Full text of "Mekka"
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MEKKA
VON
D\ C. SNOITCK HURGRONJE.
MIT B1I,DER- ATLAS.
HKStAI SGEGKBEN VON » UKT KONINKL1JK IN5TITUUT VOOB DK TA AL-, LAND- KN VOLK ENK UN DK
VAN NKDEHLANDSCH-INDIE TK ’s-GHAVENUAGE.”
I.
DIE STADT UND IHRE HERREN.
H A A G
MARTINUS NIJHOFF
1888.
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INHALT.
Seito
VORRBDR ■ . . . , : . , , , . , . , , . . . XI — XXIII.
I. .I)i£_Stadx , , , , , , , = . s , , , . t 1-23.
Lage und VertheidigungBzustand 1 — 2. Die Moschee : die Ka‘bah
2 fl., ihre Bekleidung \ — 5. Der 7-emzcinbninnen 5 — 6. Trink-
wasser in Mekka und Umgegend; die Wasserleitung der Xebe-
dah 6 — 10. Die Ka'bah-treppen , die Kanzel und der Maqäm
Ibrahim-, das Thor der Ben? Schebah 11. Allmähliche Erwei-
terung der Moschee 12. Die vier Maqäm's 13 — 5. Der lotzte
Umbau (1672—7); Totaleindruck des Haram 16—7. Fromme
Stiftungen 17. Der Sei (Uoberschwemmung) und die Bauten zu
seiner Ablenkung 18 — 20. Weitere heilige Stätten ; der Friedhof
cl-Ma'lä 20 — 2. Hauptstraßen und vornehme Geb&udc in Mekka
22—3.
II. Mekka unter den Cttat.teen. — Entstehung des
Suheripatr. — Die Soiterteb bis 1200 ■ ■ . . . 24 — 74
Stammtafel I.
Politische Lage Mekka’s unter dem Propheten und seinen
drei ersten Nachfolgern (630— 6fl) 24 — 5. Veränderungen infolge
der Omatjadenhorrschaft 26 — 7. Oppositionsparteien: die Schi'ah
und Abdallah ihn Zubair (bis 682) 28 — 9, Entstehung der
»Schule” ; Mekka und Medina werden heilige Städte ( Hara-
mein) 29 — 30. Charakter der Bevölkerung 30 — 2. Stellung der
Aliden in Westarabien während der Oniajjadcnregiernng 32 — 5.
Die Hasaniden im Hidjäz 36 — 7. Sie werden von den Arabern
verehrt 38 — 9. Das Abbasidenclialifat (seit 760); hasanidische
Empörungen gegen dasselbe in Westarabien 39 — 12. Weitere
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VI
INHALT.
Seile
Zersetzung der Einwohnerschaft von Mekka 42 — 3. Mekka von
Aliden geplündert 43 — 4. Folgen der Zerstückelung des Abba-
sidenrcichs (833 — 91) 45 — 6 : hasanidische Strassenräuber 46 — 7:
zunehmender Einfluss der Aliden in der muslimischen Welt 47 — 9.
Die Qannaten (seit 891h Anarchie und Unsicherheit in Ara-
bien 49—50. Entweihung Mekka's durch die Qarmaten (930)
50 — 1. Politische Verhältnisse Beit der Oarinatenwnth : Wett-
bewerb der muslimisrhen Kilrsten um ili« Sehnt/herrsrhafl iihnr <
Mekka 51 — 3. Die Fatimidenchalifen in Egypten (seit 869);
Abhängigkeit des Hidjäz vom Nillande 54. Entwickelung der v
Alidenmacht: Scherife 54 — 7. Herrschaft der Müsäiri's über
Mekka (seit ± 061) 57 ff. : Dja'far, der erste Grossscheril (bis
db 980) 58. Seine Söhne ‘Isa (bis 994) und Ahu’l-Futüh (994 —
1039) : Letzterer als Kandidat filr die Chalifenwflrdc 59. Sein
Sohn Muhammed Schukr (1039 — fll); Charakteristik dieser
Dynastie 60 — i. Das Haus der Sulaimäni’s oder Ben i Abi 'l-Tninb
im Kampfe mit ilen Hawäschim: der jfemknische Fürst ac-I'ii-
lailii stellt die Ordnung wieder her (1003) 6t — 3. Die Dy-
nastie der Hawäschim (1063 — 1201); ihr Verhhltniss zu den
Sultanen des Islam’a. Abu Häachim (10fl3 — 84) schachert mit
den Hoheitsreehten 63 — 5. Sein Sohn QSsim (1094— 1124) und
die übrigen Hawäschim bis 1201, Berichte eines spanischen I’il- >
gers (1183 und 85): politische und religiöse Gesinnung der
Grossscherile ; Zaiditen 65 — 8. Saladin 09. Verhalten seiner Dy-
nastie gegen die Könige von Mekka 70 -1. Alidische Raubritter
im Hidjäz 71 — 2. Gründe fortwährender Anarchie in den IJu-
ramein 72 — 3. Qatädah entreisst (1201, 2 oder 3) den mit
einander kämpfenden Hawäschim die Herrschalt 73—4.
HI. Die Söhne QatXdah’s bis zue Wahhabitenzeit
(1200-1788) 75-137.
Stammtafel II.
Qatädah (± 1201 — 211; seine Politik. Sonderbares Verhalten
gegen die Schutzherren 75—7. Seine Heignng für die /.aiditen-
imäme in lernen 77—8. Sein Testament; er •wird von seinem !
Sohne Hasan ermordet 78. Qatädah’s Söhne und Enkel bis 1254;
Egypten und J&men kämpfen um die Schutzherrsehaft 78— 80.
Zerstörung des Abbasidenchalilats und F.mporkoinmen der Mam-
iukenmacht in Egypten : Baibars. Der Grosascherif Abu Numejj
(1254—1301) 80—2. Das »Herkommen" der Scherito 82 IT.
Bedeutung der Mahmal't beim Haddj 83—4. Die Söhne Abu
Numiijj's (1301 — 46) im Kampf um die Herrschaft, Egypten und
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INHALT.
VH
Seit«
Babylonion. Die /.aiditen ton Jemen 84—6. Theilung der Ein-
künfte des Scherifats 86—7. Die Periode 'Adjläns (1346— 76);
Mitregentschaft seines Sohne«. »Herkömmliche" Abschaltung von
Steuern 87—9. Die Fürsten von Mekka werden Schäfi'iten und
verfolgen die Zaiditen 89. Regierung der Sühne ’Adjlans (1376 —
1426), namentlich Hasans (seit 1396) 90 fl. Die Cirkassier-
sultane in Egypten (seit 1382) als SchuUherren. Fremde Pilger
91. Einnahmequellen der Scherife; die Zölle von Djiddali wer-
den ihnen (1462) abgenomuion 92—3. Beamten und Armeeder
Scherile 94—6. Ihre Lelienswoise 96—8. Barakät (1426—66);
türkische »Residenten”; die Harb-stümme am I’ilgerwego 98 — 9.
Barakät weigert sich, den Huf des Maljmal-kameels zu küssen.
Sein Sohn Muhammeil (1466—97) und der grosse Cirkassier
Qäitbey 100. Qfutbey’s Haddj 101. Barakät II (1497 — 1626).
Die Portugiesen und die Othmanli’s. Eroberung Egyptens durch
Selim und gewandte Politik Barakäts 101 -3.
Stammtafel in.
Abu Numejj (1625 — 66) und sein Sohn Hasan (1666 — 1601)
regieren ungestört unter den ersten Othmanen seit der Erobe-
rung Egyptens. Verhältnis« zu den Türken 104 — 5. Mnhmal’».
Die Stillungen der Sultane von Stambul 105 — 6. Ihre Vorliebe
Dir den hanafitischen Ritus. Aenderung der (ierichtsverwaltung
in Mekka. Abu Numfejj »der letzte gute Scherif” 106—8. Wie-
deraufnahme der Bruderkämpfe unter seinen Söhnen und Enkeln
(1601 — 31), sobald die Decentralisation im türkischen Reiche
anfängt. Die Imäme von (än'a 108 — 10. Der Kampf um die
Einnahmen und das heilige Gesetz HO — 11. Sonstiges Gewohn-
heitsrecht der Scherife 111 ff.; ihr Verfahren gegen ihre Un-
terthanen 111 — 2. Verhältnis» der verschiedenen Hasanidenfa-
milien (Itewi . . .) zu einander und zum Grossscherif 112—4.
Familiengesetze 115 — 8. Diwi Zeid , "Abadilah und Dein Ba-
rakät seit 1631. Zeid (1631 — 66) und die türkischen »Resi-
denten” 118 — 20. Anti-türkische Gesinnung in Mekka 120.
Anti-schi'itiscbe Politik der Pforte in der heiligen Stadt ; Perser
und Zaiditen 120 — 4. Sa'd’s erstes Scherifat (1666 — 72) 124 — 5.
Ein ausserordentlicher »Resident" bringt die Di'wi Barakät auf ,
den Thron (1672 — 84) 125 — 6. Neuer Streit wegen der Ein-
nahmen; die Häupter der Däwl Zeid in Konstantinopell26— 7.
Geschenke aus Indien und Atjeh 127 — 8. Neues Scherifat Sa'd's
und anderer Diwi Zeid (1684 — 1704)128 — 31 . Aberglaube der
Scherife 131 — 2. Zweites Scherifat der Dewi Barakät (1704 —
11). Die Türkei und nicht-türkische Mächte in Mekka 132 — 3.
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VHI INHALT.
Seite
Unbedeutende Versuche der Dewi Barakut bis 1770. Die Diwi
Zeki seit 1711: Mas'üd (1782 — 3 und 34 — 62) und Mesä'id
(1752 — 70) 133 — 5. Alle anderen Familien treten in den Hin-
tergrund. Die Imäme von fan'ä 130. Serür (1773 — 88) und
Ghälib (1788 — 1813) 135 — 7. Der Sultan von Marokko wünscht
sich Serür zum Schwiegersohn 137.
IV. Das Sohebifat im letzten Jahbhotdert (1788— 1887). 138—189.
Anfänge des Wahhabitismus und Geringschätzung dieser Be-
wegung von Seiten der Mckkaner 138 — 140. Hauptzüge der
neuen Lehre 140 — 42. Ihn Abd el-Wahhab und Ibn Sa'ud ; das
Innere Arabiens ein geeigneter Boden für die Reform; Mekka
naturgemäss derselben abgeneigt 142—43. Dewi Zeid und Wah-
habiten 143—44. Ghälib eröffnet den Kampf; Aehnlicbkeit der
Verhältnisse mit denen zur Zeit des Propheten. Untliätigkeit
der Pforte 145—7. Ghälibs Vertrag mit dem Wahhabiten-emir
(1789) 1 47. Wiederaufnahme der Feindseligkeiten ; Ghälib schickt
eine Gesandschaft nach Dar'ijjah 148. Sein Schwager 'Uthmän
M-Medhaifi tritt zum Wahhabitismus über 148—9. Ghälib zieht
sich nach Djiddah zurück; Mekka unterwirft sich den Wahha-
biten (1803) 149 — 50. Djiddah vergeblich von ihnen belagert;
nach dem Abzüge des Emirs erobert Ghälib Mekka wieder
150— 51. Belagerung Mekka’s; Ghälib ergiebt sich (1806)
151 — 52. Die Reform in Mekka 152. Muhammed Ali in Egypten ;
ersto Expedition gegen die Wahhabiten (1 811) 153. Muhammed
Ali in Mekka (1813); sein treuloses Verfahren gegen Ghälib
154 — 55. Jahja ibn Serür (1813 — 27) wird Grossscherif 155.
Weitere Kämpfe gegen die Wahhabiten 156. Muhammed Ali's
Anordnungen in Mekka 157. Der Grossschorif todtet denScherif
Schambar in der Moschee und flieht 157—8. Abd el-Muttalib
vorläufig eingesetzt 158. Muhammed Ali setzt das Haupt der
'Abädilah, Muhammed (1827 — 61) ein; Abd 41-Muttälib’s ver-
geblicher Kampf und Flucht 158—60. Cholera und allerlei
Unruhen; Empörung der 'Asir 161 — 62. Der Grossscherif ent-
zweit sich mit dem Pascha und wird nach Egypten gefordert
162. Der Hidjäz kommt unter Verwaltung der Pforte (1840);
der Grossscherif Muhammed kehrt nach Mekka zurück 162 — 3.
Intriguen Abd M-Muttälib’s in Konstantinopcl 163—4. Kriegs-
Züge des Grossscherifs gegen die Wahhabiten , die 'Asir und
Jemen 164. Die Häupter der ‘Abädilah werden nach Konstan-
tinopel gefordert ; Abd M-Muttälib wird Grossscherif(1861— 6)
165—6. Sein rohes Auftreten gegen die türkischen «Residenten”
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INHALT.
IX
166. Er weigert sich Abeetzungsurkunden anzuerkennen 1 07.
Aufstand in Mekka wegen des Verbots dos Sklavenhandels 167 — 8.
Kampf des Abd el-Muttdlib gegen den aus Konstantinopel ge-
schickten Muhammed; er wird gefangen genommen und Mo-
hammed wieder Grossscherif (1856 — 8) 168. Christenmord in
Djiddah (16 Juni 1868) 169. Abdallah, Muhammads Sohn,
wird FQrst von Mekka (1868—77) 170. Die neue Zeit (der
Sueskanal, der Telegraph) 170— 71. Ein mekkanische« Freikorps
gegen die Russen. Die türkische Runoaukratie in Mekka 171.
Charakter Abdallah’s; seine Kriegszüge 172—73. Husein, der
Bruder Abdallahs, folgt ihm nach (1877 — 80): seine Ermordung
173. Der alte Abd el-Muttälib zum letzten Mal (1880 —2); er wird
vom Volke verehrt trotz der Missregierung 174 —75. Bittschriften
der Mekkaner um seine Absetzung 176. Othman Pascha über-
listet den heiligen Sünder; dieser bleibt bis zu seinem Tode
(1888) in ehrenvoller Haft in Mekka 176— 77. ’Aun dr-Rafiq ,
Bruder Ijuseins, wird Grossscherif (1882— ); sein Charakter
178—79. Verhältniss zu Othman Pascha; Folgen der Duulit&t
der Gewalt in Mekka 179—81. Hisshelligkeiten wegen der Rechts-
verwaltung und wegen Beduinenangelegenheiten 181— 84. ’Aun
zieht (1886) mit seinem Anhang nach Medina 184—5. Nach
der Versetzung Othman Pascha's kehrt er zurück 185. Die Po-
litik des neuen »Residenten” 185—86. Dieser wird durch den
energielosen (’afwet Pascha ersetzt 186. Stellung der Bevölker-
ung zum Scherifat und zu der Pforte 186 —88. Die Türken
als Pioniere europäischer Kultur 188—89.
Anhang
Einleitendes 191—93. Bericht über eine Razzia Abd M-Mutta-
libs und daraus entstandene Misshelligkeiten zwischen ihm und
dem türkischen Gouverneur (Juni 1881) 194 —203. Bittschrift
der Mekkaner an den Sultan um die Absetzung des Grosssche-
rifs Abd el-Mutüilib (August 1881) 204 — 215. Amtlicher Bericht
Ober eine Züchtigung der Beduinen in der Nähe von Jambu'
(Märe 1886) 216 —221. Aufrührerischer Anschlagezettel gegen
Othman Pascha (Ende 1886) 222 —25. Trauergedicht vom Schech
Bedewi auf den Tod des Grossecherifs Abdallah (1877) 226 — 28.
Grundriss von Mekka.
Grundriss der Moschee.
Seite
191-228
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VORREDE.
Die Bearbeitung der Ergebnisse meines einjährigen Aufenthalts
in Djiddah und Mekka (1884 — 5) *) hat vorzüglich aus zwei Grün-
den eine unerwünschte Verzögerung erlitten. Meine plötzliche Aus-
treibung aus dem heiligen Gebiet verhinderte mich daran, die
unter verhältnissmässig günstigen Umständen angefangene Erfor-
schung ruhig abzuschliessen und das gesammelte Material gleich
unversehrt mitzuführen. Zweitens erschien es mir immer mehr als
noth wendig, den Skizzen aus dem heutigen Leben der Mekkaner,
welche der zweite Band dieses Werkes bringen wird , eine zusam-
menfassende Darstellung der Geschichte der heiligen Stadt voraus-
zuschicken ; eine derartige Arbeit erfordert aber, wenn sie nicht
gar zu oberflächlich sein will , viel Zeit.
Schon die Thatsache, dass ich in Mekka mit Quellen für die
Geschichte der Stadt bekannt wurde, die uns einen Einblick in
die Vorgänge der beiden letzten Jahrhunderte gewähren , machte
die Behandlung dieser in Europa nur sehr dürftig bekannten Pe-
1) Ei neu kurzen Bericht über meine Reise findet man in der Münchener Allgemeinen
Zeitung vom 16 November 1885; einigo Ergebnisse in den Verhandlungen der Gesellschaft
für Erdkunde zu Berlin , ßd. XIV, S. 138 ff.
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XII
riode wünschenswert '). Auch in Bezug auf die früheren Zeiten
besitzen wir aber in keiner europäischen Sprache eine historische
Uebersieht , worin die Hauptmomente des politischen Lebens im
Gebiete von Mekka hervortreten und somit die Vergangenheit
zum Verständniss der Gegenwart verwerthet wird. In europäischen
Bibliotheken finden sich Handschriften der berühmtesten Werke
über die Geschichte Mekka’s; dieses behandelt hauptsächlich die
Geschichte der Heiligthümer und der frommen Stiftungen, jenes
fügt auch die Biographien berühmter Mekkaner oder Daten über
die Verwaltungsgeschichte hinzu; die späteren Chronisten ziehen
die Bücher ihrer besten Vorgänger aus und verzeichnen ausserdem,
was sie selbst erlebt und gesehen haben. Solche Quellen macht
man der europäischen Wissenschaft zunächst am besten durch kri-
tische Textausgaben nutzbar; damit auch Geschichtsforscher, die
nicht Orientalisten sind , daraus schöpfen können , sind eigentlich
zuverlässige Uebersetzungen nothwendig und kann man sich mit
verkürzten Wiedergaben nicht begnügen. Prof. F. Wüstenfeld hat
uns in seinem vierbändigen Werke Die Chroniken der Stadt Mekka
(Göttingen, 1857 — 1861) einige von den wichtigsten Quellen im
Urtexte zur Verfügung gestellt, die uns bis gegen das Jahr 1000
der Hidjrah führen, und im vierten Bande durch einen Auszug in
deutscher Sprache den Nichtorientalisten einen flüchtigen Einblick
in den Inhalt jener Chroniken gewährt. Vor wenigen Jahren veröf-
l) A. Zohine hat in seinem Arabien und die Araber »eit hundert Jahren (Halle, 1875)
dio wichtigsten Werke europäischer Reisenden nicht ohne Qeschick bearbeitet. Immerhin
kommt keine neuere Darstellung der politischen Verhältnisse im Hidjaz dor von Burck-
bardt, Travel» ts Arabia 1:405 ff. gegebenen gleich. Die Hauptquellen blieben jedoch
auch diesem trefflichen Forscher verschlossen; sonst hätte or nicht geschrieben: ,Jor
„nobody , in thi» country , thinh» 0/ commii/iny to paper the event» 0/ hi» oien time»" (I: 411— 9),
denn bis zum heutigen Tag hat es nicht an Chronisten der heiligen Stadt gefehlt.
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XIII
fentlichte derselbe Gelehrte in manchmal etwas freier deutscher
Wiedergabe Auszüge au9 einem biographischen Werke, in denen
vorzüglich Daten über das Leben der Scherife des 1 lten Jahrhun-
derts der Hidjrah und der jenen Fürsten nahestehenden Personen
enthalten sind '). Diese und ähnliche Werke sind zwar unentbehr-
liche Hülfsmittel zum Vcrständniss der geschichtlichen Entwicke-
lung des Scherifats, leisten aber ihre Dienste erst nach kriti-
scher Bearbeitung des Inhalts unter Hinzuziehung anderweitiger
Zeugnisse. Vielleicht bietet sich mir später die Gelegenheit, den
Fachgenossen die von mir heimgebrachten arabischen Texte ge-
druckt vorzulegen, oder wenigstens die Partien der jüngsten Chro-
niken von Mekka zu edieren, in denen wirklich Neues oder bisher
Unveröffentlichtes enthalten ist. In diesem Bande ist nicht die
Mittheilung aller, wenngleich wichtigen, Einzelheiten aus jenen
Werken beabsichtigt, sondern die Einführung des Lesers in das
öffentliche Leben der heiligen Stadt vom Anfang des Islam’s bis
auf unsere Zeit. Sowohl der Umfang der einschlagenden Litteratur
als die beschränkten Kräfte des Verfassers werden hoffentlich dem
Leser als mildernde Umstände gelten, wenn er nach der, unter
seiner Führung geduldig vollendeten, Reise das Ziel nur von ferne
erblickt. Die Bedeutung , welche Mekka als Geburtsort des Islam’s,
als geistiges Centrum und Ziel der Wallfahrt durch alle Zeiten für
die muhammedanische Welt gehabt hat, macht es begreiflich , dass
man kaum eins von den vielen tausend Erzeugnissen der arabischen
Litteratur durchlesen kann , ohne dieser oder jener werthvollen Notiz
1) Die Scherife von Mekka im XI (XVII) Jahrhundert von F. Wüstenfeld, Göttingen
1885. Dieses Werk citieren wir mit: „Wüstenf., Scherife”, die Chroniken der Stadt
Mekka mit CM.
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XIV
über die Stadt Allahs zu begegnen. Namentlich aus allerlei Ge-
schichtswerken , Reisebeschreibungen , biographischen Sammelwerken
Hesse sich ohne Zweifel Vieles nachtragen , das auch in den Rahmen
unserer Darstellung wohl passen würde. Soviel darf ich aber wohl
hoffen, dass keine Hauptsachen übersehen sind und dass der Leser
ein im Ganzen richtig getroffenes Gesammtbild jener eigentüm-
lichen Gesellschaft bekommen wird, umsomehr, da es mir vergönnt
war, mehr als sechs Monate lang das Leben der Mekkaner als
ihrer Einer mitzuleben und so einen Standpunkt zu gewinnen,
von welchem aus die Berichte über die Vergangenheit sich leichter
zusammenfassen und ergänzen lassen als in der Studierstube.
Etwas Subjektives wird freilich jeder Verwerthung anhaften; von
vorne herein muss ich sagen , dass mein Buch nicht für Solche
geschrieben wurde, die mit einem übrigens sehr gelehrten Recen-
senten Wüstenfeld’s *) die Berichte »über Heber sch toemm ungen und
n Restaurationen der Käabah" als n sachliche Notizen von allgemei-
nnerem Interesse" an und für sich höher schätzen als "die uns
« weniger interessierenden Personalien der in Mekka lebenden Scherife".
Aus unserem ersten Kapitel wird man ersehen, dass die Restau-
rationen der Kacbah gar nichts zu bedeuten haben, während die
Ueberschwemmungen alle paar Jahre in gleicher Weise Mekka
heimsuchen und , abgesehen von graduellen Unterschieden , auf
gleichem Wege die gleiche Verheerung anstiften. Auch in der
Scherifengeschichte wiederholen sich allerdings die nämlichen Er-
scheinungen manchmal in den 13 Jahrhunderten, die wir zu durch-
wandern haben , und daher haben wir vielfach , zur Vermeidung der
Monotonie, Einzelheiten mehr angedeutet als beschrieben. Es giebt
1) ETborhardj N[eatlo] im Litterarixchen Ventralblatt , 11 September 1886, S. 11514, Sp. SJ.
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XV
aber doch in jenem Zeitraum ein Stück Geschichte der Menschheit
zu verzeichnen , und der Verfasser kann uicht leugnen , dass Men-
schen ihm interessanter sind als immer aufs Neue sich bildende
Giessbäche.
Viele der von mir benutzten Quellen bedürfen hier keiner be-
sondern Erwähnung, da die Hinweisung in den Bemerkungen den
Fachgenossen genügen wird; mit Tab und IA sind die bekannten
Geschieh ts werke Tabari’s und Ibn al-Athlr’s bezeichnet; die von
Proff. de Goeje und Wüstenfeld herausgegebenen geographischen
Werke sind bloss mit den Namen der Verfasser citiert. Drei für
unsere Darstellung besonders ergiebige Bücher haben Anspruch
auf eine kurze Beschreibung.
Zwei von denselben schliessen sich den oben genannten , von
Wüstenfeld veröffentlichten Chroniken an; sie wurden in meiner
Biographie des 1886 gestorbenen //Rektors der mekkanischen Uni-
versität”') besprochen. Das eine,
wurde laut der Einleitung 1095 H. (1684) vom Verfasser, aa-
SindjärT, redigiert, und scheint bisher in Europa unbekannt zu
sein. As-8indjäri gehörte zu einer schon sehr lange in Mekka sess-
haften Familie; er selbst, sowie sein Vater und Grossvater waren
mit den regierenden Scherifen befreundet, nahmen einen gewissen
Antheil am politischen Leben der Stadt und kamen den jeweiligen
Fürsten bei ihrem Regierungsantritt fast regelmässig mit Gedich-
ten entgegen. Der Chronist theilt viele von diesen Erzeugnissen
mit; bisweilen macht seine Erzählung den Eindruck, als habe er
während eines heftigen Kampfes um die Herrschaft zwischen zwei
1) Bijdragon van het Koninklijk Nederlaucbch-Indisch Institunt , 5e Volgreeka , II : 3+4 IT.,
vorzüglich 370 ff.
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XVI
Scherifen fleissig an einem Gedichte gearbeitet, mit dem er den
Sieger, sei es der Eine oder der Andere, bei seinem ersten öS ent-
liehen Empfang begrüssen konnte. Er theilt aber auch wichtigere
Dinge mit; für die ältere Zeit benutzte er viele bisher unveröffent-
lichte Quellen, und über 3ein eigenes Jahrhundert war er selbst-
verständlich sehr gut unterrichtet und ergänzt er in willkommener
Weise die Daten Muhibbl's. Vielleicht hat er sein Werk nicht ab-
geschlossen , denn mein Exemplar enthält Notizen , die bis zum
Jahre 1124 H. (1712) forllaufen und dann ohne eigentlichen
Schluss abbrechen. Die Notizen werden seit dem Jahre der Redak-
tion allmählich kürzer gefasst und nachlässiger redigiert; während
das Corpus des Werkes in gutem Stile geschrieben ist, begegnet
man auf den letzten Seiten schrecklichen Vulgarismen '). Wahrschein-
lich hat also dem Greise die Zeit gefehlt, die Ereignisse seiner
letzten Lebensjahre der Chronik einzuverleiben , und hat er ebenso
wie sein jüngster Nachfolger, Ahmed Dahlän, seine Arbeit unvoll-
endet hinterlassen. Ich besitze eine schlechte Kopie des nicht sehr
schönen Exemplars, das dem oben erwähnten //Rektor” gehörte;
zu einer Ausgabe genügt dieselbe nicht, aber für diese Darstel-
lung hat sie mir wichtige Dienste geleistet; ich bezeichne die Ko-
pie mit MK.
Das andere Geschichtswerk heisst *L-äI ^_i J.5QC3I SL-oüLä».
rt^«J! JJUI und hat den //Rektor” oder besser Schech el-c Ulamä
Sejjid Ahmed ibn Zen! Dahlän zum Verfasser. In meinem oben
citierten Aufsatze habe ich Auszüge davon im Texte und in hol-
ländischer Uebersetzung mitgetheilt. Für die ältere Zeit enthält
1) Z. B. S. 445 meines Exemplars ■. »X> i_Ä>- LSLJI = „der Pascha von Djiddah.”
Ks ist »ehr wohl möglich , das diese Aufzeichnungen (hei! wem' der Fodor oinos Vetters
des Verfassers entstammen , denn dieser wird einmal Ton Al) (8. 198) citiort.
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xvi r
dies Werk nicht viel mehr als einen Auszug aus as-Sindjäri; weit
mehr als die Hälfte desselben handelt aber von den beiden letzten
Jahrhunderten , theils nach den besten geschriebenen Quellen , theils
nach der eignen Erfahrung des mehr als achtzigjährigen Greises.
Einem Werke, das er nur mit dem Namen des Verfassers als
Li citiert, entnahm Dablän verschiedene von Sindjän ab-
weichende Einzelheiten über die Vorzeit; für die erste Hälfte des
18*»“ Jahrhunderts tritt ar-Ridha als Augenzeuge auf *). Dieser Quelle
schliesst sich ein wenig später die Chronik eines gewissen Abdallah
Abd es-Schakür an , der über die zweite Hälfte des 181«“ und den An-
fang 1 9*«“ Jahrhunderts *) berichtet und namentlich als Augenzeuge
der Wahhabitenherrschaft Aufmerksamkeit verdient. Es finden sich
von dem Werke des Abd es-Schakür sehr wenige Exemplare in Mekka ;
hoffentlich gelingt es mir nächstens, eine Kopie zu erwerben. Für
die Periode, die mit der Rückeroberung des Hidjäz durch Mu-
harumed Ali anfangt, brauchte der alte Gelehrte bloss seine per-
sönlichen Erinnerungen und Erlebnisse aufzuzeichnen; er führte
seine Notizen fort bis ins Jahr 1884. Seitdem wurde er von den
politischen Wirren seiner Vaterstadt ganz in Anspruch genommen ,
bis er 1886 in Medina starb. Ein seltener Glücksfall ermöglichte
mir die Beschaffung einer Abschrift seines unvollendeten Manu-
skripts, welche ich mit AD bezeichne*),
ln beiden Chroniken , der von Sindjän und der von Dablän ,
1) AD 885 ßr das Jahr 1140 H. (1727). AD 304 ßr 1157 H. (1744). Näheres habe
ich bisher über diesen Chronisten noch nicht ermittelt.
2) AD 322, 359, 494 citiert seine Angaben resp. über die Jahre 1184 H. (1770),
1200 H. (1786), 1220 H. (1805)
3) Die Anführung der Seiten in den Bemerkungen hat allerdings für die Loser, so-
lange die Texte nicht ediert sind, nur geringes Interesse; ich bin aber gern bereit, die
Manuskripte solchen Fachgenossen, die sich dafür besonders interessieren, zur Benutzung
zu übersenden.
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xvni
fand ich einzelne wichtige Angaben über die in Westarabien zur
Herrschaft gelangten Alidenfarailien aus einem Werke über die Ge-
nealogie der Aliden angeführt, die mich auf die nähere Bekannt-
schaft mit letzterem begierig machten. Auf meine Anfrage stellte
mir Herr Geheimrath Dr. W. Pertsch das einzige in Europa be-
kannte Exemplar, Na. 1758 des Katalogs der herzoglichen Biblio-
thek zu Gotha, freundlichst zur Verfügung. Leider ist diese Hand-
schrift der ^JUall StX*£, deren Verfasser 828 H. in Kirmän starb,
verzweifelt korrupt; ein völlig unwissender Abschreiber hat dieselbe
nach einem falsch gebundenen Exemplar angefertigt, sodass die
Herstellung der Anschlüsse eine weitläufige Untersuchung erfordert.
Erst nachdem ich mit grosser Mühe einige wichtige Notizen aus
diesem Exemplare excerpiert hatte , gelangte ich in den Besitz einer
in Lacknau nach einem ziemlich guten Exemplare besorgten Li-
thographie desselben Werkes '), in welchem für die Geschichte der
Aliden und ihrer Parteien, vorzüglich aber der Hasaniden und
ihrer westarabischen Heimath überaus werthvolle Quellen ausge-
beutet sind. Die Lithographie habe ich mit OT (D), das Gothaer
Manuskript mit OT (Ms.) bezeichnet.
Bezüglich der Transkription arabischer Wörter habe ich im All-
gemeinen die in meinem « Mekkanische Sprichwörter und Redens-
narten”, S. 6 ff. angegebenen Regeln befolgt; nur sind hier der
ausserhalb der Fach werke üblichen Schreibung mehr Koncessionen
gemacht als dort, und die Laute und j», mit dj und sch statt
mit den für Nichtorientalisten undeutlichen Symbolen <j und l wie-
dergegeben. Somit ist hier die Schreibung noch weniger konsequent
als in meiner früheren Publikation , die neben ethnographischen ,
1) Vorgl. Brill, Oatalogue p&iodique N°. 7, 585.
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XIX
auch linguistische Zwecke verfolgte; die Fachgenossen kann das
nicht irreführen , und den anderen Lesern wird es angenehmer sein.
Mit Ausnahme von N°« I und III ') sind alle Bilder im beige-
fugten Atlas nach meinen oder eines von mir in der Photo-
graphie unterrichteten Arabers Aufnahmen reproduciert oder aber
nach meiner Sammlung mekkanischer Gegenstände gezeichnet.
Vier zum zweiten Bande gehörende Tafeln in Farbendruck wer-
den zuerst im »Internationalen Archiv für Ethnographie” (Redak-
teur Herr J. D. E. Schmeltz) mit einer kurzen Beschreibung er-
scheinen. Da nämlich die Ausgabe ohnehin für das »Koninklijk In-
stituut” erhebliche Kosten herbeiführte , machte Herr P. W. M. Trap,
der bekannte Verleger des »Archivs”, dem Institut das Anerbie-
ten , jene Tafeln für diese Auflage umsonst zu liefern , wenn diesel-
ben zuerst in seiner Zeitschrift erscheinen sollten.
Für mich liegt das Hauptrcsultat meiner Reise nicht sosehr in
dem Zustandekommen dieses Buches, als in dem dauernden Ein-
fluss meines Aufenthalts im geistigen Centrum des Islam's auf
meine ferneren Islamstudien. Es war die lebhafte Empfindung eines
Mangels, die bei mir den Wunsch erregte, mich einige Zeit völlig
in die muslimische Welt hineinzuleben. Wie dem Orientalisten in
Europa die von ihm studierten Sprachen meistens nicht recht zum
Eigenthum werden , weil er sie nur mit dem Auge beobachtet und
nicht mit dem Ohre, so bleibt seine Vorstellung von dem geistigen
und gesellschaftlichen Leben der Orientalen gewöhnlich lückenhaft
solange ihm nur die Bücher als Zeugen dienen. Sehr erfreulich
ist es darum , dass man sich jetzt , z. B. in Paris und in Berlin ,
1) N°. I ist nach einer von (^<iidiq Bey (jetzt Pascha) aufgenommenen Photographie mit
einigen Zusätzen im vorderen Theile gezeichnet, N°. III reproduciert unverändert eine
Aufnahme desselben Mannes.
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XX
durch die Gründung praktischer Schulen mit orientalischen Hülfs-
lehrern diese Lücken möglichst auszufiillen bestrebt. Nichts kann
aber die eigne Anschauung ersetzen, wenngleich deren fruchtbare
Wirkung durch fleissiges Quellenstudium bedingt ist und ein jahre-
langer Aufenthalt im Orient an sich noch nicht , wie das Publikum
allzuleicht annimmt, zum Urtheil über alle und jegliche Verhält-
nisse berechtigt. In dem so selten von Europäern besuchten Lande
konnte ich natürlich in mehr als einer Richtung Material sammeln ;
mein Ziel blieb aber immer die Beobachtung des Lebens des Is-
lands, und alles Andere diente mehr oder weniger als Hiilfsmittel
zu dessen Erreichung. Somit wird die Verwerthung meiner Beo-
bachtung allmählich stattfinden, solange der Islam den Hauptge-
genstand meiner Forschung bildet. Dies hebe ich mit darum hervor,
weil sich daraus ergiebt, dass meine innige Dankbarkeit gegen Alle,
die mein Unternehmen gefördert haben , auch nach der Vollendung
dieses Werkes unvermindert fortbestehen wird. Ohne die freigebige
materielle Unterstützung des Koninklijk Nederlandsch-lndisch Insti-
tuut , welches ausserdem die Kosten dieser Ausgabe sowie uieiner
früheren linguistischen Publikation übernommen hat, wäre mir die
Ausführung meines Planes sehr schwierig geworden ; die Hollandsche
Maatschappij der Wetenschappen in Haarlem und das Utrechtsch
Genootschap voor Kumten en Welenschappen erleichterten auch ihrer-
seits meine Aufgabe durch einen Beitrag. Die Leidener Gemeinde-
verwaltung gewährte mir einen Urlaub, hätte dies aber schwerlich
thun können , wenn sich nicht Prof. P. A. van dkr Lith erboten
hätte, während meiner Abwesenheit meine Pflichten als Lehrer an
der Indischen Schule auf sich zu nehmen. Noch bevor ich an eine
derartige Lösung einer Hauptschwierigkeit dachte, kam mir mein
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XXI
verehrter Freund mit seinem gütigen Anerbieten entgegen und hob
dadurch die letzten Bedenken gegen die Fortsetzung der angefan-
genen Versuche. Trotz so vieler Mitwirkung wäre es nicht noth-
wendig meine Schuld gewesen, wenn meine Reise ihr Ziel verfehlt
hätte; meine Freunde in der Heimath konnten in Arabien nichts
für mich thun und , wer die lokalen Verhältnisse auch nur ober-
flächlich kennt, weiss, wie viele Hindernisse der Forscher dort zu
überwinden hat, bis er dem Gegenstände seines Studiums ruhig
gegenübersteht und sagen kunn: jetzt fängt mein eigenstes Werk
an. Die Herren J. A. Kruxt, Generalkonsul der Niederlande in
Pinang (bis Anfang 1885 in Djiddah) und P. N. van oek Chijs,
Konsul von Schweden und Vicekonsul der Niederlande in Djiddah,
haben einen so hervorragenden Antheil an dem Erfolge meines
Unternehmens, dass ihre Namen eigentlich, statt in der Vorrede,
auf dem Titel dieses Buches verzeichnet werden sollten. Gleich vom
Anfang an habe ich von keiner Seite mehr Ermuthigung und Hülfe
erfahren als von Herrn Kruyt , der gerade mit Urlaub in Holland
war, als ich meinen Plan endgültig fasste; ich hatte das Glück,
mit ihm zusammen die Reise nach Djiddah zu machen , und während
des halben Jahres, das bis zu seiner Versetzung nach Pinang und
meiner Reise nach Mekka verfloss, habe ich ausser unbeschränkter
Gastfreiheit bei ihm stets unermüdliche Bereitwilligkeit gefunden,
mir in jeder Beziehung zu helfen. Nach meiner Ankunft auf ara-
bischem Boden gab ihm Herr van der Chijs in dieser Hinsicht nichts
nach und, als Herr Kruyt nach den Straits Settlements abgereist
war, vertrat er mir gegenüber auch dessen Stelle. Während meines
Aufenthalts in der heiligen Stadt vermittelte er meinen Verkehr
mit der Aussen weit, und nach meiner Vertreibung war er meiuc
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XXII
Zuflucht. Nach der Heimreise hätte ich ohnehin manchmal die Güte
meines Freundes in Anspruch genommen, wäre es auch nur, um
die Geschichte des Hidjaz in ihrer weiteren Entwickelung zu ver-
folgen, nachdem ich selbst ein Stück davon mit erlebt hatte. So
aber, da ich mitten aus meiner Arbeit herausgeholt wurde und
nicht einmal Gelegenheit hatte, meine eigenen Sachen alle aus
Mekka mitzunehmen, hätte ich ohne die Liebenswürdigkeit des
Herrn van der Chijs, der meine Angelegenheiten ganz zu den sei-
nigen machte, manchen erheblichen Verlust erlitten. Durch viel-
jährigen Aufenthalt mit dem Lande und seinen Bewohnern vertraut
wie kaum ein Anderer, hat er seit mehr als drei Jahren keine
meiner Bitten unerfüllt, keine meiner Fragen unerledigt gelassen;
selbst weiss er am besten , dass dies etwas sagen will !
Viele meiner Landsleute werden mehr oder weniger tadelnd fra-
gen, warum mein Werk in fremder Sprache erscheint; Einige
haben schon ihre Bedenken geäussert. Zunächst muss ich antwor-
ten , dass ich nicht zum eignen Vergnügen den litterarischen Selbst-
mord begangen habe, denn ich weiss zu gut, dass man ebenso-
wenig in zwei Sprachen den gleichen Stil, wie etwa zwei Cha-
raktere haben kann. Die eine fremde Sprache ganz ebenso gut
schreiben wie ihre Muttersprache, schreiben beide schlecht. Auf
der anderen Seite fühle ich den ultrapatriotischen Tadlern gegen-
über keinerlei Verpflichtung, zumal die meisten zu den //Lesern”
gehören , die zweifellos nach einem Einblick in den gut niederlän-
dischen Titel zur Tagesordnung übergehen würden. Man schreibt
aber doch, um gelesen zu werden, und es wäre thöricht, allen
Pflegern einer Wissenschaft zuzumuthen , dass sie die Sprachen
jeder Nation erlernen , wo ihr Fach ein paar Vertreter findet.
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XXIII
Unsere Väter schrieben Latein, wir benutzen moderne Kommuni-
kationsmittel , beides mit gleichem Zweck. Der Gebrauch der la-
teinischen Sprache hat sich immermehr für nichtklassische Gegen-
stände als unmöglich erwiesen; er gewährte den Vortheil, dass
bedeutende Verstösse gegen die Grammatik nur wenigen Lesern
auffielen. Mit neueren Sprachen muss man etwas vorsichtiger ver-
fahren; die Güte meines geliebten Lehrers, Herrn Prof. Nöldkke
in Strassburg, hat mir über diese Schwierigkeit hinweggeholfen,
dn er mein Manuskript einer stilistischen Revision unterzogen und
dann noch eine Korrektur gelesen hat.
Da dies Buch keine Dätailsammlung , sondern eine Uebersicht
der geschichtlichen Entwickelung geben will, habe ich es vorgezo-
gen , nicht durch einen Index, sondern durch eine ausführliche
Inhaltsangabe das Nachschlagen zu erleichtern. Schliesslich bemerke
ich noch, dass die Jahreszahlen im Texte des Werkes, wo nicht
anders angegeben , nach europäischer Zeitrechnung bestimmt sind ;
in den Stammtafeln dagegen habe ich die Angaben über die Re-
gierungsdauer der einzelnen Fürsten in ihrer ursprünglichen, mus-
limischen Form gelassen.
Leiden, Mai 1888.
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I.
DIE STADT.
Das enge, öde »Thal ohne Getreide” *), welches durch Muhainmed
in die Weltgeschichte eingeführt wurde, ist seit etwa 1000 Jahren
von arabischen Schriftstellern wiederholentlich mit der Genauigkeit
beschrieben worden , welche man heutzutage bei einem Bädeker
voraussetzt. Dies erleichterte den wenigen Europäern , welche zu
Forschungszwecken verkleidet in Mekka eindrangen , die Erfüllung
des topographischen Theiles ihrer Aufgabe ; sonst wäre est sogar dem
trefflichen Burckhardt kaum gelungen, 1814 einen Grundriss der
heiligen Stadt zu zeichnen , der noch jetzt als sicherer Führer gelten
darf, und den ich mit einigen Berichtigungen für dieses Werk repro-
duciert habe. Die Topographie Mekka’s ist aus verschiedenen Gründen
so wenig der Veränderung fähig, dass der europäische Leser, dem
die arabischen Quellen verschlossen sind, für alle Hauptsachen der
Beschreibung sich mit Burckhardt begnügen kann. In den aller-
letzten Jahren ist aber für die Reproduktion einiger wichtiger Ge-
bäude, namentlich der Moschee, die Photographie verwendet worden ;
ausser einigen vor 8 Jahren von einen türkischen Offizier aufgeno-
mmeneu Bildern , besitze ich zwei schöne mit meinem Apparat an-
gefertigte Photographien, welche zusammen das Material zu den
beigefügten Abbildungen I und II geliefert haben. Zur weiteren
1) So heisst Mekka Quran 14:40. Die Mekkaner sagen Maikak oder M'eHek-, bei
solchen allbekannten Namen folgen wir der herkömmlichen Schreibung.
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2
Einführung brauche ich hier also nur das Wichtigste hervorzuheben ,
mit Hinweisung auf einen 1887 von mir in Berlin gehaltenen Vortrag ').
In das allseitig von Bergen eingeschlossene Mekkathal gewähren
drei Wege (von N., NW. und S.) Eintritt; zur Vertheidigung der
Stadt wurden diese drei Zugänge vielleicht schon im 9teQ Jahr-
hundert mit Mauern verschlossen , von welchen jede mit einem oder
mehreren Thoren versehen war s). Im Laufe der fortwährenden Kämpfe
der Herren Mekka’s unter einander sowie gegen Fremde wurden
diese Mauern manchmal zerstört und wiederhergestellt. Der Stamm-
vater der heutigen Scherife (um 1200) scheint besondere Sorge auf
ihre Befestigung verwendet zu haben; wenige Jahre vorher waren
dieselben fast ganz zertrümmert. Im Anfang des 1 nten Jahrhunderts
war bei mancher Belagerung die Rolle der Mauern sehr wichtig;
um 1500 waren sie jedenfalls unbedeutend, und in der Mitte des
Ißaten Jahrh. zeugten nur noch kleine Reste von ihrem früheren
Dasein. Die Ersetzung von Bogen, Speer und Lanze durch Flinte
und Kanone hat die Abschliessung überflüssig gemacht ; drei kleine
Festungen 1 2 3) auf den umgebenden Bergen schützen Mekka gegen
jeden Angriff von der Art wie die, welchen es bisher ausgesetzt war.
Die Unveränderlichkeit der Topographie Mekka’s hat in erster
Linie ihren Grund in der grossen Moschee, dem Uaram, welches
sich im mittleren, breitesten Theile des Thaies befindet; das Haram
darf weder verlegt noch verkleinert werden, ist jetzt auch der Ver-
grösserung kaum fähig und nicht bedürftig. Um diese Stätte hat
sich von jeher das Leben der Stadt bewegt. Die in der Mitte der
Moschee befindliche Ka'bah (Länge 12, Breite 10, Höhe 15 Meter)
ist plump und nicht einmal regelmässig aus dem Steine der Berge
Mekka’s gebaut; in der östlichen Ecke ist der /'schwarze” und in
der südlichen der »südliche” Stein auf 5 Fuss Höhe dermaassen
cingemauert, dass man beim Umgänge beide mit der Hand berühren,
1) Verhandlungen dar Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, Band XIV , N° 3, S. 143 II,
2) Für die Geschichte der Mauern und Thore vergl. CM II: 609, 272-3, 230, 298,
309; 111:13; Mokaddasi 74; lbn Jubnir, ed. Wright., 108 ff., 112-3; Al) 61.
3) Die grösste (südliche): qafat I)jijad sicht man im Hintergründe des kleinsten Bildes
der Moschee.
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3
den heiligsten, »schwarzen”, küssen kann. Das Heiligthum galt schon
zur Zeit Mubamineds als uralt; von seinem Ursprünge wusste man
nichts. Die Legende, dass Abraham und Ismael auf Gottes Befehl
das Gebiiude errichtet hätten, wurde zuerst von Muhammed offen-
bart, als er sich entschloss, den altheidnischen Tempel sammt seinem
Ritus ') ziemlich unverdaut in den Islam aufzunehmen. Im lsten Jahr-
hundert des Islam’s stritt man sich über die Frage , ob jene Patriar-
chen der Ka'bah die Form gegeben hatten, welche sie zur Zeit
Muhammeds zeigte, oder eine andere *). Die weltlich gesinnte Partei
der Omajjadenchalifen wollte die heidnische Gestalt des Heiligthums
unverändert lassen ; die Opposition , welche Abdallah ibn Zubair zum
Gegenchalifen wählte, berief sich auf prophetische Aussprüche für
das Gegentheil: ihr zufolge sollten zwei Thüren in der NO. und
SW. Seite der Ka'bah an die Stelle der einen vorhandenen treten,
und zwar nicht wie diese mit einer Schwelle, zu welcher man auf
einer Treppe hinaufsteigen musste, sondern auf ebnem Boden.
Ausserdem müsste der halbkreisförmige Raum , welcher jetzt durch die
niedrige Mauer ( Uidjr , Bild N°. 2) s) begriinzt wird , als zum Hei-
ligthum gehörig, hinzugezogen werden. Im Jahre 684, als Mekka
die Haupstadt des Gegenchalifats Abdallahs war, führte er diesen
Plan aus und gab somit der Ka'bah die Form eines Stiefelabsatzes. Das
neue Gebäude wurde während der Belagerung Mekka’s durch die
Feldherren der Omajjaden vom Feuer hart mitgenommen ; der
Menschenschlächter Uaddjadj vernichtete die Gewalt der Empörer
und gab 703 der Ka'bah ihre altheidnische Form wieder. Seitdem
hat die officielle Lehre zwischen den Thatsachen und den frommen
Wünschen so vermittelt, dass der Uidjr- raum als mit zur Ka'bah
gehörig betrachtet, auch mit in den Umgang um das Heiligthum
aufgenommen wird, aber nicht zu einem Theile des eigentlichen
Gebäudes gemacht werden darf. Bald steigerte sich die abergläubische
1) TJobcr dio Geschickte und die Beschreibung dos Ritus vergl. mein „Het Hokknan-
sche Feest” und Wellhsusen’s „Reste nrsbischon Heidentumes.”
2) lieber dio Baugeschichte der Ka'bah in islamischer Zoit vergl. u. a. Tab. II:
o1"a, olv, Aöfj CM I: 307 ff.; 111:55 ff.; 146 ff 203 , 207, 224 ff; MK 233 ff.
3) Wo nicht anders angegeben, beziehen sich dio Nummern auf beide Bilder der Moschee.
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i
VerehruDg der Ka'bah dermaassen, dass man nur dann und wann
die allernoth wendigsten Ausbesserungen zu machen wagte ; zur gründ-
lichen Maassregel der Nicderreissung um sie wieder aufzubauen fehlte
den Fürsten der fanatischen Bevölkerung gegenüber der Muth. Als
die Mauern 1611 einzustürzen drohten, half man mit einem Gürtel
aus vergoldetem Kupfer nach; erst nachdem der Sturz nach einer
Ueber8chwemmung 1630 wirklich angefangen hatte, entschloss man
sich zur vollständigen Rekonstruktion mit möglichst wenig neuen
Bausteinen. Seitdem blieb die Kacbah wie sie war: ein mit anti-
quarischer Sorgfalt bewahrtes Monument des alten Arabiens ’).
Während an dem Bau nicht gerüttelt werden durfte, galt es
immerfort für sehr verdienstvoll, die Kacbah zu verschönern und
zu schmücken. Die alte Sitte , dem »Hause” Geschenke zu weihen ,
die darin aufbewabrt wurden , kam im Islam allmählich ab ’) ;
die edlen BenI Scbebah, welche seit vorislamischer Zeit bis heute
das Amt der Thorhüter verwalten , sagten schon bald ihren Besuchern,
die Diener und Nachbarn des Hauses könnten die Gaben besser
gebrauchen als das Heiligthum selbst, und dass ihnen dies Ernst
war, zeigten sie seit dem 2 t«“ Jahrhundert des Islam’s allzu deut-
lich, denn mancher Empörer und mancher bedrängte Statthalter
prägte sich aus den in der Ka'bah aufbewahrten Schätzen klingende
Münze. Nur Leuchter wurden bis in die späteste Zeit dann und
wann der Kacbah geschenkt und ohne praktischen Zweck im Inneren
aufgehängt. Ferner Hessen die hohen Gönner manchmal den Boden
des Hauses neu pflastern oder die Thür erneuern ’), und die Thür
sowie die über den Hidjr hervorspringende Dachrinne (Mlzäb) mit
Silber- oder Goldblech überziehen1 2 3 4), trotzdem auch hier das Werth-
metall manchmal von frevlerischen Händen geraubt wurde. Ununter-
1) Eia Mekkaner, der bei diesem letzten Umbau den schwarzen Stein für sich beob-
achtete, erzählt (MK 239), das Innere, d. h. der eingemanerte Theil desselben, habe
graue (w» j -,i) Farbe und die länglich viereckige Form eines (arabischen, hölzernen)
Hausschlüssels.
2) Vergl. CM 1:155 ff., 173; 111: 60 ff.; MK passim.
3) CM III: 145 ff.; IA XI : 150; Ibn Jubair 121-5; MK 219.
4) CM 1:145 ff., 147, 201; 111:53 ff., 86; IA XI:202; MK 211.
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5
brochen blieb die Befolgung der auch schon altheidnischen Sitte , das
»Haus” zu bekleiden *). Die ersten Chalifen behängten die Ka'bah
mit feinen egyptischen anstatt der gewohnten jemenischen Stoffe;
der zunehmende Luxus führte bald schwere Seidentücher von rother,
gelber, grüner oder weisser Farbe ein; jeder von den Fürsten,
welche das Protektorat über Mekka beanspruchten , wollte seine Vor-
gänger und Mitbewerber bei dieser Gabe an Pracht und Reichthum
überbieten.
Zu Anfang des 9ten Jahrhunderts schickte der Chalif jährlich drei
neue Kleider; in späterer Zeit, namentlich seit dem Verfall des
Chalifats, fand die Sendung nicht so regelmässig statt. Von den
cirkassischen Sultanen, welche bis 1516 Egypten beherrschten und
die heiligen Städte beschützten , pflegte jeder bei seinem Regierungs-
antritt ein neues Küwah zu senden ; seitdem die Othmanli’s an ihre
Stelle traten, kommt jedes Jahr aus Egypten ein neues Kleid aus
schwarzem Brokat , mit goldgesticktem Gürtel auf ’/j der Höhe ; die
Kosten werden aus dazu gestifteten Grundstücken im Nillande bezahlt,
und mit den abgenutzten Kiswah’s treiben die Benl Schebah einen
ergiebigen Handel.
Es steht ziemlich sicher, dass Mekka weder der Ka'bah noch
dem schwarzen Steine sein Dasein verdankt; mehr Wahrscheinlich-
keit hat die Annahme, dass der unweit des »Hauses” befindliche,
von einem Gebäude (Bild N°. 3) umschlossene Zemzerabrunnen *)
die Ansiedelung veranlasst habe 5). Hat das Wasser schon damals
ungefähr die gleiche Zusammensetzung gehabt wie jetzt, so wäre
es vielleicht die purgative Wirkung, welche die Heiligkeit des
Brunnens begründet hat; sind dagegen durch Verunreinigung neue
Bestandtheile hinzugetreten , so wäre es ursprünglich gutes Trink-
wasser gewesen. Von Muhammeds Zeit an bezeugen die Berichte
den nämlichen Zustand wie jetzt: von jeher spricht man von dem
1) CM 1:31, 60, 104, 140 ff., 146, 173 ff.; 11:54, 351; III : 67 ff., 99, 173,
212-4, 217, 219, 221; lbu Jubair 80 ff., 181; MK passim.
2) VergL schon CM 1 : 299 ff, 333.
3) Vergl meinen oben citierten Vortrag, S. 146 ff. und die dort angeführto Abhandlung
Ton Dr. P. ran Romburgh.
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//schweren”, nicht gerade angenehmen Geschmack des Wassers1 * *);
aus sehr alter Zeit haben wir Berichte *) über den starken Wechsel
des Geschmacks, und letzteren entsprechen die Ergebnisse der
neuerdings von Dr. P. van Romburgh ausgeführten Analyse mehrerer
zu verschiedenen Zeiten geschöpften Proben des Wassers; die Zusam-
mensetzung zeigt eine Unbeständigkeit, deren Ursache bisher uner-
mittelt ist. Damals wie jetzt glaubte mancher, das Wasser des
Zemzem fliesse und der Brunnen erhalte seine Zufuhr aus
mehreren Quellen 4). Die Frage muss vorläufig unerledigt bleiben.
Die thörichten Erzählungen über den Zemzem, welche man in Europa
in Umlauf gesetzt hat, habe ich in meinem Berliner Vortrag besei-
tigt. Dem Glauben schmeckt das Wasser gut; ihm dient es als
Heilmittel für jede Krankheit. Verwandte des Propheten , die Abba-
siden 5 6), beanspruchten die Ehre (und die Vortheile ?) der Verkeilung
des Zemzemwassers als ihr herkömmliches, von Muhammed auf alle
Zukunft bestätigtes Privileg; ihre Stellung war somit eine ähnliche
wie die der Bern Schebah. Nachdem ihnen aber das viel ergiebigere
Chalifat zu Thcil geworden, scheinen sie allmählich den Zemzem
vergessen zu haben ; seit Jahrhunderten ist die Bedienung des
Brunnens ein Gewerbe wie jedes andere. Die Zemzemi’s bilden eine
Zunft, obgleich der Zutritt zum Zemzem und der Gebrauch des
Wrassers nominell jedem freisteht; ihre Belohnung verlangen sie für
ihre Arbeit und ihr Geschirr.
So lange wir Mekka kennen, hat es seinen Bewohnern kein
süsses Wasser in genügender Menge geliefert; nur wenige von den
dort gegrabenen Brunnen *) enthielten zu gewissen Zeiten etwas
brauchbares. Von Alters her holte wer nur konnte seinen Bedarf
von ausserhalb 7). Wir wollen hier einen Augenblick die Moschee
verlassen, und sehen mit welchen Kosten und welcher Arbeit Mekka
1) Vergl. noch CM 1:70, 2S9. 8) CM 1:293—4, Mokaddasi 101.
3) CM 1:440. 4) CM 1:300.
5) CM 1:71. Ob wirklich die Haschimidon gcbon lange vor dem Islam den Zemzem
verwaltet haben oder Mubammeds Oheim 'Abbüs dor orsto aus dioser Familie war, der
diesos Amt bekleidete, steht allerdings dahin.
6) CM 1 : 430 ff. 7) Vergl. CM 1 : 69-70; III : 40.
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7
nothdürftig mit Wasser versehen wurde '). Zur Zeit Muäwijah’s
(661 — 80) konnten die meisten Mekkaner eine von den vielen kleinen
Wasserleitungen benutzen , welche dieser Chalif zur Berieselung
seiner Pflanzungen im heiligen Gebiete Mekka’s machen Hess; er
hatte sogar besondere Einrichtungen zur Erleichterung dieser allge-
meinen Benutzung getroffen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten
wollte um 710 der Statthalter Mekka’s Chälid al-Qasri , ein rücksichts-
loser Omajjadendiener , dadurch heben *), dass er aus dem 2 Stunden
östlich gelegenen Muna-thale durch bleierne Röhren süsses Wasser
bis in die Moschee führte; man erzählt, dass damit Geringschätzung
des Zemzem beabsichtigt war. Wie dem auch sei , als die Abbasiden
750 die Herrschaft antraten, gehörte die Vernichtung dieses Kon-
kurrenten ihres eignen heiligen Brunnens zu den ersten Neuerungen
ihres Vertreters in Mekka. Die alten Leitungen Muäwijah’s waren
inzwischen vernachlässigt worden, und ihr Wasser genügte dem
Bedarf nicht mehr; auch nachdem Ilärün ar- Raschid einige hatte
ausbessern und in eine Hauptleitung vereinigen lassen, herrschte
thatsächlich Wassermangel. Da liess sich nun 810 Zubaidah, die
Gemahlin Härüns, die Sache angelegen sein und brachte mit un-
geheuren Kosten eine Leitung zu Stande, die wohl immer den
Bedürfnissen Mekka’s und der östlich von Mekka gelegenen Wall-
fahrtsorten genügt hätte, wenn nicht den Mekkanern aller Zeiten
jede Art von Gemeinsinn gefehlt hätte. Selbstverständlich musste das
Wasser von Osten kommen , denn diese ganze Gegend erhebt sich
von der Meeresküste an bis nach Täif ; auch befinden sich die Ver-
sammlungsorte des Haddj in einer fast geraden Linie östlich von
Mekka auf dem Wege nach Täif. In der verhältnissmässig wasser-
reichen Gegend Hunain, nahe bei Täif, fanden sich durch Wasser-
leitungen gut berieselte Saatfelder; diese kaufte Zubaidah an , führte
die vereinigten Leitungen bis nach Mekka und lenkte den Weg
einiger entlegener Leitungen der Umgegend, von denen 7 als beson-
1) Vcrgl. CM 1 :442 ff; 11:33 ff., 52-3, 119, 12S ff., 314; 111:129, 198 f„ 224,
335 ff, 392—3; lbn Jubair 124 f.; MK 214 , 257, 291, 298 , 302, 337, 358 , 4481. AD
315, 448.
2) Vcrgl. Tab. II: Ml, irr.; CM 1:339—40, 11:172; LA IV: 424— 5.
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ders ergiebig namhaft gemacht werden , in das gleiche Bett. Auch
wurden von den umliegenden Bergen her Kanäle gegraben, damit
ein Theil der in diesen Ländern zwar seltenen, aber sehr starken
Regengüsse der Leitung zu Gute komme. Ausser dieser, 'Ain ljunain
('<?» Uenen), ‘Ain Zubaidah (cen Zebedah) oder , nach einer der be-
deutendsten Hiilfleitungen, cen Muse käse k 1 j genannten Leitung, Hess
sie noch eine andere machen, deren Wasser einige Meilen östlich
von 'Arafat, im Wadi Na'uiän entsprang; diese floss die grosse
'Arafatebene, wo das eigentliche Haddj anfängt, entlang , füllte hier
in ihrem Laufe einige Behälter und floss dann bis nach dem Muna-
thale *), wo sie in das riesige bir Zebedah endete, sodass die Pilger
auch hier während der drei jährlichen Feiertage reichlich versehen
wurden. Den Mekkanern machte es 82G Marnün noch bequemer,
indem er die bis dahin im oberen (NO.) Theile der Stadt abschlies-
sende Leitung nach unten durchzog , und die verschiedenen Stadt-
theile mit Behältern beschenkte. Trotz alledem berichtet uns fast
jeder mekkanische Chronist aus seiner eignen Zeit von einer manchmal
viele Jahrzehnte umfassenden Periode des Wassermangels ’). Die
Mekkaner und ihre Landesväter beschränkten sich darauf, während
der Pilgerfahrt fremden Fürsten und vornehmen Herren ihre Noth
zu klagen; nicht eiumal die Kosten einer regelmässigen Aufsicht
oder einer schnellen Ausbesserung der im Anfang leicht heilbaren
Schäden, welche die etwas rohe Natur der Leitung veranlasste,
wollten sie selbst übernehmen. Die Annalisten der heiligen Stadt
1) Für die Bedeutung yve » Wasserleitung (manchmal abwechselnd mit »Ls gebraucht)
vergl. n. a. Bekri v.v — a, 6; a. f, 15; CM 1: 339 — 40 (cf. 335 »Ls), 443 — 4; 111:335.
Ein Bronnen, gleichviel mit Quell- oder Grundw&sser , heiastt bir; die Quelle, welche ihr
u
Wasser einer Leitung zuführt, heisst wohl oinmal jJ’—ä (CM. 11 : 52), aber häufiger j.1
(CM. 111:224, 335), vulgär , und so auch in der unten, S. 9, Anm. citierten
Notiz. Die Zebedah heisst auch wohl im Gegensätze zur ’6n 'Arafat: 'en MakJcah ,
Wasserleitung Mekka’s; jetzt sind beide vereinigt.
2) Die klassische Aussprache des Namens Miua ist ebensosehr ausser Brauch gerathen
wie die ältoro Aussprache Djuddah für Djiddah ; wir schreiben also wie Einheimische und
Fremde jetzt sprechen : Muna.
3) Schon in alter Zeit wurde in den hier geführten Kämpfen die Wasserleitung gewaltsam
zerstört, z. B. im Jahre 882 (CM II: 201; Tab. III : l*«li).
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verzeichnen die immer wiederkehrenden Ausbesserungen und spenden
den Fürsten und Ministern , welche dieselben veranlassten , ge-
bührendes Lob , um andere zu ermuntern , jenen nachzustreben ;
die Herren Mekka’s aber suchten immer möglichst viel von den
grossen für die Wasserleitung geschickten Geldsummen direkt oder
indirekt für ihre eigenen Zwecke zu verwenden. Nach einem von
dem in 'Iräq herrschenden Mongolenfürsten 1326 zur gründlichen
Wiederherstellung der zerstörten Leitung nach Mekka geschickten
Beamten, Namens Bäzän, hiess seitdem ein bedeutender Theil der
Wasserwerke innerhalb der Stadt und südlich bis zum Bassin des
Mädjin (jetzt: Mädjid): cen Bäzän1 2). Weiteres Detail können wir
hier übergehen; bezeichnend ist aber die Thatsache, dass im Jahre
1562, als die Gemahlin des türkischen Sultans Sulemän , die längst
vernachlässigte Leitung auf ihre Kosten auszubessern befahl, ein
Jahr lang Arbeit und Geld vergeblich verschwendet wurden, weil....
kein Mensch mehr wusste , dass die oben erwähnte Leitung von 'Arafat
nie weiter als bis Muna fortgeführt worden und also von der »Leitung
von Mekka” verschieden war. Nach einem Jahre kam man zur Ent-
deckung, dass nur dadurch die ‘en 'Arafat mit der andern »Leitung
von Zebcdah” vereinigt werden konnte, dass man durch 50 Ellen
vom härtesten Steine hindurchbohrte, und dazu fehlten damals die
rechten Mittel. Durch riesige Holzfeuer, welche alles in der Umge-
gend verfügbare Holz aufzehrten, erweichte man jedes Mal die
erreichbare Oberfläche des Steins, und erst 1572 ward die Arbeit
fertig, nachdem viele Menschenleben und »die Schätze Qärüns” in
unnüthiger Weise geopfert waren. Von da an bis in unsere Zeit
ging es nicht besser als vorher; ausser den immer sich wiederholenden
Verheerungen der Natur, wurde in den politischen Wirren des Landes
die Leitung auch wohl von Menschenhänden unbrauchbar gemacht,
z. B. 1805 von den Wahhabiten s). Meistens war man schon froh,
1) Vergl. CM 11:59— 3, 119, 130—1; 111:4*5.
2) Ms. Leid. 2021, fot. 59 vo. enthält eine Not« aus dem Jahre 1246 H. (1831) über
eine verheerende Ucborschwcmmung östlich von Mekka, wobei auch die Werke der
Wasserleitung ganz zerstört wurden; mitten in der Erwähnung der Maassregeln, welche
der Grosascherif Muhammed dagegen nahm , bricht die Erzählung ab.
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wenn das Wasser nicht allzuviel Geld kostete; unentgeltlich war es
fast nie zu haben. Die Energie des Generalgouverneurs Othman
Pascha (18S2 — 86) hat diesem Uebelstande abgeholfen. Dieser liess
zwar fortwährend freiwillige und erzwungene Gaben von den Be-
suchern und den Einwohnern Mekka’s einsanmieln, deren Ertrag
nach Ansicht der Betroffenen nicht ausschliesslich den Wasserwerken
zu Gute kam; aber was soll man machen in einem Lande ohne
eigentliche Steuern, wo die Regierungsbearnbten manchmal nicht
bezahlt werden? Die Hauptsache war, dass er die 'Arafatleitung
für die Versammlungsorte der Pilger sowie für Mekka wieder nutzbar
machte; jeder Mekkaner hat jetzt unweit seiner Wohnung einen
Behälter, der nie versagt, und kleine Springbrunnen sind durch
die Stadt zerstreut; auch hat man für dieses Lebensbediirfniss
nichts mehr zu zahlen. Der genannte Wäll hat auch für Djiddah,
wo man bisher nur Cisternen für Regenwasser hatte, eine Leitung,
die sogenannte W'ezlrijjah , gemacht *). Hoffentlich widmen nun auch
seine Nachfolger dem Werke einige Aufmerksamkeit, welches den
Namen der Zebedah in Mekka unsterblich gemacht hat.
Kehren wir aber in den Raum der Moschee, und zwar zunächst
zum Zemzemgebäude zurück; dieses wurde erst in islamischer Zeit
errichtet , um den Brunnendienern die Arbeit zu erleichtern und zur
Aufbewahrung der Schöpfgeräthe. Das obere Stockwerk war schon
in sehr alter Zeit gleichsam das Amtszimmer des Rejjis , d. h. des
Oberhauptes der Mu’eddinln (welche zu den 5 täglichen Gottesdien-
sten *) aufrufen) ; der Rejjis pflegt hier bei feierlichen Gelegenheiten
Gebete für das Heil der Herren Mekka’s mit lauter Stimme abzu-
leiern ; auch benutzen wohl hohe türkische Beamten dieses Zimmer ,
1) Schon 1672 — 3 war von einer Wasserleitung für Djiddah die Rode (MK 287); der
Plan scheint damals nicht zur Ausführung gelangt zu sein.
2) Fernerhin bezeichnen wir diese aus einem Complex von genau geregelten Bewegu-
ngen und der Hersagung bestimmter Formeln bestehenden rituellen Verrichtungen mit dem
arabischen Namen $alat, weil die europäischen Sprachen kein entsprechendes Wort bieten.
Der Muslim darf dieselbe in der Moschee oder anderswo , allein oder im Verein mit
•anderen abhalten; in letzterem Falle stellen sich Alle in Reihen auf, und steht Eiuer
voran, dem die Anderon zu folgen haben wie 8oldaten dem Befehlshaber. Die Bezeichnung
des Voranstehenden mit dem Namen „Vorbeter” ist ebenso falsch wio „Gebet” für qaldt\
auch für jenen behalten wir also den einheimischen Namen imm .
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11
um ihren Freitagsgottesdienst in der Nähe der Kacbah und dennoch
im Schatten abzuhalten.
Die zwei schönen, mit Rädern versehenen Treppen (Bild II, N°. 4
und 5) von denen je eine vor die Ka'bahthür geschoben wird,
so oft man das Heiligthum dem Publikum öffnet , sind Geschenke
von indischen Fürsten aus neuester Zeit; sie traten aber an die
Stelle von anderen, abgenutzten; die Höhe der Schwelle machte
ja von jeher eine Treppe unentbehrlich.
Fast ebenso hoch wie die Erzählungen von der Kacbah und dem
Zemzem reichen die Legenden vom Maqäm Ibrahim ') hinauf, einem
heiligen Steine aus heidnischer Zeit, den erst die Muhammedaner
durch verschiedene Legenden mit dem Patriarchen in Verbindung
setzten. Man bewahrte denselben bald in der Ka'bah , bald in einem
kleinen steinernen Behälter im Boden unterhalb der Ka'bahthür ,
meistens aber, wie auch heutzutage, an dem Orte, wo jetzt die
kleine Kuppel steht, zunächst der Kanzel (Bild II, N°. 6). Die
Kuppel ist etwa 700 Jahr alt ; die Hälfte des Raumes unter ihrem
Dache umschliessen vier Wände von dichtem eisernem Gitterwerke ,
innerhalb dessen sich der bekleidete Kasten mit dem uMaqfrn" be-
findet; die offene Hälfte dient , alten Traditionen gemäss, als Standort
für den Imäm beim Gottesdienste , seit der Herrschaft der vier ortho-
doxen Riten speciell für den Imäm der SchafFiten. Auf diesen Ge-
brauch des Maqäm kommen wir nachher zurück. Der Gebrauch einer
Kanzel (Mimbar) für den Prediger gehört zum exotischen Luxus , den
zuerst die Omajjadenfürsten einführten '). Spätere Fürsten schenkten
immer schönere Kanzeln, die jetzige (Bild N°. 7) wurde 1549
vom Sultan Sulemän gestiftet. Das kleine freistehende »Thor der
BenI Schebah" (Bild II, N°. 1) bewahrt die Erinnerung an die engen
Grenzen der Moschee zur Zeit Muhammeds; das Haram soll sich
damals nach allen Seiten in ungefähr gleicher Entfernung von der
Ka'bah erstreckt haben. Was Muhammed in Jahre 680 zur Moschee
Mekka’s machte, war ja nichts anderes als der kleine freie Platz
1) Vrgl. CM I: 278—9, H: 260, III: 418; Ihn Jabair 81—2.
2) CM 1:383; vergl. auch 111:114, 204, 221, 224; 65 ff. ; MK 179; Jahrbuch dos
Hidjär. für 1303, 8 119 dos arab. Textes.
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um die Ka'bah; ihre Mauern nichts anderes als die der umlie-
genden Häuser; ihre Thore die Gassen zwischen diesen Wohnungs-
complexen '). Schon die Chalifen Omar und Othmän mussten dem
jetzt international gewordenen Heiligthum mehr Raum verschaffen:
angrenzende Wohuungen wurden angekauft und niedergerissen , das
Haram bekam seine eigene Mauer. Abdallah ibn Zubair (684) er-
weiterte den Tempel ebenfalls und baute über den Mauern ein
kleines Dach: wer nicht seit seiner Jugend an die Höllenhitze
Mekka’s gewöhnt war, konnte sonst, sobald die Sonne hoch am
Himmel stand, die Moschee nicht besuchen. Der Omajjadenfürst
Walld bethätigte auch hier seine Neigung zu Bauten durch Ver-
schönerung und Vergrösserung; es hat übrigens kaum ein Chalif
von den Omajjaden oder Abbasiden einige Jahre ruhig regiert, ohne
seinen Namen durch eine Verbesserung des Haram verewigt zu haben.
Unter den Abbasiden eröffnet Manfür die Reihe; von grösster Be-
deutung sind aber die zwei Vergrösserungen ( Zijädah’a ) welche
MabdT resp. 777 und 781 anordnete. Ein 'l’heil des Strombettes
(so zu sagen) vom Mekkathale und auch ein Stück des alten Mas'a
(des Weges zwischen den heiligen Stätten flafa und Merwah, Grun-
driss, 24) wurden zur Moschee gezogen, der Mas'a bekam den
verlorenen Raum durch Niederreissung von Häusern auf der andern
Seite zurück. Auch die anderen (N. und W.) Seiten der Moschee
verlegte Mahdi nach aussen und umgab den geräumigen Hof mit
Säulenhallen, wofür die Säulen aus Syrien und namentlich aus
Egypten herbeigesehaflt wurden; die breiten Hullen überdeckte ein
schönes Dach aus Teakholz. Noch zwei Vergrösserungen von geringe-
rem Umfang gaben der Moschee ihren heutigen Flächenraum von
27, Hektar: Mu'tadhid nahm 894 die letzten Reste des Rathhauses
der heidnischen Mekkaner in das Haram auf; jenes soll ungefähr beim
jetzigen Maqäm der Hanafiten (Bild N°. 8) angefangen und sich
weiter nach Norden erstreckt haben. Muqtadir vergrösserte 918
die Moschee noch etwas noch Westen. Inzwischen waren auch viele
1) Vorgl. CM I: 300 ff., II: 378, HI: 74 ff. (bis aim Ende des Werkes); 1A II:
419, UI: 67; lbn Jubair 80 ff.; Jahrbuch des Hidjnz für 1303, S. 127 ff. des arab. Toxtes.
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andere Neuerungen eingeführt, um dem allzu rohen altarabischen
Götzenhause in den Augen von Pilgern aus orientalischen Gross-
städten einigen Glanz zu verleihen. Für das Aufrufen zum (Jalat
waren schon anstatt der Standorte für die Mü’edclin's auf dem Dache
der Moschee ringsum einige Manärah's (Minarete) gebaut , welche
später allmählich bis zur Siebenzahl vermehrt wurden '). Um die
Ka'bah herum waren schon einige kleine Pfeiler gepflanzt zur Ver-
bindung von Drähten, an welchen Lampen aufgehängt wurden zur
Beleuchtung des Matäf für die Frommen , die zur Abend- und Nacht-
zeit den heiligen Umgang machen *). Zu den wichtigsten Verände-
rungen , welche die Einrichtung der Moschee seit der letzten Ver-
grösserung erlitten hat , zählt die Errichtung der Maqam'g *) d. h.
Standorte für die Imäme (vergl. S. 10, Anm. 2) der vier orthodoxen
Riten. Jede andere Moschee zählt zu einem von diesen Riten, hat
daher auch nur einen solchen Standort ; sind bei einem Gottesdienste
Bekenner einer anderen Schule der Gesetzeserklärung als die des
fungierenden Imams zugegen, so verpflichtet sie das Gesetz, diesem
dennoch nachzubeten. Ursprünglich war denn auch im mekkanischen
tlaram die einzige Stelle des Imäm’s die oben bezeichnete hinter
dem «Maqnm Ibrahim". Die Mehrzahl der Mekkaner gehörte der
schäfFitischen Schule an, zu der sich auch die Abbasiden-chalifen
bekannten; somit wurde diese Stelle nur von schäfi'itischen Imämen,
eingenommen und ist auch bis jetzt der Maqäm as- Schaßt geblieben.
Da nun aber die meisten (alidischen) Scherife Westarabiens, welche
später in den heiligen Städten zum höchsten Ansehen gelangten,
in jenen Zeiten der zaiditischen Partei anhingen , und diese Abthei-
lung der Schi'ah ihre eigne Richtung in Sachen der Gesetzeserklä-
rung hatte, so nimmt es nicht Wunder, dass schon aus alter Zeit
1) Vergl. CM 1:831, 332 f.j UI : 48* ff.
2) CM 1 : 200 — 202 und MK. Auf dein Hilde der Moschee sieht mau je zwischen zwei
kupfernen Pfeilern sieben gläserne Ooll&mpon aufgehängt Man vergleiche ausser den Hit
dern auch den Grundriss der Moschee, welcher hauptsächlich den vor droi Jahren nach
dem letzton Umbau vom Gonieofficier (jftdiq Pascha gezeichneten Grundriss reproduciert.
3; Vergl. CM 111:196, 289—90, 419; Ibu Jubair 100 ff.; MK 140 ff., 257. Bild
No. 6 (Maq&m Ibrahim, zugleich M. dor SchAfiiten) No. 8 (M. der Uanafitou), No. 9
(M. der Mälikiten), No. 10 (M. der H&mbaliten).
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berichtet wird , die Zaiditen hielten ihre Gottesdienste im Haram für
sich , wenngleich nirgends von einem besondern Magäm der Zaiditen
die Rede ist. Das Fremdenelement gelangte im Laufe der Zeit in
Mekka zu immer grösserer Bedeutung ; jedes muhammedanische Reich
war nicht nur bei der Pilgerfahrt vertreten , sondern hatte auch in
der heiligen Stadt seine ständige Kolonie von «Gästen” oder «Nach-
barn” des Gotteshauses. Dieses Zusammenleben führte von selbst
allerlei Streitigkeiten herbei , meistens Aeusserungen kleinlicher Eifer-
sucht. Die grössten Fürsten des Islam’s machten einander noch dazu
fortwährend die Schutzherrschaft über das heilige Gebiet streitig ; jeder
von ihnen wollte seinen Unterthanen den Ehrenplatz in Mekka zu-
gesichert wissen. Auch kam es dahin , dass keiner von ihnen den
Ritus seines Landes auf diesem internationalen Gebiete amtlich igno-
riert sehen wollte. Das Datum steht nicht fest ; es scheint aber , dass
im Laufe der ersten Hälfte des 12ton Jahrhunderts der bezeichnete
Wetteifer die vier Magäm g hat erstehen lassen. Die Gelehrten ärger-
ten sich sehr über die unerlaubte Neuerung, zumal dieselbe in der
Praxis zu heilloser Verwirrung führte. So oft es zugestanden wurde,
dass alle vier Imäme den nämlichen Gottesdienst zu gleicher Zeit
aufingen , gerieth die ganze Gemeinde bei dem Durcheinander der
Stimmen in Zweifel ’); wollte man , um diesem Uebel zu entgehen ,
für jeden von den 5 täglichen Gottesdiensten eine Reihenfolge
anordnen , so mussten schon beim Calät des Sonnenuntergangs zwei
Riten wegen des kurz bemessenen Zeitraums wegfallen , und bei der
Bestimmung für die andern 4 Qalat’s geriethen die Riten mit
einander in Konflikt. Bis zum heutigen Tage ist denn auch diese
Ordnung eine crux für die Obrigkeiten geblieben und unterliegt
dieselbe häufigem Wechsel. Die Mälikiten und namentlich die Ham-
baliten spielten in diesem Streite wegen ihrer geringeren politischen
Bedeutung eine untergeordnete Rolle. Die Hanafiten aber, zu welchen
\) Die „Schulen*’ dor Gesetzeserklärung weichen bekanntlich in vielen Einzelheiten
bezüglich des $aldt von einander ab; wird ein <;aUÜ goiueiuschaftlich abgohalten, so dieueu
gewisse Ausrufe des Vorbotors zur Regelung der verschiedenen Positionen. Hier konnte cs
nun Vorkommen, dass dieser und jener von den Versammelten die Stimme eines von
den drei andern Imämen mit der des ihrigen verwechselten.
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die letzten cirkassischen Fürsten Egyptens und die Sultane von
Konstantinopel zählen, sahen manchmal mit Neid, dass dem ur-
sprünglichen (sclmfi'itischen) Ritus der Mekkaner, der Ehrenplatz
hinter dem Maqäm Ibrahim blieb. Als 1400 ein grosser Theil der
Moschee durch eine schreckliche Feuersbrunst zerstört war, liess
der Sultan Faradj von Egypten den Maqäm al-tlanafi absichtlich
viel schöner wiederherstellen als die anderen ; sechs Jahre später sah
er sich aber genöthigt , das Gebäude durch ein einfacheres zu ersetzen.
Nach der Eroberung Egyptens und Arabiens durch die Türken,
baute der erste Vertreter des Sultans von Stambul in Mekka 1517
anstatt des alten Maqäm al-l/ana/i eine prachtvolle Kuppel, aber
auch diese Neuerung wurde rückgängig gemacht, als der Sultan
Sulcmän 1540 die Restaurierung und den Umbau der ganzen Moschee
in die Hand nahm. Trotzdem erlangte der Maqäm des hanatitischen
Ritus, wie aus der Abbildung ersichtlich, schon durch sein Stock-
werk und seine Grösse eine Auszeichnung vor den anderen. Die
Zaiditen verschwanden seit der Türkenherrschaft gänzlich vor der
Bühne. Der Maqäm al-Uambali wurde vor einigen Jahren aus sym-
metrischen Gründen von Othman Pascha einige Schritte versetzt;
ausser dieser Abweichung von den früheren Bildern des Ilaram wird
man in unserer Aufnahme noch das Fehlen von zwei Kuppelgebäuden
bemerken , welche von den ersten Jahrhunderten des Islam’s an zu
verschiedenen Zwecken dienten *), kürzlich aber auf den Befehl
Othman Pascha’s niedergerissen wurden. Auch den Thoren der
Moschee wandten Fürsten und Reiche ihre Aufmerksamkeit zu;
auf den grösstentheils direkt an die Strasse stossenden Süd- und
Ostseiten sind dieselben nicht weniger schön ausgeführt und mit
Schnörkeln und frommen Inschriften versehen als auf den beiden
anderen , wo die Thore den Zutritt zu langen Gängen zwischen den
angrenzenden Gebäuden öffnen. Ein bedeutender Raum rings um die
Ka'bah wurde ebenso wie der Boden der Säulenhallen mit schönen
Marmorsteinen gepflastert8); nach diesem Raume ( Matßf ) führten
1) Vergl. CM II: 337—8, 111:430; MK 203; Jahrbuch dos UidjiU für 1303, S. 127
des arab. Textes.
2) Zwei grüne, rum Pflaster des Uidjr gehörende Steiuo, welche nach den Chronisten
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von den Hauptthoren gepflasterte Pfade durch die übrigens mit Kies
bestreute Ebene. Die Beleuchtung machte man immer reichlicher
durch Vermehrung der gläsernen Lampen im Matäf und in den
Säulenhallen, durch Hinzufügung von Laternen bei den Maqämen
und im Centrum der Moschee.
Ein bedeutender Umbau, durch welchen die Moschee fast gänzlich
ihre heutige Gestalt erhielt, wurde 1572 — 7 auf den Befehl Selims
des Zweiten vorgenommen. Abgesehen von den vielen nothwendigen
Ausbesserungen in allen Theilen des Gebäudes, ist hier vorzüglich
die ganz neue und charakteristische Ueberdachung der Säulenhallen
erwähnenswerth ; das chronischer Verfaulung ausgesetzte Dach aus
Teakholz wurde durch eine grosse Anzahl von kleinen übertünchten
Kuppeln ersetzt ; die vier dem Innern der Moschee zugewandten
Ränder des Daches bekamen hübsche Zinnchen. So entstand all-
mählich um die rohe Ka'bah , welche Muhammed noch als genügend
für Allah und seine aus dem ärmsten Lande der Welt zusammen-
strömenden Gäste betrachtete, ein Tempel für den civilisierten Gott
des späteren Islam’s, ein Ganzes dessen Totaleindruck weder an-
ziehend noch abstossend , aber doch ganz einzigartig wirkt. Gerade
das Sonderbare des Haram erleichert es dem frommen Besucher,
Geheimnisse in das Bild hineinzudenken ; den Forscher erinnert jedes
Detail an eine Seite aus der Religionsgeschichte: die griechischen
und egyptischen Tempeln entnommenen Säulen unter den türkischen
Kuppelchen ; die kalligraphisch ausgeführten Aeusserungen des
strengsten Monotheismus unter den Zinnchen der Dachränder; die
steinernen Fetische der alten Araber, jetzt inniger verehrt als zur
Zeit des Heidenthums, und wesentlich ebenso unverändert wie das
//alte Haus”; die 4 Maqäm’s, Monumente des heftigen Kampfes
und der Divergenz, die das Gesetzesstudium verursachte, aber wie
sie da alle friedlich der Ka'bah zugewandt stehen, zugleich Denk-
mäler des Einverständnisses, das der überaus katholische Instinkt
des Islam’s herbeiführte; die ehrfurchtsvollen Gäste aus allen Län-
um 855 nach Mekka kamen, sind in der populären Anschauung zu Gräbern dca Ismaöl
und der Hagar geworden.
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dem zwischen Marokko und China ! Nur Einzelheiten sind nach
dem Plane eines Künstlers gearbeitet; das ganze Haram ist mit
dem Islam allmählich herangewachsen. Eigenthümlich prägt sich
diese natürliche Entstehungsgeschichte darin aus, dass, ebensowiedie
Kacbah selbst, auch die Moschee weder zwei Seiten von gleicher
Länge noch einen rechten Winkel hat, während der Boden von
Osten , Norden und Süden nach der Mitte zu und gleichfalls von
Osten nach Westen, sich unregelmässig senkt. Ein Stück Verwal-
tungsgeschichte bewahren noch einige Gebäude, welche die NW.
und SW. Seiten der Moschee begrenzen und Mndrasnh's genannt
werden. Eine Madraaah ist ein zur Wohnung von Lehrern und
Studierenden der heiligen Wissenschaften eingerichtetes Haus; die
frommen Stifter fügten denselben fast immer andere unbewegliche
Güter hinzu , um aus deren Ertrag das Gebäude zu unterhalten und
die Pfleger der Wissenschaft zu besolden l). Gewöhnlich dauerte es
nicht lange, bis die Untreue der Verwalter und die gewaltsamen
Eingriffe der Regierenden Alles seiner ursprünglichen Bestimmung
entzogen hatten. So konnte denn auch im Laufe der Zeit zu wie-
derholten Malen das gleiche Gebäude von verschiedenen Frommen
»auf ewig” für gleichartige Zwecke bestimmt werden , jedes Mal
mit möglichst grossem Aufwand, bei welchem die Vermittler ihre
Rechnung machten. Mir wurde gleich nach meiner Ankunft von
vielen Mekkanern gerathen, eine der verfügbaren Madrasak's ganz
oder theilweise zu miethen; der gewesene Grosswezir von Atjeh
(vulgo : Atschin) bewohnte eine sehr schöne Madrasah , und eine
andere wurde als Amtsgebäude der Kommission für die Wasserlei-
tung benutzt. Aehnlich steht es mit den vielen durch die ganze
Stadt zerstreuten Auquf (Plur. v. Waqf ■= fromme Stiftung).
Die Baugeschichte der Moschee gedenkt einer Unzahl von um-
fangreichen Ausbesserungen in jedem Jahrhundert des Islam’s ; diese
wurden zwar theilweise durch solche Unglücksfälle wie die oben er-
wähnte Feuersbrunst oder durch die Entwendung des Gold- und
Silberschmucks und die ärgerliche Nachlässigkeit der Behörden erfor-
1) VorgL u.a. CM UI: 211-9; 220. 313, 351 ff., 417.
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dert ; grössten theils hatten die Zerstörungen aber einen andern Grund.
Muslimischen Gelehrten zufolge soll Allah seinem heiligen Wasser
den etwas //schweren” Geschmack verliehen haben , damit nicht die
Fürsten der Erde den Zemzem zum Gegenstand des Kampfes machten ;
ausser diesem Bitterwasser bietet Allah seinen Gästen bloss Steine,
Sand und eine unerträgliche Hitze ; als wäre das alles nicht genug ,
stellte er noch östlich vom Mekkathale den darin Wohnenden
einen immer drohenden Feind ihres Lebens und Eigenthums: den
Sei1) entgegen. Wenn es östlich von Mekka regnet, eilen die rasch
sich bildenden Giessbäche durch die nach Westen sich senkende
Gegend dem Meeresstrande zu; das eDge, von NO. nach SW.
abfallende Mekkathal bildet nur eine kleine Bucht in dem Flussbett
des Regenwassers auf dieser Breite. Die Ueberschwemmung, der
Sei schleppt hier alles fort, was sich auf seinem Wege findet; man
muss diesem Wege fern bleiben, oder aber ihm durch widerstands-
fähige Werke eine Richtung geben, wo er nur wenig Unheil stiften
kann. Letzteres thaten in ihrer Weise schon die heidnischen Mek-
kaner; in islamischer Zeit handelte es sich vorzüglich darum, die
Moschee gegen die entweihenden Besuche des Feindes zu schützen
und das Mas'a (Grundriss, 24) frei zu halten, wo während des
ganzen Jahres die, welche die cümraA (kleine Wallfahrt) verrichten ,
hin und her gehen müssen. Ein Blick auf den Grundriss der Stadt
genügt , um zu zeigen , dass beide gerade in der Mitte des Weges
liegen , welchen naturgemäss der Sei vom oberen Stadttheile (Ma'lä)
zum unteren (Mesfalah) nehmen muss; diese Stellen sind also in
erster Linie der verheerenden Gewalt des Stromes ausgesetzt; auch
lässt er hier nach dem Vorüberziehen eine Masse Schlamm und Koth
zurück. Nach einer heftigen Ueberschwemmung baute daher der
1) Vergl. CM 1:116, 276, 342ff, 394 ff.; 11:301 ff.j III : 75 !., 78, lOlff., 191,285,
411 ff.; Tab. II: 1.1*1— f.; BelÄdsorf, ed. do Goejo, 53— 5; MK 217 , 233, 257, 301 , 373;
AD 303, 446 — 7 ; Wüstenf. Schfcrifo, S. 41 — 2; Jahrbuch des Hidj&ifor 1303, S, 129 des arab.
Textes. Den Gesinnungsgenossen des E. N. (Lit. Centralblatt, 11 Sepl. 1886, S. 1314,
2 Sp.) zu Liebe füge ich hier die Jahreszahlen der berühmtesten Ueborsch wem m ungen
hinzu, welche in bisher unveröffentlichten Werken aufgezahlt werden: 1019, 1024,1033,
1039, 1055, 1073. 1091, 1153, 1208, 1278 der Hidjrah.
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Chalif Omar einen grossen Damm aus Steinblöcken und Erde, wie
man glaubt auf der Höhe des jetzigen Mudda'a (Grundriss , 22) ;
dadurch wurde der Strom oberhalb der Stadt nach rechts und links
gelenkt und fand seinen Weg nach unten durch zwei andere Haupt-
strassen auf beiden Seiten der Moschee. Bei einem Sei im Jahre 700
zeigte sich dann dieses Werk ungenügend , und der Omajjade Abd
al-Malik beauftragte einen christlichen Architekten mit der Ausbe-
sserung und der Hinzufügung anderer Bauten zur Ablenkung des
Wassers. Christliche Maurer schickten ja die Omajjaden auch zum
Bau der Moschee nach Mekka; die strenge Ausschliessung der
Nichtmuhammedaner datiert erst aus abbasidischer Zeit. Trotz alle-
dem verzeichnen die Chronisten eine lange Reihe von solchen
Ueberschwemmungen , denen Häuser erlagen und in welchen Men-
schen und Vieh ertranken , während die Moschee manchmal Tage
lang mit Wasser gefüllt blieb. Hinzu kommt, dass die Moschee und
andere heilige Häuser in Mekka aus einem besondern Grunde
schlimmer vom Wasser heimgesucht werden als die meisten Woh-
nungen. Das Bodenrelief zeigte von jeher auch im Centrura der
Stadt grosse Unebenheiten; in allen Vertiefungen blieb natürlich
das Wasser mit seinem Schlamm und Koth nach dem Sei am
längsten stehen. Die Moschee liegt nun aber wie eine tiefe , riesige
Waschschüssel inmitten der Stadt; das Wohnhaus des Propheten
und der Laden Abu Bekr’s (beide im Zuqäq el-hadjar, Grundriss,
25) , die Geburtshäuser Muhammeds und Ali’s (beide im Schi'b
el-Maulid , Grundriss , 20) und ähnliche Ziele des frommen Besuchs
scheinen jetzt unterirdische Wohnungen zu sein. Der Boden der
Stadt erhöht sich nämlich allmählich infolge des von jedem bedeu-
tenden Sei hereingetragenen Schlamms. Mag man gleich hie und da
etwas austiefen und reinigen , beim Neubau muss man immer die
Grundlagen etwas höher machen; Qafä und Merwah (Grundriss, 28
und 28) waren vorher Hügel, und jetzt heben sie sich kaum be-
merkenswerth von der Strasse ab. Die heiligen Stätten hat man
aber fortwährend künstlich im alten Zustande erhalten, sodass dort
die Erhöhung wenigstens sehr viel langsamer vor sich gegangen ist
als anderswo. Daher sah man sich schon bei der letzten Vergrö-
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sserung der Moschee (918) genöthigt, dort wo nicht die Moschee-
mauer oder die Mauern der angrenzenden Häuser die Räume schützten,
also in den Thoreingängen, hohe steinerne Treppen zu bauen. In
jedes Thor führen von der Aussenseite mehrere Stufen hinauf; von
jeder Thorschwelle führen noch mehrere Stufen in die Säulenhallen
hinab , welche selbst wieder bedeutend höher liegen als der Moschee-
hof, in dessen tiefstem Theile die Ka'bah steht. Wird dieser Wall
nun auch gut erhalten, so bleibt die Moschee bei einem grösseren
Sei doch nur dann frei, wenn desseu Hauptwege breit und tief
genug sind; dies ist aber nur mittels alle paar Jahre vorzunehmender
Austiefungen zu erzielen. Den meisten Herren Mekka’s ging der
Sinn für grosse Werke des Friedens ab; so oft das Wasser etwa
einen Meter hoch die Moschee füllte , warteten sie, bis es gesunken
war, und ermunterten dann durch ihr Beispiel die ganze Bevölke-
rung , sich an der Reinigung des Haram zu betheiligen. Der Sultan
Muräd liess 1576 nach einem verheerenden Sei durch unterirdische
Röhren dem von den nordwestlichen Bergen herabströmenden Wasser
einen Ausweg zur südwestlichen Seite der Moschee machen ; durch
Niederreissung aller Häuser auf der südöstlichen Seite der Moschee
erweiterte er hier das Flussbett , und liess das ganze Mesfalah (Grun-
driss, 5) bedeutend austiefen. Seitdem haben sich die Verhältnisse
etwas verbessert , aber aus dem oben mitgetheilten Verzeichniss
ersieht man, dass dennoch der Erbfeind dann und wann in eiuer
den Mekkanern unvergesslichen Weise gehaust hat. Wird Mekka
selbst von starkem Regen betroffen, so fliesst zwar die Hauptmasse
nach Westen und Süden ab; die niedrigsten Stadtheile, und na-
mentlich die Moschee, stehen aber gleich unter Wasser. Im Jahre
1885 war ich einmal in der Moschee, als es zu regnen anfing;
nach einer Viertelstunde stand das Wasser zwei Fuss hoch rings
um die Ka'bah. Sogar diese in ganz Arabien heissersehnte, Segen
und Fruchtbarkeit bringende Gottesgabe ist der heiligen Stadt , wenn
sie ein seltenes Mal dahin kommt, zum Fluch.
Von einigen heiligen Stätten ausserhalb der Moschee war schon
die Rede. Zum Ritus gehören nur Qafa *) und Merwah *) am Anfang
1) Grundriss, 28. 2) Grundriss, 23.
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und Ende der breitesten Strasse (Mas'a), deren oberer Theil ein
bedeutender Markt ist. Mehr oder weniger sind alle Hauptstrassen
Märkte; auf den vorne gegen die Häuser angebauten steinernen
Sitzen stellen die Kaufleute ihre Waaren aus. Das westlich vom
Mas'a sich abzweigende Sueqah (Grundriss, 8) hingegen hat auf
jeder Seite eine ununterbrochene Reihe von Gebäuden , welche nur
als Läden eingerichtet sind. Die Verehrung der angeführten Geburts-
und Wohnhäuser und anderer Erinnerungsstätten aus der ersten
Periode des Islam’s hat schon früh angefangen *); auch haben die-
selben wohl frühzeitig als Zufluchtsort gedient für beliebte Fetische ,
wie die jetzt noch darin vorhandenen schwarzen s) und grünen ’)
Steine. Der späteren Legende zufolge haben letztere z. B. Muhammed
oder Ali bei ihrer Geburt aufgenommen; thatsächlich haben die
meisten wohl gleichen Ursprung mit den ofliciell anerkannten , in
die Ka'bah eingemauerten Steinen und dem A/aqäm Ibrahim. In
der engen Steinstrassc (Grundriss, 25) sind zwei schwarze Steine
ganz für sich je auf einer Seite in die Mauern befestigt; die eine
soll Muhammed bcgrüsst haben , die andere in einer Aushöhlung
den Eindruck seines Ellbogens bewahren. Alle werden in gleicher
Weise verehrt. Auch der fromme Besuch von heiligen Gräbern in
der Umgegend sowie auf dem grössten , nördlichen Friedhofe Mek-
ka’s, dem Alcflä, ist schon früh bezeugt1 2 * 4); dieser vermummte
Todtenkult hat aber im Laufe der Zeit bedeutend zugenommen.
Während man früher die wahrscheinlich echten Gräber einiger Lo-
kalheiligen , wie Abdallah ihn Zubair und Abdallah ibn Omar be-
suchte, hat man erst viel später angefangen zu wissen, wo Chadi-
djah *) und Aminah , Muhammed’s Gattin und seine Mutter , beerdigt
waren, und seit der Türkenherrschaft sind deren vermeintliche
Grabkuppeln die geschätztesten Ileiligthümer des Ma'lä geworden.
Die Zahl der übrigen Grabkuppeln von heiligen Scherifen , Mystikern
1) Vergl. u. a. CM 1:422 ff., 432 ff., 481; 11:17; Mokaddasi 102; Ibu Jubair 109.
2) Ibu Jubair 110, 114 ff, 164. 3) Ibn Jubair 163.
4) Vergl. die in Anm. 1 angeführten Stellen.
5) Der Grossscherif Rnmcithah (1346) soll schon im Grabe Chadtdjah’a beerdigt worden
sein (MK 134); dasselbe geschieht heutzutage mit vornehmen Schorifen.
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22
usw. auf dem Ma'lä , im Schebekah und stellenweise auch in den
Strassen und auf den Wegen ist Legion. Die alten heiligen Berge:
der Abu Qubes auf der östlichen Grenze der Stadt, der Hiräoder
Lichtberg nordwestlich, der Thor südlich von Mekka, und allerlei
heilige Höhen und Höhlen in der Nähe der (östlichen) Pilgersta-
tionen Muna und ‘Arafat sind jetzt alle mit Hülfe von Legenden
aus Muhammeds Leben oder aus der Patriarchenzeit dem Islam,
namentlich dem populären Glauben , einverleibt.
W er von jenen östlich gelegenen Haddjstätten in die Stadt kommt,
beobachtet schon im nördlichen Beduinenviertel Ma'äbdah (Grundriss ,
41) ein Haus, welches man in dieser Umgebung wohl einen Palast nen-
nen darf; dasselbe wurde zuletzt von dem seiner Herrschaft entsetzten
Grossscherif Abd el-Muttalib bewohnt; am Friedhofe vorbei geht
es, der Ma'lästrasse entlang, hinunter in die Hauptstrasse, wo Omar
seinen Wall baute, in das Mudda‘a (Grundriss, 22). Biegt man aber
gleich rechts ab, so führt der Weg zum Qarärahviertel (Grundriss ,
9), wo der genannte Scherif und seine Verwandten ebenfalls stattliche
Wohnhäuser errichtet haben. Auch die Paläste des jetzt regierenden
Grossscherifs und seines verstorbenen Bruders (Grundriss, 18 und
19) liegen im oberen Stadttheile, an der Hauptstrasse , durch dessen
Mitte der Sei jetzt theilweise nach unten strömt; dieselbe geht durch
die Stadtviertel Ghazzah , Süq el-lel (Nachtmarkt , in welchem meine
Wohnung war) und Quschäschijjah , und sie zählt auf beiden Seiten
eine Reihe vornehmer Häuser. Auf der lücke, wo diese Hauptstrasse
in das Mas'a (Grundriss, 24) endet, steht die Chäfkijjeh (Grundriss,
32), wo der öfter genannte türkische Statthalter Othman Pascha
(1882 — 86) wohnte und seine Amtszimmer hatte. Ein Wirrwarr von
engen, halbdunkeln Gassen durchschnöidet das Innere der Stadt-
viertel; die breiten Hauptstrassen mit ihren drei- und mehrstöckigen
Häusern machen einen beinahe modernen Eindruck ; die Häuser
scheinen noch mehr Stockwerke zu enthalten , als wirklich der
Fall ist, weil die in der heissen Jahreszeit als Schlafzimmer die-
nenden Dachterrassen allerseits von kleinen Mauern aus Backstein
umgeben sind. Das Aeussere der ganzen Stadt macht ebenso wie
die Moschee den Eindruck einer höchst seltsamen Mischung von
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Kulturen; elende Beduinenhütten , bienenkorbartige Wohnungen der
Tekrürineger , mehr oder weniger stattliche Wohnungen, wie man
sie auch anderwärts in muhammedanischen Städten sieht , und jetzt
noch die ganz modernen Bauten des Othman Pascha : das von ihm
errichtete nach dem Sultan benannte llegierungsgebäude (die Ha-
mldijjah, Grundriss, 31), von dessen Vorderseite maD den oberen
Theil auf dem kleinen Bilde der Moschee im Hintergründe sieht,
mit der grössten , vom Pascha restaurierten Festung im Rücken ;
die moderne Hauptwache (Grundriss , 43), welche er gegenüber
seiner Wohnung nahe beim Qafö erbaut hat '); seine neue Festung
auf dem Djebel Hindi. Die beiden Strassen, welche südlich und
westlich von der Moschee das Mudda'a und die Ghazzah — Süq el-
lel — Quschäschijjah-Strasse fortsetzen, führen durch Stad viertel, welche
einen etwas weniger vornehmen, sonst aber den andern durchaus
gleichartigen Typus zeigen.
Einen einzigen Vortheil soll Allah den Menschen in diesem seinem
unheimlichen Wohnorte und in dessen nach allen Seiten einige
Stunden weit sich erstreckenden heiligem Gebiet auf ewige Zeiten
gewährt haben : die absolute Sicherheit. Hier sollte ein ewiger Go-
ttesfriede herrschen; unverbrüchlich heilig sollte hier da3 Leben
jedes Menschen und fast aller Thiere und Pflanzen sein. Muhatnmed
nahm diese nützliche Satzung vorn arabischen Heidenthura in seine
Religion herüber, nachdem er selbst das heilige Gesetz, ausnahms-
weise von Gott dazu berechtigt wie er sagte, einmal übertreten
hatte. Die Muhammedaner sind von da an bis auf unsere Zeit dem
Beispiele des Propheten gefolgt, nicht seinem Worte-, in keiner mo-
hammedanischen Stadt haben die Parteien heftiger gegen einander
gewüthet als hier : die Stadtviertel bekämpften sich fortwährend ,
die fremden Besucher lieferten hier förmliche Schlachten , die Nach-
kommen Muhammeds lebten hier tausend Jahre lang in einem nur
durch kurze Waffenruhe unterbrochenen Bruderkriege. Wir wollen
jetzt die Hauptmomente des unruhigen politischen Lebens der Mek-
kaner in ihrer geschichtlichen Entwickelung verfolgen.
1) Vergl. die Bilder dieser Gebäude.
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MEKKA UNTER DEN CHALIFEN. - ENTSTEHUNG
DES SCHERIFATS. — DIE SCHERIEE BIS 1200.
Als Muhammed 630 nach siebenjährigem Kampfe seine Vaterstadt
durch Vertrag einnahm, waren die Quraischiten mehr von der Ge-
walt seiner Religion überzeugt als von ihrer Wahrheit; später, als
sie selbst durch den Islam zur Grösse gelangten , wurden sie wirklich
in ihrer Weise Muslime. Der Prophet erleichterte ihnen den Ueber-
gang durch vielerlei Koncessionen ; in Allahs Namen versprach er
ihnen die Fortdauer des alten Kultus und des vortheilhaften Handels.
Nach wie vor blieb das Centrum des jungen Staates in Medina,
der Heimath der »Helfer" Muhammeds und dem zweiten Vaterlande
der ausgewanderten Gläubigen Mekka’s. Zum Statthalter von Mekka
ernannte der Prophet einen Mann aus einem vornehmen mekkanischen
Geschlechte, der erst eben durch die Gewalt der Thatsachen zum
Islam bekehrt war, und als die Mekkaner auf die Nachricht von
Muhammeds Tode hin schleunig ins Heidenthum zuriickfielen , machte
diesem Manue seine Beziehung zum Eroberer solche Angst, dass er
sich versteckte, bis das Glück der muslimischen W affen seine Stam-
mesgenossen aufs Neue bekehrte '). Unter den drei ersten Chalifen s)
(632 — 56) bleibt die Verwaltung in den Händen von Mekkanern ,
1) IA 11:201, 208, 24S f.
2) Vergl. CM 11:158, 160—63, 17, 36, 42—3; 1 : 380— 81 ; IA II : 201 , 208 ,
845 t; HI : 15 , 30 , 62, 146, 167.
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STAMJV
Ali X Fat iniah
I. Hasan II
~ i
3 Abdallah al-Mahdh
I
i
5. Muhammed Nafs Zakijjah 6 Ibrahim
7. Mosa al-IJj
i n-g
9. Abdallah a^-^’alih
12. Ctlifc
I
16. Muhammed a*-SchA‘ir
13. Mosa II
I
17. Ua'ud
18. Mohammed at-Tha'ir
22. Ablallth
I
Ali
I
S dlai man
i
Husain
i
'i«t
i
Abdalkarim
J
28~H u&ain
25. Abo Dja'far Muhammed
27. Abn Hfochim Muhammed
i
80. Abdallah
28. Abu Muhummed I)ja i
nach 840(366? .357? 368?)— 37<
I
M uta in
I
Idris
84. Muhammed (??) ’I*«
, I . . 870(oder früher)-384
38 Dja i'ar (P?) v 7
40 Abu Hüichitn Mulinnuned 5)
455 (resp. 461)— 487
1
43. Qatadah 41. Abu Fulnitnh QttNiin
(Stammvater aller 487 — 517 (8?)
übrigen Scherife
von Mekka) F*ulmtnb
617(8?)— 527
82 Abu ’l-Futüh
384— 430
I
36 Muhammed fe
430—453 (464
1) I
Ihn lja
wird, L
(Leid 1
45. laa
656 (7?)— 670
J
44 Huachim
627—649 (561 ?)
I_ . !
46. Qasim
519 (551 P)- 668(7?) 17. Mukthir 571.572— P 18 DK*ud 570 -71 , 57*
I
19. Mangür (?) 593-7 1
NB. Diese Tafel enthält die Genealogie 1° solcher Hasaniden, welche aus irgend einem Grunde
der Sühne QatadahY Die Namen derjenigen, welche diese Würde bekleidet haben, sind fett
wirklich regiert hat. Die Jahreszahlen sind hier uach mohammedanischer Zeitrechnung angst
47. Mukthir 671,672—?
584-97 (98 P 99 ? 03 ??)
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FEL I.
:r Mohammeds)
“ “1
1. Zaid
4. Hasan III
I
8. Ali
(starb im Kerker Manfort OT (0)169)
U. Husain scbahld al-Fachch
10. Ibrahim
”| 15. Jttsuf al-Uchaidhir
14. Sulaiman !
i I I
10. Da ad 20. Ismail 21. Mohammed
I
bu *1 Fatik Abdallah
, I
Abdarrahman ■)
I
x ,t-TnJJtl> Du'ud (?)
— 2 (?) 402-8 (?)
I
33 Wahhäa
I
. Humzah 37. Im
>61 (464-471 ??) |
n 39. ’Ulajj
(ihm widmete Zaroachschari den Kisschaf,
OT( D) 105 (M*)37)
die (ein Grabstein) bei CM II: 208 schiebt zwischen N°« 24 und 26 einen Qasim ein; nicht nur
.) ignoriert ihn, sondern OT (D) 103 — 5, (Ms) 87ro, wo dieser Zweig recht eingehend behandelt
cm Qasim keinen Raum.
lere Genealogie Pja'fars wird mit Recht von CM II: 206 verworfen; OT (D) 115, Obaidalll
14ro bestätigen die hier gegebene.
älteren Geschichte Mekka’s Erwähnung verdienen 2° aller Scherife von Mekka bis auf das Hans
kt. Fragezeichen hinter den Namen bezeichnen Zweifel in den Quellenschriften, ob der betreffende
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25
und zwar meistens von vornehmen Quraischrten. Die Person des
Statthalters hat schon in dieser Periode nur ausnahmsweise hohe
Bedeutung ; daraus erklärt es sich , dass die Chronisten manchmal
unsicher sind über die Reihenfolge, die Dauer der Verwaltung usw.
Zwei Ausnahmen verdienen Erwähnung : ein Statthalter Mekka’s liess,
als er zum Chalifen Omar nach 'Usfan reiste, einen Freigelassenen ')
als seinen Stellvertreter zurück ; als ihn Omar deswegen tadelte ,
sBgte er, der Mann sei ein Quränkenner, worauf Omar die Berech-
tigung dieses neuen Adels ausdrücklich anerkannte. Aus der Anste-
llung eines Hadhramiten zurZeit Othmün’s *) erhellt, dass Hadhra-
maut schon in vorislamischer Zeit seine Kolonisten ausschickte , und
dass Letztere schon damals in Mekka als Mitbürger angesehen wurden.
Die Bedeutung dieses rührigen Volkes für Mekka wird durch
mehrere alte Zeugnisse bestätigt *). Beim heidnischen Haddj pflegte
ein Quraischit als oberster Leiter der versammelten Pilger bei den
Zügen von einem heiligen Orte zum andern aufzutreten und die
herkömmliche Ordnung beim Lagern in den Stationen aufrecht-
zuerhalten. Seitdem das Fest islamisiert war, ging jährlich vom
Sitze der Regierung (also zunächst von Medina) der grosse Pilgerzug
aus, angeführt vom Chalifen oder einem von diesem ernannten
Befehlshaber; die Führung beim Haddj wurde entweder diesem oder
dem Statthalter Mekka’s übertragen. Die Chronisten erwähnen fast
jährlich den Mann , dem jene Ehre zu Theil wurde ; wir werden diese
Angaben nur insofern anführen , als sie für die Geschichte der hei-
ligen Stadt Interesse haben.
Die Ermordung Othmäns eröffnet für Medina und Mekka eine
neue Aera. Die Häupter der altmckkanischen Aristokratie, die Omajja-
den , waren durch ihre Vergangenheit anfangs im Islam auf eine
bescheidenere Stellung angewiesen. Bei den Eroberungen, welche
aus der Gemeinde Muhammeds in wenigen Jahren ein mächtiges
Reich machten, fanden sie Gelegenheit durch ihre Klugheit und
Tapferkeit den Einfluss zu gewinnen , den die Religion als solche
1) CM 11:36, 161. 2) IA III : 146, 167.
3) CM 1:440 , 461, 48G; IA II : 182, 229, 203, 281 j 111:302.
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ihnen versagte. Der gewaltsame Tod ihres Verwandten , nicht ohne
Mitschuld Ali’s, enthob sie jeder Beschränkung: „sie erhoben die
»Häupter und fingen ira Hidjäz zu reden an" J). Der Vetter und
Schwiegersohn Muhammeds, Ali, hatte kein Glück beim Antreten
des heissersehnten Chalifats: ausser den weltlich gesinnten Omajja-
den sah er sich gegenüber gleich noch eine feindliche Partei von
alten Genossen des Propheten , und bald trennten sich auch die
rigoristischen Chäridjiten von ihm. Der Erste, der ihm den Hand-
schlag der Huldigung gab, batte eine verdorrte Hand8), und un-
fruchtbar waren alle seine und seiner zahllosen Nachkommen Versuche,
wirklich Grosses in der Welt zu erreichen. Ali musste gleich nach
Babylonien ziehen zum Kampfe gegen die Widersacher ; der Schwer-
punkt des Islams lag schon ausserhalb Arabiens. Mit Recht sagte
ihm ein Freund: »zieh nicht von Medina fort, denn sonst kommt
»nimmer ein Fürst der Muslime hierher zurück 1”*); er konnte aber
nicht anders. Die Zeit, wo es hiess: »die Entscheidung ist die
»Entscheidung MedinaY’ 4) war vorüber. Ali blieb ein um die Herr-
schaft kämpfender Chalif; in den fünf Jahren, die bis zu seinem
Tode (661) verliefen, entschied sich der säkularisierte Islam für die
weltklugen Omajjaden als Herrscher und erkor sich Damaskus zur
Hauptstadt. Die grossen Ereignisse zogen die energischen Einwohner
Mekka’s aus ihrer Heimath fort nach dem Kampfplatze; hier blieben
hauptsächlich fromme Weltsentsager, Mucker und Maulhelden oder
auch solche zurück, die das Leben in Ruhe gemessen wollten. Aus
Furcht leisteten sie bald diesem, bald jenem den Huldigungseid s);
ohne Anstand konnte Ali ihnen als Statthalter seinen Vetter aus dem
Hause Abbas und sogar einen Medinenser schicken •). Das Fest
hielten beide Parteien (die Ali’s und die der Omajjaden) noch heilig ;
als sich 660 von beiden Seiten ein Pilgerzug mit seinem Führer
einstellte, übertrugen sie im Einvernehmen mit einander die Füh-
rung des Haddj einem dritten.
Während der 19jährigen Regierung des ebenso energischen als
1) IA III : 167. 2) IA m : 153. 3)IAin:180. 4) IA 111:181.
5) IA III: 321fr. 6) IA in: 180, 291, 315, 317-8; CM 11:163—4 , 234
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27
politisch gewandten Muäwijah schlossen sich zwar auch die meisten
nicht-alidisch gesinnten //Genossen Muhammeds” den Aliden in
gemeinsamem Widerwillen gegen den //Tyrannen” an, aber keiner
wagte es hervorzutreten. Wo Verheissungen nicht verschlugen,
zähmte der Chalif die Unwilligen durch Drohungen : den ältesten
Sohn Ali’s, Hasan, kaufte er ab; dem zweiten, llusain, hielt er
das Schwert entgegen. Seine Statthalter über Mekka waren theils
seine Verwandten, theils andere ihm ergebene Quraischiten *). Die
Chronisten machen nur einige von denselben namhaft, zählen aber
alle Statthalter von Medina auf. Medina blieb die Hauptstadt Ara-
biens; es war nicht ganz umsonst ein halbes Jahrhundert lang der
Sitz der muslimischen Regierung gewesen. Ausserdem lag es der
neuen Hauptstadt am nächsten; von hier bis Mekka braucht eine
Karawane noch 10 Tage, ein berittener Eilbote 4 — 5. Die fürst-
lichen Befehle erreichten daher Mekka durch die Vermittelung des
Gouverneurs von Medina; die Stadt Gottes stand in gleichem Ab-
hängigkeitsverhältniss zur Stadt des Propheten , wie das 2 — 3 Tage-
reisen östlich von Mekka gelegene Täif zu Mekka. Manchmal wurden
schon in dieser Zeit die drei Städte , auch wohl noch der eigentliche
Hidjäz und Jemämah dazu, von einem Beamten verwaltet, der in Medina
residierte und sich in den anderen Orten vertreten liess. Wenn ein
Verwandter von Muäwijah zum Statthalter von Täif ernannt wurde,
so sagte die Welt: »der ist beim ABC"; bekam er Mekka hinzu,
so hiess es: //er ist zum Qurän vorgerückt”; wurde er aber Wäll
von Medina, so sagte man: //jetzt kann er den Qurän auswendig” ’).
Die vereinigte Opposition , welcher auch viele in den Provinzen
zerstreute Unzufriedene angehörten, harrte in Medina und Mekka
des günstigen Augenblicks zum Handeln ; mit dem Tode Muäwi-
jah’s schien dieser gekommen zu sein. Husain, als Haupt der damals
schon auch in Jemen s) und Babylonien (Träq) zahlreichen alidischen
Partei, und Abdallah ibn Zubair, der die Interessen der //Genossen
Muhammeds” vertrat, gleichviel ob sie des Propheten Freunde oder
1) CM II: 163 ff., 41, 42; Tab. U: tl, tv, vt, al, vf, ao, ba, lol, «1.
2) Tab. II: hv. 3) IA III : 321 ff; Tab. H : tvo.
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Verwandte waren, weigerten sich, dem Jezid zu huldigen , flüchteten
sich von Medina nach dem entlegeneren Mekka, um von dieser
Freistätte aus die Opposition zu organisieren '). Vielleicht nicht
ohne bösen Willen rieth Ibn Zubair dem Enkel des Propheten ,
sich an die Spitze seiner zahlreichen aber unzuverlässigen Anhänger
in Träq zu stellen. Ilusain ging, seine Partei war aber schon wieder
eingeschüchtert, und in der Nähe von Taff (Kerbela) wurde er
mit etwa 20 von seinen männlichen Verwandten abgeschlachtet. Zu
bemerken ist hier, dass die Ansprüche, welche die Häupter der
Familie Muhammeds erhoben , nicht etwa absolut waren oder jede
Diskussion ausschlossen *), und dass die Söhne Ali’s zu ihrem poli-
tischen Unglück mehr Habgier als Ehrgeiz bethätigten *). Der Tod
Ilusains verschärfte den Fanatismus der alidischen Sc/nah (d. h.
Partei), vermehrte aber ihre Thatkraft nicht. Das Haupt der Oppo-
sition in Mekka: Abdallah ibn Zubair gewann auch ausserhalb
Arabiens Anhänger und vertauschte die bescheidene Rolle eines
»Schützlings” des heiligen Hauses gegen die des Prätendenten auf
das Chalifat. Nur l1 * * 4/» Jahr konnten sich die Statthalter Jezlds ')
behaupten; 682 wurden sie aus den heiligen Städten verjagt. Von
da an bis 692 bezeichnen fromme, namentlich mekkanische Ge-
schichtschreiber Ibn Zubair als den Chalifen von Gottes Gnaden
mit Mekka als Hauptstadt5). Nachdem 683 Jezld’s Soldaten in
Medina durch ein schreckliches Blutbad die Gewalt der »Genossen-
partei” gebrochen hatten , waren sie nahe daran , in Mekka ein
Gleiches zu thun, trotz der Unverletzbarkeit des heiligen Gebietes,
auf welche Ibn Zubair sich verliess; der Tod Jezlds rief die Tru-
ppen aber nach der Hauptstadt, und in den nächsten Jahren verhin-
derten Thronfolgestreitigkeiten und der Parteienkampf in Babylonien
die Omajjaden daran , energisch gegen Tbn Zubair vorzugehen.
1) Tab. II : fit ff. 2) Vergl. z. ß. don Brief Fusains Tab. H : 1t .
8) Die übrig gebliebenen Verwandten Husains in Medina nahmen gleich Goschonke
von Jerid an Tab. — ao.
4) CM II: 166 ff, 42; Tab. II : flt ff, f.l* .
5) CM. II: 18 ff, 171 1 Tab. ll;frrff, aff ff
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Diesmal war also Mekka ein politisches Centrum , und wurde Me-
dina, so lange es ging, von dort aus verwaltet. Ibn Zubair war
weder ein Muster von Frömmigkeit noch von Gerechtigkeit; er
vertrat aber die Söhne derjenigen , welche bis zur Omajjadenherrschaft
die höchste Autorität besessen hatten und sich nun nicht gleich den
veränderten Verhältnissen fügen konnten. Scheinbar stand diese Partei
der Religion näher, und ihre Häupter wurden später die Helden
des Volksglaubens. 692 katn der eiserne Omajjadendiener IJaddjädj
mit seinem Heere, die Einwohner der Harnmein (heiligen Stiidte)
abermals empfindlich zu lehren , dass Ungehorsam gegen die Omajja-
den eine Todsünde sei. Mekka wurde trotz seiner Heiligkeit mit
Feuer und Schwert heimgesucht, Ibn Zubair getödtet. »Unser Herr
Ibn Zubair” ist immer noch ein bedeutender Heiliger der Mekkaner.
Wir haben oben (S. 25) die Bedeutung der Führung des grossen
Pilgerzuges besprochen; während der Regierung des Ibn Zubair,
ereignete es sich '), dass ausser diesem Chalifen der Mekkaner, sich
drei andere »Führer” zum Haddj seitens dreier politischen Parteien
(Omajjaden , Sehfiten , Chäridjiten) einfanden. Gleichwie früher wurde
ein Abkommen getroffen, so dass jetzt jeder seine eigenen Leute
anführte; statt eines entfalteten sich an den Versammlungsorten
vier Liwa » (Anführerfahnen), wie in späteren Zeiten die verschie-
denen Mahmal's beim Haddj von der politischen Zerrissenheit des
Islam ’s jährlich Zeugniss ablegten.
Der Sieg des Haddjädj löste die nicht-alidische Genossenpartei
als solche endgültig auf'); zum Bewusstsein ihrer Kraft und ihrer
Schwäche gelangt, zog sie sich auf das geistige Gebiet zurück,
welches die Gewalthaber ihr nicht streitig machen konnten ; die
Kenntniss der Quräns und der Ueberlieferung , die Entwickelung
des heiligen Gesetzes mussten die Omajjaden diesen geistigen »Erben
des Propheten” überlassen und sich mit der durch das Schwert
errungenen weltlichen Gewalt begnügen. In Medina gründeten sie
1) Tab. 1I:vaI — f und, mit abweichender Datierung, CM 11:235, vergl. al-Ja'qflbf,
ed. Hontema, H : 311.
2) Tab. U:A*f.
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die älteste Schule des Gesetzesstudiums; in der heiligen Wissen-
schaft blieb noch lange Zeit die Stimme der Baramein entschei-
dend. Die Praxis der Machthaber sollte oft genug gegen die Theorie
dieser Autoritäten verstossen, und an Konflikten mangelte es nicht;
die Noth lehrte aber die Doctores bald , nur selten über die theo-
retische Missbilligung hinauszugehen. Sie nährten aber durch ihre
Lehre und ihr Beispiel in den Haramein eine unzufriedene , aufrüh-
rerische Stimmung, und viele von ihnen blieben noch lange sehr
geneigt, Thron prätendenten zu unterstützen, von deren Herrschaft
sie besseres erhofften. Ein ewiger Kampf gegen Medina und Mekka
hätte die Fürsten in weiten Kreisen unpopulär gemacht; solange
keine Gefahr drohte, sahen sie den Einwohnern manches nach. Als
der Chalife Walld 710 zum Haddj durch Medina reiste, liess er
sich von einem Gesetzeslehrer grossen Mangel an Höflichkeit ge-
fallen '). Charakteristisch für die Situation ist folgende Erzählung ’) :
Mehr als ein Omajjadenchalife wollte die hölzerne Kanzel Muham-
meds und seinen Stab (jedenfalls plumpe Gegenstände, die in der
Hauptstadt einen komischen Effekt gemacht hätten) von Medina nach
Damaskus bringen , damit diese Reliquien nicht in den Händen
der »Mörder Othmäns” blieben. Verschiedene Umstände, einmal
gar eine plötzlich eintretende Sonnenfinsterniss hielten sie von der
Ausführung des Vorhabens zurück. Der Chalife Sulaimän sagte , als
er davon hörte: Ich hätte nicht gern, dass man einem von uns so
etwas nachsagen könnte .... »was sollen wir damit? Wir haben
»die Welt genommen und sie ist in unseren Händen : sollten wir
»jetzt eins von den Wahrzeichen des Islam’s begehren ? Nein , das
»wäre Unrecht!”
Medina wurde bei der Wiederherstellung der Omajjadenherrschaft
naturgemäss wieder die Hauptstadt Arabiens; es nimmt daher
nicht Wunder, dass die Chronisten in ihren nach Jahren geordneten
Angaben manchmal nur den Statthalter von Medina erwähnen *);
1) Tab. II : tm ff. 2) IA m : 385—6.
3) Vergl. 2 ß. Tab. II : vof, avI“, 1f. etc. — CM II: 171 ff. zählt nach den besten
Quellen alle bekannten Statthalter Mekka’s für diese Periode auf; ich habe alle Angaben
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hie und da fügen sie hinzu, dass derselbe auch über Mekka und
Täif angestellt war, oder wer in diesen Städten seine Stelle vertrat.
Es waren immer Omajjaden oder treue Omajjadendiener. Manch-
mal wurde es ihnen schwer, mit ihren dünkelhalten Unterthanen
ruhig auszukommen. Als der Chalife Walid (705 — 15) diesen den
Gefallen that, ihnen einen frommen Regenten, den ängstlich reli-
giösen Prinzen Omar ibn Abd al-'AzTz zu schicken, trug Letzterer
den Wünschen der Bevölkerung in solchem Grade Rechnung, dass
die Indisciplin bald ein Gegengift erforderte. Sein Nachfolger Chä-
lid al-Qasrl führte strenge Polizeimaassregeln ein und verletzte
rücksichtslos die religiösen Vorurtheile der Mekkaner1); er war es,
der den Zemzern durch eine Wasserleitung zu ersetzen versuchte.
Jede Schwäche der Behörden wurde ausgebeutet; Rebellion und
Muckerei bildeten die Spezialität dieser Städter, deren Typus sich
unter dem Einfluss der geschichtlichen Vorgänge im Laufe der er-
sten zwei Jahrhunderte des Islam’s völlig umbildete. »Verwöhnte
Leute, untüchtig zum Kriege”1), »Äajofj-trinker”1) heissen in die-
sem Zeiträume die Medinenser, und 7G2 sagt man zu dem in Medina
gegen die Abbasiden aufgestandenen Aliden : «Du bist in einer Stadt
»ohne Geld und ohne Männer aufgestanden” *). Die Mekkaner He-
ssen schon Ibn Zubair im entscheidenden Moment im Stich s); Abd
al-Malik wundert sich 691 , wie man «einen Beduinen *) aus Mekka
«zum Kriegführen aussenden konnte” 7), und ein zur Unterwerfung
Mekka’s ausgesandter Feldherr des eben genannten Aliden sagt
(702) zu einem Warner: »Du Webersohn, vor den Mekkanern
»glaubst du mir Angst einzuflössen ?” •). Energische Statthalter
machen ihrem Aerger über die Frechheit dieser Maulhelden in ver-
Tabari’a and Ibn al-Athir's verglichen, führe die Stellen hier aber nicht an, da aie sehr
leicht aufzufinden sind nnd Fist so ziemlich alle benutzt hat. Zerstreute Daten Boden sich
CM 1 : 397 , 400; II; 36 , 41, 43, 44, 86.
1) CM 1:265— 6, Tab. II: I Hl, Irr.; IA IV: 424— 5; vergl. oben S. 7.
2) IA V : 197. 3) Tab. III : M“f I ; Satelt/ ist oine süsee Mehlsuppe.
4) Tab. HI : Uv. 5) Tab. II: afo f.
6) Beduine heisst hior so viel als Dummkopf; vergl. auch Tab. H : IM7, 2 usw.
7) Tab. II : afo . 8) Tab. II : W. .
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sichtlichen Reden Luft *). Die rigoristischen , aber zugleich charak-
tervollen Chäridjiten fanden hier kein Gehör; einen besseren Bo-
den boten die Haramein den Aliden für ihre heimlichen Umtriebe.
Hier sollte auf eine Geschichte der Schfah hingewiesen werden ;
da diese aber noch geschrieben werden muss, wollen wir jetzt,
theilweise vorausgreifend, die Grundlagen der Macht der Aliden in
Westarabien etwas beleuchten.
Das Wort Schfah , welches nichts anderes als Partei bedeutet *),
wird schon in früher Zeit speciell , dann aber fast ausschliesslich ,
auf die Partei der Aliden angewendet. Mit gutem Grund, denn
sie war seit dem Rückzuge der Genossenpartei und der Besiegung
der Chäridjiten die einzige überall vertretene, immer geheim oder
öffentlich wirkende Opposition. Zahlreich wie Parasiten , zerstreuten
sich die Söhne Ali’s über die islamische Welt; ihr gemeinsames
Ziel war , ihrem Hause den Hauptantheil an dem Besitze des Islam s
zuzusichern. War ja der Hauptgrund von Ali’s Unzufriedenheit
gegen Abu Bekr, dass dieser Grundstücke, welche der Prophet als
Haupt der Gemeinde besessen hatte, nicht als Erbe der Familie Mu-
hammeds betrachten wollte; namentlich die »Gärten von Fadak”
veranlassten Ali zur Bildung einer Partei; noch in späten Zeiten,
wo diese Pflanzungen zu einer Kleinigkeit für den Islam geworden
waren , konnte sich ein Chalife bei den Aliden dadurch beliebt
machen , dass er ihrem Geschlechte dieses arabische Grundstück
zurückerstattete *). Das war dann eine blosse Form , aber die Aliden
1) Tab. n : im, iroa— 1.
2) Die Seitab des Propheten” Ibn Hischäm 323, die „SchCah Othmans” Tab. II : Bf ,
„der Omajjaden” Tab. II: va P, „der Abbasidon” IA V : VI, und zahllose ähnliche Beispiele
Beugen von der Fortdauer des Gebrauchs in allgemeinem Sinne auch in nachqur&ni-
seber Zeit.
3) CM 111:131, IA XII: 275; Ja'qüW ed. Houtsma 11:142, 3ß6. Z. 17. Charak-
teristisch ist die Diskussion der Aliden mit den Abbasiden über die beiderseitigen An-
sprüche Tab. III: 7*1, ft*1*.!., f tJ VJ {., o!*t, *liv, wo nicht eia droit dir- in , sondern die
Vergangenheit und gemachten Verabredungen den Ausschlag gebeu. Vergl. auch den poe-
tischen Streit des Ibn al-Mu ta» mit den Aliden, wo dieser Abbaside ihnen aurult: „Lasset
„die Löwen (d, h. uns) den Kaub zorreissen und sättiget euch dann an dem, was sie
„übrig lassen; wir haben dio Omajjaden in ihrer Wohnung gotödtet, unser sind also von
„Hechts wegen die SpoliaV (CM 111:154 — 6).
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33
strebten immerfort nach dem was »die Gärten Fadaks” zur Zeit
Muhammeds waren: dem schönsten Bissen vom Tisch der Muslime.
Dieser war für die ebenso fruchtbare wie anspruchsvolle Familie
nur dann zu erzielen , wenn sie selbst über den Beutel verfügten ;
der Beutel aber und das Schwert sind nach orientalischer Auflassung
die Prärogative der Fürsten. Darum strebten die Aliden überall nach
der Herrschaft, wo nicht die Machthaber ihnen sehr reichlich die
Hände füllten ; in nahezu allen Ländern standen sie mit den Un-
zufriedenen den Herrschern gegenüber und versprachen jenen das
Beste, wenn sie den Aliden zur Gewalt verhiilfen. Daraus erklärt
es sich , dass die Parteiprogramme der Aliden eine ebenso bunte
Abwechselung darbieten wie die islamische Welt, dass sie so viele
altnationale Elemente des Glaubens und der Sitten beherbergten,
welche der officielle Islam von sich stiess. Von einer religiösen oder
politischen Dogmatik der SchFah kann also nicht die Rede sein;
sogar das Prinzip der Erblichkeit der Chalifen würde vertraten die
Aliden nur in solchen Ländern, wo der Boden dazu geeignet war.
Die verschiedenen Abtheilungen der Alidenfamilie zerwarfen sich
daher manchmal unter sich , weil eine den anderen zu weit oder
auch nicht weit genug ging; die Zerstreuung und auch wohl ent-
gegengesetzte Interessen verursachten bald die Spaltung. Es gab
Zweige, welche ihre eigene Staatslehre, ihre eigene Tradition und
Gesetzeskunde entwickelten; andere nahmen persisches Wesen in
ihren Schutz1); wieder andere waren ganz orthodox und sprachen
nur von der Theilung der //Beute." Jede einzelne Abtheilung hatte
wieder eine vielbewegte Geschichte, sodass ihr von ihrem Ursprünge
nur der Name übrig blieb : ursprünglich bildeten die Zaiditen *)
1) Die Verfolgungen, denen die Häupter der Aliden von Seiten der Behörden ausge-
sotzt waren, wirkten indirekt mit zur Erleichterung ihrer Anbequemung an fremde» Wesen:
schon 762 musste ein Hasanido die Gastfreiheit eines hoidnisohen Fürsten von Sind in
Anspruch nohmen (Tab. III : ), und viele Alidon flüchteten sich in das Land der
Dailamiten, deren Unglaube lange Zeit sprichwörtlich war.
„ •
2) LA V Ms. Leid. 2021, fol. 52 r° Läj!
gjl jülo ; dagegen fol. 98 r°, ab im Jahre
1070 H. der zaiditische Imam von Jemen JJadhramaut eroberte: 3 (sic)
^ W<0
5
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34
einen Gegensatz zu den Rüfiähiten -, im 12*°n Jahrhundert konnte
man die Zaiditen Arabiens als Räfidhilen bezeichnen *), weil sie
dort und damals den Orthodoxen schroff gegenüber standen. Eine
einheitliche Durstellung vom Leben und Treiben der SchPah lässt
sich nur in Bezug auf ein bestimmtes Land innerhalb eines gewissen
Zeitraums geben.
In Westarabien lag der älteste Grundbesitz der Aliden, der erste
Grund zur Bildung der «Partei’’; nicht nur die «Gärten von Fadak”
und ähnliche , welche Ali als Erbe seines Schwiegervaters, des Prophe-
ten nur beanspruchte , sondern auch Grundstücke, welche Muham-
ined ihm geschenkt hatte; die ersten Chalifen fügten denselben des
Friedens halber dies und jenes hinzu, und man kann sich denken,
dass Ali, als er selbst zum Chalifat gelangt war, die Gelegenheit
zur Vermehrung des Familienbesitzes nicht unbenutzt liess1 2 3). Die
Omajjaden suchten sich die transigenten Söhne Hasans und Husains
durch neue Schenkungen dieser Art zu verbinden , weshalb denn
auch Ali, der Sohn Husains die Omajjaden bei ihrer Vertreibung
aus Medina 683 beschützte5); die Dankbarkeit dauerte aber selten
länger als die Furcht. Alle Zweige der Alidenfamilie , auch die Nach-
kommen von Dja'far, dem Bruder Ali’s, waren unter den Grund-
besitzern der heiligen Provinz reichlich vertreten und wurden auch
hier wie der Sand am Meer; obgleich immerfort viele nach reiche-
ren Ländern auszogen , wurden jeder neuen Generation die alten
Grenzen zu enge.
Es versteht sich, dass sie die unzufriedene Stimmung der Städter
nach Kräften nährten; so gewannen sie sich die Zuneigung der
grossen Mehrzahl. Ihre Stellung als Grundbesitzer verschaffte ihnen
schon so in weiten Kreisen Einfluss , und die mit der Zeit zu-
nehmende Verehrung der Person Muhammeds wurde auch auf
1) lbn Jubair 100.
2) Vergl. BelÄdsori, ad. de Oooje, 14; Bekri 174, 417, 706, 804; Tab. II : l“!f (Husain
verspricht Schenkungen f.1,1 7 f!., 10 usw. ; IA V: 170, 172—3;
Mokaddasi 83, lbn Haukal 28 — 9, Istakhrt 21.
3) Tab. H : f.1 .
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35
seine Nachkommen übertragen. Ketzerei und fremde Sitten, wel-
che in andern Ländern den Aliden die Herzen gewannen, hätten
in dieser Umgebung ihre Popularität beeinträchtigt; man verlangte
aber von diesem neuen Adel auch keinen rigoristischen Wandel.
Wie sich anderswo die Aliden und ihre Anhänger vielfach durch
Liebe zum Weine auszeichneten1 2 * * *), so war es auch hier: ein
omajjadischer Statthalter von Medina, droht einer alidischen Frau,
die ihn nicht heirathen will, er werde ihren Sohn wegen des
Weintrinkens bestrafen *), und der nächste Anlass zur alidischen
Empörung in den heiligen Städten 785 war eben eine solche Be-
strafung, «-während man doch in Traq nichts Uebles im Trinken
fand” ’). Nicht alle Einwohner der Uaramein waren alidischer Ge-
sinnung; alle politischen Parteien waren hier mehr oder weniger
vertreten , aber die Beliebtheit des Hauses der Fätimah bei der
Mehrzahl steht schon in der Omajjadenzeit ausser Frage. Die 717
abgeschaffte öffentliche Beschimpfung Ali’s wagte man 727 nicht
wieder einzuführen*); Ali, der Sohn Husains, wurde verehrt *); der
eben erwähnte Statthalter, der eine alidische Frau schlecht behan-
delte, abgesetzt*); als der in 'Iräq aufgestandene Urenkel Ali’s,
Zaid, 740 getödtet war, liess der Chalife nicht ohne Grund sei-
nen Kopf in Medina ausstellen 7), und thatsächlich hatte später die
nach ihm benannte zaiditische Partei in West- und Südarabien
ihre Hauptsitze.
Um diese Zeit und lange nachher war die fruchtbare Gegend
um und westlich von Medina der Focus alidischen Einflusses in
Arabien; den Aliden gehörte Jambu'*), zwischen dem gleichna-
migen Hafen und Medina, und manches Grundstück im benach-
barten Gebiete der Djuhainah (Djehenah)-stämme am Berge Radhwa;
ehi anderes Centrum hatten sie hier in Suwaiqah 9) (Sweqah), von
anderen Ortschaften zu schweigen. Hier zankten sich , zur grössten
1) IA IV : 141, XI: 158 i OT <M‘.) 71 v0 heisst ein Alida „dar Weinachlauch.”
2) Tab. II:lfe.. 3) Tab. III : ooi’ . t) 1A V : 13 , 98.
5) Tab. II : tUf. 6) Tab. U:lWff. Jaqftbt, ad. Houtama 11:375.
7) 1A V: 181 ff. 8) Vorgl. die obon 3. 34, Anm. 2 citierten Stallen.
9) Bekrf 124, 792—3; Kitäb al-Aghäni IV: 91; OT (D) 77 ff , 90-1, 98.
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Freude ihrer Feinde, Hasaniden und Husainiden, ja auch Hasa-
niden unter sich , über die Administration der Besitztümer Ali’s ').
Ueberwiegend war hier die Bedeutung der Söhne Hasans, und,
da diese auch fernerhin in der Geschichte der Uaramein eine her-
vorragende Rolle spielen , wenden wir nur ihnen unsere Aufmerk-
samkeit zu ’). Von den beiden Söhnen Hasans kommt nur Hasan
(auch wohl: Hasan II), der Herr von Suwaiqah, in Betracht ; denn
die Nachkommen des anderen , Zaid , haben sich zuerst den omajja-
dischen und abbasidischen Chalifen gegen ihre Verwandten ange-
schlossen , sodass sie von Letzteren als Spione verschrien wurden 1 * 3 * * *);
im 9ton und 10ton Jahrhundert haben sie die Dailamiten islamisiert
und mit ihrer Hülfe in Tabaristan eine alidische Dynastie gegrün-
det *); dem Lande der Uaramein führten sie nur spärliche alidische
Elemente zu s).
Die Nachkommen des Hasan II haben sich zwar theilweise über
die ganze Welt bis nach Afrika und Chorasan zerstreut, aber die
meisten, und namentlich die Familie von Hasan ’s II Urenkel Abd-
allah af-Qälih e), haben Arabien bevölkert mit nach Tausenden
zählenden kräftigen Geschlechtern 7 * *). Die Echtheit ihrer Abstam-
mung ist im grossen Ganzen unanfechtbar. Trotz der Sorgfalt,
welche man von jeher •) ihren Geschlechtsregistern zuwandte, ka-
men zwar bedenkliche Fälle vor*), und falsche Ansprüche auf ali-
dische Abstammung sind wohl einmal durch die Gewalt der Herr-
scher echten gleichgesetzt l0); aber so leicht solches in entlegenen
Ländern und Grossstädten stattfinden konnte, so schwierig, ja fast
unmöglich war es in Arabien , zumal dieser Adel zwar bedeutende
1) OT (D) 78, 82. 2) OT (M*.) 8 v° ff. (D) 45 ff. 3) OT (D) -19 f.
4) IA VI : 85; Tab. 10. Isao, flfv; IA VUI. 78, 90 ff., 138 ff.; OT (M*.) 63 ff. (D)
63 ff., 71 ff
5) OT (M*.) 28 ¥» — 29 v°, (D) 49 f., 52, 55, 60, 66 ff, 69 . 70.
6) Vergl. Stammtafel I, 9.
7) Vergl. für Westarabion OT (D) 90, 91 ff., 99, 102, 107, 108, 109 ff
8) Tab. in . Hf.
9) Die Genealogen selbst theilen solche mit, z. B. OT (D) 86 ; auch «rw.ilinen sie Falle,
wo die Vaterschaft durch XsLs festgestellt wurde.
10) Einen solchen Fall, wo der Protest des nichts verschlug, erwähnt OT (M*.)
44 r® (D) 116 mit einem sli'j .
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37
Kolonien nach auswärts schickte, aber selbst von dort keinen Zu-
wachs bekam, ln ihrer Umgebung kannte sie jedermann; die Ah-
den selbst aber kannten ihre Verwandten in Arabien, und es war
in ihrem eignen Interesse, fraglichen Ansprüchen misstrauisch zu
begegnen. Ihr ganzes Wesen unterschied sie immer mehr von den
übrigen Menschen : ihre Töchter gaben sie nur ihresgleichen zur
Ehe, sie hatten ihre eigene Kleidung, Waffen usw. ; bei den ech-
ten, viehzüchtenden Arabern mit ihren einfachen Sitten sind ge-
nealogische Irrthümer selten. Ein Zweig dieser Hasaniden , die
BenI Uchaidhir ’), kam im Laufe der Zeit nach Jemämah und ge-
langte dort zur Herrscherwürde; nachdem ihre Herrschaft erloschen,
blieben sie hier sesshaft und »bewahrten ihren Adel, ohne sich mit
»Anderen zu vermischen, aber ihre Stammtafeln sind ihnen unbe-
»kannt; man nennt sie BenI Jüsuf” *); ihre Echtheit war den Ge-
nealogen weniger verdächtig als die mancher angesehenen Aliden-
familie in den Hauptstädten.
Von ihrem Adel konnten die Tausende nicht leben ; wenn die
Grundstücke der Väter den Söhnen nicht genug eintrugen, versuch-
ten sie in verschiedener Weise ihr Glück. Einige haben sich als
Gelehrte, Dichter, Richter, Emire berühmt gemacht; die meisten
aber lebten wie die Kinder des Landes als Dörfler und als Bedui-
nen ’), in der bittersten Armuth ihren Adelsstolz aufrecht erhaltend,
der ja überall als berechtigt anerkannt wurde. Gar viele legten
sich in der Folge auf das landesübliche Handwerk der Räuberei,
und aus diesen Raubrittern sind die berühmtesten Geschlechter
hervorgegangen. Es dürfte manchen Wunder nehmen , dass dieser,
schiesslich nur auf der Religion beruhende, Adel gerade bei den
Beduinen, die sonst als Muster des Leichtsinns und der Skepsis zu
gelten pflegen, so allgemeine Anerkennung fand, dass der vornehm-
ste Beduinenschech sich vor dem ärmsten Schcrife erhebt, ihm die Hand
1) Vergl. Stammtafel 1, 15, 20, 21.
2) OT (Ms.) 14?° (D) 95
3) Voll den Nachkommen de» Hasan II werden z. B. OT (D) 98, 100, 10211. Ge-
schlechter genannt, ron denen es heisst: äj^b mit Angabe des Wohnorts (102 ff.
„ringsum Mekka”).
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küsst und ihm das Beste giebt, was er hat. Die landläufige Vorstellung
von dem Mangel an Frömmigkeit der Beduinen ist aber wenigstens in
ihrer Allgemeinheit falsch, und geht theilweise auf vorurtheilsvolle mus-
limische Städter zurück. *) Letztere können sich eben keine andere
Frömmigkeit denken als die ihrige, welche immer mehr oder we-
niger mit spitzfindiger Kasuistik und Dogmatik verknüpft ist; sie
begreifen nicht, dass die Beduinen, für deren Erziehung Andere
sich nicht sonderlich bemüht haben , sich den Islam in ihrer Weise
assimilieren. Und trotz diesem Vorurtheil, welches den Beduinen
im Auge des Städters von vorne herein als ungläubig erscheinen
lässt, haben wir aus der Zeit Saladins ein unverdächtiges Zeug-
niss *) von Beduinen , deren natürliche , in ganz gesetzwidrigen For-
men sich äussernde Frömmigkeit den Städtern dermaassen imponierte,
dass sie um ihre Fürbitte wetteiferten. Es waren die Sarwstämme
aus Jämen , welche jährlich Mekka mit einem Theile seines Bedarfs
an Getreide, Honig usw. versahen’); vom officiellen Islam wussten
sie nichts, kannten nicht einmal das islamische Vaterunser (Sürah I des
Quräns). Nun ist aber von den frühesten Zeiten bis jetzt die Vereh-
rung der Beduinen gerade für heilige Personen (man nenne dieselbe
religiös, abergläubisch oder etwas von beiden) vielfach bezeugt.
In der Kameeischlacht beriechen die Azditen den Koth des Kameels
»ihrer Mutter Ai'schah” , und er erscheint ihnen wie Moschus *) ; die
Tajj waren die treuen Helfer Ali’s5) und Husains*); wer unter
Beduinen Anhang für eine Partei erwerben will , spielt sich als Hei-
ligen oder Aliden auf7); man denke auch an die Bedeutung des
cJqid‘) bei den heutigen Beduinen und an ihren Heiligenkult •).
Wir kennen jetzt den Boden , auf welchem dem Hause des Pro-
pheten ein immer stärkerer Anhang erstand, der genügte, zur
günstigen Zeit die vorhandenen zweifelhaften Elemente zu gewinnen,
die feindlichen niederzuwerfen. Während der Omajjadenzeit war
1) Vergl. auch Wellhausen, Reste altarabischen Hcidcntumos, S. 192.
2) Ihn Jubair 132 ff.
3) Vergl. auch CM H: 310, 311, 318; 111:12.
4) IA III : 203. 5) IA m 1 182-3. 6) Tab. II : t**.f .
7) Tab. III : rru — 1 , Wo , 1-6.
8) Burckhardt, Bedouins 1 : 297. 9) ibid. 959—60.
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39
derselbe schon recht bedeutend ; als 747 beim Haddj eine chäri-
djitische Bande aus Siidarabien die Fahne der Empörung erhob *),
wusste der Statthalter Mekka’s keinen besseren Ausweg als die
Sendung angesehener Vermittler, unter diesen Abdallah, den
Urenkel Hasan’s II. Mekka fiel ohne Kampf in die Hände des Chä-
ridjiten; Medina widerstand etwas länger; es sollen 700 « Sawiq -
triuker” gefallen sein. Der Empörer wurde aber von Merwäns
Truppen geschlagen und getödtet; die kurze Herrschaft der Rigo-
risten Hess in den Baramein keine Spur zurück «).
Der Verfall der Ouiajjadenherrschall vereinigte viele zerstreute
Theile des Hauses Muhammeds zu gemeinsamer Opposition ; eine
erfolgreiche Mission wurde organisiert, allen Unzufriedenen die Er-
füllung ihrer Wünsche versprochen , wenn ein Mann aus dem
»Hause” zur Regierung kommen würde. Natürlich beherbergte
Mekka manches Haupt dieser Partei; auch wurden hier Zusammen-
künfte gehalten, in welchen man Agitationspläne festsetzte ’); daran
betheiligten sich mit den Aliden die klügeren Abbasiden , welche
dem Propheten als Agnaten gleich nahe standen ; der Vorzug Ali’s
als Schwiegersohn Muhammeds und der Aliden als Muhammeds
Nachkommen musste der politischen Ueberlegenheit der Abbasiden
das Feld räumen. Nach der Besiegung der Omajjaden 750 nahmen
diese die Beute ganz für sich in Anspruch und trösteten ihre alidi-
schen Vettern mit der Aussicht auf reichliche Abfälle ‘). Als der
letzte Omajjadenchalif in der entscheidenden Schlacht den abbasi-
dischen Führer erkannte , soll er gesagt haben : »Gäbe Gott dass
»Ali selbst mich an seiner Statt bekämpfte 1 Ali und seine Söhne
»haben ja keinen Autheil an dieser Herrschaft !” *)
Die nächste Folge der Abbasidenherrschaft für die Baramein be-
stand darin , dass während der Blüthezeit dieser Dynastie die Statt-
halter meistens Prinzen6) aus dem fürstlichen Hause, sonst aber
1) IA V : S85 ff ; CM n : 179 336, Jn'qflbi II : 406. 8) IA V : 886.
3) IA V : 858, 264; Tab. lU:lft“ff.; vergl. auch Ja'qübi 11:392.
4) Vergl. oben 8. 32 Arnn. 3. 6) Tab. HI :r.f .
6) D. h. nicht gerade Söhne von Chalifon , sondern Mitgiiodor des sehr zahlreichen Ab-
basidongeschieohta.
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40
andere ihnen nahe stehende Personen waren '). Medina blieb in
politischem Sinne der Hauptposten, Mekka hatte aber, gewöhnlich
mit Täif vereinigt, manchmal einen eigenen Statthalter; auch fungier-
ten diese Würdenträger in der Regel als Anführer des Haddj.
Die Unzufriedenheit der Aliden äusserte sich bald überall, wo
nicht Schwert und Gift der Abbasiden sie niederhielten, in Unru-
hen und Empörungen; in Westarabien zuerst 762 unter Man?ür.
Abdallah , das Haupt der Hasaniden in der Umgegend von Medina ,
hatte den neuen Chalifen für ihre Schenkungen Ruhe versprochen,
obgleich er und seine Söhne behaupteten , von Manijür betrogen zu
sein, da dieser früher einem von jenen, dem Muhammed*), ira Ge-
heimen gehuldigt habe5). Solche prinzipielle Beschwerden machten
sich aber nur dann geltend, wenn man glaubte, mehr als den
»Rest der Beute" erzielen zu können4); die beiden Söhne Abdal-
lahs, Muhammed5) und Ibrahim5), glaubten, ihre Zeit sei gekom-
men , sich zu solchem Zwecke in Arabien und ‘Iräq eine aktive
Partei zu bilden*): Muhammed blieb in Medina, Ibrahim reiste
nach Küfali; sobald Beide fertig waren, sollte Muhammed als Chalif
proklamiert werden. Kaum hatte Man?ür davon Wind bekommen,
da ordnete er gegen die Brüder eine so energische Verfolgung an ,
dass sogar Muhammed sich manchmal bei den ihm ergebenen
Stämmen am Radhwa-berge nicht ganz sicher wusste 7). Die Hetzjagd
zwang die Zaudernden, hervorzutreten; IbrSbim erschrak vor einem
bösen Vorzeichen*) und behauptete, nur ungern Krieg zu führen*);
Muhammed gewann zwar mit Leichtigkeit Mekka, erlag aber noch
eher als sein Bruder dem allgemeinen Schicksal alidischer Präten-
denten. Bemerkung verdient es, dass die geistigen Erben der »Ge-
1) CM. II : 181 ff. zählt die Gouverneure der nächstfolgenden Poriode auf; auch hier
habe ich dio Angaben Tab.’s und IA*s verglichen, führe dieselben aber nur an, wenn be-
sondere Gründe dazu vorhandon sind.
2) Vergl. Stammtafel 1,5. 3) Tab. HL : lf P ff. ; OT (D) 82 ff.
4) Vergl. Ja'qübl II : 432—3.
5) Vergl. Stammtafel I, 5, 6; Muhammed hatte dio Zunamen: „der Mahdi” und „die
reine Seelo.”
6) Vergl. ausser den eben angeführten Stellen Ja'qübi II : 441 f., 450 ff.
7) Tab. 111:111, 11a ff. 8) Tab. HI: Ml.
Tab. m -.nr.
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nossenpartei”, die Imäme der orthodoxen Gesetzeskunde, Abu
Hanifah und Mälik dieser alidischen Bewegung durch ihre Autorität
Vorschub leisteten. Mehr noch als die Omajjaden waren die Abba-
siden genöthigt, auf die Aliden Rücksicht zu nehmen1); nament-
lich die Haramein erschienen dem Chalifen Mamjür und seinen
Nachfolgern daher als eine höchst schwierige Provinz. Die von
dem Chalifen Mahdi 783 neu eingerichtete Post über Medina nach
Mekka und Jämön s) sollte wohl in erster Linie den Verwaltern
ihre Aufgabe erleichtern. Dies verhinderte nicht, dass drei Jahre
darauf wieder ein Hasanide aus der Gegend von Medina, Husain
ibn Ali 3) aus Jambu', die heiligen Städte mit roher Gewalt heim-
suchte *). Sei es , dass die Unzufriedenheit wegen Verminderung der
Alidengehiilter auch ihn ergriffen hatte, oder dass wirklich Aerger
wegen der Bestrafung eines weiutrinkenden Verwandten der Haupt-
grund war, 786 zog er in Medina gegen die Abbasiden aus, und
als er von dort vertrieben wurde, ging er mit seinen Anhängern
nach Mekka. In Medina soll er schlimm gehaust haben , obgleich
die schfitische Tradition ihn als einen Heiligen darstellt; in glei-
cher Weise wurden fast alle alidischen Empörer nach ihrem Tode
verherrlicht, und die spätere orthodoxe Tradition ist auch in dieser
Beziehung durch und durch schfitisch. Der Anführer des Haddj
von Seiten der Abbasiden grill den Heiligen bei dem */» Stunde
von Mekka entfernten Orte Fachch an und tödtete ihn und viele
seiner Anhänger; daher ist dieser Hasanide in der Geschichte als
»der Märtyrer von Fachch” berühmt geworden. Der Ort, wo er mit
den Seinigen fiel und begraben wurde, wird bis zum heutigen Tag
von den Mekkanern heilig gehalten ; er heisst jetzt es-Schühadä (die
Märtyrer); viele Städter haben dort ihre Sommerfrische, aber nur
Gelehrte wissen , welchem Ereigniss der Ort seinen Namen verdankt *).
1) Tab. m : nr . 2) Vgl. z. B. Tab. III , SM , alv . 3) Tab. III : alv .
4) Vergl. Stammtafel I, II.
6) Tab. UI ;aal ff., cf. U VI:60f; CM 1:435, 501-2; 11:185, 212-3; Ja'q&bi
H 488 ff.; OT <M*.) 22 - 23 r°.
6) NB! der heutige Grossscherif , ein ziemlich belesener Mann, kannte die Geochichto
nicht einmal. Die meisten heutigen Mekkancr glauben, Abdallah ibn Omar sei dertbegnt-
•
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Der Prophet soll einmal , als er an Fachch vorbeikara , gesagt
haben; //Hier wird ein Mann aus meinen Hause mit seinem gliiu-
//bigen Anhang getödtet werden ; vom Himmel werden Leichen-
»kleider und Wohlgerüche für sie herabkommen ; ihre Geister
»werden ihren Körpern vorangehen ins Paradies!”
Die Bevölkerung Mekka’s nahm schon an diesem Kampfe so gut
wie gar keinen Antheil; die enormen Geldsummen, welche die
Abbasiden in den Haramein verschwendeten,1) verfehlten ihren Ein-
fluss auf den Charakter dieser Städter nicht. Zusammen mit den
oben (S. 31) angedeuteten Umstanden machten diese Gaben aus
der Mehrzahl der Mekkaner eine wenig gebildete, aber sehr ein-
gebildete Gesellschaft, welche sich in dem öden Gottesthale be-
rechtigt glaubte, auf Kosten der mehr begüterten Muslime zu
leben, von den Gewalthabern Alles zu fordern und dagegen nicht
einmal Gehorsam zu leisten , immer zum Aufruhr geneigt und im
Grunde dennoch feige. Die Reichthümer, mit denen namentlich
Harun ar-Raschld auf seinen 9 Pilgerzügen um sich warf, zogen
auch viele Fremde nach der heiligen Stadt und beschleunigten die
Zersetzung der Reste altmekkanischen Wesens. Ohne Anstand konnte
Härün einen fr eigelassenen Berbersklaven als Gouverneur nach
Mekka senden *). Die Umgestaltung der beiden altarabischen Städte
in Wallfahrtsorte des Islam’s lässt sich sehr gut an einem litterari-
schen Streite beobachten, der unter der Regierung Amins (809 — 13)
stattfand ’). Der abbasidische Prinz , der damals die Haramein ver-
waltete, verlegte seinen Sitz von Medina nach Mekka, und liess
ben. Als man dem Chalifon den Kopf dos heiligen Rebelion überreichte, soll er sehr
zornig geworden sein (Tab. III : eie); gleiche Entrüstung zeigte Jozid beim Empfange des
Kopfes Husains (Tab. II : !**6a).
1) Vorgl. z. B. CM DI: 99, 111.
2) CM 1:397; II :40, 18C; Tab. ffi:vl*41 — f<. Höchst wahrscheinlich wäre es ihm da-
gegen schon sehr übel geuommon, wenn er, wie soino omajjadischen Vorgänger dies thaten,
christliche Architekten nach Mekka geschickt hätte.
3) MK 97 ff. ; AD 9. Etwas zu stark heisst es M'. Leid. 2021 , fol. 90 r° : „Soit
„dem Jahre 200 dor H. waren die qnraischitischcn Einwohner Mckka's durch die immer
„wioderkehreuden alidischen Aufstände zunichte goworden, und Mekka enthielt statt der
„Quraisch nur dio Anhänger der Hasaniden, einen Mischmasch von Leuten, hauptsäch-
lich aus Abjssinien und Zeile' horstammende Freigelassene."
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43
dort seinen Sohn als Stellvertreter zurück. Vielleicht that er dies
aus persönlichen Gründen, möglich ist aber, dass er selbst die
Aufgabe erfüllen wollte, den in der Ka'bah aufgehängten Vertrag
zwischen Amin und Mamün herauszunehmen und zu verbrennen;
genug, die Medinenser äusserten ihren Unwillen in einem Gedichte,
welches die Vorzüge ihrer heiligen Stadt vor Mekka betonte. Die
Mekkuner bekämpften ihrerseits in einem Gedichte diese Anrnaa-
ssung; erst ein Dichter aus Djiddah stellte das richtige Maass wie-
der her. Mamün freute sich über das glückliche Vorzeichen , dass
ihn gerade von den heiligen Städten die erste Huldigung erreichte ').
Die Regierung Mamüns (813— -33) war eine Zeit von alidischen
Ausschreitungen, namentlich im liidjäz *) und in Jemen. Ein 815
in Hräq als Vertreter bald dieses, bald jenes Aliden hervorgetrete-
ner Feldherr schickte einen Hasaniden nach Medina und den
Hasaniden Husain al-Aftas nach Mekka s). Medina wurde ohne
Kampf gewonnen , und aus Mekka zog sich der abbasidische Statt-
halter zurück; als gleich darauf Ibrahim ibn Müsa, der Bruder
jenes Aliden, den Mamün in seiner schfitischen Periode zu seinem
Nachfolger ernannte, in Jemen einzog, wurde ihm gleichfalls kein
Widerstand geleistet. Er hauste hier in einer Weise, die ihm den
1) Tab. ni:AT.
2) Ich gebrauche diesen Namen hier und fernerhin in dem boi uns üblichen (eigentlich
anrichtigen, vgl. meinen Berliner Vortrag, S. 138 Anin.) Sinn von: Provinz der heili-
gen Städte.
3) Tab. HI : IaI ff. ; IA VI : 215, CM II : 238. Die Namen der Husainiden, wclcho hier
für uns von Interesse sind, findet man in folgender Tafel fett gedruckt:
Ali X Fatimah
„I
Hämin
I
Ali
|
Muhammed Ali
I I
Dja'far ao-C8diq Hasan
, | , I
Husain al-Afta«
MlUa Muhammed nd-Dihüdj
Ali Kidha Ibrahim
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Beinamen »Schlächter” zuzog1); Husain al-Aftas nahm inzwischen
das in der Ka'bah vorhandene Gold und plünderte die Mekkaner
unter dem Vorwando, die ihnen geraubten Güter seien Pfände der
Abbasiden *). Da er nun die Nachricht vom Tode seines Senders
in 'Iräq erfuhr , huldigte er dem in Mekka anwesenden Muhammed
ad-Dlbädj, in dessen Namen er auch ferner wahre Schandthaten
verübte. Die alidischen Schriftsteller behaupten , Muhammed selbst
sei unschuldig gewesen; dem widerspricht aber allerlei. Endlich
wurde dem Terrorismus durch eine Armee Mamüns ein Ziel ge-
setzt; Muhammed und seine Anhänger mussten fortziehen. Als er
am Berge Radhwa eine Zuflucht gefunden hatte , fing er gleich an ,
von dort aus gegen Medina zu agieren; schon 816 musste er aber
Mamün um Verzeihung bitten, welche dieser ihm gewährte.
Gegen den »Schlächter” lbrählm , dessen Bruder jetzt schon als
Thronfolger galt, musste 818 der neue Statthalter Mekka’s die Stadt
zur Gegenwehr in Stand setzen, und auch diesmal hielten dazu,
wegen Mangel an anderen Mitteln , die heiligen Schätze her ’). Der
Schlächter eroberte die Stadt, musste aber bald nach Jemen zurück-
kehren und verlor dann die kaum erlangte Herrschaft. Ausser in
diesen Raub- und Mordscenen zeigte sich Mamüns Abhängigkeit von
den Aliden noch darin , dass er zwei Nachkommen Ali’s als Gou-
verneure über Mekka einsetzte *). Tiefe Wurzeln hatte die Aliden-
verehrung schon geschlagen , da die Ritter sich ohne Bedenken
über alle Schranken der Religion hinwegsetzen durften, auf welcher
gerade ihr Adel beruhte.
ln der 60jährigen Periode nach dem Tode Mamüns eilt das
Abbasideureich seiner Auflösung entgegen. Die Chalifen behaupten
sich zuerst durch stetige Vergrösserung ihrer Privatarmee von Tür-
kensklaven , werden aber dadurch von diesen Banden und ihren
Anführern ganz abhängig, bis zu Anfang des 10ten Jahrhunderts
1) CM n : 189, 190, 239. 2) CM 1, 172-3; T»b. HI , l.w— 1 .
3) CM 1: 168; JVqöht II ; 514.
4) CM TI • 191 — 2; Tab. 111:1.1*1. Andere alidische Bewegungen in Jemen unter
Mamün Tab. HJ: I.W— I“.
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45
Letztere als Fürsten das Centrum des Reiches verwalten und ihren
Herren nur den Namen übrig lassen. Damit ging eine rasche
Decentralisation , die Entwickelung der grössten Provinzen zu selb-
ständigen Reichen Hand in Hand. Endlich regten sich in der all-
gemeinen Verwirrung die Aliden freier und kräftiger als zuvor ,
während durch all diese Unruhen die Verkehrswege unsicher wurden
und die Fälle von Hungcrsnoth und Theuerung sich häuften. Von
alledem bekam Mekka seinen Antheil.
Administriert wurde die Stadt allerdings noch meistens von
abbasidischen Prinzen niedrigeren Ranges, und diese leiteten auch
das Haddj; wie sehr dieses Amt aber herabgesunken war, zeigt
schon die Thatsache, dass zwischen ihnen und dem Chalifen häu-
fig andere mit der Statthalter- oder vielmehr Vasallenwürde beklei-
dete Personen als ihre Vorgesetzten auftraten. Manchmal (z. B. in
den Jahren 847 '), 868 *) und 870 ’) waren dies fürstliche Prinzen,
denen wohl nur der Titel zu Theil wurde; mehr Bedeutung hatte
es, dass der Chalif den türkischen Heerführern Aschnäs*) und
Itäch8), als sie 841 und 849 nach Mekka pilgerten, die Ober-
hoheit über alle Provinzen gewährte , welche sie durchreisten : man
sah schon , in welche Barbarenhände allmählich das Schicksal des
Islam’s gelegt wurde, um so deutlicher, da Aschnäs den Sultanstitel
fülirte •). Auch bekamen die Mekkaner schon wiederholentlich den
Vorgeschmack des Elends , welches der Mangel einer kräftigen cen-
tralen Autorität dieser internationalen Stadt bereiten sollte. Der
//Scheusliche,” der als Pseudo-alide seit 869 7) mit seinen schwar-
zen Sklavenbanden Ostarabien und cIräq verheerte, wusste zweimal
(879 und 882) durch seinen Vertreter die faktische Oberhoheit über
Mekka zu gewinnen, und der Feldherr, der ihn beide Male ver-
trieb, war selbst nicht gerade immer der gehorsame Diener des
Chalifats'). Ein anderes Mal (883) waren es einerseits die Trup-
1) Tab. UI= «VI CM 1 = 240 cf. 209.
2) CM n : 196. 3) Tab. HI : Lf I— r .
4) Tab. III : Ma— 1. B) Tab. 111 : ItV“ .
6) So heisst es wenigstem CM Ul : 127. 7) Tab. 1U : Ivf f ff.
8) Tab. Ufr; CM ü: 201.
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46
pen des unter bloss nomineller Oberhoheit des Chalifen Egypten
beherrschenden Tuluniden , andererseits die Vertreter der Autorität
des in Persien noch selbständigeren ^affariden , welche sich beim
Uaddj in den Strassen Mekka’s wegen des Vorranges bekämpften ’);
die Zeit war vorbei , wo Alle sich beim Pilgerfeste um die eine
Fahne des Chalifen schaarten ; was früher Ausnahme war *), wurde
fast zur Regel , dass sich nämlich auf der Ebene von 'Arafat mehrere
Banner von konkurrierenden Fürsten entfalteten , und nur selten
blieb die heilige Stätte dabei vom Kampf verschont. Ob denn die
Bevölkerung Mekka’s selbst sich zu alledem bloss passiv verhielt?
Nicht ganz; namentlich beim letztgenannten, blutigen Kampfe
betheiligten sich gewisse Mekkaner ganz energisch, und im Hin-
blick auf die öfter berührte allmähliche Umgestaltung der Ein-
wohnerschaft ist es interessant zu erfahren , wer diese waren. Im
alten Mekka, auch in den ersten Jahren des Islam’s, hätten in
solchem Falle die edelsten Geschlechter der Quraischiten ihre Rolle
gespielt; jetzt war die Frage, für welche von den Parteien die
Fleischer- und die Getreidehändler zunft eintreten würden , und ihre
Hülfe wurde den Egyptern für tjutes Geld zu Theil. Einige Jahre
früher hatten die beiden Zünfte mit einander in der heiligen Stadt
gekämpft und sich kaum zu einer Waffenruhe während des Haddj
überreden lassen *), und ein Jahrhundert später benutzte das näm-
liche Gesindel die Namen der SchFah und Sunnah als Anlass zu
Raufereien 1 * 3 4). Die politischen Missstände brachten aucli für dieses
arme Land Jahre des Hungers (z. B. 874 und 880) mit sicli ');
ausserdem streiften im Hidjäz und auf den Pilgerstrassen raub-
süchtige Beduinen*). Daher wurde regelmässig ein Statthalter mit
der Sorge für die Sicherheit des Mekkaweges beauftragt T); man
1) Tab. III: tut“— f ; CM II: 198 f, 240; nach Tab. HI : lt“r hätte auch schon iwei
Jahre vorher ein ähnlicher Kampf stattgehabt.
9) Vergl. oben 8. 29, 39.
3) Tab. IM : 'I.a, CM n s 240; 1 : 348. JH : 145.
4) Mokaddasi 102, cf. CM II =14. 5) CM II: 310, Tab. HI : IaaI.
6) Tab. III : irTo ff., llff , Hfl ; CM H : 240.
7) Tab. III: lt“o1 , UV.
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47
findet dies Amt sachgemäss mit der Statthalterschaft der öst-
lichen Provinzen Arabiens vereinigt *). Die Aliden Arabiens , wel-
che auch gelegentlich das Pliindern zu den ihnen gebührenden
Abfallen rechneten, thaten sich bei jenen Raubzügen energisch
hervor.
Während der Regierung des Chalifen Mutawakkil (843 — 61)
war cs z. B. ein Hasanide aus der uns bekannten Familie des
Llasan II , Muhammed , der Dichter *) genannt , welcher den Pil-
gerzügen gewerbsmässig den Weg verlegte. Rücksichtlich einer der
von ihm verübten Plünderungen liegt uns eine hübsche Erzählung
vor s) : eine vornehme Pilgerinn aus Baghdad , die im Namen sei-
nes erlauchten Ahnen, des Propheten, sein Erbarmen erflehte,
bewegte sein Herz dermaassen, dass er ihr alles Geraubte schenkte
und ohne Beute heimkehrte. Später, als er seine Sünden im Ker-
ker Mutawakkiis büsste, kam ihm dies zu statten. Die Dame be-
suchte ihn häufig und wusste es zu vermitteln , dass ein Lobgedicht
vom poetischen Räuber auf Mutawakkil Letzterem überreicht und
der Dichter infolge dessen begnadigt wurde.
Allüberall regten sich inzwischen die Aliden ; sie gaben ihre
Stimme bei der Wahl des Nachfolgers Mutawakkiis *) ab , und die-
ser lohnte ihnen mit einem Reskript an seinen Statthalter in Me-
dina, welches die Weisung enthielt, die Aliden recht gut zu be-
handeln 5). Seit 864 folgt in 'Iräq eine alidische Empörung der
anderen *), und gleichzeitig ersteht in Tabaristan mit Hülfe der
durch Aliden islamisierten Dailamiten eine bedeutende hasanidische
Dynastie’). Natürlich ging Mekka nicht leer aus. Isnm'Il ibn Jüsuf*),
wieder ein Abkömmling Hasan ’s II, fiel 865 in Mekka ein *),
1) Tab. 881 bekam eiu emfluasreichor Beäuinenschech (von den Tajj) dieses Amt
Tab. in . rt .1 .
2) Vergl. Stammtafel I, 16. 3) OT (D) 95—7, (M>.) 16 r° — v°.
4) Tab. in : te.r. 5) Tab. IH : Ifll .
6) Tab. HI : lote ff., IHvff., tv.1, UM.
7) Tab. lUiteir— IT, 10*0—1, l*W— f, 1111“— f, |Af., Im., Uaf ff., Ilf . .
8) Vergl. Stammtafel I, 20.
9> Tab. m.llff— o, 11*1; Ja'qöbt 0:609-10; CM 1:343, II ; 10, 195, 239-40,
111:145; OT (I)) 91-2 (M») 12 t°.
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48
verjagte den abbasidischen Statthalter, plünderte dessen Wohnung
und die Häuser aller Regierungsfreunde, nahm Alles, was sich an
Werthsachen in der Ka'bah faud, und eine eben aus Baghdad ein-
getroffene Geldsumme für die Ausbesserung der Wasserleitung, be-
gab sich dann nach Medina , wo er in ähnlicher Weise seine Adels-
rechte geltend machte, kam abermals nach Mekka zurück, besuchte
auch Djiddah, um dort den Kaufleuten und Schiftern ihre Habe
zu nehmen , und feierte zum Schluss das IJaddj allein mit seiner
Gesellschaft, da kaum ein Mekkaner sich herauswagte. Nachdem
ihn die Pocken 866 weggerafft , setzte sein Bruder Muhammed >)
sein Werk fort, wurde aber bald von einer Armee des Chalifen in
die Flucht geschlagen und zog nach der Provinz Jemämah. Hier
hatte er besseres Glück , denn bei seinem Tode hinterliess er den
Seinigen die erbliche Würde des Emirs *). Man ersieht aus dieser
Geschichte, wie wenig rücksichtsvoll die Mekkaner von dem neuen
Adel des Landes behandelt wurden. Die Bevölkerung der heiligen
Städte, deren Parteinahme zur Grösse der Aliden mitgewirkt hatte ,
war eben nur noch durch wenige Geschlechter vertreten ; die Uebri-
gen waren Städter von der Art, auf welche alle echten Araber
mit Verachtung herabsehen. Letztere , namentlich die Beduinen ,
bildeten längst den hauptsächlichen Anhang der Aliden; von den
Bewohnern der heiligen Städte verlangten diese nicht viel mehr als
Furcht und Gehorsam.
Gegen mehrere Verwandte Ismails sah sich der Chalife veran-
lasst einzuschreiten ; 869 liess er dessen Oheim Müsa II s) in Su-
waiqah auf heben , und nach Baghdad führen 4). Als unterwegs
Beduinen zu seiner Rettung anrückten, soll ihn sein Begleiter
vergiftet haben ; die Araber befreiten aber seinen Sohn Muhammed *),
den Stammvater fast aller //Scherife von Mekka.” Kurz darauf
ward Medina auf einige Jahre der Schauplatz eines Kampfes um
die Herrschaft zwischen Hasaniden, Husainiden und Djaffariden *).
Es ist leicht abzusehen , wie eng das Schicksal des Hidjäz bei der
1) Stammt. I, 81. 8) Vergl. oben S. 37.
3) Stammtafel I, 13. 4) OT (D) 106-7.
6) Stammtafel 1, 18. 6) Tab. III : llf I , f./T—f, ri.o .
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49
weiteren Desorganisation des Chalifenreiches , mit der Geschichte
jener drei Familien verknüpft werden sollte. Zunächst drängt aber
eine andere Gewalt diese Wirkung noch ein wenig zurück. In dem
Bericht über das Ende der eben besprochenen Periode von unge-
fähr 60 Jahren (891) finden wir die ersten Angaben über die
Qarmatensekte ■).
Die innere Geschichte dieser neuen Religionsgemeinde bleibt uns
verborgen, da fast nur höchst parteiische Berichte von Gegnern
vorliegen. Soviel steht aber sicher, dass die Bewegung ursprüng-
lich eine pseudo-alidische war, d. h. für ihre Zwecke schfütische
Neigungen ausbeutete, und dass sie in einer esoterischen und
exoterischen Lehre die Mittel besass, sich verschiedenen religi-
ösen und abergläubischen Bedürfnissen anzubequemen. Für un-
seren Zweck haben wir es bloss mit der negativen Seite der
Qarmatenbewegung zu thun : nicht was die Führer gründen , son-
dern was sie vernichten wollten, interessiert uns hier; und dar-
über herrscht kein Zweifel. In ‘Iräq und Persien, in Syrien,
Süd- und Ostarabien (Jemen und Bahrain), überall bekämpfen die
Qarmaten den officiellen Islam , und überall ist ihr nächstes Ziel
die Zerstörung des Abbasidenchalifats , welches sie immer noch als
den politischen Hort der bekämpften Religion betrachten. In kurzer
Zeit erreichten sie glänzende Erfolge, und als sie in Bahrain ein
mächtiges Reich gegründet hatten, glaubten sie dem zuckenden
abbasidischen Körper auch in Mekka einen empfindlichen Stoss
versetzen zu müssen. Wenn sie einmal durch die That bewiesen ,
dass Mekka sich keines speciellen Schutzes von Allah rühmen durfte ,
wenn sie den Fetisch der arabischen Religion , den schwarzen Stein ,
siegend davontrügen, so hätte der Islam eine unheilbare Wunde
im Herzen. In dieser falschen Erwartung verlegten sie nun zunächst
von 916 an den Pilgerzügen den Wegs); diese waren bekanntlich
längst an keine ullzugrosse Sicherheit gewöhnt, und hatten zuletzt
]) Tab. III : fiff — I". . Vcrgl. über die Geschichte der Qarmaten: M. 3. de Goeje,
Memoires d’ histoire et de giograpbio orientales (2. cd ) , N° 1, Leide 1886.
8) De Goeje, Lo. S. 84— 5.
7
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50
von Seiten der Tajj -stamme mehrere Angriffe erlitten '). Jetzt wurde
die Wallfahrt manches Jahr geradezu unmöglich. Die Anfänge der
Qarmatenwirthschaft (um 891) eröffnen für den Hidjäz eine unge-
fähr siebzigjährige Periode chaotischer Verwirrung, die sich erst
von 960 an allmählich etwas klärt. Die nominellen Oberherren der
heiligen Stadt, deren wirksame Autorität hier schon so äusserst ge-
ring war , lebten in ihrer eignen Residenz in so bedrängter Lage ,
dass der Nothschrei der Mekkaner kaum ihre Ohren erreichte. Als
Letztere 906, durch die Machtentfaltung der Qarmaten in Jemen
geängstigt, eine Gesandtschaft mit der Bitte um Hülfe nach Bagh-
dad schickten , beauftragte die Regierung einen freigelassenen Sklaven
des Chalifen , der seit 894 *) über Mekka bestellt war , mit einer
Sendung nach Jemen zur Niederwerfung der Feinde. Der nach
dessen Tode 910 ihm in Jörnen nachgefolgte Ihn Mulähiz wird wohl
nur desshalb als »Sultan von Mekka” bezeichnet, weil es während
all dieser Unruhen in Mekka keinen Vertreter des Chalifen gab.
So blieb es, bis die Qarmaten Mekka eroberten, denn auch der
berühmte türkische General des Chalifen , Münis , der Bekämpfer
der Qarmaten, wurde zwar 912 u. A. mit dem Hidjäz belehnt , war
aber nur Statthalter in partibut ’) ; und beim Jahre 918 erfahren
wir zufällig, dass ein Qädhl Muhammed ibn Müsa, welcher als
Aufseher der letzten Vergrösserung der Moschee thätig war, fak-
tisch die Stadt verwaltete *). Die Chronisten wissen nicht einmal
genau, wie der Mann hiess s), der diese Stellung innehatte , als 930
zur Wallfahrtszeit 1500 qarmatische Krieger die Einwohner und
Pilger zu Tausenden niedermetzelten , alle Heiligthümer entweih-
ten, den schwarzen Stein aus der Ka'bah herausbrachen und
nach Bahrain fortschleppten. Diesen schrecklichen Ereignissen zum
Trotz glauben die frommen Muslime bis zum heutigen Tag , Mekka
sei durch die Hülfe Allahs im Stande, jeden Feind von aussen
1) Z. B. 899 und 900, IA VII: 338— 9j Tab. III : 1*111 .
2) CM II : 202 — 4 zählt Fäsi die ihm bekannten Statthalter dieses ganzen Zeitraums
auf; der oben erwähnte hiess ^ (= -äIm) ; vergl. auch CM 1:342;
111:144; Tab. 111 : IT.f , WaI; IA VIII : 9^ sein Tod IA VUI : 47-
3) IA VT.TI : 56. 4) CM 1 : 344. 5) Vergl. de Goeje, 8. 104 — 5.
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51
abzuwehren. Die Gelehrten, welche allein von jener erschütternden
Ausnahme Kenntniss haben, erklären den Fall durch ein Wunder;
etliche hundert Ungläubige, sagen sie , werden Tausenden gegenüber
unwiderstehlich , sobald der unergründliche Wille Allahs sie als In-
strumente braucht *). Wären die Mekkaner nicht feige gewesen , und
hätten die Chnlifen statt Geld zur Erweiterung der Moschee Männer
nach Mekka geschickt, so hätte Allah sein Haus kaum dieser Ent-
weihung preisgegeben.
Der Gedanke einer Eroberung Mekka’s lag den Qarrnaten fern;
sie wollten hier nicht reformieren , nur zerstören , nicht eigentlich
Mekka, sondern den Chalifen und seine Religion treffen; was wei-
ter aus der Stadt wurde, kümmerte sie nicht. In ihrer Erwartung
von den Erfolgen des Raubes des schwarzen Steines sahen sie sich
getäuscht; die Ka'bah blieb nach wie vor das Ziel der frommen
Pilger. Diesen wurde noch einige Jahre lang der Weg zum Hei-
ligthume unsicher gemacht *); seit 939 hielten die Qarrnaten es
aber für vortheilhafter , den Wallfahrern gegen hohe Geldsummen
den Durchzug zu gestatten *) , und im Jahre 950 lieferten sie
sogar den schwarzen Stein zurück *). Einige muslimische Historiker
nennen vermuthungsweise einen Abbasiden als den Gouverneur
von Mekka, der bei der Zurückbringung des Steines zugegen
war 5). Damit sind ihre Daten über die Verwaltung der Stadt wäh-
rend des ganzen jetzt von uns besprochenen Zeitraums zu Ende.
Der Hidjäz wurde bei der Zerstückelung des Chalifenreichs , vom
Gesichtspunkte der grossen muslimischen Politik betrachtet, gleich-
sam ein herrenloses Gebiet , das man ebenso wie den grössten Theil
Arabiens, als entlegen und unergiebig, seinem Schicksal überliess;
in unseren Tagen ist es ja mit dem Lande, ausser einigen Küs-
tengegenden und den Haramein , ganz ebenso bestellt. Den Annali-
sten konnte es gleichgültig sein , wie die zahllosen kleinen Emirate
hiessen , welche dort in stetem Wechsel und Kampf ihr kurzes Da-
sein verbrachten ') . In Bezug auf Mekka und , wegen der Moschee
1) AD 17, vgl. eine ähnliche Erklärung anderer Ereignisse, de Goeje, 8.98, Anm. 1.
2) de Goeje, 8. III ff. 3) de Goeje, S. 137 ff., 140.
4) de Goeje, S. 146. S) CM III: 166.
6) Oben S. 37 sahen wir z. B., wie die alidisehon Genealogen zufällig eine Notiz
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52
und der Grabstätte Muhammeds, auch auf Medina, blieb aber
die Ausübung gewisser Oberhoheitsrechte für die Fürsten des Is-
lam’s immer von Bedeutung. Von jeher wurde hier im Freitagsgottes-
dienste für das Heil des regierenden Chalifen gebetet; dieses Gebet
war in allen Ländern zum Symbol des Gehorsams der Bevölke-
rung geworden , an diesen heiligen Stätten legte die öffentliche
Meinung demselben ausserdem eine besondere Wirkung bei. Am
jährlichen Pilgerfeste spiegelten sich immer die politischen Zu-
stände in der grossen Versammlung in der Ebene 'Arafat ab; der-
jenige, dessen Stellvertreter hier als Führer auftrat, war in den
Augen der Menge der Oberherr der Gläubigen; bedeutenden po-
litischen Empörungen entsprach auf diesem Boden die Zertheilung
der Pilgermenge in verschiedene Gruppen je unter ihren Häuptern
oder gar im Kampf um den ersten Rang. Wer sich hier nicht zu
behaupten wusste, verscherzte in allen muslimischen Gebieten, die
beim Haddj vertreten waren, einen Theil seines Ansehens. Die
Ehre, Beschützer der Uaramein zu heissen, wurde daher zum
Zankapfel zwischen den vielen selbständigen Reichen, welche auf
den Trümmern des Chalifats entstanden ; bei ihrem Wettbewerb
kam es vor, dass mehrere konkurrierende Fürsten sich gleich-
massig als die mächtigsten Vasallen des Chalifen geltend machen
wollten, während andere als offene Gegner des Schattenchalifats
hervortraten. Den Ausschlag gab manchmal die Stärke der Heeres-
abtheilungen , welche die Fürsten ihren Pilgerkaravanen zum Schutze
mitgaben; nicht weniger bedeutend war aber die Gesinnung der Mek-
kaner selbst , d. h. deijenigen , welche sich dort zur höchsten Gewalt
emporgeschwungen hatten. Sehr einfach waren die Motive , welche die
Parteinahme dieser Herren bestimmten : der Fürst, der ihnen die gröss-
ten Geschenke gab, dessen Land der heiligen Stadt die meisten Lebens-
bedürfnisse zuführte und dessen Macht sie am ersten erreichen konnte,
kurz der ihnen die grösste Hoffnung und Furcht einflösste , konnte
sich auf ihre Zuneigung verlassen. Standen sich mehrere in dieser
über ein Emirat in Jomum&h im 3ten Jahrhundert der üidjrah bewahrt haben, weil
die Emire oiner grossen Alidonfainilio angehörten; sehr häufig heisst es in OT von einem
Alidengeschlechto , dass soino Mitglieder mächtige Emire in dieser oder jener Gegend vom
Hidjaz, von Jemfen oder CentraUr&bien geworden seien.
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53
Hinsicht gleich , so vermittelten die Herren Mekka’s ein Abkom-
men, durch welches keine Partei sich für zurückgesetzt hielt.
Die Wirkung der hier skizzierten Verhältnisse fing in unserer
Periode (891 bis gegen 961) erst an. Schon vor dem völligen Zu-
sammenbruch des Chalifats, den die Orientalen auf 936 ') ansetzen,
zeigte sich unter den Tuluniden die hervorragende Bedeutung
Egyptens für den Hidjäz. Die Qarmatenwuth stellte dann aber eine
Pause in der Entwickelung der auswärtigen Beziehungen Mekka’s
dar. Gleich nachdem die Wege nach der heiligen Stadt wieder
geöffnet waren , bekämpften sich fast jährlich bei Mekka die Führer
der Pilgerzüge aus Egypten und aus Baghdad: diese vertraten die
Bujidensultane , welche die Abbasidenchalifen dermaassen schützten ,
dass sie sich nicht rühren konnten ; jene vertraten die in Egypten
herrschende Dynastie der Ichschididen , welche keinem fremden
Sultan zwischen sich uud dem Chalifen Hoheitsrechte zuerkennen
wollte Bald gewannen diese, bald jene den Ehrenplatz, bald
mussten sie sich (z. B. 970) darein theilen; auf die Dauer behielt
aber Egypten die Oberhand , und der Osten musste sich seit 981
sogar einige Jahre gänzlich von der Wallfahrt zurückziehen. Die
egyptische Macht, welche dies erwirkte, war aber längst nicht mehr
die der Ichschididen, denn 969 hatte eine neue, mächtige Dynastie
von dem Nillande Besitz ergriffen »).
Seit dem Jahre 909 begegnen wir in Westafrika den Anfän-
gen eines Reiches, dessen Gründer Obaidallah das Haupt jener
neuen Religionsgemeinde war, zu welcher die Qarmaten zählten;
gleichviel woher er stammte: den Seinen galt er als Nachkomme
von Ali und Fätimah , daher seine Dynastie als die der Fatimiden.
Seine Nachfolger rücken immer weiter nach Westen vor, bis es
ihnen 969 gelingt, Egypten zu erobern; Mu'izz verlegte dann
hieher den Sitz seiner Regierung. Der Zusammenhang dieser Fati-
miden mit den Qarmaten wurde immer lockerer, und sobald jene
zur politischen Macht gelangt waren , lehnten sie ihre Solidarität
1) 1A VIII : 211 f., 875.
2) Vergl. IA VIII: SSO. S82, 451 j CM 11:843— 4.
3) IA VIII ; 435 , 456.
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54
mit irgend einer Partei in kluger Weise ab1 2 * *). Schon 918, also
längst bevor sie Egypten eroberten, suchten sie vergebens ihre
Stellung durch das Protektorat der Uaramein zu kräftigen ; iiu Hidjäz
traute man ihrer Macht nicht genug s). Jetzt aber, wo sie als ali-
disebe Gegenchalifen den machtlosen Abbasiden und deren Buji-
denerairen gegenüberstanden , forderten sie den Ehrenplatz in Mekka
als ihr Recht. Im Jahre 969, sagen die Chronisten, erwarben die
Fatimiden beim Haddj um theures Geld den ersten Rang mit
Ausschluss der Abbasiden, und seitdem gehörte in den Uaramein
die Ehre der Erwähnung im Freitagsgebete dem Meistbietenden ’).
Dies gilt im weitesten Sinne; in den nächsten Jahren z. B.
entschied der Kampf beider Parteien ; als aber die Mekkaner 976
beim Thronwechsel in Egypten mit der Huldigung zurückblieben,
liess der Fatimide die Stadt belagern und die Zufuhren von Egypten
einstellen '). »Der Hidjäz ist immer von Egypten abhängig wegen
der Lebensmittel” schrieb wenige Jahre später ein Geograph 5) ;
fand die übliche Nilüberschwemmung nicht statt, so gab es in
Mekka ein Jahr der Ilungersnoth “). Von verschiedenen Seiten
wurden der armen Stadt wegen der an und für sich so unbedeu-
tenden Ehrenstellung am Freitag und beim Haddj Gaben und
Drohungen entgegengehalten , und die lokalen Autoritäten ent-
schieden sich gewöhnlich für das, was ihr persönliches Interesse
als wünschenswerth erscheinen liess.
Wer waren aber diese Herren , die von ihren //Beschützern”
allerseits bald verlockt, bald bedrängt wurden? In dem siebzig-
jährigen Zeiträume, den wir jetzt durchwandert und ab und zu auch
schon überschritten haben, war diese Herrschaft gerade im Werden
begriffen. Die Angaben über die Verwaltung Mekka’s waren , wie
wir sahen, weniger als dürftig; die Zustände wiesen meistens auf
totale Anarchie hin. So war es; aber solche Verhältnisse konnten
nur dazu dienen, die Keime alidischer Herrschaft, welche wir in
1) Vergl. IA VIII:« mU!' er O* v-Äl', vorgl. ISO.
2) TA VIII : 83—4. 3) CM II : 245, cf. MK «0.
4) 1A VIII : 491, CM II : 246. 5) Mokaddasi 104.
6) CM II : 310.
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55
früheren Jahren im Hidjäz beobachteten , zur Entwickelung zu
bringen.
Wie hold lächelte das Glück den Aliden in dieser Periode! Im
Lande der Dailamiten und Tabaristan behaupteten sie ihre Macht '),
welche schon 897 dem Chalifen gewaltig imponierte *). Als die dort
regierenden Hasaniden ihren Verwandten in den Landern des Cha-
lifen grosse Geldsummen zuschickten , glaubte dieser dagegen ein-
schreitcn zu müssen; er Hess sich aber (895) zur rechten Zeit durch
einen Traum , in welchem ihm AH erschien , davon abhalten *). Dieser
Traum war ebenso zeitgemäss wie der, den ein Jahrhundert später
der Chalif Qädir träumte, als die Dailamiten seinen Vorgänger des
Thrones entsetzten: auch ihm erschien Ali und sprach: «Diese
»Herrschaft wird dir zufallen, und dein Leben dabei verlängert wer-
»den; thue aber meinen Nachkommen und meiner Schfah wohl!”4).
Diese Bedingung bekam volle Geltung, seitdem (945) die daila-
mitische Familie der Bujiden die unumschränkte Gewalt in Baghdad
erworben halte5). Sie Hessen zwar die Abbasidenchalifen , welche sie
nach Belieben ein- und absetzten , in ihrem Palaste ein Zerrbild der
alten Herrschergrösse darstellen, zeigten aber gleich durch allerlei
Anordnungen, dass sie, wie alle ihre Landsleute, gute Schfiten
waren *). Unter solchem Schutze trat nun überall der bekanntlich
längst vorhandene Einfluss der Aliden unverhohlen zu Tage. In
Baghdad machten die Sehfiten bald herausfordernde Kundgebungen
und entstanden infolge dessen Strassenkämpfe , welche sich mehr
als anderthalb Jahrhundert hindurch regelmässig wiederholten7);
der Sturm wurde sogar den Bujiden selbst mit der Zeit zu mächtig,
und die Seldschuken, welche ihnen in der Sultanswürde nachfolg-
ten, brauchten lange Zeit, bis die verwöhnte »Partei” sich wieder
zur Ruhe bequemte. Der schon vorhin bedeutende Einfluss der
1J Vorgl. oben 8. 47; IA VIII : 60. Gl ff, 78, «1, 42t, 443.
2) Tab. IH : fU.
3) Tab. III : flfv ; vergl. noch Tlöl , IT.. — I, 17«\, fftt“ .
4) IA IX = 57. 5) IA VUI : 340.
fl) Vergl. IA VIII: 403 , 407 , 413 usw.
7) Vergl. z. R. IA IX: 119, 126, 146—7 , 216—7 , 248 usw. und IX: 329.
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Alidenbäupter auf die Chalifeuwahl ') vermehrte sich unter diesen
Umständen '). Schon vor der Bujidenherrschaft benutzte man (z. B.
935 ’)) mit bestem Erfolge die Dienste der allgemein verehrten Aliden
zur Sicherung des Lebens der Mekkapilger; die Wegelagerer waren
ja zum grossen Theil ihre Verwandten! Der Vertrag von 939, kraft
dessen die Qarmaten die Wege gegen gewisse Abgaben eröffneten,
kam durch alidische Vermittelung zu Stande; unter den Bujiden
wurden die Häupter der Aliden von 'Iräq regelmässig als Emire
des Pilgerzuges angestellt; sie waren es, die in Mekka die Sache
der Bujiden gegen Ichschididen und Fatimiden verfochten. In ihren
späteren Kämpfen gegen die Beduinenstämme, welche den Pilger-
karawanen auflauerten , standen ihnen die mächtigen, durchaus
schfitisch gesinnten 4) Emire der Asadbeduinen (die Bern Mazjad)
bei 5). Die Bujiden gingen in der Bekleidung der Alidenhäupter
mit den wichtigsten Aemtern manchem Chalifen allzu weit •) ; diese
vergassen aber, dass ohne solche Gunstbeweise jene ihren Einfluss
wahrscheinlich zum Nutzen der Fatimiden Egyptens verwendet
hätten 7) , und was sich daraus ergeben hätte , zeigt die Thatsache ,
dass noch 1058 die Masse der Bevölkerung 'Iräqs der Huldigung
jener Gegenchalifen wohl geneigt war*). Immer mehr wurde es
offenbar, dass überall, wo die Centralgewalt sich einen Augenblick
weniger merkbar machte, die Aliden über die Volksmasse verfügten *).
Die Söhne Ali’s werden in der anarchischen Periode, in welcher
sich ihre bisher unterdrückte Macht nach allen Seiten hin entwi-
ckelte, zuerst regelmässig von den Chronisten mit dem Titel; ScAe-
rifc, d. h. Edle, bezeichnet. Früher hiessen so die Häupter aller
vornehmen arabischen F’amilien, aus welcheu der Stamm seine Häupter,
die Stadtbevölkerung ihren Rath erwählte 10). Solche Familien hatten
1) IA VIII : 275, 308. 2) IA IX = 286. 3) IA VIII : 232.
4) IA IX : 209, 396 j X : 306. 5) IA IX: 167, 172.
6) IA IX = 129, 183—4. 7) IA IX = 156-7, cf. 166, 406.
8) LA IX : 441. 9) Vorgl. z. B. Damaskus i. J. 970, IA VIII 1 437.
10) Für diesen , jedem Arabisten bekannten Sprachgebrauch sei nur auf Tab. 11»
4, 18; of 1 , 17; IIltT'ö verwiesen. Der Plural oL&l klingt heutzutage in Arabion vor-
nehmer als das weibliche bildet im Sprachgebrauch wie in der Schrift-
sprache deu Plural .
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57
längst keine Bedeutung mehr für das Leben des Islam’s; ihr Titel
ging auf den aus dem Islam hervorgekommenen Adel der Aliden
über. Ebenso ging es mit dem Titel Sejjid (Sajjid) d. h. Herr •
auch dieser wurde alidisch, bald mit Scherif gleichbedeutend , bald
davon unterschieden ; jeder Unterschied der beiden Ausdrücke ist
aber zeitlich und örtlich beschränkt •).
In Westarabien brauchten die Scherife nicht einmal die Bujiden ;
ein bischen Anarchie genügte dazu, das Land ganz in ihre Hände
zu legen. Ueber die nächsten Veranlassungen oder Vorbereitungen
zur Gründung des Scherifats von Mekka erfahren wir nur wenig.
Vereinzelte Notizen, wie die, dass 914 beim Haddj ein Hasa-
nide Namens Muhammed ibn Sulaimän als Prätendent auf die
Chalifenwürde hervortrat1 2 3), oder dass 941 die Pilgerkaravane den
Besuch Medina’s aufgeben musste, weil dort ein gefürchteter Alide
die Herrschaft erworben hatte s) , besagen nicht viel. Wichtiger ist
schon der Bericht von einem Aufstande 4) des Hasaniden Muham-
med ibn Müsa II s) in Medina gegen den Chalifen Muqtadir(908 — 35);
wir erinnern uns, dass dieser von ihm ergebenen Beduinen befreit
worden war, als ein Beamter des Chalifen ihn sammt seinem Vater
nach Baghdad führen wollte •). Sonst herrscht über diese mächtige
Scherifenfamilie ein gleiches Stillschweigen wie über Alles, was den
Hidjäz anbetrifft, bis um die Mitte des 4ten Jahrhunderts der Hidj-
rah (±961), wo wir sie auf einmal als Beherrscherin Mekka’s wie-
derfinden. Wunder nehmen kann uns dies nicht nach Allem, was
wir von ihren früheren Beziehungen zur heiligen Stadt schon wissen.
Die Zeitgenossen hat es wohl noch weniger gewundert als uns,
1) Scherife heissen heutzutage in Westarabieu nur dio Hasaniden, deren Vorfahren
Mekka beherrscht haben. Der regierende Grossscherif legt diesen, wenn er zu oder auch
von ihnen redet, den Titel Sejjid bei; selbst wird er von der Bovölkorung als Sejjidand
d. h. „unsor Herr’* bezeichnet. Sonst wird der Namo Sejjid hier bloss auf die Husainiden
bezogen, obgleich bekanntlich dio Sfejjid’s von J&men Hasaniden waren. In Egypten, Sy-
rien usw. nennt man alle Abkömmlinge Muhammods Scherife; so war es ja vorhin in
Arabien ebenfalls, ln Indien werden Sejjid und Scherif wieder in ganz andorer Weise
unterschieden als im Hidjaz.
2) MK 107; Leid. Hs. 2021, fol. 92 r°, 101 r°.
3) IA VIII : 2S3. 4) MK 121.
5) Stammt. I, 18. 6) Oben S. 48.
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58
da ihnen die fortwährenden Umtriebe der Ilasaniden in Westara-
bien besser bekannt waren; die Eroberung Mekka’s durch Djcffar *),
den Urenkel jenes Muhammed, dessen Empörung gegen Muqtadir
wir eben besprachen, erschien ihnen so wenig als ein Ereigniss,
dass sie nicht einmal das Datum notierten. Hatten nicht seine
Oheime schon oftmals die heilige Stadt "erobert”? Die Erfahrung
zeigte ihnen , dass dieses »öde Thal” durch die Wallfahrt mit allen
Gottesgaben reichlich versehen wurde; mancher von den alidischen
Raubrittern dürfte schon nach dem dauernden Besitz dieser reichen
Stadt ira hungrigen Lande gestrebt haben ; sie fürchteten sich aber
vor den Heeren der Chalifen. Die Zeit der Anarchie hob diese
Furcht auf : was musste sich der Chalif nicht alles gefallen lassen !
Es könnte sein, dass die Fatimiden Egyptens Dja'far direkt zur
Eroberung Mekka’s ermuthigt haben, um so einen bequemen Ver-
mittler für die Erlangung der Oberhoheitsrechte zu bekommen ,
denn ein Schriftsteller sagt , Dja'far sei aus Medina lortgezogen ,
nachdem durch die Fatimiden ein Kampf beigelegt war, den die
Hasaniden , Husainiden und Dja'fariden hier mit einander führten *).
Zwischen 951 und 961 der einen 1 * * *), 966, 7 oder 8 der andern*)
arabischen Autorität zufolge, fing Dja'fara Herrschaft an, um nach
etwa 20 Jahren*) oder im Jahre 980 5) mit seinem Tode zu enden.
Von seinen Regierungsthaten finden wir nur verzeichnet*), dass er
den türkischen General, der den Fatimidenchalifen in Mekka ver-
trat, tödtete und unter den un bot massigen Beduinen um Mekka
herum das Schwert walten liess, bis sie sich ergaben. Dem Fati-
miden soll er seinen Sohn zugeschickt haben, als gäbe er zu, dass
man die Blutrache an ihm vollzöge, thatsächlich aber mit Ent-
schuldigungen, welche günstige Aufnahme fanden. So hätte schon der
erste Scherif von Mekka den in der Folgezeit immer wichtigeren
Kampf zwischen Fürsten und Residenten in blutiger Weise inau-
1) Vergl. Stammtafel I, 28. 2) MK 112.
3) CM II : 205—6. 4) OT (D) 115.
5) So bestimmt das Datum eine Raudglosso OT (D) 115 , luunlicli 370 BL ; die anderen
Quellen lassen dasselbe unbestimmt.
6) OT (D) 115.
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59
guriert. Unter seiner und seines Sohnes 'Isa (bis 994) *) Regierung
befestigte sich die Oberherrschaft der Fatirniden ; oben *) sahen wir
aber, dass die Ausübung derselben nicht immer ohne Schwierigkeit
stattfand, denn 976 musste die Anerkennung des neuen Chalifen
durch Aushungerung von Mekka erzwungen werden. Nach dieser
Stadt verlegte sich seit der anarchischen Periode und der dadurch
entstandenen relativen Selbständigkeit des Hidjäz der politische
Schwerpunkt, der früher, solange sich die Leitung der Uaramein
wesentlich ausserhalb Arabiens befand, sachgemäss in Medina ge-
legen hatte.
Tsa’s Bruder und Nachfolger Abu’l-Futüh 3) (994 — 1089) machte
mehr von sich reden. Seine Regierungszeit fiel theilweise zu-
sammen mit der des halbverrückten Fatirniden Häkim in Egypten.
Während Häkim die längst aufgegebenen Traditionen seiner Väter
wieder aufnahm, und allerlei anti-islamische Neuerungen einführte,
kam Abu’l-Futüh auf den Gedanken , sich selbst als Chalifen huldigen
zu lassen. Möglich ist, dass Häkim die Bewohner des Hidjäz durch
seine Ketzereien geärgert habe*); in diesem Falle hat solches dem
Abu’l-Futüb aber doch nur zum Vorwand gedient. Veranlasst wurde
sein thörichtes Beginnen dadurch, dass der Sohn eines von Häkim
getödteten Grosswezirs sich rachedürstend zu den Häuptern der in
Syrien mächtigen Tajj-beduinen geflüchtet hatte und nun glaubte,
gegen den Mörder seines Vaters einen Gegenchalifen ausspielen zu
können. Abu’l-Futüh ging auf den Plan ein und zog, nachdem
die Bevölkerung des Hidjäz ihm gehuldigt, um 1011 mit einem
angeblichen Schwerte Ali’s und dem Stab des Propheten zu den
Tajj nach Syrien. Die Beduinenhäupter kamen ihm zwar freudig
entgegen , aber der neue Chalife bemerkte bald , dass die Geldge-
schenke, welche Häkim ihnen schleunig zuschickte, bessere Wir-
kung thaten als seine Reliquien ; er eilte also im nächsten Jahre
nach Mekka zurück, wo inzwischen, wie es scheint, einer von
seinen Verwandten , sei es ein Bruder oder Abu’t-Tajjib Dä’üd 5)
1) Vorgl. Stammtafel 1,31; CM II: 206-7; OT (D) 116; MK 118.
8) S. 54. 3) Stammtafel I, 32; CM II : 207 ff ; OT (D) 116; 1A IX: 233, 317.
4) Vorgl. MK 111—2, vielleicht auch IA IX: 154.
5) Stammtafel I, 29.
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aus der Familie Sulaimäns, unter Mitwirkung Hakims an seine Stelle
getreten war. Diesen zu vertreiben, sich mit Hakim auszusöhnen
und alle weitreichenden Pläne aufzugeben , war Alles , was dem
Gelegenheitschalifen zu thun übrig blieb. Wenn es weiter heisst,
dieser dritte Grossscherif habe der Herrschaft der in Medina em-
porgekommenen Husainidenfamilie ein Ende gemacht *), so bedeutet
dies nur, dass er ihnen auf einige Zeit seine Uebermacht fühlbar
machte, denn noch Jahrhunderte lang war in Medina Husainiden-
scherifen die Hauptrolle Vorbehalten. Um 1023 erweckte die Frevelthat
eines Egypters grosse Aufregung in Mekka 1 * 3 4 5 6) ; mit dem Ausrufe : » wie
lange noch soll dieser Stein vergöttert werden ?” versuchte er durch
Knittelschläge den schwarzen Fetisch zu zerbrechen. Es dauerte einige
Zeit , bis einer von den feigen Mekkanern ihn anzugreifen wagte ; als
ihn aber einer getödtet, da betheiligte sich der ganze Pöbel an
der Ausplünderung seiner Landsleute. Uebrigens verliefen die Tage
Abu’l-Futüh’s und seines Sohnes Muhammed Schukr’) (1039 — 1061),
von ein paar schweren Hungerjahren abgesehen *), ziemlich ruhig.
Dem Schukr werden gleichwie seinem Vater grosse Dichtergaben
nachgerühmt *) ; von jenem und seiner Schwester erzählt man ein
paar alberne Anekdoten , deren eine die unglaubliche Körperkraft
der beiden fürstlichen Personen darthun soll '). Sein Tod führte
einen schrecklichen Kampf zwischen den Hasaniden herbei, weil er
keine männliche Nachkommen hinterliess 7 8). Die mekkanischen
Chronisten bezeichnen den Zweig des Hasanidenstammes , der mit
Schukr endet, nach dem Stammvater Müsa II*) als Müsäuns ,
obgleich dieser Name mit ganz gleichem Recht auf zwei von den
drei übrigen Scherifenfamilien oder -klassen ( Tabaqät ) anzuwenden
1) CM n : 207. 9) CM II: 249—60, MK 112, U IX : 234.
3) Stammtafel I, 35; CM 11:209—10; IÄ X:19; OT (D) 116 ff. (M*.) 44 v°. OT
weicht in der Datierung des Todes Schukr’s (464 II. = 1071/2) von allen andern (Quel-
len abj wahrscheinlich hat sich hier ein Fehler oingeschliehon.
4) 1A IX: 378, 422, 435; CM 11:310.
5) Vergl. auch Nassiri Khosrau, od. Ch. Schefer (Paris 1881), S. 183.
6) Vergl. ausser OT noch AD 22 — 4.
7) Es kann uns hier gleichgültig sein, ob Schukr’s Tochter, wioCM 11:210 will, sich
wirklich mit dom späteren Grossscherif Abu Hasch im Muhammed verheirathet hat.
8) Stammtafel I, 13.
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wäre; der genealogische Sprachgebrauch hängt aber von zufälligen
Veranlassungen ab. Die MüsäwT’s verfolgten — abgesehen von dem
thörichten Versuche Abu’l-Futüh’s — keine hohe politischen Ideale.
Es war ihnen leid , dass sie in Medina wegen der weiten Entfer-
nung nicht mehr als zeitweilige Eingriffe machen konnten ; Mekka
beuteten sie aus'), so gut es ging, und altem Herkommen gemäss
machten sie mit ihnen untergebenen Beduinen ab und zu eine
Razzia in benachbartes Gebiet. Das Wohlergehen der Mekkaner
nahmen sie sich kaum zu Herzen , und viel weniger noch die Si-
cherheit der Pilgerwege. Die Abgaben , welche die grossen Pilger-
karavanen seit 939 den Qarmaten zu entrichten hatten , gingen ,
als die Bedeutung dieser Sekte abnahm, auf die Beduinen über,
deren Gebiet die Wege durchkreuzten *). Seit 986 folgten immer
mehr Nomaden , auch in Centralasien , der Gewohnheit , keinen
Pilger ohne Zahlung durchzulassen s). Trotzdem gehörten Plünder-
ungen der Pilger nicht zu den Seltenheiten; bald behauptete ein
Beduinenschech, man habe ihn das vorige Mal mit falschem Gelde
bezahlt1 2 * 4), bald gab man keine Gründe an4), und es kam vor, dass
grade die Beduinen , welche die Wallfahrer zum Schutz begleiteten ,
sie aller Habe beraubten •). So musste manchmal die Wallfahrt
aus einem Lande unterbleiben; namentlich in cIräq, dem Sitze des
Chalifats, kam dies häufig vor7). Bemerkenswerth ist, dass schon
damals die Länder, deren Entfernung von Mekka die grösste war,
die eifrigsten Pilger aussandten ; wenn man in Träq vor Furcht
zu Hause blieb, bemühten sich die Chorasaner auf irgend einem
W ege ihr heiliges Ziel zu erreichen *). Alle diesen Verhältnisse
haben sich bis in unsere Zeit nur der Form nach geändert.
Nach dem Tode Schukr’s wusste zunächst die Familie, welcher
der oben (S. 59) erwähnte Abu’t-Tajjib angehörte und die daher
1) Der Odekrte Nassiri Khosrau wurde als solcher bei seiner Ankunft in Üjiddah von
dem Sklaven, der hier Schukr vortrat, höflich empfangen und von dor Entrichtung der
gewöhnlichen Abgaben verschont. (O. c. S. 183). Aehnlieh verfuhren auch die späteren
Scherife.
2) de Goeje , Memoire» , S. 193 ; IA IX 102. 3) IA IX ; 229 , 292.
4) IA IX : 74. 5) IA IX : 129, 145. 6) IA IX : 294.
7) IA IX : 302, CM II : 245 ff. 8) IA IX : 229 , 260—1.
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den Namen Bern Abi' t-Tajjib , oder auch nach älteren Vorfahren
die Namen von Fätiki’s und Sulainmm's trägt, durch rohe Gewalt
sich gefürchtet zu machen Während diese Scherife raubten und
plünderten, nahm die edle Familie der SchcbT’s, welche vom Pro-
pheten im Amt der Thorhüter der Ka'bah bestätigt war, alles
Gold und Silber, das sich in und an dem Hause Allahs befand , in
ihren Privatbesitz. Das war dem frommen, erst vor Kurzem in
Jemen zur Herrschaft gelangten Fürsten ag-^ulaibl zuviel8); 1063
mit grossem Gefolge zum Haddj nach Mekka gekommen, stellte
er Ordnung und Sicherheit wieder her und setzte der Willkür der
Scherife enge Schranken. Ganz Mekka athmete auf, und die Mek-
kaner sind des Lobes dieses Fürsten voll. Den Scherifen aber er-
schien ein solcher Mann als ihr gemeinsamer Feind; nach wenigen
Wochen bereiteten sie sich säramtlich zum Kampfe und sagten
zum Eindringling: »Setze von uns ein, wen du willst, zieh aber
fort aus unserer Stadt!” Sehr knapp wird mit diesen Worten die
Situation charakterisiert; seit der anarchischen Periode war Mekka
das Privateigenthum des mächtigsten oder des von einem mächtigen
Fürsten vorgezogenen Hasaniden. Der fromme Fürst zog aus, be-
stellte aber als Herrn der Stadt einen Mann aus dem Hause der
Hawäschim (d. h. Häschimiden), welche zur Unterscheidung von
dem früher besprochenen Zweige der Musätol’s , nach ihrem Stamm-
vater Abu Häschim •) so bezeichnet werden. Natürlich wurde es
diesem Abu Häschim Muhammed *) gleich nach der Abreise des
Fürsten recht schwer, sich gegen die zurückgesetzten SulaimänT’s
zu behaupten. Er gehörte einer mächtigen Familie an; schon sein
Vater 5) und sein Grossvater *) heissen Emire , was Einige dahin
verstehen wollen, dass sie während der Wirren nach dem Tode
Schukr’s einen Augenblick über Mekka regiert hätten 7). Aber auch
die Sulaimäni’s waren gewaltige Herren, und sie räumten das Feld
erst nach erbittertem Kampf, während dessen manchmal der Held
der Sulairaänl’8, Uamzah ibn Wahhäs1) , auf einige Zeit die Herr-
1"» CM 11:208, 21011.; OT (D) 10311.; MK 114. Sie heissen auch Harabi’s.
2) Vergl. ausser den oben angeführten Stellen IA IX: 422 — 3, X :19,38.
3) Stammt 1, 27. 4) Stammt I, 40. 5) Stammt. 1, 38.
6) Stammt. I, 34. 7) OT (D) 120. 8) Stammt I, 36.
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schaft gewann. Aus solchem stetem Wechsel erklärt sich die Ver-
schiedenheit der Angaben über den Regierungsantritt Abu Häschim’s
und die Dauer der Herrschaft Hamzah’s *); das Wichtige ist , dass
Abu Häschim *) von 1063 — 1094, in den ersten Jahren im Kampfe
mit den Sulaimänl’s, regiert hat.
Das neue Herrscherhaus befolgte die alten Grundsätze; in ge-
radezu unverschämter Weise schacherte Abu Häschim mit den
Oberhoheitsrechten. In Baghdad hatten jetzt die Seldschukensultane
die Stellung inne, welche die Bujiden zuerst bekleidet hatten. Der
Scherif wusste, dass dem Sultan viel daran lag, seine Grösse im
heiligen Lande anerkannt zu sehen; 1070 liess er den Namen des
Fatiiuiden im Freitagsgebet durch die des Abbasiden und des
Seldschukensultans ersetzen und bekam dafür eine beträchtliche
Geldsumme’). Solange Egypten unter den Fatimiden stand, war
dort die officielle Religion, trotz aller Toleranz, schf itisch; der
Wechsel des Protektorats hatte also für Mekka scheinbar auch dog-
matische Folgen, welche sich hauptsächlich in dem Wortlaut des
Aufrufs zum Gottesdienste offenbarten. Wurde Baghdad als poli-
tische Hauptstadt anerkannt, so ertönte von den Minareten Mek-
ka’s: «Auf zum Heile” statt des schFi tischen : «Auf zürn besten
Werke”; dieser an und für sich unbedeutende Unterschied war von
jeher ein Schibboleth der beiden Parteien *). Die Formel scheint
den Mekkanern gleichgültig gewesen zu sein, nicht aber , dass jetzt
durch die Habgier des Scherifs »die Zufuhren von Egypten auf-
hörten”. Nach dem Tode des Chaiifen und des Sultans erklärte
sich Abü Häschim 1075 wieder frei und verkaufte abermals das
Gebet cum annexis dem Fatimiden, änderte dann 1076 seine An-
sicht gegen Schenkungen aus Baghdad •) und wiederholte diese
1) CM II : 210 — 1, OT (D) 105. Dia Angabe OT’s, derzufolgo Hamzah 7 Jahre lang im
Kampfe mit den Hawäschim regierte, dürfte richtig sein, wenn man OT’s Köhler in
Bezug auf das Todesjahr Schukr’s (464 H.) verbessert (453); nach dem Jahre 460 H.
war Abu Häschim entschieden Gebieter Mekka’s. ln den 7 vorhergehenden Jahren konnte
der Chronist nach Belieben oinon oder den andern als wirklichen Herrscher bezeichnen.
2) Vergl. CM II: 210-2 , 255; OT <D) 110 ff.; IA X ; 162.
3) IA X:41, cf. CM 11:253, wo die Aenderung etwas früher angesotzt wird.
4) In Syrien wurde dio Bevölkerung zu dieser Zeit durch die Aenderung der Formel
aufs Höchste aufgeregt IA X:42 — 3. 5) IA X ; 67.
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\
Komödie in zwei Akten , so oft sich ihm die Gelegenheit darbot l).
Dieses Verhalten empörte schliesslich die Sultane von Baghdad , und
seit 1091 schickten sie mehrere Turkmenenbanden nach Mekka,
die ihnen zugefügten Beleidigungen zu rächen s) ; Abü Iläschira
soll sich im Kampfe gegen diese Wilden ausgezeichnet haben ; den
Mekkanern erwuchs aber aus alledem unsägliches Glend. Gegen sein
Lebensende verfuhr der Scherif nun aber rücksichtsloser als je zuvor.
Den Leiden der Pilger, die über Baghdad reisten, fügte er ein
neues hinzu. Die Beduinen machten ihnen, sowie auch den Pilgern
aus Syrien und Egypten immerfort viel zu schaffen; sogar die
mächtigeren Fürsten konnten nicht jedes Jahr eine genügende Be-
deckung auf so lange Zeit entsenden , und die Entrichtung der
Abgaben machte diese Fürsorge gar nicht entbehrlich 3). Die exces-
sive Bevorzugung der Aliden hörte unter der Seldschukenherrschaft
allmählich auf '). Es blieb ihnen zwar fast überall leichter als ir-
gend wem, entscheidenden Einfluss zu gewinnen'), aber sie hatten
nicht länger das Monopol der wichtigsten Staatsämter. So waren
die Führer der Pilgerzüge seit etwa 1076*) nicht Aliden, sondern
türkische Kriegsleute, bald sogar einflussreiche Eunuchen7). Mit
dieser Neuerung wuchs nun der Uebermuth des Scherifs immer
mehr. Beim Hadjj des Jahres 1076 kühlte er seine Verstimmung
gegen die Herren Baghdads an den Pilgern aus 'Iräq; er liess es
wenigstens hingehen, dass seine Sklaven, welche den Kern der
Kriegsmacht der Scherife, wie aller arabischen Emire, bildeten,
mit den Leuten Streit suchten und auf sie losschlugen. Der Anführer
vertheidigte aber seine Landsleute mit gutem Erfolg *). Später ging
1) IA X : 105, 146j CM. 11:254.
2) IA X 135, 137. Man bedenke, dass der Wettkampf zwischen Seldschuken und Fa-
timiden durch die oben S. 50 hervorgehobene schwankende Gesinnung der Bevölkerung
Baghdads an Bedeutung gewann.
3) IA X : 111, 146—7 , XI : 19 , 3G0. 4) IA X : 329.
ß) Vergl. IA X : 104, 465; XI:47, 153, 155, 165, 250-1; XU: 81, 248—9 , 275.
6) IA X : 108, 393.
7) Im Jahre 1119, IA X:382, vergl. XI: 6$. ln diesem Zusammenhang ist es be-
merkenswert)!, dass vom 6ton Jahrh. der Hidjrah an wichtige politische Missionen von
Seiten der Chalifon statt, wie vorhin, angesehenen Aliden, meistens den Häuptern der
Q&fi's anvertrant werden. So begegnen wir dem ivxüIA XI : 281 , 304, 320 — 1,
335 j XII: 196. 8) CM. 11:254. C
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Abu lläschim in seinem Zorn über die Sendung der Turkmenen
so weit, dass er 1094 die Pilger auf dem Heimwege förmlich aus-
plündern Hess '). Natürlich erfolgte von Baghdad eine Truppensen-
dung zur Züchtigung des Scherifs; bevor dieselbe eintraf, war Abu
lläschim gestorben , seinem Sohne Qäsim *) die Mühe hinterlassend ,
sich die Türken durch langen Kampf vom Halse zu schieben. Dieser
Lage, sowie der Thatsache gegenüber, dass die Hoheitsrechte aus
den bekannten Gründen meistens den Fatimiden verblieben , be-
schränkten sich die Haddj-emire aus Baghdad in den nächstfolgenden
Jahren auf eine gebieterische, fast herausfordernde Aufführung in
Mekka; es blieb aber beim bewaffneten Frieden.
Im Jahre 1121 stiftete ein alidiscber Gelehrte aus Baghdad gegen
Qäsims tyrannische Regierung in Mekka eine Empörung an *);
jedoch gelang es dem Scherif, seinen Gegner nach Bahrain za
vertreiben. Sein Sohn Fulaitah *) , der ihm 1124 nachfolgte, soll
gerechter gewesen sein als sein Vater, was allerdings nicht viel
besagt. Man rühmt ihm nach s) , dass er einige indirekte Steuern
(MukRs) abschaffte; solche sind den frommen Muslimen stets be-
sonders verhasst gewesen, und sie finden für diese Gesinnung eine
Stütze im kanonischen Recht. Sie ärgern sich weniger über direkte
Gelderpressnngen von reichen Leuten als über die regelmässige Be-
steuerung von Handelswaaren , Lebensmitteln oder etwa Abgaben
von Pilgern, die man schon zu dieser Zeit in Mekka zu erheben
pflegte •). Solche Steuern gab es in Mekka bereits , als die Chalifen
die Stadt noch wirklich beherrschten *); man kann sich denken , dass
sich die Scherife diese Einnahmequelle nicht verschlossen.
Es lohnt sich für unseren Zweck nicht, die Regierungen der
übrigen Hawäackim •) ins Einzelne zu verfolgen, welche bis 1200
1)UX: 153. 8) Stammt. I, 41; CM II : 218; OT (D) 181 ; U X : 435.
3) IA X : 420. 4) CM II : 218; OT (D) 121; IA XI : 5, 184.
5) IA X : 435. 6) CM. 11:256, vorgl. oben S. 61, Anm. 1.
7) Vergl. für das Jahr 912 A. von Kremer, „üeber das Einnahmebadget des Abba-
sideureichos im Jahre 306 H ”, S. 50.
8) Die Angaben ihrer Rogier ungsjahre in Stammtafel I sind folgenden Quollen ent-
nommen: CM 11:213 ff., 256 ff.; OT (O) 121 (T.j IA X:184, XII : 68. Die Jahreszahl
593 Q. für das Itegierungsendo Mukthirs und das Schcrifat seines Neffen Man für finden
sich nur in OT.
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(nach Anderen: 1201 oder 2) »das heilige Gebiet Gottes,” wie ein
zeitgenössischer Schriftsteller1 * * *) es ausdrückt, »als ihre Erbschaft
»betrachteten, deren Vermiethung an die Pilger ihnen zustand”.
Alle hatten unausgesetzt gegen ihre eigenen Brüder, Oheime, Nef-
fen ihre Herrschaft mit dem Schwerte zu behaupten; namentlich
seit dem Tode Tsa’s wäre es daher nicht möglich , mit Sicherheit
für jedes Jahr zu bestimmen, wer die »Erbschaft” in der Hand
hatte ; alle walteten aber ihres Amtes in gleicher Weise. Die tür-
kischen Emire , welche die Haddjkarawanen begleiteten , hatten
immer eine schwierige Aufgabe ; nachdem 1 145 die Banden des
Scherifs die Pilger aus Baghdad in der Moschee ausgeplündert hat-
ten, erfasste die unfähigen Inhaber jenes Amtes solche Angst, dass
sie das nächste Mal die Reise nicht anzutreten wagten ’). Auch
später, als kräftigere Führer da waren , vernachlässigten doch die
frechen schwarzen Kriegsknechte des Scherifs keine Gelegenheit, die
Gäste Allahs zu berauben5); 1161 hatte denn auch der Grosscherif
vom vorigen Jahre her beim Herannahen der Karawane ein so
böses Gewissen , dass er ohne Weiteres aus der Stadt entfloh *).
Um sich in ähnlichen Fällen besser helfen zu können und auch
zur erfolgreicheren Bekämpfung ihrer rebellischen Verwandten
bauten die Herren Mekka’s eine Burg auf dem Berge Abü Qubes;
natürlich wurde dieselbe ab und zu zerstört. Die Hudel-beduinen muss-
ten schon in dieser Periode5) einem Scherife gegen den andern
helfen ; von Anfang an führten sie die Sitte ein , der heiligen Stadt
solche Besuche nur gegen gute Belohnung abzustatten, und diese
nahmen sie selber durch Plünderung. Einmal (1176) versuchte der
Emir aus Baghdad , dem Befehle seiner Vorgesetzten gemäss , das
ganze Uasanidengeschlecht zu entthronen. Die Uusainidenscherife,
welche bisher *) das weniger ergiebige Medina beherrschten , sollten
unter dem Schutze Baghdads über Mekka eingesetzt und so den
dortigen Herrschern zu bleibendem Danke verpflichtet werden 7).
1) Ibn Jubair, 75. 8) IA X:68, XI:70, 96 ff., CM 11:855.
3) MK 118, IA XI: 189—90. 4) CM II : 213.
6) MK 118. 6) IA X : 212—3, XII : 12.
7) CM II : 257.
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67
Bald gewahrte aber der Türke, dass man den neuen Scherif keinen
Tag länger in Mekka dulden würde, als die fremden Truppen dort
verblieben; er setzte daher Dä5üd, den Bruder des nach schwerem
Kampfe vertriebenen Mukthir, ein. Der Pöbel Mekka's vertheidigte
selbst seine patentierten Raubritter, deren Herrschaft er schon als
durch die Gewohnheit geheiligt betrachtete.
Obgleich der Vertreter Baghdads beim Reste in Mekka fortwährend
für eine politisch hochwichtige Person galt '), herrschten doch ägyp-
tische Einflüsse vor. Die Pseudo-aliden Egyptens, in der letzten
Zeit vielmehr ihre Hausmeier, welche faktisch die Herrschaft aus-
übten, waren in der Regel »Beschützer der Uaramein", was nicht
verhinderte, dass auch manche kleine Dynastie von Jemen hier
mit grösster Ehrfurcht behandelt wurde. Mekka bedurfte der Ge-
treidezufuhren aus Südarabien ebenso sehr wie aus Egypten; im
12*®“ Jahrhundert entstand dort Hungersnoth, wenn durch Missernte,
Unsicherheit der Wege oder den Unwillen eines jomenischen Fürsten
die jährliche Kornkarawane der Sarw-stämme *) aus Jörnen ausblieb ;
im 16ton Jahrhundert bestand diese Lage unverändert fort ’). Hätten
sich die Scherife von Mekka durch religiös-politische Motive be-
stimmen lassen , so hätten sie ebenfalls vielleicht die nämlichen
Länder bevorzugt, denn in beiden hatte die Schfah, die alidische
Partei, die Oberhand. Ihre Abstammung, vorzüglich aber die Ge-
schichte ihrer Familie, die von jeher im Ilidjäz gegen alle nicht-
alidischen Chalifen gekämpft hatte, macht es von vorn herein wahr-
scheinlich, dass die Hawäschim nicht zu den politisch gänzlich
indifferenten Aliden zählten. Es liegt uns aber gerade aus den
letzten Jahren ihrer Herrschaft das bestimmte Zeugniss des be-
rühmten spanischen Pilgers Ibn Djubair vor, der 1183 und 85
Mekka besuchte und dessen genauer Bericht über seinen dortigen
Aufenthalt unser Bild von den damaligen Verhältnissen in will-
kommener Weise vervollständigt. Dieser sagt ausdrücklich ‘) , die
Scherife des Hidjäz seien Zaiditen , d. h. sie hingen der religiös-
1) Ibn Jubair 171—2. 2) Vergl. oben 8. 88.
3) Ibn Jubair 132 ff ; CM 11:311, 318; 01:12.
1) Ibn Jubair, 100 ff.
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68
politischen Richtung der Schfah an, welche sich nach Zaid, dem
Urenkel Husains1), nannte. Wir haben oben schon bemerkt, dass
dieser Name nicht zu jeder Zeit und an jedem Orte gleiche Be-
deutung hat. Nur soviel hat er von Alters her besagt, dass die
Neigung zu alidischen Prätendenten mit der Befolgung einer eige-
nen, von den anderen Schulen abweichenden Gesetzeserklärung
liand in Hand ging. Beides aber, die zaiditische Politik und die
zaiditische Gelehrsamkeit passten sich den wechselnden Verhältnissen
in hohem Grade an. So erklärt es sich , dass in einem Zeitraum
z. B. ein berühmter orthodoxer Historiker das Lob zaiditischer Ge-
lehrten singt *) und unser vielleicht etwas hyperorthodoxe Spanier
die Zaiditen »Rafldhiten und Schimpfer” nennt. Letzteres sagt er
mit Bezug auf die Scherife Westarabiens ; dabei darf man nicht
vergessen, dass der Pilger vom Westen allen Grund hatte, die
arabischen Scherife sehr ungünstig zu beurtheilen. Es führt aus,
wie die Zaiditen in Mekka ihre Gottesdienste mit dem oben ’)
erwähnten schfitischen Aufruf, getrennt von den Bekennern der
übrigen »Schulen", abzuhalten pflegten; auch in anderen Punkten
hebt er ihre Sonderstellung hervor*) und erwähnt Misshelligkeiten,
welche anlässlich der Bestimmung des Festkalenders zwischen dem
Grossscherife und den nicht-schfitischen Autoritäten entstanden *).
Unter schfitischem Schutze waren die Ansprüche der mekkanischen
Scherife wohl am besten gesichert; solange ihnen die Wahl zwischen
schfitischen und nicht-schfitischen Schutzherren geboten wurde,
waren ihre persönlichen Sympathien gewiss auf jener Seite. Wir
wissen aber, wie in der Praxis die Herren Mekka's ihre politische
Richtung mit dem Winde änderten. Noch oberflächlicher war ihr
religiöses Bekenntniss; Schriftgelehrte waren sie nicht, und ihr
Gesetz war die Willkür.
1) Mit der Abstammung hat solches „zaiditische*' Bekenntniss nichts zu thun; w&rones
ja Hasaniden, welche ün Lande dor Dailamiton als zaiditischo „lumme” zuerst Mission
trieben, daun aber eino Dvnastio gründeten; das Gleiche gilt von den zaiditischen Imämon,
welche seit 1197 einen grossen Thetl Jemens beherrschten.
2) IA X : 465. Von einem zaiditischen Imam in Jemen heisst es OT (D) 164, dass er
„grosse Bücher über die Gesetzeserklärung ( Fiqh ) schrieb, in welchon er sich der Rieh-
„tung des Abu Hanifah näherte.’*
3) 8. 63. 4) Ibn Jubair 143.
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69
Das Pilgerfest des Jahres 1 1 60 *) führte einen Mann nach
Mekka, der schon damals eine vornehme Stellung inne hatte,
dem die Zukunft aber weit grösseres versprach : es war der
Oheim Saladins, durch dessen Hand (1169 — 72) Egypten auf
immer den Fatimiden entrissen werden sollte. Die Gründung der
durch Saladin in Europa berühmt gewordenen Dynastie der Ajju-
biden fällt also in die letzte Zeit der Hawäschim von Mekka.
Nachdem Saladin in Egypten festen Euss bekommen hatte, musste
er sich entscheiden , welches von den beiden Schattenchalifaten er
anerkennen würde: das fatimidische , welches er ganz in der Hand
hatte, das aber im Orient für ketzerisch galt, oder das abbasi-
dische, unter dessen Fahne er anderen asiatischen Fürsten gegen-
über als konkurrierender Vasall, nicht als Feind zu agieren hätte.
Er betrachtete die Frage vom rein politischen Standpunkte und
gab nach einigem Zaudern den Abbasiden den Vorzug *) ; für den
Fall , dass sein Versuch , ein unabhängiges Fürstenthum in Egypten
zu gründen, fehlscblagen sollte, Hess er 1174 seinen Bruder einige
kleine Fürstenthümer in Jemen erobern, die ihm als Rückhalt
dienen konnten *). Die auf ihrem Wege nach Südarabien durch
Mekka ziehenden Truppen flössten dem Sc’nerif Mukthir gehörige
Angst ein. Saladins Bruder führte zwar seinen Plan, die Scherife
ganz zu beseitigen, nicht aus; die Ehrenstellung beim Haddj ge-
hörte aber von jetzt an den Ajjubiden, im Freitagsgebete wurde
nach dem Abbasidenchalifen und dem Scherif, Saladins und sei-
ner Familie gedacht ‘), sein Statthalter in Jemen galt mehr oder
weniger als Aufseher der Haramein. Einige von den schlimmsten
Missbrauchen, welche die Regierung der Scherife kennzeichneten,
wurden abgeschafft. Zu den Einnahmen der Scherife gehörte ausser
den verhassten indirekten Steuern , willkürlichen Erpressungen von
reichen Leuten in Mekka *), dem Ertrage von Raubzügen und von
gelegentlichen Plünderungen fremder Pilger, eine Kopfsteuer*), die
1) IA XI : 174. 9) IA XI : 941—2.
3) IA XI: 260 ff., vergl. Ibn Jubair, 146; IA XU: 85, 113.
4) Ibn Jubair 75, 95. 5) Ibn Jubair 164, 167, 181.
6) Ibn Jubair 52, 75; CM II: 259.
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70
namentlich von solchen Pilgern erhoben ward , welche nicht unter dem
Schutze eines in Mekka gefürchteten Herrschers standen. Ausser
den Pilgern Jemens waren vorzüglich die aus dem fernen Westen
(Spanien , Marokko , Algier) dieser Besteuerung der Erfüllung einer
religiösen Pflicht unterworfen. Die sich weigerten, in einem der
Häfen des Rothen Meeres den Beamten des Scherifs die verlang-
ten Goldstücke zu entrichten, wurden schwer bestraft; man er-
zählte von Fällen, wo Pilger an ihren Testikeln aufgehängt worden
waren ! Saladin nahm alle Rücksichten auf den Adel der Scherife ;
die frevelhafte Kopfsteuer schaffte er zwar ab, erkannte aber dem
Herrn Mekka’s zur Entschädigung jährlich eine bedeutende Geld-
summe und eine Kornsendung aus Egypten zu. Traf die Sendung
nicht genau zur bestimmten Zeit ein , so erlaubte die Habgier des
Scherifs den Pilgern nicht, von Djiddah nach Mekka zu reisen,
bevor sie die solidarische Verantwortlichkeit für den ganzen Betrag
übernahmen ’). Saladins Bruder in Jemen beschränkte sich darauf,
bei jedem Aufenthalt in Mekka einige empfindliche Beweise seines
Uebergewichts zu geben: 1186 1 * 3) schaffte er den schfitischen Auf-
ruf zum Gottesdienste ab, prägte Münze mit Saladins Namen,
und tödtete eine Anzahl von den »Sklaven Mekka’s”, die als »Lan-
zenträger” des Grossscherifs ungehindert zu stehlen , zu rauben und
zu morden gewohnt waren; der Scherif selbst zog sich bei dieser
Gelegenheit auf seine hohe Burg zurück. Jene privilegierten Misse-
thäter waren es, die bei feierlichen Gelegenheiten die Leibwache
des Königs von Mekka bildeten ; von diesen Lanzenträgern um-
geben, trat er an Neumonds- und Freitagen in das Heiligthum
ein und machte den siebenmaligen Umgang um die Ka'bah , wäh-
rend ein junger Mu'eddin mit kräftiger Stimme von dem oberen
Stockwerke des Zemzemgebäudes ein Gebet für das Heil des Für-
sten ertönen liess’).
Wie innig musste der orientalistische Islam schon damals von
1) Iba Jobair 74 ff. 2) CM II : 214.
3) Ibn Jobair 96, 123 — 4; dass auch die nächsten Verwandten des jeweiligen Grosa-
scherifs ihre Hecreemacht hatten, ist schon durch die Kämpfe, welche sie gegen den
Herrscher zu führen pflegten, wahrscheinlich; CM 11:213 bestätigt es aber ausdrücklich.
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71
schfitischem Geiste durchdrungen sein , dass man solche Zustände
im heiligen Lande allenthalben zwar bedauerte, aber dennoch dul-
dete! De spanische Pilger sagt allerdings, das Schwert sei als
einziges Heilmittel für die Krankheiten Westarabiens zu betrach-
ten *), und wenn er die grosse Zahl der Ijasaniden, Husainiden
und Dja'fariden in dieser Gegend und die bittere Armuth mancher
von diesen Scherifen bespricht s), so will er damit keineswegs ihre
Uebelthaten entschuldigen. Im Orient war die herrschende Stim-
mung äusserst nachgiebig gegen das »Geschlecht des Gottesgesand-
ten”; als Beleg diene folgende Geschichte, welche sich gerade in
der jetzt von uns behandelten Periode abgespielt hat 5). Der treulose
christliche Fürst von Kerak machte, feierlichen Verträgen zum
Trotz, die Karawanenwege im Gebiete Saladins unsicher und
wusste sogar mit Hülfe von Beduinen 1182 Schiffe ins rothe Meer
zu bringen , welche dort gegen die Küste operieren sollten. Sala-
din forderte gleich seinen Bruder in Jemen zur Bekämpfung dieser
Franken auf; auch von Egypten aus wurden sie angegriffen, und
beim nächsten Haddj wurden am Opfertage, ausser Kameelen und
Schaafen, auch einige gefangene Europäer geschlachtet. Kurz bevor
die erwähnte Aufforderung den Prinzen in Jemen erreichte, war
ein berühmter, vielgereister damascener Dichter1 * * 4) auf dem Wege
von Medina nach Mekka bis aufs Hemd ausgeplündert worden.
Die Räuber waren hasanidische Scherife aus dem vornehmen zahl-
reichen Geschlechte des üä’üd ibn Müsa II *), also nahe Verwandte
der Grossscherife von Mekka. Der Stammvater Dä’üd war schon
ein mächtiger Patriarch gewesen; seine Nachkommen, welche nicht
das Glück hatten , eine Stadt ausbeuten zu können , legten sich in
der Umgegend von Qafrä auf das Räuberhandwerk. Der beraubte
Dichter schüttelte seinen Zorn in einigen Versen aus , welche darauf
berechnet waren, Saladins Bruder zur Züchtigung der Scherife an-
zutreiben. »Sage nicht”, so redet er den Prinzen an , »ich will die
1) Ibn Jnbair 75 ff. 2) Ibn Jubair 73 — 4.
3) OT (D) 109 ff., 112 ff; vorgl. IA XI : 310, 323.
4) Vergl. über ihn auch Ibn Challiitan II : ‘105 ff. der Qairiner Ausgabe von 1299 H.
5) Stammtafel I, 17.
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72
»Küste der Franken erobern; wenn da heiligen Krieg führen willst,
»so richte dein Schwert gegen Leute, die Gottes Gesetz zunichte-
»machen, und reinige mit deinem Schwerte Gottes Haus; sage
»nicht: die Uebertreter sind Söhne der FStimah; wenn sie die Zei-
»ten der Ilarb (der Omajjaden) erlebt hätten, so hätten sie ja
»gegen Hasan gekämpft !” Der Dichter selbst erzählt , dass er nach
Vollendung seines Gedichtes unruhig schlief; im Traume erschien
ihm Fätimah , die sich , ohne seinen Gruss zu erwidern , von ihm
abwandte und, nach dem Grunde ihres Zornes gefragt, gleich-
falls in Versen ihrem Aerger über die Beschimpfung ihrer armen
Kinder Ausdruck gab. Nicht schlecht sind sie, so sprach die Hei-
lige, sondern unglücklich; das tückische, ungerechte Schicksal ist
gegen uns. Um Muhammeds Willen verehre sein Geschlecht; was
dir Schlechtes von ihnen widerfährt, dafür wirst du im Jenseits
reichlich entschädigt ! Der Dichter erwachte und bat in einem
neuen Gedichte um Verzeihung. Bei Gott, sagt er, sollte mich
einer von ihnen mit rebellischem Schwerte oder Lanze durchboh-
ren , so werde ich seine That als eine schöne preisen 1
Aehnlich ist die Verehrung, welche man den Scherifen in den
weitesten Kreisen bis zum heutigen Tage entgegenbringt; man
setzt bei ihnen gar keine besondere Kenntniss von der Religion
noch Seelenadel voraus ; man ehrt in ihnen den Propheten , von dem
sie abstammen, und man glaubt, dass durch Allahs Willen ihr
Segen und Fluch die Wirkung nicht verfehlen , jede That der Liebe
und Nachsicht gegen sie bei Gott ihren Lohn findet , ja dass sogar die
fromme Berührung ihrer körperlichen Hülle segensreiche Folgen hat.
Die relative Unthätigkeit der muslimischen Fürsten den Miss-
ständen der Scherifenhcrrschaft gegenüber war aber ausser in der
populären Alidenverehrung noch in dem Wesen und der Geschichte
aller muhammedanischcn Reiche begründet. Deren Blüthe und Kraft
überdauerte nur selten die Lebenszeit ihrer Gründer; sogar in
diesen günstigsten Zeiten waren aber die Kräfte der Sultane durch
näher liegende Interessen in Anspruch genommen als die kostspie-
lige, ermattende und keine Dauer versprechende Herstellung der
Ordnung in einem Lande, welches die Natur selbst jeder Kultur
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73
verschlossen zu haben scheint. Auch der mächtige Saladin konnte
hier nur ausbessern, nicht reformieren; es musste ihm genug sein,
dass ihm alle höchsten Ehren im Freitagsgebete und beim Iladdj
erwiesen wurden. Man könnte glauben , dass jetzt , wo ein nomi-
nell abbasidisches Sultanat an die Stelle des ketzerischen Chalifats
von Egypten getreten war, der alten Eifersucht zwischen den Pil-
gerfiihrern der Boden entzogen war. Saladins Huldigung hatte
aber nur den machtlosen Chalifen and die officielle Religion zum
Gegenstände: die schfitischen Richter ersetzte er durch solche, die
sich zum Hauptritus des Abbasidenreichs, dem schäfi'itischen , be-
kannten ; Befehle aus Baghdad hätte er jedoch zurückgewiesen.
Der Anführer der Pilgerkarawane von Syrien '), der als Vertreter
Saladius 1188 an den Haddjstationen die Abzeichen der fürstlichen
Würde aufstellte*) und die fürstlichen Trommeln schlagen Hess,
hatte deswegen mit dem Emir von Träq einen blutigen Kampf zu
führen. Der Syrer behauptete, die beide Karawanen hätten nichts
mit einander zu thun, und gab somit auch die ideelle politische
Einheit des Islain’s auf. Viele von seinen Leuten wurden getödtet;
nach wie vor spielte aber der Fürst von Egypten hier die Hauptrolle,
ohne bedeutenden Einfluss auf die inneren Angelegenheiten Mek-
ka’s auszuüben.
Die letzten Häschimiden lebten so sorglos in stetem Bruderkriege
dahin, dass man kaum begreift, wie so lange keiner von ihren
zahlreichen hungrigen Verwandten in Westarabien auf den Gedan-
ken kam, beiden Parteien den umstrittenen Besitz zu entreissen.
Vielleicht haben die Chronisten nur den erfolgreichen Versuch der
Erwähnung gewürdigt s). Im fruchtbaren Stammsitze der Söhne
Hasan’s II, in der Gegend von Jainbu', hatte der vierte Zweig
dieses Stammes'), der für Mekka Bedeutung erlangen sollte, sich
zu frischer Kraft entwickelt. Qatüdahi 2 3 4) , der gegen Ende des 12ten
1) IA XI : 370— 71 j CM 11:259—60; MK 120.
2) Ob dies r1* noch aus einer Kahne bestand, oder schon damals die Sitte der
Mahmar » cingoführt war, ist aus den Quollen nicht lu ermitteln.
3) CM n : 214, in : 83; MK 121.
4) Stammt. I, 22. 5) Stammt. I, 43; U, 1.
10
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74
Jahrhunderts an der Spitze dieser Abtheilung stand , bekam all-
mählich die südlich von seiner Heimath nach Mekka zu liegenden
Striche (z. B. Qafrä) in seinen Besitz; sein Blick war längst auch
auf Mekka gerichtet, nur harrte er des günstigen Augenblicks.
Unsere Quellen gestatten uns nicht, zu entscheiden, ob er 1201,
2 oder 3 seinen Plan ausgeführt hat; sie haben aus jener verwirrten
Zeit nicht einmal die Erinnerung bewahrt, wer von beiden , Mukthir
oder Mancür, von Qatädah entthront wurde. Während alle darüber
einig sind, dass Qatädah sich zuvor einen bedeutenden Anhang in
der Stadt gebildet hatte , findet man über den entscheidenden Ein-
griff zwei unvereinbare Berichte. Nach dem einen nahm Qatädah’s
Sohn Uanzalah die Stadt ein und brachte dort erst Alles zum Ein-
züge des Vaters in Ordnung; der andere sagt, Qatädah habe listig
das Fest des 27ste11 Redjeb benutzt, die entleerte Stadt zu besetzen.
An jenem Tage gedenken die Muslime der legendarischen »Him-
melreise” Muhammeds, die Mekkaner feierten aber ausserdem den
Gedenktag der Vollendung des Ka'bahbaues durch Abdallah ibn
Zubair. Sie pflegten allesammt am 27sten Redjeb eine glänzende
cUtnra/t (kleine Wallfahrt) zu begehen, wozu sie zunächst das hei-
lige Gebiet ringsum Mekka verlassen müssen. Während also alle
Mekkaner auf ungeweihtem Boden das Pilgergewand anlegten, sei
Qatädah hereingezogen. Wie dem auch sei, er machte der faulen
Hawäschim-dynastie ein Ende und steckte seinem Hause doch
etwas weitere Ziele als das Fressen des Pilgerraubes in Mekka,
bis ein stärkeres Raubthier ihn bei Seiten schöbe. Mit seinem Auf-
treten beginnt eine neue Periode im Leben Mekka’s, welche noch
nicht zum Abschluss gekommen ist, denn obgleich die Verhältnisse
im Laufe der letzten 688 Jahre in mancher Beziehung verändert
sind, Vieles ist in Westarabien heute noch, wie es damals war, und
die Söhne Qatädah’s sind noch die Könige des llidjäz.
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STAMA
Qntttdnh
2. Hasan C17 (8?) — 619 (20?)
8. Ali
.1
8. Hnt*un Abu Sa‘d 689 — S
6. 1*1 ri»
I
11. Ghflnim £ 670
7. DjammAz Rn — Dh 651
12. Mulmmm«*d Abu Num^ii {
I
18. Rnmeithnli 701 — Uq 748 14. Humeidh.h (,— Uh 701, 703— Dh ’
(bis 731 vielfach unterbrochen) 714 — Sn 716, M — Rh II 718
17. Mubarak
I
18. Mughamis 747 — 60
1«. Thogbah 748— S1 760, 763— Dh 754
M — Dh 767, Uh 758—762
23 ’AqTl Dh 788 24. Ali Dh 788
25. inan Dh 788— Dh 789
Sn 792— Dh 794
82 Ali 827— Uh 828
26. Ahmed Dh 78S
I 27.
88. Muhammed 780 — Dh 788 gj --q<
4
40. Ahmed Dj ftxflo Sl-Dq 908. be* .— Rg 909 41. Hazza' ») Dh 906, IJj 1 907
I
45, Ali 910—13 (t)
1) Vergl. Stammt. I, 43 2) So, nicht HizI* (Wüstenfeld) wird dieser Name gesprochen
N fl. In dieser Tafel sind die Namen aller Scherife aufgeführt, welche von Qat&dah bis zum zweiten Abo Noi
habe; hinter deu Jahreszahlen bezieht sich ein Fragezeichen nur auf diese. Die Scherife, welche nur ei
Herrschaft gelangten gleich durch das Fehlen der Jahreszahl. Fett gedruckt sind bloss die Namen s
Monate sind der Reihe nach mit den Anfangsbuchstaben M, Rb 1 , Rb II, Dj I, Dj II, Rg, Sn, I
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ITAFEL II.
597 (8? «17 (8?)
. |
4. Khdjih 6*9— »8. Uh 651— Rb 1 659 5. Idrtt 81 659- Kb 11 669
I I
: 661 9 Ghlniiu Rb II— S1 65* 10. Muhammrd (?) Uh 701—703
-663— g 701
8,
15. Abul-Gheith Uh 701 — 703.
Uh 713— g 714
10.
22
‘Uteifth Uh 701—703
M 719— M 731
M uhtmmrd Uj II — Uh
20. Sind 747—50, 760—68
*1. 'A.4J)hii !)M 746 — 774 (vielfach
unU-rbrueben) 774 — 777 (honori» aau)
(?)
760
.hmrd 88. Knbc^ch 29 M uhemmed 794. 80. Ali Sn 789— 81 797 , 31 llu.aii
-Sn 788 S) 797— Kb 11 793 827— Uh 828 Rb 11 798— Uj II 829
34. Rumeithah
Dh8l8— Kn819 35 . s»r..knt 36. Ahmed 811 37. Ali 38. Abu’l-QMim
Uh 809— Sn 859 Sn 846—81 846 Dq 846—850
39. Muhammeil Sn 859 — M 903
* I
4 i2. BaraUnt M 903 — Dq 931 43. Qlitb tj M 310— (J 918 44 Huraeidhah Kg 909-M 910
40. Muhamraed Aba Nnm^JJ
Sn 918— 974 (honoris causa bis M 992 f)
bjj regiert haben Ein Fragezeichen hinter dem Namen bezeichnet den Zweifel, ob der Betreffende uberhaapt regiert
Verbindungsglieder oder, weil ihr Name im Buche vorkommt, mit eingetragen sind, unterscheidet man von den zur
eher Fürsten von Mekka, welche für ihr Zeitalter ganz hervorragende Bedeutung hatten. Die Namen der arabischen
i, Sl, Dq, Dh bezeichnet.
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III.
DIE SÖHNE QATÄDAH’S BIS ZUR WAHHABI-
TENZEIT. (1200-1788).
Qatädah ’) ragt sehr weit über alle seine Vorgänger und viele
von seinen Nachfolgern hervor; in seinem Lande und für seine
Zeit war er ein politisches Genie Alle seine Thaten verfolgen den
Zweck , ein möglichst unabhängiges Fürstenthum des ganzen
Hidjäz zu gründen; zur Erreichung dieses Zieles waren ihm na-
türlich alle Mittel gut, deren sich orientalische Politiker zu bedie-
nen pflegen, und namentlich schonte er kein Blut. Dass er trotz
aller Anstrengung sein Werk unvollendet hinterliess, daran waren
die äusserst schwierigen Verhältnisse schuld, gegen welche er anzu-
kämpfen hatte. Der Hidjäz war innerlich in fast soviele Parteien
zertheilt, als es wichtige Ortschaften gab; die Heiligthümer veran-
lassten ein jährliches Rendez-vous der muslimischen Grossmächte,
die Berichte von einem erwachenden politischen Leben im Hidjäz
nicht ohne Misstrauen aufnehmen konnten ; auch war Qatädah schon
nicht jung mehr, als er die Hauptstadt eroberte.
Auf die Einnahme Mekka’s soll Qatädah die Wiederherstellung
der zertrümmerten Mauern 3) haben folgen lassen ; er unterwarf sich
die Stadt Täif und die um dieselbe sesshaften Thaqlfstämme ’) und
setzte den früher angefangenen Kampf gegen die Husainiden Me-
1) Stammt. I, 48; II, 1. 2) Vergl. oben S. 2. 8) MK. 122.
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76
dina’s fort '). Dos früher in dieser Gegend gewonnene Gebiet nicht
zu verlieren, baute er in Jambu' eine Festung und Hess dort eine
Desatzung unter dem Befehl eines seiner Söhne zurück ’). Mit der
gewöhnlichen Geschäftsführung beauftragte er einen Wezir 5) und
wandte der Bildung eines zahlreichen Heeres von Freien und Skla-
ven besondere Sorgfalt zu *). Die Grenzen seiner Herrschaft bildeten
nördlich Medina und Jambu', südlich Hali in Jemen*).
Die auswärtige Politik Qatädah’s scheint zunächst etwas räthsel-
haft. Das Reich Saladins war zwar nach dessen Tode getheilt und
somit geschwächt, aber es macht doch den Eindruck unüberlegter
Frechheit, wenn Qatädah 1215 dem die Wallfahrt vollziehenden Sohne
'Adils5), der ihn fragt, wo er einkehren soll, auf die Strasse hin-
weist; kein Wunder, dass dieser gleich darauf den Scherif von Medina
mit Truppen gegen Qatädah unterstützte. Viel schlimmer verdarb
er es mit dem Chalifen von Baghdad beim Haddj von 1212 *). Ein As-
sassine, der sich unter den 'iräqischen Pilgern befand, ermordete
während der Piigerversammlung im Thale Muna einen Scherif, der
dem Qatädah sehr ähnlich gewesen sein soll. Gleich schliesst Qatädah,
der Mörderdolch sei vom Chalifen, und zwar gegen ihn , gemiethet,
und greift mit Scherifen und Sklaven raubend und mordend alle
Träqenser an. Die Anwesenheit einer Schwester 'Adils aus Syrien
konnte nur theilweise den Zorn des Scherifs einschränken ; gegen
Zahlung einer beträchtlichen Geldsumme durften die Pilger ihre
religiösen Pflichten erfüllen und dann eilends abziehen. War der
Verdacht Qalädah’s begründet, oder suchte er vielmehr einen Anlass
zum Streit? Wie dem auch sei, er besann sich nachträglich und
schickte seinen Sohn mit einigen von seinen Leuten in Leichenge-
wändern mit gezogenen Schwertern als Sühnopfer zum Chalifen;
er hat wohl gewusst, dass man ihr Blut nicht in unnützer Weise
vergiessen würde. Der Chalife Nägir schickte die Gesandtschaft mit
Geschenken zurück, lud dann aber den Vater selbst zu einem
Besuche ein. Qatädah antwortete spöttisch mit einem Gedichte, in
1) IA XU: 184; CM 11:214. 2) MK 124. 3) MK 125.
4) IA Xll : 2C1, cf. CM II : 214. 5) CM 11 : 2G3.
6) CM II: 260 ff.; IA X1I:195; MK 123—4; OT (D) 125.
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77
welchem er das Leben im eignen , armen Lande dem Reisen in
die Fremde vorzieht. »Es geht mir”, so schliesst er, »wie dem
»Moschus; ausserhalb eures Landes dufte ich; bei euch würde ich
»zu Grunde gehen (verduften)” *). Die spätere Legende lässt ihn
zuerst nach Baghdad reisen , dann aber , nachdem ihm eine Ge-
sandtschaft entgegen gekommen, in deren Gefolge sich gefesselt Löwen
befinden, mit dem Ausrufe zurückkehren : ich gehe nicht in ein
Land , wo Löwen gefesselt werden ! Wozu aber die herausfordernde
Verwegenheit, wenn er in seinem armen Lande ruhig zu bleiben
wünschte? Das Räthsel löst sich einigermaassen durch die Mitthei-
lung eines Schriftstellers aus Jemen *) , Qatädah habe sich eifrig
für die gerade in seinen Tagen in Südarabien emporgekommene
zaiditische Dynastie des Hasaniden al-Man^ür bemüht. Schfiten zai-
ditischer Farbe trieben seit Jahrhunderten in Jemen eine erfolgreiche
Propaganda; 1197 gründete ein vlrnärn” von hasanidischem Stamme
hier ein zaiditisches Reich und schickte Gesandtschaften mit der
Bitte um Hülfe an die Parteigenossen bis in die entlegensten
Länder s). Die Meisten antworteten selbstverständlich mit den besten
Wünschen und mit Geldsendungen ; von Qatädah heisst es aber,
er habe energisch die Interessen des Imäms verfochten. Soviel ist
aus Qatädah’s Worten und Handlungen klar, dass er alle auswär-
tigen Beziehungen nur als Mittel zum Zwecke seines westarabischen
Königreichs betrachtet hat. Wahrscheinlich hat er einen Augenblick
geglaubt, das neue Imämat von Qan'ä könnte auf der Weltbühne
eine Stellung neben Egypten und 'Iräq erobern, und dann wäre
ihm natürlich kein Oberherr lieber gewesen als dieser stammver-
1) MK 123 — i, OT (D) 125; der Aalass zum Gedichte ist bei IA XII : 261 ein wenig
anders; an der Hauptsache ändert daa aber nichts.
2) M*. Leid. 1956, II : fol. 11 r° (citiert in Landbergs Katalog, S. 67 f.); vergl. OT
(D) 166; JA XII: 113.
3) Die ji-muuLseheu Schriftsteller überschätzen wohl manchmal die Bedeutung der poli-
tischen Geschichte ihrer Heimath für das Ausland. Ich besitze eine Handschrift über
die Geschichte Jemens im lOten Jahrh. II., der als Anhang zwei von den vielen Send-
schreiben des Imäms al-Mnajjad beigegeben sind, welche er an den persischen Schah
Abbas und an die Scberife von Mekka schickte, um Beide zur Mitwirkung gegen die
Türken anzutreiben. Man kann sich denken, dass keiner von diesen Fürsten sich im Ge-
ringsten durch solche Einladungen bestimmen Hess.
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78
wandte Fürst eines dem seinigen in mancher Beziehung ähnlichen
Landes. Die Erfahrung hat ihn wohl bald eines Bessern belehrt;
er blieb zwar, wie die meisten seiner Verwandten , Zaidite und ein
guter Freuud des Imams, ohne aber dessen Kämpfe zu führen. In
seinem Testament *) ertheilte er seinen Verwandten folgende War-
nung: Lasset euch nicht auf allzu enge Beziehungen mit fremden
Mächten ein : «denn Allah hat euch und euer Land durch dessen
u Unzugänglichkeit geschützt , sodass man nur mit grösster Anstrengung
« hineingelangt” . Nach der Wiedereroberung Jemens durch einen Enkel
'Adils 121(5 wurden im öffentlichen Gebet in Mekka ausser dem Cha-
lifen und dem Scherif auch die ajjubidischen Herren Egyptens, Syriens
und Südarabiens genannt8). Im letzten Lebensjahre Qatädah’s,
1221 *), machten sich schon in Mekka durch das Fehlen der Perser
beim Haddj die Folgen der schrecklichen Mongoleneinfalle be-
merkbar; in den folgenden Jahren wurde die Theilnahme einer
Karawane aus cIräq am Haddj eher Ausnahme als Regel.
Der alte Grossscherif schmiedete noch als Siebzigjähriger immer
neue Pläne zur vollständigen Unterwerfung des »unzugänglichen
Landes”; zuletzt unternahm er eine grosse Expedition gegen Me-
dina. Krankheit halber musste er die persönliche Theilname an
derselben aufgeben , nach Mekka zurückkehren und seinen Brüdern
und Söhnen die Führung überlassen. Es wurde ihm nicht vergönnt,
ruhig zu sterben. Sein Sohn Hasan ') glaubte zu wissen , dass sein
Vater vorhabe, nicht ihn , sondern einen Oheim zum Nachfolger zu
ernennen; dem vorzubeugen, tödtete er den vermeintlichen Kan-
didaten und , da ihm hinterbracht ward , sein Vater wolle ihn den
Mord mit seinem eignen Leben büssen lassen, wandte er sich
eilends nach Mekka, dem kranken Greise einen verfrühten Tod zu
bereiten. Darauf berief er seinen in Jambu' als Befehlshaber der
Festung weilenden Bruder zu sich und erschlug auch diesen; die
übrigen Mitbewerber entzogen sich durch die Flucht einem gleichen
Ende, und Hasan war Fürst der Gottesstadt *) ! Am nächsten Feste
1) MK 128. 2) CM n : 263. 8) CM 11 : 265, cf. 268.
4) IA XII : 262 ff. ; CM II: 263 ff., Stammtafel II, 2.
5) CM II : 215; IA XII: 268— 9, 303; MK 124.
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79
(1121 oder 22) opferte er seinem Misstrauen den Emir der Kara-
wane von 'Iräq, den er in Verdacht hatte, auf der Seite seines
Bruders Rädjib zu stehen, that dann aber der Plünderung der
armen Pilger, auf welche seine Banden gierig losstürzten , durch
sein Verbot Einhalt: der Ueberbringer des Verbots brachte als Be-
glaubigung den Turban des Grossscherifs mit. Seiner Tyrannei setzte
bald der Ajjubide Mas'üd, der im Namen seines in Egypten re-
gierenden Vaters Jemen zurückerobert hatte, ein Ziel. Dieser Prinz,
dessen Leichtsinn und unverschämtes Gebahren gegen die Vertre-
ter des Chalifen die Historiker hervorheben ’), versagte den Sche-
rifen jede Theilnahme an der höchsten Gewalt und setzte seine
Heerführer als Statthalter von Mekka ein. Als aber nach seinem Tode
einer von diesen, Nür öd-dln , Jemen zu seinem unabhängigen
Gebiete machte (1282), knüpfte er wieder mit den Söhnen Qatä-
dah’s an, weil er in Mekka einen vorgeschobenen Posten gegen
die egyptisehe Macht brauchte. Egypten , wo die Ajjubiden all-
mählich zum Spielzeug ihrer türkischen Mamluken (Sklavenkrieger)
wurden, wollte sich seine lloheitsrechte nicht nehmen lassen, und
so wurde der Hidjäz zum Kampfplatz zwischen beiden Mächten.
Die zehnjährige Periode der Ruhe, wo Medina von Damaskus und
Mekka von Jemen aus für die gleiche ajjubidische Dynastie re-
giert wurden ’), war zu Ende , sobald der nördliche und der süd-
liche Theil des Reiches Saladins zu selbständigen türkischen Für-
stenthümern geworden waren *). Während der busainidische Scherif
von Medina gewöhnlich der egyptischen Sache diente, spielten
beide Mächte gern basanische Kandidaten zum Throne Mekka’s
gegen einander aus; dies war dem südlichen Reiche wegen der
örtlichen Verhältnisse am leichtesten, und solange der Emir von
Jemen eine bedeutende Person war , regierte er doch eigentlich
selbst. Er war es*), der 1240 die indirekten Steuern in Mekka
feierlich abschaffte, sein Arineefübrer stellte dieselben freilich kurz
darauf wieder her. Der Grossscherif hatte sogar eine Zeit lang sei-
1) CM n : 266. 2) CM II : 266—7.
3) CM II : 216 ff., 312. 4) CM II : 268.
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80
ncn Aufenthalt im Wadi Marr ausserhalb Mekka’» '). Schon aus
diesem Grunde und auch wegen der fortwährenden Eingriffe Egyp-
tens haben die Söhne und Enkel Qatädah’s'J, welche bis 1254
einander den Rang streitig machten, geringe Bedeutung.
Die nächsten Jahre führten in der muslimischen Welt fol-
genschwere Umwälzungen herbei : 1258 zerstörten die Mongolen
Baghdad, vernichteten das zu einem Kleinstaat herabgesunkene
Chalifat der Abbasiden und nahmen somit der traditionellen Pil-
gerkaravane aus Träq die letzte Spur der politischen Bedeutung ’).
Unterdessen hatte der Mamlukenfürsl Baibars für Egypten eine
neue Glanzperiode eröffnet , welche des eitlen Prunkes nicht be-
durfte , den dieser Türke mit einem zu ihm geflüchteten , von ihm
als Chalifen eingesetzten Abbasiden trieb. Auch ohne diese Gau-
kelei war Baibars jetzt der mächtigste Fürst des Islam’s und
wurde auch in den Haramein als solcher anerkannt. Nach Mekka
schickte zwar der Emir von Jemen noch 1255 Truppen , welche
zu vertreiben den Scherifen nicht leicht wurde «); und später ,
z. B. 1261 5), wussten diese Fürsten durch Geldvertheilungen und
Schenkung von Kleidern für die Ka'bah den zweiten Rang im
öffentlichen Gebet , nach den egyptischen Sultanen , für sich zu be-
halten , manchmal auch durch ihre Truppen den Bruderkriegen
der Scherife die gewünschte Richtung zu geben *); das entscheidende
Wort war aber bei den Mamluken. Diese überliessen die Verwal-
tung der heiligen Stadt wieder gänzlich der Scherifen , und sie
konnten das thun, weil ein energischer Mann, Muhamraed Abu
Numejj ’), Urenkel QatSdah’s und Stammvater aller nach ihm zur
höchsten Würde gelangten Scherife, beinahe ein halbes Jahrhun-
dert lang (1254 — 1301) die Lage wesentlich beherrschte. Ihm wird
ebenso wie seinem Vater grosse Tapferkeit nachgerühmt. Letzte-
rer*) hatte eine abyssinische Sklavin zur Mutter; diese Concubinen
sind von jeher bei den Scherifen und anderen Mekkanern beson-
1) CM II: 217 ff. AD 35 ff.
3) CM 11 : 269—71.
5) CM 11:271
7; Stammt. II, 11; CM II: 218 ff
2) Vergl. Stammt. II, 4, 7, 8, 9.
4) CM II : 218.
6) CM II : 272—3, vergl AD 37—8.
8) Stammt II, 8.
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81
ders beliebt gewesen. Als er noch ganz jung zum ersten Male in
den Kampf mitzog, rief ihm die Mutter nach: Benimm dich gut,
mein Junge, denn wenn du dich tapfer erweisest, wird man sagen :
sehet den Nachkommen des Propheten! wenn nicht, so wird es
heissen: er hat ja eine Sklavin zur Mutter!1 * * *) In solcher Lehre war
auch Abu Numejj gross gezogen ; sonst hätte er nicht so lange unter
den mit echt-alidischer Fruchtbarkeit sich stets vermehrenden Sehe-
rifen das Uebergewicht behalten. Mit seinem Oheim Idrls ') war er
allerdings genüthigt bald um die Herrschaft zu kämpfen , bald
deren Yortheile zu thcilen , und nachdem er diesen getödtet, musste
er auf kurze Zeit seinem mit Hülfe des Husainiden von Medina
herbeieilenden Vetter Ghänim ’) weichen ; aber in allen Kämpfen behielt
Abu Numejj schliesslich das Feld. Mit seinem Schutzherrn ver-
fuhr er in ganz eigenthümlicher Weise. Als Baibars 1 209 selbst
zum Haddj kam*), fand er Abu Numejj mit seinem Oheim Idris
in heftigem Streit; durch sein Machtwort wurden Beide genöthigt,
sich zur gemeinsamen Herrschaft zu verständigen, aber, damit sich
nicht nach seiner Abreise der Kampf gleich erneuere, blieb auf die
eigene Bitte der Scherife eine egyptische Heeresabtheilungin Mekka
zurück. Damals standen von solcher Kontrolle noch keine unange-
nehme Folgen zu befürchten. Die Wiederaufnahme des Kampfes blieb
trotzdem nicht aus; auch hat Abu Numejj in der Folge augen-
scheinlich mehr als einmal die Ausplünderung der egyptischen Haddj-
karawane veranlasst oder begünstigt5). Einmal Hess der egyptische
Sultan sich kaum durch die Entschuldigungen und Geschenke Abu
Numejj’s davon abhalten, ihm eine starke Heeresmacht auf den
Hals zu schicken ; so blieb es bei der Drohung.
Der Grossscherif wusste für sich und seine Nachkommen so sehr
den Vorrang vor allen Verwandten zu gewinnen , dass in seinen
letzten Lebenstagen nur die Frage entstand , wer von seinen Söhnen
ihm nachfolgen werde. Den unvermeidlichen Kampf möglichst lange
hinauszuschieben, verfügte Abü Numejj selbst, dass Rumeithah •)
1) AD 36. 2) Stammt. II, 5.
3) Stammt. II, 9. 4) Vorgl. auch CM II : 271-2.
5) Vergl. auch CM 11:272 — 1 6) Stammt. II, 13 und 14.
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und Humeidhah ') sich in das Emirat theilen sollten, und übergab
ihnen kurz vor seinem Tode (1301) die Geschäftsführung. Seine
lange Regierung hatte die Grundlagen der Herrschaft der Söhne
Qatädah’s befestigt; zu diesen Grundlagen gehörten natürlich auch
die ungeschriebenen Gesetze oder Gewohnheitsregeln (‘ Adah's oder
Qänüns) , welche das Verhältniss des Fürsten von Mekka zu seinen
Verwandten , seinen Unterthanen und seinen Schutzherrn bestimm-
ten, und die Formen, in denen dieses Verhältniss zum Ausdruck
kam. Dies alles brauchte man nicht erst zu erfinden; die Scherife
setzten ja in Mekka grösstentheils die Lebensart fort, die sie seit
Jahrhunderten in verschiedenen Theilen des Hidjäz beobachtet hat-
ten; die Kämpfe, Bündnisse, Schlichtung von Streitigkeiten zwischen
den Mitgliedern dieses Adels, Alles fand nach »altem Herkommen”
statt , welches zwar in stetem Werden begriffen war, aber trotzdem
seinen Bekennern zu jeder Zeit als fest und uralt gegolten hat.
Das Emirat der internationalen heiligen Stadt musste sich zwar in
mancher Beziehung anders gestalten als die Emirate der übrigen
in Arabien als Grossgrundbesitzer oder Stamraeshäupter herrschenden
Scherife; dazu wurde aber das »Herkommen” nur umgebildet, es
fand keine Neubildung statt. Detaillierte Berichte über diese Regeln
des öffentlichen Lebens in Mekka liegen erst aus späterer Zeit vor;
obgleich die Hauptsachen gewiss schon aus der Zeit Abu Numejj's
herstammen , wollen wir eine Skizze des Ganzen bis dahin aufschie-
ben, wo uns dieses fertig entgegentritt. Einiges verdient aber schon
jetzt unsere Aufmerksamkeit.
Anlässlich des Todes Abu Numejj’s*) finden wir schon als
eine ständige Sitte erwähnt, was auch fernerhin von den Gross-
scherifen und ihren angesehensten Verwandten berichtet wird ,
dass man nämlich mit ihrer Leiche einen feierlichen siebenma-
ligen Umgang um die Kacbah hielt, sie also nach ihrem Tode
gleichsam noch einmal die religiöse Handlung verrichten liess ,
welche sie im Leben bei allen feierlichen Gelegenheiten zu ver-
1) Stammt. II, 13 und 14.
2) AI) 38. Zur Zeit des Verf. von MK war die noch vieler Ansicht ketzerische Sitte der
Umgango mit den fürstlichen Leichen langst abgeschafft; dos Datum der Abschaffung
kaunte mau damals (im Laufe des I7ten Jahrhunderts) nicht mehr.
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richten pflegten; auch wurde über dem Grabe Abu Numejj’s,
gleichwie über denen seiner berühmtesten Nachfolger, auf dem
Ma'läfriedhofe eine Kuppel erbaut. Es scheint mir sehr fraglich, ob
die egyptische Ueberlieferung *) Recht hat , wenn sie den Ursprung
der Sitte, von Egypten und andern Landern jährlich ein Mahmal *)
zum Haddj zu senden, gerade in die Tage des Abu Num£jj und
des Baibars verlegt. Maimal ist der ursprüngliche allgemeine Name
aller jener Sanften , in welchen man zu Kameel reist und welche ,
je nach ihrer verschiedenen Form und Einrichtung, Schuqduf,
Hudadj oder Sailek ') heissen ; diese speciellen Namen haben den
allgemeinen aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch verdrängt. Der
Name Mahmal dient seit Jahrhunderten zur Bezeichnung der leeren,
prachtvoll ausgeschmückten und überdeckten Sänften , welche die
muslimischen Fürsten , die in Mekka einen Ehrenplatz beanspruchen
konnten, jährlich zum Pilgerfeste sandten. Wir haben oben*) ge-
sehen , dass von Alters her der Herr der Gläubigen oder, wer seine
Stelle vertrat , auf der Ebene 'Arafat eine Falrne aufzupflanzen pflegte
und dass später die politische Zerstückelung des lslam’s die Viel-
heit der Fahnen herbeiführte; auch war schon die Rede von nicht
genauer beschriebenen »Zeichen” der fürstlichen Würde, welche in
'Arafat um den Vorrang kämpften *). Nun wäre es allerdings mög-
lich, dass die Wallfahrt einer Fürstin Egyptens in einem pracht-
vollen Mahmal den Sultan Baibars (1272 oder 77) auf den Gedanken
geführt hätte, als »Zeichen” seiner Würde fortan ein Mahmal mit
der Pilgerkarawane nach Mekka zu schicken'); nur bliebe es dabei
sonderbar, warum alle konkurrierenden Fürsten ohne Verzug diesem
Einfalle gefolgt wären. Ein prachtvolles Mahmal kam 1321 aus
1) Vorgl. die ausgezeichnete Beschreibung bei Laue , Mannera and Customs of the
modern Egyptians, 5tl1 edition, II : 161 ff.
2) Vergl. Bild V, wo Othman Pascha, Gouverneur dos tfidjaz, 1886 das Mahmal von
Egypten in Empfang nimmt.
3) Vergl. mein „Mekkanischo Sprichwörter und Redensarten” i. vv., und Ibn Jubair
63, 178.
4) 8. 29, 39.
6) Vergl. zuletzt noch CM 11:265 — 6 (Jahr 1222), 11:271 (.in den Jahren 1257
und 1262).
6) Lane, a. a. 0.
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cIräq'), und erst 1472 gelang es den Egyptem *), diesen Mitbe-
werber auf immer zu beseitigen; 1380 mussten die Sclierife das Malmal
des Fürsten von Jemen, dessen Wohlthaten sie ungern verscherzt
hätten , gegen Uebergrifle von Seiten der Egypter schützen s) , und
dieses war jedenfalls nicht das erste »/Zeichen” ') der Art aus Südara-
bieu. Man wird versucht, irgend einen Zusammenhang dieses MaimaFs
mit der vielfach bezeugten arabischen Sitte vorauszusetzen, portative
Heiligthümer auf Reisen und namentlich im Kampfe mit sich zu füh-
ren 5); die »Leute der Stadviertel” in Djiddah pflegen noch immer bei
Volksfesten MahmaF s anzufertigen : jedes Stadtviertel bekommt einen
speciellen Festtag zugewiesen und veranstaltet einen Aufzug, der
namentlich durch sein Maimal die (gewöhnlich verfeindeten) ande-
ren Quartiere überbieten will. Wie dem aber auch sei, das Mali-
mal als unpersönlicher Vertreter des Schutzherrn Mekka’s und sol-
cher Fürsten , die mit ihm wetteifern , begegnet bald nach der Re-
gierung Abu Numejj’s als »herkömmlich”, und ebenso die //Eh-
renbezeigung” ( Chidmal al- Maimal) der Scherife diesem leeren
Gestell gegenüber. Sie reisten demselben entgegen, erhielten von
dem das Maimal und die Pilgerkarawane begleitenden Emir ein
Ehrenkleid , welches ihnen die fortdauernde Zufriedenheit des Schutz-
herrn bezeugte. Von schwachen Scherifen forderten die Haddjemire
manchmal Ehrenbezeigungen erniedrigender Art, gegen welche sich
dann ihre Nachfolger sträubten; die Begegnung wurde wohl zur
Gefangennahme eines missliebig gewordenen Grossscherifs benutzt;
kurz, die MaimaF s dienten Jahrhunderte lang als Barometer für
die politische Witterung Mekka’s.
Der Sohn des einstigen Nebenbuhlers Abu Numejj’s, Muhammed ibn
Idrls *), konnte nicht verhindern , dass die Erbschaft ausschliesslich
dessen Söhnen zufiel. Diese führten aber mit einander, wenn sie nur
freie Hand hatten , einen erbitterten Kampf um die Beute, der fast den
ganzen Zeitraum 1301 — 4G ausfüllte 7). Die Mamlukensultane Egyp-
1) CM 11:278. 2) MK 160. 3) CM 11:287, cf. SH.
4) „Zeichen” aus J&men ohne nähere Bezeichnung begegnen CM IT : 265 — 6, 281 — 2.
6) Vergl. de Goeje, Memoiros d’histoiro et de gcographie orientales , 2. ed., N° 1, 8. 180.
6) Stammt. II, 10.
7) CM H; 220 ff., 275 ff.; MK 130 ff.; OT (D) 126 ff.; Stammt. II, 13, 14, 15, 16.
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85
tens griffen nur dann und wann ein , meistens weil die Parteien selbst
darum baten ; einer oder zwei von den Brüdern wurden dann in Egypten
gefangen gehalten, bis die Missregierung der andern den höchsten
Grad erreichte. Dann schickte man jene zurück, gewöhnlich unter
der Bedingung der Abschaffung einiger drückender Steuern ; die
Erfüllung dieser Verpflichtung vergassen sie ausnahmslos. Humeidhah
entfloh 1315 der egyptischen Haft und versuchte wieder einmal
eine andere Macht gegen Egypten ins Feld zu ziehen. In cIräq war
als Niederschlag der Mongoleneinwanderung ein muhammedanisches
Mongolenreich entstanden; Humeidhah erregte bei dem Fürsten
desselben , Chodäbende , die Begierde nach der Ehre der Erwäh-
nung im öffentlichen Gebet in Mekka und versprach ihm diese,
wenn er ihm zur Besiegung seiner Brüder verhelfe. Die Sache wurde
von Chodäbende eifrig in die Hand genommen , durch seinen plötz-
lichen Tod verlief aber das Unternehmen in den Sand. Unter Cho-
däbende’s Sohn Abu Sa'ld erlangte die Pilgerkarawane von 'Iräq
mit ihrem Mabmal etwas vom alten Glanze zurück *); auch machte
dieser Fürst sich um die raekkanische Wasserleitung sehr verdient ’).
Politische Bedeutung batte das aber kaum, und Humeidhah war
unterdessen durch einen vom Sultan Egyptens gedungenen Dolch
ums Leben gebracht. Wenngleich die anderen Brüder sich nicht
auf ähnliche Abenteuer einliessen , so war doch ihre Neigung zu
ihrem egyptischen Schutzherrn recht kühl; sie erwirkten von ihm,
als Ersatz für die Besteuerung der Lebeusmittel der Mekkaner, die
Stiftung einer beträchtlichen jährlichen Kornsendung aus Oberegyp-
ten (1322) s) und erhoben die Steuern wie zuvor; sie erbaten sich
Truppen zur Beendigung ihrer Streitigkeiten und überwarfen sich
dann gleich mit den Heerführern *), lieferten ihnen sogar in den
Strassen Mekka’s Gefechte, in deren einem der egyptische Emir
und sein Sohn (1330) getödtet wurden; sie gestatteten, dass im
heiligsten Theile der Moschee zaiditische Vorbeter nicht nur regel-
mässig Gottesdienste abhielten, sondern öffentlich für den Imäm
der Zaiditen in Jemen, also implicite für den Untergang der egyp-
1) CM H : 278. 2) CM II : 53, yergl. oben 8. 9.
3) CM 11:278. 4) MK 133, rergl. CM 11:222, 279—80
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tischen Dynastie , beteten , und erst beim Herannahen eines egyp-
tisehen Heeres machten sich diese Agitatoren (1325) zeitweise aus
dem Staube. Kein Wunder, dass Sultan Nägir I einmal den Ent*
Schluss fasste, die unwürdigen Söhne der Tochter Muhammeds
sämmtlich auszurotten ; die Gelehrten traten aber energisch für den
in der Religion begründeten Adel ein. Das Mabmal aus Jemen wurde
ebenso wie vorhin aus rein materiellen Gründen von den Scherifen
gegen die Egypter geschützt '); als der Emir von Südarabien aber
die Ka'bah mit einem Kleide und einer neuen Thür beschenken
wollte, verhinderten sie dies, weil solche Gaben ihnen nicht ge-
nützt und also unnöthiger Weise den Aerger des Oberschutzherrn
erregt hätten. Ohne Grösse des Charakters oder besondere Fähig-
keit, war doch Rumeithah auf die Dauer seinen Brüdern über-
legen ; ihm blieb schliesslich die Alleinherrschaft. Schon ein Jahr
vor seinem Tode gab der bevorstehende Thronwechsel seinen Söh-
nen *) Anlass , einander zu bekriegen. Das vernünftige Testa-
ment Qatädah’s schien bei seinen Nachkommen völlig in Verges-
senheit gerathen zu sein : cAdjlän reiste eigens dazu nach Egypten,
seine Anstellung und einige Hülfstruppen einzuholen; hier wie
überall waren die Aliden , denen es leicht gewesen wäre, die Ge-
schichte des Islam’s zu lenken , durch ihre Habgier zur Schwäche
verdammt. Mit Recht sagt der grosse Historiker Ibn Chaldün, die
einzigen Aliden, denen es nach menschlichem Ermessen möglich
wäre, als //rechtgeleitete Fürsten”, als MahdI’s an die Spitze des
Islam’s zu treten , wären in den späteren Zeiten die Scherife West-
arabiens . . . wenn nicht ihre ewige Uneinigkeit ihre Kraft lähmte.
Der Fürst von Egypten versuchte diesmal , dadurch eine Verstän-
digung herbeizuführen, dass er den Hauptgegenstand des Familienstrei-
tes , die Einkünfte Mekka’s , zwischen ‘Adjlän und dreien von seinen
Brüdern vertheilte, sodass jener */«, diese zusammen die andere
Hälfte bekämen. Es war diese Regelung im Grunde nur die Fixie-
rung der bis dahin als selbstverständlich geltenden Sitte, das sich
das regierende Familienhaupt das Wohlwollen seiner einflussreichsten
1) CM II : 281—8.
8) Stemmt. H, 18, 19, 20, 21; CM U: 222 ff., 282 ff.; 316; MK 135 ff
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Verwandten durch theilweise Befriedigung ihrer Habgier erkaufte.
Seitdem machten solche Verwandten dem Grossscherife gegenüber das
Recht auf einen bestimmten Antheil als ein //herkömmliches” gel-
tend; der Friede wurde aber durch dieses »Herkommen” in keiner
Weise gefördert. Zu den alten Streitfragen kam jetzt die neue : was ge-
hört zum persönlichen Eiukominendes Herrschers, und welche Einnah-
men sind als Regalien der Theiiung zu unterziehen P Auch waren die
Einkünfte ganz unbestimmter Art; ein Grossscherif , der zu viel
erhob, erweckte Unzufriedenheit und leistete so der Sache seiner
Nebenbuhler Vorschub; wer dagegen mit seinen Unterthanen glimpf-
lich verfuhr, konnte die Hiinde seiner Verwandten nicht füllen. So heisst
es denn in der Folge in den Chroniken Mekka’s Jahr auf Jahr: da
kündigten die Brüder oder Vettern des Grossscherife ihm den Ge-
horsam wegen der ewigen Frage der herkömmlichen Gehälter ').
Nach drei Jahren zogen schon die drei Brüder ‘Adjläns unzufrieden
von Mekka fort; nur einem gelang es, ihm später und bis 1361
mit wechselndem Erfolge entgegenzutreten. Die Jahre 1346 — 75
darf man trotzdem als die Periode cAdjläns bezeichnen, denn die
Regierungsjahre Thuqbah’s sind meistens solche, worin er neben
seinem Bruder den zweiten Rang einnahm, oder sie bilden kurze
Unterbrechungen von dessen Herrschaft. Nur einmal (1359) setzte
die egyptisehe Regierung, des ewigen Haders überdrüssig, beide
Brüder ab und führte mittels einer Truppensendung die Einsetzung
eines nach Jemen entflohenen Bruders s) und eines in Egypten be-
findlichen Vetters l) * 3i durch. Die rücksichtslosen Türken und die an-
spruchsvollen Scherife vertrugen sich niemals; ein blutiger Kampf
zwischen den Leuten eines der neu angestellten Scherife und den
zu seinem Schutze anwesenden Türken veranlasste die Rückkehr
der Letzteren nach Egypten , wo der Sultan auf den Bericht von
diesen Vorgängen abermals schwur, jetzt alle Scherife auszurotten *).
l) rt~j’ i
3) Stammt II, SO. 3) Stammt. II, 22.
1) l)ie Scherife hatten bei dieser Gelegenheit die Dreistigkeit so weit getrieben, dass
sie gebogene Türken in Jambu' als Sklaven verkauften.
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Wären die Zustände in Egypten besser geordnet gewesen, die That
wäre vielleicht dem Worte gefolgt. Der Sultan überlegte sich aber
die Sache noch einmal und schickte schliesslich den gefangenen
‘Adjlän zurück; dessen Hauptgegner Thuqbah starb gerade zur
rechten Zeit, und ‘Adjlän brauchte jetzt nur noch für die Erhaltung
der höchsten Würde in seinem Hause Sorge zu tragen. Die Weise,
wie er dies zu Stande brachte, wurde wegen ihrer Zweckmässigkeit
zu einer von den öfters erwähnten »Gewohnheiten” der späteren
Scherife: er nahm sich seinen Sohn Ahmed 13G1 zum Mitregenten
und wies ihm */« der Einkünfte als Gehalt an, führte also bei
seinem Leben allmählich den Uebergang herbei, der nach seinem
Tode sonst nur gewaltsam hätte stattfinden können. Da er noch
dazu 1372 des Lebens satt die Stadt verliess , um seine drei letzten
Jahre auf dem Lande zu verbringen , und fernerhin weiter nichts
als die Erwähnung im Gebete für sich verlangte, konnte er aus-
nahmsweise sterben , ohne den Gedanken , dass seine Söhne schon
mit gezogenen Schwertern sich gegenüber ständen.
Die Mekkaner wären wohl berechtigt gewesen , diese Nachkommen
des Propheten mit unter den Balawi (Unglücken) aufzuzählen , mit
welchen Allah sein »ödes Thal” ausgestattet hat. Die vielen Hun-
gerjahre Mekka’s, denen manchmal schreckliche Seuchen folgten,
wurden nur theilweise durch Regenmangel oder Missernte in Egyp-
ten verursacht; das Uebrige thaten »unsere Herren die Scherife”
hinzu. Die drückenden Steuern Hessen sich diese immer wieder von
den egyptischen Fürsten um schwere Jahrgelder abkaufen , aber ,
obgleich die Abschaffung auf hohen Befehl durch auf den Moschee-
säulen eingegrabene Dokumente veröffentlicht wurde '), setzten sie
sich, »altem Herkommen” gemäss , gleich darüber hinweg , und mit
derselben Konsequenz verwendeten sie niemals einen Pfennig auf
gemeinnützige Zwecke.
Die politische Abhängigkeit von Egypten consolidierte sich immer
mehr; gegen bedeutende Geldsummen Hess ‘Adjlän einige Jahre
(1359 — 69) den Namen des Mongolensultans von Baghdad mit in
1) Vergl. 2. B. CM II : 286 (im Jahre 1365).
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das Gebet aufnehmen '); er sorgte aber dafür, dass dieser Form
keine weitere Bedeutung beigelegt wurde, und als das Geld aus-
blieb, hörte auch das Beten auf. Auf der anderen Seite hat cAdj-
län , ohne Zweifel den egyptischen Gönnern zulieb, 1353 eine
Verfolgung gegen die Sekte unternommen *), zu welcher sich seine
Ahnen bekannten. Die Zaiditen hatten immer noch ihre eigne
Stelle in der Moschee, sogar ihr eignes Mirabar (Kanzel); sie be-
teten hier selbstverständlich für ihre jemenitischen Imäme, die
Stammesgenossen 'Adjläns. In Zeiten, wo kein besonders reges
politisches Leben unter den Schriteu Jemens herrschte, war dies
ganz unschuldig; wurden ja dort auch sunnitische Gelehrte und
sogar Richter geduldet. Nur wenn die eifersüchtigen Egypter zahl-
reich in Mekka waren, zogen sich die »Ketzer” etwas zurück.
'Adjlän liess die bekanntesten Vertreter dieser Lehre , deren Haupt-
fehler die Liebe zu seinen Vorfahren war, geissein, den standhaf-
ten Mueddin zu Tode, den Imam bis er »sich bekehrte von der
»Ansicht, als wären Blut und Gut der Schäfi'iten von Gottes
»wegen erlaubt (= vogelfrei).” Praktisch hatte diese Lehre damals
und dort die gleiche Bedeutung wie heutzutage in protestantischen
Ländern die Ansicht gewisser Katholiken, dass die Tödtung der
Ketzer ein verdienstvolles Werk sei; der Nachkomme üatädah’s
geisselte aber mit ägyptischem Kurbasch. Die specielle Erwähnung
der Schäfi'iten, wo doch das Gleiche von den übrigen Schulen gilt,
hat ihren Grund in der damals noch von dem Abbasidcnreiche
überkommenen vorwiegenden Bedeutung dieses Ritus, dem die
Mehrzahl der Bevölkerung Unteregyptens, Syriens und Westarabiens
angehörte. Augenscheinlich waren die mekkanischen Scherife —
ganz leise, sodass ein Datum sich nicht einmal annähernd bestim-
men lässt — zu diesem , in politischem Sinne herrschenden Ritus
übergetreten ; namentlich die regierende Familie , denn von den
übrigen ist es weniger wahrscheinlich. In religiöser Beziehung war
es natürlich gleichgültig , zu welchem Madhab diese Aliden zählten,
1)CMD: 286. 8) MK 136.
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denn ihnen schien jedes göttliche Gesetz nur zum Uebertreten ge-
geben zu sein.
Die Regierung der Söhne 'Adjläns hatte, wie gesagt, schon bei
dessen Leben begonnen (1361), und sie dauerte nach seinem Tode
noch 51 Jahre fort (1375 — 1426)'). Anfangs schien es, als hätte
'Adjlän durch die Wahl seines Nachfolgers für die ganze Periode
Ordnung geschaffen, denn 11 Jahre lang regierte Ahmed ungestört
und , dem väterlichen Beispiele folgend , nahm er sich schon seinen
ganz jungen Sohn Muhammed zum Mitregenten. Ahmed hatte aber
gewaltsam jede Regung seiner Verwandten unterdrückt ; manche von
diesen schmachteten in seinem Kerker; sobald er starb (1386), war
die Partei der Gefangenen auf Mittel bedacht, sich zu rächen. Sie
fand ihren Hauptvertreter in einem Neffen 'Adjläns *), der in Egyp-
ten seine eigne Anstellung einholte und dem Emir der Pilger-
karawane, in dessen Begleitung er nach Mekka kam, den Rath
ertheilte, sich durch Meuchelmord des jungen Muhammed zu ent-
ledigen , sobald er zur Ehrenbezeigung sich dem Maimal näherte.
Der schnöde Plan wurde ausgeführt; dem Anstifter gelang es aber
nicht, eine Regierungspartei zu bilden; auf die Dauer konnte er
nur in der unter Scherifen gebräuchlichen Weise Opposition
treiben, d. h. die zum Sitze des Gegners führenden Wege un-
sicher machen , seine Unterthanen wo immer möglich berauben ,
seine Feinde, namentlich unter den Beduinen, zu Angriffen er-
muntern. Ein anderer Sohn 'Adjläns: Hasan (1396 — 1426) war
ihm überlegen durch seine Klugheit sowohl im Verkehre mit seinen
rührigen Verwandten als namentlich durch sein diplomatisches Ge-
schick den Schutzherren gegenüber. Hasan zeigte den gleichen
Sinn, der im Testamente Qatädah’s Ausdruck gefunden hatte;
sein Aufenthalt in Egypten vor seiner Anstellung hatte ihn aber
gelehrt, dass die veränderten Zeiten andere Mittel zur Erreichung
des Ziels seines Vorfahren nothwendig machten. Er wurde gleich
über den ganzen Hidjäz eingesetzt und wusste auch seine Autorität
bei den immer noch in Medina regierenden Husainiden zur Geltung
1) Vergl, Stammt. II. 23-31; CM II: 225 IT.; 287 ff.; 111:187 ff; MK 138 ff
2) Stammt II, 25.
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zu bringen '). Energisch betrieb er die Vermehrung seiner Heeres-
macht , um etwaigen Intriguen seiner in Egypten verweilenden Ver-
wandten die Spitze bieten zu können ; kam aber aus Egypten der
Bericht von seiner Absetzung (so 1410 und 15), so zog er mit
aller Kraft seine Leute zusammen, bereitete sich thatsächlich zum
Widerstand, blieb aber durchaus höflich und scheinbar seinem
- Schutzherrn untergeben. Er schickte dann eine Gesandtschaft nach
Egypten zur Aufklärung des bedauerlichen »Missverständnisses”,
vergass nicht die nöthigen Geschenke mitzugeben , und die Wie-
dereinsetzung blieb nicht lange aus 9). Dann hatte er das Recht ,
seine unwilligen Verwandten im Namen des Sultans zu bekämpfen,
und wurde bald wieder Herr der Hauptstadt. Die Fürsten , mit
welchen er in dieser Weise ein leidliches Verhältnis herzustellen
wusste, waren nicht mehr die Mamlukensultane; seit 1382 hatten
die Cirkassier den Thron besetzt, über den sie längst verfügten.
Von Sklaven-soldaten waren sie zu Herren ihrer Herren geworden,
und die Dynastie erfrischte sich stets durch neue Zufuhr aus ihrer
Heimath, bis die Othmanen 134 Jahre später Egypten unterjochten.
Hasan trat auch dieser neuen Macht gegenüber für seine anderen fürst-
lichen Gönner ein; er hielt die Egypter mit Gewalt von der Belei-
digung des MalmaVs aus Jemen zurück ä). Die Bedeutung solcher
Fremden , welche nie Ansprüche auf einen Rang im heiligen Gebiete
erhoben hatten, war im Zunehmen; grosser Besuch von Tökrüri-
negern und Maghribinern *) wird z. B. bei den Festen von 1826
und 84 berichtet; zu den Einnahmen des Scherifats trugen solche
Pilger nicht wenig bei. Damals wie jetzt lag aber die wahre Gold-
grube der Mekkaner in Indien; dorther kamen steinreiche Pilger,
die Schätze um sich her streuten , und die frommen Fürsten
wollten sich durch Gaben und Stiftungen das segenbringende Gebet
1) CM H: 228. IH : 200.
2) Auf die höflichen Einwendungen Hasans gegen die Möglichkeit seiner Absetzung
antwortete ihm ein Emir der Haddjk&rawane ängstlich: „Dies ist ja eure Stadt von jeher,
und der Sultan hat euch lieb!" MK 145.
3) CM 11 : 287 — 8. Auch aus ßaghdad kamen dann und wann in dieser Periode Pil-
gerkarawanen mit einem Makmal CM II : 290 ff.
4) AD 45, MK 133.
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der Bewohner Mekka’s erwerben. Ein Bericht über eine bedeutende
Sendung des Fürsten von Bengalen, die während der Regierung
Hasans stattfand, gewährt uns einen Einblick in die Art, wie die
Grossscherife ihre Regierungspflicht auffassten. Die für ihn selbst
bestimmten Geschenke nahm Hasan in Empfang; von den Gaben,
welche den Mekkanern zu Gute kommen sollten, nahm er in her-
kömmlicher Weise ein Drittel; die für eine zu gründende Madrasah
und ein Stiftshaus für Arme erforderlichen Häuser und Grundstücke
lieferte Hasan aus seinem Privateigenthum uin theures Geld; eine
bedeutende Summe zur Ausbesserung der Wasserleitung übernahm
er zu administrieren; das indische Schiff, welches mit Geschenken
für Medina beladen war, scheiterte zur rechten Zeit in der Nähe
von Djiddah , worauf Hasan sich das »herkömmliche” ’/« des Inhalts
zueignete; da aber der Husainide von Medina nicht ganz unter-
würfig war, belegte er das diesem Zukommende mit Beschlag1 * *)!
Man sieht gleich , dass bei der Entwickelung des früher von uns
berührten »Herkommens” die Scherife dem Kapitel »Einnahmen”
eine besondere Aufmerksamkeit widmeten. Zu den regelmässigen
Einnahmen gehörten ausser den erwähnten Abgaben der schutzlosen
Pilger (darunter auch viele aus dem fernen Osten *) , aus Ostara-
bien: Qatif und el-Hasa, sowie aus Jemen5)), dem */, der ge-
scheiterten Schiffe , dem '/s der Geschenke für die Mekkaner, immer
noch die indirekten Steuern , welche fortwährend ganz oder theil-
weise feierlich abgeschafft 4) und doch herkömmlich weiter erhoben
wurden , das */10 aller importierten Waaren , auf welchen Betrag
die Scherife sich gewöhnlich nicht beschränkten s) , und endlich die
ebenfalls nicht allzu peinlich berechneten Zehntel der Ladung in-
discher Schiffe, welche in Djiddah ankerten. Die Erpressungen,
denen diese ausgesetzt waren, veranlassten 1395 die Schiffer,
den Räuberhafen zu meiden “); bald nachher verständigte man sich
1) CM III : 198 ff. 8) CM II : 298—9. S) MK 189.
4) Z. B. CM H: 268,284 — 6; 111:205, 223. Charakteristisch ist, dass die ägyptischen
Sultane von der befohlenen Abschaffung dor Einfuhrzölle die aus *Iraq und Indien im-
portierten Waaron ausnah men.
6) MX 148. 6; AD 48.
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aber wieder , und der Betrag dieser Zölle erschien dein egyptiscben
Schutzherrn so bedeutend, dass er 1452 die Erhebung an sich zog l * 3 4)
und die Sultane in der Folge sich nur unwillig dazu entschlossen,
dem Grossscherife bald , bald '/» oder V* zu überlassen; in den
daraus entstehenden Streitigkeiten beriefen beide Parteien sich fort-
während auf das »Herkommen.” Die Theilung der Zölle führte seit
1425 die Anfänge einer regelmässigen Kontrolle der Scherifenverwal-
tung von Seiten der Schutzherrn herbei; wenigstens zu der Zeit
wo die indischen Schilfe einzutreffen pflegten , amtierte in Djiddah
ein Zollbeamter des Sultans. Schon vorhin (1416) hatten die Cir-
kassiersultane das Oberhaupt der Türken in Mekka mit der Ver-
keilung der aus Egypten nach der heiligen Stadt geschickten Gaben
beauftragt und somit gezeigt, wie eng ihr Vertrauen auf die Sche-
rife begranzt war, obgleich diese den Titel von »Stellvertretern des
Sultanats” ’) führten. Die unregelmässigen Einnahmen waren sehr
verschiedener Art. Von den Schenkungen fremder Fürsten und
Grossen war bereits die Rede ’); obgleich die Hoheitsrechte kein
Gegenstand des Kaufs mehr waren, verstand es sich doch von
selbst , dass die Fürsten Egyptens ihr heiliges Schutzgebiet jährlich
beschenkten, und auch andere Sultane, z B. die Othmanli's schon
längst vor der Eroberung Constantinopels , schickten jährlich des
Segens halber dem öden Thale ihren Tribut. Kamen sie selbst zum
Haddj, so erwartete man von ihnen nicht weniger als einen Gold-
regen. Von allen frommen Stiftungen heisst es nach einigen Jahren :
die Söhne Hasans haben Hand darauf gelegt. Die Sitte muslimi-
scher Fürsten , in ihrem Gebiete reich gewordene Leute auf ein-
mal der Feindschaft zu beschuldigen und ihnen dann gleichsam
gegen ein Lösegeld Ruhe und Sicherheit zu bieten , wurde schon
sehr früh von den Scherifen befolgt *). Ebenso »herkömmlich” war
die Besteuerung der Ausführung gemeinnütziger Werke im heili-
1) MK 145 vgl. 147, 148, 160 usw.
9) iULJUJI CM II: 227.
3) Vergl. u.a. noch CM 11.274— 5 , 277 , 281; Ul : 204 818.
4) Ibn Jubair 167 , vergl. AD 61 — 2. Die Schebi’s , welche sieb manchmal aus (Icon Ker-
ker des Scherifs laskaufen mussten, verdienten nichts besseres; den Kaufleuten machten
die Scherife aber manchmal ihr Qebiet unbewohnbar.
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gen Gebiete. Wer die Heiligthiimer auf seine Kosten verschönern
wollte, bedurfte früher1) zunächst der nicht unentgeltlichen Er-
laubnis des Chalifen , sodann musste er sich die des Scherifs er-
kaufen, und dieser verlangte wohl einmal eine Summe für sich,
eben so gross wie die, welche für das fromme Werk bestimmt
war. Die Inschriften , welche die Vollendung verewigten , durften
aber nicht die Namen der Urheber, sondern nur die des regieren-
den Fürsten erwähnen. Der Grundsatz, dass auf solche Werke ver-
wendetes Geld eigentlich von Rechtswegen den Scherifen zukam,
wurde in gleicher Weise von den Thorhütern der Kacbah (den
Schebfs) auf jede Bereicherung ihres Heiligthums angewendet; wer
die Ka'bahthür oder die Dachrinne mit neuem Golde überziehen
liess, musste ihnen den Werth des verbrauchten Goldes zahlen’).
In der Regel behielten sich die Herren Mekka’s die Festsetzung
der Preise aller ersten Lebensbedürfnisse vor ’); auch dieses »Her-
kommen” gereichte ihnen zum grossen Vortheil, der Bevölkerung
aber zu nicht geringem Schaden. Starb ein Fremder, ohne in
Mekka Erben zu hinterlassen, so fiel sein Vermögen dem Scherife
zu ; die egyptischen Sultane verfügten 1 440 , dass der Ertrag die-
ser Entäusserungen in ihre Kasse fliessen sollte *). Ein anderes
Mittel , das Erbrecht zu vereiteln , bestand darin , dass man von
einem reichen Verstorbenen nachwies, er habe sein Vermögen nicht
durch die vom kanonischen Gesetze vorgeschriebenen Abgaben »ge-
reinigt”, worauf der Grossscherif den unreinen Besitz ganz an sich
zog 5). Die Beduinen , welche dem Scherife gehorchten , brachten ,
sofern sie nicht gar zu arm waren , ihre Huldigung in der Form
von Steuern dar; die selbständigen Stämme wurden zur günstigen
Zeit vom Scherife für Rebellen erklärt und zum Gegenstände eines
Raubzugs gemacht.
Für die (namentlich finanzielle) Geschäftsführung ernannten die
Scherife ihre Wezire e), meistens mit allen Kniffen orientalischer
1) Ibn Jubair 126—7, IA XI : 202, MK 118. 2) MK 183, 18*.
3) AD 105. 4) MK 148. 6) AD 125—6.
6) CM II : 222 usw. Id Mekka selbst hiess der auch mit der Marktpolizei beauftragte
Wezir schon in früher Zeit Hakim und sein Amt Hakämah ; bis zum heutigen Tag wird
der Marktaulseher (MuMatib) in Mekka Hakim genannt.
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Verwaltung vertraute Leute fremder Herkunft; die Statthalter waren
je nachdem Beduinenhäupter, Scherife oder Fremde; die Zollbeam-
ten gehörten zu beiden letztgenannten Kategorien , oder sie wur-
den aus der Armee des Fürsten von Mekka genommen. Die Hee-
resmacht bestand immer noch dem Kerne nach aus Leibeigenen
und Freigelassenen: von diesen Schwarzen war kein Versuch zu
befürchten, ihre Herren zu verdrängen. Von den Fremden wurde
diese Bande, ganz wie zur Zeit Ibn Djubair’s, nicht selten mit
dem Namen der »Räuber Mekka’s” bezeichnet; statt des damaligen
officiellen Titels von »Lanzenträgern” heissen sie später gewöhnlich
»Scherifensklaven” oder Quwwäd (Plur. von Qäid, eigentlich :
Führer) *). Beide Namen sind meistens gleichbedeutend; der letz-
tere bezeichnet aber auch speciell die Freigelassenen, welche mit
irgend einem Amte oder Kommando betraut sind *). Diese besitzen
selbst wieder Sklaven und bilden dieselben zu Soldaten heran s).
Fremden Soldaten und überhaupt jeder fremden Gesammtheit ge-
genüber bildeten diese Scherifensklaven eine meistens feindlich
gesinnte Korporation, und es kam vor, dass sogar der Befehl ihrer
Herren nicht ira Stande war, den Zorn dieser Neger zu bändigen.
Sie waren Privateigenthum ihrer Herren ; der regierende Scherif
verfügte über die reichlichsten Mittel, seine Sklavenarmee zu ver-
mehren, aber auch alle die vornehmsten Verwandten des Fürsten
besessen Banden von Leibeigenen, mit denen sie manchmal den
Herrscher bekämpften. Die Freigelassenen schlossen sich bei vor-
kommenden Streitigkeiten nach eignem Willen einer Partei an ; die
Parteinahme der Beduinenstämme des Hidjäz hing mit tradition-
nellen Beziehungen, aber auch mit der Höhe des gebotenen Lohns
zusammen. So machte sich dringend das Bedürfniss einer Söldner-
armee geltend , welche von allen jenen zufälligen Verhältnissen
unabhängig war und dem jeweiligen Herrscher zur Verfügung stand.
Sicher ist, dass wenigstens bald nach der Regierungszeit Hasans
(vielleicht schon früher) ein solches Heer von eigentlichen Soldaten
1) CM 11:381, 896—7; AD 43—4, 48—49 , 50—58; MK 143 usw.
8) MK 144. 3) Letztere heizsen bj** Jl CM II: 896 — 7.
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i
^Asäkir), meistens Südarabern, gebildet wurde1 * 3 4 5 *); später wurden
auch andere , sogar nichtarabische Elemente hinzugezogen s). Diese
kämpfen die Kämpfe des Fürsten als solchen ; ist er endgültig be-
siegt, so gehen sie eo ipso zum Sieger hinüber*); dadurch nehmen
sie in den Kriegen zwischen den Scherifen wohl einmal eine neu-
trale Stellung ein *). Wie in vielen anderen muslimischen Ländern *),
war auch hier das Recht, täglich einige Male vor seinem Hause
Trommel schlagen zu lassen , ausschliesslich dem Fürsten eigen ; bei
jedem Thronwechsel gingen daher die Tubul, d. h. die Musik bande,
mit den »Soldaten” zum neuen Herrn hinüber. So oft der Fürst
oder einer von seinen Bevollmächtigten einen beutereichen Raubzug
vollführt hatte, schickte er einen Eilboten (Mubasscür) nach Mekka;
derselbe brachte einem vornehmen Scherife nach dem andern die
erfreuliche Nachricht und wurde von diesen mit Kleidern beschenkt ;
die Scherife aber hissten Fahnen auf ihren Wohnungen •).
Die Lebensart der Scherife war im Ganzen die einfache aller grossen
arabischen Emire ; noch heutzutage sieht der türkische Staatsbeamte
mit Erstaunen den gemeinsten Beduinen sich dem Grossscherif nähern,
ihn beim Knie, bei der Hand, beim Barte fassen, ihm die unbe-
deutendsten Streitfragen mit grösster Ausführlichkeit vorlegen, ihm
widersprechen oder ins Wort fallen. Der Türke vergisst dabei ge-
wöhnlich, dass dies vertrauliche Verhältniss nicht wenig zum Ein-
fluss und zur relativen Unentbehrlichkeit der Scherife beiträgt. In
der Kleidung und Bewaffnung unterschieden sich die Scherife schon
früh von den »Bürgerlichen”, und war es auch nur durch beson-
ders weite Aermel der Obergewänder 7). Bei feierlichen Gelegenheiten
aber trug der Grossscherif, beziehungsweise auch sein Mitregent,
1) AD 160. Sie heissen ä*l**J' £ , später auch iUlujg'JI.
8) Vergl. AD 518, wo Ghülibs Armee (am 1790) aus 400 Jemeniten, 400 Jüü'-bodui-
nen, 400 Hadhramitcn , 400 Maghribinern und 400 Afghanen zusammengesetzt ist.
3) MK 451, AD 850 , 893; ^
4) AD 335.
5) Vergl. mein „Mekkanische Sprichwörter etc.”, S. 48, IA VIII: 507, XI: 178,
Xn i 49, 289.
6» AD 170, 184, 808 usw. 7) CM HI: 132.
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das ihm von seinem Schutzherrn verliehene Ehrenkleid. Bis zum
heutigen Tage gilt bei den Muslimen , sogar unter Bürgersleuten ,
die Beschcnkung mit einem Obergewande als eine Auszeichnung;
bekanntlich gehörten solche Gaben immer zu den grössten Gunst-
beweisen von muslimischen Fürsten und fanden dieselben vorzüglich
bei der Einsetzung oder Bestätigung vornehmer Beamten statt. Den
Scherifen kamen Ehrenkleider von jeher von ihren fürstlichen Gön-
nern mit den Haddjkarawanen zu; so schickten auch die egyptischen
Sultane jährlich mit dem Maimal ein Bestätigungsdiplom ') und
ein Ehrenkleid. Fand aber mitten im Jahre ein Thronwechsel statt,
so brachte eine speciclle Gesandtschaft den Anstellungsakt und das
fürstliche Gewand für den neuen Regenten. In diesen und ähn-
lichen Fällen wurde die Stadt einige (gewöhnlich 3 oder 7) Tage
festlich geschmückt und Nachts beleuchtet , gleichviel ob die Freude
der Bevölkerung gross genug war, sich in so kostspieliger Weise
zu äussern , oder nicht, denn die ganze Belustigung fand damals
wie noch heutzutage auf hohen Befehl statt *). Am ersten Feiertage
ritt der Fürst im neuen Ehrenkleide mit den Notabilitäten Mekka’s
zur Moschee; das Diplom oder sonstige vom Sultan gekommene
Schreiben wurde in der Nähe der Ka'bah feierlich verlesen ; der
Grossscherif vertheilte auch seinerseits Ehrengewänder an die an-
wesenden hohen Personen und machte zum Schluss die feierlichen
Umgänge um die Ka'bah, während der Schebi in der offnen Kac-
bahthür und der Jlejjis (Oberhaupt der Mu'eddins) auf dem Zem-
zemgebäude mit lauter Stimme für sein Heil beteten *). Kam ein
neuer Scherif von ausserhalb der Stadt (z. B. aus Egypten) , oder
kehrte der Fürst von einer längeren Reise zurück, so erfolgten die
gleichen Ceremonien ; er blieb dann zunächst ausserhalb der Stadt,
um in der Nacht in Pilgerkleidung die obligatorische »kleine
Wallfahrt” machen und am Tage darauf im Festgewande seinen
Einzug halten zu können. 'Türkische Regierungspersonen gaben wohl
ihr Ehrengewand dem von ihnen mit einem Befehl Beauftragten
1) Diese, ebenso wie die Einsotxungsdiplome, heissen .
2) AD *2 , 65 , 234 uaw. 3) AD 47 , 49 , 52 , 55 , 56 , 57 elc. Vergl. auch oben S. 70.
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zur Beglaubigung mit ') , oder ihr Siegelring diente als solche *).
Bei den Seherifen stellte meistens der Turban symbolisch die Person
des Gewalthabers dar, wie wir dies oben (S. 79) an einem Bei-
spiele sahen , und wie auch 1256 *) der Grossscherif sich mit herab-
hängendem Turban beim Haddjemire wegen begangener Grobheit
entschuldigte. Beim Tode eines angesehenen Sclierifs legten seine
Verwandten während der Trauertage schwarze Kleidung an ‘). Diese
Eigentümlichkeiten füliren wir hier auf, weil sie zusammengehören,
und weil die meisten zur Zeit Hasans fertig ausgebildet waren;
andere, irn höchsten Grade charakteristische «Herkommen" der
Hasaniden Westarabiens besprechen wir unten, weil unsere ara-
bischen Quellen nur für diese späteren Zeiten alles erforderliche
Detail bieten, obgleich das Wesentliche gewiss auch schon von
unserer Periode gilt.
Drei Söhne Hasans machten sich schon bei Lebzeiten des
Vaters das «zweite Ehrenkleid” mit dem dazu gehörenden Theile
der Einnahmen und der Aussicht auf die Thronfolge streitig; dem
Wunsche Hasans entsprechend, erkannte der Sultan nur Barakät
als Mitregenten an. Letzterer blieb in diesem Amte 20 Jahrelang;
1426 folgte er seinem in Egypten verstorbenen Vater nach und
konnte sich gegen die Kämpfe und Intriguen seiner Brüder mit
wenigen Unterbrechungen bis zu seinem Lebensende (1455) be-
haupten 5). Gegen die Vertreter Egyptens benahm sich Barakät
nach dem Beispiel seines Vaters nicht grob sondern mit schlan-
genartiger Vorsicht. Er konnte aber nicht verhindern , dass der
1438 auf den Thron erhobene Cirkassiersultan gleich bei seinem
Regierungsantritt den Grund zu einer Institution legte, welche den
späteren Seherifen immer mehr zum Dorn im Auge wurde. Gele-
gentlich waren schon vorhin •) für besondere Zwecke türkische
Truppen nach Mekka geschickt worden , deren Befehlshaber dort
in der Ausführung seines Auftrags neben , um nicht zu sagen
1) IA IX : 439. 8) IA XI : 63.
3) CM II: 2G9. 4) AI) 131— 8.
5) CM II : 238 , 341; MK 146 ff.; Stammt. 11:35—8.
6) Vorgl. obon S. 85, 93; CM 11:284, m : 204.
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über, dem Scherife eine selbständige Stellung einnahm; auch führte
die Theilung der Zölle in Djiddah direkte fremde Einmischung
herbei. Jetzt1) wurde aber, dem Namen nach in erster Linie zur
Aufsicht über Bauten an der Moschee, eine ständige Besatzung
von 50 türkischen Reitern nach Mekka gelegt unter einem Emir
der den Titel eines «Aufsehers der heiligen Städte” *) bekam , und
in den nächsten Jahren ’) bekleidete eine ganze Reihe von türkischen
Beamten diese Würde, bald zugleich mit dem «Emirat der Türken
in Mekka”, bald mit einem andern Türkenoberhaupte neben sich;
ausserdem wurden dem „Stellvertreter” in Djiddah ausgedehntere
Vollmachten zuerkannt, sodass Barakät 1455 es für angezeigt hielt,
durch dessen Vermittelung mit dem egyptischen Hofe über die
Wahl eines Nachfolgers zu verhandeln. Allzu deutlich gab der
Schutzherr hiermit zu erkennen , dass ihm das Scherifat ein leider
nicht zu beseitigendes Hinderniss und jedes Mittel, dessen Bedeu-
tung zu schmälern , ihm willkommen sei. Die Stürme im politi-
schen Leben des Islam’s haben zwar die Entwickelung dieses Amtes
wiederholentlich verzögert; man darf aber den 1438 ernannten
Emir Südün als den Vorläufer der späteren Gouverneure betrach-
ten , welche im Hidjäz eine ähnliche Aufgabe erfüllten wie euro-
päische Residenten an mediatisierten indischen Höfen.
Zwischen Mekka und Medina streiften um diese Zeit (seit 1413)
die von den mächtigen Benl Läm aus der Umgegend Medina’s
vertriebenen Harbbeduinen umher, und die Gefahren, welche sich
aus ihren Räubereien für die Pilger ergaben , bestimmten Barakät
zur Sendung einer Warnung an die Fürsten Egyptens *). Der Mangel
an Kontinuität in der Verwaltung der egyptischen und türkischen
Sultanate hat diesen Räuberstämmen Gelegenheit gegeben, bis
heute ihr Unwesen weiter zu treiben.
1) CM m : 216. 2) jkli .
3) Vergl. n. A. CM 111:217, 219, 220, 226, 290, 343.
4) MK 147. Aus einer Notiz von Istakhri, 22, sowio aus dor 32«*«!« Maqämah dos
liariri (worauf mich Prof. Nöldeko hin weist) geht hervor, dass schon im 4ten und 6ten
Jahrhundert dor Hidjrah Uarbstümme zwischen Medina und Mekka gesessen haben. Jeden-
falls hatte die Unsicherheit seit 1413 ihren Grund in einer Wanderung nördlicher Harbbo-
duineu nach dem Süden.
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Der ausserordentliche Glanz, der die Wallfahrt eines Wezirs des
Othmanensultans Murad II (1447) umgab, war ein, damals in
Mekka noch nicht verstandenes, Vorzeichen neuer politischer Um-
wälzungen von grösster Tragweite.
Die Folgen der Fehler früherer Scherife , welche in ihrem Kampfe
auf Leben und Tod um die »Beute” die Hülfe der Schutzherreu
um jeden Preis , sogar gegen erniedrigende Bedingungen erkauft
hatten, lasteten schwer auf ihren Nachfolgern; so hatten die käm-
pfeoden Prophetensöhne einmal die Verpflichtung übernehmen müssen,
jährlich ihre Huldigung dadurch darzubringen, dass sie dem Ka-
meel des fürstlichen Mahmnl'a den Huf küssten. Dem fein gebildeten
Barakät, zu dessen Freunden der berühmte schäfVitische Gelehrte
Ahmed ibn Hadjar zählte, war das zuviel; 1440 wusste er die
Abschaffung dieser Unsitte zu erwirken ’). Ihm folgte sein Sohn
Muhammed *), wenigstens äusserlich fast der glücklichste aller Gross-
scherife; denn 1455 — 97 war es ihm vergönnt zu regieren, ohne
dass sich Brüder oder Vettern gegen ihn erhoben, und ohne be-
deutende Schwierigkeiten mit dem Sultanate. Die Tradition war
ihm günstig; seit der Zeit 'Adjläns hatte sich die Herrscherwürde
nur in gerader Linie fortgesetzt. Er war ein tüchtiger Mann ; gegen
die kampffähigen Zebedstamme *) in den westlichen Küstengegen-
den unternahm er persönlich einen Streifzug, der ihnen auf lange
Zeit Respekt einflösste. Es fehlte ihm nicht an Gewandtheit; als
der Sultan ihn 1472 zu einem Besuch auflorderte, sandte er sei-
nen Sohn Barakät und den Qädhi von Mekka, welche mit gros-
sen Ehren empfangen wurden , befolgte aber für seine Person den
Rath Qatädah’s. Sein langes Leben gereichte ebenfalls ihm und
seinen Nachkommen zum Vortheil; kein Nebenzweig konnte fer-
nerhin mit den Söhnen Barakats konkurrieren. Von höchster Be-
deutung war aber das Zusammentreffen seiner Regierung mit der
des tüchtigsten aller Cirkassiersultane , des Qäitbey (1468 — 96),
1) MK 148. 8) CM 11:348, 111:830 ff.; MK 149 ff; Stammt. U, 39.
e »
3) Die saasen damals zwischen Chulaip und Rabigh ME 150. Es wurdeu auch
von Barakats Söhnen mehrere bedeutende Haubzügo namentlich nach Jemen, unternommen.
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dessen ilerrschertalent auch den Schutzländern mächtig imponierte.
Natürlich schaffte auch dieser bei seinem Regierungsantritt feierlich,
die indirekten Steuern in Mekka ab; er hat aber seinen Namen
auch durch bleibende Denkmäler in Mekka beliebt gemacht. 1480
kam er selbst zum Haddj, die vielen schönen und nützlichen auf
seinen Befehl ausgeführten Bauten in Augenschein zu nehmen. Ein
Minaret von ganz eigener Bauart, eine Madrasah, eine Moschee
im Thale Muna werden immer noch von den Mekkanern nach ihrem
Urheber Qäitbey benannt; sein Besuch war eine epochemachende
Erscheinung im Leben der Mekkauer; jedes Wort und jeder Schritt
des populären Sultans wurde in den Annalen verzeichnet, auch der
Zug nicht vergessen, dass ihm beim Hineintreten in die Moschee
der Turban vom Haupte fiel; der weltlich erzogene Fürst war ohne
Pilgerkleidung in das Heiligthum gekommen , kein Gelehrter wagte
einen Tadel aber . . . Allah war grösser als Qäitbey 1 Wie hoch sein
Einfluss auf die ruhigen Verhältnisse Mekka’s zu veranschlagen ist ,
zeigte die energische Wiederaufnahme des Kampfes um Mekka,
sobald Muhammed gestorben war.
Sein Sohn , der zweite Barakät ') (1497 — 1525), setzte die von sei-
nem Urgrossvater Hasan ibn ‘Adjlän inaugurierte Politik mit nicht
weniger Geschick fort als sein Vater; einige Jahre der Mitregierung und
ein langer Aufenthalt in Egypten während seiner Jugend hatten seine
günstige Veranlagung wohl entwickelt; auch seine Tapferkeit wird
sehr gelobt. Ihm fehlte aber der Respekt gebietende Rückhalt in Egyp-
ten , denn dort war seit Qäitbey ’s Tode an die Stelle der wirklichen
Monarchie wieder eine vielköpfige Regierung getreten, die allerlei
Intriguen offnen Weg bot. Zwei von seinen Brüdern s) gestatteten
ihm in den ersten Jahren keinen Augenblick der Ruhe; während
die Türken und überhaupt die Fremdenkolonien in Mekka auf der
Seite Barnkäts standen , unterstützten vornehme Mekkaner (z. B. der
Oberrichter) seine Gegner, und erwarben sich diese die Hülfe der
Zebedstämme, sowie des husainidischen Herren von Jambuc. Bara-
kät selbst wurde einmal durch Verrath vom egyptischen Emire ge-
1) Stammt. II, 4*, vgl. 40 , 41, 43 , 44; CM 11:348 ff., 111:844 ff ; MK 158 ff.
8) Stammt. U, 40, 41.
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102
fangen genommen und nach Egypten geführt. Aus der Haft ent-
flohen, bildete er sich nun auch eine Partei aus raubgierigen Beduinen
(Ben! Läm, 'Utebah ') usw.) und zog mit ihnen gegen Mekka, wo
die armen Gäste Gottes wieder die Zeche zahlen mussten. Es ge-
lang ihm, die egyptischen Autoritäten durch Geschenke zur An-
erkennung seiner Errungenschaft zu bewegen ; die feindlichen Ze-
bedslämme suchte er mit Raub und Mord heim. Ein ihm wohlge-
neigter Bruder und ein Sohn wurden seine Mitregenten *); da Beide
ihm in den Tod vorangingen, kam diese Würde an seinen jünge-
ren, sehr geliebten Sohn Muhammed Abu Numcjj '). In diesen
Tagen fingen die Handelsunternehmungen der Portugiesen in In-
dien an, den Egyptern Sorge zu machen; ein roher Emir wurde
mit den nötbigen Schilfen ins Rothe Meer geschickt, der die un-
abhängigen Fürsten von Jemün verrätherisch ausrottete und 1511
die Stadt Djiddah mit einer Mauer umgab*). Dies soll er haupt-
sächlich deshalb gethan haben, weil der Hafen viel von den Streif-
zügen der Beduinen zu leiden hatte; vielleicht wollte er zugleich
die Abwehr europäischer Eindringlinge ermöglichen.
Vorläufig machte aber den Egyptern mehr als die neue Macht im
Süden der Türkensturm von Norden zu schaffen. Als der letzte Cirkas-
siersultau 1512 den Grosscherif zum Besuche" einlud , schickte dieser
in herkömmlicher Weise an seiner statt den achtjährigen Thronfolger
Abu Nurnejj, dessen günstiger Eindruck auf den Sultan dadurch noch
erhöht wurde, dass ein zufälliges Wort des Knaben ihm die Besiegung
seiner Feinde, der Othmanen, zu weissagen schien. Wenig dachte
er damals, dass derselbe Knabe 4 Jahre später am gleichen Orte
1) Die Wiedergabe der gebräuchlichen Aussprache dieses Namens durch Atoibah
stammt ebenso wie die Transkriptionen: Hadel, 'Ajun (Augen) usw. daher, dass
viele Europäer den unbestimmten Vokal und das «nach nicht richtig boobachten
können, und dieser für ihro Ohren nach Gutturalen den Laut eines a zu bekommen scheint ;
mau spricht wirklich Hedel oder Hudcl, 'Etebah odor Utöbah (e =» Schewa). Sogar der
Name 'Utbman erscheint dort, wo das £ recht scharf gesprochen wird, dom ungeübten
Europäer als Athmän, Mu'in (resp. Me in) als Ma-in,
2) Stammt II, 43, 45. 3) Stammt II, 46.
4) CM III ; 244 ff. Diesor Emir Husain atKurdi wird von einheimischen Schriftstellern
(MK 162) wohl als der erste eigentliche Gouverneur (Watt) von Djiddah bezeichnet, den
die Schutzherren bestellten. Ueber eine ältere Mauer um Djiddah vergl. Nassiri Khosrau,
ed. Ch Schcfer, S. 181.
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103
im Namen seines Vaters dem neuen Herrn , dem othmanischen
Eroberer Egyptens huldigen sollte. In seinen ruhigen Regierungs-
jahren unterhielt Barakät mit dem Cirkassier einen poetischen Brief-
wechsel, in welchem einer dem anderen an Schmeichelei nichts
nachgab *); sobald Sellm aber 1516 Egypten erobert batte, hielt
sich der poetische Grossscherif durch zeitgemässe Aenderung der
Adresse seiner Lobspendungen die türkischen Heere vorn Leibe. Ein
vormaliger Oberrichter von Mekka, der beim Einzuge Sellms in
Cairo aus dem Gefängniss der Cirkassier erlöst wurde, machte
dem neuen Herrn gleich klar, dass eine Truppensendung zur Un-
terjochung des Uidjäz überflüssig sei, weil der Grossscherif ohne-
dies die Huldigung nicht verweigern werde. Die Othmanen sind
auf ihren Eroberungszügen immer als die Vertheidiger des Islam's
gegen Unglauben und Ketzerei aufgetreten; dies bot den doppelten
Vortheil, dass die Tapferkeit ihrer Soldaten durch Fanatismus er-
höht und ihr blutiges Werk den Gelehrten und an vielen Orten
auch dem Pöbel zum Gotteskriege wurde. Gegen die neu aufge-
kommene persische Dynastie, welche eine schfitische Sekte zur
Staatsreligion erhoben hatte * ) , konnten sic diesen fanatisierenden
Trumpf mit grossem Erfolge ausspielen, aber auch die Eroberung
Egyptens bekam einfen frommen Anstrich , da man dieselbe dem
Volke als durch die heimlichen Beziehungen der Cirkassier zum
neuen Ketzerreiche erfordert darstellte s). Die Grossscherife hätte
man als Tyrannen und noch dazu, trotz ihrer schäfi'itischen Rich-
tung, schTitischer Gesinnung verdächtige Leute angreifen können.
Wo aber die Unterwerfung ohne Gewalt erfolgte, waren die Oth-
manen sehr nachgiebig, und dass ihr "Fanatismus” nicht frei von
politischen Motiven war, zeigt sich an dem Mangel jedes Rigo-
rismus in ihrer Verwaltung; strenge Einschärfung des religiösen
Gesetzes wäre ihnen selbst verderblich geworden. Dennoch zeigten
sich die Folgen des Wechsels der Schutzherren in der Veränderung
mancher Verhältnisse im Hidjäz. Zunächst stellte sich die Ruhe
unter den Scherifen wieder her, wie sie zur Zeit Qäitbey’s ge-
1) MK 158-9. 2) Vergl. CM Btt i 259 ff. 8) CM III : 277.
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104
herrscht hatte: Abü Nuuiejj ') wurde beim Tode seines Vaters
(1525) vom Mitregenten Thronfolger und regierte ungestört bis
1566, wo er freiwillig seinem Sohne und bisherigen Mitregenten
Hasan*) die ganze Geschäftsführung überliess, und dieser herrschte
bis 1601, ohne dass sich ein Verwandter gegen ihn erhoben hätte.
Dieses Jahrhundert der Waffenruhe war keineswegs der organisa-
torischen Thätigkeit der Türken zu verdanken , sondern bloss der
einschüchternden Wirkung der überall vom Siege begleiteten tür-
kischen Waffen; die Heeresabtheilungen, welche auf ihrem Wege
nach Jemen durch Mekka zogen ’) und unbeanstandet die Moschee
zur Kaserne einrichteten , und die Berichte von der beispiellosen
Grausamkeit, womit sie dort bei der zweiten Eroberung gegen die
Anhänger der zaiditischen Imäme verfuhren, machten jene Wir-
kung um so nachhaltiger. Die vernünftige Politik Barakäts ver-
schonte ihn und sein Land mit solchen Stürmen; Abü Nuuiejj
und Hasan durften als Vasallen des Sultans von Konstantinopel
innerhalb ihrer Grenzen ihre Herrschaft befestigen: von Chaibar,
Jambuc und Medina bis nach Hali und ins centralarabische Hoch-
land hinein dehnte sich ihr Gebiet aus ‘). Abü Nuuiejj ging etwas
zu weit, als er 1547 ohne Auftrag den südlichen Hafen Djazän
einem selbständigen Emir entriss; der Wäll (Gouverneur) von Jemen
wies die Beamten des Scherifs zurück und gab zu erkennen , dass
dessen Befugnisse nur bis Hali reichten*). Sehr gut wurde es dage-
gen aufgenommen , als Abü Numejj 1541 mit grösster Anstrengung
die bis Djiddah gekommenen portugiesischen Schiffe verjagte, und
er bekam dafür vom Sultan , wie das seinen Vorgängern von den
Egyptern bewilligt war, */, der Eingangszölle dieses Hafens. Später*)
(1603), als diese Einnahmequelle allzu spärlich floss, wurde sie
durch den Ertrag von Grundstücken des Sultans ersetzt.
Geschah es infolge eines geheimen Auftrags oder nur aus per-
sönlichem Aerger, dass der Pascha, welcher die Haddjkarawane
1) Stammt. II, 46 cf. UI, 1.; CM 11:344, MK 171 ff.
9) Stammt ni, 3; MK 187 ff; CM UI, 416; WüsUmf. Scherife, S. 3 ff
3) CM m :300 t, 363 ff 4) MK 185, Al) 72.
6) MK 178. 6) MK 209.
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STAMM
l. Mulinmn
2. Ahmed Kb 1 947—981 (2?)
8. Haan
5. ABDALLAH Kb II 1040— C; 1041 6. Mu nd ?— 1003 7. Urnern ?— ? 8. Aba Tllib Dh 1003
| j” ’ j 17. MciA'id 18. Mubain
14. Uuaein 15 Mohammed 16. Ilamad „ I , »j ” 1012— Kn 1037 19
27 Muhamraed j So-Dhl
Q— Sn 1041 M — Kg 1077
33. Ghalib
28. ZKI1) i; 1041— M 1077
26. Abdallah
32. Mithain
41. ‘Aun
60. Abd il-Mu’ln
58 Muhainmctl
1243— Rg 1267
9n 1272— Sn 1274
42 Ahmed
Sl. 1099— Rg 1101
34. Ha d M 1077— Dh 1082
Dh 1103— Dh 1106
Rb II 1106— Sl 1113 , Sl 1116
43. Haid Dj II— Sl 1099
M — Dh 1103,
Sl 1118 — Hb I 1 116
Dh 1116 — Rg 1117
l)q 1123— M 1129
51 Abdallah 52. Ali 63. Mnx'tid 64. I
M 1129— Dj 1 1130 Dj I — Dh 1 130 Dj I— Sn 1145 Dh
ilj II 1136— Dq 1143 Kn 1140— Rh 1 1165
60. Herür Dq 111
69. Jahja Dq 1!
I
59. Muhammad
Dq 1143— Dj I 1145
Sn 1146— Kn 1146
35. Ahmed 1080-
Dq 1095— Dj 1
44. Abd hl-Muhain
Rb I 1116
63. Abdallah 64. Ali
Sn 1274— Dj 11 1294 t 1287
■hharaf geb. 1267, Ali Mohammed Huaeiu
geat. 1288 geb 1276 geh. 1281
I
65. Husein
Sn 1294— Kb II 1297
N&vir
66. ‘Aan i>r-Rafiq
Dq 1299—
I
M uhammni Abd £l-Aii?
geb 1291
1) Vergl. Stammtafel II, 46.
2) Dieser Name hat die Diminutivform; die Schreibung Fahid
NB. Diese Tafel enthält die Genealogie der Groasscherife von Aba Nam&jj bis auf unsere Zeit. Ebenso wie ial
nymi der Familien, welche in dieaem ganzen Zeitraum die Geschichte des llidjaz beherrscht haben, I
bedeutend abweich , sind dem heutigen Gebrauche entsprechend transkribiert. Die Abkürzangen für die I
Mitglieder aafgefiihrt, denen wahrscheinlich in der nächsten Zukunft eine Rolle in der Geschichte ihres
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AFEL U\.
Abu >» ')
I
Bl (2?) — Dj II 1010
4. BABAKAT
j II 1012
9. AM il-Muttilib
I
10 IdrI* 11. Heheid1) 12. Ibrahim 13 MOaa
Dj II 1012— M 1034 Dj 111012-1019
24. Muhammad 23. IJamzah
20. Ahmed 21. Muhammad
Kn 1037— y 1039 I 22. Mar'nd 23. AM H- Am 80. Buruhal 31. Jala
29 Haachim g 1039—Kb II 1040 So-I)hl041 üb 1082-Rb II 1093
87. AMallah Dh 1 108— RblUlOC I
40. Muhammed
1082
>99
"i
SB. Sa’Td
Kb II 1093 -Dq 1095
39 Jahja Dh 1130— Hg 1132
Dh 1134— Dh 1133
36. Ijuaein
I
46. Muhain
Rg 1101 — M 1 103
45. Mubarak
Rg 1132— Üb 1134
M— Dj 1 1136
47. lUaein
37. AMallah
Rb I— Dj II 1184
49 AM M*Karim
Rb 1116— Dq 1123
(zweimal unterbrochen)
48. Barakat Dh 1133
M 1136
55. Meaa'ld
Rb I 1166— M 1184
56. Abmed M— Rb I 1184
Dj II 1184 — Dq 1186
Rb II 1202
- Sn 1242
61. AM il-Mn'ln Rb II 1202
M— Rb 1 1218
62 Ghnlib Rb 1 1 1202— Dq 1228
I
70. Abd M-Muttdlib M— (;1243
Rn 1267— Sn 1272
Dj II 1297 — Sl 1299
67. Abdilah
68. SnlUn
t 128*3
istenf., Scherife) ist unrichtig.
imta^el II siud auch hier nur die Namen mehr oder weniger hervorragender Fürsten fett gedruckt. Die drei Epo-
durch Kapitalschrift bemerkiieh gemacht. Solche Namen, deren volksthümliche Aussprache von der grammatischen
aunamen sind die gleichen wie in Tafel II. Von den 'AbJUlilah sind einige der jüngsten Generation angc hörende
Jcs zufallen wird.
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105
1551 anführte, ernste Versuche machte, den Scherif zu tödten?
Die erste Voraussetzung hat viel für sich, weil der Sultan dem
Scherif zwar beruhigende Aufklärung schickte und die Handlungs-
weise des Pascha’a tadelte, dieser aber trotzdem kurz darauf zum
Gouverneur von Jemen ernannt wurde. Der Emir von Djiddah ,
die mit speciellen Missionen nach Mekka gesandten Beamten und
die Haddj-emirc blieben dem Scherif durchaus missliebige Erschei-
nungen. Das an und für sich schon nicht angenehme Verhältniss
wurde dadurch noch schlimmer, dass Türken und Araber Menschen
ganz verschiedenen Schlages sind, von denen der Eine wenig Ver-
ständniss für die Eigenthümlichkeiten des Andern besitzt ; die Emire
aber zeigten sich nicht von ihrer liebenswürdigen Seite. Die Ma/jmaF «
nahmen auch die Othmanen als Symbole ihrer Hoheit über Mekka
herüber; zuerst (1517) fügten sie den herkömmlichen syrischen und
egyptischen , welche jetzt beide im Gefolge ihrer Statthalter reisten ,
ein neues aus ihrer europäischen Hauptstadt hinzu. Diese Neuerung
wurde aber bald aufgegeben ; dagegen verlangte der Wäll von Je-
men 1556, dass ihm nicht weniger als seinen syrischen und egyp-
tischen Kollegen das Aufstellen eines Mahmats gestattet würde , und
von da an bis 1630 ') nahmen wirklich die Scherife dieses dritte
»Zeichen” der Türkenmacht, wenngleich mit etwas weniger Aus-
zeichnung als die beiden andern , feierlich in Empfang ; — ein
solcher Anspruch eines Gouverneurs zeigt schon die Keime der für
das Ganze verhängnissvollen Selbständigkeit der einzelnen Theile
des türkischen Reichs. Dass übrigens Egypten seine Bedeutung für
den Hidjäz nicht verlor, lag in der Natur der Sache; wenn sich
nicht zufällig ein specieller Kommissär des Sultans in Mekka befand,
ging jede wichtige Bitte oder Mittheilung des Scherifs an den Sultan
über Cairo, und unter gewöhnlichen Umständen waren die Rath-
schläge des Wall’s von Egypten über arabische Angelegenheiten
maassgebend. Je mehr in späterer Zeit die Centralregierung von
ihrer Macht einbüsste, um so enger stellte sich der alte Zusam-
menhang des Ijidjäz mit dem Nillande wieder her.
1) MK 181.
14
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106
Die erfreulichsten Folgen der neuen politischen Lage für die
Mekkaner bildeten die vielen Stiftungen der auf ihren Titel von
u Dienern der heiligen Städte” stolzen Othmanen.
Altherkömmlich waren bekanntlich die mehr oder weniger regel-
mässigen jährlichen Korn- und Geldsendungen aus Egypten für
die Haramein. Qäitbey hatte dieselben zuletzt genau geregelt und
bedeutend vermehrt *) : die Scherife erhielten theils als Geschenk ,
theils als Ersatz für abgeschaffte Abgaben jährlich eine Geldsumme;
die ergiebigen, zu Auqäf gemachten Grundstücke sollten ausserdem
jedes Haus in Mekka und Medina mit Korn versehen , vielen auch
noch ein Geldgeschenk liefern; die Stiftshäuser in Mekka hatten
gleichfalls ihre Auqä f in Egypten, und sogar die Räuber der Pil-
gerwege wurden aus diesen Fonds befriedigt. Allein von der Geburt
an leidet jedes Waqf an einer tödtlichen Krankheit; nach wenigen
Jahren gestaltet sich die Verwaltung der Art, dass kaum ein
Pfennig für den ursprünglichen Zweck verwandt wird. Die Sultane
der Türkei, welche schon vor der Eroberung Egyptens auch ihrer-
seits jährliche Sendungen nach Mekka angeordnet hatten s) , haben
in dem Zeitraum , den wir jetzt besprechen , unausgesetzt die alten
Stiftungen für die Haramein wiederhergestellt und neue hinzuge-
fügt ’). Es gehörte zu den wichtigsten Funktionen der Haddj-emire,
die richtige Vertheilung der verschiedenen Qarr’s oder Qurrah's
(eig. Geldbeutel), Qadaqah’s , Dac/ärah’s zu besorgen. Namentlich
die egyptische Korn-yadaqah bildete allmählich eine Lebensbedingung
für die Gäste Allahs und seines Gesandten '). Im ersten Kapitel
war schon die Rede von den Bauten , welche die Sultane von
Stambul im 16*«“ Jahrhundert in Mekka veranlassten ; ausser der
Moschee und den wissenschaftlichen Anstalten trugen sie für
solche Heiligthümer wie das Grab Chadidjah’s ') und das Geburts-
haus Muhammeds besondere Sorge. Weniger angenehm als diese
1) CM m : 829. 8) CM in : 256, 261.
3) CM III : 28+ ff., 331 388 ff., 415 f.
4) Die Medinenaer genosson nämlich nicht weniger als die Mekkaner von den frommen
Stiftungen.
5) MK 178 — 9.
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107
Verbesserungen berührte die Mekkaner der gleich vom ersten tür-
kischen Emir unternommene Umbau des Maqäm der Hanafiten zu
einer grossartigen Kuppel, und dieser Umbau wurde denn auch
wenige Jahre später rückgängig gemacht. Die Türken waren sehr
eifrige Hanafiten und verschafften trotz der theoretischen Gleichbe-
rechtigung, wo sie es nur vermochten, gern ihrer Richtung den
Vorrang. Wo die Beamten in ihrem Eifer zu weit gingen , waren
die höchsten Behörden vernünftig genug , das Gleichgewicht wieder-
herzustellen ; immerhin wurde in Arabien das Centralisierungsbe-
streben der Türken in Bezug auf die kanonische Rechtspflege sehr
unangenehm empfunden. Dem internationalen Charakter der Be-
völkerung entsprechend hatte Mekka vier Richter, für die Bekenner
der vier Riten; weil der Kern der Bevölkerung von der Abbasi-
denzeit her schäfi'itisch war, bekleidete der scbäfi'itische Richter
den höchsten Rang , und namentlich seitdem die regierenden
Scherife ihre schfitische Richtung auf gegeben hatten und Scha-
fften geworden waren, galt der Qädhi dieses Ritus als der Ilaupt-
richter und wurde wohl schlechtweg der Q/idhi genannt. Die Er-
nennung lag je nach den Verhältnissen der Zeit, in der Hand des
Schutzherrn oder des Scherifs; der Vorschlag ging immer von
diesem aus, zumal die Inhaber des Amtes ausnahmslos geborene
Mekkaner waren. So war das Amt ein mekkanisches , und drei
Jahrhunderte lang gehörten die Hauptqädhl’s einer Familie ') an.
Die Othmanen führten zur grossen Bestürzung der oligarchischen
Mekkaner die jährliche Sendung eines neuen Hauptrichters aus
Konstantinopel ein *). Diese Neuerung ärgerte nicht bloss die Ari-
stokraten der Stadt, sondern auch das Volk, denn die türkischen
Qädhl’s waren und blieben in Mekka Fremde, und da das Amt
jetzt nach türkischer Sitte jährlich versteigert wurde, mussten die
vor Gericht gezogenen Mekkaner den Preis mit gehörigen Zinsen
zahlen. Die dringende Bitte Abu Numejj’s (1539)’) vermochte
nicht, die hohe Pforte zur Umkehr von dieser auflösenden
1) AD 58 ff.; CM II: XVII ff; Wüstest. Scherife, S. 13.
9) Vorgl. u. ». CM III ; 344.
3) MK 173.
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108
Maassregel zu bewegen. Den Schäfi'iten blieb aber zunächst der
Vorrang zugesichert ') ; die ausschliesslich hanafitische Rechtspflege
im Hidjäz wie in allen türkischen Landern datiert aus der neu-
esten Zeit.
Abu Numejj und Hasan fanden in der langen Zeit des Familienfrie-
dens Gelegenheit, verschiedene Razzia's ins Innere zu unternehmen
und ihre Müsse im geselligen Verkehr zu verbringen. Es hatte im
Hidjäz wie in jedem arabischen Lande immer Hofpoeten gegeben,
welche das Lob der aufgehenden Sterne sangen und dabei ein
Stück Geld verdienten. Jetzt blühte die Hofpoesie mehr als zuvor,
und wenn man die abgeschmackten Schmeicheleien und die durch-
sichtige Bettelei mit in den Kauf nimmt, muss man sagen, dass
Sprachkunde und Literatur in der heiligen Stadt lobcnswerthe
Pfleger hatten. Der Bau eines //das Glückshaus” s) genannten Pa-
lastes von Hasan rief Gedichte hervor, welche die Eifersucht seines
Bruders erweckten und infolge dessen zu neuen Gedichten polemi-
scher Natur Anlass gaben 1 2 3 4 5). Von Hasan werden anekdotenhafte
Richtersprüche erzählt, und er soll literarische Neuerungen in den
Kanzleistil eingeführt haben4).
Ein damaliger Schriftsteller5) sagt, mit dem Tode Hasans (1601)
sei die Reihe der guten Scherile geschlossen , gleichwie der kurz
zuvor gestorbene Sultan Muräd III der letzte gute Sultan der Türkei,
und der kurz darauf dahingeschiedene Mauläja Ahmed der letzte
tüchtige Sultan von Marokko gewesen seien. Wenn die rhetorische
Figur einen Sinn hat, so ist es der, dass vom Anfang des 17tou
Jahrhunderts an die türkische Regierung immer weniger im Stande
war, die rasch eroberten Länder kräftig zu regieren. Im Hidjäz
brachen die alten Wirren mit neuer Kraft aus, und die Schutz-
herren entbehrten der Mittel, dem erblichen Uebel abzuhelfen. Die
1) CM m, 116; MK 204.
2) Dm iol*— J jlo, ungefähr dort, wo jetzt die Thkkijjah Mirrijjah (Grundriss , 30) stellt.
3) MK 187.
4) Nämlich im Wortlaut der Tajrin d. h. Gewerbelicenien , welche mithin schon in
dieser Zeit für die Ausübung gewisser Gewerbe in Mekka erforderlich waren.
5) Schibab »1-Chafudji bei AD 80.
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einflussreichsten Söhne und Enkel Hasans standen wieder mit ge*
zogenen Schwertern um den Thron und den Beutel herum , und die
nächsten 30 Jahre (1601 — 31) *) klärten die Lage nur insofern,
dass seitdem feststand, welche von den vielen von Abu Numejj
herstammenden Familien fernerhin die Spitzen der kämpfenden Par-
teien und dementsprechend beim Siege ihrer Partei die Könige
Mekka’s sein sollten. Misshelligkeiten zwischen den Leibeigenen
(Quwioä d) und Söldnertruppen ( Djibnlijjah ) der Scherife wurden
(1611)*) durch Strassenkampf erledigt; der Pöbel Mekka’s wagte
es wieder, (1623) einen auf der Durchreise nach Jemen befind-
lichen türkischen Gouverneur in der Moschee mit Steinen zu wer-
fen J); der türkische Mufti wurde (1639) auf Befehl des dermali-
gen Grossscherifs getödtet '), und nur der Mitwirkung von dessen
feindlichen Verwandten verdankte der durchreisende Pascha Qän?üh
die Gelegenheit , diesen Scherif verrätherisch zu -tödten. Jede Ein-
mischung der Türken entstammte fortan der individuellen Absicht
von Beamten; 1628 unterstützte ein Wall von Jemen, dessen
Flotte bei Djiddah gescheitert war, aus persönlichem Aerger gegen
den Fürsten Mubsin die Oppositionspartei , und rein persönlich war
der 1626 von einem andern Wäll ausgeübte Zwang, die Festpre-
digt im schäfi'itischen Mekka einem hanafitischen Gelehrten zu
übertragen s). Die SchäfTiten behaupteten unter dem Schutze der
Scherife das Feld in dem Streite der auch zu literarischen Schar-
mützeln Anlass gab'). In Jemen waren die Schfiten unter Füh-
rung der zaiditischen Imäme aufs Neue zu einer gegen die Türken
kämpfenden Partei geworden *); seitdem war der Hof dieser Imäme
von CanH die Zuflucht vieler von ihren Verwandten verfolgten
Scherife, wo sie immer Schutz, oft auch direkte Unterstütz-
ung fanden '). So , in politischem Sinne , ist die Aeusserung Nie-
1) Stammt, m, 5, 6, 8, 10, 11, 15, 18, 20, 28 j MK 808 IT.; AD 81 ff. j Wüsten!
Scherife, S. 11 ff.
2 ) MK 214. 3) MK 217.
4) Vergl. auch Wüatenf. Scherife, S. 33—4.
5) MK 220 ff. 6) Wüatenf. Scherife, S. 32, 57 — 8.
7) Die oben, S. 77, Anm. 3, angeführten Sendschreiben dieser Imäme datieren aus dieser Zeit
8) Vorgl z. B. 229, MK 243: der Scherif Ahmed ibn Mas'üd versuchte zuerst 1628
durch die Gunst des Imams von (^an’ä zum Groosscherifat zu gelangen, aber vergeblich;
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110
buhrs ') zu verstehen, die Scberife hiessen (1763) zwar orthodox,
stünden aber im Verdachte zaiditischer Gesinnung; jede religiöse
Ansicht ist ihnen recht, die ihrer Herrschaft als Stütze dienen kann.
So konnten die Hasaniden sich wieder nach Herzenlust um die
»Einnahmen” *) raufen. In den ruhigen Zeiten , wo die Schutzher-
ren eine wirksame Kontrolle ausübten , gab die Theilung nur wenig
Anlass zu Schwierigkeiten ; der regierende Scherif gab den ihm am
nächsten stehenden Familien soviel als nöthig war , damit sie sich
nicht an hoher Stelle beschwerten ; sein Haupttheilhaber blieb aber
sein Sohn , der ihm nachzufolgen bestimmt war ’). Liess sich dage-
gen der Druck von oben wenig fühlen, so hatte die Theilung zwi-
schen Brüdern und Vettern hauptsächlich die Bedeutung einer Frie-
densbedingung ; Meinungsverschiedenheit über den Inhalt dieser
ungeschriebenen Verträge oder über deren Ausführung hob den
FYiedenszustand auf. Die angesehensten von Abu Numejj *) stamm-
enden Familien beanspruchten seit der Abschwächung der Oth-
manenherrschaft meistens */4 aller Einkünfte des Scherifats 5) während
der Grossscherif für sich und seine Theilgenossen */« mit der Ver-
pflichtung behielt, die Kosten der Armee usw. ganz auf seine Rech-
nung zu nehmen. Es bedarf wohl keiner ausführlichen Darlegung,
dass selbst in den seltenen Fällen , wo diese Regelung theore-
tisch allerseits anerkannt wurde, die Praxis Verwickelungen herbei-
führen musste ; zumal die Stellung der einzelnen Familien in jeder
neuen Generation eine andere war. Es kam vor, dass die Willkür
des türkischen Beamten in Djiddah über die Ansprüche unzufrie-
dener Seherife entschied , und dieser ihnen einen Theil der
Zölle auf Abrechnung auszahlte; ja es wurde ihm sogar einmal
vorgeschlagen , durch einen Wechsel einige aus Mekka ausgezogene
erroisto dum zum Sultan nach Constantinopol , wo ihm oin ehrenvoller Empfang zu Thoil
wurde. Bald darauf erkrankte er und starb in der Hauptstadt ebenso plötzlich, wie viele
andere von seinen Verwandten, welche dahin ihre letzte Zuflucht nahmen.
1) Beschrijving ran Arabie, S. 3-19.
2) passim ; die Bezeichnung der Anthoilo wurde oben
S. 87 angegeben.
3) Vergi. oben 8. 88. 4) Stammt III, 1.
5) Vergi. u. A. MK 209j AD 114, 132, 139-40; Wüstenf., Seherife, 8. 81.
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Scherife zu ermächtigen, ihren Antheil selbst von den von Djiddah
nach Mekka gehenden ilandelskarawanen zu erheben *) ! Das von
einem energischen Scherif (Mas'üd, 1734 — 52) angelegte Register
der Einnahmen und die Buchführung über die Verkeilung waren
gleich nach seinem Tode ausser Geltung gekommen und abge-
schafft *). Einmal (1704 *) wurde der Versuch gemacht, den Streit
zwischen dem Grossscherif und seinen Verwandten dem Richter zu
unterbreiten, damit das kanonische Gesetz entschiede. Wie sollte
aber Gottes Gesetz zwischen Raubrittern richten? Der Grossscherif
behauptete. Alles, was seine Verwandten von den Einnahmen be-
kämen , wäre seinerseits als freiwillige Schenkung zu betrachten , die
höchstens in der moralischen Verpflichtung gegen Blutsverwandte
begründet sei; die andere Partei hielt dem entgegen, ihre Rechte
beruhten auf dem seit Qatädah’s Zeiten anerkannten "Herkommen”.
Der einzige Erfolg war der , dass die Parteien nach heftigen gegen-
seitigen Beschimpfungen aus einander gingen und später verschämt
eingestanden , sie hätten ihre adeligen Zwistigkeiten doch nicht vor
aller Welt blosslegen sollen. Es wird hier am Platze sein, die Fa-
miliengesetze dieses westarabischen Adels etwas eingehender zu
beschreiben *) ; die Quellen über die Periode der othmanischen
Herrschaft sind in dieser Beziehung die ergiebigsten.
Bisher haben wir fast nur die Schattenseiten des Lebens der
Scherife kennen gelernt; in ihren Verhältnissen zur Aussen weit
treten diese naturgemäss aufs Schärfste hervor. Ausdrücklich sei
betont, dass mancher Scherif sich durch die Tugenden auszeich-
nete, welche die Araber an einem Emir am höchsten schätzen:
Freigebigkeit, Gastfreiheit, praktische Einsicht, Treue gegen seine
Verbündeten und Sinn für Gerechtigkeit, wo ihrem Richterspruche
Fragen anheimgestellt wurden, deren Entscheidung ihre persönlichen
Interessen nicht berührte. Fast alle zogen einem nach ihrer Ansicht
1) AD 223 (Jahr 1705) Auch heutzutage geben die anständigeren Beduinen, die Pil-
gerkarawanen ausplündern , in Ermangelung von Wechseln, den Beraubten Quittungen,
in denen sie den Empfang eines Werthes von so und soviel bescheinigen, damit die Ke-
gierung den Betrag von den rückständigen herkömmlichen Jahrgeldcrn abziohe !
2) AD 337. 3) MK 338, AD 188-9.
4)Vergl. oben S. 98.
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schmachvollen Leben den Heldentod vor; viele zeichneten sich ausser
durch Tapferkeit auch durch literarische Begabung und Schlagfer-
tigkeit in der Diskussion aus. Jeder vornehme Hasanide hatte in
der Stadt und unter den Beduinen seinen Kreis von Anhängern,
die sich auf seinen Schutz verlassen konnten; das Asylrecht wurde
von Seiten der Familienhäupter unumschränkt sogar auf alle Frem-
den erstreckt , die es nachsuchten, und der Grossscherif wagte es
nicht, die Ausübung desselben zu beanstanden *). Abgesehen aber
von solchen arabischen Bräuchen und persönlichen Beziehungen war
die Hauptmasse der Bevölkerung Mekka’s sammt den Pilgern den
Scherifen ein Gegenstand der Ausbeutung ; die Beduinen , mit
denen sie dann und wann feindlich in die Stadt einzogen, waren
so zu sagen ihre Jagdhunde, die Nichtadeligen auf gegnerischer
Seite das Wild. Wenn sich selbst bei uns nach jahrelanger Herr-
schaft der Gleich heitsprincipien die wirkliche Anwendung derselben
doch im besten Fall wesentlich auf Menschen gleicher Bildung
beschränkt , so darf es wohl natürlich heissen , dass der mittelalter-
liche Adel Arabiens die meisten Tugenden nur innerhalb des eig-
nen Kreises in vollem Maasse ausübte; die ungeschriebenen Ge-
setze, welche das Verhältniss der Scherife unter sich beherrschten,
zeigen uns die Lichtseite ihres Charakters.
Die mekkanischen Hasaniden theilten sich wegen Verschiedenheit
der Interessen in unzählige Gruppen , deren Centrum je eine Fa-
milie bildete; solch eine leitende Familie verdankte ihre Bedeu-
tung der grossen Zahl oder der Tüchtigkeit ihrer Mitglieder. Schon
im 14*®“ Jahrhundert ’) begegnen wir der seitdem immer häufige-
ren Bezeichnung dieser Familien als »Dem (eigentl. Dawl) N. N.”
d. h. »die Leute des N. N.”, wobei N. N. den Namen irgend eines
hervorragenden Vorfahren vertritt. Die Wahl der Eponymi ist ge-
wöhnlich mehr historisch als logisch begründet : Dem Rumeithah ')
heissen die dem Hasan *) feindlichen Familien, obgleich Hasan
1) 1679 flüchtete sich ein Mann aus Sawakin, der in einem Streite einen Türken ge-
tödtet hatte, in das Haus eines Scherifs „und dieser nahm ihn nach ihrem Ilerkom-
„mrn in seinen Schutz nnd half ihm aus Mekka fort.” AU 135 vgl. auch Hl.
3) CM II : 321. 3) MK Ml, vcrgl. Stammt. II, 13.
1) Stammt. II, 31.
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selbst, als Enkel Rumeithah’s, eigentlich mit dazu gehört; Demi
Uasan ’) heissen einige vom seihen Hasan stammende Familien ,
welche nach Jemen ausgewandert und dort zu grosser Macht ge-
langt waren, im Gegensatz zu den in Mekka herrschenden Nach-
kommen desselben, obgleich fast alle die unzähligen uDfod'g", die
seit der Regierung Hasans im Hidjäz Ansehen erwarben , der Ab-
stammung nach ebenfalls zu den DewI Hasan gehören. Statt dem
Namen des Vorfahren Demi vorzusetzen , bildet man auch wohl
einfach den Plural desselben und spricht z. B. regelmässig von
den Schambar’s (Schenäbrah) , den Mun'ims (Menä'mah), den Ab-
dallahs ('Abädilah) d. h. den Nachkommen der Scherife Scham-
bar 1 2 3) , Abd nl-Mun'im , Abdallah ; in diesen Fällen ist aber der
Gebrauch des Wortes Demi mit dem Namen auch zulässig. Der
ganze Kampf um Mekka wird nun von der Parteistellung der ver-
schiedenen Demi beherrscht. Ganz voran stehen die Brüder und
Vettern des jeweiligen Fürsten ; deren «Dem' sind natürlich noch
wenige , sie verfugen dagegen über die Mittel Sklaven zu kaufen ,
eine Heeresmacht zu bilden , und nur durch ihre Vermittelung
können Fernerstehende etwas abbekommen. Jenen und dem Herr-
scher selbst folgen die älteren und zahlreicheren selbständigen Fami-
lien nach Maassgabe ihrer Häupter; die Gruppierung unterliegt
bedeutendem Wechsel. Die Häupter der älteren Familien verdanken
der Stellung ihrer Vorfahren mehr oder weniger werthvollen Grund-
besitz; die jeweiligen Prinzen bekommen unschwer etwas von den
Krongiitern. Die Gegend um das Grundstück eines solchen Land-
herrn wird theilweise von seinen Demi , theilweise von Dörflern und
Beduinen bewohnt , die alle von selbst in einem Abhängigkeits-
verhältniss zu ihm stehen ; daher heisst die Gegend sein Gebiet
(Bilüd) *). Nach allen Seiten erstrecken sich von Mekka aus diese
»Gebiete” : bald hört man von einem Prinzen , der nach dem Wädl
Blschah in Jemen reist, um seine Güter zu ordnen, bald zieht ein
1) AD 803, 371, 414.
2) So, und nicht Baschir lautot der bei Wüstenf. Scherife in der Stammtafel mit 14
numerierte Name.
3) Yergl. z. B. MK 406, 407, 423; AP 280.
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1
i
in Mekka wohnhaftes Farailienhaupt , unzufrieden mit dem Gross-
scherif, nach seinem Gebiete in ar-Rukänl (zwischen Mekka und
Djiddah) ; im Wadi Marr , auch schlechthin »der Wädi” genannt ,
liegen Grundstücke verschiedener Scherife, und nicht weniger in
der fruchtbaren östlichen Gegend bis nach Täif. Eigentliche Unter-
thanen des Grossscherifs kann man diese Herren (»unsere Herren”
heissen sie) kaum nennen; auch wenn jener nicht gewöhnlich zu
Hause schon mehr als genug zu thun hätte, würden sie sich von
ihm keine direkte Einmischung gefallen lassen; er ist das Haupt
der Familienhäupter, primws inter pares. Es giebt zu jeder Zeit
Häupter von Dems, die mit »unserem Herrn” von Mekka nichts
zu thun haben wollen ; von den übrigen sagt man , sie »stehen
mit ihm in Verbindung” J). Die Spitzen der vornehmsten verbün-
deten Familien leben meistens in Mekka , denn zu den Bedingungen
der »Verbindung” gehört natürlich ein Antheil an den Einnahmen,
und schon die Kontrolle erfordert ihre Anwesenheit in der Haupt-
stadt. Hinzukommt, dass beim Tode des Grossscherifs die Entschei-
dung über die Thronfolge in der Hand der in Mekka lebenden
Familienhäupter liegt, sofern nicht eine fremde Macht gewaltsam
dazwischentritt. Entstehen nun aber Misshelligkeiten , so werden
die Familienhäupter zu Parteiführern; die kampffähigen Stadtbe-
wohner (Hadhramiten , Jemeniten usw.) betheiligen sich an der
Parteibildung, und ausserhalb reisen Abgesandte unter den Be-
duinen. Irgend ein Anlass kann unter solchen Umständen zum
Strassenkainpf führen , aus dem der entscheidende Krieg entsteht ;
manchmal aber befiehlt schon vorher der Fürst den ihm verwandten
Aufwieglern, innerhalb einer gewissen Frist seine Biläd (sein Ge-
biet) zu verlassen , oder aber die Unzufriedenen ziehen freiwillig
1) ME 350,365 usw. aiAxlxj , es ist swischen ihnen XJUliu , aJUc. Ein Haupt, wel-
ches diese Verbindung mot dem Oberhaupte abbricht, y* -- 3?. ; solcher Austritt
findet, abgesehen von politischen Gründen, auch s. B. deswegen statt, weil der Betref-
fende sich einen Mord oder ein anderes schweres Vcrgohen hat zu Schulden kommen
lassen, wofür der Grossscherif die Verantwortlichkeit nicht übernehmen kann, und dosson
Bestrafung der ganzen Familie zur Schando gereichen würde; z. B. MK 350. Die weniger
vornehmen Häupter mit ihren Familien sind wieder äi«e dor einflussreichen Partei-
führer, AD 191 usw.
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aus. Im letzteren Falle ist der Auszug einer Kriegserklärung gleich
und hat sichs der Fürst zu versehen, dass nächstens alle Karawa-
nenwege in seinem Gebiete unsicher gemacht werden , bis sich
irgend ein ehrwürdiges Familienhaupt ins Mittel legt und eine Ver-
ständigung herbeiluhrt '). Früh oder spät ist jeder Bruch der »Ver-
bindung” der Anfang eines Krieges; ein kräftiger Grossscherif
sucht die Feinde in ihrem Lager auf und verlegt zur grossen
Freude der Mekkaner den Kampf ausserhalb der Stadt; dies ist
aber sehr schwer , und die meisten warteten , bis die Ausgezogenen
mit ihren durch Beutelust aufgehetzten Beduinen über das arme
Mekka herfielen. Dann kämpfte man bis diese Hunde Herren der
Stadt waren, oder, da sie sahen, die »Zeit des Gewinns” sei
nicht gekommen, den Kampf aufgaben und davonliefen. Die Sche-
rife selbst kämpften immer tapfer mit; manchmal fanden die ge-
schätztesten Häupter den Tod, obgleich selten die Zahl der Ge-
tödteten nach unseren Begriffen beträchtlich war; überhaupt geben
die Araber derartigen Kampf auf, sobald theure Männer gefallen sind.
Hat sich der Kampf zu Gunsten des Regierenden entschieden,
so erbittet sich der Besiegte eine Frist a) , seine Sachen zu ordnen ;
gewöhnlich wird ihm dieselbe gewährt, trotzdem sie mehrere Mal
benutzt wurde, die Wiederaufnahme des Kampfes vorzubereiten ‘).
Solchem Missbrauche vorzubeugen, verlangte der Sieger als Bedin-
gung der gewährten Frist nicht selten, dass ihm der friedliche
Auszug des Feindes durch einflussreiche Scherife verbürgt werde*);
jedoch wurde die llebertretung solcher nothgedrungenen Verabre-
dungen nicht als eine schwere Sünde betrachtet , und deswegen wird
dem besiegten Fürsten immer nur eine kurze Frist gelassen , weil seine
Stellung ihm die schnelle Sammlung neuer Mittel allzusehr erleichtert.
Ein besiegter Grossscherif, der die Stadt verlassen muss, vornehme
1) Solche freiwillige Verbannung heisst wohl , die Exilierten: ajjti»
AD 199, 910 j bei Allem hoisst es: oder
9) äkp oder ibö heisst sie, AD 150, 161 — 9 usw.
3) AD 900. i ) AD 980.
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Familienhüupter, deren Treiben den Herrscher veranlasst , sie aus seinem
Gebiete zu verweisen, feindliche Scherife, die von aussen her in die
Stadt einfielen , aber abgeschlagen wurden , Alle haben in Mekka
bewegliches und unbewegliches Eigenthum , Verwandte und Ange-
hörige, Leute, die offen als ihre Anhänger hervorgetreten sind;
diesen wäre es unmöglich , bei jedem Wechsel der Verhältnisse
mit den Parteihäuptern aus- oder wieder einzuwandern. Auch wird
das nicht von ihnen verlangt. Da bleibend, wären sie jedoch der
Willkür des Siegers preisgegeben , wenn es nicht das heilige »Her-
kommen” anders verfügte; diesem zufolge geht der Besiegte zu
einem von den angesehensten Scherifenhäuptern , sei es ein Gegner
oder ein solcher, der sich nicht am Kampfe betheiligt hat, und
fordert zuerst dessen Schutz, der nicht verweigert werden kann1).
Von dem Augenblick an, und hätte er auch den Schutz in der
vollen Hitze des Gefechts verlangt, ist er »im Angesicht”’) des
Angerufenen, d. h. jedes ihm zugefügte Leid gilt, als wäre es
diesem geschehen; nur muss der Beschützer Zusehen, dass sein
Schützling die Bedingungen bezüglich der Frist erfüllt. Seiner Ob-
hut vertraut der Unterliegende oder Exilierte nun gleich alle seine
in Mekka befindlichen Güter, sowie das Leben und die Sicherheit
aller seiner Verwandten, Angehörigen und Anhänger an’); so tief
wurzelt diese Sitte im Leben der Scherife, dass die Person des
Vertrauensmannes manchmal im Einverständniss mit dem Haupte der
siegenden Partei gewählt wird. Hundertmal war ein siegender Sche-
rif im Stande , seine Hauptgegner auf einmal auszurotten oder ins
Gefängniss zu werfen; nur die feste Ueberzeugung, dass solcher
Frevel der Anfang vom Ende des ganzen Geschlechts wäre, hielt
sie davon zurück. Wir könnten die oben angeführten Beispiele des
Bruder- und Vatermordes in der Familie Qatädah’s mit einigen
l) *1 (jr>-
3) Vergl. ausser deu obeu angeführten Stellen z. B. MK 345 — 6, 400 , 451; AD 211,
250: Jar'fah begreift alles ihm Angehörige, Meuschou
und Habe, in sich; bisweilen heisst es ausführlicher: U jsJLäjLb
Kl
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vermehren ; trotzdem fällt es auf, wie sehr man im jahrhundertelan-
gen Kampf das Blut (es war ja das eigene!) schonte. Auch der Kerker
fand gegen die Spitzen der Familien nur ausnahmsweise Anwendung.
Heilig und unverletzbar waren die im liause des vertriebenen
Scherifs aufgespeicherten Schätze in der Hand, die soeben das
Schwert gegen ihn führte, heilig das Leben seiner Leute, ob-
gleich man wusste , dass sein Auszug nach Norden , Süden oder
Osten der Anfang einer neuen Sammlung von Streitkräften war
und dass die Parteigenossen in der Stadt hoffnungsvoll des neuen
Angriffs harrten. Das einzige Mal '), wo die Schlüssel des Palastes
eines verjagten Fürsten seinem Vertrauensmann entrissen wurden,
vermochte der Wille aller Scherife nichts gegen den Gewaltstreich
eines mächtigen türkischen Beamten (1672). Von der Verpflichtung ,
das Leben und die Habe seiner Widersacher in Mekka im Schutze
eines Verwandten unversehrt zu lassen, wollte sich einmal (1705)*)
ein über das immer neue Auflodern der Kriegsfackel empörter
Scherif lossagen. Jede wichtige Phase des politischen Lebens wurde
den Städtern durch einen Munädi (Ausrufer) bekannt gemacht; das
Auftreten eines neuen Thronprätendenten sowohl als der Regie-
rungsantritt eines Siegers wurden dadurch eingeführt, dass der Mu-
nädl in allen Strassen ausrief: » das Gebiet gehört Allah und dem
»Sultan und unserem Herrn dem Scherif N. N. (bez. : und der Scherif
»X. ist sein Theilgenosse für1/» oder*/,)”’). Der Scherif Sa'ld (1705)
liess nun aber bei einer solchen Gelegenheit allen Angehörigen
seiner grössten Feinde unter den Familienhäuptern den Aufenthalt
in Mekka kündigen. »Keiner von den Verwandten der DewI Scham-
»bar, der DewI Djäzan , der DewI Barakät und der DewI Thuqbah” ,
so rief der Munädi, »übernachte in der Stadt; wer diesem Befehle
»zuwiderhandelt , dessen Leiche wird ans Kreuz geschlagen , sein
»Haus geplündert.” Höchst entrüstet eilten alle vornehmen Scheri-
fenhäupter zum Grossscherif , tadelten ihn wegen dieses unerhörten
Frevels und sagten : »So etwas würde ein Beispiel unter uns dar-
1) MK 284—6. 2) MK. 40‘J, AD 224.
3) Vorgl. z. B. AD 98, 232 uaw.
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»stellen , demzufolge fernerhin Leute und Habe ’) eines aus der Stadt
»ziehenden Seherifs dem Tod und der Plünderung ausgesetzt wären.
»Das können wir nicht zulassen , weil die Gesammtheit dabei zu
»Grunde ginge.” Und der Befehl wurde durch eine neue Bekannt-
machung rückgängig gemacht. Die Ehrfurcht, welche die arabischen
und fremden Muslime allen vornehmen Scherifen erwiesen , war
auch ein Grund , der diesen Adel von jedem Vernichtungskampf
abrathen musste. Dass »unsere Herren die Scherife” unausgesetzt
einander bekämpften, gehörte nun einmal, wie es schien, zur gött-
lichen Weltordnung; da man sie aber alle wegen ihres Blutes ver-
ehrte, wie musste wohl die allgemeine Gesinnung gegen solche
sein , die dieses heilige Blut geringgeschätzt und vergeudet hätten !
Feierlich pflegte der Sieger sich am Leicheubegängniss seines ge-
fallenen Gegners zu betheiligen *); das Grab manches Scherifs wurde
von allen Hasaniden als unverletzbare Freistätte geachtet, sodass
jeder Schützling desselben ihr Schützling war5). Solche Grabstätten
waren die Heiligthümer, solche Familiengesetze die Religion dieser
vom Islam verzogenen Prophetenkinder.
Gegen Ende der dreissigjährigen Periode, die wir zuletzt durch-
wanderten, wussten die Scherife (1631) kein besseres Mittel, den
drohenden Kampf um die Thronfolge einen Augenblick zu beschwö-
ren, als die Wahl eines alten, ehrwürdigen Familienhauptes, das
augenscheinlich nicht weit mehr vom Grabe war : Abdallah *)
der Sohn Hasans übernahm die Aufgabe, eine Vermittelung anzu-
bahnen. Er übergab die Regierung seinem Sohne Mohammed,
liess aber den energischen Vertreter der mächtigsten verwandten
Familie aus dem Süden zur Theilnahme an der Herrschaft auffor-
dern: Zeid 5), den Urenkel Hasans. Gegen die Austeilung der
beiden erhob zieh nur von einer Seite ein bedenklicher Wider-
stand: die Nachkommen Barakät'g •), des Bruders Hasans, verlang-
ten einen Antheil an den Einnahmen, und erst nachdem ihnen
1) Auch hier hoisacn beide zusammen
2) AD 212 usw. 3) AD S3 usw.
4) Stammt. HI, 5, MK 239 ff. AD 93-6.
6) Stammt. III, 26. 6) Stammt, in, 4.
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das versprochen war, stellte sich die Ruhe her. ' Abädilah , Deici
Zeid und Demi Barakul ; dies sind die drei Geschlechter, um deren
Rivalität sich die weitere Geschichte Mekka’s bewegt. Bis 1694
redeten allerdings die Dewi Mas'üd *) und Dewi Abd el-Muttalib ’)
ein Wörtchen mit; seitdem blieb ihnen aber keine Rolle übrig,
und immer waren sie nur Mitbewerber zweiten Ranges. Zunächst
diente das Glück den Dewi Zeid (1631 — 72) s) ; als 1632 meute-
rische Truppen ihren Befehlshaber in Jemen verliessen und sich ,
da sie auf ihrem Wege nach Norden durch Mekka zogen , von
zwei ehrgeizigen Scherifen ’) als Werkzeug gegen Zeid und Mu-
haramed gebrauchen Hessen , verlor Muhammed in einem Treffen
das Leben, und die Hülfstruppen , welche dem Zeid eilig aus
Egypten zukamen , konnten ihm nur die Stadt wiedergewinnen
helfen. Zeid (1631 — 66) war eine kräftige Gestalt vom Schlage
Qatädah’s *) ; im Süden, im Wädl Bischah geboren, verbrachte er
dort einen grossen Theil seiner Jugend, da sein Vater meistens
im freiwilligen »Exil" lebte; so wurde ihm das »unzugängliche"
Land recht zur Heimath , die ausländische Kontrolle dagegen ein
zu vertilgendes Unkraut. Die Einsicht seines in Egypten zum Di-
plomaten gewordenen Vorfahren Hasan s), der die Türken nach
türkischer Methode unschädlich machte, ging ihm gänzlich ab.
Eine Erhöhung seines Antheils an den Djiddah’schen Zöllen hat
er noch erbettelt und gegen die oben erwähnten Meuterer unvor-
sichtig den egyptischen Gouverneur um Hülfe gebeten ; als nun
aber der 1642 über Djiddah bestellte hohe türkische Beamte
( Qandjaq ) 1646 zum Inspektor der heiligen Stadt ( Scheck el-iJaratn )
ernannt wurde •) und in Mekka möglichst viel von der Verwal-
tung an sich zu ziehen suchte, da trat Zeid, aufs Höchste empört,
einen Streifzug durch Arabien an , nachdem er einen Sohn seines
verstorbenen Mitregenten zum Stellvertreter ernannt und einen Be-
duinen heimlich damit beauftragt hatte, den Türken aus der Welt
1) Stammt. IXT, 6, 9; Wüsten/., Seherife, S. 35 — 6.
2) MK 243 ff., AD 95 ff , Wüatenf., Scherifo S. 36 ff; M«. I^oid. 2021, fol. 104 ff
3) Stammt. III, 19, 23. 4) Vorgl. oben S. 75 ff
5) Vcrgl. oben S. 90 f. 6) MK 253 ff.
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zu schaffen. Sein Hass gegen die Othmanen war durch die Ent-
sendung eines Eunuchen des Sultans zum Haddj des Jahres 1639 J)
nicht wenig vermehrt; diesem Neutrum hatte der Sultan Muräd
die allerhöchsten Vollmachten über alle Länder ertheilt, die er
durchreisen musste, und Zeid erfuhr aus Egypten, dass dort der
Gouverneur dem Sklaven ausserordentliche Ehre erwiesen hatte.
Unschlüssig sah er dem verächtlichen Haremshunde entgegen , als
ihm die erfreuliche Nachricht von dem plötzlichen Ableben Muräd’s
überbracht wurde, wodurch die Sendung alle Bedeutung verlor.
Den Mekkanern erschien dieser Zufall als eine Fügung der Vor-
sehung zu Gunsten des Scherifs. Der Eunuch wurde jedoch später
zum Inspektor von Medina ernannt und war gerade bei seinem
Kollegen für Mekka in Täif auf Besuch, als dieser dem Dolche
des von Zeid beauftragten Beduinen erlag. Zeid kehrte darauf in
seine Stadt zurück und zog 1649 nach Medina; hier wurde
während seines Aufenthalts der türkische Qädhi, gewiss nicht gegen
seinen Wunsch, ermordet. Sehr begreiflich ist es bei alledem, dass
ein WälT von Djiddah in Verbindung mit einem Verwandten Zeids
ihn zu stürzen versuchte; Zeid schlug aber seine Gegner in die
Flucht, und als der nach Egypten entflohene Gouverneur 1651 als
Anführer der Haddjkarawane mit dem Mahmal wiederkam , reichte
Zeid ihm zur Begrüssung statt der üblichen Umarmung vorsichts-
halber nur die Hand 1 2 3). Seitdem blieb jene herzliche Form der Be-
grüssung, welche seiner Zeit eine andere, erniedrigende ersetzt
hatte, ausser Brauch; die kühle Höflichkeit wurde »herkömmlich” *).
Die Mekkaner hatten ihrerseits Gründe des Aergers genug, um
mit ihren Herren gegen die Türken einig zu sein: saufende,
halbwilde Soldaten, jährlich ein neuer, mit den lokalen Verhält-
nissen gar nicht vertrauter Qädhi, Bevorzugung der fremden, ha-
nafiti8chen vor der einheimischen schäfih tischen Schule , woraus
1) MK 251, M*. Leid. 2021, fol. 116 ff.
2) Vergl. auch Ms. Leid. 2021 , fol. 108 r°.
3) Uebrigons fand auch schon 1480, als der Sultan QAitbey die Wallfahrt machte , die
Begrüssung zwischon ihm und dem ihm entgogengoreisten Scherif dadurch statt, dass
beide Fürsten zu Pferde einander die Hand reichten.
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sich noch in dieser Zeit eine literarische Polemik ergab *). Der
oben genannte Eunuch hatte vielleicht Hecht, als er eine absicht-
liche Verhöhnung des Türkenregiments darin erblickte, dass während
seiner Anwesenheit ein ItnSm beim Qalät zwei Quränkapitel reci-
tierte , in denen eines gottvergessenen Volkes und eines feindlichen
Angriffs auf Gottes Stadt Erwähnung geschieht *). Die geschicht-
liche Entwickelung der Verhältnisse wurde von den Mekkanern
dahin interpretiert, dass die Autorität des Oberhauptes des Islam’s
in den heiligen Städten göttlicher Anordnung gemäss ausschliesslich
durch die Scherife ausgeübt wurde; die Einsetzung eines fremden
Heerführers als eigentlichen Stellvertreter des Sultanats erschien
hier als theoretisch unberechtigt und die praktischen Folgen dieser
Institution gereichten dem beliebten mekkaniscben Herkommen fast
ausnahmslos zum Schaden.
In einer Hinsicht mussten alle Scherife der türkischen Poli-
tik Rechnung tragen : das heilige Gebiet durfte den Erbfeinden
der Sultane von Stambul nicht länger offen stehen. Sehr ge-
schickt haben die Othmanen es verstanden , den Kampf gegen
die Perser zu einem Religionskampf zu machen ; der Gegensatz
zwischen Orthodoxie und Schritismus wurde durch ihren Einfluss
schärfer als je zuvor betont. In maassgebenden Kreisen galt es
früher als anständig, auch schrilischer Gelehrsamkeit und Fröm-
migkeit die gebührende Ehre zu zollen, sc hTi tische Ausschrei-
tungen auf Rechnung einzelner Heissblütigen und des dummen
Pöbels zu schreiben; auch die Differenzen zwischen den vier
«Schulen” gaben ja manchmal Anlass zu Strassenkämpfen ’) und
gehässigen Handlungen der Ultra’s, sodass ein in dieser Bezie-
hung unparteiischer Fürst als musterhaft gelten konnte 4). Seit
dem fünfzehnten Jahrhundert wurden einerseits schf itische Elemente
im officiellen Islam mehr als früher vorherrschend , und den Schul-
1) M*. Leid. 2021, fol. 119 v°.
2) M‘. Leid. 9021, fol. 106 v1 2 3 4 ; es waren die Suren 89 and 105.
3) Vergl. t. B. IA X:71— 9, 80—1; XI : 133, 15*— 5, 165, 219, 2*7, 3*6, 372—3;
XII; 49, 86-7, 10*.
4) 1A IX : 260, 266.
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difierenzen wurde die Spitze abgebrochen ; andererseits bewirkten die
Türken, dass alle Organe der heiligen Wissenschaft die Zugehö-
rigkeit zu einer specifisch schfitischen Partei als Taraffudh ver-
dammten. In Mekka erfuhren die Perser gleich nach der Erobe-
rung von den Türken manche schlechte Behandlung ') und dienten
als Sündenböcke, wo man immer solche brauchte. Der 1588 ge-
stohlene Schlüssel der Kasbah wurde selbstverständlich bei einem
Perser gefunden , und solche Anlässe zur Kühlung des türkischen
Uebelwollens blieben nicht unbenutzt. Im Jahre 1638, wo der Sul-
tan Muräd Baghdad den Persern abnahm, kam nun der Befehl an
Zcid, alle jener Ketzernation Angehörenden aus Mekka zu vertrei-
ben und solchen fernerhin die Wallfahrt zu verbieten. Die Scherife,
so eifersüchtig sie sonst auf ihre Rechte bestanden , fürchteten nichts
sosehr als den Verdacht von Beziehungen, die an höchster Stelle als
ketzerisch verrufen waren, zumal ihre Abstammung, ihre zaiditi-
sche Vergangenheit und der unvermeidliche Verkehr mit den Imä-
inen von Jemen solchen Verdacht gar zu leicht als begründet er-
scheinen liess. Sie sahen wohl ein, dass jede Hingebung an eine
politische Idee ihnen verhängnisvoller werden konnte als die schlimm-
sten Vergehen in der Verwaltung. Zeid gehorchte also dem Befehle ,
obgleich er die Ausweisung zweifellos ebenso sehr bedauerte wie die
Mekkaner besseren Standes, da das persische Geld nicht wenig
zum Wohlstände der Stadt beitrug. Bloss der Pöbel schloss sich
dem antipersischen Fanatismus der Türken an aus Gründen , denen
das Dogma ebenso fern stand wie die Politik. Heimlich freuten die
»Söhne der Stadtviertel” sich nämlich darüber, dass die Scherife
den Persern soviel Duldung zeigten, als die türkische Kontrolle nur
zuliess; die geringste, wenngleich fingierte, Uebertretung von Sei-
ten eines Mitglieds der wohlhabenden Perserkolonie diente seitdem
als Vorwand zur allgemeinen Plünderung der Ketzer, an welcher
sich die türkischen Soldaten nicht ungern betheiligten. Bald ver-
diente ein Perser den Tod , weil er sich als Mahdi aufspielen
wollte8), bald fiel der Pöbel über sie her, weil die Ka'bah in einer
1) MK 903, vergl. 199.
2) MK 269, M» Leid. 2021, fol. 116 r° (Jahr 1671).
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Nacht beschmutzt worden war, obgleich die anständigen Mekkaner
die Plünderer selbst als Urheber der Entweihung betrachteten ').
Trotz allen Gefahren, denen sie ausgesetzt waren, kamen fast jedes
Jahr Perser zum Haddj; die Araber, welche ihren Reiseweg be-
herrschten , gewannen der Verketzerung ebenfalls eine ergiebige
Seite ab und erhoben schwere Summen für ihren //Schutz”. Die
Scherife empfingen nach wie vor die reichen Ketzer als willkommene
Gäste, sobald dem »Residenten” die Mittel oder die Energie zur
Durchführung seines Willens fehlten; 1700 und 1701 ') warf man
ihnen sogar vor, dass sie ihren proscribierten Gästen gestatteten,
die Moschee zu benutzen, als wäre dieselbe ihre Privatwohnung,
und die Türken empfanden es als eine Beleidigung, dass 1701
jenen zulieb in der Festpredigt specifisch schl'itische Formeln aus-
gesprochen wurden. Dreissig Jahre später wiederholten sich die al-
ten Greuelscenen *), und als 1744 der gewaltige Perserkönig Nädir-
schah eine Gesandschaft nach Mekka schickte, um die Herstellung
eines fünften Maqäm ') für den (Dja'furi tischen) Ritus der Perser
zu erwirken, empfing der Scherif dieselbe zwar höflich, wagte es
aber nicht dem Befehle aus Constantinopel zu widerstreben , und
schickte die Perser dem Sultan zu 5). Gegen die Zaiditen wiitheten
die Türken nicht weniger als gegen die Dja'fariten. Die Nähe der
Residenz der Imäme von Jemen, ihre Verwandtschaft mit den
Scherifen , der Handelsverkehr der beiden Länder, die Gleichartig-
keit beider Dynastien , alles machte für Mekka ein freundschaft-
liches Verhältniss erwünscht. Den offenen Anschluss au das Imämat
von Qancä vermieden die Scherife zwar ängstlich, und 1672 sahen
sie sich gcnöthigt, die zaiditischen Pilger zurückzuweisen '); auch
//bekehrten” sich in Mekka ansässige Zaiditen zum banafitischen
Ritus, und Zweifel gegen den Ernst eines solchen Uebertritts äus-
serte sich in körperlicher Misshandlung des Bekehrten 7). Zaiditische
Prinzen, die wegen F'amilienstreits ihre Heimath verlassen mussten.
1) MK 207 (Jahr 1677); solche Beschmutzung ging öfter in Medina und Mekka einer
Razzia gegen dio Perser voraus.
2) MK 379, 380. 3) AD 287. 4) Vergl. oben S. 13 ff.
ß) AD 304 ff. 6) MK 273, AD 121. 7) MK 279.
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fanden jedoch (z. B. 1680) ') in Mekka nicht weniger freundliche
Aufnahme als so mancher ausgewichene Scherif bei den Ijasaniden
im Süden ; dagegen verschlugen die türkischen Einwendungen nichts.
Zeid machte durch Kaubzüge und sonstige Reisen im Inneren
den Kamen des Herren Mekka’s mehr gefürchtet, als seit langer
Zeit der Fall gewesen ; ausserdem wusste er die bedeutendsten
Familienhäupter, namentlich die c Abädilah , so weit zu befriedigen,
dass sie ihm den ersten Rang ungestört überliessen. Bei den be-
kanntesten Dem Zeid (gewöhnlich Zcd gesprochen) finden sich die
Eigentümlichkeiten ihres Stammvaters wieder. Den türkischen Schutz-
herren gegenüber benehmen sie sich, wie ein eigensinniger Knabe
mit einem strengen, aber unaufmerksamen Vormund verfahren würde:
empfindlicher Züchtigung immer gewärtig, aber überzeugt, dass
ihre Anwendung grösstentheils vom Zufalle abhängt, woher denn
auch das Streben nach Gehorsam als überflüssig gilt.
Sacd'), der Sohn Zeids, (1666 — 72) hatte während seiner kurzen
ersten Regierung mit Hamüd , dem Sohne Abdallah ’s und bisweilen
auch mit einem von seinen eigenen Brüdern zu kämpfen und be-
kam von Seiten seiner Verwandten erst Ruhe, nachdem er allen
Berücksichtigung ihrer Ansprüche verheissen hatte. Mit dem «-Re-
sidenten”, dem Q'andjaq von Djiddah, überwarf er sich wegen der
Verrechnung der Einfuhrzölle, und, dem väterlichen Beispiele fol-
gend, befahl er beim Haddj 1671 ’) seinen Bravo’s, jenen zu
tödten. Der Versuch misslang; da der Pascha in Mekka keine
Hülfe fand, zog er nach Norden und knüpfte mit einem andern
Zweige der Familie an. Sacd richtete sowohl an seinen dortigen
Verwandten als an Hamüd die Aufforderung zum Zusammengehen
gegen den Türken i »unser Interesse ist auch das eure” 4) schrieb
er Beiden. Das hätten die Scherife immer bedenken sollen; die
Richtigkeit dieses Grundsatzes wurde ihnen aber bloss in der höch-
sten Noth klar. Jetzt verhalf die Einigkeit ihnen zum Siege; der
1) MK 339 ff 8) Stammt UI, 34.
3) MK 270 — 1, AD 114 ff. Andere setzen das Ereignis» auf das Jahr 1G72 au.
4) tdJLiju liuJu
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Pascha wurde abgesetzt und starb auf der Heimreise ebenso plötz-
lich wie mancher Scherif, der Konstantinopel besuchte!
Die Beendigung dieser Periode der Macht der Dewi Zeid war
das Werk eines früher in Mekka ansässigen, ebenso klugen als
gelehrten Maghribiners , des Muhammed ibn Sulemän. Gleichviel
was ihn angetrieben hat : Feindschaft gegen Sa'd , Ehrgeiz , heiliger
Eifer für eine bessere Ordnung in Mekka, oder etwas von allen
dreien , er wusste den Grosswezir in Stambul zu überreden , dass
er ihm die ausgedehntesten Vollmachten ertheilte, mit allen guten
Mitteln den Uebelständen in Mekka abzuhelfen. Heeresabtheilungen
aus Syrien und Egypten begleiteten ihn zur Wallfahrt des Jahres
1672 und waren beauftragt, nach seinen Maassnahmen einzuschrei-
ten. Jeder Versuch, Sa'd in die Falle zu locken, schlug fehl; man
musste sich damit begnügen, dass er mit seinem Bruder Ahmed,
die Absicht der Truppensendung ergründend, von Mekka fortzog.
Für den Maghribiner lag es auf der Hand, sich zur Erreichung
seiner Ziele eines Scherifs zu bedienen, der nur ihm die Würde
verdankte und über den er somit nach Belieben verfügen konnte.
Er wählte das Haupt der angesehenen, von Hasan’s Bruder Ba-
rakät ’) stammenden Familie, welche es bisher nicht zum Regieren,
nur zur Mitberechtigung auf die Einnahmen gebracht hatte: Ba-
rakät *) ibn Muhammed. Dieser Scherif und auch sein Sohn und
Nachfolger SaTd s) bekleideten die Würde bloss als Nothhelfer
(1672 — 84), und ihre Personen treten gegen die Erscheinung des
ausserordentlichen //Residenten” völlig in den Schatten. Die mek-
kanischen Schriftsteller sind des Aergers voll über diesen Eindring-
ling, geben uns jedoch durch ihre sachlichen Mittheilungen eine
günstige Meinung von seiner Tüchtigkeit als Verwalter. Seine re-
formatorische Thätigkeit setzte sich nämlich ohne Bedenken über
alles »Herkommen” hinweg, und seine neuen Ordnungen gereichten
mehr den Fremdenkolonien und den armen Mekkanern zum Vor-
theil als der Aristokratie oder der Bürgerschaft der heiligen Stadt.
1) Stammt. III , 4. 2) Stammt. III, 30.
3) Stammt. III, 38; vorgl. über dio Regierung der beiden Dewi BarmLU; MK 278 ff.,
AD 123 ff, Wüstenf. Scberife, S. 75 ff.
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Die Verwaltung der frommen Stiftungen wurde von ihm ohne
Berücksichtigung der Ansprüche damaliger Besitzer von Grund aus
neu geregelt; die indirekten Steuern, die Gewerbe- und Handels-
licenz, welche schwer auf die Lebensbedürfnisse drückte, schaffte
er ab und suchte zu verhindern , dass der Scherif sich */4 des jähr-
lich für die Mekkaner geschickten Korns aneignete, weil ihm ja
als Ersatz für dies Herkommen regelmässig ein Geldbetrag ange-
wiesen wurde. Die beim Geburtsfeste Muhammeds gebräuchlichen
Aufzüge, die festlichen Versammlungen am Todestage eines im
Schebekah begrabenen Heiligen wurden verboten , weil sie regel-
mässig zur Unsittlichkeit und zu allerlei Ausschreitungen Anlass
gaben. Allen Missbrauchen (und mit solchen waren die Bräuche
Mekka’s unlöslich verknüpft) trat der Maghribiner rücksichtslos
entgegen , natürlich zur grössten Entrüstung aller Mekkaner. Dass
ihm keiner öffentlich seine Feindschaft zeigte, verdankte er ledig-
lich seinem Rückhalt in Konstantinopel und dem Eindruck der
Truppen , welche ihn bei seiner Ankunft begleiteten. Nach dem
Tode des Gross wezirs (1675) neigte sich seine Sonne gleich zum
Untergang, und zwei Jahre darauf musste er nach Medina aus-
wandern. 1680 wurde ihm verstattet, als Privatmann nach Mekka
zurückzukehren und zu sehen, wie seine Neuerungen sämmtlich
rückgängig gemacht waren; noch vor der Verdrängung der Dewi
Barakät wurde er in schmählicher Weise aus Mekka verjagt ’). Mit
seinem Sturz begann diese Herrschaft der Dewi Barakät sofort zu
sinken. Ihm verdankte es diese Familie, dass sie bis ins Jahr
1770 den Dewi Zeid eine erhebliche Konkurrenz machen konnte,
denn bei den Arabern wiegt es schwer, wenn ein Prätendent
einem Zweige angehört, der einmal den Thron inne gehabt hat;
Said war aber nicht der Mann dazu , die zerrüttete Erbschaft seines
Vaters gegen die energischen Dewi Zeid zu vertheidigen.
Von Anfang an war es den Dewi Barakät zur Bedingung ge-
macht, dass die übrigen Regierungsfamilien zusammen von den
Einnahmen geniessen sollten. Während der Verwaltung des Maghri-
1) MK 307—8.
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127
biners hatten sich Alle , nach einigem Zaudern auch das zuerst
ausgezogene Haupt der 'Abädilah , damit zufrieden gegeben. Die
beiden abgesetzten Söhne Zeids hatten nach ihrer Flucht verschie-
dene Stämme zu feindlichen Unternehmungen gegen Barakät ver-
anlasst, dann aber, als diese Empörungen zu keinem Resultate
führten , die Reise nach Konstantinopel angetreten. Vom Sultan
reichlich beschenkt und in Statthalterposten eingesetzt, hielten sie
stets den Blick auf die Heimath gerichtet, und wiederholte Befehle
aus Stambul zur Auszahlung eines beträchtlichen »Antheils” an
ihre weiblichen Verwandten in Mekka zeugten von dem Einfluss
ihres Wortes. Unterdessen reisten auch andere Familien häupter
nach Stambul, um sich über die Zurückhaltung ihrer "Antheile’’
zu beschweren , und führte in Mekka die Uneinigkeit der in die
Einnahmen sich theilenden Familien die volle Anarchie herbei.
Jedes Familienhaupt nahm das, wozu es sich berechtigt glaubte,
ohne Vermittelung der Grossscherifs ; vier Sklavencorps mit Zu-
behör wirthschafteten in altgewohnter Weise und hoben alle Sicher-
heit der Bürger auf. Die DewI Mas'üd ') standen an der Spitze der
Opposition, welche dermaassen zunahm, dass der Grossscherif ge-
nöthigt war, sich Hülfe aus Stambul zu erbitten. Der Sultan ging
aber auf den Vorschlag des Ahmed ibn Zeid 1 * 3) ein , und entsandte
ihn 1684 zur Herstellung der Ordnung als Grossscherif nach Mekka.
Unter den vielumstrittenen Einnahmen des Scherifats nahmen
nach wie vor die Geschenke indischer Fürsten eine bedeutende
Stelle ein; theilweise wurden solche durch Gesandscliaften mit
freundschaftlichen Briefen vom Herren Mekka’s erbettelt ’) ; auch
reisten oftmals andere Scherife oder Mitglieder der Schebah-
familie ') zu ähnlichen Zwecken nach dem Goldlande , wenn ihre
Gläubiger in Mekka ihnen die Hölle zu heiss machten. Der "grosse
Mogul” (Barakäts Zeitgenosse war Aurangzeb) stellte schliesslich
einen bestimmten Jahresbeitrag fest, den sein Nawwäb von Suratte
nach Mekka zu entrichten hatte, und Niebuhr4) berichtet, dass
1) Stammt. QI, 6. 2) Stammt. IQ, 35.
3) MK 292, 308, 384, 344 iisw. 4) MK 195.
5) lieschrijving van Arabie, S. 350.
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diese Quelle erst nach der Mitte des IS*«® Jahrhunderts infolge
der englischen Eingriffe nach und nach versiegte. Unter der
Regierung Sa'tds kam eine von dessen Vater ausgeschickte Bettel-
gesandtschaft nach vierjähriger Abwesenheit (1688) zurück; nach
langem vergeblichem Warten auf eine Audienz bei Aurangzeb
waren die fürstlichen Bettler auf Rath guter Freunde nach Atjeh
weiter gereist und .brachten nun von diesem Lande, wo die recht-
gläubige Herrscherin sich durch den Besuch sehr geschmeichelt
fühlte , prachtvolle Geschenke und namentlich viel Gold mit. Selbst-
verständlich entstand darüber unter den Scherifen eine brüderliche
Rauferei ’).
Die Bedeutung der Dewi Zeid ’), die 1684 — 1704 mit vielerlei
Unterbrechung das Scherifat innehatten, koncentriert sich in Sa'd,
dem Sohne Zeids. Sein Bruder Ahmed, der zuerst geschickt ward ,
lebte nicht ganz vier Jahre mehr; seine anderen Brüder und
Vettern führten theils einen erfolglosen Kampf gegen ihn , theils
wirkten sie für die gemeinsamen Interessen mit Sa'd zusammen ;
sein Sohn Satd war aber, so lange der Vater lebte, bloss sein
Stellvertreter oder sein Werkzeug. Als Sa'd selbst zuerst aus dem
ehrenvollen Exil zurückkam (1692), trug er eine türkische Kopf-
bedeckung; diese wurde aber bald durch die arabische ersetzt, und
damit war so ziemlich die ganze Aenderung, welche Sa'd in der
Türkei erlitten hatte, abgethan; seine Art war der des Vaters
ähnlich geblieben , und bis zur Todesstunde hat er den Kampf mit
seinen Verwandten und mit den Türken der bequemen Ruhe
vorgezogen. Nur Eins hatte er während seines Aufenthalts im
Norden gelernt: was man den Willen oder den Befehl des Sultans
nannte, war lediglich der jeden Augenblick der Aenderung fähige
Ausspruch einer Versammlung voller Streit und Ränke; wer
draussen stand war daher völlig berechtigt, unangenehmen neuen
Befehlen, die man ihm in des Sultans Namen überbrachte, den
Glauben zu versagen. So haben es bis in die jüngste Zeit die
1) MK 309, AD 146—7.
2) Stammt. 111, 34, 35, 43, 44, 46 : MK 31C ff., AD 146 ff ; Wüsten! Scherife, S. 86 ff.
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DewI Zeid gemacht; jedem //Residenten” oder Anführer der Pilger-
karawanen , der ihnen ihre Absetzung mittheilte , betheuerten sie
ihren Gehorsam gegen den Sultan , jedoch hinzufügend , dass sie
Absetzungsfirmane zunächst als gefälscht oder durch verleumderische
Berichte hervorgerufen betrachteten. Kam aber der Befehl nicht
direkt vom Sultan , sondern vom egyptischen Pascha , so hies3 es *):
//Den Befehlen des Sultans schulden wir Gehorsam; die Gewalt
//des Paschas dagegen beschränkt sich auf Unter- und Oberegyp-
//ten ; dort setze er ein und ab , wen er will ; zwischen ihm und
»Mekka steht unser Schwert.” Dieses stolze Gerede verhinderte
nicht, dass 168S — 90 mit Hülfe des Pascha's die DewI Mas'üd in
Mekka einrückten , um unter der Herrschaft ihres Ahmed ibn
Ghälib *) die ihnen vorenthaltenen //Herkömmlichkeiten” *) selbst
zu nehmen. Die Autorität Ahmed’s war aber nur stark genug für
Oppositionszwecke, und als dem Pascha von Djiddah klar wurde,
dass er sich ohne seine fortwährende Unterstützung nicht behaupten
konnte, antwortete er dem Scherif auf eine Bitte um Hülfe gegen
die Düwl Zeid : //O Scherif ! wir haben Mekka zu überwachen ; zur
»Abwehr des Feindes von ihm kämpfen wir bis zum Tode. Die
»Scherife aber sind deine Vettern ; in eure Kämpfe mischen wir
»uns nicht!”I) * 3 4) Zu solchem Fischen im Trüben waren die Gouver-
neure genöthigt, weil die zur vollen Beherrschung des Zustandes
erforderlichen Truppen nur in den seltenen Fällen hergeschickt
wurden, wo einflussreiche Türken in eine mekkanische Intrigue
verwickelt waren. So erwirkte 1G94 ein nach Stambul zurückberu-
fener Gouverneur von Djiddah die Absetzung seines alten Feindes
Sa'd und setzte das Haupt der heruntergekommenen DewI Abd
äl-Mutinlib 5) ein , dem es natürlich noch weniger als den DewI
Mascüd gelang, die DewI Zeid zu beseitigen; nach vier Monaten
wurde er von Sa'd vertrieben und zog mit dem andern unglück-
I) Worte Saids MK 333—4, AD 155—8.
8) Stammt. DI, 42 j bei Wiistcnf., Schorife, ist dieser Ahmed, Stammtafel XVI (62;,
an eine falsche Stelle gerathen.
3) Dies heisst .
4) MK 345. 5) Stammt. UI, 37.
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\
liehen Thronkandidaten , Ahmed , der unterdessen schon vergeblich
die zaiditischen Imärae im Süden um Hülfe gebeten hatte, nach
Stambul, wo Beide nicht lange darauf starben. Ahmed erwarb sich
als Dichter einigen Ruhm; trotz dieser Bildung zahlte er während
seiner bedrängten Regierung seine Truppen mit Münze, die er
aus dem Golde der Ka'bah prägen liess '). Seitdem jene beiden
zum Sultan gereist waren, hatten die DewI Zeid es hauptsächlich
mit den 'Abädilah und den DewI Barakät zu thun; beide Fami-
lien machten aus dem alten und immer wieder neuen Grunde
unausgesetzt Opposition , und namentlich die Barakät wurden dabei
von dem Vertreter des Sultans wenigstens ermuthigt. Nach dem
Tode dieses Würdenträgers 1698 versuchte Sa'd mit allzu naiver
Schlauheit, dem Sultan zu beweisen, dass die Einsetzung seines
Sohnes Sacld als Qandjaq von Djiddah sehr vortheilhaft wäre, weil
dieser dann die Kosten der Sicherheit des Pilgerweges im Hidjäz
ganz übernehmen wollte; als *Schech Öl-Haram" könnte, wie
ehedem , ein Beamter niedrigen Ranges fungieren *). Die Antwort
war natürlich , die hohe Pforte ziehe es vor , ihre eigenen Residen-
ten zu wählen, und es stellte sich sogar bald heraus, dass diesen
Beamten durch geheime Instruktionen weitgehende Befugnisse
ertheilt waren.
Sa'd bewährte in glücklichen Raubzügen und in der Abwehr vieler
Angriffe seiner Vettern die bekannte Tapferkeit seines Geschlechts;
nach jeder Vertreibung aus Mekka sammelte er im Nu zahlreiche
t ihm ergebene Beduinenbanden , die ihm für den Preis einer kleinen
Plünderung ihre Hülfe gewährten; wurde er belagert, so rief er
in der schlimmsten Noth mit Trommelschlag den ganzen Pöbel
Mekka’s zum Kampf gegen die Türken und Türkenfreunde auf.
Endlich verlor jedoch uueh die schwer geprüfte Bevölkerung die
1) MK 349. Schon 865 uud 881 hatton bekanntlich mekkanische Statthalter in gleicher
Weise das Heiligthum entweiht (CM 1:843, 111:145); 1185 wurden in Mokka Mün-
zen geprägt mit Saladins Namen (CM 11:214); 1289 im Namen des nur kurze Zeit
über Mekka regierenden Husainidon Djammäz (MK 129); gegen Ende des 17ten J&hrh.
ist wiederholentlich von Falschmünzern die Rode (MK 338, 382). Nach Niebuhr gab
es 1762 nur ausländische Münzsortou im Hidjoz (Roiseboschreibung 1, 283).
2) MK 397.
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Geduld; der Pascha von Djiddah aber schrieb dem Türken Verächter:
Wenn ihr nicht im Stande seid, die euch bedräugenden Scherife
abzuwehren , »so zieht aus dem Gebiete aus , denn die Herrschaft
»gebührt dem , der sie zu bewahren weiss” *). Den Einwendungen
der auf Sa'ds Seite stehenden geistlichen Autoritäten Mekkas hielt
der Pascha die ihm ertheilte Bevollmächtigung entgegen, zu jeder
Zeit den Scherif einzusetzen, den er für geeignet halten werde.
Das Haupt der Dtswl Barakät , Abd el-Karlm *), musste trotzdem
seine Ernennung mit dem Schwerte zur Geltung bringen , und Sa'd
gab die Hetzjagd mit »den Hunden des Hidjäz” ’) nicht auf, bis
er selbst eine tödtliche Wunde empfangen hatte. Vor seinem letzten
Einzuge in Mekka wollte Sa'd bereits verzweifelnd fortgehen, als
ihm ein Wahrsager den guten Erfolg seines Unternehmens ver-
bürgte und dadurch den gesunkenen Muth wieder aufweckte *).
Rammähn (so nennt man diese Geheimkünstler im Hidjäz , gleich-
viel ob sie ihre Prophezeiungen aus dem Sande, Rami, oder aus
Muscheln und anderen Gegenständen herauslesen) und Zauberer stan-
den trotz dem Verbote des Islam’s bei den Scherifen in Ansehen. Dem
gottlosen Tyrannen Ahmed ibn Abd el-Muttalib wurde 1628 seine
dereinstige Herrschaft von einem Mystiker, einem Scheche , der ihn in
die Tarlqah eingeweiht hatte, vorausgesagt *). Sa'd bekam von einem
heiligen Asketen in dunkler Orakelsprache den Bericht über eine un-
heildrohende Vision , kurz bevor der Maghribiner Muhammed ibn Sule-
män *) (1672) mit den egyptischen und syrischen Truppen gegen ihn
anrückte T). Zu gleicher Zeit wurde aber von einem heiligen Sejjid
dem Scherif Barakät das Aufgehen seines Glückssterns angekündigt ’).
Ein Rammäl berechnete dem Zeid, wann ihn seine Mutter kon-
cipiert hatte, und daraus ergab sich, dass seine Entwickelung im
Mutterleibe 11 Monate gedauert hatte’). 1734 tödtete ein Bruder
1) MK 390. 2) Stammt. ILI, 49.
3) So beteichnete ein paar Jabro später Einer von den 'Abädilah die Beduinenbanden
der Dijwi Zeid AD 237.
4) AD 207. 5) MK 227 ff., AI1 90-3.
6) Vergl. oben S. 135 ff. 7) MK 272.
8) AD 126. 9) M*. Leid. 2021, fol. 104 v°
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des Grossscherifs Mas'ttd ') einen maghribinischen Zauberer, weil
dessen Kunst seinen Neffen Muhammed zum Kampfe gegen ihn
befähigt hatte , und alle Diener des Scherifs harnten auf den Leich-
nam , um den Zauber endgültig zu lösen *). Niebuhr ’) erhielt während
seines Aufenthalts in Djiddah (1762) die Bitte vom Grossscherif
Mesfud , aus den Sternen zu erspähen , ob sein damals gegen ihn
aufgestandener Bruder ihn besiegen werde. Auch heutzutage lieben
es die Scherife , wenn sie gesellig zusammen sind , den für die Thron-
folge in Betracht kommenden Brüdern wahrsagen zu lassen , obgleich
dies von den meisten lediglich als Spass betrachtet wird ; Ernst und
Scherz sind bei solchen Dingen nicht leicht zu unterscheiden.
Den Döwl Barakät war trotz ihrem besseren Verhältnis» zu den
Othmanen kein Augenblick der Ruhe vergönnt. Ihre siebenjährige
Verwaltung (1704 — 11)*) wurde 1705 noch einmal von Said un-
terbrochen; die DewI Zeid lauerten ununterbrochen mit den »Hun-
den des Hidjäz” jeder Schwäche ihrer Gegner auf. Diesen wurde
ihre Aufgabe dadurch bedeutend erschwert, dass infolge der
zunehmenden Decentralisation des Türkenreiches die Rivalität zwi-
schen Syrien und Egypten wieder auflebte. Seit 1707 stritten
sich aufs Neue die beiden Haddj-emire um den Vorrang ihrer
Mahmal’s und das Recht, vor dem Andern aus Mekka zu zie-
henf); dieser Zwiespalt hatte zur Folge, dass die Egypter und
die iu Mekka liegenden Janitscharen sich den DewI Zeid anschlos-
sen, während der Pascha von Djiddah und die syrischen Anführer
für die Barakät Partei nahmen. Die Scherifensklaven erdreisteten
sich in dieser Lage wieder, wegen der geringsten individuellen Be-
leidigung allesammt gegen die türkischen Soldaten aufzutreten6);
auch die Scherife Hessen sich keinen fremden Eingriff gefallen.
Als der syrische Emir 1711 für das Recht des Emirs von el-Hasa
eintrat , ohne Zahlung von Abgaben mit seinen Landsleuten
1) Stammt. QI , 63.
8) AD 300 f. Diesor Zauberer soll nämlich in ähnlicher Weise wie einmal der Prophet
dadurch, dass er mit Sand und Steinchon nach dem feindlichen Hoere warf, die Schlacht
entschieden haben.
3) Koisobeschrcibung 1 : 275. 4) Stammt. QI, MK 395 ff. ; AD 800 ff.
5) MK 486—7 , 440. 6) MK 43] (Jahr 1708).
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die Pilgerschaft zu verrichten'), erwiderten die Scherife, sie seien
gewohnt, ihre Verhältnisse zu nicht-türkischen Ländern nach eignem
Ermessen zu ordnen , und dabei blieb es. 1710 hatten sich schon
die meisten Scherifenfamilien mit den cAbädilah an der Spitze der
Opposition thätig angeschlossen und den südlichen Hafen Qunfudah
geplündert; jetzt wandte sich auch der Pascha aus Syrien gegen
die Barakät, und Ende 1711 war der Enkel Zeids, Sa'td, wieder-
eingesetzt. Der ffSchech” der Barakät, dessen eigener Sohn auf die
Seite des Gegners übergetreten war, zog sich auf seine Besitzthümer
im Wädl (d. h. Marr ez-Zahrän) zurück. Im weiteren Verlauf des
18*«“ Jahrhunderts gewann die Macht der DewI Zeid immer feste-
ren Boden; wer die ältere Geschichte des Scherifats kannte, wäre
noch im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts berechtigt gewesen,
dieser Familie die Fortdauer ihres Grossscherifats mit Ausschluss
der Nebenzweige vorauszusagen. 1718 — 20 war diese Würde aller-
dings in den Händen eines von den DewI Barakät: Jahja ihn
Barakät1); dieser war 1684 bei der ersten Vertreibung seiner Fa-
milie nach Stambul gezogen, hatte seit 1691 im Dienste des Sul-
tans die syrische Pilgerkarawane durch das Gebiet der Räuberstämme
Nordwestarabiens begleitet 3) und war während der zweiten Herr-
schaft der DewI Barakät nach Mekka zurückgekehrt. Die beiden
Söhne Sa'lds, welche nach dessen Tode (1716) nach einander die
Erbschaft antraten, konnten mit ihren Verwandten nicht auskom-
men , auch deshalb , weil sie den Rathschlägen des eigentlichen
Hauptes der Döwl Zeid, Abd el-Mubsin’s *) , des Vetters Sa'Id’s,
kein Gehör schenkten. Abd el-Muhsin, dem man einen //seit Qa-
tädah’s Zeiten ungesehenen Einfluss auf die Scherife” nachrühmt ,
hätte ohne Widerspruch den Sitz seines Vetters einnehmen können ;
er zog es aber grundsätzlich vor und rieth es allen seinen Ver-
wandten , die Bürde des Grossscherifats Anderen zu überlassen , da
jede Einsetzung der Anfang einer Absetzung und damit verbun-
denen Austreibung aus //dem Gebiete" sei; er wollte ruhig seine
Güter verwalten. Dass er diese Theorie befolgte , war die Hauptstütze
1) MK 415. 8) Stammt. III, 39; AI) 258 ff.
S) MK 353. 4) Stammt. UI, 14.
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der Regierung Jahja’s; nach seinem Tode (1718) zeigte es sich,
dass sein Bruder Mubarak l) anderer Ansicht war, und Jahja musste
bald das Feld räumen. Er bekam dann zwar auf seine Vorstellun-
gen bei der Pforte Ilülfstruppen und die Erlaubnis, mit den DewI
Zeid gründlich abzurechnen , konnte aber mit einem ausschliesslich
türkischen Anhänge in Mekka nicht Stand halten. Sein Versuch,
durch Abtretung der Herrscherwürde an seinen Sohn Barakät *)
(1723) die finanziellen Ansprüche der Scherife hinfällig zu machen
und eine neue Rechnung zu eröffnen, hatte nur zur Folge, dass
ihm jetzt Alle offen entgegentraten; noch im selben Jahre mussten
sich Beide , Vater und Sohn , nach Syrien zurückziehen. Nicht glück-
licher verlief die gegen 1770 von den DewI Barakät unter einem
Neffen des eben erwähnten Barakät angezettelte Bewegung. Zwei
Jahre lang vermochten ihre mit Hülfe des damals von der Pforte
völlig unabhängigen Pascha’s von Egypten unternommenen An-
griffe nichts gegen den wackeren Mesäfid, der die Haddjemire
Syriens auf seine Seite zog, und die augenblickliche Unsicherheit,
welche Mesä'ids Tode folgte , gewährte dem Barakäthaupte Abdallah ’)
doch bloss vier Monate lang den Namen der Herrschaft. Kaum
waren die egyptischen Krieger abgezogen , da erhoben sich die DewI
Zeid wieder und verdrängten nun auf immer die DewI Barakät
von der Bühne, die sie ohne den Maghribiner Muhamraed ibn
Suleman *) vielleicht niemals betreten hätten.
Ein Blick auf die Stammtafel (III) erzeugt schon den, übrigens durch
die Thatsachen bestätigten , Eindruck , dass nach dem Tode des
einflussreichen , aber in Zurückgezogenheit lebenden Abd el-Mubsin 5),
die Söhne Sa'Tds ohne Schwierigkeit seine Vettern beseitigt haben,
und dass unter jenen Söhnen (resp. Enkeln) *) Mas'üd (1732 — 3
und 1734 — 52) und Mesä'id (1752 — 70) den nur selten beanstan-
deten Vorrang bekleideten. Beide regierten 7) , nachdem ihr Bruder
Abdallah *) gestorben war und dessen Sohn Muhammed *) die Macht
1) SUmmt. III, 45; AD 263 ff. 2) Stammt. III, 48; Al) 275 ff.
3) Stammt III, 57; AD 323 ff. 4) Vergl. oben S. 125 f.
5) SUmmt. III, 44. 6) Stammt. 111, 51, 52, 53, 54, 55, 5G, 59.
7) Vergl. über die Dfewl Zeid seit 1724: AD 277 ff.
8} SUmmt. III, 51. 9) Stammt. ID, 59.
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135
seiner Oheime hatte kennen lernen , fast ununterbrochen eine lange
Reihe von Jahren , und zwar Beide bis zu ihrem Tode. Unterdes-
sen waren die Söhne des jüngeren von den zwei Brüdern *) zu einer
kräftigen neuen Generation herangewachsen , welche nach dem Ab-
leben Mesä'ids nur ein paar Jahre brauchte, ihrem Oheim Ahmed*)
kjar zu machen , dass jetzt ihre Zeit gekommen sei. Die Macht-
stellung der DewI Zeid erhellt auch daraus, dass die Hauptgegner
der Emire von Mekka in diesem Jahrhundert meistens der eignen
Familie angehören. 1734 machte noch das hochangesehene Haupt
der 'Abädilah, Muhsin 1 * 3), einen Anlauf, sich mit Unterstützung des
Emirs der syrischen Karawane des Scherifats zu bemächtigen; seit-
dem beschränkte sich jedoch die Opposition dieses Hauses sowie
der Barakät auf drohende Auszüge und Strassenraub , oder Eifer-
süchteleien in Mekka wegen vermeintlicher Missachtung der niemals
aufgegebenen relativen Selbständigkeit der Häupter. So schlugen
1732 die Scherife grossen Lärm, weil der Fürst das Haus eines
Verwandten, der seinem Befehl zum Auszuge nicht schnell genug
gehorchte, umzingeln Hess, und die Entrüstung wiederholte sich
im selben Jahre wegen Verletzung des Schutzrechtes eines von den
'Abädilah , der einen von seinen Sklaven , trotzdem er einen bam-
balitischen Gelehrten getödtet hatte, nicht ausliefern wollte*). 1760
machte Mesä'ids Bruder Ahmed ihm Vorwürfe, weil der von ihm
einem Sklaven von Mesä'ids Wezir gegen dessen Herrn gewährte
Schutz durch Mesä'ids Gleichgültigkeit wirkungslos blieb 5).
Abgesehen von dem letzten, oben erwähnten Thronprätendenten
aus dem Hause Barakät, schaarten sich alle Unzufriedenen, wenn
sie den Herrscher wirklich stürzen wollten , immer um einen von
den DewI Zeid. Die Stellung des Paschas von Djiddah sank in
diesem Jahrhundert tief herab; es ist mehr als fraglich, ob dies
Amt regelmässig besetzt war. Höchst selten greift die türki-
sche, oder sagen wir lieber: greifen die syrische und die egypti-
sche, Regierung in den Lauf der Ereignisse ein, und dies ge-
1) Stammt. UI, 60, 61, 62. 2) Stammt. III, 50.
3) Stammt. UI, 32; rergl. AD 302. 4) AD 288 ff.
5) AD 316 f.
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schieht dann ausschliesslich beim Haddj , denn zu jeder anderen Zeit
fehlten die zur Durchführung eines Befehls erforderlichen Truppen.
Als die fortwährenden Misshelligkeiten mit dem Gouverneur von
Djiddah wegen der Theilung der Zölle 1748 dem Scherif Mas'üd
allzu verdriesslich wurden, zog er mit seinem Ileere gegen den
Hafen und zwang den Pascha zur Flucht übers Meer. Die Pforte
begnügte sich damit, dem empörten Fürsten einen gefügigeren
Wäll zu schicken ') ! Den ab und zu in grösster Eile von den Haddj-
emiren getroffenen Anordnungen fehlte aber jeder Zusammenhang
mit den obwaltenden Verhältnissen uud jede Kontinuität unter ein-
ander. Die gewaltsame Ersetzung Mesä’ids durch seinen Bruder
Dja'far z. B. (1760) wurde nach der Rückreise der Pilgerkarawane
von selbst zu nichte. Etwas mehr Einfluss übten jetzt wieder die
Imäme von Jemen (Qan'ä) aus: ein Scherif, der die Seele aller Op-
position gegen Mesäcid und seine Söhne war, fand einmal (1758) s)
beim Imäme selbst, ein anderes Mal (1776) bei dessen Statthalter
in Luhejjah J) eine Zuflucht; das erste Mal erwirkte der lmäm so-
gar für ihn die Erlaubniss des Grossscherifs , nach Mekka zurück-
zukehren; 1776 lieferte er den Empörer auf die Vorstellungen Se-
rürs aus. Eine Erhöhung der Einfuhrzölle in Mekka gab dem lmäm
1771 Anlass, zu verbieten, dass seine Kaufleute mit Getreide nach
Mekka reisten ; der Scherif sandte eiligst eine Gesandtschaft , seinen
Verwandten im Süden zu besänftigen. Diese, übrigens unumgäng-
lichen, Beziehungen setzten die Herren Mekka’s jetzt keinem Ver-
dachte mehr bei den Türken aus, da Jemen längst dem Gesichts-
kreise der Pforte entrückt war; nur wo die Ketzerei eine politische
Seite hatte , wie bei der Gesandtschaft Nädirschah’s ‘), mussten sich
die Scherife in Acht nehmen.
Die Söhne, welche Mesäfld nach kurzer Unterbrechung durch
die Barakät und durch Mesä'ids Bruder Ahmed , nachfolgten , waren
Serür5) (1773—88) und Ghälib*) (1788 — 1813); als Serür starb,
trat der , wie es scheint , sehr wenig energische Abd el-MuTn 5)
1) AD 309. 8) AD 314 f.
3) AD 338. f. 4) Vergl. oben 8. 183.
5) Stammt. DI, 60, 62, 61; AD 332 ff.
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freudig sein Recht dem Ghälib ab. Beide waren in ihren Tugenden
und ihren Fehlern echte DewI Zeid. Serür hatte unausgesetzt gegen
die unter seinem Oheim Ahmed vereinigten feindlichen Scherife zu
kämpfen, bis er jenen 1779 in einem Treffen gefangen nahm; auch
dann noch wirkten ‘Abädilah und Andere ihm sogar durch eine
Verschwörung gegen sein Leben in Mekka entgegen. Die allge-
meine Unruhe ermunterte viele Beduinenstämme (Hudel, Schebän
und vorzüglich die Harb) zu unbotmiissigen Handlungen; seit 1742
hatten die Herren Mekka’s ihre südlichen Besitzthümer gegen feind-
liche Verwandten zu schützen, die I)6wl Hasan *) , welche sich fünf
Tagereisen südlich von Mekka zu grosser Macht aufgeschwungen
hatten. Serür überwand alle Schwierigkeiten glücklich ; der Ruhm
seines Namens klang bis zum äussersten Westen der Länder des
Islam’s. 1779 sandte der Fürst von Marokko ihm zum Haddj nicht nur
reiche Geschenke, sondern auch seine Tochter in Begleitung zweier
von ihren Brüdern, die sie dem Scherif zur Frau anboten. Diese
Verbindung führte auch in den Jahren 1783 und 87 die Sendung
grossartiger Geldgeschenke von Mauläja Muhammed herbei '). Kurz
vor seinem vorzeitigen Tode, 1787 im Geburtsmonat des Prophe-
ten, gab Serür anlässlich der Beschneidung von seinen und ande-
rer Scherife söhnen glänzende Feste, an denen sich die ganze Stadt
betheiligte und wobei die Armen nicht vergessen wurden. Kein
Mensch ahnte damals, dass einige Tage später Serür sterben sollte ;
noch viel weniger dachten die Mekkancr daran , dass Umwälzungen
im Inneren Arabiens in ihrer weiteren Entwickelung die DewI Zeid
stürzen sollten.
1) Nach Hasan ihn 'Adjlan ; vorgl. oben 8. 113.
2) 1783 kamen Goldstücke, auf deneu Qurnn IX : 34 geprägt war. Im Jahro 1787 wird
ausserdem die Ankunft zweier sehr bedeutenden Gold-yadaqak’s aus Indien erwälint.
18
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IV.
DAS SCHERIFAT IM LETZTEN JAHRHUNDERT
1788-1887.
Der Vorzeichen einer nahenden Katastrophe hatte es genug
gegeben; nur fand sich zur rechten Zeit kein Deuter. Ein grosser
Komet war Mai oder Juni 1770 am Himmel erschienen; erst
die Nachwelt erblickte darin die Ankündigung gewaltiger Kriege,
mit denen arge Ketzer die Länder Allahs heimsuchen würden. Jahr-
hunderte früher hatte schon al-FäsT in einem Gedichte überliefert,
dass dreissig Jahre nach dem Erscheinen eines langen, glänzenden
Kometen Ketzer aus östlichem Lande kommen würden J). Als sich
nun aber der Unheilsbote zeigte, wusste man in Mekka schon langst ,
dass im ostarabischen Hochlande ein Mann als Reformator des Islam ’s
aufgetreten war, die Emire von Dar'ijjah und in ihrem Gefolge
allmählich ganz Centralarabien für seine Lehre gewonnen hatte und
mit allen Kräften bestrebt war, den halbtodten Islam überall durch
sein Wort oder sein Schwert neu zu beleben. Zur Zeit Mas'üd’s *)
waren bereits dreissig gelehrte Wahhabiten nach Mekka gekommen,
1) AD 321 ff. Das dem Fäsi zugoschriebene Gedicht hebt folgendermaassen an :
QxjbLi' sAju L\._j Iw« 135
gjl yüy OiLJI
Das Uebrigo enthält eine hier nicht im Geringsten zutreffende Weissagung über die Er-
scheinung des Mahdi’s, der dom Ketzerweacn ein Ziel setzen wird.
2) AD 372 ff.
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189
den Vertretern der Wissenschaft den gereinigten Monotheismus zu
predigen und vorläufig ihr Recht auf ungehinderte Betheiligung am
Haddj zur Anerkennung zu bringen ; wenn man den mekkanischen
Chronisten Glauben schenken darf, sind die Gesandten sehr schlecht
behandelt worden. Später wiederholten die Wahhabiten ihren Ver-
such, so oft ein neuer Grossscherif die Regierung antrat, immer
ohne Erfolg. Das Anerbieten Serürs , ihnen gegen eine etwas
höhere Abgabe, als die Perser zu zahlen pflegten, die Wallfahrt zu
gestatten, lehnten sie stolz ab. Wir finden in den diesbezüglichen
Berichten keine Spur davon , dass die Mekkaner den Gesandtschaften
irgend welche Bedeutung beigelegt hätten ; höchst wahrscheinlich
haben sie mit grossstädtischer Verachtung auf die gelehrt sein sol-
lenden Dörfler und Beduinen herabgesehen. Unter Ghälibs Regie-
rung wurden sie in empfindlicher Weise eines Bessern belehrt.
Bei dieser Reformhewegung hat es die Geschichte von Mekka
ebenso wie vorhin bei der Qarmatensekte ‘) , lediglich mit der ne-
gativen Seite der Erscheinung zu thun. Uebrigens sind uns die
Lehren und die Geschichte der Wahhabiten sehr viel genauer be-
kannt als die jener Feinde des Islam’s, obgleich wir bis jetzt
auf keine Arbeit verweisen können , in der die arabischen und
europäischen Quellen verwerthet sind. Die jüngsten arabischen Chro-
nisten Mekka’s sind aus einleuchtenden Gründen sehr ausführlich
über dieses Thema; sie erzählen den Lebensgang des Muhammed
ibn Abd el-Wahhäb, wie er in Medina den besten Unterricht ge-
noss, wie aber seine Lehrer schon damals bedenkliche Zeichen auf-
keimender Ketzerei bei ihm beobachteten ; sie begleiten ihn ferner auf
seinen Reisen und bei seiner Rückkehr in die Heimath , das Land ,
wo einst der Gegenprophet Musailimah zur Zeit Muhammeds seine
teuflischen Offenbarungen auskramte! Sie beleuchten die Frechheit ,
mit der so ein Wüstenmensch die Behauptung aufstellte, nahezu
alle muslimischen Gelehrten der letzten acht Jahrhunderte seien im
Irrthum befangen gewesen , und die Thorheit des Emirs Muhammed
ibn Sa'üd, der sich einreden liess, der von Ibn Abd öl-Wahhäb
1) Vergl. oben S. 49.
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140
i
j
i
gereinigte Islam müsse durch sein Schwert zuerst über Arabien ,
dann über die ganze zum Islam sich bekennende Welt verbreitet
werden. Seit etwa 1740, sagen sie, fing der in den Pfaden Mu-
sailimah’s und der Qarmaten tretende Irrlehrer an , viel von sich
reden zu machen. Auf die Daten , mit denen diese Schriftsteller
unsere Kenntnisse vom Wahhabitismus bereichern , können wir hier
nicht tiefer eingehen ; für uns handelt es sich um die Frage : wie
hat diese Reformbewegung auf den Hidjäz, namentlich auf Mekka
eingewirkt ?
Unser einem ist es leichter, zu verstehen, was Muhammeds Of-
fenbarungen für seine Zeitgenossen besagten , als einem im Islam
erzogenen Gelehrten. Wollen wir aber den heutigen Islam kennen
lernen, so hilft uns jenes Verständniss dazu nur theilweise, denn der
Muhammedaner darf in jedem Texte nur das finden, was die
neuern Erklärer herausinterpretiert oder hineingelegt haben. Ihre
Erklärung ist nicht das Werk des Propheten , sondern das Resul-
tat des jahrhundertelangen Entwickelungsganges seiner Religion
unter allerlei Einflüssen , die zur Zeit Muhammeds nicht vorhanden
waren. Für die heutigen Muslime haben der Qurän und die hei-
ligen Ueberlieferungen daher fast keine reelle, sondern bloss rituelle
Bedeutung; man recitiert die Offenbarungen, aber was sie enthalten
oder vielmehr enthalten sollen, das lernt man aus den Handbüchern
der Gesetzeskunde und der Glaubenslehre. Zwischen dem Gläubi-
gen und Allahs Worte stehen die scholastischen Gelehrten , deren
Aussagen auf die Autorität der Gründer der vier »Riten” oder
Schulen zurückgehen. Die schwerste Anstrengung des Geistes be-
fähigt den modernen Muhammedaner nicht mehr, sich in die Ver-
hältnisse Westarabiens vor 1300 Jahren hineinzudenken ; ein ge-
waltiger Sprung war es, der den Ibn Abd el-Wahhäb über die
Kluft hinwegsetzte. Keine Umgebung ist mehr dazu geeignet, das
Auge eines günstig veranlagten Menschen dem ursprünglichen Sinn
des Quräns zu öffnen wie das in jeder Beziehung nur wenig ver-
änderte Stammland des Islam’s; nirgends stehen die Sprache und
die Sitten jenem Ursprünge näher als hier.
Gleichviel welche Eindrücke für den Mann bestimmend gewesen
!
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sind, Ibn Abd el-Wahhäb hat den Gegensatz zwischen dem alten
und dem modernen Islam vorzüglich in zweierlei Hinsicht erfasst.
Der Luxus und die daraus entspringende Unsittlichkeit stehen in
grellem Widerspruch mit der dem Ciurän zu Grunde liegenden
Lehensanschauung; wird dem Menschen ein neues Genussmittel
bekannt, so tritt der Islam demselben regelmässig zunächst feind-
lich entgegen. Wenn aber das Uebel einmal allzu weit um sich ge-
griffen hat, so fangen die Gelehrten an zu paktieren: den Taback
z. B. haben sie zuerst verdammt, später jedoch für erlaubt erklärt.
Unser Reformator wollte von solchen , im Namen der heiligen Wis-
senschaft gemachten , Zugeständnissen nichts wissen ; da nun in
seiner Umgebung gerade der Taback das üblichste Genussmittel
war , so hat sich sein Verdammungsurtheil über den modernen Luxus
am Greifbarsten in seiner Verpönung des Tabackrauchens offenbart.
Wo er mit städtischer Kultur in Berührung kam, erstreckte sich
sein Rigorismus in gleichem Maassc auf die Musik , den Gebrauch
von Seide, Gold und Silber zur Kleidung und zum Schmuck der
Männer und ähnliche in muslimischen Ländern angenommene Un-
sitten. Das Andere, das seinen religiösen Eifer erregte, war die al-
lenthalben eingeschlichene Beeinträchtigung des quränischen Mono- (
theismus durch den Heiligenkult. Die Anrufung von Propheten.)
und Heiligen um ihre Vermittlung bei Alluh bildet namentlich bei!)
Ungelehrten die Brücke zur Vielgötterei ; die Gelehrten , welche jene
für erlaubt erklären , leisten dieser Vorschub. Gottesgesandte una
Fromme können uns nach ihrem Tode weder nützen noch schaden ;
nur Allah lebt und stirbt nicht. Vom Teufel sind also die unzäh-
ligen Grabkuppeln , nach denen die Muslime pilgern , als wohnte
Gott darin; entweiht wird Muhammeds heilige Stadt Medina durch
den Kult des Grabes des Propheten und seiner grössten Genossen.
Zur Reinigung des Islam’s ist die Ausrottung solcher heidnischen
Bräuche und Gegenstände erforderlich ; man muss aber auch dem
Uebel die Wurzel nehmen. Die Wurzel ist die formelle Unwahrheit,
dass man die göttliche Offenbarung nur durch gewisse Vermitte- ■
lung verstehen könne, ist mit einem Worte die Lehre von der,.
Autorität der vier orthodoxen Riten. Somit ist die Grundlage der ■
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142
Reform von selbst gegeben : die selbständige Erforschung des Sinnes
der Offenbarung muss zu jeder Zeit die buchstäbliche Treue
in der Befolgung ihres Inhalts ermöglichen. Solcher Lehre dienten
die Zunge und die Feder des Ibn Abd el-Wahhäb , das Schwert
des Ibn Sa'üd auf ihrem Zuge durch Arabien. Im Innern begegne-
ten sie vielem zur Bearbeitung geeigneten Material: unter den sess-
haften Arabern war die Schule des Ibn Harabal vielfach vertreten ,
welche solchem Rigorismus sehr geneigt ist; die Beduinen dagegen
leben grösstentheils in ähnlicher //Unwissenheit” auf religiösem Ge-
biete wie zur Zeit Muhammeds und stehen nicht weniger als da-
mals der Wirkung einer einfachen Religion offen , die sich auch
durch materielle Mittel imponierend als eine Gewalt darthut. Die
einfache Gerechtigkeit und Strenge der ersten Wahhabiten-emire,
die grossen Erfolge, auch die reiche Beute, welche den »Gläubi-
gen” manchmal zu Theil wurde, erregten hier Neigung, dort
Furcht, dort wieder Habgier; in wenigen Jahren wuchs das Wah-
habitenreich zur Hauptmacht Arabiens heran.
Die übrige Welt bot der wahhabitischen Lehre geringe Aussicht
auf Erfolg; nirgends Hess sich dieser weniger erwarten als in den
heiligen Städten. Was die Reform abschaffen wollte, das gehörte
gerade zu den Lebensbedingungen der Mekkaner ’) und Medinenser:
die Heiligenkuppeln tragen alle den Fremdenführern und den
Thorhütern ihre Zinsen ein, und allzugrosse Sittenstrenge hat hier
niemals geherrscht. Die eigentliche, dem quraischitischen Kern assi-
milierte Bevölkerung ist immer einfach und sittsam geblieben; die
Fremdenkolonien und Soldaten, sowie der Pöbel führten eine Le-
bensweise, der das wahhabitische Regiment als ein unduldbares
Joch erscheinen musste. Dazu kam , dass die auffallendsten Lehr-
sätze des Reformators ganz dazu angethan waren , in Laienkreisen
heftiges Aergerniss zu erregen. Muliammed, dessen Namen man in
Mekka bei jedem Feste in Lobgesängeu feiert, dessen Grabstätte
1) Vergl. auch Djabarti, 'Adj&ib al-Athär 111:255 ff., wo es u. A. heisst: jf-ü
^9*' vJä-^5 (M* tfs f3 I/Üj [^>i! l#'l
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143
in Medina zu besuchen der Mekkaner für das grösste Glück hält,
sollte ein gewöhnlicher, zu keiner Verehrung berechtigter Mensch
sein ! Die c JJlamü, die Gottesgelehrten alle auf Irrwegen ! Und der dies
alles auszusprechen wagte, war so zu sagen ein Bauernsohn, ein
Araber aus dem Innern, wo die Kunst des Lesens und Schreibens
schon als eine wichtige Errungenschaft gilt!
Die politische Seite der Bewegung haben die Scherife bis zur
Zeit Ghälibs leichtsinnig übersehen. Im Innern Arabiens gab es
von jeher zahllose kleinere Emirate , wie z. B. das von Dar'ijjah
vor der wahhabitischen Bewegung; die Grossscherife hatten immer
soviel zu Hause zu thun, dass die Herstellung eines politischen
Zusammenhangs zwischen jenen Atomen von ihnen nicht einmal
geplant wurde. Hatten ein solcher Emir oder seine Angehörigen
sich etwas zu Schulden kommen lassen , so freuten sich schon die
Leute des Scherifs auf die Beute bei dem zur Bestrafung zu un-
ternehmenden Kaubzuge. Den meisten Emiren war der König von
Mekka ungefähr das, was diesem der Sultan von Stambul war: der
höchste Würdenträger des Islam ’s, mit dem sie in Berührung traten.
Sein Adel und seine Macht gaben ihm ein Recht auf ihre Ehren-
bezeigungen und Geschenke, wenngleich sie ihre eignen Sachen
am liebsten selbst ordneten. Das Verhältniss war ebenso unregel-
mässig und wechselnd wie die arabischen Emirate selbst; sobald
nun aber ein Anderer die Einigung zu Stande brachte, wozu den
Scherifen die Zeit fehlte, mussten diese sich einer gefährlichen
Konkurrenz versehen. Ihn Sa'üd’s Konkurrenz war nun um so be-
denklicher, weil sie auf einer religiösen Idee beruhte, die sich
mit keiner Beschränkung ihrer Maehtsphäre zufrieden gab.
Die DewI Zeid schenkten den Zeichen der Zeit erst Aufmerksam-
keit, als es zu spät war; den Gesandtschaften der Wahhabiten be-
gegneten sie manchmal mit verletzender Geringschätzung *), und
1) Mas' Ad hat einmal während seiner Regierung ein Verbot gegen das Tabackrauchon
erlassen. Gleichviel ob er den Genuss an und für sich als unerlaubt betrachtet, oder,
wie Andere behaupten, nur das öffentliche Hauchen in deu Kaffeohausern als unanständig
verpönt hat, an wahhabitischen Einfluss ist daboi nicht denken (vergl. AD 306). Aehn*
liehe Erlasse gingen öfter von Scherifen aus, dio damit gewöhnlich angesehenen Gelehrten
einen Gefallen tliaten.
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144
Serür war bloss darauf bedacht, durch die neue Ketzerei die Ein-
träglichkeit des Haddj zu vermehren, ohne zu begreifen, dass die
Neumuslime solche Bedingungen grundsätzlich ablehnen mussten
und dass die Ausschliessung vom Haddj sie am Ende zu Feind-
seligkeiten herausfordern könnte. Der Gedanke der gewaltsamen
Verbreitung wohnte dieser Reform ebensosehr iune wie der Reli-
gion Muhammeds; da jedoch die Mittel der Wahhabiten einst-
weilen nur auf arabische Verhältnisse berechnet waren , konnten
Ibn Sa'ud und seine Nachfolger nur selten Pläne der Wcltcrobe-
rung hegen; ausserdem gab es unter den Herrschern dieses
Geschlechts neben kriegerischen auch friedliche Naturen. In Bezug
auf die heiligen Städte waren sie, wie es scheint, fast durchgängig
zu gelindem Verfahren geneigt; so hatte es ja der Prophet auch
gemacht. Die Unverletzbarkeit des heiligen Gebietes nahmen sie
sehr viel ernster als die Prophetenkinder. Unterdessen war die
neue Lehre und die damit verbundene Anerkennung der Autorität
der Emire von Dar'ijjah auf allen Seiten schon bis über die Gren-
zen des Gebietes vorgedrungen , das die DewI Zeid als das ihrige
betrachteten.
Ghalib musste im Laufe des Jahres 1788 seine Herrschaft erst
durch Niederwerfung seiner widerstrebenden Brüder befestigen , die
verschiedene Hudel- und Thaqlf-stämme gegen ihn aufwiegelten ; 1790
machte ein ehrgeiziger Scherif den Versuch, eine Bewegung gegen
Ghälib zu Gunsten seiner unmündigen Neffen, der Söhne Serürs,
anzuzetteln, und kaum war diese Schwierigkeit überwunden, als
die DewI Hasan im Süden l) aufs Neue das Gebiet Ghälibs be-
drohten , wodurch eine Razzia gegen diese Scherife erforderlich
wurde. Erst nach Beseitigung dieser Hindernisse konnte Ghälib
sich überlegen, in welcher Weise er dem Wahhabitenstrorae einen
Damm entgegensetzen sollte. An Ausdauer hat es der tapfere Emir
in dem beinahe sechszehnjährigen Kampfe gegen die Uebermacht
nicht fehlen lassen ; es ist freilich Uebertreibung seiner mekkanischen
Lobredner, wenn sie die Zahl seiner Expeditionen auf 56 brin-
1) Vergl. oben 8. 137.
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145
gen *), aber man kann nicht leugnen , dass er kein Mittel zur
Rettung seines Gebiets unbenutzt gelassen hat. Trotz allem Unter-
schiede drängt sich die Aehnlichkeit dieses Kampfes mit dem 12
Jahrhunderte früher zwischen dem heidnischen Mekka und dem
Propheten geführten dem Beobachter auf. Heute wie damals war
der Angriff kräftig und unermüdlich durch sein religiöses Prinzip,
dem die Mekkaner bloss einen zähen Konservatismus entgegenhal-
ten konnten ; heute wie damals verkannten die Mekkaner die Be-
deutung der Reform, bis es zu spät war, derselben zu steuern.
Abd el-'AzIz und sein Sohn Sa'üd waren ebenso wie der Prophet
den Mekkanern gegenüber äusserst nachgiebig und Hessen auch
nach vollständigem Siege hier alles fortbestehen , was nicht offenbar
gegen ihre Religion verstiess. Auch betrachteten die Scherife und
die Mekkaner den Kampf wesentlich nur vom praktischen, welt-
lichen Gesichtspunkte aus; die Scherife zeigten später durch die
That, dass nicht die Lehre der YVahhabiten ihren Widerstand
herausforderte, und unter mekkanischen Gelehrten fand der Refor-
mator einzelne Bewunderer, so lange er noch in der Ferne blieb
und die zuchtlosen Beduinen in ungekanntem Maasse zu Ordnung
und Ruhe zwang *) ; sobald dagegen die Folgen der Reform für das
Leben der Mekkaner abzusehen waren , überstimmte der Erhaltungs-
trieb alle anderen Argumente: Laien und Gelehrte, die Döwl
Zeid und ihre Unterthanen sahen ein , dass ihre gemeinsamen In-
teressen sich mit dem Wahhabitismus nicht vertrugen.
Von 1791 an hörte Ghälib nicht auf, Expeditionen gegen die
nominell seinem Gebiete angehörenden, von den Scherifen aber
niemals wirklich regierten Araber auszuschicken , deren Anschluss
an die mächtigen Wahhabiten durch die Vernachlässigung von
Seiten ihrer Oberherrn sehr erleichtert war. Nach Süden gingen
seine Truppen bis über das Blschahland hinaus, nach Norden
und Nordosten bis ins Qaijlm und hinter Medina, nach Osten
überschritten sie die Grenzen des Gebietes von Täif; seine Brüder
Abd el-Mu'In und Abd el-'AzIz und sein Schwager ’Uthmän el-
1) Al) 143 fl., hauptsächlich nach dem Zeitgenossen Ghälibs, Abdallah Abd ia-Schakiir.
8) AD 390.
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MedhäifT mussten unausgesetzt das ganze Land durchstreifen. Je
mehr der Fürst die Stärke seiner Gegner schätzen lernte, um so
dringender bat er die syrischen und egyptischen Pilgerführer bei
jedem Haddj um ihre Hülfe, aber ohne den geringsten Erfolg. In
Syrien und in Baghdad war der VVahhabitenname schon gefürchtet,
sodass die zur Begleitung der Haddjkarawanen befohlenen Offiziere
nicht die geringste Lust hatten, sich auf eigene Faust und ohne
absehbaren Nutzen grosser Gefahr auszusetzen. Zwei Gesandtschaf-
ten, welche Ghälib 1793 und 98 nach Konstantinopel schickte,
kamen ebenfalls enttäuscht zurück; die europäische Politik nahm
dort alle Aufmerksamkeit in Anspruch. Statt der verlangten Hülfe
sandte der Sultan Ende 1798 nach den heiligen Städten den
lächerlichen Befehl, man solle sich zur Abwehr eines möglichen
Angriffs von Seiten der Franzosen rüsten , weil diese nach der
Eroberung Egyptens vielleicht Mekka und Medina einnehmen
möchten. Auf seine eigenen Kräfte angewiesen , konnte Ghälib aber
nichts Bleibendes erreichen. Auf die Bewohner der ausgedehnten,
wahhabitischem Einflüsse offenstehenden Grenzländer hätte er sich
nur dann verlassen können, wenn er im Stande gewesen wäre, sie
durch bedeutende Besatzungen gegen eventuelle Angriffe zu schüt-
zen. Wie die Dinge lagen , hatte der Scherif kein Recht , sich über
die «Treulosigkeit” jener Leute allzusehr zu entrüsten , denn von
traditioneller Anhänglichkeit konnte bei ihnen nicht die Rede sein ,
und auch jetzt noch gab ihnen der Fürst keine andere Beweise
seiner Gnade als empfindliche Züchtigungen beim geringsten Ver-
dacht. Es war ihnen nicht zu verdenken , dass sie sich nach dem
eiligen Abzüge solcher Vertreter der Scherifatsrechte auf die erste
Einladung dem in jeder Hinsicht imponierenden Emirate der Wah-
habiten anschlossen. Dabei gewann die segensreiche Wirkung der
Reform ihr nicht bloss die Furcht, sondern auch die Verehrung
der Araber. Die Bewohner der heiligen Städte und ihresgleichen
hatten von jeher die in Leben und Denken dem civilisierten Islam
fernstehenden, «ungläubigen” Beduinen geschmäht , ohne durch innere
Mission ihre Erziehung zu fördern. Der Methode Ibn Abd el-Wah-
häb’s gelang es dagegen, in wenigen Jahren aus Tausenden von
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w Hunden der Wüste”, an deren Bildungsfähigkeit die Städter ver-
zweifelten, eine leidlich gesittete Gesellschaft zu bilden.
Die Beduinen wurden durch den Wahhabitismus nicht reformiert ,
sondern zuerst islamisiert ; selbst betrachteten sie mit Recht ihren
späteren Abfall als einen Rückfall ins Heidenthum. Dem auf viel-
fach mit Blut besiegeltes »Herkommen” gegründeten Reiche der
Söhne Qatädah’s fehlten die Waffen gegen eine fest zusammenhal-
tende, junge Religionsgemeinde. 1799 entschloss sich Ghälib vor
Ermattung mit Abd el-cAzIz, dem Emire von Dar'ijjah , einen Ver-
trag zu schliessen, worin die Grenzen der beiderseitigen Macht-
sphären genau festgesetzt wurden. Die Stämme rings um die heili-
gen Städte und um Täif sollten mit diesen und einigen anderen
Städten das Gebiet Ghälibs bilden, wogegen den »Rechtgläubigen”
der Zutritt zu den Heiligthümern freigegeben wurde; diese Bedin-
gung erinnert wieder an die 628 vom Propheten mit den Qurai-
schiten geschlossene Waffenruhe. Hätte nicht Baghdad die Wahha-
biten damals zusehr beschäftigt , so wäre ohne Zugeständnisse re-
ligiöser Natur von Seiten Ghälibs kaum eine Uebereinkunft getroffen.
Im Mai 1800 fanden sich die Wahhabiten in grosser Zahl unter
dem Emir Sa'üd zum Haddj ein; Ghälib kam ihnen in jeder Weise
entgegen und beeilte sich , als bei ‘Arafat seine Leute mit einigen
von jenen zu zanken anfingen , mit seinem Machtworte den Frieden
herzustellen. Die beiden Fürsten tauschten schöne Geschenke aus,
und es schien , als wäre der Streit endgültig beigelegt. Das war
jedoch eben nur Schein; die aggressive Religion konnte auf die
Dauer keine andere Schranken anerkennen als die ihrer Macht.
Was konnte Abd el-'Aziz dafür, wenn die auf allen Seiten das Scheri-
fat umgebenden , zur neuen Religion sich bekennenden Stämme eine
erfolgreiche Propaganda unter ihren Nachbarn trieben , ungeachtet
der politischen Trennung ? Und wenn solche Bekehrungen Zerwürf-
nisse verursachten , so stellten diese doch keinen Vertragsbruch von
Seiten des Wahhabiten-emirats dar? Schon 1800 eroberten wah-
habitisch gesinnte Stämme den Hafen Hali, der die normale Süd-
grenze des Scherifats bildete. Ghälib vertrieb sie uud züchtigte die
armen Einwohner wegen ihrer (/Untreue” in grausamer Weise;
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in Hali erbeutete Kinder wurden in Mekka als Sklaven verkauft,
als wären ihre Eltern Heiden gewesen. Reumüthig kamen die Bür-
ger von Hali 1802 nach Mekka und flehten ihren gestrengen Herrn
um eine Besatzung an. Er gab ihnen wenige Krieger mit, die
nach acht Monaten wieder von den Wuhhabiten vertrieben wurden.
Auch Qunfudah erlitt sehr starke Angriffe; der ganze Süden war
bereits wesentlich wahhabitisch. Als Ghälib den VVahhubiten-emir
brieflich über diese Vorgänge zur Rede stellte, lehnte dieser jede
Verantwortlichkeit für solche selbständige Handlungen verschiedener
Stammeshäupter ab; was aber die religiöse Propaganda betrifft,
darüber war ja nichts abgemacht. Es wurde jedoch immer klarer,
dass z. B. unter den Zahrän-stäramen , alten Verbündeten der Sche-
rife, faktisch auf politischen Anschluss an den Reformator hinge-
wirkt wurde. Sicherheit zu erlangen schickte Ghälib eine Gesandt-
schaft nach Dar'ijjah: vornehme Scherife, einen Beduinenschech und
seinen Schwager 'Uthmän el-Medhäifi; diese sollten die Erneuerung
des Vertrags herbeifübren. Der Schwager Ghälibs war ein tüchtiger
und, wie es scheint, zugleich ein gebildeter Mann; die Egypter,
welche ihn später als Gefangenen Muhammed Alis kennen lernten,
bewunderten ihn und bedauerten, dass ein so trefflicher Mann
nach Konstantinopel in den Tod geschickt wurde. Wichtige Gründe
müssen ihn bewogen haben , seiner Sendung untreu zu werden und
auf die Seite des Gegners überzutreten. Ausser persönlichem Ehr-
geiz und vielleicht persönlichen Beschwerden gegen Ghälib hat
wahrscheinlich religiöse Ueberzeugung die Bekehrung bewirkt. Ge-
nug, er traf in Dar'ijjah geheime Verabredungen mit Abd el-
'Azlz und seinem Sohne Sa'üd ; die Uebrigen bekamen bloss leere
Worte mit nach Hause. Auf der Rückreise trennte sich 'Uthmän
unweit Täif von seinen Gefährten und besetzte mit einigen Leuten
eine starke Stellung in der Nähe; der Renegat *) wurde einer von den
1) Die inekkanischen Chronisten erlauben sich bei der Erwähnung solcher Bekehrungen
(ausser der allerdings gezwungenen Bokohrung der Mekkaner selbst, die sie mit mög-
lichst zweideutigen Worton verhüllen) ein albernes Wortspiel: statt ^
„or trat der Religion bei” sagen sie: J-iO „er trat in den Lehm.”
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eifrigsten Mitarbeitern an der Zerstörung der Macht Ghälibs. Zuerst
allein, dann vereinigt mit dem wahhabitischen Emir des Blschah-
landes richtete sich nun 'Uthmän gegen Taif , dessen Vertheidigung
Februar 1803 von Abd cl-Mu'fn und dem zur Hülfe herbeigeeilten
Ghälib aufgegeben werden musste, weil sie sich nicht mehr auf
die Gesinnung ihrer eigenen Beduinen verlassen konnten, und weil
sie erfuhren, die Hauptmacht der beiden Emire rücke jetzt gegen
die bisher immer geschonte heilige Stadt heran. So war Täif er-
obert; 'Uthmän blieb hier als Emir zurück und sandte dem Sa'üd
die frohe Nachricht. Dieser kam nun auch selbst mit einem Heere
und stand während des von vielen Maghribinern , vom Sultan von
Maskat und anderen Grössen besuchten Haddj nur drei Tagereisen
von Mekka. Ghälib machte einen letzten, verzweifelten Versuch,
den Anführern der Karawanen aus Syrien und Egypten ihre Ver-
pflichtung zur Hülfeleistung klar zu machen; Beide beschränkten
sich auf einen vorsichtigen Briefwechsel mit Sa'üd und zogen ab,
die letzte Hoffnung des Scherifs mit sich nehmend.
Dieser hätte sich jetzt, da die Othmanen in ihrer Apathie be-
harrten, wie sein Schwager dem grossmüthigen Feinde in die Arme
werfen können; dazu war er jedoch zu stolz oder zu vorsichtig. Er
zog sich in die letzte, für die Wahhabiten uneinnehmbare Feste
zurück: März 1803 ging er nach Djiddah, dessen hohe Mauer*)
mit ein paar Kanonen und einigen Soldaten zur Abwehr aller Be-
duinenangriffe mehr als genügte. Dass seinem Auszuge die Ueber-
gabe Mekka’s folgen musste, wusste er wohl; wahrscheinlich fand
dieselbe sogar nach einem von ihm selbst festgesetzten Plane statt.
Sein eigener Bruder Abd öl-Mu'In leitete die Verhandlungen ein
und schickte dem Sa'üd eine Deputation von mekkanischen Vor-
nehmen und Gelehrten , die sich im Namen Abd el-Mu'Tn’s und
der Bevölkerung dem Emir von Dar'ijjah unterwarfen in Worten ,
welche dieser nur als Ausdruck der Bekehrung auflassen konnte.
Dass sie dies nicht ohne heimlichen Vorbehalt thaten , wusste der
Emir ebensowohl als der Prophet solches von den Bürgern seiner
1) Yergl. oben 8. 102 Anm.
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150
von ihm eroberten Vaterstadt gewusst hatte; auch Sa'üd sah wohl
ein , dass Feinde nur allmählich bekehrt werden. Ende April zog
er feierlich in die Stadt ein , Abd el-Mu'fn und alle geistlichen
Autoritäten huldigten feierlich dem Wahhabiten, der nun vor der
versammelten Bevölkerung eine Rede hielt, ganz nach dem Muster
der von Muhammed bei der Eroberung des heidnischen Mekka
ausgesprochenen : durch das Schwert Sa'üd’s hatte Allah die Mek-
kaner aus der Finsterniss des Polytheismus in das Licht der wahren
Religion geführt. In den nächsten Tagen mussten die Mekkaner
den Wahhabiten Hülfe leisten bei der Zerstörung aller Grabkuppeln
und der Einsammlung aller Tabackspfeifen und Musikinstrumente,
welche auf Scheiterhaufen verbrannt wurden ; alle den Propheten
verherrlichenden Formeln im Aufrufe zum Qalät und sonst wurden
strengstens untersagt; die dünkelhaften Städter mussten sich einen
Elementarunterricht in der Religion von diesen //ungebildeten” Leu-
ten gefallen lassen , und vor Furcht machten sie zu Allem ein
andachtvolles Gesicht. Nach erfolgloser Einladung an Ghälib zur
Unterwerfung belagerte Sacüd nun eine Woche lang vergeblich und
mit schwerem Verluste Djiddah; auf dem Rückzuge unterwarf er
sich die im »Wädi” (Marr ez-Zahrän) sesshaften Scherife, über
welche er einen von den DewI Barakät einsetzte, und zog endlich
mit seinen Truppen nach dem Stammlande zurück, eine kleine
Besatzung in Mekka zurücklassend.
Wenn Sa'üd geglaubt hat , der Sauerteig des //Monotheismus” werde
jetzt seine Wirkung in Mekka ohne äusseren Zwang vollenden , so hat
er sich sehr getäuscht. Schon Anfang Juli kam Ghälib zurück, be-
mächtigte sich ohne Schwierigkeit der Stadt und nahm von dort aus den
Kampf gegen cUthmän und den Emir von Blschah wieder auf. Beim
folgenden liaddj liess endlich der Emir von Syrien auf Ghälibs Bitte
150 Soldaten bei ihm zurück ; mit diesen und den aus Djiddah mitge-
führten Kanonen konnte er sich die Belagerer vom Leibe halten.
Bald darauf nahm er den von jeher zum Scherifat gehörigen Hafen
el-Lith durch eine combinierte Operation zu Wasser und zu Lande
und stellte seine Autorität über den »Wadi” wieder her. Während
Ghälib hier, namentlich durch die Tapferkeit des Scherifs Rädjih
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von den Scheniibrah ') grosse Erfolge errang , ging ihm durch die
»Bekehrung” der Ilarbbeduinen im Norden Jambuc verloren. Der
Scberif wandte sich in seiner Noth an zwei gerade in Djiddah ge-
ankerte englische Schiffe um Hülfe gegen jenen Hafen; aber auch
ohne diese gelang es ihm, denselben zurückzuerobern. Was nützte
ihm schliesslich aber solcher Gewinn , während die allenthalben
herrschende Unsicherheit die Zufuhren von Mekka abschnitt und
der syrische Emir 1805 nicht nur keine neue Hülfstruppen ge-
währte, sondern sogar die alten mit zurücknahm und von 'Utbmän
el-Medhäifi für eine Geldsumme seinen sicheren Rückzug erkaufte?
Täif konnte Ghälib diesem nicht entreissen ; dagegen gingen immer
mehr Scherife von den 'Abädilah , Barakät , Menä'mah und an-
deren zum Feinde über. Sogar seine eigenen Neffen, die auf seine
Macht eifersüchtigen Söhne Serürs, verliessen ihn, und einige Führer
seiner Sklaventruppen liess Ghälib aus Misstrauen umbringen. All-
mählich war das heilige Gebiet von einer Mauer von feindlichen
Beduinen umgeben , durch welche es nur dann und wann mit grösster
Mühe einer kleinen Karawane s) gelang nach Djiddah durchzubre-
chen, um einige Lebensmittel für die Ausgehungerten zu holen.
Viele Mekkaner benutzten diese Gelegenheit , dem Schreckensorte
zu entfliehen; die zahlreichen ausgewanderten wurden in Djiddah
gar nicht freundlich aufgenotnmen. Seit August 1805 fing unter der
Leitung el-Medhäifi’s , des Emirs von Blschah und des Schechs
der 'Aslr-stämme, auf Befehl Sa'üds die förmliche Belagerung Mek-
ka’s an ; der Rückfall der Mekkaner hob nach Ansicht des Wahha-
biten die Unverletzbarkeit des Gebietes auf, ebenso wie zur Zeit
des Propheten der Friedensbruch der Quraischiten jenen zur ge-
waltsamen Einnahme Mekka’s berechtigte. Die Hungersnoth über-
stieg alle Grenzen , die Pest fing zu wüthen an ; wer von den armen
Städtern den kranken Körper der eifersüchtigen Aufsicht Ghälibs
entziehen konnte, rettete sein Leben ins feindliche Lager. Im Fe-
bruar 1806 eröffnete Ghälib Verhandlungen mit den Belagerern;
1) Oben 8. 113.
8) Diese Karawanen hiesaen OjOj , Plnr. von Oj AD 495 usw.
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lieber als der Verlust seiner Würde war ihm die Anerkennung der
wahbabitischen Oberherrschaft, die sich ihm jetzt als unerlässliche
Bedingung aufdriingte. Die vorläufige Abmachung, derzufolge Ghälib
sein Gebiet aus der Hand des Eroberers zurückerhielt, wurde von
Sacüd genehmigt, und die Wahhabitisierung Mekka’s mit frischer
Kraft durchgeführt. Der Scherif ging darauf selbst nach Djiddah
und verstärkte die Besatzungen in diesem Hafen , in Jambu\ Ma?wac
und Sawakin l), vielleicht mit der Absicht , für alle Nothfülle einen
Rückhalt zu haben ; bald erheischten allerlei Unordnungen in Mekka,
vorzüglich Strassenkämpfe zwischen Türken und Scherifensklaven ,
seine Rückkehr.
Nachdem nun Mekka endgültig wahhabitisches Gebiet gewor-
den war, fingen Ghälibs Verwandten an, bei Sa'üd gegen ihn zu
iutriguieren : sein Schwager el-Medhäifl verlangte seine Beseiti-
gung, weil er die Ordnung nicht aufrecht zu erhalten verstehe ; sein
Neffe Abdallah ibn Serür, der vier Jahre vergebens in Konstan-
tinopel seine Ernennung zum Grossscherif nachgesucht hatte, reiste
ebenfalls zum Wahhabiten. Der redliche Emir war aber solchen
Einflüssen verschlossen , und als der enttäuschte el-Medhäifl seinem
Schwager durch Raubzüge von Beduinen in seinem Gebiete die
Aufgabe der Regierung zu erschweren suchte, thaten strenge Be-
fehle aus Dar'ijjah diesem Unwesen Einhalt. 180? wiesen die Wah-
habiten die Pilgerkarawanen aus Syrien und Egypten endgültig
zurück; in den vorigen Jahren hatten diese schon viel von Raub-
zügen zu leiden ; auch war ihnen angesagt , fernerhin nicht mit
dem thörichten Prunk der MahmaF s den Heiligthümern zu nahen.
Jetzt, da die Wahhabiten beide heiligen Städte beherrschten, ver-
sagten sie den Türken als Hauptvertretern des ausgearteten Islam’s
den Zutritt. So weit musste es kommen , bevor die Pforte zur
Einsicht kam, dass cs um ihr Ansehen in den Jj aramein geschehen
1) Mft^wa' und SawAkin gehörten bekanntlich nicht zum Gebiete der Scherifo, wenn-
gleich sie dort ihre Handelsagenten hatten; da aber die Türken in diesen Jahren die Küs-
ten des Rothen Moores thatsächlich aufgabon und Ghalib nun nach langem Kampfe zum
Vasall der Wahhabiten geworden war, konnte er sich für berechtigt halten, die Verwal-
tung auch der westlichen Hafen zu übernehmen. Kr entsandte nach jedem Hafen 200
türkische Soldaten und einen „Wezir” AD 506.
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153
sei, wenn nicht ohne Verzug der verlorene Boden wiedergewonnen
würde. Endlich bekam der schlaue Arnautenführer Muhamtned Ali
Pascha, der schon eifrig mit der Wiedereroberung Egyptens aus
der Hand der Mamlukcn beschäftigt war, den Auftrag, sobald die
Umstände es ihm gestatten sollten , das heilige Land von den anti-
türkischen Ketzern zu reinigen. Bis die Vernichtung der Mamlu-
kenmaeht zu Ende geführt war, wurde es 1811, und erst dann
konnte Muhammed Ali die Ausrüstung von Truppen gegen die
Wahhabiten in die Iiand nehmen. Fünf Jahre hat also die Re-
form in Mekka geherrscht, aber wesentlich wirkte diese Herrschaft
nur auf das öffentliche Leben, und sie wurde als ein schwerer
Druck empfunden. Der Krieg hatte namentlich durch Hunger und
Pest die Bevölkerung decimiert und die mekkanische Ernte d. h.
die Wallfahrt jahrelang zunichte gemacht; jedes beliebte Vergnügen
war jetzt verpönt ; zwangsweise wurden die bequemen Leute zur
Verrichtung der Qalät’a in der Moschee angehalten; die Schutzpa-
trone der Stadt hatten ihre heiligen Wohnungen verloren: wem
sollte man jetzt seine Noth klagen? Ein längerer Zeitraum und
mehr Müsse zur inneren Reform hätte vielleicht eine gewisse As-
similation an die neue Lehre bei den Mekkanern bewirkt; jetzt
war man noch nicht weit über Angst und Schrecken hinaus, als
die Nachricht die heilige Stadt erreichte, der Sultan des Islam ’s habe
endlich Zeit gefunden , sich um den Hort der Religion zu kümmern.
Die erste, im September 1811 abgegangene Expedition unter
dem Befehl Tusun’s, des Sohnes Muhammed Ali’s , verlief unglück-
lich; sie musste sich schon von (pafrä zurückziehen. An dem besse-
ren Erfolge der zweiten (Anfang 1812) hatten die reichen Geld-
schenkungen an die Beduinen wenigstens ebensoviel Antheil wie
die egyptischen Waden. Medina ward bald erobert, und Anfang
1813 gingen von Jambu' Truppen in Schiffen nach Djiddah, um
von dort aus die Wahhabiten in Mekka anzugreifen. Ghglib scheint
sich von Anfang an durch heimlich geführten Briefwechsel mit
Muhammed Ali verständigt zu haben. Entschieden übertrieben ist
die Behauptung mekkanischer Schriftsteller, Ghälib sei auch unter
dem Wahhabitendruck stets den Türken innerlich treu geblieben ;
so
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er hat vielmehr, wie alle guten DewI Zeid, den Othmanen nie
getraut. Er war aber zu klug, zu glauben, die VVahhabiten könn-
ten auf die Dauer mit ihren arabischen Kriegsmitteln einer Gross-
raacht Stand halten; seine feste Ueberzeugung , die Türken würden
sich nicht ganz Arabien nehmen lassen , ermunterte ihn , den ver-
zweifelten Kampf immer wieder aufzunehmen. Nach der Ein-
nahme von Mekka durch Ibn Sa'üd konnte Ghalib aber nicht wis-
sen, wann die Pforte endlich aus ihrem Schlafe aufwachen werde;
er fügte sich daher ohne Weiteres ins Unvermeidliche. Die Sche-
rife wussten jedoch durch Erfahrung, was Ibn Chaldün aus seinen
historischen Studien entnahm , dass nämlich Westarabien durch
seine Arrnuth und die unheilbare Zersplitterung des an und für
sich mächtigen Scherifenclements auf eine sekundäre Rolle im Is-
lam angewiesen war; auch kannten sie sehr wohl die naturnoth-
wendige Abhängigkeit des Hidjäz von Egypten , welche erst seit
der Eröffnung des Sueskanals virtuell aufgehoben ist. Die Eile, mit
Muhammed Ali anzuknüpfen, ist daher bei ihm auch ohne beson-
dere Türkenfreundschaft erklärlich. Dass Gold und verrätherische
Handlungen die Hauptwaffen des Pascha’s gegen die Wahhabiten
waren, geben auch solche Berichterstatter zu, die sich über seine
Siege freuten. Mekka fiel fast ohne Kampf in die Hände der Egyp-
ter; mit Ghälibs Hülfe wurde auch Taif erobert und el-Medhäifi
als Gefangener nach Caüro geschickt. Ende 1813 kam der erste
Vicekönig von Egypten selbst nach Mekka , wo ihm Ghalib freund-
lich, aber sehr vorsichtig entgegenkam.
Es macht einen tragischen Eindruck , wie die theils gefangenen ,
theils in naivem Vertrauen auf das Türkenwort nach Egypten ge-
reisten Wahhabitenhäupter, deren edles Wesen dort die Bewunde-
rung der Gebildeten erregte , zum Spott einer unwissenden Menge
durch Cai'ro geführt und dann nach Konstantinopel befördert wur-
den, wo ein schmählicher Tod das Ende ihrer Leiden bildete. Was
die neue Lehre eigentlich war, davon hatte man dort keine Ah-
nung; von Arabien machte man sich in der Reichshauptstadt eine
so märchenhafte Vorstellung, dass er nach den //Siegen” Tusun’s
1813 möglich war, in feierlichem Aufzuge in Konstantinopel auf
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goldenen Tellern die zurückeroberten »Schlüssel” von Mekka, Me-
dina , Djiddah und Täif dem Volke zu zeigen ! Vielleicht hatte auch
die unwürdige Behandlung Ghälibs von Seiten seines Schutzherrn
in dieser Unwissenheit ihren Grund und hat man ihn auf Gerüchte
hin für einen Kryptowahhabiten gehalten. Möglich ist indessen , dass
man zwei Würfe mit einem Steine thun und die Gelegenheit be-
nutzen wollte, den energischen Mann durch ein gefügigeres Sub-
jekt zu ersetzen. Ghälib scheint schon Wind davon bekommen zu
haben, dass Muhammed Ali beauftragt war, ihn in eine Falle zu
locken. Wie freute er sich, als dieser gleich auf seinen Vorschlag
einging, die egyptischen Truppen von Djiddah auf einem Umwege,
und nicht durch Mekka, nach Täif zu schicken, »weil sie sonst
nicht genug Wasser findeu würden”! Fast gänzlich verschwand sein
Misstrauen , als Muhammed Ali mit ihm das Innere der Kacbah
besuchte und ihm dort einen feierlichen Eid leistete, er werde nie
etwas gegen Ghälib unternehmen. Der Vicekönig verstand aber die
Treue in seiner Weise und plante mit seinem Sohne Tusun einen
Streich, dem der Araber erliegen musste. Angeblich wegen eines
Streites mit seinem Vater nach Djiddah abgereist, bat Tusun den
Scherif brieflich, die Beilegung zu vermitteln. Dieser ging darauf
ein und bat Tusun, nachdem er dessen Vater günstig gestimmt
hatte, nach Mekka zurückzukehren. Als Tusun, dieser Bitte Folge
leistend, wiedergekommen war, eilte Ghälib zu ihm; der Sohn des
Eidgenossen Ghälibs liess seinen Gast in verrätherischer Weise ge-
fangennehmen und bewirkte durch Drohungen , dass er seine arg-
losen Söhne zu sich berief, worauf man ihm mittheilte, der Sultan
wünsche ihn persönlich zu sehen , er müsse also zunächst nach Cairo
reisen. Ein schlauer Mekkaner, Ahmed TurkI, dem Ghälib früher
mehrfach wichtige Missionen anvertraut hatte , half mit , seinen Herrn
zu betrügen. Damit nun aber dieser Gewaltstreich keine Aufregung
unter den Mekkanern hervorrufe, liess Muhammed Ali in grösster
Eile, bevor noch etwas in die Oeflentliehkeit gelangt war, den
Neffen Ghälibs, Jabja ibn Serür (1813 — 27) ') einsetzen. Ghälib
1) Stammt. III, G9.
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bekam in seiner ehrenvollen Haft eine sehr geringe Entschädigung
. für die recht bedeutenden Besitztümer, welche er in Mekka zu-
rückliess, und musste bis an sein Lebensende (1816) in Saloniki
verbleiben. Seinem Neffen wurde aber auch nicht mehr als der
Name der Herrschaft gelassen; dem Pascha, den Muhammed Ali
bei seiner Abreise aus dem Hidjäz in Mekka einsetzte, ertheilte er
den Befehl, sich in allen wichtigen Dingen den Rathschlägen des
niederträchtigen , schlauen Ahmed Turkl zu fügen ; für die beson-
deren Takt und Erfahrung erheischenden Verhandlungen mit Bedui-
nen und Scberifen habe er sich nicht mit dem Grossscherif, son-
dern mit einem dienstfertigen Scherif aus dem Hause der Menä'mah •)
zu berathen. Bis ins Jahr 1815 war der Vicekönig selbst mit der
Befestigung seiner Herrschaft über das heilige Land und der Unter-
werfung der widerspänstigen Stämme Westarabiens beschäftigt,
während Tusun an der Spitze bedeutender Heeresabtheilungen Arabien
in verschiedenen Richtungen durchzog. Nach dem Tode Tusun’s
musste sein Bruder Ibrahim die von jenem unternommene Operation
gegen das Centrum der Wahhabitemnacbt fortsetzen ; ihm gelang es
1818, das Emirat zu einem nur für das politisch unwichtige Innere
Arabiens beträchtlichen Staate herabzudrücken. Leicht wurde ihm
diese Aufgabe nicht; für die Kameele, welche bei der Beförderung
der ihm von seinem Vater nachgeschickten Verstärkung verwandt
wurden, sollen 180000 Dollars (Maria-Theresia-Tlialer) ausgegeben
sein. Die weitere Geschichte des Wahhabitenreiches hat auf die
heiligen Städte in keiner Weise eingewirkt. Der grösste Theil Cen-
tralarabiens wurde allmählich bambalitisch , behielt also viel vom
Rigorismus ohne die Ketzerei.
In Mekka weiss man jetzt gar nichts mehr von dem Inhalt der
Lehre Ibn Abd el-Wrahhäb’s; die populäre Ansicht stellt die Wahha-
biten als Intellektualisten dar und sieht in ihnen vorzüglich die
Heiligthumschänder. Was man von einem freundlichen Verhältniss
der Baramein zu dieser Sekte gefabelt hat, gehört dem Reiche der
Dichtung an; namentlich in Medina ist die Stimmung fanatisch
gegen die Wahhabiten.
1} Oben S. 113 ; er kiel» Scham ber ibn Mubär&k.
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Muhammed Ali hat bekanntlich Egypten und den Hidjäz zwar
im Auftrag der Pforte erobert, nach vollführter Arbeit aber diese
Gebiete ganz selbständig verwaltet und seinen Nachkommen als
Erbgut gesichert. Als die beiden Mahmats wieder zum Haddj ka-
men , war also ganz wie früher das egyptische sowohl als das
syrische ein »Zeichen” des Sultans, aber doch mit einigem Unter-
schiede; die Mekkaner wussten es auch, dass die geheimnisvolle
Sänfte aus Egypten eine Macht, die aus Syrien bloss einen Schatten
vertrat. Um so lebhafter wurde dies empfunden , weil Muhammed
Ali so klug war, April 1815 vor seiner Rückreise nach Egypten
selbst die Neuordnung der natürlich wieder in Verfall gerathenen
frommen Stiftungen im Nillande zu Gunsten der Mekkaner in die
Hand zu nehmen. Er sorgte dafür, dass jeder irgendwie hülfsbe-
dürftige Einwohner Mekka’s seitdem sagen musste: meinen Lebens-
unterhalt verdanke ich, neben Gott, unserem Efendi Muhammed
Ali. Die Bürger erhielten jährlich aus der » Djiräjeh ” einen Betrag
an Korn zugewiesen ; für Arme fanden täglich Vertheilungen von
Brod und Suppe statt l 2) ; bis zum heutigen Tag gedenken die armen
Mekkaner des ersten Vicekönigs als des Urhebers dieser unent-
behrlichen Gaben. Solchen , die sich um die heilige Wissenschaft
verdient machten oder andere Ansprüche geltend machen konnten,
wurden Gehälter zuerkannt; so legte sich die in Mekka durch des
Pascha’s treulose Thaten erregte Verstimmung.
Auch nach dem Tode des verschmitzten Ahmed Turkl (1820)
blieb Jabja ibn Serür von der Theilnahme an der Geschäftsführung
ausgeschlossen; die jeweiligen Pascha’s wählten sich andere Mit-
telspersonen und überliessen die Zähmung der Scherife und Bedui-
nen nach wie vor dem obenerwähnten Schambar ibn Mubarak.
Diesem Verwandten , dessen Vorfahren seit Hasan ®) von der Regie-
rung ausgeschlossen waren , verzieh Jabja die Ausbeutung des Un-
glücks der DewI Zeid nicht. Er vollzog seine Rache in der altge-
1) In der Tekkijjeh M^rijjeh neben dem neuen Regiexungsgebttude; vergl. den Grün*
driss der Moschee.
2) Stammt. IQ, 3
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wohnten Weise der Scherife: Anfang 1827 durchstach er an einem
Abend Schambar in der heiligen Moschee. Darauf in sein Haus
zurückgekehrt, versuchte er, dieses in Vertheidigungszustand zu
setzen ; als jedoch der Pascha Kanonen in der Richtung aufstellen
liess, versprach er, die Landreise nach Egypten anzutreten. Hiermit
fing die alte Geschichte des Verhältnisses der Scherife zu ihren
Schutzherren wieder an : Jahja ging natürlich nicht nach Egypten ,
sondern nach dem Norden zu den Harbbeduinen, um diese zu
einer Partei gegen den Pascha und dessen Werkzeuge zu vereinigen.
Ahmed Pascha, der Vertreter Muhammed Ali’s in Mekka, wusste
dagegen nichts Besseres zu thun, als einen feindlichen Verwandten
Jahja’s einzusetzen , bis der Vicekönig selbst Bericht erhalten und
Befehle geschickt haben werde. So folgte denn August 1827 Abd
el-Mut tälib ’) , Sohn GhSlibs, seinem exilierten Oheim nach und
traf gleich die nüthigen Maassregeln zur Abwehr eines Angriffs der
»Hunde” von Harb; er versammelte nämlich seine Hunde, die
Hudeliten und ihre Nachbarn. Muhammed Ali verfügte aber in
anderem Sinne. Die Erfahrung im Hidjäz hatte ihn gelehrt, dass
die Türken für die Behandlung der Beduinen die Vermittlung der
Scherife brauchten ; in Ermangelung jedes persönlichen Einflusses
können die Türken hier nur durch bedeutende Uebermacht oder
durch Unmassen von Gold etwas erreichen. Dieses wäre zu theuer,
jenes, abgesehen von den Kosten, wegen der geographischen Ver-
hältnisse immerhin sehr schwierig. Die Wüstenthiere bezwingt man
am besten durch ihresgleichen ; zu zähmen oder in Rotten zum
Kampfe zu vereinigen sind sie fast nur durch die Hand der von
ihnen verehrten Scherife. Man braucht sich aber bei der Wahl der
Zahmer nicht auf eine Familie zu beschränken ; ebenso wohl wie
die DewI Zeid eignen sich dazu deren ebenbürtige Mitbewerber.
Muhammed Ali ergriff ohne Bedenken die Gelegenheit, das an
ziemlich grosse Selbständigkeit gewöhnte Haus der DewI Zeid durch
ein anderes zu ersetzen; er zog die seit 1667 im Schatten weilen-
den cAbädilah ans Licht. Neben den DewI Zeid hatten diese von
1) Stammt. ID, 70.
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jeher eine Stellung eingenommen , dass ihnen die von den Türken
vorgeschobenen Barakät kaum gleichkamen , weit über den anderen
namhaften Geschlechtern der Schenäb’rah, Menä'inah usw. Wenn-
gleich in späterer Zeit nur selten Leute von ihnen, wie Mubsin *) ,
als Prätendenten auftraten, so nahmen sie doch an der Berathung
aller wichtigen Angelegenheiten, der Wahl des Grossscherifs usw.,
einen hervorragenden Antheil. Ihre Zufriedenheit mussten die DewI
Zeid oftmals theuer kaufen, ihr Missvergnügen war im Stande, das
ganze Land aufzuwiegeln, Handel und Verkehr zu zerstören. Ihr
Hauptvertreter zur Zeit Muhatnmed Ali’s, Muhammed *), war bei
der Entstehung der eben beschriebenen Unruhen gegen 40 Jahre
alt; als der Vicekönig im Hidjäz verweilte, hatte Muhammed ihm
bei der Unterjochung der unbändigen 'Aslr-stämme im Süden tapfer
zur Seite gestanden, und seit der Rückkehr jenes nach Egypten war
der Scherif als Emir der 'Aslr in diesem unheimlichen Lande ge-
blieben. 1824 gelang es ihm nur mit Hülfe aus Egypten ihm zuge-
schickter regulären Truppen, die Ordnung einigermaassen aufrecht
zu erhalten. Beim Hinschwinden der Wahhabitenmacht verlor dieses
südliche Gebiet viel von seiner Wichtigkeit und liess man die cAsIr
nach und nach unbeaufsichtigt. Muhammed ibn cAun (so heisst er
gewöhnlich, weil sein Grossvater Eponymus des neuen Clans der
DewI 'Aun wurde) reiste nuu nach Egypten und lernte hier während
seines dreijährigen Aufenthalts, was Hasan ibn 'Adjlän und seine
Söhne zu ihrem Vortheil verstanden , die DewI Zeid dagegen manchmal
zu ihrem Schaden vergessen hatten : die Kunst , mit den fremden
Schutzherren ohne aufreibende Konflikte zu verkehren. Seinem klu-
gen , gemässigten Benehmen verdankte er jetzt seine Erhebung auf
den Thron seines Vorfahren Abdallah (1827 — 51)’). Kaum hatte
1) Stammt. III, 32. 2) Stammt. 111,58.
3) Wahrscheinlich sind ungefähr zu dieser Zeit die dor Regierung näher stehenden
Scherifo allmählich zum hunafi tischen Ritus übergetruton. ßurckhardt (Travels in Arabia ,
1:430 f.) fand in dieser Beziehung (1814) Alles noch beim Alton: die Scherifo im In-
neren zum guten Theilo Zaiditen, die regierende Familie und ihre nächsten Verwandten
Schafi'iton, obgleich in Vordacht zaiditischor Sympathien. Jetzt sind die einflussreichen
Scherife in Mekka Allo Hanafiten, was sie nicht verhindert, den allzu eifrigen Türkeu
gegenüber manchmal die Wünscho der schati'itischen Bevölkerung in rituellen Angelegen-
heiten zu vertreten.
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160
die Nachricht Täif erreicht, wo der Pascha und Abd el-Muttalib
sich eifrig gegen Jahja rüsteten , als Abd el-Muttalib den Türken
mit Drohungen von dort verjagte , seine Stämme weiter auf den
Kampf gegen die egyptischen Soldaten vorbereitete und seinem
Neffen Jahja schrieb, ihre Interessen seien durch die neuen Ver-
hältnisse geeinigt. Muhammed ibn cAun gewann bald nach seiner
Ankunft in Djiddah ohne schweren Kampf die gegen ihn zusam-
mengehetzten Hunde; er befriedigte ihre Gehässigkeit aus dem
gefüllten Beutel, den ihm Muhammed Ali auf die Reise mitge-
geben hatte. Jahja war unterdessen mit seinen Harbi's angerückt,
neigte sich aber, als ihm das Geschehene berichtet wurde, zur
Annahme der vom neuen Grossscherif angebotenen günstigen Be-
dingungen. Abd el-Muttalib hingegen bewährte sich gleich, wie in
seinem ganzen späteren Leben , als Fortsetzer der ungefalschten
Tradition der DewI Zeid. Theils durch Ueberredung, theils durch
Gewalt einigte er seine nächsten Verwandten , sandte seinen Bruder
Ali aus zur Aufwiegelung der regierungsfeindlichen Stämme, ver-
stärkte sich mit allen verfügbaren Mitteln in Täif und warf die
dort befindlichen ‘Abädilah in den Kerker. Den später berühmten
Sohn des Scherifs Muhammed, Abdallah, entzogen gute Freunde
diesem Schicksal und sandten ihn heimlich seinem Vater zu. Erst
nach 2 2- tägiger Belagerung durch Muhammed mit seinen Arabern
und den egyptischen Truppen gab Abd el-Muttalib die Vertheidi-
gung auf und ging, nachdem ihm und seinen Verwandten Sicherheit
versprochen war, in das Lager des Gegners. Hier wurde er gut auf-
genommen; trotzdem entfloh er in der Nacht mit seinem Bruder
Jahja, und die verrätberische Mittheilung des Jahja ibn Serür er-
möglichte den Türken nur, Jahja wieder einzufangen. Abd el-
Muttalib trat nun eine Irrfahrt an durch die fremden Einflüssen
verschlossenen arabischen Gebiete, bis sich ihm 1881 eine günstige
Gelegenheit bot, mit der syrischen Pilgerkarawane nach Damaskus
und dann weiter nach Konstantinopel zu reisen. Hierzu hätte er
sicht nicht entschlossen , wenn nicht in der Zwischenzeit die poli-
tische Witterung eine ganz andere geworden wäre.
Gleich vom Anfang seines Scherifats an bestrebte sich Muham-
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med ibn 'Aun , seinem Gebiete die alten Grenzen wiederzugeben ,
und in den ersten Jahren hatte er viel Glück. Gegen Mitte 1831
suchte zum ersten Mal die Cholera Mekka heim, zu deren zahl-
losen Opfern auch der egyptische Pascha zählte. Dessen Nachfolger
musste mit seinen Miliztruppen ( Nizämijjah ) gegen die türkischen
Irregulären , welche rückständigen Sold forderten , einen ungleichen
Kampf aufnehmen und wurde Ende 1831 zum Auszug nach Egyp-
ten genöthigt.
Solche Unordnung wäre kaum vorgekommen , hätte nicht damals
der Kampf gegen seinen Lehnsherrn Mahmud alle Kräfte Muhara-
med Ali’s in Anspruch genommen. Da sein Versuch zur Beilegung
vergeblich blieb, entwich der Scherif nach dem östlich gelegenen
Ilada’ und wartete dort, bis die Milizsoldaten die Irregulären nach
Djiddah vertrieben hatten, worauf sich diese aus Furcht vor den
Folgen ihrer Rebellion nach allen Richtungen zerstreuten. Die
Miliz plünderte einige Läden in Mekka, bequemte sich dann aber
wieder zu ruhigen Sitten. Ende 1832 kam aus Egypten Ahmed
Pascha, der auch früher bereits die Regierung in Mekka vertreten
hatte. Zwischen ihm und Muhamined ibn cAun entstanden bald
Misshelligkeiten. Seit 1833 erlaubte sich nämlich ein neu aufgetre-
tener Emir der 'Asir-stämme , deren Gebiet an die südliche Grenze
des Scherifats stösst , allerlei Uebergriffe in das Land der Blschah ,
Zahrän , Ghämid und anderer seit alter Zeit dem Könige von
Mekka ergebener Stämme. Der Scherif zog gegen die Grenze und
war seiner Ansicht nach nahe daran , das Ziel der Einschüchterung
zu erreichen , musste jedoch in Ermangelung der nöthigen Verstär-
kungen, die er vergeblich von Ahmed Pascha verlangte, unver-
richteter Dinge zurückziehen. Beide, der Scherif und der Pascha,
schoben einander die Schuld des Misslingens zu und erprobten die
Geduld Muharamed Ali’s mit ihren Briefen gegen einander solange ,
bis er 1836 die Parteien nach Calro forderte. Beide Hessen also
Stellvertreter in Mekka zurück und reisten ab, ihre Sache dem
Vicekönig zu unterbreiten. Nach langem Hin- und Herreden ging
Muhammed Ali auf den Vorschlag seines Pascha’s ein, ihn vor-
läufig allein zurückzusenden; er übernahm es, in drei Monaten die
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'Aslr zu unterwerfen ; der Scherif musste als unfreiwilliger Gast in
Calro bleiben. Dies dauerte bis 1840; denn Ahmed Pascha zog zwar
mit einem von den Schenäbrah-scherifen und einem aus seiner
Heimath vertriebenen Schech der 'Aslr gegen die Feinde, erzielte
aber nur geringe Resultate. Vielleicht hätte sich dieser Zustand
noch länger hingezogen , wäre nicht inzwischen der Vertrag abge-
schlossen , durch welchen der Hidjäz mit Syrien wieder unter
direkte Verwaltung der Pforte gestellt wurde. Mit Nichts war es
jetzt dem Vicekönig so eilig als mit der Heimkehr seiner im
Hidjäz befindlichen Truppen ; diese anzuordnen , schickte er den
ihm immerhin ergebenen Muhammed ibn 'Aun in seine Heimath
zurück. Mit vielem Geschick entledigte sich der Scherif seines Auftrags;
die in dem Harblande in schwerem Kampfe befindlichen Abthei-
lungen wusste er unversehrt herauszuziehen und ohne Konflikte
mit dem im Süden gebliebenen Garnisonen nach Egypten zu be-
fördern. Seine Wiedereinsetzung beim Uebergang verdankte er
jedenfalls dem mächtigen Einfluss Muhammed Ali’s. In Konstan-
tinopel befand sich seit beinahe 10 Jahren der dunkelfarbige Abd
öl-Muttälib, in dem die Art seines Ahnen Zeid nicht weniger frisch
wieder auflebte, als sie sich in Sa'd , Sa'id , Mas'üd und zuletzt in
seinem Vater Ghälib ausgeprägt hatte. Ihm hatte der Sultan Mah-
mud die Erbschaft seiner Väter versprochen , sobald der Krieg mit
dem rebellischen Vicekönig von Egypten beendet sein werde; höchst
wahrscheinlich war er denn auch den Schwierigkeiten nicht fremd,
welche die Harbstämme dem Muhammed Ali bereiteten. Mabmüd
hat jedoch die Rückerstattung des Hidjäz nicht selbst erlebt, und
sein Nachfolger hat sich wahrscheinlich durch Muhammed Ali zur
Enttäuschung der DewI Zeid bestimmen lassen; so blieb Muham-
med auch unter dem neuen Herrn Grossscherif von Mekka und
Emir des eigenthümlichen Gebietes, dessen Grenzen fast täglichem
Wechsel unterliegen.
Seit der Niederwerfung der Wahhabiten war der Vicekönig von Egyp-
ten in Mekka immer durch einen Pascha vertreten, der den Titel Mu-
häfiz Makka/t, »Bewacher Mekka’s” führte. Die Othmanen schickten
in altherkömmlicher Weise einen »Wäll von Djiddah”, zugleich
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163
»Schech al-Haram”, wie wir diese Residenten oben in sehr verschie-
denen Macht Verhältnissen kennen gelernt haben. Natürlich liess man
die Anordnung der frommen Stiftungen , die übrigens nur in Egypten
administriert werden konnten, unverändert.
Obgleich die 'Abädilah friedlicheren Sinnes sind als die DewT
Zeid , so ist doch die Einigkeit zwischen einem seiner Würde be-
wussten Grossscherif und dem »Residenten”, der ja schliesslich das
allerhöchste Misstrauen gegen den Fürsten leibhaft darstellt, ein
Ding der Unmöglichkeit. Beide Mächte müssen mit einander in
Streit gerathen, sofern sich’s nicht eine gefallen lässt, im Schat-
ten der andern zu schlafen. Bereits 1844 fingen die Misshelligkei-
ten zwischen Muhammed ibn 'Aun und dem Wäll von Djiddah an.
Die angeblichen Gründe solchen Streites sind immer unerheblich;
dass einige vom Scherif eingesetzte Emire zuviel von der zu erhe-
benden Zakät für sich behielten, wäre in den dortigen Verhält-
nissen ein lächerlicher Grund zur Entzweiung. Ausser persönlicher
Verstimmung mag aber das Treiben des Abd el-Multalib von Kon-
stantinopel aus mit hineingespielt haben , denn es kann kaum zufällig
sein, dass die Zerwürfnisse in Mekka mit dem Umschwung der
Gesinnung der Pforte zu Gunsten der DewI Zeid zusammentrafeu.
Uebrigens bat der Pascha die Regierung, den Ali ibn Ghälib, den
Bruder Abd el-Muttälibs zu schicken, scheinbar aus gleichgültigen
Gründen, wie aber Muhammed ibn cAun mit Recht glaubte,
thatsächlich zur Vorbereitung neuer Dinge. Muhammed schrieb
über diese Angelegenheit seinem alten Freunde, dem Vieekönig
von Egypten ; vielleicht könne der diesen Streich hintertreiben , da
Ali über Egypten reisen musste. Muhammed Ali’s Liebenswürdig-
keit versagte nicht; er empfing Ali mit grossen Ehren; sein Gast
erkrankte aber plötzlich und starb (1845). Der Grossscherif war un-
terdessen nach el-Mub'üth , nördlich von TSif, ausgezogen, wo
ihn eine Truppenabtheilung des in Djiddah befindlichen Wäli’s
beobachtete. Muhammed Ali erwirkte nun aber auch noch die Ab-
setzung dieses ersten Residenten neuen Bestandes; derselbe nahm
sich aus gekränktem Ehrgeiz das Leben. Sein Nachfolger kam bes-
ser mit Muhammed aus. 1S46 zog der Grossscherif im Auftrag
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164
der Pforte gegen den Wahhabitenfürsten Faigäl in er-Rijädh , das
die Stelle des verfallenen Dar'ijjah eingenommen hatte, weil dieser
wieder zu viel Einfluss gewann. Der Nachkomme Sa'üds war froh,
sich gegen Leistung einer jährlichen Abgabe von 10000 Dollars
die Expedition vom Leibe zu halten; bis zum Tode Fanals (1865)
scheint die Zahlung regelmässig stattgefunden zu haben. Auch nach
anderen Richtungen trat Muhammed thätig auf : mit den 'Aslr-stäm-
men schloss er nach einigen Gefechten einen Vertrag ab, der die
Grenzen der beiderseitigen Gebiete festsetzte; auch für solche
Dinge brauchen die Türken einen Scherif, denn ihre eigene Bu-
reaukratie würde einen formellen Verzicht auf jene niemals beherrsch-
ten und völlig werthlosen Gebiete für unzulässig erklären. Der viel
später erfolgten Wiedereroberung Jemens durch die Othmanen ar-
beitete Mubammed ibn 'Aun dadurch vor , dass er Hudedah , Mochä ,
Zebld und Bet el-faqlh einem dort emporgekommenen Scherif ent-
riss, und in Qan'ä einen ihm ergebenen Abkömmling der dortigen
Imäme gewaltsam an die Stelle des regierenden setzte. Dieser Ge-
legenheits-imäm wurde allerdings bald nach dem Abzüge seines
Schutzherrn ermordet.
Während der langen Abwesenheit des Scherifs hatte der Pa-
scha *) (der dritte seit dem Ende der egyptischen Verwaltung)
verschiedentlich versucht, eine neue Verwaltung der sogenann-
ten /'Sultansstiftungen” ( Auqäf sullänijjah) einzuführen. Wir ha-
ben schon öfter die Geschichte aller frommen Stiftungen in
Mekka angedeutet; die meisten werthvollen Häuser sind hier zu
irgend einer Zeit behufs einer Stiftung angekauft und auf ewige
Zeiten unveräusserlich zu einem guten Zwecke bestimmt worden ,
dann aber allmählich von einer Hand in die andere so überge-
gangen, dass ihnen nur noch der Name des Waqf blieb. Der
Name genügt aber, um zu verhindern, dass ein gesetzlich gültiger
Verkauf solcher Häuser stattfinde, trotzdem die Veräusserung in
1) AD giebt dio Namen aller dieser Würdenträger sowie die Dauer ihrer Verwaltung
an; im Rahmen unserer übersichtlichen Darstellung ist für dioso Angaben kein Raum,
zumal die überwiegende Mohrzahl bloss in verschiedener Mischung die allbekannten Eigen-
schaften türkischer Verwaltungsbeambten zeigt.
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165
der gegebenen Lage praktisch nothwendig werden kann. Beiden
streitigen Anforderungen gerecht zu werden , umgeht man das Ge-
setz durch Bezeichnung dieser Kaufverträge mit einem eigens dazu
erfundenen Namen: Faräghah , »Ueberlassung” gegen einen Werth-
betrag nennt man sie, und der Käufer wird nicht « Eigen tliii euer”,
weil ein Waqf nicht Gegenstand des Eigenthums sein kann , son-
dern er »legt die Hand” auf eine derartige Wohnung l). So unge-
setzlich nun auch ursprünglich die Veräusserung dieser Häuser war,
so lässt sich doch nicht leugnen, dass wer jetzt gegen einen ent-
sprechenden Preis »die Hand auf eine Waqf-wohnung gelegt hat”
dadurch nach geltendem Gesetze ein Recht erworben hat. Jeden-
falls geht es nicht an, die unter dem Schutze der Behörden zu
Stande gekommen Faräghah' 's auf einmal für ungültig zu erklä-
ren; für einen Gouverneur, der so etwas unternehmen will, han-
delt es sich selbstverständlich um die freie Verfügung über grosse
Einkünfte, nicht um eigentliche Wiederherstellung der alten Auqaf.
Der Pascha versuchte, die grössten Gelehrten für seine Nichtig-
erklärung zu gewinnen , und setzte sogar den sich beharrlich wei-
gernden hanafitischen Mufti ab. Schliesslich ging aber heimlich eine
Gesandtschaft von Gegnern des Wäll’s nach Konstantinopel, und
1849 erfolgte dessen Absetzung. Sein Nachfolger bekam vom
Grosswezir Reschld Pascha bald den Auftrag, die 'Abädilah bei
Seite zu schieben.
Es war dem scldauen Abd el-Muttälib gelungen, jenen höchsten
Würdenträger zu seinem persönlichen Freunde zu machen ; gegen
die wahren Interessen der Türkei hat der Minister das Haupt der
DewT Zeid treulich unterstützt. Anfang 1851 kamen die beiden
Söhne Muhammeds, Abdallah und Ali, dem Wunsche des Wäll’s
gemäss nach Djiddah zur Besprechung einiger Geschäftssachen. Die
Einladung war eine List, der Söhne habhaft zu werden und so
1) Durch ein ähnliches Mittel ermöglicht man bekanntlich den Verkauf solcher Gegen«
stünde, die wegen ihrer unreinen oder verbotenen Natur nicht gesetzlich verkauft werden
können. Hunde, Schweine, Wein, Musikinstrumente können nicht „verkauft” werden,
sondern oino Partei „zieht die Hand davon ab” gegen eine Leistung von der anderen
Partei, welche „die Hand darauflegt” ond kein „Eigenthum” (tikL«) , sondern oino „be-
sondere Beziehung” zum Gegenstände erwirbt.
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dem Vater die Thür des Widerspruchs zu verschliessen. Einer von
den DewI Zeid hätte dennoch dem Gebot, über Djiddah nacli
Konstantinopel zu reisen , feindliche Maassregeln entgegengesetzt :
die ‘Abädilah verwerteten ihre Erfahrung besser; Muhammed ging
ohne Widerspruch und übergab das Scherifat dem zum vorläufigen
Stellvertreter Abd el-Muttalib’s eingesetzten Manfttr ibn Jahja,
einem Sohne des von Muhammed Ali zuerst angestellten Grosssche-
rifs. Als Abd el-Muttalib (1851 — 56) selbst angekommen war,
zeigten seine Thaten gleich , wie gering er die Vormünde schätzte ,
denen er in Konstantinopel, solange es nöthig war, geschmeichelt
hatte. Er reiste in das Harb-land und erbaute sich in diesem vor
Eingriffen der Regierung am besten gesicherten Gebiete einige
Festungen , welche bei einem eventuellen Konflikt als Rückhalt
dienen konnten ; mit dem Pascha , der seine Regierung vorbereitet
hatte, überwarf er sich gleich und bekam auf seine Bitte durch
den Einfluss des Grosswezirs einen andern zugeschickt. Mit dem
neuen war die Freundschaft ebenfalls bald zu Ende , und als einmal
auf den Pascha aus Methnä, wo der Scherif eine Sommerfrische
hatte, einige Flintenschüsse abgefeuert wurden, von denen einer
seinen Fez durchbohrte, konnte dieser nicht an Zufall denken.
Wieder wurde der Gouverneur durch einen andern ersetzt , der aber
gleich bei Abd el-Muttalib in Verdacht gerieth, mit seiner Gefan-
gennahme beauftragt zu sein ; unmöglich ist es nicht , dass die
Freunde des Scherifs Recht hatten , als sie ihn bei einer Wafl'en-
übung , der er mit dem Pascha zuschaute , warnten , das ganze Spiel
sei nur dazu veranstaltet, ihn unvorbereitet festzunehmen. Unbe-
merkt wusste sich der Scherif zu entfernen , und ritt nun eilends
nach Täif, wo er sich zur Abwehr aller Eingriffe von Seiten tür-
kischer Behörden vorbereitete.
Wir kennen ja die Theorie, mit der solches Benehmen ent-
schuldigt wurde: die Treue gegen den Sultan schliesst die Be-
kämpfung seiner schlechten Diener nicht aus. Auf einen Eil-
bericht des nach Djiddah gereisten Wäll’s kam Oktober 1855
ein ausserordentlicher Bevollmächtigter der Pforte dorthin, die
Wiedereinsetzung des verdrängten Muhammed ibn ‘Aun durch-
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zusetzen. Mit unüberwindlicher Standhaftigkeit weigerte sich AlxI
el-Muttälib auch jetzt, die Echtheit des hohen Befehls anzuerken-
nen ; er wüthete vielmehr in Täif gegen vornehme Anhänger seines
Konkurrenten. 'Aqll, der unter der Regierung Muharnmeds Scheck,
der SejjiiT s J) gewesen war und zu den treuesten Freunden seines
Gönners zählte, hatte zwar Abd el-MuUülib bei seiner Ankunft mit
einem Gedichte begrüsst, aber dadurch dessen Misstrauen nicht
entkräftet. Da der Scherif nun seine Hand in den Beschlüssen der
Pforte zu erkennen glaubte, liess er ihn bei Nacht auf heben und
in seinen Kerker werfen , wo er nach zwei Tagen .... starb j seine
Freunde behaupteten, ihm seien die Testikeln zerdrückt worden.
Bevor nun der Bevollmächtigte der Pforte zum Handeln schreiten
konnte , ereignete sich in Mekka ein Zwischenfall , den ich an einem
andern Orte bereits mit den eigenen Worten des jüngsten mek-
kanischen Chronisten mitgetheilt habe *). Ein durch thörichte
Einmischung der europäischen Diplomatie veranlasster Befehl zur
Einstellung des Sklavenhandels war kurz zuvor nach Djiddah ge-
kommen; demzufolge wies der Wäll seinen Stellvertreter in Mekka
an, alle Sklavenhändler zusammenzurufen und ihnen den //Willen
des Sultans” mitzutheilen. Man kann sich denken, dass in der
heiligen Stadt eine so rücksichtslose, nicht bloss gegen das Her-
kommen. sondern gegen das göttliche Gesetz verstossende Maassregel
nicht gütlich aufgenommen wurde. In einem schrecklichen Aufruhr
wurden viele türkische Soldaten und Beamten gelödtet; Gelehrte
und Vornehme stimmten diesmal dem Pöbel bei. Von den in Mekka
anwesenden Scherifen waren die einflussreichsten der Stellvertreter
und Neffe Abd el-Muttälib's , Mangür ibn Jaljja ibn Serür, und der
zum vorläufigen Vertreter des neuen Grossscherifs bestimmte Ab-
dallah ibn Nä9ir ’) ; beide thaten ihr Möglichstes , die Gemüther
zu beruhigen, und zogen dann, um jedem Verdachte der Bethei-
1) Die Sejjid’s d. h. hier die Abkömmlinge Husains, deren Genealogie sicher steht,
bilden eine eigene Korporation in Mekka, unter einem Haupte, das früher von den Mit-
gliedern selbst gewählt und von den Behörden nur bestätigt wurde, jetst aber, seit der
zunehmenden Centralisierung der Gewalt, von dem Scherif und dom Will oder von dem
mächtigsten von Beiden scino Anstellung erhält.
2) Bijdragen van het Kon. Nod. Ind Instituut, 5e Volgroeks, Deel II: 376 ff., 396 ff.
3) D. h. Abdallah ibn Nayir ibn Fawwäz ibn Jan (Stammt III, 41).
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ligung zu entgehen , nach Djiddah. Das alte Haupt der Dewi Zeid
aber ergriff freudig die Gelegenheit, die Türken als Uebertreter
des Gesetzes , sich selbst dagegen als den Vertheidiger des Heiligen
darzustellen ; er kam mit einigen Scherifen und Beduinenschechen
nach Mekka und zog der Kriegsmacht der ‘Abädilah und Türken
bis Bahrah auf dem Wege nach Djiddah entgegen. Die gewöhn-
lichen Mittel thaten aber die gewohnte Wirkung; viele Beduinen
Hessen sich herüberziehen, sodass der Alte den ungleichen Kampf
aufgeben musste. Unter solchen Umständen wäre nun Einer von
den ‘Abädilah nach Konstantinopel gereist; Abd el-Muttälib ver-
sprach, der Tradition der Dewi Zeid gemäss, über Land dorthin
zu reisen, zog jedoch nach Täif, vertrieb die dort liegenden tür-
kischen Truppen und brachte in grösster Eile wieder »Hunde”
und Jäger zusammen. Zwischen Januar und April 1856 schickte
er dreimal Truppen gegen Mekka. Als aber im April Muhammed
ibn 'Aun in Djiddah an kam , waren die Belagerer schon wieder
zurückgeschlagen und konnte man gleich gegen Täif Vorgehen. Hier
spielte sich ganz die gleiche Geschichte ab, die 1827 von den näm-
lichen Schauspielern am selben Orte aufgeführt war; bloss der
Ausgang war verschieden. Der alte Sohn Ghälibs Hess auch diesmal
kein Mittel des Zwangs und der Ueberredung unversucht, seine
sehr in die Enge getriebenen Leute zusammenzuhalten; endlich
öffneten aber seine Anhänger dem Sieger die Thore der Stadt und
wurde er selbst gefangen. Nach dem ursprünglichen Plane sollte
er jetzt nach Saloniki geführt werden, um dort, wie früher sein
Vater, den Rest seiner Tage zu verbringen- dem Einfluss seines
alten Freundes Reschid Pascha verdankte er die Erlaubniss, wie
nach seiner ersten Besiegung in Konstantinopel zu wohnen. Na-
türlich öffnete diese Liebenswürdigkeit dem Grossscherif den Weg
zu neuen Intriguen , denn bei Abd el-Muttälib nahm ganz wie bei
seinem Urgrossvater Sa‘d , die Kampflust nach jeder neuen Wunde zu.
Muhammed ibn ‘Aun war zu alt, in seinem zweiten Scherifat
(1856 — 58) noch Bedeutendes zu leisten ; sein zweiter Sohn Ali und
sein Neffe Abdallah ibn Nä9ir führten faktisch die Geschäfte. Aus
der Geschichte des Scherifats hat die Pforte wenigstens diese Lehre
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entnommen, dass man Präteudenten und muthmnassliclie Thron-
folger am besten in Konstantinopel oder jedenfalls in der Türkei
behalt. Ein rühriges Haupt der Dewi Zeid wahrend der Regierung
eines von den ‘Abädiiah im llidjäz zu lassen , heisst zwei Kampf-
hähne in einen Käfig einschliessen. Auch der Sohn oder der Bruder
des Fürsten , der in weniger bewegten Zeiten das Scherifat als seine
Erbschaft betrachten darf, kann unter Umständen in Mekka durch
seine Ungeduld dem Herrscher Schwierigkeiten bereiten. Wahr-
scheinlich gehörte diese Erwägung zu den Gründen , aus denen der
Sultan den ältesten Sohn Muhatnraeds, Abdallah, der schon wäh-
rend des ersten Scherifats des Vaters zeitweise dessen Stellvertreter
gewesen war, diesmal in Konstantinopel zurückhielt und jenem den
jüngeren, Ali, nach Mekka mitgab. Ali übernahm einstweilen die
Führung des Scherifats, als sein Vater im März 1858 verschied;
die bedauernswerthen Ereignisse, die am 15 Juni dieses Jahres in
Djiddah stattfanden , gaben der Pforte Anlass , Abdallah's Absen-
dung noch bis zum Oktober zu verschieben. In meinem oben ci-
tierten Aufsatze *) habe ich die in Europa bekannten Berichte über
den Christenmord in Djiddah , dessen Ursachen und Folgen , mit
den Angaben eines zeitgenössischen arabischen Chronisten ergänzt.
Das Bombardement des Hafens wäre vielleicht nicht erforderlich
gewesen zur Erlangung der Genugthuung, die kurz darauf in der
Form der Entsendung eines aus Europäern und Türken zusammen-
gesetzten Richterkollegiums mit ziemlich unbeschränkten Vollmachten
erfolgte: immerhin ist der Eindruck, den diese Machtentfaltung
der Franken hervorrief, trotz dem dadurch verschärften Frankenhass,
nicht ohne Nutzen gewesen. Beim arabischen Pöbel scheint nun
einmal jeder Belehrung eine gründliche Einschüchterung vorangeheu
zu müssen. Es bleibt aber Schade, dass Schiesspulver und Alkohol,
rohe Gewalt und Trunksucht neben theils heuchlerischer, theils
dummer Antisklavereipolitik für die Orientalen im grossen Ganzen
die augenfälligen Merkmale europäischer Kultur bilden. Allah al-
mutla'äu l
1) Bijdragen v»u hot Kon. Nod. lud. Instituut, 60 Volgrocks, l)ool II: 381 IT., 399 IT.
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Der feingebildete arabische Edelmann Abdallah ’) (1858 — 77)
trat die Regierung erst an, nachdem den europäischen Anforderun-
gen durch den Tod der Hauptschuldigen (?) Gerechtigkeit wider-
fahren war. In seiner Jugend war er lange genug in Arabien, um
seine geistige Konstitution vor dem Einfluss der türkischen Fäul-
niss zu schützen; in formellen Dingen war ihm die fremdem We-
sen gegenüber gefügigere Natur eigen, durch welche sich die
'Abädilah von den DewI Zeid unterscheiden ; etwas Weltklugheit
hatte er auch in Konstantinopel gelernt. Ziemlich ruhig war wäh-
rend seines 20jährigen Scherifats das heilige Land, wozu vielleicht
einige Aufsehen erregende Vorgänge in dessen Nähe das Ihrige
beitrugen. Die Eröffnung des Sueskanals wurde von den Bewoh-
nern Westarabiens als ein Unglück betrachtet; man erinnerte an
die Erzählung, dass schon Ilärün ar-Itaschld den Plan dazu ge-
fasst hatte, sich aber von seinem Grosswezir davon abhalten liess,
damit nicht den Christen der Zutritt zu den muslimischen Häfen
allzusehr erleichtert werde. Thatsächlich hat aber das grosse Werk
für dieses Land noch mehr Bedeutung dadurch , dass die Othma-
nen jetzt viel schneller und wirksamer in das politische Leben des
Hidjäz eingreifen können. Als vor einigen Jahren Djiddah ausser-
dem telegraphisch mit der übrigen Welt verbunden und bald dar-
auf der //Draht” bis nach Mekka und Täif durchgeführt wurde,
zeigte sich diese politische Bedeutung des Sueskanals noch klarer.
Was nützte es früher, ob die Pforte nach dem Eintreffen von Be-
richten über Kämpfe zwischen den Scherifen einen der Sachlage
möglichst angemessenen Entschluss fasste? Bevor die Befehle des
Sultans, geschweige seine Truppen, Mekka erreichten, war viel-
leicht der von ihm eingesetzte oder anerkannte Scherif schon un-
möglich geworden. So musste sehr viel dem jeweiligen Wäll über-
lassen bleiben , was bei dem steten Wechsel dieser Würdenträger
und ihrer manchmal recht gründlichen Unfähigkeit dem Eigensinn
der Scherife grossen Spielraum gewährte. Heutzutage tritt ein ener-
gischer Wäll einem böswilligen Grossscherif gleich mit der Drohung
1) Stammt. 111, 63.
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entgegen , er werde telegraphisch mit Angabe der Gründe seine
Entlassung nachsuchen. Schon zur Zeit Abdallahs machte sich der
Anfang der neuen Aera den Küstenländern bemerkbar. Die Rück-
eroberung Jemens durch die Türken (1872), wobei die letzten
Reste der Macht der Imäme von Qan'a vernichtet wurden, musste
bei den Nachbarn den Gedanken erregen, das Sultanat des Is-
lam’s habe wieder einmal das Bewusstsein seiner Grösse und sei-
ner Pflichten bekommen. Diesem Eindruck that der russisch-türki-
sche Krieg nur wenig Abbruch , denn die Bevölkerung glaubt
hier Keinem, der von den Niederlagen der »Meere Gottes” berich-
tet. ln Mekka betete man für den Sieg der muslimischen Waffen,
Sammlungen für die Kriegskasse fanden statt (die bösen Zungen
sagten freilich , die einsammclnden Beamten verwechselten häufig
diese Kasse mit ihrer eignen Tasche), und endlich hörte man , der
Sultan habe geruht, mit dem rebellischen Russen Frieden zu sehlies-
sen. Von der Naivetät der gebildeten Mekkaner kann man sich aus
Folgendem eine Vorstellung bilden : Der Grossscherif Abdallah wollte
seine Anhänglichkeit an den Schutzherrn dadurch beweisen , dass
er den Mekkanern Gelegenheit zur Watfenübung gab. Unter grosser
Betheiligung von Knaben, Männern und altersschwachen Greisen
fand der Unterricht statt. Einige Bedenken scheint die praktische
Brauchbarkeit dieser improvisierten Armee wohl bei den Kriegs-
leuten selbst erregt zu haben; man begründete aber die Nützlich-
keit der Maassregel damit , dass den Russen ein heilsamer Schrecken
eingeflösst werde, und allgemein erzählt man in Mekka von dem
schauderhaften Eindruck , den die Bewaffnung der heiligen Stadt
in ganz Europa hervorgerufen hat!
1869 bekamen Mekka, Medina, Djiddah und T’äif ihren Antheil
an dem aus Notabilitäten der Städte und Beamten zusammenge-
setzten Räthen und Höfen , mit denen die moderne türkische Bu-
reaukratie ihre Unterthanen beglückt hat. Ein Medjlti al-ldärah
soll etwa wie ein Gemeinderath fungieren, ein Medjlw at-Tamjiz
ist mit einem Theile der Rechtspflege beauftragt, ein Medjlis at-
Tidjärah hat (bloss in Djiddah) sich mit für den Handel wichtigen
Fragen zu beschäftigen; in Wirklichkeit blühen diese Institute un-
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gefiihr ebenso schön wie das Getreide in dem Steinboden Mekka’s,
aber die türkische Verwaltung hat die Kunst erlernt, Alles, Geld
und Reformen, aus reinem Papier anzufertigen. Im Jahrbuch des
Hidjäz werden die wohllöblichen Mitglieder der Räthe aufgeführt;
die Städter wissen jedoch, dass nur die hohen Beamten und per-
sönlich einflussreichen Einheimischen etwas ausrichten , einerlei ob
sie im Medjli» sitzen oder draussen. Viele Mekkaner haben sogar
bis zum heutigen Tag von dem Dasein der Medjälw nicht das Ge-
ringste erfahren.
Alles in Allem hatte der Scherif Abdallah eine sehr günstige
Zeit, den edlen Herrn zu spielen. Altmekkanische Bürger, die
selbst dergleichen Erfahrungen gemacht hatten , erzählten mir von
gewissen Kniffen des Fürsten zur Vergrösserung seines Besitzes.
Wo verschiedene Mitglieder einer Familie zusammen die Einkünfte
einer Stiftung zu theilen hatten, wusste Abdallah diesem und jenem
klar zu machen, die anderen nähmen zu viel, und so Familien-
prozesse zu veranlassen , die man ihm unterbreitete. Diese pflegten
sich sehr in die Länge zu ziehen und das Endresultat war immer,
dass ein bedeutender Theil des umstrittenen Besitzes während des
Streites an den Scherif übergegangen war. Solche Opfer brachten
die Leute aber, wenngleich aus Dummheit, immerhin freiwillig;
später schüttelten sie die Köpfe über die »Politik unseres Herrn”,
stimmten aber dennoch dem allgemeinen Lobe über seine Person
durchaus bei. Dieses Lob spendet die ganze Bevölkerung des Hidjäz
in erster Linie seiner Gerechtigkeit, Mässigung und kraftvollen
Würde im Verkehr mit den ihm untergebenen Beduinen und Dörflern.
Ihn fürchtete, wer ein böses Gewissen hatte; seinem Richterspruch
fügten sich freiwillig die unbändigen Wüstensöhne. Auch durch
Tapferkeit zeichnete er sich aus. Wiederholt machten ihm die ‘Aslr-
stärnme zu schaffen; 1864 kamen nach einer mit dem Sultan ge-
troffenen Verabredung Truppen aus Egypten, Abdallah bei der
Zurückdrängung der cAsIr über die alten Grenzen behiilflich zu
sein ; da aber der Vicekönig IsmäM Pascha die Soldaten allzubald
zurückverlangte , musste Abdallah schliesslich mit den Rebellen
einen unbefriedigenden Vertrag schliessen. 1868 unternahm er auf
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eigene Faust Razzia’s gen Osten, und 18Gü zog er aufs Neue gegen
die ‘Aslr, die in den südlichen Theilen des Scherifats und in den
Häfen Hudedah und Mochä roh wirtschafteten. Im folgenden Jahre
kam eine türkische lleeresabtheilung, die von Abdallah angefangene
Eroberung zu vollenden , und dieser Expedition schliesst sich die
Unterwerfung Jemens an Anlässlich des Todes Abdallahs (st. 1877
in Täif) machte der seitdem verstorbene Beduinendichter BedewT
ein Trauergedicht, von dem ich eine schöne Kopie besitze. Solche
Gedichte werden jedem hinscheidenden Fürsten nachgesungen, jeder
Neue wird mit Versen bewillkommnet; von Unzähligen habe ich
aber gehört, dass es diesmal keine inhaltsleere Form war1).
Regelrecht wie vor 20 Jahren fand auch jetzt die Thronfolge statt;
Abdallah's ältester Bruder Huscin war natürlich in Konstantinopel,
wo man diese Kandidaten mit Pascha- und VVezirtiteln ausstattet
und zu Mitgliedern des Hofrathes ( Medjlis es-schöra) *) ernennt.
Vorläufig wurde also das Emirat dem als weniger gefährlich in
Mekka lebenden jüngeren cAun er-Rafiq übertragen, der aber
gleich nach der Ankunft Uuseins (1877 — 80) zum Sultan reisen
musste. Unter der Regierung Huseins kamen mehrere europäische
Reisende nach Täif. Der sanftmüthige, vielleicht nicht immer ge-
nügend energische Scherif wurde in gewissen Kreisen europäischer
Sympathien verdächtig; doch war er beliebt und scheint der Grund
zu seiner allgemein tief bedauerten Ermordung anderswo gesucht
werden zu müssen Hat reiner Wahnsinn den Dolch des elenden
Afghanen gelenkt, der den Fürsten, als er Djiddah besuchen
wollte, bei seinem Einzuge erstach? Weil von persönlicher Rache
nicht die Rede sein kann , bleibt sonst nur die Möglichkeit , dass
Andere zur Erreichung ihrer Zwecke den modernen Assassinen ge-
miethet haben. Gleich nach seinem Tode wurde, mit Abweichung
von der jetzt schon »herkömmlichen” Nachfolge der cAbädilah , aus
Konstantinopel der Greis aus dem Hause der DewI Zeid geschickt,
auf den man mit Recht das arabische Sprichwort anwenden kann:
1) Vergl. das Gedicht im Anhang; auch Ch. Dougbty (Travels in Arabia Desorta) hörte
dom regierendem Schorif Huscin Gutes n&chrühmeu, jedoch hinzufügon: so wie Abdallah
war, ist er nicht. 2) So spricht man in Mekka.
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//nichts füllt des Menschen Auge (d. h. befriedigt seine Habgier)
//ausser dem Staube (des Grabes).” Die Vermuthungen, welche sich
aus dieser Reihenfolge der Thatsachen ergeben könnten , liegen auf
der Hand. Alle Mittel sind vergeblich angewandt , des Mörders Mund
vor seiner Hinrichtung zu öffnen.
Abd el-Muttalib (1880 — 82) reiste zuerst nach Jambu' und Me-
dina, dann über Djiddah nach Mekka, wo ihm die vernünftigsten
Leute höflich, unterwürfig, aber innerlich nichts weniger als froh
entgegenkamen. Seine nächsten Verwandten und die Hauptmasse
der Bevölkerung dagegen jubelten wegen seiner Rückkehr. Allerlei
wirkte mit, das runzelige, dunkle Antlitz des Scherifs in den
Augen des Pöbels mit einem Heiligenschein zu umgeben. Sein
hohes Alter, seine Abstammung von Zeid, dessen Nachkommen
seit 2 V* Jahrhundert den Hidjäz beherrscht haben , seine beiden
früheren Regierungen, deren sich nur die Aelteren noch erinner-
ten, die hohe Gunst, in der er augenscheinlich bei allen Sultanen
stand, trotzdem er deren Vertreter regelmässig bekämpft hatte,
Alles schien der populären wunderliebenden Phantasie zu einer
hohem Welt zu gehören. Was machte es den ferner Stehenden ,
dass der Greis bei den feierlichen Empfangen viele angesehene
Bürger grob anredete, dass er (wie man sich erzählte) zum Reich-
thum gelangten hadhramitischen Kaufleuten die gemeine Herkunft
ihrer Väter vorwarf, Andere wegen ihrer Prankenfreundlichkeit
beschimpfte? Den populären Wahn zerstörten auch die schlechten
Regierungsthaten nicht, mit denen er in Mekka sein drittes Sche-
rifat eröffnete; sie gaben zunächst seinem Auftreten einen geheim-
nissvollen , mittelalterlichen Anstrich. Wenn er drei angesehene
Leute, deren Gesinnung ihm verdächtig war, in der Nacht gefan-
gennehmen und dann so geissein liess, dass zwei von ihnen den
Wunden erlagen, so zeigte dies eine ungewohnte Machtvollkom-
menheit; diese machte er auch gegen Scherife geltend, denn einer
von den cAbädilah, der einem von Abd el-Muttalibs Palästen
gegenüber ein Haus erbaut hatte, musste sich die Niederreissung
desselben gegen eine geringe Entschädigung gefallen lassen. Im Mai
1881 reisten seine Weiber mit Militärbegleitung nach Täif und
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erregteiv brutale Handlungen dieser Leibwache den Unwillen zweier
an dem Wege lagernden ‘Utebah-stämme; gleich berief der Scherif
die Theqlf, Hudel und andere Beduinen , sowie 80 Leute aus
'Huf und 100 Iladhramiten aus Mekka zu sich, die von seinen
Leuten beleidigten Beduinen wegen ihrer Empfindlichkeit zu züch-
tigen, und als diese sich um Abhülfe an den Wäll wandten, hörte
Abd el-Muttalib auf keine Einwiinde und führte nach alter , fast
vergessener Sitte die ungerechte Razzia durch. Dem zusammenge-
rafften Pöbel erschien er dadurch als ein Fürst vom echten Schrot
und Korn , ja die Schwäche des Walls verschaffte ihm sogar unter
den türkischen Officieren und Beamten einen Anhang *).
Drückender als diese Gewalttaten war es für die Bevölkerung,
dass er alle von seinem Vorgänger ertheilten Licenzen ( Taqärir )
als ungültig betrachtete und aufs Neue durch Vermittelung seiner
Freunde und Verwandten verkaufte, dass Richtersprüche nur um
theures Geld zu haben waren und keiner berechtigten Klage abge-
holfen wurde. Auch solche Uebel treffen aber vorzüglich nur die
Wohlhabenden, abgesehen davon, dass die Mehrzahl immer geneigt
ist, das Unrecht den Gehülfen des Fürsten, nicht ihm selbst zuzu-
schreiben. Wirklicli standen dem Scherif zwei rücksichtslose Ge-
schäftsführer von schlimmster Art zur Seite, ein Syrer und ein aus
Jemen Gebürtiger; ganz ohne den Willen ihres Herrn hätten sie
jedoch ihre scheusliche Wirthschaft nicht lange treiben können.
Lange konnte es so nicht dauern , bis die Regierung des Grei-
ses, ganz abgesehen von dem Urtheil über seine Person, den
meisten Mekkanern unerträglich wurde; die Opposition fand in den
zahlreich vertretenen ‘Abädilah , mit dem in Mekka weilenden Ab-
dilah *) an der Spitze , eine kräftige Stütze. In solchen Fällen greift
man, sobald man mächtiger Helfer sicher ist, zum Mittel der Bitt-
schriften. Sofern diese an die schwachen Wäll’s gerichtet wurden ,
die Einer nach dem Andern auf hohen Befehl versuchten mit dem
Scherif auszukommen, verschlugen sie nichts. Endlich wandten sich
1) Vergl. don Bericht über diese Ereignisse im Anhang.
2) Stammt. III , 67 ; dieser seltsame Name kommt ziemlich häufig vor und wird immer
aJl geschrieben. Dass cs der Name Abdallah ohne Artikel ist, darüber herrscht
kein Zweifel.
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die Notabilitäten Mekka’s durch die Vermittelung zufällig anwe-
sender hoher Beamten der Pforte direkt an die Regierung mit
Madhbatah' t (Darlegungen), die mit ihren Namen unterschrieben
waren. Ich besitze eine Abschrift jener Madhbatah ‘), der die Abset-
zung Abd el-Muttälibs gefolgt ist; ausführlich werden darin die von den
//Gehülfen des Emirats” verübten Greuel aufgezählt, die Erfolglo-
sigkeit aller Bitten an die verschiedenen Wäli’s hervorgehoben, die
Verzweiflung der Bürger beschrieben , denen für die Sicherheit ihres
Lebens und Eigenthums (so heisst es) der Schutz fremder Mächte
schliesslich lieber wäre als die Fortdauer des unleidlichen Zustandes.
Es wurde in Konstantinopel als eine höchst schwierige Auf-
gabe betrachtet, den mittelalterlichen Scherif unschädlich zu
machen. Damit dieser keinen Verdacht schöpfe, schickte man ihm
zuletzt den alten ‘Izzet Pascha als Gouverneur zu, denselben,
der sich 20 Jahre früher neben ihm die zweite Rolle hatte ge-
fallen lassen. Zugleich kam aber der höchst energische Othman
Nun Pascha November 1881 mit einer frischen Truppensendung
als Kommandant der Garnisonen des Hidjäz hierher mit dem Auf-
trag, die Wiedereinsetzung der 'Abädilah vorzubereiten, so dass
sich daraus kein langer Kampf entwickelte. Othman Pascha er-
kannte gleich, dass es wichtig sei, dein Greise jetzt nicht wieder
die Gelegenheit zu geben, sich nach jedem entscheidenden Kampfe
nach Täif oder zu seinem »Hunden” im Harblande zu flüchten;
in Anbetracht der Verehrung , die das Volk für den heiligen Sünder
hegte, wollte er, wenn irgend möglich, jedes Gefecht vermeiden.
Nach einigen vergeblichen Versuchen zur Ueberlistung schritt der
im Juni 1882 zum Wäll ernannte Othman Pascha zur Ucberra-
schung, liess ganz heimlich in der Nacht das Landhaus des Sche-
rifs in el-Methnä (nördlich von Täif) umzingeln und auf den näch-
sten Bergen sogar Kanonen aufstellen , während die 'Abädilah-sche-
rife sich mit befreundeten Beduinen im Hintergründe befanden.
Bei der Morgendämmerung gingen die Kommandanten in den Pa-
last und zeigten dem Grossscherif die officielle Urkunde über
1) Vergl. den Text und dio UeberacUung obiger Madhbatah im Anhang.
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seine Absetzung ; nachdem er sich draussen umgeschaut hatte ,
schenkte er der Mittheilung Glauben. Gefangen wurde er zuerst
nach Täif gebracht, später durfte er aber unter steter Bewachung
eins von seinen grossen Häusern, die Bajädhijjeh, ein wenig
oberhalb Mekka’s am Wege nach Muna, beziehen. Hier blieb er
bis zu seinem Tode (29 Januar 188G); noch zu seinen Lebzeiten
wurde seine Wohnung in den Augen des Volkes wie ein Heili-
gengrab ; der Pöbel hätte sich kaum gewundert , wenn der Sohn
Ghälibs unversehens noch einmal mit seinen Beduinen in Mekka
siegreich eingezogen wäre ; er selbst war jetzt wohl überzeugt , dass
die Aera der Dampfer, des Telegraphen und der Hinterlader für
seinesgleichen keinen Platz übrig liess. So schied die mittelalter-
liche Figur dahin; an seinem Begräbnisse betheiligten sich Othrnan
Pascha und der neue Grossscberif, während das Volk sich drängte
und Einige sich von Dachterrassen herabliessen , um nur irgend
einen Theil des heiligen Körpers berühren zu können. Theils mag
auch beim Wäll und dem Grossscberif religiöse Ehrfurcht im Spiele
gewesen sein , denn in solchen Dingen denken gerade jene Herren
sehr wenig folgerichtig; theils lag darin die Aengstlichkeit die
Götzen der grossen Menge in keiner Weise zu verletzen, ln dem
Grabe Chadldjah’s, wo schon so viele Fürsten Mekka’s ruhen,
wurde die Leiche beigesetzt. Es bleibt möglich, dass zu irgend
einer günstigen Zeit wieder einmal einer von den DewI Zeid
die Erbschaft seiner Väter mit den Wallen in der Hand von den
'Abädilah zurückfordert; mit Abd el-Muttalib ist aber der letzte
Sprössling dieses Stammes zu Grabe getragen, in dem Zeid sich-
selbst wiedergefunden und den Qatädah als seinen geistigen Erben
anerkannt hätte.
Othrnan Pascha hielt es zur Vorbeugung von Unruhen nament-
lich unter den Beduinen für nütbig, der Absetzung sofort die
Anstellung eines neuen Scherifs folgen zu lassen , und zwar eines ,
dem man gleich persönlich huldigen könnte. Sonst wäre es den
DewI Zeid leicht geworden , seine Handlung als anti-arabisch dar-
zustellen und alle Wüstenthiere gegen den Türken ins Feld zu
ziehen. Darum behauptete er, der dort anwesende Abdilah sei vom
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Sultan zum Grossscherif ernannt, und dieser nahm die Huldigung
der Beduinenliäupter und Städter entgegen. Nach Ansicht vieler
Mekkaner hoffte der Wäll wirklich , seinen Freund Abdilah als
Fürsten bei sich zu behalten und zu bewirken , dass der muth-
maassliche Thronfolger, der in Konstantinopel befindliche ältere
Bruder cAun *), beim Sultan bleibe. cAun wurde aber angestellt,
und Abdilah musste sich in Stambul mit den üblichen Titeln und
dem Sitze im Medjlia ea-Schura begnügen.
cAun ist noch nicht ganz fünfzig Jahre alt; von seiner persön-
lichen Erscheinung kann man sich nach meiner photographischen
Aufnahme eine Vorstellung machen , wenn man bedenkt , dass der
Scherif anstatt des schweren, unbequemen, mit Orden behängten
Ehrenkleides in der Stadt immer eine einfache, schwarze oder doch
dunkelfarbige, dünne Djubbah trägt, auf Reisen im Inneren trägt er
die Kopfbedeckung der vornehmen Beduinen : das Kopftuch ( Qemädah)
mit dem Bande ( cAqäl ) ’). Wie beinahe alle Scherife aus fürstlicher
Familiem acht er im Empfangssaale und im Diwan den Eindruck
eines feinen Edelmannes, dem die edelsten Formen zur Natur ge-
worden sind. In der Verwaltung seines Hauswesens soll er etwas
tyrannisch und launisch sein; auch strebte er wenigstens bis 18S5
in keiner Weise nach Popularität. Nur am Freitage empfing er
allgemeinen Besuch , aber jedermann wusste , dass eine beschränkte
und auserlesene Anzahl ihm erwünscht war und dass die Bespre-
chung nicht von ihm selbst angeregter, zur Verwaltung gehörender
Gegenstände ihn verstimmte. An andern Tagen war er ausser für
Freunde und Bekannte fast unzugänglich; es gab während meines
Aufenthalts z. B. Leute aus Täif, die nur dazu nach Mekka ge-
kommen waren , seinem Urtheil eine Frage zu unterbreiten , aber
sechs Monate vergeblich auf eine Audienz harrten. In gewissen Krei-
sen erzählte man sich, seine religiösen Ansichten seien gar nicht
unbedenklich, er sei ein »Failasüf ', d. h. eine Art Freidenker.
Solche Urtheile bilden sich nur über Scherife, die zurückgezogen
1) Stammt. III, CG.
2) Zu den Merkmalen der stiidtischon Scherifenkleidung gehört der aus dem Turban
hcrausstcekeudo Zipfel , den man auf den Bildern der Scherife im Bilderatlaa beobachten kann.
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leben; sonst sieht man ihnen in diesem Lande, wo kein Mensch
eigentlichen Unglaubens verdächtig ist, Vieles nach und ist man
geneigt, seltsame Aeusserungen eher ihrer tiefen Erkenntniss als
ihrer Heterodoxie zuzuschreiben. 'Aun liebt es übrigens, sich als
tiefsinnig und zur Skepsis geneigt aufzuspielen; dies hat aber für
seine Denkungsart doch nur geriuge Bedeutung. Durch persönli-
chen Verkehr mit dem Fürsten habe ich den Eindruck gewonnen,
dass er den Minimalanforderungen des Islam’s in seinem Denken
und Thun einigermaassen genügt , jedoch dem Aberglauben , na-
mentlich wenn er einen wissenschaftlichen Anstrich hat, die Thür
offen hält. Unsere modernen Spiritisten könnten ihr Glück bei ihm
versuchen !
Seine Zurückgezogenheit und der damit zusammenhängende
Mangel an Zuneigung bei den Unterthanen wäre bis Ende 1886
theilweise aus der Anwesenheit Othman Pascha’s in Mekka ') zu
erklären , da dieser durch sein überaus energisches Auftreten dem
Emir des Hidjäz immer mehr Beschränkungen auferlegte. Im Laufe
unserer Darstellung haben wir öfter auf die unvermeidlichen Rei-
bungen hingewiesen, zu denen die Zweitheilung der höchsten Ge-
walt im Hidjäz Anlass giebt. Mit der Wahhabitenherrschaft und
der darauf gefolgten Einsetzung eines neuen Scherifengeschlechtes
durch Muhammed Ali hat sich das Verhältniss allerdings in ge-
wisser Beziehung vereinfacht. In deu bedeutendsten Häfen ist die
Verwaltung seitdem türkisch geworden , die Zollerhebung geschieht
ohne jegliche Einmischung des Fürsten, dem ein bestimmter Jahres-
gehalt zuerkannt ist; das Kommando der Armee ist dem Wäll oder
einem besonderen Stabsofficier übertragen, welche beide nur aus
Konstantinopel Befehle oder Instruktionen bekommen. Im Uebrigen
ist aber die Begrenzung der beiderseitigen Machtbefugnisse unsi-
cherer und komplicierter als in einem neuannektierten indischen
Reiche zwischen dem Fürsten und dem Residenten. Erstlicli beruht
1) Dor Gouverneur {Wall Wild fit el-ljidjdt el-DjalUah und Scheck el-JJaram) hat jetzt
seinen Sitz in Mekka; nur in der heissesten Jahreszeit zieht er, wenn die Verhältnisse
es gestatten, ebenso wie der Grosascherif, nach Toif. In Djiddah führt ein Stellvertreter
(Qdimmaqdm) die Verwaltung.
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in Indien die Dualität für das Bewusstein der Eingeborenen zum
guten Theil auf der Verschiedenheit der Religion, die der fremden
Einmischung unverletzbare Schranken setzt; zweitens werden hier
die Abmachungen genauer formuliert, schriftlich fixiert, und wenn-
gleich der besiegte Fürst den Inhalt des Vertrags ab und zu
vergisst, so sind immer geschulte europäische Beamten da, seinem
Gedächtniss zu Hülfe zu kommen. Im Hidjäz nichts von alledem;
die nach muslimischer Ansicht an und für sich verhiinguissvolle
Abweichung vom natürlichen, monarchischen Prinzip entbehrt jeder
theoretischen Grundlage; schriftliche Verträge von muslimischen
Fürsten mit ihren Vasallen kommen ohne fremde Einmischung
schwerlich zu Stande, da keine der Parteien sich auf immer bin-
den will und das »Herkommen” jeweiliger Ausdehnung der Au-
torität mehr Spielraum gewährt. Wie es aber mit der Schulung
der türkischen Gouverneure steht , braucht hier wohl kaum ausführ-
lich dargelegt zu werden. Dieser hat als Soldat, jener als Student
der heiligen Wissenschaft , ein dritter als Diener eines Wezirs
angef'angen; den meisten fehlt die Lust, Bleibendes zu schaden,
da unkontrollierbare Umtriebe in der Umgebung der Pforte sie un-
versehens ihres Postens entsetzen und Anderen die Früchte ihrer
Arbeit zu geniessen geben. Alles hängt daher von den Personen
ab ; diese nehmen hier im öffentlichen Leben immer noch den Platz
ein, den bei uns Institute und Gesetze erobert haben. In den
Bestellungsdiplomen der Scherifc und WalT’s dienen die hochklin-
genden Phrasen dazu, jeder Präcision auszuweichen und die Ge-
danken zu verhüllen. Ein selbstbewusster Scherif beansprucht als
herkömmlich die höchste Gewalt über das Land von Hali im
Süden bis etwas nördlich von Medina und östlich, so weit dieselbe
von den Beduinen und Dörflern anerkannt wird ; er bestimmt
seine Stellung zum Sultan dermaassen , dass dieser ihm den Wäll
und die Garnisonen zur Verfügung stellt, damit ihm die Ausübung
seiner Herrschaft nicht zu schwer werde. Ein gefügiger »Resident”
schliesst sich höflich dieser Anschauung an unter der Bedingung,
dass seinen Feinden kein Anlass gegeben werde, ihn in Konstan-
tinopel der Pflichtvergessenheit anzuklagen , und namentlich , dass
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ihm die Gelegenheit zur Füllung seines Beutels nicht genommen
werde. Ist dagegen der Wall ein treuer Verfechter der türkischen
Interessen, so nimmt er zum Ausgangspunkt seiner Anschauung
die »herkömmliche” Herrschaft der Fürsten des Islam’s über diese
Länder, wobei die Grossscherife nur die Rolle von Gehülfen zu
spielen haben; vollständige Autorität erkennen sie ihnen nur über
die Mitglieder ihrer Adelskorporation zu, sofern diese es nicht vor-
ziehen, sich an die türkischen Behörden zu wenden. Im Uebrigen
halten sie sich nur dann zur Berathung mit den Fürsten verpflichtet,
wenn es ihnen für die Verwaltung als wünschenswerth erscheint,
und behaupten sie ihr Recht, nöthigenfalls direkt mit andern Mit-
telspersonen zu verhandeln. Die Garnisonen will ein energischer
Gouverneur ganz selbständig verwalten ; aber auch die Bawärdi 's
(d. h. die aus Freien und Leibeigenen zusammengesetzte Leibwache
des Scherifs) und die Bischah (d. h. die nach diesem südlichen
Stamme benannte Gendarmerie) will er seiner direkten Aufsicht nicht
entziehen lassen, weil die Bewaffnung und Besoldung dieser Reste
des fürstlichen Heeres wenigstens nominell von dem Sultan ausgeht.
Aus alledem erhellt zur Genüge, dass ein so überaus kräftiger
Wäll wie Othman Pascha nur mit einem sehr gefügigen Scherif
in gutem Einverständniss leben kann. cAun ör-Raflq hat aber ge-
zeigt, dass er nicht der Mann war, sich mit dem Schlafe im
Schatten des Türken zu begnügen. Vier Jahre dauerte es, bis die
stets zunehmenden Misshelligkeiten zum Ausbruch kamen. Der
Pascha erwies dem Fürsten äusserlich alle Höflichkeit, stattete ihm
wöchentlich einen Besuch ab, verweigerte ihm auch keineswegs
einen Antheil an den finanziellen Ergebnissen solcher von ihm
vorgenommenen Neuerungen, mit denen der Scherif einverstanden
war. Wie alle seine Vorgänger wusste auch Othman Pascha von
jeder Summe, die durch seine Hände ging, etwas für sich und
seine Freunde einzustecken. Was ihn von jenen unterschied, war,
dass er dabei auch etwas leistete, ohne ängstlich zu fragen, wer
davon geniessen würde. Die Wasserleitung von Zebedah hat er
wieder für Mekka und die Haddjstationen nutzbar gemacht, für
Djiddah liess er zuerst eine machen, eine neue Hauptwache und
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ein grosses Regierungsgebäude hat er erbaut, zwei Festungen er-
neuert, die Moschee ausgebessert und verschönert, eine bessere
Ordnung in vielen Zweigen der Stadtverwaltung hergestellt. Es war
ihm dabei nicht zu verargen , dass er nun seine Pläne nicht durch
die hie und da vom Scherif gemachten Einwände durchkreuzen
liess, aber natürlich empörte diesen so offenbare Geringschätzung
seiner Stellung. Ihr Antagonismus kam zunächst am häufigsten in
der Rechtspflege zum Ausdruck.
In allen muslimischen Ländern zeigt die Rechtspflege einen nach
unseren Begriffen höchst verwirrten Charakter. Dass die QädhI’s mei-
stens weder fähig , noch geneigt sind , das heilige Gesetz gewissenhaft
anzuwenden, ist eine Kleinigkeit; auch ohnehin wäre dieses in der
Schule ausgebildete Recht praktisch im grossen Ganzen unanwendbar;
von jeher haben die Fürsten und ihre Vertreter, die Statthalter und
Emire, das Kriminalrecht und die wichtigsten Theile des sonstigen
Rechts ausser dem Familienrecht praktisch ganz an sich gezogen ; in
späterer Zeit führte die türkische Regierung sogar moderne Gesetz-
bücher ein , die jedoch aus allbekannten Gründen aus den papiernen
Schranken nicht heraustreten. Der Wille der Verwaltung ist überall die
höchste Norm der Rechtspflege; allerlei Einflüsse wirken darauf bestim-
mend ein. Da nun aber das unbrauchbare Gesetz göttlich sein soll , ist
dessen officielle Abschaffung, auch nur theilweise, unmöglich ; jedem
menschlichen Gesetz muss die Klausel hinzugefügt werden, dass
man die darin behandelte Frage auch nach dem heiligen Schar c
behandeln darf, und kein Gouverneur kann in einem Process der
Berufung einer Partei auf den QädhI widersprechen. Meistens sind
die Unterthanen klug genug, den QädhI unerwähnt zu lassen,
wenn , wie gewöhnlich , nur dem Verwalter die Mittel zur Durch-
führung seines Ausspruchs zu Gebote stehen; der populären An-
schauung ist der QädhI zum geistlichen Richter geworden , dessen
kanonisches Gesetz man bloss auf gewisse Angelegenheiten anzu-
wenden pflegt und zu dem man in seltenen Fällen zum Himmel
schreiender Ungerechtigkeit auch auf andern Gebieten seine Zuflucht
nimmt. In Mekka sind nun aber die weltlichen Richter wieder zwei ,
deren Befugnisse je nach ihrer persönlichen Bedeutung schwanken.
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Ein Unruhestifter wird von türkischen Soldaten aufs türkische Amt
geführt; ein anderer, der zufällig von Bawärdl’s ertappt wurde,
kommt vor den Grossscherif oder dessen Qäimmaqäm (einen Scherif,
der seinen Herrn in gewöhnlichen Fällen vertritt) ; dieser wird in das
Gefängniss des Fürsten, jener in das des Wäll’s gebracht. Längere
Gefängnissstrafe biissen die Mekkaner in der Festung; den Zutritt
zu diesem Kerker beansprucht der Scherif für seine Schergen nicht
weniger als der Wäll für die Türken. Jeden Rechtshandel unter-
breiten die Mekkaner nach freier Wahl dem Wäll oder dem Sche-
rif; die Bestimmung, derzufolge dieser nur solche Fragen ent-
scheiden könne, bei denen eine Partei ein Scherif, ein Beduine,
ein geborener Mekkaner und auf alle Fälle kein geborener Türke
sei, gilt, wie alle Regeln, nur sofern die persönlichen Verhältnisse
sie nicht aufheben.
Allerlei Momente wirken entscheidend auf die Wahl des Ge-
richtshofes von Seiten der Unterthanen ; wer kann , wählt natürlich
denjenigen zum Richter, dessen Sprüche der Andere nicht zu be-
anstanden wagt. Wenig nützte es z. B. wenn Einer nach der Ent-
scheidung ‘Aun's seinen Widersacher in den Kerker führen sah,
Othman Nun aber am selben Tage den Gefangenen befreien liess;
und solche Fälle gehörten während meines Aufenthalts nicht zu
den Seltenheiten. In dieser Lage wird die Wahl des Richters von
vornehmen Personen gleich zur Parteinahme; der Gegensatz ver-
schärft sich so bei jedem an sich gleichgültigen Rechtshandel.
Othman Pascha wollte auch in das Gebiet eingreifen , das die
Scherife vor Allem als das ihrige betrachten : die Verwaltung der
Beduinen und die Sorge für die Sicherheit der Karawanenwege.
Dass die Scherife mit geringeren Mitteln hier mehr erreichen kön-
nen als die Türken , haben wir schon hervorgehoben ; will aber der
Wäll keinem vom Scherif auf eigene Faust geplanten Unternehmen
seine Mitwirkung schenken, so wird es auch diesem schwer. Hat
der Wäll nun ein Interesse dabei, der Welt zu zeigen, wie nutz-
los das Auftreten des Scherifs ist, liegt dem Scherif andererseits
daran , den Wäll als ohne seine Hülfe machtlos darzustellen , so
thun Beide bestenfalls nichts, oder blinde Eifersucht verführt sie,
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die Maassnahmen des Andern durch heimliche Umtriebe zu ver-
eiteln, und Beide geben einander der Pforte gegenüber die Schuld
an dem misslichen Zustande.
So ging es mit cAun und Othrnan. Zwischen Mekka und Djid-
dah und zwischen Mekka und Llth wurden die Wege durch Räu-
ber unter dem Patronat des früheren Qäimmaqams von Mekka,
Ali es-Serüri, unsicher gemacht; 1886 weigerte sich ein mächtiger
Harbschech, Bin ‘Asim, der jährlich vor dem Haddj aus Mekka
nach Medina reisenden Karawane den Weg zu öffnen , weil er sein
volles Jabrgeld nicht erhielt. Diesen und ähnlichen Uebeln wollte Oth-
man allein entgegentreten, und der grollende cAun vermehrte des
Pascha’s Streben nach der Alleinherrschaft durch seinen Wider-
stand. So wurde diesmal nichts aus der üblichen Wallfahrt zutn
Grabe, bis der Haddj vorüber war; dann setzte Othrnan seine
Pläne durch, züchtigte mit ausschliesslich türkischen Truppen die
Aufrührer und Hess die Karawane reisen. Indessen standen die
beiden Herren längst mit einander auf möglichst gespanntem Fuss,
hatten wiederholt, jeder von seinem Gesichtspunkte, der Pforte
die unhaltbare Lage dargelegt, bekamen aber zur Antwort den Be-
fehl, sie sollten sich besser vertragen. Jetzt zog der Scherif mit
seinen vornehmsten Anhängern nach Medina , schickte von dort
eine Gesandschaft an die Pforte mit der Bitte, entweder ihn oder
den Wall abzusetzen , weil ihm die Rückkehr nach Mekka unmög-
lich sei, solange Othrnan dort sein Unwesen treibe. Mit cAun
verliess u. A. der Mufti der Schäfi'iten , zugleich Oberhaupt der
TJlarnä 1), die Stadt , aber auch Othrnan hatte unter den angese-
hensten Gelehrten seine Freunde. Die Partei des Scherifs suchte
in verschiedener Weise den Gouverneur bei der Bevölkerung miss-
liebig zu machen; seine Fehler, auch solche, an denen cAun mit-
schuldig war, wurden vergrössert, sogar ein Versuch, in jedem
Stadviertel eine Kommission für die Stadtreinigung einzusetzen
ihm als eine Hauptsünde angerechnet. Eines Morgens waren an
1) Seino Biographie habe ich in den Bijdragen van het Kon. Nod. Ind. Instituut, 5e Volg*
rock», Deel II : 344 ff. gegeben.
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den Wänden der Moschee Zettel1 2) angeklebt, in denen der »Ein-
tritt ins Paradies ohne Abrechnung” demjenigen verheissen wurde,
der den »verfluchten Wäll” aus der Welt schaffe; der gottlose
Mensch hatte sich u. A. erdreistet, auf Einwände gegen die Neue-
rung bezüglich der eben erwähnten Kommissionen zu antworten ,
auch in Starabul gebe es solche, und »Mekka sei doch nicht bes-
ser als Stambul” !
Während der Abwesenheit des Scherifs konnte der »Verfluchte”
schalten und walten, wie er wollte und liess die Gelegenheit nicht
unbenutzt. Die Pforte gab durch ihre Entscheidung Keinem von
Beiden Unrecht, versetzte aber den Wall nach Aleppo und über-
trug dem Gouverneur von Aleppo, Djemil Pascha, die Verwaltung des
Hidjäz. Noch bevor dieser eingetroffen war , reiste Othman ab (Decem-
ber 1 886) und kehrte cAun nach Mekka zurück , wo er in grösster
Eile den besten Freunden des Wäli’s ihre Stellen nahm, auch solchen ,
deren Amt , von Ausnahmefällen abgesehen , nur durch die Behörden
in Konstantinopel besetzt wird. Oberhalb der Thür seines Palastes
liess er in einen rothen Stein die Worte eingraben: Amt des edlen
Emirats und der erhabenen Regierung *), kurz er bestrebte sich in
jeder Weise, dem neuen Wäll ein besseres »Herkommen” aufzuer-
legen als das von dem vorigen befolgte.
Djemil Pascha verfuhr zwar ganz anders als sein Vorgänger,
aber der Erfolg war ziemlich derselbe. Der Bevölkerung öffnete
Djemil die Thür nicht so weit wie Othman , zu dem jeder freien
Zutritt hatte; dem Scherif gegenüber spielte er den Beamten,
der ihm gern Alles zu Gefallen thäte, aber ohne die Erlaubniss
seiner Vorgesetzten keinen Schritt vom vorgezeichneten Wege ab-
weichen dürfe. Solcher Politik war cAun auf die Dauer nicht gewach-
sen ; die Neubesetzung wichtiger Aemter musste er rückgängig machen
weil Djemil mit Bedauern sich verpflichtet erklärte , über Alles nach
Konstantinopel Bericht zu erstatten. Die Gefangennahme des von
Othman Pascha als Emir über »den Wädl” eingesetzten Scherifs
1) Vergl. den Text und die Uebersetzung dieses Zettels im Anh&ug.
2) BJJo.
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Abdiiah >) ibn Zibn, welche 'Atro heimlich und gewaltsam mit
seinen Blschah’s und Bawärdl’s vornahm , erregte gleichfalls so
grosses Erstaunen beim Wäll, dass noch am selben Tage die Be-
freiung erfolgte. Durch eine ganz falsche Darstellung des Sachver-
halts hatte cAun vorher versucht, vom Wäll gegen jenen Emir
Hülfe zu bekommen, sei es in der Form von Truppen oder von
Hinterladern für seine Bawärdl’s; er behauptete nämlich, bei einem
Besuche im Wädl angegriffen worden zu sein. Djemll hatte aber
unter Hinweisung auf seine beschränkten Befugnisse abgelehnt.
Dem Diplomaten gefiel indessen ein so langweiliger Wirkungskreis
in der unausstehlichen Hitze nur massig; auf seine wiederholte
Bitte enthob ihn die Pforte des schwierigen Amtes und entsandte
Qafwet Pascha, der schon 1880 — 82 die gleiche Stellung inne gehabt
hatte. Qafwet nimmt seine Aufgabe möglichst leicht; leben und
leben lassen scheint sein Grundsatz zu sein. Ihn verhindert kein
Ehrgeiz , dem Scherif gegenüber den gehorsamen Diener zu spielen ;
seine Habgier kann er auch so befriedigen. Othman Pascha ist
neuerdings als Wäll nach Jemen abgegangen ; sollten einmal neue
Verwickelungen im Hidjäz wieder das Auftreten eines Mannes er-
fordern, so wird die Pforte ihn ohne Zweifel nach seinem mehr
als 4 Jahre gut verwalteten Posten zurückschicken .... wenn sie
vernünftig handeln will.
In dem jetzt schon beinahe tausendjährigen Kampfe zwischen den
einheimischen Herren von Gottes Gnaden und den auswärtigen
Beschützern steht die Bevölkerung in letzter Instanz fa3t regel-
mässig auf Seiten der Scherife. Vom Sultan al-Islam darf man
nichts Uebles sagen, sein Name wird allgemein geehrt, aber kein
Mekkaner kann den Saum seines Gewandes berühren , er thront in
unerreichbarer Ferne; seine Vertreter sind verderbte Leute, deren
Einer zerstört, was der Andere errichtet hat. »Unsere Herren die
Scherife” sind die reinsten Hidjäzener, die es giebt, ihre Tugen-
den und Fehler sind die ihrer Umgebung, sie bilden den höch-
1) aJ* iXtc. Er gehört zu dem Hause der l)ewi Huscin (Stammt. 111, 47), einer U n-
tcrabtheiluag dor Dewi Barakat.
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sten Adelsstand im Islam, ihre Herrschaft scheint dem Volke von
der Schöpfung her zu datieren, sie gehört ebenso zum Lande wie
die Bewohner. Auch fürchtet der gemeine Mann Sejjidanä schliess-
lich mehr als Efbidinü (den Wäll), weil »unser Herr” zu einer
grossen einheimischen Familie gehört und die geheimsten Trieb-
federn des Lebens kennt, während »unser Efendi” jeden Augen-
blick wieder ein Homo novu# ist, der nur den Tarbüsch (Fez)
und die Unkenntniss des Arabischen mit seinem Vorgänger ge-
meinsam hat. Sejjtdanä dankt aber einen grossen 'l'heil der Zunei-
gung seiner natürlichen Vertretung des alten Mekka gegen das
Centralisationsstreben der Türken. In alten Zeiten war Söjjidana
das Haupt aller Scherife, und weil die Scherife eine herrschende
Stellung im Hidjäz inne hatten, war er der Herr des Hidjäz, so-
fern nicht von seinen Genossen dieser ihm widerstrebte, jener sich
gegen ihn erhob. Neben ihnen ward in den Städten der Adels-
korporation der Sejjitfs (Husainiden) grosse Ehre zu Theil, die
aber, da die Sejjid’s hier keine politische Rolle beanspruchten , rein
religiösen Charakter behielt. Unbeanstandet war auch die kleine
selbständige Machtssphäre der wenig zahlreichen Beni Sckebah,
deren Adel aus vorislamischer Zeit datierte und von Muharamed
durch die Bestätigung im Amte der Ka'bahhüter neuen Glanz be-
kommen hatte. Dann kamen die verschiedenen Zünfte mit den von
ihren Mitgliedern gewählten Zunftmeistern , die Fremdenkolonien ,
die sofern sie etwas bedeuteten, auch ihre eigenen Häupter hatten,
die Stadtviertel , deren Pöbel je ein geschlossenes Ganze unter
Führung eines »Schech des Viertels” bildete ; kurz die ganze Stadt
zerfiel in Korporationen, die ebenso viele Imperia mit mehr oder
weniger beschränkter Macht darstellten, nur dass die Korporation
»unserer Herren” allenthalben als das Imperium der Imperia aner-
kannt war. So leicht es den Scherifen wurde, mit diesen unter sich
immer uneinigen Abtheilungen auszukommen , bald eine gegen die
andere zu hetzen , bald allen durch eine herbeigerufene Menge von
»Wüstenhunden” Respekt einzuflössen , so sehr machte sich für die
fremden Schutzherrn das Bedürfniss der Einigung geltend, und diese
konnte nur durch Auflösung der Korporationen erreicht werden.
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Bis zum heutigen Tag bestehen die Zünfte und Adelskorporationen
fort, auch die Stadtviertel ergötzen sich gelegentlich noch an einer
herkömmlichen Schlägerei; der Form dieser Institutionen wird aber
der Inhalt tropfenweise entzogen. Etwas mehr Kraft und Konti-
nuität von Seiten der türkischen Regierung hätte längst gründlich
mit den mittelalterlichen Rudimenten aufgeräumt. Beim Fortschrei-
ten der zerstörenden Wirkung der türkischen »Kultur” empfinden
die Mekkaner am lebhaftesten, dass ihre konservativen Interessen
mit denen der Scherife zusammenfallen ; die Macht »unserer Her-
ren” ist ja im alten Bestände begründet. Daher liegt der türkischen
Regierung bei der Einführung von Neuerungen sehr viel 'an der
Mitwirkung eines von der Bevölkerung geehrten Fürsten. So müs-
sen die Prophetenkinder wohl oder übel selbst als mächtige Instru-
mente dienen beim Abbruch der Grösse ihres Geschlechts.
Es ist eine wahre Schmach für alle muslimischen Reiche seit
dem Verfall des Chalifats, dass keines je im Stande war, im hei-
ligen Lande auch nur wenige Jahre Ruhe und Sicherheit aufrecht
zu erhalten; das liegt andern Erbfehleraller muslimischen Dynastien,
die schon bald nach ihrer Geburt die Keime der Fäulniss zeigen
und dann der nöthigen Müsse zur Erledigung ferner liegender
Geschäfte entbehren. Mit den heutigen Kommunikationsmitteln wäre
die Ordnung des Hidjäz sogar für die Türkei keine allzu schwere
Aufgabe, wenn nur das Geld nicht fehlte. Die Türkenverwaltung
wird vielfach verleumdet; bei aller Verdorbenheit ist sie doch nicht
tödlich krank, solange sie Leute vom Schlage Othman Pascha’s
aufweisen kann. Wenn nicht der finanzielle Bankerott die Beamten
zwänge, selbst in ihrer Weise Mittel zu beschaffen, und so jede
Disciplin unmöglich machte, so wäre Othman ein mustergiltiger
Gouverneur.
Die Mehrzahl der Europäer sieht in der Europäisierung, wenn
nicht der Bevölkerung, doch der Verwaltung orientalischer Länder
die Bedingung ihres Glücks. Dann müssen sie aber auch beden-
ken, dass die Türken unbewusst dieser Umwälzung Vorarbeiten;
die Araber wissen das am besten und pflegen bei jedem neuen
unerwünschten Eingreifen der »Pantalontragenden” Beamten zu
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sagen : sie sind wahrhaftig reine Christenhunde ! Ein englischer
Schriftsteller setzte vor einigen Jahren auseinander, dass die west-
arabischen Angelegenheiten nothwendig durch eine europäische
Macht beaufsichtigt werden müssten , schon wegen des hohen Inte-
resses , das Mekka als geistiges Cent rum des Islam ’s für solche
Reiche beansprucht, die muhammedanische Unterthanen haben.
Wie dem auch sei, solche Beeinflussung wird sich ohne heftige
Stösäe in dem nächsten Jahrhundert jedenfalls am leichtesten durch
türkische Vermittelung ausüben lassen. Nur vom romantischen Ge-
sichtspunkte aus wäre die Auflösung der altmekkanischen Verhält-
nisse Zu bedauern ; die Romantik muss aber auch anderswo den
Anforderungen des praktischen Lebens Raum geben.
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ANHANG.
Die hier theils mit, theils ohne Uebersetzung , theils nur in
Uebersetzung mitgetheilten Dokumente aus dem heutigen Mekka wer-
den zunächst die Orientalisten, dann aber noch solche Leser inte-
ressieren , die nicht nur den fremden Besucher Mekka’s, sondern auch
die Mekkaner selbst über die Verhältnisse ihrer Stadt hören möchten.
N°. I und II gewähren einen Einblick in die schreckliche Miss-
regierung Abd el-Muttülibs während seines dritten Scherifats 1 880 —
82 (vergl. oben S. 174 tf.). N°. I giebt ziemlich unverändert eine
in meinen Besitz gelangte (nichts weniger als fehlerfreie) Kopie
eines Berichts über die brutale Behandlung, welche zwei ‘Utebah-
stämme von den Leuten des Scherifs erlitten, und die dadurch ver-
schärften Misshelligkeiten zwischen dem Grossscherif und dem Wäll.
N°. II reproduciert in gleicher Weise meine Kopie der im August 1881
von den Mekkanern an den Sultan gerichtete Bittschrift (vergl. oben
S. 176) um die Absetzung Abd el-Muttälibs, welche thatsächlich
im Jahre darauf erfolgte. Ich hätte wohl noch ein paar Fehler des
Abschreibers mehr korrigieren können, als ich gethan habe; da aber
das Ganze weder sprachlich noch stilistisch strengen Anforderun-
gen genügt, habe ich diese Pedanterie für überflüssig gehalten.
N°. III und IV versetzen uns in die Zeit des energischen Gene-
ral-gouverneurs Othman Pascha 1882 — 86 (oben S. 176 ff.), der
den alten Abd el-Muttalib absetzte und dem neuen Grossscherif
'Aun seine Stelle im Schatten zuwies. Beide Dokumente datie-
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ren aus der Periode des Streites zwischen beiden Autoritäten.
N°. III ist ein Brief, den Othman von einem zur Niederwerfung
der feindlichen Beduinen nach Jambuc geschickten Officier erhielt;
das Auftreten dieser Beduinen hing mit den Räubereien am Wege
zwischen Mekka und Medina zusammen , und wir sahen oben , dass
der Wall und der Grossscherif cAun beide zeigen wollten , wie un-
fähig der Andere sei, die Ordnung allein aufrecht zu erhalten.
Unter diesen Umständen lag der Verdacht nahe, dass die Feinde
Othmans im Einverständniss mit dem Scherif handelten. Den (na-
türlich türkischen) Brief des Offiziers , worin die Niederwerfung der
Beduinen berichtet wurde, liess nun Othman gleich in der von ihm
in Mekka eröffneten Druckerei in arabischer Uebersetzung mit einer
warnenden Zuschrift von seiner Hand drucken , um die ihm feindliche
Partei des Königs von Mekka einzuschüchtern. Ich hielt es für un-
nöthig, das gedruckte Original, das sich der Form nach durch nichts
Charakteristisches auszeichnet, hier noch einmal zu veröffentlichen.
N°. IV ist eine zum Aufruhr und zur Ermordung Othmans auf-
rufende Proklamation (oben S. 184 — 5), die in verschiedenen Exem-
plaren durch unbekannte Hände Ende 1885 in der heiligen Moschee
angeklebt wurde. Sie ist augenscheinlich von den niederträchtigsten
Feinden Othmans abgefasst , deren heiliger Aerger sich hauptsächlich
auf ihren Antheil am egyptischen Korn bezog.
In diesen vier Schriftstücken sind Vulgarismen im Sprachgebrauch
und im Stil häufig vertreten; trotzdem darf man dieselben nicht
als Zeugen vom Vulgärarabisch der heiligen Stadt betrachten. Die-
sen Dialekt kann man aus meinem n Mekkanische Sprichwörter
und Redensarten” einigermaassen kennen lernen ; aus Briefen und
Schriftstücken lernt man keine arabische Umgangssprache, zumal
die Schreiber und solche Privatleute , welche ihre Briefe selbst schrei-
ben , einen ganz eigenen Jargon zu diesem Zwecke benutzen , der
wohl hie und da lokale Eigenthümlichkeiten zeigt, im Ganzen aber
so zu sagen international ist. Die Briefe z. B., welche van den Berg’s
Werke über Iladhramaut als Sprachproben beigegeben sind , könn-
ten, abgesehen von ein paar hadhramitischen Wörtern, in jedem
beliebigen arabischen Lande geschrieben sein und stehen zur
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Umgangssprache der Hadhär’mah in ähnlichem Verhältnis wie ein
in Leiden abgefasstes notarielles Aktenstück zur gewöhnlichen Rede
meiner Mitbürger *).
Endlich habe ich das berühmte Trauergedicht (oben S. 173) auf
den edlen Grossscherif Abdallah von dem inzwischen selbst gestorbe-
nen Dichter BedewI in Täif als eine Probe der besten literari-
schen Erzeugnisse des heutigen Hidjäz als N°. V beigegeben. Eine
Uebersetzung würde kein richtiges Bild des Originals geben , und
die Fachgenossen werden das Gedicht auch so verstehen.
lj l)ur gewöhnliche Araber, für den ein gowerbsmässiger Schreiber oder ein kundiger
Freund einen Brief geschrieben hat, hört faktisch mit nicht weniger Erstaunen die go-
heimnis8Tollen Worte, die ihm vorgelesen werden, als bei uns ein dummer Bauer, dom
der Notar sein eigenes Testament vorträgt. Hadhramiteu haben mich in solchen Fällen
manchmal gefragt: Steht jotzt wirklich darin, was ich ihm (dein Schreiber) vorgesagt habe?
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I.
BERICHT ÜBER EINE RAZZIA ABD fei,- MUTT A LI BS ÜND DARAUS
ENTSTANDENE MISSHELLIGKEITEN ZWISCHEN IHM ÜND DEM
TÜRKISCHEN GOUVERNEUR (JUNI 1881).
TEXT.
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0V\j ^ j* ^ i3 o^~ y_)*^ o* 1?
y> W ' — L '' i ( \-XA 9^^a)\ %vjVw>\ J 3 ^Vj ^ > ' i j — \
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I.
BERICHT ÜBER EINE RAZZIA ABD feL-MUTTALIBS UND DARAUS
ENTSTANDENE MI8SHELLIGKEITEN ZWISCHEN IHM UND DEM
TÜRKISCHEN GOUVERNEUR (JUNI 1881).
UEBERSETZUNG.
Wir theilen euch hierbei mit, dass die Beziehung zwischen dem
Grossscherif (Abd el-Muttalib) ’) und dem Wäll (Qafwet Pascha) *)
sehr getrübt und jetzt gänzlich zerstört ist. Die Ursache, durch
welche die euch bekannte , längst vorhandene innerliche Feindschaft
zwischen Beiden jetzt zum Ausbruch gelangt ist, liegt in der An-
gelegenheit der Razzia. Diese Razzia wurde folgendermaassen ver-
anlasst: Als die Weiber des Grossscherifs in Begleitung des Scherifs
Dachll Allah el-'Iwädji s) und des (Geschäftsführers Abd el-Muttä-
libs) Muhammed Djäbir el-Jemänl1 * 3 4 5) auf der Reise von Mekka nach
Täifs) bei es- Sgl , eine Tagereise vor Taif angekommen waren,
Hessen sie sich dort bei einem Brunnen nieder. In der Nähe des
1) Dessen letztes Seherifat dauerte vom Mai 1880 — September 1883 ; vorgl. oben 8. 171 ff.
3) Dieser war Oktober 1880 — December 1881 Generalgouverneur des Hidjaz. Derselbe
bekleidet ancb jetzt wieder das gleiche Amt.
3) Dieser Scherif ist der Schwiegersohn Abd M-Muttälibs.
1) Dieser war der Geschäftsführer Abd M-Muttälibs ; früher soll er wegen Diebstahl
seines Amtes als Kassierer der Douane in Undedah entsetzt sein; vergl. über ihn unten S. 300.
5) Alle vornehmen Mckkaner gehen bekanntlich in der heissesten Jahreszeit nach den;
kühleren Täif, wo sie ihro Sommerwohnungen haben.
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Brun Dens lagerten aber zwei Beduinenstämme von den 'Utebah ’),
die Qithamah und die Thibatah genannt. Als diese am Mittag mit
ihrem Kleinvieh zum Brunnen herabkamen , um es zu tränken ,
wiesen die Leute des Scherifs sie zurück und entstand zwischen
ihnen ein Streit. Sobald Ibn 61-cIwädji (der oben genannte Scherif)
und Muhammed Djäbir den Lärm hörten, befahlen sie gleich ihren
Dienern , die Leute festzunehmen und ihr Kleinvieh abzufassen.
Bei dem Vieh waren bloss Weiber, kleine Knaben und ein Greis.
Dem Greise banden sie nun mit Stricken die Arme auf dem
Rücken zusammen , den Weibern nahmen sie die Burqif's (Schleier)
ab *) und behielten das Kleinvieh bei sich. Die Knaben und die
Weiber flohen nun zu ihren Leuten und schrien ihnen zu, was
vorgegangen war. Auf der Stelle bewaffneten sich die Männer und
stellten sich (beim Brunnen) ein. Das war am Nachmittag (cAfr) ;
die Leute des Scherifs hatten gerade aufgeladen und die Kameele
in eine Reihe gestellt (zum Aufbruch). Da fand nun die Begegnung
statt und entstand ein Kampf mit Feuergewehren ; von den Beduinen
wurde einer getödtet, auf der Seite des Scherifs fielen einer von seinem
Hause und ein leibeigener Baicärdi auf beiden Seiten wurden viele
1) Die 'Utebah (N&mo des Einzelnen: ’Utebi) wohnen in Taif und Zeima und an verschie-
denen Orten ain Wege zwischen Mekka und Taif, ferner von Mokka bis ins Qayim , wo
ihre Niederlassungen östlich von denen der Harbstammo liegen. Sie zerfallen in zwei
Hauptgruppen , deren jode sich wieder in (resp. 6 und 10) Stämme theilt. Wir geben hier
die Namen dieeor Stämme sowie die Bezeichnung der einzelnen zu ihnen gehörenden
Mitglieder an:
I. cr-Rawaqah (Rauqt)
1. et-Thibntnh (ThubeitS)
2. M-Hufät (Häfi)
3. öl-Humran (Humräni)
4. M-Fizr&n (Fizranl)
5. isl-Hibyan (Hubyani)
6. M-Mazham (Mazhami)
II. el-Baraqah (Barqdtot)
1. cl-Hawum’dah (min D&wf Hamid)
2. td-Da'djanijjin (Da'djäni)
3. M-Miqatah ( Muqati).
4. cl-Chanafir (Chanfäri)
5. fer-Rüsän (Ruweisl)
6. ee-Schajabin (Schoibani)
7. el-'CJyamah (‘Uyeimi)
8. el-Qithainah (Quthami)
9. el-Hamtir’qah (Himriqi)
10. ed-Delab’hah (Dal bald)
2) Das war also eine symbolische Gefangennahme; cs würde allzusehr gegen die Sitten
verstosson, Beduinen weiber gefangen zu halten.
3) Bawdrdijjah heisst die aus Freien und Leibeigenen zusammengesetzte, mit Flinten
bewaffnete Leibwache des Grossscherifs. Während meines Aufenthalts in Mekka erhielten
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1) Meine Abschrift hat hier cryU ; dies ist aber ein Schreibfehler.
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i-VUtüc^U
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verwundet. Die Beduinen waren aber die Stärkeren; als die Leute
des Scherifs dies sahen , erbaten sie sich Gnade von den Beduinen ,
gaben ihnen den gefesselten Mann frei und erstatteten ihnen das
Kleinvieh und die Weiberschleier zurück. Diese nahmen das an
und gingen ruhig ihres Wegs. Als die Leute des Scherifs in Täif
ankamen und ihm über das Vorgegangene Bericht erstatteten ,
wurde er zornig und liess in Täif durch einen Ausrufer ( Munädi ) l)
zur Razzia gegen die beiden Stämme aufrufen. Auch schrieb er an
die Thaqlf-, Hudel- und andere Stämme, dass sie sich zur Razzia
gegen die bezeichneten Stämme rüsten sollten. Den Einwohnern
von Täif befahl er, 80 Mann zu stellen , den Hadhrarniten von
Mekka 100. Als dies alles im Gange war, kamen acht von den
vornehmsten Leuten aus den (gegen den Scherif) rebellischen
Stämmen (nach Täif); zwei von ihnen sind dem Namen nach
allgemein bekannt: Ibn Djureischlm und Ibn Ilämid. Sie be-
gaben sich ungestört zum Wäll und flehten ihn an, dass er den
Scherif für sie um Gnade bitte, damit dieser sie nicht zum Ge-
genstand einer Razzia mache. Sie betheuerten dem Pascha, dass
sie sich in keiner Weise rebellisch betragen und nichts gegen
die Karawane (der Weiber des Scherifs) gethan hätten, dass viel-
mehr die Leute des Scherifs feindlich gegen sie aufgetreten seien,
da sie ihren Mann gefangen nahmen und ihr Kleinvieh bei sich
behielten; sie hätten also bloss ihre Habe und ihr Leben verthei-
digt. Jetzt (sagten sie) ergeben wir uns in das , was die Regierung
verfügt; wenn ihr wollt, bringen wir einige Männer als Geissein,
die ihr gefangen setzen könnt zur Verbürgung der Sicherheit des
Weges *) , oder wir wollen alle mit unseren Familien kommen und
die freien Bawärdi’s monatlich 7^ Maria-Theresia-Thaler , die Sklaven 5 als Gehalt. Mit
den Bvtchah (nach diesem Stamme benannte Gensdarmen) bilden sie die letzten Ueberreste
der Armee des Königs von Mekka; die Aufsicht über diese Trappen versuchen aber
energische türkische Gouverneure möglichst an sich zu ziehen.
1) Vergl. oben S. 117.
2) So ist die gewöhnliche Art, von den Beduinen Sicherheit zu erlangen , dass sie
einer Verabredung nachkommcn werden. Jährlich bleiben auch beim Abzug einer Pilger-
karawane aus Mekka nach Medina einige Zehnor von Barb-beduinen als Geissein im
Gcfungniss in Mekka, bis die Pilger mit heiler Haut zurückgekommen Bind.
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in der Nähe des Pascha’s lagern — wir stehen unter dem Befehl !
Der Wäll versprach ihnen Sicherheit für die Nacht, bewirthete
sie bei sich und verhiess ihnen, dass er beim Seherif ein Sicher-
heitsgelöbniss für sie erwirken werde. Dann ging er mit den Be-
duinen nach Methnä ’) zum Scherif und erbat von ihm ein solches
Gelöbniss für die Beduinen, und dass er keine Razzia gegen sie
unternehme, wenn sie friedlich allen Anforderungen des Scherifs
Folge leisteten. Dieser gab sich damit zufrieden , und der Wäll
ging mit den Beduinen zurück. Einige Stunden später sandte
aber der Scherif zum Wäll und erklärte, er wolle den Ausgleich
nicht annehmen , für die Beduinen gebe es bei ihm nur das Schwert !
Der Wäll wurde sehr ärgerlich wegen dieser Sinnesänderung und
(fragte), wie es denn möglich sei, dass man Leute, welche die
Gnade der Regierung erfleht hätten, bekriege. Zuerst sandte er den
Mufti, den Scherif zu überreden; dieser nahm aber den Vorschlag
nicht an; dann sandte er den Defterdär (Kassenführer der Provinz)
und den Liwa (General), der die Garnison kommandiert, damit
die ihn überredeten, aber gleichfalls vergebens. Die beiden Letzte-
ren waren eben die Anstifter der Uneinigkeit zwischen dem
Wäll und dem Scherif, sie neigten zur Partei des Scherifs und
halfen ihm in allen Dingen. Die Weigerung des Scherifs, den Aus-
gleich anzunehmen , machte den Wäll sehr ärgerlich, und er Verbot
(dem Garnisonskommandanten) ’), dem Scherif Truppen und sonstige
Mittel zur Razzia zu geben. Der Garnisonskommandant suchte den
Wäll zu überreden und wollte Soldaten auf die Razzia mitgeben,
aber der Wäll genehmigte es nicht, sodass zwischen Beiden ein
heftiger Streit entstand. Der Wäll enthielt sich aber der Hülfelei-
stung ’). Jene acht Beduinen liess der Wäll in Sicherheit unter Be-
gleitung von Reitern nach ihrem Wohnort zurückkehren. Der
Scherif rüstete sich nun zur Razzia ohne (türkische) Truppen. Die
1) Landhaus mit Gurten de« Grossst tiorifs in der Nähe von Tiifc Vergl. oben 8. 166.
2) (,’afwet Pascha war nämlich selbst mit dem Oberbefehl über die Garnisonen des
Hidjäz beauftragt
3) Der Ausdruck ist seltsam, wahrscheinlich ist statt zu lesen
20
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ThaqTf-stämme und die Leute von Täif sind unter dem (oben er-
wähnten) Sohne el-'Iwädjl’s und dem Scherif Abd el-Madjld , Emir
von Täif, (gegen die zu züchtigenden Stämme) gezogen. Von Mekka
aus zog der Scherif Harnzah mit Iludel- und Djabädilah-stämmen
auf dem Thanijjah-wege und der Scherif Ali ibn Sa'd, Qäiui-
maqäm von Mekka auf dem Wege, der an 6s- Sei vorbeiführt,
mit Hadhramiten aus Mekka und Leuten aus den (hauptsächlich
von Beduinen bewohnten) Stadtvierteln el-Ma'äb’dah , Djirwal und
anderen, zusammen ungefähr 500 Mann. Jetzt erfahren wir, Ali
ibn Sa'd ’) sei in 6s-Sel angekommen und Harnzah in Rehah
(Rlbah?), wo ein Theil jener Beduinen wohnt. Drei Häuser soll
Letzterer verbrannt, 15 Mann von den Thibatab und 15 von den
Qithamah gefangen genommen haben. Die von Täif gekommenen
Banden sollen noch nichts verübt haben. Der Bericht bezüglich
Hamzah’s ist erst heute eingetroffen ; seitdem ist nichts Neues
berichtet. Dies glaubten wir euch mittheilen zu müssen; höchst
wahrscheinlich wird ein Abkommen getroffen werden nach dem ,
was uns von dem Gerede der Leute zu Ohren gekommen ist!
Dieser Bericht über die bezeichneten Vorgänge ist geschrieben
am 18. Redjeb 1298 (Mitte Juni 1881).
1) Ali ibn Sa'd es-Scrüri, damals Qäimmaqäm des Grossscheriis in Mekka, ist seit der
Absetzung Abd bl-Mutt&libs (1882) und dem Regierungsantritt cAun’s der Iiauptführor
aller Rauberstamme , «eiche die Wege von Mokka nach Lith und stellenweise auch nach
Djiddah unsicher machen.
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XX.
BITTSCHRIFT DER MEKKA NKR AN DEN SULTAN UM DIB ABSETZUNG
DES GR088SCHERIFS ABD EL-MUTTALIB (AUGUST 1881.)
TEXT.
ci\ yjj vilj J>\ <~ASX-\ os^j JW £i\ij
Jp Irrij ■>> O* cte“ v * j\ «IlJ^ v\UJ) ^\Ji\
jy ^Aj Oy^J“ AA* VjüM
^ (Vj J~^~5 J^° Cr* pr* Cr* *-'^r »-»V*-
clU;^ oWr* «Jy — f_U j JX>j a}U\ j jb y J*t J\ <&»■ yj
^ 1 JvIaJ "i y yr*~j
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11.
BITT8CIIRIFT DER MKKKANKR AN DEN 801, TAN OM DIE ABSETZUNG
DK8 GR08S8CHRR1FS ABD EL-MUTTÄI.IB (AUGUST 1881).
UEBERSETZUNG.
Darstellung des Zustandes und islamitische Ermahnung an seine
Excellenz Suleimän Bey '), Jäwer (Adjutant) der Hohen Regierung,
damit er sie der Barmherzigkeit des Sultans vorlege; wir bitten
Gott bei der Majestät Seines besten Geschöpfes (des Propheten),
dass er ihm beistehe ; gelobt sei der allein-Ewige , der Seinen Willen
an Seinen Dienern vollzieht! Gelobt sei Der, in Dessen Hand die
Herrschaft über alle Dinge — zu Ihm kehrt ihr zurück!*). Er ist
der Gewalthaber über Seine Diener *), Lob sei dem Weisen ! Er
giebt und befriedigt, aber einige von den (Menschen) sind ihm
ungehorsam und betragen sich als Tyrannen '), während andere
Gerechtigkeit geübt und das Böse beseitigt haben. Zu Seiner herr-
lichen Weisheit gehört eB, dass er den Ungehomamen in den
Ländern lange Frist gewährt, wie sich das aus Seinem Worte er-
giebt1 * 3 4 5): »Wir werden sie fürwahr einmal treffen von einer Seite,
1) Dieser kam den 8. August 1881 nach Djiddah als Begleiter der nach Tfcif exilierten
Staatsgefangenen Nun, Mahmud DAniad und Midhat Pascha.
9) Vorgl. Quran 36 : 81.
3) Vergl. Quran 6: 18.
4) Der hier gebrauchte Ausdruck wird im Quran häufig auf Pharao, das Urbild aller
Tyrannen , ango wendet.
5) Quran 7 : 181, 68 :44, wo von Ungläubigen die Rede ist.
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207
»woher sie es nicht erwarten.” 0 Gott! schütze uns mit Deinem
herrlichen Schutz und führe uns zum Dir wohlgefälligen Gehorsam
gegen Dich! Stärke die Sache unseres Glaubens, schone unser Blut,
gieb uns Sicherheit für unsere Habe , (wir bitten darum) bei Deinem
Diener, den Du auserwählst und an dem Du Gefallen hast (d. h.
dem Propheten) ; setze nicht über uns ein , wer Dich nicht fürchtet
und für uns kein Erbarmen hat, o Herr! Wir beten zu Dir, o
unser Herr! also erhöre uns, wie Du es versprochen hast; Du hast
ja gesagt (und Dein Wort is die Wahrheit): »Betet zu mir und ich
»werde euch erhören.” *).
Hiermit berichten wir unserer Hohen Regierung über das was
uns widerfahrt, nämlich die herrschende Unsicherheit. Seitdem im
Jahre 1297 (Mai 1880) die Karawane des (neuen) Grossscherifs
(Abd el-Muttalib, Stammtafel III, 70) im geehrten Mekka ankam
bis zum heutigen Tag leben wir im schlimmsten Elend wegen der
Ungerechtigkeiten, die uns in verschiedener Weise widerfahren.
Zuerst sind an uns, altmekkanischen Bürgern, schreckliche Dinge
und enorme Gewaltthaten geschehen, wie weder wir noch unsere
Vorfahren solche gekannt haben von der Zeit an, wo die Hände
der Hohen Regierung uns umfasst und mit der Barmherzigkeit der
Othinanen umfangen haben. So ist es u. A. allgemein bekannt , dass
Einige von uns ohne jegliche Schuld zu Tode gegeisselt worden
sind und Anderen unter irgend einem Vorwände ihr Gut genom-
men ist. Sie (die Vertreter des Emirats) kaufen z. B. Sachen, ohne
deren Preis zu zahlen, oder sie fordern den Leuten mit Gewalt
Geld ab , wenn diese aber einen Schuldschein verlangen , weigern
sie sich, den zu geben. Von ihrem Gelde gilt dann: es ist fort!
denn sie haben keinen Schein ; der Fiscus des Emirats nimmt bloss
ein, giebt aber nie heraus. Anderen von uns wurden die Woh-
nungen ohne Prozess abgenommen. Wenn man auch eine Klage
einreichte, wer würde darauf hören? Will einer von den Verge-
waltigten die Barmherzigkeit des Emirats erflehen , so findet er
dazu keinen Weg, denn die Diener verhindern ihn daran, den
Grossscherif zu sehen ; die Beamten weisen jeden zurück , der eine
1) Quraa 10 : GZ.
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auf das Emirat bezügliche Angelegenheit hat. Es sind das die
Gehiilfen des Emirats, Härüt und Marüt'), d. h. der Syrer“)
und der Jömenite *). Anderen von uns ist ihr Lebensunterhalt1),
wodurch sie gegen Elend gesichert waren , abgenommen , und der
Betrag is durch das Emirat nach seinem Gefallen Anderen gegeben.
Das, wovon sich 1000 Muslime ernährten, raubte man ihnen und
wandte es einem Manne aus dem Gefolge des Emirats zu. Achte
nun um Gottes Willen auf diese Art der Gerechtigkeit, die wahr-
haft unerhört ist! Ich möchte wissen, ob diese Geisselungen und
Entwendungen von Hab und Gut etwa in irgend einer Weise ge-
setzlich heissen, sei es nach göttlichem oder menschlichem Rechte?
Kurz , unser Zustand lässt sich folgendermaassen beschreiben : Wenn
uns das Unsrige genommen wird , finden wir keinen , der uns dazu
verhilft oder das Uebel von uns abwehrt; wenn wir schreien, hört
keiner auf uns; es ist, wie der Dichter sagt:
»Du hast, als du schrieest, einen Lebenden angerufen,
»Es ist aber kein Leben in dem, welchen du anrufst!”
Was nun aber das Uebel anbelangt, das uns zwar nicht direkt
betrifft , dessen Folgen uns aber erreichen , so ist es das was den Be-
duinen widerfährt, die Korn, Butter, Kleinvieh und dergleichen
nach Mekka bringen. Allen diesen Beduinen, die mit den erwähn-
ten Waaren nach Mekka kommen, ging es von Anfang (der Re-
gierung Abd fsl-Muttalibs) an in folgender Weise. Sie reisten in
Sicherheit hierher 5) , kamen nach Mekka , verkauften auf dem Markte
ihre Waaren , nahmen den Preis in Empfang , sahen sich dann aber
unversehens von Leuten des Scherifs umzingelt, die sie -zu einem
von dessen (oben erwähnten) Gehülfen führten. Sobald ein solcher
Beduine zu ihm hereintrat, fing der Beamte an, ihm zu drohen,
stellte ihn den Anwesenden gegenüber als einen Aufrührer dar und
1) Dies sind die beiden Engel, welche nach Qu ran II: 96 die Menschen die Zauberei
lehrten und somit alles Uebel in dor Welt anstifteten, das durch die Ausübung dieser
verbotenen Kunst herbeigeführt wurde.
9) KArail Efendi t^-Schami (aus Damaskus) war der Sekretär Abd el-Mutt&libs während
dessen letzter Regierung.
3; Muhammed Djabir el-Jermini ; vergl. oben S. 195 Anm.
4) Hier sind Antheile an der ägyptischen Korn-^adaqah gemeint.
5) Diese Worte bilden eine otwas freio Uebcrsetzung des zweifellos verdorbenen Textes.
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211
nahm ihm das für die erwähnten Waaren erlangte Geld ab. Darauf
warfen sie einen solchen auf einen Tag ins Gefangniss und befreiten
ihn erst auf die Bitte irgend einer Mittelsperson; das ganze Ver-
fahren bezweckte nur ihm sein Geld zu nehmen. Wären nun
aber diese Beduinen wirklich Aufrührer und Rebellen, so kämen
sie gewiss nicht mit diesen Lebensmitteln nach Mekka, sondern
blieben vielmehr in ihrem Gebiete. Das Uebel, dessen schlimme
Folgen auch uns treffen, besteht nun darin, dass, wenn ein sol-
cher Beduine aus ihren Händen befreit und zu seinem Stamme
zurückgekehrt ist und ihnen erzählt hat, wie er von Seiten des
Emirats oder von dessen Gefolge behandelt wurde, seine Stammes-
genossen für ihn Partei nehmen und sich zu Feindseligkeiten rüs-
ten; dann trifft aber uns das Unheil. Zuerst nämlich halten sie
dann die Zufuhren der Lebensmittel zurück, und infolge dessen
steigen die Preise dieser sowohl als anderer Waaren. Zweitens
fangen sie an , die Strassen der Muslime unsicher zu machen.
Kurz, was die Beduinen befallt, trifft auch uns, und wir haben
noch unser unmittelbares Leiden dazu. Wir können nur dulden
und ertragen , denn wir stehen in keiner Verbindung mit den Be-
duinen, sodass wir zu ihnen auswandern und bei ihnen wohnen
könnten, und uns fehlt die Gewalt zur Abwehr des Uebels. Wir
haben keine Zuflucht ausser Allah und der Hohen Regierung und
Deren Vertretern in unserer Mitte. Von Anfang an haben wir denn
auch alle die erwähnten Vorgänge, die während der Verwaltung
seiner Excellenz Näschid Pascha ’) stattfanden und alle Ungerechtig-
keiten, die uns trafen, diesem mitgetheilt; wir haben damit aber
nichts erzielt: das Uebel wandte er nicht von uns ab und verhalf
uns nicht zu dem, was uns abgenommen war. Wir hatten von
seiner Excellenz erwartet, dass er eins von Beiden thäte: sei es,
dass er (das Uebel von uns abgewandt hätte, oder dass er) was
ihm berichtet war und was er mit uns Vorgehen sah, der Barm-
herzigkeit unserer Regierung vorlegte, wenn ihm selbst die Macht
abging, das aufzuheben. Unsere Regierung hat ja am ersten für
1) Dieser war August 1879 — Oktober 1880 Genenügouvarueur des Hidjkz.
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uns zu sorgen; wir sehen aber nur das Aeussere der Sache: das
Uebel ist nicht von uns abgewandt. Wir wissen nicht, ob unsere
Regierung das Alles erfahren hat oder nicht.
Gleichfalls haben wir unserem Efendi Qafwet Pascha *), so lange
er die Verwaltung führt, berichtet, was uns geschah. Die Folge war
jedoch nur, dass nach jeder Klage das Elend zunahm, während
unser Efendi doch von Allem Zeuge war. Von unserem Efendi (Allah
verlängere sein Dasein!) sahen wir nur, dass er die Vergewaltig-
ten und Beraubten (mit Worten) zu besänftigen suchte.
Wir wissen nicht, ob wirklich das Emirat die Erlaubniss be-
kommen hat , uns zu Grunde zu richten , und unser Efendi keine
Befugniss besitzt, über diese Dinge zu berichten; ober ob unser
Efendi zwar schon berichtet, die Regierung ihm aber den Befehl er-
theilt hat, das Emirat nicht an dem zu verhindern, was dasselbe
verübt; oder ob er die Berichterstattung vernachlässigt hat. Unser
Zustand ist verzweifelt und unser Denken erschöpft. Wir wissen
nicht, ob unsere Regierung von den Bittschriften Kenutnis trägt,
die wir ihren hiesigen Vertretern überreicht haben, oder nicht.
Sind ihr dieselben unbekannt, so steht sie schuldfrci vor Allah
und wird sie unsere Sünden nicht zu büssen haben. Ist aber das
Unheil , welches über uns ergangen ist , unserer Regierung bekannt
gemacht und vernachlässigt sie’s, dem abzuhelfen, so sagen wir:
»Allah ist uns genug und auf ihn darf man sein Vertrauen setzen!” 1 2 3)
Dan wollen wir ausharren , bis »Er einen Entschluss ergreift , der
sicher ausgeführt wird” *) und bis er uns seine nahe Rettung
bereitet : Er hört und erhört ! Ist unserer Regierung noch nichts
von unserer Lage zu Ohren gekommen , so überreichen wir ihr
jetzt diese Bittschrift und sehen dem Erfolg entgegen. Wir sind
auf Gottes Schutz und den der Hohen Regierung angewiesen :
diese wird für uns verantwortlich sein »am Tage, wo weder Be-
»sitzthum noch Söhne Einem nützen , sondern nur das Erscheinen
»vor Allah mit reinem Herzen" *). Jeder Hirt ist verantwortlich
1) Vergl. über diesen Gouverneur oben S. 186, 8. 195, Anm.
2) Qur&n 3:107 usw. 3) Qur&n 8:43, 4G.
4) Qu ran 26 : 87 — 8.
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für seine Heerde ; wir aber stehen unter der Obhut der Regierung ,
nicht ihrer Diener. Du siehst uns im schrecklichsten Elend : »der
Lebensodem ist uns bis in die Kehle gestiegen” ') und »die ganze
weite Erde ist uns zu enge geworden” *). Einige von uns hat der
Zustand schon dahin geführt , dass sie sich in den Schutz der
fremden Mächte begeben haben zur Schonung ihres Blutes und zur
Sicherstellung ihrer Habe. Wir ersuchen unsere Regierung, dass
sie mit dem Auge des Mitleids und des Erbarmens auf uns blicke
und dieses Uebel von uns wegnehme, damit unser Herrgott sie nicht
wegen unserer Sünden bestrafe, und damit nicht diese Vorgänge
ihren Verfall und den Untergang ihrer Gewalt verursachen.
Wir sind die Nachbarn von Gottes Haus, und wir haben Gott
gepriesen, o edler (Sulemän) Bey , weil er uns mit deiner An-
kunft beglückt hat. Wir bitten dich, diese Angelegenheiten zu
untersuchen und unserer Regierung mitzutheilen , was du Unrechtes
an uns geschehen siehst und was wir dir unterbreitet haben. Sei
du bei deiner glücklichen Rückkehr in der Residenz wie unsere
Zunge und berichte vom Unrecht, das du gesehen hast und was
deine Ohren erreicht hat und dir überbracht ist. Wir übergeben
unsere Sache dem Weisesten aller Richter, Er ist uns genug und
auf ihn darf man sein Vertrauen setzen.
1) Vergl. Qurin 56 : 82.
2) Qiiran 9 : 25, 119; vergl. auch z. B. IA VIII : 142 ^ *,ir
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TTT.
AMTLICHER BERICHT ÜBER EINE ZÜCHTIGUNG DER BEDUINEN IN
DER NÄHE VON JAMBU' (MÄRZ 1886).
Dies ist die Ueberxetzunrj des Briefes von dem Kommandanten
der Miliztruppen, die zum Bau einer Mauer und einer Festung
nach Jambu abgeschickt sind , Muhammed Lutfi Beg, datiert den 13.
März (sic) 1803 (1886).
Wir erfuhren am 12*®° des laufenden Monats, dass die Bedui-
nen der Beni Ibrahim und alle Bewohner von Jambu' en-Nachl ')
sowie einige Beduinen, die mit den Stämmen des Obcrschechs
Ibrahim ibn Mutliq s) in Verbindung stehen, und der ^ariü;irah-
starnm von den Djehenah s) sich vereinigt hatten und übereinge-
kommen waren, unsere kaiserlichen Truppen zu bekämpfen, das
Thor von Jambu' el-Babr ’) zu zerstören , die Stadt anzugreifen und
zu plündern. Am zweiten Tage nach der Ankunft des Muhäfiz
(Gouverneurs) von Medina , als er gelandet und in das Regierungsge-
bäude eingezogen war, sahen wir alle jene oben erwähnten Schelme
1) Jambu' cn-Nachl, d. h. das Palraen-Jambu', liegt ± 6 Stunden nordöstlich vom Hafen
Jambu* el-Bahr (Jambu* am Meere) und enthält einige Dörfer mit fruchtbaren Pflan-
zungen.
2) Vor gl. über diesen Sch&ch die Anmerkung hinter diesem Briefe.
3) ln dem Verzeichnis» der Djehenahstämme , welches wir in der Anmerkung hinter
diesem Briefe mittheiien, kommen die (/arayirah nicht vor; vielleicht bilden sie eine Un-
terabtheilung irgond eines der dort erwähnten Stämme.
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gegenüber der rechten Seite des Lagers der kaiserlichen Truppen
hervortreten in Entfernung einer halben Stunde. Sie traten in die
früher von den egyptischen Truppen gemachten Schanzen ein und
fingen dann an , Lärm zu schlagen und herauszufordern. Darauf
machten sie sich daran , eine Mauer zu bauen ; nachdem ich dies
gesehen und mich überzeugt hatte, dass ihr Aufenthalt mit dem
Geschütze unserer Schiffe vom Meere aus wohl zu erreichen war ,
verständigte ich den Marinekommandanten durch Signale, dass er
mit Bomben auf sie schiesse, und wenn er unsere Truppen gegen
die Verstärkungen stürmen sehe, das Feuer einstelle. Mit der Be-
stürmung beauftragte ich den Blmbäschi Bekr Efendi mit 150
Mann , nämlich zwei Kompagnien , und ich nahm unter eignem
Kommando eine Kompagnie und eine Kanone, die ausgesende-
ten Truppen im Rücken zu stützen. Im Lager und für die Ver-
theidigung der Stadt iiess ich drei Kompagnien zurück mit dem
Befehl , uns , sobald es nöthig sei , die erforderliche Hülfe zu leisten,
und ich theilte Alles dem Stellvertreter des Qäimmaqäms mit. Als
nun das Kanonenschiessen und die Bestürmung anging und ich mit
den Meinigen hinterher schlich, warteten die Schelme, bis die
Stürmer auf 300 Schritt von jenen Befestigungen gelangt waren,
dann flohen sie aber wie die Heuschrecken und zogen sich in die
1000 Schritt weiter gelegenen Werke zurück. Als ich nun sah,
dass der genannte Blmbäschi Bekr Efendi jene ersten Befestigun-
gen zur Basis seiner Operation nahm und l1/, Kompagnie darein
legte, verstärkte ich ihn durch eine Kanone und eine Kompagnie
zum Angriff der Festungswerke, in welche die Schelme sich ge-
flüchtet hatten. Als dieser Plan zur Ausführung gelangte und sie
des Untergangs gewiss waren, verliessen sie auch die zweite Reihe
von Befestigungen und rannen , ohne eine Flinte abzufeuern, in die
Ebene. Hier bildeten sie geschlossene Reihen; zu ihnen gesellten
sich Fahnen («c), Fusskampfer und Dromedarreiter, und sie hatten
augenscheinlich vor, die Stadt von solchen Stellen zu bestürmen , wo
ihnen keine Soldaten entgegenstanden. Wir richteten nun gegen
sie l'/j Kompagnie von den versteckten Soldaten und einige unter
dem Befehle des Jäzbäschl Othman Efendi stehende Zaptijjeh’s
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(Polizeisoldaten), um ihnen den Eindruck zu machen , dass wir sie
umzingeln wollten. Als sie dies sahen, glaubten sie, es rückten be-
trächtliche Kräfte gegen sie an, und flohen in grösster Eile. Wir
aber verfolgten sie gegen zwei Stunden , wobei viele von ihnen den
Tod fanden ; dann kehrten wir zurück und beteten um den fort-
währenden Sieg der glorreichen kaiserlichen Truppen. Als ich unsere
Soldaten aber auf die Leichen losstürzen sah , die Köpfe abzuhauen ,
habe ich dies aus einleuchtenden Gründen verboten. Wir sind dann
nach unserem Lager zurückgekehrt, ohne dass den Soldaten irgend
etwas Schlimmes begegnet wäre. Am zweiten Tage erfuhr ich , dass
die Beduinen auf das Schlachtfeld zurückgekommen seien, die
Todten auf Eseln mitzuluhren. Augenzeugen veranschlagten deren
Zahl auf 150 und die Verwundeten gleichfalls auf 150.
Der Kommandant der Truppen
MIRALAI MUHAMMED LUTFI.
Beachtet, o Leute! was der bezeichnete Kommandant schreibt
und entnehmt daraus die Nutzanwendung! Beachtet, wie jene Be-
duinen das Maass überschritten haben, wie aber die Hohe Regie-
rung sich das Wohlergehen ihrer Unterthanen und die Sicherheit
ihres Eigenthums und Lebens angelegen sein lässt und mit allen
Mitteln , wie z. B. dem Bau von Festungen und Mauern , danach
strebt. Jene Uebelthäter wirkten auf das Gegentheil hin und woll-
ten die Soldaten zu Grunde richten, die wir geschickt haben um
Jambu' am Meere durch den Aufbau seiner Mauer und die Er-
richtung einer Festung zu schützen. Nachdem die Soldaten Nacht
und Tag ihre Arbeit darauf verwendet hatten, verübten Jene was
sie verübten (d. h. sie suchten die Werke zu zerstören , welche dazu
dienen sollten, erfolgreicher gegen sie vorgehen zu können). So kam
über sie, was sie durch das Wandeln auf schlechten Wegen verdient
hatten; das Irregehen führt zum Elend und zum Untergang! Der
Kampf wurde uns (unserem Herzen) freilich schwer, weil die beiden
Parteien Muslime waren ; aber die Beduinen haben den bezeichneten
Kommandanten zu solchem Vorgehen gezwungen , und so hat sie
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erreicht , was sie erreicht hat ! Zweifelt nicht daran , dass Alle , die
sich gegen den Herrn der Gläubigen (d. h. den Sultan der Türkei)
erheben , ein Gleiches treffen wird ! Die Einsichtsvollen werden
daraus die Nutzanwendung entnehmen; denen, so Andere auf Irr-
wege führen , stehen die schlimmen Folgen ihrer Handlungen bevor.
Den 24. Djumäda II 1808 (Ende März 1886)
Der Wäll und Kommandant der Gar-
nisonen im Hidjäz
OTHMAN.
Anmerkung. Bezüglich der in obigem Briefe erwähnten Stämme
bemerken wir, dass die Djehenah, soviel wir erfahren haben, in
21 Abtheilungen (Stämme) zerfallen , von denen die der Bern
Ibrahim mit ihren sechs Schechen (Hamid ibn Milium , Ahmed el-
Meschaddaq, es-Scherif Hamad el-cAjjäschi , Ahmed Abu Ruqeibah,
Td Haltlt , Ahmed es-Scheteiri) als die bedeutendste gilt. Die übri-
gen 20 Stämme:
1. Qajäd’lah (QeidalänT)
2. Mesäwa (Mesäwl)
3. Hibd (Hebeidl)
4. Refä'ah (Refä^I)
5. TJqb (TJqeibl)
6. Mebajja (Mebajjäwl)
7. Nattäfln (Nattäfl)
8. Bedeid (Bedeidi)
9. Meräwin (Mcrwänl)
10. Fawnidah (Fädi)
11. Himadah (Himadl)
12. Haschäk’lah (Haschkeil)
13. Qudhät (Qädhi)
14. Niza (Nizäwl)
15. 'Aläwen (‘Alwänl)
16. Qajäj’dah (Qajjädi)
17. Ile^einät (He?einätl)
18. Dibjän (Dibjänl)
19. Benl Kelb (K61bl)
20. Theqäfah (Theqäfi)
haben je einen Schech , ausser N°. 4 , der unter zwei Schechen steht.
Die Namen der Scheche haben insofern Interesse, als sich aus
einigen ergiebt, wie immer noch ganze Stämme nach den Eigen-
oder Familiennamen des Schechs benannt werden. Als Emir über
alle Djehenah -Stämme gilt der Scherif Scharaf ibn Abd el-Mun'im.
Die Djehenah bildeten , wie wir dies oben gezeigt haben , die älteste
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Stütze der Macht der Hasaniden in Westarabien, namentlich in
ihren Sitzen zwischen Medina und dem Meere.
Der Schech Ibrahim ibn Mu(liq , dessen Verbündeten im Briefe
erwähnt werden, gehört zu einem von den zahlreichen Harb-stämmen,
die seit 900 Jahren allen Beherrschern Westarabiens soviel zu
schaffen machen. Die Hauptabtheilungen , in welche die Gesammt-
heit der Harb-stämme zerfällt, sind
I die benI Säum, II die m&srüh.
Die benI sälim wohnen an der Haupt- oder Sultanstrasse zwischen
Medina und Jambuc und zwischen Medina und Bedr. Sie zerthei-
len sich in zwei Gruppen:
1. Die Meräwjiah (Merawwabl) und kleinere Gruppen, die sich
ihnen anschliessen , unter dem Obersehech Na^är ibn cAbbäs. Die
kleineren Gruppen sind die BenI Maljmüd und die Auläd Abu
’l-Häja (zusammen auch die Hawäzim genannt), mit den Meräw’hah
zusammen 26 Stämme mit 34 Schechen.
2. Die 9 Stammgruppen (Ahäm’dah , BenI cAmr, Rihalah , Me-
hämid, Qirahah, BenI Jchja, Sa'ädln, Tumam , Cubh), welche man
zusammen mit dem Namen von Mejm «»-stäm m en bezeichnet. Es
sind 23 Stämme mit 40 Schechen unter dem Obersehech Hudeifah
ibn Sacd. Zu den als raubsüchtig verrufenen Abäm’dah zählen die
Sechär’nah (Secharl), deren Schech der erwähnte Ibrahim ibn
Mutliq ist.
Die Mäsküh bilden drei Gruppen (Zebcd , 'Auf und BenI 'Amr),
zusammen 22 Stämme unter ebenso vielen Schechen mit dem Ober-
schech Abdallah ibn (vielfach bin gesprochen) 'Asim (eigentlich i .
Der Stamm , der direkt vom Oberscheche regiert wird , hat den
Namen der 'Usiim ('Asml), und sein Hauptsitz ist Chulei? ; übrigens
wohnen diese Stämme am Fural-wege zwischen Mekka und Me-
dina, am westlichen Wege, auch zwischen Bedr und Räbigh und
zwischen Räbigh und Wädl Fätmah. Oben (S. 184) haben wir
gesehen, dass der eben genannte Schech Bin 'Asim im Jahre 1886
mit seinen Beduinen den Pilgerkarawanen, die von Mekka nach
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Medina reisen wollten, den Weg verschloss, wodurch der übliche
Besuch des heiligen Grabes vor dem Haddj vereitelt wurde.
Vielleicht bietet sich mir später die Gelegenheit, die übrigen von
mir gesammelten Daten über die heutigen Namen , Wohnsitze usw.
der arabischen Stämme zu veröffentlichen.
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IV.
AUFRÜHRERISCH ER ANSCH LAGEZETTEL GEGEN OTHMAN PA8CHA
(ENDE 1885).
TEXT.
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«l£L’ Jj AiJ. _*Ji 'La (^Y\=) ^ i£>f ^ J^ibJ ü* 'j-fb La Ja
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XV.
AUFRÜHRERISCHER ANSCHLAG EZETTEL OEOF.N OTHMAN PASCHA
(ende 1885).
UEBERSETZUNG.
Und wer nicht entscheidet nach dem , was Allah offenbart hat,
die sind die Ungläubigen / *)
Es sei euch bekannt, ihr Leute von Mekka, dass dieser Wäll
(Gouverneur) vorhat, die (modernen) Anordnungen (der türkischen
Regierung) in der heiligen Stadt Allahs einzuführen ; also wachet
auf aus eurer Nachlässigkeit und stehet auf von eurem Schlafe !
Duldet nicht, dass die (weltlichen) Gesetze in Wirkung gesetzt
werden, denn sie bilden nur den Anfang, wie jedem, der die ge-
ringste Einsicht hat, einleuchtet. Der Beweis für unsere Behaup-
tung liegt darin , dass er (der Wäll) dem Medjlis al-ldärah (dem
Gemeinderath) s) seinen Plan vorgelegt hat , in jedem Stadtviertel
drei Leute (zu bestellen), zwei uScheche" und einen « Gewählten
und Imäm des Viertels Als darauf die Mittglieder des Medjlis
ihm sagten: //Dergleichen geht nicht in Mekka”, hat der Verfluchte
erwiedert: //Ist Mekka besser als Konstantinopel? Wir werden die
Sache mit Gewalt durchführen.” Darum, ihr Mekkaner! hat sich
1) Quräu 5: IS. 8) Vorgl. oben S 173.
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aJSA u*l^ 3 j\z*^
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225
ein Verein constituiert unter dem Namen »Der Islamitische Ver-
ein”; wer demselben beitreten will, der frage nach. Das Ziel des
Vereins ist, diesen verfluchten Wall und den Qaigarli ') umzu-
bringen. Wer nicht im Stande ist beizutreten, der klage zu Allah
bei Seinem heiligen Hause, dass die allgemeine Sicherheit zerstört
ist , weil dieser WSli noch immer regiert. In Bezug auf das
Korn des Dßräjeh (der egyptischen Stiftung) will dieser Verfluchte
Prozesse veranlassen (um dadurch die Verfügung über das Korn
zu bekommen); hört also auf keinerlei Einwendung von ihm und
nehmt euren Antheil bloss vollständig an (d. h. lasset euch unter
keinem Vorwand Abzüge gefallen . Achtet auch, ihr Leute von
Mekka, auf die Tödtung des Scherifs und seines Sklaven'), wie
man ihnen die Köpfe abgeschnitten und sie nach Mekka gebracht
hat zu diesem verfluchten Wäll, wie derselbe befohlen hat, sie in
allen Hauptstrassen Mekka’s (zur Warnung) auszustellen , und wie
die Soldaten damit herumgegangen sind. Was sind das für Thaten ,
schändlicher als was ') verübt hat ! Darum , wer diesen
Mann tödtet , tritt ohne Abrechnung in das Paradies ein / Der Zweck
der Anstellung von Schechen und einem Gewählten für jedes Stadt-
viertel ist die Anordnung einer Volkszählung in jedem Quartier,
um so die Grundsteuer und andere in den neuen Gesetzen bestirn-
ten Abgaben *) zu erheben , wie (der er Wäll) dies im Medjlis al-
Idärah offen eingestanden hat.
Von Seiten des Islamitischen Vereins.
1) Dieser war Hakim von Mekka, d. h. Marktaufseher und Polizieoberst.
2) Beide waren von Othman Pascha’» Truppen bei der Züchtigung von Räuberbanden,
zu denen sie gehörten, getödtot worden.
3) Das in der Uebersetzung ausgelassene Wort weise ich nicht zu erklären.
4) Ich woiss nicht genau , welche Abgaben hier an zweiter Stelle gemeint sind.
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V.
TRAÜKKGEDICHT VOM 8CHECH BEDKWI AUF DEN TOD DES
GKOS8SCHEIUF8 ABDALLAH (1877).
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1) Der Orossseherif war nämlich in Täif gestorben und wurde also beim
Grabe des Abdallah ibn 'Abbäs beerdigt.
2) Hier hat das V» von \j^\ unseren Beduinendichter irre geführt , und konstru-
iert er weiter, als wäre eine Negation Türangegangen.
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228
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MEKKA
VON
rx C. SNOUCK HURGRONJE.
MIT BILDER- ATLAS.
HERAUSQKGEBEN VON ■ HUT KONINKT.IJK IN8TITUÜT VOOR DE TAAL-, LAND- EN VOLKENKÜNDE
VAN NBDERLANDSCH-INDIB TB ’s-OKAVENHAOB.”
II.
AUS DEM HEUTIGEN LEBEN.
HAAG
MARTINUS NIJHOFF
1889.
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INHALT.
Seite
Vorrede xv-xvm.
I. Abdsseres Leben 1 — 101.
In Mekka vertretene Nationen 1 — 2. Weltliche Motive zur
Niederlassung in Mekka : Handel , Bettelei , Wucher (Inder und
Hadhraraiten) 2 — 4. Gewerbe der Jemeniten , Hidjäzi’s , Harbi's ,
Neger 4 — 5. Egyptische Weiber. Die Djäwah 5. Bewohner Cen-
tralarabiens 5—6. Verhältnis» der Fremdenkolonien zu den Be-
hörden; Scheche der Hadhramiten und Seleraäni’s 6 — 7. All-
mählicher Uebergang der Fremden aus ihrem Sonderkreise in
die mekkanische Gesellschaft 7 — 8. Eigenes Gepräge der letzte-
ren 8. Fehden zwischen den Stadtvierteln 8 — 9. Firqah und
Nnqa 9 — 10. Die einzige Erwerbsquelle aller Mekkaner; ihr
Charakter 10 — 11. Das Sklavenelement: Cirkassier; Päderastie
H — 2. Nubier und »Schwarze”. Belustigung dieser Sklaven (71» m-
burah) 12 — 3. Stellung der Freigelassenen 13 — 4. Sklaven aus
Britisch- und Niederländisch-Indien. Abyssinier 14 — 5 Der Skla-
venmarkt 15 — 7. Behandlung der Sklaven 18 — 9. Der Antiskla-
vereischwindel in Europa 20 — 3. Eunuchen (Agha’s , Tawaschx's)
24. Aemter und Gewerbe der Mekkaner: die Thorhüter der
Ka'bah (Schebi’s) 24 — 5. Die ZemzemVt; Art der Ausbeutung
des heiligen Brunnens 25 — 7. Gewerbslicenzen. Heilige Erinne-
rungsstätten und deren Ausbeutung 27 — 8. Die Fremdenführer
(ilelawwif's, Scheche): ihre Bevollmächtigten in Djiddah 28 — 9.
Die Scheche als Mittelspersonen zwischen dem Pilger und Allem ,
was er braucht 29 — 31. Gesellschaftliche Stellung der Scheche
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31 — 2. Ihre Zunft und deren Unterabtheilnngen 32 — 3. Pfuscher
in der Fremdenführung ( Djarrär’s ) 33—4. Wie man in die
Zunft aufgenommen wird 34. Zunftfcst ( Mv'allimijjeh ) bei der
Aufnahme 35. Befugnisse des Zunfthauptes 35 — 6. Andere Kor-
porationen 36. Leute, die, ohne ein Gewerbe auszuüben, von
den Pilgern leben 37 — 8. Vermiethung der Wohnungen : alle
Mekkaner Gastwirthc 38. Baumaterialien und Bauart 38 —9.
Vorhalle (Dihliz), kleine Zimmer im Erdgeschoss ( Meqä'id )
39 — 40. Abtritt, zugleich Badezimmer und Wasserkammer (Bef
et-mä , Tahärah ) 39 — 40. Sille im Erdgeschoss. Bedingungen
heim Hinaufsteigen zur Treppe 41 — 2. Nothkiicben (Merakkab)
und Dachterrassen ( Seliih ) , Schlafzimmer (Mebil) und sonstige
Orte , wo man schläft 42 — 3. Salons (Mhljlis) ; ihre Ausstattung
43 — 4. Andere Zimmer (Cu/fah , Muacchar, Cliazünah); die
Küche (Matbach) 44. Die Mitbewohner eines Hauses 44 — 5. Hüt-
ten (' Uascha h's) der Vororte 45. Art der Vermiethung von
Wohnungen an Pilger 46 — 7. Einfluss der Schoche auf die Wahl
der Wohnung 47. Bedeutung des Mondkalenders für Mekka 47 — 8.
Wie die Mekkaner den ersten Monat, Huhnrram, verleben.
Volksthümliches Urtheil über die Küfir’s 48 — 9. Flottes Lehen
der Mekkaner im orsten Theile des Jahres 49 — 50. Sommer-
aufonthalt in Taif 50 — 4. Der ‘Aschürätag (40 Muharram). Oeff-
nung dor Ka'bah. Heimreise der letzten Pilger nach der Rückkehr
der »zweiten Karawane" von Medina 54 — 2. Der zweite Monat ,
Qafar : das Fest der heiligen M/jmünah 52 — 3. Gesellschaften
zur Reise nach Mdjmünah (Baachkah’s) und deren KassenfUhrer
(Qajjrmi's) 53. Religiöse und weltliche Bestandtheile des Festes;
Musik und Unzucht 54 — 5. Das Fest von es-Schuluzdä 55—6
Der »letzte Mittwoch" des Cafar 56 — 7. Der dritte Monat, RabV
dl-Aunml : Geburtsfest Muhammeds 57. »Predigt” und feier-
licher Aufzug an demselben 58 — 9. Nächtliche Belustigungen.
Der vierte und fünfte Monat bilden die Zeit der Eheschlies-
sungen 56. Der sechste Monat, Djumäda ’I-Achir: Fest des
Schech Mahmud 59 — 60. Wie die Damen das Fest begehen 60 — 1.
Musik der Sängerinnen. Proben der Strassenpoesie 64 — 4. Les-
bische Liebe 64. Das Fest des heiligen dt-Ma hdalx; seine Legende
64 — 5. Quartierkampfe an solchen Festtagen 65. Andere Heilige
Mekka’s: Wäli Djauhar, el-Mahdjub. Monatliche Feier zu Ehren
der Chadidjah und der Aminah 66. Wöchentlicher Besuch des
Friedhofs 67—8. Art der Verehrung der Chadidjah
und Aminah 68 — 9. Der siebte Monat, Btdßb: das Fest des
heiligen Gentist,' die von ihm gegründete mystische Bruderschaft
69 — 70. Das Fest dor Himmelfahrt Muhammeds 70—4. Seit-
INHALT. VII
Seite.
sarae Sitte der Medinenaer an diesem Festtage 71 — 2. Konser-
vativer Charakter der Medinenser: Mekka in der wahren Mitte
zwischen Medina und Djiddah 72 — 3. Medina die heilige Stadt
der Mekkaner. Sehnsucht nach dem heilige Grabe 74 — 5. Ka-
rawanen der mm Grabe Pilgernden. Die Redjebijjeh der Mekka-
ner 75 — 6. Der achte Monat, Scha'bän: Beginn des Eintretens
der Pilger. Die heilige Nacht in der Mitte deß Monats 76 — 7.
Der »Schech Ramadhan” naht. Reinigung des Bauches vordem
Fastenmonat: die Scherbah. Anfang des Fastenmonats 77. Be-
schreibung eines Tages im Hamadhän: Sonnenuntergang in
der Moschee. Aufruf zum (jalät (strfän). Funktionen der Irname
der vier Riten. Das Fastenbrechen. 77 — 80. Abendmahl. Das^alät
des 'Ischä und die nächtlichen Taräwtlj 80—3. »Kleine Wall-
fahrten” in den Nächten des Ramadhan 83 — 4. Die auf den
Minareten gesungenen Tadkir-forrneln in Ramadhan und sonst
84 — 6. Die letzte Mahlzeit gegen den Morgen hin (Sahür); Me-
sahhir V Die Zeit der Löschung ( Tatfijeh ) und der Tarhim-ge-
sang 86. Freiwillige Aufrufer zum £alät 86 — 7. Aufruf (Adän)
der Morgendämmerung 87. Letzter Aufruf ( Iqamah ) und das
(’nlät des Morgens. 88. Allgemeine Ruhe an den Vormittagen des
Ramadhan. Die Marktstrassen 88 — 90. Zeiteinteilung in Mekka
90 — 1. Die Caläts des Mittags und des Nachmittags 91 Schluss
des Fastenmonats. Beobachtung des Neumonds 91—2. Vorberei-
tungen zum Feste des i»1«* Schaxmoäl 92. Religiöse Feier (Mtsch-
h&d) 92 — 3. Vergleichung des früheren Wohlstandes mit der
heutigen Arrnuth 93 — 4. Das »kleine Fest” ist auch in Mekka
das grössere 94 — 5. Gratulationsbesuche nach dem M&schhed
95 — 6. Fortsetzung bis zum 4ten Schawwal. Weiberfest vom 4teu
bis zum 7len 97. Eiste Karawane ( Qäf'lah ) nach Medina 97— 8.
Im oilften Monat (Du 'l-qa'dah) wachsender Zufluss von Pilgern
98. Wrie die Regierung von den Schechen durch Erneuerung der
Gewerbelicenzen ( Taqrir'x ) Geld erpresst 98 — 9. Besteuerung
der Führer der Djawahpilger in den letzten Jahren 99 — 101.
ü. Familienleben 102 — 199.
Harem und Schleier nach der Vorstellung der Europäer 102.
Dio Harim (Weiber) und die männlichen Hausfreunde 103—4.
Erleichterungen de» Verkehrs- beider Geschlechter mit einander
104 — 5. Praktische Begründung der Beschränkungen und Anlässe
zu deren Aufhebung 105. Kuppler 105—6. Die .Praxis der Poly-
gamie. Lockerheit des Ehebandeg 106—7. Die erste Gattinn
(Bin! 'amm) 107. Mittel des Weibes, da« Ehehand zu losen
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!
VIII INHALT.
107 — 8. Heirathsbedingungen ausserhalb des Kontrakts 108.
Die Ehe als Gewerbe der Mekkanerinnen 109 — 10. Ausbeutung
der Männer durch ihre Gattinnen 110. Cynische Auffassung des
Wesens der Ehe 110 — 11. Gegensätzliche Interessen der Eheleute
111. Ansprüche des Kleiderschranks der Damen 112. JedeGattinn
hat ihre eigne Wohnung. Mangel an gegenseitigem Vertrauen
der Eheleute 112 — 3. Ursachen der Unsittlichkeit der freien Mek-
kanerinnen 113 — 5. Ucilkunst der Weiber 115. Barbiero und
Aerzte 116. Ein berühmter Arzt in Mekka; seine Vielseitigkeit
116 — 7. Die moderne Medizin der Türken 117 — 8. Aberglaube
und Zauberei ; Heimath der Zauberei im fernen Weston und im
fernen Osten 118 — 9. Hadhramitischer Aberglaube 119 — 20. Ab-
wahrmittel der Mekkaner: ‘Azimah’a, Meschäli , Räucherung
121. Behandlung von Kinderkrankheiten 121 — 2. Bekämpfung
des bösen Auges durch Ftuüch und mit religiösen Mitteln 122 — 3.
Die Feiudinn der Mutterfreude ( Umm if-^ibjän) 123—4. Wir-
kung der Zär genannten bösen Geister 124—5. ßeschwörerinnen
der Zär; kostspielige Zär-gesellschallen 125 — 6. Praktisches Mittel
eines Arztes gegon dio Zär. Mittel des Arztes, Diebe zu ent-
decken 126—7. Methode der Austreibung des Zär: sonstiger
Aberglaube 128 — 9. Die Massage ( Tekbis ) eine Spezialität der
Mekkanerinnen 129. Mittel zur Erhöhung der weiblichen Reize.
Künstlicher Abortus und künstlich eizeugte Unfruchtbarkeit.
Andere Mittel gegen die Empfangniss 130 — 1. Dio Weiber ein
Hauplgegenstand der Gespräche der Mekkaner 131 — 2. Vorliebe
der Mekkaner für Sklavinnen : zeitweilige Neigung für Negerin-
nen, dauernde für Abyssinierinnen 133. Eifersucht der Sara
gegen die Hagar 134. Wie die Sklavinn entjungfert wird 134 — 5.
Verletzung des heiligen Gesetzes Uber das Konkubinat 135. Die
Stellung der schwatzen Sklavinn als Konkubine; die der Abys-
sinierinn und der mit Sklavinnen erzeugten Kinder 136. Häus-
liche Koste: das Fest der Benennung (Tasmijah) 137. Die Mahlzeit
(‘.drmuiA) und die Feierlichkeit am Tage vorher 137 — 8. Ueblichsle
Namen in Mekka 139. Fest des 40,teo Tages nach der Geburt
eines Kindes; die Mutter legt das Kind auf die Schwelle des
Hauses Allahs 140 — 1. Beschneidungsfeste ( Tathir , Tahär) der
Mädchen und der Knaben 141 — 2. Aufzug mit dem zu beschnei-
denden Knaben 142—3. Die Operation 143. Erziehung: die Qu-
ränschule (Kuttäb) 143—4. Belohnung des Schulmeisters (Fä-
qih) 144 — 5. Feierliche Aufzüge und Mahlzeiten ('dzima/i’s) beim
Abschluss gewisser Theile des Qurans (Ipxifah und Iqläbah)
Die Mahlzeiten aus feierlichen Anlässen im Gesetz und in der
Praxis (Wdfima/i, ’Azimah) 146 — 7. Recitation legendarischer
Seite.
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INHALT.
IX
Seite.
Prophetenbiographien ( Mölid) vor der Mahlzeit 147. Sangweisen
der Refrain’s und anderer Litaneien (T}ikr's) 148 — 9. Ungesetz-
liche Belustigung der Frauen. Die Wahl einer Carrtere in Mekka.
Nachtheile der gelehrten Erziehung 150 —1 . Neigung der Knaben
zum Gewerbe der Fremdenführer 151 — 2. Das F reudenfest (Sß-
rtirnh) bei der ersten Rückkehr eines Mekkaners vom Besuch
des heiligen Grabes in Medina 152 — 3. Feierlicher Einzug, Mahlzeit,
nächtliche Weibergesellschaft 153—4. Weltlicher Charakter der
Serärah 154 — 5. Die Hochzeit : wenig feierliche Vollziehung zweiter
und späterer Ehen. Die Genussehe ( A lut' ah) 1 55 — 6. Feierliche Hoch-
zeit des Jünglings mit der Jungfrau : der vorläufige Hei rathsan trag
( Chilbah ) ; Bestimmung des Tages der Kontraktschliessung ( Mul -
kah) und des Heirathsgeldes (Mahr). Recitation der Fät’hah 1 57 —
9. Ueberreichung des Heirathsgeldes. Trillern ( Ghatrafah vergl. S.
62, 138) der Weiber bei solchen Gelegenheiten 159—60. Die Kon-
traktschliessung ( Mulkah ) Der Mutnlik (Verheirather) ist der
Bevollmächtigte des Vormunds; er hält die Rede (Chutbah) vor
dem Kontrakt 460 — 1. Kontrolle deß Qädhis 161. Form des
Kontrakts 161 —2. Die Mulkah Morgens zu Hause 162 — 3. Abends
in der Moschee 163 — 4. Abends zu Hause 164. Weitere Hochzeits
feste: der Ijinnatag 165. Putz der Braut; Münzen als Schmuck
und als Amulete ( Mischcha p, Ghätijjeh , Mahmüdijjeh ) 166 — 7.
Der Rikah-tag : Ausstattung des Brautzimmers , der Salons und
des Platzes vor dem Hause 167-8. Speisesendung vom Hause
der Braut an die Familie des Bräutigams ( Ma'scharah) 168. Der
Ghumrah-tag 168 — 9. Die Däna-däna- lieder: die Sängerinn,
ihre Helferinnen (Raddädin) und die Trommelschlägerinnen 169.
Inhalt der Lieder 170 — 1. Die Duchlah-nacht : »Zuschauerinnen”
und »Anwesende”; verschiedene Toiletten dieser Beiden 171 — 3.
Der Aepfelkranz ( Qelädah ). Parfümerien 173 — 4. Kleidung der
Braut 174 — 5. Aufzug des Bräutigams : die Freunde und die Lam-
penträger. Abschiedsgesang vor dem Abzug des ‘Ans 175 — 6.
Die Recitatoren : Vortrag der »Hamzijjah” 176 — 7. Umgang
durch die Stadt nach dem Bäb es-saläm und Verrichtung des
‘Ischä-paläts in der Moschee 177 — 8. Weitere Prozession zum
Hause der Braut; musikalische BegrÜssung 178 — 9. Das Lied
vom Kopfputzen (Ghana ’l-Charit)1. Prozession der Braut und
der weiblichen Gäste nach dem RTkah-zimmer 179—80. Feier
licherEinzug ( Duchlah , Naffah) des Bräutigams in dasselbe: Re-
citation der Fät’hah , und Aufklebung von Münzen (Ghawäzi) auf
das Gesiebt der Braut 180 — 1. Die Abendmahlzeit (Ta'timch) am
Morgen und der Abschied 181. Abholung der Braut und ihre Fahrt
nach dem Hause des Bräutigams ; Frühstück des Ehepaares. Gast-
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X
INHALT.
Seite.
mahl am Duchlah-tage 182— 3. Feierliche Ueberbringung der Aus-
steuer ( Dahasch ) unter Aufeicht der Vertrauensmänner ( Umanü)
183 — 4. Die Nacht der Cabhah : ernste Wiederholung der Komödie
der vorigen Nacht. Toilette der Braut: der Kranz von Jasmin
( Ta'mxret er-räs) 184. Die Ghäb'rah (Mutter der Gattinn) und
ihre Sorge für das Ehebett 185. Die »Morgengabe” ( Qabhah ,
Tafbihah ) nach der ersten Nacht. Damengesellschaft am »sieb-
ten Tage” ( Nahär ds-süb?) nach der Brautnacht 186 — 7. Ver-
gleichung der pomphaften Hochzeit mit dem ehelichen Glück
187 — 8. Brauche bei einem Todesfall: das »Schreien” (Qijäh)
Zeichen der Trauer, zugleich Todesanzeige 188. Das Todtencalät
im Haram 189. Leichenzug und Kondolation 189 — 90. Ver-
keilung von Speisen an die Faqih's und die Armen auf dem
Friedhof; Quranrecitation und Talqxn 190 -1. Versammlung
der Freunde im Sterbehause an den drei ersten Abenden. Be-
kämpfung der Todtenmnhlzeiten von Seiten der Gelehrten 191 —
2. Zweck der Versammlungen : Quranvortrag im Namen des Ver-
storbenen. Verkeilung von Kuchen ( Feläsi ) am dritten Abend
192. Der 7*«, 208t6, 40*te Tag des Todes und das Haul 193.
Trauergebräuche der Weiber (‘ Uddah ) 194. Schreikonzerte
(Ta'did) und andere vom Gesetz verpönte Sitten 195 — 6.
Anhang 197—199.
Zwei Däna-däna-lieder 197 — 8. Mekkanischcs Wiegenlied 199.
m. Wissenschaft 200 — 294.
Anfänge der Wissenschaft des Islam ’s : Qurän und Ueberlie-
ferung 200 — 202. Die Traditionen Dokumente des Kampfes der
Parteien 202 — 3. Trennung von Praxis und Theorie : die Schule
in Medina 203—4. Einheit und Beschränktheit der ältesten
Wissenschaft 204—5. Katholicität des Islam's 205. Fremde Ein-
flüsse. Entstehung propädeutischer Wissonsfächer (Alät) 205 — 6.
Verhältnis« der alten Schule zu den Neuerungen 206 — 7. Die
Gesetzeskunde ( Fiqh ) und die Deduktionsmethode (JJfül al-fiqh)
208. Die vier Riten (Madhab't). Rückgang des Quränstudiums
209. Entstehung der Dogmatik 209—10. Exakte Wissenschaf-
ten. 210. Die Mystik 211. Ghazäli's Encyklopädie der heiligen
Wissenschaft 212 — 3. Sein Verhältnis« zur Mystik seiner Zeit
213 — 4. Naturwissenschaft in Mekka. Alchymie 215. Geographie
und Geschichte 216 — 8. Erbauliche , Geschichtsbücher. Die mek-
kanisclie Druckerei 218—9. Traktätchen. Die Abbildung leben-
diger Geschöpfe 219 — 20. Bibliomanen 220 — 21 . Bellettristische
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INHALT.
XI
Seite.
Studien der Mekkaner ‘221 — 2. Kalligraphie 222. Fortgesetzte
Uebungen im Quränvortrag ( Tadjwid ) 222 -3. Die Kunst der
Qiräjeh und das theoretische Tadjwid 223 — 5. Hiilfsmittel beim
Unterricht 225 — G. Vortheile der Gelchrtoncarrifcre in alter Zeit
22G — 7. Allmähliches Aufhuren der Schulstreitigkeiten seit dem
politischen Verfall des Islam’*. 227 —8. Die Gründung von Un-
terrichtsstiften ( Madrasah's ) ein Zeichen des Rückschritts 228 —
9. Einrichtung der Madrasah's ; berühmte Madras« h ’s in Mekka
229 — 31 . Die mekkanische Universität : der Gelehrtenstand 231 —
2. Einkünfte der Gelehrtenkorporation 233 — 4. Herrschaft des
Herkommens 234 — 5. Das Oberhaupt der Gelehrten ( Scheck
H-*ulamd) 235 — 6. Das Habilitationsexamen 236 — 7. Autorität
des Schoch iWulamä 237 — 8. Zänkereien der Gelehrten 238 fT.
Verbannung eines Gegners des Rektors 239 — 40. Richterspruch
des Rektors zwischen zwei konkurrierenden Mystikern (Chalil
Pascha und Suleiman Efendi) 240 — 3. Stroit zwischen dem Rek-
tor und dem Qadhi 243 — 5. De« Rektors Thittigkeit als Mufti
der Schäfriten 245—6. Die Stunden der Vorlesungen im Haram
und der Ausfall des Unterrichts 246 ff. Ein Tag aus dem Uni-
versitätsleben : Die Vorlesungen nach der Morgendämmerung 247
IT. Aeus8ere Einrichtung der Kollegien 248. Die Studenten der
verschiedenen Riten ; Vorherrschen des schäfi'itischen Elements
249 ff. Bevorzugung der Hanaflten durch die Türken 249 — 51.
Herkunft der in Mekka studierenden Schafften 251 —2. Be-
rühmte schäfi'itische Professoren in Mekka 253 ff. Gründe der
zunehmenden Bedeutung Mekka’s als Hort der muslimischen
Wissenschaft 254 — 5. Inhalt der Vorlesungen über das Fiqh
258. Methoden des Unterrichts 259 — 60. Bedeutung des Geset-
zesstudiums ihr das Leben 260 — 62. Anfang und Schluss der
Vorlesungen 262 — 3. Weitere Vormittagskollegien 263 — 4. Vor-
lesungen nach dem Mittagscalät (Grammatik, Logik, Dogma-
tik) 264 —6. Charakteristik der muhammednnischen Glaubens-
lehre 260 — 7. Ihre Bedeutung fiir die heutigen Muslime 267 — 70.
Kernpunkt der Eschatologie 270 — 71. Verpflichtungen der ange-
stellten Professoren. Vorlesungen nach dem *A?r (Fiqh ihr
Anfänger, Instrumenüilfächer , Exegese) 271 — 2. Mangel an
Verständnis« fiir den Sinn des Quräns 272 — 4. Ein seltsamer
maghribinischer Gelehrter in Mekka 274 — 5. Kollegien nach Son-
nenuntergang (Fiqh usw.) und nach dem ischä 275 — 6. Diens-
tag und Freitag in der Universität. Vorlesungen fiir Damen
277. Stellung der Mystik im offkiellen Unterricht 277 — 9. Ueber-
handnehmen des Formalismus auch in der Mystik 279 — 80.
Persönliche Führer auf dem Pfade der Mystik ; Kriterien bei
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XII
N II A I. T.
Seite.
der Wahl eines Führers 281. Die Orden und ihre Häupter; Ver-
hältniss der ofticiellen Wissenschaft zu denselben 282 — 5. Er-
höhte Bedeutung der Genossenschaften für den heutigen Islam
285 ff. Gründe der günstigen Beurtheilung ihrer Thatigkeit
von Seiten der heutigen 'Vlamn 286. Die Tariqah's in Mekka
287. Die Studenten und die populäre Mystik 287 — 8. Bedeu-
tung Mckka’s als Centrum des geistigen Lebens für den heuti-
gen Islam 288 — 9. Ausserordentliche Vorlesungen im Haram
an gewissen Zeiten 290 ff. Die Ferien nnd Ferienkurse 291 — 2.
Von ausländischen Gelehrten an ihre Landsleute ertheilter
Privatunterricht 292 — 3. Die »Frösche” (Pfuscher auf wis-
senschaftlichem Gebiete) 293 — 4.
IV, Die Djäwah 295—893.
Bedeutung der Djäwah für Mekka ; Grenzen ihrer Heimath
295— 6. Die Pilger vom Kap der Guten Hoffnung, ihre Her-
kunft, ihre Sprache und ihr Verhiiltniss zu den übrigen Djä-
wah 296-7. Die Wallfahrt der Djäwah früherund jetzt 297 — 9.
Reisen der Mekkaner nach den ostindischen Inseln 300. Urtheil
der Mekkaner über die Djäwah : naive Frömmigkeit 301 - 2.
Schattenseiten ihres Charakters 302 — 3. Die in Mekka ansässi-
gen Djäwah als Konkurrenten der Mekkaner 303 — 5. Ehrfurcht
der Djäwah vor dem Titel des »Schochs" (Fremdenführer)
305—6. Ausbeutung der Djäwah-pilger durch den mekknnischen
Pöbel 306 — 7. Ihr unbeholfenes Auftreten in Mekka; Schimpf-
worte der Mekkaner gegen sie 307 ff Ausbeutung der Djäwah
durch die „Schache”: Amänah’s und Bidet haddji’s 309 — 12.
Die zweite Beschneidung vieler Djäwah in Djiddah 312. Ver-
breitung malaiischer Sprachkenntnisse in Mekka 313 ff. Speci-
alitliten für die übrigen Sprachen Indonesiens 314—5. F.in-
theilung der Djäwahlander in Pilgerprovinzen 315— 6. Betäwi ,
Sunda und Merikt 317 — 8. Mangel der Djäwah an Selbstach-
tung 318. Reinigung der Djäwahpilger mit Zemzemwusser 319.
Ihre Mahlzeiten von Schaafsköpfen auf dem Berge Abu Qubes
319 — 21. Reinigung ihrer Herzen auf dem Berge Hirä 321 — 2.
Feierliche Umänderung ihrer Namen durch den Mufti der
Schäfi'iten und dessen beide Konkurrenten 322 — 5. Einige Djä-
wahpilger studieren die Haddjgesetze 325 — 7. Uebungen der-
selben im Qurnnrecitieren 327. Aufnahme der Haddji's in my-
stische Orden 328— 9. Die Opfer beim Haddj 329. Falsche
Urtheile über die Bedeutung der llnddji's 329 — 30. Eigentüm-
liche Stellung der Pilger in Ostindien 330 — 31. Wie die Wall-
fahrt das geistige Leben der Indonesier beeinflusst; direkte
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INHALT.
Seite.
Till
Wirkungen; Verkehr verschiedener Djüwah mit einander 331 —
4. Den Europäern fehlt das Verständniss fär das innere Le-
ben der Djüwah 334 — 5. Schilderung der Europäer durch die
Djüwah 335— 6. Urtheile der in Mekka versammelten Muslime
über Engländer, Hussen, Franzosen 337 — 8. Bedeutender in-
direkter Einfluss der Wallfahrt, vermittelt durch die Djäwah-
kolonie in Mokka 339 IT. Gründe, welche die Pilger zu länge-
rem Aufenthalt bestimmen : die Diener und die Faulenzer 339—
4t. Ehen der Djüwah mit Mekkanerinnen 34t — 3. Malaiische
Pilgerschcche 343 — 4. Die in Mekka studierenden Djüwah 344
ff. Von und fiir Djüwah gestiftete Waqfhäuser 345 — 6. Die
Djäwahgelehrten in Mekka als Vertreter der Kultur ihrer Hei-
mat!) 346 — 7. Bedeutung des Islam’s für diese Kultur 347 — 8.
Aus Mekka erhält dieselbe ihre Nahrung 349 — 50. Ein Beispiel
der von Mekka aus erwirkten Reform des religiospolitischen
Lebens 350 — 4. Die leitenden Gelehrten der Djüwahkolonie :
der alte Djuneid aus Batavia und seine Sohne 354 — 6. Sein
Schwiegersohn Mudjtaba 356. Die Sprachen, mittels derer die
Djüwah in die arabische Wissenschaft eingeftihrt werden 357
fl. Verschiedene Methoden des Elementarunterrichts 358— 6t.
Sundanesische Gelehrte in Mekka; Mohammed und Hasan
Muftafa Garut (Priangan) 36t — 2. Schech Muhammod Nawäwi
aus Bunten: sein Lebensgang 302 ff. Schwierigkeit der Aus-
sprache arabischer Laute für die Djüwah 363. Nawäwi als
Schriftsteller 365 ff. Seine Geistesrichtung 366 — 7. Sein Bruder
Tamim 367 — 8. Schech Marzuqi aus Banten 368— 9. Schech
Isma'il Banten : seine Lehrer in Banten und andere namhafte
Docenten in seiner Heimath , die in Mekka studiert haben
369 — 71. Jüngere westjavanische Gelehrte in Mekka; Arschad
ihn ‘Alwan, Arschad ihn As'ad, Ahmed Djaha 371 — 2. Der
grosse Mystiker Abdulkarim Banten : sein Lehrer Chatib Sam-
bas aus Borneo 372 ff. An Ahdulkarim geschehene Wunder
374 — 5. Seine Lebensart: die von ihm geleitete Qädiritische
Genossenschaft 375—6. Die Ordensfeste am 1 1*«“ und !2t'n
jedes Monats (Huul’s des Propheten und des heiligen Abd al-
Qädir) 376—8. Charakter der javanischen Mystik 378 — 9.
‘Aidarus, der intime Schiller und WerbeofBzier Abdulknrims
379 — 80. Chalil Pascha und Suleiman Efendi, Scheche des
Naqschibendi-ordens ; ihre Thätigkeit unter den Djüwah 380 —
1. Gelehrte aus Tjeribon und Semarang 381. Abd üs-Schakür
aus Surabaja 381 — 4. Zeinuddin und Omar Sumbawa 384 —
5. Malaiische Bücher, die in der Regierungsdruckerei zu
Mekka gedruckt sind 385—7. Die Kolonie aus I’ontianak (Bor-
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XIV
INHALT.
Seite.
neo) 387-9. Sumatra: Atjeh, Palembang 389. Schech Zein
aus Rau (West-sumdtra) 390. Zusammenfassende Beleuchtung
der religiös- politischen Bedeutung des Haddj für die Djawah-
liinder: die Masse der Pilger 390 — 1. Mekka das geistige Cen-
trum des ost-indischen lslam’s 391. Gefährlichkeit generalisie-
render Urtheile 392—3.
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VORREDE.
In der Vorrede zum I,,eB Bande habe ich den Inhalt dieses IItBn
als »Skizzen” bezeichnet, damit man nicht von mir erwarte, dass
ich das bunte Leben der Fremdenstadt abseitig und erschöpfend dar-
stelle. Aus meinen Kollcktaneen und Erinnerungen hätte ich freilich
viel mehr mittheilen können, als ich gethan habe, aber dadurch
wäre mein Buch für den grösseren Leserkreis, den es zu gewinnen
hofft, weniger lesbar geworden. Auch dann wären jedoch viele wich-
tige Gegenstände leer ausgegangen, zu deren Beobachtung mir die
Zeit oder die Ilülfsmittel fehlten. Die Kolonien der Inder , der Türken ,
der Centralasiaten verdienen an sich wohl eingehende Besprechung;
ich habe mich aber auf die Djäwah beschränkt, weil ihr Leben
und Treiben für uns Niederländer von höchster Wichtigkeit ist. Eben
darum habe ich sie auch viel genauer beobachtet als jene anderen
Fremden, die in Mekka das Bürgerrecht erhalten haben. Uebrigens
lässt sich nicht leugnen , dass Mekka das geistige Leben der Djäwah
in höherem Grade beeinflusst als das der Türken, Inder oder Bu-
chäri’s.
Auf die fremden Völker, die hier regelmässig vertreten sind , wirkt
die Mutterstadt des Islam’s viel tiefer und nachhaltiger indirekt durch
die Fremdenkolonien als direkt durch die Pilger ein. Schon deshalb
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XVT
empfahl es sich, die Hauptaufmerksamkeit dem Leben der Mekka-
ner in dem Theile des Jahres zuzuwenden , wo sie , vom chronischen
Wallfahrtsfieber befreit, ihren eigenen Charakter zeigen und ihrem
eignen Antrieb folgen. Ausserdem konnte mein Werk nur so die
meiner Vorgänger wirklich ergänzen , weil sie alle Mekka gerade nur
als Wallfahrtsort beobachtet haben und ihnen somit die mekkanische
Gesellschaft und die Fremdenkolonien in der Pilgermasse gleichsam
aufgingen. Jene beiden bestimmen aber die Strömungen , welche von
Mekka aus den muslimischen Ländern zufliessen, und machen die
heilige Stadt in höherem Sinne zum geistigen Centrum des heutigen
Islam’s als der flüchtige Pilgerbesuch, obgleich beide durch das
Haddj verursacht und bedingt sind.
In den beiden ersten Kapiteln habe ich zwei Theile des Lebens
der Mekkaner behandelt, die vielfach in einander greifen und deren
Scheidung also lediglich formelle Bedeutung hat: im I,Un sind die
Seiten des Lebens geschildert, die sich vorzüglich in der Oeffent-
lichkeit zeigen, also was man auf der Strasse, in der Moschee, auf
dem Friedhofe und bei den Heiligengräbern beobachtet, die Feste
der Nachbarn Allahs und ihre Gewerbe, ihre Korporationen und
deren Zänkereien. Den politischen Theil dieses «dimeren Lebens"
konnten wir dabei übergehen, weil derselbe im I,t<m Bande den
Hauptgegenstand bildet. Im II1“ Kapitel ist die Bühne, worauf
sich die Mekkaner und Halbmekkaner dem Leser zeigen , fast immer
die Privatwohnung, und begeben wir uns nur dann auf die Strasse,
wenn das Leben der Familie es erfordert.
Wie innig die beiden Kapitel Zusammenhängen , können wir z. B.
an den Sklaven und Sklavinnen sehen, denn im I,t'n kommen sie
naturgemäss als wichtiger Bestandtheil der gemischten Bevölkerung ,
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XVII
als Handwerker und Arbeiter zur Sprache, und ins 11** gehören sie
als Hausbediente, die Sklavinnen auch als Konkubinen und Mütter
von Mekkanem. Die Aktualität der Sklavereifrage in den letzten Jahren
und die bedauerlichen Missverständnisse, welche darüber in Europa
auch in einflussreichen Kreisen Geltung gewonnen haben, veran-
lassten mich , noch bestem Wissen die nackte Wahrheit über dieses
Thema darzulegen. Als ich die einschlägigen Stellen schrieb, konnte
ich nicht daran denken, dass eine nach meiner festen Ueberzeu-
gung verdammenswerthe und im besten Falle auf Unkenntniss be-
ruhende Operation einiger Grossmächte in Afrika so nahe bevorstehe.
Meine Aeusserungen haben durch die jetzt in Europa künstlich
erzeugte fieberhafte Aufregung die grösste Aussicht auf Geringschät-
zung bekommen; ich verzweifle aber nicht daran, dass einmal die
Ansicht zur Herrschaft gelangen werde, mit der Antisklavereipoli-
tik des 19**" Jahrhunderts habe sich ein abscheulicher Schwindel
verbunden, wenngleich sich daraus für den Branntweinexport und
andere Zweige europäischer Industrie »sociale Vortheile” ergeben
haben.
Das wissenschaftliche Leben in Mekka, welches den Gegenstand
unseres IHl*n Kapitels bildet, Hesse sich in gewisser Hinsicht zum
Istco ziehen: andererseits ist es aber wesentlich international, und
weil die Wissenschaft hier fast ausschHesslich heilige Wissenschaft
(Gesetzeskunde, Dogmatik und Mystik) ist, übt ihre Pflege in der
heiligen Stadt den hervorragendsten Einfluss aus auf die religiös-
politische Bewegung in anderen Ländern. Diese Umstände geben
dem geistigen Leben im engeren Sinne wohl Anspruch auf einen
eigenen Platz. Zur Erklärung der heutigen Zustände auf diesem Ge-
biete musste ich wenigstens in aller Kürze einen Ueberblick über
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XVII 1
Ursprung und Entwickelung der muslimischen Wissenschaft geben.
Andrerseits wird die Darstellung des heutigen wissenschaftlichen Le-
bens im Centrum des Islam ’s auch auf die Geschichte und den
Betrieb der kirchlichen Wissenschaften in früheren Jahrhunderten
Licht werfen.
Die gelegentliche Mittheilung vieles ethnographischen Details wird
hoffentlich den meisten Lesern auch dort willkommen sein, wo
der Zusammenhang dieselbe nicht sosehr verlangte als gestattete.
Schliesslich muss ich den Leser dringend bitten, die «Nachträge
und Berichtigungen” nicht zu übersehen.
Leiden, December 1888.
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I.
AEUSSERES LEBEN.
Wenn man auf einem Spaziergang durch die Strassen Mekka’s
die verschiedenen Typen der Einwohner von einzelnen blonden Tür-
kensöhnen bis herab zu den pechschwarzen Nubiern, mit allen
dazwischenliegenden Nuancen, beobachtet, so könnte man einen
Augenblick versucht sein, zu glauben, dass nur das Renan’sche
Prinzip der Nationenbildung, le desir d'etre ensemblc , im Stande
gewesen sei, eine so verschiedenartige Menge zusammenzubringen.
Dem ist aber durchaus nicht so; die Angehörigen der verschie-
denen Reiche stehen einander hier wie überall meistens unfreund-
lich gegenüber, und das Urtheil einer Nation über die andere
äussert sind vielfach in unbegründeter Verleumdung und schlechten
Witzen. Von einem Wunsche, zusammenzuleben , kann also nicht
die Rede sein; die Mehrzahl derjenigen Mekkaner, die ihre fremde
Herkunft noch deutlich zeigen, ist aber durch den Wunsch, Allahs
Nachbarn zu werden, hergetrieben, und schon dies drückt der in-
ternationalen Koloniensammlung einen ganz eigenen Stempel auf.
Von der Garnison und den immer der Versetzung gewärtigen
türkischen Beamten kommen hier natürlich nur Wenige in Be-
tracht ; auch spielen bei den übrigen Gläubigen , die sich hier
niederlassen, manchmal weltliche Motive mit hinein. Die himm-
lischen Vortheile, die man in Mekka zu erwerben hofft, werden in
den Gebetsformeln immer unter dem Bilde eines wahrhaft einträg-
1
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2
liehen Handels1 * 3 4) dargestellt; viele Türken, Egypter, Syrer, Bo-
ehärl’s und andere Centralasiaten, Inder usw. verbinden mit diesem
bildlichen einen sehr reellen Handel und führen der armen Stadt
den Luxus zu, dessen Vorhandensein auf so unfruchtbarem Boden
naiven Pilgern als ein Wunder gilt. Auch die feinere Industrie ist
hier zum grossen Theil in ausländischen Händen, sofern nicht die
Objekte fertig importiert werden; sogar dem Zimmermann, dem
Drechsler, dem Pfeifenfabrikanten wird es in Mekka zum Lobe
nachgesagt , sie seien von ausserhalb gekommen. Solche Handwerker
kommen aus den '/Kulturländern” des Islam’s; ihnen folgen nach
Mekka viele Bettler, die entweder wegen der heissersehnten Wall-
fahrt herreisen oder weil ihr Geschäft hier besser geht als zu Hause.
Namentlich aus Centralasien reisen sie als Derwische durch die
Länder, in bunte Plickkleider gehüllt, das Haupt mit dem hohen
Tartür bedeckt, in eiuer Hand den Wanderstab und das hölzerne
Instrument ( Chuschchejschah ) s) mit metallenen Ringen , dessen
Lärm ihre monotonen Litaneien begleitet, in der andern Hand den
Bettelnapf ( Qedah ) oder die Bettelnuss (Djöse/i) , denn gewöhnlich
wird eine Kokosnuss zu diesem Zweck gebraucht. Unter ihnen
findet man die meisten unverschämten Bettler; die gewöhnlichen
Schahfaatin oder Maddähin *) sind anständig. Ihr Lied oder ihr
frommer Ausruf *) richtet sich fast immer zum Schöpfer, und der
Mensch, vor dessen Sitz oder Wohnung diese Mahnung zur Wohl-
1) Man betet nämlich um: yyUi q! äjbtfj V fr* <£'*'■
8) So und auch Sckuektekejckak heissen mehrere Arton von Instrumenten, die wenn
man sie schüttelt, einen grossen lärm hervorbringen; auch z. fi. der '/musikalische’'
Gürtel (vergl. weiter unten), den die Sklaven bei ihrem wöchentlichen Spiele gebrauchen ,
wird so genannt. Vergl. Taff. XVIII und XXII.
3) Eigentlich »Lobpreiser”, weil sie gewöhnlich Lieder r.um Preise des Propheten oder
der Heiligen singen.
4) Vergl. mein "Mekkanische Sprichwörter und Redensarten”, S. 49; dies Werk
werde ich fernerhin als "Mekk. Sprichw.” citieren. Der einfachste und üblichste Bctt-
lerausruf ist in Mekka: ja rahbl ja kerim! mit oder ohne dringende Zusätze wie: jä
firiij AUak ja qarikl oder Bitten, die sich mehr direkt an die Menschheit richten,
wie luqmak liUäk mitkiit! (ein Bissen um Gottes willen, für mich Armen!). Es giebt
aber eine unendliche Reihe von Ausrufen, durch welche sich ein Bettler von anderen
unterscheidet, z. B. ana tdlib min alladi Ui jeadm! d h. «ich begehre von dem, der
nimmer schläft (Gott)” usw.
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8
thätigkeit erschallt, braucht, wenn er nichts geben will, bloss mit
einem Allah kerim auf die nächste Thür hinzuweisen. Fremde
Bettler und andere Arme, die etwa im Gefolge von reicheren
Leuten herkamen und nicht wieder heimkehren, begnügen sich
später wohl mit den weniger ergiebigen Stellungen, mit denen
der geborene Mekkaner nicht mehr zufrieden ist. Man findet daher
meistens Fremde als Thorhüter der Moschee, die zugleich die San-
dalen der Hineiutretenden in Verwahrung nehmen, als Portiers in
Privatwohnungen , die von mehreren Familien bewohnt werden , und
als Lohndiener für alle Arbeit, die nicht durch Sklaven besorgt
wird.
Namentlich die Inder ziehen nicht nur aus dem Handel, woran
sie sich energisch betheiligen, sondern auch aus ihren Kreditge-
schäften grossen Gewinn. Das muslimische Wuchergesetz ist zwar
sehr rigoros, und in den Schilderungen der Endzeit wird unter den
Lastern, die das Gericht als nahe bevorstehend ankündigen, das
Leihen gegen 50 °/0 genannt '); allein manche Wucherer nehmen
keinen Anstand, dem kanonischen Gesetze zuwiderzuhandeln, und
sonst bietet ihnen die Interpretation des Gesetzes Gelegenheit zu
allerlei Umgehungsgeschäften s). Andere sind in diesen Dingen den
Indern als gute Schüler gefolgt; ich habe geborene Mekkaner ge-
kannt, die nach den in ihren Händen befindlichen Schuldscheinen
bloss von Javanen 50 — 80,000 Maria-Theresia-thaler zu fordern hat-
ten, obgleich ihnen die Kreditanstalt nur Nebensache war. Die ob-
waltenden ungünstigen Verhältnisse auf Java brachten solche Kre-
ditoren in eine verzweifelte Lage, obgleich die geliehenen Summen
wohl nur höchstens die Hälfte der erwähnten Beträge erreicht hat-
ten; die Leiher gehörten ja meistens den mittleren Klassen an.
1) ist thatsächlich in Mekka ein sehr üblicher und zwar
nicht der höchste Prozentsatz; mit demselben Ausdruck werden die Anleihen der bösen
Endzeit in der Litteratur bezeichnet
S) Die üblichsten sind; 1° die Erwähnung einer höheren Summe in dem Schuldschein,
der auf einen bestimmten Termin lautet, 2° der Leiber verkauft seinem Kunden
eine beliebige Waare gegen eine hohe Summe, deren Zahlung zu einer späteren be-
stimmten Zeit stattfindon soll, und kauft gleich darauf, vorhergehender Verabredung
gemäss, dieselbe wieder von ihm gegen einen kleineren, gleich zu zahlenden Preis,
welcher also eigentlich den Betrag der Anleihe darstellt.
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4
Die Wucherverhältnisse sollten die Mekkaner täglich des Gerichts
gewärtig machen; der ominöse Name «/Zinsen” ( Riba ) wird aber
ängstlich vermieden; was die Wucherer erzielen, heisst »Gewinn”
(Meräb'hah).
Zu den ernstesten Konkurrenten der Inder in dieser Beziehung
zählen die Hadhramiten. Diese kommen fast ausnahmslos ohne
Geld, aber mit grosser Geschicklichkeit und unendlicher Ausdauer
nach Mekka; kein Ehrgefühl verhindert sie, die Wahl des Hand-
werks oder der Stellung ganz von den Umständen abhängig zu machen.
In Djiddah, wo die Trägerzunft den ganzen Verkehr der Stadt
mit dem Hafen vermittelt, fangen viele als Packträger an; einige
von ihnen werden schliesslich reiche Leute. In Mekka suchen sie
zunächst Stellung als Lohndiener, wenn es irgend geht, in einem
Handelsgeschäft. So erwerben sie sich lokale und technische Kennt-
nisse, welche sie möglichst bald selbständig verwerthen; der vier-
zehnjährige Knabe aber, der im ersten Jahre etwa 25 Thaler an
Geld verdient hat, legt gleich 20 davon auf Zinsen, und diese
betragen bei solchen kleinen Anleihen nicht selten 1007o, sogar
wenn die Zahlungsfrist nur wenige Monate dauert.
Aus Jemen wandern Viele mit ähnlichen Absichten nach Mekka
wie die Hadhär’mah; an Energie kommen sie diesen aber nicht
gleich. Der eigentliche Hidjäz (südöstlich von Taif bis nach Wädl
Lijjali) sendet arme Beduinenfamilien in die Stadt; eine solche
Familie bekommt als Wohnung einen Theil der Vorhalle eines
grösseren Hauses und leistet dagegen mit absoluter Zuverlässigkeit
Portierdienste. Dies ist vorzüglich zur Zeit des Pilgerbesuchs wich-
tig, weil dann das grössere Gepäck vieler Dutzende von Pilgern
in den Parterreräumen untergebracht wird. Allgemein traut man
den armen HidjäzI’s viel besser als den von der Kultur beleckten
Selemäni’s, Maglmr’bah und Anderen, die solche Stellungen suchen.
Im südwestlichen Stadtviertel lebt eine ganze Kolonie von Beduinen
aus der Provinz der Uaramein, die Mehrzahl in elenden Hütten
(^Uasclial's) , die wohlhabenden in einfachen Häusern. Sie vermit-
teln das Miethen von Kameelen nach Djiddah, Täif und Medina
und die Einfuhr von Sclmafen, Milch, Butter, Datteln aus ihrer
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5
Heimath, sind also Mecharridjin oder Mitsabbibin. Kleinere der-
artige Beduinenansiedelungen finden sich auch nördlich und südlich
von der Stadt; diese liegen aber schon zu weit entfernt, um zur
Stadt gerechnet zu werden. Näher schliessen sich dem südlichen
Stadtthoil die ‘Ussc/ia/i's der Neger (der freigeborenen Tekrün’s
und der sich ihnen zugesellenden freigelassenen Sklaven) an. Sie
sind Packtrüger, sie leeren die Abtritte aus und fertigen rohes ir-
denes Geschirr und Flechtwerk aus Palmenblattern ( Mekabbah's '),
Zimmerbesen l) usw.) an.
Fügen wir noch hinzu, dass, namentlich aus Egypten , Weiber
nach Mekka kommen, die sich den heirathslustigen Männern an-
bieten, uuch wohl Ehen schliessen, die nur als Schleier für die
Prostitution dienen, so wird der Leser sich ungefähr richtig vor-
stellen, aus welchen weltlichen Gründen Muhammedaner sich hier
einbürgern. Von allen genannten Nationen leben aber auch Viele
in Mekka aus rein religiösem Antrieb: sie wollten die heilige
Wissenschaft an heiliger Stelle studieren, in der Nähe berühmter,
frommer Gelehrten oder Mystiker leben, alte Sünden biissen, auf
unlautere Weise errungene Besitzthümer durch theilweise fromme
Verwendung reinigen, oder auf heiligem Boden ihre letzten Tage
verbringen und sterben. Nur von den Djäwah (den Völkern Ost-
indiens) kann man sagen , dass nahezu allen, die Mekkaner zu
werden wünschen, jeder Nebengedanke dabei fern liegt, obgleich
einzelne nach jahrelangem Aufenthalt von mekkanischer Gewinn-
sucht angesteckt werden. Durch diese Eigentümlichkeit und durch
das absolute Fehlen von Bettlern ihrer Nation unterscheiden sie
sich von allen andern //Nachbarn Allahs”. Von den Letzteren lässt
sich kaum etwas so allgemein Gütiges aussagen; in den meisten
Kreisen der Bürgerschaft sind alle Völkerschaften mehr oder we-
niger stark vertreten. Auffallend ist es aber, wie selten Bewohner
des inneren Arabiens Mekka zum bleibenden Wohnort wählen; die
es thun, sind fast immer Kaufleute, die Anderen kommen nur
zur Wallfahrt, um bald darauf heimzukehren. Sie verehren den-
1) Vergl. Tafel XXXVIII N« 2 und 3.
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noch den heiligen Boden nicht weniger herzlich denn alle frommen
Muslime, gleichviel ob sie bambalitisch fromm oder beduinisch
frei erzogen sind; allein die mekkanische Gesellschaft erscheint
ihnen als verderbt. Auf dem heiligsten Boden ist nach ihrer An-
sicht ein recht unheiliges Babel entstanden; für ihre Verhältnisse
ist Mekka eine Grossstadt, wo der Teufel allerlei Unsitte unter
dem Namen der Kultur eingeführt hat.
Zunächst bilden die Einwanderer jedes Landes eine kleine Ge-
sellschaft für sich ; mit welchen Kreisen ihre Beschäftigung sie auch
in Berührung bringt, intimeren Verkehr haben sie nur mit ihren
Landsleuten. Sofern sie türkische Staatsangehörige sind, oder, wie
die Marokkaner, hier rücksichtslos als solche behandelt werden,
hat dies Sonderleben bloss sociale, aber keine politische Bedeutung.
Auch die Unterthanen europäischer Mächte hüten sich in der Re-
gel wohlweislich, hier als solche aufzutreten, denn die Bevölkerung
würde sie deswegen verhöhnen; die Regierung aber weist solche
Leute ohne Weiteres aus. Nur in seltenen Fällen nützt es fremden,
namentlich englischen, Unterthanen, dass die mekkanischen Be-
hörden ihren Rückhalt, den Konsul in Djiddah, fürchten. Unter
gewöhnlichen Umständen haben sie keine persönliche Berührung
mit den Obrigkeiten; tritt eine solche ein, so werden sie entweder
ganz wie die eigenen Leute behandelt, oder man verlangt von
ihnen , bevor sie hier Rechte geltend machen , eine förmliche Bitte
um die Protektion ( Himäjah ) des Sultans, der sie dann auch fer-
nerhin unterstellt bleiben. In den letzten Jahren wurde die Regel
befolgt , dass alle Unterthanen europäischer Mächte , die im Hidjäz
Eigenthümer unbeweglicher Güter werden wollten, vorher zu na-
turalisieren seien; die Naturalisation fand häufig statt, hatte aber
keine gesetzliche Bedeutung ausserhalb Mekka’s, sodass die euro-
päischen Autoritäten sich nicht hineinmischten. Für den Verkehr
der Behörden mit den Mitgliedern der Fremdenkolonien brauchen
aber beide Parteien eine gewisse Vermittelung; die Verschiedenheit
in Sprache und Sitten würde es,' sonst z. B. der Polizei sehr er-
schweren , nicht jeden Augenblick fehlzugreifen. Als Vermittler fun-
gieren nun meistens die Schecke oder Metamcifin d. h. die Frem-
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denführer, welche von Anfang an Alles für die Neulinge besorgt
haben. Die Hadhär'mah , deren Heimath thatsächlich keiner frem-
den Macht1) gehorcht noch gehorchen will, haben von jeher ihren
eignen Schech, der heutzutage in gleicher Weise zwischen der Re-
gierung und seinen Landsleuten vermittelt, wie die Scheche der
Stadtviertel die »Söhne ihres Viertels” vertreten; auch seine Stel-
lung hat bloss administrative Bedeutung. Eine andere Nation, die
aus ähnlichen Gründen einen Landsmann zum Schech hat, sind
die Selemänijjeh (die Afghanen und ihnen verwandte Völkerschaften).
In das Leben beider Kolonien greift aber die türkische Verwaltung
über den Schech hinaus ein , so oft sie es für nöthig hält.
Nur weil Mekka zum Theil eine Fremdenstadt ist , fühlt sich
die ganze vielsprachige Menschenraasse , die wir jetzt oberflächlich
durchmustert haben, dort völlig zu Hause, jedoch immerhin als
fremd. Viele Ausländer gehören aber nicht mehr zu einer Kolonie ;
ihre Neigung, geschäftlicher Verkehr oder andere Ursachen führten
eine so innige Verbindung mit der eigentlich mekkanischen Gesell-
schaft herbei, dass sie allmählich darin aufgingen. Zwischen diesen
und den »Kolonisten” giebt es eine unendliche Reihe von Abstu-
fungen, keinen schroffen Uebergang. Ehen wirken hier als die
mächtigsten Bindemittel; wer eine in Mekka erzogene Frau heira-
thet, der wird selbst mehr oder weniger Mekkaner; in der zweiten
und dritten Generation ist aber die Herkunft der neuen Familie
so gut wie vergessen. Dem Kern der Bürgerschaft assimilieren sich
also unaufhaltsam neue Elemente, die nicht durch Wahlverwandt-
schaft zu einander gezogen werden. Wenn man dabei die Folgen
der Polygamie und des Konkubinats in Betracht zieht, so kann
man sich denken, dass jedes Stadtviertel fast alle erdenklichen
Menschentypen enthält und dass häufig in einer Familie alle Haut-
farben vertreten sind. Auf den Typus der einzelnen Bestandteile
kann der fortwährende Assimilationsprozess nicht nivellierend ein-
wirken; nur in Kleidung, Sitten, Sprache und Charakter stellt
1) Trotz dor entgegengesetzten Versicherung eines Sejjids in Batavia, auch der
Türkei nicht; ich glaube, der Sejjid würde sich zweimal bedenken, bevor er cs über-
nähme, einen türkischen Beamten auf einer Kmiso durch Hadhr&maut zu begleiten.
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sich die immer werdende und dennoch immer vorhandene Einheit dar.
Trotz ihrer bunten Zusammensetzung zeigt diese Gesellschaft
durch allerlei importierte Brauche und Sitten hindurch ein entschie-
den westarabisches Gepriige; dies haben ihr von oben die zahlrei-
chen Scherifc, Sejjids und die übrigen altmekkanischen Geschlech-
ter1 2), von unten die einwandemden Hidjäzfs und Harbi’s aufgedrückt.
Zu seiner Erhaltung trug der Umstand nicht wenig bei, dass Sitten
und Sprache der südarabischen Einwanderer denen der Mekkaner
sehr nahe standen; diese Hadhramiten und Jemeniten führten aber
unausgesetzt dem für den Charakter der Bürgerschaft maassgeben-
den Nährstande neue Männer zu. Die übrigen Neubürger mussten
mehr vom Altheimischen abstreifen, bis sie für voll gölten konn-
ten, obgleich sie auch ihrerseits das Gesammtlebcn beeinflussten.
Trotzdem fast jede Nation durch einige in den mckkanischen Dia-
lekt eingedrungene Fremdwörter ihr Dasein bekundet, ist doch
dieser Dialekt entschieden westarabisch; trotzdem die Mekkaner in
Bezug auf die Kleidung allerlei aus Indien entlehnt haben, erkennt
man doch den Mekkaner an seiner Tracht und legt er an ge-
wissen Festtagen nicht ungern Beduinengewänder an; mit vielen
fremdartigen Speisen üben die Mekkaner eine Gastfreiheit ’) aus ,
die ganz den echt arabischen Typus zeigt. Viel mehr als fremdes
Wesen hat die Umgestaltung Mekkas in die heilige Stadt des
Islam’s die Zersetzung der Einwohnerschaft bewirkt.
Eigenthümlich ist es, wie die Stadtviertel in der Gestaltung
ihrer gegenseitigen Verhältnisse die Sitten des innem Arabiens nach-
geahmt haben. Hier wie dort entstehen jahrelange Streitigkeiten
aus nichtigen Gründen : eine Schlägerei zwischen Kindern von zwei
Vierteln, oder die Thatsache, diiss ein Taugenichts Hunde des
1) In spaterer Zeit bloss die Schübi's (die Thorhüter der Kn'bab) und vermeintliche
Abkümmlinge des Abdallah ihn Zubeir, als welche dio Mitglieder einer Familie gelten
wollen, die lange Zeit das Amt des llhjjis, des mit der Festsetzung des Kalenders
und der Zeit für die täglichen Qaldfi betrauten Beamten, inne hatte (vgl. Tafel XV
des Atlas, links unten).
2) Gegen Pilger, die nun einmal dio Ernte der Mekkaner abgebon müssen, bezeigen
sie eine bloss formelle und scheinbare Gastfreiheit, aber im eigentlichen geselligen Ver-
kehr sind sic gastfrei bis zur Verschwendung.
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einen Quartiers in das andere hineingehetzt hat, wird Anlass zu
unendlicher Feindschaft. Kein Mann ') kann sich dann in das dem
seinigen verfeindete Viertel hineinwagen, ohne die Gefahr, mit
Steinen aus den Häusern beworfen oder zur Nachtzeit gar mit
Messern angegriffen zu werden. Während die Adligen , d. h. alle
Scherife und einige Sejjid’s aus vornehmen Häusern, immer mit
Djambijjeh' s *) bewaffnet sind, trägt der »Sohn des Stadtviertels”
sein Dolchmesser unter dem Hemde auf der nackten Brust. Kommt
es zu einer grossen Schlägerei {Höschah) , so bewaffnen sich diese
Leute ausserdem mit Knitteln (Naböüt's), und die Helden dieser
Viertelfehden lieben es, im Freundeskreise den kahlgeschorenen
Kopf zu entblössen, um die vielen tiefen Narben zu zeigen, wo
ihnen der Scheitel vom »Feinde” gespalten wurde. In der Stadt
finden die Kämpfe gewöhnlich am Fusse des Abu Qubes statt,
dort wo nach der Legende Mtihammed den Mond zu sich berief
und sich spalten hiess s). Um verfrühten Eingriffen der Polizei vor-
zubeugen, benützen die Kampflustigen häufig die Gelegenheit,
welche ihnen die mekkanischen Heiligenfeste bieten, weil dann
grosse Versammlungen an etwas entlegeneren Orten, nämlich bei
den Heiligengräbern, stattfinden. Fällt ein Kämpfer oder stirbt er
an den auf der Wahlstatt erhaltenen Wunden, so führen meistens
die beiden Scheche der betreffenden Viertel die Tilgung der Blut-
schuld durch Zahlung des Wergeides herbei, das immer von dem
ganzen schuldigen Viertel erhoben wird. Jedes Mitglied des Vier-
tels giebt nach seinem Vermögen einen Beitrag '); und die Zahlung
des Ganzen (selten weniger als 800 Dollars) findet wohl in Raten
statt. Verwundungen werden nach dem jus talionis behandelt; man
1) D h. kein Mann, der zu den aulad el-htrah, den Söhnen des Viertels, gerechnet
wird. Fremde, vornehme Leute und Beamte stehen ausserhalb dieser Zänkereien, und
cs muss sehr weit kommen, bis sie dadurch behelligt werden.
2) Wörtlich //Seitengewehr”, obgleich sio vorne im Gürtel getragen werden. In Cen-
tralarabicn heissen sie richtiger »Qidd imijjeh". Die Form der Djambijjeh'* kann man auf
den Schcrifenbildern im Atlas beobachten.
3) Dieser Ort heisst im Munde der Mekkaner Manschaqq (nur Gebildete sagen Ma-
ickaqq ) elrqamar.
4) Weil die Zahlung auf Alle vcrthcilt wird, heisst dies Verfahren Firqah.
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vollzieht die Rache aber an dem ersten Besten, der zur feindlichen
Partei gehört, und so bleibt immer auf einer Seite ein zu tilgen-
des Saldo. Falls der einer schweren Verwundung Schuldige bekannt
ist , gelingt es den Schechen der Viertel oftmals , durch das Nnqü
genannte Verfahren ') eine friedliche Lösung zu bewirken. Das be-
leidigte Viertel wird von dem andern zu einer Mahlzeit geladen;
bevor diese stattfindet, stellen sich die Parteien einander gegen-
über, und tritt der Schuldige aus den Reihen hervor, indem er
sichselbst mit seinem Messer verwundet. Er setzt dies fort, bis die
auf der andern Seite Stehenden ausrufen: »es ist genug!” worauf
Alle einander begrüssen und sich durch die Mahlzeit zu »Brod-
und Salzgenossen” J) machen. Der Friede dauert dann .... solange
Allah will.
So stehen die Bürger an Uebertretung der Religionsgesetze be-
züglich des Gottesfriedens im heiligen Gebiet den adligen Prophe-
tensöhnen keineswegs nach; auch sie haben ihre »Kriege” und ihr
»Herkommen” und folgen darin dem Beispiele »unserer Herren der
Scherife” und dem allgemein arabischen Brauche. Indem nun die
Sitten und die Sprache des westarabischen Kerns der Bevölkerung
wesentlich das Uebergewicht behalten haben , steht bei Allen , Kern
und Zuwachs, in gleichem Meas.se der Charakter unter dem Ein-
flüsse ihrer Hauptbeschäftigung, d. h. der Ausbeutung der Pilger.
Da Alle, vom vornehmsten Scherif bis zum Bettler, ihren Gewinn
direkt oder indirekt von dem Fremdenbesuch erzielen , lernen die
Gäste Allahs 1 2 3) dessen Nachbarn *) von möglichst ungünstiger Seite
kennen und nehmen daher von diesen sehr einseitige Anschauungen
mit nach Hause, die dem allgemeinen Urtheil über die Mekkaner
eine falsche Richtung geben. Der fromme Pilger, der sich auf
dem heiligen Boden idyllische Zustände geträumt hat, wird schreck-
lich enttäuscht, wenn er hier genule zur Zeit der Wallfahrt fast
1) Vcrgl. Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, Bd. XIV, S. 152.
2) Mckk. Sprich»., S. 89.
S) Allahs Gaste sind die Pilger, wenn sic in Mekka, Mubammeds Gäste, wenn sie
in Medina verweilen .
4} Allahs Nachbarn sind die Mekkaner, Muhammeds Nachbarn die Medincnser.
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nur fieberhaftes Streben nach Gewinn beobachtet. Uns kann dies
nur als natürlich erscheinen, zumal Mekka so gar keine anderen
Erwerbsquellen bietet und die Konkurrenz eher zu- als abnimmt.
Ich muss es noch einmal sagen: wer die Mekkaner ausserhalb der
Pilgerzeit beobachtet (hier sind sie wie Kaufleute auf der Börse),
findet sie leutselig, bis zur Verschwendung gastfrei, geistreich,
ganz dem geselligen Leben ergeben, und wem der Zutritt zu
guten Familien geöflnet wird, der begegnet hier neben vielen vul-
gären Geschöpfen, auch edlen Menschen und ungeheuchelter Fröm-
migkeit.
Bevor wir auf die nähere Schilderung des gesellschaftlichen Le-
bens der von den Fremdenkolonien gleichsam eingerahmten mekka-
nischen Bürgerschaft eingehen , haben wir noch eines hochwichtigen
Elements der Bevölkerung zu gedenken, das seit uralten Zeiten
massenweise eingewandert und sowohl in physischer als morali-
scher Hinsicht für die Bildung des mekkanischen oder vielmehr
der mekkanischen Typen die grösste Bedeutung erlangt hat; ich
meine die immer unfreiwilligen Immigranten aus Afrika und dem
Kaukasus, die neuerdings wieder vielbesprochenen Sklaven.
Cirkassier und Cirkassierinnen kommen über Konstantinopel her ;
wegen des hohen Preises (ein weisser Sklave kostet wohl mehr
Pfunde Sterl. als ein anderer Dollars) ist ihre Zahl gering, und
sie werden in Mekka nie auf dem Markte verkauft. Die Sklavin-
nen sind anspruchsvolle, von den eigentlichen Arabern wenig ge-
schätzte Konkubinen , die Knaben dienen vornehmen Herren als
Kammerdiener und Amasii. Die sehr verbreitete Päderastie gehört
in erster Linie zu den von den .Arabern des Innern verabscheuten
Folgen der Kultur im westarabischen Babel. Einer von den be-
rühmtesten Recitierem des Quräns in Mekka war diesem Laster
in solchem Maasse ergeben, dass jedermann seine jungen Söhne
ängstlich von dessen Hause fern hielt. Haben die cirkassischen
Amasii das reife Alter erreicht, so lassen die Herren sie in der
Regel frei ; vorhin haben sie gewöhnlich guten Unterricht genossen
und sich auch, falls die Herren Geschäfte haben, sehr viele prak-
tische Kenntnisse erworben, die es ihnen erleichtern, sich als
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Agenten ihrer Patrone oder als selbständige Kaufleute emporzu-
schwingen. Wie leicht es ihnen stets war, in der türkischen Bc-
amtenwelt Stellungen einzunehmen, ist männiglich bekannt. Der
verschmitzte Kaufmann, dessen Bild auf Tafel XI dargestellt ist,
hatte mehr ak ein Dutzend pensionierte cirkassische «Leibbediente”
in verschiedenen Geschäften untergebraeht.
Sehr viel bedeutender, sowohl für den Handel als für die Zu-
sammensetzung der Bevölkerung Mekka’s sind die afrikanischen
Sklaven1 2). Mit dem Namen der Nubier bezeichnet man in Mekka
alle jene glänzend pechschwarzen Negersklaven, die zur schwersten
Arbeit bei Bauten, Steinbrüchen usw. benutzt werden. Die übrigen
dunklen Werksklaven, die ebenfalls meistens aus dem Sudan im-
portiert werden, nennt man einfach Neger, Schwarze*). Auch
diese fangen manchmal «in den Steinen und dem Lehm” an; ihre
Eigenthümer schicken sie im Knabenalter wohl eigens zu dem
Zwecke zu den Bauten, damit sie fertig arabisch sprechen lernen.
Sie werden in solcher Lehrzeit auf ähnliche Weise von ihren Lands-
leuten in die neuen Verhältnisse eingeführt, wie die Rekruten
während der ersten Woche in der Kaserne. Die weniger gut Be-
anlagten bleiben, wie die Nubier, Arbeiter und werden ak solche
von den Eigentümern an die Baumeister usw. vermiethet. Ihre
Erziehung beschränkt sich gewöhnlich auf die Erlernung der not-
wendigsten rituellen Verrichtungen des Islams; obgleich sie auch
darin nicht selten sehr nachlässig sind, ist die muslimische Ge-
sinnung dieser grossen Kinder fast fanatisch zu nennen. Am Don-
nerstag Nachmittag bis Freitagmorgen feiern sie, und ergötzen sich
an ihrer Nationalmusik mit Sang und Tanz. Jede Gesellschaft von
solchen Negern hat ihren Schech, der vorkommende Zwistigkeiten
durch seinen Richterspruch erledigt, und ihm steht ein Naqlb mit
1) Ziemlich richtig hat L. Strass in der Oestcrreichischon Monatschrift für den
Orient, 15 Deo. 1880, über die Bedeutung dieser Sklaveneinfuhr und die Thorheit der
Antisklavcreimanie geschrieben. Nur was er über das imihammedanische Gesetz refe-
riert, ist falsch; auch glaubt er mit Unrecht , der Sklavenhandel werde in Mekka nicht
öffentlich betrieben. Vcrgl. übrigens Mekk. Sprichw., 8. 111 ff., wo ich auch über den
Sprachgebrauch bezüglich des Sklavcnwcscns einiges mitgetlicilt habe.
2) Sing, ’nbd a*wad , l’lur. ’abid sud oder ndditn.
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seinem Stock als Gerichtsvollzieher zur Seite. Das Negerorchester ‘)
besteht aus der gefiederten sechsseitigen Tumburah J) und einigen
Trommeln ( Tubül ). Ein Sklave trügt ausserdem einen aus Schaafs-
hufen gemachten Klappergürtel J), womit er tanzend und den
Körper nervös bewegend grossen Lärm macht. Mit den «'Musi-
kanten” bilden die meisten Anwesenden einen Kreis und lassen
stundenlang ununterbrochen ihren monotonen »Gesang” ertönen,
in welchem folgende Tonreihe häufig wiederkehrt:
Der dritte Takt wird so oft wiederholt, als die Stimmen es ver-
mögen, dann folgt aber dem vierten wieder gleich der erste usw.
Innerhalb des Kreises tanzen zwei oder mehrere Sklaven mit langen
Stöcken in der Hand herum und machen dazu Bewegungen, als
kämpften sie. In den Pausen trinkt wohl dieser und jener ein be-
rauschendes Getränk ( Huzah ), aber auch ohne dies genügt das
Konzert, die von Natur immer etwas angeheiterten Schwarzen wie
betrunken zu machen. Nach dieser Erholung gehen sie Freitag
Nachmittags wieder an die Arbeit, die gewöhnlich für ihre Kräfte
nicht zu schwer bemessen ist, obgleich den meisten Eingebornen
solche Anstrengung im Freien unmöglich wäre. Ihre Nahrung ist
völlig genügend; für etwa 40 Pfennige täglich kann man hier einen
Arbeiter mit gutem Essen versorgen. Kleidung und Wohnung
macht das Klima fast überflüssig; jedenfalls bekommen auch diese
Nubier und Schwarzen davon , was sie brauchen. Nach ihrer Frei-
lassung suchen sie Beschäftigung als Lohndiener, Wasserträger
usw.; meistens ziehen sie die Fortdauer der Vormundschaft vor,
namentlich wenn der Herr ihnen die Erlaubniss zur Eheschliess-
ung giebt.
Schwarze, die geistig höher begabt sind, finden als Knaben für
1) Vcrgl. Tafel XVIII des Atlas.
2) Dieser Name dient auch zur Bezeichnung des ganzen Orchesters.
3) Chutchchejxchah oder Schuchschejchah , vergl. oben S. 2. Derlei Umsetzungen sind in
der Umgangssprache bei gewissen Wortklassen nicht selten, z. B. Uefeqah neben Fehr-
qah (der Schlucken), Mudrtjhah und Murdrjkak (Schaukel).
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allerlei Hausarbeit oder als Ladendiener Verwendung. Wohlha-
bende Männer, namentlich Kaufleute '), lieben es, ihr Haus mit
Sklaven zu füllen, wodurch diesen das Leben recht bequem ge-
macht wird, aber auch der »Sklave für Alles” hat beim Bürgers-
mann kein schweres Leben, und alle sind Mitglieder der Familie *),
der sie dienen. Bessere Ladensklaven werden zu Vertrauensmän-
nern, denen von der Sklaverei nur der Name bleibt; Hausdiener
werden fast regelmässig in etwa zwanzigjährigem Alter freigelassen,
schon weil ihre Beschäftigung sie sonst täglich mit vielen freien
und unfreien Weibern in Berührung brächte. Auch fühlt sich der
wohlhabende Eigenthümer verpflichtet, wo möglich, seinem treuen
Diener einen Hausstand zu beschaffen, und die Freilassung gilt an
sich als ein sehr verdienstvolles Werk; das Familienband bleibt
nach wie vor bestehen.
Fast kein Amt und keine Stellung ist solchen Freigelassenen
unerreichbar; sie konkurrieren mit den Freigebornen auf völlig
gleichem Fuss, und der Ausgang zeigt, dass jene nicht am schlech-
testen zum Wettkampf gerüstet sind, denn unter den einflussreichen
Bürgern , den Besitzern von Häusern und Geschäften , sind sie
reichlich vertreten. Ihre Hautfarbe schadet ihnen schon deshalb
nichts , weil der Freie mit seiner schwarzen Konkubine auch schwarze
Kinder erzeugt.
Unglaublich mag es Manchen erscheinen, und doch ist cs wahr,
dass auch aus Britisch-Indien und Niederländisch -Ostindien der
mekkanische Sklavenmarkt, der durch die politischen Verhältnisse
jetzt zum Hauptmarkt geworden ist, gelegentlich kleine Zufuhren
erhält. Die Djäwah-sklaven dürften wohl meistens aus den heidni-
schen Gegenden von Celebes und Borneo oder auch von der Insel
1) Nur die vornehmeren Kau Heute, die auch Engroshändler sind, heissen Tudjdr ;
die Detail Verkäufer sind Bejjd’U (mit üinzufiigung des Namens der Waare), und ihre
Beschäftigung heisst he teesekfro.
2) Wie weit diese Aufnahme in die Familie geht, kann man daraus entnehmen,
dass der pechschwarze Sohn, den der auf Tafel X links dargcstclltc Kaufmann mit
einer schwarzen Sklavinn erzeugt hat, trotz seiner reichen Kleidung und seinem freien,
fast frechen Auftreten, einmal in meinem Beisein von einem gebildeten Mckkancr irr-
tlimnlieh als der Sklave seines Vaters angeredet wurde.
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Nias herstammen ; sie werden auch nach Egypten verkauft , und der
türkische Lehrer der ägyptischen Prinzen erzählte mir von verschie-
denen seiner Bekannten, die solche gehabt hatten. Junge Sklaven
aus Hindustan sah ich viele und auch vier frisch importierte indi-
sche Sklavinnen. Ob sie geraubt oder von ihren Eltern verkauft
werden und aus welcher Gegend sie kommen, konnte ich nicht
ermitteln.
Das Band, das die Sklavinnen mit der Familie verknüpft, der
sie angchören, ist so innig, dass ihre Besprechung in unser zweites,
dem Familienleben gewidmetes, Kapitel gehört. Hier sei nur er-
wähnt, dass die schwarzen, als die kräftigsten, zur Hausarbeit in
Küche und Zimmer benutzt werden und wohl nebenbei bisweilen als
Konkubinen dienen, während umgekehrt die Abyssinierinnen , unter
denen alle Hautfarben von hellgelb bis dunkelbraun vertreten sind ,
in erster Linie Konkubinen sind und auch wohl einmal leichtere
Arbeit übernehmen. Die abyssinischcn Sklaven zeigen natürlich die
gleiche Typusverschiedenheit, und sind dementsprechend nicht alle
für gleiche Zwecke verwendbar. Alle gelten für zarter und intel-
ligenter als die »Neger”, werden daher vielfach besser als diese
erzogen und als Leibdiener oder Geschäftsgehiilfen benutzt. Im Handel
werden unter dem Namen der Hubüech (Abyssinier) alle aus den
Abyssinien benachbarten Gegenden herkommenden Sklaven verstan-
den; die Kenner unterscheiden die Waare genauer, und das kau-
fende Publikum kennt wenigstens die Eigenthümlichkeiten der Galla
und der Gurägc ziemlich genau , sodass z. B. dieser nur eine Galla-,
jener nur eine Guräge-sklavinn als Lebensgefährtinn haben will.
Alle Arten von afrikanischen Sklaven waren (1884 — 5) immer
reichlich vorhanden und durch Vermittlung der DelläFs (Mäkler)
zu haben. Die auf dem Sklavenmarkte (in einer Halle nahe dem
Moscheethore Bäh Dercba/t ; siehe den Grundriss der Moschee) aus-
gestellten Sklaven beider Geschlechter sind theils frisch angekom-
mene, theils solche, die von ihren bisherigen Eigenthümem aus
irgend einem Grunde ausgeboten werden.
Wer mit europäischen Begriffen, vielleicht noch mit Erinnerun-
gen an die Lektüre von Uncle Tom's cabin im Kopfe, diese Halle
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betritt, wird immer zunächst einen antipathischen Eindruck be-
kommen und innerlich verstimmt von dannen gehen. Der erste
Eindruck ist aber falsch . . . leider bringen uns die meisten Orient-
reisenden von dem dortigen gesellschaftlichen Leben nicht viel an-
ders als erste, falsche Eindrücke, wie sie auch sonst gefärbt sind!
Auf den in der Nähe der Wand angelegten Bänken sitzen Mäd-
chen und Frauen, die erwachsenen leicht verschleiert; vor ihnen
sitzen auf dem Boden oder stehen männliche Sklaven reiferen Alters ;
in der Mitte spielen Dutzende von Kindern. Einige Mäkler unter-
halten sich mit einander und mit ihrer lebenden Waare. Von den
Zuschauern widmet einer einem kleinen , schwarzen Knaben beson-
dere Aufmerksamkeit. Der mit dessen Verkauf beauftragte Mäkler,
ruft den Jungen zu sich und zeigt dem Fremden seine Haare,
seine Beine, seine Arme, heisst den Knaben die Zunge und die
Zähne zeigen, lobt indessen seine Art und seine Fertigkeit. Ist der
Käufer vernünftig, so hört er aufmerksam zu, richtet dann aber
das Wort an den Sklaven selbst, denn über seinen eigenen Werth
täuscht kein Sklave den, der später sein Gebieter werden könnte.
//Sprichst du schon fertig Arabisch, mein Junge?” — //So ein bi-
schen, mein Herr1 2 3), aber' ich verstehe es wohl.” — Nach dieser
Einleitung erzählt der Befragte Alles , was er über sich selbst weiss.
Der Mäkler versäumt nicht, den Theil dos Körpers des Sklaven zu
zeigen, wo er Pockennarben hat, mit den Worten: medjaddar chn-
lif , »die Pockenkrankheit hat er durchgemacht”; denn, obgleich
die Schutzimpfung in Centralarabien üblich und vom Mufti der
Schäfi'iten in Mekka in einem Gutachten gebilligt ist, scheint die-
selbe doch bei den Sklaven fast keine Anwendung zu finden. Zwei-
felt der Kauflustige noch , so geht er zu einem Arzte , der Sklaven
für Geld prüft *) ; wenn er sehr fromm ist , nimmt er seine Zu-
flucht zu einer htichärah s) , oder, ist er abergläubisch, so geht er
1) So redet der Sklave jeden Freien an und so bezeichnet er ihn auch in dritter
Person.
2) JeqeUib er-raqtq (taqlW).
3) D. h. er überlässt die Wahl Allah dadurch, dass er gewisse religiöse Ccrcmonicn
verrichtet, sich dann schlafen legt und von dem Inhalt seines Traumes die Entscheidung
abhängig macht.
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zu einem gotterleuchteten Scheck oder einem Rammnl (Wahrsager).
Bevor der Kauf abgeschlossen wird, fragt der Herr den Sklaven:
ente rädki, »willst du (mir dienen)?” und aus der Antwort,
auch wenn sie negativ ist, erschliessen die Sachkundigen fast im-
mer richtig, ob er will oder nicht, ob sein »Nein” auf Antipathie
gegen seine zukünftige Stellung beruht oder bloss der Ausdruck
der Abneigung des Menschen gegen jede unbekannte Aenderung
ist. Gegen seinen Willen möchte aber keiner einen Sklaven, noch
weniger gegen ihren Willen eine Sklavinn kaufen. Ist hingegen ein
Sklave oder eine Sklavinn mit dem Hause, welchem sie dienen,
unzufrieden, so verhehlen sie ihren Widerwillen nicht, und wieder-
holen das: »verkaufe mich” so oft, bis der Eigen thümer sie zur
Dekkah bringt. Es ereignet sich sogar, dass Sklavinnen ohne Er-
laubniss sich selbst in der Dekkah ausbieten ; das hat natürlich keine
rechtliche Geltung , aber der Herr , dem so etwas begegnet , ist selten
geneigt von seinem Rechte Gebrauch zu machen, und die Sklavinn
wider ihren Willen bei sich zu behalten.
Was unser Einen vielleicht am unangenehmsten berührt , ist das
an den Viehmarkt mahnende Besehen und Betasten der mensch-
lichen Waare, vorzüglich wenn es jungen Weibern gilt. Bei genauer
Betrachtung ergiebt sich jedoch, dass keine Sklavinn (vom Sklaven
zu schweigen) gegen solche Prüfung mehr Widerwillen empfindet
als eine europäische Dame gegen ärtzliche Untersuchung. Eigentlich
zeigt sich dies gleich auf dem Markte, denn der fremde Besucher
hat sich kaum wenige Schritte entfernt, da geht der Liirm schon
los: die Sklavinn erzählt ihren »Schwestern” von den komischen
Fragen, die der Mann gethan hat, wie der Delläl ihn zu täuschen
gesucht, sie jenen aber Lügen gestraft hat, und alle scherzen und
lachen. Weder auf dem Markte noch zu Hause werden von den
Sklaven Thriinen vergossen wegen ihres unfreien Zustandes; ihr
Aerger oder ihr Betrübniss gilt bald einem bestimmten Eigenthii-
mer, bald dem Uebergang in neue Verhältnisse. Wenn sie einmal
nach einem Verkauf weinen, so ist dies am besten zu vergleichen
mit dem Weinen des Mädchens , das ins Pensionat gebrach t wird ,
oder des jungen Milizsoldaten, der zur Kaserne reist. Besser als
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weitere Betrachtungen können ein paar Beispiele darthun , wie leicht
man in diesen Dingen zu falschen Schlüssen kommt, weil man die
socialen Verhältnisse nach Bruchstücken beurtheilt.
Einem Europäer, der eine Nacht in Djiddah verbringt, könnte
es leicht passieren, dass er frühmorgens aufwacht von dem Lärm
im benachbarten, von einem Araber bewohnten Hause. Neugierig
hinausschauend könnte er etwa einen Sklaven auf dem Rücken lie-
gen sehen, mit emporgehobenen Füssen, auf deren Sohlen der
Araber ganz ruhig einige Male mit dem Prügelstock tüchtig haut,
während der Knabe immer lauter schreit: »Ich bekehre mich (von
/■/meinen Sünden), bei Allah! Es giebt keinen Gott ausser Allah!
»Ich rufe deinen Schutz an beim Propheten, o mein Herr! o ihr
Menschen !” usw. Reizend sind solche Scenen nicht , und sie gehö-
ren nicht zu den Seltenheiten, in Mekka so wenig wie in Djiddah.
Also hat der Europäer Recht, wenn er seine verstärkten Uncle-
Tom-Eindrücke in der Heimath für die Wahrheit bezüglich der
Sklaverei ausgiebt? Keineswegs; denn mehr Erfahrung würde ihn
belehrt haben, dass der Araber seinen Sohn ja nicht leichter be-
straft, wenn er sich ein Vergehen hat zu Schulden kommen las-
sen. Der Reisende hat keine Scene aus dem Sklavenleben , sondern
eine Probe arabischer Pädagogik gesehen , die für Sklaven und Kinder
die gleiche und allerdings von modernen Anschauungen verschieden ist.
Ganz Anderes begegnete mir in Mekka. Ein vornehmer Mekka-
ner, aus einem Geschlechte von früheren Mufti’s, besuchte mich
häufig und pflegte wie andere Kubürijjeh (vornehme Leute) einen
jungen schwarzen Sklaven als pedmequus mitzubringen. Mir fiel
immer die iiusserst höfliche Form auf, in der sich mein Gast nach
den Bedürfnissen seines Sklaven erkundigte, meinen am Eingang
der Thüre stehenden Diener sitzen hiess , usw. Als ich ihm ein-
mal darüber ein Kompliment machte, erzählte er Folgendes: Als
ich ein kleiner Bube war, beschäftigte sich zu Hause keiner soviel
mit mir wie ein Sklave meines Vaters, Namens Selim , der also
ganz specifisch mein Däd ') wurde. Er that mir Alles zu Gefal-
1) I)a3 Wort, womit die Mokkaner solche Sklaven anreden, die an ihrer Erziehung
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len und verzog mich gründlich , sodass ich immer mehr Dienste
von ihm forderte. Einmal war ich im dritten Stock und wollte ein
Spielzeug aus einem Zimmer haben, das im gleichen Stocke lag.
Nach meiner faulen Gewohnheit rief ich Sellm , es für mich zu
holen. Dieser befand sich unten im Hof und hörte nicht, wie ich
aus dem Fenster schrie: »Vater Selim! Väterchen!” Aergerlich
schrie ich endlich: »0 Selim ')! komm doch herauf!” und als er
noch nicht hörte, schleuderte ich wiederholt den zornigen Ausruf
hinunter: »Du Bursche, Selim , hörst du nicht?” Unbemerkt war
indessen mein Vater hinter mich geschlichen und versetzte mir plötz-
lich eine Ohrfeige , die mich herein- und zu Boden warf. Dann gab
er mir eine 'Fracht Prügel auf die Fusssohlen, indem er mir eine
Predigt hielt über die Höflichkeit gegen Untergebene, da wir sonst
alle Hoffnung auf Gottes Erbarmen verscherzten ’) , und befahl mir ,
gleich hinunterzugehen und den nichts ahnenden Sklaven um Ver-
zeihung zu bitten. Weder die Ohrfeige noch die Predigt gingen mir
verloren; ich fing erst jetzt an, die Liebenswürdigkeit meines Düd
richtig zu schätzen , und die Lektion bestimmte für alle Zeit mein
Verhalten gegen Leute, die Allah uns zu Dienern gegeben hat.
Solche Grundsätze haben viele Bekenner, die sie auch befolgen;
eine einseitig darauf gegründete idyllische Schilderung des Schick-
sals der Sklaven wäre allerdings ebenso verfehlt wie die andere,
oben erwähnte. Alles in Allem ist der Zustand der muslimischen
Sklaven nur formell verschieden von dem der europäischen Diener
und Arbeiter. Wer die lokalen Verhältnisse genau kennt, weissdies
Alles , und er weiss noch dazu , dass die Abschaffung der Sklaverei
für Arabien eine gewaltige sociale Revolution bezeichnet. Es giebt
viele Sachkundige, die dies nur deshalb nicht offen aussprechen,
weil es ihnen unbequem ist, gegen eine herrschende Meinung zu
reagieren , die dem Anscheine nach aus echt humaner Gesinnung
geboren ist.
Anthcil haben: ja dddl , gleichsam: /'mein Väterchen”; auch wird ja ahnje , *mein Va-
ter” gesagt. Vergl. übrigens Mekk. Sprichw., S. 111 ff.
1) Diese Form des Anrufens ist von einem Knaben gegen einen alteren Sklaven des
Dauses schon nicht höflich.
2) irkan man fi'l-ardh jirhdmak man fi't-sämä.
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Man wird uns entgegenhalten, dass die öffentliche Meinung in
Europa sich zur Noth einstweilen mit der Fortdauer der Sklaverei
in muslimischen Ländern zufrieden geben würde, da dieses, auch
dem biblischen Alterthum als gesetzlich geltende, Institut sich dort
nicht durch den Beschluss eines europäischen Kongresses abschaffen
lässt — wenn man sich mit den zur Zeit vorhandenen Sklaven
begnügte und nicht durch grausame Sklavenjagden im dunklen Kon-
tinent die neue Waare beschaffte. Gerade jetzt wird in Europa von
verschiedenen Seiten aufs Neue ein Antisklavereifieber erzeugt, das
uns die Aufgabe erschwert, der nüchternen Wahrheit Eingang zu
verschaffen. Wir können daher darauf verzichten, noch einmal die
Scenen der Sklavenjagd in Erinnerung zu bringen, die durch alle
Zeitungen nnd Zeitschriften, manchmal in übertriebener Form, po-
pularisiert worden sind. Dass sie zu den Uebeln der Menschheit
gehören , möchten wir nicht bestreiten ; die Frage , wie dem abzu-
helfen sei, erhält aber eine andere Form, je nachdem man sich auf
den Standpunkt der idealen Theorie stellt, oder in erster Linie er-
wägt, welche praktische Folgen jede Bekämpfungsmethode erzielen
werde und was zunächst praktisch erreichbar sei.
Die Theoretiker haben das Auge immer nur auf die Ausrottung
der als verdammenswerth erkannten Sklavenjagd gerichtet; sollten
dabei gleich Tausende von unschuldigen Leben zu Grunde gehen,
viel europäisches Gesindel nach Afrika versetzt und die Lösung der
afrikanischen Frage zum Wohl der Eingebomen immer schwieriger
werden — fiat justitia! Wie steht es aber in Wirklichkeit? Die
Neger haben weder Europäer noch Araber zum Besuch eingeladen :
Beide sind ihnen unwillkommene Gäste , denn sie stören sie in ihrer
bequemen Ruhe , die nur dann und wann durch mörderische Kriege
mit benachbarten Dörfern unterbrochen wird. Zahlreiche Erzäh-
lungen, die ich von afrikanischen Sklaven hörte (sie sprechen mit
guten Freunden gern von ihrer Vergangenheit), bestätigen, was die
besonnensten Afrikaforscher von dieser gegenseitigen Abschlachtung
berichten, und fügen hinzu, dass dort, wo solche Zustände nicht
herrschen , die Sklavenjagd kaum möglich wäre. In diese Wildenge-
sellschaft greifen nun Europäer und Araber ein.
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Der Araber, und überhaupt der Muhammedaner, islamisiert, wo
er kann, und sogar englische christliche Missionare in Afrika konn-
ten dem Erfolge ihre Bewunderung nicht versagen: nette Dörfer
mit wohlgekleideten Bewohnern, die massig leben und sich theils
dem Landbau und der Industrie, theils der Wissenschaft widmen,
unterscheiden die muslimischen Distrikte von den heidnischen, wo
manchmal Alles fehlt, was dem Leben Werth verleiht und wo ein
Menschenleben nur geringen Werth hat. In diese Länder glaubt
sich der Amber nun aber noch in anderer Weise einzugreifen be-
rechtigt: seine Religion erlaubt, ja empfiehlt ihm an, sich solche
Ungläubige, deren Land dem Reiche des Islams weder unterworfen
noch verbündet ist, zu seinem Eigenthum zu machen. Jetzt, wo
kein muslimischer Staat in dieser Beziehung die Mission des Is-
lam’s erfüllt, lädt also die Religion Privatleute und Gesellschaften
dazu ein , die Neger gewaltsam ihrer Kultur einzuverleiben und dabei
ein Stück Geld zu verdienen. Dörfer, die sonst Angriffen einheimi-
scher Feinde ausgesetzt sind, überfallen sie, niederschlagend, wer
sich der Wegführung aller brauchbaren Knaben und Mädchen wie-
dersetzt ; anderswo kaufen sie Kriegsgefangene , die sonst in Erman-
gelung von Lüsegeld , von ihren Landsleuten gctödtet werden , oder
wo die Eltern Geld lieber als Kinder haben, kaufen sie ihnen
Letztere ab. Es waren von jeher ein paar forcierte Tagereisen dazu
erforderlich , die menschliche Waare ins nächste Sklaven magazin zu
bringen; die Antisklaverei hat aber die Djelläb's gezwungen, Um-
wege zu nehmen , wo manchmal ein zwölfstündiger Marsch nöthig
ist, bis man die nächste Wasserstation erreicht. So kommen auf
dem Wege und desgleichen auf den weiteren Reisen durch Afrika,
viel mehr erbeutete Menschen ums Leben als vorher, und dies hat
die Antisklaverei mit bewirkt, ohne dass sich die Sklavenzahl ver-
mindert hätte! Bevor aber die Sklaven auf sicheres, muslimisches
Gebiet gebracht sind, gilt das humane muslimische Sklavenrecht
für sie noch nicht ; auf der Reise gelten sie als Beute , und alle
anderen Erwägungen müssen gegen diese zurücktreten. Obgleich
nun der Djeliäb schon im eigenen Interesse die Entführten mög-
lichst schonen muss und die Sklaven ebensowenig aus Grausamkeit
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misshandelt, als er sie aus Grausamkeit geraubt hat, so versteht
sich doch, dass die Schwächeren auf dem Wege übel daran sind.
Mancher Sterbende wird bis zum Ende fortgepeitscht; es haben
mir aber auch Sklaven von Djellnbs erzählt, welche die Ermüdeten
freundlich aufmunterten und, wo möglich, ihnen einen Platz auf
den Lastthieren gewährten. Immerhin bleibt , so gross der Fortschritt
für die hinüber gelangenden Sklaven sein mag, der Menschenraub
mit seinen nächsten Folgen ein schreckliches Uebel.
Anders als die Muslime wirken die Europäer in Afrika; einige
energische Männer und viele verkommene Individuen dringen von
verschiedenen Seiten in den dunklen Welttheil ein , fast Alle suchen
Geld zu verdienen. Einige dienen zugleich der eifersüchtigen Poli-
tik einer europäischen Macht. Die Erreichung dieser Ziele vollzieht
sich thatsäehlich nicht ohne dass viele Negerleben und viel Neger-
glück geopfert werden; man gewöhnt sich daran, dies als eine
Noth Wendigkeit zu betrachten. Ein nicht geringer Theil des Ge-
winns wird durch die riesige Einfuhr von Branntwein erzielt; hat
dies Bildungsmittel mit anderen durch die Kolonisation erzeugten
Uebelständen zusammengewirkt, die schwarzen Kinder der Vor-
mundschaft ül>erdrüssig zu machen, so lichtet man ihre Reihen
durch Pulver. Wenn sie auch von Branntwein und Pulver ver-
schont bleiben, so wird ihnen doch die Verfügung über ihr Land
genommen, sie selbst werden zu Heloten gemacht, der Kultur ihrer
Beherrscher keineswegs einverleibt, sondern als deren Werkzeuge
benutzt. Hie und da folgt der christliche Missionar dem zuchtlosen
Kulturheere mit seinem geistigen Heilmittel; was kann er unter
solchen Verhältnissen ausrichten? Wo er selbst hingegen als Pionier
vorauseilt, da folgen ihm gleich die auserlesenen Europäer, denen
es zu Hause zu enge wurde. Aufrichtige Christen, die auf den
Thatbestand eingingen, wurden immer beschämt, wenn sie einer-
seits den halbnackten Neger mit Cylinderhut und Branntweinflaschc
unsere Kultur vertreten, andererseits den massigen, arbeitsamen
muhammedanischen Schwarzen von der Gewalt des Islam’s zeugen
sahen. Ist nun angesichts dieser Thatsachen Europa, bevor es auf
einen unter seinem Einfluss entstandenen, einigermaassen gesitteten
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Negerstaat hinweisen kann , verpflichtet oder auch mir berechtigt ,
überall und vor allen Dingen den Kreuzzug gegen die Sklavenjagd
zu predigen, obgleich es weiss, dass dennoch diese Jagd auf eine
den Negern ungünstigere Weise fortgesetzt werden wird , und dass
zwar diese Jagd ebenso vielen Negern das Leben kosten mag als
unsere Kultur, die Geretteten aber bald zu Mitgliedern einer ge-
ordneten Gesellschaft herangebildet werden? Die Tausende von Ne-
gern und Abyssiniern , die nach muslimischen Landern entführt sind
und sich ihres früheren Lebens noch erinneren , betrachten sich
selbst als durch die Sklaverei zu Menschen geworden; alle sind
zufrieden und keiner sehnt sich nach seiner Heimath zurück. Ist
es dann billig, dass Europa mit seinen eignen socialen Uebelstän-
den seine Mission in Afrika so fanatisch gegen die Sklavenhändler
richtet? Nein , es giebt zuerst in Afrika Besseres zu thun , und
wenn die Negervölker einigermaassen den Werth des Lebens ken-
nen gelernt haben, so hört die Sklavenjagd von selbst auf; das
Unheil liegt in dem inneren Zustand des Landes. Der Antisklave-
reischwindel in Europa ist beim grossen Publikum eine ehrlich ge-
meinte Dummheit; die Männer der hohen Politik aber nähren das
falsche Feuer mit ganz anderen als humanitären Zwecken '): so
tritt die christliche Welt dem Islam mit Missverständniss und Lüge
entgegen !
Einerseits die uralte hohe Bedeutung der Sklaven und Freige-
lassenen für die mekkanische Gesellschaft, dann aber auch die Ak-
tualität der Sklavenfrage werden unsere Abschweifung entschuldigen.
Es ist leicht abzusehen, wiesehr die Afrikaner, nachdem sie sich
1) VergL meinen Aufsatz in Bi jd ragen van het Nederlandsch-Indiwh Inxlituut , 1887 ,
S. 375 fl. über die sonderbaren Erfolge, deren sich englische An tisk La verdiente zu rüh-
men wagen. Beiläufig sei hier folgende Anekdote erwähnt, die ich von vielen Sklaven
erfahren habe: Als vor einigen Jahren englische Kriegsschiffe im Rothen Meer im Na-
men der Antisklaverei einen manchmal sohr ergiebigen Seeraub trieben, waren die
Sklavenhändler natürlich darauf bedacht, während der Untersuchung ihrer Schiffe die
Sklaven in den unteren Räumen in verschiedener Weise zu verstecken. Damit aber die
Knaben und Mädchen nicht durch Singen und Schreien ihre Anwesenheit verriethen,
erzählte man ihnen in solchen Fällen regelmässig, diese aussätzig weissen Piraten seien
Menschenfresser! Sicher ist, dass die Wirksamkeit der //Menschenfresser” weder zum
Heile der von ihnen befreiten (manchmal auch in grosser Zahl erschossenen) Sklaven,
noch zur Abscliaffung der Sklaverei im geringsten beigetragon hat.
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selbst formell den arabischen Lebensformen angepasst hatten, hier
auf die Gesellschaft einwirken mussten; die Weiber wurden Müt-
ter von Mekkanern , die Männer halfen sie erziehen !
Einen grossen , vom Islam selbst verurtheilten , aber dennoch
fortbestehenden Missbrauch wollen wir hier nicht unerwähnt lassen :
die Kastration von solchen Sklaven, die den Weibern sehr vor-
nehmer Leute ') aufwarten sollen oder in den heiligen Städten die
Ordnung in den Moscheen aufrechtzuerhalten haben ’). In Mekka
bilden Letztere wohl die Mehrzahl; bei Privatleuten sind sehr we-
nige Eunuchen. Alle werden als Verschnittene eingeführt, aber die
Nachfrage nach diesem Artikel für die Moschee macht Mekka an
dem Uebel mitschuldig. Unter den Agha’s der Moschee findet man
Nubier, Schwarze und Abvssinier, manchmal kräftige Gestalten,
aber selten liebenswürdige Leute.
Wir haben zur Genüge gesehen, dass alle Mekkaner direkt oder
indirekt von den Heiligthümern leben ; bezüglich der verschiedenen
Stände und Gewerbe bleibt also nur zu definieren , in welcher
Weise sie das religiöse Kapital productiv machen. Da der Muslim
für keinen Akt der Vermittlung des Priesters bedarf, sind nur
Wenige in der Lage, einen heiligen Ort eigentlich zu besteuern.
So ist die Ausbeutung der Ka'bah (bis Privileg der altadligen Sche-
bah-fatnilie; sie treiben mit der jährlich abgenutzten Kiswah Hau-
del, indem sie kleine Läppchen davon als Amulete verkaufen,
und an den Festtagen , wo die Ka'bah geöffnet wird ’) , oder an
den seltenen Tagen, wo ein reicher Fremder eine hohe Summe für
1) Ausdrücklich sei bemerkt, dass Eunuchensklaven nur von Leuten gehalten wer-
den, die auf sehr grossem Fuss leben.
8) Man nennt sic Agka'a , seltener Tawiiichi't. Daher sagt der Mekkaner von einem
reifen Jüngling, dem er mit vollem Vertrauen den Eintritt zu seinen Weibern gestat-
tet: //der ist zwar erwachsen, aber trotzdem wie ein Agha”. Bekanntlich verhoirathen
sich in Mekka fast alle Aghawnt der Moschee; ein Arzt erzählte mir im Beisein eines
solchen Agha, der an einer Krankheit der Urogcnitalia litt, diese Menschen hätten
beim Coitus nicht bloss Erektion, sondern wenigstens einige von ihnen brachten es zu
einer Art Ejektion und entleerten dabei ein paar Tropfen Blut.
2) Die Zahl und die Ansetzung der Tage wechselt, wie alles Detail der Moscheean-
ordnungen in Mekka, nach dem Willen der Behörden. Der 10 Muharr&m, der 27
Redjeb, der 15 Scha'ban und einige Tage des R&madhän und des Haddjmonats sind
die gewöhnlichsten Oeflnungstage.
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die Extraöffnung zahlt, erhalten die Schebi’s von reichen und von
nahezu allen fremden Eintretenden Geldgeschenke. Scherzend sagt
der Mekkaner, wenn er einen Schebi lächeln sieht: »Man scheint
heute die Kacbah geöffnet zu haben”. Bei diesen und einigen anderen
Gelegenheiten bekommen auch die Agha’s etwas mit und verfolgt
noch ein ganzer Schwarm von anderen Leuten den Besucher mit
seinen überflüssigen Diensten.
In der Verwaltung des Zemzembrunnens hatte Muhammed die
Abbasiden bestätigt. Seitdem diese ihre Ansprüche nicht mehr
geltend machen, steht das Gebäude, innerhalb dessen sich die von
einer dicken Mauer umgebene Mündung des Brunnens befindet.
Jedem offen, und nominell darf Jeder auf die Mauer steigen und
über das eiserne Geländer einen ledernen Eimer in die Tiefe hin-
ablassen. Indessen nehmen immer arme, dienstfertige Leute die
Plätze ein, wo man schöpft, und sie fordern dafür keine Beloh-
nung. Dann giebt es aber eine sehr ausgedehnte Zunft von Zem-
zem}'s (Zamäzim) , die thatsächlich die Vertheilung des Brunnen-
wassers monopolisieren. Wer sich mit dein heiligen Wasser über-
giessen lassen will oder dasselbe ganz //heiss aus dem Brunnen”
geniessen möchte, geht selbst in das Gebäude ; desgleichen die
Mekkaner , so oft sie ihre Krüge gefüllt haben wollen. Ueberhaupt
kommen alle Hüter und Vertheiler von heiligen Dingen den Bür-
gern der Stadt dienstfertig entgegen, ohne Ansprüche zu erheben;
jeder wohlhabende Bürger hat einige Begünstigte, denen er jähr-
lich Bachschisch giebt, aber auch die anderen Moscheediener und
Thorhüter stehen gern mit ihnen auf gutem Fuss, denn alle Mek-
kaner haben ihre Freunde unter den Pilgern und somit ihren Ein-
fluss auf die Vertheilung der »Ernte”. Die Zemzeml’s haben nun
alle in der Moschee 1° ihre grossen thönernen Fässer, die in höl-
zernen, ä-jour gearbeiteten Gestellen ruhen, woran mittels Ketten
metallene Becher befestigt sind '); 2° ihre irdenen Kühlkrüge ( Do-
raq's1 * 3)) , von denen sie viele Dutzende mit Zemzem s) gefüllt in
1) Auf den Tafeln, welche die Moschee darstellcn, sieht man mehrere von diesen
Gestellen. 8) Vcrgl. Tafel XXXVII N°. 2.
3) Der Mekkaner nennt das Wasser bloss Zemzem, nie Zemzem wasser.
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den schattigsten Theilen der Moschee bereit legen. Beiderlei Ge-
fässe sind Stiftungen , die von den Zamazim verwaltet werden ; die
grossen Fässer kühlen das Wasser nur wenig, und daraus trinken
also nur die ärmeren Moscheebesucher, während die vornehmeren
Leute ihren Trunk regelmässig von ihrem ZemzemT aus einem Döraq
in einem kupfernen Becher kredenzt bekommen. Nominell kann Jeder
ein Fass oder einen Döraq zum allgemeinen Nutzen schenken und ir-
gend Einen gegen eine Belohnung mit der regelmässigen Füllung , be-
ziehungsweise Vertheilung beauftragen. Herkömmlich ist jedoch,
dass man diese Stiftungen nur den ZemzemT’s überträgt, und diese,
obgleich sie sich dadurch formell verpflichten, die bezahlte Arbeit
zum allgemeinen Nutzen zu verrichten, kredenzen aus naheliegenden
Gründen von den Fremden in der Regel ausschliesslich ihren Kunden.
Gewöhnlich giebt der Pilger bald nach seiner Ankunft dem ihm von
seinem Führer empfohlen ZemzemT wenigstens einen Dollar , wofür die-
ser einen Döraq kauft, den Namen des Stifters darauf schreibt und den-
selben den von ihm beaufsichtigten Döraq' s hinzufügt. Von dem Au-
genblick an kommt er dem Pilger zu jeder Zeit mit einem Döraq
entgegen, versäumt aber nicht, ihn gelegentlich auf das Wün-
schenswerthe weiterer Stiftungen aufmerksam zu machen. Er bietet
ihm seine Dienste für eine Uebergiessung des Körpers an, wofür
er eine besondere Belohnung erwartet; er erzählt ihm, die Matten
und Teppiche, die er für seine zum Gottesdienst in die Moschee
kommenden Freunde ausbreitet, seien Stiftungen, sie fingen aber
an zu verfaulen und bedürften der Erneuerung, kurz, er zupft in
jeder Weise an dem Beutel des neuen Kunden. Wer ihnen reich-
lich spendet, bekommt täglich seinen gefüllten Krug ins Haus,
und namentlich im Fastenmonat werden solche in grosser Zahl
herumgetragen, damit auch die zu Hause Bleibenden die Fasten
mit Zemzem brechen können und damit .... der Glückwunsch
zum Feste am Ende des Monats nicht unbelohnt bleibe. Auf der
Treppe meiner Wohnung begegneten sich einmal zwei konkurrie-
rende ZemzemT’s mit ihren gefüllten Döraq' der Streit, der sich
daraus entspann, endete damit, dass Beide mit zerbrochenen Krü-
gen herunterrollten! Auch die Beschallung der mit Zemzem ge-
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füllten blechernen und gläsernen Flaschen für den Export gewährt
den Brunnendienem grossen Vortheil. Zu den Fertigkeiten, die sie
sich behufs der Konkurrenz aneignen, gehört das Sprechen meh-
rerer fremder Sprachen , wodurch sie den Kunden Zutrauen ein-
flössen. Ihr Gewerbe gehört zu den einträglichen, welche die Auf-
merksamkeit der Regierung dermaassen auf sich gezogen haben,
dass man sich die Ausübung desselben unter deren Schutz nur
durch die Bitte um ein Taqnr (Liccnz) des Grossscherifs versichern
kann; dieser Bitte wird aber nicht umsonst Gehör verliehen.
Ausserhalb der Moschee giebt es zahlreiche Heiligthümer , zu denen
man nur mittels einer Gabe an den Eigenthümer oder Aufseher
Zutritt erlangt : das Geburtshaus der Fätimah ’) , in dem Muham-
med jahrelang mit Chadidjah wohnte und worin der Besuchereinen
in der Mitte mit einer Aushöhlung versehenen Stein küsst, weil
Fätimah darin geboren sei’); das Wohnhaus Abu Bekr’s; die Ge-
burtshäuser des Propheten, Alls und Abü Bekr’s, in welchen wie-
der schwarze und grüne Steine s) geküsst werden , über denen mit
Teppichen In-deckte hölzerne Kasten gebaut sind, wie man sie
sonst in Grabkapellen findet; auf dem Friedhofe el-Ma'lä die Grab-
kuppeln der Chadidjah und der Aminah; in dessen Nähe das
»Bethaus der Djinn”, wo die 72iU Sürah des Quräns offenbart sein
soll , und unzählige , weniger allgemein besuchte, Erinnerungsgebäude.
Der Thorhüter fungiert meistens zugleich als Vorsager der Gebetsfor-
meln, die ihm der Pilger Satz für Satz nachspricht ; ausser Gemeinplät-
zen und der l’teo Sürah des Quräns (gleichsam das muslimische
Vaterunser) wird in diesen Formeln immer dem Heiligen des Ortes
1) Ueber die unterirdische Loge dieser Hauser vcrgl. Bd. I, S. 19.
8) Das Masqat sittanä Fiit'mah.
3) In den meisten von diesen Steinen hat man wohl zähe Ucberrcste des alten Stcin-
kultus zu sehen, wie überhaupt im heiligen Gebiet unzählige Rudimente altarabischen
Aberglaubens zu beobachten sind. Die Sitte, den "schwarzen Stein” der Kabah zu
küssen (nicht umarmen), kann ich nicht für vcrhaltnissmässig jung halten; die Stelle
Amtih al-atchräf , S. 230 (de Goeje, Meinoires etc., S. 102, Anm.) handelt übrigens
nicht vom schwarzen Stein, sondern von der Sitte, sich betend an die Kabah festzu-
klammern jJjaJI) , welches von jeher zwischen der östlichen Ecke und der Thür
geschieht.
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das Glaubensbekenntniss des Besuchers zur Bewahrung gegeben '),
wobei man sich denkt, am Tage der Auferstehung einen neuen
zuverlässigen Zeugen für seinen Glauben an den Islam zu erwerben.
Auch die offen liegenden heiligen Stätten haben alle ihre ständigen
Parasiten , die als Bettler oder als Vorbeter den Pilger belästigen ;
solche haben aber keinen officiellen Charakter, obgleich sie ihre
»herkömmlichen” Rechte Konkurrenten gegenüber wohl mit der
Faust geltend machen.
Bei weitem die meisten Mekkaner verdanken aber den Heilig-
thümern in indirekter Weise ihren Lebensunterhalt. Der Fremde
mag die Verrichtungen der grossen und der kleinen Wallfahrt noch
so genau studiert haben (und die Meisten thun dies nicht), er kann
auf keinen Fall der Hülfe eines mit den lokalen Verhältnissen ver-
trauten Mannes entbehren; dasselbe gilt von den freiwilligen Be-
suchen heiliger Stätten. Gleich bei seiner Ankunft auf arabischem
Boden, die jetzt für die Meisten in Djiddah stattfindet, braucht
er einen F’ührer, um ihn vorläufig unterzubringen, ihm das Grab
Eva’s zu zeigen und später Kameele und Treiber für die Reise
nach Mekka zu miethen. Ist der Pilger kein Araber, so muss ihm
der Führer zugleich als Dollmetscher dienen , aber auch sonst würde
er in Mekka beim Wohnungmiethen , bei gewöhnlichen Einkäufen
usw. auf die grössten Schwierigkeiten stossen , wollte er versuchen ,
sich ohne die officiellen Vermittler durohzuschlagen. Wenigstens
während der ersten Wochen seines Aufenthalts thut er keinen Schritt,
knüpft keine Verbindungen an, wendet sich an keinen Beamten
ohne die Hülfe seines Metaunoif (d. h. eigentlich der Führer beim
Ta ic äf, dem Umgang um die Ka'bah , im Sprachgebrauch aber
bezeichnet das Wort den Fremdenführer, der Einem Alles besorgt).
Unter allen Zünften Mekka’s ist denn auch die der Metawwißn
bei Weitem die wichtigste. Es giebt kleine Metamoif’s , die nur
mit Hülfe ihrer Familie , ihrer Diener und gelegentlich einiger hun-
griger Freunde dem Geschäfte nachgehen. Die grösseren behandeln
persönlich nur die wichtigsten Angelegenheiten und sehen sich na-
1) audatuka schahddati an Id iltiha etc.
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mentlich nach ihren reichen Kunden um , überlassen aber die eigent-
liche Arbeit einem ganzen Heere von Söhnen, jüngeren Verwand-
ten , Sklaven , ständigen und zeitweiligen Lohndienem. Es giebt sogar
Mystiker und Gelehrte, die bloss ihren geehrten Namen dnzu hergeben,
dass obskurere Verwandten unter solcher Firma als Metawwi/’s fun-
gieren, die ihnen dann einen Antheil am Ertrage zuerkennen.
Jeder Metawwif stellt seine Dienste Pilgern einer Nation oder gar
einer Provinz zur Verfügung, deren Sprache er spricht und mit
deren Eigenthümlichkeiten er vertraut ist, denn ohne solche Kennt-
nisse wäre die Führung schwer und die Ausbeutung nicht erfolg-
reich genug. Seine geschäftlichen Verbindungen geben ihm schon
Bericht, wenn ein Schiff im Anzug ist, auf dem sich Pilger für
ihn befinden. Wichtigen Gästen reist er selbst oder etwa sein Sohn
nach Djiddah entgegen , um dort ihren Empfang bei seinem Wahl
(Bevollmächtigten, wie alle Melawunftn deren in Djiddah haben)
zu überwachen ; weniger bedeutende Personen vertraut er ohne Wei-
teres dem Wahl an. Bei der Ausladung der kleinen Schiffe '), die
den Verkehr mit der Reede vermitteln, sind die Führer oder ihre
Leute behülflich; sie miethen die Lastträger, die das Gepäck in
die Stadt bringen, nachdem sie auch bei der Vertheilung von Ga-
ben an die Douanenbeamten mit thätig gewesen sind, ln kurzer Zeit
verstehen sie es, ihre Kunden abzuschätzen, zu erfahren, wie und
auf wie lange Zeit sie sich einrichteu möchten , und welchen Din-
gen sie das meiste Interesse zuwenden; schon im Voraus bestim-
men sie für Jeden eine seinen Mitteln und einigermaassen auch
seinem Geschmack entsprechende Wohnung aus denen, die sie
selbst und ihre Geschäftsfreunde zu vermiethen haben.
Nachdem die Pilger die ellenlange Mutter der Menschen besucht
haben und Kameele zur weiteren Reise gemiethet sind, legen sie
das Pilgergewand an (wozu jetzt gewöhnlich zwei über den nackten
Körper geschlagene Badehandtücher dienen J) ) und kommen in zwei
1) Saubük, Ze im ah und Qetirah heissen diese Boote; dem Unterschiede des Namens
entspricht verschiedene Form.
2) Noch einmal sei daran erinnert, dass hier keine Beschreibung der Ritus der Wall-
fahrt beabsichtigt wird, da diese früher ausführlich von mir gegeben wordou ist.
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Tagen nach Mekka. Hier vollziehen sie gleich die kleine Wallfahrt
( ‘Uvirah ), für welche keine bestimmte Zeit des Jahres angewiesen
ist, und legen dann die seltsame Kleidung ab. Zu den Cererno-
nien werden ihnen nach Umständen ein oder mehrere Begleiter l)
mitgegeben, die ihnen Alles vormachen und vorleiern und der bei
solchen Gelegenheiten unerlässlichen Wohlthätigkeit die gewünschte
Richtung geben; sie wenden die Gaben ihren Geschäftsfreunden
zu, und bekommen selbst wieder etwas ab, wenn durch ihre Ver-
mittelung eine reiche Spende stattfindet. Ueberhaupt ist est unter
Arabern Sitte, dass beim Zustandekommen eines jeden Vertrags
der Dritte, der auch nur mit ein paar Worten zur Empfehlung
sich hineingemischt hat, ein kleines Geschenk erhält; wie sollte da
nicht der Metatomf , der über den Beutel seiner Kunden zum guten
Theil verfügt , von deren Auslagen seinen Prozentsatz haben ? Von der
Wohnungsmiethe , dem Preise der gekauften Lebensmittel , den from-
men Gaben , den Geldsummen , welche die Pilger für die Stellver-
treter ihrer verstorbenen Verwandten beim Haddj mitbringen, den
Kosten der Eselritto nach Tun'lm , wo man das Pilgergewand zu
weiteren '/kleinen Wallfahrtem” anlegt, oder nach dem Friedhofe,
von der Belohnung der Führer 5) , die man auf dem Friedhofe braucht,
von Allem erheben sie auf irgend eine Weise das Ihrige.
Der Form nach spielen bei alledem die Metamwifin und ihre Ge-
hiilfen gegen ihre Kunden die milden Gastgeber und unterhalten
sich mit jedem nach seiner Art. Ohne Heuchelei erinnern sie den
Frommen an Traditionen über das heilige Gebiet: »der hier schläft,
»steht an Verdienst dem gleich, der anderswo religiöse Uebungen
»hält”, »jedes gute Werk gilt hier siebenfach ; die Absicht gilt wie
»die That, ausser wo es schlechte Thaten betrifft”; »das Wasser des
»Zemzem dient zu allen Zwecken , zu denen es getrunken wird” *) usw.
1) Diese Begleiter sind dem eigentlichen Sinn des Wortes nach Mrtatowif't ; insofern
sic ihre Geschäfte nicht selbständig treiben, heissen sie aber Dtlti'* , Wegweiser; junge,
angehende DHtta heissen, wie alle jungen Lohndiener,
2) Solche Führer nennt man, ebenso wie alle Fremdenführer in Medina, Mezawmrin,
da sie Einem die Zijarah machen helfen, d. h. den frommen Besuch, namentlich heiliger
Gräber.
3) Wie wenig manchmal ziemlich gebildete Leute vom Sinn der einfachsten Traditio-
nen verstehen, kann man daraus ersehen, dass der Dßrrak, den Le Chatelier, Les con-
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Dass sie selbst innerlich alle diesen Dinge glauben , daran kann
nur der skeptische Europäer zweifeln, der das Verständniss für Re-
ligion ein wenig eingebüsst hat. Dem widerstreitet nicht, dass der
Metawicif nicht immer von diesen Dingen ganz erfüllt ist, denn
seine Hauptsorge ist, sich viele Freunde zu machen; den Weltmann
weist er auf die Brennpunkte des geselligen Lebens der Stadt hin ,
auf die Theile des Abü Qubes, von wo man die ganze Stadt über-
blicken kann, auf die besten Gelegenheiten für gesellige Partien
{Qelah's >). Wenn solche Führer und ihre Gehülfen ausserhalb der
Pilgerzeit selbst allerlei von dem vernachlässigen , was sie den Pil-
gern täglich zu thun dringend anempfahlen, so ist dies gar nicht
Mangel an Glauben , sondern eingestandene Faulheit. »Ich bitte
»Gott um Verzeihung , aber ich bin vom Haram (der heiligen Moschee)
»völlig gesättigt”, habe ich öfters einen sagen hören , der trotz dem
viel geringeren Himmelslohn seine täglichen Qaläts zu Hause statt
mit der Gemeinde in der Moschee verrichtete.
Bildung und Lebensverhältnisse der Mefatcioif 'tn sind sehr ver-
schieden: es giebt unter ihnen Leute, die ziemlich gelehrt erzogen
sind, Andere, die ihr gutes Geschäft hohen Verbindungen in der
Beamtenwelt verdanken, auch völlig Ungebildete, die durch blosse
Gewandtheit sich von Gehülfen zu selbständigen Metawwifin em-
porgeschwungen haben. Recht unwissend sind ja meistens diese Ge-
hülfen; ich setzte einmal ein paar von ihnen in Staunen durch die
Mittheilung, dass zur Zeit des Propheten die vier orthodoxen Schu-
len der Gesetzeskunde noch nicht dagewesen seien! Sie kennen
gewöhnlich den lokalen Ritus wie ein Museurasbedienter den In-
halt der Sammlung, die er überwacht.
Zum Haddj besorgt der Melatoimf wieder Alles : Kameele , Zelte
Lebensmittel und Brennholz für die Reise nach Arafat und zurück ;
frörics musulmanes, S. 21, mit Unrecht zu einem bedeutenden Mystiker macht, in
meinem Beisein einmal die allbekannte Tradition: wdie Werke gelten nach den Absich-
ten; jeder Mann also erwirbt, was er beabsichtigt, hat” auf die universelle Heilkraft
des Zcmzcm anwandte.
1) Vergl. Mekk. Sprichw., S. 84 ff. Im heutigen Sprachgebrauch ist dem Worte tyc-
laA jeder Gedanke einer bestimmten Tageszeit fremd; die meisten QelaA's finden in der
Nacht statt.
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Lebensmittel und Opferschaafe werden auch im Thale Muna ver-
kauft, und diese Ankäufe vermittelt gleichfalls der Führer. Ueber
jeden Theil des Ritus belehrt ein Gehiilfe die ihm anvertrauten
Pilger in ihrer eignen Sprache und sagt ihnen dann die herzusa-
genden Formeln vor. Sowohl vor als nach dem Haddj gehen Pil-
ger zum Grabe Muhamtneds nach Medina, dessen allerdings nicht
obligatorischer Besuch meistens einen Anhang zur grossen Wallfahrt
bildet. Auch für diese Reise miethen die Metamwifs Kameele mit
Zubehör {Schuqduf s d. h. Sanften, von denen an jeder Seite des
Kameels eine herabhängt, Mefärinck oder llnnähil d. h. Teppiche,
die zum Schutz gegen die Sonne über die Sänften gelegt werden.
Für usch d. h. Betten usw.).
Man begreift jetzt, wie wichtig die Zunft der Metamwifs für '
Mekka ist,’ wo der Haddj die jährliche Ernte abgeben muss. Wer
in diesem Gewerbe etwas erreichen will, bedarf der Mitwirkung
von vielen Leuten und einer günstigen Zeit; wer etwas erreicht
hat, verfügt dagegen über sehr viele, die ohne seine Hülfe nicht
zu ihrem Antheil gelangen. Von der numerischen Bedeutung der
Zunft kann man sich eine Vorstellung machen, wenn man bedenkt ,
dass nur die Ausbeutung der Djäwah (malaiischen Völker) 180
Fremdenführer sammt ihrem manchmal sehr zahlreichen Anhang
beschäftigt. Ueber Allen steht der Scheck el- Metawoifin , der die
allgemeinsten Interessen der Gesammtheit vertritt, das Zunfther-
kommen gegen Eingriffe vertheidigt, auf der anderen Seite aber
auch der Regierung bei der Einführung neuer Anordnungen be-
hülflich sein muss. Allein die Melawwif’s jeder Nationalität bilden
von selbst wieder eine mehr oder weniger geschlossene Gruppe;
ihre Pilger haben nicht nur ihre eigne Sprache , sondern auch ihre
eigenen Gewohnheiten, speciell von ihnen bevorzugte Heiligthüraer1),
1) Zu den vielen von den Türken bevorzugten Wallfohrtshäusern zählt ein im Süq
U-Ul befindliches Bad, »das Bad des Propheten” genannt. Wie die Ueberlieferung der
vreltklugen Mekkaner will, wäre es ursprünglich ein öttentlichcs Bad gewesen, dessen
Eigentümer Abd en-nebi (Diener des Prophoten) hicss. Bammiim Abi im-nebi wäre in
Hammam en-nebi abgekürzt und daraus die Legende entstanden, Muhammed hatte
Hier gebadet.
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und das alles giebt natürlich zur Entstehung eines specifischen Ge-
schäftskreises und specifischer Interessen Anlass. So bilden die Me-
laiowifin der Türken, der Egypter, der Maghribiner, der Inder,
der Djäwah usw. je eine kleinere Zunft für sich unter ihren re-
spectiven Schechen. Im gewöhnlichen Leben nennt man jeden von
ihnen einen n Scheck der Türken, der Egypter” usw. und das Haupt
einer Abtheilung u Scheck der Schecke ” '). Wenige Worte wechseln
die Bedeutung mehr nach dem Zusammenhang, in dem man sie
gebraucht, als dieses »Schech”. Das Oberhaupt eines Dorfes, eines
Stammes, einer Stammgruppe ist ebensosehr Schech seines Bezirks,
wie der Schech el-harah und der Schech es-sädah diesen Titel resp.
dem Stadviertel und der Adelskorporation gegenüber führen. Spricht
der Bruder einer mystischen Gesellschaft von //unserem Schech”,
so meint er seinen geistigen Führer, während mit demselben Aus-
druck der Student seinen Lehrer, der Gelehrte das Oberhaupt der
cUlamä bezeichnet. In der Anrede’) ist das Wort noch viel allge-
meineren Gebrauchs, wie denn überhaupt jede auszeichnende An-
redeform allmählich herabzusinken pflegt. Ebenso wie nun das
Haupt einer Zunft der Schech der Zunftgenossen, ist auch der
Metawioif der Schech seiner Pilger. Wir werden sie denn auch fer-
nerhin mit ihrem landläufigen Titel von Schechen bezeichnen.
Weil das Zunftwesen lediglich im »Herkommen” begründet ist,
könnte theoretisch jedermann ohne Weiteres den Pilgern für Geld
ähnliche Dienste leisten; allein die Praxis bereitet derlei Unterneh-
men solche Schwierigkeiten , dass ein anständiger Mann seine Ruhe
und seinen Leumund nie so grosser Gefahr aussetzen würde. Die
Leute der Zunft würden ihm wie ein Mann entgegentreten: Rück-
sichten, die sie bei aller Eifersucht gegen einander beobachten,
würden dem Eindringling gegenüber nicht gelten; heimlich und öf-
fentlich würde er nur Feindschaft empfinden, und keinem Pilger
wäre zu rathen, sich einem solchen Pfuscher anzuvertrauen. Aehn-
lich ist es in jeder Zunft, aber die herkömmlichen Regeln werden
1) Schech el-metchdich , z. B. Schach meschdich d-hunud , el-djdtcah.
2) ja schechi ist höflich, ja tchech ist grob und wird auch zu don gemeinsten Leu-
ten gesagt.
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nirgends strenger beobachtet als bei dieser wichtigsten und zahl-
reichsten aller Zünfte. Dennoch giebt es Pfuscher auf diesem Ge-
biete; es sind aber Leute, die man der Aufnahme in die Korpo-
ration für unwürdig erklären würde, und ihre Kunden sind bloss
solche Pilger, die zu arm oder, wie viele Maghribiner, zu geizig
sind, eine irgend beträchtliche Belohnung zu bezahlen. Diese Pfu-
scher heissen Djarrärs, und sie lauem ihrer Beute am Eingänge
der Stadt und in und neben der Moschee auf '). Kommen Pilger
aus einem Lande, dessen Bewohner so selten nach Arabien reisen,
dass sie hier keine speziellen »Scheche” haben, so entscheidet der
Zunftmeister, wem sie zur Ausbeutung gehören. Es versteht sich,
dass solchen aber immer die Berufung an die Regierung zustebt,
wenn ihnen die Entscheidung des »Schecks der Scheche” nicht
gefällt.
Ueber die Aufnahme neuer Kandidaten entscheidet gleichfalls der
Zunftmeister; das Interesse sowohl der Pilger als der Zunftgenossen
soll dabei den Ausschlag geben , also erwogen werden , ob diesen
durch den Zuwachs die Konkurrenz nicht allzu schwer wird , und
ferner, ob der Kandidat durch redlichen Wandel und Fähigkeit
sich Ansprüche erworben hat. Thatsiichlich fallen andere Erwägun-
gen mit ins Gewicht: der Zunftmeister, selbst eine Kreatur der
Regierung, kann einen von hohen Beamten empfohlenen Kandi-
daten kaum zurückweisen ; andere empfehlen sich selbst mit glei-
chem Nachdruck durch ihre einflussreiche Stellung oder durch be-
deutende Geschenke, die sie dem Schech als Einleitung ihrer Bitte
überreichen; auch spielt die persönliche Sympathie des Letzteren
ihre Rolle, obgleich er immer betont, als ein guter »Vater” gegen
alle seinen Söhne gleiche Liebe zu hegen und Aller Wohl unpar-
teiisch zu fördern. Diese Liebe erscheint den Söhnen aber schon
deshalb zweifelhafter Natur, weil der Schech genöthigt ist, die
meistens sehr unwillkommenen Befehle der Regierung zur Geltung
zu bringen, denn sonst verscherzt er sein Amt. Auch erlangt der
1) Die mit Schechen versehenen Pilgor belästigen sic beim Maläf dermaassen mit ihrer
Bettelei , dass jeder genöthigt ist, einige Dutzend Kupfermünzen für sic mitzunehmen.
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»Sohn”, der mit Bachschisch nicht zurückhält, unschwer allerlei
besondere Vergünstigungen und herrscht auch hier der Reiche über
die Armen.
Zur Bestätigung der Aufnahme wird ein kleines Zunftfest gefeiert,
wozu alle Zunftgenossen vom Kandidaten eingeladen werden; es
heisst Me'allimtjjeh '). Vor der ganzen Versammlung sagt der Kan-
didat: »ich ersuche unseren Schech um die (von Gott) erlaubte
Profession”, worauf die Zunftgenossen mit der Frage erwidern : »Wer
ist unser Schech?” Nachdem er diesen mit Namen genannt hat,
fragt ihn der Zunftmeister, ob er ihm gehorchen und seinen Söh-
nen ein guter Zunftbruder sein wolle? Seinem bejahenden Gelöbniss
folgt nun die in betender Haltung ') von allen Anwesenden (auch
etwaigen ausserhalb der Zunft stehenden Gästen) flüsternd vorge-
nommene Recitation der Fät'hah , der ersten Quransürah. Mit dieser
Recitation besiegelt man alle wichtigen Entschlüsse, Beilegung von
Streitigkeiten, schliesst man fast alle bei Heiligengräbern herge-
sagten Gebetsformeln, begrüsst man frohe Nachrichten; Kaufleute,
die sich über den Preis der Waare nicht einigen können, suchen
in gemeinsam recitierter Fät’hah neue Kraft zum Entschluss usw.
Man sagt denn auch von dem vor Kurzem in eine Zunft Aufge-
nommenen : »er hat beim Schech die Fät'hah recitiert *)”• Hie Scheche
gemessen nun bei dem neuen Bruder entweder eine Mahlzeit oder
Kaffee mit Süssigkeiten , wünschen ihm Gottes Segen *) und keh-
ren heim.
Der von den Zunftgenossen gelobte Gehorsam bezieht sich nur
auf Geschäftsangelegenheiten , und selbst in diesen stehen sie nicht
1) Von MeaUm , //Meister” irgend eines Gewerbes.
2) D. h. mit emporgerichtetem Blick, wahrend die Hände so erhoben sind, als läse
der Betende aus seinen Handflächen vor. Nach Beendigung der Fdt'hak , resp. des Ge-
bets, reibt man sich das Gesicht leise mit den Händen.
3) Oder: //Man hat seinetwegen Kaffee geschenkt” ( qabbu ‘ aleih el-qaktoah). Da das
Oberhaupt einer Zunft von der Regierung eingesetzt und mit einem Mantel (lJjubbak)
beschenkt wird, beschreibt man dessen Anstellung mit dem Worte libis d.b. „er hat
(das ihm von der Regierung verliehene Gewand) angezogen”. Ihm gegenüber haben die
Zunftgenossen nicht wie bei dem neuen Kandidaten ein herkömmliches Recht auf eine
Mahlzeit.
4) Die einfachste und üblichste Formel lautet: mebdrak tn tchd 7 Iah, worauf die
Antwort: jebdrik ftk .
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ausserhalb des gemeinen Rechts. Sie wissen aber, dass die Behör-
den anlässlich einer ihnen unmittelbar unterbreiteten Sache sich
zuerst mit dem Schech berathen, und dieser durch einen Versuch,
ihn zu umgehen, verstimmt wird. Uebrigens unterscheidet der Schech
sehr wohl, die, welche er schonen muss, von denen, die den höch-
sten Personen gleichgültig sind.
Mutatis mutandis gilt das oben Gesagte von allen Zünften in
Mekka und auch von anderen Korporationen , die in gleicher Weise
organisiert sind, z. B. den c Ulamä und den Sejjid’s. Bei den anderen
Zünften brauchen wir uns also nicht länger aufzuhalten, zumal die
meisten sich mit der Anfertigung oder dem Verkauf von Lebens-
mitteln, Kleidung, Wohnungen und Luxusartikeln beschäftigen und
somit nur wenig lokale Eigenthümlichkeiten zeigen. Ausser den
Verkäufern von Gegenständen, die in grosser Menge für die Pilger
zum Export angefertigt werden (Rosenkränze ‘) , Kämme ') usw.) ,
kämen als /»specifisch” hauptsächlich die Zemzenu’s und die oben
bereits erwähnten Mecharridjin ’) in Betracht , ohne deren Hülfe
kein Städter mit Beduinen einen Transportvertrag abzuschliessen
vermag.
Eigentlich sollten die Bemühungen der Pilgerscheche sich bloss
auf das beziehen, was im weitesten Sinne zur Wallfahrt erforder-
lich ist ; wie wir sahen , suchen sie dieselben jedoch sehr viel weiter zu
erstrecken und ihre Kunden mit einem Zaune zu umgeben, der
sich nur gegen gewisse Zahlungen öffnet. Verhindern können sie
es aber nicht , dass auf diesem weiteren Gebiete andere Leute
ihnen Konkurrenz machen. Wenn verlautet, ein gewisser Pilger
habe viele hundert Dollars zu verwenden, so mag ihn sein Schech
noch sosehr vor Eindringlingen warnen und noch so viele Besucher
verscheuchen, immer gelingt es diesem und jenem Mekkaner, Zu-
tritt zu erlangen, dem Gaste Allahs einen Gruss oder ähnliche
1) Vergl. Bilderatlas, Tat XL, N0 12 und XXXVII, N“ 14, 15.
2) Burckhardt nennt sie nach syrischem Sprachgebrauch MeqawmmU. Weil man nach
Beendigung jeder Wallfahrt den Kopf raaieron muss und bei der grossen Wallfahrt je-
der einen oder mehrere Hammel zu opfern pflegt, kämen als durch lokale Verhältnisse
besonders zahlreich vertretene Gewerbe noch die der Barbiere und der Schlächter in
Betracht.
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leere Worte zu überbringen und zu erspüren, in welcher Weise
die eingefangene Kuh zu melken sei. ,Mit grosser Virtuosität erkun-
digen sieh diese Besucher fast unbemerkt nach den Verhältnissen
ihrer Objekte und nach deren Neigungen. Braucht der Pilger Geld,
weil er gesehen hat, dass es in Mekka vielerlei zu geniessen gebe?
Sein neuer Freund (der unterdessen konstatiert hat, ob er von
reicher Familie sei) will ihm gern nach mekkanischer Sitte borgen;
qardhah hasanah (eine gute Anleihe)1) nennt man es noch, wenn
der Schuldner den doppelten Betrag bescheinigt. Ist der Pilger hei-
rathslustig? Der Besucher weiss verfügbare Jungfrauen, geschiedene
Frauen, Wittwen, die ganz anspruchslos, ohne die manchmal un-
bequeme Schwiegermutter und sonstige Verwandten, diesem Frem-
den gerade passen würden. Oder will er eine Sklavinn kaufen?
Kein Mensch ist besser mit den Mäklern vertraut als der neue
Bekannte. Auch kann er ihm stellvertretende Pilger beschaffen, die
für seine verstorbenen Verwandten, falls er SchäfFite, für noch
lebende, falls er Hanafite ist, den himmlischen Lohn des Haddj
verdienen und dafür selbst mit einigen Goldstücken zufrieden sind.
Jedoch nimmt der Fremde letzteres Anerbieten gleich zurück , so-
bald er hört, der Schech habe die zu solchem Zwecke mitgebrach-
ten Summen mit Beschlag belegt; richtig, sagt er, das gehörtauch
cinigermaassen zu seinem Resort , und die Zeiten sind schlecht. Um
keinen Preis möchte er dem Schech das Brod vorwegnehmen, aber
einen Freund (und wir sind doch Freunde?) ohne guten Rath in
der ihm ungewöhnlichen Umgebung lassen, das geht denn doch
nicht. Jeder Leser kann sich die weitere Entwickelung solcher Ver-
hältnisse leicht selbst denken. Es giebt also Leute , die ohne Scheche ,
Pfuscher oder Gehülfen von Schechen zu sein , auf die Frage , womit
sie sich ernähren, etwa antworten: früher war ich Lastträger (oder
Tuchverkäufer, Schuhmacher usw.); dann habe ich aber Gelegen-
heit bekommen, immer mehr Verbindungen mit Indem (oder Tür-
ken, Javanen usw.) anzuknüpfen, und so »ist jetzt all mein Ge-
winn bei den Pilgern jenes Landes.”
1) Eigentlich soll dieser Terminus besagen, dass keinerlei Zinsen gezahlt werden.
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Diese anonyme und ordnungslose Zunft ist sehr verbreitet und
unter ihren Mitgliedern begegnet man , ganz wie bei den Schechen ,
Leuten von sehr verschiedener Stellung und Bildung. Einige von
ihnen fördern unerlaubte Verhältnisse der Pilger mit Weibern,
häufig in der Weise, dass die eigne Frau und einige Genossinnen
von dem Kuppler ausgeboten werden. Diese Geschäfte werden aber
in den meisten Fällen von alten Weibern besorgt, die trotz den
Harlmgewohnheiten keinen Anstand nehmen, unangemeldet in die
Wohnungen zu dringen und so unter dem Vorwand des Irrthums
oder einer fingierten Botschaft ihre Gönner zu suchen. Scherzweise
nennen die Leute einen anständigen Ehevermittler wohl auch Kuppler
( Qawwäd) ') , aber nicht in seinen Beisein , denn es ist ein schlim-
mes Schimpfwort.
Schliesslich erwähnen wir noch eine wichtige Quelle von Ein-
künften, welche während der Wallfahrtszeit beinahe allen Bürgern
Mekka’s zufliesst: die Vermiethung von Wohnungen. Mekka be-
sitzt keine Gasthäuser; dagegen ist in den letzten Monaten des
Jahres jeder Mekkaner Gastwirth, mag er ein Haus oder nur eine
ganze oder halbe Etage bewohnen. Es wird hier am Platze sein,
etwas über die Einrichtung der dortigen Häuser zu sagen.
Das Material der gewöhnlichen Häuser ist der Stein der Berge
in unmittelbarer Nähe der Stadt; die vornehmeren werden aus dem
berühmten SchemesT-stein gebaut, den die Steinbrüche in der Nähe
des Berges Schemesl unweit der Haram-grenze auf dem Wege nach
Djiddah in genügender Menge liefern. Ueber die Dachsparren legt
man in den einfacheren Häusern Lagen von aus Palmenblättern
geflochtenen Matten, die selbst wieder mit Sand bedeckt werden.
Die stambuler und syrischen Architekten, welche im Auftrag von
Scherifen und reichen Kaufleuten bauen, benutzen solidere Ma-
terialien und belegen alle Terrassen, Fussböden und Treppen mit
einer Art Cement {Tubtßb) ; beim Umbau altmodischer Häuser
überzieht man heutzutage wenigstens die Böden und Terrassen in
1) So habe ich einen anständigen Hadhramiten gekannt, den man Qaicmid U-Dja-
k ah nannte.
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gleicher Weise und ersetzt man die sehr hohen und unregelmässig
aus unbehauenem Stein zusammengesetzten Stufen der Treppen
durch solche, die man ohne Gefahr ersteigen kann. Da die besse-
ren Architekten sich möglichst nach dem launischen, individuellen
Geschmack ihrer hohen Kunden richten, die kleineren (meistens
ebenfalls fremden) Baumeister aber den spärlichen verfügbaren Mit-
teln, den beschränkten und dem Bodenrelief sowie der Form nach
unregelmässigen Bauplätzen Rechnung tragen müssen, so giebt es
keine einheitliche Bauart und hält es schwer, allgemein Geltendes
von den Häusern auszusagen. Es sei uns also vergönnt, nur auf
einige Räume und Gemächer hinzuweisen , die in der mekkanischen
Wohnung, so verschieden diese sonst eingerichtet sein mag, fast
nie fehlen.
Durch die Hausthür eintretend, kommt man in die Vorhalle
{Dihliz), die nach dem oben Bemerkten entweder Sandboden oder
einen mit Tubtßb belegten Boden hat. In kleinen Häusern stehen
darin wohl ein paar hölzerne Bänke, wie man deren einige in
jedem Kafieehause1) findet; hier empfängt der Hausherr, gleich-
viel ob er bloss über das Parterre oder auch über den ersten Stock
verfügt, flüchtige oder unerwartete Besucher. Auf einer oder auf
beiden Seiten sind wohl ausser dem Treppenhause ein paar kleine
Zimmer abgetheilt, die, zum Schutze gegen die Ueberschwemmung,
höher als der Dihliz angelegt sind. Diese heissen Mag'äd (Plur.
Meqa id) und dienen als Geschäftsbureaux , zum Empfange sehr guter
Bekannten, zu kleinen Gesellschaften, gelegentlich auch als Schlaf-
zimmer, oder, ebenso wie ein Theil des Dihliz, als Verwahrungs-
orte für Waaren und Gepäck. In manchem vornehmen Hause
macht der Dihliz einen grossartigen Eindruck; der hintere Theil
solcher Hallen , zu dem man mittels einiger Stufen hinaufschreitet ,
ist mit Teppichen belegt, und an den Wänden finden sich liegende
1) Die Kaffeehäuser sind alle auf offener Strasse; wo keine Mauer Schatten gewährt,
sind die Räume, wo die Bänke stehen, mit Sackleinen überspannt. Aus dem Kaffcc-
kessel und einigen Tassen, mit frischem Wasser gefüllten Krügen, blechernen Bechern
und Wasserpfeifen besteht das ganze Inventar, mit dem der Meqahtoi oder (häufiger)
Qahicahdji wirthschaftet.
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Polster und stehende Kissen zum Daraufsitzen und Daranlehnen.
Neumodisch ist es, diese Polster auf längs der ganzen Wand
befestigte, durch herabhängende Bekleidung versteckte hölzerne
Bänke ( Karäwit ) zu legen. Ein solcher Diwan dient für alle ge-
wöhnlichen Falle als Empfangssaal; auch speisen hier die Männer,
wenn sie unversehens Gäste bekommen und wenn sie Hausbesuch
von Freunden haben. Mit seinen Nebenzimmern genügt nämlich der
Diwan zur ehrenvollen Bewirthung der angesehensten Gäste, die
beim Hausherrn einkehren , ohne dass sie je nöthig hätten , die höhe-
ren Stockwerke zu betreten. Zu allerlei Zwecken sind hier Meqtrid
eingerichtet; das eine ist Bibliothek und Schreibzimmer, das andere
nimmt einen kleinen Kreis von Freunden auf, die ungestört von
dem zu gewissen Zeiten recht lebhaften Lauf der Geschäfte zusam-
men plaudern wollen. Auch fehlt hier so wenig wie in irgend einem
Stockwerke jedes anständigen Hauses der Bet el-mü, in der vul-
gären Umgangssprache Tahärah , d. h. der Abtritt, der zugleich
als Badezimmer eingerichtet ist und ein grosses irdenes Fass (£ir)
mit Wasser für den ganzen Bedarf des betreffenden Stockwerks
enthält.
Zur Linderung des unangenehmen Eindrucks dieser Kombination
dient häufig eine kleine Mauer, hinter welcher der eigentliche Ab-
tritt versteckt ist; es ist ein etwa 1 dM über dem Boden erhal>ener
Sitz mit einem breiten Riss in der Mitte, worüber der Mensch zu
allen Bedürfnissen niederhockt. In einem Ibriq l) nimmt er das
Wasser zur ersten Reinigung ( htindjii ’) mit; die übrigen durch
rituelle Gesetze erforderten oder bloss zur Erfrischung dienenden
grossen und kleinen Ablutionen nimmt man im anderen Theile des
Raumes vor. Zur grossen Ablution schöpft man mit dem, auf dem
hölzernen Zir-deckel befindlichen blechernen Schöpfbecher (Mugh-
räf) das Wasser aus dem Fass und giesst es sich über den nackten
Körper. Mit demselben Schöpfgefass füllt man die thönernen Trink-
wasserkrüge s) , Waschfässer, Küchengeräthe , und die Hausbedien-
1) Vergl. Tafel XXXVII, N°. 4.
2) Vergl. Tafel XXXVII, N°* 1, 3. 5, 6, 7, 8.
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ten trinken wohl daraus. Nach verschiedenen Seiten senkt sich der
Boden, um dem herablaufenden Wasser in die von der Wand aus-
gehenden Röhren einen Ausweg zu gewähren. Nehmen wir jetzt
Abschied vom dem Orte, wo der Name Allahs nicht ausgesprochen
werden darf und wo, ausser Kellerasseln, allerlei unsichtbare böse
Mächte hausen, gegen welche sich der Fromme dadurch schützt,
dass er beim Hereintreten die Fonnel *) : « Frieden über Nah (Noah)
in den Welten /” spricht.
Im Erdgeschoss finden sich hie und da auch grössere Säle, die
vom Dihllz gänzlich abgeschlossen sind und dann die Stelle des
Diwans vertreten; die reichen Leute lieben es, in den Boden eines
Theils solcher Säle ein Wasserhassin ( Birkah) zu mauern , und darin
einige hundert Schläuche Wasser ausgiessen zu lassen, zur Abküh-
lung der nächsten Umgebung. Auf andere gelegentlich vorkommende
Modifikationen der Einrichtung brauchen wir nicht einzugehen. Wenn
die hintere Mauer des Hauses nicht an andere Häuser anstösst,
so giebt wohl eine Hinterthür Zutritt zu einem Hof, der allseitig
von kleinen Wohnungen umgeben und durch eine enge Gasse mit
der Strasse verbunden ist.
Im Erdgeschoss laufen wir nirgends Gefahr, unversehens einem
Weil)e zu begegnen; dann und wann gehen zwar verschleierte Ge-
stalten hindurch, ohne sich aufzuhalten, aber darum braucht man
sich nicht zu kümmern. Auf den Treppen und in den Stockwerken
ist das anders; wenn das Haus von einer Familie bewohnt wird,
dürfen wir ohne Erlaubniss des Portiers und Begleitung eines dem
Hause Angehörigen gar nicht hinauf. In der arabischen »Grossstadt”
bewohnen aber die meisten Bürger von den drei- und mehrstöcki-
gen Häusern bloss eine oder gar nur eine halbe Etage. Hier ist es
anständigen Leuten gestattet, mit einiger Rücksichtnahme zu Be-
kannten hinaufzusteigen. Man mache ja seine Schritte recht bemerk-
bar und rufe alle Augenblicke etwa einen Namen Allahs aus, der
in seiner Bedeutung eine klare Anspielung enthält, z. B. ja sa/tär
'io Bedecker (unserer Sünden)!”, damit Frauen, die unverschleiert
1) Uurün XXX VH : 77.
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von einem Zimmer ins. andere gehen, sich bedecken oder aus dem
Staube machen. In der Nähe des Stockwerks, wo man einen Be-
such abstatten will, rufe man den Namen des Bewohners, und
falls nicht Weiber darauf verneinend in die Hände klatschen, gehe
man weiter, denn bald wird der Mann uns entgegenkommen.
Auf den Treppen kommen wir dann und wann an Thiiren vorbei ,
hinter denen sich grosse Schränke oder durch ein Fenster vom Hofe
aus beleuchtete Speisekammern oder Nothküchen ( Mernkkab ) be-
finden, die zum höheren Stock gehören. Ausser dem unerlässlichen
Bet el-mä sind Zahl und Grösse der in einer Etage befindlichen
Gemächer sehr verschieden. In den besseren Häusern ist zwar manch-
mal eine Etage der anderen desselben Hauses gleich, aber, theils
um jede Etage mit den nöthigen Dachterrassen zu versehen, theils
weil man aus Geldmangel mitten im Bau stecken geblieben ist,
nimmt der Flächenraum der Etagen häufig nach oben zu ab. Im
zweiten Stock ist z. B. 1|, der Bodenfläche durch Terrassen einge-
nommen, somit dieses dem dritten Stock gänzlich entzogen,
usw. Die Dachterrassen ') sind gewissermaassen der intimste Theil
einer Wohnung, nicht nur weil dort allerlei Arbeit (z. B. das Auf-
hängen der Wäsche) von Weibern besorgt wird, sondern vorzüglich
weil nach Sonnenuntergang der Hausherr mit seiner Familie dort
die verhältnissmässige Kühle geniesst und dieselben während der
heissesten Jahreszeit als Schlafzimmer dienen '). Daher ist es von
Interesse , dass z. B. jedes im Hause befindliche Ehepaar für sich
und seine Kinder über eine eigene Terrasse, oder, wo mehrere sich
darein theilen müssen , wenigstens über einen durch Verschlüge oder
Vorhänge separierten Theil derselben verfügt. Zu diesem Zwecke baut
man wohl auf einem solchen Dach ein kleines , niedriges Zimmer s) ,
1) Die einzelne wird sowohl mit dom Plural Sit tU ab mit dem Sing. Salah bezeichnet.
Solche Terrassen, die über einem Ausbau des Hauses liegen uud hauptsächlich dazu
dienen, einen Sitz im Freien zu gewähren, nennt man Chär'djah.
2) Darum sind die meisten Terrassen, soforn sie nicht schon durch die Hausmauern
eingeschlossen werden, mit eigenen, vielfach aus Backstein gebauten Mauorn umgeben.
Zwischen je zwei Steinen ist ein leerer Raum, der die Luft durchlässt, ohne die Ter-
rasse unbescheidenen Blicken preiszugeben.
3) Solch ein Zimmer heisst MebÜ (Nachtgemach).
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um das Bett aufzunehmen. Die jungen Männer und Sklaven suchen sich
irgendwo eine bequeme Stelle zum Schlafen, oder sie legen sich,
wie alle ärmeren Leute, auf eine Bank vor der Thür oder im
Kaffeehause.
Obgleich die Mekkaner während der kühleren Jahreszeit nicht
immer im Freien schlafen , haben doch die wenigsten specielle Schlaf-
zimmer. Die brauchen sie auch nicht, denn sie waschen sich im
Bet el-mä , sie schlafen in denselben Kleidungsstücken, die ihnen
nach Ablegung der im Ilause unbequemen Djubbah und Antari
(Schäjah) übrig bleiben, und ein Bett lässt sich an jedem beliebi-
gen Orte schnell hinlegcn; man sucht dazu die Stellen aus, wo es
etwas Luftzug giebt. Viele legen sich einfach auf die in jedem Zim-
mer vorhandenen Polster und Kissen '). Man schläft auch viel während
des heissen Tages, so oft man Lust und Gelegenheit dazu hat,
während die kühlere Nacht oft ganz oder theil weise dem geselligen
Verkehr gewidmet wird.
Vorne gegen die Strasse hat jede Etage ihren Salon ( Medjlis ) mit
mehreren Fenstern, hinter welchen sich immer mit Polstern und
Kissen versehene Fensterbänke befinden. Die mittleren (bez. das mitt-
lere) Fenster haben über die Strasse hervorspringende Balkons’);
alle 6ind mit ä-jour gearbeiteten hölzernen Läden {Schubbäk) ge-
schlossen , durch welche man nicht hineinsehen kann 1 2 3 4). Auf jeder
Seite können einzelne kleine Bretter der Lüden theils auf-, theils
niedergelassen und mit Häkchen befestigt werden. Wo ein ganzes
Fenster aufgemacht wird, hängt man gewöhnlich einen farbig or-
namentierten , aus dünnen Stäbchen mattenartig zusammengesetzten
Vorhang ') auf. Der Boden oder die der Wand entlang gebauten
Bänke ( Karäwil) sind ähnlich ausgestattet , wie dies oben 5) bezüg-
1) Tnrrabdt (Polster), Man nid (Kissen zum Lehnen) und Mechadddt (Kopfkissen).
2) Ein Balkon heisst Rdschan ; ein einzelnes Fensterloch und das vor demselben nach
aussen niedergelassene Brettchen Tdqak (Piur. £tjaq und £tqan). Letzteres Wort be-
zeichnet auch die längs der Wand im Zimmer befindlichen Bretter , die man gewöhn-
lich mit Porzellan-, Glas- und Töpferwaaren ausstattet, und ein ganzes Stück (z. B.
Seidon-, Wollen-, Leinen-) Zeug.
3) Vergl. das hübsche Haus rechts im Hintergründe von Tafel V.
4) Kibrüoh , Plur. Kabdrlt.
5) 8. 39—40.
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lieh des Diwans im Erdgeschoss beschrieben wurde. Zwischen die
Teppiche und den Fussboden legt man Matten aus Palmenblättern,
weil sonst die kostbaren Teppiche allzurasch verfaulen.
Um in den Medjlis zu gelangen, hat man gewöhnlich zuerst
ein kürzeres Zimmer von gleicher Breite zu durchschreiten, wel-
ches dem Med j/i>< gleichsam als Vorhalle dient; es ist die Qvffah.
Man kann darin unerwarteten Besuch empfangen, falls der Salon
z. B. durch die Weiber besetzt ist; sonst, z. B. bei grösseren Mahl-
zeiten, richten sich hier die Mebäschirin ') , d. h. die Gäste, die den
anderen aufwarten, ein, oder es setzen sich auch die überzähligen
Gäste dahin. Zu beiden Seiten des Medjlis und der Quffah sind,
wenn der Raum es gestattet, ausser kleinen Wandschränken Zim-
merchen, Speisekammern oder grosse Schränke; der gebräuchlichste
Name dieser Nebengemächer ist Chazänah , wenn sie aber auch als
Küche dienen , Matbach ’). In die Chazänah begiebt sich die Frau,
die mit ihrem Manne im Medjlis gesessen hat, wenn dieser hier
einen eben angemeldeten Besucher zu empfangen wünscht; ist die
Chazänah nicht beleuchtet, so giebt es auf der anderen Seite wohl
wieder eine Thür, durch welche die Exilierte anderswohin gehen kann.
Nur bei grossartiger Einrichtung des Ganzen kommen mehrere
Salons in einer Etage vor ; von den verschiedenen anderen Zimmern ,
in deren Verkeilung wieder keine Regel zu beobachten ist, sei
hier noch der kleinere Salon genannt, der nach dem Hof oder der
hinteren Strasse zu liegt und Muacchar heisst.
Wo sich mehrere Familien in einen Stock theilen, hat man die
dringend nothwendige Abschliessung durch Vorhänge, Verschlage
usw. selbst einzurichten. Trotzdem muss man sich in manchen
Dingen ohne Bürgschaft auf die Treue und das Ehrgefühl seiner
Mitbewohner verlassen. Nimmt man hinzu, dass nach der schönen
Sitte Nachbarn einander in jeder Beziehung zu helfen verpflichtet
sind , z. B. durch leihweise Ueberlassung von Gemächern , Geräthen ,
ja sogar Kleidern , so wird man begreifen , wie namentlich in Mekka
1) Vergl. Mckk. Sprich*., 8. 33, 86.
2) Die eigentliche Küche, d. h. ein steinerner Ofen mit verschiedenen Ofenlöchern,
befindet sich meistons »uf einer Dachterrasse.
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das arabische Sprichwort: »(erkundige dich nach) dem Nachbarn
vor dem Hause” ') seine Geltung hat. Mitbewohner, die sich unan-
ständig aufführen, geben dem Miether Recht, den Kontrakt mit
dem Hausbesitzer als ungültig zu betrachten. Allein es giebt stän-
dige Mitbewohner , die keinen Menschen unbehelligt lassen : Katzen ,
Eidechsen , Ameisen , als tägliche Gaste Tauben und als seltene Be-
sucher Schlangen *). Die von Muhammed verfluchten Eidechsen darf
man wenigstens tödten; die anderen Gattungen multiplicieren sich
dagegen unter dem Schutze des gegen sie viel gewissenhafter als
gegen Menschen beobachteten Gesetzes , welches in dem heiligen Ge-
biet die Tödtung lebendiger Geschöpfe untersagt mit Ausnahme von
Schlachtvieh und einigen schädlichen Thieren. Schon in vorislamischer
Zeit waren die Tauben hier zahlreich ; über die Katzen soll sich
Muhammed in Traditionen sehr günstig geäussert haben. Beide
Thiergattungen sind im heiligen Gebiete den Menschen gegenüber
unverschämt; beim fortwährenden Offenstehen vonThüren und Fen-
stern und den nie geschlossenen Luftlöchern oberhalb der Fenster kann
man sich die Sorgen denken , die daraus für die Hausfrau entstehen.
Je weiter ein Stadtviertel von den Hauptstrassen abliegt, desto
mehr begegnet man darin ärmlicheren, einstöckigen Häusern und,
wie oben schon bemerkt wurde, gehen diese in den Vororten all-
mählich in * Dssc/ia/i’s über. Bettler und anderes obdachloses Ge-
sindel legen sich an einen beliebigen Orte schlafen; mit Vorliebe
in der Moschee, wo übrigens auch Andere, z. B. weil sie dort in
einem Traume Aufklärung suchen oder weil sie zu Hause Unannehm-
lichkeiten hatten , die Nacht verbringen. Arme und geizige Pilger wäh-
len sich gleichfalls eine Lagerstätte im Freien ; die Mehrzahl wünscht
aber für sich und ihr Gepäck Unterkommen in einem Hause.
Der geringste Vortheil, den ein Mekkaner aus der Wallfahrt
zieht, ist der Wiedergewinn seiner ganzen Wohnungsmiethe durch
die Abtretung eines Theils seiner Behausung an Pilger. Daher zahlt
man dann auch m Mekka die auf ein Jahr berechnete Miethe, mag
^ ... ssc
1) eUdjär qabl cd-dar (Man spricht in Mekka häufig aus ed-djär cf.
8) Reep, bissah (I’lur. bisäs) ; tcazaghah ; darr ; lamäm ; ja nasch.
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man den Kontrakt im Anfang, in der Mitte des Jahres oder gar
erst einen Monat vor dem Haddj abschliessen. Dem Hausbesitzer,
ist es an und für- sieh gleichgültig, ob er die Summe von Ein-
wohnern oder Fremden bekommt, und von diesen erhält er leicht
etwas mehr. Wenn er dennoch gern seine Häuser anständigen Bür-
gern vermiethet, so geschieht das, weil er sich dadurch viel Mühe
erspart und ferner weil er bis zum Abschluss des Jahres aller Sorge
enthoben ist. Bewohnt Einer sein eignes Haus, so zieht er dennoch
während der drei letzten Monate des Jahres eine gleiche Miethe
von den verfügbaren Räumen , als hätte er das ganze im Muhar-
ram vermiethet. Solche sogar, die sich mit einer halben Etage be-
gnügen müssen, wissen sich so einzurichten, dass sie einige Gäste
beherbergen; wenn die Pilger nicht allzulange vor und nach dem
Haddj in Mekka verbleiben, geht das sehr wohl, da sie einen be-
deutenden Theil ihres Aufenthalts in der Moschee und sonst aus-
serhalb der Wohnung zubringen. Ihnen ist die Wohnung bloss eine
Zuflucht, und so lange sie da sind, behilft sich die Familie des
Vermiethers mit den kleinsten Winkeln.
Diesen ist es aber nicht etwa gleichgültig, was für Pilger sie
aufnehmen. Zwar fürchten sie nicht, um die Miethe betrogen zu
werden, denn solche Schelme kommen selten zum Haddj; aber
sie möchten wohl noch etwas dazu verdienen, und ausser dem
ffSchech” hat niemand bessere Gelegenheit, den Pilger auszubeuten
als sein Hauswirth. Dieser vermiethet also seine Zimmer gern Freun-
den oder Landsleuten von solchen früheren Kunden, deren Wohl-
* stand und Freigebigkeit er erprobt hat ; auch hat er wohl aus anderen
Gründen Vorliebe für diese oder jene Nation , z. B. für die Türken , weil
er sie reinlich , für die Djäwah, weil er sie bescheiden findet. In seinem
Interesse umgiebt er den Pilger mit einem zweiten Zaun um den vom
//Schech” gezogenen herum , damit nicht die Ausbeuter dritter Klasse ,
deren anonyme Zunft von uns oben besprochen wurde , ohne seine Er-
laubnis eindringen. Für diese dienstfertigen Leute bleibt aber trotzdem
ein grosses Gebiet übrig; abgesehen von selbständigen Pilgern, die
durch den doppelten Zaun hindurchdringen, giebt es viele, die
ohne derartige Aufsicht in leeren Wohnungen einquartiert werden.
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In einem geräumigen Zimmer werden wohl 20 Javanen unterge-
bracht, die dort kochen, essen und schlafen! Mitbewohner des
Hauses widersetzen sich während der letzten Monate des Jahres
solchen missliebigen Anhäufungen nur selten; ohne gegenseitige
Nachgiebigkeit könnte Keiner Gewinn erzielen. Aber auch kleinere
Gesellschaften von Pilgern führen, namentlich wenn Weiber dar-
unter sind, ihre eigne, von dem Hauswirth separierte Haushaltung ,
wobei dann beiderseits Einladungen, Geschenke und andere Auf-
merksamkeiten üblich sind. Uebrigens gestaltet sich das Verhält-
niss der Gäste Allahs zu ihren Schechen, Wirthen und zu den
Freibeutern natürlich verschieden unter dem Einfluss von allerlei
persönlichen Eigenthümlichkeiten, von mehr oder weniger Uebung
im Verkehre mit Mekkanem aus vorigen Wallfahrten usw.
Eine List, deren sich die Mekkaner als Gastwirthe nicht selten
bedienen ist die, dass sie dem eine Wohnung suchenden Fremden
ein paar von ihren Zimmern zeigen, die dem ungeübten Auge sehr
gut aussehen , aber zu gewissen Zeiten des Tages oder des Jahres
unbewohnbar sind oder als unerlässliches Komplement eine Dach-
terrasse für die Nacht erfordern. Den verlangten Preis findet der
Pilger sehr billig und miethet sich ein ; sobald nun die Unbequem-
lichkeiten zu Tage treten, erklärt der Hausherr, er könne im äus-
sersten Nothfall seinem Gaste ein anderes Zimmer oder auch eine Ter-
rasse geben, sei dann aber genöthigt, den Preis zu verdoppeln
oder gar verdreifachen.
Da die Scheche cum suis gleich von der Ankunft an den Frem-
den an der Nase herumführen, haben sie grossen Einfluss auf die
Wahl einer Wohnung; allen Mekkanern liegt also daran , mit mehre-
ren Schechen auf guten Fuss zu kommen, wie andererseits diese
für sich viel Werth auf ausgedehnte Verbindungen legen.
Man sieht, wie in Mekka das ganze Verkehrsleben im Haddj
seinen Mittelpunkt findet; der muslimische Kalender mit seinem
Mondjahre hat wohl nirgends höhere praktische Bedeutung gewon-
nen als hier ‘). Des Sonnenjahres gedenkt man nur anlässig der ge-
1) Vergl. Mekk. Sprichw., S. 115 ff.
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ringen Veränderung der Temperatur und man spricht auch von
der Zeit, wo die Datteln, Feigen, Trauben, Pfirsiche u. s. w. rei-
fen , und bezeichnet in gebildeten Kreisen die Jahreszeiten nach den
Zeichen des Thierkreises; über diese Dinge ertheilt ja der Astronom
des Heiligthums, der Rejjis, seinen wissbegierigen Freunden Aus-
kunft. Um unseren Einblick in das gesellschaftliche Leben und
Treiben der Mekkaner zu vervollständigen , wollen wir also den
Mondkalender durchblättern und bei jedem bemerkenswerthen Punkte
einen Augenblick verweilen.
Ueber den ersten Monat, Muharram, können wir uns kurz fas-
sen. Die fieberhafte Aufregung , die im verflossenen Wallfahrtsmonat
ihren Gipfel erreichte, legt sich allmählich. Viele Pilger sind schon
mit den Dampfern von Djiddah abgereist, und wöchentlich liefern
die Scheche dort noch einige ab; Mäkler und andere Mittelsperso-
nen verdienen hier wieder ein Stück Geld mit ihren Bemühungen
im Interesse der Dampfergesellschaften. Andere, die zum Studium
oder zum Vergnügen länger in Mekka bleiben, haben erst eben
ihre ständigen Wohnungen bezogen und fangen an, sich in die
neuen Verhältnisse einzuleben. Die seit vielen Wochen zerstreuten
Elemente der mekkanischen Gesellschaft finden sich nach und nach
wieder. Nicht Alle können sich jedoch der Ruhe und Erholung
hingeben: da sind Kaufleute, die in Geschäften auf Reisen gehen,
und das Gleiche thun bald darauf die bis in die entlegensten Län-
der dringenden Pilgeragenten , welche dort im Aufträge von Schechen
mit allen Kräften Pilger für die nächste Wallfahrt anwerben.
Viel Tausend Mekkaner reisen aber ihr Leben lang nicht weiter
als nach Täif und Medina; sogar nach Djiddah gehen sie ungern,
weil ihnen von Jugend an der Gedanke, mit Ungläubigen in Be-
rührung zu kommen, von allen der schrecklichste ist. Von ihrer
Mutter und andern weiblichen Verwandten haben sie ja gelernt,
die Käfirs seien entsetzliche Ungeheuer : ihre blasshelle Hautfarbe
macht den Eindruck des Aussatzes; zum Himmel können sie nicht
emporblicken, gehen daher selten gerade und schützen sich die
Augen mit den grossen Rändern ihrer Kopfbedeckung; Männer
und Weiber sitzen unverschämt zusammen und saufen Wein; sie
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sind unreinlich, denn sie treten mit ihrem schmutzigen Schuhwerk
in [die Zimmer, wissen sich weder nach dem Stuhlgang noch nach der
Beiwohnung zu reinigen, wie es sich geziemt; sie sind ungebildet,
denn sie lachen laut wie Hyänen und sprechen mit heftigen Ge-
berden alle zugleich , sogar wenn sie noch nicht betrunken sind ;
sie haben keine Religion, bekommen deswegen von Allah vielerlei
Genuss und Grösse in dieser Welt und einen schmerzlosen Tod , der
immer auf den Sabbat fällt, um dafür in der Hölle desto heftiger
gequält zu werden. Wegen dieser und ähnlicher Traditionen , gegen
welche die Einwendungen *) von Sachverständigen nichts verschlagen ,
schaudern die jungen Mekkaner (die Medinenser in noch höherem
Grade) vor dem Zusammentreffen mit Ungläubigen nicht weniger
als dem mit Gespenstern zurück; mehrere, die 1885 zum ersten Mal
nach Djiddah gereist waren, um über See nach Medina zu gelan-
gen, beschrieben mir ihre Empfindungen in ähnlicher Weise wie
etwa ein sentimentaler Europäer, der zum ersten Mal einen Wahn-
sinnigen oder einen Pestkranken sieht. Was sie gelegentlich von
vielgereisten Mitbürgern hören, klärt sie nicht auf, sondern ver-
mehrt nur die Verwirrung, denn es sind meistens anekdotenhafte
Geschichten oder solche, in denen die gottlose Art und die Un-
wissenheit der Europäer in religiösen Dingen hervortritt.
So danken recht Viele Allah , dass er sie vor solcher Schreckniss
und Verunreinigung des Auges bewahrt hat, und bei vielen An-
deren haben flüchtige Berührungen an die Stelle jedes aufgehobenen
Missverständnisses ein paar neue erzeugt. Daran sind allerdings zum
Theil die Europäer selbst schuld, weil sie sich in keiner Weise in
das Denken und Treiben der Muhammedaner versenken und die-
sen vorsichtig zurückhaltenden Leuten gleichsam bei jedem Schritt
auf die Füsse treten. Genug, Viele bleiben nach dem Haddj zu
Hause, um in herkömmlicher Weise die verdienten Pfennige lebens-
froh zu verzehren. Heiter ist die Natur des Mekkaners, und wenn
er während des Fremdenbesuchs den Mund von heiligen Ueberliefe-
1) Solche werden übrigens sohr solton geüusscrt; die Imst, nur um der Wahrheit wil-
len Irrthümern entgegenzutreten, geht den Meisten ab: esek il-fiüdak ?
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rungen voll hat, so ist das weder Heuchelei noch Folge inneren
Drangs, sondern Ausübung einer Pflicht, die ihm nach seiner An-
sicht Wohnort und Amt auferlegen. Genau wie der Glückliche
ganz aufrichtig dem von einem Unglück Betroffenen sein Beileid
bezeugen kann, sucht der Mekkaner mit naivem Eifer seine Glau-
bensbrüder einigermaassen mit den heiligen Dingen zu bewirthen,
an denen er sichselbst vielleicht schon gesättigt hat. Nach vollende-
ter jährlicher Arbeit in dem erschlaffenden Klima sehnt er sich nach
bequemem Genuss. Diesen gewährt ihm sein Haus, wo sich der
Muslim seiner Kinder erfreut und mit immer wachsender Lust seine
sexuellen Kräfte erschöpft ; dann die Häuser seiner Freunde , wo jedes
freudige Ereigniss und auch Todesfälle zu Mahlzeiten (* Azimah's '))
Anlass geben, bei denen er nicht fehlen darf; ferner die geselligen
Partien ( Qelah's *)) in der Stadt und auf dem Lande, die er mit
seinen Bekannten gemeinsam veranstaltet; endlich die Tage, welche
ganz Mekka festlich begeht und die um so höher geschätzt werden,
weil die Mekkaner an dem grossen internationalen Feste des Islam’s
in ihrer Stadt sich selbst mehr als Bediente denn als Gäste bethei-
ligen. Bei unserem Gang durch das mekkanische Jahr beachten wir
hauptsächlich jene Festtage, denn das Uebrige gehört in unser zwei-
tes Kapitel, und die Familienfeste haben auch kein bestimmtes
Datum.
Da jedes muslimische Datum in etwa 83 Jahren durch alle Jah-
reszeiten geht , können wir auch der Abwechselung im mekkanischen
Leben keine Stelle im Kalender anweisen, dass die Wohlhabenden
während der heissesten Zeit nach dem 2 Tagereisen östlich gelege-
nen Täif auswandern , wo die Luft so kühl ist und so schöne Gär-
ten in der Nähe sind, dass die mekkanische Ueberlieferung annimmt,
Allah habe seinen "Nachbarn” zulieb dieses Stück Erde aus Syrien
nach Arabien verpflanzt. Fällt der Haddj in die heisse Jahreszeit ,
so entgeht den Mekkanern dieser Genuss; trifft sich’s dagegen, dass
die Hitze im Fastenmonat Ramadhän ihren Gipfel erreicht, so pro-
1) Ycrgl. über diese Partioo Mekk. Sprich w., S. 84 — 85.
2) Ycrgl. L c., S. 85 ff.
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Stieren die Mekkaner doppelt dabei , weil ihnen die Hauptbeschwerde
des Fastenden, der Durst, in Täif nichts zu schatFen macht. Wer
dort kein eignes Haus hat, wird von einem Freunde aufgenommen,
dem er in Mekka jeden Augenblick Gegendienste leisten kann. Keh-
ren wir aber zum Kalender zurück.
Im Muharram bekommt Mekka , nach langem fieberhaftem Traume,
das Bewusstsein wieder. Nicht nur im Familienleben , sondern auch
in der Moschee werden die Folgen bald bemerkbar. Am 10l * * * * * * 8'n dieses
ersten Monats, dem 'Aschürätage , der allgemein als freiwilliger Fa-
stentag, von den Schfiten aber mit eigenen Ceremonien als Tag des
Märtyrertodes Huseins begangen wird, wird die Ka'bah dem Publikum
geöffnet ') ; an dem Tage ist Mekka noch ganz und gar Fremden-
stadt *). Von den sich zur Heimreise vorbereitenden Pilgern fehlt keiner
unterhalb der von den Eunuchen vor die Schwelle geschobenen Treppe,
und noch ein paar Tage nachher bewegen sich den ganzen Tag hin-
durch dichte Schwärme von Männern und Frauen in weitem Kreise um
das heilige Haus , damit sie den Lohn möglichst vieler Tawdfa (Um-
gänge) mit nach Hause nehmen. Nach und nach wird der Kreis enger;
so bekommen die Bürger der Stadt Gelegenheit, sich ’s im Moschee-
hof und den ihn ungebenden Hallen wieder bequem zu machen.
Die Vorlesungen über die heilige Wissenschaft, die während der
Erntezeit sämmtlich feierten , werden wieder aufgenommen ; auch neh-
men kleine Gesellschaften von »/Brüdern” dieser und jener mystischen
Tanqah nach gewissen Qaläti ihre alten Plätze zum gemeinschaftli-
1) Dies geschieht, ausser wenn reiche Pilger grosse Summen dafür bezahlen, an ge-
wissen Tagen, die aber von den Behörden etwas willkürlich angeordnet werden und
daher häutig wechseln. Der Eintritt in die Ka'bah, wo nichts als ein paar aufgehängte
Lampen zu betrachten sind , gehört weder zum lladdj, noch zu einer andern obligatori-
schen Handlung der Muslime. Die meisten anwesenden Fremden benutzen jede Gele-
genheit , innerhalb des Hauses Allah’s ein $ alät zu verrichten , während viele Mekkaner
nur einmal oder gar niemals im Lieben hincintrctcn.
8) Die Perser begehen ihr rätidhitisches Muharramfest in Mekka ganz heimlich: in
Djiddah ist ihnen seit dem letzton russisch-türkischen Kriege die Feier rückhaltlos ge-
stattet, und sic kommen dazu während der 10 ersten Tage des Monats in einer Wohnung
zusammen, wo auch der Frcmdo unschwer Zutritt erhält. Ich war hier bei der Husein-
traucr mit ihren DUcr'i und Ckutbak’i Oktober 1881 zugegen. Der türkische Gouverneur
war der Einladung des persischen Konsuls, am 10"“ die ketzerischen Ceremonien mit
anzusehen, nachgekommen, und er trank nicht nur seinen Antheil vom Sorbet, son-
dern weinte andachtsvoll mit!
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eher» THkr wieder ein. Tn der Mas'ästrasse, wo man wochenlang
kaum gehen konnte vor dem Wirrwarr der zwischen Qifa und Merwah
hin- und herrennenden Pilger, bewegt sich jetzt eine ruhige Men-
schenmasse, die in den zahlreichen Buden hier und in den benach-
barten Suega/i und Säg el-fel ihre Einkäufe macht.
Im Laufe dieses Monats oder des nächsten wird die Ruhe noch
einmal unterbrochen durch die Rückkehr der zweiten Karawane1 2 3)
von Medina. Pilger, die nicht zeitig genug in Mekka ankamen,
um sich vor dem Haddj der ersten Qfiflah anzuschliessen , reisen
nach dem Haddj , so bald es die Sicherheitsverhältnisse des Weges
nach dem Urtheil der Behörden gestatten, in Begleitung von tür-
kischen Soldaten zur Zijürah des Grabes Muhainmeds. Dabei und
bei der Weiterbeförderung der Rückkehrenden sind alle Zünfte
wieder mehr oder weniger beschäftigt , zumal Jene sich vor der Heim-
reise in Mekka möglichst mit den üblichen Ceremonien beschäftigen
und allerlei einkaufen.
Bald nach dem Anfang des zweiten Monats, Qafar, rüsten sich
viele Mekkaner zur Theilnahme an einem der beliebtesten Lokal-
feste. Am zwölften ist das Fest von Sittanä Mejmunah, //unserer
Herrinn Mejmünab.” Diese Heilige war eine von den Frauen des
Propheten und, was man nur von wenigen anderen Heiligen aus
jener Zeit sagen kann, ihr Grab wird schon von der alten Ueber-
lieferung 5) dahin verlegt , wo jetzt noch jährlich ihr Fest gefeiert
wird. Auf dem Wege nach Medina liegt der Ort, eine halbe Ta-
gereise nordwestlich von Mekka; ursprünglich hiess er Sarif, dann
en-NatcwärijjeA *), und heutzutage wirdereinfach Sittanü Mejmünah
genannt.
Was eigentlich der //Tag” eines Heiligen ist, darüber macht sich
das Volk keine klare Vorstellung; man sagt freilich, es sei das
Haul, womit eigentlich der Jahrestag des Todes gemeint ist. Allein
1) Qdflah heissen diese beiden Karawanen, weil sie aus mit Gepäck und mit Sdtmqdttft
für Personen beladenen Kamcelcn nebst einigen Eseln bestehen j Reiterkarawanen hei-
ssen Rakb.
2) CM I: 436; Nawawi, Tahdtb, S. 854; Bckri, S. 772—3 usw.
3) Leid. Hs. 2021, foL 90 v°7
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es giebt Heilige, die mehrere Tage (Haul’s) im Jahre haben, von
den meisten ist das Todesdatum zweifelhaft, und aus der Art, wie
manche Heiligenfeste begangen werden, ergiebt sich mit Sicher-
heit, dass altheidnische volksthümlicbe Feste, nach Abstreifung einiger
specifisch heidnischer Brauche, sich mit dem Namen des Heiligen
gedeckt haben, um so das bedrohte Leben zu retten.
Schon eine Woche vor «Siltanä Mejmünah” bilden Freunde und
Bekannte zusammen Gesellschaften zu dieser Zijärah; eine solche
Gesellschaft heisst Baschkal '). Jede Baschkah hat einen Kassen-
führer, dem alle Theilnehmer einige Dollars geben und der dafür
Alles für die Reise und den Aufenthalt zu besorgen hat. Dieser
o Qajjüm” miethet oder entlehnt Zelte J), Betten und Teppiche , Ka-
meele, Koch- und Essgeschirr; die übrigen Theilnehmer haben nur
für ihre Kleidung, Pfeifen und für die Zubereitung einiger fertig
mitzunehmender Speisen zu sorgen, denn ausser Fleisch und etwas
Obst finden sie am Grabe Mejmünah’s nicht viel, da hier keine
bedeutende, ständige Ansiedelung ist.
Nur wenige Weiber betheiligen sich an diesem Feste. Die Män-
ner legen zur Reise häufig eine andere Kleidung an, als die sie in
der Stadt zu tragen pflegen. Den Turban ersetzt das beduinische
Kopftuch (Qemädah) mit Binde (jAqäl) und über die kleine Jacke
, (Salta/i) wird die kameelhaarene ' Abäjaft geworfen, ein Mantel, wie
ihn sonst vornehmere Beduinen und in der kälteren Jahreszeit auch
Mekkaner aus den mittleren Klassen tragen. Am 11*“ reisen sie ab,
und besuchen des Abends , nachdem die Zelte eingerichtet sind , das
heilige Grab, welches nach der Tradition an der nämlichen Stelle
liegt, wo einst Mejmünah mit dem Propheten ihre Brautnacht im
Zelte verbrachte.
Sehr einfach ist der religiöse Theil solcher Besuche; wie bei den
Heiligengräbern im Malä recitiert man auch hier die üblichen Be-
grüssungsformeln ( as-salämu c a/aikum jä all al-qubür oder ja siltanä
1) aXio, bus dem türkischen wüiU
2) Gewöhnlich viereckige nScSttr</ai't’’ die Mekkaner wissen gar nicht mehr,
das dieses Wort dem türkischen sJ entstammt.
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mejmünah usw.), die Fät’hah *), Gebete , die wohl einmal Anspie-
lungen auf die Lebensgeschichte der um Vermittlung angerufenen
Gottesfreundinn enthalten, aber auch die speciellen Wünsche des Be-
tenden hervorheben; diese Gebete gelten der grossen Menge als die
wirksamsten, weil sie ihre Interessen dann einem Wesen gleicher
Empfindung anvertraut wissen und glauben, dieses werde dem Herm-
gott keine Ruhe lassen, bis er dem Freunde des Heiligen seinen
Wunsch gewähre. Mehrere in bedrängter Lage lebende Fromme brin-
gen denn auch die halbe Nacht im vertraulichen Verkehr mit der
todten Prophetenfrau zu, während die Mehrzahl der Zumoär (Be-
sucher) nach kurzem Gebet gleich in das Zelt zurückkehren , wo sie
sich in verschiedener Weise amüsieren.
Nur wenige unterhalten sich hier mit religiösen Uebungen, stel-
len in der Nacht Dikr's an, oder lassen sich bei Tag oder Nacht
von Kundigen MölitTs (Biographien des Propheten in Versen oder
gereimter Prosa) und andere fromme Gedichte vortragen; zu ganz
anderen Zwecken kommen die jungen Grossstädter her. Durch die
Einathinung eines tüchtigen Vorraths Wüstenluft wollen sie sich
die Nerven erfrischen, zugleich aber der in der Stadt seit langer
Zeit angehäuften Ausgelassenheit Luft machen. Nach dem Genuss
ihrer Lieblingsgerichte , wie z. B. der Mabechür ’) genannten Fleisch-
klösschen und der Saldi J) genannten Stückchen geröstetes Fleisch
mit Reis und Zukost suchen sie bei der Sittana Mejmünah die
Befriedigung von grösstentheils durch den Islam verbotenen Gelüsten.
Ganz in der Ordnung ist’s schon nicht , dass sie sich hier an der Vor-
lesung profaner Anekdoten und dem Singen weltlicher Gedichte er-
götzen , aber viel schlimmer ist die übliche Begleitung des Gesangs
mit Instrumenten : namentlich der Qabüs 1 * 3) , ein viersaitiges Instru-
1) In orthodoxem Sinne aufgefhast soll diese Recitiorung der ersten tluninsürah ,
welche immer als sehr verdienstvoll gilt, dem Bewohner des Grabes tu Gute kommen,
indem der Besucher ihm den Lohn seiner Qirnjei schenkt; dieser beabsichtigt dadurch
die Freundschaft und die Hülfe des Heiligen tu gewinnen. Das Vulgus denkt nicht so
weit und weiss nur, bei einem Heiligen rcciticre man die Fat’ iah.
8) Vergl. Mekk. Sprichw., S. 55 f., wo überhaupt der mckkanischc Kücheniettel
behandelt ist.
3) Der Name stammt vom türkischen jjc*-
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ment , das viel Aehnlichkeit mit der Kemendjeh ') hat , aber statt
Pferdehaare Diirmsaiten enthält, und der allbekannte Qfmürt wer-
den hier gespielt. Dabei kann es als verhältnissmässig anständig
gelten, wenn die Anwesenden dazu unter Händeklatschen kleine,
meist erotische , Gedichte singen ; die jeunesse doree verlangt jedoch
ausserdem , dass schöne , bartlose , halb weibisch gekleidete Knaben 5)
durch ihren Tanz und Sang die Gelüste rege machen , welche man
im Arabischen nach dem Propheten Loth benannt hat. Manchmal
haben sich bei solchen Gelegenheiten eifersüchtige Piiderasten um
den Gegenstand ihrer Liebe so heftig gestritten, dass einige das
Leben auf der Wahlstatt Hessen , und vorzüglich aus diesem Grunde
werden heutzutage starke Polizeiwachen an den Jahresfesten der
Heiügen zu deren Gräbern geschickt, um die Ordnung aufrechtzu
erhalten.
So nimmt es nicht Wunder, dass die c Ulamä , trotz ihrem Eifer
für den Heiligenkultus an und für sich für diese Versammlungen
nichts weniger als eingenommen sind und jüngeren Leuten die
Theilnahme nur dann gestatten , wenn sie mit unverdächtigen From-
men eine Baschkah bilden können. Immerhin ist auch für die From-
men das Fest nicht im Geringsten ein Trauerfest, wenn es gleich
bei einem Grabe statt findet. Jeder Todesgedanke liegt den Zuwwär
in dergleichen Fällen fern; das Grab des Heiligen ist ihnen wie
seine Wohnung, wo er von Zeit zu Zeit Audienz giebt.
Auf dem Wege von Mekka nach Sittanä Mejmünah liegen, resp.
in 1 und l'/j Stunde Entfernung von Mekka, es-Sc/tu/tadä ('/Mär-
tyrerort”) und Tan'Im, das gewöhnlich el-cUmrah heisst, weil die
Mekkaner und ihre Gäste sich dorthin begeben, um das Ihrem
für eine »kleine Wallfahrt” anzulegen 3). Zum Märtyrerort ist jener
Boden am Fuss des Berges el-Fac/tch eigentlich durch eine alidische
Empörung im Jahre 78ß *) geworden ; der schfi tische Heilige Husein
7
1) Vergl. R. B. Lane, Mannen and Customs, 5**» odition, II: 61.
2; MatotcdUn, Raqqtujui.
1) Daher habon Burckhardt und Andere den Besuch diosos Ortes irrthümlich für die
'Umrah angesehen.
2) Vergl. Bd. I, S. 41 f.
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ihn cAli aus Jambu' und seine Genossen liegen dort begraben. Al-
lein schon bevor diese Helden im Kampfe fielen , scheint sich hier
das Grab dieses und jenes geehrten "Genossen” Muhammeds befun-
den zu haben, und in der Erinnerung der heutigen Mekkaner lebt
vorzüglich Abdallah, der Sohn des Chalifen Omar, als der Heilige
von 'es-Schühadä fort. Sein Tag oder /Jaul ist mit nicht weniger
Willkür als die übrigen bestimmt, und wird auf den 14 Qafar an-
gesetzt; die von Sittana Mejmünah zurückkehren, treffen also eben
rechtzeitig in es-Schuhadä ein.
Hier haben viele Mekkaner Sommerfrischen; die Luft und das
Wasser des Ortes gelten den Städtern als besonders gesund, sodass
vornehme Mekkaner sich täglich ihr Trinkwasser aus es-Schühadä
holen lassen. Am Abend des Feiertages (nach unserer Rechnung vor
dem Tage) wird hier, wie auch anderswo bei den Heiligenfesten,
von dem Grabhüter oder von einem kundigen Recitator die Lebens-
geschichte des Heiligen vorgetragen; die "Heiligenleben” sind ge-
wöhnlich in gehobenem Stil abgefasst und enthalten vorzüglich die
Aufzählung der edlen Thaten und Eigenschaften ( Manäqib ) des Wdlit.
Hauptzweck der meisten Feiernden bilden hier die gleichen Belu-
stigungen wie bei Sittana Mejmünah , die in es-Schühadä wohl eine
Woche lang fortgesetzt werden. Im Volksmunde heisst das Fest
einfach es-Schühadä.
Traurig soll die Stimmung der Gläubigen am letzten Mittwoch
des Qafar sein ; aus welchem Grunde, darüber herrscht viel Mei-
nungsverschiedenheit. Ziemlich verbreitet ist aber die Vorstellung '),
der Monat Qafar gehe schwanger mit allerlei Unheil , und am letzt-
ten Mittwoch finde gleichsam die Entbindung statt; wer diesen Tag
ohne Unfall durchlebt, darf hoffnungsvoll dem übrigen Theile des
Jahres entgegensehen. Grund genug also für fromme Leute, die
Nacht und den Tag möglichst im Gebete zu verbringen. Es dürfte
aber auch hier muslimische Umdeutung heidnischer Bräuche vorlie-
gen; jedenfalls weiss das Volk praktisch nichts von der düstere Auf-
1) Auch ausserhalb Arabiens, vergl. Herklots, Customs of the Mussulmans inlndia,
odition , S. 149 ft., wo dio schlimmen Ahnungen mit der in diesem Monat begon-
nenen tödtiichcn Krankheit Muhammeds in Verbindung gebracht werden.
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fassung der Gelehrten, und verbringen vielmehr Milnner und Wei-
ber den »letzten Mittwoch” mit Spazierritten und Qelah'a (Picknick’s
und andere gesellige Partien).
Obgleich fast Alle, die sich an den genannten Festen betheili-
gen, Mekkaner sind, geht nichtsdestoweniger das Leben der Stadt
an jenen Tagen seinen gewöhnlichen Lauf. Anders steht es am gro-
ssen Festtage des 8t011 Monats, am 12t*n Rabl1 2 el-Awwal. Der reci-
pierten Tradition nach ist der Prophet an diesem Tage gestorl>en ,
und seinen Geburtstag hat man willkürlich auf das gleiche Datum
angesetzt. Schon einige Tage vorher haben mehrere Professoren das
Mülid (Geburtsfest) dadurch eingeleitet, dass sie an ihren gewohn-
ten Vorlesungsstunden statt der Fortsetzung ihrer Kollegien im Kreise
ihrer Zuhörer eine Biographie Muhammeds vortrugen. Am ll,en wird
Nachmittags der Feierabend durch Kanonenschüsse angekündigt. Zum
Qalfit des Sonnenuntergangs (womit der 12** anfangt) versammeln
sich die Gläubigen in aussergewöhnlicher Anzahl; namentlich kom-
men die Mekkanerinnen im Festanzuge hin , während sonst drei Viertel
der Weiber, die das (palst in der Moschee abhalten, den Fremden-
kolonien angehören. Mehr als die verschleierten Kostbarkeiten der
Frauen fallen die farbigen , von Gold und Silber glänzenden Kleider
der Kinder auf, die mit ihren Müttern in die Moschee kommen. Im
ganzen Hof der Moschee, besonders in der Nähe des für die Weiber
reservierten Raumes, machen die mit Ketten voll klingender silber-
ner Amulete *) behängten Knaben und Mädchen einen profanen Lärm,
der während des Qalats bei manchen Frommen Aerger hervorruft.
Auf ihrem Wege zum Tempel fanden sie die Marktstrassen bereits fest-
lich belebt; namentlich die Buden der Zuckerbäcker wurden seit dem
Nachmittag immer aufs Neue mit frischem Backwerke versehen , von
dem einige Arten speciell zu diesem Feste gehören. Reichlich verpro-
viantiert betritt denn auch die mekkanische Jugend die heiligen I lallen.
Nach Abschluss der doppelten ’) Abendandacht werden die gliiser-
1) Eine solche Kette mit Amuleton findet man auf Tafel XL N°. 11 abgebildet.
2) Das Q alü el-Magkrib wird allabendlich nach einander von einem hanafitischen
und einem sckAfi'itischcn Imam geleitet; den anderen ImAmen gestattet der kurz be-
messene Zeitraum für dieses £alat nicht, dabei als solche zu fungieren.
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nen Oeliampen der Moschee in grösserer Zahl als sonst angessündet,
und die Menge verweilt hier noch eine halbe Stunde in steter Be-
wegung, da man seine Freunde begrüssen und sich die Toiletten
ansehen will. Nur ein kleiner Theil der Versammelten sieht, was
im nordwestlichen Theil der Säulenhallen, nahe dem Bäb Derebah,
vorgeht. Auf ein hölzernes Gestell hat sich dort ein bei der Moschee
angestellter Imam gesetzt, der mit dem Vortragen des Mölid beauf-
tragt ist; sein Rücken ist der Ka'bah zugewandt, damit die ihm
gegenüber sitzenden und stehenden Zuhörer ihr Gesicht auf das Heilig-
thurn richten können. Auf den Ehrenplätzen sitzen der Grossscherif
und der Gouverneur ( Wtd\ ) mit ihrem Gefolge, wenn sich nicht die
politischen Verhältnisse ihrem friedlichen Zusammensein widerset-
zen. Alle Moscheebeamten sitzen umher und werden mit Kaffee
und Süssigkeiten bewirthet. Mit Unrecht nennt das Volk die bei
solchen Gelegenheiten vorgetragenen heiligen Geschichten « Chulbah’g" ,
Predigten '), denn solche werden nur am Freitag, an den beiden
officiellen Festen und bei einigen wenigen besonderen Ereignissen
gehalten. Die Laien beachten aber bloss die äussere Aehnlichkeit ,
zumal sie von allen jenen Reden selten etwas hören und höchstens
nur wenig verstehen. Gleichfalls bezeichnen sie diese Erinnerungs-
tage (namentlich 12 Rabl1 2 el-Awwal und 27 Redjeb) mit demselben
Namen wie die officiellen Feste : *Id.
Sobald der Vortrag zu Ende ist, entsteht in dem ganzen Heilig-
thume grosse Bewegung; Alle wollen davon Zeugen sein, wie sich
der Fürst und die Regierungspersonen und Moscheebeamten in feier-
lichem , von vielen Fackelträgern beleuchtetem , Aufzuge durch die
Quschäschijjah — Süq el-lel-strasse nach dem Kuppelgebäude im Schi'b
begeben , wo der Prophet das Lebenslicht erblickt hat. In den Chro-
niken der Stadt1) lesen wir, wie schon vor mehr als drei Jahrhun-
derten das Fest von den Mekkanern in ähnlicher Weise begangen
1) Derselbe irrthümliche Sprachgebrauch bezeichnet hie und da auch die Ausrufung
von gewissen Formeln beim Haddj auf der Ebene 'Arafat mit dem Namen einer
Ckufbak, und so kam ßurckhardt dazu, als Hauptbestandthcil des üaddj eine ^Predigt’*
zu betrachton, die wodor theoretisch noch praktisch zum Haddj gehört und noch dazu
keine Predigt ist.
2) CM III: 438 ff.
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wurde, und dass sich einzelne Rigoristen dagegen erklärten, weil
der Aufzug und das unbeaufsichtigte Ausgehen so vieler Weiber mehr
die Unsittlichkeit als die andächtige Stimmung förderte. In dieser
Beziehung hat sich nichts geändert.
Dem Zuge voran geht der Rejjis (das Oberhaupt der Mu'eddins ,
zugleich Astronom der Moschee) und singt mit lauter Stimme eine
Qa^Idah zum Lobe des Gottesgesandten. Beim Mölid en-Aeln ange-
gelangt, treten Alle hinein; dort wird ihnen nochmals ein kurzes
Mölid vorgetragen , dem ein gemeinschaftliches Gebet folgt. Alles geht
ziemlich schnell, denn etwa zwei Stunden nach Sonnenuntergang müssen
sich die hier Versammelten zum c lachä-$alät wieder in der Moschee
einfinden. Während der Nacht giebt es allenthalben Qelah’s von Män-
nern und Weibern (je unter sich) und die Kaffeehäuser erfreuen
sich recht lebhaften Besuchs; Gelehrte aber und Fromme erbauen
sich im Freundeskreise an dem Recitieren der Burda/i , der Hamzij-
jah und anderer Loblieder, und die mystischen Brüder heulen ihre
hypnotisierenden Dikrs zum Preise des Auserwählten.
In diesem und in den beiden folgenden Monaten (Rabl* el-Achir ')
und Djumäda ’l-Awwal) ist das Familienleben in Mekka äusserst
rege. Gerade dies Vierteljahr, das aus religiösen Gründen für die
Eheschliessung empfohlen wird, eignet sich in Mekka dazu wie kein
anderes, weil die zeitraubenden Geschäfte ruhen. Mit nicht weniger
Eifer als die Ausbeutung der Pilger im letzten Theile des Jahres
wird von den Nachbarn Allahs die Vorbereitung zu den weitläufi-
gen Hochzeitsfesten betrieben. Es ist, als lüge den Wohlhabenden
daran, das erworbene Gold wieder los zu werden; die Bedürftigen
verdienen noch etwas dabei, und Beide freuen sich in gleichem Maasse.
Im nächsten Abschnitt werden wir auf die Beschreibung dieser Dinge
eingehen.
Dem sechsten Monat (Djumäda ’l-Achir) sehen die Töchter der
Mekkaner , und mehr noch die Gattinnen , freudig harrend entgegen.
Nicht ohne Besorgniss dagegen erinnern sich die Männer, dass am
15‘« der heilige Scheck Mahmud, der Sohn des in der ostindischen
1) Vorzüglich in diesem Monat werden in Mekka die Hochzeitsfeste (vergL Kapitel
II) gefeiert.
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populär-religiösen Litteratur so gefeierteu Heiligen Ibrahim el-Edhem
sein IJaul bat. Sein Grab oder wenigstens das ihm gewidmete Kup-
pelgebnude ') liegt gerade dort , wo die vom oberen und vom unteren
Stadttheil aus nach Djiddah Reisenden sich begegnen J). Bis dahin
begleiten die Mekkaner ihre abreisenden Freunde; wer daran vor-
beikommt , hält ein Augenblick und recitiert wenigstens dem Schech
zu Ehren eine Fät'hah. Dies thut man allerdings auch bei vielen
anderen Erinnerungsstätten , sowohl in der Stadt als auf dem grossen
Friedhof el-Maclä, aber nur bei allgemein gefeierten Heiligen wird
die Sitte so regelmässig wie bei Mahmud beobachtet. Zwischen dem
»Schech Mahmüd” und dem von Mecharridjln ') bewohnten Stadt-
viertel Djirwal ') liegen hie und da kleine Häuser und Beduinen-
hütten , weshalb denn auch das Grabmal noch gewissermaassen als
zur Stadt gehörig betrachtet wird; auch geht man vom Centrum
der Stadt in nicht viel mehr als '/s Stunde dorthin.
Wie nun die Miinncr die Sittana Mejmünah und es-Schühadä
gleichsam monopolisiert haben, so hat das allbehcrrschende »Her-
kommen” verfügt, dass der Patron der westlichen Stadtgrenze fast
ausschliesslich den Weibern gehört. Es gehen zwar fromme Männer
am Abend des (d. h. vor dem) Haul zum Mahmüd , hören dort dem
Vortrage seiner Manäqib zu und tragen dem Heiligen ihre Anlie-
gen vor; am Tage aber bereiten sich die Weiber zur Zijärah und
belegen dann das Gebiet des Schech’s auf etwa 3 Tage mit Beschlag.
Ohne Erlaubniss ihrer Gatten können diese Damen sich solchem
Vergnügen nicht hingeben; allein der Mann weiss wohl, wie schwer
ihm das Leben auf lange Zeit gemacht wird, falls er in dieser
Hinsicht dem Wunsche seiner Gefährtinn widerstrebt und sie dadurch
zum Gegenstand des Spottes oder des Mitleids anderer Weiber macht.
Auch weiss sie ihm klarzumachen , dass ihre Toilette vor dem Feste
einiger Verbesserung bedarf, und dass ihre eigenen Fonds nicht ge-
nügen, die Auslagen für die dreitägige Qelah (denn eine höhere
1) Die mohammedanischen Gelehrten wissen wohl, dass nicht alle derartigen Gebäude
eigentliche Gräber sind, und sie betrachten es zwar nie einen Vorzug, nicht aber als
eine Bedingung bei der Anrufung von Heiligen, dass sich ihre Leichen in der Nahe
befinden. 2) Vergl. Grundriss von Mekka, N°. 39.
3) Vergl. oben, S. 4 — 5. 4) Vergl. Grundriss von Mekka, N°. 1.
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Bedeutung hat diese Zijärah nicht) zu bestreiten. So geben die
Adamssöhne nach, und betrachten es die Mekkanerinnen als ihr
herkömmlisches Recht, sich dem Mahmud zu Ehren einige Zeit in
ihrer Fa<;on zu amüsieren.
Während dieser Weibermesse behelfen sich die Beduinen in der
Nähe des Djirwal ganz ebenso wie die Mekkaner zur Zeit des Haddj ;
sie richten es so ein, dass einige von ihren n'Usschali s" gegen eine
Miethe oder einige kleine Geschenke den Damen zur Verfügung
stehen. Wohlhabende Mekkaner haben meistens im Djirwal unter
den Mecharridjtn ihre Geschäftsfreunde; ihre Frauen werden daher
von den Weibern jener Halbbeduinen eingeladen, mit ihren Freun-
dinnen die Feiertage in ihrem Hause zu verbringen. Wohl ein paar
Dutzend werden in einem von diesen Häusern untergebracht. Am
ersten Tage macht die Hausfrau Dhijnfeh, d. h. sie bietet allen
bekannten und unbekannten Gästen eine Mahlzeit an , wogegen diese
sie mit TumbSk für die Wasserpfeifen, Kaffee usw. beschenken.
An den anderen Tagen wird sie mit den Ihrigen von ihren Gästen
bewirthet , die ausser Betten , Teppichen usw. Ess- und Rauchgeschirr
und ausgesuchte, vorher zu Hause zubereitete, Speisen mitgebracht
haben. Was noch fehlt, kann bei der geringen Entfernung leicht
von den mitgenommenen Dienern aus der Stadt herbeigeschafft wer-
den. Alle bringen zu den Mahlzeiten ans Licht, was ihre Kessel
und Töpfe enthalten und gemessen es, wie beim Picknick, zusammen.
Im Uebrigen ergötzen sich die Damen während dieser Ferien am
Gesang berufsmässiger Sängerinnen, vielfach Sklavinnen, die von
ihrer Herrinn in dem Fache ausgebildet sind. Sie begleiten den Sang
mit einer Tablah (Trommel) aus eben solchem Thon wie der der
mekkanischen Wassergefässe und mit Tär's (Tamburinen)1). Der
Inhalt der Gedichte ist fast immer erotisch , aber durch mangelhafte
Ueberlieferung werden sie manchmal dermaassen verunstaltet, dass
man sich vergeblich bemüht, sie anders als durch freie Gedanken-
ergänzung zu verstehen. Etwas näher werden wir dies bei Bespre-
1) Diene TaY, sind genau ao wie das hei Lane, Männern and Cuatoma, 5*k ed., II : 73
abgebildetc; die Tablah entspricht dem ebenda vorkonmienden f/Darnbnkkch”, nur ist hier,
wie gesagt, die Wand aus verziertem Thon angefertigt.
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chung der Hochzeitsfeste behandeln. Ungemein erheitert es die Damen,
wenn die Sängerinnen dann und wann die konventionellen Liebes-
ergiisse durch Produkte der allerdings nicht hochfliegenden Volks-
poesie ersetzen.
ln diesen natürlichen Erzeugnissen wird der Reim nicht gerade
ehrfurchtsvoll behandelt, während man das Metrum oftmals gänz-
lich bei Seite schiebt und die bequemere gereimte Prosa hantiert.
Wer nicht die Entstehungsgeschichte solcher Liedchen kennt, wird
nicht klug daraus, und auch mit solcher Kenntniss findet man
darin zwar komische Anspielungen auf Ereignisse der letzten Zeit,
Lachen erregende Kombinationen, aber selten einen unzweideutigen
Sinn. Dadurch wird es jedem weiteren Ueberliefercr leicht, etwas
hinzuzuthun oder umzuändem, damit das Lied bei seinen Zuhörern
wieder neue komische Gedanken veranlasse. Einige Liedchen sollen
bloss trällernd einer gewissen Stimmung des Menschen Ausdruck geben.
Als der Wäll 1885 Djiddah besuchte, machte man auf ihn und
seine Umgebung Liedchen wie das folgende ■): »ich liebe beläun-
»tah *), ach, gieb mir belamltah! der Wäll hat Qelltah *) ; jagt ihn
»hinaus!” Auf dieselbe Melodie singt die Frau, die nächstens eine
Hochzeit mitfeiern soll4): »die Henna5) ist im Schrank, die Henna ist
»im Schrank, der Bräutigam steht schon an der Thür, trillre •), o meine
»Mutter !” ; und wird mit folgenden Worten der Stimmung eine ge-
wisse Richtung gegeben ’) : »Ich liebe die Ndmimjjeh (die das ganze
»Bett umgebende , aus tüllartigem Stoff gemachte Gardine zur Abwehr
»der Moskiten), zu liegen in der Ndmutijjeh , wir küssen dich , o Mü-
»sijjeh, jede Nacht einmal!”
X) ahubb el-belamUah , addini btlamtiah , el-bdtchah luh qftUah , naddirdh barrtvubt! Die
Melodien wage ich nicht beizugeben , da ich sie nur mangelhaft im Gedäehtniss habe.
3) Was dieses Wort heissen soll, wusste mir kein Mensch zu erklären.
3) Eine Krankheit der Testikel.
4) U-hiauA fi ’d-döldb (bis), wkl-aru ala l-bäb , ghatrifi ja ummim!
5) Nämlich zum Färben der Hände und Fiisse der Braut.
6) D. h. mache die cigenthümlichen Laute, die in Egypten Zagharit heissen und von
den Weibern bei festlicher Freude ausgestossen werden ; thoilweisc tritt das Trillern an
die Stelle unseres beifälligen Händeklatschens.
7) ahubb en-uämunjjtb . amim fi ' u-udxtiuijjeh , nebtüak ja Mihijjth.fi ’l-lrleh wtarrtidddh !
Der Kuss heisst in Mekka gewöhnlich tulmak-, »Küss mir die Hand” = taUim fi tdt.
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Im August 1885 wurden die DjiddäwI’s und später auch die
Mekkäwi’s von einem eigentümlichen Fieber heimgesucht, das ge-
wöhnlich ohne Gefahr verlief, aber mit heftigen Schmerzen im Rücken,
in den Armen und bisweilen in den Beinen gepaart ging ')• Natür-
lich wurden dem Feinde, der die unschuldigen Städter alle nach
einander auf einige Tage zu Boden warf, einige Liedchen gewidmet.
Man taufte ihn bald Muhammed von Baghdad , bald Muhammed den
Ghandür; Ghandür ist ein Mann, der viel Mühe auf die Verschöne-
rung seines Aeusseren verwendet, dem die schönsten Kleider nicht schön
genug sind, »a swell”, ein Geck. Und die Leute sangen *) : »Muham-
»med der Baghadenser, ergreift (uns bei) Rücken und Armen”, oder *) :
«Muhammed der Ghandür bringt weder Feindschaft noch Schaden”.
In anderen Liedchen gedachte man zu gleicher Zeit dieses ungela-
denen Gastes und der maghribinisehen Pilger, die gerade damals
in grosser Zahl nach der heiligen Stadt kamen ') :
»Muhammed der Ghandür ist in einer gläsernen Schachtel aus Stam-
»bul gekommen ; er kam längst (dem Djiddah’schen Viertel) der Nürij-
»jah, ihm entgegen schritt eine Berberinn, und holte ihn mit einem
»Qadiritischen Aufzug (d. h. nach der Weise der Qädiritischen Derwi-
»sche) ein. Dies Jahr ist das Jahr der Maghribinerwallfahrt, einer (Gott)
«angenehmen und erfolgreichen Wallfahrt. Nicht soll der , zu dem er
»(ich) noch nicht kam, denken, ich habe ihn vergessen ! Ich sitze auf
»dem Zir s) , bis ich Zeit habe , zu ihm zu kommen. Wem ich nicht ge-
»falle, der schicke zu meiner Schwester Wohlgerathen ; die wird solchen
»das Leinwand reissen (d. h. die einzelnen Tücher des Leichengewandes
»herstellen), das Llf (Baumfasern , die man als Schwamm benutzt)
»aufmachen und die Seife (zur Leichenwaschung) bringen”.
1) Vergl. über derartige kleine Epidemien in Djiddah meinen Vortrag in den /rVer-
handl. der Ges. f. Erdk. zu Berlin,” Bd. XIV, S. 141. Nach Mokka scheint die Anste-
ckung durch den gorado zu dieser Zeit lebhaften Pilgerverkehr herübergebracht zu sein.
2) Muhammad el- Bagkdddi , jimsik ed-dhahr wel-ajddt.
3) Muhammad el-gkaud/ir , la je' tidi meid jedhurr.
4) Muhammad el-ghandur , djd min Istambul fi ’ulbei binnor . dji min Zn-NUrijjeh , qdbTrtuh
Berberijjek , zeffetuh zeffeh Qddirijjeh ; heidi 's-srneh xenet haddj 'el-magkdr' beh , haddj ridkd
teehanijjeh ; Uli ma djd luh Ui j'hdnb ne ul uh . we-ana qd’id foq ez-sir , hatta afdha wddji
luh ; Uli md jirdha bije , jinil U-uchtd hanijjeh , teschuqq Uh um el-befteh , Ufalek ik Ukum eU
tifek , wat'djib Uh um etj-qäbun.
6) Das oben S. 40 — 41 erwähnte, in jedem BH cl-nd befindliche Wasaerfass.
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Eine andere »Redaktion” zeigt uns, wie frei man mit dieser Gas-
senpoesie verfahrt ‘):
»Muhammed der Ghandür kam zuerst am Porzellanwaarenmarkt
»vorbei; man jagte ihn aber nach der Nürijjeh, er begegnete einer
»Berberinn, und sagte ihr: rufe mir eine Frau aus Marokko , damit
»sie mir einen QSdiritischen Aufzug bereite; sie sprach: geh nach
»Syrien , zu den Leuten mit muthigen Herzen *). Wem Muhammed
»el-Ghandür nicht gefallt, der gehe zu seiner Schwester Nur, die
»die Leinwand schneidet und die Gräber gräbt”.
Sängerinnen wie die, in deren Gesellschaft wir die mekkanischen
Damen beim Schech Mahmud verliessen, machen solche Liedchen
und verbreiten sie , denn die Weiber hören dieselben von ihnen , und
so kommen sie durch die Kinder auf die Strasse. Während dieser
musikalischen Unterhaltungen geniessen die Weiber Speisen und Nä-
schereien aller Art , trinken grünen und schwarzen Thee J) , rauchen
Wasserpfeifen und ergehen sich im Klatsch über abwesende Bekannte.
Sowie unter den Männern manche dem nach Loth benannten Laster
fröhnen , sind viele schlecht erzogene oder von ihren Gatten vernach-
lässigte Ehefrauen der lesbischen Liebe ergeben, und diese nehmen
ihre Karimah's (so bezeichnen sie die Gegenstände ihrer Lust) zu
allen geselligen Partien mit: es sind meistens junge Mädchen aus
der Stadt, seltener Sklavinnen. Ausserdem sagen böse Zungen, es
gebe Weiber, die den von ihren Männern gewährten Urlaub zu heim-
lichen Rendez-vous mit fremden Liebhabern missbrauchten.
Während dieser Weiberferien haben auch die Männer wieder ein
kleines Haul, das Fest des Heiligen el-Mahdali, welches am 17t',°
Djumäda ’l-Achir ein wenig vor dem Eingang des Muna-thales be-
gangen wird. Ueber den Ursprung dieser Feier erzählt die mekka-
nische Legende Folgendes:
Vor vielen Jahren waren am 1 3l 2 3'n Du’l-hiddjah , wie gewöhnlich ,
1) Muhammad el-ghandnr afadda ’ala 't-tuqatijjch , dafaoh ’ala ’n-niirijjeh, ilidqa
btrberijjeh, qdl leKd ishami U merdk' sckijjeh , tetujfani bi ' l-qddirijjeh , qdtet ruh fi 's-sch im
ahl el-qulub el-qatoijj«h , tcilli ma jirdha bim' ha mm ad el-ghaudur , jertih U-uchtuh nur, tiqta
eUHefleh, toatkafßr el-qubnr.
2) Die Syrer gelten in Mekka als feige.
3) Ucbor das Thcctrinkon in Mekka vcrgl. Mckk. Sprichw., S. 33 ff.
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die Pilger seit 8 Tagen im Muna-thale versammelt und eben im
Begriff, den Rückweg nach Mekka anzutreten. Als sich nun der Zug
in Bewegung setzte, gelang es keinem Menschen und keinem Thiere,
in westlicher Richtung weiter vorzurücken als bis zu einem gewi-
ssen Punkte, wenig unterhalb Muna. Nach mehreren vergeblichen
Versuchen liess der Grossscherif die nächste Umgegend durchforschen,
und so fand man abseits vom Wege, gegenüber dem verzauberten
Punkte, eine unbeerdigte Leiche: es war der Leichnam des Mah-
dall. Nachdem derselbe gewaschen, das Todes^alät darüber abge-
halten und er dann begraben war, konnte man ungestört weiter
ziehen. Auf hohen Befehl wurde über dem Grabe eine Kuppel ge-
baut, und eine fromme Stiftung gab später Gelegenheit zu einer
reichlichen Speisevertheilung am Feste des Heiligen , die zunächst den-
jenigen zu Gute kommt , welche ihm zu Ehren Dikr's abhalten , und
dafür ist in der Nähe der Kuppel eine Küche errichtet. Warum das
Pest in den Monat Djmnäda ’l-Achir verlegt wurde , darüber schweigt
die Legende, und die Mekkaner kümmern sich nicht um derlei
Schwierigkeiten.
Auch zu diesem Feste bildet man Baschkali' 8 wie zur Mejmünah ,
denn viele Mekkaner lagern 2 — 3 Tage in der Nähe des geweihten
Thaies in Zelten. Die lebhafte Theilnahme, deren sich das Fest
oftmals in den Kreisen der »Söhne der Stadtviertel” erfreute, war
in ihrem Wunsche begründet, an dem etwas entlegenen Orte, un-
behelligt von Soldaten und Polizei , ihre Quartierfehden wieder ein-
mal auf einige Zeit auszukämpfen. Ausser beim Afanschaqq el-qamar *)
in der Stadt blühen die Hvschah's nirgends schöner als bei dem
»Grabe des Fremden” ( Qabr el-gltarib), der Ruhestätte des Mahdall.
Während meines Aufenthalts in Mekka war jedoch eine schlechte
Zeit für die Liebhaber dieser blutigen Spiele , denn die Polizei
schritt sehr energisch dagegen ein.
Sittanä Mejmünah und es-Schühadä , Schech Mahmud und el-
Mahdali, das sind die eigenen Feste der Mekkaner; die Zahl der
Häuf s ist damit zwar bei Weitem nicht erschöpft, aber die übrigen
1) VergL oben 8. 9
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finden nur je in ihrem Kreise Interesse und gehören nicht zum öf-
fentlichen Leben der Stadt. Am Feste des Wdli Djauhar (eines
Heiligen indischer Herkunft) steigen einige Gesellschaften von Män-
nern zu seinem Grube in der Nähe der Festung des Djebel Hindi
hinauf und halten dort von der 'Ischa-zeit bis gegen Mitternacht
Quränrecitationen und Mölid’s ab , geniessen dazu auch wohl Kaffee
und Süssigkeiten. Auch beim Grabe des heiligen Verrückten (el-
Mahdjüb) im Viertel Bäb el-cUmrah finden ähnliche Zusammenkünfte
statt. Bei vielen anderen Gräbern , auch solchen , die in früheren
Jahrhunderten als Versammlungsorte der mekkanischen schönen Welt
dienten, beschränkt sich heutzutage die Verehrung der Gläubigen
auf die gelegentliche Widmung von Kerzen und Lampen. Von man-
chem zerfallenen Monumente, an dem der neugierige Wanderer vor-
übergeht, vermuthen die einheimischen Gelehrten bloss noch , welcher
Schutzpatron dort vergessen ruhen mag; da machen sie sich so zu
sagen ein Verdienst daraus, dass sie wenigstens nicht dem Zeitgeiste
huldigen , sondern dem Heiligen trotz der bescheidenen Stellung , zu
der er herabgesunken ist, ihre TnFhah nicht vorenthalten.
Zwei »Jahresfeste”, die jeden Monat gefeiert werden , machen je-
doch eine Ausnahme; am 11"“ jedes Monats giebt die geliebte Frau
des Propheten, Sitlanä Chadidjah, in ihrer Kuppel auf dem Ma'lä
allgemeine Audienz, und am 12"“ folgt Muhammeds Mutter, Sit-
lanä Aminah , ihrem Beispiel. Beide Grabstätten sind erst in spä-
terer Zeit festgesetzt worden, und auch die Verehrung der heiligen
Frauen scheint nicht viel mehr als drei Jahrhunderte alt zu sein;
vorzüglich Chadidjah hat aber das Versäumte längst nachgeholt,
denn , wie wir dies bereits an einem andern Orte hervorhoben ') ,
ist sie die Zuflucht der Mekkaner in allen Nöthen. Wenige Tage
gehen vorbei, ohnedass einige Männer und Frauen ihr für eine
Heilung oder sonst die Erfüllung eines Wunsches etwas gelobt
haben, ohnedass andere einem fällig gewordenen Gelübde gemäss
mit ihren Kerzen oder ihrem Weihrauch zum Palaste der Todten-
stadt gehen. Diesem gegenüber liegt das Gebäude der Aminah, die
nur durch die Beleuchtung der Sonne Chadidjah ’s glänzt.
1) Mekk. Sprichw., S. 62 f., wo auch die Grabkuppcl der Chadidjah beschrieben wurde.
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Jede Woche hat einen Allerseelentag ; auf den Ma'lä begeben sich
dann nicht nur Solche, die dort theure Verwandten beerdigt haben,
sondern Alle, die für verstorbene Angehörige beten wollen. Früher
dienten diese Versammlungen regelmässig zur Anknüpfung unerlaub-
ter Beziehungen zwischen beiden Geschlechtern, und die Behörden
haben daher angeordnet , dass die Weiber , mit Ausschluss der Män-
ner , am Donnerstagnachmittag bis gegen Sonnenuntergang hier freien
Zutritt haben; dann werden sie nach und nach von der Polizei hin-
ausgewiesen und fängt die Zijärah der Männer an. Theilweise wissen
jedoch die übermüthigen jungen Leute auch so ihren Zweck zu er-
reichen: auf dem Wege zum Mala, nahe dem Friedhof, sind ein
paar grosse, an luftigen Orten gebaute Kaffeehäuser, wo die Vereh-
rer des schönen Geschlechts sich hinsetzen, Kaffee trinken und rau-
chen , während die Damen auf und ab gehen. Berühmte Schönheiten
werden erkannt, der Wind bewegt die Schleier, wie er will, und
eine ziemlich ausgebildete Geberdensprache erleichtert den Verkehr
aus der Ferne
Zum Weinen gehen Muhammedaner nicht auf den Friedhof; vieljäh-
rige Trauer ist im Islam weder theoretisch noch praktisch beliebt. Man
will vielmehr die Todten mit dem , was sie brauchen , versorgen ; ausser
reinen Gräbern, mit einigen Blumen zu ihrem Gedächtniss geschmückt,
brauchen sie fromme Werke, um einmal vor Gott erscheinen zu können.
Solche Werke kann man ihnen gleichsam nachschicken, und die üblich-
sten derartigen Geschenke sind Speisevertheilungen an Arme , die man
bei ihrem Grabe vornimmt, und Recitationen von einigen Abthei-
lungen ( Djuz ’) des Quräns. Beiderlei fromme Handlungen werden
von Allah reichlich belohnt, und um diesen Lohn bittet man ihn
nun , die Rechnung der verstorbenen Verwandten oder Freunde zu
entlasten. Auf dem Malä findet man deswegen immer Quränrecita-
toren , die für eine kleine diesseitige Bezahlung den jenseitigen Lohn
ihrer religiösen Uebung dem ihnen genannten Hingeschiedenen schen-
ken ') ; auch Brotverkäufer sind da , und Bettler , die einem die Wohl-
1) Man bestellt sich für seinem Todten entweder ein Chatmali (Vortrag des ganzen
Ciuräns) oder einige Abtheilungen , oder aber wenigstens die 3G»>' Sürah (Jti tim).
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thätigkeit ermöglichen. Wer aber nuch einem oder mehreren Hei-
ligen seine Bitten anvertmuen oder seine Zuneigung erweisen möchte,
findet mehrere Füqahä bereit, ihn zu begleiten, und als Vorbeter
zu dienen. Wenn bei dienen Gräbern gute Werke »verschenkt”
werden , so geschieht es in der eigennützigen Absicht , sich den betref-
fenden Wall zum Freunde und somit zum Vermittler zu gewinnen, denn
für sich haben diese Gottesfreunde schon so das Paradies verdient.
Mehr Aufmerksamkeit als den erwähnten Sachen spenden die
Damen den Hausierern, die ihnen allerlei Süssigkeiten und Obst
anbieten, und ferner ihren Freundinnen; denn im Grunde sind sie
doch nur dazu hergekommen, beim Genuss von Näschereien ein-
ander die Herzen auszuschütten über Leid und Freude der vergan-
genen Woche. Wenn sich die Sonne neigt, schreiten sie langsam
und gleichsam wider Willen auf den Eingang zu und kehren heim.
Einige Männer machen bald darauf von ihrem Rechte Gebrauch *),
gleich in die Todtenstadt einzutreten; es sind namentlich solche,
die gerade heute das Haut eines theuren Verstorbenen feiern, denn
die fromme Sitte will, dass man an dem Todestage seiner Ver-
wandten ihnen ausserordentliche Geschenke bringt. Zu dem Zwecke
werden Freunde eingeladen, und die Nacht wird mit frommen Uebun-
gen »lebendig gemacht”. Andere statten ihren wöchentlichen Besuch
frühmorgens ab , nachdem sie in der Moschee das Qalät der Mor-
gendämmerung mitgemacht haben ; wer aber daran verhindert wor-
den ist, kommt im Laufe des Nachmittags, der sonst dem Besuche
von Freunden gewidmet ist. Allen Mekkanern ist der Ma'lä die
Freitagspromenade; trübe Gedanken bringen sie nicht mit, freuen sich
vielmehr darob , dass die Chadüljah sich noch wohl befindet , und ge-
denken der lokalen Ueberlieferung , derzufolge am Auferstehungstage
70000 gekrönte Häupter aus diesen Gräbern emporsteigen sollen!
Am ll,en jedes Monats gehen aber grosse Männergesellschaften
bei Mondbeleuchtung zur Ghadldjah und nehmen Kessel mit Reis,
Fleisch und andern Speisen mit. Theils innerhalb des Grabgebäudes ,
theils vor der Thür setzen sich die Versammelten nieder, um dem
1) Vergl. die vorige Seite.
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Mölid zuzuhören, welches ihnen der Sejjid vorträgt, in dessen Fa-
milie die Bewachung des Grabes erblich ist. Man giebt dem Sejjid
ein Geldgeschenk, nachdem er seinen Vortrag mit einem Gebet be-
schlossen , dessen zahlreiche Amin' 8 Alle laut mitsagen ; darauf geniesst
man die Mahlzeit.
Bis gegen Mitternacht kommen fortwährend neue Gesellschaften,
und später noch sitzen Einzelne auf kleinen Teppichen um das
hölzene Grabgestell herum in der Kuppel und klammern sich jeden
Augenblick betend an die schweren Teppiche, die jenes bedecken
und die man nur mühsam durch das eiserne Gitterwerk hindurch
mit den Händen berühren kann.
Für die Weltkinder ist auch wieder gesorgt: Speisen und Getränke
sind allenthalben zu haben; nahe dem Eingang des Friedhofs zeigt
bei solchen Gelegenheiten ein Gaukler seine Künste. Anständige
Mekkaner verbieten ihren Söhnen , dem Spiele zuzuschauen , weil
dabei Liebhaber von Knaben auf den günstigen Augenblick für ihre
Unternehmungen lauem!
Das Fest der Aminah am 12*“ ist lediglich eine blasse Nachah-
mung des Haul ihrer höher verehrten Nachbarinn.
Wir haben den Mekkaner im muslimischen Kalender jetzt bis
zum 7,cn Monat begleitet; dieser war schon in vorislamischer Zeit
heilig und hat bis zum heutigen Tag für Mekka seine Wichtigkeit
behalten. Zunächst verdienen im Redjhb zwei Tage unsere Aufmerk-
samkeit.
Am 12*'® weiss die ganze Stadt, dass in einem am Abhange des
Abu Qubes errichteten Gebäude eine feierliche Versammlung statt-
findet, die vor einigen Jahrzehnten noch ebenso unbekannt war wie
die Zäicijah selbst. Es sind die Adepten der Senütijjak , dieser in
wenigen Jahren in Afrika und Arabien zur höchsten politischen und
religiösen Bedeutung gelangten Bruderschaft , die den Todestag des
Gründers ihres Ordens feiern. In den Städten Westarabiens ist diese
Tariqah ') bis jetzt noch eine zwar hochverehrte, aber ihre Schwe-
1) Mit diesem Worte (eigentlich >/W cg”) bezeichnet rnnn die mystischen Orden, die
gerado heutzutage die höchst« Bedeutung für das Leben des Islam’» gowonneu haben.
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stern keineswegs überragende Fremde geblieben. Für die von Harbl’s
und anderen Beduinen bewohnten Gegenden der Haramein-provinz
hingegen hat sie jedoch die höchste Bedeutung, weil es ihrer prakti-
schen Mission gelungen ist , die jeder Autorität abgeneigten , dem offi-
ciellen Islam fernstehenden Wüstensöhne zum grossen Theil unter ihre
Herrschaft zu bringen. Mit ihren strengen Grundsätzen hat die Tariqah
hierbei jedenfalls transigieren müssen , denn weder die Raubsucht noch
die Unwissenheit in dogmatischen und rituellen Dingen haben die Be-
duinen abgestreift. Die Senüsl’s haben wohl ihre Gründe dafür, dass
sie hier einstweilen mit dem Möglichen vorlieb nehmen; soviel haben
sie den Harbl’s beigebracht , dass ihnen der Schutz des heiligen Senüsl
im Jenseits trotz vielen Sünden gute Hofinung übrig lässt , und dass
solcher Schutz nur durch Gehorsam gegen die Stellvertreter desSchech’s
zu erlangen sei- Dass sie damit durchgedrungen sind , bestätigt unsere
oben *) dargelegte Anschauung vom religiösen Sinn der Beduinen.
Die meisten Ortschaften im sogenannten Hidjäz haben kleine Ver-
einshäuser des Ordens, wo durchreisende Brüder Aufnahme finden,
und , während die Pilgerstrasse immer unsicher gemacht wird , kann
jährlich von Mekka nach Medina eine »Brüderkarawane” ( Rakb el-
ichwäri) ohne jegliche Vorsichtsmaassregel unbehelligt pilgern.
Ueber die Rolle , welche diese Tariqah in der weiteren Geschichte
des Islam ’s zu spielen bestimmt ist, gestatten mir meine mekkani-
schen Erfahrungen nicht, Verrnuthungen aufzustellen. Genug das
Fest wird in der Nacht des 12,en von den Brüdern mit Vortrag
der Lebensgeschichte des Schech’s und gemeinschaftlichen DiUr's ge-
feiert. Morgens früh schlachten sie viele Sehaafe und kochen mas-
senhaft Reis , um diese Speisen Nachmittags allen Besuchern vorzu-
setzen. Man kann sich denken, dass die Volksklassen von den
angebotenen dies- und jenseitigen Segnungen ordentlich Gebrauch
machen.
Von jeher war der 27•,,l Redjeb ein Festtag, an dem man beson-
ders feierliche 'Umrah’s machte ; in islamischer Zeit bekam das Datum
neue Ansprüche, zuerst weil die von Abdallah ibn Zubair vergrö-
1) Bd I, S. 37 fl.
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sserte Ka'bah J) an dem Tage eingeweiht wurde , dann aber , weil
die Ueberlieferung bestimmt hat, dass Muhammeds nächtliche Reise
von Arabien nach Jerusalem und von dort zum Himmel in der Nacht
des 27s,en stattgefunden hal>e. Da jener Neubau von den Omajjaden
bald zu nichte gemacht wurde, blieb die mit immer neuen legen-
darischen Zusätzen beschriebene Himmelreise seither den Muslimen
als die Ursache des Feiertags gelten. Fast in allen Einzelheiten ist
das Fest , dessen Anfang am 2G,en Nachmittags mit einem Kanonen-
schuss angekündigt wird, dem Mßlid des Propheten') gleich. Nur
bildet hier den Gegenstand der einige Tage vorher von den Profes-
soren gehaltenen Vorträge sowie der Vorlesung am Festabend bei
dem Bäb Derebah, anstatt der Lebensgeschieh te Muhammeds, die
Erzählung seiner Himmelreise ( Mfrädj ), die in vielen Bearbeitun-
gen vorliegt s). Bekanntlich sind die darin vorkommeuden Gespräche
Muhammeds mit Gabriel, mit den Propheten und mit Allah so
abgefasst, dass sie lauter nützliche Belehrung über die muslimische
Doktrin und über jenseitige Dinge enthalten.
Beiläufig sei hier eine seltsame Sitte erwähnt, welche die Medi-
nenser an diesem Micrädj-feste beobachten , und zwar nach Abschluss
der auch in Medina Abends in der Moschee gehaltenen Vorlesung,
vulgo Chulbn/i. Sobald der mit der Vorlesung Beauftragte sein letztes
Amin gesprochen hat , fallen die Leute der unteren Klassen und die
an diesem Feste immer zahlreich sich einfindenden Beduinen über
den Mann her und reissen ihm stückweise das Obergewand vom
Körper, als hinge ihre Seligkeit davon ab, ob sie sich eines Fet-
zen von dieser Djubbah bemächtigten. Die Städter geben dazu die
alberne Erklärung, dass vor vielen Jahren ein Moscheebeamter aus
Neid gegen den glücklichen Kollegen, dem die immer extra bezahlte
Mi'radj-predigt diesmal übertragen war, den Beduinen eingeredet
habe, der Segen des Festes werde nur Solchen zu Theil, die ein
Stück von der Djubbah des Chatib mit nach Hause trügen. So
habe er den Bevorzugten in die bedrängte Lage versetzt; seitdem
1) Vorgl. Bd. I, S. 3.
9) VergL oben S. 57.
8) Für die Vorträge in der Moschee ist die Bearbeitung eon Barzandji sehr beliebt.
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sei der Angriff herkömmlich geblieben. Ohne eine sichere Erklärung
an die Stelle dieses Euhemerismus setzen zu können, wollen wir
doch auf Aehnliches hinweisen, das uns Herr M. Quedenfeldt von
den Rlf-berbern erzählt '). Eine gute Parallele zu obiger Erklärung
bietet Folgendes: Unweit der Grenze des heiligen Gebiets auf dem
Wege von Djiddah nach Mekka steht ein Baum, der von den
umwohnenden Stämmen dadurch verehrt wird , dass sie allerlei bunte
Fetzen daran aufhängen. Bekanntlich ist solcher Baumkultus in
Arabien uralt1 2). Fragt man nun aller, was die aufgehängten Fet-
zen bedeuten, so sagt dieser, man ehre dadurch einen unter dem
Baume begrabenen Heiligen, jener erklärt den Baum für densel-
ben, unter welchem Muhammed im Jahre 628 den Eid der 'Freue
von seinen mit ihm nach Mekka gezogenen Anhängern empfing,
und ein dritter fügt hinzu, es sei damals ein Fetzen vom Turban
des Propheten an einem Zweige des Raumes hangen geblieben, als
er aufstand, und zur Erinnerung daran hänge man auch jetzt noch
Fetzen auf.
Medina zeigt noch in anderen Dingen einen mehr altmodischen
Charakter als seine Schwesterstadt. So war die Bevölkerung vor einigen
Jahren aufs Höchste empört, weil eine des Mordes schuldige Frau
vom türkischen Gouverneur vorläufig eingesperrt und nicht gleich
den zum jus talionis Berechtigten übergeben wurde. Schliesslich
musste der Pascha aus Mangel an genügender Garnison der vor seine
Wohnung zusammengelaufenen Menge nachgeben und thun, als
wären die Qawünin (modernen Gesetze) für Medina nicht geschrie-
ben. Auch gegen Telegraphen und derlei Neuerungen würde man
in Medina heftig opponieren. Manche Medinenser fühlen sich in
Mekka ungern üthlich , weil ihnen überall anstössige Gegenstände
und Sitten auffallen ; auch hören die in Medina Geborenen hier mit
1) In der Berliner Zeitschrift für Ethnologie, 1888, S. 112: //Man erzählte, dass an
//einzelnen Orten die Verehrung und der Enthusiasmus einen solchen Orad erreicht
//habe, dass das Volk den Bcrnüs des Sultans, den ihm dieser willig überliess, in kleine
//Stücko zerrissen und dieselben als eine Art Talisman heimgetragen habe.”
2) Vergl. z. B. Wellhausen, Reste altarabischen Qeidentumes, S. 101 und den Orts-
namen I>ät er-Riqa* mit der Erklärung Bckri, S. 422; auch Sachau, Reise in Syrien
und Mesopotamien, S. 115.
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Entsetzen , dass es Mekkaner giebt, die sich in Djiddah des Ver-
kehrs mit Ungläubigen nicht schämen! Nicht mit Unrecht sagen
die Mekkaner selbst, in Medina lebe man nur der Religion '), in
Djiddah strebe man bloss nach weltlichen Gütern, und in Mekka
vertheile man seinen Eifer gleichmüssig zwischen diesseitigen und
jenseitigen Bestrebungen. Obgleich die »Nachbarn Allahs” sich selbst
somit die wahre M itte zuerkennen , liegt doch in ihrer vergleichenden
Abschätzung der »Nachbarn Muhammeds” die Anerkennung eines
Vorzugs auf deren Seite. Wirklich ist von der Eifersucht zwischen
beiden Städten, die zu Anfang der 9,e” Jahrhunderts litterarische
Kämpfe hervorrief1 2), keine Spur übrig geblieben. Seitdem diese
Provinz vom Chalifate lossgetrennt war , sank die frühere Hauptstadt
Medina nach und nach zu einer Dependenz von Mekka herab und
war also auf Seiten Mekka’s kein Grund zum Neide mehr vorhan-
den. Trotzdem nun Mekka im heiligen Gesetze einen entschieden
höheren Rang hat als Medina, zeigen die Mekkaner eine nicht
weniger entschiedene Vorliebe für Medina; ohne Geringschätzung
der Heiligkeit der eignen Stadt, die ihnen noch dazu den Lebens-
unterhalt gewährt, reden sie unter sich über Medina, als wäre es
des einzige Ziel aller Wallfahrten.
Theilweise ist diese Gesinnung aus einer gewissen Ehrfurcht der
»Grossstädter” vor den weniger dem Zeitgeist dienenden, altmodi-
schen Medinensem zu erklären ; das kleinere Medina verdankt diese
Eigentümlichkeit seiner Lage : mehr als zweimal so weit vom Meere
entfernt als Mekka steht es der Kultur nach auf einer Mittelstufe
zwischen Mekka und dem Inneren Arabiens. Aber die Liebe der
Mekkaner gilt mehr der Stadt als ihren Bewohnern, oder vielmehr
sie gilt ihrem seit beinahe 1300 Jahren schlafenden Bewohner, dem
Gottesgesandten. Statt, wie vorhin, sich mit den Medinensem zu
zanken über die Frage, ob nach genauer Abwägung die heiligen
Schriften mehr zu Gunsten der einen oder der anderen Stadt enthal-
ten , werden die heutigen Mekkaner nicht müde , ihrer Sehnsucht nach
1) Mit diesem DU wird hier in erster Linie die Pünktlichkeit in gewissen äusserli-
chon Dingen und der Hass gegen alle moderne Kultur gemeint.
2) VergL Bd. I, S. 42 — 3.
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der Stadt Muhammeds Ausdruck zu geben. Es ist dies ein charak-
teristischer Beleg für die Entwickelung der muslimischen Lehre ; die
Menschenverehrung, der Muhammed so feindlich gegenüberstand,
dass er die Juden und Christen verfluchte, weil diese »aus Propheten-
gräbern Bethäuser machten”, hat in seiner eigenen Religion so über-
hand genommen, dass sein eignes Grab jetzt die inbrünstigen Gebete
der Muhammedaner in Empfang nehmen muss. Ausser an Orten , wo
wahhabitische Einflüsse vorherrschen, hat das Bedürfniss nach mensch-
licher Vermittlung den Gott des Islam’s immer weiter von seinen
Anbetern entfernt, und in der Verehrung des todten Propheten gipfelt
der allenthalben verbreitete Ileiligenkult.
Wenn einige Mekkaner ruhig zusammen plaudern und das Gespräch
kommt auf Medina, so werden gleich von allen Seiten die Segnungen
gerühmt, welche der Prophet dort spendet: das Fleisch schmeckt
dort besser als irgendwo, Milch und Butter sind dort reichlich vor-
handen, die //40 Sorten” von Datteln wachsen in nächster Nähe,
die Sitten sind einfacher, die Gastfreundlichkeit hat anziehendere
Formen als in Mekka. Auch Wunder werden erzählt: ein Mek-
kaner, der jährlich viele Wochen in Medina verbringt, hat gese-
hen , wie an jedem Freitagabend , wenn die Sonne untergeht ,
einige Tauben sich auf die Kuppel des Grabes (welches bekanntlich
innerhalb der Moschee liegt) niederlassen und, nachdem sie dem
edelsten Geschöpfe Gottes ihren Gruss gebracht , wieder emporsteigen
und verschwinden. Wird in einem mekkanischen Hause aus irgend
einem Anlass das //Mölid” vorgetragen, so unterbrechen die um das
Weihrauchbecken herumsitzenden Gäste den Recitator mit geseufztem :
i/O Gesandter Gottes! O Medinah !” und ist in einer Gesellschaft
ein guter "Munschid” zugegen, so lässt man nicht von ihm ab, bis
er ein schönes Lobgedicht auf Muhammed voller Sehnsucht nach sei-
nem Grabe recitiert hat. Verse wie die folgenden :
»Mein Herz neigt sich , o Gesandter Gottes , zu dir ,
» Aber ach, mein Rücken ist mit Sünden schwerbeladen!”
rufen in dem Auge manches Zuhörers Thränen hervor.
Die mekkanischen Weiber sind ihren Herren dankbar für die Er-
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laubniss, das Haddj mitzumachen , betrachten dies aber hauptsäch-
lich als eine Gelegenheit zu Partien ebenso wie beim Schech Mah-
mud ; ihr Dank für eine Zijürah nach Medina dagegen bezieht sich
hauptsächlich auf die damit verbundenen geistigen Segnungen und
die Versöhnung mit Allah durch die Vermittelung seines Gesandten ').
Während nun die späteren Qäf’lah's, die langsam reisenden Ka-
rawanen, vorzüglich fremde Pilger und mckkanische Weiber und
Kinder nach Medina bringen, haben die Söhne Mekka’s im Monat
Redjeb (und deshalb durften wir uns hier die obenstehende Ausfüh-
rung gestatten) ihre Rakb's ’), ihre Eeiterkarawanen nach dem hei-
ligen Grab.
Behufs dieser Redjebijjeh theilen sich die Mekkaner wieder in
mehrere Gruppen , bei deren Zusammensetzung die Stadtviertel maass-
gebend sind, und von denen jede einen Führer, einen Schech des
Rakb hat. Längst vorher bereiten sich die Zuicwär auf ihre Reise
vor ; wenn sie selbst kein Dromedar haben , miethen sie sich eins
oder begnügen sich mit einem schnell laufenden Esel. Beide, Reiter
und Reitthier, üben sich Tage lang auf den anstrengenden Ritt,
denn es ist das Streben jedes Rakb darauf gerichtet, den anderen
auf der Hin- und Rückreise zuvorzukommen, und Nachzügler sind
daher Gegenstand allgemeinen Aergers ihrer reisetüchtigen Gefährten.
Ist das Verhältniss der den Weg beherrschenden Stämme zur Re-
gierung besonders gespannt , so unterbleibt wohl einmal der beliebte
Besuch , aber unter gewöhnlichen Umständen reisen die Rakb's leid-
lich sicher. Sind sie doch ziemlich zahlreich und nur aus tüchtigen,
den Strapazen dieses Wettlaufs gewachsenen Männern zusammenge-
setzt , die nicht mehr als das Unentbehrliche auf die Reise mitneh-
men und noch dazu gut bewaffnet sind. Es lohnt sich nicht, gegen
solche Gesellschaften einen kleinen Streifzug zu unternehmen. In
4 — 5 Tagen legen die Reiter die Entfernung zurück, zu der die
Qäf’lah’s 10 — 12 Tage brauchen. In Medina kommen ihre Gastfreunde
1) Sogar der heutig« Groasscherif schrieb seinen Erfolg gegen die Partei des Othman
Pascha zum guten Theil seinen Gebeten beim heiligen Grabe su. Vergl. Bd. 1,8. 184 — 5.
8) Von den Mekkancrn vielfach Itäkib gesprochen; vergl. Akü (Speise) , Ratil (Pfund)
und andere Beispiele, Mckk. Sprichw., S. .89.
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ihnen froh entgegen ; die Rakb'a bleiben hier nur so lange als sie zur
Zijtirah des Propheten und der anderen Heiligen brauchen , und wer-
den bei ihrer je durch einen Vorrenner angekündigten Rückkehr in
Mekka mit Jubel begrüsst. Wie man im Hause die heimgekehrten
Zuwwär des Rakb sowohl als der Qäflah feiert, wird im nächsten
Kapitel beschrieben.
Gegen Ende dieses Monats kommen schon einzelne Gruppen von
Pilgern her, und im Schcfbän (dem 8,en Monat) wird der Zug be-
deutender; diese Vorläufer wollen ihren Ramadhän in Mekka fasten
und, wenn es geht, vor dem lladdj mit der Qäf’lah nach Medina.
Der 15*' Scha'bän, namentlich die Nacht desselben, gilt bekanntlich
in der ganzen muslimischen Welt als ein Zeitpunkt , an dem Allah
über dass Schicksal der Erdbewohner im nächsten Jahre wichtige
Entscheidungen trifft. Die Ueberzeugung , das Alles von Ewigkeit
in Gottes Rath vorausbestimmt ist, hindert die Gläubigen nicht
daran, sich an solche Daten festzuklammern und dann Gebete em-
porzusenden, durch welche Allahs Erbarmen zum Auswischen ver-
hiingnissvoller Dekrete veranlasst werden soll '). Den Weibern und
Kindern ist der vorhergehende Tag wieder eine Art kleines cId (Pest).
Fromme Männer verbringen die Nacht grösstenthcils mit Quränreci-
tierung und anderen religiösen Verrichtungen, und in der Moschee
bilden sie nach dem letzten Abend-o/alät bis Mitternacht kleine Kreise ,
in deren Mitte ein Vorbeter ein specifisches Scha‘bän-gebet hersagt,
das die Uebrigen in betender Haltung anhören und mit ihren Amins
unterbrechen. Von den bereits angekommenen Pilgern fehlt dabei
keiner; die Gehülfen der Scheche bieten ihnen ihre Dienste als Vor-
beter an und bekommen dafür ein Geschenk. Ich war selbst dabei
zugegen, wie ein angehender Gehülfe, dessen höchster Wunsch war,
es einmal zum Schech zu bringen, sich tagelang mit dem Auswen-
diglernen des gebräuchlichsten Scha'bän-gebets abmühte.
t/O Allah”, so heisst es u. A. darin, »solltest du mich in dei-
// nem Urbuche aufgeschrieben haben als Unglückseligen und Darber
»und Dürftigen, so wische aus, o Allah, durch deine Gnade aus
1) Im Qurän findet sich diese Anschauung z. B. XIII: 39.
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»deinem Urbuche meine Unglückseligkeit, mein Darben und meine
»Dürftigkeit” usw.
Während der Nacht wird die Moschee heller als gewöhnlich be-
leuchtet (es ist übrigens Vollmond), und am Tage darauf öffnet sich
wohl die Ka'bah dem Publikum.
In der zweiten Hälfte des Scha'bän ist in allen Gesellschaften die
Rede von dem nahenden , in der heissen Gottesstadt so schweren
Fastenmonat Ramadhän. Es gehört zu den jährlich wiederkehrenden
Witzen, dass man etwa am 20''11 Scha'bän zu Kindern sagt, der
»Scheeh Ramadhän” sei heute mit der Qäf’lah aus Medina abge-
reist *) ; an jedem späteren Tag nennt man die Station , wo er an-
gekommen sei , und schliesslich bleibt man im Unsicheren , ob er in
einem oder zwei Tagen da sein werde, weil der Anfang des Mo-
nats bekanntlich davon abhängt, ob am Abend nach dem 29’““
Scha'bän der Neumond gesehen wird , oder nicht.
Zum Fasten bereiten sich die Leute durch »Reinmnchen” des
»Bauches” vor; jeder geht zu einem Arzt und erbittet sich eine
S cherbah, welches Wort hier seltsamerweise, wenn man es ohne
Zusatz gebraucht, von jedem Haktm im Sinne von Laxierpille *)
verstanden wird. Die Scherbah bereitet jeder Arzt nach seinem eig-
nen Recept, mit dem er, wie mit allen Recepten, sehr geheim
thut. Während andere Heilmittel verkauft werden, reicht der Arzt
zu jeder Zeit allen darum Bittenden die Scherbah umsonst dar.
Mit Spannung harrt man des Kanonenschusses, der den Anfang
des 9,'n Monats ankündigt. Gleich nachdem er gefallen , werden die
Marktstrassen belebter, überall stellen die Esswaarenhändler die be-
liebten Ramadhänspeisen aus und lassen zeitgemässe Ausrufe1 * 3) er-
tönen, damit sich die Gläubigen durch ein tüchtiges Sahür (die
Mahlzeit, die man kurz von der Morgendämmerung einnimmt) zum
ersten Tag des Hungers und, was schlimmer ist, des Durstes stärken.
1) Er wird also in ungefähr 10 Tagen in Mekka sein.
8) Wahrscheinlich weil man früher su diesem Zweck meistens einen Trank verschrieb ;
sonst heissen Pillen fiabbak. Plur. Ilubib.
3) Auch witzige ; so rief ein Knabe hinter einem Tisch, auf dem Teller mit Fätüdok
ausgestellt waren: tckuurak, juurat, takirak ja ' ammi »deine Haare, deine Hinteren,
»dein Sahür, o mein Ohcüu!”
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Ramadhän ist in hervorragendem Sinn der Monat der Religion;
auch Solche, deren Eifer sonst recht schwach ist, bestreben sich in
dieser Versöhnungsperiode, nach Vermögen Gottes Wohlgefallen zu
erwerben, während die Frommen sich geistig und körperlich bis
zur Ueberspnnnung in die Lohre und die Praxis des Islam’s ver-
senken. Eine klare Vorstellung vom dem Leben der Mekkaner unter
der Herrschaft dis «Schech Ramadhän” gewinnen wir wohl am
besten dadurch , dass wir die Beschreibung der rituellen Verrichtun-
gen eines beliebigen ganzen natürlichen Tages zu Grunde legen,
und jedes Mal bemerken, was im Fastenmonat hinzukommt oder
modificiert wird. Den Anfang machen wir kurz vor dem Maghrib,
dem Sonnenuntergang, der die Grenzscheide zweier Tage bildet.
Nur eine kleine Ecke der Moschee wird noch von der Sonne be-
leuchtet; sonst ist bereits übendl Schatten, aber noch stundenlang
bleiben die Marmorsteine der Pfade von den Säulenhallen nach dem
Centrum des Hofes so heiss, das man die blossen Füsse jeden Au-
genblick zu versetzen geneigt ist, um eine kühlere Stelle zu suchen.
Unter den Säulenhallen und auch im Hofe sitzen hie und da stramme
Vertreter der heiligen Wissenschaft inmitten ihrer Zuhörer und lesen
specielle Ramadhänkollegien ; die gewöhnlichen Vorlesungen feiern ,
weil die Moschee allzusehr vom Kultus in Anspruch genommen wird ,
aber mehr noch, weil Lehrer und Schüler kaum im Stande wären,
ohne jegliche Labung des Körpers viel geistige Nahmng zu ver-
dauen. Auf den Lippen und der Zunge der allzu fleissigen Profes-
soren zeugt eine weisse Bedeckung davon, wie schwer ihnen diese
Nachmittagsstunden werden , und die kränklichen Gesichter mancher
Zuhörer beweisen, dass schwächere Konstitutionen diesen Monat
nicht ohne Verdauungsstörungen durch machen. Fast alle Fremden,
die sich seit Kurzem in der Stadt aufhalten, bewegen sich durch
die Tempelräume.
Bald fangen die Zemzemi's an , sich zu regen ; aus ihren Chelwah's
(den niedrigen ,• dunklen Gemachem , welche die Säulenhallen der
Moschee im Erdschoss umgeben) holen sie ihre ‘Matten und Tep-
piche hervor und breiten sie an den gewohnten Sitzen ihrer Kun-
den über den Kies des Moscheehofes, resp. den Marmor der Hallen
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aus. Vor diesen länglichen Streifen legen sie die Döraq’s mit ge-
kühltem Zemzem, etwa einen auf fünf Personen; vor den Plätzen
ausgezeichneter Kunden stellen sie aber noch einen oder zwei Trink-
krüge ') mit süssem Wasser (liegen wasser oder Wasser aus der Leitung,
je nach dem Geschmacke ihrer Gönner). Durch alle neunzehn Thore
strömt jetzt die Menge herein ; fast jeder hat seine kleine Tasche oder
sein Körbchen mit Brod und Datteln, Oliven oder Feigen in der
Hand. Reicheren Leuten folgen Sklaven, die auf dem Kopfe mit
Speisen schwcrbeladene metallene Teller tragen.
Alle haben sich gesetzt und harren des Augenblicks , wo der Rejjis
im Obergemach des Zemzemhauses eine Fahne schwingen wird, auf
welches Zeichen von der Festung ein Kanonenschuss fällt. Durch
die Reihen geht dann ein Summen von Dankformeln wegen glück-
licher Beendigung des Fastentages, und dem folgt ein allgemeines
Zugreifen, welches vorzüglich das Trinkgeschirr zum Gegenstände
hat. Nach ein paar Minuten ertönt schon von den sieben Minareten
der Adün (Aufruf), womit der Termin anfängt, innerhalb dessen
das Galat des Sonnenuntergangs gemacht werden kann. Speciell bei
diesem l^alät ist der Zeitraum kurz bemessen, weshalb denn auch
vor dem Maghrib die nach anderen Aufrufen üblichen Lobpreisun-
gen unterbleiben. Dem Adün folgt also gleich die Iqämah , der letzte
kürzere Aufruf zum anfangendeu Qalät in der Moschee. Unter der
Leitung des hanafitischen Imams, der in seinem « Maqüm " steht,
verrichten jetzt alle Anwesenden ihr Qalät. Man könnte versucht
sein, zu meinen, die Gläubigen folgten je dem Iinäm ihres Ritus;
das Gesetz gestattet aber nicht bloss, Imämen einer andern aner-
kannten Schule nachzubeten, sondern verbietet sogar, in solchem
Falle ohne gesetzliche Verhinderung die Erfüllung dieser Pflicht auf-
zuschieben. Die Anstellung von Imämen aller Riten an der Moschee
von Mekka und die Bestimmung, das mehrere von ihnen nach einander
das gleiche Qalät leiten, beruht nicht auf den Bedürfnissen der in
Mekka zusammenlebenden Hanafiten, SchäfFiten, Mälikiten und Ham-
baliten, denn diese haben keinerlei Nutzen davon. Nur weil Mekka
1) Vergl. Tafel XXXVII, N°. 3.
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die heilige Stadt des ganzen Islain’s und nicht etwa das Eigenthura
von »Gottes Nachbarn” oder irgend einer Dynastie ist, war es un-
möglich , hier einen von den Riten auszuschliessen , denen die Lehre
völlig gleichen Werth zuerkeunt. Dass trotzdem die hanafi tische
und die sehäfi'itisehe Schule gewisse Vorzüge geniessen, liegt in der
hervorragenden politischen Bedeutung dieser Riten.
Gleich nach dem Hanafiten tritt der Schäftet beim Maghrib als
Vorbeter auf; hinter ihm reihen sich Solche, die zu spät in die Moschee
kamen oder wegen Verunreinigung, Beschäftigung oder dergleichen
das erste Qalät nicht mitmachen konnten. Je zahlreicher die Reihen
der Gläubigen, desto mehr Mekabbir's l 2) stehen in diesen Reihen durch
die ganze Moschee , um das vom Imäm ausgerufene Allähu akbar ,
welches jeden Uebergang zu einer neuen Position einleitet, gleich-
sam telephonisch durch den ganzen Raum fortzupflanzen, weil die
Meisten den Leiter selbst weder hören noch sehen können.
Ist auch der Schäfi'it mit seinem Qalät fertig , so lässt der Schech
der Mueddins (auch diese bilden eine Zunft, vom Obergemach des
hanafitischen Maqäm eine Viertelstunde lang lobpreisende Formeln
( Raioä/ib ) erschallen; diese treten beim Qalät des Sonnenuntergangs
an die Stelle der Gesänge, die zu anderen rituellen Terminen nach
dem Adän auf den Minareten abgeleiert werden.
Für den Tag ist der Maghrib, was der Monat Ramadhän für
das Jahr: auch Muslime, die sonst nachlässig sind, verrichten dann
ihr Qalat , und wer sich sonst mit der obligatorischen Zahl von
Abtheilungen {RaFah's) begnügt, macht zum Maghrib auch die
bloss //anempfohlenen” hinzu, ja betet wohl noch längere Zeit nach-
her. Im Ramadhän eilen aber die Leute nach Hause, denn dort
harren ihrer Weib und Kind mit der eigentlichen Mahlzeit; das
wenige in der Moschee Genossene war doch nur ein vorläufiges
Fatür. Ausgesuchte Speisen bereitet man zum Fastenbrechen, vor-
züglich solche, die den durch das Fasten sehr beeinträchtigten Ap-
petit etwas erregen. Nach mekkanischem Geschmack haben neben
1) Im officiellen Stil: MubaMgh*».
2) Nicht zu verwechseln mit dem Kqji*, der im höchsten Sinne Schech der Mu’ed-
din’s und Astronom der Moschee ist.
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sauren Flüssigkeiten (Citronensaft , Essig) besonders fette Speisen diese
Eigenschaft !
Nur faule Männer legen sich nach genossenem Falür schlafen,
und wer sonst nicht durch Geschäfte oder Indifferentismus zurück-
gehalten wird, geht im Ramadhän zum ' hclä-galat (etwa 2 Stun-
den nach Sonnenuntergang) in die Moschee , auch wenn er dasselbe
sonst zu Hause zu verrichten pflegt. Die Moschee und ihre Mina-
rete sind hell beleuchtet; ausserdem stehen an verschiedenen Stellen
im Hofe Laternen mit etwa l1/, Meter hohen Füssen in den Boden
gepflanzt. Sobald nämlich das Galat beendigt ist, lösen sich die
Reihen auf, und vereinigen sich die Gläubigen zu Gruppen von je
10 — 100 oder 150 Mann, denen ihre Laterne als Vereinigungs-
punkt dient.
Die einer Gruppe angehörenden Männer bilden nun hinter dem
inzwischen angezündeten Licht mehrere Reihen, vor welchen sich
zur Leitung der Taräunfi, d. h. des aus 20 Abtheilungen bestehen-
den Nacht-calät des Ramadhän einer von ihnen als Imam hinstcllt >).
Den Kern einer solchen Gesellschaft bilden etwa einige gute Freunde ,
die sich aus eignem Antrieb zusammengethan haben, einige »Brü-
der” derselben Tariqah oder auch einige Leute, die der Einladung
eines ZemzemT nachgekommen sind und unter seiner Leitung ihre
Tara wih machen. Auch giebt es //herkömmliche” Gesellschaften,
deren Mitglieder z. B. gewisse Leute aus dem Hause des Scherifs
sind, und //herkömmliche” Imäme der Tarärnh, die jedes Jahr
ihren ständigen Platz einnehmen, weil sie sicher sind, dass sich
immer hinter ihnen Leute in Reihen stellen werden. Zu jeder Ge-
sellschaft können sich Andere nach Belieben hinzugesellen, sei es
regelmässig, sei es nur für ein paar Abende. Regel ist aber, dass
jeder seine feste Stelle für den ganzen Monat behält.
Obgleich in Mekka kein einigermaassen frommer Mann seinen
Ramadhän ohne Taräwih für vollgültig ansieht, gehört doch diese
1) Auoli diese Imäme haben ihren Mekahbir hinter sich, der die Uebergnngsformeln
laut ertönon lasst, und ausserdem zur Einleitung der ganzen Feierlichkeit einen Aufruf
(z. B. f/i / ilu ’l-tjij imi atk ibakum * 'Unk d. h. »NachtfalAt, Allah lohne es euch !”) und je
nach vier Abtheilungen ein kurzes liebet spricht.
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Verrichtung nicht zu den obligatorischen , sondern bloss zu den vom
Gesetze anetnpfohlenen. Darum wird sie auch nirgends von der
Gemeinde als solcher abgehalten , und sind die Imäme Gelegenheits-
vorbeter; auch wenn bei der Moschee angestellte Imäme die Füh-
rung einer Taräwlh-gesellschaft übernehmen , thun sie dies doch ohne
jeden officiellen Charakter.
Sehr verschieden ist die Dauer der Tarämh-, hier hat sich eine
Gruppe von solchen Leuten gebildet, die in der Nacht vieles zu
besorgen haben und deren Imäm daher die Recitation ') möglichst
kurz macht und für die 20 Abtheilungen nur 10 — 20 Minuten braucht ;
dort ist der Leiter ein 12 — löjähriger Knabe, der erst eben die
Quränschule mit besonderem Erfolg absolviert hat und nun gleichsam
als Probeleistung den ganzen Qurän in 20 — 30 Abenden zu den
Tarämh benutzt; an einem andern Orte bringt es ein vollendeter
Faqih mit schöner Stimme in ungefähr gleichem Zeiträume zur »Chat-
mall”, braucht aber einen grösseren Theil der einzelnen Nächte , weil
bei ihm an die Stelle der nervösen Hast , mit welcher jener Knabe
seine Aufgabe hersagt, die Ruhe des selbstbewussten Künstlers ge-
treten ist. Uebrigens fangen bis gegen Mitternacht immer wieder
neue Gesellschaften an, denn Viele sind genöthigt, gleich nach dem
Tschä ihren Geschäften nachzugehen , weil ihnen körperliche Anstren-
gung bei Tag unmöglich war.
So bietet die Moschee während der Nächte einen höchst interes-
santen Anblick, an dem sich die Mehrzahl von denen, die selbst
schon mit ihrer Andacht fertig sind, auf langen Spaziergängen im
Heiligthum ergötzen. Unter den frommen Gelehrten und Laien sind
1) In einer Abtheilimg des Qalät wird bekanntlich ausser der Fiit'kak ein der Wahl
des Einzelnen überlassener zweiter Abschnitt aus dem Qurän rccitiert; durch gewisse
vage Anempfehlungen des Gesetzes ist die Wahl keineswegs gebunden, und der Imäm,
bez. der Einzelne hat es also in soiner Macht, ein £«lat sehr kurz zu machen oder in die
Lange zu ziohen. Ein Mann, der im Jahre 1885 als Imam einer Taräwih-gcscllschaft
im Haram fungierte, loistetc so Grosses in liezug auf Schnelligkeit, dass die Mckkaner
ihm ironisch den Zunamen des »Dampfers” (Biiär) beilegten. VergL Mokk. Sprichw.,
8. 7ß f. Wenn ein Imäm der Tanheik den ganzen Qurän ausrccitiert hat, beendigt die
Gesellschaft dio Handlung mit gemeinschaftlichen Gebeten und gemessen Alle zusammen
darauf Süssigkeiten. Auch wird bei solcher Gelegenheit dem Imäm auf Kosten dor Ver-
sammelten eine neue Djubbak umgehängt. In Gesellschaften, wo kein Ckalmak stattfin-
det, geschieht das Alles an einem der letzten Abende.
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Viele, die, trotzdem sie am Tage nur nothgedrungen kurze Augen-
blicke des Schlummers genossen haben, auch nach den Tarawik,
so lange es irgend geht , sich mit Quränrecitiemng , Dikr und anderen
freiwilligen Uebungen beschäftigen; die durch strenge Selbstzucht
und Gewöhnung ermöglichten Leistungen dieser Glaubenshelden sind
nicht weniger staunenswerth als die mit ähnlichen Mitteln erzeugte
Körperkraft der Djiddah’schen Lastträger, die einige hundert Kilo-
gramm einen Weg von 15 Minuten auf ihrem Rücken befördern.
Wer aber dem mekkanischen Prinzip der wahren Mitte huldigt,
schläft den halben Tag und gewinnt dadurch die Kraft, nach den
Taräwxh der Geselligkeit zu leben. Heute empfängt er Gäste bei
sich , morgen geht er selbst auf Besuch , übermorgen findet er seine
Freunde im Kaffeehause; besonders in der Nähe von Merwah sind
die Kaffeehäuser während der ganzen Nacht beleuchtet und überfüllt.
Weil jedoch Manche am Tage durch Geschäfte am Schlafen verhin-
dert wurden, wird die Nacht in Mekka während des Ramadhän
doch nur insofern zum Tage, als sonst auch am Tage viele Mek-
kaner die Ruhe des Schlafes geniessen.
Besonders fromme Mekkaner, namentlich aber viele Mitglieder
der Fremdenkolonien und alle früh angekommenen Pilger benutzen
diese Nächte noch in anderer Weise, um neuen himmlischen Lohn
zu erlangen. Die alte Sitte, im Monat Redjeb mehr als sonst c Um-
rak’s zu machen , ist fast gänzlich in Vergessenheit gerathen : dagegen
ist es in jeder mekkanischen Familie gebräuchlich , einen oder meh-
rere Tage des Redjeb freiwillig oder zum Nachholen von Rama-
dhäntagen, an denen man verhindert wurde, zu fasten. Lebendige
Bedeutung haben aber die Traditionen behalten, in denen der Pro-
phet ganz vorzügliche Belohnung für im Ramadhän gemachte »kleine
Wallfahrten” verheisst. Nur Wenige haben den Muth, sich zuFuss
nach dem Orte1) ausserhalb des heiligen Gebietes zu begeben, wo
man das Pilgergewand anlegt, zumal ihnen nach der anstrengenden
Rückkehr noch die ermüdenden Ceremonien der TJmrah selbst be-
vorstehen; sie miethen daher Esel, und, sofern sie noch nicht in
1) Tan’ im, vulgo ei-' Umrah , vcrgl. oben S. 55.
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Mekka eingebürgert sind , nehmen sie sich Geh Ulfen von Schechen
( Delil’s , Qdbi'a) mit, die ihnen aufwarten und bei der Verrichtung
heiliger Handlungen die nöthigen Anweisungen geben.
Völlig akklimatisierte Leute machen ihre ‘Umrnh wohl morgens,
andere Nachmittags, wobei ihnen gewöhnlich aber der Vorzug des
Fastenbrechens in der Moschee entgeht; bei Weitem die Mehrzahl
pilgert in der Nacht. Es ist ein schwer verdientes Stück Brod,
welches die DeliVa durch die Begleitung von 2 — 3 Partien auf dem
sandigen, steinigen Wege nach Tan'lm gewinnen; am schlechtesten
kommen aber die Esel davon. Unternehmende Kleinbürger kaufen
sich gegen den Ranmdhän hin Esel in der Absicht, während der
Fastenzeit ausser dem Kaufpreise und den Verpflegungskosten noch
einen guten Gewinn herauszupriigelu ; der geringste Preis , der ihnen
nachher für die abgemagerten Thiere geboten wird, ist ihnen will-
kommen. Obgleich die Leute, die etwas dabei verdienen, ihr Mög-
lichstes thun, die Fremden zur höchsten Anstrengung zu ermuntern,
bringen es doch nur Wenige dahin, dass sie täglich eine HJmrah
verrichten; ja Viele sind das erste Mal dermaassen erschöpft, dass
sie auf Weiteres verzichten ').
Ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht steigen wahrend
des ganzen Jahres Mueddin’s auf die sieben Minarete des Haram
hinauf und singen mit weittragender Stimme zwei Stunden lang ge-
wisse, theils in Versen, theils in gereimter Prosa abgefasste Formeln,
die man Tadkir oder (weniger häufig) Taghfir nennt. Allah wird darin
um Verzeihung für die Gemeinde Muhammeds angerufen, zugleich
aber werden die Gläubigen ermahnt , da die Nacht sich wendet , noch
einen Theil desselben durch «Erwähnung Gottes” d. h. durch irgend-
welche religiöse Uebungen zu heiligen. Mit Ausnahme solcher From-
men, die in rituellen Dingen viel mehr leisten als ihre Pflicht, be-
schränken sich die Mekkaner, wenn sie durch die Töne des Tadkir
1) Wer sich auf einzelne TJmrah’s beschränkt, macht solche vorzüglich in den Näch-
ten des 21, 23, 25, 27 und 29 RamadhAn, weil nach den exegetischen Autoritäten
eine von diesen Nächten (kein Mensch weiss, welche) die segensreiche «Nacht der
Macht” (dur&n XCVII: 1) ist, in welcher Mnhanuned die erste Offenbarung zu Theil
ward und deren Heiligkeit die dos ganzen Monats begründet.
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aufgeweckt werden, auf das Summen von einigen landläufigen For-
meln und legen sich dann auf die andere Seite.
Im Ramadhan hat aber das Tadkir zugleich die Bedeutung des
Tashir, d. h. der Erinnerung, dass man seine letzte Mahlzeit vor
dem anbrechenden Fastentage zubereite und einnehme. Wenn das
Tadkir anfungt, hat man allerdings noch drei Stunden dazu, denn
erst kurz vor dem Aufruf zum Qalät der Morgendämmerung ( Qubh )
setzt der Fastentag ein. Trotzdem werden schon in die ersten Tad-
kir-formeln einer Ramadhän-nacht Einladungen zum Sahür einge-
flochten. Diese Mahlzeit ist nicht bloss erlaubt und unentbehrlich
für die Konstitution der Fastenden, sondern vom heiligen Gesetze
geradezu anempfohlen.
»O ihr Schlafenden! steht auf zum Heil, — und erwähnet Allah,
//der die Winde lenkt; — schon hat sich das Heer der Nacht ent-
»fernt, — die Schaar des Morgenroths ist nahe gekommen und leuch-
//tet. — Trinkt und beeilt euch, denn der Morgen ist näher gerückt ! ')”
In ähnlichem Tone fahren die Mueddins fort, und beenden nach
± zwei Stunden diesen schönen Sang mit Aufrufen , die beim Volke
»der erste Adäri' heissen, weil Solche, die das Morgen^alät mög-
lichst früh in der Moschee mitmachen wollen , dann noch eine Stunde
haben, sich anzukleiden, ein kleines Frühstück zu geniessen (natür-
lich wenn es nicht Ramadhän ist) und ins Haram zu gehen *). Eine
halbe Stunde später ertönt von den Minareten die letzte Warnung,
damit nicht die Dämmerung die Leute überrasche, während sie
noch einen Bissen oder einen Schluck im Munde haben; Tatfijeh
(Löschung der Feuer) heisst diese Warnung im Volksmunde. In allen
1) Diese fünf Verse, mit welchen der erste Song anhebt, reimen zusammen; ronden
darauf folgenden ist jeder fünfte unserem fünften gleich (»/Trinkt und beeilt euch usw.”),
wahrend der vierte auf den fünften und die drei ersten nur auf einander reimen.
usr*' *1» ij/öla
g— cXs q'
2) Der mekkanischc Sprachgebrauch trägt der niedrigen Lage der Moschee Rechnung :
//man steigt zum Haram hinab’*, jinzii el- Haram.
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8ß
Strassen gehen indessen schon eine Stunde vor der //Löschung”
Mesahhir s umher, die vor jedem grösseren Hause ihre Trommel
schlagen und in hergebrachten Formeln die Hausherren an das Sahür
erinnern, damit sie nicht die Zeit verschlafen. Am Festtage, der
den Ramadhän abschliesst, kommen diese Leute zu ihren Kunden
mit einem Esel zur Aufnahme der erwarteten Geschenke. Von diesem
erhalten sie ein Geldstück , von jenem etwas Weizen , Viele schenken
ihnen die //Abgabe des Fastenbrechens” ( Zahlt el-fitr , vulgo Für ah),
welche hier in einer bestimmten Quantität Weizenmehl besteht.
Etwa eine halbe Stunde nach der Ta/fijek- zeit wird auf den Mi-
nareten der eigentliche Adän mit dem 10 Minuten dauernden Tarhm
eingeleitet; dies gilt wieder vom ganzen Jahre, und somit ist das
Tarhm ebenso wie der Anfang des Tadkir und der erste Morgen-
adän den Mekkanern zum Zeitmaass geworden. Im Tarhirn wird
Allah im Namen der Gemeinde feierlich um Gnade ( Rahmah ) an-
gegangen , und zwar bittet der Sänger darum 1° bei Allahs eigner
Herrlichkeit, 2° bei der Herrlichkeit Muhammeds, 3° Abu Bekr’s,
4° Omar’s, 5° Othinän’s, 6° Ali’s und beschliesst die Anrufung mit
einigen passenden Quränversen '). Dieser Gesang ist daher zugleich
ein Symbolum der Orthodoxie, die als die edelsten Menschen in
Muhammeds Gemeinde nach dem Propheten die vier '/rechtgeleiteten
Chalifen” in derselben Reihenfolge anerkannt haben will, in der sie
regiert haben.
Zu gleicher Zeit gehen durch die Hauptstrassen Mekka s einige
Männer, die, ohne dazu angestellt zu sein oder je einen Pfennig
dafür zu geniessen, in jeder Gasse stehen bleiben und die Schla-
fenden zur Eile antreiben: »Das Calät, o ihr Knechte Allahs!”
singen sie mit lauter Stimme, und andere leiem sogar lange For-
meln ab J). Aber in der Grossstadt Arabiens sind Viele, die zwar
1) Quiin XLI: 33, VI: 95—8, XVII: 111.
3) Ein gewisser DelUU ging immer zu Anfang der Termine für die £aläts durch das
Stadviertel, wo ich wohnte, und sang: 'i «1!' ^ aü' oLn ^ »bUait
J&S ^ lC=> jPj "AUS sJj a) a! tAjjJl
jJJt O* cK
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87
die Botschaft hören und denen auch nicht der Glaube, wohl aber
die Lust früh aufzustehen fehlt. Diesen kommt nun die Anord-
nung, dass alle Riten unter den Iraämen vertreten sind, ausgezeich-
net zu statten. Sie brauchen nicht einmal auf die Vorzüge des
Qaläl mit der Gemeinde zu verzichten (was nebenbei Manche thun,
indem sie es zu Hause verrichten, wenn es ihnen einfiillt), denn
zu dieser Zeit fungieren nach einander vier Imäme , und man müsste!
sich sehr verspäten, um den Hanafiten, der zuletzt kommt, zu ver-
fehlen.
Die Frommen und Männer, deren Stellung ihnen gewisse Rück-
sichten auferlegt, möchten jedoch das erste Galat "den Schäfict” ')
ungem versäumen und, weil auch Geschäftsleute gern früh mit der
Religion fertig sind, ist diese noch bei künstlicher Beleuchtung
abgehaltene Uebung die besuchteste.
Dem Tarfnm folgt ± 1 ‘/i Stunde vor Sonnenaufgang der eigent-
liche Adiin , dessen durch das Gesetz genau bestimmte Formeln die
Mueddins sehr laut singen. Irrthümlich wird manchmal behauptet ,
es gebe für diesen Aufruf eine bestimmte Melodie; im Gegentheil
darf jeder Mu'eddin zu jedem Adän willkürlich irgend eine ihm be-
kannte Melodie verwenden, wenn nur die richtige Aussprache der
Worte nicht durch das Maass der Töne beeinträchtigt wird, und
in Mekka hört man häufig sehr verschiedene Melodien zugleich,
weil sich kein Mu’eddin in dieser Hinsicht um seine zur gleichen
Zeit singenden Kollegen kümmert. Bemerkenswerth ist aber, dass
unter diesen Sängern in Mekka das »Herkommen” Geltung hat,
wenn ein seltenes Mal der Himmel bewölkt ist, alle Adän» auf
erotische Melodien zu singen , bis die Sonne wieder am blauen Him-
mel steht. Ebenso wie das Quränrecitieren ist das Singen des
Adän eine in Mekka eifrig gepflegte, hoch entwickelte Kunst ’).
1) So bezeichnet inan die £alats mit den Namen des Ritus, zu dem der dabei fun-
gierende Imam gehört: fallet h-Sckd/ii heisst, wenn vom Morgen die Rede ist: wich
habe das erste C'alät initgemacht”; beim Sonnenuntergang bezieht cs sich dagegen auf
das zweite, weil darin der Hanafit. vorangeht.
2) Noch einmal sei darauf hingewiesen, was für seltsame Folgen es hat , wenn man
Sittonbeschrcibungen generalisiert: so schlicsst man aus Lane’s vManncrs and Customs”,
als Mit hiditC * stelle man überall am liebsten Blinde an. Allerdings gilt das von Egyp-
ten, wo die Hälfte der Bevölkerung mit schweren Augenleiden behaftet ist.
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Während des Adän’s oder gleich nach demselben verrichten die
Frommen das »freiwillige Morgenyalät”, jeder für sich ; noch ist
mancher damit beschäftigt, da ertönt schon von dem Obergemach
des hanafitischen Maqäm die Iqämal , die letzte Warnung zum
obligatorischen, und nimmt ein lrnäm des schäfi'itischen Ritus sei-
nen Platz im »Maqäm Ibrahim” ein.
Wenn im letzten Theilc des Jahres der innere Hof der Moschee
durch den grossen Pilgerbesuch überfüllt ist, so dürfen die hana-
fitischen und schäfFitischen Imäme den Versammelten dadurch mehr
Raum verschaffen '). dass sie ihre Funktion möglichst nahe bei der
Ka'bah ' ausüben. Solche Fälle gelten als besonders feierlich , und ,
wenn es sich am Freitage ereignet, so wählt der Imäm nach stän-
diger Sitte für die im Qalät vorkommende Recitation ein Ciurän-
stück, zu dessen Vortrag eine Prostemation gehört1 2); die Feierlich-
keit wird dann dadurch erhöht, dass die Gemeinde die »stehende”
Position, die im Qalät zum Recitieren gehört, durch eine ausser-
ordentliche Niederwerfung einen Augenblick unterbricht.
Nach dem »Schäfi'I” eilen Alle, die irgendwie beim Handel in
täglichen Lebensbedürfnissen interessiert sind, nach dem Markte.
Auch im Ramadhän ist, die richtige Zeit zum Kaufen von Fleisch,
Milch, Gemüse, Brod usw. frühmorgens, und mich dem Mittag ist
man nicht einmal sicher, ob man das Gewünschte noch bekommt.
Die Bettler unterlassen während der Fasten ihre Morgen Spaziergänge
durch die Stadt; Abends in der Moschee bitten sie sogar den Gei-
zigsten nicht vergeblich um etwas zum Fatur. Auf den breiten
steinernen Sitzen, die zugleich als Schautische dienen und mit ihren
darüber aufgespannten Ueberdachungen aus Sackleinen die Läden der
Marktstrassen bilden, sitzen die Verkäufer und laden wie sonst die
Vorbeigehenden zum Kaufen ein. Es ist aber , als hätten die Erschöp-
fung ihrer Körper und die feierliche Stille der Umgebung ihre Stimme
1) Die Gemeinde muss vollständig Hinter dem lrnäm stehen, und so bleibt in ge-
wöhnlichen Fällen der ganze Kaum zwischen der Ka'boh und den vier Maqäm’s unbenutzt.
2) Behüte dos Quränrecitierens, welches auch für sich oine rituello Verrichtung ist
und daher einen gewissen Grad ritueller Reinheit verlangt, ist das heilige Buch in
grössere und kleinere Abschnitte gethcilt; kommt man an gewisse Abschnitte, so ist
eine »Niederwerfung” (Sndjiid) vorgeschrieben.
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geschwächt. In den kaffeelosen Kaffeehäusern liegt bloss hie und
da ein Faulenzer und schläft; die Neugierigen, die sonst einen be-
deutenden Theil des Publikums bilden, fehlen gänzlich. Wer hin-
kommt, weiss im Voraus genau, was er kaufen will, sodass die
sonst üblichen Witze und Zurufe der Verkäufer ziemlich gegenstandlos
sind. Statt dessen singen diese nun manchmal das Lob des Ramadhän ,
als hätte Allah sie mit der Anpreisung dieser himmlischen Kauf-
waare beauftragt: »Wohl dir, o Fastender, herrlich ist dein Lohn!”
ist der Hauptinhalt ihres Gesangs. Andere mischen darunter komi-
sche Bitten an den Ramadhän, er möge etwas schneller Vorbeigehen
und lebhafterem Verkehr Raum machen. «O Ramadhän ! gäbe Gott,
du gingest im Laufschritt! ')”
Unterdessen sind in der Moschee zuerst der hambalitische und
dann der mälikitische Imäm ihrem schäfi'itischen Kollegen ohne be-
deutende Zwischenzeit gefolgt und hat schliesslich der hanafitische,
mit einem grösseren Publikum als jene beiden, aber mit einem
weniger zahlreichen als der SehäfFit die Dämmerungsandachten be-
endigt. Gegen Sonnenaufgang machen die nicht anderweitig Be-
schäftigten ihren Tawäf J) um die Kacbah ; hier treffen sich häufig
gute Bekannte und besprechen nach vollendeter Cercmonie auf ihrem
Spaziergang durch die Moschee die Tagesneuigkeiten. Nach einer
Stunde sieht man in der Moschee nur noch diejenigen , deren Werk-
stätte sie, so zu sagen, ist: Gelehrte und Studenten, Pilger und
Djarrärin s) (die den Pilgern beim Matäf ausser mit Pfuscherei auch
mit unverschämt zudringlichem Betteln nachsetzen), Eunuchen und
Zemzeml’s; die Anderen sind ihrer Wege gegangen.
1) Ja llamctäh in . ja rttak tis:a ; gemeint ist hier der Laufschritt, den die Pilger bei
der Ccremonic des Sacj auf einem Thcile des Weges zwischen £afa und Merwah einzu-
halten haben.
2) Unter nochmaliger Hinweisung auf die früher (Bd. I, S. 3) citierten Bücher für
Alles, was sich auf den Ritus bozieht, sei hier nur daran erinnert , dass solcho Umgänge
nicht nur Bcstandtheilc der grossen und der kleinen Wallfahrt, sondern auch selbstän-
dige religiöse Verrichtungen darstellen. Die in Mekka zur Wallfahrt anwesenden Frem-
den machen täglich möglichst viele Tateaf i, der fromme Mekkaner, wenn er Müsse dazu
hat , etwa 2 — 5, der Durchschnittsinekkaner beschränkt sich auf einen Tawaf vor dem
Freitagsgottesdienste. Dass nach schäfi’ Rischem Ritus der Tatc if in Mekka die anderswo
übliche //Bcgriissung der Moschee” (mit einem kleinen £atöt) ersetzen soll, davon weiss
das Volk hier nichts. 3) Vergl. oben, S. 31.
II 12
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(
Besuche , die man sonst in Mekka fast zu jeder Tageszeit machen
kann (bei Kaufleuten vor dem Maghrib allerdings nur im Laden
oder sonstigen Geschäftsräume) , stattet man im Ramadhän am Tage
nur aus dringenden Gründen ab. Läden mit Hausgeräthen , Schmuck-
sachen oder Kleid ungsstoffen sind zwar geöffnet, denn die Fremden
haben in der neuen Umgebung vielfach unvorhergesehene Bedürf-
nisse, und sogar einzelne Mekkaner haben bei ihren Einkäufen vor
den Fasten dies und jenes vergessen. Trotzdem machen aber sämmt-
liche Geschäfte den Eindruck, als wären sie eingeschlafen. In den
letzten Tagen des Monats regt sich neues Leben, denn fast Alle
müssen sich Weizen zur Fitrah kaufen, und Alle, der Aermste nicht
ausgenommen, kaufen sich zum Feste neue Kleider. Zwar besitzen
viele Altmekkaner ihren ständigen Festanzug, der 10 — 20 Jahre lang
lediglich an den grossen Festen hervorgeholt wird, aber auch sie kau-
fen sich doch vor dem Festtage andere neue Gewänder fürs Jahr.
Auch die Handwerker feiern grösstentheils ; immerhin sind gesunde ,
in Mekka geborene Leute, die miissig leben und von Jugend an
gefastet haben, gegen die Ramadlmnstrapazen so abgehärtet, dass
sie kaum weniger leisten als sonst.
Uhren haben in Mekka fast alle Wohlhabenden; um sich davon
zu überzeugen, braucht man bloss gegen Sonnenuntergang in die
Moschee zu gehen, wo beim Anfang des Adän Hunderte ihre Uhr
aus der Tasche (resp. dem Gürtel) nehmen und auf Zwölf, d. h.
gleich stellen. Bei Weitem die Meisten haben jedoch keine Vorstel-
lung davon, welche Tageszeit es eigentlich um 2, 3, 4 usw. Uhr
ist; wirkliche Bedeutung hat nur die Eintheilung des Tages auf der
Grundlage der 5 Adäns, also in fünf, je für ein Qalät bestimmte
Perioden ; die Nacht wird in die oben angegebenen , durch das Tadklr
und das Tarhlm abgegrenzten Zeiträume vertheilt. Zur näheren Be-
stimmung von Unterabtheilungen jener Perioden dienen die beiden
täglich vor dem Palaste des Grossseherifs abgespielten Koncerte ' )
1) Vcrgl. Mekk. Sprichw., S. 42 ff., wo auch der Sprachgebrauch bezüglich dieser
Zeitabschnitte behandelt ist. Hier will ich noch hinzufügen, dass td~cam in Mekka «■=
rtim vergangenen Jahr”, aiciceU el~cam = /dm vorletzten Jahr”; ams = el-bärth heisst
«gestern”, awweU ams „vorgestern”, dor heisst die Woche.
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und der Stand der Sonne; auf Minuten kommt es hier übrigens
niemals an.
Am Mittag und ungefähr drei Stunden nach Mittag verkünden
die sieben Mueddins den Anfang resp. des Mittags- und Nach-
. mittags-<;alät; nach beiden Adäri* singen sie noch dazu etwa zwan-
zig Minuten lang Lobpreisungen Gottes, Qalat’s über den Prophe-
ten und gedenken sie der vier »legitimen Chalifen”; demnächst treten
der Reihe nach Imäme von den vier Riten als Liturgen auf. Ge-
wöhnlich ist die Reihenfolge so, dass zuerst der Hanafit und dem-
nächst der Schäfi'it seines Amtes waltet, aber dies Alles unterliegt
häufigem Wechsel, denn der Wille der Behörden ist innerhalb ge-
wisser Schranken maassgebend.
Solange noch nicht viele Pilger da sind, ist der Zulauf in die-
sen heissen Stunden verhältnissmiissig gering. Geborene Mekkaner,
die nicht der Wissenschaft leben, schämen sich gar nicht, ohne
jegliche Verhinderung zu Hause zu bleiben. Allein wenn Einer ge-
rade zur Zeit des Adän auf der Strasse schläft oder an der Moschee
vorüber gehen zu wollen scheint, so begegnet ihm wahrscheinlich
ein frommer Mahner , der seine Pflicht gegen Glaubensbrüder ’)
nicht vernachlässigen will , sondern ihm zuruft : »Hörst du nicht , o
Schech? das Qalät! hejja!” Darum legen sich die Ermatteten im
Ramadhän vorsichtshalber im Hause nieder und erwachen spät Nach-
mittags, wenn es allmählich Zeit wird, sich zum Fatür vorzube-
reiten. So sind wir wieder beim Anfangspunkte unserer Beschrei-
bung der Fastentage angekommen.
Mit heisserem Verlangen als beim Anfang des Ramadhan harrt
der Mekkaner der ersten Berichte über die Beobachtung des Neu-
mondes, mit dem dieser Monat schliesst. Unruhig ist die zum
Brechen der F’asten des 29,en Tages in der Moschee versammelte
1) »Die Mahnung zum Guten und die Abmahnung vom Bösen” wird den Muslimen
als eine Hauptpflicht cingeschiirft , und sie hat um so höhere Bedeutung, da der Islam
keine Geistliche kennt, die mit der Vertheilung von Sakramenten oder sonst mit der
Seelsorge beauftragt sind. Die fälschlich sogenannten »Priester” verrichten für eine
kleine Belohnung Handlungen, zu denen jeder gebildete Muslim befugt ist; die Aner-
kennung anderer geistlichen (z. B. mystischen) Autoritäten beruht ausschliesslich auf
dem Willen der Einzelnen.
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Menge; jeden Augenblick drangen sich Hunderte in eine Ecke der
Hallen , uni nach dem Himmelsboten auszuschauen , von dessen
Erscheinen es abhängt, ob morgen das grosse Fest des l,,eD Schawwäl
sein wird oder erst übermorgen. Ist der Neumond konstatiert, so
geht die Botschaft wie ein Lauffeuer durch die Stadt, und bald
scheint es , als hätte sich aller seit einem Monat unterdrückter Liirm
auf diese eine Nacht zusammengehäuft. Von allen Seiten steigen aus
den Häusern Sklaven in die Strasse herab, um die schweren Tep-
piche auszuklopfen und sonst die letzte Hand an das grosse Rein-
machen zu legen. Im Nu sehen wir überall neue Fenstervorhänge1)
statt der verbrauchten. Auf dem Markt rennt Alles hin und her,
denn während der ganzen Nacht werden hier die, nach belieb-
ter Sitte bis zur letzten Minute verschobenen, Einkäufe gemacht.
Fast jeder ergänzt noch zu dieser Zeit die Garderobe seiner Familie
und Diener, kauft Süssigkeiten und Wohlgerüche zur Bewirthung
seiner Besucher, ersetzt die im vergangenen Jahre abgenutzten Haus-
geräthe, geht zum Barbier, wo ihm wegen des Zudrangs erst nach
langem Warten der Kopf rasiert wird. In den Buden der Barbiere
sitzen auch Viele (in offener Strasse) auf Bänken mit zwei Schröpf-
köpfen auf dem Rücken, denn jeder Mekkaner, und sei er noch
so blutarm, würde des Todes gewärtig sein, wenn ihm nicht we-
nigstens einmal im Jahre etwas Blut abgezapft würde, und man
liebt es , gerade am Festtage das durch die Operation erzeugte Gefühl
der Erleichterung zu geniessen.
Unterdessen wird zu Hause gekocht , gesotten und gebacken , der
Empfangssaal festlich geschmückt und ein zweites grosses Zimmer
zur Mahlzeit eingerichtet, die ein paar Stunden nach dem Fest-
palät stattfinden soll.
Zu diesem Gottesdienste gehen die Gläubigen schon gegen Son-
nenaufgang in das Heiligthum, um einen nicht allzu engen Platz
zu erlangen, ja Manche bleiben nach dem Qalät der Morgendäm-
merung da und geniessen vollauf den Anblick der im Festgewande
hereinstolzierenden Bürger , von denen namentlich die mittleren Klas-
1) Vergl. oben, S. 43.
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sen sich an diesem Tage ganz anders als gewöhnlich kleiden. Etwa
’/i Stunde nach Sonnenaufgang ertönt ein kurzer Aufruf, und darauf
wird das aus zwei Abtheilungen zusammengesetzte Qalät des Festes
abgehalten, dem unmittelbar die Festpredigt folgt.
Ein paar Minuten nach Beendigung des Qalät gewahrt man,
wie praktisch für den Freitagsgottesdienst die Anordnung ist, dass
die Predigt dem Calät vorangeht, und Alle daher genöthigt sind,
während derselben ihre Plätze zu behalten. Wenngleich in einer
Moschee von der Grösse des Haram, nicht Vioo auch nur eine Sylbe
von der Chutbah verstehen kann, so fehlt doch die andachtsvolle
Stille nicht und summen die entfernt Sitzenden leise vor sich Ge-
bete. Jetzt aber fängt nach dem Fest?alat an den iiussersten Rän-
dern der Gemeinde eine Bewegung an, die sich immer weiter nach
innen fortsetzt, und nur ein kleiner Kern bleibt dem Chatib treu.
Das Volk ist ja im Grunde zum Vergnügen zusammengekommen ;
es will das Mescbhed (so heisst diese Versammlung) mit solchen
von früheren Jahren vergleichen und sehen, wie kostbar dieser und
jener gekleidet ist.
Der Vergleich mit der Vergangenheit führt die Söhne Mekka’s zu
ungünstiger Beurtheilung der Gegenwart. Es scheint , so sagen sie , als
litte die ganze Welt an Schwindsucht ihres Vermögens, und wir,
die wir von ihrem Ueberfluss leben müssen, empfinden das schwer.
Wo sind die reichen Inder, die Goldstücke um sich her warfen,
die verschwenderischen »Djawah”, die nur kauften, um Geschenke
zu geben, die Türken, die Kameellasten von Andenken für ihre
Verwandten mitnahmen? Heutzutage singen die Pilger im Chor:
Geld ist bei uns nicht mehr vorhanden ! Sehet die Folgen des all-
gemeinen Nothstandes für Mekka! Jene Bengel dort hätten vor 25
Jahren an solchem Feste keinen anständigen Menschen durchgelas-
sen, ohne dass er eine Handvoll Chamsa/t’s (Geldstücke im Werth
von 2 Pfennigen) spendete; sonst hätten ihm von allen Seiten die
Schlagschwärmer ’) die Ohren betäubt. Jetzt aber... . Schlagschwär-
mer kosten Geld , und die Buben wissen , dass die Leute keine
1) Turßjhah Plur. Tardtik. Yergl. unten S. 97.
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Chamsah’s mitgenommen haben. Ein cId ohne Schliigereien zwischen
den Quartieren wiire in unserer Jugend undenkbar gewesen; wo
nichts verdient wird, fehlt der tolle Uebermuth. Ein Kaufmann, der
Golddraht, Gold- und Silberblech zum Aufheften auf Weiberklei-
der verkauft, bestätigt den pessimistischen Eindruck: früher kaufte
man mir diese Dinge haufenweise ab, und jetzt nimmt man nach
langem Feilschen für ein paar Dollars vom billigsten Zeug! <
Laudatores temporis acti sind in Mekka nicht weniger als bei
uns; die oben angedeuteten Betrachtungen sind jedoch nicht gänz-
lich aus der Luft gegriffen. Das verhindert die Leute aber nicht
daran, möglichst froh ihr Fest zu feiern; wenngleich in weniger
kostbaren Kleidern und ohne Uebermuth, essen und trinken sie so
lustig wie vorhin.
Beiläufig bemerken wir , dass dieses Fest zwar officiell im Gegen-
satz zum //grossen Feste” des IO4™ Du ’l-hiddjah das »kleine Fest”
heisst , aber in den meisten Ländern thatsächlich grössere Bedeutung
erlangt hat als jenes. Kein Wunder , denn man freut sich ob der
Beendigung des schweren Versöhnungsmonats, während der 10*®
Tag des 12le“ Monats allerdings für die erschöpften Pilger, die im
Thale Muna sind, ein Tag der Erholung ist, den übrigen Gläubi-
gen dagegen gar keinen Anlass zu gegenseitigen Glückwünschen giebt.
Man weiss, dass es empfehlenswerth sei, an diesem Tage ein ge-
meinschaftliches Qalät mit Festpredigt zu halten und einen Opfer-
hammel mit einander zu verzehren, aber solche blosse Nachahmung
eines Festes, das eigentlich nur in Muna nach Gebühr begangen
werden kann, hat nicht viel Anziehendes. Nun könnte man denken,
dass die religiösen Ceremonien des grossen Festes also nirgends feier-
licher beobachtet würden als in dem östlich von Mekka gelegenen
Thale. Dem ist aber nicht so; ungelehrte Mekkaner wissen sogar
kaum, dass das Gesetz für den IO100 Du ’l-Hiddjah einen ähnlichen
Gottesdienst angeordnet hat, wie das Mesclihed des l*,e“ Schawwal.
Spät in der Nacht oder frühmorgens kommen die Pilger mit ihrem
Gepäck und ihren Begleitern von ‘Arafat in Muna an. Hier stehen
die Fremden unbeholfen; die Scheche und ihre Diener müssen die
Kameele abladen, Zelte aufschlagen , Speisen zubereiten, kurz allen
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Bedürfnissen ihrer Kunden abhelfen. Kaum sind sie fertig, so ist
die Zeit des Gottesdienstes längst vorbei. Ausserdem haben sie für
die Pilger Opferthiere zu kaufen, sie zu einem Barbier zu führen,
um durch die Kopfrasierung theilweise den schwierigen Ihrämzu-
stand aufzuheben , und ihnen Reitesel zu beschaffen , damit sie schnell
nach Mekka reiten, dort, das abschliessende Tawäf verrichten und
auf drei weitere Tage nach Muna zurückkehren. Andere Mekkaner
sind mit ihren VVaaren ') oder als Barbiere und Schlächter herge-
kommen und können ihre Standorte keinen Augenblick verlassen.
Von den Pilgern könnten viele sich in die Chef-moschee begeben,
um sich am Fest-^alät zu betheiligen , wenn nicht die grosse Gefahr
wäre, dass sie später stundenlang in dem riesigen Zeltlager umher-
irren müssten, ohne ihre eigne zeitweilige Wohnung ausfindig zu
machen; sie zu begleiten, hat aber kein Mensch Zeit.
In der Moschee von Muna sind daher bloss einige vornehme Mek-
kaner und officielle Personen versammelt, ohnedass die meisten Pil-
ger darum wissen. Die frömmsten von diesen halten das Qalät in
der Nähe ihrer Zelte in kleinen Gesellschaften ab; Mekkaner be-
theiligen sich selten daran. Mekka selbst ist aber so gut wie men-
schenleer , und von einem Meschhed kann dort nicht die Rede sein.
Nicht weniger als anderswo ist also in der heiligen Stadt das »kleine
Fest” ein recht grosses , während das »grosse Fest” den Mekkanem
viel Freude, aber noch inehr Mühe bereitet und die nicht ausschliess-
lich zum Haddj gehörenden Ceremonien darob vergessen werden.
Nach dem Meschhed gilt es nur , Besuche zu machen und zu emp-
fangen. Die jüngeren Leute gehen zunächst zu älteren Verwandten
und etwaigen Schwiegereltern , sodann zu Nachbarn , Freunden ,
Lehrern; kurz der Kreis wird möglichst weit gezogen, und man
geht sogar mit Freunden zu deren Bekannten, die man selbst erst
1) Während sonst in Mekka die Preise der ersten Lebensbedürfnisse (Brod, Fleisch,
Butter, usw.) zwangsweise vom Marktaufscher {Hakim) festgesetzt werden, gilt als her-
kömmlich die Aufhebung dieser Bestimmungen während der Haddj-tage an den Statio-
nen der Wallfahrt, wo also Angebot und Nachfrage ungehemmt wirken. Ea versteht
sich übrigens , dass mit jenem hukm h-»uq , welches zum gemeinen Wohl angeordnet sein
will , schrecklicher Missbrauch getrieben w ird , bei dem nur die Beamten ihre Rechnung
finden.
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kennen lernen muss. Geringere Leute besuchen ihre Patrone und
erwarten von diesen eine Gabe , zum Neujahr könnte man fast sagen ,
denn obgleich es der lsl° des IO1*“ Monate ist , zeugt Alles davon , dass
im ungeschriebenen Volkskalender dieser Tag Neujahrs tag ist. Von
allen Seiten hört man nur die Gratulationsformel ’) wiederhallen : »Zu
»den Wiederkehrenden (d. h. für die das Fest wiederkehrt), zu den
»Glückseligen (möget ihr gehören) jedes Jahr, wahrend ihr euch
»wohl befindet!”, und die Antwort: «Ja, bei Allah, ihr und wir,
»so Gott will, und die ganze Gemeinde Muhammeds!” Dem Besu-
cher wird zu jeder Tageszeit Kaffee kredenzt, und auf einem hüb-
schen Priisentierbrett werden ihm drei Teller angeboten mit Zucker-
mandeln , Gummizuckerwerk und gemischten Bonbons *), von denen
er etwas nimmt, worauf der Mebflschir (der die Honneurs macht)
den Teller wieder mit einem feinen , von Goldblech umsiiumten Tuch
zudeckt. Ist man zufällig beim Festessen, so wird der Gast noch
weniger als sonst fortgelassen, bis er etwas mit genossen hat; tref-
fen sich einmal einige intime Freunde zusammen, so wird wohl
schnell Thee gemacht; im Uebrigen sind aber die Gratulationsbe-
suche sehr flüchtig. Beim Fortgehen oder eigentlich als Zeichen der
Erlaubniss des Hausherrn, dass man fortgehe, werden Einem die
mit brennendem Weihrauch versehene Mibc/tarah ’) und der Ma-
rasscb *) (Vase zum Sprengen) mit Rosenwasser vorgehalten. Statt
des letzteren wird wohl auch auf dem Präsentierteller eine kleine
Schüssel gesetzt, die mit aromatischem Oel (z. B. Rosenöl) getränkte
Stückchen Watte enthält, damit der Gast den kleinen Finger ein-
tauche und sich damit unter der Nase reibe; so setzt man sich nicht
der Gefahr aus , die feinen seidenen Festkleider mit Rosenwasser zu
beschmutzen. Für die wohlriechende Gabe dankt der Besucher und
1) Mekk. Sprichw., S. 29, Anm. : min el-'ajdin min eUfdfzin knüa seneh tceniü tajjünn.
2) Ualttwet el-loz , — el-kalqnm , mttchakkal. Anlässig des letzteren Wortes, das «ver-
schiedenartig” bedeutet, sei hier erwähnt, dass in Mekka der gewöhnliche Komparativ
zu kethir : asckJcal (JX&I) lautet, obgleich aklhar nicht ganz ungebräuchlich ist. In
atchkal liegt bloss die Bedeutung der Monge, ohne jeden Nebengedanken der Ver-
schiedenheit.
3) VergL Talei XXXVII, N« 17 und 18.
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erhebt sich; der Wirth sendet ihm ausser den üblichen Höflich-
keitsformeln noch besonders seinen Dank für die übernommene
Mühe nach.
In den breiteren Strassen belustigen sich die Kinder mit »russi-
schen Schaukeln” ') , und in der Nahe von Ali’s Geburtshaus machen
die schwarzen Söhne Ham ’s ihren Höllenlärm. Die Weiber kommen
nur wenig zur Thür hinaus, weil sie nachzusehen haben, dass den
Besuchern der Gatten nichts fehle.
Im Gesetze wird anempfohlen, die ersten sechs Tage nach dem
Feste abermals zu fasten. Dies thun in Mekka bloss seltene Virtuo-
sen und sehr fromme Weiber, die so zugleich etwaige wegen der
Menstruation ihnen entgangene Tage des Ramadhan nachholen ; auch
von diesen aber schieben viele die Entschädigung bis zum Redjeb *)
auf. Den Leuten der wahren mekkanischen »Mitte zwischen den
Extremen” sind der 2 10 und 3te des Monats Fortsetzungen des Festes
für die Männer, an denen diese ihre weiteren Besuche machen und
Festessen veranstalten; einige kündigen ihren Freunden im Voraus
an, an welchem Tage sie empfangen. Vom 4,<,B bis zum 7‘*n kom-
men dann die Frauen an die Reihe. Nicht alsob die Männer schon
genug hätten, vielmehr setzen sie ihre Halbferien bis gegen Mitte
des Monats fort; aber die Weiber haben während jener drei Tage
die Verfügung über die besseren Räume der Wohnung, und sie
beschränken sich nicht auf Besuche von wenigen Minuten , sondern
sitzen die Zeit ordentlich ab, trinken Kaffee, Thee, Sorbets1 2 3) und
machen Qelah.
Im Laufe dieses Monats geht, wenn anders die Verhältnisse es
gestatten, die Qäflah nach Medina ab; ausser den früh angekom-
menen Pilgern mit ihren Führern, machen davon die schwachen
Mekkaner, ihre Weiber und Kinder Gebrauch, also Alle, die nicht
mit dem Rakb reisen können. In etwas mehr als einem Monat sind
1) Dicso heissen MudrPjhah (vgl. Spitta’s Grammatik, S. 104,^ und oben die Formen
(hmrhch'rjschah und Turti-jkah S. 2 und 93).
2) Vergl. oben S. 83.
3) Diese Getränke werden allerdings auch den Männern auf ihren Bcauehen häufig
angeboten, t. B. schar ab el-loz , — el-tcard , — el-Urnnn , — el-zunab.
II 13
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sie zurück und bringen ihren Verwandten, ausser gleichem Segen
wie die Rodjebijjah , mehr an Gaben heim , weil es der Qäf Iah auf
et.vas Gepäck mehr nicht ankommt. Datteln, Duqqab (ein Pulver,
worin man seinen Bissen Brot eintaucht) *) und von den Beduinen-
weibern am Wege verkaufte Fächer’) aus Pal men blättern sind die
gewöhnlichsten Geschenke. Auch diese Karawane wird feierlich ein-
geholt; zu ihr gesellen sich indessen auch solche Mekkaner, die
während des kurzen Aufenthalts in Medina einen kleinen Handel
treiben und also einen augenblicklich greifbaren Segen erzielen.
Noch in diesem zehnten und vorzüglich im eilften Monat (Du
'l-Qefdah) macht sich das vor dem Ramadhän schon ein wenig ein-
getretene Gewerbefieber mit frischer VVuth geltend, denn die zweite
Abtheilung des Pilgerheeres zieht allmählich in die heilige Stadt
ein. Die wachsende Konkurrenz macht die Scheche immer inbrün-
stiger beten , dass Allah ihnen ja viele und wohlhabende Pilger sende ;
auch schmieden sie gegen einander Intrigen aller Art. Durch ihren
Brotneid erleichtern es die Zunftgenossen den Regierenden , die ganze
Zunft auszubeuten, weil diese nun behufs der Durchführung miss-
liebiger Maassrcgeln eine Coterie gegen die andere ausspielen können.
Bei dem Mangel an eigentlichen Steuern können der Fürst und
der -/Resident” nur auf indirekten Wegen einen Theil von dem,
was die Mekkaner und namentlich die Scheche verdienen , an sich
ziehen. Dies geschieht nun einmal dadurch , dass sie die Scheche
»ersuchen”, von den Pilgern’), die sie in Djiddah abholen, »frei-
willige Beiträge” z. B. zur Erhaltung der mekkanischen und zur
Herstellung der Djiddah ’schen Wasserleitung zu erheben ; Scheche ,
1) Vcrgl. Mekk. SpricW., S. 49.
2) Vcrgl. Tafel XXXVJII, N°. 5. Die Besucher dos Grabes bringen aus Medina
auch vielfach ein Gctreidoniaass mit, welches aus Blech genau nach dem Muster des
Mudd angefertigt wird, das vom Propheten zur Abmessung seiner Pnstonabgnbc ( ZaktU
al-fitr ) gebraucht und seitdem unversehrt von einor Hand in die andere übergegangen
sein soll. Das auf rothem Papier geschriebene Itmid der Besitzer wird immer beigefügt)
mein Exemplar des Mudd uhbewi enthält 0.8 Liter.
3) Muslime, die nicht türkische Untcrthanen sind und also ohne türkischen Paas in
Djiddah ankommen, müssen sich dort für die Reise nach Mekka einen solchen Pass
beschaffen; dieser nützt ihnen gar nichts, aber die zu entrichtenden Gebühren stellen
eine versteckte Pilgersteucr dar.
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die augenscheinlich zu viele Pilger als unvermögend gelten lassen,
kann man leicht durch geschicktere ersetzen. Dann aber dienen die
Taqrir s ((Jewerbelicenzen) der Scheche dazu, sie selbst zu scheeren.
Von jeher bedurften die »Meister” eines Gewerbes ausser der Auf-
nahme in die Zunft von seiten der Zunftgenossen noch der »Aner-
kennung” vom Landesfürsten. Ebenso wie jene Aufnahme, lautete
diese Anerkennung auf ewige Zeiten, wenn nicht der Betreffende
durch seine Aufführung sich der weiteren Ausübung seiner Rechte
unwürdig mache. Diese Ausnahme ermöglicht es dem Grossscherif,
dem Inhaber eines Taqrir mit dessen Zurücknahme zu drohen , wenn
er nicht durch Geschenke das Unheil abzuwehren weiss. Bis vor
Kurzem galt nun, abgesehen von solchen Maassnahmen gegen Ein-
zelne, das einmal verliehene Taqrir, für welches nebenbei gehörig
bezahlt wurde, als unveräusserlich; nur lieim Tode eines Schech’s
hatte sein Nachfolger wieder zu zahlen, und sonst gaben die Kor-
porationen bloss an gewissen Festtagen oder z. B. wenn sie in ihrem
Interesse um eine Audienz baten , dem Herrn der Stadt »herkömm-
liche” Geschenke. In den letzteu Jahren haben aber der »Fürst”
und der »Resident” dann und wann einen allgemeinen Aderlass
angewendet, wodurch alle Zunftbrüder gleich »nissig betroffen wurden.
Wenn nach der Ansicht jener Herren die eine Klasse von Pil-
gern ausbeutenden »Scheche” mehr als genug zu verdienen scheinen ,
so führen sie in Gemeinschaft mit dem Oberschech (der gegen solche
Dinge ja nichts einwenden darf) eine neue Ordnung der Zunft ein,
wodurch alle Taqrir’« erneuert werden müssen. Die Erneuerung kostet
aber jeden Schech einige hundert Dollars, und diese Leute sind
somit gezwungen, im Voraus einen Wechsel auf den von ihnen zu
erzielenden Gewinn selbst zu diskontieren. Dabei hat der Oberschech
Gelegenheit, indem er bei der Neuordnung seine Freunde zum Nach-
theil ihrer Konkurrenten bevorzugt, kleine Privatgeschäfte zu machen ,
von denen er sich aber wieder Abzüge gefallen lassen muss, sobald
höhere Beamte davon erfahren haben.
In den letzten Jahren wurden z. B. die Taqrir’s der Scheche , die
den Djäwah (Malaien) als Führer dienen , zweimal erneuert. Einmal
fand man es zweckmässig, die bisher allgemein auf die »Djäwah-
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pilger” lautenden Diplome in solche umzuändern, auf denen er-
wähnt wurde , mit welcher Klasse von Djäwah (z. B. von Puntianak,
von den Lampong’schen Districten uaw.) der betreifende Schech sich
beschäftigen dürfe. Schon im nächsten Jahre fand man jedoch, dass
auch so Uebergriffen eines Schechs in das Gebiet des andern nicht ge-
nügend vorgebeugt war , weil z. B. von mehreren Schechen , die alle
für die gleiche Landschaft patentiert waren , sich vielleicht einer durch
List und Intrigen aller Pilger bemächtigen könnte. Es fand daher
eine neue Vertheilung der ostindischen Inselwelt in kleinere Unter-
abtheilungen statt , oder , wie die in Mekka ansässigen Malaien scher-
zend sagten, die malaiischen Länder wurden abermals versteigert.
Von einzelnen einflussreichen Schechen abgesehen, erhielt wirklich
der Meistbietende das Pilgervieh einer Provinz zur Ausbeutung.
Natürlich war für die Reform nur die kleine Minorität eingenom-
men, die trotz dem hohen Preise ihrer Taqrir’s und anderen hin-
zukommenden Erpressungen Aussicht auf Erhöhung ihrer Einkünfte
bekam; die Uebrigen klagten bitterlich, und einige dreiste Leute
wollten gar rebellieren. Obgleich eine solche Rebellion heimlich ge-
plant wird, erfahrt die Regierung doch Alles durch ihre geheime
Polizei, wozu namentlich Weiber benutzt werden; auf einmal wur-
den die Häupter der Opposition abgefasst ; während ihrer Gefangen-
schaft wurde die neue Ordnung ohne Störung eingeführt, weil es
den Anderen an Muth fehlte. Damit nun aber nicht nachträglich
auf Anstiften von Feinden des Gouverneurs die Unzufriedenen eine
»Darlegung”1 2) nach Stambul richteten, nöthigte man alle Zunftge-
nossen , ein Schreiben an den Sultan zu unterzeichnen , in welchem
sie ihm für die Einsetzung eines solchen Statthalters dankten, der
durch seine Neuordnung ihren Wünschen zuvorgekommen sei *), und
schliesslich forderte der Zunftmeister von allen seinen »Söhnen” eine
Gabe, weil er sich »in ihrem Interesse” soviel Mühe gegeben habe.
So wird in den letzten Monaten des Jahres die Haut der Pilger
1) VergL Bd. I, 8. 176.
2) Darin hiess es. Alle seien jener Ordnung beigetreten rddhiit,muclUiirin , mutatehak-
kirin , mamnünw.
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verkauft, bevor sie noch eingefangen sind; denn es versteht sich,
dass sie schliesslich die Zeche zahlen müssen.
Aus dieser Probe kann man ersehen, wie das Gewerbefieber in
der mekkanischen Gesellschaft nach dem Ramadhän allmählich um
sich greift. Je mehr Pilger nun hereinströmen , um so weniger Raum
bleibt dem eigentlich mekkanischen Leben und Treiben übrig. Vom
eilften Monat bis zum ersten des nächsten Jahres kann der Fremde
inmitten dieser beutegierigen Menge verkehren, deren materielles
Glück für ein ganzes Jahr aufs Spiel steht, ohne auch nur zu ver-
muthen , dass nach seiner Heimreise ein frohes , geselliges Leben an
die Stelle des wüthenden Kampfes ums Geld treten wird. Ebenso-
wenig als mit diesem Leben, wird der Pilger mit der Bedeutung
der Moschee als Universität bekannt, wenn er sich nicht selbst auf
längere Zeit zum Studium hier niederlässt; auch bleibt ihm das
Familienleben der Mekkaner völlig fremd.
Gerade deshalb, weil die nach Europa gelangten Berichte über
Mekka fast ausnahmslos direkt oder indirekt auf Pilger zurückgehen ,
sind wir im Vorhergehenden etwas näher auf die Darstellung des
eigenen Lebens der Mekkaner eingegangen, sofern sich dieses, so
zu sagen, auf der Strasse und in der Oefientlichkeit beobachten
lässt. Unser letztes Kapitel über die Djäwah wird uns Gelegenheit
bieten, noch dies und jenes über die Ausbeutung der Pilger nach-
zuholen; in den beiden nächsten Abschnitten soll aber versucht
werden, das Leben der mekkanischen Familie und die im Haram
koncentrierten wissenschaftlichen Bestrebungen zu skizzieren.
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II.
DAS FAMILIENLEBEN.
Wer einen europäischen Leserkreis in die muhammedanische Fa-
milie einfiihren will, muss vor allen Dingen einigen eingebürgerten
Irrthümem entgegentreten. Bei uns denkt man sich ja im hinteren
Theile des Hauses eines Muslim’s eine Art Gcfiingniss, das Harem
heisst, in welchem etwa vier Weiber und Gott weiss wie viele
Sklavinnen den Launen ihres Herrn dienen und aus dem sie nur
dann und wann verschleiert hervorkriechen, ln solchen falschen Vor-
stellungen werden die Europäer durch die Lektüre der meisten
Reiseberichte nur noch bestärkt, weil gerade dieser intime Theil
des muslimischen Lebens den Reisenden fast immer verschlossen bleibt.
Was sie davon hören (vielfach beziehen sic ihre Erfahrungen nicht
aus den feinsten Kreisen), macht ihnen einen sonderbaren Eindruck ,
und was sie nicht hören , erzeugt bei ihnen den Glauben , dass die
Muslime diese Dinge ausserordentlich geheim halten; was sie aber
davon sehen , das sind eben jene verschleierten Gestalten , denn , ob-
gleich nachgewiesenermaassen ') die Verschleierung kein muslimisches
Gesetz ist , so gehört sie doch zu den Sitten , die man in den Städten
der grossen muhammedanischen Kulturländer ziemlich genau befolgt.
1) VergL meinen Aufsatz in »Bijdragcn Tan het Koninklijk Ncdcrlandsch-Indisch
Instituut”, 5o Volgreeks, I, S. 365 IT.
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103
Harim ist in Mekka kein Theil der Wohnung, sondern es sind
die Weiber selbst1); wenn einer von seinen Harim redet, meint er
seine Weiber, Sklavinnen und noch etwa weibliche Verwandten , die
in seinem Hause wohnen. Aus der Beschreibung mekkanischer Woh-
nungen im vorigen Abschnitt erhellt, dass diesen Harim kein be-
stimmter Theil der Wohnung eigen ist ; wo sie sich aber eben befinden ,
dort hat der Besucher ebenso wenig freien Zutritt wie bei uns in
die Schlafgemächcr der Hauser seiner Bekannten , und weil man ihren
zeitweiligen Aufenthalt nie genau wissen kann , braucht man in frem-
den Wohnungen einen Mann aus dem Hause als Führer. Trotzdem
darf man sich die Beschränkung des Verkehrs beider Geschlechter nicht
zu stark denken.
Blosse Geschäftsfreunde des Mannes bemerken allerdings von dessen
häuslichen Verhältnissen sehr wenig; es kann Vorkommen, dass sie
ihn wöchentlich mehrere Male besuchen, ohne auch nur zu wissen,
ob er verheirathet ist oder nur eine Konkubine hat und was für Weiber
sonst in seiner Wohnung hausen. Dagegen ist der Verkehr der Haus-
freunde mit den Weibern des Hauses um so freier, je einfacher
die Lebensverhältnisse des Bewohners. Bei sehr reichen Kaufleuten
und den höchsten Beamten sehen sich die Weiber von zwei befreun-
deten Familien ebenso wie die Männer, bleiben aber die Geschlechter
immer getrennt ; cs giebt sogar Fälle , wo zwei Freunde ihre Frauen
von einander fern halten, damit nicht der Weiberklatsch ihr gutes
Verhältniss störe. Manchmal haben sie ausser ihrem grossen Hause,
wo der Kaufmann seine Geschäftsräume, der Beamte seine Amts-
zimmer hat, mehrere kleinere Wohnungen oder Landhäuser, in denen
die weiblichen Angehörigen meistens verweilen , und dann bleibt der
Freundesbesuch von selbst ausser Berührung mit dem Leben der
Harim. Während die Beziehung zwischen solchen Freunden sich
allmählich inniger gestaltet , bilden ihre Harimverhältnisse (die übri-
gens grossem Wechsel unterliegen) nur ganz gelegentlich einmal dem
Gegenstand ihres Gesprächs. Kommt es zufällig darauf, so werden
1) Weiteres über den betreffenden Sprachgebrauch, Mckk Sprich«*., S. 19, 85. Dem
dort Bemerkten wäre hinzuzufiigen , dass ’ijitli ganz gleichbedeutend mit ahl bätf , harimx
und djama'ati gebraucht wird.
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104
diese Dinge aber ohne jegliche Zurückhaltung besprochen, wenn
nicht besondere Gründe solche erforderlich machen; zu derartigem
Gedankentausch braucht man gar nicht so sehr mit einander ver-
traut zu sein, denn das Thema wird hier von ähnlichem Gesichts-
punkte aus behandelt , wie bei uns z. B. der Geschmack und die
Erfahrungen einiger Zusammensitzenden in Bezug auf Wein und
Taback Stoff zur Unterhaltung liefern können.
Anders geht es schon bei den mittleren Klassen her ; während der
Mann einen guten Bekannten im Medjlis bei sich hat, sitzt z. B.
die Frau im Nebenzimmer. Die Thür, welche beide Gemächer trennt,
ist nicht ganz zugeschlossen; ohnedies bilden sich in Mekka zwi-
schen allen Thiiren und ihren Pfosten bald handbreite Oeffnungen,
weil die Hitze das Holz zusammenzieht. Kennt der Betreffende seinen
Freund als keusch, als einen, dessen //Auge” in Bezug auf Weiber
//erfüllt” ist (d. h. der ohne Neid oder Begierde des Anderen Glück
sehen kann), so zieht er selbst einmal seine Gattinn ins Gespräch,
und von da an dürfen die Beiden frei mit einander reden ; nur dass
es zwischen ihnen etwas Trennendes (d. h. einen Schleier , einen Ver-
schlag oder dergl.) geben muss. Aber auch zur Aufhebung dieser
letzten Beschränkung können verschiedene Umstände den Gatten be-
stimmen.
Gegen Verwandte, die eben wegen der Verwandtschaft keine Ehe
mit der Frau eingehen können, sowie gegen die Sklaven gilt die-
selbe bekanntlich gar nicht, und diese Ausnahme wird in Mekka
im weitesten Sinne interpretiert, sodass auch entferntere Verwandte
und freie Diener mit einbegriffen werden, wenn sie zuverlässig
oder sonst ungefährlich sind. Nun macht man aber wohl solche
Freunde, mit denen man ganz ungezwungen verkehren will, zu
Adoptivverwanten seiner Frau und stellt sie dieser je nach dem
Alter als Vater, Sohn oder Bruder vor. Es versteht sich, dass der
Gatte dies nur in der festen Ueberzeugung thut, von einer Ehe
zwischen beiden könne nie die Rede sein, denn sonst wäre die
Aufhebung der Schranken vielleicht der erste Anlass zu unerwünsch-
ter Intimität, worauf dann die Frau ihrem Manne das Leben so
schwer machen würde, dass er ihr bald die Freiheit wiedergäbe.
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105
Ein Hauptgrund , aus dem jene Hemmungen des Verkehrs sich im-
mer strenger entwickelt haben , ist gerade die Lockerheit des muslimi-
schen Ehebandes. Wäre nicht die Möglichkeit, dass ein bei der Gemah-
linn zugelassener Freund ohne Verletzung der Sittlichkeit bald die Stelle
des Gemahls einnähme, so gäbe es weniger Schleier und Verschlage.
Wo solche Furcht nach Ansicht des Gatten ausgeschlossen ist, he-
ben sich diese auch jetzt, soviel es die bösen Zungen zulassen.
Obgleich nun das Gesetz solehc Adoptivverwandtschaft durchaus
nicht berücksichtigt und keiner solche Verhältnisse offenkundig macht,
so gilt doch eine Ehe zwischen dergestalt mit einander verkehren-
den Leuten in Laienkreisen , die darum wissen , als unsittlich , und
wenden diese sogar das Wort harfim (von Allah verboten) darauf an.
In den unteren Klassen herrschen gleichfalls die eben erwähnten
Sitten, nur dass sie hier schon wegen der beschränkteren Raum-
verhältnisse mit noch mehr Freiheit befolgt werden. Auch aus an-
derweitigen Gründen als denen der Geselligkeit erfahrt aber der
Verkehr manche Erleichterung.
Während sich die Söhne Mekka’s über Weiberangelegenheiten bei
ihren weiblichen Verwandten oder bei Kupplerinnen erkundigen , ist
dem Fremden dieser Weg allzu unsicher. Er wendet sich an männ-
liche Hcirathsvermittler , oder vielmehr diese kommen seinen Wün-
schen zuvor. Eine ledige Frau, sei sie Jungfrau oder ‘Azabak (Ver-
wittwete oder Geschiedene), ist ihren nächsten Verwandten zur Last,
wenn sie nicht viel Geld besitzt ; eine solche sucht daher eine Stellung
als zeitweilige Lebensgefahrtinn eines Mannes, denn so bekommt
sie ausser einer voraus stipulierten Morgengabe freie Wohnung, Kost
und Kleidung und, wenn der Mann die Mittel dazu hat, uuch
einen Sklaven oder eine Sklavinn zu ihrer Verfügung. Sogar reiche
ledige Weiber wünschen manchmal in ihrem Interesse eine Ehe ein-
zugehen, um sich dem Einfluss ausbeutender Verwandten zu ent-
ziehen ; solche sehen von allen gesetzlichen Ansprüchen ab '), unter-
1) Nämlich durch mündliche Verabredung, denn im Ehekontrakt darf nichts stipu-
liert werden, wodurch eine gesetzliche Bestimmung für eine der Parteien aufgehoben
wiirdo. So kann auch der ärmst« Mann immer gesetzlich gezwungen werden, seine
steinreiche Gattinn zu unterhalten, während er selbst in keinem Fall auf einen Pfennig
von ihrem Besitz Anspruch hat.
U 14
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halten selbst den Mann , der ihre Freiheit schützen will , und können,
wenn’s ihnen beliebt, immer leicht die Scheidung veranlassen. Gleichviel
aus welchem Grunde eine Dame heirathslustig ist oder ihre Verwandten
sie los sein wollen, sie brauchen zur Erreichung ihres Zwecks die
Hülfe der Heirathsvermittler , und da hier die meisten Frauen ein
oder ein paar Dutzend Ehen im Leben schliessen , führt ihre sociale
Stellung von selbst einen regen Verkehr mit allerlei Männern herbei,
die wohl einmal als Vermittler auftreten.
Dass alte Bettlerinnen und verrückte Frauen unverschleiert gehen,
will nicht viel sagen; dagegen ist der ziemlich freie Verkehr von
Knaben und Mädchen bis zum Sun oder 101™ Lebensjahre ein wich-
tiger Faktor im Leben der mekkanischen Gesellschaft. Ehen, die
wirklich in der Liebe begründet sind, werden nicht selten beim
Spielen vorbereitet. Nachdem der Schleier dem Mädchen den Stem-
pel ihres Geschlechts aufgedrückt hat , weiss der Knabe doch Mittel
zu finden , ihr das Fortdauern seiner Zuneigung mitzutheilen ; später
überbringen Vertrauenspersonen die poetischen und prosaischen Er-
güsse seiner Liebe, und wenn die Antwort nicht ausbleibt, sucht
endlich der junge Mann die Genehmigung der beiderseitigen Eltern
nach, worauf die Hochzeit stattfindet.
Nachdem wir so gesehen haben, was es mit dem »Harem” für
eine Bewandtniss hat , wollen wir nun die Polygamie ins Auge fassen.
In dieser Hinsicht ist der Zustand in Mekka so ziemlich wie in
anderen muslimischen Ländern: nur sehr reiche Leute machen ein
seltenes Mal Gebrauch von der Erlaubniss des Gesetzes, vier Gat-
tinnen zu gleicher Zeit zu haben , und überhaupt findet man solche ,
die mehr als eine Frau haben, lediglich in den höchsten Kreisen.
Abgesehen von den nicht zu unterschätzenden Schwierigkeiten , welche
die praktische Polygamie Leuten aus den mittleren und unteren Klassen
auch sonst bereiten würde, sind ihnen schon die Kosten eines sol-
chen Luxus viel zu hoch. Also ist die Monogamie Hegel, und was
der muslimischen Familie ihr eigenthümliches Gepräge gewährt, ist
nicht sosehr die Polygamie als die Lockerheit des Ehebandes; na-
mentlich in einer Fremdenstadt wie Mekka gewinnt diese die höchste
Bedeutung. Der Mann kann seine Frau ohne jeden Grund versto-
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ssen; er lässt sich von diesem Verfahren zurückhalten durch Rück-
sichten auf die Verwandten seiner Frau, oder weil ihm die Kosten
der unvermeidlichen neuen Ehe und der Scheidung zu theuer werden ,
in seltenen Fällen durch Mitleid für die Frau selbst. Sind derlei
Beweggründe nicht vorhanden , so entschliesst er sich zur Trennung
mit viel weniger Schwierigkeit als der Europäer zum Abbruch der
Beziehungen zu seiner Maitresse; diesem hat ja sein Verhältniss
zuviel Aehnlichkeit mit der fast unauflöslichen Ehe, während dem
Muhammedaner jede Ideenassociation zwischen Ehe oder Liebe und
Ewigkeit fern liegt.
In den hohen mekkanischen Kreisen werden häufig ein Knabe
und ein Mädchen im jüngsten heirathslahigen Alter faktisch durch
die Eltern mit einander verbunden, weil man aus irgend einem
Grunde die Interessen beider Familien vereinigen möchte. Es wäre
reiner Zufall, wenn hier Neigung des Gatten zu seiner Frau ent-
stünde; trotzdem sind solche Ehen begreiflicherweise die dauerhaf-
testen. Gewöhnlich hat der Mann ja die Mittel, die Gegenstände
seiner Liebe ebenfalls zu erwerben; nur bleibt dann die ältere Frau
als Bint * amm ') nominell seine eigentliche Gefährtinn. Nur wenn
sie sich etwas Schändliches zu Schulden kommen lässt oder aber
selbst darum bittet, wird ihr Ihn ‘ amm das Taläq über sie aus-
sprechen. Diesen vornehmen Ehen stehen der Dauer nach die aller-
ärmsten zunächst, weil da durch die Trennung zwei unglückliche
Personen nur noch weit unglücklicher würden. Zwischen beiden
Extremen liegt die Mehrzahl, von der man sagen kann, dass die
Männer, auch ohne Polygamen zu sein, mehrere Ehen nach ein-
ander sehliessen, während die wenigsten Weiber im Leben nur
einem Manne angehören.
Zur Auflösung der Ehe verfügt auch das Weib über einige ge-
setzliche und viele aussergesetzliche Mittel. Vor dem Richter steht
ihr die Zurückforderung ihrer Freiheit zu wegen schwerer Misshand-
lung, wegen Unvermögens des Gatten, sie mit Wohnung , Kleidung
und Lebensmitteln zu versorgen, wegen Impotenz oder Irrsinns des
1) Vergl. Mokk. Sprichw., 8. 17.
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Mannes; ferner erkauft die reichere Frau von dem ärmeren Gatten
wohl einmal das Taläq. Viel leichter als dies alles wird es ihr aber,
dem missliebigen Herrn die Hölle so heiss zu machen , dass er nach
vergeblichen Versuchen, seine Autorität aulrechtzuerhalten , selbst
das Band lösen muss.
Schon oben wurde bemerkt, dass mündliche Verabredungen, deren
Kraft nur in der Sitte begründet ist , häufig dazu dienen , eine der
Parteien von gewissen gesetzlichen Verpflichtungen gegen die andere
zu entbinden. In solcher Weise verzichtet z. B. die Frau auf ihr Recht
auf Lebensunterhalt , bedingt sie sich ein ganzes Stockwerk als Woh-
nung aus, giebt sich damit zufrieden, dass weibliche Verwandten des
Mannes mit ihr zusammenwohnen, oder erklärt sich bereit, die Führung
der Haushaltung zu übernehmen (wozu sie gesetzlich keineswegs ver-
pflichtet ist). Obgleich nun solche Bedingungen gar keine gesetz-
liche Geltung haben, verurtheilt die öffentliche Meinung doch den-
jenigen, der sie nicht inne hält, und erachtet die andere Partei
für berechtigt, sich möglichst zu rächen. Uebrigens kennen die Frauen
die gesetzlichen Bestimmungen bezüglich der Ehe nur, insofern sie
ihnen günstig sind, und erheben hundert Ansprüche, für welche
sie sich bloss auf das //Herkommen” berufen. Ihr Mann ist wohl-
habend und besondere Gründe, warum sie nicht das Haddj mit-
machen sollte, sind nicht abzusehen; wie sollte er ihr denn die
Mittel und die Erlaubniss dazu vorenthalten? Ebenso würde es ihm
als Frevel angerechnet, wenn er sie nicht jährlich zum Schech Mah-
müd und bisweilen auch nach Medina die Zijäruh machen Hesse,
wenn er ihr nicht verstattete, dann und wann die Einladungen ihrer
Freundinnen zu nächtlichen Festen anzunehmen und auch ihrerseits
einmal ein solches zu veranstalten. Mag dies alles gleich dem Gesetze
als reiner Luxus gelten , die Tochter Mekka’s fordert es als ihr Recht ,
und wenn der Mann über solche Dreistigkeit einmal sehr ärgerlich
wird und schimpft, so weiss sie ihm mit ironischer Mine die Qurän-
worte ') entgegenzuhalten : //Dann behaltet sie bei euch mit Güte oder
//sendet sie mit Wohlthätigkeit fort”, ausser der Fät'hah die einzi-
1) Quran II: 229.
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gen Worte des heiligen Buches, welche jede Mekkanerinn kennt.
Zu den allgemein anerkannten //herkömmlichen” Rechten der mek-
kanischen Ehefrau, die dem Gesetze zuwiderlaufen, gehört es, dass
sie in Mekka bleibt , wenngleich ihr Mann auf lange Zeit in andere
Länder reist; besonders die in Mekka Geborenen würden zum Him-
mel schreien , wenn man sie nöthigen wollte , ihrem Gatten zu folgen.
Dies wird bald mit der Heiligkeit des «öden Thaies”, bald mit den
Lobsprücheu begründet , welche die Tradition den Einwohnern des-
selben spendet. Die Gelehrten bezeichnen es natürlich als eine thö-
riehte Sitte. Ein reeller Grund liegt aber darin , dass die meisten
Mekkanerinnen in ihrem Geburtsort eine eigentümliche , selbstän-
dige Stellung einnehmen, die sie anderswo kaum je wieder gewin-
nen dürften.
Um vollständig zu sein, hätten wir ja eigentlich unter die im
ersten Abschnitt aufgezählten Zünfte, welche die Pilger ansbeuten,
auch die Weiber aufnehmen sollen. Sie helfen nicht bloss ihren Gat-
ten treulich im Geschäft, sondern arbeiten auch als ledige Damen
für eigne Rechnung. Pilger, die auf die Wallfahrt und was dazu
gehört wenigstens einige Monate verwenden, oder solche, die sich
auf ein paar Jahre niederlassen, wünschen gewöhnlich, sich zu ver-
heiraten ; da sie für die in der heiligen Stadt zu verbringende Zeit
einen wohlgefüllten Beutel mitzunehmen pflegen, entspricht der Nach-
frage ein reichliches Angebot. Wir haben bereits gesehen , wie leicht
eine Mekkanerinn ein missliebiges Eheband los werden kann; jetzt
wird man verstehen, warum den meisten steter Wechsel angenehm
ist. Ihre Waare auf dem Pilgermarkt sind ihre Reize; je häufiger
diese den Gegenstand neuer Kontrakte bilden, desto besser gehen
die Geschäfte. Das Verhältniss zwischen Angebot und Nachfrage
innerhalb der mekkanischen Gesellschaft wird aber stark von dem
Fremdenverkehr beeinflusst; zwar lässt sich ein Mekkaner von den
Töchtern Mekka’s nicht so anführen wie ein Fremder, aber die
Nachfrage von Seiten der Fremden erleichtert es den Weibern, sich
grosse Vortheile auszubedingen.
Den Fremden, der sich einbürgern will, bestürmen von allen
Seiten die Heirathsanträge ; so launenhaft sein Geschmack sein mag.
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die Vermittler haben immer vorräthig, was er wünscht. Sogar wenn
er darauf besteht , nur ein geringes Heirathsgcld zu verwenden , giebt
es doch schon eine Wittwe oder geschiedene Frau, die darauf nicht
achtet, und ist er kostspieligen Festlichkeiten abgeneigt, so will
sie sich mit einer kleinen Feier begnügen, zu deren Kosten er nur
wenig beizusteuern braucht; ja es finden sich Weiber, die nach
Abschluss des Kontraktes ohne weitere Ceremonien gleich Abends
zu ihm ins Haus kommen. Die verschmitzten Damen verlassen sich
darauf, das ihre Gewandtheit im Verkehr mit Männern verschiedener
Art es ihnen ermöglicht, in wenig Tagen den Gatten zu bethören.
Sie suchen die Schwächen ihres Objektes zu entdecken und dann
die erworbene Kenntniss einträglich zu machen. Wenn es gut geht,
verwendet der Mann auf ihre Launen oder auf die Kleidung und
den Unterhalt ihrer ärmeren Verwandten in einem halben Jahre das
Geld , das ursprünglich für all seine Bedürfnisse für ein paar Jahre
berechnet war. Ist der Beutel leer, so fingt die Dame an, gleich-
sam mit Vorliebe die hässlichen Seiten ihres Wesens zu zeigen , bis
endlich ihr Mann, unbewusst ihrem letzten Wunsche nachgebend,
das Talüq über sie aussprieht. Er muss ihr dann für drei Monate
Lebensunterhalt geben, und so hat sie alle Zeit, mit Hülfe ihrer
Freunde eine neue Stellung zu suchen, wenn sie es nicht vor-
zieht, eine Pause eintreten zu lassen, worin sie ganz dem eignen
Vergnügen lebt. Selbstverständlich hat sie nicht immer Glück; auch
in diesem Geschäft giebt es Enttäuschungen und Bankerotte. Man
kann sich aber aus dem Obenstehenden vorstellen, auf welche Ziele
das Streben dieser weiblichen Zunft gerichtet ist.
Dem Mekkaner selbst werden durch diese Umstände die Weiber
gründlich verdorben; wie gesagt, mit Ausnahme der vornehmsten
und der ärmlichsten Ehen und noch einiger seltener Glücksfälle ist
hier der Gatte mit der Gattinn nach unserer Anschauung nur durch
ein ganz lockeres Konkubinat verbunden. Im heiligen Gesetz wird
der Ehekontrakt so beschrieben, dass der Mann dadurch gegen ge-
wisse materielle Verpflichtungen (Heirathsgeld, Lebensunterhalt, Woh-
nung, Kleidung usw.) gegen die Frau von dieser auf unbestimmte
Zeit das Recht auf sexuellen Genuss erwirbt; eine höhere, edlere
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Auffassung des Verhältnisses der Eheleute zu einander ist dadurch
allerdings keineswegs ausgeschlossen. In Mekka entspricht dasselbe
aber durch aus jener cynischen juristischen Definition ') und geht nur
selten etwas darüber hinaus. Der Mann strebt, während er fast noch
im Knabenalter steht , nach steter Vermehrung jener Genüsse ; während
der frühe Anfang, wie es scheint, die Leistungsfähigkeit wirklich
erhöht, sucht er mit zunehmender Begier nach »stärkenden”1 2) d. h.
erhitzenden Arzneimitteln und erschöpft seine Konstitution. Wenn
seine Verhältnisse ihn nicht dazu nöthigen, verlangt er im Uebri-
gen von seiner Frau möglichst wenig Arbeit und lässt sich höch-
stens, wenn abwesend, in der Aufsicht über die Arbeit der Sklaven
und Sklavinnen von ihr vertreten. Die Frau verliert indessen keinen
Augenblick die finanziellen Grundlagen des Kontrakts aus dem Auge
und schämt sich nicht einmal , als wäre sie eine Freudendirne , während
der Beiwohnung Extragaben von ihrem Manne zu erpressen.
Weder gesetzlich noch sittlich sind denn auch die materiellen
Interessen eines Ehepaares dieselben; vielmehr stehen die Beiden
in dieser Hinsicht einander misstrauisch gegenüber. Der Frau ge-
hören die meisten Hausgeräthe; bei der ersten Ehe sind dieselben
hauptsächlich für das Heirathsgut (das ja ihr Eigenthum ist) gekauft;
späteren Gatten bringt sie die etwas reparierten und ergänzten
Geriithe ihrer letzten Haushaltung mit ins Haus, und deswegen
wird auf den Betrag des Ileirathsgutes in diesen Fällen weniger
Werth gelegt. Die Wohnung ist seine, und die Frau hat immer
viel daran auszusetzen, weil sie auf seine Kosten eine bessere, vor-
nehmere zu erlangen wünscht. Morgens geht der Mekkaner selbst
auf den Markt und kauft die für den Tag erforderlichen Esswaaren ,
sofern sie nicht (wie z. B. Reis , Mehl , Butter) für längere Zeit in
der Speisekammer aufgespeichert sind. Hat er Diener genug, so re-
gelt er selbst jedes Detail der Zubereitung; die Vornehmeren über-
lassen Vieles der Sklavinn, die der Küche vorsteht, und geringe
1) Damit steht natürlich die Thatsachc nicht in Widerspruch, dass, wie oben bemerkt
wurde, die Satze des Kontrakts durch das „Herkommen” manchen ausscrgcsctzlichen
Zusatz, bez, Abzug erleiden.
2) In den Gesetzbüchern wird übrigens der Gebrauch solcher Meqatotoijdl anempfohlen.
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Miinner kochen selbst , sofern sie sich nicht genug auf ihre Frauen
verlassen können. In den unteren und mittleren Klassen ist es ein
ungeschickter Mann, der nicht kochen kann; glaubt er etwa, seine
Frau werde ihm das immer besorgen? Auch die Speisen sind der
Dame nur selten fein genug und ihre Beschwerden üussert sie rück-
sichtslos, zumal der Gatte selbst vielfach ausser dem Hause oder
doch ohne sie mit seinen Freunden speist. Vor allen Dingen bilden
jedoch die Erfordernisse des Kleiderschranks den Gegenstand ehe-
lichen Streits.
An einem andern Orte ‘) habe ich die Hauptbestandteile des
mekkanischen Weiberanzugs beschrieben und erlaube mir , nur darauf
hinzuweisen. Wenn man bedenkt, dass die launenhafte Königinn
Mode auch in Mekka heute verpönt , was sie gestern verlangte , dass
die Weiber nicht zufrieden sind, wenn sie nicht mehrere Exemplare
von den feineren Kleidungsstücken besitzen, um nicht immer in
demselben Anzug vor ihren Freundinnen erscheinen zu müssen,
und dass Gold- und Silberblech, Golddraht und Goldspitze in gros-
ser Menge auf die Borten der Hosen J) und der Weste, der an und
für sich schon kostspieligen , aus feinstem Zeuge angefertigten Me-
dawwarah usw. verschwendet werden, so begreift sich, dass den
Gatten ein Schrecken befallt, wenn dies Thema berührt wird.
Wendet der Mann ein, sein Vermögen gestatte ihm die ihm zu-
gemutheten Auslagen nicht, so denkt die Frau dabei lediglich an
Geiz, oder sie glaubt, er sei, ohne ihr Mittheilung zu machen , eine
zweite Ehe eingegaugen und verwende sein Geld auf ihre Neben-
buhlerinn. Meistens bezieht sich ihr Neid in solchen Fällen nur auf
1 ) Mckk. Sprich*'., S. 88 ff. Einige von den gebräuchlichsten Schmucksachon (Ohr-
nnd Nasenringe, Kuss- und Armbänder) sind ebenda, S. 79 aufgefiihrt.
3) In Bezug auf dieses Kleidungsstück sei den a. a. O. gegebenen Mittheilungen noch
Folgendes hinzugefügt : Die einfachere, untere Borte heisst gewöhnlich Hidjt-, Tarqidak
oder Tarkibah wird sic genannt, wenn sio sich nach oben längs der Naht fortsotzt.
Die Querstreifen von Gold- oder Silhcrdrnht (rosp. Blech), aus denen dio Borte sich
zusammensetzt, heissen Kettirak (Ktuirak)-, das untere Rändehen der Borte heisst
Stüak, Plur. Suw U. Der Schiebesaum (die. Koulisse), der dio Dikkek aufninunt, wird
meistens Bet ei-dikkek, bisweilen aber Bäikah genannt. Die iiusserst wenig verhüllende
Bekleidung, welche dio Weiber hier zu Hanse tragon (weit oflenstehendes Westchen
und Jlosen) macht den alles verhüllenden Ueberwurf ( Mebijak ) mit Schleier (Burqu) in
Mekka beim Ausgehen unentbehrlicher als in kühleren Ländern.
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die Geschenke und Vortheile, die ihr dadurch entgehen, und dies
ist der Hauptgrund, aus welchem der Gatte, so lange es geht,
solche Dinge verheimlicht. Zum Streit zwischen den Weibern eines
Mekkaners kommt es fast nie, weil sie niemals in einer Wohnung
untergebracht werden. Das Gesetz berechtigt jede Gattinn zu einer
eignen Wohnung, und auf diese Bestimmung berufen sie sich gleich ,
wenn ihnen die zuerst geduldete Gesellschaft weiblicher Verwandten
ihres Herrn zu viel wird; selbst würde dieser keinen Augenblick
daran denken, ihr vorzuschlagen, mit einer andern Gattinn zusain-
meuzuleben. Auch in dieser Hinsicht bedarf also die europäische
Vorstellung vom '/Harem” der Berichtigung.
Liegt somit auf der einen Seite dem Manne daran , dass seine Frau
nicht genau über seine Vermögensverhältnisse unterrichtet sei, auch
ihrerseits ist sie ihm gegenüber möglichst verschlossen. Sie fürchtet
Zunahme seines Geizes, wenn er weiss, dass sie etwas Geld besitzt,
und ihn geht das nichts an , denn finanzielle' Ansprüche gewährt
der Kontrakt nur ihr. Es kommt freilich vor, dass Frauen, die mit
ihren Gatten bessere Tage verlebt haben, wenn diese in Armuth
gerathen sind , über die eigenen Rechte hinwegsehen und den Inhalt
ihrer Sparbüchse mit ihnen theilen. Daran knüpft sich aber der
Missbrauch, dass Männer die Vortheile beider Parteien des Kon-
trakts an sich zu ziehen suchen, indem sie vorgeben, unvermögend
zu sein und sich dann von der Frau ausser dem Genuss der Ehe
noch das Essen erbetteln. Darum vergräbt die Mekkanerinn lieber
ihr Geld unter dem Boden oder vertraut es guten Freunden an , als
dass sie es in das eheliche Ilaus brächte.
Peinlich genau sind des Gatten Vorschriften hinsichtlich der Fre-
quenz der Besuche, welche sie von ihren weiblichen Verwandten
und Freundinnen erhalten darf ;* die werden ja bei jeder Nachgie-
bigkeit seinerseits dreister, und der Zweck ihrer Besuche ist wohl
irgend eine Form der Ausbeutung. So theilen die meisten mekka-
nischen Eheleute weder Freude noch Leid miteinander, weder Gutes
noch Schlechtes ausser . . . dem Bett.
Unter Weibem wird das Mädchen erzogen , und die Moral der
Gespräche, denen es von Jugend an zuhört, ist diese •. unser Ka-
li
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pital ist der Ehegenuss; wohl ihr, die reichliche Zinsen damit ge-
winnt! Sie werden frühreif und verwenden ihre manchmal sehr be-
deutenden intellektuellen Anlagen auf die Schärfung der Waffen, deren
sie sich im Kampf ums Dasein gegen die Männer zu bedienen ha-
ben. Die wenigen Frauen, deren Erziehung ihrem Leben eine an-
dere Richtung gegeben hat , und auch die Aeusserungen des Gemüths
der übrigen gegen Solche, mit denen sie keinen »geschäftlichen”
Verkehr haben, zeugen davon, welche Schätze von edler Begabung
hier fortwährend zu Grunde gehen. Trotzdem sind die Männer alle
fest davon überzeugt, dass jene Ausnahmen gleichsam Wunder Gottes
sind, und dass die Weiber (wie übrigens viele Traditionen und
alle Gesetzbücher lehren) ausser körperlichen Reizen nur satanische
Eigenschaften haben ; auf ihre Erziehung Mühe verwenden , das wäre
Perlen vor die Säue werfen!
Kann es Wunder nehmen, dass unter solchen Umständen die
verheirathete Frau, wenn ihr Mann sie vernachlässigt oder nur als
ein zur Wohnung gehöriges Möbel behandelt, gelegentlich ihr Ka-
pital auch ausserhalb des Kontrakts auf Zinsen setzt? Sie gewinnt
so viel dabei : was sie vom Gatten in einem Jahre nicht bekommt ,
schenkt ihr der Liebhaber in einem Monat und dankt ihr noch dazu
für jede ihm erwiesene Gunst. Auch schmeckt die verbotene Frucht
süss , und das Bewusstsein des schweren Vergehens bleibt der Frau
fern , da man ihr weder moralische Grundsätze eingeprägt noch tüch-
tige Kenntnisse vom Gesetze beigebracht hat. Sie weiss zwar , es ist
frarüm, aber, »ich bitte Allah um Verzeihung! wie viele Sachen,
die gleichfalls haräm sind und durch welche mehrere Leute empfind-
lich geschädigt werden , lassen sich nicht recht anständige Herren zu
schulden kommen !” Und sie ist nur ein Weib ! Genug , die praktische
Moral der mekkanischen Gesellschaft ist gegen ehebrecherische Weiber
ebenso nachgiebig wie die der europäischen gegen die Unzucht der
Männer , während man in Mekka über Männer viel strenger urtheilt.
So liebt es denn der Mann , häufig zu wechseln, weil er immer das
Bessere sucht, während sich ’s die Frau in den meisten Stellungen be-
quem zu machen weiss. Ausdrücklich sei hier betont , dass günstigere
Fälle nicht fehlen , aber die charakteristischen Merkmale der gewöhnli-
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chen mekkanischen Ehe sind die oben hervorgehobenen Schattenseiten.
Ausser dem Ehegenuss erhält ein einigermaassen gescheidter Mann
durch seine Frau viel Lebenserfahrung und Menschenkenntniss , denn
beides besitzen die Töchter Mekka’s in viel höherem Grade als die
Söhne, und sie theilen wohl etwas davon mit; auch sind sie die
Hausärzte, deren Rath man in allen Krankheitsfällen zuerst einholt.
Gewöhnlich haben sie ihre kleine Hausapotheke , immer aber die
Kenntniss der Heilkraft einiger Kräuter und Gewürze, die man bei
jedem ' Attär haben kann. Heilkunst, Zauberei und Beschwörung ge-
hören hier immer noch ebenso zusammen wie Krankheiten, böse
Geister, das böse Auge usw. ; bei den Weibern setzt man aber nur
Bekanntheit mit den häufigsten Krankheiten und deren Behandlung
voraus. Gegen allgemeines Unwohlsein bereiten sie ihr Milallat ')
von Banafsedj J) , Chemiret el-haddj J) und irgend einem dritten In-
grediens; für den Fieberkranken machen sie auf Koriander (Kuzbara),
eine Art Zizyphusfrüchte ( cUnnäb Buchärt) und braunen , egyptischen
Zucker einen Aufguss, der als Meratcwaq den Blutumlauf regulie-
ren soll; gegen Erkältung dienen Aufgüsse auf Münzkraut (iVeSiö*),
Z>/(«r?«blüthe {Zahr ed-dhurm) oder Dittsch J) ; kranke Augen reiben
sie mit einer Lösung des dunkelbraunen faÄir-harzes *) in Citrouen-
wasser ein , während eine solche Lösung von QäbaA Nübi1 2 3 4 5) gegen Kopf-
schmerzen getrunken wird. Wesentlich sind die Recepte der Damen
die gleichen , welche auch die Aerzte verschreiben ; nur haben diese
eine grössere Auswahl, geben einen gelehrten Hokuspokus hinzu
und empfehlen eine Diät.
Die Medizin wird hier immer noch gelernt wie jedes andere
1) So und MittUat wird dieses seltsame Wort gesprochen; der Mekkancr leitet das-
selbe wohl mit Recht von teUttah , //Drei” ab, aber man sollte dann eigentlich die Form
MetalUit erwarten. Die drei Ingredienzien worden zusammen in Wasser gekocht.
2) Hana fsedj ist die Wurzel einer Irissorte, CA. el-Haddj, dem Namen entsprechend,
eine Art Hefe. Meiner Unsicherheit über verschiedene dieser mekkanischen Spezerei-
waaren abzuhelfen, hat sich Herr Dr. J. G. Boerlage, Conservator des Leidener Perba-
ri ums, freundlichst bemüht.
3) Vergl. Mekk. Spriehw., S. 33, Anm.
4) Eine gemeine Art Aloeharz.
5) Wie mir Dr. P. van Romburgh mittheilt, ist dies eine Verbindung von Natrium-
carbonat mit Natriumbicarbonat, in anderem Verhältnisse als im bekannten Trona,und
enthält es ausserdem etwas Kochsalz und Sand.
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Gewerbe: der Sohn, Neffe oder sonstige Gehülfe eignet sich die
Kunst vom Vater, Oheim oder Meister an. Wenn Barbiere, die
immer auch zur Ader lassen , Schröpfköpfe setzen und einfache blu-
tige Operationen verrichten, sich allzuviel mit innerer Medizin ab-
geben , so gilt dies als Pfuscherei , obgleich man nicht der Ansicht
ist, dass jenes Studium den ganzen Menschen erfordert, denn ein
mir bekannter, sehr geschätzter Arzt in Mekka versteht sich zu-
gleich auf die Uhrmacherei und das Ausbessern von Feuerwaffen,
er destilliert wohlriechende Oele, vergoldet und versilbert Schmuck-
saehen, macht Schlagschwärmer, versteht die Münzprägung und
gilt als Spezialität für die Urbarmachung von Gold- und Silbermi-
nen. Dennoch überragt er als Arzt die meisten von seinen Konkur-
renten. Wie alle seine Kollegen fühlt er seinen Besuchern den Puls ,
besieht die Zunge , die Augen , hört auf den //Laut der Hände” (so
will es das Volk) und zeigt seine Wissenschaft dadurch, dass er
nicht alle Empfindungen des Patienten durch Nachfragen erfährt,
sondern schliesslich mit Selbstvertrauen äussert: »Du hast wohl
Schmerzen an dem und dem Körpertheile” — an solchen Aussprü-
chen erkennt man den richtigen Arzt. Die naiven Patienten bemer-
ken nicht, dass sie selbst, während der Hakim einen andern Kran-
ken untersuchte , im Gespräche mit den gleichfalls Wartenden jene
Entdeckung ermöglicht haben. Ebenso wie seine Kollegen, sagt nun
unser Freund: du hast Nawüzil (allgemeiner Ausdruck für allerlei
durch Erkältung entstandene Krankheiten) oder Arjäh (eigentlich
//Winde”, worunter man aber alle Uebel begreift, die //im Blute”
stecken und sich durch Aussatz , Kongestionen , Geschwülste usw. be-
merklich machen) , Qabdh (Verstopfung) , Dhuf (Schwäche , Schwind-
sucht) oder andere weniger bekannte Wörter, die zur rechten Zeit
sich einstellen , wo die klare Einsicht fehlt. Gleich verordnet er
dann eine Diät ( Himjah )-. ob man sich vor Speisen //heisser” oder
//kalter”, /-feuchter” oder //trockener” Natur hüten, ob man ge-
säuertes Brot ( Cheimrak ) oder ungesäuertes ( Felirah ) essen solle
usw., und endlich giebt er seine Scherbah ') oder verschreibt ein
1) Vorgl. oben S. 77.
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Decoctum , zu dem die erforderlichen Gewürze beim c Altar zu kau-
fen sind, oder aber er überreicht dem wohlhabenden Patienten ein
eignes Arzneimittel, mit dem er sehr geheim und theuer ist. Ge-
legentlich hantiert er auch das Brenneisen , dessen heilsame Wirkung
gegen Kongestionen (namentlich auf den Schläfen) , Geschwülste und
schlimme Wunden allgemein anerkannt wird, und das man aus
Mangel anatomischer Kenntnisse auch bei gebrochenen Gliedern,
gleichsam zum Zusammenschmieden, anwendet, trotzdem die hei-
lige Ueberlieferung die starke Abneigung des Propheten gegen die
Operation des Brennens wiederholt bezeugt. Blutigel setzt er auch
wohl selbst, überlässt dagegen die anderen Methoden, Blut zu ent-
ziehen , den Mezejjinin (Barbieren), obgleich ihm die ergiebige Anwen-
dung der Klysstierspritze keine erniedrigende Beschäftigung scheint.
Ausser diesen zum Gewerbe gehörenden Leistungen , verfügt jedoch
unser Freund noch über besondere Fertigkeiten, die seinen Ruhm
begründet haben : er ist Ophthalmologe, d. h. er sticht den Staar
und heilt auf chirurgischem Wege eine häufig vorkomrnende An-
schwellung der Augenlieder, die manchmal in Blindheit ausgeht,
wenn nicht zur rechten Zeit der gelblich weisse Stoff aus dem Au-
genliede entfernt wird. Es werden ferner Wunder erzählt von den
Resultaten gewisser von ihm geleiteter Kimen 1 ) , wie er gänzlich ab-
gemagerte Leidende durch Klystier und Brechmittel ausgeleert und
dann durch 40tägige ausschliessliche Milchdiät zu neuem, kräfti-
gem Leben erweckt hat, oder wie er durch seinen »heissen”, aus
Nänec/iä (Ammium) destillierten Trank alle Magenübel heilt. Was
kümmert es die Mekkaner, dass auch dieser hervorragende Mann
keine Ahnung von den Funktionen der menschlichen Körpertheile
oder von der Wirkung seiner eigenen Medikamente hat? AY» glück-
licher Ausgang bei hundert Versuchen genügt, ihr Vertrauen uner-
schütterlich zu machen; wegen der übrigen 99 loben sie die Allmacht
Allahs, die über Tod und Leben verfügt.
Sagt Einer, die türkischen Militärärzte seien zuverlässiger, so
1) Eine kleine Elektrisiermaschine , dio gegen alle Krankheiten und namentlich zur
«Erstarkung'’ gewisser Funktionen angewendet wurde, trug nicht wenig zum märchen-
haften Ruhm des Arztes bei.
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wendet ganz Mekka ein, die seien irreligiös, wüssten nicht mit
Mekkanem zu verkehren, und, so gelehrt sie sonst sein möchten,
sie verständen nichts von den Erfordernissen des hiesigen Klima’s,
denn wie könnten sie sonst sosehr gegen die üblichen Aderlässe und
Schröpfungen eifern und den Soldaten sogar diese heilsame Ope-
ration strengstens verbieten! Franken sind es, Gott schneide sie ab!
Obgleich nun unser einheimischer Mediziner schon im eigenen
Interesse die herrschende Abneigung gegen die modernen türkischen
Aerzte möglichst nährt, verschmäht er es keineswegs, unbemerkt
von diesen zu lernen , und thatsächlich ist der Unterschied zwischen
ihnen und ihm bloss graduell, gar nicht grundsätzlich. Wenn die
Leute ihm von der Wirkung von Djinn und anderen feindlichen
Mächten erzählen, ihm Kranke als vom bösen Auge oder von Zar
besessen vorstellen , so leugnet er das nicht öffentlich , verschreibt
aber Mittel gegen natürliche Störungen des Organismus. Aus diesem
Grunde gilt er denn auch dem Publikum zwar allzu dreister mensch-
licher Wissenschaft gegenüber als Vertreter des Ueberlieferten , jedoch
in der eigenen Umgebung als der Mann der Vernunft und der Na-
turwissenschaft. Zu ihm gehen deswegen die Meisten nicht gleich,
wo die Kenntnisse der l/ariin versagen ; sind sie ja alle im zartesten
Alter von den Harim erzogen, und diese hegen und überliefern
allerhand Aberglauben mit viel innigerer Ueberzeugung als ihre dürf-
tige Heilkunst.
Es ist der Islam , die officielle Religion , die alle verschiedenarti-
gen Bestandtheile der in stetem Werden begriffenen mekkanischen
Gesellschaft zusammenbringt und verschmilzt; umgekehrt ist es diese
Gesellschaft selbst, die aus allen Weltgegenden herstammende Vor-
urtheile und abergläubische Anschauungen zu einem chaotischen
Ganzen zusammenschweisst. Der Haupttheil dieser synkretistischen
Aufgabe fällt den Weibern zu; ihre lebhaftere Phantasie macht sie
dazu geneigt, während nur selten genaue Bekanntschaft mit den
heiligen Wissenschaften dieser Neigung entgegen tritt. Dass übrigens
ein bedeutendes Quantum Aberglaube durch Assimilation längst zum
Gemeingut der ganzen muhammedanischen Welt geworden ist, be-
darf wohl kaum der Erwähnung.
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In Mekka gilt der muslimische Westen (Tunisien , Algier, Marokko)
als das Stammland der gröbsten Formen in Mekka eingebürgerten
Aberglaubens ; namentlich die Kunst , seinen Feinden Krankheit und
Unglück jeder Art zu verursachen, soll maghribinisch sein. Als Be-
sitzer wirksamer Zaubermittel und * Äzimah's (religiöser Abwehrmittel)
gegen böse Geister rühmt man ferner die Bewohner der ostindischen
Inselwelt, und man findet den Grund dieser hoch entwickelten Be-
gabung der Djäioah darin , dass ihr Land von jenem menschenfeind-
lichen Gesindel wimmelt , sodass die Bevölkerung Gelegenheit hatte ,
die bösen Streiche der Djinn zu erlernen, und andererseits genöthigt
war, sich in jeder Weise dagegen zu bewaffnen. Dann werden noch
besonders die afrikanischen Sklavinnen und die Inder von den ge-
lehrten Mekkanem dafür verantwortlich gemacht, dass ihre heilige
Stadt auch dem Aberglauben ein Hort ist. Wir hatten aber schon
Gelegenheit auch auf manche Ueberreste altarabischen Heidenthums
hinzuweisen; im Heiligenkultus sowie im vermummten Steinkultus
Hesse sich noch vieles Derartige konstatieren '). Dass nicht aller
Aberglaube von Nichtarabern in Mekka importiert ist, geben übri-
gens die Gelehrten unbedingt zu. Sie wissen ja , dass z. B. der übrigens
sehr orthodox erzogene Hadhramite dem Orte einen gewissen Kul-
tus widmet, wo er.... sein Geld vor fremden Augen versteckt.
Leute, die keine eiserne Schränke besitzen, bewahren in Mekka ihr
Geld unter dem Boden oder in einem eigens dazu in die Wand
gegrabenen Loche , das durch vorgelegte Steine unkenntlich gemacht
wird. Der sparsame Hadhramite glaubt nun , er müsse im Interesse
1) Die Sitte des Steinwerfens hat sich bekanntlich (vergl. mein cMckkaansche Feest”,
S. 161} von Alters her auoh ausserhalb dos Thaies Muna, wo der Islam das Werfen
nach den drei Steinhaufen legalisierte, erhalten. Das vGrab des A bü Lahab” wird auch
heutzutage noch gesteinigt. Auf dem Wege von Djiddah nach Mekka aber, zwischen
Djiddah nach Bahrah, sind zwei Steinhaufen, donen die vorübergehenden Loutc der un-
teren Klassen je ihren Stein hinzufügen. Zur Erklärung dieses Brauches dient jetzt
folgende Lcgonde: Ein Pastetenbäcker in Mekka behauptete im Stande zu sein, eine
Schüssel frisch gebackenes ZaUbija in schnellem Lauf noch heiss nachDjiddah zu bringen,
und setzte dieser kühnen Behauptung nicht einmal das gebotene : »so Gott will” hinzu. So
stürzte er zur Strafe todt nieder, als er an der Stelle ankam, wo jetzt der eino Stein-
haufen sein Grab bezeichnet. Der andere soll sein Dasein einer ähnliohen Geschichte
verdanken, die einem Djiddah'schon Bäcker passierte, als or eine Schüssel Kututfak heiss
nach Mekka bringen wollte. Daher heissen die Haufen resp. it-ZaLibdni und el-Kuuafmi.
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seines Glücks 1° mit dem Betrag der nach und nach hinein geleg-
ten Pfennige unbekannt bleiben, 2° bis er das Ganze herausnimmt,
um etwa ein Geschäft zu eröffnen, dieser Sparbüchse nichts ent-
ziehen. In grosser Noth borgt er lieber von seinen Freunden, als
dass er das Ileiligthum entweihen sollte. Muss er es aber, so nähert
er sich der Wand mit brennendem Weihrauch und Rosenwasser,
nimmt das unentbehrliche Geld mit einer Miene heraus, als stöhle
er, und sagt: »Nimm es nicht übel, mein Herr! nur auf ein paar
Tage, usw.!” Zur verabredeten Zeit erstattet er das Entlehnte mit
einem //Trinkgeld” {Haqq el-qahwah) zurück !
Ein alter Gelehrter war einmal sehr aufgebracht gegen unseren
oben erwähnten Arzt, als dieser die Vermuthung spottend zurück-
wies, es seien Djinn , die allabendlich die Musikbande des Gross-
scherifs mit Steinen bewürfen. Kein Wunder also, dass die unge-
lehrte Masse in jedem ungewöhnlichen Ereigniss , namentlich in
Krankheiten, das Treiben der Geisterwelt erblickt. Die Zuflucht
des Ungebildeten ist in solchen Fällen die Zauberei, deren Wirk-
lichkeit vom Islam anerkannt, deren Ausübung aber verpönt ist;
der gebildete Fromme geht zu mystischen Schechen oder deren Er-
ben, zu Leuten, die von ihren Vorfahren überkommene probate
Heilformeln, Amuletrecepte oder heilkräftige Gegenstände besitzen.
Wenn sieh ein Mekkaner bis aufs Hemd nuszieht (und wegen
der Hitze geschieht dies oft genug), so gewahrt man unter diesem
durchsichtigen Kleidungsstück auf seinem nackten Rücken eine Reihe
von kleinen, buntfarbigen Kissen, die an einem Draht von seiner
Schulter herabhängen. Darin sind ähnliche 1 2 Aziniah' s oder Hidjnb's,
durch Erben von Heiligen präparierte religiöse Beschwörungsformeln
gegen alle Uebel, wie sie die Kinder in silbernen Behältern über
der Kleidung tragen '). Kindern hängt man zu gleichem Zwecke
alte Münzen um, wenn sie nackt gehen, und die Mütter legen
deswegen soviel Werth darauf, dass ihren Kindern auf beiden Wan-
gen die drei Schnitte ( Mcschäli ) J) gemacht werden, weil auch die
1) Vergl. oben S. 57.
2) Irrthiimlich haben einige Schriftsteller dieses Abzeichen des Mckkaners mit dem
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m
gegen das böse Auge schützen sollen. Trägt der Mekkaner am klei-
nen Finger einen glatten, weissmetallenen Ring, so hat ihn dieser
gegen die hier sehr verbreitete Krankheit der Hämorrhoiden geschützt
oder davon geheilt. Ist er trotz aller Fürsorge erkrankt und weiss
die Frau keinen Rath, so versucht man zunächst, die Mächte der
Finstemiss durch Beräucherung des Gemachs mit Mastix ( Mugtaka)
oder ähnlichen Wohlgerüchen zu verscheuchen '), und versäumt dabei
nicht, durch Gelöbnisse den Propheten oder Chadldjah bei der Hei-
lung zu interessieren. Wenn auch dies nicht hilft, so wendet man
sich an einen frommen Schöch , der nach gemachter Diagnose einige
Buchstaben oder Wörter auf ein Stück Papier schreibt und dies zu
verbrennen befiehlt; die Asche muss der Kranke, durch Gebete und
fromme Ausrufe darauf vorbereitet, in Wasser aufgelöst, verschlu-
cken , und dann .... so Allah will ! Es giebt allerdings Bücher , in
denen die »Probata” früherer Scheche zusammengestellt sind *) , aber
die Nachfolger versäumen nicht zu betonen, dass die Formel, das
Papier usw. nur dann nützen , wenn man solches aus der richtigen
Hand empfängt, nachdem der Spender selbst Gebete dazu gespro-
chen hat. Erst wenn die zahllosen Mittel der erwähnten Art er-
schöpft sind, geht der Durchschnittsmekkaner zum Arzte.
Auch die Kinder werden, bis sie das reife Alter erreichen, man-
nigfach durchräuchert , sodass sich schon daraus theil weise die grosse
Sterblichkeit der kleinen Welt erklärt. Unter das Kopfkissen eines
kranken Kindes legt die Mutter 7 Brote (Aqrrig) und wirft diesel-
ben , nachdem das Kind eine Nacht darauf geschlafen , den Hunden
vor, worauf die Heilung zu immer neuem Erstaunen der Mütter. .. .
gewöhnlich ausbleibt. Nach dieser und ähnlichen Enttäuschungen
glaubt man, es müsse das böse Auge das Kind betroffen haben;
seine Amulete seien also wirkungslos geblieben. Als specifisches Mit-
Namen TaschrU bezeichnet ; TatekrU heisst die Handlung des Einschneidens, gleichviel
ob diese zur Anbringung der Mnekäli, oder z. B. als Vorbereitung zum Schröpfen dient.
1) Rationalisten wollen in dieser schwindelerregenden Behandlung ein Mittel gegen
den Schwindel sehen.
3) Eines gewissen Rufs erfreuen sieh die in Cairo mchrfech gedruckten öt^*
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tel gegen das »Auge” gilt die Beräucherung mit einem übelrie-
chenden, Fasüch ') genannten Harz, das man mit einer Handvoll
Salz in einem Kohlenbecken verbrennt; der Bezauberte muss sich
dreimal die Hände räuchern, dreimal das Gesicht und die Füsse,
siebenmal über das Becken hinschreiten, damit der Dampf ihn
gänzlich tränke {jisqih), und dann für das Weitere sein Vertrauen
auf Gott setzen. Viel Lebensfreude wird den Mekkanern durch die
Furcht vor dem '/Auge” genommen. Liegende Güter schützt man
dagegen, indem man etwa eine alte Sandale an deren Grenze oder
Eingang aufhängt. Weil die Person, die mit dem "Auge” behaf-
tet ist, manchmal selbst nicht darum weiss, nimmt man ein frem-
des Kind, einen hübschen. Anderen gehörenden Gegenstand nicht
in die Hände, tritt man zu einer frohen Gesellschaft nicht herein,
ohne vor allen Dingen die neutralisierende Formel: "Was Allah
will, Allah sei gesegnet!” zu sprechen.
Bei Vielen geht aber das böse Auge mit bewusstem Neide zu-
sammen, und die Neider nehmen gegen die Objekte ihrer Miss-
gunst, wenn ihr Auge nicht zur Erreichung der feindseligen Zwecke
genügt, zur Zauberei ihre Zuflucht. A. vergräbt heimlich einen
Zauberzettel unter dem Hause des B. , welches er selbst hätte kau-
fen wollen, damit es durch Feuer zerstört werde; er schreibt my-
stische Zeichen an die Wand des Hauses, wo C. als Ehemann einer
von A. geliebten Frau lebt, damit Feindschaft zwischen den Ehe-
leuten entstehe. Darum ist es rüthlieh, wenn man eine schöne Skla-
vinn gekauft hat, gleich ihren Namen zu ändern, denn der Zau-
ber bezieht sich meistens auf den Namen der Person, und schlägt
dann fehl. Wer ein neues Haus beziehen soll, thut wohl daran,
zunächst die günstige Zeit zu berechnen, was übrigens für alle
wichtigen Handlungen gilt; das hilft jedoch nicht genug, wenn er
nicht vor dem eigentlichen Umzug die Wohnung tüchtig durchräu-
chern und von einigen Füqahli eine Chatmah (den ganzen Qurän)
darin recitieren lässt, denn nur so werden die feindlichen Mächte
1) Vergl. Dozy, Supplement, s. v oti 5. Nach Ansicht des Herrn Dr. Boerlage ist
das von mir mitgebrachte Specimon des Faaflch ein Harz aus einem zu den (icnera
Boswetlia, Balsamodendron oder Canarium gehörenden Baume.
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verjagt. Diese Aufzahlung erlaubter und unerlaubter abergläubi-
scher Brauche der Mekkaner fortzusetzen, hiesse ein Verzeichniss
von Bruchstücken des Wahnglaubens aller muslimischen Länder
geben, die hier durch den Synkretismus Vieles von ihren Eigen-
tümlichkeiten eingebüsst haben. Allein da die Weiber, von denen
wir ausgegangen sind, die oberste Leitung der Bearbeitung dieser
Einfuhrartikel und der Vermischung derselben mit bereits Vorhan-
denem übernehmen, so beansprucht ihr Verkehr mit der Geisterwelt
noch einen Augenblick unsere Aufmerksamkeit ').
Wo cs böse Geister giebt, richtet sich bekanntlich ihr Unwille
in jeder Weise gegen die Mutterfreude. In Mekka suchen sie zu-
nächst die Fruchtbarkeit zu verhindern; daher lassen sich die Wei-
ber, die nach Kindersegen begehren, von einem erprobten //Schech”
ein Band mit überlieferten Formeln beschreiben und »besprechen”,
und holen Vorschriften ein, wie und wann die Beiwohnung statt-
finden soll, um mit Hülfe des um den Bauch gewundenen Gür-
tels die Empfängniss zu ermöglichen. Wenn nun das heissersehnte
Kind , um dessentwillen auch während der Schwangerschaft viel gegen
die Geister gekämpft wurde, zuletzt, von unendlichem Hokuspokus
und vielem Rauch begrüsst, auf die Welt gekommen ist, da fängt
ein neues Leiden an. Den vielen Kinderkrankheiten unterliegt ein
bedeutender Theil der Neugeborenen; besonders wenn sie in der
kühleren Jahreszeit das Lebenslicht erblickten, ist die erste Periode
der Hitze verhängnissvoll und hat man weniger Hoffnung, sie am
Leben zu erhalten, als wenn sie etwa unter der Herrschaft der
Sumbulah 1 2) (der //Jungfrau” der Thierkreises) geboren werden. Na-
mentlich die Kinder fremder Mütter haben einen harten Kampf
durchzumachen; ich habe viele abyssinische Sklavinnen gekannt, die
5 — 10 Kinder gleichsam dem Grabe geboren, wenige, die eine
solche Zahl grossgezogen hatten. Häufig fehlt es den Müttern an
Milch oder ist diese wenigstens nicht nahrhaft genug. Wer verur-
1) Flüchtig wurde dioser Gegenstand bereits von mir besprochen in den Verhandll.
der Berliner Ges. f. Erdk., Bd. XIV, S. 152 — 3.
2) Vergl. Mekk. Sprichw,, 8. 116 f.
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sacht nun alle diese Uebel? Es ist die TJmm cf-pibjän '), alias
Qarinah-, die weiblichen Ungeheuer, welche diesen Namen tragen,
gönnen der Mutter ihre Freude niemals und fahren bald auf die
Kinder selbst los, bald entziehen sie der Mutter die Nahrung. In
solchen Fallen greift man um so eher nach Beschwörung oder Zau-
berei, weil wirklich die Kunst der Aerzte nichts dagegen vermag;
ist doch das gewöhnlich von ihnen anempfohlene Mittel zur Stil-
lung der vor Hunger schreienden Säuglinge eine Mischung, worin
dem Mohn1 * 3) die Hauptrolle zufällt; diese muss die Mutter ein-
nehmen, und das Kind wird dann etwas ruhiger, bis es stirbt!
Ein anderes Geschlecht von Geistern, das nahezu allen Weibern
viel zu schaffen macht, sind die Zar s) ; der Kampf mit den Zur
zeigt zugleich die trübsten und die heitersten Seiten des Lebens
der Mekkanerinnen. Die echten Zar heissen in unserer profanen
Sprache theils gewisse Formen des Irrsinns, theils hysterische An-
fälle; wer heutzutage »einen Zar hat”, wäre wohl im alten Arabien
gewöhnlich Medjniin genannt worden. Jetzt heisst Medjnün eher »ver-
rückt”, ohne dass man dabei gleich an die Wirkung von Geistern
denkt. Von Jugend an hören die Weiber" soviel von den Zar er-
zählen, dass die bezeichneten Krankheiten, wenn sie bei ihnen auf-
treten, meistens die Form der Herrschaft eines Zar über den Wil-
len des Individuums annehmen. Bald macht sich diese Herrschaft
dadurch geltend, dass die Frau zu gewissen Zeiten zu Boden ge-
worfen wird und stundenlang mit Körperzuckungen daliegt; bald
scheint sie an einer bekannten Krankheit zu leiden, die aber dann
und wann plötzlich von ihr weicht und nur die blasse Farbe und
die weit aufgesperrten Augen übrig lässt; bald ist die Leidende wäh-
1) Für ein ziemliches Alter dieses W orten , das eigentlich » Mutier der Knaben (Kin-
der)" heisst, spricht der Umstand, dass Qihjdn weder in dieser Form noch in die-
ser Bedeutung der lebenden Sprache angehört; diese kennt nur Qibi, Plur. (Jubjdn in
der Bedeutung »freier Lohndiencr”. Frei, aber richtig kann mau Umm e( -Cib/an durch
„die (Feindinn) der Kinder" übersetzen; die Malaien übersetzen das Wort mit ihrem
Ptmtianak,
9) llabbkl en-nöm oder Bier el-ekitckekruck genannt ; auch dio den Mohnsamen umschlies-
senden Hülsen (Qisekr el-ckitekduUek) finden in der Medizin Verwendung.
3) Das Wort weiss ich nicht zu erklären; es ist auf keinen Fall arabisch, bildet
auch im Arabischen keine Ableitungen und seltsamerweise nicht einmal einon Plural
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rend der Anfalle wie wild und wüthend. Gelehrte, Aerzte und über-
haupt die meisten Männer sind immer geneigt, entweder Arznei-
mittel oder religiöse Beschwörung der teuflischen Macht anzuwenden ;
weibliche Verwandte und Freundinnen dagegen rathen unbedingt , ein
im Verkehre mit den Zär geübtes älteres Weib , eine Schachet ez-Zar
herbeizurufen, und sie besiegen am Ende allen Widerstand.
Bei allen in Mekka vertretenen Nationen kommen Zär vor , denn ,
wenn sie gleich zu Hause anders genannt wurden, so nehmen sie
doch hier bald den landesüblichen Namen an. Dennoch bleiben
nationale Unterschiede bestehen, die auch in der Behandlung zu
berücksichtigen sind. Es giebt z. B. eine maghribinische , eine suda-
nesische, eine abyssinische , eine türkische Austreibung der Zär,
die eigentlich nur je in bestimmten Fällen anwendbar sein sollen,
aber es lässt sich nicht leugnen, dass die Prüfung der Nationalität
des Zär fast immer die herbeigerufene ScAechah zu dem Resultate
führt, dass ihre Methode hier die richtige sei. Die ScAechah befragt
nicht die Kranke selbst, sondern den Zär1), der in ihrem Körper
haust; es kommt vor, dass die Unterhaltung in gewöhnlicher Rede
stattfindet und somit von den Umstehenden verstanden wird , häufig
aber bedienen sich die Redenden der Z«r-sprache , aus der kein
Mensch klug wird ohne die Interpretation der ScAechah. Im Grunde
genommen bieten die Resultate solcher Gespräche nur wenig Ab-
wechslung dar. Auf die wiederholte Bitte der ScAechah erklärt sich
der Zär bereit, an einem bestimmten Tage mit den üblichen Ce-
remonien auszufahren, wenn inzwischen einige von ihm gestellte
Bedingungen erfüllt sind Er fordert ein schönes, neues Gewand,
goldene oder silberne Schmucksachen und dergleichen ; weil er sich
selbst aber menschlicher Wahrnehmung entzieht, kann man seinem
Wunsche nur dadurch Folge leisten, dass man dem kranken Kör-
per, den er bewohnt, die bezeichnetcn Sachen schenkt. Auch ist
es rührend, zu sehen, wie diese bösen Geister dem Alter, dem Ge-
schmack oder den Bedürfnissen der Besessenen Rechnung tragen.
Am Tage, wo der Auszug stattfinden soll, kommen die dazu ein-
X) Welchem Geschlecht die Zär selbst angehören, darüber ist man im Unklaren; sie
lassen aber die Männer gewöhnlich unbehelligt.
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geladenen Freundinnen der Kranken Nachmittags oder Abends zu
ihr und werden mit Kaffee, Thee, Pfeifen, manchmal auch mit
Speisen bewirthet; die Schec/tah und ihre Sklavinnen, die mit Trom-
melschlag und einer Art Gesang deren Handlungen begleiten müs-
sen, geniessen mit und bereiten sich auf die Arbeit vor.
Es ist leicht abzusehen, dass diese Arbeit in den wenigsten Fäl-
len zur Austreibung echter Zär dient; schöne Kleider und Gesell-
schaften sind den mekkanischen Damen über Alles lieb, und sie
sind schlau genug, die Rollen des Zär und der Besessenen zugleich
zu spielen; diese Krankheitskomödie ist aber zu einer wahren en-
demischen Krankheit geworden. Man müsste eine Frau von allem
Verkehr mit andern Frauen abhalten, um sie gegen die Ansteckung
zu schützen. Ganz so wie es heisst: »ich muss Morgen zur Hoch-
zeit der N. N.”, heisst es an einem andern Tage: »ich gehe zur N.
N. , denn bei ihr giebt es heute Abend Zär *)”, ja einige geben
ohne Zurückhaltung selbst die Komödie auf und sagen zu ihrem
Manne: »Es ist höchste Zeit, dass ich einmal einen Zär gebe, denn
wich habe schon soviele bei meinen Freundinnen mitgemacht”. Was
helfen ihm alle Einwendungen, wie soll er von seinem gesetzlichen
Rechte , der Frau das Ausgehen zu verbieten , Gebrauch machen ,
da er doch weiss, dass sich die Frau nach der Weigerung wie eine
Wahnsinnige aufführen wird, bis er nachgiebt oder sie verstösst?
Und was nützt wieder das Verstossen, da er nicht umhin kann,
eine Andere zu heirathen, die ebenfalls nach kurzer Zeit den Zär
anmeldet P Der Zär gehört nun einmal ebensosehr zu den Lebens-
bedürfnissen der meisten Weiber wie der Taback oder wie die gol-
denen oder vergoldeten Borten ihrer Beinkleider.
Der oben erwähnte Arzt hatte allerdings ein kräftiges specifisches
Mittel gegen den Zär entdeckt: als eine junge Frau, kurz nachdem
er sie geheirathet , sich etwas eigentümlich aufführte und heimlich
Besuche einer Schechet ez-Zär empfing, richtete er es so ein, dass
er der Schechah auf der Treppe seiner Wohnung begegnete, zwang
1) Die Gesellschaft, die man anlässig der Austreibung veranstaltet, wird mit dem-
selben Namen bezeichnet wie der böse Geist selbst.
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sie gegen alle //anwgesetze , sich zu erkennen zu geben und drohte
ihr den Tod, wenn sie sich noch einmal hier zeige. Dann ging er
zu seiner Frau, die eben wieder einen kleinen Anfall hatte, und
sagte ihr , sie habe augenscheinlich den Zär , er wolle ihn also gleich
gründlich austreiben. Er liess ein Kohlenbecken heraufbringen , machte
sein Brenneisen glühend und brummte unterdessen vor sich hin,
die Teufel seien aus Feuer erschaffen und daher nur durch Feuer
zu bekämpfen; das Schwierige sei, die Stelle der Haut ausfindig zu
machen, unter der sie eben hausten, und bis man die gefunden
habe, müsse man die ganze Oberfläche des Körpers mit dem Mekwa
berühren. Die Frau war schon vor dem Anfang der Kur wiederherge-
stellt und bat ihren Gatten um Verzeihung, glaubte auch ver-
sichern zu können , der Zur habe sich endgültig verabschiedet ').
Das sind aber Ausnahmefalle; die wenigsten Männer wagen es, so
energisch einzuschreiten, da die meisten Frauen gleich davonlaufen
oder aber den Leumund ihrer Gatten mit allen Mitteln zerstören
würden.
Nicht weniger als das Auftreten des Zar selbst ist auch dessen
Austreibung theilweise zur Komödie geworden; aus diesem Grunde
1) Unser Arzt wusste dennoch selbst dom Aberglauben eine ergiebige Seite abzuge-
winnen: wenn irgendwo gestohlen war, oh nedass man den Dieb ausfindig machen konnte,
kamen die Bestohlenen manchmal zu ihm und gaben ihm ein üoschenk, damit er die
von ihm ererbte ' Azimah anwendo. Diese bestand darin, dass an ein seidenes Tuch,
worin ein alter Qurän eingewickelt war, ein Schlüssel befestigt wurde; die Enden des
Sohlüssels hoben der Arzt und einer seiner Söhne mit den Spitzen ihrer Zeigefinger so
empor, dass der Quran daran aufgehängt frei schwebte. Nun legte er die Zettel, auf
deren jeden der Name eines Verdächtigen geschrieben war, nach einander in den Qu-
ran und recitierte dann jedes Mal soine gcheimnissvolle Formel; wenn der Schlüssel
anfing, sich zu drehen, so war der eben im Quran befindliche Name der des Schul-
digen. Weil aber die Bestohlenen vorher die Namen der Verdächtigen selbst diktieren
mussten, hatte der schlaue Arzt genug Gelegenheit, sich über den Vorgang eine wahr-
scheinliche Ansicht zu bilden , und danach richtete sich . . . der Schlüssel. Oft kamen die
Leute, denen die 'Azimah Sicherheit verschafft hatte, einige Tage später enttäuscht zu-
rück, weil die üukumak (die Behörden) ihre Mittheilung mit Gelächter aufgenommen
hatte und daraufhin nicht einschreitcn wollte. Dann antwortete der Arzt, dies sei voll-
kommen richtig, man habe ja derlei Entdeckungen bloss privatim zu verwerthon.
Einmal ergab sich aus der * Azimah , dass des Arztes eigner Neffe, ein Mu’eddü i, seiner
Mutter etwas entwendet habe, und gestand dieser darauf reumiithig. Auch der Magne-
tismus und Somnambulismus ( dharb U-mandZt) wurden von dem Arzte mit staunener-
regendem Erfolge betrieben.
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sowie durch den Synkretismus tritt uns die Entzauberung in Mekka
als ein Mischmasch verschiedenen Spuks mit willkürlichen Zutha-
ten entgegen. Die Leidende zieht die vom Zär ausbedungenen Klei-
der an; die Sklavinnen der Schechah trommeln ihren eigentüm-
lichen Zaubermarsch , den auch eiu wenig geübtes Ohr gleich von
jeder anderen Trommelmusik unterscheidet; die Schechah betastet
nach den Regeln der Kunst den besessenen Körper. Allerlei son-
derbare Bräuche kommen hinzu , die das heidnische Spiel den from-
men Gelehrten noch anstössiger machen: z. B. wird ein Hammel
geschlachtet, und mit dessen Blut werden die Stirn und andere
Körperteile der Kranken bestrichen. Wie die Entzauberung sich
nach aussen wahrnehmbar machen soll, steht bei jeder Methode
der Behandlung im Voraus fest; die Besessene muss etwa tanzen,
den Körper hin- und herwerfen oder in Ohnmacht fallen, und so
kommt der Zeitpunkt, wo die summende Schechah aussagt, der
Zar sei ausgefahren. Es kommt vor, dass das erst in der zweiten
oder dritten Nacht geschieht — desto grösser ist die Freude der
Gesellschafterinnen. Auch theilt sich in gewissen Fällen die Tanz-
wuth den Versammelten mit , eine Erscheinung , worin wieder wenig
echte Ansteckung mit vielem Scherz vermischt ist. Eine junge Frau,
die diesen Dingen sehr abgeneigt war, erzählte mir, sie sei manch-
mal in solchen Gesellschaften allein oder mit nur ein paar Genoss-
innen von der »Ansteckung” frei geblieben , und die Uebrigen hät-
ten dann spottend gesagt: »Wie? hast du noch nicht den Zär be-
kommen ?”
Es ist gar keine Seltenheit, dass alles Glück und sogar das Ver-
mögen einer zu der mittleren Klasse gehörenden Familie den Zär
zum Opfer fallen. Hinter diesem allgemein verbreiteten Uebel tritt
der Glaube , dass gewisse Häuser bezaubert ') (jneskün) seien , die
1) Die Gespenster, die solche Wohnungen unheimlich machen, heissen &ikm, Plur.
SMä». Beispielsweise erwähnen wir hier noch die ziomüeh verbreitete Anschauung,
dass wenn Einer nach verrichtetem Qaliit »einen »Gcbetsteppieh” nicht gleich zusam-
mcnfaltet , der Teufel seinen Platz einnehme und dort seine Andacht verrichte. Zu den
Mitteln, deren sich die Weiber bedienen, um Sicherheit über Zukünftiges oder sonst
Unbekanntes zu erlangen, gehört Folgendes: Im Hammelfleisch suchen sie ein Knö-
chelchen, das ungefähr die Form des oberen Daumongliedes zeigt; dies reinigen sie.
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Furcht vor allerhand gefährlichen, unsichtbaren Geschöpfen und
ähnlicher beunruhigender Aberglaube gänzlich zurück.
Auf dein Gebiete der praktischen Heilkunst thun sich jedoch die
Weiber durch eine Fertigkeit hervor, welche die Männer geneigt
macht, die Dürftigkeit ihrer Hausapotheke und das Unheil, das
ihr Aberglaube verursacht, etwas nachsichtiger zu beurtheilen. Es
ist das Tikbu , die Massage. Diese, in Europa neuerdings zu hö-
herem Ansehen gelangte Heilmethode wird in Arabien von jeher,
freilich ohne wissenschaftliche Grundlage, aller mit manchmal stau-
nenswerthem Erfolge betrieben. Abends pflegen gewerbsmässige '/Kne-
ter” indischer Herkunft durch die Strassen zu gehen und durch den
Ausruf: Kabüäüt ! die in den Kaffeehäusern und in den Vorhallen
der Häuser sitzenden Männer einzuladen, von ihren Diensten Ge-
brauch zu machen. Leute, die geistig oder körperlich etwas über-
spannt sind, unterziehen sich ihrem Takbis , der im Anfang nicht
sehr angenehm empfunden, allmählich seine wolthuende Wirkung
zeigt und schliesslich das Gefühl vollständiger Erholung hervorruft.
Ausser diesen Berufsknetern ist aber nahezu jede Frau, Freie oder
Sklavinn, in der Kunst bewandert, und viele Männer sind der-
maassen an die Massage gewöhnt, dass sie ohne vorhergehendes
Takbis kaum einschlafen. In manchem Hause massiert die Sklavinn
ihre Herrinn, und diese wieder ihren Gemahl, während die Skla-
vinnen und jungen Mädchen sich auch gegenseitig diesen Dienst
erweisen. Will Einer, der mit einer Frau ziemlich frei verkehrt,
sie zu unerlaubten Dingen verführen, so ist eine gewöhnliche Ein-
leitung seine Bitte : //Bei Allah , mir ist nicht wohl , massiere mich 1” ')
umhüllen cs mit Tuch und bewahren es bis zur Nacht des Samstags. Dann leiern sie
eine Formel ab, die mit den Worten: jd tabt jd tab/mlah anfängt, legen das Ding unter
ihr Kopfkissen und schlafen in der sicheren Hoffnung ein, das ihnen ein bedeutungs-
voller, »ufklärender Traum zu Theil wird.
1) Mit Weibern , die in benachbarten Häusern wohnen und die der Nachbar nur
ans der Ferne sohen kann , verständigt er sich durch eine ziemlich eingebildete Finger-
und Ueberdensprache, die fest Alle verstehen. Sie bietet den Vortheil, dass eine keusche
Frau dadurch keine Gelegenheit hat, sieh über die ihr gemachten Vorschläge zu be-
schweren , denn der Mann würde immer leugnen und sich darüber erstaunt zeigen, dass
die Frau aus unwillkürlichen Bewegungon seiner Hände so unanständige Dinge horaue-
golcsen habe.
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Nicht bloss gegen die im mekkanischcn Klima so häufige allge-
meine Erschlaffung, auch gegen organische Schmerzen wirkt die
Knetung heilsam oder wenigstens zeitweilig lindernd; ich habe Fälle
gesehen , wo Leute , deren Gesicht durch heftiges Zahnweh sehr ge-
schwollen war , nach lokalem Takbw einige Stunden der Ruhe genossen.
Endlich suchen die Damen immer fleissig ihre Kenntnisse zu ver-
mehren bezüglich der Mittel, die ihre weiblichen Reize erhöhen.
Diese Mittel sind zweierlei •• solche , die das Aeussere anziehend
machen ') und die also zum Resort der berufsmässigen »Putzerin-
nen” gehören, und solche, die im engeren Sinn den sexuellen Ge-
nuss zu erhöhen bestimmt sind J). Ueber diese lassen sie sich von
den Hebammen belehren, die sich auch sonst mit verschiedenen
anderen Dingen ausser der Geburtshülfe abgeben. Weil wenigstens
die Hälfte der hier geschlossenen Ehen nur lockere Konkubinate sind ,
bei denen von vorne herein die Auflösung nach einiger Zeit als
regelrecht gilt, kommt es häufig vor, dass beide Parteien etwaigen
bleibenden Folgen des Zusammenlebens zu entweichen wünschen.
Tn solchen Ehen sowie bei Sklavinnen in sehr grossen Häusern,
wo die Thür zum unerlaubten Verkehr mit andern Sklaven oder
fremden Freien allzuweit offensteht, tritt häufig eine ganz uner-
wünschte Schwangerschaft ein. Künstlich bewirkter Abortus wird
von den kanonischen Autoritäten verschieden beurtheilt, sofern er
vor dem Ende des 4'*”! Monats geschieht; später verpönen alle den-
selben. Die Dfijah's (Hebammen) nehmen jedoch keinen Anstand,
zu jeder Zeit die Frucht *) abzutreiben. Starke Negerinnen helfen
1) Die kosmetischen Mittel sowie deren Anwendung sind im Gänsen die nhmlichen,
welche Lane »Männere and Customs of the modern Egyptians" so genau und einge-
hend beschrieben hat, dass wir einfach auf seine Darstellung verweisen.
2) Beispielsweise sei erwähnt, dass die Weiber etwa zwölf Stunden lang einen Gail-
O O «
apfel (Ju (jatc) im Uterus tragen zur Förderung der »Trockenheit”; das Urtheil der
Mekkancr über dorart Reise wird von den Wohilüstlingcn häufig so zusammengefasst ;
gleichgültig ist es an sieh, ob ein Weib alt, jung, wunderschön oder nur leidlich, ob
sie Jungfrau sei oder nicht, wenn nur ei» Körpcrtheil folgonde drei Eigenschaften be-
sitzt : jeku» harr , ndtchif wenadhtf.
3) Diese heisst gewöhnlich Bi:rak, mit welchem Namen man auch ganz kleine Kinder
bezeichnet; der Plural Beznrak (Bueirah) bezeichnet alle Kinder im Alter, wo sie sich
noch an Kinderspielen ergötzen.
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sich wohl selbst durch wiederholtes Kopfüberstürzen ; feiner organi-
sierte Weiber werden von der Däjah mit Arzneimitteln behandelt,
die sie meistens in den Uterus bringen. Sklavinnen des Buchsta-
bens des Gesetzes und abergläubisch , wie sie sind , wenden sie die
Mittel nie am Freitagabend an, weil die Handlung dann doppelt
haräm wäre; nachdem die Medikamente ihre Wirkung gethan, geht
die Frau in die Moschee und vertheilt als Sühnopfer einige Brote
an die Bettler des Haram ').
Es versteht sich also , dass nach Präservativen gegen die Frucht-
barkeit eine viel lebhaftere Nachfrage ist als nach den oben bespro-
chenen Mitteln zur Förderung derselben. Einige von jenen werden
von Aerzten verkauft und von den Männern angewendet *); die meisten
werden aber von den Dfijah's an derselben Stelle eiugeführt wie
die Abortus hervorrufenden Mittel. Des Erfolgs ihrer Behandlung
sind die Hebammen so sicher, dass sie gewöhnlich Kontrakte ab-
schliessen , worin sie sich zur Rückerstattung des Preises verpflich-
ten , falls die Medikamente nicht die gewünschte Wirkung thun
sollten. Jede von ihnen hat ihre eigenen Mittel, deren Zusammen-
setzung ihr Geheimniss bleibt, welches sie nur ihren Sklavinnen
mittheilt; durch eine Behandlung wird Unfruchtbarkeit auf eine
ungefähr bestimmte Zeit (1 , 2 , 3 Jahre) erzielt *) , durch die andere
soll die Schwangerschaft auf immer unmöglich werden').
Die im Vorstehenden berührten Gegenstände bilden unter Mek-
kanern, die einigermaassen mit einander bekannt sind, die Hälfte
des Inhalts ihrer täglichen Gespräche, und zwar nicht bloss im
Allgemeinen , sondern auch so , dass jeder seine intimsten Erfahrun-
gen vorbringt. Es ist daher ganz falsch , wenn Europäer manchmal
1) Djarrdrtn und andere Bettler sind immer im Haram, auch weil dort häufig Brot-
verthcilu ngen stattfinden, zu denen fromme Leute sich durch Gelübde oder sonstwie
verpflichtet haben. Sobald ein Diener mit einem Brett voll Brote in die Moschee ein-
tritt, umgeben ihn von allen Seiten die Schahhdtxn und raufen sich um die Beute wie
die Hunde. — Jüü
2) Sunt piluhie in oblongam fornuun redactac, quas ante coitum in glandem penis in-
troducunt.
3) Solche auf eine gewisse Zeit berechnete Präservative nennt man Tatfnrah.
4) Die Frau sagt in dem Fall, sie wünsche gänzlich zur ßaghlah (Mauleselilm) ge-
macht zu werden.
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behaupten, die Muslime seien mit Allem, was sich auf die Horim
bezieht, geheimthuerisch ; bei ihnen werden im Gegentheil ohne
Zurückhaltung zwischen Freunden , und sogar von Viitera im Beisein
der Söhne, zum sexuellen Leben gehörende Dinge besprochen, die
bei uns der Mann höchstens seinem Arzte mittheilen oder die er
aus Rücksicht gegen die Frau auch diesem verschweigen würde.
Der Muslim vermeidet ängstlich solche Gespräche, die irgendwie
zu unerwünschten Beziehungen Anderer zu seinen Frauen Anlass
bieten könnten, und in der Hinsicht ist er natürlich peinlicher und
ängstlicher als der Europäer. Während nun aber aus diesem Grunde
die Grenze zwischen verbotenem und erlaubtem Gebiete im Gespräche
anders gezogen wird als bei uns, ist der Umfang des Erlaubten bei
den Muslimen entschieden grösser. Die falschen Eindrücke europäi-
scher Reisenden stammen gerade aus der Verschiedenheit jener Grenze
her ; der Muhammedaner weiss , dass der Europäer über Anstand und
Sittlichkeit bezüglich der Eheverhältnisse ganz andere Begriffe hat als
er und vermeidet daher, diese Dinge mit ihm zu besprechen, ganz
wie bei uns häufig zwischen Leuten verschiedener Religion die
Unterhaltung stockt, sobald von himmlischen Dingen die Rede ist.
Ist also die mekkanische Ehe in den meisten Fällen nach unserer
Anschauung einem Konkubinat gleichzusetzen, so gelten auf der
anderen Seite viele Verbindungen, die einer europäischen Ehe am
nächsten kommen, in Mekka als Konkubinat. Wenn der Mekkaner
sich offen ausspricht, wird er eingestehen, dass sein Herz kaum
einer Mekkanerinn, wohl aber einer Sklavinn angehören kann. Ein
unvorsichtiger Mann sprach sich mir gegenüber einmal mit wahrer
Begeisterung in dem Sinne aus, während seine Gattinn im nebenlie-
genden Zimmer auf- und abging; als sie dann nervös zu husten anfing ,
änderte er seinen Ton, und meinte, das alles gelte nur relativ, und
es gebe nichts Kostbareres als die »Töchter der Leute ')”. Das war
aber nur Heuchelei, die nicht einmal die Frau missverstand.
Die physischen Vorzüge der Sklavinnen sind hier allgemein an-
1) Bin! «*-*<£» heisat in Mokka die freigeborene Frau ala solche: walad en-rnU der
freigeboreno Mann.
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erkannt; und zwar besitzen sie die drei beliebtesten Eigenschaften')
in höheren Grade, je dunkler ihre Hautfarbe. Ich habe einen stein-
reichen Mann gekannt, der an HarTm sowie überhaupt fast haben
konnte, was er immer wollte; den habe ich in Thränen schwim-
mend gefunden, weil ihm eine kürzlich von ihm gekaufte pech-
schwarze Negerinn zwar in allen Dingen willfahren wollte, nur in
dem einen nicht. Und da gilt bei anständigen Leuten der Grund-
satz: Alles geht mit Zwang, ausser dem Einen. Der oben *) erwähnte,
pechschwarze Sohn des reichen indischen Kaufmanns war die Frucht
einer glücklicheren Neigung dieses Mannes zu seinem schwarzen
Küchenmädchen. Kura, in rein sexueller Hinsicht sind alle Mek-
kaner des Lobes der Töchter Harns voll. Allein die niedrige Bildungs-
stufe und gewisse Eigenthümliehkeiten des Negercharakters setzen
solcher Neigung doch nach einiger Zeit ein Ziel. Die Negerinn , welche
die Lust ihres Herrn erregte, profitiert zwar gewöhnlich ihr ganzes
Leben davon, denn jede Schwangerschaft macht die Sklavinn un-
veräusserlich und nach dem Tode ihres Herrn frei, aber einer Ehe
ähnelt dies Konkubinat keineswegs.
Mag der Mekkaner bisweilen Mekkanerinncn nachjagen und sich
in Negerinnen vemarren, schwärmen thut er nur für die Hubiisch
(Abyssinierinnen) s). Wenn der gewöhnliche Mekkaner seinem Gelüste
ganz folgte, so verbände er sich nur mit Abyssinierinnen; es ge-
hört aber zum Anstand, dass sich Einer wenigstens einmal im Leben
mit einer Freigebomen verheirathet , und die geringen Leute kön-
nen zwar ein paar Dollars als Heirathsgabe für eine Gattinn, nicht
aber 100 — 200 für eine Sklavinn auftreiben. Es kommt darauf an,
dass man sich entweder selbst eine Sklavinn von Jugend an erzieht
oder dass man eine aus gutem Hause erwirbt. Vornehme ältere Damen ,
namentlich die als Bint camm die Herrinnen des Hauses, nicht
aber des Herzens ihrer Gatten sind, kaufen sich gern mehrere ganz
l) harr wcnaMchif wenadhif. 2) S. 14, Aiun. 2.
3) Unter diesen Sklavinnen ist die Geschichte der Verfluchung Ham ’s als Ursprung
der Sklaverei in mehreren korrumpierten Formen gang und gäbe; sehr verbreitet ist
aber die allzu naive Erzählung, als Adam und Eva im Paradiese nackt umhergingen,
hätten von allen anwesenden Mädchen nur die IjMteh und einige Negerinnen sic aus-
gelacht, und darob seien sic zur Sklavenrasse geworden!
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junge Mädchen, um sich mit deren Erziehung zu beschäftigen. Sie
schicken dieselben in die Schule, lassen ihnen Unterricht im Weben,
Sticken usw. ertheilen und behandeln sie, als wären sie ihre Töch-
ter. Wenn so einige zusammen aufgewachsen sind , entstehen nach
und nach zwischen ihnen Misshelligkeiten, und die Ilerrinn sieht,
es werde Zeit, für diese und jene eine Stellung zu suchen. Eine
gute Stellung für eine Abyssinicrinn ist das Konkubinat mit einem
guten Herrn. Diese Mädchen selbst ziehen gewöhnlich ein vorneh-
mes Haus vor, weil sie dort viele Genossinnen und somit ein fro-
hes Leben voll Abwechselung haben, aber auf die Dauer ist ihr
Schicksal glücklicher, wenn sie einen Herrn finden, der etwa eine
ältere Gattinn und sonst nur dienende Sklaven oder Sklavinnen hat.
Bei dem kleinen Mann, der gerade genug hat, eine Habaschijjeh
zu kaufen und zu unterhalten , muss sie die Stelle der Gattinn und
der Werksklavinn zugleich vertreten, und das wird ihr in diesem
Klima zu schwer. Führt ihr Herr sie in das Haus einer Gattinn,
die noch Ansprüche erhebt, so tritt der Hagar eine manchmal sehr
grausame Sara entgegen, und muss die Sklavinn jedesmal Schlim-
mes fürchten, wenn der Herr die Wohnung verlässt. Darum mie-
then solche Herren für ihre Konkubine wohl eine kleine separate
Wohnung, damit die Bint camm nichts davon erfahre. Nur in grös-
seren Häusern muss die Gattinn in dieser Hinsicht tolerant sein;
dort theilen sich die Mädchen in allerhand Arbeit, und schon die
Raumverhältnisse entziehen die Liebschaften des Herrn jeder Kon-
trolle der Frau. Mag nun das Verhiiltniss des Herrn mit einer von
den vielen Djatcär noch so flüchtig sein, so vertrüge es sich der
öffentlichen Meinung nach nicht mit seinem Wohlstände, wenn er
sie nachher veräusserte.
Eine Sklavinn, die der Herr sich nicht von Kind an selbst er-
zieht, kauft er niemals als Jungfrau, wenn sie gleich vorher noch
keine »Stellung” gehabt hat. Ihr Besitzer oder ein Verwandter ihrer
Besitzerinn entjungfert sie, wenn sie das Alter (12 — 14 Jahre) dazu
hat, und der Käufer würde es misstrauisch aufnehmen, wenn dies
nicht stattgefunden hätte. Nun darf zwar ein Mann keiner Sklavinn ,
die ihm nicht selbst gehört , beiwohnen , und in allen anderen Fäl-
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len werden Uebertretungen dieses Gesetzes auch praktisch als schwere
Vergehen betrachtet; so herrscht in der Beziehung strenge Scheidung
zwischen den Sklavinnen der Frau und denen des Mannes, und in
gewöhnlichen Familien sucht die Gattinn, wenn sie selbst ihre
Dienerschaft kauft, vorzugsweise hässliche Sklavinnen, damit der
Mann keiner Verführung ausgesetzt sei. Für den Fall der von einer
weiblichen Herrinn erzogenen Sklavinn macht man aber eine Aus-
nahme; oder man hilft sich mit der Fiktion aus, als schenkte jene
ihr Mädchen ihrem Sohne, Vetter, Nefien oder dergleichen, und
bekäme dasselbe am nächsten Tage von ihm zurück.
Auch in anderen Stücken wird das heilige Gesetz über das Kon-
kubinat vielfach übertreten. So sollte bekanntlich , wer] eine Konku-
bine gekauft hat, einen gewissen Zeitraum verfliessen lassen, bevor
er ihr beiwohnte, damit keine Unsicherheit über die Abstammung
von Kindern möglich sei. Diese Bestimmung ist aber eingestande-
nermaassen den Mekkanern allzu schwer; es ist schon viel, wenn
sie 2 — 3 Tage warten, während doch die Uebertretung der mit
gleichem Zweck gemilchten Bestimmungen über die c Iddah der Frau
zwischen zwei Ehen auch praktisch als Unzucht gilt. Ferner kommt
es vor, dass die Harmonie zwischen dem Herrn und der Konkubine
auf die Dauer viel zu wünschen übrig lässt, das Band aber wegen
eingetretener Schwangerschaft schon unlösbar ist. In solchem Falle
sollte der Mann sic freilassen, damit sie später eine Ehe eingehen
könne; nur Schelme verleugnen ihr Kind zu dem Zweck, die Skla-
vinn wieder verkaufen zu können. Gar nicht selten findet jedoch
die Verleugnung auf die dringende Bitte des Mädchens statt; wenn
sie sich verheirathet, ist sie täglich der Gefahr eines Taläq (Ver-
stossung) ausgesetzt und käme sie vielleicht in schwierige Lage. Sie
zieht es daher in ihrem eignen Interesse vor, solange Sklavinn zu
bleiben, bis sie einen sympathischen Herrn gefunden und dieser
Kinder mit ihr erzeugt hat. Daher sind die Konkubinen oft bereit
oder geneigt zur Bewirkung einer Tagbirah '), dagegen selten zur
Herstellung gänzlicher Unfruchtbarkeit.
1) Oben S. 131, Anm. 3.
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Der schwarzen Sklavinn höchstes Ideal ist, je nach Umständen,
in einem guten Ilause zu arbeiten, solange ihre Kräfte es gestat-
ten, da sie dann in höherem Alter liebevoll verpflegt wird; die
flüchtige Neigung ihres Herrn auf sich zu ziehen, wodurch ihr
im Falle der Schwangerschaft ein ziemlich glückliches Dasein gesi-
chert ist; einem Freigelassenen zur Frau gegeben zu werden, wo-
durch sie Gelegenheit bekommt, sich eine selbständige Stellung
zu erringen, oder endlich von einem anderen Freien geheirathet zu
werden, ein Fall, der häufiger eintritt, als man vielleicht erwarten
sollte.
Die Abyssinierinn steckt sich als Ziel die bleibende Verbindung
mit einem Mekkaner , dem sie , wenn ihre guten intellektuellen und
moralischen Anlagen durch die Erziehung nicht verdorben sind,
zur wahren Lebensgefahrtinn wird. Hat sie doch nicht, wie die
Gattinn, Interessen, deren Verfolgung den Wünschen des Mannes
zuwiderläuft, sind ihr alle Gedanken der Ausbeutung fremd; ihr
höchster Wunsch ist ja, den Mann an sich zu fesseln, ihm ein glück-
liches Daheim zu bereiten. Die gut erzogenen Hubüsch sind tüch-
tige Haushälterinnen, keusche, anspruchslose Frauen, und sie ver-
werthen ihre guten Eigenschaften nur zum Wohl ihrer Herren.
Am klarsten zeugen für ihre Werthschätzung von Seiten der Mekka-
ner die zahlreichen Fälle, wo eine Abyssinierinn ihrem Herrn 5 —
12 Kinder geboren hat, und die Kinder sind wieder die besten
Bürgen der Fortdauer ihres Glücks. Mutter eines oder mehrerer Mek-
kaner, gehört sie der mekkanischen Gesellschaft als faktisch freies
Mitglied an, wenngleich nominell ihre Sklaverei fortwährt. Wenn
der Herr sie freilässt , so verheirathet sie sich nur so , dass ihre Selb-
ständigkeit der einer freigebomen Mekkanerinn gleichkommt, und
wie diese im Nothfall zu ihren Verwandten flüchtet, so findet sie
eine sichere Zuflucht bei ihren Kindern. Theoretisch stehen diese
Kinder den von freien Müttern geborenen in jeder Hinsicht gleich ;
praktisch sind die Fälle ihrer Bevorzugung von Seiten der Väter
unbedingt häufiger als die ihrer Zurücksetzung. Im Ganzen kann
man sagen, dass in jeder wohlhabenden Familie Söhne von bei-
derlei Müttern, Freien und Sklavinnen, vertreten sind, weder äus-
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serlich noch an der Weise, wie sie mit einander verkehren, kann
aber der Fremde den Unterschied beobachten.
Der Leser wird sich jetzt ungefähr eine Vorstellung machen kön-
nen von den verschiedenen Varietäten der Familie, die in mekka-
nischen Wohnungen Vorkommen; auf weiteres Detail einzugehen
wäre hier noch schwieriger als in Bezug auf die Wohnungen selbst.
Wir gehen jetzt zur Besprechung einiger wichtiger Zeitpunkte im
Leben der Familie über, sofern diese mehr oder weniger gefeiert
werden. Nach Allem, was wir über die Zusammensetzung der Be-
völkerung gesagt haben, ist es kaum nöthig, darauf hinzu weisen,
dass an den Rändern dieser Gesellschaft, die dem Kerne noch am
wenigsten assimiliert sind, immerhin allerlei Abweichungen im Ein-
zelnen Vorkommen.
Der erste wichtige Tag im Leben des Einzelnen ist der, an dem
die Tasmijah (Benennung; von einer Taufe kann man hier natür-
lich nicht reden) stattfindet, der 7te nach der Geburt. Das Gesetz
empfiehlt an diesem Tage die Abschneidung der Kopfhaare und das
Schlachten eines oder zweier Opferhammel , welches Opfer 'Aqiqah ')
genannt wird. Dies Opfer kann man allerdings auch in späterem
Alter oder gar nach dem Tode des Betreffenden nachholen ; thatsäch-
lich liegt den Mekkanern , obgleich sie anliissig der Tasmijah meistens
Hammel schlachten, der Gedanke des ‘Aqtqah-brauches dabei fern.
Wenn der siebte Tag naht, schickt der Vater, bez. der Vormund
des Kindes Boten *) zu seinen Freunden , welche diesen die Bitte
überbringen, sie möchten »an dem und dem Tage ihm die Ehre
geben , Nachmittags eine Tasse Kaffee bei ihm zu trinken”1 2 3 4). Wenn
nichts hinzugefügt wird, so ist das äusserst fein, denn der Einge-
ladene weiss vielleicht nicht, braucht jedenfalls nicht zu wissen, aus
welchem Anlass die cAzimahKj stattfindet, und ist also allen aus
1) Vergl. über dea Ursprung dieser Sitte Dr. G. A. Wilken, »Uebcr das Haaropfer
usw.” (Separatabdruck aus der R-cvuo Coloniale Internationale), S. 92.
2) Dicso hoissen ifariitl.
S) Es heisst einfach: jeqil lak tidi (’amm!) fei!» jom atfalihal finiji» qahmah.
4) So heisst jede Mahlzeit, zu der ein Ereigniss freudiger oder trauriger Natur den
Anlass bietet und wozu Einladungon ergehen. Per Bingcladene ist Mae um. Mit der
'Azimah gehen fast regelmässig religiöse Ceremonicn zusammen.
II 18
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solcher Kunde sich ergebenden Verpflichtungen enthoben. Sehr ge-
bräuchlich ist aber der Zusatz: »denn es ist der siebte Tag seines
Kindes”1 *). Darauf muss man fragen: «Also giebt es Tasmija/t?”
und die bejahende Antwort verpflichtet den Eingeladenen , sich auch
am Abend vor dem Tage der cAzimah zum Vater des Kindes zu begeben,
weil dann die eigentliche Feierlichkeit vor sich geht. Zur allgemei-
nen Bekanntmachung, dass die Tasmijnh stattfinden soll, werden
oft nach dem cApr vor dem Hause des Neugeborenen die grossen,
Zir genannten, Trommeln geschlagen, und nach Sonnenuntergang
versammeln sicli die Gaste. Man bewirthet sie zunächst bloss mit
Kaffee, und wenn die üblichen Höflichkeitsformeln ausgetauscht
sind, steigt ein junger Mann aus der Familie zu den Damen hinauf,
die schon längst das Kind bereit halten; dasselbe liegt, in ein von
Gold und Edelsteinen funkelndes Kleid gehüllt, auf einer Matraze
mit von silbernen Sternen besäter Atlasbekleidung in einer Wiege
oder auf einem hübschen Präsentierbrett. Indem die Frauen es dem
Knaben überreichen , lassen sie das eigentümliche Trillern *) ertö-
nen, womit sie in allen Ländern arabischer Zunge frohe Ereignisse
begleiten, ihrer Freude oder ihrem Beifall Ausdruck geben. Ein ge-
lehrter Freund 3 4) oder Verwandter ist mit der Tasmjah beauftragt ,
und ihm wird also das Kind zunächst überreicht. Nach Eröffnung
der feierlichen Handlung durch die Anrufung von Allahs Namen
(Bamalah), spricht er leise in das rechte Ohr des Kindes die For-
mel des Adän *), in die linke die der Iqämah «), hält eine kleine
religiöse Rede ( CAutbah ), vorzüglich über die Bedeutung der Namen,
durch welche Gott die Geschöpfe von einander unterscheidet, und
spricht schliesslich den Namen des Kindes aus. Wenn die Eltern die
Wahl des Namens dem Gelehrten überlassen , so entscheidet dieser
1) Ul' in n uh ictbl jüm Umoludnh.
8) Es heisst hier, nicht wie in vielen anderen Ländern, ZaghiirU, sondern Qkatrafah-,
die Weiber jsgkatrifu, vergl. oben 8. 62, Anm. 6.
3) Der 1886 verstorbene Stuft! der Schnfi iten , Ahmed ibn Zen! Dablän erzählt mit
einem gewissen Stolz in seiner Geschichte Mckka's (vergl. die Vorrede zu Bd. I), wie
ihm die Tcumijak eines Sohnes des Grossscherifs übertragen wurde.
4) üeber diese beiden Aufrufe zum QaUt vergl. oben 8. 87 — 8. Sie eignen sich zu die-
sem Gebrauch besonders dadurch, dass in ihnen das muhammedanische Glaubcnsbckennt-
uiss häufig vorkoiumt.
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nach einer von ihm vorgenommenen Istichärah '), oder er wählt einen
berühmten Namen , dessen Träger dem Kinde zum Vorbild sein mag
und dergleichen; manchmal treffen aber die Eltern selbst die Ent-
scheidung. Immerhin geht diese schliesslich auf das decrelum divi-
num zurück, und dem entspricht die von dem Gelehrten am Ende
seiner Predigt gesprochene Formel: wich nenne dich, wie Allah dich
genannt hat: N. N.” *) Darauf legt er unter die Matraze ein in
Papier gewickeltes Geldgeschenk , das heutzutage zwischen l 2 3/2 — 5 Dol-
lars schwankt; die Mekkaner behaupten, früher seien häufig bedeu-
tende Summen oder Urkunden über Besitz von Häusern bei der
Tamijah geschenkt worden. Die übrigen Gäste erheben sich , nähern
sich dem Kinde und legen auch ihrerseits solche Packetchen unter
die Turrähah *). Diener stellen dann vor jeden Gast einen Teller mit
Backwerk hin , welches dieser in ein eigens dazu mitgenommenes Tuch
knüpft und mit nach Hause nimmt. //Herkömmlich” ist für die Tasmi-
jah V» — 1 Pfund von den etwa 2 d. M. langen , dünnen , cylinderför-
migen Stücken Zuckerwerk , die Abmitah (Plur. Abänit ) heissen. Un-
terdessen stellen sich die Mitglieder der Familie am Ausgang des
Hauses in einer Reihe auf, deren Folge durch das Alter und den
Verwandtschaftsgrad bestimmt wird. Jeder Gast richtet im Vorüber-
gehen an sie den Glückwunsch: //Gesegnet, so Allah will!”4) und
die stehende Antwort lautet: //Allah verleihe euch Segen und lohne
eure Mühe!”5) Bei sehr vornehmen Leuten ergötzen sich nun wei-
1) Yergl. oben S. 16.
2) Uj ti^X***« Die Namen der Freien sind in Mekka die gleichen
arabischen, welche über die ganze mohammedanische Welt verbreitet sind; übliche
Sklavcnnamcn sind: Aman , F&redj , Ju.tr , Djohar , Almut, Murdjdn , Ja'qut , Fants, ' Abd
el-Mola, 'Abd U-ChJr , Chor Allah, Naqr Allah, Sacd Allah , Merxuq, Bechit usw.;
Namen von Sklavinnen: Fuddhah , Tnmdjah, ' Itir , Ghazhtn , Bechtlah, Barakah , Meb-
rukah , Se’idah, Se'ddah, Weqilah, Selumah . Dam el-hrna , Djdd el-kerim , Chadm Allah ,
Bahr ez-zen usw.
3) Es ist nicht ständige Sitte, kommt aber hie und da vor, dass man das Kind allen
Gästen der Reihe nach, wie sie längs der Wand sitzen, Vorhalt, damit sic sich am
llaarsehneiden betheiligen. Dazu liegt eine grosse Schoere auf dem Brett, worauf das
Kind sich befindet; jeder schneidet etwa ein paar Haare ab.
4) Meburak in scha’llah ; diesen Wunsch spricht man auch auf Anlass von allerhand
unbedeutenden Ereignissen, z. B. einem Umzug oder dem Anlegen eines neuen Gewandes.
5) Rabband jebdrik f 'tkum , schakar Allah mos' akut».
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ter in der Nacht die Frauen an den unheiligen Produktionen der
Sängerinnen, die sonst an Hochzeitsfesten ihre Lieder vortragen.
Am folgenden Tag fangt man schon Vormittags an, zu kochen;
zu solchen grossen Gesellschaften miethet man meistens einen Koch ,
der selbst riesige Kessel mitbringt und seine Holzfeuer in der Gasse
anziindet, woran das Ilaus grenzt. Die Hauptbestandteile der
Mahlzeit sind Reis und Hammelfleisch ') ; in den Zuspeisen herrscht
möglichst viel Abwechslung. Man sieht, dass in Mekka die förm-
liche Einladung »zum Kaffee” ebenso umfangreiche Bedeutung hat,
wie in Deutschland die zum Thee; der Kaffee wird den Gästen
gleich mich dem Eintreten angeboten, bevor noch das Essen aufge-
tragen ist. Dann werden die grossen metallenen Teller hereinge-
bracht, je mit Speisen für 5 — 6 Personen beladen; vorher ist ein
längliches, weisses Tischtuch vor den an den Wänden sitzenden
Gästen ausgebreitet, welches also ein Viereck bildet. Sobald vor
ungefähr jeder fünften Person ein Teller steht, sagen die Mebä schi-
rm : atfaddlalü! d. h. »Bitte sehr!” worauf Alle »im Namen Allahs”
zugreifen , nachdem sich jede Tischgesellschaft rings um ihren Teller
gesetzt hat. Zwischen 1 — 3 Uhr kommen noch immerfort neue Gäste,
denn die Zeitbestimmung der Einladung ist sehr vage; auch sind
häufig mehrere Salons und Nebenzimmer zu gleicher Zeit gefüllt.
Nach dem Essen gehen die Freunde gleich wieder heim ; wenn ein-
mal einige Intimere da bleiben und sich dem beliebten Theetrinken
hingeben , so hat das keinen Zusammenhang mehr mit der Tasmijah.
Durchschnittlich veranschlagt das Gesetz den Zeitraum, den die
Wöchnerinn für ihre Reinigung, bez. Wiederherstellung, braucht,
auf 40 Tage. Am 40,*en Tage giebt es wieder eine kleine zAzimali,
zu der jedenfalls die Weiber ihre Freundinnen einladen, während
die Männer wohl nur eine kleine Gesellschaft von guten Freunden
empfangen. Nachmittags essen und trinken die Damen zusammen.
1) Ebenso wie am Tage der Duchiak (vergl. unten dio Beschreibung der HochzeiU-
teste) wird am Tamijah- tage gewöhnlich das Zartibijn'n genannte Gericht zuberoitct, d. h.
Reis und Hammelfleisch kocht man zusammen in grossen Kesseln, unter Beimischung
vieler Butter, Sauermilch und einer reichen Auswahl von Gewürzen, wie Safran usw.
Den Ursprung des Namens habe ich nicht ermitteln können.
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Gegen Sonnenuntergang begeben sie sich mit der jungen Mutter in
die Moschee und nehmen das in die kostbarsten Kleider gehüllte
Kind auf einer kleinen, von Gold und Silber glänzenden, seidenen
Turrähah mit. Dies überreichen sie einem Agha (Moschee-eunuchen) ,
der gleich versteht, es sei der » 40ste Tag des Maulud” , und das
Kind auf die (fünf Kuss über dem Boden hohe) Schwelle der Ka'bah
niederlegt. « O Allah! vor deiner Thür1 2 * *)! (stehe ich und flehe dich
an)” sagt der Verkäufer, der in der Strasse umhergeht: wie dieser
so symbolisch am Anfang des neuen Tages um Gottes Segen über
sein Geschäft betet, so wird am Anfang seines Lebens der junge
Mekkaner wirklich als Schützling vor Allahs Thür gelegt und sei-
ner Obhut übergeben. Zehn Minuten liegt das Kind dort; dann
giebt der Agha es der Mutter zurück und empfängt für seine Be-
mühung eine Gabe. Die Weiber verrichten zusammen mit der Ge-
meinde noch das Qalat des Sonnenuntergangs, gehen wieder nach
dem Hause des Neugeborenen und bleiben dort noch bis etwas
nach dem Tschä gesellig beisammen.
Nur die noch nicht mekkanisierten Hadhramiten pflegen ihre
Kinder schon am 408lei> Tage zu beschneiden; im Inneren Arabiens
giebt es Stämme , wo die Operation auf sehr schmerzliche und nicht
ungefährliche Weise in reifem Alter vollzogen wird, während die
Braut des Beschnittenen ihm gegenüber steht, um seinen Muth zu
erproben, und ihre Verlobung rückgängig macht, wenn er vor
Schmerzen einen Schrei äussert 5).
Der Mekkaner hisst seine Kinder im Alter von 8 — 7 Jahren be-
schneiden; arme Leute warten, bis ein reicher Nachbar oder Gön-
1) JäüdK ' ala bäbak!
2) Mehrere europäische Reisende haben über solche barbarische Besclmeidungsbrauche
im Westen und im Süden Arabiens berichtet; mir wurde dasselbe in Mekka häufig er-
zählt, und zwar in Bezug auf die 'Asiratämme und einige Stämme östlich und südlich
von Taif. lieber die Letztgenannten lesen wir dasselbe im A aukab el-Iladdj vom ägyp-
tischen Genieoffleier f* iiq Hry (dem Verfasser des Maach'al el-Makmal) , einem Werk-
elten, das trotz aller Flüchtigkeit viele werthvolle Angaben über die Geographie und
Ethnographie Arabiens enthält (S. 24 — 5). Ich muss jedoch gestehen, dass bei mir
Zweifel aufgekommen sind, ob die Erzählung nicht den liegenden zuzuzühlen sei; vergl.
die Geschichte von den Feim und Ki-lb in meinem riVt. C. Landbcrg’s Studien geprüft”,
8. 13. Trotz wiederholter Nachforschung ist es mir nicht gelungen , sichere Auskunft zu
erlangen; die vorhandenen Berichte stammen aber alle direkt oder indirekt von Städtern.
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ner das Beschneidungsfest für seinen Sohn veranstaltet, weil dieser
ihnen die Betheiligung auf seine Kosten gestattet. Bei Miidchen
wird die Beschneidung (der Clitoris) in aller Stille vorgenommen;
nur die Weiber haben ihre Gesellschaft, und die Männer empfan-
gen ihre Verwandten und sehr intime Freunde.
Mit dem Knaben zieht man Tags vor der Beschneidung ( Tahär l 2 3 4)
oder Tathlr ) feierlich durch die Stadt. Den dazu eingeladenen Gä-
sten wird zuerst nach der Mittagsstunde eine Mahlzeit geboten.
Nach dem Jpr aber schlagen einige Männer in der Nähe der
Hausthur die grossen Trommeln ( Zir ) zur Einleitung des festlichen
Umzugs. Vorauf stellen sich einige Trommelschläger mit Tablah's
und Tamburinen (Tärs), deren Lärm auf dem Wege die von den
Männern gesungenen Dikr's begleiten sollen; man wählt bei dieser
Gelegenheit gewöhnlich die Litaneien vom Stifter des Ä/«'i-ordens.
Den singenden Männern folgt der Knabe, ganz in die schwersten,
mit Gold, Silber und Edelsteinen besetzten Kleider gehüllt, sodass
kaum sein Antlitz herausguckt. Man hebt ihn auf ein nicht weniger
prachtvoll geschmücktes Pferd ; da er aber nicht reiten kann , gehen zu
beiden Seiten mehrere Männer , die ihn festhaltcn und ihm ab und zu
ein mit Wohlgerüchen benetztes Tuch unter die Nase halten. Ihm
zunächst geht eine ältere schwarze Sklavinn seines Vaters, gewöhn-
lich die, welche den meisten Antheil an seiner Erziehung hat,
seine Dät J) also. Auf dem Kopfe trägt sie ein grosses metallenes
Kohlenbecken {Menget1) , in welchem auf das Holzkohlenfeuer im-
mer von Neuem FasücA •) und Salz gelegt wird. Deren Verbren-
1) Dieses Wort bezeichnet in der Umgangssprache auch die Menstruation: rf/n»
tahfiri oder iahiirZ calrya sagt die Frau.
2) Dt!t ist die weibliche Form zum männlichen Däd; vcrgl. oben S. 18 — 9 und Melck.
Sprichw. i. vv. Es heisst also etwa «Mütterchen”.
3) Auf Tafel XXXVII, N°. 10 ist ein ganz kleines, u. A. zum Rauchern von Trink -
geflossen gebräuchliches Metu/el abpebildet. Hier ist aber ein viel grösseres gemeint, das
ungefähr die Form des grössten bei Lane, Manncrs and Customs, 5th cd. 1:176 zeigt.
Im Hause brennt man darin z. B. ein Kohlcnfcucr zum Kaffeekochen. Gewöhnlich ge-
hört zu diesem Meitqel ein kleinere« Kohlenbecken, des-en Fuss in die Ocffnung des
grösseren passt; dies heisst Bin! U-Metu/fl, wird aber selten gebraucht. Unterhalb des
breiten, oberen Randes des grossen Mhtqel befinden sieh zwei Ochre zum Anfaascu;
Ketten sind in Mekka meistens nicht an diesem Gcräthe befestigt.
4) Vergl. oben S. 122.
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nung erzeugt heftiges Knistern und einen sehr Übeln Geruch ; es
soll die bei solchen Gelegenheiten am meisten gefürchteten »bösen
Augen” unschädlich machen. Hinter dem Knaben , vor dessen Hause
sich der Aufzug bildet, kommen seine ärmeren Genossen, gleichfalls
auf Pferden, jedoch in etwas weniger kostbarem Ornat. Die Proces-
sion geht bis gegen Sonnenuntergang durch alle Hauptstrassen
Mekkas und kommt wieder vor das Haus, von dem sie ausgegan-
gen. Während der Dikr und der Trommelschlag noch anhalten,
wird der Knabe zu den Weibern hinaufgeführt und geht die männ-
liche Gesellschaft aus einander.
Nach dem Tscha bis gegen Mitternacht bewirthen nun die Wei-
ber der Familie ihre Freundinnen und geniessen den Gesang einiger
Sängerinnen , die zum Tahär ähnliche Lieder vortragen wie zu einer
Hochzeit '). Erst am folgenden Morgen , wenn die Sonne aufgeht ,
kommt der Mezejjin (Barbier) mit seiner ' Uddah (Zange, worin er
den abzuschneidenden Theil der Vorhaut heraufzieht und zusam-
menkneift) und dem Rasiermesser. »Im Namen Allahs” vollzieht er
schnell die Operation, während der Knabe auf dem Rücken liegt
und die Mutter ihn mit Süssigkeiten zu zerstreuen sucht. Mit der
Asche verbrannter Baumwolle wird das Blut gestillt, und in den
nächsten Tagen kuriert der Barbier die Wunde durch Auflegung von
Martakpflastern , die durch ein Stückchen Leinwand J) um das Glied
befestigt werden; in einer Woche ist die Wunde meistens geheilt.
Nach der Operation geniessen die nächsten männlichen und weib-
lichen Verwandten zum Frühstück das Zaläbijah 1 * 3) genannte , als
sehr fein geltende Backwerk , und damit ist das Fest zu Ende.
Zur guten Erziehung gehört im Islam zu allererst , dass das Kind
den Qurän nach den peinlichen dafür geltenden Regeln abzuleiern
lerne. Auf die Bedeutung dieser Kunst für das religiöse und wis-
senschaftliche Leben kommen wir im nächsten Abschnitt zurück;
1) VergL unten die Besprechung der Däna-dana-liedor.
8) Das Läppchen heisst Ckirqak, der ganze. Pflaster Laz’qak.
3) Diese Mehlspeise wird aus dem gleichen Teige wie das Mttabbaq (vergl. Mokk.
Sprich«-, i. r.) zu bereitet, nur nicht wie letzteres im Ofen gebacken, sondern in einer
Form gekocht und mit gestossenem Zucker oder gekochtem Zuckerwasser (Sckirak) ge-
gessen.
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hier sei fnur erwähnt, dass in der Kinderschule ( Kuttäb ) vom
M dalli m ‘) alle Zeit auf den Unterricht in dieser eigentümlichen
Recitation verwendet wird. Kinder, deren Eltern die geringen Kos-
ten solcher Lehrjahre nicht bestreiten können, lernen von irgend
einem Kundigen nur vom Hören die kleinen Abschnitte des heili-
gen Textes ableiern, die sie zu den religiösen Verrichtungen brau-
chen. In der Schule schreiben die Kinder aber unter Aufsicht des
Schulmeisters ihre jeweilige Aufgabe selbst mit Tinte auf die jedes
Mal wieder weissgewaschene hölzerne Tafel 5). Einige kleinere Ka-
pitel müssen Alle auswendig lernen ; das Ideal des Knaben ist
aber, es zum liüfiz zu bringen, d. h. den ganzen Quräu auswen-
dig zu kennen.
Eltern, die von allzu freiem Verkehr ihrer Kinder mit Altersge-
nossen üble Folgen befürchten, miethen einen Fdqih, der täglich
zu ihnen ins Haus kommt, oder treffen zu diesem Zweck mit be-
freundeten Familien eine Uebereinkunft , sodass ihre Kinder zusam-
men Privatunterricht geniessen. Kleine Mädchen gehen wohl mit
Knaben zusammen in die Schule ; nach etwa achtjährigem Alter be-
hält man sie aber zu Hause oder schickt sie zu einer Schulmeis-
terinn ( Faqihah ); für Sklavinnen und andere Frauen, die noch in
reiferem Alter die Qiräjeh erlernen oder verbessern wollen, benutzt
man nur weibliche Lehrerinnen.
Wenn der Vater den Knaben zuerst in die Schule bringt, giebt
er dem Fdqth eine Eröflhungsgabe (Jstif/äh) im Betrage von '/, — 2
Dollars, und von da an bekommt der Schüler an jedem Donner-
stag etwas im Werth von 4 — 16 [Pfennigen für den Lehrer mit.
Auch an allen Festtagen, sowohl den officiellen als den Mölid-,
Scha£bän- und Micrädj tagen , giebt der Vater selbst und durch die
X) Der üblichste Name des Schulmeisters ist aber F&qik-, so heissen auch alle berufs-
mässigen Quränrecitierer, die z. B. bei Mahlzeiten religiöser Natur, Todesfeiern usw. die
Recitation des Quräns, boz. auch des Mölid, und die Leitung des Wer übernehmen.
In früheren Zeiten bezeichn etc Faqik den Gosetzesgelehrten ; nach heutigem Sprachge-
brauch wäre dieser Titel für einen unabhängigen Gelehrten ( AI im) fast eine Beleidigung.
V ergl. Mekk. Spriobw., S. 92, Anm.‘
2) Die genaue Boschreibung der Kinderschule bei Lanc, Manners and Customs, trifft
in allen Hauptsachen auch für Mekka zu.
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Hand des Sohnes dem Lehrer seinem Vermögen angemessene Ge-
schenke. In der Schule sitzen die Knaben im Kreise um den Lehrer
herum auf dem Boden und machen mit ihren Gesammtübungen
einen Höllenlärm; jeder achtet indessen ängstlich auf die Stimme,
die Geberden und den Stock des Fäqth, der seinerseits aus dem
Wirrwarr der Stimmen fast jeden Fehler heraushört und den Schul-
digen bestraft.
Ein Schulkind redet man immer zur Einleitung eines Gesprächs mit
den Worten an: »Was ist jetzt deine Sürah?” '); dieselbe Frage rich-
tete der letzte Cirkassiersultan 1512 an den achtjährigen Abu Numejj ,
der als Thronfolger des Grossseherifs an seines Vaters Statt zu ihm
gereist war, und die Antwort des Kindes war: »Wir haben dir
eröffnet eine klare Siegeseröffnung” (also Sürah XL VIII), welche
Worte dem Cirkassier zum trügerischen Vorzeichen seines Sieges
über die Türken wurden J). Wenn aber der Schüler die Hälfte oder
etwa zwei Drittel (bis zur 36,u" Sürah) des Quräns5) durchrecitiert
hat , so meldet der Fdqlh das seinem Vater ; dieser bestimmt dann
den Tag der c Azimah , wozu ausser dem Lehrer alle Mitschüler ein-
geladen werden. An dem Tage legen die Knaben ihre schönsten,
mit Gold gestickten Festgewänder an und kommen mit ihren Schreib-
tafeln auf den Häuptern zu ihrem glücklichen Freunde, der selbst
seine in feines, mit Gold umsäumtes Zeug gehüllte Tafel auf gleiche
Weise trägt. Ihn in die Mitte nehmend , stellen sie sich in Reihen
auf und machen einen Spaziergang durch die Stadt, wobei ein äl-
terer Schüler ein Gedicht recitiert oder passende Quränverse vor-
trägt ; das Thema des Vorgetragenen ist das Lob des heiligen Buchs
und des Gottesgesandten; gewisse Schlussformeln der Abschnitte
singen alle zusammen , wie z. B. die Worte (Qurün XXI : 107) :
»Und dich gesendet haben wir
»Nur aus Erburmung für die Welten”.
In das Haus zurückkehrend finden sie hier die männlichen Ver-
1) e*cA xnr’tak da l-hins.
2) Vergl. Bd. I, 8. 102.
3) Es giebt Leute, die während der Lehrjahre eines Sohnos vier IqräfaKx veranstal-
ten, nämlich wenn er die 19te, die 18sto, die 58ste und die 67ste Sürah erreicht hat.
n lfl
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wandten des Knaben mit dem Fäqih , und geniessen mit diesen
eine Mahlzeit; der Fäqih bekommt dazu noch etwa 1 — 3 Dollars
geschenkt. Diese Feier heisst Ipräfah *).
Aehnlich wie die I prüf ah wird die sogenannte Iqltibah gefeiert,
wenn nämlich der Schüler den Qurän zu Ende gebracht hat. Zu
diesem Abschluss der Schuljahre ergehen aber zahlreichere Einladun-
gen ; namentlich die Damen der Familie haben dann auch ihre Ge-
sellschaft. Die Speisen sind etwas feiner als bei der Igräfah, die
Belohnung des Fäqih ist kostbarer; vornehme Leute schenken ihm
Wohl 30 Dollars und einen vollständigen Anzug ( Bedleh ) oder we-
nigstens eine Djubbah. Auch finden bei dieser Gelegenheit manchmal
nach dem Spaziergang der Schüler und vor der Mahlzeit religiöse
Vorträge statt.
Ueberhaupt gehen die meisten c Azimah's mit derlei Vorträgen
gepaart, und werden sogar im Volksmunde nach denselben genannt.
Das heilige Gesetz empfiehlt den Gläubigen, allerlei freudige Ereig-
nisse durch Festmahlzeiten zu feiern und dazu nebst seinen Freun-
den und Nachbarn auch arme Leute einzuladen ; eine solche Mahlzeit
nennt es Walimah und dringt besonders darauf, dass man eine Hoch-
zeit nicht ohne Walimah begehe. Aus dem oben Mitgetheilten erhellt
zur Genüge, dass man in Mekka dieser Empfehlung im weitesten
Sinne Folge leistet, und auch die unten noch zu erwähnenden Ereig-
nisse im Familienleben geben dort immer Anlass zu einer Mahlzeit,
die ziemlich dem Begriff der Walimah entspricht, wenn sie gleich
nur von Gelehrten so genannt wird. Die anderen Bestandtheile der
Familienfeste stehen ausserhalb des Gesetzes, sind nach dem Anlass
der Feier verschieden und zeigen viele lokale Eigenthümlichkeiten ,
Bräuche, die eher zu den Objekten der Ethnologie als zur interna-
tionalen Religion gehören. Theils verhält sich das Gesetz denselben
1) Man könnte dies Wort mit dem von L&ne erwähnten (3 ird/ah (Aufzug bei der
6 e
Beschneidung) Zusammenhalten, oder eher an Oytfi cong edier (vergl. Dozy i. v.) den-
ken, weil an dem Tage die Schule feiert. Im heutigen Sprachgebrauch Mekka*« steht
Ifrdjah ziemlich für sich; ein verwandtes Wort mit verwandter Bedoutung wäre nur
Qerdfah , das sonst in Mekka den Ausfall des Unterrichts (z. B. am Freitag und an den
Festtagen) bezeichnet. Beide Wörter werden aber nie mit einander verwechselt.
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gegenüber gleichgültig, theils sind es eigentlich verbotene Hand-
lungen, die der Islam sich weder zu assimilieren noch auszurotten
vermochte.
Schon für sich ist die Walimah, wenn nichts Ungesetzliches dabei
geschieht, eine religiöse Handlung; man liebt es jedoch, ihr durch
das Verrichten freiwilliger Ceremonien einen noch mehr geweihten
Charakter zu verleihen. Dazu lädt man einen oder mehrere Fdqlh's
ein, deren Repertorium den ganzen Qurän, einige Lebensgeschich-
ten Muhammeds ( Midi cf s) in Versen oder gereimter Prosa und einige
Di&r-litaneien enthält. Die Recitation des ganzen QurSns, in welche
sich die Faqih'x , bez. auch die Gäste, theilen, bildet den Anfang
und zugleich den Hauptzweck der feierlichen Versammlungen, die
auf Anlass eines Todesfalles *) stattfinden. Bei anderen Familienfe-
sten bleibt diese Qiräjeh aus oder trägt man höchstens einen Theil
des Quräns vor; dagegen bildet das Mulid sosehr den Mittelpunkt
der Feierlichkeit, dass der Ausdruck; »bei ihnen ist heute Abend
Mulid” einfach sagen will, es sei dort eine ' Azimah wegen eines
freudigen Ereignisses. Nicht einmal alle Gäste wissen, ob eine Be-
schneidung , eine Hochzeit , die glückliche Rückkehr von einer Reise
oder was sonst den Anlass zur Einladung giebt: es ist Mölid! das
genügt. Einige Freunde bilden wohl einmahl eine Gesellschaft, die
wöchentliche Zusammenkünfte hält, um die Recitation des Quräns
vorzunehmen oder anzuhören; auch dann feiert man den Abschluss
mit einem Mölid. Kurz, das Mölid passt zu allen Feierlichkeiten,
und dies stimmt vollkommen zur oben besprochenen übermässigen
Verehrung der Person Muhammeds.
Die gebräuchlichsten Mölid ’s sind gedruckt; sie enthalten keine
eigentliche Biographie, sondern in sehr gehobenem Stil abgefasste
Erinnerungen an die wunderbarsten Ereignisse aus der legendari-
schen Geschichte des Propheten. Gewöhnlich wechseln in einem Mölid
Gedichte mit gereimter Prosa ab und folgen der Aufzählung einiger
Wunder Segenssprüche über Muhammed , Qalaicät , d. h. unend-
liche Variationen des Thema’s: »o Allah! sprich Segen ( Qalüt) über
1) Vergl. den Schluss dieses Kapitol».
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//unsern Herrn Muhanimed und grüsse ihm”. Zur Einleitung sol-
cher Sprüche dienen häufig die Worte des Quräns (XXXIII: 56):
//Ja , Gott und seine Engel sprechen Segen über den Propheten ,
»Ihr, die da glaubet, sprechet Segen über ihn,
»Und grüsset ehrerbietigen Gruss”.
Die prosaischen Partien leiert der Fäqih in monotoner Weise ab;
von den Gedichten singt er einige, ln der Mitte des Zimmers steht
ein Kohlenbecken, aus dem der Dampf des fortwährend daraufge-
streuten Weihrauchs oder Aloeholzes aufsteigt. Von einigen Lobge-
dichten singt der Vorsänger je zwei Verse; dann stimmt die ganze
Gesellschaft mit zwei anderen, die den Refrain bilden, ein. Sehr
gebräuchlich ist folgender Refrain :
Qal - la ’lläh ca - la Mu - hammad fal - la
’lläh ca - laih wa - sal-lam.
zu dem sich die Anwesenden zu erheben pflegen. Auch singen wohl
Alle zusammen nach einer einfachen Melodie Gedichte, worin die
Namen und Eigenschaften des Propheten besungen werden, oder
worin der Sänger ihm bis ins Unendliche sein //Willkommen” (Mar-
habä!) zuruft, indem je drei Verse zwei neue Epitheta Muhammeds
enthalten , z. B. :
Mar - ha - bä jä nur al - cai-ni mar-ha-ba mar -ha-
bä djadd al-hu-sai-ni mar-ha-bä mar - ha - bä jä
mar - ha - bä ja mar-ha - b-ä-ä-a-ä-a.
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Dein Molid folgen meistens noch von Allen zusammen unter Lei-
tung des Fdqih ’) vorgenommene Verherrlichungen Allah’s (Dikr) ,
in welche aber wieder Lobpreisungen des Propheten aufgenommen
sind. In den Dikr-formeln preist man Allah’s Allmacht und Gross-
thaten, fleht ihn um Gnade und Verzeihung an und bittet ihn
um alles Gute bei seinen //hundert schönsten Namen”, die man
einige Mal in metrischem Ton hersagt in einer bestimmten Reihen-
folge, die jeder Gebildete auswendig kann. Zur Erleichterung des
Aufzählens dieser Namen dient der Rosenkranz mit seinen 100 Perlen J),
den viele Mekkaner fast immer in der Iland tragen. Eigentlich wird
vorausgesetzt, dass man seine miissigen Stunden mit solchem Dikr
verbringt, aber faktisch vertreten die schön gearbeiteten Sub/iah's
der mekkanisohen Jünglinge eher die Stelle unserer Spazierstöcke.
Ferner gehört zum Dikr die ebenfalls nach Hunderten gezahlte Re-
citation der beiden Theile des Glaubensbekenntnisses , z. B. :
La i - la - ha il - la ’llah lä i - iS - ha il - la ’lläh
lä i - la - ha il - la ’llah la i - la - ha il - la ’llah
Während die Gäste mit diesem Sang beschäftigt sind, werden
die länglichen weissen Tischtücher vor ihnen ausgebreitet , und schliess-
lich giebt ein Mebmchir dem Leiter des Dikr ein Zeichen, damit
er bloss noch den Gesang, der zuletzt angefangen worden ist,
beendige und dann das Schlussgebet spreche. Unterdessen werden
die Fünfpersonenteller hereingebracht, und zeugt mancher bewun-
dernde Blick davon, dass die Aufmerksamkeit der Gäste sich zwi-
schen himmlischen und irdischen Gedanken theilt. Dazu sind ja
die Mekkaner die Leute der wahren Mitte!
1) D. h. des berufsmässigen FäqVx, der als Gast mitspeist und ausserdem eine Beloh-
nung bekommt. Die Leitung wird aber oft von einem gelehrten Freunde des Gastgebers
übernommen, und wenn ein Gelehrter zugegen ist, bittet der Fäqih diesem gewöhn-
lich, wenigstens die Leitung des IHkr zu übernehmen.
i) Vergl. oben S. 36 und Tafel XL, ND. IS dos Bilderatlas.
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Wie gesagt, viele Bräuche, die für die Familienfeste in Mekka
weit charakteristischer sind als die uniformen MOlid s mit Zubehör
und den Reistischen mit abwechselnder Zukost, laufen dem Gesetze
mehr oder weniger zuwider; was die Weiber anbetrifft, gilt dies
sogar von den meisten. So unterhält sich auch bei der lqläbah die
Damengesellschaft Abends und in der Nacht mit Sängerinnen und
ihren frivolen Liedern von der Art , wie sie bei Hochzeiten üblich sind.
Wenn der Knabe die Schule absolviert hat, haben des Vaters
Wünsche für seinen weiteren Lebensgang bereits eine bestimmte
Form angenommen. Dem Schriftgelehrten gilt in der Regel der Uebcr-
tritt seines Sohnes in einen andern Stand als den seinigen für eine
Erniedrigung, zu der er sich nur aus Zwang entschliesst. Reiche
Privat- oder Kaufleute sehen es nicht ungern, dass von mehreren
Söhnen einer die Gelehrtencarriere wählt ; namentlich der Kaufmann
will aber wenigstens einen zu seinem Nachfolger im Geschäft heran-
bilden. Als ich einmal einen mir bekannten Kaufmann besuchte und
ihm sagte, mir scheine die Stimme seines etwa dreizehnjährigen
Sohnes sehr heiser geworden zu sein, bestätigte er meine Beobach-
tung und sagte , die Heiserkeit habe ihren Grund wahrscheinlich darin ,
dass der Junge sich vor einigen Tagen verheirathet habe. Ich habe
diese Ehe selbst veranlasst, so fuhr er fort, damit ich den Knaben
mit einer mir bekannten Frau im Hause und im Geschäft behal-
ten kann , während er sonst durch anderweitige Verbindungen wohl
auf andere Wege gerathen könnte. Der so sprach , war ein sehr reicher
Mann. Weniger wohlhabende Leute wünschen meistens auch, ihren
Sohn in ihrem Handwerk oder Gewerbe zu erziehen, und wenn
sie mehrere haben, übergeben sie diese am liebsten einem Freunde
als Gehülfen und Schüler. Zeigt der Sohn eines Mannes aus den
mittleren Klassen besondere Neigung zur heiligen Wissenschaft, so
kann der Vater ihm anstandshalber die Erfüllung seines Wunsches
kaum verweigern; Viele geben aller mit kaum verhohlenem Unwil-
len nach.
Ihnen ist solche Erziehung kostspielig genug, und das günstigste
Resultat verbürgt dem Sohne zwar Ehre , aber keine Einkünfte ; somit
hat die Familie die Aussicht, ihren "Alim jahrelang ernähren zu
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müssen. Seine Gelehrsamkeit macht ihn für die meisten Stellungen,
die Einem in Mekka zum Lebensunterhalt verhelfen, entweder un-
fähig, oder zu vornehm, oder aber zu skrupulös.
Es sind immerhin nur Wenige, die ihren Eltern derlei Schwie-
rigkeiten bereiten. Häufiger haben sie bei ihren Söhnen die Lust
nach dem Gewerbe der «Scheche” ( Metawwif's ) zu bekämpfen ').
Von Jugend an sieht der Knabe reiche Scheche die vornehmen
Herren spielen und gnädig ihre Gunstbezeugungen unter die übri-
gen Mekkaner vertheilen; überall befehlen sie und gehorcht man
ihrem Worte. Er sieht die jungen Gehülfen, zum Theil angehende
Scheche , in den letzten Monaten des Jahres Tag für Tag mit stolzer
Miene vor dichten Reihen von Pilgern einherschreiten und ihnen
die Ceremonien vormachen, als kommandierten sie eine Kompagnie
Soldaten, während ihre rechte Hand einen grossen, dicken Wander-
stab bei jedem Schritt vor sich hin pflanzt. Nicht nur auf seine
Eitelkeit wirkeu solche Scenen ein; er glaubt allzuleicht, dass die
Taschen der Scheche und ihrer Gehülfen fortwährend gefüllt wer-
den. Man hört oftmals junge Mekkaner den Wunsch äussem, dass
es ihnen auch nur einmal gegeben sein möge, von allen Pilgern
auf der Ebene ‘Arafat einen Groschen zu erlangen; kein Mensch
würde dabei ärmer, und sie wären auf einmal reich! Es ist nur na-
türlich, dass ähnliche Gedanken, wenngleich in weniger kindischer
Form, während der Pilgeijagd durch den Kopf der meisten Mek-
kaner gehen. Nun denkt sich der Knabe, so etwas sei annähernd
mit der geringsten Mühe auf dem Wege der Fremdenführung zu
erzielen. In welchem andern Gewerbe gewinnt man seinen Bedarf
für ein Jahr in einigen Wochen, während man sich bloss einige
Ceremonien und Formeln etwas genauer einzuprägen hat, als jeder
Mekkaner sie schon so kennt?
Der Vater hat seine schwere Noth, dem Knaben solche Trugbil-
der auszureden: »Frage einmal bei den meisten Gehülfen nach, wie
schwer sie ein winziges Stückchen Brot verdienen, wie lange sie
ihren Pilgern aufgewartet haben ohne anderen Lohn als einige
11 Vergl. »as mit ein Mekkaner darüber sagte, Mekk. Sprich»., S. 92 f.
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Gaben von theilweise fraglichem Werth ') ! Mit Kenntniss der Ce-
remonien allein ist nichts zu machen-, die grösste Gewandtheit,
Schlauheit und Ausdauer nebst allerlei speciellen »Studien” sind
erforderlich, um die Arbeit des Gehülfen einträglich zu machen , und
auch so gehört noch viel Glück dazu! Wer nicht in das Geschäft
des Vaters, eines Oheims oder eines seltenen Freundes eintreten
kann, steht in der Stellung der Gehülfen einem Bettler gleich;
nur dass er länger als dieser umsonst bettelt. Nicht einmal die
Scheche verdienen alle etwas dabei; mancher klammert sich jedes
Jahr aufs Neue an sein Gewerbe fest, obgleich es jährlich nur sein
Deficit vermehrt”. Es gelingt nicht allen Vätern, durch diese rich-
tigen Betrachtungen dem täuschenden Schein die Wirkung zu neh-
men. Theils lässt sich die Anziehungskraft der Fremdenführerschaft
auf die Jugend mit der des Militärs in unseren Gamisonsstiidten
vergleichen, theils mit der Verführung zum Wagen, welche die
Spielhölle ausübt.
Glänzender als die Ipräfah und Iqläbah ist ein »Freudenfest”, das
bei den meisten Mekkanern in die Jugend, mitunter jedoch auch
in ein späteres Alter fällt: die Serärah. So oft Einer von dem Be-
suche des heiligen Grabes in Medina zurückkehrt, kommen die
Freunde zu ihm und gratulieren zur glücklichen Heimkehr; seiner-
seits bewirthet er sie mit einem Festessen oder, wenn sie in den
nächsten Tagen kommen , mit Kaffee und Süssigkeiten. Auch schickt
er ihnen etwas von den üblichen Gaben J) aus Medina ins Haus.
Nur das erste Mal wird aber dem heimkehrenden »Besucher” (oder
der »Besucherinn”) zu Ehren eine Serära/i veranstaltet. Gilt es
einem erwachsenen Mann, so unterscheidet sich allerdings die Se-
rärah von dem sonstigen Besuch der Glückwünschenden nur da-
durch, dass etwa 8 Tage vor seiner Rückkehr die Freunde förm-
1) Thatsächlich habe ich sehr floissige Qikft gekannt, die ein paar Wochen von
Morgens bis Abends fortwährend hin- und herzugehon hatten, um allerlei thörichten
Wünschen ihrer Pilger zu genügen, und denen diese dann ein Präsentiorbrett mit
Leinen für ein Hemd, etwas Reis, vior Kartoffeln und oinem kleinen Geldstück über-
reichton. Dieso Geizhälse waren meist Inder.
S) Yergl. oben 3. 98.
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lieh zur Begriissungsmahlzeit eingeladen werden. Erst bei Kindern
und Weibern kann man recht vom Freudenfeste sprechen.
Diese ziehen nicht im staubigen Reiscanzug in Mekka ein, son-
dern lagern sich auf der Grenze des heiligen Gebietes, bei TanTm
(el-'Umrah) *), und erwarten dort ihre Familie. Bald kommen die
nächsten Verwandten heran mit dem schönsten Festgewande des
»Besuchers” und reichlichem Gold- und Silberschmuck. Für Knaben
führen sie ein reich geschmücktes Dromedar oder Pferd mit hinaus,
für Mädchen oder Weiber einen kostbaren Tackt (Tragsessel), der
auf Deichseln von zwei Mauleseln (einem vorne, einem hinten) ge-
tragen wird. Nachdem sie sich angezogen, besteigen die Zuwwär
ihre Reitthiere im vollsten Bewusstsein ihrer hohen Bedeutung. Ha-
ben sie doch von Jugend an immer gehört, dass von dem Menschen
(und namentlich von dem Kinde s) ) , der eben vom Grabe Muhara-
meds zurückkehrt, auf allerlei Wegen verborgene Segnungen aus-
gehen. Solchen küsst man die Hände, man berührt ihr Gewand
und ersucht um ihre Fürbitte, Alles wegen der liarakah ; aus ihren
Augen strahlt ein ungewöhnliches Licht, das an das mystische, vor
der Welt erschatfene «Nur Muhammed” gemahnt: »dein Gesicht
ist Licht” ’) sagt man bei der Gratulation.
Gegen Nachmittag kommt eine Gesellschaft, mit ihrem Zäir in
der Mitte, in die Stadt; iiusserlich könnte man den Aufzug mit
dem der Beschneidung verwechseln. Am Eingänge der Stadt aber
erwarten den Knaben ausser den auch beim Ta/iär nicht fehlenden
Trommelschlägern Leute, die ein prachtvolles, aus dem schweren
indischen Ä«a//stoff‘1 2 3 4) gemachtes, mit Gold besticktes Banner (Be-
1) VergL oben S. 55.
2) Das Kind wird bis zur Pubertät vom Gesetze zu nichts verpflichtet , ist daher auch
sündenfrei; darum darf man ja die Knaben mit Gold und Silber schmücken, trotzdem
diese Metalle von Miinnern nicht gebraucht worden dürfen, und darum sind die Fest-
lichkeiten bei Ereignissen im Leben des Kindes denen der Weiber am ähnlichsten.
3) Wedjhak nur.
1) Mit diesem Namen bezeichnet man eine Art schweren Seidenstoff, der mit tiold-
drnht reichlich umsäumt und dem Goldblech aufgeheftet ist. Man benutzt ihn zu pracht-
vollen Satteldecken, Bonnern, und in einigen Fällen (vorgL, unten die Beschreibung
der Hochzeit) auch zu Beinkleidern und Westen für Weiber. Ich weise nicht, woher
der Name stammt ; Prof. IL Kern macht mich auf das in slavischcn Sprachen verschic-
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raq) tragen. So machen die Freunde und Verwandten mit ihm einen
Umgang durch die Stadt , der gegen Abend vor seinem Hause endet.
Hier, auf dem Platze ( Barrühah ')) vor der Ilausthür, geben die
verschiedenen Trommeln zusammen ihr letztes Konzert, während
der Knabe (resp. die Frau) feierlich absteigt und , von den Ver-
wandten in Reih und Glied gefolgt , in die Wohnung einzieht. Schon
erwartet sie eine gute Mahlzeit; es wird ohne Weiteres zugegriffen,
und wenn Alle gesättigt sind, danken sie wie gewöhnlich im Auf-
stehen Allah für das Genossene und kehren heim.
Nach dem Clsch5 fangt die Sernrah für die Weiber eigentlich
erst an; bis spät in die Nacht geniessen sie unzählige Tassen Thee,
Becher Sorbet und Wasserpfeifen sowie die oben öfters erwähnten
Liebeslieder. Morgens früh nimmt die Familie wieder Zaläbijah *)
zum Frühstück, und nach Sonnenaufgang kommen schon die Nach-
barn und die weiteren Bekannten , ihre Glückwünsche darzubringen.
Ihnen werden , ähnlich wie beim Festtag am Ende des Ramadhän ,
Kaffee , Süssigkeiten und Wohlgcrüche vorgesetzt. Nach dem Dhuhr
nimmt der Zudrang allmählich ab; schnell richten nun die Diener
die grösseren Zimmer zur Mahlzeit ein , denn das Festessen , zu dem
die Freunde 8 Tage vorher eingeladen sind, die eigentliche cAzi-
mah , soll erst heute nach dem cApr stattfinden. Ihr geht das un-
vermeidliche Mulid voraus; wenn die Gäste so zahlreich sind, dass
sie mehr als zwei Zimmer füllen oder gar, was oft genug vorkommt ,
über mehrere Häuser vertheilt werden müssen, so giebt es nur in
einem oder zwei Salons Mölid.
Nach dem Maassstab des Gesetzes muss die Serärah , im Gan-
zen genommen, ungünstig beurtheilt werden; nur der Schluss ist
gut, aber beim Einzug setzen sich die Zuwwär allzu rücksichtslos
über die Ehrfurcht hinweg, welche man der Stadt Allahs und dem
sie umringenden heiligen Gebiete schuldet. Eigentlich sollte man
immer zu Fuss hereintreten, und zwar am liebsten in Pilgergewand ;
denc Kleidungsstücke bezeichnende Wort Riza aufmerksam, mit welchem man albancsi-
sches Rizt verglichen hat.
1) Man sagt auch Bär' hak.
2) Vergl. oben S. 143.
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statt dessen kleiden sich die niedrigsten Leute wie Fiirstenkinder
und reiten mit Trommelschlag in die Stadt, als gehörte sie ihnen!
So stark ist jedoch die Kraft der Gewohnheit , dass auch grosse Ge-
lehrte ohne Aerger die Serärah-ziige ansehen und höchstens achsel-
zuckend eine Bemerkung über den Zeitgeist machen : »Sehet, wie die
Welt zurückgeht: zur Zeit der legitimen Chalifen wäre solcher Pomp
nicht möglich gewesen, wie damals auch die Ehrfurcht gegen die
Kacbah es verbot, dass man Hauser baute, die darüber emporrag-
ten. Und jetzt sind alle anständigen Häuser höher als die Kaclmh
und nimmt kein Mensch Anstand, in Mekka ohne Ihräm einzu-
reiten, während man doch vor dem Palaste des Grossscherifs an-
standshalber vom Reitthiere absteigt !” Thatsächlich scheint aber auch
der zAlim sich darüber zu freuen, dass in Mekka diesseitige und
jenseitige Gesinnung so hübsch Zusammenleben und sich mit einan-
der vertragen.
Kleinere Familienfeste als die bisher- beschriebenen giebt es ge-
nug; sie haben aber keinen Anspruch auf Beschreibung in dieser
Skizze, denn wesentlich bestehen alle aus dem Mölid und der
Mahlzeit. Im höchsten Grade verlangt dagegen das Fest der Feste,
die Hochzeit unsere Aufmerksamkeit.
Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Hochzeit, wie wir sie be-
schreiben werden, nur dann gefeiert wird, wenn ein junger Mann
mit einer Jungfrau [bint el-bet) eine Ehe schliesst. Ein Mann, der
schon eine Stellung in der Gesellschaft bekleidet, könnte sich kaum
all den seltsamen Bräuchen unterziehen, die ein grosses Kind sich
gefallen lassen muss, und für die Frau wäre es gleichfalls lächer-
lich, zwei oder gar mehrere Male in solcher Weise die Braut zu
spielen. Wenn die Braut eine geschiedene oder verwittwete Frau,
oder wenn der Bräutigam nicht mehr jung ist, so hängt die Weise,
wie man ihre Hochzeit feiert, völlig von Umständen ab. In solchen
Fällen lädt der Mann z. B. einige gute Freunde und die beidersei-
tigen männlichen Verwandten zu einer Mahlzeit ein, die manchmal
einige Tage nach Vollziehung der Ehe veranstaltet wird; die Frau
hat aber vor ihrem Einzug in des Gatten Haus an einem oder
mehreren Abenden Damengesellschaften mit Sängerinnen. Hat sie
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schon oft den Gatten gewechselt, so fängt sie wohl selbst an, die
immerhin kostspieligen Gesellschaften als eine unbequeme Ver-
pflichtung zu betrachten, und macht sichs möglichst billig. Sehr
prosaische, aber nicht seltene Ehen sind es, wo die Parteien sich
verabreden , keinerlei Festlichkeit damit zu verbinden; am Tage
des Kontraktschlusses werden eventuell die Ilnusgerüthe der Braut
in die Wohnung des Bräutigams getragen, und spät Abends kommt
sie selber. Regelmässig befolgt man diese Sitte, wenn die Ehe auf
eine bestimmte Zeit geschlossen wird. Im orthodoxen Gesetz sind
bekanntlich solche Ehen als 1/ Genussehen" verpönt, obgleich einge-
standen wird, dass in der ältesten Gemeinde Meinungsverschieden-
heit darüber herrschte; die Schl'iten hingegen gestatten sie und be-
nutzen die Erlaubniss dazu, mehr als vier Gattinnen zu gleicher
Zeit zu haben. Nun findet sich aber die Praxis der Sunniten in
diesem wie in vielen anderen Fällen so mit dem Wortlaut des Ge-
setzes ab, dass zwar kontraktmimige Zeitbestimmungen den Ehe-
vortrag ungültig machen würden, dagegen mündliche Versprechen
und Verabredungen jeder Art ausserhalb des Kontrakts moralisch
verbinden. Der Mann kann zu jeder Zeit ohne Weiteres seine Frau
verstossen; wenn also ein Fremder, z. B. ein auf einige Zeit in
Mekka lebender Medineuser einer Frau Heirathsvorschläge macht,
so ist von ihrer Seite die Frage sehr begreiflich: Wie lange ge-
denkst du zu bleiben, und was denkst du bei der Abreise mit mir
zu machen? Antwortet er etwa, er werde voraussichtlich drei Mo-
nate bleiben und wünsche bloss auf die Zeit ein Weib zu haben,
so rechnet sie ihm vor: zehn Dollars das Ileirathsgeld , zwölf Dol-
lars für jeden Monat zum Lebensunterhalt , und zwar sowohl für
die drei Monate nach der Scheidung, d. h. für die c/<Ä/fl^-periode ,
als für die des Zusammenlebens. Sie bedingt sich sogar wohl ein-
mal aus, dass der Fremde vor der Kontraktschliessung die ganze
Summe deponiere. Sind sie einig geworden , so wird der Kontrakt ohne
Bedingung abgeschlossen , aber beide Parteien kommen fast ausnahms-
los der gemachten Verabredung nach. So ist die Mut, ah (Genussehe) ,
deretwegen die Sunniten die Räfidhiten beschimpfen, von jenen
durch eine Hinterthür dennoch eingeschmuggelt worden.
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Nicht bei derlei Verbindungen hat die Poesie ihr Wörtchen mit-
zureden; nur wo der Jüngling aus mekkanischer Familie eine mek-
kanische Jungfrau heirathet, giebt man wenigstens formell der Ver-
bindung einen poetischen Anstrich. Das Alter der jungfräulichen
Braut steht zwischen 12 — 20 Jahren, der Jüngling mag 14 — 25
Jahre zählen. Beide sind also immer jung, aber manchmal haben sie
schon längst die Geschlechtsreife erreicht1). Ist der Jüngling aus
wohlhabender Familie, so hat ihm denn auch sein Vater oder Vor-
mund, sobald sieh bei ihm die Neigung dazu zeigte, eine Skla-
vinn uls Konkubine gegeben. Oben haben wir gesehen, dass auch
die erste Heirath nicht immer in der Liebe oder doch dem Wunsche
des Bräutigams begründet ist. Es kommt vor, dass der Jüngling
sich zu den durch seinen Vater vorgenommenen Verhandlungen
wegen seiner Ehe ziemlich passiv verhält, obgleich kein Zwang
ausgeübt wird. Auch die Jungfrau wird nur selten zur Heirath ge-
nöthigt; es geziemt sich aber durchaus, dass sie sich aufführt, als
fügte sie sich den Plänen ihres Vaters nur aus Gehorsam.
Die Chitbah, d. h. der vorläufige Heirathsantrag wird in der
Regel dadurch eingeleitet, dass eine weibliche Verwandte des Bräu-
tigams der Mutter der Braut einen Besuch macht, und der Form
nach hat dieser Besuch die Bedeutung einer Auskundschaftung: sie
soll die Jungfrau besehen, ihrer Art nachspüren, und wenn das
Resultat den gehegten Erwartungen entspricht, allmählich dem Ge-
spräch die gewünschte Wendung geben, sodass sie daheim berich-
ten kann, welche Aussicht auf Erfolg die von den Männern vorzu-
nehmende eigentliche Chitbah hat. Wenn die Familien mit einander
verkehren, giebt es aber viel bessere Mittel, durch zweideutige
Gespräche vorher unzweideutige Auskunft über die Möglichkeit der
gewünschten Verbindung einzuziehen, aber auch dann verlangt das
»Herkommen” den erwähnten Weiberbesuch, der also rein zur Ko-
mödie wird. Das Objekt des Besuchs, die Jungfrau, ist regelmässig
1) Das Erreichen der Geschlechtsreife wird auch in der Umgangssprache durch balagh
bezeichnet, und aus Mangel an genauer Kenntnis» des Alters bestimmt man es mei-
stens nach den natürlichen Zeichen (Menstruation und Ihtiläm). Mehrere Male hörte
ich junge Mekkaner erzählen, zu ■welcher Zeit und wo (z.B. auf der Zjjärah nach Me-
dina) sic balaghu.
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zufällig nicht im Empfangszimmer anwesend ; die Besucherinn muss
daher ausdrücklich verlangen, sie zu sehen. Wenn noch Zweifel ob-
walten, so ersieht die Frau gleich aus der Weise, wie diese Bitte
aufgenommen wird, ob sie weiter gehen soll oder nicht. Schliess-
lich äussert sie dem Mädchen gegenüber: »so Allah will, wollen
wir uns verschwägern” ‘) , worauf die älteren Damen zustimmend
antworten, während die Jungfrau ihre Schüchternheit und ihren
Gehorsam zur Schau trägt. Nachdem der weibliche Gesandte zu
Hause Bericht erstattet, geht nun ein Mann von den Verwandten
des Heirathskandidaten zur Familie der Braut, um der weiblichen
Verabredung männliche Kraft zu verleihen; dazu wählt man den-
jenigen, der am besten zu reden weiss und an geschäftlichen Ver-
kehr gewöhnt ist. Nicht weniger als seine Vorgängerinn wird er
freudig bewillkommnet und mit Kaffee usw. bewirthet. Die Herren
bestimmen den Tag der Mulkah ’), d. h. der Abschliessung des
Kontrakts und besprechen mit erheucheltem Zartgefühl und kauf-
männischer Präcision die Frage des Heirathsguts. Ueber dessen Be-
trag lässt sich nicht viel sagen; in vornehmen Familien wird ein
beträchtlicher Mahr durch beiderseitigen Familienstolz erfordert und
fügt der Vater des Bräutigams dem Versprochenen noch Vieles
hinzu. Mancher Vater aus den mittleren Klassen verlangt im Na-
men seiner Tochter einige hundert Dollars nicht wegen des Geldes,
sondern weil er dadurch zeigen will, wie viel er auf sie hält. An-
dere heben hervor, ein guter Gatte sei ihnen willkommen, auch
wenn er nur der Form wegen einige Zehner opfert. In den ärme-
ren Klassen muss man für die Jungfrau schon deshalb auf mög-
lichst hohen Mahr dringen, weil daraus die sämmtlichen Kosten
ihrer Aussteuer zu bestreiten sind und weil sie dadurch ein kleines
Kapitälchen erhält für den Fall einer Scheidung. Die Aermsten
müssen über Alles hinwegsehen und mit ein paar Dollars vorlieb
1) Im uhn 'Unk ru$!r arknm. lieber die Bedeutung des Wortes Rakm im heutigen
Mekka vergl. Mekk. Sprichw. i. v,
2) Namentlich bei Kinderehen und mitunter auch bei Ehen der oben besprochenen
Art geht jedoeh die Mulkah allen anderen Feierlichkeiten, wolche zur Vollziehung der
Ehe gehören, Monato oder gar Jahre lang voraus.
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nehmen, wenn nicht ihre Schönheit die Begierde der Reichen er-
weckt. Körperliche Reize des Weibes sind hier um so einträglicher ,
weil im Islam der Mann sich nicht mesalliieren kann , während das
Gesetz der Frau empfiehlt, wo möglich nur einen Gatten gleichen
oder höheren Standes zu nehmen. Genug, in Bezug auf den Mahr
herrscht unendliche Verschiedenheit.
Zur Bekräftigung der gemachten Verabredungen recitieren die
Männer zusammen die Fät'hah ’). Daher sagt man von einem jun-
gen Mädchen: »man hat die Fät'hah über ihr recitiert”1 2 3 4) im Sinne
von: »sie wird in den nächsten Tagen verheirathet”. Ein paar Tage
vor der Mulkah sendet der Vater des Bräutigams (resp. dieser selbst)
einige männliche Verwandte zum Vater der Braut, ihm das Hei-
rathsgeld, oder wenigstens den vor der Ehe zu zahlenden Theil des-
selben zu überreichen. Einer von jenen trägt ein silbernes Brett,
dessen Boden durch ein Päckchen von etwa 5 Ellen rothem Schäsch ’)
bedeckt ist. Darauf sind die Goldstücke gelegt mit etwas Kandis,
Kardamom und einigem, zu hübschen Figuren geordnetem arabischen
Jasmin {Full). Das Ganze bedeckt man mit einem feinen, tüllarti-
gen Tuch , dessen Ränder mit Streifen und Figuren aus Goldblech
besetzt sind. Im Hause der Braut warten die Männer und die Wei-
ber, je in ihrem Gemache, auf die Gäste mit Kaffee und Sorbet.
Sobald man sie beobachtet, ertönt von oben aus dem Weibersalon
das bekannte gellende Trillern {Ghatrafah *) ; die Herren gehen
ihnen entgegen und bewundern die feine Morgengabe. Wir haben
zur Genüge betont, dass diese in Mekka wirklich dem Gesetze ge-
mäss der Gattinn zu Theil wird, und bei späteren Ehen wird ihr
denn auch der Betrag unmittelbar ausgehändigt, eventuell nach
Abzug der Vermittlergebühren. Die Jungfrau ist aber in allen weit-
1) Vcrgl. oben 8. 35.
2) qara'u zaleiha ’ l-fdfhah .
3) So heisst der dünne Stoff, aus dem man Kopftücher {Mehfirim) für Weiber, und
Tücher für Turbane anfertigt; für letztere gebraucht man meistens weisses Schäsch.
4) Wenn einige Reisende dieses Trillern mit Wultoultcul etc. wiedergebon , so triilt
das wenigstens für Mekka nicht zu, denn dort ähnelt das Ghatrafah vielmehr trillern-
dem Vogelsang, während der Ruf Wuhoultoul zwar oft aus Wcibermunde gehört wird,
aber nur als Ausdruck der Enttäuschung oder des Mitleids. Das Ghatrafah ahmt das
wilde hysterische Lachen und Jauchzen, das Wuhotd sympathisches Weinen nach.
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liehen Dingen noch so unerfahren , dass selbstredend der Vater oder
der Vormund die finanziellen Angelegenheiten besorgt. Er kauft ihr
die Hausgeräthe usw. und betrachtet somit die Morgengabe als schon
verausgabt, bevor sie noch bezahlt ist. Wenn er wohlhabend ist,
so hat er wohl viel daraufgelegt, und ist er arm, so nimmt er
auch etwas für seine Bemühung. Vor dem Abschiede bitten die
Vertrauensmänner die Verwandten der Braut, sie möchten noch
förmlich den Empfang der Ileirathsgeldes bezeugen : »wir kennen
uns zwar so gut , aber es ist der Mensch bekanntlich ” und
die Angeredeten unterbrechen schon mit der gewünschten Bestä-
tigung.
Die Mulkah (officiell : ^Aqrl en-nikäh) , d. h. die Kontraktschlies-
sung, ist im Gesetze sehr einfach geregelt: dem förmlichen, un-
zweideutigen Angebote von Seiten des Vertreters der Braut soll
die förmliche Annahme von Seiten des Bräutigams unmittelbar fol-
gen; wenigstens zwei Zeugen sollen das anhören, und damit ist
die Ehe geschlossen. Unter den nicht obligatorischen Sachen, die
das Gesetz mit Nachdruck anempfiehlt, sind vorzüglich erwähnens-
werth die Vermehrung der Zeugenzahl zu einer feierlichen Versamm-
lung und eine oder mehrere von den Parteien auszusprechende Re-
den über die Bedeutung der Ehe als eines göttlichen Instituts;
Beides findet in Mekka bei jeder Eheschliessung mit einer Jungfrau
und einigermaassen auch bei den anderen statt.
Sowohl wenn der Kontrakt im Hause (gewöhnlich der Braut) als
wenn er in der Moschee geschlossen wird, kommen dazu eingeladene
Bekannte mit den beiderseitigen männlichen Verwandten zusammen
und setzen sich in Reihen, der Qiblah zugewandt, als wollten sie
ein gemeinschaftliches Qnlät vornehmen. Vor ihnen, gegenüber der
Mitte der vorderen Reihe, setzt sich der Leiter der Feierlichkeit,
als welcher nur selten der Willi (Vater oder Vormund) der Braut
selbst, gewöhnlich ein von diesem Bevollmächtigter fungiert. Zu
dieser Funktion gehört zwar nicht sehr viel, aber immerhin muss
der Mumlik oder " Aqid en-nikäh (so heisst der Verheirather des
Mädchens) genau mit den erforderlichen Formalitäten vertraut sein
und eine Chulbah auswendig kennen. Keine Chulbah (Rede) wird
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so dringlich vom Gesetze anempfohlen als die des Walt 8: weil nun
die meisten Wdli's zu solcher Leistung nicht im Stande sind, ist
es fast allenthalben zur Sitte geworden , dass sie für die ganze Ver-
heirathung einen Kundigen bevollmächtigen '), zumal dadurch auch
am besten formelle Fehler vermieden werden. In Dörfern findet man
nur etwa einen oder zwei solche Eheschliesser ( Mumlik’ s) ; in grösseren
Städten zählen sie nach Dutzenden, denn dort besitzt wohl von je-
dem bedeutenden Geschlechte ein Mann die verlangte Fähigkeit,
während alle Fdqih’s und die meisten Moscheebeamten als Mumlik’s
brauchbar sind. Da nun in streitigen Fällen der Qfldht über die
Gültigkeit einer Ehe zu entscheiden hat und die Zuverlässigkeit des
Mumlik' s für die Entscheidung ein wichtiges Moment bildet, übt
der Qädhl fast überall eine gewisse Kontrolle über die Eheschlies-
ser aus. In einigen Ländern geht dies so weit, dass der Richter
eine beschränkte Zahl solcher Leute anstellt, auf die dann jeder
angewiesen ist. In Mekka stand es jedem gebildeten Bürger zu , sich
einen Erlaubnisszettel vom QädhT auszubitten, und deren Zahl be-
trug wohl einige hundert; hohe Autoritäten in der Gesetzeswissen-
schaft und anerkannte Gelehrte bedurften aber keines Zettels. Es
hat hier nicht an Versuchen der türkischen Autoritäten gefehlt,
die Kontrolle durch Einsetzung weniger Mumlik« für jedes Stadt-
viertel zu erleichtern ; sie scheiterten aber an dem Unwillen der
Bürger, die sich für die Berechtigung ihres Wunsches auf das hei-
lige Gesetz beriefen. Als Mumlik tritt daher in Mekka bald ein
gelehrtes Mitglied der Familie auf, bald ein Iraäm der Moschee
oder sonst ein Faqih, der für seine Leitung belohnt wird.
Bald nachdem sich Alle gesetzt haben, tritt der Bräutigam her-
ein, von einigen Freunden begleitet. Er nimmt seinen Platz vor
den Reihen neben dem Mumlik ein , und dieser beginnt nun nach den
üblichen Lobpreisungen Allahs und des Propheten seine Chulbah1 2'),
1) Das Recht, sich durch einen Andern vertreten zu lassen, steht sowohl dem Wall
als dem Bräutigam (cJru) zu; in Mekka macht der Erste fast regelmässig, der Zweite
nur ausnahmsweise von dem Rochte Gebrauch.
2) ln der Fanal at-UÜihln des Sejjid Bekri, III: 312 ff. findet man einige in Mekka
gebräuchliche Chutbah’s für die Mulknh mitgetkoilt.
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die mit Quränversen und Traditionen über Wesen und Zweck
der Ehe gespickt ist. Nachdem er noch daran erinnert hat, dass
»zwei Menschen sich weder vereinigen noch aus einander gehen aus-
»ser durch eine (göttliche) Entscheidung und Vorherbestimmung”,
schliesst er mit folgenden Worten '): »Hiermit biete ich dir zur
»Ehe und zur Heirath ’) an die von dir zur Frau verlangte (möge
»sie vor Bösem behütet sein !) N. N. , Tochter des X. , gegen die
»Morgengabe, worüber ihr einig geworden seid”. Der Bräutigam
antwortet unmittelbar’): »Ich nehme die Ehe mit ihr auf die ge-
»nannte Bedingung an”, worauf alle Anwesenden, die Hände in
der oben *) beschriebenen Weise vors Gesicht haltend , die Ffit’hah
recitieren. So oder ähnlich wird der J/#/X-aX-vertrag in Mekka abge-
schlossen; das Herkommen regelt aber nicht weniger pünktlich die
Ornamentik als das Gesetz die Form des Kontrakts.
Als sehr vornehm gilt es, die Mulkali ein paar Stunden nach
Sonnenaufgang zu Hause abzuhalten; überhaupt wäre es gegen die
Sitte , vor Sonnenuntergang dergleichen in den Räumen der Moschee
vorzunehmen. Was die Bewirthung der Gäste anbetrifft, gehört zu
dieser Weise Folgendes: Zuerst wird den Leuten, während sie im
Salon sitzen, zweierlei Speise angeboten, Süsses und Pikantes3),
also Zuckerwerk oder in Zucker Eingemachtes, und Fleisch mit
Zukost , wie z. B. eine Art Zwieback •). Bevor die Gäste sich ver-
abschieden, erhält ein Jeder etwa '/, Pfund Zuckerbonbons {Ha-
läwah sukkarijjeh) oder Kandis in einer aus Zucker gebackenen
Schüssel mit ebensolchem Deckel7) zum Mitnehmen. Die nächsten
1) U oXa t;, i ) j
8) Hier werden immer die beide* synonymen Wörter gebraucht, von welchen das
(leset/, eins zu wühlen gebietet, weil andere Ausdrücke nicht ganz unzweideutig sind.
3) ^ oAaS
4) S. 35, Anm. 8.
5) üü* wehiidiq (»J jOL>} ^h>).
6) Buiqumtit, auch Buqsumdt , Bulctumdi und Bmkamdl gesprochen.
7) Das nennt man (ah* bmkakbatak (*.-Xa£«j vergl. über Mekabbah oben
S. 5. Auch bei den Festen, die von den einzelnen Stadtvierteln wegen des Einzugs
des Urossschcrife oder des Wäli's gefeiert werden, lässt nun häuiig die Kommission
eines Viertels solche ('ahin mit Bonbons backen und verthcilt sie an die vornehmeren
Bewohner ihres Quartiers.
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1G3
Verwandten des jungen Ehepaares stellen sich schliesslich zur rech-
ten Seite des Ausgangs in einer Reihe auf, um die Segenssprüche
der Fort gehenden eutgegenzunehmen und ihnen für die erwiesene
Theilnahrue zu danken.
Ueblicher als diese Weise ist es aber, die Mulkah nach dem
* Ischä , z. B. gegen 9 Uhr Abends , im Haram abzuhalten.
Im Einverstiindniss mit den Moscheebeamten oder mit dienstfer-
tigen Zemzemi's wühlt man dazu entweder den Hidjr1 2 * 4) (den Raum
innerhalb der halbkreisförmigen Mauer gegenüber der Nordwest-
seite der Ka'bah) oder das Obergemach des Zemzemgebäudes , worin
gewöhnlich der Gouverneur und andere hohe Beamte ihre Mittags-
und Nachmittagscaläts verrichten, weil dann die Sonne im Hofe
der Moschee brennt und dies Gemach ihnen die Erfüllung ihrer
Pflicht nahe der Ka'bah und dennoch im Schatten ermöglicht *).
Der für die Mulkah bestimmte Raum, wird mit schönen Teppi-
chen belegt und mit mehreren Tannür» s) und Fänüaen 5) beleuchtet.
Speisen setzt man hier nicht vor; bezüglich der nach Recitation der
Fät’hah zu vertheilenden Süssigkeiten giebt es drei Klassen zu un-
terscheiden. Am feinsten ist es, wenn jeder Gast 1I1 Pfund Kandis
in einem Säckchen aus rothem Schüsch *) erhält ; weniger vornehm
heisst die Vertheilung von Abnütah *), die von den Gästen in ihren
eigenen Tüchern mitgenommen werden muss; wer es sehr billig
1) Vergl. Grundriss der Moschee, N°. 2.
2) Vergl. Bd I, S. 10—11.
8) Tanniir ist eine auf einem nicht allzu hohen I’uss stehende gläserne Laterne, die
ebenso wie der Ttmi» eine Wachsten» oder eine von den in Mekka sehr gebräuchlichen
Kerzen aus Walrat (Srham'et il-huf) aufnehmen soll. Der FtnuU ist die gemeino Laterne,
die man im Uause aufhängt und Abends und Nachts auf dio Strasse sowie in die Mo-
schee mitnimmt; die Kerze steht hier in einem durch sechs in Blech eingefasste Glas-
scheiben begrenzten Raum; von den oberen Seiten der Scheiben aus setzt sich das bis
an die Spitze der Laterne immer enger werdende Blech fort , und oberhalb ist ein Ochr
zum Tragen oder Aufhängen daran befestigt. Anstatt der Kerze setzt man häufig eine
Petroleumlampe in den Fdxtlt, aber mit Petroleumlampen darf man nicht in die Mo-
schee eintreten. Zu dieser Verordnung hat die türkischen Autoritäten nicht das heilige
Gesetz bestimmt, sondern der zu den goweihten Räumen nicht passende üble Geruch
des Petrols.
4) Oben S. 159.
5) Oben S. 139.
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164
machen will, lässt beim Fortgehen bloss Sorbet in Bechern reichen.
Fürs Sorbettrinken giebt es zweierlei Sitte, die mekkanische und
die medinensische ') : auf mekkanisch lässt man einen gefüllten Be-
cher von Mund zu Mund gehen und trinkt jeder ein paar Züge,
auf medinensisch dagegen erhält der Einzelne einen vollen Becher
für sich und muss ihn austrinken. Wie es in dieser Beziehung bei
jeder Gelegenheit hergehen soll, das regelt sich nach dem Beispiel
der vornehmeren Gäste. Abschied nimmt man in der Moschee ähn-
lich wie im Hause , nur dass sich dort die Verwandten am Aus-
gang des Hidjr oder des Zemzemgebiiudes aufstellen.
Es kommt auch vor, dass man die Mulkah nach dem Maghrib
oder dem c Ischn zu Hause vollzieht, wobei dann die Accessorien
die gleichen sind wie in der Moschee. Damit alle Nachbarn die
Sache erfahren, lässt man in diesem Falle wohl die grossen Trom-
meln {Zir's) vor der Thür schlagen , und beleuchtet auch den Eingang
der Gasse mit aufgehängten Oelgläsern ( Qandifs ) oder zylinderför-
migen Burmalis. Im Hause werden zwar keine Speisen , wohl aber der
auch sonst zu jeder Tageszeit dem Besucher kredenzte Kaffee angeboten.
Von Rechtswegen könnte der junge Ehemann nach der Mulkah
den //Eingang” {Duchüt), d. h. die erste Beiwohnung, ohne Weite-
res vollziehen; der Jungfrau gegenüber wäre dies aber ein unduld-
barer Verstoss gegen die Sitte. Auf so einfachem Wege soll der
zAris (Bräutigam) nicht zur c Arusah (Braut) gelangen ; Beide haben
vorher eine Reihe sehr ermüdender Ceremonien durchzumachen,
und die beiderseitigen Freunde, namentlich aber die Freundinnen,
möchten sich um keinen Preis das Vergnügen nehmen lassen , dabei
als Helfer oder Zuschauer zu agieren. Schon vor dem Mulkah- tage
haben sie sich zur Theilnahme gerüstet und der Familie der Braut
viele Dienste erwiesen, indem sie die unzähligen und theilweise
sehr kostbaren Erfordernisse des Hochzeitsfestes in deren Haus zu-
sammenbrachten. Aus der weiter folgenden Beschreibung des Festes
1) Auf verschiedenen Gebieten existiert eine Mode von Modina und eine von Mekka ,
die jedoch beide in beiden Städten in gleichem Maassc üblich sind; so hat man mck toni-
sche und medinensische Sandalen (vergl. Tafel XXXVIII, Ji«. 7 und 8), eine mekka-
nisotic und eine medinensische Art, deu Turban um die Kii/ijjah zu winden usw.
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wird inan ersehen, dass die Kosten der Hochzeit an Speisen, Ge-
tränken , Beleuchtung , Lohn der Sängerinnen und Musikanten usw.
schon sehr beträchtlich sein müssen, dass aber nur steinreiche Leute
< in der Lage wären, den Preis der Ausstattung des Brautzünmers
und anderer Gemächer zu zahlen. Reiche Besitzer der dazu nöthi-
gen Gegenstände leihen dieselben aber gern aus, und zwar auch
an Fremde, wenn solche ihnen von Freunden empfohlen werden;
es giebt andere Sachen (Lampen, Bänke usw.), die man im Noth-
fall miethen kann, und endlich "stiften” fromme Kaufleute die
Schmucksachen, die zur Hochzeit gehören, als IVaqf, wodurch ein
Jeder unter gewissen Bedingungen ein Recht auf ihre Benutzung
hat. Somit kann die ärmste Jungfrau aus anständiger Familie we-
nigstens einmal im Leben die Küniginn spielen.
Gestern war die Mulkah unserer Freundinn, so sagen die inti-
meren weiblichen Bekannten der Braut , also gehen wir heute Abend
zu ihr zum Minna (Henna) ; morgen macht man ihr die Rikah und
übermorgen giebt es Ghumrah. Heimlich freuen sie sich aber am
Meisten ob der Nacht der Buchlab. , die dem Ghumrah- tage folgt.
Wir wollen jetzt etwas tiefer in diese Geheimnisse eindringen.
Zur oben angegebenen Reihenfolge ist zu bemerken, dass wohl
einmal der //innn-aliend dem Tage der Rikah folgt, wodurch die
Zahl der Festtage um einen vermindert wird und die Damengesell-
schaft erst gegen Sonnenuntergang des Rikah- tages anfängt. Sonst
kommen die Verwandten und die besten Freundinnen schon Nach-
mittags am Minna- tage zur Braut und gemessen dort eine gute
Mahlzeit. Das Hinna-iest beruht auf der Fiktion, dass die Braut
von ihren Freundinnen geputzt wird, und weil der Henna mit
grosser Fürsorge auf die Füsse und Hände gelegt werden und lange
trocknen muss, wird die ganze Toilette danach benannt. Thatsäch-
lich verrichtet aber eine lierufsmässige Putzerilm (Meqejjinah , Me-
gef nab) die Arbeit und schauen die Gäste nur zu. Nachdem der
Henna trocken geworden, putzt die Meqej'nab der Braut das Haar,
d. h. sie schneidet die gerade oberhalb der Stirn befindlichen Haare
ab und kürzt die Augenbrauen ein wenig. Die Kopfhaare flechtet
sie in acht Strähne ‘) zusammen , denen sie , wenn es Noth thut ,
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mit falschen Locken (‘ XJqüq , "Eqüq) aus Wolle und Seide etwas
nachhilft. In jede Flechte wird eine seidene Schnur (ScAerU) einge-
wirkt, woran einige ausser Kurs gerathene goldene Münzen mittels
darin gemachter Löcher befestigt werden. Zu diesem Zwecke dienen
meistens zwei Münzarten, die zur Zeit des Sultans Mahmud ge-
prägt wurden und die Jahreszahl 1223 (18U8 — 9) zeigen ; man nennt
sie hier resp. Ghawäzi (Sing. GhäzijjeA) *) und Mahmädtjjät. Eine
andere, seltenere und ziemlich kostbare, von den Weibern auch als
Amulet hochgeschätzte Münzsorte verdient hier erwähnt zu werden,
zumal man sie sehr gern zum Haarschmuck verwendet; sie heisst
in Mekka MUchchaq , Plur. MetehäcMf 5) , was nichts anderes als
Bildmünze bedeutet. Es liegt daher die Vermuthung nahe, dass in
früheren Zeiten diese Goldstücke die einzigen mit menschlichen Bil-
dern versehenen gewesen seien, die in Mekka umliefen. Jetzt sieht
man fast nur durchlöcherte Exemplare, und auf den meisten ist
die Legende sehr schwer zu entziffern. Man kauft sie bei Geldwechs-
lern und Goldschmieden nur zum Gebrauch für die Weiber. Aus
einem sehr gut erhaltenen Exemplare, das ich besitze, und dem
die übrigen von mir gesehenen in der Hauptsache ähnlich sind,
erhellt, dass wir es mit venetiauischen Sechinen zu tliun haben ').
1) Die Flechten heissen Dhafdir oder Djaddil, seltener, wie im Innoren, Dalmk;
früher nannte man dieselben auch Qatchdil, das Flechten TaqtckUj jetzt sind Qatchmt
die in die Haarflechten eingeführten goldenen Münzen.
2) Ghdzijjth*M dos Sultans Abd M-fjamtd kommen auch vor; sie heissen so, weil das
Wort Gkdzi („der den heiligen Krieg geführt hat”) einige Male darauf steht. Eine Gkdzijjek
ist gewöhnlich für etwas mohr als 1 Dollar , eine Malmitdijjeh für etwas mehr als 4 zu haben.
3) Mckkanische Gelehrte behaupten, die regelrechte Form sei Mmckackckaf , aber so
spricht kein Mensch. In den Chroniken der Stadt werden bedeutende Geldbeträge vor
etwa I‘ Jahrhundert in dieser Münze angegeben.
4) Die Bestimmung der Münze verdanke ich der Güte des Herrn Th. M. Rocst in
Leiden. Aus der unten stehenden Abbildung meines Exemplars ersieht man , das dasselbe
aus der Zeit des Dogen Aloys Mocenigo I (1570 — 77) herstammt; auf einer Seite kniet
der Doge vor dem heiligen Marcus (SM), auf der anderen steht Christus, von Sternen
umgeben.
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Die Ironie der Geschichte war also nicht damit zufrieden, dass in
Medina das Grab Muhammeds, der die Prophetenverehrer verfluchte ,
zum Ziel der Wallfahrten geworden ist; sie lässt ausserdem in Mekka
die Weiber der Muslime, die bildliche Darstellungen lebendiger Ge-
schöpfe verpönen und den Christus gewidmeten Kultus als Unglau-
ben verdammen, abergläubische Verehrung zeigen für die Bilder
Jesu und eines Evangelisten. Dass die Damen selbst keine Ahnung
davon haben , versteht sich von selbst.
Während die Toilette der Braut (ausser dem Festgewande) zurecht-
gemacht wird, erfreuen sich die Freundinnen an Sang nnd Klang;
dazu werden nicht immer Sängerinnen beschieden , sondern die
Weiber begleiten oft den eignen Gesang mit Tär’s, die von dieser
und jener mitgebracht sind, oder Händeklatschen. Die jungen Mäd-
chen bleiben wohl bis Mitternacht zusammen , Pfeifen rauchend und
Thee trinkend; die verheiratheten Damen kehren früher heim.
Am nächsten Tage kommen schon im Laufe des Morgens die
Freunde der Familie der Braut zur "Erbauung der Rikah", wie es
heisst, in ihr Haus; die Rikah ') ist eine Art überdachter Thron-
sessel, der ähnlich aussieht wie der obere Theil eines Mimbar und
den man für die jungfräuliche Braut aus Holz errichtet, welches
ganz unter Prachtkleider versteckt wird. Aus mehreren Stücken schwe-
rer Atlasseidc und Rezah , mit aufgehefteten goldenen und silbernen
Sternen , Borten usw. und mit allen denkbaren Schmucksachen ’)
und Edelsteinen behängt, setzen sieh die Vorhänge und die Be-
deckung der vorderen Wand dieses Sessels zusammen. Zum Rikah-
ziramer richtet man einen Salon in einem oberen Stockwerke ein ,
belegt dasselbe mit feinen Teppichen, hängt über die Thür grosse
silberne Sterne mit eingefassten Diamanten und mehrere Laternen,
und stellt den Sessel mitten im hinteren Theile des Zimmers auf.
Auch die Rikah ist mit vielen Laternen ( QandiFs , Nedjfah’s ’)
1) Es ist das quranische (XVIII : 30 u. a. 0.) ä&jt ; im Quran heissen so die Sitze,
auf denen die Glücklichen im Paradies ausgestreckt liegen.
2) Namentlich allerlei RUckak's (stern- und rosenförmige Brochen) dienen zur Ver-
zierung der Rikah.
3) Niijfak heissen die riesigen, aus Europa importierten, kristallenen Leuchter, dio
mit einigen vergoldeten Spiegeln und von Glocken überdeckten Kunstblumen der ge-
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168
und Burmnh's) versehen, in denen man zur Schonung der kostba-
ren Kleider bloss Walratkerzen brennt. »Erbauung der Rikah" heisst
aber die Beschäftigung der Freunde nur a parle potiori , denn nicht
weniger Zeit erfordert die Herstellung der übrigen zur Hochzeit
erforderlichen Dinge. Auf dem zunächst dem Hause befindlichen
Platz ( Barrä&ah ) oder in der Gasse werden Pfähle in den Boden
geschlagen , deren obere Spitzen Querbalken verbinden , und an
diese hängt man möglichst viele Laternen; hölzerne Bänke ( Dek-
kah's) stellt man dort in Reihen auf und belegt sie mit Teppi-
chen; den Boden ebnet man und begiesst ihn mit Wasser, kurz,
der Tag der Rikah wird in allgemeinem Hin- und Herrennen ver-
bracht, wobei Jeder den Anderen an Dienstfertigkeit zu überbieten
sucht. Für ihre Bemühungen werden Alle mit einem guten Essen
belohnt: der Berufskoch bereitet ihnen in seinen grossen Kesseln
Reis und Hammelfleisch mit einiger Zukost. Auf grossen Fiinfper-
sonentellem schickt die Familie der Braut dem Bräutigam und des-
sen Verwandten Antheile (Macscharah , Plur. Me'ätchir) von den
Speisen , mit Mekahbah 8 *) zugedeckt. Nach dem cJ?r kehren die
Herren heim ; die Damen aber kommen in grösserer Zahl als am
vorigen Tage und verbringen die Nacht wie die vorige. Wie bereits
bemerkt , fallt diese Nacht bisweilen mit der //i»»/7-nacht zusammen ;
sonst nennt man sie, weil sie zum folgenden Ghumrah- tage gehört,
die G humrah-TKicM,.
All die Bewegung, die am Ghumrah- tage in den Häusern der
Braut und des Briiutigams herrscht , ist eigentlich nur die Vorberei-
tung zu dem, was am Abend und in der Nacht geschehen soll,
zur Buchiah , dem Gipfelpunkt der Hochzeitsfeste. Den ganzen Tag
hindurch schlägt man ab und zu vor beiden Häusern die Trommeln
( Zir ), und Sängerinnen, denen in der kommenden Nacht schwere
Arbeit bevorsteht, unterhalten auch am Tage in beiden Familien
die Damen und ihre Gesellschaft. Gastmühler finden ebenfalls häu-
fig , obgleich nicht nothwendig , am Ghumrah-tage statt ; man dehnt
moinsten Sorto nach „modernem” Geschmack die beliebteste Ausstattung vornehmer
mekkanischer Salons bilden.
1) Vergl. oben S. 5.
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ja die Einladungen zu solchen Festen möglichst weit aus und ist
daher ausser Stande, alle Gäste auf einmal zu empfangen, obgleich
man über die besten Gemächer der Nachbarn verfügt.
Wir haben schon öfter, wo von Weibergesellschaften die Rede
war, der Sängerinnen Erwähnung gethan und gesagt, die gleichen
erotischen Lieder, an denen die Damen sich zur Hochzeit ergötzen,
seien auch bei anderen Gelegenheiten die beliebtesten. Solche Lie-
der nennt man in Mekka Däna-däna-gesiinge oder schlechtweg Däna-
dfma, weil sie immer mit einigen Variationen dieses Wortes an-
fangen. Es macht den Eindruck , als hätte dieser Anfang keine andere
Bedeutung als etwa Trala/a in unseren Liedern ; Manche behaupten
aber, man habe darin durch das Tonmaass entstellte Formen des
Verbums datia, »nahen” zu sehen, und die Annäherung der Ge-
liebten werde damit angekündigt, oder aber die Geliebte aufgefor-
dert , sich zu nähern '). In der Littenitur habe ich keine Aufklärung
über diesen Ausdrück gefunden ; nur in einer malaiischen Handschrift
der Königl. Hof bibliothek zu Berlin ') fand ich eine Erzählung von
einem Fürsten von Ghaznah, der als Derwisch reiste und auf sei-
nen Wanderungen einmal bei der Wohnung eines seltsamen Schechs,
Namens Maqbül, anlangte, der zu gewissen Zeiten » Däna-däna sang” *).
Gewöhnlich ist die eigentliche Sängerinn ( Meghannijah ) nur eine
und begleiten sie die übrigen, ihre Sklavinnen, theils durch das
Schlagen der Tamburinen ') , theils durch das Einstimmen in die
Reimworte oder die letzten Worte der Verse5).
1) Sehr viel Ansprechendes hat die Vermuthung des Herrn Dr. Wetzstein, der An-
fang ja naddiut dani usw. könnte aus lik> J>G ül k> !il 2 * * 5 b, etwa „Höre, da bin ich,
komm, da bin ich!” entstanden sein. Doch fügt Herr W. hinzu, es wäre allerdings
auch die Erklärung als li'vXi ^ k möglich, da (jAJ alles Herzerquickende
bedeutet. Was die Benennung der Däna-dnna-liedcr nach ihrem Anfang betritt, vergleicht
Herr W. die 'Atäbä-gedichto der syrischen Wüste, die nach ihren ersten Worten
»>
ljt*e IjIAc jo heissen.
2) Sobömann V, 27, S. 203. 3) J
4) Diese Sklavinnen heissen Daqqdq'm it-tar; cs wird immer nur die männliche Form
gebraucht.
5) Die dies thun, heissen Raddtidu i (vergl. die vorige Anm.); man sagt von ihnen
jerudtiü oder jeraddedi.
U 22
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Dem Inhalt nach sind die Lieder Ausdrücke der Sehnsucht nach
der Geliebten , der sinnlichen Begierde. Zwischen den einzelnen
Gliedern ist manchmal wenig oder gar kein Zusammenhang; auch
haben die Glieder selbst nicht selten empfindlich gelitten aus Man-
gel an Verständniss bei den Pflegerinnen dieser vom Gesetz ver-
pönten Kunst, deren Genuss man den Weibern gestattet, weil die
meisten nun doch einmal Brennholz für die Hölle sind. Hinter
diesem Abschnitt will ich zwei Beispiele der gebräuchlichen Dana-
däna-lieder im Original mittheilen; statt einer Uebersetzung gebe
ich hier den Inhalt beider Liebespsalmen mit meinen Worten
wieder.
Im ersten Liede klagt der Sänger zu Gott wegen seiner Liebes-
krankheit, weil eine schwarzäugige Gazelle, die schöne Lelah, ihn
tödtlich verwundet hat; er bittet die Geliebte, ihm ihre Gegen-
liebe zu schenken, weil das gleichsam ihre Religionspflicht sei und
weil er sonst sicher sterben werde. Er fleht sie um das Heilmittel
an, weil kein Arzt seine Wunde pflegt. Dann beschreibt er ihren
Gazellennacken, ihre Quitten1 2) ähnliche Brüste, vergleicht sie mit
wohlriechenden Kräutern und Blumen1), mit Nüssen, Mandeln
und syrischen Pistazien; ihr Geruch übertrifft den des Weines;
sie ist erquickend wie der Schlaf nach langem Wachen. Erwünscht,
er wäre ein Vogel und könnte sich im Fluge ihr unversehens nä-
hern, während sie schliefe. Möge dich Allah mit gleicher Liebes-
qual um meinetwillen heimsuchen, mit der er mich heimgesucht
hat, und dir dann deine Sünde verzeihen!
Im zweiten Muster des Däna-Däna klagt ein anderer Sänger seiner
Lelah, der Fürstinn aller Weissen , der alle Schönen Glück wünschen.
Seine Ruhe ist hin , und er wird sterben , ohne das Geheimniss seiner
Krankheit offenbart zu haben. Auch diese Lelah vereinigt die Eigen-
1) Mit Quitten oder mit Halbkugeln aus Elfenbein, die durch Ambranügcl in der
Mitte befestigt sind, werden Weiberbrüste häufig verglichen.
2) Mit arabischem Jasmin (Full) und dein arabischen Kraute Bösch (vorgl. Mekk.
Sprich w. i. v.) und mit einem von Kadi (^3^) durchriiucherten Kruge. Dieses Kadi ist
ja nicht mit dem jemfcnischen Qät (öls) zu verwechseln; somit wird die Schlussfolge-
rung bei A. von Krcmer, Kulturgeschichte II, 207 hinfällig. VergL unten S. 173 — 4, Anm.
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schäften aller Wohlgerüche in sich; der Dichter ruft ihretwegen
dreimal Ach ! und fragt die , welche die Liebe kennen , wo er denn
Ruhe finden soll! Sein Ilerz ist verwundet durch die Schöne, die
dem Vollmond des Monats Scha'bän gleichkommt. 0 ihr Kenner
der Liebe! wer weiss meine schweren Wunden zu heilen?
So und ähnlich singt die Meghannijah mit Begleitung der Daq-
qäqtn und Uaddädin , und die Zuhörenden klatschen in die kleinen
Hände, dass die Armbänder klappern , und rufen : Ja ’lläh,jä rabbi!
indem sie sich selbst in die Rolle der Gazelle versetzt denken.
Am Tage der Ghumrah haben indessen nur Wenige Zeit, sich
dem musikalischen Genuss hinzugeben; ihre Gedanken sind gänz-
lich von der nahenden Duchlah in Anspruch genommen, die zu
einem wahren Wettkampf der weiblichen Eitelkeit Anlass bietet.
Nicht ohne Eleganz, aber doch mit schrecklicher Ueberladung machen
diese Damen zum Duclilah- feste aus ihren Körpern Schautische von
Gold und Edelsteinen , die sie aus ihren Schränken hervorholen , mie-
then und von Freundinnen entlehnen. Die Weiber, die den Ceremonien
der Duchlah im TMa^-zimmer nach Mitternacht Zusehen, th eilen sich
in zwei Klassen : 1° die nicht eingeladenen '/Zuschauerinnen” ( Mitfer -
redjät) , denen man bloss zur eigentlichen Feierlichkeit die Thür weit
ofienstellt , und die davon in ausgedehntem Maasse Gebrauch machen ,
ohne besonders kostbare Kleider anzulegen , und die Eingeladenen ,
oder, wie es technisch heisst, die //Anwesenden” (Hädh’rät , auch
Muhdharät und Mithaddheriit) , Verwandte des Bräutigams und der
Braut oder intime Freundinnen , von denen sich viele mit dem Werth
von einigen tausend Dollars behängt haben. In dem Reichthum ihrer
Toilette trägt jede Dame ihre Wohlhabenheit oder die Gunst zur
Schau, die sie bei ihrem Gatten geniesst; es giebt aber auch Un-
terschiede, welche die Verwandtschaft oder den höheren Grad der
Freundschaft mit der Braut veranschaulichen.
Verwandte und Freundinnen haben alle gleichmässig die acht
Haarflechten mit Qaschäit ') von Mahnt t/dijjah-m ü nzen versehen ;
da also die Haare nicht, wie gewöhnlich, unter einem Kopftuch
1) Vergl. oben 8. 1C6, Anm. 1.
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( Mehramak ) zusammengebunden sind, kann auch das obere Kopf-
tuch, die Medawwarah , nicht in der üblichen Weise um den Kopf
geschlagen werden, sondern es wird eine solche aus Jaschmek , fein
wie Spinngewebe, welche mit Goldblech reichlich bestickt ist, tur-
banartig um den Kopf gewunden. Weiter tragen sie die Weste
und Beinkleider aus Rezah '), welches, je nach dem Muster und
dem Reichthum der darauf angebrachten Goldstickerei, verschie-
dene Namen führt J). Ueber diese beiden Kleidungsstücke haben die
Hüdh'rCtt von höherem Range das »bengalische Gewand” {Tab *)
Benggäla') aus sehr feinem durchsichtigem Zeuge, Trebizonde {Da-
räbzun) oder Bumbazür. Damit dies Tab ein Recht auf den Namen
des » bengalischen” habe , muss es aber nicht weniger von Gold glänzen
als die kaum dadurch verhüllten Unterkleider; auch hier giebt es
drei Muster von verschiedener Kostbarkeit zu unterscheiden1 2 3 4 5). Wer
dem Brautpaare nicht nahe genug steht , um sich in das bengalische
Gewand zu hüllen, legt ein aus gleichem Zeuge angefertigtes Tob
an, von dem nur die unteren Ränder und die der Aermel mit
Goldranken belegt sind , und dem der Name des »gezogenen Schwer-
tes” {Sef el-meslul) beigelegt wird, während endlich die Entfern-
testen sich auf das einfache »dünne Kleid” {Töb chefif), etwa mit
silbernen Knöpfen, beschränken und dann auch beliebige Unter-
kleider s) anlegen können. Ferner gehören zur Toilette der Hädh’rät
1) Vcrgl. oben S. 153. Anm.
2) Die geringste Sorte, wo je vier goldeno Körner das Muster o o bilden, heisst
o
Mehabhab oder ifekdbab; wenn auf die Atlasseidc gleichsam Wcinranken aus Goldblech
gehottet sind, so ist es Meschaddjar ; ist »her der Stoff faat gänzlich unter Goldblech
und -dreht versteckt, ao heisst er TtUch.
3) Von der Männerklcidung heisst Tob das unmittelbar den Loib bedeckende Hcmdj
ein weibliches Tob dagegen ist ein aus foinstem, durchsichtigem Stoß gemachtes Kleid
mit sohr weiten Aermeln und bald mit, bald ohne aufgenähtes Gold; die Weiber zie-
hen es bei gewissen Gelegenheiten über die beiden unentbehrlichen Kleidungsstücke
(ein Hemd pflegen sie nicht zu tragen) und stecken zu beiden Seiten das herabhängende
Gewand in die Hosen.
4) Dem mit Goldblech wio bedeckten Tünch des Rezak-s&oSea entspricht hier das
Muster Satt wrlakk ; Menckaddjar oder Sckadjarah heisst auch hier die mittlere Sorto,
und das Körnermnstcr ( Mehabhab) der Unterkleider heisst beim Tob Benggäla ; »Bohnen
und Erbsen” (Ful tcelimit).
5) Jedoch versteht sich von selbst, dass ihnen, sowie den anderen die Borten der Hosen
aus Goldblech oder Golddraht, die Tarqidahn (Tarkibak'n) oder IJuijl'e unentbehrlich sind.
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schöne Fussbänder , eigentümliche , breite , kettenartig zusam-
mengesetzte, mit vielen Diamanten besetzte Armbänder ( Mitraq
almäs) und eine reiche Auswahl von am Halse befestigten Schmuck-
sachen.
ln verschiedener Verbindung kommen die Halsbänder vor, welche
Mürijjeh , Lebbah (mit Perlen, Hyacinthsteinen und auch wohl
Diamanten) und cAqde Lülü (Perlenschnur) heissen; an zwei etwa
3 cM. breiten seidenen Bändern, worauf Perlen und in Gold ein-
gefasste Diamanten geheftet sind, hängt das herzförmige ' Ambar-
scAäh *) auf die Brust herab. Während nun das Mehr oder Weni-
ger von diesen Kostbarkeiten den Grad der Beziehung zum Braut-
paare bezeichnet, unterscheidet man gleich die Verwandten als
solche an einem seltsamen Ornamente, das den Namen Qelädah
trägt; es ist ein riesiger, aus 100 echten Aepfeln zusammengesetzter
//Rosenkranz”, der vom Halse bis über die Kniee herabreicht. Da
in Täif viele Aepfel wachsen, giebt es Zeiten, wo eine Qelädah
für ein paar Gulden zu haben ist; allein der Monat Rabl* II, in
dem die Ehen vorzugsweise geschlossen werden, geht natürlich durch
alle Jahreszeiten, und so kommt es vor, dass man 20 — 40 Dollars
zahlen muss um einen Aepfelkranz zu bekommen, der schon ein-
oder zweimal gedient hat! So gewaltig ist die Herrschaft des Her-
kommens, dass manche Frau in solchen Fällen ihren Mann mit
Schande bedroht, wenn er sie durch das Fehlen der Qelädah dem
heimlichen Spott ihrer Bekannten preisgeben sollte. Lieber als ohne
Qelädah zu erscheinen, Hesse sich die blutsverwandte Hüdh’rah
den Genuss der ganzen Festlichkeit nehmen!
Mit mehr Sorgfalt als [sonst parfümieren *) sich die Hädh'rät;
1) Ursprünglich (persisch) 'AmbarUcKJh //Ambrabrunnen”, bezeichnet dies Wort heut-
zutage in Mekka ein eisernes oder kupfernes Herz, in dessen Mitte sich eine Hose
mit fünf in Gold oingofassten Diamanten als Blättern befindet; die Ausscnseite des Her-
zens ist mit einer Reihe von Perlen besetzt, und von oben hängen über dasselbe Rei-
hen von 4 — 5 Perlen herab.
2) Die Weiber pflegen ihre Gewänder und mitunter auch den ganzen Körper mit
brennendem Alocholz (' Udah) zu durch räuchern ; statt dessen reiben sic sich auch ge-
wisse Körpcrtheile mit Aloe-öl (’ltr ei-' udah) ein. Während solche Parfümierung von an-
ständigen Ehefrauen fasst täglich vorgenommen wird, dienen als feinoro wohlriechende
Ocle zu gleichem Zweck das ' llr eUfull (aus arabischem Jasmin), 'Iir el-kudt (aus der
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ausser Rosenöl und Kädi-öl benutzen sie dazu »verschnittenes Aloe-öl”
(* TJdah mag tu ah) , d. h. eine aus Aloe-öl, Zuckerwasser, Nelken,
Kardamom, Limonenkernen und Rosenwasser gekochte Mischung.
Mit dem ganzen, jetzt in den Hauptzügen von uns beschriebenen,
Apparat sitzen am Abend, der dem Ghumrah- tage folgt, die weib-
lichen Mitglieder der Familie der Braut in einer oberhalb des Ri-
Aa/i-zimmers oder ihm gegenüber liegenden, grossen Stube, welche
zum »Damensalon” ( Medjlis es-sittäf) eingerichtet ist. In der Mitte
des Salons sind Kaffeegeräthe und Schüsseln mit wohlriechenden
Mischungen, auch Theegeschirr und Süssigkeiten aufgestellt und
der Obhut einiger Meqahwijah' 's (Kaffeeschenkerinnen) anvertraut.
Für diese Meqahwijah 's und für die alle Pausen mit ihrem
Däna-däna ausfüllenden Sängerinnen bringen sammtliche Hädk'rät
Geldgeschenke mit; in feine, mit Goldblech umsaumte Taschentü-
cher wickeln sie die Gaben ein und tragen diese Mendits in der
Hand , wenn sie sich zum Hause der Braut begeben. Etwa um zehn
Uhr sind die meisten Verwandten und Freundinnen im Medjlis es-
sittät beisammen; nur die Verwandten des Bräutigams sitzen noch
zu Hause in ihrem Salon, wo sie sich in kleinerem Maassstabe am
Däna-däna ergötzen und des Augenblicks harren, wo der junge
Mann von seinen Freunden abgeholt wird.
In der Nähe des erstgenannten » Damensalons” aber erwartet die
Braut mit ihrer Meqej'nah (Putzeriun) und ein paar Genossinnen in
einem kleineren Zimmer die Erlösung von ihren Leiden, denn auch
ihr wiegt das Gewand der Prinzessinn schwer, obgleich sie es nur
eine Nacht im Leben tragen soll. Auf eine eingehende Beschrei-
bung ihres Anzugs darf ich wohl verzichten, zumal sich im Bil-
deratlas eine Photographie') desselben findet; die darauf abgebildete
ebenfalls in Arabien wachsenden Kädi-blume; vergl. oben, 8. 170, Anm.), und ’-ltr el-
tcard (Rosenöl), welch letzteres sowohl importiert als aus den in der Nahe von Täif
reichlich wachsenden Rosen destilliert wird. Um dem Trinkwasser einen aromatischen
Geschmack zu verleihen , durchräuohert man vor der Füllung die Krüge mit Qo/W-holz
odor Muflaia (Mastix).
1) Tafel XXV. Es versteht sich, dass keino wirkliche Braut photographiert werden
konnte; obgleich »ber die Züge der Dame verrathen, dass sie nicht mehr Bin! el-brt ist,
hat sie sich doch, was die Kleidung anbctriSt, gänzlich wie eine jungfräuliche Braut
anpntzen lassen.
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Toilette Hesse sich zwar nach mancher Seite hin noch vervollkomm-
nen, aber die Vorstellung würde nur wenig dabei gewinnen. Nur
soviel sei gesagt, dass ihr Tu 6 nicht wie das der Hädh'räl rus
dünneren Zeuge, sondern wie die Unterkleider, aus schwerstem
Rezah ') gemacht ist; dass eine Art Ueberwurf ihr nur dazu am
Kopfe befestigt wird, um als Schaufenster eines ganzen Juwelier-
ladens von Ritchah't (Brochen) zu dienen ; dass ihr vorne, und mitunter
auch auf dem Rücken, seidene Kissen ( Tachschischah' s ) angehängt
werden, an die man wieder unzählige Schmucksachen aus Werth-
metall und Edelsteinen, c Ambarschah' s , Rischah's und Münzen an-
heftet oder ansteckt. Kaum kann die Aermstc sich fortbewegen,
ohne auf beiden Seiten gestützt zu werden, und die Hitze macht
ihre Lage wirklich peinUch. Dafür ist sie aber die Iieldinn der
Nacht!
Von etwa 10 Uhr an versammeln sich allmähUch die Freunde des
Bräutigams (' Am ) vor dessen Haus , denn drinnen finden alle kaum
Platz, und sie kommen noch dazu nicht allein. Jeder bringt einige
Lampenträger mit Fänüsen *) und Tannürs s) mit, den Bräutigam
auf seinem Zug durch die Stadt zu begleiten. Namentlich solche
junge Leute, die wahrscheinlich demnächst selbst heirathen wer-
den, bekommen von ihren Vätern manchmal ein paar hundert
Lampen mit, denn diese Höflichkeit wird seiner Zeit mit gleicher
Münze zurückgezahlt. Den Ankommenden trommeln jedesmal die
Zfr-schläger entgegen , während oben bei den Damen das Däna-düna
erklingt, und hie und da, wenn eine grosse Zahl von Lampen an-
rückt , ein allgemeines Ghalrafak s) hinter den Balkons ertönt. Nach-
dem die Freunde genug Kaffee , Thee , Pfeifen und Cigaretten genossen
haben, steigt der Bräutigam zum Weibergemach hinauf, um von
dort mit feierlicher Eskorte ( Zifnf) der Damen zur Treppe hinab
begleitet und den Freunden gleichsam anvertraut zu werden. Dazu
singt die Meghannijah mit ihren Raddädin eigene Lieder, die nur
für diese Gelegenheit passen, deren Inhalt aber meistens seltsam
1) Vcrgl. oben S. 153, Anm.
2) Vcrgl. oben S. 163, Anm.
3) Vergl. oben S. 62, Anm. 6 und 138, Anm. 2, 159, Anm. 4.
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mit dem blöden, schüchternen Aeussem des Helden kontrastiert.
Dem Jüngling werden im Gesänge alle edlen Eigenschaften nach-
gerühmt, aber, trotz seiner heroischen Art, die mit seinem Unter-
nehmen verbundenen Gefahren nicht verkleinert: hohe Berge habe
er zu übersteigen , breite Ströme zu durchwaten , Blitz und Donner
die Stirn zu bieten, bis er zur Wohnung der Fürstinn aller edlen
Schönen gelange! Was soll ihm hindurchhelfen? Einen mystischen
Schutz wird ihm gegen jede Gefahr das Ridhn l-wät dein gewähren,
das »Wohlgefallen seiner Eltern” an der einzugehenden Verbindung.
In dieser Weise gestärkt kommt der Knabe, nachdem er sich von
den Damen verabschiedet, ins Erdgeschoss zurück, und, während
die Frauen oben unaufhörlich »trillern”, setzt sich unter Leitung
einiger Mebägchir' s der Zug zusammen.
Ganz vorne die Trommelschläger, darauf einige hundert Lampen-
triiger , dann , vor dem Bräutigam , zwei Leute , deren jeder eine
riesige Wachskerze trägt ') , dick wie ein menschlicher Oberschenkel ;
auch sonst gesellen sich aus dem Hause des Bräutigams dem Zuge
viele Lampen bei, worunter sogar von je zwei Männern getragene
kristallene Leuchter ( Nedjfah'g ). Dem Bräutigam voran gehen wei-
ter nur noch der Recitator *) ( Meqn^gid oder Munschid) und seine
8 — 4 Helfer ( hfesaids oder Raddäd's), die ihm bei gewissen Ab-
schnitten sekundieren. Auf beiden Seiten des cAris gehen seine jüng-
sten Freunde , bartlose Knaben , und nach hinten schliessen sich die
übrigen an. Bevor sich die Gesellschaft von dem Hause entfernt,
sagt der Meqatfid, dem Bräutigam zugewandt, die Fäffeah und
einige Verse zum Preise der Ehe her.
Gleichviel in welchen Stadttheilen die beiden Wohnungen des
X) Solche Kerzen (aus Bienenwachs, das (im Gegensatz znr Schämtet il-hnl) Sckanfet
U- atal heisst), miethet man für einen Preis, der nach der Abnahme des Gewichts der-
selben erst nachträglich bestimmt wird. Den Juristen bietet diese Sitte einen schwieri-
gen Casus, denn einen Kauf kann man dies nicht nennen, weil im muslimischen
Kaufverträge die Waare und der Preis genau bestimmt sein müssen, eine Mictho ist cs
aber auch nicht, weil der Gegenstand des Kontrakts nicht gebraucht, sondern theil-
weiso verbraucht wird! Die Mckkaner halten sich bei dieser Schwierigkeit nicht auf,
weil das kanonische Gesetz im Handelsverkehr keine faktische Geltung hat.
8) Dioscn Leuten schenkt man für ihre Bemühung ausser neuen Obergewändern wohl
80 — 50 Dollars.
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Brautpaares liegen, der Zug bewegt sich in feierlich langsamem
Schritt durch alle Hauptstrassen; der Megaffid recitiert immerfort
Lobgedichte auf Muharamed, welche Recitation im Volksmunde
den Namen der Uamzijjah trägt , auch wenn der Sänger sich nicht
auf dieses berühmte Loblied beschränkt, sondern auch die Burdah
und ähnliche Erzeugnisse vorträgt. Nach je 20 — 30 Schritten, so-
wie vor den Häusern vornehmer Regierungsbeamten hält der Zug
einen Augenblick, der Meqaggid und seine Helfer wenden sich dem
"Ans zu und recitieren mit besonderem Nachdruck etwa ein Dut-
zend Verse. Einige Tage vorher sind die Scheche der Stadtviertel,
die man zu durchwandern hat, von der Sache verständigt und
reichlich beschenkt. Einen Theil der Gabe behalten diese für sich;
einiges Geld vertheilen sie aber unter die »Söhne des Quartiers”,
die dafür die Ordnung aufrecht erhalten und dem Zuge Raum
verschaffen. Wenn die Schenkung unterbliebe, so wären die »Söhne
des Viertels” die einzigen Ruhestörer.
Das nächste Ziel des Umgangs ist das Bäb es-sa/äm ') , das grosse
Thor der Moschee im Mas"a, durch welches die Pilger zuerst ein-
zutreten pflegen. Von den Lampen bleiben solche, die Petroleum
oder Oel enthalten, ausserhalb des Heiligthums; die anderen be-
gleiten die Festgenossen in das Haram. Hier bildet sich eine Dja-
mffah (Gemeinde), um mit dem Bräutigam das "Ischä-galät abzu-
halten, weil dies wegen der Ceremonien des Abends aufgeschoben
wurde. Manche sehen bloss zu, weil sie ihre Andacht bereits ver-
richtet haben, oder verrichten dieselbe hier in aller Eile für sich.
Von seinen festlich gekleideten Freunden unterscheidet sich der
Bräutigam bloss dadurch, dass er auf der Schulter eine Seddjädah
(»Gebetsteppich”) von Selimi (eine Art Kaschmir) trägt; ist sein
Vater Schriftgelehrter oder er selbst Student der heiligen Wissen-
schaft, so ist ausserdem sein Turban diesmal nach der Art der
‘ Ulamä gewunden1 2), d. h. das feine Sc/täsc/i-zeng ist zu einem langen ,
%
1) Vergl. den Grundriss der Moschee im Iltrrl Bande.
2) Vergl. über dio verschiedene Windung der Turbane, jo nach der Nation oder
dem Stande, denen der Träger angehört, Mekk. Sprichw., S. 41. Die Windung der Ge-
lehrten heisst Mcilarradj, »stufenartig”.
II SS
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überall gleich breiten Bande zusammengefaltet und dieses 7 — 12
Mal um die Küßjjah hemmgelegt, so dass ein langer Zipfel auf
den Rücken herabhängt; an gewöhnlichen Tagen wäre solche Tracht
für einen ganz jungen Mann allzu ausprachsvoll , ausser wenn er in
der Moschee als Imäm zu fungieren hätte.
Ist das Qrilä/ , bei welchem irgend Einer von den Anwesenden
als Imäm voransteht, zu Ende, so finden sich Alle an dem Aus-
gang der Moschee wieder zusammen, der dem Hause der Braut
zunächst liegt; der Zug stellt sich wieder her und schreitet nun in
gleicher Ordnung wie zuvor nach jener Wohnung. Hier ist die Bar-
rilliah ') durch Burmak’s und Qandi/'s hell beleuchtet, der Boden
noch einmal mit Wasser abgekühlt, die Bänke mit Teppichen be-
legt. Beim ■ Nahen des Zuges trommeln die Z/r-schläger der Braut
mit denen des Bräutigams um die Wette; die Sängerinnen thun
im w Damensalon” ihr Mögliches, um dennoch gehört zu werden,
und die Damen benutzen die wenigen liirmlosen Augenblicke, um
ihr gellendes Ghatrafah erschallen zu lassen. Auf den Bräutigam
schreiten aber die Mebäschirs des Hauses der Braut zu und führen
ihn feierlich zu einer besonders geschmückten Dekkah in der Mitte
der anderen. Vor ihn setzt man die beiden riesigen Kerzen ; die
übrige Beleuchtung vertheilt sich ebenso wie die Personen des Zu-
ges über den Platz. Nachdem sich die Gesellschaft mit Kaffee und
Sorbet gelabt hat, gehen die MebOschir'a des Bräutigams zu jedem
Einzelnen und bitten ihn, er möge morgen »nach dem Dluhr (Mit-
tag) im Hause des Bräutigams eine Tasse Kaffee trinken”, d. h.
eine Mahlzeit gemessen1); diese Einladung dient zugleich als Signal
zum allgemeinen Aufbruch, denn nur Verwandte oder sehr in-
time Freunde des Bräutigams leisten ihm bis frühmorgens Gesell-
schaft; es ist unterdessen schon mehr als eine Stunde seit. Mitter-
nacht verflossen.
Vom Hause des Bräutigams sind die Damen meistens schon vor-
her auf kürzerem Wege und in schnellerem Schritt als der grosse
1) Vcrgl. oben S. 154, 168.
8) Vcrgl. oben S. 137, 140.
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Zug hergekommen und mit frohen Begriissungsliedern im Medjlü
es-sittät bewillkommnet; im entgegengesetzten Fall werden sie ab-
geholt, wenn die Herrengesellschaft sich auflöst. Die weiteren Vor-
gänge spiegeln sich im Inhalt der Lieder der Sängerinnen einiger-
maasscn ab.
Indem die Fraut davon verständigt wird , es nahe die Zeit , wo
man sie feierlich zur Rikah begleiten werde, hört man das Ghünä
’l-C/iarii ') , das Lied vom Kopfputzen , worin weitläufig erzählt wird ,
wie man damit beschäftigt sei, der ‘ Arüsah die Haare zu flechten
und zu schmücken, obgleich Alle wissen, dass sie schon von früh-
morgens an unter der Last ihrer vollkommenen Toilette seufzt. Durch
den Gesang wird aber bloss angezeigt, dass der feierliche Zug vom
'/Damensalon” hinunter oder hinüber zum Rika/i-anlon anfangen soll.
Während die Sängerinnen hochgestimmte Loblieder auf die Braut
ertönen lassen , begiebt sich diese , von den Jjädh'rät eskortiert ,
von Stufe zu Stufe, fast getragen und nach jedem Schritt einen
Augenblick haltend, nach ihrem Thronsaid, ln der Nähe warten vor
der Thür dieses Salons viele Mitferredjät (Zuschauerinnen) , wodurch
hier ein schreckliches Gedränge entsteht; davon machen neidische
Weiber wohl einmal Gebrauch, die schon so Bedrängte heimlich
zu kneifen oder mit Nadeln zu stechen, damit ihr Schreien die
Feierlichkeit störe, und Diebinnen versuchen häufig, in der allge-
meinen Verwirrung etwas von den auf die Tachschischah gehefteten
Kostbarkeiten zu erhaschen ; also ist den Freundinnen grosse Wach-
samkeit anempfohlen. Endlich wird die Braut auf die glänzend
beleuchtete Rikah gehoben , worauf sie trotz den seidenen Kissen ,
die ihren Rücken stützen , nur mühsam , mit emporgehobenen Hän-
den und nach vorne gestreckten Füssen sitzen kann. Wie ein
formloser Klotz sieht sie aus, weder ihre Statur noch ihr Antlitz
kann man unterscheiden; eine bewegliche Ausstellung von Juwelen
und kostbaren Stoffen. Rechts und links von der Rikah reihen
sich nach der Thür zu die Hädl'räl , und um diese herum bilden
1) Charit heisst die Reinigung des Kopfes (bei den Weibern) und der Haare mit
Wasser, Seife und Wohlgeriichen, wozu die bekannten Baum fasern Llf als Schwamm
gebraucht werden; achrut räsl „ich will meinen Kopf waschen und putzen.”
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die //Zuschauerinnen’’ weitere Kreise. Der Rikah gegenüber steht
ein Sitz für den Bräutigam, wozu heutzutage gewöhnlich ein mit
einem Stück Zeug belegter europäischer Stuhl dient. Bevor aber die
»Zuschauerinnen” eintreten, trägt die Sängerinn am Eingang ein
passendes Lied vor, in dem die Vorzüge der Braut der profanen
Welt bekannt gemacht werden: sie sei die Tochter eines cA/im,
eines Sejjid oder eines grossen Kaufherrn usw.
Ein Mebäschir hat unterdessen dem ‘Am einen Wink gegeben,
dass er sich zur Buchiah bereit halte; eigentlich soll Duchlah die
erste Beiwohnung bezeichnen, aber das junge Paar weiss wohl , dass
ihm ganz andere Dinge bevorstehen ! Einige weiblicho Verwandten
gehen mit den Sängerinnen die Treppe hinab, dem Bräutigam
entgegen , und führen ihn an beiden Händen unter Sang und Klang
in den Thronsaal. Man kann sich denken, wie verdutzt der nervös
abgespannte Jüngling dasteht: im glänzenden, hell beleuchteten
Zimmer sieht er sich allseitig von lächelnden Weibergesichtern um-
geben und beschaut! Da ausser dem Knaben höchstens ein paar
ältere männliche Verwandten der Braut dabei zugegen sind, schä-
men sich bei dieser Gelegenheit die Damen nicht , sich unverschleiert
zu zeigen, und sie belustigen sich sogar an der Verlegenheit des
Bräutigams, der sonst nur ihm verwandte Weiber oder Sklavin-
nen zu sehen gewöhnt ist und nun auf einmal einige Dutzende von
prachtvoll ausgestatteten Damen und sich gegenüber seine durch
ihren Anzug unkenntlich gemachte Braut erblickt. Seine Verwand-
ten heissen ihn sitzen, und die zur Seite der Braut stehende Me-
qefnah tritt nun auf ihn zu und sagt: »Schaue deine Braut nur
»tüchtig an *); besieh sie ohne Scheu! Erhebe dich und lege deine
»Rechte auf ihre Nftqijah s) (den Theil der Stirn , wo die Haare an-
»fangent; so, nun recitiere die bat' hak !” Der Jüngling thut’s und
empfängt darauf aus der Hand der Putzerinn sieben GAawäzi (die
dünnsten Goldmünzen, die zum Schmuck und als Amulete die-
1) Dafür gebraucht der Mckkaner den Ausdruck ^ £.’ü, d. b. »den Blick rich-
ten auf’, wogegen »_iLi und ^4 i'l solches Sehen und Besehen bezeichnen, wozu man
sich eventuell der Sache nähert.
8) Vorgl. dazu Ooldziher , Muhammedanischo Studien I: 350 — 1.
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nen); es heisst, in früherer Zeiten habe der Bräutigam die Mün-
zen selber mitgebracht und sie nach vollendeter Feierlichkeit seiner
Braut überlassen. Jetzt besorgt aber die Meqef nah die Sache und
erhält später vom ‘Arie für jede geliehene Ghäzijjeh ein Silberstück.
»Lege eine Ghäzijjeh auf die Stirn deiner Braut; je eine auf die
»Schläfe, auf die Wangen, auf die Nasenspitze, auf das Kinn”,
so fährt die Alte fort; sie hat dem Knaben diese Verrichtung da-
durch ermöglicht, dass sie die sieben Körpertheile der Jungfrau
mit einem weissen Klebestoff bestrichen hat, der ihr Aeusseres
noch weniger anziehend macht. Nun heisst sie ihn die Münzen in
gleicher Reihenfolge wieder abnehmen und dann noch zweimal wie-
der auflegen und entfernen. Diese jetzt ganz bedeutungslose Cere-
monie, die wohl als Rudiment alter verschwundener Sitten und
Anschauungen zu betrachten ist , nennt man heutzutage die Naggah ,
welches Wort ursprünglich die Erhebung der Braut auf das Braut-
bett ( Managgah ) bezeichnete *). Nachdem der Jüngling so eine
schreckliche erste Viertelstunde mit der von ihm zu erobernden
Prinzessinn verbracht, darf er sich entfernen und geht hinunter zu
den seiner harrenden Verwandten und Freunden. Hier wird nun
den Herren, und ebenso oben den Damen, eine Ta'limeh vorge-
setzt, d. h. eine Abendmahlzeit, obgleich sie gewöhnlich erst nahe
dem Tnrhim !) stattfindet. Die Meisten empfinden aber lebhafter
ein Bediirfniss nach Schlafen als nach Essen, und die Speisen, die
hierfür als herkömmlich gelten, sind nicht gerade dazu angethan,
den Appetit zu erregen: zwiebackartiges Brot, das vor dem Ba-
cken mit Mohn und aromatischem Samen bestreut ist und je nach
der Form die Namen Scherek 3) oder Succhänah trägt , dazu in
Zucker eingemachte Früchte ( Dubbah , Aepfel, Quitten) oder Käse
mit Oliven! Man isst ein wenig, weil es Sitte ist, trinkt einen
Schluck Wasser, und die Gesellschaften gehen auseinander; der
Bräutigam und seine Verwandten kehren gleich heim.
1) Die Rikak ist also an die Stelle der Manacjah (vorgl. die altarab. Wörterbücher,
auch das A*tu al-Ralagkak s. v.) getreten, das falsche Brautsbett an die Stelle des wah-
ren, wie dio sogenannte Duckiah in eine reine Komödie ausgeartet ist.
2) Vcrgl. oben S. 86.
3) VergL Lanc, Mannors and Customs, und Dozy , Supplement, i. v.
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Kaum hat sich die Braut etwas leichter angezogen, da steht
schon ein von zwei Mauleseln getragener Tacht ') vor ihrer Thür,
der vom Bräutigam gemiethet und mit kostbaren Teppichen über-
deckt ist, um sie abzuholen. Ein paar von ihren Verwandten stei-
gen mit ihr ein, und in Begleitung von Dienern geht es nun ganz
langsam und feierlich ungefähr denselben Weg, den der Zug des
Bräutigams in der Nacht durchschritt; nur fehlt hier gänzlich der
Lärm, der jenen umtönte. In seiner Wohnung komt ihr der cAris
entgegen und führt sie in ein Gemach, wo Beiden das Frühstück
bereitet ist; dies Fatür besteht hauptsächlich aus Zaläbijah'1) mit
gestossenem Zucker oder gekochtem Zuckerwasser ( Schirah ). Zur
genaueren gegenseitigen Bekanntschaft trägt dies eheliche Frühstück
in der Regel nur wenig bei. Nach der verflossenen Nacht wird
der jetzt eben angebrochene Tag, weil er dazu gehört, der Duc/i-
lah- tag genannt; obgleich er dem Hause des Bräutigams viel Mühe
und Bewegung bringt, bietet er dem ermüdeten Brautspaar selbst
Gelegenheit, sich durch den Schlaf von den Strapazen der Nacht
ein wenig zu erholen; sie benutzen dieselbe jeder für sich.
Vormittags werden mehrere Salons im eigenen und in benach-
barten Häusern für den Empfang der zahllosen , am vorigen Abend
//zu einer Tasse Kaffee” eingeladenen Gäste in Bereitschaft gesetzt.
In der Gasse brennen einige Holzfeuer, auf denen in grossen Kes-
seln der vorzüglichste Zaräbijän 3) gekocht wird. Als Zukost nimmt
man gewöhnlich, ausser allerhand Obst , Mesc/iabbak '), Sambüsak *),
Falüdah *) und Fanni , welch Letzteres ebenso wie die Falüdah aus
Stärke oder Agar-agar mit Rosenwasser, Kardamom usw., aber
mit Hinzufügung süsser Milch, gemacht wird. In der Stunde, die
dem Mittag folgt, kommen immerfort neue Gäste heran und wer-
den von den Mebäschir s über die verschiedenen Medjä/is ver-
theilt. In einem oder zwei von diesen Salons wird vor dem Es-
sen das Mblid 5) mit Zubehör vorgetragen; man bezeichnet denn
1) Vergl. über diese Tragacssel für Weiber oben S. 15S.
2) Vergl. oben S. 143.
3) Vergl. über die Zusammensetzung dieses Reis- and Fleischgerichts oben S. 140, Anm.
4) Vergl. Mokk. Sprich»., i. vv. 5) Vergl. oben S. 147.
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auch das Festmahl des Duehlah-tages wohl als ein Mülid. Ei-
gentlich ist von allen Hochzeitsfestlichkeiten dies Mölid die ein-
zige, die in den Gesetzbüchern als Walimat al-urs, und zwar mit
mehr Nachdruck als andere Walimah's, anempfohlen wird, und bei
der zweiten oder späteren Ehen findet vielfach nur diese Mahlzeit
statt, zu der dann bloss eine beschränkte Zahl von Freunden ein-
geladen zu werden braucht. Bei der Verheirathung eines Jünglings
mit einer Jungfrau werden dagegen manchmal 3 — 4 Tage nach
einander solche Mölid’a veranstaltet; weil aber die arabische Sitte
keineswegs die Anwesenheit der Gastgeber beim Festessen erfordert ,
können der Bräutigam und seine Verwandten sich darauf beschrän-
ken, jedesmal, wenn die Gäste heimkehren, einen Platz vor der
Hausthür einzunehmen.
Wenn das Essen zu Ende ist, gehen die Gäste durch die Vor-
halle , wo ihnen mehrere Diener mit Waschbecken , Wasserkannen ,
Seife und über die Schultern gelegten Handtüchern aufwarten;
nach vollzogener Reinigung finden sie vor der Thür zwei Mebä-
achira, die ihnen ein dampfendes Weihrauchbecken Vorhalten und
ihnen die Hände mit Rosen wasser besprengen. Ausserhalb der Thür
sitzt aber der Bräutigam auf einem geschmückten Stuhl , und neben
ihm stehen oder sitzen seine Verwandten in der Reihenfolge des
Alters und des Verwandtschaftsgrades. Alle erheben sich , um den
Segensspruch : bäräk wetabärak\ von den heimkehrenden Gästen
entgegenzunehmen und mit feierlichem: Rabbanä jebärik fikum
weachakar Allah matfäkum , ah Ina wesahlan jä marhabä\ ‘) zu be-
antworten.
Am Abend des Duehlah-tages geht vom Hause der Braut der
Aufzug einiger hundert Packträger aus, die unter Aufsicht der
etwa 10 — 15 ihrerseits angestellten '/Vertrauensmänner” ( Umanü )
die Aussteuer, d. h. die, für den Mahr gekauften und eventuell
noch von den Eltern dazu geschenkten , Hausgeräthe aller Art nach
1) »Unser Herr segne euch, Allah lohne eure Bemühung, usw.” Die letzte Formel
lasst sich nicht übersetzen, da sie im Altarabischen das „Willkommen !" bezeichnet , heut-
zutage in Mekka aber nur heimkehrondon Besuchern nachgcrnfcn wird. Akla »! allein
sagt der Mekkaner allerdings auch wohl bei der Begrüssuug.
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dem Hause des jungen Gatten überbringen '). Irdenes, hölzernes
und eisernes Geschirr, Teppiche, Wasserpfeifen, Porzellanwaaren ,
einige von den seltsamen , nichtsnutzigen Qagaba/i’s J), die man an
die Wand aufhängt, kurz Alles, was zum täglichen Gebrauch und
zum Schmuck des Hauses dient, wird, auf möglichst viele Träger
vcrtheilt, in lächerlich pomphafter Weise durch die Hauptstrassen
heru rage tragen. Im Hause des Ehepaars erhalten die Träger ihren
Lohn, die t Vertrauensmänner” aber werden mit Kaffee bewirthet,
bekommen je ’/a Pfund Kandis mit nach Hause und werden beim
Hinausgehen mit Rosenwasscr besprengt und mit Weihrauch be-
räuchert.
Der Sonnenuntergang dieses Tages eröffnet die Nacht der Qabfiah ,
worin eine viel weniger feierliche, aber sehr viel ernstere Wieder-
holung der Begegnung des Brautpaares in der Duchlah-nacht statt-
findet. Auch jetzt wird die Braut geschmückt, aber so, dass sie
sich selbst ihres Schmucks erfreuen kann. Die Kleider dienen nun,
ihre Reize möglichst hervortreten zu lassen; den Kopf ziert anstatt
des schwerbeladenen Ueberwurfs ein hübscher Kranz von Jasmin
{Full), der Ta mir ei er-rä» 3) genannt wird.
In einem eigens dazu eingerichteten Salon ist ihr auch jetzt ein
erhabener Sitz bereitet, dem gegenüber ein kleineres Gestell für
den Bräutigam steht; diese Möbeln sind diesmal fein , aber einfach
ausgestattet. Dem ganzen Tone entsprechen die Toiletten der auch
nun wieder eingeladenen Häd/Trät ; sie sind leichter und weniger
Schautischen ähnlich als in der verflossenen Nacht. Hädh'rfit und
Mitferredjät kommen am Abend der Qabhah schon ein paar Stun-
den nach Sonnenuntergang, denn man will jetzt nicht, wie bei
der üuchlah, dem Brautpaar alle Ruhe nehmen, sondern ihm viel-
mehr die glücklichste Nacht bereiten.
Feierlich wie das erste Mal,, aber sehr viel früher, wird nun
die Braut mit der ganzen Weiberschaar und mit ähnlichem Ge-
1) Das Nähere über diesen Aufzug findet man Mekk. Sprichw., S. 105 fl. Sowohl die
ganze Aussteuer als der Aufzug, in dem dieselbe hinübergebracht wird, heisst Dabanck.
8) Vergl. Tafel XXXIX, N". 8.
3) Tamirah wird sonst im Sprachgebrauch fast ausschliesslich von einer »Füllung”
der Sckackak (Wasserpfeife) gesagt.
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sänge wie gestern, in den Salon geführt und auf die Bank geho-
ben ; ähnlich wie das erste Mal , aber jetzt im eigenen Hause führt
man den Bräutigam zu ihr ein, und während die Sängerinnen ei-
nen Augenblick schweigen, setzt er sich der 'Ariisah gegenüber und
"besieht” sie unter den günstigsten Verhältnissen. Auch jetzt legt
er seine Hand auf ihre Stirn und recitiert die Füt'hah, jedoch
ohne das Spiel mit den Ghamäzi. Nach einer angenehmen, immer-
hin durch die Anwesenheit der Hädh'rät und "Zuschauerinnen”
etwas getrübten, Viertelstunde, geht er hinaus und zieht sich in
sein Garderobe zurück ; zugleich begleitet die Meqefnah die Braut
in das ihrige. Beide kleiden sich in die leichtesten Gewänder und
begeben sich, nachdem von den Damen nur noch die nächsten
Verwandten der Braut, vorzüglich ihre Mutter, die Ghäb'rah '),
dageblieben sind , in das Schlafgemach , das man ihnen hergerichtet
hat. Während der Vorbereitung singen die Sängerinnen lüsterne
Däna-däna-lieder. Unter der Nämfmjjeh 1 2 3) liegt ein schönes , seide-
nes Polster, mit ein paar Kopfkissen und einer feinen Decke be-
legt; unmittelbar auf dein Polster befindet sich ein von der
Ghäb'rah dahingelegtes geplättetes und gestärktes Tüchelchen zur
Aufnahme der farbigen Beweise der Jungfernschaft ihrer Tochter.
Die Mekkaner behaupten, es werde manchmal die verlorene Jung-
fräulichkeit durch die Künste der Hebamme gewissermaassen wie-
derhergestellt.
Ungestört lässt man das junge Paar die Nacht verbringen ’); so-
bald dasselbe sich aber in das Gel el-mä begeben hat, um sich
zu baden, eilt die Mutter der Braut zum Ehebett, nimmt das
blutbefleckte. Scherschef auf und zeigt dasselbe den Damen, die
1) Vergl. Mokk. Sprich». L v.
8) Vergl. oben S. 68.
3) Hujtis tomporia Arabos urbani coitum, in quantum posaunt, inclinatis genibu«
intcr crures mulieris tedratei excrccre solent, itaque qu&mquam Takle propensi, muliori
tarnen non prorsns incumbunt. Indo dio Veneris dicunt: a-L-JJ' OA«), sedi hanc noc-
tem , i. e. secutus »um morem majoruni hanc noctem in coitu degondi. Hoc jnm antiqui-
tus ita fuisse, patet e. g. ex IA II: 488 ubi testis in quacstione adulterii pro üinaro
O „
Chalifa dcclarat: ) Uh#
II 24
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dort übernachtet haben; mit gehörigem Ghatrafah begrüssen Alle
die Fahne der Keuschheit!
In schönem Anzuge setzen sich die Eheleute zum gemeinschaft-
lichen Frühstück; wenn sie gesättigt sind, überreicht aber der
Mann seiner jungen Frau die Qabhah oder Tagbthah (wörtlich:
Morgengabe), nach welcher die verflossene Nacht und der anbre-
chende Tag genannt werden. Bald dient als Qab/ta/i ein Päckchen
feinsten Kleiderstoffs (z. B. llezah oder ein anderes indisches Zeug,
Zamindär genannt), bald ein Siegelring mit Diamanten oder was
die Verhältnisse gestatten. Der Frau liegt viel an einer kostbaren
Qab&ah , denn danach messen ihre Freundinnen den Grad der Zu-
neigung ihres Mannes ab: »er hat seiner Braut dies und das zur
Qabhah gegeben” ') heisst es von Mund zu Mund durch die ganze
Stadt.
Im Gesetze heisst es, der Mann solle mit einer neuen Gattin
drei Tage nach einander zubringen; war die Gattinn Jungfrau, so
müsse er ihr sieben Tage widmen. Aus dieser Bestimmung nehmen
die Damen Anlass, den siebten Tag ( Nahär es-säbC) wieder zum
Festtage zu machen. Von etwa 9 Uhr Morgens bis Abends nach
dem "Lschä empfängt die Braut Besuch von den Damen, die als
Häd/irät ihrer Hochzeit Glanz verliehen; zum »siebten Tag” legen
sie aber nicht wieder ihre vorhin beschriebene Uniform, sondern
ihre besten Kleider an, wie zu anderen Gesellschaften. Da es also
nichts zu besehen giebt, kommen keine »Zuschauerinnen”; dage-
gen fehlen die guten Speisen nicht, die Kaffeetassen und Thee-
gläser gehen abwechselnd herum , und die Pfeifen werden fort-
während von Sklavinnen neu gefüllt. Hie und da klingt auch das
Däna-däna durch den Salon , gewöhnlich aber nur aus dem Munde
kundiger Dilettanten, weil keine gemietheten Sängerinnen da sind.
Wenn man beachtet, dass die hiemit zu Ende geführte Be-
schreibung die gewöhnlichen Eheschliessungen im Umriss darstellt,
während reiche Leute sich noch durch vielerlei andere Arten der
1) rMähkd !«■.. . VcrgL Mekk. Sprich® ., 8. 52 die Redensart: »er giebt seiner Frau
täglich Metabbaq zum Frühstück.”
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Verschwendung als solche bethiitigen , so kann es nicht Wunder
nehmen, dass mancher Hausstand durch die Feste, welche das
Herkommen erfordert , zum Bankerott geführt wird. So viele Schul-
den schon auf den Mekkaner lasten mögen, er schliesst lieber neue
Anleihen, als dass er auf einen Theil jener kostbaren Festlichkei-
ten verzichten sollte. Und wäre auch ein Einzelner vernünftig ge-
nug, in dieser Hinsicht bessere Wege zu betreten, so würden ihn
seine Verwandten, namentlich die Weiber, doch daran verhindern.
Aus unserer früheren Auseinandersetzung kann man entnehmen,
dass die fast lächerlich pomphafte Einleitung der Ehe eines jungen
Paares zur wirklichen Bedeutung dieser Verbindung für das Leben
allzuwenig stimmt. Was nützen dem jungen Mädchen die Lobge-
dichte, die ihr einmal im Leben aus dem Munde der Sangerinn
en tgegen tönen , sie aber in eine Gesellschaft einführen, von der sie i
mit ihrem ganzen Geschlechte verachtet wird? Die muslimische
Litteratur enthält zwar vereinzelte Ansätze zu einer richtigen Wür-
digung der Frau, aber die später immer mehr zur Geltung ge-
langte Ansicht findet doch ihren Ausdruck nur in den heiligen
Traditionen, welche die Hölle als voll von Weibern darstellen und
dem Weibe, von seltenen Ausnahmen abgesehen, Vernunft und
Religion absprechen; in Gedichten, die alles Uebel in der Welt
schliesslich auf die Frau zurückführen; in Sprichwörtern, die eine
sorgfältige Erziehung von Mädchen als reine Verschwendung hin-
stellen. So bleiben der Frau nur die Reize, mit denen Allah sie
ausgestattet hat, um dem Manne im irdischen Dasein ab und zu
den Vorgeschmack paradiesischen Genusses zu schenken und ihm
Kinder zu gebären.
Indem nun der in solchen Anschauungen erzogene Jüngling den
Verkehr mit seiner Gattinn ') von vorne herein fast nur als Spiel
1
\
1) Beiläufig sei liier erwähnt, dass der Ausdruck q'L ^-ix jji in Mekka
dermaassen Torherrscht, dass sogar mekkanischc Gelehrte dadurch beeinflusst werden.
Der gelehrte Scjjid Bekri sagt in seiner Iiinat aMlüm IV: 119, wo von den Gründen
die Rede ist, aus denen der Mutter das Recht, ihre Kinder zu erziehen, genommen
werden kann: Kjbnl* L<j ^ O* i_s'l -bgCijj
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betrachtet, entwickelt sich ausserdem sein zur Zeit der Eheschlies-
sung noch unreifer Geschmack in neuer Richtung , die eine baldige
Lösung des Bandes, oder doch, wo Eamilienverhältnisse dies ver-
hindern, eine nicht weniger schlimme gegenseitige Entfremdung
der Eheleute herbeiführt. Wenn der Mann sich nicht der Knaben-
liebe hingiebt, so werden ihm bald die Vorzüge des Konkubinats
mit einer Sklavinn klar, und die Freie darf sich dann in moralischer
und materieller Beziehung ihres Glücks rühmen, wenn sie Kinder
zu erziehen hat. Geht sie nicht sittlich zu Grunde (was allzu oft
der Fall), so findet sie später in ihren Kindern eine nie versagende
Stütze und Zuflucht.
Es erübrigt uns noch, die mekkanischen Bräuche bei einem
Todesfall zu beschreiben. Gleich nach dem Tode holt man die Lei-
chenwäscher oder -Wäscherinnen, je nachdem ein Mann oder ein
Weib gestorben ist; die Waschung verrichten sie ganz nach den
gesetzlichen Vorschriften, deren Behandlung hier nicht am Platze
wäre. Unterdessen werden die Nachbarn und dann auch der wei-
tere Kreis der Bekannten vom Hinscheiden des Betreffenden durch
fortwährendes, lautes Schreien ( Qijrih ) der im Hause befindlichen
Weiber verständigt. Klagefrauen , die für Geld weinen oder Trauer-
lieder singen, giebt es in Mekka nicht; die Weiber der Familie
unterbrechen ihr gellendes Weinen und Schluchzen mit Ausrufen
zum Lobe des Verstorbenen: »O du, mein Sohn (bez. Gatte,
Bruder)”, heisst es, »der du mich das Haddj und die Zijärah
»machen liessest, der du mir schöne Kleider gabst, o du mein
//Lebensodem, mein Auge, mein Kameel (Träger meiner Last)
usw.” »Wo ist der Qijäh ?” fragt ein Nachbar den Andern. »Im
Hause des N. N.” »Also ist er (oder sein kranker Bruder, seine
Frau usw.) gestorben.” Schnell verbreitet sich das Gerücht und
wissen also die Freunde , dass sie sich in ein paar Stunden zur
Theilnahme an der Bestattung vorbereiten müssen. Man wartet dazu
syJLß Jaä—i' bis ^ ö-äUt An einigen anderen Stellen
giebt der Verfasser sogar zu den Worten seines Textes: u Xi die Anmerkung:^!
AmJLc. Gegen Landberg, Critica, I: 76.
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189
in der Nähe der Wohnung, bis die Leiche herausgetragen wird,
oder man begiebt sich gleich in die Moschee, weil der eigentliche
Leichenzug sich erst dort zusammensetzt ; Einige schliessen sich noch
später unterwegs an. Das Qalät für den Todten (dessen eigenthiim-
licher Ritus in den Gesetzbüchern beschrieben wird) kann im All-
gemeinen sowohl zu Hause als in einer Moschee oder sonst irgendwo
abgehalten werden. In Mekka hält man es fast ausnahmslos in der
Moschee, und zwar nachdem man die Leiche in der Nähe der
Kacbah niedergesetzt hat. AzraqT ') bezeugt das hohe Alter der Sitte ,
die Leichen zum Todes^alät in die Moschee zu bringen, die aber
zu seiner Zeit nicht mehr in Geltung gewesen zu sein scheint;
der berühmte hanafitische Qädhi Qutb ed-din , der gegen Endo des
10tcn Jahrhunderts der Hidjrah'eine Chronik der Stadt Mekka schrieb,
erwähnt die Sitte als eine damals allgemein übliche, die von den
Schäfi'iten als eiupfeh lens werth , von den Hanafiten dagegen als ver-
boten betrachtet wurde, und er rühmt sich der glücklichen Auffin-
dung einer Stelle, welche »diesen bedeutenden Vorzug” auch den
ßekennern seines Ritus erreichbar machte, als eines unsterblichen
Verdienstes *). Sein auf jene Stelle gegründetes Gutachten hob nun
alle Bedenken gegen die Verunreinigung des Heiligthums auf. Auch
nach dem Begräbniss und an jedem beliebigen Orte kann zu jeder
Zeit das Leichen<?alät verrichtet werden, sogar an mehr als einem
Orte wegen eines und desselben Todesfalles. Daher haben in Mekka
Ansässige die Gewohnheit, wenn sie die Nachricht vom Tode eines
fernen Verwandten erreicht, mit ihren Freunden zu Hause oder in
der Moschee das »Qalät für den abwesenden Todten” zu halten,
und wer es besonders feierlich machen will, giebt wohl einem
Moscheebeamten, z. B. einem Imam, ein Geschenk, damit er diese
Feierlichkeit im Haram leite l) * 3).
Sobald das Qalät zu Ende ist , bilden die Meisten , die sich daran
betheiligten, den Leichenzug. Voran geht die Bahre, von etwa
l) CM I: 881.
8) CM UI: 808—9.
3) Wegen des Todes des Sultan Qäitbcy wurde »in den drei Moscheen” (von Mokka,
Medina und Jerusalem) das (jaUtt al-ghäib verrichtet CM. IU; 237.
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10 — 16 Männern getragen; ihr folgen die Verwandten, je einer
hinter dem andern; dann kommen die Freunde in breiten, unre-
gelmässigen Reihen. Unablässig leiern Alle religiöse Formeln ab,
über welche das stets wiederholte lä iläha illä ’lliih hinaustönt.
Wo der Zug vorbeikommt, erheben sich die Verkäufer in ihren
Buden und Leute, die vor ihrer Wohnung oder in Kaffeehäusern
sitzen, und machen ihre Nachbarn aufmerksam durch den Ruf:
»Bezeuget die Einheit Allah’s!” {wahhidü ’llfih), worauf Alle mit
lä iläha illä ’lläh einstimmen. Die dem Zuge begegnen, setzen die
Schulter mit gleichem Ausrufe unter die Bahre und gehen etwa
zwanzig Schritt als Träger mit, sodass die Träger fortwährend wech-
seln. Dan wenden sie sich um, küssen jedem Verwandten des Ver-
storbenen die rechte Schulter und sprechen die übliche Beileidsformel.
Jedes Uebel, das den Gläubigen auf Erden trifft, wird ihm
nach islamischer Lehre im Jenseits wie ein frommes Werk belohnt,
wenn er es ohne Murren trägt. Besucht der Muslim einen erkrank-
ten Freund, so tröstet er ihn, nach der Einleitung: »Kein Uebel
über dich !” {lä hä * ea/eik) , mit der Sicherheit des grossen Adjr
(Himmelslohns), welches ihm sein Leiden eintragen wird. So ist
denn auch die gesetzlich bestimmte Beileidsformel: »Allah mache
deinen Lohn gross!” dem man allerdings häufig die Worte: »Allah
ersetze dir das Verlorene durch Gutes !” hinzufügt ‘). Darauf ant-
wortet man: »Allah lohne euch mit Gutem!”1).
Sobald der Zug auf dem Ma'lä angelangt ist, wird die Leiche
ohne weitere Ceremonien in die Grube hinabgelassen. Ein Verwandter
des Verstorbenen hat vom Markte einen grossen, mit Broten gefüll-
ten Korb {Miktal , d. h. ein grosses, rundes Zembil) mitgebracht und
vertheilt den Inhalt über die auf dem Friedhof anwesenden be-
dürftigen Faqihs und sonstige Arme, worauf die Fäqlhs im Na-
men des Todten ein Stückchen Qurän vortragen. Die Vorberei-
1) jjjt lautet im Munde der Mckkaner gewöhnlich: ’azzam Alhih adjrak
oder bloss: ‘azzam adjrak-, die anderen Formeln, welche auch wohl anstatt der erste-
ren gebraucht werden, sind jieklif eher oder jintzucidh eher, in der Regel ohne Erwäh-
nung von Ailah’B Namen.
3) Djazttkam Allah cht'r.
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tung des Gestorbenen auf die im Grabe von zwei Engeln anzu-
stellende Prüfung seines Glaubens, das Talqin, besorgt ein damit
beauftragter Mann , sobald die Leute den Friedhof verlassen haben.
Nahe dem Eingang desselben stellen sich aber die Verwandten nach
der Reihenfolge des Alters auf, um die allgemeine Beileidsbezeu-
gung entgegenzunehmen. Alle, die sich am Begriibniss betheiligten ,
küssen im Hinausgehen jedem von ihnen die rechte Schulter, wobei
die bereits erwähnten Formeln ausgetauscht werden. Weil nun aber
immer viele Bekannte erst später von dem Todesfall hören oder
sonst verhindert werden , sich dem Zuge anzusch Hessen , stellen sich
bei der Rückkehr die Trauernden vor dem Sterbehause abermals
zur Kondolation auf, und nachdem auch diese entgegengenommen
ist, gehen die Männer ihren gewohnten Beschäftigungen nach mit
der stillen Fügung in Allahs Willen, die der Muslim zu seinen
höchsten Pflichten rechnet.
Zwar veranstaltet man noch während einiger Tage Feierlichkei-
ten, deren rein religiöse Natur jeden profanen Lärm ausschliesst ,
aber diese haben weder innerlich noch formell etwas mit Trauer
zu thun; sie dienen lediglich dazu, dem geliebten Todten einige
fromme Werke nachzusenden , damit ihm die '/Prüfungen des Gra-
bes” und die Aussicht auf den jüngsten Tag erträglicher werden.
Früher haben wir schon hervorgehoben, dass zur Vermehrung des
Credits verstorbener Angehörigen vorzüglich Quränrecitationen ver-
richtet werden. Zu diesem Zwecke kommen denn auch am Abend
des Todestages ohne vorhergehende Einladung die Freunde nach
Sonnenuntergang in das Sterbehaus. Kaffee wird ihnen gleich nach
dem Hereintreten angeboten; die frühere Sitte, auch diese Zusam-
menkünfte mit einer Mahlzeit zu beschliessen , ist aber von den
besseren Familien aufgegeben. Noch in jüngster Zeit bedurfte es
zu dieser Abschaffung eines Gutachtens der höchsten Autorität der
Gesetzeskunde in Mekka , des MuftT’s der SchäfTitcn Ahmed Dahlän.
In seinem Fetwa, welches ein bekannter mekkanischer Schriftsteller
in sein Hauptwerk ') aufgenommen hat, thut der Gelehrte dar, wie
der Prophet , statt der Anempfehlung grosser Todtenmahlzeiten ,
1) l&jpd Betri in der Banal aUäliim, II: 170 f.
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den Nachbarn der Trauernden sogar die Beschaffung der am To-
destage nöthigen Speisen für Letztere auftrug; der Mufti bittet
daher die Behörden, energisch gegen das Ueberhandnehmen jener
Unsitte einzuschreiten.
Den Besuchern wird nach dem Kaffee je ein Djuz’ (V« Theil)
des Quräns in einem dünnen Bündchen überreicht, damit sie, auch
ohne Quränkenner zu sein, sich ihres Theils der frommen Aufgabe
entledigen können. Da gewöhnlich mehr als dreissig Freunde bei-
sammen sind, sollte man denken, es ergäbe sich aus der Zusam-
menkunft mehr als ein Chnlmah (Vortrag des ganzen Quräns) für
den Verstorbenen. Allein Viele können nicht lesen oder verstehen
sich nur dürftig auf die Kunst des Recitierens, und geben daher
durch ihre Anwesenheit bloss ein Zeugniss ihres guten Willens.
Nach l'/j — 2 Stunden heben auf ein Zeichen eines von den gelehr-
teren und älteren Anwesenden die Mebäschir’t die Bücher auf, und
fingt jener mit der Leitung des Tachtim- gebets an; solch ein Ge-
bet, wofür verschiedene Formulare gebräuchlich sind, beschliesst
jedes Chatmnh. Gewisse Theile desselben werden von allen Bethei-
ligten mitgesprochen , z. B. die darin vorkomraenden Fäl'hah’s und
einige Lobpreisungen (»Es giebt keinen Gott ausser Allah, und
»Allah ist am grössten und Allah gebührt das Lob usw.”). Speci-
fisch für das Tachtim- gebet ist die Bitte um Nachsicht wegen et-
waiger in dem Vortrag begangener Fehler und, wenn das Chatmah
einem Todten galt, auch noch die Bitte, Allah möge den Lohn
der Verrichtung Jenem zu Gut kommen lassen.
Am zweiten Abend geht Alles in gleicher Weise vor sich; dann
lädt aber der Hausherr oder ein Mebäschir die Anwesenden beim
Fortgehen förmlich auf den dritten Abend »zum Kaffee” ein. Die
Bedeutung dieser Einladung zeigt sich bloss darin , dass jedem Gaste
nach Beendigung der dritten Reeitation von den Mebäschir's ein
Teller voll kleiner, runder Kuchen {Feläs t) ') angeboten wird, die
1) Vielleicht stammt der Name daher, dass die Form dieser Küchelchen der von
Münzen einigermaassen ähnlich ist und möglicherweise früher noch ähnlicher war. Sie
sehen ungefähr aus, wie die in Holland als bitterkoekje» bekannten Mandelkuchen, sind
aber sehr viel härter und süss ohne bitteren Beigeschmack.
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er in einem Mendil mit nach Hause trägt. Ob an den drei folgen-
den Tagen wieder Qiräjeh stattfindet, hängt von den Umständen
ab; fast obligatorische Kraft hat aber die Sitte, in der siebten Nacht
eine besonders feierliche Qiräjeh nebst Mülid abzuhalten. Nachdem
die Gäste am siebten Abend in derselben Weise wie an den drei
ersten ihre Recitation beendigt haben und ihnen die Falän darge-
reicht sind, kehren viele heim; die intimeren Bekannten bleiben
aber da, um die feierliche, kunstgerechte Qiräjeh einiger gemie-
theter Fuqahä anzuhören. Diese vertheilen den Qurän unter sich,
aber so, dass jedes Mal einer dort antängt, wo sein Vorgänger
aufgehört hat. Ein paar Stunden nach Mitternacht sind sie fertig
und schliessen unter allgemeiner Theilnahme mit dem Tachtim-gehei ,
worauf noch einer von ihnen das Mülid vorträgt.
Am 20,ten und am 40‘1 2'" Tage ‘) nach dem Tode wiederholt sich
die zuletzt beschriebene Feierlichkeit ’) ; dann tritt eine Pause ein
bis zum Jahrestag des Todes {Haut). Am /faul giebt es ferner
jährlich regelmässig Mülid und Qiräjeh , und diese werden dann
häufig wie die übrigen //Mölid’s” mit einer Mahlzeit beschlossen.
Erst wenn eine neue Generation die der Hinterbliebenen ersetzt
hat, geräth des Todten Haul wie er selbst in Vergessenheit.
Erreicht Einen in Mekka die Nachricht, dass anderswo ein naher
Verwandter gestorben ist, so lässt er unmittelbar nicht nur das
Todes^alät, sondern auch die Qiräjeh mit Zubehör abhalten, ohne
die Zahl der Tage zu beachten, die nach dem Tode verflossen sind.
Unser Einem macht die materialistische Weise einen seltsamen Ein-
druck , wie auch von frommen Leuten die Vorbereitung zu derartigen
Ceremonien betrieben wird; sie zeugt aber ebenfalls davon, wie
dies Alles ausserhalb der Trauer steht. Mit seinen Freunden beriith
sich der Sohn, dem eben der Tod seines Vaters berichtet wurde,
wie und wo er sich die nöthigen Fa/äei oder den Reis zum Mülid
1) Allo diese Tuge werden mit ihrer Zahl bezeichnet , z. B. sagt man : »heute ist
Qiräjeh für den seligen N. N., es ist sein 40‘’*' Tag” (H-jom qiräjeh lil-marhim if. N.
Uh ar teilt jom).
2) Es ist nicht allgemein üblioh, kommt jedoch bisweilen vor, dass auch am l'*«“ und
am Tage die Zusammenkunft mit, Ton gemietheten FüqahA Torgetragenen, Qiräjeh
und Molid beschlossen wird.
II 25
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kaufen soll. Seine Zeit ist beschränkt; darum möchte er solche
Fdqih's miethen, die ein Chalmah möglichst schnell zu Stande brin-
gen; man empfiehlt ihm vier Specialitiiten , die allerdings an Kunst
und Schönheit der Stimme anderen Berühmtheiten nachsteheu , da-
gegen völlig regelrecht und unglaublich schnell recitieren, ohne so
hohe Anforderungen bezüglich der Speisen und Getränke (Thee usw.)
zu stellen, wie die verwöhnten Künstler, die den grössten Ruf ge-
messen. Als gute Kaufleute treiben sie ihre Geschäfte mit dem
himmlischen Buchführer!
Bisher haben wir, ausser bei der Erwähnung des Qi jäh, die
Weiber ausser Acht gelassen, weil diese an den beschriebenen Ce-
remonien nicht theilnehmen’, während für sie die Trauer im Ge-
setze ganz anders als für die Männer geregelt ist und bei ihnen
noch dazu allerlei vom Gesetze abweichende Sitten herrschen.
Das Trauergesetz trägt der zarten Natur des Weibes Rechnung
und gestattet ihr lebhaftere Aeusserungen ihres Schmerzes als dem
Manne. Für die Wittwe ist die Trauerzeit auf 4 Monate und 10
Tage festgesetzt, während deren sie keine neue Ehe eingehen noch
vorbereiten, sich nicht besonders schmücken, nur im Nothfalle das
Sterbehaus verlassen , sich keinerlei Luxus gestatten darf ; dies ist
die zIddah. Mit demselben Namen bezeichnet das Gesetz auch die
weibliche Trauer wegen verstorbener Verwandter und Freunde, die
höchstens drei Tage dauern soll.
Nach mekkanischer Sitte trauern die Weiber wegen des Todes
ihrer Blutsverwandten und Verschwägerten immer länger als die
gesetzliche Frist; je nach dem Grade der Verwandtschaft verlangt
das Herkommen eine cUildak (so nennen sie die Trauerzeit), die
etwa zwischen zwei und vier Monaten wechselt; weisse Kleider
gelten während dieser Zeit als die besten, jedoch sind auch grüne
und schwarze gebräuchlich, und nur die rothe oder röthliche Farbe
wird ängstlich gemieden '). Ohne sich des Schmucks zu enthalten ,
betrachten sie einige specielle Schmucksachen als zum Trauerkleide
1) Iah* el-'udiah hebst die Tranerkleidhmg; im Allgemeinen nennt man derartige
Kleidung ^feierlich”, libs U-hückmah.
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nicht passend; das ist aber reine Konvention, der jeder wirkliche
Trauergedanke fremd bleibt. Im Uebrigen verwenden sie , nicht nur
im Augenblick, wo der Tod eingetreten ist, sondern noch mehrere
Tage nachher, ihre besten Kräfte auf das Schreien”.
Wie viele Tage geschrien werden soll , das hängt wieder in jedem
Falle von der Dauer der ganzen c UJi/ah ab ; höchstens beläuft sich
die Sehreiperiode auf etwa zwanzig Tage. In diesem Zeitraum er-
warten die Damen im Sterbehause täglich zu jeder beliebigen Stunde
Besuche von ihren Freundinnen, die ihnen nach Kräften bei der
Ausübung ihrer herkömmlichen Pflicht zur Seite stehen. An Kaffee,
Thee und anderen Erquickungen darf es dabei natürlich nicht feh-
len. Sowohl die Beschränktheit der menschlichen Kräfte als die
Eigenheiten der weiblichen Natur führen häufige Unterbrechung
der Lungengymnastik durch alltäglichen Klatsch herbei. Jedesmal
wenn eine neue Besucherinn hereintritt, wird aber das Qijäji gleich
nach der Begrüssung wieder aufgenommen ; die Kundigsten machen
die oben erwähnten Ausrufe zum Lobe des Verstorbenen, und die
Uebrigen stimmen mit Ach und Weh ! , mit Schreien und Schluch-
zen ein. Ist ein Weib gestorben, so kann jede in der Kunst ge-
übte Freundinn auch lobende Ausrufe anstimmen; in Bezug auf
einen Mann geziemt sich dies natürlich nur für seine W'ittwe und
Verwandten.
Die Ausrufe, welche unmittelbar dem Tode folgen, und auch
die , welche das Hinaustmgen der Leiche begleiten , heissen einfach
Qijäh ; die Konzerte in den ersten Tagen der cUddah werden aber
mit dem Worte Tacdid bezeichnet Obgleich sich nun wahrer Schmerz
auch in dieser hergebrachten Form äussern mag, ist im grossen
Ganzen das Tadid bei Sterbefällen ebensosehr zur konventionellen
Kunst geworden wie das Ghatjafah aus erfreulichen Anlässen. In
Frauenkreisen wird Eine als eine vollendete Pflegerinn der Kunst
des //Trillerns” gelobt , während man der Andern die Meisterschaft
im Tcfdtd nachsagt ‘). Bei dieser und jener Verrichtung leisten die
1) Hä i/j md »chd ’Uiih teadiid tajjib , sagt man. Vergl. Goldziher, iluhammcdanisohe
Studien (Halle, 1889) I: 244.
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Lungen, die Kehle und die Zunge ihre Arbeit auch ohne Mitwir-
kung des Gemüths.
Noch in mancher andern Beziehung führen sich die Weiber bei
einem Todesfall in einer Weise auf, die muslimischen Gelehrten
im höchsten Grade anstössig ist; wenn z. B. die Leiche eines vor-
nehmen Sejjids oder Scherifs, eines hervorragenden Schriftgelehrten
oder Mystikers gewaschen ist , drängen sie sich dazu , etwas von dem
herabfliessenden Wasser zu erhaschen, sich damit die Hände und
die Stirn einzureiben , ja bisweilen , es zu trinken ! Noch nach sei-
nem Tode hätte also mancher Gelehrte Grund, den Weibern zuzu-
rufen, was er ihnen im Leben so oft nachgesagt: sie seien alle
verderbter Natur!
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ANHANG.
ZWEI DA N A-DÄN A-LI EDER (vergl. oben S. 169 ff).
Es ist wohl überflüssig nach den im Laufe des IIttn Kapitels
mitgetheilten Proben noch zu betonen, wie in den volksthümlichen
Liedern aller Art, die aus älterer Zeit stammen, die Grammatik,
das Metrum und manchmal sogar der Reim durch unkundige
Ueberlieferung gelitten haben, und wie dieselben in neueren Er-
zeugnissen misshandelt werden. Ich verzichte deshalb auf Versuche,
das bessere Original wiederherzustellen, zumal es sich darum han-
delt, zu zeigen, was man heute in Westarabien singt. Auch lohnt
es sich nicht, dem genauen Sinn jedes Verses nachzuspüren, da
dieser sogar den Sängerinnen und Zuhörerinnen in allen schwieri-
gen Fällen unbekannt ist. Es lässt sich viel dafür sagen, mit Herrn
Dr. Wetzstein im 6,cn V. (»denn meine Wunde ist
tiefspurig”) zu lesen, aber man singt es, wie ich es gegeben habe
trotz der Gesetzwidrigkeit der männlichen Form , und ich glaube ,
man bezieht diese Form eher auf und fasst sie als aktiv auf:
»einen Trank, der meine Wunde heilt.” Solche Verstösse gegen
den Reim wie der Ausgang zweier oder dreier Verse des ersten
Liedes auf / kommen häufig in den Däna-däna-liedem vor. Ein
paar von den vielen werthvollen Anmerkungen, zu denen die Lek-
türe des ersten Liedes Herrn Dr. Wetzstein Anlass gegeben hat, will ich
jedoch meinen Lesern nicht vorenthalten. In Vers 2 möchte Dr. W.
statt Jva lesen: »er tyrannisiert, behandelt mich grau-
sam.” Vielleicht ist die Korruption dadurch zu erklären , dass die
Ueberlieferer des Gedichts, denen in solcher Bedeutung unbe-
kannt war , den Sinn untergeschoben haben , der Geliebte setzte alle
Anderen ab , sobald er sich der Herrschaft bemächtigt. Hr. W.
weist darauf hin, dass Vs. 2 »kohlschwarz” und Vs. 4 »kreide-
weiss” bedeute; »g^k ist in Syrien der Reif, von seinem schneear-
»tigen Aussehen , und g.l^a- ist der weisse Thon , mit dem man in
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»Syrien die Wände weisst.’’ Vs. 6 stXffUl ^ »wer es gese-
hen hat, wird (dadurch) überwältigt”, ist also = >Xe |Uää!
Ueber die in Vs. 7 erwähnten Blumen vergl oben S. 170, 178 — 4, und
Mekk. Sprichw., s.v. Zu Vs. 8 bemerkt Herr W.: »In Syrien kom-
»men die Pistazien noch im Dorfe Ma'lüla , 10 Stunden nördlich
»von Damask vor; südlicher trägt der Baum keine Früchte mehr.
»Die Wallnuss darf in Damask nur jLSj> s= verkauft wer-
»den. Der Marktausruf ist UJ »Nusskeme””.
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MEKKANISCHES WIEGENLIED.
hö liaja hö hä
el-Ka'bah banöha
wesldl j’säfir Makkah
cabbl luli zembil ka'kah
wel-ka'k djuww’ el-michzan
wel-michzan mä luh uiuftäh
wel-muftäh ‘end en-naddjär
wel-naddjär jibghä luh felüs
wel-felüa ‘end es-sultän
wes-sultän jibghä luh schöra Der Sultan bedarf des Raths,
wes-schöra ‘end w;-vugh5r Den Rath haben die Kinder,
we^aghlr jibghä leben Das Kind wünscht Milch,
wel-leben 'end el-baqar Milch haben die Kühe,
wel-baqar jibghä luh haschTsch Die Kühe brauchen Gras ,
wel-haschlsch foq el-djebel Gras ist auf dem Berge,
wel-djebel jibghä luh matar Der Berg bedarf des Regens,
jä matar hutti huttl 0 Regen, komm, komm herab,
bint uchtl djäbat walad Meine Nichte hat einen Sohn geboren,
sammatuh 'abd ef-yamad. Abd e^-Qamad hat sie ihn genannt.
IIo haja ho ha !
Die Ka'bah hat man gebaut,
Mein Herr reist nach Mekka,
Rereite ihm ein Körbchen mit Zwie-
Der Zwieback ist im Schrank, [back ;
Am Schrank ist kein Schlüssel,
Der Schlüssel ist beim Schlosser ,
Der Schlosser verlangt aber Geld,
Das Geld hat der Sultan,
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III.
WISSENSCHAFT.
Zugleich mit der Religion gab Muhamraed seinen Arabern die
Anfiinge einer Wissenschaft. Früher hiessen zwar die Dichter schon
»Wissende”, auch gab es ausser den zu einigen Gewerben erforder-
lichen Fertigkeiten solche Kenntnisse, die nur in kleinen Kreisen
überliefert wurden , weil ihre Erwerbung nicht jedermanns Sache
war: Zauberei und Heilkunst, Wahrsagerei, die Bestimmung des
Vaters eines Neugebornen usw. Das Auftreten des »ungelehrten”
Propheten schloss aber nach Ansicht der Gläubigen die Zeit der
» Unwissenheit" ') ab : das Wissen des Heidenthums war des Teufels
Trug; nur durch Offen barungsschriften wurde Allahs Wissenschaft
den Menschen einigermaassen zugänglich, und das letzte, arabische
Buch Gottes kam den Menschen durch den Gesandten zu, der
sich rühmte, nicht schriftkundig zu sein. Allahs Wort war nun
Allen, die an Muhammed glaubten, die Quelle der wahren Wis-
senschaft, die aber in mancher Hinsicht erst durch den Unterricht
des Gottesgesandten zugänglich und nutzbar wurde.
Ueber kein Gebiet des Wissens haben jedoch Allah und sein
Gesandter einigermaassen systematischen Unterricht ertheilt. Dazu
eignete sich weder Muhammeds Bildung noch seine Art; auch
brauchte er nicht auf Vollständigkeit auszugehen , da seine Offenba-
]) Diese Thatsacke bleibt wahr, auch wenn Dr. Goldziher mit seinen ansprechenden
A.usführungcn über das Wort Djähilijjak (in seinen eben erschienenen //Muhanunedani-
schen Studien”) Recht hat.
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rung zunächst nur seinem unwissenden Volke mittheilen sollte, was
andere Völker längst wussten und als Lebensnorm befolgten. So
lange der Prophet das Wort noch hauptsächlich an Ungläubige
richtete, also bis zur Hidjrah, enthielten seine Orakel Drohungen,
Verheissungen, Schilderungen des Gerichtstages und Erzählungen aus
der heiligen Geschichte, die als warnende Beispiele dienten; der
kleinen Gemeinde waren detaillierte Lebensregeln nicht nothwendig.
Nach der Hidjrah steht Muhammed als Gottes Organ inmitten seiner
stets zunehmenden Anhängerschaft, die sich bei allen Schwierigkeiten
an ihn wendet. So wird er in erster Linie Vorsteher und Gesetz-
geber der neuen Gemeinde; von letzterer Befugniss machte er je-
doch immer sparsameren Gebrauch, da die Erfahrung ihm bald
zeigte, wie gefährlich es sei, sich durch göttliche Entscheidungen
selbst auf alle Zeit zu binden oder das himmlische Wort durch
häufige Aenderung in Misskredit zu bringen. Aus den meisten legisla-
tiven Partien des Quräns geht hervor, dass sie erst nach langer
Erwägung erlassen wurden , weil Streitigkeiten in der Gemeinde
oder Opposition gegen Muhammed sich nicht anders beendigen
liessen.
Nur selten giebt der Qurän Antwort auf rein theoretische Fra-
gen, und dann haben diese noch meistens einen praktischen Hinter-
grund. Durchaus nicht allein Muhammeds Vorsicht führte diese
Beschränkung herbei ; auch seine gläubigsten Anhänger waren keine
Theoretiker, und ihr ganzes Leben blieb trotz der gewaltigen vom
Islam verursachten Revolution so fest im arabischen Boden gewur-
zelt, dass sie die hergebrachten Anschauungen und Sitten keines-
wegs aus reiner Liebhaberei der Kritik der neuen Grundsätze un-
terzogen. Immerhin war den Muslimen jede ernste Frage eine
religiöse, die also nur durch Allahs Wort, beziehungsweise durch
Muhammeds Erklärung zu lösen war.
Nach dem Tode des Propheten rollte der von ihm mit aller Vor-
sicht umgewälzte Stein von selbst weiter; die nächste, im Islam
erzogene, Generation kritisierte die im Heidenthum begründeten
Zustände schon viel schärfer als Muhammed selbst, und so ent-
standen immer neue Fragen, praktische sowohl als theoretische.
II
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202
Medina , wo in den ersten dreissig Jahren der Sitz der muslimi-
schen Regierung war, bildete auch das Forum, dem jene Fragen
unterbreitet wurden. Für Leben und Lehre waren diese nicht weni-
ger wichtig als die zur Zeit Muhammeds aufgekommenen; auch
bedurfte ihre Erledigung in nicht geringerem Grade göttlicher
Autorität. Nachdem aber der Mund, durch welchen Allah zu den
Menschen gesprochen hatte, auf ewig geschlossen war, fehlte das
Mittel , göttliche Entscheidungen einzuholen , und der kleine Codex ,
der alle Worte Allahs enthielt, reichte für die Bedürfnisse gar
nicht aus. Liess sich auch durch künstliche Auslegung manche als
nothwendig erkannte Lehre daranknüpfen , in unzähligen Fällen
versagte die kühnste Exegese.
In solcher Noth griff die Gemeinde nach den ausserquränischen
Worten des Propheten ; diese waren ja nicht , wie die Offenbarung ,
schriftlich fixiert, und die mündliche Ueberlieferung gewährte der
verlangten Erweiterung grossen Spielraum. Ueber die Pflicht fremde
Aussprüche treu zu überliefern, walteten zu jener Zeit ganz andere
Anschauungen als bei uns ; was man als heilige Wahrheit erkannte ,
das legte man unbedenklich dem Propheten , dem Organe der
Wahrheit, nachträglich in den Mund. Wie bei uns ein Gerücht,
wenn es über einige Zungen hinausgegangen ist, durch Zuwüchse
und Aenderungen unkenntlich wird, so ging es in der Gemeinde
Muhammeds mit der Tradition von seinen Worten und Thaten,
denen man übrigens immer unbeschränktere Geltung zuerkannte;
ein beglaubigter Spruch des Propheten stand bald für die Praxis
einem Quränverse an Bedeutung nicht nach.
Hier waren aber die Aenderungen und Zusätze kein Spiel des
Zufalls, denn jede Ansicht, jedes Dogma, jedes Gesetz, die in ir-
gend einem muslimischen Kreise zur Geltung gelangten, fanden in
entsprechenden prophetischen Worten ihren Ausdruck; sogar die
vermittelnden Entscheidungen , denen sich streitende Parteien schliess-
lich fügten, wurden in Ueberlieferungen dem Gottesgesandten zu-
geschrieben. Wer nicht sieht, wie die Traditionssammlungen in
jeder Richtung von Tendenzen durchkreuzt sind, der muss jedes
historischen Sinnes baar sein oder nie die auf ein Thema sich be-
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ziehenden Ueberliefeningen einer vergleichenden Prüfung unterzogen
haben. Wie jede christliche Sekte für sich die allein richtige Auf-
fassung des Evangeliums in Anspruch nimmt, so behauptete jede
muslimische Faktion, sie allein folge dem Worte und dem Bei-
spiele Muhammeds. In der muslimischen Kirche schrieb jeder nicht
bloss seinen Geist, sondern auch seinen Buchstaben dem todten
Propheten zu; die Spaltungen aber, welche die Meinungsverschie-
denheit Jahrhunderte lang hervorrief, wurden durch den überaus
katholischen Instinkt des Islam’s immer wieder . geheilt , sodnss die
Vermittlung die Meisten beisammenhielt.
In den ersten dreissig Jahren, wo Medina noch der Sitz, so zu
sagen, der exekutiven und der legislativen Gewalt war, hatten
die in jenen Traditionen niedergelegten Entscheidungen die höchste
praktische Bedeutung, und, obgleich schon damals kleinliche Zän-
kereien nicht fehlten , ward doch in jener thatenreichen Zeit die Auf-
merksamkeit vorzüglich praktischen Fragen zugewnndt. Der Ueber-
gang des Chalifats aus den Händen der Genossen in die der weltklugen,
aber wenig religiös gesinnten Omajjaden bezeichnet den Anfang der
Trennung der Staatsgewalt von der höchsten Autorität auf dem
Gebiete der Religion. Zunächst hatte jene in Damaskus, diese in
Medina ihren Sitz; von diesen Centren aus verbreiteten sich beide
über die ganze muhammedanische Welt und standen einander
überall misstrauisch gegenüber. Bald waren sie in offener Feind-
schaft, bald schlossen sie ein zeitweiliges Bündniss mit einander,
bald ging jede ihrer Wege, ängstlich die Machtssphäre der ande-
ren vermeidend. Die Chalifen konnten nie den Anspruch aufgeben,
auch auf dem heiligsten Gebiete oberste Leiter des Islam’s zu sein;
die Nachfolger der »Genossen” aber beharrten, mit Zustimmung
der Frommen, bei ihrer wenigstens theoretischen Missbilligung der
Verweltlich ung des Islam’s.
Es dauerte nicht lange, bis die maassgebenden Kreise in Medina
zur Ueberzeugung kamen, sie hätten sich auf das Gebiet der Theorie
zu beschränken, wollten sie nicht in dieser Welt dem Schwerte
der Herrscher erliegen. So entstand die älteste Schule des Islam’s
und wurde die »Wissenschaft” dem bis dahin vorherrschenden Ein-
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fluss der Praxis entzogen. In gewissen Dingen musste sie zwar auch
nachher den obwaltenden politischen Verhältnissen und den Anfor-
derungen des gesellschaftlichen Verkehrs Rechnung tragen ; weil aber
schon so die wichtigsten Angelegenheiten ohne Rücksichtnahme
auf die Ansicht der »Gelehrten” geregelt wurden, konnte ihnen
wenig daran liegen, auch auf anderen Gebieten der bösen Praxis
den Hiieken zu kehren. Ferner hatte die Entstehung der »Schule”
auch die zunehmende Beschäftigung mit solchen Fragen zur Folge,
die an sich nur theoretischen Werth hatten. Dazu wirkte allerdings
auch der Uebertritt. vieler Juden und Christen zum Islam mit.
Muhammed hatte immer gelehrt, die »Leute der Schrift” wüssten
allerlei, worauf er selbst nur anspielte; zwar hatte er sie später der
Schriftfälschung beschuldigt, aber die Gefahr tendenziöser Fälschung
hörte auf, sobald sie sich zum wahren Glauben bekannten. Somit
durften die Lernbegierigen innerhalb gewisser Schranken die von
Muhammed hinterlassenen Lücken mit Hülfe der Schriftkenner
ergänzen.
Auf die Frage , womit sich denn die Vertreter der »Wissenschaft”
in den ersten Jahrhunderten des Islam’s beschäftigt haben , antwor-
ten uns vorzüglich die heiligen Traditionssammlungen, denn nach
wie vor wurden alle wichtigen Resultate der Forschung dem Pro-
pheten zugeschrieben. Nur muss man bedenken, dass wir in jenen
Sammlungen bloss eine kleine Auswahl der in Umlauf gesetzten
Ueberlieferungen besitzen, nämlich solche, die ursprünglich zu den
Streitwaffen der mächtigsten Parteien gehört haben, und solche,
die auf Vermittlung entgegengesetzter Ansichten ausgehen; andere
sind zwar theilweise in der Litteratur erhalten, haben aber keine
kanonische Geltung erlangt.
Die Einheit der Wissenschaft tritt uns in jenen Leistungen der
Gelehrten der ersten Jahrhunderte als unübertrefflich entgegen ;
dafür sind denn aber auch die Gegenstände sowie die Erkenntniss-
quellen der Forschung sehr beschränkt. Selbstverständlich finden
alle Fragen, die im engeren Sinne zur Religion gehören, in den
Traditionen ihre Erledigung, und zwar seit der Emancipation der
»Schule” in immer mehr scholastischer und kasuistischer Weise. Was
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wir zur Dogmatik, zur heiligen Geschichte oder zur Moral rechnen,
das alles hat hier keinen besonderen Namen, denn als Quelle der
Wahrheit gilt auf jedem Gebiete Muhammed. Ebenso ist’s mit
dem Rechte oder vielmehr dem alles Leben und Denken regelnden
göttlichen Gesetze, dem die Kleidung und die körperliche Reini-
gung der Gläubigen als nicht weniger wichtig erscheint denn etwa
die Wahl des Chalifen oder die Steuerordnung. Mit gleicher Sicher-
heit lösen dieselben , formell auf den Propheten zurückgehenden ,
Autoritäten medicinische Fragen: genauen Aufschluss ertheilen sie
über die religiösen Formeln, die an die Stelle des altarabischen
Zauberspuks treten müssen, über die besten Heilmittel für die häu-
figsten Krankheiten und die empfehlenswertheste Diät für den ge-
sunden Menschen; sogar die Frage, ob sich Krankheiten vererben
und durch Ansteckung fortpflanzen, bildet den Gegenstand einer
Diskussion. Genug, jede wichtige Frage, deren Lösung sich dem
gewöhnlichen Menschenverstände nicht von selbst ergab, wurde in
den Traditionsschulen nach gleicher Methode, in gleicher Form,
im Namen des einzigen Gottes und seiner Organe entschieden , und
wenngleich manchmal heftige Meinungsverschiedenheit über diesen
und jenen Punkt die Einheit der Gemeinde zu gefährden drohte,
schliesslich erzielte man doch Einigkeit in allen Hauptsachen. So
sehr herrschte das katholische Bewusstsein, dass man, neben Allahs
Buch und Muhammeds Worten und Thaten, die «Uebereinstim-
mung der Gemeinde” in irgendwelcher Entscheidung als maassge-
bend betrachten konnte, wie denn auch die Benutzung jener bei-
den Quellen selbst bald ganz durch diese Uebereinstimmung ver-
mittelt wurde. Trotz aller Heftigkeit des Schulstreits galt dagegen
die Meinungsverschiedenheit in maassgebenden Kreisen als von so
unwesentlicher Bedeutung, dass man sie als eine Gnadenerweisung
Gottes an die Gemeinde darstellte.
Allein in den späteren Schichten der Ueberlieferung, deren Aus-
bildung etwa zwei Jahrhunderte in Anspruch nahm, findet man
unzweideutige Beweise davon , dass diese arabische Entwickelung der
//Wissenschaft” nicht allen Muslimen genügte, denn es werden darin
(formell wieder im Namen Muhammeds) Ansichten bekämpft, die
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auf fremdem Boden emporgekommen waren. In den vom Islam er-
oberten Kulturländern Westasiens und Nordostafrika ’s stand alle
Forschung , ob sie nun mehr oder weniger vom Dogma eingeschränkt
wurde, unter dem Einfluss des Hellenismus; in Bezug auf die Form
war sogar die kirchliche Wissenschaft jener Macht unterworfen,
aber ausserhalb des Bereichs der Religion zeigte hier auch die ganze
Denkungsart der höheren Kreise allenthalben die Nachwirkung der
Impfung hellenischer Zweige auf die orientalischen Stämme. Diese
höhere Bildungsstufe konnte allerdings die politisch zerrütteten Pro-
vinzen nicht schützen gegen den Anprall des durch den Islam ge-
einigten Araberthums, und den wunderbaren Siegen des Islam’s
folgte sogar die Bekehrung der Massen ; damit war aber das Den-
ken noch nicht in dem Netze der oben beschriebenen universellen,
beschränkten Wissenschaft gefangen.
Auf diesem Gebiete zeigten die Besiegten ihre Ueberlegenheit,
sobald sie sich zur Beherrschung der arabischen Sprache emporge-
schwungen hatten. Diese Propädeutik war freilich keine Kleinig-
keit; die Weise, in der sie, allerdings mit Hülfe arabischer Lehrer,
die Wissenschaft der arabischen Sprache gründeten , zeigte aber
gleich den Unterschied systematischer Forschung von dem Zusam-
mentragen eines Chaos prophetischer Aussprüche. Wäre nun diese
systematische Methode auf die propädeutischen Fächer beschränkt
geblieben , hätten die Nichtaraber sich nur durch die Erschaffung
arabischer Grammatik, Rhetorik, Logik, Poetik, die Sammlung
arabischer Gedichte und die Bearbeitung des Sprachschatzes in Wör-
terbüchern, die universelle Wissenschaft zugänglich gemacht , so hät-
ten sich die «Leute der Ueberlieferung” dagegen nicht gesträubt.
Immerhin hätte es ihnen auch dann nicht gefallen, dass den Er-
zeugnissen des Heidenthums mehr Aufmerksamkeit zu Theil wurde,
als zur Einleitung in die «Wissenschaft” nöthig war, weil solche
Entwicklung dem Fortleben profaner Dichtung und Litteratur allzu
förderlich war; thatsächlich kam es bald dahin, dass jene Wissen-
schaften, welche die «Gelehrten” als «Instrumente” {Alät) bezeich-
neten, in weiten Kreisen weltlich erzogener Leute zum Zweck der
geistigen Bestrebungen wurden.
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Schlimmer war es aber, dass den fremden Pflegern der Wissen-
schaft die durch arabischen Fleiss zusammengetragenen Haufen als
eingehender Sichtung und Ordnung bedürftig erschienen. Alles Ma-
terial, das aus dem heiligen Lande nach Syrien und Babylonien
importiert wurde, unterzog man hier einer logischen Kur mittels
der aus Griechenland herrührenden Instrumente. Dagegen erhob
sich nun in den heiligen Städten ein allgemeiner Schrei der Ent-
rüstung; der Teufel allein könne solche Verunstaltung der überlie-
ferten Wahrheit erfunden haben. In Arabien vergass man aber, dass
die Zeiten vorüber waren , wo die »Entscheidung der Haramein' für
den ganzen Islam maassgebend war; hatten die Vertreter der Tra-
dition in diesen Städten sich gleich die Entziehung direkten Ein-
flusses auf den Lauf der Dinge müssen gefallen lassen, sie durften
noch nicht zugeben, dass die »Gelehrten”, welche nach der Tradi-
dition im höchsten Sinne »Erben der Propheten” waren, auch
ausserhalb ihrer Schule grossgezogen werden konnten. Ihr Unwille
verschlug jedoch nichts gegen die Thatsache, dass die Gelehrten
in Babylonien einen bedeutenden Theil der »Gemeinde” vertraten ,
und weil der Islam keinen Unterschied zwischen Alt- und Neu-
muslimen anerkennt, weil er ferner die Autorität der »Gelehrten"
auf die Unfehlbarkeit der von ihnen vertretenen »Gemeinde” grün-
det, mussten sie den Kampf wohl oder übel aufnehmen.
Auf dem wichtigen Gebiete der Gesetzeserklärung waren die Vor-
theile auf ihrer Seite. Standen doch beide Parteien auf dem Boden
des Glaubens und hatte man gerade dieses Feld noch vor der fremden
Einmischung in Arabien so gründlich bearbeitet, dass ohne ge-
waltsame Eingriffe keine wichtige Aenderungen möglich waren. Von
den getroffenen Entscheidungen eignete man sich in den Kultur-
ländern an, was am besten für die Verhältnisse passte, deutelte an
diesem und jenem Satze etwas herum und erlaubte sich die selb-
ständige Lösung neu aufkommender Fragen; vom Standpunkte der
späteren Zeit betrachtet, erfolgten hieraus aber keine prinzipielle
Abweichungen. Alle Zugeständnisse wichtiger Art, die hier von den
altmodischen Gelehrten gemacht wurden, betreffen wesentlich nur
die Form. Auf die Dauer wären sie schon so genöthigt gewesen,
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den immer schwerer zu bewältigenden Stoff der Gesetzeskunde in einer
eignen Disciplin zu behandeln und diese wieder in Unterabthei-
lungen zu zerlegen. Jeder späteren Generation wurde das Verständ-
niss der Texte des Quräns und der Ueberlieferung, aus denen
man die gesetzlichen Bestimmungen deducierte, schwieriger, und
für die Praxis kam es doch in erster Linie auf die Kenntniss der
Resultate der Arbeit früherer Generationen an. Somit legte sich
bald der Kampf, welchen die »Leute der Ueberlieferung” im An-
fang gegen die Loslösung des Fiq/i (der Gesetzeskunde) von seinen
Quellen führten. Es konnte der Mehrzahl der Gelehrten genug
sein, zu wissen, was nach Ansicht der in ihrem Lande maassgeben-
den Autoritäten aus den Quellen des Gesetzes mit Recht deduciert
war ; das Studium der Quellen selbst gehörte , nachdem die Lostren-
nung vollführt war, zur höheren Gelehrsamkeit und wurde somit
zum Luxus.
Im Fiqh wurde also der Inhalt des Gesetzes, in einige Kapitel
eingetheilt, thetisch fertig auf Grund der Autorität der Leiter ge-
lehrt; die Quränexegese , die Erklärung der Ueberlieferungen und
die Wissenschaft der Deduktionsmethode ( TJqül al-fiqh) wurden zu
besonderen Fächern, denen nur Solche oblagen, die nach Absolvie-
rung der propädeutischen Studien und des Fiqh noch Zeit und Kräfte
erübrigen konnten. Für die Logik war bei der Behandlung des
Gesetzes nur wenig Platz vorhanden; unter dem Einfluss der nicht-
arabischen Wissenschaft drangen allerdings gewisse halblogische Me-
thoden bei der Weiterentwickelung des Gesetzes durch , aber die
»moderne” Wissenschaft musste sich dem unlogischen Stoff gegen-
über zum Zugeständniss bequemen, dass hier die Vernunft hinter
den unleugbaren Zeugnissen der Tradition zurückzutreten habe.
Im Laufe der Jahrhunderte ist nun die Strecke, welche der Stu-
dierende zurückzulegen hat, um von dem Gesetze zu dessen Quel-
len zu gelangen , immer unabsehbarer geworden ; immer mehr Schei-
dewände trennen den Muslim vom wirklichen Verstiindniss der Worte
Allahs und Muhammeds. Die nie ganz ausgetilgte Meinungsver-
schiedenheit hat sich über einige »Riten” vertheilt, deren Zahl sich
allmählich auf vier vermindert hat, und die sich gegenseitig uls
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gleichberechtigt anerkennen müssen. Mit Ausnahme der Schfiten
und einiger weniger bedeutender Sekten bekennt sich nunmehr jeder
Muslira zu einem von den vier Madhab'a und ist dadurch verpflichtet ,
dessen Gesetzeserklarung unbedingt anzunehmen. Schwingt er sich
zum mühsamen Quellenstudium empor, so bekommt er Alles nur
durch die Brille zu sehen, welche viele Generationen von Gelehr-
ten ihm aufgesetzt haben. Wenn daher das Studium von Qurän
und Tradition alle praktische Bedeutung eingebüsst hat, so hat
dagegen die Beschäftigung mit dem Qurän zu rituellen Zwecken
volle Kraft behalten und nimmt den Studierenden einen grossen
Theil ihrer Lehrjahre.
Was man auf der Schule ( Kvttäb , oben S. 144 ff.) vom Quränre-
citieren gelernt hat, bedarf der Vervollkommnung, wenn man dem
Studium obliegen will; dazu gehört die höchste Ausbildung in der
schwierigen Kunst des Tadjurid.
Nicht so leicht wie auf dem Boden des Gesetzesstudiums war
die Einigung alter und neuer Wissenschaft in der Glaubenslehre.
Den Gelehrten vom alten Schlage schien mit der eben angedeute-
ten Spaltung der Wissenschaft das Mögliche gethan zu sein; wie
vorhin in der universellen Lehre, sollte nun in diesen Fächern jede
Frage erledigt werden. Zur selbständigen Behandlung der Glaubens-
sätze im Zusammenhang mit einander, zum Auf bauen einer Dog-
matik hatten sie nicht die geringste Neigung, und als die modernen
Leute sich daran machten, wirkten die ersten Resultate ihrer Arbeit
geradezu erschreckend. Auch im Islam waren Ketzerei und Unglaube
die Geburtshelfer, die eine orthodoxe Dogmatik zu Tage förderten.
So gewandt wussten die Mu'taziliten ihre dem Anschein nach ver-
nünftigen Dogmata zu demonstrieren und in die heiligen Texte
hineinzuinterpretieren , dass die Orthodoxie gezwungen wurde , ihnen /
gegenüber auf jedem wichtigen Punkte Stellung zu nehmen, ob-
gleich es ihr lieber gewesen wäre, allen Einwendungen gegenüber
immer nur wieder die überlieferten Sätze zu wiederholen und schwie-
rige Probleme unbehandelt zu lassen. Während sich also das Ge-
setzesstudium nach seiner Ausbildung nur in äusserlichen Dingen
mit der Mode abzufinden hatte, entstand im Streit über die Glau-
u 27
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benslehren ein neues Fach, worin die überlieferten Satze gegen einander
abgewogen, harmonisiert, in ihren Konsequenzen weiter entwickelt
und gegen Ketzerei und Unglauben mit den neumodischen Waffen
der Dialektik vertheidigt wurden. Zum logisch gegliederten System
kam es dabei nicht , weil der jedem Gegenstände eingeriiumte Platz
wesentlich davon abhing, wie heftig man sich darüber gestritten
hatte, mochte er nun an sich für das System mehr oder weniger
wichtig sein. Sofern die formale Logik und einige philosophische
Kunstwörter als unentbehrliche Waffen gegen die Ketzerei dienten,
gaben sich endlich die Dogmatiker mit deren Einführung in ihre
Hörsäle zufrieden; sehr leid that es ihnen dagegen, dass viele
Muslime durch die Bekanntschaft mit hellenistischen Philosophemen
auf Wege geriethen, die Jene nur als Irrwege betrachten konnten.
Logik und Philosophie sollten hier ebenso //Instrumente” bleiben
wie die Pflege arabischer Sprache und Litteratur.
Kaum dürfte es nöthig sein, zu erwähnen, dass der Islam als
solcher den Naturwissenschaften und der Mathematik immer abhold
geblieben ist; mit welchem dogmatischen System haben sich diese
Disoiplinen je vertragen können? Eine laienhaft fromme Gesinnung
schliesst zwar Naturforschung nicht nothwendig aus, obgleich diese je-
ner nicht forderlich ist; die Vertreter der heiligen Wissenschaft mussten
aber die Aufspürung von Gesetzen in der Schöpfung fast verpönen.
Keine Naturgesetze giebt es ihnen zufolge, nur eine »Gewohnheit
des Schöpfers” ("Ada/ al-chäliq), die er jeden Tag aufgeben kann,
indem er etwa die Sonne im Westen aufgehen lässt. Die »Gelehr-
ten” haben den hohen Aufschwung jener Disciplinen in muslimi-
schen Ländern keineswegs verhindern können , und wenn nicht die
Kultur des Islam’s überhaupt zu Grunde gegangen wäre, so hätten
sich die Physiker und Astronomen durch die cUlamä nicht einschüch-
tern lassen. Zur Wissenschaft des Islams haben aber die reinen
Erfahrungswissenschaften niemals gehört, so wenig wie unsere As-
tronomie zur Wissenschaft des Christenthums. Die Rechenkunst
sollte die Anwendung des Erbrechts ermöglichen; etwas praktische
Astronomie liess man sich zur Festsetzung des Kalenders, der
Termine für die täglichen Qaläts und der Qiblah (der beim CaJät
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einzuhaltenden Richtung nach Mekka) gefallen. Als selbständige
Forschungsgebiete durfte man aber diese und ähnliche Fächer nicht
betrachten, weil solcher Anschauung eine irreligiöse Erkenntniss-
theorie zu Grunde läge.
Zu ihrer höchsten Entwickelung gelungt, regelte die heilige Wis-
senschaft das geistige und materielle Leben der Muslime bis in seine
kleinsten Aeusserungen ; ob der peinlichen Regeln für das Handeln
und Denken wurden aber die Bedürfnisse des Gemüths ungenügend
berücksichtigt. Die genaueste Befolgung unzähliger Bestimmungen
des Gesetzes erzeugte bei mystisch Beanlagten nicht das Bewusst-
sein der gewünschten Gemeinschaft mit Allah; tiefes Eindringen
in die Sätze der Glaubenslehre ergab nicht solche Erkenntniss Got-
tes, die dem Geschöpf den Zusammenhang mit dem Urquell sei-
nes Daseins zur Empfindung bringt. Nun gab es im Qurän und
in der Ueberlieferung wohl hie und da Keime einer mystischen
Denkungsart, die durch christliche, indische und persische Einflüsse
weiter entwickelt wurden und den Heilsbedürftigen zu innigerem
persönlichem Verkehr mit Gott verhalfen, wobei Gesetz und Recht-
gläubigkeit als Propädeutik zum Standpunkt der Liebe dienten;
auf der anderen Seite fand aber der Islam namentlich in Indien ein
bereits hoch ausgebildetes mystisches Leben vor, das er sich assi-
milieren musste, weil es sich nicht unterdrücken Hess. Namentlich
die letzteren Strömungen waren dem officiellen Islam in mancher ■
Hinsicht gefährlich. Angenehm konnte es den Ulamä" schon nicht I
sein, wenn gotterleuchtete Männer Vereine gründeten, in denen die
»Brüder” nach dem höchsten Heile und der wahren Erkenntniss
mit Mitteln strebten , die weit über das Gesetz und die ofticielle
Wissenschaft hinausgingen; wie aber, wenn Viele thatsächlich die
officiellen Mittel geringschätzten und ihre fremdartigen mystischen
Methoden und religiösen Ausschweifungen durch die verwegenste
Allegorie an den Buchstaben der heiligen Texte knüpften?
Wie die «Leute der Tradition” im Anfang den Dogmatikern als
Neuerem entgegentraten , so sträubten sich nun beide Zünfte gegen
die gefährliche mystische Bewegung. Allein die Rechte des Gemüths
machten sich in immer weiteren Kreisen geltend, und der katlio-
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212 i
lische Sinn des Islams hütete ihn vor dauernder Verkennung die-
ses Thatbestandes. Der Mystik wurde in der heiligen Wissenschaft
gebührender Raum gewährt; ihr wurde zuletzt sogar der Ehren-
platz zu Theil. Bis in unsere Zeit wird vom ganzen Islam die En-
cyklopädie der heiligen Disciplinen als maassgebend anerkannt, welche ,
der berühmte Ghazäli (st. 1111 n. C.) in seinem Hauptwerke (» Be-
lebung der Religionswissenschaften”) dargestellt hat. Ihm zufolge ^
hat man die »Instrumentalfächer” zwar fleissig zu studieren, aber
so, dass man die arabische Grammatik, Poetik, Rhetorik, die Arith-
metik, Logik und Philosophie nur als Mittel gebraucht, um den
Inhalt der geweihten Litteratur zu ergründen. Dem Lobe der Kunst
des Quränrecitierens fügt er, seiner mystischen Richtung gemäss,
die Anempfehlung hinzu, man solle sich auch etwas dabei denken,
denn nur so gewinne die mit Recht am Anfang alles Studiums
betriebene Uebung Bedeutung für das geistige Leben. Höchsten
Werth misst er dein Fiq/i , der Gesetzeskunde bei; in den eigent-
lich religiösen Theil desselben könne sich der Mensch nicht genug
versenken; von den übrigen Bestimmungen habe das Studium vor-
züglich insofern Werth, als es im Leben oder in der juristischen
und richterlichen Praxis zur Anwendung komme. Solche Beschrän-
kung ist gegen die in den Schulen herrschende Neigung zur Ka-
suistik gerichtet. Wer Gelegenheit zur Beschäftigung mit der Qurän-
exegese und mit der Erklärung der heiligen Ueberlieferung finde,
vernachlässige sie nicht; als Gesetzesquellen seien die Texte aber
nur für ausgebildete Gelehrte im Zusammenhang mit der Methodo-
logie ( Uqül al-ßqh) zu verwerthen. Die Mehrzahl, auch der Gelehr-
ten, gehe am sichersten, wenn sie sich auf die Aneignung der in
ihrem Ritus geltenden Resultate der Quellenforschung beschränke.
Wie das Fiq/i mit seinen Hülfswissenschaften das Lebensbrod
aller Gläubigen bildet , so ist die Dogmatik film al-kaläm , al-uqül
oder at-taukid) als die Arznei für geistig Kranke zu betrachten.
Weil nun einmal allenthalben Unglaube und Ketzerei herumspuken ,
ist die ganze muslimische Gemeinde als mehr oder weniger krank
zu betrachten, und bedarf somit Jeder ein wenig des Heilmittels,
das in den glücklichsten ersten Jahren des Islam ’s noch unbekannt ,
J.
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weil entbehrlich, war. Jener Ansteckung ist aber z. B. der Hand-
werker nicht in gleichem Maasse ausgesetzt wie der Gelehrte; ihm
genügt also die Kenntniss der Hauptdogmen, durch deren Formulie-
rung der Islam die Ketzerei als solche gebrandmarkt hat. Die in
mehr gefährlicher Umgebung verkehren , müssen mit den Hülfsmit-
teln der Apologetik ausgerüstet sein , und im Interesse der Gesammt-
heit liegt einer Gelehrtenzunft die Pflicht ob , sich eingehend mit der
Dialektik und der Philosophie zu beschäftigen , damit es bei jedem
feindlichen Anprall wohl versehene apologetische Rüstkammern gebe.
Zum Heile genügen jedoch die geistigen Speisen so wenig wie
die Medizin; diese können den Menschen nur vor solchem geisti-
gen Verderben hüten, das schon im Diesseits klar zu Tage tritt.
Den wahren Glauben und die wahre Erkenntniss erringt man nur
auf mystischem Wege, obgleich die Kenntniss und die Befolgung
des Gesetzes sowie die Rechtgliiubigkeit dazu unerlässliche Vorbedin-
gungen sind. Jede Mystik, die das Gesetz für gewisse Fälle auf-
hebt oder neue Dogmen lehrt, ist vom Teufel; das wahre Tacaw-
tcuf (mystische Leben) führt aber den durch Gesetz und Glaubenslehre
vorgebildeten Menschen auf einer langen Stufenleiter — nicht nur
zum vollständigen Gehorsam gegen, und zur vollendeten Wissen-
schaft von Gott, sondern — zum lebendigen Gott selbst.
Dazu gehört eine weitläufige geistige Erziehung, der ausseror-
dentliche religiöse Uebungen, Diir's, Fasten, Wachen usw., und
stete Koncentrierung des Geistes auf das Wesen Gottes als Mittel
dienen. Nach dem verschiedenen Charakter und der Begabung der
einzelnen Personen gestaltet sich die in jedem Falle zu befolgende
Methode; weder ein Schriftsteller noch ein Ordensgründer kann
daher allgemeine Regeln geben , die keiner Ergänzung bedürftig
wären. Das höchste Ziel ist also nur durch die Führung eines auf
hoher Stufe stehenden Mystikers erreichbar. Es war wohl Rücksicht-
nahme auf die zahlreichen, zu seiner Zeit bereits blühenden, an-
spruchsvollen und eifersüchtigen Orden , die Ghazäll verunlasste , die
relative Unentbehrlichkeit eines Murschid zu lehren. Bei der Wahl
des "Führers” empfiehlt er mit Nachdruck die äusserste Vorsicht
an; dem Unerfahrenen kann er aber schliesslich kein anderes Kri-
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terium in die Hand geben als die Rechtgläubigkeit des Vertreters
einer mystischen Methode. Selbst war Ghazäll zweifellos dem Un-
wesen der meisten mystischen Genossenschaften abgeneigt ; da er es
aber nicht gewagt hat, auf die Selbsterziehung als genügend hin-
zuweisen , ist er mitschuldig an den Erfolgen der heutigen Bruderschaf-
ten , deren Häupter ihren Einfluss und die zweckmässige Organisation
zu allerlei Zwecken missbrauchen. Immerhin ermöglicht das Hauptwerk
Ghazäll’s selbst den Vertretern der Wissenschaft auch heutzutage ein
gewisses Tagamouf ohne Eintritt in einen mystischen Orden.
Die obige Auseinandersetzung will lediglich an einige Momente aus
der Geschichte der muhammedanischen Wissenschaft erinnern, die
geeignet sind , den Leser auf die Besprechung heutiger wissenschaft-
licher Bestrebungen in der muslimischen Welt, namentlich in Mekka,
vorzubereiten. Wären wir irgendwie auf Vollständigkeit ausgegan-
gen, so hätten wir noch sehr viele Disciplinen erwähnen müssen,
die von Muslimen eifrig gepflegt worden sind, ohne zur Wissenschaft
des Islams zu gehören, und auch einige, wie z. B. die verschiedenen
Zweige der Geschichtsforschung, in welche der Islam ganz eigene
Methoden eingeführt hat. WTir durften uns jedoch um so eher auf
obigen Umriss beschränken, da der Verfall der muslimischen Kul-
tur den beinahe vollständigen Untergang profaner Wissenschaften
herbeigeführt hat, während man in den letzten Jahrhunderten auf
dem Gebiete der heiligen W issenschaft kein höheres Ziel kennt als
die Bewahrung der unentbehrlichsten Resultate vergangener Thätig-
keit, wobei man auf Ghazall’s Programm als auf das höchste Ideal
aus weiter Ferne den Blick richtet.
Bevor wir nun in den riesigen Hörsaal Mekka’s, die heilige Mo-
schee , eintreten um den innerhalb des oben beschriebenen theologisch-
juristischen Cyklus sich bewegenden Vorträgen der Professoren zu-
zuhören, wollen wir doch noch mit ein paar Beispielen beleuchten,
in welchem Maasse man dort an der Forschung ausserhalb jenes
Cyklus theilnimmt. Aus dem früher über die Bildung der iuekka-
nischen Aerzte Bemerkten *) erhellt, dass die Medizin hier ein rei-
1) Oben 8. 116 8.
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nes Gewerbe ist und Studien weder voraussetzt, noch anregt. Ein-
zelne Liebhaber, denen zufällig arabische Handbücher der Medizin
in die Hände kommen, lesen dieselben und kramen gelegentlich
einige darin enthaltene Sitze aus; damit ist Alles gesagt. Der Rejjis
und wenige Wissbegierige verstehen die Geheimnisse des Kalenders
und die Interpretation einiger Erscheinungen am Himmel. Ausser-
dem bemühen sich verschiedene Mekkaner vergeblich darum, der
Natur ihr tiefstes Geheimniss, das Goldmachen , abzuringen. Ich habe
Scherife gekannt, die von Zeit zu Zeit mit gelblichen Resultaten
ihrer alehymistischen Thätigkeit zu dem oben erwähnten Arzte ')
kamen , um sich durch dessen Probierstein zu überzeugen , dass nicht
Alles Gold sei, was glänzt; einen Schriftgelehrten, der sein ganzes
Vermögen auf die Alchymie verwendet hatte und dann, mit dem
weltlichen Besitz auch den weltlichen Sinn abstreifend, sich gänzlich
der heiligen Wissenschaft widmete; auch der »Schech der Sejjid’s”
war ein Goldsucher. Kein Wunder, dass man gerade diese im Dun-
keln arbeitende Wissenschaft immerfort pflegt; ist doch die Haupt-
frage dieser Muslime bei jedem geistigen oder materiellen Bemühen :
was ist der direkte Vortheil davon? Diese Frage erhält aber in
Bezug auf die Alchymie eine befriedigende Antwort, solange man
an dieselbe glaubt. Auch fromme Leute, die auf dem Wege der
gesetzlich verpönten Zauberei nicht einmal Gold erwerben möchten ,
wissen doch, dass Allah unter Umständen von seiner '/Gewohnheit”
abweichen kann, ein Element nicht in das andere übergehen zu
lassen, wie er dies mit dem Stabe Mose’s gethan; heisst es doch
im Qurän1): »Er sprach: wirf ihn, o Mose! da warf er ihn, und
sieh , er ward zu einer Schlange , laufend”. Hört ein Mekkaner aber
von der modernen Naturwissenschaft erzählen , so sagt er : was ist
der Vortheil? Und der Hinweis auf die Dampfer und Telegraphen
veranlasst ihn bloss, kopfschüttelnd zu bemerken , die brauchten
jetzt nicht mehr erfunden zu werden und stifteten mehr Unheil als
Glück an, wie auch die vielgeriihmte moderne Heilkunst gegen den
Tod nichts vermöge.
1) YergL oben S. 116 fl.
2) Quran XX: 20 — 21.
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Der Geographie wissen Manche praktische Seiten abzugewinnen;
man muss die Länder kennen, woher die Zufuhr von Pilgern be-
deutend ist oder werden kann. Auch die Erwerbsquellen solcher
Länder interessieren den Mekkaner ; er fragt nach , wie die Regie-
rung dort eingerichtet sei und welche Vortheile der Fremde dort
erzielen könne. Die Lage von Paris und London ist ihm dagegen
gleichgültig; ich hörte einmal einen hervorragenden Gelehrten, der
aus den Geschichtswerken Andalus (Spanien) kannte und sich wegen
des jüngsten Krieges für das »/Land der Mosköf” (Russland) inte-
ressierte, fragen, ob beide Reiche durch Landwege mit einander
verbunden seien, und wie viele Tage eine Karawane (von Lastka-
meelen) brauchen würde , die Entfernung zurückzulegen ? Wer solche
Dinge weiss, ist ein vielgereister Mann. Von Alters her wurde im
Islam die Geschichtschreibung, sofern sie nicht (wie die Biographie
des Propheten , seiner Genossen usw.) der heiligen Wissenschaft diente,
vorzüglich deswegen empfohlen , weil die Geschichte » Warnungsbei-
spiele enthält für den , der gewarnt sein will” *). Faktisch inspirierten
freilich auch innerer Trieb und viele andere Motive die Historiker:
sie schrieben die Geschichte ihres Wohnorts zur Unterhaltung ihrer
Mitbürger , sie bearbeiteten die Geschichte einer Dynastie , nicht ohne
Hoffnung auf Belohnung von Seiten der zu ihr gehörenden Fürsten ,
kurz, sie richteten sich nicht ausschliesslich nach der Theorie der » War-
nungsbeispiele”, sondern vielmehr nach dem Geschmack ihrer Zeit-
genossen. In Mekka bildete seit dem 3'“ Jahrhundert der Hidjrah
die Ka'bah mit ihrer Umgebung das Centrum, von welchem aus
die Historiographen die Denkwürdigkeiten im Leben der Stadt über-
blickten , und seit dem ö“” Jahrhundert kam das Herrscherhaus
der Scherife als zweites Centrum hinzu. Aus der Vorrede unseres
Ilten Randes ersieht man, dass es bis in unsere Tage nie an mek-
kanischen Gelehrten gefehlt hat, die in ihren Mussestunden die
wichtigsten Ereignisse aus dem Leben der heiligen Stadt aufzeich-
neten. Nicht weniger als die Gesetzeskunde steht die Historiographie
unter dem Einfluss des mächtigen »Consensus” der muslimischen
1) j**15'
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Gemeinde; es giebt für jedes Zeitalter eine eigene Brille, durch
welche allein man die Vergangenheit betrachten darf1 II). Wo die
Nachwelt auf katholisch-unionistische Weise Streitigkeiten ausge-
glichen hat, derenthalben die Leiter früherer Generationen einander
beschimpften und verketzerten , da darf man diese Schirapfreden auch
nicht weiter überliefern. Wie man die gegenseitige Anerkennung der
orthodoxen Riten in unhistorischer Weise antedatiert , so unterdrückt
man die Erwähnung der Zwistigkeiten solcher islamischer Führer,
die den Späteren allesammt zu Heiligen geworden sind *). Mu'äwijah ,
Ali und Abdallah ibn Zubeir z. B. werden in Mekka alle mit dem
Titel »unser Herr” versehen und gewissermaassen als Kirchenväter
verehrt. Die heidnischen Vorfahren Muhammeds sind in der Bio-
graphie des Propheten vom 1886 verstorbenen Mufti der Schäfi'iten
in Mekka als gläubige Muslime, Bekenner der Religion Abrahams
dargestellt. Weil es nun einmal vorzüglich auf die Nutzanwendung
und Unterhaltung abgesehen ist, darf man solche gut gemeinte
Fälschungen nicht zu scharf beurtheilen. Es zeugt in hohem Grade
für die Hingebung der inekkanischen Chronisten , dass sie , trotzdem
sich fast gar keine Nachfrage lautbar macht , doch nie aufgehört haben ,
die wichtigsten Vorgänge dem Papier anzuvertrauen, denn die ge-
bührende Ehre zollt ihnen für solche Arbeit höchstens die Nachwelt.
Auch wenn sich mehr als ein paar Dutzend Gelehrte für diese Dinge
interessierten, wäre es ihnen nicht zu empfehlen, ihre Notizen allzu
offenkundig zu machen, weil darin Regierungsthaten und hohe Per-
sonen beurtheilt und nicht selten verurtheilt werden. Als ich in Mekka
war, beschränkte sich denn auch die Verbreitung der Scherifatsge-
schichte von Ahmed Dahlän J) auf etwa sechs Exemplare , und diesen
1) Zum Glück hat es in vergangenen Jahrhunderten immer auch muslimische His-
toriker gegeben, die sich über den Zwang der heiligen Wissenschaft völlig hinwegsetz-
ten und, was ihnen wichtig schien, ohne Nebengedanken überlieferten j hier fassen wir
aber auf jedem Gebiete vorzüglich die Richtungen ins Auge, die sich bis in unsere
Zeit tortsetzen.
8) Vergl. IA III: 226: qJ] *j! J^ji Jujj
1 lZ* Ljili tP SS olölsu I A IV : 809 heisst
es von Ibn 'Abb&s und Abdallah ibn Zubair: SjJö LiPjJ UjO.) usw.
3) Vergl. Bd. I, Vorredo, S. XVI ff.
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fehlten gewöhnlich die vier letzten Bogen. Die berühmte Weltge-
schichte des Ihn al-Athlr findet man in den Bibliotheken einiger
Gelehrten; auch werden die biographischen Wörterbücher, in denen
allerlei zerstreute geschichtliche Daten Vorkommen, viel gelesen,
sowohl der alte Ibn Challikän als die bis in unsere Zeit fortgesetz-
ten , je ein Jahrhundert umfassenden Biographiensammlungen. Deren
Lektüre betreibt Jeder für sich und prahlt gelegentlich mit der
dadurch erworbenen Kenntniss in gelehrter Gesellschaft oder im Au-
dienzsaale des Grossscherifs.
Lebhafterer Nachfrage als solche allgemeine Geschichtswerke er-
freuen sich die, welche mit der heiligen Wissenschaft Zusammen-
hängen: die Biographie Muhammeds, seiner Genossen , der früheren
Propheten , der Gründer mystischer Orden oder anerkannter Riten ,
der Heiligen überhaupt. Derartige litterarische Erzeugnisse liest man
wohl zusammen im Freundeskreise; man sucht dabei aber eher Er-
bauung als eigentliche Belehrung über die Vergangenheit. Charak-
teristisch ist für dies Streben die von Ahmed Dahlän verfasste SiraA
(Biographie Muhammeds) ') in deren Einleitung der gelehrte Mufti
sagt, es gebe zwar solcher Werke mehr als genug, die meisten
enthielten aber mehr Daten zur Quellenkritik und Abwägungen ver-
schiedener Versionen gegen einander, als die heutigen Studenten
verlangten; er habe darum nach bestem Wissen nur die Thutsachen
mitgetlieilt, und zwar besonders die Punkte hervorgehoben, für
welche sich in unserer Zeit die Leute interessieren dürften. Die
äusserst günstige Aufnahme, welche der mit legendarischen Erzäh-
lungen gespickten, völlig kritiklosen Darstellung von Seiten des Pu-
blikums zu Theil wurde, beweist, dass der Mufti den Zeitgeist
richtig zu schätzen wusste. In ähnlichem Tone ist die von demselben
Gelehrten kompilierte »Geschichte der muslimischen Eroberungen” *)
gehalten, die während meines Aufenthalts in Mekka in der dort
kürzlich eröffneten Druckerei der Regierung gedruckt wurde.
1) Vergl. meinen Aufsatz in wBijdragon van hot Koninklijk Nederlandsch-Indisck
Instituut”, 5e Volgroeks, II, S. 353.
2) Vergl. den citierten Aufsatz, S. 353 ff. Das Werk enthält eino Weltgeschichte
vom muslimisckon Standpunkt von Muhammeds Zeit bis zum Jahre 1885.
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Bis zur Errichtung dieser Anstalt wurde die Lektüre der ge-
bildeten Klassen Mekka’s fast ganz vom egyptischen Büchermarkt
bestimmt, weil von dort aus die allesammt im Bäb es-saläm ‘) be-
findlichen Bücherläden mit den bedeutendsten Erzeugnissen der
Cairiner Presse versehen wurden. Dort druckte man auch die Werke
mekkanischer Schriftsteller, aber diese arbeiteten fast ausschliesslich
für die heilige Wissenschaft, und wenn einzelne einmal für ein grös-
seres Publikum schrieben, so waren das doch meistens fromme
Traktätchen. Als Beispiel solcher Litteratur kann man die 1299 (1882)
in Cairo gedruckten »sechs Abhandlungen” des mekkanischen Schechs
Muhammed Haqql betrachten, worin die verschiedenartigsten Ge-
genstände zur Sprache kommen, die Alles durchdringende Absicht
aber ist, vor dem Ueberlmndnehmen moderner , ungesetzlicher Sitten
und dem Eindringen der Erzeugnisse ungläubiger Kultur zu warnen.
Deu Geist des Ganzen charakterisiert der Schluss: »Zu den Dingen,
»welche in die Hölle führen, gehört es, dass die Teufel in diesen
»Zeiten den Christen und anderen von Gott verlassenen Leuten ein-
»geflüstert haben, auf alle Waaren, die der Mensch braucht, Bil-
»der und Darstellungen von Geschöpfen zu malen, so dass es nun-
»mehr kaum ein Haus, einen Laden, einen Markt, ein Bad, eine
»Festung oder ein Schilf ohne Bilder gicbt J), während den Engeln
»der Gnade kein Raum ohne Bilder übrig bleibt, wohin sie herab-
»steigen könnten , s) ausser den Moscheen und wenigen von Allah
1) Vergl. den Grundriss der Moschee.
2) Es ist allerdings seltsam, dass z. B. die österreichischen Fabrikanten, deren schlechte
Zündhölzchen den arabischen Markt beherrschen, die für Arabien bestimmten Schach-
teln mit (häuflg obsoönen) acbenslichen Bildern versehen.
8) Sehr verbreitet sind die gegen die Abbildung lebendiger Wesen gerichteten Tra-
ditionen, nach denen »die Anfertiger von Bildern am schwersten gestraft werden am
Tage der Auferstehung’*, und wdie Engel der Gnade nicht kommen in ein Ilaus, wo
Bilder sind.” Ein vielgereister Scherif, der namentlich aus Ostindien mehrere Photo-
graphien seiner Freunde und auch einige chromolithographische Bilder heimgebracht
hatte, musste darüber heftige Vorwürfe von einem jüngeren Bruder hören, der nie
aus Mekka herausgekommen war. In meinem Beisein hielt er ihm die bczeichnetcn Tra-
ditionen entgegen; das Weltkind antwortete, er habo ja keine Bilder angefertigt , und
was die Engel der Gnade anbetreffe, die könnten ihre Portierdienste auch ausserhalb
der Thür leisten! Seine Verwandten lebten rum guten Theil von dem Golde, das er
auf seinen Reisen durch Besuche bei kleinen Fürsten Ostindiens zusammengescharrt
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»bewahrten Plätzen. Sogar in unsere Moscheen kommen aber Bilder ,
»weil die Meisten, wenn sie zum Qalät kommen, Päckchen Ciga-
»rettentaback bei sich haben, auf denen Bilder stehen; also ermahne
»ich euch, o Brüder!” usw. In demselben Buch wird eine gewisse
Art , die 56’,e Sürah des Quräns zu recitieren , als unfehlbares Schutz-
mittel gegen Armuth anempfohlen und heisst es weiter, wenn die
geschiedene Frau sich dieses Kapitel umhänge, so bewirke dieselbe
den erwünschten Abortus!
Kleine Anekdotensammlungen, einzelne Abschnitte aus 1001 Nacht,
dem ‘Antarromane usw. erwecken jedoch in weiteren Kreisen Interesse
als die obigen Traktätchen ; daraus lesen die Erzähler den Besuchern
der Kaffeehäuser spätabends bein Ffiniis vor, wofür ihnen die Kaf-
feewirthe gern eine Kleinigkeit schenken. Gebildete Leute dürfen
schon Anstands halber sich an solchen Vergnügen nicht betheiligen;
bekanntlich wundern sich die erleuchteten Söhne Egyptens denn auch
aufs Höchste über den Geschmack der Europäer, die sich an 1001
Nacht ergötzen. Höchstens lässt sich’s ein gebildeter Mann gefallen,
dass ihm seine Frau solche Ammenmärchen erzählt, wenn er nicht
einschlafen kann; die Weiber sind die wahren Ueberlieferer der
Erzählungen, die in ihrem Munde immer aufs Neue die Form nach
der Zeit wechseln, wenngleich das Wesen unverändert bleibt.
Einzelne Bibliomanen sammeln mit Vorliebe seltene Bücher, nur
weil sie schwer zu haben sind, und verwehren sogar ihren besten
Freunden die Benutzung ihres Besitzes. Einem solchen , der damals
Schech der Sejjid’s war, erwies ich einmal einen Dienst, zu dessen
Belohnung er mir einen kleinen Theil seines Schatzes zeigte. Unter
den sorgfältig von ihm versteckten Kostbarkeiten fanden sich in
Egypten gedruckte Uebersetzungen europäischer Handbücher , die der
Mann wegen ihres sonderbaren Inhalts für Seltenheiten hielt; eine
alte Handschrift mit kostbaren Anmerkungen zum Qurän ( Kitäb
al-faicäid wal-awäid waz-zawäid) ; ein litterarisches »Kunststück”,
das von rechts nach links , von links nach rechts und von oben nach
hatte, da diese sich immer sehr geschmeichelt fühlen, wenn ein Scherif ihre Gasttrei-
heit und ihre Gaben annimmt. Sonst hätten die Verwandten den Hann wegen der
leichtsinnigen Itodc ohne Zweifel sur Thür hinausgeworfen.
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unten gelesen , drei verschiedene Abhandlungen enthielt ; ob aber der
Zufall ihm auch wirklich Werthvolles verschafft hatte, konnte ich
nicht herausbringen. Auf den Titelblättern seiner Bücher standen
immer Gedichte zum Lobe des Inhalts, worin der Preis des Buches
auf dessen Gewicht an Gold festgesetzt und der Besitzer, der es
ausleihen würde, für verrückt erklärt wurde; dadurch war jede Bitte
um Benutzung von vorne herein ausgeschlossen. Dieser steinreiche
Mann rühmte sich aber, wie er andere Bibliomanen zum Besten
gehabt. Ein Freund von ihm, der an derselben Leidenschaft litt
wie er , hatte ihm eine üusserst seltene Handschrift nach jahrelangem
Bitten auf eine Nacht zur Lektüre überlassen, weil ihm so die Be-
schaffung einer Kopie unmöglich blieb. Der Sejjid löste schnell die
einzelnen Bogen aus dem Einband, gab sie allen verfügbaren Ab-
schreibern zum Kopieren , liess dann durch einen gescheidten Buch-
binder das Ganze wiederherstellen und gab seinem Freunde sein
Eigen th um zur verabredeten Zeit zurück. Wäre es kein Freund ge-
wesen , so hätte er sich mit dem geliehenen Schatze aus dem Staube
gemacht , bis die Abschrift fertig gewesen. Jetzt suchte er ein Exem-
plar eines vierzigbändigen Kommentars auf das Ihjä des Ghazäh
zu kaufen, von welchem Werke nur im Maghrib ein paar Abschrif-
ten vorhanden sein sollen.
Einige belletristische Werke werden von den Gelehrten fleissig
studiert; Sammlungen altarabischer Gedichte mit Kommentaren,
Adab-bücher, wie das cIqd, und namentlich Hanrl’s Maqgmen , die
mancher 'Alim theilweise oder ganz auswendig weiss. Derlei Studien
hält man hoch , weil sie mittelbar der heiligen Wissenschaft zuträg-
lich sind, und es gehört zur feinen Bildung, dass junge Leute bei
Landpartien und anderen Qelnh's , statt der in anderen Kreisen übli-
chen Vorlesungen alberner Erzählungen , ein paar Maqämen vortragen
oder ein schönes Gedicht singend recitieren. F’ür die Erwerbung dieser
Litteraturkenntnisse giebt es kein bestimmtes Alter noch specielle
Gelegenheit; grosse Belesenheit des Vaters treibt den Sohn schon
früh zum Lesen, während Andere erst später durch Verkehr mit
höher entwickelten Altersgenossen dazu kommen. So geht es eben-
falls der hochgeschätzten Kunst der Kalligraphie; der Unterricht,
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den der Quränschulmeister im Schreiben crtheilt, genügt zwar für
gewöhnliche Zwecke, aber wer seinem Sohne eine feine Erziehung
geben will, iibergiebt ihn während einiger Jahre täglich ein paar
Stunden der Leitung eines kundigen Kalligraphen. Einer erlernt nun
die Geheimnisse des Chat t, gleich nachdem er die Kinderschule ver-
lassen hat, wogegen der Andere erst nach einigen Jahren des Stu-
diums die Neigung zur Verbesserung seiner Schrift empfindet. Hat
der Schüler von den schwierigen Uebungen in der Kunst soviel
durchgemacht als seine Anlage und die verfügbare Zeit gestatten,
so schreibt er zum Abschluss unter Leitung seines Lehrers ein schö-
nes Probeblatt nach einem berühmten Muster. Gewöhnlich sind es
heilige Traditionen oder fromme Sprüche, die man in fein ornamen-
tierte Rahmen einfasst; im Rahmen selbst liest man häufig die
Namen Allahs , seines Gesandten und der vier ersten Chalifen , deren
Verehrung nun einmal zum Probierstein der Orthodoxie gewor-
den ist.
Viel weniger als in der Schreibkunst kann sich der Muslim nach
! Absolvierung der Quränschule in der schwierigen Kunst der Qiräjeh
(des Quränvortrags) für vollendet halten. Wer sich davon überzeu-
gen will, lese nur die Einleitung zu irgend einem Handbuch des
Tadjicid-, fast immer heisst es, man habe die Regeln dieser schwie-
rigen Kunst deshalb übersichtlich zusammengestellt, weil die Scheche,
die im Quranvortrag Unterricht ertheilten, (von den Schulmeistern
zu schweigen) in der Beobachtung der feineren Vorschriften immer
nachlässiger würden. Sogar Arabern macht es viel Mühe, sich die
überlieferte, ursprüngliche Aussprache der arabischen Konsonanten
zum heiligen Gebrauch anzueignen; mehr noch die im Quran ein-
zuhaltende, für alle Fälle genau bestimmte Nasalierung, die Ton-
länge, die fein niiancierten Färbungen der Vokale richtig im Kopfe
zu haben und wiederzugeben. Ein europäischer Sprachgelehrter mit
akkomodationsfähigen Sprachorganen und Kenntniss des Arabischen
braucht gewiss im günstigsten Fall eine Woche dazu, die aus nur
sieben Versen bestehende erste Quränsürah einigermaassen kunstge-
recht vortragen zu lernen.
Unvergesslich ist mir der Eindruck, den ich erhielt, als ich in
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der Wohnung des Muftt’s der Schafi’iten zum ersten Mal eine der
Freitagnächte verbrachte, in denen dort die ausgezeichnetsten Qu-
ränrecitierer wöchentlich Abschnitte des Quräns vortrugen. Schon
unzählige Male hatte ich von Leuten sehr verschiedener Ausbildung
in der Kunst solche Leistungen angehört; die allgemeine Form der
Qiräjek hatte daher für mich nichts Sonderbares mehr. Zum Qurän-
vortrage benutzt man alle Melodien, deren Gebrauch nicht noth-
wendig Fehler in der Aussprache der Wörter oder Vertheilung einer
Sylbe auf zwei Töne (»Spielen” nennt man dies) veranlasst. Der ge-
wöhnliche Quränkenner und sogar viele berufsmässige Recitierer be-
schränken sich auf je eine Melodie, an die sie von klein auf ge-
wöhnt sind. Specialitäten aber wie die, welche sich Nachts vor dem
Freitage bei dem alten Mufti einfanden, verstehen es, die peinlichste
Aussprache mit den schwierigsten Melodien zu verbinden; ausser-
dem ändert sich ihr ganzer Ton nach dem Inhalt der Offenbarungen.
Am ruhigsten geht es in den erzählenden Partien her; wo Allah
aber die Ungläubigen fragt, wie sie doch seinen Zeichen gegenüber
im Unglauben verharren mögen , du geht durch den Vortrag ein
heulendes Weinen, das sich wie durch Ansteckung auf die Zuhörer
fortpflanzt, und wo es heisst, Allah überliste am Ende die listig-
sten Sünder, da erschreckt den Andächtigen ein höhnendes Ge-
lächter, das freilich eher aus der Hölle als aus dem Himmel her-
vorzubrechen scheint. Wer sich vor falschen Eindrücken hüten will,
muss solche Vorträge hundertmal angehört haben , bevor er zur Benr-
theilung schreitet. Den unvorbereiteten Beobachter verwirrt zuerst
der unerlässliche Gebrauch , den oberen Körper beim Vortrag rhyth-
misch hin- und herzuwerfen oder im Kreise herumzudrehen, die
nach unserem Geschmack manchmal allzu hohen Töne, das laute
Schreien , wobei die Recitierer sichselbst vor Anstrengung die Ohren
zuhalten, während ihnen die Adern zum Bersten anschwellen, und
dann wieder die unästhetischen Unterbrechungen der scheinbaren
Extase durch entsetzliches Räuspern. Wie der Europäer, bevor er
von den A. fenschen im Orient eine Anschauung gewinnen kann,
ihre Kleidung, Hautfarbe usw. kaum noch als cigenthümlich be-
merken muss, so hat er sich über die von unserer Art abweichen-
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den Aeusserlichkeiten jener interessanten religiösen Musik hinweg-
zudenken, bis er allmählich zu hören anfängt. Ich bin fest überzeugt ,
dass jeder Europäer, der heimlich einem Vortrag wie dem oben
erwähnten beiwohnte, mit dem Eindruck eines entsetzlichen, fana-
tischen Höllenlärms heimkehren würde. Von Fanatismus ist aber
bei den meisten dieser Recitierer keine Spur vorhanden ; sie beherr-
schen sich beim Hervorbringen jedes einzelnen lautes vollkommen
und sind eher als mit schreienden Fanatikern mit selbstbewussten
Opernsängern zu vergleichen , die Empfindungen hervorrufen , welche
ihnen selbst meistens fremd bleiben.
Auch die anspruchsvolle, launenhafte, eifersüchtige Art haben
diese Künstler mit ihren europäischen Kollegen gemein. Wo es
wenig zu verdienen giebt, wo man ihre Eitelkeit verletzt oder ihren
Anforderungen nicht genügend entsprochen hat, recitieren sie nach-
lässig, und ihr grösstes Vergnügen ist, berühmten Kollegen öffentlich
einen Fehler in der Qiräjeh vorwerfen zu können. Nicht ihnen
schreibt das Publikum denn auch die wundervolle Wirkung der
Töne auf die menschlichen Herzen zu, sondern eben dem Worte
Allahs, welches nach verbreitetem Glauben selbst der halbwilde
Beduine, der es zum ersten Mal hört, gleich als Himmelrede von
menschlicher Sprache unterscheidet. Der spätere Islam hat freilich
die Geschichte des Profeten , der selbst nur das eine Wunder der
Offenbarung beanspruchte, mit zahllosen Wunderlegenden ausgestat-
tet; aber auch ihm ist der Qurän das Wunder der Wunder ge-
blieben; das zeigt sich in hervorragendem Maasse, wenn begabte
Künstler vor einem muslimischen Auditorium recitieren , denn sogar
steinerne Herzen werden dann zum Seufzen und Weinen bewegt,
und jede Pause füllen von verschiedenen Seiten gerufene: ja rabbi,
Allähu akbar und dergleichen aus. Derartige Ausrufe begleiten
übrigens jeden Vortrag, auch den profanen, und dem Künstler
sind sie als Stütze ebenso unentbehrlich wie bei uns das Beifall-
klatschen.
Ausserhalb der Kreise berufsmässiger Fuqahä sind die Anlagen
zur Recitierkunst und die Stufen der Ausbildung sehr verschieden.
Es giebt Leute , die ohne je in die Schule gegangen zu sein , ohne
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auch nur lesen gelernt zu haben, unter Leitung eines Faqih einen
Abschnitt des Qtiräns ihrem Gediichtniss einprägen und so vortreff-
lich recitieren ') , dass sogar fein erzogene Leute ihnen die Leitung
eines gemeinschaftlich vorzunehmenden Galats übertragen. Wer ein
feines Gehör und gefügige Sprachorgane besitzt , lässt sich nach Ab-
schluss der Schuljahre oft viele Jahre lang von einem guten Faqih
unterrichten; Studenten der heiligen Wissenschaft gilt solche Aus-
bildung geradezu als nothwendig. Sofern die Letzteren ein gutes
Gedächtniss haben , ist ihr Streben zugleich darauf gerichtet , das
ganze heilige Buch auswendig zu kennen.
All dieses fortgesetzte Tadjwid wird privatim in den Häusern
der Lernenden oder der Fuqahä gelehrt; Privatübungen halten aber
die Schüler auf eigene Faust, namentlich in den Vormittagsstun-
den, in den unbesetzten Räumen der Moscheehallen ab, und hie
und da findet auch im Heiligthum eine Gesammtübung einiger
Schüler unter Leitung des Lehrers statt. Auch dann steht dies jedoch
ausserhalb der in der Moschee gelesenen Kollegien und der Kon-
trolle des //Oberhaupts der Gelehrten.” Von den eigentlichen Pro-
fessoren liest wohl einmal einer ein Kolleg über theoretisches Tadj-
wid, d. h. er liest einen anerkannten Text über die Bildungsstellen ,
die Intonation , die Länge, die Nasalierung usw. der Laute im Qurän,
und kommentiert denselben. In der Regel wird aber auch dieser
Unterricht in Privat Wohnungen ertheilt.
Von Alters her brauchten die Muslime zur Erlangung der höch-
sten Kenntnisse von den heiligen und auch von den meisten pro-
fanen Wissenschaften keine andere Hülfsmittel als Papier , Tintenfass
und Schreibrohr. Wenn ihnen noch dazu während eines Theils ihres
X) Es wird endlich Zeit, dio falsche Uebcrsetzung’ von Quram durch »Lesung", qara'a
durch «losen” aufzugoben; Muhainmed und seine Genossen waren meistens des Lesens
unkundig, was nicht verhinderte, dass Allo qara'ii. Nach dem leiernden Vortrag (Qurän)
heiliger Texte, der einen Hauptbestandtheil des faliit bildet, hoisst im fturän selbst
das falät wohl Qttrdn (XVII : 80). Nach meiner Ansicht ist auch der Imporativ , Qur&n
XCVI: 1 in dem Sinne aufzufassen , aber dies darf ich hier nioht weiter auaführon.
Jedenfalls heisst Qird'ah ( QirijsA ) das rituelle Ableiern religiöser Texte , ob man diese
nun durch Vermittelung der Schrift oder sonstwio hat kennon lernen. In Mekka nennt
man auch das Schnurren der Katze und ähnliche Laute Qirdjel (el-btuak tiqrd), wah-
rend das Krähen des Hahns Add» heisst ( ed-dik js'iddin).
II ZU
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Lebens die Benutzung einer öffentlichen Bibliothek möglich war , so
gereichte ihnen dies zum Vortheil, aber noth wendig war es nicht.
War doch das Diktieren der Professoren die gewöhnliche Art der
Vervielfältigung der Bücher; bald diktierten sie ihren Schülern die
eignen Kompilationen, bald die berühmten, allenthalben als tnus-
tergiltig anerkannten Textbücher ihres Faches, denen sie ihre er-
läuternden Glossen hinzufügten. Wer andere Bücher zu besitzen
wünschte als die in den Kollegien üblichen, ging, wenn ihm die
käufliche Erwerbung auf dem Büchermärkte zu kostspielig war, zu
einem Lehrer, um dessen Exemplar von ihm zu entlehnen oder
dasselbe in Privatstunden von ihm in die Feder diktiert und somit
in sorgfältiger Ausgabe zu bekommen. Nur musste der Studierende
viele Jahre , manchmal sein Leben lang , aus nichtwissenschaftlichen
Quellen zu seinem Lebensunterhalt kommen. Dies war nun nicht
besonders schwierig, denn die Lebensbedürfnisse, namentlich des
Gelehrten, erfordern keinen grossen Aufwand; durch Erbschaft,
durch Geschenke von Verwandten, die eine ergiebigere Carriere
gewählt hatten, und von Freunden, die sich die Verehrung der
heiligen Wissenschaft zur Pflicht machen, erhielten die Gelehrten
unschwer genug, um ihrer Neigung ungestört folgen zu können,
und manche wussten die Pflege der Wissenschaft sehr geschickt
mit der Ausübung eines Gewerbes oder Handelsgeschäften zu ver-
binden.
*
Sehr hoch stellt der Islam das Verdienst derer , die die Wissenschaft ,
vorzüglich das Gesetzesstudium, »lebendig erhalten”, denn Letzteres
war immer, vom religiösen Gesichtspunkte betrachtet, das Lebens-
brot der muslimischen Gemeinde. Wer sich der Wissenschaft wid-
met, ist nicht nur jeder Verpflichtung zur Theilnahine am heiligen
Kriege enthoben, sondern wer in der Ausübung wissenschaftlicher
Thätigkeit stirbt, steht dem Märtyrer gleich. Auf diesem edeln
Gebiete wird der kaufmännischen Gesinnung, die sich sonst auch
in der Religion vielfach zeigt, Schweigen auferlegt: immer hat es
als schmählich gegolten , wenn ein Gelehrter die von ihm er-
worbenen Kenntnisse für Geld mittheilte. Aus alledem erhellt zur
Genüge, dass dem Diener der Wissenschaft im Islam reichlicher
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Himmelslohn und durch die Art seiner Stellung in dieser Welt
die höchsten Ehrenbezeigungen von Seiten der Gläubigen zugesi-
chert sind.
Schon bei oberflächlicher Durchsicht der Gelehrtenbiographien
irgend eines Jahrhunderts überzeugt man sich bald, dass es nie an
Männern gefehlt hat, denen jener Lohn und jene Ehre genügende
Reize waren, sich dem geistigen Ziele liinzugeben. In den ersten
4 — 5 Jahrhunderten kam noch hinzu, dass sich die heihgen Dis-
ciplinen in stetem Kampf zur höchsten Bliithe entwickelten. Durch-
aus nicht alle Schulstreitigkeiten hatten praktische Bedeutung für
das Leben, und man täuscht sich völlig, wenn man glaubt, das
sogenannte muslimische Recht habe wirklich die Kultur beherrscht
und sei in innigem Zusammenhang mit den Bedürfnissen der Ge-
sellschaft geblieben; seitdem die Staatsmacht und die Schule sich
trennten, hatte vielmehr ein sehr bedeutender Tbeil des in der
Schule sich entwickelnden Gesetzes lediglich kanonische Bedeutung.
Aber an dem theologischen Streite betheiligte sich überall ein gros-
ses Publikum, dessen Parteinahme die leitenden Gelehrten theils
r
beeinflusste, theils stärkte. Einflussreiche Stellungen in der Ge-
richtsverwaltung gehörten auch zu den Zielen des Ehrgeizes vieler
Gelehrten; als echte Vertreter der Wissenschaft gelten aber gerade
Solche, die kein Amt bekleiden wollten, weil sie dadurch in die
Lage kämen, die Wünsche der Regierung mehr berücksichtigen zu
müssen als die göttlichen Gesetze. Auch wurden seit dem 4tea
Jahrhundert der Hidjrah solche Aemter faktisch gewöhnlich dem
Meistbietenden zu Theil, so unwissend er sein mochte. Immerhin
bleiben die rein weltlichen Vortheile auch in den späteren Zeiten
Gelehrten von weltlicher Gesinnung erreichbar; die einen höheren
Ehrgeiz befriedigenden , leitenden Stellungen innerhalb des Gebietes
der reinen WT issenschaft verloren dagegen ihre Bedeutung, sobald
der Streit über wichtige Fragen und damit das Leben der Wissen-
schaft aufgehört hatte, weil die Thätigkeit der Gelehrten sich nun
auf das Erhalten und Uebcrliefem beschränken musste.
Das katholische Streben des Islam’s, wodurch nach jedem Streite
eine Einigung über die fraglichen Punkte erzielt wurde, kann man
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kaum überschätzen. Es ist jedoch wohl nicht zufällig, dass die all-
gemeine und absolute Union der vier Riten, mit denselben Glaubens-
lehre als Grundlage, die eigentlich fernerhin jede selbständige For-
schung verpönt, zeitlich mit dem politischen Verfall des Islam’s
zusammenlallt. Viele schlecht regierte Kleinstaaten und einzelne durch
rein materielle Gewalt gegründete Grossreiche , in denen die Tyrannei
keinem freien Streben Raum gab , bildeten keinen Boden für geistige
Wettkämpfe, wie sie früher zwischen den Schulen üblich gewesen
waren. Jede Bewegung konnte politische Bedeutung erlangen und
musste daher von den Herren des Schwertes in der Geburt erstickt
werden. Schon in ihrem eignen Interesse mussten also die Gelehr-
ten bloss konservativ auftreten , und die allgemeine Zerrüttung legte
ihnen diese Aufgabe auch sonst nahe. Nur vom rein religiösen Ge-
sichtspunkte aus blieb daher der wissenschaftlichen Thätigkeit ihr
volles Verdienst gesichert; den Richtern und offiziellen Gesetzeser-
kliirern {Mufti s) wurde es immer unmöglicher , dem Kaiser zu geben ,
was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Wer aber als Ge-
lehrter nicht gewillt war, mit seinem Gewissen zu transigieren , konnte
sich nur selten zur einer den weltlichen Mächten imponierenden
Höhe emporschwingen und musste sich meistens mit einem sehr
bescheidenen, stillen Wirkungskreis begnügen. Für Leute, die in
glücklichen Verhältnissen aufgewachsen waren, gehörte also eine fast
zur Askese gesteigerte Hingebung dazu, auf alle weltliche Grösse
zu verzichten und sich dem Dienste der heiligen Wissenschaft zu
widmen, die ihre Selbständigkeit der Staatsgewalt gegenüber nun
einmal eingebüsst hatte. So erhabene Gesinnung bekundeten nur
Wenige, und bald würde es sogar an Konservatoren des Vorhan-
denen gefehlt haben, wenn man nicht durch zweckmässige Mittel
den erkrankten Forschungstrieb künstlich am Leben erhalten hätte.
Wieder ist es kein Zufall, dass gerade zur Zeit, wo die ange-
deuteten Ursachen des Verfalls auf die Wissenschaft zu wirken an-
fingen, die ersten Madrawlis (//Universitäten”) im Islam gegründet
sind. »Man erzählt”, so lesen wir bei Qulb ed-din ') , //dass [die erste
i 1) C M III : 174.
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» Madraaah in der Welt die von Nizäm al-mulk in Baghdad gegrün-
//dete war [457 A. H. = 1065 n. C. ')]. Als nun die Gelehrten Trans-
"oxaniens dies erfuhren, verunstalteten sie eine Trauerfeier wegen
»der Wissenschaft und betrübten sich über den Verfall der Ehre
»der Wissenschaft. Darüber befragt, sagten sie: »Die Wissenschaft
»»ist eine edle, treffliche Königinn, die nur von edlen, treffllichen
»»Seelen wegen des ihr innewohnenden Adels und wegen der na-
»»türlichen Verwandtschaft (jener Seelen mit ihr) gesucht sein will.
»»Nun aber ein Lohn dafür festgesetzt ist, werden gemeine Seelen
»»sie suchen und sie als Mittel zur Erlangung winzigen weltlichen
»»Besitzes benutzen, sich um sie drängen nicht zur Theilnahme
»»am Adel der Wissenschaft, sondern zur Erreichung niedriger,
»»vergänglicher weltlicher Stellungen. So wird die Wissenschaft
»»durch die Gemeinheit jener Leute erniedrigt, ohnedass sie durch
»»deren Adel erhoben werden; sehet nur die Heilkunst, die, ob-
» »gleich sie eine edle Wissenschaft ist, seitdem sie durch die ge-
» »meinen Juden gepflegt wird, von deren Gemeinheit angesteckt
»»wurde, während die gemeinen Juden sich keineswegs den Adel
»»der Heilkunst angeeignet haben””.
Qutb ed-dln fügt hinzu, die Befürchtung jener Gelehrten habe
sich leider als allzu begründet herausgestellt. Wir können zwar nicht
zugeben , dass die Ursache des Rückschritts in der Errichtung von
Medäris zu suchen sei, aber ohne Zweifel gehörte die Entstehung
solcher Anstalten zu den Zeichen des Verfalls.
Obgleich eine leidlich ausgestattete Madrasah gewöhnlich mehrere
Hörsiile und eine Bibliothek enthielt, so war doch, wie aus dem
oben Bemerkten hervorgeht, nicht die Vermehrung oder Koncen-
trierung der Lehrmittel Hauptzweck solcher Stiftungen ; man wollte
vielmehr dadurch die Leute zur Pflege der Wissenschaft ermun-
tern, dass man ihnen Wohnung und Lebensunterhalt zusicherte.
Gott selbst hat durch seine Organe das Studium des Gesetzes und
der sich daran reihenden Disciplinen zur solidarischen Verpflichtung
der »Gemeinde” gemacht; mit Recht erwartet darum die Bevölke-
1) IA X: 34.
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230
rung von den Fürsten Förderung solcher Studien mit ausserordent-
lichen Mitteln , wo das freiwillige Angebot versagt , aber auch reiche
Fromme steuern unter solchen Umständen das Ihrige zum selben
Zwecke bei. Wer sich also indirekt um die heilige Wissenschaft
verdient machen will, lässt etwa ein grosses Ilaus erbauen, dessen
zahlreiche kleine Zimmer Lehrern und Studenten Wohnung bieten ,
während einige Säle für die Kollegien eingerichtet werden; nach
Einholung des Raths gelehrter Freunde bestimmt er die Stiftungs-
ordnung: wie viele Lehrer angestellt, wie viele Schüler zugleich
aufgenommen werden sollen ; welche Disciplinen dociert werden müs-
sen und zu welcher Zeit; welchen Bedingungen die Bewohner des
Stiftshauses unterworfen sind , und wer das Ganze administrieren soll.
Last not least gehören nun aber zur Stiftung einige liegende Güter ,
die der Eigenthümer ebenso wie das Stiftshaus zu Waqf, d. h. auf
ewige Zeiten unveräusserlich zu erklären hat, und deren Einkünfte
bei ordentlicher Verwaltung zur Instandhaltung des Gebäudes und
zur Besoldung der Lehrer und der Schüler genügen.
In Mekka wird das Bedürfniss nach Hörsälen wohl weniger als
in irgend einem andern heissen Orte des islamischen Gebietes emp-
funden; der Moscheehof bietet Gelegenheit zur Abhaltung vieler
wissenschaftlicher Vorträge zu gleicher Zeit , solange die Sonne noch
nicht hoch am Himmel steht, und wenn es zu heiss wird, finden
die Wissbegierigen in den Säulenhallen Raum genug. Höchst sel-
ten, und dann nur auf wenige Tage, werden die Versammlungen
im Freien durch Regengüsse und deren Folgen unterbrochen. Dazu
kommt, dass die Muslime glauben, der Ort, wo man seine wis-
senschaftlichen Kenntnisse vermehrt, sei gar nicht gleichgültig für
die Früchte des Unterrichts; welchen Ort könnte man aber der
heiligsten Moschee auf Erden vorziehen? Hier wird die Aneignung
der Wissenschaft durch die Barakah (den Segen) des Ortes er-
leichtert, wie auch die Gunst, welche der Lehrer von Allah ge-
niesst , ganz abgesehen von dem Maasse seiner Gelehrsamkeit ,
segensreich auf seine Thätigkeit einwirkt. Trotzdem gehörten auch
in Mekka zu jeder Madrasah Hörsäle, vielleicht weil diese Ein-
richtung nun einmal üblich war oder zur Erleichterung der Ver-
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waltung. Wichtiger war es jedenfalls, dass sie für Lehrer und
Schüler Chelwah's (Wohnzimmer) enthielten und dass die edlen Stif-
ter es ihnen ermöglichten, dem Studium ohne Sorge für das täg-
liche Brot obzuliegen.
Als bedeutende Anstalten dieser Art in Mekka erwähnt Qutb
ed-dln l 2) die 1233 von einem Diener des Chalifen Mustan^ir in der
Nähe des Bfib es-salam *) errichtete Madrasah mit einer kostbaren
Bibliothek; die 1477 auf Kosten des Sultans Qäitbey 3) in der Nähe
der erstgenannten erbaute Madrasah (mit einem schönen Hörsaale,
72 Chelwah's und einer Bibliothek) für die vier orthodoxen Riten;
die an die Südseite der Moschee grenzende Madrasah des Sultans
Suleiman, mit deren Rau 1565 angefangen wurde, und welche
von Qutb ed-dln ausführlich und genau beschrieben wird, da er
selbst als Lehrer dabei angestellt war. Hinter diesen grossen Ein-
richtungen treten mehrere andere, von egyptischen und indischen
Fürsten oder reichen Pilgern gestiftete zurück. Ausser der Verpflich-
tung zu lehren oder studieren, welche die aus den Waqf-giitern
Besoldeten übernehmen mussten , verlangte der Stifter meistens noch
von ihnen, dass sie zu bestimmten Zeiten in seinem Namen Qurän-
recitationen abhielten, damit ihm aus der Stiftung immer neuer
Himmelslohn zufliesse. Allein es dauerte in der Regel nur wenige
Jahre, bis die Missverwaltung der zum Stift gehörenden Liegen-
schaften die Einkünfte dermaassen herabdrückte, dass die Gehälter
grossentheils oder ganz hinfällig wurden; der Vortheil freier Woh-
nung allein genügte aber nicht , Lehrer und Schüler heranzuziehen ,
abgesehen davon, dass Geldmangel auch Vernachlässigung des Ge-
bäudes verursachte. Dann fingen die Verwalter oder die Regierungs-
beamten an, mit den Madrasah' s als verlassenem Gut zu schal-
ten , wie sie wollten ; bald richteten sie sich selbst häuslich in den
Gebäuden ein , bald vermietheten sie die schönen , wegen der Nähe
der Moschee geschätzten Wohnungen an vornehme Pilger oder reiche
1) CM III: 1T7 f., 225 f., 351 ft.
2) Vcrgl. den Grundriss der Moschee.
3) Yergl. Bd. I, S. 100-101.
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Ansässige, kurz, wie Qutb ed-din wiederholt klagt, '/die Hände der
Fresser ’) bemächtigten sich der Stiftungen.”
So kam es allmählich dahin l) , dass von all jenen Anstalten nur
die Namen übrig blieben und höchstens in den weniger werthvol-
len Chelwah’s einige arme Professoren und Studenten oder Moschee-
beaiute wohnen ; hie und da hat der reiche Bewohner der schönsten
Zimmer einer Madrasah aus Ehrfurcht gegen den Stifter verfügt,
dass z. B. wöchentlich einmal im Dihliz oder in einem Salon ein
Dar» (Kolleg) abgehalten wird. Im Ganzen hat das Wort Madrasah
daher in Mekka die Bedeutung eines vornehmen , an die Moschee
stossenden Hauses erlangt, ohnedass die Bevölkerung dabei an die
ursprüngliche Bestimmung denkt.
Von den Madrasah'» erhält also das wissenschaftliche Leben in
Mekka nicht die geringste Nahrung; nach wie vor ist die Moschee
zugleich Universitätsgebäude , und für ihren Lebensunterhalt sind
die Diener der Wissenschaft auf verschiedene Quellen angewiesen.
Für einige von den Professoren sind die mit der Lehrerstelle ver-
bundenen Vortheile nur nebensächlich. Dies gilt z. B. von den Mufti’s,
die während meines Aufenthalts in Mekka mit Ausnahme des fja-
naHtischen J) alle docierten ; ihr Amt als Gesetzeserklärer ist zwar
dem Namen nach unbesoldet, trägt ihnen aber auf verschiedenen
Wegen jedenfalls mehr ein als die Professur. Andere in Mekka ge-
borene Professoren trieben bedeutende Handelsgeschäfte und waren
dadurch ganz unabhängig; auch giebt es Lehrer, denen der Ruf
ihrer Frömmigkeit und ihres Wissens bedeutende Geschenke von
reichen Schülern und sonstigen Verehrern sichert. Sofern sie aber
zur Korporation gehören und es nicht (wie z. B. der berühmte , aus
1) So bezeichnet man auch jetzt noch, im Anschluss an den qurnniscbcn Sprachge-
brauch, die Beamten, die fremdes Gut durch die ihnen zu Gebote stehenden Gewalt-
mittol an sich ziehen.
2) Vergi. hierzu Bd. I, S. 17.
3) Der hanafitische Mufti ist immer sehr beschäftigt, weil das von der türkischen
Regierung befolgte kanonische Rocht das hanafitische ist. Weil ihn die Regierungsbo-
amten jeden Augenblick um Gutachten angehen, muss er während der heissesten
Jahreszeit mit ihnen nach Tüif übcrsiedcln. Inhaber dieses Amtes war 1884 — 5 der
sehr gelehrte Abderrahman es-Serradj; wenn er Zeit erübrigen konnte, las er in einem
auscrwählten Kreise in Mekka oder in T^if zu Hause über verschiedene Fächer.
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Brittisch-Indien verbannte Bekiimpfer dea Christenthums Rahmat
Ullah '), der gerade seiner Selbständigkeit wegen Vielen als der
Gelehrte per excellentiam gilt) vorziehen, der Wissenschaft nur um
Allahs willen zu dienen und ihre Schüler zu Hause zu empfangen,
bekommen alle ihren Antheil von den Einkünften, ohne welche die
meisten ihre Kräfte auf andere Zwecke verwenden würden.
Im I,tm Bande haben wir gesehen, wie die »Nachbarn Allahs”
sich mehr oder weniger berechtigt glauben, auf Kosten der übri-
gen muslimischen Welt zu leben, und wie im Laufe der Zeit von
verschiedenen Seiten, namentlich von Egypten, diesem Verlangen
entsprochen wurde. Dorther bezogen die Scherife und ihre Unter-
thanen jährliche Geschenke an Geld und Weizen, und die türki-
schen Sultane folgten auch in dieser Hinsicht den Fürsten Egyptens
als Schutzherren der heiligen Städte nach. Bei jedem Wechsel der
politischen Verhältnisse nahmen die Schutzherren, sobald nur die
Ordnung wiederhergestellt war , die jährlichen Sendungen wieder auf.
Das türkische Sultanat würde in der ganzen muslimischen Welt
sein Ansehen einbüssen , wenn es die herkömmlichen Sendungen nach
Mekka und Medina einstellte , und trotz dem finanziellen Nothstande
wird ihm diese Aufgabe nicht zu schwer, weil Geld und Korn von
Egypten geliefert werden. Fast jede ganz in Mekka eingebürgerte
Familie (ausser den reichen Kaufleuten und dem ärmsten Gesindel)
erhält ein oder mehrere Ardebb's vom egyptischen Weizen, aller-
dings thatsiichlich nicht ohne Abzüge zu Gunsten der mit der Ver-
theilung beauftragten Beamten. Fast jeder Mekkaner, der auch nur
den Namen eines Amtes trägt , vom Mufti bis herab zum Auskehrer
der Moscheehallen , bekommt jährlich eine Anweisung auf die Regie-
rungskasse; es wird den Leuten in den letzten, schlechten Jahren
freilich manchmal schwer, die Zettel gegen den vollen Betrag los
zu werden, und häufig verkaufen sie dieselben einer Mittelsperson
für weniger als den halben Werth, weil die Kasse immer zufällig
leer ist, wenn sie sich melden. Vom ^ Korn sowie vom Gelde ist
X) Verfasser dos mehrfach gedruckten, gegen die englischen Theologen gerichteten
Werkes Iikir al-kojj, das von VI. Carletti ins Französische übersetzt worden ist
II SO
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allen Professoren das Ihrige zugewiesen, auch wenn sie schon aus
anderen Gründen , z. B. als Muftis oder als Imäma ') und Chatib's '),
einen Antheil bekommen; ihrem Stande verdanken sie eine ziemlich
regelmässige Auszahlung.
Andere Vortheile , worein sich die Professoren theilen , sind die
Geldgeschenke, welche reiche Pilger, vorzüglich aus Indien, ohne
genauere Beschränkung als Qadaqah's für «die Gelehrten des Haram”
bestimmen. Schon diese, manchmal recht bedeutenden, gemeinsa-
men Einnahmen würden genügenden Anlass bilden zur Entstehung
einer Gelehrtenkorporation, an deren Spitze der Verwalter und
Vertheiler jener Geldsummen steht. Auch in anderen Hinsichten
wäre aber die Gelehrtenzunft ohne Zunftordnung und Zunftmeister
undenkbar.
An und für sich gehören die Moscheeräume der ganzen Gemeinde ,
und jeder Muslim, der hier, ohne Andere zu stören, für religiöse
Zwecke einen Platz okkupiert, hat ein liecht darauf, bis er ihn
wieder verlässt; nur zu den Zeiten der gemeinschaftlichen Gottes-
dienste hat jeder sich bei der Wahl des Platzes nach den dafür
geltenden Vorschriften des Gesetzes zu regeln. Jedesmal, wenn die
Gemeinde eins von ihren fünf täglichen Qaläts abgehalten hat, leert
sich das Heiligthum allmählich: einzelne Fromme beten noch län-
gere Zeit nach, ab und zu erscheinen einzelne Nachzügler, die
trotz der Verspätung ihre Andacht lieber in der Moschee als zu
Hause verrichten : beiderlei Moscheebesucher lassen aber mehr Raum
übrig, als die verschiedenen Gesellschaften von Gläubigen für ihre
anderweitigen Uebungen brauchen. Es sitzen da Leute, bloss weil
sie keinen Grund haben, anderswohin zu gehen, hie und da wie-
1) Zu diesen Aemtern (des Leiters des <?aldt und des Predigers am Freitag und an
den Festlagen) ist bekanntlich keine Gelehrsamkeit erforderlich, und in Cairo z. B.
hatten dieselben zu Lane’s Zeit Parfümeure und dergleichen inne. In Mekka fungieren
sowohl die angesehensten Gelehrten wie einige unbedeutende Personen als fmam's und
Ckafib'n die grosse Zahl der Angestellten und die Erlaubniss, sich für jede Funktion
bei der Moschee von einem Kundigen vertreten zu lassen, erleichtern hier diese Aem-
ter bedeutend, und die Vortheile sind immerhin etwas grösser als bei den meiston
anderen Moscheen. Für Fcstpredigten wird der Chatib von der Regierung bestimmt,
und wenn er von der Kanzel herabsteigt, erhalt er bei solcher Gelegenheit ein Ober-
gewand. Die Mufti’s sind alle zugleich Imdm’s und Chatjb't.
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derholen Knaben ihre Quränlektion mit lauter Stimme und rhyth-
mischer Bewegung des Körpers, die Brüder einer mystischen Ge-
sellschaft bilden ein Viereck oder einen Kreis und leiern ihre Litaneien
ab, und mehrere Kreise von Studenten lauschen dem Vortrage der
Lehrer. Aus dem oben angedeuteten Grundsätze Hesse sich folgern,
dass nun auch allen Gläubigen die Verfügung über den Hof und
die Hallen zu wissenschaftlichen Zwecken zustünde, gleichviel wer
in der Mitte des Kreises seine wahren oder vermeintlichen Kennt-
nisse ausböte. Dem ist aber in WirkUchkeit nicht so.
Selbstverständlich würde es gegen alle Sitte verstossen , wenn sich
gänzlich Unfähige hier als Professoren aufspielten; daran würde sie
schon der öffentliche Spott verhindern. Aber auch wenn nur alle aner-
kannten Gelehrten, die in Mekka Unterricht ertheilen, dazu die
Moschee benutzten, wäre der verfügbare Raum zu enge, da die
Stimmen der Lehrer ein Chaos bilden, sobald nicht die Kreise in
einiger Entfernung von einander bleiben. Ausserdem hält natür-
liche Bescheidenheit Viele vom Docieren in der Moschee zurück;
dieser sieht sich als zu jung an, jener als zu wenig vornehm, um
am selben Orte mit den Sternen erster Grösse sein Licht scheinen zu
lassen, und von den Javanen glaubt mancher, seine Herkunft und
seine äussere Erscheinung passten nicht für die edle arabische Ge-
sellschaft. Es giebt also eine Grenze zwischen den Gelehrten des
Haram und ihren anderswo docierenden Kollegen; theilweise wäre
dieselbe schon vom Herkommen ohne Weiteres bestimmt, in eini-
gen Fällen kann dagegen nur der Wille einer leitenden Person
entscheiden, ob Einer zur Haram korporation , d. h. zur eigentlichen
Gelehrtenzunft gehören soll oder nicht.
Der Scheck el-ulamä wird , ähnlich wie andere Zunfthäupter , mit
mehr oder weniger Rücksicht auf die Wünsche der Gelehrten
von der Regierung angestellt; gewöhnlich bekleidet ein Mufti, und
zwar meistens der Mufti der Schäfi'iten, dies Amt. Als ich in
Mekka war, hatte dasselbe der schäffitische Mufti Sejjid Ahmed
ibn ZenI Duhlän , dessen Biographie ich an einem andern Orte ')
L) Bijdragon van het Koninklijk Ncderlandsch-Indisch Instituut, 5e Yolgreeks, II: 344 ff.
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mitgetheilt habe, schon seit vielen Jahren inne. Für die »Gelehr-
ten” einlaufende Geschenke nimmt der Scheck el-ulamä in Empfang
und vertheilt sie später , nicht nach dem Grundsätze der Gleichheit ,
sondern nach seinem Gutdünken, da »der Vater” am besten die
Bedürfnisse seiner »Söhne” kennt; über die festen Gehälter verfügt
er, da die erledigten Stellen nach seinem Rathe besetzt werden.
Darum sind viele Gelehrte schon einstweilen mit der Lioenz, im
Haram zu docieren, zufrieden, wenngleich ohne Gehalt und ohne
herkömmliches Recht auf einen Theil der unregelmässigen Einnah-
men; der Schech, der ihnen solche Licenz ertheilt, stempelt sie
dadurch gleichsam zu Kandidaten für die bezahlten Stellungen.
Die Habilitation ist keineswegs frei ; nur wer die Gunst des Schechs
erworben hat, wird zur »Prüfung” zugelassen; wer aber nach be-
standener Prüfung (niemals fällt Einer durch) so zu sagen als Pri-
vatdocent im Haram Vorlesungen hält, bekommt wieder nach Maass-
gabe jener Gunst mehr oder weniger schnell ein Extraordinariat
(d. h. Antheil an den einlaufenden Geschenken usw.) oder ein Or-
dinariat (d. h. ausserdem eine jährliche Besoldung). Auf die Ge-
sinnung des Schechs wirken sehr verschiedenartige Einflüsse , und der
Wille der Regierungsbeamten giebt hier, gleichwie bei den Zünf-
ten ') , in indirekter Weise manchmal den Ausschlag. Ich habe einen
recht kläglichen Tekrün-Gelehrten gekannt, der dem Mitleid des
Sejjid Dahlän ein Ordinariat verdankte , während sich andere , ebenso
hungrige als verdienstvolle Professoren vergeblich bewarben. Was
die Mecallimijjeh J) für die Zünfte , das ist das Habilitationsexamen
( Imtihnn ) für die Universität. Der Schech bestimmt die Zeit, wann
der Kandidat sich in der Nähe des Bäb ez-Zijädah *) einzufinden
habe; meistens geschieht die Prüfung im Laufe des Vormittags oder
nach dem cA?r. Als Examinator fungiert der Schech selbst oder ein
von ihm delegierter Kollege; die angestellten Professoren sitzen im
Kreise herum, andere Freunde oder Neugierige setzen sich beschei-
1) Vcrgl. oben S. 34.
9) Vergl. oben S. 35.
3) Vcrgl. den Grundriss der Moschee.
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den in den Hintergrund. Einige (etwa 4 — 5) von den anwesenden
Gelehrten gelten speciell als Zeugen der Prüfung.
Den Gegenstand des Examens bilden ausnahmslos die feierlichen
Worte, welche als Ueberschrift den Quränsüren und überhaupt so gut
wie allen muhammedanischen Schriftstücken vorangehen , und womit
man nach der Tradition jede wichtige Handlung einzuleiten habe:
ilm Namen Allahs, des allbarmherzigen Erbarmers” . Zu dieser Bas-
malah haben die muslimischen Gelehrten immer ausführlichere Kom-
mentare geschrieben, deren Inhalt man nicht ohne gediegene gram-
matische, logische, theologische und juristische Kenntnisse verdauen
kann, und mit etwas gutem Willen lässt sich die halbe heilige
Wissenschaft daran knüpfen. So leicht das Examenprogramm beim
ersten Anblick zu sein scheint, so Hesse sich doch eine sehr schwere
Prüfung daraus ableiten. Allein, wie gesagt, die Untersuchung der
Kenntnisse des Kandidaten hat bloss formelle Bedeutung, und sie
beschränkt sich wesentlich auf das, was die bekanntesten Qurän-
kommentare anlässig der Bamalah bemerken. Ohne Zaudern be-
antwortet der Kandidat die wenigen an ihn gerichteten Fragen , und
das eigentliche Resultat besteht darin , dass auch seine neue Thätig-
keit mit jener feierlichen Anrufung des Namens Allahs eröffnet
wird, die Allah selbst empfohlen hat. Zum Schluss lässt der neue
Afedarris (Professor) nach gemeinsamem Gebet für sein Glück allen
Anwesenden Kaffee anbieten, und wenn er wohlhabend ist, giebt
er seinen Kollegen später am Tage in seiner Wohnung eine fest-
liche Mahlzeit.
Ausser der Aufnahme neuer Mitglieder und der Vertheilung ge-
meinschaftlicher Einkünfte hat nun der Schech in jeder Beziehung
das Leben der Korporation zu regeln, sie nach aussen zu vertreten
und zwischen ihr und der Regierung zu vermitteln. Für gewöhn-
liche Fälle begnügt sich die Regierung damit, wenn sie Befehle
erlassen oder neue Maassregeln einführen will, zur Vermeidung von
Konflikten mit dem kanonischen Gesetze ein Gutachten vom hana-
fitischen Mufti zu verlangen; wenn ihr aber besonders daran liegt,
dem Volke kundzugeben , alle religiösen Autoritäten seien mit ihrem
Willen einverstanden, so wendet sie sich an den Schech el-ulamä,
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der dann selbst der Frage die übliche Einkleidung giebt, die Ant-
wort in feierlichem Stile mit einer gehörigen Menge von Citaten
darunterschreibt und endlich sein »Fetwa” den angesehensten Kol-
legen zum Unterzeichnen vorlegt. Derlei offieielle Anfragen um Fetwa’s
dienen vorzüglich dazu, erwarteter Opposition von vorne herein die
Spitze abzubrechen. Sie beziehen sich auf die Einführung von Ord-
nungen, die gegen beliebte Sitten und herkömmliche Missbrauche
gerichtet sind oder deren Endzweck die Vermehrung der Regierungs-
einnahmen ist. Auch ergreift man dies Mittel , wenn auf Betreiben
einflussreicher Beamter oder Gelehrter gegen Personen eingeschrit-
ten werden soll, die selbst ihr Ansehen der heiligen Wissenschaft
verdanken , weil dann die für dem Verurtheilten eintretenden Kol-
legen jeder Entscheidung ihre Wirkung nehmen würden, die ihnen
nicht die Gewalt der Behörden und eine sogenannte Majorität der
Gclehrtenzunft aufzwängen. In meiner oben citierten Biographie des
Sejjid Dahlän hal>e ich ein paar Beispiele solcher Intrigen mitge-
theilt *). Einmal war der Betroffene ein Gelehrter ersten Ranges,
Hasab Allah, der Sohn eines zum Islam bekehrten Kopten. Sein
Ruhm , der durch seine ängstliche Vermeidung jeder officiellen Be-
rührung mit den Vertretern der Regierung noch erhöht wurde,
die innige Verehrung, womit seine zahlreichen Schüler und ge-
schätzte Kollegen ihn umgaben , warfen dunkle Schatten auf das
angestellte Oberhaupt der Zunft. Man flüsterte, dass Hasab Allah
sich im Freundeskreise sehr abfällig über Handlungen und Worte
des Schechs äusserte. Nicht lange dauerte es, bis Hasab Allahs
Unvorsichtigkeit dem einflussreichen Gegner die gesuchte Gelegen-
heit bot, sich zu rächen, ln einer handschriftlich unter seinen
Schülern verbreiteten Abhandlung hatte er die dem Sejjid wie den
meisten Mekkanem s) liebe Sitte des Tabackrauchens heftig ange-
griffen und als in den meisten Fällen verboten dargestellt. Dahlän
1) Bijdragen van het Koninklijk Nederlandsch-Indisch Instituut, 5e Volgrecks, II : Si8 ff.
2) Viele Mekkaner enthalten sich allerdings des Rauchens , weil cs ihnen zu kost-
spielig wird, und einseine Gelehrte und Mystiker, weil sic cs für besser (atola) halten,
nicht su rauchen. Unter den Weibern ist solche Enthaltsamkeit seltener als unter den
Männern.
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deducierte in seiner Widerlegungsschrift aus dieser Ansicht, dass
danach die meisten Mekkaner, und überhaupt die Muslime als
fäsiq (schlechten Wandels) zu gelten hätten, und da die bei Ehe-
schliessungen als Zeugen fungierenden Männer , wenn sie fäsiq sind ,
die Ehe ungiltig machen, die Mehrzahl der sogenannten Ehen un-
züchtige Verbindungen seien. Eine derartige, gegen die ganze Ge-
meinde gerichtete, Behauptung sei nun aber absurd und frevelhaft;
somit sei die Behauptung Hasab Allah’s , aus welcher sie mit Recht
abgeleitet werden müsste, in gleicher Weise zu qualificieren.
Weiter darf eine gelehrte Autorität nicht gehen; die Angabe,
welche Strafe das göttliche Gesetz über das Verbreiten der bezeich-
neten Ansicht verhänge, darf erst auf das Ersuchen der Behörden
erfolgen, weil diese sonst allzuoft unerwünschter und gefährlicher
Kritik ausgesetzt wären. Die Versuche des Schechs, die Obrigkeit
zur Bestrafung des Widerspänstigen zu veranhissen, schlugen dies-
mal fehl, namentlich weil der älteste Schebl sich zu Hasab Allah’s
Gunsten ins Mittel legte. Bald machte es der Gelehrte jedoch allzu
schlimm. Als das «heilige” Grab des nach der historischen Tradi-
tion im Unglauben gestorbenen Oheims des Propheten, Abu Tälib
mit einer neuen Kuppel versehen wurde , hätte nach Ansicht Hasab
Allah’s der »Schecb” dagegen protestieren sollen, und er warf ihm
seine Nachlässigkeit in einer neuen Abhandlung vor. Der Schech
vertrat dagegen die spätere, legendarische, aber durch den »Con-
sensus” ziemlich geschützte Ansicht, die Ahnen Muhammeds und
auch sein tugendhafter Oheim seien gläubig gewesen; ihm zufolge
liess sich also hier der Sohn des Kopten arge Verleundung des Ge-
schlechtes Muhammeds zu Schulden kommen. In der unliebsamen
Polemik, die sich daran knüpfte, zog Hasab Allah den Kürzeren,
denn die Regierungsbeamten wurden unschwer für die Ansicht
gewonnen , dass solche Aeusserungen nicht ungeahndet bleiben
dürften. Auf Betrieb des Schechs selbst verlangte der Wäll end-
lich ein Gutachten von »den Gelehrten”; der Schech verfasste eine
Frage und eine scharf verurtheilende Antwort, worauf Hasab Allah
auf ein halbes Jahr aus Arabien verbannt wurde. Die meisten Ge-
lehrten wagten es nicht, sich der Unterzeichnung des Fetwa zu
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entziehen; nur wenige einflussreiche Anhänger des Verurtheilten
hatten den Muth, hartnäckig zu schweigen. Später kehrte IJasab
Allah nach Mekka zurück, und als ich dort war, docierte er im
Haram wie zuvor, war auch nicht weniger geehrt, aber bequemte
sich doch zu grösserer Vorsicht.
Im anderen Falle galt es einem in weiten Kreisen verehrten Mys-
tiker, dem Schecli des Naqschibendl-ordens , Suleiman Efendi, als
dessen Konkurrent mit gleichem Titel ein gewesener Regierungsbe-
amter, Chalil Pascha, aufgetreten war. Beide suchten vorzüglich
unter Türken und Malaien Adepten für ihre Genossenschaft zu ge-
winnen, aber die hohen Verbindungen des Paschas konnten nicht
verhindern, dass Suleiman bei Weitem der populärste von Beiden
war. Nun widerspricht eigentlich die Thätigkeit zweier Scheche
gleichen Ranges im nämlichen Orden in derselben Stadt den Grund-
sätzen solcher Bruderschaften. Schon das Auftreten des zweiten
setzt bei ihm Zweifel an die Berechtigung der Ansprüche des er-
sten voraus; die Konkurrenz reizt die Gegner bald zu unzweideu-
tigen Aeusserungen von Geringschätzung und Feindschaft. So kam
es dahin , dass Chalil und Suleiman beide behaupteten , des Andern
mystische Erziehungsmethode schreibe sich mit Unrecht vom heili-
gen Naqsehibend her, seine Art, Dikr's abzuhalten, sei verkehrt,
seine Ansprüche auf die Vertretung des Ordens seien überhaupt
falsch.
In früheren Zeiten , vor der von GhazfilT angebahnten Union , hätte
die heilige Wissenschaft in solchen Fällen wahrscheinlich beide Parteien
verurtheilt, weil sie allem mystischen Sonderleben abhold war, und
wären auch die Gegner kaum dazu gebracht, sich dem Spruche der
Wissenschaft, zumal ihrer officiellen Organe, zu fügen. Auch heut-
zutage giebt es in den grösseren Städten von der Regierung ange-
stellte </ Scheche” ’) , die für alle Aeusserungen des mystischen Lebens
einigermaassen verantwortlich sind , aber ihre Aufsicht beschränkt
sich auf die öffentlichen Uebungen gewisser Orden, die unter den
1) Vcrgl. über die politische Bedeutung des Amtes des Schecli as-schujüch im sechs-
ten Jahrh. der Hidjrah Bd. I, S. 64.
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niedrigsten Volksklassen viele Anhänger zählen. Wenn zwei bedeu-
tende Scheche einer Tariqah oder, was selten vorkommt, wenn
zwei verschiedene Tariqah' s mit einander in Streit gerathen , ver-
mag jener Scheck et-lurüq *) oder Scheck el-adkär ') gar nichts. Die
f/Regierungsräthe” in religiösen Dingen, die Muftl’s und die'Ulamä
überhaupt, haben aber keinen Maassstab zur relativen Abschätzung
solcher ausserordentlicher religiöser Verrichtungen, die gerade speci-
fische Merkmale der Tariqah’ 's bilden. Ihnen steht bloss die An-
wendung desselben Kriteriums zu , das Ghazäll den Gläubigen emp-
fiehlt, wenn sie einen Führer auf dem Pfade der Mystik suchen -,
sie können eine Genossenschaft nur nach ihren Lehren und Bräu-
chen beurtheilen. Sind dieselben orthodox, so lassen sie den Orden
wenigstens unbehelligt oder spenden ihm ein Wort des Lobes; sind
sie ketzerisch, so streben die Gelehrten nach der Auflösung des
Ordens, oder sie treten dem falschen Schech entgegen, der seine
Irrlehre mit dem Namen einer edlen Tariqah bedeckt. Wenn also
ein Ordensschech seinen Gegner unschädlich machen will, muss er
zunächst streben, ihn mit der Orthodoxie in Konflikt zu bringen.
Zwischen Challl und Suleiman existierten eigentlich keine Streit-
fragen, die dem Forum des orthodoxen Dogmas oder des Gezetzes
unterbreitet werden konnten; da nun aber Challl die Freundschaft
des Gouverneurs Othman Pascha und des Sejjid Dahlän zu gewin-
nen wusste, hielt es doch nicht schwer, in den vielen kleinen Ab-
handlungen , die Suleiman für seine Anhänger verfasste , die verlangten
anstössigen Stellen aufzufinden. Wer eine vom Consensus der mus-
limischen Gemeinde anerkannte Lehre oder Sitte als falsch darstellt,
wird selbst zum Irrlehrer; wer fromme Schriftgelehrte, Dogmatiker
oder Mystiker bemäkelt, ist ein Verleumder. Suleiman hatte in einer
Schrift den Challl Pascha und dessen Vater Jahja Bey, die beide
als Stellvertreter desselben Schechs galten , dessen Schüler Suleiman’s
Lehrer war, als selbstgefällige Leute hingestellt, deren mystische
Ausbildung so mangelhaft sei, dass Suleiman seine Schüler nament-
1) D. h. Oberhaupt der Tariqah' t (mystischer Genossenschaften) oder der Diler'a (der zu
den mystischen Methoden gehörenden Litaneien usw.).
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lieh in Ostindien vor dem Verkehr mit deren Stellvertretern ein-
dringlichst warnen zu müssen glaubte. Die Nichtigkeit ihrer An-
sprüche gehe z. ß. daraus hervor, dass sie gegen die Lehre der
wahren Mystiker den Tanz, heftige Bewegungen des Körpers und
ähnliche Excentrici täten als Mittel der höheren Erziehung oder doch
als Aeusserungen mystischen Lebens anerkannten. Es lagen somit
schriftliche Dokumente der »Verleumdung” frommer Mystiker und
der Verurtheilung von Bräuchen vor, worüber sich angesehene Au-
toritäten der Gesetzeskunde und der Mystik in günstigem Sinne
geäussert haben; Chalil wusste wenigstens zu bewirken, dass der
Wäll die Sachlage so betrachtete und den Schech der Gelehrten
um ein Gutachten über die ketzerischen Worte Suleiman’s ersuchte.
Ahmed Dahlän verfasste darauf eine »Anfrage” im Namen des Wäll’s,
ein ausführliches Fetwa, worin er mit vielen gelehrten Citaten die
oben berührten Stellen der Schrift Suleiman’s als falsch und gefähr-
lich darstellte und schliesslich behauptete, das göttliche Gesetz ver-
lange die Vernichtung der Abhandlung und die Bestrafung der
Verfassers. Achtzehn Professoren des Haram , u. A. die Muftf’s der
Hambaliten und der Mälikiten, bestätigten durch ihre Unterzeich-
nung die Richtigkeit des Fetwa; ohne Scheu konnte also Othman
Pascha seinem Freuude Chalil die ersehnte Genugthuung verschaffen.
Suleiman wurde eingekerkert , bis er sich zur Beilegung des Streites
und zur Erfüllung einiger erniedrigender Bedingungen bereit er-
klärte. Er musste an alle seine Adepten in Ostindien und an einige
von seinen dort angestellten »ChalTfah’s” (Vertreter) einen Brief
schreiben, worin er die inkriminierte Schrift zurücknahm und er-
klärte, er sei jetzt zu Chalil Pascha in ein Verhältniss getreten »als
wäre er sein voller Bruder”; vier »Challfah’s” des Chalil Pascha
in Mekka richteten Briefe gleichen Inhalts an die Fürsten von Deli
und Langkat (Ost-Sumatra) mit der Bitte, sie möchten ihre Un-
terthanen von der Beendigung des Streites verständigen. Dies sollte
dazu dienen, der bisher wenig erfolgreichen Konkurrenz Challl’s
auf Ost-Sumatra den Weg zu ebnen, und der beste Beweis für
die rein persönliche Natur der von Chalil erhobenen Beschwerden
ist wohl sein Wunsch, den Brüdern auf Sumatra als der »volle
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Bruder” des in Mekka von ihm besiegten Feindes zu gelten. Damit
nun der Triumph Challl’s aller Welt bekannt werde, liess er in
der vor Kurzem eröflneten Regierungsdruckerei in Mekka (1883)
alle Dokumente seines Sieges, zu einem Hefte vereinigt, drucken
unter dem Titel: //Abhandlung zur Widerlegung der Abhandlung
»des Suleiman Efendi, zusammengestellt vom Oberhaupte der Ge-
»lehrten, dem Mufti der Sehäfi'iten, Sejjid Ahmed Dahlin, mit
»den Gutheissungen der Muftis und Gelehrten des geehrten Mekka’s.”
Dem Fetwa (das mit der Anfrage sechs Seiten einnimmt) sind
die oben erwähnten Briefe angehängt ; dem Ganzen geht aber folgende
Erklärung des Othman Pascha als Einleitung voran:
»Nachdem uns von gewisser Seite mitgetheilt worden, derSchech
»Suleiman Efendi habe eine Abhandlung zur Beschimpfung der edlen
»Tariqah’s und ihrer Scheche verfasst, worin thörichte Sachen und
»Unsinn Vorkommen, und die Schrift habe Verbreitung gefunden,
»so haben wir jene Abhandlung dem Oberhaupte der Gelehrten der
»erhabenen Stadt, dem trefflichen Sejjid Ahmed Zeni Dahlän , über-
»geben und ihm empfohlen, dieselbe mit der nöthigen Schärfe zu
»prüfen. Als er sie gelesen, untersucht und geprüft hatte, ergab
»sich ihm, dass der Inhalt Unsinn sei und gegen das auf festen
»Grundlagen beruhende göttliche Gesetz verstosse, dass also die
»Schrift zu vernichten und jede Spur derselben zu verwischen sei.
»Sodann ist von Seiten des erwähnten Sejjid’s ein detailliertes Fetwa
»darüber verfasst worden , und haben alle ') Gelehrten des edlen
»Mekka sich damit einverstanden erklärt. Daraufhin sind die vor-
»räthigen Exemplare der Abhandlung mit Beschlag belegt, bereits
»verkaufte den Leuten genommen, allesauimt aber verbrannt und
»jede Spur davon verwischt worden. Da nun weiter nach dem edlen
»Fetwa der Verfasser jener Abhandlung , der Schech Suleiman Efendi
»bestraft werden sollte, haben wir ihn einkerkem lassen. Auf dass
»der ganze Sachverhalt Allen bekannt werde, geschieht diese Mit-
»theilung”.
Nur selten wagt es der Hauptvertreter der Wissenschaft, gegen
l) Dies »alle” ist sehr übertrieben; es fehlen die Unterschriften mancher hochge-
schätzter Professoren.
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Maassregeln der Regierung seine Stimme zu erheben: wenn nicht
die höchste Gewalt hier in zwei verschiedenen , nicht immer zusam-
menwirkenden Händen läge, so würde das kaum je Vorkommen.
Im Jahre 1881 wussten allzu eifrige Bekenner des hanafitischen Ritus
den von der türkischen Regierung eingesetzten Qädhl *) zu überre-
den , dass er in die Moscheeordnung die Aenderung einführte , dass ,
einer in der hanafitischen Schule geltenden Ansicht gemäss, das
Qalät des 'Ac;r (Nachmittags) ziemlich viel später als gewöhnlich
von der Gemeinde abzuhalten sei. Daraus entstand bei den meisten
Gelehrten grosser Aerger und theilte sich den Laien mit. Nicht
nur die drei anderen Riten lehren, dass jenes Qalät früher anzu-
fangen habe, cs giebt ausserdem eine ganze Reihe unionistisch ge-
sinnter hanafitiseher Autoritäten, die sich zur gleichen Ansicht be-
kennen, weil sich mehrere unmittelbare Schüler des Abu Hanlfah
dafür ausgesprochen haben; überall, sogar in Konstantinopel, dem
Centrum der hanafitischen Regierung, fängt denn auch der Adän
des cA(?r früher an, was natürlich Einzelne nicht verhindert, ihr
Qalät zu Hause oder sonst ohne Führung des officiellen Leiters in
der Moschee viel später abzuhalten. Gegen derartige Beschwerden
scheinen nun die Ultra-Hanafiten bloss den Grundsatz geltend ge-
macht zu haben, alle Meinungsverschiedenheit über eine Frage höre
auf, sobald der Qädhl, der Schützer dt« heiligen Gesetzes, sein
Urtheil ausgesprochen habe.
ln dieser Lage der Dinge schärfte Ahmed Dahlän sein Schreib-
rohr und hielt dem Qädhl entgegen, ein Richter, dessen Spruch
jede Abweichung ausschliesse , müsse gewissen Bedingungen ent-
sprechen, die hier vielleicht unerfüllt geblieben seien, aber jeden-
falls könne sein Spruch nur am Schlüsse eines Prozesses gelten,
nicht wenn er eine ihm nicht in gesetzlicher Weise unterbreitete
Frage eigenmächtig entscheide. Er überhäufte ferner den Qädhl
mit Argumenten gegen die von diesem verfochtene Ansicht, von
hanafitischen sowohl als schäfi'itischen Autoritäten, und das Ende
war, dass’die Neuerung nach wenigen Wochen rückgängig gemacht
1) Es giebt bekanntlich in den türkischen Provinzen nunmehr bloss Qädhi’s des
hauafiüschcu Ritus
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wurde. Im Jahre 1883 liess dann der siegreiche Sejjid sein Fetwa
über diese Angelegenheit zugleich mit seiner Widerlegung der wah-
habitischen Ketzerei1) in Cairo drucken.
Den angeführten Beispielen der Thätigkeit des Schech el-'ulama
als Vertreters der heiligen Wissenschaft der Aussenwelt gegenüber
Hessen sich noch manche aus dem öffentlichen und dem intimeren
Leben der Mekkaner, ihrer Korporationen und ihrer Famüien hin-
zufügen; sie genügen aber, um diese Seite des hohen Amtes zu
charakterisieren, zu zeigen, welcher Art die Fragen sind, über die
das Haupt der Gelehrten als solches zu entscheiden hat, und wie
sich dabei sein Verhältniss zu den weltlichen Machten gestalten
kann. Das Amt des Muftl’s, welches der Rektor der Gelehrtenzunft
gewöhnlich zugleich bekleidet, kann er leicht verwalten, weil einer
oder mehrere hervorragende Gelehrten seines Ritus ihm als »mit
dem Fetwa Betraute" ( Amin el-felwa ) zur Seite stehen und die un-
zähligen, täglich einlaufenden Anfragen ohne Weiteres erledigen;
nur in wichtigen Fällen berathen sie sich mit ihrem Bevollinächti-
ger. Weil sich ein bedeutender Theil der Mekkaner zum schäfi'iti-
schen Ritus bekennt, geht kein Tag vorbei, wo nicht Einer bei
dem Mufti über Familienangelegenheiten oder über den gesetzlichen
Charakter eines abzuschliessenden Kontrakts usw. Auskunft einzieht.
In viel grösserer Zahl kommen aber die Fragen aus dem schäfFiti-
schen Theile Indiens, aus der ostindischen Inselwelt, aus Daghu-
stan *). Ueber so verschiedenartige Gegenstände wie die Schutzimp-
fung J) , das Brennen von Petroleumlampen in den Moscheen , die
gesetzliche Reinheit oder Unreinheit gewisser Arten chinesischer
Lackwaaren , eine neue Methode das Wuchergesetz zu umgehen,
oder eine neue Mode in der Kleidung muss der schäfi'itische Mufti
in wenigen Tagen seine autoritative Ansicht mit ihren Gründen kund-
1) Vorzüglich gegen die Verpönung der Anrufung von Propheten und Heiligen (Ta-
vattu t) ist diese Streitschrift gerichtet.
2) So spricht man in Mekka das Dagistan oder Dagestan unserer Karten aus; auch
in Mekka ansässige Daghustäni’s habe ich immer so aussprechen gehört.
3) Tatji» ausführlicher tat/in U-djüian. Ich besitzo ein Gutachten der schä-
fiStischon Muftis über diese Frage, die auch deshalb wichtig war, weil alle türkischen
Soldaten sich der Impfung untorziohen müssen. Den brauchbaren Text fand der Mufti
im . . . Bab af-Qijäl!
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geben, um den über solche Punkte in jenen Gegenden bestehen-
den Streit oder Zweifel zu beendigen.
Die Entscheidung über die Aufnahme neuer Kandidaten, die
Verwaltung der Einkünfte, die Vertretung der Gelehrten und ihrer
heiligen W issenschaft nach aussen : damit sind die Punktionen des
Schechs noch nicht erschöpft; er ist auch in der Beziehung Rek-
tor der Universität, dass ihm die Ordnung des im Haram ertheil-
ten Unterrichts obliegt. Von Ordnung kann allerdings bei mekka-
nischen Angelegenheiten immer nur in beschränktem Maasse die
Rede sein, denn das »Herkommen” oder, was man dafür ausgiebt ,
wird in allen Kreisen um so nachdrücklicher als Herrscher aner-
kannt, weil man diesen Tyrannen so ziemlich dekretieren lässt,
was man selber wünscht. Sogar unter den Scherifen wird es dem
primus inter pares schwer, seine Autorität geltend zu machen; die
Scheche der Zünfte oder der Stadtviertel üben ihre Gewalt haupt-
sächlich durch die Unterstützung der Regierung aus; wie sollte
sich da eine so widerspänstige Klasse wie die Gelehrten ihrem
Haupte wirklich unterordnen?
Von jeher ist es Sitte, die Vorlesungen in der Moschee unmit-
telbar nach Ablauf jedes der fünf obligatorischen Qaläts anzufangen.
Weil also zu jenen Stunden der Moscheeraum vorzüglich von den
Professoren und ihren Zuhörern eingenommen wird, wäre es gegen
allen Anstand , wenn ein Unberufener sich dann mit seinem Kreise
hinzusetzte. Sollten Eindringlinge dies Gesetz übertreten, so würde
der Scheck el-ulamä sich an die verschnittene Polizei der Moschee
oder an die Regierung um Abhülfe wenden. Nur nach dem letzten
Abendcalät ist man in dieser Hinsicht nachgiebiger, weil dann
wenige Professoren lesen; nach dem Tschä docieren hier also auch
Gelehrte, die zu anderen Stunden daheim Unterricht ertheilen,
oder es üben sich gar junge Leute unter Leitung eines kundigeren
Mitschülers und lesen zusammen den Abschnitt, den ihnen mor-
gen der Lehrer erklären wird. Will man einen Einblick in den
gewöhnlichen Gang des Unterrichts bekommen, so bietet dazu ein
täglich fünfmal vorzunehmender Spaziergang durch die Moschee die
beste Gelegenheit. Die Beobachtung muss aber während der ersten
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sieben Monate des muslimischen Jahres angestellt werden, denn
schon im achten Monat Scha'bän treten verschiedene Aenderun-
gen ein ; auch gehe man zunächst nicht am Dienstag oder am Frei-
tag hin, weil an beiden die regelmässigen Kollegien unterbrochen
werden. Man begründet diese Sitte für den Freitag mit den Er-
fordernissen des Kultus und für den Dienstag damit, dass der
Imära Abu Hanlfah an einem Dienstag gestorben sein soll. Es ist
aber keineswegs verboten, am diesen Tagen zu lesen, und that-
siichlich thun es mehrere Professoren ; vorzüglich solche Fächer , die
in den gewöhnlichen Vorlesungen keinen oder nur geringen Raum
einnehmen, werden dann behandelt.
Wer gleich nach dem Qalät der Morgendämmerung zu lesen an-
fängt , kann noch ohne Scheu im Iiofe der Moschee sitzen ; erst
wenn die I — 2 Stunden des Unterrichts vorüber sind, fängt die
Sonne an, über die Zinnen des östlichen Daches ihre Strahlen
hineinzuwerfen. Viele sind aber in der ersten Stunde nach dem
Uubh noch anderweitig beschäftigt und eröffnen dann ihr Kolleg
unter dem Dache der Säulenhallen. Beim ersten Gange durch die
Moschee begegnen wir also in beiden Räumen wissbegierigen Ver-
sammlungen. Einige Minuten vor dem Anfang eines Bars (Vorle-
sung ') legt ein Diener oder ein befreundeter Schüler des Medarris
an dessen gewohntem Platze sein Polster auf den harten Kies des
Hofes oder die Marmorsteine der Hallen, die Vorderseite genau
der Ka'bah zugewandt, denn diese Richtung halten hier die Pro-
fessoren beim Vortragen ebenso genau ein wie alle Muslime beim
Qa/ät. So gross ist der Zudrang von Dienern der Wissenschaft in
Mekka nicht, dass die Wahl der Plätze etwa Misshelligkeiten zwi-
schen der Gelehrten hervorriefe; jeder findet einen berechtigten Wün-
schen entsprechenden Raum und behält den einmal gewählten fürs
ganze Jahr, manchmal fürs Leben. Sollte dennoch Streit über die
Raumvertheilung entstehen, so müsste der Schec/t el-ulamä eine
Verständigung herbeiführen. Um das Polster des Lehrers herum
bilden die nach und nach herbeitretenden Schüler einen regelmäs-
1) Als Plural sind die Formen Berit (Burit) und Banal gebräuchlich.
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eigen Kreis, dessen Umfang mit ihrer Zahl auf- und niedergeht.
Wo die Zuhörer immer die gleichen sind , pflegt jeder seinen stän-
digen Platz zu haben, aber sehr genau wird das nicht genommen,
und in den meisten Schülerkreisen herrscht wegen der eigenthiim-
lichen Verhältnisse der Fremdenstadt grosse Abwechslung.
Jeder Student hat auf der Schulter seinen »Gebetsteppich” (Sed-
djadah) und breitet ihn, bevor er sich setzt, so vor sich aus, dass
er von dem Rande des Kreises nach dessen Mittelpunkt gerich-
tet ist. Damit der Lehrer möglichst wenigen Zuhörern den Rü-
cken zuzuwenden habe und auch die hinter ihm Sitzenden seine
Stimme deutlich vernehmen, liegt sein Polster den Letzteren viel
näher als denen, welche die Ka'bah im Rücken haben und der
Vorderseite des Lehrers zugewandt sind. Ein paar Plätze hinter
dem Polster bleiben unbesetzt, dem Professor einen Durchweg in
den Kreis zu gewähren. Auf dem hinteren Theile der Seddjüdah
sitzend, behalten die Zuhörer vor sich auf dem Teppich Raum für
ihr kupfernes Tintenfass ( Dewäjah '), dessen eine Seite sich in einen
länglichen Köcher zur Aufnahme des Schreibrohrs und des Feder-
messers verlängert , und für ihr Kollegienheft *) , worin sich ein paar
Bogen des Textes, der den Vorlesungen zu Grunde gelegt wird,
und etwas Schreibpapier befinden.
Nicht alle Professoren haben die Sitte beibehalten, einen von
den älteren Zuhörern, als Muqri , gleichsam Repetitor, anzustellen;
nur der Schech el-culamä und wenige andere Gelehrte haben solche
ziemlich überflüssige Assistenten, die ihnen gerade gegenüber in
der Halqah (Kreis) sitzen und zur Einleitung des Vortrags den
letzten Abschnitt des vorhergehenden ableiern. Wenn solche Lehrer
die (nicht allgemein übliche) Gewohnheit haben , jede Vorlesung mit
einigen in gereimter Prosa verfassten Sätzen zum Lobe des eben
zu behandelnden Faches zu eröffnen, so fängt auch der Muqri sein
Echo des letzten Vortrags mit denselben Phrasen an, wodurch die
Studenten diese immer zweimal geniessen.
1) Plural ütwdjdt, nicht Dijd* , wie Landberg will; lhijti* ist in Mekka nur als
Plural zu ndad, »Heilmittel” gebräuchlich.
2) Mikfadhah [uiSUj.
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In den paar Dutzend Halqah's , die wir nach dem Qubh durch-
mustern, und deren Studentenzahl je 10 — 60 betragt, wird fast
ausnahmslos Gesetzeskunde (fiqh) gelehrt; so will es die Ordnung
des Sejjid Dahlän, der hierin dem Beispiele der meisten früheren
Rektoren folgt. So haben wir zugleich Gelegenheit, zu erfahren,
wie stark jeder von den vier Riten in Mekka unter den Dienern
der Wissenschaft vertreten ist. Nur bei dieser Disciplin bildet ja
der Ritus eine Scheidewand; sogar die Kunde der Quellen des
Gesetzes ( Ufül al-fiqh ) kann man zur Noth bei einem Professor
hören , der sich zu einem andern Madhab bekennt als der Schüler.
Die Hambaliten muss man, so zu sagen , mit der Laterne auf-
suchen: ein oder zwei Gelehrte dieser Richtung explicieren ihren
wenigen Schülern die Texte des Mart. Sie sind alle Sc/iurüq,
»Orientalen”, das bedeutet hier: Leute aus Centralarabien '). Et-
was zahlreicher sind die Halqah's der Mälikiten, obgleich man
bald bemerkt, dass hier kein Centrum ihrer wissenschaftlichen
Thiiligkeit ist. Ihre Heimath ist nicht bloss der Maghrib (Marokko ,
Algier, Tunisien), sondern mit Ausnahme von Unteregypten fast
das ganze muhammedanische Afrika: die Sudanesen, die Tekrüri’s,
die muslimischen Abyssinier, alle zum Islam übergetretenen Ne-
gerstamme sind Mälikiten, und der Missionseifer des Senüsl-ordens
gewinnt ebenfalls nur diesem Ritus Anhänger. In Arabien und
Syrien sind nur stellenweise Kolonien von Mälikiten, die wohl so
ziemlich alle dem fernen Westen entstammen.
Hanafitische Lehrer und Schüler sind schon aus dem Grunde
ziemlich viele da, weil ihr Ritus in den eigentlich türkischen
Ländern herrscht und von den türkischen Sultanen immer strenger
als der einzige von iRegierungswegen vertretene zur Geltung gebracht
1) Auch im Innern Oman’s herrscht der hambalitischc Ritus, während dort an der
Küste sowie in Zanzibar die Muslime dein Namen nach Chäridjitcn ib&dhitischer Rich-
tung sind; sic nennen sich Abadhitcn und gelten in Mekka für ganz unschuldige
Ketzer, die keinen Menschen ärgern und ziemlich viol Gold in die Stadt bringen.
Hambaliten sind ferner Viele, die sich früher zum Wahhabitisnius bekannten; that-
sachlich stehen sich beide Richtungen sehr nahe, und bestand das Neue, das Ibn Abd
fcl-Wahhäb hinzuthat, eigentlich nur darin, dass er anderen Richtungen mit dem Schwert
entgegentrat.
II 32
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wird. Die Koncession, welche die Othmanen in der Periode ihrer
Siege den anerkannten Riten der eroberten Länder machten, in-
dem sie neben dem hanafitischen Qädhl einen Richter des Landes-
ritus anstellten, ist ihnen heutzutage als überflüssig erschienen. In
Mekka, wo der schäfFitische Ritus die höchste Bedeutung hatte,
aber wegen des internationalen Charakters der Stadt nicht allein
herrschen durfte, gab es früher vier von der türkischen Regierung
eingesetzte Qadhi’s, die je für die Bekenner ihrer Schule mit der
Gerichtsverwaltung beauftragt waren. Nachdem nun aber die Re-
gierung zur Einsicht gekommen war, dass die Gerichtsverwaltung
bloss ihre Sache, nicht die ihrer Unterthanen sei, schaffte sie alle
nicht-hanatitischen Riehterstellen ab und erklärte fernerhin in Sachen
der Religion und des Familienrechts nur die Urtheile des hanafiti-
schen Qädhi’s für gültig; alles Andere wird nach den neuen welt-
lichen Gesetzen (dem Qäniin el-munif, der also das Schar c es-scherif
ergänzen soll) behandelt, die der Qädhi nicht an wenden kann noch
darf, und an deren Stelle allzu oft die Willkür der Verwaltungsbe-
amten tritt. Bei solcher Uniformierung der Gerichtsverwaltung ist
nun die Anerkennung aller orthodoxen Riten theoretisch gar nicht
vermindert. Jeder darf seine Privatangelegenheiten ganz nach sei-
nem Ritus einrichten; die Regierung kommt ihm auf dem Wege
sogar entgegen , denn sie stellt Leiter des Qalät nach dem in Lande
herrschenden Ritus und Muftl’s an, die über fragliche Punkte
Auskunft ertheilen, ja in Mekka darf auch der hanafitische Qädhl
in Ehesachen nuch dem Ritus der Parteien entscheiden , wenn diese
ein Fetwa des Muftl’s ihrer Schule über die dem Richter unter-
breitete Frage mitbringen. Man begreift aber, dass die angegebenen
Maassregeln der Othmanenregierung auf die Dauer der Aufhebung
der nicht-hanafitischen Riten kräftig Vorschub leisten oder ihre
Bedeutung wenigstens schliesslich auf die eigentlich rituellen Un-
terschiede beschränken.
In diesen Gedankengang passt es, dass die Gehälter der Gelehrten
in Mekka zu einem grösseren Betrage au Hanafiten verliehen wer-
den, als wozu sie ihre Zahl und Bedeutung an sich berechtigen
würden. Es lohnt sich nicht, hier die Namen der Professoren auf-
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Zufuhren, die zu meiner Zeit in Mekka dotiert waren oder, einer
erledigten Dotierung harrend, als Extraordinarii lehrten, zumal sie
in dem gedruckten Jahrbuch des Hidjäz für 1303 (1885 — 6) im
Verzeichniss der Beamten Vorkommen. Ganz verlässlich sind die of-
ficiellen Angaben nicht, denn es werden darin Mehrere nur deshalb
als Professoren bezeichnet, weil der Gouverneur ihnen die Gunst
erwies, sie mit einer für die Pflege der Wissenschaft bestimmten
Pension zu beschenken. Aber wenn man solche »Professores hono-
rarii” ausser Betracht lässt, kommt inan doch durch Hinzuzählung
der nicht-dotierten Lehrer ungefähr wieder auf die gleiche Zahl,
die zwischen 50 und 60 abwechselt. Etwa ein Drittel sind Hana-
fiten, wie gesagt, nicht weniger der Regierung als der Wissen-
schaft zu Ehren ; darunter sind Inder und Leute aus den Russland
unterworfenen muhammedanischen Ländern ebensosehr vertreten
als geborene Mekkaner oder andere türkische Unterthanen. Emi-
granten aus jenen Gegenden, die den grossen Herrn von Stambul
als ihre Zuflucht betrachten, finden immer freundliche Aufnahme;
wo möglich , setzt man sie in Aemter ein und legt ihnen den Ehren-
titel Muhädjir (»der um der Religion willen sein Vaterland ver-
lässt”) bei. Gleichwie die Mälikiten lesen und erklären hier auch
die hanafi tischen Gelehrten die berühmteren Texte ihres Ritus oder
moderne Kompilationen, deren einzelne Bestandttheile man Wort
für Wort in jenen Texten wiederfindet.
Trotzdem das schäfPitische Gesetz in den meisten Ländern, wo
es früher herrschte, durch türkischen Einfluss auf die Sphäre des
intimen Lebens beschränkt wurde, hat sich dasselbe in den Hör-
sälen zu behaupten gewusst und ist also eine geistige Macht ge-
blieben. Seine weite Verbreitung in früheren Jahrhunderten ver-
dankt es dem Umstande , dass die Abbasidenchalifen diesem Ritus
nicht weniger otSciellen Schutz angedeihen Hessen als die Türken
dem hanafitiscben. Damals stand ihm in Mekka als einheimische
Richtung nur die sohfitische entgegen, die in West- und Südara-
bien sehr viele Anhänger zählte. Schon oben ') wurde angedeutet,
1) Bd. I, 8. 89—90.
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wie die Scherife von Mekka nach und nach dem Zeitgeiste huldig-
ten und ihr zaiditiscbes Bekenntniss gegen das schäfi'i tische ver-
tauschten; dadurch schlossen sie sich der überwiegenden Mehrzahl
ihrer Unterthanen an. Seitdem ist die Hauptmasse der Bevölkerung
Westarabiens schäfi'i tisch geblieben; den Uebertritt ihrer Fürsten
zur hanafitischen Schule ') hat sie nicht mitgemacht. In der Um-
gegend von Medina sind noch zähe Ueberreste des Schfitismus ,
der einmal den Scherifen zur Eroberung Westarabiens verholfen
hat , und jetzt zum Lohn von ihnen verachtet wird *) ; auch haben
einige Harbstämme am Wahhabitismus festgehalten. Beide sind aber
eben nur Reste, die gegen den herrschenden Schfifi'itismus kaum
in Betracht kommen. Auch die Theile Arabiens, woher Mekka den
meisten Zuwachs bekommt , sind ganz oder hauptsächlich schäfifitisch.
In Jemen treten seit der Vernichtung des politischen Centrums der
zaiditischen Imäme die Zaiditen immer mehr hinter den Schäfi'iten
zurück; im türkischen Machtbereich wirken die hanafitischen Ge-
richtshöfe auch hier nicht auf die Wissenschaft und das intime
Leben ein , und ausserhalb jener Region herrscht vorwiegend die
Schule Schäfi'i’s. Hadhramaut ist ganz, Bahrein theilweise schäfi'i-
tisch. Im nächsten Kulturlande, in Unteregypten, hat die schäfi'i-
tische Richtung alle Stürme Überstunden und ihre Bedeutung für
das religiöse und wissenschaftliche Leben gerettet. So wirkte aller-
lei zusammen , um auch aus nicht-arabischen Ländern schäfi'itischen
Bekenntnisses Lehrkräfte und Studenten nach Mekka zu ziehen.
Aus den schäfi'itischen Küstenländern Hindustans (Malabar und
Koromandel), aus dem ostindischen Archipel, aus Daghustan rei-
sen mehr Pilger mit der Absicht nach Mekka, dort einige Jahre
zu studieren, als aus irgend einem Lande, wo andere Madhab’s
vorherrschen.
Es ist mithin kein Zufall, dass meistens der Mufti der Schäfi'i-
ten oder doch ein hervorragender Gelehrter dieses Ritus das Rek-
1) Bd. I, 8. 159, Anm.
2) Am empfindlichsten trifft diese Verachtung die in und um Medina vertretene Sekte
der Nackätc’lak, die fast zur l’ariakastc geworden ist und der man die missliebigsten
Gewerbe, z. B. das Schlachten überlässt. Auch in Djiddah leben Nachäw’lah-fleischer.
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torat inne hat und die Zahl der schäfTitischen ordentlichen Profes-
soren wohl 20 — 30 erreicht. Ihre Halqah'g sind für das wissen-
schaftliche Leben in Mekka die interessantesten ; sehen wir uns
dieselben etwas näher an. Die hier lehren , sind zum guten Theil
in Mekka Geborene oder solche, die als ganz junge, gut bean-
lagte Studenten hergekomraen sind und sich völlig eingebürgert
haben. Der altersgraue (1886 verstorbene) Scheck el-ulamä war hier
geboren und erzogen. Ebenso der schlanke, blasse, einen schönen
semitischen Typus zeigende Sejjid Abdallah Zawäwl, dessen Vater,
Muhammed Calih Zawäwl, als redlicher Mann, frommer Gelehrter
und tief in die Geheimnisse der Tariqah eingedrungener Mystiker
hohe Ehre geniesst. Seinen Sohn Abdallah erzog er ganz im Hause ,
um ihn möglichst fern von der Verführung zu halten; als Zwan-
zigjähriger war derselbe schon so weit in den heiligen Disciplinen
vorgerückt, dass sein Vater den Rektor bat, ihn in die Lehrer-
korporation aufzunehmen. Der Bitte wurde entsprochen; solche
Aufnahme war jedoch gegen das //Herkommen”, und die eifersüch-
tigen Professoren fragten entrüstet , wie Einer hier lehren'sollte , der
nur privatim studiert hatte? Bald theilte sich der Aerger anderen
Kreisen mit, und 'wenn der junge Gelehrte sich an den Abend-
stunden inmitten seiner Schüler setzte, wurde er wohl von den
Dächern der Moschee mit Steinen beworfen. Geduld und Takt hal-
fen ihm den Widerstand überwinden; es dauerte nicht lange, bis
sein klarer, feiner Vortrag und seine liebenswürdige Art alle Welt
mit Bewunderung erfüllten. Der Neid musste, wohl oder übel,
schweigend zusehauen. Vater und Sohn verstehen es, Wissenschaft
und aufrichtige Frömmigkeit mit vortheilhaften Handelsgeschäften
zu verbinden. Darin ist cs mit begründet , dass Beide keine schrift-
stellerische Thätigkeit entfaltet haben.
In der Mittagshöhe des Lebens steht der Sejjid Bekrl, wie ihn
die Mekkaner nennen, eigentlich Sejjid Abu Bekr Schattä, dessen
Vater aus Damiette nach Mekka übergesiedelt ist. Bekrl erfreut
sich eines grossen Schülerkreises und scheint es sich zur Aufgabe
zu setzen, dem dahinschwindenden //Schech” als fruchtbarer Schrift-
steller nachzufolgen.
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Grösserer Berühmtheit als die übrigen, hier nicht weiter aufzu-
ziihlenden mekkanischcn Professoren erfreuen sich einige, die ihre
Studien vorzüglich in dem Athen schäfi'itischer Gelehrsamkeit, in
der Azharmoschee zu Cairo vollendet haben, wie Muhammed Bes-
jünl, 'Umar Schäm!, Mustafa ‘Afifl, Muhammed Menschäw!, der
ausserdem vielen Javanen Privatunterricht im Quränrecitieren er-
theilt, usw. Früher waren die Egypter oder doch in Cairo erzoge-
nen Gelehrten in Mekka nicht besonders beliebt, weil sie nicht
immer bescheiden auftraten und ihre mekkanischen Kollegen mit
grossstädtischem Dünkel schulmeisterten. Seitdem aber Isinä'il Pascha
Unteregypten europäisiert hat und mehr noch seitdem die Englän-
der vom Nilthal Besitz ergriffen haben, ist Mekka auch jenen zum
wahren Hort des Islain’s geworden. In ihrer Heimath beeinflussen
jetzt die Ungläubigen sogar die Anstellung der Mufti’s und der
Professoren ; wollen diese sich ihres Amtes dauernd erfreuen , so
müssen sie mitunter Fetwa’s abgeben, deren Inhalt ihr Gewissen
verdammt. Muss man nun gleich auch in Mekka ab und zu mit
den weltlichen Behörden transigieren , hier wird doch den Ver-
tretern der Gesetzeskunde bedeutende Selbständigkeit zuerkannt,
und . . . el-bazdh cala 'l-bacd/i rahmah »(die Herrschaft) von Leuten
gleicher Art ist immerhin ein Gnadenbeweis Gottes.” Der gemeinste
Türke versteht besser als der beste Engländer ’), was dem Muslim
gebührt. Nach Mekka kommt kein Ungläubiger , während die Azhar-
moschee durch die Füsse englischer Männer und Weiber verunrei-
nigt wird. Hier hält man Sklavenmarkt, dort kann man nur im
Geheimen Sklaven kaufen, als versündigte man sich dadurch; kurz,
in Mekka lebt noch eine muslimische', vom Unglauben unbehelligte
Gesellschaft, wie sie in Egypten schon unmöglich wäre. Wenn
jetzt einmal im Gespräche der Gelehrten Vergleiche angestellt werden ,
1) Als ich einmal einen gebildeten Egypter, der mir sein Her* über die Rohheit
und Unsittlichkeit der englischen Soldaten und die dumme Einbildung vieler Engländer
ausschüttcte, auf verschiedene nützliche, von der englischen Regierung in Egypten ge-
troffene Anordnungen hinwies und die Vorzüge einzelner berühmter Engländer hervor-
hob, hielt er mir das Sprichwort entgegen: »Hier ein weisscr Hund, dort ein »chwar-
»zer Hund, Alle sind aber Hunde, Söhne der Hunde” (trlt oLjadh utl Hb nsvad,
kuUehum kiläb auldd il~küdb).
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so ist das Ergebniss für Cairo ungünstig , und die Cairiner leugnen das
gar nicht, freuen sich vielmehr ob ihrer Hidjrah nach der heiligen Stadt.
Unter den, gleichfalls sehr zahlreichen, aus Hadhramaut stam-
menden Professoren ragt an Bedeutung der fast zwerghaft kleine
Muhammed Sa'Id Bä-Befel hervor, der dem Rektor im Amte des
MuftT’s als Amin el-fetwa (zum Ertheilen von Fetwa’s Bevoll-
mächtigter) zur Seite steht. In einem Kolleg des Altmeisters ist er
ausserdem sein Muqri '). Im Urtheil über das gesellschaftliche Le-
ben der Mekkaner stimmen die Hadhramiten den Centralarabern
bei; wie diese in einem armen, kulturlosen Lande erzogen, sehen
sie in der Grossstadt zunächst ein modernes Babel. Dagegen hat
das hiesige Gelehrtenleben für sie nur Anziehendes; reichere Hülfs-
mittel , mehr Gedankenaustausch , der Segen , den auch der Stu-
dierende der Heiligkeit des Mekkathaies entnimmt , sind ebenso viele
Vorzüge, nach deren Genuss sich der cAlim in Hadhramaut sehnt *).
Die Laien, die aus jenem Lande des Erwerbs wegen nach Mekka
auswandern, eignen sich schnell die hiesigen Sitten an und be-
trachten die Aenderung als einen Fortschritt. Wenn sich die Ha-
dhramiten in Ostindien meistens abfällig über die Mekkaner äus-
sem (wie van den Berg erzählt und ich ebenfalls in Erfahrung
brachte), so hat man darin bloss eine Aeusserung des Brotneides
zu erkennen, weil Beide in ihrer Weise die Javanen ausbeuten und
ihre Wege einander manchmal kreuzen. Aehnliche Dinge wie sie
nach van den Berg die Hadhramiten auf Java den Mekkanern nach-
sagen, behauptet umgekehrt jeder Mekkaner, der auch nur einmal
auf Java war, von den dortigen Hadhramiten. Durch solche Klas-
senurtheile darf man sich im Orient so wenig wie bei uns täuschen
lassen .
Aus Daghustan stammen einige von den geschätztesten Lehr-
kräften des Haram. Kurz vor meiner Ankunft in Mekka war der
berühmte Abd el-Hamld ed-Daghustänl dahingeschieden, dessen
Gelehrsamkeit von vielen Kollegen über die des Sejjid Dahlän ge-
1) Vergl. oben S. *48.
2) Auch Burckhardt bat Mekka als das Ziel der Gelehrten in Jemen und Hadhra-
maut dargestellt.
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stellt wurde. Sein Sohn Muharnmed machte dem Vater Ehre und
gehörte nach der allgemeinen Ansicht zu den sechs besten Qurän-
recitatoren Mekka’s.
Professoren aus Malabar (Menebär heisst es hier) sollen früher
zahlreicher gewesen sein als heutzutage. Von den Djäwah lesen nur
höchst selten einzelne im Haram; kaum haben wir auf unserem
Morgenspaziergang durch den Hof der Moschee einen Mekkaner
darüber befragt, gleich zeigt er uns mit dem Finger den aus Sum-
bawa gebürtigen Professor Zeinuddin und fügt hinzu, einen an-
deren jener Nation werde man hier jetzt vergeblich suchen. Das
liegt, wie gesagt, theilweise an der bescheidenen Zurückhaltung
dieser Leute, es ist aber auch zum Theil die natürliche Folge der
unten zu besprechenden Bedürfnisse ihrer studierenden Landsleute.
Aus demselben Grunde wie die Lehrer nehmen auch die Schüler
des schäfi'itischen Ritus unsere Aufmerksamkeit in höherem Grade
in Anspruch als die anderen. Beim ersten Blick fallt uns die grosse
Verschiedenheit ihres Alters auf; im selben Kreise sitzen Graubärte
und bartlose Knaben mit reifen Jünglingen und kräftigen Männern
zusammen. Die älteren Herren zerfallen in zwei Klassen, die darin
übereinstimmen , dass sie hauptsächlich »des Segens halber” ( lil-ba -
rakah ) die Vorlesungen anhören. Eine Klasse bilden die Gelehrten,
die eigentlich Alles, was hier zur Besprechung gelangt, längst im
Kopfe haben, aber ihrem früheren Lehrer oder älteren, ehrwürdi-
gen Kollegen zu Ehren , in Stunden , wo sie selbst nicht lesen ,
sich zu dessen Füssen setzen. Die Uebrigen sind Leute, denen in
der Jugend die Zeit oder die Lust zur wissenschaftlichen Ausbil-
dung fehlte und die nun, soweit es geht, in den letzten Jahren
ihres Lebens die Lücke ergänzen wollen. Bei ihnen sind die Früchte
des Unterrichts , wie sich nach der Verschiedenheit ihrer Vorbildung
erwarten lässt, sehr verschieden, meistens sehr gering; sie sind
mit dem »Segen” des Zuhörens zufrieden, auch wenn das Ver-
ständniss versagt. Jüngere Gelehrte haben immer noch etwas von
dem Unterricht der Altmeister, obgleich die Bedürfnisse weniger
kundiger Zuhörer dabei maassgebend sind.
Aber auch unter den eigentlichen Schülern kommt es gar nicht
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selten vor, dass etwa Sechzehn- und Vierzigjährige den gleichen
Vorlesungen zuhören. Im I,ton Kapitel haben wir gesehen , dass bei
geborenen Mekkanem nur selten Neigung zur Gelehrtenlaufbahn
entsteht; wo sie sich aber zeigt, geschieht es bei Gelehrtensöhnen
meistens schon in der ersten Jugend, während bei vielen Anderen
erst später die Lust zum Durchbruch gelangt oder doch die von der
Familie solchen Plänen entgegengesetzten Hindernisse beseitigt werden.
Die überwiegende Mehrzahl der Studenten ist aus der Fremde her-
gekommen; sofern nun ihre Muttersprache nicht die arabische ist,
bedürfen sie einer viel weitläufigeren Vorbereitung, bis sie den Un-
terricht im Haram verwerthen können. Es sind nur Wenige, die
in ihrer javanischen , malaiischen , inalabarischen oder sonstigen Hei-
matli so lange und so gründlich studiert haben, dass sie einem
arabischen Vortrage folgen können ; die meisten kommen sehr jung
oder doch nur dürftig vorbereitet an. Dann gehen sie zuerst, nach-
dem sie im Qurünrecitieren etwas vorgerückt sind, einige Jahre bei
einem gelehrten, in Mekka ansässigen Landsmann in die Schule,
der ihnen die leichteren Texte durch Uebersetzung und Erklärung
in ihrer Muttersprache verständlich macht. Wenn sie so über die
ersten Schwierigkeiten hinweggekommen sind, könnten sie noch
jahrelang den weiteren Unterricht solcher Lehrer benutzen, ohne
ein wirkliches Bediirfniss nach anderer Leitung zu empfinden, zu-
mal es unter jenen fremden Gelehrten Leute giebt, die ihren ara-
bischen Kollegen gar nicht nachstehen. Allein ihr höchster Wunsch
ist, im Hamm zu studieren, und ihre gelehrten Landsleute sehen
das nicht ungern, denn schon so haben sie genug zu thun.
Die Vorlesungen sind in jeder Beziehung öffentlich und frei;
wer aus Neugierde einmal einen Professor hören will, setzt sich
gewöhnlich hinter den eigentlichen Zuhörerkreis; wenn er sich viel-
leicht vor dem Schluss der Vorlesung wieder entfernen möchte,
hinter den Rücken des Lehrers. Will Einer als regelmässiger Zu-
hörer in eine Halqah eintreten, so setzt er sich zwischen zwei Be-
kannte oder Solche, deren Bekanntschaft er eigens dazu macht;
der Kreis erweitert sich ein wenig, und nachdem er mehrere Male
zugegen gewesen, redet ihn der Lehrer beim üblichen Abschied-
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nehmen nach dem Kolleg mit ein paar Worten an. Er kann auch
vorher dem Professor einen Besuch machen, sich mit ihm zu be-
rathen, aber die Anmeldung ist nicht erforderlich, und es giebt
keine Immatrikulierung.
Den Inhalt der Vorlesungen über die Gesetzeskunde kann man
sich kaum zu gleichförmig denken. In dem 5tcn — 7,en Jahrhun-
dert der Hidjrah, also gerade in der Periode, wo die erstarrende
Union in der muslimischen Wissenschaft an die Stelle des lebhaften
Kampfes trat, haben einige schäfi'itische Gelehrten ersten Ranges (vor-
züglich Abu Schudjä', Rafii und Nawawl) das ganze Gesetz in
ihren Hauptwerken erklärt, und die autoritätsbedürftige Nachwelt
betrachtet diese Texte mit fast gleicher Ehrfurcht, wie jene selbst
die Werke SchafiVs und seiner ersten Schüler als Grundpfeiler
der Wahrheit betrachtet haben. Nur solche Punkte, über welche
jene Autoren mit einander disputiert oder mehrere Ansichten als
möglich dargestellt hatten , durften spateren Gelehrten zu neuer Erör-
terung Anlass geben. Die genannten Texte waren aber Excerpte,
welche die Verfasser ihrem mündlichen Unterricht zu Grunde legten ;
die Schüler lernten dieselben auswendig, um feste Anknüpfungs-
punkte für die Ausführungen der Lehrer zu gewinnen.
In späteren Zeiten haben Gelehrte wie ibn Hadjar, ScharbTnl,
Ramll den Erläuterungen zu jenen Texten auch ihre feste, schrift-
liche Form gegeben, und ihre Kommentare bilden bis zum heuti-
gen Tag wesentlich die Grundlage aller schäfFitisehen Kollegien
über das heilige Gesetz; die neueren Professoren haben daher nur
die Aufgabe, die immer weniger Spielraum gewährenden Aussprüche
ihrer Vorgänger sprachlich und sachlich zu erläutern, höchstens
hie und da hinzuzufügen, welche von zwei angeführten Ansichten
nunmehr die herrschende geworden sei. Dann sind auch solche
erklärende Randglossen wieder zu anerkannten Texten geworden,
nur noch nicht in dem Maasse, dass ein Gelehrter sich dadurch
verhindert glaubte, selbst ein neues Diktat zu machen. Somit hat
ein heutiger Professor von folgenden Methoden eine zu wählen: 1°
seinen Schülern einen der obigen Kommentare mit den von einem
berühmten Vorgänger herausgegebenen Randglossen vorzutragen , wo-
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bei also der Vortheil des mündlichen Unterrichts lediglich in der
genauen Vokalisation und etwaiger Erklärung kleiner Schwierig-
keiten besteht; 2° die Lektüre des Kommentars durch mündliche
Erläuterungen fruchtbar zu machen, die er aus mehreren von den
besten Randglossen schöpft; 3° aus den letzteren selbst eine neue
Kompilation zusammenzustellen und herauszugeben.
Die erste Methode ist die leichteste und wird daher von Vielen
befolgt; ihre Anwendung lässt sich dem Anschein nach auf grosse
Bescheidenheit des Lehrers zurückführen. Abdallah Zawäwl zog die
zweite vor, und las z. B. den Jqrta des Scharblnl, mit freier münd-
licher Erläuterung, worauf er sich jedesmal durch das Studium
mehrerer einschlägiger Randglossen vorbereitete. Um so verfahren
zu können, muss man die arabische Rede tüchtig beherrschen, be-
sonders wenn man, wie der Sejjid es that, den Schülern unum-
schränkte Gelegenheit bietet, den Vortrag mit Fragen zu unter-
brechen. Viele seiner Kollegen nahmen Bitten um Aufklärung nur
nach Schluss des Kollegs entgegen, weil ihnen das Improvisieren
in grammatisch fehlerfreier Sprache zu schwer war. Ganz selten
kam es vor, dass der junge Schech sein Kolleg etwas früher als
üblich schloss mit der lächelnd ausgesprochenen Entschuldigung :
»Wir wollen jetzt aufhören, denn mir fehlt die zum Qaliit erfor-
»derliche rituelle Reinheit” l). Sejjid Bekrl gehörte zu den Weni-
gen, die von ihnen selbst geschriebene Randglossen einige Jahre
lang vortragen, um dieselben endlich herauszugeben. Sein vierbändiges,
1883 in Cairo gedrucktes Buch (1‘ä/tai al-tälibin) ist vorzüglich be-
achtenswerth als Maassstab dessen , was die ehrgeizigsten und gelehr-
testen Professoren unserer Zeit noch zu leisten vermögen. Aus den
berühmteren Werken alter und neuer Zeit hat er recht weitschweifige
und verschiedenartige Glossen zusammengelesen , die zur Erläuterung
1) Vcwaqqif cd-dara fa'ixni g\(r mutaicaddhi (oder: laatu ' ala uudhu). Die letzten
Worte sagt Einer nämlich, wenn er sich an einem gemeinschaftlichen, im Hause vor-
genommenen (Jaldl nicht bethoiligt oder bittet, es seinetwegen einen Augenblick aufzu-
schieben, damit er zuerst die kleine (nach dem Schlafe, der Befriedigung natürlicher
Bedürfnis«: usw. erforderliche) Ablution, d. h. das Wudhii verrichte. Sodann wird der
Ausdruck scherzhaft gebraucht von Einem, der auf irgend eine Beschäftigung nicht ge-
nügend vorbereitet ist.
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eines von Zein ad-dln al-Melebarl verfassten Kommentars (Fa/A al-
mifin) zu dessen eigenem Werke Qurrat al-atn dienen sollen. Von
tausend Sätzen des I'anah dürfte kaum einer auch nur formell
vom »Verfasser” herstammen ; das gereicht ihm aber zum Lob,
denn auf diesem allseitig durchpflügten Gebiete Neues schaffen zu
wollen, könnte nur einem Ketzer einfallen , und mit Recht rühmt
sich daher unser Autor in seiner Einleitung, er habe sich nur »der
getreuen Wiedergabe der Worte der Majorität (von schäfi'itischen
Gelehrten) beflissen.” Fragt man nun, was in der Welt Einen
unter solchen Umstünden auf den Gedanken bringen kann, den
zahlreichen Glossensammlungen eine neue hinzuzufügen, so antwor-
ten uns die Autoren, es treibe sie dazu die Lust, das Verständ-
niss des überlieferten Stofls ihren Zeitgenossen durch besondere
Rücksichtnahme auf ihre pädagogischen Bedürfnisse formell zu er-
leichtern; thatsächlich spielt aber die Lust mit hinein, als Schrift-
steller ihren Namen unsterblich zu machen ').
Alle jene Fiqh-bücher unterscheiden sich von einander lediglich
durch das Maass der Ausführlichkeit und kleine Aeusserlichkeiten ;
sogar die Ueberschriften und im Wesentlichen auch die Reihenfolge
der einzelnen Kapitel und ihr Inhalt sind identisch, ob nun das
Werk den Titel der »Sättigung” oder der »Hülfe der Studierenden”
führe und mehr oder weniger Abschweifungen enthalte. Es lohnt
sich daher nicht, uns länger dabei aufzuhalten.
Welche Bedeutung hat nun aber dies Gesetz, und mithin dessen
Studium, für das Leben? In Bezug auf die religiösen Verpflich-
tungen und das Familienrecht liegt die Antwort auf der Hand:
diese Kapitel des Gesetzes regeln das wirkliche Leben in demsel-
ben Maasse wie nur ein Codex eine Gesellschaft zu regeln vermag.
Alles Uebrige hat von jeher nur die Bedeutung eines kanonischen
Rechts gehabt, das aus den Schranken der Schule nicht heraustrat;
die Gebiete des Lebens, die es beherrschen sollte, wurden faktisch
1) Wie oben bereits bemerkt wurde, bat Sejjid Bekri seinem Werke durch die Auf-
nahme einiger Fit was aus jüngster Zeit, t B. vom Mufti Ahmed DaliUn einen gewis-
sen Reiz der Aktualität tu verleihon gesucht. Immerhin geben auch solche Gutachten
nur bekannten Stoff in noucr, durch die Anfrage bedingter Anordnung wieder.
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vom Herkommen regiert, das durch die wechselnden Verhältnisse
und die Willkür der Fürsten bedingt war. Das ganze Staatsrecht
ist eine missbilligende Kritik der in allen muslimischen Staaten
obwaltenden Verhältnisse; das Kriegsrecht eine höchst idealisierte
Beschreibung der Eroberungskriege , die der Islam nach Muhammeds
Tode führte, gleichwie die Gesetze bezüglich der Bedingungen,
unter welchen Christen und Juden den Schutz des Islam ’s gemes-
sen sollen, den von Omar mit den Syrern abgeschlossenen Vertrag
idealisieren. Wollte man das Handels- und Verkehrsrecht des Is-
lam’s anwenden, so würden gleich alle Geschäfte ins Stocken ge-
rathen; das Kriminalrecht bietet durch seine unmögliche Beweis-
lehre und seine lächerlich milde Anwendung der als »Allahs Recht”
geltenden Strafen jedem Uebelthäter einen Ausweg ; kurz , in jedem
Abschnitt seufzen uns die Schriftgelehrten entgegen: »So sollte es
sein, helfe uns Gott!” Man lasse sich nicht beirren durch die
Thatsache, dass besonders fromme Leute über einzelne wichtige
Fälle wohl ein Fetwa einholen und dann ihre Pläne, soweit es
geht, dem Schar gemäss einrichten, oder dass fromme Fürsten
durch zeitweilige Anwendung des heiligen Gesetzes auf einzelne Ver-
hältnisse sich bei den Gelehrten beliebt gemacht haben. Wahr bleibt
es, dass, mit Ausnahme der religiösen Vorschriften im engeren
Sinne und der Familiengesetze in ihrem ganzen Umfang, das ka-
nonische Recht im grossen Ganzen nie gegolten hat. Wer dies
immer bestreiten mag, gewiss nicht die Schriftgelehrten selbst;
vielmehr betonen sie, die von ihnen erläuterten Gesetze seien für
eine bessere Gesellschaft berechnet als die je zu ihrer Zeit beste-
hende.. Einmal sei dieselbe zur Wirklichkeit geworden '), nämlich in
der dreissigjährigen Periode der vier ersten, »legitimen” Chalifen;
ein anderes Mal werde sich das wiederholen .... wenn das Ende
der Welt nahe ist und der von Gott erwählte Mahdi die Regie-
rung antritt.
Ausdrücklicher konnte der ideale Charakter der bezeichneten Ge-
1) Bekanntlich beruht auch diese Ansicht auf einer sehr idealisierten Vorstellung
von jonor „patriarchalischen Zeit” und gilt sie in beschränktem Sinne nur von der
Periode der »beiden Schecho” (Abu Bckr und Omar).
262
setze nicht anerkannt werden, als es die türkische Regierung that,
indem sie menschliche Gesetze ( Qatcänin ) erliess zur Regelung aller
Lebensverhältnisse ausser dem Verkehr mit Gott und dem Fami-
lienleben; das heilige Schar* wurde mit der ziemlich leeren Klau-
sel abgefertigt, es stehe den Muslimen immer zu, sich darauf zu
berufen.
Trotz alledem hat auch der ideale Inhalt des Gesetzes hohe Be- «i
deutung für das Leben der Muslime; die liegt aber auf pädagogi-
schem Gebiete. Oder sollte man es für gleichgültig halten, woran
und wie die geistigen Vertreter des Islams ihre Ideale bilden, wel-
chen Maasstab sie bei der Beurtheilung der Wirklichkeit an wenden
und in welcher Richtung sich ihre Hoffnungen und Bestrebungen
bewegen? Mehr, als Manche glauben möchten, empfinden auch die
profansten Kreise der muslimischen Gesellschaft den Einfluss jener
Schulideale, wenngleich ihnen die Kenntniss der von den Gelehrten
in rabbinischer Weise deducierten Einzelheiten völlig abgeht. In das
Volk sind aber die leitenden Gedanken tief eingedrungen ; jedesmal,
wenn ihm die socialen Verhältnisse zu schlimm werden, ruft es im
Bunde mit den ‘Ulamä: Schar ' Allah! , //das Gesetz Gottes!”, und
bei jeder politischen Umwälzung durchzuckt die Masse die Erwar-
tung, dass endlich der Mahdi komme, dem Schar c Allah zu seinem
Rechte zu verhelfen. Das mag nun bloss ein Schlagwort sein, aber
diese Parole lautet in der ganzen muslimischen Welt gleich, und
das hingebende Studium der Schriftgelehrten erhält sie am Leben
und gewährt ihr Inhalt und Bedeutung.
Vergessen wir aber nicht, dass wir uns immer noch in der Mo-
schee befinden, wo die cUlamB mit lauter Stimme das kanonische
Gesetz erklären. Feierlich fangen sie ihre Vorlesungen an, denn die
Beschäftigung mit der Wissenschaft gehört in erster Linie zu den
wichtigen Handlungen, die man nicht ohne Anrufung von Allahs
Namen beginnen darf. Die ersten Worte jedes Kollegs wie jedes mus-
limischen Buchs und jeder Abhandlung , sind : «Im Namen Allahs ,
des allbarmherzigen Erbarmers” , denen mancher Professor noch das
Tafamcud («Ich fliehe zu Allah vor dem verfluchten Teufel”) vor-
ausschickt. Dann folgt immer eine Reihe von Lobpreisungen Gottes
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und seines letzten Gesandten, worauf die Meisten ohne Weiteres
anheben: « der Verfasser des ( von uns erläuterten) Buches sagt" ;
langsam lesen sie nun die Worte vor, die sich den im letzten Kolleg
besprochenen anschliessen und beleuchten dieselben nach einer von
den oben beschriebenen Methoden. Einige recitieren, wie gesagt,
vor jedem Kolleg die gleiche Anpreisung der Disciplin , die sie eben
Vorhaben. Länger als zwei Stunden liest auch der fleissigste, kräf-
tigste Medarris kaum ; zuletzt schliesst er das Buch und spricht in
der üblichen Haltung ') flüsternd ein Gebet. Seinem Beispiele fol-
gen die Zuhörer, und wenn er durch leises Reiben der Hände über
das Gesicht zu erkennen giebt, er sei fertig, so erheben sich jene
nach und nach , gehen auf den sitzenden Lehrer zu , knien an seiner
rechten Seite nieder und küssen ihm zum Abschied die Hand.
Sobald sieh die älteren Zuhörer nähern, steht auch der Professor
auf, weil es anspruchsvoll wäre, ihren Kuss sitzend entgegenzu-
nehmen; solchen, die er aus wirklicher oder vorgeblicher Beschei-
denheit als seinesgleichen betrachtet, entreisst er sogar die von
ihnen ergriffene Hand und küsst ihnen die Stirn. Einem neuen
Schüler ruft er sein «gesegnet, so Allah will!” zu, worauf dieser
mit ehrerbietigen Formeln antwortet.
Nachdem die Morgenkollegien geschlossen sind, gilt die Univer-
sitätsordnung bis nach dem Mittags^alat gewissermaassen als aufge-
hoben , d. h. bis dahin macht sich auch der gewöhnliche Schulmeister
nicht lächerlich, wenn er mit seinen Knaben in der Moschee eine
Uebung abhält, und wird es jüngeren Leuten nicht als Ucberhe-
bung angerechnet, wenn sie hier von ihren Kenntnissen weniger
Vorgerückten etwas mittheilen. Von den Professoren lesen einige
in diesem Zeitraum über Fächer, wofür keine Stunde angewiesen
ist und deren Studium nur von Wenigen gepflegt wird, z. B. die
Traditionserklärung ( Hadith ) und die Methodologie der Gesctzes-
entwickelung ( üpd al-fiqti). Bei der letzteren Disciplin theilen sich die
Studenten wieder nach ihren Riten , obgleich es hier nicht so strenge
genommen wird wie bei dem Fiqh, weil namentlich die jüngeren
1) Yergl. oben S. 35.
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Werke über die Upül-wissenschaft nur wenig Meinungsverschieden-
heit aufweisen. Beide Fächer haben übrigens lediglich theoretischen
oder historischen Werth , da es keinem mehr zusteht , die Methode
selbständig anzuwenden und aus den Ueberlieferungen neue De-
duktionen zu machen. Man darf bloss noch aus der Ferne zuschauen ,
wie die Ahnen das Gesetz deduciert haben, dessen Autorität für
die Gemeinde jetzt nur in ihrem eigenen, unabänderlich festste-
henden Consensus begründet ist.
Derartige Vorlesungen eröffnet kein Professor auf gut Glück; nur
wenn einige Schüler ihn dämm bitten oder seiner Einladung Folge
leisten, wird eine Stunde verabredet, und dann darf auch keiner
ohne gütige Verhinderung fehlen. Für die Ufül-kollegien benutzt
man irgend welche von den neueren gedruckten Werken , die auf
dem Markte vorhanden sind. Die fleissigen Pfleger des Jladitl
lesen den riesigen Kommentar des Qastaläm zur Traditionssamm-
lung Buchäri’s ’) und den Kommentar des Nawawl zur Sammlung
Muslim’s. Das kostet aber manchen Wissbegierigen allzuviel Zeit,
und diese beschränken sich daher auf kleinere Sammlungen , worin
besonders wichtige oder erbauliche Traditionen enthalten sind.
Nebenbei sei hier bemerkt, dass alle Studenten heutzutage mit
gedruckten Exemplaren des zu besprechenden Textes ins Kolleg kom-
men; dieser Umstand hat die Form des Unterrichts gänzlich mo-
dificiert, denn früher musste der Medarris ihnen zuerst den Text
diktieren, dem sie dann auf dem Rande die Glossen des Lehrers
hinzufügten , wogegen jetzt der Zuhörer nur wenige mündliche Be-
merkungen ( Taqürir ) des Professors notiert und manchmal gar nicht
zu schreiben hat.
Keinem Menschen wäre es möglich, nach Ablauf des Mittags-
Qälat im Hofe der Moschee zu sitzen; man würde förmlich ver-
sengt. Sobald aber die Frommen in den Säulenhallen unter Lei-
tung eines von den vier am Mittag nach einander fungierenden
1) Ein hanafitiseber Gelehrter, Schfch 'Abbäs, der auch dem Mufti der Hanafiten
als Assistent sur Seite stand, beendigte während meines Aufenthalts in Mekka in
einem grossen Zuhörerkreise die vor drei Jahren angeiangene Lektüre des Qastaläni.
Sein Sohn wusste ganze Abschnitte des Buchäri auswendig.
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Imäm’s ihre Andacht verrichtet haben und den Raum allmählich frei
machen, bilden sich hier Kreise und Halbkreise1) von Studenten,
diesmal zur Pflege der sogenannten Instrumentalwissenschaften oder
der Dogmatik. Bevor Einer Vorlesungen über die Gesetzeskunde
besucht, muss er wenigstens einigermaassen in der Flexion ( Qarf ) und
der höheren Grammatik {Nahm) bewandert sein; die Kollegien über
diese Fächer sind denn auch für die Anfänger die einzigen , wo sie
zuhören. Hier findet man junge Mekkaner, Hadhramiten, Jemeni-
ten usw. neben einigen mit der arabischen Sprache ein wenig ver-
trauten fremden Studenten. Die Professoren bemerken mit Recht,
dass ihre arabischen Schüler nach Beendigung der Adjrümijjah
grössere Grammatiker sind als der beste Malaie oder Daghustänl
nach dem Studium vieler grammatischer Texte. Für das Qarf be-
nutzt man Tafeln, worin die Flexionsformen aufgeführt und erläu-
tert werden ; als Handbuch des Nahe ist ausser der Adjrümijjah
die Alfijjah des Ibn Mälik am allgemeinsten im Gebrauch. Alle
tüchtigen Studenten kennen die Alfijjah auswendig.
Die Kenntniss der übrigen »Instrumente”, z. B. der Stillehre und
der Poetik, kann man sich zu gleicher Zeit mit dem Fiqh aneig-
nen, obgleich sie auch zur Propädeutik gerechnet werden. Logik
wurde nach dem Mittag vom Schech eNulamä gelesen; da hörten
nur Vorgerücktere und Manche machten zu den Definitionen ein
Gesicht, als verstünden sie nicht viel davon. Vielleicht mag die
entsetzliche Hitze dieser Stunde die schläfrigen Mienen mit verschul-
det haben.
An den dogmatischen Uebungen sollten sich eigentlich, nach
der oben dargelegten Encyklopiidie des Ghazäll , nur diejenigen
betheiligen, die bereits eine einstweilen genügende Portion vom
Fiqh, dem Lebensbrote, verdaut haben. Man hat sich aber ge-
wöhnt, die Anfangsgründe des orthodoxen Kalüm (gewöhnlich Upül
ad-din oder Tawhid) der Jugend schon einzuprägen, bevor sie noch
das Gesetz gänzlich durchstudiert hat. Dem steht auch nichts ent-
gegen, denn das Verständniss der Dogmatik setzt keineswegs Be-
1) Nämlich dort, wo dor Professor an der Wand der Moscheo sitzt.
II Si
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kanntschaft mit' dem Gesetze voraus. Wie die Instrumentalfächer,
lernen auch die Dogmatik Schüler verschiedener Riten zusammen
von einem Lehrer ; in der Glaubenslehre sind ja Alle Asch'ariten ').
Während die Vorgerückten von den bekanntesten dogmatischen
Werken der letzten Jahrhunderte die gebrauchen, deren sie habhaft
werden können, schliesst sich der gewöhnliche Unterricht der Be-
sprechung einer von den vielen bis in unsere Zeit geschriebenen
Anleitungen an. Man braucht nur irgend ein Verzeichniss Cairiner
Drucke zu d urch blättern , um mit den Titeln mehrerer cAqidah's
(»Katechismen” könnte man fast sagen) von zeitgenössischen Schrift-
stellern bekannt zu werden.
Systematische Eintheilung und Behandlung des Stoffs ist solchen
Lehrbüchern fremd, und auch die Hauptwerke der Dogmatik ha-
ben sich nicht zur innern Einheit emporgeschwungen; ganz natür-
lich, weil die Orthodoxie nur durch einen von aussen kommenden
Druck zur Behandlung neuer Gegenstände gezwungen wurde. Sie
ist ja nach dem treffenden Bilde Ghazäli’s die Medizin der Seele,
und da die Seelen nicht nach einem System erkranken, die ketze-
rischen Lehren nicht auf regelmässige Entwickelung der Wahrheit
berechnet sind, so kann die orthodoxe Dogmatik nicht viel an-
deres thun als einen feindlichen Angriff nach dem andern abzu-
wehren. Während also jedes Kapitel eines Fiqh-buches ein leben-
diges Glied eines Ganzen bildet, welches den Menschen jeden
Schritt vorzeichnet, ist die Glaubenslehre eine Sammlung von Waf-
fen, deren jede einer abweichenden Richtung oder Sekte den Tod
zufügen soll. Zum grössten Theil sind jene Sekten längst den unio-
nistischen Bestrebungen und dem geistigen Verfall des Islam’s er-
legen, nachdem sie ihre Pflicht als Geburtshelferinnen der Dogma-
tik vollführt und den orthodoxen Islam gezwungen hatten , sich über
einige wichtige Fragen klarer, unzweideutiger auszusprechen, als er
1) Asch'ari (gest. 945 n. C.) hat twkanntlich der orthodoxen Dogmatik im grossen
Gänsen die endgültige Form gegeben. Die Gelehrten beseiehnen ihr Bekenntniss noch
häufig als das Asch’aritische und Einer nennt sich t. B.
XJüJj 'j>wä>LcJ. Ungelehrte kennen die Bezeichnung kaum; ganz natürlich,
weil keine andere gleichberechtigte Richtung daneben Bteht.
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dies von selbst gethan hätte. Mag nun ein heutiger Muslim auf
das Studium der Sekten auch viel Mühe verwenden (und sehr
wenige thun das), so gewinnt er doch nur eine ebenso falsche
Vorstellung von deren Wesen wie ein beliebiger heutiger Pfarrer
von den Richtungen, die sich in der ältesten christlichen Kirche
geltend machten. Ghazäll stand gerade auf der Grenze jener Zeit,
wo gewisse Ketzereien noch gefährlich waren und ohne sachge-
mässe Bekämpfung leicht um sich greifen konnten; hätte der weit-
blickende Mann unsere Zeit erlebt , so würde er gewiss das Studium
der meisten durch seine eigne Bemühung eingebürgerten Abschnitte
der Glaubenslehre als von geringem Interesse bezeichnet, dage-
gen den Kampf wider volkstümlichen Aberglauben und mystische
Gaukelei gerichtet haben.
Sehr Wenige denken sich überhaupt etwas dabei, wenn sie be-
lehrt werden, Allahs Wesen sei von seinen Eigenschaften verschieden,
und mit Unrecht hätten die Mu'taziliten die Selbständigkeit und
also eigentlich das Dasein der letzteren geleugnet. Nur soviel be-
hält der fleissige Student, die Mu'taziliten seien dumme Starrköpfe
gewesen , die glaubten , die menschliche Vernunft sei der Maassstab
der Wahrheit . . . schrecklicher Al>erglaube ’) ! Man prägt sich die
»zwanzig Eigenschaften” nach dem Schema ein, welches dem Se-
nüsl seine Popularität verdankt, man hört und liest, was die
Kommentare zur Erläuterung enthalten , und man ist am Ende
überzeugt, nur die Oberfläche dieses Meeres von Geheimnissen be-
rührt zu haben ; wer sollte sich einbilden , tiefer cinzudringen ? Leb-
hafter ist der Eindruck, den das Studium der Prädestinationslehre
zurücklässt; dies Dogma ist ja innig mit dem Leben auch der un-
gelehrten Masse verwachsen, und cs erhält in den Kollegien seine
wissenschaftlichen Grundlagen im Bewusstsein der Studierenden. Im
Kapitel von den Gottesgesandten und den von ihnen überbrachten
Offenbarungen interressiert sich der Muslim unserer Zeit nur mäs-
l) Treffend war es mir, wie einmal in einem Kolleg, wo der Professor sagte, die
unwissenden Heiden, die gegen Muhammad argumentierten, lütten ganz wie die Phi-
losophen »an die Vernunft geglaubt' , ein lächeln spöttischen Erstaunens über alle Ge-
sichter zog, dem der Lehrer mit Achselzucken zustimmte.
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sig für die früheren Diskussionen über die Frage, ob Propheten
an allen Schwächen der menschlichen Natur theilhaben, und wie
weit im verneinenden Fall ihre tIfmah (Freiheit von Sünden)
geht. Von Jugend an gewöhnt, in Gebeten und Liedern Muham-
med als den sündenfreien Auserwählten zu feiern, schenkt der
Student nur den Belegstellen für die unübertreffliche Grösse des
letzten Propheten seine Aufmerksamkeit und findet es natürlich,
dass auch Muhamrneds Vorgängern etwas von seinem Glanze
eigen war.
Den Reiz des Neuen hat für die meisten Studenten die Erkennt-
niss, dass sich Christen und Juden zu Religionen bekennen, die
auch dem Islam als göttliche Offenbarungen gelten, nur dass sie
später abrogiert und noch dazu nicht ohne Fälschung überliefert
sind. Von dem Verhältniss jener Bekenntnisse zum Islam herrschen
in Laienkreisen Vorstellungen, die der muhammedanischen Lehre
selbst als zu ungünstig erscheinen; dem Volke gelten sie als beson-
dere Arten des Heidenthums , die sich nur formell vom altambischen
Unglauben unterscheiden. Einst war ich zugegen, als der schäfi'i-
tische Mufti einer Gesellschaft von ziemlich gebildeten, der Schrif-
ten aber durchaus unkundigen Leuten, wo das Gespräch auf den
Wein und die Übeln Folgen seines Gebrauchs kam , zum allge-
meinen Erstaunen mittheilte, dies Getränk sei nicht immer von
Allah verboten gewesen, und zur Zeit, wo die christliche Offenba-
rung noch nicht abrogiert war, hätten fromme Leute mit gutem
Gewissen ein Glas trinken können. Hat denn die christliche Reli-
gion je Geltung gehabt? Ist denn der Wein nicht seiner Natur
nach ein Erzeugnis des Teufels? fragten die Herren bestürzt. Lä-
chelnd gab der Schech ihnen Aufschluss und setzte hinzu, wissen-
schaftlichen Leuten sei das alles bekannt , ihnen genüge es aber zu
wissen, dass der Islam wahr und alles Andere falsch sei.
Was es mit den vorquränischen heiligen Büchern für eine Be-
wandtniss habe, dafür interessierten sich sogar in der Blüthezeit
muslimischer Kultur nur kleine Kreise, und klare Vorstellungen
darüber sind nie durchgedrungen. Heutzutage schätzt man derlei
Fragen noch geringer als je zuvor. Die gegen das englische Christen-
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tkuni gerichtete Schrift des gelehrten Rahmat Ullah ’) hat allerdings
auch in Mekka, wo der Alte jetzt lebt, hie und da Neugierde er-
regt; diese ist aber schon befriedigt, wenn man gesehen hat, wie
leicht es dem Scheche wurde, den englischen Theologen entsetzliche
Fehler und Widersprüche nachzuweisen.
In Bezug auf jenseitige Dinge führt das dogmatische Studium
die Wissbegierigen nur soweit über die populären Erwartungen
hinaus, als diese dadurch ein wenig besser geordnet und in Zu-
sammenhang gebracht werden. Nicht einmal das in alten Ueberlie-
ferungen doch gemissbilligte Grübeln über das »Wann” des Weit-
endes und das beim Volke so beliebte Deuten gewisser Ereignisse
als Vorzeichen der Katastrophe verlernen sie, denn die Professoren
gehen selbst mit ihrem Beispiele voran. Fast alle Studierenden ver-
folgten in den Jahren 1884 — 5 mit lebhaftem Interesse die Vor-
gänge im Sudan und sahen dem Zeitpunkte freudig entgegen, wo
der Vorläufer des Mahdl’s, nach vollständiger Besiegung der Eng-
länder , übers Rothe Meer nach der heiligen Stadt kommen werde *).
Ueber das Reich des Mahdi’s, dessen Zerstörung durch den Anti-
christ, die Wiederkunft Christi, die sich häufenden abnormen Er-
scheinungen in der Natur und der menschlichen Gesellschaft , welche
das Nahen der Auferstehung ankündigen, über die Prüfung der
Menschen im Grabe, den endlichen allgemeinen Tod und die Auf-
erstehung, über das Gericht, dessen Schreckensscenen Tausende
von Jahren einnehmen, über alledies lehren auch die grössten Lichter
der Wissenschaft das seltsame Zeug, das die muslimische Phantasie
aus christlichen, jüdischen und persischen Ueberlieferungen mit
eigenen Zugaben und Bindemitteln zusammengeschweisst hat. Man
kann sich nicht länger darüber wundern, wenn man gesehen hat,
was alles ein Mann wie GhazälT, der innerhalb muslimischer Schran-
ken ein umfassendes Genie war, in seinem »die kostbare Perle"
benannten Buche über das Leben nach dem Tode erzählt. Züge
sogar, die ursprünglich nur bildlich gemeint sein dürften, gehören
1) Vergl. oben S. MS.
2) Yergl. meinen Aufsatz »der Mnhdi” in der » Revue Coloniale Internationale”,
Jnnvier 1886.
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auch ihm zufolge der Wirklichkeit an; wenngleich er bei der Er-
wähnung der göttlichen Wage und ähnlicher Dinge vor Anthropo-
morphismus warnt, widersetzt er sich doch nicht weniger energisch
jedem Versuche, dergleichen symbolisch zu deuten. Durch diesen
Unterricht wird also die Weltanschauung der Muslime mit wilden,
unästhetischen Phantasiegebilden bereichert oder doch der Glaube
an deren Wirklichkeit befestigt; zwar haben einige auch moralischen
Gehalt, aber wie tief ist er unter dem Unsinn versteckt! Es ist schwer
zu entscheiden, ob der Student etwas dabei gewinnt, wenn er diese
dogmatisch angezogenen Märchen gegen die phantastische Welt-
anschauung eintauscht, die er aus der Kinderstube mitgenommen
hatte l).
Von praktisch höchster Wichtigkeit ist in der Lehre vom Jenseits
der Satz, der bekanntlich in der muhammedanischen Welt keinen
Zweifel erleidet, dass der Muslim, so zahlreich seine Sünden sein
mögen, einmal durch Allahs Gnade um seines Glaubens willen die
Seligkeit des Paradieses erwirbt, während die Wonnegärten allen
Nicht-muslimen ewig verschlossen bleiben. Abweichende Ansichten,
die in den ersten Jahrhunderten des Islam’s über dies Thema be-
standen haben , werden nunmehr kaum der Erwähnung gewürdigt.
Nur den Versuch einzelner toleranter Mystiker aus früherer Zeit,
auch frommen Nicht-muslimen nach einer Zeit der Busse die Se-
ligkeit mit quränischen Worten zu sichern, hörte] ich einst von
einem Professor im Haram, mehr zur Unterhaltung als zur Beleh-
rung seiner Schüler, eingehend besprechen und als verfehlt hinstel-
len. Jene Mystiker, sagte er, wiesen auf die Quränstellen hin, wo
muslimischen Sündern der Aufenthalt in der Hölle als ihnen be-
1) Ganz wie nach Dr. Goldziher’s (Zeitachr. der deutschen morgcnl. Gesellsch., Bd.
XXXIII, S. 610) Mittheilung in Cairo, droht auch in Mekka die Mutter dem Kind
mit dem //Schech des Viertels” und, wenn es gegen das Verbot auf die Strasse gehen
will, mit dem Simmaten, dem wüiftmann” (ich denke mir, auch in Cairo wird diese
Aussprache und Erklärung dem Simdwi — //Himmelmann” vorzuziehen sein), der den
Kindern auflauert. Dies schreckliche Geschöpf, das sich nach Belieben unsichtbar
machen kann, steht im Dienste des //Sultans”, der ja immer viel Gift braucht, um
missliebige Beamte los zu werden. //Gift” gilt der Legende als eine bestimmte Substanz,
die nur durch Destillation aus dem kochenden menschlichen Körper nach dem Kecept
des Simmdwi zu gewinnen ist. Den Anforderungen seines Herrn zu genügen, eilt nun
der Giftmann durch alle Strassen der Welt, jede Gelegenheit zum Kinderraub benutzend.
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vorstehend angekiindigt wird, und zwar mit dem Zusatze: «darin
sie bleiben’1). Wenn nun dieser Zusatz, wo er sich auf Muham-
medaner beziehe, nicht ewige Dauer der Qual bezeichne, so dürfe
man ihn auch in Bezug auf Andersgläubige nur so deuten, dass
ihren Leiden einmal durch Allahs Gnade ein Ziel gesetzt werde. Als
man den Mystikern nun entgegenhielt, jene Worte kämen im Qu-
rän mit Hinzufügung des verstärkenden « ewiglich ”*) bloss in Bezug
auf Ungläubige vor, da wussten Jene keine andere Ausrede als
die Möglichkeit, Allahs Gnade könne schliesslich das Höllenfeuer
auslöschen und das Leben dort den Leuten erträglich machen. Län-
ger wollen wir uns, so schloss der Gelehrte, bei den »Rettern des
Unglaubens" nicht aufhalten!
Nach dem Mittagsgalät fassen sich die Professoren möglichst kurz ;
auch lesen zu dieser heissen Stunde nur wenige. Fragt man , welche
Verpflichtungen eine »ordentliche Professur” in Mekka auferlegt,
so wird der mit den Lehrverhältnissen Vertraute antworten, wer
das Amt bekleidet, müsse wenigstens täglich ein Kolleg lesen. Das
will jedoch nur sagen, diese Auffassung sei herkömmlich und man
erwarte diese Leistung vom Angestellten. Vielleicht finden sich aber
keine Schüler ein oder ist der Lehrer auf andere Erwerbsquellen
angewiesen die ihn einstweilen ganz in Anspruch nehmen. In sol-
chen Fällen hat er höchstens den Tadel der öffentlichen Meinung
zu befürchten , wenn er wirklich Nachlässigkeit zeigt ; es müsste sehr
schlimm sein, wenn der Rektor ihm einen Verweis ertheilen sollte.
Ein Medarris mag mehrere Monate krank sein, auf ein Jahr ver-
reisen oder aus sonstigen Gründen lange Zeit nicht lesen, ohnedass
der Scheck el-ulamä auf andere Weise davon hört als durch gele-
gentliche Mittheilung der Studenten.
Etwa nach 4 Uhr, wenn das cA<;r-^alät in der Moschee beendigt
ist, fangen ähnliche Vorlesungen wie nach dem Mittag an, jetzt
aber in grösserer Zahl. Dogmatik wird nun weniger gelehrt; dafür
sind aber die Kreise der Anfänger im Gesetzesstudium (Fiqh) um
1) l+iä
8) fjul Igjti jjj-XJLi*
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so zahlreicher. Vorzüglich die jüngeren Professoren, die Morgens
und Abends wohl noch selbst bei den grossen Schechen Fiqh hö-
ren, benutzen diese Stunde zur Einführung junger Studenten in
die fünf ersten Kapitel des Gesetzes , wo die Pflichten des Menschen
gegen Allah erklärt werden. Einige von den bedeutenden Lehr-
kräften docieren indessen dfe I nstrumentalfäeher oder höheren Wis-
senschaften , z. B. die Quifinexegese. Als Leitfaden für das Tafsir
dienen fast ausschliesslich die Werke des Baidhäwl und der beiden
DjaläFs (SujütT und Mahalli) mit den dazu geschriebenen Glossen.
Ich hörte 1885 bei dem Rektor Dahlän den Baidhäwl, den der
Greis durch eine Auswahl aus mehreren Randglossen erläuterte;
diese Werke nahm er alle jedesmal mit ins Kolleg. Nur selten
machte er eigene Anmerkungen hinzu, verschmähte es dann aber
nicht, die Bedeutung eines Wortes durch Hinweise auf den heuti-
gen mekkanischen Sprachgebrauch dem Verständniss seiner Zuhö-
rer näher zu rücken. Was für Vorbildung die Zuhörer immer ge-
nossen haben , keiner hört Tafsir , der nicht viele Male den Qurän
bis zum Ende nach den Regeln des Tadjund recitiert hat , und die
Meisten, die einen Platz in dieser Halqah einnehmen, sind »Qurän-
kenner” (d. h. kennen ihn auswendig). Eben darum ist es interes-
sant, die Ueberraschung zu beobachten, mit welcher Alle, die
zum ersten Mal einen Quränkommentar hören, den Sinn der ge-
heimnissvollen Worte kennen lernen. Es giebt allerdings geflügelte
quranische Worte, die in Mekka in mehr oder weniger entstellter
Form als Sprichwörter gebräuchlich sind, wie z. B. kulla nafsin
dajqet el-möt '), »den Tod muss jede Seele schmecken”; auch ein-
zelne Verse, die man von jeher in gewissen Fällen zu citieren
pflegt, um seine Rechte gleichsam dem Schutze Allahs anzuver-
trauen *); im Ganzen bleibt aber das heilige Buch sogar den »Ken-
nern” mit sieben Siegeln verschlossen , solange nicht die hohe
Wissenschaft des Tafsir von ihnen studiert wird, oder gelehrtere
Freunde ihnen über einzelne Stellen Aufschluss geben. Wenn in
1) Vergl. Qurän III: 182 «sw.
9) Vergl. oben S. 108.
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der katholischen Kirche die Laien alle einen Theil der Vulgata re-
gelrecht reeitieren müssten, so wäre die Bedeutung der Bibel in
jener Kirche der des Qurän’s für die heutige muslimische Gemeinde
beinahe gleich. Zwischen Arabern und Nichtarabern herrscht in
der Beziehung weniger Unterschied , als manche Gelehrten in Europa
glauben möchten. Nur die Fähigkeit zur Pflege jener Studien ist
bei den Arabern durch ihre Vertrautheit mit dem lebendigen
Sprachgebrauch viel grösser; aber trotzdem müssen sie Alles erler-
nen und ist ihnen namentlich die Sprache des Quräns fast ebenso
fremd geworden wie den heutigen Italienern die lateinische ‘). Uns
Europäern scheint dies fast undenkbar: ob wir mit einiger Kennt-
niss des Quräns an die Vulgärsprache herantreten oder umgekehrt,
in beiden Fällen hilft uns das Eine sosehr zum Verstäudniss des
Andern , dass wir glauben sollten , ein Muslim , dessen Muttersprache
ein arabischer Dialekt ist , müsste unschwer den grössten Theil des
Quräns verstehen. Man bedenke aber, dass während wir den Qurän
nur um des Inhalts willen lesen , der Muslim von Kind auf an den
Gedanken gewöhnt wird, Allahs Rede sei ganz anderer Natur als
die des Menschen , auch wo beide einander zum Verwechseln ähnlich
scheinen ; das Kind bemerkt , wie die Leute , wenn sie anfangen , Got-
tes Wort zu reeitieren , andere Gesichter und andere Stimmen machen ,
Laute und Endungen sprechen, die sonst nie gehört werden, und
bald geht es in die Schule, sich auch selbst solchen Vortrag eigen
zu machen. Die Autoritäten der Gesetzeskunde sagen, wenn man
durch Dikr oder Gebet Allah verherrliche , sollte man eigentlich im-
mer verstehen, was die gebrauchten Formeln besagen, weil nur
der Vortrag des Quräns von Gott unabhängig vom Verständnis
des Inhalts belohnt werde. Es hat einmal Sprenger, wenn ich nicht
irre, das allmähliche Unverständlichwerden eines heiligen Textes
für die Gemeinde, die ihn anerkennt, mit dem Beispiel einer
prüden Engländerinn beleuchtet, die ohne etwas zu bemerken,
1) Auf der andern Seite hat gerade die sorgfältige Pflege der überlieferten Aus-
sprache des Quräns die folge, dass bei manchen übrigens wenig gebildeten Leuten ein
feineres Sprachgefühl entwickelt wird. Zur Erhaltung dessen, was von den altarabischen
Lauten noch in der Volkssprache lebt, hat die Qiräjeh gewiss viel boigetragen.
II 35
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Stellen aus der Bibel vorlesen hört , die ihr sonst überall den ärgsten
Anstoss geben würden. Aehnlich ist es mit dem Quran bei den heutigen
Muhammedanern; nur dass ihre Umgangssprache sehr viel weiter von
der quränisehen absteht als das heutige Englisch von dem der Bibel-
übersetzung , während ihnen als Dogma eingeprägt wird , der Quran
sei ohne weitläufige exegetische Studien , die man für die Gesetzes-
kunde und die Glaubenslehre nicht brauche, unverständlich. Die
Qiräjeh ist eine Gott verherrlichende, geheimnissvoll auf die Herzen
wirkende Musik, weder mehr noch weniger. Die Mahnung Gha-
zälfs, man solle doch lieber etwas weniger recitieren, die recitier-
ten Partien aber zu verstehen suchen, ist völlig verschollen; für
Gelehrte und Laien bilden das Studium der Exegese und die
Quränrecitation zwei verschiedenartige Gebiete, fast ohne Zusam-
menhang. Was man aus der Exegese für Lehre und Leben braucht,
das lernt man übrigens doch im Fiqh und in der Dogmatik in
besserer Ordnung.
Wie gefährlich es ist, auf eigne Faust den Qurän zu erklären,
das musste vor einigen Jahren ein nach Mekka gereister Gelehrter
aus dem Maghrib empfinden. Es war ein grundgelehrter Mann
von seltener Originalität, aber von unerträglichem Dünkel. Im
Audienzsaal des Grossscherifs schonte er seine mekkanischen Kollegen
so wenig , dass er z. B. einmal einen angesehenen Gelehrten , der
einen grammatischen Fehler im Gespräch beging, mit lautem iftah
cainak, wpass einmal auf!” unterbrach und ihm vor der ganzen
Gesellschaft eine Lektion ertheilte. So ging es überall; wo ein Ge-
dicht recitiert oder ein einzelner Vers angeführt wurde, bemängelte
er die Lesarten; er schimpfte über mehrere Kollegien, wo er hos-
pitiert hatte; kurz, kein Vertreter der Wissenschaft ging ohne Hiebe
aus. Obgleich nun die Gelehrten Mekka’s durch ihre Ueberzeugung ,
dass Mekka in dieser verderbten Zeit der wahre Hort der Reli-
gionswissenschaft sei, nicht verhindert werden, die Vorzüge bedeu-
tender fremder Kollegen, namentlich in den Instrumcntalwissen-
schaften, unbedingt anzuerkennen, so traten sie doch dem einge-
bildeten Maghribiner mit begreiflichem Unwillen entgegen. Das
nützte ihnen wenig, weil der Mann sich der Gunst einiger einfluss-
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reicher Herren erfreute; sie mussten sich darauf beschränken, eine
Gelegenheit zur Rache abzuwarten. Diese bot sich dar, als der ex-
centrische Pedant einst in einer Gesellschaft einen Quränvers (II :
228) in höchst origineller Weise erklärte. » Eure Weiber sind euch
zum Acker ; also nähert euch eurem Acker , wo ihr wollt ” heisst es
im heiligen Buche , und die exegetischen Autoritäten ’) wollen darin
die Leugnung der unter den medinensischen Juden zur Zeit Mu-
hammeds verbreiteten Anschauung lesen, als wäre eine gewisse
Stellung in der Beiwohnung schädlich für die zu erzeugenden Kin-
der. Unser Maghribiner verbesserte die übliche Erklärung dahin,
man dürfte sowohl hinten als vorne den Acker besäen. Sobald diese
Neuigkeit bekannt wurde, ging der Lärm los; es dauerte nicht
lange, bis der allgemeine Aerger den Exegeten zwang, einstweilen
nach Medina überzusiedeln. Hier lebte er einige Zeit ruhig; dann
fing aber wieder der alte Dünkel an, sich in ihm zu regen. Als
einmal vor dem Stadtthore unzufriedene Beduinen mit türkischen
Soldaten an einander geriethen, schaute eine Gesellschaft von Ge-
lehrten von einem Dache dem Kampf zu. Der Maghribiner war
auch dabei, und wie nun ein Litterat einen zur Gelegenheit pas-
senden Vers anführte, konnte jener nicht unterlassen, eine andere
Lesart als die richtige zu bezeichnen. »Jawohl”, antwortete ihm das
Objekt seiner Kritik, »so lautet der Vers nach dem Madhab (Ri-
tus) der Leute von Sodom!” Bald darauf verliess der Krittler auch
die Stadt des Propheten und kam nicht wieder in den Hidjaz.
Zwischen dem Qalat des Sonnenuntergangs und dem des cJschä
ist gerade für eine Vorlesung Zeit genug. Jeder Student bringt zu
diesen und den späteren Abendkollegien seinen mit einer Wachs-
kerze versehenen Fänüs1 2) mit und zündet ihn gleich nach dem
Qalät an; auch neben die Polster der Professoren stellen ihre Die-
ner grosse Fänüse, denn die zu gleicher Zeit angezündeten gläser-
1) Aoltcrc Autoritäten haben allerdings die von unserem Maghribiner wieder aufge-
deckto Ansicht vertreten, aber das weis» man in Mekka längst nicht mehr; man könnte
aus den älteren exegetischen Werken massenhaft Stellen aiiführen, die in Mekka Stau-
nen und Aorgcr erregen würden.
2) Vergl. oben S. 163, Anm.
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nen Lampen der Moschee gewähren nur ein Halbdunkel, wobei
man nicht lesen kann. In der Hauptsache sind die Vorlesungen des
Maghrib gleicher Art wie die nach Sonnenaufgang ; die wissenschaft-
lichen Grössen lesen fast alle Fiqh-, einzelne Ufül al-fiqh und der-
gleichen. Bei den abendlichen Fiqh-vorlesungen beobachtet man in
den Halqak's viele Beduinengesichter; es sind Bewohner der Vor-
orte und der südwestlichen Stadtviertel, Mecharridjin und Söhne
von solchen. In ihren Vierteln haben sie je eine kleine Moschee,
wo ihre Knaben den muslimischen Elementarunterricht gemessen;
die Frommen gehen aber zur Maghrib-andacht in den Haram, und
die am längsten den Unterricht ihres Fdqxh genossen haben, be-
nutzen die l1/. Stunde bis zum Clschä zur Vermehrung ihrer
Kenntnisse. Ich habe unter diesen Halbbeduinen Leute gekannt,
die gründlich in der Grammatik zu Hause waren; Andere gehen
gleich in die Fiqhvorlesungen und lassen sich dann auch vom
jüngsten Knaben gern über das belehren, was sie nicht verstehen.
Gewöhnlich zeichnen sich diese Harbl’s durch Intelligenz und an-
ständige Sitten aus; nur dass sie immer, auch im Hause, schreien,
als riefen sie Einem, was sie sagen, aus der Ferne zu.
Zum ' Jschä lösen sich die Kreise wieder auf und werden die
Lichter in den Fanüsen ausgelöscht; auch sind es nicht dieselben
Halqah's, die man nach Vollendung des letzten obligatorischen
Nacht?alät, hauptsächlich im Hofe der Moschee, sieht. Die Fächer,
mit denen man sich so spät beschäftigt, sind vielmehr die gleichen,
welche nach dem zAqr dociert werden, während jüngere, freiwillige
Docenten und Repetitoren nicht ohne vornehme Geberden in den
Säulenhallen die Worte der Weisheit verkünden, die sie, so zu
sagen, gestern selbst zuerst vernommen haben. Nach diesen letzten
Kollegien werden die Räume des Heiligthums allmählich leer; hie
und da liegt Einer auf seiner Matte oder seinem Teppich und
schläft; einzelne Fromme halten für sich freiwillige Nachtpaläts ab
oder sorgen dafür, dass der Matäf nicht ganz menschenleer sei,
obgleich der Tradition nach Engel und Dschinn nie verfehlen , ihre
Umgänge um die Kalrah zu verrichten, wenn die Menschen nach-
lässig sind.
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Am Dienstag und am Freitag ') gelten nicht einmal die lockeren
Bestimmungen, die sonst dem Universitätsleben immerhin etwas
Regelmässiges geben; es fehlt aber auch dann nicht die Gelegenheit,
Kollegien zu hören. Am Freitagmorgen pflegte (1884 — 5) der oben1 2)
genannte Muhammed Sacid Bä-Be<;el sich dem wissbegierigen Theile
des schönen Geschlechts zu widmen. Mädchen und Weiber aus den
besseren Ständen wurden dann von ihm nicht sosehr in ein Fach
der Wissenschaft eingeführt, als mit allerlei ihnen nützlichen Sät-
zen aus verschiedenen Disciplinen (Fiqh , Glaubenslehre , Tradition
und auch allgemeine Bildung, Adab) bekannt gemacht. An ande-
ren Tagen hielt derselbe Schech nach dem '//fr gleichfalls für ein
weibliches Auditorium predigtähnliche Vorträge. Sonst wird am
Freitag Vormittags nicht gelesen, weil das Gesetz allen Frommen
anempfiehlt, möglichst früh in die Moschee zu gehen, ihre Plätze
für den wöchentlichen Gottesdienst einzunehmen und sich bis zum
Anfang desselben mit Quränrecitation , freiwilligen Qaläts oder Dikr
(Hersagung von Litaneien) zu beschäftigen. Sobald aber die Pre-
digt und das ihr unmittelbar folgende obligatorische Qalfit (welches
an die Stelle des täglichen Mittagspalät tritt) beendigt sind, be-
mächtigt sich die Wissenschaft des verfügbaren Raumes und am
Dienstag wird auch wohl Vormittags dociert. Der Unterschied von
anderen Wochentagen besteht darin , dass sich keine am Dienstag
oder am Freitag gehaltene Vorlesung denen von anderen Tagen
anschliesst, dass die Kreise weniger zahlreich sind und dass man
hauptsächlich solche Fächer pflegt, für welche das Herkommen
keine ordentliche Stunde der gewöhnlichen Tage bestimmt hat.
Dazu gehören alle höheren Instrumentalfächer, gelegentlich auch
die Rechenkunst, dann die Quränexegese und die heilige Tradition,
endlich auch die bisher in diesem Zusammenhang von uns noch
nicht erwähnte Mystik.
Was wir oben 3) aus Ghazäll’s Encyklopädie der muslimischen
Wissenschaft mittheilten, könnte ein allzu imgünstiges Urtheil über
1) Vergl. oben S. 247.
2) S. 255. 3) 8. 213—4.
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den Werth des im Haram ertheilten Unterrichts begründen. Die
Handhabung der »Instrumente” (Flexion, Grammatik, Poetik,
Logik , Rhetorik) erlernen die Studenten ; auch bekommen sie genug
vom Lebensbrot (dem Fiqh), das sie mit Hülfe jener Instrumente
einnehmen , und von dem prophylaktischen Arzneimittel, der Dog-
matik. Das alles bedarf aber, wenn es seine Wirkung thun soll,
der Lebenskraft, und diese ist für den religiösen Menschen das
mystische Verhältniss zu Allah. Es könnte daher Wunder nehmen,
dass die Mystik in der herkömmlichen Universitätsordnung keinen
bestimmten Platz erhält, sondern sich gleichsam mit den ausfal-
lenden Stunden begnügen muss. Thatsächlich ist dies Verhältniss
jedoch gar nicht durch Nachlässigkeit herbeigeführt, es zeugt viel-
mehr davon, wie stark die «monistische Tendenz Ghazäli’s gewirkt
hat. Seitdem seine Dreiheit (Gesetzeskunde, Glaubenslehre, Mystik)
in der muslimischen Welt allgemein anerkannt ist, sind die schar-
fen Grenzen, die jene drei, früher einander manchmal feindlichen,
Disciplinen von einander trennten, immer mehr verwischt. Alle
grösseren Werke über das Fiqh enthalten Lehnsätze aus der Dog-
matik, die manchmal einzelne Glieder des Gesetzes erklären und
mit den übrigen verbinden; auch weisen die späteren Gesetzesleh-
rer bei jedem Anlass darauf hin, dass die Beachtung aller von
ihnen entwickelten Vorschriften beim himmlischen Richter erst dann
als verdienstvoll gilt, wenn darin das persönliche Verhältniss des
Frommen zu Gott ausgedrückt wird. Nicht minder sind die dog-
matischen Handbücher mit mystischen Sprüchen gespickt; beide,
Gesetz und Dogma, werden aber natürlich in den specifisch mys-
tischen Werken als bekannt vorausgesetzt.
Ohne Koncessionen ist die Zusummenschmelzung nicht zu Stande
gekommen ; die Fiqh-biicher verponen' aus höheren Gesichtspunkten ,
was sie zuerst nach der eigenen Kasuistik als erlaubt dargestellt
haben; viele Mystiker dagegen) 'empfehlen ohne Scheu dies und
jenes Umgehungsmittel ( Hilah ) der Schriftgelehrten. Indessen ist
nun durch diesen Lauf der Dinge die besondere Behandlung des
Tafawwuf den Meisten entbehrlich geworden. Dazu kommt, dass
sich der Unwille gegen mystische Ausschreitungen in ältester Zeit
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in Ueberlieferungen dokumentiert hat, von denen die gemässigteren
in die kanonischen Sammlungen aufgenommen sind ; diesen zufolge
ist das Tagawwuf als Ketzerei zu betrachten, wenn ihm nicht eine
gründliche Beschäftigung mit dem Gesetz vorangegangen ist. Ur-
sprünglich wurden damit allerdings nur die mystischen Genossen-
schaften gewissermaassen zur Ordnung gerufen, und andererseits
hat man sogar die gleichfalls zur Kanonicität gelangte Ueberliefe-
rung aufgestellt, das Gesetzesstudium ohne Mystik sei unfruchtbar;
nach wie vor sehen aber die Studenten in jener ersten Tradition
eine Warnung vor verfrühter Versenkung in Geheimnisse, die Un-
erfahrene irre machen könnten.
In den Vorlesungen, die namentlich am Freitilg und am Diens-
tag, aber auch sonst an den Stunden, wo nicht die Gesetzeskunde
das Hauptgericht bildet, der Mystik gewidmet werden, findet man
also meistens ältere Leute oder weit vorgerückte Studenten. Alle
Bücher, die man diesem Unterricht zu Grunde legt, sind mehr
oder weniger Excerpte und Kompilationen aus den Werken Gha-
zalfs. Wer dessen »Belebung der Religionswissenschaften” gelesen hat ,
hört hier kaum ein neues Wort; dies grosse Werk selbst las 1884 — 5
der Rektor gleich nach dem Freitagsgottesdienste, und an anderen
Tagen trug er noch eine eigene mystische Kompilation vor , die er
auch zu drucken beabsichtigte. Sehr bezeichnend ist es für den
heutigen Islam, dass die Worte GhazälT’s, die sich mehr als alle
anderen im Haram vorgetragenen an das Ilerz des Frommen rich-
ten, jetzt als sehr geheimnisvoll gelten. Wenn überhaupt etwas in
dem Hauptwerke Ghazäll’s schwer zu verstehen ist, so sind es
einige schon damals landläufige Phrasen der Mystiker, in die je-
doch der Meister, wenn es irgend geht, einen ethischen Sinn hin-
eingelegt hat. Die höhere moralische Erziehung des Menschen, die
alle Wissensfächer als Mittel zur tiefsten Erkenntniss Gottes ver-
wenden sollte, wobei die Erfüllung des Gesetzes zur natürlichen
Folge der Liebe wird, ist also selbst zu einem eigenen Fach her-
abgedriickt worden, an dem man nicht weniger herumgrübelt als
an der Kasuistik oder Dogmatik. Es ist, als gehörte im Islam töd-
tender Formalismus zu jener Natur, die man vergeblich zur Vor-
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derthür hinaustreibt, weil sie gleich von hinten wieder herein-
schleiclit. Sogar GhazälF dachte nicht entfernt daran , die Formen
als unwesentlich vom Inhalt zu unterscheiden; er konnte nur ver-
suchen die für alle Zeiten geltenden rituellen, socialen und politi-
schen Gesetze, die dogmatischen Formeln und die mystische Ge-
heimsprache mit ethischen Gedanken zu beleben. Dadurch hat er
immerhin die Wege eröffnet, auf welchen auch ethisch hoch be-
anlagte Geister im orthodoxen Islam das Heil suchen können; im
grossen Ganzen assimilierte sich aber der spätere Islam auch jene
ethischen Sätze nur als neue Formeln.
Auch abgesehen von den Schätzen, die GhazälT somit für aus-
nahmsweise hochstrebende Geister aufgespeichert hat , bot die ethische
Richtung seiner Mystik dem Islam unverkennbare Vortheile. Zu sei-
ner Zeit war das Tngawwuf längst eine gewaltige Macht im Islam ;
sogar die Anschauung, dass man auch ohne Mystik ein Gott an-
genehmes Leben führen könne, fand in maassgebenden Kreisen
keine Vertreter mehr. Waren doch Muhammed und seine edelsten
Genossen, seine rechtgeleiteten Nachfolger und die frommen Führer
jedes Jahrhunderts nach der späteren Vorstellung alle Qüfl’s gewe-
sen. Es fntgte sich nur noch , in welcher Weise der Gläubige zum
innigen persönlichen Verkehr mit Gott gelangen konnte, nament-
lich ob die »Wege” (Tariqah'a) , die von den Gründern mystischer
Orden geebnet waren und worauf man später nur mit Hülfe ihrer
Vertreter wandeln konnte, die einzigen seien, die zum Ziel führ-
ten. Wäre die bejahende Antwort durchgedrungen, so hätten die
Ordensmeister auf die ganze muslimische Gemeinde einen Einfluss
bekommen, der den Vertretern der heiligen Wissenschaft auf die
Dauer gefährlich werden musste; diese konnten ja nie eine höhere
Rolle beanspruchen als die der Ausleger kanonischer Schriften ,
denen ihre eigne Person sowohl als ihre Schüler nichts hinzufügen
durften , während bei jenen die persönliche Leitung des geistigen Füh-
rers Alles war und das geschriebene Wort der im Orden überlieferten
geheimnissvollen Wahrheit nur zum gefügigen Gewände diente. Kein
Wunder, dass zur Zeit GhazälT’s Schriftgelehrte und Dogmatikerden
Ordensschechen meistens eifersüchtig entgegentraten!
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Einer scharfen, unzweideutigen Lösung jener heikein Frage ging
Ghnzäli bedachtsam aus dem Wege; sein wohlgelungener Ver-
such der Vermittelung wollte eine solche bloss nnbahnen. Der nicht
zu beseitigenden Macht der Orden trug er Rechnung durch An-
erkennung ihres Werthes, den Vertretern der Wissenschaft gab er
aber zu, dass sich viel Spreu unter dem mystischen Korn befinde;
vor falschen und ausgearteten Bruderschaften warnt er dringlichst.
Dem Zeitgeiste machte er (leider!) die Koncession, einen persön-
lichen Führer auf dem »Wege” der Mystik als nothwendig dar-
zustellen; er sagt jedoch nirgends, dass man sich dazu eines Or-
densschechs zu bedienen habe , betont vielmehr die Wichtigkeit einer
sorgfältigen Wahl, weil man ja dem Murschid (Führer) seine höch-
sten Güter anvertraue. Rechtgliiubigkeit , Pünktlichkeit in der Be-
obachtung des Gesetzes und sittliche Eigenschaften sollen dabei als
Kriterien gelten, Bedingungen also, an denen auch der Dogmatiker
und der Schriftgelehrte nichts aussetzen konnten. Alle Mittel, deren
sich die »Brüder” zu bedienen pflegten, sogar die Dikrs mit scha-
manistischen Zuthaten, mit wilden Bewegungen, Sang und Tanz,
hypnotisierenden und berauschenden Uebungen nimmt er mit in
den Kauf, wenn sie nur zur Erzeugung ethisch-religiöser Empfin-
dungen benutzt und nicht etwa selbst als Ziel betrachtet werden
oder gar der Unsittlichkeit zum Vorwand dienen. Ghazäli dürfte
wohl selbst dem herrschenden Vorurtheil gehuldigt haben, als wa-
ren einige von jenen, den Naturvölkern eigenen, wilden Bniuchen
unerlässlich zur Hervorrufung der höchsten Gottesbegeisterung oder
doch natürliche Aeusserungen derselben. Durch die konsequente Her-
vorhebung des ethischen Elements wurde aber der Reinigung der
religiösen Empfindungen von jenen barbarischen Beimischungen vor-
gearbeitet: in die Schule trat die Mystik ohne Schreien und Kör-
perzuckungen ein , und mit Recht schreibt sich gerade dieses ruhig
ethische Tagaietouf, trotzdem es sich allzu formalistischen Neigungen
hingab, immer vom Grossmeister Ghazäli her. Andere berühmte
mystische Schriftsteller, die sich mit Vorliebe im Dunkeln aufhal-
ten und sich hauptsächlich der Ergriindung von aller Welt verbor-
genen Dingen und einer profanen Wesen unverständlichen Sprache
H 96
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erfreuen, wie z. B. Ibn al-'Arabl und Scha'ränl , werden in den Hal-
len der Universität fast ebenso sehr gepriesen, aber sehr viel we-
niger gelesen als der Verfasser der »Belebung der Religionswissen-
schaften”. Es zeugt immerhin für den Islam , dass er so zu diesem
hinneigte.
Dem Ordenwesen Einhalt zu thun hätten weder Ghazäll noch
seine Nachfolger vermocht, wenn sie es auch gewollt hätten; dazu
wurzelte es viel zu lief im religiösen Volksleben. Sogar einer wirk-
samen Kontrolle widersetzten sieh allerlei Schwierigkeiten: wenn
nicht , wie in einem oben *) berührten Fall , Streitigkeiten die Scheche
oder Brüder selbst veranlassen , sich auf die Vertreter des Gesetzes
zu berufen, so giebt es kein Mittel, das intime Leben einer Tari-
qah regelmässig zu beobachten; wo sich aber populäre Mystiker in
irgend einer Weise gegen die Orthodoxie versündigen , müssen ihre
Bekämpfer manchmal auf fanatischen Widerstand von Seiten der
unteren Klassen gefasst sein. Ausserdem haben bedeutende Gelehrte
sich oftmals dahin ausgesprochen, nicht nur Worte, sondern auch
gewisse Handlungen , die gewöhnlich als tadelnswerth gelten , hätten
bei gotterleuchteten Qüfl’s einen hohem Sinn , und man habe sich
daher vor ungerechter Verurtheilung zu hüten. Wie schwierig wird
es unter solchen Umständen , in bestimmten Fällen zu entscheiden ,
wenn nicht die Willkür einer kräftigen Regierung eingreift!
Hervorragende Gelehrte haben in ihren Schriften öfter die popu-
lären Tariqah's mit ihrer abgeschmackten Thaumaturgie und ihren
lärmenden Aufzügen gemissbilligt und ihre Geringschätzung der
centralasiatischen Bettelderwische und der Ordensscheche geäussert,
die nur auf Vermehrung ihrer Adepten hinwirken; höchst selten
wagt es aber einer, in der eigenen Umgebung einem blinden Blin-
denleiter entgegenzutreten. Ausserdem sind die Uebelstände in der
heutigen muslimischen Gemeinde einer wohlwollenden Beurtheilung
der Bestrebungen mystischer Scheche von Seiten der c Ulamü äusserst
förderlich. Ueberall sinkt die politische Macht des Islam’s und macht
sich in seinem Gebiete der Einfluss der europäischen Kultur in zu-
l) S. sw ff.
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nehmender Weise bemerkbar. Vergeblich bemühen sich die officiel-
len Vertreter der Religion, dem Strome einen Damm entgegen-
zustellen: hetzen sie das Volk zur Bekämpfung des Frankenthums
auf, so werden sie von hoher Stelle zur Vorsicht gemahnt, und
erinnern sie die Herrscher an ihre theure Verpflichtung, die Fahne
des heiligen Krieges zu entfalten, so bekommen sie zur Antwort
ein bedauerndes Kopfschütteln. Da wirft ihnen nun die populäre
Mystik einen Blick des Einverständnisses zu; sie versteht es, fana-
tisch begeisterte Massen zu organisieren, die dem Worte der Führer
gehorchen , auch wenn ihre irdischen Interessen dadurch geschädigt
werden, Leute, die sonst ohne religiöse Kenntnisse mit der musli-
mischen Schahädah im Munde und viel Aberglauben im Herzen
dahinleben, an sich zu fesseln und mit Hingebung für die Sache
des von Allahs Feinden erniedrigten Islam’s zu erfüllen. Soll man
sich wundern, wenn die Gelehrten in solchen Erfolgen Gottes Hand
erblicken ?
Theoretisch behält freilich die Anschauung Kraft, dass erst nach
genügender Bekanntschaft mit Gesetz und Dogma die mystische
Erziehung segensreich wirken kann. Nirgends ist es jedoch verbo-
ten, Dikr’s zu Ehren Allahs und Muhammeds abzuhalten; solche
finden ja täglich in geselligen Kreisen statt, wo ein Familienfest
zu einer Mahlzeit Anlass bietet, und der Qurän empfiehlt das Dikr
(die Erwähnung) von Gottes Namen an unzähligen Stellen. Wenn
nun die Erfahrung lehrt, dass die grossen Volksklassen, die keinen
genügenden Unterricht geniessen und so vom Geraeindeleben fern
bleiben, sich durch die Uebungen der Tariqah’s mächtig angezogen
fühlen, auf intimen, persönlichen Verkehr mit Schechen und C ha-
lt f ah' ul und durch deren Vermittelung mit den Heiligen und mit
Gott den grössten Werth legen, wie sollte sich nicht jeder Recht-
gläubige darüber freuen?
Wo die Vertretung einer Tarfqah augenscheinlich nur zur finan-
ziellen Ausbeutung der abergläubischen Masse dient, werden die
falschen Leiter nach wie vor von den Gelehrten scharf getadelt;
auch achten sie genau darauf, ob die Murret * vor der Aufnahme
in die Tarigah von den Schechen zur strengen Beobachtung der
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bis dahin von ihnen meistens vernachlässigten religiösen Verpflich-
tungen angehalten werden. Letzteres geschieht fast in allen bedeu-
tenden Orden ; den neuen Kandidaten ist der geheim nissvolle Segen ,
der durch Vermittelung der heutigen Ordenshäupter von den heili-
gen Stiftern ausgeht, wie die Lockspeise, wovon sie erst dann et-
was zu geniessen bekommen, wenn ihr Leben dem göttlichen Ge-
setze einigermaassen entspricht. Nach der vorläufigen Bekehrung
fangen für sie die speciellen Tariqah-nh\mgvn an : aus dem Munde
des Lehrers lernen sie einige einfache Formeln, die sie in vorge-
schriebener Position nach einem oder mehreren von den täglichen,
obligatorischen Qaläts herzusagen haben; täglich halten sie unter
Leitung des Schechs oder seiner Gehülfen im Kreise der »Brüder”
besondere Dikr’s ') mit genau geregelten Bewegungen ab ; wöchent-
lich einmal werden die Einzelnen vom Schech in einer Zelle emp-
fangen *) und erhalten von ihm eine specielle Aufgabe mystisch-
ritueller Art. Für Viele bleibt es bei diesen Aeusserlichkciten , aber
wenn sie nach einigen Monaten solchen Unterrichts heimkehren,
so hat doch die 'l'ariqah fromme Muslime aus ihnen gemacht , denn
sie verpflichten sich feierlich zur regelmässigen Fortsetzung der üikrs
und somit zur Verrichtung ihrer Qalät’s, ohne welche jene des Se-
gens entbehren. Auch schliessen sie sich, wo sie immer hinkommen,
den anwesenden »Brüdern” zu gemeinschaftlichen Uebungen an,
gehorchen den Vertretern ( Cha/ifa/t'g ) des Ordensschechs und unter-
stützen einander, wenn es Noth thut.
Höher entwickelte Mund' s und auch solche, die längere Zeit
unter direkter Aufsicht des Schechs oder eines Challfah leben , dringen
tiefer in die Geheimnisse des Ordens ein ; ihr Verhältnis zum Lehrer
gestaltet sich inniger, bis sie endlich den feierlichen Bund ( *Ahd )
mit ihm eingehen.J Von da an dürfen sie nichts Wichtiges unter-
nehmen , ohne vorher die Zustimmung des Meisters einzuholen , und
jedesmal , wenn sie sich von ihm entfernen , erthcilt er ihnen genaue
Regeln für ihre Lebensführung oder verweist auf seinen Stellvertreter
1) Solche Uebungen heissen wohl Tachiim.
2) Diese intimen Zusammenkünfte heissen Tawudjuh.
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am Orte, wohin sie sich begeben. Aber auch die in der Vorhalle
des mystischen Heiligthums Stehenden müssen in vielen Tariqah's
den Eid des Gehorsams leisten, damit sie werden «in der Hand
des Schecks wie die Leiche in der Hand des Leichenwäschers" .
In den meisten Genossenschaften wird allerdings die Gelegenheit
zur Erlernung der gewöhnlichen Dikr’s des Ordens und dessen,
was dazu gehört, den Liebhabern ohne weitere Verpflichtungen
gewährt; so wird es möglich, dass eine Person Mitglied mehrerer
Orden ist. Daher sagen die »Brüder” manchmal, es mache nicht
so sehr viel aus, von wem man «die Tariqah nur des Segens hal-
ber nehme" ') , wogegen der Beschluss »mit einem Scheche den
Bund einzugehen" *) für die Ewigkeit entscheidet, denn der Bruch
des Bundes lädt auf den Schuldigen den Fluch Allahs und aller
Scheche, Propheten und Engel.
Schon bei oberflächlicher Betrachtung fällt Einem die hervorra-
gende Bedeutung auf, welche die Tariqah's für das religiöse Leben
Mekka’s und also auch aller muslimischen Länder haben , die auf ver-
schiedenen Wegen von der heiligen Stadt geistige Nahrung beziehen.
Auf dem Abhang des Berges Abu. Qubes steht nicht nur die Zä-
wijah der Senüsl’s 5) , sondern auch ein grosses Ordensgebäude des
Naqschibendl-ordens , welches vom SchSch Suleiman ') gestiftet ist
und von ihm und vielen Brüdern bewohnt wird. Zu den Kosten
haben ausschliesslich die von Suleiman in die Tariqah Eingeweihten
beigetragen ; ihre Schenkungen setzen ihn ausserdem in den Stand ,
hülfsbedürftige Brüder mit Speisen und Kleidern zu versehen, was
natürlich seinen Einfluss und die für ihn gehegte Verehrung be-
bedeutend erhöht. An den Festtagen des Ordens und aus ander-
weitigen Anlässen empfängt er dort sämmtliche in Mekka anwesende
Brüder und bewirthet sie in freigebigster Weise. Kleinere Ordens-
gebäude, die nur zu Versammlungen benutzt werden, sind sehr
zahlreich. Die anderen Scheche der Naqschibendijjah , Qädirijjah ,
1) jachud H-toriqah lil-barakah fagat (min oder 'an fuUin).
2) jachud kl-'ahd min fuldn.
3) Yergl. oben S. 69.
4) Vergl. oben S. 240 ff.
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SchSdilijjah usw bewohnen aber meistens geräumige Häuser, wo
jedes Zimmer von den kostbaren Gaben ihrer Verehrer überfüllt
ist; ihre Untergebene ( Chahfah's usw.) wohnen theils in ihrem
Hause, theils haben sie aus der Ordenskasse eigene Wohnungen.
Gemeinschaftliche Dikr's , wöchentliche Speisung und Geldverthei-
lung an ärmere Brüder, monatliche Festmahlzeiten am sogenannten
Haul ') des Gründers der Tariqah , das alles geschieht hier im Hause
des Schechs. Tägliche Versammlungen halten die Genossenschaften,
die kein eigenes Gebäude haben, vielfach nach Ablauf der (paläts
in der Moschee ab; oft hört man ein Mitglied an das andere, dem
er im Laufe des Tages begegnet, die vorwurfsvolle Frage rich-
ten: »warum warst du heute Morgen nicht in der Halqah der
Brüder?”
Abgesehen von Traktätchen der Scheche, die meistens auf mehr
oder weniger praktische Ziele ausgehen, beschränkt sich das Stu-
dium mystischer Werke in den Tariqah ’s auf sehr kleine Kreise,
und was die übrige Wissenschaft anbetrifit, so schämen sich viele
Scheche des Eingeständnisses nicht, sie wüssten davon genau das-
jenige, was sie für die Praxis brauchten, geben aber dabei zu er-
kennen, bei ihnen sei der Zusammenhang zwischen Wissenschaft
und Leben inniger und ernster als bei jenen gelehrten Köpfen, die
nicht in Anwendung bringen, was sie docieren; die heilige Tradi-
tion bezeichnet aber das »Wissen ohne (dementsprechende) Werke”
als geradezu schädlich.
Es irren sich indessen die europäischen Schriftsteller gründlich,
die behaupten, die Korporation der Gelehrten wäre den Tariqah' s
im Ganzen feindlich gesinnt. Zwar sind sie weit entfernt davon,
die heutigen Bruderschaften auch nur annähernd als die Verwirk-
lichung der von den Gründern entworfenen Pläne zu betrachten.
Sie wissen aber aus der Erfahrung sowie aus den Weissagungen
der Propheten, diese Welt sei bis zu ihrem Ende in religiöser Hin-
sicht in stetem Rückschritt begriffen, und können daher die Ent-
fernung zwischen Ideal und Wirklichkeit auf mystischem Gebiete
1) Yergl. oben S. 52 — 3,
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nicht den einzelnen Schechen oder den Brüdern vorwerfen, zumal
das Verhältniss in ihrem eigenen Kreise nicht besser ist. Die Be-
trachtung der oben angedeuteten riesigen Erfolge der Tariqah's ruft
bei ihnen Anerkennung und Bewunderung hervor; allerdings erregt
der überwiegende Einfluss gewisser Scheche von Tariqah's ab und
zu die Eifersucht der Professoren, aber das sind einzelne Fälle,
die auf die Beurtheilung der Bruderschaften als solche nicht wei-
ter einwirken. Am deutlichsten spricht die Thatsache, dass meh-
rere hoch angesehene Professoren in Mekka zugleich Vertreter mys-
tischer Orden sind ; so z. B. von den oben gelegentlich erwähnten
der Schech Abd el-Harald aus Daghustan, sein Schüler Hasab Allah,
Muhamtned Qälih (der Vater des Abdallah) Zawäwl u. a. m. Selbst-
verständlich stellen -diese gelehrten Mystiker an die von ihnen Ein-
zuweihenden höhere wissenschaftliche Anforderungen als jene Scheche,
die selbst nur massige Dogmatiker und Schriftgelehrte sind, aber
sie tadeln es nicht , wenn Letztere bei ihren Schülern mehr auf die
ernste Richtung des Gemüths als auf die Summe der Kenntnisse
achten. Nur eine derartige Mission, wie sie von den Senüsi’s unter
den Harb-beduinen betrieben wurde1), ist und bleibt ihnen, trotz
dem äusseren Erfolge, anstössig.
Ungern sehen es immerhin alle Gelehrten, wenn ihre Schü-
ler sich in jugendlichem Alter und bevor sie noch in der Wis-
senschaft etwas erreicht haben, durch die Geheimnisse eines Or-
dens verführen lassen, weil dies ihren Studien gewöhnlich zum
Schaden gereicht; sie haben ja keinen berechtigten Grund, auf un-
regelmässigem Wege zu suchen, was sich eigentlich doch nur dem
in der heiligen Wissenschaft Bewanderten in reiner Form und in
vollem Maasse ergiebt. Die Tariqah’s, wie sie sein sollten, so lau-
tet ihre Mahnung, stehen in erster Linie euch offen , aber erst
nachdem ihr den langen Weg der Wissenschaft geduldig zurück-
gelegt habt; was sich nunmehr davon erreichen lässt, bietet sich
euch dann zunächts im Haram dar, wo Ghazäli die nach dem
Heile Begierigen in das Tagawwuf einführt, und ferner könnt ihr
1) Vergl. oben S. 70.
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euch einen persönlichen Seelsorger und Beichtvater wählen ohne
Gefahr der Verirrung. Die Tariqnh'a aber, wie sie grösstentheils
sind , erfüllen ihre nützliche Aufgabe in anderen Kreisen , denen
Allahs Weisheit die Gelegenheit zur wissenschaftlichen Bildung vor-
enthalten hat.
Wir haben im Obigen zur Genüge gesehen, wie kräftig die Pflege
der dreigliedrigen heiligen Wissenschaft (Gesetzeskunde, Glaubens-
lehre, Mystik) zur Erhaltung und Nahrung der religiös-politischen
Ideale des Islam’s beiträgt und in wie hohem Grade die mekkani-
sche Umgebung die durch den Unterricht hervorgerufenen panisla-
mitischen Gesinnungen und Hoffnungen verstärkt. Das Zusammenleben
von Studenten aus allen Himmelsgegenden belebt das Bewusstsein
der weiten Verbreitung ihrer Religion und beseitigt den von man-
chem Jüngling aus der von Franken beherrschten Heimath mitge-
brachten Gedanken, als wären die Muslime auf unabsehbare Zeiten
zur Knechtschaft verdammt. Sogar die Repräsentanten von Gross-
mächten in Djiddah wagen es nicht, die heilige Stadt zu betreten,
und ihr Sonderleben in der Hafenstadt lässt sie, aus der Feme
gesehen, als geduldete Mitbewohner von geringerer Rasse erschei-
nen. Einmal wurde freilich auf ihren Betrieb Djiddah bombardiert;
sollten sie sich aber erdreisten , Mekka anzugreifen , so würde der
Sultan.... nein, Gott selbst würde sic vom Himmel mit seinem
Blitz niederwerfen ! Sie denken aber gar nicht daran ; die Vorläu-
fer des Mahdi’s auf der andern Seite des Rothen Meeres machen
ihnen schon genug zu schaffen. Hier, in Mekka, sind wir alle
Unterthanen des Sullän el-Isläm; nicht einmal die gehässige Be-
kämpfung der Sklaverei macht sich hier bemerkbar. Man kann sich
denken, wie ganz anders hier die Lektüre der Kapitel vom heili-
gen Krieg, von den Verträgen mit Ungläubigen oder von der Ab-
schaffung der jüdischen und christlichen Otfenbarungen (wodurch
die jüdische und christliche Kultur als potentiell besiegt erschei-
nen) auf die Gemüther wirkt als etwa in einer indischen Moschee.
Ja, wahrlich, Mekka ist der Mittelpunkt der Welt, von Mekka
aus müssen dio Siege des erwarteten » Reell tgelei teten ihren An-
fang nehmen! Die meisten und die fleissigsten Studenten sind
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Fremde, die sich auf einige Jahre hier niederlassen und dann zum
guten Theil die hier errungenen Kenntnisse und Anschauungen in
ihrem Vaterlande verbreiten.
Nachhaltiger aber als die Nahrungsstoffe , die dein religiösen
Leben von oben herab zugeführt werden, wirken die in die brei-
teren, unteren Schichten aufgenommenen. Hier stellen sich die
Tariqah's ein: durch Einschärfung der minimalen gesetzlichen Ver-
pflichtungen und dogmatischen Kenntnisse beleben sie bei ihren
Mitgliedern das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit mit der
grossen internationalen Gemeinde; durch eine bunte Auswahl be-
täubender und berauschender Methoden gewähren sie den mensch-
lichen Leidenschaften einen Spielraum und gewinnen zu gleicher
Zeit die volle Verfügung über deren Verwendung; ihre altbewährte
Organisation ermöglicht es einigen Häuptern , jeden günstigen Augen-
blick für eine Massenbewegung zu benutzen. Auch auf die höheren
Klassen verfehlen die fariqah's ihre Wirkung nicht; in der Be-
amtenwelt und unter Leuten von gelehrter Bildung erfreuen sie
sich vieler Brüder und Verehrer; auf die Eigenthümlichkeiten sol-
cher Anhänger muss natürlich Rücksicht genommen werden, aber
dazu giebt es ja viele Orden mit verschiedener Einrichtung und
haben die »Beichtväter” innerhalb weiter Schranken die Befugniss,
den Anlagen der Individuen Rechnung zu tragen. Politische Grös-
sen bewerben sich eifrig um die Gunst von Schechen, die so zahl-
reiche Schaaren in der Hand haben. Ganz wie die Universität
gewinnt in Mekka auch die Mystik der Genossenschaften ihre Schü-
ler hauptsächlich von auswärts: Malaien, Türken und Inder liefern
das Hauptkontingent. Von oben und von unten werden deren Ko-
lonien also in panislamitischem Sinne bearbeitet; die Pilger, deren
Aufenthalt sich bloss auf einige Monate beläuft, werden ebenfalls
in grosser Zahl für die Tanqah's angeworben in der Zuversicht,
der mangelhaften mystischen Erziehung, werde später nachgeholfen
werden, da sie nun ein für allemal den erwünschten Wirkungen
offenstehen.
Welche Missbrauche auch in angesehenen Tariqah’s am gewöhn-
lichsten um sich greifen , lässt sich leicht errathen : Alle , die im
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Orden ein Amt bekleiden, bekommen gelegentlich Geschenke für
ihre Person oder Gaben für die Bruderschaft, worüber sie frei
verfügen dürfen. Sie sind daher der Gefahr ausgesetzt, den mate-
riellen Accessorien die Hauptaufmerksamkeit zuzuwenden und auch
sonst ihren allzu grossen Einfluss auf die Gemüther noch zu ande-
ren Zwecken zu verwenden als dem, ihre AfuricTs auf den Pfad
der Gotteserkenntniss zu führen und die Ideale des Islam’s in ihren
Herzen zu beleben. Alle üblen Folgen, die zu grosse unkontrol-
lierte Macht von Menschen über Menschen herbeiführt, treten na-
turgemäss in den TariqaK» ans Licht. Die Silsilah , d. h. der
geistige Stammbaum des Schechs, zeigt wie der eigene, geheim-
nissvolle Unterricht des Ordensgründers von Mund zu Mund bis zu
ihm gekommen ist; mehr noch: wie die irdische Genealogie eines
Adligen als Beweis dient, dass seine Adern das Blut des vorneh-
men Ahnherrn durchströmt, so thut die Silsilah dar, dass ihr
rechtmässiger Besitzer die * Geistigkeit" ( Rühanijjah ) des heiligen
Stifters in sich trägt. Aus ihm spricht also der verklärte Epony-
mus des Ordens. Ihrerseits geht aber dessen »Geistigkeit” in glei-
cher Weise durch eine Silsilah auf einen der Genossen des Prophe-
ten , und so weiter durch Vermittelung Muhammeds auf Gott selbst
zurück! Zu den hypnotisierenden Gedanken, welche das Dikr ge-
wisser Orden begleiten müssen, gehört es, dass man unter tausend-
und aber tausendmaliger Hersagung des Glaubensbekenntnisses sich
die Anwesenheit Gottes im eignen Herzen unaufhörlich vorstelle.
Da jedoch so erhabene Vorstellungen dem Anfänger kaum möglich
sind, muss auch hier »vermittelt” werden. Er denke sich zunächst
bloss die Gestalt seines Schecks im Herzen und nach oft wieder-
holten Uebungen wird es ihm gelingen, sich durch dessen »Geis-
tigkeit” zu Allah zu erheben. Immer und immer wieder der un-
entbehrliche Schech, der wirklich ohne Vorbehalt als Stellvertreter
Gottes für die ihm untergebenen »Brüder” bezeichnet werden muss.
Zum Schluss unserer Skizze des wissenschaftlichen Lebens in
Mekka sei nur noch auf einzelne Abweichungen vom gewöhnlichen
Gang des Unterrichts im Haram hingewiesen. Abgesehen von Un-
regelmässigkeiten, die durch den Willen oder die Verhältnisse der
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Professoren und Studenten verschuldet sind, herrscht die von uns
beschriebene Ordnung während der ersten sieben Monate des Jah-
res ziemlich ungestört. Nach der Mitte des 7ten Monats, Redjeb,
bestimmen die Lehrer eine Stunde des Tages (z. B. die des Kollegs
nach dem Maghrib) zur erbaulichen Vorlesung der Geschichte von
Muhammeds Himmelfahrt ') , deren Jahrestag am 27l 2 3'n wiederkehrt.
Aehnlich, aber weniger allgemein, ist es schon während der ersten
Tage des 3*'11 Monats (Rabic el-Awwal) mit Bezug auf die Lebens-
geschichte (Mölid) Muhammeds gegangen; nur deshalb unterbricht
man behufs des Mölid die ordentlichen Kollegien nicht so häufig,
weil es ja fast täglich in Mekka mehrere »Mölid’s” *) giebt. Im
8ten Monat SchaTmn treten natürlich am Abend des 15,e“ *) die
Vorlesungen hinter den Gebeten um Auswaschung verhängnissvoller
göttlicher Dekrete zurück. Ausserdem fangen aber alle Lehrer in
den ersten Tagen dieses Monats an, das Kapitel von den Fasten
zu lesen, um sich und ihre Schüler auf genaueste Beobachtung
der gesetzlichen Vorschriften im nahenden Fastenmonat Ramadhän
vorzubereiten. Die Fastenkollegien treten an die Stelle irgend eines
von den gewöhnlichen; nur dass man die Zusammenkünfte nach
der Morgendämmerungs^alät am liebsten nach wie vor dem glei-
chen Gegenstände widmet, der von Jahresanfang an zu dieser Zeit
behandelt wurde. Man theilt den Stoff so ein, dass gegen die Er-
scheinung des Neumondes hin das Fastenkapitel beendigt ist; in
den meisten anderen Kollegien hört man da auf, wo man gerade
steht, denn dort giebt es kein bestimmtes Pensum, und jeder Ge-
genstand lässt sich unschwer für sich behandeln.
Sobald der »Schech Ramadhän” herrscht, ist das Universitäts-
semester endgültig abgeschlossen und solcher Semester hat hier
jedes Jahr nur eins. Wie die Gelehrten sich aber am Dienstag und
am Freitag trotz der offieiellen Ruhe um die Verbreitung der Wis-
senschaft verdient machen, docieren sic auch in den Ferienmona-
ten, soviel die Umstände es gestatten. Im Fastenmonat kann nur
1) Vergl. oben S. 70 — 1.
2) Vergl. oben 8. 147 f.
3) Vergl. oben 8. 76.
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nach dem Morgendämmerungs- und dem Nachmittagsyalät davon
die Rede sein, denn nach dem Mittag schläft alle Welt, nach
dem Maghrib ist die Zeit des Essens, und nach dem Msehä wird
die ganze Moschee während der Nacht von den TarätciA ') in
Anspruch genommen. An den beiden verfügbaren Stunden lesen
auch nur die allerfleissigsten Professoren, und zwar hauptsächlich
Dogmatik. Wenn Studenten darum bitten, wird nach dem cA?r
auch wohl Grammatik dociert, und im Jahre 1885 setzten zur
selben Stunde der schäfi'itische Mufti sein Kolleg über QurSnexe-
gese und der Scheeh 'Abbäs die Lektüre der Traditionssammlung
Buchärl’s fort. In kleinen Kreisen trugen gegen die Zeit des Fas-
tenbrechens hin einzelne Seheche erbauliche Schriften vor.
Wenn die Festtage des Schawwäl*) vorüber sind, werden all-
mählich die Gedanken der Mekkaner ganz von dem in zwei Mona-
ten bevorstehenden Pilgerfeste eingenommen; sogar die wenigen
Professoren, denen es gelingt, an einer Stunde des Tages in der
immer mehr von Fremden gefüllten Moschee für sich und ihre
Halqak Raum zu finden , beschäftigen sich ausschliesslich mit dem
Haddj , indem sie ihre Zuhörer durch die Lektüre des Kapitels
vom Haddj in einem Fiqh-buche oder einer von den vielen speciel-
len Anleitungen für den Pilger ( Manäsik) auf die Verrichtung einer
Gott angenehmen Wallfahrt vorbereiten , ähnlich wie das im SchaTiän
in Bezug auf das Fasten geschah. Einzelne Haddj-vorlesungen gehen
sogar bis in den eilften Monat (Du '1-qaJa/t) fort, aber dann setzt
der zunehmende Lärm des Pilgerverkehrs dem wissenschaftlichen
Eifer bald ein Ziel und ist an Wiederaufnahme der Kollegien vor
der Mitte des ersten Monats im folgenden Jahr gar nicht zu denken.
Beiläufig gedachten wir oben der Vorlesungen, die fremde Ge-
lehrte, um ihre Landsleute in die heilige Wissenschaft einzuführen,
mit Zuhülfenahme ihrer Muttersprache in ihren Privatwohn ungen
abhalten. Ihr Unterricht hält, was die Einthcilung und die Gegen-
stände anbetrifft, so ziemlich gleichen Schritt mit dem im Ilaram
ertheilten. Zufällig ist das nicht, denn die Stunden des Unterrichts
1) Yergl. oben S. 81 1.
8) Vergl. oben S. 98 ff.
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erhalten durch die Zeitpunkte der gemeinschaftlichen Qalats ihre
natürliche Bestimmung; die den einzelnen Fächern zugewiesene Stel-
lung ist mit deren relativer Bedeutung nach der Abschätzung des
heutigen Islam’s innig verknüpft; der gelehrten Vorbereitung zum
Fasten und zum Haddj sind die Studenten ausserhalb des Haram
nicht weniger bedürftig als die in der Moschee, und Beide unter-
brechen gern im Redjeb den alltäglichen Unterricht durch die er-
bauliche Lektüre der Himmelfahrtslegende.
Aus den Chroniken Mekka’s, die allerdings kulturgeschichtlichen
Momenten nur geringe Aufmerksamkeit schenken, kann man mit
Sicherheit erschliessen , dass sich in Mekka schon Jahrhunderte lang
ein ähnliches wissenschaftliches Leben regt wie das von uns be-
schriebene. Wenn ein so trefflicher Beobachter, wie Burckhardt es
war, darüber fast gar nichts erzählt*) und den Mangel der Mek-
kaner an wissenschaftlicher Bildung in sehr übertriebener Weise
hervorhebt1 2 3 * 5) , so ist das ein neuer Beweis der öfters von uns her-
vorgehobenen Thatsache, dass Mekka sich dem Pilger in ganz an-
derem Lichte zeigt als dem Ansässigen *). Eine von ihm erwähnte
Sitte will ich noch kurz beleuchten. Am Freitag, sagt er, nach
dem Mittagsgottesdienst pflegten einige türkische Gelehrte in der
Moschee je einen Kreis von Landsleuten um sich zu versammeln,
denen sie in ihrer Muttersprache religiöse Vorträge hielten. Beim
üblichen Abschiedskuss gäben ihnen die Zuhörer ein Geldgeschenk.
Diese Mittheilung hat noch heutzutage volle Geltung, wenn man
hinzusetzt: während der Universitätsferien, wenn die Moschee von
1) Travels in Arabia, I, S. 274 f., 390 ff.
2) Ö. c., S. 396. Auch für seine Zeit war dies Urtheil entschieden falsch, wie man
schon aus den modernen Chroniken Mekka’s, deren Existenz Burckhardt mit Unrecht
leugnete, zur Genüge entnehmen kann ; vergl. die Vorrede zu unserem I*«» Bande, S. XII.
3) An einer andern Stelle sagt Burckhardt (I, 401): n\ am not describe tho marriago*
feasts as celebrated at Mekka, not having attended any”, und die wenigen Mitthei-
lungen über hüuslichc Feierlichkeiten, die er jenen "Worten folgen lasst, sind mannig-
fach unrichtig. Es wäre mir leicht gewesen , auf mancher Seite meines Buches Bemerkungen
über bedeutende Fehler in Burckhardts Werke zu geben, aber der Leser wird mir hof-
fentlich aufs Wort glauben, wenn ich sage, ich habe das Buch gründlich studiert, ich
hätte ohne dasselbe das meinige kaum schreiben können, und ich hege zu grosse Ehr-
furcht gegen meinen trefflichen Vorgänger, als dass ich im Stande wäre, ihn zu be-
mängeln.
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türkischen Pilgern überfüllt ist, beuten in Mekka ansässige Tür-
ken ihre Landsleute in dieser Weise aus. Es sind »Gelehrte” nie-
drigsten Ranges, denn andere würden es für schimpflich halten,
so für die Mittheilung ihrer Kenntnisse bezahlt zu werden; auch
würden die Gelegenheitsprofessoren sich wohlweislich hüten , während
des Semesters der Vorlesungen ihre Thätigkeit im Haram fortzuset-
zen. Als im Monat Schawwäl 1302 (Juli 1885) ihr wöchentliches
Auftreten zuerst anfing, sagte mir ein Mekkaner, indem er mit
dem Zeigefinger auf sie hinwies: uda kommen die Frösche ” und
zur Erklärung seines WTitzes setzte er hinzu, die Frösche kröchen
immer hervor, wenn es (Pilger) geregnet habe, »natürlich, wegen
der Füidah (des Vortheils)”. Das sind aber Pfuscher auf dem Markte
der Wissenschaft.
Wenngleich nun Mekka in jedem Jahrhundert des Islands ange-
sehene Gelehrte zu seinen Bürgern gezählt und die heilige Wissenschaft
hier auch schon Jahrhunderte lang eine von ihren besten Werk-
stätten gehabt hat, so hat doch erst das Zusammenwirken verschie-
dener Ursachen in unserer Zeit aus der heiligen Stadt ein einzigartiges
Centrum wissenschaftlichen Lebens für die ganze muhammedanische
Welt gemacht.
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IV.
DIE DJAWAH.
Ein kundiger egyptischer Genieofficier, der seit einigen Jahren
in amtlicher Stellung die egyptische Pilgerkarawane und das Mah-
mal begleitet, hat zweimal einen Bericht über seine Reiseerfahrungen
drucken lassen '); in der 1886 von ihm veröffentlichten Beschrei-
bung ’) zählt er die nicht-ursprünglichen Bestandtheile der Bevöl-
kerung Mekka’s mit folgenden Worten auf: »Sie sind gemischt aus
»Djäwah, Indern, Egyptaru, Türken, Tekrüri’s, Jemeniten und
»Beduinen; ihre einzigen Handelswaaren sind Zemzemwasser, Henna
»und das Arakholz, aus dem man Zahnhölzer [die von den Mus-
»limen als Bürsten benutzt werden] macht. Die meisten Kaufleute
»sind Fremde; Einige legen ihr Geld auf Zinsen ( Ribh ), sodass sie
»10 leihen und 12 oder mehr zurückbekommen, oder sie beuten
»die Pilger nach Kräften aus, namentlich die Djäwah, weil diese
» wohlhabend und fromm sind” . Augenscheinlich hat der halbeuropäisch
gebildete Egvpter die Verhältnisse nur oberflächlich beobachtet,
aber nichts destoweniger ist es bezeichnend, wie er, ohne jede be-
sondere Veranlassung den Djäwah einen so hervorragenden Platz
einräumt. Unter diesem Namen1 2 3) begreift man in Arabien alle
1) Vergl. oben S. 141, Anm. 2.
2) Kaukab al-Haddj, S. 30.
3) Alle von ihnen bewohnten Landor heissen zusammen Biläd H-Djäwai; ein einzelner
wird sowohl Djäwah (Plur. Djäwdl) als Djäwi (Plur. Djäwah oder Djämjfm) genannt.
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Völker der malaiischen Rasse in der umfangreichsten Bedeutung,
die man diesem Worte beilegen kann; die geographischen Grenzen
sind etwa von Siam und Malaka bis nach Neu-Guinea. Muslime
und Nicht-muslimc bezeichnet man als DjSwah ; die Letzteren lernt
man allerdings nur als Sklaven kennen ') , aber mekkanische Rei-
sende kommen auch wohl einmal mit heidnischen oder mit solchen
Djäwah-völkerschaften in Berührung, die den Hinduismus beken-
nen. Eine Klasse von Djäwah, die ausserhalb jener geographischen
Grenzen liegt und in den letzten Jahren regelmässig Pilger nach
Mekka liefert, sind die Leute vom Kap der guten Hoffnung; sie
stammen von Malaien her, die früher einmal von Holländern nach
dem Kaplande mitgenommen waren, unter Beimischung einiger
Theile holländischen Blutes. Einige Wörter sind aus ihrer malaii-
schen Sprache in den seltsamen, abgeschliffenen holländischen Dia-
lekt der »Buren” übergegangen2); dagegen haben sie selbst ihre
Muttersprache gegen die Kap-holländische umgetauscht, natürlich
mit Beibehaltung vieler malaiischer Ausdrücke. Wenn man dabei
die echt-holländischen Namen mancher von diesen Ahl Käf (so
heissen sie in Mekka) in Betracht zieht, wird man versucht, zu
glauben, sie hätten heruntergekommene Holländer zu ihrer Reli-
gionsgemeinschaft herübergezogen , und manche unter ihnen vorkom-
mende Typen erhöhen die Wahrscheinlichkeit dieser Vermuthung.
Vom muslimischen Verkehr getrennt, hätten sie kaum die zur Er-
haltung ihrer Religion erforderliche moralische Kraft gehabt, wenn
nicht von aussen her eifrige Glaubensbrüder zu ihnen gekommen
wären. Wann und woher diese kamen, ist mir nicht genau be-
kannt; wie dem aber auch sei, in den letzten zwanzig Jahren
werden die Moscheen in der Kapkolonie fleissiger als zuvor be-
sucht , auf den Religionsunterricht |verwendet man dort mehr Mühe ,
und jährlich pilgern einige Ahl Käf nach der heiligen Stadt.
Ihrer Herkunft gemäss hat man sie in Mekka einem »Schech”
zugewiesen, der zu den Fremdenführern der Djäwah gehörte, aber
ihre Sondergeschichte hat ihnen einen eigenen Platz, eher neben
1) Yergl. oben 8. 14 — 5.
2) Z. B. /hi lang mm banjaq /'viel”, amper — ampir »beinahe”.
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als in der Djäwahgruppe gewährt. Weil die meisten »KSf-pilger”
ziemlich wohlhabend sind, zogen sie in Mekka gleich die theilneh-
mende Aufmerksamkeit vieler Bürger auf sich. Einzelne Türken
und Mekkaner sind sogar nach der neu entdeckten Provinz des Is-
lain’s hingereist, und es hat nicht an Versuchen gefehlt, die Ahl
Käf von Schäfi'iten, was sie einst waren, zu Hanafiten zu machen,
da man doch die Wiederaufnahme ihrer fast vergessenen muslimi-
schen Tradition gewissermaassen als eine Wiedergeburt im Islam
betrachten konnte. In Konstantinopel wurde von hoher Stelle der
Druck eines Werkes über das muslimische Gesetz im Burenhollän-
disch mit arabischen Buchstaben gefördert, kurz, man scheint die
neuen Brüder an der Südspitze von Afrika als eine Errungenschaft
für die panislamitischen Bestrebungen betrachtet zu haben. Der mir
befreundete Schech der Mu’eddin’s in Mekka gehörte zu jener
Klasse von Mekkanern , die , ohne selbst »Scheiche” zu sein , die
Pilger auf Nebenwegen ausbeuten. Auch ihm gefielen die Ahl Käf ,
und er beschäftigte sich sogar mit ihrer Sprache. Eines Tags kam
er zu mir mit Zetteln, worauf er arabische Sätze mit deren Wie-
dergabe in »der Sprache des Käf” in arabischer Schrift aufgezeich-
net hatte; er wollte hören, welcher von den übrigen Djäwahspra-
chen jene am ähnlichsten sei. In ziemlich gutem »Afrikanisch” brachte
der Mekkaner z. B. heraus: »hoe gaat het nog met jou?” = »wie
geht es dir jetzt?” »drink jij swart thee of vaal thee?” = »trinkst
du schwarzen oder grünen Thee?”1). Ihre holländischen Namen
tauschen die Leute bei ihrer Ankunft in Arabien gleich gegen
arabische um.
Mit den eigentlichen Djäwah haben die Kapländer fast keinen
Verkehr; jene beanspruchen von nun an ausschliesslich unsere Auf-
merksamkeit. Hierzu wären sie sogar dann berechtigt, wenn wir
nicht von niederländischem Gesichtspunkte aus die Fremdenkolonien
betrachten wollten, denn der oben citierte Schriftsteller hat nicht
ohne guten Grund die Bedeutung der Djäwah hervorgehoben. Es
dürfte kaum in einer andern Gegend der muhammedanischen Welt
1) Vgl. Mekk. Sprichw., S. 33 f.
II
38
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298
ein für Mekka so günstiges Verhältnis zwischen der Zahl der Be-
völkerung und der jährlichen Mekkapilger geben wie im malaiischen
Archipel. Während nun aber aus dem reichen Indien zahllose Bett-
ler nach Mekka reisen, kommt aus den Biliid el- Djäwah kaum ein
Armer, es sei denn als Bedienter oder Begleiter eines Reicheren,
der ihn ernährt. Meistens sind es anspruchslose Leute: für ihr
Bewusstsein sind die altnationalen Traditionen der Inselreiche durch
den Islam als eitel hingestellt und fängt trotz aller früheren Grösse
heimischen und indischen Ursprungs ihre eigentliche Kultur erst
mit der Islamisierung an. ln vielen malaiischen Ländern hat man
eine ganz und eine halb legendarische Ueberlieferung von der Ein-
führung des Islam’s: nach der ersten wäre die Bekehrung schon
zur Zeit Muhammeds , und zwar auf dessen Befehl geschehen ,
während die letztere gewöhnlich der Fürsten durch irgendwelche
vom Westen gekommene Heilige für die wahre Religion gewinnen
lässt. Die einheimischen Chroniken schreiben den von malaiischen
Fürsten geführten Sultanstiteln vielfach einen mekkanischen Ursprung
zu; der Grossscherif oder «Radja Mukkah”, wie es heisst, verleiht
ihnen auf ihre Bitte solche Würden. Vom Sultan von Rum (der
Türkei) haben die älteren malaiischen Legenden nur ganz fabelhafte
Vorstellungen, und wiewohl den heutigen Malaien der grosse Herr
von Stambul besser bekannt ist, bleibt ihnen nach wie vor Mekka
das Centrum des Islam’s. Im Gegensätze zu solchen Völkern, die,
wie die Egypter, Türken, Perser, Inder eine grosse Rolle auf der
Bühne des Islam’s gespielt haben, treten die Djäwah hier beschei-
den und zurückhaltend auf, als wollten sie bei jedem Schritt die
Ueberzeugung bekunden, dass sie ihre Theilnahme an den Seg-
nungen des Islam’s nicht selbst verdient haben.
Bescheiden waren sie immer, wohlhabend früher in höherem
Grade als jetzt; cs lässt sich denken, wie sich die Mekkaner von
jeher um die Vortheile einer so leicht auszubeutenden Rasse ge-
rauft haben! Es ist Schade, dass weder die Mekkaner noch die
Djäwah selbst uns in ihren Geschichtswerken Genaues über die Ent-
wickelung der Beziehungen des fernen Orients mit Mekka erhalten
haben. Als sicher darf man annehmen, dass die Dampfer in den
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letzten Jahrzehnten den Verkehr um ein Bedeutendes gesteigert
haben. Vordem musste sich der Malaie arabischen Segelschiffern
anvertrauen, die ihre Fahrzeuge in Singapura überfüllten und es
nicht als ein Unheil empfanden, wenn unterwegs die Masse der
Mitreisenden durch Epidemien usw. etwas gelichtet wurde. Jetzt
reisen sie mit niederländischen und englischen Dampfern von Ba-
tavia, Padang oder Singapura direkt nach Djiddah oder allenfalls
nach der Quarantäne-insel, wo die Ausbeutung anfangt. Einen an-
deren Zweck als die Ausbeutung hat die ganze Quarantüne-einrich-
tung nicht; sie ist aber so vortrefflich organisiert, dass es den sa-
nitären Autoritäten in Konstantinopel gelingt, sogar die höchsten
medicinischen Autoritäten Europa’s (die mit den wirklichen Ver-
hältnissen des Orients unbekannt sind und durch flüchtige Besuche
auch nicht bekannt werden) von den heilsamen Wirkung ihrer
Geldespressung zu überzeugen. Wer solche Dinge in nächster Nähe
beobachtet, verzweifelt fast an der Macht der Wahrheit. Wiewohl
nun aber die Pilger es allmählich als eine Bedingung der Wallfahrt
betrachten, dass sie zum allgemeinen Wohl vor dem Eintritt in
Djiddah einige Zeit auf einer ungesunden Insel eingesperrt wer-
den , wo sie alles doppelt bezahlen , auch noch Quarantänegebühren
entrichten müssen, und woher sie manchmal Fieber mitnehmen '),
so ist ihnen doch im Ganzen die Reise sehr viel bequemer und
sicherer als vor 30 Jahren.
Mit Unrecht macht man der niederländischen Regierung Vor-
würfe darüber, dass sie auf diesem Gebiete die Interessen nieder-
ländischer Dampfergesellschaften möglichst schützt, weil sie dadurch
indirekt die Zunahme der Pilger, der als fanatisch gefürchteten
Haddji’s *) fördere. Weiter unten werden wir sehen , wie es mit
dieser Schlussfolgerung steht; einstweilen betonen wir aber, dass
die einzige Folge der Enthaltung unserer Regierung hier die Ver-
1) Im Mekka sprechen die Malaien geradezu von der iiKamanrnkranHeif' nach der
Insel Knmcrän, wo aie dem Qunranhmesch winde! unterworfen werden. Ueber diesen
Gegenstand vergl. Verhandll. der Ges. f. Erdk. zu Berlin, Bd. XIV, S. 110 — 7.
2) Mit dieser im Malaiischen üblichen Form bezeichnen wir die Pilger aus den Djäwah-
ländern.
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300
drängung unserer Dampfer aus diesem Erwerb sein könnte; der
Pilgerverkehr würde dadurch nicht geringer.
Ihrerseits versäumen die Mekkaner keine Gelegenheit, die aus
den Djäwah-ländern zu erzielenden Vortheile zu vermehren. Die
//Schecke” senden ihre Agenten1) nach allen Richtungen aus, um
Pilger für die nächste Wallfahrt anzuwerben ; sie versprechen sol-
chen Haddji’s, die durch vieles Hin- und Herreisen mit den Ver-
hältnissen vertraut geworden sind, eine gute Belohnung für jeden
Pilger, den sie ihnen zusenden, und beim Abschiednehmen bitten
sie die Haddji’s selbst, ihnen fernerhin möglichst viele von ihren
Landsleuten zu schicken. Ausserdem reisen aus Mekka Scherife und
Sejjid’s, ganz selten auch Schebl's, ferner Scheche mystischer Or-
den und Gelehrte nach jedem Djäwah-lande , dessen Zugänge ihnen
offen stehen : als Gäste von Fürsten und Regenten führen sie einige
Zeit ein ungenehmes Leben und kehren endlich mit reicher Beute
heim, oder als Vertreter der Wissenschaft und der Mystik bekom-
men sie reichliche Gaben von Leuten der unteren Klassen, die
einige Zeit ihren Unterricht geniessen oder bloss auf flüchtigen Be-
suchen den Segen ihrer Gebete erkaufen. Wenn nicht die Regie-
rung solchen Unternehmungen allerlei Schwierigkeiten entgegen-
setzte , würde der malaiische Archipel von solchen Ausbeutern
förmlich überschwemmt. Dies wäre in politischem Sinne gefährlich ,
denn obgleich das Ziel der religiösen Freibeuter nur die Füllung
ihrer Taschen ist, sehen sie doch bald in der europäischen Ver-
waltung und überhaupt in fränkischen Einflüssen eine ihnen feind-
liche Macht und widerstreben derselben heimlich überall, öffent-
lich , wo es geht. Zur vollständigen Erreichung ihres Ziels müssten
ja sie oder ihre Gönner über die höchste Gewalt verfügen , während
sie sich jetzt der peinlichen Beobachtung misstrauischer Behörden
zu unterziehen haben. Ohnehin verführt die Leichtgläubigkeit der
Volksmasse in den Djäwah-ländern fremde Muslime allzusehr zur
Anzettelung religiös-politischer Bewegungen, und wenn die Anfüh-
rer Araber sind , können sie dort immer eines gewissen Erfolgs
1) Auf Java sicht man diese häufig irrthümlich für r/Schf’che” an.
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301
sicher sein. Nur deshalb ist die Einwanderung der Hadhramiten
in Ostindien weniger gefährlich, weil an ihrer Wandersucht die
Religion gar keinen Antheil hat, und dennoch werden die Araber-
kolonien immer mehr ein Element bilden , dessen Leben und Treiben
man ja nicht unbeaufsichtigt hissen darf.
Während nun die modernen Verhältnisse den Pilgerverkehr der
Djäwah lebhafter als früher gestalteten, haben die Besuche arabi-
scher Gelehrter , mystischer und anderer Glücksritter in den Djäwah-
ländern in gleichem Maasse abgenommen , wie die Verwaltung fak-
tisch in europäische Hände überging. Als die Djäwah-reiche noch
selbständig waren , bezeichnete die Ankunft eines angesehenen Arabers
manchmal einen Umschwung auf geistigem Gebiete , wogegen jetzt
solche Gäste , auch wenn sie die religiösen Saiten der Djäwah-herzen
zu berühren Vorhaben, aus Furcht vor der Regierung ihre wahre
Absicht wo möglich mit dem Vorwand von Handelsgeschäften ver-
hüllen.
Mag die Periode noch jung sein, wo die Djäwah-pilger jährlich
nach Tausenden gezählt werden, ein einigermaassen reger Verkehr
ist gewiss schon über zwei Jahrhunderte alt. Die Mekkaner, deren
Geschäfte praktisch-psychologische Studien erfordern , brauchten nicht
so viel Zeit, die Eigenthümlichkeiten der Djäwah überhaupt sowie
die Merkmale der verschiedenen Abtheilungen dieser Völkerfamilie
kennen zu lernen. Ihre Beobachtung bewährt sich am besten in
den einzelnen Fällen , wo sie selbst praktisches Interesse dabei ha-
ben , aber auch die allgemeiner gefasste ßeurtheilung hat ihren
Werth für die Charakterisierung der Stellung der Djäwah in Mekka.
Den Ruf der Frömmigkeit geniessen sie fast allgemein, trotzdem
manche im Anfang deutlich zeigen , dass ihnen die Grundlagen tüch-
tigen Religionsunterrichts fehlen. Darüber sieht man hinweg, weil
alle augenscheinlich ohne Nebenzwecke die heilige Stadt besuchen;
sie bringen keine Handelswaaren mit, bedrohen niemand mit Kon-
kurrenz, betreten dagegen das heilige Gebiet mit einem Geldbeutel ,
den sie dort zu leeren beabsichtigen; wenn sie aber längere Zeit in
Mekka zu bleiben gedenken, so setzt sie dazu das Erträgniss ihrer
Besitztümer in der Heimath , eine dort verdiente Regierungspension
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302
oder von der Familie versprochene jährliche Geldsendung in den
Stand. Aeltere Djäwah , die sich hier auf einige Jahre oder fürs
Leben niederlassen, wollen ihre letzten Tage auf reinem Boden der
Religion widmen; die jüngeren zieht vorzüglich das heilige Studium
heran. Solche Gäste Gottes und auch die Djäwah, die lediglich das
Haddj und den »Besuch” des heiligen Grabes in Medina machen
und dann heim kehren, zeichnen sich ausser durch naiven Glauben
auch durch redlichen Wandel aus. Die Ehrlichkeit der Djäwah wurde
in Mekka geradezu sprichwörtlich: während z. B. der mekkanische
Kaufmann nur sehr selten ohne genügende Bürgschaft einem Frem-
den die Waare zur Ansicht mitgiebt, hiess es immer, wenn ein
Djäwah um solche Erlaubniss bat : »es ist ein Djäwah ; das macht
also nichts aus !” *). Wenn sich ein Djäwah-diener bei dem Vorsteher
der Marktpolizei (Nfikim) wegen Uebervortheilung oder Betrug von
Seiten eines Verkäufers beschwert, glaubt ihm der Iläkim fast im-
mer aufs Wort und lässt den Angeklagten prügeln, bis er einge-
steht. Aus diesen Gründen sind die Djäwah der unteren Klassen
als freie Diener sehr gesucht, namentlich die Javanen, weil sie
ausserordentlich gefügig und folgsam sind. Ein vornehmer Javane
nimmt auf eine Reise nach Mekka immer mehrere geringere Lands-
leute mit, die ihm aufwarten und dagegen auf seine Kosten mit
ihm Zusammenleben. Solche Jünglinge übernehmen die Mekkaner
gern als Gehiilfeu im Pilgergeschäft oder als Leibbediente; der Schech
el-culamä Ahmed Dahlän ging niemals ohne Begleitung eines von
seinen beiden treuen Javanen aus.
In den letzten Jahren wird jedoch den Djäwah das Lob der
Frömmigkeit nicht mehr ohne Vorbehalt gespendet; eben die Zu-
nahme des Verkehrs hat diesen Rückschritt verschuldet. Von heim-
gekehrten Landsleuten hören die jungen Javanen , wie bequem sich’s
in Mekka leben lässt, wie leicht man dort eine schöne Abyssinie-
rinn kaufen, eine Egypterinn heirathen, mit einigen hundert Gul-
den Einkommen als selbständiger Bürger in der muslimischen
Grossstadt wohnen kann. In grosser Zahl sind Jünglinge mit der-
1) Djawah md alchtch.
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artigen Gelüsten hergekommen, und als die ihnen versprochenen
Geldsendungen einmal ausblieben oder doch ihrer kostspieligen
Lebensart nicht genügten, borgten ihnen die mekkanischen Wu-
cherer ohne Scheu. Sind sie doch gewöhnt, ihr Geld in gewagter
Weise auf Zinsen zu legen, und kannten sie keine zuverlässigere
Schuldner als die Djäioah. Aber die Schulden häuften sich, die
Zufuhren hörten auf, und schliesslich kam es vor, dass ein Gläu-
biger seine Djäwah-schuldner einsperren liess. ln einigen Fällen
veranlassten solche Maassregeln die Freunde des Bedrängten, an
dessen Verwandte eine dringende Bitte um Abhülfe zu richten ;
allmählich wurde jedoch dies Mittel durch allzu häufige Anwen-
dung wirkungslos. Da blieb nun den . Schuldnern nichts übrig, als
sich aus dem Staube zu machen: wo möglich, flohen sie nach
Djiddah und reisten dann heimlich mit einem Dampfer nach ihrer
Heimath zurück. Dort boten ihnen die Verwandten immerhin Reis
und Wohnung, aber die Kreditoren bekamen auf alle flehenden
und drohenden Briefe höchstens ein paar fromme Formeln zur
Antwort, welche die Schuldner sich in Mekka angeeignet hatten.
Den Leichtsinn verziehen ihnen ihre mekkanischen Freunde gern ,
solange das Geld nicht fehlte; selbst nährten diese ihre Neigung
zum Prunk und zur Verschwendung und setzten die unbedachtsa-
men Djäwah immer neuer Verführung aus. Als nun aber die Ge-
schäfte ins Stocken geriethen , entdeckten sie auf einmal die Schat-
tenseiten des Djäwah-charakters : viele Malaien setzten sich ohne
Gewissensbisse über religiöse Verpflichtungen hinweg, ihr Verkehr
mit dem schönen Geschlecht sei allzufrei , sie seien dumm und eitel ,
und sie entbehrten des Ehrgefühls, denn sie achteten nicht das guten
Freunden verpfändete Wort und entliefen ihren Gläubigern wie
Diebe. In ähnlichen Urfheilen spricht die Enttäuschung lauter als
die sittliche Entrüstung, denn in Mekka steckt durchschnittlich
die Hälfte der Bürger in Schulden , die gar nicht alle mit Aussicht
auf Rückzahlung eingegangen sind ; aber was berechtigt die Djäwah
zur Nachahmung solcher schlechten Beispiele?
Dazu kommen andere Beschwerden. Von den in Mekka einge-
bürgerten Djäwah werden manche durch die mekkanische Gewinn-
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sucht angesteckt, andere aber durch schwere Noth gezwungen, sich
nach Erwerbsquellen utnzusehen. In dieser Umgebung Handel zu
treiben, dazu geht den meisten die nöthige Ausdauer und Schlau-
heit ab: der einzige Djäwah, den ich in Mekka als Geschäftsdie-
ner in einem Laden sah, war ein Atjeher, und alle Welt wies
auf die Seltenheit hin. Es giebt Djäwah , die, nachdem sie mehr
oder weniger zu Mekkanern geworden sind, jedesmal, wenn ihr
Geld verbraucht ist, eine Fahrt nach ihrer Heimath antreten, um
dort auf Rundreisen die mitgenommenen Rosenkränze, arabischen
Bücher, Wohlgerüche usw. zu verkaufen oder ihre mekkanische
Gelehrsamkeit, ihre Mystik, ja manchmal den blossen Geruch der
mekkanischen Heiligkeit finanziell fruchtbar zu machen. Andere
fertigen mit ihrer mekkanischen Familie Gegenstände geringen in-
neren Wcrthes an, um sie jährlich durch Verwandte in der Hei-
math verkaufen zu lassen, wo sie wegen ihrer Herkunft einen
hohen Preis einbringen: so habe ich einen Schcch gekannt, dessen
Harun und Knaben ihre Mussestunden auf das Stricken kleiner
weisser Mützen {jAraqijjeh's , die man unter dem Turban und im
Hause auch ohne Turban auf dem rasierten Kopfe trägt) verwen-
deten; jedes Mützchen im Werth von ein paar Groschen trug ihm
etwa 1 — 2 Dollars ein.
Als natürlichste Erwerbsquelle bietet sich aber den in Mekka
ansässigen Djäwah die Theilnahme an der Ausbeutung ihrer pil-
gernden Landsleute dar. Mehr oder weniger haben auch schon so
von jeher die hier Eingebürgerten von den aus ihrem Distrikt zum
Haddj Gekommenen Vortheile genossen, weil diese ihnen als Pfle-
gern der Wissenschaft Gaben darreichten oder ihnen die Summen
aushändigten, die aus dem Nachlass verstorbener Verwandten ab-
gesondert waren, um stellvertretende Pdger damit zu besolden und
dergleichen mehr. Solche Djäwah aber, die ursprünglich im Dienste
von Landsleuten nach Mekka kamen oder aus Geldmangel später
z. B. ihren »Schechen” als Lohndiener zur Seite standen , erwarben
sich nach und nach genug lokale Kenntnisse und Erfahrung, um
selbst als Scheche, als Führer ihrer Landsleute fungieren zu kön-
nen. Was. ihnen an Schlauheit und Gewandtheit im. Vergleich mit
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ihren inekkanischen Konkurrenten fehlte, das hatten sie anderer-
seits an intimster Bekanntschaft mit den heimathlichen Sitten vor
jenen voraus. Auch verfügten sie über ganz andere Verbindungen,
die ihnen das Anwerben einer beträchtlichen Zahl von Pilgern er-
leichterten. Genug, längst bevor die Ordnung eingeführt wurde1),
wonach jeder Schech von Djäwahpilgern ein auf einen bestimm-
ten Distrikt lautendes Taqnr (Licenz) bekam , erfreuten sieh viele
in Mekka wohnende Djäwah einer Licenz als Pilgerschech, die sie
mit gutem Erfolg unter den Pilgern aus ihrem Vaterlande zu ver-
werthen wussten.
In Mekka steht die Fremdenführerschaft an sich nicht in Zu-
sammenhang mit der socialen Stellung , die ein Pilgerschech unter
seinen Mitbürgern einnimmt: zwischen den Scherifen, denen das
Amt zu niedrig, und den Djarrärin und ihresgleichen, denen es
unerreichbar ist, liegen viele Schichten, in deren jeder Scheche vor-
handen sind. Ist ein Bürger reich oder vornehm, so steigt er kei-
neswegs herab, wenn er sich eine Licenz als Schech erkauft: auch
ein Vermögen, das er als Schech verdient hat, gewährt Einem
Ansehen und Einfluss, aber wenn das Geschäft schlecht geht, hat
er auch nichts von dem Titel des Metamoxf oder Scheck HuJJjädj.
Bei den Djäwah ist das anders: auch ihre Regenten- und Fürsten-
söhne würden das Amt des Schcchs nicht annehmen, und ihre Ge-
lehrten rühmen sich desselben nicht, wenn sie es hie und da be-
kleiden, aber für die grossen Volksklassen der Djäwah enthält die
Licenz einen begehrenswerthen Titel. Den Bewohnern jener entlegenen
Länder mit ihrem ausgesprochenen Hang für Namen und Titel klingt
das »angestellter Schech in Mekka” wundervoll in die Ohren, und
den besser Unterrichteten geht es damit wie manchen vernünftigen
Europäern mit in Südeuropa erkauften Adelstiteln: sie wissen zwar,
das alles sei für viel Geld und ein bischen Schlauheit zu haben ,
aber sie schauen die Träger doch mit lächelnder Verehrung an.
Die Mitglieder der Djäwahkolonie in Mekka, die als Fremden-
führer mit geborenen Mekkanern konkurrieren, eignen sich natür-
1) Vergl. oben S. 100.
II S«
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lieh viele von deren schlechten Charakterzügen an; auch ohnedies
wären sie ihnen aber schon als Mitbewerber verhasst, und beeinflusst
also ihre Thätigkeit das Urtheil der Mekkaner über die Djäwah in
ungünstigem Sinne. Aus den angedeuteten Umständen ergeben sich
nun allerlei absprechende Aeusserungen über die Gäste aus dem
fernen Orient.
Wenn eine Karawane von Djäwah-pilgern in Mekka einzieht, hört
man die Gassenjungen und Eseltreiber manchmal mit höhnenden
Geberden die Wörter manschen (= penljuri , malaiisch »Dieb”) oder
tiwan ( luwan , »Herr”) ausstossen; ähnlich verfolgt dieses Gesindel
aller alle weniger vornehmen Fremden mit seinem Muthwillen , und
die Djäwah führen sich, sofern sie sieh noch nicht eingewöhnt ha-
ben, besonders unbeholfen auf. Jeder Mekkaner weiss davon anek-
dotenhafte Beispiele zu erzählen. So schärfen z. B. die Scheche einer
neu angekommenen Djäwah-gesellschaft , die zum ersten Mal in
Begleitung eines Gehülfen zum Tatcfif in die Moschee gehen soll ,
eindringlichst ein , Jeder habe stets das Auge auf den Führer zu
richten, damit er sich nicht verirre und den Pfuschern anheirafalle.
Dennoch gelingt es diesen fast regelmässig, von einer grösseren Ge-
sellschaft ein paar Pilger zu erbeuten: sie nehmen den einfältigen
Djäwah bei der Hand, leiern ihm Gebete vor, und wenn er sich
dagegen sträubt, sagen sie ihm auf malaiisch, sie seien Diener der
Ka'bah und leisteten ihre F'ührcrdienste umsonst , liwadjh illäh. Nach
Beendigung des Umgangs machen sie aber ihrem Opfer nicht ohne
drohende Geberden klar, es verdiene die Hölle, wenn es sie nicht
ordentlich belohne. Viele Mekkaner behaupten , es ereigne sieh
öfter, dass solche Pfuscher in die von ihnen vorgesagten arabischen
Gebete feierliche Eide einflechten, womit sich die betrogenen Djä-
wah verpflichten, "diesem ihrem B'ührer z. B. 4 Dollars zu geben”,
und dann später den armen Pilgern mit Gottes Fluch drohen, falls
sie diesen ersten , bei der Ka'bah geschworenen Eid brechen sollten !
Mit ausgesprochener Vorliebe setzen auch die mekkanischen Ta-
schendiebe (»Gürteldiebe” sollte man eigentlich sagen, weil man
hier Geld usw. im Gürtel bewahrt) den Djäwah nach. Wohlhabende
Djäwah kaufen sich nach kurzem Aufenthalt gewöhnlich einen mek-
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klinischen Anzug, wie sie denn auch nach der Rückkehr in ihre
Heimath einen solchen als Abzeichen ihrer Haddji-würde zu tragen
pflegen. Man erkennt auf den ersten Blick die Neulinge, die eben
ihre heimatliche Tracht durch die Djubbah, den zAntan und den
inekkanischen Turban ersetzt haben; auch die Gassenjungen erken-
nen sie und lauern auf den günstigen Augenblick, wo der Pilger
in eine menschenleere Gasse einbiegt, um dann hinter ihm her zu
schleichen, ihm die neue Kopfbedeckung plötzlich abzureissen und
sich mit der Beute aus dem Staube zu machen. Einmal liess sich
ein Djäwah auf dem Suq el-harädj (Rumpelmarkt) von einem
Makler überreden, ihm den abgenutzten Turban eines Moschee-
eunuchen abzukaufen; diese Agha’s tragen thurmhohe, um bläu-
liche sammtne Mützen gewundene Turbane, die sich von anderen
üblichen Kopfbedeckungen nicht weniger unterscheiden als die alt-
modischen dreieckigen Hüte von unseren heutigen Moden. Unser
Malaie zog mit dem Agha-turban auf dem Kopfe durch die Strasse
und begriff nicht, warum ihn auf dem ganzen Wege eine lachende
Menge umgab. Wer beobachtet, wie sich Djäwah-pilger , die bis
dahin nur Reisfelder und Kaffeepflanzungen gesehen haben, durch
das bunte Gewimmel der internationalen heiligen Stadt bewegen,
kann sich über den Spott der Mekkaner nicht wundem. Geht ein
Führer ihnen voran , so folgen ihm die Dutzende ganz wie Schaafe
dem Leithammel; die, welche vereinzelt oder in kleinen Gesell-
schaften Spaziergänge machen , sehen mit ihrem halb geöffneten
Munde und ihrem unsteten Schritt aus, als hätten sie den Ver-
stand verloren. Ein solcher Wanderer staunt mit weit aufgesperrten
Augen die Bude eines Melonenverkäufers an. Jeder Verkäufer spricht
ein paar Worte malaiisch, zum allerwenigsten kennt er die Zah-
len. Der Obsthändler hält also dem Fremden eine Melone vor und
sagt: lima fuluh tiwan') //fünfzig (DlwänT), Herr!” Trotz unendli-
cher Wiederholung dieser Worte, mit Hinzufügung von Empfeh-
lungen wie bagus , manu //schön, süss”, gelingt es ihm nicht, dem
1) lima puluh iutean. Die Araber sprechen bekanntlich das malaiische p als / aus, wie
umgekehrt die Malaien arabisches f als p.
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staunenden Gesicht einen Laut zu entlocken. Boleh tjoba tuican »man
darf (die Melone vor dem Kaufe) schmecken, Herr!” heisst es
endlich '), aber der Malaie fährt immer fort, seine Gefühle zu
verheimlichen. Jetzt nimmt der Händler ein Messer und sagt:
nanti saja ( p)folong »ich will (sie) aufschneiden”, in der Hoffnung,
dass ihm darauf wenigstens mit Ja oder Nein geantwortet werde.
Da die Antwort ausbleibt, denkt er an Schüchternheit des unaus-
gesetzt auf die Melone blickenden Menschen , schneidet sie auf und
legt ein Stückchen in den halb geöffneten Mund des seltsamen
Besuchers. Dieser schneidet die undenkbarsten Gesichter, kaut,
lächelt und .... geht ohne ein Wort zu reden weiter. Ist es ein
Wunder, dass ihm die Worte nachklingen: »du verfluchter Djä-
wah, kehr’ zurück zu deinem Djamban *), Allah verfluche dein
Geschlecht!” In der Mitte der belebtesten Strassen schreiten diese
Leute langsam umher, ohne im Geringsten auf die warnenden
Ausrufe der Kameeltreiber und Eselreiter zu achten-, »dein Rücken,
mein Oheim ! pass auf, o Pilgerinn !” *) Vor Ungeduld schlagen
ihnen da schliesslich die Leute mit dem Stock auf den Rücken
und schreien: »weg! o Djawah, o Verdammter!” *)
Die vernünftigeren Vertreter der Rasse fallen wegen ihrer gerin-
geren Zahl und zurückgezogenen Lebensart der Masse weniger auf;
nur die ungeschickten Exemplare dienen zur Begründung der öf-
fentlichen Meinung über den Typus. Die Djäwah sind Ferüchah '),
sagen oft die Mekkaner, und sie haben dabei sowohl die Unbe-
holfenheit jener Spaziergänger als den Mangel an Ehrgefühl im
Auge, den die früher erwähnten Schuldner bethatigen, indem sie
ihren Gläubigern trotz der zwischen ihnen bestehenden Brot- und
Salzgemeinschaft ohne ein Wort der Entschuldigung entfliehen. Schul-
1) Die Melonenvcrkäufer gestatten häufig, dass man eine Melone vor dem Kaufe in
ihrer Gegenwart aufschneide und schmecke; ist sie schlecht, so behält, sic der Händler,
im entgegengesetzten Fall muss aber der Kunde den verabredeten Preis zahlen, ob die
Frucht nun mehr oder weniger seinen Erwartungen entspricht.
2) Malaiisch: //Abtritt*.
3) dhahrak ja ’atnmi , aqht jd haddjdk!
4) tariq jd djawah jd malun!
o .
5) Vulgärer Plural tu ^ , /.gemeiner Kerl”.
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den lassen allerdings auch Nicht-malaien oft genug unbezahlt; die
Art und Weise aber, wie die Djäwah heimlich davonschleichen,
macht den Eindruck , als fühlten sie sich dieser Gesellschaft gegen-
über nicht zur Beachtung jener Anstandsgesetze verpflichtet , welche
sie doch unter sich peinlich befolgen. Im grossen Ganzen machen
sie daher den Mekkanem, solange sie noch fremd sind, den Ein-
druck von Einfältigen; sind sie aber einmal eingebürgert., so weiss
man nie , ob sie nicht eines schönen Tags verduften , ohne sich viel um
die ihnen nachgesandten Verwünschungen zu kümmern.
Beide Seiten des vulgären Urtheils über die Djäwah1 2), die gün-
stige und die ungünstige, stellen sie nun aber als ausgesuchte Ob-
jekte der Ausbeutung dar; thatsächlich werden von allen Pilgern
die Djäwah am gründlichsten geschunden. Dazu tragen die Gelder-
pressungen das Ihrige bei, denen die Scheche schon vor der Messe
von Seiten der Regierung unterzogen werden; dann hat aber das
rücksichtslose Verfahren dieser Führer noch zugenommen, seitdem
die neue Ordnung ihrer Zunft l) ihnen von vorne herein die Pilger
eines bestimmten Distrikts sichert, denn sie brauchen sich nun um
die Gunst ihrer Kunden weniger zu kümmern. Für vornehme oder
besonders selbständige Pilger macht man zwar eine Ausnahme ,
aber von der Hauptmasse des Pilgerviehs wird ohne jede Berück-
sichtigung individueller Wünsche jedem Schech der Theil überge-
ben, auf welchen die von ihm erkaufte Licenz lautet.
Gleich in Djiddah fängt die Schur der Schaafe an. Dem kleinen
Aderlass , dem die Pilger auf der Quarantäne-insel unterzogen wurden,
folgt hier eine Nachkur auf dem Zollamt, wo ihnen allerlei Ge-
schenke und Geldstrafen abverlangt werden; sodann haben sie den
»türkischen Pass” zu bezahlen, einen Dollar als »freiwilligen Bei-
1) Ein übliches Schimpfwort, womit die mckkanischen Gassenjungen sic begriissen,
ist noch: »Schlangenfresser” ik'lin el-hanaich. Ich könnt« nicht ermitteln, woher diese
Beschimpfung stammt; sic muss aber schon ziemlich Bit sein, da weder Beschimpfer
noch Beschimpfte sich mehr etwas dabei denken. Eine reine Konjektur ist die Erklä-
rung, die mir ein Sundancse mittheilte, arabische Reisende hätten in seiner Hcimath
gesehen, wie die Leute Aale (die Arten bezeichneto er mir mit den Namen Mang
und lara) fangen und essen, und weil ihnen diese Thicre unbekannt waren, in Mekka
die Nachricht rerbreitot, die Javanen ässen Schlangen.
2) Vcrgl. oben S. 99 IT.
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trag” zu den Wasserleitungen der heiligen Stadt und ihres Hafens
zu liefern , Bootsleute und Träger zu belohnen die ihre Sachen zum
Bevollmächtigten ihres Schechs befördert haben. In dessen Wohnung
kommt man ihnen um so freundlicher entgegen, je höher die durch
den Umfang ihres Gepäcks erregten Erwartungen die später dem
Hausherrn und seinen Dienern zu entrichtenden Gaben veranschla-
gen. Zunächst führt man sie nun zum Grabe Eva’s, wo sie ausser
ihnen unverständlichen, den Begleitern nachgesproeheuen Gebets-
formeln wieder mehrere Piaster zurücklassen. Bevor sie nun aber
im Pilgergewand die Reise nach Mekka antreten , wird ihnen manch-
mal vom Schech oder dessen Vertreter eine eigenthümliche Beichte
abgenommen.
Djäwah-pilger bringen zuweilen mehrere Päckchen Geld mit, deren
jedes eine eigene Herkunft und Bestimmung hat: in einem sind
z. B. 100 Gulden, die ein barmherziger Vater aus dein Wohnort
des Pilgers seinem verschuldeten Sohne in Mekka zuschickt, im
andern ein Geschenk für einen Gelehrten oder Mystiker von einem
Verehrer, in den meisten liefinden sich aber Summen (etwa 50 —
150 Gulden), die vom Nachlass eines Gläubigen herstammen, der
seine Pilgerpflicht bis zu seinem Tode aufgeschoben hat, und die
also für die Belohnung von Stellvertretern bestimmt sind. Alle der-
artigen Geldsendungen nennt man Amännh's (Vertrauenssendungen) ;
die letztgenannten aber speciell Bedel haddji ') (Vertreter beim Haddj).
Gewöhnlich beabsichtigen die Ueberbringer , bekannte Landsleute
oder sonst gute Freunde mit dem Auftrag der Vertretung zu be-
günstigen, auch ertheilen ihnen die Sender wohl einmal genaue
Befehle in Bezug auf die Wahl des Bedel. Man kann sich deuken,
wie die Mekkaner nach solchen Bedel' s haschen , denn das Haddj
machen sie schon so und werden nun durch den Bedel noch reich-
lich dafür bezahlt. Wenn aber ein Schöch die Verfügung über meh-
rere Bedcl’s bekommt, so lässt er zunächst seine männlichen Ver-
wandten als Stellvertreter fungieren und behält für sich von jeder
I) Die Malaien sagen vielfach Badal j irrthümlich hat man behauptet, das Wort
Amt! nah bezeichne bei den Djawah speciell die Sendungen für Stellvertreter zum Haddj.
Sowohl die Summe als den damit belohnten Vertreter nennen sie Bedel.
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Summe eine Courtage; sodann bezahlt er mit anderen Bedel’s seine
freien Diener , und die übrigen Aufträge ertheilt er hungrigen Freun-
den, denen er etwa die Hälfte des von ihm empfangenen Betrags
aushändigt. Recht lebhaft ist das Angebot für diese leichten Dienste :
man behauptet aber. Einige Hessen in gesetzwidriger Weise das
eine Haddj , das sie im Jahre machen können , für mehrere Bedel's
gelten, und sicher ist, dass mancher Scheeh eine gewisse Anzahl der
ihm übertragenen Bedel’s vergisst.
Sind die Pilger einmal in Mekka angekommen , so ist trotz der
peinlichsten Einschränkung ihres Verkehrs mit Fremden die Gefahr
vorhanden, dass sie die heissersehnten Bedel-summen über den vom
Schech um sie angelegten Zaun hinaus Anderen überreichen. Das
wäre aber schön, sagt der Schech; ich sollte um theures Geld die
Licenz kaufen, allerlei Auslagen machen, allen Bedürfnissen der
Pilger genügen und schliesslich mit den Abfällen belohnt werden,
während Andere ohne das geringste Verdienst mit den schönsten
Bissen davonliefen? Grösseres Unrecht kann er sich nicht denken,
und jedes Mittel, dem vorzubeugen, scheint ihm erlaubt. Er fragt
also jeden seiner Pilger, ob und wie viele Bedel’s er mitgebracht
hat, und räth eindringlich, ihm alles Geld zur Aufbewahrung an-
zuvertrauen, da auf dem Wege nach Mekka Beduinenräuber seien
und in der heiligen Stadt selbst Angriffe anderer Art unternommen
würden; gegen Alles könne man sich nur durch rückhaltloses Ver-
trauen auf den Schech sichern. Auf Einwendungen der Pilger er-
wiedert der Schech nach den Umständen; sagt Einer, die Bedel’s
hätten eine genau von dem Sender festgesetzte Bestimmung, so
antwortet er etwa , das werde sich schon in Mekka finden , oder
die Sender könnten aus der Ferne nicht beurtheilen, wer über-
haupt als stellvertretender Pilger zu empfehlen sei; er verspricht,
möglichst den Wünschen der Betroffenen gemäss über das Geld zu
verfügen, droht aber auch schwachen Naturen mit seinem Uebel-
wollen.
So bemächtigt sich der Metawwif der meisten Bedel’s seiner
Kunden, und es gehört ein mehr als energisches Auftreten dazu,
ihm nach der Ankunft in Mekka etwas davon zu entreissen. Er
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will ausserdem auch die anderen Araänah’s (Geschenke, zur Schuld-
tilgung bestimmte Summen usw.) bewahren und deren Bestimmung
wissen: wenn das Geschäft gut geht, gelangt keiner der Adressa-
ten zu seinem Theilc, ohne vorher dem vermittelnden Schech seine
Freundschaftsgebühren entrichtet zu haben. Es lohnt die Mühe
nicht, die Mittel und Wege genauer zu beschreiben; sie wechseln
je nach den Leuten, mit denen er es zu thun hat.
Bevor wir einige weitere Daten über die Ausbeutung der Djä-
wahpilger in Mekka mittheilen , sei hier eine Operation erwähnt ,
der sich einige in Djiddah zu unterziehen haben. Im malaiischen
Archipel ist bekanntlich die Beschneidung auch unabhängig vom
Islam sehr verbreitet *). In einigen Gegenden hat man nun aber
selbst nach der Bekehrung die altherkömmliche Weise der Be-
schneidung beibehalten; schon die begleitenden Cerenionien weisen
manchmal auf eine Mischung heidnischen und muslimischen We-
sens hin. Das Resultat jener Operationen (sei es ungenügende
Circumcmo oder blosse Jncisio ) genügt in vielen Fällen den An-
forderungen des Islam's nicht*); wenn nun solche Ilalbbeschnittene
zum Haddj kommen, wünschen sie vor dem Einzug in das heilige
Gebiet das Fehlende nachzuholen und lassen somit die Barbiere
ein Stück Geld verdienen.
In Mekka werden die Pilger von ihrem Schech ihren Verhältnis-
sen gemäss einquartiert in seinem eignen Hause , in leeren Räumen ,
worüber er die Verfügung hat, oder in Wohnungen seiner Freunde.
Betreffs der Wohnung und der Lebensbedürfnisse genügt es, auf
unser Ist08 Kapitel zu verweisen , weil die Djäwah in dieser Hinsicht
nicht anders als andere Pilger behandelt werden. Zwischen der
gleich nach der Ankunft vollzogenen »kleinen Wallfahrt” ( zUmra/i )
und dem jährlichen Haddj liegen für einen Pilger mehrere Monate ,
für den andern nur einige Tage; mag dieser Zeitraum nun länger
oder kürzer sein, die Mekkaner gewähren den Patienten darin
1) Vergl. IJr. G, A. Wilken »Do bosnydenis bij de volken van den Indischen Ar-
chipel”, Bydragen van het Koninklyk Nedcrlandsch-Indisch Instiluut, 4e Volgreeks,
X: 165 ff.
2) Es soll nämlich die ginnt gänslich offen liegen.
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kaum einen Augenblick der Ruhe und bestürmen sie allseitig mit
ihren himmlischen Waaren. Von den zahlreichen Völkertypen mit
ihren verschiedenen Sitten und Sprachen, die uns unter den über
20 Millionen Muhammedanern Ostindiens entgegentreten, sind die
meisten bei einem ordentlich besuchten Haddj vertreten. Darum
ist denn auch die Beschränkung der Thätigkeit der Fremdenführer
auf die Bevölkerung einer Provinz nicht ganz willkürlich , denn
wer z. B. mit Buginesen geschäftlich viel verkehrt hat , ist dadurch
noch gar kein geeigneter Führer für javanische Pilger geworden.
Was von den Schechen gilt, ist auch auf die Anderen anwendbar,
die auf dem Pilgermarkt ihren Lebensunterhalt suchen : jeder hat
seine speciellen Kenntnisse, die er nur bei einem Theile der Djä-
wah verwerthen kann.
Etwas malaiisch sprechen so ziemlich Alle, die sich viel mit den
Djäwah beschäftigen, einmal weil das eigene Gebiet dieser Sprache
sehr umfangreich , dann aber auch , weil in manchen Gegenden ,
wo ein ganz anderer Dialekt gesprochen wird, das Malaiische doch
den Händlern und auch dem Islam als Verkehrs- und Bildungs-
mittel dient. Abgesehen von der Insel Java bilden die Länder
malaiischer Sprache, wie der grösste Theil des muhammedanischen
Sumatra, die malaiischen Kolonien Borneo’s, die Molukken, die
wichtigsten Gebiete für den Pilgerverkehr. Aber auf Sumatra wer-
den sowohl im Reiche Atjeh im Norden als in den südlichen
Lampongschen Distrikten die heiligen Wissenschaften in malaiischer
Sprache gelehrt, sofern man sich nicht zum Studium arabischer
Schriften emporschwingt; in der Provinz Batavia herrscht ein ma-
laiischer Dialekt und gebraucht man malaiische Kitab’s; eine Ge-
sellschaft javanischer Pilger aber, aus welchem Theile der Insel sie
auch herkommen mag, enthält wohl immer Einen, der etwas ma-
laiisch spricht. Letzteres kann man überhaupt von den meisten
Djäwah-pilgern sagen, ob nun ihre Muttersprache makasarisch,
buginesisch, maduresisch oder einer von den weniger bekannten
Dialekten des östlichen Theiles jener Inselwelt sei. Die grosse Ver-
breitung elementarer malaiischer Sprachkenntnisse unter den Mek-
kanem zeugt daher von der hervorragenden Stellung der ganzen
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Djäwah-rasse auf dem Pilgermarkt. Einzelne Wörter wie türm (aus
mal. terus) und burüm (aus mal. burung ) sind geradezu in die
Umgangssprache der Mekkaner übergegangen. Ein Wnbür türm ')
ist ein Dampfer, der direkt von Djiddah nach Batavia fährt, ein
Rijäl buriim J) ist ein mexikanischer (Vogel-)dollar. Die Zahlen und
einzelne kurze Redensarten kennt fast jeder Gassenjunge auf ma-
laiisch; etwas mehr verstehen schon die auf dein Markte sitzenden
Verkäufer. Wenn die Andacht des Sonnenuntergangs in der Moschee
zu Ende ist und die Gläubigen allmählich aus den Hauptthoren
des Haram hervortreten, hört man die Verkäufer von Lebensmitteln
in den angrenzenden Strassen ihre arabischen Ausrufe ’) alle Augen-
blicke ins Malaiische übersetzen: ihr harr jä tesch »/heiss, oBrod!”
wechseln sie mit roti jä fanan , ihr sukkar ja habhab //Zucker, o
Wassermelone!” mit manis jä semangka ab; das Vorwiegen dieser
malaiischen Ausrufe an solcher Stelle beweist nebenbei, wie treue
Moscheebesucher die Djäwah sind.
So oberflächliche Kenntnisse des Malaiischen ermöglichen Einem
nicht viel mehr als den Verkehr mit den Djäwah auf der Strasse;
zur Anknüpfung intimerer Beziehungen ist einige Fertigkeit im Ge-
brauch der Muttersprache der Betreffenden erforderlich , damit man
sich den Pilgern auch ohne Vermittelung ihrer des Malaiischen kun-
digen Landsleute nähern kann. Sogar viele Malaien gewinnt man
nicht ganz, wenn man nur das Malaiische kann, wie es vorzüglich
von Nichtmalaien gesprochen und von vielen Holländern für //ge-
wöhnliches oder gemeines Malaiisch” ausgegeben wird ; gute Freunde
der Bewohner Mittelsumätra’s z. B. werden in erster Linie die Mek-
kaner, die deren eigentümliche Mundart sprechen. Wirklich giebt
es kaum eine Sprache, die von einer bedeutenden muhammedani-
schen Völkerschaft Ostindiens gesprochen wird , welche nicht in Mekka
mehrere Scheche oder Gehülfen, Hausbesitzer, Zemzeml’s usw. fer-
tig sprechen. Meister auf diesem Gebiete sind die Mekkaner, die
längere Zeit für ihre Geschäfte in der Heimath ihrer Pilger gewohnt
1) teru* heisst //gerade aus, direkt’*.
2) hurung heisst //Vogel”.
3) Vergl. Mekk. Spriehw., S. 64.
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haben und herumgereist sind oder aber zu Hause eine Frau aus
jenem Lande geheirathet haben ; auch ohnedies leisten jedoch Manche
Bewundernswerthes in diesen praktischen Sprachstudien, deren Fäidah
(Vortheil) ja auf der Hand liegt. Geborene Mekkaner sprechen
atjehsch und lampongsch , sundanesisch , javanisch , maduresisch ,
raakasarisch , buginesisch fast wie ihre Muttersprache und hand-
haben diese Instrumente zur Anstellung ihrer praktisch-psychologi-
schen Studien , die durch die zunehmende Konkurrenz für die richtige
Ausübung ihres Gewerbes immer unentbehrlicher werden.
Im vorigen Kapitel war die Rede von der ausschliesslich prakti-
schen Richtung der Pflege der Geographie in Mekka: die ganze
Aussenwelt wird von den Leuten in mehr oder weniger ergiebige
Pilgerdistrikte eingetheilt. Es giebt Mekkaner, die mehr Namen von
Provinzen , Distrikten und Städten des malaiischen Archipels im
Kopfe haben als mancher holländische Schulknabe, ohne jedoch zu
wissen, in welcher Richtung all die Länder liegen. Wer in Djid-
dah bekannt ist, weiss, dass die Djäwah-dampfer nach Süden gehen
und wer selbst nach den Biläd el-Djäwah gereist ist, kennt wenig-
stens die Entfernung einiger Orte von einander und von Djiddah.
ln den letzten Jahren ist die Zahl jener in Mekka bekannten geo-
graphischen Namen bedeutend vergrössert durch die neue Ordnung
der Zunft der Djäwah-scheche '), wonach jeder einen Distrikt zur
Ausbeutung bekommt. Während der Vorbereitung dieser Reform
hörte man manchmal ergötzliche Diskussionen. Einmal entbmunte
ein heftiger Streit zwischen den betreffenden Schechen über die Frage,
ob die Landschaft Kroe auf Sumatra der Provinz Benkulen oder
den Lampongschen Distrikten zuzuzählcn sei. Der praktische Hin-
tergrund der geographischen Polemik war der, dass sowohl die Scheche,
die fernerhin auf die Benkulen 'sehen als die, welche auf die Lam-
pong’schen Pilger angewiesen sein sollten, sich Kroe’s zu bemäch-
tigen wünschten. Eigentlich hatten beide Parteien Recht, denn in
ethnographischem Sinne ist Kroe Lampongsch, die niederländische
Administration hat es aber der Provinz Benkulen einverleibt; die
1) Vcrgl. oben S. 99 L
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Entscheidung hatte jedoch der Hauptschech zu treffen , der von den
wirklichen geographischen Verhältnissen keine Ahnung hatte und
daher manchmal seine willkürlichen Sprüche mit lächerlichen Ar-
gumenten begründete. Ein anderes Mal hatte der Zunftoberst ein
Gebiet, woher fast ausschliesslich eingewanderte Buginesen als Pil-
ger nach Mekka kommen, einem Schech zugewiesen, und versprach
nun später einem andern die Buginesen jenes (nicht-buginesischen)
Gebietes. Da beschwerte sich mit vollem Recht der erste und sagte ,
ihm blieben somit nur die ungläubigen Bewohner jenes Landes.
Der Klagende war nicht einflussreich und wurde vom Zunftmeister
mit der spottenden Ausrede abgefertigt: »so Gott will, bekehren
sie sich einmal!” Infolge dessen setzten aber nachher die Scheche
jeder mit ihrem Haupte getroffenen Verabredung bezüglich einer
Gegend die Worte hinzu: // sammt ihren Betcohnern", da eine
theuer erkaufte Licenz für ein Land ohne Leute für sie keinen
Werth hatte.
Nicht weniger als die alten Araber, machen sich die heutigen
solche fremde geographische Namen erst mundgerecht '). So heisst
Atjeh Jacht , Padang Fädän, Lampong Lämfun, Deli Dili, Lang-
kat Lanka t , Palembang Felxmbän usw. Ob kleinere Distrikte hier
dem Namen nach bekannt sind, das hängt lediglich von der An-
zahl oder der persönlichen Bedeutung der dorther pilgernden Dj5-
wah ab. So ist die Landschaft Rau in Mittelsumatra viel bekannter
als manche andere, an sich weit bedeutendere. Die einzelnen Leute
bezeichnet man mit der Nisbahbildung {Felimbäni , Fädäni usw.)
oder man setzt dem Namen ihres Landes das umfassende Djäwah
vor, z. B. Djäwah Funtiäna (Leute aus Pontianak), Dj. Sambas,
Dj. Martafura (Martapura) usw. von Borneo, Dj. Mandura (Ma-
duresen), Dj. Böjän *) (aus Bawean), Dj. Sumbäwa (aus West-
Sumbäwa) Dj. Bima (aus Ost-Sumbäwa) , Dj. Mekäsar (aus Ma-
kiisar) ; die Buginesen heissen schlechtweg Bügia. In Mekka ansässige
1) Aus der Zusammensetzung Pu lau Pinang (Pinanginsei) machen sie, mit Anspie-
lung auf das arab. Wort filßl »Pfeffer”, FilfiUtn.
2) Von dieser Insel kommen jährlich viele Pilger; ich habe den Kamen von Java-
nen sowohl ab von Arabern immer Böjän sprechen gehört.
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DjSwah werden häufig mit ihrem Eigennamen und dem Namen
ihres Landes (ohne NUbah) benannt , z. B. Abd el-Q8dir Kurintjl
(aus Korintji auf Sumatra) Hasan Lämfün (aus den Lampongsehen
Distrikten), Ahmed Banten usw. Am besten sind die Distrikte der
eigentlichen Kulturländer bekannt, denn die übrigen, die Mekka
jährlich einige unwissende Pilger, aber niemals Bürger liefern, er-
regen nur in den kleinen Kreisen Interesse, die sich mit den
flüchtigen Besuchern abgeben. Daraus ergiebt sich schon, dass die
einzelnen Theile .Java’s sich der allgemeinsten Bekanntschaft erfreuen ;
jede Provinz (»Residentie”) und fast jede Abtheilung Java’s ist
auch ausserhalb der Wallfahrtszeit oft der Gegenstand lebhafter
Gespräche. Man vergleicht den Reichthum der einzelnen Regenten-
bezirke an Pilgern, die Eigen thümlichkeiten (namentlich das Maass
der Freigebigkeit) der Einwohner, man berechnet, wie viele Haddji’s
wohl im nächsten Jahre aus dieser und jener Gegend zu erwarten
seien; einheimische und fremde Werber reisen dort herum und
kehren, wenn sie Glück haben, als Icapala djamnat (Gesellschafts-
führer) mit einigen Dutzend Pilgern zu ihrem Auftraggeber in Mekka ')
zurück. Nicht bloss nach Distrikten werden nun aber die Bewoh-
ner Java’s in Mekka eingetheilt, sondern man unterscheidet noch
grossere Klassen, die je ihren eignen Charakter haben, aber in
erster Linie an ihrer Sprache zu erkennen sind. Die einen malaii-
schen Dialekt redende Bevölkerung der Provinz Batavia nennt man
nach ihrem Wohnorte Djäwah Beläwi ; die Einwohner West-Java’s,
deren Sitten einfacher, deren Auftreten selbstbewusster und deren
muslimisches Bekenntniss weniger mit Rudimenten einer vergange-
nen Kulturperiode vermischt ist, heissen nach ihrer sundanesischen
Sprache Djäwah Sunda, während die eigentlichen Javanen, deren
ganzes Leben, hier mehr, dort weniger, die Spuren der durch
politische Einflüsse scharf eingeprägten Traditionen des glänzenden
Reiches von Mattiram aufweist , mit dem seltsamen Namen der Djäwah
1) Sehr böse ging es im Jahre 1885 einigen Schechen, deren Sendlingc mit guter
Beute heimkehrten, da sie durch die inzwischen in Kraft getretene neue Eintheilung
genöthigt wurden, die schwer errungenen Pilger einem glücklicheren Kollegen abzu-
t roten !
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Meriki bezeichnet werden. Mariki heisst im Javanischen //her!” und
der Umstand, dass die Mekkaner aus echt-javanischem Munde dies
Wort hörten, wo sonstige Djäwah das jedem Mekkaner geläufige
malaiische Mari! gebrauchen, hat dem unbedeutenden Worte eth-
nographischen Werth verliehen.
Wie gesagt, vor dem Haddj werden die Djäwah-schaafe nach
- verschiedenen Seiten hin gemolken. Wie die anderen Gäste führt
man sie zu den heiligen Geburtshäusern und sonstigen Erinnerungs-
stätten, zun» Ma'lä-friedhof, wenn die Kn'bah einmal geöffnet wird ,
in dies Heiligthum , und überall werden sie von einem Bettlerheere
bestürmt, gegen welches die Führer sie auch im eignen Interesse
nur massig schützen. Dies alles gehört zu den allgemeinen Acces-
sorien der Wallfahrt, mit denen wir uns hier nicht näher beschäf-
tigen, aber einige Ausbeutungsmethoden, die speciell gegen die
Djäwah Anwendung finden, verdienen in diesem Zusammenhang
Erwähnung.
Den meisten Djäwah fehlt es in einer internationalen muhamme-
danischen Gesellschaft an der nöthigen Selbstachtung ; daraus erklärt
sich zum Theil die geringschätzende Behandlung, die ihnen oft wi-
derfährt. Ohne jede Kritik ergeben sich die Djäwah-pilger der Füh-
rung ihrer Metawwif’s; sind sie nicht Scheche in Mekka , der Stadt ,
deren Namen dem Malaien fast märchenhaft in die Ohren klingt?
Javanische Regenten und Söhne malaiischer Fürsten küssen die Hand
des ersten besten arabischen Dieners, der sie im Herzen deswegen
verspottet; sie thun dies nicht deshalb, weil sie die Leute als mo-
ralisch sich überlegen betrachten, sondern bloss weil ihnen die Re-
ligion die tiefste Ehrfurcht gegen Alles, was zum heiligen Gebiete
gehört, zu verlangen scheint. Erst wenn sie längere Zeit in Mekka
sesshaft gewesen sind, verlernen sie diese thörichte Selbsterniedri-
gung, aber solche Lebensweisheit gereicht ihrer Nation nicht zum
Vortheil. In jener ersten Periode glauben sie, gegen das reine,
heilige Mekka sei ihre Heimath einem Misthaufen gleichzusetzen,
weil die äusseren Formen des Lebens hier immer an das muslimische
Bekenntniss, dort vielfach an die heidnische Vergangenheit erin-
nern. Gleichsam mit Vorliebe halten diese Leute den Schattenseiten
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der heimathlichen Zustände nur die Lichtseiten der mekkanischen
entgegen und opfern ohne inneren Kampf jeden patriotischen Ge-
danken , jede Neigung zu heimischer Sitte dem erhebenden Bewusst-
sein der Zusammengehörigkeit mit dem grossen muslimischen Reiche.
Werden sie nun bei längerem Aufenthalt der mekkanischen Gesell-
schaft einverleibt, so beurtheilen sie diese freilich viel ungünstiger
als im Anfang, aber die Geringschätzung ihres Vaterlandes nimmt
dadurch keineswegs ab. Während sie früher zur dürftig beobachteten
mekkanischen Welt ehrerbietig hinauf blickten , sehen sie nun auf
die »unreine” Gesellschaft, der sie selbst einmal angehörten, im
stolzen Bewusstsein ihres Fortschritts hinab. Sie haben es somit
sichselbst zu verdanken, dass die Mekkaner sie erst dann als völ-
lig gleichberechtigt behandeln, wenn es ihnen gelingt, die Spuren
ihrer Herkunft fast gänzlich zu verwischen.
Selbstverständlich bewirken es nun die Mekkaner, dass die Ab-
waschung der heimathlichen Unreinheit der Djäwah nicht umsonst
geschieht. Buchstäblich thun dies die Zemzeml’s: ihnen opfern die
Malaien nicht nur die gewohnten Kosten der Stiftung eines oder
mehrerer Döraqi ') und etwa einer Matte für die Moscheebesucher ,
sondern sie werden auch wenigstens dreimal gegen Entrichtung einer
kleinen Summe durch Uebergiessung mit dem heiligen Wasser vom
Schmutze malaiischer Luft und malaiischen Bodens gereinigt; zuerst
wenn sie in Mekka ankommen, dann vor der Abreise zum Besuche
des heiligen Grabes in Medina und endlich vor der Heimreise.
Eine heilige Stätte, die von den meisten Pilgern besucht wird,
ist der Berg Abu Qubes, dessen Heiligkeit bis in heidnische Zei-
ten zurückreicht. Wie alle altarabischen Heiligthümcr und Fetische ,
denen der Islam die Bedeutung nicht zu nehmen vermochte, hat
die gläubige Phantasie auch den Abü Qubes mit allerlei Legenden
ausgestattet, welche die Wallfahrt nach demselben legitimieren
sollten, und diese nur theilweise schriftlich fixierte Volksdichtung
erlitt im Laufe der Zeit immer neue Zusätze. Auf der nördlichen
Ecke des Abü Qubes steht jetzt eine kleine Moschee, in welcher
1) V«gL üben S. «5—87.
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man dem Besucher eine Steinbildung von gleicher Farbe zeigt wie
der berühmte schwarze Stein '): hier soll der letztere hergenommen
oder hier während der Sintfluth versteckt gewesen sein; daher die
Spur, die man den Pilgern zu küssen und in deren Nähe man
ihnen ein QalSt von zwei » Abtheilungen” abzuhalten empfiehlt.
Auf einer andern, etwas vorspringenden, Ecke des Berges soll
Abraham gestanden haben , als er nach Vollendung des Ka'bahbaues
mit weittragender Stimme alle Menschen zum Haddj aufrief1 2 3 4);
hier sorgen einige Bettler dafür , dass ein kleiner umfriedigter Raum
immer mit weissem Sand bestreut ist : die Pilger treten herein ,
sagen ihren Führern einige Gebetsformeln nach und rufen laut die
Namen ihrer lieben Verwandten und Freunde in der Heimath. So
Gott will, soll die Wirkung dieses Aufrufs an heiliger Stelle die
Folge haben , dass die Betreffenden einmal zum Haddj kommen.
Endlich ist aber auf dem Berge noch eine grosse, ungefähr vier-
eckige Grube in den Boden gemauert, deren der gelehrte Qutb
ed-dln vor mehr als drei Jahrhunderten mit folgenden Worten s)
gedachte: »Oben auf dem Berg ist eine Cisteme, welche die Men-
» sehen (als heilig) besuchen. Es ist aber keineswegs das Grab Adams ,
»sondern eine Cisteme, die man dort in alter Zeit, als sich noch
»eine Festung auf dem Gipfel des Berges befand, zur Aufnahme
»des Wassers gebaut hat. Die Leute behaupten , dass wer am
»Samstag auf dem Berge Abu Qubes gesottenen (Schaafs-)kopf ♦)
»isst, sein Leben lang von Kopfweh befreit bleibt; darum drän-
»gen sich dort die Menschen an jedem Samstagmorgen, das Heil-
»mittcl anzuwenden”.
Seitdem der Chronist Obiges schrieb, hat man die Cisteme für
1) Vergl. Verhandll. der Ges. f. Erdk. zu Berlin, Bd. XIV, S. 146.
2) Auch zur Weihung des r/Maqam Ibrahim” genannten Steines musste die Legende
des Aufrufs dienen, vorgL mein //Mckkaansche Feest”, 8. 45 — 6.
3) C M III : 443.
4) Ucber den Verkauf von //Köpfen” als einen besonderen Erwerbszweig in Mekka
vergl. schon Azraqt, S. 456: J-aaJ ^yS qLmJI , und etwas weiter:
; heutzutage verkauft man auf dem Markte fertig gekochtes yjj
(vergl. Mekk. Sprichw., S. 52) und //Fässchen” ; den Verkäufer nennt man
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den Ort erklärt, wo der Kasten Noah ’s gelandet ist, und geniesst
man die gekochten Schaafsköpfe in der Cisteme: in deren Wand
sind einige rohe Stufen ausgehauen, auf denen man hinabsteigen
kann, und auf dem Boden wird für jede Gesellschaft eine Matte
ausgebreitet. Nicht nur am Samstag, sondern an jedem beliebigen
Tag werden solche Mahlzeiten veranstaltet; seit vielen Jahren sind
aber die einzigen Theilnehmer die Djäwah- pilger *). Natürlich las-
sen die Scheche sie die Köpfe theuer bezahlen und essen selbst den
grössten Theil davon.
Beispielsweise sei noch eine ähnliche Sitte erwähnt, die nur von
den leichtgläubigsten Djäwah befolgt wird. Ein wenig nordöstlich
von Mekka liegt bekanntlich der kegelförmige Berg Hirä, jetzt «Berg
des Lichts” genannt. Seine aus dem Heidenthum stammende Hei-
ligkeit hat man durch mehrere Legenden zu islaraisieren gesucht: 1°
Muhammed soll dort seine erste Offenbarung erhalten haben; 2"
der Berg habe ihm als Zuflucht gedient, als die Feinde ihm nach-
setzten *) ; 3° er habe ihn einmal vor den sich nähernden Feinden
gewarnt. Eine mündliche, volksthümliche Tradition verlegt nun aus-
serdem dorthin die bekannte Geschichte, wie zwei Engel das Herz
Muhammeds aus seinem Körper herausnahmen und, nachdem sie
es in einer goldenen Schanle gereinigt hatten , wieder an seine Stelle
legten. Zum Wallfahrtsort ist der Berg den meisten Pilgern gewor-
den; nur bei den Djäwah gelang es aber den Mekkancm, aus
einer albernen Komödie der »Reinigung des Herzens” eine neue Quelle
des Gewinns zu machen. Damit den naiven Leuten ohne herzzerreis-
sende Operation der Segen der Nachahmung des Propheten zu Theil
werde, heisst man sie einige Datteln auf die Brust legen und die-
selben mit einem arabischen (dünnen, runden, biegsamen) Brote
bedecken. Feierlich schneidet nun ein Pamsit des »Lichtbergs”
1) Im Regierungskalcnder des Hidjäz für 1303 heisst es denn auch auf S. 155:
»Qazwini zählt in seinem Buche «die Wunder der Schöpfung" unter den Eigenschaften
»des Abu Qubea die auf, dass wer dort gebratenen (Schaa(s-)hopf isst, von Kopfweh
„frei bleibt; dadurch ist bei vielen Fremden die Begierde erregt, das tu thun, namenl-
nUch bei den Djdtcahpilgern."
3) Das Gleiche wird vom südlichen Berge Thaur erzählt, woran einzelne Gelehrte
Anstoss genommen haben, CM III: 447.
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das Brot entzwei und holt im Namen Allahs, des allbarmherzigen
Erbarmers, die das Herz darstellenden Datteln heraus. Die dabei
gesprochenen Gebete werde mit dem Brot, den Datteln und einem
Geldgeschenk bezahlt. Betonen wir jedoch, dass ein bedeutender
Theil der Djäwah sich von diesem Spiele fern hält.
Zur gründlichen Abwaschung der angeborenen Unreinheit bedarf
es aber für die Djäwah noch einer wichtigen Handlung: der Um-
änderung ihrer Eigennamen. Dass Fremde, die sich in Mekka nie-
derlassen , ihr»; dem arabischen Munde unaussprechlichen Namen in
arabische umändern oder , weil sie hier incognito leben wollen ,
einen anderen Namen annehmen , ist gar keine Seltenheit. Die Djä-
wah erhalten aber in Mekka alle einen neuen, arabischen Namen,
ob sie nun bloss zum IJaddj oder zum längeren Aufenthalte ge-
kommen sind. Zum Theil mag dies eine Folge der einheimischen
Sitte sein , bei wichtigen Abschnitten des Lebens (z. B. bei der Ehe
oder dem Antritt eines neuen Amtes) den Namen zu wechseln *);
die Mekkaner haben aber auch aus dieser Neigung Vortheile er-
zielt. Sie haben bei den Djäwah den Wunsch erregt, die Namens-
änderung feierlich durch eine gewissermaassen geweihte Person vor-
nehmen zu lassen, damit sich daraus reicherer Segen ergebe; es
versteht sich , dass der neue Name dann aber auch ein Geldgeschenk
an den Geber erfordert. Vor langer Zeit sollen vorzüglich drei Män-
ner sich der Benennung der Djäwah gewidmet haben : ein Mufti der
Schäßiten (wer dies Amt bekleidet, gilt überhaupt, aber besonders den
Djäwah , als die höchste geistliche Autorität der heiligen Stadt) ; ein
Imam der Moschee, unter dessen Leitung viele Djäwah sich in der
kunstgerechten Recitation der Fät’hah zu üben pflegten, und ein Rejjis,
d. h. Oberhaupt der Mu’eddins , zugleich Astronom der Moschee ,
welcher Beamte von jeher bei feierlichen Gelegenheiten mit dem
lauten Singen von Gebetsformeln im oberen Stockwerke des Zem-
zemgebäudes beauftragt ist. Die Nachfolger jenes Muftis , die Erben
jenes Imäms (zugleich seine Nachfolger im Quränunterricht) und die
Nachkommen jenes Rejjis (die von dem Amte bloss den Familien-
1) Vergl. Prof. P. J. Veth, Java, I: 641 — 8.
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namen »Rejjis” behalten haben) beanspruchen nun in gleichem
Maasse das Recht, Djäwahgesellschaften zur feierlichen Namens-
änderung in ihrem Hause zu empfangen. Alle drei stellen den
Umgetauften Zeugnisse aus, worin sie mit ihrer Unterschrift be-
stätigen, dass Haddji N. N. aus dein Orte X. von jetzt an den
Namen Z. zu tragen habe; der schäfi'itische Mufti lässt sich sogar
zur Erleichterung der Arbeit Formulare drucken, sodass er nun
bloss je den alten und den neuen Namen einzuschreiben hat. Bei
der Wahl der neuen Namen richten sie sich nach dem eigenthiim-
lichen Geschmack der Djäwah; diese haben nämlich, ausser für
die üblichsten muhammedauischen Namen (Muhammed, Ahmed,
Ali, Hasan, Husein, Abu Bekr, Omar, Othmän, Abdallah usw.)
eine besondere Vorliebe für die Namen berühmter muslimischer
Gelehrten, woher man denn auch unzählige Malaien findet, die
etwa SchSfi'I, Räfi'I , Nawawl, Senüsl, Ghazäll, Scherblnl1) usw.
heissen.
Wenn solche Pilger bei der Geburt Namen erhalten haben,
die ihre Muttersprache oder etwa ursprünglich dem Sanskrit an-
gehören, so hat die Aenderung wenigstens den vernünftigen Sinn,
dass die Mekkaner sie fortan mit Namen anreden können und dass
ihre Namen nicht , wie das mit den einheimischen oft der Fall ist,
in arabischen Kreisen zum Spott Anlass geben. Man denke z. B.
an das gerade in den vornehmsten javanischen Namen häufig l>e-
gegnende Wort KusumS, welches jeden Araber an die allergomeinste
Form der Abfertigung in ihrer Muttersprache {Kuss ummuh u pu-
dendum matris istius”) erinnert, und dergleichen mehr. Aber auch
den zahlreichen Djäwah, die schon von ihrem Vater einen arabi-
schen Namen bekommen haben , wird hier dennoch ein neuer bei-
gelegt, und so edle Namen wie Ahmed usw. etwa in Ghazäll usw.
umgeändert. So verführerisch wirkten die Geschenke, dass man zu-
letzt in Medina angefangen hat, die Namen der bereits in Mekka
umgetauften Djäwah bei ihrem Besuch des heiligen Grabes aber-
mals umzuändem. Seitdem die bequeme Austheilung von Namen
1) Im Djawah-munde werden diese Namen natürlich in verschiedener Weise ent-
stellt (Sapfngi oder Sapi’i, Rapingi oder Rapi’i, Nawdwi, GadjuLi, Sarbini usw.).
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zum einträglichen Geschäft wurde, hat die Regierung den Mitglie-
dern der neuen, kleinen Zunft befohlen, sich mit Taqrirs (Licen-
zen) zu versehen, ohne welche also die Konkurrenz als Pfuscherei
betrachtet wird; ja, es war einmal die Rede davon, dass die ge-
druckten Formulare von Seiten der Behörden den drei Konkurren-
ten gegeben werden sollten, die dann für jeden verbrauchten Zet-
tel einen bestimmten Betrug zu entrichten hätten.
Einmal war ich bei dem Mufti Ahmed Dahlän zum Besuch,
als man eine Gesellschaft von dreizehn neuer Namen bedürftigen
Pilgern aus Kediri (Java) anmeldete. Sie kamen in Begleitung ihres
Schechs; die Wahl zwischen den drei Konkurrenten wird für die
meisten Pilger von ihren Schechen getroffen, und der Begünstigte
ist deswegen wohl genöthigt, dem Schech, der ihm Pilger zuführt,
eine Courtage auszuzahlen. Ceteris paribu« ist der Mufti bei Wei-
tem im Vortheil, denn seinem Einfluss in Mekka und der Ach-
tung, die sein hohes Amt bei den Djawah geniesst, haben der
Imam Ahmed Fiiqlh und Ali Rejjis nicht viel entgegenzusetzen.
Dafür versprechen die Letzteren ihren Gönnern einen grösseren
Antheil an der Beute, manchmal sogar die Hälfte, während der
Mufti dem Schech nur eine kleine Gabe überreicht. Die dreizehn
Leute aus Kediri traten in das kleine Zimmer, wo ich neben dem
Mufti auf den Karäunt ') sass, und setzten sich nahe der Thür.
Einen nach dem Andern hiess der Schech zum Mufti gehen; krie-
chend, als wagten sie es nicht, zur heiligen Majestät emporzublicken ,
kamen sie dem Befehle nach und küssten dann die lederne Hand
des Greises. Der Alte fasste Jeden bei der Hand und sagte ihm
das muslimische Glaubensbekenntniss vor, welches der Patient mit
bebender Stimme wiederholte. « Wie ist dein Name?” hiess es auf
arabisch; auf die dem Pilger unverständliche Frage gab der Schech
die Antwort. Sofern die Namen javanisch klangen, schrieb sie der
Mufti gar nicht fehlerfrei nach. Kaum konnte sich der Mufti vor
Lachen halten, als Einer sagte, sein Vater habe ihm den Namen
Abd Manüf gegeben (der den Diener des alt&rabiachcn Götzen
1) Yergl. oben S. 40.
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Manäf bezeichnet); er fragte noch, ob er nicht eigentlich Abd
el-Mannän heisse, aber die Antwort war unzweideutig verneinend.
Natürlich hatte der javanische Vater in Unwissenheit gesündigt.
In zehn Minuten waren Alle mit neuen Namen versehen und hat-
ten ihre Plätze bei der Thür wieder eingenommen. Mann für Mann
krochen sie nun abermals zum Greise, der neben seinem Sitze ein
kleines Tuch ausgebreitet hatte; indem sie ihm zum Abschied die
Hand küssten, legten sie je ihren Dollar unter das Mendil, schli-
chen rückwärts und gingen zur Thür hinaus. Mit heuchlerischer
Miene stellte sich der Schech, als wollte er seinen Pilgern ohne
Weiteres folgen, wurde aber vom Mufti zurückberufen. »Man hat
mir erzählt, es seien aus Kediri 25 Pilger gekommen” sagte der
Mufti. »Bei Allah, mein Schech, das mag auch wohl sein, aber
»dann sind die übrigen 12 meinem Kollegen N. N. zugewiesen
»worden , denn bei Gott dem Grossen und in Gott dem Edlen ') ,
»ich habe bloss diese 13 bekommen; sonst hätte ich sie alle zu
»dir geführt.” — »Nun gut, also nimm dies” und hiermit über-
reichte er dem Schech 2 Dollars von den 13 unter dem Tuche
liegenden. »Allah lohne dir Gutes”; und damit war die Feierlich-
keit zu Ende.
Wenn wir die Durchschnittspilger von den Djäwah auf allen Wegen
begleiten wollen, so bleibt uns jetzt (abgesehen von den eigentli-
chen Wallfahrtsceremonien und den möglichst zahlreichen täglichen
Umgängen um die Ka'bah und Galats in der Moschee) noch etwa
dreierlei zu erwähnen übrig. Während die bisher besprochenen
Handlungen von ungefähr allen Haddji’s vorgenommen werden , ha-
ben für die jetzt zu beschreibenden Beschäftigungen nur diejenigen
Zeit , die schon vor oder kurz nach dem Ramadhan eintreffen , oder
aber nach dem Haddj noch einige Wochen in Mekka bleiben. Von
den Djäwah , die sich auf längere Zeit niederlassen , soll erst weiter
unten die Rede sein.
Einige, die wochenlang vor dem Haddj unter der Obhut eines
frommen Pilgerschechs in Mekka leben , werden von dem Schech
1) Waliähi 'l-'azim wabillahi 'l-karim , eine in Mekka sehr übliche Form des Fides.
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selbst (dies namentlich, wenn die Pilger seine Landsleute sind) oder
auf dessen Betrieb von einem kundigen Landsmann in die gesetz-
lichen Vorschriften bezüglich der Wallfahrt eingeführt. Dabei legt
man ein malaiisches oder in einer andern, den Betreffenden ver-
ständlichen Sprache geschriebenes Manäsikbuch ') zu Grunde. Man
vergesse nicht, dass bei Weitem die meisten Pilger in das heilige
Land kommen ohne eine Vorstellung von den Ceremonien, aus denen
sich die grosse und die kleine Wallfahrt zusammensetzen. Viele
kehren sogar als Haddji’s in dieser Hinsicht so klug heim wie zuvor ä).
In ziemlich grossen Schaaren werden sie Tag für Tag durch die
Stadt gehetzt, von einem heiligen Orte zum andern; die Ceremo-
nien macht man ihnen leidlich genau vor, die Ilersagung der For-
meln geschieht schon etwas weniger gewissenhaft, weil die Fremden
doch fast nichts davon verstehen, aber wer hätte in jenen unruhi-
gen Wochen Zeit, den Einzelnen die Bedeutung der Verrichtungen
auch nur oberflächlich zu erklären ? Woher soll der Djäwah erfahren ,
dass die Besuche der unzähligen Kuppeln und Erinnerungshäuser,
der Eintritt in die Ka'bah, die Uebergiessung mit Zemzem usw.
gar nicht zur obligatorischen Wallfahrt gehören? Jedenfalls werden
ihm seine Führer dies nicht erzählen, denn wahrscheinlich wäre
dann die Theilnahme an den ermüdenden Spaziergängen geringer,
und das würde den Einnahmen der Freunde des Führers, somit
auch diesem selbst schaden. Viele Pilger behalten von den Stra-
pazen eines Tages nur eine sehr verwirrte Erinnerung, worin ent-
setzliches Gedränge, Zusammenstösse und Schreie, Hitze und Durst
einen bedeutenden Platz einnehmen. Dass Alles richtig gewesen sein
wird, glaubt er seinem Scheche aufs Wort, aber von ihm verlange
man keine detaillierte Beschreibung. Schon aus diesem Grunde war
die Anstellung der Haddji-prüfungen , die früher in Niederländisch-
Indien von Regierungsbeamten abgehalten wurden, ganz unzweck-
1) Vergl. oben S. 292 f.
2j So erklärt sieh die Thatsache, dass Burckhardt , der selbst die „kleine Wallfahrt”
machte, diese ganz unrichtig beschreibt, als wäre die Vorbereitung zu derselben der
Hauptbestandteil, und dass er sowie Burton als die Hauptsache des Haddj oine //Pre-
digt” darstcllen, welche gar nicht atattündet
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massig. Sehr gewissenhaft verfahren also die Scheche, die ihrer Pil-
gerheerde vorher die Mittel geben , die zu verrichtenden Ceremonien
als Theile eines rituellen Ganzen zu verstehen. Für solche Djüwah ,
die schon längst vor dem Ramadhan angekommen sind, halten ihre
kundigen , in Mekka sesshaften Landsleute auch wohl Vorträge über
die Fastengesetze.
Der zweite geistige Gewinn, zu dessen Erlangung viele Djäwah
einen kurzen Aufenthalt in Mekka benutzen, ist die Verbesserung
ihres Quränvortrags. Den malaiischen Sprachorganen wird die rich-
tige Recitation nach den Kunstregeln ausserordentlich schwer; dazu
kommt, dass in manchen Gegenden der Djäwahländer die kundigen
Lehrer fehlen. In wenigen Wochen bringt man es in der Qiräjeh
freilich nicht allzu weit; man kann aber wenigstens die in jedem
Qalät einige Mal zu recitierende Fät’hah (l,,e Sarah) unter guter
Leitung ordentlich vortragen lernen. Für den Unterricht in der
Qirajeh werden in der ganzen muhammedanischen Welt die Lehrer
bezahlt; die Autoritäten der Gesetzeskunde sagen ausdrücklich, den
Qurän dürfe man für Geld lehren oder vortragen (z. B. bei feier-
lichen Gelegenheiten) , und solche Beschäftigung sei sehr empfehlens-
werth. Darum feiern die Quränlehrer nicht, solange es etwas zu
verdienen giebt, und einige Faqih'a in Mekka sind geradezu Spe-
zialitäten in der Dressur der Djäwahpilger, die vor oder nachdem
Haddj hier einige Zeit verbleiben. Die, welche viel Zeit oder be-
besonders günstige Anlagen haben, bringen wohl ein ganzes Djuz
des Quräns) oder wenigstens mehrere kleine Suren fertig; sonst
verwenden sie etwa alle' Vormittage eine Stunde auf den Vortr.ig
der Fiit'hah, bis sie diese zur Befriedigung ihrer arabischen Lehrer
herausbringen. Unter diesen Lehrern erfreut sich der oben ') er-
wähnte Imäin , Ahmed Fiiqlh , des grössten Zulaufs ; ihm ist es
deshalb sehr angenehm, wenn die manchmal schon alten Schüler
nach der ersten Sürah aufhören, weil er so Zeit gewinnt, neuen
Schülern vorzusingen, und die meisten Geschenke gerade in der
ersten Lehrperiode gegeben werden.
1) S. 322.
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Endlich melden sich Viele bei einem mystischen Schech an , um
in der kürzesten Weise in seine Tariqah aufgenommen zu werden ')•
Natürlich beschrankt sich die Einweihung in solchen Fällen auf
die Aeusserlichkeiten , die Dikr'a, Wird 's, viele gemeinschaftliche
Uebungen und einzelne Tawädjuh's mit dem Schech, kurz soviel
von den im vorigen Kapitel beschriebenen Erziehungsmitteln, als
nöthig scheint, um die Leute auf das Gelöbniss des Gehorsams
vorzubereiten. Die oben ’) erwähnten Scheche Challl Pascha (der
aus Daghustan stammt) und Suleiman Efendi sowie ein anderer
Challl (Efendi) haben zahlreiche »Munds” im ganzen malaiischen
Archipel; zum Theil haben sie den Unterricht eines von diesen
drei Schechen selbst genossen, die Uebrigen, die nicht zum Haddj
gekommen waren, sind von den Chalifah’s in die Genossenschaft
aufgenommen, die jeder Schech in Ostindien angestellt hat. Na-
mentlich auf Sumatra, Westjava und Südbomeo blühen die drei,
nur durch die Personen der in Mekka sesshaften Scheche getrenn-
ten Zweige der Naqschiböndl-bruderschaft , aber auch weiter östlich
und südlich leben viele zerstreute Brüder, und in den englischen
Straits Settlements soll diese Tariqah ein reges Leben entwickeln.
Hier finden sich viele Elemente zusammen, die aus den niederlän-
dischen Besitzungen verbannt sind oder sich wegen der hemmen-
den Bestimmungen über die Zulassung fremder Orientalen nicht
hineinwagen; auch halten sich manche von Mekka nach Ostindien
Fahrende auf der Durchreise hier auf. Für die religiöse Bewegung
in Ostindien sind jene Punkte daher sehr beachtenswerth , und
dass man sich dort nicht auf die abstrakte Religionslehre beschränkt,
das hat uns der traurige Atjehkrieg gelehrt.
Sehr viele nach mystischem Segen begierige Djäwah, namentlich
zahlreiche Javanen , wenden sich aber auch in der heiligen Stadt vor-
zugsweise an einen Landsmann , der ihnen als Führer auf dem Wege
zu Allah dienen kann. Zwar haben auch Suleiman und Challl
mehrere Gehülfen, die aus den Djäwah ländern stammen, und wird
diesen ein guter Theil des Unterrichts überlassen, aber recht ge-
1) Vergl. oben S. 281 — 5. 2) S. 210 ff.
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müthlich befinden sich die Djäwah doch erst in einer Bruderschaft,
deren Haupt sie in ihrer Muttersprache anredet. Unten werden wir
sehen, dass diesem Bedürfnisse in der Djäwahkolonie zu Mekka
völlig entsprochen wird.
Die grosse jährliche Wallfahrt, das lladdj , nimmt nur etwa
sechs Tage in Anspruch. Die Reise von Mekka nach Muna (dt 2
Stunden) und von dort nach ‘Arafat (± 4 Stunden) wird den Pil-
gern für arabische Verhältnisse sehr bequem gemacht; das wirre
Durcheinander kleiner und grosser Karawanen, die ungewöhnliche
Pilgerkleidung usw. machen das Glanze jedoch für Neulinge ziem-
lich anstrengend. Natürlich haben die Djäwah ordentlich zu zahlen
für die Kameele, die sie sammt dem nöthigen Gepäck nach
dem heiligen Thal und der heiligen Ebene befördern, für den Ge-
brauch eines Theils des von ihrem Führer mitgenommenen Zeltes,
für die in ‘Arafat und Muna abgehaltcnen Mahlzeiten; ausserdem
ermuntert man sie aber zur Schlachtung möglichst vieler Hammel.
Man erklärt ihnen, nicht bloss das eigentliche Festopfer ( Qurbän )
könne man in Muna darbringen und Uebertretungen des Pilgerge-
setzes durch Opfer sühnen , sondern man erwerbe sich grossen Lohn ,
wenn man an heiliger Stätte auch für sich und seine Verwandten
die wahrscheinlich vernachlässigten 'Aqtqah- opfer ') schlachte. All-
mählich ist es sogar zur Gewohnheit geworden, den Djäwah ein-
fach eine Geldsumme zum Qurbän und zum ‘AqTqah abzuver-
langen, ohne ditss man später genau berechnet, wie viele Hümmel
im Namen jedes Pilgers geopfert sind. Die Häute der immerhin
zahlreichen Muna-opfer, welche man nach dem heiligen Gesetze
nicht verkaufen darf, bilden nichtsdestoweniger einen Exportartikel
für Europa. Mehrere kleine Prellereien , denen bei den grossen Haddj-
versammlungen die Djäwah wie die übrigen Pilger ausgesetzt sind,
können wir übergehen.
Unsere bisherige Darstellung dürfte genügen, vorsichtige Leser
zu einem Urtheil über die Bedeutung des Haddj für das religiöse
Leben Ostindiens zu befähigen, sofern die flüchtigen Besucher Mekka’s,
1) Yergl. oben S. 137.
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die eben nur zum Haddj kommen, dabei betheiligt sind. Man hüte
sich vor dem allzu üblichen Generalisieren! Diese Kunst verstehen
unsere »Kenner” ostindischer Zustände trotz dem Besten : von einem
Residenten, der oft mit Haddji’s in unliebsame Berührung kam,
hört man , die Haddji's seien die Plage der einheimischen Gesell-
schaft, sie reizten die Eingeborenen zur Widerspänstigkeit , säten
Fanatismus und Europäerhass usw. ; ein anderer, den der Zufall
mit gefügigen Haddji’s zusammengebracht hat, dem solche z. B. als
sehr brauchbare »Jungen” gedient haben, entgegnet, das alles sei
Erfindung ungeschickter Kollegen , denn wer mit den Haddji’s zu
verkehren wisst; (wie der Redende), lerne sie als recht solide Leute
kennen. Alle gehen von der falschen Hypothese aus, die Haddji’s
als solche hätten einen eigenen Charakter.
Leser, die nicht mit den Zuständen Niederländiseh-Indiens be-
kannt sind , dürften sich über jenen Irrthum der Regierungsbeamten
wundern; er hat aber eine sehr begreifliche Ursache. Allerlei Um-
stände haben in jenem Archipel dem Haddji-titel einen vornehmeren
Klang verliehen, ab vielleicht in einem andern lande der Fall
sein dürfte: die weite Entfernung von Arabien, die vor der Zeit
der Dampfer der Wallfahrt viele Hemmnisse entgegensetzte; die
späte Islatnisierung der Djäwahländer , wegen derer im Binnenlande
die Kenntnisse von den Vorschriften des Gesetzes und deren Be-
folgung sehr dürftig sind, sodass Jeder, der auch nur kurze Zeit
in einem muslimischen Kulturcentrum gelebt hat, dort als Autori-
tät gilt; die Sitte der meisten Djäwah pilger, sich nach ihrer Heimkehr
durch Nachahmung der Tracht arabischer Städter von ihren Lands-
leuten zu unterscheiden und meistens auch etwas treuer als die
Masse der »kleinen Leute” die rituellen Religionspflichten zu erfül-
len; diese und ähnliche Verhältnisse haben namentlich auf Java,
aber auch auf den anderen Inseln, die Haddji's gewisserinaassen
zu einer von der übrigen Bevölkerung verschiedenen Klasse erhoben.
Sie lebten und leben theilweise auch jetzt noch auf Kosten ihrer
Landsleute, die nicht den heiligen Boden betreten haben; das aber-
gläubische Volk legt von ihnen zubereiteten Amuleten einen hohen
Werth bei und meint vielfach, ein Haddji müsse zweifelsohne aus
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Mekka mehrere Elmu's (‘Jim; geheime Künste) mitgebracht haben.
Der grosse Unterschied /.wischen denen , die lediglich das IJaddj und
die üblichen Accessorien durchgemacht haben, und solchen, die
ein jahrelanger Aufenthalt in Mekka zu Theilhabem an der ara-
bisch-inuhainmedauisehen Kultur gemacht hat, entzieht sich der
Beobachtung der Djäwah in den Binnenländern. Aus alledem lässt
sich ’s erklären , dass die Regierungsbeamten , die das religiöse Leben
der Eingeborenen immer nur oberflächlich kennen lernen , die Haddji’s
als eine Art Geistliche betrachtet haben ; da nun aber früher manche
Djäwah sich ohne Berechtigung den Haddjititel beilegten, führte
jener Irrthum die Regierung ferner zu der thörichten Einrichtung
des Pilgerexamens, das noch dazu, aus den oben angegebenen Gründen,
gar nichts zur Beseitigung des Missbrauchs beitragen konnte.
Es begreift sich, duss die ungeheure Zunahme der Pilgensahl in
den letzten Jahrzehnten auf die Dauer jenes Ansehen der Haddji’s
herabdrücken muss. Schon jetzt hat sich diese Wirkung so bemerk-
bar gemacht, dass manche Beamte sich deswegen freuten und vom
weiteren Zunehmen des Verkehrs die Beseitigung der verwünschten
Haddji-einflüsse erwarteten. Wenn nur noch die arabische Tracht
von der Regierung verboten werde *) , hiess es , so könne man das
Weitere ruhig der Zeit überlassen. Alle derartigen falschen Schluss-
folgerungen sind auf die falsche Prämisse zurückzuführen, dass die
Wirkungen, welche von Mekka als muslimischem Centrum aus
sich über Indonesien verbreiten , bloss oder doch hauptsächlich
durch Vermittelung 'der Masse des * Pilgerviehs” zur Geltung
kämen. Zur richtigen Würdigung der Erscheinungen des muslimi-
schen Lebens in Ostindien ist aber ein tieferes Eindringen noth-
wendig, als wozu die Stellung der Regierungsbeamten Gelegenheit
bietet; namentlich sind dabei die bisher so gut wie unbekannten
Verhältnisse der Djäwah-kolonie in Mekka zu berücksichtigen.
Alle Bedeutung der Tausende von Haddji’s im ostindischen Ar-
chipel für das Leben ihres Volkes zu leugnen, wäre freilich nur
1) Dios wäre insofern folgerichtig, als die Regierung von allen Einwohnern Ostin-
diens verlangt, dass sie sich nur in ihre Nationaltracht kleiden; die Tracht der west-
arabischen Städter ist nun einmal als Uniform der Haddji's officiell anerkannt.
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eine Umkehrung der von uns bekämpften Uebcrtreibung in ihr
Gegentheil. Wiewohl viel hundert der jährlich heimkehrenden Pil-
ger nicht einmal genaue Bekanntschaft mit den Haddjceremonien
von der Reise heimbringen, ohne tiefe Eindrücke von einer bis
dahin unbekannten Welt kehren doch nur die allerdümmsten Djäv,
wah aus Mekka zurück. Die religiös-politische Gewalt des Islam’s,
welche ihnen vorher nur aus den populären Legenden über die
graue Vorzeit und aus den märchenhaften Erwartungen bezüglich
der Endzeit bekannt war, hat sich ihnen als in der Wirklichkeit vor-
handen offenbart. Daheim hörten oder lasen sie von dem grossen
Sultan von Rüm (Konstantinopel) , dem die "sechs ungläubigen
Sultane” unterworfen und zinspfliehtig seien, allein sie bemerkten
im Leben nicht das Geringste von seiner Allmacht. Ihre in Mekka
ansässigen Landsleute behalten meistens, auch nachdem sie welt-
klug geworden sind, jene naive Vorstellung von den europäischen
Verhältnissen bei; sie lernen zwar, dass es eigentlich mehr als
sechs ungläubige Sultane gebe und dass die Unterwürfigkeit gegen
den muslimischen Hauptsultan bisweilen zu wünschen übrig lasse,
aber sie bleiben dabei, dass eine ungläubige Macht nur ihrer Ver-
tretung in Stambul eine gewisse Bedeutung verdanke '). Sie be-
stärken also die Söhne ihres Landes, die als Pilger zu ihnen
kommen, in dem ersten Eindruck des Erstaunens über die that-
siichliche Grösse des Islam’s. Nicht weniger als daheim giebt es
hier Soldaten, aber solche, die das Galat verrichten; die Beamten
der hiesigen Regierung befolgen zwar manchmal eine Methode , die
den Wünschen der Bevölkerung schnurstracks zuwiderläuft, aber
sie sind Muslime und fürchten Allah. Ueberall, in den Strassen
und in der Moschee waltet eine Autorität, die sich von Allahs
Willen herleitet; viel glänzender als hier, soll sich die erhabene
Regicrungsgewalt in Konstantinopel offenbaren, worüber einige we-
]) Wenn in mekkanischen Kreisen von einer bisher wenig bekannten europäischen
Macht die Hede ist (wie e. B. von Italien anlässig der Niederlassung an der Küste
des Rothen Meeres in Abyssinien), so heisst es gleich: traralu hlambül »sind sie bis
nach Konstantinopel gekommen (d. h. haben sic eine Gesandtschaft beim Sultan der Welt)?”
Von den Chinesen sagen die Mekkaner oft, sie bildeten eigentlich kein Reich, denn
mä wagtthl Istanbul.
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nige, vielgereiste Djäwah zu berichten wissen nach dein, was sie
aus der Ferne beobachten konnten. Ja, Mekka ist der geistige,
Stambul der materielle Mittelpunkt der Welt, und im Hinblick
auf jene beiden Centra gehören alle gläubigen Djäwah zusammen.
t Schon auf der Seereise und mehr noch in Mekka begegnen sich
Djäwahpilger aus den verschiedensten Gegenden des Archipels; ihr
Gedankenaustausch erhält höhere Bedeutung dadurch , dass ihre in
Mekka sesshaften Landsleute demselben eine bestimmte Richtung
verschaffen. In einer sehr gemischten Djüwah-gesellschaft erkundigt
sich z. B. ein in Mekka wohnender Javane bei den anwesenden At-
jehem nach dem Laufe der Dinge in ihrer Heimath. Die Ant-
wort lautet, sie hätten die verwünschten Holländer beinahe hin-
ausgejagt und würden gewiss einmal damit fertig. Ein in Regie-
rungsämtern ergrauter, pensionierter Javane meint, das Verhalten
der Atjeher sei unvernünftig: »Europäer müssen uns nun einmal
beherrschen, das steht in Allahs Rath; wozu dann die Holländer
hinauswerfen, Geld und Blut vergeuden, um schliesslich an ihrer
Statt Engländer als Herrscher zu bekommen?” Die Atjeher ent-
gegnen höhnend, solche Feigheit der Javunen vermehre eben den
Uebermuth der Käßra ; bei ihnen kämpfe man auf dem Wege
Gottes, und trotz den teuflischen Kriegsmaschinen der Christen
hätten sie Tausende von diesen in die Hölle geschickt. »Gerade so
wie jetzt die Sudanesen es mit den Engländern machen” fügt ein
in Mekka ansässiger Djäwah hinzu. »Hört”, sagt ein Atjeher,
»wie unverkennbare Wunder Allah zu unserem Heile wirkt; in
»Kemäla, bei unserem Sultan, lebt ein Knabe, der auf der Brust
»ein zweites Gesicht hat, ähnlich wie am Kopfe; jedesmal, wenn
»et wies gegen den Holländer unternommen wird, befragt man vor-
»her das zweite Gesicht ; schlägt es die Augen auf und ruft der
»obere Mund : Man für (Siegreich !) , so ist man des Sieges gewiss;
»macht dasselbe hingegen die Augen zu, so bleibe man daheim,
»denn es wird nichts aus dem Unternehmen.” Ein zweiter weiss
Grösseres zu erzählen: »es giebt bekanntlich einzelne Holländer1),
l) Desertierte Kolonialsoldaten.
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//die den wahren Glauben annehmen und zu uns herüberkommen;
»wenn nun die Feinde solche einfangen, hängen sie sie auf und
»kehren, zum Hohne des Islams, den Rücken der Märtyrer der
» Qibla/i zu. Einmal wurde ein sehr frommer Holländer so gefan-
»gen und zum Tode verurthcilt. Keiner von uns wusste, an wel-
schem Tage er gehängt werden sollte, aber als unser Schech Sa-
»man di Tirau eines Tags immerfort weinte, ohne selbst die
»Ursache seiner Thränen zu kennen, da ahnte er, jener Holländer
»sterbe jetzt den Märtyrertod. Später stellte sich die Ahnung als
»richtig heraus. Bei der Ermordung hatte aber Allah folgendes
» Kerdmat (Wunder) gewirkt: Als die Offiziere lachend den Hinte-
»ren des Märtyrers nach der Qiblah wendeten, kam plötzlich ein
»Windstoss auf, der die Leiche gerade umkehrte und mit dem
»Gesicht nach Mekka richtete. Hie ungläubigen Offiziere riefen alle
»vor Schrecken: Subhäna 'lläh!” »Auch bei uns”, versetzt ein
Mann aus Palembang, »ist den Regierungsbeamten bange gewor-
»den; denkt einmal, neulich war dem Residenten zu Ohren ge-
»kommen , man dociere in den Moscheen aus einem Sabil al genannten
»Buche. Dies ist bekanntlich das malaiische Buch Sabil al-muhla-
» din (Weg derjenigen, die sich rechtleiten lassen), worin die Haupt-
»gesetze der Religion erklärt werden. Da nun die Holländer wissen,
»der Prang sabil sei der heilige Krieg , so glaubte der Dummkopf,
»es werde der Krieg gegen die Holländer öffentlich gepredigt, und
»Hess die unschuldigen Bücher mit Beschlag belegen. Seitdem wird
»dem Unterricht in den Moscheen von Seiten der Beamten mög-
» liehst entgegengewirkt; fern von den Augen der Regierung pfle-
»gen wir aber das Studium der Religion um so fleissiger, und, so
»Allah will, soll sich einmal die Befürchtung des Residenten be-
»währenl” Auf die prahlende Mittheilung eines Atjehers, seine
Landsleute hätten in einer Schlacht 17000 Holländer getödtet , entgeg-
net der javanische Beamte , er wisse bestimmt , dass überhaupt nicht so
viele Holländer in Atjeh seien. Verächtlich heisst es darauf: »warst du
etwa in Atjeh ?” und die andachtvollen Gesichter aller anwesenden Djä-
wah , die eigenen Landsleute des Beamten nicht ausgenommen , beleh-
ren ihn , dass seine weltklugen Bemerkungen hier nicht am Platze sind.
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Fast bis ins Unendliche könnte ich fortfahren, wollte ich alle
Gespräche ähnlichen Inhalts wie das obige wiedergeben, denen ich
in Mekka zuzuhören Gelegenheit fand, und worin vorzüglich die
eigentlichen Pilger (d. h. nicht in Mekka sesshafte Leute) aus den
Djäwahländern ihre Meinung austauschten. Sie waren mir weniger
erquicklich als lehrreich. Wenn man nicht mit solchen »Eingebo-
renen” auf völlig gleichem Fuss verkehrt hat, so dass sie nicht
wissen, dass ein europäischen Ohr ihre Worte vernimmt, giebt man
sich immer noch gewissen Illusionen hin, glaubt man doch, gewisse
Seiten der europäischen Kultur seien den Leuten sympathisch ge-
worden oder imponierten ihnen wenigstens. Alles Trug und Schein !
Gleichviel ob die Djäwah einen Regierungsbeamten, einen Kauf-
mann oder einen Soldaten reden lassen , es sind alles Karikaturen ,
die sie Einem vorführen , weil die Europäer allzu wenig bedenken ,
dass auch der »Eingeborene” Eindrücke erhält und verarbeitet,
und ihm somit ohne Anstand die schlechtesten und dümmsten Sei-
ten ihres Wesens zeigen.
An einfacher, praktischer Menschenkenntniss sind die naiven Djä-
wah den Europäern weit überlegen. Ein Malaie, der einige Zeit
mit einem Europäer verkehrt, berührt diesen unzählige Mal unbe-
merkt mit seinen feinen Fühlhörnern uud richtet sein Benehmen
nach den Resultaten solcher Experimente ein. Wenn er seinen Zweck
erreicht, so beutet er die schwachen Seiten seines »Freundes” or-
dentlich aus, bleibt sich aber dabei immer bewusst, dass er das
Wesen des Europäers nicht ergründen kann , denn dazu fehlen ihm
zu viele Daten und liefert ihm das Bekannte zu viele jeder Aus-
gleichung trotzende Widersprüche. Nie habe ich einen Djäwah be-
haupten hören, er kenne und verstehe die Europäer. Selbst ver-
hüllen die Leute ihr wirkliches Fühlen und Denken dem europäischen
»Freunde” so geschickt, zeigen sich immer so gleichförmig und
doch natürlich , dass der »Freund” allmählich glauben kann , das
Herz des »Eingeborenen” in seinen Tiefen durchschaut zu haben ,
während er nichts als den Herzensdeckel gesehen hat. Mit keinem
Gegenstände thun aber die Djäwah Europäern gegenüber so geheim ,
wie mit allem zur Religion Gehörenden, weil sie, sobald es darauf
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kommt, bei ihren weissen »Freunden” auf Unwissenheit, Spott
oder Unglauben stossen. Wer sie aus Neugierde oder vermeintlichem
Interesse befragt, zeigt durch Form und Inhalt der Frage, dass
er von dem berührten Punkte und von Allem, was damit zusam-
menhängt , nicht das ABC. versteht , und nöthigt somit den höf-
lichen Befragten , ihm etwas vorzusch watzen. Andere machen anliissig
der halbverstandenen , gut gemeinten Antwort gleich Bemerkungen ,
die dem Redenden den Mund verschliessen , weil er sich erinnert,
man befinde sich auf einem Gebiete, das sich nicht zur gemein-
samen Behandlung eignet. Endlich giebt es leider Thoren, die auch
den Eingeborenen nicht mit ihrer »Aufklärung” verschonen und
ihm mittheilen, nach den letzten Befunden der Wissenschaft gebe
es keinen Gott. Ein einfacher Imäm aus den Molukken theilte mir
mit, der höchste Regierungsbeamte seines Wohnorts habe ihm ge-
genüber »sogar ohne betrunken zu sein” diese Weisheit verkündigt;
er könne sich allerdings denken, dass es Leute gebe , die ihren Ver-
stand den augenfälligen Beweisen für das Dasein Gottes (abgesehen
von der Offenbarung) verschliessen, aber dass eine Regierung sol-
chen Leuten wichtige Stellungen anvertraue! Mit einem fanatischen
Christen wäre unser Muhammedaner besser ausgekommen, denn er
wusste ja , dass andere Bekenntnisse als das seinige existieren , aber
jener Beamte hatte sichselbst ein Zcugniss des Wahnsinns ausge-
stellt !
Fast jeder Zug, den ich meiner »Schilderung der Europäer durch
die Djäwah in Mekka” hinzufügen könnte, würde eine neue Schat-
tenseite der in Ostindien lebenden Holländer in mehr oder weniger
übertriebener Weise bezeichnen. Nicht deswegen verzichte ich auf
die weitere Ausführung, sondern weil sie zu viel Raum einnehmen
würde. An siclv wäre jedes Detail aus jenem einseitigen Rassenur-
theil für uns lehrreich, und sollten wir hie und da wegen der
in der Karikatur verborgenen Wahrheit vor Scham erröthen , so
kann es uns zum Trost gereichen , dass die Bilder der Franzosen ,
Engländer und Russen , welche die von ihnen beherrschten Muslime
in Mekka entwerfen, nicht schmeichelhafter sind als die von den
Djäwah gezeichneten Porträts der Holländer.
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In allen jenen Darstellungen ist richtige Beobachtung mit Miss-
verständnis vermengt; überall zeigt sich aber, dass an letzterem die
Europäer selbst zum guten Theil schuld sind. Vorzüglich weil in
England die schönsten kolonialpolitischen Programme gemacht wer-
den und weil manche Engländer behaupten, ihre Herrschaft über
Hindustan beruhe auf der Sympathie der unteijochten Völker, fällt
es uns auf, dass wir in Mekka aus dem Munde der indischen Mu-
hammedaner nur Worte des bittersten Hasses gegen die lngltz ver-
nehmen. Zwischen Theorie und Praxis liegt ja auch bei uns eine
bedeutende Strecke; dennoch sprechen sich einzelne (namentlich in
amtlichen Kreisen lebende) Djäwah in dem Sinne über unsere
Herrschaft aus, dass sie sich gleichgültig in sie fügen, und einen
Malaien aus Pontianak (Borneo) habe ich sogar zum Aerger der
anwesenden Mekkaner eine förmliche Apologie der holländischen
Regierung vortragen hören. Wenn uns nicht die holländischen Ba-
jonnete schützten, sagte er, so hätten uns längst die Chinesen ver-
trieben; unsere ungläubigen Beamten sind aber gerechter als die
Türken, und »ein Königreich geht eher durch Tyrannei als durch
Unglauben zu Grunde”. Dies ist freilich das einzige Zeugniss der
Art, das ich zu hören bekam; dagegen stiessen die Inder gegen
ihre Herren nichts als Verwünschungen aus. Unzweideutig ging aus
den Gesprächen der Inder hervor, dass nicht allein Rassenantipathie
und religiöser Fanatismus, sondern auch die verletzende und ge-
ringschätzige Art des Verkehrs der meisten Engländer mit ihren
» natives ' den Hass begründete. Viel besser kam die »russische -
Knute” dabei weg. Die Macht Russlands imponiert den Centrala-
siaten, und deren Wirkungen betrachten viele daher als Ausflüsse
des unergründlichen göttlichen Willens. Die theokratische Verfassung
erscheint den Muslimen als vernünftig , die volle Anerkennung ihrer
religiösen Rechte als eine Wohlthat. Trotz dem durch den letzten
Krieg geschürten Fanatismus gegen die »Mosköf”, der sich nament-
lich in Mekka in gehässiger Weise äussert, hört man hier über
keine europäische Regierung günstigere Urtheile aussprechen als über
die russische, sobald die Besprechung von dem theoretischen Reli-
gionshass zu Einzelheiten der Verwaltung abschweift. Wenn aber Alge-
II u
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rier über Frankreich reden, hört man aus jedem Worte die Ver-
achtung der Muslime für eine republikanische Verfassung heraus;
es ist das reine //Reich der Verrückten” sagen sie. Einzelne wissen
von dem vielköpfigen Parlamente zu erzählen, das faktisch regiert
und seinen Sitz in Paris, //dem Paradies der Ungläubigen” hat,
wie dort mit groben Worten und hie und da mit Revolverschüssen
über die höchsten Interessen des Landes diskutiert und verfügt wird.
Keine Umgebung wäre mehr als die mekkanische geeignet , aus allen
Franzosen Monarchisten zu machen.
Kehren wir aber zu unseren Djäwah zurück. Wir kennen jetzt
die religiösen und politischen Einflüsse, denen sie beim Haddj aus-
gesetzt sind. Selbstverständlich wirken dieselben nicht auf alle Djä-
wah-pilger in gleichem Maasse; diese sind mehr, jene weniger fa-
natisch oder pietistisch angelegt. Bei solchen, die in der Heimath
vorher in den Pesanlren's , Soerau's, Mandarsah's oder in den
Moscheen Unterricht genossen haben, ist die Empfänglichkeit für
eine panislamitische Gesinnung am grössten; in der grossen, un-
gelehrten Masse der Haddji’s sind immer Einzelne, die von der
Wallfahrt die Keime des rohen Fanatismus mitnehmen. Im grossen
Ganzen sind von der höchsten Bedeutung: die in immer grösserem
Maassstabe betriebene, einstweilen freilich oberflächliche, Aufnahme
der Pilger in die mystischen Genossenschaften; der rege Verkehr
mit Mitpilgernden aus dem ganzen Archipel, mit in Mekka ansäs-
sigen Djäwah, und die sich im Gedankenaustausch entwickelnden
Eindrücke von der allen Ungläubigen trotzenden Macht , die der Islam
in seinem geistigen Centrum zu entfalten scheint; endlich die That-
sache, dass manche Pilger in Mekka zuerst an die regelmässige
Erfüllung ihrer täglichen rituellen Pflichten gewöhnt werden und
somit als gut disciplinierte Gläubige heimkehren.
Alles dies lässt man ausser Acht, wenn man von der Stellung
der Haddji’s in Ostindien redet und dabei fast ausschliesslich an
die unterscheidende Tracht und die (allmählich abnehmende) Ver-
ehrung des Volkes für die Heimgekehrten denkt; nicht in der
Pilgerfahrt selbst noch in dem arabischen Gewände hat man die
durch die Haddji’s vermittelten Strömungen aus Mekka nach Ost-
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indien zu suchen, sondern in den erwähnten, neben und um das
arabische Fest liegenden Dingen, mit denen die meisten Pilger in
Berührung kommen. Darum kann denn auch von dem Verbote
der arabischen Tracht nicht eindringlich genug abgerathen werden;
es würde nichts bewirken als Verschärfung des Fanatismus. Auch
durch die Zunahme der Pilgerzahl wird keinem Uebel abgeholfen;
höchstens wird die Bevölkerung dann etwas weniger von Haddji’s
ausgebeutet, und entstünde also die Frage, wer in dieser Bezie-
hung an die Stelle der Haddji’s treten wird, denn solange die
Bevölkerung nicht durch ihre eigene Bildung gegen solche Ver-
suche geschützt ist, hilft alle vormundschaftliche Fürsorge nichts
und werden sich immer neue Ausbeuter finden.
Sehr viel wichtiger als die Tausende von Pilgern, die nach
dem Haddj in ihre Heimath zurückkehren, sind die Hunderte,
oder auch nur Dutzende, die in Mekka bleiben und sich der
Djäwah-kolonie anschliessen , vielleicht später gar Kinder erzeugen,
die von der Geburt an der mekkanisehen Gesellschaft angehören.
Als wir oben das volksthümlich-mekkanische Urtheil über die Djä-
wah auf seine Ursprünge zurückführten, sahen wir schon, dass in
den letzten Jahren nicht mehr alle Djäwah aus reiner Frömmigkeit
in der heiligen Stadt bleiben •. viele junge Leute benutzen das
Mengadji (das Studium) lediglich als Vorwand, um die Jahre vor-
nehm durchzufaulenzen, solange die Verwandten Geld schicken oder
die Gläubiger Geduld haben. Ferner reisen nicht nur manche junge
Männer jährlich her, um vornehmeren Landsleuten, die sich hier
ansiedeln, aufzuwarten, sondern es lassen sich auch solche, die als
Diener eigentlicher Haddji’s ankamen, durch in Mekka sesshafte
Djäwah von der Heimkehr abhalten und gehen in den Dienst der
Letzteren über. Solche Diener, unter denen jedes Alter van 8 bis
etwa 30 Jahren vertreten ist, können nicht viel mehr als ein paar
Stunden täglich auf ihre religiöse Bildung verwenden; jene Andere
finden sogar diesen Zeitraum bald zu lang, da sie ganz ihrem
weltlichen Vergnügen leben wollen. Bei der geringen Vorbildung
der Einen und dem Mangel an Neigung bei den Anderen genügt
das nicht zu eigentlichen Studien ; sie beschränken sich denn auch
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gewöhnlich auf die Pflege der göttlichen Musik des Quränvortrags.
Diesen Unterricht nehmen sie fast niemals bei ihren Landsleuten,
weil es gerade auf die ungefalschte arabische Aussprache ankommt;
dieselben Fdqih's , die wir bereits ') als Lehrer der Djäwah-pilger
kennen lernten, und mehrere andere empfangen täglich zu verschie-
denen Stunden einige DjSwah bei sich und lassen sie je ihre Auf-
gabe hersagen. Unter diesen Qurfinlehrern der ansässigen Djäwah
ragte 1885 ein Schech Muhammed Menschäwl, der ausserdem als
Professor im Haram angestellt war, besonders hervor; die jungen
Djäwah machten einander jede verfügbare Stunde des Menschäwl
förmlich streitig. Die Quränschüler besuchen den Lehrer, wenn sie
eben Zeit haben; verfehlen sie ihn einmal oder werden sie abge-
halten, so bedarf das keiner Entschuldigung. Sie zahlen ihm 1 — 2
Gulden im Monat und geben ihm an Festtagen kleine Geschenke.
Viele Djäwah, auch solche, die sich ganz dem Studium widmen,
bleiben dem Fäqlh 10 — 12 Jahre hindurch treu und üben sich
immerfort, sofern sie nicht anderweitig beschäftigt sind.
Im Uebrigen macht die Religion jenen beiden Klassen der an-
sässigen Djäwah (den Dienern und den Faulenzern) nicht besonders
zu schaffen; sie befolgen sogar bald die laxere Praxis mancher
Mekkaner und verrichten nicht einmal alle täglichen Qaläts in der
Moschee, weil sich auch bei ihnen die »Sättigung” *) fühlbar macht.
Dabei treten sie jedoch vielfach in die Tariqah’s ein: wenn sie
mit einem Platze an den äussersten Rändern des Brüderkreises zu-
frieden sind, werden ihnen dadurch keine schweren Pflichten auf-
erlegt, und die minimale Anstrengung erzeugt in ihnen doch das
Bewusstsein, dass sie etwas Ausserordentliches leisten, während die
regelmässige Handhabung des Rosenkranzes und das Summen der
Wird ’s ihr Ansehen im Auge der Landsleute erhöht. Einigen ist
aber auch diese Mühe noch zu viel; solche hörte ich die Weige-
rung, sich in eine Bruderschaft aufnehmen zu lassen, damit be-
gründen, sie blieben schon so weit hinter den Anforderungen des
religiösen Gesetzes zurück, und wenn sie nun durch das einem
Ordensschech zu leistende Gelöbniss freiwillig neue Pflichten auf
1) Oben 8. 327. 2) Vergl. oben 8. 81.
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sich nähmen, liefen sie Gefahr, in unnöthiger Weise die Zahl
ihrer Sünden zu vergrössern.
Dauernde Anziehungskraft übt auf diese Leute vorzüglich das
heitere Leben der Mekkaner in der stillen Jahreszeit aus; sie wer-
den nicht müde, sich an der Feier der Heiligentage, der Hoch-
zeits- und anderer Familienfeste zu betheiligen , und die Gastfreiheit
der mittleren Klassen in Mekka sowie die Neigung auch der ge-
lehrten und frommen Djäwah zu Festlichkeiten bietet ihnen dazu
fast täglich Gelegenheit. Wiederholt habe ich Malaien , die in Mekka
tief in Schulden steckten, für erwiesene Dienste mit Geschenken
von 10 — 20 Dollars belohnt; das Resultat war fast ausnahmslos,
dass sie am nächsten Tage festliche Mahlzeiten veranstalteten, zu
denen ich selbst und mehrere Djäwah eingeladen wurden und
deren Kosten meine Gaben weit überstiegen. Jedes Rediirfniss nach
Ordnung in finanziellen Angelegenheiten geht diesen Leuten ab;
die Last der durch Wucher stets zunehmenden Schulden empfinden
sie bloss in den Augenblicken, wo ihnen der Gläubiger mit Dro-
hungen entgegentritt. Sonst lachen sie, wenn sie auch für morgen
nichts zu essen haben , und sagen : für meinen Lebensunterhalt
vertraue ich auf Gott!
Zum frohen Leben gehören aber noch die Weiber. Es finden
sich zu jeder Zeit »Mekkanerinnen”, namentlich egyptischer Her-
kunft, die ihre Reize einem Djäwah zur Verfügung stellen wollen,
bis sic ihn gänzlich ausgezogen haben. In der Djäwahkolonie er-
zählt man sich folgende Anekdote, die den Sachverhalt richtig
kennzeichnet: Ein einäugiger Djäwah, hässlich wie die Nacht,
kam mit seinen 2000 Dollars nach Mekka und miethete sich zu
längerem Aufenthalt eine kleine Wohnung. Bald meldete sich ein
guter »Freund” und theilte ihm zu seinem Erstaunen mit, eine
schöne Egypterinn, die in der Nähe wohnte, habe sich sterblich
in ihn verliebt und wünsche um jeden Preis, seine Frau zu wer-
den; sie biete ihm gem die Gelegenheit, vorher ihre Bekanntschaft
zu machen. Der Djäwah erblickte darin einen seltenen Gnadenbe-
weis Allahs und begab sich zu seiner Liebhaberinn, die den bei
ihm erregten Erwartungen völlig entsprach; in wenigen Tagen war
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er ein glücklicher Ehemann. Die vornehme, reizende Frau kam
ihm jedesmal, wenn er aus der Moschee heimkehrte, lächelnd
entgegen, küsste ihm die Hand, hiess »ihren Herrn” willkommen
und liebkoste ihn. Genug, der Mann glaubte sich in ein vorläufi-
ges Paradies versetzt. Für sich verlangte die Frau nichts als seine
Gegenliebe und die einfachsten Speisen und Getränke; nur machte
sie dem Gatten kein Hehl aus ihrem Schmerz wegen der ärmli-
chen Lage ihrer lieben Mutter, der sogar die nothwendigste Klei-
dung fehlte. Dem Mangel half der Mann natürlich schnell ab und
trocknete so die Thränen der pietätsvollen Frau.
Im Laufe weniger Wochen wurde nun aber jedesmal neuer
Schmerz der Gattinn offenbar wegen der Armuth ihrer Schwestern,
Tanten und Nichten; namentlich dies machte ihr Sorge, dass man
ihren guten Mann schmähen werde, weil er ihm verschwägerte
Frauen in so elender Lage leben liess. Der Djäwah war so völlig
in die Gewalt der Frau gerathen, dass er immer ihren Wünschen
zuvorkam , ohne auf die allmähliche Leerung seines Beutels zu
achten. Schliesslich blieben ihm von den 2000 Dollars bloss einige
Piaster übrig. Als er nun eines Tags ins Wohnzimmer trat , fiel es
ihm auf, dass seine Frau ihm nicht, wie sonst, entgegenkam, sich
vielmehr verhielt, als sähe sie ihn nicht. Vielleicht ist sie krank,
sagte er sich und schritt nun selbst zu ihr, sie zu liebkosen;
eigentlich geziemte sich diese Vertheilung der Rollen ja auch bes-
ser. Nicht ohne Widerstreben liess sich die Schöne auf den Schooss
des Scheusals ziehen und blickte mit lieblosen Augen zu ihm em-
por: »Mein Herr! was ist das? ach! du hast nur ein Auge; und
»was für Narben sind da auf deiner Stirn?” Da ging dem bethör-
ten Djäwah ein helles Licht auf. »Du Tochter eines Hundes! drei-
maliger Taläq (Ehescheidung) über dich!” sagte er zur grössten
Befriedigung der Dame, die nun nach drei Monaten dasselbe Spiel
mit einem andern Djäwah anfangen konnte.
Dies warnende Beispiel wird in Djäwahkreisen häufig erzählt,
was jedoch nicht verhindert, dass jährlich viele Neulinge in die
Falle gehen. Vorsichtige junge Djäwah lassen sich von guten
Freunden rathen und suchen eine leidlich aussehende Gattinn, die
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massige Ansprüche erhebt. Solche Weiber finden aber, solange sie
im besten Alter stehen , leicht bessere Partien als Malaien , die
billig leben wollen. Diese müssen sich deswegen mit dem Ueber-
schuss des Marktes begnügen und Weiber heirathen, denen daran
liegt, in kurzer Frist einen Ernährer zu bekommen. So entstehen
nun mit Hülfe der Kuppler die undenkbarsten Verbindungen:
sechszchnjührige Javanen verheirathen sich mit dreissig- und mehr-
jährigen Mekkanerinnen, die ihre Mütter sein könnten, und er-
zeugen hie und da Kinder mit ihnen. Beide verzehren manchmal
zusammen ihre letzten Pfennige, machen Schulden, und das Ende
ist nicht selten, dass der Djäwah nach seiner Heimath entflieht
und Weib und Kind unversorgt zurücklässt. Solche Kinder gehö-
ren durch Geburt und Erziehung dem mekkanischen Gesindel an ,
wenn nicht ausnahmsweise ein Glücksfall ihnen das Mitleid eines
vermögenden Djäwah zu Theil werden lässt. Der Einfluss , den die
hier besprochenen Djäwah in Mekka oder nach ihrer Heimkehr
auf ihre Landsleute ausüben, lässt sich nicht von einem Gesichts-
punkte aus zusammenfassen; heilsam ist er auf keinen Fall. Aus
diesen Kreisen gehen aber manche Pilgerscheche hervor, die in der
höchsten Noth für geborgtes Geld eine Licenz kaufen in der Hoff-
nung, dass sie von ihren Landsleuten bald Kapital und Zinsen
zurückgewinnen werden , oder deren Ehrgeiz l) ihnen den Titel des
Schechs begehrenswerth macht. Einige sinken dabei immer tiefer
und tiefer herab. Andere, namentlich die ohne Schuld anfangen
oder daheim tüchtige Verbindungen haben, machen gute Geschäfte ,
obgleich der Mangel an regelmässiger Administration und die Epi-
demie der Leihkontrakte immer bedeutende Schwankungen ihrer
Vermögensverhältuisse herbeiführt.
Von den Schechen und Schechgehülfen , die aus den Djüwah-
liindem stammen, reisen viele alle paar Jahre einmal hin und her,
bald zu eigentlichen Geschäften, bald um die Verwandten persön-
lich zur Freigebigkeit zu ermuntern oder um in der unwissen-
den Umgebung aus ihrer spärlichen Wissenschaft oder oberflächli-
1) Ycrgl. oben S. 305.
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chen Beziehung zur Tariqah etwas klingende Münze zu prägen.
Pensionierte Beamte, Grundbesitzer und sonstige wohlhabende
Leute oder Solche, die von ihren Verwandten ein mehr oder weniger
bestimmtes Stipendium erhalten , wählen Mekka zur zweiten Heimath,
um fernerhin ein ruhiges, nur der Religion geweihtes Leben zu
führen. Mögen diese nun lediglich mit peinlicher Sorgfalt die (Paläts
in der Moschee und möglichst viele kleine und grosse Wallfahrten
mitmachen , »des Segens halber” *) Vorträge anhören , von denen
sie wenig verstehen , oder auch Ordensbrüder werden •. ihre Bedeutung
für die Gesammtheit liegt vorzüglich in dem von ihnen hier ver-
ausgabten Gelde , wovon ein guter Thoil der Djawahkolonie anheim-
fällt. Ihre Wirkung auf das geistige Leben Anderer ist also eine
durchaus indirekte.
Den Kern der Djawahkolonie bilden die Lehrer und die Studen-
ten; in Mekka sind sie am höchsten angesehen, von ihren pilgern-
den Landsleuten geniessen sie die innigste Verehrung, und von
Mekka aus beherrschen sie das religiöse Leben ihrer Heimath. Fast
alle Djäwah, die in der heiligen Stadt lehren, haben sich erst hier
zu solcher Höhe emporgeschwungen; im ostindischen Archipel giebt
es zwar Gelegenheit, muhammedanische Studien gründlich zu be-
treiben, aber trotzdem würde kein Djäwah siph erdreisten, hier in
anderer Stellung denn als Schüler anzufangen. Der Lebensgang dieser
Gelehrten gehört somit sehr wesentlich zur Geschichte der Djäwah-
kolonie und ist für dieselbe in hohem Grade charakteristisch ; denn
auf die von ihnen errungene Stellung richten sich die Blicke der
zahlreichen zu ihren Füssen sitzenden Landsleute als das höchste
Ziel ihres Strebens.
Sehr verschieden sind die Verhältnisse, unter welchen die Djäwah
die wissenschaftliche Laufbahn in Mekka anfangen. Regenten und
kleine Fürsten senden von mehreren Söhnen einen nach Mekka,
damit er gleichsam im Namen der ganzen Familie sein Leben der
heiligen Wissenschaft widme; sie empfehlen ihn der gütigen Auf-
sicht frommer in Mekka ansässiger Freunde und schicken ihm jähr-
1) Vergl. oben S. 256.
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lieh die erforderlichen Mittel. Auch die niedrigeren Beamtenkreise
liefern der mekkanischen Studentenschaft ähnliche Beiträge. Junge
Djäwah, die als Diener nach Mekka gekommen sind, zeigen hie
und da besondere Begabung für das Studium, und gute Freunde
erleichtern ihnen dann wohl die Sorgen des Lebens. Aber auch
Knaben und Jünglinge wandern aus dem ostindischen Archipel
nach Mekka mit wenig andern Hülfsmitteln als ihrem Vertrauen auf
Allah , ohne anderen Zweck als die langsame Eroberung der arabi-
schen Wissensfächer. Bei Einigen von diesen wirkt nur ein kind-
licher Drang nach den geheimnissvollen Höhen, der erst später die
bestimmte Form bewussten Strebens annimmt; Andere haben schon
eine bedeutende Strecke auf dem Wege des Wissens in der Hei-
math zurückgelegt, und bei ihnen erwachte daher die Lust zum
Reisen erst später, als sie das Ungenügende der Lehrmittel ihres
Landes empfanden und aus Mekka wiederkehrende Studenten von
den geistigen Reichthümem erzählen hörten, die dort jedem zur
Verfügung stehen.
Wenn sie durch die That ein ernstes Streben bekunden , kommt
man ihren materiellen Bedürfnissen in verschiedener Weise entge-
gen. Aeusserst glücklich erachten sie sich, wenn ein bedeutender
arabischer Gelehrter sie als Leibdiener in sein Haus aufnehmen
will'); sonst finden sie leicht Unterkommen und Essen bei einem
malaiischen Gelehrten , und in beiden Fällen haben sie ausgesuchte
Gelegenheit zum Studieren. Ausserdem giebt es in Mekka mehrere
Waqf häuser für Nachbarn Allahs , die je einer bestimmten DjSwah-
völkerschaft angehören: am bekanntesten sind einige geräumige
für Atjeher gestiftete, ein paar für Leute aus Banten und ein
paar für Malaien aus Pontianak (Borneo). Zum Theil wurden sol-
che Stiftungen von einem vornehmen Herrn gegründet, als er das
Iladdj machte, und später auf seine Kosten durch Vermittlung
eines von ihm eingesetzten Verwalters unterhalten; so z. B. die
vom Sultan von Pontianak für seine Landeskinder erbauten Häu-
ser, deren Errichtung er vor wenigen Jahren bei seiner Wallfahrt
1) Tergl. oben S. 302 und unten den Lcbcnagang dca Abd es-Schakür aus Surabaja.
II
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angeordnet hat. Andere Waqfhäuser sind aus Geldmitteln erbaut,
die irgend ein Schech bei den von ihm »geführten” Pilgern und
deren Landsleuten allmählich mit dem Nebenzweck eingesammelt
hat, selbst als Direktor des Waqf zu seinen und seiner Freunde
Gunsten über die besten Räume zu verfügen. In dieser Weise war
ein sehr schönes Waqfgebäude für Atjeher zu Stande gekommen,
das unweit meiner Wohnung am »Nachtmarkte” ( Suq el-lel) *)
lag. Ein Pilgerschech , der besonders die Haddji’s aus Atjeh aus-
beutete, hatte seine Kunden jahrelang um kleine Beiträge für das
zu errichtende Haus gebeten, war selbst zur weiteren Einsamm-
lung nach Atjeh gereist, mit guter Beute von dort heimgekehrt
und verwaltete jetzt das Stiftshaus, als wäre es sein Eigenthum.
Die erste Etage bewohnte er selbst, einen Theil des zweiten sein
Schwiegersohn und in vielen kleinen Zimmern lebten ärmere At-
jeher, die zwar aus den übrig gebliebenen Fonds vom Schech ihren
Lebensunterhalt bekamen, ihm dafür aber allerlei Dienste zu leis-
ten hatten. Ferner nahm er keinen Anstand, die vielen verfügbaren
Zimmer auch Nicht-atjehern gegen Geschenke (d. h. faktisch eine
Miethe) zur Benutzung zu überlassen; das damit gewonnene Geld
kam ja doch wieder .... zum Theil den Atjehern zu Gut ! Die
Kurzlebigkeit haben die Djäwahstiftungen mit allen ihren Schwes-
tern gemein, aber zu jeder Zeit finden doch namentlich Studenten
aus Ostindien unschwer Wohnung und etwas zur Ernährung.
Die sich zum höchsten Range der Djäwahgelehrten emporschwin-
gen, werden von ihren Landsleuten immer reichlich beschenkt; die
auf niederer Stufe stehen bleiben, verbinden di« Lehramt mit der
Fremdenführung, oder reisen ab und zu nach ihrer Heimath, wo
ihr Licht höher bezahlt wird, weil die Konkurrenz fehlt. Sehr viele
1) Ein neues Beispiel der immerfort sieh bildenden lokalen liegenden bietet die Er-
klärung dieses Eigennamens, die jetzt in Mekka gang und gäbe ist. Obgleich sich aus
den Chroniken der Stadt ergiebt, dass die Bezeichnung dieses Stadtthcils als »Naclit-
markt” erst in späterer, islamischer Zeit aufgekommen ist, erzählen die Mckknncr
jetzt, als die ungläubigen Quraischiten die Familie des Propheten belagerten und allen V
Handelsverkehr mit derselben verpönten, hätten einigo besser Gesinnte hier heimlich
im nächtlichen Dunkel die Häschimidcn mit ihrem Bedarf versehen, und seitdem sei
der Name Suq el-141 an dieser Strasse haften geblieben.
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suchen und finden nach einigen Jahren des Studiums zu Mekka
in ihrem Vaterlande Stellung als Hauptgeistliche (Penghulu’s, Itnam's)
einer Moschee oder als Hauptlehrer einer von jenen zahlreichen
Unterrichtsanstalten, wo die Djäwah in die Anfangsgründe der
Wissenschaft des Islams eingeführt werden. Als Hauptgeistliche
sind sie dort zugleich Verwalter der Moscheegüter, bekommen an
vielen Orten einen Antheil an der Zakät und üben in Angelegen-
heiten des Familienrechts eine gewisse Gerichtsverwaltung aus, die
auch etwas einträgt. Die Lehrer geniessen vielfach Einkünfte aus
Gütern, die als Waqf’s mit den Schulen verbunden sind, oder
sie haben andere Vortheile, wären es auch nur die Geschenke
wohlhabender Schüler und die Hülfe, die weniger Begüterte ihnen
bei der Bebauung ihrer Aecker leisten. Während die Besucher
einer Schule sonst gewöhnlich alle Einwohner der Provinz sind,
worin die Anstalt liegt, strömen einem namhaften Lehrer, der
seine Studien in Mekka absolviert hat, aus den entlegensten Ge-
genden Lernbegierige zu.
Aus allen muslimischen Landern Indonesiens leben also in der
heiligen Stadt einige Männer zusammen, bei denen der jahre-
lange Verkehr mit einander in gemeinsamem Streben ein viel leb-
hafteres Bewusstsein der Einheit ihrer islainisierten Rasse erzeugt,
als der kurze Aufenthalt dies bei den Haddji’s zu thun vermag.
Die Zahl und der persönliche Werth der aus einen Lande gekom-
menen Kolonisten kann einigermaassen als Maassstab dienen zur
Abschätzung der Gewalt, welche der Islam dort errungen hat;
fast könnte man in Mekka eine Karte entwerfen, um die Verbrei-
tung des Islams in Ostindien und seine Intensität in den einzelnen
Theilen des Archipels zu veranschaulichen. Immerhin wäre einer
solchen Karte bloss relative Genauigkeit beizumessen, denn diese
Diener der Wissenschaft vertreten nur eine Seite der geistigen Kultur
ihrer Länder. An nationalen Eigentümlichkeiten , die sich auch im
religiösen Leben ausprägen, fehlt es ihnen keineswegs, aber die alt-
heidnischen Elemente einheimischen und indischen Ursprungs, die
für das volkstümliche Leben in ihrer Heimath in hohem Grade
charakteristisch sind, haben sie völlig abgestreift. Derartige zähe
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Ueberreste vorislamischen Wesens widersetzen sich aber allenthalben
der gründlichen Umbildung der Lebensverhältnisse im Sinne des
Islams, und in keinem muslimischen Lande hat sich die Reform
auch nur annähernd vollzogen. In Gebieten, wo der Islam 8 — 9
Jahrhunderte länger als z. B. auf Java herrscht , spukt der Aber-
glaube nicht weniger frei herum als 'hier, werden unter neuen Na-
men altheidnische Feste gefeiert und lebt der reine Monotheismus
Muhammeds nur als Formel auf den Lippen seiner Bekenner. Be-
denkt man dabei, dass der Islam von jenen Inseln nicht plötzlich
durch Waffengewalt, sondern ganz allmählich durch innere Reform
Besitz ergriffen hat, so muss man zugeben, dass die Erfolge , welche
diese Religion bei den Djäwah errungen hat, sich den glänzend-
sten in früheren Zeiten erkämpften an die Seite stellen lassen.
Die Reaktion der alten , nicht geringzuschätzenden Kultur gegen
die Lehre Muhammeds hat bei den Djäwah keine ketzerische Sekte
hervorgerufen ; was hier früher an Ketzerei vorhanden war , das hatten
die ältesten schfitischen Verbreiter des Islam’s eingeführt , und diese
Richtungen gaben der späteren orthodoxen Strömung ohne Wider-
stand nach. Nichts Anderes bezeugen die zähen Ueberreste der Ver-
gangenheit in den vor dem Eindringen des Islam’s am meisten civi-
lisierten Djä wahländern als die bekannte historische Wahrheit,
dass ganze Völker nicht Übermacht von einer neuen, wenngleich
gewaltigen, Idee völlig umgeschaffen werden. Durch den Islam ver-
pönte Sitten und Gebräuche werden überall von den Gebildeten , die
nicht durch Europäisierung den Zusammenhang mit ihrem Volke
verloren haben, als Missbrauche anerkannt. Zu den Söhnen ihres
Landes, die den vorislamischen Menschen gründlich abgestreift ha-
ben, blicken die Uebrigen, auch wenn sie selbst noch mit einem
Fuss auf heidnischem Boden stehen, als zu ihren Meistern und
Führern empor. Noch zu schwach, sie nachzuahmen, erbetteln sie
sich ihren Segen und ihre Fürbitte und glauben ihrem Worte. Jede
geistige Bewegung ist eine muslimische, jede antieuropäische Gesin-
nung oder Empörung erhebt die Fahne der Religion , jedes populäre
Zukunftsprogramm hängt mit der muhammedanischen Eschatologie zu-
sammen, und die mystischen Scheche und c Vlatnü geben die Parole aus.
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Ausführlicher, als der Rahmen dieser Darstellung es mir ge-
stattet, habe ich wiederholt die oben kurz angedeuteten Thatsachen
hervorgehoben: hier sollte die Erinnerung vorzüglich zur richtigen
Schätzung des Einflusses dienen, den die Djäwahkolonie in Mekka
auf ihre Heimath ausübt. Einen praktisch verwerthbaren Blick auf
das Leben eines Volkes gewinnt man nicht durch die Versenkung
in seine immer schärfer von ihm selbst verlengnete Vergangenheit;
den aus der Tiefe Hervorgestiegenen charakterisiert nicht der Schmutz,
der noch an seinem Körper haftet , sondern eben die Thatsache , dass er
emporgestiegen ist. Nicht auf Kleinigkeiten kommt es hier an ,
sondern auf das Ziel, nach welchem die Gesammtentwickelung
hinstrebt; was die Djäwah sein wollen, fragt sich, nicht was sie
gewesen sind. Darüber sollte nun aber auch den Unkundigsten die
seit Jahrhunderten stetig fortschreitende Verbreitung des Islams
über alle Theile Ostindiens belehren. In Ländern, wo die Bevölke-
rung schon islamisiert ist, vertreten die mystischen und gelehrten
Autoritäten (wegen des niedrigen Bildungszustandes allerdings auch
die Pfuscher auf beiden Gebieten) in höchster Instanz das geistige
Leben und die Ideale der Djäwah. Die geistige Nahrung beziehen
sie aber durch jene Vermittelung auf längerem oder kürzerem
Wege fast gänzlich aus Mekka, und die modernen Verkehrsmittel
haben die Einfuhr dieses Artikels bedeutend erleichtert und ver-
mehrt. In Mekka lebt und wirkt die auserlesene Schaar, die sich
eben an der Urquelle ganz in den Strom des internationalen Lebens
des Islam ’s hineinwirft, um durch dessen Wellen gereinigt und
gestärkt zu werden. Immer lebhaftere Kommunikation dieser Ko-
lonisten mit ihrer Heimath , fortwährender Austausch hier gereifter
Gelehrten gegen neue, heranzubildende Kräfte fördert die Theil-
nahme der daheim gebliebenen Landsleuten an den Errungenschaften
ihrer Leiter aus der Ferne. Auf leicht wahrnehmbare Weise doku-
mentiert sich diese Erscheinung in den Handbüchern, welche man
in den muslimischen Schulen auf Java, Sumatra und Borneo beim
Unterricht benutzt : die neuen litterarischen Erscheinungen in Mekka
verdrängen dort in kurzer Frist die hergebrachten Lehrmittel, und
zu den aus Mekka dorthin exportierten Handelsartikeln, die leb-
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haften Absatz finden, gehören vorzüglich gedruckte Bücher, deren
Verfasser in Mekka sesshafte DjUvvah oder von den Djfiwah be-
sonders geschätzte mekkanische Professoren sind. Zahlreiche Anfra-
gen um Fetwa’s laufen fortwährend aus Ostindien beim Mufti der
Schäfi'iten ein *) ; manchmal befragen die Zweifelnden auch nur
einen gelehrten Landsmann in der heiligen Stadt , weil er die
Quellen ebenso gründlich kennt wie jener und das Recht, Gut-
achten zu ertheilen , auch nach populärer Ansicht sich eher auf
Gelehrsamkeit als auf eine staatliche Anstellung gründet.
Die Djäwahkolonie in Mekka stellt wesentlich die Zukunft der
Völker dar, aus denen sie sich zusammensetzt und immer wieder
ergänzt, und alle ihre Theile wirken in ihrer Weise auf die Be-
schleunigung der von ihr vorgezeichneten Entwickelung hin.
Exempla docent. Ein seit mehr als 25 Jahren in Mekka lebender
Schech aus den Lam[>ongschen Distrikten (Süd-Sumatra), mit dem
ich fast täglich verkehrte, erzählte mir folgende Geschichte, deren
Hauptinhalt unbedingt wahr ist, wenngleich vielleicht diese und
jene Einzelheit bezüglich der Vorgänge in seiner so lange nicht
von ihm besuchten Ileimath zu berichtigen sein dürfte. In seiner
Jugend war zwar die Islamisierung seiner Ileimath längst abge-
schlossen, aber es zeigte sich kein kräftiges religiöses Leben. Seine
Familie gehörte von jeher zu den vornehmsten des Landes, ja er
behauptete auch in Gesellschaft von angesehenen Banten’schen Leu-
ten , sie stammte von den früheren Sultanen von Bunten. Durch
allerlei Umstände heruntergekommen, verdankte nun sein Geschlecht
die Wiedergewinnung früherer Grösse und Wohlhabenheit in den
letzten fünfzig Jahren dem Anschluss an die niederländische Re-
gierung bei ihren Kämpfen gegen Palembang und bei der Einfüh-
1) Vor nicht langer Zeit gab die in Java verbreitete Nachricht, der Gebrauch von
Petroleumlampen sei in der metkanischen Moschee verboten, tu mehreren Anfragen
beim Mufti Anlaas, weil man bisher in javanischen Moscheen unbedenklich Petroleum
brannte. Die Antwort gestattete ihnen nach wie vor den Gebrauch des billigen Oclsj
in Mekka war man anfangs auch nicht so ängstlich, aber weil hier am Abend jeder
Student seine Lampe mitbringt, verbreitete sich ein so durchdringender übler Geruch,
dass die Behörden sich veranlasst sahen, das Petroleum aus dem heiligsten Tempel des
Islam's tu verbannen.
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rung ihrer Verwaltung in den Lainpongschen Distrikten. Ein Haddji
gehörte in seinen jungen Jahren dort zu den höchsten Seltenheiten;
sein ältester Bruder war unter den Ersten, die zur Wallfahrt nach
Mekka reisten. Ehrgeiz und Wanderlust erregten bei unserem Schech
schon im Knabenalter die Begierde, das Haddj mitzumachen; er
glaubte sich zu erinnern, die Regierungsbeamten seien für solche
Pläne nicht eingenommen gewesen und hätten seinen Vater veran-
lasst, die Ausführung wenigstens ein Jahr aufzuschieben. Endlich
kam es aber dazu; einmal in Mekka eingewöhnt, wollte der junge
Lamponger nicht wieder fort, sondern lag hier mit leidlichem Er-
folge den gewöhnlichen Studien ob, liess sich vom geehrten Chatib
Sambas ') in die Qädiritische Tariqah aufnehmen und erwarb sich
eine Licenz als Pilgerschech. Einige von seinen Landsleuten wohn-
ten in seinem Hause, und namentlich eine Landsmänninn , die
seine Gattinn geworden war. Seitdem hat diese schon ihre besten
Jahre gehabt, und erfreut sich unser Schech als zweiter Gattinn
einer Tochter des oben erwähnten Gelehrten Menschäwl *).
Er war der erste Pilgerschech für seine Landsleute; bis dahin
wurden diese von demselben Metawwif »geführt” wie die Benku-
lesen. Pleissig arbeitete er nun durch Korrespondenz und andere
Mittel darauf hin, das Lamponger Kontingent an der Wallfahrt
zu vermehren. Mit Genugthuung, obgleich nicht ohne Schmerzen
über den Verlust seines Monopols, legte er dar, dass jetzt vier
Scheche mit ihren ausgedehnten Pamilien, ihren Gehülfen usw.
ihren Gewinn aus den Pilgern seiner Heimath ziehen: ausser ihm
selbst noch ein Lamponger und zwei Mekkaner. Seine eignen Ge-
hülfen sind meist Landsleute oder doch Malaien; auch lebt hier
eine verhältnissmässig bedeutende Kolonie von Lampongern, von
denen sich mehrere mit gutem Erfolg auf das Studium verlegen.
Infolge dessen sind heutzutage die Kenner des muslimischen Ge-
setzes und Förderer muslimischen Lebens in den Lampongschen
Distrikten viel zahlreicher als vor 30 Jahren.
1) Vergl. unten S. 35-1.
2) Vergl. oben S. 25i.
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Der panislamitische Gedanke Hess unseren Schech nicht unbe-
rührt, und ganz Lampong in Mekka kam unter den Einfluss der-
selben Hoffnungen. Während des russisch-türkischen Krieges wur-
den im Hause unseres Schechs inbrünstige Gebete für den Sieg
der muslimischen Waffen emporgesendet, und an den Geldbeiträ-
gen zur Kriegskasse betheiligte sieh keiner freiwilliger als er. Nach
seiner Heimath hatte sich indessen der politische Bestandtheil mo-
hammedanischer Begeisterung noch nicht energisch verbreitet; von
jeher gab es dort zwar oppositionelle Kreise, aber die stan-
den seinen Leuten gerade feindlich gegenüber. Manchmal überlegte
sich der Schech, wie Alles geworden wäre, wenn man nicht die
Holländer freudig hereingeholt hätte: hätte man die kleinlichen
Zwistigkeiten, welche die Djawah daheim zertheilen, durch den
edlen Kriegsruf des Islam’s übertönt, sich unter der Fahne des
Sultanats von Banten, Palembang oder am Ende Atjeh geschaart
und die Belanda (= Wclanda, Olanda) hinausgeworfen, so bilde-
ten jetzt einige Millionen Djawah zusammen ein grosses muhamine-
danisches Reich, dem sich immer mehr Rassengenossen anschliessen
würden! In solcher Stimmung trafen ihn manchmal Briefe aus der
Heimath, die, vorzüglich wenn sie von seinen nächsten Verwand-
ten kamen, einen ganz anderen Geist athmeten. Ein sehr naher
Verwandter, der das Amt des Distriktsoberhaupts bekleidet, berichtete
immer die in der Verwaltung eingetretenen Aenderungen, gab sei-
ner Freude Ausdruck ob des guten Verhältnisses, worin er mit
dem Assistentresidenten stand, übersandte ihm sogar einmal die
Zeichnung einer ihm von der Regierung- verliehenen Verdienstme-
daille usw. Derartige Briefe reizten den übrigens gar nicht wilden
Geist des Schechs zum Fanatismus; in solchen Augenblicken fluchte
er einem von seinen älteren Verwandten , der im Kampf gegen Pa-
lembang gefallen war, und nannte ihneinen «Märtyrer des Teufels.”
Einmal kam es zum Ausbruch : jenes Distriktshaupt schrieb ihm, die
Holländer erlitten in Atjeh eine Niederlage nach der anderen , vorzüg-
lich weil das Klima ihnen unerträglich sei und sie die Listen der
Atjeher nicht verstünden. Sein Ehrgefühl lasse nicht zu , dass er dabei
unthätig bleibe, und er habe durch Vermittelung seines niederlän-
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dischen Vorgesetzten dem »grossen Herrn” (Generalgouverneur) an-
geboten, selbst mit 300 wohlgoübtcn Lampongem gegen die nörd-
lichen Feinde ins Feld zu ziehen, zu welchem Zwecke er die Re-
gierung gebeten, ihm 300 Hinterlader zur Verfügung zu stellen.
Er ersuchte nun seinen in Mekka lebenden Verwandten, ihm ein
ausgezeichnetes »Stambuler” Schwert zu kaufen, Zemzemwasser dar-
über zu sprengen und im Haram Gebete darüber zu sprechen , damit
es Allah zum Siegesschwerte mache!
Die Antwort unseres Schechs auf dies naive Schreiben muss wie
ein Donnerschlag in die Wohnung des Distriktshauptes gefallen sein.
Statt der Begrüssungsformel : «Frieden über euch!” hub dieselbe
mit den in Fällen des Zweifels an der Rechtgläubigkeit des Ange-
redeten üblichen Worten an: »Frieden über den, so der rechten
Leitung folgt”. Dann folgte eine weitläufige Behandlung des Themas
vom Verhältniss zwischen Gläubigen und Ungläubigen , dass diese
eigentlich überall unter der Herrschaft jener stehen sollten und dass
es Allahs Befehlen zuwiderlaufe, wenn Muslime ihr eignes Gebiet
ohne hartnäckigen Kampf Ungläubigen abträten. Er schilderte die
traurige Lage, worin die Länder der Djäwah durch Lauheit in
religiösen Dingen gerathen seien, und betonte, dass mehr Glaube
grösseren Eifer und Einigung erzeugt haben würde, wodurch zwei-
felsohne ein unwiderstehliches muhammedanisches Djäwahreich an
die Stelle des Kafirregiments getreten wäre. Zum Schluss äusserte
er die Hoffnung, sein Verwandter möge sich von den Wegen der
Ungläubigen abwenden und in seiner Umgebung die rein muhaui-
medanische Gesinnung fordern. Sollte der Scheck aber jemals er-
fahren, sein vormaliger Freund sei nach Atjeh gezogen, um den
Heeren des Satans zum Sieg zu verhelfen , so schwöre er , dass jeden
Tag vor der Ka'bahschwelle seine Gebete emporsteigen würden , Allah
möge den Leichnam des Renegaten unbeerdigt am Atjehschen Strande
liegen lassen. Alles bisher Erzählte habe ich aus dem Munde des
Schechs gehört , ohne mich näher an Ort und Stelle zu erkundigen ;
die Antwort des Distriktshauptes habe ich aber selbst gelesen. Reu-
müthig gestand er seinen Fehler ein und führte zur Entschuldigung
seine Unwissenheit in religiösen Dingen an. Sein Angebot habe
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er in passender Form zurückzunehraen gewusst , und fernerhin werde
er für den Sieg der islamischen Waffen beten.
Solche eingeborene Vcrwaltungsbcamten sind in der Regel mit
dem Inhalt der religiösen Bücher nur wenig vertraut, auch wenn
sie, was oft genug der Fall, weniger Neigung für die Regierung
haben als unser Latnponger oder wenn sie aus Aberglauben die
mystischen Scheche aufs Höchste verehren. Aus dem Verkehr mit
mehreren Lampongern, die nur zum Haddj nach Mekka kamen,
hat sich mir aber ergeben, dass man dort jetzt ziemlich sorgfälti-
gen Unterricht in den »drei Fächern” bekommen kann, wiewohl
dort nicht solche wissenschaftliche Centra existieren wie im Pa-
dangschen Hochlande, in Palembang oder in Atjeh. Aus diesem
typischen Beispiel ersieht man, wie das Haddj indirekt als Kanal
dient, durch welchen Strömungen intensiven muslimischen Lebens
ihren Weg in die Djäwah-länder finden. Mehr als die Leute vom
Schlage des Lampongschen Schechs tragen dazu im Ganzen die
wissenschaftlichen Elemente der Djäwahkolonie in Mekka bei. Wollte
ich eine einigcrmaassen erschöpfende Beschreibung dieser Kreise
geben, wie sie sich während meines Aufenthalts gestalteten, so
müsste ich allzu oft mit anderen Worten dasselbe sagen, denn
der Lebensgang und die Thätigkeit eines Gelehrten sind manchmal
von denen des anderen nur in Namen und unbedeutenden Einzel-
heiten verschieden. Zum Ueberblick genügt es völlig, wenn wir
einige hervorragende Männer besuchen und sie sowie ihre Freunde
und Schüler über ihre Vergangenheit und Lebensweise befragen.
Aus Batavia stammt der Nestor der Djäwahgelehrten , Djaneid,
der schon in reifem Alter stand und ziemlich gründliche Studien
gemacht hatte, als er vor mehr als fünfzig Jahren nach Mekka
reiste, um nicht wieder heimzukehren. Zu seinen Lehrern zählte
der Mufti Djamäl, den die heutige Generation nur dem Namen
nach kennt, und wenn ein berühmter Zeitgenosse Djuneid’s, der
mit ihm zur Djäwahkolonie gehörte , heutzutage genannt wird ,
setzt man dessen Namen die bezeichnenden Worte: »der selige”
vor. Der in allen Fächern bewanderte Chatib Sambas (aus Borneo),
der als Ordensschech so viele Djäwah in die Qädiritische Tarlqah
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eingeweiht hat; der fast zum Heiligen verklärte Abdulghäni Bima
(aus Sumbäwa), der rührige, auch von seinen Landsleuten sehr
verschieden beurtheilte, jedenfalls ziemlich gelehrte und sehr fana-
tische Ismail Menangkdbo (aus Sumatra) , und viele weniger in den
Vordergrund getretene Erscheinungen gehörender Vergangenheiten;
nur Djuneid lebt noch und zeigt sich, wenn es irgend geht, an
den Familienfesten vornehmer oder gelehrter Landsleute, die ihm
gern die Benennung eines Kindes, das Schlussgebet einer Qiräjeh
oder die Leitung eines Dikr übertragen, obgleich seine Stimme
durch Altersschwäche und das Fehlen vieler Zähne immer mehr
an Deutlichkeit verliert.
In früheren Jahren führte er in seiner Wohnung die aus der
Provinz Batavia kommenden Studenten und auch wohl andere Djäwah
(z. B. aus Bali und Sumbäwa), die das Malaiische als wissenschaft-
liche Sprache zu benutzen pflegen, in die arabische Grammatik
und in die Gesetzeskunde ein. Er bestrebte sich jedoch , seine Schüler
möglichst rasch zur Lektüre arabischer Bücher vorzubereiten, da
dem völlig arabisierten Schech der Batavia’sche Dialekt ein unge-
füges Instrument beim Docieren war. Dann las er über alle Fächer,
bald daheim, bald im Haram, und diese Vorträge hörten auch vor-
gerücktere Djäwah an, die sich als Anfänger einer andern als der
malaiischen Sprache bedient hatten. So grosses Ansehen gewann Dju-
neid, dass man ihm ohne jede Bitte einen Antheil an der jährlichen
Kornsendung für die Gelehrten zuerkannt hat. Seit mehreren Jahren
hat er seine Kollegien aufgeben müssen ; Kräfte , die ihm in keiner
Beziehung nachstehen, setzen seine Arbeit fort.
Mit einer egyptischen Frau erzeugte er zwei Söhne: Sa'Td und
Ascad. Beide wurden ziemlich arabisch erzogen, lernten jedoch die
Anfangsgründe der Wissenschaft ausser beim Vater bei dessen Zeit-
genossen unter den Djäwah (Abdulghäni Bima usw.). Später wur-
den die im vorigen Kapitel erwähnten schäfi'itischen Professoren ihre
Lehrer, deren Kollegien sich der meisten Djäwahzuhörer erfreuten:
Muytafa 'Aflfi, Ahmed Dahlän und die längst verstorbenen Scheche
Madah und en-NahräwI. Die Söhne übernahmen einen Theil der
Lehrtätigkeit ihres Vaters, seit dieser der Ruhe bedurfte ; vor einigen
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Jahren starb Sa'id in etwa funfundvicrzigjährigem Alter, aber der vier-
zigjährige As'ad dociert nach wie vor den Bataviern und anderen Stu-
denten , die sieh ihnen zugesellen. Dem alten Djuneid küssen auch die
gelehrtesten und angesehensten Djäwah ehrerbietig die Hand und re-
den ihn samint und sonders als ihren Tuwan Guru (Herrn Lehrer) an.
Eine Tochter des Djuneid ist mit dem Bataviaschen Gelehrten
Mudjtaba verheirathet , der von seinen beinahe 40 Lebensjahren
etwa die Hälfte in Mekka verbracht hat. Mudjtaba hatte ebenfalls
vor seiner ersten Wallfahrt seine Studien in Batavia schon ange-
fangen, und er handhabt die feinere malaiische Sprache mit mehr
Gewandtheit als sein Schwiegervater. Nachdem er bei diesem und
bei den arabischen Professoren (namentlich Nahräwl, Madah und
Ijasab Allah) seine Studien vertieft, fing er selbst in Mekka zu
lehren an , versäumte es indessen nicht , bei seinen Lehrern immerfort
ein paar Kollegien zu hören. An Schülern fehlte es ihm nicht,
und seine Verwandten und Freunde in der Heimath ergänzten gern
den Ertrag seines dortigen geringen Grundbesitzes zu einem genü-
genden Einkommen. Auf die Dauer befriedigte ihn jedoch dies ru-
hige Leben nicht, und seit vielen Jahren gehört er zu den Zug-
vögeln der Djäwahkolonie : alle paar Jahre überträgt er dem Djuneid
die Sorge für dessen Tochter und besucht seine beiden Gattinnen
in Batavia, wo er dann ein Jahr oder länger verbleibt, die Ver-
waltung seiner Liegenschaften ordnet, Bücher und andere Waaren
aus Mekka verkäuft und seine Mussestunden den Interessen lern-
begieriger Landsleute widmet. Sein Auftreten im geselligen Verkehr
ist affektiert bescheiden und vornehm ; bevor er eine Frage beant-
wortet, schaut er eine Minute vor sich hin und bringt dann, je
nach der Sprache des Fragenden, in elegantem Malaiisch oder
Arabisch einen regelrechten Satz heraus. Niemals verneint oder be-
richtigt er geradezu die Aeusserung eines Anderen; ein « reclimme
sed jjotius contrarium” ist der schärfste Tadel, der über seine wei-
sen Lippen kommt. Solche Art imponiert den Djäwah gewaltig;
obgleich Mudjtaba des vielen Hin- und Herreisens wegen keinen
Platz in der vorderen Reihe der gelehrten Djäwah erringen konnte,
ist er unter seinen Landsleuten doch eine überaus beliebte Figur.
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Hiermit nehmen wir von der Provinz Batavia Abschied; die
anderen Länder Westjava’s (das Sundanesische Sprachgebiet) wer-
den uns aber noch lange beschäftigen, denn kein Theil Ostindiens
ist unter den Lehrern ersten Ranges sowie unter Studenten jedes
Alters reichlicher vertreten als dieser. Auf Westjava fand bekannt-
lich der Islam bei seinem Erscheinen viel einfachere Zustände vor als
in den mittleren und östlichen Theilen der Insel ; dort wurde er nicht
so lange wie hier durch tief eingeprägte nationale Traditionen in seiner
Wirkung gekreuzt und zeigt er somit viel weniger lokale Farbe. Aus
dem früheren Sultanat Banten stammen die meisten Grössen der hei-
ligen Wissenschaft, aber auch Priangan (vulgo: Preanger) ist den
Mekkanern in geistiger und materieller Hinsicht (weil es viele Stu-
dierende und viele Pilger liefert) eins der »besten” Djäwahländer.
Zur muslimischen Kultursprache hat sich das Sundanesische nicht
emporgeschwungen; in vollgültigem Sinne kann man als solche nur
das Javanische und Malaiische ') , einigermaassen auch das Madu-
resische, Makasarische und Buginesiscbe betrachten, ln jenen bei-
den giebt es für jedes muslimische Wissensfach eine stattliche Reihe
von Uebersetzungen aus dem Arabischen, aber auch direkt in die-
sen Sprachen verfasste Kompilationen , Kommentare und eine reiche
populär-religiöse Litteratur, worin die lokalen 'typen des Islam’s
am meisten zum Ausdruck gelangen. In viel geringerem Grade
haben sich die drei anderen als passende Gewänder für die Wis-
senschaften des Islam’s erwiesen. Maduresen, Mukassaren und Bu-
ginesen , die etwas auf diesem Gebiete erreichen wollen , sind daher
genöthigt, am Ende Javanisch oder Malaiisch zu lernen, wenn
ihnen arabische Sprachstudien zu schwierig oder zu weitläufig sind.
Dagegen hat das Sundanesische als wissenschaftliches Verkehrsmittel
gleich geringen Werth wie z. B. die Sprachen der Atjeher oder
der Lamponger1). Sogar wenn diese Leute daheim studieren , fangen
sie gleich in einer fremden, wiewohl der ihrigen nahe verwandten
1) Beide Sprachen werden aber von allen Gelehrten, die sie von ihrer Mutter erlernt
haben, sobald sie gut Arabisch verstehen, als untauglich verschmäht. Auch in dieser
Hinsicht wirken sie selbst oifrigst mit zur Geringschätzung ihrer Kasse.
2) Dennoch sind auch in solche Sprachen einzelne arabische Bücher übersetzt, aber als
Instrumente der Wissenschaft hält man sie für ungenügend.
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Sprache an; höchstens helfen die Anfänger dem mangelhaften Ver-
ständniss durch einzelne kleine Notizen oder fragmentarische In-
terlinearübersetzungen in ihrer Muttersprache nach, die ihnen der
landsmännische Lehrer in die Feder diktiert.
Während sich nun viele Sundanesen in javanischer Sprache die
Kenntniss der höchsten Wahrheit aneignen, bedienen sich andere,
gleichwie die Atjeher, Lamponger, die Leute von Sumbawa usw.,
des Malaiischen. Auch in Mekka wird den Sundanesen diese Wahl
geboten und gehen sie verschiedene Wege. Ein Hauptunterschied
zwischen der heimatlichen und der mekkanischen Lehrmethode ist
aber der, dass in Mekka die malaiische oder javanische Sprache
immer zunächst als Mittel dient, die Studenten in das Arabische
einzuführen, namentlich in die Grammatik, damit sie über diese
Brücke zum gründlichen Studium arabischer Werke der Gesetzes-
kunde, Glaubenslehre usw. fortschreiten, freilich unter steter Be-
nutzung der heimathlichen Sprache bei der Interpretation der Texte,
bis die gewonnene copia verborum diese überflüssig macht. Hinge-
gen auf Java gebraucht man entweder nur javanische oder malaii-
sche Bücher, oder aber man fängt ohne die geringste Vorbereitung
mit der Lektüre kleiner arabischer Anleitungen an: nur an den
wenigsten Orten (Samärang, Surabaya und im Binnenlande dort,
wo ein namhafter Lehrer einer Schule zeitweiligen Glanz verleiht)
befolgen meistens in Arabien gebildete Docenten die mekkanische
Methode, die allerdings in Westjava überhandnimmt und wohl
allmählich die alte Lehrweise verdrängen dürfte.
Es scheint sehr ungeschickt, den Leuten arabische Bücher in
die Hand zu geben, bevor sie sieh mit der arabischen Sprache
überhaupt beschäftigt haben; für die Bedürfnisse der meisten Jüng-
linge, die in Java die Schulen besuchen, ist die Sitte jedoch ver-
hältnissmässig praktisch. Man beachte einmal , wie unendliche Mühe
und Ausdauer der Javane in Mekka darauf verwenden muss, zuerst
die arabischen Flexionstafeln zu verstehen, sodann den Inhalt eines
grammatischen Werkes tropfenweise zu verdauen , endlich durch
lange fortgesetzte grammatische Analyse das Erlernte zum Verständ-
niss eines Fiqh-buches anzuwenden. Der Knabe schreibt jeder Form
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der Flexionstafeln die darauf bezüglichen arabischen Termini und
die umständlichste Uebersetzung ins Javanische (oder Malaiische)
hinzu; so schreibt er etwa über das Wort fcfala: ßH mädhi muf-
rad mudakkar ghäib (d. h. Perfekt des Verbums Singular männ-
lich 3te Person) und unter dasselbe: nufnane wus agaice wong
lanang sidji ghdib ') (d. h. »die Bedeutung ist : eine abwesende männ-
liche Person hat gethan ); die Form fa'alä heisst in der Ueberschrift :
Jtl mädhi tathnjah mudakkar ghäib (d. h. Perfekt des Verbums
Dual männlich 3te Person) und in der Unterschrift: malnane wus
agawi wong lanang loro ghdib (d. h. »die Bedeutung ist: »zwei
männliche abwesende Personen haben gethan”). Nachdem der Schü-
ler alle Formen mit solchen Erklärungen der Reihe nach auswen-
dig weiss, werden ihm dieselben durch einander und mit Anwen-
dung auf andere Wurzeln als das Paradigma ( fciala ) abgefragt.
Darauf lässt man ihn wohl die einzelnen Wörter eines grammati-
schen Handbuchs in der angegebenen Weise analysieren, und wenn
ihm dies keine Schwierigkeit mehr macht, erklärt man ihm den
Sinn der grammatischen Regeln durch paraphrasierende Ueberset-
zung ins Malaiische oder Javanische. Ist die Muttersprache des
Schülers eine andere als diese beiden (also etwa sundanesisch oder
atjehsch), so werden ihm die einzelnen Wörter der Erklärung, die
er nicht versteht, wieder in jene übersetzt. Nach Beendigung des
ersten grammatischen Buches behandelt man in ähnlicher Weise einen
Fiqh-text: was der Student nicht versteht, analysiert man zuerst
und übersetzt das Ganze in eine der beiden muslimischen Littera-
tursprachen der Djäwah.
Den Wortschatz muss er nur allmählich durch vieles Lesen
unter Leitung eines Lehrers beherrschen lernen; dabei sind natür-
lich die in Mekka Ansässigen sehr im Vortheil gegen die in der
Heimath Studierenden, auch wenn Letztere einen gründlichen Ken-
ner der arabischen Sprache oder gar einen Araber zum Lehrer
haben ; die Bekanntschaft mit der Umgangssprache lässt sich durch
nichts ersetzen.
1) Solch« Glossen odor Interlinearübersetzungen werden bekanntlich auch in javani-
scher Sprache mit arabischen Buchstaben geschrieben.
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Wollte man nun in den Djäwahländern das Thor der Wissen-
schaft bloss denjenigen öffnen , die zuerst den langen Weg der Flexion
und der Grammatik durchwandert haben, so würde der weitaus
grösste Theil der Lernbegierigen den Muth verlieren, bevor sie
noch ein Wort vom heiligen Gesetze verstünden. Darum giebt man
in den Schulen Javas, wo noch nicht die arabische Methode diese
Sitte ersetzt hat, den Anfängern gleich kleine arabische Abhand-
lungen über die Anfangsgründe des Gesetzes und der Glaubenslehre
in die Hand. Von den darin vorkommenden Kunstausdrücken sind
den Leuten viele geläufig, und der Lehrer stellt den Zusammen-
hang durch seine Erläuterungen her, die der Zuhörer zwischen die
Zeilen des Textes schreibt. Es bedarf kaum der Erwähnung, dass
Manche immer nur das zwischen den Zeilen Stehende verstehen,
weil das Original ihnen trotz wiederholten Buchstabierens und an-
dachtsvoller Vorlesung unergründlich bleibt. Dennoch sieht man auch
von dieser jämmerlichen Lehrmethode wirklich erstaunliche Erfolge:
ich habe in Mekka Leute aus Ponorogo und Patjitan gesehen , die
durch jahrelang fortgesetztes Studium dieser Art arabische Fiqh-
texte ebenso geläufig und fast ebenso sicher übersetzten wie ihre
Landsleute aus Samürang und Surabaya, welche nach arabischer
Methode studiert hatten; nur das jene keinen Satz richtig lasen,
keinem Worte genau seine Stellung im Satze anweisen konnten und
manchmal bloss den Inhalt richtig Wiedergaben.
In Mekka befolgen nun zwar fast alle Djäwahlehrer die arabische
Methode, aber sie haben dabei die verschiedenen Bildungsstufen
zu berücksichtigen , welche ihre Schüler bereits in der Heimath
erstiegen hatten. Mit diesem haben sie von vorne anzufangen , jenem
das Erlernte nach strengerer philologischer Methode noch einmal
vorzuführen. Einzelne passen leidlich mit Vorgerückteren zusammen ,
die immer in Mekka studiert haben. Es macht übrigens nicht aus ,
wenn Jünglinge zusammen hören, die nach unseren Begriffen in
mehrere Klassen einzutheilen wären , denn sie helfen sich fortwährend
gegenseitig aus : was dem Einen fehlt , des hat der Andere Ueberfluss ,
zumal der Studienweg auch von denen , die nach gleicher Methode
lernen, nicht in derselben Weise durchschritten wird. Wer sich bei
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SGI
einer Station länger aufhiilt als alle Anderen, ist ihnen vielleicht
vor der nächsten schon vorausgeeilt. Durch den Verkehr mit ein-
ander und die gemeinschaftlichen Uebungen lernen die Studenten
wenigstens ebenso viel wie im Kolleg.
Nach dieser Abschweifung wollen wir nun zunächst die sunda-
nesischen Gelehrten in Mekka durchmustern und uns bei einzelnen
einen Augenblick aufhalten. Zwei ziehen unsere Aufmerksamkeit
auf sich durch die grosse Zahl von Prcanger Jünglingen, die sie
umgeben. Beide, Muhammed und Hasan Mustafa werden hier mit
dem Namen ihres Heimathsortes in Priangan , Garut , wie mit einem
Familiennamen bezeichnet. Muhammed Garut ist ziemlich alt; nicht
als angehender Schüler , sondern als nach gründlicherem Studium dür-
stender Lehrer kam er zuerst nach Mekka und setzte sich zu den Füs-
sen egyptischor und daghustaniseher Professoren, in deren Kreisen die
hoffnungsvollsten Djäwnh seine Genossen waren. Das bewegte Leben
der heiligen Stadt während der Feriensemester veranlasste ihn manch-
mal, dem Beispiele vieler Landsleute folgend, der Heimath einen
Besuch abzustatten ; auch er war oft ein Glied der Verbindungskette
zwischen Mekka und Java. Bald hier, bald dort lehrte er mit vielem
»Segen’’ alle propädeutischen und theologischen Fächer; die letzten
zehn Jahre hat er ununterbrochen in Mekka gelebt und die Ge-
schenke von Verwandten und Verehrern gestatteten ihm, hier an
dem Abhang des Berges, der sich hinter dem Quschäschijjah-vier-
tel ') erhebt, ein eigenes Haus zu bauen. Seit etwa sechs Jahren
liest er zwar täglich noch ein paar Kollegien über Grammatik und
Fiqh; sein Hauptaugenmerk ist aber die Mystik geworden: 60 —
70 Javanen und Sundanesen in Mekka sind wie »Leichen in der
Hand des Wäschers” im Gehorsam gegen Muhammed , und viele
Pilger tauschen jährlich etwas »Segen” gegen ihre frommen Gaben
bei ihm ein.
Hasan Muftafa war schon auf Java Muhammeds Schüler und
kam erst vor etwa 14 Jahren nach Mekka, die Kollegien älterer
Djäwahgelehrten und im Haram die des IJasab Allah, Mustafa
1) Vergl. N°. 27 dos Grundrisses von Mokka.
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'Aflfl, Abdallah Zawäwi usw. zu besuchen. Schon gegen 10 Jahre
ertheilt er nun selbst Unterricht, und einige von ihm kompilierte
Lehrbücher (sogar eins über die ambische Poetik) sind in Cairo
gedruckt. In seiner Wohnung fand man nach Sonnenaufgang und
nach dem Mittag immer einige Dutzend Javanen und Sundanesen,
die seinem Worte lauschten; zu anderen Stunden hörte er selbst
im Haram. Vor ein paar Jahren ist er aber wieder nach Java ge-
reist, jedoch mit dem Plane, sich nicht länger dort aufzuhalten,
als seine Geschäfte es erfordern.
Jetzt kommen wir zur Provinz Kanten, deren Bewohner in allen
Klassen der Djäwahkolonie zahlreich vertreten sind; die angesehen-
sten Leiter der geistigen Bewegung stammen der Mehrzahl nach
aus Banten. Als Gelehrter überragt Alle der Schech Muhammed A'a-
icdwi , vulgo Sc/tecA Nawawi Banten, der seinem vom berühmten
Verfasser schäfi'itischer Hauptwerke entlehnten Namen alle Ehre
macht. Sein Vater Omar ibn Arabi war Distriktspenghulu (Haupt-
geistlicher der Moschee usw.) in Tanära (Banten) und führte selbst
seine Söhne, Nawawi, Tamim und Ahmed, in die Elemente der
Wissenschaft ein. Ihre weitere Ausbildung erlangten die Brüder
zuerst von Haddji Sahal, einem damals in Banten sehr gesuchten
Lehrer; später reisten sie nach Purwakarta in Krawang, wohin
Raden Haddji Jusuf fahrende Studenten aus ganz Java, namentlich
aus dem Westen zog. Ganz jung machten sie ihre Wallfahrt, und
nach derselben blieb Nawawi gegen drei Jahre in Mekka; als er
dann mit reicher wissenschaftlicher Beute heimkehrte, war schon
der Plan bei ihm gereift, sich bleibend in der Nähe des Hauses
Allahs niederzulassen, und bald kam derselbe zur Ausführung.
Seit etwa 30 Jahren ist er nun in Mekka unausgesetzt thätig,
seine Kenntnisse nach jeder Richtung der muslimischen Wissen-
schaft zu vervollkommnen und den üjäwah als Führer die Pfade
des Studiums zu ebnen. Anfangs hörte er bei den jetzt hingeschie-
denen Grössen der vorigen Generation , Chatib Sambas , Abdulghani
Bima usw.; seine eigentlichen Lehrer waren aber die Egvpter Jusuf
Sumbulaweinl und Nahräwi sowie der vor wenigen Jahren gestor-
bene Abd el-Hamld DaghustänT, bei dem er mit vielen anderen
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Gelehrten fast bis zu dessen Lebensende ein Kolleg zu hören fort-
fuhr. Früher docierte er selbst zu allen verfügbaren Stunden , aber
in den letzten 15 Jahren lässt ihm seine schriftstellerische Thiitig-
keit für jenen Zweck bloss die Vormittage übrig. Jeden Morgen
zwischen 7'/s und 12 Uhr hält er etwa drei Vorlesungen ab, deren
Gegenstände nach den Bedürfnissen seiner zahlreichen Schüler ab-
wechseln. Nach wie vor empfängt .er sowohl Knaben, die erst mit
der grammatischen Analyse anfangen, als reife Schüler, die schon
selbst in ihrer Wohnung einen kleinen Hörsaal eingerichtet haben,
aber diese sowohl als einige Hausgenossen des Sehechs (z. B. sein
jüngster, sechszchnjühriger Bruder Abdallah, der ganz von ihm er-
zogen ist) nehmen ihm einen Theil des Elementarunterrichts von
den Schultern.
Nawawi liefert ein bezeichnendes Beispiel der Schwierigkeiten,
welche ein Djäwah beim mündlichen Gebrauch der arabischen
Sprache zu überwinden hat. Nach gründlicher Vorbildung lebt er
nunmehr 30 Jahre in der arabischen Stadt; den Qurän, den er
ganz auswendig kann, recitiert er völlig korrekt, und beim Vorle-
sen eines arabischen Textes kommen die Konsonanten nicht weni-
ger pünktlich heraus. Sobald er sich aber im gewöhnlichen Leben
der Umgangssprache bedient, bildet er halbjavanisch konstruierte
Sätze und wirft sogar die Gutturale ljä , C/ul , cAin und Qfif ver-
zweifelt durcheinander. Diese vier Laute machen den Malaien am
meisten zu schaffen; weil nun das Chä verhültnissmüssig die ge-
ringste Schwierigkeit bietet, sprechen viele dies auch anstatt der
beiden anderen, und werden darob von den Mekkanern oft ver-
spottet. Auf die gewöhnliche Frage , die ein Mekkaner an einen
anständig gekleideten Djäwah bei erster Begegnung richtet: »wie
lange hast du bereits hier studiert?” lautet die Antwort etwa:
qarejt ft 't-Iiaram sabcal genin »ich habe im Haram sieben Jahre
gehört”; diesen Satz rufen nun aber die Gassenjungen den ansäs-
sigen Djäwah in ihrer eignen verderbten Aussprache nach, und
charejt ß 'l-charam sabca/t senin bedeutet: »ich habe den Charam
sieben Jahre lang .... verunreinigt.”
Der Fertigkeit Nawäwi’s im Sprechen war es allerdings nicht för-
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derlich, dass seine einzige Frau eine Landsmänninn ist, die ihn
nach der Behauptung seiner Intimen so ziemlich unter der Pantof-
fel hat und seinem Verlangen nach einer zweiten Ehe mit Erfolg
entgegentritt; dies wird jedoch dadurch aufgewogen, dass er sich
eines ausserordentlich regen Verkehrs mit den arabischen Gelehrten
Mekkas erfreut. Ueberhaupt kommen aber die glänzenden Anlagen
unseres Gelehrten mehr durch die Feder als durch die Zunge zum
Ausdruck und leidet er an der, auch anderswo mit ordnungsloser
Rede oft gepaarten, schrecklichsten Nachlässigkeit in Bezug auf seine
ganze äussere Erscheinung. Wenn ihm nicht dns rituelle Gesetz des
Islam ’s die Reinlichkeit zur Pflicht machte, so wäre er geradezu
unsauber. In ein paar schmutzige, farblose Kleider gehüllt, die seinen
Körper nur spärlich bedecken, mit einer «Schweissmütze” auf dem
Kopf, trägt er in einem grossen Zimmer im Erdgeschoss seines Hauses
die Erklärung der geweihten Texte vor, und selbst seine Strassen-
toilette entspricht nach mekkanisehen Begriffen keineswegs der Würde
seiner socialen Stellung. Seine kleine Statur macht er durch die
stark vornübergebeugte Haltung noch kleiner; er geht über die
Strasse, als wäre der ganze Boden ein riesiges Buch, worin er läse.
Als ich ihn einmal fragte , warum er niemals im Haram vertrage,
antwortete er mir, die Hässlichkeit seiner Kleider und seines Aeus-
sem passe nicht zu dem vornehmen Auftreten arabischer Professo-
ren; und auf meine Bemerkung, weniger gelehrte Landsleute von
ihm Hessen sich doch dadurch nicht abhalten, entgegnete er:
»weil ihnen so hohe Ehre zu Theil wird, haben sie dieselbe gewiss
verdient”.
Aus derartigen Ausdrücken dürfte man freilich noch nicht schlies-
sen, der Mann sei wirklich bescheiden, und auch die Weise, wie
er sichselbst in einer Vorrede als »den Schmutz der Füsse der nach
Wissenschaft Strebenden” bezeichnet, beweist nicht viel; faktisch
zeichnet er sich aber allerdings durch jene Eigenschaft aus. Den
Handkuss fast aller in Mekka lebenden Djäwah nimmt er ohne
falsche Komplimente als eine selbstredende Huldigung für die
Wissenschaft entgegen und lehnt keine an ihn gerichtete Anfrage
um Auskunft über die Lehre des Gesetzes ab. Bei geselligen Zu-
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sammenkünften jeder Art schliesst er sich dem Gespräche eher höflich
an, als dass er es beherrschte, und berührt kein wissenschaftliches
Thema, wenn ihn nicht Andere dazu veranlassen. Ein Araber, der
ihn nicht kennt, mag einen ganzen Abend in seiner Gesellschaft
verbringen , ohne zu bemerken , dass er cs 'mit dem gelehrten Ver-
fasser von ungefähr zwanzig arabischen Werken zu thun hat. Sehr
bedeutend und weitreichend ist sein geistiger Einfluss, aber dabei
steht seine Person gänzlich im Hintergrund. Auf seine Anregung
beschäftigen sich immer mehr Sundanesen , Javanen , Malaien mit
gründlichen Islamstudien und finden die politisch-religiösen Ideale
des Islams in ihrer gebildetsten Form zunehmende Verbreitung,
aber Nawawi ist keines Menschen Beichtvater. Es ist nur natürlich,
dass der Mann sich über die Schwierigkeiten freut, welche Atjeh
der Regierung bereitet, und im Gespräch den pensionierten Be-
amten Unrecht giebt, die behaupten, die Djäwahländer müssten
nothwendig von Europäern verwaltet werden. Die Wiederherstellung
des Bantenschen Sultanats oder irgend eines andern selbständigen
muslimischen Reiches würde er freudig begrüssen, gleichviel ob die
Empörung genau nach den gesetzlichen Regeln oder durch zügel-
lose fanatische Banden angezettelt würde; selbst würde er aber
keine politische Rolle zu spielen wünschen und auch Anderen
nicht dazu rathen. Unmöglich wäre es ihm aber, wie einst sein
Vater und jetzt sein dem Vater nachgefolgter Bruder Haddji
Ahmed, der ungläubigen Regierung auch nur als Penghulu zu
dienen.
Persönlichen Ehrgeiz bethätigt Nawawi nur auf schriftstellerischem
Gebiete; früher beschäftigte er fortwährend die Cairiner Presse,
und jetzt soll er neuerdings einen grossen Kommentar zum Quran
in der jungen mekkanischen Druckerei haben drucken lassen. Bei-
spielsweise seien von den Cairiner Ausgaben der Werke Nawäwi’s er-
wähnt : auf grammatischem Gebiet ein 1 881 erschienener Kommentar
zur Adjrümijjah und eine 1884 gedruckte Abhandlung über die Stil-
lehre ( Lubäb al-bajän ); zur Dogmatik ein Darfat al-jaqin genann-
ter Kommentar zum bekannten Wcrkchen SenüsT’s (gedruckt 1886),
ein Fath al-mudjib genannter Kommentar zum Ad-durr al-fand von
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Nawäwi’s Lehrer an-NahräwI (gedr. 1881) und drei Bücher '), in
denen nebst den Hauptsachen der Glaubenslehre die fünf religiösen
Abtheilungen des Gesetzes, also iin Ganzen die »fünf Pfeiler des
Islam 's” behandelt werden. Daran reihen sich zunächst einige er-
bauliche Schriften, die in feierlichen Versammlungen vorgetragen
werden: zwei Kommentare zu poetischen Mulid s (Biographien Mu-
hammeds) des Barzandjl 3 4) , ein Kommentar zur Bearbeitung der
Himmelfahrtlegende vom selben Verfasser5) und ein Kommentar zu
einem Gedichte ') , worin die «schönsten Namen” aufgeführt wer-
den, bei denen man Allah, die Propheten und die Heiligen an-
ruft. In zwei grossen Kommentaren 5) hat Nawäwi die gesammte
Gesetzeskunde behandelt; in einem Kommentar zu den Manäsik
des ScharbinT (gedr. 1880) die Vorschriften bezüglich der Wallfahrt ,
und in zwei kleinen Kommentaren zu Abhandlungen von hadhra-
mitischen Gelehrten (Sulßk al-djüdah , gedr. 1883, und Sullam al-
munädjäh , gedr. 1884) verschiedene Fragen aus dem Gebiete des
rituellen Gottesdienstes, ln der Mystik huldigt unser Gelehrter, wie
man dies schon aus der oben von ihm gegebenen Charakteristik
schliessen kann, der Richtung GhazSli’s; ganz wie die im vorigen
Kapitel besprochenen Professoren des Hamm, führt auch Nawäwi
seine Zuhörer ausschliesslich in die Werke solcher Qüfl’s ein, bei
denen das gebeimnissvolle Element des Cüfismus gegen ethische
Momente zurücktritt. Seinen Schülern rüth er zwar nicht, in eine
1) Der Kommentar ajuLJ zu de* oben mehrfach erwähnten Hasab Allah'*
jür-vVj1 2 (gedr. 1882); der Kommentar iXÄxJ! zur metrischen Fassung
der »seohazig Fragen” (gedr. 1883) und die ÜSG-Jl iib. S , ein Kommentar zur in
Ostindion sehr verbreiteten Anleitung dos in Batavia beerdigten Uadhr&mitcn aus
Sehilir, SAlim ibn Samir, dcV LsuJ' (gedr. 1885). Die meisten Werke waren
schon viele Jahre vollendet, bevor sie zum Druck gelangten.
2) Das wsjscy (gedr. 1875) und Jyckii ' _ y Jw« (gedr. 1879).
3) (gedr. 1881).
4) Das Gedieht ist von i_>iajt ; der Kommentar wurde 1885 gedruckt.
5) Im £jLj , dem Kommentar zum Sys von Zein ad-dtn al-Meltbärt,
dessen eigener Kommentar zu diesem Buche ( Falk al-ma'ia) in Ostindien längst sehr
IKjpulir ist (gedr. 1881), und im dem Kommentar zum berühmten Werke Ibn
Qäsim’s (gedr. 1SS4).
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eigentliche Tarlqah einzutreten , hält sie jedoch auch nicht im Ge-
ringsten davon ab. Aus vielen Gesprächen , die ich über diesen Ge-
genstand mit Nawäwi führte, hat sich mir ergeben, dnss er in
dem Iiang seiner ungelehrten Landsleuten zum Mysteriösen unter •
den obwaltenden Verhältnissen Anlass findet, noch wolh wollender
über die Fehler der Tartqah’s hinwegzusehen als dies die heutigen
arabischen Gelehrten schon thun '). Als der arabische Bekämpfer
der landläufigen Tarlqah' s auf Java, Sejjid Othmän bin Jahja in
Batavia, ihm einmal eine heftige Streitschrift gegen jenes Unwesen
zur Bestätigung übersandte, hat er sich allerdings nicht geweigert,
mit schmeichelnden Worten der Bitte des Sejjids Folge zu leisten:
dieser hat daraus aber auf grössere Uebereinstimmung Nawäwi’s
mit seinen Ansichten geschlossen , als wirklich existiert. Othmän
bin Jahja zieht ja gegen Tanqah’s ins Feld, die er nicht genau
mit Namen , sondern nur mit gehässigen Prädikaten beschreibt , und
sofern die letzteren auf einen mystischen Orden zutreffen, kann
Nawäwi ihm nur beistimmen. In der Anwendung des von Beiden
anerkannten Maassstabs gehen ihre Wege weit aus einander, aber
davon war in jener Streitschrift nicht die Rede.
Wie dem nun aber auch sei, wo Nawäwi selber Mystik treibt,
pflegt er jenen gemässigten, ethischen Qüfismus Ghazäll’s in seiner
späteren, mit Formalismus zersetzten Form, den wir im vorigen
Kapitel beschrieben. Davon zeugt auch wieder seine litterarische
Thätigkeit, denn 1881 wurde von ihm ein Kommentar zu Gha-
zälfs Bidäjat al-hidäjah und 1884 ein Kommentar zu einem mys-
tischen Gedicht des Zein ad-din al-Melebärl (des Grossvaters des
oben erwähnten gleichnamigen Schriftstellers) gedruckt.
Der Bruder Nawäwi’s, der ihm dem Alter nach folgt, Tamim
hat nicht so gründliche Studien getrieben wie der Schech, soll da-
gegen einen guten arabischen Stil haben und fertig arabisch spre-
chen. Früher war er Pilgerschech , und als die Dampfer den Ver-
kehr noch nicht beherrschten, verdiente er dazu als Pilgeriniikler
in Singupura ein Stück Geld. Aus welchen Gründen die Regierung
1) VergL oben S. 282 ff.
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ihm den Aufenthalt in seiner Heimath Banten verboten hat , konnte
ich nicht ermitteln; finanziell ziemlich heruntergekommen, soll er
jetzt in Pinang leben. Nawäwi heisst aber seit einigen Jahren auch
Pilgerschech , obgleich seine Verehrer dies Gewerbe für seiner wis-
senschaftlichen Bedeutung unwürdig erachten. Wenn man ihnen
glauben darf, haben Nawawi’s Verwandte, während er zum Besuch
des heiligen Grabes nach Medina gereist war , die Gelegenheit einer
Neuordnung der Zunft der Metawwif’s benutzt, im Namen des
Gelehrten eine Licenz zu erkaufen , in der wohlbegründeten Hoff-
nung, dass sein geehrter Name ein gutes Omen für den Lauf der
Geschäfte abgeben werde. Sollte aber auch der Schech nicht ganz
ohne Kenntniss von den Plänen gewesen sein, so ist doch sicher,
dass er sich mit der Fremdenführung weder direkt noch indirekt
im Geringsten beschäftigt; er hätte dazu keine Zeit, keine Neigung
und absolut keine Geschicklichkeit. Auch geht ihm aller Sinn für
Geldmacherei und bequemes, geschweige luxuriöses, Leben ab; ob-
gleich ihm reichliche Gaben Zuströmen , lebt er iiusserst einfach und
schreibt seine Bücher in der Nacht beim Schein einer kleinen ble-
chernen Petroleumlampe ( Mesradjah ), wie man sie sonst nur etwa
beim Hinausbegleiten eines Besuchers benutzt. Seine Frau scheint
realistischer angelegt zu sein und treibt ziemlich bedeutende Ge-
schäfte ; ihrer Fürsorge ist es auch zu verdanken , dass es den Gästen ,
die der Schech an Feiertagen zur Mahlzeit einlädt, an nichts fehlt,
obgleich der Professor selbst sich dabei auflführt, als wäre er in
einem fremden Hause.
Ein Verwandter des Nawäwi, dessen Aeusseres einen viel vor-
nehmeren Eindruck macht und der auch besser als er arabisch
spricht, ist der Schech Marzuqi. In Mekka hörte er bei den näm-
lichen Professoren wie Nawäwi , und trotz dem geringen Unterschied
ihres Alters auch bei diesem selbst. Zugvogel vom echten Schlage ,
war er, als ich mich in Mekka auf hielt, schon zum fünften Mal
von längeren Reisen dorthin zurückgekehrt und lebte nun seit etwa
9 Jahren ruhig in der heiligen Stadt , nach jedem der fünf täglichen
Qaläts daheim mit dem Unterricht seiner zahlreichen Schüler be-
schäftigt. Malaiisch sprach er besser als Nawäwi und war vielleicht
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im Ganzen ein besserer Docent, obgleich er nicht die Hälfte der
Bücher gelesen hatte , die Nawäwi im Kopfe behält. Er war Bru-
der der Qadiritischen Genossenschaft (was ihm auf seinen Reisen zu
Statten kommen dürfte) und verkehrte also sehr intim mit dem
unten zu erwähnenden Abdulkarim. Nicht lange nachdem ich Mekka
verlassen hatte, ist er wieder fortgereist, wie es heisst, um Freunde
zu besuchen und in der Ileimath Geschäfte zu treiben; ich glaube
aber, dass letztere ihm nur zum Vorwand dienen, weil ihn sonst
die Regierungsbeamten möglicherweise unfreundlich empfangen wür-
den. Früher durchreiste er nicht bloss Banten, sondern z. B. auch
Siam und Bali, beides Länder, wo die Muslime in der Minorität
sind. Jetzt soll er Pinang und Deli besucht haben : der wohlha-
bende Sultan von Deli scheint gern Besuche von frommen Djäwah
oder Scherifen aus Mekka zu empfangen.
Eine hervorragende Stellung nimmt auch wegen seiner Abstam-
mung Schech Ismail Banten ein, der als Abkömmling von Ban-
tenschen Sultanen (die als Sejjids gelten) von seinen Landsleuten
mit dem Titel Tubagus angeredet wird. Seine Schwester war die
Frau eines Regenten, sein Schwiegervater wurde in der englischen
Zeit als Regent angestellt. Den ersten Unterricht erhielt er von
seinem Vater, Haddji Sadili1 2), der ihn als kleinen Knaben schon
mit auf die Wallfahrt nahm. Nach der Heimkehr von diesem ljaddj
folgte er ganz dem gleichen Studiengang wie der Schech Nawäwi,
d. h. er genoss in Banten den Unterricht des Haddji Sahal und
reiste später nach Purwakarta in Krawang zum gelehrten Haddji
Jusuf. Dessen Schule haben die meisten älteren Leute besucht, die
in Banten später im Ruf der Gelehrsamkeit standen J). Isma’il war
1) Javanisch-malaiische Aussprache von
2) Als Schüler Jusufs wurden mir u. A. genannt: Schfich Abu Bakar, der vor etwa
20 Jahren auch in Mekka studiert hat und seitdem selbst in Pontang (Banten) eine
grosse Schule leitet; Haddji IJamim, Muhammad Qalub, Mulmmmed Aachari (spater in
Bogor). Ferner rühmten die Leute aus Banten folgende dort dociercnde Golehrto, die
einen Theil ihrer Studien in Mekka gemacht haben: Haddji Üthman in Ündar-andir,
der etwa 8 Jahre in Mokka gelebt hat und dessen Lehrt hätigkeit seit seiner Anstellung
zum Penghuln durch amtliche Beschäftigung häufig unterbrochen wurde; Muhammed
Sadili in Serang, auf dessen Wort, wie es hiess, der Regent grossen Werth legte und
der die Kinder seines Wohnorts in ähnlicher Weise im £alat üben soll, als waren es
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aber noch ganz jung, als er zum zweiten Mal, und zwar auf län-
gere Zeit , nach Mekka reiste. Hier wurden die Lehrer Nawäwi’s
auch die seinigen, nur dass er bei einem hanafitischen Professor
es-Sejjid el-Kutubl Kollegien über Glaubenslehre und Mystik hörte.
Nach einige» Jahren des Studiums kehrte er nach Banten zurück
und lehrte dort die Instrumentalwissenschaften, sofern sie den Djä-
wah unentbehrlich sind zum Verständniss der bekannten »drei Fä-
cher”, auf welche unser Schech nach arabischen Begriffen allzu schnell
lossteuerte. Diese Methode entstammte bei ihm sowohl seiner echt-
javanischen Neigung zur mystischen Richtung als der Dürftigkeit
seiner arabischen Kenntnisse. Sundanesen , die früher in Banten bei
ihm gehört hatten und seitdem nach Mekka übergesiedelt waren,
erzählten mir mit gutmüthigem Spott, der Tubagus habe ihnen
damals den Unterschied zwischen der männlichen und der weibli-
chen Form ') des arabischen Demonstrativpronomen Hädä , lindihi
(dieser , diese) so erklärt , als bezeichnet« Hädä das Näherliegende,
Hädihi das Entfernte !
Seine Lehrthätigkeit unterbrach er ab und zu durch Reisen nach
Mekka und Hess sich hier vor ungefähr 13 Jahren für sein weiteres
Leben nieder. Pflanzungen, die er daheim besitzt, und reiche Ver-
wandte liefern ihm ein bedeutendes Einkommen; die Verwandten
haben ihm in' Mekka drei Häuser geschenkt, von denen er eins
selbst bewohnt. Solange er ganz gesund war, hörte er regelmässig
bei zwei Professoren im Haram und las selbst daheim täglich zwei
Kollegien, deren Zuhörer fast alle zugleich Schüler des Nawawi
waren. Seine Abstammung, sein frommer Charakter und seine Wohl-
thätigkeit gegen Bedürftige gewannen ihm an Zuneigung das Gleiche,
was Nawäwi an Ehrfurcht genoss. In den letzten Jahren ist er im-
mer leidend, kommt nur wenig aus dem Hause und empfängt
bloss intimere Bekannte.
Soldaten, di« excrcierten; Haddji Mahmud in Terato und Haddji Mohammed Qä?id in
Bodji (Tjilcgon). Genau ebenso schreibt mein einheimischer Berichterstatter den Namen
des Aufwieglers, der die jüngsten Unruhen in Tjilegon angestiftet hat, {WaniH der
Zeitungsberichte); ob dio Namcnsglcichheit zufällig oder der Gelehrte wirklich der
Empörer ist, weiss ich indessen nicht.
1) Die Sprachen Indonesiens kennen kein grammatisches Genus.
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Als es dem Isma’il noch besser ging, bildete seine Wohnung,
namentlich im Monat Rabf I, dem Geburtsmonat Muhammeds,
einen Mittelpunkt geselliger Zusammenkünfte der Djawah. Viel
mehr als in Mekka wird das Geburtsfest des Propheten (»Mulud”) auf
Java gefeiert, ja der ganze Monat »Mulud” ist dort zu einer Reihe
von Feiertagen oder wenigstens Feierabenden geworden, an denen
es keinem möglich wird , allen Einladungen zu Festmahlzeiten nach-
zukommen, die an ihn ergehen. Oftmals sagten mir in Mekka Ja-
vanen, die im Anfang des Jahres heimreisten, sie freuten sich schon
darauf, den fröhlichen Muludmonat in der Ileimath mitzumachen.
In Mekka behält die Kolonie jene Sitte möglichst bei ; kaum ver-
geht ein Abend , wo nicht in 5 — 10 Djäwahhäusern zahlreiche Lands-
leute, Nachbarn und arabische Freunde Muhammed zu Ehren das
Mölid anhören und dann zusammen schmausen. Der wohlhabende
»Tübagus” blieb bei diesen Dingen nicht unthätig; auch jetzt ruft
er noch ein paar Mal im Muludmonat seine Freunde zusammen,
aber ohne selbst an der Mahlzeit theilnehmen zu können.
Nach Dutzenden zählen die jüngeren westjavanischen Gelehrten,
die ihre Vorbereitung auf die Kollegien des Haram zum Theil dem
Nawüwi verdanken und nun, wenn sie sich in Mekka aufhalten,
ihrerseits die jüngeren Schüler soweit belehren, dass Nawüwi mit
ihnen gleich in medias res gehen kann. So z. B. Arschad ibn Ahcan
aus Tanara, der noch bei Nawüwi’s Vater in die Schule gegangen
ist und später von Nawüwi, dessen Bruder Tamim und von Mar-
zuqi gelernt hat. In Banten sass er auch als Schüler zu den Füs-
sen des Haddji Sama'un in Pandeglang *) , und von den arabischen
Professoren in Mekka war vorzüglich Hasab Allah sein Lehrer. Als
ein Zeichen hoher Bestrebungen rechnete man es ihm an , dass er
bei einem Gelehrten aus Hadhraraaut sogar die arabische Heilkunst
studierte, und bei einem vierjährigen Aufenthalt in Banten musste
er Vielen medicinischen Rath ertheilen. Einige Zeit fungierte er in
Serang als Mitglied des »Priesterrath es”; im Jahre 1885 hatte er
aber schon wieder drei Wallfahrten mitgemacht und fleissig gelernt
1) In dom Dorfe Kndu Marna soll dieser Gelehrte seine Schule gehabt haben.
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und gelehrt. Jetzt soll er aufs Neue heimgercist sein. Ein zweiter
Arschad, Sohn des Afad, aus Bunten hat ungefähr zu gleicher Zeit
wie der erstgenannte Mekka verlassen. Da sein Vater nach Batavia
gezogen war, erhielt Arschad hier seinen ersten Unterricht, stu-
dierte in Mekka noch unter der Leitung des Abdulghüni, sodann
auch des Nawawi und der arabischen Professoren. Er spricht vor-
züglich malaiisch und leidlich arabisch; auch erfreuten sich seine
Vorlesungen eines grossen Zulaufs von Malaien, Sundanesen und
Javanen. Aeusserst bescheiden und gründlich gelehrt ist der dreis-
sigjährige Ahmed Djaha aus Anjer (Bauten), der beinahe die Hälfte
seines Lebens in Mekka zugebracht hat und, wenn seine Mittel
nur etwas reichlicher wären, gern auf einige Jahre die Azharuni-
versität in Cairo besuchen möchte. Ohne jeden Anspruch verkehrt
er mit weniger gelehrten Altersgenossen , und die javanischen Kna-
ben betrachten es als ein Vergnügen, bei ihm zu lernen, ja sie flüs-
tern mit jugendlicher Uebertreibung, Schcch Ahmed sie eigentlich
gelehrter als Nawawi, der Schech per excellentiam.
Vielleicht hat die Erinnerung des persönlichen Verkehrs mich
schon zur Aufzählung von mehr Namen verführt, als dem Leser
erwünscht sein mag. Eines Mannes muss ich aber noch gedenken,
dessen persönlicher Einfluss auf die meisten Djäwah und sogar auf
einige Araber bedeutender ist als der aller bisher genannten Ge-
lehrten: es ist der Schech der Qädiritischen Genossenschaft Abdul-
karim Bauten. Ihm wurde als jungem Knaben die Ehre zu Thcil,
von dem damals in höchstem Ansehen stehenden Ahmed Chatib
Sambas ') als dienender Schüler ins Haus aufgenommen zu werden.
Chatib Sambas galt seinen jüngeren Zeitgenossen als ein Gelehrter
ersten Ranges in allen Fächern; er überragte aber seine Kollegen
besonders dadurch, dass er zum höchsten Range in der Qädiriti-
schen Tanqah emporgestiegen war und Tausende von Pilgern und
Ansässigen aus allen Theilen Ostindiens, je nach ihren Anlagen,
in die Mysterien einweihte. Wenn nicht der Neid von den Mysti-
kern als eine Hauptsünde verpönt wäre, so hätten die unzähligen
1) VcrgL oben 8. 354.
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Schüler den Abdulkarim beneidet, wie er bei Nacht und Tilg in
der Nähe des Gotterleuchteten weilen, ihn auf alle Gänge zur
Moschee und Besuche in der Stadt begleiten durfte und Theil-
nehmer an den Geheimnissen seines Herzens wurde. Als eine natür-
liche Folge dieses Verhältnisses betrachtete man die Idjüzah , d. h.
die Liceuz zum Lehren der Tarlqah , welche Abdulkarim nach eini-
gen Jahren vom Altmeister erhielt. Mit dieser kostbaren Errungen-
schaft reiste der längst in weiten Kreisen hochgeschätzte Mann
zunächst nach Singapura, wo er drei Jahre thätig gewesen sein
soll, sodann auf ungefähr die gleiche Zeit nach seiner lleimath.
Vor der Abreise aus Mekka soll ihm der alte Chatib specielle An-
weisungen und Mahnungen ertheilt haben , die ihm bei allen
Handlungen als Richtschnur dienen könnten. Seine Schüler theil-
ten mir darüber etwas mit, dessen Richtigkeit ich aber nicht
durch Nachfrage beim Schech prüfen konnte, denn ich habe zwar
manche javanische Strohcigarette bei ihm geraucht und viel mit
ihm gesprochen, aber eine solche Frage über das intime Leben wäre
doch als unbescheiden aufgenommen worden. Der Meister hätte ihm
u. a. dringend vor den Weibern und vor den Königen gewarnt!
Die erste Warnung hat einen guten Sinn, aber die Könige? Viel-
leicht wuren die Residenten und sonstige Regierungsbeamten in
Ostindien gemeint , und in diesem Falle würde das Wort des Al-
ten von seinem praktischen Blick zeugen, denn thatsächlich hat
der sich über Banten verbreitende Ruf von der Predigt und dem
Segen Abdulkarims den Residenten veranlasst, die freie Bewegung
des Schechs einigermaassen einzuschränken. Dies hat er mir selbst
erzählt, und er fügte hinzu, allabendlich seien an den meisten
Orten , wo er sich eben aufhielt , viel hundert Heilsbegierige zu ihm
gekommen, von ihm das Djkr zu lernen, ihm die Hand zu küssen
und ihn zu fragen, »ob die Zeit schon nahe und wielange das
Reich der Käfirs noch dauern werde?”
Hoch verehren die Djäwah den 'Alim, der die heiligen Schriften
erklärt und zum frommen Wandel nach deren Inhalt ermahnt, aber
sowohl ihre ursprüngliche Natur wie auch die vom Hinduismus
übernommene Denkungsart macht die religiös oder abergläubisch
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angelegten Leute unter ihnen zu Sklaven der Gotterleuchteten. Im
entlegensten Dorfe gilt der dumme //Haddji”, der Zauberformeln
(Djimat'a) schreibt, mehr als der Quränlehrer; in höheren, gebil-
deten Kreisen steigern sich die beiden Faktoren des geistigen Lebens
zu höherem absolutem Werth, aber das Verhältniss bleibt sich gleich.
Den Gelehrten fragt man nicht, wann »die Zeit” komme, denn es
steht nicht in seinen Büchern; darüber geben einerseits die schmut-
zigen, alten Traktätchen der zu den unteren Klassen gehörenden
Dorfpfaffen, daun aber der durch seine mystische Kette (SitnlaA)
mit Gott verkehrende »Schech” des Ordens Aufschluss.
Bei einem Manne, der so hoch gestiegen ist wie Abdulkarim,
Bucht das der Wunder bedürftige Javanenvolk erwartungsvoll nach
äusseren Zeichen, durch welche Allah vor aller Welt die Gunst be-
kundet, worin derselbe bei ihm steht: ist er doch ein Walt, ein
Freund Gottes, ein Heiliger, und das äussere Merkmal der Heilig-
keit bilden die Wunder, welche in der Dogmatik KarUmaKt ')
heissen. Auf der Rundreise des Abdulkarim zeigten sich denn auch
bald seine Karäinah’s den ihn begleitenden Verehrern, die ihm auf-
warteten. Aus einem Beispiel, das mir von mehreren Adepten er-
zählt wurde, kann man die Entsteh ungs weise solcher Legenden
beurtheilen , die man in den Manäqib der Heiligen in Fülle antrifft :
Abdulkarim war im Begriff, von Singapur» nach Batavia zu reisen
und hatte sich somit ein Fahrbillet für einen Dampfer gekauft. Am
Tage, wo dieser abfahren sollte, waren nun auf seinen Befehl seine
Begleiter schon an Bord gegangen, während der Schech noch einen
Abschiedsbesuch machte. Er verspätete sich aber, und die Zeit des
letzten Geläutes nahte, ohne dass seine ängstlich harrenden Freunde
ihn erblickten. Obgleich diese frommen Leute kein Wort von der
Sprache des Kapitäns oder der Mannschaft verstanden, erzählten sie
nachträglich mit naiver Gewissheit , der Kapitän habe wiederholt
den Befehl zum Abläuten ertönen lassen, aber der Matrose nur ver-
gebliche Versuche gemacht, aus der Glocke einen Laut hervorzu-
1) Auch die Djiw&h gebrauchen Krrämal in dieser Bedeutung, ober das Wort be-
zeichnet auf Java ausserdem die Stolle, von der auch nach des Heiligen Tode Wunder
ausgehen: das Heiligengrab.
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zurnfen : bald konnte er die Hand nicht emporheben , bald den Klöp-
pel nicht vom Flecke kriegen. Dies soll zum lebhaften Erstaunen
der ungläubigen Schiffer eine halbe Stunde gedauert haben, bis
endlich der Schoch im ruhigsten Schritt herannahte und mit der
Miene eines Mannes, der zur rechten Zeit gekommen, auf den
Dampfer stieg. Wenige Minuten darauf war der Zauber gelöst : die
Glocke läutete, und der Dampfer konnte die Fahrt antreten. Innige
Dankgebetc stiegen ob dieser und ähnlicher Zeichen aus dem Kreise
der Qädiritischen Bruder zum Himmel.
Nach den genannten Reisen kam der Schech wieder nach Mekka
und lebt dort jetzt ungefähr II Jahre. Er bewohnt ein sehr gros-
ses, prachtvoll ausgestattetes’ Haus, das vielen Verwandten und Freun-
den , vielen dienenden und bedürftigen Schülern Wohnung gewährt.
Von allen Seiten strömen ihm stets Gaben an Geld , Hausgeräth ,
Kostbarkeiten aller Art zu, und er verwendet Alles nach bestem
Gewissen zum Wohl der Gesammtheit der Brüder. Seine eigene
Lebensart ist einfach ohne jede affektierte Enthaltsamkeit; während
viele Ordensscheche den Brüdern das Rauchen verbieten, geht Ab-
dulkarim mit dem Beispiel des massigen Gebrauches voran; er hält
fast täglich offenen Tisch und setzt seinen Besuchern ohne über-
mässigen Luxus gute Speisen vor.
Als er nach Mekka zurück kehrte , fand er den Meister aus Sam-
bas nicht mehr am Leben; derselbe hatte ihn durch letztwillige
Verfügung zu seinem Nachfolger ernannt, sodass Abdulkarims An-
sehen gleich um ein Bedeutendes stieg. Nicht bloss Djäwah aus
dem ganzen Archipel, Pilger und Ansässige, gelehrt Erzogene und
Leute aus den Volksklassen , sondern sogar geborene Mekkaner be-
warben sich um den Segen, der sich aus seiner geistigen Führung
ergab. Von den Wissenschaften beherrscht der Schech gerade soviel ,
als er zum Gott gefälligen Leben braucht : nicht mehr Grammatik ,
als dringend erforderlich ist zum Verständnis der theologischen
Litteratur, nicht mehr Kasuistik als, was Einen vor allen Fehlem
in rituellen Dingen schützt ; auch von der Dogmatik besitzt er nur
solche Kenntnisse, die dem 'Alim als ein Minimum gelten. Die
Gelehrten erkennen ihm nichtsdestoweniger neidlos einen Platz im
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ersten Range zu und bestätigen die vox populi, der zufolge alle
diese Errungenschaften, so gering jede an sich sein mag, bei Ab-
dulkarim durch die edlen Graben des Herzens oder vielmehr durch
die besondere Gnade Allahs zu einem wundervoll harmonischen
Ganzen verschmolzen sind. Seinerseits ehrt er die ' Ulamä und ihr
Werk, behandelt Nawäwi und sogar Gelehrte minderen Ringes
als seinesgleichen und sagt nur, seine Beschäftigung mit eigner
und fremder Erziehung in mystischem Sinne lasse von seinen be-
schränkten Kräften nur wenig für die reine Wissenschaft übrig.
Seine Schüler verstehen das aber mit Recht dahin, man solle sein
Leben lieber der Erwerbung innigster Gemeinschaft mit Allah weihen ,
als die kurze Zeit des irdischen Daseins mit der Lösung von Fra-
gen verbringen, die dem Herzen nicht frommen. Seinen vorgerück-
teren Adepten räth er, die höchste geheimnissvolle Wahrheit auch
auf dem bewussten Wege des Studiums mystischer Werke zu er-
ringen, Allen aber, diese Wahrheit durch die Ordensübungen und
die geistige und körperliche Diät, welche er ihnen auferlegt, di-
rekt auf sich einwirken zu lassen.
Pilger und andere Leute, die wegen ihres kurzen Aufenthalts in
Mekka nur etwas vom »Segen” des Ordens mitnehmen können,
behandelt er in der herkömmlichen Weise : wenige , z. B. wöchent-
liche, Zusammenkünfte der einzelnen Schüler mit dem Schech
werden durch tägliche gemeinschaftliche Uebungen und durch Her-
sagung der Wird1 s nach jedem Qalät fruchtbar gemacht. Die vielen in
Ostindien wohnhaften Schüler, die mehr oder weniger beschränkte
Licenzen vom Schech hallen , können dann ihren fortgesetzten Unter-
richt daranknüpfen , den vom Meister gelegten Keimen zur Entwicke-
lung verhelfen. In Mekka kommen jedoch alle Brüder täglich nach
dem 'Agr zum Schech und halten unter seiner Leitung ’/i — 1 Stunde
lang das Wird ab. Am llten und am 12*'" jedes Monats finden aber
grosse feierliche Versammlungen statt, zu denen auch ausserhalb
der Tarlqah stehende Freunde eingeladen werden.
Im ersten Kapitel *) dieses Bandes sahen wir, dass ein Haul
1) VergL oben S. 52 f.
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ursprünglich den Jahrestag des Todes eines Propheten oder Heiligen
bezeichnet, dass man solche Daten aber vielfach willkührlich fest-
gesetzt oder vorislamische Festtage mit dem Namen heiliger Personen
gedeckt und solche Feste möglichst islamisiert hat. Dem Leser wird
es nicht entgangen sein, wie gütig die grossen Heiligen der Mek-
kaner alle in den Monaten aus dem Leben geschieden sind, wo
das Feiern von Festen diesen am besten passt; bemerkens werth ist
auch , dass alle Haul’s in Mekka (und viele internationale dazu) in
der Nähe des Vollmondstages liegen. Ferner zeigte es sich, dass
einigen besonders geschätzten Heiligen in jedem Monat ein Tag
geweiht wird, dessen Zahl der des Todestages entspricht. Die elf
Haul's , die nur in Bezug auf die Zahl, nicht aber auf den Monat,
dem Todestage entsprechen, nennt man die »kleinen Haul’s” ’),
das eigentliche , das auf den Jahrestag des Todes fällt , das grosse *).
So hat die Schutzpatroninn Mekka’s, Chadidjah ihr »grosses Haul”
am 11*“ Rainadhän, weil dies als ihr Sterbedatum gilt , ihr »kleines
Haul” aber am llten jedes Monats. Da nun der Gründer des Qä-
diritischen Ordens, Abd al-Qädir al-Djilänl am 11*« des vierten Monats
(Rabl* al-Achir), Muhammed am 12,<m des dritten Monats (Rabl'
al-Awwal) gestorben sind, feiern die Leute Abdulkarim’s am 11*«
und 121« jedes Monats ein kleines Haul und an den eigentlichen
Erinnerungstagen die grossen Jahresfeste.
Wir kennen die Fiktion , durch welche die ursprünglich wohl
zum Todtenkultus gehörenden Haul’s der Heiligen in den Islam
aufgenommen sind: sowie man seinen hingeschiedenen Verwandten
fromme Werke nachschickt , schenkt man solche auch den Heiligen ,
nicht weil diese der Gaben bedürfen , sondern um sich ihre Freund-
. schuft und ihre Vermittelung bei Gott zu sichern. In der Art, wie
Abdulkarim und seine Freunde die festlichen Abende zubringen,
kommt aber jene officielle Anschauung kaum zum Ausdruck und
scheint vielmehr Alles darauf berechnet, den Namen des Heiligen
oder des Profeten zu ehren und das Band zu verstärken, das die
Brüder zusammenhält. Nach dem 'Ischä liest der Schcch am ll1'11
1) Hanl ktbir und fegkir.
II
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378
des Monats die Mnnüqib des heiligen Abd al-Qädir; die Lektüre
wechselt mit dem Dikr der Brüder ab und wird meistens mit der
Recitation eines Lobgedichts auf Muhammed (die Burdah, Bänat
Su'äd) beendigt. Dann folgt eine Mahlzeit, zu der sich in den
Häusern des Sohcchs und seiner Nachbarn die arabischen und ja-
vanischen, sundanesischen , malaiischen Gäste einfinden. Am 12ltn
geht es ähnlich her, nur dass dabei die Manäqib des Heiligen durch
Muhammeds Mölid ersetzt werden.
Die täglichen Uebungen und die vielen in kleinerem Kreise ab-
gehaltenen Dikr’s und Wird ’s , wie sie Abdulkarim eingerichtet hat ,
sind im Ganzen frei von jenen Extravaganzen , deren Wirkung den
Missbrauch des Opiums oder berauschender Getränke wesentlich
ersetzt. Aeusserungen des religiösen Lebens, die dem Wahnsinn gleich-
kommen, beobachtet man bei den Brüdern der Gesellschaft Abdul-
karims nur in den unteren Reihen oder, in verfeinerter Form, in
den intimsten Zusammenkünften der Intimen. Immerhin spielt das
Element des Geheimnmvollen bei Allen eine nicht geringere Rolle
als das ethische , und lieben es diese Brüder , auf den Grenzen zweier
Welten mit halbgeschlossenen Augen im Halbdunkel zu weilen. Im-
mer bleibt das höchste Ideal, im Rausche des Geistes und der
Sinne schon im irdischen Dasein Empfindungen zu haben, zu deren
Beschreibung menschliche Rede nicht genügt; sehr wichtig ist es
deshalb für die Beurtheilung einer Tarlqah, zu wissen, in welcher
Richtung man das physische Leben aufregt oder lenkt, um jene
begehrten '/Zustände” zu erzeugen. In den Qädiritischen Kreisen,
die unter dauerndem, direktem Einfluss Abdulkarims stehen, wird
auf die Zucht des göttlichen Gesetzes , das Durchdringen der rituellen
Handlungen mit höheren Gedanken, die Bekämpfung verborgener
Sünden noch mehr Gewicht gelegt als auf die, freilich ebenfalls
unentbehrlichen, Bewegungen des oberen Körpers oder des Kopfes
und die hypnotisierenden Exercizien des Geistes, wobei man die
heiligen Formeln von einer Schulter durch das Herz auf die andere
übergehen und andere Wege durchwandern lässt.
Weil die Tariqalt's gerade den individuellen Regungen des Ge-
müths die wahre Richtung geben und nicht bloss (wie die Profes-
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379
soren der heiligen Wissenschaft) allgemein lehren wollen , was Alle
zu glauben und zu thun verpflichtet sind, so liegt auf der Hand,
dass diese Vereine sehr viel kräftiger auf die Förderung und Be-
lebung der politischen Ideale wirken als das Studium, sogar abge-
sehen von dem viel grösseren Umfang ihres Wirkungskreises. Bei
den Professoren erfährt man z. B., wie eigentlich nach göttlicher
Ordnung das Verhältniss des Islam’s zu den Ungläubigen sein soll,
wie ganz verkehrt dasselbe sich in der Wirklichkeit gestaltet hat,
dass man diese ganze Einrichtung also als unberechtigt, durch der
Menschen Sünden herbeigeführt betrachten müsse; hier, in den
Tartqah's werden aus solchen Lehren die praktischen Schlussfolge-
rungen gezogen, die erwartungsvollen Blicke auf die Ordensscheche
gerichtet. Bei den Massen der Ungebildeten aber äussem sich die
Folgen in allen Varietäten des Fanatismus.
Eine eigentümliche Persönlichkeit unter den Männern, die im
innigsten Verkehr mit Abdulkariin stehen, ist ein gewisser Aidarus
aus Tjeringin (Banten), der schon in früher Jugend die Wallfahrt
machte, dann heimkehrte und in seinem Vaterlande ') theologischen
Studien oblag, bis die Ankunft Abdulkarims in Banten ihn ver-
anlasste, der Qädiritischen Genossenschaft als eifriger Schüler bei-
zutreten. Als der Meister wieder nach Mekka gereist wahr, sehnte
sich ‘Aidarus auch dorthin und seit 1878 lebt er nun in dessen
Nähe. Er hörte in Mekka bei seinen gelehrten Landsleuten Nawäwi
und Isma’il, ferner bei den Professoren Ahmed Dahlän, Hasab
Allah, Mustafa 'Aflfl, Abdallah Zawawi usw., aber sein geistiger
Vater war nach wie vor nur Abdulkarim. Von den Wissenschaften
hat er sich vielleicht ebenso viel angeeignet wie der Meister; in
seinen Mussestunden lehrt er einige Kinder und ältere Leute , denen
es an Vorbildung fehlt. Was er aber immer studieren, lehren oder
sprechen mag, Alles hat den mystischen Ton und verräth den
//Bruder”. Sein gutes Gedächtniss birgt Hunderte von Traditionen,
die er bei jeder passenden Gelegenheit mit bescheidener Stimme
1) Er studierte hier vomlglich in Kadu Mama bei Pardeglarg, wo lladdji Sama'un
sein Lehrer war.
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anbringt; in das weltliche Gespräch führt er, sobald erden Mund
aufthut, höhere Momente ein, die profane Aeusserungen verbannen.
Einige mit ihm zusammensitzende Freunde erwähnen z. B. mit Aerger
die bösen Handlungen oder den schlechten Charakter eines Abwesen-
den; mit ängstlicher Vermeidung direkten Tadels weiss 'Aidarus
bald eine Pause zum Citicren von Ueberlieferungen zu benutzen , in
denen üble Nachrede und Verleumdung als schlimme Sünden hinge-
stellt werden. Wenn profane Witze erzählt werden, hält er den Versam-
melten prophetische Sprüche entgegen, in denen auch dem Humor
von der Religion Schranken gezogen sind. Einmal hörte ich in
seinem Beisein ein absprechendes Urtheil fällen über die Verschwen-
dung, die sich ein bekannter, in Mekka lebender Sejjid zu Schul-
den kommen Hess. Mit liebenswürdiger Salbung citierte 'Aidarus
die Worte Muhammeds: »der Freigebige ist Allahs Freund, sogar
»wenn er ein grosser Sünder wäre; der Geizhals ist Allahs Feind,
»wenn er gleich ein heiliges Leben führte”, worauf das Gespräch
eine andere Richtung nahm. Manchmal legt er einem Freunde, der
ihn in seiner Wohnung besucht, unversehens eine Stelle einer
Traditionssammlung vor, die gewöhnlich gegen eine weniger lobens-
werthe Eigenschaft des Besuchers gerichtet ist , und sagt ihm , diese
schönen Worte sollte ein Jeder sich einprägen und zum Leitfaden
nehmen. Wenn er die Neigung und Geistesrichtung einer Person
als dazu geeignet erkannt hat, fängt er in mehr direkter Weise
an, den mystischen Hang bei ihr zu entwickeln, endlich erklärt
er solchen Leuten die Nothwendigkeit geistiger Führer für die Seele
und betont, dass es nicht gleichgültig sei, wem man seine höch-
sten Güter anvertraue. Fern von ihm sei der Gedanke, edlen Sche-
chen wie Challl Pascha oder Suleimän Efendi Anderes als Lob zu
spenden, und wer sich »des Segens halber” an diese Ordensmeis-
ter um Belehrung wende, thue wohl daran; aus eigner Erfahrung
könne er aber den von Allah begnadeten Abdulkarim als wirkli-
chen Beichtvater empfehlen, mit dem man ohne Scheu den Bund
eingehe. ‘Aidarus stellt den Typus des freiwilligen allgemeinen Seel-
sorgers unter den Mystikern dar und leistet dem Altmeister aus
Banten überdiess die Dienste eines Werbeoffiziers.
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Die übrigen für die Djäwah bedeutendsten Häupter der Mystik
in Mekka sind selbst nicht Djäwah, sondern die im vorigen Ka-
pitel besprochenen Challl Pascha und Suleiman Efendi, die in der
heiligen Stadt ihre javanischen, malaiischen und sundanesischen
Dollmetseher und Geholfen, im ostindischen Archipel ihre Agenten
haben , mit denen sie einen lebhaften brieflichen Verkehr unter-
halten. Manchmal geben die Berichte der ChalTfah’s in Ostindien
dem Schech Anlass zur Abfassung eines allgemeinen Sendschreibens
an die Brüder jenseits des Meeres, und in wichtigen Fragen wen-
den sie sich selbst an ihn um Fetwa’s; wir haben schon früher
betont, dass die Anerkennung der Gültigkeit eines Fetwa’s zum
guten Theil von den Anfragenden abhängt: welche gelehrte Auto-
rität sollte nun der '/Bruder” dem Worte des Meisters vorziehen,
dem er sich perinde ac cadaver übergeben hat?
Weil wir in diesem Zusammenhang nur die hervorragenden Er-
scheinungen ins Auge fassen, haben wir bezüglich der anderen
Theile Java’s nur wenig hinzuzufügen. Ein Pilgerschech , der selbst
aus Tjeribon stammt, unterrichtet seine speciellen Landsleute in den
Elementen der Gesetzeskunde und der Glaubenslehre. Die Bethei-
ligung der Provinz Semarang am wissenschaftlichen Leben hat sich
schon in den Erzeugnissen der mekkanischen Druckerei dokumen-
tiert : 1886 wurden die Glossen eines Muhammed MaVüm aus Se-
marang zu Ahmed Dahlän’s Kommentar zur Adjrümijjah gedruckt,
nachdem bereits 1885 ein Handbuch zum Erlernen der Flexion
von Abü Hämid Muhammed aus Kendal die Presse verlassen hatte.
Der einzige in Mekka lebende Javane, den wir hier noch etwas
näher beschreiben wollen, ist Abd es-Schakür (von seinen Landsleu-
ten gewöhnlich Abdu Sükur genannt) aus Surabaya.
Ganz jung, mit wenig Mitteln und dürftigen Kenntnissen aus-
gerüstet, kam dieser Mann vor mehr als 40 Jahren nach Mekka,
in der Hoffnung, dass irgend ein arabischer Gelehrter sich seine
Dienste gefallen lassen und ihm dafür die ersehnte Wissenschaft
mittheilen werde. Damals wie jetzt wussten die Professoren des
Haram die Geschicklichkeit und Folgsamkeit javanischer Leibdiener
wohl zu schätzen; der 1886 verstorbene Rektor hatte auch zwei
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Javanen im Hause, von denen immer einer ihn begleitete und die
auf den geringsten Wink des Schecks seinen Wunsch erriethen.
Abd es-Schakür fand an dem Vater des gelehrten Verfassers der
l'änat at-tälibin '), am Sejjid Muhammed Schattä einen Gönner : in
dessen Haus wurde er als dienender Schüler aufgenommen, und
noch immer rühmt sich der Javane der fast mehr als sklavischen
Weise, wie er dem Professor aufgewartet hat. Alle freie Zeit wid-
mete er indessen dem Studium , wobei ihm ausser seinem Gebieter
auch die arabischen und ostindischen Lehrer Nawäwi’s als Führer
dienten.
Jeder Javane in Mekka kennt eine Erzählung, die das Verhält-
niss Abd es-Schakür’s zu seinem Gönner charakterisiert. Wenn der
alte Herr Nachts aufwachte, pflegte er, wie es dem Frommen ge-
ziemt, einige Minuten mit rituellen Uebungen (Qaläts) zu verbrin-
gen; dazu bedurfte er aber, schon wegen des genossenen Schlafes,
ritueller Reinigung und begab sich daher immer zunächst in das
Bet el-mä (Badezimmer und Abtritt). Damit ihm die Ehre nicht
entgehe , dem Meister das Wasser über die Hände zu giessen , legte
sich der treue Abd es-Schakür allabendlich unweit des Bet el-mä
schlafen, sprang, sobald er die Schritte des Professors hörte, auf,
half ihm bei der Ablution und machte mit ihm das nächtliche
Qalät. Einmal stellte sich Morgens heraus, er habe eine solche Ge-
legenheit verschlafen; da er es nicht wagte, den verehrten Lehrer
zu bitten, ihn später eventuell aufzuwecken, wählte er sich seit-
dem zur Schlafstätte die Schwelle jenes Raumes der Unreinheit.
Schon in der nächstfolgenden Nacht stolperte der alte Schatta über
den im Dunkeln nicht von ihm bemerkten Körper seines Schülers,
worauf dieser ihm eilig die Füsse küsste und das Reinigungswas-
ser holte. Als der Gelehrte sich wegen des Fusstritts entschuldigte,
den er dem Jüngling unabsichtlich versetzt hatte, bat ihn dieser
aufs Dringendste, ihn jede Nacht auf gleiche Weise von seinem
Vorhaben zu verständigen. Der Schech aber umarmte tief gerührt
\
den selbstverleugnenden Verehrer.
1) Yergl. oben S. 253, 259.
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Als der Gelehrte starb, hatte Abd es-Schakür unter seiner und
Anderer Leituug schon eine hohe Stufe in den muslimischen Wis-
sensfachern erreicht, und zwar, weil er mit wenig Vorkenntnisseu
in eine vorwiegend arabische Umgebung gerathen war , fast ohne
nationale Eigentümlichkeiten. Feiner und richtiger als er spricht
kein Javane arabisch; dagegen wird es ihm aus Mangel an Gewöh-
nung schwer, aus dem Arabischen in seine javanische Muttersprache
nach der herkömmlichen Methode javanischer Lehrer zu überset-
zen, und das Malaiische ist ihm nur in der Form geläufig, wie
Nichtmalaien es zu sprechen pflegen. Auf diese arabische Richtung
seiner Entwickelung wirkte Muhammed Schattä sogar nach seinem
Tode noch fördernd ein. Seine Dankbarkeit gegen den treuen Schüler
bethätigte er nämlich in seinem Testamente , worin er seiner ältesten
Tochter anempfahl, den Abd es-Schakür zu heiraten. Da in der
Regel die Ehe der Tochter eines Sejjid mit einem Nichtadligen,
geschweige denn mit einem Nichtaraber, als Mesalliance gilt, kann
man sich denken, welches Aufsehen die Verfügung des gelehrten
Sejjid Schattä machte! Abd es-Schakür hat nun aber faktisch alle
drei Töchter seines Gönners geheiratet: als die älteste starb, be-
kam er die zweite, und als diese ihrer Schwester folgte, bekam er
die jüngste zur Frau. Im Ganzen haben die Schwestern ihm zwei
Töchter geboren.
Wiewohl die Umgebung Abd es-Schakür’s eine ziemlich streng
arabische Richtung seiner Studien herbeiführte, hat er den nationa-
len Hang zur Mystik dadurch nicht verloren. Er versteht gründ-
lich arabische Grammatik, Logik, Poetik, und als ihm noch nicht
die Hämorrhoiden langes Sitzen unmöglich machten, docierte er
diese Fächer mit glänzenden Erfolge; auch Fiqh und Glaubenslehre
fanden in ihm einen eifrigen Pfleger und Verbreiter. Seine Auffas-
sung dieser Disciplinen entsprach aber durchaus den Lehren der
wissenschaftlichen Qüfl’s, und es war ihm am liebsten, wenn er
seine Schüler bis zur Lektüre der Werke Ghazäll's oder des Ibn
cAtä Allah führen konnte. Für die zahlreichen einfach erzogenen
Leute aus Java , die sich seiner Leitung anvertrauten , zog er die
praktische Mittheilung des Nothwendigsten vom Gesetze und der
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Hauptsätze der Dogmatik mit starker mystischer Würzung einer
mühsamen, unfruchtbaren Dressur nach arabischer Methode unbe-
dingt vor.
Seit vielen Jahren bildet seine stattliche, nächst dem Haram liegende
Wohnung das Ziel unzähliger Besucher aller Art. Mit den Spitzen
der arabischen Gelehrtenkorporation, wie z. B. Ahmed Dahlän , führte
er einen regen Verkehr; bis vor wenigen Jahren war die Zahl sei-
ner Schüler nicht geringer als die Nawüwi’s und befleissigte sich
von den Djäwah-pilgern , wer nur konnte, ihn »des Segens halber”
zu besuchen. In feierlicher Weise hielt der alte, magere Schech
solche Audienzen: Pilgern aus der Volksklasse gab er einige er-
bauliche Sätze in der gemeinsamen Muttersprache mit auf den
Lebensweg, höher Gebildeten trug er in rein grammatischer Form
ein paar Dutzend von den ethisch oder mystisch gefärbten Tradi-
tionen vor, die er in unerschöpflicher Menge im Gedächtniss auf-
bewahrte, und gelehrte Landsleute lud er zu Mahlzeiten ein. Alle
beantworteten die Gunst Abd es-Schakür’s mit ihrem Vermögen
angemessenen Gaben. Aehnlich wie die Verwandten Nawawi’s haben
auch die seinigen in seinem Namen eine Fremdenführerlicenz ge-
kauft, welche aber von diesen in anderer Weise als von jenen nutz-
bar gemacht wird. Während Nawäwi’s Leute ganz wie andere
»Scheche” die ihm zugewiesene Pilgerprovinz ausbeuten , ziehen die
Verwandten Abd es-Schakür’s viele Pilger »des Segens halber” als
Kunden heran, deren wirkliche Führung anderen Schechen über-
lassen bleibt , die aber die Ehre, nominell vom Surabaya’schen Heiligen
»geführt” zu werden, ordentlich bezahlen. Auf das Detail dieser
Erwerbsquellen lässt der Schech sich gar nicht ein , und seine Freunde
behaupten sogar, er wisse nichts davon, sonst würde er alles Der-
artige verbieten wallet hu adam !
Ihren guten Ruf in der Djäwahkolonie und bei den Mekkanern
überhaupt verdankt die Insel Sumbawa nicht dem oben mehrfach
genannten Gelehrten der vorigen Generation Abdulghüni Bima,
denn Viele wissen nicht einmal, dass Bima auf jener Insel liegt,
sondern den beiden bedeutenden jüngeren Lehrern, die auf ihrem
westlichen Theile geboren sind. Zeinuddin Sumbawa steht im kräftig-
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sten Mannesalter, hat aber schon über 25 Jahre in Mekka zuge-
bracht. Seine Lehrer waren die des Nawtiwi, in späteren Jahren
vorzüglich der Mufti Ahmed Dahlän und Abd el-Hamld Daghus-
tanl. Er spricht ausgezeichnet arabisch, liest auch Morgens früh
im Haram ein arabisches Kolleg über die Gesetzeskunde; dem hören
nicht bloss seine Landsleute, sondern auch allerlei andere Djäwah
zu, deren Muttersprache Malaiisch ist, z. B. Jünglinge aus Deli
und den Lampongschen Distrikten (Sumatra), aus Bandjar Masin
und Sambas (Borneo). Diese Studenten sind natürlich über die
Anfangsgründe hinaus, obgleich bisweilen noch aus dem Kreise
Fragen an den Lehrer gerichtet werden, die ihn zu einer kurzen
Aufklärung in malaiischer Sprache veranlassen. Zu anderen Stun-
den liest er in seiner Wohnung für Studenten gleicher Herkunft,
die weniger vorgerückt sind; dort ist die malaiische Sprache das
Hauptmittel des Verkehrs mit den Schülern und werden sie erst
allmählich an die arabische gewöhnt. Sein Landsmann Omar Sumbdwa
ist jünger und nicht ganz so gelehrt, spricht aber ebenfalls mit einer
bei Djäwah seltenen Geläufigkeit arabisch. Leider iiussert er sich
in vertraulichen Gesprächen manchmal abfällig über den Werth
seines gelehrten Landsmanns aus Gründen, die nichts weniger als
wissenschaftlich sind. Omar’s Herz war aus Liebe zur Tochter eines
Djäwah und einer Araberinn erkrankt, und er sann auf Mittel und
Wege zur Eroberung seiner Dame, als ihn plötzlich die Schreckens-
nachricht erreichte, Zeinuddin sei mit ihr verheirathet ! Omar liest
nur daheim; seine Schüler stammen aus denselben Ländern wie
die des Zeinuddin.
Schon im Jahre 1876, also lange bevor der Plan zur Errichtung
einer Druckerei in Mekka gereift war, erschien in lithographischer
Ausgabe eine von Zeinuddin malaiisch abgefasste Sammlung von
Gebeten und rituellen Vorschriften. Jetzt sind (1885 — 6) auch in
jener neuen Anstalt zwei von seinen malaiischen Werken gedruckt:
das Sirädj al-Huda , ein Kommentar zur Dogmatik ( Umm al-barähin '))
1) Pilger aus den Lampongschen Distrikten erzählten mir, bei ihnen heisse Senüai's
Bächlein Umm Ibrahim!
Ii 4U
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des Senüsl und das Minhädj assnläm über das Verhältniss von
Islam und Imän, ein Thema, das auch in den Abhandlungen be-
sprochen wird, die man auf Java beim Elementarunterricht ge-
braucht. Ueberhaupt zeugt auch die beträchtliche Zahl der malaii-
schen Bücher, die von 1884 an bis jetzt in Mekka gedruckt worden
sind , von der Bedeutung des Djäwah-elements in der heiligen Stadt.
Mit der Aufsicht über diese malaiischen Drucke hat die türkische
Regierung einen Ahmed ibn Muhammed Zein aus Patani (Malaka)
ernannt; diesem Umstande ist es wohl zu verdanken, dass bisher
die Werke von Gelehrten aus Patani unter den mekkanischen Aus-
gaben am zahlreichsten vertreten sind. Dieser Ahmed ist ein ver-
dienstvoller Gelehrter; 1883 wurde ein grammatisches Werk von
ihm in Cairo gedruckt, und dem vierten Bande der l'änah vom
Sejjid Bekri ') geht u. A. ein von Ahmed verfasstes Lobgedicht
auf den Verfasser voran. Wohl hauptsächlich auf seinen Betrieb
sind nun in Mekka folgende von älteren Falänis (d. h. Malaien
aus Patani) geschriebene Werke gedruckt: eine Sammlung1 *) von
Traditionen über das Jenseits von Zein ul-'Abidin Patani ; eine ganze
Reihe von Werken des Da’ud ibn Abdallah Patani, der seine be-
kanntesten Bücher zwischen den Jahren 1815 und 1840 geschrie-
ben hat und dessen Name im Katalog der malaiischen Handschriften
der Batavia’schen Gesellschaft mehrfach begegnet. Auf dem Bücher-
märkte Mekkas fanden sich von ihm schon seit 1880 in Bombay-
schen Lithographien eine Sammlung Traktätchen über das QalSt
und ein Kifäjat al-Mu/ilädj genanntes Werk über die Himmelreise
Muhammeds; auch halte ich ihn für den Verfasser eines 1886 in
Konstantinopel anonym gedruckten malaiischen Handbuches über
das Eherecht 3 4). Aus der Regierungsdruckerei sind nun aber mei-
nes Wissens von Da’ud’s Büchern auf den Markt gekommen: sein
grosses, im ostindischen Archipel viel benutztes Werk Furif al-
maaail *) über die Glaubenslehre und die Gesetzeskunde , sein Hand-
1) Vergl. oben S. 953 , 259,. 8) .
3) Dias schlicsse ich aus dem, was van den Berg unter N°. 14 des Batavia’schen
Katalogs mittheilt.
4) Vergl. N°. 38 des Batavia’schcn Katalogs.
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buch der Dogmatik ad- Dürr at-thnmin *) , sein grosses Werk über
das Leben nach dem Tode Kasch/ al-Ghummah , eine Sammlung
mystischer Erzählungen und Ermahnungen Djamc al-fawaid. Ferner
wurden noch in Mekka gedruckt: ein malaiischer Kommentar zur
Djauharat at-tauhid (von Ibrahim al-Laqäni ’)) nach einem in Sam-
bas geschriebenen Manuskript, und der von einem unbekannten
Atjeher verfasste Kommentar *) zum bekannten Hi kam von Ibn
cAtS Allah. Im Jahre 1885 wurde in Konstantinopel der Kommen-
tar Uid/ijat . al-Hidajah 1 2 3 4 5) (vom Atjeher Muhammed Zein) zu Se-
nüsi’s ümm al-Barähin , und in Cairo das 1786 von Muhammed
NafTs in Bandjar Mnsin (Borneo) geschriebene dogmatische Werk
ad-Durr an-Nafis *) gedruckt. Aus letzteren , ausserhalb Mckka’s
gedruckten Publikationen ergiebt sich , dass der Rektor Ahmed Dah-
län etwas zu kühn war, als er behauptete (in seiner Chronik der
Stadt Mekka), die auf Befehl des regierenden Sultans gegründete
Druckerei der heiligen Stadt übertreffe alle ihre Schwestern dadurch ,
dass man hier nebst arabischen und türkischen auch malaiische Bücher
drucken könne; aber man muss zugeben, dass in Anbetracht des
kurzen Bestehens dieser Druckerei und der türkischen Ruhe , welche
ihre Thätigkeit im Ganzen kennzeichnet, die malaiische Litteratur
unter ihren Erzeugnissen einen Ehrenplatz einnimmt.
Die meisten Länder malaiischer Zunge sind übrigens im Augen-
blick in Mekka nicht durch Gelehrte ersten Ranges vertreten. Aus
den rühnilichst bekannten Reichen Sambas und Bandjar Masin
(Borneo) z. ß. studieren zwar viele Jünglinge in Mekka, aber so-
fern sie noch nicht in Stande sind, aus den Kollegien der Araber
im Haram Nutzen zu ziehen , wenden sie sich an die erwähnten
Lehrer aus Sumbäwa, Batavia oder Banten. Eine cigenthümliche
Stellung nimmt die Kolonie aus Pontiänak (Borneo) ein, deren
1) Vergl. N°. 27 des Batavia’schen Kataloge.
2) Dieser indische Gelehrte , der nach seinem Tode mm Heiligen verklärt ist, erhielt
nach dem beseiebnoten dogmatischen Werke den Beinamen al-Djankari, und daraus
machte die mckkanische Bevölkerung Walt Djatthar; vergl. oben S. 60.
3) Vergl. den Batavia’schen Katalog N°. 28.
4) Vergl. N°. 45 des Katalogs.
5) Vergl. N°. 32 des Katalogs.
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.188
Mitglieder zum guten Theil Verwandte, Freunde oder Günstlinge
des Sultans sind, der, als er vor einigen Jahren die Wallfahrt
machte, mehrere Waqfhäuser in der heiligen Stadt stiftete und
seitdem jährlich bedeutende Summen zu deren Erhaltung und be-
hufs des Lebenunterhalts ihrer Bewohner schickt. Von ihrer arabi-
bischen Herkunft zeigen diese Leute in ihrem Aeussern nur wenige
und in der Sprache gar keine Spuren; sie sind ganz zu Malaien
geworden, und an ihnen bewährt sich der arabische Spruch, dem
zufolge der Oheim mütterlicherseits */, des Charakters eines Men-
schen veranlasst. Dennoch zeichnen sie sich durch freies, beschei-
denes, aber selbstbewusstes Auftreten aus und lassen sich von kei-
nem Araber eine Beleidigung gefallen; ich war sogar einmal in
der Moschee Zeuge davon , wie einer von ihnen gegen einen fre-
chen Araber energisch die Partei eines von ihm bedrängten Ja-
vanen aufnahm. Schon oben ') gedachten wir des Muths, mit wel-
chem ein anderer Mann aus Pontianak in mekkanischer Gesellschaft
die Nothwendigkeit der europäischen Herrschaft über seine Hei-
math behauptete. Solche Betrachtung der Sachlage stammt bei ihnen
hauptsächlich gerade aus der eingehenden Beschäftigung mit der
muslimischen Gesetzeskunde, die ihre Ohren dem vulgären Fanatis-
mus verschliesst und der Anerkennung der viele Gesetze aufheben-
den Dharürah (Nothwendigkeit) ziemlich weiten Raum gewährt.
Alle sind aber sehr eifrige Muslime, tief durchdrungen auch von
den politischen Idealen des Islam’s, nur dass sie nicht versuchen
möchten , deren Verwirklichung mit als unpraktisch erkannten Mit-
teln herbeizuführen.
Die Pontiiinak’sche Kolonie steht, so zu sagen, unter der Obhut
der Familie Zawäm , von welcher wir oben 3) zwei bedeutende und
wirklich ehrenwerthe Professoren kennen lernten. Von diesen und
deren Freunden lassen sie sich in die heiligen Wissenschaften ein-
führen; wer noch zu kurze Zeit in Mekka lebt und in Pontianak
nicht genug arabisch gelernt hat, bekommt von seinen kundigeren
Landsleuten den erforderlichen propädeutischen Unterricht in ma-
1) S. 337. 2) S. 233.
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Mischer Sprache. Bevor sie ZawäwT der Vater in die Tanqah der
Naqschibendi’s aufnimmt, müssen sie eine bedeutende Stufe in der
Wissenschaft erreicht haben. Einige meiner Pontianakschen Freunde
hatten sich jedoch in Medina von einem Schech Mat har ein weihen
lassen , demselben , der dort seinen frommen Besuchern einige in
Wachs festgeklebte »Haare des Propheten” zeigt '). Aus Süd-Cele-
bes war in Mekka ein makasarischer Gelehrter, dessen in seiner
Wohnung abgehaltenen Vorlesungen (theils in makasarischer, theils
in malaiischer Sprache) sich lebhaften Besuchs erfreuten. Viele von
seinen Schülern hörten zu den Abendstunden im Haram.
Die Länder Sumätra’s tragen einen recht bedeutenden Prozent-
satz zur Zahl der Studenten bei, aber die dorther stammenden
Lehrer nehmen sämmtlich ihren Platz im zweiten Range ein; das
sind jedoch zufällige Verhältnisse, die in jedem Jahrzehnt grossem
Wechsel unterliegen. Die hier ansässigen Atjeher sind in der Ge-
sellschaft nicht gerade hoch angesehen; man weiss, dass ihre Hei-
math sich vor anderen Djäwah-ländem durch das Herrschen der
Päderastie auszeichnet, und ferner ärgern die Atjeher alle Araber
im Verkehr durch ihre thörichte Einbildung, als wäre Atjeh ein
Kulturcentrum des Islams. Ein paar geschätzte Lehrer stammen aus
Palembang , und der schon erwähnte *) Lampongsche Schech ertheilte
sowohl seinen Pilgern als den unter seinem Schutze stehenden an-
sässigen Lampongem Elementarunterricht. Fast alle diese Sumatraner
gehören zur Tarigah-, gewöhnlich sind sie QädirT’s oder Naqschi-
bendi’s, und ihre Meister einer von den türkischen Schechen Sulei-
man Efendi, Challl Pascha und Challl Efendi oder der Bantensche
Schech Abdulkarim.
Ein Pilgerschech aus Rau (Westsumätra), Schech Zein , ist eigent-
lich für die Freradenführerschaft zu gelehrt und zu ungeschickt.
Das Geschäft wird denn auch thatsächlich von seiner völlig eman-
1) Gegen diese Verehrung der prophetischen Haare hatte 4min al-Maiani, der 1883
den Orion taliatcnkongress in Leiden mitmachte, in Medina ein Fhtva verfasst; die
Freunde des Mathar sagten mir, jene boshafte Schrift sei nur durch den Brotneid Amin’s
veranlasst.
2) Oben S 350 fl.
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cipierten Frau ausgeübt, sodass die Mekkaner immer nur von der
rRnmjjah" sprechen. Als ich in Mekka war, hörten aber gegen
60 malaiische Studenten bei Zein, der nur im Hörsaal einige Stun-
den des Tages von der Pantoffelherrschaft befreit war. Die Dame
verkehrte ohne jede Zurückhaltung mit allen Männern und ver-
focht ihre Interessen mit einer auch in Europa bei ihrem Geschlechte
seltenen Energie. Dass im Padangschen Hochlande, in Palembang
und auch in solchen Gegenden Sumätra’s, wo ein weniger reges
wissenschaftliches Leben herrscht , die besten Lehrer ihre Kenntnisse
in Mekka gesammelt haben, ist allbekannt. Vor einem Jahrhundert
lebte in Mekka ein berühmter Schriftsteller (Abdu^mad) aus Pa-
lembang, und in viel früherer Zeit wurden die bekanntesten ma-
laiischen theologischen Werke in Atjeh geschrieben, welches Reich
von berühmten arabischen Gelehrten , wie z. B. dem Sohne des Ibn
Hadjar, Besuche erhielt. Heutzutage haben, wie gesagt, was Nie-
derländisch-Indien anbetriflt, Gelehrte aus Banten die leitende Stel-
lung inne; daraus darf man aber über den relativen Eifer und die
Anlagen der Bewohner jener Provinzen keine weitgehende Schlüsse
ziehen, denn manchmal bestimmen zufällige Umstände den hoff-
nungsvollen Gelehrten, sich auf andere Wege zu begeben. Dies er-
hellt am klarsten daraus, dass noch vor dreissig Jahren Biina,
Sambas und Batavia in Mekka auf geistigem Gebiete voranstan-
den , wie jetzt Banten und Surabaja und wie früher resp. Bandjar,
Palembang, Atjeh, ohnedass sich in den betreffenden Ländern viel
geändert hätte.
Hietnit schliesse ich meine Mittheilungen über die Djawahkolonie
und sonstige Folgen der Wallfahrt für die Djä wahländer ab; es sei
mir aber gestattet, noch kurz an die politische Bedeutung dessen,
was mit dem Haddj zusammenhängt, für Niederländisch-lndien zu
erinnern.
Kein Leser des Obenstehenden dürfte noch der Ansicht vieler
Beamten zugänglich sein, die in allen Haddji’s fanatische Gegner
der Regierung erblicken: sehr viele kommen als Schaafe zurück,
wie sie als Schaafe gegangen sind, sodass für sie das Schaafköpfe-
essen auf dem Abu Qubcs doppelte symbolische Bedeutung hat.
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Die scheinbare Würde, welche namentlich auf Java jeder Haddji
seinem arabischen Gewände und der Unwissenheit der Bauern ver-
dankt, sinkt mit dem Steigen der Pilgerzahl und der zunehmenden
Weltklugheit des Volkes. Einstweilen findet man immerhin unter
diesen landläufigen IJaddji’s nicht geringzuschätzenden Brennstoff,
der entflammt, sobald ein verwegener Mann einen Funken hinein-
wirft. Diese Entzündbarkeit hängt damit zusammen, dass die In-
teressen der Haddji’s denen der Regierung meistens zuwiderlaufen,
während manche aus Arabien panislamitischc Eindrücke heimge-
bracht haben, die sich unschwer zum Fanatismus entwickeln. Die
ein wenig länger in Mekka waren, sind dort theils zu geschätzten
Quränlehrern , theils zu warmen Anhängern einer Tanqah gewor-
den, was schon viel mehr zur Einführung islamischer Ideale jeder
Art in den Archipel beiträgt als die Beweglichkeit der Yi\gexmasse ,
denn mit dieser kann man nur in Trüben fischen , während jene
langsam , aber stetig auf die herrschende Gesinnung einwirken.
Schon diese wichtigeren Einflüsse sind nur indirekte Folgen des
Haddj , aber nichtsdestoweniger Folgen , und vielleicht ist es zu
bedauern, dass man nicht in vergangener Zeit in solchen Gebieten,
die noch keine Pilger ausgesendet hatten, den Strom bei seinem
Entstehen in eine andere Richtung gelenkt hat. Dazu ist jetzt keine
Gelegenheit mehr; die Beschränkung der Erlaubniss zur Wallfahrt
auf Leute, die genügende Mittel aufweisen können, behält ihren
Werth, aber weiter kann man nicht gehen, ohne Gedanken an
Religionsverfolgung zu erregen, worin die Djäwah von den dabei
interressierten Mekkanern energisch bestärkt würden.
Alle anderen aus dem Haddj sich ergebenden Folgen kommen
aber kaum in Betracht gegen die blühende Djäwahkolonie in Mekka ;
dort ist das Herz des religiösen Lebens im ostindischen Archipel,
und immer zahlreichere Adern führen von da aus in immer schnel-
lerem Laufe dem ganzen Körper der muhammedanischen Bevölke-
rung Indonesiens frisches Blut zu. Hier laufen die Fäden aller
mystischen Genossenschaften der Djäwah zusammen, hieher bezie-
hen sie die Litteratur, mit welcher sie auf der Schule bekannt ge-
macht werden , hier nehmen ihre Leute durch die Vermittelung
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angesiedelter Freunde und Verwandten am panislamitischen Leben
und Streben Theil. Wie sieh dem Pilgerstrome jetzt kein Damm
mehr entgegensetzen lässt, so kann auch niemand etwas dafür,
wenn derselbe bei jedem Ilin und Her von Ostindien Keime nach
Arabien mitschleppt, die sich im dortigen Boden entwickeln, und
von Arabien fertige Pflanzen nach Ostindien hinreisst , die sich dort
nun weiter vervielfältigen. Es kommt also für die Regierung darauf
an, zu wissen, was sich in Mekka entwickelt, welche Elemente
jedes Jahr von dort eingeführt werden, wie man dieselben durch
geschickte Behandlung für die Zwecke der Regierung gewinnen
oder wenigstens unschädlich machen kann. So ist es möglich, ohne
Störung des Friedens, das geistige Leben zu lenken, ohne auf
Missverständniss beruhende , gehässige und andererseits wiederum viel
zu nachgiebige Maassnahmen den immer wachsenden, vom geisti-
gen Centrum des Islams ausgehenden Einflüssen hier die Wirkung
ganz zu nehmen, dort dieselbe in hohem Grade zu lindern. Vor
allen Dingen aber keine Klassenurtheile ! Nicht die Haddji’s, die
Anhänger mystischer Genossenschaften, die in Mekka erzogenen
Gelehrten sind gefährlich , fanatisch usw. ; alle drei verkörpern aber
den geistigen Zusammenhang Ostindiens mit der Mutterstadt des
Islam’s und beanspruchen somit mehr als oberflächliche Beachtung
von Seiten der europäischen Verwaltung, damit man die transi-
genten Leute nicht durch Vorurtheil und unwissende Borniertheit
von sich stosse, die unversöhnlichen Elemente kenne, von jeder
neuen Bewegung erfahre und die Instrumente besitze zur Abschät-
zung ihres Werthes.
Einmal war ich in Djiddah mit dem Kapitän eines niederländi-
schen Dampfers zusammen, der den Hafen besuchte, um etliche
hundert Djäwahpilger einzunehmen. Am Tage vor der weiteren
Reise sprach er von der Zahl von »Wilden”, die er weiter beför-
dern sollte. Ich erzählte ihm darauf, mir seien viele seiner Passa-
giere bekannt , es befänden sich darunter allerdings ganz ungebildete
Leute, dagegen auch Viele, die durch jahrelanges Studium zu
geistigen Führern ihres Volkes geworden seien; auch warnte ich
davor, all diese Haddji’s als gleichartig anzusehen, weil alle, na-
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mentlich auf der Reise, das gleiche, geringe Gewand tragen. Mit
ungläubigem Lächeln nahm der Kapitän die Mittheilung auf, dass
es wirklich litterarisch gebildete Javanen gebe , die in zwei und mehr
Sprachen wissenschaftliche Werke lesen, obgleich es ihm nicht
unbekannt sein konnte, dass der gemeine Javane den durchschnitt-
lichen europäischen Steuermann an feinen Formen des Verkehrs
weit übertrifft. Nach wie vor blieb er dabei , trotz aller Gelehrsam-
keit und Bildung sei ein Haddji ein Haddji, d. h. ein Wilder.
Unter diesem Kapitän hatten die Pilger bloss ein paar Wochen
auf einem grossen Dampfer zu verbringen , und die Gutmüthigkeit
des Seemanns verbürgte ihnen trotz aller »Wildheit” eine angemes-
sene Behandlung. In dem riesigen Inselreiche, welches ein talent-
voller Schriftsteller in einem seiner unglücklichsten Augenblicke »In-
sulinde” getauft hat, haben unsere Beamten es vielfach mit solchen
ganz verschiedenartigen, wenn auch gleichgekleideten und gleichbe-
nannten Menschen zu thun, wie sie unser Kapitän hartnäckig über
einen Kamm sehor. Dort haben bedenkliche Irrthümer schlimmere
Folgen als auf der raschen Fahrt von Djiddah nach Batavia. Möge
die stetige Zunahme unserer Kenntnisse vom geistigen Leben der
niederländischen Djütoah solche Fehler immer seltener machen !
u
so
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NACHTRAEGE UND BERICHTIGUNGEN.
zum I,ton Bande1).
S. VII, 25L Aba Numejj lies: Hasan.
„ XVII, Z. LL: lä. “ü lies: des 19'~.
„ 21 — B : in Stammtafel I ist dem nicht numerierten Namen Fu-
laitah die Nummer 12 vorzusetzen.
S. II ist Anm. 1 zu streichen und sind die Anmm. 2 — 6 mit 1 — B
zu numerieren.
S. 53j Z. 5 v. u. : nach Westen lies: nach Osten.
„ TOj unten: orientalistische lies: orientalische.
„ 7J_, Z. De spanische lies: Der spanische.
„ 73j Z. lfL die beide lies: die beiden.
„ 77j Z. di gefesselt Ues: gefesselte.
„ 87_, Z. 6_: Einkommendes lies: Einkommen des.
„ 114, Anm., Z. 2_: met lies: mit.
„ 1B2, Z. 2 und Anm. Eine Bemerkung des Freiherrn A. von
Kremer veranlasst mich, hier Folgendes zur Beleuchtung der Schrei-
bung Maewa" nachzutragen: Den Namen dieses nunmehr italienischen
Ortes, welchen die Zeitungen Massaua oder ähnlich zu schreiben
pflegen, habe ich von Arabern immer Mapuxf sprechen gehört; wenn
man die emphatische Aussprache des f und die halbvokalische des
io in Betracht zieht, so ergiebt sich, dass die durch des Arabischen
unkundige Leute aufgebrachte Schreibung Massaua ziemlich genau
1} VergL das Druckfchlcrverwichniss hinter dem I,,cn Bande.
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die von mir veproducierte Aussprache darstellt Prof. Nöldeke macht
mich darauf aufmerksam , dass die amliarische Aussprache ungefähr
Mitpoa (vergl. Prätorius, Amharische Grammatik, S. 602 f.) lautet.
Ob eine andere Aussprache an sich richtiger wäre, vermag ich nicht
zu entscheiden.
S. 176, Z. 23: zu seinem lies: zu seinen.
„ 178, Z. 17: Familiem acht lies: Familie macht.
„ 182, Z. 17 — 8: Gesetzbücher lies: Gesetzbücher.
„ 222 — 3 Vielleicht ist es nicht überflüssig, zu bemerken, dass
die Worte 51 oder uü&il U usw. im Kanzleistil
des Hidjäz und daher auch in gewöhnlichen Briefen nicht an Bekann-
tes erinnern, sondern als Einleitung zur Mittheilung unbekannter
Thatsachen dienen.
S. 224 — 5. Bas von mir unübersetzt gelassene Wort ez-Zir hat
mehrere Fachgenossen veranlasst, mir zu schreiben, damit sei der
bekannte Held gemeint, dessen Geschichte im Diwan der Bern Hilal
erzählt wird und auch in Einzelbearbeitungen vorliegt. Ich muss darauf
antworten, dass bei mir, als ich die Stelle übersetzte, der gleiche
Gedanke aufgekommen ist und mich zu nochmaliger Lektüre der bei-
den in meinem Besitz befindlichen Redaktionen der Qitfat ez zir ver-
anlasst hat. Dem Helden werden nun zwar staunenswertlie Thaten
der Tapferkeit nachgerühmt, aber nichts, das ihn etwa zum Muster
der Tyrannei machen könnte. Ausserdem ist in Mekka der stehende
Ausdruck für tyrannische Handlungen und Maassnahmen der Behörden
hukm Qaraqns und habe ich dagegen den Namen des Zir nie erwähnen
gehört; ich kann mir also die genannte Interpretation nicht aneignen.
Die KjuoL<ij azyji ist, wie mir Dr. Wetzstein mit Recht bemerkt,
die Konskription , das Loosziehen zum Eintritt in die reguläre türkische
Armee; darin sind also die von mir fälschlich am Schluss der Ueber-
setzung erwähnten „ anderen Abgaben” zu verbessern, und Anm. 4
zu streichen.
S. 227, Anm. 2. Unter Beduinendichter verstehe man hier nicht
etwa Einen, der in der Beduinensprache Westarabiens dichtet, denn
die ist ganz verschieden von der klassischen des Trauergedichts. Der
Schech Bedewi war zwar Boduihe, aber, wie mehrere in Mekka und
Taif ansässige Harbi’s , Hudeli's , ThaqafVs usw. hatte er eine gelehrte
Erziehung genossen.
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zum IIteB Bande.
S. 15 oben hätte ich auch noch der chinesischen Sklaven beider
Geschlechter Erwähnung thun sollen, und obgleich in Mekka bisher
keine Kolonie chinesischer Muslime existiert, hätten doch unter den
fremden Besuchern Mekka's auch die chinesischen Pilger Erwähnung
verdient.
S. 64 , unten , ist hinter dem Worte Qabas einzusetzen : (die Laute) ,
die Kemendjah, und S. 55, 2 hinter dem Worte: enthält, hinzuzufü-
gen: die Kemanait , welche der letzteren ganz entspricht, [und der all-
bekannte Q&nün usw.]. Die Anmerkungen sind natürlich statt 1, 2,
1, 2 zu numerieren 1, 2, 3, 4.
S. 59 unten. Gewöhnlich fangen die Festlichkeiten zu Ehren des
Scbech Mahmud schon am zweiten Freitag des sechsten Monats an ;
ähnliche Jahrestage von Heiligen, die auf einen bestimmten Wochen-
tag fallen , kommen auch anderwärts , z. B. in Egypten vor.
S. 64, Z. 5 v. u. : am 17ten lies: am 14 <*■.
S. 66, Z. 22 und S. 69, Z. 18 habe ich irrthümlich das Fest der
Aminah auf den 12ten jedes Monats angesetzt ; ihr Haul fällt auf den 8‘n.
S. 116, Z. 20—1. Statt Qdbir wird auch Qibr gesprochen. Anstatt
Qabah ist Schabb (Alaun) zu lesen; nubischen Alaun nennen die Ara-
ber das Salz, weil es in gewissen Fällen anstatt des Alauns gebraucht
wird.
S. 117, Z. 13: Klysstierspritze lies: Klystier spritze.
„ 169, Z. 16: Ausdrück lies: Ausdruck.
„ „ Z. 23: Tamburinen lies: Tamburine.
„ 183, Z. 23: bärak lies: bärak.
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MAR 4 1994
MAR 31 1994 Ifö'ß
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