner 75 — 6.  Der  achte  Monat,  Scha'bän:  Beginn  des  Eintretens 
der  Pilger.  Die  heilige  Nacht  in  der  Mitte  deß  Monats  76 — 7. 

Der  »Schech  Ramadhan”  naht.  Reinigung  des  Bauches  vordem 
Fastenmonat:  die  Scherbah.  Anfang  des  Fastenmonats  77.  Be- 
schreibung eines  Tages  im  Hamadhän:  Sonnenuntergang  in 
der  Moschee.  Aufruf  zum  (jalät  (strfän).  Funktionen  der  Irname 
der  vier  Riten.  Das  Fastenbrechen.  77 — 80.  Abendmahl.  Das^alät 
des  'Ischä  und  die  nächtlichen  Taräwtlj  80—3.  »Kleine  Wall- 
fahrten” in  den  Nächten  des  Ramadhan  83 — 4.  Die  auf  den 
Minareten  gesungenen  Tadkir-forrneln  in  Ramadhan  und  sonst 
84 — 6.  Die  letzte  Mahlzeit  gegen  den  Morgen  hin  (Sahür);  Me- 
sahhir V Die  Zeit  der  Löschung  ( Tatfijeh ) und  der  Tarhim-ge- 
sang  86.  Freiwillige  Aufrufer  zum  £alät  86 — 7.  Aufruf  (Adän) 
der  Morgendämmerung  87.  Letzter  Aufruf  ( Iqamah ) und  das 
(’nlät  des  Morgens.  88.  Allgemeine  Ruhe  an  den  Vormittagen  des 
Ramadhan.  Die  Marktstrassen  88 — 90.  Zeiteinteilung  in  Mekka 
90 — 1.  Die  Caläts  des  Mittags  und  des  Nachmittags  91  Schluss 
des  Fastenmonats.  Beobachtung  des  Neumonds  91—2.  Vorberei- 
tungen zum  Feste  des  i»1«*  Schaxmoäl  92.  Religiöse  Feier  (Mtsch- 
h&d)  92  — 3.  Vergleichung  des  früheren  Wohlstandes  mit  der 
heutigen  Arrnuth  93 — 4.  Das  »kleine  Fest”  ist  auch  in  Mekka 
das  grössere  94 — 5.  Gratulationsbesuche  nach  dem  M&schhed 
95  — 6.  Fortsetzung  bis  zum  4ten  Schawwal.  Weiberfest  vom  4teu 
bis  zum  7len  97.  Eiste  Karawane  ( Qäf'lah ) nach  Medina  97— 8. 

Im  oilften  Monat  (Du  'l-qa'dah)  wachsender  Zufluss  von  Pilgern 
98.  Wrie  die  Regierung  von  den  Schechen  durch  Erneuerung  der 
Gewerbelicenzen  ( Taqrir'x ) Geld  erpresst  98 — 9.  Besteuerung 
der  Führer  der  Djawahpilger  in  den  letzten  Jahren  99 — 101. 

ü.  Familienleben 102  — 199. 

Harem  und  Schleier  nach  der  Vorstellung  der  Europäer  102. 

Dio  Harim  (Weiber)  und  die  männlichen  Hausfreunde  103—4. 
Erleichterungen  de»  Verkehrs- beider  Geschlechter  mit  einander 
104 — 5.  Praktische  Begründung  der  Beschränkungen  und  Anlässe 
zu  deren  Aufhebung  105.  Kuppler  105—6.  Die  .Praxis  der  Poly- 
gamie. Lockerheit  des  Ehebandeg  106—7.  Die  erste  Gattinn 
(Bin!  'amm)  107.  Mittel  des  Weibes,  da«  Ehehand  zu  losen 


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! 


VIII  INHALT. 

107 — 8.  Heirathsbedingungen  ausserhalb  des  Kontrakts  108. 
Die  Ehe  als  Gewerbe  der  Mekkanerinnen  109 — 10.  Ausbeutung 
der  Männer  durch  ihre  Gattinnen  110.  Cynische  Auffassung  des 
Wesens  der  Ehe  110 — 11.  Gegensätzliche  Interessen  der  Eheleute 
111.  Ansprüche  des  Kleiderschranks  der  Damen  112.  JedeGattinn 
hat  ihre  eigne  Wohnung.  Mangel  an  gegenseitigem  Vertrauen 
der  Eheleute  112 — 3.  Ursachen  der  Unsittlichkeit  der  freien  Mek- 
kanerinnen 113 — 5.  Ucilkunst  der  Weiber  115.  Barbiero  und 
Aerzte  116.  Ein  berühmter  Arzt  in  Mekka;  seine  Vielseitigkeit 
116 — 7.  Die  moderne  Medizin  der  Türken  117 — 8.  Aberglaube 
und  Zauberei ; Heimath  der  Zauberei  im  fernen  Weston  und  im 
fernen  Osten  118 — 9.  Hadhramitischer  Aberglaube  119 — 20.  Ab- 
wahrmittel der  Mekkaner:  ‘Azimah’a,  Meschäli , Räucherung 
121.  Behandlung  von  Kinderkrankheiten  121 — 2.  Bekämpfung 
des  bösen  Auges  durch  Ftuüch  und  mit  religiösen  Mitteln  122 — 3. 
Die  Feiudinn  der  Mutterfreude  ( Umm  if-^ibjän)  123—4.  Wir- 
kung der  Zär  genannten  bösen  Geister  124—5.  ßeschwörerinnen 
der  Zär;  kostspielige  Zär-gesellschallen  125  — 6.  Praktisches  Mittel 
eines  Arztes  gegon  dio  Zär.  Mittel  des  Arztes,  Diebe  zu  ent- 
decken 126—7.  Methode  der  Austreibung  des  Zär:  sonstiger 
Aberglaube  128 — 9.  Die  Massage  ( Tekbis ) eine  Spezialität  der 
Mekkanerinnen  129.  Mittel  zur  Erhöhung  der  weiblichen  Reize. 
Künstlicher  Abortus  und  künstlich  eizeugte  Unfruchtbarkeit. 
Andere  Mittel  gegen  die  Empfangniss  130 — 1.  Dio  Weiber  ein 
Hauplgegenstand  der  Gespräche  der  Mekkaner  131 — 2.  Vorliebe 
der  Mekkaner  für  Sklavinnen : zeitweilige  Neigung  für  Negerin- 
nen, dauernde  für  Abyssinierinnen  133.  Eifersucht  der  Sara 
gegen  die  Hagar  134.  Wie  die  Sklavinn  entjungfert  wird  134 — 5. 
Verletzung  des  heiligen  Gesetzes  Uber  das  Konkubinat  135.  Die 
Stellung  der  schwatzen  Sklavinn  als  Konkubine;  die  der  Abys- 
sinierinn  und  der  mit  Sklavinnen  erzeugten  Kinder  136.  Häus- 
liche Koste:  das  Fest  der  Benennung (Tasmijah)  137.  Die  Mahlzeit 
(‘.drmuiA)  und  die  Feierlichkeit  am  Tage  vorher  137 — 8.  Ueblichsle 
Namen  in  Mekka  139.  Fest  des  40,teo  Tages  nach  der  Geburt 
eines  Kindes;  die  Mutter  legt  das  Kind  auf  die  Schwelle  des 
Hauses  Allahs  140 — 1.  Beschneidungsfeste  ( Tathir , Tahär)  der 
Mädchen  und  der  Knaben  141 — 2.  Aufzug  mit  dem  zu  beschnei- 
denden Knaben  142—3.  Die  Operation  143.  Erziehung:  die  Qu- 
ränschule  (Kuttäb)  143—4.  Belohnung  des  Schulmeisters  (Fä- 
qih)  144 — 5.  Feierliche  Aufzüge  und  Mahlzeiten  ('dzima/i’s)  beim 
Abschluss  gewisser  Theile  des  Qurans  (Ipxifah  und  Iqläbah) 
Die  Mahlzeiten  aus  feierlichen  Anlässen  im  Gesetz  und  in  der 
Praxis  (Wdfima/i,  ’Azimah)  146 — 7.  Recitation  legendarischer 


Seite. 


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INHALT. 


IX 


Seite. 

Prophetenbiographien  ( Mölid)  vor  der  Mahlzeit  147.  Sangweisen 
der  Refrain’s  und  anderer  Litaneien  (T}ikr's)  148 — 9.  Ungesetz- 
liche Belustigung  der  Frauen.  Die  Wahl  einer  Carrtere  in  Mekka. 
Nachtheile  der  gelehrten  Erziehung  150  —1 . Neigung  der  Knaben 
zum  Gewerbe  der  Fremdenführer  151 — 2.  Das  F reudenfest  (Sß- 
rtirnh)  bei  der  ersten  Rückkehr  eines  Mekkaners  vom  Besuch 
des  heiligen  Grabes  in  Medina  152 — 3.  Feierlicher  Einzug,  Mahlzeit, 
nächtliche  Weibergesellschaft  153—4.  Weltlicher  Charakter  der 
Serärah  154 — 5.  Die  Hochzeit : wenig  feierliche  Vollziehung  zweiter 
und  späterer  Ehen.  Die  Genussehe  ( A lut' ah)  1 55 — 6.  Feierliche  Hoch- 
zeit des  Jünglings  mit  der  Jungfrau : der  vorläufige  Hei rathsan trag 
( Chilbah ) ; Bestimmung  des  Tages  der  Kontraktschliessung  ( Mul - 
kah)  und  des  Heirathsgeldes  (Mahr).  Recitation  der  Fät’hah  1 57 — 

9.  Ueberreichung  des  Heirathsgeldes.  Trillern  ( Ghatrafah  vergl.  S. 

62, 138)  der  Weiber  bei  solchen  Gelegenheiten  159—60.  Die  Kon- 
traktschliessung ( Mulkah ) Der  Mutnlik  (Verheirather)  ist  der 
Bevollmächtigte  des  Vormunds;  er  hält  die  Rede  (Chutbah)  vor 
dem  Kontrakt  460 — 1.  Kontrolle  deß  Qädhis  161.  Form  des 
Kontrakts  161  —2.  Die  Mulkah  Morgens  zu  Hause  162 — 3.  Abends 
in  der  Moschee  163 — 4.  Abends  zu  Hause  164.  Weitere  Hochzeits 
feste:  der  Ijinnatag  165.  Putz  der  Braut;  Münzen  als  Schmuck 
und  als  Amulete  ( Mischcha p,  Ghätijjeh , Mahmüdijjeh ) 166  — 7. 

Der  Rikah-tag : Ausstattung  des  Brautzimmers , der  Salons  und 
des  Platzes  vor  dem  Hause  167-8.  Speisesendung  vom  Hause 
der  Braut  an  die  Familie  des  Bräutigams  ( Ma'scharah)  168.  Der 
Ghumrah-tag  168 — 9.  Die  Däna-däna- lieder:  die  Sängerinn, 
ihre  Helferinnen  (Raddädin)  und  die  Trommelschlägerinnen  169. 

Inhalt  der  Lieder  170 — 1.  Die  Duchlah-nacht : »Zuschauerinnen” 
und  »Anwesende”;  verschiedene  Toiletten  dieser  Beiden  171 — 3. 

Der  Aepfelkranz  ( Qelädah ).  Parfümerien  173 — 4.  Kleidung  der 
Braut  174 — 5.  Aufzug  des  Bräutigams : die  Freunde  und  die  Lam- 
penträger. Abschiedsgesang  vor  dem  Abzug  des  ‘Ans  175 — 6. 

Die  Recitatoren : Vortrag  der  »Hamzijjah”  176 — 7.  Umgang 
durch  die  Stadt  nach  dem  Bäb  es-saläm  und  Verrichtung  des 
‘Ischä-paläts  in  der  Moschee  177 — 8.  Weitere  Prozession  zum 
Hause  der  Braut;  musikalische  BegrÜssung  178 — 9.  Das  Lied 
vom  Kopfputzen  (Ghana  ’l-Charit)1.  Prozession  der  Braut  und 
der  weiblichen  Gäste  nach  dem  RTkah-zimmer  179—80.  Feier 
licherEinzug  ( Duchlah , Naffah)  des  Bräutigams  in  dasselbe:  Re- 
citation der  Fät’hah  , und  Aufklebung  von  Münzen  (Ghawäzi)  auf 
das  Gesiebt  der  Braut  180 — 1.  Die  Abendmahlzeit  (Ta'timch)  am 
Morgen  und  der  Abschied  181.  Abholung  der  Braut  und  ihre  Fahrt 
nach  dem  Hause  des  Bräutigams ; Frühstück  des  Ehepaares.  Gast- 


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INHALT. 


Seite. 


mahl  am  Duchlah-tage  182— 3.  Feierliche  Ueberbringung  der  Aus- 
steuer ( Dahasch ) unter  Aufeicht  der  Vertrauensmänner  ( Umanü) 
183 — 4.  Die  Nacht  der  Cabhah  : ernste  Wiederholung  der  Komödie 
der  vorigen  Nacht.  Toilette  der  Braut:  der  Kranz  von  Jasmin 
( Ta'mxret  er-räs)  184.  Die  Ghäb'rah  (Mutter  der  Gattinn)  und 
ihre  Sorge  für  das  Ehebett  185.  Die  »Morgengabe”  ( Qabhah  , 
Tafbihah ) nach  der  ersten  Nacht.  Damengesellschaft  am  »sieb- 
ten Tage”  ( Nahär  ds-süb?)  nach  der  Brautnacht  186 — 7.  Ver- 
gleichung der  pomphaften  Hochzeit  mit  dem  ehelichen  Glück 
187 — 8.  Brauche  bei  einem  Todesfall:  das  »Schreien”  (Qijäh) 
Zeichen  der  Trauer,  zugleich  Todesanzeige  188.  Das  Todtencalät 
im  Haram  189.  Leichenzug  und  Kondolation  189 — 90.  Ver- 
keilung von  Speisen  an  die  Faqih's  und  die  Armen  auf  dem 
Friedhof;  Quranrecitation  und  Talqxn  190  -1.  Versammlung 
der  Freunde  im  Sterbehause  an  den  drei  ersten  Abenden.  Be- 
kämpfung der  Todtenmnhlzeiten  von  Seiten  der  Gelehrten  191  — 
2.  Zweck  der  Versammlungen : Quranvortrag  im  Namen  des  Ver- 
storbenen. Verkeilung  von  Kuchen  ( Feläsi ) am  dritten  Abend 
192.  Der  7*«,  208t6,  40*te  Tag  des  Todes  und  das  Haul  193. 
Trauergebräuche  der  Weiber  (‘ Uddah ) 194.  Schreikonzerte 


(Ta'did)  und  andere  vom  Gesetz  verpönte  Sitten  195 — 6. 

Anhang 197—199. 

Zwei  Däna-däna-lieder  197 — 8.  Mekkanischcs  Wiegenlied  199. 

m.  Wissenschaft 200  — 294. 


Anfänge  der  Wissenschaft  des  Islam ’s : Qurän  und  Ueberlie- 
ferung  200 — 202.  Die  Traditionen  Dokumente  des  Kampfes  der 
Parteien  202 — 3.  Trennung  von  Praxis  und  Theorie : die  Schule 
in  Medina  203—4.  Einheit  und  Beschränktheit  der  ältesten 
Wissenschaft  204—5.  Katholicität  des  Islam's  205.  Fremde  Ein- 
flüsse. Entstehung  propädeutischer  Wissonsfächer  (Alät)  205  — 6. 
Verhältnis«  der  alten  Schule  zu  den  Neuerungen  206 — 7.  Die 
Gesetzeskunde  ( Fiqh ) und  die  Deduktionsmethode  (JJfül  al-fiqh) 

208.  Die  vier  Riten  (Madhab't).  Rückgang  des  Quränstudiums 

209.  Entstehung  der  Dogmatik  209—10.  Exakte  Wissenschaf- 
ten. 210.  Die  Mystik  211.  Ghazäli's  Encyklopädie  der  heiligen 
Wissenschaft  212 — 3.  Sein  Verhältnis«  zur  Mystik  seiner  Zeit 
213 — 4.  Naturwissenschaft  in  Mekka.  Alchymie  215.  Geographie 
und  Geschichte  216 — 8.  Erbauliche , Geschichtsbücher.  Die  mek- 
kanisclie  Druckerei  218—9.  Traktätchen.  Die  Abbildung  leben- 
diger Geschöpfe  219 — 20.  Bibliomanen  220 — 21 . Bellettristische 


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INHALT. 


XI 


Seite. 

Studien  der  Mekkaner  ‘221 — 2.  Kalligraphie  222.  Fortgesetzte 
Uebungen  im  Quränvortrag  ( Tadjwid ) 222  -3.  Die  Kunst  der 
Qiräjeh  und  das  theoretische  Tadjwid  223 — 5.  Hiilfsmittel  beim 
Unterricht  225 — G.  Vortheile  der  Gelchrtoncarrifcre  in  alter  Zeit 
22G  — 7.  Allmähliches  Aufhuren  der  Schulstreitigkeiten  seit  dem 
politischen  Verfall  des  Islam’*.  227  —8.  Die  Gründung  von  Un- 
terrichtsstiften ( Madrasah's ) ein  Zeichen  des  Rückschritts  228 — 

9.  Einrichtung  der  Madrasah's ; berühmte  Madras«  h ’s  in  Mekka 
229 — 31 . Die  mekkanische  Universität : der  Gelehrtenstand  231  — 

2.  Einkünfte  der  Gelehrtenkorporation  233 — 4.  Herrschaft  des 
Herkommens  234 — 5.  Das  Oberhaupt  der  Gelehrten  ( Scheck 
H-*ulamd)  235 — 6.  Das  Habilitationsexamen  236 — 7.  Autorität 
des  Schoch  iWulamä  237 — 8.  Zänkereien  der  Gelehrten  238  fT. 
Verbannung  eines  Gegners  des  Rektors  239 — 40.  Richterspruch 
des  Rektors  zwischen  zwei  konkurrierenden  Mystikern  (Chalil 
Pascha  und  Suleiman  Efendi)  240 — 3.  Stroit  zwischen  dem  Rek- 
tor und  dem  Qadhi  243 — 5.  De«  Rektors  Thittigkeit  als  Mufti 
der  Schäfriten  245—6.  Die  Stunden  der  Vorlesungen  im  Haram 
und  der  Ausfall  des  Unterrichts  246  ff.  Ein  Tag  aus  dem  Uni- 
versitätsleben : Die  Vorlesungen  nach  der  Morgendämmerung  247 
IT.  Aeus8ere  Einrichtung  der  Kollegien  248.  Die  Studenten  der 
verschiedenen  Riten ; Vorherrschen  des  schäfi'itischen  Elements 
249  ff.  Bevorzugung  der  Hanaflten  durch  die  Türken  249 — 51. 

Herkunft  der  in  Mekka  studierenden  Schafften  251  —2.  Be- 
rühmte schäfi'itische  Professoren  in  Mekka  253  ff.  Gründe  der 
zunehmenden  Bedeutung  Mekka’s  als  Hort  der  muslimischen 
Wissenschaft  254 — 5.  Inhalt  der  Vorlesungen  über  das  Fiqh 
258.  Methoden  des  Unterrichts  259 — 60.  Bedeutung  des  Geset- 
zesstudiums ihr  das  Leben  260 — 62.  Anfang  und  Schluss  der 
Vorlesungen  262 — 3.  Weitere  Vormittagskollegien  263 — 4.  Vor- 
lesungen nach  dem  Mittagscalät  (Grammatik,  Logik,  Dogma- 
tik) 264  —6.  Charakteristik  der  muhammednnischen  Glaubens- 
lehre 260 — 7.  Ihre  Bedeutung  fiir  die  heutigen  Muslime  267 — 70. 

Kernpunkt  der  Eschatologie  270 — 71.  Verpflichtungen  der  ange- 
stellten  Professoren.  Vorlesungen  nach  dem  *A?r  (Fiqh  ihr 
Anfänger,  Instrumenüilfächer , Exegese)  271 — 2.  Mangel  an 
Verständnis«  fiir  den  Sinn  des  Quräns  272 — 4.  Ein  seltsamer 
maghribinischer  Gelehrter  in  Mekka  274 — 5.  Kollegien  nach  Son- 
nenuntergang (Fiqh  usw.)  und  nach  dem  ischä  275 — 6.  Diens- 
tag und  Freitag  in  der  Universität.  Vorlesungen  fiir  Damen 
277.  Stellung  der  Mystik  im  offkiellen  Unterricht  277 — 9.  Ueber- 
handnehmen  des  Formalismus  auch  in  der  Mystik  279 — 80. 
Persönliche  Führer  auf  dem  Pfade  der  Mystik ; Kriterien  bei 


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XII 


N II  A I.  T. 


Seite. 


der  Wahl  eines  Führers  281.  Die  Orden  und  ihre  Häupter;  Ver- 
hältniss  der  ofticiellen  Wissenschaft  zu  denselben  282 — 5.  Er- 
höhte Bedeutung  der  Genossenschaften  für  den  heutigen  Islam 
285  ff.  Gründe  der  günstigen  Beurtheilung  ihrer  Thatigkeit 
von  Seiten  der  heutigen  'Vlamn  286.  Die  Tariqah's  in  Mekka 
287.  Die  Studenten  und  die  populäre  Mystik  287 — 8.  Bedeu- 
tung Mckka’s  als  Centrum  des  geistigen  Lebens  für  den  heuti- 
gen Islam  288 — 9.  Ausserordentliche  Vorlesungen  im  Haram 
an  gewissen  Zeiten  290  ff.  Die  Ferien  nnd  Ferienkurse  291 — 2. 

Von  ausländischen  Gelehrten  an  ihre  Landsleute  ertheilter 
Privatunterricht  292 — 3.  Die  »Frösche”  (Pfuscher  auf  wis- 
senschaftlichem Gebiete)  293 — 4. 

IV,  Die  Djäwah 295—893. 

Bedeutung  der  Djäwah  für  Mekka ; Grenzen  ihrer  Heimath 
295—  6.  Die  Pilger  vom  Kap  der  Guten  Hoffnung,  ihre  Her- 
kunft, ihre  Sprache  und  ihr  Verhiiltniss  zu  den  übrigen  Djä- 
wah 296-7.  Die  Wallfahrt  der  Djäwah  früherund  jetzt  297 — 9. 

Reisen  der  Mekkaner  nach  den  ostindischen  Inseln  300.  Urtheil 
der  Mekkaner  über  die  Djäwah : naive  Frömmigkeit  301  - 2. 

Schattenseiten  ihres  Charakters  302 — 3.  Die  in  Mekka  ansässi- 
gen Djäwah  als  Konkurrenten  der  Mekkaner  303  — 5.  Ehrfurcht 
der  Djäwah  vor  dem  Titel  des  »Schochs"  (Fremdenführer) 

305—6.  Ausbeutung  der  Djäwah-pilger  durch  den  mekknnischen 
Pöbel  306 — 7.  Ihr  unbeholfenes  Auftreten  in  Mekka;  Schimpf- 
worte der  Mekkaner  gegen  sie  307  ff  Ausbeutung  der  Djäwah 
durch  die  „Schache”:  Amänah’s  und  Bidet  haddji’s  309 — 12. 

Die  zweite  Beschneidung  vieler  Djäwah  in  Djiddah  312.  Ver- 
breitung malaiischer  Sprachkenntnisse  in  Mekka  313  ff.  Speci- 
alitliten  für  die  übrigen  Sprachen  Indonesiens  314—5.  F.in- 
theilung  der  Djäwahlander  in  Pilgerprovinzen  315— 6.  Betäwi , 

Sunda  und  Merikt  317 — 8.  Mangel  der  Djäwah  an  Selbstach- 
tung 318.  Reinigung  der  Djäwahpilger  mit  Zemzemwusser  319. 

Ihre  Mahlzeiten  von  Schaafsköpfen  auf  dem  Berge  Abu  Qubes 
319 — 21.  Reinigung  ihrer  Herzen  auf  dem  Berge  Hirä  321 — 2. 

Feierliche  Umänderung  ihrer  Namen  durch  den  Mufti  der 
Schäfi'iten  und  dessen  beide  Konkurrenten  322 — 5.  Einige  Djä- 
wahpilger studieren  die  Haddjgesetze  325 — 7.  Uebungen  der- 
selben im  Qurnnrecitieren  327.  Aufnahme  der  Haddji's  in  my- 
stische Orden  328—  9.  Die  Opfer  beim  Haddj  329.  Falsche 
Urtheile  über  die  Bedeutung  der  llnddji's  329 — 30.  Eigentüm- 
liche Stellung  der  Pilger  in  Ostindien  330 — 31.  Wie  die  Wall- 
fahrt das  geistige  Leben  der  Indonesier  beeinflusst;  direkte 


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INHALT. 


Seite. 


Till 


Wirkungen;  Verkehr  verschiedener  Djüwah  mit  einander 331 — 

4.  Den  Europäern  fehlt  das  Verständniss  fär  das  innere  Le- 
ben der  Djüwah  334 — 5.  Schilderung  der  Europäer  durch  die 
Djüwah  335—  6.  Urtheile  der  in  Mekka  versammelten  Muslime 
über  Engländer,  Hussen,  Franzosen  337 — 8.  Bedeutender  in- 
direkter Einfluss  der  Wallfahrt,  vermittelt  durch  die  Djäwah- 
kolonie  in  Mokka  339  IT.  Gründe,  welche  die  Pilger  zu  länge- 
rem Aufenthalt  bestimmen : die  Diener  und  die  Faulenzer  339— 
4t.  Ehen  der  Djüwah  mit  Mekkanerinnen  34t — 3.  Malaiische 
Pilgerschcche  343 — 4.  Die  in  Mekka  studierenden  Djüwah  344 
ff.  Von  und  fiir  Djüwah  gestiftete  Waqfhäuser  345 — 6.  Die 
Djäwahgelehrten  in  Mekka  als  Vertreter  der  Kultur  ihrer  Hei- 
mat!) 346 — 7.  Bedeutung  des  Islam’s  für  diese  Kultur  347  — 8. 
Aus  Mekka  erhält  dieselbe  ihre  Nahrung  349 — 50.  Ein  Beispiel 
der  von  Mekka  aus  erwirkten  Reform  des  religiospolitischen 
Lebens  350 — 4.  Die  leitenden  Gelehrten  der  Djüwahkolonie : 
der  alte  Djuneid  aus  Batavia  und  seine  Sohne  354 — 6.  Sein 
Schwiegersohn  Mudjtaba  356.  Die  Sprachen,  mittels  derer  die 
Djüwah  in  die  arabische  Wissenschaft  eingeftihrt  werden  357 
fl.  Verschiedene  Methoden  des  Elementarunterrichts  358— 6t. 
Sundanesische  Gelehrte  in  Mekka;  Mohammed  und  Hasan 
Muftafa  Garut  (Priangan)  36t — 2.  Schech  Muhammod  Nawäwi 
aus  Bunten:  sein  Lebensgang  302  ff.  Schwierigkeit  der  Aus- 
sprache arabischer  Laute  für  die  Djüwah  363.  Nawäwi  als 
Schriftsteller  365  ff.  Seine  Geistesrichtung  366 — 7.  Sein  Bruder 
Tamim  367 — 8.  Schech  Marzuqi  aus  Banten  368—  9.  Schech 
Isma'il  Banten : seine  Lehrer  in  Banten  und  andere  namhafte 
Docenten  in  seiner  Heimath , die  in  Mekka  studiert  haben 
369 — 71.  Jüngere  westjavanische  Gelehrte  in  Mekka;  Arschad 
ihn  ‘Alwan,  Arschad  ihn  As'ad,  Ahmed  Djaha  371 — 2.  Der 
grosse  Mystiker  Abdulkarim  Banten : sein  Lehrer  Chatib  Sam- 
bas  aus  Borneo  372  ff.  An  Ahdulkarim  geschehene  Wunder 

374 — 5.  Seine  Lebensart:  die  von  ihm  geleitete  Qädiritische 
Genossenschaft  375—6.  Die  Ordensfeste  am  1 1*«“  und  !2t'n 
jedes  Monats  (Huul’s  des  Propheten  und  des  heiligen  Abd  al- 
Qädir)  376—8.  Charakter  der  javanischen  Mystik  378 — 9. 
‘Aidarus,  der  intime  Schiller  und  WerbeofBzier  Abdulknrims 
379 — 80.  Chalil  Pascha  und  Suleiman  Efendi,  Scheche  des 
Naqschibendi-ordens ; ihre  Thätigkeit  unter  den  Djüwah  380 — 
1.  Gelehrte  aus  Tjeribon  und  Semarang  381.  Abd  üs-Schakür 
aus  Surabaja  381 — 4.  Zeinuddin  und  Omar  Sumbawa  384  — 

5.  Malaiische  Bücher,  die  in  der  Regierungsdruckerei  zu 
Mekka  gedruckt  sind  385—7.  Die  Kolonie  aus  I’ontianak  (Bor- 


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XIV 


INHALT. 


Seite. 


neo)  387-9.  Sumatra:  Atjeh,  Palembang  389.  Schech  Zein 
aus  Rau  (West-sumdtra)  390.  Zusammenfassende  Beleuchtung 
der  religiös- politischen  Bedeutung  des  Haddj  für  die  Djawah- 
liinder:  die  Masse  der  Pilger  390  — 1.  Mekka  das  geistige  Cen- 
trum des  ost-indischen  lslam’s  391.  Gefährlichkeit  generalisie- 
render Urtheile  392—3. 


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VORREDE. 


In  der  Vorrede  zum  I,,eB  Bande  habe  ich  den  Inhalt  dieses  IItBn 
als  »Skizzen”  bezeichnet,  damit  man  nicht  von  mir  erwarte,  dass 
ich  das  bunte  Leben  der  Fremdenstadt  abseitig  und  erschöpfend  dar- 
stelle. Aus  meinen  Kollcktaneen  und  Erinnerungen  hätte  ich  freilich 
viel  mehr  mittheilen  können,  als  ich  gethan  habe,  aber  dadurch 
wäre  mein  Buch  für  den  grösseren  Leserkreis,  den  es  zu  gewinnen 
hofft,  weniger  lesbar  geworden.  Auch  dann  wären  jedoch  viele  wich- 
tige Gegenstände  leer  ausgegangen,  zu  deren  Beobachtung  mir  die 
Zeit  oder  die  Ilülfsmittel  fehlten.  Die  Kolonien  der  Inder , der  Türken , 
der  Centralasiaten  verdienen  an  sich  wohl  eingehende  Besprechung; 
ich  habe  mich  aber  auf  die  Djäwah  beschränkt,  weil  ihr  Leben 
und  Treiben  für  uns  Niederländer  von  höchster  Wichtigkeit  ist.  Eben 
darum  habe  ich  sie  auch  viel  genauer  beobachtet  als  jene  anderen 
Fremden,  die  in  Mekka  das  Bürgerrecht  erhalten  haben.  Uebrigens 
lässt  sich  nicht  leugnen , dass  Mekka  das  geistige  Leben  der  Djäwah 
in  höherem  Grade  beeinflusst  als  das  der  Türken,  Inder  oder  Bu- 
chäri’s. 

Auf  die  fremden  Völker,  die  hier  regelmässig  vertreten  sind  , wirkt 
die  Mutterstadt  des  Islam’s  viel  tiefer  und  nachhaltiger  indirekt  durch 
die  Fremdenkolonien  als  direkt  durch  die  Pilger  ein.  Schon  deshalb 


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XVT 


empfahl  es  sich,  die  Hauptaufmerksamkeit  dem  Leben  der  Mekka- 
ner  in  dem  Theile  des  Jahres  zuzuwenden , wo  sie , vom  chronischen 
Wallfahrtsfieber  befreit,  ihren  eigenen  Charakter  zeigen  und  ihrem 
eignen  Antrieb  folgen.  Ausserdem  konnte  mein  Werk  nur  so  die 
meiner  Vorgänger  wirklich  ergänzen , weil  sie  alle  Mekka  gerade  nur 
als  Wallfahrtsort  beobachtet  haben  und  ihnen  somit  die  mekkanische 
Gesellschaft  und  die  Fremdenkolonien  in  der  Pilgermasse  gleichsam 
aufgingen.  Jene  beiden  bestimmen  aber  die  Strömungen , welche  von 
Mekka  aus  den  muslimischen  Ländern  zufliessen,  und  machen  die 
heilige  Stadt  in  höherem  Sinne  zum  geistigen  Centrum  des  heutigen 
Islam’s  als  der  flüchtige  Pilgerbesuch,  obgleich  beide  durch  das 
Haddj  verursacht  und  bedingt  sind. 

In  den  beiden  ersten  Kapiteln  habe  ich  zwei  Theile  des  Lebens 
der  Mekkaner  behandelt,  die  vielfach  in  einander  greifen  und  deren 
Scheidung  also  lediglich  formelle  Bedeutung  hat:  im  I,Un  sind  die 
Seiten  des  Lebens  geschildert,  die  sich  vorzüglich  in  der  Oeffent- 
lichkeit  zeigen,  also  was  man  auf  der  Strasse,  in  der  Moschee,  auf 
dem  Friedhofe  und  bei  den  Heiligengräbern  beobachtet,  die  Feste 
der  Nachbarn  Allahs  und  ihre  Gewerbe,  ihre  Korporationen  und 
deren  Zänkereien.  Den  politischen  Theil  dieses  «dimeren  Lebens" 
konnten  wir  dabei  übergehen,  weil  derselbe  im  I,t<m  Bande  den 
Hauptgegenstand  bildet.  Im  II1“  Kapitel  ist  die  Bühne,  worauf 
sich  die  Mekkaner  und  Halbmekkaner  dem  Leser  zeigen , fast  immer 
die  Privatwohnung,  und  begeben  wir  uns  nur  dann  auf  die  Strasse, 
wenn  das  Leben  der  Familie  es  erfordert. 

Wie  innig  die  beiden  Kapitel  Zusammenhängen , können  wir  z.  B. 
an  den  Sklaven  und  Sklavinnen  sehen,  denn  im  I,t'n  kommen  sie 
naturgemäss  als  wichtiger  Bestandtheil  der  gemischten  Bevölkerung , 


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XVII 


als  Handwerker  und  Arbeiter  zur  Sprache,  und  ins  11**  gehören  sie 
als  Hausbediente,  die  Sklavinnen  auch  als  Konkubinen  und  Mütter 
von  Mekkanem.  Die  Aktualität  der  Sklavereifrage  in  den  letzten  Jahren 
und  die  bedauerlichen  Missverständnisse,  welche  darüber  in  Europa 
auch  in  einflussreichen  Kreisen  Geltung  gewonnen  haben,  veran- 
lassten  mich , noch  bestem  Wissen  die  nackte  Wahrheit  über  dieses 
Thema  darzulegen.  Als  ich  die  einschlägigen  Stellen  schrieb,  konnte 
ich  nicht  daran  denken,  dass  eine  nach  meiner  festen  Ueberzeu- 
gung  verdammenswerthe  und  im  besten  Falle  auf  Unkenntniss  be- 
ruhende Operation  einiger  Grossmächte  in  Afrika  so  nahe  bevorstehe. 
Meine  Aeusserungen  haben  durch  die  jetzt  in  Europa  künstlich 
erzeugte  fieberhafte  Aufregung  die  grösste  Aussicht  auf  Geringschät- 
zung bekommen;  ich  verzweifle  aber  nicht  daran,  dass  einmal  die 
Ansicht  zur  Herrschaft  gelangen  werde,  mit  der  Antisklavereipoli- 
tik des  19**"  Jahrhunderts  habe  sich  ein  abscheulicher  Schwindel 
verbunden,  wenngleich  sich  daraus  für  den  Branntweinexport  und 
andere  Zweige  europäischer  Industrie  »sociale  Vortheile”  ergeben 
haben. 

Das  wissenschaftliche  Leben  in  Mekka,  welches  den  Gegenstand 
unseres  IHl*n  Kapitels  bildet,  Hesse  sich  in  gewisser  Hinsicht  zum 
Istco  ziehen:  andererseits  ist  es  aber  wesentlich  international,  und 
weil  die  Wissenschaft  hier  fast  ausschHesslich  heilige  Wissenschaft 
(Gesetzeskunde,  Dogmatik  und  Mystik)  ist,  übt  ihre  Pflege  in  der 
heiligen  Stadt  den  hervorragendsten  Einfluss  aus  auf  die  religiös- 
politische Bewegung  in  anderen  Ländern.  Diese  Umstände  geben 
dem  geistigen  Leben  im  engeren  Sinne  wohl  Anspruch  auf  einen 
eigenen  Platz.  Zur  Erklärung  der  heutigen  Zustände  auf  diesem  Ge- 
biete musste  ich  wenigstens  in  aller  Kürze  einen  Ueberblick  über 


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XVII 1 


Ursprung  und  Entwickelung  der  muslimischen  Wissenschaft  geben. 
Andrerseits  wird  die  Darstellung  des  heutigen  wissenschaftlichen  Le- 
bens im  Centrum  des  Islam ’s  auch  auf  die  Geschichte  und  den 
Betrieb  der  kirchlichen  Wissenschaften  in  früheren  Jahrhunderten 
Licht  werfen. 

Die  gelegentliche  Mittheilung  vieles  ethnographischen  Details  wird 
hoffentlich  den  meisten  Lesern  auch  dort  willkommen  sein,  wo 
der  Zusammenhang  dieselbe  nicht  sosehr  verlangte  als  gestattete. 
Schliesslich  muss  ich  den  Leser  dringend  bitten,  die  «Nachträge 
und  Berichtigungen”  nicht  zu  übersehen. 

Leiden,  December  1888. 


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I. 

AEUSSERES  LEBEN. 


Wenn  man  auf  einem  Spaziergang  durch  die  Strassen  Mekka’s 
die  verschiedenen  Typen  der  Einwohner  von  einzelnen  blonden  Tür- 
kensöhnen bis  herab  zu  den  pechschwarzen  Nubiern,  mit  allen 
dazwischenliegenden  Nuancen,  beobachtet,  so  könnte  man  einen 
Augenblick  versucht  sein,  zu  glauben,  dass  nur  das  Renan’sche 
Prinzip  der  Nationenbildung,  le  desir  d'etre  ensemblc , im  Stande 
gewesen  sei,  eine  so  verschiedenartige  Menge  zusammenzubringen. 
Dem  ist  aber  durchaus  nicht  so;  die  Angehörigen  der  verschie- 
denen Reiche  stehen  einander  hier  wie  überall  meistens  unfreund- 
lich gegenüber,  und  das  Urtheil  einer  Nation  über  die  andere 
äussert  sind  vielfach  in  unbegründeter  Verleumdung  und  schlechten 
Witzen.  Von  einem  Wunsche,  zusammenzuleben , kann  also  nicht 
die  Rede  sein;  die  Mehrzahl  derjenigen  Mekkaner,  die  ihre  fremde 
Herkunft  noch  deutlich  zeigen,  ist  aber  durch  den  Wunsch,  Allahs 
Nachbarn  zu  werden,  hergetrieben,  und  schon  dies  drückt  der  in- 
ternationalen Koloniensammlung  einen  ganz  eigenen  Stempel  auf. 

Von  der  Garnison  und  den  immer  der  Versetzung  gewärtigen 
türkischen  Beamten  kommen  hier  natürlich  nur  Wenige  in  Be- 
tracht ; auch  spielen  bei  den  übrigen  Gläubigen , die  sich  hier 
niederlassen,  manchmal  weltliche  Motive  mit  hinein.  Die  himm- 
lischen Vortheile,  die  man  in  Mekka  zu  erwerben  hofft,  werden  in 
den  Gebetsformeln  immer  unter  dem  Bilde  eines  wahrhaft  einträg- 

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2 


liehen  Handels1 * 3 4)  dargestellt;  viele  Türken,  Egypter,  Syrer,  Bo- 
ehärl’s  und  andere  Centralasiaten,  Inder  usw.  verbinden  mit  diesem 
bildlichen  einen  sehr  reellen  Handel  und  führen  der  armen  Stadt 
den  Luxus  zu,  dessen  Vorhandensein  auf  so  unfruchtbarem  Boden 
naiven  Pilgern  als  ein  Wunder  gilt.  Auch  die  feinere  Industrie  ist 
hier  zum  grossen  Theil  in  ausländischen  Händen,  sofern  nicht  die 
Objekte  fertig  importiert  werden;  sogar  dem  Zimmermann,  dem 
Drechsler,  dem  Pfeifenfabrikanten  wird  es  in  Mekka  zum  Lobe 
nachgesagt , sie  seien  von  ausserhalb  gekommen.  Solche  Handwerker 
kommen  aus  den  '/Kulturländern”  des  Islam’s;  ihnen  folgen  nach 
Mekka  viele  Bettler,  die  entweder  wegen  der  heissersehnten  Wall- 
fahrt herreisen  oder  weil  ihr  Geschäft  hier  besser  geht  als  zu  Hause. 
Namentlich  aus  Centralasien  reisen  sie  als  Derwische  durch  die 
Länder,  in  bunte  Plickkleider  gehüllt,  das  Haupt  mit  dem  hohen 
Tartür  bedeckt,  in  eiuer  Hand  den  Wanderstab  und  das  hölzerne 
Instrument  ( Chuschchejschah ) s)  mit  metallenen  Ringen , dessen 
Lärm  ihre  monotonen  Litaneien  begleitet,  in  der  andern  Hand  den 
Bettelnapf  ( Qedah ) oder  die  Bettelnuss  (Djöse/i) , denn  gewöhnlich 
wird  eine  Kokosnuss  zu  diesem  Zweck  gebraucht.  Unter  ihnen 
findet  man  die  meisten  unverschämten  Bettler;  die  gewöhnlichen 
Schahfaatin  oder  Maddähin  *)  sind  anständig.  Ihr  Lied  oder  ihr 
frommer  Ausruf  *)  richtet  sich  fast  immer  zum  Schöpfer,  und  der 
Mensch,  vor  dessen  Sitz  oder  Wohnung  diese  Mahnung  zur  Wohl- 


1)  Man  betet  nämlich  um:  yyUi  q!  äjbtfj  V fr*  <£'*'■ 

8)  So  und  auch  Sckuektekejckak  heissen  mehrere  Arton  von  Instrumenten,  die  wenn 
man  sie  schüttelt,  einen  grossen  lärm  hervorbringen;  auch  z.  fi.  der  '/musikalische’' 
Gürtel  (vergl.  weiter  unten),  den  die  Sklaven  bei  ihrem  wöchentlichen  Spiele  gebrauchen , 
wird  so  genannt.  Vergl.  Taff.  XVIII  und  XXII. 

3)  Eigentlich  »Lobpreiser”,  weil  sie  gewöhnlich  Lieder  r.um  Preise  des  Propheten  oder 
der  Heiligen  singen. 

4)  Vergl.  mein  "Mekkanische  Sprichwörter  und  Redensarten”,  S.  49;  dies  Werk 
werde  ich  fernerhin  als  "Mekk.  Sprichw.”  citieren.  Der  einfachste  und  üblichste  Bctt- 
lerausruf  ist  in  Mekka:  ja  rahbl  ja  kerim!  mit  oder  ohne  dringende  Zusätze  wie:  jä 
firiij  AUak  ja  qarikl  oder  Bitten,  die  sich  mehr  direkt  an  die  Menschheit  richten, 
wie  luqmak  liUäk  mitkiit!  (ein  Bissen  um  Gottes  willen,  für  mich  Armen!).  Es  giebt 
aber  eine  unendliche  Reihe  von  Ausrufen,  durch  welche  sich  ein  Bettler  von  anderen 
unterscheidet,  z.  B.  ana  tdlib  min  alladi  Ui  jeadm!  d h.  «ich  begehre  von  dem,  der 
nimmer  schläft  (Gott)”  usw. 


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thätigkeit  erschallt,  braucht,  wenn  er  nichts  geben  will,  bloss  mit 
einem  Allah  kerim  auf  die  nächste  Thür  hinzuweisen.  Fremde 
Bettler  und  andere  Arme,  die  etwa  im  Gefolge  von  reicheren 
Leuten  herkamen  und  nicht  wieder  heimkehren,  begnügen  sich 
später  wohl  mit  den  weniger  ergiebigen  Stellungen,  mit  denen 
der  geborene  Mekkaner  nicht  mehr  zufrieden  ist.  Man  findet  daher 
meistens  Fremde  als  Thorhüter  der  Moschee,  die  zugleich  die  San- 
dalen der  Hineiutretenden  in  Verwahrung  nehmen,  als  Portiers  in 
Privatwohnungen , die  von  mehreren  Familien  bewohnt  werden , und 
als  Lohndiener  für  alle  Arbeit,  die  nicht  durch  Sklaven  besorgt 
wird. 

Namentlich  die  Inder  ziehen  nicht  nur  aus  dem  Handel,  woran 
sie  sich  energisch  betheiligen,  sondern  auch  aus  ihren  Kreditge- 
schäften grossen  Gewinn.  Das  muslimische  Wuchergesetz  ist  zwar 
sehr  rigoros,  und  in  den  Schilderungen  der  Endzeit  wird  unter  den 
Lastern,  die  das  Gericht  als  nahe  bevorstehend  ankündigen,  das 
Leihen  gegen  50 °/0  genannt  ');  allein  manche  Wucherer  nehmen 
keinen  Anstand,  dem  kanonischen  Gesetze  zuwiderzuhandeln,  und 
sonst  bietet  ihnen  die  Interpretation  des  Gesetzes  Gelegenheit  zu 
allerlei  Umgehungsgeschäften  s).  Andere  sind  in  diesen  Dingen  den 
Indern  als  gute  Schüler  gefolgt;  ich  habe  geborene  Mekkaner  ge- 
kannt, die  nach  den  in  ihren  Händen  befindlichen  Schuldscheinen 
bloss  von  Javanen  50 — 80,000  Maria-Theresia-thaler  zu  fordern  hat- 
ten, obgleich  ihnen  die  Kreditanstalt  nur  Nebensache  war.  Die  ob- 
waltenden ungünstigen  Verhältnisse  auf  Java  brachten  solche  Kre- 
ditoren in  eine  verzweifelte  Lage,  obgleich  die  geliehenen  Summen 
wohl  nur  höchstens  die  Hälfte  der  erwähnten  Beträge  erreicht  hat- 
ten; die  Leiher  gehörten  ja  meistens  den  mittleren  Klassen  an. 

1)  ist  thatsächlich  in  Mekka  ein  sehr  üblicher  und  zwar 

nicht  der  höchste  Prozentsatz;  mit  demselben  Ausdruck  werden  die  Anleihen  der  bösen 
Endzeit  in  der  Litteratur  bezeichnet 

S)  Die  üblichsten  sind;  1°  die  Erwähnung  einer  höheren  Summe  in  dem  Schuldschein, 
der  auf  einen  bestimmten  Termin  lautet,  2°  der  Leiber  verkauft  seinem  Kunden 
eine  beliebige  Waare  gegen  eine  hohe  Summe,  deren  Zahlung  zu  einer  späteren  be- 
stimmten Zeit  stattfindon  soll,  und  kauft  gleich  darauf,  vorhergehender  Verabredung 
gemäss,  dieselbe  wieder  von  ihm  gegen  einen  kleineren,  gleich  zu  zahlenden  Preis, 
welcher  also  eigentlich  den  Betrag  der  Anleihe  darstellt. 


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4 


Die  Wucherverhältnisse  sollten  die  Mekkaner  täglich  des  Gerichts 
gewärtig  machen;  der  ominöse  Name  «/Zinsen”  ( Riba ) wird  aber 
ängstlich  vermieden;  was  die  Wucherer  erzielen,  heisst  »Gewinn” 
(Meräb'hah). 

Zu  den  ernstesten  Konkurrenten  der  Inder  in  dieser  Beziehung 
zählen  die  Hadhramiten.  Diese  kommen  fast  ausnahmslos  ohne 
Geld,  aber  mit  grosser  Geschicklichkeit  und  unendlicher  Ausdauer 
nach  Mekka;  kein  Ehrgefühl  verhindert  sie,  die  Wahl  des  Hand- 
werks oder  der  Stellung  ganz  von  den  Umständen  abhängig  zu  machen. 
In  Djiddah,  wo  die  Trägerzunft  den  ganzen  Verkehr  der  Stadt 
mit  dem  Hafen  vermittelt,  fangen  viele  als  Packträger  an;  einige 
von  ihnen  werden  schliesslich  reiche  Leute.  In  Mekka  suchen  sie 
zunächst  Stellung  als  Lohndiener,  wenn  es  irgend  geht,  in  einem 
Handelsgeschäft.  So  erwerben  sie  sich  lokale  und  technische  Kennt- 
nisse, welche  sie  möglichst  bald  selbständig  verwerthen;  der  vier- 
zehnjährige Knabe  aber,  der  im  ersten  Jahre  etwa  25  Thaler  an 
Geld  verdient  hat,  legt  gleich  20  davon  auf  Zinsen,  und  diese 
betragen  bei  solchen  kleinen  Anleihen  nicht  selten  1007o,  sogar 
wenn  die  Zahlungsfrist  nur  wenige  Monate  dauert. 

Aus  Jemen  wandern  Viele  mit  ähnlichen  Absichten  nach  Mekka 
wie  die  Hadhär’mah;  an  Energie  kommen  sie  diesen  aber  nicht 
gleich.  Der  eigentliche  Hidjäz  (südöstlich  von  Taif  bis  nach  Wädl 
Lijjali)  sendet  arme  Beduinenfamilien  in  die  Stadt;  eine  solche 
Familie  bekommt  als  Wohnung  einen  Theil  der  Vorhalle  eines 
grösseren  Hauses  und  leistet  dagegen  mit  absoluter  Zuverlässigkeit 
Portierdienste.  Dies  ist  vorzüglich  zur  Zeit  des  Pilgerbesuchs  wich- 
tig, weil  dann  das  grössere  Gepäck  vieler  Dutzende  von  Pilgern 
in  den  Parterreräumen  untergebracht  wird.  Allgemein  traut  man 
den  armen  HidjäzI’s  viel  besser  als  den  von  der  Kultur  beleckten 
Selemäni’s,  Maglmr’bah  und  Anderen,  die  solche  Stellungen  suchen. 
Im  südwestlichen  Stadtviertel  lebt  eine  ganze  Kolonie  von  Beduinen 
aus  der  Provinz  der  Uaramein,  die  Mehrzahl  in  elenden  Hütten 
(^Uasclial's) , die  wohlhabenden  in  einfachen  Häusern.  Sie  vermit- 
teln das  Miethen  von  Kameelen  nach  Djiddah,  Täif  und  Medina 
und  die  Einfuhr  von  Sclmafen,  Milch,  Butter,  Datteln  aus  ihrer 


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Heimath,  sind  also  Mecharridjin  oder  Mitsabbibin.  Kleinere  der- 
artige Beduinenansiedelungen  finden  sich  auch  nördlich  und  südlich 
von  der  Stadt;  diese  liegen  aber  schon  zu  weit  entfernt,  um  zur 
Stadt  gerechnet  zu  werden.  Näher  schliessen  sich  dem  südlichen 
Stadtthoil  die  ‘Ussc/ia/i's  der  Neger  (der  freigeborenen  Tekrün’s 
und  der  sich  ihnen  zugesellenden  freigelassenen  Sklaven)  an.  Sie 
sind  Packtrüger,  sie  leeren  die  Abtritte  aus  und  fertigen  rohes  ir- 
denes Geschirr  und  Flechtwerk  aus  Palmenblattern  ( Mekabbah's  '), 
Zimmerbesen  l)  usw.)  an. 

Fügen  wir  noch  hinzu,  dass,  namentlich  aus  Egypten , Weiber 
nach  Mekka  kommen,  die  sich  den  heirathslustigen  Männern  an- 
bieten, uuch  wohl  Ehen  schliessen,  die  nur  als  Schleier  für  die 
Prostitution  dienen,  so  wird  der  Leser  sich  ungefähr  richtig  vor- 
stellen, aus  welchen  weltlichen  Gründen  Muhammedaner  sich  hier 
einbürgern.  Von  allen  genannten  Nationen  leben  aber  auch  Viele 
in  Mekka  aus  rein  religiösem  Antrieb:  sie  wollten  die  heilige 
Wissenschaft  an  heiliger  Stelle  studieren,  in  der  Nähe  berühmter, 
frommer  Gelehrten  oder  Mystiker  leben,  alte  Sünden  biissen,  auf 
unlautere  Weise  errungene  Besitzthümer  durch  theilweise  fromme 
Verwendung  reinigen,  oder  auf  heiligem  Boden  ihre  letzten  Tage 
verbringen  und  sterben.  Nur  von  den  Djäwah  (den  Völkern  Ost- 
indiens) kann  man  sagen , dass  nahezu  allen,  die  Mekkaner  zu 
werden  wünschen,  jeder  Nebengedanke  dabei  fern  liegt,  obgleich 
einzelne  nach  jahrelangem  Aufenthalt  von  mekkanischer  Gewinn- 
sucht angesteckt  werden.  Durch  diese  Eigentümlichkeit  und  durch 
das  absolute  Fehlen  von  Bettlern  ihrer  Nation  unterscheiden  sie 
sich  von  allen  andern  //Nachbarn  Allahs”.  Von  den  Letzteren  lässt 
sich  kaum  etwas  so  allgemein  Gütiges  aussagen;  in  den  meisten 
Kreisen  der  Bürgerschaft  sind  alle  Völkerschaften  mehr  oder  we- 
niger stark  vertreten.  Auffallend  ist  es  aber,  wie  selten  Bewohner 
des  inneren  Arabiens  Mekka  zum  bleibenden  Wohnort  wählen;  die 
es  thun,  sind  fast  immer  Kaufleute,  die  Anderen  kommen  nur 
zur  Wallfahrt,  um  bald  darauf  heimzukehren.  Sie  verehren  den- 


1)  Vergl.  Tafel  XXXVIII  N«  2 und  3. 


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noch  den  heiligen  Boden  nicht  weniger  herzlich  denn  alle  frommen 
Muslime,  gleichviel  ob  sie  bambalitisch  fromm  oder  beduinisch 
frei  erzogen  sind;  allein  die  mekkanische  Gesellschaft  erscheint 
ihnen  als  verderbt.  Auf  dem  heiligsten  Boden  ist  nach  ihrer  An- 
sicht ein  recht  unheiliges  Babel  entstanden;  für  ihre  Verhältnisse 
ist  Mekka  eine  Grossstadt,  wo  der  Teufel  allerlei  Unsitte  unter 
dem  Namen  der  Kultur  eingeführt  hat. 

Zunächst  bilden  die  Einwanderer  jedes  Landes  eine  kleine  Ge- 
sellschaft für  sich ; mit  welchen  Kreisen  ihre  Beschäftigung  sie  auch 
in  Berührung  bringt,  intimeren  Verkehr  haben  sie  nur  mit  ihren 
Landsleuten.  Sofern  sie  türkische  Staatsangehörige  sind,  oder,  wie 
die  Marokkaner,  hier  rücksichtslos  als  solche  behandelt  werden, 
hat  dies  Sonderleben  bloss  sociale,  aber  keine  politische  Bedeutung. 
Auch  die  Unterthanen  europäischer  Mächte  hüten  sich  in  der  Re- 
gel wohlweislich,  hier  als  solche  aufzutreten,  denn  die  Bevölkerung 
würde  sie  deswegen  verhöhnen;  die  Regierung  aber  weist  solche 
Leute  ohne  Weiteres  aus.  Nur  in  seltenen  Fällen  nützt  es  fremden, 
namentlich  englischen,  Unterthanen,  dass  die  mekkanischen  Be- 
hörden ihren  Rückhalt,  den  Konsul  in  Djiddah,  fürchten.  Unter 
gewöhnlichen  Umständen  haben  sie  keine  persönliche  Berührung 
mit  den  Obrigkeiten;  tritt  eine  solche  ein,  so  werden  sie  entweder 
ganz  wie  die  eigenen  Leute  behandelt,  oder  man  verlangt  von 
ihnen , bevor  sie  hier  Rechte  geltend  machen , eine  förmliche  Bitte 
um  die  Protektion  ( Himäjah ) des  Sultans,  der  sie  dann  auch  fer- 
nerhin unterstellt  bleiben.  In  den  letzten  Jahren  wurde  die  Regel 
befolgt , dass  alle  Unterthanen  europäischer  Mächte , die  im  Hidjäz 
Eigenthümer  unbeweglicher  Güter  werden  wollten,  vorher  zu  na- 
turalisieren seien;  die  Naturalisation  fand  häufig  statt,  hatte  aber 
keine  gesetzliche  Bedeutung  ausserhalb  Mekka’s,  sodass  die  euro- 
päischen Autoritäten  sich  nicht  hineinmischten.  Für  den  Verkehr 
der  Behörden  mit  den  Mitgliedern  der  Fremdenkolonien  brauchen 
aber  beide  Parteien  eine  gewisse  Vermittelung;  die  Verschiedenheit 
in  Sprache  und  Sitten  würde  es,'  sonst  z.  B.  der  Polizei  sehr  er- 
schweren , nicht  jeden  Augenblick  fehlzugreifen.  Als  Vermittler  fun- 
gieren nun  meistens  die  Schecke  oder  Metamcifin  d.  h.  die  Frem- 


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denführer,  welche  von  Anfang  an  Alles  für  die  Neulinge  besorgt 
haben.  Die  Hadhär'mah , deren  Heimath  thatsächlich  keiner  frem- 
den Macht1)  gehorcht  noch  gehorchen  will,  haben  von  jeher  ihren 
eignen  Schech,  der  heutzutage  in  gleicher  Weise  zwischen  der  Re- 
gierung und  seinen  Landsleuten  vermittelt,  wie  die  Scheche  der 
Stadtviertel  die  »Söhne  ihres  Viertels”  vertreten;  auch  seine  Stel- 
lung hat  bloss  administrative  Bedeutung.  Eine  andere  Nation,  die 
aus  ähnlichen  Gründen  einen  Landsmann  zum  Schech  hat,  sind 
die  Selemänijjeh  (die  Afghanen  und  ihnen  verwandte  Völkerschaften). 
In  das  Leben  beider  Kolonien  greift  aber  die  türkische  Verwaltung 
über  den  Schech  hinaus  ein , so  oft  sie  es  für  nöthig  hält. 

Nur  weil  Mekka  zum  Theil  eine  Fremdenstadt  ist , fühlt  sich 
die  ganze  vielsprachige  Menschenraasse , die  wir  jetzt  oberflächlich 
durchmustert  haben,  dort  völlig  zu  Hause,  jedoch  immerhin  als 
fremd.  Viele  Ausländer  gehören  aber  nicht  mehr  zu  einer  Kolonie ; 
ihre  Neigung,  geschäftlicher  Verkehr  oder  andere  Ursachen  führten 
eine  so  innige  Verbindung  mit  der  eigentlich  mekkanischen  Gesell- 
schaft herbei,  dass  sie  allmählich  darin  aufgingen.  Zwischen  diesen 
und  den  »Kolonisten”  giebt  es  eine  unendliche  Reihe  von  Abstu- 
fungen, keinen  schroffen  Uebergang.  Ehen  wirken  hier  als  die 
mächtigsten  Bindemittel;  wer  eine  in  Mekka  erzogene  Frau  heira- 
thet,  der  wird  selbst  mehr  oder  weniger  Mekkaner;  in  der  zweiten 
und  dritten  Generation  ist  aber  die  Herkunft  der  neuen  Familie 
so  gut  wie  vergessen.  Dem  Kern  der  Bürgerschaft  assimilieren  sich 
also  unaufhaltsam  neue  Elemente,  die  nicht  durch  Wahlverwandt- 
schaft zu  einander  gezogen  werden.  Wenn  man  dabei  die  Folgen 
der  Polygamie  und  des  Konkubinats  in  Betracht  zieht,  so  kann 
man  sich  denken,  dass  jedes  Stadtviertel  fast  alle  erdenklichen 
Menschentypen  enthält  und  dass  häufig  in  einer  Familie  alle  Haut- 
farben vertreten  sind.  Auf  den  Typus  der  einzelnen  Bestandteile 
kann  der  fortwährende  Assimilationsprozess  nicht  nivellierend  ein- 
wirken; nur  in  Kleidung,  Sitten,  Sprache  und  Charakter  stellt 


1)  Trotz  dor  entgegengesetzten  Versicherung  eines  Sejjids  in  Batavia,  auch  der 
Türkei  nicht;  ich  glaube,  der  Sejjid  würde  sich  zweimal  bedenken,  bevor  er  cs  über- 
nähme, einen  türkischen  Beamten  auf  einer  Kmiso  durch  Hadhr&maut  zu  begleiten. 


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sich  die  immer  werdende  und  dennoch  immer  vorhandene  Einheit  dar. 

Trotz  ihrer  bunten  Zusammensetzung  zeigt  diese  Gesellschaft 
durch  allerlei  importierte  Brauche  und  Sitten  hindurch  ein  entschie- 
den westarabisches  Gepriige;  dies  haben  ihr  von  oben  die  zahlrei- 
chen Scherifc,  Sejjids  und  die  übrigen  altmekkanischen  Geschlech- 
ter1 2), von  unten  die  einwandemden  Hidjäzfs  und  Harbi’s  aufgedrückt. 
Zu  seiner  Erhaltung  trug  der  Umstand  nicht  wenig  bei,  dass  Sitten 
und  Sprache  der  südarabischen  Einwanderer  denen  der  Mekkaner 
sehr  nahe  standen;  diese  Hadhramiten  und  Jemeniten  führten  aber 
unausgesetzt  dem  für  den  Charakter  der  Bürgerschaft  maassgeben- 
den Nährstande  neue  Männer  zu.  Die  übrigen  Neubürger  mussten 
mehr  vom  Altheimischen  abstreifen,  bis  sie  für  voll  gölten  konn- 
ten, obgleich  sie  auch  ihrerseits  das  Gesammtlebcn  beeinflussten. 
Trotzdem  fast  jede  Nation  durch  einige  in  den  mckkanischen  Dia- 
lekt eingedrungene  Fremdwörter  ihr  Dasein  bekundet,  ist  doch 
dieser  Dialekt  entschieden  westarabisch;  trotzdem  die  Mekkaner  in 
Bezug  auf  die  Kleidung  allerlei  aus  Indien  entlehnt  haben,  erkennt 
man  doch  den  Mekkaner  an  seiner  Tracht  und  legt  er  an  ge- 
wissen Festtagen  nicht  ungern  Beduinengewänder  an;  mit  vielen 
fremdartigen  Speisen  üben  die  Mekkaner  eine  Gastfreiheit  ’)  aus , 
die  ganz  den  echt  arabischen  Typus  zeigt.  Viel  mehr  als  fremdes 
Wesen  hat  die  Umgestaltung  Mekkas  in  die  heilige  Stadt  des 
Islam’s  die  Zersetzung  der  Einwohnerschaft  bewirkt. 

Eigenthümlich  ist  es,  wie  die  Stadtviertel  in  der  Gestaltung 
ihrer  gegenseitigen  Verhältnisse  die  Sitten  des  innem  Arabiens  nach- 
geahmt haben.  Hier  wie  dort  entstehen  jahrelange  Streitigkeiten 
aus  nichtigen  Gründen : eine  Schlägerei  zwischen  Kindern  von  zwei 
Vierteln,  oder  die  Thatsache,  diiss  ein  Taugenichts  Hunde  des 


1)  In  spaterer  Zeit  bloss  die  Schübi's  (die  Thorhüter  der  Kn'bab)  und  vermeintliche 
Abkümmlinge  des  Abdallah  ihn  Zubeir,  als  welche  dio  Mitglieder  einer  Familie  gelten 
wollen,  die  lange  Zeit  das  Amt  des  llhjjis,  des  mit  der  Festsetzung  des  Kalenders 
und  der  Zeit  für  die  täglichen  Qaldfi  betrauten  Beamten,  inne  hatte  (vgl.  Tafel  XV 
des  Atlas,  links  unten). 

2)  Gegen  Pilger,  die  nun  einmal  dio  Ernte  der  Mekkaner  abgebon  müssen,  bezeigen 
sie  eine  bloss  formelle  und  scheinbare  Gastfreiheit,  aber  im  eigentlichen  geselligen  Ver- 
kehr sind  sic  gastfrei  bis  zur  Verschwendung. 


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einen  Quartiers  in  das  andere  hineingehetzt  hat,  wird  Anlass  zu 
unendlicher  Feindschaft.  Kein  Mann  ')  kann  sich  dann  in  das  dem 
seinigen  verfeindete  Viertel  hineinwagen,  ohne  die  Gefahr,  mit 
Steinen  aus  den  Häusern  beworfen  oder  zur  Nachtzeit  gar  mit 
Messern  angegriffen  zu  werden.  Während  die  Adligen , d.  h.  alle 
Scherife  und  einige  Sejjid’s  aus  vornehmen  Häusern,  immer  mit 
Djambijjeh' s *)  bewaffnet  sind,  trägt  der  »Sohn  des  Stadtviertels” 
sein  Dolchmesser  unter  dem  Hemde  auf  der  nackten  Brust.  Kommt 
es  zu  einer  grossen  Schlägerei  {Höschah) , so  bewaffnen  sich  diese 
Leute  ausserdem  mit  Knitteln  (Naböüt's),  und  die  Helden  dieser 
Viertelfehden  lieben  es,  im  Freundeskreise  den  kahlgeschorenen 
Kopf  zu  entblössen,  um  die  vielen  tiefen  Narben  zu  zeigen,  wo 
ihnen  der  Scheitel  vom  »Feinde”  gespalten  wurde.  In  der  Stadt 
finden  die  Kämpfe  gewöhnlich  am  Fusse  des  Abu  Qubes  statt, 
dort  wo  nach  der  Legende  Mtihammed  den  Mond  zu  sich  berief 
und  sich  spalten  hiess  s).  Um  verfrühten  Eingriffen  der  Polizei  vor- 
zubeugen, benützen  die  Kampflustigen  häufig  die  Gelegenheit, 
welche  ihnen  die  mekkanischen  Heiligenfeste  bieten,  weil  dann 
grosse  Versammlungen  an  etwas  entlegeneren  Orten,  nämlich  bei 
den  Heiligengräbern,  stattfinden.  Fällt  ein  Kämpfer  oder  stirbt  er 
an  den  auf  der  Wahlstatt  erhaltenen  Wunden,  so  führen  meistens 
die  beiden  Scheche  der  betreffenden  Viertel  die  Tilgung  der  Blut- 
schuld durch  Zahlung  des  Wergeides  herbei,  das  immer  von  dem 
ganzen  schuldigen  Viertel  erhoben  wird.  Jedes  Mitglied  des  Vier- 
tels giebt  nach  seinem  Vermögen  einen  Beitrag ');  und  die  Zahlung 
des  Ganzen  (selten  weniger  als  800  Dollars)  findet  wohl  in  Raten 
statt.  Verwundungen  werden  nach  dem  jus  talionis  behandelt;  man 


1)  D h.  kein  Mann,  der  zu  den  aulad  el-htrah,  den  Söhnen  des  Viertels,  gerechnet 
wird.  Fremde,  vornehme  Leute  und  Beamte  stehen  ausserhalb  dieser  Zänkereien,  und 
cs  muss  sehr  weit  kommen,  bis  sie  dadurch  behelligt  werden. 

2)  Wörtlich  //Seitengewehr”,  obgleich  sio  vorne  im  Gürtel  getragen  werden.  In  Cen- 
tralarabicn  heissen  sie  richtiger  »Qidd  imijjeh".  Die  Form  der  Djambijjeh'*  kann  man  auf 
den  Schcrifenbildern  im  Atlas  beobachten. 

3)  Dieser  Ort  heisst  im  Munde  der  Mekkaner  Manschaqq  (nur  Gebildete  sagen  Ma- 
ickaqq ) elrqamar. 

4)  Weil  die  Zahlung  auf  Alle  vcrthcilt  wird,  heisst  dies  Verfahren  Firqah. 

II  2 


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10 


vollzieht  die  Rache  aber  an  dem  ersten  Besten,  der  zur  feindlichen 
Partei  gehört,  und  so  bleibt  immer  auf  einer  Seite  ein  zu  tilgen- 
des Saldo.  Falls  der  einer  schweren  Verwundung  Schuldige  bekannt 
ist , gelingt  es  den  Schechen  der  Viertel  oftmals , durch  das  Nnqü 
genannte  Verfahren  ')  eine  friedliche  Lösung  zu  bewirken.  Das  be- 
leidigte Viertel  wird  von  dem  andern  zu  einer  Mahlzeit  geladen; 
bevor  diese  stattfindet,  stellen  sich  die  Parteien  einander  gegen- 
über, und  tritt  der  Schuldige  aus  den  Reihen  hervor,  indem  er 
sichselbst  mit  seinem  Messer  verwundet.  Er  setzt  dies  fort,  bis  die 
auf  der  andern  Seite  Stehenden  ausrufen:  »es  ist  genug!”  worauf 
Alle  einander  begrüssen  und  sich  durch  die  Mahlzeit  zu  »Brod- 
und  Salzgenossen”  J)  machen.  Der  Friede  dauert  dann ....  solange 
Allah  will. 

So  stehen  die  Bürger  an  Uebertretung  der  Religionsgesetze  be- 
züglich des  Gottesfriedens  im  heiligen  Gebiet  den  adligen  Prophe- 
tensöhnen keineswegs  nach;  auch  sie  haben  ihre  »Kriege”  und  ihr 
»Herkommen”  und  folgen  darin  dem  Beispiele  »unserer  Herren  der 
Scherife”  und  dem  allgemein  arabischen  Brauche.  Indem  nun  die 
Sitten  und  die  Sprache  des  westarabischen  Kerns  der  Bevölkerung 
wesentlich  das  Uebergewicht  behalten  haben , steht  bei  Allen , Kern 
und  Zuwachs,  in  gleichem  Meas.se  der  Charakter  unter  dem  Ein- 
flüsse ihrer  Hauptbeschäftigung,  d.  h.  der  Ausbeutung  der  Pilger. 
Da  Alle,  vom  vornehmsten  Scherif  bis  zum  Bettler,  ihren  Gewinn 
direkt  oder  indirekt  von  dem  Fremdenbesuch  erzielen , lernen  die 
Gäste  Allahs 1 2  3)  dessen  Nachbarn  *)  von  möglichst  ungünstiger  Seite 
kennen  und  nehmen  daher  von  diesen  sehr  einseitige  Anschauungen 
mit  nach  Hause,  die  dem  allgemeinen  Urtheil  über  die  Mekkaner 
eine  falsche  Richtung  geben.  Der  fromme  Pilger,  der  sich  auf 
dem  heiligen  Boden  idyllische  Zustände  geträumt  hat,  wird  schreck- 
lich enttäuscht,  wenn  er  hier  genule  zur  Zeit  der  Wallfahrt  fast 


1)  Vcrgl.  Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Erdkunde  zu  Berlin,  Bd.  XIV, S.  152. 

2)  Mckk.  Sprich».,  S.  89. 

S)  Allahs  Gaste  sind  die  Pilger,  wenn  sic  in  Mekka,  Mubammeds  Gäste,  wenn  sie 
in  Medina  verweilen  . 

4}  Allahs  Nachbarn  sind  die  Mekkaner,  Muhammeds  Nachbarn  die  Medincnser. 


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11 


nur  fieberhaftes  Streben  nach  Gewinn  beobachtet.  Uns  kann  dies 
nur  als  natürlich  erscheinen,  zumal  Mekka  so  gar  keine  anderen 
Erwerbsquellen  bietet  und  die  Konkurrenz  eher  zu-  als  abnimmt. 
Ich  muss  es  noch  einmal  sagen:  wer  die  Mekkaner  ausserhalb  der 
Pilgerzeit  beobachtet  (hier  sind  sie  wie  Kaufleute  auf  der  Börse), 
findet  sie  leutselig,  bis  zur  Verschwendung  gastfrei,  geistreich, 
ganz  dem  geselligen  Leben  ergeben,  und  wem  der  Zutritt  zu 
guten  Familien  geöflnet  wird,  der  begegnet  hier  neben  vielen  vul- 
gären Geschöpfen,  auch  edlen  Menschen  und  ungeheuchelter Fröm- 
migkeit. 

Bevor  wir  auf  die  nähere  Schilderung  des  gesellschaftlichen  Le- 
bens der  von  den  Fremdenkolonien  gleichsam  eingerahmten  mekka- 
nischen  Bürgerschaft  eingehen , haben  wir  noch  eines  hochwichtigen 
Elements  der  Bevölkerung  zu  gedenken,  das  seit  uralten  Zeiten 
massenweise  eingewandert  und  sowohl  in  physischer  als  morali- 
scher Hinsicht  für  die  Bildung  des  mekkanischen  oder  vielmehr 
der  mekkanischen  Typen  die  grösste  Bedeutung  erlangt  hat;  ich 
meine  die  immer  unfreiwilligen  Immigranten  aus  Afrika  und  dem 
Kaukasus,  die  neuerdings  wieder  vielbesprochenen  Sklaven. 

Cirkassier  und  Cirkassierinnen  kommen  über  Konstantinopel  her ; 
wegen  des  hohen  Preises  (ein  weisser  Sklave  kostet  wohl  mehr 
Pfunde  Sterl.  als  ein  anderer  Dollars)  ist  ihre  Zahl  gering,  und 
sie  werden  in  Mekka  nie  auf  dem  Markte  verkauft.  Die  Sklavin- 
nen sind  anspruchsvolle,  von  den  eigentlichen  Arabern  wenig  ge- 
schätzte Konkubinen , die  Knaben  dienen  vornehmen  Herren  als 
Kammerdiener  und  Amasii.  Die  sehr  verbreitete  Päderastie  gehört 
in  erster  Linie  zu  den  von  den  .Arabern  des  Innern  verabscheuten 
Folgen  der  Kultur  im  westarabischen  Babel.  Einer  von  den  be- 
rühmtesten Recitierem  des  Quräns  in  Mekka  war  diesem  Laster 
in  solchem  Maasse  ergeben,  dass  jedermann  seine  jungen  Söhne 
ängstlich  von  dessen  Hause  fern  hielt.  Haben  die  cirkassischen 
Amasii  das  reife  Alter  erreicht,  so  lassen  die  Herren  sie  in  der 
Regel  frei ; vorhin  haben  sie  gewöhnlich  guten  Unterricht  genossen 
und  sich  auch,  falls  die  Herren  Geschäfte  haben,  sehr  viele  prak- 
tische Kenntnisse  erworben,  die  es  ihnen  erleichtern,  sich  als 


ifer- 


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Agenten  ihrer  Patrone  oder  als  selbständige  Kaufleute  emporzu- 
schwingen.  Wie  leicht  es  ihnen  stets  war,  in  der  türkischen  Bc- 
amtenwelt  Stellungen  einzunehmen,  ist  männiglich  bekannt.  Der 
verschmitzte  Kaufmann,  dessen  Bild  auf  Tafel  XI  dargestellt  ist, 
hatte  mehr  ak  ein  Dutzend  pensionierte  cirkassische  «Leibbediente” 
in  verschiedenen  Geschäften  untergebraeht. 

Sehr  viel  bedeutender,  sowohl  für  den  Handel  als  für  die  Zu- 
sammensetzung der  Bevölkerung  Mekka’s  sind  die  afrikanischen 
Sklaven1 2).  Mit  dem  Namen  der  Nubier  bezeichnet  man  in  Mekka 
alle  jene  glänzend  pechschwarzen  Negersklaven,  die  zur  schwersten 
Arbeit  bei  Bauten,  Steinbrüchen  usw.  benutzt  werden.  Die  übrigen 
dunklen  Werksklaven,  die  ebenfalls  meistens  aus  dem  Sudan  im- 
portiert werden,  nennt  man  einfach  Neger,  Schwarze*).  Auch 
diese  fangen  manchmal  «in  den  Steinen  und  dem  Lehm”  an;  ihre 
Eigenthümer  schicken  sie  im  Knabenalter  wohl  eigens  zu  dem 
Zwecke  zu  den  Bauten,  damit  sie  fertig  arabisch  sprechen  lernen. 
Sie  werden  in  solcher  Lehrzeit  auf  ähnliche  Weise  von  ihren  Lands- 
leuten in  die  neuen  Verhältnisse  eingeführt,  wie  die  Rekruten 
während  der  ersten  Woche  in  der  Kaserne.  Die  weniger  gut  Be- 
anlagten  bleiben,  wie  die  Nubier,  Arbeiter  und  werden  ak  solche 
von  den  Eigentümern  an  die  Baumeister  usw.  vermiethet.  Ihre 
Erziehung  beschränkt  sich  gewöhnlich  auf  die  Erlernung  der  not- 
wendigsten rituellen  Verrichtungen  des  Islams;  obgleich  sie  auch 
darin  nicht  selten  sehr  nachlässig  sind,  ist  die  muslimische  Ge- 
sinnung dieser  grossen  Kinder  fast  fanatisch  zu  nennen.  Am  Don- 
nerstag Nachmittag  bis  Freitagmorgen  feiern  sie,  und  ergötzen  sich 
an  ihrer  Nationalmusik  mit  Sang  und  Tanz.  Jede  Gesellschaft  von 
solchen  Negern  hat  ihren  Schech,  der  vorkommende  Zwistigkeiten 
durch  seinen  Richterspruch  erledigt,  und  ihm  steht  ein  Naqlb  mit 


1)  Ziemlich  richtig  hat  L.  Strass  in  der  Oestcrreichischon  Monatschrift  für  den 
Orient,  15  Deo.  1880,  über  die  Bedeutung  dieser  Sklaveneinfuhr  und  die  Thorheit  der 
Antisklavcreimanie  geschrieben.  Nur  was  er  über  das  imihammedanische  Gesetz  refe- 
riert, ist  falsch;  auch  glaubt  er  mit  Unrecht , der  Sklavenhandel  werde  in  Mekka  nicht 
öffentlich  betrieben.  Vcrgl.  übrigens  Mekk.  Sprichw.,  8.  111  ff.,  wo  ich  auch  über  den 
Sprachgebrauch  bezüglich  des  Sklavcnwcscns  einiges  mitgetlicilt  habe. 

2)  Sing,  ’nbd  a*wad , l’lur.  ’abid  sud  oder  ndditn. 


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13 


seinem  Stock  als  Gerichtsvollzieher  zur  Seite.  Das  Negerorchester  ‘) 
besteht  aus  der  gefiederten  sechsseitigen  Tumburah  J)  und  einigen 
Trommeln  ( Tubül ).  Ein  Sklave  trügt  ausserdem  einen  aus  Schaafs- 
hufen  gemachten  Klappergürtel  J),  womit  er  tanzend  und  den 
Körper  nervös  bewegend  grossen  Lärm  macht.  Mit  den  «'Musi- 
kanten” bilden  die  meisten  Anwesenden  einen  Kreis  und  lassen 
stundenlang  ununterbrochen  ihren  monotonen  »Gesang”  ertönen, 
in  welchem  folgende  Tonreihe  häufig  wiederkehrt: 


Der  dritte  Takt  wird  so  oft  wiederholt,  als  die  Stimmen  es  ver- 
mögen, dann  folgt  aber  dem  vierten  wieder  gleich  der  erste  usw. 
Innerhalb  des  Kreises  tanzen  zwei  oder  mehrere  Sklaven  mit  langen 
Stöcken  in  der  Hand  herum  und  machen  dazu  Bewegungen,  als 
kämpften  sie.  In  den  Pausen  trinkt  wohl  dieser  und  jener  ein  be- 
rauschendes Getränk  ( Huzah ),  aber  auch  ohne  dies  genügt  das 
Konzert,  die  von  Natur  immer  etwas  angeheiterten  Schwarzen  wie 
betrunken  zu  machen.  Nach  dieser  Erholung  gehen  sie  Freitag 
Nachmittags  wieder  an  die  Arbeit,  die  gewöhnlich  für  ihre  Kräfte 
nicht  zu  schwer  bemessen  ist,  obgleich  den  meisten  Eingebornen 
solche  Anstrengung  im  Freien  unmöglich  wäre.  Ihre  Nahrung  ist 
völlig  genügend;  für  etwa  40  Pfennige  täglich  kann  man  hier  einen 
Arbeiter  mit  gutem  Essen  versorgen.  Kleidung  und  Wohnung 
macht  das  Klima  fast  überflüssig;  jedenfalls  bekommen  auch  diese 
Nubier  und  Schwarzen  davon , was  sie  brauchen.  Nach  ihrer  Frei- 
lassung suchen  sie  Beschäftigung  als  Lohndiener,  Wasserträger 
usw.;  meistens  ziehen  sie  die  Fortdauer  der  Vormundschaft  vor, 
namentlich  wenn  der  Herr  ihnen  die  Erlaubniss  zur  Eheschliess- 
ung giebt. 

Schwarze,  die  geistig  höher  begabt  sind,  finden  als  Knaben  für 


1)  Vcrgl.  Tafel  XVIII  des  Atlas. 

2)  Dieser  Name  dient  auch  zur  Bezeichnung  des  ganzen  Orchesters. 

3)  Chutchchejxchah  oder  Schuchschejchah , vergl.  oben  S.  2.  Derlei  Umsetzungen  sind  in 
der  Umgangssprache  bei  gewissen  Wortklassen  nicht  selten,  z.  B.  Uefeqah  neben  Fehr- 
qah  (der  Schlucken),  Mudrtjhah  und  Murdrjkak  (Schaukel). 


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allerlei  Hausarbeit  oder  als  Ladendiener  Verwendung.  Wohlha- 
bende Männer,  namentlich  Kaufleute  '),  lieben  es,  ihr  Haus  mit 
Sklaven  zu  füllen,  wodurch  diesen  das  Leben  recht  bequem  ge- 
macht wird,  aber  auch  der  »Sklave  für  Alles”  hat  beim  Bürgers- 
mann kein  schweres  Leben,  und  alle  sind  Mitglieder  der  Familie  *), 
der  sie  dienen.  Bessere  Ladensklaven  werden  zu  Vertrauensmän- 
nern, denen  von  der  Sklaverei  nur  der  Name  bleibt;  Hausdiener 
werden  fast  regelmässig  in  etwa  zwanzigjährigem  Alter  freigelassen, 
schon  weil  ihre  Beschäftigung  sie  sonst  täglich  mit  vielen  freien 
und  unfreien  Weibern  in  Berührung  brächte.  Auch  fühlt  sich  der 
wohlhabende  Eigenthümer  verpflichtet,  wo  möglich,  seinem  treuen 
Diener  einen  Hausstand  zu  beschaffen,  und  die  Freilassung  gilt  an 
sich  als  ein  sehr  verdienstvolles  Werk;  das  Familienband  bleibt 
nach  wie  vor  bestehen. 

Fast  kein  Amt  und  keine  Stellung  ist  solchen  Freigelassenen 
unerreichbar;  sie  konkurrieren  mit  den  Freigebornen  auf  völlig 
gleichem  Fuss,  und  der  Ausgang  zeigt,  dass  jene  nicht  am  schlech- 
testen zum  Wettkampf  gerüstet  sind,  denn  unter  den  einflussreichen 
Bürgern , den  Besitzern  von  Häusern  und  Geschäften , sind  sie 
reichlich  vertreten.  Ihre  Hautfarbe  schadet  ihnen  schon  deshalb 
nichts , weil  der  Freie  mit  seiner  schwarzen  Konkubine  auch  schwarze 
Kinder  erzeugt. 

Unglaublich  mag  es  Manchen  erscheinen,  und  doch  ist  cs  wahr, 
dass  auch  aus  Britisch-Indien  und  Niederländisch -Ostindien  der 
mekkanische  Sklavenmarkt,  der  durch  die  politischen  Verhältnisse 
jetzt  zum  Hauptmarkt  geworden  ist,  gelegentlich  kleine  Zufuhren 
erhält.  Die  Djäwah-sklaven  dürften  wohl  meistens  aus  den  heidni- 
schen Gegenden  von  Celebes  und  Borneo  oder  auch  von  der  Insel 


1)  Nur  die  vornehmeren  Kau  Heute,  die  auch  Engroshändler  sind,  heissen  Tudjdr ; 
die  Detail  Verkäufer  sind  Bejjd’U  (mit  üinzufiigung  des  Namens  der  Waare),  und  ihre 
Beschäftigung  heisst  he  teesekfro. 

2)  Wie  weit  diese  Aufnahme  in  die  Familie  geht,  kann  man  daraus  entnehmen, 
dass  der  pechschwarze  Sohn,  den  der  auf  Tafel  X links  dargcstclltc  Kaufmann  mit 
einer  schwarzen  Sklavinn  erzeugt  hat,  trotz  seiner  reichen  Kleidung  und  seinem  freien, 
fast  frechen  Auftreten,  einmal  in  meinem  Beisein  von  einem  gebildeten  Mckkancr  irr- 
tlimnlieh  als  der  Sklave  seines  Vaters  angeredet  wurde. 


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Nias  herstammen ; sie  werden  auch  nach  Egypten  verkauft , und  der 
türkische  Lehrer  der  ägyptischen  Prinzen  erzählte  mir  von  verschie- 
denen seiner  Bekannten,  die  solche  gehabt  hatten.  Junge  Sklaven 
aus  Hindustan  sah  ich  viele  und  auch  vier  frisch  importierte  indi- 
sche Sklavinnen.  Ob  sie  geraubt  oder  von  ihren  Eltern  verkauft 
werden  und  aus  welcher  Gegend  sie  kommen,  konnte  ich  nicht 
ermitteln. 

Das  Band,  das  die  Sklavinnen  mit  der  Familie  verknüpft,  der 
sie  angchören,  ist  so  innig,  dass  ihre  Besprechung  in  unser  zweites, 
dem  Familienleben  gewidmetes,  Kapitel  gehört.  Hier  sei  nur  er- 
wähnt, dass  die  schwarzen,  als  die  kräftigsten,  zur  Hausarbeit  in 
Küche  und  Zimmer  benutzt  werden  und  wohl  nebenbei  bisweilen  als 
Konkubinen  dienen,  während  umgekehrt  die  Abyssinierinnen , unter 
denen  alle  Hautfarben  von  hellgelb  bis  dunkelbraun  vertreten  sind , 
in  erster  Linie  Konkubinen  sind  und  auch  wohl  einmal  leichtere 
Arbeit  übernehmen.  Die  abyssinischcn  Sklaven  zeigen  natürlich  die 
gleiche  Typusverschiedenheit,  und  sind  dementsprechend  nicht  alle 
für  gleiche  Zwecke  verwendbar.  Alle  gelten  für  zarter  und  intel- 
ligenter als  die  »Neger”,  werden  daher  vielfach  besser  als  diese 
erzogen  und  als  Leibdiener  oder  Geschäftsgehiilfen  benutzt.  Im  Handel 
werden  unter  dem  Namen  der  Hubüech  (Abyssinier)  alle  aus  den 
Abyssinien  benachbarten  Gegenden  herkommenden  Sklaven  verstan- 
den; die  Kenner  unterscheiden  die  Waare  genauer,  und  das  kau- 
fende Publikum  kennt  wenigstens  die  Eigenthümlichkeiten  der  Galla 
und  der  Gurägc  ziemlich  genau , sodass  z.  B.  dieser  nur  eine  Galla-, 
jener  nur  eine  Guräge-sklavinn  als  Lebensgefährtinn  haben  will. 

Alle  Arten  von  afrikanischen  Sklaven  waren  (1884 — 5)  immer 
reichlich  vorhanden  und  durch  Vermittlung  der  DelläFs  (Mäkler) 
zu  haben.  Die  auf  dem  Sklavenmarkte  (in  einer  Halle  nahe  dem 
Moscheethore  Bäh  Dercba/t ; siehe  den  Grundriss  der  Moschee)  aus- 
gestellten Sklaven  beider  Geschlechter  sind  theils  frisch  angekom- 
mene, theils  solche,  die  von  ihren  bisherigen  Eigenthümem  aus 
irgend  einem  Grunde  ausgeboten  werden. 

Wer  mit  europäischen  Begriffen,  vielleicht  noch  mit  Erinnerun- 
gen an  die  Lektüre  von  Uncle  Tom's  cabin  im  Kopfe,  diese  Halle 


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betritt,  wird  immer  zunächst  einen  antipathischen  Eindruck  be- 
kommen und  innerlich  verstimmt  von  dannen  gehen.  Der  erste 
Eindruck  ist  aber  falsch  . . . leider  bringen  uns  die  meisten  Orient- 
reisenden von  dem  dortigen  gesellschaftlichen  Leben  nicht  viel  an- 
ders als  erste,  falsche  Eindrücke,  wie  sie  auch  sonst  gefärbt  sind! 
Auf  den  in  der  Nähe  der  Wand  angelegten  Bänken  sitzen  Mäd- 
chen und  Frauen,  die  erwachsenen  leicht  verschleiert;  vor  ihnen 
sitzen  auf  dem  Boden  oder  stehen  männliche  Sklaven  reiferen  Alters ; 
in  der  Mitte  spielen  Dutzende  von  Kindern.  Einige  Mäkler  unter- 
halten sich  mit  einander  und  mit  ihrer  lebenden  Waare.  Von  den 
Zuschauern  widmet  einer  einem  kleinen , schwarzen  Knaben  beson- 
dere Aufmerksamkeit.  Der  mit  dessen  Verkauf  beauftragte  Mäkler, 
ruft  den  Jungen  zu  sich  und  zeigt  dem  Fremden  seine  Haare, 
seine  Beine,  seine  Arme,  heisst  den  Knaben  die  Zunge  und  die 
Zähne  zeigen,  lobt  indessen  seine  Art  und  seine  Fertigkeit.  Ist  der 
Käufer  vernünftig,  so  hört  er  aufmerksam  zu,  richtet  dann  aber 
das  Wort  an  den  Sklaven  selbst,  denn  über  seinen  eigenen  Werth 
täuscht  kein  Sklave  den,  der  später  sein  Gebieter  werden  könnte. 
//Sprichst  du  schon  fertig  Arabisch,  mein  Junge?”  — //So  ein  bi- 
schen, mein  Herr1 2 3),  aber'  ich  verstehe  es  wohl.”  — Nach  dieser 
Einleitung  erzählt  der  Befragte  Alles , was  er  über  sich  selbst  weiss. 
Der  Mäkler  versäumt  nicht,  den  Theil  dos  Körpers  des  Sklaven  zu 
zeigen,  wo  er  Pockennarben  hat,  mit  den  Worten:  medjaddar  chn- 
lif , »die  Pockenkrankheit  hat  er  durchgemacht”;  denn,  obgleich 
die  Schutzimpfung  in  Centralarabien  üblich  und  vom  Mufti  der 
Schäfi'iten  in  Mekka  in  einem  Gutachten  gebilligt  ist,  scheint  die- 
selbe doch  bei  den  Sklaven  fast  keine  Anwendung  zu  finden.  Zwei- 
felt der  Kauflustige  noch , so  geht  er  zu  einem  Arzte , der  Sklaven 
für  Geld  prüft  *) ; wenn  er  sehr  fromm  ist , nimmt  er  seine  Zu- 
flucht zu  einer  htichärah  s) , oder,  ist  er  abergläubisch,  so  geht  er 

1)  So  redet  der  Sklave  jeden  Freien  an  und  so  bezeichnet  er  ihn  auch  in  dritter 
Person. 

2)  JeqeUib  er-raqtq  (taqlW). 

3)  D.  h.  er  überlässt  die  Wahl  Allah  dadurch,  dass  er  gewisse  religiöse  Ccrcmonicn 
verrichtet,  sich  dann  schlafen  legt  und  von  dem  Inhalt  seines  Traumes  die  Entscheidung 
abhängig  macht. 


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zu  einem  gotterleuchteten  Scheck  oder  einem  Rammnl  (Wahrsager). 
Bevor  der  Kauf  abgeschlossen  wird,  fragt  der  Herr  den  Sklaven: 
ente  rädki,  »willst  du  (mir  dienen)?”  und  aus  der  Antwort, 
auch  wenn  sie  negativ  ist,  erschliessen  die  Sachkundigen  fast  im- 
mer richtig,  ob  er  will  oder  nicht,  ob  sein  »Nein”  auf  Antipathie 
gegen  seine  zukünftige  Stellung  beruht  oder  bloss  der  Ausdruck 
der  Abneigung  des  Menschen  gegen  jede  unbekannte  Aenderung 
ist.  Gegen  seinen  Willen  möchte  aber  keiner  einen  Sklaven,  noch 
weniger  gegen  ihren  Willen  eine  Sklavinn  kaufen.  Ist  hingegen  ein 
Sklave  oder  eine  Sklavinn  mit  dem  Hause,  welchem  sie  dienen, 
unzufrieden,  so  verhehlen  sie  ihren  Widerwillen  nicht,  und  wieder- 
holen das:  »verkaufe  mich”  so  oft,  bis  der  Eigen thümer  sie  zur 
Dekkah  bringt.  Es  ereignet  sich  sogar,  dass  Sklavinnen  ohne  Er- 
laubniss  sich  selbst  in  der  Dekkah  ausbieten ; das  hat  natürlich  keine 
rechtliche  Geltung , aber  der  Herr , dem  so  etwas  begegnet , ist  selten 
geneigt  von  seinem  Rechte  Gebrauch  zu  machen,  und  die  Sklavinn 
wider  ihren  Willen  bei  sich  zu  behalten. 

Was  unser  Einen  vielleicht  am  unangenehmsten  berührt , ist  das 
an  den  Viehmarkt  mahnende  Besehen  und  Betasten  der  mensch- 
lichen Waare,  vorzüglich  wenn  es  jungen  Weibern  gilt.  Bei  genauer 
Betrachtung  ergiebt  sich  jedoch,  dass  keine  Sklavinn  (vom  Sklaven 
zu  schweigen)  gegen  solche  Prüfung  mehr  Widerwillen  empfindet 
als  eine  europäische  Dame  gegen  ärtzliche  Untersuchung.  Eigentlich 
zeigt  sich  dies  gleich  auf  dem  Markte,  denn  der  fremde  Besucher 
hat  sich  kaum  wenige  Schritte  entfernt,  da  geht  der  Liirm  schon 
los:  die  Sklavinn  erzählt  ihren  »Schwestern”  von  den  komischen 
Fragen,  die  der  Mann  gethan  hat,  wie  der  Delläl  ihn  zu  täuschen 
gesucht,  sie  jenen  aber  Lügen  gestraft  hat,  und  alle  scherzen  und 
lachen.  Weder  auf  dem  Markte  noch  zu  Hause  werden  von  den 
Sklaven  Thriinen  vergossen  wegen  ihres  unfreien  Zustandes;  ihr 
Aerger  oder  ihr  Betrübniss  gilt  bald  einem  bestimmten  Eigenthii- 
mer,  bald  dem  Uebergang  in  neue  Verhältnisse.  Wenn  sie  einmal 
nach  einem  Verkauf  weinen,  so  ist  dies  am  besten  zu  vergleichen 
mit  dem  Weinen  des  Mädchens , das  ins  Pensionat  gebrach  t wird , 
oder  des  jungen  Milizsoldaten,  der  zur  Kaserne  reist.  Besser  als 
II  3 


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weitere  Betrachtungen  können  ein  paar  Beispiele  darthun , wie  leicht 
man  in  diesen  Dingen  zu  falschen  Schlüssen  kommt,  weil  man  die 
socialen  Verhältnisse  nach  Bruchstücken  beurtheilt. 

Einem  Europäer,  der  eine  Nacht  in  Djiddah  verbringt,  könnte 
es  leicht  passieren,  dass  er  frühmorgens  aufwacht  von  dem  Lärm 
im  benachbarten,  von  einem  Araber  bewohnten  Hause.  Neugierig 
hinausschauend  könnte  er  etwa  einen  Sklaven  auf  dem  Rücken  lie- 
gen sehen,  mit  emporgehobenen  Füssen,  auf  deren  Sohlen  der 
Araber  ganz  ruhig  einige  Male  mit  dem  Prügelstock  tüchtig  haut, 
während  der  Knabe  immer  lauter  schreit:  »Ich  bekehre  mich  (von 
/■/meinen  Sünden),  bei  Allah!  Es  giebt  keinen  Gott  ausser  Allah! 
»Ich  rufe  deinen  Schutz  an  beim  Propheten,  o mein  Herr!  o ihr 
Menschen !”  usw.  Reizend  sind  solche  Scenen  nicht , und  sie  gehö- 
ren nicht  zu  den  Seltenheiten,  in  Mekka  so  wenig  wie  in  Djiddah. 
Also  hat  der  Europäer  Recht,  wenn  er  seine  verstärkten  Uncle- 
Tom-Eindrücke  in  der  Heimath  für  die  Wahrheit  bezüglich  der 
Sklaverei  ausgiebt?  Keineswegs;  denn  mehr  Erfahrung  würde  ihn 
belehrt  haben,  dass  der  Araber  seinen  Sohn  ja  nicht  leichter  be- 
straft, wenn  er  sich  ein  Vergehen  hat  zu  Schulden  kommen  las- 
sen. Der  Reisende  hat  keine  Scene  aus  dem  Sklavenleben , sondern 
eine  Probe  arabischer  Pädagogik  gesehen , die  für  Sklaven  und  Kinder 
die  gleiche  und  allerdings  von  modernen  Anschauungen  verschieden  ist. 

Ganz  Anderes  begegnete  mir  in  Mekka.  Ein  vornehmer  Mekka- 
ner,  aus  einem  Geschlechte  von  früheren  Mufti’s,  besuchte  mich 
häufig  und  pflegte  wie  andere  Kubürijjeh  (vornehme  Leute)  einen 
jungen  schwarzen  Sklaven  als  pedmequus  mitzubringen.  Mir  fiel 
immer  die  iiusserst  höfliche  Form  auf,  in  der  sich  mein  Gast  nach 
den  Bedürfnissen  seines  Sklaven  erkundigte,  meinen  am  Eingang 
der  Thüre  stehenden  Diener  sitzen  hiess , usw.  Als  ich  ihm  ein- 
mal darüber  ein  Kompliment  machte,  erzählte  er  Folgendes:  Als 
ich  ein  kleiner  Bube  war,  beschäftigte  sich  zu  Hause  keiner  soviel 
mit  mir  wie  ein  Sklave  meines  Vaters,  Namens  Selim , der  also 
ganz  specifisch  mein  Däd ')  wurde.  Er  that  mir  Alles  zu  Gefal- 


1)  I)a3  Wort,  womit  die  Mokkaner  solche  Sklaven  anreden,  die  an  ihrer  Erziehung 


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len  und  verzog  mich  gründlich , sodass  ich  immer  mehr  Dienste 
von  ihm  forderte.  Einmal  war  ich  im  dritten  Stock  und  wollte  ein 
Spielzeug  aus  einem  Zimmer  haben,  das  im  gleichen  Stocke  lag. 
Nach  meiner  faulen  Gewohnheit  rief  ich  Sellm , es  für  mich  zu 
holen.  Dieser  befand  sich  unten  im  Hof  und  hörte  nicht,  wie  ich 
aus  dem  Fenster  schrie:  »Vater  Selim!  Väterchen!”  Aergerlich 
schrie  ich  endlich:  »0  Selim  ')!  komm  doch  herauf!”  und  als  er 
noch  nicht  hörte,  schleuderte  ich  wiederholt  den  zornigen  Ausruf 
hinunter:  »Du  Bursche,  Selim , hörst  du  nicht?”  Unbemerkt  war 
indessen  mein  Vater  hinter  mich  geschlichen  und  versetzte  mir  plötz- 
lich eine  Ohrfeige , die  mich  herein-  und  zu  Boden  warf.  Dann  gab 
er  mir  eine  'Fracht  Prügel  auf  die  Fusssohlen,  indem  er  mir  eine 
Predigt  hielt  über  die  Höflichkeit  gegen  Untergebene,  da  wir  sonst 
alle  Hoffnung  auf  Gottes  Erbarmen  verscherzten  ’) , und  befahl  mir , 
gleich  hinunterzugehen  und  den  nichts  ahnenden  Sklaven  um  Ver- 
zeihung zu  bitten.  Weder  die  Ohrfeige  noch  die  Predigt  gingen  mir 
verloren;  ich  fing  erst  jetzt  an,  die  Liebenswürdigkeit  meines  Düd 
richtig  zu  schätzen , und  die  Lektion  bestimmte  für  alle  Zeit  mein 
Verhalten  gegen  Leute,  die  Allah  uns  zu  Dienern  gegeben  hat. 

Solche  Grundsätze  haben  viele  Bekenner,  die  sie  auch  befolgen; 
eine  einseitig  darauf  gegründete  idyllische  Schilderung  des  Schick- 
sals der  Sklaven  wäre  allerdings  ebenso  verfehlt  wie  die  andere, 
oben  erwähnte.  Alles  in  Allem  ist  der  Zustand  der  muslimischen 
Sklaven  nur  formell  verschieden  von  dem  der  europäischen  Diener 
und  Arbeiter.  Wer  die  lokalen  Verhältnisse  genau  kennt,  weissdies 
Alles , und  er  weiss  noch  dazu , dass  die  Abschaffung  der  Sklaverei 
für  Arabien  eine  gewaltige  sociale  Revolution  bezeichnet.  Es  giebt 
viele  Sachkundige,  die  dies  nur  deshalb  nicht  offen  aussprechen, 
weil  es  ihnen  unbequem  ist,  gegen  eine  herrschende  Meinung  zu 
reagieren , die  dem  Anscheine  nach  aus  echt  humaner  Gesinnung 
geboren  ist. 

Anthcil  haben:  ja  dddl , gleichsam:  /'mein  Väterchen”;  auch  wird  ja  ahnje , *mein  Va- 
ter” gesagt.  Vergl.  übrigens  Mekk.  Sprichw.,  S.  111  ff. 

1)  Diese  Form  des  Anrufens  ist  von  einem  Knaben  gegen  einen  alteren  Sklaven  des 
Dauses  schon  nicht  höflich. 

2)  irkan  man  fi'l-ardh  jirhdmak  man  fi't-sämä. 


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Man  wird  uns  entgegenhalten,  dass  die  öffentliche  Meinung  in 
Europa  sich  zur  Noth  einstweilen  mit  der  Fortdauer  der  Sklaverei 
in  muslimischen  Ländern  zufrieden  geben  würde,  da  dieses,  auch 
dem  biblischen  Alterthum  als  gesetzlich  geltende,  Institut  sich  dort 
nicht  durch  den  Beschluss  eines  europäischen  Kongresses  abschaffen 
lässt  — wenn  man  sich  mit  den  zur  Zeit  vorhandenen  Sklaven 
begnügte  und  nicht  durch  grausame  Sklavenjagden  im  dunklen  Kon- 
tinent die  neue  Waare  beschaffte.  Gerade  jetzt  wird  in  Europa  von 
verschiedenen  Seiten  aufs  Neue  ein  Antisklavereifieber  erzeugt,  das 
uns  die  Aufgabe  erschwert,  der  nüchternen  Wahrheit  Eingang  zu 
verschaffen.  Wir  können  daher  darauf  verzichten,  noch  einmal  die 
Scenen  der  Sklavenjagd  in  Erinnerung  zu  bringen,  die  durch  alle 
Zeitungen  nnd  Zeitschriften,  manchmal  in  übertriebener  Form,  po- 
pularisiert worden  sind.  Dass  sie  zu  den  Uebeln  der  Menschheit 
gehören , möchten  wir  nicht  bestreiten ; die  Frage , wie  dem  abzu- 
helfen sei,  erhält  aber  eine  andere  Form,  je  nachdem  man  sich  auf 
den  Standpunkt  der  idealen  Theorie  stellt,  oder  in  erster  Linie  er- 
wägt, welche  praktische  Folgen  jede  Bekämpfungsmethode  erzielen 
werde  und  was  zunächst  praktisch  erreichbar  sei. 

Die  Theoretiker  haben  das  Auge  immer  nur  auf  die  Ausrottung 
der  als  verdammenswerth  erkannten  Sklavenjagd  gerichtet;  sollten 
dabei  gleich  Tausende  von  unschuldigen  Leben  zu  Grunde  gehen, 
viel  europäisches  Gesindel  nach  Afrika  versetzt  und  die  Lösung  der 
afrikanischen  Frage  zum  Wohl  der  Eingebomen  immer  schwieriger 
werden  — fiat  justitia!  Wie  steht  es  aber  in  Wirklichkeit?  Die 
Neger  haben  weder  Europäer  noch  Araber  zum  Besuch  eingeladen : 
Beide  sind  ihnen  unwillkommene  Gäste , denn  sie  stören  sie  in  ihrer 
bequemen  Ruhe , die  nur  dann  und  wann  durch  mörderische  Kriege 
mit  benachbarten  Dörfern  unterbrochen  wird.  Zahlreiche  Erzäh- 
lungen, die  ich  von  afrikanischen  Sklaven  hörte  (sie  sprechen  mit 
guten  Freunden  gern  von  ihrer  Vergangenheit),  bestätigen,  was  die 
besonnensten  Afrikaforscher  von  dieser  gegenseitigen  Abschlachtung 
berichten,  und  fügen  hinzu,  dass  dort,  wo  solche  Zustände  nicht 
herrschen , die  Sklavenjagd  kaum  möglich  wäre.  In  diese  Wildenge- 
sellschaft greifen  nun  Europäer  und  Araber  ein. 


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Der  Araber,  und  überhaupt  der  Muhammedaner,  islamisiert,  wo 
er  kann,  und  sogar  englische  christliche  Missionare  in  Afrika  konn- 
ten dem  Erfolge  ihre  Bewunderung  nicht  versagen:  nette  Dörfer 
mit  wohlgekleideten  Bewohnern,  die  massig  leben  und  sich  theils 
dem  Landbau  und  der  Industrie,  theils  der  Wissenschaft  widmen, 
unterscheiden  die  muslimischen  Distrikte  von  den  heidnischen,  wo 
manchmal  Alles  fehlt,  was  dem  Leben  Werth  verleiht  und  wo  ein 
Menschenleben  nur  geringen  Werth  hat.  In  diese  Länder  glaubt 
sich  der  Amber  nun  aber  noch  in  anderer  Weise  einzugreifen  be- 
rechtigt: seine  Religion  erlaubt,  ja  empfiehlt  ihm  an,  sich  solche 
Ungläubige,  deren  Land  dem  Reiche  des  Islams  weder  unterworfen 
noch  verbündet  ist,  zu  seinem  Eigenthum  zu  machen.  Jetzt,  wo 
kein  muslimischer  Staat  in  dieser  Beziehung  die  Mission  des  Is- 
lam’s  erfüllt,  lädt  also  die  Religion  Privatleute  und  Gesellschaften 
dazu  ein  , die  Neger  gewaltsam  ihrer  Kultur  einzuverleiben  und  dabei 
ein  Stück  Geld  zu  verdienen.  Dörfer,  die  sonst  Angriffen  einheimi- 
scher Feinde  ausgesetzt  sind,  überfallen  sie,  niederschlagend,  wer 
sich  der  Wegführung  aller  brauchbaren  Knaben  und  Mädchen  wie- 
dersetzt ; anderswo  kaufen  sie  Kriegsgefangene , die  sonst  in  Erman- 
gelung von  Lüsegeld , von  ihren  Landsleuten  gctödtet  werden , oder 
wo  die  Eltern  Geld  lieber  als  Kinder  haben,  kaufen  sie  ihnen 
Letztere  ab.  Es  waren  von  jeher  ein  paar  forcierte  Tagereisen  dazu 
erforderlich , die  menschliche  Waare  ins  nächste  Sklaven magazin  zu 
bringen;  die  Antisklaverei  hat  aber  die  Djelläb's  gezwungen,  Um- 
wege zu  nehmen , wo  manchmal  ein  zwölfstündiger  Marsch  nöthig 
ist,  bis  man  die  nächste  Wasserstation  erreicht.  So  kommen  auf 
dem  Wege  und  desgleichen  auf  den  weiteren  Reisen  durch  Afrika, 
viel  mehr  erbeutete  Menschen  ums  Leben  als  vorher,  und  dies  hat 
die  Antisklaverei  mit  bewirkt,  ohne  dass  sich  die  Sklavenzahl  ver- 
mindert hätte!  Bevor  aber  die  Sklaven  auf  sicheres,  muslimisches 
Gebiet  gebracht  sind,  gilt  das  humane  muslimische  Sklavenrecht 
für  sie  noch  nicht ; auf  der  Reise  gelten  sie  als  Beute , und  alle 
anderen  Erwägungen  müssen  gegen  diese  zurücktreten.  Obgleich 
nun  der  Djeliäb  schon  im  eigenen  Interesse  die  Entführten  mög- 
lichst schonen  muss  und  die  Sklaven  ebensowenig  aus  Grausamkeit 


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misshandelt,  als  er  sie  aus  Grausamkeit  geraubt  hat,  so  versteht 
sich  doch,  dass  die  Schwächeren  auf  dem  Wege  übel  daran  sind. 
Mancher  Sterbende  wird  bis  zum  Ende  fortgepeitscht;  es  haben 
mir  aber  auch  Sklaven  von  Djellnbs  erzählt,  welche  die  Ermüdeten 
freundlich  aufmunterten  und,  wo  möglich,  ihnen  einen  Platz  auf 
den  Lastthieren  gewährten.  Immerhin  bleibt , so  gross  der  Fortschritt 
für  die  hinüber  gelangenden  Sklaven  sein  mag,  der  Menschenraub 
mit  seinen  nächsten  Folgen  ein  schreckliches  Uebel. 

Anders  als  die  Muslime  wirken  die  Europäer  in  Afrika;  einige 
energische  Männer  und  viele  verkommene  Individuen  dringen  von 
verschiedenen  Seiten  in  den  dunklen  Welttheil  ein , fast  Alle  suchen 
Geld  zu  verdienen.  Einige  dienen  zugleich  der  eifersüchtigen  Poli- 
tik einer  europäischen  Macht.  Die  Erreichung  dieser  Ziele  vollzieht 
sich  thatsäehlich  nicht  ohne  dass  viele  Negerleben  und  viel  Neger- 
glück geopfert  werden;  man  gewöhnt  sich  daran,  dies  als  eine 
Noth Wendigkeit  zu  betrachten.  Ein  nicht  geringer  Theil  des  Ge- 
winns wird  durch  die  riesige  Einfuhr  von  Branntwein  erzielt;  hat 
dies  Bildungsmittel  mit  anderen  durch  die  Kolonisation  erzeugten 
Uebelständen  zusammengewirkt,  die  schwarzen  Kinder  der  Vor- 
mundschaft ül>erdrüssig  zu  machen,  so  lichtet  man  ihre  Reihen 
durch  Pulver.  Wenn  sie  auch  von  Branntwein  und  Pulver  ver- 
schont bleiben,  so  wird  ihnen  doch  die  Verfügung  über  ihr  Land 
genommen,  sie  selbst  werden  zu  Heloten  gemacht,  der  Kultur  ihrer 
Beherrscher  keineswegs  einverleibt,  sondern  als  deren  Werkzeuge 
benutzt.  Hie  und  da  folgt  der  christliche  Missionar  dem  zuchtlosen 
Kulturheere  mit  seinem  geistigen  Heilmittel;  was  kann  er  unter 
solchen  Verhältnissen  ausrichten?  Wo  er  selbst  hingegen  als  Pionier 
vorauseilt,  da  folgen  ihm  gleich  die  auserlesenen  Europäer,  denen 
es  zu  Hause  zu  enge  wurde.  Aufrichtige  Christen,  die  auf  den 
Thatbestand  eingingen,  wurden  immer  beschämt,  wenn  sie  einer- 
seits den  halbnackten  Neger  mit  Cylinderhut  und  Branntweinflaschc 
unsere  Kultur  vertreten,  andererseits  den  massigen,  arbeitsamen 
muhammedanischen  Schwarzen  von  der  Gewalt  des  Islam’s  zeugen 
sahen.  Ist  nun  angesichts  dieser  Thatsachen  Europa,  bevor  es  auf 
einen  unter  seinem  Einfluss  entstandenen,  einigermaassen  gesitteten 


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Negerstaat  hinweisen  kann , verpflichtet  oder  auch  mir  berechtigt , 
überall  und  vor  allen  Dingen  den  Kreuzzug  gegen  die  Sklavenjagd 
zu  predigen,  obgleich  es  weiss,  dass  dennoch  diese  Jagd  auf  eine 
den  Negern  ungünstigere  Weise  fortgesetzt  werden  wird , und  dass 
zwar  diese  Jagd  ebenso  vielen  Negern  das  Leben  kosten  mag  als 
unsere  Kultur,  die  Geretteten  aber  bald  zu  Mitgliedern  einer  ge- 
ordneten Gesellschaft  herangebildet  werden?  Die  Tausende  von  Ne- 
gern und  Abyssiniern , die  nach  muslimischen  Landern  entführt  sind 
und  sich  ihres  früheren  Lebens  noch  erinneren , betrachten  sich 
selbst  als  durch  die  Sklaverei  zu  Menschen  geworden;  alle  sind 
zufrieden  und  keiner  sehnt  sich  nach  seiner  Heimath  zurück.  Ist 
es  dann  billig,  dass  Europa  mit  seinen  eignen  socialen  Uebelstän- 
den  seine  Mission  in  Afrika  so  fanatisch  gegen  die  Sklavenhändler 
richtet?  Nein , es  giebt  zuerst  in  Afrika  Besseres  zu  thun , und 
wenn  die  Negervölker  einigermaassen  den  Werth  des  Lebens  ken- 
nen gelernt  haben,  so  hört  die  Sklavenjagd  von  selbst  auf;  das 
Unheil  liegt  in  dem  inneren  Zustand  des  Landes.  Der  Antisklave- 
reischwindel in  Europa  ist  beim  grossen  Publikum  eine  ehrlich  ge- 
meinte Dummheit;  die  Männer  der  hohen  Politik  aber  nähren  das 
falsche  Feuer  mit  ganz  anderen  als  humanitären  Zwecken  '):  so 
tritt  die  christliche  Welt  dem  Islam  mit  Missverständniss  und  Lüge 
entgegen ! 

Einerseits  die  uralte  hohe  Bedeutung  der  Sklaven  und  Freige- 
lassenen für  die  mekkanische  Gesellschaft,  dann  aber  auch  die  Ak- 
tualität der  Sklavenfrage  werden  unsere  Abschweifung  entschuldigen. 
Es  ist  leicht  abzusehen,  wiesehr  die  Afrikaner,  nachdem  sie  sich 


1)  VergL  meinen  Aufsatz  in  Bi jd ragen  van  het  Nederlandsch-Indiwh  Inxlituut , 1887  , 
S.  375  fl.  über  die  sonderbaren  Erfolge,  deren  sich  englische  An  tisk  La  verdiente  zu  rüh- 
men wagen.  Beiläufig  sei  hier  folgende  Anekdote  erwähnt,  die  ich  von  vielen  Sklaven 
erfahren  habe:  Als  vor  einigen  Jahren  englische  Kriegsschiffe  im  Rothen  Meer  im  Na- 
men der  Antisklaverei  einen  manchmal  sohr  ergiebigen  Seeraub  trieben,  waren  die 
Sklavenhändler  natürlich  darauf  bedacht,  während  der  Untersuchung  ihrer  Schiffe  die 
Sklaven  in  den  unteren  Räumen  in  verschiedener  Weise  zu  verstecken.  Damit  aber  die 
Knaben  und  Mädchen  nicht  durch  Singen  und  Schreien  ihre  Anwesenheit  verriethen, 
erzählte  man  ihnen  in  solchen  Fällen  regelmässig,  diese  aussätzig  weissen  Piraten  seien 
Menschenfresser!  Sicher  ist,  dass  die  Wirksamkeit  der  //Menschenfresser”  weder  zum 
Heile  der  von  ihnen  befreiten  (manchmal  auch  in  grosser  Zahl  erschossenen)  Sklaven, 
noch  zur  Abscliaffung  der  Sklaverei  im  geringsten  beigetragon  hat. 


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selbst  formell  den  arabischen  Lebensformen  angepasst  hatten,  hier 
auf  die  Gesellschaft  einwirken  mussten;  die  Weiber  wurden  Müt- 
ter von  Mekkanern , die  Männer  halfen  sie  erziehen ! 

Einen  grossen , vom  Islam  selbst  verurtheilten , aber  dennoch 
fortbestehenden  Missbrauch  wollen  wir  hier  nicht  unerwähnt  lassen : 
die  Kastration  von  solchen  Sklaven,  die  den  Weibern  sehr  vor- 
nehmer Leute  ')  aufwarten  sollen  oder  in  den  heiligen  Städten  die 
Ordnung  in  den  Moscheen  aufrechtzuerhalten  haben  ’).  In  Mekka 
bilden  Letztere  wohl  die  Mehrzahl;  bei  Privatleuten  sind  sehr  we- 
nige Eunuchen.  Alle  werden  als  Verschnittene  eingeführt,  aber  die 
Nachfrage  nach  diesem  Artikel  für  die  Moschee  macht  Mekka  an 
dem  Uebel  mitschuldig.  Unter  den  Agha’s  der  Moschee  findet  man 
Nubier,  Schwarze  und  Abvssinier,  manchmal  kräftige  Gestalten, 
aber  selten  liebenswürdige  Leute. 

Wir  haben  zur  Genüge  gesehen,  dass  alle  Mekkaner  direkt  oder 
indirekt  von  den  Heiligthümern  leben ; bezüglich  der  verschiedenen 
Stände  und  Gewerbe  bleibt  also  nur  zu  definieren , in  welcher 
Weise  sie  das  religiöse  Kapital  productiv  machen.  Da  der  Muslim 
für  keinen  Akt  der  Vermittlung  des  Priesters  bedarf,  sind  nur 
Wenige  in  der  Lage,  einen  heiligen  Ort  eigentlich  zu  besteuern. 
So  ist  die  Ausbeutung  der  Ka'bah  (bis  Privileg  der  altadligen  Sche- 
bah-fatnilie;  sie  treiben  mit  der  jährlich  abgenutzten  Kiswah  Hau- 
del,  indem  sie  kleine  Läppchen  davon  als  Amulete  verkaufen, 
und  an  den  Festtagen , wo  die  Ka'bah  geöffnet  wird  ’) , oder  an 
den  seltenen  Tagen,  wo  ein  reicher  Fremder  eine  hohe  Summe  für 


1)  Ausdrücklich  sei  bemerkt,  dass  Eunuchensklaven  nur  von  Leuten  gehalten  wer- 
den, die  auf  sehr  grossem  Fuss  leben. 

8)  Man  nennt  sic  Agka'a , seltener  Tawiiichi't.  Daher  sagt  der  Mekkaner  von  einem 
reifen  Jüngling,  dem  er  mit  vollem  Vertrauen  den  Eintritt  zu  seinen  Weibern  gestat- 
tet: //der  ist  zwar  erwachsen,  aber  trotzdem  wie  ein  Agha”.  Bekanntlich  verhoirathen 
sich  in  Mekka  fast  alle  Aghawnt  der  Moschee;  ein  Arzt  erzählte  mir  im  Beisein  eines 

solchen  Agha,  der  an  einer  Krankheit  der  Urogcnitalia  litt,  diese  Menschen  hätten 

beim  Coitus  nicht  bloss  Erektion,  sondern  wenigstens  einige  von  ihnen  brachten  es  zu 
einer  Art  Ejektion  und  entleerten  dabei  ein  paar  Tropfen  Blut. 

2)  Die  Zahl  und  die  Ansetzung  der  Tage  wechselt,  wie  alles  Detail  der  Moscheean- 

ordnungen in  Mekka,  nach  dem  Willen  der  Behörden.  Der  10  Muharr&m,  der  27 
Redjeb,  der  15  Scha'ban  und  einige  Tage  des  R&madhän  und  des  Haddjmonats  sind 
die  gewöhnlichsten  Oeflnungstage. 


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die  Extraöffnung  zahlt,  erhalten  die  Schebi’s  von  reichen  und  von 
nahezu  allen  fremden  Eintretenden  Geldgeschenke.  Scherzend  sagt 
der  Mekkaner,  wenn  er  einen  Schebi  lächeln  sieht:  »Man  scheint 
heute  die  Kacbah  geöffnet  zu  haben”.  Bei  diesen  und  einigen  anderen 
Gelegenheiten  bekommen  auch  die  Agha’s  etwas  mit  und  verfolgt 
noch  ein  ganzer  Schwarm  von  anderen  Leuten  den  Besucher  mit 
seinen  überflüssigen  Diensten. 

In  der  Verwaltung  des  Zemzembrunnens  hatte  Muhammed  die 
Abbasiden  bestätigt.  Seitdem  diese  ihre  Ansprüche  nicht  mehr 
geltend  machen,  steht  das  Gebäude,  innerhalb  dessen  sich  die  von 
einer  dicken  Mauer  umgebene  Mündung  des  Brunnens  befindet. 
Jedem  offen,  und  nominell  darf  Jeder  auf  die  Mauer  steigen  und 
über  das  eiserne  Geländer  einen  ledernen  Eimer  in  die  Tiefe  hin- 
ablassen. Indessen  nehmen  immer  arme,  dienstfertige  Leute  die 
Plätze  ein,  wo  man  schöpft,  und  sie  fordern  dafür  keine  Beloh- 
nung. Dann  giebt  es  aber  eine  sehr  ausgedehnte  Zunft  von  Zem- 
zem}'s (Zamäzim) , die  thatsächlich  die  Vertheilung  des  Brunnen- 
wassers monopolisieren.  Wer  sich  mit  dein  heiligen  Wasser  über- 
giessen lassen  will  oder  dasselbe  ganz  //heiss  aus  dem  Brunnen” 
geniessen  möchte,  geht  selbst  in  das  Gebäude ; desgleichen  die 
Mekkaner , so  oft  sie  ihre  Krüge  gefüllt  haben  wollen.  Ueberhaupt 
kommen  alle  Hüter  und  Vertheiler  von  heiligen  Dingen  den  Bür- 
gern der  Stadt  dienstfertig  entgegen,  ohne  Ansprüche  zu  erheben; 
jeder  wohlhabende  Bürger  hat  einige  Begünstigte,  denen  er  jähr- 
lich Bachschisch  giebt,  aber  auch  die  anderen  Moscheediener  und 
Thorhüter  stehen  gern  mit  ihnen  auf  gutem  Fuss,  denn  alle  Mek- 
kaner haben  ihre  Freunde  unter  den  Pilgern  und  somit  ihren  Ein- 
fluss auf  die  Vertheilung  der  »Ernte”.  Die  Zemzeml’s  haben  nun 
alle  in  der  Moschee  1°  ihre  grossen  thönernen  Fässer,  die  in  höl- 
zernen, ä-jour  gearbeiteten  Gestellen  ruhen,  woran  mittels  Ketten 
metallene  Becher  befestigt  sind  ');  2°  ihre  irdenen  Kühlkrüge  ( Do- 
raq's1 *  3)) , von  denen  sie  viele  Dutzende  mit  Zemzem  s)  gefüllt  in 

1)  Auf  den  Tafeln,  welche  die  Moschee  darstellcn,  sieht  man  mehrere  von  diesen 

Gestellen.  8)  Vcrgl.  Tafel  XXXVII  N°.  2. 

3)  Der  Mekkaner  nennt  das  Wasser  bloss  Zemzem,  nie  Zemzem wasser. 

II  4 


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den  schattigsten  Theilen  der  Moschee  bereit  legen.  Beiderlei  Ge- 
fässe  sind  Stiftungen , die  von  den  Zamazim  verwaltet  werden ; die 
grossen  Fässer  kühlen  das  Wasser  nur  wenig,  und  daraus  trinken 
also  nur  die  ärmeren  Moscheebesucher,  während  die  vornehmeren 
Leute  ihren  Trunk  regelmässig  von  ihrem  ZemzemT  aus  einem  Döraq 
in  einem  kupfernen  Becher  kredenzt  bekommen.  Nominell  kann  Jeder 
ein  Fass  oder  einen  Döraq  zum  allgemeinen  Nutzen  schenken  und  ir- 
gend Einen  gegen  eine  Belohnung  mit  der  regelmässigen  Füllung , be- 
ziehungsweise Vertheilung  beauftragen.  Herkömmlich  ist  jedoch, 
dass  man  diese  Stiftungen  nur  den  ZemzemT’s  überträgt,  und  diese, 
obgleich  sie  sich  dadurch  formell  verpflichten,  die  bezahlte  Arbeit 
zum  allgemeinen  Nutzen  zu  verrichten,  kredenzen  aus  naheliegenden 
Gründen  von  den  Fremden  in  der  Regel  ausschliesslich  ihren  Kunden. 
Gewöhnlich  giebt  der  Pilger  bald  nach  seiner  Ankunft  dem  ihm  von 
seinem  Führer  empfohlen  ZemzemT  wenigstens  einen  Dollar , wofür  die- 
ser einen  Döraq  kauft,  den  Namen  des  Stifters  darauf  schreibt  und  den- 
selben den  von  ihm  beaufsichtigten  Döraq' s hinzufügt.  Von  dem  Au- 
genblick an  kommt  er  dem  Pilger  zu  jeder  Zeit  mit  einem  Döraq 
entgegen,  versäumt  aber  nicht,  ihn  gelegentlich  auf  das  Wün- 
schenswerthe  weiterer  Stiftungen  aufmerksam  zu  machen.  Er  bietet 
ihm  seine  Dienste  für  eine  Uebergiessung  des  Körpers  an,  wofür 
er  eine  besondere  Belohnung  erwartet;  er  erzählt  ihm,  die  Matten 
und  Teppiche,  die  er  für  seine  zum  Gottesdienst  in  die  Moschee 
kommenden  Freunde  ausbreitet,  seien  Stiftungen,  sie  fingen  aber 
an  zu  verfaulen  und  bedürften  der  Erneuerung,  kurz,  er  zupft  in 
jeder  Weise  an  dem  Beutel  des  neuen  Kunden.  Wer  ihnen  reich- 
lich spendet,  bekommt  täglich  seinen  gefüllten  Krug  ins  Haus, 
und  namentlich  im  Fastenmonat  werden  solche  in  grosser  Zahl 
herumgetragen,  damit  auch  die  zu  Hause  Bleibenden  die  Fasten 
mit  Zemzem  brechen  können  und  damit ....  der  Glückwunsch 
zum  Feste  am  Ende  des  Monats  nicht  unbelohnt  bleibe.  Auf  der 
Treppe  meiner  Wohnung  begegneten  sich  einmal  zwei  konkurrie- 
rende ZemzemT’s  mit  ihren  gefüllten  Döraq' der  Streit,  der  sich 
daraus  entspann,  endete  damit,  dass  Beide  mit  zerbrochenen  Krü- 
gen herunterrollten!  Auch  die  Beschallung  der  mit  Zemzem  ge- 


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füllten  blechernen  und  gläsernen  Flaschen  für  den  Export  gewährt 
den  Brunnendienem  grossen  Vortheil.  Zu  den  Fertigkeiten,  die  sie 
sich  behufs  der  Konkurrenz  aneignen,  gehört  das  Sprechen  meh- 
rerer fremder  Sprachen , wodurch  sie  den  Kunden  Zutrauen  ein- 
flössen. Ihr  Gewerbe  gehört  zu  den  einträglichen,  welche  die  Auf- 
merksamkeit der  Regierung  dermaassen  auf  sich  gezogen  haben, 
dass  man  sich  die  Ausübung  desselben  unter  deren  Schutz  nur 
durch  die  Bitte  um  ein  Taqnr  (Liccnz)  des  Grossscherifs  versichern 
kann;  dieser  Bitte  wird  aber  nicht  umsonst  Gehör  verliehen. 

Ausserhalb  der  Moschee  giebt  es  zahlreiche  Heiligthümer , zu  denen 
man  nur  mittels  einer  Gabe  an  den  Eigenthümer  oder  Aufseher 
Zutritt  erlangt : das  Geburtshaus  der  Fätimah  ’) , in  dem  Muham- 
med  jahrelang  mit  Chadidjah  wohnte  und  worin  der  Besuchereinen 
in  der  Mitte  mit  einer  Aushöhlung  versehenen  Stein  küsst,  weil 
Fätimah  darin  geboren  sei’);  das  Wohnhaus  Abu  Bekr’s;  die  Ge- 
burtshäuser des  Propheten,  Alls  und  Abü  Bekr’s,  in  welchen  wie- 
der schwarze  und  grüne  Steine  s)  geküsst  werden , über  denen  mit 
Teppichen  In-deckte  hölzerne  Kasten  gebaut  sind,  wie  man  sie 
sonst  in  Grabkapellen  findet;  auf  dem  Friedhofe  el-Ma'lä  die  Grab- 
kuppeln der  Chadidjah  und  der  Aminah;  in  dessen  Nähe  das 
»Bethaus  der  Djinn”,  wo  die  72iU  Sürah  des  Quräns  offenbart  sein 
soll , und  unzählige , weniger  allgemein  besuchte,  Erinnerungsgebäude. 
Der  Thorhüter  fungiert  meistens  zugleich  als  Vorsager  der  Gebetsfor- 
meln, die  ihm  der  Pilger  Satz  für  Satz  nachspricht ; ausser  Gemeinplät- 
zen und  der  l’teo  Sürah  des  Quräns  (gleichsam  das  muslimische 
Vaterunser)  wird  in  diesen  Formeln  immer  dem  Heiligen  des  Ortes 


1)  Ueber  die  unterirdische  Loge  dieser  Hauser  vcrgl.  Bd.  I,  S.  19. 

8)  Das  Masqat  sittanä  Fiit'mah. 

3)  In  den  meisten  von  diesen  Steinen  hat  man  wohl  zähe  Ucberrcste  des  alten  Stcin- 
kultus  zu  sehen,  wie  überhaupt  im  heiligen  Gebiet  unzählige  Rudimente  altarabischen 
Aberglaubens  zu  beobachten  sind.  Die  Sitte,  den  "schwarzen  Stein”  der  Kabah  zu 
küssen  (nicht  umarmen),  kann  ich  nicht  für  vcrhaltnissmässig  jung  halten;  die  Stelle 
Amtih  al-atchräf , S.  230  (de  Goeje,  Meinoires  etc.,  S.  102,  Anm.)  handelt  übrigens 
nicht  vom  schwarzen  Stein,  sondern  von  der  Sitte,  sich  betend  an  die  Kabah  festzu- 
klammern  jJjaJI)  , welches  von  jeher  zwischen  der  östlichen  Ecke  und  der  Thür 

geschieht. 


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das  Glaubensbekenntniss  des  Besuchers  zur  Bewahrung  gegeben  '), 
wobei  man  sich  denkt,  am  Tage  der  Auferstehung  einen  neuen 
zuverlässigen  Zeugen  für  seinen  Glauben  an  den  Islam  zu  erwerben. 
Auch  die  offen  liegenden  heiligen  Stätten  haben  alle  ihre  ständigen 
Parasiten , die  als  Bettler  oder  als  Vorbeter  den  Pilger  belästigen ; 
solche  haben  aber  keinen  officiellen  Charakter,  obgleich  sie  ihre 
»herkömmlichen”  Rechte  Konkurrenten  gegenüber  wohl  mit  der 
Faust  geltend  machen. 

Bei  weitem  die  meisten  Mekkaner  verdanken  aber  den  Heilig- 
thümern  in  indirekter  Weise  ihren  Lebensunterhalt.  Der  Fremde 
mag  die  Verrichtungen  der  grossen  und  der  kleinen  Wallfahrt  noch 
so  genau  studiert  haben  (und  die  Meisten  thun  dies  nicht),  er  kann 
auf  keinen  Fall  der  Hülfe  eines  mit  den  lokalen  Verhältnissen  ver- 
trauten Mannes  entbehren;  dasselbe  gilt  von  den  freiwilligen  Be- 
suchen heiliger  Stätten.  Gleich  bei  seiner  Ankunft  auf  arabischem 
Boden,  die  jetzt  für  die  Meisten  in  Djiddah  stattfindet,  braucht 
er  einen  F’ührer,  um  ihn  vorläufig  unterzubringen,  ihm  das  Grab 
Eva’s  zu  zeigen  und  später  Kameele  und  Treiber  für  die  Reise 
nach  Mekka  zu  miethen.  Ist  der  Pilger  kein  Araber,  so  muss  ihm 
der  Führer  zugleich  als  Dollmetscher  dienen , aber  auch  sonst  würde 
er  in  Mekka  beim  Wohnungmiethen , bei  gewöhnlichen  Einkäufen 
usw.  auf  die  grössten  Schwierigkeiten  stossen , wollte  er  versuchen , 
sich  ohne  die  officiellen  Vermittler  durohzuschlagen.  Wenigstens 
während  der  ersten  Wochen  seines  Aufenthalts  thut  er  keinen  Schritt, 
knüpft  keine  Verbindungen  an,  wendet  sich  an  keinen  Beamten 
ohne  die  Hülfe  seines  Metaunoif  (d.  h.  eigentlich  der  Führer  beim 
Ta ic äf,  dem  Umgang  um  die  Ka'bah , im  Sprachgebrauch  aber 
bezeichnet  das  Wort  den  Fremdenführer,  der  Einem  Alles  besorgt). 

Unter  allen  Zünften  Mekka’s  ist  denn  auch  die  der  Metawwißn 
bei  Weitem  die  wichtigste.  Es  giebt  kleine  Metamoif’s , die  nur 
mit  Hülfe  ihrer  Familie , ihrer  Diener  und  gelegentlich  einiger  hun- 
griger Freunde  dem  Geschäfte  nachgehen.  Die  grösseren  behandeln 
persönlich  nur  die  wichtigsten  Angelegenheiten  und  sehen  sich  na- 


1)  audatuka  schahddati  an  Id  iltiha  etc. 


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mentlich  nach  ihren  reichen  Kunden  um , überlassen  aber  die  eigent- 
liche Arbeit  einem  ganzen  Heere  von  Söhnen,  jüngeren  Verwand- 
ten , Sklaven , ständigen  und  zeitweiligen  Lohndienem.  Es  giebt  sogar 
Mystiker  und  Gelehrte,  die  bloss  ihren  geehrten  Namen  dnzu  hergeben, 
dass  obskurere  Verwandten  unter  solcher  Firma  als  Metawwi/’s  fun- 
gieren, die  ihnen  dann  einen  Antheil  am  Ertrage  zuerkennen. 

Jeder  Metawwif  stellt  seine  Dienste  Pilgern  einer  Nation  oder  gar 
einer  Provinz  zur  Verfügung,  deren  Sprache  er  spricht  und  mit 
deren  Eigenthümlichkeiten  er  vertraut  ist,  denn  ohne  solche  Kennt- 
nisse wäre  die  Führung  schwer  und  die  Ausbeutung  nicht  erfolg- 
reich genug.  Seine  geschäftlichen  Verbindungen  geben  ihm  schon 
Bericht,  wenn  ein  Schiff  im  Anzug  ist,  auf  dem  sich  Pilger  für 
ihn  befinden.  Wichtigen  Gästen  reist  er  selbst  oder  etwa  sein  Sohn 
nach  Djiddah  entgegen , um  dort  ihren  Empfang  bei  seinem  Wahl 
(Bevollmächtigten,  wie  alle  Melawunftn  deren  in  Djiddah  haben) 
zu  überwachen ; weniger  bedeutende  Personen  vertraut  er  ohne  Wei- 
teres dem  Wahl  an.  Bei  der  Ausladung  der  kleinen  Schiffe  '),  die 
den  Verkehr  mit  der  Reede  vermitteln,  sind  die  Führer  oder  ihre 
Leute  behülflich;  sie  miethen  die  Lastträger,  die  das  Gepäck  in 
die  Stadt  bringen,  nachdem  sie  auch  bei  der  Vertheilung  von  Ga- 
ben an  die  Douanenbeamten  mit  thätig  gewesen  sind,  ln  kurzer  Zeit 
verstehen  sie  es,  ihre  Kunden  abzuschätzen,  zu  erfahren,  wie  und 
auf  wie  lange  Zeit  sie  sich  einrichteu  möchten , und  welchen  Din- 
gen sie  das  meiste  Interesse  zuwenden;  schon  im  Voraus  bestim- 
men sie  für  Jeden  eine  seinen  Mitteln  und  einigermaassen  auch 
seinem  Geschmack  entsprechende  Wohnung  aus  denen,  die  sie 
selbst  und  ihre  Geschäftsfreunde  zu  vermiethen  haben. 

Nachdem  die  Pilger  die  ellenlange  Mutter  der  Menschen  besucht 
haben  und  Kameele  zur  weiteren  Reise  gemiethet  sind,  legen  sie 
das  Pilgergewand  an  (wozu  jetzt  gewöhnlich  zwei  über  den  nackten 
Körper  geschlagene  Badehandtücher  dienen  J) ) und  kommen  in  zwei 


1)  Saubük,  Ze  im  ah  und  Qetirah  heissen  diese  Boote;  dem  Unterschiede  des  Namens 
entspricht  verschiedene  Form. 

2)  Noch  einmal  sei  daran  erinnert,  dass  hier  keine  Beschreibung  der  Ritus  der  Wall- 
fahrt beabsichtigt  wird,  da  diese  früher  ausführlich  von  mir  gegeben  wordou  ist. 


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Tagen  nach  Mekka.  Hier  vollziehen  sie  gleich  die  kleine  Wallfahrt 
( ‘Uvirah ),  für  welche  keine  bestimmte  Zeit  des  Jahres  angewiesen 
ist,  und  legen  dann  die  seltsame  Kleidung  ab.  Zu  den  Cererno- 
nien  werden  ihnen  nach  Umständen  ein  oder  mehrere  Begleiter  l) 
mitgegeben,  die  ihnen  Alles  vormachen  und  vorleiern  und  der  bei 
solchen  Gelegenheiten  unerlässlichen  Wohlthätigkeit  die  gewünschte 
Richtung  geben;  sie  wenden  die  Gaben  ihren  Geschäftsfreunden 
zu,  und  bekommen  selbst  wieder  etwas  ab,  wenn  durch  ihre  Ver- 
mittelung eine  reiche  Spende  stattfindet.  Ueberhaupt  ist  est  unter 
Arabern  Sitte,  dass  beim  Zustandekommen  eines  jeden  Vertrags 
der  Dritte,  der  auch  nur  mit  ein  paar  Worten  zur  Empfehlung 
sich  hineingemischt  hat,  ein  kleines  Geschenk  erhält;  wie  sollte  da 
nicht  der  Metatomf , der  über  den  Beutel  seiner  Kunden  zum  guten 
Theil  verfügt , von  deren  Auslagen  seinen  Prozentsatz  haben  ? Von  der 
Wohnungsmiethe , dem  Preise  der  gekauften  Lebensmittel , den  from- 
men Gaben , den  Geldsummen , welche  die  Pilger  für  die  Stellver- 
treter ihrer  verstorbenen  Verwandten  beim  Haddj  mitbringen,  den 
Kosten  der  Eselritto  nach  Tun'lm , wo  man  das  Pilgergewand  zu 
weiteren  '/kleinen  Wallfahrtem”  anlegt,  oder  nach  dem  Friedhofe, 
von  der  Belohnung  der  Führer 5) , die  man  auf  dem  Friedhofe  braucht, 
von  Allem  erheben  sie  auf  irgend  eine  Weise  das  Ihrige. 

Der  Form  nach  spielen  bei  alledem  die  Metamwifin  und  ihre  Ge- 
hiilfen  gegen  ihre  Kunden  die  milden  Gastgeber  und  unterhalten 
sich  mit  jedem  nach  seiner  Art.  Ohne  Heuchelei  erinnern  sie  den 
Frommen  an  Traditionen  über  das  heilige  Gebiet:  »der  hier  schläft, 
»steht  an  Verdienst  dem  gleich,  der  anderswo  religiöse  Uebungen 
»hält”,  »jedes  gute  Werk  gilt  hier  siebenfach ; die  Absicht  gilt  wie 
»die  That,  ausser  wo  es  schlechte  Thaten  betrifft”;  »das  Wasser  des 
»Zemzem  dient  zu  allen  Zwecken , zu  denen  es  getrunken  wird”  *)  usw. 

1)  Diese  Begleiter  sind  dem  eigentlichen  Sinn  des  Wortes  nach  Mrtatowif't ; insofern 
sic  ihre  Geschäfte  nicht  selbständig  treiben,  heissen  sie  aber  Dtlti'* , Wegweiser; junge, 
angehende  DHtta  heissen,  wie  alle  jungen  Lohndiener, 

2)  Solche  Führer  nennt  man,  ebenso  wie  alle  Fremdenführer  in  Medina,  Mezawmrin, 
da  sie  Einem  die  Zijarah  machen  helfen,  d.  h.  den  frommen  Besuch,  namentlich  heiliger 
Gräber. 

3)  Wie  wenig  manchmal  ziemlich  gebildete  Leute  vom  Sinn  der  einfachsten  Traditio- 
nen verstehen,  kann  man  daraus  ersehen,  dass  der  Dßrrak,  den  Le  Chatelier,  Les  con- 


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Dass  sie  selbst  innerlich  alle  diesen  Dinge  glauben , daran  kann 
nur  der  skeptische  Europäer  zweifeln,  der  das  Verständniss  für  Re- 
ligion ein  wenig  eingebüsst  hat.  Dem  widerstreitet  nicht,  dass  der 
Metawicif  nicht  immer  von  diesen  Dingen  ganz  erfüllt  ist,  denn 
seine  Hauptsorge  ist,  sich  viele  Freunde  zu  machen;  den  Weltmann 
weist  er  auf  die  Brennpunkte  des  geselligen  Lebens  der  Stadt  hin , 
auf  die  Theile  des  Abü  Qubes,  von  wo  man  die  ganze  Stadt  über- 
blicken kann,  auf  die  besten  Gelegenheiten  für  gesellige  Partien 
{Qelah's >).  Wenn  solche  Führer  und  ihre  Gehülfen  ausserhalb  der 
Pilgerzeit  selbst  allerlei  von  dem  vernachlässigen , was  sie  den  Pil- 
gern täglich  zu  thun  dringend  anempfahlen,  so  ist  dies  gar  nicht 
Mangel  an  Glauben , sondern  eingestandene  Faulheit.  »Ich  bitte 
»Gott  um  Verzeihung , aber  ich  bin  vom  Haram  (der  heiligen  Moschee) 
»völlig  gesättigt”,  habe  ich  öfters  einen  sagen  hören , der  trotz  dem 
viel  geringeren  Himmelslohn  seine  täglichen  Qaläts  zu  Hause  statt 
mit  der  Gemeinde  in  der  Moschee  verrichtete. 

Bildung  und  Lebensverhältnisse  der  Mefatcioif  'tn  sind  sehr  ver- 
schieden: es  giebt  unter  ihnen  Leute,  die  ziemlich  gelehrt  erzogen 
sind,  Andere,  die  ihr  gutes  Geschäft  hohen  Verbindungen  in  der 
Beamtenwelt  verdanken,  auch  völlig  Ungebildete,  die  durch  blosse 
Gewandtheit  sich  von  Gehülfen  zu  selbständigen  Metawwifin  em- 
porgeschwungen haben.  Recht  unwissend  sind  ja  meistens  diese  Ge- 
hülfen; ich  setzte  einmal  ein  paar  von  ihnen  in  Staunen  durch  die 
Mittheilung,  dass  zur  Zeit  des  Propheten  die  vier  orthodoxen  Schu- 
len der  Gesetzeskunde  noch  nicht  dagewesen  seien!  Sie  kennen 
gewöhnlich  den  lokalen  Ritus  wie  ein  Museurasbedienter  den  In- 
halt der  Sammlung,  die  er  überwacht. 

Zum  Haddj  besorgt  der  Melatoimf  wieder  Alles : Kameele , Zelte 
Lebensmittel  und  Brennholz  für  die  Reise  nach  Arafat  und  zurück ; 


frörics  musulmanes,  S.  21,  mit  Unrecht  zu  einem  bedeutenden  Mystiker  macht,  in 
meinem  Beisein  einmal  die  allbekannte  Tradition:  wdie  Werke  gelten  nach  den  Absich- 
ten; jeder  Mann  also  erwirbt,  was  er  beabsichtigt,  hat”  auf  die  universelle  Heilkraft 
des  Zcmzcm  anwandte. 

1)  Vergl.  Mekk.  Sprichw.,  S.  84  ff.  Im  heutigen  Sprachgebrauch  ist  dem  Worte  tyc- 
laA  jeder  Gedanke  einer  bestimmten  Tageszeit  fremd;  die  meisten  QelaA's  finden  in  der 
Nacht  statt. 


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Lebensmittel  und  Opferschaafe  werden  auch  im  Thale  Muna  ver- 
kauft, und  diese  Ankäufe  vermittelt  gleichfalls  der  Führer.  Ueber 
jeden  Theil  des  Ritus  belehrt  ein  Gehiilfe  die  ihm  anvertrauten 
Pilger  in  ihrer  eignen  Sprache  und  sagt  ihnen  dann  die  herzusa- 
genden Formeln  vor.  Sowohl  vor  als  nach  dem  Haddj  gehen  Pil- 
ger zum  Grabe  Muhamtneds  nach  Medina,  dessen  allerdings  nicht 
obligatorischer  Besuch  meistens  einen  Anhang  zur  grossen  Wallfahrt 
bildet.  Auch  für  diese  Reise  miethen  die  Metamwifs  Kameele  mit 
Zubehör  {Schuqduf s d.  h.  Sanften,  von  denen  an  jeder  Seite  des 
Kameels  eine  herabhängt,  Mefärinck  oder  llnnähil  d.  h.  Teppiche, 
die  zum  Schutz  gegen  die  Sonne  über  die  Sänften  gelegt  werden. 
Für usch  d.  h.  Betten  usw.). 

Man  begreift  jetzt,  wie  wichtig  die  Zunft  der  Metamwifs  für  ' 
Mekka  ist,’  wo  der  Haddj  die  jährliche  Ernte  abgeben  muss.  Wer 
in  diesem  Gewerbe  etwas  erreichen  will,  bedarf  der  Mitwirkung 
von  vielen  Leuten  und  einer  günstigen  Zeit;  wer  etwas  erreicht 
hat,  verfügt  dagegen  über  sehr  viele,  die  ohne  seine  Hülfe  nicht 
zu  ihrem  Antheil  gelangen.  Von  der  numerischen  Bedeutung  der 
Zunft  kann  man  sich  eine  Vorstellung  machen,  wenn  man  bedenkt , 
dass  nur  die  Ausbeutung  der  Djäwah  (malaiischen  Völker)  180 
Fremdenführer  sammt  ihrem  manchmal  sehr  zahlreichen  Anhang 
beschäftigt.  Ueber  Allen  steht  der  Scheck  el-  Metawoifin , der  die 
allgemeinsten  Interessen  der  Gesammtheit  vertritt,  das  Zunfther- 
kommen gegen  Eingriffe  vertheidigt,  auf  der  anderen  Seite  aber 
auch  der  Regierung  bei  der  Einführung  neuer  Anordnungen  be- 
hülflich  sein  muss.  Allein  die  Melawwif’s  jeder  Nationalität  bilden 
von  selbst  wieder  eine  mehr  oder  weniger  geschlossene  Gruppe; 
ihre  Pilger  haben  nicht  nur  ihre  eigne  Sprache , sondern  auch  ihre 
eigenen  Gewohnheiten,  speciell  von  ihnen  bevorzugte  Heiligthüraer1), 


1)  Zu  den  vielen  von  den  Türken  bevorzugten  Wallfohrtshäusern  zählt  ein  im  Süq 
U-Ul  befindliches  Bad,  »das  Bad  des  Propheten”  genannt.  Wie  die  Ueberlieferung  der 
vreltklugen  Mekkaner  will,  wäre  es  ursprünglich  ein  öttentlichcs  Bad  gewesen,  dessen 
Eigentümer  Abd  en-nebi  (Diener  des  Prophoten)  hicss.  Bammiim  Abi  im-nebi  wäre  in 
Hammam  en-nebi  abgekürzt  und  daraus  die  Legende  entstanden,  Muhammed  hatte 
Hier  gebadet. 


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und  das  alles  giebt  natürlich  zur  Entstehung  eines  specifischen  Ge- 
schäftskreises und  specifischer  Interessen  Anlass.  So  bilden  die  Me- 
laiowifin  der  Türken,  der  Egypter,  der  Maghribiner,  der  Inder, 
der  Djäwah  usw.  je  eine  kleinere  Zunft  für  sich  unter  ihren  re- 
spectiven  Schechen.  Im  gewöhnlichen  Leben  nennt  man  jeden  von 
ihnen  einen  n Scheck  der  Türken,  der  Egypter”  usw.  und  das  Haupt 
einer  Abtheilung  u Scheck  der  Schecke ” ').  Wenige  Worte  wechseln 
die  Bedeutung  mehr  nach  dem  Zusammenhang,  in  dem  man  sie 
gebraucht,  als  dieses  »Schech”.  Das  Oberhaupt  eines  Dorfes,  eines 
Stammes,  einer  Stammgruppe  ist  ebensosehr  Schech  seines  Bezirks, 
wie  der  Schech  el-harah  und  der  Schech  es-sädah  diesen  Titel  resp. 
dem  Stadviertel  und  der  Adelskorporation  gegenüber  führen.  Spricht 
der  Bruder  einer  mystischen  Gesellschaft  von  //unserem  Schech”, 
so  meint  er  seinen  geistigen  Führer,  während  mit  demselben  Aus- 
druck der  Student  seinen  Lehrer,  der  Gelehrte  das  Oberhaupt  der 
cUlamä  bezeichnet.  In  der  Anrede’)  ist  das  Wort  noch  viel  allge- 
meineren Gebrauchs,  wie  denn  überhaupt  jede  auszeichnende  An- 
redeform allmählich  herabzusinken  pflegt.  Ebenso  wie  nun  das 
Haupt  einer  Zunft  der  Schech  der  Zunftgenossen,  ist  auch  der 
Metawioif  der  Schech  seiner  Pilger.  Wir  werden  sie  denn  auch  fer- 
nerhin mit  ihrem  landläufigen  Titel  von  Schechen  bezeichnen. 

Weil  das  Zunftwesen  lediglich  im  »Herkommen”  begründet  ist, 
könnte  theoretisch  jedermann  ohne  Weiteres  den  Pilgern  für  Geld 
ähnliche  Dienste  leisten;  allein  die  Praxis  bereitet  derlei  Unterneh- 
men solche  Schwierigkeiten , dass  ein  anständiger  Mann  seine  Ruhe 
und  seinen  Leumund  nie  so  grosser  Gefahr  aussetzen  würde.  Die 
Leute  der  Zunft  würden  ihm  wie  ein  Mann  entgegentreten:  Rück- 
sichten, die  sie  bei  aller  Eifersucht  gegen  einander  beobachten, 
würden  dem  Eindringling  gegenüber  nicht  gelten;  heimlich  und  öf- 
fentlich würde  er  nur  Feindschaft  empfinden,  und  keinem  Pilger 
wäre  zu  rathen,  sich  einem  solchen  Pfuscher  anzuvertrauen.  Aehn- 
lich  ist  es  in  jeder  Zunft,  aber  die  herkömmlichen  Regeln  werden 

1)  Schech  el-metchdich , z.  B.  Schach  meschdich  d-hunud , el-djdtcah. 

2)  ja  schechi  ist  höflich,  ja  tchech  ist  grob  und  wird  auch  zu  don  gemeinsten  Leu- 
ten gesagt. 

II  6 


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nirgends  strenger  beobachtet  als  bei  dieser  wichtigsten  und  zahl- 
reichsten aller  Zünfte.  Dennoch  giebt  es  Pfuscher  auf  diesem  Ge- 
biete; es  sind  aber  Leute,  die  man  der  Aufnahme  in  die  Korpo- 
ration für  unwürdig  erklären  würde,  und  ihre  Kunden  sind  bloss 
solche  Pilger,  die  zu  arm  oder,  wie  viele  Maghribiner,  zu  geizig 
sind,  eine  irgend  beträchtliche  Belohnung  zu  bezahlen.  Diese  Pfu- 
scher heissen  Djarrärs,  und  sie  lauem  ihrer  Beute  am  Eingänge 
der  Stadt  und  in  und  neben  der  Moschee  auf ').  Kommen  Pilger 
aus  einem  Lande,  dessen  Bewohner  so  selten  nach  Arabien  reisen, 
dass  sie  hier  keine  speziellen  »Scheche”  haben,  so  entscheidet  der 
Zunftmeister,  wem  sie  zur  Ausbeutung  gehören.  Es  versteht  sich, 
dass  solchen  aber  immer  die  Berufung  an  die  Regierung  zustebt, 
wenn  ihnen  die  Entscheidung  des  »Schecks  der  Scheche”  nicht 
gefällt. 

Ueber  die  Aufnahme  neuer  Kandidaten  entscheidet  gleichfalls  der 
Zunftmeister;  das  Interesse  sowohl  der  Pilger  als  der  Zunftgenossen 
soll  dabei  den  Ausschlag  geben , also  erwogen  werden , ob  diesen 
durch  den  Zuwachs  die  Konkurrenz  nicht  allzu  schwer  wird , und 
ferner,  ob  der  Kandidat  durch  redlichen  Wandel  und  Fähigkeit 
sich  Ansprüche  erworben  hat.  Thatsiichlich  fallen  andere  Erwägun- 
gen mit  ins  Gewicht:  der  Zunftmeister,  selbst  eine  Kreatur  der 
Regierung,  kann  einen  von  hohen  Beamten  empfohlenen  Kandi- 
daten kaum  zurückweisen ; andere  empfehlen  sich  selbst  mit  glei- 
chem Nachdruck  durch  ihre  einflussreiche  Stellung  oder  durch  be- 
deutende Geschenke,  die  sie  dem  Schech  als  Einleitung  ihrer  Bitte 
überreichen;  auch  spielt  die  persönliche  Sympathie  des  Letzteren 
ihre  Rolle,  obgleich  er  immer  betont,  als  ein  guter  »Vater”  gegen 
alle  seinen  Söhne  gleiche  Liebe  zu  hegen  und  Aller  Wohl  unpar- 
teiisch zu  fördern.  Diese  Liebe  erscheint  den  Söhnen  aber  schon 
deshalb  zweifelhafter  Natur,  weil  der  Schech  genöthigt  ist,  die 
meistens  sehr  unwillkommenen  Befehle  der  Regierung  zur  Geltung 
zu  bringen,  denn  sonst  verscherzt  er  sein  Amt.  Auch  erlangt  der 


1)  Die  mit  Schechen  versehenen  Pilgor  belästigen  sic  beim  Maläf  dermaassen  mit  ihrer 
Bettelei , dass  jeder  genöthigt  ist,  einige  Dutzend  Kupfermünzen  für  sic  mitzunehmen. 


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»Sohn”,  der  mit  Bachschisch  nicht  zurückhält,  unschwer  allerlei 
besondere  Vergünstigungen  und  herrscht  auch  hier  der  Reiche  über 
die  Armen. 

Zur  Bestätigung  der  Aufnahme  wird  ein  kleines  Zunftfest  gefeiert, 
wozu  alle  Zunftgenossen  vom  Kandidaten  eingeladen  werden;  es 
heisst  Me'allimtjjeh  ').  Vor  der  ganzen  Versammlung  sagt  der  Kan- 
didat: »ich  ersuche  unseren  Schech  um  die  (von  Gott)  erlaubte 
Profession”,  worauf  die  Zunftgenossen  mit  der  Frage  erwidern : »Wer 
ist  unser  Schech?”  Nachdem  er  diesen  mit  Namen  genannt  hat, 
fragt  ihn  der  Zunftmeister,  ob  er  ihm  gehorchen  und  seinen  Söh- 
nen ein  guter  Zunftbruder  sein  wolle?  Seinem  bejahenden  Gelöbniss 
folgt  nun  die  in  betender  Haltung ')  von  allen  Anwesenden  (auch 
etwaigen  ausserhalb  der  Zunft  stehenden  Gästen)  flüsternd  vorge- 
nommene Recitation  der  Fät'hah , der  ersten  Quransürah.  Mit  dieser 
Recitation  besiegelt  man  alle  wichtigen  Entschlüsse,  Beilegung  von 
Streitigkeiten,  schliesst  man  fast  alle  bei  Heiligengräbern  herge- 
sagten Gebetsformeln,  begrüsst  man  frohe  Nachrichten;  Kaufleute, 
die  sich  über  den  Preis  der  Waare  nicht  einigen  können,  suchen 
in  gemeinsam  recitierter  Fät’hah  neue  Kraft  zum  Entschluss  usw. 
Man  sagt  denn  auch  von  dem  vor  Kurzem  in  eine  Zunft  Aufge- 
nommenen : »er  hat  beim  Schech  die  Fät'hah  recitiert  *)”•  Hie  Scheche 
gemessen  nun  bei  dem  neuen  Bruder  entweder  eine  Mahlzeit  oder 
Kaffee  mit  Süssigkeiten , wünschen  ihm  Gottes  Segen  *)  und  keh- 
ren heim. 

Der  von  den  Zunftgenossen  gelobte  Gehorsam  bezieht  sich  nur 
auf  Geschäftsangelegenheiten , und  selbst  in  diesen  stehen  sie  nicht 


1)  Von  MeaUm , //Meister”  irgend  eines  Gewerbes. 

2)  D.  h.  mit  emporgerichtetem  Blick,  wahrend  die  Hände  so  erhoben  sind,  als  läse 
der  Betende  aus  seinen  Handflächen  vor.  Nach  Beendigung  der  Fdt'hak , resp.  des  Ge- 
bets, reibt  man  sich  das  Gesicht  leise  mit  den  Händen. 

3)  Oder:  //Man  hat  seinetwegen  Kaffee  geschenkt”  ( qabbu  ‘ aleih  el-qaktoah).  Da  das 
Oberhaupt  einer  Zunft  von  der  Regierung  eingesetzt  und  mit  einem  Mantel  (lJjubbak) 
beschenkt  wird,  beschreibt  man  dessen  Anstellung  mit  dem  Worte  libis  d.b.  „er  hat 
(das  ihm  von  der  Regierung  verliehene  Gewand)  angezogen”.  Ihm  gegenüber  haben  die 
Zunftgenossen  nicht  wie  bei  dem  neuen  Kandidaten  ein  herkömmliches  Recht  auf  eine 
Mahlzeit. 

4)  Die  einfachste  und  üblichste  Formel  lautet:  mebdrak  tn  tchd  7 Iah,  worauf  die 
Antwort:  jebdrik  ftk . 


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ausserhalb  des  gemeinen  Rechts.  Sie  wissen  aber,  dass  die  Behör- 
den anlässlich  einer  ihnen  unmittelbar  unterbreiteten  Sache  sich 
zuerst  mit  dem  Schech  berathen,  und  dieser  durch  einen  Versuch, 
ihn  zu  umgehen,  verstimmt  wird.  Uebrigens  unterscheidet  der  Schech 
sehr  wohl,  die,  welche  er  schonen  muss,  von  denen,  die  den  höch- 
sten Personen  gleichgültig  sind. 

Mutatis  mutandis  gilt  das  oben  Gesagte  von  allen  Zünften  in 
Mekka  und  auch  von  anderen  Korporationen , die  in  gleicher  Weise 
organisiert  sind,  z.  B.  den  c Ulamä  und  den  Sejjid’s.  Bei  den  anderen 
Zünften  brauchen  wir  uns  also  nicht  länger  aufzuhalten,  zumal  die 
meisten  sich  mit  der  Anfertigung  oder  dem  Verkauf  von  Lebens- 
mitteln, Kleidung,  Wohnungen  und  Luxusartikeln  beschäftigen  und 
somit  nur  wenig  lokale  Eigenthümlichkeiten  zeigen.  Ausser  den 
Verkäufern  von  Gegenständen,  die  in  grosser  Menge  für  die  Pilger 
zum  Export  angefertigt  werden  (Rosenkränze  ‘) , Kämme  ')  usw.) , 
kämen  als  /»specifisch”  hauptsächlich  die  Zemzenu’s  und  die  oben 
bereits  erwähnten  Mecharridjin  ’)  in  Betracht , ohne  deren  Hülfe 
kein  Städter  mit  Beduinen  einen  Transportvertrag  abzuschliessen 
vermag. 

Eigentlich  sollten  die  Bemühungen  der  Pilgerscheche  sich  bloss 
auf  das  beziehen,  was  im  weitesten  Sinne  zur  Wallfahrt  erforder- 
lich ist ; wie  wir  sahen , suchen  sie  dieselben  jedoch  sehr  viel  weiter  zu 
erstrecken  und  ihre  Kunden  mit  einem  Zaune  zu  umgeben,  der 
sich  nur  gegen  gewisse  Zahlungen  öffnet.  Verhindern  können  sie 
es  aber  nicht , dass  auf  diesem  weiteren  Gebiete  andere  Leute 
ihnen  Konkurrenz  machen.  Wenn  verlautet,  ein  gewisser  Pilger 
habe  viele  hundert  Dollars  zu  verwenden,  so  mag  ihn  sein  Schech 
noch  sosehr  vor  Eindringlingen  warnen  und  noch  so  viele  Besucher 
verscheuchen,  immer  gelingt  es  diesem  und  jenem  Mekkaner,  Zu- 
tritt zu  erlangen,  dem  Gaste  Allahs  einen  Gruss  oder  ähnliche 

1)  Vergl.  Bilderatlas,  Tat  XL,  N0  12  und  XXXVII,  N“  14,  15. 

2)  Burckhardt  nennt  sie  nach  syrischem  Sprachgebrauch  MeqawmmU.  Weil  man  nach 
Beendigung  jeder  Wallfahrt  den  Kopf  raaieron  muss  und  bei  der  grossen  Wallfahrt  je- 
der einen  oder  mehrere  Hammel  zu  opfern  pflegt,  kämen  als  durch  lokale  Verhältnisse 
besonders  zahlreich  vertretene  Gewerbe  noch  die  der  Barbiere  und  der  Schlächter  in 
Betracht. 


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leere  Worte  zu  überbringen  und  zu  erspüren,  in  welcher  Weise 
die  eingefangene  Kuh  zu  melken  sei.  ,Mit  grosser  Virtuosität  erkun- 
digen sieh  diese  Besucher  fast  unbemerkt  nach  den  Verhältnissen 
ihrer  Objekte  und  nach  deren  Neigungen.  Braucht  der  Pilger  Geld, 
weil  er  gesehen  hat,  dass  es  in  Mekka  vielerlei  zu  geniessen  gebe? 
Sein  neuer  Freund  (der  unterdessen  konstatiert  hat,  ob  er  von 
reicher  Familie  sei)  will  ihm  gern  nach  mekkanischer  Sitte  borgen; 
qardhah  hasanah  (eine  gute  Anleihe)1)  nennt  man  es  noch,  wenn 
der  Schuldner  den  doppelten  Betrag  bescheinigt.  Ist  der  Pilger  hei- 
rathslustig?  Der  Besucher  weiss  verfügbare  Jungfrauen,  geschiedene 
Frauen,  Wittwen,  die  ganz  anspruchslos,  ohne  die  manchmal  un- 
bequeme Schwiegermutter  und  sonstige  Verwandten,  diesem  Frem- 
den gerade  passen  würden.  Oder  will  er  eine  Sklavinn  kaufen? 
Kein  Mensch  ist  besser  mit  den  Mäklern  vertraut  als  der  neue 
Bekannte.  Auch  kann  er  ihm  stellvertretende  Pilger  beschaffen,  die 
für  seine  verstorbenen  Verwandten,  falls  er  SchäfFite,  für  noch 
lebende,  falls  er  Hanafite  ist,  den  himmlischen  Lohn  des  Haddj 
verdienen  und  dafür  selbst  mit  einigen  Goldstücken  zufrieden  sind. 
Jedoch  nimmt  der  Fremde  letzteres  Anerbieten  gleich  zurück , so- 
bald er  hört,  der  Schech  habe  die  zu  solchem  Zwecke  mitgebrach- 
ten Summen  mit  Beschlag  belegt;  richtig,  sagt  er,  das  gehörtauch 
cinigermaassen  zu  seinem  Resort  , und  die  Zeiten  sind  schlecht.  Um 
keinen  Preis  möchte  er  dem  Schech  das  Brod  vorwegnehmen,  aber 
einen  Freund  (und  wir  sind  doch  Freunde?)  ohne  guten  Rath  in 
der  ihm  ungewöhnlichen  Umgebung  lassen,  das  geht  denn  doch 
nicht.  Jeder  Leser  kann  sich  die  weitere  Entwickelung  solcher  Ver- 
hältnisse leicht  selbst  denken.  Es  giebt  also  Leute , die  ohne  Scheche , 
Pfuscher  oder  Gehülfen  von  Schechen  zu  sein , auf  die  Frage , womit 
sie  sich  ernähren,  etwa  antworten:  früher  war  ich  Lastträger  (oder 
Tuchverkäufer,  Schuhmacher  usw.);  dann  habe  ich  aber  Gelegen- 
heit bekommen,  immer  mehr  Verbindungen  mit  Indem  (oder  Tür- 
ken, Javanen  usw.)  anzuknüpfen,  und  so  »ist  jetzt  all  mein  Ge- 
winn bei  den  Pilgern  jenes  Landes.” 


1)  Eigentlich  soll  dieser  Terminus  besagen,  dass  keinerlei  Zinsen  gezahlt  werden. 


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Diese  anonyme  und  ordnungslose  Zunft  ist  sehr  verbreitet  und 
unter  ihren  Mitgliedern  begegnet  man , ganz  wie  bei  den  Schechen , 
Leuten  von  sehr  verschiedener  Stellung  und  Bildung.  Einige  von 
ihnen  fördern  unerlaubte  Verhältnisse  der  Pilger  mit  Weibern, 
häufig  in  der  Weise,  dass  die  eigne  Frau  und  einige  Genossinnen 
von  dem  Kuppler  ausgeboten  werden.  Diese  Geschäfte  werden  aber 
in  den  meisten  Fällen  von  alten  Weibern  besorgt,  die  trotz  den 
Harlmgewohnheiten  keinen  Anstand  nehmen,  unangemeldet  in  die 
Wohnungen  zu  dringen  und  so  unter  dem  Vorwand  des  Irrthums 
oder  einer  fingierten  Botschaft  ihre  Gönner  zu  suchen.  Scherzweise 
nennen  die  Leute  einen  anständigen  Ehevermittler  wohl  auch  Kuppler 
( Qawwäd) ') , aber  nicht  in  seinen  Beisein , denn  es  ist  ein  schlim- 
mes Schimpfwort. 

Schliesslich  erwähnen  wir  noch  eine  wichtige  Quelle  von  Ein- 
künften, welche  während  der  Wallfahrtszeit  beinahe  allen  Bürgern 
Mekka’s  zufliesst:  die  Vermiethung  von  Wohnungen.  Mekka  be- 
sitzt keine  Gasthäuser;  dagegen  ist  in  den  letzten  Monaten  des 
Jahres  jeder  Mekkaner  Gastwirth,  mag  er  ein  Haus  oder  nur  eine 
ganze  oder  halbe  Etage  bewohnen.  Es  wird  hier  am  Platze  sein, 
etwas  über  die  Einrichtung  der  dortigen  Häuser  zu  sagen. 

Das  Material  der  gewöhnlichen  Häuser  ist  der  Stein  der  Berge 
in  unmittelbarer  Nähe  der  Stadt;  die  vornehmeren  werden  aus  dem 
berühmten  SchemesT-stein  gebaut,  den  die  Steinbrüche  in  der  Nähe 
des  Berges  Schemesl  unweit  der  Haram-grenze  auf  dem  Wege  nach 
Djiddah  in  genügender  Menge  liefern.  Ueber  die  Dachsparren  legt 
man  in  den  einfacheren  Häusern  Lagen  von  aus  Palmenblättern 
geflochtenen  Matten,  die  selbst  wieder  mit  Sand  bedeckt  werden. 
Die  stambuler  und  syrischen  Architekten,  welche  im  Auftrag  von 
Scherifen  und  reichen  Kaufleuten  bauen,  benutzen  solidere  Ma- 
terialien und  belegen  alle  Terrassen,  Fussböden  und  Treppen  mit 
einer  Art  Cement  {Tubtßb) ; beim  Umbau  altmodischer  Häuser 
überzieht  man  heutzutage  wenigstens  die  Böden  und  Terrassen  in 


1)  So  habe  ich  einen  anständigen  Hadhramiten  gekannt,  den  man  Qaicmid  U-Dja- 
k ah  nannte. 


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gleicher  Weise  und  ersetzt  man  die  sehr  hohen  und  unregelmässig 
aus  unbehauenem  Stein  zusammengesetzten  Stufen  der  Treppen 
durch  solche,  die  man  ohne  Gefahr  ersteigen  kann.  Da  die  besse- 
ren Architekten  sich  möglichst  nach  dem  launischen,  individuellen 
Geschmack  ihrer  hohen  Kunden  richten,  die  kleineren  (meistens 
ebenfalls  fremden)  Baumeister  aber  den  spärlichen  verfügbaren  Mit- 
teln, den  beschränkten  und  dem  Bodenrelief  sowie  der  Form  nach 
unregelmässigen  Bauplätzen  Rechnung  tragen  müssen,  so  giebt  es 
keine  einheitliche  Bauart  und  hält  es  schwer,  allgemein  Geltendes 
von  den  Häusern  auszusagen.  Es  sei  uns  also  vergönnt,  nur  auf 
einige  Räume  und  Gemächer  hinzuweisen , die  in  der  mekkanischen 
Wohnung,  so  verschieden  diese  sonst  eingerichtet  sein  mag,  fast 
nie  fehlen. 

Durch  die  Hausthür  eintretend,  kommt  man  in  die  Vorhalle 
{Dihliz),  die  nach  dem  oben  Bemerkten  entweder  Sandboden  oder 
einen  mit  Tubtßb  belegten  Boden  hat.  In  kleinen  Häusern  stehen 
darin  wohl  ein  paar  hölzerne  Bänke,  wie  man  deren  einige  in 
jedem  Kafieehause1)  findet;  hier  empfängt  der  Hausherr,  gleich- 
viel ob  er  bloss  über  das  Parterre  oder  auch  über  den  ersten  Stock 
verfügt,  flüchtige  oder  unerwartete  Besucher.  Auf  einer  oder  auf 
beiden  Seiten  sind  wohl  ausser  dem  Treppenhause  ein  paar  kleine 
Zimmer  abgetheilt,  die,  zum  Schutze  gegen  die  Ueberschwemmung, 
höher  als  der  Dihliz  angelegt  sind.  Diese  heissen  Mag'äd  (Plur. 
Meqa  id)  und  dienen  als  Geschäftsbureaux , zum  Empfange  sehr  guter 
Bekannten,  zu  kleinen  Gesellschaften,  gelegentlich  auch  als  Schlaf- 
zimmer, oder,  ebenso  wie  ein  Theil  des  Dihliz,  als  Verwahrungs- 
orte für  Waaren  und  Gepäck.  In  manchem  vornehmen  Hause 
macht  der  Dihliz  einen  grossartigen  Eindruck;  der  hintere  Theil 
solcher  Hallen , zu  dem  man  mittels  einiger  Stufen  hinaufschreitet , 
ist  mit  Teppichen  belegt,  und  an  den  Wänden  finden  sich  liegende 


1)  Die  Kaffeehäuser  sind  alle  auf  offener  Strasse;  wo  keine  Mauer  Schatten  gewährt, 
sind  die  Räume,  wo  die  Bänke  stehen,  mit  Sackleinen  überspannt.  Aus  dem  Kaffcc- 
kessel  und  einigen  Tassen,  mit  frischem  Wasser  gefüllten  Krügen,  blechernen  Bechern 
und  Wasserpfeifen  besteht  das  ganze  Inventar,  mit  dem  der  Meqahtoi  oder  (häufiger) 
Qahicahdji  wirthschaftet. 


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Polster  und  stehende  Kissen  zum  Daraufsitzen  und  Daranlehnen. 
Neumodisch  ist  es,  diese  Polster  auf  längs  der  ganzen  Wand 
befestigte,  durch  herabhängende  Bekleidung  versteckte  hölzerne 
Bänke  ( Karäwit ) zu  legen.  Ein  solcher  Diwan  dient  für  alle  ge- 
wöhnlichen Falle  als  Empfangssaal;  auch  speisen  hier  die  Männer, 
wenn  sie  unversehens  Gäste  bekommen  und  wenn  sie  Hausbesuch 
von  Freunden  haben.  Mit  seinen  Nebenzimmern  genügt  nämlich  der 
Diwan  zur  ehrenvollen  Bewirthung  der  angesehensten  Gäste,  die 
beim  Hausherrn  einkehren , ohne  dass  sie  je  nöthig  hätten , die  höhe- 
ren Stockwerke  zu  betreten.  Zu  allerlei  Zwecken  sind  hier  Meqtrid 
eingerichtet;  das  eine  ist  Bibliothek  und  Schreibzimmer,  das  andere 
nimmt  einen  kleinen  Kreis  von  Freunden  auf,  die  ungestört  von 
dem  zu  gewissen  Zeiten  recht  lebhaften  Lauf  der  Geschäfte  zusam- 
men plaudern  wollen.  Auch  fehlt  hier  so  wenig  wie  in  irgend  einem 
Stockwerke  jedes  anständigen  Hauses  der  Bet  el-mü,  in  der  vul- 
gären Umgangssprache  Tahärah , d.  h.  der  Abtritt,  der  zugleich 
als  Badezimmer  eingerichtet  ist  und  ein  grosses  irdenes  Fass  (£ir) 
mit  Wasser  für  den  ganzen  Bedarf  des  betreffenden  Stockwerks 
enthält. 

Zur  Linderung  des  unangenehmen  Eindrucks  dieser  Kombination 
dient  häufig  eine  kleine  Mauer,  hinter  welcher  der  eigentliche  Ab- 
tritt versteckt  ist;  es  ist  ein  etwa  1 dM  über  dem  Boden  erhal>ener 
Sitz  mit  einem  breiten  Riss  in  der  Mitte,  worüber  der  Mensch  zu 
allen  Bedürfnissen  niederhockt.  In  einem  Ibriq l)  nimmt  er  das 
Wasser  zur  ersten  Reinigung  ( htindjii ’)  mit;  die  übrigen  durch 
rituelle  Gesetze  erforderten  oder  bloss  zur  Erfrischung  dienenden 
grossen  und  kleinen  Ablutionen  nimmt  man  im  anderen  Theile  des 
Raumes  vor.  Zur  grossen  Ablution  schöpft  man  mit  dem,  auf  dem 
hölzernen  Zir-deckel  befindlichen  blechernen  Schöpfbecher  (Mugh- 
räf)  das  Wasser  aus  dem  Fass  und  giesst  es  sich  über  den  nackten 
Körper.  Mit  demselben  Schöpfgefass  füllt  man  die  thönernen  Trink- 
wasserkrüge s) , Waschfässer,  Küchengeräthe , und  die  Hausbedien- 


1)  Vergl.  Tafel  XXXVII,  N°.  4. 

2)  Vergl.  Tafel  XXXVII,  N°*  1,  3.  5,  6,  7,  8. 

V 


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ten  trinken  wohl  daraus.  Nach  verschiedenen  Seiten  senkt  sich  der 
Boden,  um  dem  herablaufenden  Wasser  in  die  von  der  Wand  aus- 
gehenden Röhren  einen  Ausweg  zu  gewähren.  Nehmen  wir  jetzt 
Abschied  vom  dem  Orte,  wo  der  Name  Allahs  nicht  ausgesprochen 
werden  darf  und  wo,  ausser  Kellerasseln,  allerlei  unsichtbare  böse 
Mächte  hausen,  gegen  welche  sich  der  Fromme  dadurch  schützt, 
dass  er  beim  Hereintreten  die  Fonnel  *) : « Frieden  über  Nah  (Noah) 
in  den  Welten  /”  spricht. 

Im  Erdgeschoss  finden  sich  hie  und  da  auch  grössere  Säle,  die 
vom  Dihllz  gänzlich  abgeschlossen  sind  und  dann  die  Stelle  des 
Diwans  vertreten;  die  reichen  Leute  lieben  es,  in  den  Boden  eines 
Theils  solcher  Säle  ein  Wasserhassin  ( Birkah)  zu  mauern , und  darin 
einige  hundert  Schläuche  Wasser  ausgiessen  zu  lassen,  zur  Abküh- 
lung der  nächsten  Umgebung.  Auf  andere  gelegentlich  vorkommende 
Modifikationen  der  Einrichtung  brauchen  wir  nicht  einzugehen.  Wenn 
die  hintere  Mauer  des  Hauses  nicht  an  andere  Häuser  anstösst, 
so  giebt  wohl  eine  Hinterthür  Zutritt  zu  einem  Hof,  der  allseitig 
von  kleinen  Wohnungen  umgeben  und  durch  eine  enge  Gasse  mit 
der  Strasse  verbunden  ist. 

Im  Erdgeschoss  laufen  wir  nirgends  Gefahr,  unversehens  einem 
Weil)e  zu  begegnen;  dann  und  wann  gehen  zwar  verschleierte  Ge- 
stalten hindurch,  ohne  sich  aufzuhalten,  aber  darum  braucht  man 
sich  nicht  zu  kümmern.  Auf  den  Treppen  und  in  den  Stockwerken 
ist  das  anders;  wenn  das  Haus  von  einer  Familie  bewohnt  wird, 
dürfen  wir  ohne  Erlaubniss  des  Portiers  und  Begleitung  eines  dem 
Hause  Angehörigen  gar  nicht  hinauf.  In  der  arabischen  »Grossstadt” 
bewohnen  aber  die  meisten  Bürger  von  den  drei-  und  mehrstöcki- 
gen Häusern  bloss  eine  oder  gar  nur  eine  halbe  Etage.  Hier  ist  es 
anständigen  Leuten  gestattet,  mit  einiger  Rücksichtnahme  zu  Be- 
kannten hinaufzusteigen.  Man  mache  ja  seine  Schritte  recht  bemerk- 
bar und  rufe  alle  Augenblicke  etwa  einen  Namen  Allahs  aus,  der 
in  seiner  Bedeutung  eine  klare  Anspielung  enthält,  z.  B.  ja  sa/tär 
'io  Bedecker  (unserer  Sünden)!”,  damit  Frauen,  die  unverschleiert 

1)  Uurün  XXX VH  : 77. 

II  G 


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von  einem  Zimmer  ins. andere  gehen,  sich  bedecken  oder  aus  dem 
Staube  machen.  In  der  Nähe  des  Stockwerks,  wo  man  einen  Be- 
such abstatten  will,  rufe  man  den  Namen  des  Bewohners,  und 
falls  nicht  Weiber  darauf  verneinend  in  die  Hände  klatschen,  gehe 
man  weiter,  denn  bald  wird  der  Mann  uns  entgegenkommen. 

Auf  den  Treppen  kommen  wir  dann  und  wann  an  Thiiren  vorbei , 
hinter  denen  sich  grosse  Schränke  oder  durch  ein  Fenster  vom  Hofe 
aus  beleuchtete  Speisekammern  oder  Nothküchen  ( Mernkkab ) be- 
finden, die  zum  höheren  Stock  gehören.  Ausser  dem  unerlässlichen 
Bet  el-mä  sind  Zahl  und  Grösse  der  in  einer  Etage  befindlichen 
Gemächer  sehr  verschieden.  In  den  besseren  Häusern  ist  zwar  manch- 
mal eine  Etage  der  anderen  desselben  Hauses  gleich,  aber,  theils 
um  jede  Etage  mit  den  nöthigen  Dachterrassen  zu  versehen,  theils 
weil  man  aus  Geldmangel  mitten  im  Bau  stecken  geblieben  ist, 
nimmt  der  Flächenraum  der  Etagen  häufig  nach  oben  zu  ab.  Im 
zweiten  Stock  ist  z.  B.  1|,  der  Bodenfläche  durch  Terrassen  einge- 
nommen, somit  dieses  dem  dritten  Stock  gänzlich  entzogen, 
usw.  Die  Dachterrassen ')  sind  gewissermaassen  der  intimste  Theil 
einer  Wohnung,  nicht  nur  weil  dort  allerlei  Arbeit  (z.  B.  das  Auf- 
hängen der  Wäsche)  von  Weibern  besorgt  wird,  sondern  vorzüglich 
weil  nach  Sonnenuntergang  der  Hausherr  mit  seiner  Familie  dort 
die  verhältnissmässige  Kühle  geniesst  und  dieselben  während  der 
heissesten  Jahreszeit  als  Schlafzimmer  dienen ').  Daher  ist  es  von 
Interesse , dass  z.  B.  jedes  im  Hause  befindliche  Ehepaar  für  sich 
und  seine  Kinder  über  eine  eigene  Terrasse,  oder,  wo  mehrere  sich 
darein  theilen  müssen , wenigstens  über  einen  durch  Verschlüge  oder 
Vorhänge  separierten  Theil  derselben  verfügt.  Zu  diesem  Zwecke  baut 
man  wohl  auf  einem  solchen  Dach  ein  kleines , niedriges  Zimmer s) , 

1)  Die  einzelne  wird  sowohl  mit  dom  Plural  Sit tU  ab  mit  dem  Sing.  Salah  bezeichnet. 
Solche  Terrassen,  die  über  einem  Ausbau  des  Hauses  liegen  uud  hauptsächlich  dazu 
dienen,  einen  Sitz  im  Freien  zu  gewähren,  nennt  man  Chär'djah. 

2)  Darum  sind  die  meisten  Terrassen,  soforn  sie  nicht  schon  durch  die  Hausmauern 
eingeschlossen  werden,  mit  eigenen,  vielfach  aus  Backstein  gebauten  Mauorn  umgeben. 
Zwischen  je  zwei  Steinen  ist  ein  leerer  Raum,  der  die  Luft  durchlässt,  ohne  die  Ter- 
rasse unbescheidenen  Blicken  preiszugeben. 

3)  Solch  ein  Zimmer  heisst  MebÜ  (Nachtgemach). 


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um  das  Bett  aufzunehmen.  Die  jungen  Männer  und  Sklaven  suchen  sich 
irgendwo  eine  bequeme  Stelle  zum  Schlafen,  oder  sie  legen  sich, 
wie  alle  ärmeren  Leute,  auf  eine  Bank  vor  der  Thür  oder  im 
Kaffeehause. 

Obgleich  die  Mekkaner  während  der  kühleren  Jahreszeit  nicht 
immer  im  Freien  schlafen , haben  doch  die  wenigsten  specielle  Schlaf- 
zimmer. Die  brauchen  sie  auch  nicht,  denn  sie  waschen  sich  im 
Bet  el-mä , sie  schlafen  in  denselben  Kleidungsstücken,  die  ihnen 
nach  Ablegung  der  im  Ilause  unbequemen  Djubbah  und  Antari 
(Schäjah)  übrig  bleiben,  und  ein  Bett  lässt  sich  an  jedem  beliebi- 
gen Orte  schnell  hinlegcn;  man  sucht  dazu  die  Stellen  aus,  wo  es 
etwas  Luftzug  giebt.  Viele  legen  sich  einfach  auf  die  in  jedem  Zim- 
mer vorhandenen  Polster  und  Kissen  ').  Man  schläft  auch  viel  während 
des  heissen  Tages,  so  oft  man  Lust  und  Gelegenheit  dazu  hat, 
während  die  kühlere  Nacht  oft  ganz  oder  theil weise  dem  geselligen 
Verkehr  gewidmet  wird. 

Vorne  gegen  die  Strasse  hat  jede  Etage  ihren  Salon  ( Medjlis ) mit 
mehreren  Fenstern,  hinter  welchen  sich  immer  mit  Polstern  und 
Kissen  versehene  Fensterbänke  befinden.  Die  mittleren  (bez.  das  mitt- 
lere) Fenster  haben  über  die  Strasse  hervorspringende  Balkons’); 
alle  6ind  mit  ä-jour  gearbeiteten  hölzernen  Läden  {Schubbäk)  ge- 
schlossen , durch  welche  man  nicht  hineinsehen  kann 1 2  3 4).  Auf  jeder 
Seite  können  einzelne  kleine  Bretter  der  Lüden  theils  auf-,  theils 
niedergelassen  und  mit  Häkchen  befestigt  werden.  Wo  ein  ganzes 
Fenster  aufgemacht  wird,  hängt  man  gewöhnlich  einen  farbig  or- 
namentierten , aus  dünnen  Stäbchen  mattenartig  zusammengesetzten 
Vorhang ')  auf.  Der  Boden  oder  die  der  Wand  entlang  gebauten 
Bänke  ( Karäwil)  sind  ähnlich  ausgestattet , wie  dies  oben  5)  bezüg- 

1)  Tnrrabdt  (Polster),  Man  nid  (Kissen  zum  Lehnen)  und  Mechadddt  (Kopfkissen). 

2)  Ein  Balkon  heisst  Rdschan ; ein  einzelnes  Fensterloch  und  das  vor  demselben  nach 
aussen  niedergelassene  Brettchen  Tdqak  (Piur.  £tjaq  und  £tqan).  Letzteres  Wort  be- 
zeichnet auch  die  längs  der  Wand  im  Zimmer  befindlichen  Bretter , die  man  gewöhn- 
lich mit  Porzellan-,  Glas-  und  Töpferwaaren  ausstattet,  und  ein  ganzes  Stück  (z.  B. 
Seidon-,  Wollen-,  Leinen-)  Zeug. 

3)  Vergl.  das  hübsche  Haus  rechts  im  Hintergründe  von  Tafel  V. 

4)  Kibrüoh , Plur.  Kabdrlt. 

5)  8.  39—40. 


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lieh  des  Diwans  im  Erdgeschoss  beschrieben  wurde.  Zwischen  die 
Teppiche  und  den  Fussboden  legt  man  Matten  aus  Palmenblättern, 
weil  sonst  die  kostbaren  Teppiche  allzurasch  verfaulen. 

Um  in  den  Medjlis  zu  gelangen,  hat  man  gewöhnlich  zuerst 
ein  kürzeres  Zimmer  von  gleicher  Breite  zu  durchschreiten,  wel- 
ches dem  Med j/i><  gleichsam  als  Vorhalle  dient;  es  ist  die  Qvffah. 
Man  kann  darin  unerwarteten  Besuch  empfangen,  falls  der  Salon 
z.  B.  durch  die  Weiber  besetzt  ist;  sonst,  z.  B.  bei  grösseren  Mahl- 
zeiten, richten  sich  hier  die  Mebäschirin  ') , d.  h.  die  Gäste,  die  den 
anderen  aufwarten,  ein,  oder  es  setzen  sich  auch  die  überzähligen 
Gäste  dahin.  Zu  beiden  Seiten  des  Medjlis  und  der  Quffah  sind, 
wenn  der  Raum  es  gestattet,  ausser  kleinen  Wandschränken  Zim- 
merchen,  Speisekammern  oder  grosse  Schränke;  der  gebräuchlichste 
Name  dieser  Nebengemächer  ist  Chazänah , wenn  sie  aber  auch  als 
Küche  dienen , Matbach  ’).  In  die  Chazänah  begiebt  sich  die  Frau, 
die  mit  ihrem  Manne  im  Medjlis  gesessen  hat,  wenn  dieser  hier 
einen  eben  angemeldeten  Besucher  zu  empfangen  wünscht;  ist  die 
Chazänah  nicht  beleuchtet,  so  giebt  es  auf  der  anderen  Seite  wohl 
wieder  eine  Thür,  durch  welche  die  Exilierte  anderswohin  gehen  kann. 

Nur  bei  grossartiger  Einrichtung  des  Ganzen  kommen  mehrere 
Salons  in  einer  Etage  vor ; von  den  verschiedenen  anderen  Zimmern , 
in  deren  Verkeilung  wieder  keine  Regel  zu  beobachten  ist,  sei 
hier  noch  der  kleinere  Salon  genannt,  der  nach  dem  Hof  oder  der 
hinteren  Strasse  zu  liegt  und  Muacchar  heisst. 

Wo  sich  mehrere  Familien  in  einen  Stock  theilen,  hat  man  die 
dringend  nothwendige  Abschliessung  durch  Vorhänge,  Verschlage 
usw.  selbst  einzurichten.  Trotzdem  muss  man  sich  in  manchen 
Dingen  ohne  Bürgschaft  auf  die  Treue  und  das  Ehrgefühl  seiner 
Mitbewohner  verlassen.  Nimmt  man  hinzu,  dass  nach  der  schönen 
Sitte  Nachbarn  einander  in  jeder  Beziehung  zu  helfen  verpflichtet 
sind , z.  B.  durch  leihweise  Ueberlassung  von  Gemächern , Geräthen , 
ja  sogar  Kleidern , so  wird  man  begreifen , wie  namentlich  in  Mekka 

1)  Vergl.  Mckk.  Sprich*.,  8.  33,  86. 

2)  Die  eigentliche  Küche,  d.  h.  ein  steinerner  Ofen  mit  verschiedenen  Ofenlöchern, 
befindet  sich  meistons  »uf  einer  Dachterrasse. 


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das  arabische  Sprichwort:  »(erkundige  dich  nach)  dem  Nachbarn 
vor  dem  Hause”  ')  seine  Geltung  hat.  Mitbewohner,  die  sich  unan- 
ständig aufführen,  geben  dem  Miether  Recht,  den  Kontrakt  mit 
dem  Hausbesitzer  als  ungültig  zu  betrachten.  Allein  es  giebt  stän- 
dige Mitbewohner , die  keinen  Menschen  unbehelligt  lassen : Katzen , 
Eidechsen , Ameisen , als  tägliche  Gaste  Tauben  und  als  seltene  Be- 
sucher Schlangen  *).  Die  von  Muhammed  verfluchten  Eidechsen  darf 
man  wenigstens  tödten;  die  anderen  Gattungen  multiplicieren  sich 
dagegen  unter  dem  Schutze  des  gegen  sie  viel  gewissenhafter  als 
gegen  Menschen  beobachteten  Gesetzes , welches  in  dem  heiligen  Ge- 
biet die  Tödtung  lebendiger  Geschöpfe  untersagt  mit  Ausnahme  von 
Schlachtvieh  und  einigen  schädlichen  Thieren.  Schon  in  vorislamischer 
Zeit  waren  die  Tauben  hier  zahlreich ; über  die  Katzen  soll  sich 
Muhammed  in  Traditionen  sehr  günstig  geäussert  haben.  Beide 
Thiergattungen  sind  im  heiligen  Gebiete  den  Menschen  gegenüber 
unverschämt;  beim  fortwährenden  Offenstehen  vonThüren  und  Fen- 
stern und  den  nie  geschlossenen  Luftlöchern  oberhalb  der  Fenster  kann 
man  sich  die  Sorgen  denken , die  daraus  für  die  Hausfrau  entstehen. 

Je  weiter  ein  Stadtviertel  von  den  Hauptstrassen  abliegt,  desto 
mehr  begegnet  man  darin  ärmlicheren,  einstöckigen  Häusern  und, 
wie  oben  schon  bemerkt  wurde,  gehen  diese  in  den  Vororten  all- 
mählich in  * Dssc/ia/i’s  über.  Bettler  und  anderes  obdachloses  Ge- 
sindel legen  sich  an  einen  beliebigen  Orte  schlafen;  mit  Vorliebe 
in  der  Moschee,  wo  übrigens  auch  Andere,  z.  B.  weil  sie  dort  in 
einem  Traume  Aufklärung  suchen  oder  weil  sie  zu  Hause  Unannehm- 
lichkeiten hatten , die  Nacht  verbringen.  Arme  und  geizige  Pilger  wäh- 
len sich  gleichfalls  eine  Lagerstätte  im  Freien ; die  Mehrzahl  wünscht 
aber  für  sich  und  ihr  Gepäck  Unterkommen  in  einem  Hause. 

Der  geringste  Vortheil,  den  ein  Mekkaner  aus  der  Wallfahrt 
zieht,  ist  der  Wiedergewinn  seiner  ganzen  Wohnungsmiethe  durch 
die  Abtretung  eines  Theils  seiner  Behausung  an  Pilger.  Daher  zahlt 
man  dann  auch  m Mekka  die  auf  ein  Jahr  berechnete  Miethe,  mag 


^ ...  ssc 

1)  eUdjär  qabl  cd-dar  (Man  spricht  in  Mekka  häufig  aus  ed-djär  cf. 

8)  Reep,  bissah  (I’lur.  bisäs) ; tcazaghah ; darr ; lamäm ; ja  nasch. 


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man  den  Kontrakt  im  Anfang,  in  der  Mitte  des  Jahres  oder  gar 
erst  einen  Monat  vor  dem  Haddj  abschliessen.  Dem  Hausbesitzer, 
ist  es  an  und  für-  sieh  gleichgültig,  ob  er  die  Summe  von  Ein- 
wohnern oder  Fremden  bekommt,  und  von  diesen  erhält  er  leicht 
etwas  mehr.  Wenn  er  dennoch  gern  seine  Häuser  anständigen  Bür- 
gern vermiethet,  so  geschieht  das,  weil  er  sich  dadurch  viel  Mühe 
erspart  und  ferner  weil  er  bis  zum  Abschluss  des  Jahres  aller  Sorge 
enthoben  ist.  Bewohnt  Einer  sein  eignes  Haus,  so  zieht  er  dennoch 
während  der  drei  letzten  Monate  des  Jahres  eine  gleiche  Miethe 
von  den  verfügbaren  Räumen , als  hätte  er  das  ganze  im  Muhar- 
ram  vermiethet.  Solche  sogar,  die  sich  mit  einer  halben  Etage  be- 
gnügen müssen,  wissen  sich  so  einzurichten,  dass  sie  einige  Gäste 
beherbergen;  wenn  die  Pilger  nicht  allzulange  vor  und  nach  dem 
Haddj  in  Mekka  verbleiben,  geht  das  sehr  wohl,  da  sie  einen  be- 
deutenden Theil  ihres  Aufenthalts  in  der  Moschee  und  sonst  aus- 
serhalb der  Wohnung  zubringen.  Ihnen  ist  die  Wohnung  bloss  eine 
Zuflucht,  und  so  lange  sie  da  sind,  behilft  sich  die  Familie  des 
Vermiethers  mit  den  kleinsten  Winkeln. 

Diesen  ist  es  aber  nicht  etwa  gleichgültig,  was  für  Pilger  sie 
aufnehmen.  Zwar  fürchten  sie  nicht,  um  die  Miethe  betrogen  zu 
werden,  denn  solche  Schelme  kommen  selten  zum  Haddj;  aber 
sie  möchten  wohl  noch  etwas  dazu  verdienen,  und  ausser  dem 
ffSchech”  hat  niemand  bessere  Gelegenheit,  den  Pilger  auszubeuten 
als  sein  Hauswirth.  Dieser  vermiethet  also  seine  Zimmer  gern  Freun- 
den oder  Landsleuten  von  solchen  früheren  Kunden,  deren  Wohl- 
* stand  und  Freigebigkeit  er  erprobt  hat ; auch  hat  er  wohl  aus  anderen 
Gründen  Vorliebe  für  diese  oder  jene  Nation , z.  B.  für  die  Türken , weil 
er  sie  reinlich , für  die  Djäwah,  weil  er  sie  bescheiden  findet.  In  seinem 
Interesse  umgiebt  er  den  Pilger  mit  einem  zweiten  Zaun  um  den  vom 
//Schech”  gezogenen  herum  , damit  nicht  die  Ausbeuter  dritter  Klasse , 
deren  anonyme  Zunft  von  uns  oben  besprochen  wurde , ohne  seine  Er- 
laubnis eindringen.  Für  diese  dienstfertigen  Leute  bleibt  aber  trotzdem 
ein  grosses  Gebiet  übrig;  abgesehen  von  selbständigen  Pilgern,  die 
durch  den  doppelten  Zaun  hindurchdringen,  giebt  es  viele,  die 
ohne  derartige  Aufsicht  in  leeren  Wohnungen  einquartiert  werden. 


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In  einem  geräumigen  Zimmer  werden  wohl  20  Javanen  unterge- 
bracht, die  dort  kochen,  essen  und  schlafen!  Mitbewohner  des 
Hauses  widersetzen  sich  während  der  letzten  Monate  des  Jahres 
solchen  missliebigen  Anhäufungen  nur  selten;  ohne  gegenseitige 
Nachgiebigkeit  könnte  Keiner  Gewinn  erzielen.  Aber  auch  kleinere 
Gesellschaften  von  Pilgern  führen,  namentlich  wenn  Weiber  dar- 
unter sind,  ihre  eigne,  von  dem  Hauswirth  separierte  Haushaltung , 
wobei  dann  beiderseits  Einladungen,  Geschenke  und  andere  Auf- 
merksamkeiten üblich  sind.  Uebrigens  gestaltet  sich  das  Verhält- 
niss  der  Gäste  Allahs  zu  ihren  Schechen,  Wirthen  und  zu  den 
Freibeutern  natürlich  verschieden  unter  dem  Einfluss  von  allerlei 
persönlichen  Eigenthümlichkeiten,  von  mehr  oder  weniger  Uebung 
im  Verkehre  mit  Mekkanem  aus  vorigen  Wallfahrten  usw. 

Eine  List,  deren  sich  die  Mekkaner  als  Gastwirthe  nicht  selten 
bedienen  ist  die,  dass  sie  dem  eine  Wohnung  suchenden  Fremden 
ein  paar  von  ihren  Zimmern  zeigen,  die  dem  ungeübten  Auge  sehr 
gut  aussehen , aber  zu  gewissen  Zeiten  des  Tages  oder  des  Jahres 
unbewohnbar  sind  oder  als  unerlässliches  Komplement  eine  Dach- 
terrasse für  die  Nacht  erfordern.  Den  verlangten  Preis  findet  der 
Pilger  sehr  billig  und  miethet  sich  ein ; sobald  nun  die  Unbequem- 
lichkeiten zu  Tage  treten,  erklärt  der  Hausherr,  er  könne  im  äus- 
sersten  Nothfall  seinem  Gaste  ein  anderes  Zimmer  oder  auch  eine  Ter- 
rasse geben,  sei  dann  aber  genöthigt,  den  Preis  zu  verdoppeln 
oder  gar  verdreifachen. 

Da  die  Scheche  cum  suis  gleich  von  der  Ankunft  an  den  Frem- 
den an  der  Nase  herumführen,  haben  sie  grossen  Einfluss  auf  die 
Wahl  einer  Wohnung;  allen  Mekkanern  liegt  also  daran , mit  mehre- 
ren Schechen  auf  guten  Fuss  zu  kommen,  wie  andererseits  diese 
für  sich  viel  Werth  auf  ausgedehnte  Verbindungen  legen. 

Man  sieht,  wie  in  Mekka  das  ganze  Verkehrsleben  im  Haddj 
seinen  Mittelpunkt  findet;  der  muslimische  Kalender  mit  seinem 
Mondjahre  hat  wohl  nirgends  höhere  praktische  Bedeutung  gewon- 
nen als  hier  ‘).  Des  Sonnenjahres  gedenkt  man  nur  anlässig  der  ge- 


1)  Vergl.  Mekk.  Sprichw.,  S.  115  ff. 


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ringen  Veränderung  der  Temperatur  und  man  spricht  auch  von 
der  Zeit,  wo  die  Datteln,  Feigen,  Trauben,  Pfirsiche  u.  s.  w.  rei- 
fen , und  bezeichnet  in  gebildeten  Kreisen  die  Jahreszeiten  nach  den 
Zeichen  des  Thierkreises;  über  diese  Dinge  ertheilt  ja  der  Astronom 
des  Heiligthums,  der  Rejjis,  seinen  wissbegierigen  Freunden  Aus- 
kunft. Um  unseren  Einblick  in  das  gesellschaftliche  Leben  und 
Treiben  der  Mekkaner  zu  vervollständigen , wollen  wir  also  den 
Mondkalender  durchblättern  und  bei  jedem  bemerkenswerthen  Punkte 
einen  Augenblick  verweilen. 

Ueber  den  ersten  Monat,  Muharram,  können  wir  uns  kurz  fas- 
sen. Die  fieberhafte  Aufregung , die  im  verflossenen  Wallfahrtsmonat 
ihren  Gipfel  erreichte,  legt  sich  allmählich.  Viele  Pilger  sind  schon 
mit  den  Dampfern  von  Djiddah  abgereist,  und  wöchentlich  liefern 
die  Scheche  dort  noch  einige  ab;  Mäkler  und  andere  Mittelsperso- 
nen verdienen  hier  wieder  ein  Stück  Geld  mit  ihren  Bemühungen 
im  Interesse  der  Dampfergesellschaften.  Andere,  die  zum  Studium 
oder  zum  Vergnügen  länger  in  Mekka  bleiben,  haben  erst  eben 
ihre  ständigen  Wohnungen  bezogen  und  fangen  an,  sich  in  die 
neuen  Verhältnisse  einzuleben.  Die  seit  vielen  Wochen  zerstreuten 
Elemente  der  mekkanischen  Gesellschaft  finden  sich  nach  und  nach 
wieder.  Nicht  Alle  können  sich  jedoch  der  Ruhe  und  Erholung 
hingeben:  da  sind  Kaufleute,  die  in  Geschäften  auf  Reisen  gehen, 
und  das  Gleiche  thun  bald  darauf  die  bis  in  die  entlegensten  Län- 
der dringenden  Pilgeragenten , welche  dort  im  Aufträge  von  Schechen 
mit  allen  Kräften  Pilger  für  die  nächste  Wallfahrt  anwerben. 

Viel  Tausend  Mekkaner  reisen  aber  ihr  Leben  lang  nicht  weiter 
als  nach  Täif  und  Medina;  sogar  nach  Djiddah  gehen  sie  ungern, 
weil  ihnen  von  Jugend  an  der  Gedanke,  mit  Ungläubigen  in  Be- 
rührung zu  kommen,  von  allen  der  schrecklichste  ist.  Von  ihrer 
Mutter  und  andern  weiblichen  Verwandten  haben  sie  ja  gelernt, 
die  Käfirs  seien  entsetzliche  Ungeheuer : ihre  blasshelle  Hautfarbe 
macht  den  Eindruck  des  Aussatzes;  zum  Himmel  können  sie  nicht 
emporblicken,  gehen  daher  selten  gerade  und  schützen  sich  die 
Augen  mit  den  grossen  Rändern  ihrer  Kopfbedeckung;  Männer 
und  Weiber  sitzen  unverschämt  zusammen  und  saufen  Wein;  sie 


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sind  unreinlich,  denn  sie  treten  mit  ihrem  schmutzigen  Schuhwerk 
in  [die  Zimmer,  wissen  sich  weder  nach  dem  Stuhlgang  noch  nach  der 
Beiwohnung  zu  reinigen,  wie  es  sich  geziemt;  sie  sind  ungebildet, 
denn  sie  lachen  laut  wie  Hyänen  und  sprechen  mit  heftigen  Ge- 
berden alle  zugleich , sogar  wenn  sie  noch  nicht  betrunken  sind ; 
sie  haben  keine  Religion,  bekommen  deswegen  von  Allah  vielerlei 
Genuss  und  Grösse  in  dieser  Welt  und  einen  schmerzlosen  Tod , der 
immer  auf  den  Sabbat  fällt,  um  dafür  in  der  Hölle  desto  heftiger 
gequält  zu  werden.  Wegen  dieser  und  ähnlicher  Traditionen , gegen 
welche  die  Einwendungen  *)  von  Sachverständigen  nichts  verschlagen , 
schaudern  die  jungen  Mekkaner  (die  Medinenser  in  noch  höherem 
Grade)  vor  dem  Zusammentreffen  mit  Ungläubigen  nicht  weniger 
als  dem  mit  Gespenstern  zurück;  mehrere,  die  1885  zum  ersten  Mal 
nach  Djiddah  gereist  waren,  um  über  See  nach  Medina  zu  gelan- 
gen, beschrieben  mir  ihre  Empfindungen  in  ähnlicher  Weise  wie 
etwa  ein  sentimentaler  Europäer,  der  zum  ersten  Mal  einen  Wahn- 
sinnigen oder  einen  Pestkranken  sieht.  Was  sie  gelegentlich  von 
vielgereisten  Mitbürgern  hören,  klärt  sie  nicht  auf,  sondern  ver- 
mehrt nur  die  Verwirrung,  denn  es  sind  meistens  anekdotenhafte 
Geschichten  oder  solche,  in  denen  die  gottlose  Art  und  die  Un- 
wissenheit der  Europäer  in  religiösen  Dingen  hervortritt. 

So  danken  recht  Viele  Allah , dass  er  sie  vor  solcher  Schreckniss 
und  Verunreinigung  des  Auges  bewahrt  hat,  und  bei  vielen  An- 
deren haben  flüchtige  Berührungen  an  die  Stelle  jedes  aufgehobenen 
Missverständnisses  ein  paar  neue  erzeugt.  Daran  sind  allerdings  zum 
Theil  die  Europäer  selbst  schuld,  weil  sie  sich  in  keiner  Weise  in 
das  Denken  und  Treiben  der  Muhammedaner  versenken  und  die- 
sen vorsichtig  zurückhaltenden  Leuten  gleichsam  bei  jedem  Schritt 
auf  die  Füsse  treten.  Genug,  Viele  bleiben  nach  dem  Haddj  zu 
Hause,  um  in  herkömmlicher  Weise  die  verdienten  Pfennige  lebens- 
froh zu  verzehren.  Heiter  ist  die  Natur  des  Mekkaners,  und  wenn 
er  während  des  Fremdenbesuchs  den  Mund  von  heiligen  Ueberliefe- 


1)  Solche  werden  übrigens  sohr  solton  geüusscrt;  die  Imst,  nur  um  der  Wahrheit  wil- 
len Irrthümern  entgegenzutreten,  geht  den  Meisten  ab:  esek  il-fiüdak ? 

II  7 


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50 


rungen  voll  hat,  so  ist  das  weder  Heuchelei  noch  Folge  inneren 
Drangs,  sondern  Ausübung  einer  Pflicht,  die  ihm  nach  seiner  An- 
sicht Wohnort  und  Amt  auferlegen.  Genau  wie  der  Glückliche 
ganz  aufrichtig  dem  von  einem  Unglück  Betroffenen  sein  Beileid 
bezeugen  kann,  sucht  der  Mekkaner  mit  naivem  Eifer  seine  Glau- 
bensbrüder einigermaassen  mit  den  heiligen  Dingen  zu  bewirthen, 
an  denen  er  sichselbst  vielleicht  schon  gesättigt  hat.  Nach  vollende- 
ter jährlicher  Arbeit  in  dem  erschlaffenden  Klima  sehnt  er  sich  nach 
bequemem  Genuss.  Diesen  gewährt  ihm  sein  Haus,  wo  sich  der 
Muslim  seiner  Kinder  erfreut  und  mit  immer  wachsender  Lust  seine 
sexuellen  Kräfte  erschöpft ; dann  die  Häuser  seiner  Freunde , wo  jedes 
freudige  Ereigniss  und  auch  Todesfälle  zu  Mahlzeiten  (* Azimah's  ')) 
Anlass  geben,  bei  denen  er  nicht  fehlen  darf;  ferner  die  geselligen 
Partien  ( Qelah's *))  in  der  Stadt  und  auf  dem  Lande,  die  er  mit 
seinen  Bekannten  gemeinsam  veranstaltet;  endlich  die  Tage,  welche 
ganz  Mekka  festlich  begeht  und  die  um  so  höher  geschätzt  werden, 
weil  die  Mekkaner  an  dem  grossen  internationalen  Feste  des  Islam’s 
in  ihrer  Stadt  sich  selbst  mehr  als  Bediente  denn  als  Gäste  bethei- 
ligen. Bei  unserem  Gang  durch  das  mekkanische  Jahr  beachten  wir 
hauptsächlich  jene  Festtage,  denn  das  Uebrige  gehört  in  unser  zwei- 
tes Kapitel,  und  die  Familienfeste  haben  auch  kein  bestimmtes 
Datum. 

Da  jedes  muslimische  Datum  in  etwa  83  Jahren  durch  alle  Jah- 
reszeiten geht , können  wir  auch  der  Abwechselung  im  mekkanischen 
Leben  keine  Stelle  im  Kalender  anweisen,  dass  die  Wohlhabenden 
während  der  heissesten  Zeit  nach  dem  2 Tagereisen  östlich  gelege- 
nen Täif  auswandern , wo  die  Luft  so  kühl  ist  und  so  schöne  Gär- 
ten in  der  Nähe  sind,  dass  die  mekkanische  Ueberlieferung  annimmt, 
Allah  habe  seinen  "Nachbarn”  zulieb  dieses  Stück  Erde  aus  Syrien 
nach  Arabien  verpflanzt.  Fällt  der  Haddj  in  die  heisse  Jahreszeit , 
so  entgeht  den  Mekkanern  dieser  Genuss;  trifft  sich’s  dagegen,  dass 
die  Hitze  im  Fastenmonat  Ramadhän  ihren  Gipfel  erreicht,  so  pro- 


1)  Ycrgl.  über  diese  Partioo  Mekk.  Sprich w.,  S.  84 — 85. 

2)  Ycrgl.  L c.,  S.  85  ff. 


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Stieren  die  Mekkaner  doppelt  dabei , weil  ihnen  die  Hauptbeschwerde 
des  Fastenden,  der  Durst,  in  Täif  nichts  zu  schatFen  macht.  Wer 
dort  kein  eignes  Haus  hat,  wird  von  einem  Freunde  aufgenommen, 
dem  er  in  Mekka  jeden  Augenblick  Gegendienste  leisten  kann.  Keh- 
ren wir  aber  zum  Kalender  zurück. 

Im  Muharram  bekommt  Mekka , nach  langem  fieberhaftem  Traume, 
das  Bewusstsein  wieder.  Nicht  nur  im  Familienleben , sondern  auch 
in  der  Moschee  werden  die  Folgen  bald  bemerkbar.  Am  10l * * * * * * 8'n  dieses 
ersten  Monats,  dem  'Aschürätage , der  allgemein  als  freiwilliger  Fa- 
stentag, von  den  Schfiten  aber  mit  eigenen  Ceremonien  als  Tag  des 
Märtyrertodes  Huseins  begangen  wird,  wird  die  Ka'bah  dem  Publikum 
geöffnet ') ; an  dem  Tage  ist  Mekka  noch  ganz  und  gar  Fremden- 
stadt *).  Von  den  sich  zur  Heimreise  vorbereitenden  Pilgern  fehlt  keiner 
unterhalb  der  von  den  Eunuchen  vor  die  Schwelle  geschobenen  Treppe, 
und  noch  ein  paar  Tage  nachher  bewegen  sich  den  ganzen  Tag  hin- 
durch dichte  Schwärme  von  Männern  und  Frauen  in  weitem  Kreise  um 
das  heilige  Haus , damit  sie  den  Lohn  möglichst  vieler  Tawdfa  (Um- 
gänge) mit  nach  Hause  nehmen.  Nach  und  nach  wird  der  Kreis  enger; 
so  bekommen  die  Bürger  der  Stadt  Gelegenheit,  sich ’s  im  Moschee- 
hof und  den  ihn  ungebenden  Hallen  wieder  bequem  zu  machen. 
Die  Vorlesungen  über  die  heilige  Wissenschaft,  die  während  der 
Erntezeit  sämmtlich  feierten , werden  wieder  aufgenommen ; auch  neh- 
men kleine  Gesellschaften  von  »/Brüdern”  dieser  und  jener  mystischen 
Tanqah  nach  gewissen  Qaläti  ihre  alten  Plätze  zum  gemeinschaftli- 


1)  Dies  geschieht,  ausser  wenn  reiche  Pilger  grosse  Summen  dafür  bezahlen,  an  ge- 

wissen Tagen,  die  aber  von  den  Behörden  etwas  willkürlich  angeordnet  werden  und 

daher  häutig  wechseln.  Der  Eintritt  in  die  Ka'bah,  wo  nichts  als  ein  paar  aufgehängte 

Lampen  zu  betrachten  sind , gehört  weder  zum  lladdj,  noch  zu  einer  andern  obligatori- 

schen Handlung  der  Muslime.  Die  meisten  anwesenden  Fremden  benutzen  jede  Gele- 

genheit , innerhalb  des  Hauses  Allah’s  ein  $ alät  zu  verrichten , während  viele  Mekkaner 

nur  einmal  oder  gar  niemals  im  Lieben  hincintrctcn. 

8)  Die  Perser  begehen  ihr  rätidhitisches  Muharramfest  in  Mekka  ganz  heimlich:  in 
Djiddah  ist  ihnen  seit  dem  letzton  russisch-türkischen  Kriege  die  Feier  rückhaltlos  ge- 
stattet, und  sic  kommen  dazu  während  der  10  ersten  Tage  des  Monats  in  einer  Wohnung 
zusammen,  wo  auch  der  Frcmdo  unschwer  Zutritt  erhält.  Ich  war  hier  bei  der  Husein- 
traucr  mit  ihren  DUcr'i  und  Ckutbak’i  Oktober  1881  zugegen.  Der  türkische  Gouverneur 
war  der  Einladung  des  persischen  Konsuls,  am  10"“  die  ketzerischen  Ceremonien  mit 
anzusehen,  nachgekommen,  und  er  trank  nicht  nur  seinen  Antheil  vom  Sorbet,  son- 
dern weinte  andachtsvoll  mit! 


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52 


eher»  THkr  wieder  ein.  Tn  der  Mas'ästrasse,  wo  man  wochenlang 
kaum  gehen  konnte  vor  dem  Wirrwarr  der  zwischen  Qifa  und  Merwah 
hin-  und  herrennenden  Pilger,  bewegt  sich  jetzt  eine  ruhige  Men- 
schenmasse, die  in  den  zahlreichen  Buden  hier  und  in  den  benach- 
barten Suega/i  und  Säg  el-fel  ihre  Einkäufe  macht. 

Im  Laufe  dieses  Monats  oder  des  nächsten  wird  die  Ruhe  noch 
einmal  unterbrochen  durch  die  Rückkehr  der  zweiten  Karawane1 2 3) 
von  Medina.  Pilger,  die  nicht  zeitig  genug  in  Mekka  ankamen, 
um  sich  vor  dem  Haddj  der  ersten  Qfiflah  anzuschliessen , reisen 
nach  dem  Haddj , so  bald  es  die  Sicherheitsverhältnisse  des  Weges 
nach  dem  Urtheil  der  Behörden  gestatten,  in  Begleitung  von  tür- 
kischen Soldaten  zur  Zijürah  des  Grabes  Muhainmeds.  Dabei  und 
bei  der  Weiterbeförderung  der  Rückkehrenden  sind  alle  Zünfte 
wieder  mehr  oder  weniger  beschäftigt , zumal  Jene  sich  vor  der  Heim- 
reise in  Mekka  möglichst  mit  den  üblichen  Ceremonien  beschäftigen 
und  allerlei  einkaufen. 

Bald  nach  dem  Anfang  des  zweiten  Monats,  Qafar,  rüsten  sich 
viele  Mekkaner  zur  Theilnahme  an  einem  der  beliebtesten  Lokal- 
feste. Am  zwölften  ist  das  Fest  von  Sittanä  Mejmunah,  //unserer 
Herrinn  Mejmünab.”  Diese  Heilige  war  eine  von  den  Frauen  des 
Propheten  und,  was  man  nur  von  wenigen  anderen  Heiligen  aus 
jener  Zeit  sagen  kann,  ihr  Grab  wird  schon  von  der  alten  Ueber- 
lieferung  5)  dahin  verlegt , wo  jetzt  noch  jährlich  ihr  Fest  gefeiert 
wird.  Auf  dem  Wege  nach  Medina  liegt  der  Ort,  eine  halbe  Ta- 
gereise nordwestlich  von  Mekka;  ursprünglich  hiess  er  Sarif,  dann 
en-NatcwärijjeA  *),  und  heutzutage  wirdereinfach  Sittanü  Mejmünah 
genannt. 

Was  eigentlich  der  //Tag”  eines  Heiligen  ist,  darüber  macht  sich 
das  Volk  keine  klare  Vorstellung;  man  sagt  freilich,  es  sei  das 
Haul,  womit  eigentlich  der  Jahrestag  des  Todes  gemeint  ist.  Allein 


1)  Qdflah  heissen  diese  beiden  Karawanen,  weil  sie  aus  mit  Gepäck  und  mit  Sdtmqdttft 
für  Personen  beladenen  Kamcelcn  nebst  einigen  Eseln  bestehen  j Reiterkarawanen  hei- 
ssen Rakb. 

2)  CM  I:  436;  Nawawi,  Tahdtb,  S.  854;  Bckri,  S.  772—3  usw. 

3)  Leid.  Hs.  2021,  foL  90  v°7 


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53 


es  giebt  Heilige,  die  mehrere  Tage  (Haul’s)  im  Jahre  haben,  von 
den  meisten  ist  das  Todesdatum  zweifelhaft,  und  aus  der  Art,  wie 
manche  Heiligenfeste  begangen  werden,  ergiebt  sich  mit  Sicher- 
heit, dass  altheidnische  volksthümlicbe  Feste,  nach  Abstreifung  einiger 
specifisch  heidnischer  Brauche,  sich  mit  dem  Namen  des  Heiligen 
gedeckt  haben,  um  so  das  bedrohte  Leben  zu  retten. 

Schon  eine  Woche  vor  «Siltanä  Mejmünah”  bilden  Freunde  und 
Bekannte  zusammen  Gesellschaften  zu  dieser  Zijärah;  eine  solche 
Gesellschaft  heisst  Baschkal ').  Jede  Baschkah  hat  einen  Kassen- 
führer, dem  alle  Theilnehmer  einige  Dollars  geben  und  der  dafür 
Alles  für  die  Reise  und  den  Aufenthalt  zu  besorgen  hat.  Dieser 
o Qajjüm”  miethet  oder  entlehnt  Zelte  J),  Betten  und  Teppiche , Ka- 
meele,  Koch-  und  Essgeschirr;  die  übrigen  Theilnehmer  haben  nur 
für  ihre  Kleidung,  Pfeifen  und  für  die  Zubereitung  einiger  fertig 
mitzunehmender  Speisen  zu  sorgen,  denn  ausser  Fleisch  und  etwas 
Obst  finden  sie  am  Grabe  Mejmünah’s  nicht  viel,  da  hier  keine 
bedeutende,  ständige  Ansiedelung  ist. 

Nur  wenige  Weiber  betheiligen  sich  an  diesem  Feste.  Die  Män- 
ner legen  zur  Reise  häufig  eine  andere  Kleidung  an,  als  die  sie  in 
der  Stadt  zu  tragen  pflegen.  Den  Turban  ersetzt  das  beduinische 
Kopftuch  (Qemädah)  mit  Binde  (jAqäl)  und  über  die  kleine  Jacke 
, (Salta/i)  wird  die  kameelhaarene  ' Abäjaft  geworfen,  ein  Mantel,  wie 
ihn  sonst  vornehmere  Beduinen  und  in  der  kälteren  Jahreszeit  auch 
Mekkaner  aus  den  mittleren  Klassen  tragen.  Am  11*“  reisen  sie  ab, 
und  besuchen  des  Abends , nachdem  die  Zelte  eingerichtet  sind , das 
heilige  Grab,  welches  nach  der  Tradition  an  der  nämlichen  Stelle 
liegt,  wo  einst  Mejmünah  mit  dem  Propheten  ihre  Brautnacht  im 
Zelte  verbrachte. 

Sehr  einfach  ist  der  religiöse  Theil  solcher  Besuche;  wie  bei  den 
Heiligengräbern  im  Malä  recitiert  man  auch  hier  die  üblichen  Be- 
grüssungsformeln  ( as-salämu  c a/aikum  jä  all  al-qubür  oder  ja  siltanä 

1)  aXio,  bus  dem  türkischen  wüiU 

2)  Gewöhnlich  viereckige  nScSttr</ai't’’  die  Mekkaner  wissen  gar  nicht  mehr, 

das  dieses  Wort  dem  türkischen  sJ  entstammt. 


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mejmünah  usw.),  die  Fät’hah  *),  Gebete , die  wohl  einmal  Anspie- 
lungen auf  die  Lebensgeschichte  der  um  Vermittlung  angerufenen 
Gottesfreundinn  enthalten,  aber  auch  die  speciellen  Wünsche  des  Be- 
tenden hervorheben;  diese  Gebete  gelten  der  grossen  Menge  als  die 
wirksamsten,  weil  sie  ihre  Interessen  dann  einem  Wesen  gleicher 
Empfindung  anvertraut  wissen  und  glauben,  dieses  werde  dem  Herm- 
gott  keine  Ruhe  lassen,  bis  er  dem  Freunde  des  Heiligen  seinen 
Wunsch  gewähre.  Mehrere  in  bedrängter  Lage  lebende  Fromme  brin- 
gen denn  auch  die  halbe  Nacht  im  vertraulichen  Verkehr  mit  der 
todten  Prophetenfrau  zu,  während  die  Mehrzahl  der  Zumoär  (Be- 
sucher) nach  kurzem  Gebet  gleich  in  das  Zelt  zurückkehren , wo  sie 
sich  in  verschiedener  Weise  amüsieren. 

Nur  wenige  unterhalten  sich  hier  mit  religiösen  Uebungen,  stel- 
len in  der  Nacht  Dikr's  an,  oder  lassen  sich  bei  Tag  oder  Nacht 
von  Kundigen  MölitTs  (Biographien  des  Propheten  in  Versen  oder 
gereimter  Prosa)  und  andere  fromme  Gedichte  vortragen;  zu  ganz 
anderen  Zwecken  kommen  die  jungen  Grossstädter  her.  Durch  die 
Einathinung  eines  tüchtigen  Vorraths  Wüstenluft  wollen  sie  sich 
die  Nerven  erfrischen,  zugleich  aber  der  in  der  Stadt  seit  langer 
Zeit  angehäuften  Ausgelassenheit  Luft  machen.  Nach  dem  Genuss 
ihrer  Lieblingsgerichte , wie  z.  B.  der  Mabechür  ’)  genannten  Fleisch- 
klösschen  und  der  Saldi  J)  genannten  Stückchen  geröstetes  Fleisch 
mit  Reis  und  Zukost  suchen  sie  bei  der  Sittana  Mejmünah  die 
Befriedigung  von  grösstentheils  durch  den  Islam  verbotenen  Gelüsten. 
Ganz  in  der  Ordnung  ist’s  schon  nicht , dass  sie  sich  hier  an  der  Vor- 
lesung profaner  Anekdoten  und  dem  Singen  weltlicher  Gedichte  er- 
götzen , aber  viel  schlimmer  ist  die  übliche  Begleitung  des  Gesangs 
mit  Instrumenten : namentlich  der  Qabüs 1 *  3) , ein  viersaitiges  Instru- 


1)  In  orthodoxem  Sinne  aufgefhast  soll  diese  Recitiorung  der  ersten  tluninsürah , 
welche  immer  als  sehr  verdienstvoll  gilt,  dem  Bewohner  des  Grabes  tu  Gute  kommen, 
indem  der  Besucher  ihm  den  Lohn  seiner  Qirnjei  schenkt;  dieser  beabsichtigt  dadurch 
die  Freundschaft  und  die  Hülfe  des  Heiligen  tu  gewinnen.  Das  Vulgus  denkt  nicht  so 
weit  und  weiss  nur,  bei  einem  Heiligen  rcciticre  man  die  Fat’ iah. 

8)  Vergl.  Mekk.  Sprichw.,  S.  55  f.,  wo  überhaupt  der  mckkanischc  Kücheniettel 
behandelt  ist. 

3)  Der  Name  stammt  vom  türkischen  jjc*- 


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55 


ment , das  viel  Aehnlichkeit  mit  der  Kemendjeh  ')  hat , aber  statt 
Pferdehaare  Diirmsaiten  enthält,  und  der  allbekannte  Qfmürt  wer- 
den hier  gespielt.  Dabei  kann  es  als  verhältnissmässig  anständig 
gelten,  wenn  die  Anwesenden  dazu  unter  Händeklatschen  kleine, 
meist  erotische , Gedichte  singen ; die  jeunesse  doree  verlangt  jedoch 
ausserdem , dass  schöne , bartlose , halb  weibisch  gekleidete  Knaben  5) 
durch  ihren  Tanz  und  Sang  die  Gelüste  rege  machen , welche  man 
im  Arabischen  nach  dem  Propheten  Loth  benannt  hat.  Manchmal 
haben  sich  bei  solchen  Gelegenheiten  eifersüchtige  Piiderasten  um 
den  Gegenstand  ihrer  Liebe  so  heftig  gestritten,  dass  einige  das 
Leben  auf  der  Wahlstatt  Hessen , und  vorzüglich  aus  diesem  Grunde 
werden  heutzutage  starke  Polizeiwachen  an  den  Jahresfesten  der 
Heiügen  zu  deren  Gräbern  geschickt,  um  die  Ordnung  aufrechtzu 
erhalten. 

So  nimmt  es  nicht  Wunder,  dass  die  c Ulamä , trotz  ihrem  Eifer 
für  den  Heiligenkultus  an  und  für  sich  für  diese  Versammlungen 
nichts  weniger  als  eingenommen  sind  und  jüngeren  Leuten  die 
Theilnahme  nur  dann  gestatten , wenn  sie  mit  unverdächtigen  From- 
men eine  Baschkah  bilden  können.  Immerhin  ist  auch  für  die  From- 
men das  Fest  nicht  im  Geringsten  ein  Trauerfest,  wenn  es  gleich 
bei  einem  Grabe  statt  findet.  Jeder  Todesgedanke  liegt  den  Zuwwär 
in  dergleichen  Fällen  fern;  das  Grab  des  Heiligen  ist  ihnen  wie 
seine  Wohnung,  wo  er  von  Zeit  zu  Zeit  Audienz  giebt. 

Auf  dem  Wege  von  Mekka  nach  Sittanä  Mejmünah  liegen,  resp. 
in  1 und  l'/j  Stunde  Entfernung  von  Mekka,  es-Sc/tu/tadä  ('/Mär- 
tyrerort”) und  Tan'Im,  das  gewöhnlich  el-cUmrah  heisst,  weil  die 
Mekkaner  und  ihre  Gäste  sich  dorthin  begeben,  um  das  Ihrem 
für  eine  »kleine  Wallfahrt”  anzulegen  3).  Zum  Märtyrerort  ist  jener 
Boden  am  Fuss  des  Berges  el-Fac/tch  eigentlich  durch  eine  alidische 
Empörung  im  Jahre  78ß  *)  geworden ; der  schfi tische  Heilige  Husein 


7 


1)  Vergl.  R.  B.  Lane,  Mannen  and  Customs,  5**»  odition,  II:  61. 

2;  MatotcdUn,  Raqqtujui. 

1)  Daher  habon  Burckhardt  und  Andere  den  Besuch  diosos  Ortes  irrthümlich  für  die 
'Umrah  angesehen. 

2)  Vergl.  Bd.  I,  S.  41  f. 


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V 


56 

ihn  cAli  aus  Jambu'  und  seine  Genossen  liegen  dort  begraben.  Al- 
lein schon  bevor  diese  Helden  im  Kampfe  fielen , scheint  sich  hier 
das  Grab  dieses  und  jenes  geehrten  "Genossen”  Muhammeds  befun- 
den zu  haben,  und  in  der  Erinnerung  der  heutigen  Mekkaner  lebt 
vorzüglich  Abdallah,  der  Sohn  des  Chalifen  Omar,  als  der  Heilige 
von  'es-Schühadä  fort.  Sein  Tag  oder  /Jaul  ist  mit  nicht  weniger 
Willkür  als  die  übrigen  bestimmt,  und  wird  auf  den  14  Qafar an- 
gesetzt; die  von  Sittana  Mejmünah  zurückkehren,  treffen  also  eben 
rechtzeitig  in  es-Schuhadä  ein. 

Hier  haben  viele  Mekkaner  Sommerfrischen;  die  Luft  und  das 
Wasser  des  Ortes  gelten  den  Städtern  als  besonders  gesund,  sodass 
vornehme  Mekkaner  sich  täglich  ihr  Trinkwasser  aus  es-Schühadä 
holen  lassen.  Am  Abend  des  Feiertages  (nach  unserer  Rechnung  vor 
dem  Tage)  wird  hier,  wie  auch  anderswo  bei  den  Heiligenfesten, 
von  dem  Grabhüter  oder  von  einem  kundigen  Recitator  die  Lebens- 
geschichte des  Heiligen  vorgetragen;  die  "Heiligenleben”  sind  ge- 
wöhnlich in  gehobenem  Stil  abgefasst  und  enthalten  vorzüglich  die 
Aufzählung  der  edlen  Thaten  und  Eigenschaften  ( Manäqib ) des  Wdlit. 
Hauptzweck  der  meisten  Feiernden  bilden  hier  die  gleichen  Belu- 
stigungen wie  bei  Sittana  Mejmünah , die  in  es-Schühadä  wohl  eine 
Woche  lang  fortgesetzt  werden.  Im  Volksmunde  heisst  das  Fest 
einfach  es-Schühadä. 

Traurig  soll  die  Stimmung  der  Gläubigen  am  letzten  Mittwoch 
des  Qafar  sein ; aus  welchem  Grunde,  darüber  herrscht  viel  Mei- 
nungsverschiedenheit. Ziemlich  verbreitet  ist  aber  die  Vorstellung '), 
der  Monat  Qafar  gehe  schwanger  mit  allerlei  Unheil , und  am  letzt- 
ten  Mittwoch  finde  gleichsam  die  Entbindung  statt;  wer  diesen  Tag 
ohne  Unfall  durchlebt,  darf  hoffnungsvoll  dem  übrigen  Theile  des 
Jahres  entgegensehen.  Grund  genug  also  für  fromme  Leute,  die 
Nacht  und  den  Tag  möglichst  im  Gebete  zu  verbringen.  Es  dürfte 
aber  auch  hier  muslimische  Umdeutung  heidnischer  Bräuche  vorlie- 
gen; jedenfalls  weiss  das  Volk  praktisch  nichts  von  der  düstere  Auf- 

1)  Auch  ausserhalb  Arabiens,  vergl.  Herklots,  Customs  of  the  Mussulmans  inlndia, 

odition , S.  149  ft.,  wo  dio  schlimmen  Ahnungen  mit  der  in  diesem  Monat  begon- 
nenen tödtiichcn  Krankheit  Muhammeds  in  Verbindung  gebracht  werden. 


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57 


fassung  der  Gelehrten,  und  verbringen  vielmehr  Milnner  und  Wei- 
ber den  »letzten  Mittwoch”  mit  Spazierritten  und  Qelah'a  (Picknick’s 
und  andere  gesellige  Partien). 

Obgleich  fast  Alle,  die  sich  an  den  genannten  Festen  betheili- 
gen, Mekkaner  sind,  geht  nichtsdestoweniger  das  Leben  der  Stadt 
an  jenen  Tagen  seinen  gewöhnlichen  Lauf.  Anders  steht  es  am  gro- 
ssen Festtage  des  8t011  Monats,  am  12t*n  Rabl1 2  el-Awwal.  Der  reci- 
pierten  Tradition  nach  ist  der  Prophet  an  diesem  Tage  gestorl>en , 
und  seinen  Geburtstag  hat  man  willkürlich  auf  das  gleiche  Datum 
angesetzt.  Schon  einige  Tage  vorher  haben  mehrere  Professoren  das 
Mülid  (Geburtsfest)  dadurch  eingeleitet,  dass  sie  an  ihren  gewohn- 
ten Vorlesungsstunden  statt  der  Fortsetzung  ihrer  Kollegien  im  Kreise 
ihrer  Zuhörer  eine  Biographie  Muhammeds  vortrugen.  Am  ll,en  wird 
Nachmittags  der  Feierabend  durch  Kanonenschüsse  angekündigt.  Zum 
Qalfit  des  Sonnenuntergangs  (womit  der  12**  anfangt)  versammeln 
sich  die  Gläubigen  in  aussergewöhnlicher  Anzahl;  namentlich  kom- 
men die  Mekkanerinnen  im  Festanzuge  hin , während  sonst  drei  Viertel 
der  Weiber,  die  das  (palst  in  der  Moschee  abhalten,  den  Fremden- 
kolonien angehören.  Mehr  als  die  verschleierten  Kostbarkeiten  der 
Frauen  fallen  die  farbigen , von  Gold  und  Silber  glänzenden  Kleider 
der  Kinder  auf,  die  mit  ihren  Müttern  in  die  Moschee  kommen.  Im 
ganzen  Hof  der  Moschee,  besonders  in  der  Nähe  des  für  die  Weiber 
reservierten  Raumes,  machen  die  mit  Ketten  voll  klingender  silber- 
ner Amulete  *)  behängten  Knaben  und  Mädchen  einen  profanen  Lärm, 
der  während  des  Qalats  bei  manchen  Frommen  Aerger  hervorruft. 
Auf  ihrem  Wege  zum  Tempel  fanden  sie  die  Marktstrassen  bereits  fest- 
lich belebt;  namentlich  die  Buden  der  Zuckerbäcker  wurden  seit  dem 
Nachmittag  immer  aufs  Neue  mit  frischem  Backwerke  versehen , von 
dem  einige  Arten  speciell  zu  diesem  Feste  gehören.  Reichlich  verpro- 
viantiert betritt  denn  auch  die  mekkanische  Jugend  die  heiligen  I lallen. 

Nach  Abschluss  der  doppelten  ’)  Abendandacht  werden  die  gliiser- 

1)  Eine  solche  Kette  mit  Amuleton  findet  man  auf  Tafel  XL  N°.  11  abgebildet. 

2)  Das  Q alü  el-Magkrib  wird  allabendlich  nach  einander  von  einem  hanafitischen 
und  einem  sckAfi'itischcn  Imam  geleitet;  den  anderen  ImAmen  gestattet  der  kurz  be- 
messene Zeitraum  für  dieses  £alat  nicht,  dabei  als  solche  zu  fungieren. 

II  8 


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58 


nen  Oeliampen  der  Moschee  in  grösserer  Zahl  als  sonst  angessündet, 
und  die  Menge  verweilt  hier  noch  eine  halbe  Stunde  in  steter  Be- 
wegung, da  man  seine  Freunde  begrüssen  und  sich  die  Toiletten 
ansehen  will.  Nur  ein  kleiner  Theil  der  Versammelten  sieht,  was 
im  nordwestlichen  Theil  der  Säulenhallen,  nahe  dem  Bäb  Derebah, 
vorgeht.  Auf  ein  hölzernes  Gestell  hat  sich  dort  ein  bei  der  Moschee 
angestellter  Imam  gesetzt,  der  mit  dem  Vortragen  des  Mölid  beauf- 
tragt ist;  sein  Rücken  ist  der  Ka'bah  zugewandt,  damit  die  ihm 
gegenüber  sitzenden  und  stehenden  Zuhörer  ihr  Gesicht  auf  das  Heilig- 
thurn  richten  können.  Auf  den  Ehrenplätzen  sitzen  der  Grossscherif 
und  der  Gouverneur  ( Wtd\ ) mit  ihrem  Gefolge,  wenn  sich  nicht  die 
politischen  Verhältnisse  ihrem  friedlichen  Zusammensein  widerset- 
zen. Alle  Moscheebeamten  sitzen  umher  und  werden  mit  Kaffee 
und  Süssigkeiten  bewirthet.  Mit  Unrecht  nennt  das  Volk  die  bei 
solchen  Gelegenheiten  vorgetragenen  heiligen  Geschichten  « Chulbah’g" , 
Predigten  '),  denn  solche  werden  nur  am  Freitag,  an  den  beiden 
officiellen  Festen  und  bei  einigen  wenigen  besonderen  Ereignissen 
gehalten.  Die  Laien  beachten  aber  bloss  die  äussere  Aehnlichkeit , 
zumal  sie  von  allen  jenen  Reden  selten  etwas  hören  und  höchstens 
nur  wenig  verstehen.  Gleichfalls  bezeichnen  sie  diese  Erinnerungs- 
tage (namentlich  12  Rabl1 2  el-Awwal  und  27  Redjeb)  mit  demselben 
Namen  wie  die  officiellen  Feste : *Id. 

Sobald  der  Vortrag  zu  Ende  ist,  entsteht  in  dem  ganzen  Heilig- 
thume  grosse  Bewegung;  Alle  wollen  davon  Zeugen  sein,  wie  sich 
der  Fürst  und  die  Regierungspersonen  und  Moscheebeamten  in  feier- 
lichem , von  vielen  Fackelträgern  beleuchtetem , Aufzuge  durch  die 
Quschäschijjah — Süq  el-lel-strasse  nach  dem  Kuppelgebäude  im  Schi'b 
begeben , wo  der  Prophet  das  Lebenslicht  erblickt  hat.  In  den  Chro- 
niken der  Stadt1)  lesen  wir,  wie  schon  vor  mehr  als  drei  Jahrhun- 
derten das  Fest  von  den  Mekkanern  in  ähnlicher  Weise  begangen 


1)  Derselbe  irrthümliche  Sprachgebrauch  bezeichnet  hie  und  da  auch  die  Ausrufung 
von  gewissen  Formeln  beim  Haddj  auf  der  Ebene  'Arafat  mit  dem  Namen  einer 
Ckufbak,  und  so  kam  ßurckhardt  dazu,  als  Hauptbestandthcil  des  üaddj  eine  ^Predigt’* 
zu  betrachton,  die  wodor  theoretisch  noch  praktisch  zum  Haddj  gehört  und  noch  dazu 
keine  Predigt  ist. 

2)  CM  III:  438  ff. 


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59 


wurde,  und  dass  sich  einzelne  Rigoristen  dagegen  erklärten,  weil 
der  Aufzug  und  das  unbeaufsichtigte  Ausgehen  so  vieler  Weiber  mehr 
die  Unsittlichkeit  als  die  andächtige  Stimmung  förderte.  In  dieser 
Beziehung  hat  sich  nichts  geändert. 

Dem  Zuge  voran  geht  der  Rejjis  (das  Oberhaupt  der  Mu'eddins , 
zugleich  Astronom  der  Moschee)  und  singt  mit  lauter  Stimme  eine 
Qa^Idah  zum  Lobe  des  Gottesgesandten.  Beim  Mölid  en-Aeln  ange- 
gelangt,  treten  Alle  hinein;  dort  wird  ihnen  nochmals  ein  kurzes 
Mölid  vorgetragen , dem  ein  gemeinschaftliches  Gebet  folgt.  Alles  geht 
ziemlich  schnell,  denn  etwa  zwei  Stunden  nach  Sonnenuntergang  müssen 
sich  die  hier  Versammelten  zum  c lachä-$alät  wieder  in  der  Moschee 
einfinden.  Während  der  Nacht  giebt  es  allenthalben  Qelah’s  von  Män- 
nern und  Weibern  (je  unter  sich)  und  die  Kaffeehäuser  erfreuen 
sich  recht  lebhaften  Besuchs;  Gelehrte  aber  und  Fromme  erbauen 
sich  im  Freundeskreise  an  dem  Recitieren  der  Burda/i , der  Hamzij- 
jah  und  anderer  Loblieder,  und  die  mystischen  Brüder  heulen  ihre 
hypnotisierenden  Dikrs  zum  Preise  des  Auserwählten. 

In  diesem  und  in  den  beiden  folgenden  Monaten  (Rabl*  el-Achir ') 
und  Djumäda  ’l-Awwal)  ist  das  Familienleben  in  Mekka  äusserst 
rege.  Gerade  dies  Vierteljahr,  das  aus  religiösen  Gründen  für  die 
Eheschliessung  empfohlen  wird,  eignet  sich  in  Mekka  dazu  wie  kein 
anderes,  weil  die  zeitraubenden  Geschäfte  ruhen.  Mit  nicht  weniger 
Eifer  als  die  Ausbeutung  der  Pilger  im  letzten  Theile  des  Jahres 
wird  von  den  Nachbarn  Allahs  die  Vorbereitung  zu  den  weitläufi- 
gen Hochzeitsfesten  betrieben.  Es  ist,  als  lüge  den  Wohlhabenden 
daran,  das  erworbene  Gold  wieder  los  zu  werden;  die  Bedürftigen 
verdienen  noch  etwas  dabei,  und  Beide  freuen  sich  in  gleichem  Maasse. 
Im  nächsten  Abschnitt  werden  wir  auf  die  Beschreibung  dieser  Dinge 
eingehen. 

Dem  sechsten  Monat  (Djumäda  ’l-Achir)  sehen  die  Töchter  der 
Mekkaner , und  mehr  noch  die  Gattinnen , freudig  harrend  entgegen. 
Nicht  ohne  Besorgniss  dagegen  erinnern  sich  die  Männer,  dass  am 
15‘«  der  heilige  Scheck  Mahmud,  der  Sohn  des  in  der  ostindischen 

1)  Vorzüglich  in  diesem  Monat  werden  in  Mekka  die  Hochzeitsfeste  (vergL  Kapitel 
II)  gefeiert. 


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populär-religiösen  Litteratur  so  gefeierteu  Heiligen  Ibrahim  el-Edhem 
sein  IJaul  bat.  Sein  Grab  oder  wenigstens  das  ihm  gewidmete  Kup- 
pelgebnude  ')  liegt  gerade  dort , wo  die  vom  oberen  und  vom  unteren 
Stadttheil  aus  nach  Djiddah  Reisenden  sich  begegnen  J).  Bis  dahin 
begleiten  die  Mekkaner  ihre  abreisenden  Freunde;  wer  daran  vor- 
beikommt , hält  ein  Augenblick  und  recitiert  wenigstens  dem  Schech 
zu  Ehren  eine  Fät'hah.  Dies  thut  man  allerdings  auch  bei  vielen 
anderen  Erinnerungsstätten , sowohl  in  der  Stadt  als  auf  dem  grossen 
Friedhof  el-Maclä,  aber  nur  bei  allgemein  gefeierten  Heiligen  wird 
die  Sitte  so  regelmässig  wie  bei  Mahmud  beobachtet.  Zwischen  dem 
»Schech  Mahmüd”  und  dem  von  Mecharridjln ')  bewohnten  Stadt- 
viertel Djirwal ')  liegen  hie  und  da  kleine  Häuser  und  Beduinen- 
hütten , weshalb  denn  auch  das  Grabmal  noch  gewissermaassen  als 
zur  Stadt  gehörig  betrachtet  wird;  auch  geht  man  vom  Centrum 
der  Stadt  in  nicht  viel  mehr  als  '/s  Stunde  dorthin. 

Wie  nun  die  Miinncr  die  Sittana  Mejmünah  und  es-Schühadä 
gleichsam  monopolisiert  haben,  so  hat  das  allbehcrrschende  »Her- 
kommen” verfügt,  dass  der  Patron  der  westlichen  Stadtgrenze  fast 
ausschliesslich  den  Weibern  gehört.  Es  gehen  zwar  fromme  Männer 
am  Abend  des  (d.  h.  vor  dem)  Haul  zum  Mahmüd , hören  dort  dem 
Vortrage  seiner  Manäqib  zu  und  tragen  dem  Heiligen  ihre  Anlie- 
gen vor;  am  Tage  aber  bereiten  sich  die  Weiber  zur  Zijärah  und 
belegen  dann  das  Gebiet  des  Schech’s  auf  etwa  3 Tage  mit  Beschlag. 

Ohne  Erlaubniss  ihrer  Gatten  können  diese  Damen  sich  solchem 
Vergnügen  nicht  hingeben;  allein  der  Mann  weiss  wohl,  wie  schwer 
ihm  das  Leben  auf  lange  Zeit  gemacht  wird,  falls  er  in  dieser 
Hinsicht  dem  Wunsche  seiner  Gefährtinn  widerstrebt  und  sie  dadurch 
zum  Gegenstand  des  Spottes  oder  des  Mitleids  anderer  Weiber  macht. 
Auch  weiss  sie  ihm  klarzumachen , dass  ihre  Toilette  vor  dem  Feste 
einiger  Verbesserung  bedarf,  und  dass  ihre  eigenen  Fonds  nicht  ge- 
nügen, die  Auslagen  für  die  dreitägige  Qelah  (denn  eine  höhere 

1)  Die  mohammedanischen  Gelehrten  wissen  wohl,  dass  nicht  alle  derartigen  Gebäude 
eigentliche  Gräber  sind,  und  sie  betrachten  es  zwar  nie  einen  Vorzug,  nicht  aber  als 
eine  Bedingung  bei  der  Anrufung  von  Heiligen,  dass  sich  ihre  Leichen  in  der  Nahe 
befinden.  2)  Vergl.  Grundriss  von  Mekka,  N°.  39. 

3)  Vergl.  oben,  S.  4 — 5.  4)  Vergl.  Grundriss  von  Mekka,  N°.  1. 


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Bedeutung  hat  diese  Zijärah  nicht)  zu  bestreiten.  So  geben  die 
Adamssöhne  nach,  und  betrachten  es  die  Mekkanerinnen  als  ihr 
herkömmlisches  Recht,  sich  dem  Mahmud  zu  Ehren  einige  Zeit  in 
ihrer  Fa<;on  zu  amüsieren. 

Während  dieser  Weibermesse  behelfen  sich  die  Beduinen  in  der 
Nähe  des  Djirwal  ganz  ebenso  wie  die  Mekkaner  zur  Zeit  des  Haddj ; 
sie  richten  es  so  ein,  dass  einige  von  ihren  n'Usschali  s"  gegen  eine 
Miethe  oder  einige  kleine  Geschenke  den  Damen  zur  Verfügung 
stehen.  Wohlhabende  Mekkaner  haben  meistens  im  Djirwal  unter 
den  Mecharridjtn  ihre  Geschäftsfreunde;  ihre  Frauen  werden  daher 
von  den  Weibern  jener  Halbbeduinen  eingeladen,  mit  ihren  Freun- 
dinnen die  Feiertage  in  ihrem  Hause  zu  verbringen.  Wohl  ein  paar 
Dutzend  werden  in  einem  von  diesen  Häusern  untergebracht.  Am 
ersten  Tage  macht  die  Hausfrau  Dhijnfeh,  d.  h.  sie  bietet  allen 
bekannten  und  unbekannten  Gästen  eine  Mahlzeit  an , wogegen  diese 
sie  mit  TumbSk  für  die  Wasserpfeifen,  Kaffee  usw.  beschenken. 
An  den  anderen  Tagen  wird  sie  mit  den  Ihrigen  von  ihren  Gästen 
bewirthet , die  ausser  Betten , Teppichen  usw.  Ess-  und  Rauchgeschirr 
und  ausgesuchte,  vorher  zu  Hause  zubereitete,  Speisen  mitgebracht 
haben.  Was  noch  fehlt,  kann  bei  der  geringen  Entfernung  leicht 
von  den  mitgenommenen  Dienern  aus  der  Stadt  herbeigeschafft  wer- 
den. Alle  bringen  zu  den  Mahlzeiten  ans  Licht,  was  ihre  Kessel 
und  Töpfe  enthalten  und  gemessen  es,  wie  beim  Picknick,  zusammen. 

Im  Uebrigen  ergötzen  sich  die  Damen  während  dieser  Ferien  am 
Gesang  berufsmässiger  Sängerinnen,  vielfach  Sklavinnen,  die  von 
ihrer  Herrinn  in  dem  Fache  ausgebildet  sind.  Sie  begleiten  den  Sang 
mit  einer  Tablah  (Trommel)  aus  eben  solchem  Thon  wie  der  der 
mekkanischen  Wassergefässe  und  mit  Tär's  (Tamburinen)1).  Der 
Inhalt  der  Gedichte  ist  fast  immer  erotisch , aber  durch  mangelhafte 
Ueberlieferung  werden  sie  manchmal  dermaassen  verunstaltet,  dass 
man  sich  vergeblich  bemüht,  sie  anders  als  durch  freie  Gedanken- 
ergänzung zu  verstehen.  Etwas  näher  werden  wir  dies  bei  Bespre- 


1)  Diene  TaY,  sind  genau  ao  wie  das  hei  Lane,  Männern  and  Cuatoma,  5*k  ed.,  II : 73 
abgebildetc;  die  Tablah  entspricht  dem  ebenda  vorkonmienden  f/Darnbnkkch”,  nur  ist  hier, 
wie  gesagt,  die  Wand  aus  verziertem  Thon  angefertigt. 


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chung  der  Hochzeitsfeste  behandeln.  Ungemein  erheitert  es  die  Damen, 
wenn  die  Sängerinnen  dann  und  wann  die  konventionellen  Liebes- 
ergiisse  durch  Produkte  der  allerdings  nicht  hochfliegenden  Volks- 
poesie ersetzen. 

ln  diesen  natürlichen  Erzeugnissen  wird  der  Reim  nicht  gerade 
ehrfurchtsvoll  behandelt,  während  man  das  Metrum  oftmals  gänz- 
lich bei  Seite  schiebt  und  die  bequemere  gereimte  Prosa  hantiert. 
Wer  nicht  die  Entstehungsgeschichte  solcher  Liedchen  kennt,  wird 
nicht  klug  daraus,  und  auch  mit  solcher  Kenntniss  findet  man 
darin  zwar  komische  Anspielungen  auf  Ereignisse  der  letzten  Zeit, 
Lachen  erregende  Kombinationen,  aber  selten  einen  unzweideutigen 
Sinn.  Dadurch  wird  es  jedem  weiteren  Ueberliefercr  leicht,  etwas 
hinzuzuthun  oder  umzuändem,  damit  das  Lied  bei  seinen  Zuhörern 
wieder  neue  komische  Gedanken  veranlasse.  Einige  Liedchen  sollen 
bloss  trällernd  einer  gewissen  Stimmung  des  Menschen  Ausdruck  geben. 

Als  der  Wäll  1885  Djiddah  besuchte,  machte  man  auf  ihn  und 
seine  Umgebung  Liedchen  wie  das  folgende  ■):  »ich  liebe  beläun- 
»tah  *),  ach,  gieb  mir  belamltah!  der  Wäll  hat  Qelltah  *) ; jagt  ihn 
»hinaus!”  Auf  dieselbe  Melodie  singt  die  Frau,  die  nächstens  eine 
Hochzeit  mitfeiern  soll4):  »die  Henna5)  ist  im  Schrank,  die  Henna  ist 
»im  Schrank,  der  Bräutigam  steht  schon  an  der  Thür,  trillre  •),  o meine 
»Mutter !” ; und  wird  mit  folgenden  Worten  der  Stimmung  eine  ge- 
wisse Richtung  gegeben  ’) : »Ich  liebe  die  Ndmimjjeh  (die  das  ganze 
»Bett  umgebende , aus  tüllartigem  Stoff  gemachte  Gardine  zur  Abwehr 
»der  Moskiten),  zu  liegen  in  der  Ndmutijjeh , wir  küssen  dich , o Mü- 
»sijjeh,  jede  Nacht  einmal!” 


X)  ahubb  el-belamUah , addini  btlamtiah , el-bdtchah  luh  qftUah , naddirdh  barrtvubt!  Die 
Melodien  wage  ich  nicht  beizugeben , da  ich  sie  nur  mangelhaft  im  Gedäehtniss  habe. 

3)  Was  dieses  Wort  heissen  soll,  wusste  mir  kein  Mensch  zu  erklären. 

3)  Eine  Krankheit  der  Testikel. 

4)  U-hiauA fi  ’d-döldb  (bis),  wkl-aru  ala  l-bäb , ghatrifi  ja  ummim! 

5)  Nämlich  zum  Färben  der  Hände  und  Fiisse  der  Braut. 

6)  D.  h.  mache  die  cigenthümlichen  Laute,  die  in  Egypten  Zagharit  heissen  und  von 
den  Weibern  bei  festlicher  Freude  ausgestossen  werden ; thoilweisc  tritt  das  Trillern  an 
die  Stelle  unseres  beifälligen  Händeklatschens. 

7)  ahubb  en-uämunjjtb . amim  fi  ' u-udxtiuijjeh , nebtüak  ja  Mihijjth.fi  ’l-lrleh  wtarrtidddh  ! 
Der  Kuss  heisst  in  Mekka  gewöhnlich  tulmak-,  »Küss  mir  die  Hand”  = taUim  fi  tdt. 


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Im  August  1885  wurden  die  DjiddäwI’s  und  später  auch  die 
Mekkäwi’s  von  einem  eigentümlichen  Fieber  heimgesucht,  das  ge- 
wöhnlich ohne  Gefahr  verlief,  aber  mit  heftigen  Schmerzen  im  Rücken, 
in  den  Armen  und  bisweilen  in  den  Beinen  gepaart  ging  ')•  Natür- 
lich wurden  dem  Feinde,  der  die  unschuldigen  Städter  alle  nach 
einander  auf  einige  Tage  zu  Boden  warf,  einige  Liedchen  gewidmet. 
Man  taufte  ihn  bald  Muhammed  von  Baghdad , bald  Muhammed  den 
Ghandür;  Ghandür  ist  ein  Mann,  der  viel  Mühe  auf  die  Verschöne- 
rung seines  Aeusseren  verwendet,  dem  die  schönsten  Kleider  nicht  schön 
genug  sind,  »a  swell”,  ein  Geck.  Und  die  Leute  sangen *) : »Muham- 
»med  der  Baghadenser,  ergreift  (uns  bei)  Rücken  und  Armen”,  oder  *) : 
«Muhammed  der  Ghandür  bringt  weder  Feindschaft  noch  Schaden”. 
In  anderen  Liedchen  gedachte  man  zu  gleicher  Zeit  dieses  ungela- 
denen Gastes  und  der  maghribinisehen  Pilger,  die  gerade  damals 
in  grosser  Zahl  nach  der  heiligen  Stadt  kamen ') : 

»Muhammed  der  Ghandür  ist  in  einer  gläsernen  Schachtel  aus  Stam- 
»bul  gekommen ; er  kam  längst  (dem  Djiddah’schen  Viertel)  der  Nürij- 
»jah,  ihm  entgegen  schritt  eine  Berberinn,  und  holte  ihn  mit  einem 
»Qadiritischen  Aufzug  (d.  h.  nach  der  Weise  der  Qädiritischen  Derwi- 
»sche)  ein.  Dies  Jahr  ist  das  Jahr  der  Maghribinerwallfahrt,  einer  (Gott) 
«angenehmen  und  erfolgreichen  Wallfahrt.  Nicht  soll  der , zu  dem  er 
»(ich)  noch  nicht  kam,  denken,  ich  habe  ihn  vergessen ! Ich  sitze  auf 
»dem  Zir s) , bis  ich  Zeit  habe , zu  ihm  zu  kommen.  Wem  ich  nicht  ge- 
»falle,  der  schicke  zu  meiner  Schwester  Wohlgerathen ; die  wird  solchen 
»das  Leinwand  reissen  (d.  h.  die  einzelnen  Tücher  des  Leichengewandes 
»herstellen),  das  Llf  (Baumfasern , die  man  als  Schwamm  benutzt) 
»aufmachen  und  die  Seife  (zur  Leichenwaschung)  bringen”. 


1)  Vergl.  über  derartige  kleine  Epidemien  in  Djiddah  meinen  Vortrag  in  den  /rVer- 
handl.  der  Ges.  f.  Erdk.  zu  Berlin,”  Bd.  XIV,  S.  141.  Nach  Mokka  scheint  die  Anste- 
ckung durch  den  gorado  zu  dieser  Zeit  lebhaften  Pilgerverkehr  herübergebracht  zu  sein. 

2)  Muhammad  el- Bagkdddi , jimsik  ed-dhahr  wel-ajddt. 

3)  Muhammad  el-gkaud/ir , la  je' tidi  meid  jedhurr. 

4)  Muhammad  el-ghandur , djd  min  Istambul  fi  ’ulbei  binnor . dji  min  Zn-NUrijjeh , qdbTrtuh 
Berberijjek , zeffetuh  zeffeh  Qddirijjeh ; heidi  's-srneh  xenet  haddj  'el-magkdr' beh , haddj  ridkd 
teehanijjeh ; Uli  ma  djd  luh  Ui  j'hdnb  ne  ul  uh . we-ana  qd’id  foq  ez-sir , hatta  afdha  wddji 
luh  ; Uli  md  jirdha  bije , jinil  U-uchtd  hanijjeh , teschuqq  Uh  um  el-befteh , Ufalek  ik  Ukum  eU 
tifek , wat'djib  Uh  um  etj-qäbun. 

6)  Das  oben  S.  40 — 41  erwähnte,  in  jedem  BH  cl-nd  befindliche  Wasaerfass. 


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Eine  andere  »Redaktion”  zeigt  uns,  wie  frei  man  mit  dieser  Gas- 
senpoesie verfahrt  ‘): 

»Muhammed  der  Ghandür  kam  zuerst  am  Porzellanwaarenmarkt 
»vorbei;  man  jagte  ihn  aber  nach  der  Nürijjeh,  er  begegnete  einer 
»Berberinn,  und  sagte  ihr:  rufe  mir  eine  Frau  aus  Marokko , damit 
»sie  mir  einen  QSdiritischen  Aufzug  bereite;  sie  sprach:  geh  nach 
»Syrien , zu  den  Leuten  mit  muthigen  Herzen  *).  Wem  Muhammed 
»el-Ghandür  nicht  gefallt,  der  gehe  zu  seiner  Schwester  Nur,  die 
»die  Leinwand  schneidet  und  die  Gräber  gräbt”. 

Sängerinnen  wie  die,  in  deren  Gesellschaft  wir  die  mekkanischen 
Damen  beim  Schech  Mahmud  verliessen,  machen  solche  Liedchen 
und  verbreiten  sie , denn  die  Weiber  hören  dieselben  von  ihnen , und 
so  kommen  sie  durch  die  Kinder  auf  die  Strasse.  Während  dieser 
musikalischen  Unterhaltungen  geniessen  die  Weiber  Speisen  und  Nä- 
schereien aller  Art , trinken  grünen  und  schwarzen  Thee  J) , rauchen 
Wasserpfeifen  und  ergehen  sich  im  Klatsch  über  abwesende  Bekannte. 
Sowie  unter  den  Männern  manche  dem  nach  Loth  benannten  Laster 
fröhnen , sind  viele  schlecht  erzogene  oder  von  ihren  Gatten  vernach- 
lässigte Ehefrauen  der  lesbischen  Liebe  ergeben,  und  diese  nehmen 
ihre  Karimah's  (so  bezeichnen  sie  die  Gegenstände  ihrer  Lust)  zu 
allen  geselligen  Partien  mit:  es  sind  meistens  junge  Mädchen  aus 
der  Stadt,  seltener  Sklavinnen.  Ausserdem  sagen  böse  Zungen,  es 
gebe  Weiber,  die  den  von  ihren  Männern  gewährten  Urlaub  zu  heim- 
lichen Rendez-vous  mit  fremden  Liebhabern  missbrauchten. 

Während  dieser  Weiberferien  haben  auch  die  Männer  wieder  ein 
kleines  Haul,  das  Fest  des  Heiligen  el-Mahdali,  welches  am  17t',° 
Djumäda  ’l-Achir  ein  wenig  vor  dem  Eingang  des  Muna-thales  be- 
gangen wird.  Ueber  den  Ursprung  dieser  Feier  erzählt  die  mekka- 
nische  Legende  Folgendes: 

Vor  vielen  Jahren  waren  am  1 3l 2 3'n  Du’l-hiddjah , wie  gewöhnlich , 

1)  Muhammad  el-ghandnr  afadda  ’ala  't-tuqatijjch  , dafaoh  ’ala  ’n-niirijjeh,  ilidqa 
btrberijjeh,  qdl  leKd  ishami  U merdk' sckijjeh , tetujfani  bi  ' l-qddirijjeh , qdtet  ruh  fi  's-sch  im 
ahl  el-qulub  el-qatoijj«h , tcilli  ma  jirdha  bim' ha  mm  ad  el-ghaudur , jertih  U-uchtuh  nur,  tiqta 
eUHefleh,  toatkafßr  el-qubnr. 

2)  Die  Syrer  gelten  in  Mekka  als  feige. 

3)  Ucbor  das  Thcctrinkon  in  Mekka  vcrgl.  Mckk.  Sprichw.,  S.  33  ff. 


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die  Pilger  seit  8 Tagen  im  Muna-thale  versammelt  und  eben  im 
Begriff,  den  Rückweg  nach  Mekka  anzutreten.  Als  sich  nun  der  Zug 
in  Bewegung  setzte,  gelang  es  keinem  Menschen  und  keinem  Thiere, 
in  westlicher  Richtung  weiter  vorzurücken  als  bis  zu  einem  gewi- 
ssen Punkte,  wenig  unterhalb  Muna.  Nach  mehreren  vergeblichen 
Versuchen  liess  der  Grossscherif  die  nächste  Umgegend  durchforschen, 
und  so  fand  man  abseits  vom  Wege,  gegenüber  dem  verzauberten 
Punkte,  eine  unbeerdigte  Leiche:  es  war  der  Leichnam  des  Mah- 
dall.  Nachdem  derselbe  gewaschen,  das  Todes^alät  darüber  abge- 
halten und  er  dann  begraben  war,  konnte  man  ungestört  weiter 
ziehen.  Auf  hohen  Befehl  wurde  über  dem  Grabe  eine  Kuppel  ge- 
baut, und  eine  fromme  Stiftung  gab  später  Gelegenheit  zu  einer 
reichlichen  Speisevertheilung  am  Feste  des  Heiligen , die  zunächst  den- 
jenigen zu  Gute  kommt , welche  ihm  zu  Ehren  Dikr's  abhalten , und 
dafür  ist  in  der  Nähe  der  Kuppel  eine  Küche  errichtet.  Warum  das 
Pest  in  den  Monat  Djmnäda  ’l-Achir  verlegt  wurde , darüber  schweigt 
die  Legende,  und  die  Mekkaner  kümmern  sich  nicht  um  derlei 
Schwierigkeiten. 

Auch  zu  diesem  Feste  bildet  man  Baschkali' 8 wie  zur  Mejmünah , 
denn  viele  Mekkaner  lagern  2 — 3 Tage  in  der  Nähe  des  geweihten 
Thaies  in  Zelten.  Die  lebhafte  Theilnahme,  deren  sich  das  Fest 
oftmals  in  den  Kreisen  der  »Söhne  der  Stadtviertel”  erfreute,  war 
in  ihrem  Wunsche  begründet,  an  dem  etwas  entlegenen  Orte,  un- 
behelligt von  Soldaten  und  Polizei , ihre  Quartierfehden  wieder  ein- 
mal auf  einige  Zeit  auszukämpfen.  Ausser  beim  Afanschaqq  el-qamar  *) 
in  der  Stadt  blühen  die  Hvschah's  nirgends  schöner  als  bei  dem 
»Grabe  des  Fremden”  ( Qabr  el-gltarib),  der  Ruhestätte  des  Mahdall. 
Während  meines  Aufenthalts  in  Mekka  war  jedoch  eine  schlechte 
Zeit  für  die  Liebhaber  dieser  blutigen  Spiele , denn  die  Polizei 
schritt  sehr  energisch  dagegen  ein. 

Sittanä  Mejmünah  und  es-Schühadä , Schech  Mahmud  und  el- 
Mahdali,  das  sind  die  eigenen  Feste  der  Mekkaner;  die  Zahl  der 
Häuf s ist  damit  zwar  bei  Weitem  nicht  erschöpft,  aber  die  übrigen 


1)  VergL  oben  8.  9 

II  9 


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06 


finden  nur  je  in  ihrem  Kreise  Interesse  und  gehören  nicht  zum  öf- 
fentlichen Leben  der  Stadt.  Am  Feste  des  Wdli  Djauhar  (eines 
Heiligen  indischer  Herkunft)  steigen  einige  Gesellschaften  von  Män- 
nern zu  seinem  Grube  in  der  Nähe  der  Festung  des  Djebel  Hindi 
hinauf  und  halten  dort  von  der  'Ischa-zeit  bis  gegen  Mitternacht 
Quränrecitationen  und  Mölid’s  ab , geniessen  dazu  auch  wohl  Kaffee 
und  Süssigkeiten.  Auch  beim  Grabe  des  heiligen  Verrückten  (el- 
Mahdjüb)  im  Viertel  Bäb  el-cUmrah  finden  ähnliche  Zusammenkünfte 
statt.  Bei  vielen  anderen  Gräbern , auch  solchen , die  in  früheren 
Jahrhunderten  als  Versammlungsorte  der  mekkanischen  schönen  Welt 
dienten,  beschränkt  sich  heutzutage  die  Verehrung  der  Gläubigen 
auf  die  gelegentliche  Widmung  von  Kerzen  und  Lampen.  Von  man- 
chem zerfallenen  Monumente,  an  dem  der  neugierige  Wanderer  vor- 
übergeht, vermuthen  die  einheimischen  Gelehrten  bloss  noch , welcher 
Schutzpatron  dort  vergessen  ruhen  mag;  da  machen  sie  sich  so  zu 
sagen  ein  Verdienst  daraus,  dass  sie  wenigstens  nicht  dem  Zeitgeiste 
huldigen , sondern  dem  Heiligen  trotz  der  bescheidenen  Stellung , zu 
der  er  herabgesunken  ist,  ihre  TnFhah  nicht  vorenthalten. 

Zwei  »Jahresfeste”,  die  jeden  Monat  gefeiert  werden , machen  je- 
doch eine  Ausnahme;  am  11"“  jedes  Monats  giebt  die  geliebte  Frau 
des  Propheten,  Sitlanä  Chadidjah,  in  ihrer  Kuppel  auf  dem  Ma'lä 
allgemeine  Audienz,  und  am  12"“  folgt  Muhammeds  Mutter,  Sit- 
lanä Aminah , ihrem  Beispiel.  Beide  Grabstätten  sind  erst  in  spä- 
terer Zeit  festgesetzt  worden,  und  auch  die  Verehrung  der  heiligen 
Frauen  scheint  nicht  viel  mehr  als  drei  Jahrhunderte  alt  zu  sein; 
vorzüglich  Chadidjah  hat  aber  das  Versäumte  längst  nachgeholt, 
denn , wie  wir  dies  bereits  an  einem  andern  Orte  hervorhoben  ') , 
ist  sie  die  Zuflucht  der  Mekkaner  in  allen  Nöthen.  Wenige  Tage 
gehen  vorbei,  ohnedass  einige  Männer  und  Frauen  ihr  für  eine 
Heilung  oder  sonst  die  Erfüllung  eines  Wunsches  etwas  gelobt 
haben,  ohnedass  andere  einem  fällig  gewordenen  Gelübde  gemäss 
mit  ihren  Kerzen  oder  ihrem  Weihrauch  zum  Palaste  der  Todten- 
stadt  gehen.  Diesem  gegenüber  liegt  das  Gebäude  der  Aminah,  die 
nur  durch  die  Beleuchtung  der  Sonne  Chadidjah ’s  glänzt. 

1)  Mekk.  Sprichw.,  S.  62  f.,  wo  auch  die  Grabkuppcl  der  Chadidjah  beschrieben  wurde. 


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Jede  Woche  hat  einen  Allerseelentag ; auf  den  Ma'lä  begeben  sich 
dann  nicht  nur  Solche,  die  dort  theure  Verwandten  beerdigt  haben, 
sondern  Alle,  die  für  verstorbene  Angehörige  beten  wollen.  Früher 
dienten  diese  Versammlungen  regelmässig  zur  Anknüpfung  unerlaub- 
ter Beziehungen  zwischen  beiden  Geschlechtern,  und  die  Behörden 
haben  daher  angeordnet , dass  die  Weiber , mit  Ausschluss  der  Män- 
ner , am  Donnerstagnachmittag  bis  gegen  Sonnenuntergang  hier  freien 
Zutritt  haben;  dann  werden  sie  nach  und  nach  von  der  Polizei  hin- 
ausgewiesen und  fängt  die  Zijärah  der  Männer  an.  Theilweise  wissen 
jedoch  die  übermüthigen  jungen  Leute  auch  so  ihren  Zweck  zu  er- 
reichen: auf  dem  Wege  zum  Mala,  nahe  dem  Friedhof,  sind  ein 
paar  grosse,  an  luftigen  Orten  gebaute  Kaffeehäuser,  wo  die  Vereh- 
rer des  schönen  Geschlechts  sich  hinsetzen,  Kaffee  trinken  und  rau- 
chen , während  die  Damen  auf  und  ab  gehen.  Berühmte  Schönheiten 
werden  erkannt,  der  Wind  bewegt  die  Schleier,  wie  er  will,  und 
eine  ziemlich  ausgebildete  Geberdensprache  erleichtert  den  Verkehr 
aus  der  Ferne 

Zum  Weinen  gehen  Muhammedaner  nicht  auf  den  Friedhof;  vieljäh- 
rige Trauer  ist  im  Islam  weder  theoretisch  noch  praktisch  beliebt.  Man 
will  vielmehr  die  Todten  mit  dem , was  sie  brauchen  , versorgen ; ausser 
reinen  Gräbern,  mit  einigen  Blumen  zu  ihrem  Gedächtniss  geschmückt, 
brauchen  sie  fromme  Werke,  um  einmal  vor  Gott  erscheinen  zu  können. 
Solche  Werke  kann  man  ihnen  gleichsam  nachschicken,  und  die  üblich- 
sten derartigen  Geschenke  sind  Speisevertheilungen  an  Arme , die  man 
bei  ihrem  Grabe  vornimmt,  und  Recitationen  von  einigen  Abthei- 
lungen ( Djuz ’)  des  Quräns.  Beiderlei  fromme  Handlungen  werden 
von  Allah  reichlich  belohnt,  und  um  diesen  Lohn  bittet  man  ihn 
nun , die  Rechnung  der  verstorbenen  Verwandten  oder  Freunde  zu 
entlasten.  Auf  dem  Malä  findet  man  deswegen  immer  Quränrecita- 
toren , die  für  eine  kleine  diesseitige  Bezahlung  den  jenseitigen  Lohn 
ihrer  religiösen  Uebung  dem  ihnen  genannten  Hingeschiedenen  schen- 
ken ') ; auch  Brotverkäufer  sind  da , und  Bettler , die  einem  die  Wohl- 


1)  Man  bestellt  sich  für  seinem  Todten  entweder  ein  Chatmali  (Vortrag  des  ganzen 
Ciuräns)  oder  einige  Abtheilungen , oder  aber  wenigstens  die  3G»>'  Sürah  (Jti  tim). 


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thätigkeit  ermöglichen.  Wer  aber  nuch  einem  oder  mehreren  Hei- 
ligen seine  Bitten  anvertmuen  oder  seine  Zuneigung  erweisen  möchte, 
findet  mehrere  Füqahä  bereit,  ihn  zu  begleiten,  und  als  Vorbeter 
zu  dienen.  Wenn  bei  dienen  Gräbern  gute  Werke  »verschenkt” 
werden , so  geschieht  es  in  der  eigennützigen  Absicht , sich  den  betref- 
fenden Wall  zum  Freunde  und  somit  zum  Vermittler  zu  gewinnen,  denn 
für  sich  haben  diese  Gottesfreunde  schon  so  das  Paradies  verdient. 

Mehr  Aufmerksamkeit  als  den  erwähnten  Sachen  spenden  die 
Damen  den  Hausierern,  die  ihnen  allerlei  Süssigkeiten  und  Obst 
anbieten,  und  ferner  ihren  Freundinnen;  denn  im  Grunde  sind  sie 
doch  nur  dazu  hergekommen,  beim  Genuss  von  Näschereien  ein- 
ander die  Herzen  auszuschütten  über  Leid  und  Freude  der  vergan- 
genen Woche.  Wenn  sich  die  Sonne  neigt,  schreiten  sie  langsam 
und  gleichsam  wider  Willen  auf  den  Eingang  zu  und  kehren  heim. 

Einige  Männer  machen  bald  darauf  von  ihrem  Rechte  Gebrauch  *), 
gleich  in  die  Todtenstadt  einzutreten;  es  sind  namentlich  solche, 
die  gerade  heute  das  Haut  eines  theuren  Verstorbenen  feiern,  denn 
die  fromme  Sitte  will,  dass  man  an  dem  Todestage  seiner  Ver- 
wandten ihnen  ausserordentliche  Geschenke  bringt.  Zu  dem  Zwecke 
werden  Freunde  eingeladen,  und  die  Nacht  wird  mit  frommen  Uebun- 
gen  »lebendig  gemacht”.  Andere  statten  ihren  wöchentlichen  Besuch 
frühmorgens  ab , nachdem  sie  in  der  Moschee  das  Qalät  der  Mor- 
gendämmerung mitgemacht  haben ; wer  aber  daran  verhindert  wor- 
den ist,  kommt  im  Laufe  des  Nachmittags,  der  sonst  dem  Besuche 
von  Freunden  gewidmet  ist.  Allen  Mekkanern  ist  der  Ma'lä  die 
Freitagspromenade;  trübe  Gedanken  bringen  sie  nicht  mit,  freuen  sich 
vielmehr  darob , dass  die  Chadüljah  sich  noch  wohl  befindet , und  ge- 
denken der  lokalen  Ueberlieferung , derzufolge  am  Auferstehungstage 
70000  gekrönte  Häupter  aus  diesen  Gräbern  emporsteigen  sollen! 

Am  ll,en  jedes  Monats  gehen  aber  grosse  Männergesellschaften 
bei  Mondbeleuchtung  zur  Ghadldjah  und  nehmen  Kessel  mit  Reis, 
Fleisch  und  andern  Speisen  mit.  Theils  innerhalb  des  Grabgebäudes , 
theils  vor  der  Thür  setzen  sich  die  Versammelten  nieder,  um  dem 


1)  Vergl.  die  vorige  Seite. 


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69 


Mölid  zuzuhören,  welches  ihnen  der  Sejjid  vorträgt,  in  dessen  Fa- 
milie die  Bewachung  des  Grabes  erblich  ist.  Man  giebt  dem  Sejjid 
ein  Geldgeschenk,  nachdem  er  seinen  Vortrag  mit  einem  Gebet  be- 
schlossen , dessen  zahlreiche  Amin' 8 Alle  laut  mitsagen ; darauf  geniesst 
man  die  Mahlzeit. 

Bis  gegen  Mitternacht  kommen  fortwährend  neue  Gesellschaften, 
und  später  noch  sitzen  Einzelne  auf  kleinen  Teppichen  um  das 
hölzene  Grabgestell  herum  in  der  Kuppel  und  klammern  sich  jeden 
Augenblick  betend  an  die  schweren  Teppiche,  die  jenes  bedecken 
und  die  man  nur  mühsam  durch  das  eiserne  Gitterwerk  hindurch 
mit  den  Händen  berühren  kann. 

Für  die  Weltkinder  ist  auch  wieder  gesorgt:  Speisen  und  Getränke 
sind  allenthalben  zu  haben;  nahe  dem  Eingang  des  Friedhofs  zeigt 
bei  solchen  Gelegenheiten  ein  Gaukler  seine  Künste.  Anständige 
Mekkaner  verbieten  ihren  Söhnen , dem  Spiele  zuzuschauen , weil 
dabei  Liebhaber  von  Knaben  auf  den  günstigen  Augenblick  für  ihre 
Unternehmungen  lauem! 

Das  Fest  der  Aminah  am  12*“  ist  lediglich  eine  blasse  Nachah- 
mung des  Haul  ihrer  höher  verehrten  Nachbarinn. 

Wir  haben  den  Mekkaner  im  muslimischen  Kalender  jetzt  bis 
zum  7,cn  Monat  begleitet;  dieser  war  schon  in  vorislamischer  Zeit 
heilig  und  hat  bis  zum  heutigen  Tag  für  Mekka  seine  Wichtigkeit 
behalten.  Zunächst  verdienen  im  Redjhb  zwei  Tage  unsere  Aufmerk- 
samkeit. 

Am  12*'®  weiss  die  ganze  Stadt,  dass  in  einem  am  Abhange  des 
Abu  Qubes  errichteten  Gebäude  eine  feierliche  Versammlung  statt- 
findet, die  vor  einigen  Jahrzehnten  noch  ebenso  unbekannt  war  wie 
die  Zäicijah  selbst.  Es  sind  die  Adepten  der  Senütijjak , dieser  in 
wenigen  Jahren  in  Afrika  und  Arabien  zur  höchsten  politischen  und 
religiösen  Bedeutung  gelangten  Bruderschaft  , die  den  Todestag  des 
Gründers  ihres  Ordens  feiern.  In  den  Städten  Westarabiens  ist  diese 
Tariqah  ')  bis  jetzt  noch  eine  zwar  hochverehrte,  aber  ihre  Schwe- 


1)  Mit  diesem  Worte  (eigentlich  >/W cg”)  bezeichnet  rnnn  die  mystischen  Orden,  die 
gerado  heutzutage  die  höchst«  Bedeutung  für  das  Leben  des  Islam’»  gowonneu  haben. 


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stern  keineswegs  überragende  Fremde  geblieben.  Für  die  von  Harbl’s 
und  anderen  Beduinen  bewohnten  Gegenden  der  Haramein-provinz 
hingegen  hat  sie  jedoch  die  höchste  Bedeutung,  weil  es  ihrer  prakti- 
schen Mission  gelungen  ist , die  jeder  Autorität  abgeneigten , dem  offi- 
ciellen  Islam  fernstehenden  Wüstensöhne  zum  grossen  Theil  unter  ihre 
Herrschaft  zu  bringen.  Mit  ihren  strengen  Grundsätzen  hat  die  Tariqah 
hierbei  jedenfalls  transigieren  müssen , denn  weder  die  Raubsucht  noch 
die  Unwissenheit  in  dogmatischen  und  rituellen  Dingen  haben  die  Be- 
duinen abgestreift.  Die  Senüsl’s  haben  wohl  ihre  Gründe  dafür,  dass 
sie  hier  einstweilen  mit  dem  Möglichen  vorlieb  nehmen;  soviel  haben 
sie  den  Harbl’s  beigebracht , dass  ihnen  der  Schutz  des  heiligen  Senüsl 
im  Jenseits  trotz  vielen  Sünden  gute  Hofinung  übrig  lässt , und  dass 
solcher  Schutz  nur  durch  Gehorsam  gegen  die  Stellvertreter  desSchech’s 
zu  erlangen  sei-  Dass  sie  damit  durchgedrungen  sind , bestätigt  unsere 
oben *)  dargelegte  Anschauung  vom  religiösen  Sinn  der  Beduinen. 
Die  meisten  Ortschaften  im  sogenannten  Hidjäz  haben  kleine  Ver- 
einshäuser des  Ordens,  wo  durchreisende  Brüder  Aufnahme  finden, 
und , während  die  Pilgerstrasse  immer  unsicher  gemacht  wird , kann 
jährlich  von  Mekka  nach  Medina  eine  »Brüderkarawane”  ( Rakb  el- 
ichwäri)  ohne  jegliche  Vorsichtsmaassregel  unbehelligt  pilgern. 

Ueber  die  Rolle , welche  diese  Tariqah  in  der  weiteren  Geschichte 
des  Islam ’s  zu  spielen  bestimmt  ist,  gestatten  mir  meine  mekkani- 
schen  Erfahrungen  nicht,  Verrnuthungen  aufzustellen.  Genug  das 
Fest  wird  in  der  Nacht  des  12,en  von  den  Brüdern  mit  Vortrag 
der  Lebensgeschichte  des  Schech’s  und  gemeinschaftlichen  DiUr's  ge- 
feiert. Morgens  früh  schlachten  sie  viele  Sehaafe  und  kochen  mas- 
senhaft Reis , um  diese  Speisen  Nachmittags  allen  Besuchern  vorzu- 
setzen. Man  kann  sich  denken,  dass  die  Volksklassen  von  den 
angebotenen  dies-  und  jenseitigen  Segnungen  ordentlich  Gebrauch 
machen. 

Von  jeher  war  der  27•,,l  Redjeb  ein  Festtag,  an  dem  man  beson- 
ders feierliche  'Umrah’s  machte ; in  islamischer  Zeit  bekam  das  Datum 
neue  Ansprüche,  zuerst  weil  die  von  Abdallah  ibn  Zubair  vergrö- 


1)  Bd  I,  S.  37  fl. 


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sserte  Ka'bah  J)  an  dem  Tage  eingeweiht  wurde , dann  aber , weil 
die  Ueberlieferung  bestimmt  hat,  dass  Muhammeds  nächtliche  Reise 
von  Arabien  nach  Jerusalem  und  von  dort  zum  Himmel  in  der  Nacht 
des  27s,en  stattgefunden  hal>e.  Da  jener  Neubau  von  den  Omajjaden 
bald  zu  nichte  gemacht  wurde,  blieb  die  mit  immer  neuen  legen- 
darischen Zusätzen  beschriebene  Himmelreise  seither  den  Muslimen 
als  die  Ursache  des  Feiertags  gelten.  Fast  in  allen  Einzelheiten  ist 
das  Fest , dessen  Anfang  am  2G,en  Nachmittags  mit  einem  Kanonen- 
schuss angekündigt  wird,  dem  Mßlid  des  Propheten')  gleich.  Nur 
bildet  hier  den  Gegenstand  der  einige  Tage  vorher  von  den  Profes- 
soren gehaltenen  Vorträge  sowie  der  Vorlesung  am  Festabend  bei 
dem  Bäb  Derebah,  anstatt  der  Lebensgeschieh te  Muhammeds,  die 
Erzählung  seiner  Himmelreise  ( Mfrädj ),  die  in  vielen  Bearbeitun- 
gen vorliegt s).  Bekanntlich  sind  die  darin  vorkommeuden  Gespräche 
Muhammeds  mit  Gabriel,  mit  den  Propheten  und  mit  Allah  so 
abgefasst,  dass  sie  lauter  nützliche  Belehrung  über  die  muslimische 
Doktrin  und  über  jenseitige  Dinge  enthalten. 

Beiläufig  sei  hier  eine  seltsame  Sitte  erwähnt,  welche  die  Medi- 
nenser  an  diesem  Micrädj-feste  beobachten , und  zwar  nach  Abschluss 
der  auch  in  Medina  Abends  in  der  Moschee  gehaltenen  Vorlesung, 
vulgo  Chulbn/i.  Sobald  der  mit  der  Vorlesung  Beauftragte  sein  letztes 
Amin  gesprochen  hat , fallen  die  Leute  der  unteren  Klassen  und  die 
an  diesem  Feste  immer  zahlreich  sich  einfindenden  Beduinen  über 
den  Mann  her  und  reissen  ihm  stückweise  das  Obergewand  vom 
Körper,  als  hinge  ihre  Seligkeit  davon  ab,  ob  sie  sich  eines  Fet- 
zen von  dieser  Djubbah  bemächtigten.  Die  Städter  geben  dazu  die 
alberne  Erklärung,  dass  vor  vielen  Jahren  ein  Moscheebeamter  aus 
Neid  gegen  den  glücklichen  Kollegen,  dem  die  immer  extra  bezahlte 
Mi'radj-predigt  diesmal  übertragen  war,  den  Beduinen  eingeredet 
habe,  der  Segen  des  Festes  werde  nur  Solchen  zu  Theil,  die  ein 
Stück  von  der  Djubbah  des  Chatib  mit  nach  Hause  trügen.  So 
habe  er  den  Bevorzugten  in  die  bedrängte  Lage  versetzt;  seitdem 

1)  Vorgl.  Bd.  I,  S.  3. 

9)  VergL  oben  S.  57. 

8)  Für  die  Vorträge  in  der  Moschee  ist  die  Bearbeitung  eon  Barzandji  sehr  beliebt. 


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sei  der  Angriff  herkömmlich  geblieben.  Ohne  eine  sichere  Erklärung 
an  die  Stelle  dieses  Euhemerismus  setzen  zu  können,  wollen  wir 
doch  auf  Aehnliches  hinweisen,  das  uns  Herr  M.  Quedenfeldt  von 
den  Rlf-berbern  erzählt ').  Eine  gute  Parallele  zu  obiger  Erklärung 
bietet  Folgendes:  Unweit  der  Grenze  des  heiligen  Gebiets  auf  dem 
Wege  von  Djiddah  nach  Mekka  steht  ein  Baum,  der  von  den 
umwohnenden  Stämmen  dadurch  verehrt  wird , dass  sie  allerlei  bunte 
Fetzen  daran  aufhängen.  Bekanntlich  ist  solcher  Baumkultus  in 
Arabien  uralt1 2).  Fragt  man  nun  aller,  was  die  aufgehängten  Fet- 
zen bedeuten,  so  sagt  dieser,  man  ehre  dadurch  einen  unter  dem 
Baume  begrabenen  Heiligen,  jener  erklärt  den  Baum  für  densel- 
ben, unter  welchem  Muhammed  im  Jahre  628  den  Eid  der  'Freue 
von  seinen  mit  ihm  nach  Mekka  gezogenen  Anhängern  empfing, 
und  ein  dritter  fügt  hinzu,  es  sei  damals  ein  Fetzen  vom  Turban 
des  Propheten  an  einem  Zweige  des  Raumes  hangen  geblieben,  als 
er  aufstand,  und  zur  Erinnerung  daran  hänge  man  auch  jetzt  noch 
Fetzen  auf. 

Medina  zeigt  noch  in  anderen  Dingen  einen  mehr  altmodischen 
Charakter  als  seine  Schwesterstadt.  So  war  die  Bevölkerung  vor  einigen 
Jahren  aufs  Höchste  empört,  weil  eine  des  Mordes  schuldige  Frau 
vom  türkischen  Gouverneur  vorläufig  eingesperrt  und  nicht  gleich 
den  zum  jus  talionis  Berechtigten  übergeben  wurde.  Schliesslich 
musste  der  Pascha  aus  Mangel  an  genügender  Garnison  der  vor  seine 
Wohnung  zusammengelaufenen  Menge  nachgeben  und  thun,  als 
wären  die  Qawünin  (modernen  Gesetze)  für  Medina  nicht  geschrie- 
ben. Auch  gegen  Telegraphen  und  derlei  Neuerungen  würde  man 
in  Medina  heftig  opponieren.  Manche  Medinenser  fühlen  sich  in 
Mekka  ungern üthlich , weil  ihnen  überall  anstössige  Gegenstände 
und  Sitten  auffallen ; auch  hören  die  in  Medina  Geborenen  hier  mit 


1)  In  der  Berliner  Zeitschrift  für  Ethnologie,  1888,  S.  112:  //Man  erzählte,  dass  an 
//einzelnen  Orten  die  Verehrung  und  der  Enthusiasmus  einen  solchen  Orad  erreicht 
//habe,  dass  das  Volk  den  Bcrnüs  des  Sultans,  den  ihm  dieser  willig  überliess,  in  kleine 
//Stücko  zerrissen  und  dieselben  als  eine  Art  Talisman  heimgetragen  habe.” 

2)  Vergl.  z.  B.  Wellhausen,  Reste  altarabischen  Qeidentumes,  S.  101  und  den  Orts- 
namen I>ät  er-Riqa*  mit  der  Erklärung  Bckri,  S.  422;  auch  Sachau,  Reise  in  Syrien 
und  Mesopotamien,  S.  115. 


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Entsetzen , dass  es  Mekkaner  giebt,  die  sich  in  Djiddah  des  Ver- 
kehrs mit  Ungläubigen  nicht  schämen!  Nicht  mit  Unrecht  sagen 
die  Mekkaner  selbst,  in  Medina  lebe  man  nur  der  Religion  '),  in 
Djiddah  strebe  man  bloss  nach  weltlichen  Gütern,  und  in  Mekka 
vertheile  man  seinen  Eifer  gleichmüssig  zwischen  diesseitigen  und 
jenseitigen  Bestrebungen.  Obgleich  die  »Nachbarn  Allahs”  sich  selbst 
somit  die  wahre  M itte  zuerkennen , liegt  doch  in  ihrer  vergleichenden 
Abschätzung  der  »Nachbarn  Muhammeds”  die  Anerkennung  eines 
Vorzugs  auf  deren  Seite.  Wirklich  ist  von  der  Eifersucht  zwischen 
beiden  Städten,  die  zu  Anfang  der  9,e”  Jahrhunderts  litterarische 
Kämpfe  hervorrief1 2),  keine  Spur  übrig  geblieben.  Seitdem  diese 
Provinz  vom  Chalifate  lossgetrennt  war , sank  die  frühere  Hauptstadt 
Medina  nach  und  nach  zu  einer  Dependenz  von  Mekka  herab  und 
war  also  auf  Seiten  Mekka’s  kein  Grund  zum  Neide  mehr  vorhan- 
den. Trotzdem  nun  Mekka  im  heiligen  Gesetze  einen  entschieden 
höheren  Rang  hat  als  Medina,  zeigen  die  Mekkaner  eine  nicht 
weniger  entschiedene  Vorliebe  für  Medina;  ohne  Geringschätzung 
der  Heiligkeit  der  eignen  Stadt,  die  ihnen  noch  dazu  den  Lebens- 
unterhalt gewährt,  reden  sie  unter  sich  über  Medina,  als  wäre  es 
des  einzige  Ziel  aller  Wallfahrten. 

Theilweise  ist  diese  Gesinnung  aus  einer  gewissen  Ehrfurcht  der 
»Grossstädter”  vor  den  weniger  dem  Zeitgeist  dienenden,  altmodi- 
schen Medinensem  zu  erklären ; das  kleinere  Medina  verdankt  diese 
Eigentümlichkeit  seiner  Lage : mehr  als  zweimal  so  weit  vom  Meere 
entfernt  als  Mekka  steht  es  der  Kultur  nach  auf  einer  Mittelstufe 
zwischen  Mekka  und  dem  Inneren  Arabiens.  Aber  die  Liebe  der 
Mekkaner  gilt  mehr  der  Stadt  als  ihren  Bewohnern,  oder  vielmehr 
sie  gilt  ihrem  seit  beinahe  1300  Jahren  schlafenden  Bewohner,  dem 
Gottesgesandten.  Statt,  wie  vorhin,  sich  mit  den  Medinensem  zu 
zanken  über  die  Frage,  ob  nach  genauer  Abwägung  die  heiligen 
Schriften  mehr  zu  Gunsten  der  einen  oder  der  anderen  Stadt  enthal- 
ten , werden  die  heutigen  Mekkaner  nicht  müde , ihrer  Sehnsucht  nach 

1)  Mit  diesem  DU  wird  hier  in  erster  Linie  die  Pünktlichkeit  in  gewissen  äusserli- 
chon  Dingen  und  der  Hass  gegen  alle  moderne  Kultur  gemeint. 

2)  VergL  Bd.  I,  S.  42 — 3. 

II  10 


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der  Stadt  Muhammeds  Ausdruck  zu  geben.  Es  ist  dies  ein  charak- 
teristischer Beleg  für  die  Entwickelung  der  muslimischen  Lehre ; die 
Menschenverehrung,  der  Muhammed  so  feindlich  gegenüberstand, 
dass  er  die  Juden  und  Christen  verfluchte,  weil  diese  »aus  Propheten- 
gräbern Bethäuser  machten”,  hat  in  seiner  eigenen  Religion  so  über- 
hand genommen,  dass  sein  eignes  Grab  jetzt  die  inbrünstigen  Gebete 
der  Muhammedaner  in  Empfang  nehmen  muss.  Ausser  an  Orten , wo 
wahhabitische  Einflüsse  vorherrschen,  hat  das  Bedürfniss  nach  mensch- 
licher Vermittlung  den  Gott  des  Islam’s  immer  weiter  von  seinen 
Anbetern  entfernt,  und  in  der  Verehrung  des  todten  Propheten  gipfelt 
der  allenthalben  verbreitete  Ileiligenkult. 

Wenn  einige  Mekkaner  ruhig  zusammen  plaudern  und  das  Gespräch 
kommt  auf  Medina,  so  werden  gleich  von  allen  Seiten  die  Segnungen 
gerühmt,  welche  der  Prophet  dort  spendet:  das  Fleisch  schmeckt 
dort  besser  als  irgendwo,  Milch  und  Butter  sind  dort  reichlich  vor- 
handen, die  //40  Sorten”  von  Datteln  wachsen  in  nächster  Nähe, 
die  Sitten  sind  einfacher,  die  Gastfreundlichkeit  hat  anziehendere 
Formen  als  in  Mekka.  Auch  Wunder  werden  erzählt:  ein  Mek- 
kaner, der  jährlich  viele  Wochen  in  Medina  verbringt,  hat  gese- 
hen , wie  an  jedem  Freitagabend , wenn  die  Sonne  untergeht , 
einige  Tauben  sich  auf  die  Kuppel  des  Grabes  (welches  bekanntlich 
innerhalb  der  Moschee  liegt)  niederlassen  und,  nachdem  sie  dem 
edelsten  Geschöpfe  Gottes  ihren  Gruss  gebracht , wieder  emporsteigen 
und  verschwinden.  Wird  in  einem  mekkanischen  Hause  aus  irgend 
einem  Anlass  das  //Mölid”  vorgetragen,  so  unterbrechen  die  um  das 
Weihrauchbecken  herumsitzenden  Gäste  den  Recitator  mit  geseufztem : 
i/O  Gesandter  Gottes!  O Medinah !”  und  ist  in  einer  Gesellschaft 
ein  guter  "Munschid”  zugegen,  so  lässt  man  nicht  von  ihm  ab,  bis 
er  ein  schönes  Lobgedicht  auf  Muhammed  voller  Sehnsucht  nach  sei- 
nem Grabe  recitiert  hat.  Verse  wie  die  folgenden : 

»Mein  Herz  neigt  sich , o Gesandter  Gottes , zu  dir , 

» Aber  ach,  mein  Rücken  ist  mit  Sünden  schwerbeladen!” 

rufen  in  dem  Auge  manches  Zuhörers  Thränen  hervor. 

Die  mekkanischen  Weiber  sind  ihren  Herren  dankbar  für  die  Er- 


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laubniss,  das  Haddj  mitzumachen , betrachten  dies  aber  hauptsäch- 
lich als  eine  Gelegenheit  zu  Partien  ebenso  wie  beim  Schech  Mah- 
mud ; ihr  Dank  für  eine  Zijürah  nach  Medina  dagegen  bezieht  sich 
hauptsächlich  auf  die  damit  verbundenen  geistigen  Segnungen  und 
die  Versöhnung  mit  Allah  durch  die  Vermittelung  seines  Gesandten  '). 

Während  nun  die  späteren  Qäf’lah's,  die  langsam  reisenden  Ka- 
rawanen, vorzüglich  fremde  Pilger  und  mckkanische  Weiber  und 
Kinder  nach  Medina  bringen,  haben  die  Söhne  Mekka’s  im  Monat 
Redjeb  (und  deshalb  durften  wir  uns  hier  die  obenstehende  Ausfüh- 
rung gestatten)  ihre  Rakb's ’),  ihre  Eeiterkarawanen  nach  dem  hei- 
ligen Grab. 

Behufs  dieser  Redjebijjeh  theilen  sich  die  Mekkaner  wieder  in 
mehrere  Gruppen , bei  deren  Zusammensetzung  die  Stadtviertel  maass- 
gebend sind,  und  von  denen  jede  einen  Führer,  einen  Schech  des 
Rakb  hat.  Längst  vorher  bereiten  sich  die  Zuicwär  auf  ihre  Reise 
vor ; wenn  sie  selbst  kein  Dromedar  haben , miethen  sie  sich  eins 
oder  begnügen  sich  mit  einem  schnell  laufenden  Esel.  Beide,  Reiter 
und  Reitthier,  üben  sich  Tage  lang  auf  den  anstrengenden  Ritt, 
denn  es  ist  das  Streben  jedes  Rakb  darauf  gerichtet,  den  anderen 
auf  der  Hin-  und  Rückreise  zuvorzukommen,  und  Nachzügler  sind 
daher  Gegenstand  allgemeinen  Aergers  ihrer  reisetüchtigen  Gefährten. 
Ist  das  Verhältniss  der  den  Weg  beherrschenden  Stämme  zur  Re- 
gierung besonders  gespannt , so  unterbleibt  wohl  einmal  der  beliebte 
Besuch , aber  unter  gewöhnlichen  Umständen  reisen  die  Rakb's  leid- 
lich sicher.  Sind  sie  doch  ziemlich  zahlreich  und  nur  aus  tüchtigen, 
den  Strapazen  dieses  Wettlaufs  gewachsenen  Männern  zusammenge- 
setzt , die  nicht  mehr  als  das  Unentbehrliche  auf  die  Reise  mitneh- 
men und  noch  dazu  gut  bewaffnet  sind.  Es  lohnt  sich  nicht,  gegen 
solche  Gesellschaften  einen  kleinen  Streifzug  zu  unternehmen.  In 
4 — 5 Tagen  legen  die  Reiter  die  Entfernung  zurück,  zu  der  die 
Qäf’lah’s  10 — 12  Tage  brauchen.  In  Medina  kommen  ihre  Gastfreunde 


1)  Sogar  der  heutig«  Groasscherif  schrieb  seinen  Erfolg  gegen  die  Partei  des  Othman 
Pascha  zum  guten  Theil  seinen  Gebeten  beim  heiligen  Grabe  su.  Vergl.  Bd.  1,8. 184 — 5. 

8)  Von  den  Mekkancrn  vielfach  Itäkib  gesprochen;  vergl.  Akü  (Speise) , Ratil (Pfund) 
und  andere  Beispiele,  Mckk.  Sprichw.,  S.  .89. 


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ihnen  froh  entgegen ; die  Rakb'a  bleiben  hier  nur  so  lange  als  sie  zur 
Zijtirah  des  Propheten  und  der  anderen  Heiligen  brauchen , und  wer- 
den bei  ihrer  je  durch  einen  Vorrenner  angekündigten  Rückkehr  in 
Mekka  mit  Jubel  begrüsst.  Wie  man  im  Hause  die  heimgekehrten 
Zuwwär  des  Rakb  sowohl  als  der  Qäflah  feiert,  wird  im  nächsten 
Kapitel  beschrieben. 

Gegen  Ende  dieses  Monats  kommen  schon  einzelne  Gruppen  von 
Pilgern  her,  und  im  Schcfbän  (dem  8,en  Monat)  wird  der  Zug  be- 
deutender; diese  Vorläufer  wollen  ihren  Ramadhän  in  Mekka  fasten 
und,  wenn  es  geht,  vor  dem  lladdj  mit  der  Qäf’lah  nach  Medina. 
Der  15*'  Scha'bän,  namentlich  die  Nacht  desselben,  gilt  bekanntlich 
in  der  ganzen  muslimischen  Welt  als  ein  Zeitpunkt , an  dem  Allah 
über  dass  Schicksal  der  Erdbewohner  im  nächsten  Jahre  wichtige 
Entscheidungen  trifft.  Die  Ueberzeugung , das  Alles  von  Ewigkeit 
in  Gottes  Rath  vorausbestimmt  ist,  hindert  die  Gläubigen  nicht 
daran,  sich  an  solche  Daten  festzuklammern  und  dann  Gebete  em- 
porzusenden, durch  welche  Allahs  Erbarmen  zum  Auswischen  ver- 
hiingnissvoller  Dekrete  veranlasst  werden  soll  ').  Den  Weibern  und 
Kindern  ist  der  vorhergehende  Tag  wieder  eine  Art  kleines  cId  (Pest). 
Fromme  Männer  verbringen  die  Nacht  grösstenthcils  mit  Quränreci- 
tierung  und  anderen  religiösen  Verrichtungen,  und  in  der  Moschee 
bilden  sie  nach  dem  letzten  Abend-o/alät  bis  Mitternacht  kleine  Kreise , 
in  deren  Mitte  ein  Vorbeter  ein  specifisches  Scha‘bän-gebet  hersagt, 
das  die  Uebrigen  in  betender  Haltung  anhören  und  mit  ihren  Amins 
unterbrechen.  Von  den  bereits  angekommenen  Pilgern  fehlt  dabei 
keiner;  die  Gehülfen  der  Scheche  bieten  ihnen  ihre  Dienste  als  Vor- 
beter an  und  bekommen  dafür  ein  Geschenk.  Ich  war  selbst  dabei 
zugegen,  wie  ein  angehender  Gehülfe,  dessen  höchster  Wunsch  war, 
es  einmal  zum  Schech  zu  bringen,  sich  tagelang  mit  dem  Auswen- 
diglernen des  gebräuchlichsten  Scha'bän-gebets  abmühte. 

t/O  Allah”,  so  heisst  es  u.  A.  darin,  »solltest  du  mich  in  dei- 
// nem  Urbuche  aufgeschrieben  haben  als  Unglückseligen  und  Darber 
»und  Dürftigen,  so  wische  aus,  o Allah,  durch  deine  Gnade  aus 


1)  Im  Qurän  findet  sich  diese  Anschauung  z.  B.  XIII:  39. 


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»deinem  Urbuche  meine  Unglückseligkeit,  mein  Darben  und  meine 
»Dürftigkeit”  usw. 

Während  der  Nacht  wird  die  Moschee  heller  als  gewöhnlich  be- 
leuchtet (es  ist  übrigens  Vollmond),  und  am  Tage  darauf  öffnet  sich 
wohl  die  Ka'bah  dem  Publikum. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  Scha'bän  ist  in  allen  Gesellschaften  die 
Rede  von  dem  nahenden , in  der  heissen  Gottesstadt  so  schweren 
Fastenmonat  Ramadhän.  Es  gehört  zu  den  jährlich  wiederkehrenden 
Witzen,  dass  man  etwa  am  20''11  Scha'bän  zu  Kindern  sagt,  der 
»Scheeh  Ramadhän”  sei  heute  mit  der  Qäf’lah  aus  Medina  abge- 
reist *) ; an  jedem  späteren  Tag  nennt  man  die  Station , wo  er  an- 
gekommen sei , und  schliesslich  bleibt  man  im  Unsicheren , ob  er  in 
einem  oder  zwei  Tagen  da  sein  werde,  weil  der  Anfang  des  Mo- 
nats bekanntlich  davon  abhängt,  ob  am  Abend  nach  dem  29’““ 
Scha'bän  der  Neumond  gesehen  wird , oder  nicht. 

Zum  Fasten  bereiten  sich  die  Leute  durch  »Reinmnchen”  des 
»Bauches”  vor;  jeder  geht  zu  einem  Arzt  und  erbittet  sich  eine 
S cherbah,  welches  Wort  hier  seltsamerweise,  wenn  man  es  ohne 
Zusatz  gebraucht,  von  jedem  Haktm  im  Sinne  von  Laxierpille  *) 
verstanden  wird.  Die  Scherbah  bereitet  jeder  Arzt  nach  seinem  eig- 
nen Recept,  mit  dem  er,  wie  mit  allen  Recepten,  sehr  geheim 
thut.  Während  andere  Heilmittel  verkauft  werden,  reicht  der  Arzt 
zu  jeder  Zeit  allen  darum  Bittenden  die  Scherbah  umsonst  dar. 

Mit  Spannung  harrt  man  des  Kanonenschusses,  der  den  Anfang 
des  9,'n  Monats  ankündigt.  Gleich  nachdem  er  gefallen , werden  die 
Marktstrassen  belebter,  überall  stellen  die  Esswaarenhändler  die  be- 
liebten Ramadhänspeisen  aus  und  lassen  zeitgemässe  Ausrufe1 *  3)  er- 
tönen, damit  sich  die  Gläubigen  durch  ein  tüchtiges  Sahür  (die 
Mahlzeit,  die  man  kurz  von  der  Morgendämmerung  einnimmt)  zum 
ersten  Tag  des  Hungers  und,  was  schlimmer  ist,  des  Durstes  stärken. 

1)  Er  wird  also  in  ungefähr  10  Tagen  in  Mekka  sein. 

8)  Wahrscheinlich  weil  man  früher  su  diesem  Zweck  meistens  einen  Trank  verschrieb ; 
sonst  heissen  Pillen  fiabbak.  Plur.  Ilubib. 

3)  Auch  witzige ; so  rief  ein  Knabe  hinter  einem  Tisch,  auf  dem  Teller  mit  Fätüdok 
ausgestellt  waren:  tckuurak,  juurat,  takirak  ja  ' ammi  »deine  Haare,  deine  Hinteren, 
»dein  Sahür,  o mein  Ohcüu!” 


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Ramadhän  ist  in  hervorragendem  Sinn  der  Monat  der  Religion; 
auch  Solche,  deren  Eifer  sonst  recht  schwach  ist,  bestreben  sich  in 
dieser  Versöhnungsperiode,  nach  Vermögen  Gottes  Wohlgefallen  zu 
erwerben,  während  die  Frommen  sich  geistig  und  körperlich  bis 
zur  Ueberspnnnung  in  die  Lohre  und  die  Praxis  des  Islam’s  ver- 
senken. Eine  klare  Vorstellung  vom  dem  Leben  der  Mekkaner  unter 
der  Herrschaft  dis  «Schech  Ramadhän”  gewinnen  wir  wohl  am 
besten  dadurch , dass  wir  die  Beschreibung  der  rituellen  Verrichtun- 
gen eines  beliebigen  ganzen  natürlichen  Tages  zu  Grunde  legen, 
und  jedes  Mal  bemerken,  was  im  Fastenmonat  hinzukommt  oder 
modificiert  wird.  Den  Anfang  machen  wir  kurz  vor  dem  Maghrib, 
dem  Sonnenuntergang,  der  die  Grenzscheide  zweier  Tage  bildet. 

Nur  eine  kleine  Ecke  der  Moschee  wird  noch  von  der  Sonne  be- 
leuchtet; sonst  ist  bereits  übendl  Schatten,  aber  noch  stundenlang 
bleiben  die  Marmorsteine  der  Pfade  von  den  Säulenhallen  nach  dem 
Centrum  des  Hofes  so  heiss,  das  man  die  blossen  Füsse  jeden  Au- 
genblick zu  versetzen  geneigt  ist,  um  eine  kühlere  Stelle  zu  suchen. 
Unter  den  Säulenhallen  und  auch  im  Hofe  sitzen  hie  und  da  stramme 
Vertreter  der  heiligen  Wissenschaft  inmitten  ihrer  Zuhörer  und  lesen 
specielle  Ramadhänkollegien ; die  gewöhnlichen  Vorlesungen  feiern , 
weil  die  Moschee  allzusehr  vom  Kultus  in  Anspruch  genommen  wird , 
aber  mehr  noch,  weil  Lehrer  und  Schüler  kaum  im  Stande  wären, 
ohne  jegliche  Labung  des  Körpers  viel  geistige  Nahmng  zu  ver- 
dauen. Auf  den  Lippen  und  der  Zunge  der  allzu  fleissigen  Profes- 
soren zeugt  eine  weisse  Bedeckung  davon,  wie  schwer  ihnen  diese 
Nachmittagsstunden  werden , und  die  kränklichen  Gesichter  mancher 
Zuhörer  beweisen,  dass  schwächere  Konstitutionen  diesen  Monat 
nicht  ohne  Verdauungsstörungen  durch  machen.  Fast  alle  Fremden, 
die  sich  seit  Kurzem  in  der  Stadt  aufhalten,  bewegen  sich  durch 
die  Tempelräume. 

Bald  fangen  die  Zemzemi's  an , sich  zu  regen ; aus  ihren  Chelwah's 
(den  niedrigen ,•  dunklen  Gemachem , welche  die  Säulenhallen  der 
Moschee  im  Erdschoss  umgeben)  holen  sie  ihre ‘Matten  und  Tep- 
piche hervor  und  breiten  sie  an  den  gewohnten  Sitzen  ihrer  Kun- 
den über  den  Kies  des  Moscheehofes,  resp.  den  Marmor  der  Hallen 


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aus.  Vor  diesen  länglichen  Streifen  legen  sie  die  Döraq’s  mit  ge- 
kühltem Zemzem,  etwa  einen  auf  fünf  Personen;  vor  den  Plätzen 
ausgezeichneter  Kunden  stellen  sie  aber  noch  einen  oder  zwei  Trink- 
krüge ')  mit  süssem  Wasser  (liegen  wasser  oder  Wasser  aus  der  Leitung, 
je  nach  dem  Geschmacke  ihrer  Gönner).  Durch  alle  neunzehn  Thore 
strömt  jetzt  die  Menge  herein ; fast  jeder  hat  seine  kleine  Tasche  oder 
sein  Körbchen  mit  Brod  und  Datteln,  Oliven  oder  Feigen  in  der 
Hand.  Reicheren  Leuten  folgen  Sklaven,  die  auf  dem  Kopfe  mit 
Speisen  schwcrbeladene  metallene  Teller  tragen. 

Alle  haben  sich  gesetzt  und  harren  des  Augenblicks , wo  der  Rejjis 
im  Obergemach  des  Zemzemhauses  eine  Fahne  schwingen  wird,  auf 
welches  Zeichen  von  der  Festung  ein  Kanonenschuss  fällt.  Durch 
die  Reihen  geht  dann  ein  Summen  von  Dankformeln  wegen  glück- 
licher Beendigung  des  Fastentages,  und  dem  folgt  ein  allgemeines 
Zugreifen,  welches  vorzüglich  das  Trinkgeschirr  zum  Gegenstände 
hat.  Nach  ein  paar  Minuten  ertönt  schon  von  den  sieben  Minareten 
der  Adün  (Aufruf),  womit  der  Termin  anfängt,  innerhalb  dessen 
das  Galat  des  Sonnenuntergangs  gemacht  werden  kann.  Speciell  bei 
diesem  l^alät  ist  der  Zeitraum  kurz  bemessen,  weshalb  denn  auch 
vor  dem  Maghrib  die  nach  anderen  Aufrufen  üblichen  Lobpreisun- 
gen unterbleiben.  Dem  Adün  folgt  also  gleich  die  Iqämah , der  letzte 
kürzere  Aufruf  zum  anfangendeu  Qalät  in  der  Moschee.  Unter  der 
Leitung  des  hanafitischen  Imams,  der  in  seinem  « Maqüm " steht, 
verrichten  jetzt  alle  Anwesenden  ihr  Qalät.  Man  könnte  versucht 
sein,  zu  meinen,  die  Gläubigen  folgten  je  dem  Iinäm  ihres  Ritus; 
das  Gesetz  gestattet  aber  nicht  bloss,  Imämen  einer  andern  aner- 
kannten Schule  nachzubeten,  sondern  verbietet  sogar,  in  solchem 
Falle  ohne  gesetzliche  Verhinderung  die  Erfüllung  dieser  Pflicht  auf- 
zuschieben. Die  Anstellung  von  Imämen  aller  Riten  an  der  Moschee 
von  Mekka  und  die  Bestimmung,  das  mehrere  von  ihnen  nach  einander 
das  gleiche  Qalät  leiten,  beruht  nicht  auf  den  Bedürfnissen  der  in 
Mekka  zusammenlebenden  Hanafiten,  SchäfFiten,  Mälikiten  und  Ham- 
baliten,  denn  diese  haben  keinerlei  Nutzen  davon.  Nur  weil  Mekka 

1)  Vergl.  Tafel  XXXVII,  N°.  3. 


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die  heilige  Stadt  des  ganzen  Islain’s  und  nicht  etwa  das  Eigenthura 
von  »Gottes  Nachbarn”  oder  irgend  einer  Dynastie  ist,  war  es  un- 
möglich , hier  einen  von  den  Riten  auszuschliessen , denen  die  Lehre 
völlig  gleichen  Werth  zuerkeunt.  Dass  trotzdem  die  hanafi  tische 
und  die  sehäfi'itisehe  Schule  gewisse  Vorzüge  geniessen,  liegt  in  der 
hervorragenden  politischen  Bedeutung  dieser  Riten. 

Gleich  nach  dem  Hanafiten  tritt  der  Schäftet  beim  Maghrib  als 
Vorbeter  auf;  hinter  ihm  reihen  sich  Solche,  die  zu  spät  in  die  Moschee 
kamen  oder  wegen  Verunreinigung,  Beschäftigung  oder  dergleichen 
das  erste  Qalät  nicht  mitmachen  konnten.  Je  zahlreicher  die  Reihen 
der  Gläubigen,  desto  mehr  Mekabbir's l 2)  stehen  in  diesen  Reihen  durch 
die  ganze  Moschee , um  das  vom  Imäm  ausgerufene  Allähu  akbar , 
welches  jeden  Uebergang  zu  einer  neuen  Position  einleitet,  gleich- 
sam telephonisch  durch  den  ganzen  Raum  fortzupflanzen,  weil  die 
Meisten  den  Leiter  selbst  weder  hören  noch  sehen  können. 

Ist  auch  der  Schäfi'it  mit  seinem  Qalät  fertig , so  lässt  der  Schech 
der  Mueddins  (auch  diese  bilden  eine  Zunft,  vom  Obergemach  des 
hanafitischen  Maqäm  eine  Viertelstunde  lang  lobpreisende  Formeln 
( Raioä/ib ) erschallen;  diese  treten  beim  Qalät  des  Sonnenuntergangs 
an  die  Stelle  der  Gesänge,  die  zu  anderen  rituellen  Terminen  nach 
dem  Adän  auf  den  Minareten  abgeleiert  werden. 

Für  den  Tag  ist  der  Maghrib,  was  der  Monat  Ramadhän  für 
das  Jahr:  auch  Muslime,  die  sonst  nachlässig  sind,  verrichten  dann 
ihr  Qalat , und  wer  sich  sonst  mit  der  obligatorischen  Zahl  von 
Abtheilungen  {RaFah's)  begnügt,  macht  zum  Maghrib  auch  die 
bloss  //anempfohlenen”  hinzu,  ja  betet  wohl  noch  längere  Zeit  nach- 
her. Im  Ramadhän  eilen  aber  die  Leute  nach  Hause,  denn  dort 
harren  ihrer  Weib  und  Kind  mit  der  eigentlichen  Mahlzeit;  das 
wenige  in  der  Moschee  Genossene  war  doch  nur  ein  vorläufiges 
Fatür.  Ausgesuchte  Speisen  bereitet  man  zum  Fastenbrechen,  vor- 
züglich solche,  die  den  durch  das  Fasten  sehr  beeinträchtigten  Ap- 
petit etwas  erregen.  Nach  mekkanischem  Geschmack  haben  neben 


1)  Im  officiellen  Stil:  MubaMgh*». 

2)  Nicht  zu  verwechseln  mit  dem  Kqji*,  der  im  höchsten  Sinne  Schech  der  Mu’ed- 
din’s  und  Astronom  der  Moschee  ist. 


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sauren  Flüssigkeiten  (Citronensaft , Essig)  besonders  fette  Speisen  diese 
Eigenschaft ! 

Nur  faule  Männer  legen  sich  nach  genossenem  Falür  schlafen, 
und  wer  sonst  nicht  durch  Geschäfte  oder  Indifferentismus  zurück- 
gehalten  wird,  geht  im  Ramadhän  zum  ' hclä-galat  (etwa  2 Stun- 
den nach  Sonnenuntergang)  in  die  Moschee , auch  wenn  er  dasselbe 
sonst  zu  Hause  zu  verrichten  pflegt.  Die  Moschee  und  ihre  Mina- 
rete  sind  hell  beleuchtet;  ausserdem  stehen  an  verschiedenen  Stellen 
im  Hofe  Laternen  mit  etwa  l1/,  Meter  hohen  Füssen  in  den  Boden 
gepflanzt.  Sobald  nämlich  das  Galat  beendigt  ist,  lösen  sich  die 
Reihen  auf,  und  vereinigen  sich  die  Gläubigen  zu  Gruppen  von  je 
10 — 100  oder  150  Mann,  denen  ihre  Laterne  als  Vereinigungs- 
punkt dient. 

Die  einer  Gruppe  angehörenden  Männer  bilden  nun  hinter  dem 
inzwischen  angezündeten  Licht  mehrere  Reihen,  vor  welchen  sich 
zur  Leitung  der  Taräunfi,  d.  h.  des  aus  20  Abtheilungen  bestehen- 
den Nacht-calät  des  Ramadhän  einer  von  ihnen  als  Imam  hinstcllt  >). 
Den  Kern  einer  solchen  Gesellschaft  bilden  etwa  einige  gute  Freunde , 
die  sich  aus  eignem  Antrieb  zusammengethan  haben,  einige  »Brü- 
der” derselben  Tariqah  oder  auch  einige  Leute,  die  der  Einladung 
eines  ZemzemT  nachgekommen  sind  und  unter  seiner  Leitung  ihre 
Tara wih  machen.  Auch  giebt  es  //herkömmliche”  Gesellschaften, 
deren  Mitglieder  z.  B.  gewisse  Leute  aus  dem  Hause  des  Scherifs 
sind,  und  //herkömmliche”  Imäme  der  Tarärnh,  die  jedes  Jahr 
ihren  ständigen  Platz  einnehmen,  weil  sie  sicher  sind,  dass  sich 
immer  hinter  ihnen  Leute  in  Reihen  stellen  werden.  Zu  jeder  Ge- 
sellschaft können  sich  Andere  nach  Belieben  hinzugesellen,  sei  es 
regelmässig,  sei  es  nur  für  ein  paar  Abende.  Regel  ist  aber,  dass 
jeder  seine  feste  Stelle  für  den  ganzen  Monat  behält. 

Obgleich  in  Mekka  kein  einigermaassen  frommer  Mann  seinen 
Ramadhän  ohne  Taräwih  für  vollgültig  ansieht,  gehört  doch  diese 


1)  Auoli  diese  Imäme  haben  ihren  Mekahbir  hinter  sich,  der  die  Uebergnngsformeln 
laut  ertönon  lasst,  und  ausserdem  zur  Einleitung  der  ganzen  Feierlichkeit  einen  Aufruf 
(z.  B.  f/i / ilu  ’l-tjij  imi  atk  ibakum * 'Unk  d.  h.  »NachtfalAt,  Allah  lohne  es  euch !”)  und  je 
nach  vier  Abtheilungen  ein  kurzes  liebet  spricht. 

ii  n 


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Verrichtung  nicht  zu  den  obligatorischen , sondern  bloss  zu  den  vom 
Gesetze  anetnpfohlenen.  Darum  wird  sie  auch  nirgends  von  der 
Gemeinde  als  solcher  abgehalten , und  sind  die  Imäme  Gelegenheits- 
vorbeter;  auch  wenn  bei  der  Moschee  angestellte  Imäme  die  Füh- 
rung einer  Taräwlh-gesellschaft  übernehmen , thun  sie  dies  doch  ohne 
jeden  officiellen  Charakter. 

Sehr  verschieden  ist  die  Dauer  der  Tarämh-,  hier  hat  sich  eine 
Gruppe  von  solchen  Leuten  gebildet,  die  in  der  Nacht  vieles  zu 
besorgen  haben  und  deren  Imäm  daher  die  Recitation  ')  möglichst 
kurz  macht  und  für  die  20  Abtheilungen  nur  10 — 20  Minuten  braucht ; 
dort  ist  der  Leiter  ein  12 — löjähriger  Knabe,  der  erst  eben  die 
Quränschule  mit  besonderem  Erfolg  absolviert  hat  und  nun  gleichsam 
als  Probeleistung  den  ganzen  Qurän  in  20 — 30  Abenden  zu  den 
Tarämh  benutzt;  an  einem  andern  Orte  bringt  es  ein  vollendeter 
Faqih  mit  schöner  Stimme  in  ungefähr  gleichem  Zeiträume  zur  »Chat- 
mall”,  braucht  aber  einen  grösseren  Theil  der  einzelnen  Nächte , weil 
bei  ihm  an  die  Stelle  der  nervösen  Hast , mit  welcher  jener  Knabe 
seine  Aufgabe  hersagt,  die  Ruhe  des  selbstbewussten  Künstlers  ge- 
treten ist.  Uebrigens  fangen  bis  gegen  Mitternacht  immer  wieder 
neue  Gesellschaften  an,  denn  Viele  sind  genöthigt,  gleich  nach  dem 
Tschä  ihren  Geschäften  nachzugehen , weil  ihnen  körperliche  Anstren- 
gung bei  Tag  unmöglich  war. 

So  bietet  die  Moschee  während  der  Nächte  einen  höchst  interes- 
santen Anblick,  an  dem  sich  die  Mehrzahl  von  denen,  die  selbst 
schon  mit  ihrer  Andacht  fertig  sind,  auf  langen  Spaziergängen  im 
Heiligthum  ergötzen.  Unter  den  frommen  Gelehrten  und  Laien  sind 


1)  In  einer  Abtheilimg  des  Qalät  wird  bekanntlich  ausser  der  Fiit'kak  ein  der  Wahl 
des  Einzelnen  überlassener  zweiter  Abschnitt  aus  dem  Qurän  rccitiert;  durch  gewisse 
vage  Anempfehlungen  des  Gesetzes  ist  die  Wahl  keineswegs  gebunden,  und  der  Imäm, 
bez.  der  Einzelne  hat  es  also  in  soiner  Macht,  ein  £«lat  sehr  kurz  zu  machen  oder  in  die 
Lange  zu  ziohen.  Ein  Mann,  der  im  Jahre  1885  als  Imam  einer  Taräwih-gcscllschaft 
im  Haram  fungierte,  loistetc  so  Grosses  in  liezug  auf  Schnelligkeit,  dass  die  Mckkaner 
ihm  ironisch  den  Zunamen  des  »Dampfers”  (Biiär)  beilegten.  VergL  Mokk.  Sprichw., 
8.  7ß  f.  Wenn  ein  Imäm  der  Tanheik  den  ganzen  Qurän  ausrccitiert  hat,  beendigt  die 
Gesellschaft  dio  Handlung  mit  gemeinschaftlichen  Gebeten  und  gemessen  Alle  zusammen 
darauf  Süssigkeiten.  Auch  wird  bei  solcher  Gelegenheit  dem  Imäm  auf  Kosten  dor  Ver- 
sammelten eine  neue  Djubbak  umgehängt.  In  Gesellschaften,  wo  kein  Ckalmak  stattfin- 
det, geschieht  das  Alles  an  einem  der  letzten  Abende. 


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Viele,  die,  trotzdem  sie  am  Tage  nur  nothgedrungen  kurze  Augen- 
blicke des  Schlummers  genossen  haben,  auch  nach  den  Tarawik, 
so  lange  es  irgend  geht , sich  mit  Quränrecitiemng , Dikr  und  anderen 
freiwilligen  Uebungen  beschäftigen;  die  durch  strenge  Selbstzucht 
und  Gewöhnung  ermöglichten  Leistungen  dieser  Glaubenshelden  sind 
nicht  weniger  staunenswerth  als  die  mit  ähnlichen  Mitteln  erzeugte 
Körperkraft  der  Djiddah’schen  Lastträger,  die  einige  hundert  Kilo- 
gramm einen  Weg  von  15  Minuten  auf  ihrem  Rücken  befördern. 
Wer  aber  dem  mekkanischen  Prinzip  der  wahren  Mitte  huldigt, 
schläft  den  halben  Tag  und  gewinnt  dadurch  die  Kraft,  nach  den 
Taräwxh  der  Geselligkeit  zu  leben.  Heute  empfängt  er  Gäste  bei 
sich , morgen  geht  er  selbst  auf  Besuch , übermorgen  findet  er  seine 
Freunde  im  Kaffeehause;  besonders  in  der  Nähe  von  Merwah  sind 
die  Kaffeehäuser  während  der  ganzen  Nacht  beleuchtet  und  überfüllt. 
Weil  jedoch  Manche  am  Tage  durch  Geschäfte  am  Schlafen  verhin- 
dert wurden,  wird  die  Nacht  in  Mekka  während  des  Ramadhän 
doch  nur  insofern  zum  Tage,  als  sonst  auch  am  Tage  viele  Mek- 
kaner  die  Ruhe  des  Schlafes  geniessen. 

Besonders  fromme  Mekkaner,  namentlich  aber  viele  Mitglieder 
der  Fremdenkolonien  und  alle  früh  angekommenen  Pilger  benutzen 
diese  Nächte  noch  in  anderer  Weise,  um  neuen  himmlischen  Lohn 
zu  erlangen.  Die  alte  Sitte,  im  Monat  Redjeb  mehr  als  sonst  c Um- 
rak’s  zu  machen , ist  fast  gänzlich  in  Vergessenheit  gerathen : dagegen 
ist  es  in  jeder  mekkanischen  Familie  gebräuchlich , einen  oder  meh- 
rere Tage  des  Redjeb  freiwillig  oder  zum  Nachholen  von  Rama- 
dhäntagen,  an  denen  man  verhindert  wurde,  zu  fasten.  Lebendige 
Bedeutung  haben  aber  die  Traditionen  behalten,  in  denen  der  Pro- 
phet ganz  vorzügliche  Belohnung  für  im  Ramadhän  gemachte  »kleine 
Wallfahrten”  verheisst.  Nur  Wenige  haben  den  Muth,  sich  zuFuss 
nach  dem  Orte1)  ausserhalb  des  heiligen  Gebietes  zu  begeben,  wo 
man  das  Pilgergewand  anlegt,  zumal  ihnen  nach  der  anstrengenden 
Rückkehr  noch  die  ermüdenden  Ceremonien  der  TJmrah  selbst  be- 
vorstehen; sie  miethen  daher  Esel,  und,  sofern  sie  noch  nicht  in 


1)  Tan’ im,  vulgo  ei-' Umrah , vcrgl.  oben  S.  55. 


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Mekka  eingebürgert  sind , nehmen  sie  sich  Geh  Ulfen  von  Schechen 
( Delil’s , Qdbi'a)  mit,  die  ihnen  aufwarten  und  bei  der  Verrichtung 
heiliger  Handlungen  die  nöthigen  Anweisungen  geben. 

Völlig  akklimatisierte  Leute  machen  ihre  ‘Umrnh  wohl  morgens, 
andere  Nachmittags,  wobei  ihnen  gewöhnlich  aber  der  Vorzug  des 
Fastenbrechens  in  der  Moschee  entgeht;  bei  Weitem  die  Mehrzahl 
pilgert  in  der  Nacht.  Es  ist  ein  schwer  verdientes  Stück  Brod, 
welches  die  DeliVa  durch  die  Begleitung  von  2 — 3 Partien  auf  dem 
sandigen,  steinigen  Wege  nach  Tan'lm  gewinnen;  am  schlechtesten 
kommen  aber  die  Esel  davon.  Unternehmende  Kleinbürger  kaufen 
sich  gegen  den  Ranmdhän  hin  Esel  in  der  Absicht,  während  der 
Fastenzeit  ausser  dem  Kaufpreise  und  den  Verpflegungskosten  noch 
einen  guten  Gewinn  herauszupriigelu ; der  geringste  Preis , der  ihnen 
nachher  für  die  abgemagerten  Thiere  geboten  wird,  ist  ihnen  will- 
kommen. Obgleich  die  Leute,  die  etwas  dabei  verdienen,  ihr  Mög- 
lichstes thun,  die  Fremden  zur  höchsten  Anstrengung  zu  ermuntern, 
bringen  es  doch  nur  Wenige  dahin,  dass  sie  täglich  eine  HJmrah 
verrichten;  ja  Viele  sind  das  erste  Mal  dermaassen  erschöpft,  dass 
sie  auf  Weiteres  verzichten  '). 

Ungefähr  eine  halbe  Stunde  nach  Mitternacht  steigen  wahrend 
des  ganzen  Jahres  Mueddin’s  auf  die  sieben  Minarete  des  Haram 
hinauf  und  singen  mit  weittragender  Stimme  zwei  Stunden  lang  ge- 
wisse, theils  in  Versen,  theils  in  gereimter  Prosa  abgefasste  Formeln, 
die  man  Tadkir  oder  (weniger  häufig)  Taghfir  nennt.  Allah  wird  darin 
um  Verzeihung  für  die  Gemeinde  Muhammeds  angerufen,  zugleich 
aber  werden  die  Gläubigen  ermahnt , da  die  Nacht  sich  wendet , noch 
einen  Theil  desselben  durch  «Erwähnung  Gottes”  d.  h.  durch  irgend- 
welche religiöse  Uebungen  zu  heiligen.  Mit  Ausnahme  solcher  From- 
men, die  in  rituellen  Dingen  viel  mehr  leisten  als  ihre  Pflicht,  be- 
schränken sich  die  Mekkaner,  wenn  sie  durch  die  Töne  des  Tadkir 

1)  Wer  sich  auf  einzelne  TJmrah’s  beschränkt,  macht  solche  vorzüglich  in  den  Näch- 
ten des  21,  23,  25,  27  und  29  RamadhAn,  weil  nach  den  exegetischen  Autoritäten 
eine  von  diesen  Nächten  (kein  Mensch  weiss,  welche)  die  segensreiche  «Nacht  der 
Macht”  (dur&n  XCVII:  1)  ist,  in  welcher  Mnhanuned  die  erste  Offenbarung  zu  Theil 
ward  und  deren  Heiligkeit  die  dos  ganzen  Monats  begründet. 


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aufgeweckt  werden,  auf  das  Summen  von  einigen  landläufigen  For- 
meln und  legen  sich  dann  auf  die  andere  Seite. 

Im  Ramadhan  hat  aber  das  Tadkir  zugleich  die  Bedeutung  des 
Tashir,  d.  h.  der  Erinnerung,  dass  man  seine  letzte  Mahlzeit  vor 
dem  anbrechenden  Fastentage  zubereite  und  einnehme.  Wenn  das 
Tadkir  anfungt,  hat  man  allerdings  noch  drei  Stunden  dazu,  denn 
erst  kurz  vor  dem  Aufruf  zum  Qalät  der  Morgendämmerung  ( Qubh ) 
setzt  der  Fastentag  ein.  Trotzdem  werden  schon  in  die  ersten  Tad- 
kir-formeln  einer  Ramadhän-nacht  Einladungen  zum  Sahür  einge- 
flochten. Diese  Mahlzeit  ist  nicht  bloss  erlaubt  und  unentbehrlich 
für  die  Konstitution  der  Fastenden,  sondern  vom  heiligen  Gesetze 
geradezu  anempfohlen. 

»O  ihr  Schlafenden!  steht  auf  zum  Heil,  — und  erwähnet  Allah, 
//der  die  Winde  lenkt;  — schon  hat  sich  das  Heer  der  Nacht  ent- 
»fernt,  — die  Schaar  des  Morgenroths  ist  nahe  gekommen  und  leuch- 
//tet.  — Trinkt  und  beeilt  euch,  denn  der  Morgen  ist  näher  gerückt ! ')” 
In  ähnlichem  Tone  fahren  die  Mueddins  fort,  und  beenden  nach 
± zwei  Stunden  diesen  schönen  Sang  mit  Aufrufen , die  beim  Volke 
»der  erste  Adäri'  heissen,  weil  Solche,  die  das  Morgen^alät  mög- 
lichst früh  in  der  Moschee  mitmachen  wollen , dann  noch  eine  Stunde 
haben,  sich  anzukleiden,  ein  kleines  Frühstück  zu  geniessen  (natür- 
lich wenn  es  nicht  Ramadhän  ist)  und  ins  Haram  zu  gehen  *).  Eine 
halbe  Stunde  später  ertönt  von  den  Minareten  die  letzte  Warnung, 
damit  nicht  die  Dämmerung  die  Leute  überrasche,  während  sie 
noch  einen  Bissen  oder  einen  Schluck  im  Munde  haben;  Tatfijeh 
(Löschung  der  Feuer)  heisst  diese  Warnung  im  Volksmunde.  In  allen 


1)  Diese  fünf  Verse,  mit  welchen  der  erste  Song  anhebt,  reimen  zusammen;  ronden 
darauf  folgenden  ist  jeder  fünfte  unserem  fünften  gleich  (»/Trinkt  und  beeilt  euch  usw.”), 
wahrend  der  vierte  auf  den  fünften  und  die  drei  ersten  nur  auf  einander  reimen. 

usr*'  *1»  ij/öla 

g— cXs  q' 

2)  Der  mekkanischc  Sprachgebrauch  trägt  der  niedrigen  Lage  der  Moschee  Rechnung : 
//man  steigt  zum  Haram  hinab’*,  jinzii  el- Haram. 


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8ß 


Strassen  gehen  indessen  schon  eine  Stunde  vor  der  //Löschung” 
Mesahhir s umher,  die  vor  jedem  grösseren  Hause  ihre  Trommel 
schlagen  und  in  hergebrachten  Formeln  die  Hausherren  an  das  Sahür 
erinnern,  damit  sie  nicht  die  Zeit  verschlafen.  Am  Festtage,  der 
den  Ramadhän  abschliesst,  kommen  diese  Leute  zu  ihren  Kunden 
mit  einem  Esel  zur  Aufnahme  der  erwarteten  Geschenke.  Von  diesem 
erhalten  sie  ein  Geldstück , von  jenem  etwas  Weizen , Viele  schenken 
ihnen  die  //Abgabe  des  Fastenbrechens”  ( Zahlt  el-fitr , vulgo  Für  ah), 
welche  hier  in  einer  bestimmten  Quantität  Weizenmehl  besteht. 

Etwa  eine  halbe  Stunde  nach  der  Ta/fijek- zeit  wird  auf  den  Mi- 
nareten  der  eigentliche  Adän  mit  dem  10  Minuten  dauernden  Tarhm 
eingeleitet;  dies  gilt  wieder  vom  ganzen  Jahre,  und  somit  ist  das 
Tarhm  ebenso  wie  der  Anfang  des  Tadkir  und  der  erste  Morgen- 
adän  den  Mekkanern  zum  Zeitmaass  geworden.  Im  Tarhirn  wird 
Allah  im  Namen  der  Gemeinde  feierlich  um  Gnade  ( Rahmah ) an- 
gegangen , und  zwar  bittet  der  Sänger  darum  1°  bei  Allahs  eigner 
Herrlichkeit,  2°  bei  der  Herrlichkeit  Muhammeds,  3°  Abu  Bekr’s, 
4°  Omar’s,  5°  Othinän’s,  6°  Ali’s  und  beschliesst  die  Anrufung  mit 
einigen  passenden  Quränversen  ').  Dieser  Gesang  ist  daher  zugleich 
ein  Symbolum  der  Orthodoxie,  die  als  die  edelsten  Menschen  in 
Muhammeds  Gemeinde  nach  dem  Propheten  die  vier  '/rechtgeleiteten 
Chalifen”  in  derselben  Reihenfolge  anerkannt  haben  will,  in  der  sie 
regiert  haben. 

Zu  gleicher  Zeit  gehen  durch  die  Hauptstrassen  Mekka  s einige 
Männer,  die,  ohne  dazu  angestellt  zu  sein  oder  je  einen  Pfennig 
dafür  zu  geniessen,  in  jeder  Gasse  stehen  bleiben  und  die  Schla- 
fenden zur  Eile  antreiben:  »Das  Calät,  o ihr  Knechte  Allahs!” 
singen  sie  mit  lauter  Stimme,  und  andere  leiem  sogar  lange  For- 
meln ab  J).  Aber  in  der  Grossstadt  Arabiens  sind  Viele,  die  zwar 

1)  Quiin  XLI:  33,  VI:  95—8,  XVII:  111. 

3)  Ein  gewisser  DelUU  ging  immer  zu  Anfang  der  Termine  für  die  £aläts  durch  das 

Stadviertel,  wo  ich  wohnte,  und  sang:  'i  «1!'  ^ aü'  oLn  ^ »bUait 

J&S  ^ lC=>  jPj  "AUS  sJj  a)  a!  tAjjJl 

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87 


die  Botschaft  hören  und  denen  auch  nicht  der  Glaube,  wohl  aber 
die  Lust  früh  aufzustehen  fehlt.  Diesen  kommt  nun  die  Anord- 
nung, dass  alle  Riten  unter  den  Iraämen  vertreten  sind,  ausgezeich- 
net zu  statten.  Sie  brauchen  nicht  einmal  auf  die  Vorzüge  des 
Qaläl  mit  der  Gemeinde  zu  verzichten  (was  nebenbei  Manche  thun, 
indem  sie  es  zu  Hause  verrichten,  wenn  es  ihnen  einfiillt),  denn 
zu  dieser  Zeit  fungieren  nach  einander  vier  Imäme , und  man  müsste! 
sich  sehr  verspäten,  um  den  Hanafiten,  der  zuletzt  kommt,  zu  ver- 
fehlen. 

Die  Frommen  und  Männer,  deren  Stellung  ihnen  gewisse  Rück- 
sichten auferlegt,  möchten  jedoch  das  erste  Galat  "den  Schäfict” ') 
ungem  versäumen  und,  weil  auch  Geschäftsleute  gern  früh  mit  der 
Religion  fertig  sind,  ist  diese  noch  bei  künstlicher  Beleuchtung 
abgehaltene  Uebung  die  besuchteste. 

Dem  Tarfnm  folgt  ± 1 ‘/i  Stunde  vor  Sonnenaufgang  der  eigent- 
liche Adiin , dessen  durch  das  Gesetz  genau  bestimmte  Formeln  die 
Mueddins  sehr  laut  singen.  Irrthümlich  wird  manchmal  behauptet , 
es  gebe  für  diesen  Aufruf  eine  bestimmte  Melodie;  im  Gegentheil 
darf  jeder  Mu'eddin  zu  jedem  Adän  willkürlich  irgend  eine  ihm  be- 
kannte Melodie  verwenden,  wenn  nur  die  richtige  Aussprache  der 
Worte  nicht  durch  das  Maass  der  Töne  beeinträchtigt  wird,  und 
in  Mekka  hört  man  häufig  sehr  verschiedene  Melodien  zugleich, 
weil  sich  kein  Mu’eddin  in  dieser  Hinsicht  um  seine  zur  gleichen 
Zeit  singenden  Kollegen  kümmert.  Bemerkenswerth  ist  aber,  dass 
unter  diesen  Sängern  in  Mekka  das  »Herkommen”  Geltung  hat, 
wenn  ein  seltenes  Mal  der  Himmel  bewölkt  ist,  alle  Adän»  auf 
erotische  Melodien  zu  singen , bis  die  Sonne  wieder  am  blauen  Him- 
mel steht.  Ebenso  wie  das  Quränrecitieren  ist  das  Singen  des 
Adän  eine  in  Mekka  eifrig  gepflegte,  hoch  entwickelte  Kunst  ’). 

1)  So  bezeichnet  inan  die  £alats  mit  den  Namen  des  Ritus,  zu  dem  der  dabei  fun- 
gierende Imam  gehört:  fallet  h-Sckd/ii  heisst,  wenn  vom  Morgen  die  Rede  ist:  wich 
habe  das  erste  C'alät  initgemacht”;  beim  Sonnenuntergang  bezieht  cs  sich  dagegen  auf 
das  zweite,  weil  darin  der  Hanafit.  vorangeht. 

2)  Noch  einmal  sei  darauf  hingewiesen,  was  für  seltsame  Folgen  es  hat , wenn  man 
Sittonbeschrcibungen  generalisiert:  so  schlicsst  man  aus  Lane’s  vManncrs  and  Customs”, 
als  Mit hiditC * stelle  man  überall  am  liebsten  Blinde  an.  Allerdings  gilt  das  von  Egyp- 
ten, wo  die  Hälfte  der  Bevölkerung  mit  schweren  Augenleiden  behaftet  ist. 


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88 


Während  des  Adän’s  oder  gleich  nach  demselben  verrichten  die 
Frommen  das  »freiwillige  Morgenyalät”,  jeder  für  sich ; noch  ist 
mancher  damit  beschäftigt,  da  ertönt  schon  von  dem  Obergemach 
des  hanafitischen  Maqäm  die  Iqämal , die  letzte  Warnung  zum 
obligatorischen,  und  nimmt  ein  lrnäm  des  schäfi'itischen  Ritus  sei- 
nen Platz  im  »Maqäm  Ibrahim”  ein. 

Wenn  im  letzten  Theilc  des  Jahres  der  innere  Hof  der  Moschee 
durch  den  grossen  Pilgerbesuch  überfüllt  ist,  so  dürfen  die  hana- 
fitischen und  schäfFitischen  Imäme  den  Versammelten  dadurch  mehr 
Raum  verschaffen  ').  dass  sie  ihre  Funktion  möglichst  nahe  bei  der 
Ka'bah  ' ausüben.  Solche  Fälle  gelten  als  besonders  feierlich , und , 
wenn  es  sich  am  Freitage  ereignet,  so  wählt  der  Imäm  nach  stän- 
diger Sitte  für  die  im  Qalät  vorkommende  Recitation  ein  Ciurän- 
stück,  zu  dessen  Vortrag  eine  Prostemation  gehört1 2);  die  Feierlich- 
keit wird  dann  dadurch  erhöht,  dass  die  Gemeinde  die  »stehende” 
Position,  die  im  Qalät  zum  Recitieren  gehört,  durch  eine  ausser- 
ordentliche Niederwerfung  einen  Augenblick  unterbricht. 

Nach  dem  »Schäfi'I”  eilen  Alle,  die  irgendwie  beim  Handel  in 
täglichen  Lebensbedürfnissen  interessiert  sind,  nach  dem  Markte. 
Auch  im  Ramadhän  ist, die  richtige  Zeit  zum  Kaufen  von  Fleisch, 
Milch,  Gemüse,  Brod  usw.  frühmorgens,  und  mich  dem  Mittag  ist 
man  nicht  einmal  sicher,  ob  man  das  Gewünschte  noch  bekommt. 
Die  Bettler  unterlassen  während  der  Fasten  ihre  Morgen  Spaziergänge 
durch  die  Stadt;  Abends  in  der  Moschee  bitten  sie  sogar  den  Gei- 
zigsten nicht  vergeblich  um  etwas  zum  Fatur.  Auf  den  breiten 
steinernen  Sitzen,  die  zugleich  als  Schautische  dienen  und  mit  ihren 
darüber  aufgespannten  Ueberdachungen  aus  Sackleinen  die  Läden  der 
Marktstrassen  bilden,  sitzen  die  Verkäufer  und  laden  wie  sonst  die 
Vorbeigehenden  zum  Kaufen  ein.  Es  ist  aber , als  hätten  die  Erschöp- 
fung ihrer  Körper  und  die  feierliche  Stille  der  Umgebung  ihre  Stimme 


1)  Die  Gemeinde  muss  vollständig  Hinter  dem  lrnäm  stehen,  und  so  bleibt  in  ge- 
wöhnlichen Fällen  der  ganze  Kaum  zwischen  der  Ka'boh  und  den  vier  Maqäm’s  unbenutzt. 

2)  Behüte  dos  Quränrecitierens,  welches  auch  für  sich  oine  rituello  Verrichtung  ist 
und  daher  einen  gewissen  Grad  ritueller  Reinheit  verlangt,  ist  das  heilige  Buch  in 
grössere  und  kleinere  Abschnitte  gethcilt;  kommt  man  an  gewisse  Abschnitte,  so  ist 
eine  »Niederwerfung”  (Sndjiid)  vorgeschrieben. 


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89 


geschwächt.  In  den  kaffeelosen  Kaffeehäusern  liegt  bloss  hie  und 
da  ein  Faulenzer  und  schläft;  die  Neugierigen,  die  sonst  einen  be- 
deutenden Theil  des  Publikums  bilden,  fehlen  gänzlich.  Wer  hin- 
kommt,  weiss  im  Voraus  genau,  was  er  kaufen  will,  sodass  die 
sonst  üblichen  Witze  und  Zurufe  der  Verkäufer  ziemlich  gegenstandlos 
sind.  Statt  dessen  singen  diese  nun  manchmal  das  Lob  des  Ramadhän , 
als  hätte  Allah  sie  mit  der  Anpreisung  dieser  himmlischen  Kauf- 
waare  beauftragt:  »Wohl  dir,  o Fastender,  herrlich  ist  dein  Lohn!” 
ist  der  Hauptinhalt  ihres  Gesangs.  Andere  mischen  darunter  komi- 
sche Bitten  an  den  Ramadhän,  er  möge  etwas  schneller  Vorbeigehen 
und  lebhafterem  Verkehr  Raum  machen.  «O  Ramadhän ! gäbe  Gott, 
du  gingest  im  Laufschritt!  ')” 

Unterdessen  sind  in  der  Moschee  zuerst  der  hambalitische  und 
dann  der  mälikitische  Imäm  ihrem  schäfi'itischen  Kollegen  ohne  be- 
deutende Zwischenzeit  gefolgt  und  hat  schliesslich  der  hanafitische, 
mit  einem  grösseren  Publikum  als  jene  beiden,  aber  mit  einem 
weniger  zahlreichen  als  der  SehäfFit  die  Dämmerungsandachten  be- 
endigt. Gegen  Sonnenaufgang  machen  die  nicht  anderweitig  Be- 
schäftigten ihren  Tawäf J)  um  die  Kacbah ; hier  treffen  sich  häufig 
gute  Bekannte  und  besprechen  nach  vollendeter  Cercmonie  auf  ihrem 
Spaziergang  durch  die  Moschee  die  Tagesneuigkeiten.  Nach  einer 
Stunde  sieht  man  in  der  Moschee  nur  noch  diejenigen , deren  Werk- 
stätte sie,  so  zu  sagen,  ist:  Gelehrte  und  Studenten,  Pilger  und 
Djarrärin  s)  (die  den  Pilgern  beim  Matäf  ausser  mit  Pfuscherei  auch 
mit  unverschämt  zudringlichem  Betteln  nachsetzen),  Eunuchen  und 
Zemzeml’s;  die  Anderen  sind  ihrer  Wege  gegangen. 

1)  Ja  llamctäh  in . ja  rttak  tis:a ; gemeint  ist  hier  der  Laufschritt,  den  die  Pilger  bei 
der  Ccremonic  des  Sacj  auf  einem  Thcile  des  Weges  zwischen  £afa  und  Merwah  einzu- 
halten haben. 

2)  Unter  nochmaliger  Hinweisung  auf  die  früher  (Bd.  I,  S.  3)  citierten  Bücher  für 

Alles,  was  sich  auf  den  Ritus  bozieht,  sei  hier  nur  daran  erinnert , dass  solcho  Umgänge 
nicht  nur  Bcstandtheilc  der  grossen  und  der  kleinen  Wallfahrt,  sondern  auch  selbstän- 
dige religiöse  Verrichtungen  darstellen.  Die  in  Mekka  zur  Wallfahrt  anwesenden  Frem- 
den machen  täglich  möglichst  viele  Tateaf i,  der  fromme  Mekkaner,  wenn  er  Müsse  dazu 
hat  , etwa  2 — 5,  der  Durchschnittsinekkaner  beschränkt  sich  auf  einen  Tawaf  vor  dem 
Freitagsgottesdienste.  Dass  nach  schäfi’ Rischem  Ritus  der  Tatc  if  in  Mekka  die  anderswo 
übliche  //Bcgriissung  der  Moschee”  (mit  einem  kleinen  £atöt)  ersetzen  soll,  davon  weiss 
das  Volk  hier  nichts.  3)  Vergl.  oben,  S.  31. 

II  12 


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90 


( 


Besuche , die  man  sonst  in  Mekka  fast  zu  jeder  Tageszeit  machen 
kann  (bei  Kaufleuten  vor  dem  Maghrib  allerdings  nur  im  Laden 
oder  sonstigen  Geschäftsräume) , stattet  man  im  Ramadhän  am  Tage 
nur  aus  dringenden  Gründen  ab.  Läden  mit  Hausgeräthen , Schmuck- 
sachen oder  Kleid ungsstoffen  sind  zwar  geöffnet,  denn  die  Fremden 
haben  in  der  neuen  Umgebung  vielfach  unvorhergesehene  Bedürf- 
nisse, und  sogar  einzelne  Mekkaner  haben  bei  ihren  Einkäufen  vor 
den  Fasten  dies  und  jenes  vergessen.  Trotzdem  machen  aber  sämmt- 
liche  Geschäfte  den  Eindruck,  als  wären  sie  eingeschlafen.  In  den 
letzten  Tagen  des  Monats  regt  sich  neues  Leben,  denn  fast  Alle 
müssen  sich  Weizen  zur  Fitrah  kaufen,  und  Alle,  der  Aermste  nicht 
ausgenommen,  kaufen  sich  zum  Feste  neue  Kleider.  Zwar  besitzen 
viele  Altmekkaner  ihren  ständigen  Festanzug,  der  10 — 20  Jahre  lang 
lediglich  an  den  grossen  Festen  hervorgeholt  wird,  aber  auch  sie  kau- 
fen sich  doch  vor  dem  Festtage  andere  neue  Gewänder  fürs  Jahr. 

Auch  die  Handwerker  feiern  grösstentheils ; immerhin  sind  gesunde , 
in  Mekka  geborene  Leute,  die  miissig  leben  und  von  Jugend  an 
gefastet  haben,  gegen  die  Ramadlmnstrapazen  so  abgehärtet,  dass 
sie  kaum  weniger  leisten  als  sonst. 

Uhren  haben  in  Mekka  fast  alle  Wohlhabenden;  um  sich  davon 
zu  überzeugen,  braucht  man  bloss  gegen  Sonnenuntergang  in  die 
Moschee  zu  gehen,  wo  beim  Anfang  des  Adän  Hunderte  ihre  Uhr 
aus  der  Tasche  (resp.  dem  Gürtel)  nehmen  und  auf  Zwölf,  d.  h. 
gleich  stellen.  Bei  Weitem  die  Meisten  haben  jedoch  keine  Vorstel- 
lung davon,  welche  Tageszeit  es  eigentlich  um  2,  3,  4 usw.  Uhr 
ist;  wirkliche  Bedeutung  hat  nur  die  Eintheilung  des  Tages  auf  der 
Grundlage  der  5 Adäns,  also  in  fünf,  je  für  ein  Qalät  bestimmte 
Perioden ; die  Nacht  wird  in  die  oben  angegebenen , durch  das  Tadklr 
und  das  Tarhlm  abgegrenzten  Zeiträume  vertheilt.  Zur  näheren  Be- 
stimmung von  Unterabtheilungen  jener  Perioden  dienen  die  beiden 
täglich  vor  dem  Palaste  des  Grossseherifs  abgespielten  Koncerte ' ) 


1)  Vcrgl.  Mekk.  Sprichw.,  S.  42  ff.,  wo  auch  der  Sprachgebrauch  bezüglich  dieser 
Zeitabschnitte  behandelt  ist.  Hier  will  ich  noch  hinzufügen,  dass  td~cam  in  Mekka  «■= 
rtim  vergangenen  Jahr”,  aiciceU  el~cam  = /dm  vorletzten  Jahr”;  ams  = el-bärth  heisst 
«gestern”,  awweU  ams  „vorgestern”,  dor  heisst  die  Woche. 


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und  der  Stand  der  Sonne;  auf  Minuten  kommt  es  hier  übrigens 
niemals  an. 

Am  Mittag  und  ungefähr  drei  Stunden  nach  Mittag  verkünden 
die  sieben  Mueddins  den  Anfang  resp.  des  Mittags-  und  Nach- 
. mittags-<;alät;  nach  beiden  Adäri*  singen  sie  noch  dazu  etwa  zwan- 
zig Minuten  lang  Lobpreisungen  Gottes,  Qalat’s  über  den  Prophe- 
ten und  gedenken  sie  der  vier  »legitimen  Chalifen”;  demnächst  treten 
der  Reihe  nach  Imäme  von  den  vier  Riten  als  Liturgen  auf.  Ge- 
wöhnlich ist  die  Reihenfolge  so,  dass  zuerst  der  Hanafit  und  dem- 
nächst der  Schäfi'it  seines  Amtes  waltet,  aber  dies  Alles  unterliegt 
häufigem  Wechsel,  denn  der  Wille  der  Behörden  ist  innerhalb  ge- 
wisser Schranken  maassgebend. 

Solange  noch  nicht  viele  Pilger  da  sind,  ist  der  Zulauf  in  die- 
sen heissen  Stunden  verhältnissmiissig  gering.  Geborene  Mekkaner, 
die  nicht  der  Wissenschaft  leben,  schämen  sich  gar  nicht,  ohne 
jegliche  Verhinderung  zu  Hause  zu  bleiben.  Allein  wenn  Einer  ge- 
rade zur  Zeit  des  Adän  auf  der  Strasse  schläft  oder  an  der  Moschee 
vorüber  gehen  zu  wollen  scheint,  so  begegnet  ihm  wahrscheinlich 
ein  frommer  Mahner , der  seine  Pflicht  gegen  Glaubensbrüder  ’) 
nicht  vernachlässigen  will , sondern  ihm  zuruft : »Hörst  du  nicht , o 
Schech?  das  Qalät!  hejja!”  Darum  legen  sich  die  Ermatteten  im 
Ramadhän  vorsichtshalber  im  Hause  nieder  und  erwachen  spät  Nach- 
mittags, wenn  es  allmählich  Zeit  wird,  sich  zum  Fatür  vorzube- 
reiten. So  sind  wir  wieder  beim  Anfangspunkte  unserer  Beschrei- 
bung der  Fastentage  angekommen. 

Mit  heisserem  Verlangen  als  beim  Anfang  des  Ramadhan  harrt 
der  Mekkaner  der  ersten  Berichte  über  die  Beobachtung  des  Neu- 
mondes, mit  dem  dieser  Monat  schliesst.  Unruhig  ist  die  zum 
Brechen  der  F’asten  des  29,en  Tages  in  der  Moschee  versammelte 


1)  »Die  Mahnung  zum  Guten  und  die  Abmahnung  vom  Bösen”  wird  den  Muslimen 
als  eine  Hauptpflicht  cingeschiirft , und  sie  hat  um  so  höhere  Bedeutung,  da  der  Islam 
keine  Geistliche  kennt,  die  mit  der  Vertheilung  von  Sakramenten  oder  sonst  mit  der 
Seelsorge  beauftragt  sind.  Die  fälschlich  sogenannten  »Priester”  verrichten  für  eine 
kleine  Belohnung  Handlungen,  zu  denen  jeder  gebildete  Muslim  befugt  ist;  die  Aner- 
kennung anderer  geistlichen  (z.  B.  mystischen)  Autoritäten  beruht  ausschliesslich  auf 
dem  Willen  der  Einzelnen. 


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Menge;  jeden  Augenblick  drangen  sich  Hunderte  in  eine  Ecke  der 
Hallen , uni  nach  dem  Himmelsboten  auszuschauen , von  dessen 
Erscheinen  es  abhängt,  ob  morgen  das  grosse  Fest  des  l,,eD  Schawwäl 
sein  wird  oder  erst  übermorgen.  Ist  der  Neumond  konstatiert,  so 
geht  die  Botschaft  wie  ein  Lauffeuer  durch  die  Stadt,  und  bald 
scheint  es , als  hätte  sich  aller  seit  einem  Monat  unterdrückter  Liirm 
auf  diese  eine  Nacht  zusammengehäuft.  Von  allen  Seiten  steigen  aus 
den  Häusern  Sklaven  in  die  Strasse  herab,  um  die  schweren  Tep- 
piche auszuklopfen  und  sonst  die  letzte  Hand  an  das  grosse  Rein- 
machen zu  legen.  Im  Nu  sehen  wir  überall  neue  Fenstervorhänge1) 
statt  der  verbrauchten.  Auf  dem  Markt  rennt  Alles  hin  und  her, 
denn  während  der  ganzen  Nacht  werden  hier  die,  nach  belieb- 
ter Sitte  bis  zur  letzten  Minute  verschobenen,  Einkäufe  gemacht. 
Fast  jeder  ergänzt  noch  zu  dieser  Zeit  die  Garderobe  seiner  Familie 
und  Diener,  kauft  Süssigkeiten  und  Wohlgerüche  zur  Bewirthung 
seiner  Besucher,  ersetzt  die  im  vergangenen  Jahre  abgenutzten  Haus- 
geräthe,  geht  zum  Barbier,  wo  ihm  wegen  des  Zudrangs  erst  nach 
langem  Warten  der  Kopf  rasiert  wird.  In  den  Buden  der  Barbiere 
sitzen  auch  Viele  (in  offener  Strasse)  auf  Bänken  mit  zwei  Schröpf- 
köpfen auf  dem  Rücken,  denn  jeder  Mekkaner,  und  sei  er  noch 
so  blutarm,  würde  des  Todes  gewärtig  sein,  wenn  ihm  nicht  we- 
nigstens einmal  im  Jahre  etwas  Blut  abgezapft  würde,  und  man 
liebt  es , gerade  am  Festtage  das  durch  die  Operation  erzeugte  Gefühl 
der  Erleichterung  zu  geniessen. 

Unterdessen  wird  zu  Hause  gekocht , gesotten  und  gebacken , der 
Empfangssaal  festlich  geschmückt  und  ein  zweites  grosses  Zimmer 
zur  Mahlzeit  eingerichtet,  die  ein  paar  Stunden  nach  dem  Fest- 
palät  stattfinden  soll. 

Zu  diesem  Gottesdienste  gehen  die  Gläubigen  schon  gegen  Son- 
nenaufgang in  das  Heiligthum,  um  einen  nicht  allzu  engen  Platz 
zu  erlangen,  ja  Manche  bleiben  nach  dem  Qalät  der  Morgendäm- 
merung da  und  geniessen  vollauf  den  Anblick  der  im  Festgewande 
hereinstolzierenden  Bürger , von  denen  namentlich  die  mittleren  Klas- 


1)  Vergl.  oben,  S.  43. 


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93 


sen  sich  an  diesem  Tage  ganz  anders  als  gewöhnlich  kleiden.  Etwa 
’/i  Stunde  nach  Sonnenaufgang  ertönt  ein  kurzer  Aufruf,  und  darauf 
wird  das  aus  zwei  Abtheilungen  zusammengesetzte  Qalät  des  Festes 
abgehalten,  dem  unmittelbar  die  Festpredigt  folgt. 

Ein  paar  Minuten  nach  Beendigung  des  Qalät  gewahrt  man, 
wie  praktisch  für  den  Freitagsgottesdienst  die  Anordnung  ist,  dass 
die  Predigt  dem  Calät  vorangeht,  und  Alle  daher  genöthigt  sind, 
während  derselben  ihre  Plätze  zu  behalten.  Wenngleich  in  einer 
Moschee  von  der  Grösse  des  Haram,  nicht  Vioo  auch  nur  eine  Sylbe 
von  der  Chutbah  verstehen  kann,  so  fehlt  doch  die  andachtsvolle 
Stille  nicht  und  summen  die  entfernt  Sitzenden  leise  vor  sich  Ge- 
bete. Jetzt  aber  fängt  nach  dem  Fest?alat  an  den  iiussersten  Rän- 
dern der  Gemeinde  eine  Bewegung  an,  die  sich  immer  weiter  nach 
innen  fortsetzt,  und  nur  ein  kleiner  Kern  bleibt  dem  Chatib  treu. 
Das  Volk  ist  ja  im  Grunde  zum  Vergnügen  zusammengekommen ; 
es  will  das  Mescbhed  (so  heisst  diese  Versammlung)  mit  solchen 
von  früheren  Jahren  vergleichen  und  sehen,  wie  kostbar  dieser  und 
jener  gekleidet  ist. 

Der  Vergleich  mit  der  Vergangenheit  führt  die  Söhne  Mekka’s  zu 
ungünstiger  Beurtheilung  der  Gegenwart.  Es  scheint , so  sagen  sie , als 
litte  die  ganze  Welt  an  Schwindsucht  ihres  Vermögens,  und  wir, 
die  wir  von  ihrem  Ueberfluss  leben  müssen,  empfinden  das  schwer. 
Wo  sind  die  reichen  Inder,  die  Goldstücke  um  sich  her  warfen, 
die  verschwenderischen  »Djawah”,  die  nur  kauften,  um  Geschenke 
zu  geben,  die  Türken,  die  Kameellasten  von  Andenken  für  ihre 
Verwandten  mitnahmen?  Heutzutage  singen  die  Pilger  im  Chor: 
Geld  ist  bei  uns  nicht  mehr  vorhanden ! Sehet  die  Folgen  des  all- 
gemeinen Nothstandes  für  Mekka!  Jene  Bengel  dort  hätten  vor  25 
Jahren  an  solchem  Feste  keinen  anständigen  Menschen  durchgelas- 
sen, ohne  dass  er  eine  Handvoll  Chamsa/t’s  (Geldstücke  im  Werth 
von  2 Pfennigen)  spendete;  sonst  hätten  ihm  von  allen  Seiten  die 
Schlagschwärmer ’)  die  Ohren  betäubt.  Jetzt  aber... . Schlagschwär- 
mer kosten  Geld , und  die  Buben  wissen , dass  die  Leute  keine 


1)  Turßjhah  Plur.  Tardtik.  Yergl.  unten  S.  97. 


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Chamsah’s  mitgenommen  haben.  Ein  cId  ohne  Schliigereien  zwischen 
den  Quartieren  wiire  in  unserer  Jugend  undenkbar  gewesen;  wo 
nichts  verdient  wird,  fehlt  der  tolle  Uebermuth.  Ein  Kaufmann,  der 
Golddraht,  Gold-  und  Silberblech  zum  Aufheften  auf  Weiberklei- 
der verkauft,  bestätigt  den  pessimistischen  Eindruck:  früher  kaufte 
man  mir  diese  Dinge  haufenweise  ab,  und  jetzt  nimmt  man  nach 
langem  Feilschen  für  ein  paar  Dollars  vom  billigsten  Zeug!  < 

Laudatores  temporis  acti  sind  in  Mekka  nicht  weniger  als  bei 
uns;  die  oben  angedeuteten  Betrachtungen  sind  jedoch  nicht  gänz- 
lich aus  der  Luft  gegriffen.  Das  verhindert  die  Leute  aber  nicht 
daran,  möglichst  froh  ihr  Fest  zu  feiern;  wenngleich  in  weniger 
kostbaren  Kleidern  und  ohne  Uebermuth,  essen  und  trinken  sie  so 
lustig  wie  vorhin. 

Beiläufig  bemerken  wir , dass  dieses  Fest  zwar  officiell  im  Gegen- 
satz zum  //grossen  Feste”  des  IO4™  Du  ’l-hiddjah  das  »kleine  Fest” 
heisst , aber  in  den  meisten  Ländern  thatsächlich  grössere  Bedeutung 
erlangt  hat  als  jenes.  Kein  Wunder , denn  man  freut  sich  ob  der 
Beendigung  des  schweren  Versöhnungsmonats,  während  der  10*® 

Tag  des  12le“  Monats  allerdings  für  die  erschöpften  Pilger,  die  im 
Thale  Muna  sind,  ein  Tag  der  Erholung  ist,  den  übrigen  Gläubi- 
gen dagegen  gar  keinen  Anlass  zu  gegenseitigen  Glückwünschen  giebt. 

Man  weiss,  dass  es  empfehlenswerth  sei,  an  diesem  Tage  ein  ge- 
meinschaftliches Qalät  mit  Festpredigt  zu  halten  und  einen  Opfer- 
hammel mit  einander  zu  verzehren,  aber  solche  blosse  Nachahmung 
eines  Festes,  das  eigentlich  nur  in  Muna  nach  Gebühr  begangen 
werden  kann,  hat  nicht  viel  Anziehendes.  Nun  könnte  man  denken, 
dass  die  religiösen  Ceremonien  des  grossen  Festes  also  nirgends  feier- 
licher beobachtet  würden  als  in  dem  östlich  von  Mekka  gelegenen 
Thale.  Dem  ist  aber  nicht  so;  ungelehrte  Mekkaner  wissen  sogar 
kaum,  dass  das  Gesetz  für  den  IO100  Du  ’l-Hiddjah  einen  ähnlichen 
Gottesdienst  angeordnet  hat,  wie  das  Mesclihed  des  l*,e“  Schawwal. 

Spät  in  der  Nacht  oder  frühmorgens  kommen  die  Pilger  mit  ihrem 
Gepäck  und  ihren  Begleitern  von  ‘Arafat  in  Muna  an.  Hier  stehen 
die  Fremden  unbeholfen;  die  Scheche  und  ihre  Diener  müssen  die 
Kameele  abladen,  Zelte  aufschlagen , Speisen  zubereiten,  kurz  allen 


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Bedürfnissen  ihrer  Kunden  abhelfen.  Kaum  sind  sie  fertig,  so  ist 
die  Zeit  des  Gottesdienstes  längst  vorbei.  Ausserdem  haben  sie  für 
die  Pilger  Opferthiere  zu  kaufen,  sie  zu  einem  Barbier  zu  führen, 
um  durch  die  Kopfrasierung  theilweise  den  schwierigen  Ihrämzu- 
stand  aufzuheben , und  ihnen  Reitesel  zu  beschaffen , damit  sie  schnell 
nach  Mekka  reiten,  dort,  das  abschliessende  Tawäf  verrichten  und 
auf  drei  weitere  Tage  nach  Muna  zurückkehren.  Andere  Mekkaner 
sind  mit  ihren  VVaaren  ')  oder  als  Barbiere  und  Schlächter  herge- 
kommen und  können  ihre  Standorte  keinen  Augenblick  verlassen. 
Von  den  Pilgern  könnten  viele  sich  in  die  Chef-moschee  begeben, 
um  sich  am  Fest-^alät  zu  betheiligen , wenn  nicht  die  grosse  Gefahr 
wäre,  dass  sie  später  stundenlang  in  dem  riesigen  Zeltlager  umher- 
irren müssten,  ohne  ihre  eigne  zeitweilige  Wohnung  ausfindig  zu 
machen;  sie  zu  begleiten,  hat  aber  kein  Mensch  Zeit. 

In  der  Moschee  von  Muna  sind  daher  bloss  einige  vornehme  Mek- 
kaner und  officielle  Personen  versammelt,  ohnedass  die  meisten  Pil- 
ger darum  wissen.  Die  frömmsten  von  diesen  halten  das  Qalät  in 
der  Nähe  ihrer  Zelte  in  kleinen  Gesellschaften  ab;  Mekkaner  be- 
theiligen sich  selten  daran.  Mekka  selbst  ist  aber  so  gut  wie  men- 
schenleer , und  von  einem  Meschhed  kann  dort  nicht  die  Rede  sein. 
Nicht  weniger  als  anderswo  ist  also  in  der  heiligen  Stadt  das  »kleine 
Fest”  ein  recht  grosses , während  das  »grosse  Fest”  den  Mekkanem 
viel  Freude,  aber  noch  inehr  Mühe  bereitet  und  die  nicht  ausschliess- 
lich zum  Haddj  gehörenden  Ceremonien  darob  vergessen  werden. 

Nach  dem  Meschhed  gilt  es  nur , Besuche  zu  machen  und  zu  emp- 
fangen. Die  jüngeren  Leute  gehen  zunächst  zu  älteren  Verwandten 
und  etwaigen  Schwiegereltern , sodann  zu  Nachbarn  , Freunden , 
Lehrern;  kurz  der  Kreis  wird  möglichst  weit  gezogen,  und  man 
geht  sogar  mit  Freunden  zu  deren  Bekannten,  die  man  selbst  erst 

1)  Während  sonst  in  Mekka  die  Preise  der  ersten  Lebensbedürfnisse  (Brod,  Fleisch, 
Butter,  usw.)  zwangsweise  vom  Marktaufscher  {Hakim)  festgesetzt  werden,  gilt  als  her- 
kömmlich die  Aufhebung  dieser  Bestimmungen  während  der  Haddj-tage  an  den  Statio- 
nen der  Wallfahrt,  wo  also  Angebot  und  Nachfrage  ungehemmt  wirken.  Ea  versteht 
sich  übrigens  , dass  mit  jenem  hukm  h-»uq , welches  zum  gemeinen  Wohl  angeordnet  sein 
will , schrecklicher  Missbrauch  getrieben  w ird , bei  dem  nur  die  Beamten  ihre  Rechnung 
finden. 


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kennen  lernen  muss.  Geringere  Leute  besuchen  ihre  Patrone  und 
erwarten  von  diesen  eine  Gabe , zum  Neujahr  könnte  man  fast  sagen , 
denn  obgleich  es  der  lsl°  des  IO1*“  Monate  ist , zeugt  Alles  davon , dass 
im  ungeschriebenen  Volkskalender  dieser  Tag  Neujahrs  tag  ist.  Von 
allen  Seiten  hört  man  nur  die  Gratulationsformel  ’)  wiederhallen : »Zu 
»den  Wiederkehrenden  (d.  h.  für  die  das  Fest  wiederkehrt),  zu  den 
»Glückseligen  (möget  ihr  gehören)  jedes  Jahr,  wahrend  ihr  euch 
»wohl  befindet!”,  und  die  Antwort:  «Ja,  bei  Allah,  ihr  und  wir, 
»so  Gott  will,  und  die  ganze  Gemeinde  Muhammeds!”  Dem  Besu- 
cher wird  zu  jeder  Tageszeit  Kaffee  kredenzt,  und  auf  einem  hüb- 
schen Priisentierbrett  werden  ihm  drei  Teller  angeboten  mit  Zucker- 
mandeln , Gummizuckerwerk  und  gemischten  Bonbons  *),  von  denen 
er  etwas  nimmt,  worauf  der  Mebflschir  (der  die  Honneurs  macht) 
den  Teller  wieder  mit  einem  feinen , von  Goldblech  umsiiumten  Tuch 
zudeckt.  Ist  man  zufällig  beim  Festessen,  so  wird  der  Gast  noch 
weniger  als  sonst  fortgelassen,  bis  er  etwas  mit  genossen  hat;  tref- 
fen sich  einmal  einige  intime  Freunde  zusammen,  so  wird  wohl 
schnell  Thee  gemacht;  im  Uebrigen  sind  aber  die  Gratulationsbe- 
suche sehr  flüchtig.  Beim  Fortgehen  oder  eigentlich  als  Zeichen  der 
Erlaubniss  des  Hausherrn,  dass  man  fortgehe,  werden  Einem  die 
mit  brennendem  Weihrauch  versehene  Mibc/tarah  ’)  und  der  Ma- 
rasscb  *)  (Vase  zum  Sprengen)  mit  Rosenwasser  vorgehalten.  Statt 
des  letzteren  wird  wohl  auch  auf  dem  Präsentierteller  eine  kleine 
Schüssel  gesetzt,  die  mit  aromatischem  Oel  (z.  B.  Rosenöl)  getränkte 
Stückchen  Watte  enthält,  damit  der  Gast  den  kleinen  Finger  ein- 
tauche  und  sich  damit  unter  der  Nase  reibe;  so  setzt  man  sich  nicht 
der  Gefahr  aus , die  feinen  seidenen  Festkleider  mit  Rosenwasser  zu 
beschmutzen.  Für  die  wohlriechende  Gabe  dankt  der  Besucher  und 


1)  Mekk.  Sprichw.,  S.  29,  Anm. : min  el-'ajdin  min  eUfdfzin  knüa  seneh  tceniü  tajjünn. 

2)  Ualttwet  el-loz , — el-kalqnm , mttchakkal.  Anlässig  des  letzteren  Wortes,  das  «ver- 
schiedenartig” bedeutet,  sei  hier  erwähnt,  dass  in  Mekka  der  gewöhnliche  Komparativ 

zu  kethir : asckJcal  (JX&I)  lautet,  obgleich  aklhar  nicht  ganz  ungebräuchlich  ist.  In 
atchkal  liegt  bloss  die  Bedeutung  der  Monge,  ohne  jeden  Nebengedanken  der  Ver- 
schiedenheit. 

3)  VergL  Talei  XXXVII,  N«  17  und  18. 


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erhebt  sich;  der  Wirth  sendet  ihm  ausser  den  üblichen  Höflich- 
keitsformeln noch  besonders  seinen  Dank  für  die  übernommene 
Mühe  nach. 

In  den  breiteren  Strassen  belustigen  sich  die  Kinder  mit  »russi- 
schen Schaukeln”  ') , und  in  der  Nahe  von  Ali’s  Geburtshaus  machen 
die  schwarzen  Söhne  Ham ’s  ihren  Höllenlärm.  Die  Weiber  kommen 
nur  wenig  zur  Thür  hinaus,  weil  sie  nachzusehen  haben,  dass  den 
Besuchern  der  Gatten  nichts  fehle. 

Im  Gesetze  wird  anempfohlen,  die  ersten  sechs  Tage  nach  dem 
Feste  abermals  zu  fasten.  Dies  thun  in  Mekka  bloss  seltene  Virtuo- 
sen und  sehr  fromme  Weiber,  die  so  zugleich  etwaige  wegen  der 
Menstruation  ihnen  entgangene  Tage  des  Ramadhan  nachholen ; auch 
von  diesen  aber  schieben  viele  die  Entschädigung  bis  zum  Redjeb  *) 
auf.  Den  Leuten  der  wahren  mekkanischen  »Mitte  zwischen  den 
Extremen”  sind  der  2 10  und  3te  des  Monats  Fortsetzungen  des  Festes 
für  die  Männer,  an  denen  diese  ihre  weiteren  Besuche  machen  und 
Festessen  veranstalten;  einige  kündigen  ihren  Freunden  im  Voraus 
an,  an  welchem  Tage  sie  empfangen.  Vom  4,<,B  bis  zum  7‘*n  kom- 
men dann  die  Frauen  an  die  Reihe.  Nicht  alsob  die  Männer  schon 
genug  hätten,  vielmehr  setzen  sie  ihre  Halbferien  bis  gegen  Mitte 
des  Monats  fort;  aber  die  Weiber  haben  während  jener  drei  Tage 
die  Verfügung  über  die  besseren  Räume  der  Wohnung,  und  sie 
beschränken  sich  nicht  auf  Besuche  von  wenigen  Minuten , sondern 
sitzen  die  Zeit  ordentlich  ab,  trinken  Kaffee,  Thee,  Sorbets1 2 3)  und 
machen  Qelah. 

Im  Laufe  dieses  Monats  geht,  wenn  anders  die  Verhältnisse  es 
gestatten,  die  Qäflah  nach  Medina  ab;  ausser  den  früh  angekom- 
menen Pilgern  mit  ihren  Führern,  machen  davon  die  schwachen 
Mekkaner,  ihre  Weiber  und  Kinder  Gebrauch,  also  Alle,  die  nicht 
mit  dem  Rakb  reisen  können.  In  etwas  mehr  als  einem  Monat  sind 


1)  Dicso  heissen  MudrPjhah  (vgl.  Spitta’s  Grammatik,  S.  104,^  und  oben  die  Formen 
(hmrhch'rjschah  und  Turti-jkah  S.  2 und  93). 

2)  Vergl.  oben  S.  83. 

3)  Diese  Getränke  werden  allerdings  auch  den  Männern  auf  ihren  Bcauehen  häufig 
angeboten,  t.  B.  schar  ab  el-loz , — el-tcard , — el-Urnnn , — el-zunab. 

II  13 


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sie  zurück  und  bringen  ihren  Verwandten,  ausser  gleichem  Segen 
wie  die  Rodjebijjah , mehr  an  Gaben  heim , weil  es  der  Qäf  Iah  auf 
et.vas  Gepäck  mehr  nicht  ankommt.  Datteln,  Duqqab  (ein  Pulver, 
worin  man  seinen  Bissen  Brot  eintaucht)  *)  und  von  den  Beduinen- 
weibern am  Wege  verkaufte  Fächer’)  aus  Pal  men  blättern  sind  die 
gewöhnlichsten  Geschenke.  Auch  diese  Karawane  wird  feierlich  ein- 
geholt; zu  ihr  gesellen  sich  indessen  auch  solche  Mekkaner,  die 
während  des  kurzen  Aufenthalts  in  Medina  einen  kleinen  Handel 
treiben  und  also  einen  augenblicklich  greifbaren  Segen  erzielen. 

Noch  in  diesem  zehnten  und  vorzüglich  im  eilften  Monat  (Du 
'l-Qefdah)  macht  sich  das  vor  dem  Ramadhän  schon  ein  wenig  ein- 
getretene Gewerbefieber  mit  frischer  VVuth  geltend,  denn  die  zweite 
Abtheilung  des  Pilgerheeres  zieht  allmählich  in  die  heilige  Stadt 
ein.  Die  wachsende  Konkurrenz  macht  die  Scheche  immer  inbrün- 
stiger beten , dass  Allah  ihnen  ja  viele  und  wohlhabende  Pilger  sende ; 
auch  schmieden  sie  gegen  einander  Intrigen  aller  Art.  Durch  ihren 
Brotneid  erleichtern  es  die  Zunftgenossen  den  Regierenden , die  ganze 
Zunft  auszubeuten,  weil  diese  nun  behufs  der  Durchführung  miss- 
liebiger Maassrcgeln  eine  Coterie  gegen  die  andere  ausspielen  können. 

Bei  dem  Mangel  an  eigentlichen  Steuern  können  der  Fürst  und 
der  -/Resident”  nur  auf  indirekten  Wegen  einen  Theil  von  dem, 
was  die  Mekkaner  und  namentlich  die  Scheche  verdienen , an  sich 
ziehen.  Dies  geschieht  nun  einmal  dadurch , dass  sie  die  Scheche 
»ersuchen”,  von  den  Pilgern’),  die  sie  in  Djiddah  abholen,  »frei- 
willige Beiträge”  z.  B.  zur  Erhaltung  der  mekkanischen  und  zur 
Herstellung  der  Djiddah ’schen  Wasserleitung  zu  erheben ; Scheche , 


1)  Vcrgl.  Mekk.  SpricW.,  S.  49. 

2)  Vcrgl.  Tafel  XXXVJII,  N°.  5.  Die  Besucher  dos  Grabes  bringen  aus  Medina 
auch  vielfach  ein  Gctreidoniaass  mit,  welches  aus  Blech  genau  nach  dem  Muster  des 
Mudd  angefertigt  wird,  das  vom  Propheten  zur  Abmessung  seiner  Pnstonabgnbc  ( ZaktU 
al-fitr ) gebraucht  und  seitdem  unversehrt  von  einor  Hand  in  die  andere  übergegangen 
sein  soll.  Das  auf  rothem  Papier  geschriebene  Itmid  der  Besitzer  wird  immer  beigefügt) 
mein  Exemplar  des  Mudd  uhbewi  enthält  0.8  Liter. 

3)  Muslime,  die  nicht  türkische  Untcrthanen  sind  und  also  ohne  türkischen  Paas  in 
Djiddah  ankommen,  müssen  sich  dort  für  die  Reise  nach  Mekka  einen  solchen  Pass 
beschaffen;  dieser  nützt  ihnen  gar  nichts,  aber  die  zu  entrichtenden  Gebühren  stellen 
eine  versteckte  Pilgersteucr  dar. 


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die  augenscheinlich  zu  viele  Pilger  als  unvermögend  gelten  lassen, 
kann  man  leicht  durch  geschicktere  ersetzen.  Dann  aber  dienen  die 
Taqrir  s ((Jewerbelicenzen)  der  Scheche  dazu,  sie  selbst  zu  scheeren. 
Von  jeher  bedurften  die  »Meister”  eines  Gewerbes  ausser  der  Auf- 
nahme in  die  Zunft  von  seiten  der  Zunftgenossen  noch  der  »Aner- 
kennung” vom  Landesfürsten.  Ebenso  wie  jene  Aufnahme,  lautete 
diese  Anerkennung  auf  ewige  Zeiten,  wenn  nicht  der  Betreffende 
durch  seine  Aufführung  sich  der  weiteren  Ausübung  seiner  Rechte 
unwürdig  mache.  Diese  Ausnahme  ermöglicht  es  dem  Grossscherif, 
dem  Inhaber  eines  Taqrir  mit  dessen  Zurücknahme  zu  drohen , wenn 
er  nicht  durch  Geschenke  das  Unheil  abzuwehren  weiss.  Bis  vor 
Kurzem  galt  nun,  abgesehen  von  solchen  Maassnahmen  gegen  Ein- 
zelne, das  einmal  verliehene  Taqrir,  für  welches  nebenbei  gehörig 
bezahlt  wurde,  als  unveräusserlich;  nur  lieim  Tode  eines  Schech’s 
hatte  sein  Nachfolger  wieder  zu  zahlen,  und  sonst  gaben  die  Kor- 
porationen bloss  an  gewissen  Festtagen  oder  z.  B.  wenn  sie  in  ihrem 
Interesse  um  eine  Audienz  baten , dem  Herrn  der  Stadt  »herkömm- 
liche” Geschenke.  In  den  letzteu  Jahren  haben  aber  der  »Fürst” 
und  der  »Resident”  dann  und  wann  einen  allgemeinen  Aderlass 
angewendet,  wodurch  alle  Zunftbrüder  gleich  »nissig  betroffen  wurden. 

Wenn  nach  der  Ansicht  jener  Herren  die  eine  Klasse  von  Pil- 
gern ausbeutenden  »Scheche”  mehr  als  genug  zu  verdienen  scheinen , 
so  führen  sie  in  Gemeinschaft  mit  dem  Oberschech  (der  gegen  solche 
Dinge  ja  nichts  einwenden  darf)  eine  neue  Ordnung  der  Zunft  ein, 
wodurch  alle  Taqrir’«  erneuert  werden  müssen.  Die  Erneuerung  kostet 
aber  jeden  Schech  einige  hundert  Dollars,  und  diese  Leute  sind 
somit  gezwungen,  im  Voraus  einen  Wechsel  auf  den  von  ihnen  zu 
erzielenden  Gewinn  selbst  zu  diskontieren.  Dabei  hat  der  Oberschech 
Gelegenheit,  indem  er  bei  der  Neuordnung  seine  Freunde  zum  Nach- 
theil  ihrer  Konkurrenten  bevorzugt,  kleine  Privatgeschäfte  zu  machen , 
von  denen  er  sich  aber  wieder  Abzüge  gefallen  lassen  muss,  sobald 
höhere  Beamte  davon  erfahren  haben. 

In  den  letzten  Jahren  wurden  z.  B.  die  Taqrir’s  der  Scheche , die 
den  Djäwah  (Malaien)  als  Führer  dienen , zweimal  erneuert.  Einmal 
fand  man  es  zweckmässig,  die  bisher  allgemein  auf  die  »Djäwah- 


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pilger”  lautenden  Diplome  in  solche  umzuändern,  auf  denen  er- 
wähnt wurde , mit  welcher  Klasse  von  Djäwah  (z.  B.  von  Puntianak, 
von  den  Lampong’schen  Districten  uaw.)  der  betreifende  Schech  sich 
beschäftigen  dürfe.  Schon  im  nächsten  Jahre  fand  man  jedoch,  dass 
auch  so  Uebergriffen  eines  Schechs  in  das  Gebiet  des  andern  nicht  ge- 
nügend vorgebeugt  war , weil  z.  B.  von  mehreren  Schechen , die  alle 
für  die  gleiche  Landschaft  patentiert  waren , sich  vielleicht  einer  durch 
List  und  Intrigen  aller  Pilger  bemächtigen  könnte.  Es  fand  daher 
eine  neue  Vertheilung  der  ostindischen  Inselwelt  in  kleinere  Unter- 
abtheilungen  statt , oder , wie  die  in  Mekka  ansässigen  Malaien  scher- 
zend sagten,  die  malaiischen  Länder  wurden  abermals  versteigert. 
Von  einzelnen  einflussreichen  Schechen  abgesehen,  erhielt  wirklich 
der  Meistbietende  das  Pilgervieh  einer  Provinz  zur  Ausbeutung. 

Natürlich  war  für  die  Reform  nur  die  kleine  Minorität  eingenom- 
men, die  trotz  dem  hohen  Preise  ihrer  Taqrir’s  und  anderen  hin- 
zukommenden Erpressungen  Aussicht  auf  Erhöhung  ihrer  Einkünfte 
bekam;  die  Uebrigen  klagten  bitterlich,  und  einige  dreiste  Leute 
wollten  gar  rebellieren.  Obgleich  eine  solche  Rebellion  heimlich  ge- 
plant wird,  erfahrt  die  Regierung  doch  Alles  durch  ihre  geheime 
Polizei,  wozu  namentlich  Weiber  benutzt  werden;  auf  einmal  wur- 
den die  Häupter  der  Opposition  abgefasst ; während  ihrer  Gefangen- 
schaft wurde  die  neue  Ordnung  ohne  Störung  eingeführt,  weil  es 
den  Anderen  an  Muth  fehlte.  Damit  nun  aber  nicht  nachträglich 
auf  Anstiften  von  Feinden  des  Gouverneurs  die  Unzufriedenen  eine 
»Darlegung”1 2)  nach  Stambul  richteten,  nöthigte  man  alle  Zunftge- 
nossen , ein  Schreiben  an  den  Sultan  zu  unterzeichnen , in  welchem 
sie  ihm  für  die  Einsetzung  eines  solchen  Statthalters  dankten,  der 
durch  seine  Neuordnung  ihren  Wünschen  zuvorgekommen  sei  *),  und 
schliesslich  forderte  der  Zunftmeister  von  allen  seinen  »Söhnen”  eine 
Gabe,  weil  er  sich  »in  ihrem  Interesse”  soviel  Mühe  gegeben  habe. 
So  wird  in  den  letzten  Monaten  des  Jahres  die  Haut  der  Pilger 


1)  VergL  Bd.  I,  8.  176. 

2)  Darin  hiess  es.  Alle  seien  jener  Ordnung  beigetreten  rddhiit,muclUiirin , mutatehak- 
kirin , mamnünw. 


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verkauft,  bevor  sie  noch  eingefangen  sind;  denn  es  versteht  sich, 
dass  sie  schliesslich  die  Zeche  zahlen  müssen. 

Aus  dieser  Probe  kann  man  ersehen,  wie  das  Gewerbefieber  in 
der  mekkanischen  Gesellschaft  nach  dem  Ramadhän  allmählich  um 
sich  greift.  Je  mehr  Pilger  nun  hereinströmen , um  so  weniger  Raum 
bleibt  dem  eigentlich  mekkanischen  Leben  und  Treiben  übrig.  Vom 
eilften  Monat  bis  zum  ersten  des  nächsten  Jahres  kann  der  Fremde 
inmitten  dieser  beutegierigen  Menge  verkehren,  deren  materielles 
Glück  für  ein  ganzes  Jahr  aufs  Spiel  steht,  ohne  auch  nur  zu  ver- 
muthen , dass  nach  seiner  Heimreise  ein  frohes , geselliges  Leben  an 
die  Stelle  des  wüthenden  Kampfes  ums  Geld  treten  wird.  Ebenso- 
wenig als  mit  diesem  Leben,  wird  der  Pilger  mit  der  Bedeutung 
der  Moschee  als  Universität  bekannt,  wenn  er  sich  nicht  selbst  auf 
längere  Zeit  zum  Studium  hier  niederlässt;  auch  bleibt  ihm  das 
Familienleben  der  Mekkaner  völlig  fremd. 

Gerade  deshalb,  weil  die  nach  Europa  gelangten  Berichte  über 
Mekka  fast  ausnahmslos  direkt  oder  indirekt  auf  Pilger  zurückgehen , 
sind  wir  im  Vorhergehenden  etwas  näher  auf  die  Darstellung  des 
eigenen  Lebens  der  Mekkaner  eingegangen,  sofern  sich  dieses,  so 
zu  sagen,  auf  der  Strasse  und  in  der  Oefientlichkeit  beobachten 
lässt.  Unser  letztes  Kapitel  über  die  Djäwah  wird  uns  Gelegenheit 
bieten,  noch  dies  und  jenes  über  die  Ausbeutung  der  Pilger  nach- 
zuholen; in  den  beiden  nächsten  Abschnitten  soll  aber  versucht 
werden,  das  Leben  der  mekkanischen  Familie  und  die  im  Haram 
koncentrierten  wissenschaftlichen  Bestrebungen  zu  skizzieren. 


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II. 

DAS  FAMILIENLEBEN. 


Wer  einen  europäischen  Leserkreis  in  die  muhammedanische  Fa- 
milie einfiihren  will,  muss  vor  allen  Dingen  einigen  eingebürgerten 
Irrthümem  entgegentreten.  Bei  uns  denkt  man  sich  ja  im  hinteren 
Theile  des  Hauses  eines  Muslim’s  eine  Art  Gcfiingniss,  das  Harem 
heisst,  in  welchem  etwa  vier  Weiber  und  Gott  weiss  wie  viele 
Sklavinnen  den  Launen  ihres  Herrn  dienen  und  aus  dem  sie  nur 
dann  und  wann  verschleiert  hervorkriechen,  ln  solchen  falschen  Vor- 
stellungen werden  die  Europäer  durch  die  Lektüre  der  meisten 
Reiseberichte  nur  noch  bestärkt,  weil  gerade  dieser  intime  Theil 
des  muslimischen  Lebens  den  Reisenden  fast  immer  verschlossen  bleibt. 
Was  sie  davon  hören  (vielfach  beziehen  sic  ihre  Erfahrungen  nicht 
aus  den  feinsten  Kreisen),  macht  ihnen  einen  sonderbaren  Eindruck , 
und  was  sie  nicht  hören , erzeugt  bei  ihnen  den  Glauben , dass  die 
Muslime  diese  Dinge  ausserordentlich  geheim  halten;  was  sie  aber 
davon  sehen , das  sind  eben  jene  verschleierten  Gestalten , denn , ob- 
gleich nachgewiesenermaassen  ')  die  Verschleierung  kein  muslimisches 
Gesetz  ist , so  gehört  sie  doch  zu  den  Sitten , die  man  in  den  Städten 
der  grossen  muhammedanischen  Kulturländer  ziemlich  genau  befolgt. 


1)  VergL  meinen  Aufsatz  in  »Bijdragcn  Tan  het  Koninklijk  Ncdcrlandsch-Indisch 
Instituut”,  5o  Volgreeks,  I,  S.  365  IT. 


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103 


Harim  ist  in  Mekka  kein  Theil  der  Wohnung,  sondern  es  sind 
die  Weiber  selbst1);  wenn  einer  von  seinen  Harim  redet,  meint  er 
seine  Weiber,  Sklavinnen  und  noch  etwa  weibliche  Verwandten , die 
in  seinem  Hause  wohnen.  Aus  der  Beschreibung  mekkanischer  Woh- 
nungen im  vorigen  Abschnitt  erhellt,  dass  diesen  Harim  kein  be- 
stimmter Theil  der  Wohnung  eigen  ist ; wo  sie  sich  aber  eben  befinden , 
dort  hat  der  Besucher  ebenso  wenig  freien  Zutritt  wie  bei  uns  in 
die  Schlafgemächcr  der  Hauser  seiner  Bekannten , und  weil  man  ihren 
zeitweiligen  Aufenthalt  nie  genau  wissen  kann , braucht  man  in  frem- 
den Wohnungen  einen  Mann  aus  dem  Hause  als  Führer.  Trotzdem 
darf  man  sich  die  Beschränkung  des  Verkehrs  beider  Geschlechter  nicht 
zu  stark  denken. 

Blosse  Geschäftsfreunde  des  Mannes  bemerken  allerdings  von  dessen 
häuslichen  Verhältnissen  sehr  wenig;  es  kann  Vorkommen,  dass  sie 
ihn  wöchentlich  mehrere  Male  besuchen,  ohne  auch  nur  zu  wissen, 
ob  er  verheirathet  ist  oder  nur  eine  Konkubine  hat  und  was  für  Weiber 
sonst  in  seiner  Wohnung  hausen.  Dagegen  ist  der  Verkehr  der  Haus- 
freunde mit  den  Weibern  des  Hauses  um  so  freier,  je  einfacher 
die  Lebensverhältnisse  des  Bewohners.  Bei  sehr  reichen  Kaufleuten 
und  den  höchsten  Beamten  sehen  sich  die  Weiber  von  zwei  befreun- 
deten Familien  ebenso  wie  die  Männer,  bleiben  aber  die  Geschlechter 
immer  getrennt ; cs  giebt  sogar  Fälle , wo  zwei  Freunde  ihre  Frauen 
von  einander  fern  halten,  damit  nicht  der  Weiberklatsch  ihr  gutes 
Verhältniss  störe.  Manchmal  haben  sie  ausser  ihrem  grossen  Hause, 
wo  der  Kaufmann  seine  Geschäftsräume,  der  Beamte  seine  Amts- 
zimmer hat,  mehrere  kleinere  Wohnungen  oder  Landhäuser,  in  denen 
die  weiblichen  Angehörigen  meistens  verweilen , und  dann  bleibt  der 
Freundesbesuch  von  selbst  ausser  Berührung  mit  dem  Leben  der 
Harim.  Während  die  Beziehung  zwischen  solchen  Freunden  sich 
allmählich  inniger  gestaltet , bilden  ihre  Harimverhältnisse  (die  übri- 
gens grossem  Wechsel  unterliegen)  nur  ganz  gelegentlich  einmal  dem 
Gegenstand  ihres  Gesprächs.  Kommt  es  zufällig  darauf,  so  werden 

1)  Weiteres  über  den  betreffenden  Sprachgebrauch,  Mckk  Sprich«*.,  S.  19,  85.  Dem 
dort  Bemerkten  wäre  hinzuzufiigen , dass  ’ijitli  ganz  gleichbedeutend  mit  ahl  bätf , harimx 
und  djama'ati  gebraucht  wird. 


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104 


diese  Dinge  aber  ohne  jegliche  Zurückhaltung  besprochen,  wenn 
nicht  besondere  Gründe  solche  erforderlich  machen;  zu  derartigem 
Gedankentausch  braucht  man  gar  nicht  so  sehr  mit  einander  ver- 
traut zu  sein,  denn  das  Thema  wird  hier  von  ähnlichem  Gesichts- 
punkte aus  behandelt , wie  bei  uns  z.  B.  der  Geschmack  und  die 
Erfahrungen  einiger  Zusammensitzenden  in  Bezug  auf  Wein  und 
Taback  Stoff  zur  Unterhaltung  liefern  können. 

Anders  geht  es  schon  bei  den  mittleren  Klassen  her ; während  der 
Mann  einen  guten  Bekannten  im  Medjlis  bei  sich  hat,  sitzt  z.  B. 
die  Frau  im  Nebenzimmer.  Die  Thür,  welche  beide  Gemächer  trennt, 
ist  nicht  ganz  zugeschlossen;  ohnedies  bilden  sich  in  Mekka  zwi- 
schen allen  Thiiren  und  ihren  Pfosten  bald  handbreite  Oeffnungen, 
weil  die  Hitze  das  Holz  zusammenzieht.  Kennt  der  Betreffende  seinen 
Freund  als  keusch,  als  einen,  dessen  //Auge”  in  Bezug  auf  Weiber 
//erfüllt”  ist  (d.  h.  der  ohne  Neid  oder  Begierde  des  Anderen  Glück 
sehen  kann),  so  zieht  er  selbst  einmal  seine  Gattinn  ins  Gespräch, 
und  von  da  an  dürfen  die  Beiden  frei  mit  einander  reden ; nur  dass 
es  zwischen  ihnen  etwas  Trennendes  (d.  h.  einen  Schleier , einen  Ver- 
schlag oder  dergl.)  geben  muss.  Aber  auch  zur  Aufhebung  dieser 
letzten  Beschränkung  können  verschiedene  Umstände  den  Gatten  be- 
stimmen. 

Gegen  Verwandte,  die  eben  wegen  der  Verwandtschaft  keine  Ehe 
mit  der  Frau  eingehen  können,  sowie  gegen  die  Sklaven  gilt  die- 
selbe bekanntlich  gar  nicht,  und  diese  Ausnahme  wird  in  Mekka 
im  weitesten  Sinne  interpretiert,  sodass  auch  entferntere  Verwandte 
und  freie  Diener  mit  einbegriffen  werden,  wenn  sie  zuverlässig 
oder  sonst  ungefährlich  sind.  Nun  macht  man  aber  wohl  solche 
Freunde,  mit  denen  man  ganz  ungezwungen  verkehren  will,  zu 
Adoptivverwanten  seiner  Frau  und  stellt  sie  dieser  je  nach  dem 
Alter  als  Vater,  Sohn  oder  Bruder  vor.  Es  versteht  sich,  dass  der 
Gatte  dies  nur  in  der  festen  Ueberzeugung  thut,  von  einer  Ehe 
zwischen  beiden  könne  nie  die  Rede  sein,  denn  sonst  wäre  die 
Aufhebung  der  Schranken  vielleicht  der  erste  Anlass  zu  unerwünsch- 
ter Intimität,  worauf  dann  die  Frau  ihrem  Manne  das  Leben  so 
schwer  machen  würde,  dass  er  ihr  bald  die  Freiheit  wiedergäbe. 


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105 


Ein  Hauptgrund , aus  dem  jene  Hemmungen  des  Verkehrs  sich  im- 
mer strenger  entwickelt  haben , ist  gerade  die  Lockerheit  des  muslimi- 
schen Ehebandes.  Wäre  nicht  die  Möglichkeit,  dass  ein  bei  der  Gemah- 
linn  zugelassener  Freund  ohne  Verletzung  der  Sittlichkeit  bald  die  Stelle 
des  Gemahls  einnähme,  so  gäbe  es  weniger  Schleier  und  Verschlage. 
Wo  solche  Furcht  nach  Ansicht  des  Gatten  ausgeschlossen  ist,  he- 
ben sich  diese  auch  jetzt,  soviel  es  die  bösen  Zungen  zulassen. 

Obgleich  nun  das  Gesetz  solehc  Adoptivverwandtschaft  durchaus 
nicht  berücksichtigt  und  keiner  solche  Verhältnisse  offenkundig  macht, 
so  gilt  doch  eine  Ehe  zwischen  dergestalt  mit  einander  verkehren- 
den Leuten  in  Laienkreisen , die  darum  wissen , als  unsittlich , und 
wenden  diese  sogar  das  Wort  harfim  (von  Allah  verboten)  darauf  an. 

In  den  unteren  Klassen  herrschen  gleichfalls  die  eben  erwähnten 
Sitten,  nur  dass  sie  hier  schon  wegen  der  beschränkteren  Raum- 
verhältnisse mit  noch  mehr  Freiheit  befolgt  werden.  Auch  aus  an- 
derweitigen Gründen  als  denen  der  Geselligkeit  erfahrt  aber  der 
Verkehr  manche  Erleichterung. 

Während  sich  die  Söhne  Mekka’s  über  Weiberangelegenheiten  bei 
ihren  weiblichen  Verwandten  oder  bei  Kupplerinnen  erkundigen , ist 
dem  Fremden  dieser  Weg  allzu  unsicher.  Er  wendet  sich  an  männ- 
liche Hcirathsvermittler , oder  vielmehr  diese  kommen  seinen  Wün- 
schen zuvor.  Eine  ledige  Frau,  sei  sie  Jungfrau  oder  ‘Azabak  (Ver- 
wittwete  oder  Geschiedene),  ist  ihren  nächsten  Verwandten  zur  Last, 
wenn  sie  nicht  viel  Geld  besitzt ; eine  solche  sucht  daher  eine  Stellung 
als  zeitweilige  Lebensgefahrtinn  eines  Mannes,  denn  so  bekommt 
sie  ausser  einer  voraus  stipulierten  Morgengabe  freie  Wohnung,  Kost 
und  Kleidung  und,  wenn  der  Mann  die  Mittel  dazu  hat,  uuch 
einen  Sklaven  oder  eine  Sklavinn  zu  ihrer  Verfügung.  Sogar  reiche 
ledige  Weiber  wünschen  manchmal  in  ihrem  Interesse  eine  Ehe  ein- 
zugehen, um  sich  dem  Einfluss  ausbeutender  Verwandten  zu  ent- 
ziehen ; solche  sehen  von  allen  gesetzlichen  Ansprüchen  ab  '),  unter- 

1)  Nämlich  durch  mündliche  Verabredung,  denn  im  Ehekontrakt  darf  nichts  stipu- 
liert  werden,  wodurch  eine  gesetzliche  Bestimmung  für  eine  der  Parteien  aufgehoben 
wiirdo.  So  kann  auch  der  ärmst«  Mann  immer  gesetzlich  gezwungen  werden,  seine 
steinreiche  Gattinn  zu  unterhalten,  während  er  selbst  in  keinem  Fall  auf  einen  Pfennig 
von  ihrem  Besitz  Anspruch  hat. 

U 14 


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106 


halten  selbst  den  Mann , der  ihre  Freiheit  schützen  will , und  können, 
wenn’s  ihnen  beliebt,  immer  leicht  die  Scheidung  veranlassen.  Gleichviel 
aus  welchem  Grunde  eine  Dame  heirathslustig  ist  oder  ihre  Verwandten 
sie  los  sein  wollen,  sie  brauchen  zur  Erreichung  ihres  Zwecks  die 
Hülfe  der  Heirathsvermittler , und  da  hier  die  meisten  Frauen  ein 
oder  ein  paar  Dutzend  Ehen  im  Leben  schliessen , führt  ihre  sociale 
Stellung  von  selbst  einen  regen  Verkehr  mit  allerlei  Männern  herbei, 
die  wohl  einmal  als  Vermittler  auftreten. 

Dass  alte  Bettlerinnen  und  verrückte  Frauen  unverschleiert  gehen, 
will  nicht  viel  sagen;  dagegen  ist  der  ziemlich  freie  Verkehr  von 
Knaben  und  Mädchen  bis  zum  Sun  oder  101™  Lebensjahre  ein  wich- 
tiger Faktor  im  Leben  der  mekkanischen  Gesellschaft.  Ehen,  die 
wirklich  in  der  Liebe  begründet  sind,  werden  nicht  selten  beim 
Spielen  vorbereitet.  Nachdem  der  Schleier  dem  Mädchen  den  Stem- 
pel ihres  Geschlechts  aufgedrückt  hat , weiss  der  Knabe  doch  Mittel 
zu  finden , ihr  das  Fortdauern  seiner  Zuneigung  mitzutheilen  ; später 
überbringen  Vertrauenspersonen  die  poetischen  und  prosaischen  Er- 
güsse seiner  Liebe,  und  wenn  die  Antwort  nicht  ausbleibt,  sucht 
endlich  der  junge  Mann  die  Genehmigung  der  beiderseitigen  Eltern 
nach,  worauf  die  Hochzeit  stattfindet. 

Nachdem  wir  so  gesehen  haben,  was  es  mit  dem  »Harem”  für 
eine  Bewandtniss  hat , wollen  wir  nun  die  Polygamie  ins  Auge  fassen. 
In  dieser  Hinsicht  ist  der  Zustand  in  Mekka  so  ziemlich  wie  in 
anderen  muslimischen  Ländern:  nur  sehr  reiche  Leute  machen  ein 
seltenes  Mal  Gebrauch  von  der  Erlaubniss  des  Gesetzes,  vier  Gat- 
tinnen zu  gleicher  Zeit  zu  haben , und  überhaupt  findet  man  solche , 
die  mehr  als  eine  Frau  haben,  lediglich  in  den  höchsten  Kreisen. 
Abgesehen  von  den  nicht  zu  unterschätzenden  Schwierigkeiten , welche 
die  praktische  Polygamie  Leuten  aus  den  mittleren  und  unteren  Klassen 
auch  sonst  bereiten  würde,  sind  ihnen  schon  die  Kosten  eines  sol- 
chen Luxus  viel  zu  hoch.  Also  ist  die  Monogamie  Hegel,  und  was 
der  muslimischen  Familie  ihr  eigenthümliches  Gepräge  gewährt,  ist 
nicht  sosehr  die  Polygamie  als  die  Lockerheit  des  Ehebandes;  na- 
mentlich in  einer  Fremdenstadt  wie  Mekka  gewinnt  diese  die  höchste 
Bedeutung.  Der  Mann  kann  seine  Frau  ohne  jeden  Grund  versto- 


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ssen;  er  lässt  sich  von  diesem  Verfahren  zurückhalten  durch  Rück- 
sichten auf  die  Verwandten  seiner  Frau,  oder  weil  ihm  die  Kosten 
der  unvermeidlichen  neuen  Ehe  und  der  Scheidung  zu  theuer  werden , 
in  seltenen  Fällen  durch  Mitleid  für  die  Frau  selbst.  Sind  derlei 
Beweggründe  nicht  vorhanden , so  entschliesst  er  sich  zur  Trennung 
mit  viel  weniger  Schwierigkeit  als  der  Europäer  zum  Abbruch  der 
Beziehungen  zu  seiner  Maitresse;  diesem  hat  ja  sein  Verhältniss 
zuviel  Aehnlichkeit  mit  der  fast  unauflöslichen  Ehe,  während  dem 
Muhammedaner  jede  Ideenassociation  zwischen  Ehe  oder  Liebe  und 
Ewigkeit  fern  liegt. 

In  den  hohen  mekkanischen  Kreisen  werden  häufig  ein  Knabe 
und  ein  Mädchen  im  jüngsten  heirathslahigen  Alter  faktisch  durch 
die  Eltern  mit  einander  verbunden,  weil  man  aus  irgend  einem 
Grunde  die  Interessen  beider  Familien  vereinigen  möchte.  Es  wäre 
reiner  Zufall,  wenn  hier  Neigung  des  Gatten  zu  seiner  Frau  ent- 
stünde; trotzdem  sind  solche  Ehen  begreiflicherweise  die  dauerhaf- 
testen. Gewöhnlich  hat  der  Mann  ja  die  Mittel,  die  Gegenstände 
seiner  Liebe  ebenfalls  zu  erwerben;  nur  bleibt  dann  die  ältere  Frau 
als  Bint  * amm  ')  nominell  seine  eigentliche  Gefährtinn.  Nur  wenn 
sie  sich  etwas  Schändliches  zu  Schulden  kommen  lässt  oder  aber 
selbst  darum  bittet,  wird  ihr  Ihn  ‘ amm  das  Taläq  über  sie  aus- 
sprechen. Diesen  vornehmen  Ehen  stehen  der  Dauer  nach  die  aller- 
ärmsten zunächst,  weil  da  durch  die  Trennung  zwei  unglückliche 
Personen  nur  noch  weit  unglücklicher  würden.  Zwischen  beiden 
Extremen  liegt  die  Mehrzahl,  von  der  man  sagen  kann,  dass  die 
Männer,  auch  ohne  Polygamen  zu  sein,  mehrere  Ehen  nach  ein- 
ander sehliessen,  während  die  wenigsten  Weiber  im  Leben  nur 
einem  Manne  angehören. 

Zur  Auflösung  der  Ehe  verfügt  auch  das  Weib  über  einige  ge- 
setzliche und  viele  aussergesetzliche  Mittel.  Vor  dem  Richter  steht 
ihr  die  Zurückforderung  ihrer  Freiheit  zu  wegen  schwerer  Misshand- 
lung, wegen  Unvermögens  des  Gatten,  sie  mit  Wohnung , Kleidung 
und  Lebensmitteln  zu  versorgen,  wegen  Impotenz  oder  Irrsinns  des 


1)  Vergl.  Mokk.  Sprichw.,  8.  17. 


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Mannes;  ferner  erkauft  die  reichere  Frau  von  dem  ärmeren  Gatten 
wohl  einmal  das  Taläq.  Viel  leichter  als  dies  alles  wird  es  ihr  aber, 
dem  missliebigen  Herrn  die  Hölle  so  heiss  zu  machen , dass  er  nach 
vergeblichen  Versuchen,  seine  Autorität  aulrechtzuerhalten , selbst 
das  Band  lösen  muss. 

Schon  oben  wurde  bemerkt,  dass  mündliche  Verabredungen,  deren 
Kraft  nur  in  der  Sitte  begründet  ist , häufig  dazu  dienen , eine  der 
Parteien  von  gewissen  gesetzlichen  Verpflichtungen  gegen  die  andere 
zu  entbinden.  In  solcher  Weise  verzichtet  z.  B.  die  Frau  auf  ihr  Recht 
auf  Lebensunterhalt , bedingt  sie  sich  ein  ganzes  Stockwerk  als  Woh- 
nung aus,  giebt  sich  damit  zufrieden,  dass  weibliche  Verwandten  des 
Mannes  mit  ihr  zusammenwohnen,  oder  erklärt  sich  bereit,  die  Führung 
der  Haushaltung  zu  übernehmen  (wozu  sie  gesetzlich  keineswegs  ver- 
pflichtet ist).  Obgleich  nun  solche  Bedingungen  gar  keine  gesetz- 
liche Geltung  haben,  verurtheilt  die  öffentliche  Meinung  doch  den- 
jenigen, der  sie  nicht  inne  hält,  und  erachtet  die  andere  Partei 
für  berechtigt,  sich  möglichst  zu  rächen.  Uebrigens  kennen  die  Frauen 
die  gesetzlichen  Bestimmungen  bezüglich  der  Ehe  nur,  insofern  sie 
ihnen  günstig  sind,  und  erheben  hundert  Ansprüche,  für  welche 
sie  sich  bloss  auf  das  //Herkommen”  berufen.  Ihr  Mann  ist  wohl- 
habend und  besondere  Gründe,  warum  sie  nicht  das  Haddj  mit- 
machen sollte,  sind  nicht  abzusehen;  wie  sollte  er  ihr  denn  die 
Mittel  und  die  Erlaubniss  dazu  vorenthalten?  Ebenso  würde  es  ihm 
als  Frevel  angerechnet,  wenn  er  sie  nicht  jährlich  zum  Schech  Mah- 
müd  und  bisweilen  auch  nach  Medina  die  Zijäruh  machen  Hesse, 
wenn  er  ihr  nicht  verstattete,  dann  und  wann  die  Einladungen  ihrer 
Freundinnen  zu  nächtlichen  Festen  anzunehmen  und  auch  ihrerseits 
einmal  ein  solches  zu  veranstalten.  Mag  dies  alles  gleich  dem  Gesetze 
als  reiner  Luxus  gelten , die  Tochter  Mekka’s  fordert  es  als  ihr  Recht , 
und  wenn  der  Mann  über  solche  Dreistigkeit  einmal  sehr  ärgerlich 
wird  und  schimpft,  so  weiss  sie  ihm  mit  ironischer  Mine  die  Qurän- 
worte  ')  entgegenzuhalten : //Dann  behaltet  sie  bei  euch  mit  Güte  oder 
//sendet  sie  mit  Wohlthätigkeit  fort”,  ausser  der  Fät'hah  die  einzi- 


1)  Quran  II:  229. 


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gen  Worte  des  heiligen  Buches,  welche  jede  Mekkanerinn  kennt. 

Zu  den  allgemein  anerkannten  //herkömmlichen”  Rechten  der  mek- 
kanischen  Ehefrau,  die  dem  Gesetze  zuwiderlaufen,  gehört  es,  dass 
sie  in  Mekka  bleibt , wenngleich  ihr  Mann  auf  lange  Zeit  in  andere 
Länder  reist;  besonders  die  in  Mekka  Geborenen  würden  zum  Him- 
mel schreien , wenn  man  sie  nöthigen  wollte , ihrem  Gatten  zu  folgen. 
Dies  wird  bald  mit  der  Heiligkeit  des  «öden  Thaies”,  bald  mit  den 
Lobsprücheu  begründet , welche  die  Tradition  den  Einwohnern  des- 
selben spendet.  Die  Gelehrten  bezeichnen  es  natürlich  als  eine  thö- 
riehte  Sitte.  Ein  reeller  Grund  liegt  aber  darin , dass  die  meisten 
Mekkanerinnen  in  ihrem  Geburtsort  eine  eigentümliche , selbstän- 
dige Stellung  einnehmen,  die  sie  anderswo  kaum  je  wieder  gewin- 
nen dürften. 

Um  vollständig  zu  sein,  hätten  wir  ja  eigentlich  unter  die  im 
ersten  Abschnitt  aufgezählten  Zünfte,  welche  die  Pilger  ansbeuten, 
auch  die  Weiber  aufnehmen  sollen.  Sie  helfen  nicht  bloss  ihren  Gat- 
ten treulich  im  Geschäft,  sondern  arbeiten  auch  als  ledige  Damen 
für  eigne  Rechnung.  Pilger,  die  auf  die  Wallfahrt  und  was  dazu 
gehört  wenigstens  einige  Monate  verwenden,  oder  solche,  die  sich 
auf  ein  paar  Jahre  niederlassen,  wünschen  gewöhnlich,  sich  zu  ver- 
heiraten ; da  sie  für  die  in  der  heiligen  Stadt  zu  verbringende  Zeit 
einen  wohlgefüllten  Beutel  mitzunehmen  pflegen,  entspricht  der  Nach- 
frage ein  reichliches  Angebot.  Wir  haben  bereits  gesehen , wie  leicht 
eine  Mekkanerinn  ein  missliebiges  Eheband  los  werden  kann;  jetzt 
wird  man  verstehen,  warum  den  meisten  steter  Wechsel  angenehm 
ist.  Ihre  Waare  auf  dem  Pilgermarkt  sind  ihre  Reize;  je  häufiger 
diese  den  Gegenstand  neuer  Kontrakte  bilden,  desto  besser  gehen 
die  Geschäfte.  Das  Verhältniss  zwischen  Angebot  und  Nachfrage 
innerhalb  der  mekkanischen  Gesellschaft  wird  aber  stark  von  dem 
Fremdenverkehr  beeinflusst;  zwar  lässt  sich  ein  Mekkaner  von  den 
Töchtern  Mekka’s  nicht  so  anführen  wie  ein  Fremder,  aber  die 
Nachfrage  von  Seiten  der  Fremden  erleichtert  es  den  Weibern,  sich 
grosse  Vortheile  auszubedingen. 

Den  Fremden,  der  sich  einbürgern  will,  bestürmen  von  allen 
Seiten  die  Heirathsanträge ; so  launenhaft  sein  Geschmack  sein  mag. 


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die  Vermittler  haben  immer  vorräthig,  was  er  wünscht.  Sogar  wenn 
er  darauf  besteht , nur  ein  geringes  Heirathsgcld  zu  verwenden , giebt 
es  doch  schon  eine  Wittwe  oder  geschiedene  Frau,  die  darauf  nicht 
achtet,  und  ist  er  kostspieligen  Festlichkeiten  abgeneigt,  so  will 
sie  sich  mit  einer  kleinen  Feier  begnügen,  zu  deren  Kosten  er  nur 
wenig  beizusteuern  braucht;  ja  es  finden  sich  Weiber,  die  nach 
Abschluss  des  Kontraktes  ohne  weitere  Ceremonien  gleich  Abends 
zu  ihm  ins  Haus  kommen.  Die  verschmitzten  Damen  verlassen  sich 
darauf,  das  ihre  Gewandtheit  im  Verkehr  mit  Männern  verschiedener 
Art  es  ihnen  ermöglicht,  in  wenig  Tagen  den  Gatten  zu  bethören. 
Sie  suchen  die  Schwächen  ihres  Objektes  zu  entdecken  und  dann 
die  erworbene  Kenntniss  einträglich  zu  machen.  Wenn  es  gut  geht, 
verwendet  der  Mann  auf  ihre  Launen  oder  auf  die  Kleidung  und 
den  Unterhalt  ihrer  ärmeren  Verwandten  in  einem  halben  Jahre  das 
Geld , das  ursprünglich  für  all  seine  Bedürfnisse  für  ein  paar  Jahre 
berechnet  war.  Ist  der  Beutel  leer,  so  fingt  die  Dame  an,  gleich- 
sam mit  Vorliebe  die  hässlichen  Seiten  ihres  Wesens  zu  zeigen , bis 
endlich  ihr  Mann,  unbewusst  ihrem  letzten  Wunsche  nachgebend, 
das  Talüq  über  sie  aussprieht.  Er  muss  ihr  dann  für  drei  Monate 
Lebensunterhalt  geben,  und  so  hat  sie  alle  Zeit,  mit  Hülfe  ihrer 
Freunde  eine  neue  Stellung  zu  suchen,  wenn  sie  es  nicht  vor- 
zieht, eine  Pause  eintreten  zu  lassen,  worin  sie  ganz  dem  eignen 
Vergnügen  lebt.  Selbstverständlich  hat  sie  nicht  immer  Glück;  auch 
in  diesem  Geschäft  giebt  es  Enttäuschungen  und  Bankerotte.  Man 
kann  sich  aber  aus  dem  Obenstehenden  vorstellen,  auf  welche  Ziele 
das  Streben  dieser  weiblichen  Zunft  gerichtet  ist. 

Dem  Mekkaner  selbst  werden  durch  diese  Umstände  die  Weiber 
gründlich  verdorben;  wie  gesagt,  mit  Ausnahme  der  vornehmsten 
und  der  ärmlichsten  Ehen  und  noch  einiger  seltener  Glücksfälle  ist 
hier  der  Gatte  mit  der  Gattinn  nach  unserer  Anschauung  nur  durch 
ein  ganz  lockeres  Konkubinat  verbunden.  Im  heiligen  Gesetz  wird 
der  Ehekontrakt  so  beschrieben,  dass  der  Mann  dadurch  gegen  ge- 
wisse materielle  Verpflichtungen  (Heirathsgeld,  Lebensunterhalt,  Woh- 
nung, Kleidung  usw.)  gegen  die  Frau  von  dieser  auf  unbestimmte 
Zeit  das  Recht  auf  sexuellen  Genuss  erwirbt;  eine  höhere,  edlere 


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Auffassung  des  Verhältnisses  der  Eheleute  zu  einander  ist  dadurch 
allerdings  keineswegs  ausgeschlossen.  In  Mekka  entspricht  dasselbe 
aber  durch  aus  jener  cynischen  juristischen  Definition  ')  und  geht  nur 
selten  etwas  darüber  hinaus.  Der  Mann  strebt,  während  er  fast  noch 
im  Knabenalter  steht , nach  steter  Vermehrung  jener  Genüsse ; während 
der  frühe  Anfang,  wie  es  scheint,  die  Leistungsfähigkeit  wirklich 
erhöht,  sucht  er  mit  zunehmender  Begier  nach  »stärkenden”1 2)  d.  h. 
erhitzenden  Arzneimitteln  und  erschöpft  seine  Konstitution.  Wenn 
seine  Verhältnisse  ihn  nicht  dazu  nöthigen,  verlangt  er  im  Uebri- 
gen  von  seiner  Frau  möglichst  wenig  Arbeit  und  lässt  sich  höch- 
stens, wenn  abwesend,  in  der  Aufsicht  über  die  Arbeit  der  Sklaven 
und  Sklavinnen  von  ihr  vertreten.  Die  Frau  verliert  indessen  keinen 
Augenblick  die  finanziellen  Grundlagen  des  Kontrakts  aus  dem  Auge 
und  schämt  sich  nicht  einmal , als  wäre  sie  eine  Freudendirne , während 
der  Beiwohnung  Extragaben  von  ihrem  Manne  zu  erpressen. 

Weder  gesetzlich  noch  sittlich  sind  denn  auch  die  materiellen 
Interessen  eines  Ehepaares  dieselben;  vielmehr  stehen  die  Beiden 
in  dieser  Hinsicht  einander  misstrauisch  gegenüber.  Der  Frau  ge- 
hören die  meisten  Hausgeräthe;  bei  der  ersten  Ehe  sind  dieselben 
hauptsächlich  für  das  Heirathsgut  (das  ja  ihr  Eigenthum  ist)  gekauft; 
späteren  Gatten  bringt  sie  die  etwas  reparierten  und  ergänzten 
Geriithe  ihrer  letzten  Haushaltung  mit  ins  Haus,  und  deswegen 
wird  auf  den  Betrag  des  Ileirathsgutes  in  diesen  Fällen  weniger 
Werth  gelegt.  Die  Wohnung  ist  seine,  und  die  Frau  hat  immer 
viel  daran  auszusetzen,  weil  sie  auf  seine  Kosten  eine  bessere,  vor- 
nehmere zu  erlangen  wünscht.  Morgens  geht  der  Mekkaner  selbst 
auf  den  Markt  und  kauft  die  für  den  Tag  erforderlichen  Esswaaren , 
sofern  sie  nicht  (wie  z.  B.  Reis , Mehl , Butter)  für  längere  Zeit  in 
der  Speisekammer  aufgespeichert  sind.  Hat  er  Diener  genug,  so  re- 
gelt er  selbst  jedes  Detail  der  Zubereitung;  die  Vornehmeren  über- 
lassen Vieles  der  Sklavinn,  die  der  Küche  vorsteht,  und  geringe 


1)  Damit  steht  natürlich  die  Thatsachc  nicht  in  Widerspruch,  dass,  wie  oben  bemerkt 
wurde,  die  Satze  des  Kontrakts  durch  das  „Herkommen”  manchen  ausscrgcsctzlichen 
Zusatz,  bez,  Abzug  erleiden. 

2)  In  den  Gesetzbüchern  wird  übrigens  der  Gebrauch  solcher  Meqatotoijdl  anempfohlen. 


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112 


Miinner  kochen  selbst , sofern  sie  sich  nicht  genug  auf  ihre  Frauen 
verlassen  können.  In  den  unteren  und  mittleren  Klassen  ist  es  ein 
ungeschickter  Mann,  der  nicht  kochen  kann;  glaubt  er  etwa,  seine 
Frau  werde  ihm  das  immer  besorgen?  Auch  die  Speisen  sind  der 
Dame  nur  selten  fein  genug  und  ihre  Beschwerden  üussert  sie  rück- 
sichtslos, zumal  der  Gatte  selbst  vielfach  ausser  dem  Hause  oder 
doch  ohne  sie  mit  seinen  Freunden  speist.  Vor  allen  Dingen  bilden 
jedoch  die  Erfordernisse  des  Kleiderschranks  den  Gegenstand  ehe- 
lichen Streits. 

An  einem  andern  Orte  ‘)  habe  ich  die  Hauptbestandteile  des 
mekkanischen  Weiberanzugs  beschrieben  und  erlaube  mir , nur  darauf 
hinzuweisen.  Wenn  man  bedenkt,  dass  die  launenhafte  Königinn 
Mode  auch  in  Mekka  heute  verpönt , was  sie  gestern  verlangte , dass 
die  Weiber  nicht  zufrieden  sind,  wenn  sie  nicht  mehrere  Exemplare 
von  den  feineren  Kleidungsstücken  besitzen,  um  nicht  immer  in 
demselben  Anzug  vor  ihren  Freundinnen  erscheinen  zu  müssen, 
und  dass  Gold-  und  Silberblech,  Golddraht  und  Goldspitze  in  gros- 
ser Menge  auf  die  Borten  der  Hosen  J)  und  der  Weste,  der  an  und 
für  sich  schon  kostspieligen , aus  feinstem  Zeuge  angefertigten  Me- 
dawwarah  usw.  verschwendet  werden,  so  begreift  sich,  dass  den 
Gatten  ein  Schrecken  befallt,  wenn  dies  Thema  berührt  wird. 

Wendet  der  Mann  ein,  sein  Vermögen  gestatte  ihm  die  ihm  zu- 
gemutheten  Auslagen  nicht,  so  denkt  die  Frau  dabei  lediglich  an 
Geiz,  oder  sie  glaubt,  er  sei,  ohne  ihr  Mittheilung  zu  machen , eine 
zweite  Ehe  eingegaugen  und  verwende  sein  Geld  auf  ihre  Neben- 
buhlerinn.  Meistens  bezieht  sich  ihr  Neid  in  solchen  Fällen  nur  auf 

1 ) Mckk.  Sprich*'.,  S.  88  ff.  Einige  von  den  gebräuchlichsten  Schmucksachon  (Ohr- 
nnd  Nasenringe,  Kuss-  und  Armbänder)  sind  ebenda,  S.  79  aufgefiihrt. 

3)  In  Bezug  auf  dieses  Kleidungsstück  sei  den  a.  a.  O.  gegebenen  Mittheilungen  noch 
Folgendes  hinzugefügt  : Die  einfachere,  untere  Borte  heisst  gewöhnlich  Hidjt-,  Tarqidak 
oder  Tarkibah  wird  sic  genannt,  wenn  sio  sich  nach  oben  längs  der  Naht  fortsotzt. 
Die  Querstreifen  von  Gold-  oder  Silhcrdrnht  (rosp.  Blech),  aus  denen  dio  Borte  sich 
zusammensetzt,  heissen  Kettirak  (Ktuirak)-,  das  untere  Rändehen  der  Borte  heisst 
Stüak,  Plur.  Suw  U.  Der  Schiebesaum  (die.  Koulisse),  der  dio  Dikkek  aufninunt,  wird 
meistens  Bet  ei-dikkek,  bisweilen  aber  Bäikah  genannt.  Die  iiusserst  wenig  verhüllende 
Bekleidung,  welche  dio  Weiber  hier  zu  Hanse  tragon  (weit  oflenstehendes  Westchen 
und  Jlosen)  macht  den  alles  verhüllenden  Ueberwurf  ( Mebijak ) mit  Schleier  (Burqu)  in 
Mekka  beim  Ausgehen  unentbehrlicher  als  in  kühleren  Ländern. 


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die  Geschenke  und  Vortheile,  die  ihr  dadurch  entgehen,  und  dies 
ist  der  Hauptgrund,  aus  welchem  der  Gatte,  so  lange  es  geht, 
solche  Dinge  verheimlicht.  Zum  Streit  zwischen  den  Weibern  eines 
Mekkaners  kommt  es  fast  nie,  weil  sie  niemals  in  einer  Wohnung 
untergebracht  werden.  Das  Gesetz  berechtigt  jede  Gattinn  zu  einer 
eignen  Wohnung,  und  auf  diese  Bestimmung  berufen  sie  sich  gleich , 
wenn  ihnen  die  zuerst  geduldete  Gesellschaft  weiblicher  Verwandten 
ihres  Herrn  zu  viel  wird;  selbst  würde  dieser  keinen  Augenblick 
daran  denken,  ihr  vorzuschlagen,  mit  einer  andern  Gattinn  zusain- 
meuzuleben.  Auch  in  dieser  Hinsicht  bedarf  also  die  europäische 
Vorstellung  vom  '/Harem”  der  Berichtigung. 

Liegt  somit  auf  der  einen  Seite  dem  Manne  daran , dass  seine  Frau 
nicht  genau  über  seine  Vermögensverhältnisse  unterrichtet  sei,  auch 
ihrerseits  ist  sie  ihm  gegenüber  möglichst  verschlossen.  Sie  fürchtet 
Zunahme  seines  Geizes,  wenn  er  weiss,  dass  sie  etwas  Geld  besitzt, 
und  ihn  geht  das  nichts  an , denn  finanzielle'  Ansprüche  gewährt 
der  Kontrakt  nur  ihr.  Es  kommt  freilich  vor,  dass  Frauen,  die  mit 
ihren  Gatten  bessere  Tage  verlebt  haben,  wenn  diese  in  Armuth 
gerathen  sind , über  die  eigenen  Rechte  hinwegsehen  und  den  Inhalt 
ihrer  Sparbüchse  mit  ihnen  theilen.  Daran  knüpft  sich  aber  der 
Missbrauch,  dass  Männer  die  Vortheile  beider  Parteien  des  Kon- 
trakts an  sich  zu  ziehen  suchen,  indem  sie  vorgeben,  unvermögend 
zu  sein  und  sich  dann  von  der  Frau  ausser  dem  Genuss  der  Ehe 
noch  das  Essen  erbetteln.  Darum  vergräbt  die  Mekkanerinn  lieber 
ihr  Geld  unter  dem  Boden  oder  vertraut  es  guten  Freunden  an , als 
dass  sie  es  in  das  eheliche  Ilaus  brächte. 

Peinlich  genau  sind  des  Gatten  Vorschriften  hinsichtlich  der  Fre- 
quenz der  Besuche,  welche  sie  von  ihren  weiblichen  Verwandten 
und  Freundinnen  erhalten  darf  ;*  die  werden  ja  bei  jeder  Nachgie- 
bigkeit seinerseits  dreister,  und  der  Zweck  ihrer  Besuche  ist  wohl 
irgend  eine  Form  der  Ausbeutung.  So  theilen  die  meisten  mekka- 
nischen  Eheleute  weder  Freude  noch  Leid  miteinander,  weder  Gutes 
noch  Schlechtes  ausser  . . . dem  Bett. 

Unter  Weibem  wird  das  Mädchen  erzogen , und  die  Moral  der 
Gespräche,  denen  es  von  Jugend  an  zuhört,  ist  diese •.  unser  Ka- 
li 


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pital  ist  der  Ehegenuss;  wohl  ihr,  die  reichliche  Zinsen  damit  ge- 
winnt! Sie  werden  frühreif  und  verwenden  ihre  manchmal  sehr  be- 
deutenden intellektuellen  Anlagen  auf  die  Schärfung  der  Waffen,  deren 
sie  sich  im  Kampf  ums  Dasein  gegen  die  Männer  zu  bedienen  ha- 
ben. Die  wenigen  Frauen,  deren  Erziehung  ihrem  Leben  eine  an- 
dere Richtung  gegeben  hat , und  auch  die  Aeusserungen  des  Gemüths 
der  übrigen  gegen  Solche,  mit  denen  sie  keinen  »geschäftlichen” 
Verkehr  haben,  zeugen  davon,  welche  Schätze  von  edler  Begabung 
hier  fortwährend  zu  Grunde  gehen.  Trotzdem  sind  die  Männer  alle 
fest  davon  überzeugt,  dass  jene  Ausnahmen  gleichsam  Wunder  Gottes 
sind,  und  dass  die  Weiber  (wie  übrigens  viele  Traditionen  und 
alle  Gesetzbücher  lehren)  ausser  körperlichen  Reizen  nur  satanische 
Eigenschaften  haben ; auf  ihre  Erziehung  Mühe  verwenden , das  wäre 
Perlen  vor  die  Säue  werfen! 

Kann  es  Wunder  nehmen,  dass  unter  solchen  Umständen  die 
verheirathete  Frau,  wenn  ihr  Mann  sie  vernachlässigt  oder  nur  als 
ein  zur  Wohnung  gehöriges  Möbel  behandelt,  gelegentlich  ihr  Ka- 
pital auch  ausserhalb  des  Kontrakts  auf  Zinsen  setzt?  Sie  gewinnt 
so  viel  dabei : was  sie  vom  Gatten  in  einem  Jahre  nicht  bekommt , 
schenkt  ihr  der  Liebhaber  in  einem  Monat  und  dankt  ihr  noch  dazu 
für  jede  ihm  erwiesene  Gunst.  Auch  schmeckt  die  verbotene  Frucht 
süss , und  das  Bewusstsein  des  schweren  Vergehens  bleibt  der  Frau 
fern , da  man  ihr  weder  moralische  Grundsätze  eingeprägt  noch  tüch- 
tige Kenntnisse  vom  Gesetze  beigebracht  hat.  Sie  weiss  zwar , es  ist 
frarüm,  aber,  »ich  bitte  Allah  um  Verzeihung!  wie  viele  Sachen, 
die  gleichfalls  haräm  sind  und  durch  welche  mehrere  Leute  empfind- 
lich geschädigt  werden , lassen  sich  nicht  recht  anständige  Herren  zu 
schulden  kommen !”  Und  sie  ist  nur  ein  Weib ! Genug , die  praktische 
Moral  der  mekkanischen  Gesellschaft  ist  gegen  ehebrecherische  Weiber 
ebenso  nachgiebig  wie  die  der  europäischen  gegen  die  Unzucht  der 
Männer , während  man  in  Mekka  über  Männer  viel  strenger  urtheilt. 

So  liebt  es  denn  der  Mann , häufig  zu  wechseln,  weil  er  immer  das 
Bessere  sucht,  während  sich ’s  die  Frau  in  den  meisten  Stellungen  be- 
quem zu  machen  weiss.  Ausdrücklich  sei  hier  betont , dass  günstigere 
Fälle  nicht  fehlen , aber  die  charakteristischen  Merkmale  der  gewöhnli- 


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chen  mekkanischen  Ehe  sind  die  oben  hervorgehobenen  Schattenseiten. 

Ausser  dem  Ehegenuss  erhält  ein  einigermaassen  gescheidter  Mann 
durch  seine  Frau  viel  Lebenserfahrung  und  Menschenkenntniss , denn 
beides  besitzen  die  Töchter  Mekka’s  in  viel  höherem  Grade  als  die 
Söhne,  und  sie  theilen  wohl  etwas  davon  mit;  auch  sind  sie  die 
Hausärzte,  deren  Rath  man  in  allen  Krankheitsfällen  zuerst  einholt. 
Gewöhnlich  haben  sie  ihre  kleine  Hausapotheke , immer  aber  die 
Kenntniss  der  Heilkraft  einiger  Kräuter  und  Gewürze,  die  man  bei 
jedem  ' Attär  haben  kann.  Heilkunst,  Zauberei  und  Beschwörung  ge- 
hören hier  immer  noch  ebenso  zusammen  wie  Krankheiten,  böse 
Geister,  das  böse  Auge  usw. ; bei  den  Weibern  setzt  man  aber  nur 
Bekanntheit  mit  den  häufigsten  Krankheiten  und  deren  Behandlung 
voraus.  Gegen  allgemeines  Unwohlsein  bereiten  sie  ihr  Milallat ') 
von  Banafsedj J) , Chemiret  el-haddj  J)  und  irgend  einem  dritten  In- 
grediens; für  den  Fieberkranken  machen  sie  auf  Koriander  (Kuzbara), 
eine  Art  Zizyphusfrüchte  ( cUnnäb  Buchärt)  und  braunen , egyptischen 
Zucker  einen  Aufguss,  der  als  Meratcwaq  den  Blutumlauf  regulie- 
ren soll;  gegen  Erkältung  dienen  Aufgüsse  auf  Münzkraut (iVeSiö*), 
Z>/(«r?«blüthe  {Zahr  ed-dhurm)  oder  Dittsch  J) ; kranke  Augen  reiben 
sie  mit  einer  Lösung  des  dunkelbraunen  faÄir-harzes  *)  in  Citrouen- 
wasser  ein , während  eine  solche  Lösung  von  QäbaA  Nübi1 2 3 4  5)  gegen  Kopf- 
schmerzen getrunken  wird.  Wesentlich  sind  die  Recepte  der  Damen 
die  gleichen , welche  auch  die  Aerzte  verschreiben ; nur  haben  diese 
eine  grössere  Auswahl,  geben  einen  gelehrten  Hokuspokus  hinzu 
und  empfehlen  eine  Diät. 

Die  Medizin  wird  hier  immer  noch  gelernt  wie  jedes  andere 


1)  So  und  MittUat  wird  dieses  seltsame  Wort  gesprochen;  der  Mekkancr  leitet  das- 
selbe wohl  mit  Recht  von  teUttah , //Drei”  ab,  aber  man  sollte  dann  eigentlich  die  Form 
MetalUit  erwarten.  Die  drei  Ingredienzien  worden  zusammen  in  Wasser  gekocht. 

2)  Hana fsedj  ist  die  Wurzel  einer  Irissorte,  CA.  el-Haddj,  dem  Namen  entsprechend, 
eine  Art  Hefe.  Meiner  Unsicherheit  über  verschiedene  dieser  mekkanischen  Spezerei- 
waaren  abzuhelfen,  hat  sich  Herr  Dr.  J.  G.  Boerlage,  Conservator  des  Leidener  Perba- 
ri ums,  freundlichst  bemüht. 

3)  Vergl.  Mekk.  Spriehw.,  S.  33,  Anm. 

4)  Eine  gemeine  Art  Aloeharz. 

5)  Wie  mir  Dr.  P.  van  Romburgh  mittheilt,  ist  dies  eine  Verbindung  von  Natrium- 
carbonat mit  Natriumbicarbonat,  in  anderem  Verhältnisse  als  im  bekannten  Trona,und 
enthält  es  ausserdem  etwas  Kochsalz  und  Sand. 


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Gewerbe:  der  Sohn,  Neffe  oder  sonstige  Gehülfe  eignet  sich  die 
Kunst  vom  Vater,  Oheim  oder  Meister  an.  Wenn  Barbiere,  die 
immer  auch  zur  Ader  lassen , Schröpfköpfe  setzen  und  einfache  blu- 
tige Operationen  verrichten,  sich  allzuviel  mit  innerer  Medizin  ab- 
geben , so  gilt  dies  als  Pfuscherei , obgleich  man  nicht  der  Ansicht 
ist,  dass  jenes  Studium  den  ganzen  Menschen  erfordert,  denn  ein 
mir  bekannter,  sehr  geschätzter  Arzt  in  Mekka  versteht  sich  zu- 
gleich auf  die  Uhrmacherei  und  das  Ausbessern  von  Feuerwaffen, 
er  destilliert  wohlriechende  Oele,  vergoldet  und  versilbert  Schmuck- 
saehen,  macht  Schlagschwärmer,  versteht  die  Münzprägung  und 
gilt  als  Spezialität  für  die  Urbarmachung  von  Gold-  und  Silbermi- 
nen. Dennoch  überragt  er  als  Arzt  die  meisten  von  seinen  Konkur- 
renten. Wie  alle  seine  Kollegen  fühlt  er  seinen  Besuchern  den  Puls , 
besieht  die  Zunge , die  Augen , hört  auf  den  //Laut  der  Hände”  (so 
will  es  das  Volk)  und  zeigt  seine  Wissenschaft  dadurch,  dass  er 
nicht  alle  Empfindungen  des  Patienten  durch  Nachfragen  erfährt, 
sondern  schliesslich  mit  Selbstvertrauen  äussert:  »Du  hast  wohl 
Schmerzen  an  dem  und  dem  Körpertheile”  — an  solchen  Aussprü- 
chen erkennt  man  den  richtigen  Arzt.  Die  naiven  Patienten  bemer- 
ken nicht,  dass  sie  selbst,  während  der  Hakim  einen  andern  Kran- 
ken untersuchte , im  Gespräche  mit  den  gleichfalls  Wartenden  jene 
Entdeckung  ermöglicht  haben.  Ebenso  wie  seine  Kollegen,  sagt  nun 
unser  Freund:  du  hast  Nawüzil  (allgemeiner  Ausdruck  für  allerlei 
durch  Erkältung  entstandene  Krankheiten)  oder  Arjäh  (eigentlich 
//Winde”,  worunter  man  aber  alle  Uebel  begreift,  die  //im  Blute” 
stecken  und  sich  durch  Aussatz , Kongestionen , Geschwülste  usw.  be- 
merklich  machen) , Qabdh  (Verstopfung) , Dhuf  (Schwäche , Schwind- 
sucht) oder  andere  weniger  bekannte  Wörter,  die  zur  rechten  Zeit 
sich  einstellen , wo  die  klare  Einsicht  fehlt.  Gleich  verordnet  er 
dann  eine  Diät  ( Himjah )-.  ob  man  sich  vor  Speisen  //heisser”  oder 
//kalter”,  /-feuchter”  oder  //trockener”  Natur  hüten,  ob  man  ge- 
säuertes Brot  ( Cheimrak ) oder  ungesäuertes  ( Felirah ) essen  solle 
usw.,  und  endlich  giebt  er  seine  Scherbah  ')  oder  verschreibt  ein 


1)  Vorgl.  oben  S.  77. 


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Decoctum , zu  dem  die  erforderlichen  Gewürze  beim  c Altar  zu  kau- 
fen sind,  oder  aber  er  überreicht  dem  wohlhabenden  Patienten  ein 
eignes  Arzneimittel,  mit  dem  er  sehr  geheim  und  theuer  ist.  Ge- 
legentlich hantiert  er  auch  das  Brenneisen , dessen  heilsame  Wirkung 
gegen  Kongestionen  (namentlich  auf  den  Schläfen) , Geschwülste  und 
schlimme  Wunden  allgemein  anerkannt  wird,  und  das  man  aus 
Mangel  anatomischer  Kenntnisse  auch  bei  gebrochenen  Gliedern, 
gleichsam  zum  Zusammenschmieden,  anwendet,  trotzdem  die  hei- 
lige Ueberlieferung  die  starke  Abneigung  des  Propheten  gegen  die 
Operation  des  Brennens  wiederholt  bezeugt.  Blutigel  setzt  er  auch 
wohl  selbst,  überlässt  dagegen  die  anderen  Methoden,  Blut  zu  ent- 
ziehen , den  Mezejjinin  (Barbieren),  obgleich  ihm  die  ergiebige  Anwen- 
dung der  Klysstierspritze  keine  erniedrigende  Beschäftigung  scheint. 

Ausser  diesen  zum  Gewerbe  gehörenden  Leistungen , verfügt  jedoch 
unser  Freund  noch  über  besondere  Fertigkeiten,  die  seinen  Ruhm 
begründet  haben : er  ist  Ophthalmologe,  d.  h.  er  sticht  den  Staar 
und  heilt  auf  chirurgischem  Wege  eine  häufig  vorkomrnende  An- 
schwellung der  Augenlieder,  die  manchmal  in  Blindheit  ausgeht, 
wenn  nicht  zur  rechten  Zeit  der  gelblich  weisse  Stoff  aus  dem  Au- 
genliede entfernt  wird.  Es  werden  ferner  Wunder  erzählt  von  den 
Resultaten  gewisser  von  ihm  geleiteter  Kimen  1 ) , wie  er  gänzlich  ab- 
gemagerte Leidende  durch  Klystier  und  Brechmittel  ausgeleert  und 
dann  durch  40tägige  ausschliessliche  Milchdiät  zu  neuem,  kräfti- 
gem Leben  erweckt  hat,  oder  wie  er  durch  seinen  »heissen”,  aus 
Nänec/iä  (Ammium)  destillierten  Trank  alle  Magenübel  heilt.  Was 
kümmert  es  die  Mekkaner,  dass  auch  dieser  hervorragende  Mann 
keine  Ahnung  von  den  Funktionen  der  menschlichen  Körpertheile 
oder  von  der  Wirkung  seiner  eigenen  Medikamente  hat?  AY»  glück- 
licher Ausgang  bei  hundert  Versuchen  genügt,  ihr  Vertrauen  uner- 
schütterlich zu  machen;  wegen  der  übrigen  99  loben  sie  die  Allmacht 
Allahs,  die  über  Tod  und  Leben  verfügt. 

Sagt  Einer,  die  türkischen  Militärärzte  seien  zuverlässiger,  so 

1)  Eine  kleine  Elektrisiermaschine , dio  gegen  alle  Krankheiten  und  namentlich  zur 
«Erstarkung'’  gewisser  Funktionen  angewendet  wurde,  trug  nicht  wenig  zum  märchen- 
haften  Ruhm  des  Arztes  bei. 


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wendet  ganz  Mekka  ein,  die  seien  irreligiös,  wüssten  nicht  mit 
Mekkanem  zu  verkehren,  und,  so  gelehrt  sie  sonst  sein  möchten, 
sie  verständen  nichts  von  den  Erfordernissen  des  hiesigen  Klima’s, 
denn  wie  könnten  sie  sonst  sosehr  gegen  die  üblichen  Aderlässe  und 
Schröpfungen  eifern  und  den  Soldaten  sogar  diese  heilsame  Ope- 
ration strengstens  verbieten!  Franken  sind  es,  Gott  schneide  sie  ab! 

Obgleich  nun  unser  einheimischer  Mediziner  schon  im  eigenen 
Interesse  die  herrschende  Abneigung  gegen  die  modernen  türkischen 
Aerzte  möglichst  nährt,  verschmäht  er  es  keineswegs,  unbemerkt 
von  diesen  zu  lernen , und  thatsächlich  ist  der  Unterschied  zwischen 
ihnen  und  ihm  bloss  graduell,  gar  nicht  grundsätzlich.  Wenn  die 
Leute  ihm  von  der  Wirkung  von  Djinn  und  anderen  feindlichen 
Mächten  erzählen,  ihm  Kranke  als  vom  bösen  Auge  oder  von  Zar 
besessen  vorstellen , so  leugnet  er  das  nicht  öffentlich , verschreibt 
aber  Mittel  gegen  natürliche  Störungen  des  Organismus.  Aus  diesem 
Grunde  gilt  er  denn  auch  dem  Publikum  zwar  allzu  dreister  mensch- 
licher Wissenschaft  gegenüber  als  Vertreter  des  Ueberlieferten , jedoch 
in  der  eigenen  Umgebung  als  der  Mann  der  Vernunft  und  der  Na- 
turwissenschaft. Zu  ihm  gehen  deswegen  die  Meisten  nicht  gleich, 
wo  die  Kenntnisse  der  l/ariin  versagen ; sind  sie  ja  alle  im  zartesten 
Alter  von  den  Harim  erzogen,  und  diese  hegen  und  überliefern 
allerhand  Aberglauben  mit  viel  innigerer  Ueberzeugung  als  ihre  dürf- 
tige Heilkunst. 

Es  ist  der  Islam , die  officielle  Religion , die  alle  verschiedenarti- 
gen Bestandtheile  der  in  stetem  Werden  begriffenen  mekkanischen 
Gesellschaft  zusammenbringt  und  verschmilzt;  umgekehrt  ist  es  diese 
Gesellschaft  selbst,  die  aus  allen  Weltgegenden  herstammende  Vor- 
urtheile  und  abergläubische  Anschauungen  zu  einem  chaotischen 
Ganzen  zusammenschweisst.  Der  Haupttheil  dieser  synkretistischen 
Aufgabe  fällt  den  Weibern  zu;  ihre  lebhaftere  Phantasie  macht  sie 
dazu  geneigt,  während  nur  selten  genaue  Bekanntschaft  mit  den 
heiligen  Wissenschaften  dieser  Neigung  entgegen  tritt.  Dass  übrigens 
ein  bedeutendes  Quantum  Aberglaube  durch  Assimilation  längst  zum 
Gemeingut  der  ganzen  muhammedanischen  Welt  geworden  ist,  be- 
darf wohl  kaum  der  Erwähnung. 


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In  Mekka  gilt  der  muslimische  Westen  (Tunisien , Algier,  Marokko) 
als  das  Stammland  der  gröbsten  Formen  in  Mekka  eingebürgerten 
Aberglaubens ; namentlich  die  Kunst , seinen  Feinden  Krankheit  und 
Unglück  jeder  Art  zu  verursachen,  soll  maghribinisch  sein.  Als  Be- 
sitzer wirksamer  Zaubermittel  und * Äzimah's  (religiöser  Abwehrmittel) 
gegen  böse  Geister  rühmt  man  ferner  die  Bewohner  der  ostindischen 
Inselwelt,  und  man  findet  den  Grund  dieser  hoch  entwickelten  Be- 
gabung der  Djäioah  darin , dass  ihr  Land  von  jenem  menschenfeind- 
lichen Gesindel  wimmelt , sodass  die  Bevölkerung  Gelegenheit  hatte , 
die  bösen  Streiche  der  Djinn  zu  erlernen,  und  andererseits genöthigt 
war,  sich  in  jeder  Weise  dagegen  zu  bewaffnen.  Dann  werden  noch 
besonders  die  afrikanischen  Sklavinnen  und  die  Inder  von  den  ge- 
lehrten Mekkanem  dafür  verantwortlich  gemacht,  dass  ihre  heilige 
Stadt  auch  dem  Aberglauben  ein  Hort  ist.  Wir  hatten  aber  schon 
Gelegenheit  auch  auf  manche  Ueberreste  altarabischen  Heidenthums 
hinzuweisen;  im  Heiligenkultus  sowie  im  vermummten  Steinkultus 
Hesse  sich  noch  vieles  Derartige  konstatieren  ').  Dass  nicht  aller 
Aberglaube  von  Nichtarabern  in  Mekka  importiert  ist,  geben  übri- 
gens die  Gelehrten  unbedingt  zu.  Sie  wissen  ja , dass  z.  B.  der  übrigens 
sehr  orthodox  erzogene  Hadhramite  dem  Orte  einen  gewissen  Kul- 
tus widmet,  wo  er....  sein  Geld  vor  fremden  Augen  versteckt. 
Leute,  die  keine  eiserne  Schränke  besitzen,  bewahren  in  Mekka  ihr 
Geld  unter  dem  Boden  oder  in  einem  eigens  dazu  in  die  Wand 
gegrabenen  Loche , das  durch  vorgelegte  Steine  unkenntlich  gemacht 
wird.  Der  sparsame  Hadhramite  glaubt  nun , er  müsse  im  Interesse 


1)  Die  Sitte  des  Steinwerfens  hat  sich  bekanntlich  (vergl.  mein  cMckkaansche  Feest”, 
S.  161}  von  Alters  her  auoh  ausserhalb  dos  Thaies  Muna,  wo  der  Islam  das  Werfen 
nach  den  drei  Steinhaufen  legalisierte,  erhalten.  Das  vGrab  des  A bü  Lahab”  wird  auch 
heutzutage  noch  gesteinigt.  Auf  dem  Wege  von  Djiddah  nach  Mekka  aber,  zwischen 
Djiddah  nach  Bahrah,  sind  zwei  Steinhaufen,  donen  die  vorübergehenden  Loutc  der  un- 
teren Klassen  je  ihren  Stein  hinzufügen.  Zur  Erklärung  dieses  Brauches  dient  jetzt 
folgende  Lcgonde:  Ein  Pastetenbäcker  in  Mekka  behauptete  im  Stande  zu  sein,  eine 
Schüssel  frisch  gebackenes  ZaUbija  in  schnellem  Lauf  noch  heiss  nachDjiddah  zu  bringen, 
und  setzte  dieser  kühnen  Behauptung  nicht  einmal  das  gebotene : »so  Gott  will”  hinzu.  So 
stürzte  er  zur  Strafe  todt  nieder,  als  er  an  der  Stelle  ankam,  wo  jetzt  der  eino  Stein- 
haufen sein  Grab  bezeichnet.  Der  andere  soll  sein  Dasein  einer  ähnliohen  Geschichte 
verdanken,  die  einem  Djiddah'schon  Bäcker  passierte,  als  or  eine  Schüssel  Kututfak  heiss 
nach  Mekka  bringen  wollte.  Daher  heissen  die  Haufen  resp.  it-ZaLibdni  und  el-Kuuafmi. 


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seines  Glücks  1°  mit  dem  Betrag  der  nach  und  nach  hinein  geleg- 
ten Pfennige  unbekannt  bleiben,  2°  bis  er  das  Ganze  herausnimmt, 
um  etwa  ein  Geschäft  zu  eröffnen,  dieser  Sparbüchse  nichts  ent- 
ziehen. In  grosser  Noth  borgt  er  lieber  von  seinen  Freunden,  als 
dass  er  das  Ileiligthum  entweihen  sollte.  Muss  er  es  aber,  so  nähert 
er  sich  der  Wand  mit  brennendem  Weihrauch  und  Rosenwasser, 
nimmt  das  unentbehrliche  Geld  mit  einer  Miene  heraus,  als  stöhle 
er,  und  sagt:  »Nimm  es  nicht  übel,  mein  Herr!  nur  auf  ein  paar 
Tage,  usw.!”  Zur  verabredeten  Zeit  erstattet  er  das  Entlehnte  mit 
einem  //Trinkgeld”  {Haqq  el-qahwah)  zurück ! 

Ein  alter  Gelehrter  war  einmal  sehr  aufgebracht  gegen  unseren 
oben  erwähnten  Arzt,  als  dieser  die  Vermuthung  spottend  zurück- 
wies, es  seien  Djinn , die  allabendlich  die  Musikbande  des  Gross- 
scherifs  mit  Steinen  bewürfen.  Kein  Wunder  also,  dass  die  unge- 
lehrte Masse  in  jedem  ungewöhnlichen  Ereigniss , namentlich  in 
Krankheiten,  das  Treiben  der  Geisterwelt  erblickt.  Die  Zuflucht 
des  Ungebildeten  ist  in  solchen  Fällen  die  Zauberei,  deren  Wirk- 
lichkeit vom  Islam  anerkannt,  deren  Ausübung  aber  verpönt  ist; 
der  gebildete  Fromme  geht  zu  mystischen  Schechen  oder  deren  Er- 
ben, zu  Leuten,  die  von  ihren  Vorfahren  überkommene  probate 
Heilformeln,  Amuletrecepte  oder  heilkräftige  Gegenstände  besitzen. 

Wenn  sieh  ein  Mekkaner  bis  aufs  Hemd  nuszieht  (und  wegen 
der  Hitze  geschieht  dies  oft  genug),  so  gewahrt  man  unter  diesem 
durchsichtigen  Kleidungsstück  auf  seinem  nackten  Rücken  eine  Reihe 
von  kleinen,  buntfarbigen  Kissen,  die  an  einem  Draht  von  seiner 
Schulter  herabhängen.  Darin  sind  ähnliche  1 2 Aziniah' s oder  Hidjnb's, 
durch  Erben  von  Heiligen  präparierte  religiöse  Beschwörungsformeln 
gegen  alle  Uebel,  wie  sie  die  Kinder  in  silbernen  Behältern  über 
der  Kleidung  tragen ').  Kindern  hängt  man  zu  gleichem  Zwecke 
alte  Münzen  um,  wenn  sie  nackt  gehen,  und  die  Mütter  legen 
deswegen  soviel  Werth  darauf,  dass  ihren  Kindern  auf  beiden  Wan- 
gen die  drei  Schnitte  ( Mcschäli ) J)  gemacht  werden,  weil  auch  die 


1)  Vergl.  oben  S.  57. 

2)  Irrthiimlich  haben  einige  Schriftsteller  dieses  Abzeichen  des  Mckkaners  mit  dem 


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m 


gegen  das  böse  Auge  schützen  sollen.  Trägt  der  Mekkaner  am  klei- 
nen Finger  einen  glatten,  weissmetallenen  Ring,  so  hat  ihn  dieser 
gegen  die  hier  sehr  verbreitete  Krankheit  der  Hämorrhoiden  geschützt 
oder  davon  geheilt.  Ist  er  trotz  aller  Fürsorge  erkrankt  und  weiss 
die  Frau  keinen  Rath,  so  versucht  man  zunächst,  die  Mächte  der 
Finstemiss  durch  Beräucherung  des  Gemachs  mit  Mastix  ( Mugtaka) 
oder  ähnlichen  Wohlgerüchen  zu  verscheuchen  '),  und  versäumt  dabei 
nicht,  durch  Gelöbnisse  den  Propheten  oder  Chadldjah  bei  der  Hei- 
lung zu  interessieren.  Wenn  auch  dies  nicht  hilft,  so  wendet  man 
sich  an  einen  frommen  Schöch , der  nach  gemachter  Diagnose  einige 
Buchstaben  oder  Wörter  auf  ein  Stück  Papier  schreibt  und  dies  zu 
verbrennen  befiehlt;  die  Asche  muss  der  Kranke,  durch  Gebete  und 
fromme  Ausrufe  darauf  vorbereitet,  in  Wasser  aufgelöst,  verschlu- 
cken , und  dann ....  so  Allah  will ! Es  giebt  allerdings  Bücher , in 
denen  die  »Probata”  früherer  Scheche  zusammengestellt  sind  *) , aber 
die  Nachfolger  versäumen  nicht  zu  betonen,  dass  die  Formel,  das 
Papier  usw.  nur  dann  nützen , wenn  man  solches  aus  der  richtigen 
Hand  empfängt,  nachdem  der  Spender  selbst  Gebete  dazu  gespro- 
chen hat.  Erst  wenn  die  zahllosen  Mittel  der  erwähnten  Art  er- 
schöpft sind,  geht  der  Durchschnittsmekkaner  zum  Arzte. 

Auch  die  Kinder  werden,  bis  sie  das  reife  Alter  erreichen,  man- 
nigfach durchräuchert , sodass  sich  schon  daraus  theil weise  die  grosse 
Sterblichkeit  der  kleinen  Welt  erklärt.  Unter  das  Kopfkissen  eines 
kranken  Kindes  legt  die  Mutter  7 Brote  (Aqrrig)  und  wirft  diesel- 
ben , nachdem  das  Kind  eine  Nacht  darauf  geschlafen , den  Hunden 
vor,  worauf  die  Heilung  zu  immer  neuem  Erstaunen  der  Mütter. .. . 
gewöhnlich  ausbleibt.  Nach  dieser  und  ähnlichen  Enttäuschungen 
glaubt  man,  es  müsse  das  böse  Auge  das  Kind  betroffen  haben; 
seine  Amulete  seien  also  wirkungslos  geblieben.  Als  specifisches  Mit- 


Namen  TaschrU  bezeichnet ; TatekrU  heisst  die  Handlung  des  Einschneidens,  gleichviel 
ob  diese  zur  Anbringung  der  Mnekäli,  oder  z.  B.  als  Vorbereitung  zum  Schröpfen  dient. 

1)  Rationalisten  wollen  in  dieser  schwindelerregenden  Behandlung  ein  Mittel  gegen 
den  Schwindel  sehen. 

3)  Eines  gewissen  Rufs  erfreuen  sieh  die  in  Cairo  mchrfech  gedruckten  öt^* 

II  16 


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tel  gegen  das  »Auge”  gilt  die  Beräucherung  mit  einem  übelrie- 
chenden, Fasüch  ')  genannten  Harz,  das  man  mit  einer  Handvoll 
Salz  in  einem  Kohlenbecken  verbrennt;  der  Bezauberte  muss  sich 
dreimal  die  Hände  räuchern,  dreimal  das  Gesicht  und  die  Füsse, 
siebenmal  über  das  Becken  hinschreiten,  damit  der  Dampf  ihn 
gänzlich  tränke  {jisqih),  und  dann  für  das  Weitere  sein  Vertrauen 
auf  Gott  setzen.  Viel  Lebensfreude  wird  den  Mekkanern  durch  die 
Furcht  vor  dem  '/Auge”  genommen.  Liegende  Güter  schützt  man 
dagegen,  indem  man  etwa  eine  alte  Sandale  an  deren  Grenze  oder 
Eingang  aufhängt.  Weil  die  Person,  die  mit  dem  "Auge”  behaf- 
tet ist,  manchmal  selbst  nicht  darum  weiss,  nimmt  man  ein  frem- 
des Kind,  einen  hübschen.  Anderen  gehörenden  Gegenstand  nicht 
in  die  Hände,  tritt  man  zu  einer  frohen  Gesellschaft  nicht  herein, 
ohne  vor  allen  Dingen  die  neutralisierende  Formel:  "Was  Allah 
will,  Allah  sei  gesegnet!”  zu  sprechen. 

Bei  Vielen  geht  aber  das  böse  Auge  mit  bewusstem  Neide  zu- 
sammen, und  die  Neider  nehmen  gegen  die  Objekte  ihrer  Miss- 
gunst, wenn  ihr  Auge  nicht  zur  Erreichung  der  feindseligen  Zwecke 
genügt,  zur  Zauberei  ihre  Zuflucht.  A.  vergräbt  heimlich  einen 
Zauberzettel  unter  dem  Hause  des  B. , welches  er  selbst  hätte  kau- 
fen wollen,  damit  es  durch  Feuer  zerstört  werde;  er  schreibt  my- 
stische Zeichen  an  die  Wand  des  Hauses,  wo  C.  als  Ehemann  einer 
von  A.  geliebten  Frau  lebt,  damit  Feindschaft  zwischen  den  Ehe- 
leuten entstehe.  Darum  ist  es  rüthlieh,  wenn  man  eine  schöne Skla- 
vinn  gekauft  hat,  gleich  ihren  Namen  zu  ändern,  denn  der  Zau- 
ber bezieht  sich  meistens  auf  den  Namen  der  Person,  und  schlägt 
dann  fehl.  Wer  ein  neues  Haus  beziehen  soll,  thut  wohl  daran, 
zunächst  die  günstige  Zeit  zu  berechnen,  was  übrigens  für  alle 
wichtigen  Handlungen  gilt;  das  hilft  jedoch  nicht  genug,  wenn  er 
nicht  vor  dem  eigentlichen  Umzug  die  Wohnung  tüchtig  durchräu- 
chern  und  von  einigen  Füqahli  eine  Chatmah  (den  ganzen  Qurän) 
darin  recitieren  lässt,  denn  nur  so  werden  die  feindlichen  Mächte 

1)  Vergl.  Dozy,  Supplement,  s.  v oti 5.  Nach  Ansicht  des  Herrn  Dr.  Boerlage  ist 
das  von  mir  mitgebrachte  Specimon  des  Faaflch  ein  Harz  aus  einem  zu  den  (icnera 
Boswetlia,  Balsamodendron  oder  Canarium  gehörenden  Baume. 


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verjagt.  Diese  Aufzahlung  erlaubter  und  unerlaubter  abergläubi- 
scher Brauche  der  Mekkaner  fortzusetzen,  hiesse  ein  Verzeichniss 
von  Bruchstücken  des  Wahnglaubens  aller  muslimischen  Länder 
geben,  die  hier  durch  den  Synkretismus  Vieles  von  ihren  Eigen- 
tümlichkeiten eingebüsst  haben.  Allein  da  die  Weiber,  von  denen 
wir  ausgegangen  sind,  die  oberste  Leitung  der  Bearbeitung  dieser 
Einfuhrartikel  und  der  Vermischung  derselben  mit  bereits  Vorhan- 
denem übernehmen,  so  beansprucht  ihr  Verkehr  mit  der  Geisterwelt 
noch  einen  Augenblick  unsere  Aufmerksamkeit '). 

Wo  cs  böse  Geister  giebt,  richtet  sich  bekanntlich  ihr  Unwille 
in  jeder  Weise  gegen  die  Mutterfreude.  In  Mekka  suchen  sie  zu- 
nächst die  Fruchtbarkeit  zu  verhindern;  daher  lassen  sich  die  Wei- 
ber, die  nach  Kindersegen  begehren,  von  einem  erprobten  //Schech” 
ein  Band  mit  überlieferten  Formeln  beschreiben  und  »besprechen”, 
und  holen  Vorschriften  ein,  wie  und  wann  die  Beiwohnung  statt- 
finden soll,  um  mit  Hülfe  des  um  den  Bauch  gewundenen  Gür- 
tels die  Empfängniss  zu  ermöglichen.  Wenn  nun  das  heissersehnte 
Kind , um  dessentwillen  auch  während  der  Schwangerschaft  viel  gegen 
die  Geister  gekämpft  wurde,  zuletzt,  von  unendlichem  Hokuspokus 
und  vielem  Rauch  begrüsst,  auf  die  Welt  gekommen  ist,  da  fängt 
ein  neues  Leiden  an.  Den  vielen  Kinderkrankheiten  unterliegt  ein 
bedeutender  Theil  der  Neugeborenen;  besonders  wenn  sie  in  der 
kühleren  Jahreszeit  das  Lebenslicht  erblickten,  ist  die  erste  Periode 
der  Hitze  verhängnissvoll  und  hat  man  weniger  Hoffnung,  sie  am 
Leben  zu  erhalten,  als  wenn  sie  etwa  unter  der  Herrschaft  der 
Sumbulah 1  2)  (der  //Jungfrau”  der  Thierkreises)  geboren  werden.  Na- 
mentlich die  Kinder  fremder  Mütter  haben  einen  harten  Kampf 
durchzumachen;  ich  habe  viele  abyssinische  Sklavinnen  gekannt,  die 
5 — 10  Kinder  gleichsam  dem  Grabe  geboren,  wenige,  die  eine 
solche  Zahl  grossgezogen  hatten.  Häufig  fehlt  es  den  Müttern  an 
Milch  oder  ist  diese  wenigstens  nicht  nahrhaft  genug.  Wer  verur- 


1)  Flüchtig  wurde  dioser  Gegenstand  bereits  von  mir  besprochen  in  den  Verhandll. 
der  Berliner  Ges.  f.  Erdk.,  Bd.  XIV,  S.  152 — 3. 

2)  Vergl.  Mekk.  Sprichw,,  8.  116  f. 


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sacht  nun  alle  diese  Uebel?  Es  ist  die  TJmm  cf-pibjän  '),  alias 
Qarinah-,  die  weiblichen  Ungeheuer,  welche  diesen  Namen  tragen, 
gönnen  der  Mutter  ihre  Freude  niemals  und  fahren  bald  auf  die 
Kinder  selbst  los,  bald  entziehen  sie  der  Mutter  die  Nahrung.  In 
solchen  Fallen  greift  man  um  so  eher  nach  Beschwörung  oder  Zau- 
berei, weil  wirklich  die  Kunst  der  Aerzte  nichts  dagegen  vermag; 
ist  doch  das  gewöhnlich  von  ihnen  anempfohlene  Mittel  zur  Stil- 
lung der  vor  Hunger  schreienden  Säuglinge  eine  Mischung,  worin 
dem  Mohn1 * 3)  die  Hauptrolle  zufällt;  diese  muss  die  Mutter  ein- 
nehmen, und  das  Kind  wird  dann  etwas  ruhiger,  bis  es  stirbt! 

Ein  anderes  Geschlecht  von  Geistern,  das  nahezu  allen  Weibern 
viel  zu  schaffen  macht,  sind  die  Zar s) ; der  Kampf  mit  den  Zur 
zeigt  zugleich  die  trübsten  und  die  heitersten  Seiten  des  Lebens 
der  Mekkanerinnen.  Die  echten  Zar  heissen  in  unserer  profanen 
Sprache  theils  gewisse  Formen  des  Irrsinns,  theils  hysterische  An- 
fälle; wer  heutzutage  »einen  Zar  hat”,  wäre  wohl  im  alten  Arabien 
gewöhnlich  Medjniin  genannt  worden.  Jetzt  heisst  Medjnün  eher  »ver- 
rückt”, ohne  dass  man  dabei  gleich  an  die  Wirkung  von  Geistern 
denkt.  Von  Jugend  an  hören  die  Weiber"  soviel  von  den  Zar  er- 
zählen, dass  die  bezeichneten  Krankheiten,  wenn  sie  bei  ihnen  auf- 
treten,  meistens  die  Form  der  Herrschaft  eines  Zar  über  den  Wil- 
len des  Individuums  annehmen.  Bald  macht  sich  diese  Herrschaft 
dadurch  geltend,  dass  die  Frau  zu  gewissen  Zeiten  zu  Boden  ge- 
worfen wird  und  stundenlang  mit  Körperzuckungen  daliegt;  bald 
scheint  sie  an  einer  bekannten  Krankheit  zu  leiden,  die  aber  dann 
und  wann  plötzlich  von  ihr  weicht  und  nur  die  blasse  Farbe  und 
die  weit  aufgesperrten  Augen  übrig  lässt;  bald  ist  die  Leidende  wäh- 


1)  Für  ein  ziemliches  Alter  dieses  W orten , das  eigentlich  » Mutier  der  Knaben  (Kin- 
der)" heisst,  spricht  der  Umstand,  dass  Qihjdn  weder  in  dieser  Form  noch  in  die- 
ser Bedeutung  der  lebenden  Sprache  angehört;  diese  kennt  nur  Qibi,  Plur.  (Jubjdn  in 
der  Bedeutung  »freier  Lohndiencr”.  Frei,  aber  richtig  kann  mau  Umm  e( -Cib/an  durch 
„die  (Feindinn)  der  Kinder"  übersetzen;  die  Malaien  übersetzen  das  Wort  mit  ihrem 
Ptmtianak, 

9)  llabbkl  en-nöm  oder  Bier  el-ekitckekruck  genannt ; auch  dio  den  Mohnsamen  umschlies- 
senden  Hülsen  (Qisekr  el-ckitekduUek)  finden  in  der  Medizin  Verwendung. 

3)  Das  Wort  weiss  ich  nicht  zu  erklären;  es  ist  auf  keinen  Fall  arabisch,  bildet 
auch  im  Arabischen  keine  Ableitungen  und  seltsamerweise  nicht  einmal  einon  Plural 


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rend  der  Anfalle  wie  wild  und  wüthend.  Gelehrte,  Aerzte  und  über- 
haupt die  meisten  Männer  sind  immer  geneigt,  entweder  Arznei- 
mittel oder  religiöse  Beschwörung  der  teuflischen  Macht  anzuwenden ; 
weibliche  Verwandte  und  Freundinnen  dagegen  rathen  unbedingt , ein 
im  Verkehre  mit  den  Zär  geübtes  älteres  Weib , eine  Schachet  ez-Zar 
herbeizurufen,  und  sie  besiegen  am  Ende  allen  Widerstand. 

Bei  allen  in  Mekka  vertretenen  Nationen  kommen  Zär  vor , denn , 
wenn  sie  gleich  zu  Hause  anders  genannt  wurden,  so  nehmen  sie 
doch  hier  bald  den  landesüblichen  Namen  an.  Dennoch  bleiben 
nationale  Unterschiede  bestehen,  die  auch  in  der  Behandlung  zu 
berücksichtigen  sind.  Es  giebt  z.  B.  eine  maghribinische , eine  suda- 
nesische, eine  abyssinische , eine  türkische  Austreibung  der  Zär, 
die  eigentlich  nur  je  in  bestimmten  Fällen  anwendbar  sein  sollen, 
aber  es  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  die  Prüfung  der  Nationalität 
des  Zär  fast  immer  die  herbeigerufene  ScAechah  zu  dem  Resultate 
führt,  dass  ihre  Methode  hier  die  richtige  sei.  Die  ScAechah  befragt 
nicht  die  Kranke  selbst,  sondern  den  Zär1),  der  in  ihrem  Körper 
haust;  es  kommt  vor,  dass  die  Unterhaltung  in  gewöhnlicher  Rede 
stattfindet  und  somit  von  den  Umstehenden  verstanden  wird , häufig 
aber  bedienen  sich  die  Redenden  der  Z«r-sprache , aus  der  kein 
Mensch  klug  wird  ohne  die  Interpretation  der  ScAechah.  Im  Grunde 
genommen  bieten  die  Resultate  solcher  Gespräche  nur  wenig  Ab- 
wechslung dar.  Auf  die  wiederholte  Bitte  der  ScAechah  erklärt  sich 
der  Zär  bereit,  an  einem  bestimmten  Tage  mit  den  üblichen  Ce- 
remonien  auszufahren,  wenn  inzwischen  einige  von  ihm  gestellte 
Bedingungen  erfüllt  sind  Er  fordert  ein  schönes,  neues  Gewand, 
goldene  oder  silberne  Schmucksachen  und  dergleichen ; weil  er  sich 
selbst  aber  menschlicher  Wahrnehmung  entzieht,  kann  man  seinem 
Wunsche  nur  dadurch  Folge  leisten,  dass  man  dem  kranken  Kör- 
per, den  er  bewohnt,  die  bezeichnetcn  Sachen  schenkt.  Auch  ist 
es  rührend,  zu  sehen,  wie  diese  bösen  Geister  dem  Alter,  dem  Ge- 
schmack oder  den  Bedürfnissen  der  Besessenen  Rechnung  tragen. 
Am  Tage,  wo  der  Auszug  stattfinden  soll,  kommen  die  dazu  ein- 

X)  Welchem  Geschlecht  die  Zär  selbst  angehören,  darüber  ist  man  im  Unklaren;  sie 
lassen  aber  die  Männer  gewöhnlich  unbehelligt. 


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geladenen  Freundinnen  der  Kranken  Nachmittags  oder  Abends  zu 
ihr  und  werden  mit  Kaffee,  Thee,  Pfeifen,  manchmal  auch  mit 
Speisen  bewirthet;  die  Schec/tah  und  ihre  Sklavinnen,  die  mit  Trom- 
melschlag und  einer  Art  Gesang  deren  Handlungen  begleiten  müs- 
sen, geniessen  mit  und  bereiten  sich  auf  die  Arbeit  vor. 

Es  ist  leicht  abzusehen,  dass  diese  Arbeit  in  den  wenigsten  Fäl- 
len zur  Austreibung  echter  Zär  dient;  schöne  Kleider  und  Gesell- 
schaften sind  den  mekkanischen  Damen  über  Alles  lieb,  und  sie 
sind  schlau  genug,  die  Rollen  des  Zär  und  der  Besessenen  zugleich 
zu  spielen;  diese  Krankheitskomödie  ist  aber  zu  einer  wahren  en- 
demischen Krankheit  geworden.  Man  müsste  eine  Frau  von  allem 
Verkehr  mit  andern  Frauen  abhalten,  um  sie  gegen  die  Ansteckung 
zu  schützen.  Ganz  so  wie  es  heisst:  »ich  muss  Morgen  zur  Hoch- 
zeit der  N.  N.”,  heisst  es  an  einem  andern  Tage:  »ich  gehe  zur  N. 
N. , denn  bei  ihr  giebt  es  heute  Abend  Zär  *)”,  ja  einige  geben 
ohne  Zurückhaltung  selbst  die  Komödie  auf  und  sagen  zu  ihrem 
Manne:  »Es  ist  höchste  Zeit,  dass  ich  einmal  einen  Zär  gebe,  denn 
wich  habe  schon  soviele  bei  meinen  Freundinnen  mitgemacht”.  Was 
helfen  ihm  alle  Einwendungen,  wie  soll  er  von  seinem  gesetzlichen 
Rechte , der  Frau  das  Ausgehen  zu  verbieten , Gebrauch  machen , 
da  er  doch  weiss,  dass  sich  die  Frau  nach  der  Weigerung  wie  eine 
Wahnsinnige  aufführen  wird,  bis  er  nachgiebt  oder  sie  verstösst? 
Und  was  nützt  wieder  das  Verstossen,  da  er  nicht  umhin  kann, 
eine  Andere  zu  heirathen,  die  ebenfalls  nach  kurzer  Zeit  den  Zär 
anmeldet  P Der  Zär  gehört  nun  einmal  ebensosehr  zu  den  Lebens- 
bedürfnissen der  meisten  Weiber  wie  der  Taback  oder  wie  die  gol- 
denen oder  vergoldeten  Borten  ihrer  Beinkleider. 

Der  oben  erwähnte  Arzt  hatte  allerdings  ein  kräftiges  specifisches 
Mittel  gegen  den  Zär  entdeckt:  als  eine  junge  Frau,  kurz  nachdem 
er  sie  geheirathet , sich  etwas  eigentümlich  aufführte  und  heimlich 
Besuche  einer  Schechet  ez-Zär  empfing,  richtete  er  es  so  ein,  dass 
er  der  Schechah  auf  der  Treppe  seiner  Wohnung  begegnete,  zwang 


1)  Die  Gesellschaft,  die  man  anlässig  der  Austreibung  veranstaltet,  wird  mit  dem- 
selben Namen  bezeichnet  wie  der  böse  Geist  selbst. 


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sie  gegen  alle  //anwgesetze , sich  zu  erkennen  zu  geben  und  drohte 
ihr  den  Tod,  wenn  sie  sich  noch  einmal  hier  zeige.  Dann  ging  er 
zu  seiner  Frau,  die  eben  wieder  einen  kleinen  Anfall  hatte,  und 
sagte  ihr , sie  habe  augenscheinlich  den  Zär , er  wolle  ihn  also  gleich 
gründlich  austreiben.  Er  liess  ein  Kohlenbecken  heraufbringen , machte 
sein  Brenneisen  glühend  und  brummte  unterdessen  vor  sich  hin, 
die  Teufel  seien  aus  Feuer  erschaffen  und  daher  nur  durch  Feuer 
zu  bekämpfen;  das  Schwierige  sei,  die  Stelle  der  Haut  ausfindig  zu 
machen,  unter  der  sie  eben  hausten,  und  bis  man  die  gefunden 
habe,  müsse  man  die  ganze  Oberfläche  des  Körpers  mit  dem  Mekwa 
berühren.  Die  Frau  war  schon  vor  dem  Anfang  der  Kur  wiederherge- 
stellt und  bat  ihren  Gatten  um  Verzeihung,  glaubte  auch  ver- 
sichern zu  können , der  Zur  habe  sich  endgültig  verabschiedet '). 
Das  sind  aber  Ausnahmefalle;  die  wenigsten  Männer  wagen  es,  so 
energisch  einzuschreiten,  da  die  meisten  Frauen  gleich  davonlaufen 
oder  aber  den  Leumund  ihrer  Gatten  mit  allen  Mitteln  zerstören 
würden. 

Nicht  weniger  als  das  Auftreten  des  Zar  selbst  ist  auch  dessen 
Austreibung  theilweise  zur  Komödie  geworden;  aus  diesem  Grunde 


1)  Unser  Arzt  wusste  dennoch  selbst  dom  Aberglauben  eine  ergiebige  Seite  abzuge- 
winnen: wenn  irgendwo  gestohlen  war,  oh nedass  man  den  Dieb  ausfindig  machen  konnte, 
kamen  die  Bestohlenen  manchmal  zu  ihm  und  gaben  ihm  ein  üoschenk,  damit  er  die 
von  ihm  ererbte  ' Azimah  anwendo.  Diese  bestand  darin,  dass  an  ein  seidenes  Tuch, 
worin  ein  alter  Qurän  eingewickelt  war,  ein  Schlüssel  befestigt  wurde;  die  Enden  des 
Sohlüssels  hoben  der  Arzt  und  einer  seiner  Söhne  mit  den  Spitzen  ihrer  Zeigefinger  so 
empor,  dass  der  Quran  daran  aufgehängt  frei  schwebte.  Nun  legte  er  die  Zettel,  auf 
deren  jeden  der  Name  eines  Verdächtigen  geschrieben  war,  nach  einander  in  den  Qu- 
ran und  recitierte  dann  jedes  Mal  soine  gcheimnissvolle  Formel;  wenn  der  Schlüssel 
anfing,  sich  zu  drehen,  so  war  der  eben  im  Quran  befindliche  Name  der  des  Schul- 
digen. Weil  aber  die  Bestohlenen  vorher  die  Namen  der  Verdächtigen  selbst  diktieren 
mussten,  hatte  der  schlaue  Arzt  genug  Gelegenheit,  sich  über  den  Vorgang  eine  wahr- 
scheinliche Ansicht  zu  bilden , und  danach  richtete  sich . . . der  Schlüssel.  Oft  kamen  die 
Leute,  denen  die  'Azimah  Sicherheit  verschafft  hatte,  einige  Tage  später  enttäuscht  zu- 
rück, weil  die  üukumak  (die  Behörden)  ihre  Mittheilung  mit  Gelächter  aufgenommen 
hatte  und  daraufhin  nicht  einschreitcn  wollte.  Dann  antwortete  der  Arzt,  dies  sei  voll- 
kommen richtig,  man  habe  ja  derlei  Entdeckungen  bloss  privatim  zu  verwerthon. 
Einmal  ergab  sich  aus  der  * Azimah , dass  des  Arztes  eigner  Neffe,  ein  Mu’eddü i,  seiner 
Mutter  etwas  entwendet  habe,  und  gestand  dieser  darauf  reumiithig.  Auch  der  Magne- 
tismus und  Somnambulismus  ( dharb  U-mandZt)  wurden  von  dem  Arzte  mit  staunener- 
regendem Erfolge  betrieben. 


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128 


sowie  durch  den  Synkretismus  tritt  uns  die  Entzauberung  in  Mekka 
als  ein  Mischmasch  verschiedenen  Spuks  mit  willkürlichen  Zutha- 
ten  entgegen.  Die  Leidende  zieht  die  vom  Zär  ausbedungenen  Klei- 
der an;  die  Sklavinnen  der  Schechah  trommeln  ihren  eigentüm- 
lichen Zaubermarsch , den  auch  eiu  wenig  geübtes  Ohr  gleich  von 
jeder  anderen  Trommelmusik  unterscheidet;  die  Schechah  betastet 
nach  den  Regeln  der  Kunst  den  besessenen  Körper.  Allerlei  son- 
derbare Bräuche  kommen  hinzu , die  das  heidnische  Spiel  den  from- 
men Gelehrten  noch  anstössiger  machen:  z.  B.  wird  ein  Hammel 
geschlachtet,  und  mit  dessen  Blut  werden  die  Stirn  und  andere 
Körperteile  der  Kranken  bestrichen.  Wie  die  Entzauberung  sich 
nach  aussen  wahrnehmbar  machen  soll,  steht  bei  jeder  Methode 
der  Behandlung  im  Voraus  fest;  die  Besessene  muss  etwa  tanzen, 
den  Körper  hin-  und  herwerfen  oder  in  Ohnmacht  fallen,  und  so 
kommt  der  Zeitpunkt,  wo  die  summende  Schechah  aussagt,  der 
Zar  sei  ausgefahren.  Es  kommt  vor,  dass  das  erst  in  der  zweiten 
oder  dritten  Nacht  geschieht  — desto  grösser  ist  die  Freude  der 
Gesellschafterinnen.  Auch  theilt  sich  in  gewissen  Fällen  die  Tanz- 
wuth  den  Versammelten  mit , eine  Erscheinung , worin  wieder  wenig 
echte  Ansteckung  mit  vielem  Scherz  vermischt  ist.  Eine  junge  Frau, 
die  diesen  Dingen  sehr  abgeneigt  war,  erzählte  mir,  sie  sei  manch- 
mal in  solchen  Gesellschaften  allein  oder  mit  nur  ein  paar  Genoss- 
innen von  der  »Ansteckung”  frei  geblieben , und  die  Uebrigen  hät- 
ten dann  spottend  gesagt:  »Wie?  hast  du  noch  nicht  den  Zär  be- 
kommen ?” 

Es  ist  gar  keine  Seltenheit,  dass  alles  Glück  und  sogar  das  Ver- 
mögen einer  zu  der  mittleren  Klasse  gehörenden  Familie  den  Zär 
zum  Opfer  fallen.  Hinter  diesem  allgemein  verbreiteten  Uebel  tritt 
der  Glaube , dass  gewisse  Häuser  bezaubert ')  (jneskün)  seien , die 


1)  Die  Gespenster,  die  solche  Wohnungen  unheimlich  machen,  heissen  &ikm,  Plur. 
SMä».  Beispielsweise  erwähnen  wir  hier  noch  die  ziomüeh  verbreitete  Anschauung, 
dass  wenn  Einer  nach  verrichtetem  Qaliit  »einen  »Gcbetsteppieh”  nicht  gleich  zusam- 
mcnfaltet , der  Teufel  seinen  Platz  einnehme  und  dort  seine  Andacht  verrichte.  Zu  den 
Mitteln,  deren  sich  die  Weiber  bedienen,  um  Sicherheit  über  Zukünftiges  oder  sonst 
Unbekanntes  zu  erlangen,  gehört  Folgendes:  Im  Hammelfleisch  suchen  sie  ein  Knö- 
chelchen, das  ungefähr  die  Form  des  oberen  Daumongliedes  zeigt;  dies  reinigen  sie. 


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Furcht  vor  allerhand  gefährlichen,  unsichtbaren  Geschöpfen  und 
ähnlicher  beunruhigender  Aberglaube  gänzlich  zurück. 

Auf  dein  Gebiete  der  praktischen  Heilkunst  thun  sich  jedoch  die 
Weiber  durch  eine  Fertigkeit  hervor,  welche  die  Männer  geneigt 
macht,  die  Dürftigkeit  ihrer  Hausapotheke  und  das  Unheil,  das 
ihr  Aberglaube  verursacht,  etwas  nachsichtiger  zu  beurtheilen.  Es 
ist  das  Tikbu , die  Massage.  Diese,  in  Europa  neuerdings  zu  hö- 
herem Ansehen  gelangte  Heilmethode  wird  in  Arabien  von  jeher, 
freilich  ohne  wissenschaftliche  Grundlage,  aller  mit  manchmal  stau- 
nenswerthem  Erfolge  betrieben.  Abends  pflegen  gewerbsmässige  '/Kne- 
ter” indischer  Herkunft  durch  die  Strassen  zu  gehen  und  durch  den 
Ausruf:  Kabüäüt ! die  in  den  Kaffeehäusern  und  in  den  Vorhallen 
der  Häuser  sitzenden  Männer  einzuladen,  von  ihren  Diensten  Ge- 
brauch zu  machen.  Leute,  die  geistig  oder  körperlich  etwas  über- 
spannt sind,  unterziehen  sich  ihrem  Takbis , der  im  Anfang  nicht 
sehr  angenehm  empfunden,  allmählich  seine  wolthuende  Wirkung 
zeigt  und  schliesslich  das  Gefühl  vollständiger  Erholung  hervorruft. 
Ausser  diesen  Berufsknetern  ist  aber  nahezu  jede  Frau,  Freie  oder 
Sklavinn,  in  der  Kunst  bewandert,  und  viele  Männer  sind  der- 
maassen  an  die  Massage  gewöhnt,  dass  sie  ohne  vorhergehendes 
Takbis  kaum  einschlafen.  In  manchem  Hause  massiert  die  Sklavinn 
ihre  Herrinn,  und  diese  wieder  ihren  Gemahl,  während  die  Skla- 
vinnen und  jungen  Mädchen  sich  auch  gegenseitig  diesen  Dienst 
erweisen.  Will  Einer,  der  mit  einer  Frau  ziemlich  frei  verkehrt, 
sie  zu  unerlaubten  Dingen  verführen,  so  ist  eine  gewöhnliche  Ein- 
leitung seine  Bitte : //Bei  Allah , mir  ist  nicht  wohl , massiere  mich  1”  ') 


umhüllen  cs  mit  Tuch  und  bewahren  es  bis  zur  Nacht  des  Samstags.  Dann  leiern  sie 
eine  Formel  ab,  die  mit  den  Worten:  jd  tabt  jd  tab/mlah  anfängt,  legen  das  Ding  unter 
ihr  Kopfkissen  und  schlafen  in  der  sicheren  Hoffnung  ein,  das  ihnen  ein  bedeutungs- 
voller, »ufklärender  Traum  zu  Theil  wird. 

1)  Mit  Weibern , die  in  benachbarten  Häusern  wohnen  und  die  der  Nachbar  nur 
ans  der  Ferne  sohen  kann , verständigt  er  sich  durch  eine  ziemlich  eingebildete  Finger- 
und  Ueberdensprache,  die  fest  Alle  verstehen.  Sie  bietet  den  Vortheil,  dass  eine  keusche 
Frau  dadurch  keine  Gelegenheit  hat,  sieh  über  die  ihr  gemachten  Vorschläge  zu  be- 
schweren , denn  der  Mann  würde  immer  leugnen  und  sich  darüber  erstaunt  zeigen,  dass 
die  Frau  aus  unwillkürlichen  Bewegungon  seiner  Hände  so  unanständige  Dinge  horaue- 
golcsen  habe. 

II  17 


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130 


Nicht  bloss  gegen  die  im  mekkanischcn  Klima  so  häufige  allge- 
meine Erschlaffung,  auch  gegen  organische  Schmerzen  wirkt  die 
Knetung  heilsam  oder  wenigstens  zeitweilig  lindernd;  ich  habe  Fälle 
gesehen , wo  Leute , deren  Gesicht  durch  heftiges  Zahnweh  sehr  ge- 
schwollen war , nach  lokalem  Takbw  einige  Stunden  der  Ruhe  genossen. 

Endlich  suchen  die  Damen  immer  fleissig  ihre  Kenntnisse  zu  ver- 
mehren bezüglich  der  Mittel,  die  ihre  weiblichen  Reize  erhöhen. 
Diese  Mittel  sind  zweierlei  ••  solche , die  das  Aeussere  anziehend 
machen  ')  und  die  also  zum  Resort  der  berufsmässigen  »Putzerin- 
nen” gehören,  und  solche,  die  im  engeren  Sinn  den  sexuellen  Ge- 
nuss zu  erhöhen  bestimmt  sind  J).  Ueber  diese  lassen  sie  sich  von 
den  Hebammen  belehren,  die  sich  auch  sonst  mit  verschiedenen 
anderen  Dingen  ausser  der  Geburtshülfe  abgeben.  Weil  wenigstens 
die  Hälfte  der  hier  geschlossenen  Ehen  nur  lockere  Konkubinate  sind , 
bei  denen  von  vorne  herein  die  Auflösung  nach  einiger  Zeit  als 
regelrecht  gilt,  kommt  es  häufig  vor,  dass  beide  Parteien  etwaigen 
bleibenden  Folgen  des  Zusammenlebens  zu  entweichen  wünschen. 
Tn  solchen  Ehen  sowie  bei  Sklavinnen  in  sehr  grossen  Häusern, 
wo  die  Thür  zum  unerlaubten  Verkehr  mit  andern  Sklaven  oder 
fremden  Freien  allzuweit  offensteht,  tritt  häufig  eine  ganz  uner- 
wünschte Schwangerschaft  ein.  Künstlich  bewirkter  Abortus  wird 
von  den  kanonischen  Autoritäten  verschieden  beurtheilt,  sofern  er 
vor  dem  Ende  des  4'*”!  Monats  geschieht;  später  verpönen  alle  den- 
selben. Die  Dfijah's  (Hebammen)  nehmen  jedoch  keinen  Anstand, 
zu  jeder  Zeit  die  Frucht  *)  abzutreiben.  Starke  Negerinnen  helfen 

1)  Die  kosmetischen  Mittel  sowie  deren  Anwendung  sind  im  Gänsen  die  nhmlichen, 
welche  Lane  »Männere  and  Customs  of  the  modern  Egyptians"  so  genau  und  einge- 
hend beschrieben  hat,  dass  wir  einfach  auf  seine  Darstellung  verweisen. 

2)  Beispielsweise  sei  erwähnt,  dass  die  Weiber  etwa  zwölf  Stunden  lang  einen  Gail- 

O O « 

apfel  (Ju  (jatc)  im  Uterus  tragen  zur  Förderung  der  »Trockenheit”;  das  Urtheil  der 

Mekkancr  über  dorart  Reise  wird  von  den  Wohilüstlingcn  häufig  so  zusammengefasst ; 
gleichgültig  ist  es  an  sieh,  ob  ein  Weib  alt,  jung,  wunderschön  oder  nur  leidlich,  ob 
sie  Jungfrau  sei  oder  nicht,  wenn  nur  ei»  Körpcrtheil  folgonde  drei  Eigenschaften  be- 
sitzt : jeku»  harr , ndtchif  wenadhtf. 

3)  Diese  heisst  gewöhnlich  Bi:rak,  mit  welchem  Namen  man  auch  ganz  kleine  Kinder 
bezeichnet;  der  Plural  Beznrak  (Bueirah)  bezeichnet  alle  Kinder  im  Alter,  wo  sie  sich 
noch  an  Kinderspielen  ergötzen. 


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181 


sich  wohl  selbst  durch  wiederholtes  Kopfüberstürzen ; feiner  organi- 
sierte Weiber  werden  von  der  Däjah  mit  Arzneimitteln  behandelt, 
die  sie  meistens  in  den  Uterus  bringen.  Sklavinnen  des  Buchsta- 
bens des  Gesetzes  und  abergläubisch , wie  sie  sind , wenden  sie  die 
Mittel  nie  am  Freitagabend  an,  weil  die  Handlung  dann  doppelt 
haräm  wäre;  nachdem  die  Medikamente  ihre  Wirkung  gethan,  geht 
die  Frau  in  die  Moschee  und  vertheilt  als  Sühnopfer  einige  Brote 
an  die  Bettler  des  Haram  '). 

Es  versteht  sich  also , dass  nach  Präservativen  gegen  die  Frucht- 
barkeit eine  viel  lebhaftere  Nachfrage  ist  als  nach  den  oben  bespro- 
chenen Mitteln  zur  Förderung  derselben.  Einige  von  jenen  werden 
von  Aerzten  verkauft  und  von  den  Männern  angewendet  *);  die  meisten 
werden  aber  von  den  Dfijah's  an  derselben  Stelle  eiugeführt  wie 
die  Abortus  hervorrufenden  Mittel.  Des  Erfolgs  ihrer  Behandlung 
sind  die  Hebammen  so  sicher,  dass  sie  gewöhnlich  Kontrakte  ab- 
schliessen , worin  sie  sich  zur  Rückerstattung  des  Preises  verpflich- 
ten , falls  die  Medikamente  nicht  die  gewünschte  Wirkung  thun 
sollten.  Jede  von  ihnen  hat  ihre  eigenen  Mittel,  deren  Zusammen- 
setzung ihr  Geheimniss  bleibt,  welches  sie  nur  ihren  Sklavinnen 
mittheilt;  durch  eine  Behandlung  wird  Unfruchtbarkeit  auf  eine 
ungefähr  bestimmte  Zeit  (1 , 2 , 3 Jahre)  erzielt  *) , durch  die  andere 
soll  die  Schwangerschaft  auf  immer  unmöglich  werden'). 

Die  im  Vorstehenden  berührten  Gegenstände  bilden  unter  Mek- 
kanern,  die  einigermaassen  mit  einander  bekannt  sind,  die  Hälfte 
des  Inhalts  ihrer  täglichen  Gespräche,  und  zwar  nicht  bloss  im 
Allgemeinen , sondern  auch  so , dass  jeder  seine  intimsten  Erfahrun- 
gen vorbringt.  Es  ist  daher  ganz  falsch , wenn  Europäer  manchmal 

1)  Djarrdrtn  und  andere  Bettler  sind  immer  im  Haram,  auch  weil  dort  häufig  Brot- 
verthcilu ngen  stattfinden,  zu  denen  fromme  Leute  sich  durch  Gelübde  oder  sonstwie 
verpflichtet  haben.  Sobald  ein  Diener  mit  einem  Brett  voll  Brote  in  die  Moschee  ein- 
tritt,  umgeben  ihn  von  allen  Seiten  die  Schahhdtxn  und  raufen  sich  um  die  Beute  wie 

die  Hunde.  — Jüü 

2)  Sunt  piluhie  in  oblongam  fornuun  redactac,  quas  ante  coitum  in  glandem  penis  in- 
troducunt. 

3)  Solche  auf  eine  gewisse  Zeit  berechnete  Präservative  nennt  man  Tatfnrah. 

4)  Die  Frau  sagt  in  dem  Fall,  sie  wünsche  gänzlich  zur  ßaghlah  (Mauleselilm)  ge- 
macht zu  werden. 


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132 


behaupten,  die  Muslime  seien  mit  Allem,  was  sich  auf  die  Horim 
bezieht,  geheimthuerisch ; bei  ihnen  werden  im  Gegentheil  ohne 
Zurückhaltung  zwischen  Freunden , und  sogar  von  Viitera  im  Beisein 
der  Söhne,  zum  sexuellen  Leben  gehörende  Dinge  besprochen,  die 
bei  uns  der  Mann  höchstens  seinem  Arzte  mittheilen  oder  die  er 
aus  Rücksicht  gegen  die  Frau  auch  diesem  verschweigen  würde. 
Der  Muslim  vermeidet  ängstlich  solche  Gespräche,  die  irgendwie 
zu  unerwünschten  Beziehungen  Anderer  zu  seinen  Frauen  Anlass 
bieten  könnten,  und  in  der  Hinsicht  ist  er  natürlich  peinlicher  und 
ängstlicher  als  der  Europäer.  Während  nun  aber  aus  diesem  Grunde 
die  Grenze  zwischen  verbotenem  und  erlaubtem  Gebiete  im  Gespräche 
anders  gezogen  wird  als  bei  uns,  ist  der  Umfang  des  Erlaubten  bei 
den  Muslimen  entschieden  grösser.  Die  falschen  Eindrücke  europäi- 
scher Reisenden  stammen  gerade  aus  der  Verschiedenheit  jener  Grenze 
her ; der  Muhammedaner  weiss , dass  der  Europäer  über  Anstand  und 
Sittlichkeit  bezüglich  der  Eheverhältnisse  ganz  andere  Begriffe  hat  als 
er  und  vermeidet  daher,  diese  Dinge  mit  ihm  zu  besprechen,  ganz 
wie  bei  uns  häufig  zwischen  Leuten  verschiedener  Religion  die 
Unterhaltung  stockt,  sobald  von  himmlischen  Dingen  die  Rede  ist. 

Ist  also  die  mekkanische  Ehe  in  den  meisten  Fällen  nach  unserer 
Anschauung  einem  Konkubinat  gleichzusetzen,  so  gelten  auf  der 
anderen  Seite  viele  Verbindungen,  die  einer  europäischen  Ehe  am 
nächsten  kommen,  in  Mekka  als  Konkubinat.  Wenn  der  Mekkaner 
sich  offen  ausspricht,  wird  er  eingestehen,  dass  sein  Herz  kaum 
einer  Mekkanerinn,  wohl  aber  einer  Sklavinn  angehören  kann.  Ein 
unvorsichtiger  Mann  sprach  sich  mir  gegenüber  einmal  mit  wahrer 
Begeisterung  in  dem  Sinne  aus,  während  seine  Gattinn  im  nebenlie- 
genden Zimmer  auf-  und  abging;  als  sie  dann  nervös  zu  husten  anfing , 
änderte  er  seinen  Ton,  und  meinte,  das  alles  gelte  nur  relativ,  und 
es  gebe  nichts  Kostbareres  als  die  »Töchter  der  Leute  ')”.  Das  war 
aber  nur  Heuchelei,  die  nicht  einmal  die  Frau  missverstand. 

Die  physischen  Vorzüge  der  Sklavinnen  sind  hier  allgemein  an- 


1)  Bin!  «*-*<£»  heisat  in  Mokka  die  freigeborene  Frau  ala  solche:  walad  en-rnU  der 
freigeboreno  Mann. 


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erkannt;  und  zwar  besitzen  sie  die  drei  beliebtesten  Eigenschaften') 
in  höheren  Grade,  je  dunkler  ihre  Hautfarbe.  Ich  habe  einen  stein- 
reichen Mann  gekannt,  der  an  HarTm  sowie  überhaupt  fast  haben 
konnte,  was  er  immer  wollte;  den  habe  ich  in  Thränen  schwim- 
mend gefunden,  weil  ihm  eine  kürzlich  von  ihm  gekaufte  pech- 
schwarze Negerinn  zwar  in  allen  Dingen  willfahren  wollte,  nur  in 
dem  einen  nicht.  Und  da  gilt  bei  anständigen  Leuten  der  Grund- 
satz: Alles  geht  mit  Zwang,  ausser  dem  Einen.  Der  oben  *)  erwähnte, 
pechschwarze  Sohn  des  reichen  indischen  Kaufmanns  war  die  Frucht 
einer  glücklicheren  Neigung  dieses  Mannes  zu  seinem  schwarzen 
Küchenmädchen.  Kura,  in  rein  sexueller  Hinsicht  sind  alle  Mek- 
kaner  des  Lobes  der  Töchter  Harns  voll.  Allein  die  niedrige  Bildungs- 
stufe und  gewisse  Eigenthümliehkeiten  des  Negercharakters  setzen 
solcher  Neigung  doch  nach  einiger  Zeit  ein  Ziel.  Die  Negerinn , welche 
die  Lust  ihres  Herrn  erregte,  profitiert  zwar  gewöhnlich  ihr  ganzes 
Leben  davon,  denn  jede  Schwangerschaft  macht  die  Sklavinn  un- 
veräusserlich und  nach  dem  Tode  ihres  Herrn  frei,  aber  einer  Ehe 
ähnelt  dies  Konkubinat  keineswegs. 

Mag  der  Mekkaner  bisweilen  Mekkanerinncn  nachjagen  und  sich 
in  Negerinnen  vemarren,  schwärmen  thut  er  nur  für  die  Hubiisch 
(Abyssinierinnen) s).  Wenn  der  gewöhnliche  Mekkaner  seinem  Gelüste 
ganz  folgte,  so  verbände  er  sich  nur  mit  Abyssinierinnen;  es  ge- 
hört aber  zum  Anstand,  dass  sich  Einer  wenigstens  einmal  im  Leben 
mit  einer  Freigebomen  verheirathet , und  die  geringen  Leute  kön- 
nen zwar  ein  paar  Dollars  als  Heirathsgabe  für  eine  Gattinn,  nicht 
aber  100 — 200  für  eine  Sklavinn  auftreiben.  Es  kommt  darauf  an, 
dass  man  sich  entweder  selbst  eine  Sklavinn  von  Jugend  an  erzieht 
oder  dass  man  eine  aus  gutem  Hause  erwirbt.  Vornehme  ältere  Damen , 
namentlich  die  als  Bint  camm  die  Herrinnen  des  Hauses,  nicht 
aber  des  Herzens  ihrer  Gatten  sind,  kaufen  sich  gern  mehrere  ganz 

l)  harr  wcnaMchif  wenadhif.  2)  S.  14,  Aiun.  2. 

3)  Unter  diesen  Sklavinnen  ist  die  Geschichte  der  Verfluchung  Ham ’s  als  Ursprung 
der  Sklaverei  in  mehreren  korrumpierten  Formen  gang  und  gäbe;  sehr  verbreitet  ist 
aber  die  allzu  naive  Erzählung,  als  Adam  und  Eva  im  Paradiese  nackt  umhergingen, 
hätten  von  allen  anwesenden  Mädchen  nur  die  IjMteh  und  einige  Negerinnen  sic  aus- 
gelacht, und  darob  seien  sic  zur  Sklavenrasse  geworden! 


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junge  Mädchen,  um  sich  mit  deren  Erziehung  zu  beschäftigen.  Sie 
schicken  dieselben  in  die  Schule,  lassen  ihnen  Unterricht  im  Weben, 
Sticken  usw.  ertheilen  und  behandeln  sie,  als  wären  sie  ihre  Töch- 
ter. Wenn  so  einige  zusammen  aufgewachsen  sind , entstehen  nach 
und  nach  zwischen  ihnen  Misshelligkeiten,  und  die  Ilerrinn  sieht, 
es  werde  Zeit,  für  diese  und  jene  eine  Stellung  zu  suchen.  Eine 
gute  Stellung  für  eine  Abyssinicrinn  ist  das  Konkubinat  mit  einem 
guten  Herrn.  Diese  Mädchen  selbst  ziehen  gewöhnlich  ein  vorneh- 
mes Haus  vor,  weil  sie  dort  viele  Genossinnen  und  somit  ein  fro- 
hes Leben  voll  Abwechselung  haben,  aber  auf  die  Dauer  ist  ihr 
Schicksal  glücklicher,  wenn  sie  einen  Herrn  finden,  der  etwa  eine 
ältere  Gattinn  und  sonst  nur  dienende  Sklaven  oder  Sklavinnen  hat. 
Bei  dem  kleinen  Mann,  der  gerade  genug  hat,  eine  Habaschijjeh 
zu  kaufen  und  zu  unterhalten , muss  sie  die  Stelle  der  Gattinn  und 
der  Werksklavinn  zugleich  vertreten,  und  das  wird  ihr  in  diesem 
Klima  zu  schwer.  Führt  ihr  Herr  sie  in  das  Haus  einer  Gattinn, 
die  noch  Ansprüche  erhebt,  so  tritt  der  Hagar  eine  manchmal  sehr 
grausame  Sara  entgegen,  und  muss  die  Sklavinn  jedesmal  Schlim- 
mes fürchten,  wenn  der  Herr  die  Wohnung  verlässt.  Darum  mie- 
then  solche  Herren  für  ihre  Konkubine  wohl  eine  kleine  separate 
Wohnung,  damit  die  Bint  camm  nichts  davon  erfahre.  Nur  in  grös- 
seren Häusern  muss  die  Gattinn  in  dieser  Hinsicht  tolerant  sein; 
dort  theilen  sich  die  Mädchen  in  allerhand  Arbeit,  und  schon  die 
Raumverhältnisse  entziehen  die  Liebschaften  des  Herrn  jeder  Kon- 
trolle der  Frau.  Mag  nun  das  Verhiiltniss  des  Herrn  mit  einer  von 
den  vielen  Djatcär  noch  so  flüchtig  sein,  so  vertrüge  es  sich  der 
öffentlichen  Meinung  nach  nicht  mit  seinem  Wohlstände,  wenn  er 
sie  nachher  veräusserte. 

Eine  Sklavinn,  die  der  Herr  sich  nicht  von  Kind  an  selbst  er- 
zieht, kauft  er  niemals  als  Jungfrau,  wenn  sie  gleich  vorher  noch 
keine  »Stellung”  gehabt  hat.  Ihr  Besitzer  oder  ein  Verwandter  ihrer 
Besitzerinn  entjungfert  sie,  wenn  sie  das  Alter  (12 — 14  Jahre)  dazu 
hat,  und  der  Käufer  würde  es  misstrauisch  aufnehmen,  wenn  dies 
nicht  stattgefunden  hätte.  Nun  darf  zwar  ein  Mann  keiner  Sklavinn , 
die  ihm  nicht  selbst  gehört , beiwohnen , und  in  allen  anderen  Fäl- 


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135 


len  werden  Uebertretungen  dieses  Gesetzes  auch  praktisch  als  schwere 
Vergehen  betrachtet;  so  herrscht  in  der  Beziehung  strenge  Scheidung 
zwischen  den  Sklavinnen  der  Frau  und  denen  des  Mannes,  und  in 
gewöhnlichen  Familien  sucht  die  Gattinn,  wenn  sie  selbst  ihre 
Dienerschaft  kauft,  vorzugsweise  hässliche  Sklavinnen,  damit  der 
Mann  keiner  Verführung  ausgesetzt  sei.  Für  den  Fall  der  von  einer 
weiblichen  Herrinn  erzogenen  Sklavinn  macht  man  aber  eine  Aus- 
nahme; oder  man  hilft  sich  mit  der  Fiktion  aus,  als  schenkte  jene 
ihr  Mädchen  ihrem  Sohne,  Vetter,  Nefien  oder  dergleichen,  und 
bekäme  dasselbe  am  nächsten  Tage  von  ihm  zurück. 

Auch  in  anderen  Stücken  wird  das  heilige  Gesetz  über  das  Kon- 
kubinat vielfach  übertreten.  So  sollte  bekanntlich , wer]  eine  Konku- 
bine gekauft  hat,  einen  gewissen  Zeitraum  verfliessen  lassen,  bevor 
er  ihr  beiwohnte,  damit  keine  Unsicherheit  über  die  Abstammung 
von  Kindern  möglich  sei.  Diese  Bestimmung  ist  aber  eingestande- 
nermaassen  den  Mekkanern  allzu  schwer;  es  ist  schon  viel,  wenn 
sie  2 — 3 Tage  warten,  während  doch  die  Uebertretung  der  mit 
gleichem  Zweck  gemilchten  Bestimmungen  über  die  c Iddah  der  Frau 
zwischen  zwei  Ehen  auch  praktisch  als  Unzucht  gilt.  Ferner  kommt 
es  vor,  dass  die  Harmonie  zwischen  dem  Herrn  und  der  Konkubine 
auf  die  Dauer  viel  zu  wünschen  übrig  lässt,  das  Band  aber  wegen 
eingetretener  Schwangerschaft  schon  unlösbar  ist.  In  solchem  Falle 
sollte  der  Mann  sic  freilassen,  damit  sie  später  eine  Ehe  eingehen 
könne;  nur  Schelme  verleugnen  ihr  Kind  zu  dem  Zweck,  die  Skla- 
vinn wieder  verkaufen  zu  können.  Gar  nicht  selten  findet  jedoch 
die  Verleugnung  auf  die  dringende  Bitte  des  Mädchens  statt;  wenn 
sie  sich  verheirathet,  ist  sie  täglich  der  Gefahr  eines  Taläq  (Ver- 
stossung)  ausgesetzt  und  käme  sie  vielleicht  in  schwierige  Lage.  Sie 
zieht  es  daher  in  ihrem  eignen  Interesse  vor,  solange  Sklavinn  zu 
bleiben,  bis  sie  einen  sympathischen  Herrn  gefunden  und  dieser 
Kinder  mit  ihr  erzeugt  hat.  Daher  sind  die  Konkubinen  oft  bereit 
oder  geneigt  zur  Bewirkung  einer  Tagbirah  '),  dagegen  selten  zur 
Herstellung  gänzlicher  Unfruchtbarkeit. 


1)  Oben  S.  131,  Anm.  3. 


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Der  schwarzen  Sklavinn  höchstes  Ideal  ist,  je  nach  Umständen, 
in  einem  guten  Ilause  zu  arbeiten,  solange  ihre  Kräfte  es  gestat- 
ten, da  sie  dann  in  höherem  Alter  liebevoll  verpflegt  wird;  die 
flüchtige  Neigung  ihres  Herrn  auf  sich  zu  ziehen,  wodurch  ihr 
im  Falle  der  Schwangerschaft  ein  ziemlich  glückliches  Dasein  gesi- 
chert ist;  einem  Freigelassenen  zur  Frau  gegeben  zu  werden,  wo- 
durch sie  Gelegenheit  bekommt,  sich  eine  selbständige  Stellung 
zu  erringen,  oder  endlich  von  einem  anderen  Freien  geheirathet  zu 
werden,  ein  Fall,  der  häufiger  eintritt,  als  man  vielleicht  erwarten 
sollte. 

Die  Abyssinierinn  steckt  sich  als  Ziel  die  bleibende  Verbindung 
mit  einem  Mekkaner , dem  sie , wenn  ihre  guten  intellektuellen  und 
moralischen  Anlagen  durch  die  Erziehung  nicht  verdorben  sind, 
zur  wahren  Lebensgefahrtinn  wird.  Hat  sie  doch  nicht,  wie  die 
Gattinn,  Interessen,  deren  Verfolgung  den  Wünschen  des  Mannes 
zuwiderläuft,  sind  ihr  alle  Gedanken  der  Ausbeutung  fremd;  ihr 
höchster  Wunsch  ist  ja,  den  Mann  an  sich  zu  fesseln,  ihm  ein  glück- 
liches Daheim  zu  bereiten.  Die  gut  erzogenen  Hubüsch  sind  tüch- 
tige Haushälterinnen,  keusche,  anspruchslose  Frauen,  und  sie  ver- 
werthen  ihre  guten  Eigenschaften  nur  zum  Wohl  ihrer  Herren. 
Am  klarsten  zeugen  für  ihre  Werthschätzung  von  Seiten  der  Mekka- 
ner die  zahlreichen  Fälle,  wo  eine  Abyssinierinn  ihrem  Herrn  5 — 
12  Kinder  geboren  hat,  und  die  Kinder  sind  wieder  die  besten 
Bürgen  der  Fortdauer  ihres  Glücks.  Mutter  eines  oder  mehrerer  Mek- 
kaner, gehört  sie  der  mekkanischen  Gesellschaft  als  faktisch  freies 
Mitglied  an,  wenngleich  nominell  ihre  Sklaverei  fortwährt.  Wenn 
der  Herr  sie  freilässt , so  verheirathet  sie  sich  nur  so , dass  ihre  Selb- 
ständigkeit der  einer  freigebomen  Mekkanerinn  gleichkommt,  und 
wie  diese  im  Nothfall  zu  ihren  Verwandten  flüchtet,  so  findet  sie 
eine  sichere  Zuflucht  bei  ihren  Kindern.  Theoretisch  stehen  diese 
Kinder  den  von  freien  Müttern  geborenen  in  jeder  Hinsicht  gleich ; 
praktisch  sind  die  Fälle  ihrer  Bevorzugung  von  Seiten  der  Väter 
unbedingt  häufiger  als  die  ihrer  Zurücksetzung.  Im  Ganzen  kann 
man  sagen,  dass  in  jeder  wohlhabenden  Familie  Söhne  von  bei- 
derlei Müttern,  Freien  und  Sklavinnen,  vertreten  sind,  weder  äus- 


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serlich  noch  an  der  Weise,  wie  sie  mit  einander  verkehren,  kann 
aber  der  Fremde  den  Unterschied  beobachten. 

Der  Leser  wird  sich  jetzt  ungefähr  eine  Vorstellung  machen  kön- 
nen von  den  verschiedenen  Varietäten  der  Familie,  die  in  mekka- 
nischen  Wohnungen  Vorkommen;  auf  weiteres  Detail  einzugehen 
wäre  hier  noch  schwieriger  als  in  Bezug  auf  die  Wohnungen  selbst. 
Wir  gehen  jetzt  zur  Besprechung  einiger  wichtiger  Zeitpunkte  im 
Leben  der  Familie  über,  sofern  diese  mehr  oder  weniger  gefeiert 
werden.  Nach  Allem,  was  wir  über  die  Zusammensetzung  der  Be- 
völkerung gesagt  haben,  ist  es  kaum  nöthig,  darauf  hinzu  weisen, 
dass  an  den  Rändern  dieser  Gesellschaft,  die  dem  Kerne  noch  am 
wenigsten  assimiliert  sind,  immerhin  allerlei  Abweichungen  im  Ein- 
zelnen Vorkommen. 

Der  erste  wichtige  Tag  im  Leben  des  Einzelnen  ist  der,  an  dem 
die  Tasmijah  (Benennung;  von  einer  Taufe  kann  man  hier  natür- 
lich nicht  reden)  stattfindet,  der  7te  nach  der  Geburt.  Das  Gesetz 
empfiehlt  an  diesem  Tage  die  Abschneidung  der  Kopfhaare  und  das 
Schlachten  eines  oder  zweier  Opferhammel , welches  Opfer  'Aqiqah  ') 
genannt  wird.  Dies  Opfer  kann  man  allerdings  auch  in  späterem 
Alter  oder  gar  nach  dem  Tode  des  Betreffenden  nachholen ; thatsäch- 
lich  liegt  den  Mekkanern , obgleich  sie  anliissig  der  Tasmijah  meistens 
Hammel  schlachten,  der  Gedanke  des  ‘Aqtqah-brauches  dabei  fern. 

Wenn  der  siebte  Tag  naht,  schickt  der  Vater,  bez.  der  Vormund 
des  Kindes  Boten  *)  zu  seinen  Freunden , welche  diesen  die  Bitte 
überbringen,  sie  möchten  »an  dem  und  dem  Tage  ihm  die  Ehre 
geben , Nachmittags  eine  Tasse  Kaffee  bei  ihm  zu  trinken”1 2  3 4).  Wenn 
nichts  hinzugefügt  wird,  so  ist  das  äusserst  fein,  denn  der  Einge- 
ladene weiss  vielleicht  nicht,  braucht  jedenfalls  nicht  zu  wissen,  aus 
welchem  Anlass  die  cAzimahKj  stattfindet,  und  ist  also  allen  aus 


1)  Vergl.  über  dea  Ursprung  dieser  Sitte  Dr.  G.  A.  Wilken,  »Uebcr  das  Haaropfer 
usw.”  (Separatabdruck  aus  der  R-cvuo  Coloniale  Internationale),  S.  92. 

2)  Dicso  hoissen  ifariitl. 

S)  Es  heisst  einfach:  jeqil  lak  tidi  (’amm!)  fei!»  jom atfalihal  finiji»  qahmah. 

4)  So  heisst  jede  Mahlzeit,  zu  der  ein  Ereigniss  freudiger  oder  trauriger  Natur  den 
Anlass  bietet  und  wozu  Einladungon  ergehen.  Per  Bingcladene  ist  Mae  um.  Mit  der 
'Azimah  gehen  fast  regelmässig  religiöse  Ceremonicn  zusammen. 

II  18 


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138 


solcher  Kunde  sich  ergebenden  Verpflichtungen  enthoben.  Sehr  ge- 
bräuchlich ist  aber  der  Zusatz:  »denn  es  ist  der  siebte  Tag  seines 
Kindes”1 *).  Darauf  muss  man  fragen:  «Also  giebt  es  Tasmija/t?” 
und  die  bejahende  Antwort  verpflichtet  den  Eingeladenen , sich  auch 
am  Abend  vor  dem  Tage  der  cAzimah  zum  Vater  des  Kindes  zu  begeben, 
weil  dann  die  eigentliche  Feierlichkeit  vor  sich  geht.  Zur  allgemei- 
nen Bekanntmachung,  dass  die  Tasmijnh  stattfinden  soll,  werden 
oft  nach  dem  cApr  vor  dem  Hause  des  Neugeborenen  die  grossen, 
Zir  genannten,  Trommeln  geschlagen,  und  nach  Sonnenuntergang 
versammeln  sicli  die  Gaste.  Man  bewirthet  sie  zunächst  bloss  mit 
Kaffee,  und  wenn  die  üblichen  Höflichkeitsformeln  ausgetauscht 
sind,  steigt  ein  junger  Mann  aus  der  Familie  zu  den  Damen  hinauf, 
die  schon  längst  das  Kind  bereit  halten;  dasselbe  liegt,  in  ein  von 
Gold  und  Edelsteinen  funkelndes  Kleid  gehüllt,  auf  einer  Matraze 
mit  von  silbernen  Sternen  besäter  Atlasbekleidung  in  einer  Wiege 
oder  auf  einem  hübschen  Präsentierbrett.  Indem  die  Frauen  es  dem 
Knaben  überreichen , lassen  sie  das  eigentümliche  Trillern  *)  ertö- 
nen, womit  sie  in  allen  Ländern  arabischer  Zunge  frohe  Ereignisse 
begleiten,  ihrer  Freude  oder  ihrem  Beifall  Ausdruck  geben.  Ein  ge- 
lehrter Freund  3 4)  oder  Verwandter  ist  mit  der  Tasmjah  beauftragt , 
und  ihm  wird  also  das  Kind  zunächst  überreicht.  Nach  Eröffnung 
der  feierlichen  Handlung  durch  die  Anrufung  von  Allahs  Namen 
(Bamalah),  spricht  er  leise  in  das  rechte  Ohr  des  Kindes  die  For- 
mel des  Adän  *),  in  die  linke  die  der  Iqämah «),  hält  eine  kleine 
religiöse  Rede  ( CAutbah ),  vorzüglich  über  die  Bedeutung  der  Namen, 
durch  welche  Gott  die  Geschöpfe  von  einander  unterscheidet,  und 
spricht  schliesslich  den  Namen  des  Kindes  aus.  Wenn  die  Eltern  die 
Wahl  des  Namens  dem  Gelehrten  überlassen , so  entscheidet  dieser 

1)  Ul' in  n uh  ictbl  jüm  Umoludnh. 

8)  Es  heisst  hier,  nicht  wie  in  vielen  anderen  Ländern,  ZaghiirU,  sondern  Qkatrafah-, 
die  Weiber  jsgkatrifu,  vergl.  oben  8.  62,  Anm.  6. 

3)  Der  1886  verstorbene  Stuft!  der  Schnfi  iten , Ahmed  ibn  Zen!  Dablän  erzählt  mit 
einem  gewissen  Stolz  in  seiner  Geschichte  Mckka's  (vergl.  die  Vorrede  zu  Bd.  I),  wie 
ihm  die  Tcumijak  eines  Sohnes  des  Grossscherifs  übertragen  wurde. 

4)  üeber  diese  beiden  Aufrufe  zum  QaUt  vergl.  oben  8.  87 — 8.  Sie  eignen  sich  zu  die- 
sem Gebrauch  besonders  dadurch,  dass  in  ihnen  das  muhammedanische  Glaubcnsbckennt- 
uiss  häufig  vorkoiumt. 


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139 


nach  einer  von  ihm  vorgenommenen  Istichärah  '),  oder  er  wählt  einen 
berühmten  Namen , dessen  Träger  dem  Kinde  zum  Vorbild  sein  mag 
und  dergleichen;  manchmal  treffen  aber  die  Eltern  selbst  die  Ent- 
scheidung. Immerhin  geht  diese  schliesslich  auf  das  decrelum  divi- 
num zurück,  und  dem  entspricht  die  von  dem  Gelehrten  am  Ende 
seiner  Predigt  gesprochene  Formel:  wich  nenne  dich,  wie  Allah  dich 
genannt  hat:  N.  N.”  *)  Darauf  legt  er  unter  die  Matraze  ein  in 
Papier  gewickeltes  Geldgeschenk , das  heutzutage  zwischen  l 2 3/2 — 5 Dol- 
lars schwankt;  die  Mekkaner  behaupten,  früher  seien  häufig  bedeu- 
tende Summen  oder  Urkunden  über  Besitz  von  Häusern  bei  der 
Tamijah  geschenkt  worden.  Die  übrigen  Gäste  erheben  sich , nähern 
sich  dem  Kinde  und  legen  auch  ihrerseits  solche  Packetchen  unter 
die  Turrähah  *).  Diener  stellen  dann  vor  jeden  Gast  einen  Teller  mit 
Backwerk  hin , welches  dieser  in  ein  eigens  dazu  mitgenommenes  Tuch 
knüpft  und  mit  nach  Hause  nimmt.  //Herkömmlich”  ist  für  die  Tasmi- 
jah  V» — 1 Pfund  von  den  etwa  2 d.  M.  langen , dünnen , cylinderför- 
migen  Stücken  Zuckerwerk , die  Abmitah  (Plur.  Abänit ) heissen.  Un- 
terdessen stellen  sich  die  Mitglieder  der  Familie  am  Ausgang  des 
Hauses  in  einer  Reihe  auf,  deren  Folge  durch  das  Alter  und  den 
Verwandtschaftsgrad  bestimmt  wird.  Jeder  Gast  richtet  im  Vorüber- 
gehen an  sie  den  Glückwunsch:  //Gesegnet,  so  Allah  will!”4)  und 
die  stehende  Antwort  lautet:  //Allah  verleihe  euch  Segen  und  lohne 
eure  Mühe!”5)  Bei  sehr  vornehmen  Leuten  ergötzen  sich  nun  wei- 


1)  Yergl.  oben  S.  16. 

2)  Uj  ti^X***«  Die  Namen  der  Freien  sind  in  Mekka  die  gleichen 
arabischen,  welche  über  die  ganze  mohammedanische  Welt  verbreitet  sind;  übliche 
Sklavcnnamcn  sind:  Aman , F&redj , Ju.tr , Djohar , Almut,  Murdjdn  , Ja'qut , Fants,  ' Abd 
el-Mola,  'Abd  U-ChJr , Chor  Allah,  Naqr  Allah,  Sacd  Allah , Merxuq,  Bechit  usw.; 
Namen  von  Sklavinnen:  Fuddhah  , Tnmdjah,  ' Itir , Ghazhtn , Bechtlah,  Barakah , Meb- 
rukah , Se’idah,  Se'ddah,  Weqilah,  Selumah  . Dam  el-hrna , Djdd  el-kerim , Chadm  Allah , 
Bahr  ez-zen  usw. 

3)  Es  ist  nicht  ständige  Sitte,  kommt  aber  hie  und  da  vor,  dass  man  das  Kind  allen 
Gästen  der  Reihe  nach,  wie  sie  längs  der  Wand  sitzen,  Vorhalt,  damit  sic  sich  am 
llaarsehneiden  betheiligen.  Dazu  liegt  eine  grosse  Schoere  auf  dem  Brett,  worauf  das 
Kind  sich  befindet;  jeder  schneidet  etwa  ein  paar  Haare  ab. 

4)  Meburak  in  scha’llah ; diesen  Wunsch  spricht  man  auch  auf  Anlass  von  allerhand 
unbedeutenden  Ereignissen,  z.  B.  einem  Umzug  oder  dem  Anlegen  eines  neuen  Gewandes. 

5)  Rabband  jebdrik  f 'tkum , schakar  Allah  mos' akut». 


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ter  in  der  Nacht  die  Frauen  an  den  unheiligen  Produktionen  der 
Sängerinnen,  die  sonst  an  Hochzeitsfesten  ihre  Lieder  vortragen. 

Am  folgenden  Tag  fangt  man  schon  Vormittags  an,  zu  kochen; 
zu  solchen  grossen  Gesellschaften  miethet  man  meistens  einen  Koch , 
der  selbst  riesige  Kessel  mitbringt  und  seine  Holzfeuer  in  der  Gasse 
anziindet,  woran  das  Ilaus  grenzt.  Die  Hauptbestandteile  der 
Mahlzeit  sind  Reis  und  Hammelfleisch ') ; in  den  Zuspeisen  herrscht 
möglichst  viel  Abwechslung.  Man  sieht,  dass  in  Mekka  die  förm- 
liche Einladung  »zum  Kaffee”  ebenso  umfangreiche  Bedeutung  hat, 
wie  in  Deutschland  die  zum  Thee;  der  Kaffee  wird  den  Gästen 
gleich  mich  dem  Eintreten  angeboten,  bevor  noch  das  Essen  aufge- 
tragen ist.  Dann  werden  die  grossen  metallenen  Teller  hereinge- 
bracht, je  mit  Speisen  für  5 — 6 Personen  beladen;  vorher  ist  ein 
längliches,  weisses  Tischtuch  vor  den  an  den  Wänden  sitzenden 
Gästen  ausgebreitet,  welches  also  ein  Viereck  bildet.  Sobald  vor 
ungefähr  jeder  fünften  Person  ein  Teller  steht,  sagen  die  Mebä schi- 
rm : atfaddlalü!  d.  h.  »Bitte  sehr!”  worauf  Alle  »im  Namen  Allahs” 
zugreifen , nachdem  sich  jede  Tischgesellschaft  rings  um  ihren  Teller 
gesetzt  hat.  Zwischen  1 — 3 Uhr  kommen  noch  immerfort  neue  Gäste, 
denn  die  Zeitbestimmung  der  Einladung  ist  sehr  vage;  auch  sind 
häufig  mehrere  Salons  und  Nebenzimmer  zu  gleicher  Zeit  gefüllt. 
Nach  dem  Essen  gehen  die  Freunde  gleich  wieder  heim ; wenn  ein- 
mal einige  Intimere  da  bleiben  und  sich  dem  beliebten  Theetrinken 
hingeben , so  hat  das  keinen  Zusammenhang  mehr  mit  der  Tasmijah. 

Durchschnittlich  veranschlagt  das  Gesetz  den  Zeitraum,  den  die 
Wöchnerinn  für  ihre  Reinigung,  bez.  Wiederherstellung,  braucht, 
auf  40  Tage.  Am  40,*en  Tage  giebt  es  wieder  eine  kleine  zAzimali, 
zu  der  jedenfalls  die  Weiber  ihre  Freundinnen  einladen,  während 
die  Männer  wohl  nur  eine  kleine  Gesellschaft  von  guten  Freunden 
empfangen.  Nachmittags  essen  und  trinken  die  Damen  zusammen. 


1)  Ebenso  wie  am  Tage  der  Duchiak  (vergl.  unten  dio  Beschreibung  der  HochzeiU- 
teste)  wird  am  Tamijah- tage  gewöhnlich  das  Zartibijn'n  genannte  Gericht  zuberoitct,  d.  h. 
Reis  und  Hammelfleisch  kocht  man  zusammen  in  grossen  Kesseln,  unter  Beimischung 
vieler  Butter,  Sauermilch  und  einer  reichen  Auswahl  von  Gewürzen,  wie  Safran  usw. 
Den  Ursprung  des  Namens  habe  ich  nicht  ermitteln  können. 


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Gegen  Sonnenuntergang  begeben  sie  sich  mit  der  jungen  Mutter  in 
die  Moschee  und  nehmen  das  in  die  kostbarsten  Kleider  gehüllte 
Kind  auf  einer  kleinen,  von  Gold  und  Silber  glänzenden,  seidenen 
Turrähah  mit.  Dies  überreichen  sie  einem  Agha  (Moschee-eunuchen) , 
der  gleich  versteht,  es  sei  der  » 40ste  Tag  des  Maulud” , und  das 
Kind  auf  die  (fünf  Kuss  über  dem  Boden  hohe)  Schwelle  der  Ka'bah 
niederlegt.  « O Allah!  vor  deiner  Thür1 2 * *)!  (stehe  ich  und  flehe  dich 
an)”  sagt  der  Verkäufer,  der  in  der  Strasse  umhergeht:  wie  dieser 
so  symbolisch  am  Anfang  des  neuen  Tages  um  Gottes  Segen  über 
sein  Geschäft  betet,  so  wird  am  Anfang  seines  Lebens  der  junge 
Mekkaner  wirklich  als  Schützling  vor  Allahs  Thür  gelegt  und  sei- 
ner Obhut  übergeben.  Zehn  Minuten  liegt  das  Kind  dort;  dann 
giebt  der  Agha  es  der  Mutter  zurück  und  empfängt  für  seine  Be- 
mühung eine  Gabe.  Die  Weiber  verrichten  zusammen  mit  der  Ge- 
meinde noch  das  Qalat  des  Sonnenuntergangs,  gehen  wieder  nach 
dem  Hause  des  Neugeborenen  und  bleiben  dort  noch  bis  etwas 
nach  dem  Tschä  gesellig  beisammen. 

Nur  die  noch  nicht  mekkanisierten  Hadhramiten  pflegen  ihre 
Kinder  schon  am  408lei>  Tage  zu  beschneiden;  im  Inneren  Arabiens 
giebt  es  Stämme , wo  die  Operation  auf  sehr  schmerzliche  und  nicht 
ungefährliche  Weise  in  reifem  Alter  vollzogen  wird,  während  die 
Braut  des  Beschnittenen  ihm  gegenüber  steht,  um  seinen  Muth  zu 
erproben,  und  ihre  Verlobung  rückgängig  macht,  wenn  er  vor 
Schmerzen  einen  Schrei  äussert 5). 

Der  Mekkaner  hisst  seine  Kinder  im  Alter  von  8 — 7 Jahren  be- 
schneiden; arme  Leute  warten,  bis  ein  reicher  Nachbar  oder  Gön- 

1)  JäüdK  ' ala  bäbak! 

2)  Mehrere  europäische  Reisende  haben  über  solche  barbarische  Besclmeidungsbrauche 

im  Westen  und  im  Süden  Arabiens  berichtet;  mir  wurde  dasselbe  in  Mekka  häufig  er- 
zählt, und  zwar  in  Bezug  auf  die  'Asiratämme  und  einige  Stämme  östlich  und  südlich 
von  Taif.  lieber  die  Letztgenannten  lesen  wir  dasselbe  im  A aukab  el-Iladdj  vom  ägyp- 
tischen Genieoffleier  f* iiq  Hry  (dem  Verfasser  des  Maach'al  el-Makmal) , einem  Werk- 
elten, das  trotz  aller  Flüchtigkeit  viele  werthvolle  Angaben  über  die  Geographie  und 
Ethnographie  Arabiens  enthält  (S.  24 — 5).  Ich  muss  jedoch  gestehen,  dass  bei  mir 
Zweifel  aufgekommen  sind,  ob  die  Erzählung  nicht  den  liegenden  zuzuzühlen  sei;  vergl. 
die  Geschichte  von  den  Feim  und  Ki-lb  in  meinem  riVt.  C.  Landbcrg’s  Studien  geprüft”, 

8.  13.  Trotz  wiederholter  Nachforschung  ist  es  mir  nicht  gelungen , sichere  Auskunft  zu 

erlangen;  die  vorhandenen  Berichte  stammen  aber  alle  direkt  oder  indirekt  von  Städtern. 


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142 


ner  das  Beschneidungsfest  für  seinen  Sohn  veranstaltet,  weil  dieser 
ihnen  die  Betheiligung  auf  seine  Kosten  gestattet.  Bei  Miidchen 
wird  die  Beschneidung  (der  Clitoris)  in  aller  Stille  vorgenommen; 
nur  die  Weiber  haben  ihre  Gesellschaft,  und  die  Männer  empfan- 
gen ihre  Verwandten  und  sehr  intime  Freunde. 

Mit  dem  Knaben  zieht  man  Tags  vor  der  Beschneidung  ( Tahär l 2 3 4) 
oder  Tathlr ) feierlich  durch  die  Stadt.  Den  dazu  eingeladenen  Gä- 
sten wird  zuerst  nach  der  Mittagsstunde  eine  Mahlzeit  geboten. 
Nach  dem  Jpr  aber  schlagen  einige  Männer  in  der  Nähe  der 
Hausthur  die  grossen  Trommeln  ( Zir ) zur  Einleitung  des  festlichen 
Umzugs.  Vorauf  stellen  sich  einige  Trommelschläger  mit  Tablah's 
und  Tamburinen  (Tärs),  deren  Lärm  auf  dem  Wege  die  von  den 
Männern  gesungenen  Dikr's  begleiten  sollen;  man  wählt  bei  dieser 
Gelegenheit  gewöhnlich  die  Litaneien  vom  Stifter  des  Ä/«'i-ordens. 
Den  singenden  Männern  folgt  der  Knabe,  ganz  in  die  schwersten, 
mit  Gold,  Silber  und  Edelsteinen  besetzten  Kleider  gehüllt,  sodass 
kaum  sein  Antlitz  herausguckt.  Man  hebt  ihn  auf  ein  nicht  weniger 
prachtvoll  geschmücktes  Pferd ; da  er  aber  nicht  reiten  kann , gehen  zu 
beiden  Seiten  mehrere  Männer , die  ihn  festhaltcn  und  ihm  ab  und  zu 
ein  mit  Wohlgerüchen  benetztes  Tuch  unter  die  Nase  halten.  Ihm 
zunächst  geht  eine  ältere  schwarze  Sklavinn  seines  Vaters,  gewöhn- 
lich die,  welche  den  meisten  Antheil  an  seiner  Erziehung  hat, 
seine  Dät J)  also.  Auf  dem  Kopfe  trägt  sie  ein  grosses  metallenes 
Kohlenbecken  {Menget1) , in  welchem  auf  das  Holzkohlenfeuer  im- 
mer von  Neuem  FasücA  •)  und  Salz  gelegt  wird.  Deren  Verbren- 


1)  Dieses  Wort  bezeichnet  in  der  Umgangssprache  auch  die  Menstruation:  rf/n» 
tahfiri  oder  iahiirZ  calrya  sagt  die  Frau. 

2)  Dt!t  ist  die  weibliche  Form  zum  männlichen  Däd;  vcrgl.  oben  S.  18 — 9 und  Melck. 
Sprichw.  i.  vv.  Es  heisst  also  etwa  «Mütterchen”. 

3)  Auf  Tafel  XXXVII,  N°.  10  ist  ein  ganz  kleines,  u.  A.  zum  Rauchern  von  Trink - 
geflossen  gebräuchliches  Metu/el  abpebildet.  Hier  ist  aber  ein  viel  grösseres  gemeint,  das 
ungefähr  die  Form  des  grössten  bei  Lane,  Manncrs  and  Customs,  5th  cd.  1:176  zeigt. 
Im  Hause  brennt  man  darin  z.  B.  ein  Kohlcnfcucr  zum  Kaffeekochen.  Gewöhnlich  ge- 
hört zu  diesem  Meitqel  ein  kleinere«  Kohlenbecken,  des-en  Fuss  in  die  Ocffnung  des 
grösseren  passt;  dies  heisst  Bin!  U-Metu/fl,  wird  aber  selten  gebraucht.  Unterhalb  des 
breiten,  oberen  Randes  des  grossen  Mhtqel  befinden  sieh  zwei  Ochre  zum  Anfaascu; 
Ketten  sind  in  Mekka  meistens  nicht  an  diesem  Gcräthe  befestigt. 

4)  Vergl.  oben  S.  122. 


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143 


nung  erzeugt  heftiges  Knistern  und  einen  sehr  Übeln  Geruch ; es 
soll  die  bei  solchen  Gelegenheiten  am  meisten  gefürchteten  »bösen 
Augen”  unschädlich  machen.  Hinter  dem  Knaben , vor  dessen  Hause 
sich  der  Aufzug  bildet,  kommen  seine  ärmeren  Genossen,  gleichfalls 
auf  Pferden,  jedoch  in  etwas  weniger  kostbarem  Ornat.  Die  Proces- 
sion  geht  bis  gegen  Sonnenuntergang  durch  alle  Hauptstrassen 
Mekkas  und  kommt  wieder  vor  das  Haus,  von  dem  sie  ausgegan- 
gen. Während  der  Dikr  und  der  Trommelschlag  noch  anhalten, 
wird  der  Knabe  zu  den  Weibern  hinaufgeführt  und  geht  die  männ- 
liche Gesellschaft  aus  einander. 

Nach  dem  Tscha  bis  gegen  Mitternacht  bewirthen  nun  die  Wei- 
ber der  Familie  ihre  Freundinnen  und  geniessen  den  Gesang  einiger 
Sängerinnen , die  zum  Tahär  ähnliche  Lieder  vortragen  wie  zu  einer 
Hochzeit ').  Erst  am  folgenden  Morgen , wenn  die  Sonne  aufgeht , 
kommt  der  Mezejjin  (Barbier)  mit  seiner  ' Uddah  (Zange,  worin  er 
den  abzuschneidenden  Theil  der  Vorhaut  heraufzieht  und  zusam- 
menkneift) und  dem  Rasiermesser.  »Im  Namen  Allahs”  vollzieht  er 
schnell  die  Operation,  während  der  Knabe  auf  dem  Rücken  liegt 
und  die  Mutter  ihn  mit  Süssigkeiten  zu  zerstreuen  sucht.  Mit  der 
Asche  verbrannter  Baumwolle  wird  das  Blut  gestillt,  und  in  den 
nächsten  Tagen  kuriert  der  Barbier  die  Wunde  durch  Auflegung  von 
Martakpflastern , die  durch  ein  Stückchen  Leinwand  J)  um  das  Glied 
befestigt  werden;  in  einer  Woche  ist  die  Wunde  meistens  geheilt. 

Nach  der  Operation  geniessen  die  nächsten  männlichen  und  weib- 
lichen Verwandten  zum  Frühstück  das  Zaläbijah 1 *  3)  genannte , als 
sehr  fein  geltende  Backwerk , und  damit  ist  das  Fest  zu  Ende. 

Zur  guten  Erziehung  gehört  im  Islam  zu  allererst , dass  das  Kind 
den  Qurän  nach  den  peinlichen  dafür  geltenden  Regeln  abzuleiern 
lerne.  Auf  die  Bedeutung  dieser  Kunst  für  das  religiöse  und  wis- 
senschaftliche Leben  kommen  wir  im  nächsten  Abschnitt  zurück; 

1)  VergL  unten  die  Besprechung  der  Däna-dana-liedor. 

8)  Das  Läppchen  heisst  Ckirqak,  der  ganze. Pflaster  Laz’qak. 

3)  Diese  Mehlspeise  wird  aus  dem  gleichen  Teige  wie  das  Mttabbaq  (vergl.  Mokk. 
Sprich«-,  i.  r.)  zu  bereitet,  nur  nicht  wie  letzteres  im  Ofen  gebacken,  sondern  in  einer 
Form  gekocht  und  mit  gestossenem  Zucker  oder  gekochtem  Zuckerwasser  (Sckirak)  ge- 
gessen. 


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144 


hier  sei  fnur  erwähnt,  dass  in  der  Kinderschule  ( Kuttäb ) vom 
M dalli  m ‘)  alle  Zeit  auf  den  Unterricht  in  dieser  eigentümlichen 
Recitation  verwendet  wird.  Kinder,  deren  Eltern  die  geringen  Kos- 
ten solcher  Lehrjahre  nicht  bestreiten  können,  lernen  von  irgend 
einem  Kundigen  nur  vom  Hören  die  kleinen  Abschnitte  des  heili- 
gen Textes  ableiern,  die  sie  zu  den  religiösen  Verrichtungen  brau- 
chen. In  der  Schule  schreiben  die  Kinder  aber  unter  Aufsicht  des 
Schulmeisters  ihre  jeweilige  Aufgabe  selbst  mit  Tinte  auf  die  jedes 
Mal  wieder  weissgewaschene  hölzerne  Tafel 5).  Einige  kleinere  Ka- 
pitel müssen  Alle  auswendig  lernen ; das  Ideal  des  Knaben  ist 
aber,  es  zum  liüfiz  zu  bringen,  d.  h.  den  ganzen  Quräu  auswen- 
dig zu  kennen. 

Eltern,  die  von  allzu  freiem  Verkehr  ihrer  Kinder  mit  Altersge- 
nossen üble  Folgen  befürchten,  miethen  einen  Fdqih,  der  täglich 
zu  ihnen  ins  Haus  kommt,  oder  treffen  zu  diesem  Zweck  mit  be- 
freundeten Familien  eine  Uebereinkunft , sodass  ihre  Kinder  zusam- 
men Privatunterricht  geniessen.  Kleine  Mädchen  gehen  wohl  mit 
Knaben  zusammen  in  die  Schule ; nach  etwa  achtjährigem  Alter  be- 
hält man  sie  aber  zu  Hause  oder  schickt  sie  zu  einer  Schulmeis- 
terinn  ( Faqihah );  für  Sklavinnen  und  andere  Frauen,  die  noch  in 
reiferem  Alter  die  Qiräjeh  erlernen  oder  verbessern  wollen,  benutzt 
man  nur  weibliche  Lehrerinnen. 

Wenn  der  Vater  den  Knaben  zuerst  in  die  Schule  bringt,  giebt 
er  dem  Fdqth  eine  Eröflhungsgabe  (Jstif/äh)  im  Betrage  von  '/, — 2 
Dollars,  und  von  da  an  bekommt  der  Schüler  an  jedem  Donner- 
stag etwas  im  Werth  von  4 — 16  [Pfennigen  für  den  Lehrer  mit. 
Auch  an  allen  Festtagen,  sowohl  den  officiellen  als  den  Mölid-, 
Scha£bän-  und  Micrädj tagen , giebt  der  Vater  selbst  und  durch  die 


X)  Der  üblichste  Name  des  Schulmeisters  ist  aber  F&qik-,  so  heissen  auch  alle  berufs- 
mässigen Quränrecitierer,  die  z.  B.  bei  Mahlzeiten  religiöser  Natur,  Todesfeiern  usw.  die 
Recitation  des  Quräns,  boz.  auch  des  Mölid,  und  die  Leitung  des  Wer  übernehmen. 
In  früheren  Zeiten  bezeichn  etc  Faqik  den  Gosetzesgelehrten ; nach  heutigem  Sprachge- 
brauch wäre  dieser  Titel  für  einen  unabhängigen  Gelehrten  ( AI im)  fast  eine  Beleidigung. 
V ergl.  Mekk.  Spriobw.,  S.  92,  Anm.‘ 

2)  Die  genaue  Boschreibung  der  Kinderschule  bei  Lanc,  Manners  and  Customs,  trifft 
in  allen  Hauptsachen  auch  für  Mekka  zu. 


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145 


Hand  des  Sohnes  dem  Lehrer  seinem  Vermögen  angemessene  Ge- 
schenke. In  der  Schule  sitzen  die  Knaben  im  Kreise  um  den  Lehrer 
herum  auf  dem  Boden  und  machen  mit  ihren  Gesammtübungen 
einen  Höllenlärm;  jeder  achtet  indessen  ängstlich  auf  die  Stimme, 
die  Geberden  und  den  Stock  des  Fäqth,  der  seinerseits  aus  dem 
Wirrwarr  der  Stimmen  fast  jeden  Fehler  heraushört  und  den  Schul- 
digen bestraft. 

Ein  Schulkind  redet  man  immer  zur  Einleitung  eines  Gesprächs  mit 
den  Worten  an:  »Was  ist  jetzt  deine Sürah?”  ');  dieselbe  Frage  rich- 
tete der  letzte  Cirkassiersultan  1512  an  den  achtjährigen  Abu  Numejj , 
der  als  Thronfolger  des  Grossseherifs  an  seines  Vaters  Statt  zu  ihm 
gereist  war,  und  die  Antwort  des  Kindes  war:  »Wir  haben  dir 
eröffnet  eine  klare  Siegeseröffnung”  (also  Sürah  XL VIII),  welche 
Worte  dem  Cirkassier  zum  trügerischen  Vorzeichen  seines  Sieges 
über  die  Türken  wurden  J).  Wenn  aber  der  Schüler  die  Hälfte  oder 
etwa  zwei  Drittel  (bis  zur  36,u"  Sürah)  des  Quräns5)  durchrecitiert 
hat , so  meldet  der  Fdqlh  das  seinem  Vater ; dieser  bestimmt  dann 
den  Tag  der  c Azimah , wozu  ausser  dem  Lehrer  alle  Mitschüler  ein- 
geladen werden.  An  dem  Tage  legen  die  Knaben  ihre  schönsten, 
mit  Gold  gestickten  Festgewänder  an  und  kommen  mit  ihren  Schreib- 
tafeln auf  den  Häuptern  zu  ihrem  glücklichen  Freunde,  der  selbst 
seine  in  feines,  mit  Gold  umsäumtes  Zeug  gehüllte  Tafel  auf  gleiche 
Weise  trägt.  Ihn  in  die  Mitte  nehmend , stellen  sie  sich  in  Reihen 
auf  und  machen  einen  Spaziergang  durch  die  Stadt,  wobei  ein  äl- 
terer Schüler  ein  Gedicht  recitiert  oder  passende  Quränverse  vor- 
trägt ; das  Thema  des  Vorgetragenen  ist  das  Lob  des  heiligen  Buchs 
und  des  Gottesgesandten;  gewisse  Schlussformeln  der  Abschnitte 
singen  alle  zusammen , wie  z.  B.  die  Worte  (Qurün  XXI : 107) : 

»Und  dich  gesendet  haben  wir 
»Nur  aus  Erburmung  für  die  Welten”. 

In  das  Haus  zurückkehrend  finden  sie  hier  die  männlichen  Ver- 

1)  e*cA  xnr’tak  da  l-hins. 

2)  Vergl.  Bd.  I,  8.  102. 

3)  Es  giebt  Leute,  die  während  der  Lehrjahre  eines  Sohnos  vier  IqräfaKx  veranstal- 
ten, nämlich  wenn  er  die  19te,  die  18sto,  die  58ste  und  die  67ste  Sürah  erreicht  hat. 

n lfl 


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146 


wandten  des  Knaben  mit  dem  Fäqih , und  geniessen  mit  diesen 
eine  Mahlzeit;  der  Fäqih  bekommt  dazu  noch  etwa  1 — 3 Dollars 
geschenkt.  Diese  Feier  heisst  Ipräfah  *). 

Aehnlich  wie  die  I prüf  ah  wird  die  sogenannte  Iqltibah  gefeiert, 
wenn  nämlich  der  Schüler  den  Qurän  zu  Ende  gebracht  hat.  Zu 
diesem  Abschluss  der  Schuljahre  ergehen  aber  zahlreichere  Einladun- 
gen ; namentlich  die  Damen  der  Familie  haben  dann  auch  ihre  Ge- 
sellschaft. Die  Speisen  sind  etwas  feiner  als  bei  der  Igräfah,  die 
Belohnung  des  Fäqih  ist  kostbarer;  vornehme  Leute  schenken  ihm 
Wohl  30  Dollars  und  einen  vollständigen  Anzug  ( Bedleh ) oder  we- 
nigstens eine  Djubbah.  Auch  finden  bei  dieser  Gelegenheit  manchmal 
nach  dem  Spaziergang  der  Schüler  und  vor  der  Mahlzeit  religiöse 
Vorträge  statt. 

Ueberhaupt  gehen  die  meisten  c Azimah's  mit  derlei  Vorträgen 
gepaart,  und  werden  sogar  im  Volksmunde  nach  denselben  genannt. 
Das  heilige  Gesetz  empfiehlt  den  Gläubigen,  allerlei  freudige  Ereig- 
nisse durch  Festmahlzeiten  zu  feiern  und  dazu  nebst  seinen  Freun- 
den und  Nachbarn  auch  arme  Leute  einzuladen ; eine  solche  Mahlzeit 
nennt  es  Walimah  und  dringt  besonders  darauf,  dass  man  eine  Hoch- 
zeit nicht  ohne  Walimah  begehe.  Aus  dem  oben  Mitgetheilten  erhellt 
zur  Genüge,  dass  man  in  Mekka  dieser  Empfehlung  im  weitesten 
Sinne  Folge  leistet,  und  auch  die  unten  noch  zu  erwähnenden  Ereig- 
nisse im  Familienleben  geben  dort  immer  Anlass  zu  einer  Mahlzeit, 
die  ziemlich  dem  Begriff  der  Walimah  entspricht,  wenn  sie  gleich 
nur  von  Gelehrten  so  genannt  wird.  Die  anderen  Bestandtheile  der 
Familienfeste  stehen  ausserhalb  des  Gesetzes,  sind  nach  dem  Anlass 
der  Feier  verschieden  und  zeigen  viele  lokale  Eigenthümlichkeiten , 
Bräuche,  die  eher  zu  den  Objekten  der  Ethnologie  als  zur  interna- 
tionalen Religion  gehören.  Theils  verhält  sich  das  Gesetz  denselben 


1)  Man  könnte  dies  Wort  mit  dem  von  L&ne  erwähnten  (3 ird/ah  (Aufzug  bei  der 

6 e 

Beschneidung)  Zusammenhalten,  oder  eher  an  Oytfi  cong  edier  (vergl.  Dozy  i.  v.)  den- 
ken, weil  an  dem  Tage  die  Schule  feiert.  Im  heutigen  Sprachgebrauch  Mekka*«  steht 
Ifrdjah  ziemlich  für  sich;  ein  verwandtes  Wort  mit  verwandter  Bedoutung  wäre  nur 
Qerdfah , das  sonst  in  Mekka  den  Ausfall  des  Unterrichts  (z.  B.  am  Freitag  und  an  den 
Festtagen)  bezeichnet.  Beide  Wörter  werden  aber  nie  mit  einander  verwechselt. 


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147 


gegenüber  gleichgültig,  theils  sind  es  eigentlich  verbotene  Hand- 
lungen, die  der  Islam  sich  weder  zu  assimilieren  noch  auszurotten 
vermochte. 

Schon  für  sich  ist  die  Walimah,  wenn  nichts  Ungesetzliches  dabei 
geschieht,  eine  religiöse  Handlung;  man  liebt  es  jedoch,  ihr  durch 
das  Verrichten  freiwilliger  Ceremonien  einen  noch  mehr  geweihten 
Charakter  zu  verleihen.  Dazu  lädt  man  einen  oder  mehrere  Fdqlh's 
ein,  deren  Repertorium  den  ganzen  Qurän,  einige  Lebensgeschich- 
ten Muhammeds  ( Midi  cf  s)  in  Versen  oder  gereimter  Prosa  und  einige 
Di&r-litaneien  enthält.  Die  Recitation  des  ganzen  QurSns,  in  welche 
sich  die  Faqih'x , bez.  auch  die  Gäste,  theilen,  bildet  den  Anfang 
und  zugleich  den  Hauptzweck  der  feierlichen  Versammlungen,  die 
auf  Anlass  eines  Todesfalles  *)  stattfinden.  Bei  anderen  Familienfe- 
sten bleibt  diese  Qiräjeh  aus  oder  trägt  man  höchstens  einen  Theil 
des  Quräns  vor;  dagegen  bildet  das  Mulid  sosehr  den  Mittelpunkt 
der  Feierlichkeit,  dass  der  Ausdruck;  »bei  ihnen  ist  heute  Abend 
Mulid”  einfach  sagen  will,  es  sei  dort  eine  ' Azimah  wegen  eines 
freudigen  Ereignisses.  Nicht  einmal  alle  Gäste  wissen,  ob  eine  Be- 
schneidung , eine  Hochzeit , die  glückliche  Rückkehr  von  einer  Reise 
oder  was  sonst  den  Anlass  zur  Einladung  giebt:  es  ist  Mölid!  das 
genügt.  Einige  Freunde  bilden  wohl  einmahl  eine  Gesellschaft,  die 
wöchentliche  Zusammenkünfte  hält,  um  die  Recitation  des  Quräns 
vorzunehmen  oder  anzuhören;  auch  dann  feiert  man  den  Abschluss 
mit  einem  Mölid.  Kurz,  das  Mölid  passt  zu  allen  Feierlichkeiten, 
und  dies  stimmt  vollkommen  zur  oben  besprochenen  übermässigen 
Verehrung  der  Person  Muhammeds. 

Die  gebräuchlichsten  Mölid ’s  sind  gedruckt;  sie  enthalten  keine 
eigentliche  Biographie,  sondern  in  sehr  gehobenem  Stil  abgefasste 
Erinnerungen  an  die  wunderbarsten  Ereignisse  aus  der  legendari- 
schen Geschichte  des  Propheten.  Gewöhnlich  wechseln  in  einem  Mölid 
Gedichte  mit  gereimter  Prosa  ab  und  folgen  der  Aufzählung  einiger 
Wunder  Segenssprüche  über  Muhammed , Qalaicät , d.  h.  unend- 
liche Variationen  des  Thema’s:  »o  Allah!  sprich  Segen  ( Qalüt)  über 


1)  Vergl.  den  Schluss  dieses  Kapitol». 


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148 


//unsern  Herrn  Muhanimed  und  grüsse  ihm”.  Zur  Einleitung  sol- 
cher Sprüche  dienen  häufig  die  Worte  des  Quräns  (XXXIII:  56): 
//Ja , Gott  und  seine  Engel  sprechen  Segen  über  den  Propheten , 
»Ihr,  die  da  glaubet,  sprechet  Segen  über  ihn, 

»Und  grüsset  ehrerbietigen  Gruss”. 

Die  prosaischen  Partien  leiert  der  Fäqih  in  monotoner  Weise  ab; 
von  den  Gedichten  singt  er  einige,  ln  der  Mitte  des  Zimmers  steht 
ein  Kohlenbecken,  aus  dem  der  Dampf  des  fortwährend  daraufge- 
streuten Weihrauchs  oder  Aloeholzes  aufsteigt.  Von  einigen  Lobge- 
dichten singt  der  Vorsänger  je  zwei  Verse;  dann  stimmt  die  ganze 
Gesellschaft  mit  zwei  anderen,  die  den  Refrain  bilden,  ein.  Sehr 
gebräuchlich  ist  folgender  Refrain : 


Qal  - la  ’lläh  ca  - la  Mu  - hammad  fal  - la 


’lläh  ca  - laih  wa  - sal-lam. 


zu  dem  sich  die  Anwesenden  zu  erheben  pflegen.  Auch  singen  wohl 
Alle  zusammen  nach  einer  einfachen  Melodie  Gedichte,  worin  die 
Namen  und  Eigenschaften  des  Propheten  besungen  werden,  oder 
worin  der  Sänger  ihm  bis  ins  Unendliche  sein  //Willkommen”  (Mar- 
habä!)  zuruft,  indem  je  drei  Verse  zwei  neue  Epitheta  Muhammeds 
enthalten , z.  B. : 


Mar  - ha  - bä  jä  nur  al  - cai-ni  mar-ha-ba  mar -ha- 


bä djadd  al-hu-sai-ni  mar-ha-bä  mar  - ha  - bä  jä 


mar  - ha  - bä  ja  mar-ha  - b-ä-ä-a-ä-a. 


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149 


Dein  Molid  folgen  meistens  noch  von  Allen  zusammen  unter  Lei- 
tung des  Fdqih  ’)  vorgenommene  Verherrlichungen  Allah’s  (Dikr) , 
in  welche  aber  wieder  Lobpreisungen  des  Propheten  aufgenommen 
sind.  In  den  Dikr-formeln  preist  man  Allah’s  Allmacht  und  Gross- 
thaten,  fleht  ihn  um  Gnade  und  Verzeihung  an  und  bittet  ihn 
um  alles  Gute  bei  seinen  //hundert  schönsten  Namen”,  die  man 
einige  Mal  in  metrischem  Ton  hersagt  in  einer  bestimmten  Reihen- 
folge, die  jeder  Gebildete  auswendig  kann.  Zur  Erleichterung  des 
Aufzählens  dieser  Namen  dient  der  Rosenkranz  mit  seinen  100  Perlen  J), 
den  viele  Mekkaner  fast  immer  in  der  Iland  tragen.  Eigentlich  wird 
vorausgesetzt,  dass  man  seine  miissigen  Stunden  mit  solchem  Dikr 
verbringt,  aber  faktisch  vertreten  die  schön  gearbeiteten  Sub/iah's 
der  mekkanisohen  Jünglinge  eher  die  Stelle  unserer  Spazierstöcke. 
Ferner  gehört  zum  Dikr  die  ebenfalls  nach  Hunderten  gezahlte  Re- 
citation  der  beiden  Theile  des  Glaubensbekenntnisses , z.  B. : 


La  i - la  - ha  il  - la  ’llah  lä  i - iS  - ha  il  - la  ’lläh 


lä  i - la  - ha  il  - la  ’llah  la  i - la  - ha  il  - la  ’llah 

Während  die  Gäste  mit  diesem  Sang  beschäftigt  sind,  werden 
die  länglichen  weissen  Tischtücher  vor  ihnen  ausgebreitet , und  schliess- 
lich giebt  ein  Mebmchir  dem  Leiter  des  Dikr  ein  Zeichen,  damit 
er  bloss  noch  den  Gesang,  der  zuletzt  angefangen  worden  ist, 
beendige  und  dann  das  Schlussgebet  spreche.  Unterdessen  werden 
die  Fünfpersonenteller  hereingebracht,  und  zeugt  mancher  bewun- 
dernde Blick  davon,  dass  die  Aufmerksamkeit  der  Gäste  sich  zwi- 
schen himmlischen  und  irdischen  Gedanken  theilt.  Dazu  sind  ja 
die  Mekkaner  die  Leute  der  wahren  Mitte! 

1)  D.  h.  des  berufsmässigen  FäqVx,  der  als  Gast  mitspeist  und  ausserdem  eine  Beloh- 
nung bekommt.  Die  Leitung  wird  aber  oft  von  einem  gelehrten  Freunde  des  Gastgebers 
übernommen,  und  wenn  ein  Gelehrter  zugegen  ist,  bittet  der  Fäqih  diesem  gewöhn- 
lich, wenigstens  die  Leitung  des  IHkr  zu  übernehmen. 
i)  Vergl.  oben  S.  36  und  Tafel  XL,  ND.  IS  dos  Bilderatlas. 


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150 


Wie  gesagt,  viele  Bräuche,  die  für  die  Familienfeste  in  Mekka 
weit  charakteristischer  sind  als  die  uniformen  MOlid s mit  Zubehör 
und  den  Reistischen  mit  abwechselnder  Zukost,  laufen  dem  Gesetze 
mehr  oder  weniger  zuwider;  was  die  Weiber  anbetrifft,  gilt  dies 
sogar  von  den  meisten.  So  unterhält  sich  auch  bei  der  lqläbah  die 
Damengesellschaft  Abends  und  in  der  Nacht  mit  Sängerinnen  und 
ihren  frivolen  Liedern  von  der  Art , wie  sie  bei  Hochzeiten  üblich  sind. 

Wenn  der  Knabe  die  Schule  absolviert  hat,  haben  des  Vaters 
Wünsche  für  seinen  weiteren  Lebensgang  bereits  eine  bestimmte 
Form  angenommen.  Dem  Schriftgelehrten  gilt  in  der  Regel  der  Uebcr- 
tritt  seines  Sohnes  in  einen  andern  Stand  als  den  seinigen  für  eine 
Erniedrigung,  zu  der  er  sich  nur  aus  Zwang  entschliesst.  Reiche 
Privat-  oder  Kaufleute  sehen  es  nicht  ungern,  dass  von  mehreren 
Söhnen  einer  die  Gelehrtencarriere  wählt ; namentlich  der  Kaufmann 
will  aber  wenigstens  einen  zu  seinem  Nachfolger  im  Geschäft  heran- 
bilden. Als  ich  einmal  einen  mir  bekannten  Kaufmann  besuchte  und 
ihm  sagte,  mir  scheine  die  Stimme  seines  etwa  dreizehnjährigen 
Sohnes  sehr  heiser  geworden  zu  sein,  bestätigte  er  meine  Beobach- 
tung und  sagte , die  Heiserkeit  habe  ihren  Grund  wahrscheinlich  darin , 
dass  der  Junge  sich  vor  einigen  Tagen  verheirathet  habe.  Ich  habe 
diese  Ehe  selbst  veranlasst,  so  fuhr  er  fort,  damit  ich  den  Knaben 
mit  einer  mir  bekannten  Frau  im  Hause  und  im  Geschäft  behal- 
ten kann , während  er  sonst  durch  anderweitige  Verbindungen  wohl 
auf  andere  Wege  gerathen  könnte.  Der  so  sprach , war  ein  sehr  reicher 
Mann.  Weniger  wohlhabende  Leute  wünschen  meistens  auch,  ihren 
Sohn  in  ihrem  Handwerk  oder  Gewerbe  zu  erziehen,  und  wenn 
sie  mehrere  haben,  übergeben  sie  diese  am  liebsten  einem  Freunde 
als  Gehülfen  und  Schüler.  Zeigt  der  Sohn  eines  Mannes  aus  den 
mittleren  Klassen  besondere  Neigung  zur  heiligen  Wissenschaft,  so 
kann  der  Vater  ihm  anstandshalber  die  Erfüllung  seines  Wunsches 
kaum  verweigern;  Viele  geben  aller  mit  kaum  verhohlenem  Unwil- 
len nach. 

Ihnen  ist  solche  Erziehung  kostspielig  genug,  und  das  günstigste 
Resultat  verbürgt  dem  Sohne  zwar  Ehre , aber  keine  Einkünfte ; somit 
hat  die  Familie  die  Aussicht,  ihren  "Alim  jahrelang  ernähren  zu 


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151 


müssen.  Seine  Gelehrsamkeit  macht  ihn  für  die  meisten  Stellungen, 
die  Einem  in  Mekka  zum  Lebensunterhalt  verhelfen,  entweder  un- 
fähig, oder  zu  vornehm,  oder  aber  zu  skrupulös. 

Es  sind  immerhin  nur  Wenige,  die  ihren  Eltern  derlei  Schwie- 
rigkeiten bereiten.  Häufiger  haben  sie  bei  ihren  Söhnen  die  Lust 
nach  dem  Gewerbe  der  «Scheche”  ( Metawwif's ) zu  bekämpfen  '). 
Von  Jugend  an  sieht  der  Knabe  reiche  Scheche  die  vornehmen 
Herren  spielen  und  gnädig  ihre  Gunstbezeugungen  unter  die  übri- 
gen Mekkaner  vertheilen;  überall  befehlen  sie  und  gehorcht  man 
ihrem  Worte.  Er  sieht  die  jungen  Gehülfen,  zum  Theil  angehende 
Scheche , in  den  letzten  Monaten  des  Jahres  Tag  für  Tag  mit  stolzer 
Miene  vor  dichten  Reihen  von  Pilgern  einherschreiten  und  ihnen 
die  Ceremonien  vormachen,  als  kommandierten  sie  eine  Kompagnie 
Soldaten,  während  ihre  rechte  Hand  einen  grossen,  dicken  Wander- 
stab bei  jedem  Schritt  vor  sich  hin  pflanzt.  Nicht  nur  auf  seine 
Eitelkeit  wirkeu  solche  Scenen  ein;  er  glaubt  allzuleicht,  dass  die 
Taschen  der  Scheche  und  ihrer  Gehülfen  fortwährend  gefüllt  wer- 
den. Man  hört  oftmals  junge  Mekkaner  den  Wunsch  äussem,  dass 
es  ihnen  auch  nur  einmal  gegeben  sein  möge,  von  allen  Pilgern 
auf  der  Ebene  ‘Arafat  einen  Groschen  zu  erlangen;  kein  Mensch 
würde  dabei  ärmer,  und  sie  wären  auf  einmal  reich!  Es  ist  nur  na- 
türlich, dass  ähnliche  Gedanken,  wenngleich  in  weniger  kindischer 
Form,  während  der  Pilgeijagd  durch  den  Kopf  der  meisten  Mek- 
kaner gehen.  Nun  denkt  sich  der  Knabe,  so  etwas  sei  annähernd 
mit  der  geringsten  Mühe  auf  dem  Wege  der  Fremdenführung  zu 
erzielen.  In  welchem  andern  Gewerbe  gewinnt  man  seinen  Bedarf 
für  ein  Jahr  in  einigen  Wochen,  während  man  sich  bloss  einige 
Ceremonien  und  Formeln  etwas  genauer  einzuprägen  hat,  als  jeder 
Mekkaner  sie  schon  so  kennt? 

Der  Vater  hat  seine  schwere  Noth,  dem  Knaben  solche  Trugbil- 
der auszureden:  »Frage  einmal  bei  den  meisten  Gehülfen  nach,  wie 
schwer  sie  ein  winziges  Stückchen  Brot  verdienen,  wie  lange  sie 
ihren  Pilgern  aufgewartet  haben  ohne  anderen  Lohn  als  einige 


11  Vergl.  »as  mit  ein  Mekkaner  darüber  sagte,  Mekk.  Sprich».,  S.  92  f. 


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152 


Gaben  von  theilweise  fraglichem  Werth  ') ! Mit  Kenntniss  der  Ce- 
remonien  allein  ist  nichts  zu  machen-,  die  grösste  Gewandtheit, 
Schlauheit  und  Ausdauer  nebst  allerlei  speciellen  »Studien”  sind 
erforderlich,  um  die  Arbeit  des  Gehülfen  einträglich  zu  machen , und 
auch  so  gehört  noch  viel  Glück  dazu!  Wer  nicht  in  das  Geschäft 
des  Vaters,  eines  Oheims  oder  eines  seltenen  Freundes  eintreten 
kann,  steht  in  der  Stellung  der  Gehülfen  einem  Bettler  gleich; 
nur  dass  er  länger  als  dieser  umsonst  bettelt.  Nicht  einmal  die 
Scheche  verdienen  alle  etwas  dabei;  mancher  klammert  sich  jedes 
Jahr  aufs  Neue  an  sein  Gewerbe  fest,  obgleich  es  jährlich  nur  sein 
Deficit  vermehrt”.  Es  gelingt  nicht  allen  Vätern,  durch  diese  rich- 
tigen Betrachtungen  dem  täuschenden  Schein  die  Wirkung  zu  neh- 
men. Theils  lässt  sich  die  Anziehungskraft  der  Fremdenführerschaft 
auf  die  Jugend  mit  der  des  Militärs  in  unseren  Gamisonsstiidten 
vergleichen,  theils  mit  der  Verführung  zum  Wagen,  welche  die 
Spielhölle  ausübt. 

Glänzender  als  die  Ipräfah  und  Iqläbah  ist  ein  »Freudenfest”,  das 
bei  den  meisten  Mekkanern  in  die  Jugend,  mitunter  jedoch  auch 
in  ein  späteres  Alter  fällt:  die  Serärah.  So  oft  Einer  von  dem  Be- 
suche des  heiligen  Grabes  in  Medina  zurückkehrt,  kommen  die 
Freunde  zu  ihm  und  gratulieren  zur  glücklichen  Heimkehr;  seiner- 
seits bewirthet  er  sie  mit  einem  Festessen  oder,  wenn  sie  in  den 
nächsten  Tagen  kommen , mit  Kaffee  und  Süssigkeiten.  Auch  schickt 
er  ihnen  etwas  von  den  üblichen  Gaben  J)  aus  Medina  ins  Haus. 
Nur  das  erste  Mal  wird  aber  dem  heimkehrenden  »Besucher”  (oder 
der  »Besucherinn”)  zu  Ehren  eine  Serära/i  veranstaltet.  Gilt  es 
einem  erwachsenen  Mann,  so  unterscheidet  sich  allerdings  die  Se- 
rärah  von  dem  sonstigen  Besuch  der  Glückwünschenden  nur  da- 
durch, dass  etwa  8 Tage  vor  seiner  Rückkehr  die  Freunde  förm- 


1)  Thatsächlich  habe  ich  sehr  floissige  Qikft  gekannt,  die  ein  paar  Wochen  von 
Morgens  bis  Abends  fortwährend  hin-  und  herzugehon  hatten,  um  allerlei  thörichten 
Wünschen  ihrer  Pilger  zu  genügen,  und  denen  diese  dann  ein  Präsentiorbrett  mit 
Leinen  für  ein  Hemd,  etwas  Reis,  vior  Kartoffeln  und  oinem  kleinen  Geldstück  über- 
reichton. Dieso  Geizhälse  waren  meist  Inder. 

S)  Yergl.  oben  3.  98. 


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lieh  zur  Begriissungsmahlzeit  eingeladen  werden.  Erst  bei  Kindern 
und  Weibern  kann  man  recht  vom  Freudenfeste  sprechen. 

Diese  ziehen  nicht  im  staubigen  Reiscanzug  in  Mekka  ein,  son- 
dern lagern  sich  auf  der  Grenze  des  heiligen  Gebietes,  bei  TanTm 
(el-'Umrah)  *),  und  erwarten  dort  ihre  Familie.  Bald  kommen  die 
nächsten  Verwandten  heran  mit  dem  schönsten  Festgewande  des 
»Besuchers”  und  reichlichem  Gold-  und  Silberschmuck.  Für  Knaben 
führen  sie  ein  reich  geschmücktes  Dromedar  oder  Pferd  mit  hinaus, 
für  Mädchen  oder  Weiber  einen  kostbaren  Tackt  (Tragsessel),  der 
auf  Deichseln  von  zwei  Mauleseln  (einem  vorne,  einem  hinten)  ge- 
tragen wird.  Nachdem  sie  sich  angezogen,  besteigen  die  Zuwwär 
ihre  Reitthiere  im  vollsten  Bewusstsein  ihrer  hohen  Bedeutung.  Ha- 
ben sie  doch  von  Jugend  an  immer  gehört,  dass  von  dem  Menschen 
(und  namentlich  von  dem  Kinde s) ) , der  eben  vom  Grabe  Muhara- 
meds  zurückkehrt,  auf  allerlei  Wegen  verborgene  Segnungen  aus- 
gehen. Solchen  küsst  man  die  Hände,  man  berührt  ihr  Gewand 
und  ersucht  um  ihre  Fürbitte,  Alles  wegen  der  liarakah ; aus  ihren 
Augen  strahlt  ein  ungewöhnliches  Licht,  das  an  das  mystische,  vor 
der  Welt  erschatfene  «Nur  Muhammed”  gemahnt:  »dein  Gesicht 
ist  Licht”  ’)  sagt  man  bei  der  Gratulation. 

Gegen  Nachmittag  kommt  eine  Gesellschaft,  mit  ihrem  Zäir  in 
der  Mitte,  in  die  Stadt;  iiusserlich  könnte  man  den  Aufzug  mit 
dem  der  Beschneidung  verwechseln.  Am  Eingänge  der  Stadt  aber 
erwarten  den  Knaben  ausser  den  auch  beim  Ta/iär  nicht  fehlenden 
Trommelschlägern  Leute,  die  ein  prachtvolles,  aus  dem  schweren 
indischen  Ä«a//stoff‘1 2 3 4)  gemachtes,  mit  Gold  besticktes  Banner  (Be- 


1)  VergL  oben  S.  55. 

2)  Das  Kind  wird  bis  zur  Pubertät  vom  Gesetze  zu  nichts  verpflichtet , ist  daher  auch 
sündenfrei;  darum  darf  man  ja  die  Knaben  mit  Gold  und  Silber  schmücken,  trotzdem 
diese  Metalle  von  Miinnern  nicht  gebraucht  worden  dürfen,  und  darum  sind  die  Fest- 
lichkeiten bei  Ereignissen  im  Leben  des  Kindes  denen  der  Weiber  am  ähnlichsten. 

3)  Wedjhak  nur. 

1)  Mit  diesem  Namen  bezeichnet  man  eine  Art  schweren  Seidenstoff,  der  mit  tiold- 
drnht  reichlich  umsäumt  und  dem  Goldblech  aufgeheftet  ist.  Man  benutzt  ihn  zu  pracht- 
vollen Satteldecken,  Bonnern,  und  in  einigen  Fällen  (vorgL,  unten  die  Beschreibung 
der  Hochzeit)  auch  zu  Beinkleidern  und  Westen  für  Weiber.  Ich  weise  nicht,  woher 
der  Name  stammt ; Prof.  IL  Kern  macht  mich  auf  das  in  slavischcn  Sprachen  verschic- 
II  20 


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raq)  tragen.  So  machen  die  Freunde  und  Verwandten  mit  ihm  einen 
Umgang  durch  die  Stadt , der  gegen  Abend  vor  seinem  Hause  endet. 
Hier,  auf  dem  Platze  ( Barrühah  '))  vor  der  Ilausthür,  geben  die 
verschiedenen  Trommeln  zusammen  ihr  letztes  Konzert,  während 
der  Knabe  (resp.  die  Frau)  feierlich  absteigt  und , von  den  Ver- 
wandten in  Reih  und  Glied  gefolgt , in  die  Wohnung  einzieht.  Schon 
erwartet  sie  eine  gute  Mahlzeit;  es  wird  ohne  Weiteres  zugegriffen, 
und  wenn  Alle  gesättigt  sind,  danken  sie  wie  gewöhnlich  im  Auf- 
stehen Allah  für  das  Genossene  und  kehren  heim. 

Nach  dem  Clsch5  fangt  die  Sernrah  für  die  Weiber  eigentlich 
erst  an;  bis  spät  in  die  Nacht  geniessen  sie  unzählige  Tassen  Thee, 
Becher  Sorbet  und  Wasserpfeifen  sowie  die  oben  öfters  erwähnten 
Liebeslieder.  Morgens  früh  nimmt  die  Familie  wieder  Zaläbijah  *) 
zum  Frühstück,  und  nach  Sonnenaufgang  kommen  schon  die  Nach- 
barn und  die  weiteren  Bekannten , ihre  Glückwünsche  darzubringen. 
Ihnen  werden , ähnlich  wie  beim  Festtag  am  Ende  des  Ramadhän , 
Kaffee , Süssigkeiten  und  Wohlgcrüche  vorgesetzt.  Nach  dem  Dhuhr 
nimmt  der  Zudrang  allmählich  ab;  schnell  richten  nun  die  Diener 
die  grösseren  Zimmer  zur  Mahlzeit  ein , denn  das  Festessen , zu  dem 
die  Freunde  8 Tage  vorher  eingeladen  sind,  die  eigentliche  cAzi- 
mah , soll  erst  heute  nach  dem  cApr  stattfinden.  Ihr  geht  das  un- 
vermeidliche Mulid  voraus;  wenn  die  Gäste  so  zahlreich  sind,  dass 
sie  mehr  als  zwei  Zimmer  füllen  oder  gar,  was  oft  genug  vorkommt , 
über  mehrere  Häuser  vertheilt  werden  müssen,  so  giebt  es  nur  in 
einem  oder  zwei  Salons  Mölid. 

Nach  dem  Maassstab  des  Gesetzes  muss  die  Serärah , im  Gan- 
zen genommen,  ungünstig  beurtheilt  werden;  nur  der  Schluss  ist 
gut,  aber  beim  Einzug  setzen  sich  die  Zuwwär  allzu  rücksichtslos 
über  die  Ehrfurcht  hinweg,  welche  man  der  Stadt  Allahs  und  dem 
sie  umringenden  heiligen  Gebiete  schuldet.  Eigentlich  sollte  man 
immer  zu  Fuss  hereintreten,  und  zwar  am  liebsten  in  Pilgergewand ; 


denc  Kleidungsstücke  bezeichnende  Wort  Riza  aufmerksam,  mit  welchem  man  albancsi- 
sches  Rizt  verglichen  hat. 

1)  Man  sagt  auch  Bär' hak. 

2)  Vergl.  oben  S.  143. 


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statt  dessen  kleiden  sich  die  niedrigsten  Leute  wie  Fiirstenkinder 
und  reiten  mit  Trommelschlag  in  die  Stadt,  als  gehörte  sie  ihnen! 
So  stark  ist  jedoch  die  Kraft  der  Gewohnheit , dass  auch  grosse  Ge- 
lehrte ohne  Aerger  die  Serärah-ziige  ansehen  und  höchstens  achsel- 
zuckend eine  Bemerkung  über  den  Zeitgeist  machen : »Sehet,  wie  die 
Welt  zurückgeht:  zur  Zeit  der  legitimen  Chalifen  wäre  solcher  Pomp 
nicht  möglich  gewesen,  wie  damals  auch  die  Ehrfurcht  gegen  die 
Kacbah  es  verbot,  dass  man  Hauser  baute,  die  darüber  emporrag- 
ten.  Und  jetzt  sind  alle  anständigen  Häuser  höher  als  die  Kaclmh 
und  nimmt  kein  Mensch  Anstand,  in  Mekka  ohne  Ihräm  einzu- 
reiten, während  man  doch  vor  dem  Palaste  des  Grossscherifs  an- 
standshalber vom  Reitthiere  absteigt !”  Thatsächlich  scheint  aber  auch 
der  zAlim  sich  darüber  zu  freuen,  dass  in  Mekka  diesseitige  und 
jenseitige  Gesinnung  so  hübsch  Zusammenleben  und  sich  mit  einan- 
der vertragen. 

Kleinere  Familienfeste  als  die  bisher-  beschriebenen  giebt  es  ge- 
nug; sie  haben  aber  keinen  Anspruch  auf  Beschreibung  in  dieser 
Skizze,  denn  wesentlich  bestehen  alle  aus  dem  Mölid  und  der 
Mahlzeit.  Im  höchsten  Grade  verlangt  dagegen  das  Fest  der  Feste, 
die  Hochzeit  unsere  Aufmerksamkeit. 

Dabei  ist  jedoch  zu  beachten,  dass  die  Hochzeit,  wie  wir  sie  be- 
schreiben werden,  nur  dann  gefeiert  wird,  wenn  ein  junger  Mann 
mit  einer  Jungfrau  [bint  el-bet)  eine  Ehe  schliesst.  Ein  Mann,  der 
schon  eine  Stellung  in  der  Gesellschaft  bekleidet,  könnte  sich  kaum 
all  den  seltsamen  Bräuchen  unterziehen,  die  ein  grosses  Kind  sich 
gefallen  lassen  muss,  und  für  die  Frau  wäre  es  gleichfalls  lächer- 
lich, zwei  oder  gar  mehrere  Male  in  solcher  Weise  die  Braut  zu 
spielen.  Wenn  die  Braut  eine  geschiedene  oder  verwittwete  Frau, 
oder  wenn  der  Bräutigam  nicht  mehr  jung  ist,  so  hängt  die  Weise, 
wie  man  ihre  Hochzeit  feiert,  völlig  von  Umständen  ab.  In  solchen 
Fällen  lädt  der  Mann  z.  B.  einige  gute  Freunde  und  die  beidersei- 
tigen männlichen  Verwandten  zu  einer  Mahlzeit  ein,  die  manchmal 
einige  Tage  nach  Vollziehung  der  Ehe  veranstaltet  wird;  die  Frau 
hat  aber  vor  ihrem  Einzug  in  des  Gatten  Haus  an  einem  oder 
mehreren  Abenden  Damengesellschaften  mit  Sängerinnen.  Hat  sie 


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schon  oft  den  Gatten  gewechselt,  so  fängt  sie  wohl  selbst  an,  die 
immerhin  kostspieligen  Gesellschaften  als  eine  unbequeme  Ver- 
pflichtung zu  betrachten,  und  macht  sichs  möglichst  billig.  Sehr 
prosaische,  aber  nicht  seltene  Ehen  sind  es,  wo  die  Parteien  sich 
verabreden , keinerlei  Festlichkeit  damit  zu  verbinden;  am  Tage 
des  Kontraktschlusses  werden  eventuell  die  Ilnusgerüthe  der  Braut 
in  die  Wohnung  des  Bräutigams  getragen,  und  spät  Abends  kommt 
sie  selber.  Regelmässig  befolgt  man  diese  Sitte,  wenn  die  Ehe  auf 
eine  bestimmte  Zeit  geschlossen  wird.  Im  orthodoxen  Gesetz  sind 
bekanntlich  solche  Ehen  als  1/ Genussehen"  verpönt,  obgleich  einge- 
standen wird,  dass  in  der  ältesten  Gemeinde  Meinungsverschieden- 
heit darüber  herrschte;  die  Schl'iten  hingegen  gestatten  sie  und  be- 
nutzen die  Erlaubniss  dazu,  mehr  als  vier  Gattinnen  zu  gleicher 
Zeit  zu  haben.  Nun  findet  sich  aber  die  Praxis  der  Sunniten  in 
diesem  wie  in  vielen  anderen  Fällen  so  mit  dem  Wortlaut  des  Ge- 
setzes ab,  dass  zwar  kontraktmimige  Zeitbestimmungen  den  Ehe- 
vortrag ungültig  machen  würden,  dagegen  mündliche  Versprechen 
und  Verabredungen  jeder  Art  ausserhalb  des  Kontrakts  moralisch 
verbinden.  Der  Mann  kann  zu  jeder  Zeit  ohne  Weiteres  seine  Frau 
verstossen;  wenn  also  ein  Fremder,  z.  B.  ein  auf  einige  Zeit  in 
Mekka  lebender  Medineuser  einer  Frau  Heirathsvorschläge  macht, 
so  ist  von  ihrer  Seite  die  Frage  sehr  begreiflich:  Wie  lange  ge- 
denkst du  zu  bleiben,  und  was  denkst  du  bei  der  Abreise  mit  mir 
zu  machen?  Antwortet  er  etwa,  er  werde  voraussichtlich  drei  Mo- 
nate bleiben  und  wünsche  bloss  auf  die  Zeit  ein  Weib  zu  haben, 
so  rechnet  sie  ihm  vor:  zehn  Dollars  das  Ileirathsgeld , zwölf  Dol- 
lars für  jeden  Monat  zum  Lebensunterhalt , und  zwar  sowohl  für 
die  drei  Monate  nach  der  Scheidung,  d.  h.  für  die  c/<Ä/fl^-periode , 
als  für  die  des  Zusammenlebens.  Sie  bedingt  sich  sogar  wohl  ein- 
mal aus,  dass  der  Fremde  vor  der  Kontraktschliessung  die  ganze 
Summe  deponiere.  Sind  sie  einig  geworden , so  wird  der  Kontrakt  ohne 
Bedingung  abgeschlossen  , aber  beide  Parteien  kommen  fast  ausnahms- 
los der  gemachten  Verabredung  nach.  So  ist  die  Mut, ah  (Genussehe) , 
deretwegen  die  Sunniten  die  Räfidhiten  beschimpfen,  von  jenen 
durch  eine  Hinterthür  dennoch  eingeschmuggelt  worden. 


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Nicht  bei  derlei  Verbindungen  hat  die  Poesie  ihr  Wörtchen  mit- 
zureden; nur  wo  der  Jüngling  aus  mekkanischer  Familie  eine  mek- 
kanische  Jungfrau  heirathet,  giebt  man  wenigstens  formell  der  Ver- 
bindung einen  poetischen  Anstrich.  Das  Alter  der  jungfräulichen 
Braut  steht  zwischen  12 — 20  Jahren,  der  Jüngling  mag  14 — 25 
Jahre  zählen.  Beide  sind  also  immer  jung,  aber  manchmal  haben  sie 
schon  längst  die  Geschlechtsreife  erreicht1).  Ist  der  Jüngling  aus 
wohlhabender  Familie,  so  hat  ihm  denn  auch  sein  Vater  oder  Vor- 
mund, sobald  sieh  bei  ihm  die  Neigung  dazu  zeigte,  eine  Skla- 
vinn  uls  Konkubine  gegeben.  Oben  haben  wir  gesehen,  dass  auch 
die  erste  Heirath  nicht  immer  in  der  Liebe  oder  doch  dem  Wunsche 
des  Bräutigams  begründet  ist.  Es  kommt  vor,  dass  der  Jüngling 
sich  zu  den  durch  seinen  Vater  vorgenommenen  Verhandlungen 
wegen  seiner  Ehe  ziemlich  passiv  verhält,  obgleich  kein  Zwang 
ausgeübt  wird.  Auch  die  Jungfrau  wird  nur  selten  zur  Heirath  ge- 
nöthigt;  es  geziemt  sich  aber  durchaus,  dass  sie  sich  aufführt,  als 
fügte  sie  sich  den  Plänen  ihres  Vaters  nur  aus  Gehorsam. 

Die  Chitbah,  d.  h.  der  vorläufige  Heirathsantrag  wird  in  der 
Regel  dadurch  eingeleitet,  dass  eine  weibliche  Verwandte  des  Bräu- 
tigams der  Mutter  der  Braut  einen  Besuch  macht,  und  der  Form 
nach  hat  dieser  Besuch  die  Bedeutung  einer  Auskundschaftung:  sie 
soll  die  Jungfrau  besehen,  ihrer  Art  nachspüren,  und  wenn  das 
Resultat  den  gehegten  Erwartungen  entspricht,  allmählich  dem  Ge- 
spräch die  gewünschte  Wendung  geben,  sodass  sie  daheim  berich- 
ten kann,  welche  Aussicht  auf  Erfolg  die  von  den  Männern  vorzu- 
nehmende eigentliche  Chitbah  hat.  Wenn  die  Familien  mit  einander 
verkehren,  giebt  es  aber  viel  bessere  Mittel,  durch  zweideutige 
Gespräche  vorher  unzweideutige  Auskunft  über  die  Möglichkeit  der 
gewünschten  Verbindung  einzuziehen,  aber  auch  dann  verlangt  das 
»Herkommen”  den  erwähnten  Weiberbesuch,  der  also  rein  zur  Ko- 
mödie wird.  Das  Objekt  des  Besuchs,  die  Jungfrau,  ist  regelmässig 

1)  Das  Erreichen  der  Geschlechtsreife  wird  auch  in  der  Umgangssprache  durch  balagh 
bezeichnet,  und  aus  Mangel  an  genauer  Kenntnis»  des  Alters  bestimmt  man  es  mei- 
stens nach  den  natürlichen  Zeichen  (Menstruation  und  Ihtiläm).  Mehrere  Male  hörte 
ich  junge  Mekkaner  erzählen,  zu  ■welcher  Zeit  und  wo  (z.B.  auf  der  Zjjärah  nach  Me- 
dina) sic  balaghu. 


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zufällig  nicht  im  Empfangszimmer  anwesend ; die  Besucherinn  muss 
daher  ausdrücklich  verlangen,  sie  zu  sehen.  Wenn  noch  Zweifel  ob- 
walten, so  ersieht  die  Frau  gleich  aus  der  Weise,  wie  diese  Bitte 
aufgenommen  wird,  ob  sie  weiter  gehen  soll  oder  nicht.  Schliess- 
lich äussert  sie  dem  Mädchen  gegenüber:  »so  Allah  will,  wollen 
wir  uns  verschwägern”  ‘) , worauf  die  älteren  Damen  zustimmend 
antworten,  während  die  Jungfrau  ihre  Schüchternheit  und  ihren 
Gehorsam  zur  Schau  trägt.  Nachdem  der  weibliche  Gesandte  zu 
Hause  Bericht  erstattet,  geht  nun  ein  Mann  von  den  Verwandten 
des  Heirathskandidaten  zur  Familie  der  Braut,  um  der  weiblichen 
Verabredung  männliche  Kraft  zu  verleihen;  dazu  wählt  man  den- 
jenigen, der  am  besten  zu  reden  weiss  und  an  geschäftlichen  Ver- 
kehr gewöhnt  ist.  Nicht  weniger  als  seine  Vorgängerinn  wird  er 
freudig  bewillkommnet  und  mit  Kaffee  usw.  bewirthet.  Die  Herren 
bestimmen  den  Tag  der  Mulkah  ’),  d.  h.  der  Abschliessung  des 
Kontrakts  und  besprechen  mit  erheucheltem  Zartgefühl  und  kauf- 
männischer Präcision  die  Frage  des  Heirathsguts.  Ueber  dessen  Be- 
trag lässt  sich  nicht  viel  sagen;  in  vornehmen  Familien  wird  ein 
beträchtlicher  Mahr  durch  beiderseitigen  Familienstolz  erfordert  und 
fügt  der  Vater  des  Bräutigams  dem  Versprochenen  noch  Vieles 
hinzu.  Mancher  Vater  aus  den  mittleren  Klassen  verlangt  im  Na- 
men seiner  Tochter  einige  hundert  Dollars  nicht  wegen  des  Geldes, 
sondern  weil  er  dadurch  zeigen  will,  wie  viel  er  auf  sie  hält.  An- 
dere heben  hervor,  ein  guter  Gatte  sei  ihnen  willkommen,  auch 
wenn  er  nur  der  Form  wegen  einige  Zehner  opfert.  In  den  ärme- 
ren Klassen  muss  man  für  die  Jungfrau  schon  deshalb  auf  mög- 
lichst hohen  Mahr  dringen,  weil  daraus  die  sämmtlichen  Kosten 
ihrer  Aussteuer  zu  bestreiten  sind  und  weil  sie  dadurch  ein  kleines 
Kapitälchen  erhält  für  den  Fall  einer  Scheidung.  Die  Aermsten 
müssen  über  Alles  hinwegsehen  und  mit  ein  paar  Dollars  vorlieb 


1)  Im  uhn  'Unk  ru$!r  arknm.  lieber  die  Bedeutung  des  Wortes  Rakm  im  heutigen 
Mekka  vergl.  Mekk.  Sprichw.  i.  v, 

2)  Namentlich  bei  Kinderehen  und  mitunter  auch  bei  Ehen  der  oben  besprochenen 
Art  geht  jedoeh  die  Mulkah  allen  anderen  Feierlichkeiten,  wolche  zur  Vollziehung  der 
Ehe  gehören,  Monato  oder  gar  Jahre  lang  voraus. 


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nehmen,  wenn  nicht  ihre  Schönheit  die  Begierde  der  Reichen  er- 
weckt. Körperliche  Reize  des  Weibes  sind  hier  um  so  einträglicher  , 
weil  im  Islam  der  Mann  sich  nicht  mesalliieren  kann , während  das 
Gesetz  der  Frau  empfiehlt,  wo  möglich  nur  einen  Gatten  gleichen 
oder  höheren  Standes  zu  nehmen.  Genug,  in  Bezug  auf  den  Mahr 
herrscht  unendliche  Verschiedenheit. 

Zur  Bekräftigung  der  gemachten  Verabredungen  recitieren  die 
Männer  zusammen  die  Fät'hah  ’).  Daher  sagt  man  von  einem  jun- 
gen Mädchen:  »man  hat  die  Fät'hah  über  ihr  recitiert”1 2 3 4)  im  Sinne 
von:  »sie  wird  in  den  nächsten  Tagen  verheirathet”.  Ein  paar  Tage 
vor  der  Mulkah  sendet  der  Vater  des  Bräutigams  (resp.  dieser  selbst) 
einige  männliche  Verwandte  zum  Vater  der  Braut,  ihm  das  Hei- 
rathsgeld,  oder  wenigstens  den  vor  der  Ehe  zu  zahlenden  Theil  des- 
selben zu  überreichen.  Einer  von  jenen  trägt  ein  silbernes  Brett, 
dessen  Boden  durch  ein  Päckchen  von  etwa  5 Ellen  rothem  Schäsch  ’) 
bedeckt  ist.  Darauf  sind  die  Goldstücke  gelegt  mit  etwas  Kandis, 
Kardamom  und  einigem,  zu  hübschen  Figuren  geordnetem  arabischen 
Jasmin  {Full).  Das  Ganze  bedeckt  man  mit  einem  feinen,  tüllarti- 
gen Tuch , dessen  Ränder  mit  Streifen  und  Figuren  aus  Goldblech 
besetzt  sind.  Im  Hause  der  Braut  warten  die  Männer  und  die  Wei- 
ber, je  in  ihrem  Gemache,  auf  die  Gäste  mit  Kaffee  und  Sorbet. 
Sobald  man  sie  beobachtet,  ertönt  von  oben  aus  dem  Weibersalon 
das  bekannte  gellende  Trillern  {Ghatrafah  *) ; die  Herren  gehen 
ihnen  entgegen  und  bewundern  die  feine  Morgengabe.  Wir  haben 
zur  Genüge  betont,  dass  diese  in  Mekka  wirklich  dem  Gesetze  ge- 
mäss der  Gattinn  zu  Theil  wird,  und  bei  späteren  Ehen  wird  ihr 
denn  auch  der  Betrag  unmittelbar  ausgehändigt,  eventuell  nach 
Abzug  der  Vermittlergebühren.  Die  Jungfrau  ist  aber  in  allen  weit- 


1)  Vcrgl.  oben  8.  35. 

2)  qara'u  zaleiha  ’ l-fdfhah . 

3)  So  heisst  der  dünne  Stoff,  aus  dem  man  Kopftücher  {Mehfirim)  für  Weiber,  und 
Tücher  für  Turbane  anfertigt;  für  letztere  gebraucht  man  meistens  weisses  Schäsch. 

4)  Wenn  einige  Reisende  dieses  Trillern  mit  Wultoultcul  etc.  wiedergebon , so  triilt 
das  wenigstens  für  Mekka  nicht  zu,  denn  dort  ähnelt  das  Ghatrafah  vielmehr  trillern- 
dem Vogelsang,  während  der  Ruf  Wuhoultoul  zwar  oft  aus  Wcibermunde  gehört  wird, 
aber  nur  als  Ausdruck  der  Enttäuschung  oder  des  Mitleids.  Das  Ghatrafah  ahmt  das 
wilde  hysterische  Lachen  und  Jauchzen,  das  Wuhotd  sympathisches  Weinen  nach. 


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liehen  Dingen  noch  so  unerfahren , dass  selbstredend  der  Vater  oder 
der  Vormund  die  finanziellen  Angelegenheiten  besorgt.  Er  kauft  ihr 
die  Hausgeräthe  usw.  und  betrachtet  somit  die  Morgengabe  als  schon 
verausgabt,  bevor  sie  noch  bezahlt  ist.  Wenn  er  wohlhabend  ist, 
so  hat  er  wohl  viel  daraufgelegt,  und  ist  er  arm,  so  nimmt  er 
auch  etwas  für  seine  Bemühung.  Vor  dem  Abschiede  bitten  die 
Vertrauensmänner  die  Verwandten  der  Braut,  sie  möchten  noch 
förmlich  den  Empfang  der  Ileirathsgeldes  bezeugen : »wir  kennen 

uns  zwar  so  gut , aber  es  ist  der  Mensch  bekanntlich ” und 

die  Angeredeten  unterbrechen  schon  mit  der  gewünschten  Bestä- 
tigung. 

Die  Mulkah  (officiell : ^Aqrl  en-nikäh) , d.  h.  die  Kontraktschlies- 
sung, ist  im  Gesetze  sehr  einfach  geregelt:  dem  förmlichen,  un- 
zweideutigen Angebote  von  Seiten  des  Vertreters  der  Braut  soll 
die  förmliche  Annahme  von  Seiten  des  Bräutigams  unmittelbar  fol- 
gen; wenigstens  zwei  Zeugen  sollen  das  anhören,  und  damit  ist 
die  Ehe  geschlossen.  Unter  den  nicht  obligatorischen  Sachen,  die 
das  Gesetz  mit  Nachdruck  anempfiehlt,  sind  vorzüglich  erwähnens- 
werth  die  Vermehrung  der  Zeugenzahl  zu  einer  feierlichen  Versamm- 
lung und  eine  oder  mehrere  von  den  Parteien  auszusprechende  Re- 
den über  die  Bedeutung  der  Ehe  als  eines  göttlichen  Instituts; 
Beides  findet  in  Mekka  bei  jeder  Eheschliessung  mit  einer  Jungfrau 
und  einigermaassen  auch  bei  den  anderen  statt. 

Sowohl  wenn  der  Kontrakt  im  Hause  (gewöhnlich  der  Braut)  als 
wenn  er  in  der  Moschee  geschlossen  wird,  kommen  dazu  eingeladene 
Bekannte  mit  den  beiderseitigen  männlichen  Verwandten  zusammen 
und  setzen  sich  in  Reihen,  der  Qiblah  zugewandt,  als  wollten  sie 
ein  gemeinschaftliches  Qnlät  vornehmen.  Vor  ihnen,  gegenüber  der 
Mitte  der  vorderen  Reihe,  setzt  sich  der  Leiter  der  Feierlichkeit, 
als  welcher  nur  selten  der  Willi  (Vater  oder  Vormund)  der  Braut 
selbst,  gewöhnlich  ein  von  diesem  Bevollmächtigter  fungiert.  Zu 
dieser  Funktion  gehört  zwar  nicht  sehr  viel,  aber  immerhin  muss 
der  Mumlik  oder  " Aqid  en-nikäh  (so  heisst  der  Verheirather  des 
Mädchens)  genau  mit  den  erforderlichen  Formalitäten  vertraut  sein 
und  eine  Chulbah  auswendig  kennen.  Keine  Chulbah  (Rede)  wird 


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so  dringlich  vom  Gesetze  anempfohlen  als  die  des  Walt  8:  weil  nun 
die  meisten  Wdli's  zu  solcher  Leistung  nicht  im  Stande  sind,  ist 
es  fast  allenthalben  zur  Sitte  geworden , dass  sie  für  die  ganze  Ver- 
heirathung  einen  Kundigen  bevollmächtigen '),  zumal  dadurch  auch 
am  besten  formelle  Fehler  vermieden  werden.  In  Dörfern  findet  man 
nur  etwa  einen  oder  zwei  solche  Eheschliesser  ( Mumlik’ s) ; in  grösseren 
Städten  zählen  sie  nach  Dutzenden,  denn  dort  besitzt  wohl  von  je- 
dem bedeutenden  Geschlechte  ein  Mann  die  verlangte  Fähigkeit, 
während  alle  Fdqih’s  und  die  meisten  Moscheebeamten  als  Mumlik’s 
brauchbar  sind.  Da  nun  in  streitigen  Fällen  der  Qfldht  über  die 
Gültigkeit  einer  Ehe  zu  entscheiden  hat  und  die  Zuverlässigkeit  des 
Mumlik' s für  die  Entscheidung  ein  wichtiges  Moment  bildet,  übt 
der  Qädhl  fast  überall  eine  gewisse  Kontrolle  über  die  Eheschlies- 
ser aus.  In  einigen  Ländern  geht  dies  so  weit,  dass  der  Richter 
eine  beschränkte  Zahl  solcher  Leute  anstellt,  auf  die  dann  jeder 
angewiesen  ist.  In  Mekka  stand  es  jedem  gebildeten  Bürger  zu , sich 
einen  Erlaubnisszettel  vom  QädhT  auszubitten,  und  deren  Zahl  be- 
trug wohl  einige  hundert;  hohe  Autoritäten  in  der  Gesetzeswissen- 
schaft  und  anerkannte  Gelehrte  bedurften  aber  keines  Zettels.  Es 
hat  hier  nicht  an  Versuchen  der  türkischen  Autoritäten  gefehlt, 
die  Kontrolle  durch  Einsetzung  weniger  Mumlik«  für  jedes  Stadt- 
viertel zu  erleichtern ; sie  scheiterten  aber  an  dem  Unwillen  der 
Bürger,  die  sich  für  die  Berechtigung  ihres  Wunsches  auf  das  hei- 
lige Gesetz  beriefen.  Als  Mumlik  tritt  daher  in  Mekka  bald  ein 
gelehrtes  Mitglied  der  Familie  auf,  bald  ein  Iraäm  der  Moschee 
oder  sonst  ein  Faqih,  der  für  seine  Leitung  belohnt  wird. 

Bald  nachdem  sich  Alle  gesetzt  haben,  tritt  der  Bräutigam  her- 
ein, von  einigen  Freunden  begleitet.  Er  nimmt  seinen  Platz  vor 
den  Reihen  neben  dem  Mumlik  ein , und  dieser  beginnt  nun  nach  den 
üblichen  Lobpreisungen  Allahs  und  des  Propheten  seine  Chulbah1 2'), 

1)  Das  Recht,  sich  durch  einen  Andern  vertreten  zu  lassen,  steht  sowohl  dem  Wall 
als  dem  Bräutigam  (cJru)  zu;  in  Mekka  macht  der  Erste  fast  regelmässig,  der  Zweite 
nur  ausnahmsweise  von  dem  Rochte  Gebrauch. 

2)  ln  der  Fanal  at-UÜihln  des  Sejjid  Bekri,  III:  312  ff.  findet  man  einige  in  Mekka 
gebräuchliche  Chutbah’s  für  die  Mulknh  mitgetkoilt. 

II  21 


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1G2 


die  mit  Quränversen  und  Traditionen  über  Wesen  und  Zweck 
der  Ehe  gespickt  ist.  Nachdem  er  noch  daran  erinnert  hat,  dass 
»zwei  Menschen  sich  weder  vereinigen  noch  aus  einander  gehen  aus- 
»ser  durch  eine  (göttliche)  Entscheidung  und  Vorherbestimmung”, 
schliesst  er  mit  folgenden  Worten  '):  »Hiermit  biete  ich  dir  zur 
»Ehe  und  zur  Heirath  ’)  an  die  von  dir  zur  Frau  verlangte  (möge 
»sie  vor  Bösem  behütet  sein !)  N.  N. , Tochter  des  X. , gegen  die 
»Morgengabe,  worüber  ihr  einig  geworden  seid”.  Der  Bräutigam 
antwortet  unmittelbar’):  »Ich  nehme  die  Ehe  mit  ihr  auf  die  ge- 
»nannte  Bedingung  an”,  worauf  alle  Anwesenden,  die  Hände  in 
der  oben  *)  beschriebenen  Weise  vors  Gesicht  haltend , die  Ffit’hah 
recitieren.  So  oder  ähnlich  wird  der  J/#/X-aX-vertrag  in  Mekka  abge- 
schlossen; das  Herkommen  regelt  aber  nicht  weniger  pünktlich  die 
Ornamentik  als  das  Gesetz  die  Form  des  Kontrakts. 

Als  sehr  vornehm  gilt  es,  die  Mulkali  ein  paar  Stunden  nach 
Sonnenaufgang  zu  Hause  abzuhalten;  überhaupt  wäre  es  gegen  die 
Sitte , vor  Sonnenuntergang  dergleichen  in  den  Räumen  der  Moschee 
vorzunehmen.  Was  die  Bewirthung  der  Gäste  anbetrifft,  gehört  zu 
dieser  Weise  Folgendes:  Zuerst  wird  den  Leuten,  während  sie  im 
Salon  sitzen,  zweierlei  Speise  angeboten,  Süsses  und  Pikantes3), 
also  Zuckerwerk  oder  in  Zucker  Eingemachtes,  und  Fleisch  mit 
Zukost , wie  z.  B.  eine  Art  Zwieback  •).  Bevor  die  Gäste  sich  ver- 
abschieden, erhält  ein  Jeder  etwa  '/,  Pfund  Zuckerbonbons  {Ha- 
läwah  sukkarijjeh)  oder  Kandis  in  einer  aus  Zucker  gebackenen 
Schüssel  mit  ebensolchem  Deckel7)  zum  Mitnehmen.  Die  nächsten 

1)  U oXa  t;,  i ) j 

8)  Hier  werden  immer  die  beide*  synonymen  Wörter  gebraucht,  von  welchen  das 
(leset/,  eins  zu  wühlen  gebietet,  weil  andere  Ausdrücke  nicht  ganz  unzweideutig  sind. 

3)  ^ oAaS 

4)  S.  35,  Anm.  8. 

5)  üü*  wehiidiq  (»J jOL>}  ^h>). 

6)  Buiqumtit,  auch  Buqsumdt , Bulctumdi  und  Bmkamdl  gesprochen. 

7)  Das  nennt  man  (ah*  bmkakbatak  (*.-Xa£«j  vergl.  über  Mekabbah  oben 

S.  5.  Auch  bei  den  Festen,  die  von  den  einzelnen  Stadtvierteln  wegen  des  Einzugs 
des  Urossschcrife  oder  des  Wäli's  gefeiert  werden,  lässt  nun  häuiig  die  Kommission 
eines  Viertels  solche  ('ahin  mit  Bonbons  backen  und  verthcilt  sie  an  die  vornehmeren 
Bewohner  ihres  Quartiers. 


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1G3 


Verwandten  des  jungen  Ehepaares  stellen  sich  schliesslich  zur  rech- 
ten Seite  des  Ausgangs  in  einer  Reihe  auf,  um  die  Segenssprüche 
der  Fort  gehenden  eutgegenzunehmen  und  ihnen  für  die  erwiesene 
Theilnahrue  zu  danken. 

Ueblicher  als  diese  Weise  ist  es  aber,  die  Mulkah  nach  dem 
* Ischä , z.  B.  gegen  9 Uhr  Abends , im  Haram  abzuhalten. 

Im  Einverstiindniss  mit  den  Moscheebeamten  oder  mit  dienstfer- 
tigen Zemzemi's  wühlt  man  dazu  entweder  den  Hidjr1 2 * 4)  (den  Raum 
innerhalb  der  halbkreisförmigen  Mauer  gegenüber  der  Nordwest- 
seite der  Ka'bah)  oder  das  Obergemach  des  Zemzemgebäudes , worin 
gewöhnlich  der  Gouverneur  und  andere  hohe  Beamte  ihre  Mittags- 
und Nachmittagscaläts  verrichten,  weil  dann  die  Sonne  im  Hofe 
der  Moschee  brennt  und  dies  Gemach  ihnen  die  Erfüllung  ihrer 
Pflicht  nahe  der  Ka'bah  und  dennoch  im  Schatten  ermöglicht  *). 
Der  für  die  Mulkah  bestimmte  Raum,  wird  mit  schönen  Teppi- 
chen belegt  und  mit  mehreren  Tannür» s)  und  Fänüaen  5)  beleuchtet. 
Speisen  setzt  man  hier  nicht  vor;  bezüglich  der  nach  Recitation  der 
Fät’hah  zu  vertheilenden  Süssigkeiten  giebt  es  drei  Klassen  zu  un- 
terscheiden. Am  feinsten  ist  es,  wenn  jeder  Gast  1I1  Pfund  Kandis 
in  einem  Säckchen  aus  rothem  Schüsch  *)  erhält ; weniger  vornehm 
heisst  die  Vertheilung  von  Abnütah  *),  die  von  den  Gästen  in  ihren 
eigenen  Tüchern  mitgenommen  werden  muss;  wer  es  sehr  billig 


1)  Vergl.  Grundriss  der  Moschee,  N°.  2. 

2)  Vergl.  Bd  I,  S.  10—11. 

8)  Tanniir  ist  eine  auf  einem  nicht  allzu  hohen  I’uss  stehende  gläserne  Laterne,  die 
ebenso  wie  der  Ttmi»  eine  Wachsten»  oder  eine  von  den  in  Mekka  sehr  gebräuchlichen 
Kerzen  aus  Walrat  (Srham'et  il-huf)  aufnehmen  soll.  Der  FtnuU  ist  die  gemeino  Laterne, 
die  man  im  Uause  aufhängt  und  Abends  und  Nachts  auf  dio  Strasse  sowie  in  die  Mo- 
schee mitnimmt;  die  Kerze  steht  hier  in  einem  durch  sechs  in  Blech  eingefasste  Glas- 
scheiben begrenzten  Raum;  von  den  oberen  Seiten  der  Scheiben  aus  setzt  sich  das  bis 
an  die  Spitze  der  Laterne  immer  enger  werdende  Blech  fort , und  oberhalb  ist  ein  Ochr 
zum  Tragen  oder  Aufhängen  daran  befestigt.  Anstatt  der  Kerze  setzt  man  häufig  eine 
Petroleumlampe  in  den  Fdxtlt,  aber  mit  Petroleumlampen  darf  man  nicht  in  die  Mo- 
schee eintreten.  Zu  dieser  Verordnung  hat  die  türkischen  Autoritäten  nicht  das  heilige 
Gesetz  bestimmt,  sondern  der  zu  den  goweihten  Räumen  nicht  passende  üble  Geruch 
des  Petrols. 

4)  Oben  S.  159. 

5)  Oben  S.  139. 


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164 


machen  will,  lässt  beim  Fortgehen  bloss  Sorbet  in  Bechern  reichen. 
Fürs  Sorbettrinken  giebt  es  zweierlei  Sitte,  die  mekkanische  und 
die  medinensische ') : auf  mekkanisch  lässt  man  einen  gefüllten  Be- 
cher von  Mund  zu  Mund  gehen  und  trinkt  jeder  ein  paar  Züge, 
auf  medinensisch  dagegen  erhält  der  Einzelne  einen  vollen  Becher 
für  sich  und  muss  ihn  austrinken.  Wie  es  in  dieser  Beziehung  bei 
jeder  Gelegenheit  hergehen  soll,  das  regelt  sich  nach  dem  Beispiel 
der  vornehmeren  Gäste.  Abschied  nimmt  man  in  der  Moschee  ähn- 
lich wie  im  Hause , nur  dass  sich  dort  die  Verwandten  am  Aus- 
gang des  Hidjr  oder  des  Zemzemgebiiudes  aufstellen. 

Es  kommt  auch  vor,  dass  man  die  Mulkah  nach  dem  Maghrib 
oder  dem  c Ischn  zu  Hause  vollzieht,  wobei  dann  die  Accessorien 
die  gleichen  sind  wie  in  der  Moschee.  Damit  alle  Nachbarn  die 
Sache  erfahren,  lässt  man  in  diesem  Falle  wohl  die  grossen  Trom- 
meln {Zir's)  vor  der  Thür  schlagen , und  beleuchtet  auch  den  Eingang 
der  Gasse  mit  aufgehängten  Oelgläsern  ( Qandifs ) oder  zylinderför- 
migen Burmalis.  Im  Hause  werden  zwar  keine  Speisen , wohl  aber  der 
auch  sonst  zu  jeder  Tageszeit  dem  Besucher  kredenzte  Kaffee  angeboten. 

Von  Rechtswegen  könnte  der  junge  Ehemann  nach  der  Mulkah 
den  //Eingang”  {Duchüt),  d.  h.  die  erste  Beiwohnung,  ohne  Weite- 
res vollziehen;  der  Jungfrau  gegenüber  wäre  dies  aber  ein  unduld- 
barer Verstoss  gegen  die  Sitte.  Auf  so  einfachem  Wege  soll  der 
zAris  (Bräutigam)  nicht  zur  c Arusah  (Braut)  gelangen ; Beide  haben 
vorher  eine  Reihe  sehr  ermüdender  Ceremonien  durchzumachen, 
und  die  beiderseitigen  Freunde,  namentlich  aber  die  Freundinnen, 
möchten  sich  um  keinen  Preis  das  Vergnügen  nehmen  lassen , dabei 
als  Helfer  oder  Zuschauer  zu  agieren.  Schon  vor  dem  Mulkah- tage 
haben  sie  sich  zur  Theilnahme  gerüstet  und  der  Familie  der  Braut 
viele  Dienste  erwiesen,  indem  sie  die  unzähligen  und  theilweise 
sehr  kostbaren  Erfordernisse  des  Hochzeitsfestes  in  deren  Haus  zu- 
sammenbrachten. Aus  der  weiter  folgenden  Beschreibung  des  Festes 


1)  Auf  verschiedenen  Gebieten  existiert  eine  Mode  von  Modina  und  eine  von  Mekka , 
die  jedoch  beide  in  beiden  Städten  in  gleichem  Maassc  üblich  sind;  so  hat  man  mck toni- 
sche und  medinensische  Sandalen  (vergl.  Tafel  XXXVIII,  Ji«.  7 und  8),  eine  mekka- 
nisotic  und  eine  medinensische  Art,  deu  Turban  um  die  Kii/ijjah  zu  winden  usw. 


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wird  inan  ersehen,  dass  die  Kosten  der  Hochzeit  an  Speisen,  Ge- 
tränken , Beleuchtung , Lohn  der  Sängerinnen  und  Musikanten  usw. 
schon  sehr  beträchtlich  sein  müssen,  dass  aber  nur  steinreiche  Leute 
< in  der  Lage  wären,  den  Preis  der  Ausstattung  des  Brautzünmers 
und  anderer  Gemächer  zu  zahlen.  Reiche  Besitzer  der  dazu  nöthi- 
gen  Gegenstände  leihen  dieselben  aber  gern  aus,  und  zwar  auch 
an  Fremde,  wenn  solche  ihnen  von  Freunden  empfohlen  werden; 
es  giebt  andere  Sachen  (Lampen,  Bänke  usw.),  die  man  im  Noth- 
fall  miethen  kann,  und  endlich  "stiften”  fromme  Kaufleute  die 
Schmucksachen,  die  zur  Hochzeit  gehören,  als  IVaqf,  wodurch  ein 
Jeder  unter  gewissen  Bedingungen  ein  Recht  auf  ihre  Benutzung 
hat.  Somit  kann  die  ärmste  Jungfrau  aus  anständiger  Familie  we- 
nigstens einmal  im  Leben  die  Küniginn  spielen. 

Gestern  war  die  Mulkah  unserer  Freundinn,  so  sagen  die  inti- 
meren weiblichen  Bekannten  der  Braut , also  gehen  wir  heute  Abend 
zu  ihr  zum  Minna  (Henna) ; morgen  macht  man  ihr  die  Rikah  und 
übermorgen  giebt  es  Ghumrah.  Heimlich  freuen  sie  sich  aber  am 
Meisten  ob  der  Nacht  der  Buchlab. , die  dem  Ghumrah- tage  folgt. 
Wir  wollen  jetzt  etwas  tiefer  in  diese  Geheimnisse  eindringen. 

Zur  oben  angegebenen  Reihenfolge  ist  zu  bemerken,  dass  wohl 
einmal  der  //innn-aliend  dem  Tage  der  Rikah  folgt,  wodurch  die 
Zahl  der  Festtage  um  einen  vermindert  wird  und  die  Damengesell- 
schaft erst  gegen  Sonnenuntergang  des  Rikah- tages  anfängt.  Sonst 
kommen  die  Verwandten  und  die  besten  Freundinnen  schon  Nach- 
mittags am  Minna- tage  zur  Braut  und  gemessen  dort  eine  gute 
Mahlzeit.  Das  Hinna-iest  beruht  auf  der  Fiktion,  dass  die  Braut 
von  ihren  Freundinnen  geputzt  wird,  und  weil  der  Henna  mit 
grosser  Fürsorge  auf  die  Füsse  und  Hände  gelegt  werden  und  lange 
trocknen  muss,  wird  die  ganze  Toilette  danach  benannt.  Thatsäch- 
lich  verrichtet  aber  eine  lierufsmässige  Putzerilm  (Meqejjinah , Me- 
gef  nab)  die  Arbeit  und  schauen  die  Gäste  nur  zu.  Nachdem  der 
Henna  trocken  geworden,  putzt  die  Meqej'nab  der  Braut  das  Haar, 
d.  h.  sie  schneidet  die  gerade  oberhalb  der  Stirn  befindlichen  Haare 
ab  und  kürzt  die  Augenbrauen  ein  wenig.  Die  Kopfhaare  flechtet 
sie  in  acht  Strähne  ‘)  zusammen , denen  sie , wenn  es  Noth  thut , 


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mit  falschen  Locken  (‘  XJqüq , "Eqüq)  aus  Wolle  und  Seide  etwas 
nachhilft.  In  jede  Flechte  wird  eine  seidene  Schnur  (ScAerU)  einge- 
wirkt, woran  einige  ausser  Kurs  gerathene  goldene  Münzen  mittels 
darin  gemachter  Löcher  befestigt  werden.  Zu  diesem  Zwecke  dienen 
meistens  zwei  Münzarten,  die  zur  Zeit  des  Sultans  Mahmud  ge- 
prägt wurden  und  die  Jahreszahl  1223  (18U8 — 9)  zeigen ; man  nennt 
sie  hier  resp.  Ghawäzi  (Sing.  GhäzijjeA) *)  und  Mahmädtjjät.  Eine 
andere,  seltenere  und  ziemlich  kostbare,  von  den  Weibern  auch  als 
Amulet  hochgeschätzte  Münzsorte  verdient  hier  erwähnt  zu  werden, 
zumal  man  sie  sehr  gern  zum  Haarschmuck  verwendet;  sie  heisst 
in  Mekka  MUchchaq , Plur.  MetehäcMf 5) , was  nichts  anderes  als 
Bildmünze  bedeutet.  Es  liegt  daher  die  Vermuthung  nahe,  dass  in 
früheren  Zeiten  diese  Goldstücke  die  einzigen  mit  menschlichen  Bil- 
dern versehenen  gewesen  seien,  die  in  Mekka  umliefen.  Jetzt  sieht 
man  fast  nur  durchlöcherte  Exemplare,  und  auf  den  meisten  ist 
die  Legende  sehr  schwer  zu  entziffern.  Man  kauft  sie  bei  Geldwechs- 
lern und  Goldschmieden  nur  zum  Gebrauch  für  die  Weiber.  Aus 
einem  sehr  gut  erhaltenen  Exemplare,  das  ich  besitze,  und  dem 
die  übrigen  von  mir  gesehenen  in  der  Hauptsache  ähnlich  sind, 
erhellt,  dass  wir  es  mit  venetiauischen  Sechinen  zu  tliun  haben  '). 


1)  Die  Flechten  heissen  Dhafdir  oder  Djaddil,  seltener,  wie  im  Innoren,  Dalmk; 
früher  nannte  man  dieselben  auch  Qatchdil,  das  Flechten  TaqtckUj  jetzt  sind  Qatchmt 
die  in  die  Haarflechten  eingeführten  goldenen  Münzen. 

2)  Ghdzijjth*M  dos  Sultans  Abd  M-fjamtd  kommen  auch  vor;  sie  heissen  so,  weil  das 
Wort  Gkdzi  („der  den  heiligen  Krieg  geführt  hat”)  einige  Male  darauf  steht.  Eine  Gkdzijjek 
ist  gewöhnlich  für  etwas  mohr  als  1 Dollar , eine  Malmitdijjeh  für  etwas  mehr  als  4 zu  haben. 

3)  Mckkanische  Gelehrte  behaupten,  die  regelrechte  Form  sei  Mmckackckaf , aber  so 
spricht  kein  Mensch.  In  den  Chroniken  der  Stadt  werden  bedeutende  Geldbeträge  vor 
etwa  I‘  Jahrhundert  in  dieser  Münze  angegeben. 

4)  Die  Bestimmung  der  Münze  verdanke  ich  der  Güte  des  Herrn  Th.  M.  Rocst  in 
Leiden.  Aus  der  unten  stehenden  Abbildung  meines  Exemplars  ersieht  man , das  dasselbe 
aus  der  Zeit  des  Dogen  Aloys  Mocenigo  I (1570 — 77)  herstammt;  auf  einer  Seite  kniet 
der  Doge  vor  dem  heiligen  Marcus  (SM),  auf  der  anderen  steht  Christus,  von  Sternen 
umgeben. 


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Die  Ironie  der  Geschichte  war  also  nicht  damit  zufrieden,  dass  in 
Medina  das  Grab  Muhammeds,  der  die  Prophetenverehrer  verfluchte , 
zum  Ziel  der  Wallfahrten  geworden  ist;  sie  lässt  ausserdem  in  Mekka 
die  Weiber  der  Muslime,  die  bildliche  Darstellungen  lebendiger  Ge- 
schöpfe verpönen  und  den  Christus  gewidmeten  Kultus  als  Unglau- 
ben verdammen,  abergläubische  Verehrung  zeigen  für  die  Bilder 
Jesu  und  eines  Evangelisten.  Dass  die  Damen  selbst  keine  Ahnung 
davon  haben , versteht  sich  von  selbst. 

Während  die  Toilette  der  Braut  (ausser  dem  Festgewande)  zurecht- 
gemacht wird,  erfreuen  sich  die  Freundinnen  an  Sang  nnd  Klang; 
dazu  werden  nicht  immer  Sängerinnen  beschieden , sondern  die 
Weiber  begleiten  oft  den  eignen  Gesang  mit  Tär’s,  die  von  dieser 
und  jener  mitgebracht  sind,  oder  Händeklatschen.  Die  jungen  Mäd- 
chen bleiben  wohl  bis  Mitternacht  zusammen , Pfeifen  rauchend  und 
Thee  trinkend;  die  verheiratheten  Damen  kehren  früher  heim. 

Am  nächsten  Tage  kommen  schon  im  Laufe  des  Morgens  die 
Freunde  der  Familie  der  Braut  zur  "Erbauung  der  Rikah",  wie  es 
heisst,  in  ihr  Haus;  die  Rikah  ')  ist  eine  Art  überdachter  Thron- 
sessel, der  ähnlich  aussieht  wie  der  obere  Theil  eines  Mimbar  und 
den  man  für  die  jungfräuliche  Braut  aus  Holz  errichtet,  welches 
ganz  unter  Prachtkleider  versteckt  wird.  Aus  mehreren  Stücken  schwe- 
rer Atlasseidc  und  Rezah , mit  aufgehefteten  goldenen  und  silbernen 
Sternen , Borten  usw.  und  mit  allen  denkbaren  Schmucksachen  ’) 
und  Edelsteinen  behängt,  setzen  sieh  die  Vorhänge  und  die  Be- 
deckung der  vorderen  Wand  dieses  Sessels  zusammen.  Zum  Rikah- 
ziramer  richtet  man  einen  Salon  in  einem  oberen  Stockwerke  ein , 
belegt  dasselbe  mit  feinen  Teppichen,  hängt  über  die  Thür  grosse 
silberne  Sterne  mit  eingefassten  Diamanten  und  mehrere  Laternen, 
und  stellt  den  Sessel  mitten  im  hinteren  Theile  des  Zimmers  auf. 
Auch  die  Rikah  ist  mit  vielen  Laternen  ( QandiFs , Nedjfah’s  ’) 


1)  Es  ist  das  quranische  (XVIII : 30  u.  a.  0.)  ä&jt  ; im  Quran  heissen  so  die  Sitze, 
auf  denen  die  Glücklichen  im  Paradies  ausgestreckt  liegen. 

2)  Namentlich  allerlei  RUckak's  (stern-  und  rosenförmige  Brochen)  dienen  zur  Ver- 
zierung der  Rikah. 

3)  Niijfak  heissen  die  riesigen,  aus  Europa  importierten,  kristallenen  Leuchter,  dio 
mit  einigen  vergoldeten  Spiegeln  und  von  Glocken  überdeckten  Kunstblumen  der  ge- 


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und  Burmnh's)  versehen,  in  denen  man  zur  Schonung  der  kostba- 
ren Kleider  bloss  Walratkerzen  brennt.  »Erbauung  der  Rikah"  heisst 
aber  die  Beschäftigung  der  Freunde  nur  a parle  potiori , denn  nicht 
weniger  Zeit  erfordert  die  Herstellung  der  übrigen  zur  Hochzeit 
erforderlichen  Dinge.  Auf  dem  zunächst  dem  Hause  befindlichen 
Platz  ( Barrä&ah ) oder  in  der  Gasse  werden  Pfähle  in  den  Boden 
geschlagen , deren  obere  Spitzen  Querbalken  verbinden , und  an 
diese  hängt  man  möglichst  viele  Laternen;  hölzerne  Bänke  ( Dek- 
kah's)  stellt  man  dort  in  Reihen  auf  und  belegt  sie  mit  Teppi- 
chen; den  Boden  ebnet  man  und  begiesst  ihn  mit  Wasser,  kurz, 
der  Tag  der  Rikah  wird  in  allgemeinem  Hin-  und  Herrennen  ver- 
bracht, wobei  Jeder  den  Anderen  an  Dienstfertigkeit  zu  überbieten 
sucht.  Für  ihre  Bemühungen  werden  Alle  mit  einem  guten  Essen 
belohnt:  der  Berufskoch  bereitet  ihnen  in  seinen  grossen  Kesseln 
Reis  und  Hammelfleisch  mit  einiger  Zukost.  Auf  grossen  Fiinfper- 
sonentellem  schickt  die  Familie  der  Braut  dem  Bräutigam  und  des- 
sen Verwandten  Antheile  (Macscharah , Plur.  Me'ätchir)  von  den 
Speisen , mit  Mekahbah 8 *)  zugedeckt.  Nach  dem  cJ?r  kehren  die 
Herren  heim ; die  Damen  aber  kommen  in  grösserer  Zahl  als  am 
vorigen  Tage  und  verbringen  die  Nacht  wie  die  vorige.  Wie  bereits 
bemerkt , fallt  diese  Nacht  bisweilen  mit  der  //i»»/7-nacht  zusammen ; 
sonst  nennt  man  sie,  weil  sie  zum  folgenden  Ghumrah- tage  gehört, 
die  G humrah-TKicM,. 

All  die  Bewegung,  die  am  Ghumrah- tage  in  den  Häusern  der 
Braut  und  des  Briiutigams  herrscht , ist  eigentlich  nur  die  Vorberei- 
tung zu  dem,  was  am  Abend  und  in  der  Nacht  geschehen  soll, 
zur  Buchiah , dem  Gipfelpunkt  der  Hochzeitsfeste.  Den  ganzen  Tag 
hindurch  schlägt  man  ab  und  zu  vor  beiden  Häusern  die  Trommeln 
( Zir ),  und  Sängerinnen,  denen  in  der  kommenden  Nacht  schwere 
Arbeit  bevorsteht,  unterhalten  auch  am  Tage  in  beiden  Familien 
die  Damen  und  ihre  Gesellschaft.  Gastmühler  finden  ebenfalls  häu- 
fig , obgleich  nicht  nothwendig , am  Ghumrah-tage  statt ; man  dehnt 


moinsten  Sorto  nach  „modernem”  Geschmack  die  beliebteste  Ausstattung  vornehmer 
mekkanischer  Salons  bilden. 

1)  Vergl.  oben  S.  5. 


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ja  die  Einladungen  zu  solchen  Festen  möglichst  weit  aus  und  ist 
daher  ausser  Stande,  alle  Gäste  auf  einmal  zu  empfangen,  obgleich 
man  über  die  besten  Gemächer  der  Nachbarn  verfügt. 

Wir  haben  schon  öfter,  wo  von  Weibergesellschaften  die  Rede 
war,  der  Sängerinnen  Erwähnung  gethan  und  gesagt,  die  gleichen 
erotischen  Lieder,  an  denen  die  Damen  sich  zur  Hochzeit  ergötzen, 
seien  auch  bei  anderen  Gelegenheiten  die  beliebtesten.  Solche  Lie- 
der nennt  man  in  Mekka  Däna-däna-gesiinge  oder  schlechtweg  Däna- 
dfma,  weil  sie  immer  mit  einigen  Variationen  dieses  Wortes  an- 
fangen. Es  macht  den  Eindruck , als  hätte  dieser  Anfang  keine  andere 
Bedeutung  als  etwa  Trala/a  in  unseren  Liedern ; Manche  behaupten 
aber,  man  habe  darin  durch  das  Tonmaass  entstellte  Formen  des 
Verbums  datia,  »nahen”  zu  sehen,  und  die  Annäherung  der  Ge- 
liebten werde  damit  angekündigt,  oder  aber  die  Geliebte  aufgefor- 
dert , sich  zu  nähern  ').  In  der  Littenitur  habe  ich  keine  Aufklärung 
über  diesen  Ausdrück  gefunden ; nur  in  einer  malaiischen  Handschrift 
der  Königl.  Hof  bibliothek  zu  Berlin ')  fand  ich  eine  Erzählung  von 
einem  Fürsten  von  Ghaznah,  der  als  Derwisch  reiste  und  auf  sei- 
nen Wanderungen  einmal  bei  der  Wohnung  eines  seltsamen  Schechs, 
Namens  Maqbül,  anlangte,  der  zu  gewissen  Zeiten  » Däna-däna  sang”  *). 

Gewöhnlich  ist  die  eigentliche  Sängerinn  ( Meghannijah ) nur  eine 
und  begleiten  sie  die  übrigen,  ihre  Sklavinnen,  theils  durch  das 
Schlagen  der  Tamburinen ') , theils  durch  das  Einstimmen  in  die 
Reimworte  oder  die  letzten  Worte  der  Verse5). 


1)  Sehr  viel  Ansprechendes  hat  die  Vermuthung  des  Herrn  Dr.  Wetzstein,  der  An- 

fang ja  naddiut  dani  usw.  könnte  aus  lik>  J>G  ül  k>  !il 2 * * 5  b,  etwa  „Höre,  da  bin  ich, 
komm,  da  bin  ich!”  entstanden  sein.  Doch  fügt  Herr  W.  hinzu,  es  wäre  allerdings 
auch  die  Erklärung  als  li'vXi  ^ k möglich,  da  (jAJ  alles  Herzerquickende 

bedeutet.  Was  die  Benennung  der  Däna-dnna-liedcr  nach  ihrem  Anfang  betritt,  vergleicht 
Herr  W.  die  'Atäbä-gedichto  der  syrischen  Wüste,  die  nach  ihren  ersten  Worten 

»> 

ljt*e  IjIAc  jo  heissen. 

2)  Sobömann  V,  27,  S.  203.  3)  J 

4)  Diese  Sklavinnen  heissen  Daqqdq'm  it-tar;  cs  wird  immer  nur  die  männliche  Form 

gebraucht. 

5)  Die  dies  thun,  heissen  Raddtidu i (vergl.  die  vorige  Anm.);  man  sagt  von  ihnen 
jerudtiü  oder  jeraddedi. 

U 22 


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170 


Dem  Inhalt  nach  sind  die  Lieder  Ausdrücke  der  Sehnsucht  nach 
der  Geliebten , der  sinnlichen  Begierde.  Zwischen  den  einzelnen 
Gliedern  ist  manchmal  wenig  oder  gar  kein  Zusammenhang;  auch 
haben  die  Glieder  selbst  nicht  selten  empfindlich  gelitten  aus  Man- 
gel an  Verständniss  bei  den  Pflegerinnen  dieser  vom  Gesetz  ver- 
pönten Kunst,  deren  Genuss  man  den  Weibern  gestattet,  weil  die 
meisten  nun  doch  einmal  Brennholz  für  die  Hölle  sind.  Hinter 
diesem  Abschnitt  will  ich  zwei  Beispiele  der  gebräuchlichen  Dana- 
däna-lieder  im  Original  mittheilen;  statt  einer  Uebersetzung  gebe 
ich  hier  den  Inhalt  beider  Liebespsalmen  mit  meinen  Worten 
wieder. 

Im  ersten  Liede  klagt  der  Sänger  zu  Gott  wegen  seiner  Liebes- 
krankheit, weil  eine  schwarzäugige  Gazelle,  die  schöne  Lelah,  ihn 
tödtlich  verwundet  hat;  er  bittet  die  Geliebte,  ihm  ihre  Gegen- 
liebe zu  schenken,  weil  das  gleichsam  ihre  Religionspflicht  sei  und 
weil  er  sonst  sicher  sterben  werde.  Er  fleht  sie  um  das  Heilmittel 
an,  weil  kein  Arzt  seine  Wunde  pflegt.  Dann  beschreibt  er  ihren 
Gazellennacken,  ihre  Quitten1 2)  ähnliche  Brüste,  vergleicht  sie  mit 
wohlriechenden  Kräutern  und  Blumen1),  mit  Nüssen,  Mandeln 
und  syrischen  Pistazien;  ihr  Geruch  übertrifft  den  des  Weines; 
sie  ist  erquickend  wie  der  Schlaf  nach  langem  Wachen.  Erwünscht, 
er  wäre  ein  Vogel  und  könnte  sich  im  Fluge  ihr  unversehens  nä- 
hern, während  sie  schliefe.  Möge  dich  Allah  mit  gleicher  Liebes- 
qual  um  meinetwillen  heimsuchen,  mit  der  er  mich  heimgesucht 
hat,  und  dir  dann  deine  Sünde  verzeihen! 

Im  zweiten  Muster  des  Däna-Däna  klagt  ein  anderer  Sänger  seiner 
Lelah,  der  Fürstinn  aller  Weissen , der  alle  Schönen  Glück  wünschen. 
Seine  Ruhe  ist  hin , und  er  wird  sterben , ohne  das  Geheimniss  seiner 
Krankheit  offenbart  zu  haben.  Auch  diese  Lelah  vereinigt  die  Eigen- 


1)  Mit  Quitten  oder  mit  Halbkugeln  aus  Elfenbein,  die  durch  Ambranügcl  in  der 
Mitte  befestigt  sind,  werden  Weiberbrüste  häufig  verglichen. 

2)  Mit  arabischem  Jasmin  (Full)  und  dein  arabischen  Kraute  Bösch  (vorgl.  Mekk. 
Sprich w.  i.  v.)  und  mit  einem  von  Kadi  (^3^)  durchriiucherten  Kruge.  Dieses  Kadi  ist 
ja  nicht  mit  dem  jemfcnischen  Qät  (öls)  zu  verwechseln;  somit  wird  die  Schlussfolge- 
rung bei  A.  von  Krcmer,  Kulturgeschichte  II,  207  hinfällig.  VergL  unten  S.  173 — 4,  Anm. 


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171 


schäften  aller  Wohlgerüche  in  sich;  der  Dichter  ruft  ihretwegen 
dreimal  Ach ! und  fragt  die , welche  die  Liebe  kennen , wo  er  denn 
Ruhe  finden  soll!  Sein  Ilerz  ist  verwundet  durch  die  Schöne,  die 
dem  Vollmond  des  Monats  Scha'bän  gleichkommt.  0 ihr  Kenner 
der  Liebe!  wer  weiss  meine  schweren  Wunden  zu  heilen? 

So  und  ähnlich  singt  die  Meghannijah  mit  Begleitung  der  Daq- 
qäqtn  und  Uaddädin , und  die  Zuhörenden  klatschen  in  die  kleinen 
Hände,  dass  die  Armbänder  klappern , und  rufen : Ja  ’lläh,jä  rabbi! 
indem  sie  sich  selbst  in  die  Rolle  der  Gazelle  versetzt  denken. 

Am  Tage  der  Ghumrah  haben  indessen  nur  Wenige  Zeit,  sich 
dem  musikalischen  Genuss  hinzugeben;  ihre  Gedanken  sind  gänz- 
lich von  der  nahenden  Duchlah  in  Anspruch  genommen,  die  zu 
einem  wahren  Wettkampf  der  weiblichen  Eitelkeit  Anlass  bietet. 
Nicht  ohne  Eleganz,  aber  doch  mit  schrecklicher  Ueberladung  machen 
diese  Damen  zum  Duclilah- feste  aus  ihren  Körpern  Schautische  von 
Gold  und  Edelsteinen , die  sie  aus  ihren  Schränken  hervorholen , mie- 
then  und  von  Freundinnen  entlehnen.  Die  Weiber,  die  den  Ceremonien 
der  Duchlah  im  TMa^-zimmer  nach  Mitternacht  Zusehen,  th eilen  sich 
in  zwei  Klassen : 1°  die  nicht  eingeladenen  '/Zuschauerinnen”  ( Mitfer - 
redjät) , denen  man  bloss  zur  eigentlichen  Feierlichkeit  die  Thür  weit 
ofienstellt , und  die  davon  in  ausgedehntem  Maasse  Gebrauch  machen , 
ohne  besonders  kostbare  Kleider  anzulegen , und  die  Eingeladenen , 
oder,  wie  es  technisch  heisst,  die  //Anwesenden”  (Hädh’rät , auch 
Muhdharät  und  Mithaddheriit) , Verwandte  des  Bräutigams  und  der 
Braut  oder  intime  Freundinnen , von  denen  sich  viele  mit  dem  Werth 
von  einigen  tausend  Dollars  behängt  haben.  In  dem  Reichthum  ihrer 
Toilette  trägt  jede  Dame  ihre  Wohlhabenheit  oder  die  Gunst  zur 
Schau,  die  sie  bei  ihrem  Gatten  geniesst;  es  giebt  aber  auch  Un- 
terschiede, welche  die  Verwandtschaft  oder  den  höheren  Grad  der 
Freundschaft  mit  der  Braut  veranschaulichen. 

Verwandte  und  Freundinnen  haben  alle  gleichmässig  die  acht 
Haarflechten  mit  Qaschäit ')  von  Mahnt t/dijjah-m ü nzen  versehen ; 
da  also  die  Haare  nicht,  wie  gewöhnlich,  unter  einem  Kopftuch 


1)  Vergl.  oben  8.  1C6,  Anm.  1. 


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172 


( Mehramak ) zusammengebunden  sind,  kann  auch  das  obere  Kopf- 
tuch, die  Medawwarah , nicht  in  der  üblichen  Weise  um  den  Kopf 
geschlagen  werden,  sondern  es  wird  eine  solche  aus  Jaschmek , fein 
wie  Spinngewebe,  welche  mit  Goldblech  reichlich  bestickt  ist,  tur- 
banartig um  den  Kopf  gewunden.  Weiter  tragen  sie  die  Weste 
und  Beinkleider  aus  Rezah  '),  welches,  je  nach  dem  Muster  und 
dem  Reichthum  der  darauf  angebrachten  Goldstickerei,  verschie- 
dene Namen  führt J).  Ueber  diese  beiden  Kleidungsstücke  haben  die 
Hüdh'rCtt  von  höherem  Range  das  »bengalische  Gewand”  {Tab  *) 
Benggäla')  aus  sehr  feinem  durchsichtigem  Zeuge,  Trebizonde  {Da- 
räbzun)  oder  Bumbazür.  Damit  dies  Tab  ein  Recht  auf  den  Namen 
des  » bengalischen”  habe , muss  es  aber  nicht  weniger  von  Gold  glänzen 
als  die  kaum  dadurch  verhüllten  Unterkleider;  auch  hier  giebt  es 
drei  Muster  von  verschiedener  Kostbarkeit  zu  unterscheiden1 2 3 4 5).  Wer 
dem  Brautpaare  nicht  nahe  genug  steht , um  sich  in  das  bengalische 
Gewand  zu  hüllen,  legt  ein  aus  gleichem  Zeuge  angefertigtes  Tob 
an,  von  dem  nur  die  unteren  Ränder  und  die  der  Aermel  mit 
Goldranken  belegt  sind , und  dem  der  Name  des  »gezogenen  Schwer- 
tes” {Sef  el-meslul)  beigelegt  wird,  während  endlich  die  Entfern- 
testen sich  auf  das  einfache  »dünne  Kleid”  {Töb  chefif),  etwa  mit 
silbernen  Knöpfen,  beschränken  und  dann  auch  beliebige  Unter- 
kleider s)  anlegen  können.  Ferner  gehören  zur  Toilette  der  Hädh’rät 


1)  Vcrgl.  oben  S.  153.  Anm. 

2)  Die  geringste  Sorte,  wo  je  vier  goldeno  Körner  das  Muster  o o bilden,  heisst 

o 

Mehabhab  oder  ifekdbab;  wenn  auf  die  Atlasseidc  gleichsam  Wcinranken  aus  Goldblech 
gehottet  sind,  so  ist  es  Meschaddjar ; ist  »her  der  Stoff  faat  gänzlich  unter  Goldblech 
und  -dreht  versteckt,  ao  heisst  er  TtUch. 

3)  Von  der  Männerklcidung  heisst  Tob  das  unmittelbar  den  Loib  bedeckende  Hcmdj 
ein  weibliches  Tob  dagegen  ist  ein  aus  foinstem,  durchsichtigem  Stoß  gemachtes  Kleid 
mit  sohr  weiten  Aermeln  und  bald  mit,  bald  ohne  aufgenähtes  Gold;  die  Weiber  zie- 
hen es  bei  gewissen  Gelegenheiten  über  die  beiden  unentbehrlichen  Kleidungsstücke 
(ein  Hemd  pflegen  sie  nicht  zu  tragen)  und  stecken  zu  beiden  Seiten  das  herabhängende 
Gewand  in  die  Hosen. 

4)  Dem  mit  Goldblech  wio  bedeckten  Tünch  des  Rezak-s&oSea  entspricht  hier  das 
Muster  Satt  wrlakk ; Menckaddjar  oder  Sckadjarah  heisst  auch  hier  die  mittlere  Sorto, 
und  das  Körnermnstcr  ( Mehabhab)  der  Unterkleider  heisst  beim  Tob  Benggäla ; »Bohnen 
und  Erbsen”  (Ful  tcelimit). 

5)  Jedoch  versteht  sich  von  selbst,  dass  ihnen,  sowie  den  anderen  die  Borten  der  Hosen 
aus  Goldblech  oder  Golddraht,  die  Tarqidahn  (Tarkibak'n)  oder  IJuijl'e  unentbehrlich  sind. 


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173 


schöne  Fussbänder , eigentümliche , breite , kettenartig  zusam- 
mengesetzte, mit  vielen  Diamanten  besetzte  Armbänder  ( Mitraq 
almäs)  und  eine  reiche  Auswahl  von  am  Halse  befestigten  Schmuck- 
sachen. 

ln  verschiedener  Verbindung  kommen  die  Halsbänder  vor,  welche 
Mürijjeh , Lebbah  (mit  Perlen,  Hyacinthsteinen  und  auch  wohl 
Diamanten)  und  cAqde  Lülü  (Perlenschnur)  heissen;  an  zwei  etwa 
3 cM.  breiten  seidenen  Bändern,  worauf  Perlen  und  in  Gold  ein- 
gefasste Diamanten  geheftet  sind,  hängt  das  herzförmige  ' Ambar- 
scAäh  *)  auf  die  Brust  herab.  Während  nun  das  Mehr  oder  Weni- 
ger von  diesen  Kostbarkeiten  den  Grad  der  Beziehung  zum  Braut- 
paare bezeichnet,  unterscheidet  man  gleich  die  Verwandten  als 
solche  an  einem  seltsamen  Ornamente,  das  den  Namen  Qelädah 
trägt;  es  ist  ein  riesiger,  aus  100  echten  Aepfeln  zusammengesetzter 
//Rosenkranz”,  der  vom  Halse  bis  über  die  Kniee  herabreicht.  Da 
in  Täif  viele  Aepfel  wachsen,  giebt  es  Zeiten,  wo  eine  Qelädah 
für  ein  paar  Gulden  zu  haben  ist;  allein  der  Monat  Rabl*  II,  in 
dem  die  Ehen  vorzugsweise  geschlossen  werden,  geht  natürlich  durch 
alle  Jahreszeiten,  und  so  kommt  es  vor,  dass  man  20 — 40  Dollars 
zahlen  muss  um  einen  Aepfelkranz  zu  bekommen,  der  schon  ein- 
oder  zweimal  gedient  hat!  So  gewaltig  ist  die  Herrschaft  des  Her- 
kommens, dass  manche  Frau  in  solchen  Fällen  ihren  Mann  mit 
Schande  bedroht,  wenn  er  sie  durch  das  Fehlen  der  Qelädah  dem 
heimlichen  Spott  ihrer  Bekannten  preisgeben  sollte.  Lieber  als  ohne 
Qelädah  zu  erscheinen,  Hesse  sich  die  blutsverwandte  Hüdh’rah 
den  Genuss  der  ganzen  Festlichkeit  nehmen! 

Mit  mehr  Sorgfalt  als  [sonst  parfümieren  *)  sich  die  Hädh'rät; 


1)  Ursprünglich  (persisch)  'AmbarUcKJh  //Ambrabrunnen”,  bezeichnet  dies  Wort  heut- 
zutage in  Mekka  ein  eisernes  oder  kupfernes  Herz,  in  dessen  Mitte  sich  eine  Hose 
mit  fünf  in  Gold  oingofassten  Diamanten  als  Blättern  befindet;  die  Ausscnseite  des  Her- 
zens ist  mit  einer  Reihe  von  Perlen  besetzt,  und  von  oben  hängen  über  dasselbe  Rei- 
hen von  4 — 5 Perlen  herab. 

2)  Die  Weiber  pflegen  ihre  Gewänder  und  mitunter  auch  den  ganzen  Körper  mit 
brennendem  Alocholz  ('  Udah)  zu  durch  räuchern ; statt  dessen  reiben  sic  sich  auch  ge- 
wisse Körpcrtheile  mit  Aloe-öl  (’ltr  ei-' udah)  ein.  Während  solche  Parfümierung  von  an- 
ständigen Ehefrauen  fasst  täglich  vorgenommen  wird,  dienen  als  feinoro  wohlriechende 
Ocle  zu  gleichem  Zweck  das  ' llr  eUfull  (aus  arabischem  Jasmin),  'Iir  el-kudt  (aus  der 


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174 


ausser  Rosenöl  und  Kädi-öl  benutzen  sie  dazu  »verschnittenes  Aloe-öl” 
(* TJdah  mag  tu  ah) , d.  h.  eine  aus  Aloe-öl,  Zuckerwasser,  Nelken, 
Kardamom,  Limonenkernen  und  Rosenwasser  gekochte  Mischung. 
Mit  dem  ganzen,  jetzt  in  den  Hauptzügen  von  uns  beschriebenen, 
Apparat  sitzen  am  Abend,  der  dem  Ghumrah- tage  folgt,  die  weib- 
lichen Mitglieder  der  Familie  der  Braut  in  einer  oberhalb  des  Ri- 
Aa/i-zimmers  oder  ihm  gegenüber  liegenden,  grossen  Stube,  welche 
zum  »Damensalon”  ( Medjlis  es-sittäf)  eingerichtet  ist.  In  der  Mitte 
des  Salons  sind  Kaffeegeräthe  und  Schüsseln  mit  wohlriechenden 
Mischungen,  auch  Theegeschirr  und  Süssigkeiten  aufgestellt  und 
der  Obhut  einiger  Meqahwijah' 's  (Kaffeeschenkerinnen)  anvertraut. 

Für  diese  Meqahwijah 's  und  für  die  alle  Pausen  mit  ihrem 
Däna-däna  ausfüllenden  Sängerinnen  bringen  sammtliche  Hädk'rät 
Geldgeschenke  mit;  in  feine,  mit  Goldblech  umsaumte  Taschentü- 
cher wickeln  sie  die  Gaben  ein  und  tragen  diese  Mendits  in  der 
Hand , wenn  sie  sich  zum  Hause  der  Braut  begeben.  Etwa  um  zehn 
Uhr  sind  die  meisten  Verwandten  und  Freundinnen  im  Medjlis  es- 
sittät  beisammen;  nur  die  Verwandten  des  Bräutigams  sitzen  noch 
zu  Hause  in  ihrem  Salon,  wo  sie  sich  in  kleinerem  Maassstabe  am 
Däna-däna  ergötzen  und  des  Augenblicks  harren,  wo  der  junge 
Mann  von  seinen  Freunden  abgeholt  wird. 

In  der  Nähe  des  erstgenannten  » Damensalons”  aber  erwartet  die 
Braut  mit  ihrer  Meqej'nah  (Putzeriun)  und  ein  paar  Genossinnen  in 
einem  kleineren  Zimmer  die  Erlösung  von  ihren  Leiden,  denn  auch 
ihr  wiegt  das  Gewand  der  Prinzessinn  schwer,  obgleich  sie  es  nur 
eine  Nacht  im  Leben  tragen  soll.  Auf  eine  eingehende  Beschrei- 
bung ihres  Anzugs  darf  ich  wohl  verzichten,  zumal  sich  im  Bil- 
deratlas eine  Photographie')  desselben  findet;  die  darauf  abgebildete 


ebenfalls  in  Arabien  wachsenden  Kädi-blume;  vergl.  oben,  8.  170,  Anm.),  und  ’-ltr  el- 
tcard  (Rosenöl),  welch  letzteres  sowohl  importiert  als  aus  den  in  der  Nahe  von  Täif 
reichlich  wachsenden  Rosen  destilliert  wird.  Um  dem  Trinkwasser  einen  aromatischen 
Geschmack  zu  verleihen , durchräuohert  man  vor  der  Füllung  die  Krüge  mit  Qo/W-holz 
odor  Muflaia  (Mastix). 

1)  Tafel  XXV.  Es  versteht  sich,  dass  keino  wirkliche  Braut  photographiert  werden 
konnte;  obgleich  »ber  die  Züge  der  Dame  verrathen,  dass  sie  nicht  mehr  Bin! el-brt  ist, 
hat  sie  sich  doch,  was  die  Kleidung  anbctriSt,  gänzlich  wie  eine  jungfräuliche  Braut 
anpntzen  lassen. 


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Toilette  Hesse  sich  zwar  nach  mancher  Seite  hin  noch  vervollkomm- 
nen, aber  die  Vorstellung  würde  nur  wenig  dabei  gewinnen.  Nur 
soviel  sei  gesagt,  dass  ihr  Tu 6 nicht  wie  das  der  Hädh'räl  rus 
dünneren  Zeuge,  sondern  wie  die  Unterkleider,  aus  schwerstem 
Rezah  ')  gemacht  ist;  dass  eine  Art  Ueberwurf  ihr  nur  dazu  am 
Kopfe  befestigt  wird,  um  als  Schaufenster  eines  ganzen  Juwelier- 
ladens von  Ritchah't  (Brochen)  zu  dienen ; dass  ihr  vorne,  und  mitunter 
auch  auf  dem  Rücken,  seidene  Kissen  ( Tachschischah'  s ) angehängt 
werden,  an  die  man  wieder  unzählige  Schmucksachen  aus  Werth- 
metall und  Edelsteinen,  c Ambarschah' s , Rischah's  und  Münzen  an- 
heftet oder  ansteckt.  Kaum  kann  die  Aermstc  sich  fortbewegen, 
ohne  auf  beiden  Seiten  gestützt  zu  werden,  und  die  Hitze  macht 
ihre  Lage  wirklich  peinUch.  Dafür  ist  sie  aber  die  Iieldinn  der 
Nacht! 

Von  etwa  10  Uhr  an  versammeln  sich  allmähUch  die  Freunde  des 
Bräutigams  (' Am ) vor  dessen  Haus , denn  drinnen  finden  alle  kaum 
Platz,  und  sie  kommen  noch  dazu  nicht  allein.  Jeder  bringt  einige 
Lampenträger  mit  Fänüsen  *)  und  Tannürs s)  mit,  den  Bräutigam 
auf  seinem  Zug  durch  die  Stadt  zu  begleiten.  Namentlich  solche 
junge  Leute,  die  wahrscheinlich  demnächst  selbst  heirathen  wer- 
den, bekommen  von  ihren  Vätern  manchmal  ein  paar  hundert 
Lampen  mit,  denn  diese  Höflichkeit  wird  seiner  Zeit  mit  gleicher 
Münze  zurückgezahlt.  Den  Ankommenden  trommeln  jedesmal  die 
Zfr-schläger  entgegen , während  oben  bei  den  Damen  das  Däna-düna 
erklingt,  und  hie  und  da,  wenn  eine  grosse  Zahl  von  Lampen  an- 
rückt , ein  allgemeines  Ghalrafak  s)  hinter  den  Balkons  ertönt.  Nach- 
dem die  Freunde  genug  Kaffee , Thee , Pfeifen  und  Cigaretten  genossen 
haben,  steigt  der  Bräutigam  zum  Weibergemach  hinauf,  um  von 
dort  mit  feierlicher  Eskorte  ( Zifnf)  der  Damen  zur  Treppe  hinab 
begleitet  und  den  Freunden  gleichsam  anvertraut  zu  werden.  Dazu 
singt  die  Meghannijah  mit  ihren  Raddädin  eigene  Lieder,  die  nur 
für  diese  Gelegenheit  passen,  deren  Inhalt  aber  meistens  seltsam 


1)  Vcrgl.  oben  S.  153,  Anm. 

2)  Vcrgl.  oben  S.  163,  Anm. 

3)  Vergl.  oben  S.  62,  Anm.  6 und  138,  Anm.  2,  159,  Anm.  4. 


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mit  dem  blöden,  schüchternen  Aeussem  des  Helden  kontrastiert. 
Dem  Jüngling  werden  im  Gesänge  alle  edlen  Eigenschaften  nach- 
gerühmt, aber,  trotz  seiner  heroischen  Art,  die  mit  seinem  Unter- 
nehmen verbundenen  Gefahren  nicht  verkleinert:  hohe  Berge  habe 
er  zu  übersteigen , breite  Ströme  zu  durchwaten , Blitz  und  Donner 
die  Stirn  zu  bieten,  bis  er  zur  Wohnung  der  Fürstinn  aller  edlen 
Schönen  gelange!  Was  soll  ihm  hindurchhelfen?  Einen  mystischen 
Schutz  wird  ihm  gegen  jede  Gefahr  das  Ridhn l-wät dein  gewähren, 
das  »Wohlgefallen  seiner  Eltern”  an  der  einzugehenden  Verbindung. 
In  dieser  Weise  gestärkt  kommt  der  Knabe,  nachdem  er  sich  von 
den  Damen  verabschiedet,  ins  Erdgeschoss  zurück,  und,  während 
die  Frauen  oben  unaufhörlich  »trillern”,  setzt  sich  unter  Leitung 
einiger  Mebägchir' s der  Zug  zusammen. 

Ganz  vorne  die  Trommelschläger,  darauf  einige  hundert Lampen- 
triiger , dann , vor  dem  Bräutigam , zwei  Leute , deren  jeder  eine 
riesige  Wachskerze  trägt ') , dick  wie  ein  menschlicher  Oberschenkel ; 
auch  sonst  gesellen  sich  aus  dem  Hause  des  Bräutigams  dem  Zuge 
viele  Lampen  bei,  worunter  sogar  von  je  zwei  Männern  getragene 
kristallene  Leuchter  ( Nedjfah'g ).  Dem  Bräutigam  voran  gehen  wei- 
ter nur  noch  der  Recitator  *)  ( Meqn^gid  oder  Munschid)  und  seine 
8 — 4 Helfer  ( hfesaids  oder  Raddäd's),  die  ihm  bei  gewissen  Ab- 
schnitten sekundieren.  Auf  beiden  Seiten  des  cAris  gehen  seine  jüng- 
sten Freunde , bartlose  Knaben , und  nach  hinten  schliessen  sich  die 
übrigen  an.  Bevor  sich  die  Gesellschaft  von  dem  Hause  entfernt, 
sagt  der  Meqatfid,  dem  Bräutigam  zugewandt,  die  Fäffeah  und 
einige  Verse  zum  Preise  der  Ehe  her. 

Gleichviel  in  welchen  Stadttheilen  die  beiden  Wohnungen  des 


X)  Solche  Kerzen  (aus  Bienenwachs,  das  (im  Gegensatz  znr  Schämtet  il-hnl)  Sckanfet 
U-  atal  heisst),  miethet  man  für  einen  Preis,  der  nach  der  Abnahme  des  Gewichts  der- 
selben erst  nachträglich  bestimmt  wird.  Den  Juristen  bietet  diese  Sitte  einen  schwieri- 
gen Casus,  denn  einen  Kauf  kann  man  dies  nicht  nennen,  weil  im  muslimischen 
Kaufverträge  die  Waare  und  der  Preis  genau  bestimmt  sein  müssen,  eine  Mictho  ist  cs 
aber  auch  nicht,  weil  der  Gegenstand  des  Kontrakts  nicht  gebraucht,  sondern  theil- 
weiso  verbraucht  wird!  Die  Mckkaner  halten  sich  bei  dieser  Schwierigkeit  nicht  auf, 
weil  das  kanonische  Gesetz  im  Handelsverkehr  keine  faktische  Geltung  hat. 

8)  Dioscn  Leuten  schenkt  man  für  ihre  Bemühung  ausser  neuen  Obergewändern  wohl 
80 — 50  Dollars. 


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Brautpaares  liegen,  der  Zug  bewegt  sich  in  feierlich  langsamem 
Schritt  durch  alle  Hauptstrassen;  der  Megaffid  recitiert  immerfort 
Lobgedichte  auf  Muharamed,  welche  Recitation  im  Volksmunde 
den  Namen  der  Uamzijjah  trägt , auch  wenn  der  Sänger  sich  nicht 
auf  dieses  berühmte  Loblied  beschränkt,  sondern  auch  die  Burdah 
und  ähnliche  Erzeugnisse  vorträgt.  Nach  je  20 — 30  Schritten,  so- 
wie vor  den  Häusern  vornehmer  Regierungsbeamten  hält  der  Zug 
einen  Augenblick,  der  Meqaggid  und  seine  Helfer  wenden  sich  dem 
"Ans  zu  und  recitieren  mit  besonderem  Nachdruck  etwa  ein  Dut- 
zend Verse.  Einige  Tage  vorher  sind  die  Scheche  der  Stadtviertel, 
die  man  zu  durchwandern  hat,  von  der  Sache  verständigt  und 
reichlich  beschenkt.  Einen  Theil  der  Gabe  behalten  diese  für  sich; 
einiges  Geld  vertheilen  sie  aber  unter  die  »Söhne  des  Quartiers”, 
die  dafür  die  Ordnung  aufrecht  erhalten  und  dem  Zuge  Raum 
verschaffen.  Wenn  die  Schenkung  unterbliebe,  so  wären  die  »Söhne 
des  Viertels”  die  einzigen  Ruhestörer. 

Das  nächste  Ziel  des  Umgangs  ist  das  Bäb  es-sa/äm  ') , das  grosse 
Thor  der  Moschee  im  Mas"a,  durch  welches  die  Pilger  zuerst  ein- 
zutreten pflegen.  Von  den  Lampen  bleiben  solche,  die  Petroleum 
oder  Oel  enthalten,  ausserhalb  des  Heiligthums;  die  anderen  be- 
gleiten die  Festgenossen  in  das  Haram.  Hier  bildet  sich  eine  Dja- 
mffah  (Gemeinde),  um  mit  dem  Bräutigam  das  "Ischä-galät  abzu- 
halten, weil  dies  wegen  der  Ceremonien  des  Abends  aufgeschoben 
wurde.  Manche  sehen  bloss  zu,  weil  sie  ihre  Andacht  bereits  ver- 
richtet haben,  oder  verrichten  dieselbe  hier  in  aller  Eile  für  sich. 
Von  seinen  festlich  gekleideten  Freunden  unterscheidet  sich  der 
Bräutigam  bloss  dadurch,  dass  er  auf  der  Schulter  eine  Seddjädah 
(»Gebetsteppich”)  von  Selimi  (eine  Art  Kaschmir)  trägt;  ist  sein 
Vater  Schriftgelehrter  oder  er  selbst  Student  der  heiligen  Wissen- 
schaft, so  ist  ausserdem  sein  Turban  diesmal  nach  der  Art  der 
‘ Ulamä  gewunden1  2),  d.  h.  das  feine  Sc/täsc/i-zeng  ist  zu  einem  langen , 
% 

1)  Vergl.  den  Grundriss  der  Moschee  im  Iltrrl  Bande. 

2)  Vergl.  über  dio  verschiedene  Windung  der  Turbane,  jo  nach  der  Nation  oder 
dem  Stande,  denen  der  Träger  angehört,  Mekk.  Sprichw.,  S.  41.  Die  Windung  der  Ge- 
lehrten heisst  Mcilarradj,  »stufenartig”. 

II  SS 


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178 


überall  gleich  breiten  Bande  zusammengefaltet  und  dieses  7 — 12 
Mal  um  die  Küßjjah  hemmgelegt,  so  dass  ein  langer  Zipfel  auf 
den  Rücken  herabhängt;  an  gewöhnlichen  Tagen  wäre  solche  Tracht 
für  einen  ganz  jungen  Mann  allzu  ausprachsvoll , ausser  wenn  er  in 
der  Moschee  als  Imäm  zu  fungieren  hätte. 

Ist  das  Qrilä/ , bei  welchem  irgend  Einer  von  den  Anwesenden 
als  Imäm  voransteht,  zu  Ende,  so  finden  sich  Alle  an  dem  Aus- 
gang der  Moschee  wieder  zusammen,  der  dem  Hause  der  Braut 
zunächst  liegt;  der  Zug  stellt  sich  wieder  her  und  schreitet  nun  in 
gleicher  Ordnung  wie  zuvor  nach  jener  Wohnung.  Hier  ist  die  Bar- 
rilliah  ')  durch  Burmak’s  und  Qandi/'s  hell  beleuchtet,  der  Boden 
noch  einmal  mit  Wasser  abgekühlt,  die  Bänke  mit  Teppichen  be- 
legt. Beim  ■ Nahen  des  Zuges  trommeln  die  Z/r-schläger  der  Braut 
mit  denen  des  Bräutigams  um  die  Wette;  die  Sängerinnen  thun 
im  w Damensalon”  ihr  Mögliches,  um  dennoch  gehört  zu  werden, 
und  die  Damen  benutzen  die  wenigen  liirmlosen  Augenblicke,  um 
ihr  gellendes  Ghatrafah  erschallen  zu  lassen.  Auf  den  Bräutigam 
schreiten  aber  die  Mebäschirs  des  Hauses  der  Braut  zu  und  führen 
ihn  feierlich  zu  einer  besonders  geschmückten  Dekkah  in  der  Mitte 
der  anderen.  Vor  ihn  setzt  man  die  beiden  riesigen  Kerzen ; die 
übrige  Beleuchtung  vertheilt  sich  ebenso  wie  die  Personen  des  Zu- 
ges über  den  Platz.  Nachdem  sich  die  Gesellschaft  mit  Kaffee  und 
Sorbet  gelabt  hat,  gehen  die  MebOschir'a  des  Bräutigams  zu  jedem 
Einzelnen  und  bitten  ihn,  er  möge  morgen  »nach  dem  Dluhr  (Mit- 
tag) im  Hause  des  Bräutigams  eine  Tasse  Kaffee  trinken”,  d.  h. 
eine  Mahlzeit  gemessen1);  diese  Einladung  dient  zugleich  als  Signal 
zum  allgemeinen  Aufbruch,  denn  nur  Verwandte  oder  sehr  in- 
time Freunde  des  Bräutigams  leisten  ihm  bis  frühmorgens  Gesell- 
schaft; es  ist  unterdessen  schon  mehr  als  eine  Stunde  seit.  Mitter- 
nacht verflossen. 

Vom  Hause  des  Bräutigams  sind  die  Damen  meistens  schon  vor- 
her auf  kürzerem  Wege  und  in  schnellerem  Schritt  als  der  grosse 


1)  Vcrgl.  oben  S.  154,  168. 
8)  Vcrgl.  oben  S.  137,  140. 


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Zug  hergekommen  und  mit  frohen  Begriissungsliedern  im  Medjlü 
es-sittät  bewillkommnet;  im  entgegengesetzten  Fall  werden  sie  ab- 
geholt, wenn  die  Herrengesellschaft  sich  auflöst.  Die  weiteren  Vor- 
gänge spiegeln  sich  im  Inhalt  der  Lieder  der  Sängerinnen  einiger- 
maasscn  ab. 

Indem  die  Fraut  davon  verständigt  wird , es  nahe  die  Zeit , wo 
man  sie  feierlich  zur  Rikah  begleiten  werde,  hört  man  das  Ghünä 
’l-C/iarii ') , das  Lied  vom  Kopfputzen , worin  weitläufig  erzählt  wird , 
wie  man  damit  beschäftigt  sei,  der  ‘ Arüsah  die  Haare  zu  flechten 
und  zu  schmücken,  obgleich  Alle  wissen,  dass  sie  schon  von  früh- 
morgens an  unter  der  Last  ihrer  vollkommenen  Toilette  seufzt.  Durch 
den  Gesang  wird  aber  bloss  angezeigt,  dass  der  feierliche  Zug  vom 
'/Damensalon”  hinunter  oder  hinüber  zum  Rika/i-anlon  anfangen  soll. 
Während  die  Sängerinnen  hochgestimmte  Loblieder  auf  die  Braut 
ertönen  lassen , begiebt  sich  diese , von  den  Jjädh'rät  eskortiert , 
von  Stufe  zu  Stufe,  fast  getragen  und  nach  jedem  Schritt  einen 
Augenblick  haltend,  nach  ihrem  Thronsaid,  ln  der  Nähe  warten  vor 
der  Thür  dieses  Salons  viele  Mitferredjät  (Zuschauerinnen) , wodurch 
hier  ein  schreckliches  Gedränge  entsteht;  davon  machen  neidische 
Weiber  wohl  einmal  Gebrauch,  die  schon  so  Bedrängte  heimlich 
zu  kneifen  oder  mit  Nadeln  zu  stechen,  damit  ihr  Schreien  die 
Feierlichkeit  störe,  und  Diebinnen  versuchen  häufig,  in  der  allge- 
meinen Verwirrung  etwas  von  den  auf  die  Tachschischah  gehefteten 
Kostbarkeiten  zu  erhaschen ; also  ist  den  Freundinnen  grosse  Wach- 
samkeit anempfohlen.  Endlich  wird  die  Braut  auf  die  glänzend 
beleuchtete  Rikah  gehoben , worauf  sie  trotz  den  seidenen  Kissen , 
die  ihren  Rücken  stützen , nur  mühsam , mit  emporgehobenen  Hän- 
den und  nach  vorne  gestreckten  Füssen  sitzen  kann.  Wie  ein 
formloser  Klotz  sieht  sie  aus,  weder  ihre  Statur  noch  ihr  Antlitz 
kann  man  unterscheiden;  eine  bewegliche  Ausstellung  von  Juwelen 
und  kostbaren  Stoffen.  Rechts  und  links  von  der  Rikah  reihen 
sich  nach  der  Thür  zu  die  Hädl'räl , und  um  diese  herum  bilden 


1)  Charit  heisst  die  Reinigung  des  Kopfes  (bei  den  Weibern)  und  der  Haare  mit 
Wasser,  Seife  und  Wohlgeriichen,  wozu  die  bekannten  Baum  fasern  Llf  als  Schwamm 
gebraucht  werden;  achrut  räsl  „ich  will  meinen  Kopf  waschen  und  putzen.” 


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180 


die  //Zuschauerinnen’’  weitere  Kreise.  Der  Rikah  gegenüber  steht 
ein  Sitz  für  den  Bräutigam,  wozu  heutzutage  gewöhnlich  ein  mit 
einem  Stück  Zeug  belegter  europäischer  Stuhl  dient.  Bevor  aber  die 
»Zuschauerinnen”  eintreten,  trägt  die  Sängerinn  am  Eingang  ein 
passendes  Lied  vor,  in  dem  die  Vorzüge  der  Braut  der  profanen 
Welt  bekannt  gemacht  werden:  sie  sei  die  Tochter  eines  cA/im, 
eines  Sejjid  oder  eines  grossen  Kaufherrn  usw. 

Ein  Mebäschir  hat  unterdessen  dem  ‘Am  einen  Wink  gegeben, 
dass  er  sich  zur  Buchiah  bereit  halte;  eigentlich  soll  Duchlah  die 
erste  Beiwohnung  bezeichnen,  aber  das  junge  Paar  weiss  wohl , dass 
ihm  ganz  andere  Dinge  bevorstehen ! Einige  weiblicho  Verwandten 
gehen  mit  den  Sängerinnen  die  Treppe  hinab,  dem  Bräutigam 
entgegen , und  führen  ihn  an  beiden  Händen  unter  Sang  und  Klang 
in  den  Thronsaal.  Man  kann  sich  denken,  wie  verdutzt  der  nervös 
abgespannte  Jüngling  dasteht:  im  glänzenden,  hell  beleuchteten 
Zimmer  sieht  er  sich  allseitig  von  lächelnden  Weibergesichtern  um- 
geben und  beschaut!  Da  ausser  dem  Knaben  höchstens  ein  paar 
ältere  männliche  Verwandten  der  Braut  dabei  zugegen  sind,  schä- 
men sich  bei  dieser  Gelegenheit  die  Damen  nicht , sich  unverschleiert 
zu  zeigen,  und  sie  belustigen  sich  sogar  an  der  Verlegenheit  des 
Bräutigams,  der  sonst  nur  ihm  verwandte  Weiber  oder  Sklavin- 
nen zu  sehen  gewöhnt  ist  und  nun  auf  einmal  einige  Dutzende  von 
prachtvoll  ausgestatteten  Damen  und  sich  gegenüber  seine  durch 
ihren  Anzug  unkenntlich  gemachte  Braut  erblickt.  Seine  Verwand- 
ten heissen  ihn  sitzen,  und  die  zur  Seite  der  Braut  stehende  Me- 
qefnah  tritt  nun  auf  ihn  zu  und  sagt:  »Schaue  deine  Braut  nur 
»tüchtig  an  *);  besieh  sie  ohne  Scheu!  Erhebe  dich  und  lege  deine 
»Rechte  auf  ihre  Nftqijah s)  (den  Theil  der  Stirn , wo  die  Haare  an- 
»fangent;  so,  nun  recitiere  die  bat' hak  !”  Der  Jüngling  thut’s  und 
empfängt  darauf  aus  der  Hand  der  Putzerinn  sieben  GAawäzi  (die 
dünnsten  Goldmünzen,  die  zum  Schmuck  und  als  Amulete  die- 

1)  Dafür  gebraucht  der  Mckkaner  den  Ausdruck  ^ £.’ü,  d.  b.  »den  Blick  rich- 
ten auf’,  wogegen  »_iLi  und  ^4 i'l  solches  Sehen  und  Besehen  bezeichnen,  wozu  man 
sich  eventuell  der  Sache  nähert. 

8)  Vorgl.  dazu  Ooldziher , Muhammedanischo  Studien  I:  350 — 1. 


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nen);  es  heisst,  in  früherer  Zeiten  habe  der  Bräutigam  die  Mün- 
zen selber  mitgebracht  und  sie  nach  vollendeter  Feierlichkeit  seiner 
Braut  überlassen.  Jetzt  besorgt  aber  die  Meqef  nah  die  Sache  und 
erhält  später  vom  ‘Arie  für  jede  geliehene  Ghäzijjeh  ein  Silberstück. 

»Lege  eine  Ghäzijjeh  auf  die  Stirn  deiner  Braut;  je  eine  auf  die 
»Schläfe,  auf  die  Wangen,  auf  die  Nasenspitze,  auf  das  Kinn”, 
so  fährt  die  Alte  fort;  sie  hat  dem  Knaben  diese  Verrichtung  da- 
durch ermöglicht,  dass  sie  die  sieben  Körpertheile  der  Jungfrau 
mit  einem  weissen  Klebestoff  bestrichen  hat,  der  ihr  Aeusseres 
noch  weniger  anziehend  macht.  Nun  heisst  sie  ihn  die  Münzen  in 
gleicher  Reihenfolge  wieder  abnehmen  und  dann  noch  zweimal  wie- 
der auflegen  und  entfernen.  Diese  jetzt  ganz  bedeutungslose  Cere- 
monie,  die  wohl  als  Rudiment  alter  verschwundener  Sitten  und 
Anschauungen  zu  betrachten  ist , nennt  man  heutzutage  die  Naggah , 
welches  Wort  ursprünglich  die  Erhebung  der  Braut  auf  das  Braut- 
bett ( Managgah ) bezeichnete  *).  Nachdem  der  Jüngling  so  eine 
schreckliche  erste  Viertelstunde  mit  der  von  ihm  zu  erobernden 
Prinzessinn  verbracht,  darf  er  sich  entfernen  und  geht  hinunter  zu 
den  seiner  harrenden  Verwandten  und  Freunden.  Hier  wird  nun 
den  Herren,  und  ebenso  oben  den  Damen,  eine  Ta'limeh  vorge- 
setzt, d.  h.  eine  Abendmahlzeit,  obgleich  sie  gewöhnlich  erst  nahe 
dem  Tnrhim !)  stattfindet.  Die  Meisten  empfinden  aber  lebhafter 
ein  Bediirfniss  nach  Schlafen  als  nach  Essen,  und  die  Speisen,  die 
hierfür  als  herkömmlich  gelten,  sind  nicht  gerade  dazu  angethan, 
den  Appetit  zu  erregen:  zwiebackartiges  Brot,  das  vor  dem  Ba- 
cken mit  Mohn  und  aromatischem  Samen  bestreut  ist  und  je  nach 
der  Form  die  Namen  Scherek 3)  oder  Succhänah  trägt , dazu  in 
Zucker  eingemachte  Früchte  ( Dubbah , Aepfel,  Quitten)  oder  Käse 
mit  Oliven!  Man  isst  ein  wenig,  weil  es  Sitte  ist,  trinkt  einen 
Schluck  Wasser,  und  die  Gesellschaften  gehen  auseinander;  der 
Bräutigam  und  seine  Verwandten  kehren  gleich  heim. 

1)  Die  Rikak  ist  also  an  die  Stelle  der  Manacjah  (vorgl.  die  altarab.  Wörterbücher, 
auch  das  A*tu  al-Ralagkak  s.  v.)  getreten,  das  falsche  Brautsbett  an  die  Stelle  des  wah- 
ren, wie  dio  sogenannte  Duckiah  in  eine  reine  Komödie  ausgeartet  ist. 

2)  Vcrgl.  oben  S.  86. 

3)  VergL  Lanc,  Mannors  and  Customs,  und  Dozy , Supplement,  i.  v. 


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Kaum  hat  sich  die  Braut  etwas  leichter  angezogen,  da  steht 
schon  ein  von  zwei  Mauleseln  getragener  Tacht ')  vor  ihrer  Thür, 
der  vom  Bräutigam  gemiethet  und  mit  kostbaren  Teppichen  über- 
deckt ist,  um  sie  abzuholen.  Ein  paar  von  ihren  Verwandten  stei- 
gen mit  ihr  ein,  und  in  Begleitung  von  Dienern  geht  es  nun  ganz 
langsam  und  feierlich  ungefähr  denselben  Weg,  den  der  Zug  des 
Bräutigams  in  der  Nacht  durchschritt;  nur  fehlt  hier  gänzlich  der 
Lärm,  der  jenen  umtönte.  In  seiner  Wohnung  komt  ihr  der  cAris 
entgegen  und  führt  sie  in  ein  Gemach,  wo  Beiden  das  Frühstück 
bereitet  ist;  dies  Fatür  besteht  hauptsächlich  aus  Zaläbijah'1)  mit 
gestossenem  Zucker  oder  gekochtem  Zuckerwasser  ( Schirah ).  Zur 
genaueren  gegenseitigen  Bekanntschaft  trägt  dies  eheliche  Frühstück 
in  der  Regel  nur  wenig  bei.  Nach  der  verflossenen  Nacht  wird 
der  jetzt  eben  angebrochene  Tag,  weil  er  dazu  gehört,  der  Duc/i- 
lah- tag  genannt;  obgleich  er  dem  Hause  des  Bräutigams  viel  Mühe 
und  Bewegung  bringt,  bietet  er  dem  ermüdeten  Brautspaar  selbst 
Gelegenheit,  sich  durch  den  Schlaf  von  den  Strapazen  der  Nacht 
ein  wenig  zu  erholen;  sie  benutzen  dieselbe  jeder  für  sich. 

Vormittags  werden  mehrere  Salons  im  eigenen  und  in  benach- 
barten Häusern  für  den  Empfang  der  zahllosen , am  vorigen  Abend 
//zu  einer  Tasse  Kaffee”  eingeladenen  Gäste  in  Bereitschaft  gesetzt. 
In  der  Gasse  brennen  einige  Holzfeuer,  auf  denen  in  grossen  Kes- 
seln der  vorzüglichste  Zaräbijän  3)  gekocht  wird.  Als  Zukost  nimmt 
man  gewöhnlich,  ausser  allerhand  Obst , Mesc/iabbak  '),  Sambüsak  *), 
Falüdah  *)  und  Fanni , welch  Letzteres  ebenso  wie  die  Falüdah  aus 
Stärke  oder  Agar-agar  mit  Rosenwasser,  Kardamom  usw.,  aber 
mit  Hinzufügung  süsser  Milch,  gemacht  wird.  In  der  Stunde,  die 
dem  Mittag  folgt,  kommen  immerfort  neue  Gäste  heran  und  wer- 
den von  den  Mebäschir s über  die  verschiedenen  Medjä/is  ver- 
theilt. In  einem  oder  zwei  von  diesen  Salons  wird  vor  dem  Es- 
sen das  Mblid 5)  mit  Zubehör  vorgetragen;  man  bezeichnet  denn 


1)  Vergl.  über  diese  Tragacssel  für  Weiber  oben  S.  15S. 

2)  Vergl.  oben  S.  143. 

3)  Vergl.  über  die  Zusammensetzung  dieses  Reis-  and  Fleischgerichts  oben  S.  140,  Anm. 

4)  Vergl.  Mokk.  Sprich».,  i.  vv.  5)  Vergl.  oben  S.  147. 


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auch  das  Festmahl  des  Duehlah-tages  wohl  als  ein  Mülid.  Ei- 
gentlich ist  von  allen  Hochzeitsfestlichkeiten  dies  Mölid  die  ein- 
zige, die  in  den  Gesetzbüchern  als  Walimat  al-urs,  und  zwar  mit 
mehr  Nachdruck  als  andere  Walimah's,  anempfohlen  wird,  und  bei 
der  zweiten  oder  späteren  Ehen  findet  vielfach  nur  diese  Mahlzeit 
statt,  zu  der  dann  bloss  eine  beschränkte  Zahl  von  Freunden  ein- 
geladen zu  werden  braucht.  Bei  der  Verheirathung  eines  Jünglings 
mit  einer  Jungfrau  werden  dagegen  manchmal  3 — 4 Tage  nach 
einander  solche  Mölid’a  veranstaltet;  weil  aber  die  arabische  Sitte 
keineswegs  die  Anwesenheit  der  Gastgeber  beim  Festessen  erfordert , 
können  der  Bräutigam  und  seine  Verwandten  sich  darauf  beschrän- 
ken, jedesmal,  wenn  die  Gäste  heimkehren,  einen  Platz  vor  der 
Hausthür  einzunehmen. 

Wenn  das  Essen  zu  Ende  ist,  gehen  die  Gäste  durch  die  Vor- 
halle , wo  ihnen  mehrere  Diener  mit  Waschbecken , Wasserkannen , 
Seife  und  über  die  Schultern  gelegten  Handtüchern  aufwarten; 
nach  vollzogener  Reinigung  finden  sie  vor  der  Thür  zwei  Mebä- 
achira,  die  ihnen  ein  dampfendes  Weihrauchbecken  Vorhalten  und 
ihnen  die  Hände  mit  Rosen  wasser  besprengen.  Ausserhalb  der  Thür 
sitzt  aber  der  Bräutigam  auf  einem  geschmückten  Stuhl , und  neben 
ihm  stehen  oder  sitzen  seine  Verwandten  in  der  Reihenfolge  des 
Alters  und  des  Verwandtschaftsgrades.  Alle  erheben  sich , um  den 
Segensspruch : bäräk  wetabärak\  von  den  heimkehrenden  Gästen 
entgegenzunehmen  und  mit  feierlichem:  Rabbanä  jebärik  fikum 
weachakar  Allah  matfäkum , ah  Ina  wesahlan  jä  marhabä\  ‘)  zu  be- 
antworten. 

Am  Abend  des  Duehlah-tages  geht  vom  Hause  der  Braut  der 
Aufzug  einiger  hundert  Packträger  aus,  die  unter  Aufsicht  der 
etwa  10 — 15  ihrerseits  angestellten  '/Vertrauensmänner”  ( Umanü ) 
die  Aussteuer,  d.  h.  die,  für  den  Mahr  gekauften  und  eventuell 
noch  von  den  Eltern  dazu  geschenkten , Hausgeräthe  aller  Art  nach 


1)  »Unser  Herr  segne  euch,  Allah  lohne  eure  Bemühung,  usw.”  Die  letzte  Formel 
lasst  sich  nicht  übersetzen,  da  sie  im  Altarabischen  das  „Willkommen !"  bezeichnet , heut- 
zutage in  Mekka  aber  nur  heimkehrondon  Besuchern  nachgcrnfcn  wird.  Akla »!  allein 
sagt  der  Mekkaner  allerdings  auch  wohl  bei  der  Begrüssuug. 


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dem  Hause  des  jungen  Gatten  überbringen  ').  Irdenes,  hölzernes 
und  eisernes  Geschirr,  Teppiche,  Wasserpfeifen,  Porzellanwaaren , 
einige  von  den  seltsamen , nichtsnutzigen  Qagaba/i’s J),  die  man  an 
die  Wand  aufhängt,  kurz  Alles,  was  zum  täglichen  Gebrauch  und 
zum  Schmuck  des  Hauses  dient,  wird,  auf  möglichst  viele  Träger 
vcrtheilt,  in  lächerlich  pomphafter  Weise  durch  die  Hauptstrassen 
heru  rage  tragen.  Im  Hause  des  Ehepaars  erhalten  die  Träger  ihren 
Lohn,  die  t Vertrauensmänner”  aber  werden  mit  Kaffee  bewirthet, 
bekommen  je  ’/a  Pfund  Kandis  mit  nach  Hause  und  werden  beim 
Hinausgehen  mit  Rosenwasscr  besprengt  und  mit  Weihrauch  be- 
räuchert. 

Der  Sonnenuntergang  dieses  Tages  eröffnet  die  Nacht  der  Qabfiah , 
worin  eine  viel  weniger  feierliche,  aber  sehr  viel  ernstere  Wieder- 
holung der  Begegnung  des  Brautpaares  in  der  Duchlah-nacht  statt- 
findet. Auch  jetzt  wird  die  Braut  geschmückt,  aber  so,  dass  sie 
sich  selbst  ihres  Schmucks  erfreuen  kann.  Die  Kleider  dienen  nun, 
ihre  Reize  möglichst  hervortreten  zu  lassen;  den  Kopf  ziert  anstatt 
des  schwerbeladenen  Ueberwurfs  ein  hübscher  Kranz  von  Jasmin 
{Full),  der  Ta  mir  ei  er-rä» 3)  genannt  wird. 

In  einem  eigens  dazu  eingerichteten  Salon  ist  ihr  auch  jetzt  ein 
erhabener  Sitz  bereitet,  dem  gegenüber  ein  kleineres  Gestell  für 
den  Bräutigam  steht;  diese  Möbeln  sind  diesmal  fein , aber  einfach 
ausgestattet.  Dem  ganzen  Tone  entsprechen  die  Toiletten  der  auch 
nun  wieder  eingeladenen  Häd/Trät ; sie  sind  leichter  und  weniger 
Schautischen  ähnlich  als  in  der  verflossenen  Nacht.  Hädh'rfit  und 
Mitferredjät  kommen  am  Abend  der  Qabhah  schon  ein  paar  Stun- 
den nach  Sonnenuntergang,  denn  man  will  jetzt  nicht,  wie  bei 
der  üuchlah,  dem  Brautpaar  alle  Ruhe  nehmen,  sondern  ihm  viel- 
mehr die  glücklichste  Nacht  bereiten. 

Feierlich  wie  das  erste  Mal,, aber  sehr  viel  früher,  wird  nun 
die  Braut  mit  der  ganzen  Weiberschaar  und  mit  ähnlichem  Ge- 

1)  Das  Nähere  über  diesen  Aufzug  findet  man  Mekk.  Sprichw.,  S.  105  fl.  Sowohl  die 
ganze  Aussteuer  als  der  Aufzug,  in  dem  dieselbe  hinübergebracht  wird,  heisst  Dabanck. 

8)  Vergl.  Tafel  XXXIX,  N".  8. 

3)  Tamirah  wird  sonst  im  Sprachgebrauch  fast  ausschliesslich  von  einer  »Füllung” 
der  Sckackak  (Wasserpfeife)  gesagt. 


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sänge  wie  gestern,  in  den  Salon  geführt  und  auf  die  Bank  geho- 
ben ; ähnlich  wie  das  erste  Mal , aber  jetzt  im  eigenen  Hause  führt 
man  den  Bräutigam  zu  ihr  ein,  und  während  die  Sängerinnen  ei- 
nen Augenblick  schweigen,  setzt  er  sich  der  'Ariisah  gegenüber  und 
"besieht”  sie  unter  den  günstigsten  Verhältnissen.  Auch  jetzt  legt 
er  seine  Hand  auf  ihre  Stirn  und  recitiert  die  Füt'hah,  jedoch 
ohne  das  Spiel  mit  den  Ghamäzi.  Nach  einer  angenehmen,  immer- 
hin durch  die  Anwesenheit  der  Hädh'rät  und  "Zuschauerinnen” 
etwas  getrübten,  Viertelstunde,  geht  er  hinaus  und  zieht  sich  in 
sein  Garderobe  zurück ; zugleich  begleitet  die  Meqefnah  die  Braut 
in  das  ihrige.  Beide  kleiden  sich  in  die  leichtesten  Gewänder  und 
begeben  sich,  nachdem  von  den  Damen  nur  noch  die  nächsten 
Verwandten  der  Braut,  vorzüglich  ihre  Mutter,  die  Ghäb'rah  '), 
dageblieben  sind , in  das  Schlafgemach , das  man  ihnen  hergerichtet 
hat.  Während  der  Vorbereitung  singen  die  Sängerinnen  lüsterne 
Däna-däna-lieder.  Unter  der  Nämfmjjeh 1  2 3)  liegt  ein  schönes , seide- 
nes Polster,  mit  ein  paar  Kopfkissen  und  einer  feinen  Decke  be- 
legt; unmittelbar  auf  dein  Polster  befindet  sich  ein  von  der 
Ghäb'rah  dahingelegtes  geplättetes  und  gestärktes  Tüchelchen  zur 
Aufnahme  der  farbigen  Beweise  der  Jungfernschaft  ihrer  Tochter. 
Die  Mekkaner  behaupten,  es  werde  manchmal  die  verlorene  Jung- 
fräulichkeit durch  die  Künste  der  Hebamme  gewissermaassen  wie- 
derhergestellt. 

Ungestört  lässt  man  das  junge  Paar  die  Nacht  verbringen  ’);  so- 
bald dasselbe  sich  aber  in  das  Gel  el-mä  begeben  hat,  um  sich 
zu  baden,  eilt  die  Mutter  der  Braut  zum  Ehebett,  nimmt  das 
blutbefleckte.  Scherschef  auf  und  zeigt  dasselbe  den  Damen,  die 


1)  Vergl.  Mokk.  Sprich».  L v. 

8)  Vergl.  oben  S.  68. 

3)  Hujtis  tomporia  Arabos  urbani  coitum,  in  quantum  posaunt,  inclinatis  genibu« 
intcr  crures  mulieris  tedratei  excrccre  solent,  itaque  qu&mquam  Takle  propensi,  muliori 
tarnen  non  prorsns  incumbunt.  Indo  dio  Veneris  dicunt:  a-L-JJ'  OA«),  sedi  hanc  noc- 
tem , i.  e.  secutus  »um  morem  majoruni  hanc  noctem  in  coitu  degondi.  Hoc  jnm  antiqui- 
tus  ita  fuisse,  patet  e.  g.  ex  IA  II:  488  ubi  testis  in  quacstione  adulterii  pro  üinaro 

O „ 

Chalifa  dcclarat:  ) Uh# 

II  24 


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186 


dort  übernachtet  haben;  mit  gehörigem  Ghatrafah  begrüssen  Alle 
die  Fahne  der  Keuschheit! 

In  schönem  Anzuge  setzen  sich  die  Eheleute  zum  gemeinschaft- 
lichen Frühstück;  wenn  sie  gesättigt  sind,  überreicht  aber  der 
Mann  seiner  jungen  Frau  die  Qabhah  oder  Tagbthah  (wörtlich: 
Morgengabe),  nach  welcher  die  verflossene  Nacht  und  der  anbre- 
chende Tag  genannt  werden.  Bald  dient  als  Qab/ta/i  ein  Päckchen 
feinsten  Kleiderstoffs  (z.  B.  llezah  oder  ein  anderes  indisches  Zeug, 
Zamindär  genannt),  bald  ein  Siegelring  mit  Diamanten  oder  was 
die  Verhältnisse  gestatten.  Der  Frau  liegt  viel  an  einer  kostbaren 
Qab&ah , denn  danach  messen  ihre  Freundinnen  den  Grad  der  Zu- 
neigung ihres  Mannes  ab:  »er  hat  seiner  Braut  dies  und  das  zur 
Qabhah  gegeben” ')  heisst  es  von  Mund  zu  Mund  durch  die  ganze 
Stadt. 

Im  Gesetze  heisst  es,  der  Mann  solle  mit  einer  neuen  Gattin 
drei  Tage  nach  einander  zubringen;  war  die  Gattinn  Jungfrau,  so 
müsse  er  ihr  sieben  Tage  widmen.  Aus  dieser  Bestimmung  nehmen 
die  Damen  Anlass,  den  siebten  Tag  ( Nahär  es-säbC)  wieder  zum 
Festtage  zu  machen.  Von  etwa  9 Uhr  Morgens  bis  Abends  nach 
dem  "Lschä  empfängt  die  Braut  Besuch  von  den  Damen,  die  als 
Häd/irät  ihrer  Hochzeit  Glanz  verliehen;  zum  »siebten  Tag”  legen 
sie  aber  nicht  wieder  ihre  vorhin  beschriebene  Uniform,  sondern 
ihre  besten  Kleider  an,  wie  zu  anderen  Gesellschaften.  Da  es  also 
nichts  zu  besehen  giebt,  kommen  keine  »Zuschauerinnen”;  dage- 
gen fehlen  die  guten  Speisen  nicht,  die  Kaffeetassen  und  Thee- 
gläser  gehen  abwechselnd  herum , und  die  Pfeifen  werden  fort- 
während von  Sklavinnen  neu  gefüllt.  Hie  und  da  klingt  auch  das 
Däna-däna  durch  den  Salon , gewöhnlich  aber  nur  aus  dem  Munde 
kundiger  Dilettanten,  weil  keine  gemietheten  Sängerinnen  da  sind. 

Wenn  man  beachtet,  dass  die  hiemit  zu  Ende  geführte  Be- 
schreibung die  gewöhnlichen  Eheschliessungen  im  Umriss  darstellt, 
während  reiche  Leute  sich  noch  durch  vielerlei  andere  Arten  der 


1)  rMähkd  !«■.. . VcrgL  Mekk.  Sprich® .,  8.  52  die  Redensart:  »er  giebt  seiner  Frau 
täglich  Metabbaq  zum  Frühstück.” 


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187 


Verschwendung  als  solche  bethiitigen , so  kann  es  nicht  Wunder 
nehmen,  dass  mancher  Hausstand  durch  die  Feste,  welche  das 
Herkommen  erfordert , zum  Bankerott  geführt  wird.  So  viele  Schul- 
den schon  auf  den  Mekkaner  lasten  mögen,  er  schliesst  lieber  neue 
Anleihen,  als  dass  er  auf  einen  Theil  jener  kostbaren  Festlichkei- 
ten verzichten  sollte.  Und  wäre  auch  ein  Einzelner  vernünftig  ge- 
nug, in  dieser  Hinsicht  bessere  Wege  zu  betreten,  so  würden  ihn 
seine  Verwandten,  namentlich  die  Weiber,  doch  daran  verhindern. 

Aus  unserer  früheren  Auseinandersetzung  kann  man  entnehmen, 
dass  die  fast  lächerlich  pomphafte  Einleitung  der  Ehe  eines  jungen 
Paares  zur  wirklichen  Bedeutung  dieser  Verbindung  für  das  Leben 
allzuwenig  stimmt.  Was  nützen  dem  jungen  Mädchen  die  Lobge- 
dichte, die  ihr  einmal  im  Leben  aus  dem  Munde  der  Sangerinn 
en tgegen tönen , sie  aber  in  eine  Gesellschaft  einführen,  von  der  sie  i 
mit  ihrem  ganzen  Geschlechte  verachtet  wird?  Die  muslimische 
Litteratur  enthält  zwar  vereinzelte  Ansätze  zu  einer  richtigen  Wür- 
digung der  Frau,  aber  die  später  immer  mehr  zur  Geltung  ge- 
langte Ansicht  findet  doch  ihren  Ausdruck  nur  in  den  heiligen 
Traditionen,  welche  die  Hölle  als  voll  von  Weibern  darstellen  und 
dem  Weibe,  von  seltenen  Ausnahmen  abgesehen,  Vernunft  und 
Religion  absprechen;  in  Gedichten,  die  alles  Uebel  in  der  Welt 
schliesslich  auf  die  Frau  zurückführen;  in  Sprichwörtern,  die  eine 
sorgfältige  Erziehung  von  Mädchen  als  reine  Verschwendung  hin- 
stellen. So  bleiben  der  Frau  nur  die  Reize,  mit  denen  Allah  sie 
ausgestattet  hat,  um  dem  Manne  im  irdischen  Dasein  ab  und  zu 
den  Vorgeschmack  paradiesischen  Genusses  zu  schenken  und  ihm 
Kinder  zu  gebären. 

Indem  nun  der  in  solchen  Anschauungen  erzogene  Jüngling  den 
Verkehr  mit  seiner  Gattinn  ')  von  vorne  herein  fast  nur  als  Spiel 


1 

\ 


1)  Beiläufig  sei  liier  erwähnt,  dass  der  Ausdruck  q'L  ^-ix  jji  in  Mekka 

dermaassen  Torherrscht,  dass  sogar  mekkanischc  Gelehrte  dadurch  beeinflusst  werden. 
Der  gelehrte  Scjjid  Bekri  sagt  in  seiner  Iiinat  aMlüm  IV:  119,  wo  von  den  Gründen 
die  Rede  ist,  aus  denen  der  Mutter  das  Recht,  ihre  Kinder  zu  erziehen,  genommen 

werden  kann:  Kjbnl*  L<j  ^ O*  i_s'l  -bgCijj 


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188 


betrachtet,  entwickelt  sich  ausserdem  sein  zur  Zeit  der  Eheschlies- 
sung noch  unreifer  Geschmack  in  neuer  Richtung , die  eine  baldige 
Lösung  des  Bandes,  oder  doch,  wo  Eamilienverhältnisse  dies  ver- 
hindern, eine  nicht  weniger  schlimme  gegenseitige  Entfremdung 
der  Eheleute  herbeiführt.  Wenn  der  Mann  sich  nicht  der  Knaben- 
liebe  hingiebt,  so  werden  ihm  bald  die  Vorzüge  des  Konkubinats 
mit  einer  Sklavinn  klar,  und  die  Freie  darf  sich  dann  in  moralischer 
und  materieller  Beziehung  ihres  Glücks  rühmen,  wenn  sie  Kinder 
zu  erziehen  hat.  Geht  sie  nicht  sittlich  zu  Grunde  (was  allzu  oft 
der  Fall),  so  findet  sie  später  in  ihren  Kindern  eine  nie  versagende 
Stütze  und  Zuflucht. 

Es  erübrigt  uns  noch,  die  mekkanischen  Bräuche  bei  einem 
Todesfall  zu  beschreiben.  Gleich  nach  dem  Tode  holt  man  die  Lei- 
chenwäscher oder  -Wäscherinnen,  je  nachdem  ein  Mann  oder  ein 
Weib  gestorben  ist;  die  Waschung  verrichten  sie  ganz  nach  den 
gesetzlichen  Vorschriften,  deren  Behandlung  hier  nicht  am  Platze 
wäre.  Unterdessen  werden  die  Nachbarn  und  dann  auch  der  wei- 
tere Kreis  der  Bekannten  vom  Hinscheiden  des  Betreffenden  durch 
fortwährendes,  lautes  Schreien  ( Qijrih ) der  im  Hause  befindlichen 
Weiber  verständigt.  Klagefrauen , die  für  Geld  weinen  oder  Trauer- 
lieder singen,  giebt  es  in  Mekka  nicht;  die  Weiber  der  Familie 
unterbrechen  ihr  gellendes  Weinen  und  Schluchzen  mit  Ausrufen 
zum  Lobe  des  Verstorbenen:  »O  du,  mein  Sohn  (bez.  Gatte, 
Bruder)”,  heisst  es,  »der  du  mich  das  Haddj  und  die  Zijärah 
»machen  liessest,  der  du  mir  schöne  Kleider  gabst,  o du  mein 
//Lebensodem,  mein  Auge,  mein  Kameel  (Träger  meiner  Last) 
usw.”  »Wo  ist  der  Qijäh  ?”  fragt  ein  Nachbar  den  Andern.  »Im 
Hause  des  N.  N.”  »Also  ist  er  (oder  sein  kranker  Bruder,  seine 
Frau  usw.)  gestorben.”  Schnell  verbreitet  sich  das  Gerücht  und 
wissen  also  die  Freunde , dass  sie  sich  in  ein  paar  Stunden  zur 
Theilnahme  an  der  Bestattung  vorbereiten  müssen.  Man  wartet  dazu 


syJLß  Jaä—i'  bis  ^ ö-äUt  An  einigen  anderen  Stellen 

giebt  der  Verfasser  sogar  zu  den  Worten  seines  Textes:  u Xi  die  Anmerkung:^! 
AmJLc.  Gegen  Landberg,  Critica,  I:  76. 


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189 


in  der  Nähe  der  Wohnung,  bis  die  Leiche  herausgetragen  wird, 
oder  man  begiebt  sich  gleich  in  die  Moschee,  weil  der  eigentliche 
Leichenzug  sich  erst  dort  zusammensetzt ; Einige  schliessen  sich  noch 
später  unterwegs  an.  Das  Qalät  für  den  Todten  (dessen  eigenthiim- 
licher  Ritus  in  den  Gesetzbüchern  beschrieben  wird)  kann  im  All- 
gemeinen sowohl  zu  Hause  als  in  einer  Moschee  oder  sonst  irgendwo 
abgehalten  werden.  In  Mekka  hält  man  es  fast  ausnahmslos  in  der 
Moschee,  und  zwar  nachdem  man  die  Leiche  in  der  Nähe  der 
Kacbah  niedergesetzt  hat.  AzraqT ')  bezeugt  das  hohe  Alter  der  Sitte , 
die  Leichen  zum  Todes^alät  in  die  Moschee  zu  bringen,  die  aber 
zu  seiner  Zeit  nicht  mehr  in  Geltung  gewesen  zu  sein  scheint; 
der  berühmte  hanafitische  Qädhi  Qutb  ed-din , der  gegen  Endo  des 
10tcn  Jahrhunderts  der  Hidjrah'eine  Chronik  der  Stadt  Mekka  schrieb, 
erwähnt  die  Sitte  als  eine  damals  allgemein  übliche,  die  von  den 
Schäfi'iten  als  eiupfeh  lens werth , von  den  Hanafiten  dagegen  als  ver- 
boten betrachtet  wurde,  und  er  rühmt  sich  der  glücklichen  Auffin- 
dung einer  Stelle,  welche  »diesen  bedeutenden  Vorzug”  auch  den 
ßekennern  seines  Ritus  erreichbar  machte,  als  eines  unsterblichen 
Verdienstes  *).  Sein  auf  jene  Stelle  gegründetes  Gutachten  hob  nun 
alle  Bedenken  gegen  die  Verunreinigung  des  Heiligthums  auf.  Auch 
nach  dem  Begräbniss  und  an  jedem  beliebigen  Orte  kann  zu  jeder 
Zeit  das  Leichen<?alät  verrichtet  werden,  sogar  an  mehr  als  einem 
Orte  wegen  eines  und  desselben  Todesfalles.  Daher  haben  in  Mekka 
Ansässige  die  Gewohnheit,  wenn  sie  die  Nachricht  vom  Tode  eines 
fernen  Verwandten  erreicht,  mit  ihren  Freunden  zu  Hause  oder  in 
der  Moschee  das  »Qalät  für  den  abwesenden  Todten”  zu  halten, 
und  wer  es  besonders  feierlich  machen  will,  giebt  wohl  einem 
Moscheebeamten,  z.  B.  einem  Imam,  ein  Geschenk,  damit  er  diese 
Feierlichkeit  im  Haram  leite l) *  3). 

Sobald  das  Qalät  zu  Ende  ist , bilden  die  Meisten , die  sich  daran 
betheiligten,  den  Leichenzug.  Voran  geht  die  Bahre,  von  etwa 


l)  CM  I:  881. 

8)  CM  UI:  808—9. 

3)  Wegen  des  Todes  des  Sultan  Qäitbcy  wurde  »in  den  drei  Moscheen”  (von  Mokka, 
Medina  und  Jerusalem)  das  (jaUtt  al-ghäib  verrichtet  CM.  IU;  237. 


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190 


10 — 16  Männern  getragen;  ihr  folgen  die  Verwandten,  je  einer 
hinter  dem  andern;  dann  kommen  die  Freunde  in  breiten,  unre- 
gelmässigen Reihen.  Unablässig  leiern  Alle  religiöse  Formeln  ab, 
über  welche  das  stets  wiederholte  lä  iläha  illä  ’lliih  hinaustönt. 
Wo  der  Zug  vorbeikommt,  erheben  sich  die  Verkäufer  in  ihren 
Buden  und  Leute,  die  vor  ihrer  Wohnung  oder  in  Kaffeehäusern 
sitzen,  und  machen  ihre  Nachbarn  aufmerksam  durch  den  Ruf: 
»Bezeuget  die  Einheit  Allah’s!”  {wahhidü  ’llfih),  worauf  Alle  mit 
lä  iläha  illä  ’lläh  einstimmen.  Die  dem  Zuge  begegnen,  setzen  die 
Schulter  mit  gleichem  Ausrufe  unter  die  Bahre  und  gehen  etwa 
zwanzig  Schritt  als  Träger  mit,  sodass  die  Träger  fortwährend  wech- 
seln. Dan  wenden  sie  sich  um,  küssen  jedem  Verwandten  des  Ver- 
storbenen die  rechte  Schulter  und  sprechen  die  übliche  Beileidsformel. 

Jedes  Uebel,  das  den  Gläubigen  auf  Erden  trifft,  wird  ihm 
nach  islamischer  Lehre  im  Jenseits  wie  ein  frommes  Werk  belohnt, 
wenn  er  es  ohne  Murren  trägt.  Besucht  der  Muslim  einen  erkrank- 
ten Freund,  so  tröstet  er  ihn,  nach  der  Einleitung:  »Kein  Uebel 
über  dich !”  {lä  hä * ea/eik) , mit  der  Sicherheit  des  grossen  Adjr 
(Himmelslohns),  welches  ihm  sein  Leiden  eintragen  wird.  So  ist 
denn  auch  die  gesetzlich  bestimmte  Beileidsformel:  »Allah  mache 
deinen  Lohn  gross!”  dem  man  allerdings  häufig  die  Worte:  »Allah 
ersetze  dir  das  Verlorene  durch  Gutes !”  hinzufügt  ‘).  Darauf  ant- 
wortet man:  »Allah  lohne  euch  mit  Gutem!”1). 

Sobald  der  Zug  auf  dem  Ma'lä  angelangt  ist,  wird  die  Leiche 
ohne  weitere  Ceremonien  in  die  Grube  hinabgelassen.  Ein  Verwandter 
des  Verstorbenen  hat  vom  Markte  einen  grossen,  mit  Broten  gefüll- 
ten Korb  {Miktal , d.  h.  ein  grosses,  rundes  Zembil)  mitgebracht  und 
vertheilt  den  Inhalt  über  die  auf  dem  Friedhof  anwesenden  be- 
dürftigen Faqihs  und  sonstige  Arme,  worauf  die  Fäqlhs  im  Na- 
men des  Todten  ein  Stückchen  Qurän  vortragen.  Die  Vorberei- 


1)  jjjt  lautet  im  Munde  der  Mckkaner  gewöhnlich:  ’azzam  Alhih  adjrak 

oder  bloss:  ‘azzam  adjrak-,  die  anderen  Formeln,  welche  auch  wohl  anstatt  der  erste- 
ren  gebraucht  werden,  sind  jieklif  eher  oder  jintzucidh  eher,  in  der  Regel  ohne  Erwäh- 
nung von  Ailah’B  Namen. 

3)  Djazttkam  Allah  cht'r. 


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191 


tung  des  Gestorbenen  auf  die  im  Grabe  von  zwei  Engeln  anzu- 
stellende Prüfung  seines  Glaubens,  das  Talqin,  besorgt  ein  damit 
beauftragter  Mann , sobald  die  Leute  den  Friedhof  verlassen  haben. 
Nahe  dem  Eingang  desselben  stellen  sich  aber  die  Verwandten  nach 
der  Reihenfolge  des  Alters  auf,  um  die  allgemeine  Beileidsbezeu- 
gung entgegenzunehmen.  Alle,  die  sich  am  Begriibniss betheiligten , 
küssen  im  Hinausgehen  jedem  von  ihnen  die  rechte  Schulter,  wobei 
die  bereits  erwähnten  Formeln  ausgetauscht  werden.  Weil  nun  aber 
immer  viele  Bekannte  erst  später  von  dem  Todesfall  hören  oder 
sonst  verhindert  werden , sich  dem  Zuge  anzusch Hessen , stellen  sich 
bei  der  Rückkehr  die  Trauernden  vor  dem  Sterbehause  abermals 
zur  Kondolation  auf,  und  nachdem  auch  diese  entgegengenommen 
ist,  gehen  die  Männer  ihren  gewohnten  Beschäftigungen  nach  mit 
der  stillen  Fügung  in  Allahs  Willen,  die  der  Muslim  zu  seinen 
höchsten  Pflichten  rechnet. 

Zwar  veranstaltet  man  noch  während  einiger  Tage  Feierlichkei- 
ten, deren  rein  religiöse  Natur  jeden  profanen  Lärm  ausschliesst , 
aber  diese  haben  weder  innerlich  noch  formell  etwas  mit  Trauer 
zu  thun;  sie  dienen  lediglich  dazu,  dem  geliebten  Todten  einige 
fromme  Werke  nachzusenden , damit  ihm  die  '/Prüfungen  des  Gra- 
bes” und  die  Aussicht  auf  den  jüngsten  Tag  erträglicher  werden. 
Früher  haben  wir  schon  hervorgehoben,  dass  zur  Vermehrung  des 
Credits  verstorbener  Angehörigen  vorzüglich  Quränrecitationen  ver- 
richtet werden.  Zu  diesem  Zwecke  kommen  denn  auch  am  Abend 
des  Todestages  ohne  vorhergehende  Einladung  die  Freunde  nach 
Sonnenuntergang  in  das  Sterbehaus.  Kaffee  wird  ihnen  gleich  nach 
dem  Hereintreten  angeboten;  die  frühere  Sitte,  auch  diese  Zusam- 
menkünfte mit  einer  Mahlzeit  zu  beschliessen , ist  aber  von  den 
besseren  Familien  aufgegeben.  Noch  in  jüngster  Zeit  bedurfte  es 
zu  dieser  Abschaffung  eines  Gutachtens  der  höchsten  Autorität  der 
Gesetzeskunde  in  Mekka , des  MuftT’s  der  SchäfTitcn  Ahmed  Dahlän. 
In  seinem  Fetwa,  welches  ein  bekannter  mekkanischer  Schriftsteller 
in  sein  Hauptwerk  ')  aufgenommen  hat,  thut  der  Gelehrte  dar,  wie 
der  Prophet , statt  der  Anempfehlung  grosser  Todtenmahlzeiten , 
1)  l&jpd  Betri  in  der  Banal  aUäliim,  II:  170  f. 


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den  Nachbarn  der  Trauernden  sogar  die  Beschaffung  der  am  To- 
destage nöthigen  Speisen  für  Letztere  auftrug;  der  Mufti  bittet 
daher  die  Behörden,  energisch  gegen  das  Ueberhandnehmen  jener 
Unsitte  einzuschreiten. 

Den  Besuchern  wird  nach  dem  Kaffee  je  ein  Djuz’  (V«  Theil) 
des  Quräns  in  einem  dünnen  Bündchen  überreicht,  damit  sie,  auch 
ohne  Quränkenner  zu  sein,  sich  ihres  Theils  der  frommen  Aufgabe 
entledigen  können.  Da  gewöhnlich  mehr  als  dreissig  Freunde  bei- 
sammen sind,  sollte  man  denken,  es  ergäbe  sich  aus  der  Zusam- 
menkunft mehr  als  ein  Chnlmah  (Vortrag  des  ganzen  Quräns)  für 
den  Verstorbenen.  Allein  Viele  können  nicht  lesen  oder  verstehen 
sich  nur  dürftig  auf  die  Kunst  des  Recitierens,  und  geben  daher 
durch  ihre  Anwesenheit  bloss  ein  Zeugniss  ihres  guten  Willens. 
Nach  l'/j — 2 Stunden  heben  auf  ein  Zeichen  eines  von  den  gelehr- 
teren und  älteren  Anwesenden  die  Mebäschir’t  die  Bücher  auf,  und 
fingt  jener  mit  der  Leitung  des  Tachtim- gebets  an;  solch  ein  Ge- 
bet, wofür  verschiedene  Formulare  gebräuchlich  sind,  beschliesst 
jedes  Chatmnh.  Gewisse  Theile  desselben  werden  von  allen  Bethei- 
ligten mitgesprochen , z.  B.  die  darin  vorkomraenden  Fäl'hah’s  und 
einige  Lobpreisungen  (»Es  giebt  keinen  Gott  ausser  Allah,  und 
»Allah  ist  am  grössten  und  Allah  gebührt  das  Lob  usw.”).  Speci- 
fisch  für  das  Tachtim- gebet  ist  die  Bitte  um  Nachsicht  wegen  et- 
waiger in  dem  Vortrag  begangener  Fehler  und,  wenn  das  Chatmah 
einem  Todten  galt,  auch  noch  die  Bitte,  Allah  möge  den  Lohn 
der  Verrichtung  Jenem  zu  Gut  kommen  lassen. 

Am  zweiten  Abend  geht  Alles  in  gleicher  Weise  vor  sich;  dann 
lädt  aber  der  Hausherr  oder  ein  Mebäschir  die  Anwesenden  beim 
Fortgehen  förmlich  auf  den  dritten  Abend  »zum  Kaffee”  ein.  Die 
Bedeutung  dieser  Einladung  zeigt  sich  bloss  darin , dass  jedem  Gaste 
nach  Beendigung  der  dritten  Reeitation  von  den  Mebäschir's  ein 
Teller  voll  kleiner,  runder  Kuchen  {Feläs t) ')  angeboten  wird,  die 


1)  Vielleicht  stammt  der  Name  daher,  dass  die  Form  dieser  Küchelchen  der  von 
Münzen  einigermaassen  ähnlich  ist  und  möglicherweise  früher  noch  ähnlicher  war.  Sie 
sehen  ungefähr  aus,  wie  die  in  Holland  als  bitterkoekje»  bekannten  Mandelkuchen,  sind 
aber  sehr  viel  härter  und  süss  ohne  bitteren  Beigeschmack. 


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193 


er  in  einem  Mendil  mit  nach  Hause  trägt.  Ob  an  den  drei  folgen- 
den Tagen  wieder  Qiräjeh  stattfindet,  hängt  von  den  Umständen 
ab;  fast  obligatorische  Kraft  hat  aber  die  Sitte,  in  der  siebten  Nacht 
eine  besonders  feierliche  Qiräjeh  nebst  Mülid  abzuhalten.  Nachdem 
die  Gäste  am  siebten  Abend  in  derselben  Weise  wie  an  den  drei 
ersten  ihre  Recitation  beendigt  haben  und  ihnen  die  Falän  darge- 
reicht sind,  kehren  viele  heim;  die  intimeren  Bekannten  bleiben 
aber  da,  um  die  feierliche,  kunstgerechte  Qiräjeh  einiger  gemie- 
theter  Fuqahä  anzuhören.  Diese  vertheilen  den  Qurän  unter  sich, 
aber  so,  dass  jedes  Mal  einer  dort  antängt,  wo  sein  Vorgänger 
aufgehört  hat.  Ein  paar  Stunden  nach  Mitternacht  sind  sie  fertig 
und  schliessen  unter  allgemeiner  Theilnahme  mit  dem  Tachtim-gehei , 
worauf  noch  einer  von  ihnen  das  Mülid  vorträgt. 

Am  20,ten  und  am  40‘1 2'"  Tage  ‘)  nach  dem  Tode  wiederholt  sich 
die  zuletzt  beschriebene  Feierlichkeit  ’) ; dann  tritt  eine  Pause  ein 
bis  zum  Jahrestag  des  Todes  {Haut).  Am  /faul  giebt  es  ferner 
jährlich  regelmässig  Mülid  und  Qiräjeh , und  diese  werden  dann 
häufig  wie  die  übrigen  //Mölid’s”  mit  einer  Mahlzeit  beschlossen. 
Erst  wenn  eine  neue  Generation  die  der  Hinterbliebenen  ersetzt 
hat,  geräth  des  Todten  Haul  wie  er  selbst  in  Vergessenheit. 

Erreicht  Einen  in  Mekka  die  Nachricht,  dass  anderswo  ein  naher 
Verwandter  gestorben  ist,  so  lässt  er  unmittelbar  nicht  nur  das 
Todes^alät,  sondern  auch  die  Qiräjeh  mit  Zubehör  abhalten,  ohne 
die  Zahl  der  Tage  zu  beachten,  die  nach  dem  Tode  verflossen  sind. 
Unser  Einem  macht  die  materialistische  Weise  einen  seltsamen  Ein- 
druck , wie  auch  von  frommen  Leuten  die  Vorbereitung  zu  derartigen 
Ceremonien  betrieben  wird;  sie  zeugt  aber  ebenfalls  davon,  wie 
dies  Alles  ausserhalb  der  Trauer  steht.  Mit  seinen  Freunden  beriith 
sich  der  Sohn,  dem  eben  der  Tod  seines  Vaters  berichtet  wurde, 
wie  und  wo  er  sich  die  nöthigen  Fa/äei  oder  den  Reis  zum  Mülid 

1)  Allo  diese  Tuge  werden  mit  ihrer  Zahl  bezeichnet , z.  B.  sagt  man : »heute  ist 
Qiräjeh  für  den  seligen  N.  N.,  es  ist  sein  40‘’*'  Tag”  (H-jom  qiräjeh  lil-marhim  if.  N. 
Uh  ar teilt  jom). 

2)  Es  ist  nicht  allgemein  üblioh,  kommt  jedoch  bisweilen  vor,  dass  auch  am  l'*«“  und 
am  Tage  die  Zusammenkunft  mit,  Ton  gemietheten  FüqahA  Torgetragenen,  Qiräjeh 
und  Molid  beschlossen  wird. 

II  25 


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kaufen  soll.  Seine  Zeit  ist  beschränkt;  darum  möchte  er  solche 
Fdqih's  miethen,  die  ein  Chalmah  möglichst  schnell  zu  Stande  brin- 
gen; man  empfiehlt  ihm  vier  Specialitiiten , die  allerdings  an  Kunst 
und  Schönheit  der  Stimme  anderen  Berühmtheiten  nachsteheu , da- 
gegen völlig  regelrecht  und  unglaublich  schnell  recitieren,  ohne  so 
hohe  Anforderungen  bezüglich  der  Speisen  und  Getränke  (Thee  usw.) 
zu  stellen,  wie  die  verwöhnten  Künstler,  die  den  grössten  Ruf  ge- 
messen. Als  gute  Kaufleute  treiben  sie  ihre  Geschäfte  mit  dem 
himmlischen  Buchführer! 

Bisher  haben  wir,  ausser  bei  der  Erwähnung  des  Qi  jäh,  die 
Weiber  ausser  Acht  gelassen,  weil  diese  an  den  beschriebenen  Ce- 
remonien  nicht  theilnehmen’,  während  für  sie  die  Trauer  im  Ge- 
setze ganz  anders  als  für  die  Männer  geregelt  ist  und  bei  ihnen 
noch  dazu  allerlei  vom  Gesetze  abweichende  Sitten  herrschen. 

Das  Trauergesetz  trägt  der  zarten  Natur  des  Weibes  Rechnung 
und  gestattet  ihr  lebhaftere  Aeusserungen  ihres  Schmerzes  als  dem 
Manne.  Für  die  Wittwe  ist  die  Trauerzeit  auf  4 Monate  und  10 
Tage  festgesetzt,  während  deren  sie  keine  neue  Ehe  eingehen  noch 
vorbereiten,  sich  nicht  besonders  schmücken,  nur  im  Nothfalle  das 
Sterbehaus  verlassen , sich  keinerlei  Luxus  gestatten  darf ; dies  ist 
die  zIddah.  Mit  demselben  Namen  bezeichnet  das  Gesetz  auch  die 
weibliche  Trauer  wegen  verstorbener  Verwandter  und  Freunde,  die 
höchstens  drei  Tage  dauern  soll. 

Nach  mekkanischer  Sitte  trauern  die  Weiber  wegen  des  Todes 
ihrer  Blutsverwandten  und  Verschwägerten  immer  länger  als  die 
gesetzliche  Frist;  je  nach  dem  Grade  der  Verwandtschaft  verlangt 
das  Herkommen  eine  cUildak  (so  nennen  sie  die  Trauerzeit),  die 
etwa  zwischen  zwei  und  vier  Monaten  wechselt;  weisse  Kleider 
gelten  während  dieser  Zeit  als  die  besten,  jedoch  sind  auch  grüne 
und  schwarze  gebräuchlich,  und  nur  die  rothe  oder  röthliche  Farbe 
wird  ängstlich  gemieden ').  Ohne  sich  des  Schmucks  zu  enthalten , 
betrachten  sie  einige  specielle  Schmucksachen  als  zum  Trauerkleide 


1)  Iah*  el-'udiah  hebst  die  Tranerkleidhmg;  im  Allgemeinen  nennt  man  derartige 
Kleidung  ^feierlich”,  libs  U-hückmah. 


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nicht  passend;  das  ist  aber  reine  Konvention,  der  jeder  wirkliche 
Trauergedanke  fremd  bleibt.  Im  Uebrigen  verwenden  sie , nicht  nur 
im  Augenblick,  wo  der  Tod  eingetreten  ist,  sondern  noch  mehrere 
Tage  nachher,  ihre  besten  Kräfte  auf  das  Schreien”. 

Wie  viele  Tage  geschrien  werden  soll , das  hängt  wieder  in  jedem 
Falle  von  der  Dauer  der  ganzen  c UJi/ah  ab ; höchstens  beläuft  sich 
die  Sehreiperiode  auf  etwa  zwanzig  Tage.  In  diesem  Zeitraum  er- 
warten die  Damen  im  Sterbehause  täglich  zu  jeder  beliebigen  Stunde 
Besuche  von  ihren  Freundinnen,  die  ihnen  nach  Kräften  bei  der 
Ausübung  ihrer  herkömmlichen  Pflicht  zur  Seite  stehen.  An  Kaffee, 
Thee  und  anderen  Erquickungen  darf  es  dabei  natürlich  nicht  feh- 
len. Sowohl  die  Beschränktheit  der  menschlichen  Kräfte  als  die 
Eigenheiten  der  weiblichen  Natur  führen  häufige  Unterbrechung 
der  Lungengymnastik  durch  alltäglichen  Klatsch  herbei.  Jedesmal 
wenn  eine  neue  Besucherinn  hereintritt,  wird  aber  das  Qijäji  gleich 
nach  der  Begrüssung  wieder  aufgenommen ; die  Kundigsten  machen 
die  oben  erwähnten  Ausrufe  zum  Lobe  des  Verstorbenen,  und  die 
Uebrigen  stimmen  mit  Ach  und  Weh ! , mit  Schreien  und  Schluch- 
zen ein.  Ist  ein  Weib  gestorben,  so  kann  jede  in  der  Kunst  ge- 
übte Freundinn  auch  lobende  Ausrufe  anstimmen;  in  Bezug  auf 
einen  Mann  geziemt  sich  dies  natürlich  nur  für  seine  W'ittwe  und 
Verwandten. 

Die  Ausrufe,  welche  unmittelbar  dem  Tode  folgen,  und  auch 
die , welche  das  Hinaustmgen  der  Leiche  begleiten , heissen  einfach 
Qijäh ; die  Konzerte  in  den  ersten  Tagen  der  cUddah  werden  aber 
mit  dem  Worte  Tacdid  bezeichnet  Obgleich  sich  nun  wahrer  Schmerz 
auch  in  dieser  hergebrachten  Form  äussern  mag,  ist  im  grossen 
Ganzen  das  Tadid  bei  Sterbefällen  ebensosehr  zur  konventionellen 
Kunst  geworden  wie  das  Ghatjafah  aus  erfreulichen  Anlässen.  In 
Frauenkreisen  wird  Eine  als  eine  vollendete  Pflegerinn  der  Kunst 
des  //Trillerns”  gelobt  , während  man  der  Andern  die  Meisterschaft 
im  Tcfdtd  nachsagt  ‘).  Bei  dieser  und  jener  Verrichtung  leisten  die 


1)  Hä i/j  md  »chd  ’Uiih  teadiid  tajjib , sagt  man.  Vergl.  Goldziher,  iluhammcdanisohe 
Studien  (Halle,  1889)  I:  244. 


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Lungen,  die  Kehle  und  die  Zunge  ihre  Arbeit  auch  ohne  Mitwir- 
kung des  Gemüths. 

Noch  in  mancher  andern  Beziehung  führen  sich  die  Weiber  bei 
einem  Todesfall  in  einer  Weise  auf,  die  muslimischen  Gelehrten 
im  höchsten  Grade  anstössig  ist;  wenn  z.  B.  die  Leiche  eines  vor- 
nehmen Sejjids  oder  Scherifs,  eines  hervorragenden  Schriftgelehrten 
oder  Mystikers  gewaschen  ist , drängen  sie  sich  dazu , etwas  von  dem 
herabfliessenden  Wasser  zu  erhaschen,  sich  damit  die  Hände  und 
die  Stirn  einzureiben , ja  bisweilen , es  zu  trinken ! Noch  nach  sei- 
nem Tode  hätte  also  mancher  Gelehrte  Grund,  den  Weibern  zuzu- 
rufen, was  er  ihnen  im  Leben  so  oft  nachgesagt:  sie  seien  alle 
verderbter  Natur! 


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ANHANG. 


ZWEI  DA N A-DÄN  A-LI EDER  (vergl.  oben  S.  169  ff). 

Es  ist  wohl  überflüssig  nach  den  im  Laufe  des  IIttn  Kapitels 
mitgetheilten  Proben  noch  zu  betonen,  wie  in  den  volksthümlichen 
Liedern  aller  Art,  die  aus  älterer  Zeit  stammen,  die  Grammatik, 
das  Metrum  und  manchmal  sogar  der  Reim  durch  unkundige 
Ueberlieferung  gelitten  haben,  und  wie  dieselben  in  neueren  Er- 
zeugnissen misshandelt  werden.  Ich  verzichte  deshalb  auf  Versuche, 
das  bessere  Original  wiederherzustellen,  zumal  es  sich  darum  han- 
delt, zu  zeigen,  was  man  heute  in  Westarabien  singt.  Auch  lohnt 
es  sich  nicht,  dem  genauen  Sinn  jedes  Verses  nachzuspüren,  da 
dieser  sogar  den  Sängerinnen  und  Zuhörerinnen  in  allen  schwieri- 
gen Fällen  unbekannt  ist.  Es  lässt  sich  viel  dafür  sagen,  mit  Herrn 
Dr.  Wetzstein  im  6,cn  V.  (»denn  meine  Wunde  ist 

tiefspurig”)  zu  lesen,  aber  man  singt  es,  wie  ich  es  gegeben  habe 
trotz  der  Gesetzwidrigkeit  der  männlichen  Form  , und  ich  glaube , 
man  bezieht  diese  Form  eher  auf  und  fasst  sie  als  aktiv  auf: 
»einen  Trank,  der  meine  Wunde  heilt.”  Solche  Verstösse  gegen 
den  Reim  wie  der  Ausgang  zweier  oder  dreier  Verse  des  ersten 
Liedes  auf  / kommen  häufig  in  den  Däna-däna-liedem  vor.  Ein 
paar  von  den  vielen  werthvollen  Anmerkungen,  zu  denen  die  Lek- 
türe des  ersten  Liedes  Herrn  Dr.  Wetzstein  Anlass  gegeben  hat,  will  ich 
jedoch  meinen  Lesern  nicht  vorenthalten.  In  Vers  2 möchte  Dr.  W. 
statt  Jva  lesen:  »er  tyrannisiert,  behandelt  mich  grau- 

sam.” Vielleicht  ist  die  Korruption  dadurch  zu  erklären , dass  die 
Ueberlieferer  des  Gedichts,  denen  in  solcher  Bedeutung  unbe- 
kannt war , den  Sinn  untergeschoben  haben , der  Geliebte  setzte  alle 
Anderen  ab , sobald  er  sich  der  Herrschaft  bemächtigt.  Hr.  W. 
weist  darauf  hin,  dass  Vs.  2 »kohlschwarz”  und  Vs.  4 »kreide- 
weiss”  bedeute;  »g^k  ist  in  Syrien  der  Reif,  von  seinem  schneear- 
»tigen  Aussehen , und  g.l^a-  ist  der  weisse  Thon , mit  dem  man  in 


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»Syrien  die  Wände  weisst.’’  Vs.  6 stXffUl  ^ »wer  es  gese- 
hen hat,  wird  (dadurch)  überwältigt”,  ist  also  = >Xe  |Uää! 

Ueber  die  in  Vs.  7 erwähnten  Blumen  vergl  oben  S.  170, 178 — 4,  und 
Mekk.  Sprichw.,  s.v.  Zu  Vs.  8 bemerkt  Herr  W.:  »In  Syrien  kom- 
»men  die  Pistazien  noch  im  Dorfe  Ma'lüla , 10  Stunden  nördlich 
»von  Damask  vor;  südlicher  trägt  der  Baum  keine  Früchte  mehr. 
»Die  Wallnuss  darf  in  Damask  nur  jLSj>  s=  verkauft  wer- 

»den.  Der  Marktausruf  ist  UJ  »Nusskeme””. 


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199 


MEKKANISCHES  WIEGENLIED. 

hö  liaja  hö  hä 
el-Ka'bah  banöha 
wesldl  j’säfir  Makkah 
cabbl  luli  zembil  ka'kah 
wel-ka'k  djuww’  el-michzan 
wel-michzan  mä  luh  uiuftäh 
wel-muftäh  ‘end  en-naddjär 
wel-naddjär  jibghä  luh  felüs 
wel-felüa  ‘end  es-sultän 
wes-sultän  jibghä  luh  schöra  Der  Sultan  bedarf  des  Raths, 
wes-schöra  ‘end  w;-vugh5r  Den  Rath  haben  die  Kinder, 

we^aghlr  jibghä  leben  Das  Kind  wünscht  Milch, 

wel-leben  'end  el-baqar  Milch  haben  die  Kühe, 

wel-baqar  jibghä  luh  haschTsch  Die  Kühe  brauchen  Gras , 
wel-haschlsch  foq  el-djebel  Gras  ist  auf  dem  Berge, 
wel-djebel  jibghä  luh  matar  Der  Berg  bedarf  des  Regens, 
jä  matar  hutti  huttl  0 Regen,  komm,  komm  herab, 

bint  uchtl  djäbat  walad  Meine  Nichte  hat  einen  Sohn  geboren, 

sammatuh  'abd  ef-yamad.  Abd  e^-Qamad  hat  sie  ihn  genannt. 


IIo  haja  ho  ha ! 

Die  Ka'bah  hat  man  gebaut, 

Mein  Herr  reist  nach  Mekka, 
Rereite  ihm  ein  Körbchen  mit  Zwie- 
Der  Zwieback  ist  im  Schrank,  [back ; 
Am  Schrank  ist  kein  Schlüssel, 

Der  Schlüssel  ist  beim  Schlosser , 

Der  Schlosser  verlangt  aber  Geld, 
Das  Geld  hat  der  Sultan, 


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III. 


WISSENSCHAFT. 


Zugleich  mit  der  Religion  gab  Muhamraed  seinen  Arabern  die 
Anfiinge  einer  Wissenschaft.  Früher  hiessen  zwar  die  Dichter  schon 
»Wissende”,  auch  gab  es  ausser  den  zu  einigen  Gewerben  erforder- 
lichen Fertigkeiten  solche  Kenntnisse,  die  nur  in  kleinen  Kreisen 
überliefert  wurden , weil  ihre  Erwerbung  nicht  jedermanns  Sache 
war:  Zauberei  und  Heilkunst,  Wahrsagerei,  die  Bestimmung  des 
Vaters  eines  Neugebornen  usw.  Das  Auftreten  des  »ungelehrten” 
Propheten  schloss  aber  nach  Ansicht  der  Gläubigen  die  Zeit  der 
» Unwissenheit"  ')  ab : das  Wissen  des  Heidenthums  war  des  Teufels 
Trug;  nur  durch  Offen barungsschriften  wurde  Allahs  Wissenschaft 
den  Menschen  einigermaassen  zugänglich,  und  das  letzte,  arabische 
Buch  Gottes  kam  den  Menschen  durch  den  Gesandten  zu,  der 
sich  rühmte,  nicht  schriftkundig  zu  sein.  Allahs  Wort  war  nun 
Allen,  die  an  Muhammed  glaubten,  die  Quelle  der  wahren  Wis- 
senschaft, die  aber  in  mancher  Hinsicht  erst  durch  den  Unterricht 
des  Gottesgesandten  zugänglich  und  nutzbar  wurde. 

Ueber  kein  Gebiet  des  Wissens  haben  jedoch  Allah  und  sein 
Gesandter  einigermaassen  systematischen  Unterricht  ertheilt.  Dazu 
eignete  sich  weder  Muhammeds  Bildung  noch  seine  Art;  auch 
brauchte  er  nicht  auf  Vollständigkeit  auszugehen , da  seine  Offenba- 

])  Diese  Thatsacke  bleibt  wahr,  auch  wenn  Dr.  Goldziher  mit  seinen  ansprechenden 
A.usführungcn  über  das  Wort  Djähilijjak  (in  seinen  eben  erschienenen  //Muhanunedani- 
schen  Studien”)  Recht  hat. 


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201 


rung  zunächst  nur  seinem  unwissenden  Volke  mittheilen  sollte,  was 
andere  Völker  längst  wussten  und  als  Lebensnorm  befolgten.  So 
lange  der  Prophet  das  Wort  noch  hauptsächlich  an  Ungläubige 
richtete,  also  bis  zur  Hidjrah,  enthielten  seine  Orakel  Drohungen, 
Verheissungen,  Schilderungen  des  Gerichtstages  und  Erzählungen  aus 
der  heiligen  Geschichte,  die  als  warnende  Beispiele  dienten;  der 
kleinen  Gemeinde  waren  detaillierte  Lebensregeln  nicht  nothwendig. 
Nach  der  Hidjrah  steht  Muhammed  als  Gottes  Organ  inmitten  seiner 
stets  zunehmenden  Anhängerschaft,  die  sich  bei  allen  Schwierigkeiten 
an  ihn  wendet.  So  wird  er  in  erster  Linie  Vorsteher  und  Gesetz- 
geber der  neuen  Gemeinde;  von  letzterer  Befugniss  machte  er  je- 
doch immer  sparsameren  Gebrauch,  da  die  Erfahrung  ihm  bald 
zeigte,  wie  gefährlich  es  sei,  sich  durch  göttliche  Entscheidungen 
selbst  auf  alle  Zeit  zu  binden  oder  das  himmlische  Wort  durch 
häufige  Aenderung  in  Misskredit  zu  bringen.  Aus  den  meisten  legisla- 
tiven Partien  des  Quräns  geht  hervor,  dass  sie  erst  nach  langer 
Erwägung  erlassen  wurden , weil  Streitigkeiten  in  der  Gemeinde 
oder  Opposition  gegen  Muhammed  sich  nicht  anders  beendigen 
liessen. 

Nur  selten  giebt  der  Qurän  Antwort  auf  rein  theoretische  Fra- 
gen, und  dann  haben  diese  noch  meistens  einen  praktischen  Hinter- 
grund. Durchaus  nicht  allein  Muhammeds  Vorsicht  führte  diese 
Beschränkung  herbei ; auch  seine  gläubigsten  Anhänger  waren  keine 
Theoretiker,  und  ihr  ganzes  Leben  blieb  trotz  der  gewaltigen  vom 
Islam  verursachten  Revolution  so  fest  im  arabischen  Boden  gewur- 
zelt,  dass  sie  die  hergebrachten  Anschauungen  und  Sitten  keines- 
wegs aus  reiner  Liebhaberei  der  Kritik  der  neuen  Grundsätze  un- 
terzogen. Immerhin  war  den  Muslimen  jede  ernste  Frage  eine 
religiöse,  die  also  nur  durch  Allahs  Wort,  beziehungsweise  durch 
Muhammeds  Erklärung  zu  lösen  war. 

Nach  dem  Tode  des  Propheten  rollte  der  von  ihm  mit  aller  Vor- 
sicht umgewälzte  Stein  von  selbst  weiter;  die  nächste,  im  Islam 
erzogene,  Generation  kritisierte  die  im  Heidenthum  begründeten 
Zustände  schon  viel  schärfer  als  Muhammed  selbst,  und  so  ent- 
standen immer  neue  Fragen,  praktische  sowohl  als  theoretische. 

II 


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i 


202 

Medina , wo  in  den  ersten  dreissig  Jahren  der  Sitz  der  muslimi- 
schen Regierung  war,  bildete  auch  das  Forum,  dem  jene  Fragen 
unterbreitet  wurden.  Für  Leben  und  Lehre  waren  diese  nicht  weni- 
ger wichtig  als  die  zur  Zeit  Muhammeds  aufgekommenen;  auch 
bedurfte  ihre  Erledigung  in  nicht  geringerem  Grade  göttlicher 
Autorität.  Nachdem  aber  der  Mund,  durch  welchen  Allah  zu  den 
Menschen  gesprochen  hatte,  auf  ewig  geschlossen  war,  fehlte  das 
Mittel , göttliche  Entscheidungen  einzuholen , und  der  kleine  Codex , 
der  alle  Worte  Allahs  enthielt,  reichte  für  die  Bedürfnisse  gar 
nicht  aus.  Liess  sich  auch  durch  künstliche  Auslegung  manche  als 
nothwendig  erkannte  Lehre  daranknüpfen , in  unzähligen  Fällen 
versagte  die  kühnste  Exegese. 

In  solcher  Noth  griff  die  Gemeinde  nach  den  ausserquränischen 
Worten  des  Propheten ; diese  waren  ja  nicht , wie  die  Offenbarung , 
schriftlich  fixiert,  und  die  mündliche  Ueberlieferung  gewährte  der 
verlangten  Erweiterung  grossen  Spielraum.  Ueber  die  Pflicht  fremde 
Aussprüche  treu  zu  überliefern,  walteten  zu  jener  Zeit  ganz  andere 
Anschauungen  als  bei  uns ; was  man  als  heilige  Wahrheit  erkannte , 
das  legte  man  unbedenklich  dem  Propheten , dem  Organe  der 
Wahrheit,  nachträglich  in  den  Mund.  Wie  bei  uns  ein  Gerücht, 
wenn  es  über  einige  Zungen  hinausgegangen  ist,  durch  Zuwüchse 
und  Aenderungen  unkenntlich  wird,  so  ging  es  in  der  Gemeinde 
Muhammeds  mit  der  Tradition  von  seinen  Worten  und  Thaten, 
denen  man  übrigens  immer  unbeschränktere  Geltung  zuerkannte; 
ein  beglaubigter  Spruch  des  Propheten  stand  bald  für  die  Praxis 
einem  Quränverse  an  Bedeutung  nicht  nach. 

Hier  waren  aber  die  Aenderungen  und  Zusätze  kein  Spiel  des 
Zufalls,  denn  jede  Ansicht,  jedes  Dogma,  jedes  Gesetz,  die  in  ir- 
gend einem  muslimischen  Kreise  zur  Geltung  gelangten,  fanden  in 
entsprechenden  prophetischen  Worten  ihren  Ausdruck;  sogar  die 
vermittelnden  Entscheidungen , denen  sich  streitende  Parteien  schliess- 
lich fügten,  wurden  in  Ueberlieferungen  dem  Gottesgesandten  zu- 
geschrieben. Wer  nicht  sieht,  wie  die  Traditionssammlungen  in 
jeder  Richtung  von  Tendenzen  durchkreuzt  sind,  der  muss  jedes 
historischen  Sinnes  baar  sein  oder  nie  die  auf  ein  Thema  sich  be- 


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203 


ziehenden  Ueberliefeningen  einer  vergleichenden  Prüfung  unterzogen 
haben.  Wie  jede  christliche  Sekte  für  sich  die  allein  richtige  Auf- 
fassung des  Evangeliums  in  Anspruch  nimmt,  so  behauptete  jede 
muslimische  Faktion,  sie  allein  folge  dem  Worte  und  dem  Bei- 
spiele Muhammeds.  In  der  muslimischen  Kirche  schrieb  jeder  nicht 
bloss  seinen  Geist,  sondern  auch  seinen  Buchstaben  dem  todten 
Propheten  zu;  die  Spaltungen  aber,  welche  die  Meinungsverschie- 
denheit Jahrhunderte  lang  hervorrief,  wurden  durch  den  überaus 
katholischen  Instinkt  des  Islam’s  immer  wieder . geheilt , sodnss  die 
Vermittlung  die  Meisten  beisammenhielt. 

In  den  ersten  dreissig  Jahren,  wo  Medina  noch  der  Sitz,  so  zu 
sagen,  der  exekutiven  und  der  legislativen  Gewalt  war,  hatten 
die  in  jenen  Traditionen  niedergelegten  Entscheidungen  die  höchste 
praktische  Bedeutung,  und,  obgleich  schon  damals  kleinliche  Zän- 
kereien nicht  fehlten , ward  doch  in  jener  thatenreichen  Zeit  die  Auf- 
merksamkeit vorzüglich  praktischen  Fragen  zugewnndt.  Der  Ueber- 
gang  des  Chalifats  aus  den  Händen  der  Genossen  in  die  der  weltklugen, 
aber  wenig  religiös  gesinnten  Omajjaden  bezeichnet  den  Anfang  der 
Trennung  der  Staatsgewalt  von  der  höchsten  Autorität  auf  dem 
Gebiete  der  Religion.  Zunächst  hatte  jene  in  Damaskus,  diese  in 
Medina  ihren  Sitz;  von  diesen  Centren  aus  verbreiteten  sich  beide 
über  die  ganze  muhammedanische  Welt  und  standen  einander 
überall  misstrauisch  gegenüber.  Bald  waren  sie  in  offener  Feind- 
schaft, bald  schlossen  sie  ein  zeitweiliges  Bündniss  mit  einander, 
bald  ging  jede  ihrer  Wege,  ängstlich  die  Machtssphäre  der  ande- 
ren vermeidend.  Die  Chalifen  konnten  nie  den  Anspruch  aufgeben, 
auch  auf  dem  heiligsten  Gebiete  oberste  Leiter  des  Islam’s  zu  sein; 
die  Nachfolger  der  »Genossen”  aber  beharrten,  mit  Zustimmung 
der  Frommen,  bei  ihrer  wenigstens  theoretischen  Missbilligung  der 
Verweltlich ung  des  Islam’s. 

Es  dauerte  nicht  lange,  bis  die  maassgebenden  Kreise  in  Medina 
zur  Ueberzeugung  kamen,  sie  hätten  sich  auf  das  Gebiet  der  Theorie 
zu  beschränken,  wollten  sie  nicht  in  dieser  Welt  dem  Schwerte 
der  Herrscher  erliegen.  So  entstand  die  älteste  Schule  des  Islam’s 
und  wurde  die  »Wissenschaft”  dem  bis  dahin  vorherrschenden  Ein- 


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204 


fluss  der  Praxis  entzogen.  In  gewissen  Dingen  musste  sie  zwar  auch 
nachher  den  obwaltenden  politischen  Verhältnissen  und  den  Anfor- 
derungen des  gesellschaftlichen  Verkehrs  Rechnung  tragen ; weil  aber 
schon  so  die  wichtigsten  Angelegenheiten  ohne  Rücksichtnahme 
auf  die  Ansicht  der  »Gelehrten”  geregelt  wurden,  konnte  ihnen 
wenig  daran  liegen,  auch  auf  anderen  Gebieten  der  bösen  Praxis 
den  Hiieken  zu  kehren.  Ferner  hatte  die  Entstehung  der  »Schule” 
auch  die  zunehmende  Beschäftigung  mit  solchen  Fragen  zur  Folge, 
die  an  sich  nur  theoretischen  Werth  hatten.  Dazu  wirkte  allerdings 
auch  der  Uebertritt.  vieler  Juden  und  Christen  zum  Islam  mit. 
Muhammed  hatte  immer  gelehrt,  die  »Leute  der  Schrift”  wüssten 
allerlei,  worauf  er  selbst  nur  anspielte;  zwar  hatte  er  sie  später  der 
Schriftfälschung  beschuldigt,  aber  die  Gefahr  tendenziöser  Fälschung 
hörte  auf,  sobald  sie  sich  zum  wahren  Glauben  bekannten.  Somit 
durften  die  Lernbegierigen  innerhalb  gewisser  Schranken  die  von 
Muhammed  hinterlassenen  Lücken  mit  Hülfe  der  Schriftkenner 
ergänzen. 

Auf  die  Frage , womit  sich  denn  die  Vertreter  der  »Wissenschaft” 
in  den  ersten  Jahrhunderten  des  Islam’s  beschäftigt  haben , antwor- 
ten uns  vorzüglich  die  heiligen  Traditionssammlungen,  denn  nach 
wie  vor  wurden  alle  wichtigen  Resultate  der  Forschung  dem  Pro- 
pheten zugeschrieben.  Nur  muss  man  bedenken,  dass  wir  in  jenen 
Sammlungen  bloss  eine  kleine  Auswahl  der  in  Umlauf  gesetzten 
Ueberlieferungen  besitzen,  nämlich  solche,  die  ursprünglich  zu  den 
Streitwaffen  der  mächtigsten  Parteien  gehört  haben,  und  solche, 
die  auf  Vermittlung  entgegengesetzter  Ansichten  ausgehen;  andere 
sind  zwar  theilweise  in  der  Litteratur  erhalten,  haben  aber  keine 
kanonische  Geltung  erlangt. 

Die  Einheit  der  Wissenschaft  tritt  uns  in  jenen  Leistungen  der 
Gelehrten  der  ersten  Jahrhunderte  als  unübertrefflich  entgegen ; 
dafür  sind  denn  aber  auch  die  Gegenstände  sowie  die  Erkenntniss- 
quellen  der  Forschung  sehr  beschränkt.  Selbstverständlich  finden 
alle  Fragen,  die  im  engeren  Sinne  zur  Religion  gehören,  in  den 
Traditionen  ihre  Erledigung,  und  zwar  seit  der  Emancipation  der 
»Schule”  in  immer  mehr  scholastischer  und  kasuistischer  Weise.  Was 


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205 


wir  zur  Dogmatik,  zur  heiligen  Geschichte  oder  zur  Moral  rechnen, 
das  alles  hat  hier  keinen  besonderen  Namen,  denn  als  Quelle  der 
Wahrheit  gilt  auf  jedem  Gebiete  Muhammed.  Ebenso  ist’s  mit 
dem  Rechte  oder  vielmehr  dem  alles  Leben  und  Denken  regelnden 
göttlichen  Gesetze,  dem  die  Kleidung  und  die  körperliche  Reini- 
gung der  Gläubigen  als  nicht  weniger  wichtig  erscheint  denn  etwa 
die  Wahl  des  Chalifen  oder  die  Steuerordnung.  Mit  gleicher  Sicher- 
heit lösen  dieselben , formell  auf  den  Propheten  zurückgehenden , 
Autoritäten  medicinische  Fragen:  genauen  Aufschluss  ertheilen  sie 
über  die  religiösen  Formeln,  die  an  die  Stelle  des  altarabischen 
Zauberspuks  treten  müssen,  über  die  besten  Heilmittel  für  die  häu- 
figsten Krankheiten  und  die  empfehlenswertheste  Diät  für  den  ge- 
sunden Menschen;  sogar  die  Frage,  ob  sich  Krankheiten  vererben 
und  durch  Ansteckung  fortpflanzen,  bildet  den  Gegenstand  einer 
Diskussion.  Genug,  jede  wichtige  Frage,  deren  Lösung  sich  dem 
gewöhnlichen  Menschenverstände  nicht  von  selbst  ergab,  wurde  in 
den  Traditionsschulen  nach  gleicher  Methode,  in  gleicher  Form, 
im  Namen  des  einzigen  Gottes  und  seiner  Organe  entschieden , und 
wenngleich  manchmal  heftige  Meinungsverschiedenheit  über  diesen 
und  jenen  Punkt  die  Einheit  der  Gemeinde  zu  gefährden  drohte, 
schliesslich  erzielte  man  doch  Einigkeit  in  allen  Hauptsachen.  So 
sehr  herrschte  das  katholische  Bewusstsein,  dass  man,  neben  Allahs 
Buch  und  Muhammeds  Worten  und  Thaten,  die  «Uebereinstim- 
mung  der  Gemeinde”  in  irgendwelcher  Entscheidung  als  maassge- 
bend betrachten  konnte,  wie  denn  auch  die  Benutzung  jener  bei- 
den Quellen  selbst  bald  ganz  durch  diese  Uebereinstimmung  ver- 
mittelt wurde.  Trotz  aller  Heftigkeit  des  Schulstreits  galt  dagegen 
die  Meinungsverschiedenheit  in  maassgebenden  Kreisen  als  von  so 
unwesentlicher  Bedeutung,  dass  man  sie  als  eine  Gnadenerweisung 
Gottes  an  die  Gemeinde  darstellte. 

Allein  in  den  späteren  Schichten  der  Ueberlieferung,  deren  Aus- 
bildung etwa  zwei  Jahrhunderte  in  Anspruch  nahm,  findet  man 
unzweideutige  Beweise  davon , dass  diese  arabische  Entwickelung  der 
//Wissenschaft”  nicht  allen  Muslimen  genügte,  denn  es  werden  darin 
(formell  wieder  im  Namen  Muhammeds)  Ansichten  bekämpft,  die 


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auf  fremdem  Boden  emporgekommen  waren.  In  den  vom  Islam  er- 
oberten Kulturländern  Westasiens  und  Nordostafrika ’s  stand  alle 
Forschung , ob  sie  nun  mehr  oder  weniger  vom  Dogma  eingeschränkt 
wurde,  unter  dem  Einfluss  des  Hellenismus;  in  Bezug  auf  die  Form 
war  sogar  die  kirchliche  Wissenschaft  jener  Macht  unterworfen, 
aber  ausserhalb  des  Bereichs  der  Religion  zeigte  hier  auch  die  ganze 
Denkungsart  der  höheren  Kreise  allenthalben  die  Nachwirkung  der 
Impfung  hellenischer  Zweige  auf  die  orientalischen  Stämme.  Diese 
höhere  Bildungsstufe  konnte  allerdings  die  politisch  zerrütteten  Pro- 
vinzen nicht  schützen  gegen  den  Anprall  des  durch  den  Islam  ge- 
einigten Araberthums,  und  den  wunderbaren  Siegen  des  Islam’s 
folgte  sogar  die  Bekehrung  der  Massen ; damit  war  aber  das  Den- 
ken noch  nicht  in  dem  Netze  der  oben  beschriebenen  universellen, 
beschränkten  Wissenschaft  gefangen. 

Auf  diesem  Gebiete  zeigten  die  Besiegten  ihre  Ueberlegenheit, 
sobald  sie  sich  zur  Beherrschung  der  arabischen  Sprache  emporge- 
schwungen hatten.  Diese  Propädeutik  war  freilich  keine  Kleinig- 
keit; die  Weise,  in  der  sie,  allerdings  mit  Hülfe  arabischer  Lehrer, 
die  Wissenschaft  der  arabischen  Sprache  gründeten , zeigte  aber 
gleich  den  Unterschied  systematischer  Forschung  von  dem  Zusam- 
mentragen eines  Chaos  prophetischer  Aussprüche.  Wäre  nun  diese 
systematische  Methode  auf  die  propädeutischen  Fächer  beschränkt 
geblieben , hätten  die  Nichtaraber  sich  nur  durch  die  Erschaffung 
arabischer  Grammatik,  Rhetorik,  Logik,  Poetik,  die  Sammlung 
arabischer  Gedichte  und  die  Bearbeitung  des  Sprachschatzes  in  Wör- 
terbüchern, die  universelle  Wissenschaft  zugänglich  gemacht , so  hät- 
ten sich  die  «Leute  der  Ueberlieferung”  dagegen  nicht  gesträubt. 
Immerhin  hätte  es  ihnen  auch  dann  nicht  gefallen,  dass  den  Er- 
zeugnissen des  Heidenthums  mehr  Aufmerksamkeit  zu  Theil  wurde, 
als  zur  Einleitung  in  die  «Wissenschaft”  nöthig  war,  weil  solche 
Entwicklung  dem  Fortleben  profaner  Dichtung  und  Litteratur  allzu 
förderlich  war;  thatsächlich  kam  es  bald  dahin,  dass  jene  Wissen- 
schaften, welche  die  «Gelehrten”  als  «Instrumente”  {Alät)  bezeich- 
neten,  in  weiten  Kreisen  weltlich  erzogener  Leute  zum  Zweck  der 
geistigen  Bestrebungen  wurden. 


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Schlimmer  war  es  aber,  dass  den  fremden  Pflegern  der  Wissen- 
schaft die  durch  arabischen  Fleiss  zusammengetragenen  Haufen  als 
eingehender  Sichtung  und  Ordnung  bedürftig  erschienen.  Alles  Ma- 
terial, das  aus  dem  heiligen  Lande  nach  Syrien  und  Babylonien 
importiert  wurde,  unterzog  man  hier  einer  logischen  Kur  mittels 
der  aus  Griechenland  herrührenden  Instrumente.  Dagegen  erhob 
sich  nun  in  den  heiligen  Städten  ein  allgemeiner  Schrei  der  Ent- 
rüstung; der  Teufel  allein  könne  solche  Verunstaltung  der  überlie- 
ferten Wahrheit  erfunden  haben.  In  Arabien  vergass  man  aber,  dass 
die  Zeiten  vorüber  waren , wo  die  »Entscheidung  der  Haramein'  für 
den  ganzen  Islam  maassgebend  war;  hatten  die  Vertreter  der  Tra- 
dition in  diesen  Städten  sich  gleich  die  Entziehung  direkten  Ein- 
flusses auf  den  Lauf  der  Dinge  müssen  gefallen  lassen,  sie  durften 
noch  nicht  zugeben,  dass  die  »Gelehrten”,  welche  nach  der  Tradi- 
dition  im  höchsten  Sinne  »Erben  der  Propheten”  waren,  auch 
ausserhalb  ihrer  Schule  grossgezogen  werden  konnten.  Ihr  Unwille 
verschlug  jedoch  nichts  gegen  die  Thatsache,  dass  die  Gelehrten 
in  Babylonien  einen  bedeutenden  Theil  der  »Gemeinde”  vertraten , 
und  weil  der  Islam  keinen  Unterschied  zwischen  Alt-  und  Neu- 
muslimen anerkennt,  weil  er  ferner  die  Autorität  der  »Gelehrten" 
auf  die  Unfehlbarkeit  der  von  ihnen  vertretenen  »Gemeinde”  grün- 
det, mussten  sie  den  Kampf  wohl  oder  übel  aufnehmen. 

Auf  dem  wichtigen  Gebiete  der  Gesetzeserklärung  waren  die  Vor- 
theile auf  ihrer  Seite.  Standen  doch  beide  Parteien  auf  dem  Boden 
des  Glaubens  und  hatte  man  gerade  dieses  Feld  noch  vor  der  fremden 
Einmischung  in  Arabien  so  gründlich  bearbeitet,  dass  ohne  ge- 
waltsame Eingriffe  keine  wichtige  Aenderungen  möglich  waren.  Von 
den  getroffenen  Entscheidungen  eignete  man  sich  in  den  Kultur- 
ländern an,  was  am  besten  für  die  Verhältnisse  passte,  deutelte  an 
diesem  und  jenem  Satze  etwas  herum  und  erlaubte  sich  die  selb- 
ständige Lösung  neu  aufkommender  Fragen;  vom  Standpunkte  der 
späteren  Zeit  betrachtet,  erfolgten  hieraus  aber  keine  prinzipielle 
Abweichungen.  Alle  Zugeständnisse  wichtiger  Art,  die  hier  von  den 
altmodischen  Gelehrten  gemacht  wurden,  betreffen  wesentlich  nur 
die  Form.  Auf  die  Dauer  wären  sie  schon  so  genöthigt  gewesen, 


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208 


den  immer  schwerer  zu  bewältigenden  Stoff  der  Gesetzeskunde  in  einer 
eignen  Disciplin  zu  behandeln  und  diese  wieder  in  Unterabthei- 
lungen zu  zerlegen.  Jeder  späteren  Generation  wurde  das  Verständ- 
niss  der  Texte  des  Quräns  und  der  Ueberlieferung,  aus  denen 
man  die  gesetzlichen  Bestimmungen  deducierte,  schwieriger,  und 
für  die  Praxis  kam  es  doch  in  erster  Linie  auf  die  Kenntniss  der 
Resultate  der  Arbeit  früherer  Generationen  an.  Somit  legte  sich 
bald  der  Kampf,  welchen  die  »Leute  der  Ueberlieferung”  im  An- 
fang gegen  die  Loslösung  des  Fiq/i  (der  Gesetzeskunde)  von  seinen 
Quellen  führten.  Es  konnte  der  Mehrzahl  der  Gelehrten  genug 
sein,  zu  wissen,  was  nach  Ansicht  der  in  ihrem  Lande  maassgeben- 
den Autoritäten  aus  den  Quellen  des  Gesetzes  mit  Recht  deduciert 
war ; das  Studium  der  Quellen  selbst  gehörte , nachdem  die  Lostren- 
nung vollführt  war,  zur  höheren  Gelehrsamkeit  und  wurde  somit 
zum  Luxus. 

Im  Fiqh  wurde  also  der  Inhalt  des  Gesetzes,  in  einige  Kapitel 
eingetheilt,  thetisch  fertig  auf  Grund  der  Autorität  der  Leiter  ge- 
lehrt; die  Quränexegese , die  Erklärung  der  Ueberlieferungen  und 
die  Wissenschaft  der  Deduktionsmethode  ( TJqül  al-fiqh)  wurden  zu 
besonderen  Fächern,  denen  nur  Solche  oblagen,  die  nach  Absolvie- 
rung der  propädeutischen  Studien  und  des  Fiqh  noch  Zeit  und  Kräfte 
erübrigen  konnten.  Für  die  Logik  war  bei  der  Behandlung  des 
Gesetzes  nur  wenig  Platz  vorhanden;  unter  dem  Einfluss  der  nicht- 
arabischen Wissenschaft  drangen  allerdings  gewisse  halblogische  Me- 
thoden bei  der  Weiterentwickelung  des  Gesetzes  durch , aber  die 
»moderne”  Wissenschaft  musste  sich  dem  unlogischen  Stoff  gegen- 
über zum  Zugeständniss  bequemen,  dass  hier  die  Vernunft  hinter 
den  unleugbaren  Zeugnissen  der  Tradition  zurückzutreten  habe. 

Im  Laufe  der  Jahrhunderte  ist  nun  die  Strecke,  welche  der  Stu- 
dierende zurückzulegen  hat,  um  von  dem  Gesetze  zu  dessen  Quel- 
len zu  gelangen , immer  unabsehbarer  geworden ; immer  mehr  Schei- 
dewände trennen  den  Muslim  vom  wirklichen  Verstiindniss  der  Worte 
Allahs  und  Muhammeds.  Die  nie  ganz  ausgetilgte  Meinungsver- 
schiedenheit hat  sich  über  einige  »Riten”  vertheilt,  deren  Zahl  sich 
allmählich  auf  vier  vermindert  hat,  und  die  sich  gegenseitig  uls 


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gleichberechtigt  anerkennen  müssen.  Mit  Ausnahme  der  Schfiten 
und  einiger  weniger  bedeutender  Sekten  bekennt  sich  nunmehr  jeder 
Muslira  zu  einem  von  den  vier  Madhab'a  und  ist  dadurch  verpflichtet , 
dessen  Gesetzeserklarung  unbedingt  anzunehmen.  Schwingt  er  sich 
zum  mühsamen  Quellenstudium  empor,  so  bekommt  er  Alles  nur 
durch  die  Brille  zu  sehen,  welche  viele  Generationen  von  Gelehr- 
ten ihm  aufgesetzt  haben.  Wenn  daher  das  Studium  von  Qurän 
und  Tradition  alle  praktische  Bedeutung  eingebüsst  hat,  so  hat 
dagegen  die  Beschäftigung  mit  dem  Qurän  zu  rituellen  Zwecken 
volle  Kraft  behalten  und  nimmt  den  Studierenden  einen  grossen 
Theil  ihrer  Lehrjahre. 

Was  man  auf  der  Schule  ( Kvttäb , oben  S.  144  ff.)  vom  Quränre- 
citieren  gelernt  hat,  bedarf  der  Vervollkommnung,  wenn  man  dem 
Studium  obliegen  will;  dazu  gehört  die  höchste  Ausbildung  in  der 
schwierigen  Kunst  des  Tadjurid. 

Nicht  so  leicht  wie  auf  dem  Boden  des  Gesetzesstudiums  war 
die  Einigung  alter  und  neuer  Wissenschaft  in  der  Glaubenslehre. 
Den  Gelehrten  vom  alten  Schlage  schien  mit  der  eben  angedeute- 
ten Spaltung  der  Wissenschaft  das  Mögliche  gethan  zu  sein;  wie 
vorhin  in  der  universellen  Lehre,  sollte  nun  in  diesen  Fächern  jede 
Frage  erledigt  werden.  Zur  selbständigen  Behandlung  der  Glaubens- 
sätze im  Zusammenhang  mit  einander,  zum  Auf  bauen  einer  Dog- 
matik hatten  sie  nicht  die  geringste  Neigung,  und  als  die  modernen 
Leute  sich  daran  machten,  wirkten  die  ersten  Resultate  ihrer  Arbeit 
geradezu  erschreckend.  Auch  im  Islam  waren  Ketzerei  und  Unglaube 
die  Geburtshelfer,  die  eine  orthodoxe  Dogmatik  zu  Tage  förderten. 

So  gewandt  wussten  die  Mu'taziliten  ihre  dem  Anschein  nach  ver- 
nünftigen Dogmata  zu  demonstrieren  und  in  die  heiligen  Texte 
hineinzuinterpretieren , dass  die  Orthodoxie  gezwungen  wurde , ihnen  / 
gegenüber  auf  jedem  wichtigen  Punkte  Stellung  zu  nehmen,  ob- 
gleich es  ihr  lieber  gewesen  wäre,  allen  Einwendungen  gegenüber 
immer  nur  wieder  die  überlieferten  Sätze  zu  wiederholen  und  schwie- 
rige Probleme  unbehandelt  zu  lassen.  Während  sich  also  das  Ge- 
setzesstudium nach  seiner  Ausbildung  nur  in  äusserlichen  Dingen 
mit  der  Mode  abzufinden  hatte,  entstand  im  Streit  über  die  Glau- 
u 27 


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benslehren  ein  neues  Fach,  worin  die  überlieferten  Satze  gegen  einander 
abgewogen,  harmonisiert,  in  ihren  Konsequenzen  weiter  entwickelt 
und  gegen  Ketzerei  und  Unglauben  mit  den  neumodischen  Waffen 
der  Dialektik  vertheidigt  wurden.  Zum  logisch  gegliederten  System 
kam  es  dabei  nicht , weil  der  jedem  Gegenstände  eingeriiumte  Platz 
wesentlich  davon  abhing,  wie  heftig  man  sich  darüber  gestritten 
hatte,  mochte  er  nun  an  sich  für  das  System  mehr  oder  weniger 
wichtig  sein.  Sofern  die  formale  Logik  und  einige  philosophische 
Kunstwörter  als  unentbehrliche  Waffen  gegen  die  Ketzerei  dienten, 
gaben  sich  endlich  die  Dogmatiker  mit  deren  Einführung  in  ihre 
Hörsäle  zufrieden;  sehr  leid  that  es  ihnen  dagegen,  dass  viele 
Muslime  durch  die  Bekanntschaft  mit  hellenistischen  Philosophemen 
auf  Wege  geriethen,  die  Jene  nur  als  Irrwege  betrachten  konnten. 
Logik  und  Philosophie  sollten  hier  ebenso  //Instrumente”  bleiben 
wie  die  Pflege  arabischer  Sprache  und  Litteratur. 

Kaum  dürfte  es  nöthig  sein,  zu  erwähnen,  dass  der  Islam  als 
solcher  den  Naturwissenschaften  und  der  Mathematik  immer  abhold 
geblieben  ist;  mit  welchem  dogmatischen  System  haben  sich  diese 
Disoiplinen  je  vertragen  können?  Eine  laienhaft  fromme  Gesinnung 
schliesst  zwar  Naturforschung  nicht  nothwendig  aus,  obgleich  diese  je- 
ner nicht  forderlich  ist;  die  Vertreter  der  heiligen  Wissenschaft  mussten 
aber  die  Aufspürung  von  Gesetzen  in  der  Schöpfung  fast  verpönen. 
Keine  Naturgesetze  giebt  es  ihnen  zufolge,  nur  eine  »Gewohnheit 
des  Schöpfers”  ("Ada/  al-chäliq),  die  er  jeden  Tag  aufgeben  kann, 
indem  er  etwa  die  Sonne  im  Westen  aufgehen  lässt.  Die  »Gelehr- 
ten” haben  den  hohen  Aufschwung  jener  Disciplinen  in  muslimi- 
schen Ländern  keineswegs  verhindern  können , und  wenn  nicht  die 
Kultur  des  Islam’s  überhaupt  zu  Grunde  gegangen  wäre,  so  hätten 
sich  die  Physiker  und  Astronomen  durch  die  cUlamä  nicht  einschüch- 
tern lassen.  Zur  Wissenschaft  des  Islams  haben  aber  die  reinen 
Erfahrungswissenschaften  niemals  gehört,  so  wenig  wie  unsere  As- 
tronomie zur  Wissenschaft  des  Christenthums.  Die  Rechenkunst 
sollte  die  Anwendung  des  Erbrechts  ermöglichen;  etwas  praktische 
Astronomie  liess  man  sich  zur  Festsetzung  des  Kalenders,  der 
Termine  für  die  täglichen  Qaläts  und  der  Qiblah  (der  beim  CaJät 


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211 


einzuhaltenden  Richtung  nach  Mekka)  gefallen.  Als  selbständige 
Forschungsgebiete  durfte  man  aber  diese  und  ähnliche  Fächer  nicht 
betrachten,  weil  solcher  Anschauung  eine  irreligiöse  Erkenntniss- 
theorie  zu  Grunde  läge. 

Zu  ihrer  höchsten  Entwickelung  gelungt,  regelte  die  heilige  Wis- 
senschaft das  geistige  und  materielle  Leben  der  Muslime  bis  in  seine 
kleinsten  Aeusserungen ; ob  der  peinlichen  Regeln  für  das  Handeln 
und  Denken  wurden  aber  die  Bedürfnisse  des  Gemüths  ungenügend 
berücksichtigt.  Die  genaueste  Befolgung  unzähliger  Bestimmungen 
des  Gesetzes  erzeugte  bei  mystisch  Beanlagten  nicht  das  Bewusst- 
sein der  gewünschten  Gemeinschaft  mit  Allah;  tiefes  Eindringen 
in  die  Sätze  der  Glaubenslehre  ergab  nicht  solche  Erkenntniss  Got- 
tes, die  dem  Geschöpf  den  Zusammenhang  mit  dem  Urquell  sei- 
nes Daseins  zur  Empfindung  bringt.  Nun  gab  es  im  Qurän  und 
in  der  Ueberlieferung  wohl  hie  und  da  Keime  einer  mystischen 
Denkungsart,  die  durch  christliche,  indische  und  persische  Einflüsse 
weiter  entwickelt  wurden  und  den  Heilsbedürftigen  zu  innigerem 
persönlichem  Verkehr  mit  Gott  verhalfen,  wobei  Gesetz  und  Recht- 
gläubigkeit als  Propädeutik  zum  Standpunkt  der  Liebe  dienten; 
auf  der  anderen  Seite  fand  aber  der  Islam  namentlich  in  Indien  ein 
bereits  hoch  ausgebildetes  mystisches  Leben  vor,  das  er  sich  assi- 
milieren musste,  weil  es  sich  nicht  unterdrücken  Hess.  Namentlich 
die  letzteren  Strömungen  waren  dem  officiellen  Islam  in  mancher  ■ 
Hinsicht  gefährlich.  Angenehm  konnte  es  den  Ulamä"  schon  nicht  I 
sein,  wenn  gotterleuchtete  Männer  Vereine  gründeten,  in  denen  die 
»Brüder”  nach  dem  höchsten  Heile  und  der  wahren  Erkenntniss 
mit  Mitteln  strebten , die  weit  über  das  Gesetz  und  die  ofticielle 
Wissenschaft  hinausgingen;  wie  aber,  wenn  Viele  thatsächlich  die 
officiellen  Mittel  geringschätzten  und  ihre  fremdartigen  mystischen 
Methoden  und  religiösen  Ausschweifungen  durch  die  verwegenste 
Allegorie  an  den  Buchstaben  der  heiligen  Texte  knüpften? 

Wie  die  «Leute  der  Tradition”  im  Anfang  den  Dogmatikern  als 
Neuerem  entgegentraten , so  sträubten  sich  nun  beide  Zünfte  gegen 
die  gefährliche  mystische  Bewegung.  Allein  die  Rechte  des  Gemüths 
machten  sich  in  immer  weiteren  Kreisen  geltend,  und  der  katlio- 


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I 


212  i 

lische  Sinn  des  Islams  hütete  ihn  vor  dauernder  Verkennung  die- 
ses Thatbestandes.  Der  Mystik  wurde  in  der  heiligen  Wissenschaft 
gebührender  Raum  gewährt;  ihr  wurde  zuletzt  sogar  der  Ehren- 
platz zu  Theil.  Bis  in  unsere  Zeit  wird  vom  ganzen  Islam  die  En- 
cyklopädie  der  heiligen  Disciplinen  als  maassgebend  anerkannt,  welche  , 

der  berühmte  Ghazäli  (st.  1111  n.  C.)  in  seinem  Hauptwerke  (»  Be- 
lebung der  Religionswissenschaften”)  dargestellt  hat.  Ihm  zufolge  ^ 

hat  man  die  »Instrumentalfächer”  zwar  fleissig  zu  studieren,  aber 
so,  dass  man  die  arabische  Grammatik,  Poetik,  Rhetorik, die  Arith- 
metik, Logik  und  Philosophie  nur  als  Mittel  gebraucht,  um  den 
Inhalt  der  geweihten  Litteratur  zu  ergründen.  Dem  Lobe  der  Kunst 
des  Quränrecitierens  fügt  er,  seiner  mystischen  Richtung  gemäss, 
die  Anempfehlung  hinzu,  man  solle  sich  auch  etwas  dabei  denken, 
denn  nur  so  gewinne  die  mit  Recht  am  Anfang  alles  Studiums 
betriebene  Uebung  Bedeutung  für  das  geistige  Leben.  Höchsten 
Werth  misst  er  dein  Fiq/i , der  Gesetzeskunde  bei;  in  den  eigent- 
lich religiösen  Theil  desselben  könne  sich  der  Mensch  nicht  genug 
versenken;  von  den  übrigen  Bestimmungen  habe  das  Studium  vor- 
züglich insofern  Werth,  als  es  im  Leben  oder  in  der  juristischen 
und  richterlichen  Praxis  zur  Anwendung  komme.  Solche  Beschrän- 
kung ist  gegen  die  in  den  Schulen  herrschende  Neigung  zur  Ka- 
suistik gerichtet.  Wer  Gelegenheit  zur  Beschäftigung  mit  der  Qurän- 
exegese  und  mit  der  Erklärung  der  heiligen  Ueberlieferung  finde, 
vernachlässige  sie  nicht;  als  Gesetzesquellen  seien  die  Texte  aber 
nur  für  ausgebildete  Gelehrte  im  Zusammenhang  mit  der  Methodo- 
logie ( Uqül  al-ßqh)  zu  verwerthen.  Die  Mehrzahl,  auch  der  Gelehr- 
ten, gehe  am  sichersten,  wenn  sie  sich  auf  die  Aneignung  der  in 
ihrem  Ritus  geltenden  Resultate  der  Quellenforschung  beschränke. 

Wie  das  Fiq/i  mit  seinen  Hülfswissenschaften  das  Lebensbrod 
aller  Gläubigen  bildet , so  ist  die  Dogmatik  film  al-kaläm , al-uqül 
oder  at-taukid)  als  die  Arznei  für  geistig  Kranke  zu  betrachten. 

Weil  nun  einmal  allenthalben  Unglaube  und  Ketzerei  herumspuken , 
ist  die  ganze  muslimische  Gemeinde  als  mehr  oder  weniger  krank 
zu  betrachten,  und  bedarf  somit  Jeder  ein  wenig  des  Heilmittels, 
das  in  den  glücklichsten  ersten  Jahren  des  Islam ’s  noch  unbekannt , 


J. 


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weil  entbehrlich,  war.  Jener  Ansteckung  ist  aber  z.  B.  der  Hand- 
werker nicht  in  gleichem  Maasse  ausgesetzt  wie  der  Gelehrte;  ihm 
genügt  also  die  Kenntniss  der  Hauptdogmen,  durch  deren  Formulie- 
rung der  Islam  die  Ketzerei  als  solche  gebrandmarkt  hat.  Die  in 
mehr  gefährlicher  Umgebung  verkehren , müssen  mit  den  Hülfsmit- 
teln  der  Apologetik  ausgerüstet  sein , und  im  Interesse  der  Gesammt- 
heit  liegt  einer  Gelehrtenzunft  die  Pflicht  ob , sich  eingehend  mit  der 
Dialektik  und  der  Philosophie  zu  beschäftigen , damit  es  bei  jedem 
feindlichen  Anprall  wohl  versehene  apologetische  Rüstkammern  gebe. 

Zum  Heile  genügen  jedoch  die  geistigen  Speisen  so  wenig  wie 
die  Medizin;  diese  können  den  Menschen  nur  vor  solchem  geisti- 
gen Verderben  hüten,  das  schon  im  Diesseits  klar  zu  Tage  tritt. 
Den  wahren  Glauben  und  die  wahre  Erkenntniss  erringt  man  nur 
auf  mystischem  Wege,  obgleich  die  Kenntniss  und  die  Befolgung 
des  Gesetzes  sowie  die  Rechtgliiubigkeit  dazu  unerlässliche  Vorbedin- 
gungen sind.  Jede  Mystik,  die  das  Gesetz  für  gewisse  Fälle  auf- 
hebt oder  neue  Dogmen  lehrt,  ist  vom  Teufel;  das  wahre  Tacaw- 
tcuf  (mystische  Leben)  führt  aber  den  durch  Gesetz  und  Glaubenslehre 
vorgebildeten  Menschen  auf  einer  langen  Stufenleiter  — nicht  nur 
zum  vollständigen  Gehorsam  gegen,  und  zur  vollendeten  Wissen- 
schaft von  Gott,  sondern  — zum  lebendigen  Gott  selbst. 

Dazu  gehört  eine  weitläufige  geistige  Erziehung,  der  ausseror- 
dentliche religiöse  Uebungen,  Diir's,  Fasten,  Wachen  usw.,  und 
stete  Koncentrierung  des  Geistes  auf  das  Wesen  Gottes  als  Mittel 
dienen.  Nach  dem  verschiedenen  Charakter  und  der  Begabung  der 
einzelnen  Personen  gestaltet  sich  die  in  jedem  Falle  zu  befolgende 
Methode;  weder  ein  Schriftsteller  noch  ein  Ordensgründer  kann 
daher  allgemeine  Regeln  geben , die  keiner  Ergänzung  bedürftig 
wären.  Das  höchste  Ziel  ist  also  nur  durch  die  Führung  eines  auf 
hoher  Stufe  stehenden  Mystikers  erreichbar.  Es  war  wohl  Rücksicht- 
nahme auf  die  zahlreichen,  zu  seiner  Zeit  bereits  blühenden,  an- 
spruchsvollen und  eifersüchtigen  Orden , die  Ghazäll  verunlasste , die 
relative  Unentbehrlichkeit  eines  Murschid  zu  lehren.  Bei  der  Wahl 
des  "Führers”  empfiehlt  er  mit  Nachdruck  die  äusserste  Vorsicht 
an;  dem  Unerfahrenen  kann  er  aber  schliesslich  kein  anderes  Kri- 


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214 


terium  in  die  Hand  geben  als  die  Rechtgläubigkeit  des  Vertreters 
einer  mystischen  Methode.  Selbst  war  Ghazäll  zweifellos  dem  Un- 
wesen der  meisten  mystischen  Genossenschaften  abgeneigt ; da  er  es 
aber  nicht  gewagt  hat,  auf  die  Selbsterziehung  als  genügend  hin- 
zuweisen , ist  er  mitschuldig  an  den  Erfolgen  der  heutigen  Bruderschaf- 
ten , deren  Häupter  ihren  Einfluss  und  die  zweckmässige  Organisation 
zu  allerlei  Zwecken  missbrauchen.  Immerhin  ermöglicht  das  Hauptwerk 
Ghazäll’s  selbst  den  Vertretern  der  Wissenschaft  auch  heutzutage  ein 
gewisses  Tagamouf  ohne  Eintritt  in  einen  mystischen  Orden. 

Die  obige  Auseinandersetzung  will  lediglich  an  einige  Momente  aus 
der  Geschichte  der  muhammedanischen  Wissenschaft  erinnern,  die 
geeignet  sind , den  Leser  auf  die  Besprechung  heutiger  wissenschaft- 
licher Bestrebungen  in  der  muslimischen  Welt,  namentlich  in  Mekka, 
vorzubereiten.  Wären  wir  irgendwie  auf  Vollständigkeit  ausgegan- 
gen, so  hätten  wir  noch  sehr  viele  Disciplinen  erwähnen  müssen, 
die  von  Muslimen  eifrig  gepflegt  worden  sind,  ohne  zur  Wissenschaft 
des  Islams  zu  gehören,  und  auch  einige,  wie  z.  B.  die  verschiedenen 
Zweige  der  Geschichtsforschung,  in  welche  der  Islam  ganz  eigene 
Methoden  eingeführt  hat.  WTir  durften  uns  jedoch  um  so  eher  auf 
obigen  Umriss  beschränken,  da  der  Verfall  der  muslimischen  Kul- 
tur den  beinahe  vollständigen  Untergang  profaner  Wissenschaften 
herbeigeführt  hat,  während  man  in  den  letzten  Jahrhunderten  auf 
dem  Gebiete  der  heiligen  W issenschaft  kein  höheres  Ziel  kennt  als 
die  Bewahrung  der  unentbehrlichsten  Resultate  vergangener  Thätig- 
keit,  wobei  man  auf  Ghazall’s  Programm  als  auf  das  höchste  Ideal 
aus  weiter  Ferne  den  Blick  richtet. 

Bevor  wir  nun  in  den  riesigen  Hörsaal  Mekka’s,  die  heilige  Mo- 
schee , eintreten  um  den  innerhalb  des  oben  beschriebenen  theologisch- 
juristischen Cyklus  sich  bewegenden  Vorträgen  der  Professoren  zu- 
zuhören, wollen  wir  doch  noch  mit  ein  paar  Beispielen  beleuchten, 
in  welchem  Maasse  man  dort  an  der  Forschung  ausserhalb  jenes 
Cyklus  theilnimmt.  Aus  dem  früher  über  die  Bildung  der  iuekka- 
nischen  Aerzte  Bemerkten  *)  erhellt,  dass  die  Medizin  hier  ein  rei- 

1)  Oben  8.  116  8. 


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215 


nes  Gewerbe  ist  und  Studien  weder  voraussetzt,  noch  anregt.  Ein- 
zelne Liebhaber,  denen  zufällig  arabische  Handbücher  der  Medizin 
in  die  Hände  kommen,  lesen  dieselben  und  kramen  gelegentlich 
einige  darin  enthaltene  Sitze  aus;  damit  ist  Alles  gesagt.  Der  Rejjis 
und  wenige  Wissbegierige  verstehen  die  Geheimnisse  des  Kalenders 
und  die  Interpretation  einiger  Erscheinungen  am  Himmel.  Ausser- 
dem bemühen  sich  verschiedene  Mekkaner  vergeblich  darum,  der 
Natur  ihr  tiefstes  Geheimniss,  das  Goldmachen , abzuringen.  Ich  habe 
Scherife  gekannt,  die  von  Zeit  zu  Zeit  mit  gelblichen  Resultaten 
ihrer  alehymistischen  Thätigkeit  zu  dem  oben  erwähnten  Arzte  ') 
kamen , um  sich  durch  dessen  Probierstein  zu  überzeugen , dass  nicht 
Alles  Gold  sei,  was  glänzt;  einen  Schriftgelehrten,  der  sein  ganzes 
Vermögen  auf  die  Alchymie  verwendet  hatte  und  dann,  mit  dem 
weltlichen  Besitz  auch  den  weltlichen  Sinn  abstreifend,  sich  gänzlich 
der  heiligen  Wissenschaft  widmete;  auch  der  »Schech  der  Sejjid’s” 
war  ein  Goldsucher.  Kein  Wunder,  dass  man  gerade  diese  im  Dun- 
keln arbeitende  Wissenschaft  immerfort  pflegt;  ist  doch  die  Haupt- 
frage dieser  Muslime  bei  jedem  geistigen  oder  materiellen  Bemühen : 
was  ist  der  direkte  Vortheil  davon?  Diese  Frage  erhält  aber  in 
Bezug  auf  die  Alchymie  eine  befriedigende  Antwort,  solange  man 
an  dieselbe  glaubt.  Auch  fromme  Leute,  die  auf  dem  Wege  der 
gesetzlich  verpönten  Zauberei  nicht  einmal  Gold  erwerben  möchten , 
wissen  doch,  dass  Allah  unter  Umständen  von  seiner  '/Gewohnheit” 
abweichen  kann,  ein  Element  nicht  in  das  andere  übergehen  zu 
lassen,  wie  er  dies  mit  dem  Stabe  Mose’s  gethan;  heisst  es  doch 
im  Qurän1):  »Er  sprach:  wirf  ihn,  o Mose!  da  warf  er  ihn,  und 
sieh , er  ward  zu  einer  Schlange , laufend”.  Hört  ein  Mekkaner  aber 
von  der  modernen  Naturwissenschaft  erzählen , so  sagt  er : was  ist 
der  Vortheil?  Und  der  Hinweis  auf  die  Dampfer  und  Telegraphen 
veranlasst  ihn  bloss,  kopfschüttelnd  zu  bemerken , die  brauchten 
jetzt  nicht  mehr  erfunden  zu  werden  und  stifteten  mehr  Unheil  als 
Glück  an,  wie  auch  die  vielgeriihmte  moderne  Heilkunst  gegen  den 
Tod  nichts  vermöge. 

1)  YergL  oben  S.  116  fl. 

2)  Quran  XX:  20 — 21. 


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216 


Der  Geographie  wissen  Manche  praktische  Seiten  abzugewinnen; 
man  muss  die  Länder  kennen,  woher  die  Zufuhr  von  Pilgern  be- 
deutend ist  oder  werden  kann.  Auch  die  Erwerbsquellen  solcher 
Länder  interessieren  den  Mekkaner ; er  fragt  nach , wie  die  Regie- 
rung dort  eingerichtet  sei  und  welche  Vortheile  der  Fremde  dort 
erzielen  könne.  Die  Lage  von  Paris  und  London  ist  ihm  dagegen 
gleichgültig;  ich  hörte  einmal  einen  hervorragenden  Gelehrten,  der 
aus  den  Geschichtswerken  Andalus  (Spanien)  kannte  und  sich  wegen 
des  jüngsten  Krieges  für  das  »/Land  der  Mosköf”  (Russland)  inte- 
ressierte, fragen,  ob  beide  Reiche  durch  Landwege  mit  einander 
verbunden  seien,  und  wie  viele  Tage  eine  Karawane  (von  Lastka- 
meelen)  brauchen  würde , die  Entfernung  zurückzulegen  ? Wer  solche 
Dinge  weiss,  ist  ein  vielgereister  Mann.  Von  Alters  her  wurde  im 
Islam  die  Geschichtschreibung,  sofern  sie  nicht  (wie  die  Biographie 
des  Propheten , seiner  Genossen  usw.)  der  heiligen  Wissenschaft  diente, 
vorzüglich  deswegen  empfohlen , weil  die  Geschichte  » Warnungsbei- 
spiele enthält  für  den , der  gewarnt  sein  will”  *).  Faktisch  inspirierten 
freilich  auch  innerer  Trieb  und  viele  andere  Motive  die  Historiker: 
sie  schrieben  die  Geschichte  ihres  Wohnorts  zur  Unterhaltung  ihrer 
Mitbürger , sie  bearbeiteten  die  Geschichte  einer  Dynastie , nicht  ohne 
Hoffnung  auf  Belohnung  von  Seiten  der  zu  ihr  gehörenden  Fürsten , 
kurz,  sie  richteten  sich  nicht  ausschliesslich  nach  der  Theorie  der  » War- 
nungsbeispiele”, sondern  vielmehr  nach  dem  Geschmack  ihrer  Zeit- 
genossen. In  Mekka  bildete  seit  dem  3'“  Jahrhundert  der  Hidjrah 
die  Ka'bah  mit  ihrer  Umgebung  das  Centrum,  von  welchem  aus 
die  Historiographen  die  Denkwürdigkeiten  im  Leben  der  Stadt  über- 
blickten , und  seit  dem  ö“”  Jahrhundert  kam  das  Herrscherhaus 
der  Scherife  als  zweites  Centrum  hinzu.  Aus  der  Vorrede  unseres 
Ilten  Randes  ersieht  man,  dass  es  bis  in  unsere  Tage  nie  an  mek- 
kanischen  Gelehrten  gefehlt  hat,  die  in  ihren  Mussestunden  die 
wichtigsten  Ereignisse  aus  dem  Leben  der  heiligen  Stadt  aufzeich- 
neten. Nicht  weniger  als  die  Gesetzeskunde  steht  die  Historiographie 
unter  dem  Einfluss  des  mächtigen  »Consensus”  der  muslimischen 


1)  j**15' 


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217 


Gemeinde;  es  giebt  für  jedes  Zeitalter  eine  eigene  Brille,  durch 
welche  allein  man  die  Vergangenheit  betrachten  darf1 II).  Wo  die 
Nachwelt  auf  katholisch-unionistische  Weise  Streitigkeiten  ausge- 
glichen hat,  derenthalben  die  Leiter  früherer  Generationen  einander 
beschimpften  und  verketzerten , da  darf  man  diese  Schirapfreden  auch 
nicht  weiter  überliefern.  Wie  man  die  gegenseitige  Anerkennung  der 
orthodoxen  Riten  in  unhistorischer  Weise  antedatiert , so  unterdrückt 
man  die  Erwähnung  der  Zwistigkeiten  solcher  islamischer  Führer, 
die  den  Späteren  allesammt  zu  Heiligen  geworden  sind  *).  Mu'äwijah , 
Ali  und  Abdallah  ibn  Zubeir  z.  B.  werden  in  Mekka  alle  mit  dem 
Titel  »unser  Herr”  versehen  und  gewissermaassen  als  Kirchenväter 
verehrt.  Die  heidnischen  Vorfahren  Muhammeds  sind  in  der  Bio- 
graphie des  Propheten  vom  1886  verstorbenen  Mufti  der  Schäfi'iten 
in  Mekka  als  gläubige  Muslime,  Bekenner  der  Religion  Abrahams 
dargestellt.  Weil  es  nun  einmal  vorzüglich  auf  die  Nutzanwendung 
und  Unterhaltung  abgesehen  ist,  darf  man  solche  gut  gemeinte 
Fälschungen  nicht  zu  scharf  beurtheilen.  Es  zeugt  in  hohem  Grade 
für  die  Hingebung  der  inekkanischen  Chronisten , dass  sie , trotzdem 
sich  fast  gar  keine  Nachfrage  lautbar  macht , doch  nie  aufgehört  haben , 
die  wichtigsten  Vorgänge  dem  Papier  anzuvertrauen,  denn  die  ge- 
bührende Ehre  zollt  ihnen  für  solche  Arbeit  höchstens  die  Nachwelt. 
Auch  wenn  sich  mehr  als  ein  paar  Dutzend  Gelehrte  für  diese  Dinge 
interessierten,  wäre  es  ihnen  nicht  zu  empfehlen,  ihre  Notizen  allzu 
offenkundig  zu  machen,  weil  darin  Regierungsthaten  und  hohe  Per- 
sonen beurtheilt  und  nicht  selten  verurtheilt  werden.  Als  ich  in  Mekka 
war,  beschränkte  sich  denn  auch  die  Verbreitung  der  Scherifatsge- 
schichte  von  Ahmed  Dahlän  J)  auf  etwa  sechs  Exemplare , und  diesen 


1)  Zum  Glück  hat  es  in  vergangenen  Jahrhunderten  immer  auch  muslimische  His- 
toriker gegeben,  die  sich  über  den  Zwang  der  heiligen  Wissenschaft  völlig  hinwegsetz- 
ten und,  was  ihnen  wichtig  schien,  ohne  Nebengedanken  überlieferten  j hier  fassen  wir 
aber  auf  jedem  Gebiete  vorzüglich  die  Richtungen  ins  Auge,  die  sich  bis  in  unsere 
Zeit  tortsetzen. 

8)  Vergl.  IA  III:  226:  qJ]  *j!  J^ji  Jujj 

1 lZ*  Ljili  tP SS  olölsu  I A IV : 809  heisst 

es  von  Ibn  'Abb&s  und  Abdallah  ibn  Zubair:  SjJö  LiPjJ  UjO.)  usw. 

3)  Vergl.  Bd.  I,  Vorredo,  S.  XVI  ff. 

II  28 


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218 


fehlten  gewöhnlich  die  vier  letzten  Bogen.  Die  berühmte  Weltge- 
schichte des  Ihn  al-Athlr  findet  man  in  den  Bibliotheken  einiger 
Gelehrten;  auch  werden  die  biographischen  Wörterbücher,  in  denen 
allerlei  zerstreute  geschichtliche  Daten  Vorkommen,  viel  gelesen, 
sowohl  der  alte  Ibn  Challikän  als  die  bis  in  unsere  Zeit  fortgesetz- 
ten , je  ein  Jahrhundert  umfassenden  Biographiensammlungen.  Deren 
Lektüre  betreibt  Jeder  für  sich  und  prahlt  gelegentlich  mit  der 
dadurch  erworbenen  Kenntniss  in  gelehrter  Gesellschaft  oder  im  Au- 
dienzsaale des  Grossscherifs. 

Lebhafterer  Nachfrage  als  solche  allgemeine  Geschichtswerke  er- 
freuen sich  die,  welche  mit  der  heiligen  Wissenschaft  Zusammen- 
hängen: die  Biographie  Muhammeds,  seiner  Genossen , der  früheren 
Propheten , der  Gründer  mystischer  Orden  oder  anerkannter  Riten , 
der  Heiligen  überhaupt.  Derartige  litterarische  Erzeugnisse  liest  man 
wohl  zusammen  im  Freundeskreise;  man  sucht  dabei  aber  eher  Er- 
bauung als  eigentliche  Belehrung  über  die  Vergangenheit.  Charak- 
teristisch ist  für  dies  Streben  die  von  Ahmed  Dahlän  verfasste  SiraA 
(Biographie  Muhammeds)  ')  in  deren  Einleitung  der  gelehrte  Mufti 
sagt,  es  gebe  zwar  solcher  Werke  mehr  als  genug,  die  meisten 
enthielten  aber  mehr  Daten  zur  Quellenkritik  und  Abwägungen  ver- 
schiedener Versionen  gegen  einander,  als  die  heutigen  Studenten 
verlangten;  er  habe  darum  nach  bestem  Wissen  nur  die  Thutsachen 
mitgetlieilt,  und  zwar  besonders  die  Punkte  hervorgehoben,  für 
welche  sich  in  unserer  Zeit  die  Leute  interessieren  dürften.  Die 
äusserst  günstige  Aufnahme,  welche  der  mit  legendarischen  Erzäh- 
lungen gespickten,  völlig  kritiklosen  Darstellung  von  Seiten  des  Pu- 
blikums zu  Theil  wurde,  beweist,  dass  der  Mufti  den  Zeitgeist 
richtig  zu  schätzen  wusste.  In  ähnlichem  Tone  ist  die  von  demselben 
Gelehrten  kompilierte  »Geschichte  der  muslimischen  Eroberungen”  *) 
gehalten,  die  während  meines  Aufenthalts  in  Mekka  in  der  dort 
kürzlich  eröffneten  Druckerei  der  Regierung  gedruckt  wurde. 


1)  Vergl.  meinen  Aufsatz  in  wBijdragon  van  hot  Koninklijk  Nederlandsch-Indisck 
Instituut”,  5e  Volgroeks,  II,  S.  353. 

2)  Vergl.  den  citierten  Aufsatz,  S.  353  ff.  Das  Werk  enthält  eino  Weltgeschichte 
vom  muslimisckon  Standpunkt  von  Muhammeds  Zeit  bis  zum  Jahre  1885. 


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219 


Bis  zur  Errichtung  dieser  Anstalt  wurde  die  Lektüre  der  ge- 
bildeten Klassen  Mekka’s  fast  ganz  vom  egyptischen  Büchermarkt 
bestimmt,  weil  von  dort  aus  die  allesammt  im  Bäb  es-saläm  ‘)  be- 
findlichen Bücherläden  mit  den  bedeutendsten  Erzeugnissen  der 
Cairiner  Presse  versehen  wurden.  Dort  druckte  man  auch  die  Werke 
mekkanischer  Schriftsteller,  aber  diese  arbeiteten  fast  ausschliesslich 
für  die  heilige  Wissenschaft,  und  wenn  einzelne  einmal  für  ein  grös- 
seres Publikum  schrieben,  so  waren  das  doch  meistens  fromme 
Traktätchen.  Als  Beispiel  solcher  Litteratur  kann  man  die  1299  (1882) 
in  Cairo  gedruckten  »sechs  Abhandlungen”  des  mekkanischen  Schechs 
Muhammed  Haqql  betrachten,  worin  die  verschiedenartigsten  Ge- 
genstände zur  Sprache  kommen,  die  Alles  durchdringende  Absicht 
aber  ist,  vor  dem  Ueberlmndnehmen  moderner , ungesetzlicher  Sitten 
und  dem  Eindringen  der  Erzeugnisse  ungläubiger  Kultur  zu  warnen. 
Deu  Geist  des  Ganzen  charakterisiert  der  Schluss:  »Zu  den  Dingen, 
»welche  in  die  Hölle  führen,  gehört  es,  dass  die  Teufel  in  diesen 
»Zeiten  den  Christen  und  anderen  von  Gott  verlassenen  Leuten  ein- 
»geflüstert  haben,  auf  alle  Waaren,  die  der  Mensch  braucht,  Bil- 
»der  und  Darstellungen  von  Geschöpfen  zu  malen,  so  dass  es  nun- 
»mehr  kaum  ein  Haus,  einen  Laden,  einen  Markt,  ein  Bad,  eine 
»Festung  oder  ein  Schilf  ohne  Bilder  gicbt J),  während  den  Engeln 
»der  Gnade  kein  Raum  ohne  Bilder  übrig  bleibt,  wohin  sie  herab- 
»steigen  könnten , s)  ausser  den  Moscheen  und  wenigen  von  Allah 


1)  Vergl.  den  Grundriss  der  Moschee. 

2)  Es  ist  allerdings  seltsam,  dass  z.  B.  die  österreichischen  Fabrikanten,  deren  schlechte 
Zündhölzchen  den  arabischen  Markt  beherrschen,  die  für  Arabien  bestimmten  Schach- 
teln mit  (häuflg  obsoönen)  acbenslichen  Bildern  versehen. 

8)  Sehr  verbreitet  sind  die  gegen  die  Abbildung  lebendiger  Wesen  gerichteten  Tra- 
ditionen, nach  denen  »die  Anfertiger  von  Bildern  am  schwersten  gestraft  werden  am 
Tage  der  Auferstehung’*,  und  wdie  Engel  der  Gnade  nicht  kommen  in  ein  Ilaus,  wo 
Bilder  sind.”  Ein  vielgereister  Scherif,  der  namentlich  aus  Ostindien  mehrere  Photo- 
graphien seiner  Freunde  und  auch  einige  chromolithographische  Bilder  heimgebracht 
hatte,  musste  darüber  heftige  Vorwürfe  von  einem  jüngeren  Bruder  hören,  der  nie 
aus  Mekka  herausgekommen  war.  In  meinem  Beisein  hielt  er  ihm  die  bczeichnetcn  Tra- 
ditionen entgegen;  das  Weltkind  antwortete,  er  habo  ja  keine  Bilder  angefertigt , und 
was  die  Engel  der  Gnade  anbetreffe,  die  könnten  ihre  Portierdienste  auch  ausserhalb 
der  Thür  leisten!  Seine  Verwandten  lebten  rum  guten  Theil  von  dem  Golde,  das  er 
auf  seinen  Reisen  durch  Besuche  bei  kleinen  Fürsten  Ostindiens  zusammengescharrt 


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220 


»bewahrten  Plätzen.  Sogar  in  unsere  Moscheen  kommen  aber  Bilder , 
»weil  die  Meisten,  wenn  sie  zum  Qalät  kommen,  Päckchen  Ciga- 
»rettentaback  bei  sich  haben,  auf  denen  Bilder  stehen;  also  ermahne 
»ich  euch,  o Brüder!”  usw.  In  demselben  Buch  wird  eine  gewisse 
Art , die  56’,e  Sürah  des  Quräns  zu  recitieren , als  unfehlbares  Schutz- 
mittel gegen  Armuth  anempfohlen  und  heisst  es  weiter,  wenn  die 
geschiedene  Frau  sich  dieses  Kapitel  umhänge,  so  bewirke  dieselbe 
den  erwünschten  Abortus! 

Kleine  Anekdotensammlungen,  einzelne  Abschnitte  aus  1001  Nacht, 
dem  ‘Antarromane  usw.  erwecken  jedoch  in  weiteren  Kreisen  Interesse 
als  die  obigen  Traktätchen ; daraus  lesen  die  Erzähler  den  Besuchern 
der  Kaffeehäuser  spätabends  bein  Ffiniis  vor,  wofür  ihnen  die  Kaf- 
feewirthe  gern  eine  Kleinigkeit  schenken.  Gebildete  Leute  dürfen 
schon  Anstands  halber  sich  an  solchen  Vergnügen  nicht  betheiligen; 
bekanntlich  wundern  sich  die  erleuchteten  Söhne  Egyptens  denn  auch 
aufs  Höchste  über  den  Geschmack  der  Europäer,  die  sich  an  1001 
Nacht  ergötzen.  Höchstens  lässt  sich’s  ein  gebildeter  Mann  gefallen, 
dass  ihm  seine  Frau  solche  Ammenmärchen  erzählt,  wenn  er  nicht 
einschlafen  kann;  die  Weiber  sind  die  wahren  Ueberlieferer  der 
Erzählungen,  die  in  ihrem  Munde  immer  aufs  Neue  die  Form  nach 
der  Zeit  wechseln,  wenngleich  das  Wesen  unverändert  bleibt. 

Einzelne  Bibliomanen  sammeln  mit  Vorliebe  seltene  Bücher,  nur 
weil  sie  schwer  zu  haben  sind,  und  verwehren  sogar  ihren  besten 
Freunden  die  Benutzung  ihres  Besitzes.  Einem  solchen , der  damals 
Schech  der  Sejjid’s  war,  erwies  ich  einmal  einen  Dienst,  zu  dessen 
Belohnung  er  mir  einen  kleinen  Theil  seines  Schatzes  zeigte.  Unter 
den  sorgfältig  von  ihm  versteckten  Kostbarkeiten  fanden  sich  in 
Egypten  gedruckte  Uebersetzungen  europäischer  Handbücher , die  der 
Mann  wegen  ihres  sonderbaren  Inhalts  für  Seltenheiten  hielt;  eine 
alte  Handschrift  mit  kostbaren  Anmerkungen  zum  Qurän  ( Kitäb 
al-faicäid  wal-awäid  waz-zawäid) ; ein  litterarisches  »Kunststück”, 
das  von  rechts  nach  links , von  links  nach  rechts  und  von  oben  nach 

hatte,  da  diese  sich  immer  sehr  geschmeichelt  fühlen,  wenn  ein  Scherif  ihre  Gasttrei- 
heit  und  ihre  Gaben  annimmt.  Sonst  hätten  die  Verwandten  den  Hann  wegen  der 
leichtsinnigen  Itodc  ohne  Zweifel  sur  Thür  hinausgeworfen. 


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unten  gelesen , drei  verschiedene  Abhandlungen  enthielt ; ob  aber  der 
Zufall  ihm  auch  wirklich  Werthvolles  verschafft  hatte,  konnte  ich 
nicht  herausbringen.  Auf  den  Titelblättern  seiner  Bücher  standen 
immer  Gedichte  zum  Lobe  des  Inhalts,  worin  der  Preis  des  Buches 
auf  dessen  Gewicht  an  Gold  festgesetzt  und  der  Besitzer,  der  es 
ausleihen  würde,  für  verrückt  erklärt  wurde;  dadurch  war  jede  Bitte 
um  Benutzung  von  vorne  herein  ausgeschlossen.  Dieser  steinreiche 
Mann  rühmte  sich  aber,  wie  er  andere  Bibliomanen  zum  Besten 
gehabt.  Ein  Freund  von  ihm,  der  an  derselben  Leidenschaft  litt 
wie  er , hatte  ihm  eine  üusserst  seltene  Handschrift  nach  jahrelangem 
Bitten  auf  eine  Nacht  zur  Lektüre  überlassen,  weil  ihm  so  die  Be- 
schaffung einer  Kopie  unmöglich  blieb.  Der  Sejjid  löste  schnell  die 
einzelnen  Bogen  aus  dem  Einband,  gab  sie  allen  verfügbaren  Ab- 
schreibern zum  Kopieren , liess  dann  durch  einen  gescheidten  Buch- 
binder das  Ganze  wiederherstellen  und  gab  seinem  Freunde  sein 
Eigen th  um  zur  verabredeten  Zeit  zurück.  Wäre  es  kein  Freund  ge- 
wesen , so  hätte  er  sich  mit  dem  geliehenen  Schatze  aus  dem  Staube 
gemacht , bis  die  Abschrift  fertig  gewesen.  Jetzt  suchte  er  ein  Exem- 
plar eines  vierzigbändigen  Kommentars  auf  das  Ihjä  des  Ghazäh 
zu  kaufen,  von  welchem  Werke  nur  im  Maghrib  ein  paar  Abschrif- 
ten vorhanden  sein  sollen. 

Einige  belletristische  Werke  werden  von  den  Gelehrten  fleissig 
studiert;  Sammlungen  altarabischer  Gedichte  mit  Kommentaren, 
Adab-bücher,  wie  das  cIqd,  und  namentlich  Hanrl’s  Maqgmen , die 
mancher  'Alim  theilweise  oder  ganz  auswendig  weiss.  Derlei  Studien 
hält  man  hoch , weil  sie  mittelbar  der  heiligen  Wissenschaft  zuträg- 
lich sind,  und  es  gehört  zur  feinen  Bildung,  dass  junge  Leute  bei 
Landpartien  und  anderen  Qelnh's , statt  der  in  anderen  Kreisen  übli- 
chen Vorlesungen  alberner  Erzählungen , ein  paar  Maqämen  vortragen 
oder  ein  schönes  Gedicht  singend  recitieren.  F’ür  die  Erwerbung  dieser 
Litteraturkenntnisse  giebt  es  kein  bestimmtes  Alter  noch  specielle 
Gelegenheit;  grosse  Belesenheit  des  Vaters  treibt  den  Sohn  schon 
früh  zum  Lesen,  während  Andere  erst  später  durch  Verkehr  mit 
höher  entwickelten  Altersgenossen  dazu  kommen.  So  geht  es  eben- 
falls der  hochgeschätzten  Kunst  der  Kalligraphie;  der  Unterricht, 


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222 


den  der  Quränschulmeister  im  Schreiben  crtheilt,  genügt  zwar  für 
gewöhnliche  Zwecke,  aber  wer  seinem  Sohne  eine  feine  Erziehung 
geben  will,  iibergiebt  ihn  während  einiger  Jahre  täglich  ein  paar 
Stunden  der  Leitung  eines  kundigen  Kalligraphen.  Einer  erlernt  nun 
die  Geheimnisse  des  Chat t,  gleich  nachdem  er  die  Kinderschule  ver- 
lassen hat,  wogegen  der  Andere  erst  nach  einigen  Jahren  des  Stu- 
diums die  Neigung  zur  Verbesserung  seiner  Schrift  empfindet.  Hat 
der  Schüler  von  den  schwierigen  Uebungen  in  der  Kunst  soviel 
durchgemacht  als  seine  Anlage  und  die  verfügbare  Zeit  gestatten, 
so  schreibt  er  zum  Abschluss  unter  Leitung  seines  Lehrers  ein  schö- 
nes Probeblatt  nach  einem  berühmten  Muster.  Gewöhnlich  sind  es 
heilige  Traditionen  oder  fromme  Sprüche,  die  man  in  fein  ornamen- 
tierte Rahmen  einfasst;  im  Rahmen  selbst  liest  man  häufig  die 
Namen  Allahs , seines  Gesandten  und  der  vier  ersten  Chalifen , deren 
Verehrung  nun  einmal  zum  Probierstein  der  Orthodoxie  gewor- 
den ist. 

Viel  weniger  als  in  der  Schreibkunst  kann  sich  der  Muslim  nach 
! Absolvierung  der  Quränschule  in  der  schwierigen  Kunst  der  Qiräjeh 
(des  Quränvortrags)  für  vollendet  halten.  Wer  sich  davon  überzeu- 
gen will,  lese  nur  die  Einleitung  zu  irgend  einem  Handbuch  des 
Tadjicid-,  fast  immer  heisst  es,  man  habe  die  Regeln  dieser  schwie- 
rigen Kunst  deshalb  übersichtlich  zusammengestellt,  weil  die  Scheche, 
die  im  Quranvortrag  Unterricht  ertheilten,  (von  den  Schulmeistern 
zu  schweigen)  in  der  Beobachtung  der  feineren  Vorschriften  immer 
nachlässiger  würden.  Sogar  Arabern  macht  es  viel  Mühe,  sich  die 
überlieferte,  ursprüngliche  Aussprache  der  arabischen  Konsonanten 
zum  heiligen  Gebrauch  anzueignen;  mehr  noch  die  im  Quran  ein- 
zuhaltende, für  alle  Fälle  genau  bestimmte  Nasalierung,  die  Ton- 
länge, die  fein  niiancierten  Färbungen  der  Vokale  richtig  im  Kopfe 
zu  haben  und  wiederzugeben.  Ein  europäischer  Sprachgelehrter  mit 
akkomodationsfähigen  Sprachorganen  und  Kenntniss  des  Arabischen 
braucht  gewiss  im  günstigsten  Fall  eine  Woche  dazu,  die  aus  nur 
sieben  Versen  bestehende  erste  Quränsürah  einigermaassen  kunstge- 
recht vortragen  zu  lernen. 

Unvergesslich  ist  mir  der  Eindruck,  den  ich  erhielt,  als  ich  in 


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223 


der  Wohnung  des  Muftt’s  der  Schafi’iten  zum  ersten  Mal  eine  der 
Freitagnächte  verbrachte,  in  denen  dort  die  ausgezeichnetsten  Qu- 
ränrecitierer  wöchentlich  Abschnitte  des  Quräns  vortrugen.  Schon 
unzählige  Male  hatte  ich  von  Leuten  sehr  verschiedener  Ausbildung 
in  der  Kunst  solche  Leistungen  angehört;  die  allgemeine  Form  der 
Qiräjek  hatte  daher  für  mich  nichts  Sonderbares  mehr.  Zum  Qurän- 
vortrage  benutzt  man  alle  Melodien,  deren  Gebrauch  nicht  noth- 
wendig  Fehler  in  der  Aussprache  der  Wörter  oder  Vertheilung  einer 
Sylbe  auf  zwei  Töne  (»Spielen”  nennt  man  dies)  veranlasst.  Der  ge- 
wöhnliche Quränkenner  und  sogar  viele  berufsmässige  Recitierer  be- 
schränken sich  auf  je  eine  Melodie,  an  die  sie  von  klein  auf  ge- 
wöhnt sind.  Specialitäten  aber  wie  die,  welche  sich  Nachts  vor  dem 
Freitage  bei  dem  alten  Mufti  einfanden,  verstehen  es,  die  peinlichste 
Aussprache  mit  den  schwierigsten  Melodien  zu  verbinden;  ausser- 
dem ändert  sich  ihr  ganzer  Ton  nach  dem  Inhalt  der  Offenbarungen. 
Am  ruhigsten  geht  es  in  den  erzählenden  Partien  her;  wo  Allah 
aber  die  Ungläubigen  fragt,  wie  sie  doch  seinen  Zeichen  gegenüber 
im  Unglauben  verharren  mögen , du  geht  durch  den  Vortrag  ein 
heulendes  Weinen,  das  sich  wie  durch  Ansteckung  auf  die  Zuhörer 
fortpflanzt,  und  wo  es  heisst,  Allah  überliste  am  Ende  die  listig- 
sten Sünder,  da  erschreckt  den  Andächtigen  ein  höhnendes  Ge- 
lächter, das  freilich  eher  aus  der  Hölle  als  aus  dem  Himmel  her- 
vorzubrechen scheint.  Wer  sich  vor  falschen  Eindrücken  hüten  will, 
muss  solche  Vorträge  hundertmal  angehört  haben  , bevor  er  zur  Benr- 
theilung  schreitet.  Den  unvorbereiteten  Beobachter  verwirrt  zuerst 
der  unerlässliche  Gebrauch , den  oberen  Körper  beim  Vortrag  rhyth- 
misch hin-  und  herzuwerfen  oder  im  Kreise  herumzudrehen,  die 
nach  unserem  Geschmack  manchmal  allzu  hohen  Töne,  das  laute 
Schreien , wobei  die  Recitierer  sichselbst  vor  Anstrengung  die  Ohren 
zuhalten,  während  ihnen  die  Adern  zum  Bersten  anschwellen,  und 
dann  wieder  die  unästhetischen  Unterbrechungen  der  scheinbaren 
Extase  durch  entsetzliches  Räuspern.  Wie  der  Europäer,  bevor  er 
von  den  A. fenschen  im  Orient  eine  Anschauung  gewinnen  kann, 
ihre  Kleidung,  Hautfarbe  usw.  kaum  noch  als  cigenthümlich  be- 
merken muss,  so  hat  er  sich  über  die  von  unserer  Art  abweichen- 


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224 


den  Aeusserlichkeiten  jener  interessanten  religiösen  Musik  hinweg- 
zudenken, bis  er  allmählich  zu  hören  anfängt.  Ich  bin  fest  überzeugt , 
dass  jeder  Europäer,  der  heimlich  einem  Vortrag  wie  dem  oben 
erwähnten  beiwohnte,  mit  dem  Eindruck  eines  entsetzlichen,  fana- 
tischen Höllenlärms  heimkehren  würde.  Von  Fanatismus  ist  aber 
bei  den  meisten  dieser  Recitierer  keine  Spur  vorhanden ; sie  beherr- 
schen sich  beim  Hervorbringen  jedes  einzelnen  lautes  vollkommen 
und  sind  eher  als  mit  schreienden  Fanatikern  mit  selbstbewussten 
Opernsängern  zu  vergleichen  , die  Empfindungen  hervorrufen , welche 
ihnen  selbst  meistens  fremd  bleiben. 

Auch  die  anspruchsvolle,  launenhafte,  eifersüchtige  Art  haben 
diese  Künstler  mit  ihren  europäischen  Kollegen  gemein.  Wo  es 
wenig  zu  verdienen  giebt,  wo  man  ihre  Eitelkeit  verletzt  oder  ihren 
Anforderungen  nicht  genügend  entsprochen  hat,  recitieren  sie  nach- 
lässig, und  ihr  grösstes  Vergnügen  ist,  berühmten  Kollegen  öffentlich 
einen  Fehler  in  der  Qiräjeh  vorwerfen  zu  können.  Nicht  ihnen 
schreibt  das  Publikum  denn  auch  die  wundervolle  Wirkung  der 
Töne  auf  die  menschlichen  Herzen  zu,  sondern  eben  dem  Worte 
Allahs,  welches  nach  verbreitetem  Glauben  selbst  der  halbwilde 
Beduine,  der  es  zum  ersten  Mal  hört,  gleich  als  Himmelrede  von 
menschlicher  Sprache  unterscheidet.  Der  spätere  Islam  hat  freilich 
die  Geschichte  des  Profeten , der  selbst  nur  das  eine  Wunder  der 
Offenbarung  beanspruchte,  mit  zahllosen  Wunderlegenden  ausgestat- 
tet; aber  auch  ihm  ist  der  Qurän  das  Wunder  der  Wunder  ge- 
blieben; das  zeigt  sich  in  hervorragendem  Maasse,  wenn  begabte 
Künstler  vor  einem  muslimischen  Auditorium  recitieren , denn  sogar 
steinerne  Herzen  werden  dann  zum  Seufzen  und  Weinen  bewegt, 
und  jede  Pause  füllen  von  verschiedenen  Seiten  gerufene:  ja  rabbi, 
Allähu  akbar  und  dergleichen  aus.  Derartige  Ausrufe  begleiten 
übrigens  jeden  Vortrag,  auch  den  profanen,  und  dem  Künstler 
sind  sie  als  Stütze  ebenso  unentbehrlich  wie  bei  uns  das  Beifall- 
klatschen. 

Ausserhalb  der  Kreise  berufsmässiger  Fuqahä  sind  die  Anlagen 
zur  Recitierkunst  und  die  Stufen  der  Ausbildung  sehr  verschieden. 
Es  giebt  Leute , die  ohne  je  in  die  Schule  gegangen  zu  sein , ohne 


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225 


auch  nur  lesen  gelernt  zu  haben,  unter  Leitung  eines  Faqih  einen 
Abschnitt  des  Qtiräns  ihrem  Gediichtniss  einprägen  und  so  vortreff- 
lich recitieren  ') , dass  sogar  fein  erzogene  Leute  ihnen  die  Leitung 
eines  gemeinschaftlich  vorzunehmenden  Galats  übertragen.  Wer  ein 
feines  Gehör  und  gefügige  Sprachorgane  besitzt , lässt  sich  nach  Ab- 
schluss der  Schuljahre  oft  viele  Jahre  lang  von  einem  guten  Faqih 
unterrichten;  Studenten  der  heiligen  Wissenschaft  gilt  solche  Aus- 
bildung geradezu  als  nothwendig.  Sofern  die  Letzteren  ein  gutes 
Gedächtniss  haben , ist  ihr  Streben  zugleich  darauf  gerichtet , das 
ganze  heilige  Buch  auswendig  zu  kennen. 

All  dieses  fortgesetzte  Tadjwid  wird  privatim  in  den  Häusern 
der  Lernenden  oder  der  Fuqahä  gelehrt;  Privatübungen  halten  aber 
die  Schüler  auf  eigene  Faust,  namentlich  in  den  Vormittagsstun- 
den, in  den  unbesetzten  Räumen  der  Moscheehallen  ab,  und  hie 
und  da  findet  auch  im  Heiligthum  eine  Gesammtübung  einiger 
Schüler  unter  Leitung  des  Lehrers  statt.  Auch  dann  steht  dies  jedoch 
ausserhalb  der  in  der  Moschee  gelesenen  Kollegien  und  der  Kon- 
trolle des  //Oberhaupts  der  Gelehrten.”  Von  den  eigentlichen  Pro- 
fessoren liest  wohl  einmal  einer  ein  Kolleg  über  theoretisches  Tadj- 
wid, d.  h.  er  liest  einen  anerkannten  Text  über  die  Bildungsstellen , 
die  Intonation , die  Länge,  die  Nasalierung  usw.  der  Laute  im  Qurän, 
und  kommentiert  denselben.  In  der  Regel  wird  aber  auch  dieser 
Unterricht  in  Privat  Wohnungen  ertheilt. 

Von  Alters  her  brauchten  die  Muslime  zur  Erlangung  der  höch- 
sten Kenntnisse  von  den  heiligen  und  auch  von  den  meisten  pro- 
fanen Wissenschaften  keine  andere  Hülfsmittel  als  Papier , Tintenfass 
und  Schreibrohr.  Wenn  ihnen  noch  dazu  während  eines  Theils  ihres 


X)  Es  wird  endlich  Zeit,  dio  falsche  Uebcrsetzung’ von  Quram  durch  »Lesung",  qara'a 
durch  «losen”  aufzugoben;  Muhainmed  und  seine  Genossen  waren  meistens  des  Lesens 
unkundig,  was  nicht  verhinderte,  dass  Allo  qara'ii.  Nach  dem  leiernden  Vortrag  (Qurän) 
heiliger  Texte,  der  einen  Hauptbestandtheil  des  faliit  bildet,  hoisst  im  fturän  selbst 
das  falät  wohl  Qttrdn  (XVII : 80).  Nach  meiner  Ansicht  ist  auch  der  Imporativ , Qur&n 
XCVI:  1 in  dem  Sinne  aufzufassen , aber  dies  darf  ich  hier  nioht  weiter  auaführon. 
Jedenfalls  heisst  Qird'ah  ( QirijsA ) das  rituelle  Ableiern  religiöser  Texte , ob  man  diese 
nun  durch  Vermittelung  der  Schrift  oder  sonstwio  hat  kennon  lernen.  In  Mekka  nennt 
man  auch  das  Schnurren  der  Katze  und  ähnliche  Laute  Qirdjel  (el-btuak  tiqrd),  wah- 
rend das  Krähen  des  Hahns  Add»  heisst  ( ed-dik  js'iddin). 

II  ZU 


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226 


Lebens  die  Benutzung  einer  öffentlichen  Bibliothek  möglich  war , so 
gereichte  ihnen  dies  zum  Vortheil,  aber  noth wendig  war  es  nicht. 
War  doch  das  Diktieren  der  Professoren  die  gewöhnliche  Art  der 
Vervielfältigung  der  Bücher;  bald  diktierten  sie  ihren  Schülern  die 
eignen  Kompilationen,  bald  die  berühmten,  allenthalben  als  tnus- 
tergiltig  anerkannten  Textbücher  ihres  Faches,  denen  sie  ihre  er- 
läuternden Glossen  hinzufügten.  Wer  andere  Bücher  zu  besitzen 
wünschte  als  die  in  den  Kollegien  üblichen,  ging,  wenn  ihm  die 
käufliche  Erwerbung  auf  dem  Büchermärkte  zu  kostspielig  war,  zu 
einem  Lehrer,  um  dessen  Exemplar  von  ihm  zu  entlehnen  oder 
dasselbe  in  Privatstunden  von  ihm  in  die  Feder  diktiert  und  somit 
in  sorgfältiger  Ausgabe  zu  bekommen.  Nur  musste  der  Studierende 
viele  Jahre , manchmal  sein  Leben  lang , aus  nichtwissenschaftlichen 
Quellen  zu  seinem  Lebensunterhalt  kommen.  Dies  war  nun  nicht 
besonders  schwierig,  denn  die  Lebensbedürfnisse,  namentlich  des 
Gelehrten,  erfordern  keinen  grossen  Aufwand;  durch  Erbschaft, 
durch  Geschenke  von  Verwandten,  die  eine  ergiebigere  Carriere 
gewählt  hatten,  und  von  Freunden,  die  sich  die  Verehrung  der 
heiligen  Wissenschaft  zur  Pflicht  machen,  erhielten  die  Gelehrten 
unschwer  genug,  um  ihrer  Neigung  ungestört  folgen  zu  können, 
und  manche  wussten  die  Pflege  der  Wissenschaft  sehr  geschickt 
mit  der  Ausübung  eines  Gewerbes  oder  Handelsgeschäften  zu  ver- 
binden. 

* 

Sehr  hoch  stellt  der  Islam  das  Verdienst  derer , die  die  Wissenschaft , 
vorzüglich  das  Gesetzesstudium,  »lebendig  erhalten”,  denn  Letzteres 
war  immer,  vom  religiösen  Gesichtspunkte  betrachtet,  das  Lebens- 
brot der  muslimischen  Gemeinde.  Wer  sich  der  Wissenschaft  wid- 
met, ist  nicht  nur  jeder  Verpflichtung  zur  Theilnahine  am  heiligen 
Kriege  enthoben,  sondern  wer  in  der  Ausübung  wissenschaftlicher 
Thätigkeit  stirbt,  steht  dem  Märtyrer  gleich.  Auf  diesem  edeln 
Gebiete  wird  der  kaufmännischen  Gesinnung,  die  sich  sonst  auch 
in  der  Religion  vielfach  zeigt,  Schweigen  auferlegt:  immer  hat  es 
als  schmählich  gegolten , wenn  ein  Gelehrter  die  von  ihm  er- 
worbenen Kenntnisse  für  Geld  mittheilte.  Aus  alledem  erhellt  zur 
Genüge,  dass  dem  Diener  der  Wissenschaft  im  Islam  reichlicher 


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227 


Himmelslohn  und  durch  die  Art  seiner  Stellung  in  dieser  Welt 
die  höchsten  Ehrenbezeigungen  von  Seiten  der  Gläubigen  zugesi- 
chert sind. 

Schon  bei  oberflächlicher  Durchsicht  der  Gelehrtenbiographien 
irgend  eines  Jahrhunderts  überzeugt  man  sich  bald,  dass  es  nie  an 
Männern  gefehlt  hat,  denen  jener  Lohn  und  jene  Ehre  genügende 
Reize  waren,  sich  dem  geistigen  Ziele  liinzugeben.  In  den  ersten 
4 — 5 Jahrhunderten  kam  noch  hinzu,  dass  sich  die  heihgen  Dis- 
ciplinen  in  stetem  Kampf  zur  höchsten  Bliithe  entwickelten.  Durch- 
aus nicht  alle  Schulstreitigkeiten  hatten  praktische  Bedeutung  für 
das  Leben,  und  man  täuscht  sich  völlig,  wenn  man  glaubt,  das 
sogenannte  muslimische  Recht  habe  wirklich  die  Kultur  beherrscht 
und  sei  in  innigem  Zusammenhang  mit  den  Bedürfnissen  der  Ge- 
sellschaft geblieben;  seitdem  die  Staatsmacht  und  die  Schule  sich 
trennten,  hatte  vielmehr  ein  sehr  bedeutender  Tbeil  des  in  der 
Schule  sich  entwickelnden  Gesetzes  lediglich  kanonische  Bedeutung. 
Aber  an  dem  theologischen  Streite  betheiligte  sich  überall  ein  gros- 
ses Publikum,  dessen  Parteinahme  die  leitenden  Gelehrten  theils 

r 

beeinflusste,  theils  stärkte.  Einflussreiche  Stellungen  in  der  Ge- 
richtsverwaltung gehörten  auch  zu  den  Zielen  des  Ehrgeizes  vieler 
Gelehrten;  als  echte  Vertreter  der  Wissenschaft  gelten  aber  gerade 
Solche,  die  kein  Amt  bekleiden  wollten,  weil  sie  dadurch  in  die 
Lage  kämen,  die  Wünsche  der  Regierung  mehr  berücksichtigen  zu 
müssen  als  die  göttlichen  Gesetze.  Auch  wurden  seit  dem  4tea 
Jahrhundert  der  Hidjrah  solche  Aemter  faktisch  gewöhnlich  dem 
Meistbietenden  zu  Theil,  so  unwissend  er  sein  mochte.  Immerhin 
bleiben  die  rein  weltlichen  Vortheile  auch  in  den  späteren  Zeiten 
Gelehrten  von  weltlicher  Gesinnung  erreichbar;  die  einen  höheren 
Ehrgeiz  befriedigenden , leitenden  Stellungen  innerhalb  des  Gebietes 
der  reinen  WT issenschaft  verloren  dagegen  ihre  Bedeutung,  sobald 
der  Streit  über  wichtige  Fragen  und  damit  das  Leben  der  Wissen- 
schaft aufgehört  hatte,  weil  die  Thätigkeit  der  Gelehrten  sich  nun 
auf  das  Erhalten  und  Uebcrliefem  beschränken  musste. 

Das  katholische  Streben  des  Islam’s,  wodurch  nach  jedem  Streite 
eine  Einigung  über  die  fraglichen  Punkte  erzielt  wurde,  kann  man 


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228 


kaum  überschätzen.  Es  ist  jedoch  wohl  nicht  zufällig,  dass  die  all- 
gemeine und  absolute  Union  der  vier  Riten,  mit  denselben  Glaubens- 
lehre als  Grundlage,  die  eigentlich  fernerhin  jede  selbständige  For- 
schung verpönt,  zeitlich  mit  dem  politischen  Verfall  des  Islam’s 
zusammenlallt.  Viele  schlecht  regierte  Kleinstaaten  und  einzelne  durch 
rein  materielle  Gewalt  gegründete  Grossreiche , in  denen  die  Tyrannei 
keinem  freien  Streben  Raum  gab , bildeten  keinen  Boden  für  geistige 
Wettkämpfe,  wie  sie  früher  zwischen  den  Schulen  üblich  gewesen 
waren.  Jede  Bewegung  konnte  politische  Bedeutung  erlangen  und 
musste  daher  von  den  Herren  des  Schwertes  in  der  Geburt  erstickt 
werden.  Schon  in  ihrem  eignen  Interesse  mussten  also  die  Gelehr- 
ten bloss  konservativ  auftreten , und  die  allgemeine  Zerrüttung  legte 
ihnen  diese  Aufgabe  auch  sonst  nahe.  Nur  vom  rein  religiösen  Ge- 
sichtspunkte aus  blieb  daher  der  wissenschaftlichen  Thätigkeit  ihr 
volles  Verdienst  gesichert;  den  Richtern  und  offiziellen  Gesetzeser- 
kliirern  {Mufti s)  wurde  es  immer  unmöglicher , dem  Kaiser  zu  geben , 
was  des  Kaisers  ist,  und  Gott,  was  Gottes  ist.  Wer  aber  als  Ge- 
lehrter nicht  gewillt  war,  mit  seinem  Gewissen  zu  transigieren , konnte 
sich  nur  selten  zur  einer  den  weltlichen  Mächten  imponierenden 
Höhe  emporschwingen  und  musste  sich  meistens  mit  einem  sehr 
bescheidenen,  stillen  Wirkungskreis  begnügen.  Für  Leute,  die  in 
glücklichen  Verhältnissen  aufgewachsen  waren,  gehörte  also  eine  fast 
zur  Askese  gesteigerte  Hingebung  dazu,  auf  alle  weltliche  Grösse 
zu  verzichten  und  sich  dem  Dienste  der  heiligen  Wissenschaft  zu 
widmen,  die  ihre  Selbständigkeit  der  Staatsgewalt  gegenüber  nun 
einmal  eingebüsst  hatte.  So  erhabene  Gesinnung  bekundeten  nur 
Wenige,  und  bald  würde  es  sogar  an  Konservatoren  des  Vorhan- 
denen gefehlt  haben,  wenn  man  nicht  durch  zweckmässige  Mittel 
den  erkrankten  Forschungstrieb  künstlich  am  Leben  erhalten  hätte. 

Wieder  ist  es  kein  Zufall,  dass  gerade  zur  Zeit,  wo  die  ange- 
deuteten Ursachen  des  Verfalls  auf  die  Wissenschaft  zu  wirken  an- 
fingen, die  ersten  Madrawlis  (//Universitäten”)  im  Islam  gegründet 
sind.  »Man  erzählt”,  so  lesen  wir  bei  Qulb  ed-din  ') , //dass  [die  erste 

i 1)  C M III : 174. 


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229 


» Madraaah  in  der  Welt  die  von  Nizäm  al-mulk  in  Baghdad  gegrün- 
//dete  war  [457  A.  H.  = 1065  n.  C. ')].  Als  nun  die  Gelehrten  Trans- 
"oxaniens  dies  erfuhren,  verunstalteten  sie  eine  Trauerfeier  wegen 
»der  Wissenschaft  und  betrübten  sich  über  den  Verfall  der  Ehre 
»der  Wissenschaft.  Darüber  befragt,  sagten  sie:  »Die  Wissenschaft 
»»ist  eine  edle,  treffliche  Königinn,  die  nur  von  edlen,  treffllichen 
»»Seelen  wegen  des  ihr  innewohnenden  Adels  und  wegen  der  na- 
»»türlichen  Verwandtschaft  (jener  Seelen  mit  ihr)  gesucht  sein  will. 
»»Nun  aber  ein  Lohn  dafür  festgesetzt  ist,  werden  gemeine  Seelen 
»»sie  suchen  und  sie  als  Mittel  zur  Erlangung  winzigen  weltlichen 
»»Besitzes  benutzen,  sich  um  sie  drängen  nicht  zur  Theilnahme 
»»am  Adel  der  Wissenschaft,  sondern  zur  Erreichung  niedriger, 
»»vergänglicher  weltlicher  Stellungen.  So  wird  die  Wissenschaft 
»»durch  die  Gemeinheit  jener  Leute  erniedrigt,  ohnedass  sie  durch 
»»deren  Adel  erhoben  werden;  sehet  nur  die  Heilkunst,  die,  ob- 
» »gleich  sie  eine  edle  Wissenschaft  ist,  seitdem  sie  durch  die  ge- 
» »meinen  Juden  gepflegt  wird,  von  deren  Gemeinheit  angesteckt 
»»wurde,  während  die  gemeinen  Juden  sich  keineswegs  den  Adel 
»»der  Heilkunst  angeeignet  haben””. 

Qutb  ed-dln  fügt  hinzu,  die  Befürchtung  jener  Gelehrten  habe 
sich  leider  als  allzu  begründet  herausgestellt.  Wir  können  zwar  nicht 
zugeben , dass  die  Ursache  des  Rückschritts  in  der  Errichtung  von 
Medäris  zu  suchen  sei,  aber  ohne  Zweifel  gehörte  die  Entstehung 
solcher  Anstalten  zu  den  Zeichen  des  Verfalls. 

Obgleich  eine  leidlich  ausgestattete  Madrasah  gewöhnlich  mehrere 
Hörsiile  und  eine  Bibliothek  enthielt,  so  war  doch,  wie  aus  dem 
oben  Bemerkten  hervorgeht,  nicht  die  Vermehrung  oder  Koncen- 
trierung  der  Lehrmittel  Hauptzweck  solcher  Stiftungen ; man  wollte 
vielmehr  dadurch  die  Leute  zur  Pflege  der  Wissenschaft  ermun- 
tern, dass  man  ihnen  Wohnung  und  Lebensunterhalt  zusicherte. 
Gott  selbst  hat  durch  seine  Organe  das  Studium  des  Gesetzes  und 
der  sich  daran  reihenden  Disciplinen  zur  solidarischen  Verpflichtung 
der  »Gemeinde”  gemacht;  mit  Recht  erwartet  darum  die  Bevölke- 


1)  IA  X:  34. 


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230 


rung  von  den  Fürsten  Förderung  solcher  Studien  mit  ausserordent- 
lichen Mitteln , wo  das  freiwillige  Angebot  versagt , aber  auch  reiche 
Fromme  steuern  unter  solchen  Umständen  das  Ihrige  zum  selben 
Zwecke  bei.  Wer  sich  also  indirekt  um  die  heilige  Wissenschaft 
verdient  machen  will,  lässt  etwa  ein  grosses  Ilaus  erbauen,  dessen 
zahlreiche  kleine  Zimmer  Lehrern  und  Studenten  Wohnung  bieten , 
während  einige  Säle  für  die  Kollegien  eingerichtet  werden;  nach 
Einholung  des  Raths  gelehrter  Freunde  bestimmt  er  die  Stiftungs- 
ordnung: wie  viele  Lehrer  angestellt,  wie  viele  Schüler  zugleich 
aufgenommen  werden  sollen ; welche  Disciplinen  dociert  werden  müs- 
sen und  zu  welcher  Zeit;  welchen  Bedingungen  die  Bewohner  des 
Stiftshauses  unterworfen  sind , und  wer  das  Ganze  administrieren  soll. 
Last  not  least  gehören  nun  aber  zur  Stiftung  einige  liegende  Güter , 
die  der  Eigenthümer  ebenso  wie  das  Stiftshaus  zu  Waqf,  d.  h.  auf 
ewige  Zeiten  unveräusserlich  zu  erklären  hat,  und  deren  Einkünfte 
bei  ordentlicher  Verwaltung  zur  Instandhaltung  des  Gebäudes  und 
zur  Besoldung  der  Lehrer  und  der  Schüler  genügen. 

In  Mekka  wird  das  Bedürfniss  nach  Hörsälen  wohl  weniger  als 
in  irgend  einem  andern  heissen  Orte  des  islamischen  Gebietes  emp- 
funden; der  Moscheehof  bietet  Gelegenheit  zur  Abhaltung  vieler 
wissenschaftlicher  Vorträge  zu  gleicher  Zeit , solange  die  Sonne  noch 
nicht  hoch  am  Himmel  steht,  und  wenn  es  zu  heiss  wird,  finden 
die  Wissbegierigen  in  den  Säulenhallen  Raum  genug.  Höchst  sel- 
ten, und  dann  nur  auf  wenige  Tage,  werden  die  Versammlungen 
im  Freien  durch  Regengüsse  und  deren  Folgen  unterbrochen.  Dazu 
kommt,  dass  die  Muslime  glauben,  der  Ort,  wo  man  seine  wis- 
senschaftlichen Kenntnisse  vermehrt,  sei  gar  nicht  gleichgültig  für 
die  Früchte  des  Unterrichts;  welchen  Ort  könnte  man  aber  der 
heiligsten  Moschee  auf  Erden  vorziehen?  Hier  wird  die  Aneignung 
der  Wissenschaft  durch  die  Barakah  (den  Segen)  des  Ortes  er- 
leichtert, wie  auch  die  Gunst,  welche  der  Lehrer  von  Allah  ge- 
niesst , ganz  abgesehen  von  dem  Maasse  seiner  Gelehrsamkeit , 
segensreich  auf  seine  Thätigkeit  einwirkt.  Trotzdem  gehörten  auch 
in  Mekka  zu  jeder  Madrasah  Hörsäle,  vielleicht  weil  diese  Ein- 
richtung nun  einmal  üblich  war  oder  zur  Erleichterung  der  Ver- 


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231 


waltung.  Wichtiger  war  es  jedenfalls,  dass  sie  für  Lehrer  und 
Schüler  Chelwah's  (Wohnzimmer)  enthielten  und  dass  die  edlen  Stif- 
ter es  ihnen  ermöglichten,  dem  Studium  ohne  Sorge  für  das  täg- 
liche Brot  obzuliegen. 

Als  bedeutende  Anstalten  dieser  Art  in  Mekka  erwähnt  Qutb 
ed-dln  l 2)  die  1233  von  einem  Diener  des  Chalifen  Mustan^ir  in  der 
Nähe  des  Bfib  es-salam  *)  errichtete  Madrasah  mit  einer  kostbaren 
Bibliothek;  die  1477  auf  Kosten  des  Sultans  Qäitbey  3)  in  der  Nähe 
der  erstgenannten  erbaute  Madrasah  (mit  einem  schönen  Hörsaale, 
72  Chelwah's  und  einer  Bibliothek)  für  die  vier  orthodoxen  Riten; 
die  an  die  Südseite  der  Moschee  grenzende  Madrasah  des  Sultans 
Suleiman,  mit  deren  Rau  1565  angefangen  wurde,  und  welche 
von  Qutb  ed-dln  ausführlich  und  genau  beschrieben  wird,  da  er 
selbst  als  Lehrer  dabei  angestellt  war.  Hinter  diesen  grossen  Ein- 
richtungen treten  mehrere  andere,  von  egyptischen  und  indischen 
Fürsten  oder  reichen  Pilgern  gestiftete  zurück.  Ausser  der  Verpflich- 
tung zu  lehren  oder  studieren,  welche  die  aus  den  Waqf-giitern 
Besoldeten  übernehmen  mussten , verlangte  der  Stifter  meistens  noch 
von  ihnen,  dass  sie  zu  bestimmten  Zeiten  in  seinem  Namen  Qurän- 
recitationen  abhielten,  damit  ihm  aus  der  Stiftung  immer  neuer 
Himmelslohn  zufliesse.  Allein  es  dauerte  in  der  Regel  nur  wenige 
Jahre,  bis  die  Missverwaltung  der  zum  Stift  gehörenden  Liegen- 
schaften die  Einkünfte  dermaassen  herabdrückte,  dass  die  Gehälter 
grossentheils  oder  ganz  hinfällig  wurden;  der  Vortheil  freier  Woh- 
nung allein  genügte  aber  nicht , Lehrer  und  Schüler  heranzuziehen , 
abgesehen  davon,  dass  Geldmangel  auch  Vernachlässigung  des  Ge- 
bäudes verursachte.  Dann  fingen  die  Verwalter  oder  die  Regierungs- 
beamten an,  mit  den  Madrasah' s als  verlassenem  Gut  zu  schal- 
ten , wie  sie  wollten ; bald  richteten  sie  sich  selbst  häuslich  in  den 
Gebäuden  ein , bald  vermietheten  sie  die  schönen , wegen  der  Nähe 
der  Moschee  geschätzten  Wohnungen  an  vornehme  Pilger  oder  reiche 


1)  CM  III:  1T7  f.,  225  f.,  351  ft. 

2)  Vcrgl.  den  Grundriss  der  Moschee. 

3)  Yergl.  Bd.  I,  S.  100-101. 


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232 


Ansässige,  kurz,  wie  Qutb  ed-din  wiederholt  klagt,  '/die  Hände  der 
Fresser  ’)  bemächtigten  sich  der  Stiftungen.” 

So  kam  es  allmählich  dahin  l) , dass  von  all  jenen  Anstalten  nur 
die  Namen  übrig  blieben  und  höchstens  in  den  weniger  werthvol- 
len Chelwah’s  einige  arme  Professoren  und  Studenten  oder  Moschee- 
beaiute  wohnen ; hie  und  da  hat  der  reiche  Bewohner  der  schönsten 
Zimmer  einer  Madrasah  aus  Ehrfurcht  gegen  den  Stifter  verfügt, 
dass  z.  B.  wöchentlich  einmal  im  Dihliz  oder  in  einem  Salon  ein 
Dar»  (Kolleg)  abgehalten  wird.  Im  Ganzen  hat  das  Wort  Madrasah 
daher  in  Mekka  die  Bedeutung  eines  vornehmen , an  die  Moschee 
stossenden  Hauses  erlangt,  ohnedass  die  Bevölkerung  dabei  an  die 
ursprüngliche  Bestimmung  denkt. 

Von  den  Madrasah'»  erhält  also  das  wissenschaftliche  Leben  in 
Mekka  nicht  die  geringste  Nahrung;  nach  wie  vor  ist  die  Moschee 
zugleich  Universitätsgebäude , und  für  ihren  Lebensunterhalt  sind 
die  Diener  der  Wissenschaft  auf  verschiedene  Quellen  angewiesen. 
Für  einige  von  den  Professoren  sind  die  mit  der  Lehrerstelle  ver- 
bundenen Vortheile  nur  nebensächlich.  Dies  gilt  z.  B.  von  den  Mufti’s, 
die  während  meines  Aufenthalts  in  Mekka  mit  Ausnahme  des  fja- 
naHtischen  J)  alle  docierten ; ihr  Amt  als  Gesetzeserklärer  ist  zwar 
dem  Namen  nach  unbesoldet,  trägt  ihnen  aber  auf  verschiedenen 
Wegen  jedenfalls  mehr  ein  als  die  Professur.  Andere  in  Mekka  ge- 
borene Professoren  trieben  bedeutende  Handelsgeschäfte  und  waren 
dadurch  ganz  unabhängig;  auch  giebt  es  Lehrer,  denen  der  Ruf 
ihrer  Frömmigkeit  und  ihres  Wissens  bedeutende  Geschenke  von 
reichen  Schülern  und  sonstigen  Verehrern  sichert.  Sofern  sie  aber 
zur  Korporation  gehören  und  es  nicht  (wie  z.  B.  der  berühmte , aus 


1)  So  bezeichnet  man  auch  jetzt  noch,  im  Anschluss  an  den  qurnniscbcn  Sprachge- 
brauch, die  Beamten,  die  fremdes  Gut  durch  die  ihnen  zu  Gebote  stehenden  Gewalt- 
mittol  an  sich  ziehen. 

2)  Vergi.  hierzu  Bd.  I,  S.  17. 

3)  Der  hanafitische  Mufti  ist  immer  sehr  beschäftigt,  weil  das  von  der  türkischen 
Regierung  befolgte  kanonische  Rocht  das  hanafitische  ist.  Weil  ihn  die  Regierungsbo- 
amten  jeden  Augenblick  um  Gutachten  angehen,  muss  er  während  der  heissesten 
Jahreszeit  mit  ihnen  nach  Tüif  übcrsiedcln.  Inhaber  dieses  Amtes  war  1884 — 5 der 
sehr  gelehrte  Abderrahman  es-Serradj;  wenn  er  Zeit  erübrigen  konnte,  las  er  in  einem 
auscrwählten  Kreise  in  Mekka  oder  in  T^if  zu  Hause  über  verschiedene  Fächer. 


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233 


Brittisch-Indien  verbannte  Bekiimpfer  dea  Christenthums  Rahmat 
Ullah  '),  der  gerade  seiner  Selbständigkeit  wegen  Vielen  als  der 
Gelehrte  per  excellentiam  gilt)  vorziehen,  der  Wissenschaft  nur  um 
Allahs  willen  zu  dienen  und  ihre  Schüler  zu  Hause  zu  empfangen, 
bekommen  alle  ihren  Antheil  von  den  Einkünften,  ohne  welche  die 
meisten  ihre  Kräfte  auf  andere  Zwecke  verwenden  würden. 

Im  I,tm  Bande  haben  wir  gesehen,  wie  die  »Nachbarn  Allahs” 
sich  mehr  oder  weniger  berechtigt  glauben,  auf  Kosten  der  übri- 
gen muslimischen  Welt  zu  leben,  und  wie  im  Laufe  der  Zeit  von 
verschiedenen  Seiten,  namentlich  von  Egypten,  diesem  Verlangen 
entsprochen  wurde.  Dorther  bezogen  die  Scherife  und  ihre  Unter- 
thanen  jährliche  Geschenke  an  Geld  und  Weizen,  und  die  türki- 
schen Sultane  folgten  auch  in  dieser  Hinsicht  den  Fürsten  Egyptens 
als  Schutzherren  der  heiligen  Städte  nach.  Bei  jedem  Wechsel  der 
politischen  Verhältnisse  nahmen  die  Schutzherren,  sobald  nur  die 
Ordnung  wiederhergestellt  war , die  jährlichen  Sendungen  wieder  auf. 
Das  türkische  Sultanat  würde  in  der  ganzen  muslimischen  Welt 
sein  Ansehen  einbüssen , wenn  es  die  herkömmlichen  Sendungen  nach 
Mekka  und  Medina  einstellte , und  trotz  dem  finanziellen  Nothstande 
wird  ihm  diese  Aufgabe  nicht  zu  schwer,  weil  Geld  und  Korn  von 
Egypten  geliefert  werden.  Fast  jede  ganz  in  Mekka  eingebürgerte 
Familie  (ausser  den  reichen  Kaufleuten  und  dem  ärmsten  Gesindel) 
erhält  ein  oder  mehrere  Ardebb's  vom  egyptischen  Weizen,  aller- 
dings thatsiichlich  nicht  ohne  Abzüge  zu  Gunsten  der  mit  der  Ver- 
theilung  beauftragten  Beamten.  Fast  jeder  Mekkaner,  der  auch  nur 
den  Namen  eines  Amtes  trägt , vom  Mufti  bis  herab  zum  Auskehrer 
der  Moscheehallen , bekommt  jährlich  eine  Anweisung  auf  die  Regie- 
rungskasse; es  wird  den  Leuten  in  den  letzten,  schlechten  Jahren 
freilich  manchmal  schwer,  die  Zettel  gegen  den  vollen  Betrag  los 
zu  werden,  und  häufig  verkaufen  sie  dieselben  einer  Mittelsperson 
für  weniger  als  den  halben  Werth,  weil  die  Kasse  immer  zufällig 
leer  ist,  wenn  sie  sich  melden.  Vom ^ Korn  sowie  vom  Gelde  ist 


X)  Verfasser  dos  mehrfach  gedruckten,  gegen  die  englischen  Theologen  gerichteten 
Werkes  Iikir  al-kojj,  das  von  VI.  Carletti  ins  Französische  übersetzt  worden  ist 
II  SO 


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234 


allen  Professoren  das  Ihrige  zugewiesen,  auch  wenn  sie  schon  aus 
anderen  Gründen , z.  B.  als  Muftis  oder  als  Imäma ')  und  Chatib's '), 
einen  Antheil  bekommen;  ihrem  Stande  verdanken  sie  eine  ziemlich 
regelmässige  Auszahlung. 

Andere  Vortheile , worein  sich  die  Professoren  theilen , sind  die 
Geldgeschenke,  welche  reiche  Pilger,  vorzüglich  aus  Indien,  ohne 
genauere  Beschränkung  als  Qadaqah's  für  «die  Gelehrten  des  Haram” 
bestimmen.  Schon  diese,  manchmal  recht  bedeutenden,  gemeinsa- 
men Einnahmen  würden  genügenden  Anlass  bilden  zur  Entstehung 
einer  Gelehrtenkorporation,  an  deren  Spitze  der  Verwalter  und 
Vertheiler  jener  Geldsummen  steht.  Auch  in  anderen  Hinsichten 
wäre  aber  die  Gelehrtenzunft  ohne  Zunftordnung  und  Zunftmeister 
undenkbar. 

An  und  für  sich  gehören  die  Moscheeräume  der  ganzen  Gemeinde , 
und  jeder  Muslim,  der  hier,  ohne  Andere  zu  stören,  für  religiöse 
Zwecke  einen  Platz  okkupiert,  hat  ein  liecht  darauf,  bis  er  ihn 
wieder  verlässt;  nur  zu  den  Zeiten  der  gemeinschaftlichen  Gottes- 
dienste hat  jeder  sich  bei  der  Wahl  des  Platzes  nach  den  dafür 
geltenden  Vorschriften  des  Gesetzes  zu  regeln.  Jedesmal,  wenn  die 
Gemeinde  eins  von  ihren  fünf  täglichen  Qaläts  abgehalten  hat,  leert 
sich  das  Heiligthum  allmählich:  einzelne  Fromme  beten  noch  län- 
gere Zeit  nach,  ab  und  zu  erscheinen  einzelne  Nachzügler,  die 
trotz  der  Verspätung  ihre  Andacht  lieber  in  der  Moschee  als  zu 
Hause  verrichten : beiderlei  Moscheebesucher  lassen  aber  mehr  Raum 
übrig,  als  die  verschiedenen  Gesellschaften  von  Gläubigen  für  ihre 
anderweitigen  Uebungen  brauchen.  Es  sitzen  da  Leute,  bloss  weil 
sie  keinen  Grund  haben,  anderswohin  zu  gehen,  hie  und  da  wie- 


1)  Zu  diesen  Aemtern  (des  Leiters  des  <?aldt  und  des  Predigers  am  Freitag  und  an 
den  Festlagen)  ist  bekanntlich  keine  Gelehrsamkeit  erforderlich,  und  in  Cairo  z.  B. 
hatten  dieselben  zu  Lane’s  Zeit  Parfümeure  und  dergleichen  inne.  In  Mekka  fungieren 
sowohl  die  angesehensten  Gelehrten  wie  einige  unbedeutende  Personen  als  fmam's  und 
Ckafib'n  die  grosse  Zahl  der  Angestellten  und  die  Erlaubniss,  sich  für  jede  Funktion 
bei  der  Moschee  von  einem  Kundigen  vertreten  zu  lassen,  erleichtern  hier  diese  Aem- 
ter  bedeutend,  und  die  Vortheile  sind  immerhin  etwas  grösser  als  bei  den  meiston 
anderen  Moscheen.  Für  Fcstpredigten  wird  der  Chatib  von  der  Regierung  bestimmt, 
und  wenn  er  von  der  Kanzel  herabsteigt,  erhalt  er  bei  solcher  Gelegenheit  ein  Ober- 
gewand. Die  Mufti’s  sind  alle  zugleich  Imdm’s  und  Chatjb't. 


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derholen  Knaben  ihre  Quränlektion  mit  lauter  Stimme  und  rhyth- 
mischer Bewegung  des  Körpers,  die  Brüder  einer  mystischen  Ge- 
sellschaft bilden  ein  Viereck  oder  einen  Kreis  und  leiern  ihre  Litaneien 
ab,  und  mehrere  Kreise  von  Studenten  lauschen  dem  Vortrage  der 
Lehrer.  Aus  dem  oben  angedeuteten  Grundsätze  Hesse  sich  folgern, 
dass  nun  auch  allen  Gläubigen  die  Verfügung  über  den  Hof  und 
die  Hallen  zu  wissenschaftlichen  Zwecken  zustünde,  gleichviel  wer 
in  der  Mitte  des  Kreises  seine  wahren  oder  vermeintlichen  Kennt- 
nisse ausböte.  Dem  ist  aber  in  WirkUchkeit  nicht  so. 

Selbstverständlich  würde  es  gegen  alle  Sitte  verstossen , wenn  sich 
gänzlich  Unfähige  hier  als  Professoren  aufspielten;  daran  würde  sie 
schon  der  öffentliche  Spott  verhindern.  Aber  auch  wenn  nur  alle  aner- 
kannten Gelehrten,  die  in  Mekka  Unterricht  ertheilen,  dazu  die 
Moschee  benutzten,  wäre  der  verfügbare  Raum  zu  enge,  da  die 
Stimmen  der  Lehrer  ein  Chaos  bilden,  sobald  nicht  die  Kreise  in 
einiger  Entfernung  von  einander  bleiben.  Ausserdem  hält  natür- 
liche Bescheidenheit  Viele  vom  Docieren  in  der  Moschee  zurück; 
dieser  sieht  sich  als  zu  jung  an,  jener  als  zu  wenig  vornehm,  um 
am  selben  Orte  mit  den  Sternen  erster  Grösse  sein  Licht  scheinen  zu 
lassen,  und  von  den  Javanen  glaubt  mancher,  seine  Herkunft  und 
seine  äussere  Erscheinung  passten  nicht  für  die  edle  arabische  Ge- 
sellschaft. Es  giebt  also  eine  Grenze  zwischen  den  Gelehrten  des 
Haram  und  ihren  anderswo  docierenden  Kollegen;  theilweise  wäre 
dieselbe  schon  vom  Herkommen  ohne  Weiteres  bestimmt,  in  eini- 
gen Fällen  kann  dagegen  nur  der  Wille  einer  leitenden  Person 
entscheiden,  ob  Einer  zur  Haram korporation , d.  h.  zur  eigentlichen 
Gelehrtenzunft  gehören  soll  oder  nicht. 

Der  Scheck  el-ulamä  wird , ähnlich  wie  andere  Zunfthäupter , mit 
mehr  oder  weniger  Rücksicht  auf  die  Wünsche  der  Gelehrten 
von  der  Regierung  angestellt;  gewöhnlich  bekleidet  ein  Mufti,  und 
zwar  meistens  der  Mufti  der  Schäfi'iten,  dies  Amt.  Als  ich  in 
Mekka  war,  hatte  dasselbe  der  schäffitische  Mufti  Sejjid  Ahmed 
ibn  ZenI  Duhlän , dessen  Biographie  ich  an  einem  andern  Orte  ') 


L)  Bijdragon  van  het  Koninklijk  Ncderlandsch-Indisch  Instituut,  5e  Yolgreeks,  II:  344 ff. 


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mitgetheilt  habe,  schon  seit  vielen  Jahren  inne.  Für  die  »Gelehr- 
ten” einlaufende  Geschenke  nimmt  der  Scheck  el-ulamä  in  Empfang 
und  vertheilt  sie  später , nicht  nach  dem  Grundsätze  der  Gleichheit , 
sondern  nach  seinem  Gutdünken,  da  »der  Vater”  am  besten  die 
Bedürfnisse  seiner  »Söhne”  kennt;  über  die  festen  Gehälter  verfügt 
er,  da  die  erledigten  Stellen  nach  seinem  Rathe  besetzt  werden. 
Darum  sind  viele  Gelehrte  schon  einstweilen  mit  der  Lioenz,  im 
Haram  zu  docieren,  zufrieden,  wenngleich  ohne  Gehalt  und  ohne 
herkömmliches  Recht  auf  einen  Theil  der  unregelmässigen  Einnah- 
men; der  Schech,  der  ihnen  solche  Licenz  ertheilt,  stempelt  sie 
dadurch  gleichsam  zu  Kandidaten  für  die  bezahlten  Stellungen. 

Die  Habilitation  ist  keineswegs  frei ; nur  wer  die  Gunst  des  Schechs 
erworben  hat,  wird  zur  »Prüfung”  zugelassen;  wer  aber  nach  be- 
standener Prüfung  (niemals  fällt  Einer  durch)  so  zu  sagen  als  Pri- 
vatdocent  im  Haram  Vorlesungen  hält,  bekommt  wieder  nach  Maass- 
gabe jener  Gunst  mehr  oder  weniger  schnell  ein  Extraordinariat 
(d.  h.  Antheil  an  den  einlaufenden  Geschenken  usw.)  oder  ein  Or- 
dinariat (d.  h.  ausserdem  eine  jährliche  Besoldung).  Auf  die  Ge- 
sinnung des  Schechs  wirken  sehr  verschiedenartige  Einflüsse , und  der 
Wille  der  Regierungsbeamten  giebt  hier,  gleichwie  bei  den  Zünf- 
ten ') , in  indirekter  Weise  manchmal  den  Ausschlag.  Ich  habe  einen 
recht  kläglichen  Tekrün-Gelehrten  gekannt,  der  dem  Mitleid  des 
Sejjid  Dahlän  ein  Ordinariat  verdankte , während  sich  andere , ebenso 
hungrige  als  verdienstvolle  Professoren  vergeblich  bewarben.  Was 
die  Mecallimijjeh  J)  für  die  Zünfte , das  ist  das  Habilitationsexamen 
( Imtihnn ) für  die  Universität.  Der  Schech  bestimmt  die  Zeit,  wann 
der  Kandidat  sich  in  der  Nähe  des  Bäb  ez-Zijädah  *)  einzufinden 
habe;  meistens  geschieht  die  Prüfung  im  Laufe  des  Vormittags  oder 
nach  dem  cA?r.  Als  Examinator  fungiert  der  Schech  selbst  oder  ein 
von  ihm  delegierter  Kollege;  die  angestellten  Professoren  sitzen  im 
Kreise  herum,  andere  Freunde  oder  Neugierige  setzen  sich  beschei- 

1)  Vcrgl.  oben  S.  34. 

9)  Vergl.  oben  S.  35. 

3)  Vcrgl.  den  Grundriss  der  Moschee. 


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den  in  den  Hintergrund.  Einige  (etwa  4 — 5)  von  den  anwesenden 
Gelehrten  gelten  speciell  als  Zeugen  der  Prüfung. 

Den  Gegenstand  des  Examens  bilden  ausnahmslos  die  feierlichen 
Worte,  welche  als  Ueberschrift  den  Quränsüren  und  überhaupt  so  gut 
wie  allen  muhammedanischen  Schriftstücken  vorangehen , und  womit 
man  nach  der  Tradition  jede  wichtige  Handlung  einzuleiten  habe: 
ilm  Namen  Allahs,  des  allbarmherzigen  Erbarmers” . Zu  dieser  Bas- 
malah  haben  die  muslimischen  Gelehrten  immer  ausführlichere  Kom- 
mentare geschrieben,  deren  Inhalt  man  nicht  ohne  gediegene  gram- 
matische, logische,  theologische  und  juristische  Kenntnisse  verdauen 
kann,  und  mit  etwas  gutem  Willen  lässt  sich  die  halbe  heilige 
Wissenschaft  daran  knüpfen.  So  leicht  das  Examenprogramm  beim 
ersten  Anblick  zu  sein  scheint,  so  Hesse  sich  doch  eine  sehr  schwere 
Prüfung  daraus  ableiten.  Allein,  wie  gesagt,  die  Untersuchung  der 
Kenntnisse  des  Kandidaten  hat  bloss  formelle  Bedeutung,  und  sie 
beschränkt  sich  wesentlich  auf  das,  was  die  bekanntesten  Qurän- 
kommentare  anlässig  der  Bamalah  bemerken.  Ohne  Zaudern  be- 
antwortet der  Kandidat  die  wenigen  an  ihn  gerichteten  Fragen , und 
das  eigentliche  Resultat  besteht  darin , dass  auch  seine  neue  Thätig- 
keit  mit  jener  feierlichen  Anrufung  des  Namens  Allahs  eröffnet 
wird,  die  Allah  selbst  empfohlen  hat.  Zum  Schluss  lässt  der  neue 
Afedarris  (Professor)  nach  gemeinsamem  Gebet  für  sein  Glück  allen 
Anwesenden  Kaffee  anbieten,  und  wenn  er  wohlhabend  ist,  giebt 
er  seinen  Kollegen  später  am  Tage  in  seiner  Wohnung  eine  fest- 
liche Mahlzeit. 

Ausser  der  Aufnahme  neuer  Mitglieder  und  der  Vertheilung  ge- 
meinschaftlicher Einkünfte  hat  nun  der  Schech  in  jeder  Beziehung 
das  Leben  der  Korporation  zu  regeln,  sie  nach  aussen  zu  vertreten 
und  zwischen  ihr  und  der  Regierung  zu  vermitteln.  Für  gewöhn- 
liche Fälle  begnügt  sich  die  Regierung  damit,  wenn  sie  Befehle 
erlassen  oder  neue  Maassregeln  einführen  will,  zur  Vermeidung  von 
Konflikten  mit  dem  kanonischen  Gesetze  ein  Gutachten  vom  hana- 
fitischen  Mufti  zu  verlangen;  wenn  ihr  aber  besonders  daran  liegt, 
dem  Volke  kundzugeben , alle  religiösen  Autoritäten  seien  mit  ihrem 
Willen  einverstanden,  so  wendet  sie  sich  an  den  Schech  el-ulamä, 


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der  dann  selbst  der  Frage  die  übliche  Einkleidung  giebt,  die  Ant- 
wort in  feierlichem  Stile  mit  einer  gehörigen  Menge  von  Citaten 
darunterschreibt  und  endlich  sein  »Fetwa”  den  angesehensten  Kol- 
legen zum  Unterzeichnen  vorlegt.  Derlei  offieielle  Anfragen  um  Fetwa’s 
dienen  vorzüglich  dazu,  erwarteter  Opposition  von  vorne  herein  die 
Spitze  abzubrechen.  Sie  beziehen  sich  auf  die  Einführung  von  Ord- 
nungen, die  gegen  beliebte  Sitten  und  herkömmliche  Missbrauche 
gerichtet  sind  oder  deren  Endzweck  die  Vermehrung  der  Regierungs- 
einnahmen ist.  Auch  ergreift  man  dies  Mittel , wenn  auf  Betreiben 
einflussreicher  Beamter  oder  Gelehrter  gegen  Personen  eingeschrit- 
ten werden  soll,  die  selbst  ihr  Ansehen  der  heiligen  Wissenschaft 
verdanken , weil  dann  die  für  dem  Verurtheilten  eintretenden  Kol- 
legen jeder  Entscheidung  ihre  Wirkung  nehmen  würden,  die  ihnen 
nicht  die  Gewalt  der  Behörden  und  eine  sogenannte  Majorität  der 
Gclehrtenzunft  aufzwängen.  In  meiner  oben  citierten  Biographie  des 
Sejjid  Dahlän  hal>e  ich  ein  paar  Beispiele  solcher  Intrigen  mitge- 
theilt  *).  Einmal  war  der  Betroffene  ein  Gelehrter  ersten  Ranges, 
Hasab  Allah,  der  Sohn  eines  zum  Islam  bekehrten  Kopten.  Sein 
Ruhm , der  durch  seine  ängstliche  Vermeidung  jeder  officiellen  Be- 
rührung mit  den  Vertretern  der  Regierung  noch  erhöht  wurde, 
die  innige  Verehrung,  womit  seine  zahlreichen  Schüler  und  ge- 
schätzte Kollegen  ihn  umgaben , warfen  dunkle  Schatten  auf  das 
angestellte  Oberhaupt  der  Zunft.  Man  flüsterte,  dass  Hasab  Allah 
sich  im  Freundeskreise  sehr  abfällig  über  Handlungen  und  Worte 
des  Schechs  äusserte.  Nicht  lange  dauerte  es,  bis  Hasab  Allahs 
Unvorsichtigkeit  dem  einflussreichen  Gegner  die  gesuchte  Gelegen- 
heit bot,  sich  zu  rächen,  ln  einer  handschriftlich  unter  seinen 
Schülern  verbreiteten  Abhandlung  hatte  er  die  dem  Sejjid  wie  den 
meisten  Mekkanem  s)  liebe  Sitte  des  Tabackrauchens  heftig  ange- 
griffen und  als  in  den  meisten  Fällen  verboten  dargestellt.  Dahlän 


1)  Bijdragen  van  het  Koninklijk  Nederlandsch-Indisch  Instituut,  5e  Volgrecks,  II : Si8  ff. 

2)  Viele  Mekkaner  enthalten  sich  allerdings  des  Rauchens , weil  cs  ihnen  zu  kost- 
spielig wird,  und  einseine  Gelehrte  und  Mystiker,  weil  sic  cs  für  besser  (atola)  halten, 
nicht  su  rauchen.  Unter  den  Weibern  ist  solche  Enthaltsamkeit  seltener  als  unter  den 
Männern. 


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deducierte  in  seiner  Widerlegungsschrift  aus  dieser  Ansicht,  dass 
danach  die  meisten  Mekkaner,  und  überhaupt  die  Muslime  als 
fäsiq  (schlechten  Wandels)  zu  gelten  hätten,  und  da  die  bei  Ehe- 
schliessungen als  Zeugen  fungierenden  Männer , wenn  sie  fäsiq  sind , 
die  Ehe  ungiltig  machen,  die  Mehrzahl  der  sogenannten  Ehen  un- 
züchtige Verbindungen  seien.  Eine  derartige,  gegen  die  ganze  Ge- 
meinde gerichtete,  Behauptung  sei  nun  aber  absurd  und  frevelhaft; 
somit  sei  die  Behauptung  Hasab  Allah’s , aus  welcher  sie  mit  Recht 
abgeleitet  werden  müsste,  in  gleicher  Weise  zu  qualificieren. 

Weiter  darf  eine  gelehrte  Autorität  nicht  gehen;  die  Angabe, 
welche  Strafe  das  göttliche  Gesetz  über  das  Verbreiten  der  bezeich- 
neten  Ansicht  verhänge,  darf  erst  auf  das  Ersuchen  der  Behörden 
erfolgen,  weil  diese  sonst  allzuoft  unerwünschter  und  gefährlicher 
Kritik  ausgesetzt  wären.  Die  Versuche  des  Schechs,  die  Obrigkeit 
zur  Bestrafung  des  Widerspänstigen  zu  veranhissen,  schlugen  dies- 
mal fehl,  namentlich  weil  der  älteste  Schebl  sich  zu  Hasab  Allah’s 
Gunsten  ins  Mittel  legte.  Bald  machte  es  der  Gelehrte  jedoch  allzu 
schlimm.  Als  das  «heilige”  Grab  des  nach  der  historischen  Tradi- 
tion im  Unglauben  gestorbenen  Oheims  des  Propheten,  Abu  Tälib 
mit  einer  neuen  Kuppel  versehen  wurde , hätte  nach  Ansicht  Hasab 
Allah’s  der  »Schecb”  dagegen  protestieren  sollen,  und  er  warf  ihm 
seine  Nachlässigkeit  in  einer  neuen  Abhandlung  vor.  Der  Schech 
vertrat  dagegen  die  spätere,  legendarische,  aber  durch  den  »Con- 
sensus” ziemlich  geschützte  Ansicht,  die  Ahnen  Muhammeds  und 
auch  sein  tugendhafter  Oheim  seien  gläubig  gewesen;  ihm  zufolge 
liess  sich  also  hier  der  Sohn  des  Kopten  arge  Verleundung  des  Ge- 
schlechtes Muhammeds  zu  Schulden  kommen.  In  der  unliebsamen 
Polemik,  die  sich  daran  knüpfte,  zog  Hasab  Allah  den  Kürzeren, 
denn  die  Regierungsbeamten  wurden  unschwer  für  die  Ansicht 
gewonnen , dass  solche  Aeusserungen  nicht  ungeahndet  bleiben 
dürften.  Auf  Betrieb  des  Schechs  selbst  verlangte  der  Wäll  end- 
lich ein  Gutachten  von  »den  Gelehrten”;  der  Schech  verfasste  eine 
Frage  und  eine  scharf  verurtheilende  Antwort,  worauf  Hasab  Allah 
auf  ein  halbes  Jahr  aus  Arabien  verbannt  wurde.  Die  meisten  Ge- 
lehrten wagten  es  nicht,  sich  der  Unterzeichnung  des  Fetwa  zu 


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entziehen;  nur  wenige  einflussreiche  Anhänger  des  Verurtheilten 
hatten  den  Muth,  hartnäckig  zu  schweigen.  Später  kehrte  IJasab 
Allah  nach  Mekka  zurück,  und  als  ich  dort  war,  docierte  er  im 
Haram  wie  zuvor,  war  auch  nicht  weniger  geehrt,  aber  bequemte 
sich  doch  zu  grösserer  Vorsicht. 

Im  anderen  Falle  galt  es  einem  in  weiten  Kreisen  verehrten  Mys- 
tiker, dem  Schecli  des  Naqschibendl-ordens , Suleiman  Efendi,  als 
dessen  Konkurrent  mit  gleichem  Titel  ein  gewesener  Regierungsbe- 
amter, Chalil  Pascha,  aufgetreten  war.  Beide  suchten  vorzüglich 
unter  Türken  und  Malaien  Adepten  für  ihre  Genossenschaft  zu  ge- 
winnen, aber  die  hohen  Verbindungen  des  Paschas  konnten  nicht 
verhindern,  dass  Suleiman  bei  Weitem  der  populärste  von  Beiden 
war.  Nun  widerspricht  eigentlich  die  Thätigkeit  zweier  Scheche 
gleichen  Ranges  im  nämlichen  Orden  in  derselben  Stadt  den  Grund- 
sätzen solcher  Bruderschaften.  Schon  das  Auftreten  des  zweiten 
setzt  bei  ihm  Zweifel  an  die  Berechtigung  der  Ansprüche  des  er- 
sten voraus;  die  Konkurrenz  reizt  die  Gegner  bald  zu  unzweideu- 
tigen Aeusserungen  von  Geringschätzung  und  Feindschaft.  So  kam 
es  dahin , dass  Chalil  und  Suleiman  beide  behaupteten , des  Andern 
mystische  Erziehungsmethode  schreibe  sich  mit  Unrecht  vom  heili- 
gen Naqsehibend  her,  seine  Art,  Dikr's  abzuhalten,  sei  verkehrt, 
seine  Ansprüche  auf  die  Vertretung  des  Ordens  seien  überhaupt 
falsch. 

In  früheren  Zeiten , vor  der  von  GhazfilT  angebahnten  Union , hätte 
die  heilige  Wissenschaft  in  solchen  Fällen  wahrscheinlich  beide  Parteien 
verurtheilt,  weil  sie  allem  mystischen  Sonderleben  abhold  war, und 
wären  auch  die  Gegner  kaum  dazu  gebracht,  sich  dem  Spruche  der 
Wissenschaft,  zumal  ihrer  officiellen  Organe,  zu  fügen.  Auch  heut- 
zutage giebt  es  in  den  grösseren  Städten  von  der  Regierung  ange- 
stellte  </ Scheche”  ’) , die  für  alle  Aeusserungen  des  mystischen  Lebens 
einigermaassen  verantwortlich  sind , aber  ihre  Aufsicht  beschränkt 
sich  auf  die  öffentlichen  Uebungen  gewisser  Orden,  die  unter  den 


1)  Vcrgl.  über  die  politische  Bedeutung  des  Amtes  des  Schecli  as-schujüch  im  sechs- 
ten Jahrh.  der  Hidjrah  Bd.  I,  S.  64. 


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niedrigsten  Volksklassen  viele  Anhänger  zählen.  Wenn  zwei  bedeu- 
tende Scheche  einer  Tariqah  oder,  was  selten  vorkommt,  wenn 
zwei  verschiedene  Tariqah' s mit  einander  in  Streit  gerathen , ver- 
mag jener  Scheck  et-lurüq  *)  oder  Scheck  el-adkär ')  gar  nichts.  Die 
f/Regierungsräthe”  in  religiösen  Dingen,  die  Muftl’s  und  die'Ulamä 
überhaupt,  haben  aber  keinen  Maassstab  zur  relativen  Abschätzung 
solcher  ausserordentlicher  religiöser  Verrichtungen,  die  gerade  speci- 
fische  Merkmale  der  Tariqah’ 's  bilden.  Ihnen  steht  bloss  die  An- 
wendung desselben  Kriteriums  zu , das  Ghazäll  den  Gläubigen  emp- 
fiehlt, wenn  sie  einen  Führer  auf  dem  Pfade  der  Mystik  suchen  -, 
sie  können  eine  Genossenschaft  nur  nach  ihren  Lehren  und  Bräu- 
chen beurtheilen.  Sind  dieselben  orthodox,  so  lassen  sie  den  Orden 
wenigstens  unbehelligt  oder  spenden  ihm  ein  Wort  des  Lobes; sind 
sie  ketzerisch,  so  streben  die  Gelehrten  nach  der  Auflösung  des 
Ordens,  oder  sie  treten  dem  falschen  Schech  entgegen,  der  seine 
Irrlehre  mit  dem  Namen  einer  edlen  Tariqah  bedeckt.  Wenn  also 
ein  Ordensschech  seinen  Gegner  unschädlich  machen  will,  muss  er 
zunächst  streben,  ihn  mit  der  Orthodoxie  in  Konflikt  zu  bringen. 

Zwischen  Challl  und  Suleiman  existierten  eigentlich  keine  Streit- 
fragen, die  dem  Forum  des  orthodoxen  Dogmas  oder  des  Gezetzes 
unterbreitet  werden  konnten;  da  nun  aber  Challl  die  Freundschaft 
des  Gouverneurs  Othman  Pascha  und  des  Sejjid  Dahlän  zu  gewin- 
nen wusste,  hielt  es  doch  nicht  schwer,  in  den  vielen  kleinen  Ab- 
handlungen , die  Suleiman  für  seine  Anhänger  verfasste , die  verlangten 
anstössigen  Stellen  aufzufinden.  Wer  eine  vom  Consensus  der  mus- 
limischen Gemeinde  anerkannte  Lehre  oder  Sitte  als  falsch  darstellt, 
wird  selbst  zum  Irrlehrer;  wer  fromme  Schriftgelehrte,  Dogmatiker 
oder  Mystiker  bemäkelt,  ist  ein  Verleumder.  Suleiman  hatte  in  einer 
Schrift  den  Challl  Pascha  und  dessen  Vater  Jahja  Bey,  die  beide 
als  Stellvertreter  desselben  Schechs  galten , dessen  Schüler  Suleiman’s 
Lehrer  war,  als  selbstgefällige  Leute  hingestellt,  deren  mystische 
Ausbildung  so  mangelhaft  sei,  dass  Suleiman  seine  Schüler  nament- 


1)  D.  h.  Oberhaupt  der  Tariqah' t (mystischer  Genossenschaften)  oder  der  Diler'a  (der  zu 
den  mystischen  Methoden  gehörenden  Litaneien  usw.). 

II  31 


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lieh  in  Ostindien  vor  dem  Verkehr  mit  deren  Stellvertretern  ein- 
dringlichst warnen  zu  müssen  glaubte.  Die  Nichtigkeit  ihrer  An- 
sprüche gehe  z.  ß.  daraus  hervor,  dass  sie  gegen  die  Lehre  der 
wahren  Mystiker  den  Tanz,  heftige  Bewegungen  des  Körpers  und 
ähnliche  Excentrici  täten  als  Mittel  der  höheren  Erziehung  oder  doch 
als  Aeusserungen  mystischen  Lebens  anerkannten.  Es  lagen  somit 
schriftliche  Dokumente  der  »Verleumdung”  frommer  Mystiker  und 
der  Verurtheilung  von  Bräuchen  vor,  worüber  sich  angesehene  Au- 
toritäten der  Gesetzeskunde  und  der  Mystik  in  günstigem  Sinne 
geäussert  haben;  Chalil  wusste  wenigstens  zu  bewirken,  dass  der 
Wäll  die  Sachlage  so  betrachtete  und  den  Schech  der  Gelehrten 
um  ein  Gutachten  über  die  ketzerischen  Worte  Suleiman’s  ersuchte. 
Ahmed  Dahlän  verfasste  darauf  eine  »Anfrage”  im  Namen  des  Wäll’s, 
ein  ausführliches  Fetwa,  worin  er  mit  vielen  gelehrten  Citaten  die 
oben  berührten  Stellen  der  Schrift  Suleiman’s  als  falsch  und  gefähr- 
lich darstellte  und  schliesslich  behauptete,  das  göttliche  Gesetz  ver- 
lange die  Vernichtung  der  Abhandlung  und  die  Bestrafung  der 
Verfassers.  Achtzehn  Professoren  des  Haram , u.  A.  die  Muftf’s  der 
Hambaliten  und  der  Mälikiten,  bestätigten  durch  ihre  Unterzeich- 
nung die  Richtigkeit  des  Fetwa;  ohne  Scheu  konnte  also  Othman 
Pascha  seinem  Freuude  Chalil  die  ersehnte  Genugthuung  verschaffen. 

Suleiman  wurde  eingekerkert , bis  er  sich  zur  Beilegung  des  Streites 
und  zur  Erfüllung  einiger  erniedrigender  Bedingungen  bereit  er- 
klärte. Er  musste  an  alle  seine  Adepten  in  Ostindien  und  an  einige 
von  seinen  dort  angestellten  »ChalTfah’s”  (Vertreter)  einen  Brief 
schreiben,  worin  er  die  inkriminierte  Schrift  zurücknahm  und  er- 
klärte, er  sei  jetzt  zu  Chalil  Pascha  in  ein  Verhältniss  getreten  »als 
wäre  er  sein  voller  Bruder”;  vier  »Challfah’s”  des  Chalil  Pascha 
in  Mekka  richteten  Briefe  gleichen  Inhalts  an  die  Fürsten  von  Deli 
und  Langkat  (Ost-Sumatra)  mit  der  Bitte,  sie  möchten  ihre  Un- 
terthanen  von  der  Beendigung  des  Streites  verständigen.  Dies  sollte 
dazu  dienen,  der  bisher  wenig  erfolgreichen  Konkurrenz  Challl’s 
auf  Ost-Sumatra  den  Weg  zu  ebnen,  und  der  beste  Beweis  für 
die  rein  persönliche  Natur  der  von  Chalil  erhobenen  Beschwerden 
ist  wohl  sein  Wunsch,  den  Brüdern  auf  Sumatra  als  der  »volle 


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Bruder”  des  in  Mekka  von  ihm  besiegten  Feindes  zu  gelten.  Damit 
nun  der  Triumph  Challl’s  aller  Welt  bekannt  werde,  liess  er  in 
der  vor  Kurzem  eröflneten  Regierungsdruckerei  in  Mekka  (1883) 
alle  Dokumente  seines  Sieges,  zu  einem  Hefte  vereinigt,  drucken 
unter  dem  Titel:  //Abhandlung  zur  Widerlegung  der  Abhandlung 
»des  Suleiman  Efendi,  zusammengestellt  vom  Oberhaupte  der  Ge- 
»lehrten,  dem  Mufti  der  Sehäfi'iten,  Sejjid  Ahmed  Dahlin,  mit 
»den  Gutheissungen  der  Muftis  und  Gelehrten  des  geehrten  Mekka’s.” 

Dem  Fetwa  (das  mit  der  Anfrage  sechs  Seiten  einnimmt)  sind 
die  oben  erwähnten  Briefe  angehängt ; dem  Ganzen  geht  aber  folgende 
Erklärung  des  Othman  Pascha  als  Einleitung  voran: 

»Nachdem  uns  von  gewisser  Seite  mitgetheilt  worden,  derSchech 
»Suleiman  Efendi  habe  eine  Abhandlung  zur  Beschimpfung  der  edlen 
»Tariqah’s  und  ihrer  Scheche  verfasst,  worin  thörichte  Sachen  und 
»Unsinn  Vorkommen,  und  die  Schrift  habe  Verbreitung  gefunden, 
»so  haben  wir  jene  Abhandlung  dem  Oberhaupte  der  Gelehrten  der 
»erhabenen  Stadt,  dem  trefflichen  Sejjid  Ahmed  Zeni  Dahlän , über- 
»geben  und  ihm  empfohlen,  dieselbe  mit  der  nöthigen  Schärfe  zu 
»prüfen.  Als  er  sie  gelesen,  untersucht  und  geprüft  hatte,  ergab 
»sich  ihm,  dass  der  Inhalt  Unsinn  sei  und  gegen  das  auf  festen 
»Grundlagen  beruhende  göttliche  Gesetz  verstosse,  dass  also  die 
»Schrift  zu  vernichten  und  jede  Spur  derselben  zu  verwischen  sei. 
»Sodann  ist  von  Seiten  des  erwähnten  Sejjid’s  ein  detailliertes  Fetwa 
»darüber  verfasst  worden , und  haben  alle ')  Gelehrten  des  edlen 
»Mekka  sich  damit  einverstanden  erklärt.  Daraufhin  sind  die  vor- 
»räthigen  Exemplare  der  Abhandlung  mit  Beschlag  belegt,  bereits 
»verkaufte  den  Leuten  genommen,  allesauimt  aber  verbrannt  und 
»jede  Spur  davon  verwischt  worden.  Da  nun  weiter  nach  dem  edlen 
»Fetwa  der  Verfasser  jener  Abhandlung , der  Schech  Suleiman  Efendi 
»bestraft  werden  sollte,  haben  wir  ihn  einkerkem  lassen.  Auf  dass 
»der  ganze  Sachverhalt  Allen  bekannt  werde,  geschieht  diese  Mit- 
»theilung”. 

Nur  selten  wagt  es  der  Hauptvertreter  der  Wissenschaft,  gegen 

l)  Dies  »alle”  ist  sehr  übertrieben;  es  fehlen  die  Unterschriften  mancher  hochge- 
schätzter Professoren. 


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Maassregeln  der  Regierung  seine  Stimme  zu  erheben:  wenn  nicht 
die  höchste  Gewalt  hier  in  zwei  verschiedenen , nicht  immer  zusam- 
menwirkenden Händen  läge,  so  würde  das  kaum  je  Vorkommen. 
Im  Jahre  1881  wussten  allzu  eifrige  Bekenner  des  hanafitischen  Ritus 
den  von  der  türkischen  Regierung  eingesetzten  Qädhl  *)  zu  überre- 
den , dass  er  in  die  Moscheeordnung  die  Aenderung  einführte , dass , 
einer  in  der  hanafitischen  Schule  geltenden  Ansicht  gemäss,  das 
Qalät  des  'Ac;r  (Nachmittags)  ziemlich  viel  später  als  gewöhnlich 
von  der  Gemeinde  abzuhalten  sei.  Daraus  entstand  bei  den  meisten 
Gelehrten  grosser  Aerger  und  theilte  sich  den  Laien  mit.  Nicht 
nur  die  drei  anderen  Riten  lehren,  dass  jenes  Qalät  früher  anzu- 
fangen habe,  cs  giebt  ausserdem  eine  ganze  Reihe  unionistisch  ge- 
sinnter hanafitiseher  Autoritäten,  die  sich  zur  gleichen  Ansicht  be- 
kennen, weil  sich  mehrere  unmittelbare  Schüler  des  Abu  Hanlfah 
dafür  ausgesprochen  haben;  überall,  sogar  in  Konstantinopel,  dem 
Centrum  der  hanafitischen  Regierung,  fängt  denn  auch  der  Adän 
des  cA(?r  früher  an,  was  natürlich  Einzelne  nicht  verhindert,  ihr 
Qalät  zu  Hause  oder  sonst  ohne  Führung  des  officiellen  Leiters  in 
der  Moschee  viel  später  abzuhalten.  Gegen  derartige  Beschwerden 
scheinen  nun  die  Ultra-Hanafiten  bloss  den  Grundsatz  geltend  ge- 
macht zu  haben,  alle  Meinungsverschiedenheit  über  eine  Frage  höre 
auf,  sobald  der  Qädhl,  der  Schützer  dt«  heiligen  Gesetzes,  sein 
Urtheil  ausgesprochen  habe. 

ln  dieser  Lage  der  Dinge  schärfte  Ahmed  Dahlän  sein  Schreib- 
rohr und  hielt  dem  Qädhl  entgegen,  ein  Richter,  dessen  Spruch 
jede  Abweichung  ausschliesse , müsse  gewissen  Bedingungen  ent- 
sprechen, die  hier  vielleicht  unerfüllt  geblieben  seien,  aber  jeden- 
falls könne  sein  Spruch  nur  am  Schlüsse  eines  Prozesses  gelten, 
nicht  wenn  er  eine  ihm  nicht  in  gesetzlicher  Weise  unterbreitete 
Frage  eigenmächtig  entscheide.  Er  überhäufte  ferner  den  Qädhl 
mit  Argumenten  gegen  die  von  diesem  verfochtene  Ansicht,  von 
hanafitischen  sowohl  als  schäfi'itischen  Autoritäten,  und  das  Ende 
war,  dass’die  Neuerung  nach  wenigen  Wochen  rückgängig  gemacht 

1)  Es  giebt  bekanntlich  in  den  türkischen  Provinzen  nunmehr  bloss  Qädhi’s  des 
hauafiüschcu  Ritus 


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wurde.  Im  Jahre  1883  liess  dann  der  siegreiche  Sejjid  sein  Fetwa 
über  diese  Angelegenheit  zugleich  mit  seiner  Widerlegung  der  wah- 
habitischen  Ketzerei1)  in  Cairo  drucken. 

Den  angeführten  Beispielen  der  Thätigkeit  des  Schech  el-'ulama 
als  Vertreters  der  heiligen  Wissenschaft  der  Aussenwelt  gegenüber 
Hessen  sich  noch  manche  aus  dem  öffentlichen  und  dem  intimeren 
Leben  der  Mekkaner,  ihrer  Korporationen  und  ihrer  Famüien  hin- 
zufügen; sie  genügen  aber,  um  diese  Seite  des  hohen  Amtes  zu 
charakterisieren,  zu  zeigen,  welcher  Art  die  Fragen  sind,  über  die 
das  Haupt  der  Gelehrten  als  solches  zu  entscheiden  hat,  und  wie 
sich  dabei  sein  Verhältniss  zu  den  weltlichen  Machten  gestalten 
kann.  Das  Amt  des  Muftl’s,  welches  der  Rektor  der  Gelehrtenzunft 
gewöhnlich  zugleich  bekleidet,  kann  er  leicht  verwalten,  weil  einer 
oder  mehrere  hervorragende  Gelehrten  seines  Ritus  ihm  als  »mit 
dem  Fetwa  Betraute"  ( Amin  el-felwa ) zur  Seite  stehen  und  die  un- 
zähligen, täglich  einlaufenden  Anfragen  ohne  Weiteres  erledigen; 
nur  in  wichtigen  Fällen  berathen  sie  sich  mit  ihrem  Bevollinächti- 
ger.  Weil  sich  ein  bedeutender  Theil  der  Mekkaner  zum  schäfi'iti- 
schen  Ritus  bekennt,  geht  kein  Tag  vorbei,  wo  nicht  Einer  bei 
dem  Mufti  über  Familienangelegenheiten  oder  über  den  gesetzlichen 
Charakter  eines  abzuschliessenden  Kontrakts  usw.  Auskunft  einzieht. 
In  viel  grösserer  Zahl  kommen  aber  die  Fragen  aus  dem  schäfFiti- 
schen  Theile  Indiens,  aus  der  ostindischen  Inselwelt,  aus  Daghu- 
stan  *).  Ueber  so  verschiedenartige  Gegenstände  wie  die  Schutzimp- 
fung J) , das  Brennen  von  Petroleumlampen  in  den  Moscheen , die 
gesetzliche  Reinheit  oder  Unreinheit  gewisser  Arten  chinesischer 
Lackwaaren , eine  neue  Methode  das  Wuchergesetz  zu  umgehen, 
oder  eine  neue  Mode  in  der  Kleidung  muss  der  schäfi'itische  Mufti 
in  wenigen  Tagen  seine  autoritative  Ansicht  mit  ihren  Gründen  kund- 

1)  Vorzüglich  gegen  die  Verpönung  der  Anrufung  von  Propheten  und  Heiligen  (Ta- 
vattu t)  ist  diese  Streitschrift  gerichtet. 

2)  So  spricht  man  in  Mekka  das  Dagistan  oder  Dagestan  unserer  Karten  aus;  auch 
in  Mekka  ansässige  Daghustäni’s  habe  ich  immer  so  aussprechen  gehört. 

3)  Tatji»  ausführlicher  tat/in  U-djüian.  Ich  besitzo  ein  Gutachten  der  schä- 

fiStischon  Muftis  über  diese  Frage,  die  auch  deshalb  wichtig  war,  weil  alle  türkischen 
Soldaten  sich  der  Impfung  untorziohen  müssen.  Den  brauchbaren  Text  fand  der  Mufti 
im  . . . Bab  af-Qijäl! 


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geben,  um  den  über  solche  Punkte  in  jenen  Gegenden  bestehen- 
den Streit  oder  Zweifel  zu  beendigen. 

Die  Entscheidung  über  die  Aufnahme  neuer  Kandidaten,  die 
Verwaltung  der  Einkünfte,  die  Vertretung  der  Gelehrten  und  ihrer 
heiligen  W issenschaft  nach  aussen : damit  sind  die  Punktionen  des 
Schechs  noch  nicht  erschöpft;  er  ist  auch  in  der  Beziehung  Rek- 
tor der  Universität,  dass  ihm  die  Ordnung  des  im  Haram  ertheil- 
ten  Unterrichts  obliegt.  Von  Ordnung  kann  allerdings  bei  mekka- 
nischen  Angelegenheiten  immer  nur  in  beschränktem  Maasse  die 
Rede  sein,  denn  das  »Herkommen”  oder,  was  man  dafür ausgiebt , 
wird  in  allen  Kreisen  um  so  nachdrücklicher  als  Herrscher  aner- 
kannt, weil  man  diesen  Tyrannen  so  ziemlich  dekretieren  lässt, 
was  man  selber  wünscht.  Sogar  unter  den  Scherifen  wird  es  dem 
primus  inter  pares  schwer,  seine  Autorität  geltend  zu  machen;  die 
Scheche  der  Zünfte  oder  der  Stadtviertel  üben  ihre  Gewalt  haupt- 
sächlich durch  die  Unterstützung  der  Regierung  aus;  wie  sollte 
sich  da  eine  so  widerspänstige  Klasse  wie  die  Gelehrten  ihrem 
Haupte  wirklich  unterordnen? 

Von  jeher  ist  es  Sitte,  die  Vorlesungen  in  der  Moschee  unmit- 
telbar nach  Ablauf  jedes  der  fünf  obligatorischen  Qaläts  anzufangen. 
Weil  also  zu  jenen  Stunden  der  Moscheeraum  vorzüglich  von  den 
Professoren  und  ihren  Zuhörern  eingenommen  wird,  wäre  es  gegen 
allen  Anstand , wenn  ein  Unberufener  sich  dann  mit  seinem  Kreise 
hinzusetzte.  Sollten  Eindringlinge  dies  Gesetz  übertreten,  so  würde 
der  Scheck  el-ulamä  sich  an  die  verschnittene  Polizei  der  Moschee 
oder  an  die  Regierung  um  Abhülfe  wenden.  Nur  nach  dem  letzten 
Abendcalät  ist  man  in  dieser  Hinsicht  nachgiebiger,  weil  dann 
wenige  Professoren  lesen;  nach  dem  Tschä  docieren  hier  also  auch 
Gelehrte,  die  zu  anderen  Stunden  daheim  Unterricht  ertheilen, 
oder  es  üben  sich  gar  junge  Leute  unter  Leitung  eines  kundigeren 
Mitschülers  und  lesen  zusammen  den  Abschnitt,  den  ihnen  mor- 
gen der  Lehrer  erklären  wird.  Will  man  einen  Einblick  in  den 
gewöhnlichen  Gang  des  Unterrichts  bekommen,  so  bietet  dazu  ein 
täglich  fünfmal  vorzunehmender  Spaziergang  durch  die  Moschee  die 
beste  Gelegenheit.  Die  Beobachtung  muss  aber  während  der  ersten 


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sieben  Monate  des  muslimischen  Jahres  angestellt  werden,  denn 
schon  im  achten  Monat  Scha'bän  treten  verschiedene  Aenderun- 
gen  ein ; auch  gehe  man  zunächst  nicht  am  Dienstag  oder  am  Frei- 
tag hin,  weil  an  beiden  die  regelmässigen  Kollegien  unterbrochen 
werden.  Man  begründet  diese  Sitte  für  den  Freitag  mit  den  Er- 
fordernissen des  Kultus  und  für  den  Dienstag  damit,  dass  der 
Imära  Abu  Hanlfah  an  einem  Dienstag  gestorben  sein  soll.  Es  ist 
aber  keineswegs  verboten,  am  diesen  Tagen  zu  lesen,  und  that- 
siichlich  thun  es  mehrere  Professoren ; vorzüglich  solche  Fächer , die 
in  den  gewöhnlichen  Vorlesungen  keinen  oder  nur  geringen  Raum 
einnehmen,  werden  dann  behandelt. 

Wer  gleich  nach  dem  Qalät  der  Morgendämmerung  zu  lesen  an- 
fängt , kann  noch  ohne  Scheu  im  Iiofe  der  Moschee  sitzen ; erst 
wenn  die  I — 2 Stunden  des  Unterrichts  vorüber  sind,  fängt  die 
Sonne  an,  über  die  Zinnen  des  östlichen  Daches  ihre  Strahlen 
hineinzuwerfen.  Viele  sind  aber  in  der  ersten  Stunde  nach  dem 
Uubh  noch  anderweitig  beschäftigt  und  eröffnen  dann  ihr  Kolleg 
unter  dem  Dache  der  Säulenhallen.  Beim  ersten  Gange  durch  die 
Moschee  begegnen  wir  also  in  beiden  Räumen  wissbegierigen  Ver- 
sammlungen. Einige  Minuten  vor  dem  Anfang  eines  Bars  (Vorle- 
sung ')  legt  ein  Diener  oder  ein  befreundeter  Schüler  des  Medarris 
an  dessen  gewohntem  Platze  sein  Polster  auf  den  harten  Kies  des 
Hofes  oder  die  Marmorsteine  der  Hallen,  die  Vorderseite  genau 
der  Ka'bah  zugewandt,  denn  diese  Richtung  halten  hier  die  Pro- 
fessoren beim  Vortragen  ebenso  genau  ein  wie  alle  Muslime  beim 
Qa/ät.  So  gross  ist  der  Zudrang  von  Dienern  der  Wissenschaft  in 
Mekka  nicht,  dass  die  Wahl  der  Plätze  etwa  Misshelligkeiten  zwi- 
schen der  Gelehrten  hervorriefe;  jeder  findet  einen  berechtigten  Wün- 
schen entsprechenden  Raum  und  behält  den  einmal  gewählten  fürs 
ganze  Jahr,  manchmal  fürs  Leben.  Sollte  dennoch  Streit  über  die 
Raumvertheilung  entstehen,  so  müsste  der  Schec/t  el-ulamä  eine 
Verständigung  herbeiführen.  Um  das  Polster  des  Lehrers  herum 
bilden  die  nach  und  nach  herbeitretenden  Schüler  einen  regelmäs- 


1)  Als  Plural  sind  die  Formen  Berit  (Burit)  und  Banal  gebräuchlich. 


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eigen  Kreis,  dessen  Umfang  mit  ihrer  Zahl  auf-  und  niedergeht. 
Wo  die  Zuhörer  immer  die  gleichen  sind , pflegt  jeder  seinen  stän- 
digen Platz  zu  haben,  aber  sehr  genau  wird  das  nicht  genommen, 
und  in  den  meisten  Schülerkreisen  herrscht  wegen  der  eigenthiim- 
lichen  Verhältnisse  der  Fremdenstadt  grosse  Abwechslung. 

Jeder  Student  hat  auf  der  Schulter  seinen  »Gebetsteppich”  (Sed- 
djadah)  und  breitet  ihn,  bevor  er  sich  setzt,  so  vor  sich  aus,  dass 
er  von  dem  Rande  des  Kreises  nach  dessen  Mittelpunkt  gerich- 
tet ist.  Damit  der  Lehrer  möglichst  wenigen  Zuhörern  den  Rü- 
cken zuzuwenden  habe  und  auch  die  hinter  ihm  Sitzenden  seine 
Stimme  deutlich  vernehmen,  liegt  sein  Polster  den  Letzteren  viel 
näher  als  denen,  welche  die  Ka'bah  im  Rücken  haben  und  der 
Vorderseite  des  Lehrers  zugewandt  sind.  Ein  paar  Plätze  hinter 
dem  Polster  bleiben  unbesetzt,  dem  Professor  einen  Durchweg  in 
den  Kreis  zu  gewähren.  Auf  dem  hinteren  Theile  der  Seddjüdah 
sitzend,  behalten  die  Zuhörer  vor  sich  auf  dem  Teppich  Raum  für 
ihr  kupfernes  Tintenfass  ( Dewäjah  '),  dessen  eine  Seite  sich  in  einen 
länglichen  Köcher  zur  Aufnahme  des  Schreibrohrs  und  des  Feder- 
messers verlängert , und  für  ihr  Kollegienheft  *) , worin  sich  ein  paar 
Bogen  des  Textes,  der  den  Vorlesungen  zu  Grunde  gelegt  wird, 
und  etwas  Schreibpapier  befinden. 

Nicht  alle  Professoren  haben  die  Sitte  beibehalten,  einen  von 
den  älteren  Zuhörern,  als  Muqri , gleichsam  Repetitor,  anzustellen; 
nur  der  Schech  el-culamä  und  wenige  andere  Gelehrte  haben  solche 
ziemlich  überflüssige  Assistenten,  die  ihnen  gerade  gegenüber  in 
der  Halqah  (Kreis)  sitzen  und  zur  Einleitung  des  Vortrags  den 
letzten  Abschnitt  des  vorhergehenden  ableiern.  Wenn  solche  Lehrer 
die  (nicht  allgemein  übliche)  Gewohnheit  haben , jede  Vorlesung  mit 
einigen  in  gereimter  Prosa  verfassten  Sätzen  zum  Lobe  des  eben 
zu  behandelnden  Faches  zu  eröffnen,  so  fängt  auch  der  Muqri  sein 
Echo  des  letzten  Vortrags  mit  denselben  Phrasen  an,  wodurch  die 
Studenten  diese  immer  zweimal  geniessen. 

1)  Plural  ütwdjdt,  nicht  Dijd* , wie  Landberg  will;  lhijti*  ist  in  Mekka  nur  als 
Plural  zu  ndad,  »Heilmittel”  gebräuchlich. 

2)  Mikfadhah  [uiSUj. 


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249 


In  den  paar  Dutzend  Halqah's , die  wir  nach  dem  Qubh  durch- 
mustern, und  deren  Studentenzahl  je  10 — 60  betragt,  wird  fast 
ausnahmslos  Gesetzeskunde  (fiqh)  gelehrt;  so  will  es  die  Ordnung 
des  Sejjid  Dahlän,  der  hierin  dem  Beispiele  der  meisten  früheren 
Rektoren  folgt.  So  haben  wir  zugleich  Gelegenheit,  zu  erfahren, 
wie  stark  jeder  von  den  vier  Riten  in  Mekka  unter  den  Dienern 
der  Wissenschaft  vertreten  ist.  Nur  bei  dieser  Disciplin  bildet  ja 
der  Ritus  eine  Scheidewand;  sogar  die  Kunde  der  Quellen  des 
Gesetzes  ( Ufül  al-fiqh ) kann  man  zur  Noth  bei  einem  Professor 
hören , der  sich  zu  einem  andern  Madhab  bekennt  als  der  Schüler. 

Die  Hambaliten  muss  man,  so  zu  sagen , mit  der  Laterne  auf- 
suchen: ein  oder  zwei  Gelehrte  dieser  Richtung  explicieren  ihren 
wenigen  Schülern  die  Texte  des  Mart.  Sie  sind  alle  Sc/iurüq, 
»Orientalen”,  das  bedeutet  hier:  Leute  aus  Centralarabien  ').  Et- 
was zahlreicher  sind  die  Halqah's  der  Mälikiten,  obgleich  man 
bald  bemerkt,  dass  hier  kein  Centrum  ihrer  wissenschaftlichen 
Thiiligkeit  ist.  Ihre  Heimath  ist  nicht  bloss  der  Maghrib  (Marokko , 
Algier,  Tunisien),  sondern  mit  Ausnahme  von  Unteregypten  fast 
das  ganze  muhammedanische  Afrika:  die  Sudanesen,  die  Tekrüri’s, 
die  muslimischen  Abyssinier,  alle  zum  Islam  übergetretenen  Ne- 
gerstamme sind  Mälikiten,  und  der  Missionseifer  des Senüsl-ordens 
gewinnt  ebenfalls  nur  diesem  Ritus  Anhänger.  In  Arabien  und 
Syrien  sind  nur  stellenweise  Kolonien  von  Mälikiten,  die  wohl  so 
ziemlich  alle  dem  fernen  Westen  entstammen. 

Hanafitische  Lehrer  und  Schüler  sind  schon  aus  dem  Grunde 
ziemlich  viele  da,  weil  ihr  Ritus  in  den  eigentlich  türkischen 
Ländern  herrscht  und  von  den  türkischen  Sultanen  immer  strenger 
als  der  einzige  von  iRegierungswegen  vertretene  zur  Geltung  gebracht 


1)  Auch  im  Innern  Oman’s  herrscht  der  hambalitischc  Ritus,  während  dort  an  der 
Küste  sowie  in  Zanzibar  die  Muslime  dein  Namen  nach  Chäridjitcn  ib&dhitischer  Rich- 
tung sind;  sic  nennen  sich  Abadhitcn  und  gelten  in  Mekka  für  ganz  unschuldige 
Ketzer,  die  keinen  Menschen  ärgern  und  ziemlich  viol  Gold  in  die  Stadt  bringen. 
Hambaliten  sind  ferner  Viele,  die  sich  früher  zum  Wahhabitisnius  bekannten;  that- 
sachlich  stehen  sich  beide  Richtungen  sehr  nahe,  und  bestand  das  Neue,  das  Ibn  Abd 
fcl-Wahhäb  hinzuthat,  eigentlich  nur  darin,  dass  er  anderen  Richtungen  mit  dem  Schwert 
entgegentrat. 

II  32 


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250 


wird.  Die  Koncession,  welche  die  Othmanen  in  der  Periode  ihrer 
Siege  den  anerkannten  Riten  der  eroberten  Länder  machten,  in- 
dem sie  neben  dem  hanafitischen  Qädhl  einen  Richter  des  Landes- 
ritus  anstellten,  ist  ihnen  heutzutage  als  überflüssig  erschienen.  In 
Mekka,  wo  der  schäfFitische  Ritus  die  höchste  Bedeutung  hatte, 
aber  wegen  des  internationalen  Charakters  der  Stadt  nicht  allein 
herrschen  durfte,  gab  es  früher  vier  von  der  türkischen  Regierung 
eingesetzte  Qadhi’s,  die  je  für  die  Bekenner  ihrer  Schule  mit  der 
Gerichtsverwaltung  beauftragt  waren.  Nachdem  nun  aber  die  Re- 
gierung zur  Einsicht  gekommen  war,  dass  die  Gerichtsverwaltung 
bloss  ihre  Sache,  nicht  die  ihrer  Unterthanen  sei,  schaffte  sie  alle 
nicht-hanatitischen  Riehterstellen  ab  und  erklärte  fernerhin  in  Sachen 
der  Religion  und  des  Familienrechts  nur  die  Urtheile  des  hanafiti- 
schen Qädhi’s  für  gültig;  alles  Andere  wird  nach  den  neuen  welt- 
lichen Gesetzen  (dem  Qäniin  el-munif,  der  also  das  Schar c es-scherif 
ergänzen  soll)  behandelt,  die  der  Qädhi  nicht  an  wenden  kann  noch 
darf,  und  an  deren  Stelle  allzu  oft  die  Willkür  der  Verwaltungsbe- 
amten tritt.  Bei  solcher  Uniformierung  der  Gerichtsverwaltung  ist 
nun  die  Anerkennung  aller  orthodoxen  Riten  theoretisch  gar  nicht 
vermindert.  Jeder  darf  seine  Privatangelegenheiten  ganz  nach  sei- 
nem Ritus  einrichten;  die  Regierung  kommt  ihm  auf  dem  Wege 
sogar  entgegen , denn  sie  stellt  Leiter  des  Qalät  nach  dem  in  Lande 
herrschenden  Ritus  und  Muftl’s  an,  die  über  fragliche  Punkte 
Auskunft  ertheilen,  ja  in  Mekka  darf  auch  der  hanafitische  Qädhl 
in  Ehesachen  nuch  dem  Ritus  der  Parteien  entscheiden , wenn  diese 
ein  Fetwa  des  Muftl’s  ihrer  Schule  über  die  dem  Richter  unter- 
breitete Frage  mitbringen.  Man  begreift  aber,  dass  die  angegebenen 
Maassregeln  der  Othmanenregierung  auf  die  Dauer  der  Aufhebung 
der  nicht-hanafitischen  Riten  kräftig  Vorschub  leisten  oder  ihre 
Bedeutung  wenigstens  schliesslich  auf  die  eigentlich  rituellen  Un- 
terschiede beschränken. 

In  diesen  Gedankengang  passt  es,  dass  die  Gehälter  der  Gelehrten 
in  Mekka  zu  einem  grösseren  Betrage  au  Hanafiten  verliehen  wer- 
den, als  wozu  sie  ihre  Zahl  und  Bedeutung  an  sich  berechtigen 
würden.  Es  lohnt  sich  nicht,  hier  die  Namen  der  Professoren  auf- 


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251 


Zufuhren,  die  zu  meiner  Zeit  in  Mekka  dotiert  waren  oder,  einer 
erledigten  Dotierung  harrend,  als  Extraordinarii  lehrten,  zumal  sie 
in  dem  gedruckten  Jahrbuch  des  Hidjäz  für  1303  (1885 — 6)  im 
Verzeichniss  der  Beamten  Vorkommen.  Ganz  verlässlich  sind  die  of- 
ficiellen  Angaben  nicht,  denn  es  werden  darin  Mehrere  nur  deshalb 
als  Professoren  bezeichnet,  weil  der  Gouverneur  ihnen  die  Gunst 
erwies,  sie  mit  einer  für  die  Pflege  der  Wissenschaft  bestimmten 
Pension  zu  beschenken.  Aber  wenn  man  solche  »Professores  hono- 
rarii”  ausser  Betracht  lässt,  kommt  inan  doch  durch  Hinzuzählung 
der  nicht-dotierten  Lehrer  ungefähr  wieder  auf  die  gleiche  Zahl, 
die  zwischen  50  und  60  abwechselt.  Etwa  ein  Drittel  sind  Hana- 
fiten,  wie  gesagt,  nicht  weniger  der  Regierung  als  der  Wissen- 
schaft zu  Ehren ; darunter  sind  Inder  und  Leute  aus  den  Russland 
unterworfenen  muhammedanischen  Ländern  ebensosehr  vertreten 
als  geborene  Mekkaner  oder  andere  türkische  Unterthanen.  Emi- 
granten aus  jenen  Gegenden,  die  den  grossen  Herrn  von  Stambul 
als  ihre  Zuflucht  betrachten,  finden  immer  freundliche  Aufnahme; 
wo  möglich , setzt  man  sie  in  Aemter  ein  und  legt  ihnen  den  Ehren- 
titel Muhädjir  (»der  um  der  Religion  willen  sein  Vaterland  ver- 
lässt”) bei.  Gleichwie  die  Mälikiten  lesen  und  erklären  hier  auch 
die  hanafi tischen  Gelehrten  die  berühmteren  Texte  ihres  Ritus  oder 
moderne  Kompilationen,  deren  einzelne  Bestandttheile  man  Wort 
für  Wort  in  jenen  Texten  wiederfindet. 

Trotzdem  das  schäfPitische  Gesetz  in  den  meisten  Ländern,  wo 
es  früher  herrschte,  durch  türkischen  Einfluss  auf  die  Sphäre  des 
intimen  Lebens  beschränkt  wurde,  hat  sich  dasselbe  in  den  Hör- 
sälen zu  behaupten  gewusst  und  ist  also  eine  geistige  Macht  ge- 
blieben. Seine  weite  Verbreitung  in  früheren  Jahrhunderten  ver- 
dankt es  dem  Umstande , dass  die  Abbasidenchalifen  diesem  Ritus 
nicht  weniger  otSciellen  Schutz  angedeihen  Hessen  als  die  Türken 
dem  hanafitiscben.  Damals  stand  ihm  in  Mekka  als  einheimische 
Richtung  nur  die  sohfitische  entgegen,  die  in  West-  und  Südara- 
bien sehr  viele  Anhänger  zählte.  Schon  oben  ')  wurde  angedeutet, 

1)  Bd.  I,  8.  89—90. 


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252 


wie  die  Scherife  von  Mekka  nach  und  nach  dem  Zeitgeiste  huldig- 
ten und  ihr  zaiditiscbes  Bekenntniss  gegen  das  schäfi'i tische  ver- 
tauschten; dadurch  schlossen  sie  sich  der  überwiegenden  Mehrzahl 
ihrer  Unterthanen  an.  Seitdem  ist  die  Hauptmasse  der  Bevölkerung 
Westarabiens  schäfi'i tisch  geblieben;  den  Uebertritt  ihrer  Fürsten 
zur  hanafitischen  Schule  ')  hat  sie  nicht  mitgemacht.  In  der  Um- 
gegend von  Medina  sind  noch  zähe  Ueberreste  des  Schfitismus , 
der  einmal  den  Scherifen  zur  Eroberung  Westarabiens  verholfen 
hat , und  jetzt  zum  Lohn  von  ihnen  verachtet  wird  *) ; auch  haben 
einige  Harbstämme  am  Wahhabitismus  festgehalten.  Beide  sind  aber 
eben  nur  Reste,  die  gegen  den  herrschenden  Schfifi'itismus  kaum 
in  Betracht  kommen.  Auch  die  Theile  Arabiens,  woher  Mekka  den 
meisten  Zuwachs  bekommt , sind  ganz  oder  hauptsächlich  schäfifitisch. 
In  Jemen  treten  seit  der  Vernichtung  des  politischen  Centrums  der 
zaiditischen  Imäme  die  Zaiditen  immer  mehr  hinter  den  Schäfi'iten 
zurück;  im  türkischen  Machtbereich  wirken  die  hanafitischen  Ge- 
richtshöfe auch  hier  nicht  auf  die  Wissenschaft  und  das  intime 
Leben  ein , und  ausserhalb  jener  Region  herrscht  vorwiegend  die 
Schule  Schäfi'i’s.  Hadhramaut  ist  ganz,  Bahrein  theilweise  schäfi'i- 
tisch.  Im  nächsten  Kulturlande,  in  Unteregypten,  hat  die  schäfi'i- 
tische  Richtung  alle  Stürme  Überstunden  und  ihre  Bedeutung  für 
das  religiöse  und  wissenschaftliche  Leben  gerettet.  So  wirkte  aller- 
lei zusammen , um  auch  aus  nicht-arabischen  Ländern  schäfi'itischen 
Bekenntnisses  Lehrkräfte  und  Studenten  nach  Mekka  zu  ziehen. 
Aus  den  schäfi'itischen  Küstenländern  Hindustans  (Malabar  und 
Koromandel),  aus  dem  ostindischen  Archipel,  aus  Daghustan  rei- 
sen mehr  Pilger  mit  der  Absicht  nach  Mekka,  dort  einige  Jahre 
zu  studieren,  als  aus  irgend  einem  Lande,  wo  andere  Madhab’s 
vorherrschen. 

Es  ist  mithin  kein  Zufall,  dass  meistens  der  Mufti  der  Schäfi'i- 
ten oder  doch  ein  hervorragender  Gelehrter  dieses  Ritus  das  Rek- 


1)  Bd.  I,  8.  159,  Anm. 

2)  Am  empfindlichsten  trifft  diese  Verachtung  die  in  und  um  Medina  vertretene  Sekte 
der  Nackätc’lak,  die  fast  zur  l’ariakastc  geworden  ist  und  der  man  die  missliebigsten 
Gewerbe,  z.  B.  das  Schlachten  überlässt.  Auch  in  Djiddah  leben  Nachäw’lah-fleischer. 


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253 


torat  inne  hat  und  die  Zahl  der  schäfTitischen  ordentlichen  Profes- 
soren wohl  20 — 30  erreicht.  Ihre  Halqah'g  sind  für  das  wissen- 
schaftliche Leben  in  Mekka  die  interessantesten ; sehen  wir  uns 
dieselben  etwas  näher  an.  Die  hier  lehren , sind  zum  guten  Theil 
in  Mekka  Geborene  oder  solche,  die  als  ganz  junge,  gut  bean- 
lagte  Studenten  hergekomraen  sind  und  sich  völlig  eingebürgert 
haben.  Der  altersgraue  (1886  verstorbene)  Scheck  el-ulamä  war  hier 
geboren  und  erzogen.  Ebenso  der  schlanke,  blasse,  einen  schönen 
semitischen  Typus  zeigende  Sejjid  Abdallah  Zawäwl,  dessen  Vater, 
Muhammed  Calih  Zawäwl,  als  redlicher  Mann,  frommer  Gelehrter 
und  tief  in  die  Geheimnisse  der  Tariqah  eingedrungener  Mystiker 
hohe  Ehre  geniesst.  Seinen  Sohn  Abdallah  erzog  er  ganz  im  Hause , 
um  ihn  möglichst  fern  von  der  Verführung  zu  halten;  als  Zwan- 
zigjähriger war  derselbe  schon  so  weit  in  den  heiligen  Disciplinen 
vorgerückt,  dass  sein  Vater  den  Rektor  bat,  ihn  in  die  Lehrer- 
korporation aufzunehmen.  Der  Bitte  wurde  entsprochen;  solche 
Aufnahme  war  jedoch  gegen  das  //Herkommen”,  und  die  eifersüch- 
tigen Professoren  fragten  entrüstet , wie  Einer  hier  lehren'sollte , der 
nur  privatim  studiert  hatte?  Bald  theilte  sich  der  Aerger  anderen 
Kreisen  mit,  und  'wenn  der  junge  Gelehrte  sich  an  den  Abend- 
stunden inmitten  seiner  Schüler  setzte,  wurde  er  wohl  von  den 
Dächern  der  Moschee  mit  Steinen  beworfen.  Geduld  und  Takt  hal- 
fen ihm  den  Widerstand  überwinden;  es  dauerte  nicht  lange,  bis 
sein  klarer,  feiner  Vortrag  und  seine  liebenswürdige  Art  alle  Welt 
mit  Bewunderung  erfüllten.  Der  Neid  musste,  wohl  oder  übel, 
schweigend  zusehauen.  Vater  und  Sohn  verstehen  es,  Wissenschaft 
und  aufrichtige  Frömmigkeit  mit  vortheilhaften  Handelsgeschäften 
zu  verbinden.  Darin  ist  cs  mit  begründet , dass  Beide  keine  schrift- 
stellerische Thätigkeit  entfaltet  haben. 

In  der  Mittagshöhe  des  Lebens  steht  der  Sejjid  Bekrl,  wie  ihn 
die  Mekkaner  nennen,  eigentlich  Sejjid  Abu  Bekr  Schattä,  dessen 
Vater  aus  Damiette  nach  Mekka  übergesiedelt  ist.  Bekrl  erfreut 
sich  eines  grossen  Schülerkreises  und  scheint  es  sich  zur  Aufgabe 
zu  setzen,  dem  dahinschwindenden  //Schech”  als  fruchtbarer  Schrift- 
steller nachzufolgen. 


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254 


Grösserer  Berühmtheit  als  die  übrigen,  hier  nicht  weiter  aufzu- 
ziihlenden  mekkanischcn  Professoren  erfreuen  sich  einige,  die  ihre 
Studien  vorzüglich  in  dem  Athen  schäfi'itischer  Gelehrsamkeit,  in 
der  Azharmoschee  zu  Cairo  vollendet  haben,  wie  Muhammed  Bes- 
jünl,  'Umar  Schäm!,  Mustafa  ‘Afifl,  Muhammed  Menschäw!,  der 
ausserdem  vielen  Javanen  Privatunterricht  im  Quränrecitieren  er- 
theilt,  usw.  Früher  waren  die  Egypter  oder  doch  in  Cairo  erzoge- 
nen Gelehrten  in  Mekka  nicht  besonders  beliebt,  weil  sie  nicht 
immer  bescheiden  auftraten  und  ihre  mekkanischen  Kollegen  mit 
grossstädtischem  Dünkel  schulmeisterten.  Seitdem  aber  Isinä'il  Pascha 
Unteregypten  europäisiert  hat  und  mehr  noch  seitdem  die  Englän- 
der vom  Nilthal  Besitz  ergriffen  haben,  ist  Mekka  auch  jenen  zum 
wahren  Hort  des  Islain’s  geworden.  In  ihrer  Heimath  beeinflussen 
jetzt  die  Ungläubigen  sogar  die  Anstellung  der  Mufti’s  und  der 
Professoren ; wollen  diese  sich  ihres  Amtes  dauernd  erfreuen , so 
müssen  sie  mitunter  Fetwa’s  abgeben,  deren  Inhalt  ihr  Gewissen 
verdammt.  Muss  man  nun  gleich  auch  in  Mekka  ab  und  zu  mit 
den  weltlichen  Behörden  transigieren , hier  wird  doch  den  Ver- 
tretern der  Gesetzeskunde  bedeutende  Selbständigkeit  zuerkannt, 
und . . . el-bazdh  cala  'l-bacd/i  rahmah  »(die  Herrschaft)  von  Leuten 
gleicher  Art  ist  immerhin  ein  Gnadenbeweis  Gottes.”  Der  gemeinste 
Türke  versteht  besser  als  der  beste  Engländer  ’),  was  dem  Muslim 
gebührt.  Nach  Mekka  kommt  kein  Ungläubiger , während  die  Azhar- 
moschee durch  die  Füsse  englischer  Männer  und  Weiber  verunrei- 
nigt wird.  Hier  hält  man  Sklavenmarkt,  dort  kann  man  nur  im 
Geheimen  Sklaven  kaufen,  als  versündigte  man  sich  dadurch;  kurz, 
in  Mekka  lebt  noch  eine  muslimische',  vom  Unglauben  unbehelligte 
Gesellschaft,  wie  sie  in  Egypten  schon  unmöglich  wäre.  Wenn 
jetzt  einmal  im  Gespräche  der  Gelehrten  Vergleiche  angestellt  werden , 


1)  Als  ich  einmal  einen  gebildeten  Egypter,  der  mir  sein  Her*  über  die  Rohheit 
und  Unsittlichkeit  der  englischen  Soldaten  und  die  dumme  Einbildung  vieler  Engländer 
ausschüttcte,  auf  verschiedene  nützliche,  von  der  englischen  Regierung  in  Egypten  ge- 
troffene Anordnungen  hinwies  und  die  Vorzüge  einzelner  berühmter  Engländer  hervor- 
hob, hielt  er  mir  das  Sprichwort  entgegen:  »Hier  ein  weisscr  Hund,  dort  ein  »chwar- 
»zer  Hund,  Alle  sind  aber  Hunde,  Söhne  der  Hunde”  (trlt  oLjadh  utl Hb  nsvad, 
kuUehum  kiläb  auldd  il~küdb). 


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255 


so  ist  das  Ergebniss  für  Cairo  ungünstig , und  die  Cairiner  leugnen  das 
gar  nicht,  freuen  sich  vielmehr  ob  ihrer  Hidjrah  nach  der  heiligen  Stadt. 

Unter  den,  gleichfalls  sehr  zahlreichen,  aus  Hadhramaut  stam- 
menden Professoren  ragt  an  Bedeutung  der  fast  zwerghaft  kleine 
Muhammed  Sa'Id  Bä-Befel  hervor,  der  dem  Rektor  im  Amte  des 
MuftT’s  als  Amin  el-fetwa  (zum  Ertheilen  von  Fetwa’s  Bevoll- 
mächtigter) zur  Seite  steht.  In  einem  Kolleg  des  Altmeisters  ist  er 
ausserdem  sein  Muqri ').  Im  Urtheil  über  das  gesellschaftliche  Le- 
ben der  Mekkaner  stimmen  die  Hadhramiten  den  Centralarabern 
bei;  wie  diese  in  einem  armen,  kulturlosen  Lande  erzogen,  sehen 
sie  in  der  Grossstadt  zunächst  ein  modernes  Babel.  Dagegen  hat 
das  hiesige  Gelehrtenleben  für  sie  nur  Anziehendes;  reichere  Hülfs- 
mittel , mehr  Gedankenaustausch , der  Segen , den  auch  der  Stu- 
dierende der  Heiligkeit  des  Mekkathaies  entnimmt , sind  ebenso  viele 
Vorzüge,  nach  deren  Genuss  sich  der  cAlim  in  Hadhramaut  sehnt  *). 
Die  Laien,  die  aus  jenem  Lande  des  Erwerbs  wegen  nach  Mekka 
auswandern,  eignen  sich  schnell  die  hiesigen  Sitten  an  und  be- 
trachten die  Aenderung  als  einen  Fortschritt.  Wenn  sich  die  Ha- 
dhramiten  in  Ostindien  meistens  abfällig  über  die  Mekkaner  äus- 
sem  (wie  van  den  Berg  erzählt  und  ich  ebenfalls  in  Erfahrung 
brachte),  so  hat  man  darin  bloss  eine  Aeusserung  des  Brotneides 
zu  erkennen,  weil  Beide  in  ihrer  Weise  die  Javanen  ausbeuten  und 
ihre  Wege  einander  manchmal  kreuzen.  Aehnliche  Dinge  wie  sie 
nach  van  den  Berg  die  Hadhramiten  auf  Java  den  Mekkanern  nach- 
sagen,  behauptet  umgekehrt  jeder  Mekkaner,  der  auch  nur  einmal 
auf  Java  war,  von  den  dortigen  Hadhramiten.  Durch  solche  Klas- 
senurtheile  darf  man  sich  im  Orient  so  wenig  wie  bei  uns  täuschen 
lassen . 

Aus  Daghustan  stammen  einige  von  den  geschätztesten  Lehr- 
kräften des  Haram.  Kurz  vor  meiner  Ankunft  in  Mekka  war  der 
berühmte  Abd  el-Hamld  ed-Daghustänl  dahingeschieden,  dessen 
Gelehrsamkeit  von  vielen  Kollegen  über  die  des  Sejjid  Dahlän  ge- 

1)  Vergl.  oben  S.  *48. 

2)  Auch  Burckhardt  bat  Mekka  als  das  Ziel  der  Gelehrten  in  Jemen  und  Hadhra- 
maut  dargestellt. 


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stellt  wurde.  Sein  Sohn  Muharnmed  machte  dem  Vater  Ehre  und 
gehörte  nach  der  allgemeinen  Ansicht  zu  den  sechs  besten  Qurän- 
recitatoren  Mekka’s. 

Professoren  aus  Malabar  (Menebär  heisst  es  hier)  sollen  früher 
zahlreicher  gewesen  sein  als  heutzutage.  Von  den  Djäwah  lesen  nur 
höchst  selten  einzelne  im  Haram;  kaum  haben  wir  auf  unserem 
Morgenspaziergang  durch  den  Hof  der  Moschee  einen  Mekkaner 
darüber  befragt,  gleich  zeigt  er  uns  mit  dem  Finger  den  aus  Sum- 
bawa  gebürtigen  Professor  Zeinuddin  und  fügt  hinzu,  einen  an- 
deren jener  Nation  werde  man  hier  jetzt  vergeblich  suchen.  Das 
liegt,  wie  gesagt,  theilweise  an  der  bescheidenen  Zurückhaltung 
dieser  Leute,  es  ist  aber  auch  zum  Theil  die  natürliche  Folge  der 
unten  zu  besprechenden  Bedürfnisse  ihrer  studierenden  Landsleute. 

Aus  demselben  Grunde  wie  die  Lehrer  nehmen  auch  die  Schüler 
des  schäfi'itischen  Ritus  unsere  Aufmerksamkeit  in  höherem  Grade 
in  Anspruch  als  die  anderen.  Beim  ersten  Blick  fallt  uns  die  grosse 
Verschiedenheit  ihres  Alters  auf;  im  selben  Kreise  sitzen  Graubärte 
und  bartlose  Knaben  mit  reifen  Jünglingen  und  kräftigen  Männern 
zusammen.  Die  älteren  Herren  zerfallen  in  zwei  Klassen,  die  darin 
übereinstimmen , dass  sie  hauptsächlich  »des  Segens  halber”  ( lil-ba - 
rakah ) die  Vorlesungen  anhören.  Eine  Klasse  bilden  die  Gelehrten, 
die  eigentlich  Alles,  was  hier  zur  Besprechung  gelangt,  längst  im 
Kopfe  haben,  aber  ihrem  früheren  Lehrer  oder  älteren,  ehrwürdi- 
gen Kollegen  zu  Ehren , in  Stunden , wo  sie  selbst  nicht  lesen , 
sich  zu  dessen  Füssen  setzen.  Die  Uebrigen  sind  Leute,  denen  in 
der  Jugend  die  Zeit  oder  die  Lust  zur  wissenschaftlichen  Ausbil- 
dung fehlte  und  die  nun,  soweit  es  geht,  in  den  letzten  Jahren 
ihres  Lebens  die  Lücke  ergänzen  wollen.  Bei  ihnen  sind  die  Früchte 
des  Unterrichts , wie  sich  nach  der  Verschiedenheit  ihrer  Vorbildung 
erwarten  lässt,  sehr  verschieden,  meistens  sehr  gering;  sie  sind 
mit  dem  »Segen”  des  Zuhörens  zufrieden,  auch  wenn  das  Ver- 
ständniss  versagt.  Jüngere  Gelehrte  haben  immer  noch  etwas  von 
dem  Unterricht  der  Altmeister,  obgleich  die  Bedürfnisse  weniger 
kundiger  Zuhörer  dabei  maassgebend  sind. 

Aber  auch  unter  den  eigentlichen  Schülern  kommt  es  gar  nicht 


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selten  vor,  dass  etwa  Sechzehn-  und  Vierzigjährige  den  gleichen 
Vorlesungen  zuhören.  Im  I,ton  Kapitel  haben  wir  gesehen , dass  bei 
geborenen  Mekkanem  nur  selten  Neigung  zur  Gelehrtenlaufbahn 
entsteht;  wo  sie  sich  aber  zeigt,  geschieht  es  bei  Gelehrtensöhnen 
meistens  schon  in  der  ersten  Jugend,  während  bei  vielen  Anderen 
erst  später  die  Lust  zum  Durchbruch  gelangt  oder  doch  die  von  der 
Familie  solchen  Plänen  entgegengesetzten  Hindernisse  beseitigt  werden. 
Die  überwiegende  Mehrzahl  der  Studenten  ist  aus  der  Fremde  her- 
gekommen; sofern  nun  ihre  Muttersprache  nicht  die  arabische  ist, 
bedürfen  sie  einer  viel  weitläufigeren  Vorbereitung,  bis  sie  den  Un- 
terricht im  Haram  verwerthen  können.  Es  sind  nur  Wenige,  die 
in  ihrer  javanischen , malaiischen , inalabarischen  oder  sonstigen  Hei- 
matli  so  lange  und  so  gründlich  studiert  haben,  dass  sie  einem 
arabischen  Vortrage  folgen  können ; die  meisten  kommen  sehr  jung 
oder  doch  nur  dürftig  vorbereitet  an.  Dann  gehen  sie  zuerst,  nach- 
dem sie  im  Qurünrecitieren  etwas  vorgerückt  sind,  einige  Jahre  bei 
einem  gelehrten,  in  Mekka  ansässigen  Landsmann  in  die  Schule, 
der  ihnen  die  leichteren  Texte  durch  Uebersetzung  und  Erklärung 
in  ihrer  Muttersprache  verständlich  macht.  Wenn  sie  so  über  die 
ersten  Schwierigkeiten  hinweggekommen  sind,  könnten  sie  noch 
jahrelang  den  weiteren  Unterricht  solcher  Lehrer  benutzen,  ohne 
ein  wirkliches  Bediirfniss  nach  anderer  Leitung  zu  empfinden,  zu- 
mal es  unter  jenen  fremden  Gelehrten  Leute  giebt,  die  ihren  ara- 
bischen Kollegen  gar  nicht  nachstehen.  Allein  ihr  höchster  Wunsch 
ist,  im  Hamm  zu  studieren,  und  ihre  gelehrten  Landsleute  sehen 
das  nicht  ungern,  denn  schon  so  haben  sie  genug  zu  thun. 

Die  Vorlesungen  sind  in  jeder  Beziehung  öffentlich  und  frei; 
wer  aus  Neugierde  einmal  einen  Professor  hören  will,  setzt  sich 
gewöhnlich  hinter  den  eigentlichen  Zuhörerkreis;  wenn  er  sich  viel- 
leicht vor  dem  Schluss  der  Vorlesung  wieder  entfernen  möchte, 
hinter  den  Rücken  des  Lehrers.  Will  Einer  als  regelmässiger  Zu- 
hörer in  eine  Halqah  eintreten,  so  setzt  er  sich  zwischen  zwei  Be- 
kannte oder  Solche,  deren  Bekanntschaft  er  eigens  dazu  macht; 
der  Kreis  erweitert  sich  ein  wenig,  und  nachdem  er  mehrere  Male 
zugegen  gewesen,  redet  ihn  der  Lehrer  beim  üblichen  Abschied- 

11  39 


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258 


nehmen  nach  dem  Kolleg  mit  ein  paar  Worten  an.  Er  kann  auch 
vorher  dem  Professor  einen  Besuch  machen,  sich  mit  ihm  zu  be- 
rathen,  aber  die  Anmeldung  ist  nicht  erforderlich,  und  es  giebt 
keine  Immatrikulierung. 

Den  Inhalt  der  Vorlesungen  über  die  Gesetzeskunde  kann  man 
sich  kaum  zu  gleichförmig  denken.  In  dem  5tcn — 7,en  Jahrhun- 
dert der  Hidjrah,  also  gerade  in  der  Periode,  wo  die  erstarrende 
Union  in  der  muslimischen  Wissenschaft  an  die  Stelle  des  lebhaften 
Kampfes  trat,  haben  einige  schäfi'itische  Gelehrten  ersten  Ranges  (vor- 
züglich Abu  Schudjä',  Rafii  und  Nawawl)  das  ganze  Gesetz  in 
ihren  Hauptwerken  erklärt,  und  die  autoritätsbedürftige  Nachwelt 
betrachtet  diese  Texte  mit  fast  gleicher  Ehrfurcht,  wie  jene  selbst 
die  Werke  SchafiVs  und  seiner  ersten  Schüler  als  Grundpfeiler 
der  Wahrheit  betrachtet  haben.  Nur  solche  Punkte,  über  welche 
jene  Autoren  mit  einander  disputiert  oder  mehrere  Ansichten  als 
möglich  dargestellt  hatten , durften  spateren  Gelehrten  zu  neuer  Erör- 
terung Anlass  geben.  Die  genannten  Texte  waren  aber  Excerpte, 
welche  die  Verfasser  ihrem  mündlichen  Unterricht  zu  Grunde  legten ; 
die  Schüler  lernten  dieselben  auswendig,  um  feste  Anknüpfungs- 
punkte für  die  Ausführungen  der  Lehrer  zu  gewinnen. 

In  späteren  Zeiten  haben  Gelehrte  wie  ibn  Hadjar,  ScharbTnl, 
Ramll  den  Erläuterungen  zu  jenen  Texten  auch  ihre  feste,  schrift- 
liche Form  gegeben,  und  ihre  Kommentare  bilden  bis  zum  heuti- 
gen Tag  wesentlich  die  Grundlage  aller  schäfFitisehen  Kollegien 
über  das  heilige  Gesetz;  die  neueren  Professoren  haben  daher  nur 
die  Aufgabe,  die  immer  weniger  Spielraum  gewährenden  Aussprüche 
ihrer  Vorgänger  sprachlich  und  sachlich  zu  erläutern,  höchstens 
hie  und  da  hinzuzufügen,  welche  von  zwei  angeführten  Ansichten 
nunmehr  die  herrschende  geworden  sei.  Dann  sind  auch  solche 
erklärende  Randglossen  wieder  zu  anerkannten  Texten  geworden, 
nur  noch  nicht  in  dem  Maasse,  dass  ein  Gelehrter  sich  dadurch 
verhindert  glaubte,  selbst  ein  neues  Diktat  zu  machen.  Somit  hat 
ein  heutiger  Professor  von  folgenden  Methoden  eine  zu  wählen:  1° 
seinen  Schülern  einen  der  obigen  Kommentare  mit  den  von  einem 
berühmten  Vorgänger  herausgegebenen  Randglossen  vorzutragen , wo- 


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bei  also  der  Vortheil  des  mündlichen  Unterrichts  lediglich  in  der 
genauen  Vokalisation  und  etwaiger  Erklärung  kleiner  Schwierig- 
keiten besteht;  2°  die  Lektüre  des  Kommentars  durch  mündliche 
Erläuterungen  fruchtbar  zu  machen,  die  er  aus  mehreren  von  den 
besten  Randglossen  schöpft;  3°  aus  den  letzteren  selbst  eine  neue 
Kompilation  zusammenzustellen  und  herauszugeben. 

Die  erste  Methode  ist  die  leichteste  und  wird  daher  von  Vielen 
befolgt;  ihre  Anwendung  lässt  sich  dem  Anschein  nach  auf  grosse 
Bescheidenheit  des  Lehrers  zurückführen.  Abdallah  Zawäwl  zog  die 
zweite  vor,  und  las  z.  B.  den  Jqrta  des  Scharblnl,  mit  freier  münd- 
licher Erläuterung,  worauf  er  sich  jedesmal  durch  das  Studium 
mehrerer  einschlägiger  Randglossen  vorbereitete.  Um  so  verfahren 
zu  können,  muss  man  die  arabische  Rede  tüchtig  beherrschen,  be- 
sonders wenn  man,  wie  der  Sejjid  es  that,  den  Schülern  unum- 
schränkte Gelegenheit  bietet,  den  Vortrag  mit  Fragen  zu  unter- 
brechen. Viele  seiner  Kollegen  nahmen  Bitten  um  Aufklärung  nur 
nach  Schluss  des  Kollegs  entgegen,  weil  ihnen  das  Improvisieren 
in  grammatisch  fehlerfreier  Sprache  zu  schwer  war.  Ganz  selten 
kam  es  vor,  dass  der  junge  Schech  sein  Kolleg  etwas  früher  als 
üblich  schloss  mit  der  lächelnd  ausgesprochenen  Entschuldigung : 
»Wir  wollen  jetzt  aufhören,  denn  mir  fehlt  die  zum  Qaliit  erfor- 
»derliche  rituelle  Reinheit”  l).  Sejjid  Bekrl  gehörte  zu  den  Weni- 
gen, die  von  ihnen  selbst  geschriebene  Randglossen  einige  Jahre 
lang  vortragen,  um  dieselben  endlich  herauszugeben.  Sein  vierbändiges, 
1883  in  Cairo  gedrucktes  Buch  (1‘ä/tai  al-tälibin)  ist  vorzüglich  be- 
achtenswerth  als  Maassstab  dessen , was  die  ehrgeizigsten  und  gelehr- 
testen Professoren  unserer  Zeit  noch  zu  leisten  vermögen.  Aus  den 
berühmteren  Werken  alter  und  neuer  Zeit  hat  er  recht  weitschweifige 
und  verschiedenartige  Glossen  zusammengelesen , die  zur  Erläuterung 


1)  Vcwaqqif  cd-dara  fa'ixni  g\(r  mutaicaddhi  (oder:  laatu  ' ala  uudhu).  Die  letzten 
Worte  sagt  Einer  nämlich,  wenn  er  sich  an  einem  gemeinschaftlichen,  im  Hause  vor- 
genommenen  (Jaldl  nicht  bethoiligt  oder  bittet,  es  seinetwegen  einen  Augenblick  aufzu- 
schieben, damit  er  zuerst  die  kleine  (nach  dem  Schlafe,  der  Befriedigung  natürlicher 
Bedürfnis«:  usw.  erforderliche)  Ablution,  d.  h.  das  Wudhii  verrichte.  Sodann  wird  der 
Ausdruck  scherzhaft  gebraucht  von  Einem,  der  auf  irgend  eine  Beschäftigung  nicht  ge- 
nügend vorbereitet  ist. 


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260 


eines  von  Zein  ad-dln  al-Melebarl  verfassten  Kommentars  (Fa/A  al- 
mifin)  zu  dessen  eigenem  Werke  Qurrat  al-atn  dienen  sollen.  Von 
tausend  Sätzen  des  I'anah  dürfte  kaum  einer  auch  nur  formell 
vom  »Verfasser”  herstammen ; das  gereicht  ihm  aber  zum  Lob, 
denn  auf  diesem  allseitig  durchpflügten  Gebiete  Neues  schaffen  zu 
wollen,  könnte  nur  einem  Ketzer  einfallen , und  mit  Recht  rühmt 
sich  daher  unser  Autor  in  seiner  Einleitung,  er  habe  sich  nur  »der 
getreuen  Wiedergabe  der  Worte  der  Majorität  (von  schäfi'itischen 
Gelehrten)  beflissen.”  Fragt  man  nun,  was  in  der  Welt  Einen 
unter  solchen  Umstünden  auf  den  Gedanken  bringen  kann,  den 
zahlreichen  Glossensammlungen  eine  neue  hinzuzufügen,  so  antwor- 
ten uns  die  Autoren,  es  treibe  sie  dazu  die  Lust,  das  Verständ- 
niss  des  überlieferten  Stofls  ihren  Zeitgenossen  durch  besondere 
Rücksichtnahme  auf  ihre  pädagogischen  Bedürfnisse  formell  zu  er- 
leichtern; thatsächlich  spielt  aber  die  Lust  mit  hinein,  als  Schrift- 
steller ihren  Namen  unsterblich  zu  machen  '). 

Alle  jene  Fiqh-bücher  unterscheiden  sich  von  einander  lediglich 
durch  das  Maass  der  Ausführlichkeit  und  kleine  Aeusserlichkeiten ; 
sogar  die  Ueberschriften  und  im  Wesentlichen  auch  die  Reihenfolge 
der  einzelnen  Kapitel  und  ihr  Inhalt  sind  identisch,  ob  nun  das 
Werk  den  Titel  der  »Sättigung”  oder  der  »Hülfe  der  Studierenden” 
führe  und  mehr  oder  weniger  Abschweifungen  enthalte.  Es  lohnt 
sich  daher  nicht,  uns  länger  dabei  aufzuhalten. 

Welche  Bedeutung  hat  nun  aber  dies  Gesetz,  und  mithin  dessen 
Studium,  für  das  Leben?  In  Bezug  auf  die  religiösen  Verpflich- 
tungen und  das  Familienrecht  liegt  die  Antwort  auf  der  Hand: 
diese  Kapitel  des  Gesetzes  regeln  das  wirkliche  Leben  in  demsel- 
ben Maasse  wie  nur  ein  Codex  eine  Gesellschaft  zu  regeln  vermag. 
Alles  Uebrige  hat  von  jeher  nur  die  Bedeutung  eines  kanonischen 
Rechts  gehabt,  das  aus  den  Schranken  der  Schule  nicht  heraustrat; 
die  Gebiete  des  Lebens,  die  es  beherrschen  sollte,  wurden  faktisch 


1)  Wie  oben  bereits  bemerkt  wurde,  bat  Sejjid  Bekri  seinem  Werke  durch  die  Auf- 
nahme einiger  Fit  was  aus  jüngster  Zeit,  t B.  vom  Mufti  Ahmed  DaliUn  einen  gewis- 
sen Reiz  der  Aktualität  tu  verleihon  gesucht.  Immerhin  geben  auch  solche  Gutachten 
nur  bekannten  Stoff  in  noucr,  durch  die  Anfrage  bedingter  Anordnung  wieder. 


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vom  Herkommen  regiert,  das  durch  die  wechselnden  Verhältnisse 
und  die  Willkür  der  Fürsten  bedingt  war.  Das  ganze  Staatsrecht 
ist  eine  missbilligende  Kritik  der  in  allen  muslimischen  Staaten 
obwaltenden  Verhältnisse;  das  Kriegsrecht  eine  höchst  idealisierte 
Beschreibung  der  Eroberungskriege , die  der  Islam  nach  Muhammeds 
Tode  führte,  gleichwie  die  Gesetze  bezüglich  der  Bedingungen, 
unter  welchen  Christen  und  Juden  den  Schutz  des  Islam ’s  gemes- 
sen sollen,  den  von  Omar  mit  den  Syrern  abgeschlossenen  Vertrag 
idealisieren.  Wollte  man  das  Handels-  und  Verkehrsrecht  des  Is- 
lam’s  anwenden,  so  würden  gleich  alle  Geschäfte  ins  Stocken  ge- 
rathen;  das  Kriminalrecht  bietet  durch  seine  unmögliche  Beweis- 
lehre und  seine  lächerlich  milde  Anwendung  der  als  »Allahs  Recht” 
geltenden  Strafen  jedem  Uebelthäter  einen  Ausweg ; kurz , in  jedem 
Abschnitt  seufzen  uns  die  Schriftgelehrten  entgegen:  »So  sollte  es 
sein,  helfe  uns  Gott!”  Man  lasse  sich  nicht  beirren  durch  die 
Thatsache,  dass  besonders  fromme  Leute  über  einzelne  wichtige 
Fälle  wohl  ein  Fetwa  einholen  und  dann  ihre  Pläne,  soweit  es 
geht,  dem  Schar  gemäss  einrichten,  oder  dass  fromme  Fürsten 
durch  zeitweilige  Anwendung  des  heiligen  Gesetzes  auf  einzelne  Ver- 
hältnisse sich  bei  den  Gelehrten  beliebt  gemacht  haben.  Wahr  bleibt 
es,  dass,  mit  Ausnahme  der  religiösen  Vorschriften  im  engeren 
Sinne  und  der  Familiengesetze  in  ihrem  ganzen  Umfang,  das  ka- 
nonische Recht  im  grossen  Ganzen  nie  gegolten  hat.  Wer  dies 
immer  bestreiten  mag,  gewiss  nicht  die  Schriftgelehrten  selbst; 
vielmehr  betonen  sie,  die  von  ihnen  erläuterten  Gesetze  seien  für 
eine  bessere  Gesellschaft  berechnet  als  die  je  zu  ihrer  Zeit  beste- 
hende.. Einmal  sei  dieselbe  zur  Wirklichkeit  geworden  '),  nämlich  in 
der  dreissigjährigen  Periode  der  vier  ersten,  »legitimen”  Chalifen; 
ein  anderes  Mal  werde  sich  das  wiederholen ....  wenn  das  Ende 
der  Welt  nahe  ist  und  der  von  Gott  erwählte  Mahdi  die  Regie- 
rung antritt. 

Ausdrücklicher  konnte  der  ideale  Charakter  der  bezeichneten  Ge- 


1)  Bekanntlich  beruht  auch  diese  Ansicht  auf  einer  sehr  idealisierten  Vorstellung 
von  jonor  „patriarchalischen  Zeit”  und  gilt  sie  in  beschränktem  Sinne  nur  von  der 
Periode  der  »beiden  Schecho”  (Abu  Bckr  und  Omar). 


262 


setze  nicht  anerkannt  werden,  als  es  die  türkische  Regierung  that, 
indem  sie  menschliche  Gesetze  ( Qatcänin ) erliess  zur  Regelung  aller 
Lebensverhältnisse  ausser  dem  Verkehr  mit  Gott  und  dem  Fami- 
lienleben; das  heilige  Schar*  wurde  mit  der  ziemlich  leeren  Klau- 
sel abgefertigt,  es  stehe  den  Muslimen  immer  zu,  sich  darauf  zu 
berufen. 

Trotz  alledem  hat  auch  der  ideale  Inhalt  des  Gesetzes  hohe  Be-  «i 

deutung  für  das  Leben  der  Muslime;  die  liegt  aber  auf  pädagogi- 
schem Gebiete.  Oder  sollte  man  es  für  gleichgültig  halten,  woran 
und  wie  die  geistigen  Vertreter  des  Islams  ihre  Ideale  bilden,  wel- 
chen Maasstab  sie  bei  der  Beurtheilung  der  Wirklichkeit  an  wenden 
und  in  welcher  Richtung  sich  ihre  Hoffnungen  und  Bestrebungen 
bewegen?  Mehr,  als  Manche  glauben  möchten,  empfinden  auch  die 
profansten  Kreise  der  muslimischen  Gesellschaft  den  Einfluss  jener 
Schulideale,  wenngleich  ihnen  die  Kenntniss  der  von  den  Gelehrten 
in  rabbinischer  Weise  deducierten  Einzelheiten  völlig  abgeht.  In  das 
Volk  sind  aber  die  leitenden  Gedanken  tief  eingedrungen ; jedesmal, 
wenn  ihm  die  socialen  Verhältnisse  zu  schlimm  werden,  ruft  es  im 
Bunde  mit  den  ‘Ulamä:  Schar ' Allah! , //das  Gesetz  Gottes!”,  und 
bei  jeder  politischen  Umwälzung  durchzuckt  die  Masse  die  Erwar- 
tung, dass  endlich  der  Mahdi  komme,  dem  Schar c Allah  zu  seinem 
Rechte  zu  verhelfen.  Das  mag  nun  bloss  ein  Schlagwort  sein,  aber 
diese  Parole  lautet  in  der  ganzen  muslimischen  Welt  gleich,  und 
das  hingebende  Studium  der  Schriftgelehrten  erhält  sie  am  Leben 
und  gewährt  ihr  Inhalt  und  Bedeutung. 

Vergessen  wir  aber  nicht,  dass  wir  uns  immer  noch  in  der  Mo- 
schee befinden,  wo  die  cUlamB  mit  lauter  Stimme  das  kanonische 
Gesetz  erklären.  Feierlich  fangen  sie  ihre  Vorlesungen  an,  denn  die 
Beschäftigung  mit  der  Wissenschaft  gehört  in  erster  Linie  zu  den 
wichtigen  Handlungen,  die  man  nicht  ohne  Anrufung  von  Allahs 
Namen  beginnen  darf.  Die  ersten  Worte  jedes  Kollegs  wie  jedes  mus- 
limischen Buchs  und  jeder  Abhandlung , sind : «Im  Namen  Allahs , 
des  allbarmherzigen  Erbarmers” , denen  mancher  Professor  noch  das 
Tafamcud  («Ich  fliehe  zu  Allah  vor  dem  verfluchten  Teufel”)  vor- 
ausschickt. Dann  folgt  immer  eine  Reihe  von  Lobpreisungen  Gottes 


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263 


und  seines  letzten  Gesandten,  worauf  die  Meisten  ohne  Weiteres 
anheben:  « der  Verfasser  des  ( von  uns  erläuterten)  Buches  sagt" ; 
langsam  lesen  sie  nun  die  Worte  vor,  die  sich  den  im  letzten  Kolleg 
besprochenen  anschliessen  und  beleuchten  dieselben  nach  einer  von 
den  oben  beschriebenen  Methoden.  Einige  recitieren,  wie  gesagt, 
vor  jedem  Kolleg  die  gleiche  Anpreisung  der  Disciplin , die  sie  eben 
Vorhaben.  Länger  als  zwei  Stunden  liest  auch  der  fleissigste,  kräf- 
tigste Medarris  kaum ; zuletzt  schliesst  er  das  Buch  und  spricht  in 
der  üblichen  Haltung ')  flüsternd  ein  Gebet.  Seinem  Beispiele  fol- 
gen die  Zuhörer,  und  wenn  er  durch  leises  Reiben  der  Hände  über 
das  Gesicht  zu  erkennen  giebt,  er  sei  fertig,  so  erheben  sich  jene 
nach  und  nach , gehen  auf  den  sitzenden  Lehrer  zu , knien  an  seiner 
rechten  Seite  nieder  und  küssen  ihm  zum  Abschied  die  Hand. 
Sobald  sieh  die  älteren  Zuhörer  nähern,  steht  auch  der  Professor 
auf,  weil  es  anspruchsvoll  wäre,  ihren  Kuss  sitzend  entgegenzu- 
nehmen; solchen,  die  er  aus  wirklicher  oder  vorgeblicher  Beschei- 
denheit als  seinesgleichen  betrachtet,  entreisst  er  sogar  die  von 
ihnen  ergriffene  Hand  und  küsst  ihnen  die  Stirn.  Einem  neuen 
Schüler  ruft  er  sein  «gesegnet,  so  Allah  will!”  zu,  worauf  dieser 
mit  ehrerbietigen  Formeln  antwortet. 

Nachdem  die  Morgenkollegien  geschlossen  sind,  gilt  die  Univer- 
sitätsordnung bis  nach  dem  Mittags^alat  gewissermaassen  als  aufge- 
hoben , d.  h.  bis  dahin  macht  sich  auch  der  gewöhnliche  Schulmeister 
nicht  lächerlich,  wenn  er  mit  seinen  Knaben  in  der  Moschee  eine 
Uebung  abhält,  und  wird  es  jüngeren  Leuten  nicht  als  Ucberhe- 
bung  angerechnet,  wenn  sie  hier  von  ihren  Kenntnissen  weniger 
Vorgerückten  etwas  mittheilen.  Von  den  Professoren  lesen  einige 
in  diesem  Zeitraum  über  Fächer,  wofür  keine  Stunde  angewiesen 
ist  und  deren  Studium  nur  von  Wenigen  gepflegt  wird,  z.  B.  die 
Traditionserklärung  ( Hadith ) und  die  Methodologie  der  Gesctzes- 
entwickelung  ( üpd  al-fiqti).  Bei  der  letzteren  Disciplin  theilen  sich  die 
Studenten  wieder  nach  ihren  Riten , obgleich  es  hier  nicht  so  strenge 
genommen  wird  wie  bei  dem  Fiqh,  weil  namentlich  die  jüngeren 


1)  Yergl.  oben  S.  35. 


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Werke  über  die  Upül-wissenschaft  nur  wenig  Meinungsverschieden- 
heit aufweisen.  Beide  Fächer  haben  übrigens  lediglich  theoretischen 
oder  historischen  Werth , da  es  keinem  mehr  zusteht , die  Methode 
selbständig  anzuwenden  und  aus  den  Ueberlieferungen  neue  De- 
duktionen zu  machen.  Man  darf  bloss  noch  aus  der  Ferne  zuschauen , 
wie  die  Ahnen  das  Gesetz  deduciert  haben,  dessen  Autorität  für 
die  Gemeinde  jetzt  nur  in  ihrem  eigenen,  unabänderlich  festste- 
henden Consensus  begründet  ist. 

Derartige  Vorlesungen  eröffnet  kein  Professor  auf  gut  Glück;  nur 
wenn  einige  Schüler  ihn  dämm  bitten  oder  seiner  Einladung  Folge 
leisten,  wird  eine  Stunde  verabredet,  und  dann  darf  auch  keiner 
ohne  gütige  Verhinderung  fehlen.  Für  die  Ufül-kollegien  benutzt 
man  irgend  welche  von  den  neueren  gedruckten  Werken , die  auf 
dem  Markte  vorhanden  sind.  Die  fleissigen  Pfleger  des  Jladitl 
lesen  den  riesigen  Kommentar  des  Qastaläm  zur  Traditionssamm- 
lung Buchäri’s  ’)  und  den  Kommentar  des  Nawawl  zur  Sammlung 
Muslim’s.  Das  kostet  aber  manchen  Wissbegierigen  allzuviel  Zeit, 
und  diese  beschränken  sich  daher  auf  kleinere  Sammlungen , worin 
besonders  wichtige  oder  erbauliche  Traditionen  enthalten  sind. 

Nebenbei  sei  hier  bemerkt,  dass  alle  Studenten  heutzutage  mit 
gedruckten  Exemplaren  des  zu  besprechenden  Textes  ins  Kolleg  kom- 
men; dieser  Umstand  hat  die  Form  des  Unterrichts  gänzlich  mo- 
dificiert,  denn  früher  musste  der  Medarris  ihnen  zuerst  den  Text 
diktieren,  dem  sie  dann  auf  dem  Rande  die  Glossen  des  Lehrers 
hinzufügten , wogegen  jetzt  der  Zuhörer  nur  wenige  mündliche  Be- 
merkungen ( Taqürir ) des  Professors  notiert  und  manchmal  gar  nicht 
zu  schreiben  hat. 

Keinem  Menschen  wäre  es  möglich,  nach  Ablauf  des  Mittags- 
Qälat  im  Hofe  der  Moschee  zu  sitzen;  man  würde  förmlich  ver- 
sengt. Sobald  aber  die  Frommen  in  den  Säulenhallen  unter  Lei- 
tung eines  von  den  vier  am  Mittag  nach  einander  fungierenden 


1)  Ein  hanafitiseber  Gelehrter,  Schfch  'Abbäs,  der  auch  dem  Mufti  der  Hanafiten 
als  Assistent  sur  Seite  stand,  beendigte  während  meines  Aufenthalts  in  Mekka  in 
einem  grossen  Zuhörerkreise  die  vor  drei  Jahren  angeiangene  Lektüre  des  Qastaläni. 
Sein  Sohn  wusste  ganze  Abschnitte  des  Buchäri  auswendig. 


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265 


Imäm’s  ihre  Andacht  verrichtet  haben  und  den  Raum  allmählich  frei 
machen,  bilden  sich  hier  Kreise  und  Halbkreise1)  von  Studenten, 
diesmal  zur  Pflege  der  sogenannten  Instrumentalwissenschaften  oder 
der  Dogmatik.  Bevor  Einer  Vorlesungen  über  die  Gesetzeskunde 
besucht,  muss  er  wenigstens  einigermaassen  in  der  Flexion  ( Qarf ) und 
der  höheren  Grammatik  {Nahm)  bewandert  sein;  die  Kollegien  über 
diese  Fächer  sind  denn  auch  für  die  Anfänger  die  einzigen , wo  sie 
zuhören.  Hier  findet  man  junge  Mekkaner,  Hadhramiten,  Jemeni- 
ten usw.  neben  einigen  mit  der  arabischen  Sprache  ein  wenig  ver- 
trauten fremden  Studenten.  Die  Professoren  bemerken  mit  Recht, 
dass  ihre  arabischen  Schüler  nach  Beendigung  der  Adjrümijjah 
grössere  Grammatiker  sind  als  der  beste  Malaie  oder  Daghustänl 
nach  dem  Studium  vieler  grammatischer  Texte.  Für  das  Qarf  be- 
nutzt man  Tafeln,  worin  die  Flexionsformen  aufgeführt  und  erläu- 
tert werden ; als  Handbuch  des  Nahe  ist  ausser  der  Adjrümijjah 
die  Alfijjah  des  Ibn  Mälik  am  allgemeinsten  im  Gebrauch.  Alle 
tüchtigen  Studenten  kennen  die  Alfijjah  auswendig. 

Die  Kenntniss  der  übrigen  »Instrumente”,  z.  B.  der  Stillehre  und 
der  Poetik,  kann  man  sich  zu  gleicher  Zeit  mit  dem  Fiqh  aneig- 
nen, obgleich  sie  auch  zur  Propädeutik  gerechnet  werden.  Logik 
wurde  nach  dem  Mittag  vom  Schech  eNulamä  gelesen;  da  hörten 
nur  Vorgerücktere  und  Manche  machten  zu  den  Definitionen  ein 
Gesicht,  als  verstünden  sie  nicht  viel  davon.  Vielleicht  mag  die 
entsetzliche  Hitze  dieser  Stunde  die  schläfrigen  Mienen  mit  verschul- 
det haben. 

An  den  dogmatischen  Uebungen  sollten  sich  eigentlich,  nach 
der  oben  dargelegten  Encyklopiidie  des  Ghazäll , nur  diejenigen 
betheiligen,  die  bereits  eine  einstweilen  genügende  Portion  vom 
Fiqh,  dem  Lebensbrote,  verdaut  haben.  Man  hat  sich  aber  ge- 
wöhnt, die  Anfangsgründe  des  orthodoxen  Kalüm  (gewöhnlich  Upül 
ad-din  oder  Tawhid)  der  Jugend  schon  einzuprägen,  bevor  sie  noch 
das  Gesetz  gänzlich  durchstudiert  hat.  Dem  steht  auch  nichts  ent- 
gegen, denn  das  Verständniss  der  Dogmatik  setzt  keineswegs  Be- 


1)  Nämlich  dort,  wo  dor  Professor  an  der  Wand  der  Moscheo  sitzt. 

II  Si 


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266 


kanntschaft  mit'  dem  Gesetze  voraus.  Wie  die  Instrumentalfächer, 
lernen  auch  die  Dogmatik  Schüler  verschiedener  Riten  zusammen 
von  einem  Lehrer ; in  der  Glaubenslehre  sind  ja  Alle  Asch'ariten  '). 
Während  die  Vorgerückten  von  den  bekanntesten  dogmatischen 
Werken  der  letzten  Jahrhunderte  die  gebrauchen,  deren  sie  habhaft 
werden  können,  schliesst  sich  der  gewöhnliche  Unterricht  der  Be- 
sprechung einer  von  den  vielen  bis  in  unsere  Zeit  geschriebenen 
Anleitungen  an.  Man  braucht  nur  irgend  ein  Verzeichniss  Cairiner 
Drucke  zu  d urch blättern , um  mit  den  Titeln  mehrerer  cAqidah's 
(»Katechismen”  könnte  man  fast  sagen)  von  zeitgenössischen  Schrift- 
stellern bekannt  zu  werden. 

Systematische  Eintheilung  und  Behandlung  des  Stoffs  ist  solchen 
Lehrbüchern  fremd,  und  auch  die  Hauptwerke  der  Dogmatik  ha- 
ben sich  nicht  zur  innern  Einheit  emporgeschwungen;  ganz  natür- 
lich, weil  die  Orthodoxie  nur  durch  einen  von  aussen  kommenden 
Druck  zur  Behandlung  neuer  Gegenstände  gezwungen  wurde.  Sie 
ist  ja  nach  dem  treffenden  Bilde  Ghazäli’s  die  Medizin  der  Seele, 
und  da  die  Seelen  nicht  nach  einem  System  erkranken,  die  ketze- 
rischen Lehren  nicht  auf  regelmässige  Entwickelung  der  Wahrheit 
berechnet  sind,  so  kann  die  orthodoxe  Dogmatik  nicht  viel  an- 
deres thun  als  einen  feindlichen  Angriff  nach  dem  andern  abzu- 
wehren. Während  also  jedes  Kapitel  eines  Fiqh-buches  ein  leben- 
diges Glied  eines  Ganzen  bildet,  welches  den  Menschen  jeden 
Schritt  vorzeichnet,  ist  die  Glaubenslehre  eine  Sammlung  von  Waf- 
fen, deren  jede  einer  abweichenden  Richtung  oder  Sekte  den  Tod 
zufügen  soll.  Zum  grössten  Theil  sind  jene  Sekten  längst  den  unio- 
nistischen  Bestrebungen  und  dem  geistigen  Verfall  des  Islam’s  er- 
legen, nachdem  sie  ihre  Pflicht  als  Geburtshelferinnen  der  Dogma- 
tik vollführt  und  den  orthodoxen  Islam  gezwungen  hatten , sich  über 
einige  wichtige  Fragen  klarer,  unzweideutiger  auszusprechen,  als  er 


1)  Asch'ari  (gest.  945  n.  C.)  hat  twkanntlich  der  orthodoxen  Dogmatik  im  grossen 
Gänsen  die  endgültige  Form  gegeben.  Die  Gelehrten  beseiehnen  ihr  Bekenntniss  noch 
häufig  als  das  Asch’aritische  und  Einer  nennt  sich  t.  B. 

XJüJj  'j>wä>LcJ.  Ungelehrte  kennen  die  Bezeichnung  kaum;  ganz  natürlich, 

weil  keine  andere  gleichberechtigte  Richtung  daneben  Bteht. 


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267 


dies  von  selbst  gethan  hätte.  Mag  nun  ein  heutiger  Muslim  auf 
das  Studium  der  Sekten  auch  viel  Mühe  verwenden  (und  sehr 
wenige  thun  das),  so  gewinnt  er  doch  nur  eine  ebenso  falsche 
Vorstellung  von  deren  Wesen  wie  ein  beliebiger  heutiger  Pfarrer 
von  den  Richtungen,  die  sich  in  der  ältesten  christlichen  Kirche 
geltend  machten.  Ghazäll  stand  gerade  auf  der  Grenze  jener  Zeit, 
wo  gewisse  Ketzereien  noch  gefährlich  waren  und  ohne  sachge- 
mässe  Bekämpfung  leicht  um  sich  greifen  konnten;  hätte  der  weit- 
blickende Mann  unsere  Zeit  erlebt , so  würde  er  gewiss  das  Studium 
der  meisten  durch  seine  eigne  Bemühung  eingebürgerten  Abschnitte 
der  Glaubenslehre  als  von  geringem  Interesse  bezeichnet,  dage- 
gen den  Kampf  wider  volkstümlichen  Aberglauben  und  mystische 
Gaukelei  gerichtet  haben. 

Sehr  Wenige  denken  sich  überhaupt  etwas  dabei,  wenn  sie  be- 
lehrt werden,  Allahs  Wesen  sei  von  seinen  Eigenschaften  verschieden, 
und  mit  Unrecht  hätten  die  Mu'taziliten  die  Selbständigkeit  und 
also  eigentlich  das  Dasein  der  letzteren  geleugnet.  Nur  soviel  be- 
hält der  fleissige  Student,  die  Mu'taziliten  seien  dumme  Starrköpfe 
gewesen , die  glaubten , die  menschliche  Vernunft  sei  der  Maassstab 
der  Wahrheit . . . schrecklicher  Al>erglaube  ’) ! Man  prägt  sich  die 
»zwanzig  Eigenschaften”  nach  dem  Schema  ein,  welches  dem  Se- 
nüsl  seine  Popularität  verdankt,  man  hört  und  liest,  was  die 
Kommentare  zur  Erläuterung  enthalten , und  man  ist  am  Ende 
überzeugt,  nur  die  Oberfläche  dieses  Meeres  von  Geheimnissen  be- 
rührt zu  haben ; wer  sollte  sich  einbilden , tiefer  cinzudringen  ? Leb- 
hafter ist  der  Eindruck,  den  das  Studium  der  Prädestinationslehre 
zurücklässt;  dies  Dogma  ist  ja  innig  mit  dem  Leben  auch  der  un- 
gelehrten  Masse  verwachsen,  und  cs  erhält  in  den  Kollegien  seine 
wissenschaftlichen  Grundlagen  im  Bewusstsein  der  Studierenden.  Im 
Kapitel  von  den  Gottesgesandten  und  den  von  ihnen  überbrachten 
Offenbarungen  interressiert  sich  der  Muslim  unserer  Zeit  nur  mäs- 

l)  Treffend  war  es  mir,  wie  einmal  in  einem  Kolleg,  wo  der  Professor  sagte,  die 
unwissenden  Heiden,  die  gegen  Muhammad  argumentierten,  lütten  ganz  wie  die  Phi- 
losophen »an  die  Vernunft  geglaubt' , ein  lächeln  spöttischen  Erstaunens  über  alle  Ge- 
sichter zog,  dem  der  Lehrer  mit  Achselzucken  zustimmte. 


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268 


sig  für  die  früheren  Diskussionen  über  die  Frage,  ob  Propheten 
an  allen  Schwächen  der  menschlichen  Natur  theilhaben,  und  wie 
weit  im  verneinenden  Fall  ihre  tIfmah  (Freiheit  von  Sünden) 
geht.  Von  Jugend  an  gewöhnt,  in  Gebeten  und  Liedern  Muham- 
med  als  den  sündenfreien  Auserwählten  zu  feiern,  schenkt  der 
Student  nur  den  Belegstellen  für  die  unübertreffliche  Grösse  des 
letzten  Propheten  seine  Aufmerksamkeit  und  findet  es  natürlich, 
dass  auch  Muhamrneds  Vorgängern  etwas  von  seinem  Glanze 
eigen  war. 

Den  Reiz  des  Neuen  hat  für  die  meisten  Studenten  die  Erkennt- 
niss,  dass  sich  Christen  und  Juden  zu  Religionen  bekennen,  die 
auch  dem  Islam  als  göttliche  Offenbarungen  gelten,  nur  dass  sie 
später  abrogiert  und  noch  dazu  nicht  ohne  Fälschung  überliefert 
sind.  Von  dem  Verhältniss  jener  Bekenntnisse  zum  Islam  herrschen 
in  Laienkreisen  Vorstellungen,  die  der  muhammedanischen  Lehre 
selbst  als  zu  ungünstig  erscheinen;  dem  Volke  gelten  sie  als  beson- 
dere Arten  des  Heidenthums , die  sich  nur  formell  vom  altambischen 
Unglauben  unterscheiden.  Einst  war  ich  zugegen,  als  der  schäfi'i- 
tische  Mufti  einer  Gesellschaft  von  ziemlich  gebildeten,  der  Schrif- 
ten aber  durchaus  unkundigen  Leuten,  wo  das  Gespräch  auf  den 
Wein  und  die  Übeln  Folgen  seines  Gebrauchs  kam , zum  allge- 
meinen Erstaunen  mittheilte,  dies  Getränk  sei  nicht  immer  von 
Allah  verboten  gewesen,  und  zur  Zeit,  wo  die  christliche  Offenba- 
rung noch  nicht  abrogiert  war,  hätten  fromme  Leute  mit  gutem 
Gewissen  ein  Glas  trinken  können.  Hat  denn  die  christliche  Reli- 
gion je  Geltung  gehabt?  Ist  denn  der  Wein  nicht  seiner  Natur 
nach  ein  Erzeugnis  des  Teufels?  fragten  die  Herren  bestürzt.  Lä- 
chelnd gab  der  Schech  ihnen  Aufschluss  und  setzte  hinzu,  wissen- 
schaftlichen Leuten  sei  das  alles  bekannt , ihnen  genüge  es  aber  zu 
wissen,  dass  der  Islam  wahr  und  alles  Andere  falsch  sei. 

Was  es  mit  den  vorquränischen  heiligen  Büchern  für  eine  Be- 
wandtniss  habe,  dafür  interessierten  sich  sogar  in  der  Blüthezeit 
muslimischer  Kultur  nur  kleine  Kreise,  und  klare  Vorstellungen 
darüber  sind  nie  durchgedrungen.  Heutzutage  schätzt  man  derlei 
Fragen  noch  geringer  als  je  zuvor.  Die  gegen  das  englische  Christen- 


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269 


tkuni  gerichtete  Schrift  des  gelehrten  Rahmat  Ullah  ’)  hat  allerdings 
auch  in  Mekka,  wo  der  Alte  jetzt  lebt,  hie  und  da  Neugierde  er- 
regt; diese  ist  aber  schon  befriedigt,  wenn  man  gesehen  hat,  wie 
leicht  es  dem  Scheche  wurde,  den  englischen  Theologen  entsetzliche 
Fehler  und  Widersprüche  nachzuweisen. 

In  Bezug  auf  jenseitige  Dinge  führt  das  dogmatische  Studium 
die  Wissbegierigen  nur  soweit  über  die  populären  Erwartungen 
hinaus,  als  diese  dadurch  ein  wenig  besser  geordnet  und  in  Zu- 
sammenhang gebracht  werden.  Nicht  einmal  das  in  alten  Ueberlie- 
ferungen  doch  gemissbilligte  Grübeln  über  das  »Wann”  des  Weit- 
endes und  das  beim  Volke  so  beliebte  Deuten  gewisser  Ereignisse 
als  Vorzeichen  der  Katastrophe  verlernen  sie,  denn  die  Professoren 
gehen  selbst  mit  ihrem  Beispiele  voran.  Fast  alle  Studierenden  ver- 
folgten in  den  Jahren  1884 — 5 mit  lebhaftem  Interesse  die  Vor- 
gänge im  Sudan  und  sahen  dem  Zeitpunkte  freudig  entgegen,  wo 
der  Vorläufer  des  Mahdl’s,  nach  vollständiger  Besiegung  der  Eng- 
länder , übers  Rothe  Meer  nach  der  heiligen  Stadt  kommen  werde  *). 
Ueber  das  Reich  des  Mahdi’s,  dessen  Zerstörung  durch  den  Anti- 
christ, die  Wiederkunft  Christi,  die  sich  häufenden  abnormen  Er- 
scheinungen in  der  Natur  und  der  menschlichen  Gesellschaft , welche 
das  Nahen  der  Auferstehung  ankündigen,  über  die  Prüfung  der 
Menschen  im  Grabe,  den  endlichen  allgemeinen  Tod  und  die  Auf- 
erstehung, über  das  Gericht,  dessen  Schreckensscenen  Tausende 
von  Jahren  einnehmen,  über  alledies  lehren  auch  die  grössten  Lichter 
der  Wissenschaft  das  seltsame  Zeug,  das  die  muslimische  Phantasie 
aus  christlichen,  jüdischen  und  persischen  Ueberlieferungen  mit 
eigenen  Zugaben  und  Bindemitteln  zusammengeschweisst  hat.  Man 
kann  sich  nicht  länger  darüber  wundern,  wenn  man  gesehen  hat, 
was  alles  ein  Mann  wie  GhazälT,  der  innerhalb  muslimischer  Schran- 
ken ein  umfassendes  Genie  war,  in  seinem  »die  kostbare  Perle" 
benannten  Buche  über  das  Leben  nach  dem  Tode  erzählt.  Züge 
sogar,  die  ursprünglich  nur  bildlich  gemeint  sein  dürften,  gehören 


1)  Vergl.  oben  S.  MS. 

2)  Yergl.  meinen  Aufsatz  »der  Mnhdi”  in  der  » Revue  Coloniale  Internationale”, 
Jnnvier  1886. 


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270 


auch  ihm  zufolge  der  Wirklichkeit  an;  wenngleich  er  bei  der  Er- 
wähnung der  göttlichen  Wage  und  ähnlicher  Dinge  vor  Anthropo- 
morphismus warnt,  widersetzt  er  sich  doch  nicht  weniger  energisch 
jedem  Versuche,  dergleichen  symbolisch  zu  deuten.  Durch  diesen 
Unterricht  wird  also  die  Weltanschauung  der  Muslime  mit  wilden, 
unästhetischen  Phantasiegebilden  bereichert  oder  doch  der  Glaube 
an  deren  Wirklichkeit  befestigt;  zwar  haben  einige  auch  moralischen 
Gehalt,  aber  wie  tief  ist  er  unter  dem  Unsinn  versteckt!  Es  ist  schwer 
zu  entscheiden,  ob  der  Student  etwas  dabei  gewinnt,  wenn  er  diese 
dogmatisch  angezogenen  Märchen  gegen  die  phantastische  Welt- 
anschauung eintauscht,  die  er  aus  der  Kinderstube  mitgenommen 
hatte  l). 

Von  praktisch  höchster  Wichtigkeit  ist  in  der  Lehre  vom  Jenseits 
der  Satz,  der  bekanntlich  in  der  muhammedanischen  Welt  keinen 
Zweifel  erleidet,  dass  der  Muslim,  so  zahlreich  seine  Sünden  sein 
mögen,  einmal  durch  Allahs  Gnade  um  seines  Glaubens  willen  die 
Seligkeit  des  Paradieses  erwirbt,  während  die  Wonnegärten  allen 
Nicht-muslimen  ewig  verschlossen  bleiben.  Abweichende  Ansichten, 
die  in  den  ersten  Jahrhunderten  des  Islam’s  über  dies  Thema  be- 
standen haben , werden  nunmehr  kaum  der  Erwähnung  gewürdigt. 
Nur  den  Versuch  einzelner  toleranter  Mystiker  aus  früherer  Zeit, 
auch  frommen  Nicht-muslimen  nach  einer  Zeit  der  Busse  die  Se- 
ligkeit mit  quränischen  Worten  zu  sichern,  hörte]  ich  einst  von 
einem  Professor  im  Haram,  mehr  zur  Unterhaltung  als  zur  Beleh- 
rung seiner  Schüler,  eingehend  besprechen  und  als  verfehlt  hinstel- 
len. Jene  Mystiker,  sagte  er,  wiesen  auf  die  Quränstellen  hin,  wo 
muslimischen  Sündern  der  Aufenthalt  in  der  Hölle  als  ihnen  be- 

1)  Ganz  wie  nach  Dr.  Goldziher’s  (Zeitachr.  der  deutschen  morgcnl.  Gesellsch.,  Bd. 
XXXIII,  S.  610)  Mittheilung  in  Cairo,  droht  auch  in  Mekka  die  Mutter  dem  Kind 
mit  dem  //Schech  des  Viertels”  und,  wenn  es  gegen  das  Verbot  auf  die  Strasse  gehen 
will,  mit  dem  Simmaten,  dem  wüiftmann”  (ich  denke  mir,  auch  in  Cairo  wird  diese 
Aussprache  und  Erklärung  dem  Simdwi  — //Himmelmann”  vorzuziehen  sein),  der  den 
Kindern  auflauert.  Dies  schreckliche  Geschöpf,  das  sich  nach  Belieben  unsichtbar 
machen  kann,  steht  im  Dienste  des  //Sultans”,  der  ja  immer  viel  Gift  braucht,  um 
missliebige  Beamte  los  zu  werden.  //Gift”  gilt  der  Legende  als  eine  bestimmte  Substanz, 
die  nur  durch  Destillation  aus  dem  kochenden  menschlichen  Körper  nach  dem  Kecept 
des  Simmdwi  zu  gewinnen  ist.  Den  Anforderungen  seines  Herrn  zu  genügen,  eilt  nun 
der  Giftmann  durch  alle  Strassen  der  Welt,  jede  Gelegenheit  zum  Kinderraub  benutzend. 


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vorstehend  angekiindigt  wird,  und  zwar  mit  dem  Zusatze:  «darin 
sie  bleiben’1).  Wenn  nun  dieser  Zusatz,  wo  er  sich  auf  Muham- 
medaner beziehe,  nicht  ewige  Dauer  der  Qual  bezeichne,  so  dürfe 
man  ihn  auch  in  Bezug  auf  Andersgläubige  nur  so  deuten,  dass 
ihren  Leiden  einmal  durch  Allahs  Gnade  ein  Ziel  gesetzt  werde.  Als 
man  den  Mystikern  nun  entgegenhielt,  jene  Worte  kämen  im  Qu- 
rän  mit  Hinzufügung  des  verstärkenden  « ewiglich ”*)  bloss  in  Bezug 
auf  Ungläubige  vor,  da  wussten  Jene  keine  andere  Ausrede  als 
die  Möglichkeit,  Allahs  Gnade  könne  schliesslich  das  Höllenfeuer 
auslöschen  und  das  Leben  dort  den  Leuten  erträglich  machen.  Län- 
ger wollen  wir  uns,  so  schloss  der  Gelehrte,  bei  den  »Rettern  des 
Unglaubens"  nicht  aufhalten! 

Nach  dem  Mittagsgalät  fassen  sich  die  Professoren  möglichst  kurz ; 
auch  lesen  zu  dieser  heissen  Stunde  nur  wenige.  Fragt  man , welche 
Verpflichtungen  eine  »ordentliche  Professur”  in  Mekka  auferlegt, 
so  wird  der  mit  den  Lehrverhältnissen  Vertraute  antworten,  wer 
das  Amt  bekleidet,  müsse  wenigstens  täglich  ein  Kolleg  lesen.  Das 
will  jedoch  nur  sagen,  diese  Auffassung  sei  herkömmlich  und  man 
erwarte  diese  Leistung  vom  Angestellten.  Vielleicht  finden  sich  aber 
keine  Schüler  ein  oder  ist  der  Lehrer  auf  andere  Erwerbsquellen 
angewiesen  die  ihn  einstweilen  ganz  in  Anspruch  nehmen.  In  sol- 
chen Fällen  hat  er  höchstens  den  Tadel  der  öffentlichen  Meinung 
zu  befürchten , wenn  er  wirklich  Nachlässigkeit  zeigt ; es  müsste  sehr 
schlimm  sein,  wenn  der  Rektor  ihm  einen  Verweis  ertheilen  sollte. 
Ein  Medarris  mag  mehrere  Monate  krank  sein,  auf  ein  Jahr  ver- 
reisen oder  aus  sonstigen  Gründen  lange  Zeit  nicht  lesen,  ohnedass 
der  Scheck  el-ulamä  auf  andere  Weise  davon  hört  als  durch  gele- 
gentliche Mittheilung  der  Studenten. 

Etwa  nach  4 Uhr,  wenn  das  cA<;r-^alät  in  der  Moschee  beendigt 
ist,  fangen  ähnliche  Vorlesungen  wie  nach  dem  Mittag  an,  jetzt 
aber  in  grösserer  Zahl.  Dogmatik  wird  nun  weniger  gelehrt;  dafür 
sind  aber  die  Kreise  der  Anfänger  im  Gesetzesstudium  (Fiqh)  um 

1)  l+iä 

8)  fjul  Igjti  jjj-XJLi* 


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272 


so  zahlreicher.  Vorzüglich  die  jüngeren  Professoren,  die  Morgens 
und  Abends  wohl  noch  selbst  bei  den  grossen  Schechen  Fiqh  hö- 
ren, benutzen  diese  Stunde  zur  Einführung  junger  Studenten  in 
die  fünf  ersten  Kapitel  des  Gesetzes , wo  die  Pflichten  des  Menschen 
gegen  Allah  erklärt  werden.  Einige  von  den  bedeutenden  Lehr- 
kräften docieren  indessen  dfe  I nstrumentalfäeher  oder  höheren  Wis- 
senschaften , z.  B.  die  Quifinexegese.  Als  Leitfaden  für  das  Tafsir 
dienen  fast  ausschliesslich  die  Werke  des  Baidhäwl  und  der  beiden 
DjaläFs  (SujütT  und  Mahalli)  mit  den  dazu  geschriebenen  Glossen. 
Ich  hörte  1885  bei  dem  Rektor  Dahlän  den  Baidhäwl,  den  der 
Greis  durch  eine  Auswahl  aus  mehreren  Randglossen  erläuterte; 
diese  Werke  nahm  er  alle  jedesmal  mit  ins  Kolleg.  Nur  selten 
machte  er  eigene  Anmerkungen  hinzu,  verschmähte  es  dann  aber 
nicht,  die  Bedeutung  eines  Wortes  durch  Hinweise  auf  den  heuti- 
gen mekkanischen  Sprachgebrauch  dem  Verständniss  seiner  Zuhö- 
rer näher  zu  rücken.  Was  für  Vorbildung  die  Zuhörer  immer  ge- 
nossen haben , keiner  hört  Tafsir , der  nicht  viele  Male  den  Qurän 
bis  zum  Ende  nach  den  Regeln  des  Tadjund  recitiert  hat , und  die 
Meisten,  die  einen  Platz  in  dieser  Halqah  einnehmen,  sind  »Qurän- 
kenner”  (d.  h.  kennen  ihn  auswendig).  Eben  darum  ist  es  interes- 
sant, die  Ueberraschung  zu  beobachten,  mit  welcher  Alle,  die 
zum  ersten  Mal  einen  Quränkommentar  hören,  den  Sinn  der  ge- 
heimnissvollen  Worte  kennen  lernen.  Es  giebt  allerdings  geflügelte 
quranische  Worte,  die  in  Mekka  in  mehr  oder  weniger  entstellter 
Form  als  Sprichwörter  gebräuchlich  sind,  wie  z.  B.  kulla  nafsin 
dajqet  el-möt '),  »den  Tod  muss  jede  Seele  schmecken”;  auch  ein- 
zelne Verse,  die  man  von  jeher  in  gewissen  Fällen  zu  citieren 
pflegt,  um  seine  Rechte  gleichsam  dem  Schutze  Allahs  anzuver- 
trauen *);  im  Ganzen  bleibt  aber  das  heilige  Buch  sogar  den  »Ken- 
nern” mit  sieben  Siegeln  verschlossen , solange  nicht  die  hohe 
Wissenschaft  des  Tafsir  von  ihnen  studiert  wird,  oder  gelehrtere 
Freunde  ihnen  über  einzelne  Stellen  Aufschluss  geben.  Wenn  in 


1)  Vergl.  Qurän  III:  182  «sw. 
9)  Vergl.  oben  S.  108. 


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der  katholischen  Kirche  die  Laien  alle  einen  Theil  der  Vulgata  re- 
gelrecht reeitieren  müssten,  so  wäre  die  Bedeutung  der  Bibel  in 
jener  Kirche  der  des  Qurän’s  für  die  heutige  muslimische  Gemeinde 
beinahe  gleich.  Zwischen  Arabern  und  Nichtarabern  herrscht  in 
der  Beziehung  weniger  Unterschied , als  manche  Gelehrten  in  Europa 
glauben  möchten.  Nur  die  Fähigkeit  zur  Pflege  jener  Studien  ist 
bei  den  Arabern  durch  ihre  Vertrautheit  mit  dem  lebendigen 
Sprachgebrauch  viel  grösser;  aber  trotzdem  müssen  sie  Alles  erler- 
nen und  ist  ihnen  namentlich  die  Sprache  des  Quräns  fast  ebenso 
fremd  geworden  wie  den  heutigen  Italienern  die  lateinische  ‘).  Uns 
Europäern  scheint  dies  fast  undenkbar:  ob  wir  mit  einiger  Kennt- 
niss  des  Quräns  an  die  Vulgärsprache  herantreten  oder  umgekehrt, 
in  beiden  Fällen  hilft  uns  das  Eine  sosehr  zum  Verstäudniss  des 
Andern , dass  wir  glauben  sollten , ein  Muslim , dessen  Muttersprache 
ein  arabischer  Dialekt  ist , müsste  unschwer  den  grössten  Theil  des 
Quräns  verstehen.  Man  bedenke  aber,  dass  während  wir  den  Qurän 
nur  um  des  Inhalts  willen  lesen , der  Muslim  von  Kind  auf  an  den 
Gedanken  gewöhnt  wird,  Allahs  Rede  sei  ganz  anderer  Natur  als 
die  des  Menschen , auch  wo  beide  einander  zum  Verwechseln  ähnlich 
scheinen ; das  Kind  bemerkt , wie  die  Leute , wenn  sie  anfangen , Got- 
tes Wort  zu  reeitieren , andere  Gesichter  und  andere  Stimmen  machen , 
Laute  und  Endungen  sprechen,  die  sonst  nie  gehört  werden,  und 
bald  geht  es  in  die  Schule,  sich  auch  selbst  solchen  Vortrag  eigen 
zu  machen.  Die  Autoritäten  der  Gesetzeskunde  sagen,  wenn  man 
durch  Dikr  oder  Gebet  Allah  verherrliche , sollte  man  eigentlich  im- 
mer verstehen,  was  die  gebrauchten  Formeln  besagen,  weil  nur 
der  Vortrag  des  Quräns  von  Gott  unabhängig  vom  Verständnis 
des  Inhalts  belohnt  werde.  Es  hat  einmal  Sprenger,  wenn  ich  nicht 
irre,  das  allmähliche  Unverständlichwerden  eines  heiligen  Textes 
für  die  Gemeinde,  die  ihn  anerkennt,  mit  dem  Beispiel  einer 
prüden  Engländerinn  beleuchtet,  die  ohne  etwas  zu  bemerken, 

1)  Auf  der  andern  Seite  hat  gerade  die  sorgfältige  Pflege  der  überlieferten  Aus- 
sprache des  Quräns  die  folge,  dass  bei  manchen  übrigens  wenig  gebildeten  Leuten  ein 
feineres  Sprachgefühl  entwickelt  wird.  Zur  Erhaltung  dessen,  was  von  den  altarabischen 
Lauten  noch  in  der  Volkssprache  lebt,  hat  die  Qiräjeh  gewiss  viel  boigetragen. 

II  35 


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274 


Stellen  aus  der  Bibel  vorlesen  hört , die  ihr  sonst  überall  den  ärgsten 
Anstoss  geben  würden.  Aehnlich  ist  es  mit  dem  Quran  bei  den  heutigen 
Muhammedanern;  nur  dass  ihre  Umgangssprache  sehr  viel  weiter  von 
der  quränisehen  absteht  als  das  heutige  Englisch  von  dem  der  Bibel- 
übersetzung , während  ihnen  als  Dogma  eingeprägt  wird , der  Quran 
sei  ohne  weitläufige  exegetische  Studien , die  man  für  die  Gesetzes- 
kunde und  die  Glaubenslehre  nicht  brauche,  unverständlich.  Die 
Qiräjeh  ist  eine  Gott  verherrlichende,  geheimnissvoll  auf  die  Herzen 
wirkende  Musik,  weder  mehr  noch  weniger.  Die  Mahnung  Gha- 
zälfs,  man  solle  doch  lieber  etwas  weniger  recitieren,  die  recitier- 
ten  Partien  aber  zu  verstehen  suchen,  ist  völlig  verschollen;  für 
Gelehrte  und  Laien  bilden  das  Studium  der  Exegese  und  die 
Quränrecitation  zwei  verschiedenartige  Gebiete,  fast  ohne  Zusam- 
menhang. Was  man  aus  der  Exegese  für  Lehre  und  Leben  braucht, 
das  lernt  man  übrigens  doch  im  Fiqh  und  in  der  Dogmatik  in 
besserer  Ordnung. 

Wie  gefährlich  es  ist,  auf  eigne  Faust  den  Qurän  zu  erklären, 
das  musste  vor  einigen  Jahren  ein  nach  Mekka  gereister  Gelehrter 
aus  dem  Maghrib  empfinden.  Es  war  ein  grundgelehrter  Mann 
von  seltener  Originalität,  aber  von  unerträglichem  Dünkel.  Im 
Audienzsaal  des  Grossscherifs  schonte  er  seine  mekkanischen  Kollegen 
so  wenig , dass  er  z.  B.  einmal  einen  angesehenen  Gelehrten , der 
einen  grammatischen  Fehler  im  Gespräch  beging,  mit  lautem  iftah 
cainak,  wpass  einmal  auf!”  unterbrach  und  ihm  vor  der  ganzen 
Gesellschaft  eine  Lektion  ertheilte.  So  ging  es  überall;  wo  ein  Ge- 
dicht recitiert  oder  ein  einzelner  Vers  angeführt  wurde,  bemängelte 
er  die  Lesarten;  er  schimpfte  über  mehrere  Kollegien,  wo  er  hos- 
pitiert hatte;  kurz,  kein  Vertreter  der  Wissenschaft  ging  ohne  Hiebe 
aus.  Obgleich  nun  die  Gelehrten  Mekka’s  durch  ihre  Ueberzeugung , 
dass  Mekka  in  dieser  verderbten  Zeit  der  wahre  Hort  der  Reli- 
gionswissenschaft sei,  nicht  verhindert  werden,  die  Vorzüge  bedeu- 
tender fremder  Kollegen,  namentlich  in  den  Instrumcntalwissen- 
schaften,  unbedingt  anzuerkennen,  so  traten  sie  doch  dem  einge- 
bildeten Maghribiner  mit  begreiflichem  Unwillen  entgegen.  Das 
nützte  ihnen  wenig,  weil  der  Mann  sich  der  Gunst  einiger  einfluss- 


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275 


reicher  Herren  erfreute;  sie  mussten  sich  darauf  beschränken,  eine 
Gelegenheit  zur  Rache  abzuwarten.  Diese  bot  sich  dar,  als  der  ex- 
centrische Pedant  einst  in  einer  Gesellschaft  einen  Quränvers  (II : 
228)  in  höchst  origineller  Weise  erklärte.  » Eure  Weiber  sind  euch 
zum  Acker ; also  nähert  euch  eurem  Acker , wo  ihr  wollt ” heisst  es 
im  heiligen  Buche , und  die  exegetischen  Autoritäten  ’)  wollen  darin 
die  Leugnung  der  unter  den  medinensischen  Juden  zur  Zeit  Mu- 
hammeds  verbreiteten  Anschauung  lesen,  als  wäre  eine  gewisse 
Stellung  in  der  Beiwohnung  schädlich  für  die  zu  erzeugenden  Kin- 
der. Unser  Maghribiner  verbesserte  die  übliche  Erklärung  dahin, 
man  dürfte  sowohl  hinten  als  vorne  den  Acker  besäen.  Sobald  diese 
Neuigkeit  bekannt  wurde,  ging  der  Lärm  los;  es  dauerte  nicht 
lange,  bis  der  allgemeine  Aerger  den  Exegeten  zwang,  einstweilen 
nach  Medina  überzusiedeln.  Hier  lebte  er  einige  Zeit  ruhig;  dann 
fing  aber  wieder  der  alte  Dünkel  an,  sich  in  ihm  zu  regen.  Als 
einmal  vor  dem  Stadtthore  unzufriedene  Beduinen  mit  türkischen 
Soldaten  an  einander  geriethen,  schaute  eine  Gesellschaft  von  Ge- 
lehrten von  einem  Dache  dem  Kampf  zu.  Der  Maghribiner  war 
auch  dabei,  und  wie  nun  ein  Litterat  einen  zur  Gelegenheit  pas- 
senden Vers  anführte,  konnte  jener  nicht  unterlassen,  eine  andere 
Lesart  als  die  richtige  zu  bezeichnen.  »Jawohl”,  antwortete  ihm  das 
Objekt  seiner  Kritik,  »so  lautet  der  Vers  nach  dem  Madhab  (Ri- 
tus) der  Leute  von  Sodom!”  Bald  darauf  verliess  der  Krittler  auch 
die  Stadt  des  Propheten  und  kam  nicht  wieder  in  den  Hidjaz. 

Zwischen  dem  Qalat  des  Sonnenuntergangs  und  dem  des  cJschä 
ist  gerade  für  eine  Vorlesung  Zeit  genug.  Jeder  Student  bringt  zu 
diesen  und  den  späteren  Abendkollegien  seinen  mit  einer  Wachs- 
kerze versehenen  Fänüs1  2)  mit  und  zündet  ihn  gleich  nach  dem 
Qalät  an;  auch  neben  die  Polster  der  Professoren  stellen  ihre  Die- 
ner grosse  Fänüse,  denn  die  zu  gleicher  Zeit  angezündeten  gläser- 


1)  Aoltcrc  Autoritäten  haben  allerdings  die  von  unserem  Maghribiner  wieder  aufge- 
deckto  Ansicht  vertreten,  aber  das  weis»  man  in  Mekka  längst  nicht  mehr;  man  könnte 
aus  den  älteren  exegetischen  Werken  massenhaft  Stellen  aiiführen,  die  in  Mekka  Stau- 
nen und  Aorgcr  erregen  würden. 

2)  Vergl.  oben  S.  163,  Anm. 


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276 


nen  Lampen  der  Moschee  gewähren  nur  ein  Halbdunkel,  wobei 
man  nicht  lesen  kann.  In  der  Hauptsache  sind  die  Vorlesungen  des 
Maghrib  gleicher  Art  wie  die  nach  Sonnenaufgang ; die  wissenschaft- 
lichen Grössen  lesen  fast  alle  Fiqh-,  einzelne  Ufül  al-fiqh  und  der- 
gleichen. Bei  den  abendlichen  Fiqh-vorlesungen  beobachtet  man  in 
den  Halqak's  viele  Beduinengesichter;  es  sind  Bewohner  der  Vor- 
orte und  der  südwestlichen  Stadtviertel,  Mecharridjin  und  Söhne 
von  solchen.  In  ihren  Vierteln  haben  sie  je  eine  kleine  Moschee, 
wo  ihre  Knaben  den  muslimischen  Elementarunterricht  gemessen; 
die  Frommen  gehen  aber  zur  Maghrib-andacht  in  den  Haram,  und 
die  am  längsten  den  Unterricht  ihres  Fdqxh  genossen  haben,  be- 
nutzen die  l1/.  Stunde  bis  zum  Clschä  zur  Vermehrung  ihrer 
Kenntnisse.  Ich  habe  unter  diesen  Halbbeduinen  Leute  gekannt, 
die  gründlich  in  der  Grammatik  zu  Hause  waren;  Andere  gehen 
gleich  in  die  Fiqhvorlesungen  und  lassen  sich  dann  auch  vom 
jüngsten  Knaben  gern  über  das  belehren,  was  sie  nicht  verstehen. 
Gewöhnlich  zeichnen  sich  diese  Harbl’s  durch  Intelligenz  und  an- 
ständige Sitten  aus;  nur  dass  sie  immer,  auch  im  Hause,  schreien, 
als  riefen  sie  Einem,  was  sie  sagen,  aus  der  Ferne  zu. 

Zum  ' Jschä  lösen  sich  die  Kreise  wieder  auf  und  werden  die 
Lichter  in  den  Fanüsen  ausgelöscht;  auch  sind  es  nicht  dieselben 
Halqah's,  die  man  nach  Vollendung  des  letzten  obligatorischen 
Nacht?alät,  hauptsächlich  im  Hofe  der  Moschee,  sieht.  Die  Fächer, 
mit  denen  man  sich  so  spät  beschäftigt,  sind  vielmehr  die  gleichen, 
welche  nach  dem  zAqr  dociert  werden,  während  jüngere,  freiwillige 
Docenten  und  Repetitoren  nicht  ohne  vornehme  Geberden  in  den 
Säulenhallen  die  Worte  der  Weisheit  verkünden,  die  sie,  so  zu 
sagen,  gestern  selbst  zuerst  vernommen  haben.  Nach  diesen  letzten 
Kollegien  werden  die  Räume  des  Heiligthums  allmählich  leer;  hie 
und  da  liegt  Einer  auf  seiner  Matte  oder  seinem  Teppich  und 
schläft;  einzelne  Fromme  halten  für  sich  freiwillige  Nachtpaläts  ab 
oder  sorgen  dafür,  dass  der  Matäf  nicht  ganz  menschenleer  sei, 
obgleich  der  Tradition  nach  Engel  und  Dschinn  nie  verfehlen , ihre 
Umgänge  um  die  Kalrah  zu  verrichten,  wenn  die  Menschen  nach- 
lässig sind. 


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Am  Dienstag  und  am  Freitag ')  gelten  nicht  einmal  die  lockeren 
Bestimmungen,  die  sonst  dem  Universitätsleben  immerhin  etwas 
Regelmässiges  geben;  es  fehlt  aber  auch  dann  nicht  die  Gelegenheit, 
Kollegien  zu  hören.  Am  Freitagmorgen  pflegte  (1884 — 5)  der  oben1 2) 
genannte  Muhammed  Sacid  Bä-Be<;el  sich  dem  wissbegierigen  Theile 
des  schönen  Geschlechts  zu  widmen.  Mädchen  und  Weiber  aus  den 
besseren  Ständen  wurden  dann  von  ihm  nicht  sosehr  in  ein  Fach 
der  Wissenschaft  eingeführt,  als  mit  allerlei  ihnen  nützlichen  Sät- 
zen aus  verschiedenen  Disciplinen  (Fiqh , Glaubenslehre , Tradition 
und  auch  allgemeine  Bildung,  Adab)  bekannt  gemacht.  An  ande- 
ren Tagen  hielt  derselbe  Schech  nach  dem  '//fr  gleichfalls  für  ein 
weibliches  Auditorium  predigtähnliche  Vorträge.  Sonst  wird  am 
Freitag  Vormittags  nicht  gelesen,  weil  das  Gesetz  allen  Frommen 
anempfiehlt,  möglichst  früh  in  die  Moschee  zu  gehen,  ihre  Plätze 
für  den  wöchentlichen  Gottesdienst  einzunehmen  und  sich  bis  zum 
Anfang  desselben  mit  Quränrecitation , freiwilligen  Qaläts  oder  Dikr 
(Hersagung  von  Litaneien)  zu  beschäftigen.  Sobald  aber  die  Pre- 
digt und  das  ihr  unmittelbar  folgende  obligatorische  Qalfit  (welches 
an  die  Stelle  des  täglichen  Mittagspalät  tritt)  beendigt  sind,  be- 
mächtigt sich  die  Wissenschaft  des  verfügbaren  Raumes  und  am 
Dienstag  wird  auch  wohl  Vormittags  dociert.  Der  Unterschied  von 
anderen  Wochentagen  besteht  darin , dass  sich  keine  am  Dienstag 
oder  am  Freitag  gehaltene  Vorlesung  denen  von  anderen  Tagen 
anschliesst,  dass  die  Kreise  weniger  zahlreich  sind  und  dass  man 
hauptsächlich  solche  Fächer  pflegt,  für  welche  das  Herkommen 
keine  ordentliche  Stunde  der  gewöhnlichen  Tage  bestimmt  hat. 
Dazu  gehören  alle  höheren  Instrumentalfächer,  gelegentlich  auch 
die  Rechenkunst,  dann  die  Quränexegese  und  die  heilige  Tradition, 
endlich  auch  die  bisher  in  diesem  Zusammenhang  von  uns  noch 
nicht  erwähnte  Mystik. 

Was  wir  oben  3)  aus  Ghazäll’s  Encyklopädie  der  muslimischen 
Wissenschaft  mittheilten,  könnte  ein  allzu  imgünstiges  Urtheil  über 


1)  Vergl.  oben  S.  247. 

2)  S.  255.  3)  8.  213—4. 


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278 


den  Werth  des  im  Haram  ertheilten  Unterrichts  begründen.  Die 
Handhabung  der  »Instrumente”  (Flexion,  Grammatik,  Poetik, 
Logik , Rhetorik)  erlernen  die  Studenten ; auch  bekommen  sie  genug 
vom  Lebensbrot  (dem  Fiqh),  das  sie  mit  Hülfe  jener  Instrumente 
einnehmen , und  von  dem  prophylaktischen  Arzneimittel,  der  Dog- 
matik. Das  alles  bedarf  aber,  wenn  es  seine  Wirkung  thun  soll, 
der  Lebenskraft,  und  diese  ist  für  den  religiösen  Menschen  das 
mystische  Verhältniss  zu  Allah.  Es  könnte  daher  Wunder  nehmen, 
dass  die  Mystik  in  der  herkömmlichen  Universitätsordnung  keinen 
bestimmten  Platz  erhält,  sondern  sich  gleichsam  mit  den  ausfal- 
lenden Stunden  begnügen  muss.  Thatsächlich  ist  dies  Verhältniss 
jedoch  gar  nicht  durch  Nachlässigkeit  herbeigeführt,  es  zeugt  viel- 
mehr davon,  wie  stark  die  «monistische  Tendenz  Ghazäli’s  gewirkt 
hat.  Seitdem  seine  Dreiheit  (Gesetzeskunde,  Glaubenslehre,  Mystik) 
in  der  muslimischen  Welt  allgemein  anerkannt  ist,  sind  die  schar- 
fen Grenzen,  die  jene  drei,  früher  einander  manchmal  feindlichen, 
Disciplinen  von  einander  trennten,  immer  mehr  verwischt.  Alle 
grösseren  Werke  über  das  Fiqh  enthalten  Lehnsätze  aus  der  Dog- 
matik, die  manchmal  einzelne  Glieder  des  Gesetzes  erklären  und 
mit  den  übrigen  verbinden;  auch  weisen  die  späteren  Gesetzesleh- 
rer bei  jedem  Anlass  darauf  hin,  dass  die  Beachtung  aller  von 
ihnen  entwickelten  Vorschriften  beim  himmlischen  Richter  erst  dann 
als  verdienstvoll  gilt,  wenn  darin  das  persönliche  Verhältniss  des 
Frommen  zu  Gott  ausgedrückt  wird.  Nicht  minder  sind  die  dog- 
matischen Handbücher  mit  mystischen  Sprüchen  gespickt;  beide, 
Gesetz  und  Dogma,  werden  aber  natürlich  in  den  specifisch  mys- 
tischen Werken  als  bekannt  vorausgesetzt. 

Ohne  Koncessionen  ist  die  Zusummenschmelzung  nicht  zu  Stande 
gekommen ; die  Fiqh-biicher  verponen'  aus  höheren  Gesichtspunkten , 
was  sie  zuerst  nach  der  eigenen  Kasuistik  als  erlaubt  dargestellt 
haben;  viele  Mystiker  dagegen) 'empfehlen  ohne  Scheu  dies  und 
jenes  Umgehungsmittel  ( Hilah ) der  Schriftgelehrten.  Indessen  ist 
nun  durch  diesen  Lauf  der  Dinge  die  besondere  Behandlung  des 
Tafawwuf  den  Meisten  entbehrlich  geworden.  Dazu  kommt,  dass 
sich  der  Unwille  gegen  mystische  Ausschreitungen  in  ältester  Zeit 


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in  Ueberlieferungen  dokumentiert  hat,  von  denen  die  gemässigteren 
in  die  kanonischen  Sammlungen  aufgenommen  sind ; diesen  zufolge 
ist  das  Tagawwuf  als  Ketzerei  zu  betrachten,  wenn  ihm  nicht  eine 
gründliche  Beschäftigung  mit  dem  Gesetz  vorangegangen  ist.  Ur- 
sprünglich wurden  damit  allerdings  nur  die  mystischen  Genossen- 
schaften gewissermaassen  zur  Ordnung  gerufen,  und  andererseits 
hat  man  sogar  die  gleichfalls  zur  Kanonicität  gelangte  Ueberliefe- 
rung  aufgestellt,  das  Gesetzesstudium  ohne  Mystik  sei  unfruchtbar; 
nach  wie  vor  sehen  aber  die  Studenten  in  jener  ersten  Tradition 
eine  Warnung  vor  verfrühter  Versenkung  in  Geheimnisse,  die  Un- 
erfahrene irre  machen  könnten. 

In  den  Vorlesungen,  die  namentlich  am  Freitilg  und  am  Diens- 
tag, aber  auch  sonst  an  den  Stunden,  wo  nicht  die  Gesetzeskunde 
das  Hauptgericht  bildet,  der  Mystik  gewidmet  werden,  findet  man 
also  meistens  ältere  Leute  oder  weit  vorgerückte  Studenten.  Alle 
Bücher,  die  man  diesem  Unterricht  zu  Grunde  legt,  sind  mehr 
oder  weniger  Excerpte  und  Kompilationen  aus  den  Werken  Gha- 
zalfs.  Wer  dessen  »Belebung  der  Religionswissenschaften”  gelesen  hat , 
hört  hier  kaum  ein  neues  Wort;  dies  grosse  Werk  selbst  las  1884 — 5 
der  Rektor  gleich  nach  dem  Freitagsgottesdienste,  und  an  anderen 
Tagen  trug  er  noch  eine  eigene  mystische  Kompilation  vor , die  er 
auch  zu  drucken  beabsichtigte.  Sehr  bezeichnend  ist  es  für  den 
heutigen  Islam,  dass  die  Worte  GhazälT’s,  die  sich  mehr  als  alle 
anderen  im  Haram  vorgetragenen  an  das  Ilerz  des  Frommen  rich- 
ten, jetzt  als  sehr  geheimnisvoll  gelten.  Wenn  überhaupt  etwas  in 
dem  Hauptwerke  Ghazäll’s  schwer  zu  verstehen  ist,  so  sind  es 
einige  schon  damals  landläufige  Phrasen  der  Mystiker,  in  die  je- 
doch der  Meister,  wenn  es  irgend  geht,  einen  ethischen  Sinn  hin- 
eingelegt  hat.  Die  höhere  moralische  Erziehung  des  Menschen,  die 
alle  Wissensfächer  als  Mittel  zur  tiefsten  Erkenntniss  Gottes  ver- 
wenden sollte,  wobei  die  Erfüllung  des  Gesetzes  zur  natürlichen 
Folge  der  Liebe  wird,  ist  also  selbst  zu  einem  eigenen  Fach  her- 
abgedriickt  worden,  an  dem  man  nicht  weniger  herumgrübelt  als 
an  der  Kasuistik  oder  Dogmatik.  Es  ist,  als  gehörte  im  Islam  töd- 
tender  Formalismus  zu  jener  Natur,  die  man  vergeblich  zur  Vor- 


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derthür  hinaustreibt,  weil  sie  gleich  von  hinten  wieder  herein- 
schleiclit.  Sogar  GhazälF  dachte  nicht  entfernt  daran , die  Formen 
als  unwesentlich  vom  Inhalt  zu  unterscheiden;  er  konnte  nur  ver- 
suchen die  für  alle  Zeiten  geltenden  rituellen,  socialen  und  politi- 
schen Gesetze,  die  dogmatischen  Formeln  und  die  mystische  Ge- 
heimsprache mit  ethischen  Gedanken  zu  beleben.  Dadurch  hat  er 
immerhin  die  Wege  eröffnet,  auf  welchen  auch  ethisch  hoch  be- 
anlagte  Geister  im  orthodoxen  Islam  das  Heil  suchen  können;  im 
grossen  Ganzen  assimilierte  sich  aber  der  spätere  Islam  auch  jene 
ethischen  Sätze  nur  als  neue  Formeln. 

Auch  abgesehen  von  den  Schätzen,  die  GhazälT  somit  für  aus- 
nahmsweise hochstrebende  Geister  aufgespeichert  hat , bot  die  ethische 
Richtung  seiner  Mystik  dem  Islam  unverkennbare  Vortheile.  Zu  sei- 
ner Zeit  war  das  Tngawwuf  längst  eine  gewaltige  Macht  im  Islam ; 
sogar  die  Anschauung,  dass  man  auch  ohne  Mystik  ein  Gott  an- 
genehmes Leben  führen  könne,  fand  in  maassgebenden  Kreisen 
keine  Vertreter  mehr.  Waren  doch  Muhammed  und  seine  edelsten 
Genossen,  seine  rechtgeleiteten  Nachfolger  und  die  frommen  Führer 
jedes  Jahrhunderts  nach  der  späteren  Vorstellung  alle  Qüfl’s  gewe- 
sen. Es  fntgte  sich  nur  noch , in  welcher  Weise  der  Gläubige  zum 
innigen  persönlichen  Verkehr  mit  Gott  gelangen  konnte,  nament- 
lich ob  die  »Wege”  (Tariqah'a) , die  von  den  Gründern  mystischer 
Orden  geebnet  waren  und  worauf  man  später  nur  mit  Hülfe  ihrer 
Vertreter  wandeln  konnte,  die  einzigen  seien,  die  zum  Ziel  führ- 
ten. Wäre  die  bejahende  Antwort  durchgedrungen,  so  hätten  die 
Ordensmeister  auf  die  ganze  muslimische  Gemeinde  einen  Einfluss 
bekommen,  der  den  Vertretern  der  heiligen  Wissenschaft  auf  die 
Dauer  gefährlich  werden  musste;  diese  konnten  ja  nie  eine  höhere 
Rolle  beanspruchen  als  die  der  Ausleger  kanonischer  Schriften , 
denen  ihre  eigne  Person  sowohl  als  ihre  Schüler  nichts  hinzufügen 
durften , während  bei  jenen  die  persönliche  Leitung  des  geistigen  Füh- 
rers Alles  war  und  das  geschriebene  Wort  der  im  Orden  überlieferten 
geheimnissvollen  Wahrheit  nur  zum  gefügigen  Gewände  diente.  Kein 
Wunder,  dass  zur  Zeit  GhazälT’s  Schriftgelehrte  und  Dogmatikerden 
Ordensschechen  meistens  eifersüchtig  entgegentraten! 


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Einer  scharfen,  unzweideutigen  Lösung  jener  heikein  Frage  ging 
Ghnzäli  bedachtsam  aus  dem  Wege;  sein  wohlgelungener  Ver- 
such der  Vermittelung  wollte  eine  solche  bloss  nnbahnen.  Der  nicht 
zu  beseitigenden  Macht  der  Orden  trug  er  Rechnung  durch  An- 
erkennung ihres  Werthes,  den  Vertretern  der  Wissenschaft  gab  er 
aber  zu,  dass  sich  viel  Spreu  unter  dem  mystischen  Korn  befinde; 
vor  falschen  und  ausgearteten  Bruderschaften  warnt  er  dringlichst. 
Dem  Zeitgeiste  machte  er  (leider!)  die  Koncession,  einen  persön- 
lichen Führer  auf  dem  »Wege”  der  Mystik  als  nothwendig  dar- 
zustellen; er  sagt  jedoch  nirgends,  dass  man  sich  dazu  eines  Or- 
densschechs  zu  bedienen  habe , betont  vielmehr  die  Wichtigkeit  einer 
sorgfältigen  Wahl,  weil  man  ja  dem  Murschid  (Führer)  seine  höch- 
sten Güter  anvertraue.  Rechtgliiubigkeit , Pünktlichkeit  in  der  Be- 
obachtung des  Gesetzes  und  sittliche  Eigenschaften  sollen  dabei  als 
Kriterien  gelten,  Bedingungen  also,  an  denen  auch  der  Dogmatiker 
und  der  Schriftgelehrte  nichts  aussetzen  konnten.  Alle  Mittel,  deren 
sich  die  »Brüder”  zu  bedienen  pflegten,  sogar  die  Dikrs  mit  scha- 
manistischen Zuthaten,  mit  wilden  Bewegungen,  Sang  und  Tanz, 
hypnotisierenden  und  berauschenden  Uebungen  nimmt  er  mit  in 
den  Kauf,  wenn  sie  nur  zur  Erzeugung  ethisch-religiöser  Empfin- 
dungen benutzt  und  nicht  etwa  selbst  als  Ziel  betrachtet  werden 
oder  gar  der  Unsittlichkeit  zum  Vorwand  dienen.  Ghazäli  dürfte 
wohl  selbst  dem  herrschenden  Vorurtheil  gehuldigt  haben,  als  wa- 
ren einige  von  jenen,  den  Naturvölkern  eigenen,  wilden  Bniuchen 
unerlässlich  zur  Hervorrufung  der  höchsten  Gottesbegeisterung  oder 
doch  natürliche  Aeusserungen  derselben.  Durch  die  konsequente  Her- 
vorhebung des  ethischen  Elements  wurde  aber  der  Reinigung  der 
religiösen  Empfindungen  von  jenen  barbarischen  Beimischungen  vor- 
gearbeitet: in  die  Schule  trat  die  Mystik  ohne  Schreien  und  Kör- 
perzuckungen ein , und  mit  Recht  schreibt  sich  gerade  dieses  ruhig 
ethische  Tagaietouf,  trotzdem  es  sich  allzu  formalistischen  Neigungen 
hingab,  immer  vom  Grossmeister  Ghazäli  her.  Andere  berühmte 
mystische  Schriftsteller,  die  sich  mit  Vorliebe  im  Dunkeln  aufhal- 
ten und  sich  hauptsächlich  der  Ergriindung  von  aller  Welt  verbor- 
genen Dingen  und  einer  profanen  Wesen  unverständlichen  Sprache 
H 96 


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282 


erfreuen,  wie  z.  B.  Ibn  al-'Arabl  und  Scha'ränl , werden  in  den  Hal- 
len der  Universität  fast  ebenso  sehr  gepriesen,  aber  sehr  viel  we- 
niger gelesen  als  der  Verfasser  der  »Belebung  der  Religionswissen- 
schaften”. Es  zeugt  immerhin  für  den  Islam , dass  er  so  zu  diesem 
hinneigte. 

Dem  Ordenwesen  Einhalt  zu  thun  hätten  weder  Ghazäll  noch 
seine  Nachfolger  vermocht,  wenn  sie  es  auch  gewollt  hätten;  dazu 
wurzelte  es  viel  zu  lief  im  religiösen  Volksleben.  Sogar  einer  wirk- 
samen Kontrolle  widersetzten  sieh  allerlei  Schwierigkeiten:  wenn 
nicht , wie  in  einem  oben  *)  berührten  Fall , Streitigkeiten  die  Scheche 
oder  Brüder  selbst  veranlassen , sich  auf  die  Vertreter  des  Gesetzes 
zu  berufen,  so  giebt  es  kein  Mittel,  das  intime  Leben  einer  Tari- 
qah  regelmässig  zu  beobachten;  wo  sich  aber  populäre  Mystiker  in 
irgend  einer  Weise  gegen  die  Orthodoxie  versündigen , müssen  ihre 
Bekämpfer  manchmal  auf  fanatischen  Widerstand  von  Seiten  der 
unteren  Klassen  gefasst  sein.  Ausserdem  haben  bedeutende  Gelehrte 
sich  oftmals  dahin  ausgesprochen,  nicht  nur  Worte,  sondern  auch 
gewisse  Handlungen , die  gewöhnlich  als  tadelnswerth  gelten , hätten 
bei  gotterleuchteten  Qüfl’s  einen  hohem  Sinn , und  man  habe  sich 
daher  vor  ungerechter  Verurtheilung  zu  hüten.  Wie  schwierig  wird 
es  unter  solchen  Umständen , in  bestimmten  Fällen  zu  entscheiden , 
wenn  nicht  die  Willkür  einer  kräftigen  Regierung  eingreift! 

Hervorragende  Gelehrte  haben  in  ihren  Schriften  öfter  die  popu- 
lären Tariqah's  mit  ihrer  abgeschmackten  Thaumaturgie  und  ihren 
lärmenden  Aufzügen  gemissbilligt  und  ihre  Geringschätzung  der 
centralasiatischen  Bettelderwische  und  der  Ordensscheche  geäussert, 
die  nur  auf  Vermehrung  ihrer  Adepten  hinwirken;  höchst  selten 
wagt  es  aber  einer,  in  der  eigenen  Umgebung  einem  blinden  Blin- 
denleiter entgegenzutreten.  Ausserdem  sind  die  Uebelstände  in  der 
heutigen  muslimischen  Gemeinde  einer  wohlwollenden  Beurtheilung 
der  Bestrebungen  mystischer  Scheche  von  Seiten  der  c Ulamü  äusserst 
förderlich.  Ueberall  sinkt  die  politische  Macht  des  Islam’s  und  macht 
sich  in  seinem  Gebiete  der  Einfluss  der  europäischen  Kultur  in  zu- 

l)  S.  sw  ff. 


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283 


nehmender  Weise  bemerkbar.  Vergeblich  bemühen  sich  die  officiel- 
len  Vertreter  der  Religion,  dem  Strome  einen  Damm  entgegen- 
zustellen: hetzen  sie  das  Volk  zur  Bekämpfung  des  Frankenthums 
auf,  so  werden  sie  von  hoher  Stelle  zur  Vorsicht  gemahnt,  und 
erinnern  sie  die  Herrscher  an  ihre  theure  Verpflichtung,  die  Fahne 
des  heiligen  Krieges  zu  entfalten,  so  bekommen  sie  zur  Antwort 
ein  bedauerndes  Kopfschütteln.  Da  wirft  ihnen  nun  die  populäre 
Mystik  einen  Blick  des  Einverständnisses  zu;  sie  versteht  es,  fana- 
tisch begeisterte  Massen  zu  organisieren,  die  dem  Worte  der  Führer 
gehorchen , auch  wenn  ihre  irdischen  Interessen  dadurch  geschädigt 
werden,  Leute,  die  sonst  ohne  religiöse  Kenntnisse  mit  der  musli- 
mischen Schahädah  im  Munde  und  viel  Aberglauben  im  Herzen 
dahinleben,  an  sich  zu  fesseln  und  mit  Hingebung  für  die  Sache 
des  von  Allahs  Feinden  erniedrigten  Islam’s  zu  erfüllen.  Soll  man 
sich  wundern,  wenn  die  Gelehrten  in  solchen  Erfolgen  Gottes  Hand 
erblicken  ? 

Theoretisch  behält  freilich  die  Anschauung  Kraft,  dass  erst  nach 
genügender  Bekanntschaft  mit  Gesetz  und  Dogma  die  mystische 
Erziehung  segensreich  wirken  kann.  Nirgends  ist  es  jedoch  verbo- 
ten, Dikr’s  zu  Ehren  Allahs  und  Muhammeds  abzuhalten;  solche 
finden  ja  täglich  in  geselligen  Kreisen  statt,  wo  ein  Familienfest 
zu  einer  Mahlzeit  Anlass  bietet,  und  der  Qurän  empfiehlt  das  Dikr 
(die  Erwähnung)  von  Gottes  Namen  an  unzähligen  Stellen.  Wenn 
nun  die  Erfahrung  lehrt,  dass  die  grossen  Volksklassen,  die  keinen 
genügenden  Unterricht  geniessen  und  so  vom  Geraeindeleben  fern 
bleiben,  sich  durch  die  Uebungen  der  Tariqah’s  mächtig  angezogen 
fühlen,  auf  intimen,  persönlichen  Verkehr  mit  Schechen  und  C ha- 
lt f ah' ul  und  durch  deren  Vermittelung  mit  den  Heiligen  und  mit 
Gott  den  grössten  Werth  legen,  wie  sollte  sich  nicht  jeder  Recht- 
gläubige darüber  freuen? 

Wo  die  Vertretung  einer  Tarfqah  augenscheinlich  nur  zur  finan- 
ziellen Ausbeutung  der  abergläubischen  Masse  dient,  werden  die 
falschen  Leiter  nach  wie  vor  von  den  Gelehrten  scharf  getadelt; 
auch  achten  sie  genau  darauf,  ob  die  Murret * vor  der  Aufnahme 
in  die  Tarigah  von  den  Schechen  zur  strengen  Beobachtung  der 


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284 


bis  dahin  von  ihnen  meistens  vernachlässigten  religiösen  Verpflich- 
tungen angehalten  werden.  Letzteres  geschieht  fast  in  allen  bedeu- 
tenden Orden ; den  neuen  Kandidaten  ist  der  geheim nissvolle  Segen , 
der  durch  Vermittelung  der  heutigen  Ordenshäupter  von  den  heili- 
gen Stiftern  ausgeht,  wie  die  Lockspeise,  wovon  sie  erst  dann  et- 
was zu  geniessen  bekommen,  wenn  ihr  Leben  dem  göttlichen  Ge- 
setze einigermaassen  entspricht.  Nach  der  vorläufigen  Bekehrung 
fangen  für  sie  die  speciellen  Tariqah-nh\mgvn  an : aus  dem  Munde 
des  Lehrers  lernen  sie  einige  einfache  Formeln,  die  sie  in  vorge- 
schriebener Position  nach  einem  oder  mehreren  von  den  täglichen, 
obligatorischen  Qaläts  herzusagen  haben;  täglich  halten  sie  unter 
Leitung  des  Schechs  oder  seiner  Gehülfen  im  Kreise  der  »Brüder” 
besondere  Dikr’s  ')  mit  genau  geregelten  Bewegungen  ab ; wöchent- 
lich einmal  werden  die  Einzelnen  vom  Schech  in  einer  Zelle  emp- 
fangen *)  und  erhalten  von  ihm  eine  specielle  Aufgabe  mystisch- 
ritueller  Art.  Für  Viele  bleibt  es  bei  diesen  Aeusserlichkciten , aber 
wenn  sie  nach  einigen  Monaten  solchen  Unterrichts  heimkehren, 
so  hat  doch  die  'l'ariqah  fromme  Muslime  aus  ihnen  gemacht , denn 
sie  verpflichten  sich  feierlich  zur  regelmässigen  Fortsetzung  der  üikrs 
und  somit  zur  Verrichtung  ihrer  Qalät’s,  ohne  welche  jene  des  Se- 
gens entbehren.  Auch  schliessen  sie  sich,  wo  sie  immer  hinkommen, 
den  anwesenden  »Brüdern”  zu  gemeinschaftlichen  Uebungen  an, 
gehorchen  den  Vertretern  ( Cha/ifa/t'g ) des  Ordensschechs  und  unter- 
stützen einander,  wenn  es  Noth  thut. 

Höher  entwickelte  Mund' s und  auch  solche,  die  längere  Zeit 
unter  direkter  Aufsicht  des  Schechs  oder  eines  Challfah  leben , dringen 
tiefer  in  die  Geheimnisse  des  Ordens  ein ; ihr  Verhältnis  zum  Lehrer 
gestaltet  sich  inniger,  bis  sie  endlich  den  feierlichen  Bund  ( *Ahd ) 
mit  ihm  eingehen.J  Von  da  an  dürfen  sie  nichts  Wichtiges  unter- 
nehmen , ohne  vorher  die  Zustimmung  des  Meisters  einzuholen , und 
jedesmal , wenn  sie  sich  von  ihm  entfernen , erthcilt  er  ihnen  genaue 
Regeln  für  ihre  Lebensführung  oder  verweist  auf  seinen  Stellvertreter 


1)  Solche  Uebungen  heissen  wohl  Tachiim. 

2)  Diese  intimen  Zusammenkünfte  heissen  Tawudjuh. 


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285 


am  Orte,  wohin  sie  sich  begeben.  Aber  auch  die  in  der  Vorhalle 
des  mystischen  Heiligthums  Stehenden  müssen  in  vielen  Tariqah's 
den  Eid  des  Gehorsams  leisten,  damit  sie  werden  «in  der  Hand 
des  Schecks  wie  die  Leiche  in  der  Hand  des  Leichenwäschers" . 
In  den  meisten  Genossenschaften  wird  allerdings  die  Gelegenheit 
zur  Erlernung  der  gewöhnlichen  Dikr’s  des  Ordens  und  dessen, 
was  dazu  gehört,  den  Liebhabern  ohne  weitere  Verpflichtungen 
gewährt;  so  wird  es  möglich,  dass  eine  Person  Mitglied  mehrerer 
Orden  ist.  Daher  sagen  die  »Brüder”  manchmal,  es  mache  nicht 
so  sehr  viel  aus,  von  wem  man  «die  Tariqah  nur  des  Segens  hal- 
ber nehme"  ') , wogegen  der  Beschluss  »mit  einem  Scheche  den 
Bund  einzugehen"  *)  für  die  Ewigkeit  entscheidet,  denn  der  Bruch 
des  Bundes  lädt  auf  den  Schuldigen  den  Fluch  Allahs  und  aller 
Scheche,  Propheten  und  Engel. 

Schon  bei  oberflächlicher  Betrachtung  fällt  Einem  die  hervorra- 
gende Bedeutung  auf,  welche  die  Tariqah's  für  das  religiöse  Leben 
Mekka’s  und  also  auch  aller  muslimischen  Länder  haben , die  auf  ver- 
schiedenen Wegen  von  der  heiligen  Stadt  geistige  Nahrung  beziehen. 
Auf  dem  Abhang  des  Berges  Abu.  Qubes  steht  nicht  nur  die  Zä- 
wijah  der  Senüsl’s  5) , sondern  auch  ein  grosses  Ordensgebäude  des 
Naqschibendl-ordens , welches  vom  SchSch  Suleiman ')  gestiftet  ist 
und  von  ihm  und  vielen  Brüdern  bewohnt  wird.  Zu  den  Kosten 
haben  ausschliesslich  die  von  Suleiman  in  die  Tariqah  Eingeweihten 
beigetragen ; ihre  Schenkungen  setzen  ihn  ausserdem  in  den  Stand , 
hülfsbedürftige  Brüder  mit  Speisen  und  Kleidern  zu  versehen,  was 
natürlich  seinen  Einfluss  und  die  für  ihn  gehegte  Verehrung  be- 
bedeutend erhöht.  An  den  Festtagen  des  Ordens  und  aus  ander- 
weitigen Anlässen  empfängt  er  dort  sämmtliche  in  Mekka  anwesende 
Brüder  und  bewirthet  sie  in  freigebigster  Weise.  Kleinere  Ordens- 
gebäude, die  nur  zu  Versammlungen  benutzt  werden,  sind  sehr 
zahlreich.  Die  anderen  Scheche  der  Naqschibendijjah , Qädirijjah , 


1)  jachud  H-toriqah  lil-barakah  fagat  (min  oder  'an  fuUin). 

2)  jachud  kl-'ahd  min  fuldn. 

3)  Yergl.  oben  S.  69. 

4)  Vergl.  oben  S.  240  ff. 


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286 


SchSdilijjah  usw  bewohnen  aber  meistens  geräumige  Häuser,  wo 
jedes  Zimmer  von  den  kostbaren  Gaben  ihrer  Verehrer  überfüllt 
ist;  ihre  Untergebene  ( Chahfah's  usw.)  wohnen  theils  in  ihrem 
Hause,  theils  haben  sie  aus  der  Ordenskasse  eigene  Wohnungen. 
Gemeinschaftliche  Dikr's , wöchentliche  Speisung  und  Geldverthei- 
lung  an  ärmere  Brüder,  monatliche  Festmahlzeiten  am  sogenannten 
Haul ')  des  Gründers  der  Tariqah , das  alles  geschieht  hier  im  Hause 
des  Schechs.  Tägliche  Versammlungen  halten  die  Genossenschaften, 
die  kein  eigenes  Gebäude  haben,  vielfach  nach  Ablauf  der  (paläts 
in  der  Moschee  ab;  oft  hört  man  ein  Mitglied  an  das  andere,  dem 
er  im  Laufe  des  Tages  begegnet,  die  vorwurfsvolle  Frage  rich- 
ten: »warum  warst  du  heute  Morgen  nicht  in  der  Halqah  der 
Brüder?” 

Abgesehen  von  Traktätchen  der  Scheche,  die  meistens  auf  mehr 
oder  weniger  praktische  Ziele  ausgehen,  beschränkt  sich  das  Stu- 
dium mystischer  Werke  in  den  Tariqah ’s  auf  sehr  kleine  Kreise, 
und  was  die  übrige  Wissenschaft  anbetrifit,  so  schämen  sich  viele 
Scheche  des  Eingeständnisses  nicht,  sie  wüssten  davon  genau  das- 
jenige, was  sie  für  die  Praxis  brauchten,  geben  aber  dabei  zu  er- 
kennen, bei  ihnen  sei  der  Zusammenhang  zwischen  Wissenschaft 
und  Leben  inniger  und  ernster  als  bei  jenen  gelehrten  Köpfen,  die 
nicht  in  Anwendung  bringen,  was  sie  docieren;  die  heilige  Tradi- 
tion bezeichnet  aber  das  »Wissen  ohne  (dementsprechende)  Werke” 
als  geradezu  schädlich. 

Es  irren  sich  indessen  die  europäischen  Schriftsteller  gründlich, 
die  behaupten,  die  Korporation  der  Gelehrten  wäre  den  Tariqah' s 
im  Ganzen  feindlich  gesinnt.  Zwar  sind  sie  weit  entfernt  davon, 
die  heutigen  Bruderschaften  auch  nur  annähernd  als  die  Verwirk- 
lichung der  von  den  Gründern  entworfenen  Pläne  zu  betrachten. 
Sie  wissen  aber  aus  der  Erfahrung  sowie  aus  den  Weissagungen 
der  Propheten,  diese  Welt  sei  bis  zu  ihrem  Ende  in  religiöser  Hin- 
sicht in  stetem  Rückschritt  begriffen,  und  können  daher  die  Ent- 
fernung zwischen  Ideal  und  Wirklichkeit  auf  mystischem  Gebiete 


1)  Yergl.  oben  S.  52 — 3, 


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nicht  den  einzelnen  Schechen  oder  den  Brüdern  vorwerfen,  zumal 
das  Verhältniss  in  ihrem  eigenen  Kreise  nicht  besser  ist.  Die  Be- 
trachtung der  oben  angedeuteten  riesigen  Erfolge  der  Tariqah's  ruft 
bei  ihnen  Anerkennung  und  Bewunderung  hervor;  allerdings  erregt 
der  überwiegende  Einfluss  gewisser  Scheche  von  Tariqah's  ab  und 
zu  die  Eifersucht  der  Professoren,  aber  das  sind  einzelne  Fälle, 
die  auf  die  Beurtheilung  der  Bruderschaften  als  solche  nicht  wei- 
ter einwirken.  Am  deutlichsten  spricht  die  Thatsache,  dass  meh- 
rere hoch  angesehene  Professoren  in  Mekka  zugleich  Vertreter  mys- 
tischer Orden  sind ; so  z.  B.  von  den  oben  gelegentlich  erwähnten 
der  Schech  Abd  el-Harald  aus  Daghustan,  sein  Schüler  Hasab  Allah, 
Muhamtned  Qälih  (der  Vater  des  Abdallah)  Zawäwl  u.  a.  m.  Selbst- 
verständlich stellen  -diese  gelehrten  Mystiker  an  die  von  ihnen  Ein- 
zuweihenden  höhere  wissenschaftliche  Anforderungen  als  jene  Scheche, 
die  selbst  nur  massige  Dogmatiker  und  Schriftgelehrte  sind,  aber 
sie  tadeln  es  nicht , wenn  Letztere  bei  ihren  Schülern  mehr  auf  die 
ernste  Richtung  des  Gemüths  als  auf  die  Summe  der  Kenntnisse 
achten.  Nur  eine  derartige  Mission,  wie  sie  von  den  Senüsi’s  unter 
den  Harb-beduinen  betrieben  wurde1),  ist  und  bleibt  ihnen,  trotz 
dem  äusseren  Erfolge,  anstössig. 

Ungern  sehen  es  immerhin  alle  Gelehrten,  wenn  ihre  Schü- 
ler sich  in  jugendlichem  Alter  und  bevor  sie  noch  in  der  Wis- 
senschaft etwas  erreicht  haben,  durch  die  Geheimnisse  eines  Or- 
dens verführen  lassen,  weil  dies  ihren  Studien  gewöhnlich  zum 
Schaden  gereicht;  sie  haben  ja  keinen  berechtigten  Grund,  auf  un- 
regelmässigem Wege  zu  suchen,  was  sich  eigentlich  doch  nur  dem 
in  der  heiligen  Wissenschaft  Bewanderten  in  reiner  Form  und  in 
vollem  Maasse  ergiebt.  Die  Tariqah’s,  wie  sie  sein  sollten,  so  lau- 
tet ihre  Mahnung,  stehen  in  erster  Linie  euch  offen , aber  erst 
nachdem  ihr  den  langen  Weg  der  Wissenschaft  geduldig  zurück- 
gelegt habt;  was  sich  nunmehr  davon  erreichen  lässt,  bietet  sich 
euch  dann  zunächts  im  Haram  dar,  wo  Ghazäli  die  nach  dem 
Heile  Begierigen  in  das  Tagawwuf  einführt,  und  ferner  könnt  ihr 


1)  Vergl.  oben  S.  70. 


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euch  einen  persönlichen  Seelsorger  und  Beichtvater  wählen  ohne 
Gefahr  der  Verirrung.  Die  Tariqnh'a  aber,  wie  sie  grösstentheils 
sind , erfüllen  ihre  nützliche  Aufgabe  in  anderen  Kreisen , denen 
Allahs  Weisheit  die  Gelegenheit  zur  wissenschaftlichen  Bildung  vor- 
enthalten hat. 

Wir  haben  im  Obigen  zur  Genüge  gesehen,  wie  kräftig  die  Pflege 
der  dreigliedrigen  heiligen  Wissenschaft  (Gesetzeskunde,  Glaubens- 
lehre, Mystik)  zur  Erhaltung  und  Nahrung  der  religiös-politischen 
Ideale  des  Islam’s  beiträgt  und  in  wie  hohem  Grade  die  mekkani- 
sche  Umgebung  die  durch  den  Unterricht  hervorgerufenen  panisla- 
mitischen  Gesinnungen  und  Hoffnungen  verstärkt.  Das  Zusammenleben 
von  Studenten  aus  allen  Himmelsgegenden  belebt  das  Bewusstsein 
der  weiten  Verbreitung  ihrer  Religion  und  beseitigt  den  von  man- 
chem Jüngling  aus  der  von  Franken  beherrschten  Heimath  mitge- 
brachten Gedanken,  als  wären  die  Muslime  auf  unabsehbare  Zeiten 
zur  Knechtschaft  verdammt.  Sogar  die  Repräsentanten  von  Gross- 
mächten in  Djiddah  wagen  es  nicht,  die  heilige  Stadt  zu  betreten, 
und  ihr  Sonderleben  in  der  Hafenstadt  lässt  sie,  aus  der  Feme 
gesehen,  als  geduldete  Mitbewohner  von  geringerer  Rasse  erschei- 
nen. Einmal  wurde  freilich  auf  ihren  Betrieb  Djiddah  bombardiert; 
sollten  sie  sich  aber  erdreisten , Mekka  anzugreifen , so  würde  der 
Sultan....  nein,  Gott  selbst  würde  sic  vom  Himmel  mit  seinem 
Blitz  niederwerfen ! Sie  denken  aber  gar  nicht  daran ; die  Vorläu- 
fer des  Mahdi’s  auf  der  andern  Seite  des  Rothen  Meeres  machen 
ihnen  schon  genug  zu  schaffen.  Hier,  in  Mekka,  sind  wir  alle 
Unterthanen  des  Sullän  el-Isläm;  nicht  einmal  die  gehässige  Be- 
kämpfung der  Sklaverei  macht  sich  hier  bemerkbar.  Man  kann  sich 
denken,  wie  ganz  anders  hier  die  Lektüre  der  Kapitel  vom  heili- 
gen Krieg,  von  den  Verträgen  mit  Ungläubigen  oder  von  der  Ab- 
schaffung der  jüdischen  und  christlichen  Otfenbarungen  (wodurch 
die  jüdische  und  christliche  Kultur  als  potentiell  besiegt  erschei- 
nen) auf  die  Gemüther  wirkt  als  etwa  in  einer  indischen  Moschee. 
Ja,  wahrlich,  Mekka  ist  der  Mittelpunkt  der  Welt,  von  Mekka 
aus  müssen  dio  Siege  des  erwarteten  » Reell tgelei teten  ihren  An- 
fang nehmen!  Die  meisten  und  die  fleissigsten  Studenten  sind 


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Fremde,  die  sich  auf  einige  Jahre  hier  niederlassen  und  dann  zum 
guten  Theil  die  hier  errungenen  Kenntnisse  und  Anschauungen  in 
ihrem  Vaterlande  verbreiten. 

Nachhaltiger  aber  als  die  Nahrungsstoffe , die  dein  religiösen 
Leben  von  oben  herab  zugeführt  werden,  wirken  die  in  die  brei- 
teren, unteren  Schichten  aufgenommenen.  Hier  stellen  sich  die 
Tariqah's  ein:  durch  Einschärfung  der  minimalen  gesetzlichen  Ver- 
pflichtungen und  dogmatischen  Kenntnisse  beleben  sie  bei  ihren 
Mitgliedern  das  Bewusstsein  der  Zusammengehörigkeit  mit  der 
grossen  internationalen  Gemeinde;  durch  eine  bunte  Auswahl  be- 
täubender und  berauschender  Methoden  gewähren  sie  den  mensch- 
lichen Leidenschaften  einen  Spielraum  und  gewinnen  zu  gleicher 
Zeit  die  volle  Verfügung  über  deren  Verwendung;  ihre  altbewährte 
Organisation  ermöglicht  es  einigen  Häuptern , jeden  günstigen  Augen- 
blick für  eine  Massenbewegung  zu  benutzen.  Auch  auf  die  höheren 
Klassen  verfehlen  die  fariqah's  ihre  Wirkung  nicht;  in  der  Be- 
amtenwelt und  unter  Leuten  von  gelehrter  Bildung  erfreuen  sie 
sich  vieler  Brüder  und  Verehrer;  auf  die  Eigenthümlichkeiten  sol- 
cher Anhänger  muss  natürlich  Rücksicht  genommen  werden,  aber 
dazu  giebt  es  ja  viele  Orden  mit  verschiedener  Einrichtung  und 
haben  die  »Beichtväter”  innerhalb  weiter  Schranken  die  Befugniss, 
den  Anlagen  der  Individuen  Rechnung  zu  tragen.  Politische  Grös- 
sen bewerben  sich  eifrig  um  die  Gunst  von  Schechen,  die  so  zahl- 
reiche Schaaren  in  der  Hand  haben.  Ganz  wie  die  Universität 
gewinnt  in  Mekka  auch  die  Mystik  der  Genossenschaften  ihre  Schü- 
ler hauptsächlich  von  auswärts:  Malaien,  Türken  und  Inder  liefern 
das  Hauptkontingent.  Von  oben  und  von  unten  werden  deren  Ko- 
lonien also  in  panislamitischem  Sinne  bearbeitet;  die  Pilger,  deren 
Aufenthalt  sich  bloss  auf  einige  Monate  beläuft,  werden  ebenfalls 
in  grosser  Zahl  für  die  Tanqah's  angeworben  in  der  Zuversicht, 
der  mangelhaften  mystischen  Erziehung,  werde  später  nachgeholfen 
werden,  da  sie  nun  ein  für  allemal  den  erwünschten  Wirkungen 
offenstehen. 

Welche  Missbrauche  auch  in  angesehenen  Tariqah’s  am  gewöhn- 
lichsten um  sich  greifen , lässt  sich  leicht  errathen : Alle , die  im 
II  37 


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Orden  ein  Amt  bekleiden,  bekommen  gelegentlich  Geschenke  für 
ihre  Person  oder  Gaben  für  die  Bruderschaft,  worüber  sie  frei 
verfügen  dürfen.  Sie  sind  daher  der  Gefahr  ausgesetzt,  den  mate- 
riellen Accessorien  die  Hauptaufmerksamkeit  zuzuwenden  und  auch 
sonst  ihren  allzu  grossen  Einfluss  auf  die  Gemüther  noch  zu  ande- 
ren Zwecken  zu  verwenden  als  dem,  ihre  AfuricTs  auf  den  Pfad 
der  Gotteserkenntniss  zu  führen  und  die  Ideale  des  Islam’s  in  ihren 
Herzen  zu  beleben.  Alle  üblen  Folgen,  die  zu  grosse  unkontrol- 
lierte Macht  von  Menschen  über  Menschen  herbeiführt,  treten  na- 
turgemäss  in  den  TariqaK»  ans  Licht.  Die  Silsilah , d.  h.  der 
geistige  Stammbaum  des  Schechs,  zeigt  wie  der  eigene,  geheim- 
nissvolle  Unterricht  des  Ordensgründers  von  Mund  zu  Mund  bis  zu 
ihm  gekommen  ist;  mehr  noch:  wie  die  irdische  Genealogie  eines 
Adligen  als  Beweis  dient,  dass  seine  Adern  das  Blut  des  vorneh- 
men Ahnherrn  durchströmt,  so  thut  die  Silsilah  dar,  dass  ihr 
rechtmässiger  Besitzer  die  * Geistigkeit"  ( Rühanijjah ) des  heiligen 
Stifters  in  sich  trägt.  Aus  ihm  spricht  also  der  verklärte  Epony- 
mus  des  Ordens.  Ihrerseits  geht  aber  dessen  »Geistigkeit”  in  glei- 
cher Weise  durch  eine  Silsilah  auf  einen  der  Genossen  des  Prophe- 
ten , und  so  weiter  durch  Vermittelung  Muhammeds  auf  Gott  selbst 
zurück!  Zu  den  hypnotisierenden  Gedanken,  welche  das  Dikr  ge- 
wisser Orden  begleiten  müssen,  gehört  es,  dass  man  unter  tausend- 
und  aber  tausendmaliger  Hersagung  des  Glaubensbekenntnisses  sich 
die  Anwesenheit  Gottes  im  eignen  Herzen  unaufhörlich  vorstelle. 
Da  jedoch  so  erhabene  Vorstellungen  dem  Anfänger  kaum  möglich 
sind,  muss  auch  hier  »vermittelt”  werden.  Er  denke  sich  zunächst 
bloss  die  Gestalt  seines  Schecks  im  Herzen  und  nach  oft  wieder- 
holten Uebungen  wird  es  ihm  gelingen,  sich  durch  dessen  »Geis- 
tigkeit” zu  Allah  zu  erheben.  Immer  und  immer  wieder  der  un- 
entbehrliche Schech,  der  wirklich  ohne  Vorbehalt  als  Stellvertreter 
Gottes  für  die  ihm  untergebenen  »Brüder”  bezeichnet  werden  muss. 

Zum  Schluss  unserer  Skizze  des  wissenschaftlichen  Lebens  in 
Mekka  sei  nur  noch  auf  einzelne  Abweichungen  vom  gewöhnlichen 
Gang  des  Unterrichts  im  Haram  hingewiesen.  Abgesehen  von  Un- 
regelmässigkeiten, die  durch  den  Willen  oder  die  Verhältnisse  der 


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Professoren  und  Studenten  verschuldet  sind,  herrscht  die  von  uns 
beschriebene  Ordnung  während  der  ersten  sieben  Monate  des  Jah- 
res ziemlich  ungestört.  Nach  der  Mitte  des  7ten  Monats,  Redjeb, 
bestimmen  die  Lehrer  eine  Stunde  des  Tages  (z.  B.  die  des  Kollegs 
nach  dem  Maghrib)  zur  erbaulichen  Vorlesung  der  Geschichte  von 
Muhammeds  Himmelfahrt ') , deren  Jahrestag  am  27l 2 3'n  wiederkehrt. 
Aehnlich,  aber  weniger  allgemein,  ist  es  schon  während  der  ersten 
Tage  des  3*'11  Monats  (Rabic  el-Awwal)  mit  Bezug  auf  die  Lebens- 
geschichte (Mölid)  Muhammeds  gegangen;  nur  deshalb  unterbricht 
man  behufs  des  Mölid  die  ordentlichen  Kollegien  nicht  so  häufig, 
weil  es  ja  fast  täglich  in  Mekka  mehrere  »Mölid’s”  *)  giebt.  Im 
8ten  Monat  SchaTmn  treten  natürlich  am  Abend  des  15,e“  *)  die 
Vorlesungen  hinter  den  Gebeten  um  Auswaschung  verhängnissvoller 
göttlicher  Dekrete  zurück.  Ausserdem  fangen  aber  alle  Lehrer  in 
den  ersten  Tagen  dieses  Monats  an,  das  Kapitel  von  den  Fasten 
zu  lesen,  um  sich  und  ihre  Schüler  auf  genaueste  Beobachtung 
der  gesetzlichen  Vorschriften  im  nahenden  Fastenmonat  Ramadhän 
vorzubereiten.  Die  Fastenkollegien  treten  an  die  Stelle  irgend  eines 
von  den  gewöhnlichen;  nur  dass  man  die  Zusammenkünfte  nach 
der  Morgendämmerungs^alät  am  liebsten  nach  wie  vor  dem  glei- 
chen Gegenstände  widmet,  der  von  Jahresanfang  an  zu  dieser  Zeit 
behandelt  wurde.  Man  theilt  den  Stoff  so  ein,  dass  gegen  die  Er- 
scheinung des  Neumondes  hin  das  Fastenkapitel  beendigt  ist;  in 
den  meisten  anderen  Kollegien  hört  man  da  auf,  wo  man  gerade 
steht,  denn  dort  giebt  es  kein  bestimmtes  Pensum,  und  jeder  Ge- 
genstand lässt  sich  unschwer  für  sich  behandeln. 

Sobald  der  »Schech  Ramadhän”  herrscht,  ist  das  Universitäts- 
semester endgültig  abgeschlossen  und  solcher  Semester  hat  hier 
jedes  Jahr  nur  eins.  Wie  die  Gelehrten  sich  aber  am  Dienstag  und 
am  Freitag  trotz  der  offieiellen  Ruhe  um  die  Verbreitung  der  Wis- 
senschaft verdient  machen,  docieren  sic  auch  in  den  Ferienmona- 
ten, soviel  die  Umstände  es  gestatten.  Im  Fastenmonat  kann  nur 

1)  Vergl.  oben  S.  70 — 1. 

2)  Vergl.  oben  8.  147  f. 

3)  Vergl.  oben  8.  76. 


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nach  dem  Morgendämmerungs-  und  dem  Nachmittagsyalät  davon 
die  Rede  sein,  denn  nach  dem  Mittag  schläft  alle  Welt,  nach 
dem  Maghrib  ist  die  Zeit  des  Essens,  und  nach  dem  Msehä  wird 
die  ganze  Moschee  während  der  Nacht  von  den  TarätciA ')  in 
Anspruch  genommen.  An  den  beiden  verfügbaren  Stunden  lesen 
auch  nur  die  allerfleissigsten  Professoren,  und  zwar  hauptsächlich 
Dogmatik.  Wenn  Studenten  darum  bitten,  wird  nach  dem  cA?r 
auch  wohl  Grammatik  dociert,  und  im  Jahre  1885  setzten  zur 
selben  Stunde  der  schäfi'itische  Mufti  sein  Kolleg  über  QurSnexe- 
gese  und  der  Scheeh  'Abbäs  die  Lektüre  der  Traditionssammlung 
Buchärl’s  fort.  In  kleinen  Kreisen  trugen  gegen  die  Zeit  des  Fas- 
tenbrechens hin  einzelne  Seheche  erbauliche  Schriften  vor. 

Wenn  die  Festtage  des  Schawwäl*)  vorüber  sind,  werden  all- 
mählich die  Gedanken  der  Mekkaner  ganz  von  dem  in  zwei  Mona- 
ten bevorstehenden  Pilgerfeste  eingenommen;  sogar  die  wenigen 
Professoren,  denen  es  gelingt,  an  einer  Stunde  des  Tages  in  der 
immer  mehr  von  Fremden  gefüllten  Moschee  für  sich  und  ihre 
Halqak  Raum  zu  finden , beschäftigen  sich  ausschliesslich  mit  dem 
Haddj , indem  sie  ihre  Zuhörer  durch  die  Lektüre  des  Kapitels 
vom  Haddj  in  einem  Fiqh-buche  oder  einer  von  den  vielen  speciel- 
len  Anleitungen  für  den  Pilger  ( Manäsik)  auf  die  Verrichtung  einer 
Gott  angenehmen  Wallfahrt  vorbereiten , ähnlich  wie  das  im  SchaTiän 
in  Bezug  auf  das  Fasten  geschah.  Einzelne  Haddj-vorlesungen  gehen 
sogar  bis  in  den  eilften  Monat  (Du  '1-qaJa/t)  fort,  aber  dann  setzt 
der  zunehmende  Lärm  des  Pilgerverkehrs  dem  wissenschaftlichen 
Eifer  bald  ein  Ziel  und  ist  an  Wiederaufnahme  der  Kollegien  vor 
der  Mitte  des  ersten  Monats  im  folgenden  Jahr  gar  nicht  zu  denken. 

Beiläufig  gedachten  wir  oben  der  Vorlesungen,  die  fremde  Ge- 
lehrte, um  ihre  Landsleute  in  die  heilige  Wissenschaft  einzuführen, 
mit  Zuhülfenahme  ihrer  Muttersprache  in  ihren  Privatwohn ungen 
abhalten.  Ihr  Unterricht  hält,  was  die  Einthcilung  und  die  Gegen- 
stände anbetrifft,  so  ziemlich  gleichen  Schritt  mit  dem  im  Ilaram 
ertheilten.  Zufällig  ist  das  nicht,  denn  die  Stunden  des  Unterrichts 


1)  Yergl.  oben  S.  81  1. 


8)  Vergl.  oben  S.  98  ff. 


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293 


erhalten  durch  die  Zeitpunkte  der  gemeinschaftlichen  Qalats  ihre 
natürliche  Bestimmung;  die  den  einzelnen  Fächern  zugewiesene  Stel- 
lung ist  mit  deren  relativer  Bedeutung  nach  der  Abschätzung  des 
heutigen  Islam’s  innig  verknüpft;  der  gelehrten  Vorbereitung  zum 
Fasten  und  zum  Haddj  sind  die  Studenten  ausserhalb  des  Haram 
nicht  weniger  bedürftig  als  die  in  der  Moschee,  und  Beide  unter- 
brechen gern  im  Redjeb  den  alltäglichen  Unterricht  durch  die  er- 
bauliche Lektüre  der  Himmelfahrtslegende. 

Aus  den  Chroniken  Mekka’s,  die  allerdings  kulturgeschichtlichen 
Momenten  nur  geringe  Aufmerksamkeit  schenken,  kann  man  mit 
Sicherheit  erschliessen , dass  sich  in  Mekka  schon  Jahrhunderte  lang 
ein  ähnliches  wissenschaftliches  Leben  regt  wie  das  von  uns  be- 
schriebene. Wenn  ein  so  trefflicher  Beobachter,  wie  Burckhardt  es 
war,  darüber  fast  gar  nichts  erzählt*)  und  den  Mangel  der  Mek- 
kaner  an  wissenschaftlicher  Bildung  in  sehr  übertriebener  Weise 
hervorhebt1 2 3 *  5) , so  ist  das  ein  neuer  Beweis  der  öfters  von  uns  her- 
vorgehobenen Thatsache,  dass  Mekka  sich  dem  Pilger  in  ganz  an- 
derem Lichte  zeigt  als  dem  Ansässigen  *).  Eine  von  ihm  erwähnte 
Sitte  will  ich  noch  kurz  beleuchten.  Am  Freitag,  sagt  er,  nach 
dem  Mittagsgottesdienst  pflegten  einige  türkische  Gelehrte  in  der 
Moschee  je  einen  Kreis  von  Landsleuten  um  sich  zu  versammeln, 
denen  sie  in  ihrer  Muttersprache  religiöse  Vorträge  hielten.  Beim 
üblichen  Abschiedskuss  gäben  ihnen  die  Zuhörer  ein  Geldgeschenk. 
Diese  Mittheilung  hat  noch  heutzutage  volle  Geltung,  wenn  man 
hinzusetzt:  während  der  Universitätsferien,  wenn  die  Moschee  von 


1)  Travels  in  Arabia,  I,  S.  274  f.,  390  ff. 

2)  Ö.  c.,  S.  396.  Auch  für  seine  Zeit  war  dies  Urtheil  entschieden  falsch,  wie  man 
schon  aus  den  modernen  Chroniken  Mekka’s,  deren  Existenz  Burckhardt  mit  Unrecht 
leugnete,  zur  Genüge  entnehmen  kann ; vergl.  die  Vorrede  zu  unserem  I*«»  Bande,  S.  XII. 

3)  An  einer  andern  Stelle  sagt  Burckhardt  (I,  401):  n\  am  not  describe  tho  marriago* 
feasts  as  celebrated  at  Mekka,  not  having  attended  any”,  und  die  wenigen  Mitthei- 
lungen über  hüuslichc  Feierlichkeiten,  die  er  jenen  "Worten  folgen  lasst,  sind  mannig- 
fach unrichtig.  Es  wäre  mir  leicht  gewesen , auf  mancher  Seite  meines  Buches  Bemerkungen 

über  bedeutende  Fehler  in  Burckhardts  Werke  zu  geben,  aber  der  Leser  wird  mir  hof- 
fentlich aufs  Wort  glauben,  wenn  ich  sage,  ich  habe  das  Buch  gründlich  studiert,  ich 

hätte  ohne  dasselbe  das  meinige  kaum  schreiben  können,  und  ich  hege  zu  grosse  Ehr- 
furcht gegen  meinen  trefflichen  Vorgänger,  als  dass  ich  im  Stande  wäre,  ihn  zu  be- 
mängeln. 


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294 

türkischen  Pilgern  überfüllt  ist,  beuten  in  Mekka  ansässige  Tür- 
ken ihre  Landsleute  in  dieser  Weise  aus.  Es  sind  »Gelehrte”  nie- 
drigsten Ranges,  denn  andere  würden  es  für  schimpflich  halten, 
so  für  die  Mittheilung  ihrer  Kenntnisse  bezahlt  zu  werden;  auch 
würden  die  Gelegenheitsprofessoren  sich  wohlweislich  hüten , während 
des  Semesters  der  Vorlesungen  ihre  Thätigkeit  im  Haram  fortzuset- 
zen. Als  im  Monat  Schawwäl  1302  (Juli  1885)  ihr  wöchentliches 
Auftreten  zuerst  anfing,  sagte  mir  ein  Mekkaner,  indem  er  mit 
dem  Zeigefinger  auf  sie  hinwies:  uda  kommen  die  Frösche ” und 
zur  Erklärung  seines  WTitzes  setzte  er  hinzu,  die  Frösche  kröchen 
immer  hervor,  wenn  es  (Pilger)  geregnet  habe,  »natürlich,  wegen 
der  Füidah  (des  Vortheils)”.  Das  sind  aber  Pfuscher  auf  dem  Markte 
der  Wissenschaft. 

Wenngleich  nun  Mekka  in  jedem  Jahrhundert  des  Islands  ange- 
sehene Gelehrte  zu  seinen  Bürgern  gezählt  und  die  heilige  Wissenschaft 
hier  auch  schon  Jahrhunderte  lang  eine  von  ihren  besten  Werk- 
stätten gehabt  hat,  so  hat  doch  erst  das  Zusammenwirken  verschie- 
dener Ursachen  in  unserer  Zeit  aus  der  heiligen  Stadt  ein  einzigartiges 
Centrum  wissenschaftlichen  Lebens  für  die  ganze  muhammedanische 
Welt  gemacht. 


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IV. 


DIE  DJAWAH. 


Ein  kundiger  egyptischer  Genieofficier,  der  seit  einigen  Jahren 
in  amtlicher  Stellung  die  egyptische  Pilgerkarawane  und  das  Mah- 
mal  begleitet,  hat  zweimal  einen  Bericht  über  seine  Reiseerfahrungen 
drucken  lassen  ');  in  der  1886  von  ihm  veröffentlichten  Beschrei- 
bung ’)  zählt  er  die  nicht-ursprünglichen  Bestandtheile  der  Bevöl- 
kerung Mekka’s  mit  folgenden  Worten  auf:  »Sie  sind  gemischt  aus 
»Djäwah,  Indern,  Egyptaru,  Türken,  Tekrüri’s,  Jemeniten  und 
»Beduinen;  ihre  einzigen  Handelswaaren  sind  Zemzemwasser,  Henna 
»und  das  Arakholz,  aus  dem  man  Zahnhölzer  [die  von  den  Mus- 
»limen  als  Bürsten  benutzt  werden]  macht.  Die  meisten  Kaufleute 
»sind  Fremde;  Einige  legen  ihr  Geld  auf  Zinsen  ( Ribh ),  sodass  sie 
»10  leihen  und  12  oder  mehr  zurückbekommen,  oder  sie  beuten 
»die  Pilger  nach  Kräften  aus,  namentlich  die  Djäwah,  weil  diese 
» wohlhabend  und  fromm  sind” . Augenscheinlich  hat  der  halbeuropäisch 
gebildete  Egvpter  die  Verhältnisse  nur  oberflächlich  beobachtet, 
aber  nichts  destoweniger  ist  es  bezeichnend,  wie  er,  ohne  jede  be- 
sondere Veranlassung  den  Djäwah  einen  so  hervorragenden  Platz 
einräumt.  Unter  diesem  Namen1 2  3)  begreift  man  in  Arabien  alle 


1)  Vergl.  oben  S.  141,  Anm.  2. 

2)  Kaukab  al-Haddj,  S.  30. 

3)  Alle  von  ihnen  bewohnten  Landor  heissen  zusammen  Biläd  H-Djäwai;  ein  einzelner 
wird  sowohl  Djäwah  (Plur.  Djäwdl)  als  Djäwi  (Plur.  Djäwah  oder  Djämjfm)  genannt. 


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Völker  der  malaiischen  Rasse  in  der  umfangreichsten  Bedeutung, 
die  man  diesem  Worte  beilegen  kann;  die  geographischen  Grenzen 
sind  etwa  von  Siam  und  Malaka  bis  nach  Neu-Guinea.  Muslime 
und  Nicht-muslimc  bezeichnet  man  als  DjSwah ; die  Letzteren  lernt 
man  allerdings  nur  als  Sklaven  kennen  ') , aber  mekkanische  Rei- 
sende kommen  auch  wohl  einmal  mit  heidnischen  oder  mit  solchen 
Djäwah-völkerschaften  in  Berührung,  die  den  Hinduismus  beken- 
nen. Eine  Klasse  von  Djäwah,  die  ausserhalb  jener  geographischen 
Grenzen  liegt  und  in  den  letzten  Jahren  regelmässig  Pilger  nach 
Mekka  liefert,  sind  die  Leute  vom  Kap  der  guten  Hoffnung;  sie 
stammen  von  Malaien  her,  die  früher  einmal  von  Holländern  nach 
dem  Kaplande  mitgenommen  waren,  unter  Beimischung  einiger 
Theile  holländischen  Blutes.  Einige  Wörter  sind  aus  ihrer  malaii- 
schen Sprache  in  den  seltsamen,  abgeschliffenen  holländischen  Dia- 
lekt der  »Buren”  übergegangen2);  dagegen  haben  sie  selbst  ihre 
Muttersprache  gegen  die  Kap-holländische  umgetauscht,  natürlich 
mit  Beibehaltung  vieler  malaiischer  Ausdrücke.  Wenn  man  dabei 
die  echt-holländischen  Namen  mancher  von  diesen  Ahl  Käf  (so 
heissen  sie  in  Mekka)  in  Betracht  zieht,  wird  man  versucht,  zu 
glauben,  sie  hätten  heruntergekommene  Holländer  zu  ihrer  Reli- 
gionsgemeinschaft herübergezogen , und  manche  unter  ihnen  vorkom- 
mende Typen  erhöhen  die  Wahrscheinlichkeit  dieser  Vermuthung. 
Vom  muslimischen  Verkehr  getrennt,  hätten  sie  kaum  die  zur  Er- 
haltung ihrer  Religion  erforderliche  moralische  Kraft  gehabt,  wenn 
nicht  von  aussen  her  eifrige  Glaubensbrüder  zu  ihnen  gekommen 
wären.  Wann  und  woher  diese  kamen,  ist  mir  nicht  genau  be- 
kannt; wie  dem  aber  auch  sei,  in  den  letzten  zwanzig  Jahren 
werden  die  Moscheen  in  der  Kapkolonie  fleissiger  als  zuvor  be- 
sucht , auf  den  Religionsunterricht  |verwendet  man  dort  mehr  Mühe , 
und  jährlich  pilgern  einige  Ahl  Käf  nach  der  heiligen  Stadt. 

Ihrer  Herkunft  gemäss  hat  man  sie  in  Mekka  einem  »Schech” 
zugewiesen,  der  zu  den  Fremdenführern  der  Djäwah  gehörte,  aber 
ihre  Sondergeschichte  hat  ihnen  einen  eigenen  Platz,  eher  neben 

1)  Yergl.  oben  8.  14 — 5. 

2)  Z.  B.  /hi  lang  mm  banjaq  /'viel”,  amper  — ampir  »beinahe”. 


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als  in  der  Djäwahgruppe  gewährt.  Weil  die  meisten  »KSf-pilger” 
ziemlich  wohlhabend  sind,  zogen  sie  in  Mekka  gleich  die  theilneh- 
mende  Aufmerksamkeit  vieler  Bürger  auf  sich.  Einzelne  Türken 
und  Mekkaner  sind  sogar  nach  der  neu  entdeckten  Provinz  des  Is- 
lain’s  hingereist,  und  es  hat  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  die  Ahl 
Käf  von  Schäfi'iten,  was  sie  einst  waren,  zu  Hanafiten  zu  machen, 
da  man  doch  die  Wiederaufnahme  ihrer  fast  vergessenen  muslimi- 
schen Tradition  gewissermaassen  als  eine  Wiedergeburt  im  Islam 
betrachten  konnte.  In  Konstantinopel  wurde  von  hoher  Stelle  der 
Druck  eines  Werkes  über  das  muslimische  Gesetz  im  Burenhollän- 
disch mit  arabischen  Buchstaben  gefördert,  kurz,  man  scheint  die 
neuen  Brüder  an  der  Südspitze  von  Afrika  als  eine  Errungenschaft 
für  die  panislamitischen  Bestrebungen  betrachtet  zu  haben.  Der  mir 
befreundete  Schech  der  Mu’eddin’s  in  Mekka  gehörte  zu  jener 
Klasse  von  Mekkanern , die , ohne  selbst  »Scheiche”  zu  sein , die 
Pilger  auf  Nebenwegen  ausbeuten.  Auch  ihm  gefielen  die  Ahl  Käf , 
und  er  beschäftigte  sich  sogar  mit  ihrer  Sprache.  Eines  Tags  kam 
er  zu  mir  mit  Zetteln,  worauf  er  arabische  Sätze  mit  deren  Wie- 
dergabe in  »der  Sprache  des  Käf”  in  arabischer  Schrift  aufgezeich- 
net hatte;  er  wollte  hören,  welcher  von  den  übrigen  Djäwahspra- 
chen  jene  am  ähnlichsten  sei.  In  ziemlich  gutem  »Afrikanisch”  brachte 
der  Mekkaner  z.  B.  heraus:  »hoe  gaat  het  nog  met  jou?”  = »wie 
geht  es  dir  jetzt?”  »drink  jij  swart  thee  of  vaal  thee?”  = »trinkst 
du  schwarzen  oder  grünen  Thee?”1).  Ihre  holländischen  Namen 
tauschen  die  Leute  bei  ihrer  Ankunft  in  Arabien  gleich  gegen 
arabische  um. 

Mit  den  eigentlichen  Djäwah  haben  die  Kapländer  fast  keinen 
Verkehr;  jene  beanspruchen  von  nun  an  ausschliesslich  unsere  Auf- 
merksamkeit. Hierzu  wären  sie  sogar  dann  berechtigt,  wenn  wir 
nicht  von  niederländischem  Gesichtspunkte  aus  die  Fremdenkolonien 
betrachten  wollten,  denn  der  oben  citierte  Schriftsteller  hat  nicht 
ohne  guten  Grund  die  Bedeutung  der  Djäwah  hervorgehoben.  Es 
dürfte  kaum  in  einer  andern  Gegend  der  muhammedanischen  Welt 


1)  Vgl.  Mekk.  Sprichw.,  S.  33  f. 

II 


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ein  für  Mekka  so  günstiges  Verhältnis  zwischen  der  Zahl  der  Be- 
völkerung und  der  jährlichen  Mekkapilger  geben  wie  im  malaiischen 
Archipel.  Während  nun  aber  aus  dem  reichen  Indien  zahllose  Bett- 
ler nach  Mekka  reisen,  kommt  aus  den  Biliid  el- Djäwah  kaum  ein 
Armer,  es  sei  denn  als  Bedienter  oder  Begleiter  eines  Reicheren, 
der  ihn  ernährt.  Meistens  sind  es  anspruchslose  Leute:  für  ihr 
Bewusstsein  sind  die  altnationalen  Traditionen  der  Inselreiche  durch 
den  Islam  als  eitel  hingestellt  und  fängt  trotz  aller  früheren  Grösse 
heimischen  und  indischen  Ursprungs  ihre  eigentliche  Kultur  erst 
mit  der  Islamisierung  an.  ln  vielen  malaiischen  Ländern  hat  man 
eine  ganz  und  eine  halb  legendarische  Ueberlieferung  von  der  Ein- 
führung des  Islam’s:  nach  der  ersten  wäre  die  Bekehrung  schon 
zur  Zeit  Muhammeds , und  zwar  auf  dessen  Befehl  geschehen , 
während  die  letztere  gewöhnlich  der  Fürsten  durch  irgendwelche 
vom  Westen  gekommene  Heilige  für  die  wahre  Religion  gewinnen 
lässt.  Die  einheimischen  Chroniken  schreiben  den  von  malaiischen 
Fürsten  geführten  Sultanstiteln  vielfach  einen  mekkanischen  Ursprung 
zu;  der  Grossscherif  oder  «Radja  Mukkah”,  wie  es  heisst,  verleiht 
ihnen  auf  ihre  Bitte  solche  Würden.  Vom  Sultan  von  Rum  (der 
Türkei)  haben  die  älteren  malaiischen  Legenden  nur  ganz  fabelhafte 
Vorstellungen,  und  wiewohl  den  heutigen  Malaien  der  grosse  Herr 
von  Stambul  besser  bekannt  ist,  bleibt  ihnen  nach  wie  vor  Mekka 
das  Centrum  des  Islam’s.  Im  Gegensätze  zu  solchen  Völkern,  die, 
wie  die  Egypter,  Türken,  Perser,  Inder  eine  grosse  Rolle  auf  der 
Bühne  des  Islam’s  gespielt  haben,  treten  die  Djäwah  hier  beschei- 
den und  zurückhaltend  auf,  als  wollten  sie  bei  jedem  Schritt  die 
Ueberzeugung  bekunden,  dass  sie  ihre  Theilnahme  an  den  Seg- 
nungen des  Islam’s  nicht  selbst  verdient  haben. 

Bescheiden  waren  sie  immer,  wohlhabend  früher  in  höherem 
Grade  als  jetzt;  cs  lässt  sich  denken,  wie  sich  die  Mekkaner  von 
jeher  um  die  Vortheile  einer  so  leicht  auszubeutenden  Rasse  ge- 
rauft haben!  Es  ist  Schade,  dass  weder  die  Mekkaner  noch  die 
Djäwah  selbst  uns  in  ihren  Geschichtswerken  Genaues  über  die  Ent- 
wickelung der  Beziehungen  des  fernen  Orients  mit  Mekka  erhalten 
haben.  Als  sicher  darf  man  annehmen,  dass  die  Dampfer  in  den 


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letzten  Jahrzehnten  den  Verkehr  um  ein  Bedeutendes  gesteigert 
haben.  Vordem  musste  sich  der  Malaie  arabischen  Segelschiffern 
anvertrauen,  die  ihre  Fahrzeuge  in  Singapura  überfüllten  und  es 
nicht  als  ein  Unheil  empfanden,  wenn  unterwegs  die  Masse  der 
Mitreisenden  durch  Epidemien  usw.  etwas  gelichtet  wurde.  Jetzt 
reisen  sie  mit  niederländischen  und  englischen  Dampfern  von  Ba- 
tavia, Padang  oder  Singapura  direkt  nach  Djiddah  oder  allenfalls 
nach  der  Quarantäne-insel,  wo  die  Ausbeutung  anfangt.  Einen  an- 
deren Zweck  als  die  Ausbeutung  hat  die  ganze  Quarantüne-einrich- 
tung  nicht;  sie  ist  aber  so  vortrefflich  organisiert,  dass  es  den  sa- 
nitären Autoritäten  in  Konstantinopel  gelingt,  sogar  die  höchsten 
medicinischen  Autoritäten  Europa’s  (die  mit  den  wirklichen  Ver- 
hältnissen des  Orients  unbekannt  sind  und  durch  flüchtige  Besuche 
auch  nicht  bekannt  werden)  von  den  heilsamen  Wirkung  ihrer 
Geldespressung  zu  überzeugen.  Wer  solche  Dinge  in  nächster  Nähe 
beobachtet,  verzweifelt  fast  an  der  Macht  der  Wahrheit.  Wiewohl 
nun  aber  die  Pilger  es  allmählich  als  eine  Bedingung  der  Wallfahrt 
betrachten,  dass  sie  zum  allgemeinen  Wohl  vor  dem  Eintritt  in 
Djiddah  einige  Zeit  auf  einer  ungesunden  Insel  eingesperrt  wer- 
den , wo  sie  alles  doppelt  bezahlen , auch  noch  Quarantänegebühren 
entrichten  müssen,  und  woher  sie  manchmal  Fieber  mitnehmen  '), 
so  ist  ihnen  doch  im  Ganzen  die  Reise  sehr  viel  bequemer  und 
sicherer  als  vor  30  Jahren. 

Mit  Unrecht  macht  man  der  niederländischen  Regierung  Vor- 
würfe darüber,  dass  sie  auf  diesem  Gebiete  die  Interessen  nieder- 
ländischer Dampfergesellschaften  möglichst  schützt,  weil  sie  dadurch 
indirekt  die  Zunahme  der  Pilger,  der  als  fanatisch  gefürchteten 
Haddji’s  *)  fördere.  Weiter  unten  werden  wir  sehen , wie  es  mit 
dieser  Schlussfolgerung  steht;  einstweilen  betonen  wir  aber,  dass 
die  einzige  Folge  der  Enthaltung  unserer  Regierung  hier  die  Ver- 


1)  Im  Mekka  sprechen  die  Malaien  geradezu  von  der  iiKamanrnkranHeif'  nach  der 
Insel  Knmcrän,  wo  aie  dem  Qunranhmesch winde!  unterworfen  werden.  Ueber  diesen 
Gegenstand  vergl.  Verhandll.  der  Ges.  f.  Erdk.  zu  Berlin,  Bd.  XIV,  S.  110 — 7. 

2)  Mit  dieser  im  Malaiischen  üblichen  Form  bezeichnen  wir  die  Pilger  aus  den  Djäwah- 
ländern. 


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drängung  unserer  Dampfer  aus  diesem  Erwerb  sein  könnte;  der 
Pilgerverkehr  würde  dadurch  nicht  geringer. 

Ihrerseits  versäumen  die  Mekkaner  keine  Gelegenheit,  die  aus 
den  Djäwah-ländern  zu  erzielenden  Vortheile  zu  vermehren.  Die 
//Schecke”  senden  ihre  Agenten1)  nach  allen  Richtungen  aus,  um 
Pilger  für  die  nächste  Wallfahrt  anzuwerben ; sie  versprechen  sol- 
chen Haddji’s,  die  durch  vieles  Hin-  und  Herreisen  mit  den  Ver- 
hältnissen vertraut  geworden  sind,  eine  gute  Belohnung  für  jeden 
Pilger,  den  sie  ihnen  zusenden,  und  beim  Abschiednehmen  bitten 
sie  die  Haddji’s  selbst,  ihnen  fernerhin  möglichst  viele  von  ihren 
Landsleuten  zu  schicken.  Ausserdem  reisen  aus  Mekka  Scherife  und 
Sejjid’s,  ganz  selten  auch  Schebl's,  ferner  Scheche  mystischer  Or- 
den und  Gelehrte  nach  jedem  Djäwah-lande , dessen  Zugänge  ihnen 
offen  stehen : als  Gäste  von  Fürsten  und  Regenten  führen  sie  einige 
Zeit  ein  ungenehmes  Leben  und  kehren  endlich  mit  reicher  Beute 
heim,  oder  als  Vertreter  der  Wissenschaft  und  der  Mystik  bekom- 
men sie  reichliche  Gaben  von  Leuten  der  unteren  Klassen,  die 
einige  Zeit  ihren  Unterricht  geniessen  oder  bloss  auf  flüchtigen  Be- 
suchen den  Segen  ihrer  Gebete  erkaufen.  Wenn  nicht  die  Regie- 
rung solchen  Unternehmungen  allerlei  Schwierigkeiten  entgegen- 
setzte , würde  der  malaiische  Archipel  von  solchen  Ausbeutern 
förmlich  überschwemmt.  Dies  wäre  in  politischem  Sinne  gefährlich , 
denn  obgleich  das  Ziel  der  religiösen  Freibeuter  nur  die  Füllung 
ihrer  Taschen  ist,  sehen  sie  doch  bald  in  der  europäischen  Ver- 
waltung und  überhaupt  in  fränkischen  Einflüssen  eine  ihnen  feind- 
liche Macht  und  widerstreben  derselben  heimlich  überall,  öffent- 
lich , wo  es  geht.  Zur  vollständigen  Erreichung  ihres  Ziels  müssten 
ja  sie  oder  ihre  Gönner  über  die  höchste  Gewalt  verfügen , während 
sie  sich  jetzt  der  peinlichen  Beobachtung  misstrauischer  Behörden 
zu  unterziehen  haben.  Ohnehin  verführt  die  Leichtgläubigkeit  der 
Volksmasse  in  den  Djäwah-ländern  fremde  Muslime  allzusehr  zur 
Anzettelung  religiös-politischer  Bewegungen,  und  wenn  die  Anfüh- 
rer Araber  sind , können  sie  dort  immer  eines  gewissen  Erfolgs 


1)  Auf  Java  sicht  man  diese  häufig  irrthümlich  für  r/Schf’che”  an. 


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sicher  sein.  Nur  deshalb  ist  die  Einwanderung  der  Hadhramiten 
in  Ostindien  weniger  gefährlich,  weil  an  ihrer  Wandersucht  die 
Religion  gar  keinen  Antheil  hat,  und  dennoch  werden  die  Araber- 
kolonien immer  mehr  ein  Element  bilden , dessen  Leben  und  Treiben 
man  ja  nicht  unbeaufsichtigt  hissen  darf. 

Während  nun  die  modernen  Verhältnisse  den  Pilgerverkehr  der 
Djäwah  lebhafter  als  früher  gestalteten,  haben  die  Besuche  arabi- 
scher Gelehrter , mystischer  und  anderer  Glücksritter  in  den  Djäwah- 
ländern  in  gleichem  Maasse  abgenommen , wie  die  Verwaltung  fak- 
tisch in  europäische  Hände  überging.  Als  die  Djäwah-reiche  noch 
selbständig  waren , bezeichnete  die  Ankunft  eines  angesehenen  Arabers 
manchmal  einen  Umschwung  auf  geistigem  Gebiete , wogegen  jetzt 
solche  Gäste , auch  wenn  sie  die  religiösen  Saiten  der  Djäwah-herzen 
zu  berühren  Vorhaben,  aus  Furcht  vor  der  Regierung  ihre  wahre 
Absicht  wo  möglich  mit  dem  Vorwand  von  Handelsgeschäften  ver- 
hüllen. 

Mag  die  Periode  noch  jung  sein,  wo  die  Djäwah-pilger  jährlich 
nach  Tausenden  gezählt  werden,  ein  einigermaassen  reger  Verkehr 
ist  gewiss  schon  über  zwei  Jahrhunderte  alt.  Die  Mekkaner,  deren 
Geschäfte  praktisch-psychologische  Studien  erfordern , brauchten  nicht 
so  viel  Zeit,  die  Eigenthümlichkeiten  der  Djäwah  überhaupt  sowie 
die  Merkmale  der  verschiedenen  Abtheilungen  dieser  Völkerfamilie 
kennen  zu  lernen.  Ihre  Beobachtung  bewährt  sich  am  besten  in 
den  einzelnen  Fällen , wo  sie  selbst  praktisches  Interesse  dabei  ha- 
ben , aber  auch  die  allgemeiner  gefasste  ßeurtheilung  hat  ihren 
Werth  für  die  Charakterisierung  der  Stellung  der  Djäwah  in  Mekka. 

Den  Ruf  der  Frömmigkeit  geniessen  sie  fast  allgemein,  trotzdem 
manche  im  Anfang  deutlich  zeigen , dass  ihnen  die  Grundlagen  tüch- 
tigen Religionsunterrichts  fehlen.  Darüber  sieht  man  hinweg,  weil 
alle  augenscheinlich  ohne  Nebenzwecke  die  heilige  Stadt  besuchen; 
sie  bringen  keine  Handelswaaren  mit,  bedrohen  niemand  mit  Kon- 
kurrenz, betreten  dagegen  das  heilige  Gebiet  mit  einem  Geldbeutel , 
den  sie  dort  zu  leeren  beabsichtigen;  wenn  sie  aber  längere  Zeit  in 
Mekka  zu  bleiben  gedenken,  so  setzt  sie  dazu  das  Erträgniss  ihrer 
Besitztümer  in  der  Heimath , eine  dort  verdiente  Regierungspension 


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oder  von  der  Familie  versprochene  jährliche  Geldsendung  in  den 
Stand.  Aeltere  Djäwah , die  sich  hier  auf  einige  Jahre  oder  fürs 
Leben  niederlassen,  wollen  ihre  letzten  Tage  auf  reinem  Boden  der 
Religion  widmen;  die  jüngeren  zieht  vorzüglich  das  heilige  Studium 
heran.  Solche  Gäste  Gottes  und  auch  die  Djäwah,  die  lediglich  das 
Haddj  und  den  »Besuch”  des  heiligen  Grabes  in  Medina  machen 
und  dann  heim  kehren,  zeichnen  sich  ausser  durch  naiven  Glauben 
auch  durch  redlichen  Wandel  aus.  Die  Ehrlichkeit  der  Djäwah  wurde 
in  Mekka  geradezu  sprichwörtlich:  während  z.  B.  der  mekkanische 
Kaufmann  nur  sehr  selten  ohne  genügende  Bürgschaft  einem  Frem- 
den die  Waare  zur  Ansicht  mitgiebt,  hiess  es  immer,  wenn  ein 
Djäwah  um  solche  Erlaubniss  bat : »es  ist  ein  Djäwah ; das  macht 
also  nichts  aus !”  *).  Wenn  sich  ein  Djäwah-diener  bei  dem  Vorsteher 
der  Marktpolizei  (Nfikim)  wegen  Uebervortheilung  oder  Betrug  von 
Seiten  eines  Verkäufers  beschwert,  glaubt  ihm  der  Iläkim  fast  im- 
mer aufs  Wort  und  lässt  den  Angeklagten  prügeln,  bis  er  einge- 
steht. Aus  diesen  Gründen  sind  die  Djäwah  der  unteren  Klassen 
als  freie  Diener  sehr  gesucht,  namentlich  die  Javanen,  weil  sie 
ausserordentlich  gefügig  und  folgsam  sind.  Ein  vornehmer  Javane 
nimmt  auf  eine  Reise  nach  Mekka  immer  mehrere  geringere  Lands- 
leute mit,  die  ihm  aufwarten  und  dagegen  auf  seine  Kosten  mit 
ihm  Zusammenleben.  Solche  Jünglinge  übernehmen  die  Mekkaner 
gern  als  Gehiilfeu  im  Pilgergeschäft  oder  als  Leibbediente;  der  Schech 
el-culamä  Ahmed  Dahlän  ging  niemals  ohne  Begleitung  eines  von 
seinen  beiden  treuen  Javanen  aus. 

In  den  letzten  Jahren  wird  jedoch  den  Djäwah  das  Lob  der 
Frömmigkeit  nicht  mehr  ohne  Vorbehalt  gespendet;  eben  die  Zu- 
nahme des  Verkehrs  hat  diesen  Rückschritt  verschuldet.  Von  heim- 
gekehrten Landsleuten  hören  die  jungen  Javanen , wie  bequem  sich’s 
in  Mekka  leben  lässt,  wie  leicht  man  dort  eine  schöne  Abyssinie- 
rinn  kaufen,  eine  Egypterinn  heirathen,  mit  einigen  hundert  Gul- 
den Einkommen  als  selbständiger  Bürger  in  der  muslimischen 
Grossstadt  wohnen  kann.  In  grosser  Zahl  sind  Jünglinge  mit  der- 


1)  Djawah  md  alchtch. 


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803 


artigen  Gelüsten  hergekommen,  und  als  die  ihnen  versprochenen 
Geldsendungen  einmal  ausblieben  oder  doch  ihrer  kostspieligen 
Lebensart  nicht  genügten,  borgten  ihnen  die  mekkanischen  Wu- 
cherer ohne  Scheu.  Sind  sie  doch  gewöhnt,  ihr  Geld  in  gewagter 
Weise  auf  Zinsen  zu  legen,  und  kannten  sie  keine  zuverlässigere 
Schuldner  als  die  Djäioah.  Aber  die  Schulden  häuften  sich,  die 
Zufuhren  hörten  auf,  und  schliesslich  kam  es  vor,  dass  ein  Gläu- 
biger seine  Djäwah-schuldner  einsperren  liess.  ln  einigen  Fällen 
veranlassten  solche  Maassregeln  die  Freunde  des  Bedrängten,  an 
dessen  Verwandte  eine  dringende  Bitte  um  Abhülfe  zu  richten ; 
allmählich  wurde  jedoch  dies  Mittel  durch  allzu  häufige  Anwen- 
dung wirkungslos.  Da  blieb  nun  den . Schuldnern  nichts  übrig,  als 
sich  aus  dem  Staube  zu  machen:  wo  möglich,  flohen  sie  nach 
Djiddah  und  reisten  dann  heimlich  mit  einem  Dampfer  nach  ihrer 
Heimath  zurück.  Dort  boten  ihnen  die  Verwandten  immerhin  Reis 
und  Wohnung,  aber  die  Kreditoren  bekamen  auf  alle  flehenden 
und  drohenden  Briefe  höchstens  ein  paar  fromme  Formeln  zur 
Antwort,  welche  die  Schuldner  sich  in  Mekka  angeeignet  hatten. 

Den  Leichtsinn  verziehen  ihnen  ihre  mekkanischen  Freunde  gern , 
solange  das  Geld  nicht  fehlte;  selbst  nährten  diese  ihre  Neigung 
zum  Prunk  und  zur  Verschwendung  und  setzten  die  unbedachtsa- 
men Djäwah  immer  neuer  Verführung  aus.  Als  nun  aber  die  Ge- 
schäfte ins  Stocken  geriethen , entdeckten  sie  auf  einmal  die  Schat- 
tenseiten des  Djäwah-charakters : viele  Malaien  setzten  sich  ohne 
Gewissensbisse  über  religiöse  Verpflichtungen  hinweg,  ihr  Verkehr 
mit  dem  schönen  Geschlecht  sei  allzufrei , sie  seien  dumm  und  eitel , 
und  sie  entbehrten  des  Ehrgefühls,  denn  sie  achteten  nicht  das  guten 
Freunden  verpfändete  Wort  und  entliefen  ihren  Gläubigern  wie 
Diebe.  In  ähnlichen  Urfheilen  spricht  die  Enttäuschung  lauter  als 
die  sittliche  Entrüstung,  denn  in  Mekka  steckt  durchschnittlich 
die  Hälfte  der  Bürger  in  Schulden , die  gar  nicht  alle  mit  Aussicht 
auf  Rückzahlung  eingegangen  sind ; aber  was  berechtigt  die  Djäwah 
zur  Nachahmung  solcher  schlechten  Beispiele? 

Dazu  kommen  andere  Beschwerden.  Von  den  in  Mekka  einge- 
bürgerten Djäwah  werden  manche  durch  die  mekkanische  Gewinn- 


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304 


sucht  angesteckt,  andere  aber  durch  schwere  Noth  gezwungen,  sich 
nach  Erwerbsquellen  utnzusehen.  In  dieser  Umgebung  Handel  zu 
treiben,  dazu  geht  den  meisten  die  nöthige  Ausdauer  und  Schlau- 
heit ab:  der  einzige  Djäwah,  den  ich  in  Mekka  als  Geschäftsdie- 
ner in  einem  Laden  sah,  war  ein  Atjeher,  und  alle  Welt  wies 
auf  die  Seltenheit  hin.  Es  giebt  Djäwah , die,  nachdem  sie  mehr 
oder  weniger  zu  Mekkanern  geworden  sind,  jedesmal,  wenn  ihr 
Geld  verbraucht  ist,  eine  Fahrt  nach  ihrer  Heimath  antreten,  um 
dort  auf  Rundreisen  die  mitgenommenen  Rosenkränze,  arabischen 
Bücher,  Wohlgerüche  usw.  zu  verkaufen  oder  ihre  mekkanische 
Gelehrsamkeit,  ihre  Mystik,  ja  manchmal  den  blossen  Geruch  der 
mekkanischen  Heiligkeit  finanziell  fruchtbar  zu  machen.  Andere 
fertigen  mit  ihrer  mekkanischen  Familie  Gegenstände  geringen  in- 
neren Wcrthes  an,  um  sie  jährlich  durch  Verwandte  in  der  Hei- 
math verkaufen  zu  lassen,  wo  sie  wegen  ihrer  Herkunft  einen 
hohen  Preis  einbringen:  so  habe  ich  einen  Schcch  gekannt,  dessen 
Harun  und  Knaben  ihre  Mussestunden  auf  das  Stricken  kleiner 
weisser  Mützen  {jAraqijjeh's , die  man  unter  dem  Turban  und  im 
Hause  auch  ohne  Turban  auf  dem  rasierten  Kopfe  trägt)  verwen- 
deten; jedes  Mützchen  im  Werth  von  ein  paar  Groschen  trug  ihm 
etwa  1 — 2 Dollars  ein. 

Als  natürlichste  Erwerbsquelle  bietet  sich  aber  den  in  Mekka 
ansässigen  Djäwah  die  Theilnahme  an  der  Ausbeutung  ihrer  pil- 
gernden Landsleute  dar.  Mehr  oder  weniger  haben  auch  schon  so 
von  jeher  die  hier  Eingebürgerten  von  den  aus  ihrem  Distrikt  zum 
Haddj  Gekommenen  Vortheile  genossen,  weil  diese  ihnen  als  Pfle- 
gern der  Wissenschaft  Gaben  darreichten  oder  ihnen  die  Summen 
aushändigten,  die  aus  dem  Nachlass  verstorbener  Verwandten  ab- 
gesondert waren,  um  stellvertretende  Pdger  damit  zu  besolden  und 
dergleichen  mehr.  Solche  Djäwah  aber,  die  ursprünglich  im  Dienste 
von  Landsleuten  nach  Mekka  kamen  oder  aus  Geldmangel  später 
z.  B.  ihren  »Schechen”  als  Lohndiener  zur  Seite  standen , erwarben 
sich  nach  und  nach  genug  lokale  Kenntnisse  und  Erfahrung,  um 
selbst  als  Scheche,  als  Führer  ihrer  Landsleute  fungieren  zu  kön- 
nen. Was.  ihnen  an  Schlauheit  und  Gewandtheit  im.  Vergleich  mit 


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305 


ihren  inekkanischen  Konkurrenten  fehlte,  das  hatten  sie  anderer- 
seits an  intimster  Bekanntschaft  mit  den  heimathlichen  Sitten  vor 
jenen  voraus.  Auch  verfügten  sie  über  ganz  andere  Verbindungen, 
die  ihnen  das  Anwerben  einer  beträchtlichen  Zahl  von  Pilgern  er- 
leichterten. Genug,  längst  bevor  die  Ordnung  eingeführt  wurde1), 
wonach  jeder  Schech  von  Djäwahpilgern  ein  auf  einen  bestimm- 
ten Distrikt  lautendes  Taqnr  (Licenz)  bekam , erfreuten  sieh  viele 
in  Mekka  wohnende  Djäwah  einer  Licenz  als  Pilgerschech,  die  sie 
mit  gutem  Erfolg  unter  den  Pilgern  aus  ihrem  Vaterlande  zu  ver- 
werthen  wussten. 

In  Mekka  steht  die  Fremdenführerschaft  an  sich  nicht  in  Zu- 
sammenhang mit  der  socialen  Stellung , die  ein  Pilgerschech  unter 
seinen  Mitbürgern  einnimmt:  zwischen  den  Scherifen,  denen  das 
Amt  zu  niedrig,  und  den  Djarrärin  und  ihresgleichen,  denen  es 
unerreichbar  ist,  liegen  viele  Schichten,  in  deren  jeder  Scheche  vor- 
handen sind.  Ist  ein  Bürger  reich  oder  vornehm,  so  steigt  er  kei- 
neswegs herab,  wenn  er  sich  eine  Licenz  als  Schech  erkauft:  auch 
ein  Vermögen,  das  er  als  Schech  verdient  hat,  gewährt  Einem 
Ansehen  und  Einfluss,  aber  wenn  das  Geschäft  schlecht  geht,  hat 
er  auch  nichts  von  dem  Titel  des  Metamoxf  oder  Scheck  HuJJjädj. 
Bei  den  Djäwah  ist  das  anders:  auch  ihre  Regenten-  und  Fürsten- 
söhne würden  das  Amt  des  Schcchs  nicht  annehmen,  und  ihre  Ge- 
lehrten rühmen  sich  desselben  nicht,  wenn  sie  es  hie  und  da  be- 
kleiden, aber  für  die  grossen  Volksklassen  der  Djäwah  enthält  die 
Licenz  einen  begehrenswerthen  Titel.  Den  Bewohnern  jener  entlegenen 
Länder  mit  ihrem  ausgesprochenen  Hang  für  Namen  und  Titel  klingt 
das  »angestellter  Schech  in  Mekka”  wundervoll  in  die  Ohren,  und 
den  besser  Unterrichteten  geht  es  damit  wie  manchen  vernünftigen 
Europäern  mit  in  Südeuropa  erkauften  Adelstiteln:  sie  wissen  zwar, 
das  alles  sei  für  viel  Geld  und  ein  bischen  Schlauheit  zu  haben , 
aber  sie  schauen  die  Träger  doch  mit  lächelnder  Verehrung  an. 

Die  Mitglieder  der  Djäwahkolonie  in  Mekka,  die  als  Fremden- 
führer mit  geborenen  Mekkanern  konkurrieren,  eignen  sich  natür- 


1)  Vergl.  oben  S.  100. 

II  S« 


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806 


lieh  viele  von  deren  schlechten  Charakterzügen  an;  auch  ohnedies 
wären  sie  ihnen  aber  schon  als  Mitbewerber  verhasst,  und  beeinflusst 
also  ihre  Thätigkeit  das  Urtheil  der  Mekkaner  über  die  Djäwah  in 
ungünstigem  Sinne.  Aus  den  angedeuteten  Umständen  ergeben  sich 
nun  allerlei  absprechende  Aeusserungen  über  die  Gäste  aus  dem 
fernen  Orient. 

Wenn  eine  Karawane  von  Djäwah-pilgern  in  Mekka  einzieht,  hört 
man  die  Gassenjungen  und  Eseltreiber  manchmal  mit  höhnenden 
Geberden  die  Wörter  manschen  (=  penljuri , malaiisch  »Dieb”)  oder 
tiwan  ( luwan , »Herr”)  ausstossen;  ähnlich  verfolgt  dieses  Gesindel 
aller  alle  weniger  vornehmen  Fremden  mit  seinem  Muthwillen , und 
die  Djäwah  führen  sich,  sofern  sie  sieh  noch  nicht  eingewöhnt  ha- 
ben, besonders  unbeholfen  auf.  Jeder  Mekkaner  weiss  davon  anek- 
dotenhafte Beispiele  zu  erzählen.  So  schärfen  z.  B.  die  Scheche  einer 
neu  angekommenen  Djäwah-gesellschaft , die  zum  ersten  Mal  in 
Begleitung  eines  Gehülfen  zum  Tatcfif  in  die  Moschee  gehen  soll , 
eindringlichst  ein , Jeder  habe  stets  das  Auge  auf  den  Führer  zu 
richten,  damit  er  sich  nicht  verirre  und  den  Pfuschern  anheirafalle. 
Dennoch  gelingt  es  diesen  fast  regelmässig,  von  einer  grösseren  Ge- 
sellschaft ein  paar  Pilger  zu  erbeuten:  sie  nehmen  den  einfältigen 
Djäwah  bei  der  Hand,  leiern  ihm  Gebete  vor,  und  wenn  er  sich 
dagegen  sträubt,  sagen  sie  ihm  auf  malaiisch,  sie  seien  Diener  der 
Ka'bah  und  leisteten  ihre  F'ührcrdienste  umsonst , liwadjh  illäh.  Nach 
Beendigung  des  Umgangs  machen  sie  aber  ihrem  Opfer  nicht  ohne 
drohende  Geberden  klar,  es  verdiene  die  Hölle,  wenn  es  sie  nicht 
ordentlich  belohne.  Viele  Mekkaner  behaupten , es  ereigne  sieh 
öfter,  dass  solche  Pfuscher  in  die  von  ihnen  vorgesagten  arabischen 
Gebete  feierliche  Eide  einflechten,  womit  sich  die  betrogenen  Djä- 
wah verpflichten,  "diesem  ihrem  B'ührer  z.  B.  4 Dollars  zu  geben”, 
und  dann  später  den  armen  Pilgern  mit  Gottes  Fluch  drohen,  falls 
sie  diesen  ersten , bei  der  Ka'bah  geschworenen  Eid  brechen  sollten ! 

Mit  ausgesprochener  Vorliebe  setzen  auch  die  mekkanischen  Ta- 
schendiebe (»Gürteldiebe”  sollte  man  eigentlich  sagen,  weil  man 
hier  Geld  usw.  im  Gürtel  bewahrt)  den  Djäwah  nach.  Wohlhabende 
Djäwah  kaufen  sich  nach  kurzem  Aufenthalt  gewöhnlich  einen  mek- 


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klinischen  Anzug,  wie  sie  denn  auch  nach  der  Rückkehr  in  ihre 
Heimath  einen  solchen  als  Abzeichen  ihrer  Haddji-würde  zu  tragen 
pflegen.  Man  erkennt  auf  den  ersten  Blick  die  Neulinge,  die  eben 
ihre  heimatliche  Tracht  durch  die  Djubbah,  den  zAntan  und  den 
inekkanischen  Turban  ersetzt  haben;  auch  die  Gassenjungen  erken- 
nen sie  und  lauern  auf  den  günstigen  Augenblick,  wo  der  Pilger 
in  eine  menschenleere  Gasse  einbiegt,  um  dann  hinter  ihm  her  zu 
schleichen,  ihm  die  neue  Kopfbedeckung  plötzlich  abzureissen  und 
sich  mit  der  Beute  aus  dem  Staube  zu  machen.  Einmal  liess  sich 
ein  Djäwah  auf  dem  Suq  el-harädj  (Rumpelmarkt)  von  einem 
Makler  überreden,  ihm  den  abgenutzten  Turban  eines  Moschee- 
eunuchen abzukaufen;  diese  Agha’s  tragen  thurmhohe,  um  bläu- 
liche sammtne  Mützen  gewundene  Turbane,  die  sich  von  anderen 
üblichen  Kopfbedeckungen  nicht  weniger  unterscheiden  als  die  alt- 
modischen dreieckigen  Hüte  von  unseren  heutigen  Moden.  Unser 
Malaie  zog  mit  dem  Agha-turban  auf  dem  Kopfe  durch  die  Strasse 
und  begriff  nicht,  warum  ihn  auf  dem  ganzen  Wege  eine  lachende 
Menge  umgab.  Wer  beobachtet,  wie  sich  Djäwah-pilger , die  bis 
dahin  nur  Reisfelder  und  Kaffeepflanzungen  gesehen  haben,  durch 
das  bunte  Gewimmel  der  internationalen  heiligen  Stadt  bewegen, 
kann  sich  über  den  Spott  der  Mekkaner  nicht  wundem.  Geht  ein 
Führer  ihnen  voran , so  folgen  ihm  die  Dutzende  ganz  wie  Schaafe 
dem  Leithammel;  die,  welche  vereinzelt  oder  in  kleinen  Gesell- 
schaften Spaziergänge  machen , sehen  mit  ihrem  halb  geöffneten 
Munde  und  ihrem  unsteten  Schritt  aus,  als  hätten  sie  den  Ver- 
stand verloren.  Ein  solcher  Wanderer  staunt  mit  weit  aufgesperrten 
Augen  die  Bude  eines  Melonenverkäufers  an.  Jeder  Verkäufer  spricht 
ein  paar  Worte  malaiisch,  zum  allerwenigsten  kennt  er  die  Zah- 
len. Der  Obsthändler  hält  also  dem  Fremden  eine  Melone  vor  und 
sagt:  lima  fuluh  tiwan')  //fünfzig  (DlwänT),  Herr!”  Trotz  unendli- 
cher Wiederholung  dieser  Worte,  mit  Hinzufügung  von  Empfeh- 
lungen wie  bagus , manu  //schön,  süss”,  gelingt  es  ihm  nicht,  dem 

1)  lima  puluh  iutean.  Die  Araber  sprechen  bekanntlich  das  malaiische  p als  / aus,  wie 
umgekehrt  die  Malaien  arabisches  f als  p. 


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staunenden  Gesicht  einen  Laut  zu  entlocken.  Boleh  tjoba  tuican  »man 
darf  (die  Melone  vor  dem  Kaufe)  schmecken,  Herr!”  heisst  es 
endlich  '),  aber  der  Malaie  fährt  immer  fort,  seine  Gefühle  zu 
verheimlichen.  Jetzt  nimmt  der  Händler  ein  Messer  und  sagt: 
nanti  saja  ( p)folong  »ich  will  (sie)  aufschneiden”,  in  der  Hoffnung, 
dass  ihm  darauf  wenigstens  mit  Ja  oder  Nein  geantwortet  werde. 
Da  die  Antwort  ausbleibt,  denkt  er  an  Schüchternheit  des  unaus- 
gesetzt auf  die  Melone  blickenden  Menschen , schneidet  sie  auf  und 
legt  ein  Stückchen  in  den  halb  geöffneten  Mund  des  seltsamen 
Besuchers.  Dieser  schneidet  die  undenkbarsten  Gesichter,  kaut, 
lächelt  und  ....  geht  ohne  ein  Wort  zu  reden  weiter.  Ist  es  ein 
Wunder,  dass  ihm  die  Worte  nachklingen:  »du  verfluchter  Djä- 
wah,  kehr’  zurück  zu  deinem  Djamban  *),  Allah  verfluche  dein 
Geschlecht!”  In  der  Mitte  der  belebtesten  Strassen  schreiten  diese 
Leute  langsam  umher,  ohne  im  Geringsten  auf  die  warnenden 
Ausrufe  der  Kameeltreiber  und  Eselreiter  zu  achten-,  »dein  Rücken, 
mein  Oheim ! pass  auf,  o Pilgerinn !”  *)  Vor  Ungeduld  schlagen 
ihnen  da  schliesslich  die  Leute  mit  dem  Stock  auf  den  Rücken 
und  schreien:  »weg!  o Djawah,  o Verdammter!”  *) 

Die  vernünftigeren  Vertreter  der  Rasse  fallen  wegen  ihrer  gerin- 
geren Zahl  und  zurückgezogenen  Lebensart  der  Masse  weniger  auf; 
nur  die  ungeschickten  Exemplare  dienen  zur  Begründung  der  öf- 
fentlichen Meinung  über  den  Typus.  Die  Djäwah  sind  Ferüchah '), 
sagen  oft  die  Mekkaner,  und  sie  haben  dabei  sowohl  die  Unbe- 
holfenheit  jener  Spaziergänger  als  den  Mangel  an  Ehrgefühl  im 
Auge,  den  die  früher  erwähnten  Schuldner  bethatigen,  indem  sie 
ihren  Gläubigern  trotz  der  zwischen  ihnen  bestehenden  Brot-  und 
Salzgemeinschaft  ohne  ein  Wort  der  Entschuldigung  entfliehen.  Schul- 

1)  Die  Melonenvcrkäufer  gestatten  häufig,  dass  man  eine  Melone  vor  dem  Kaufe  in 
ihrer  Gegenwart  aufschneide  und  schmecke;  ist  sie  schlecht,  so  behält,  sic  der  Händler, 
im  entgegengesetzten  Fall  muss  aber  der  Kunde  den  verabredeten  Preis  zahlen,  ob  die 
Frucht  nun  mehr  oder  weniger  seinen  Erwartungen  entspricht. 

2)  Malaiisch:  //Abtritt*. 

3)  dhahrak  ja  ’atnmi , aqht  jd  haddjdk! 

4)  tariq  jd  djawah  jd  malun! 

o . 

5)  Vulgärer  Plural  tu  ^ , /.gemeiner  Kerl”. 


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den  lassen  allerdings  auch  Nicht-malaien  oft  genug  unbezahlt;  die 
Art  und  Weise  aber,  wie  die  Djäwah  heimlich  davonschleichen, 
macht  den  Eindruck , als  fühlten  sie  sich  dieser  Gesellschaft  gegen- 
über nicht  zur  Beachtung  jener  Anstandsgesetze  verpflichtet , welche 
sie  doch  unter  sich  peinlich  befolgen.  Im  grossen  Ganzen  machen 
sie  daher  den  Mekkanem,  solange  sie  noch  fremd  sind,  den  Ein- 
druck von  Einfältigen;  sind  sie  aber  einmal  eingebürgert.,  so  weiss 
man  nie , ob  sie  nicht  eines  schönen  Tags  verduften , ohne  sich  viel  um 
die  ihnen  nachgesandten  Verwünschungen  zu  kümmern. 

Beide  Seiten  des  vulgären  Urtheils  über  die  Djäwah1 2),  die  gün- 
stige und  die  ungünstige,  stellen  sie  nun  aber  als  ausgesuchte  Ob- 
jekte der  Ausbeutung  dar;  thatsächlich  werden  von  allen  Pilgern 
die  Djäwah  am  gründlichsten  geschunden.  Dazu  tragen  die  Gelder- 
pressungen das  Ihrige  bei,  denen  die  Scheche  schon  vor  der  Messe 
von  Seiten  der  Regierung  unterzogen  werden;  dann  hat  aber  das 
rücksichtslose  Verfahren  dieser  Führer  noch  zugenommen,  seitdem 
die  neue  Ordnung  ihrer  Zunft l)  ihnen  von  vorne  herein  die  Pilger 
eines  bestimmten  Distrikts  sichert,  denn  sie  brauchen  sich  nun  um 
die  Gunst  ihrer  Kunden  weniger  zu  kümmern.  Für  vornehme  oder 
besonders  selbständige  Pilger  macht  man  zwar  eine  Ausnahme , 
aber  von  der  Hauptmasse  des  Pilgerviehs  wird  ohne  jede  Berück- 
sichtigung individueller  Wünsche  jedem  Schech  der  Theil  überge- 
ben, auf  welchen  die  von  ihm  erkaufte  Licenz  lautet. 

Gleich  in  Djiddah  fängt  die  Schur  der  Schaafe  an.  Dem  kleinen 
Aderlass , dem  die  Pilger  auf  der  Quarantäne-insel  unterzogen  wurden, 
folgt  hier  eine  Nachkur  auf  dem  Zollamt,  wo  ihnen  allerlei  Ge- 
schenke und  Geldstrafen  abverlangt  werden;  sodann  haben  sie  den 
»türkischen  Pass”  zu  bezahlen,  einen  Dollar  als  »freiwilligen  Bei- 

1)  Ein  übliches  Schimpfwort,  womit  die  mckkanischen  Gassenjungen  sic  begriissen, 
ist  noch:  »Schlangenfresser”  ik'lin  el-hanaich.  Ich  könnt«  nicht  ermitteln,  woher  diese 
Beschimpfung  stammt;  sic  muss  aber  schon  ziemlich  Bit  sein,  da  weder  Beschimpfer 
noch  Beschimpfte  sich  mehr  etwas  dabei  denken.  Eine  reine  Konjektur  ist  die  Erklä- 
rung, die  mir  ein  Sundancse  mittheilte,  arabische  Reisende  hätten  in  seiner  Hcimath 
gesehen,  wie  die  Leute  Aale  (die  Arten  bezeichneto  er  mir  mit  den  Namen  Mang 
und  lara)  fangen  und  essen,  und  weil  ihnen  diese  Thicre  unbekannt  waren,  in  Mekka 
die  Nachricht  rerbreitot,  die  Javanen  ässen  Schlangen. 

2)  Vcrgl.  oben  S.  99  IT. 


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trag”  zu  den  Wasserleitungen  der  heiligen  Stadt  und  ihres  Hafens 
zu  liefern , Bootsleute  und  Träger  zu  belohnen  die  ihre  Sachen  zum 
Bevollmächtigten  ihres  Schechs  befördert  haben.  In  dessen  Wohnung 
kommt  man  ihnen  um  so  freundlicher  entgegen,  je  höher  die  durch 
den  Umfang  ihres  Gepäcks  erregten  Erwartungen  die  später  dem 
Hausherrn  und  seinen  Dienern  zu  entrichtenden  Gaben  veranschla- 
gen. Zunächst  führt  man  sie  nun  zum  Grabe  Eva’s,  wo  sie  ausser 
ihnen  unverständlichen,  den  Begleitern  nachgesproeheuen  Gebets- 
formeln wieder  mehrere  Piaster  zurücklassen.  Bevor  sie  nun  aber 
im  Pilgergewand  die  Reise  nach  Mekka  antreten , wird  ihnen  manch- 
mal vom  Schech  oder  dessen  Vertreter  eine  eigenthümliche  Beichte 
abgenommen. 

Djäwah-pilger  bringen  zuweilen  mehrere  Päckchen  Geld  mit,  deren 
jedes  eine  eigene  Herkunft  und  Bestimmung  hat:  in  einem  sind 
z.  B.  100  Gulden,  die  ein  barmherziger  Vater  aus  dein  Wohnort 
des  Pilgers  seinem  verschuldeten  Sohne  in  Mekka  zuschickt,  im 
andern  ein  Geschenk  für  einen  Gelehrten  oder  Mystiker  von  einem 
Verehrer,  in  den  meisten  liefinden  sich  aber  Summen  (etwa  50 — 
150  Gulden),  die  vom  Nachlass  eines  Gläubigen  herstammen,  der 
seine  Pilgerpflicht  bis  zu  seinem  Tode  aufgeschoben  hat,  und  die 
also  für  die  Belohnung  von  Stellvertretern  bestimmt  sind.  Alle  der- 
artigen Geldsendungen  nennt  man  Amännh's  (Vertrauenssendungen) ; 
die  letztgenannten  aber  speciell  Bedel  haddji  ')  (Vertreter  beim  Haddj). 
Gewöhnlich  beabsichtigen  die  Ueberbringer , bekannte  Landsleute 
oder  sonst  gute  Freunde  mit  dem  Auftrag  der  Vertretung  zu  be- 
günstigen, auch  ertheilen  ihnen  die  Sender  wohl  einmal  genaue 
Befehle  in  Bezug  auf  die  Wahl  des  Bedel.  Man  kann  sich  deuken, 
wie  die  Mekkaner  nach  solchen  Bedel' s haschen , denn  das  Haddj 
machen  sie  schon  so  und  werden  nun  durch  den  Bedel  noch  reich- 
lich dafür  bezahlt.  Wenn  aber  ein  Schöch  die  Verfügung  über  meh- 
rere Bedcl’s  bekommt,  so  lässt  er  zunächst  seine  männlichen  Ver- 
wandten als  Stellvertreter  fungieren  und  behält  für  sich  von  jeder 

I)  Die  Malaien  sagen  vielfach  Badal j irrthümlich  hat  man  behauptet,  das  Wort 
Amt! nah  bezeichne  bei  den  Djawah  speciell  die  Sendungen  für  Stellvertreter  zum  Haddj. 
Sowohl  die  Summe  als  den  damit  belohnten  Vertreter  nennen  sie  Bedel. 


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Summe  eine  Courtage;  sodann  bezahlt  er  mit  anderen  Bedel’s  seine 
freien  Diener , und  die  übrigen  Aufträge  ertheilt  er  hungrigen  Freun- 
den, denen  er  etwa  die  Hälfte  des  von  ihm  empfangenen  Betrags 
aushändigt.  Recht  lebhaft  ist  das  Angebot  für  diese  leichten  Dienste : 
man  behauptet  aber.  Einige  Hessen  in  gesetzwidriger  Weise  das 
eine  Haddj , das  sie  im  Jahre  machen  können , für  mehrere  Bedel's 
gelten,  und  sicher  ist,  dass  mancher  Scheeh  eine  gewisse  Anzahl  der 
ihm  übertragenen  Bedel’s  vergisst. 

Sind  die  Pilger  einmal  in  Mekka  angekommen , so  ist  trotz  der 
peinlichsten  Einschränkung  ihres  Verkehrs  mit  Fremden  die  Gefahr 
vorhanden,  dass  sie  die  heissersehnten  Bedel-summen  über  den  vom 
Schech  um  sie  angelegten  Zaun  hinaus  Anderen  überreichen.  Das 
wäre  aber  schön,  sagt  der  Schech;  ich  sollte  um  theures  Geld  die 
Licenz  kaufen,  allerlei  Auslagen  machen,  allen  Bedürfnissen  der 
Pilger  genügen  und  schliesslich  mit  den  Abfällen  belohnt  werden, 
während  Andere  ohne  das  geringste  Verdienst  mit  den  schönsten 
Bissen  davonliefen?  Grösseres  Unrecht  kann  er  sich  nicht  denken, 
und  jedes  Mittel,  dem  vorzubeugen,  scheint  ihm  erlaubt.  Er  fragt 
also  jeden  seiner  Pilger,  ob  und  wie  viele  Bedel’s  er  mitgebracht 
hat,  und  räth  eindringlich,  ihm  alles  Geld  zur  Aufbewahrung  an- 
zuvertrauen, da  auf  dem  Wege  nach  Mekka  Beduinenräuber  seien 
und  in  der  heiligen  Stadt  selbst  Angriffe  anderer  Art  unternommen 
würden;  gegen  Alles  könne  man  sich  nur  durch  rückhaltloses  Ver- 
trauen auf  den  Schech  sichern.  Auf  Einwendungen  der  Pilger  er- 
wiedert  der  Schech  nach  den  Umständen;  sagt  Einer,  die  Bedel’s 
hätten  eine  genau  von  dem  Sender  festgesetzte  Bestimmung,  so 
antwortet  er  etwa , das  werde  sich  schon  in  Mekka  finden , oder 
die  Sender  könnten  aus  der  Ferne  nicht  beurtheilen,  wer  über- 
haupt als  stellvertretender  Pilger  zu  empfehlen  sei;  er  verspricht, 
möglichst  den  Wünschen  der  Betroffenen  gemäss  über  das  Geld  zu 
verfügen,  droht  aber  auch  schwachen  Naturen  mit  seinem  Uebel- 
wollen. 

So  bemächtigt  sich  der  Metawwif  der  meisten  Bedel’s  seiner 
Kunden,  und  es  gehört  ein  mehr  als  energisches  Auftreten  dazu, 
ihm  nach  der  Ankunft  in  Mekka  etwas  davon  zu  entreissen.  Er 


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will  ausserdem  auch  die  anderen  Araänah’s  (Geschenke,  zur  Schuld- 
tilgung bestimmte  Summen  usw.)  bewahren  und  deren  Bestimmung 
wissen:  wenn  das  Geschäft  gut  geht,  gelangt  keiner  der  Adressa- 
ten zu  seinem  Theilc,  ohne  vorher  dem  vermittelnden  Schech  seine 
Freundschaftsgebühren  entrichtet  zu  haben.  Es  lohnt  die  Mühe 
nicht,  die  Mittel  und  Wege  genauer  zu  beschreiben;  sie  wechseln 
je  nach  den  Leuten,  mit  denen  er  es  zu  thun  hat. 

Bevor  wir  einige  weitere  Daten  über  die  Ausbeutung  der  Djä- 
wahpilger  in  Mekka  mittheilen , sei  hier  eine  Operation  erwähnt , 
der  sich  einige  in  Djiddah  zu  unterziehen  haben.  Im  malaiischen 
Archipel  ist  bekanntlich  die  Beschneidung  auch  unabhängig  vom 
Islam  sehr  verbreitet  *).  In  einigen  Gegenden  hat  man  nun  aber 
selbst  nach  der  Bekehrung  die  altherkömmliche  Weise  der  Be- 
schneidung beibehalten;  schon  die  begleitenden  Cerenionien  weisen 
manchmal  auf  eine  Mischung  heidnischen  und  muslimischen  We- 
sens hin.  Das  Resultat  jener  Operationen  (sei  es  ungenügende 
Circumcmo  oder  blosse  Jncisio ) genügt  in  vielen  Fällen  den  An- 
forderungen des  Islam's  nicht*);  wenn  nun  solche  Ilalbbeschnittene 
zum  Haddj  kommen,  wünschen  sie  vor  dem  Einzug  in  das  heilige 
Gebiet  das  Fehlende  nachzuholen  und  lassen  somit  die  Barbiere 
ein  Stück  Geld  verdienen. 

In  Mekka  werden  die  Pilger  von  ihrem  Schech  ihren  Verhältnis- 
sen gemäss  einquartiert  in  seinem  eignen  Hause , in  leeren  Räumen , 
worüber  er  die  Verfügung  hat,  oder  in  Wohnungen  seiner  Freunde. 
Betreffs  der  Wohnung  und  der  Lebensbedürfnisse  genügt  es,  auf 
unser  Ist08  Kapitel  zu  verweisen , weil  die  Djäwah  in  dieser  Hinsicht 
nicht  anders  als  andere  Pilger  behandelt  werden.  Zwischen  der 
gleich  nach  der  Ankunft  vollzogenen  »kleinen  Wallfahrt”  ( zUmra/i ) 
und  dem  jährlichen  Haddj  liegen  für  einen  Pilger  mehrere  Monate , 
für  den  andern  nur  einige  Tage;  mag  dieser  Zeitraum  nun  länger 
oder  kürzer  sein,  die  Mekkaner  gewähren  den  Patienten  darin 


1)  Vergl.  IJr.  G,  A.  Wilken  »Do  bosnydenis  bij  de  volken  van  den  Indischen  Ar- 
chipel”, Bydragen  van  het  Koninklyk  Nedcrlandsch-Indisch  Instiluut,  4e  Volgreeks, 
X:  165  ff. 

2)  Es  soll  nämlich  die  ginnt  gänslich  offen  liegen. 


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kaum  einen  Augenblick  der  Ruhe  und  bestürmen  sie  allseitig  mit 
ihren  himmlischen  Waaren.  Von  den  zahlreichen  Völkertypen  mit 
ihren  verschiedenen  Sitten  und  Sprachen,  die  uns  unter  den  über 
20  Millionen  Muhammedanern  Ostindiens  entgegentreten,  sind  die 
meisten  bei  einem  ordentlich  besuchten  Haddj  vertreten.  Darum 
ist  denn  auch  die  Beschränkung  der  Thätigkeit  der  Fremdenführer 
auf  die  Bevölkerung  einer  Provinz  nicht  ganz  willkürlich , denn 
wer  z.  B.  mit  Buginesen  geschäftlich  viel  verkehrt  hat , ist  dadurch 
noch  gar  kein  geeigneter  Führer  für  javanische  Pilger  geworden. 
Was  von  den  Schechen  gilt,  ist  auch  auf  die  Anderen  anwendbar, 
die  auf  dem  Pilgermarkt  ihren  Lebensunterhalt  suchen : jeder  hat 
seine  speciellen  Kenntnisse,  die  er  nur  bei  einem  Theile  der  Djä- 
wah  verwerthen  kann. 

Etwas  malaiisch  sprechen  so  ziemlich  Alle,  die  sich  viel  mit  den 
Djäwah  beschäftigen,  einmal  weil  das  eigene  Gebiet  dieser  Sprache 
sehr  umfangreich  , dann  aber  auch , weil  in  manchen  Gegenden , 
wo  ein  ganz  anderer  Dialekt  gesprochen  wird,  das  Malaiische  doch 
den  Händlern  und  auch  dem  Islam  als  Verkehrs-  und  Bildungs- 
mittel dient.  Abgesehen  von  der  Insel  Java  bilden  die  Länder 
malaiischer  Sprache,  wie  der  grösste  Theil  des  muhammedanischen 
Sumatra,  die  malaiischen  Kolonien  Borneo’s,  die  Molukken,  die 
wichtigsten  Gebiete  für  den  Pilgerverkehr.  Aber  auf  Sumatra  wer- 
den sowohl  im  Reiche  Atjeh  im  Norden  als  in  den  südlichen 
Lampongschen  Distrikten  die  heiligen  Wissenschaften  in  malaiischer 
Sprache  gelehrt,  sofern  man  sich  nicht  zum  Studium  arabischer 
Schriften  emporschwingt;  in  der  Provinz  Batavia  herrscht  ein  ma- 
laiischer Dialekt  und  gebraucht  man  malaiische  Kitab’s;  eine  Ge- 
sellschaft javanischer  Pilger  aber,  aus  welchem  Theile  der  Insel  sie 
auch  herkommen  mag,  enthält  wohl  immer  Einen,  der  etwas  ma- 
laiisch spricht.  Letzteres  kann  man  überhaupt  von  den  meisten 
Djäwah-pilgern  sagen,  ob  nun  ihre  Muttersprache  makasarisch, 
buginesisch,  maduresisch  oder  einer  von  den  weniger  bekannten 
Dialekten  des  östlichen  Theiles  jener  Inselwelt  sei.  Die  grosse  Ver- 
breitung elementarer  malaiischer  Sprachkenntnisse  unter  den  Mek- 
kanem  zeugt  daher  von  der  hervorragenden  Stellung  der  ganzen 

II  40 


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Djäwah-rasse  auf  dem  Pilgermarkt.  Einzelne  Wörter  wie  türm  (aus 
mal.  terus)  und  burüm  (aus  mal.  burung ) sind  geradezu  in  die 
Umgangssprache  der  Mekkaner  übergegangen.  Ein  Wnbür  türm ') 
ist  ein  Dampfer,  der  direkt  von  Djiddah  nach  Batavia  fährt,  ein 
Rijäl  buriim  J)  ist  ein  mexikanischer  (Vogel-)dollar.  Die  Zahlen  und 
einzelne  kurze  Redensarten  kennt  fast  jeder  Gassenjunge  auf  ma- 
laiisch; etwas  mehr  verstehen  schon  die  auf  dein  Markte  sitzenden 
Verkäufer.  Wenn  die  Andacht  des  Sonnenuntergangs  in  der  Moschee 
zu  Ende  ist  und  die  Gläubigen  allmählich  aus  den  Hauptthoren 
des  Haram  hervortreten,  hört  man  die  Verkäufer  von  Lebensmitteln 
in  den  angrenzenden  Strassen  ihre  arabischen  Ausrufe  ’)  alle  Augen- 
blicke ins  Malaiische  übersetzen:  ihr  harr  jä  tesch  »/heiss,  oBrod!” 
wechseln  sie  mit  roti  jä  fanan , ihr  sukkar  ja  habhab  //Zucker,  o 
Wassermelone!”  mit  manis  jä  semangka  ab;  das  Vorwiegen  dieser 
malaiischen  Ausrufe  an  solcher  Stelle  beweist  nebenbei,  wie  treue 
Moscheebesucher  die  Djäwah  sind. 

So  oberflächliche  Kenntnisse  des  Malaiischen  ermöglichen  Einem 
nicht  viel  mehr  als  den  Verkehr  mit  den  Djäwah  auf  der  Strasse; 
zur  Anknüpfung  intimerer  Beziehungen  ist  einige  Fertigkeit  im  Ge- 
brauch der  Muttersprache  der  Betreffenden  erforderlich , damit  man 
sich  den  Pilgern  auch  ohne  Vermittelung  ihrer  des  Malaiischen  kun- 
digen Landsleute  nähern  kann.  Sogar  viele  Malaien  gewinnt  man 
nicht  ganz,  wenn  man  nur  das  Malaiische  kann,  wie  es  vorzüglich 
von  Nichtmalaien  gesprochen  und  von  vielen  Holländern  für  //ge- 
wöhnliches oder  gemeines  Malaiisch”  ausgegeben  wird ; gute  Freunde 
der  Bewohner  Mittelsumätra’s  z.  B.  werden  in  erster  Linie  die  Mek- 
kaner, die  deren  eigentümliche  Mundart  sprechen.  Wirklich  giebt 
es  kaum  eine  Sprache,  die  von  einer  bedeutenden  muhammedani- 
schen  Völkerschaft  Ostindiens  gesprochen  wird , welche  nicht  in  Mekka 
mehrere  Scheche  oder  Gehülfen,  Hausbesitzer,  Zemzeml’s  usw.  fer- 
tig sprechen.  Meister  auf  diesem  Gebiete  sind  die  Mekkaner,  die 
längere  Zeit  für  ihre  Geschäfte  in  der  Heimath  ihrer  Pilger  gewohnt 

1)  teru*  heisst  //gerade  aus,  direkt’*. 

2)  hurung  heisst  //Vogel”. 

3)  Vergl.  Mekk.  Spriehw.,  S.  64. 


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haben  und  herumgereist  sind  oder  aber  zu  Hause  eine  Frau  aus 
jenem  Lande  geheirathet  haben ; auch  ohnedies  leisten  jedoch  Manche 
Bewundernswerthes  in  diesen  praktischen  Sprachstudien,  deren  Fäidah 
(Vortheil)  ja  auf  der  Hand  liegt.  Geborene  Mekkaner  sprechen 
atjehsch  und  lampongsch , sundanesisch , javanisch , maduresisch , 
raakasarisch , buginesisch  fast  wie  ihre  Muttersprache  und  hand- 
haben diese  Instrumente  zur  Anstellung  ihrer  praktisch-psychologi- 
schen Studien , die  durch  die  zunehmende  Konkurrenz  für  die  richtige 
Ausübung  ihres  Gewerbes  immer  unentbehrlicher  werden. 

Im  vorigen  Kapitel  war  die  Rede  von  der  ausschliesslich  prakti- 
schen Richtung  der  Pflege  der  Geographie  in  Mekka:  die  ganze 
Aussenwelt  wird  von  den  Leuten  in  mehr  oder  weniger  ergiebige 
Pilgerdistrikte  eingetheilt.  Es  giebt  Mekkaner,  die  mehr  Namen  von 
Provinzen , Distrikten  und  Städten  des  malaiischen  Archipels  im 
Kopfe  haben  als  mancher  holländische  Schulknabe,  ohne  jedoch  zu 
wissen,  in  welcher  Richtung  all  die  Länder  liegen.  Wer  in  Djid- 
dah  bekannt  ist,  weiss,  dass  die  Djäwah-dampfer  nach  Süden  gehen 
und  wer  selbst  nach  den  Biläd  el-Djäwah  gereist  ist,  kennt  wenig- 
stens die  Entfernung  einiger  Orte  von  einander  und  von  Djiddah. 
ln  den  letzten  Jahren  ist  die  Zahl  jener  in  Mekka  bekannten  geo- 
graphischen Namen  bedeutend  vergrössert  durch  die  neue  Ordnung 
der  Zunft  der  Djäwah-scheche  '),  wonach  jeder  einen  Distrikt  zur 
Ausbeutung  bekommt.  Während  der  Vorbereitung  dieser  Reform 
hörte  man  manchmal  ergötzliche  Diskussionen.  Einmal  entbmunte 
ein  heftiger  Streit  zwischen  den  betreffenden  Schechen  über  die  Frage, 
ob  die  Landschaft  Kroe  auf  Sumatra  der  Provinz  Benkulen  oder 
den  Lampongschen  Distrikten  zuzuzählcn  sei.  Der  praktische  Hin- 
tergrund der  geographischen  Polemik  war  der,  dass  sowohl  die  Scheche, 
die  fernerhin  auf  die  Benkulen 'sehen  als  die,  welche  auf  die  Lam- 
pong’schen  Pilger  angewiesen  sein  sollten,  sich  Kroe’s  zu  bemäch- 
tigen wünschten.  Eigentlich  hatten  beide  Parteien  Recht,  denn  in 
ethnographischem  Sinne  ist  Kroe  Lampongsch,  die  niederländische 
Administration  hat  es  aber  der  Provinz  Benkulen  einverleibt;  die 


1)  Vcrgl.  oben  S.  99  L 


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Entscheidung  hatte  jedoch  der  Hauptschech  zu  treffen , der  von  den 
wirklichen  geographischen  Verhältnissen  keine  Ahnung  hatte  und 
daher  manchmal  seine  willkürlichen  Sprüche  mit  lächerlichen  Ar- 
gumenten begründete.  Ein  anderes  Mal  hatte  der  Zunftoberst  ein 
Gebiet,  woher  fast  ausschliesslich  eingewanderte  Buginesen  als  Pil- 
ger nach  Mekka  kommen,  einem  Schech  zugewiesen,  und  versprach 
nun  später  einem  andern  die  Buginesen  jenes  (nicht-buginesischen) 
Gebietes.  Da  beschwerte  sich  mit  vollem  Recht  der  erste  und  sagte , 
ihm  blieben  somit  nur  die  ungläubigen  Bewohner  jenes  Landes. 
Der  Klagende  war  nicht  einflussreich  und  wurde  vom  Zunftmeister 
mit  der  spottenden  Ausrede  abgefertigt:  »so  Gott  will,  bekehren 
sie  sich  einmal!”  Infolge  dessen  setzten  aber  nachher  die  Scheche 
jeder  mit  ihrem  Haupte  getroffenen  Verabredung  bezüglich  einer 
Gegend  die  Worte  hinzu:  // sammt  ihren  Betcohnern",  da  eine 
theuer  erkaufte  Licenz  für  ein  Land  ohne  Leute  für  sie  keinen 
Werth  hatte. 

Nicht  weniger  als  die  alten  Araber,  machen  sich  die  heutigen 
solche  fremde  geographische  Namen  erst  mundgerecht ').  So  heisst 
Atjeh  Jacht , Padang  Fädän,  Lampong  Lämfun,  Deli  Dili,  Lang- 
kat  Lanka t , Palembang  Felxmbän  usw.  Ob  kleinere  Distrikte  hier 
dem  Namen  nach  bekannt  sind,  das  hängt  lediglich  von  der  An- 
zahl oder  der  persönlichen  Bedeutung  der  dorther  pilgernden  Dj5- 
wah  ab.  So  ist  die  Landschaft  Rau  in  Mittelsumatra  viel  bekannter 
als  manche  andere,  an  sich  weit  bedeutendere.  Die  einzelnen  Leute 
bezeichnet  man  mit  der  Nisbahbildung  {Felimbäni , Fädäni  usw.) 
oder  man  setzt  dem  Namen  ihres  Landes  das  umfassende  Djäwah 
vor,  z.  B.  Djäwah  Funtiäna  (Leute  aus  Pontianak),  Dj.  Sambas, 
Dj.  Martafura  (Martapura)  usw.  von  Borneo,  Dj.  Mandura  (Ma- 
duresen),  Dj.  Böjän  *)  (aus  Bawean),  Dj.  Sumbäwa  (aus  West- 
Sumbäwa)  Dj.  Bima  (aus  Ost-Sumbäwa) , Dj.  Mekäsar  (aus  Ma- 
kiisar) ; die  Buginesen  heissen  schlechtweg  Bügia.  In  Mekka  ansässige 


1)  Aus  der  Zusammensetzung  Pu  lau  Pinang  (Pinanginsei)  machen  sie,  mit  Anspie- 
lung auf  das  arab.  Wort  filßl  »Pfeffer”,  FilfiUtn. 

2)  Von  dieser  Insel  kommen  jährlich  viele  Pilger;  ich  habe  den  Kamen  von  Java- 
nen  sowohl  ab  von  Arabern  immer  Böjän  sprechen  gehört. 


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DjSwah  werden  häufig  mit  ihrem  Eigennamen  und  dem  Namen 
ihres  Landes  (ohne  NUbah)  benannt , z.  B.  Abd  el-Q8dir  Kurintjl 
(aus  Korintji  auf  Sumatra)  Hasan  Lämfün  (aus  den  Lampongsehen 
Distrikten),  Ahmed  Banten  usw.  Am  besten  sind  die  Distrikte  der 
eigentlichen  Kulturländer  bekannt,  denn  die  übrigen,  die  Mekka 
jährlich  einige  unwissende  Pilger,  aber  niemals  Bürger  liefern,  er- 
regen nur  in  den  kleinen  Kreisen  Interesse,  die  sich  mit  den 
flüchtigen  Besuchern  abgeben.  Daraus  ergiebt  sich  schon,  dass  die 
einzelnen  Theile  .Java’s  sich  der  allgemeinsten  Bekanntschaft  erfreuen ; 
jede  Provinz  (»Residentie”)  und  fast  jede  Abtheilung  Java’s  ist 
auch  ausserhalb  der  Wallfahrtszeit  oft  der  Gegenstand  lebhafter 
Gespräche.  Man  vergleicht  den  Reichthum  der  einzelnen  Regenten- 
bezirke an  Pilgern,  die  Eigen thümlichkeiten  (namentlich  das  Maass 
der  Freigebigkeit)  der  Einwohner,  man  berechnet,  wie  viele  Haddji’s 
wohl  im  nächsten  Jahre  aus  dieser  und  jener  Gegend  zu  erwarten 
seien;  einheimische  und  fremde  Werber  reisen  dort  herum  und 
kehren,  wenn  sie  Glück  haben,  als  Icapala  djamnat  (Gesellschafts- 
führer) mit  einigen  Dutzend  Pilgern  zu  ihrem  Auftraggeber  in  Mekka ') 
zurück.  Nicht  bloss  nach  Distrikten  werden  nun  aber  die  Bewoh- 
ner Java’s  in  Mekka  eingetheilt,  sondern  man  unterscheidet  noch 
grossere  Klassen,  die  je  ihren  eignen  Charakter  haben,  aber  in 
erster  Linie  an  ihrer  Sprache  zu  erkennen  sind.  Die  einen  malaii- 
schen Dialekt  redende  Bevölkerung  der  Provinz  Batavia  nennt  man 
nach  ihrem  Wohnorte  Djäwah  Beläwi ; die  Einwohner  West-Java’s, 
deren  Sitten  einfacher,  deren  Auftreten  selbstbewusster  und  deren 
muslimisches  Bekenntniss  weniger  mit  Rudimenten  einer  vergange- 
nen Kulturperiode  vermischt  ist,  heissen  nach  ihrer  sundanesischen 
Sprache  Djäwah  Sunda,  während  die  eigentlichen  Javanen,  deren 
ganzes  Leben,  hier  mehr,  dort  weniger,  die  Spuren  der  durch 
politische  Einflüsse  scharf  eingeprägten  Traditionen  des  glänzenden 
Reiches  von  Mattiram  aufweist , mit  dem  seltsamen  Namen  der  Djäwah 


1)  Sehr  böse  ging  es  im  Jahre  1885  einigen  Schechen,  deren  Sendlingc  mit  guter 
Beute  heimkehrten,  da  sie  durch  die  inzwischen  in  Kraft  getretene  neue  Eintheilung 
genöthigt  wurden,  die  schwer  errungenen  Pilger  einem  glücklicheren  Kollegen  abzu- 
t roten ! 


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Meriki  bezeichnet  werden.  Mariki  heisst  im  Javanischen  //her!”  und 
der  Umstand,  dass  die  Mekkaner  aus  echt-javanischem  Munde  dies 
Wort  hörten,  wo  sonstige  Djäwah  das  jedem  Mekkaner  geläufige 
malaiische  Mari!  gebrauchen,  hat  dem  unbedeutenden  Worte  eth- 
nographischen Werth  verliehen. 

Wie  gesagt,  vor  dem  Haddj  werden  die  Djäwah-schaafe  nach 
- verschiedenen  Seiten  hin  gemolken.  Wie  die  anderen  Gäste  führt 
man  sie  zu  den  heiligen  Geburtshäusern  und  sonstigen  Erinnerungs- 
stätten, zun»  Ma'lä-friedhof,  wenn  die  Kn'bah  einmal  geöffnet  wird , 
in  dies  Heiligthum , und  überall  werden  sie  von  einem  Bettlerheere 
bestürmt,  gegen  welches  die  Führer  sie  auch  im  eignen  Interesse 
nur  massig  schützen.  Dies  alles  gehört  zu  den  allgemeinen  Acces- 
sorien  der  Wallfahrt,  mit  denen  wir  uns  hier  nicht  näher  beschäf- 
tigen, aber  einige  Ausbeutungsmethoden,  die  speciell  gegen  die 
Djäwah  Anwendung  finden,  verdienen  in  diesem  Zusammenhang 
Erwähnung. 

Den  meisten  Djäwah  fehlt  es  in  einer  internationalen  muhamme- 
danischen  Gesellschaft  an  der  nöthigen  Selbstachtung ; daraus  erklärt 
sich  zum  Theil  die  geringschätzende  Behandlung,  die  ihnen  oft  wi- 
derfährt. Ohne  jede  Kritik  ergeben  sich  die  Djäwah-pilger  der  Füh- 
rung ihrer  Metawwif’s;  sind  sie  nicht  Scheche  in  Mekka , der  Stadt , 
deren  Namen  dem  Malaien  fast  märchenhaft  in  die  Ohren  klingt? 
Javanische  Regenten  und  Söhne  malaiischer  Fürsten  küssen  die  Hand 
des  ersten  besten  arabischen  Dieners,  der  sie  im  Herzen  deswegen 
verspottet;  sie  thun  dies  nicht  deshalb,  weil  sie  die  Leute  als  mo- 
ralisch sich  überlegen  betrachten,  sondern  bloss  weil  ihnen  die  Re- 
ligion die  tiefste  Ehrfurcht  gegen  Alles,  was  zum  heiligen  Gebiete 
gehört,  zu  verlangen  scheint.  Erst  wenn  sie  längere  Zeit  in  Mekka 
sesshaft  gewesen  sind,  verlernen  sie  diese  thörichte  Selbsterniedri- 
gung, aber  solche  Lebensweisheit  gereicht  ihrer  Nation  nicht  zum 
Vortheil.  In  jener  ersten  Periode  glauben  sie,  gegen  das  reine, 
heilige  Mekka  sei  ihre  Heimath  einem  Misthaufen  gleichzusetzen, 
weil  die  äusseren  Formen  des  Lebens  hier  immer  an  das  muslimische 
Bekenntniss,  dort  vielfach  an  die  heidnische  Vergangenheit  erin- 
nern. Gleichsam  mit  Vorliebe  halten  diese  Leute  den  Schattenseiten 


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der  heimathlichen  Zustände  nur  die  Lichtseiten  der  mekkanischen 
entgegen  und  opfern  ohne  inneren  Kampf  jeden  patriotischen  Ge- 
danken , jede  Neigung  zu  heimischer  Sitte  dem  erhebenden  Bewusst- 
sein der  Zusammengehörigkeit  mit  dem  grossen  muslimischen  Reiche. 
Werden  sie  nun  bei  längerem  Aufenthalt  der  mekkanischen  Gesell- 
schaft einverleibt,  so  beurtheilen  sie  diese  freilich  viel  ungünstiger 
als  im  Anfang,  aber  die  Geringschätzung  ihres  Vaterlandes  nimmt 
dadurch  keineswegs  ab.  Während  sie  früher  zur  dürftig  beobachteten 
mekkanischen  Welt  ehrerbietig  hinauf  blickten , sehen  sie  nun  auf 
die  »unreine”  Gesellschaft,  der  sie  selbst  einmal  angehörten,  im 
stolzen  Bewusstsein  ihres  Fortschritts  hinab.  Sie  haben  es  somit 
sichselbst  zu  verdanken,  dass  die  Mekkaner  sie  erst  dann  als  völ- 
lig gleichberechtigt  behandeln,  wenn  es  ihnen  gelingt,  die  Spuren 
ihrer  Herkunft  fast  gänzlich  zu  verwischen. 

Selbstverständlich  bewirken  es  nun  die  Mekkaner,  dass  die  Ab- 
waschung der  heimathlichen  Unreinheit  der  Djäwah  nicht  umsonst 
geschieht.  Buchstäblich  thun  dies  die  Zemzeml’s:  ihnen  opfern  die 
Malaien  nicht  nur  die  gewohnten  Kosten  der  Stiftung  eines  oder 
mehrerer  Döraqi ')  und  etwa  einer  Matte  für  die  Moscheebesucher , 
sondern  sie  werden  auch  wenigstens  dreimal  gegen  Entrichtung  einer 
kleinen  Summe  durch  Uebergiessung  mit  dem  heiligen  Wasser  vom 
Schmutze  malaiischer  Luft  und  malaiischen  Bodens  gereinigt;  zuerst 
wenn  sie  in  Mekka  ankommen,  dann  vor  der  Abreise  zum  Besuche 
des  heiligen  Grabes  in  Medina  und  endlich  vor  der  Heimreise. 

Eine  heilige  Stätte,  die  von  den  meisten  Pilgern  besucht  wird, 
ist  der  Berg  Abu  Qubes,  dessen  Heiligkeit  bis  in  heidnische  Zei- 
ten zurückreicht.  Wie  alle  altarabischen  Heiligthümcr  und  Fetische , 
denen  der  Islam  die  Bedeutung  nicht  zu  nehmen  vermochte,  hat 
die  gläubige  Phantasie  auch  den  Abü  Qubes  mit  allerlei  Legenden 
ausgestattet,  welche  die  Wallfahrt  nach  demselben  legitimieren 
sollten,  und  diese  nur  theilweise  schriftlich  fixierte  Volksdichtung 
erlitt  im  Laufe  der  Zeit  immer  neue  Zusätze.  Auf  der  nördlichen 
Ecke  des  Abü  Qubes  steht  jetzt  eine  kleine  Moschee,  in  welcher 


1)  V«gL  üben  S.  «5—87. 


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320 


man  dem  Besucher  eine  Steinbildung  von  gleicher  Farbe  zeigt  wie 
der  berühmte  schwarze  Stein  '):  hier  soll  der  letztere  hergenommen 
oder  hier  während  der  Sintfluth  versteckt  gewesen  sein;  daher  die 
Spur,  die  man  den  Pilgern  zu  küssen  und  in  deren  Nähe  man 
ihnen  ein  QalSt  von  zwei  » Abtheilungen”  abzuhalten  empfiehlt. 
Auf  einer  andern,  etwas  vorspringenden,  Ecke  des  Berges  soll 
Abraham  gestanden  haben , als  er  nach  Vollendung  des  Ka'bahbaues 
mit  weittragender  Stimme  alle  Menschen  zum  Haddj  aufrief1 2 3 4); 
hier  sorgen  einige  Bettler  dafür , dass  ein  kleiner  umfriedigter  Raum 
immer  mit  weissem  Sand  bestreut  ist : die  Pilger  treten  herein , 
sagen  ihren  Führern  einige  Gebetsformeln  nach  und  rufen  laut  die 
Namen  ihrer  lieben  Verwandten  und  Freunde  in  der  Heimath.  So 
Gott  will,  soll  die  Wirkung  dieses  Aufrufs  an  heiliger  Stelle  die 
Folge  haben , dass  die  Betreffenden  einmal  zum  Haddj  kommen. 
Endlich  ist  aber  auf  dem  Berge  noch  eine  grosse,  ungefähr  vier- 
eckige Grube  in  den  Boden  gemauert,  deren  der  gelehrte  Qutb 
ed-dln  vor  mehr  als  drei  Jahrhunderten  mit  folgenden  Worten  s) 
gedachte:  »Oben  auf  dem  Berg  ist  eine  Cisteme,  welche  die  Men- 
» sehen  (als  heilig)  besuchen.  Es  ist  aber  keineswegs  das  Grab  Adams , 
»sondern  eine  Cisteme,  die  man  dort  in  alter  Zeit,  als  sich  noch 
»eine  Festung  auf  dem  Gipfel  des  Berges  befand,  zur  Aufnahme 
»des  Wassers  gebaut  hat.  Die  Leute  behaupten , dass  wer  am 
»Samstag  auf  dem  Berge  Abu  Qubes  gesottenen  (Schaafs-)kopf  ♦) 
»isst,  sein  Leben  lang  von  Kopfweh  befreit  bleibt;  darum  drän- 
»gen  sich  dort  die  Menschen  an  jedem  Samstagmorgen,  das  Heil- 
»mittcl  anzuwenden”. 

Seitdem  der  Chronist  Obiges  schrieb,  hat  man  die  Cisteme  für 


1)  Vergl.  Verhandll.  der  Ges.  f.  Erdk.  zu  Berlin,  Bd.  XIV,  S.  146. 

2)  Auch  zur  Weihung  des  r/Maqam  Ibrahim”  genannten  Steines  musste  die  Legende 
des  Aufrufs  dienen,  vorgL  mein  //Mckkaansche  Feest”,  8.  45 — 6. 

3)  C M III : 443. 

4)  Ucber  den  Verkauf  von  //Köpfen”  als  einen  besonderen  Erwerbszweig  in  Mekka 

vergl.  schon  Azraqt,  S.  456:  J-aaJ  ^yS  qLmJI  , und  etwas  weiter: 

; heutzutage  verkauft  man  auf  dem  Markte  fertig  gekochtes  yjj 

(vergl.  Mekk.  Sprichw.,  S.  52)  und  //Fässchen”  ; den  Verkäufer  nennt  man 


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821 


den  Ort  erklärt,  wo  der  Kasten  Noah ’s  gelandet  ist,  und  geniesst 
man  die  gekochten  Schaafsköpfe  in  der  Cisteme:  in  deren  Wand 
sind  einige  rohe  Stufen  ausgehauen,  auf  denen  man  hinabsteigen 
kann,  und  auf  dem  Boden  wird  für  jede  Gesellschaft  eine  Matte 
ausgebreitet.  Nicht  nur  am  Samstag,  sondern  an  jedem  beliebigen 
Tag  werden  solche  Mahlzeiten  veranstaltet;  seit  vielen  Jahren  sind 
aber  die  einzigen  Theilnehmer  die  Djäwah- pilger  *).  Natürlich  las- 
sen die  Scheche  sie  die  Köpfe  theuer  bezahlen  und  essen  selbst  den 
grössten  Theil  davon. 

Beispielsweise  sei  noch  eine  ähnliche  Sitte  erwähnt,  die  nur  von 
den  leichtgläubigsten  Djäwah  befolgt  wird.  Ein  wenig  nordöstlich 
von  Mekka  liegt  bekanntlich  der  kegelförmige  Berg  Hirä, jetzt  «Berg 
des  Lichts”  genannt.  Seine  aus  dem  Heidenthum  stammende  Hei- 
ligkeit hat  man  durch  mehrere  Legenden  zu  islaraisieren  gesucht:  1° 
Muhammed  soll  dort  seine  erste  Offenbarung  erhalten  haben;  2" 
der  Berg  habe  ihm  als  Zuflucht  gedient,  als  die  Feinde  ihm  nach- 
setzten *) ; 3°  er  habe  ihn  einmal  vor  den  sich  nähernden  Feinden 
gewarnt.  Eine  mündliche,  volksthümliche  Tradition  verlegt  nun  aus- 
serdem dorthin  die  bekannte  Geschichte,  wie  zwei  Engel  das  Herz 
Muhammeds  aus  seinem  Körper  herausnahmen  und,  nachdem  sie 
es  in  einer  goldenen  Schanle  gereinigt  hatten , wieder  an  seine  Stelle 
legten.  Zum  Wallfahrtsort  ist  der  Berg  den  meisten  Pilgern  gewor- 
den; nur  bei  den  Djäwah  gelang  es  aber  den  Mekkancm,  aus 
einer  albernen  Komödie  der  »Reinigung  des  Herzens”  eine  neue  Quelle 
des  Gewinns  zu  machen.  Damit  den  naiven  Leuten  ohne  herzzerreis- 
sende Operation  der  Segen  der  Nachahmung  des  Propheten  zu  Theil 
werde,  heisst  man  sie  einige  Datteln  auf  die  Brust  legen  und  die- 
selben mit  einem  arabischen  (dünnen,  runden,  biegsamen)  Brote 
bedecken.  Feierlich  schneidet  nun  ein  Pamsit  des  »Lichtbergs” 


1)  Im  Regierungskalcnder  des  Hidjäz  für  1303  heisst  es  denn  auch  auf  S.  155: 
»Qazwini  zählt  in  seinem  Buche  «die  Wunder  der  Schöpfung"  unter  den  Eigenschaften 
»des  Abu  Qubea  die  auf,  dass  wer  dort  gebratenen  (Schaa(s-)hopf  isst,  von  Kopfweh 
„frei  bleibt;  dadurch  ist  bei  vielen  Fremden  die  Begierde  erregt,  das  tu  thun,  namenl- 
nUch  bei  den  Djdtcahpilgern." 

3)  Das  Gleiche  wird  vom  südlichen  Berge  Thaur  erzählt,  woran  einzelne  Gelehrte 
Anstoss  genommen  haben,  CM  III:  447. 

II  41 


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322 


das  Brot  entzwei  und  holt  im  Namen  Allahs,  des  allbarmherzigen 
Erbarmers,  die  das  Herz  darstellenden  Datteln  heraus.  Die  dabei 
gesprochenen  Gebete  werde  mit  dem  Brot,  den  Datteln  und  einem 
Geldgeschenk  bezahlt.  Betonen  wir  jedoch,  dass  ein  bedeutender 
Theil  der  Djäwah  sich  von  diesem  Spiele  fern  hält. 

Zur  gründlichen  Abwaschung  der  angeborenen  Unreinheit  bedarf 
es  aber  für  die  Djäwah  noch  einer  wichtigen  Handlung:  der  Um- 
änderung ihrer  Eigennamen.  Dass  Fremde,  die  sich  in  Mekka  nie- 
derlassen , ihr»;  dem  arabischen  Munde  unaussprechlichen  Namen  in 
arabische  umändern  oder , weil  sie  hier  incognito  leben  wollen , 
einen  anderen  Namen  annehmen , ist  gar  keine  Seltenheit.  Die  Djä- 
wah erhalten  aber  in  Mekka  alle  einen  neuen,  arabischen  Namen, 
ob  sie  nun  bloss  zum  IJaddj  oder  zum  längeren  Aufenthalte  ge- 
kommen sind.  Zum  Theil  mag  dies  eine  Folge  der  einheimischen 
Sitte  sein , bei  wichtigen  Abschnitten  des  Lebens  (z.  B.  bei  der  Ehe 
oder  dem  Antritt  eines  neuen  Amtes)  den  Namen  zu  wechseln  *); 
die  Mekkaner  haben  aber  auch  aus  dieser  Neigung  Vortheile  er- 
zielt. Sie  haben  bei  den  Djäwah  den  Wunsch  erregt,  die  Namens- 
änderung feierlich  durch  eine  gewissermaassen  geweihte  Person  vor- 
nehmen zu  lassen,  damit  sich  daraus  reicherer  Segen  ergebe;  es 
versteht  sich , dass  der  neue  Name  dann  aber  auch  ein  Geldgeschenk 
an  den  Geber  erfordert.  Vor  langer  Zeit  sollen  vorzüglich  drei  Män- 
ner sich  der  Benennung  der  Djäwah  gewidmet  haben : ein  Mufti  der 
Schäßiten  (wer  dies  Amt  bekleidet,  gilt  überhaupt,  aber  besonders  den 
Djäwah , als  die  höchste  geistliche  Autorität  der  heiligen  Stadt) ; ein 
Imam  der  Moschee,  unter  dessen  Leitung  viele  Djäwah  sich  in  der 
kunstgerechten  Recitation  der  Fät’hah  zu  üben  pflegten,  und  ein  Rejjis, 
d.  h.  Oberhaupt  der  Mu’eddins , zugleich  Astronom  der  Moschee , 
welcher  Beamte  von  jeher  bei  feierlichen  Gelegenheiten  mit  dem 
lauten  Singen  von  Gebetsformeln  im  oberen  Stockwerke  des  Zem- 
zemgebäudes  beauftragt  ist.  Die  Nachfolger  jenes  Muftis , die  Erben 
jenes  Imäms  (zugleich  seine  Nachfolger  im  Quränunterricht)  und  die 
Nachkommen  jenes  Rejjis  (die  von  dem  Amte  bloss  den  Familien- 

1)  Vergl.  Prof.  P.  J.  Veth,  Java,  I:  641 — 8. 


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323 


namen  »Rejjis”  behalten  haben)  beanspruchen  nun  in  gleichem 
Maasse  das  Recht,  Djäwahgesellschaften  zur  feierlichen  Namens- 
änderung in  ihrem  Hause  zu  empfangen.  Alle  drei  stellen  den 
Umgetauften  Zeugnisse  aus,  worin  sie  mit  ihrer  Unterschrift  be- 
stätigen, dass  Haddji  N.  N.  aus  dein  Orte  X.  von  jetzt  an  den 
Namen  Z.  zu  tragen  habe;  der  schäfi'itische  Mufti  lässt  sich  sogar 
zur  Erleichterung  der  Arbeit  Formulare  drucken,  sodass  er  nun 
bloss  je  den  alten  und  den  neuen  Namen  einzuschreiben  hat.  Bei 
der  Wahl  der  neuen  Namen  richten  sie  sich  nach  dem  eigenthiim- 
lichen  Geschmack  der  Djäwah;  diese  haben  nämlich,  ausser  für 
die  üblichsten  muhammedauischen  Namen  (Muhammed,  Ahmed, 
Ali,  Hasan,  Husein,  Abu  Bekr,  Omar,  Othmän,  Abdallah  usw.) 
eine  besondere  Vorliebe  für  die  Namen  berühmter  muslimischer 
Gelehrten,  woher  man  denn  auch  unzählige  Malaien  findet,  die 
etwa  SchSfi'I,  Räfi'I , Nawawl,  Senüsl,  Ghazäll,  Scherblnl1)  usw. 
heissen. 

Wenn  solche  Pilger  bei  der  Geburt  Namen  erhalten  haben, 
die  ihre  Muttersprache  oder  etwa  ursprünglich  dem  Sanskrit  an- 
gehören, so  hat  die  Aenderung  wenigstens  den  vernünftigen  Sinn, 
dass  die  Mekkaner  sie  fortan  mit  Namen  anreden  können  und  dass 
ihre  Namen  nicht , wie  das  mit  den  einheimischen  oft  der  Fall  ist, 
in  arabischen  Kreisen  zum  Spott  Anlass  geben.  Man  denke  z.  B. 
an  das  gerade  in  den  vornehmsten  javanischen  Namen  häufig  l>e- 
gegnende  Wort  KusumS,  welches  jeden  Araber  an  die  allergomeinste 
Form  der  Abfertigung  in  ihrer  Muttersprache  {Kuss  ummuh  u pu- 
dendum  matris  istius”)  erinnert,  und  dergleichen  mehr.  Aber  auch 
den  zahlreichen  Djäwah,  die  schon  von  ihrem  Vater  einen  arabi- 
schen Namen  bekommen  haben , wird  hier  dennoch  ein  neuer  bei- 
gelegt, und  so  edle  Namen  wie  Ahmed  usw.  etwa  in  Ghazäll  usw. 
umgeändert.  So  verführerisch  wirkten  die  Geschenke,  dass  man  zu- 
letzt in  Medina  angefangen  hat,  die  Namen  der  bereits  in  Mekka 
umgetauften  Djäwah  bei  ihrem  Besuch  des  heiligen  Grabes  aber- 
mals umzuändem.  Seitdem  die  bequeme  Austheilung  von  Namen 

1)  Im  Djawah-munde  werden  diese  Namen  natürlich  in  verschiedener  Weise  ent- 
stellt (Sapfngi  oder  Sapi’i,  Rapingi  oder  Rapi’i,  Nawdwi,  GadjuLi,  Sarbini  usw.). 


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824 


zum  einträglichen  Geschäft  wurde,  hat  die  Regierung  den  Mitglie- 
dern der  neuen,  kleinen  Zunft  befohlen,  sich  mit  Taqrirs  (Licen- 
zen)  zu  versehen,  ohne  welche  also  die  Konkurrenz  als  Pfuscherei 
betrachtet  wird;  ja,  es  war  einmal  die  Rede  davon,  dass  die  ge- 
druckten Formulare  von  Seiten  der  Behörden  den  drei  Konkurren- 
ten gegeben  werden  sollten,  die  dann  für  jeden  verbrauchten  Zet- 
tel einen  bestimmten  Betrug  zu  entrichten  hätten. 

Einmal  war  ich  bei  dem  Mufti  Ahmed  Dahlän  zum  Besuch, 
als  man  eine  Gesellschaft  von  dreizehn  neuer  Namen  bedürftigen 
Pilgern  aus  Kediri  (Java)  anmeldete.  Sie  kamen  in  Begleitung  ihres 
Schechs;  die  Wahl  zwischen  den  drei  Konkurrenten  wird  für  die 
meisten  Pilger  von  ihren  Schechen  getroffen,  und  der  Begünstigte 
ist  deswegen  wohl  genöthigt,  dem  Schech,  der  ihm  Pilger  zuführt, 
eine  Courtage  auszuzahlen.  Ceteris  paribu«  ist  der  Mufti  bei  Wei- 
tem im  Vortheil,  denn  seinem  Einfluss  in  Mekka  und  der  Ach- 
tung, die  sein  hohes  Amt  bei  den  Djawah  geniesst,  haben  der 
Imam  Ahmed  Fiiqlh  und  Ali  Rejjis  nicht  viel  entgegenzusetzen. 
Dafür  versprechen  die  Letzteren  ihren  Gönnern  einen  grösseren 
Antheil  an  der  Beute,  manchmal  sogar  die  Hälfte,  während  der 
Mufti  dem  Schech  nur  eine  kleine  Gabe  überreicht.  Die  dreizehn 
Leute  aus  Kediri  traten  in  das  kleine  Zimmer,  wo  ich  neben  dem 
Mufti  auf  den  Karäunt ')  sass,  und  setzten  sich  nahe  der  Thür. 
Einen  nach  dem  Andern  hiess  der  Schech  zum  Mufti  gehen;  krie- 
chend, als  wagten  sie  es  nicht,  zur  heiligen  Majestät  emporzublicken , 
kamen  sie  dem  Befehle  nach  und  küssten  dann  die  lederne  Hand 
des  Greises.  Der  Alte  fasste  Jeden  bei  der  Hand  und  sagte  ihm 
das  muslimische  Glaubensbekenntniss  vor,  welches  der  Patient  mit 
bebender  Stimme  wiederholte.  « Wie  ist  dein  Name?”  hiess  es  auf 
arabisch;  auf  die  dem  Pilger  unverständliche  Frage  gab  der  Schech 
die  Antwort.  Sofern  die  Namen  javanisch  klangen,  schrieb  sie  der 
Mufti  gar  nicht  fehlerfrei  nach.  Kaum  konnte  sich  der  Mufti  vor 
Lachen  halten,  als  Einer  sagte,  sein  Vater  habe  ihm  den  Namen 
Abd  Manüf  gegeben  (der  den  Diener  des  alt&rabiachcn  Götzen 

1)  Yergl.  oben  S.  40. 


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325 


Manäf  bezeichnet);  er  fragte  noch,  ob  er  nicht  eigentlich  Abd 
el-Mannän  heisse,  aber  die  Antwort  war  unzweideutig  verneinend. 
Natürlich  hatte  der  javanische  Vater  in  Unwissenheit  gesündigt. 
In  zehn  Minuten  waren  Alle  mit  neuen  Namen  versehen  und  hat- 
ten ihre  Plätze  bei  der  Thür  wieder  eingenommen.  Mann  für  Mann 
krochen  sie  nun  abermals  zum  Greise,  der  neben  seinem  Sitze  ein 
kleines  Tuch  ausgebreitet  hatte;  indem  sie  ihm  zum  Abschied  die 
Hand  küssten,  legten  sie  je  ihren  Dollar  unter  das  Mendil,  schli- 
chen rückwärts  und  gingen  zur  Thür  hinaus.  Mit  heuchlerischer 
Miene  stellte  sich  der  Schech,  als  wollte  er  seinen  Pilgern  ohne 
Weiteres  folgen,  wurde  aber  vom  Mufti  zurückberufen.  »Man  hat 
mir  erzählt,  es  seien  aus  Kediri  25  Pilger  gekommen”  sagte  der 
Mufti.  »Bei  Allah,  mein  Schech,  das  mag  auch  wohl  sein,  aber 
»dann  sind  die  übrigen  12  meinem  Kollegen  N.  N.  zugewiesen 
»worden , denn  bei  Gott  dem  Grossen  und  in  Gott  dem  Edlen  ') , 
»ich  habe  bloss  diese  13  bekommen;  sonst  hätte  ich  sie  alle  zu 
»dir  geführt.”  — »Nun  gut,  also  nimm  dies”  und  hiermit  über- 
reichte er  dem  Schech  2 Dollars  von  den  13  unter  dem  Tuche 
liegenden.  »Allah  lohne  dir  Gutes”;  und  damit  war  die  Feierlich- 
keit zu  Ende. 

Wenn  wir  die  Durchschnittspilger  von  den  Djäwah  auf  allen  Wegen 
begleiten  wollen,  so  bleibt  uns  jetzt  (abgesehen  von  den  eigentli- 
chen Wallfahrtsceremonien  und  den  möglichst  zahlreichen  täglichen 
Umgängen  um  die  Ka'bah  und  Galats  in  der  Moschee)  noch  etwa 
dreierlei  zu  erwähnen  übrig.  Während  die  bisher  besprochenen 
Handlungen  von  ungefähr  allen  Haddji’s  vorgenommen  werden , ha- 
ben für  die  jetzt  zu  beschreibenden  Beschäftigungen  nur  diejenigen 
Zeit , die  schon  vor  oder  kurz  nach  dem  Ramadhan  eintreffen , oder 
aber  nach  dem  Haddj  noch  einige  Wochen  in  Mekka  bleiben.  Von 
den  Djäwah , die  sich  auf  längere  Zeit  niederlassen , soll  erst  weiter 
unten  die  Rede  sein. 

Einige,  die  wochenlang  vor  dem  Haddj  unter  der  Obhut  eines 
frommen  Pilgerschechs  in  Mekka  leben , werden  von  dem  Schech 

1)  Waliähi  'l-'azim  wabillahi  'l-karim , eine  in  Mekka  sehr  übliche  Form  des  Fides. 


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selbst  (dies  namentlich,  wenn  die  Pilger  seine  Landsleute  sind)  oder 
auf  dessen  Betrieb  von  einem  kundigen  Landsmann  in  die  gesetz- 
lichen Vorschriften  bezüglich  der  Wallfahrt  eingeführt.  Dabei  legt 
man  ein  malaiisches  oder  in  einer  andern,  den  Betreffenden  ver- 
ständlichen Sprache  geschriebenes  Manäsikbuch  ')  zu  Grunde.  Man 
vergesse  nicht,  dass  bei  Weitem  die  meisten  Pilger  in  das  heilige 
Land  kommen  ohne  eine  Vorstellung  von  den  Ceremonien,  aus  denen 
sich  die  grosse  und  die  kleine  Wallfahrt  zusammensetzen.  Viele 
kehren  sogar  als  Haddji’s  in  dieser  Hinsicht  so  klug  heim  wie  zuvor  ä). 
In  ziemlich  grossen  Schaaren  werden  sie  Tag  für  Tag  durch  die 
Stadt  gehetzt,  von  einem  heiligen  Orte  zum  andern;  die  Ceremo- 
nien macht  man  ihnen  leidlich  genau  vor,  die  Ilersagung  der  For- 
meln geschieht  schon  etwas  weniger  gewissenhaft,  weil  die  Fremden 
doch  fast  nichts  davon  verstehen,  aber  wer  hätte  in  jenen  unruhi- 
gen Wochen  Zeit,  den  Einzelnen  die  Bedeutung  der  Verrichtungen 
auch  nur  oberflächlich  zu  erklären  ? Woher  soll  der  Djäwah  erfahren , 
dass  die  Besuche  der  unzähligen  Kuppeln  und  Erinnerungshäuser, 
der  Eintritt  in  die  Ka'bah,  die  Uebergiessung  mit  Zemzem  usw. 
gar  nicht  zur  obligatorischen  Wallfahrt  gehören?  Jedenfalls  werden 
ihm  seine  Führer  dies  nicht  erzählen,  denn  wahrscheinlich  wäre 
dann  die  Theilnahme  an  den  ermüdenden  Spaziergängen  geringer, 
und  das  würde  den  Einnahmen  der  Freunde  des  Führers,  somit 
auch  diesem  selbst  schaden.  Viele  Pilger  behalten  von  den  Stra- 
pazen eines  Tages  nur  eine  sehr  verwirrte  Erinnerung,  worin  ent- 
setzliches Gedränge,  Zusammenstösse  und  Schreie,  Hitze  und  Durst 
einen  bedeutenden  Platz  einnehmen.  Dass  Alles  richtig  gewesen  sein 
wird,  glaubt  er  seinem  Scheche  aufs  Wort,  aber  von  ihm  verlange 
man  keine  detaillierte  Beschreibung.  Schon  aus  diesem  Grunde  war 
die  Anstellung  der  Haddji-prüfungen , die  früher  in  Niederländisch- 
Indien  von  Regierungsbeamten  abgehalten  wurden,  ganz  unzweck- 


1)  Vergl.  oben  S.  292  f. 

2j  So  erklärt  sieh  die  Thatsache,  dass  Burckhardt , der  selbst  die  „kleine  Wallfahrt” 
machte,  diese  ganz  unrichtig  beschreibt,  als  wäre  die  Vorbereitung  zu  derselben  der 
Hauptbestandteil,  und  dass  er  sowie  Burton  als  die  Hauptsache  des  Haddj  oine  //Pre- 
digt” darstcllen,  welche  gar  nicht  atattündet 


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massig.  Sehr  gewissenhaft  verfahren  also  die  Scheche,  die  ihrer  Pil- 
gerheerde vorher  die  Mittel  geben , die  zu  verrichtenden  Ceremonien 
als  Theile  eines  rituellen  Ganzen  zu  verstehen.  Für  solche  Djüwah , 
die  schon  längst  vor  dem  Ramadhan  angekommen  sind,  halten  ihre 
kundigen , in  Mekka  sesshaften  Landsleute  auch  wohl  Vorträge  über 
die  Fastengesetze. 

Der  zweite  geistige  Gewinn,  zu  dessen  Erlangung  viele  Djäwah 
einen  kurzen  Aufenthalt  in  Mekka  benutzen,  ist  die  Verbesserung 
ihres  Quränvortrags.  Den  malaiischen  Sprachorganen  wird  die  rich- 
tige Recitation  nach  den  Kunstregeln  ausserordentlich  schwer;  dazu 
kommt,  dass  in  manchen  Gegenden  der  Djäwahländer  die  kundigen 
Lehrer  fehlen.  In  wenigen  Wochen  bringt  man  es  in  der  Qiräjeh 
freilich  nicht  allzu  weit;  man  kann  aber  wenigstens  die  in  jedem 
Qalät  einige  Mal  zu  recitierende  Fät’hah  (l,,e  Sarah)  unter  guter 
Leitung  ordentlich  vortragen  lernen.  Für  den  Unterricht  in  der 
Qirajeh  werden  in  der  ganzen  muhammedanischen  Welt  die  Lehrer 
bezahlt;  die  Autoritäten  der  Gesetzeskunde  sagen  ausdrücklich,  den 
Qurän  dürfe  man  für  Geld  lehren  oder  vortragen  (z.  B.  bei  feier- 
lichen Gelegenheiten) , und  solche  Beschäftigung  sei  sehr  empfehlens- 
werth.  Darum  feiern  die  Quränlehrer  nicht,  solange  es  etwas  zu 
verdienen  giebt,  und  einige  Faqih'a  in  Mekka  sind  geradezu  Spe- 
zialitäten in  der  Dressur  der  Djäwahpilger,  die  vor  oder  nachdem 
Haddj  hier  einige  Zeit  verbleiben.  Die,  welche  viel  Zeit  oder  be- 
besonders  günstige  Anlagen  haben,  bringen  wohl  ein  ganzes  Djuz 
des  Quräns)  oder  wenigstens  mehrere  kleine  Suren  fertig;  sonst 
verwenden  sie  etwa  alle' Vormittage  eine  Stunde  auf  den  Vortr.ig 
der  Fiit'hah,  bis  sie  diese  zur  Befriedigung  ihrer  arabischen  Lehrer 
herausbringen.  Unter  diesen  Lehrern  erfreut  sich  der  oben ')  er- 
wähnte Imäin , Ahmed  Fiiqlh , des  grössten  Zulaufs ; ihm  ist  es 
deshalb  sehr  angenehm,  wenn  die  manchmal  schon  alten  Schüler 
nach  der  ersten  Sürah  aufhören,  weil  er  so  Zeit  gewinnt,  neuen 
Schülern  vorzusingen,  und  die  meisten  Geschenke  gerade  in  der 
ersten  Lehrperiode  gegeben  werden. 


1)  S.  322. 


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328 


Endlich  melden  sich  Viele  bei  einem  mystischen  Schech  an , um 
in  der  kürzesten  Weise  in  seine  Tariqah  aufgenommen  zu  werden  ')• 
Natürlich  beschrankt  sich  die  Einweihung  in  solchen  Fällen  auf 
die  Aeusserlichkeiten , die  Dikr'a,  Wird 's,  viele  gemeinschaftliche 
Uebungen  und  einzelne  Tawädjuh's  mit  dem  Schech,  kurz  soviel 
von  den  im  vorigen  Kapitel  beschriebenen  Erziehungsmitteln,  als 
nöthig  scheint,  um  die  Leute  auf  das  Gelöbniss  des  Gehorsams 
vorzubereiten.  Die  oben  ’)  erwähnten  Scheche  Challl  Pascha  (der 
aus  Daghustan  stammt)  und  Suleiman  Efendi  sowie  ein  anderer 
Challl  (Efendi)  haben  zahlreiche  »Munds”  im  ganzen  malaiischen 
Archipel;  zum  Theil  haben  sie  den  Unterricht  eines  von  diesen 
drei  Schechen  selbst  genossen,  die  Uebrigen,  die  nicht  zum  Haddj 
gekommen  waren,  sind  von  den  Chalifah’s  in  die  Genossenschaft 
aufgenommen,  die  jeder  Schech  in  Ostindien  angestellt  hat.  Na- 
mentlich auf  Sumatra,  Westjava  und  Südbomeo  blühen  die  drei, 
nur  durch  die  Personen  der  in  Mekka  sesshaften  Scheche  getrenn- 
ten Zweige  der  Naqschiböndl-bruderschaft , aber  auch  weiter  östlich 
und  südlich  leben  viele  zerstreute  Brüder,  und  in  den  englischen 
Straits  Settlements  soll  diese  Tariqah  ein  reges  Leben  entwickeln. 
Hier  finden  sich  viele  Elemente  zusammen,  die  aus  den  niederlän- 
dischen Besitzungen  verbannt  sind  oder  sich  wegen  der  hemmen- 
den Bestimmungen  über  die  Zulassung  fremder  Orientalen  nicht 
hineinwagen;  auch  halten  sich  manche  von  Mekka  nach  Ostindien 
Fahrende  auf  der  Durchreise  hier  auf.  Für  die  religiöse  Bewegung 
in  Ostindien  sind  jene  Punkte  daher  sehr  beachtenswerth , und 
dass  man  sich  dort  nicht  auf  die  abstrakte  Religionslehre  beschränkt, 
das  hat  uns  der  traurige  Atjehkrieg  gelehrt. 

Sehr  viele  nach  mystischem  Segen  begierige  Djäwah,  namentlich 
zahlreiche  Javanen , wenden  sich  aber  auch  in  der  heiligen  Stadt  vor- 
zugsweise an  einen  Landsmann , der  ihnen  als  Führer  auf  dem  Wege 
zu  Allah  dienen  kann.  Zwar  haben  auch  Suleiman  und  Challl 
mehrere  Gehülfen,  die  aus  den  Djäwah  ländern  stammen,  und  wird 
diesen  ein  guter  Theil  des  Unterrichts  überlassen,  aber  recht  ge- 

1)  Vergl.  oben  S.  281 — 5.  2)  S.  210  ff. 


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329 


müthlich  befinden  sich  die  Djäwah  doch  erst  in  einer  Bruderschaft, 
deren  Haupt  sie  in  ihrer  Muttersprache  anredet.  Unten  werden  wir 
sehen,  dass  diesem  Bedürfnisse  in  der  Djäwahkolonie  zu  Mekka 
völlig  entsprochen  wird. 

Die  grosse  jährliche  Wallfahrt,  das  lladdj , nimmt  nur  etwa 
sechs  Tage  in  Anspruch.  Die  Reise  von  Mekka  nach  Muna  (dt  2 
Stunden)  und  von  dort  nach  ‘Arafat  (±  4 Stunden)  wird  den  Pil- 
gern für  arabische  Verhältnisse  sehr  bequem  gemacht;  das  wirre 
Durcheinander  kleiner  und  grosser  Karawanen,  die  ungewöhnliche 
Pilgerkleidung  usw.  machen  das  Glanze  jedoch  für  Neulinge  ziem- 
lich anstrengend.  Natürlich  haben  die  Djäwah  ordentlich  zu  zahlen 
für  die  Kameele,  die  sie  sammt  dem  nöthigen  Gepäck  nach 
dem  heiligen  Thal  und  der  heiligen  Ebene  befördern,  für  den  Ge- 
brauch eines  Theils  des  von  ihrem  Führer  mitgenommenen  Zeltes, 
für  die  in  ‘Arafat  und  Muna  abgehaltcnen  Mahlzeiten;  ausserdem 
ermuntert  man  sie  aber  zur  Schlachtung  möglichst  vieler  Hammel. 
Man  erklärt  ihnen,  nicht  bloss  das  eigentliche  Festopfer  ( Qurbän ) 
könne  man  in  Muna  darbringen  und  Uebertretungen  des  Pilgerge- 
setzes durch  Opfer  sühnen , sondern  man  erwerbe  sich  grossen  Lohn , 
wenn  man  an  heiliger  Stätte  auch  für  sich  und  seine  Verwandten 
die  wahrscheinlich  vernachlässigten  'Aqtqah- opfer  ')  schlachte.  All- 
mählich ist  es  sogar  zur  Gewohnheit  geworden,  den  Djäwah  ein- 
fach eine  Geldsumme  zum  Qurbän  und  zum  ‘AqTqah  abzuver- 
langen, ohne  ditss  man  später  genau  berechnet,  wie  viele  Hümmel 
im  Namen  jedes  Pilgers  geopfert  sind.  Die  Häute  der  immerhin 
zahlreichen  Muna-opfer,  welche  man  nach  dem  heiligen  Gesetze 
nicht  verkaufen  darf,  bilden  nichtsdestoweniger  einen  Exportartikel 
für  Europa.  Mehrere  kleine  Prellereien , denen  bei  den  grossen  Haddj- 
versammlungen  die  Djäwah  wie  die  übrigen  Pilger  ausgesetzt  sind, 
können  wir  übergehen. 

Unsere  bisherige  Darstellung  dürfte  genügen,  vorsichtige  Leser 
zu  einem  Urtheil  über  die  Bedeutung  des  Haddj  für  das  religiöse 
Leben  Ostindiens  zu  befähigen,  sofern  die  flüchtigen  Besucher  Mekka’s, 


1)  Yergl.  oben  S.  137. 

11  42 


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die  eben  nur  zum  Haddj  kommen,  dabei  betheiligt  sind.  Man  hüte 
sich  vor  dem  allzu  üblichen  Generalisieren!  Diese  Kunst  verstehen 
unsere  »Kenner”  ostindischer  Zustände  trotz  dem  Besten  : von  einem 
Residenten,  der  oft  mit  Haddji’s  in  unliebsame  Berührung  kam, 
hört  man , die  Haddji's  seien  die  Plage  der  einheimischen  Gesell- 
schaft, sie  reizten  die  Eingeborenen  zur  Widerspänstigkeit , säten 
Fanatismus  und  Europäerhass  usw. ; ein  anderer,  den  der  Zufall 
mit  gefügigen  Haddji’s  zusammengebracht  hat,  dem  solche  z.  B.  als 
sehr  brauchbare  »Jungen”  gedient  haben,  entgegnet,  das  alles  sei 
Erfindung  ungeschickter  Kollegen , denn  wer  mit  den  Haddji’s  zu 
verkehren  wisst;  (wie  der  Redende),  lerne  sie  als  recht  solide  Leute 
kennen.  Alle  gehen  von  der  falschen  Hypothese  aus,  die  Haddji’s 
als  solche  hätten  einen  eigenen  Charakter. 

Leser,  die  nicht  mit  den  Zuständen  Niederländiseh-Indiens  be- 
kannt sind , dürften  sich  über  jenen  Irrthum  der  Regierungsbeamten 
wundern;  er  hat  aber  eine  sehr  begreifliche  Ursache.  Allerlei  Um- 
stände haben  in  jenem  Archipel  dem  Haddji-titel  einen  vornehmeren 
Klang  verliehen,  ab  vielleicht  in  einem  andern  lande  der  Fall 
sein  dürfte:  die  weite  Entfernung  von  Arabien,  die  vor  der  Zeit 
der  Dampfer  der  Wallfahrt  viele  Hemmnisse  entgegensetzte;  die 
späte  Islatnisierung  der  Djäwahländer , wegen  derer  im  Binnenlande 
die  Kenntnisse  von  den  Vorschriften  des  Gesetzes  und  deren  Be- 
folgung sehr  dürftig  sind,  sodass  Jeder,  der  auch  nur  kurze  Zeit 
in  einem  muslimischen  Kulturcentrum  gelebt  hat,  dort  als  Autori- 
tät gilt;  die  Sitte  der  meisten  Djäwah pilger,  sich  nach  ihrer  Heimkehr 
durch  Nachahmung  der  Tracht  arabischer  Städter  von  ihren  Lands- 
leuten zu  unterscheiden  und  meistens  auch  etwas  treuer  als  die 
Masse  der  »kleinen  Leute”  die  rituellen  Religionspflichten  zu  erfül- 
len; diese  und  ähnliche  Verhältnisse  haben  namentlich  auf  Java, 
aber  auch  auf  den  anderen  Inseln,  die  Haddji's  gewisserinaassen 
zu  einer  von  der  übrigen  Bevölkerung  verschiedenen  Klasse  erhoben. 
Sie  lebten  und  leben  theilweise  auch  jetzt  noch  auf  Kosten  ihrer 
Landsleute,  die  nicht  den  heiligen  Boden  betreten  haben;  das  aber- 
gläubische Volk  legt  von  ihnen  zubereiteten  Amuleten  einen  hohen 
Werth  bei  und  meint  vielfach,  ein  Haddji  müsse  zweifelsohne  aus 


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831 


Mekka  mehrere  Elmu's  (‘Jim;  geheime  Künste)  mitgebracht  haben. 
Der  grosse  Unterschied  /.wischen  denen , die  lediglich  das  IJaddj  und 
die  üblichen  Accessorien  durchgemacht  haben,  und  solchen,  die 
ein  jahrelanger  Aufenthalt  in  Mekka  zu  Theilhabem  an  der  ara- 
bisch-inuhainmedauisehen  Kultur  gemacht  hat,  entzieht  sich  der 
Beobachtung  der  Djäwah  in  den  Binnenländern.  Aus  alledem  lässt 
sich ’s  erklären , dass  die  Regierungsbeamten , die  das  religiöse  Leben 
der  Eingeborenen  immer  nur  oberflächlich  kennen  lernen , die  Haddji’s 
als  eine  Art  Geistliche  betrachtet  haben ; da  nun  aber  früher  manche 
Djäwah  sich  ohne  Berechtigung  den  Haddjititel  beilegten,  führte 
jener  Irrthum  die  Regierung  ferner  zu  der  thörichten  Einrichtung 
des  Pilgerexamens,  das  noch  dazu,  aus  den  oben  angegebenen  Gründen, 
gar  nichts  zur  Beseitigung  des  Missbrauchs  beitragen  konnte. 

Es  begreift  sich,  duss  die  ungeheure  Zunahme  der  Pilgensahl  in 
den  letzten  Jahrzehnten  auf  die  Dauer  jenes  Ansehen  der  Haddji’s 
herabdrücken  muss.  Schon  jetzt  hat  sich  diese  Wirkung  so  bemerk- 
bar gemacht,  dass  manche  Beamte  sich  deswegen  freuten  und  vom 
weiteren  Zunehmen  des  Verkehrs  die  Beseitigung  der  verwünschten 
Haddji-einflüsse  erwarteten.  Wenn  nur  noch  die  arabische  Tracht 
von  der  Regierung  verboten  werde  *) , hiess  es , so  könne  man  das 
Weitere  ruhig  der  Zeit  überlassen.  Alle  derartigen  falschen  Schluss- 
folgerungen sind  auf  die  falsche  Prämisse  zurückzuführen,  dass  die 
Wirkungen,  welche  von  Mekka  als  muslimischem  Centrum  aus 
sich  über  Indonesien  verbreiten , bloss  oder  doch  hauptsächlich 
durch  Vermittelung  'der  Masse  des  * Pilgerviehs”  zur  Geltung 
kämen.  Zur  richtigen  Würdigung  der  Erscheinungen  des  muslimi- 
schen Lebens  in  Ostindien  ist  aber  ein  tieferes  Eindringen  noth- 
wendig,  als  wozu  die  Stellung  der  Regierungsbeamten  Gelegenheit 
bietet;  namentlich  sind  dabei  die  bisher  so  gut  wie  unbekannten 
Verhältnisse  der  Djäwah-kolonie  in  Mekka  zu  berücksichtigen. 

Alle  Bedeutung  der  Tausende  von  Haddji’s  im  ostindischen  Ar- 
chipel für  das  Leben  ihres  Volkes  zu  leugnen,  wäre  freilich  nur 


1)  Dios  wäre  insofern  folgerichtig,  als  die  Regierung  von  allen  Einwohnern  Ostin- 
diens verlangt,  dass  sie  sich  nur  in  ihre  Nationaltracht  kleiden;  die  Tracht  der  west- 
arabischen  Städter  ist  nun  einmal  als  Uniform  der  Haddji's  officiell  anerkannt. 


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832 


eine  Umkehrung  der  von  uns  bekämpften  Uebcrtreibung  in  ihr 
Gegentheil.  Wiewohl  viel  hundert  der  jährlich  heimkehrenden  Pil- 
ger nicht  einmal  genaue  Bekanntschaft  mit  den  Haddjceremonien 
von  der  Reise  heimbringen,  ohne  tiefe  Eindrücke  von  einer  bis 
dahin  unbekannten  Welt  kehren  doch  nur  die  allerdümmsten  Djäv, 
wah  aus  Mekka  zurück.  Die  religiös-politische  Gewalt  des  Islam’s, 
welche  ihnen  vorher  nur  aus  den  populären  Legenden  über  die 
graue  Vorzeit  und  aus  den  märchenhaften  Erwartungen  bezüglich 
der  Endzeit  bekannt  war,  hat  sich  ihnen  als  in  der  Wirklichkeit  vor- 
handen offenbart.  Daheim  hörten  oder  lasen  sie  von  dem  grossen 
Sultan  von  Rüm  (Konstantinopel) , dem  die  "sechs  ungläubigen 
Sultane”  unterworfen  und  zinspfliehtig  seien,  allein  sie  bemerkten 
im  Leben  nicht  das  Geringste  von  seiner  Allmacht.  Ihre  in  Mekka 
ansässigen  Landsleute  behalten  meistens,  auch  nachdem  sie  welt- 
klug geworden  sind,  jene  naive  Vorstellung  von  den  europäischen 
Verhältnissen  bei;  sie  lernen  zwar,  dass  es  eigentlich  mehr  als 
sechs  ungläubige  Sultane  gebe  und  dass  die  Unterwürfigkeit  gegen 
den  muslimischen  Hauptsultan  bisweilen  zu  wünschen  übrig  lasse, 
aber  sie  bleiben  dabei,  dass  eine  ungläubige  Macht  nur  ihrer  Ver- 
tretung in  Stambul  eine  gewisse  Bedeutung  verdanke ').  Sie  be- 
stärken also  die  Söhne  ihres  Landes,  die  als  Pilger  zu  ihnen 
kommen,  in  dem  ersten  Eindruck  des  Erstaunens  über  die  that- 
siichliche  Grösse  des  Islam’s.  Nicht  weniger  als  daheim  giebt  es 
hier  Soldaten,  aber  solche,  die  das  Galat  verrichten;  die  Beamten 
der  hiesigen  Regierung  befolgen  zwar  manchmal  eine  Methode , die 
den  Wünschen  der  Bevölkerung  schnurstracks  zuwiderläuft,  aber 
sie  sind  Muslime  und  fürchten  Allah.  Ueberall,  in  den  Strassen 
und  in  der  Moschee  waltet  eine  Autorität,  die  sich  von  Allahs 
Willen  herleitet;  viel  glänzender  als  hier,  soll  sich  die  erhabene 
Regicrungsgewalt  in  Konstantinopel  offenbaren,  worüber  einige  we- 

])  Wenn  in  mekkanischen  Kreisen  von  einer  bisher  wenig  bekannten  europäischen 
Macht  die  Hede  ist  (wie  e.  B.  von  Italien  anlässig  der  Niederlassung  an  der  Küste 
des  Rothen  Meeres  in  Abyssinien),  so  heisst  es  gleich:  traralu  hlambül  »sind  sie  bis 
nach  Konstantinopel  gekommen  (d.  h.  haben  sic  eine  Gesandtschaft  beim  Sultan  der  Welt)?” 
Von  den  Chinesen  sagen  die  Mekkaner  oft,  sie  bildeten  eigentlich  kein  Reich,  denn 
mä  wagtthl  Istanbul. 


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333 


nige,  vielgereiste  Djäwah  zu  berichten  wissen  nach  dein,  was  sie 
aus  der  Ferne  beobachten  konnten.  Ja,  Mekka  ist  der  geistige, 
Stambul  der  materielle  Mittelpunkt  der  Welt,  und  im  Hinblick 
auf  jene  beiden  Centra  gehören  alle  gläubigen  Djäwah  zusammen. 
t Schon  auf  der  Seereise  und  mehr  noch  in  Mekka  begegnen  sich 
Djäwahpilger  aus  den  verschiedensten  Gegenden  des  Archipels;  ihr 
Gedankenaustausch  erhält  höhere  Bedeutung  dadurch , dass  ihre  in 
Mekka  sesshaften  Landsleute  demselben  eine  bestimmte  Richtung 
verschaffen.  In  einer  sehr  gemischten  Djüwah-gesellschaft  erkundigt 
sich  z.  B.  ein  in  Mekka  wohnender  Javane  bei  den  anwesenden  At- 
jehem  nach  dem  Laufe  der  Dinge  in  ihrer  Heimath.  Die  Ant- 
wort lautet,  sie  hätten  die  verwünschten  Holländer  beinahe  hin- 
ausgejagt und  würden  gewiss  einmal  damit  fertig.  Ein  in  Regie- 
rungsämtern ergrauter,  pensionierter  Javane  meint,  das  Verhalten 
der  Atjeher  sei  unvernünftig:  »Europäer  müssen  uns  nun  einmal 
beherrschen,  das  steht  in  Allahs  Rath;  wozu  dann  die  Holländer 
hinauswerfen,  Geld  und  Blut  vergeuden,  um  schliesslich  an  ihrer 
Statt  Engländer  als  Herrscher  zu  bekommen?”  Die  Atjeher  ent- 
gegnen höhnend,  solche  Feigheit  der  Javunen  vermehre  eben  den 
Uebermuth  der  Käßra ; bei  ihnen  kämpfe  man  auf  dem  Wege 
Gottes,  und  trotz  den  teuflischen  Kriegsmaschinen  der  Christen 
hätten  sie  Tausende  von  diesen  in  die  Hölle  geschickt.  »Gerade  so 
wie  jetzt  die  Sudanesen  es  mit  den  Engländern  machen”  fügt  ein 
in  Mekka  ansässiger  Djäwah  hinzu.  »Hört”,  sagt  ein  Atjeher, 
»wie  unverkennbare  Wunder  Allah  zu  unserem  Heile  wirkt;  in 
»Kemäla,  bei  unserem  Sultan,  lebt  ein  Knabe,  der  auf  der  Brust 
»ein  zweites  Gesicht  hat,  ähnlich  wie  am  Kopfe;  jedesmal,  wenn 
»et wies  gegen  den  Holländer  unternommen  wird,  befragt  man  vor- 
»her  das  zweite  Gesicht  ; schlägt  es  die  Augen  auf  und  ruft  der 
»obere  Mund : Man  für  (Siegreich !) , so  ist  man  des  Sieges  gewiss; 
»macht  dasselbe  hingegen  die  Augen  zu,  so  bleibe  man  daheim, 
»denn  es  wird  nichts  aus  dem  Unternehmen.”  Ein  zweiter  weiss 
Grösseres  zu  erzählen:  »es  giebt  bekanntlich  einzelne  Holländer1), 


l)  Desertierte  Kolonialsoldaten. 


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//die  den  wahren  Glauben  annehmen  und  zu  uns  herüberkommen; 
»wenn  nun  die  Feinde  solche  einfangen,  hängen  sie  sie  auf  und 
»kehren,  zum  Hohne  des  Islams,  den  Rücken  der  Märtyrer  der 
» Qibla/i  zu.  Einmal  wurde  ein  sehr  frommer  Holländer  so  gefan- 
»gen  und  zum  Tode  verurthcilt.  Keiner  von  uns  wusste,  an  wel- 
schem Tage  er  gehängt  werden  sollte,  aber  als  unser  Schech  Sa- 
»man  di  Tirau  eines  Tags  immerfort  weinte,  ohne  selbst  die 
»Ursache  seiner  Thränen  zu  kennen,  da  ahnte  er,  jener  Holländer 
»sterbe  jetzt  den  Märtyrertod.  Später  stellte  sich  die  Ahnung  als 
»richtig  heraus.  Bei  der  Ermordung  hatte  aber  Allah  folgendes 
» Kerdmat  (Wunder)  gewirkt:  Als  die  Offiziere  lachend  den  Hinte- 
»ren  des  Märtyrers  nach  der  Qiblah  wendeten,  kam  plötzlich  ein 
»Windstoss  auf,  der  die  Leiche  gerade  umkehrte  und  mit  dem 
»Gesicht  nach  Mekka  richtete.  Hie  ungläubigen  Offiziere  riefen  alle 
»vor  Schrecken:  Subhäna  'lläh!”  »Auch  bei  uns”,  versetzt  ein 
Mann  aus  Palembang,  »ist  den  Regierungsbeamten  bange  gewor- 
»den;  denkt  einmal,  neulich  war  dem  Residenten  zu  Ohren  ge- 
»kommen , man  dociere  in  den  Moscheen  aus  einem  Sabil  al  genannten 
»Buche.  Dies  ist  bekanntlich  das  malaiische  Buch  Sabil  al-muhla- 
» din  (Weg  derjenigen,  die  sich  rechtleiten  lassen),  worin  die  Haupt- 
»gesetze  der  Religion  erklärt  werden.  Da  nun  die  Holländer  wissen, 
»der  Prang  sabil  sei  der  heilige  Krieg , so  glaubte  der  Dummkopf, 
»es  werde  der  Krieg  gegen  die  Holländer  öffentlich  gepredigt,  und 
»Hess  die  unschuldigen  Bücher  mit  Beschlag  belegen.  Seitdem  wird 
»dem  Unterricht  in  den  Moscheen  von  Seiten  der  Beamten  mög- 
» liehst  entgegengewirkt;  fern  von  den  Augen  der  Regierung  pfle- 
»gen  wir  aber  das  Studium  der  Religion  um  so  fleissiger,  und,  so 
»Allah  will,  soll  sich  einmal  die  Befürchtung  des  Residenten  be- 
»währenl”  Auf  die  prahlende  Mittheilung  eines  Atjehers,  seine 
Landsleute  hätten  in  einer  Schlacht  17000  Holländer  getödtet , entgeg- 
net der  javanische  Beamte , er  wisse  bestimmt , dass  überhaupt  nicht  so 
viele  Holländer  in  Atjeh  seien.  Verächtlich  heisst  es  darauf:  »warst  du 
etwa  in  Atjeh  ?”  und  die  andachtvollen  Gesichter  aller  anwesenden  Djä- 
wah , die  eigenen  Landsleute  des  Beamten  nicht  ausgenommen , beleh- 
ren ihn , dass  seine  weltklugen  Bemerkungen  hier  nicht  am  Platze  sind. 


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335 


Fast  bis  ins  Unendliche  könnte  ich  fortfahren,  wollte  ich  alle 
Gespräche  ähnlichen  Inhalts  wie  das  obige  wiedergeben,  denen  ich 
in  Mekka  zuzuhören  Gelegenheit  fand,  und  worin  vorzüglich  die 
eigentlichen  Pilger  (d.  h.  nicht  in  Mekka  sesshafte  Leute)  aus  den 
Djäwahländern  ihre  Meinung  austauschten.  Sie  waren  mir  weniger 
erquicklich  als  lehrreich.  Wenn  man  nicht  mit  solchen  »Eingebo- 
renen” auf  völlig  gleichem  Fuss  verkehrt  hat,  so  dass  sie  nicht 
wissen,  dass  ein  europäischen  Ohr  ihre  Worte  vernimmt,  giebt  man 
sich  immer  noch  gewissen  Illusionen  hin,  glaubt  man  doch,  gewisse 
Seiten  der  europäischen  Kultur  seien  den  Leuten  sympathisch  ge- 
worden oder  imponierten  ihnen  wenigstens.  Alles  Trug  und  Schein ! 
Gleichviel  ob  die  Djäwah  einen  Regierungsbeamten,  einen  Kauf- 
mann oder  einen  Soldaten  reden  lassen , es  sind  alles  Karikaturen  , 
die  sie  Einem  vorführen , weil  die  Europäer  allzu  wenig  bedenken , 
dass  auch  der  »Eingeborene”  Eindrücke  erhält  und  verarbeitet, 
und  ihm  somit  ohne  Anstand  die  schlechtesten  und  dümmsten  Sei- 
ten ihres  Wesens  zeigen. 

An  einfacher,  praktischer  Menschenkenntniss  sind  die  naiven  Djä- 
wah  den  Europäern  weit  überlegen.  Ein  Malaie,  der  einige  Zeit 
mit  einem  Europäer  verkehrt,  berührt  diesen  unzählige  Mal  unbe- 
merkt mit  seinen  feinen  Fühlhörnern  uud  richtet  sein  Benehmen 
nach  den  Resultaten  solcher  Experimente  ein.  Wenn  er  seinen  Zweck 
erreicht,  so  beutet  er  die  schwachen  Seiten  seines  »Freundes”  or- 
dentlich aus,  bleibt  sich  aber  dabei  immer  bewusst,  dass  er  das 
Wesen  des  Europäers  nicht  ergründen  kann , denn  dazu  fehlen  ihm 
zu  viele  Daten  und  liefert  ihm  das  Bekannte  zu  viele  jeder  Aus- 
gleichung trotzende  Widersprüche.  Nie  habe  ich  einen  Djäwah  be- 
haupten hören,  er  kenne  und  verstehe  die  Europäer.  Selbst  ver- 
hüllen die  Leute  ihr  wirkliches  Fühlen  und  Denken  dem  europäischen 
»Freunde”  so  geschickt,  zeigen  sich  immer  so  gleichförmig  und 
doch  natürlich , dass  der  »Freund”  allmählich  glauben  kann , das 
Herz  des  »Eingeborenen”  in  seinen  Tiefen  durchschaut  zu  haben , 
während  er  nichts  als  den  Herzensdeckel  gesehen  hat.  Mit  keinem 
Gegenstände  thun  aber  die  Djäwah  Europäern  gegenüber  so  geheim , 
wie  mit  allem  zur  Religion  Gehörenden,  weil  sie,  sobald  es  darauf 


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kommt,  bei  ihren  weissen  »Freunden”  auf  Unwissenheit,  Spott 
oder  Unglauben  stossen.  Wer  sie  aus  Neugierde  oder  vermeintlichem 
Interesse  befragt,  zeigt  durch  Form  und  Inhalt  der  Frage,  dass 
er  von  dem  berührten  Punkte  und  von  Allem,  was  damit  zusam- 
menhängt , nicht  das  ABC.  versteht , und  nöthigt  somit  den  höf- 
lichen Befragten , ihm  etwas  vorzusch watzen.  Andere  machen  anliissig 
der  halbverstandenen , gut  gemeinten  Antwort  gleich  Bemerkungen , 
die  dem  Redenden  den  Mund  verschliessen , weil  er  sich  erinnert, 
man  befinde  sich  auf  einem  Gebiete,  das  sich  nicht  zur  gemein- 
samen Behandlung  eignet.  Endlich  giebt  es  leider  Thoren,  die  auch 
den  Eingeborenen  nicht  mit  ihrer  »Aufklärung”  verschonen  und 
ihm  mittheilen,  nach  den  letzten  Befunden  der  Wissenschaft  gebe 
es  keinen  Gott.  Ein  einfacher  Imäm  aus  den  Molukken  theilte  mir 
mit,  der  höchste  Regierungsbeamte  seines  Wohnorts  habe  ihm  ge- 
genüber »sogar  ohne  betrunken  zu  sein”  diese  Weisheit  verkündigt; 
er  könne  sich  allerdings  denken,  dass  es  Leute  gebe , die  ihren  Ver- 
stand den  augenfälligen  Beweisen  für  das  Dasein  Gottes  (abgesehen 
von  der  Offenbarung)  verschliessen,  aber  dass  eine  Regierung  sol- 
chen Leuten  wichtige  Stellungen  anvertraue!  Mit  einem  fanatischen 
Christen  wäre  unser  Muhammedaner  besser  ausgekommen,  denn  er 
wusste  ja , dass  andere  Bekenntnisse  als  das  seinige  existieren , aber 
jener  Beamte  hatte  sichselbst  ein  Zcugniss  des  Wahnsinns  ausge- 
stellt ! 

Fast  jeder  Zug,  den  ich  meiner  »Schilderung  der  Europäer  durch 
die  Djäwah  in  Mekka”  hinzufügen  könnte,  würde  eine  neue  Schat- 
tenseite der  in  Ostindien  lebenden  Holländer  in  mehr  oder  weniger 
übertriebener  Weise  bezeichnen.  Nicht  deswegen  verzichte  ich  auf 
die  weitere  Ausführung,  sondern  weil  sie  zu  viel  Raum  einnehmen 
würde.  An  siclv  wäre  jedes  Detail  aus  jenem  einseitigen  Rassenur- 
theil  für  uns  lehrreich,  und  sollten  wir  hie  und  da  wegen  der 
in  der  Karikatur  verborgenen  Wahrheit  vor  Scham  erröthen , so 
kann  es  uns  zum  Trost  gereichen , dass  die  Bilder  der  Franzosen , 
Engländer  und  Russen , welche  die  von  ihnen  beherrschten  Muslime 
in  Mekka  entwerfen,  nicht  schmeichelhafter  sind  als  die  von  den 
Djäwah  gezeichneten  Porträts  der  Holländer. 


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In  allen  jenen  Darstellungen  ist  richtige  Beobachtung  mit  Miss- 
verständnis vermengt;  überall  zeigt  sich  aber,  dass  an  letzterem  die 
Europäer  selbst  zum  guten  Theil  schuld  sind.  Vorzüglich  weil  in 
England  die  schönsten  kolonialpolitischen  Programme  gemacht  wer- 
den und  weil  manche  Engländer  behaupten,  ihre  Herrschaft  über 
Hindustan  beruhe  auf  der  Sympathie  der  unteijochten  Völker,  fällt 
es  uns  auf,  dass  wir  in  Mekka  aus  dem  Munde  der  indischen  Mu- 
hammedaner nur  Worte  des  bittersten  Hasses  gegen  die  lngltz  ver- 
nehmen. Zwischen  Theorie  und  Praxis  liegt  ja  auch  bei  uns  eine 
bedeutende  Strecke;  dennoch  sprechen  sich  einzelne  (namentlich  in 
amtlichen  Kreisen  lebende)  Djäwah  in  dem  Sinne  über  unsere 
Herrschaft  aus,  dass  sie  sich  gleichgültig  in  sie  fügen,  und  einen 
Malaien  aus  Pontianak  (Borneo)  habe  ich  sogar  zum  Aerger  der 
anwesenden  Mekkaner  eine  förmliche  Apologie  der  holländischen 
Regierung  vortragen  hören.  Wenn  uns  nicht  die  holländischen  Ba- 
jonnete  schützten,  sagte  er,  so  hätten  uns  längst  die  Chinesen  ver- 
trieben; unsere  ungläubigen  Beamten  sind  aber  gerechter  als  die 
Türken,  und  »ein  Königreich  geht  eher  durch  Tyrannei  als  durch 
Unglauben  zu  Grunde”.  Dies  ist  freilich  das  einzige  Zeugniss  der 
Art,  das  ich  zu  hören  bekam;  dagegen  stiessen  die  Inder  gegen 
ihre  Herren  nichts  als  Verwünschungen  aus.  Unzweideutig  ging  aus 
den  Gesprächen  der  Inder  hervor,  dass  nicht  allein  Rassenantipathie 
und  religiöser  Fanatismus,  sondern  auch  die  verletzende  und  ge- 
ringschätzige Art  des  Verkehrs  der  meisten  Engländer  mit  ihren 
» natives ' den  Hass  begründete.  Viel  besser  kam  die  »russische  - 
Knute”  dabei  weg.  Die  Macht  Russlands  imponiert  den  Centrala- 
siaten, und  deren  Wirkungen  betrachten  viele  daher  als  Ausflüsse 
des  unergründlichen  göttlichen  Willens.  Die  theokratische  Verfassung 
erscheint  den  Muslimen  als  vernünftig , die  volle  Anerkennung  ihrer 
religiösen  Rechte  als  eine  Wohlthat.  Trotz  dem  durch  den  letzten 
Krieg  geschürten  Fanatismus  gegen  die  »Mosköf”,  der  sich  nament- 
lich in  Mekka  in  gehässiger  Weise  äussert,  hört  man  hier  über 
keine  europäische  Regierung  günstigere  Urtheile  aussprechen  als  über 
die  russische,  sobald  die  Besprechung  von  dem  theoretischen  Reli- 
gionshass  zu  Einzelheiten  der  Verwaltung  abschweift.  Wenn  aber  Alge- 
II  u 


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rier  über  Frankreich  reden,  hört  man  aus  jedem  Worte  die  Ver- 
achtung der  Muslime  für  eine  republikanische  Verfassung  heraus; 
es  ist  das  reine  //Reich  der  Verrückten”  sagen  sie.  Einzelne  wissen 
von  dem  vielköpfigen  Parlamente  zu  erzählen,  das  faktisch  regiert 
und  seinen  Sitz  in  Paris,  //dem  Paradies  der  Ungläubigen”  hat, 
wie  dort  mit  groben  Worten  und  hie  und  da  mit  Revolverschüssen 
über  die  höchsten  Interessen  des  Landes  diskutiert  und  verfügt  wird. 
Keine  Umgebung  wäre  mehr  als  die  mekkanische  geeignet , aus  allen 
Franzosen  Monarchisten  zu  machen. 

Kehren  wir  aber  zu  unseren  Djäwah  zurück.  Wir  kennen  jetzt 
die  religiösen  und  politischen  Einflüsse,  denen  sie  beim  Haddj  aus- 
gesetzt sind.  Selbstverständlich  wirken  dieselben  nicht  auf  alle  Djä- 
wah-pilger  in  gleichem  Maasse;  diese  sind  mehr,  jene  weniger  fa- 
natisch oder  pietistisch  angelegt.  Bei  solchen,  die  in  der  Heimath 
vorher  in  den  Pesanlren's , Soerau's,  Mandarsah's  oder  in  den 
Moscheen  Unterricht  genossen  haben,  ist  die  Empfänglichkeit  für 
eine  panislamitische  Gesinnung  am  grössten;  in  der  grossen,  un- 
gelehrten  Masse  der  Haddji’s  sind  immer  Einzelne,  die  von  der 
Wallfahrt  die  Keime  des  rohen  Fanatismus  mitnehmen.  Im  grossen 
Ganzen  sind  von  der  höchsten  Bedeutung:  die  in  immer  grösserem 
Maassstabe  betriebene,  einstweilen  freilich  oberflächliche,  Aufnahme 
der  Pilger  in  die  mystischen  Genossenschaften;  der  rege  Verkehr 
mit  Mitpilgernden  aus  dem  ganzen  Archipel,  mit  in  Mekka  ansäs- 
sigen Djäwah,  und  die  sich  im  Gedankenaustausch  entwickelnden 
Eindrücke  von  der  allen  Ungläubigen  trotzenden  Macht , die  der  Islam 
in  seinem  geistigen  Centrum  zu  entfalten  scheint;  endlich  die  That- 
sache,  dass  manche  Pilger  in  Mekka  zuerst  an  die  regelmässige 
Erfüllung  ihrer  täglichen  rituellen  Pflichten  gewöhnt  werden  und 
somit  als  gut  disciplinierte  Gläubige  heimkehren. 

Alles  dies  lässt  man  ausser  Acht,  wenn  man  von  der  Stellung 
der  Haddji’s  in  Ostindien  redet  und  dabei  fast  ausschliesslich  an 
die  unterscheidende  Tracht  und  die  (allmählich  abnehmende)  Ver- 
ehrung des  Volkes  für  die  Heimgekehrten  denkt;  nicht  in  der 
Pilgerfahrt  selbst  noch  in  dem  arabischen  Gewände  hat  man  die 
durch  die  Haddji’s  vermittelten  Strömungen  aus  Mekka  nach  Ost- 


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indien  zu  suchen,  sondern  in  den  erwähnten,  neben  und  um  das 
arabische  Fest  liegenden  Dingen,  mit  denen  die  meisten  Pilger  in 
Berührung  kommen.  Darum  kann  denn  auch  von  dem  Verbote 
der  arabischen  Tracht  nicht  eindringlich  genug  abgerathen  werden; 
es  würde  nichts  bewirken  als  Verschärfung  des  Fanatismus.  Auch 
durch  die  Zunahme  der  Pilgerzahl  wird  keinem  Uebel  abgeholfen; 
höchstens  wird  die  Bevölkerung  dann  etwas  weniger  von  Haddji’s 
ausgebeutet,  und  entstünde  also  die  Frage,  wer  in  dieser  Bezie- 
hung an  die  Stelle  der  Haddji’s  treten  wird,  denn  solange  die 
Bevölkerung  nicht  durch  ihre  eigene  Bildung  gegen  solche  Ver- 
suche geschützt  ist,  hilft  alle  vormundschaftliche  Fürsorge  nichts 
und  werden  sich  immer  neue  Ausbeuter  finden. 

Sehr  viel  wichtiger  als  die  Tausende  von  Pilgern,  die  nach 
dem  Haddj  in  ihre  Heimath  zurückkehren,  sind  die  Hunderte, 
oder  auch  nur  Dutzende,  die  in  Mekka  bleiben  und  sich  der 
Djäwah-kolonie  anschliessen , vielleicht  später  gar  Kinder  erzeugen, 
die  von  der  Geburt  an  der  mekkanisehen  Gesellschaft  angehören. 
Als  wir  oben  das  volksthümlich-mekkanische  Urtheil  über  die  Djä- 
wah  auf  seine  Ursprünge  zurückführten,  sahen  wir  schon,  dass  in 
den  letzten  Jahren  nicht  mehr  alle  Djäwah  aus  reiner  Frömmigkeit 
in  der  heiligen  Stadt  bleiben  •.  viele  junge  Leute  benutzen  das 
Mengadji  (das  Studium)  lediglich  als  Vorwand,  um  die  Jahre  vor- 
nehm durchzufaulenzen,  solange  die  Verwandten  Geld  schicken  oder 
die  Gläubiger  Geduld  haben.  Ferner  reisen  nicht  nur  manche  junge 
Männer  jährlich  her,  um  vornehmeren  Landsleuten,  die  sich  hier 
ansiedeln,  aufzuwarten,  sondern  es  lassen  sich  auch  solche,  die  als 
Diener  eigentlicher  Haddji’s  ankamen,  durch  in  Mekka  sesshafte 
Djäwah  von  der  Heimkehr  abhalten  und  gehen  in  den  Dienst  der 
Letzteren  über.  Solche  Diener,  unter  denen  jedes  Alter  van  8 bis 
etwa  30  Jahren  vertreten  ist,  können  nicht  viel  mehr  als  ein  paar 
Stunden  täglich  auf  ihre  religiöse  Bildung  verwenden;  jene  Andere 
finden  sogar  diesen  Zeitraum  bald  zu  lang,  da  sie  ganz  ihrem 
weltlichen  Vergnügen  leben  wollen.  Bei  der  geringen  Vorbildung 
der  Einen  und  dem  Mangel  an  Neigung  bei  den  Anderen  genügt 
das  nicht  zu  eigentlichen  Studien ; sie  beschränken  sich  denn  auch 


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gewöhnlich  auf  die  Pflege  der  göttlichen  Musik  des  Quränvortrags. 
Diesen  Unterricht  nehmen  sie  fast  niemals  bei  ihren  Landsleuten, 
weil  es  gerade  auf  die  ungefalschte  arabische  Aussprache  ankommt; 
dieselben  Fdqih's , die  wir  bereits  ')  als  Lehrer  der  Djäwah-pilger 
kennen  lernten,  und  mehrere  andere  empfangen  täglich  zu  verschie- 
denen Stunden  einige  DjSwah  bei  sich  und  lassen  sie  je  ihre  Auf- 
gabe hersagen.  Unter  diesen  Qurfinlehrern  der  ansässigen  Djäwah 
ragte  1885  ein  Schech  Muhammed  Menschäwl,  der  ausserdem  als 
Professor  im  Haram  angestellt  war,  besonders  hervor;  die  jungen 
Djäwah  machten  einander  jede  verfügbare  Stunde  des  Menschäwl 
förmlich  streitig.  Die  Quränschüler  besuchen  den  Lehrer,  wenn  sie 
eben  Zeit  haben;  verfehlen  sie  ihn  einmal  oder  werden  sie  abge- 
halten, so  bedarf  das  keiner  Entschuldigung.  Sie  zahlen  ihm  1 — 2 
Gulden  im  Monat  und  geben  ihm  an  Festtagen  kleine  Geschenke. 
Viele  Djäwah,  auch  solche,  die  sich  ganz  dem  Studium  widmen, 
bleiben  dem  Fäqlh  10 — 12  Jahre  hindurch  treu  und  üben  sich 
immerfort,  sofern  sie  nicht  anderweitig  beschäftigt  sind. 

Im  Uebrigen  macht  die  Religion  jenen  beiden  Klassen  der  an- 
sässigen Djäwah  (den  Dienern  und  den  Faulenzern)  nicht  besonders 
zu  schaffen;  sie  befolgen  sogar  bald  die  laxere  Praxis  mancher 
Mekkaner  und  verrichten  nicht  einmal  alle  täglichen  Qaläts  in  der 
Moschee,  weil  sich  auch  bei  ihnen  die  »Sättigung”  *)  fühlbar  macht. 
Dabei  treten  sie  jedoch  vielfach  in  die  Tariqah’s  ein:  wenn  sie 
mit  einem  Platze  an  den  äussersten  Rändern  des  Brüderkreises  zu- 
frieden sind,  werden  ihnen  dadurch  keine  schweren  Pflichten  auf- 
erlegt, und  die  minimale  Anstrengung  erzeugt  in  ihnen  doch  das 
Bewusstsein,  dass  sie  etwas  Ausserordentliches  leisten,  während  die 
regelmässige  Handhabung  des  Rosenkranzes  und  das  Summen  der 
Wird ’s  ihr  Ansehen  im  Auge  der  Landsleute  erhöht.  Einigen  ist 
aber  auch  diese  Mühe  noch  zu  viel;  solche  hörte  ich  die  Weige- 
rung, sich  in  eine  Bruderschaft  aufnehmen  zu  lassen,  damit  be- 
gründen, sie  blieben  schon  so  weit  hinter  den  Anforderungen  des 
religiösen  Gesetzes  zurück,  und  wenn  sie  nun  durch  das  einem 
Ordensschech  zu  leistende  Gelöbniss  freiwillig  neue  Pflichten  auf 
1)  Oben  8.  327.  2)  Vergl.  oben  8.  81. 


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sich  nähmen,  liefen  sie  Gefahr,  in  unnöthiger  Weise  die  Zahl 
ihrer  Sünden  zu  vergrössern. 

Dauernde  Anziehungskraft  übt  auf  diese  Leute  vorzüglich  das 
heitere  Leben  der  Mekkaner  in  der  stillen  Jahreszeit  aus;  sie  wer- 
den nicht  müde,  sich  an  der  Feier  der  Heiligentage,  der  Hoch- 
zeits-  und  anderer  Familienfeste  zu  betheiligen , und  die  Gastfreiheit 
der  mittleren  Klassen  in  Mekka  sowie  die  Neigung  auch  der  ge- 
lehrten und  frommen  Djäwah  zu  Festlichkeiten  bietet  ihnen  dazu 
fast  täglich  Gelegenheit.  Wiederholt  habe  ich  Malaien , die  in  Mekka 
tief  in  Schulden  steckten,  für  erwiesene  Dienste  mit  Geschenken 
von  10 — 20  Dollars  belohnt;  das  Resultat  war  fast  ausnahmslos, 
dass  sie  am  nächsten  Tage  festliche  Mahlzeiten  veranstalteten,  zu 
denen  ich  selbst  und  mehrere  Djäwah  eingeladen  wurden  und 
deren  Kosten  meine  Gaben  weit  überstiegen.  Jedes  Rediirfniss  nach 
Ordnung  in  finanziellen  Angelegenheiten  geht  diesen  Leuten  ab; 
die  Last  der  durch  Wucher  stets  zunehmenden  Schulden  empfinden 
sie  bloss  in  den  Augenblicken,  wo  ihnen  der  Gläubiger  mit  Dro- 
hungen entgegentritt.  Sonst  lachen  sie,  wenn  sie  auch  für  morgen 
nichts  zu  essen  haben , und  sagen : für  meinen  Lebensunterhalt 
vertraue  ich  auf  Gott! 

Zum  frohen  Leben  gehören  aber  noch  die  Weiber.  Es  finden 
sich  zu  jeder  Zeit  »Mekkanerinnen”,  namentlich  egyptischer  Her- 
kunft, die  ihre  Reize  einem  Djäwah  zur  Verfügung  stellen  wollen, 
bis  sic  ihn  gänzlich  ausgezogen  haben.  In  der  Djäwahkolonie  er- 
zählt man  sich  folgende  Anekdote,  die  den  Sachverhalt  richtig 
kennzeichnet:  Ein  einäugiger  Djäwah,  hässlich  wie  die  Nacht, 
kam  mit  seinen  2000  Dollars  nach  Mekka  und  miethete  sich  zu 
längerem  Aufenthalt  eine  kleine  Wohnung.  Bald  meldete  sich  ein 
guter  »Freund”  und  theilte  ihm  zu  seinem  Erstaunen  mit,  eine 
schöne  Egypterinn,  die  in  der  Nähe  wohnte,  habe  sich  sterblich 
in  ihn  verliebt  und  wünsche  um  jeden  Preis,  seine  Frau  zu  wer- 
den; sie  biete  ihm  gem  die  Gelegenheit,  vorher  ihre  Bekanntschaft 
zu  machen.  Der  Djäwah  erblickte  darin  einen  seltenen  Gnadenbe- 
weis Allahs  und  begab  sich  zu  seiner  Liebhaberinn,  die  den  bei 
ihm  erregten  Erwartungen  völlig  entsprach;  in  wenigen  Tagen  war 


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er  ein  glücklicher  Ehemann.  Die  vornehme,  reizende  Frau  kam 
ihm  jedesmal,  wenn  er  aus  der  Moschee  heimkehrte,  lächelnd 
entgegen,  küsste  ihm  die  Hand,  hiess  »ihren  Herrn”  willkommen 
und  liebkoste  ihn.  Genug,  der  Mann  glaubte  sich  in  ein  vorläufi- 
ges Paradies  versetzt.  Für  sich  verlangte  die  Frau  nichts  als  seine 
Gegenliebe  und  die  einfachsten  Speisen  und  Getränke;  nur  machte 
sie  dem  Gatten  kein  Hehl  aus  ihrem  Schmerz  wegen  der  ärmli- 
chen Lage  ihrer  lieben  Mutter,  der  sogar  die  nothwendigste  Klei- 
dung fehlte.  Dem  Mangel  half  der  Mann  natürlich  schnell  ab  und 
trocknete  so  die  Thränen  der  pietätsvollen  Frau. 

Im  Laufe  weniger  Wochen  wurde  nun  aber  jedesmal  neuer 
Schmerz  der  Gattinn  offenbar  wegen  der  Armuth  ihrer  Schwestern, 
Tanten  und  Nichten;  namentlich  dies  machte  ihr  Sorge,  dass  man 
ihren  guten  Mann  schmähen  werde,  weil  er  ihm  verschwägerte 
Frauen  in  so  elender  Lage  leben  liess.  Der  Djäwah  war  so  völlig 
in  die  Gewalt  der  Frau  gerathen,  dass  er  immer  ihren  Wünschen 
zuvorkam , ohne  auf  die  allmähliche  Leerung  seines  Beutels  zu 
achten.  Schliesslich  blieben  ihm  von  den  2000  Dollars  bloss  einige 
Piaster  übrig.  Als  er  nun  eines  Tags  ins  Wohnzimmer  trat , fiel  es 
ihm  auf,  dass  seine  Frau  ihm  nicht,  wie  sonst,  entgegenkam,  sich 
vielmehr  verhielt,  als  sähe  sie  ihn  nicht.  Vielleicht  ist  sie  krank, 
sagte  er  sich  und  schritt  nun  selbst  zu  ihr,  sie  zu  liebkosen; 
eigentlich  geziemte  sich  diese  Vertheilung  der  Rollen  ja  auch  bes- 
ser. Nicht  ohne  Widerstreben  liess  sich  die  Schöne  auf  den  Schooss 
des  Scheusals  ziehen  und  blickte  mit  lieblosen  Augen  zu  ihm  em- 
por: »Mein  Herr!  was  ist  das?  ach!  du  hast  nur  ein  Auge;  und 
»was  für  Narben  sind  da  auf  deiner  Stirn?”  Da  ging  dem  bethör- 
ten Djäwah  ein  helles  Licht  auf.  »Du  Tochter  eines  Hundes!  drei- 
maliger Taläq  (Ehescheidung)  über  dich!”  sagte  er  zur  grössten 
Befriedigung  der  Dame,  die  nun  nach  drei  Monaten  dasselbe  Spiel 
mit  einem  andern  Djäwah  anfangen  konnte. 

Dies  warnende  Beispiel  wird  in  Djäwahkreisen  häufig  erzählt, 
was  jedoch  nicht  verhindert,  dass  jährlich  viele  Neulinge  in  die 
Falle  gehen.  Vorsichtige  junge  Djäwah  lassen  sich  von  guten 
Freunden  rathen  und  suchen  eine  leidlich  aussehende  Gattinn,  die 


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massige  Ansprüche  erhebt.  Solche  Weiber  finden  aber,  solange  sie 
im  besten  Alter  stehen , leicht  bessere  Partien  als  Malaien , die 
billig  leben  wollen.  Diese  müssen  sich  deswegen  mit  dem  Ueber- 
schuss  des  Marktes  begnügen  und  Weiber  heirathen,  denen  daran 
liegt,  in  kurzer  Frist  einen  Ernährer  zu  bekommen.  So  entstehen 
nun  mit  Hülfe  der  Kuppler  die  undenkbarsten  Verbindungen: 
sechszchnjührige  Javanen  verheirathen  sich  mit  dreissig-  und  mehr- 
jährigen Mekkanerinnen,  die  ihre  Mütter  sein  könnten,  und  er- 
zeugen hie  und  da  Kinder  mit  ihnen.  Beide  verzehren  manchmal 
zusammen  ihre  letzten  Pfennige,  machen  Schulden,  und  das  Ende 
ist  nicht  selten,  dass  der  Djäwah  nach  seiner  Heimath  entflieht 
und  Weib  und  Kind  unversorgt  zurücklässt.  Solche  Kinder  gehö- 
ren durch  Geburt  und  Erziehung  dem  mekkanischen  Gesindel  an , 
wenn  nicht  ausnahmsweise  ein  Glücksfall  ihnen  das  Mitleid  eines 
vermögenden  Djäwah  zu  Theil  werden  lässt.  Der  Einfluss , den  die 
hier  besprochenen  Djäwah  in  Mekka  oder  nach  ihrer  Heimkehr 
auf  ihre  Landsleute  ausüben,  lässt  sich  nicht  von  einem  Gesichts- 
punkte aus  zusammenfassen;  heilsam  ist  er  auf  keinen  Fall.  Aus 
diesen  Kreisen  gehen  aber  manche  Pilgerscheche  hervor,  die  in  der 
höchsten  Noth  für  geborgtes  Geld  eine  Licenz  kaufen  in  der  Hoff- 
nung, dass  sie  von  ihren  Landsleuten  bald  Kapital  und  Zinsen 
zurückgewinnen  werden , oder  deren  Ehrgeiz  l)  ihnen  den  Titel  des 
Schechs  begehrenswerth  macht.  Einige  sinken  dabei  immer  tiefer 
und  tiefer  herab.  Andere,  namentlich  die  ohne  Schuld  anfangen 
oder  daheim  tüchtige  Verbindungen  haben,  machen  gute  Geschäfte , 
obgleich  der  Mangel  an  regelmässiger  Administration  und  die  Epi- 
demie der  Leihkontrakte  immer  bedeutende  Schwankungen  ihrer 
Vermögensverhältuisse  herbeiführt. 

Von  den  Schechen  und  Schechgehülfen , die  aus  den  Djüwah- 
liindem  stammen,  reisen  viele  alle  paar  Jahre  einmal  hin  und  her, 
bald  zu  eigentlichen  Geschäften,  bald  um  die  Verwandten  persön- 
lich zur  Freigebigkeit  zu  ermuntern  oder  um  in  der  unwissen- 
den Umgebung  aus  ihrer  spärlichen  Wissenschaft  oder  oberflächli- 


1)  Ycrgl.  oben  S.  305. 


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chen  Beziehung  zur  Tariqah  etwas  klingende  Münze  zu  prägen. 

Pensionierte  Beamte,  Grundbesitzer  und  sonstige  wohlhabende 
Leute  oder  Solche,  die  von  ihren  Verwandten  ein  mehr  oder  weniger 
bestimmtes  Stipendium  erhalten , wählen  Mekka  zur  zweiten  Heimath, 
um  fernerhin  ein  ruhiges,  nur  der  Religion  geweihtes  Leben  zu 
führen.  Mögen  diese  nun  lediglich  mit  peinlicher  Sorgfalt  die  (Paläts 
in  der  Moschee  und  möglichst  viele  kleine  und  grosse  Wallfahrten 
mitmachen , »des  Segens  halber”  *)  Vorträge  anhören , von  denen 
sie  wenig  verstehen , oder  auch  Ordensbrüder  werden  •.  ihre  Bedeutung 
für  die  Gesammtheit  liegt  vorzüglich  in  dem  von  ihnen  hier  ver- 
ausgabten Gelde , wovon  ein  guter  Thoil  der  Djawahkolonie  anheim- 
fällt. Ihre  Wirkung  auf  das  geistige  Leben  Anderer  ist  also  eine 
durchaus  indirekte. 

Den  Kern  der  Djawahkolonie  bilden  die  Lehrer  und  die  Studen- 
ten; in  Mekka  sind  sie  am  höchsten  angesehen,  von  ihren  pilgern- 
den Landsleuten  geniessen  sie  die  innigste  Verehrung,  und  von 
Mekka  aus  beherrschen  sie  das  religiöse  Leben  ihrer  Heimath.  Fast 
alle  Djäwah,  die  in  der  heiligen  Stadt  lehren,  haben  sich  erst  hier 
zu  solcher  Höhe  emporgeschwungen;  im  ostindischen  Archipel  giebt 
es  zwar  Gelegenheit,  muhammedanische  Studien  gründlich  zu  be- 
treiben, aber  trotzdem  würde  kein  Djäwah  siph  erdreisten,  hier  in 
anderer  Stellung  denn  als  Schüler  anzufangen.  Der  Lebensgang  dieser 
Gelehrten  gehört  somit  sehr  wesentlich  zur  Geschichte  der  Djäwah- 
kolonie  und  ist  für  dieselbe  in  hohem  Grade  charakteristisch ; denn 
auf  die  von  ihnen  errungene  Stellung  richten  sich  die  Blicke  der 
zahlreichen  zu  ihren  Füssen  sitzenden  Landsleute  als  das  höchste 
Ziel  ihres  Strebens. 

Sehr  verschieden  sind  die  Verhältnisse,  unter  welchen  die  Djäwah 
die  wissenschaftliche  Laufbahn  in  Mekka  anfangen.  Regenten  und 
kleine  Fürsten  senden  von  mehreren  Söhnen  einen  nach  Mekka, 
damit  er  gleichsam  im  Namen  der  ganzen  Familie  sein  Leben  der 
heiligen  Wissenschaft  widme;  sie  empfehlen  ihn  der  gütigen  Auf- 
sicht frommer  in  Mekka  ansässiger  Freunde  und  schicken  ihm  jähr- 


1)  Vergl.  oben  S.  256. 


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lieh  die  erforderlichen  Mittel.  Auch  die  niedrigeren  Beamtenkreise 
liefern  der  mekkanischen  Studentenschaft  ähnliche  Beiträge.  Junge 
Djäwah,  die  als  Diener  nach  Mekka  gekommen  sind,  zeigen  hie 
und  da  besondere  Begabung  für  das  Studium,  und  gute  Freunde 
erleichtern  ihnen  dann  wohl  die  Sorgen  des  Lebens.  Aber  auch 
Knaben  und  Jünglinge  wandern  aus  dem  ostindischen  Archipel 
nach  Mekka  mit  wenig  andern  Hülfsmitteln  als  ihrem  Vertrauen  auf 
Allah , ohne  anderen  Zweck  als  die  langsame  Eroberung  der  arabi- 
schen Wissensfächer.  Bei  Einigen  von  diesen  wirkt  nur  ein  kind- 
licher Drang  nach  den  geheimnissvollen  Höhen,  der  erst  später  die 
bestimmte  Form  bewussten  Strebens  annimmt;  Andere  haben  schon 
eine  bedeutende  Strecke  auf  dem  Wege  des  Wissens  in  der  Hei- 
math  zurückgelegt,  und  bei  ihnen  erwachte  daher  die  Lust  zum 
Reisen  erst  später,  als  sie  das  Ungenügende  der  Lehrmittel  ihres 
Landes  empfanden  und  aus  Mekka  wiederkehrende  Studenten  von 
den  geistigen  Reichthümem  erzählen  hörten,  die  dort  jedem  zur 
Verfügung  stehen. 

Wenn  sie  durch  die  That  ein  ernstes  Streben  bekunden , kommt 
man  ihren  materiellen  Bedürfnissen  in  verschiedener  Weise  entge- 
gen. Aeusserst  glücklich  erachten  sie  sich,  wenn  ein  bedeutender 
arabischer  Gelehrter  sie  als  Leibdiener  in  sein  Haus  aufnehmen 
will');  sonst  finden  sie  leicht  Unterkommen  und  Essen  bei  einem 
malaiischen  Gelehrten , und  in  beiden  Fällen  haben  sie  ausgesuchte 
Gelegenheit  zum  Studieren.  Ausserdem  giebt  es  in  Mekka  mehrere 
Waqf häuser  für  Nachbarn  Allahs , die  je  einer  bestimmten  DjSwah- 
völkerschaft  angehören:  am  bekanntesten  sind  einige  geräumige 
für  Atjeher  gestiftete,  ein  paar  für  Leute  aus  Banten  und  ein 
paar  für  Malaien  aus  Pontianak  (Borneo).  Zum  Theil  wurden  sol- 
che Stiftungen  von  einem  vornehmen  Herrn  gegründet,  als  er  das 
Iladdj  machte,  und  später  auf  seine  Kosten  durch  Vermittlung 
eines  von  ihm  eingesetzten  Verwalters  unterhalten;  so  z.  B.  die 
vom  Sultan  von  Pontianak  für  seine  Landeskinder  erbauten  Häu- 
ser, deren  Errichtung  er  vor  wenigen  Jahren  bei  seiner  Wallfahrt 


1)  Tergl.  oben  S.  302  und  unten  den  Lcbcnagang  dca  Abd  es-Schakür  aus  Surabaja. 


II 


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angeordnet  hat.  Andere  Waqfhäuser  sind  aus  Geldmitteln  erbaut, 
die  irgend  ein  Schech  bei  den  von  ihm  »geführten”  Pilgern  und 
deren  Landsleuten  allmählich  mit  dem  Nebenzweck  eingesammelt 
hat,  selbst  als  Direktor  des  Waqf  zu  seinen  und  seiner  Freunde 
Gunsten  über  die  besten  Räume  zu  verfügen.  In  dieser  Weise  war 
ein  sehr  schönes  Waqfgebäude  für  Atjeher  zu  Stande  gekommen, 
das  unweit  meiner  Wohnung  am  »Nachtmarkte”  ( Suq  el-lel)  *) 
lag.  Ein  Pilgerschech , der  besonders  die  Haddji’s  aus  Atjeh  aus- 
beutete, hatte  seine  Kunden  jahrelang  um  kleine  Beiträge  für  das 
zu  errichtende  Haus  gebeten,  war  selbst  zur  weiteren  Einsamm- 
lung nach  Atjeh  gereist,  mit  guter  Beute  von  dort  heimgekehrt 
und  verwaltete  jetzt  das  Stiftshaus,  als  wäre  es  sein  Eigenthum. 
Die  erste  Etage  bewohnte  er  selbst,  einen  Theil  des  zweiten  sein 
Schwiegersohn  und  in  vielen  kleinen  Zimmern  lebten  ärmere  At- 
jeher, die  zwar  aus  den  übrig  gebliebenen  Fonds  vom  Schech  ihren 
Lebensunterhalt  bekamen,  ihm  dafür  aber  allerlei  Dienste  zu  leis- 
ten hatten.  Ferner  nahm  er  keinen  Anstand,  die  vielen  verfügbaren 
Zimmer  auch  Nicht-atjehern  gegen  Geschenke  (d.  h.  faktisch  eine 
Miethe)  zur  Benutzung  zu  überlassen;  das  damit  gewonnene  Geld 
kam  ja  doch  wieder ....  zum  Theil  den  Atjehern  zu  Gut ! Die 
Kurzlebigkeit  haben  die  Djäwahstiftungen  mit  allen  ihren  Schwes- 
tern gemein,  aber  zu  jeder  Zeit  finden  doch  namentlich  Studenten 
aus  Ostindien  unschwer  Wohnung  und  etwas  zur  Ernährung. 

Die  sich  zum  höchsten  Range  der  Djäwahgelehrten  emporschwin- 
gen, werden  von  ihren  Landsleuten  immer  reichlich  beschenkt;  die 
auf  niederer  Stufe  stehen  bleiben,  verbinden  di«  Lehramt  mit  der 
Fremdenführung,  oder  reisen  ab  und  zu  nach  ihrer  Heimath,  wo 
ihr  Licht  höher  bezahlt  wird,  weil  die  Konkurrenz  fehlt.  Sehr  viele 


1)  Ein  neues  Beispiel  der  immerfort  sieh  bildenden  lokalen  liegenden  bietet  die  Er- 
klärung dieses  Eigennamens,  die  jetzt  in  Mekka  gang  und  gäbe  ist.  Obgleich  sich  aus 
den  Chroniken  der  Stadt  ergiebt,  dass  die  Bezeichnung  dieses  Stadtthcils  als  »Naclit- 
markt”  erst  in  späterer,  islamischer  Zeit  aufgekommen  ist,  erzählen  die  Mckknncr 
jetzt,  als  die  ungläubigen  Quraischiten  die  Familie  des  Propheten  belagerten  und  allen  V 

Handelsverkehr  mit  derselben  verpönten,  hätten  einigo  besser  Gesinnte  hier  heimlich 
im  nächtlichen  Dunkel  die  Häschimidcn  mit  ihrem  Bedarf  versehen,  und  seitdem  sei 
der  Name  Suq  el-141  an  dieser  Strasse  haften  geblieben. 


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847 


suchen  und  finden  nach  einigen  Jahren  des  Studiums  zu  Mekka 
in  ihrem  Vaterlande  Stellung  als  Hauptgeistliche  (Penghulu’s,  Itnam's) 
einer  Moschee  oder  als  Hauptlehrer  einer  von  jenen  zahlreichen 
Unterrichtsanstalten,  wo  die  Djäwah  in  die  Anfangsgründe  der 
Wissenschaft  des  Islams  eingeführt  werden.  Als  Hauptgeistliche 
sind  sie  dort  zugleich  Verwalter  der  Moscheegüter,  bekommen  an 
vielen  Orten  einen  Antheil  an  der  Zakät  und  üben  in  Angelegen- 
heiten des  Familienrechts  eine  gewisse  Gerichtsverwaltung  aus,  die 
auch  etwas  einträgt.  Die  Lehrer  geniessen  vielfach  Einkünfte  aus 
Gütern,  die  als  Waqf’s  mit  den  Schulen  verbunden  sind,  oder 
sie  haben  andere  Vortheile,  wären  es  auch  nur  die  Geschenke 
wohlhabender  Schüler  und  die  Hülfe,  die  weniger  Begüterte  ihnen 
bei  der  Bebauung  ihrer  Aecker  leisten.  Während  die  Besucher 
einer  Schule  sonst  gewöhnlich  alle  Einwohner  der  Provinz  sind, 
worin  die  Anstalt  liegt,  strömen  einem  namhaften  Lehrer,  der 
seine  Studien  in  Mekka  absolviert  hat,  aus  den  entlegensten  Ge- 
genden Lernbegierige  zu. 

Aus  allen  muslimischen  Landern  Indonesiens  leben  also  in  der 
heiligen  Stadt  einige  Männer  zusammen,  bei  denen  der  jahre- 
lange Verkehr  mit  einander  in  gemeinsamem  Streben  ein  viel  leb- 
hafteres Bewusstsein  der  Einheit  ihrer  islainisierten  Rasse  erzeugt, 
als  der  kurze  Aufenthalt  dies  bei  den  Haddji’s  zu  thun  vermag. 
Die  Zahl  und  der  persönliche  Werth  der  aus  einen  Lande  gekom- 
menen Kolonisten  kann  einigermaassen  als  Maassstab  dienen  zur 
Abschätzung  der  Gewalt,  welche  der  Islam  dort  errungen  hat; 
fast  könnte  man  in  Mekka  eine  Karte  entwerfen,  um  die  Verbrei- 
tung des  Islams  in  Ostindien  und  seine  Intensität  in  den  einzelnen 
Theilen  des  Archipels  zu  veranschaulichen.  Immerhin  wäre  einer 
solchen  Karte  bloss  relative  Genauigkeit  beizumessen,  denn  diese 
Diener  der  Wissenschaft  vertreten  nur  eine  Seite  der  geistigen  Kultur 
ihrer  Länder.  An  nationalen  Eigentümlichkeiten , die  sich  auch  im 
religiösen  Leben  ausprägen,  fehlt  es  ihnen  keineswegs,  aber  die  alt- 
heidnischen Elemente  einheimischen  und  indischen  Ursprungs,  die 
für  das  volkstümliche  Leben  in  ihrer  Heimath  in  hohem  Grade 
charakteristisch  sind,  haben  sie  völlig  abgestreift.  Derartige  zähe 


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Ueberreste  vorislamischen  Wesens  widersetzen  sich  aber  allenthalben 
der  gründlichen  Umbildung  der  Lebensverhältnisse  im  Sinne  des 
Islams,  und  in  keinem  muslimischen  Lande  hat  sich  die  Reform 
auch  nur  annähernd  vollzogen.  In  Gebieten,  wo  der  Islam  8 — 9 
Jahrhunderte  länger  als  z.  B.  auf  Java  herrscht , spukt  der  Aber- 
glaube nicht  weniger  frei  herum  als 'hier,  werden  unter  neuen  Na- 
men altheidnische  Feste  gefeiert  und  lebt  der  reine  Monotheismus 
Muhammeds  nur  als  Formel  auf  den  Lippen  seiner  Bekenner.  Be- 
denkt man  dabei,  dass  der  Islam  von  jenen  Inseln  nicht  plötzlich 
durch  Waffengewalt,  sondern  ganz  allmählich  durch  innere  Reform 
Besitz  ergriffen  hat,  so  muss  man  zugeben,  dass  die  Erfolge , welche 
diese  Religion  bei  den  Djäwah  errungen  hat,  sich  den  glänzend- 
sten in  früheren  Zeiten  erkämpften  an  die  Seite  stellen  lassen. 

Die  Reaktion  der  alten , nicht  geringzuschätzenden  Kultur  gegen 
die  Lehre  Muhammeds  hat  bei  den  Djäwah  keine  ketzerische  Sekte 
hervorgerufen ; was  hier  früher  an  Ketzerei  vorhanden  war , das  hatten 
die  ältesten  schfitischen  Verbreiter  des  Islam’s  eingeführt , und  diese 
Richtungen  gaben  der  späteren  orthodoxen  Strömung  ohne  Wider- 
stand nach.  Nichts  Anderes  bezeugen  die  zähen  Ueberreste  der  Ver- 
gangenheit in  den  vor  dem  Eindringen  des  Islam’s  am  meisten  civi- 
lisierten  Djä wahländern  als  die  bekannte  historische  Wahrheit, 
dass  ganze  Völker  nicht  Übermacht  von  einer  neuen,  wenngleich 
gewaltigen,  Idee  völlig  umgeschaffen  werden.  Durch  den  Islam  ver- 
pönte Sitten  und  Gebräuche  werden  überall  von  den  Gebildeten , die 
nicht  durch  Europäisierung  den  Zusammenhang  mit  ihrem  Volke 
verloren  haben,  als  Missbrauche  anerkannt.  Zu  den  Söhnen  ihres 
Landes,  die  den  vorislamischen  Menschen  gründlich  abgestreift  ha- 
ben, blicken  die  Uebrigen,  auch  wenn  sie  selbst  noch  mit  einem 
Fuss  auf  heidnischem  Boden  stehen,  als  zu  ihren  Meistern  und 
Führern  empor.  Noch  zu  schwach,  sie  nachzuahmen,  erbetteln  sie 
sich  ihren  Segen  und  ihre  Fürbitte  und  glauben  ihrem  Worte.  Jede 
geistige  Bewegung  ist  eine  muslimische,  jede  antieuropäische  Gesin- 
nung oder  Empörung  erhebt  die  Fahne  der  Religion , jedes  populäre 
Zukunftsprogramm  hängt  mit  der  muhammedanischen  Eschatologie  zu- 
sammen, und  die  mystischen  Scheche  und c Vlatnü  geben  die  Parole  aus. 


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349 


Ausführlicher,  als  der  Rahmen  dieser  Darstellung  es  mir  ge- 
stattet, habe  ich  wiederholt  die  oben  kurz  angedeuteten  Thatsachen 
hervorgehoben:  hier  sollte  die  Erinnerung  vorzüglich  zur  richtigen 
Schätzung  des  Einflusses  dienen,  den  die  Djäwahkolonie  in  Mekka 
auf  ihre  Heimath  ausübt.  Einen  praktisch  verwerthbaren  Blick  auf 
das  Leben  eines  Volkes  gewinnt  man  nicht  durch  die  Versenkung 
in  seine  immer  schärfer  von  ihm  selbst  verlengnete  Vergangenheit; 
den  aus  der  Tiefe  Hervorgestiegenen  charakterisiert  nicht  der  Schmutz, 
der  noch  an  seinem  Körper  haftet , sondern  eben  die  Thatsache , dass  er 
emporgestiegen  ist.  Nicht  auf  Kleinigkeiten  kommt  es  hier  an , 
sondern  auf  das  Ziel,  nach  welchem  die  Gesammtentwickelung 
hinstrebt;  was  die  Djäwah  sein  wollen,  fragt  sich,  nicht  was  sie 
gewesen  sind.  Darüber  sollte  nun  aber  auch  den  Unkundigsten  die 
seit  Jahrhunderten  stetig  fortschreitende  Verbreitung  des  Islams 
über  alle  Theile  Ostindiens  belehren.  In  Ländern,  wo  die  Bevölke- 
rung schon  islamisiert  ist,  vertreten  die  mystischen  und  gelehrten 
Autoritäten  (wegen  des  niedrigen  Bildungszustandes  allerdings  auch 
die  Pfuscher  auf  beiden  Gebieten)  in  höchster  Instanz  das  geistige 
Leben  und  die  Ideale  der  Djäwah.  Die  geistige  Nahrung  beziehen 
sie  aber  durch  jene  Vermittelung  auf  längerem  oder  kürzerem 
Wege  fast  gänzlich  aus  Mekka,  und  die  modernen  Verkehrsmittel 
haben  die  Einfuhr  dieses  Artikels  bedeutend  erleichtert  und  ver- 
mehrt. In  Mekka  lebt  und  wirkt  die  auserlesene  Schaar,  die  sich 
eben  an  der  Urquelle  ganz  in  den  Strom  des  internationalen  Lebens 
des  Islam ’s  hineinwirft,  um  durch  dessen  Wellen  gereinigt  und 
gestärkt  zu  werden.  Immer  lebhaftere  Kommunikation  dieser  Ko- 
lonisten mit  ihrer  Heimath , fortwährender  Austausch  hier  gereifter 
Gelehrten  gegen  neue,  heranzubildende  Kräfte  fördert  die  Theil- 
nahme  der  daheim  gebliebenen  Landsleuten  an  den  Errungenschaften 
ihrer  Leiter  aus  der  Ferne.  Auf  leicht  wahrnehmbare  Weise  doku- 
mentiert sich  diese  Erscheinung  in  den  Handbüchern,  welche  man 
in  den  muslimischen  Schulen  auf  Java,  Sumatra  und  Borneo  beim 
Unterricht  benutzt : die  neuen  litterarischen  Erscheinungen  in  Mekka 
verdrängen  dort  in  kurzer  Frist  die  hergebrachten  Lehrmittel,  und 
zu  den  aus  Mekka  dorthin  exportierten  Handelsartikeln,  die  leb- 


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850 


haften  Absatz  finden,  gehören  vorzüglich  gedruckte  Bücher,  deren 
Verfasser  in  Mekka  sesshafte  DjUvvah  oder  von  den  Djfiwah  be- 
sonders geschätzte  mekkanische  Professoren  sind.  Zahlreiche  Anfra- 
gen um  Fetwa’s  laufen  fortwährend  aus  Ostindien  beim  Mufti  der 
Schäfi'iten  ein  *) ; manchmal  befragen  die  Zweifelnden  auch  nur 
einen  gelehrten  Landsmann  in  der  heiligen  Stadt , weil  er  die 
Quellen  ebenso  gründlich  kennt  wie  jener  und  das  Recht,  Gut- 
achten zu  ertheilen , auch  nach  populärer  Ansicht  sich  eher  auf 
Gelehrsamkeit  als  auf  eine  staatliche  Anstellung  gründet. 

Die  Djäwahkolonie  in  Mekka  stellt  wesentlich  die  Zukunft  der 
Völker  dar,  aus  denen  sie  sich  zusammensetzt  und  immer  wieder 
ergänzt,  und  alle  ihre  Theile  wirken  in  ihrer  Weise  auf  die  Be- 
schleunigung der  von  ihr  vorgezeichneten  Entwickelung  hin. 

Exempla  docent.  Ein  seit  mehr  als  25  Jahren  in  Mekka  lebender 
Schech  aus  den  Lam[>ongschen  Distrikten  (Süd-Sumatra),  mit  dem 
ich  fast  täglich  verkehrte,  erzählte  mir  folgende  Geschichte,  deren 
Hauptinhalt  unbedingt  wahr  ist,  wenngleich  vielleicht  diese  und 
jene  Einzelheit  bezüglich  der  Vorgänge  in  seiner  so  lange  nicht 
von  ihm  besuchten  Ileimath  zu  berichtigen  sein  dürfte.  In  seiner 
Jugend  war  zwar  die  Islamisierung  seiner  Ileimath  längst  abge- 
schlossen, aber  es  zeigte  sich  kein  kräftiges  religiöses  Leben.  Seine 
Familie  gehörte  von  jeher  zu  den  vornehmsten  des  Landes,  ja  er 
behauptete  auch  in  Gesellschaft  von  angesehenen  Banten’schen  Leu- 
ten , sie  stammte  von  den  früheren  Sultanen  von  Bunten.  Durch 
allerlei  Umstände  heruntergekommen,  verdankte  nun  sein  Geschlecht 
die  Wiedergewinnung  früherer  Grösse  und  Wohlhabenheit  in  den 
letzten  fünfzig  Jahren  dem  Anschluss  an  die  niederländische  Re- 
gierung bei  ihren  Kämpfen  gegen  Palembang  und  bei  der  Einfüh- 


1)  Vor  nicht  langer  Zeit  gab  die  in  Java  verbreitete  Nachricht,  der  Gebrauch  von 
Petroleumlampen  sei  in  der  metkanischen  Moschee  verboten,  tu  mehreren  Anfragen 
beim  Mufti  Anlaas,  weil  man  bisher  in  javanischen  Moscheen  unbedenklich  Petroleum 
brannte.  Die  Antwort  gestattete  ihnen  nach  wie  vor  den  Gebrauch  des  billigen  Oclsj 
in  Mekka  war  man  anfangs  auch  nicht  so  ängstlich,  aber  weil  hier  am  Abend  jeder 
Student  seine  Lampe  mitbringt,  verbreitete  sich  ein  so  durchdringender  übler  Geruch, 
dass  die  Behörden  sich  veranlasst  sahen,  das  Petroleum  aus  dem  heiligsten  Tempel  des 
Islam's  tu  verbannen. 


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rung  ihrer  Verwaltung  in  den  Lainpongschen  Distrikten.  Ein  Haddji 
gehörte  in  seinen  jungen  Jahren  dort  zu  den  höchsten  Seltenheiten; 
sein  ältester  Bruder  war  unter  den  Ersten,  die  zur  Wallfahrt  nach 
Mekka  reisten.  Ehrgeiz  und  Wanderlust  erregten  bei  unserem  Schech 
schon  im  Knabenalter  die  Begierde,  das  Haddj  mitzumachen;  er 
glaubte  sich  zu  erinnern,  die  Regierungsbeamten  seien  für  solche 
Pläne  nicht  eingenommen  gewesen  und  hätten  seinen  Vater  veran- 
lasst, die  Ausführung  wenigstens  ein  Jahr  aufzuschieben.  Endlich 
kam  es  aber  dazu;  einmal  in  Mekka  eingewöhnt,  wollte  der  junge 
Lamponger  nicht  wieder  fort,  sondern  lag  hier  mit  leidlichem  Er- 
folge den  gewöhnlichen  Studien  ob,  liess  sich  vom  geehrten  Chatib 
Sambas  ')  in  die  Qädiritische  Tariqah  aufnehmen  und  erwarb  sich 
eine  Licenz  als  Pilgerschech.  Einige  von  seinen  Landsleuten  wohn- 
ten in  seinem  Hause,  und  namentlich  eine  Landsmänninn , die 
seine  Gattinn  geworden  war.  Seitdem  hat  diese  schon  ihre  besten 
Jahre  gehabt,  und  erfreut  sich  unser  Schech  als  zweiter  Gattinn 
einer  Tochter  des  oben  erwähnten  Gelehrten  Menschäwl  *). 

Er  war  der  erste  Pilgerschech  für  seine  Landsleute;  bis  dahin 
wurden  diese  von  demselben  Metawwif  »geführt”  wie  die  Benku- 
lesen.  Pleissig  arbeitete  er  nun  durch  Korrespondenz  und  andere 
Mittel  darauf  hin,  das  Lamponger  Kontingent  an  der  Wallfahrt 
zu  vermehren.  Mit  Genugthuung,  obgleich  nicht  ohne  Schmerzen 
über  den  Verlust  seines  Monopols,  legte  er  dar,  dass  jetzt  vier 
Scheche  mit  ihren  ausgedehnten  Pamilien,  ihren  Gehülfen  usw. 
ihren  Gewinn  aus  den  Pilgern  seiner  Heimath  ziehen:  ausser  ihm 
selbst  noch  ein  Lamponger  und  zwei  Mekkaner.  Seine  eignen  Ge- 
hülfen sind  meist  Landsleute  oder  doch  Malaien;  auch  lebt  hier 
eine  verhältnissmässig  bedeutende  Kolonie  von  Lampongern,  von 
denen  sich  mehrere  mit  gutem  Erfolg  auf  das  Studium  verlegen. 
Infolge  dessen  sind  heutzutage  die  Kenner  des  muslimischen  Ge- 
setzes und  Förderer  muslimischen  Lebens  in  den  Lampongschen 
Distrikten  viel  zahlreicher  als  vor  30  Jahren. 


1)  Vergl.  unten  S.  35-1. 

2)  Vergl.  oben  S.  25i. 


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Der  panislamitische  Gedanke  Hess  unseren  Schech  nicht  unbe- 
rührt, und  ganz  Lampong  in  Mekka  kam  unter  den  Einfluss  der- 
selben Hoffnungen.  Während  des  russisch-türkischen  Krieges  wur- 
den im  Hause  unseres  Schechs  inbrünstige  Gebete  für  den  Sieg 
der  muslimischen  Waffen  emporgesendet,  und  an  den  Geldbeiträ- 
gen zur  Kriegskasse  betheiligte  sieh  keiner  freiwilliger  als  er.  Nach 
seiner  Heimath  hatte  sich  indessen  der  politische  Bestandtheil  mo- 
hammedanischer Begeisterung  noch  nicht  energisch  verbreitet;  von 
jeher  gab  es  dort  zwar  oppositionelle  Kreise,  aber  die  stan- 
den seinen  Leuten  gerade  feindlich  gegenüber.  Manchmal  überlegte 
sich  der  Schech,  wie  Alles  geworden  wäre,  wenn  man  nicht  die 
Holländer  freudig  hereingeholt  hätte:  hätte  man  die  kleinlichen 
Zwistigkeiten,  welche  die  Djawah  daheim  zertheilen,  durch  den 
edlen  Kriegsruf  des  Islam’s  übertönt,  sich  unter  der  Fahne  des 
Sultanats  von  Banten,  Palembang  oder  am  Ende  Atjeh  geschaart 
und  die  Belanda  (=  Wclanda,  Olanda)  hinausgeworfen,  so  bilde- 
ten jetzt  einige  Millionen  Djawah  zusammen  ein  grosses  muhamine- 
danisches  Reich,  dem  sich  immer  mehr  Rassengenossen  anschliessen 
würden!  In  solcher  Stimmung  trafen  ihn  manchmal  Briefe  aus  der 
Heimath,  die,  vorzüglich  wenn  sie  von  seinen  nächsten  Verwand- 
ten kamen,  einen  ganz  anderen  Geist  athmeten.  Ein  sehr  naher 
Verwandter, der  das  Amt  des  Distriktsoberhaupts  bekleidet,  berichtete 
immer  die  in  der  Verwaltung  eingetretenen  Aenderungen,  gab  sei- 
ner Freude  Ausdruck  ob  des  guten  Verhältnisses,  worin  er  mit 
dem  Assistentresidenten  stand,  übersandte  ihm  sogar  einmal  die 
Zeichnung  einer  ihm  von  der  Regierung- verliehenen  Verdienstme- 
daille usw.  Derartige  Briefe  reizten  den  übrigens  gar  nicht  wilden 
Geist  des  Schechs  zum  Fanatismus;  in  solchen  Augenblicken  fluchte 
er  einem  von  seinen  älteren  Verwandten , der  im  Kampf  gegen  Pa- 
lembang gefallen  war,  und  nannte  ihneinen  «Märtyrer  des  Teufels.” 
Einmal  kam  es  zum  Ausbruch : jenes  Distriktshaupt  schrieb  ihm,  die 
Holländer  erlitten  in  Atjeh  eine  Niederlage  nach  der  anderen , vorzüg- 
lich weil  das  Klima  ihnen  unerträglich  sei  und  sie  die  Listen  der 
Atjeher  nicht  verstünden.  Sein  Ehrgefühl  lasse  nicht  zu , dass  er  dabei 
unthätig  bleibe,  und  er  habe  durch  Vermittelung  seines  niederlän- 


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dischen  Vorgesetzten  dem  »grossen  Herrn”  (Generalgouverneur)  an- 
geboten,  selbst  mit  300  wohlgoübtcn  Lampongem  gegen  die  nörd- 
lichen Feinde  ins  Feld  zu  ziehen,  zu  welchem  Zwecke  er  die  Re- 
gierung gebeten,  ihm  300  Hinterlader  zur  Verfügung  zu  stellen. 
Er  ersuchte  nun  seinen  in  Mekka  lebenden  Verwandten,  ihm  ein 
ausgezeichnetes  »Stambuler”  Schwert  zu  kaufen,  Zemzemwasser dar- 
über zu  sprengen  und  im  Haram  Gebete  darüber  zu  sprechen , damit 
es  Allah  zum  Siegesschwerte  mache! 

Die  Antwort  unseres  Schechs  auf  dies  naive  Schreiben  muss  wie 
ein  Donnerschlag  in  die  Wohnung  des  Distriktshauptes  gefallen  sein. 
Statt  der  Begrüssungsformel : «Frieden  über  euch!”  hub  dieselbe 
mit  den  in  Fällen  des  Zweifels  an  der  Rechtgläubigkeit  des  Ange- 
redeten üblichen  Worten  an:  »Frieden  über  den,  so  der  rechten 
Leitung  folgt”.  Dann  folgte  eine  weitläufige  Behandlung  des  Themas 
vom  Verhältniss  zwischen  Gläubigen  und  Ungläubigen , dass  diese 
eigentlich  überall  unter  der  Herrschaft  jener  stehen  sollten  und  dass 
es  Allahs  Befehlen  zuwiderlaufe,  wenn  Muslime  ihr  eignes  Gebiet 
ohne  hartnäckigen  Kampf  Ungläubigen  abträten.  Er  schilderte  die 
traurige  Lage,  worin  die  Länder  der  Djäwah  durch  Lauheit  in 
religiösen  Dingen  gerathen  seien,  und  betonte,  dass  mehr  Glaube 
grösseren  Eifer  und  Einigung  erzeugt  haben  würde,  wodurch  zwei- 
felsohne ein  unwiderstehliches  muhammedanisches  Djäwahreich  an 
die  Stelle  des  Kafirregiments  getreten  wäre.  Zum  Schluss  äusserte 
er  die  Hoffnung,  sein  Verwandter  möge  sich  von  den  Wegen  der 
Ungläubigen  abwenden  und  in  seiner  Umgebung  die  rein  muhaui- 
medanische  Gesinnung  fordern.  Sollte  der  Scheck  aber  jemals  er- 
fahren, sein  vormaliger  Freund  sei  nach  Atjeh  gezogen,  um  den 
Heeren  des  Satans  zum  Sieg  zu  verhelfen , so  schwöre  er , dass  jeden 
Tag  vor  der  Ka'bahschwelle  seine  Gebete  emporsteigen  würden , Allah 
möge  den  Leichnam  des  Renegaten  unbeerdigt  am  Atjehschen  Strande 
liegen  lassen.  Alles  bisher  Erzählte  habe  ich  aus  dem  Munde  des 
Schechs  gehört , ohne  mich  näher  an  Ort  und  Stelle  zu  erkundigen ; 
die  Antwort  des  Distriktshauptes  habe  ich  aber  selbst  gelesen.  Reu- 
müthig  gestand  er  seinen  Fehler  ein  und  führte  zur  Entschuldigung 
seine  Unwissenheit  in  religiösen  Dingen  an.  Sein  Angebot  habe 
II  45 


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er  in  passender  Form  zurückzunehraen  gewusst , und  fernerhin  werde 
er  für  den  Sieg  der  islamischen  Waffen  beten. 

Solche  eingeborene  Vcrwaltungsbcamten  sind  in  der  Regel  mit 
dem  Inhalt  der  religiösen  Bücher  nur  wenig  vertraut,  auch  wenn 
sie,  was  oft  genug  der  Fall,  weniger  Neigung  für  die  Regierung 
haben  als  unser  Latnponger  oder  wenn  sie  aus  Aberglauben  die 
mystischen  Scheche  aufs  Höchste  verehren.  Aus  dem  Verkehr  mit 
mehreren  Lampongern,  die  nur  zum  Haddj  nach  Mekka  kamen, 
hat  sich  mir  aber  ergeben,  dass  man  dort  jetzt  ziemlich  sorgfälti- 
gen Unterricht  in  den  »drei  Fächern”  bekommen  kann,  wiewohl 
dort  nicht  solche  wissenschaftliche  Centra  existieren  wie  im  Pa- 
dangschen  Hochlande,  in  Palembang  oder  in  Atjeh.  Aus  diesem 
typischen  Beispiel  ersieht  man,  wie  das  Haddj  indirekt  als  Kanal 
dient,  durch  welchen  Strömungen  intensiven  muslimischen  Lebens 
ihren  Weg  in  die  Djäwah-länder  finden.  Mehr  als  die  Leute  vom 
Schlage  des  Lampongschen  Schechs  tragen  dazu  im  Ganzen  die 
wissenschaftlichen  Elemente  der  Djäwahkolonie  in  Mekka  bei.  Wollte 
ich  eine  einigcrmaassen  erschöpfende  Beschreibung  dieser  Kreise 
geben,  wie  sie  sich  während  meines  Aufenthalts  gestalteten,  so 
müsste  ich  allzu  oft  mit  anderen  Worten  dasselbe  sagen,  denn 
der  Lebensgang  und  die  Thätigkeit  eines  Gelehrten  sind  manchmal 
von  denen  des  anderen  nur  in  Namen  und  unbedeutenden  Einzel- 
heiten verschieden.  Zum  Ueberblick  genügt  es  völlig,  wenn  wir 
einige  hervorragende  Männer  besuchen  und  sie  sowie  ihre  Freunde 
und  Schüler  über  ihre  Vergangenheit  und  Lebensweise  befragen. 

Aus  Batavia  stammt  der  Nestor  der  Djäwahgelehrten , Djaneid, 
der  schon  in  reifem  Alter  stand  und  ziemlich  gründliche  Studien 
gemacht  hatte,  als  er  vor  mehr  als  fünfzig  Jahren  nach  Mekka 
reiste,  um  nicht  wieder  heimzukehren.  Zu  seinen  Lehrern  zählte 
der  Mufti  Djamäl,  den  die  heutige  Generation  nur  dem  Namen 
nach  kennt,  und  wenn  ein  berühmter  Zeitgenosse  Djuneid’s,  der 
mit  ihm  zur  Djäwahkolonie  gehörte , heutzutage  genannt  wird , 
setzt  man  dessen  Namen  die  bezeichnenden  Worte:  »der  selige” 
vor.  Der  in  allen  Fächern  bewanderte  Chatib  Sambas  (aus  Borneo), 
der  als  Ordensschech  so  viele  Djäwah  in  die  Qädiritische  Tarlqah 


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eingeweiht  hat;  der  fast  zum  Heiligen  verklärte  Abdulghäni  Bima 
(aus  Sumbäwa),  der  rührige,  auch  von  seinen  Landsleuten  sehr 
verschieden  beurtheilte,  jedenfalls  ziemlich  gelehrte  und  sehr  fana- 
tische Ismail  Menangkdbo  (aus  Sumatra) , und  viele  weniger  in  den 
Vordergrund  getretene  Erscheinungen  gehörender  Vergangenheiten; 
nur  Djuneid  lebt  noch  und  zeigt  sich,  wenn  es  irgend  geht,  an 
den  Familienfesten  vornehmer  oder  gelehrter  Landsleute,  die  ihm 
gern  die  Benennung  eines  Kindes,  das  Schlussgebet  einer  Qiräjeh 
oder  die  Leitung  eines  Dikr  übertragen,  obgleich  seine  Stimme 
durch  Altersschwäche  und  das  Fehlen  vieler  Zähne  immer  mehr 
an  Deutlichkeit  verliert. 

In  früheren  Jahren  führte  er  in  seiner  Wohnung  die  aus  der 
Provinz  Batavia  kommenden  Studenten  und  auch  wohl  andere  Djäwah 
(z.  B.  aus  Bali  und  Sumbäwa),  die  das  Malaiische  als  wissenschaft- 
liche Sprache  zu  benutzen  pflegen,  in  die  arabische  Grammatik 
und  in  die  Gesetzeskunde  ein.  Er  bestrebte  sich  jedoch , seine  Schüler 
möglichst  rasch  zur  Lektüre  arabischer  Bücher  vorzubereiten,  da 
dem  völlig  arabisierten  Schech  der  Batavia’sche  Dialekt  ein  unge- 
füges Instrument  beim  Docieren  war.  Dann  las  er  über  alle  Fächer, 
bald  daheim,  bald  im  Haram,  und  diese  Vorträge  hörten  auch  vor- 
gerücktere Djäwah  an,  die  sich  als  Anfänger  einer  andern  als  der 
malaiischen  Sprache  bedient  hatten.  So  grosses  Ansehen  gewann  Dju- 
neid, dass  man  ihm  ohne  jede  Bitte  einen  Antheil  an  der  jährlichen 
Kornsendung  für  die  Gelehrten  zuerkannt  hat.  Seit  mehreren  Jahren 
hat  er  seine  Kollegien  aufgeben  müssen ; Kräfte , die  ihm  in  keiner 
Beziehung  nachstehen,  setzen  seine  Arbeit  fort. 

Mit  einer  egyptischen  Frau  erzeugte  er  zwei  Söhne:  Sa'Td  und 
Ascad.  Beide  wurden  ziemlich  arabisch  erzogen,  lernten  jedoch  die 
Anfangsgründe  der  Wissenschaft  ausser  beim  Vater  bei  dessen  Zeit- 
genossen unter  den  Djäwah  (Abdulghäni  Bima  usw.).  Später  wur- 
den die  im  vorigen  Kapitel  erwähnten  schäfi'itischen  Professoren  ihre 
Lehrer,  deren  Kollegien  sich  der  meisten  Djäwahzuhörer  erfreuten: 
Muytafa  'Aflfi,  Ahmed  Dahlän  und  die  längst  verstorbenen  Scheche 
Madah  und  en-NahräwI.  Die  Söhne  übernahmen  einen  Theil  der 
Lehrtätigkeit  ihres  Vaters,  seit  dieser  der  Ruhe  bedurfte ; vor  einigen 


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Jahren  starb  Sa'id  in  etwa  funfundvicrzigjährigem  Alter,  aber  der  vier- 
zigjährige As'ad  dociert  nach  wie  vor  den  Bataviern  und  anderen  Stu- 
denten , die  sieh  ihnen  zugesellen.  Dem  alten  Djuneid  küssen  auch  die 
gelehrtesten  und  angesehensten  Djäwah  ehrerbietig  die  Hand  und  re- 
den ihn  samint  und  sonders  als  ihren  Tuwan  Guru  (Herrn  Lehrer)  an. 

Eine  Tochter  des  Djuneid  ist  mit  dem  Bataviaschen  Gelehrten 
Mudjtaba  verheirathet , der  von  seinen  beinahe  40  Lebensjahren 
etwa  die  Hälfte  in  Mekka  verbracht  hat.  Mudjtaba  hatte  ebenfalls 
vor  seiner  ersten  Wallfahrt  seine  Studien  in  Batavia  schon  ange- 
fangen, und  er  handhabt  die  feinere  malaiische  Sprache  mit  mehr 
Gewandtheit  als  sein  Schwiegervater.  Nachdem  er  bei  diesem  und 
bei  den  arabischen  Professoren  (namentlich  Nahräwl,  Madah  und 
Ijasab  Allah)  seine  Studien  vertieft,  fing  er  selbst  in  Mekka  zu 
lehren  an , versäumte  es  indessen  nicht , bei  seinen  Lehrern  immerfort 
ein  paar  Kollegien  zu  hören.  An  Schülern  fehlte  es  ihm  nicht, 
und  seine  Verwandten  und  Freunde  in  der  Heimath  ergänzten  gern 
den  Ertrag  seines  dortigen  geringen  Grundbesitzes  zu  einem  genü- 
genden Einkommen.  Auf  die  Dauer  befriedigte  ihn  jedoch  dies  ru- 
hige Leben  nicht,  und  seit  vielen  Jahren  gehört  er  zu  den  Zug- 
vögeln der  Djäwahkolonie : alle  paar  Jahre  überträgt  er  dem  Djuneid 
die  Sorge  für  dessen  Tochter  und  besucht  seine  beiden  Gattinnen 
in  Batavia,  wo  er  dann  ein  Jahr  oder  länger  verbleibt,  die  Ver- 
waltung seiner  Liegenschaften  ordnet,  Bücher  und  andere  Waaren 
aus  Mekka  verkäuft  und  seine  Mussestunden  den  Interessen  lern- 
begieriger Landsleute  widmet.  Sein  Auftreten  im  geselligen  Verkehr 
ist  affektiert  bescheiden  und  vornehm ; bevor  er  eine  Frage  beant- 
wortet, schaut  er  eine  Minute  vor  sich  hin  und  bringt  dann,  je 
nach  der  Sprache  des  Fragenden,  in  elegantem  Malaiisch  oder 
Arabisch  einen  regelrechten  Satz  heraus.  Niemals  verneint  oder  be- 
richtigt er  geradezu  die  Aeusserung  eines  Anderen;  ein  « reclimme 
sed  jjotius  contrarium”  ist  der  schärfste  Tadel,  der  über  seine  wei- 
sen Lippen  kommt.  Solche  Art  imponiert  den  Djäwah  gewaltig; 
obgleich  Mudjtaba  des  vielen  Hin-  und  Herreisens  wegen  keinen 
Platz  in  der  vorderen  Reihe  der  gelehrten  Djäwah  erringen  konnte, 
ist  er  unter  seinen  Landsleuten  doch  eine  überaus  beliebte  Figur. 


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Hiermit  nehmen  wir  von  der  Provinz  Batavia  Abschied;  die 
anderen  Länder  Westjava’s  (das  Sundanesische  Sprachgebiet)  wer- 
den uns  aber  noch  lange  beschäftigen,  denn  kein  Theil  Ostindiens 
ist  unter  den  Lehrern  ersten  Ranges  sowie  unter  Studenten  jedes 
Alters  reichlicher  vertreten  als  dieser.  Auf  Westjava  fand  bekannt- 
lich der  Islam  bei  seinem  Erscheinen  viel  einfachere  Zustände  vor  als 
in  den  mittleren  und  östlichen  Theilen  der  Insel ; dort  wurde  er  nicht 
so  lange  wie  hier  durch  tief  eingeprägte  nationale  Traditionen  in  seiner 
Wirkung  gekreuzt  und  zeigt  er  somit  viel  weniger  lokale  Farbe.  Aus 
dem  früheren  Sultanat  Banten  stammen  die  meisten  Grössen  der  hei- 
ligen Wissenschaft,  aber  auch  Priangan  (vulgo:  Preanger)  ist  den 
Mekkanern  in  geistiger  und  materieller  Hinsicht  (weil  es  viele  Stu- 
dierende und  viele  Pilger  liefert)  eins  der  »besten”  Djäwahländer. 

Zur  muslimischen  Kultursprache  hat  sich  das  Sundanesische  nicht 
emporgeschwungen;  in  vollgültigem  Sinne  kann  man  als  solche  nur 
das  Javanische  und  Malaiische  ') , einigermaassen  auch  das  Madu- 
resische,  Makasarische  und  Buginesiscbe  betrachten,  ln  jenen  bei- 
den giebt  es  für  jedes  muslimische  Wissensfach  eine  stattliche  Reihe 
von  Uebersetzungen  aus  dem  Arabischen,  aber  auch  direkt  in  die- 
sen Sprachen  verfasste  Kompilationen , Kommentare  und  eine  reiche 
populär-religiöse  Litteratur,  worin  die  lokalen  'typen  des  Islam’s 
am  meisten  zum  Ausdruck  gelangen.  In  viel  geringerem  Grade 
haben  sich  die  drei  anderen  als  passende  Gewänder  für  die  Wis- 
senschaften des  Islam’s  erwiesen.  Maduresen,  Mukassaren  und  Bu- 
ginesen , die  etwas  auf  diesem  Gebiete  erreichen  wollen , sind  daher 
genöthigt,  am  Ende  Javanisch  oder  Malaiisch  zu  lernen,  wenn 
ihnen  arabische  Sprachstudien  zu  schwierig  oder  zu  weitläufig  sind. 
Dagegen  hat  das  Sundanesische  als  wissenschaftliches  Verkehrsmittel 
gleich  geringen  Werth  wie  z.  B.  die  Sprachen  der  Atjeher  oder 
der  Lamponger1).  Sogar  wenn  diese  Leute  daheim  studieren , fangen 
sie  gleich  in  einer  fremden,  wiewohl  der  ihrigen  nahe  verwandten 

1)  Beide  Sprachen  werden  aber  von  allen  Gelehrten,  die  sie  von  ihrer  Mutter  erlernt 
haben,  sobald  sie  gut  Arabisch  verstehen,  als  untauglich  verschmäht.  Auch  in  dieser 
Hinsicht  wirken  sie  selbst  oifrigst  mit  zur  Geringschätzung  ihrer  Kasse. 

2)  Dennoch  sind  auch  in  solche  Sprachen  einzelne  arabische  Bücher  übersetzt,  aber  als 
Instrumente  der  Wissenschaft  hält  man  sie  für  ungenügend. 


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Sprache  an;  höchstens  helfen  die  Anfänger  dem  mangelhaften  Ver- 
ständniss  durch  einzelne  kleine  Notizen  oder  fragmentarische  In- 
terlinearübersetzungen in  ihrer  Muttersprache  nach,  die  ihnen  der 
landsmännische  Lehrer  in  die  Feder  diktiert. 

Während  sich  nun  viele  Sundanesen  in  javanischer  Sprache  die 
Kenntniss  der  höchsten  Wahrheit  aneignen,  bedienen  sich  andere, 
gleichwie  die  Atjeher,  Lamponger,  die  Leute  von  Sumbawa  usw., 
des  Malaiischen.  Auch  in  Mekka  wird  den  Sundanesen  diese  Wahl 
geboten  und  gehen  sie  verschiedene  Wege.  Ein  Hauptunterschied 
zwischen  der  heimatlichen  und  der  mekkanischen  Lehrmethode  ist 
aber  der,  dass  in  Mekka  die  malaiische  oder  javanische  Sprache 
immer  zunächst  als  Mittel  dient,  die  Studenten  in  das  Arabische 
einzuführen,  namentlich  in  die  Grammatik,  damit  sie  über  diese 
Brücke  zum  gründlichen  Studium  arabischer  Werke  der  Gesetzes- 
kunde, Glaubenslehre  usw.  fortschreiten,  freilich  unter  steter  Be- 
nutzung der  heimathlichen  Sprache  bei  der  Interpretation  der  Texte, 
bis  die  gewonnene  copia  verborum  diese  überflüssig  macht.  Hinge- 
gen auf  Java  gebraucht  man  entweder  nur  javanische  oder  malaii- 
sche Bücher,  oder  aber  man  fängt  ohne  die  geringste  Vorbereitung 
mit  der  Lektüre  kleiner  arabischer  Anleitungen  an:  nur  an  den 
wenigsten  Orten  (Samärang,  Surabaya  und  im  Binnenlande  dort, 
wo  ein  namhafter  Lehrer  einer  Schule  zeitweiligen  Glanz  verleiht) 
befolgen  meistens  in  Arabien  gebildete  Docenten  die  mekkanische 
Methode,  die  allerdings  in  Westjava  überhandnimmt  und  wohl 
allmählich  die  alte  Lehrweise  verdrängen  dürfte. 

Es  scheint  sehr  ungeschickt,  den  Leuten  arabische  Bücher  in 
die  Hand  zu  geben,  bevor  sie  sieh  mit  der  arabischen  Sprache 
überhaupt  beschäftigt  haben;  für  die  Bedürfnisse  der  meisten  Jüng- 
linge, die  in  Java  die  Schulen  besuchen,  ist  die  Sitte  jedoch  ver- 
hältnissmässig  praktisch.  Man  beachte  einmal , wie  unendliche  Mühe 
und  Ausdauer  der  Javane  in  Mekka  darauf  verwenden  muss,  zuerst 
die  arabischen  Flexionstafeln  zu  verstehen,  sodann  den  Inhalt  eines 
grammatischen  Werkes  tropfenweise  zu  verdauen , endlich  durch 
lange  fortgesetzte  grammatische  Analyse  das  Erlernte  zum  Verständ- 
niss  eines  Fiqh-buches  anzuwenden.  Der  Knabe  schreibt  jeder  Form 


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der  Flexionstafeln  die  darauf  bezüglichen  arabischen  Termini  und 
die  umständlichste  Uebersetzung  ins  Javanische  (oder  Malaiische) 
hinzu;  so  schreibt  er  etwa  über  das  Wort  fcfala:  ßH  mädhi  muf- 
rad  mudakkar  ghäib  (d.  h.  Perfekt  des  Verbums  Singular  männ- 
lich 3te  Person)  und  unter  dasselbe:  nufnane  wus  agaice  wong 
lanang  sidji  ghdib  ')  (d.  h.  »die  Bedeutung  ist : eine  abwesende  männ- 
liche Person  hat  gethan );  die  Form  fa'alä  heisst  in  der  Ueberschrift : 
Jtl  mädhi  tathnjah  mudakkar  ghäib  (d.  h.  Perfekt  des  Verbums 
Dual  männlich  3te  Person)  und  in  der  Unterschrift:  malnane  wus 
agawi  wong  lanang  loro  ghdib  (d.  h.  »die  Bedeutung  ist:  »zwei 
männliche  abwesende  Personen  haben  gethan”).  Nachdem  der  Schü- 
ler alle  Formen  mit  solchen  Erklärungen  der  Reihe  nach  auswen- 
dig weiss,  werden  ihm  dieselben  durch  einander  und  mit  Anwen- 
dung auf  andere  Wurzeln  als  das  Paradigma  ( fciala ) abgefragt. 
Darauf  lässt  man  ihn  wohl  die  einzelnen  Wörter  eines  grammati- 
schen Handbuchs  in  der  angegebenen  Weise  analysieren,  und  wenn 
ihm  dies  keine  Schwierigkeit  mehr  macht,  erklärt  man  ihm  den 
Sinn  der  grammatischen  Regeln  durch  paraphrasierende  Ueberset- 
zung ins  Malaiische  oder  Javanische.  Ist  die  Muttersprache  des 
Schülers  eine  andere  als  diese  beiden  (also  etwa  sundanesisch  oder 
atjehsch),  so  werden  ihm  die  einzelnen  Wörter  der  Erklärung,  die 
er  nicht  versteht,  wieder  in  jene  übersetzt.  Nach  Beendigung  des 
ersten  grammatischen  Buches  behandelt  man  in  ähnlicher  Weise  einen 
Fiqh-text:  was  der  Student  nicht  versteht,  analysiert  man  zuerst 
und  übersetzt  das  Ganze  in  eine  der  beiden  muslimischen  Littera- 
tursprachen  der  Djäwah. 

Den  Wortschatz  muss  er  nur  allmählich  durch  vieles  Lesen 
unter  Leitung  eines  Lehrers  beherrschen  lernen;  dabei  sind  natür- 
lich die  in  Mekka  Ansässigen  sehr  im  Vortheil  gegen  die  in  der 
Heimath  Studierenden,  auch  wenn  Letztere  einen  gründlichen  Ken- 
ner der  arabischen  Sprache  oder  gar  einen  Araber  zum  Lehrer 
haben ; die  Bekanntschaft  mit  der  Umgangssprache  lässt  sich  durch 
nichts  ersetzen. 

1)  Solch«  Glossen  odor  Interlinearübersetzungen  werden  bekanntlich  auch  in  javani- 
scher Sprache  mit  arabischen  Buchstaben  geschrieben. 


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Wollte  man  nun  in  den  Djäwahländern  das  Thor  der  Wissen- 
schaft bloss  denjenigen  öffnen , die  zuerst  den  langen  Weg  der  Flexion 
und  der  Grammatik  durchwandert  haben,  so  würde  der  weitaus 
grösste  Theil  der  Lernbegierigen  den  Muth  verlieren,  bevor  sie 
noch  ein  Wort  vom  heiligen  Gesetze  verstünden.  Darum  giebt  man 
in  den  Schulen  Javas,  wo  noch  nicht  die  arabische  Methode  diese 
Sitte  ersetzt  hat,  den  Anfängern  gleich  kleine  arabische  Abhand- 
lungen über  die  Anfangsgründe  des  Gesetzes  und  der  Glaubenslehre 
in  die  Hand.  Von  den  darin  vorkommenden  Kunstausdrücken  sind 
den  Leuten  viele  geläufig,  und  der  Lehrer  stellt  den  Zusammen- 
hang durch  seine  Erläuterungen  her,  die  der  Zuhörer  zwischen  die 
Zeilen  des  Textes  schreibt.  Es  bedarf  kaum  der  Erwähnung,  dass 
Manche  immer  nur  das  zwischen  den  Zeilen  Stehende  verstehen, 
weil  das  Original  ihnen  trotz  wiederholten  Buchstabierens  und  an- 
dachtsvoller Vorlesung  unergründlich  bleibt.  Dennoch  sieht  man  auch 
von  dieser  jämmerlichen  Lehrmethode  wirklich  erstaunliche  Erfolge: 
ich  habe  in  Mekka  Leute  aus  Ponorogo  und  Patjitan  gesehen , die 
durch  jahrelang  fortgesetztes  Studium  dieser  Art  arabische  Fiqh- 
texte  ebenso  geläufig  und  fast  ebenso  sicher  übersetzten  wie  ihre 
Landsleute  aus  Samürang  und  Surabaya,  welche  nach  arabischer 
Methode  studiert  hatten;  nur  das  jene  keinen  Satz  richtig  lasen, 
keinem  Worte  genau  seine  Stellung  im  Satze  anweisen  konnten  und 
manchmal  bloss  den  Inhalt  richtig  Wiedergaben. 

In  Mekka  befolgen  nun  zwar  fast  alle  Djäwahlehrer  die  arabische 
Methode,  aber  sie  haben  dabei  die  verschiedenen  Bildungsstufen 
zu  berücksichtigen , welche  ihre  Schüler  bereits  in  der  Heimath 
erstiegen  hatten.  Mit  diesem  haben  sie  von  vorne  anzufangen , jenem 
das  Erlernte  nach  strengerer  philologischer  Methode  noch  einmal 
vorzuführen.  Einzelne  passen  leidlich  mit  Vorgerückteren  zusammen , 
die  immer  in  Mekka  studiert  haben.  Es  macht  übrigens  nicht  aus , 
wenn  Jünglinge  zusammen  hören,  die  nach  unseren  Begriffen  in 
mehrere  Klassen  einzutheilen  wären , denn  sie  helfen  sich  fortwährend 
gegenseitig  aus : was  dem  Einen  fehlt , des  hat  der  Andere  Ueberfluss , 
zumal  der  Studienweg  auch  von  denen , die  nach  gleicher  Methode 
lernen,  nicht  in  derselben  Weise  durchschritten  wird.  Wer  sich  bei 


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SGI 


einer  Station  länger  aufhiilt  als  alle  Anderen,  ist  ihnen  vielleicht 
vor  der  nächsten  schon  vorausgeeilt.  Durch  den  Verkehr  mit  ein- 
ander und  die  gemeinschaftlichen  Uebungen  lernen  die  Studenten 
wenigstens  ebenso  viel  wie  im  Kolleg. 

Nach  dieser  Abschweifung  wollen  wir  nun  zunächst  die  sunda- 
nesischen  Gelehrten  in  Mekka  durchmustern  und  uns  bei  einzelnen 
einen  Augenblick  aufhalten.  Zwei  ziehen  unsere  Aufmerksamkeit 
auf  sich  durch  die  grosse  Zahl  von  Prcanger  Jünglingen,  die  sie 
umgeben.  Beide,  Muhammed  und  Hasan  Mustafa  werden  hier  mit 
dem  Namen  ihres  Heimathsortes  in  Priangan , Garut , wie  mit  einem 
Familiennamen  bezeichnet.  Muhammed  Garut  ist  ziemlich  alt;  nicht 
als  angehender  Schüler , sondern  als  nach  gründlicherem  Studium  dür- 
stender Lehrer  kam  er  zuerst  nach  Mekka  und  setzte  sich  zu  den  Füs- 
sen egyptischor  und  daghustaniseher  Professoren,  in  deren  Kreisen  die 
hoffnungsvollsten  Djäwnh  seine  Genossen  waren.  Das  bewegte  Leben 
der  heiligen  Stadt  während  der  Feriensemester  veranlasste  ihn  manch- 
mal, dem  Beispiele  vieler  Landsleute  folgend,  der  Heimath  einen 
Besuch  abzustatten ; auch  er  war  oft  ein  Glied  der  Verbindungskette 
zwischen  Mekka  und  Java.  Bald  hier,  bald  dort  lehrte  er  mit  vielem 
»Segen’’  alle  propädeutischen  und  theologischen  Fächer;  die  letzten 
zehn  Jahre  hat  er  ununterbrochen  in  Mekka  gelebt  und  die  Ge- 
schenke von  Verwandten  und  Verehrern  gestatteten  ihm,  hier  an 
dem  Abhang  des  Berges,  der  sich  hinter  dem  Quschäschijjah-vier- 
tel ')  erhebt,  ein  eigenes  Haus  zu  bauen.  Seit  etwa  sechs  Jahren 
liest  er  zwar  täglich  noch  ein  paar  Kollegien  über  Grammatik  und 
Fiqh;  sein  Hauptaugenmerk  ist  aber  die  Mystik  geworden:  60 — 
70  Javanen  und  Sundanesen  in  Mekka  sind  wie  »Leichen  in  der 
Hand  des  Wäschers”  im  Gehorsam  gegen  Muhammed , und  viele 
Pilger  tauschen  jährlich  etwas  »Segen”  gegen  ihre  frommen  Gaben 
bei  ihm  ein. 

Hasan  Muftafa  war  schon  auf  Java  Muhammeds  Schüler  und 
kam  erst  vor  etwa  14  Jahren  nach  Mekka,  die  Kollegien  älterer 
Djäwahgelehrten  und  im  Haram  die  des  IJasab  Allah,  Mustafa 

1)  Vergl.  N°.  27  dos  Grundrisses  von  Mokka. 

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'Aflfl,  Abdallah  Zawäwi  usw.  zu  besuchen.  Schon  gegen  10  Jahre 
ertheilt  er  nun  selbst  Unterricht,  und  einige  von  ihm  kompilierte 
Lehrbücher  (sogar  eins  über  die  ambische  Poetik)  sind  in  Cairo 
gedruckt.  In  seiner  Wohnung  fand  man  nach  Sonnenaufgang  und 
nach  dem  Mittag  immer  einige  Dutzend  Javanen  und  Sundanesen, 
die  seinem  Worte  lauschten;  zu  anderen  Stunden  hörte  er  selbst 
im  Haram.  Vor  ein  paar  Jahren  ist  er  aber  wieder  nach  Java  ge- 
reist, jedoch  mit  dem  Plane,  sich  nicht  länger  dort  aufzuhalten, 
als  seine  Geschäfte  es  erfordern. 

Jetzt  kommen  wir  zur  Provinz  Kanten,  deren  Bewohner  in  allen 
Klassen  der  Djäwahkolonie  zahlreich  vertreten  sind;  die  angesehen- 
sten Leiter  der  geistigen  Bewegung  stammen  der  Mehrzahl  nach 
aus  Banten.  Als  Gelehrter  überragt  Alle  der  Schech  Muhammed  A'a- 
icdwi , vulgo  Sc/tecA  Nawawi  Banten,  der  seinem  vom  berühmten 
Verfasser  schäfi'itischer  Hauptwerke  entlehnten  Namen  alle  Ehre 
macht.  Sein  Vater  Omar  ibn  Arabi  war  Distriktspenghulu  (Haupt- 
geistlicher der  Moschee  usw.)  in  Tanära  (Banten)  und  führte  selbst 
seine  Söhne,  Nawawi,  Tamim  und  Ahmed,  in  die  Elemente  der 
Wissenschaft  ein.  Ihre  weitere  Ausbildung  erlangten  die  Brüder 
zuerst  von  Haddji  Sahal,  einem  damals  in  Banten  sehr  gesuchten 
Lehrer;  später  reisten  sie  nach  Purwakarta  in  Krawang,  wohin 
Raden  Haddji  Jusuf  fahrende  Studenten  aus  ganz  Java,  namentlich 
aus  dem  Westen  zog.  Ganz  jung  machten  sie  ihre  Wallfahrt,  und 
nach  derselben  blieb  Nawawi  gegen  drei  Jahre  in  Mekka;  als  er 
dann  mit  reicher  wissenschaftlicher  Beute  heimkehrte,  war  schon 
der  Plan  bei  ihm  gereift,  sich  bleibend  in  der  Nähe  des  Hauses 
Allahs  niederzulassen,  und  bald  kam  derselbe  zur  Ausführung. 

Seit  etwa  30  Jahren  ist  er  nun  in  Mekka  unausgesetzt  thätig, 
seine  Kenntnisse  nach  jeder  Richtung  der  muslimischen  Wissen- 
schaft zu  vervollkommnen  und  den  üjäwah  als  Führer  die  Pfade 
des  Studiums  zu  ebnen.  Anfangs  hörte  er  bei  den  jetzt  hingeschie- 
denen  Grössen  der  vorigen  Generation , Chatib  Sambas , Abdulghani 
Bima  usw.;  seine  eigentlichen  Lehrer  waren  aber  die  Egvpter  Jusuf 
Sumbulaweinl  und  Nahräwi  sowie  der  vor  wenigen  Jahren  gestor- 
bene Abd  el-Hamld  DaghustänT,  bei  dem  er  mit  vielen  anderen 


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Gelehrten  fast  bis  zu  dessen  Lebensende  ein  Kolleg  zu  hören  fort- 
fuhr. Früher  docierte  er  selbst  zu  allen  verfügbaren  Stunden , aber 
in  den  letzten  15  Jahren  lässt  ihm  seine  schriftstellerische  Thiitig- 
keit  für  jenen  Zweck  bloss  die  Vormittage  übrig.  Jeden  Morgen 
zwischen  7'/s  und  12  Uhr  hält  er  etwa  drei  Vorlesungen  ab,  deren 
Gegenstände  nach  den  Bedürfnissen  seiner  zahlreichen  Schüler  ab- 
wechseln. Nach  wie  vor  empfängt  .er  sowohl  Knaben,  die  erst  mit 
der  grammatischen  Analyse  anfangen,  als  reife  Schüler,  die  schon 
selbst  in  ihrer  Wohnung  einen  kleinen  Hörsaal  eingerichtet  haben, 
aber  diese  sowohl  als  einige  Hausgenossen  des  Sehechs  (z.  B.  sein 
jüngster,  sechszchnjühriger  Bruder  Abdallah,  der  ganz  von  ihm  er- 
zogen ist)  nehmen  ihm  einen  Theil  des  Elementarunterrichts  von 
den  Schultern. 

Nawawi  liefert  ein  bezeichnendes  Beispiel  der  Schwierigkeiten, 
welche  ein  Djäwah  beim  mündlichen  Gebrauch  der  arabischen 
Sprache  zu  überwinden  hat.  Nach  gründlicher  Vorbildung  lebt  er 
nunmehr  30  Jahre  in  der  arabischen  Stadt;  den  Qurän,  den  er 
ganz  auswendig  kann,  recitiert  er  völlig  korrekt,  und  beim  Vorle- 
sen eines  arabischen  Textes  kommen  die  Konsonanten  nicht  weni- 
ger pünktlich  heraus.  Sobald  er  sich  aber  im  gewöhnlichen  Leben 
der  Umgangssprache  bedient,  bildet  er  halbjavanisch  konstruierte 
Sätze  und  wirft  sogar  die  Gutturale  ljä , C/ul , cAin  und  Qfif  ver- 
zweifelt durcheinander.  Diese  vier  Laute  machen  den  Malaien  am 
meisten  zu  schaffen;  weil  nun  das  Chä  verhültnissmüssig  die  ge- 
ringste Schwierigkeit  bietet,  sprechen  viele  dies  auch  anstatt  der 
beiden  anderen,  und  werden  darob  von  den  Mekkanern  oft  ver- 
spottet. Auf  die  gewöhnliche  Frage , die  ein  Mekkaner  an  einen 
anständig  gekleideten  Djäwah  bei  erster  Begegnung  richtet:  »wie 
lange  hast  du  bereits  hier  studiert?”  lautet  die  Antwort  etwa: 
qarejt  ft  't-Iiaram  sabcal  genin  »ich  habe  im  Haram  sieben  Jahre 
gehört”;  diesen  Satz  rufen  nun  aber  die  Gassenjungen  den  ansäs- 
sigen Djäwah  in  ihrer  eignen  verderbten  Aussprache  nach,  und 
charejt  ß 'l-charam  sabca/t  senin  bedeutet:  »ich  habe  den  Charam 
sieben  Jahre  lang ....  verunreinigt.” 

Der  Fertigkeit  Nawäwi’s  im  Sprechen  war  es  allerdings  nicht  för- 


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364 


derlich,  dass  seine  einzige  Frau  eine  Landsmänninn  ist,  die  ihn 
nach  der  Behauptung  seiner  Intimen  so  ziemlich  unter  der  Pantof- 
fel hat  und  seinem  Verlangen  nach  einer  zweiten  Ehe  mit  Erfolg 
entgegentritt;  dies  wird  jedoch  dadurch  aufgewogen,  dass  er  sich 
eines  ausserordentlich  regen  Verkehrs  mit  den  arabischen  Gelehrten 
Mekkas  erfreut.  Ueberhaupt  kommen  aber  die  glänzenden  Anlagen 
unseres  Gelehrten  mehr  durch  die  Feder  als  durch  die  Zunge  zum 
Ausdruck  und  leidet  er  an  der,  auch  anderswo  mit  ordnungsloser 
Rede  oft  gepaarten,  schrecklichsten  Nachlässigkeit  in  Bezug  auf  seine 
ganze  äussere  Erscheinung.  Wenn  ihm  nicht  dns  rituelle  Gesetz  des 
Islam ’s  die  Reinlichkeit  zur  Pflicht  machte,  so  wäre  er  geradezu 
unsauber.  In  ein  paar  schmutzige,  farblose  Kleider  gehüllt,  die  seinen 
Körper  nur  spärlich  bedecken,  mit  einer  «Schweissmütze”  auf  dem 
Kopf,  trägt  er  in  einem  grossen  Zimmer  im  Erdgeschoss  seines  Hauses 
die  Erklärung  der  geweihten  Texte  vor,  und  selbst  seine  Strassen- 
toilette  entspricht  nach  mekkanisehen  Begriffen  keineswegs  der  Würde 
seiner  socialen  Stellung.  Seine  kleine  Statur  macht  er  durch  die 
stark  vornübergebeugte  Haltung  noch  kleiner;  er  geht  über  die 
Strasse,  als  wäre  der  ganze  Boden  ein  riesiges  Buch,  worin  er  läse. 
Als  ich  ihn  einmal  fragte , warum  er  niemals  im  Haram  vertrage, 
antwortete  er  mir,  die  Hässlichkeit  seiner  Kleider  und  seines  Aeus- 
sem  passe  nicht  zu  dem  vornehmen  Auftreten  arabischer  Professo- 
ren; und  auf  meine  Bemerkung,  weniger  gelehrte  Landsleute  von 
ihm  Hessen  sich  doch  dadurch  nicht  abhalten,  entgegnete  er: 
»weil  ihnen  so  hohe  Ehre  zu  Theil  wird,  haben  sie  dieselbe  gewiss 
verdient”. 

Aus  derartigen  Ausdrücken  dürfte  man  freilich  noch  nicht  schlies- 
sen,  der  Mann  sei  wirklich  bescheiden,  und  auch  die  Weise,  wie 
er  sichselbst  in  einer  Vorrede  als  »den  Schmutz  der  Füsse  der  nach 
Wissenschaft  Strebenden”  bezeichnet,  beweist  nicht  viel;  faktisch 
zeichnet  er  sich  aber  allerdings  durch  jene  Eigenschaft  aus.  Den 
Handkuss  fast  aller  in  Mekka  lebenden  Djäwah  nimmt  er  ohne 
falsche  Komplimente  als  eine  selbstredende  Huldigung  für  die 
Wissenschaft  entgegen  und  lehnt  keine  an  ihn  gerichtete  Anfrage 
um  Auskunft  über  die  Lehre  des  Gesetzes  ab.  Bei  geselligen  Zu- 


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865 


sammenkünften  jeder  Art  schliesst  er  sich  dem  Gespräche  eher  höflich 
an,  als  dass  er  es  beherrschte,  und  berührt  kein  wissenschaftliches 
Thema,  wenn  ihn  nicht  Andere  dazu  veranlassen.  Ein  Araber,  der 
ihn  nicht  kennt,  mag  einen  ganzen  Abend  in  seiner  Gesellschaft 
verbringen , ohne  zu  bemerken , dass  er  cs  'mit  dem  gelehrten  Ver- 
fasser von  ungefähr  zwanzig  arabischen  Werken  zu  thun  hat.  Sehr 
bedeutend  und  weitreichend  ist  sein  geistiger  Einfluss,  aber  dabei 
steht  seine  Person  gänzlich  im  Hintergrund.  Auf  seine  Anregung 
beschäftigen  sich  immer  mehr  Sundanesen , Javanen , Malaien  mit 
gründlichen  Islamstudien  und  finden  die  politisch-religiösen  Ideale 
des  Islams  in  ihrer  gebildetsten  Form  zunehmende  Verbreitung, 
aber  Nawawi  ist  keines  Menschen  Beichtvater.  Es  ist  nur  natürlich, 
dass  der  Mann  sich  über  die  Schwierigkeiten  freut,  welche  Atjeh 
der  Regierung  bereitet,  und  im  Gespräch  den  pensionierten  Be- 
amten Unrecht  giebt,  die  behaupten,  die  Djäwahländer  müssten 
nothwendig  von  Europäern  verwaltet  werden.  Die  Wiederherstellung 
des  Bantenschen  Sultanats  oder  irgend  eines  andern  selbständigen 
muslimischen  Reiches  würde  er  freudig  begrüssen,  gleichviel  ob  die 
Empörung  genau  nach  den  gesetzlichen  Regeln  oder  durch  zügel- 
lose fanatische  Banden  angezettelt  würde;  selbst  würde  er  aber 
keine  politische  Rolle  zu  spielen  wünschen  und  auch  Anderen 
nicht  dazu  rathen.  Unmöglich  wäre  es  ihm  aber,  wie  einst  sein 
Vater  und  jetzt  sein  dem  Vater  nachgefolgter  Bruder  Haddji 
Ahmed,  der  ungläubigen  Regierung  auch  nur  als  Penghulu  zu 
dienen. 

Persönlichen  Ehrgeiz  bethätigt  Nawawi  nur  auf  schriftstellerischem 
Gebiete;  früher  beschäftigte  er  fortwährend  die  Cairiner  Presse, 
und  jetzt  soll  er  neuerdings  einen  grossen  Kommentar  zum  Quran 
in  der  jungen  mekkanischen  Druckerei  haben  drucken  lassen.  Bei- 
spielsweise seien  von  den  Cairiner  Ausgaben  der  Werke  Nawäwi’s  er- 
wähnt : auf  grammatischem  Gebiet  ein  1 881  erschienener  Kommentar 
zur  Adjrümijjah  und  eine  1884  gedruckte  Abhandlung  über  die  Stil- 
lehre ( Lubäb  al-bajän );  zur  Dogmatik  ein  Darfat  al-jaqin  genann- 
ter Kommentar  zum  bekannten  Wcrkchen  SenüsT’s  (gedruckt  1886), 
ein  Fath  al-mudjib  genannter  Kommentar  zum  Ad-durr  al-fand  von 


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366 


Nawäwi’s  Lehrer  an-NahräwI  (gedr.  1881)  und  drei  Bücher  '),  in 
denen  nebst  den  Hauptsachen  der  Glaubenslehre  die  fünf  religiösen 
Abtheilungen  des  Gesetzes,  also  iin  Ganzen  die  »fünf  Pfeiler  des 
Islam 's”  behandelt  werden.  Daran  reihen  sich  zunächst  einige  er- 
bauliche Schriften,  die  in  feierlichen  Versammlungen  vorgetragen 
werden:  zwei  Kommentare  zu  poetischen  Mulid s (Biographien  Mu- 
hammeds)  des  Barzandjl 3 4) , ein  Kommentar  zur  Bearbeitung  der 
Himmelfahrtlegende  vom  selben  Verfasser5)  und  ein  Kommentar  zu 
einem  Gedichte ') , worin  die  «schönsten  Namen”  aufgeführt  wer- 
den, bei  denen  man  Allah,  die  Propheten  und  die  Heiligen  an- 
ruft. In  zwei  grossen  Kommentaren  5)  hat  Nawäwi  die  gesammte 
Gesetzeskunde  behandelt;  in  einem  Kommentar  zu  den  Manäsik 
des  ScharbinT  (gedr.  1880)  die  Vorschriften  bezüglich  der  Wallfahrt , 
und  in  zwei  kleinen  Kommentaren  zu  Abhandlungen  von  hadhra- 
mitischen  Gelehrten  (Sulßk  al-djüdah , gedr.  1883,  und  Sullam  al- 
munädjäh , gedr.  1884)  verschiedene  Fragen  aus  dem  Gebiete  des 
rituellen  Gottesdienstes,  ln  der  Mystik  huldigt  unser  Gelehrter,  wie 
man  dies  schon  aus  der  oben  von  ihm  gegebenen  Charakteristik 
schliessen  kann,  der  Richtung  GhazSli’s;  ganz  wie  die  im  vorigen 
Kapitel  besprochenen  Professoren  des  Hamm,  führt  auch  Nawäwi 
seine  Zuhörer  ausschliesslich  in  die  Werke  solcher  Qüfl’s  ein,  bei 
denen  das  gebeimnissvolle  Element  des  Cüfismus  gegen  ethische 
Momente  zurücktritt.  Seinen  Schülern  rüth  er  zwar  nicht,  in  eine 


1)  Der  Kommentar  ajuLJ  zu  de*  oben  mehrfach  erwähnten  Hasab  Allah'* 

jür-vVj1 2  (gedr.  1882);  der  Kommentar  iXÄxJ!  zur  metrischen  Fassung 

der  »seohazig  Fragen”  (gedr.  1883)  und  die  ÜSG-Jl  iib. S , ein  Kommentar  zur  in 
Ostindion  sehr  verbreiteten  Anleitung  dos  in  Batavia  beerdigten  Uadhr&mitcn  aus 
Sehilir,  SAlim  ibn  Samir,  dcV  LsuJ'  (gedr.  1885).  Die  meisten  Werke  waren 

schon  viele  Jahre  vollendet,  bevor  sie  zum  Druck  gelangten. 

2)  Das  wsjscy  (gedr.  1875)  und  Jyckii ' _ y Jw«  (gedr.  1879). 

3)  (gedr.  1881). 

4)  Das  Gedieht  ist  von  i_>iajt ; der  Kommentar  wurde  1885  gedruckt. 

5)  Im  £jLj  , dem  Kommentar  zum  Sys  von  Zein  ad-dtn  al-Meltbärt, 

dessen  eigener  Kommentar  zu  diesem  Buche  ( Falk  al-ma'ia)  in  Ostindien  längst  sehr 
IKjpulir  ist  (gedr.  1881),  und  im  dem  Kommentar  zum  berühmten  Werke  Ibn 

Qäsim’s  (gedr.  1SS4). 


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3G7 


eigentliche  Tarlqah  einzutreten , hält  sie  jedoch  auch  nicht  im  Ge- 
ringsten davon  ab.  Aus  vielen  Gesprächen , die  ich  über  diesen  Ge- 
genstand mit  Nawäwi  führte,  hat  sich  mir  ergeben,  dnss  er  in 
dem  Iiang  seiner  ungelehrten  Landsleuten  zum  Mysteriösen  unter  • 
den  obwaltenden  Verhältnissen  Anlass  findet,  noch  wolh wollender 
über  die  Fehler  der  Tartqah’s  hinwegzusehen  als  dies  die  heutigen 
arabischen  Gelehrten  schon  thun  ').  Als  der  arabische  Bekämpfer 
der  landläufigen  Tarlqah' s auf  Java,  Sejjid  Othmän  bin  Jahja  in 
Batavia,  ihm  einmal  eine  heftige  Streitschrift  gegen  jenes  Unwesen 
zur  Bestätigung  übersandte,  hat  er  sich  allerdings  nicht  geweigert, 
mit  schmeichelnden  Worten  der  Bitte  des  Sejjids  Folge  zu  leisten: 
dieser  hat  daraus  aber  auf  grössere  Uebereinstimmung  Nawäwi’s 
mit  seinen  Ansichten  geschlossen , als  wirklich  existiert.  Othmän 
bin  Jahja  zieht  ja  gegen  Tanqah’s  ins  Feld,  die  er  nicht  genau 
mit  Namen , sondern  nur  mit  gehässigen  Prädikaten  beschreibt , und 
sofern  die  letzteren  auf  einen  mystischen  Orden  zutreffen,  kann 
Nawäwi  ihm  nur  beistimmen.  In  der  Anwendung  des  von  Beiden 
anerkannten  Maassstabs  gehen  ihre  Wege  weit  aus  einander,  aber 
davon  war  in  jener  Streitschrift  nicht  die  Rede. 

Wie  dem  nun  aber  auch  sei,  wo  Nawäwi  selber  Mystik  treibt, 
pflegt  er  jenen  gemässigten,  ethischen  Qüfismus  Ghazäll’s  in  seiner 
späteren,  mit  Formalismus  zersetzten  Form,  den  wir  im  vorigen 
Kapitel  beschrieben.  Davon  zeugt  auch  wieder  seine  litterarische 
Thätigkeit,  denn  1881  wurde  von  ihm  ein  Kommentar  zu  Gha- 
zälfs  Bidäjat  al-hidäjah  und  1884  ein  Kommentar  zu  einem  mys- 
tischen Gedicht  des  Zein  ad-din  al-Melebärl  (des  Grossvaters  des 
oben  erwähnten  gleichnamigen  Schriftstellers)  gedruckt. 

Der  Bruder  Nawäwi’s,  der  ihm  dem  Alter  nach  folgt,  Tamim 
hat  nicht  so  gründliche  Studien  getrieben  wie  der  Schech,  soll  da- 
gegen einen  guten  arabischen  Stil  haben  und  fertig  arabisch  spre- 
chen. Früher  war  er  Pilgerschech , und  als  die  Dampfer  den  Ver- 
kehr noch  nicht  beherrschten,  verdiente  er  dazu  als  Pilgeriniikler 
in  Singupura  ein  Stück  Geld.  Aus  welchen  Gründen  die  Regierung 


1)  VergL  oben  S.  282  ff. 


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ihm  den  Aufenthalt  in  seiner  Heimath  Banten  verboten  hat , konnte 
ich  nicht  ermitteln;  finanziell  ziemlich  heruntergekommen,  soll  er 
jetzt  in  Pinang  leben.  Nawäwi  heisst  aber  seit  einigen  Jahren  auch 
Pilgerschech , obgleich  seine  Verehrer  dies  Gewerbe  für  seiner  wis- 
senschaftlichen Bedeutung  unwürdig  erachten.  Wenn  man  ihnen 
glauben  darf,  haben  Nawawi’s  Verwandte,  während  er  zum  Besuch 
des  heiligen  Grabes  nach  Medina  gereist  war , die  Gelegenheit  einer 
Neuordnung  der  Zunft  der  Metawwif’s  benutzt,  im  Namen  des 
Gelehrten  eine  Licenz  zu  erkaufen , in  der  wohlbegründeten  Hoff- 
nung, dass  sein  geehrter  Name  ein  gutes  Omen  für  den  Lauf  der 
Geschäfte  abgeben  werde.  Sollte  aber  auch  der  Schech  nicht  ganz 
ohne  Kenntniss  von  den  Plänen  gewesen  sein,  so  ist  doch  sicher, 
dass  er  sich  mit  der  Fremdenführung  weder  direkt  noch  indirekt 
im  Geringsten  beschäftigt;  er  hätte  dazu  keine  Zeit,  keine  Neigung 
und  absolut  keine  Geschicklichkeit.  Auch  geht  ihm  aller  Sinn  für 
Geldmacherei  und  bequemes,  geschweige  luxuriöses,  Leben  ab;  ob- 
gleich ihm  reichliche  Gaben  Zuströmen , lebt  er  iiusserst  einfach  und 
schreibt  seine  Bücher  in  der  Nacht  beim  Schein  einer  kleinen  ble- 
chernen Petroleumlampe  ( Mesradjah ),  wie  man  sie  sonst  nur  etwa 
beim  Hinausbegleiten  eines  Besuchers  benutzt.  Seine  Frau  scheint 
realistischer  angelegt  zu  sein  und  treibt  ziemlich  bedeutende  Ge- 
schäfte ; ihrer  Fürsorge  ist  es  auch  zu  verdanken , dass  es  den  Gästen , 
die  der  Schech  an  Feiertagen  zur  Mahlzeit  einlädt,  an  nichts  fehlt, 
obgleich  der  Professor  selbst  sich  dabei  auflführt,  als  wäre  er  in 
einem  fremden  Hause. 

Ein  Verwandter  des  Nawäwi,  dessen  Aeusseres  einen  viel  vor- 
nehmeren Eindruck  macht  und  der  auch  besser  als  er  arabisch 
spricht,  ist  der  Schech  Marzuqi.  In  Mekka  hörte  er  bei  den  näm- 
lichen Professoren  wie  Nawäwi , und  trotz  dem  geringen  Unterschied 
ihres  Alters  auch  bei  diesem  selbst.  Zugvogel  vom  echten  Schlage , 
war  er,  als  ich  mich  in  Mekka  auf  hielt,  schon  zum  fünften  Mal 
von  längeren  Reisen  dorthin  zurückgekehrt  und  lebte  nun  seit  etwa 
9 Jahren  ruhig  in  der  heiligen  Stadt , nach  jedem  der  fünf  täglichen 
Qaläts  daheim  mit  dem  Unterricht  seiner  zahlreichen  Schüler  be- 
schäftigt. Malaiisch  sprach  er  besser  als  Nawäwi  und  war  vielleicht 


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im  Ganzen  ein  besserer  Docent,  obgleich  er  nicht  die  Hälfte  der 
Bücher  gelesen  hatte , die  Nawäwi  im  Kopfe  behält.  Er  war  Bru- 
der der  Qadiritischen  Genossenschaft  (was  ihm  auf  seinen  Reisen  zu 
Statten  kommen  dürfte)  und  verkehrte  also  sehr  intim  mit  dem 
unten  zu  erwähnenden  Abdulkarim.  Nicht  lange  nachdem  ich  Mekka 
verlassen  hatte,  ist  er  wieder  fortgereist,  wie  es  heisst,  um  Freunde 
zu  besuchen  und  in  der  Ileimath  Geschäfte  zu  treiben;  ich  glaube 
aber,  dass  letztere  ihm  nur  zum  Vorwand  dienen,  weil  ihn  sonst 
die  Regierungsbeamten  möglicherweise  unfreundlich  empfangen  wür- 
den. Früher  durchreiste  er  nicht  bloss  Banten,  sondern  z.  B.  auch 
Siam  und  Bali,  beides  Länder,  wo  die  Muslime  in  der  Minorität 
sind.  Jetzt  soll  er  Pinang  und  Deli  besucht  haben : der  wohlha- 
bende Sultan  von  Deli  scheint  gern  Besuche  von  frommen  Djäwah 
oder  Scherifen  aus  Mekka  zu  empfangen. 

Eine  hervorragende  Stellung  nimmt  auch  wegen  seiner  Abstam- 
mung Schech  Ismail  Banten  ein,  der  als  Abkömmling  von  Ban- 
tenschen  Sultanen  (die  als  Sejjids  gelten)  von  seinen  Landsleuten 
mit  dem  Titel  Tubagus  angeredet  wird.  Seine  Schwester  war  die 
Frau  eines  Regenten,  sein  Schwiegervater  wurde  in  der  englischen 
Zeit  als  Regent  angestellt.  Den  ersten  Unterricht  erhielt  er  von 
seinem  Vater,  Haddji  Sadili1 2),  der  ihn  als  kleinen  Knaben  schon 
mit  auf  die  Wallfahrt  nahm.  Nach  der  Heimkehr  von  diesem  ljaddj 
folgte  er  ganz  dem  gleichen  Studiengang  wie  der  Schech  Nawäwi, 
d.  h.  er  genoss  in  Banten  den  Unterricht  des  Haddji  Sahal  und 
reiste  später  nach  Purwakarta  in  Krawang  zum  gelehrten  Haddji 
Jusuf.  Dessen  Schule  haben  die  meisten  älteren  Leute  besucht,  die 
in  Banten  später  im  Ruf  der  Gelehrsamkeit  standen  J).  Isma’il  war 

1)  Javanisch-malaiische  Aussprache  von 

2)  Als  Schüler  Jusufs  wurden  mir  u.  A.  genannt:  Schfich  Abu  Bakar,  der  vor  etwa 
20  Jahren  auch  in  Mekka  studiert  hat  und  seitdem  selbst  in  Pontang  (Banten)  eine 
grosse  Schule  leitet;  Haddji  IJamim,  Muhammad  Qalub,  Mulmmmed  Aachari  (spater  in 
Bogor).  Ferner  rühmten  die  Leute  aus  Banten  folgende  dort  dociercnde  Golehrto,  die 
einen  Theil  ihrer  Studien  in  Mekka  gemacht  haben:  Haddji  Üthman  in  Ündar-andir, 
der  etwa  8 Jahre  in  Mokka  gelebt  hat  und  dessen  Lehrt  hätigkeit  seit  seiner  Anstellung 
zum  Penghuln  durch  amtliche  Beschäftigung  häufig  unterbrochen  wurde;  Muhammed 
Sadili  in  Serang,  auf  dessen  Wort,  wie  es  hiess,  der  Regent  grossen  Werth  legte  und 
der  die  Kinder  seines  Wohnorts  in  ähnlicher  Weise  im  £alat  üben  soll,  als  waren  es 

II  47 


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370 


aber  noch  ganz  jung,  als  er  zum  zweiten  Mal,  und  zwar  auf  län- 
gere Zeit , nach  Mekka  reiste.  Hier  wurden  die  Lehrer  Nawäwi’s 
auch  die  seinigen,  nur  dass  er  bei  einem  hanafitischen  Professor 
es-Sejjid  el-Kutubl  Kollegien  über  Glaubenslehre  und  Mystik  hörte. 
Nach  einige»  Jahren  des  Studiums  kehrte  er  nach  Banten  zurück 
und  lehrte  dort  die  Instrumentalwissenschaften,  sofern  sie  den  Djä- 
wah  unentbehrlich  sind  zum  Verständniss  der  bekannten  »drei  Fä- 
cher”, auf  welche  unser  Schech  nach  arabischen  Begriffen  allzu  schnell 
lossteuerte.  Diese  Methode  entstammte  bei  ihm  sowohl  seiner  echt- 
javanischen Neigung  zur  mystischen  Richtung  als  der  Dürftigkeit 
seiner  arabischen  Kenntnisse.  Sundanesen , die  früher  in  Banten  bei 
ihm  gehört  hatten  und  seitdem  nach  Mekka  übergesiedelt  waren, 
erzählten  mir  mit  gutmüthigem  Spott,  der  Tubagus  habe  ihnen 
damals  den  Unterschied  zwischen  der  männlichen  und  der  weibli- 
chen Form  ')  des  arabischen  Demonstrativpronomen  Hädä , lindihi 
(dieser , diese)  so  erklärt , als  bezeichnet«  Hädä  das  Näherliegende, 
Hädihi  das  Entfernte  ! 

Seine  Lehrthätigkeit  unterbrach  er  ab  und  zu  durch  Reisen  nach 
Mekka  und  Hess  sich  hier  vor  ungefähr  13  Jahren  für  sein  weiteres 
Leben  nieder.  Pflanzungen,  die  er  daheim  besitzt,  und  reiche  Ver- 
wandte liefern  ihm  ein  bedeutendes  Einkommen;  die  Verwandten 
haben  ihm  in'  Mekka  drei  Häuser  geschenkt,  von  denen  er  eins 
selbst  bewohnt.  Solange  er  ganz  gesund  war,  hörte  er  regelmässig 
bei  zwei  Professoren  im  Haram  und  las  selbst  daheim  täglich  zwei 
Kollegien,  deren  Zuhörer  fast  alle  zugleich  Schüler  des  Nawawi 
waren.  Seine  Abstammung,  sein  frommer  Charakter  und  seine  Wohl- 
thätigkeit  gegen  Bedürftige  gewannen  ihm  an  Zuneigung  das  Gleiche, 
was  Nawäwi  an  Ehrfurcht  genoss.  In  den  letzten  Jahren  ist  er  im- 
mer leidend,  kommt  nur  wenig  aus  dem  Hause  und  empfängt 
bloss  intimere  Bekannte. 

Soldaten,  di«  excrcierten;  Haddji  Mahmud  in  Terato  und  Haddji  Mohammed  Qä?id  in 
Bodji  (Tjilcgon).  Genau  ebenso  schreibt  mein  einheimischer  Berichterstatter  den  Namen 
des  Aufwieglers,  der  die  jüngsten  Unruhen  in  Tjilegon  angestiftet  hat,  {WaniH  der 
Zeitungsberichte);  ob  dio  Namcnsglcichheit  zufällig  oder  der  Gelehrte  wirklich  der 
Empörer  ist,  weiss  ich  indessen  nicht. 

1)  Die  Sprachen  Indonesiens  kennen  kein  grammatisches  Genus. 


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371 


Als  es  dem  Isma’il  noch  besser  ging,  bildete  seine  Wohnung, 
namentlich  im  Monat  Rabf  I,  dem  Geburtsmonat  Muhammeds, 
einen  Mittelpunkt  geselliger  Zusammenkünfte  der  Djawah.  Viel 
mehr  als  in  Mekka  wird  das  Geburtsfest  des  Propheten  (»Mulud”)  auf 
Java  gefeiert,  ja  der  ganze  Monat  »Mulud”  ist  dort  zu  einer  Reihe 
von  Feiertagen  oder  wenigstens  Feierabenden  geworden,  an  denen 
es  keinem  möglich  wird , allen  Einladungen  zu  Festmahlzeiten  nach- 
zukommen, die  an  ihn  ergehen.  Oftmals  sagten  mir  in  Mekka  Ja- 
vanen,  die  im  Anfang  des  Jahres  heimreisten,  sie  freuten  sich  schon 
darauf,  den  fröhlichen  Muludmonat  in  der  Ileimath  mitzumachen. 
In  Mekka  behält  die  Kolonie  jene  Sitte  möglichst  bei ; kaum  ver- 
geht ein  Abend , wo  nicht  in  5 — 10  Djäwahhäusern  zahlreiche  Lands- 
leute, Nachbarn  und  arabische  Freunde  Muhammed  zu  Ehren  das 
Mölid  anhören  und  dann  zusammen  schmausen.  Der  wohlhabende 
»Tübagus”  blieb  bei  diesen  Dingen  nicht  unthätig;  auch  jetzt  ruft 
er  noch  ein  paar  Mal  im  Muludmonat  seine  Freunde  zusammen, 
aber  ohne  selbst  an  der  Mahlzeit  theilnehmen  zu  können. 

Nach  Dutzenden  zählen  die  jüngeren  westjavanischen  Gelehrten, 
die  ihre  Vorbereitung  auf  die  Kollegien  des  Haram  zum  Theil  dem 
Nawüwi  verdanken  und  nun,  wenn  sie  sich  in  Mekka  aufhalten, 
ihrerseits  die  jüngeren  Schüler  soweit  belehren,  dass  Nawüwi  mit 
ihnen  gleich  in  medias  res  gehen  kann.  So  z.  B.  Arschad  ibn  Ahcan 
aus  Tanara,  der  noch  bei  Nawüwi’s  Vater  in  die  Schule  gegangen 
ist  und  später  von  Nawüwi,  dessen  Bruder  Tamim  und  von  Mar- 
zuqi  gelernt  hat.  In  Banten  sass  er  auch  als  Schüler  zu  den  Füs- 
sen des  Haddji  Sama'un  in  Pandeglang  *) , und  von  den  arabischen 
Professoren  in  Mekka  war  vorzüglich  Hasab  Allah  sein  Lehrer.  Als 
ein  Zeichen  hoher  Bestrebungen  rechnete  man  es  ihm  an , dass  er 
bei  einem  Gelehrten  aus  Hadhraraaut  sogar  die  arabische  Heilkunst 
studierte,  und  bei  einem  vierjährigen  Aufenthalt  in  Banten  musste 
er  Vielen  medicinischen  Rath  ertheilen.  Einige  Zeit  fungierte  er  in 
Serang  als  Mitglied  des  »Priesterrath es”;  im  Jahre  1885  hatte  er 
aber  schon  wieder  drei  Wallfahrten  mitgemacht  und  fleissig  gelernt 


1)  In  dom  Dorfe  Kndu  Marna  soll  dieser  Gelehrte  seine  Schule  gehabt  haben. 


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372 


und  gelehrt.  Jetzt  soll  er  aufs  Neue  heimgercist  sein.  Ein  zweiter 
Arschad,  Sohn  des  Afad,  aus  Bunten  hat  ungefähr  zu  gleicher  Zeit 
wie  der  erstgenannte  Mekka  verlassen.  Da  sein  Vater  nach  Batavia 
gezogen  war,  erhielt  Arschad  hier  seinen  ersten  Unterricht,  stu- 
dierte in  Mekka  noch  unter  der  Leitung  des  Abdulghüni,  sodann 
auch  des  Nawawi  und  der  arabischen  Professoren.  Er  spricht  vor- 
züglich malaiisch  und  leidlich  arabisch;  auch  erfreuten  sich  seine 
Vorlesungen  eines  grossen  Zulaufs  von  Malaien,  Sundanesen  und 
Javanen.  Aeusserst  bescheiden  und  gründlich  gelehrt  ist  der  dreis- 
sigjährige  Ahmed  Djaha  aus  Anjer  (Bauten),  der  beinahe  die  Hälfte 
seines  Lebens  in  Mekka  zugebracht  hat  und,  wenn  seine  Mittel 
nur  etwas  reichlicher  wären,  gern  auf  einige  Jahre  die  Azharuni- 
versität  in  Cairo  besuchen  möchte.  Ohne  jeden  Anspruch  verkehrt 
er  mit  weniger  gelehrten  Altersgenossen , und  die  javanischen  Kna- 
ben betrachten  es  als  ein  Vergnügen,  bei  ihm  zu  lernen,  ja  sie  flüs- 
tern mit  jugendlicher  Uebertreibung,  Schcch  Ahmed  sie  eigentlich 
gelehrter  als  Nawawi,  der  Schech  per  excellentiam. 

Vielleicht  hat  die  Erinnerung  des  persönlichen  Verkehrs  mich 
schon  zur  Aufzählung  von  mehr  Namen  verführt,  als  dem  Leser 
erwünscht  sein  mag.  Eines  Mannes  muss  ich  aber  noch  gedenken, 
dessen  persönlicher  Einfluss  auf  die  meisten  Djäwah  und  sogar  auf 
einige  Araber  bedeutender  ist  als  der  aller  bisher  genannten  Ge- 
lehrten: es  ist  der  Schech  der  Qädiritischen  Genossenschaft  Abdul- 
karim  Bauten.  Ihm  wurde  als  jungem  Knaben  die  Ehre  zu  Thcil, 
von  dem  damals  in  höchstem  Ansehen  stehenden  Ahmed  Chatib 
Sambas  ')  als  dienender  Schüler  ins  Haus  aufgenommen  zu  werden. 
Chatib  Sambas  galt  seinen  jüngeren  Zeitgenossen  als  ein  Gelehrter 
ersten  Ranges  in  allen  Fächern;  er  überragte  aber  seine  Kollegen 
besonders  dadurch,  dass  er  zum  höchsten  Range  in  der  Qädiriti- 
schen Tanqah  emporgestiegen  war  und  Tausende  von  Pilgern  und 
Ansässigen  aus  allen  Theilen  Ostindiens,  je  nach  ihren  Anlagen, 
in  die  Mysterien  einweihte.  Wenn  nicht  der  Neid  von  den  Mysti- 
kern als  eine  Hauptsünde  verpönt  wäre,  so  hätten  die  unzähligen 


1)  VcrgL  oben  8.  354. 


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873 


Schüler  den  Abdulkarim  beneidet,  wie  er  bei  Nacht  und  Tilg  in 
der  Nähe  des  Gotterleuchteten  weilen,  ihn  auf  alle  Gänge  zur 
Moschee  und  Besuche  in  der  Stadt  begleiten  durfte  und  Theil- 
nehmer  an  den  Geheimnissen  seines  Herzens  wurde.  Als  eine  natür- 
liche Folge  dieses  Verhältnisses  betrachtete  man  die  Idjüzah , d.  h. 
die  Liceuz  zum  Lehren  der  Tarlqah , welche  Abdulkarim  nach  eini- 
gen Jahren  vom  Altmeister  erhielt.  Mit  dieser  kostbaren  Errungen- 
schaft reiste  der  längst  in  weiten  Kreisen  hochgeschätzte  Mann 
zunächst  nach  Singapura,  wo  er  drei  Jahre  thätig  gewesen  sein 
soll,  sodann  auf  ungefähr  die  gleiche  Zeit  nach  seiner  lleimath. 
Vor  der  Abreise  aus  Mekka  soll  ihm  der  alte  Chatib  specielle  An- 
weisungen und  Mahnungen  ertheilt  haben , die  ihm  bei  allen 
Handlungen  als  Richtschnur  dienen  könnten.  Seine  Schüler  theil- 
ten  mir  darüber  etwas  mit,  dessen  Richtigkeit  ich  aber  nicht 
durch  Nachfrage  beim  Schech  prüfen  konnte,  denn  ich  habe  zwar 
manche  javanische  Strohcigarette  bei  ihm  geraucht  und  viel  mit 
ihm  gesprochen,  aber  eine  solche  Frage  über  das  intime  Leben  wäre 
doch  als  unbescheiden  aufgenommen  worden.  Der  Meister  hätte  ihm 
u.  a.  dringend  vor  den  Weibern  und  vor  den  Königen  gewarnt! 
Die  erste  Warnung  hat  einen  guten  Sinn,  aber  die  Könige?  Viel- 
leicht wuren  die  Residenten  und  sonstige  Regierungsbeamten  in 
Ostindien  gemeint , und  in  diesem  Falle  würde  das  Wort  des  Al- 
ten von  seinem  praktischen  Blick  zeugen,  denn  thatsächlich  hat 
der  sich  über  Banten  verbreitende  Ruf  von  der  Predigt  und  dem 
Segen  Abdulkarims  den  Residenten  veranlasst,  die  freie  Bewegung 
des  Schechs  einigermaassen  einzuschränken.  Dies  hat  er  mir  selbst 
erzählt,  und  er  fügte  hinzu,  allabendlich  seien  an  den  meisten 
Orten , wo  er  sich  eben  aufhielt , viel  hundert  Heilsbegierige  zu  ihm 
gekommen,  von  ihm  das  Djkr  zu  lernen,  ihm  die  Hand  zu  küssen 
und  ihn  zu  fragen,  »ob  die  Zeit  schon  nahe  und  wielange  das 
Reich  der  Käfirs  noch  dauern  werde?” 

Hoch  verehren  die  Djäwah  den  'Alim,  der  die  heiligen  Schriften 
erklärt  und  zum  frommen  Wandel  nach  deren  Inhalt  ermahnt,  aber 
sowohl  ihre  ursprüngliche  Natur  wie  auch  die  vom  Hinduismus 
übernommene  Denkungsart  macht  die  religiös  oder  abergläubisch 


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374 


angelegten  Leute  unter  ihnen  zu  Sklaven  der  Gotterleuchteten.  Im 
entlegensten  Dorfe  gilt  der  dumme  //Haddji”,  der  Zauberformeln 
(Djimat'a)  schreibt,  mehr  als  der  Quränlehrer;  in  höheren,  gebil- 
deten Kreisen  steigern  sich  die  beiden  Faktoren  des  geistigen  Lebens 
zu  höherem  absolutem  Werth,  aber  das  Verhältniss  bleibt  sich  gleich. 
Den  Gelehrten  fragt  man  nicht,  wann  »die  Zeit”  komme,  denn  es 
steht  nicht  in  seinen  Büchern;  darüber  geben  einerseits  die  schmut- 
zigen, alten  Traktätchen  der  zu  den  unteren  Klassen  gehörenden 
Dorfpfaffen,  daun  aber  der  durch  seine  mystische  Kette  (SitnlaA) 
mit  Gott  verkehrende  »Schech”  des  Ordens  Aufschluss. 

Bei  einem  Manne,  der  so  hoch  gestiegen  ist  wie  Abdulkarim, 
Bucht  das  der  Wunder  bedürftige  Javanenvolk  erwartungsvoll  nach 
äusseren  Zeichen,  durch  welche  Allah  vor  aller  Welt  die  Gunst  be- 
kundet, worin  derselbe  bei  ihm  steht:  ist  er  doch  ein  Walt,  ein 
Freund  Gottes,  ein  Heiliger,  und  das  äussere  Merkmal  der  Heilig- 
keit bilden  die  Wunder,  welche  in  der  Dogmatik  KarUmaKt ') 
heissen.  Auf  der  Rundreise  des  Abdulkarim  zeigten  sich  denn  auch 
bald  seine  Karäinah’s  den  ihn  begleitenden  Verehrern,  die  ihm  auf- 
warteten. Aus  einem  Beispiel,  das  mir  von  mehreren  Adepten  er- 
zählt wurde,  kann  man  die  Entsteh ungs weise  solcher  Legenden 
beurtheilen , die  man  in  den  Manäqib  der  Heiligen  in  Fülle  antrifft : 
Abdulkarim  war  im  Begriff,  von  Singapur»  nach  Batavia  zu  reisen 
und  hatte  sich  somit  ein  Fahrbillet  für  einen  Dampfer  gekauft.  Am 
Tage,  wo  dieser  abfahren  sollte,  waren  nun  auf  seinen  Befehl  seine 
Begleiter  schon  an  Bord  gegangen,  während  der  Schech  noch  einen 
Abschiedsbesuch  machte.  Er  verspätete  sich  aber,  und  die  Zeit  des 
letzten  Geläutes  nahte,  ohne  dass  seine  ängstlich  harrenden  Freunde 
ihn  erblickten.  Obgleich  diese  frommen  Leute  kein  Wort  von  der 
Sprache  des  Kapitäns  oder  der  Mannschaft  verstanden,  erzählten  sie 
nachträglich  mit  naiver  Gewissheit , der  Kapitän  habe  wiederholt 
den  Befehl  zum  Abläuten  ertönen  lassen,  aber  der  Matrose  nur  ver- 
gebliche Versuche  gemacht,  aus  der  Glocke  einen  Laut  hervorzu- 


1)  Auch  die  Djiw&h  gebrauchen  Krrämal  in  dieser  Bedeutung,  ober  das  Wort  be- 
zeichnet auf  Java  ausserdem  die  Stolle,  von  der  auch  nach  des  Heiligen  Tode  Wunder 
ausgehen:  das  Heiligengrab. 


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375 


zurnfen : bald  konnte  er  die  Hand  nicht  emporheben , bald  den  Klöp- 
pel nicht  vom  Flecke  kriegen.  Dies  soll  zum  lebhaften  Erstaunen 
der  ungläubigen  Schiffer  eine  halbe  Stunde  gedauert  haben,  bis 
endlich  der  Schoch  im  ruhigsten  Schritt  herannahte  und  mit  der 
Miene  eines  Mannes,  der  zur  rechten  Zeit  gekommen,  auf  den 
Dampfer  stieg.  Wenige  Minuten  darauf  war  der  Zauber  gelöst : die 
Glocke  läutete,  und  der  Dampfer  konnte  die  Fahrt  antreten.  Innige 
Dankgebetc  stiegen  ob  dieser  und  ähnlicher  Zeichen  aus  dem  Kreise 
der  Qädiritischen  Bruder  zum  Himmel. 

Nach  den  genannten  Reisen  kam  der  Schech  wieder  nach  Mekka 
und  lebt  dort  jetzt  ungefähr  II  Jahre.  Er  bewohnt  ein  sehr  gros- 
ses, prachtvoll  ausgestattetes’ Haus,  das  vielen  Verwandten  und  Freun- 
den , vielen  dienenden  und  bedürftigen  Schülern  Wohnung  gewährt. 
Von  allen  Seiten  strömen  ihm  stets  Gaben  an  Geld , Hausgeräth , 
Kostbarkeiten  aller  Art  zu,  und  er  verwendet  Alles  nach  bestem 
Gewissen  zum  Wohl  der  Gesammtheit  der  Brüder.  Seine  eigene 
Lebensart  ist  einfach  ohne  jede  affektierte  Enthaltsamkeit;  während 
viele  Ordensscheche  den  Brüdern  das  Rauchen  verbieten,  geht  Ab- 
dulkarim  mit  dem  Beispiel  des  massigen  Gebrauches  voran;  er  hält 
fast  täglich  offenen  Tisch  und  setzt  seinen  Besuchern  ohne  über- 
mässigen Luxus  gute  Speisen  vor. 

Als  er  nach  Mekka  zurück  kehrte , fand  er  den  Meister  aus  Sam- 
bas  nicht  mehr  am  Leben;  derselbe  hatte  ihn  durch  letztwillige 
Verfügung  zu  seinem  Nachfolger  ernannt,  sodass  Abdulkarims  An- 
sehen gleich  um  ein  Bedeutendes  stieg.  Nicht  bloss  Djäwah  aus 
dem  ganzen  Archipel,  Pilger  und  Ansässige,  gelehrt  Erzogene  und 
Leute  aus  den  Volksklassen , sondern  sogar  geborene  Mekkaner  be- 
warben sich  um  den  Segen,  der  sich  aus  seiner  geistigen  Führung 
ergab.  Von  den  Wissenschaften  beherrscht  der  Schech  gerade  soviel , 
als  er  zum  Gott  gefälligen  Leben  braucht : nicht  mehr  Grammatik , 
als  dringend  erforderlich  ist  zum  Verständnis  der  theologischen 
Litteratur,  nicht  mehr  Kasuistik  als,  was  Einen  vor  allen  Fehlem 
in  rituellen  Dingen  schützt ; auch  von  der  Dogmatik  besitzt  er  nur 
solche  Kenntnisse,  die  dem  'Alim  als  ein  Minimum  gelten.  Die 
Gelehrten  erkennen  ihm  nichtsdestoweniger  neidlos  einen  Platz  im 


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ersten  Range  zu  und  bestätigen  die  vox  populi,  der  zufolge  alle 
diese  Errungenschaften,  so  gering  jede  an  sich  sein  mag,  bei  Ab- 
dulkarim  durch  die  edlen  Graben  des  Herzens  oder  vielmehr  durch 
die  besondere  Gnade  Allahs  zu  einem  wundervoll  harmonischen 
Ganzen  verschmolzen  sind.  Seinerseits  ehrt  er  die  ' Ulamä  und  ihr 
Werk,  behandelt  Nawäwi  und  sogar  Gelehrte  minderen  Ringes 
als  seinesgleichen  und  sagt  nur,  seine  Beschäftigung  mit  eigner 
und  fremder  Erziehung  in  mystischem  Sinne  lasse  von  seinen  be- 
schränkten Kräften  nur  wenig  für  die  reine  Wissenschaft  übrig. 
Seine  Schüler  verstehen  das  aber  mit  Recht  dahin,  man  solle  sein 
Leben  lieber  der  Erwerbung  innigster  Gemeinschaft  mit  Allah  weihen , 
als  die  kurze  Zeit  des  irdischen  Daseins  mit  der  Lösung  von  Fra- 
gen verbringen,  die  dem  Herzen  nicht  frommen.  Seinen  vorgerück- 
teren Adepten  räth  er,  die  höchste  geheimnissvolle  Wahrheit  auch 
auf  dem  bewussten  Wege  des  Studiums  mystischer  Werke  zu  er- 
ringen, Allen  aber,  diese  Wahrheit  durch  die  Ordensübungen  und 
die  geistige  und  körperliche  Diät,  welche  er  ihnen  auferlegt,  di- 
rekt auf  sich  einwirken  zu  lassen. 

Pilger  und  andere  Leute,  die  wegen  ihres  kurzen  Aufenthalts  in 
Mekka  nur  etwas  vom  »Segen”  des  Ordens  mitnehmen  können, 
behandelt  er  in  der  herkömmlichen  Weise : wenige , z.  B.  wöchent- 
liche, Zusammenkünfte  der  einzelnen  Schüler  mit  dem  Schech 
werden  durch  tägliche  gemeinschaftliche  Uebungen  und  durch  Her- 
sagung  der  Wird1  s nach  jedem  Qalät  fruchtbar  gemacht.  Die  vielen  in 
Ostindien  wohnhaften  Schüler,  die  mehr  oder  weniger  beschränkte 
Licenzen  vom  Schech  hallen , können  dann  ihren  fortgesetzten  Unter- 
richt daranknüpfen , den  vom  Meister  gelegten  Keimen  zur  Entwicke- 
lung verhelfen.  In  Mekka  kommen  jedoch  alle  Brüder  täglich  nach 
dem  'Agr  zum  Schech  und  halten  unter  seiner  Leitung  ’/i — 1 Stunde 
lang  das  Wird  ab.  Am  llten  und  am  12*'"  jedes  Monats  finden  aber 
grosse  feierliche  Versammlungen  statt,  zu  denen  auch  ausserhalb 
der  Tarlqah  stehende  Freunde  eingeladen  werden. 

Im  ersten  Kapitel  *)  dieses  Bandes  sahen  wir,  dass  ein  Haul 

1)  VergL  oben  S.  52  f. 


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ursprünglich  den  Jahrestag  des  Todes  eines  Propheten  oder  Heiligen 
bezeichnet,  dass  man  solche  Daten  aber  vielfach  willkührlich  fest- 
gesetzt oder  vorislamische  Festtage  mit  dem  Namen  heiliger  Personen 
gedeckt  und  solche  Feste  möglichst  islamisiert  hat.  Dem  Leser  wird 
es  nicht  entgangen  sein,  wie  gütig  die  grossen  Heiligen  der  Mek- 
kaner  alle  in  den  Monaten  aus  dem  Leben  geschieden  sind,  wo 
das  Feiern  von  Festen  diesen  am  besten  passt;  bemerkens werth  ist 
auch , dass  alle  Haul’s  in  Mekka  (und  viele  internationale  dazu)  in 
der  Nähe  des  Vollmondstages  liegen.  Ferner  zeigte  es  sich,  dass 
einigen  besonders  geschätzten  Heiligen  in  jedem  Monat  ein  Tag 
geweiht  wird,  dessen  Zahl  der  des  Todestages  entspricht.  Die  elf 
Haul's , die  nur  in  Bezug  auf  die  Zahl,  nicht  aber  auf  den  Monat, 
dem  Todestage  entsprechen,  nennt  man  die  »kleinen  Haul’s”  ’), 
das  eigentliche , das  auf  den  Jahrestag  des  Todes  fällt , das  grosse  *). 
So  hat  die  Schutzpatroninn  Mekka’s,  Chadidjah  ihr  »grosses  Haul” 
am  11*“  Rainadhän,  weil  dies  als  ihr  Sterbedatum  gilt , ihr  »kleines 
Haul”  aber  am  llten  jedes  Monats.  Da  nun  der  Gründer  des  Qä- 
diritischen  Ordens,  Abd  al-Qädir  al-Djilänl  am  11*«  des  vierten  Monats 
(Rabl*  al-Achir),  Muhammed  am  12,<m  des  dritten  Monats  (Rabl' 
al-Awwal)  gestorben  sind,  feiern  die  Leute  Abdulkarim’s  am  11*« 
und  121«  jedes  Monats  ein  kleines  Haul  und  an  den  eigentlichen 
Erinnerungstagen  die  grossen  Jahresfeste. 

Wir  kennen  die  Fiktion , durch  welche  die  ursprünglich  wohl 
zum  Todtenkultus  gehörenden  Haul’s  der  Heiligen  in  den  Islam 
aufgenommen  sind:  sowie  man  seinen  hingeschiedenen  Verwandten 
fromme  Werke  nachschickt , schenkt  man  solche  auch  den  Heiligen , 
nicht  weil  diese  der  Gaben  bedürfen , sondern  um  sich  ihre  Freund- 
. schuft  und  ihre  Vermittelung  bei  Gott  zu  sichern.  In  der  Art,  wie 
Abdulkarim  und  seine  Freunde  die  festlichen  Abende  zubringen, 
kommt  aber  jene  officielle  Anschauung  kaum  zum  Ausdruck  und 
scheint  vielmehr  Alles  darauf  berechnet,  den  Namen  des  Heiligen 
oder  des  Profeten  zu  ehren  und  das  Band  zu  verstärken,  das  die 
Brüder  zusammenhält.  Nach  dem  'Ischä  liest  der  Schcch  am  ll1'11 


1)  Hanl  ktbir  und  fegkir. 

II 


48 


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des  Monats  die  Mnnüqib  des  heiligen  Abd  al-Qädir;  die  Lektüre 
wechselt  mit  dem  Dikr  der  Brüder  ab  und  wird  meistens  mit  der 
Recitation  eines  Lobgedichts  auf  Muhammed  (die  Burdah,  Bänat 
Su'äd)  beendigt.  Dann  folgt  eine  Mahlzeit,  zu  der  sich  in  den 
Häusern  des  Sohcchs  und  seiner  Nachbarn  die  arabischen  und  ja- 
vanischen, sundanesischen , malaiischen  Gäste  einfinden.  Am  12ltn 
geht  es  ähnlich  her,  nur  dass  dabei  die  Manäqib  des  Heiligen  durch 
Muhammeds  Mölid  ersetzt  werden. 

Die  täglichen  Uebungen  und  die  vielen  in  kleinerem  Kreise  ab- 
gehaltenen Dikr’s  und  Wird ’s , wie  sie  Abdulkarim  eingerichtet  hat , 
sind  im  Ganzen  frei  von  jenen  Extravaganzen , deren  Wirkung  den 
Missbrauch  des  Opiums  oder  berauschender  Getränke  wesentlich 
ersetzt.  Aeusserungen  des  religiösen  Lebens,  die  dem  Wahnsinn  gleich- 
kommen, beobachtet  man  bei  den  Brüdern  der  Gesellschaft  Abdul- 
karims  nur  in  den  unteren  Reihen  oder,  in  verfeinerter  Form,  in 
den  intimsten  Zusammenkünften  der  Intimen.  Immerhin  spielt  das 
Element  des  Geheimnmvollen  bei  Allen  eine  nicht  geringere  Rolle 
als  das  ethische , und  lieben  es  diese  Brüder , auf  den  Grenzen  zweier 
Welten  mit  halbgeschlossenen  Augen  im  Halbdunkel  zu  weilen.  Im- 
mer bleibt  das  höchste  Ideal,  im  Rausche  des  Geistes  und  der 
Sinne  schon  im  irdischen  Dasein  Empfindungen  zu  haben,  zu  deren 
Beschreibung  menschliche  Rede  nicht  genügt;  sehr  wichtig  ist  es 
deshalb  für  die  Beurtheilung  einer  Tarlqah,  zu  wissen,  in  welcher 
Richtung  man  das  physische  Leben  aufregt  oder  lenkt,  um  jene 
begehrten  '/Zustände”  zu  erzeugen.  In  den  Qädiritischen  Kreisen, 
die  unter  dauerndem,  direktem  Einfluss  Abdulkarims  stehen,  wird 
auf  die  Zucht  des  göttlichen  Gesetzes , das  Durchdringen  der  rituellen 
Handlungen  mit  höheren  Gedanken,  die  Bekämpfung  verborgener 
Sünden  noch  mehr  Gewicht  gelegt  als  auf  die,  freilich  ebenfalls 
unentbehrlichen,  Bewegungen  des  oberen  Körpers  oder  des  Kopfes 
und  die  hypnotisierenden  Exercizien  des  Geistes,  wobei  man  die 
heiligen  Formeln  von  einer  Schulter  durch  das  Herz  auf  die  andere 
übergehen  und  andere  Wege  durchwandern  lässt. 

Weil  die  Tariqalt's  gerade  den  individuellen  Regungen  des  Ge- 
müths  die  wahre  Richtung  geben  und  nicht  bloss  (wie  die  Profes- 


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soren  der  heiligen  Wissenschaft)  allgemein  lehren  wollen , was  Alle 
zu  glauben  und  zu  thun  verpflichtet  sind,  so  liegt  auf  der  Hand, 
dass  diese  Vereine  sehr  viel  kräftiger  auf  die  Förderung  und  Be- 
lebung der  politischen  Ideale  wirken  als  das  Studium,  sogar  abge- 
sehen von  dem  viel  grösseren  Umfang  ihres  Wirkungskreises.  Bei 
den  Professoren  erfährt  man  z.  B.,  wie  eigentlich  nach  göttlicher 
Ordnung  das  Verhältniss  des  Islam’s  zu  den  Ungläubigen  sein  soll, 
wie  ganz  verkehrt  dasselbe  sich  in  der  Wirklichkeit  gestaltet  hat, 
dass  man  diese  ganze  Einrichtung  also  als  unberechtigt,  durch  der 
Menschen  Sünden  herbeigeführt  betrachten  müsse;  hier,  in  den 
Tartqah's  werden  aus  solchen  Lehren  die  praktischen  Schlussfolge- 
rungen gezogen,  die  erwartungsvollen  Blicke  auf  die  Ordensscheche 
gerichtet.  Bei  den  Massen  der  Ungebildeten  aber  äussem  sich  die 
Folgen  in  allen  Varietäten  des  Fanatismus. 

Eine  eigentümliche  Persönlichkeit  unter  den  Männern,  die  im 
innigsten  Verkehr  mit  Abdulkariin  stehen,  ist  ein  gewisser  Aidarus 
aus  Tjeringin  (Banten),  der  schon  in  früher  Jugend  die  Wallfahrt 
machte,  dann  heimkehrte  und  in  seinem  Vaterlande  ')  theologischen 
Studien  oblag,  bis  die  Ankunft  Abdulkarims  in  Banten  ihn  ver- 
anlasste,  der  Qädiritischen  Genossenschaft  als  eifriger  Schüler  bei- 
zutreten. Als  der  Meister  wieder  nach  Mekka  gereist  wahr,  sehnte 
sich  ‘Aidarus  auch  dorthin  und  seit  1878  lebt  er  nun  in  dessen 
Nähe.  Er  hörte  in  Mekka  bei  seinen  gelehrten  Landsleuten  Nawäwi 
und  Isma’il,  ferner  bei  den  Professoren  Ahmed  Dahlän,  Hasab 
Allah,  Mustafa  'Aflfl,  Abdallah  Zawawi  usw.,  aber  sein  geistiger 
Vater  war  nach  wie  vor  nur  Abdulkarim.  Von  den  Wissenschaften 
hat  er  sich  vielleicht  ebenso  viel  angeeignet  wie  der  Meister;  in 
seinen  Mussestunden  lehrt  er  einige  Kinder  und  ältere  Leute , denen 
es  an  Vorbildung  fehlt.  Was  er  aber  immer  studieren,  lehren  oder 
sprechen  mag,  Alles  hat  den  mystischen  Ton  und  verräth  den 
//Bruder”.  Sein  gutes  Gedächtniss  birgt  Hunderte  von  Traditionen, 
die  er  bei  jeder  passenden  Gelegenheit  mit  bescheidener  Stimme 


1)  Er  studierte  hier  vomlglich  in  Kadu  Mama  bei  Pardeglarg,  wo  lladdji  Sama'un 
sein  Lehrer  war. 


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anbringt;  in  das  weltliche  Gespräch  führt  er,  sobald  erden  Mund 
aufthut,  höhere  Momente  ein,  die  profane  Aeusserungen  verbannen. 
Einige  mit  ihm  zusammensitzende  Freunde  erwähnen  z.  B.  mit  Aerger 
die  bösen  Handlungen  oder  den  schlechten  Charakter  eines  Abwesen- 
den; mit  ängstlicher  Vermeidung  direkten  Tadels  weiss  'Aidarus 
bald  eine  Pause  zum  Citicren  von  Ueberlieferungen  zu  benutzen , in 
denen  üble  Nachrede  und  Verleumdung  als  schlimme  Sünden  hinge- 
stellt werden.  Wenn  profane  Witze  erzählt  werden,  hält  er  den  Versam- 
melten prophetische  Sprüche  entgegen,  in  denen  auch  dem  Humor 
von  der  Religion  Schranken  gezogen  sind.  Einmal  hörte  ich  in 
seinem  Beisein  ein  absprechendes  Urtheil  fällen  über  die  Verschwen- 
dung, die  sich  ein  bekannter,  in  Mekka  lebender  Sejjid  zu  Schul- 
den kommen  Hess.  Mit  liebenswürdiger  Salbung  citierte  'Aidarus 
die  Worte  Muhammeds:  »der  Freigebige  ist  Allahs  Freund,  sogar 
»wenn  er  ein  grosser  Sünder  wäre;  der  Geizhals  ist  Allahs  Feind, 
»wenn  er  gleich  ein  heiliges  Leben  führte”,  worauf  das  Gespräch 
eine  andere  Richtung  nahm.  Manchmal  legt  er  einem  Freunde,  der 
ihn  in  seiner  Wohnung  besucht,  unversehens  eine  Stelle  einer 
Traditionssammlung  vor,  die  gewöhnlich  gegen  eine  weniger  lobens- 
werthe  Eigenschaft  des  Besuchers  gerichtet  ist , und  sagt  ihm , diese 
schönen  Worte  sollte  ein  Jeder  sich  einprägen  und  zum  Leitfaden 
nehmen.  Wenn  er  die  Neigung  und  Geistesrichtung  einer  Person 
als  dazu  geeignet  erkannt  hat,  fängt  er  in  mehr  direkter  Weise 
an,  den  mystischen  Hang  bei  ihr  zu  entwickeln,  endlich  erklärt 
er  solchen  Leuten  die  Nothwendigkeit  geistiger  Führer  für  die  Seele 
und  betont,  dass  es  nicht  gleichgültig  sei,  wem  man  seine  höch- 
sten Güter  anvertraue.  Fern  von  ihm  sei  der  Gedanke,  edlen  Sche- 
chen wie  Challl  Pascha  oder  Suleimän  Efendi  Anderes  als  Lob  zu 
spenden,  und  wer  sich  »des  Segens  halber”  an  diese  Ordensmeis- 
ter um  Belehrung  wende,  thue  wohl  daran;  aus  eigner  Erfahrung 
könne  er  aber  den  von  Allah  begnadeten  Abdulkarim  als  wirkli- 
chen Beichtvater  empfehlen,  mit  dem  man  ohne  Scheu  den  Bund 
eingehe.  ‘Aidarus  stellt  den  Typus  des  freiwilligen  allgemeinen  Seel- 
sorgers unter  den  Mystikern  dar  und  leistet  dem  Altmeister  aus 
Banten  überdiess  die  Dienste  eines  Werbeoffiziers. 


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381 


Die  übrigen  für  die  Djäwah  bedeutendsten  Häupter  der  Mystik 
in  Mekka  sind  selbst  nicht  Djäwah,  sondern  die  im  vorigen  Ka- 
pitel besprochenen  Challl  Pascha  und  Suleiman  Efendi,  die  in  der 
heiligen  Stadt  ihre  javanischen,  malaiischen  und  sundanesischen 
Dollmetseher  und  Geholfen,  im  ostindischen  Archipel  ihre  Agenten 
haben , mit  denen  sie  einen  lebhaften  brieflichen  Verkehr  unter- 
halten. Manchmal  geben  die  Berichte  der  ChalTfah’s  in  Ostindien 
dem  Schech  Anlass  zur  Abfassung  eines  allgemeinen  Sendschreibens 
an  die  Brüder  jenseits  des  Meeres,  und  in  wichtigen  Fragen  wen- 
den sie  sich  selbst  an  ihn  um  Fetwa’s;  wir  haben  schon  früher 
betont,  dass  die  Anerkennung  der  Gültigkeit  eines  Fetwa’s  zum 
guten  Theil  von  den  Anfragenden  abhängt:  welche  gelehrte  Auto- 
rität sollte  nun  der  '/Bruder”  dem  Worte  des  Meisters  vorziehen, 
dem  er  sich  perinde  ac  cadaver  übergeben  hat? 

Weil  wir  in  diesem  Zusammenhang  nur  die  hervorragenden  Er- 
scheinungen ins  Auge  fassen,  haben  wir  bezüglich  der  anderen 
Theile  Java’s  nur  wenig  hinzuzufügen.  Ein  Pilgerschech , der  selbst 
aus  Tjeribon  stammt,  unterrichtet  seine  speciellen  Landsleute  in  den 
Elementen  der  Gesetzeskunde  und  der  Glaubenslehre.  Die  Bethei- 
ligung der  Provinz  Semarang  am  wissenschaftlichen  Leben  hat  sich 
schon  in  den  Erzeugnissen  der  mekkanischen  Druckerei  dokumen- 
tiert : 1886  wurden  die  Glossen  eines  Muhammed  MaVüm  aus  Se- 
marang zu  Ahmed  Dahlän’s  Kommentar  zur  Adjrümijjah gedruckt, 
nachdem  bereits  1885  ein  Handbuch  zum  Erlernen  der  Flexion 
von  Abü  Hämid  Muhammed  aus  Kendal  die  Presse  verlassen  hatte. 
Der  einzige  in  Mekka  lebende  Javane,  den  wir  hier  noch  etwas 
näher  beschreiben  wollen,  ist  Abd  es-Schakür  (von  seinen  Landsleu- 
ten gewöhnlich  Abdu  Sükur  genannt)  aus  Surabaya. 

Ganz  jung,  mit  wenig  Mitteln  und  dürftigen  Kenntnissen  aus- 
gerüstet, kam  dieser  Mann  vor  mehr  als  40  Jahren  nach  Mekka, 
in  der  Hoffnung,  dass  irgend  ein  arabischer  Gelehrter  sich  seine 
Dienste  gefallen  lassen  und  ihm  dafür  die  ersehnte  Wissenschaft 
mittheilen  werde.  Damals  wie  jetzt  wussten  die  Professoren  des 
Haram  die  Geschicklichkeit  und  Folgsamkeit  javanischer  Leibdiener 
wohl  zu  schätzen;  der  1886  verstorbene  Rektor  hatte  auch  zwei 


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382 


Javanen  im  Hause,  von  denen  immer  einer  ihn  begleitete  und  die 
auf  den  geringsten  Wink  des  Schecks  seinen  Wunsch  erriethen. 
Abd  es-Schakür  fand  an  dem  Vater  des  gelehrten  Verfassers  der 
l'änat  at-tälibin  '),  am  Sejjid  Muhammed  Schattä  einen  Gönner : in 
dessen  Haus  wurde  er  als  dienender  Schüler  aufgenommen,  und 
noch  immer  rühmt  sich  der  Javane  der  fast  mehr  als  sklavischen 
Weise,  wie  er  dem  Professor  aufgewartet  hat.  Alle  freie  Zeit  wid- 
mete er  indessen  dem  Studium , wobei  ihm  ausser  seinem  Gebieter 
auch  die  arabischen  und  ostindischen  Lehrer  Nawäwi’s  als  Führer 
dienten. 

Jeder  Javane  in  Mekka  kennt  eine  Erzählung,  die  das  Verhält- 
niss  Abd  es-Schakür’s  zu  seinem  Gönner  charakterisiert.  Wenn  der 
alte  Herr  Nachts  aufwachte,  pflegte  er,  wie  es  dem  Frommen  ge- 
ziemt, einige  Minuten  mit  rituellen  Uebungen  (Qaläts)  zu  verbrin- 
gen; dazu  bedurfte  er  aber,  schon  wegen  des  genossenen  Schlafes, 
ritueller  Reinigung  und  begab  sich  daher  immer  zunächst  in  das 
Bet  el-mä  (Badezimmer  und  Abtritt).  Damit  ihm  die  Ehre  nicht 
entgehe , dem  Meister  das  Wasser  über  die  Hände  zu  giessen , legte 
sich  der  treue  Abd  es-Schakür  allabendlich  unweit  des  Bet  el-mä 
schlafen,  sprang,  sobald  er  die  Schritte  des  Professors  hörte,  auf, 
half  ihm  bei  der  Ablution  und  machte  mit  ihm  das  nächtliche 
Qalät.  Einmal  stellte  sich  Morgens  heraus,  er  habe  eine  solche  Ge- 
legenheit verschlafen;  da  er  es  nicht  wagte,  den  verehrten  Lehrer 
zu  bitten,  ihn  später  eventuell  aufzuwecken,  wählte  er  sich  seit- 
dem zur  Schlafstätte  die  Schwelle  jenes  Raumes  der  Unreinheit. 
Schon  in  der  nächstfolgenden  Nacht  stolperte  der  alte  Schatta  über 
den  im  Dunkeln  nicht  von  ihm  bemerkten  Körper  seines  Schülers, 
worauf  dieser  ihm  eilig  die  Füsse  küsste  und  das  Reinigungswas- 
ser  holte.  Als  der  Gelehrte  sich  wegen  des  Fusstritts  entschuldigte, 
den  er  dem  Jüngling  unabsichtlich  versetzt  hatte,  bat  ihn  dieser 
aufs  Dringendste,  ihn  jede  Nacht  auf  gleiche  Weise  von  seinem 

Vorhaben  zu  verständigen.  Der  Schech  aber  umarmte  tief  gerührt 

\ 

den  selbstverleugnenden  Verehrer. 


1)  Yergl.  oben  S.  253,  259. 


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383 


Als  der  Gelehrte  starb,  hatte  Abd  es-Schakür  unter  seiner  und 
Anderer  Leituug  schon  eine  hohe  Stufe  in  den  muslimischen  Wis- 
sensfachern erreicht,  und  zwar,  weil  er  mit  wenig  Vorkenntnisseu 
in  eine  vorwiegend  arabische  Umgebung  gerathen  war , fast  ohne 
nationale  Eigentümlichkeiten.  Feiner  und  richtiger  als  er  spricht 
kein  Javane  arabisch;  dagegen  wird  es  ihm  aus  Mangel  an  Gewöh- 
nung schwer,  aus  dem  Arabischen  in  seine  javanische  Muttersprache 
nach  der  herkömmlichen  Methode  javanischer  Lehrer  zu  überset- 
zen, und  das  Malaiische  ist  ihm  nur  in  der  Form  geläufig,  wie 
Nichtmalaien  es  zu  sprechen  pflegen.  Auf  diese  arabische  Richtung 
seiner  Entwickelung  wirkte  Muhammed  Schattä  sogar  nach  seinem 
Tode  noch  fördernd  ein.  Seine  Dankbarkeit  gegen  den  treuen  Schüler 
bethätigte  er  nämlich  in  seinem  Testamente , worin  er  seiner  ältesten 
Tochter  anempfahl,  den  Abd  es-Schakür  zu  heiraten.  Da  in  der 
Regel  die  Ehe  der  Tochter  eines  Sejjid  mit  einem  Nichtadligen, 
geschweige  denn  mit  einem  Nichtaraber,  als  Mesalliance  gilt,  kann 
man  sich  denken,  welches  Aufsehen  die  Verfügung  des  gelehrten 
Sejjid  Schattä  machte!  Abd  es-Schakür  hat  nun  aber  faktisch  alle 
drei  Töchter  seines  Gönners  geheiratet:  als  die  älteste  starb,  be- 
kam er  die  zweite,  und  als  diese  ihrer  Schwester  folgte,  bekam  er 
die  jüngste  zur  Frau.  Im  Ganzen  haben  die  Schwestern  ihm  zwei 
Töchter  geboren. 

Wiewohl  die  Umgebung  Abd  es-Schakür’s  eine  ziemlich  streng 
arabische  Richtung  seiner  Studien  herbeiführte,  hat  er  den  nationa- 
len Hang  zur  Mystik  dadurch  nicht  verloren.  Er  versteht  gründ- 
lich arabische  Grammatik,  Logik,  Poetik,  und  als  ihm  noch  nicht 
die  Hämorrhoiden  langes  Sitzen  unmöglich  machten,  docierte  er 
diese  Fächer  mit  glänzenden  Erfolge;  auch  Fiqh  und  Glaubenslehre 
fanden  in  ihm  einen  eifrigen  Pfleger  und  Verbreiter.  Seine  Auffas- 
sung dieser  Disciplinen  entsprach  aber  durchaus  den  Lehren  der 
wissenschaftlichen  Qüfl’s,  und  es  war  ihm  am  liebsten,  wenn  er 
seine  Schüler  bis  zur  Lektüre  der  Werke  Ghazäll's  oder  des  Ibn 
cAtä  Allah  führen  konnte.  Für  die  zahlreichen  einfach  erzogenen 
Leute  aus  Java , die  sich  seiner  Leitung  anvertrauten , zog  er  die 
praktische  Mittheilung  des  Nothwendigsten  vom  Gesetze  und  der 


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384 


Hauptsätze  der  Dogmatik  mit  starker  mystischer  Würzung  einer 
mühsamen,  unfruchtbaren  Dressur  nach  arabischer  Methode  unbe- 
dingt vor. 

Seit  vielen  Jahren  bildet  seine  stattliche,  nächst  dem  Haram  liegende 
Wohnung  das  Ziel  unzähliger  Besucher  aller  Art.  Mit  den  Spitzen 
der  arabischen  Gelehrtenkorporation,  wie  z.  B.  Ahmed  Dahlän , führte 
er  einen  regen  Verkehr;  bis  vor  wenigen  Jahren  war  die  Zahl  sei- 
ner Schüler  nicht  geringer  als  die  Nawüwi’s  und  befleissigte  sich 
von  den  Djäwah-pilgern , wer  nur  konnte,  ihn  »des  Segens  halber” 
zu  besuchen.  In  feierlicher  Weise  hielt  der  alte,  magere  Schech 
solche  Audienzen:  Pilgern  aus  der  Volksklasse  gab  er  einige  er- 
bauliche Sätze  in  der  gemeinsamen  Muttersprache  mit  auf  den 
Lebensweg,  höher  Gebildeten  trug  er  in  rein  grammatischer  Form 
ein  paar  Dutzend  von  den  ethisch  oder  mystisch  gefärbten  Tradi- 
tionen vor,  die  er  in  unerschöpflicher  Menge  im  Gedächtniss  auf- 
bewahrte, und  gelehrte  Landsleute  lud  er  zu  Mahlzeiten  ein.  Alle 
beantworteten  die  Gunst  Abd  es-Schakür’s  mit  ihrem  Vermögen 
angemessenen  Gaben.  Aehnlich  wie  die  Verwandten  Nawawi’s  haben 
auch  die  seinigen  in  seinem  Namen  eine  Fremdenführerlicenz  ge- 
kauft, welche  aber  von  diesen  in  anderer  Weise  als  von  jenen  nutz- 
bar gemacht  wird.  Während  Nawäwi’s  Leute  ganz  wie  andere 
»Scheche”  die  ihm  zugewiesene  Pilgerprovinz  ausbeuten , ziehen  die 
Verwandten  Abd  es-Schakür’s  viele  Pilger  »des  Segens  halber”  als 
Kunden  heran,  deren  wirkliche  Führung  anderen  Schechen  über- 
lassen bleibt , die  aber  die  Ehre,  nominell  vom  Surabaya’schen  Heiligen 
»geführt”  zu  werden,  ordentlich  bezahlen.  Auf  das  Detail  dieser 
Erwerbsquellen  lässt  der  Schech  sich  gar  nicht  ein , und  seine  Freunde 
behaupten  sogar,  er  wisse  nichts  davon,  sonst  würde  er  alles  Der- 
artige verbieten wallet  hu  adam ! 

Ihren  guten  Ruf  in  der  Djäwahkolonie  und  bei  den  Mekkanern 
überhaupt  verdankt  die  Insel  Sumbawa  nicht  dem  oben  mehrfach 
genannten  Gelehrten  der  vorigen  Generation  Abdulghüni  Bima, 
denn  Viele  wissen  nicht  einmal,  dass  Bima  auf  jener  Insel  liegt, 
sondern  den  beiden  bedeutenden  jüngeren  Lehrern,  die  auf  ihrem 
westlichen  Theile  geboren  sind.  Zeinuddin  Sumbawa  steht  im  kräftig- 


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385 


sten  Mannesalter,  hat  aber  schon  über  25  Jahre  in  Mekka  zuge- 
bracht. Seine  Lehrer  waren  die  des  Nawtiwi,  in  späteren  Jahren 
vorzüglich  der  Mufti  Ahmed  Dahlän  und  Abd  el-Hamld  Daghus- 
tanl.  Er  spricht  ausgezeichnet  arabisch,  liest  auch  Morgens  früh 
im  Haram  ein  arabisches  Kolleg  über  die  Gesetzeskunde;  dem  hören 
nicht  bloss  seine  Landsleute,  sondern  auch  allerlei  andere  Djäwah 
zu,  deren  Muttersprache  Malaiisch  ist,  z.  B.  Jünglinge  aus  Deli 
und  den  Lampongschen  Distrikten  (Sumatra),  aus  Bandjar  Masin 
und  Sambas  (Borneo).  Diese  Studenten  sind  natürlich  über  die 
Anfangsgründe  hinaus,  obgleich  bisweilen  noch  aus  dem  Kreise 
Fragen  an  den  Lehrer  gerichtet  werden,  die  ihn  zu  einer  kurzen 
Aufklärung  in  malaiischer  Sprache  veranlassen.  Zu  anderen  Stun- 
den liest  er  in  seiner  Wohnung  für  Studenten  gleicher  Herkunft, 
die  weniger  vorgerückt  sind;  dort  ist  die  malaiische  Sprache  das 
Hauptmittel  des  Verkehrs  mit  den  Schülern  und  werden  sie  erst 
allmählich  an  die  arabische  gewöhnt.  Sein  Landsmann  Omar  Sumbdwa 
ist  jünger  und  nicht  ganz  so  gelehrt,  spricht  aber  ebenfalls  mit  einer 
bei  Djäwah  seltenen  Geläufigkeit  arabisch.  Leider  iiussert  er  sich 
in  vertraulichen  Gesprächen  manchmal  abfällig  über  den  Werth 
seines  gelehrten  Landsmanns  aus  Gründen,  die  nichts  weniger  als 
wissenschaftlich  sind.  Omar’s  Herz  war  aus  Liebe  zur  Tochter  eines 
Djäwah  und  einer  Araberinn  erkrankt,  und  er  sann  auf  Mittel  und 
Wege  zur  Eroberung  seiner  Dame,  als  ihn  plötzlich  die  Schreckens- 
nachricht erreichte,  Zeinuddin  sei  mit  ihr  verheirathet ! Omar  liest 
nur  daheim;  seine  Schüler  stammen  aus  denselben  Ländern  wie 
die  des  Zeinuddin. 

Schon  im  Jahre  1876,  also  lange  bevor  der  Plan  zur  Errichtung 
einer  Druckerei  in  Mekka  gereift  war,  erschien  in  lithographischer 
Ausgabe  eine  von  Zeinuddin  malaiisch  abgefasste  Sammlung  von 
Gebeten  und  rituellen  Vorschriften.  Jetzt  sind  (1885 — 6)  auch  in 
jener  neuen  Anstalt  zwei  von  seinen  malaiischen  Werken  gedruckt: 
das  Sirädj  al-Huda , ein  Kommentar  zur  Dogmatik  ( Umm  al-barähin ')) 


1)  Pilger  aus  den  Lampongschen  Distrikten  erzählten  mir,  bei  ihnen  heisse  Senüai's 
Bächlein  Umm  Ibrahim! 

Ii  4U 


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386 


des  Senüsl  und  das  Minhädj  assnläm  über  das  Verhältniss  von 
Islam  und  Imän,  ein  Thema,  das  auch  in  den  Abhandlungen  be- 
sprochen wird,  die  man  auf  Java  beim  Elementarunterricht  ge- 
braucht. Ueberhaupt  zeugt  auch  die  beträchtliche  Zahl  der  malaii- 
schen Bücher,  die  von  1884  an  bis  jetzt  in  Mekka  gedruckt  worden 
sind , von  der  Bedeutung  des  Djäwah-elements  in  der  heiligen  Stadt. 
Mit  der  Aufsicht  über  diese  malaiischen  Drucke  hat  die  türkische 
Regierung  einen  Ahmed  ibn  Muhammed  Zein  aus  Patani  (Malaka) 
ernannt;  diesem  Umstande  ist  es  wohl  zu  verdanken,  dass  bisher 
die  Werke  von  Gelehrten  aus  Patani  unter  den  mekkanischen  Aus- 
gaben am  zahlreichsten  vertreten  sind.  Dieser  Ahmed  ist  ein  ver- 
dienstvoller Gelehrter;  1883  wurde  ein  grammatisches  Werk  von 
ihm  in  Cairo  gedruckt,  und  dem  vierten  Bande  der  l'änah  vom 
Sejjid  Bekri ')  geht  u.  A.  ein  von  Ahmed  verfasstes  Lobgedicht 
auf  den  Verfasser  voran.  Wohl  hauptsächlich  auf  seinen  Betrieb 
sind  nun  in  Mekka  folgende  von  älteren  Falänis  (d.  h.  Malaien 
aus  Patani)  geschriebene  Werke  gedruckt:  eine  Sammlung1 *)  von 
Traditionen  über  das  Jenseits  von  Zein  ul-'Abidin  Patani ; eine  ganze 
Reihe  von  Werken  des  Da’ud  ibn  Abdallah  Patani,  der  seine  be- 
kanntesten Bücher  zwischen  den  Jahren  1815  und  1840  geschrie- 
ben hat  und  dessen  Name  im  Katalog  der  malaiischen  Handschriften 
der  Batavia’schen  Gesellschaft  mehrfach  begegnet.  Auf  dem  Bücher- 
märkte Mekkas  fanden  sich  von  ihm  schon  seit  1880  in  Bombay- 
schen  Lithographien  eine  Sammlung  Traktätchen  über  das  QalSt 
und  ein  Kifäjat  al-Mu/ilädj  genanntes  Werk  über  die  Himmelreise 
Muhammeds;  auch  halte  ich  ihn  für  den  Verfasser  eines  1886  in 
Konstantinopel  anonym  gedruckten  malaiischen  Handbuches  über 
das  Eherecht 3 4).  Aus  der  Regierungsdruckerei  sind  nun  aber  mei- 
nes Wissens  von  Da’ud’s  Büchern  auf  den  Markt  gekommen:  sein 
grosses,  im  ostindischen  Archipel  viel  benutztes  Werk  Furif  al- 
maaail  *)  über  die  Glaubenslehre  und  die  Gesetzeskunde , sein  Hand- 


1)  Vergl.  oben  S.  953 , 259,.  8)  . 

3)  Dias  schlicsse  ich  aus  dem,  was  van  den  Berg  unter  N°.  14  des  Batavia’schen 

Katalogs  mittheilt. 

4)  Vergl.  N°.  38  des  Batavia’schcn  Katalogs. 


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S87 


buch  der  Dogmatik  ad-  Dürr  at-thnmin  *) , sein  grosses  Werk  über 
das  Leben  nach  dem  Tode  Kasch/  al-Ghummah  , eine  Sammlung 
mystischer  Erzählungen  und  Ermahnungen  Djamc  al-fawaid.  Ferner 
wurden  noch  in  Mekka  gedruckt:  ein  malaiischer  Kommentar  zur 
Djauharat  at-tauhid  (von  Ibrahim  al-Laqäni  ’))  nach  einem  in  Sam- 
bas  geschriebenen  Manuskript,  und  der  von  einem  unbekannten 
Atjeher  verfasste  Kommentar  *)  zum  bekannten  Hi  kam  von  Ibn 
cAtS  Allah.  Im  Jahre  1885  wurde  in  Konstantinopel  der  Kommen- 
tar Uid/ijat . al-Hidajah 1 2 3  4 5)  (vom  Atjeher  Muhammed  Zein)  zu  Se- 
nüsi’s  ümm  al-Barähin , und  in  Cairo  das  1786  von  Muhammed 
NafTs  in  Bandjar  Mnsin  (Borneo)  geschriebene  dogmatische  Werk 
ad-Durr  an-Nafis  *)  gedruckt.  Aus  letzteren , ausserhalb  Mckka’s 
gedruckten  Publikationen  ergiebt  sich , dass  der  Rektor  Ahmed  Dah- 
län  etwas  zu  kühn  war,  als  er  behauptete  (in  seiner  Chronik  der 
Stadt  Mekka),  die  auf  Befehl  des  regierenden  Sultans  gegründete 
Druckerei  der  heiligen  Stadt  übertreffe  alle  ihre  Schwestern  dadurch , 
dass  man  hier  nebst  arabischen  und  türkischen  auch  malaiische  Bücher 
drucken  könne;  aber  man  muss  zugeben,  dass  in  Anbetracht  des 
kurzen  Bestehens  dieser  Druckerei  und  der  türkischen  Ruhe , welche 
ihre  Thätigkeit  im  Ganzen  kennzeichnet,  die  malaiische  Litteratur 
unter  ihren  Erzeugnissen  einen  Ehrenplatz  einnimmt. 

Die  meisten  Länder  malaiischer  Zunge  sind  übrigens  im  Augen- 
blick in  Mekka  nicht  durch  Gelehrte  ersten  Ranges  vertreten.  Aus 
den  rühnilichst  bekannten  Reichen  Sambas  und  Bandjar  Masin 
(Borneo)  z.  ß.  studieren  zwar  viele  Jünglinge  in  Mekka,  aber  so- 
fern sie  noch  nicht  in  Stande  sind,  aus  den  Kollegien  der  Araber 
im  Haram  Nutzen  zu  ziehen , wenden  sie  sich  an  die  erwähnten 
Lehrer  aus  Sumbäwa,  Batavia  oder  Banten.  Eine  cigenthümliche 
Stellung  nimmt  die  Kolonie  aus  Pontiänak  (Borneo)  ein,  deren 


1)  Vergl.  N°.  27  des  Batavia’schen  Kataloge. 

2)  Dieser  indische  Gelehrte , der  nach  seinem  Tode  mm  Heiligen  verklärt  ist,  erhielt 
nach  dem  beseiebnoten  dogmatischen  Werke  den  Beinamen  al-Djankari,  und  daraus 
machte  die  mckkanische  Bevölkerung  Walt  Djatthar;  vergl.  oben  S.  60. 

3)  Vergl.  den  Batavia’schen  Katalog  N°.  28. 

4)  Vergl.  N°.  45  des  Katalogs. 

5)  Vergl.  N°.  32  des  Katalogs. 


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.188 


Mitglieder  zum  guten  Theil  Verwandte,  Freunde  oder  Günstlinge 
des  Sultans  sind,  der,  als  er  vor  einigen  Jahren  die  Wallfahrt 
machte,  mehrere  Waqfhäuser  in  der  heiligen  Stadt  stiftete  und 
seitdem  jährlich  bedeutende  Summen  zu  deren  Erhaltung  und  be- 
hufs des  Lebenunterhalts  ihrer  Bewohner  schickt.  Von  ihrer  arabi- 
bischen  Herkunft  zeigen  diese  Leute  in  ihrem  Aeussern  nur  wenige 
und  in  der  Sprache  gar  keine  Spuren;  sie  sind  ganz  zu  Malaien 
geworden,  und  an  ihnen  bewährt  sich  der  arabische  Spruch,  dem 
zufolge  der  Oheim  mütterlicherseits  */,  des  Charakters  eines  Men- 
schen veranlasst.  Dennoch  zeichnen  sie  sich  durch  freies,  beschei- 
denes, aber  selbstbewusstes  Auftreten  aus  und  lassen  sich  von  kei- 
nem Araber  eine  Beleidigung  gefallen;  ich  war  sogar  einmal  in 
der  Moschee  Zeuge  davon  , wie  einer  von  ihnen  gegen  einen  fre- 
chen Araber  energisch  die  Partei  eines  von  ihm  bedrängten  Ja- 
vanen  aufnahm.  Schon  oben  ')  gedachten  wir  des  Muths,  mit  wel- 
chem ein  anderer  Mann  aus  Pontianak  in  mekkanischer  Gesellschaft 
die  Nothwendigkeit  der  europäischen  Herrschaft  über  seine  Hei- 
math  behauptete.  Solche  Betrachtung  der  Sachlage  stammt  bei  ihnen 
hauptsächlich  gerade  aus  der  eingehenden  Beschäftigung  mit  der 
muslimischen  Gesetzeskunde,  die  ihre  Ohren  dem  vulgären  Fanatis- 
mus verschliesst  und  der  Anerkennung  der  viele  Gesetze  aufheben- 
den Dharürah  (Nothwendigkeit)  ziemlich  weiten  Raum  gewährt. 
Alle  sind  aber  sehr  eifrige  Muslime,  tief  durchdrungen  auch  von 
den  politischen  Idealen  des  Islam’s,  nur  dass  sie  nicht  versuchen 
möchten , deren  Verwirklichung  mit  als  unpraktisch  erkannten  Mit- 
teln herbeizuführen. 

Die  Pontiiinak’sche  Kolonie  steht,  so  zu  sagen,  unter  der  Obhut 
der  Familie  Zawäm , von  welcher  wir  oben  3)  zwei  bedeutende  und 
wirklich  ehrenwerthe  Professoren  kennen  lernten.  Von  diesen  und 
deren  Freunden  lassen  sie  sich  in  die  heiligen  Wissenschaften  ein- 
führen; wer  noch  zu  kurze  Zeit  in  Mekka  lebt  und  in  Pontianak 
nicht  genug  arabisch  gelernt  hat,  bekommt  von  seinen  kundigeren 
Landsleuten  den  erforderlichen  propädeutischen  Unterricht  in  ma- 

1)  S.  337.  2)  S.  233. 


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Mischer  Sprache.  Bevor  sie  ZawäwT  der  Vater  in  die  Tanqah  der 
Naqschibendi’s  aufnimmt,  müssen  sie  eine  bedeutende  Stufe  in  der 
Wissenschaft  erreicht  haben.  Einige  meiner  Pontianakschen  Freunde 
hatten  sich  jedoch  in  Medina  von  einem  Schech  Mat  har  ein  weihen 
lassen , demselben , der  dort  seinen  frommen  Besuchern  einige  in 
Wachs  festgeklebte  »Haare  des  Propheten”  zeigt ').  Aus  Süd-Cele- 
bes war  in  Mekka  ein  makasarischer  Gelehrter,  dessen  in  seiner 
Wohnung  abgehaltenen  Vorlesungen  (theils  in  makasarischer,  theils 
in  malaiischer  Sprache)  sich  lebhaften  Besuchs  erfreuten.  Viele  von 
seinen  Schülern  hörten  zu  den  Abendstunden  im  Haram. 

Die  Länder  Sumätra’s  tragen  einen  recht  bedeutenden  Prozent- 
satz zur  Zahl  der  Studenten  bei,  aber  die  dorther  stammenden 
Lehrer  nehmen  sämmtlich  ihren  Platz  im  zweiten  Range  ein;  das 
sind  jedoch  zufällige  Verhältnisse,  die  in  jedem  Jahrzehnt  grossem 
Wechsel  unterliegen.  Die  hier  ansässigen  Atjeher  sind  in  der  Ge- 
sellschaft nicht  gerade  hoch  angesehen;  man  weiss,  dass  ihre  Hei- 
math  sich  vor  anderen  Djäwah-ländem  durch  das  Herrschen  der 
Päderastie  auszeichnet,  und  ferner  ärgern  die  Atjeher  alle  Araber 
im  Verkehr  durch  ihre  thörichte  Einbildung,  als  wäre  Atjeh  ein 
Kulturcentrum  des  Islams.  Ein  paar  geschätzte  Lehrer  stammen  aus 
Palembang , und  der  schon  erwähnte  *)  Lampongsche  Schech  ertheilte 
sowohl  seinen  Pilgern  als  den  unter  seinem  Schutze  stehenden  an- 
sässigen Lampongem  Elementarunterricht.  Fast  alle  diese  Sumatraner 
gehören  zur  Tarigah-,  gewöhnlich  sind  sie  QädirT’s  oder  Naqschi- 
bendi’s, und  ihre  Meister  einer  von  den  türkischen  Schechen  Sulei- 
man  Efendi,  Challl  Pascha  und  Challl  Efendi  oder  der  Bantensche 
Schech  Abdulkarim. 

Ein  Pilgerschech  aus  Rau  (Westsumätra),  Schech  Zein , ist  eigent- 
lich für  die  Freradenführerschaft  zu  gelehrt  und  zu  ungeschickt. 
Das  Geschäft  wird  denn  auch  thatsächlich  von  seiner  völlig  eman- 


1)  Gegen  diese  Verehrung  der  prophetischen  Haare  hatte  4min  al-Maiani,  der  1883 
den  Orion taliatcnkongress  in  Leiden  mitmachte,  in  Medina  ein  Fhtva  verfasst;  die 
Freunde  des  Mathar  sagten  mir,  jene  boshafte  Schrift  sei  nur  durch  den  Brotneid  Amin’s 
veranlasst. 


2)  Oben  S 350  fl. 


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390 


cipierten  Frau  ausgeübt,  sodass  die  Mekkaner  immer  nur  von  der 
rRnmjjah"  sprechen.  Als  ich  in  Mekka  war,  hörten  aber  gegen 
60  malaiische  Studenten  bei  Zein,  der  nur  im  Hörsaal  einige  Stun- 
den des  Tages  von  der  Pantoffelherrschaft  befreit  war.  Die  Dame 
verkehrte  ohne  jede  Zurückhaltung  mit  allen  Männern  und  ver- 
focht ihre  Interessen  mit  einer  auch  in  Europa  bei  ihrem  Geschlechte 
seltenen  Energie.  Dass  im  Padangschen  Hochlande,  in  Palembang 
und  auch  in  solchen  Gegenden  Sumätra’s,  wo  ein  weniger  reges 
wissenschaftliches  Leben  herrscht , die  besten  Lehrer  ihre  Kenntnisse 
in  Mekka  gesammelt  haben,  ist  allbekannt.  Vor  einem  Jahrhundert 
lebte  in  Mekka  ein  berühmter  Schriftsteller  (Abdu^mad)  aus  Pa- 
lembang, und  in  viel  früherer  Zeit  wurden  die  bekanntesten  ma- 
laiischen theologischen  Werke  in  Atjeh  geschrieben,  welches  Reich 
von  berühmten  arabischen  Gelehrten , wie  z.  B.  dem  Sohne  des  Ibn 
Hadjar,  Besuche  erhielt.  Heutzutage  haben,  wie  gesagt,  was  Nie- 
derländisch-Indien  anbetriflt,  Gelehrte  aus  Banten  die  leitende  Stel- 
lung inne;  daraus  darf  man  aber  über  den  relativen  Eifer  und  die 
Anlagen  der  Bewohner  jener  Provinzen  keine  weitgehende  Schlüsse 
ziehen,  denn  manchmal  bestimmen  zufällige  Umstände  den  hoff- 
nungsvollen Gelehrten,  sich  auf  andere  Wege  zu  begeben.  Dies  er- 
hellt am  klarsten  daraus,  dass  noch  vor  dreissig  Jahren  Biina, 
Sambas  und  Batavia  in  Mekka  auf  geistigem  Gebiete  voranstan- 
den , wie  jetzt  Banten  und  Surabaja  und  wie  früher  resp.  Bandjar, 
Palembang,  Atjeh,  ohnedass  sich  in  den  betreffenden  Ländern  viel 
geändert  hätte. 

Hietnit  schliesse  ich  meine  Mittheilungen  über  die  Djawahkolonie 
und  sonstige  Folgen  der  Wallfahrt  für  die  Djä  wahländer  ab;  es  sei 
mir  aber  gestattet,  noch  kurz  an  die  politische  Bedeutung  dessen, 
was  mit  dem  Haddj  zusammenhängt,  für  Niederländisch-lndien  zu 
erinnern. 

Kein  Leser  des  Obenstehenden  dürfte  noch  der  Ansicht  vieler 
Beamten  zugänglich  sein,  die  in  allen  Haddji’s  fanatische  Gegner 
der  Regierung  erblicken:  sehr  viele  kommen  als  Schaafe  zurück, 
wie  sie  als  Schaafe  gegangen  sind,  sodass  für  sie  das  Schaafköpfe- 
essen  auf  dem  Abu  Qubcs  doppelte  symbolische  Bedeutung  hat. 


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391 


Die  scheinbare  Würde,  welche  namentlich  auf  Java  jeder  Haddji 
seinem  arabischen  Gewände  und  der  Unwissenheit  der  Bauern  ver- 
dankt, sinkt  mit  dem  Steigen  der  Pilgerzahl  und  der  zunehmenden 
Weltklugheit  des  Volkes.  Einstweilen  findet  man  immerhin  unter 
diesen  landläufigen  IJaddji’s  nicht  geringzuschätzenden  Brennstoff, 
der  entflammt,  sobald  ein  verwegener  Mann  einen  Funken  hinein- 
wirft. Diese  Entzündbarkeit  hängt  damit  zusammen,  dass  die  In- 
teressen der  Haddji’s  denen  der  Regierung  meistens  zuwiderlaufen, 
während  manche  aus  Arabien  panislamitischc  Eindrücke  heimge- 
bracht haben,  die  sich  unschwer  zum  Fanatismus  entwickeln.  Die 
ein  wenig  länger  in  Mekka  waren,  sind  dort  theils  zu  geschätzten 
Quränlehrern , theils  zu  warmen  Anhängern  einer  Tanqah  gewor- 
den, was  schon  viel  mehr  zur  Einführung  islamischer  Ideale  jeder 
Art  in  den  Archipel  beiträgt  als  die  Beweglichkeit  der  Yi\gexmasse , 
denn  mit  dieser  kann  man  nur  in  Trüben  fischen , während  jene 
langsam , aber  stetig  auf  die  herrschende  Gesinnung  einwirken. 
Schon  diese  wichtigeren  Einflüsse  sind  nur  indirekte  Folgen  des 
Haddj , aber  nichtsdestoweniger  Folgen , und  vielleicht  ist  es  zu 
bedauern,  dass  man  nicht  in  vergangener  Zeit  in  solchen  Gebieten, 
die  noch  keine  Pilger  ausgesendet  hatten,  den  Strom  bei  seinem 
Entstehen  in  eine  andere  Richtung  gelenkt  hat.  Dazu  ist  jetzt  keine 
Gelegenheit  mehr;  die  Beschränkung  der  Erlaubniss  zur  Wallfahrt 
auf  Leute,  die  genügende  Mittel  aufweisen  können,  behält  ihren 
Werth,  aber  weiter  kann  man  nicht  gehen,  ohne  Gedanken  an 
Religionsverfolgung  zu  erregen,  worin  die  Djäwah  von  den  dabei 
interressierten  Mekkanern  energisch  bestärkt  würden. 

Alle  anderen  aus  dem  Haddj  sich  ergebenden  Folgen  kommen 
aber  kaum  in  Betracht  gegen  die  blühende  Djäwahkolonie  in  Mekka ; 
dort  ist  das  Herz  des  religiösen  Lebens  im  ostindischen  Archipel, 
und  immer  zahlreichere  Adern  führen  von  da  aus  in  immer  schnel- 
lerem Laufe  dem  ganzen  Körper  der  muhammedanischen  Bevölke- 
rung Indonesiens  frisches  Blut  zu.  Hier  laufen  die  Fäden  aller 
mystischen  Genossenschaften  der  Djäwah  zusammen,  hieher  bezie- 
hen sie  die  Litteratur,  mit  welcher  sie  auf  der  Schule  bekannt  ge- 
macht werden , hier  nehmen  ihre  Leute  durch  die  Vermittelung 


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angesiedelter  Freunde  und  Verwandten  am  panislamitischen  Leben 
und  Streben  Theil.  Wie  sieh  dem  Pilgerstrome  jetzt  kein  Damm 
mehr  entgegensetzen  lässt,  so  kann  auch  niemand  etwas  dafür, 
wenn  derselbe  bei  jedem  Ilin  und  Her  von  Ostindien  Keime  nach 
Arabien  mitschleppt,  die  sich  im  dortigen  Boden  entwickeln,  und 
von  Arabien  fertige  Pflanzen  nach  Ostindien  hinreisst , die  sich  dort 
nun  weiter  vervielfältigen.  Es  kommt  also  für  die  Regierung  darauf 
an,  zu  wissen,  was  sich  in  Mekka  entwickelt,  welche  Elemente 
jedes  Jahr  von  dort  eingeführt  werden,  wie  man  dieselben  durch 
geschickte  Behandlung  für  die  Zwecke  der  Regierung  gewinnen 
oder  wenigstens  unschädlich  machen  kann.  So  ist  es  möglich,  ohne 
Störung  des  Friedens,  das  geistige  Leben  zu  lenken,  ohne  auf 
Missverständniss  beruhende , gehässige  und  andererseits  wiederum  viel 
zu  nachgiebige  Maassnahmen  den  immer  wachsenden,  vom  geisti- 
gen Centrum  des  Islams  ausgehenden  Einflüssen  hier  die  Wirkung 
ganz  zu  nehmen,  dort  dieselbe  in  hohem  Grade  zu  lindern.  Vor 
allen  Dingen  aber  keine  Klassenurtheile ! Nicht  die  Haddji’s,  die 
Anhänger  mystischer  Genossenschaften,  die  in  Mekka  erzogenen 
Gelehrten  sind  gefährlich , fanatisch  usw. ; alle  drei  verkörpern  aber 
den  geistigen  Zusammenhang  Ostindiens  mit  der  Mutterstadt  des 
Islam’s  und  beanspruchen  somit  mehr  als  oberflächliche  Beachtung 
von  Seiten  der  europäischen  Verwaltung,  damit  man  die  transi- 
genten  Leute  nicht  durch  Vorurtheil  und  unwissende  Borniertheit 
von  sich  stosse,  die  unversöhnlichen  Elemente  kenne,  von  jeder 
neuen  Bewegung  erfahre  und  die  Instrumente  besitze  zur  Abschät- 
zung ihres  Werthes. 

Einmal  war  ich  in  Djiddah  mit  dem  Kapitän  eines  niederländi- 
schen Dampfers  zusammen,  der  den  Hafen  besuchte,  um  etliche 
hundert  Djäwahpilger  einzunehmen.  Am  Tage  vor  der  weiteren 
Reise  sprach  er  von  der  Zahl  von  »Wilden”,  die  er  weiter  beför- 
dern sollte.  Ich  erzählte  ihm  darauf,  mir  seien  viele  seiner  Passa- 
giere bekannt , es  befänden  sich  darunter  allerdings  ganz  ungebildete 
Leute,  dagegen  auch  Viele,  die  durch  jahrelanges  Studium  zu 
geistigen  Führern  ihres  Volkes  geworden  seien;  auch  warnte  ich 
davor,  all  diese  Haddji’s  als  gleichartig  anzusehen,  weil  alle,  na- 


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393 


mentlich  auf  der  Reise,  das  gleiche,  geringe  Gewand  tragen.  Mit 
ungläubigem  Lächeln  nahm  der  Kapitän  die  Mittheilung  auf,  dass 
es  wirklich  litterarisch  gebildete  Javanen  gebe , die  in  zwei  und  mehr 
Sprachen  wissenschaftliche  Werke  lesen,  obgleich  es  ihm  nicht 
unbekannt  sein  konnte,  dass  der  gemeine  Javane  den  durchschnitt- 
lichen europäischen  Steuermann  an  feinen  Formen  des  Verkehrs 
weit  übertrifft.  Nach  wie  vor  blieb  er  dabei , trotz  aller  Gelehrsam- 
keit und  Bildung  sei  ein  Haddji  ein  Haddji,  d.  h.  ein  Wilder. 
Unter  diesem  Kapitän  hatten  die  Pilger  bloss  ein  paar  Wochen 
auf  einem  grossen  Dampfer  zu  verbringen , und  die  Gutmüthigkeit 
des  Seemanns  verbürgte  ihnen  trotz  aller  »Wildheit”  eine  angemes- 
sene Behandlung.  In  dem  riesigen  Inselreiche,  welches  ein  talent- 
voller Schriftsteller  in  einem  seiner  unglücklichsten  Augenblicke  »In- 
sulinde”  getauft  hat,  haben  unsere  Beamten  es  vielfach  mit  solchen 
ganz  verschiedenartigen,  wenn  auch  gleichgekleideten  und  gleichbe- 
nannten Menschen  zu  thun,  wie  sie  unser  Kapitän  hartnäckig  über 
einen  Kamm  sehor.  Dort  haben  bedenkliche  Irrthümer  schlimmere 
Folgen  als  auf  der  raschen  Fahrt  von  Djiddah  nach  Batavia.  Möge 
die  stetige  Zunahme  unserer  Kenntnisse  vom  geistigen  Leben  der 
niederländischen  Djütoah  solche  Fehler  immer  seltener  machen ! 


u 


so 


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NACHTRAEGE  UND  BERICHTIGUNGEN. 


zum  I,ton  Bande1). 

S.  VII,  25L  Aba  Numejj  lies:  Hasan. 

„ XVII,  Z.  LL:  lä. “ü  lies:  des  19'~. 

„ 21  — B : in  Stammtafel  I ist  dem  nicht  numerierten  Namen  Fu- 
laitah  die  Nummer  12  vorzusetzen. 

S.  II  ist  Anm.  1 zu  streichen  und  sind  die  Anmm.  2 — 6 mit  1 — B 
zu  numerieren. 

S.  53j  Z.  5 v.  u. : nach  Westen  lies:  nach  Osten. 

„ TOj  unten:  orientalistische  lies:  orientalische. 

„ 7J_,  Z.  De  spanische  lies:  Der  spanische. 

„ 73j  Z.  lfL  die  beide  lies:  die  beiden. 

„ 77j  Z.  di  gefesselt  Ues:  gefesselte. 

„ 87_,  Z.  6_:  Einkommendes  lies:  Einkommen  des. 

„ 114,  Anm.,  Z.  2_:  met  lies:  mit. 

„ 1B2,  Z.  2 und  Anm.  Eine  Bemerkung  des  Freiherrn  A.  von 
Kremer  veranlasst  mich,  hier  Folgendes  zur  Beleuchtung  der  Schrei- 
bung Maewa"  nachzutragen:  Den  Namen  dieses  nunmehr  italienischen 
Ortes,  welchen  die  Zeitungen  Massaua  oder  ähnlich  zu  schreiben 
pflegen,  habe  ich  von  Arabern  immer  Mapuxf  sprechen  gehört;  wenn 
man  die  emphatische  Aussprache  des  f und  die  halbvokalische  des 
io  in  Betracht  zieht,  so  ergiebt  sich,  dass  die  durch  des  Arabischen 
unkundige  Leute  aufgebrachte  Schreibung  Massaua  ziemlich  genau 


1}  VergL  das  Druckfchlcrverwichniss  hinter  dem  I,,cn  Bande. 


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die  von  mir  veproducierte  Aussprache  darstellt  Prof.  Nöldeke  macht 
mich  darauf  aufmerksam , dass  die  amliarische  Aussprache  ungefähr 
Mitpoa  (vergl.  Prätorius,  Amharische  Grammatik,  S.  602  f.)  lautet. 
Ob  eine  andere  Aussprache  an  sich  richtiger  wäre,  vermag  ich  nicht 
zu  entscheiden. 

S.  176,  Z.  23:  zu  seinem  lies:  zu  seinen. 

„ 178,  Z.  17:  Familiem  acht  lies:  Familie  macht. 

„ 182,  Z.  17  — 8:  Gesetzbücher  lies:  Gesetzbücher. 

„ 222  — 3 Vielleicht  ist  es  nicht  überflüssig,  zu  bemerken,  dass 
die  Worte  51  oder  uü&il  U usw.  im  Kanzleistil 

des  Hidjäz  und  daher  auch  in  gewöhnlichen  Briefen  nicht  an  Bekann- 
tes erinnern,  sondern  als  Einleitung  zur  Mittheilung  unbekannter 
Thatsachen  dienen. 

S.  224  — 5.  Bas  von  mir  unübersetzt  gelassene  Wort  ez-Zir  hat 
mehrere  Fachgenossen  veranlasst,  mir  zu  schreiben,  damit  sei  der 
bekannte  Held  gemeint,  dessen  Geschichte  im  Diwan  der  Bern  Hilal 
erzählt  wird  und  auch  in  Einzelbearbeitungen  vorliegt.  Ich  muss  darauf 
antworten,  dass  bei  mir,  als  ich  die  Stelle  übersetzte,  der  gleiche 
Gedanke  aufgekommen  ist  und  mich  zu  nochmaliger  Lektüre  der  bei- 
den in  meinem  Besitz  befindlichen  Redaktionen  der  Qitfat  ez  zir  ver- 
anlasst hat.  Dem  Helden  werden  nun  zwar  staunenswertlie  Thaten 
der  Tapferkeit  nachgerühmt,  aber  nichts,  das  ihn  etwa  zum  Muster 
der  Tyrannei  machen  könnte.  Ausserdem  ist  in  Mekka  der  stehende 
Ausdruck  für  tyrannische  Handlungen  und  Maassnahmen  der  Behörden 
hukm  Qaraqns  und  habe  ich  dagegen  den  Namen  des  Zir  nie  erwähnen 
gehört;  ich  kann  mir  also  die  genannte  Interpretation  nicht  aneignen. 

Die  KjuoL<ij  azyji  ist,  wie  mir  Dr.  Wetzstein  mit  Recht  bemerkt, 
die  Konskription , das  Loosziehen  zum  Eintritt  in  die  reguläre  türkische 
Armee;  darin  sind  also  die  von  mir  fälschlich  am  Schluss  der  Ueber- 
setzung  erwähnten  „ anderen  Abgaben”  zu  verbessern,  und  Anm.  4 
zu  streichen. 

S.  227,  Anm.  2.  Unter  Beduinendichter  verstehe  man  hier  nicht 
etwa  Einen,  der  in  der  Beduinensprache  Westarabiens  dichtet,  denn 
die  ist  ganz  verschieden  von  der  klassischen  des  Trauergedichts.  Der 
Schech  Bedewi  war  zwar  Boduihe,  aber,  wie  mehrere  in  Mekka  und 
Taif  ansässige  Harbi’s , Hudeli's , ThaqafVs  usw.  hatte  er  eine  gelehrte 
Erziehung  genossen. 


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397 


zum  IIteB  Bande. 

S.  15  oben  hätte  ich  auch  noch  der  chinesischen  Sklaven  beider 
Geschlechter  Erwähnung  thun  sollen,  und  obgleich  in  Mekka  bisher 
keine  Kolonie  chinesischer  Muslime  existiert,  hätten  doch  unter  den 
fremden  Besuchern  Mekka's  auch  die  chinesischen  Pilger  Erwähnung 
verdient. 

S.  64 , unten , ist  hinter  dem  Worte  Qabas  einzusetzen : (die  Laute) , 
die  Kemendjah,  und  S.  55,  2 hinter  dem  Worte:  enthält,  hinzuzufü- 
gen: die  Kemanait , welche  der  letzteren  ganz  entspricht,  [und  der  all- 
bekannte Q&nün  usw.].  Die  Anmerkungen  sind  natürlich  statt  1,  2, 
1,  2 zu  numerieren  1,  2,  3,  4. 

S.  59  unten.  Gewöhnlich  fangen  die  Festlichkeiten  zu  Ehren  des 
Scbech  Mahmud  schon  am  zweiten  Freitag  des  sechsten  Monats  an ; 
ähnliche  Jahrestage  von  Heiligen,  die  auf  einen  bestimmten  Wochen- 
tag fallen , kommen  auch  anderwärts , z.  B.  in  Egypten  vor. 

S.  64,  Z.  5 v.  u. : am  17ten  lies:  am  14 <*■. 

S.  66,  Z.  22  und  S.  69,  Z.  18  habe  ich  irrthümlich  das  Fest  der 
Aminah  auf  den  12ten  jedes  Monats  angesetzt ; ihr  Haul  fällt  auf  den  8‘n. 

S.  116,  Z.  20—1.  Statt  Qdbir  wird  auch  Qibr  gesprochen.  Anstatt 
Qabah  ist  Schabb  (Alaun)  zu  lesen;  nubischen  Alaun  nennen  die  Ara- 
ber das  Salz,  weil  es  in  gewissen  Fällen  anstatt  des  Alauns  gebraucht 
wird. 

S.  117,  Z.  13:  Klysstierspritze  lies:  Klystier  spritze. 

„ 169,  Z.  16:  Ausdrück  lies:  Ausdruck. 

„ „ Z.  23:  Tamburinen  lies:  Tamburine. 

„ 183,  Z.  23:  bärak  lies:  bärak. 


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DEC  1 8 REC'B 

MAR  4 1994 
MAR  31  1994  Ifö'ß 

MAY  1 1 1994  RfC'D 


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