Pädagogische
Studien
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L
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Pädagogische Studien.
Neue Folge.
Gegründet
Ton
Professor Dr. W. Rein.
XXIX. Jahrgaug.
Herausgegeben
von Schutrat Dr. M. Schillino,
in BocUitB.
Dresdwn-Blasewitz.
Ocrlag von Bkyl * Kaemmerer (0. S((Hirol»ad)).
1908.
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Jiil)alt$uerzejd)nis
dts
XXIX. Jahrganges (1908).
^
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4. Dr. H. Teltffe, Die Bedeutan^ nnd Verwendnoup de« Zeielmen« im geo*
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A. jlbliamdliiiigei.
L
Das dreitelM ProbiM der WHIentfroilieit
Von Max Schultz in Berlin.
Welches sind die wichtigsten Probleme der Philosophie?
Ein Fachgelehrter wird vielleicht auf die grundlegenden Fragen
der PhiloBoptüe, auf die Frage nach dem Wesen der Substanz und
des Absoluten, auf die Frage nach der Veränderung oder nach dem
Zusammenhang des Seienden mit dem Gegebenen hinweisen. Für
den Laien, der bei seinen philosophischen Betrachtungen dem inneren
Trieb folgt und sich mit seinem natürUchen Verstand an die grossen
Ratsei des Lebens wagt, werden einige bedeutungsschwere Fragen,
die schon von Anbeginn die Menschen beschäftigt haben, die
wichtigsten Aufgaben der Philosophie erscheinen: Gibt es eine Un-
sterblichkeit der Seele? Gibt es einen Gott, der transzendent die
Welt regiert? Wie ist es um die eigene Freiheit, die Freiheit der
Entscheidung für gut und böse^ Diese Fragen haben itlr jeden
denkenden Menschen die höchste Bedeutung und haben von jdier
die Menschen zu philosophischen Untersuchungen angeregt.
Die Frage nach der Willensfreiheit ist von einschneidender
Bedeutung in vielen Lebensfragen. Vor allem interessiert sie den
Päda^gen, dessen Tätigkeit doch nur beim Determinismus Sinn
und ^weclc hat. Der Jurist gelangt zu ganz verschiedenen An-
schauungen über die Bedeutung des Strafrechts je nach dem Stand-
punkt, den er zu dieser philosophischen Grundfrage einnimmt.
Selbst im praktischen Leben mag es vorkommen, dass man sich
auf seine philosophischen Ansichten über diese Streitfrage beruft,
wenn man einen Entschluss, den man zwar gern, aber doch mit
inneren Bedenken gefasst hat; vor sich selbst beschön^;en und ver-
teidigen will.
Es ist eine bekaimte Wahrheit, dass man das glaubt, was man
wünscht. Dieser Umstand erklärt es auch zum TeU, dass bei den
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philosophischen Grundfrajyen vielleicht niemals unter den Mensclicn
Einstimmigkeit erzielt werden wird und es wenigstens bei einer
Verschiedenheit der Meinungen bleibt, da viele oder vielleicht gar
die mosten Mensdien ihre Weltanschaiiung nicht allein mit dem
Verstände» sondern hauptsächlich mit dem Gefühle aufbauen, eben
das glauben, was sie wünschen, was ihrer Gemütsanla<^e am meisten
zusagt. Auch in der Krage nach der Willensfreiheit wird vielleicht
deswegen so schwer Einigkeit erzielt, weil so viele sich durch
Urteile Ober den Wert jder Willensfreiheit bestimmen lassen und
für kühle, unbefangene Überlegungen bei dieser wichtigen, tief ein-
schneidenden Frage nicht zugänglich sind.
Vielleicht empfiehlt es sich bei der Frage nach der Willens-
freiheit streng zu unterscheiden zwischen dem theoretischen und
dem praktischen Ftoblem. Die Unabhängigkeit der Ethik von der
theoretischen Philosophie, die sowohl für den besonnenen Aufbau
der ethischen Grundgedanken wie auch für die Entwicklung einer
theoretischen Weltanschauung so nützlich ist, wird auch hier sicher
von Vorteil sein.
Die Frage nach der Willensfreiheit ist zunächst ein Problem
der theoretischen Philosophie; die Bedeutung des Determinismus,
bezw. des Indeterminismus für unser Handeln und für die ethische
Beurteilung ist alsdann Gegenstand einer besonderen, selbständigen
Untersuchung. Das Problem der Willensfreiheit als Aufgabe der
theoretischen Philosophie gehört sowohl der Metaphysik wie auch
der Psychologie an. Eine definitive Entscheidung kann nur die
Metaphysik treffen, obgleich es sich um die Genesis eines seelischen
Zustandes, nämlich des Willens, also um ein Problem der Psycho-
logie handelt; denn da durch Beobachtung und Erfahrung allein die
Frage wohl kaum gelöst werden kann, so muss man von meta-
physischen Prinzipien ausgehen, wenn man in dieser Kontroverse
zu einem bestimmten Standpunkt gelangen will. Wir werden indes
sehen, dass trotzdem auch für die Psychologie ein eigenes, selb-
ständiges Problem bleiben wird.
h
Das mlapliyilNiM ProUtn.
Für die Metaphysik ist das Problem der Willensfreiheit nur em
besonderer Fall der Frage einer kontinuierlichen Kausalität Ist das
Gesetz der Kausalität allgemein gültig oder ist unter Umständen
ein spontanes, durch nichts bedingtes Geschehen möglich? Werden
Widerspruch, der im absoluten Werden liegt, nicht einsieht, wird
auch kein Bedenken tragen, einen freien Wülen in metaphysischem
Sinne anzunehmen. Umgekehrt ist für den Philosophen, der an
einer ausnahmslosen Gül^keit des Kausalgesetzes festhält, ein un-
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moüviertes, rem vUlkürficfaes Wollen eine völlige Absurdität, ihre
Widerlegung ergibt skih ihm von selbst
Nun gehört zwar die Kausalität xu den menschlichen Denk-
formen und man konnte einwenden , wir hätten kein Recht zu der
Behauptung, dass die Wirklichkeit sich nach unscrn subjektiven
Denkformen richten müsse. Indes hat ein solches Argument keinen
Sinn; denn da -mr uns nun einmal weder eine raumlose Welt noch
eine Welt ohne kausalen Zusammenhang der Vorgänge denken
können, so sinci snlrhc Finwände müssige Phantasien, und wer eine
derartig gestaitcii \\ dt für real und möglich hält, ist ein Phantast
ohne Anspruch daraul, ernst genommen zu werden.^) Auch wird
die Aprioritat der Kausalität wie die der übrigen Kategorien
durchaus nicht allgemein anericannt; die neuere Psychologie be-
streitet fast einstimmig, dass die Kategorien angeboren sind; sie
hat demnach die Aufgabe, die Entstehung der Anschauungs- und
Denkformen zu erklären. Nun könnte umgekehrt auch daraus, dass
die Kausalität von der Psychologie genetisch gedeutet werden kann,
uns das Recht bestritten werden, die Kausalität als ausnahmslos
geltendes Geset?: anzusehen. Darauf ist zu erwidern, dass zwar die
kausale Auffassung der Dinge nichts Apriorisches ist, sonticrri all-
mählich entsteht, indem wir durch Induktion die Erkenntnis erlangen,
wie immer ein Ereignis dem andern voraufgeht, und demnach an-
nehmen, dass ein Ereignis das andere bedingt Femer ist zuzugeben,
dass jede durch Induktion und Empirie gewonnene Erkenntnis durch
eine neue Erfahrung umgestosscn werden kann. Unsere metaphy-
sische Überzeugung von der Allgemeingültigkcit des Kausalgesetzes
beruht aber niäit auf dieser durdi Induktion gewonnenen Erkenntnis
(im Grunde beobachten wir nur die Aufeinanderfolge der Ereignisse,
nicht ihre kausale Bedingtheit], sondern auf der theoretischen Über-
legung, dass ein tieschehen ohne Ursache ein unerträghcher Wider-
spruch ist. a kann nicht von selbst zu b werden, es muss vielmehr c,
nämlich die Ursache, hinzukommen. Übrigens wird das absolute
Werden in seiner krassen Form wohl kaum noch v i Philosophen
angenommen und verteidigt; jede P^orschung, jede Erkenntnis hört
eben bei diesem Standpunkt auf, jede Wissenschaft wird zum Nonsens.
Die Verteidiger des Indeterminismus berufen sich wohl dnnuf,
dass doch die Reihe der Ereignisse, von denen eins immer die
Folge des andern ist, einen Anfang haben muss, dass ein erstes
Friimp vorhanden gewesen sein muss, das spontan gewirict hat.
^) Die Welt der Dinge an sich" hat für uns doch nur Interesse , weil sie auf
uas trirktf weil wir die Welt der Vontdliiogea in um fllr ein Abbild der realen Welt
hallen und -weil nnsrrc Stclr al> fin rralrs Wrsrn selbst zu den „Dingen an sich"
gehurt. 5oli nun für die , Dinge .in sich" das Kausalgesetz nicht gelten, so dürfen wir
auch nicht mehr behaupten, dass die „Dinge an aich** rnfttas wirken; dieselben werden
dadurch für uns zu bedeutungslosen Phantomen, die nni im Gninde weiter nichts an-
gehen. Das Resultat ist schliesslich der Solipsismus.
1»
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Indem sie glauben, dass ihnen dies zugestanden werden muss»
meinen sie mit demselben Recht für jedes Glied die Spontaneität
fordern zu dürfen, damit also auch für jedes Individuum das Ver-
mögen , sich frei zu entschliessen. Die Widerlegung ist eigentlich
schon mit obiger Darstellung gegeben. Wenn man in Konsequenz
dieses Standpunktes jedem Gfiede die Spontaneität zuspricht, so ist
damit das tollste Tohuwabohu gegeben, ein absolutes Werden in
der höchsten Potenz. Wenn sich in der Natur Gesetzmässigkeit zu
offenbaren scheint, so ist dies nur Zufall und Täuschung. Gewiss
muss die Reihe der ursäclilich bedingten Glieder einmal einen
Anfang genommen haben; am Adang darf aber nicht das absolute
Werden stehen. Die Schwierigkeiten kann man nur lösen, wenn
man den Standpunkt des Monismus aufgibt und eine Mehrheit von
selbständigen realen Weesen annimmt, die durch ihr Zusammen-
treffen und durch die mannigfaltigen Wirkungen, die sie hierbei
aufeinander ausüben, die unendBdi zusammengesetzten Erscheinungen
des Lebens bewirkt haben. Das dnzelne Wesen wirkt dabei nidit
spontan, sondern es müssen wenigstens zwei Reale sich gegenseitig
bestimmen, wenn daraus eine Veränderung, irgend ein Vorgang
resultieren soll.
Selbst in die abstrakten Untersuchungen der Metaphysik mischt
sich der Grundsatz, dass man das zu beweisen sucht, was man
wünscht, und darum verstandesmässige Schlussfolgerungen mit Wert-
urteilen zu widerlegen sucht. Mancher \ erwirft den Determinismus,
weil er aUes auf Ursache und Wirkung zurückführt und demnach
mechanisch erklärt; man will aber den Mechanismus nur in
den Naturwissenschaften, nicht im Leben des Geistes gelten lassen.
Das Wort „Mechanismus" darf uns indes nicht erschrecken; es gilt
von demselben ebenso wie von dem Wort ,. Freiheit", dass es in
der Sprache in verschiedenem Sinne gebraucht wird.^) Wir be-
kennen uns keineswegs zu jener „mechanischen'' und „materialisti'
sehen" Weltanschauung, die auch das geistige Geschehen aus
Bewegungen der Materie ableiten will. Der Materialismus als Welt-
anschauung wird heute selbst von den Vertretern der Nat irwissen-
schaft wohl fast allgemein abgelehnt; vor dem strengen I^orum der
Philosophie hat er nie bestehen können. „Mechanisch" muss
aber jede Weltanschauung sein in dem Sinne, dass die Erklärung
einer Tatsache auch in den „Geisteswissenschaften" nur darin be-
stehen kann, c!ass eine Folge auf ihren Grund zurückgeführt wird.
Der Indetenninist, der dies für den Willen nicht zugeben will, stellt
ach damit ausser den Bereich der Gesetzmässigkeit und erhebt den
Zufall zum Prinzip ; es ist unmöglich, mit ihm weiter in verständiger
Webe nach den Gesetzen der Logik zu diskutieren.
>) Im dritten Teile wird ausgeführt werden, dus wir in gewissem Sinne anch dcft
sprachlichen Ausdruck „Der Mensch ist frei geboren" akzeptieren können.
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— 5 —
Du psychologlMiM ProMlM.
Der Streit zwischen Determinismus und Indeterminismus kann
im Grninde nur von der Metaphysik entschieden werden; absolute
Willensfreiheit ist ein Unding, sie dem Kausafitätsgesetz wider-
spricht. Es bleibt aber auch für den Deterministen noch ein
psychologisches Problem: Woher kommt dor Schein der
Willensfreiheit? Denn ein solcher Schein besieht j sonst hätte
der ganze Streit nicht entbrennen können.
In den meisten Fällen sind wir uns der Motive unserer Hand>
lungen bewusst; wir können sogar bei andern im voraus angeben,
wie sie in gewissen Fällen handeln werden, wenn wir die Motive
kennen, durch die sie sich gewöhnlich bestimmen lassen. In
manchen Fällen scheint es freilich ganz in unserm Belieben zu
liegen, ob wir uns so oder so entscheiden wollen, ob wir etwa in
einer GeseUschaft noch länger verweilen oder dieselbe verlassen
wollen, ob wir in der Lage des hcriihmien Esels das rechte oder
das Unke Heubündel wählen. Liegen diese Handlungen nicht völlig
in unserm Belieben? Können wir nicht nach Willkür bei unsern
Handlungen die Ratschläge des Verstandes beachten oder Über-
hören? Mitunter erscheinen uns selbst am andern Tage unsere
Handlungen rätselhaft und unbegreiflich. Wie kamrn wir zu jenem
trotzigen Wort, zu jener unüberlegten Tat? Solche Erfahrungen
und Beobachtungen können wohl zu dem Glauben an einen freien,
durch nichts botimmten, selbständig und unbeeinflusst sich ent-
sdiliessenden Willen föhren.
Jene Ansicht einer spontanen Freiheit des Willens ist indes
unhaltbar; es ist erster Grundsatz aller verständigen Weltbetrachtung,
dass jede Erscheinung, also auch jeder Willensentschluss auf eine
Ursache zurückgeführt werden muss. Nun ist aber unser Ich, die
Summe der Vorstellungen und GrefÜhle, die unser geistiges Leben
ausmachen, ausserordehtlich zusammengesetzt, „ein Kosmos im
Kleinen", wie man es mit Recht bezeichnet hat Die „Enge des
Bewusstseins" verbirgt uns gewöhnlich diese Tatsache; sie verhüllt
den grossen Reiehtum unserer geistigen Welt da zur Zeit immer
mu wenig VorsteDtu^ren klar bewusst sein können. Es werden ja
in der Regel diejenigen Vorstellungen unser Handehi am meisten
beeinflussen, die gerade auf der Stufe der Klarheit in unserm Bc-
wusstsein sich befinden. Nun sind aber die zahlreichen Vorstellungen
in der mannigfaltigsten Weise miteinander veiflochten nach dem
Gesetz der assoziativen Verwandtschaft; eine VonU^ung weckt und
reproduziert tausend andere, wenn nicht etwa neue Anregungen
hemmend in dies Spiel der Vorstellungen eingreifen. Unsere Willens-
entschlü^e sind nun nicht etwa nur durch die wenigen Vorstellungen
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bedingt, die wir klar bewusst haben, sondern aucii durch die
Übrigen zahlreichen Vorstellungen, die gewissermassen unter der
Decke des Bcwusstseins schlummern. Diese latenten Vorstdltingen
greifen mittelbar, nämlich durch ihre Konstellation, mitbestimmend
ein und können Kinfliiss auf unsere Entschlüsse ausüben. Da wir
die i uile dieser Faktoren, die für die Entstehung unserer liand-
luogen bedeutsam sein können, nicht immer klar zu überschauen
vermögen, entsteht der Schein der Freiheit und Willkür, der häufig
unsern Taten und Handlungen anhaftet. Durch die Mitwirkung der
latenten Vürstelhingen erklärt es sich auch leicht, dass wir oft
nachträglich über die von uns begangenen Handlungen selbst am
meisten erstaunt sind und über unser seltsames Verhalten, das wir
bei irgend einer Gelegenheit gezeigt haben, verwundert den eigenen
Kopf schütteln.
P.s ist ferner Aufgabe der Psychologie, zu zeigen, welche Be-
deutung den einzelnen Faktoren des Seelenlebens bei der Ent-
stehung des Willens zukommt Es herrscht hier noch lange keine
Einstimmigkeit unter den Fachgelehrten; entscheidend ist dabei
nicht nur die einzelne Beobachtung, sondern vielleicht noch mehr
fwenn's auch nicht immer ein^^estandcn wird), der allgemeine Stand-
punkt, den der Forscher einnimmt, ob er l. B. einen aktuellen oder
einen substantiellen SeelenbegrÜT annimmt Geht der Weg zum
Willen durch das Gefühl oder durch die Vorstellungen? Wer hat
überhaupt die Kraft, die Vorstellung oder die Seele.' Wovon sind
Stärke und Gfiihlston der Vorstellungen abhängig? Auch Hie Be-
deutung somatischer Einflüsse muss berücksichtig werden, namentlich
bei pathologischen Erscheinungen. Femer: Wie kommen die Be-
wegungen des Körpers zu Stande, durch welche wir in zweck-
mässiger Weise unser Wollen realisieren ? Man lic l irf zur Krklärung
der Annahme besonderer Bewe<:,rung[svorstellungen , von denen
vielleicht noch die Bewegungsempfindungen (Muskelgefiihle) zu
unterscheiden sind. AUe diese Untersuchungen Ober die Ent-
stehung der Wiüenshandlungen werden noch dadurch erschwert,
dass die Forscher oft in der Terminologie \ nn einander abweichen,
z. B. nicht immer den Willen im engern Sinne vom Begehren
unterscheiden und nicht berücksichtigen, dass der Wille den
subjektiven Glauben an die Ausf&hrbarkeit als notwendiges Er-
fordernis zur Voraussetzung hat — Es sind dies aUes spezielle
Probleme der Psychologie; sie berühren nicht die grosse Hauptfrage,
deren Lösung Aufgabe der Metaphysik ist, ob überliaupt eine
Bestimmung durch Motive stattfindet oder der Wille spontan
auftritt.
Es sei hier zum Schluss noch ein wichtiger Einwand erörtert.
Wir müssen dem Indeterminismus vorwerfen, dass bei dirsrm Stand-
punkt eine Bestimmung des Willens, also auch eine Erziehung der
Menschen unmögUch ist. Könnte auch umgekehrt der Indcterminist
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— 7 —
dem Determuusnius seine pädagogische Unfruchtbarkeit vorhalten?
Wie ist z. B. dne Selbsteriiehung des Menschen möglich, da dodi
alle seelischen Vorgänge kausal bestimmt, also dem Mechanismus
unterworfen sind? Wie kann ein „Mechanismus" sich selbst be-
stimmten? Wäre dies nicht so widersinnig' wie ein Uhrwerk, das
sein eigener Uhrmacher ist und etwaige Beschädigungen selbst aus-
bessert?') Wenn im Leben eines Menschen etwas vorkommt, das
wie Selbsterziehung aussieht, so würde dies, wenn dieser Einwand
richtig wäre, nur ein bedeutungsloser Zufall sein, eine Folge der
glückUdien Konstellation der VorsteUuogen bei jenem Menschen.
Nun ist zunächst zuziij^eben, dass die Selbsterziehun^ ein
schweres Ding ist, das nicht einem jeden gcHngt, wie ja auch nicht
jeder zur Erziehung anderer bciaiiigt ist. Dennoch ist die
M^Ikhkeit der Ernefaung wie auch der Selbsterziehung leicht ein-
zusehen. Es handelt sich hier um einen ähnlichen Fall wie bd
einem Eingriff in die Nntiir, in die Aussenwelt. Auch die Natur
ist in allen Stücken dem Kausalgesetz unterworfen, und es gibt von
seiner Herrschaft nirgends eine Ausnahme. Doch schon ein Kind,
das einen Stein wirft, ja schon ein Hund, der eine Tür öffnet, ver-
steht die Kunst, die Natur in seinen Dienst zu stellen. Das Kind,
das den Stein wirft, hebt keineswegs das Naturgesetz der Schwer-
kraft auf; der Wurf des Steines ist nicht nur heding^t durch die
Kraft, die der schwingende Arm aul den Stein ubertragt, sondern
auch durch die Anziebungiskraft der Erde Das Kind kennt aus
Er&hnine die Bahn des geworfenen Steines und weiss Nutzen aus
seinem Wissen zu ziehen. Der Mann, der die Gesetze der Natur
genauer erforscht hat, kann mit Hillr (Irr Elektrizität SOgar den
Stein bcwegcfi, der mcilc':iv,'cit. cnticrnt ist.
Ahnlich ist es mit der Erziehung, mit dem bewussten Eingrifl'
in das Seelenleben eines andern. A^>raussetsung ist, dass man die
Gesetze des Seelenlebens kennt; das Fundament der Pädagogik ist
die Psychologie. Dies psychologische Wissen braucht durchaus
kein Gelehrtentum zu sein; auch Völker auf niedriger Kulturstufe
kennen aus Erfahrung die einfachsten seelischen Vorgänge und
') Es SCI hier in c'.r.rr Anmerkung gleich die Bemerkung gestattet, dass auch diese
Annahme nicbl gaoz widcrsiDoig ist. Jeder Organismus ist für die Zeit seines Lebens
dne loldie Ihi^be. NatSrlich stdlt «in mIcIms Ulmrerk, 4ia etwaige Beichl<B|pingeit
selbst ausbessert, ein hohes Kunstwerk dar, wie ja nr. -h .-die mit Leben begabten Wesen,
selbst ein eioselliges Protoplasmatiercben , in der \ ulikümmenheit ihres inneren Baues
alle Werke menschlicher Kunstfertigkeit weit übertreffen. Wir können uns aucb gar
wohl eine vom Menschen konstruierte Maschine denken . die etwaige Beschädigungen,
die häutig vorkommen, selbst ausbessert, wu für solche Falle Reserveteile, die alsdann
in Funktion Uvten, vorgesehen sind. — Ein wichtiger Unterschied besteht zwischen
einena Wesen tob menschlicher VoUkommeoheil und einer Maschine oder dem vegetai>
ttven S^em etnn Organismus: leutere beiden verdanken die VoUkommenhett ihm
inneren Baues nicht der eigenen Intellifens; ibaen feUen Empfindmig, DenkvcnnOgea
und damit. auch — Selbstbestimniing.
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— 8 —
wenden in der Erziehung dieselben fast unbewusst an, sei es auch
nur» dass einer die Eraiehungsmethode des andern mechanisch
nachahmt. Je weiter die p^chologischen Kenntnisse entwickelt
sind, desto reicher ist natürlich auch der Nutzen, den die Erziehungs-
kunst hiervon hat Auch die Selbsterziehung hat zur Voraussetzung
ein Verständnis der seelischen Vorgänge, die unser Tun und
Handeln bedingea Wer über sein Seelenleben nachgedacht hat,
kann sich vielleicht selbst von einem Laster heilen. Man weade
nicht ein, dass Erkenntnis der Fehler nicht ausreicht, sondern vor
allem grosse Energie nötig ist, wenn man ein Laster ablegen will.
Gewiss kann eine Kraft nicht aus Nichts geschaffen werden, und
der gute Vorsatz allein reicht nicht aus, wenn die Willenskraft fehlt
Nachdenken und Obeil^ung lässt aber vielleicht ein Mittel finden,
wodurch der Willensschwache die Kraft erlangen kann, sei es die
kluge und systematische Vermeidung der Versuchuncf. sei es die
Hingabe an eine Beschäftigung, die von dem unseligen Hang be-
freien kann. Wenn z. B. &a Säufer die Erkenntnis seiner ^lergie^
losigkeit veranlasst, freiwillig eine Heilanstalt aufzusuchen, so ist
auch diese Tat ein bedeutsamer Schritt der Selbsterziehung. Auch
in der Heilanstalt wird kein psychologisches Wunder vollführt ; man
hält nur von den Kranken jede Versuchung fern und maciit ver-
standige Anwendung von dem wichtigen Mittel der Gewöhnung
zum Guten.
m.
Das ethlMlM PrsMsa.
Wie verträgt sich der Determinismus mit der Zurechnung
unserer Handlungen? Wenn ich mich nicht willkürlich und frei für
das (-rute oder für drxs Böse entscheiden kann, wie kann ich dann
für meine Taten vcrauLwortlich gemacht werden?
Zunächst ist zu erwidern, dass das ethische UrteU von allen
theoretischen Obedegungen unabhängig ist Die gemeine, selbst»
süchtige Handlungsweise muss ich vor(iammen niirh v/enn irh zur
'Entschul di (TU ni^^ die schlechte Kr/iehung des Ijctrctfi ndcn Menschen
und das unselige soziale Milieu, in dem er lebt, anführen kann.
Das ethische Urteil gleicht darin dem ästhetisdien UrteiL Das
schlechte Bild erregt unser Missfallen, mag es auch als Knt*
schuldigung des Malers gelten können, dass ihn etwaige ungünstige
Verhältnisse zwingen, übermässicr schnell zu produzieren; das Bild
selbst wird durch diese EnUschuidigung des Malers nicht besser.
Man nenne den Standpunkt des Ethikers, der ohne ROcknchtnahme
die schlechte Tat verdammt, deswegen nicht rigoros; das ethische
Urteil ist nicht das lieblose Urteil eines Pharisäers, der nach dem
Missetäter den ersten Stein wirft; auch dem Sünder soll die .Nächsten-
liebe nicht entzogen werden; aber die absolute Scheidewand zwischen
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— 9 —
Gut und Bose darf nicht niedergerissen, das Böse darf nicht als ^ut,
wenn auch nur im geringeren Grade gut angesehen werden. Auch
verurteilt das eigene Gewissen uns selbst bei einer schlechten Tat;
wenn es unserm Verstände auch leicht gelingt, uns mildernde Um-
stände vorzureden, die unbestechliche innere Stimme lässt sich nicht
so leicht zum Schweigen briI^sen, wenn wir eine niedrige Handlungs-
weise begangen haben.
Was bisher ausgeführt wurde, trifft noch nicht den Kern des
Ebwandes. Das etUsche Urteil (das Grewtssen) sagt uns freilich,
was gut und was bose ist Aber mit welchem Rechte darf einem
Menschen die Int /u gerechnet werden, wenn schliesslich die
Entscheidung zwischen Gut und Böse nicht frei, sondern durch die
in uns herrschenden Vorstellungen und Gefühle notwendig be-
stimmt ist?
Darauf ist zu erwidern, dass eben die Gefiihle und Vorstdlungen,
die unser Handeln bestimmen, unser Wesen ausmachen, dass unser
Ich mit ihnen identisch ist. Gewiss ist unser Ich nichts Angeborenes,
sondern etwas im Leben Gewordenes, und die Art und Weise, wie
wir geworden sind, mag '] teilweise vom Zufall abhängig sein. Unser
Ich ist indes nicht nur etwas Gewordenes, sondern audi etwas Ein-
heitUches; die Art und Weise unserer Vorstellungen und Gefühle
und die Konstellation derselben , das sind wir selbst , darin kenn-
zeichnet sich unser Charakter, und jedes Urteil hierüber trifft uns
selbst Eine Tat, die wir vollbringen auf Grund der Eigenart
unseres Sedenlebens, unseres wich", muss uns darum auoi zu-
gerechnet werdea
Man kann umgekehrt behaupten, beim Indeterminismus kann
nicht von Zurechnung^ die Rede sein. Bestände zwischen dem Ich
und seinen Willenshandlungen kein notwendiger Zusammenhang
mehr, wäre also dem Ich dieses Wollen ebenso zufallig wie ein
anderes, so würde jede Verantwortlichkeit des Ich für diesen Willen
aufhören, und ein von allen Motiven unabhängiges Wollen könnte
niemals einer sittlichen Beurteilung unterworfen werden.
Unter „Zurechnung" versteht man das Urteil, dass eine be-
stimmte Tat aus dem Vorstellungsganzen des Ich der betreffenden
Persönlichkeit hervorgegangen ist Damit ist dn Zwiefaches aus-
gesagt Die Tat muss erstens aus dem eigenen Willen hervor-
gegangen sein und demselben entsprechen ; die Tat muss beab-
sichtigt und vor.iiissätzlich geschehen, nicht durch einen unvorher-
gesehenen Zufall veranlasst sein, wenn sie zugerechnet werden soll
Wer z. B. einen Menschen versehentlich getötet hat kum nicht als
') Hier berührt sich die Frage mit einem anderen grossen Problem, zu dem die
ReligioQsphiiosophic bczw. der Glaube Stellung aehmea mu&s ; es ist hier nicht der Ort,
auf die Frage einer göttlichen Weltregierang und die FHft der ZwcckmlMi^Mit aller
memchlicben tcbciwchlckuJe nftlier eiazagehea.
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— 10 —
Mörder betrachtet werden; doch muss der Totschlag als Schuld
zugerechnet werdeo, wenn eine Fahrlässigkeit das Versehen ver«
anbsst hat; auch die Unterlassung einer durch die Vorsicht ge-
botenen Handlun;:^ muss als Schuld zugerechnet werden. Zweitens
kann eine 1 at nur dann zugerechnet werden, wenn in dem Willen
wirklich die herrschenden Vorstellun^smassen des Ich zum Ausdruck
kommen; denn nur in diesem Falle ist die Handlung wirklich meine
TaL Mauidierlei Einflüsse — somatischer und psychischer Art —
können dies unmöglich machen. Einem Seelenkrankcn , der im
„Dämmerzustande" handelt, oder einem Kinde, dem die Fähigkeit
fehlt, seine Handlung und deren Folgen zu beurteilen, und das
seinen Willen noch nidit durch verstandige Überlegungen be-
stimmen kann, kann auch eine Tat nicht zugerechnet werden. Das
Strafgesetz verneint darum auch die Strafbarkeit einer Handlung,
wenn dem Täter bei Ausübung derselben die Zurechnungsfahigkeit
abging. Wir dürfen demnach durchaus nicht identifizieren Willens-
freiheit und Zurechnungsfahigkeit , Willensunfreiheit und Unzurech-
nungsfähigkeit ; Zurechnungsfahigkeit kann vorhanden sein oder
fehlen, atoolute Freiheit des Willens kann es nicht geben.
Es wurde schon hervorgehoben, dass die Sprache infolge der
Vieldeutigkeit der Ausdrücke uns doch gestattet, in gewissem Sinne
von einer Freiheit des Willens zu sprechen.*) Freilich ist es nicht
die absolute Freiheit im metaphysisdien Sinne. Das Wort ,J^reiheit"
besticht uns nun einmal durch seinen schönen Klang, und wir
sprechen darum alsdann von Freiheit, wenn jemand seinem Wesen
gemäss handelt. Man kann in diesem Sinne sogar schon bei Tiaren
von Freiheit sprechen. Der Hund z. B. handelt frei, wenn er seinen
Instinkten sich überlasst, wie der Jagdhund, der dem Wilde nach-
spürt; der Hund ist unifrei, wenn er unter dem Zwang der Dressur
handelt und den ihm zugeworfenen Bissen Fleisch nicht anrührt
In gleichem Sinne können wir von einem Menschen sagen, er
handelt frei, wenn er seinem Wesen gemäss handeln kann, wenn er
sein Leben völlig nach seinen Neigungen und Wünschen gestalten
kann; er ist unfrei, wenn er fremdem Willen dienen muss. Der
Knecht, der Gefangene sind unfrei, der freie Mann bestimmt sein
Sciiiclcsal selbst^
In diesem Sinne ist es wohl gestattet, von der Freiheit des
Menschen zu reden. Wir beklagen den Unglücklichen, der die
*) Wir mflnen dies sogar, wenn wir nicht roisiventaadeo sc'm wollen, da voB
jeher die innere Ifaiiiioilie all wahre Freiheit voa deo IMcbten ond Denkern geprieictt
worden ist.
•) Vgl. die trefflichen Ausruhrungen über die Freiheit des Willens in AUihns
„GmndriM der Ethik", nenbearbeitet von O. Flügel, ä. 313. „Freiheit ist nicht eine
Atunahme im GtgamHx mm Unlerworfecadn unter die allgemeine Kanialiltt, londem
es wird damit nur ein Znitnnd bewldinct, wekher der eigenen Natur genbs oder ihr
zuwider ist."
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— II —
Kerbtschaft erdulden muss, und preisen die Freiheit als hohes Gut.
Das Wort „Freiheit" hat indes noch einen tieferen Inhalt, noch eine
höhere Bedeutung. Diese höchste Stufe ist die sittliche Freiheit
Unfrei ist auch der Mensch, der in den Ketten eines Lasters liegt
und sich von einer unglückseligen (iewohiiheit nicht frei machen
kann. Wahrhaft frei ist nur derjenige, der in allen Stücken der
innem Stimme folgt und nur den Geboten der Sittlichkeit gehorcht.
Das ist die höchste Freiheit, die sittliche Freiheit, man kann auch
sagen: die christliche Freiheit.^) Wer sie errungen hat, ist frei, auch
wenn er in äusseren Banden liegt; voll Begeisterung ruft Schiller
aus: „Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und würd' er in Ketten
geboren l"
In der Lehre von der Freiheit kommt die völlige Unabhängigkeit
der Ethik zum Ausdruck. Wir bezeichnen diese Anschauung als
Autonomie. Die sittlichen Gebote sind uns nicht von einer fremden
Macht auferlegt; in den Forderungen der Sittlichkeit kommt unser
eigenes Wesen zum Ausdruck, das nur in einem sittlich reinen
Handdn Genüge finden kann.
Der Mensch ist frei; nicht das einzelne Wollen, sondern der
Wollende selbst, dem das Wollen zukommt, ist autonom. Der Mensch
ist auch nicht ursprünglich frei, sondern wird frei, indem und da-
durch, dass seine sittlichen Motive zur Herrschaft gelangen, und die
Freiheit, die man erworben hat, bleibt immer weit zurück hinter
dem Idealbild der Freiheit. Die Freiheit zeigt verschiedene Stufen,
sie ist verschieden bei verschiedenen Personen und verschieden bei
derselben Person 7u verschiedenen Zeiten. Die Freiheit ist „Einheit
des Wissens und Woilens, die beide in sich aufhebende höchste
Entwicklungsstufe des Seelenlebens".^
Nur der wahrhaft sittliche Mensch ist frei; denn sein sittliches
Handeln entspricht seinem innersten Wesen, und keine Reue, keine
Scelenqual kann ihn treffen. Das ist die höchste Freiheit; ihr Ideal,
das wir auf Erden nicht verwirklicht finden, nennen wir Gottheit.
In Christo ist es uns offenbart worden. Wir Menschen aber können
nur, um mit Schiller zu sprechen, „nach der göttlichen streben".
„Ad sieb ist ja jeder Charakter, gerade je abgeschlossener er ist, ganz indi*
^sdl and ebeuo leioe FrdheH; worin er sich frei flihlt, filhlen die andern rieh
▼iellciclil unfrei, nnd eine Gesct7ß:ebung, welche seine Maximen zu allgcmeinrn Gr-.ct7.cn
«iiebt und unter welcher er sich glücklich ftihlt, macht möglicherweise alle anderen
nn^flcklidi. Die Grandlitte de» tittUchen Charakters allein sind fähig, rar «Ugeineincn
Gcsr-t'p-'hiinj: erhoben ixi werden, so dass die Mii (jl i chkeit geboten ist, dass jeder
sich unier solchen Gesetzen frei fühlen kann. D<'m\ der sittliche Charakter adicin bildet
den vollendeten AbschlmB jedes Cbarakt : (Flügel a. a. O., S. 243.)
^ Vgl. VoUniann von Volkmar, „Lehrbuch der Psychologie". Bd. II.
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— 12 —
n.
Die Reform des naturwissenschaftlichen Unterrichts
im sächsischen Seminar.^
Von Oberkbm Dr. L Ktttti in Dresden.
In der grossen Reihe der bedeutsamen, bei der Fortentwicklung
des hochstehenden sächsischen Lehrcrbildungswesens zu lösenden
organisatorischen und Lehrplanfragen nimmt das 1Vo!ilem der Reform
des natur%visscnschaftlirhen Unterrichts nicht die let/.te Stelle ein.
Langst bevor die aaLurwissenschaftliche Unterrichtsbewegung der
Gegenwart mit ihren Reformbestrebungen fiir die höheren Schulen
einsetzte, längst bevor die Volksschullehrerschaft ihre Forderungen
bezüglich diese? Punktes näher formulierte, hat sich bei denen, die
in erster I.iiite imstande sind , die {gegenwärtig herrschenden Ver-
iiäitnisse zu beurteilen, bei den naturwissenschaftlichen Lehrern der
sächsschen Seminare, die Überzeugung b«fes^t, dass die gegen»
irartigen Lehrplanvorschriften schon längst nicht mehr den fort-
geschnttenen Zeitverhältnissen Rechnung tragen. Darüber geben
die Sitzungsprotokolle der mathematisch - naturwissenschaftlichen
Sektion des sächsischen Seniinarlehrervereins genügende nähere Aus-
kunft. Zuletzt im Jahre 1901 hielt Herr Professor Ulbrtcht-Boma
einen Vortrag: Einige Wünsche betreffs des naturwissenschaftlichen
Unterrichtes im Seminar,*) in dem er nachdrücklich auf die überaus
beschämende Lage hinwies, in der sich der naturwissenschaftliche
Unterricht gegenwärtig an den Seminaren ähnlich wie an den
meisten anderen höheren Lehranstalten befindet und in dem er
dngdiend die Notwendigkeit einer vertieften und nach der Seite
praktischer naturwissenschaftlicher l'bungen hin erweiterten natur-
wissenschaftlichen Bildung der zukünftigen Volksschullehrer be-
ßiindete. Seine erste These, die für den naturwissenschaftlichen
nterricht im Seminar eine grössere Stundenzahl und zwar für den
Fall einer Verlängerung der Seminarzeit um ein Jahr liir jede Klasse
einen dreistündigen L^nterricht forderte, fand /war damals nach
längerer Debatte einstimmige Annahme; aus 1 in kurzen Sitzungs-
protokoll lässt sich jedoch erkennen, dass man sich hinsichtlich
einer baldigen Durchführung dieser These keinen aDzugrossen
Hoffnungen hingab. Man sprach von Zukunftsmusik usw., und der
Vorsitzende der Versammlung, Herr Schulrat Stcner-Borna, schlug
vor, es sei das Beste, zu erklären, dass es an Zeit zur Durchführung
') Nach einem in der mathemaliseh-iutarwissenäcIialUiclicn Seklioo des lichiisclwn
Seniinarlehrervereins gehahencn Vortrage, Scptf m1>cr 1907.
*) Vgl, 6. Bericht des sächsischen Seminarlchrervereiü» 1900^1901, S. 72 — 93.
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— 13 —
der These fehle. Wie sieht es heute, nach sechs Jahren, aus?
Idi scheue mich nicht, die freifich uiumgefiehm klingende Wahrheit
auszusprechen, dass wir nicht um einen Schritt vorwärts gekommen
sind. So grosse Fortschritte auch innerhalb der letzten Jahrzehnte
der naturwissenschafthche Unterrichts- wie der gesamte Seminar-
betrieb innerlich aufzuweisen haben mag, ausserlich müssen sich
diese Fächer noch immer mit jener kärglichen Anzahl von Stunden
begnügen, die ihnen in der Lehrordnung vom 29. Januar 1877, abo
vor 30 Jahren, zugebilligt wurde. In diesem langen Zeiträume haben
sich indessen die in den realen Verhältnissen wurzelnden Wider-
stände nicht verringert : vielmehr ist durch die in Aussicht stehende
Einf&hrang einer zweiten Fremdsprache in das SeminaTp sowie durch
die Forderungen der Reformer, die obersten Klassen zu pädago-
gischen I^'achklassen auszugestalten, die Gefahr gewachsen, dass der
naturwissenschaftliche Unterricht im säciisischen Seminar völlig an
die Wand gedrückt, zum mindesten mit der jetzt vorhandenen un-
genügenden Stundenzahl noch weiter nach den unteren Klassen hin
verschoben wird. Ist es angesichts dieser Sachlage nicht das Beste,
zu resignieren, auf Anschauungen und Forderungen zu verzichten,
von deren Richtigkeit und Durchführbarkeit man innerlich noch so
sehr überzeugt sein mag, deren in allen Tonarten iornier von neuem
wiederholte Begründung aber man als eine Sisyphusarbeit ansehen
muss? Ist es nicht besser, allen, die die Reform des naturwissen-
schaftlichen Unterrichtes auf ihre Fahne geschrieben haben, zuzu-
rufen: Lasciate ogni speranzal Stellt euch r\uf den Standpunkt des
Gehenlassens j denn die gegenwärtigen ruckständigen Verhältnisse
sind zwar höchst beklagenswert und verbesserungsbedürftig; aber
die allgemeine Sachlage, die zu dem gegenwärtigen Zustande gefuhrt
hat, ist einstweilen derartig unangreifbar und unabänderlich, dass
in naher Zukunft nichts zu erhoffen ist.
Zu solchem kleinmütigen Glauben möchten wir wohl berechtigt
sein, wenn wir hier, völlig alleinstehend, Forderungen für eine ver-
tiefte naturwissenschaftliche Bildung im I^hrerseminar erheben
würden; aber so liegen die Verhältnisse nicht mehr. Es ist all-
gemein bekannt, dass im Herbst des Jahres 1901 in TT^mburg jene
denkwürdige Sitzung der Naturforscher- und Ärzteversammlung statt-
fand, von der die neuen Bestrebungen, insbesondere den biologischen
Fächern den ihnen zustehenden &flu88 auf die jugendbildung und
-erztehung zu erkämpfen, ihren Ausgang nahmen. Und wenn auch
das in der Zwischenzeit Erreichte noch lange nicht dem Erstrebten
entspricht, da die unsterblichen Widerstände jeglichen Bildungs-
fortschrittes, Unverständnis und Scheu vor dem Neuen neben der
vielfach zu beobachtenden Gleichgültigkeit breiter Schichten, hindernd
im Wege stehen, so kann der aufmerksame Beobachter doch ander-
seits erkennen, dass diese Bewegung nicht im Abflauen begriffen
ist, dass sie vielmehr von Jahr zu jstht mehr an innerer Krau und
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— 14 —
Klarheit gewonnen hat Die Erkenntnis wächst, dass es sich hier
um Dinge handelt, die mit der zukünftigen geschichtlichen Entwick-
lung; unseres Volkes eng zus«imnienhängcn , dass eine die Grund-
lagen moderner Kultur vermittelnde Bildung und Erziehung des
gesamten Volkes einer der wichtigsten Faktoren ist, ohne den wir
auf die Dauer unseren „Platz an der Sonne" gegenüber unseren
Rivalen unter den Nationen nicht zu behaupten vermögen; muss
man sich doch beschämend eingestehen, dass Deutschland auf
diesem Gebiete, wo es sich um die Anerkennung und Gleich-
berechtigung der naturwissenschaftlichen Bildungsmittel gegenüber
dem Übergewichte althergebrachter philologisch-historischer Schulung
handelt, längst von Nordamerika, aber auch von England und in
letzter Zeit von Frankreich schon weit überflügelt ist. So ist es
gekommen, dass sich die von Hamburg ausgegangenen biologischen
Bestrebungen zu einer grossen, mathematisch-naturwissenschafthchen
Refprmbewegung ausgestaltet haben.
Die von der Naturforsdierversammlung eingesetzte Kommission
hat eine Reihe von Berichten veröffentlicht, in denen die Minimal-
forderungen für den naturwissenschaftlichen Unterricht der \er
schiedenen 9- und öklassigen höheren Lehranstalten zusammen-
gefosst sind; se hat aber davon abgesehen, auch für die Lehrer«
Seminare allgemeine Forderungen aufzustellen. Es heisst darüber in
dem allgemeinen Kommissionsbericht vom Jahre 1906:*)
„Bevor wir nun zu dem naturwissenschaftlichen und mathe-
matischen Unterrichte an den höheren Mädchenschulen übergehen,
sei es gestattet, mit wenigen Worten noch einige andere Schularten
zu streifen, die eine grosse nationale Bedeutung besitzen und an denen
der naturwissenschaftliche Unterricht gleichfalls der Verbesserung
bedarf. Es sind das die Volksschulen, die Fortbildungsschulen, die
Fachschulen verschiedenster Art und die Lehrerseminare. Die
Kommission hat sich sehr emsthaft mit der Frage beschäftigt, ob
sie auch für diese verschiedenen Schulgattungen etwa Normen be-
treffend den mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht
aufstellen sollte, sie hat sich von kompetenten Fachleuten eingehende
ikrichte als Unterlage ihrer Beratungen erbeten, ist aber zu dem
Entschluss gekommen, von einer speziellen Behandlung oder gar
von AufsteUung lehrplanmässiger Forderungen abzusehen. Der
Gegenstand ist zu verwickelt, als dass er in der Kürze der zur
V^erfügung stehenden Zeit hätte erledigt werden können. Indessen
hat die Kommission sich nicht der Erkenntnis verschliesscn können,
welche ausserordentlich grosse Bedeutung ein richtig erteilter natur-
MrissenschaiUieher Unterricht für die nationale Volkserziehung besitzt,
die doch als das letzte und höchste Ziel jedes Unterrichtes zu be-
trachten ist Würde z. B. das Kurpfuscbertum bei einem nur
i) Vgl. Nalur und Schule V, S. 480.
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— 15 —
einigennassen naturwissenschaftlich aufgeklarten Volke wohl je zu
solcher Blüte habe gelangen können, wie es jetzt tatsächlich der
Fall ist? Diejenige Stelle, wo zuerst der Hebel zu einer Besserung
ang^tzt werden muss, sind die Lehrerseminare. Hier muss vor
allein ein sacbgemässer, wenn auch auf das Notwendigste zu be-
schränkcfider Betrieb der Naturwissenschaften und der Mathematik
einziehen; es ist unbedingt erforderlich, durch fachmännisch vor-
gebildete Seminarlehrer die Bücherweisheit durch lebendiges Wissen
zu ersetzen, um den zukünftigen Lehrern die grundlegende Bedeutung
der Naturwissenschaften für die gesamte Kultur der Gegenwart, für
Handel und Verkehr, für Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft
einigennassen verstandlich zu machen. Es ist das eine Saat, die
auch im Interesse der ökonomischen Käinpfe der Volksschichten
sowie für den Wettbewerb der Völker und eine friedliche Weiter-
entwicklung unserer Kultur gesät werden muss und die sicher reiche
Fiudite tragen wird, wenn ihr eine verständnisvolle Pflege zu teil
wird."
Es herrscht ganz allgeincin eine Stimme der Anerkennung über
die grossartige und umtasscnde Tätigkeit, die die Unterrichts-
kommission der deutschen Naturforscher und Ärzte in den letzten
Jahren entfaltet hat Trotzdem darf gerade die voriiegende Stelle
des Kommissionsbcridites nicht völlig unwidersprochen bleiben; sie
nötigt vielmehr zu einer kritischen Bemerkung. Ich habe leider
nicht erfaliren können, wer der „kompetente Fachmann'* gewesen ist,
der einen eingehenden Bericht über die Verhaltnisse am sächsischen
Lehrerseminar erstattet hat Ich habe die nicht unbegründete Ver-
mutung, dass man wie in den jüngsten Veröffentlichungen des sonst
so verdienten Geheimrats Klein-Göttingen ül^cr den mathematischen
l nterricht im wesentlichen die Verhältnisse am preussischen Lehrer-
seminar untersucht und diese dann etwas vorschnell als für das
deutsche Lehrerseminar im allgemeinen geltend angesehen hat
Auf jeden Fall ist zu protestieren gegen den Passus, dass es un-
bedingt erforderlich ist, durch fachmännisch vorgebildete Seminar-
lehrer die Bücherweisheit durch lebendiges Wissen zu ersetzen usw.
Es ist hier nicht meine Aufgabe, zu untersuchen, inwieweit diese
Vorwurfe gegenüber den naturwissenschafUicfaen Lehrern der
preussischen Präparandenanstalten und Seminare berechtigt sind.
Ich mochte aber fhe Fraji^e aufwerfen , ob es den sächsischen
Vertretern in der Konimission so völlig unbekannt ist, dass an den
sächsischen Seminaren schon jetzt ganz allgemein akademisch vor>
gebildete und praktisch tüchtig geschulte Naturwissenschaftler tatig
und damit die ersten Bedingungen fiir einen tüchtigen natur-
wissenschaftlichen Unterricht, der sich nicht auf „Bücherweisheit"
beschränkt, erfüllt sind. Auf jeden Fall haben die an den
sächsischen Anstalten wirkenden Akademiker allen Grund, solche in
der breitesten Öffentlichkeit ganz allgemein erhobenen Vorwürfe
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energisch zurückzuweisen ; und das um so mehr, als man durch die
Statistik weiss, wie die Verhältnis<;e nn den anderen höheren Schulen
bestellt sind , welcher Mangel insbesondere an tüchtigen Biologie-
iehrerii allgemein besteht Nach Norrenberg entfielen im Schul-
jahr 1901/02 von den 214 Biologiestunden, die an den 21
(19 hum. ^- 2 real.) höheren Lehranstalten der Provinz Posen erteilt
wurden, nur 106, also weniger als 50*^/,, auf akademisch gebildete
Lehrer, die für Zoologie und Botanik qualifiziert waren; unter diesen
befanden sich aber sicher noch zahlreiche Mathematiker, die eine
biologische Fakultas nur zur Ergänzung des Zeugnisses erworben
haben. Nach einer Mitteilung im Bayrischen Realschulmännerverein
„wird an den bayrischen humanistischen Gymnasien und Pro-
gymnasien der Unterricht in der Naturkunde (und ebenso in der
Erdkunde) in weitaus den meisten Fällen von Lehrern (besondere
Altphilologen I) erteilt, die keinerlei Prüfung in den Naturwissenschaften
abgelegt, bisweilen nidlt einmal die geringste Vorbildung darin
haben!" Gegenüber solchen Missständen können die Personal-
Verhältnisse an den sächsischen Seminaren als vorbildlich bezeichnet
werden. Das hier vorliegende Urteil ist aber typisch für die Art
und Weise der Beurteilung der sächsischen Seminarverhaltnisse. Es
ist den aUerweitesten Kreisen völlig entgangen, welche Umgestaltungen
der gesamte Unterrichtsbetrieb an diesen Anstalten in den letzten Jahr-
zehnten durchgemacht hat. Es mag daher hier an die weiteste
Öffentliclikeit die Bitte gerichtet werden, in Zukunli bei der Be-
urteilung der Seminare zu indtvidualideren und nicht die Ver-
hältnisse, wie sie an den preussischen Lehrerbildungs-, insbesondere
den Präparandcnnnstalten und zum grossen Teile auch in Süd-
deutschland besiehen, als für das deutsche Lehrerseminar im all-
gemeinen geltend anzusehen. Die Verhältnisse an den hanseatischen
Seminaren und den sächsischen Anstalten liegen durchaus anders.
Die sächsische VolksschuUehreischaft aber mag erneut auf die Stelle
aufmcrk-^am gemacht werden, wo zuerst der Hebel des Fortschritts
anzusetzen ist, und daran erinnert sein, dass an eine Realisierung
ihrer vielfach berechtigten, weitergehenden Forderungen ui dem
räumlich beschrankten Sachsenlande solange nicht gedacht werden
kann, als sich nicht der grosste deutsche Bundesstaat dazu ent-
schliesst, seinem Lehrerbildungswesen einen kräftigen Ruck vorwärts
zu geben.
Die Frage, mit der wir uns beschäftigen, bietet, wie auch von
der Unterrichtskommission mit Recht anetkannt wird, ausser-
ordentliche Schwierigkeiten. Was zunächst die Formulierung der
Ziele anbelangt, die sich der naturwissenschaftliche Unterricht am
Seminar zu stecken hat, so erscheint es ausgeschlossen, dass die
von der Kommission sowohl für 9- als auch ökiassige höhere Lehr-
anstalten aufgestellten Lehrplane ohne weiteres auf das Seminar
fibertragen werden könnten, da hier neben den för die allgemeine
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— 17 —
Bildung der Zöglinge nötigen Kenntnissen auch auf jene hesonderert
Fordern HLTcn Rücksicht zu nehmen ist, die sich aus der speziellen
Berufbausbildung in physiologischer Psychologie, in Physiologie,
Schulhygiene usw. ergeben. Doch dürfte sich hierin noch ver-
hältnismässig leicht eine Übereinstimmung erzielen lassen; viel
schwieriger gestaltet sich das Problem der srhiiltechnischen Durch-
führung, Wir alle kennen die Überbürdungsirage ; wir wissen, dass
schon längst die äusserste Grenze dessen erreicht ist, was billiger
Weise von unseren Schülern sfefordert werden kann; ja wir stehen
auf dem Standpunkte, dass bei einer Neuordnung des Lehrplans
in einem siebenjährigen Kursus den Forderungen einer gesunden
körperlichen und vor allem geistigen Hygiene in ganz anderer Weise
als bisher, namentlich in den Jahren der Pubertätsentwicklung,
Rechnung getragen werden müsse. Wenn wir darum hier Neu-
forderungen erheben, die sich praktisch nur durch Gewährung einer
grosseren Stundenzahl für die Naturwissenschaften werden ver-
wirklichen lassen, so mochte ich vom hygienischen Standpunkte aus
vor allem den Satz an die Spitze stellen:
Eine Reform und eine lu^eiterung des natumrissenschaftUdien
Unterrichts im Seminar darf, SO wünschenswert, ja notwendig de
erscheint, auf keinen Fall auf Kosten einer Vermehrung der Gesamt-
stundenzahl oder einer Steigerung des Gesamtwissens erreicht
werden; es ist vielmehr bei einer Neuordnung des Lehrplans in
einem siebenjährigen Kursus dahin zu wirken, dass die wöchentliche
Stundenzahl in den einzelnen Klassen herabgemindert wird.
Reide Forderungen scheinen sich diametral gegenüberzustehen',
ein Ausweg aus diesem Dilemma erscheint unmöglich und so haben
wir denn auch von Geheimrat Grüliich in der „Seminararbeit" hören
müssen, dass es ausgeschlossen ist, zur Zeit weitere Stunden für die
Naturwissenschaften frei zu machen. Diese Antwort gibt man aber
nicht nur uns, wir hören sie allgemein von allen höheren Lehr-
anstalten. Wo liegen die Ursachen dieser Erscheinung?
R. Fricke hat in seinem auf der ßreslauer Naturforscher-
versammlung 1904 gehaltenen Vortrage^) naher ausgeführt, dass
man diese Erscheinung nur aus der geschichdichen Entwicklung des
höheren Schulwesens in Deutschland heraus verstehen könne, aus
dem Kampfe, den die beiden grossen Geistesrichtungen des Huma-
nismus und des Realismus seit den Tagen der Reformation in den
Schulen filhren. Vfit in den Kloster- und Domschalen des Mittelalteti
das Latein« die allgemeine Kirchensprache» den wesentlichsten Unter-
richtsgegenstand ausmachte , so konnte auch der Humanismus des
15- Jahrhunderts bei der Bekämpfung der Scholastik sein Ziel, die
Verbreitung einer rein menschlichen Geistesbildung, dem entlehnten
') Vgl- ^- ^^a^gerin, VerliaiMUnqgai der Bresbuier Natitrfonelier-VefSMmnlniig über
den natonrissenschafUiehien und nwIhniiitiiclieD Unterricht, S. 9 ff.
FMafOgitelM Stndiea. ZZIX. U 8
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— i8 —
Charakter der damaligen Kultur entsprechend, nur durch Wieder-
belebung der klassischen Studien zu erreichen suchen. Auch die
Refoniiation hat an ihrem Teüe dazu beigetragen, in einseitiger
Wdse den Betrieb der alten Sprachen zu begünstigen. „Die
Sprachen sind die Scheiden, darinnen das Messer des Geistes
steckt;" dieses Wort Lutliers bezeichnet deutlich den Wert, den
man in dem Kampfe um die Auslegung der Überheferungen den
Sprachen und der durch sie vermittelten formalen Schulung bei*
messen musste. Zwar haben von Anbeginn an die Proteste gegen
den in den Lateinschulen in durchaus einseitiger Weise auf blosse
Wortgelehrsamkcit hinauslaufenden Schulbetrieb nicht «^eiehlt. Die
Sössen Reformatoren der folgenden Zeit, ein Ratichius, ein Comenius,
ssend auf dem von Baco v. Verulam verkündeten neuen Greist
wissenschaftlicher Forschung: Omnia per iuductionem et experi-
mentum. hnbcn immer wieder darauf hingewiesen, dass die Menschen
nicht aus iiuchern klug werden könnten, sondern ,,aus Himmel und
Erde, aus Eichen und Buchen,"-) d. h. dass sie die Dinge selbst
kennen lernen müssten, nicht aber einzig und allein fremde Be>
obachtungen und Zeugnisse über die Dinge. So sehr man aber
auch pjencigt sein mag , die Bestrebungen der Pietisten und Ratio-
nalisten, diejenigen im l'Vankcschen Pädagogium wie in den Ritler-
akademien und in den Schulen der i'liüantropen anzuerkennen, die
ein sachliches Wissen in Mathematik, Geographie und Naturwissen-
Schaft vermitteln wollten, nicht nur aus rein utilitarischen Gründen»
sondern um der erzieherischen Bedeutung dieser Dinge willen, so
wenig kann anderseits geleugnet werden, dass alle diese Bestrebungen
auf den hergebrachten Betrieb der Lateinschulen, aus denen weitaus
überwiegend die gebildeten Stände des Volkes ihre Bildung bezogen,
keinen wesentlich umgestaltenden Einfluss ausgeübt haben. Vielmehr
lässt sich beobachten , dass das 19. Jahrhundert durch das vom
NeuluimRnismus geprc^lijlo Ideal der vollkominenen Menschlichkeit,
das man im llellenenium verkörpert sah, /u einer abermaligen
Stärkung der philologisch-historischen Ausbildung geführt hat, die
in ihrer späteren tlinseit^keit, ihrer teilweisen P^ngherzigkeit und
vielfachem Eigendünkel wohl kaum von den Begründern dieser
Bewegung, einem Alexander v. Humboldt z. B., vorausgeahnt worden
ist Auch in dem neuiiumanistischen Gymnasium siegte das Prinzip
der fonnalen Bildung. „Es ist einzig und allein das fonnale Prinzip,
welches der Philologie als Mittel der Gymnasialbildung ihren evrigeup
durch nichts zu ersetzenden Wert verleiht und dieselbe zugleich
zum universalen Bildungsmittel macht."''') Zwar setzt im Laufe des
19. Jahrhunderts abermals eine bis in unsere Tage gehende Protest-
*) Joh. Arnos Comenius, Didaktika magna, herausgegeben von G. A. Lindner.
Lriptig 1886. .S. 128.
>) Vgl F. Paulsen, Geschichte des gelehrten Untemchy. Ldpsig 1897. II. Bd. S. 500.
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— 19 —
bewcf^ng^ mit der Gründung der Realgymnasien, der latcinlosen
Realschulen und Oberrealschulen ein; aber unschwer lässt sich er-
kennen, dass auch diesen Sdiu^ttungen die Traditionen des
humanistischen Grymnasiums» das nur die Vergangenheit anbetet,
aber keine Gegenwart kennt, zum Fluche geworden sind; drnn dr^
Pudels Kern ist doch der, dass alle unsere höheren Sf fi ilen jm
letzten Grunde höchst einseitig entwickelte Sprachschulcn sind und
dass alle anderen im Laufe der Zeit aufgenommenen Lehrgegen-
stande nur mehr oder weniger als Nebenfacher figurieren. Ganz
allgemein herrscht die Anschauung, dass das Sprachenstudium der
Kern und Mittelpunkt der Bildung sein müsse , obwohl doch die
Sprache immer nur ein Werkzeug und nicht der Inhalt sein kann,
„äründliche naturwissenschaftliche Schulung insbesondere, der künst-
lerischer Sinn nicht fehlen darf, die daher, nicht beschreibend und
nicht nebensächhch, sondern in vollem Krnste, mit wahrhafter Natur-
beobachtung betrieben werden ^oüte, ist bisher immer nur ein
frommer Wunsch geblieben, genau so wie plastisches Denken,
Raum- und Formvorstellung." Selbst in den Refonnschulen ver>
schicdener Systeme erscheint das Schwergewicht des Unterrichtes
in den Oberklassen in recht einseitiger Weise in den spraclilichen
Unterricht verlegt, eine Tatsache, die um so auflalligcr und hefremd-
hcher ist, als der erste Anstoss zur Schaffung von Reformschulcn
durchaus von den Vertretern der exakten iinssenscha^chen Fächer,
namentlich von den deutschen Tn<,'enieuren, ausgegangen ist. Die
Unterrichtskommission findet die Erklärung darin, dass die Lehrer
der altsprachlichen, historischen Fächer in erster Linie die Reform-
schulen einrichteten, dabei den Wert einer Stunde in den über-
Idassen gegenüber dem in einer Unterklasse unterschätzten und
daher eine grossere Stundenzahl verlangten als bei einer Ver-
schiebung des S[)rachunterrichtcs nach oben hin erforderlich gewesen
wäre. So wurde dann abermals auch in den Rcformschulpläncn
dem exakt wissenschaftlichen Unterrichte gerade der Platz zu-
gewiesen, der nach Erfüllung der für den Sprachunterricht als un-
eriassUch erachteten Forderungen übrig blieb."
Ich möchte es hier nicht unterlassen, die schwere Befürchtunfj
auszusprechen, dass auch das Seminar tlurcli die Aufnahme einer
zweiten Fremdsprache immer mehr in diese Schablone der übrigen
höheren Lehranstalten als reiner Sprachschulen hineingedrängt wird.
Wenn es vor allem die Führer der Volksschullehrer sind, von denen
die Fordenmg moderner Fremdsprachen*) neben dem Latein aus-
gegangen ist, so beweist das nur die Tatsache, dass auch unsere
1) Kämmerer, „Ist die UafircibeU unterer Kiiltw «ine Folge der logeaieorkonst }**
Nalor und Schule, Bd. II, S. 254.
*) Die sächsische Volksscholiehrerschaft fordert bekanntlich in einem sieben-
jährigen Semiaarlcnnai oUigaUiriKhes Latein« oblic»torisebcs Fnuuöslieh und fiünthativei
2»
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20 —
Voiksschullehrerschaft gegenwärtig noch vollkommen im Banne der
sprachlich-historischen Schulung steht und dass sie Stondesrück-
sichten, nämlich die Annäherung ihrer Bildung an die der übrigen
GrebÜdeten, höher stellt als die Rücksichten auf den wahren Bildungs-
wert. Wenn sich fjegenwärtig die Stimmen mehren , die in allen
höheren Lehranstalten eine Beschränkung auf zwei Fremdsprachen
für durchaus notwendig erachten, tim eine Entlastung der Schüler
herbeizuführen und eine Verwirldichung der durch das moderne
Bildungsideal gegebenen Forderungen zu ermöglichen, dann bedarf
es m. E. nochmals der eingehendsten Erwägungen, ob das Seminar
in einem 6- oder auch 7jährigen Kursus imstande sein wird, die
Belastung mit einer zweiten Fremdsprache zu ertragen, ohne dass
das Ziel einer vertiefteren Allgemein- und BerufsbUdung emstlich
gefährdet wird. Ich bin indessen der Überzeugung, dass sich unter
dem geschilderten Drucke der Zeitanschauungen die Einführung
einer modernen Fremdsprache neben dem Latein kaum wird auf-
halten lassen und dass die Durchführung dieser Forderung in einem
7 jährigen Seminarkursus — wenn auch zunächst fakultativ — unter
bestimmten Voraussetzungen möglich erscheint
Wenn nämlich die höheren Schulen im allgemeinen gegenwärtig
an einem Überwiegen des sprachlichen Wissens kranken, so das
gegenwärtige Seminar an einem unertrag^chen Obermass historischen
Wissens. Man sehe sich daraufhin nur unsere Lehr* und Stunde»'
pläne einmal genauer an I In den mündlichen Prüfungen erfahrt man
immer wieder mit Krstriunen, mit welcher Gründlichkeit die Kriegs-
und Staatengesciiichte laugst vergangener Zeiten, die ältere Kirchen-
geschichte mit ihren dogmatischen Streitigkeiten behandelt worden
ist Dafür steht aber ja genügend Zeit zur Verfügung. Welche
Summen von Kraft und Zeit verwendet man auf die sorgßUtq^
Registrierung sämtlicher verunglückter Erziehungsversuche, von den
alten Chinesen angefangen. Ich selbst denke noch mit nicht gerade
angenehmen Empfindungen an die Unmenge von Büchertiteln, In-
haltsübersichten und ähnlichen historischen oder besser historistischen
Notizen, die uns die spezielle Methodik bescherte. Wir leiden im
Seminar tatsächlich an einem derartij^en Übermass geschichtlichen
Wissens, dass man verzweifelnd mit Nietzsche ausrufen möchte:
„Lasst die Toten die Lebendigen b^raben." Dazu kommt das in
der historischen Entwicklung der Volksschule und des Lehrer-
bildungswesens begründete Übermass an Religionsunterricht, den man
bekanntlich zu allen Zeiten als eines der besten Mittel betrachtet
hat, um einwandfreie Krzieher für die grosse V'olksmenge zu
schaffen (man denke an die Debatten des preussischen Abgeord-
netenhauses in den letzten Jahren I)» endlich die bevorzugte Stellung
des Musikunterrichtes, den man schon um der Erziehung zum kirch-
lichen Organistenamt willen nicht entbehren zu können glaubt und
der meiner Meinung nach eines der grössten Hindemisse ist, um
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— 21 —
sowohl die Allgemein- als auch die Berulsbildung des Volksschul-
Ichrcrs lircitcr und tiefer anzulegen, ihm eine Ausbildung mit-
zugeben, die der der anderen p^elehrten l^cnife gleichwertig ist und
damit auch äusserlich die gleichberechtigte Anerkennung der Seminare
unter den übrigen h61ieren Lehranstaken zu erkSmpfen.
Es ist eine der aufialGgsten Beobachtungen, die sich beim
Lesen amerikanischer Krzichungszeitschriften aufdrängt, dass dort
viel häufiger als bei uns die Ziele des Unterrichten cnirtert werden
und die Frage aufgeworfen wird, welche Lehrgegenstande und Lern-
methoden för das Individuum wie für die Gesamtheit den grossten
Wert befntzen. Es ist eine Grundforderung des amerikanischen
Pädagogen, die Fähigkeiten des Individuums auf die ökonomischste
Weise, d. h. mit möglichst geringem Zeit- und Kraftaufwand mög-
lichst stark auszubilden. Dabei fallen natürlich die Anforderungen
der Gegenwart ganz anders ins Gewidit als die Rücksichtnamne
auf die von früher her überlieferten Methoden der Erziehung. Wie
aber ist es um die Ökonomie in unserem deutschen Schulwesen,
von den Volksschulen angefangen, bestellt? (Ich kenne keinen
irgendwie und irgendwo \ on Menschen geschaffenen Mechanismus,
der mit dnem «krartig grossen Aufwände an ßiergie und einem
derartigen geringen NutzungskoefHzienten arbeitete als die Schule.
Seit langem wissen wir aus der Energielehre, dass die uns zur Ver-
fugung stehende Ge?^amtmenge an Rnergie nicht einen unendlichen
Wert, sondern eine bestimmte endliche Grösse repräsentiert, und
von ebenso allgemeiner, aber ftir das praktische Leben weiter-
reichender Bedeutung ist die Erkenntnis, die man gewöhnlich unter
dem zweiten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie zusammen-
fasst, dass es nie möglich ist, eine Energieform restlos in eine
andere, B. in Arbeit, umzusetzen, sondern dass stets ein be-
stimmter, mathematisch genau feststehender Energiebetrag verloren
geht, dass demnach die gesamte Tätigkeit unserer Technik nur
darauf gerichtet sein kann, den Nutzungskoeffizienten mögUchst zu
steigern und die bei jedem Prozess abfallenden nutzlosen Späne auf
ein möglichst geringes Mass zurückzuführen. Der Begriff der Ge-
samtkultur liesse sich unter diesem Gesichtspunkte definieren und
die Linie festlegen, auf der sich die zukünftige Kulturentwicldung
zu bewegen haben würde. Nur unsere Pädagogik scheint gegen-
wärtig von diesen allgemeinsten , den gesamten Naturhaushalt be-
herrschenden Grundgesetzen nichts zu wissen. Sie wirtschaftet mit
der psychischen Energie des Individuums in einer Weise, als ob
diese völlig ausserhalb dieser Gesetze Stande, als ob äe einem un-
Cfscbopflichen Reservoir entquelle und ihrer Leistungs- und Um-
6etzungsfa.higkeit keine Grenzen gezogen seien. Wenn man darum
in naher Zukunft vielleicht der Revision der Seminarlehrplänc näher-
tritt, wenn man von neuem die Frage erwägt, welche Bildung wir
unseren Zöglingen mit hinaus ins Leben zu geben haben, um sie
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22 —
zu befähigen, voll Verständnis an dem Kulturleben der Gegenwart
teilzunehmen und dieses durch die Krziehung der jungen Generation
an ihrem Teile zu fördern, so kann es wahrlich nicht schwer sein
zu sagen, an welchen Stdlen zuerst dn möglichst scharfes und
scheinbar rücksichtslos ver£alirendes geheimrätliches Messer anzu-
setzen sei, um eine Entlastung der Lehrpläne herbeizuführen. „Wir
müssen eben um abermals mit Nietzsche zu reden , ,,die Kraft
haben und von Zeit zu Zeit auch anwenden, eine Vergangenheit
zu zerbrechen und aufzulösen, um leben zu können."
Soweit daher auch die Vertreter der naturwissenschaftlichen
Fcächcr davon entfernt sein wollen, die sprachlich- geschichtlichen
Fächer um ihres hohen formalen, sachlichen und ethischen Bildungs-
wertes willen zu unterschätzen, so sehr sie auch geneigt sein werden,
die ihnen innewohnende Macht anzuerkennen, die vorzugsweise auf
der engen Konzentration des Lehrstoffs dieser Fächer beruht, so
wenig werden sie sich anderseits davon abhalten lassen, treu zu
ihrer Überzeugung zu stehen , und mit allen ihrer guten Sache
reichlich zur VeHugung stehenden Gründen - daran gehen, den
Bildungswert dieser f^lUsher, der sogen. Humaniora, in seiner Be-
deutung ftir die Gegenwart zu untersuchen. WiSL die Schule der
Gegenwart ihren Zweck erfüllen, so muss sie eine Tendenz nach
vorwärts haben. Das noch so Ehr^^'ürdige , aber Minderwertige
wird früher oder später den mit grosser Arbeit neugeschaftenen,
hodiwicfat^n und unentbehrlich gewordenen BUdungselementen der
Neuzeit Platz machen müssen. Diese Neuzeit aber mit ihrer un-
ermesslichen Fülle selbständiger und schöpferischer Ideen ist im
wesentlichen durch die Tendenz gekennzeichnet, die Natur in einer
früher niegeahnten Weise zu erforschen und zu beherrschen. Zwar
hat ^ch der menschliche Geist seit seinem Erwachen mit den
Problemen der Natur beschäftigt; aber eine in der Menschheits-
geschichte einzig dastehende Tatsache ist das rasche Emporblühen
der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert, ihre vielseitige Ent-
wicklung und der mächtige Einfluss, den sie, ganz abgesehen von
den Leistungen auf ihrem eigenen Arbeitsfelde , den bedeutungs-
vollen Ergebnissen der Biok^ie, den erstaunlichen Fortschritten der
Technik, auf alle anderen Gebiete der \\'issenschaft, auf Philosophie,
Kunst und soziales Leben ausgeübt haben. Dem bis in die erste
Hälfte des 19. Jahrhunderts rein auf Spekulation gerichteten Geistes-
leben wiesen sie eine völlig neue Richtung; sie gaben ihm jenen
Zug nach Beobachtung, jdnen Sinn fiir &s Reafe, der auch auf
ethischem Gebiete alles, was mit Erdenflucht zusammenhängt, zer-
störte und angesichts dieser Begleiterscheinungen idealistischer
Systeme eine Daseinslust, einen Wirklichkeitssinn schuf, der in
Philosophie und Kunst, auf dem Gebiete der Moral, der Soziologie
und Greschichtsauflassung einen Umschwung der Ansdiauungen
hervorrief wie er nur als Nachwirkung höchster Triumphe mensch-
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lieber Erkenntnis cinzuirt tcn pflegt. Diesen Zeitströmungen wird
sich die Sciiulc nicht mehr entziehen können; mit Recht be-
anspruchen die Naturwissenschaften eine fährende Stellung in der
Schule, nicht nur auf diese ihre grosse Bedeutung för die Kultur-
entwicklung und die Lösung gegenwärtif'^cr und zukünftiger Zeit-
aufgaben hinweisend, sondern auch auf jene wertvollen erzieherischen
Momente, die in der Ausbildung und Schärfung der Sinne, der
Weckung der Selbsttätigkeit und des Forschungstriebes, der Förde-
rung des Kunstsinnes, der Einsicht in das gesetzmässige Walten
und in die cwig^ Entwicklung^ Her Natur liegen und die eine
sprachlich-historische Schulung nimmer zu bieten vermag. Gerade
diese Vielseitigkeit der bildenden Elemente ist es, die zu der
Forderung zwingt, die Naturwissenschaften als einen notwendigen,
in seiner Eigenart durch nichts zu ersetzenden Bestandteil einer
allgemeinen l^ildung anzuerkennen und ihnen einen grösseren Raum
im Lehrplane einzuräumen.
Und dennoch getraue ich mir nicht, die Frage mit einem
freudigen Ja zu beantworten, ob die täglidi gröner werdende
Diskrepanz zwischen der Auswahl unseres Bildungsmaterialcs in den
Srhulcn einerseits und den Forderungen und Bedürfnissen unseres
Kuliuriebens anderseits bereits im gegenwärtigen Zeitpunkte eine
derartige unerträgliche Spannung erreicht hat, dass sich Konzessionen
an die Naturwissensdiaften nidit mehr aufhalten lassen. Es lässt
sich nämlich gar nicht bestreiten, dass das führende Preussen als
auch Sachsen 7;vnr der naturwissenschaftlichen Untcrrichtsbcwcg-un{^
unserer Tage ein gewisses Wohlwollen entgegenbringen, sich aber
doch bis jetzt im grossen und ganzen mehr passiv verhalten haben.
Den Grund hierfür erblicke ich darin, dass ich infolge der im all-
gemeinen doch rein philologischen Schulung fast aller in leitenden
und mas-^rhcnden Stellungen sich befindenden Persönlichkeiten
noch lri[i<^'^e nicht die rechte Ül>cn'eii<;^ung von der Betlcutung des
Bildungsgehaltes der Naturwissenschaften Bahn gebjcochen hat. Viel
zu sehr hängt eben noch an unseren Sohlen ganze S^wer-
^ Vicht einer langen Kulturentwicldung der Bücherwc^dt und des
Historismus; „viel zu tief gewurzelt ist jener remancnte
Scholastizismus, der sich bis auf die Gegenwart erhalten hat, jene
durch die Gewohnheit langer Jahrhunderte fest gewordene, fast
zwangsmässig wirkende IdA, <uiss man Kultur und Wissenschaft
doch irgendwie und irgendwo aus Bttchem lernen könne und
müsse;"') viel zu sehr ist man noch immer geneigt, den geistigen
und ideellen (rehalt moderner Technilt zu verkennen und in der
Formung und Beherrschung von Stoff und Kraft nichts anderes als
die Jagd nach Nutzen, als Banausentum und öden Utilitarismus zu
erblicken. Und wie häufig macht man die Erfahrung^ wie gering
*) K. Fricke d. O. S. lo.
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— 24 —
selbst bei den rein mathematisch-physikalisch Gebildeten die Kin-
schätzung der modernen Biologie zu sein pflegt. Da Lniit man
immer wieder auf Vorstellungen, als ob die Botanik noch jene
scientia amabilis sei, die in dem Zählen von Pistillen und Staub-
gefac;'=en nuf<7eht, oder die Zoologie jene Wissenschaft, die die
Kenntnisse der Käfer- und Schncckenspezialisten umfasst, während
die moderne Biologie (tir die allermeisten Gebildeten eine völlige
terra incognita darstellt Ist etwas anderes aber unter den an
unseren Mittelschulen herrschenden Verhältnissen zu erwarten?
„Muss nicht bei dem herrschenden Gcschlechte der Sinn für Freude
und Farbe, für Naturverständnis und Kunstempfindun^ erstickt sein,
wo in den Schulen bisher immer nur das körperlose Wort
geschichtlicher Mitteilung, aber nicht die lebendige Anschauung zur
Vermittlung dient ?" ') Darum glaube ich auch nicht, dass irgend eine
Macht der Welt lic Denkrichtung des gegenwärtigen Geschlechtes
wandeln kann, ihm Schönheit und Natur erfassen lehren und ihm
innerliche Freiheit bringen kann. Die gegenwärtig herrschenden
Anschauungen werden sidi erst dann ändern, wenn das vorwärts
drängende Leben einem neuen Geschlechte täglich und stündlich
durch bittere Krfahrungen H'c fühlbare Lücke demonstriert, die die
Allgemeinbildung ohne eine tüchtige biologische wie exakt natur-
wissenschaftliche Schulung aufweist i dann erst wird sich mehr und
mehr die Überzeugung Bahn brechen, dass Abhilfe gesdiaffen
werden muss. Diejenige deutsche Schulbeh5rde aber, die zuerst
einer gründlichen Reorganisation de? höheren wie des Volksschul-
wesens nach dieser Seite iün nachgibt, wird einen epochemachenden
Schritt vorwärts tun.
Infolge dieser Sachlage kann es sicii mi gegenwärtigen Zeit-
punkte nicht daruip handeln, etwa Vergleiche mit den Gymnasien
und Realgymnasien anzustellen und die gegenwärtig dort dem
naturwissenschaftlichen Unterrichte zugebilligte Stundenzahl und die
Art ihrer Verteilung als eine ideale, für unsere Seminare an-
zustrebende Norm hinzustellen ; wird doch z. B. mit Recht von allen
Kritikem der neuen sächsischen Lehrpläne för Realgymnasien vom
22. Dezember 1902 hervorgehoben, dass die Bestrebungen, die Pflicht-
stundenzahl herabzusetzen und einen gemeinsamen Unterbau für
humanistisches und Realgymnasium zu schaffen, nur dazu geführt
haben, dass die Naturwissenschaften abermals m bedauerlich hohem
Grade haben Opfer bringen müssen, dass insbesondere die Biologie
mit ihrem Abschluss in Untertertia völlig zurücl^edrängt erscheint
Uberhaupt würden wir unserer Sache wenig dienen, wenn wir hier
immer nur mit den kh mcii Mitteln arbeiten wollten: Ist e^- vielleicht
möglich, hier eine Stunde wegzunehmen, dort eine andere anzusetzen?
Hauptsache ist vielmehr^ dass das* was wir erstreben, von grossen
*) Kaimnerer a. d. O.
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— 25 —
Gesichtspunkten aos angefasst und in seiner Notwendigkeit be>
gründet werde.
I.
Dfe erste unserer Forderungen bezieht Mch auf die Biologie.
Ich vermeide mit Absicht den alten nuf unseren Lehr- und Stunden-
plänen noch immer figurnerendcn Namen Naturbeschreibung, der
wohl zum ^ten Teile an dem Misskredit schuld ist, dem dieses
Fach noch tmmcr auf Schritt und Tritt in der Form von Gering-
Schätzung begegnet. Man entferne daher diesen Namen, wie dies
srhrin mehrfach in neueren Lehrplänen geschehen ist und ersetze
ihn durch Biologie, wobei man diesen Begriff in dem weiteren
Sinne als die Lehre vom Leben und von den lebendigen Geschöpfen,
den Tieren und Pflanzen, gebrauche, so dass man unter Biologie
die Gesamtheit der zoologischen und botanischen Disziplinen mit
Einschluss der Anatomie, T'h\ sinloc^ic und Hygiene des menschlichen
Körpers versteht. Wir verlangen nun. dass die organische Natur-
wissenschaft aus ihrer jetzigen beschämenden Lage befreit wird, in
der sie sich mit je 2 Stunden Botanik und Zoologie in Sexta und
Quinta und i Stunde Anthropologie in Quarta befindet, und halten
es flir dringend notwendig, dass der biologische Unterricht auch
am Seminar durch alle Klassen hindurchgeführt wird. Wir stehen
damit vollkommen auf dem Boden der Hamburger Thesen, die
diesen Standpunkt auf Grund der formalen, sachOchen, ethischen
und ästiietischen Bedeutung des biologischen L'^nterrichtes in einer
Form bestimmt haben, die die allgemeine Zustimmung aller be-
teiligten Kreisen gefunden hat. Die uns hier in erster Linie
interessierenden Thesen sind die folgenden:
1. Die Biologie ist eine Erfahrungswissenschaft, die
zwar bis zur jeweiligen Grenze des sicheren Naturerkennens geht,
aber dieselbe nicht überschreitet. Für metaphysische Spekulationen
hat f]ie Biologie als solche keine Verantwortung und die Schule
kerne Verwendung.
2. In formaler Hinsicht bildet der naturwissenschaftliche
Unterricht eine notwendige Ergänzung der abstrakten Lehrfächer.
Im besonderen lehrt die Biologie die sonst so vernachlässigte
Kunst des Beobachtens an konkreten, durch den Lebensprozess
Standigem Wechsel unterworfenen Gegenständen und schreitet, wie
die Physik und Chemie, induktiv von der Beobachtung der Eigen-
schaften und Vorgänge zur logischen Begriffsbiidung vor.
3. Sachlich hat der naturgeschichtliche Unterricht die Auf-
gabe, die her;^nwarhsende Jugend mit den wesentlichsten Formen
der organischen Welt bekannt zu machen, die Erscheinungen des
Lebens in ihrer Mannigfaltigkeit zu erörtern, die Beziehungen der
Organismen zur unorganischen Natur, zueinander und zum Menschen
daizulegen und einen Überblick fiber die wichtigsten Perioden der
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Erdgeschichte zu geben. Besondere Berücksichtigung bedarf auf
der Grundlage der gewonnenen biologischen Kenntnisse die Lelirc
von der Einrichtung des mensddidien Körpers und der Funktion
seiner Organe einschUesslich der wichtigsten Punkte aus der all-
gemeinen Gesundheitslehre.
4. In ethischer Beziehung weckt der biologische Unterricht
die Achtung vor den Gebilden der organischen Welt, das Empfinden
der Schönheit und Vollkommenheit des Naturganzen, und wird so
zu einer Quelle reinsten, von den praktischen Interessen des Lebens
unberührten Leben^enusses. Gleichzeitig fuhrt die Beschäftigung
mit den Krscheinuncrcn der lebenden Natur zur Einsicht von der
UnvoUkommenheit menschlichen Wissens und somit zu innerer Be-
scheidenheit
5. Eine solcbe Kenntnis der organischen Welt muss als not-
wendiger Bestandteil einer zeitgemässen allgemeinen Bildung
betrachtet werden: Sic kommt nicht etwa nur dem zukünftigen
Naturforscher und Arzt zu gute, dem sie den Eintritt in seine Fach-
studien erleichtert, sondern sie ist in gleichem Masse fiir diejenigen
Abiturienten der höheren Schulen von Wichtigkeit, denen ihr späterer
Beruf keinen direkten Anlass zum Studium der Natur bietet
6. Der gegenwärtige naturgeschichtliche Unterricht kann dieses
Ziel nicht erreichen, weil er von der Oberstufe ausgeschlossen ist
und weil die Lehre von den Lebensvorgängen und den Beziehungen
der Organismen zur umgebenden Welt enahrungsgemäss nur von
Schülern reiferen Alters verstanden wird, denen die physikalischen
und chemischen Grundlehren bereits bekannt sind.
Inzwischen sind in den letzten Jahren die in diesen Thesen
zusammengefassten Gedanken von hervorragenden Schuhnännem
und den bedeutendsten naturwissenschaftlichen Fachgelehrten so
eingehend vor Versammlungen und in zahlreichen Schriften be-
gründet worden, dass es gegenwärtig beinahe unmöglich erscheint
7Ai (Jiesem Thema noch neue Gedanken beizubringen. Trotzdem
duiitc CS wertvoll sein, alle die Schäden, die durch die Ver-
nachlässigung der biologischen Fächer bedingt werden, in jener
Beleuchtung zu kennzeichnen, die sie durdi die eigene Unterrichts-
erfahrung empfangen. Wenn im mathematischen Unterrichte
wesentlich das deduktive Denken zu seinem Rechte kommt, so hat
der biologische Unterricht ergänzend das induktive Denken und die
Gewöhnung an vorurteilsfireie Beobachtung zu üben. Die Biologie
bietet hierzu durch die Beobachtung der uncischöpflichen, in
ständigem Wechsel hegrift'enen, den Menschen umgebenden Natur
die reichste (rclcgenheit. Sie übt das Lernen aus Tatsachen, sie
iehrt urteilen durch Vergleichen, durch die Feststellung des Zu-
sammenhangs von Organ und Funktion. Sie will ja nicht mehr
I^lanzen und Tiere rein beschreiben, sondern den inneren Zusanunen-
hang der an den Ocgantsmen beobachteten Tatsachen feststellen.
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Sie lehrt also den Menschen beobachten, denken und sprechen und
zwar selbst beobachten, selbst denken und selbst sprechen und
nicht bloss die Beobachtungen, Gedanken und sprachlichen Dar-
stellungen anderer wiederholen. Mit Recht wird besonders die
Pflege der Anschauung allseitig als eine der wichtigsten Aufgaben
des biologischen Unterrichtes lungestcllt, aber auch allseitig hervor^
gehoben, da'=s diese in formaler Hinsicht durch den empirischen
Charakter des Unterrichtes gegebenen Vorzüge erst dann zur vollen
Geltung konunen können, wenn eine hinreichende Zeit für die
Schulung nach dieser Seite hin zu Gebote steht
Man hat sich nachgerade an das ausserordentlich geringe
Mass von positiven Kenntnissen gewöhnt, das unsere Schüler von
der Vnlkt^schule mitzubringen pflegen und namentlich wir hier in
der Grossstadt sind gewöhnt, bei dem Grossstadtjungen, was
zoologische und botanische Kenntnisse anbelangt, eine völlige tabula
rasa vorzufinden. Dieser Mangel an Vorkenntnissen und eigenen
Beobachtungen und Erfahrungen Hesse sich indessen immer noch
ertragen; was aber viel schlimmer ist und was auch während der
Seminarzeit eher zu- als abnimmt, das ist die bemitleidenswerte
Unbehilflichkeit und Blindheit mit der die jungen Leute der Natur
gegenöbeistehen, und die aus ihrer Unfähigkeit zur Beobachtung,
zur Wiedergabe, Zergliederung und Kritik der Erfahrung entspringt.
Ich mache immer von neuem die Beobachtung, dass die in den
meisten anderen Unterrichtsstunden zur blossen Rezeptivität ver-
dammten Schüler stets bereit sind, sobald man sie vor ein Problem
stellt, Bücher zu wälzen statt die Erscheinungen zu befragen und
ihre Bedingungen zu prüfen. Sie erweisen sich eben in jeder Be«
Ziehung noch heute als echte Scholastiker. Ich kann nur bestätigen,
was A. Maurer vor kurzem hierüber ausgeführt hat:*)
„Man erstaunt immer von neuem, wie schwer es dem Schüler
wird, eine einfache klar angeschaute Tatsache in guter Sprache
und richtig darzustellen. Man merkt ihm deutlich an, dass er viel
zu wenig daran gewöhnt ist, seine Sprache mit konkreten An-
schauungen in Übereinstimmung zu bringen, wie es doch dem kleinen
Kinde natürlich ist Überall ein Suchen nach einer Gedanken-
stütze, die er in einem Begriflisworte oder einer Satzform zu finden
meint Hat sich aber im Unterridite aus der Anschauung indirekt
ein neuer Begriff ergeben, so bringt er am liebsten sofort bei der
Wiederholung das neue Begriffswort und behandelt den Begriff wie
eine gegebene Tatsache. Weil die Schüler viel zu sehr gewöhnt
sind, ihr Denken gegebenen Begriffen, Regeln usw. zu subsumieren,
so versa^n sie hier, wenn sie den zusammenfassenden Btgnf[ oder
ein Gesetz als das Ergebnis einer Anschauungsreihe erkennen sollen.
Im übrigen Unterrichte, besonders im Sprachunterrichte überwiegt
1) Vgl. Natur nad Schule V. 380.
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eben viel zu sehr das deduktive Element, drihcr die täglich zu be-
obachtende Unfähigkeit induktiv zu denken." Line intensive Übung
in der Methode der Induktion, die auf aUen Forschungsgebieten zu
den grössten Fortschritten geführt hat, wird nur ein tüchtiger
biologischer Unterricht gewähren können. Er besch^gt sich mit
den kompliziertesten Objekten und ist daher auch in erster I inie
berufen, die Geschicklichkeit im rbrrblirkcn und hrlassen
komplizierterer Verhältnisse, die Gewandtheit im Kombinieren und
Erkennen von Beziehungen und Zusammenhängen zu üben.
Mit der rein empirischen Seite ist indessen der Bildungswert
der Biologie nicht erschöpft. Diese würde allein wohl auch nicht
als ausreichend angesehen werden, um eine Ausdehnung des
biologischen Unterrichtes auf die mittleren und oberen Klassen zu
rechtfertigen. Ich verzichte darauf, hier eingehend die ethische Be-
deutung dieses Unterrichtes zu erörtern, auszuführen, wie er frühzeitig
subjektive und objektive Wahrheit trennen lehrt, eine Scheidung,
die von grundlegender moralischer Bedeutung ist, wie er aus der
ungeheuren Mannigfaltigkeit der Natur immer nur einen kleinen
Ausschnitt zu geben und auch hinsichtlich der Unvollkommenheit
unseres Wissens bei den Schülern keinen Zweifel zu hinterlassen
vermag, auf diese Weise wertvolle, zur Bescheidenheit führende
Gegengewichte schaffend gegenüber zahlreichen anderen Schul-
wissenschaften, die zu leicht den Eindruck des in sich Ab-
geschlossenen und Fert^n machen und daher in dem Schüler die
falsche Meinung erwecken, als habe er nun den Inbegriff alles
Wissens erworben und damit die Fähigkeit wie die Berechtigung
über alle Dinge in unfehlbarer Weise abzuurteilen, eine geistige
Verfassung, die man namcnthch auch im VolksschuUehrerstande nicht
gar so selten antrifft
Ich gehe auch nicht näher auf die ästhetische Seite hin, wie
die Bekanntschaft mit den Naturformen den Schüler an die Pforten
der Kunst hinführt und seinen Blick für das Schöne zu öffnen
vermag. Ich erinnere nur an das schöne Wort, das Professor
Waldeyer, ein entschiedener Anhänger der humanistischen Bildung,
in Hamburg gesprochen hat: „Die Pflege der biologischen Wissen-
schaften wird wieder ein verfeinerndes, ein veredelndes und schützen-
des Moment in unsere Erziehung hineinbringen, ja ich wage es aus-
zusprechen, das Beste, was dem Menschen gegeben werden kann."
Die durchschlagendsten Gründe, die für eine Fortführung des
biologischen Unterrichtes in den Oberklassen sprechen, liegen in
erster Linie auf dem rein sachlichen Gebiete. In unseren Unter-
klassen besitzen die Schüler absolut nicht die ^^eistige Reife, vor
allem mangeln ihnen die unbedingt notwendigen physikahschen,
insbesondere chemischen Tatsachen, die für eine tiefere Erfassung
des Lebcisproblemes erforderlich sind; denn ich verhehle mir gar
nicht die Tatsache, dass alles, was 14 — i6jahrigen Menschen vor-
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gefuhrt werden kann, immer ein in usum delphini zu^^estutztes
Wissen ist und bleiben wird. Ich halte es für äusserst schwer,
wenn nicht tur unmöglich, die Schüler bereits in diesem Alter zu
einer klaren Auflassung der Lebensfunktionen und der Abhängigkeit
der Lebewesen von den äusseren Bedingungen hinzuführen* Um
nur an ein Beispiel zu erinnern, wie soll unser Quintaner oder
Quartaner die Ernäh'^unrTsbeding^ungcn der Pflanzen klar erfassen,
wenn ihm die Zusaniaiciisetzung und LÖslicbkeit der Bodensalze,,
die physikalischen Eigenschaften des Bodens, die Bedeutung der
Bodenluft, die Zusammensetzung der Luft, die chemische Wirkung
des Lichtes, der Ox-ydations- und Redu]<:tionsvorg'ang böhmische
Dörfer sind' Darauf wird mir geantwortet; Dann sorge nur zur
rechten Zeit daiur, dass diese Dinge mit in deinen biologischen
Unterridit eingeflochten und vor allem durch einige schöne
Experimente verdeutlicht werden. Ich glaube, man befindet sich
hier in einer schweren I auschun«::: : denn es dürfte gar nicht schwer
sein, den Quartaner dazu zu bringen, das auszusprechen, was man
ihm iiber den Sauerstoft- und KoMensäuregehalt der Luft und deren
Bedeutung för den Stoffwechsel der Tiere und Pflanzen sagt,
namentlich wenn man ihm durch einige Experimente die wichtigsten
Eigenschaften beider Gase zci^ und ihm den (Tcc^enstand mit Hilfe
von Vergleiclicn und Bildern notdürftig plausibel macht. Aber ich
glaube trotzdem nun und nimmermehr, dass er ohne einen voraus-
gegangenen soigsam aufgebauten Chemieunterricht imstande ist, den
Zusammenhang der Erscheinungen als eine gesetzmässige und not-
wendige Folge von Ursache und Wirkung zu begreifen. Erst nach-
dem der physikalisch-cliemische Unterricht die nötigen Vorkenntnisse
Beliefert hat, wird die MögUchkeit gegeben sein, den Kreislauf des
lohlenstofl&f Sauerstoffs, Stickstoffe, Phosphors usw. in der orga-
nischen Welt, nebst den Voi^ängen der Atmung, Ernährung, Ver-
d iuun«:^, Verwesung, Vergährung, Wärmezeugung und Wärmebindung,
kurzum den gesamten Stoff- und Energiewechsel im lebenden
Organismus im Zusammenhang zu erörtern. Es ist meiner Meinung
nach einer der schwersten didaktischen Fehler, zu dem die gegen*
wärtige Lehrordnung verleitet, schon dem jüngeren Schüler mit un-
zureichenden Mitteln Dinge erklären zu wollen , für die ihm noch
die Reife abgeht. Zu leicht erlangt der Schüler dadurch jenen
Schein von Wissen, der viel schlimmer ist als Unwissenheit
Besonders auflallig zeigen sich diese Nachteile in unserem
Anthropologieunterrichte. Was wir hier zu bieten verminen, unrd
im ganzen besehen, citie zwar etwas vertiefte, aber sonst nur mit
einem wissenschaftlichen Mäntelchen versehene Darstellung dessen
bleiben müssen, was man dem 14jährigen Voiksschülcr mitzugeben
pflegt, eine durch eine Anzahl schöner Gesundheitsregeln gewürzte,
im übrigen aber sich wesentlich auf die anatomischen Verhältnisse
beschränkende Kost, obgleich es bei dem im sächsischen im Gegen-
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_ 30 -
satz zum preussischen Seminarlehrplan vollständigen Fehlen eines
bestimmten vorausgegangenen Kursus in pflanzlicher und tierischer
Gewebelehre immer noch schwer genug faUen mag, eine durch
mikroskopische Präparate gestützte Darstellung der feineren Bau-
verhältnisse der wichtif^sten Organsj^teme zu geben. Viel wichtiger
als die Anatomie ist aber doch die Physiologie. Es ist mir vöUig
unverständlich, wie man sich eine intensive Unterweisung in der
Lehre von der Ernährung über die physiologischen Leistungen des
Nervensystems und der Sinnesorgane ohne Kenntnis physikalischer
und chemischer Tatsachen denkt, «^anz zu schweigen von den not-
wendip^en Belehrungen über Gifte und Gegengifte, Antisepsis und
Asepsis, Narkose und Reizung, die wohl kaum denkbar sind, ohne
auf die Erscheinui^en der auszuwählenden Löslichkeit, der Sättigung,
Neutralisation, Coagulierung usw. zurückzugreifen. Wie die Studien-
pläne der Universitäten den Unterricht in der Hygiene nicht an den
Anfang, sondern an das Ende des medizinischen Studienganges ver-
weisen, so gehört auch unser anthropologischer Unterricht entschieden
in eine höhere Klasse, in der die Beziehungen zu Physik und Chemie
möglich sind. Nur dann wird er dem zukünftigen Lehrer jene
Kenntnisse mitgeben können, die er auf schulhygienischem Gebiete
als tägliches Handwerkszeug gebraucht und die ihn auf dem Gebiete
rationeller persönlicher Hygiene zu der hohen Mission befähigt, die
ihm als Pionier der Hygiene unter den breiten Volksschichten, in
der Arbeiterbevölkerung der Grossstadt wie draussen im einfadien
Walddorf zugewiesen ist. Nur in der Oberklassc , aber nicht vor
unseren unreifen Quartanern vers])reche ich mir einen Erfolg von
Belehrungen über Themen wie diese; die Bedeutung der xMikro-
organismen för die öffenttiche Gesundheitspflege. Die Ernährung
unter besonderer Berücksichtigung der Alkoholfrage. Die indivi-
duelle Hygiene mit Berücksichtigung des Sportes. Die Hygiene
der geistigen Arbeit und die Pflege der Sinnesorgane. Auch an
das noch wenig geklärte Problem der Beiiandlung der sexuellen
Hygiene sei hier erinnert
Dann erst wird das Seminar an seinem Teile an der Lösung
der hohen Kulturaufgabc teilnehmen, die darin bestellt, die Mensch-
heit zu einer verimnftgemässen Lebensweise zu erziehen, sie :^u be-
wahren vor den Folgen einseitig und rücksichtslos betriebenen
Sportes, sie zu warnen, jedem neuen einseitigen Ernährungsfanatiker
zuzujubehi, sie zu heilen von jenem modernen Aber- und Wunder-
glauben, der sich sofort jeder Kurf fu rherci und Marktschrcierei
ausliefert und der uns in den Erscheinungen des Gesundbetens und
ähnlicher Dinge erst in letzter Zeit abermals einen Beweis dafür
geliefert hat, welche Folgen die grauenhafte Unkenntnis der Ein»
richtungen und Eigentümlichkeiten des lebenden Organismus selbst
bei den Gebildetsein -Wollenden der höchsten gesellschaftlichen
Kreise mit sich bringt. Ich scheue mich gar nicht, die Ketzerei
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— 31 —
ai)S7\j«;prechen , dass vieles, sehr vieles, was gegenwärtige in den
Obcrklassen breiten Raum beansprucht, leicht wiegt gegenüber dem,
was unseren Abiturienten vorenthalten wird und dass die Zukunft
ganz sieber daran gehen wird, die entscheidende Frage zu unter«;
suchen, ob nicht der Schwerpunkt des naturwissenschaftlichen Unter»
richtes in den Obcrklassen in die Biologie verlegt werden müsse.
Es sei hier nur an den Ausspruch Rud. Virchows auf der Schul-
konferenz von 1901 erinnert: „Wir haben begründete Hoffnung, es
werde mdit mehr lange dauern, bis die Forderung anerkannt wird,
dass jeder gebildete Mann ein grosses Stück Biologie Uennen muss,
um diejenige Stellung einzunehmen, die für die Beurteilung der
Welt erforderlich ist" und an die sciiünen Worte, in denen Friedrich
Paulsen die Aufgabe der Biologie erblickt und zusammengefasst hat.
Scbluss folgt.
Iii.
Haue Rechenmethode. gegründet auf das natürliche Werden
der Zahlen und des Rechnens.
Von Dr. E. Wllk-Gotha.
Vorwort
An meine Untersuchung über das Werden der Zahlen*) bin ich
mit dem redlichen Bestreben hcrangegant^en . mir selbst Klarheit
zu schaffen über die Methodik des Rcciinens und einen festen
Standpunkt zu gewinnen im Widerstreit gegensätzlicher Meinungen
der heutigen Rechenmethodiker, die man, in Bausch und Bogen
genommen, in die beiden Gruppen der Anschauer und der Zähler
zu scheiden sich gewöhnt hat. Nichts lag mir ferner als die Absicht,
eine neue Rechenmethode aushndig zu machen. Im Gegenteil,
indem ich auf beiden Seiten besten Wülen und nicht ungewöhnliche
psychologische Einsicht voraussetzte, war ich der Überzeugung, dass
hüben und drüben ein gut Teil W'ahrheit zu finden sein müsse»
dessen Vereinigung auf eine richtige Mittelstrasse fuhren werde.
Es kam anders, als ich gedacht Im Laufe der Untersuchung
sticss ich auf einen Hauptpunkt, der beim Werden der Zahlen
im Geiste der Völker eine fuhrende Rolle gespielt hat, der aber
von den Zählern sowohl wie von den Anschauera übersehen, auf
jeden Fall in seiner grundl^enden Bedeutung nicht genügend
Das Werden der ZaUen mnd des Reebnens raf Grand von Fiyeliokgie und
Gctehichte von Dr. E. Wi\k, BJeyl & Kaemmerer, Dresden 1905. Preis 1,80 M .
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— 32 —
ewürdigt worden ist Es wurde mir klar, dass erst die Kmpor-
ebune dieses Hauj)tmoinentes im BUdungsprozess der Zahlen in
den Mttelpunkt des Rechenunterrichts diesen in seine natürlichen
Bahnen lenken und ihn befreien würde von den Künsteleien der
Anschauer und von den UmständUchkeiten der Zähler. Und damit
war die Grundlage pfcwonnen fiir eine neue Methode des Rechnens.
Den Herren Kritikern, die sich pflichtgemäss mit meiner Schrift
haben beschäftigen müssen, scheint die Tragweite meiner Ergebnisse
nicht zum Bewusstsein gekommen zu sein trotz aller Anerkennui^»
die sie meiner Arbeit haben zukommen lassen. Eine bemerkenswerte
Ausnahme machen zwei Kollegen aus Süddeutschland , die meine
Schrift offenbar nicht im Zwange der Berufskritik, sondern aus
Interesse am Stoffe gelesen haben, angezogen von Gedanken, die
sie selbst schon in der Seele gehegt und bewegt liaben. Der eine,
1 11(1 wig Wagner-Marquartstein, g^bt einer empfehlenden Besprechung
meiner Arbeit (Bayr. Lehrerzeitimg 1906 No. 41) die Uberschrift:
„Neue ßalinen für den Rechenunterricht" und beginnt mit den
Worten: „Eine Schrift, welche dem Rechenunterricht neue Bahnen
weist, hat Anspruch, in grösseren Kreisen bekannt zu werden, um
so mehr, wenn diese Bahnen nicht nur neu, sondern wahrhaft
natürlich sind." Und der andere , der bekannte Rechenmethodiker
Oberlehrer Knilling-Traunstcin kündigt ein „neues Lehrverfahren für
den gnindl^enden Unterricht im Zahlenraume i — 20** an (Bayr.
Lehrerzeitung 1907 No. 10) unter Berufung auf sein eigenes Werk:
,,Die natur^cmässc Methode des Rcchcnunterrichts", ebenso aber
auch unter Berufung auf meine Schrift und auf einige Aufsätze
anderer Autoren. Er nennt das neue Lehrverfahren: ,J)ie Methode
des sinnlich-darstellenden Rechnens." ,J>ies dritte Leluverfahren —
meint er — besitze die vermeintlichen Vorzüge der Zahlbilder-
rcchcnmethode seinerseits wirklich und vermeide zugleich die zcit-
und kraftraubende Umständlichkeit der Zählmethode."
Ich habe in meiner Schrift über „Das Werden der Zahlen"
Knilling noch zu den Z-aiiliactliüdikern gerechnet entsprechend seiner
früheren Stellung. Wie er mir brieflidi mitteilt, Imt er sich aber
„schon lange von den Einseitigkeiten der Zählme^ode losgemacht
und sich zu rationelleren Überzeugungen durchgeningen". Kr be-
weist dies durch Anziehung einer Reihe ausschlaggebender Stellen
aus seinem zweibändigen Werke : Naturgemässe Methode des Rechen-
unterrichtes,^) „auf daas Sie sich — so schreibt er wörtlich — sdbrt
übeizeugen können, dass ich mich in der Hauptsache ganz und gar
zu den von Ihnen vertretenen rechenmethodischen Überzeugungen
bekenne". In der Tat beweisen die angeführten Stellen eine erfreu-
liche Übereinstimmung unserer Ansichten. Ich ergreife daher gerne
*: München, Oldenboore, BUlige Ana^, TeU I a,$o M. TeO 11 1,50 M
1897 uad 1899.
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— 33 —
diese er^te Gelegenheit, meinen Irrtum zu bekennen und Herrn
Knilling als Mitstreiter t&r die neue Rechenmethode zu begriissen.
Ich hofle, dass das Gewicht seiner bekasuiten Persönlichkeit dem
neuen Unterrichtswege zugute kommen wird.
EhMtni.
Wir haben also jetzt drei Rechenmethoden: die Methode der
Anschauung^, die Methode des Zählcns und endlich die Methode der
sinnUchcn Darstellung. Diese Bezeichnungen können nicht recht
befriedigen. Wer sie hört, kann sich des Gefühles nicht erwehren,
als könnten die Rechenmethoden ins Unbegrenzte vermehrt werden,
als könnten bei einigem Fleisse noch ein paar Dutzend anderer
hinzugefunden werden. Die Schuld lie<^t in dem ungenügenden
lo'jisrhen Gegensatze, auf welchem die obigen Bezeichnungen ge-
gründet sind. Die prinzipiellen Gegensätze sind nicht getroffen,
man hat bei jenen Bezeidmungen nebensächliche Merkmale zu Paten
genommen und noch dazu solche, die nicht einmal jeder der drei
Methoden eigentümlich zukommen. Wollen die Anschauer nicht
auch zählen? Vermeiden etwa die Zähler jede sinnliche Veranschau-
Uchung der 2^1en? Und was soll vollends der Unterschied zwischen
Anscluiuen und sinnlichem Darstellen sein? Hier möcbte ich zunächst
ein Wort zur Klärung sagen. Die Sache verhält sich folgender«
massen:
In Bezug auf die Mntenr welche den Stoff des Rechnens bilden,
ist dreierlei zu unterscheiden :
1. die Zahlen selbst, jede für sich als Individuum be-
trachtet,
2. die Zahlen geordnet nach ihrer Grösse zur natürlichen
Zahlen reihe,
3. die Zahlen geordnet zum Zehnersystem.
Je nachdem man nun entweder die Zahlindividuen oder die
Zahlenreihe oder das Zahlensystem zum Ausgangspunkte der unter-
richtlichen Betrachtung macht, erhält man je eitie besondere Methode
des Recfaenuntenlchts. Diese drei müssen also heissen: die Methode
der Zahlindividuen oder die monographische Betrachtung der
Einzelzahlen, die Methode der Zahlenreihe oder des
Zählens und endlich die Methode des Zehnersystems.
Diese letztere ist unsere neue Methode, wie sich zeigen wird.
Daraus ergibt sich, dass nur diese drei Methoden möglich sind,
wenigstens wenn man annimmt, dass die Ordnung des Lehrverfahrens
nach der Reihe der 4 Grundoperationen des Rechnens seit länger
als einem Jahrhundert für immer abgetan ist
Padsgosische Stodtoo. XXIX. l. 8
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— 34 —
Das System das Erste im Rechenunterrichte, die Wuizd, die
Qudk der Zahlen? Unglaublich! Soll denn die Pädagogik wieder
zurückgeworfen werden in ihre Uranlange, in die Zeiten vor Locke
und Bacon? sollen die Errungenschaften von Jahrlmnderten auf dem
Gebiete de'r Psychologie wieder beiseite geschoben werden? Die
beiden genannten Männer haben doch schon gelehrt, dass nichts im
Geiste ist, was nicht seinen Weg durch die Sinne genommen hat
Alle &rkenit&iis geht '•sgmit aus von der Anschauung der Dinge,
den Einzelwesen. So entsteht die zeitliche Reihe: a) Empfindung,
b) Sinnenbild oder konkrete Vorstellung, c) abstrakte Vorstellung
und parallel dazu der Begrifl^^) ^jjcj^ch d^ System der Über- uqj4
Unterordnung. Das System whrd erst 'g(<0DQd0tü ^eiVi . ^ie^ Menge
der konkreten Vorstellungen so stark angewachsen isb, 'dass ein
seelisches Bedürfnis nach Ordnung und Übersicht entsteht. In j
einem psychologisch betriebenen Ünterrichte wird demnach das
System an letzter Stelle stehen, wird Schlusswirkung sein, nicht
aber Ausgangspunkt So mag Grrube, auf den die monographische
Behandlung der Einzelzahlen zurückgeht, geurteilt haben; so noch
heute die Anschaucr; so habe auch ich einstmals ([gedacht.
Und trotzdem 1 Das Gesagte hat mit dem System der Zahlen
gar nichts zu tun, es ist nur richtig für das naturwissenschaftliche
System. Hier liegt eine Begrif&verwimii^ vor, verursacht durch
das gleiche Wort. Ich behaupte, dass das Wort System in seiner
arithmetischen Anwendung eine ganz andere Bedeutung hat wie in
seiner naturwissenschaftlichen.
Sinnenbilder der Dinge hat der Mensch in grosser Menge
Sehabt ehe er anfing, ein umfassendes System derselben zu bilden;
agegen ist es keinem Volke der Welt gelungen, mehr als lO Zahlen
zu er7eugen — in Wirklichkeit nur 4, wie sich bald zciji^en wird — ,
ohne das Viele zur Einheit jrusammenzufassen. Diese Gruppen-
einheiten aber sind das Grundelement des Zahlensystems. Man
nehme das naturwissenschafüiche System wieder weg; und alle
Naturgegenstande, alle Sinnenbilder davon bleiben dieselben wie
zuvor; man nehme das Zahlen'^\ •^tem weg, und alle Zahlen über 10
laufen zusammen in ein unbeslimnites Viel, jede Zahl verliert üir
bestimmtes Gepräge. Es ist das aller wichtigste Resultat
meiner Untersuchung über das Werden der Zahlen,
dass diese nur durch Einführung eines Zahlensystems
gebildet werden konnten. System und Einzelzahlen sind
gleichzeitig in die Höhe <,a'wachsen. In j^fewif^sem Sinne kann man
sogar behaupten, dass das System früher da war als die Zaüien:
es war naitUich vorgebildet in den Händen. Diese gegenständ-
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Hebe, diese Zweckeinheit der 5 (resp. 10) Finger der Hände ist
natürlich erst bei der Zahlenbildung selbst zu einer Zahleneinheit
geworden. Iinmerhin kann man sagen, dass der Mensch die Einheit
des Vielen abgelesen hat von seinen Händen.
Das Zahlen^tem ist also mit den Zahlen unlöslich verbunden,
es gehört von einer bestimmten Stufe an zu deren Wesen. Sein
oder Nichtsein der Zahlen fallt zusammen mit dem Sein oder
Nichtsein eines Systems. Das naturwissenschaftliche System dagegen
ist eine in die vorhandenen Dinge nachträglich hineingedachte Be-
griffsordnung, die nicht einmal richtig passen will Überall drückt
der Schuh. Die Natur mit üven ineinander fliessenden Formen will
sich dieser reinlichen Scheidung so wenig fügen, dass die Wissen-
schaft schon in Verlegenheit gerät, wohin sie die einfachsten Wesen
einordnen soll, ob in das Pflanzen- oder das Tierreich.
£s ist bedauerlich, dass für zwei so grundverschiedene Begriffe
dasselbe Wort geprägt worden ist Nur das eine haben beide
Systeme gemeinsam, dass sie eine gewisse Ordnung und Über-
sichtlichkeit in ihre P'inzelwesen bringen. Darin mag auch der
Grund zu suchen sein für die gleiche Bezeichnungsweise. Aber
diese Übersichtlichkeit entspringt doch ganz verschiedenen Gründen.
Das naturwissenschaftliche System schafft sie, indem es Gleiches
oder Ähnliches in einer Gruppe vereinigt. Aber der Inhalt der
einen Gruppe ist ganz verschieden von flem Inhalt'- der anderen.
Wer die Familie der Zweihänder kennt 1: mn daraus keinen Schluss
ziehen auf das, was in der Raubtiergruppc zu finden sein wird.
Ganz anders beim 2^ahlensystenL
Dies ist zu vergleichen mit dem Bauplane zu einem Gebäude,
in dem jedes folgende Stockwerk nach einem bestimmten Gesetze
^mäss dem vorhergehenden gebUdet, etwa — man verzeihe diese
unnatürUche Annahme — zehnmal so hoch wie dieses, sonst aber
mit ihm vollständig gleich werden soll. Ist das erste Stockwerk
gebaut, so kann sich jedermann mit Hilfe jenes Abhängigkcite-
Verhältnisses vorstellen , wie das 2. und 3. Stockwerk künftig aus-
sehen wird. Das Zalilensystem ist nichts weiter als ein nach einem
bestimmten Gesetze aufjgebautes vielstöckiges Zahlengebäude. Wie
die Einer gebaut sind, so auch die Zehner, die Hunderter, Infolge
dt^er Gleichmässigkeit wird sich jeder, wer sich in den Einem
zurechtfindet, auch in den Zehnern, Hundertern usw. auskennen.
So erklärt sich die Übersichtlichkeit, weiche das System in die
2Sahlen hineinbringt: die Ordnung der Einer wiederholt sich immer
wieder.
Man soUte daher nicht von einem Zahlensystem sprechen,
sondern von einem n.nrh bestimmtem Gesetze errichteten Zahlcnbau,
von einem gesetz massigen Zahlengebäude. Und nunmehr
wird niemandem mehr befremdlich erscheinen, dass dieses System,
Äeser gesetzmasstge Aufbau ganz wesentlich zu den Zahlen gehört,
Digitizixl by <jOO^tc
- 36 -
dass diese erst in jenem sich verwirklichen konnten, dass beide,
Zahlen und System, so unzertrennlich verbunden sind wie etwa die
Materie und ihre Form
Aus der Übereinstimmung der verschiedenen Stockwerke im
Bau de» Zahlenraumes folgt mancherlei flir die Methode des Rechen-
unterrichts.
a) Wenn diese nicht gleichmäissig in allen Abschnitten des
Zahlenraumes durchführbar ist, muss ihre Zweckmässigkeit und
Natürlichkeit von vornherein bezweifelt werden. Dies trifft sowohl
die Etnselbehandlung: der Zahlen wie das Zahlen.
Nidit einmal der Erfinder der allseitigen Zahlenbetrachtung hat
es gewagt, seine Unterrichtsweise über roo auszudehnen. Seine
Nachfolger sahen ein, dass selbst in diesem Zahlenraume schon,
sobald man zu höheren Zahlen hinauisticg, ein Wirrwarr lawinen-
artig anwachsender Beziehimgen sich ergab, in dem niemand mehr
sich auszufinden vermochte. Man beschränkte daher die Methode
Grubes gar bald auf die beiden ersten Zehner; heute will man sie
häufig sogar nur noch im Zaiilenraume l — lO (resp. 12) Liehen lassen.
Der Sturm der Begeisterung ist abgeflaut, nur in der Klasse der
Sdiulanfanger duselt nodi ein Ideines Lüftchen.
Und die Zahler? Ihre Methode auf höhere Zahlenräume zu
übertragen , scheitert schon an der für das Zählen erforderlichen
Zeit. Bis ur Million zu zählen, das dauert etwa einen Monat bei
täglich etwa zehnstündiger Arbeit, wenn überhaupt die Nerven des
Menschen eine solche Kraftprobe aushalten. Das Zählen lasst sich
ja ganz gewiss nicht aus der Welt schafien, denn die Zahlmomente
ungeordneter Dinggruppen lassen sich gar nicht anders bestimmen.
Ebenso gewiss ist aber auch, dass das einfache Ablaufenlasscn der
Zahlenreihe die schlechteste und unsicherste Methode des Zählens
ist, die nur angewandt wird, wenn alle anderen versagen. Wenn
beispielsweise der Hirte wissen will, wieviel Stück seine Herde hat,
so bleibt ihm '-.rin anderer Weg wie eben das Hersagen der Zahlen-
reihe. Ist er fertig, so ist aber auch schon die Ungewissheit da,
ob er sich rücht etwa doch verzählt haben könnte. Ist die Herde
gross, so wird er ein zweites, drittes, sogar ein Wertes Mal zählen,
bis er mehrere übereinstimmende Resultate hat Diese Unsicherheit
und Umständlichkeit hat ein zweites X'crfahren gezeitigt, das immer
angewandt wird, wenn die zu zählenden Gegenstände handlich sind,
wie 7. B. das Geld. Man macht Häufchen von 10 Stück, stellt je
10 Häufchen in eine Reihe usw. Kurz und gut: man ordnet die
Gegenstande nach dem Zehneisystem. Dabei braucht man itnmer
nur bis 10 zu zählen; mit dieser kurzen Reihe zählt man die Einer,
die Zehner, die Hunderter usw. Dies Verfahren hat den Vorteil
der grösseren Sicherheit und der leichteren Nachkontrolle.
So erzwingt sich das Zahlensystem sein Recht, indem es die
Unnatur der Methoden über den Haufen wirft. Sowohl die An-
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— 37 —
schauer wie die Zähler müssen schliesslich zum System greifen,
einfach deshalb, weil ihre Methode auf grossere Zahlen nicht mehr
anwendbar und durchführbar ist. Diese Tatsache ist recht be>
denklich , wenn man sie misst an der Gleichartigkeit des Zahlen-
baucs in allen Stockwerken. W^er diese beachtet, kann den Ge-
danken nicht von der Hand weisen: Ein Verfahren, welches für
die Zehner zweckmässig ist, muss auch fiir die Hunderter und
Tausender passen; und wenn es für diese nicht mehr durchführbar
ist, so muss es auch für jene falsch gewesen sein. Die Fehler
treten nur nach oben hin schärfer hervor, sie häufen sich schliesslich
so, dass die Methode von selbst zu Falle kommL
b) In der Tat, die Zahlenbildung kann nur dann in ihrer un-
endlichen Einfachheit • offenbar werden , wenn der gesetzmässige
Bau und die auf ihm beruhende Form der Zahlen in den Vorder-
grund der Betrachtung^ gerückt werden. Wer z. B. im zweiten
Zehner begriffen hat, wie man zweigliedrige Zahlen aus Zehnern
und Einem zusammensetzt, der kann das auch in jedem anderen
Zehner, und es wird ihm ein Leichtes sein, in analogem Verfahren
selbst drei- und viergliedrigc zu bilden.
Gleiches gilt für das Rechnen. Die Einsicht in das formale
Rechnen beruht auf einer kleinen Anzahl von Operationsgesetzcn.
Diese Gresetze sind samtlich ein unmittdbarer Ausfluss aus dem
21ehnersystem und der Zahlcnformen, die ja ihrerseits wiederum tane
Folge des Systems sind. Wer gelernt hat bei der Addition und
Subtraktion die lo und 20 zu überschreiten, wird das auch bei
jedem anderen Zehner fertig bringen ; und 17 mal 2 ist nicht ein-
facher herauszubringen wie 38 mal 2 usw.
Wenn die alten Rechenmeister des 16. und 17. Jahrhunderts
die ganze unendliche Zalilenrcihe auf einmal entwickelten, um dann
gleich ganz unbeschränkt im Umfange die einzelnen Operations-
gesetze durchzunehmen, so kann ich von meinem eben gezeichneten
Standpunkte aus ihrem Verfahren ein Kömchen Wahrheit nicht ab«
sprechen trotz aller Verurteilung, die ihre Methode in der neueren
Pädagogik gefunden hat. Aber nur ein Körnchen, nicht mehr.
Weil sie ihr .Augenmerk immer nur auf die Sache gerichtet haben,
übersehen sie das Kind. Völker und Menchen wachsen aber nur
allmählich in die Zahlen hinein, der arithmetische Horizont dehnt
ach mit dem wirtschaftlichen. Das Kind in seinen kleinen Ver-
hältnissen hat kein Bedürfnis nach hohen Zahlen. Diesen seelischen
Zustand des w-erdenden Menschen zu berücksichtigen, daran haben
die alten Rechenmeister gar nicht gedacht \ sie wollten nichts weiter,
als der Natur ihrer Wissenschaft gerecht werden.
Zusammenfassend können wir sagen: Das Zahlensystem ist von
gundlegender Wichtigkeit für die gesamte Methodik des Rechnens,
as System gehört zum Wesen der Zahlen von 10 ab aufwärts,
nur unter seiner Mitwirkung konnten diese entstehen, ohne es sind
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~ 38 -
sie nicht denkbar. Und dieser Prozess der Zahleobildung findet fiir
den einzelnen Menschen noch heute jederzeit statt. Wer könnte von
sich behaupten, dass er alle iinendlicli vielen Zahlen schon einmal
gedacht oder ausgesprochen habe ? Einen Gegenstand, den ich noch
nicht gesehen habe, kann ich mir nicht vorstellen; aber eine Zahl,
die ich niemals gedacht, kann ich in jedem Augenblicke bilden.
Das ist die Macht des Zahlensystems: Das Baugesetz befähigt uns,
jede beliebige Stelle des Gebäudes zu treffen.
Vom Zahlensystem hängt weiter ab die äuj>scre Form der
Zaiilcn, ob sie einfache Grundzahlen sind, ob zwei-, drei- oder mehr-
gliedrige Summen usw. Und endlich, ein Ausfiuss beider, des
Zahlensystems und des formalen Baues der Zahlen, sind die Rechen-
gesetze und Rechenregeln. Daraus folgt, dass nicht bloss der
Zahlenbildungsprozess, sondern auch das t{csamte formale Rechnen
unlössUch an das Zehnersystem gebunden sind, jede Methode,
wddie das nicht ^ von Anfang an beachtet, muss zweifellos die
ausserordentliche Übersichtlichkeit und Einfachheit des Rechnens
verwirren, weil sie seine Gesetzmässigkeit nicht klar genug zutage
fördert. Insbesondere hat die ganze Gruppierung des Zahlen-
materials, die Stoffanordnung des Rechenunterrichts, nach Massgabe
des Systems zu erfolgen. Das Genauere hierttber wird sich später
etgebea
Die finntfialilML
Die Monographcn sowohl wie die Zähler müssen zugeben, dass
in den höheren Stockwerken die Zahlbildung und das Rechnen auf
das System gegründet werden müssen ; sie müssen eingestehen, dass
jedermann mit solchen für den Augenblick gebildeten Zahlen rechnen
kann, auch wenn ergeradedieseZahl noch niemals der Rechnung
unterworfen hat, ^^ ^ 1 eben die Gesetze allgemein gelten wegen der
Gleichartigkeit des Zahlenbaues in allen seinen Stockwerken. Weniger
schroffe Anhänger der beiden Methoden werden schliesslich auch
zugeben, dass das System schon von der lO ab zu seinem Rechte
kommen muss. Was aber, so werden sie sagen, haben die Gnind>
zahlen l bis 9 mit dem System zu tun ? Hier bleibt nur die Einzel*
bchandlung oder das Zählen übrig, ein drittes gibt es nicht: im
ersten Zehner fällt das System ganz von selbst aus. Es scheint, als
wäre dagegen nichts einzuwenden.
a) Zahlenanschauung,
Wir fragen uns zunächst, ob die P inzclbehandlung der Zahlen
befriedigen kann, ob sie der Natur der Zalücn entspricht Die An-
sdiauer behaupten: Ein verständnisvolles Rechnen ist nur möglich,
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39 —
wenn der Zahlenbeg^riff auf klaren Vorstellungen fusst; sonst wird
alles mechanischer Formalismus, gedankenloses Anwenden ein-
gelernter Regeln. Daher müssen die Zahlvorsteliungen durch An-
schauung gewonnen werden. Es ist recht bezeichnend fUr Grabe,
dass er die Zahlenbehandlung in Parallele stellt mit der Betrachtung
von Gegenständen im Anschauungsunterrichte oder der Pflanzen in
der Botanik, hin Verfahren, das für diese unpassend erscheine,
könne unmöglich richtig sein für zahlen. ,^bs elementare Rechnen
nach den Spezies auseinander fallen zu lassen, ist dassdbe (d. h.
ebenso falsch. D. V.), als im Aiisdiauungsuntenichte dem Kinde
die Gegenstände nach den Rubriken von Grrösse, Gestalt,
Fnrbe usw. vorzuführen. Wie aber das Kind den Gegenstand nicht
kennen lernt, wenn es nach einem Merkmale verschiedene Gegen-
stande ansdiaut, sondern wenn es den einen Gegenstand nach
seinen verschiedenen Merkmalen betrachtet, so lernt der Schüler
auch z. B. die Zahl 4 nicht kennen, wenn er heute 2 -f 2 — 4 lernt,
nach einigen Wochen, wenn das Subtrahieren an die Reihe kommt,
4 — 2 = 2 usw." (Kehr, Geschichte des Rechenunterrichtes.) In
kurzen Worten : Die Zahlen sollen behandelt werden wie die Gegen*
Stande auf Grund der Anschauung durch analj^sche Zerlegung des
Ganzen in seine Teile.
Diese Theorie der Anschauer beruht auf einer ganz falschen An-
sicht von dem Wesen der Zahlen. Ist die Zalil ein Objekt der An<
schauung wie ein Baum oder besser wie eine Gruppe von turnen f
Ein Baum, eine Gruppe von Bäumen hat Grösse, Gestalt, Farbe,
Geruch usw. Jedes dieser Merkmale zieht durch einen besonderen
Sinn in unsere Seele. Wirkt auf den Nerv des Auges, des Ohres,
des Tastsinnes ein bestimmter Reiz, so ist die Seele gezwungen,
auf eine bestimmte Weise zu antworten: wir haben Empfindungen
bestimmter Qualität, denen wir uns nicht entziehen können. Wir
müssen dem Reiz entsprechend empfinden, wir möc^cn wollen oder
nicht. Ganz anders bei dem Zahlmoment (irr Raunigruppc. Selbst
wenn wir diese mit der grössten Aufmerksamkeit betrachten, so ist
dodi nicht gesagt, dass uns die Zahl der Baume dabei zum Be>
wusstsein kommen müsste. Die Farbe der Blätter, die Form müssen
wir sehen; dass aber eine Zahl mit im ^iele ist, das kann uns
ganz entgehen.
Woran hegt das? Man könnte vermuten, dass uns ein be-
sonderer Sinn rar die Perzeption der Zahlen fehlt, wie das z. B. der
Fall ist inbezug auf den Magnetismus und die Elektrizität. Auch
diese Kräfte sehen, hören, fühlen wir nicht, wir nehmen sie mit
keinem unserer Sinne wahr, obgleich sie Naturkräfte sind von
dcichem Wesen wie das Licht, der Schall, die Wärme. Bei den
Zahlen liegt die Sache aber doch wesentlich anders. Die Zahl ist
weder eine Qualität eines Objektes, noch das Objekt selbst, d. h.
eine Summe von solchen Qualitäten, die durch einen realen Träger
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zusammcncfchalten werden. Es fnbt aber noch ein Dnttes,
Zwischen den Gegenständen einer Gruppe können noch Beziehungen
wirldich bestehen oder wenigstens in sie hineingedacht werden.
Ein Stein wird von der Erde angezogen. Das ist eine tatsächliche
Kcz.iehung. Die Wirkung dieser gegenseitigen Anziehung ist die
Schwere des Steines. Diese letztere ist unseren Suincn zugänglich;
wir brauchen bloss den Stein auf die Hand zu legen, so empfinden
wir sein Gewicht Für die Anziehung sdbst aber sind unsere Sinne
taub. Auch „die Ehe" ist ein Beziehungsbegriff. Was sehen wir?
Wir sehen einen Mann, eine Frau und Kinder; wir sehen r^ie ::^e-
meinschaftlich wohnen, essen und trinken; wir haben vielicjcln auch
einst die Trauungsfeierhchkeit gesehen. Aber alles das, Irauung,
Essen, Wohnen, Kinder, Frau und Mann, ist doch noch nicht die
Ehe. Diese selbst ist ein ideelles Verhältnis, eine hinzugedachte
Beziehung zwischen Frau und Mann und deshalb nicht sichtbar.
Ein anderes Beispiel: der Winkel. Was sehen wir: Von einem
Punkte läuft hier eine Linie in bestimmter Richtung und von dem-
selben Punkte aus da eine in bestimmter Richtung. Diese keil-
fönnige Fläche aber ist noch nicht der Winkel. Der BegriiT von
ihm entsteht erst, wenn wir die eine Linie in Beziehung setzen zur
anderen, indem wir etwa fragen: wie gross ist der Unterschied
zwischen beiden Richtungen, wie muss ich die eine Linie drehen, dass
sie in die Lage der zweiten kommt Beäehungen sind demnach
unsichtbare Brücken zwischen den Dingen, meistens Zutaten unseres
Geistes, Synthesen des Denkens. Man sage nicht, die sinnliche
Unfassbarkeit liege in der Abstraktheit der genannten Wr Stellungen.
Nein, ich habe von diesem Steine, von diesem besonderen VVmkel,
von der Ehe zwischen diesem Manne und dieser Frau gesprochen,
also von Beziehungen zwischen ganz konkreten Einzelwesen.
Auch die Zahlen sind Beziehungsbegriffe. Die Beziehung be-
zeichnen wir hier mit dem Worte Addition und wollen damit sagen:
Denke dir getrennte Dinge oder getrennte Gruppen von Dingen zu
einor IQnheit verdnigt nach dem Genditspuniae: wieviel sind
es ihrar zusammen. Was sehen wir^ Hier einen Baum, da einen
Baum; kurz: Baum, Baum, weiter nichts. Alles was der Begriff
„zwei Räume" mehr enthält ist geistiges Frzeugnis, Zutat unseres
Inneren. Die Addition ist nicht sichtbar. Man verwechsele nur
nicht Addieren mit räumlicher Annäherung oder zeidicher An-
reihung. Beides ist nicht dasselbe. Das beweist schon, dass wir
Dinge, welche noch so nahe sind, zahlenmässig auseinander denken,
und Dinge, welche noch so weit voneinander entfernt sind, zahlen-
mässig zur Einheit zusammendenken können. Nur soviel kann
iiugcgeben werden, dass räumliche und zeitliche Nähe oder An-
näherung sinnliche Vorgänge sind, die uns anreizen, jene additive
Beziehung in die Dinge luneinzutragen einfach aus dem Grunde,
weil nahe Gegenstände auch in räumlicher Beziehung als ein
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Ganzes angesehen zu werden pflegen. Wenn zwei Herden Schafe
zusammenlaufen, so bilden sie nach unserer Meinung eine einzige
Herde. Diese räumliche Einheit der Gruppen erzeugt das Be-
dürfnis, auch ihre Zahlmomente su vereinigen.
Die Zahlen sind demnach in der Aussenwdt gar mcht vor*
handen, wir erzeugen sie erst in unserer Seele und denken sie
hinein in die Dinge und Geschehnisse. Und das ist der (irund,
warum wir eine Gruppe von Gegenständen noch so aufmerksam
betrachten können, ohne dass uns auch nur der Gedanke an eine
Zahl konnunt Die Zahl kann uns von aussen nicht aufgezwungen«
werden wie eine Farbe, sie ist nicht sichtbar, nicht hörbar, nicht
fühlbar, sie ist kein Objekt der Anschauung wie ein Gegenstand der
Natur; sie entsteht nur in uns, wenn wir eine bestimmte Frage
stellen, die Frage nach dem Wieviel einer Dinggruppe. Dann erst
denken wir uns jene Beziehung, Addition genannt, zu den Einzel*
dingen hinzu. Nennen wir das Wieviel eines £inzdding«s i, so
sehen wir i, i (genau genommen nicht einmal soviel, wir sehen
bloss die Dinge; die i als das Wieviel eines Dinges ist schon eine.
Idee); unter 2 aber haben wir uns zu denken: 14-1.
Es gibt also überhaupt keine Vorstellungen von
Zahlen, sondern nur Begriffe von solchen.^) ^
Wenn nun auch die Beziehunf^en unter den Dingen selbst nicht
wahrnehmbar sind, so bietet doch anderseits die Aussenwelt recht
vieles den Sinnen 7vr IVrzeption an, was uns auffordert, uns geradezu
zwingt, den Gedankcnschluss auf eine bestehende Beziehung zu
machen oder eine solche hinzuzudenken. Wer Mann, Weib, Kmder*
zusammenleben sieht, muss auf die Idee kommen, eine besondere Be-
ziehung zwischen ihnen zu konstruieren, die zwischen diesem Mann und
allen anderen Frauen nicht besteht. Nicht die Beziehunj^cn. wohl
aber die Dinge, zwischen welchen sie gedacht werden, sind unseren "
Sinnen zugänglich; zu dem noch Nebendinge, Nebenumstände, be-
sondere Zustände und Vorgänge, welche uns jene Beziehungen ^
*) Wir biidcu uns nicht ein, mit unicjcr Erklärung, die Zahl sei das Wieviel, das
Wesen der 7MI erschöpft zu haben. Wir wissen wohl, dass damit eigentlich nur eine
Worterklänmg , eine Umschreibung gegeben ist , weil der Begriflf des Wieviel keine
höhere Abstraktheit nnd keinen weiteren Umfang hat als der Begriff der Zahl. Wir
sind überh.iupt der Arisicht, dass eine rcjjelrechtc Definilion iles Zahlhegrifts nicht
ta^gUch ist, weil kein ttbcrgeordnetcr BegritT zu linden ist; die Zahl oder das Wieviel
ist tellMt der büchtte B^iiff seiner Kategorie. Versdiiedene FliUosoph«« haben nch
abgemüht, die Zahl auf Raum und Zeil bezieh, n. Ftwas Befriedigendes ist dabei
nicht beniasgckommcn. Man wird gut tun, die drei Begriffe: das Wo des Raumes,
du Wann der Zeit nnd das Wievid der Zahl tb nnTcrgkichbar anzanehmeo. Wer
*om Wesen drr '/^hl handeln will, kann demnach nur verschiedene Zitpe desselben
hervorheben ; er kann auch wohl sagen, was die Zahl nicht ist und damit ihren Begriff
gegen andere ab(;reaaen; er kann aber nimmermehr ihr Wesen ausschöpfen.
Im Grunde genommen kommt auch darauf für den Unterricht nichts an. Wir
wlirdcQ uns nait solchen Erörterungen gar nicht abgeben, wenn nicht der VVeg erst
wieder fireigemacbt werden mflHte doich Abtrugn^g fgu kttnstUcb an^ebaiilcr Metfaoden.
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nahcle^j^pn Die Aii'^cpnwpl! ^n'bt uns Anhaltspunkte Lritmotive zur
Er/.cugung von Be2iehun<:[sbe^'^rirlen. Und diese Tnebledern sind oft
so offensichtlicher, so zwingender Natur, sie zeitigen den Beziehungs-
begrifif so leicht, so sicher, so prompt, dass wir meinen, wir sahen
die Verbindungsbrüdce selbst mit, obwohl wir doch nur lit Grund-
pfeiler wahrnehmen, /wischen denen sie t;n«;:rhtbar schwebt.
Und so ist es auch bei den Zahlen. Die Zahlen selbst nehmen
wir nicht wahr, aber sehr wohl die Unterlagen, auf Grund deren
wir sie bilden, die Dinge und Gresdiehnkse. Nun gibt es im Leben
tausenderlei Veranlassung, diese nur als Seiende oder als Akte
zu nehmen, d. h. ganz ah7i^sehen von ihrer besonderen Qualität
Und das sind die VorbediiiL;ungen zur Zahlenbildung. Wenn in
einer Dinggruppe die bcsuiidere Qualität jedes Eünzelwesens ganz
gleichgültig ist, dennoch aber jedes Wesen seinen Wert behält
gerade durch die Besonderheit seines Seins, so gibt es nur noch
eine Frarc an die Gruppe, die Frage nach dem Wieviel.
Wenn man somit in der Methodik des Rechnens von sinnlicher
Anschauung, von klaren Zahlvon>teiiungen spricht, so muss man
unter diesem Worte etwas ganz anderes verstehen wie im An-
schauungs- oder Naturgeschichtsuntcrrichte. Das Anschauen der
Sinne, die Deutlichkeit des Vorstellens (d. Ii. des geistigen Schauens)
bezieht sich nicht auf die Zahl selbst, sondern nur auf die Dinge,
auf die Vorgänge, die immer vor aller Zahienbildung vor-
handen sind, auf die sinnlichen Motive zu ihrer Erzeugung.
Das können auch die Anschauer zugeben. Sic werden aber
hinzusetzen: In der Rechcnstnnde wird der Sinn drs Kindes durch
die Unterrichtskunst des Lehrers in die Richtung gelenkt, dass es
eine üruppe von Dingen auf ihr Zahlmoment hin ansieht und nicht
etwa hinsichtlich ihrer Qualität Für den Unterricht ist demnach
die Unterscheidung zwischen Sichtbarkeit der Zahl selbst oder bloss
ihrer Unterlagen ganz belanglos. Vielmehr darauf kommt es an,
ob das Kind beim Anblicken einer Gruppe von Dingen sofort und
mit Sicherheit angeben kann, ob sie aus 2, 3 oder 4 Gegenständen
besteht Woher es sein Wissen hat, von aussen oder von innen,
das kann uns dabei einerlei sein.
Wir wollen das zugestehen und auch unserseits nach alter Ge-
wohnheit von anschaulicher Vorstellbarkeit der Zahlen sprechen in
dem Falle, dass es möglich ist, das Wieviel der Dinge oder Vor-
fänge alldn auf Grund der sinnlichen Wahrnehmung (d. h. ohne
ählen) richtig und sicher anzugeben.
Es entsteht nunmehr die Frage: Sind die Zahlen in diesem
Sinne des Wortes verstellbar ?
Wir sehen eine Herde Schafe, jedes einzelne Stück ist sichtbar
und scharf geschieden von den anderen und dennoch ist es un-
möglich, durch blosses Sehen ihre Zahl anzugeben. Die Regel-
losigkeit der Anordnung ist nicht die Ursache unserer Unfähigkeit
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Selbst wenn ynr die Dinge ordnen zu Zweien, Dreien, Vieren, es
hilft alles nichts: Sobald es sich um eine grössere Vielheit handelt,
versagt die Zahlbildung durch Anschauui^ vollständig. Das ist
noch niemals bestritten worden.
Ebenso unbezweifelt ist im Gegensatz dazu die Vorstellbarkeit
der Zahlen t, 2, $ und s<^ies8tidi auch noch der 4, mag die An>
<Mxinui% der Gegenstände im Räume (das geometrische ^lüenbild)
sein, wie sie will. Sobald wir die Dinge erblicken, wissen wir auch,
wieviel es ihrer sind. Die Zahlerzeugung geht so schnell, so sicher
vor sich, dass tatsächlich die Täuschung entsteht, als sähen wir die
Zahlen wie eine Farbe. Daraus erklärt sich auch die merkwürdige
grammatische Erscheinung, dass in den indogermanischen Sprachen
die ersten drei Zahlwörter (im Griechischen auch das Wort für 4}
dekliniert werden wie Eigenschaftswörter, während die übrigen Zahl-
wörter nicht wandelbar sind. Tatsache ist auch — ich habe seit
einer Reihe von Jahren die Probe darauf gemacht dass üet
ausnahmslos alle Schulanianger bei ihrer Aufnahme die ersten vier
Zahlen nach momentanem Sehen der aufgehobenen Finger sicher
erkennen, während die wenigsten wissen, dass die Hand 5 Finger
haL Auch das beweist, dass jene vier eine von allen anderen
Zahlen abweichende Art ihrer Entstehung haben.
Der Streit konzentriert sich in Wirldidikeit ai^ die Zahlen $
bis 10 (resp. 12). Einige Anschauer gehen wohl noch weiter und
glauben auch die Zahlen bis 20 verstellbar machen zu können.
Man sagt: Man muss nur die Körper (Kugeln, Würfel, schwarze
Punkte) in eine recht diarakteristische Form bringen, dann aeht
man die Zahl sofort Würde man z. B. 6 Kugeln ganz regelmässig
auf die Peripherie eines Kreises vertf^ilen, so ist das sinnliche Er-
kennen des Zahlmomentes ausgeschlossen. Wenn man aber die
Kugeln in zwei Reihen zu je drei ordnet, so dass ein Rechteck
entsteht, so sieht Jedermann auf den ersten Blick, dass es 6 Kugeln
sind. Und nun hat man experimentiert, man hat die Kugeln in
einer, in zwei, drei Reihen f^^f^ordnet, man hat quadratische Vieren
gebildet usw.. um herauszul)nru; n, in welcher P'orm der Bilder die
Zahlen am leiciitesten zu erkennen seien.
Bemerkenswert ist, dass fiir jede Versuchsreihe aUe Körper
^dche Grösse und regelmässige Entfernungen voneinander hatten,
so dass die räumliche Ausdehnung des Bildes wuchs mit der Zahl
der Körper, sowie dass jede Zahl eine ihr eigentümliche Bildform
immer beibehielt, so oft sie aucii aulLrat. Um das Zählen zu ver-
hüten, wurden die Bilder nur einen kurzen Augenblick gezeigt;
aber vor Beginn der Experimente hatten die Kinder jedes einzelne
Bi1d mit Müsse betr:\rhtet .und die in ihm dargestellte Zahl fcst-
}^^estc]lt und sich eingeprägt. Und das Resultat dieser Versuche
Das Zaiilmoment eines jeden Bildes wurde von einem Bruchteil der
Kinder richtig getroffen, von den übrigen dagegen falsch. Ein
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widersprechendes Resultat. In voller Vcrkeiinung dieses negativen
Ergebnisses halben di> Herren Experimentatoren ihre Versuche ab-
geändert und probiert oh nicht bei anderer Anordnung der Körper
ein grösserer Prozentsatz Treffer zu erreichen sei. Sie zielten auf
die Nieten und suchten sie auszumerzen. Hatten sie den Blick auf
die Treffer gerichtet und gefragt, vermittels welcher Anzeichen diese
zustande gekommen seien, so würden sie einen be'jseren Einblick
in den Wert, vielmehr in den Unwert ihrer Versuche gewonnen
haben.
Worauf — so fragen wir — kommt es denn eigentlich an bei
der Vorstellung einer Zahl, d. h. bei der Bildung des ZahlbejijrifTcs auf
Grund vorfrestcllter Dinge? Auf nir-hts weiter als auf das Wieviel
der gesehenen oder vorgestellten de^'enstände. Dieses Wieviel,
dieses Viele in bestimmter Höhe ist das allem Wesentliche. Aiies
andere ist nebensächlich. Die Gr^enstände im Räume, die in die
Aussenwelt projizierten Punkte haben zwar immer ir^^end eine An*
Ordnung, sie besetzen den Raum in ir-^^cn l einer Ausdehnung und
Figur. Aber diese Figur, diese Ausdehnung sind voll^tändi«^ be-
liebig, sie können von jeder Form und jeder Grösse scni. Wenn
demnadi die Kinder bei jenen Versuchen das Wesentliche der
Zahl, das Wieviel einer Gruppe von Gegenständen d. h. die Be-
ziehunc: der Zahl zu ihren P'inheiten, unmittelbar auf (itunrl des
Gesehenen in ursprünglicher Weise richtig erzeugt hätten, so müsste
ihnen das auch möglich sein, wenn die Bilder für jede Zahl in
beliebig wechselnder Gestalt und Ausdehnung aufträten, *und es
müsste ihnen das sogar noch möglich sein, auch wenn sie sich
nicht vor l^eginn der Versuche Bilder und Zahlwörter dafür tlem
Gedächtnis eingeprägt hätten, gerade so, wie das bei den Zahlen i
bis 4 wirklich der Fall ist. Diese besonderen Eigentümlichkeiten
der Versuche beweisen, dass keine Zahlerzeugung stattfindet, dass
vielmehr die Treffer auf Grrund einer ganz äusserlichen , einer ganz
mechanischen Assoziation zustande gekommen sind, durch die
.Assoziation zwischen geometrischer Form und Ausdehnung des
Bildes einerseits und dem Zahlwort anderseits, also auf Grund von
Anzeichen, die mit dem Wesen der 2^hl gar nichts zu tun haben.
Die BUder für die Zahlen von 5 aufwärts haben nur den Wert von
mnemotechnischen Hilfsmitteln. Man weiss, dass solche dem Ge
dächtnisse — und nur diesem — recht gute Dienste leisten können,
aber nur bei sehr sparsamer Verwendung. Preten diese Mittelchen
massenhaft auf, so wird aus der Gedächtniserletdhterung eine Be-
schwerung des Geistes mit unnützem Ballast. So kann z. B. die
quadratische Neun (3 Dreien) sehr wohl das Kind daran erinnern,
dass 3X3 = 9 ist. Man soll sich nur nicht einbilden , dass es
diese Beziehung gesehen habe. Was sieht esr 3 Dreien, nichts
vmter; vor allem kone 9 Einsen. Wer nun auswendig weiss, dass
3X5 = 9 ist, der kann natürlich sofort sagen, dass jenes BiM
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die 9 darstellL Beim Kinde aber, das diese Beziehung erst lernen
soll, miiss voriier eist jenes quadratische Bild mit der Zahl 9
assoziiert worden sein, dann wird es natüriich auch aus jenem Bilde
die Beziehung 3 X 3 == 9 herauslesen können und es wird sich
stets daran erinnern, wenn es jenes Quadrat sieht So dürften noch
einige andere Beispiele denkbar sein, in denen da«; G^cometrische
Bild eine bestimmte Beziehung festhält Aber eine ganze Rechen-
methodik lasst sich auf solche Zahlenbilder nicht gründen, weil man
nicht mit Erkenntnissen arbeitet, sondern mit mechanischen Asso-
ziationen. Vor allem aber müssen jene Experimente über die Frage,
in welcher Bildform die Zahlen am leichtesten zu erkennen sind, in
das Gebiet zweckloser Spielereien verwiesen werden.
Wir fassen das Renutat unserer Überlegung über die Anschau-
lichkeit oder Vorstellbarkcit der Zahlen folgendermassen zusammen:
Es £3nbi überhaupt keine Vorstellungen von Zahlen , es gibt nur
Zahlen begriflfc, d. h. Zusammengriffe gedachter additiver Beziehungen
zwischen gruppenweise auftretenden Dingen und Geschehnissen nach
dem Ge»chtspunkte des Wieviel SinnUch wahrgenommen werden
nur die räumlichen oder zeitlichen Unterlagen, die Dinge und Vor-
gänge, die vor aller Zahlbildung vorhanden sind. Die Bestimmung
des 2^hlmomentes ist eine stete Neuschöpfung, auch wenn es sich
um Zahlen handelt, die der Mensch schon tausendmal gedacht hat
Diese Neuschöpfung auf Grund des Wahrgenommenen erfolgt aber
für die Zahlen i bis 4 so schnell und sicher, dass tatsachlich der
Schein entsteht, als würden diese Zahlen selbst preschen. In
methodischer Beziehung wird man daher kaum fehlgehen können,
wenn man diese ersten Zahlen zu den Vorstellungen rechnet Alle
anderen Zahlmomente von s aufwärts dagegen können nur nach
und nach durch Zählen festgestellt werden. Die Enge unseres
Bewusstseins verhindert die momentane Überschaubarkeit des Vielen
und damit die sichere Bildung des Zahlbegrififs. Ks ist nur noch
eine ungefähre Schätzung des Vielen möglich, die um so unsicherer
wird, je grösser das Zahlmoment ist
b) Analyse oder Synthese?
Aus dem über das Wesen der Zahlen Gesagten geht femer
hervor, dass jede neue Zahl entsteht durch S3mthese oder Addition
niedriger bekannter Zahlen. Nicht einmal die 2 ist ohne eine
solche additive Zusammenfassung^ denkbar. Bei den Zahlen 2 bis 4
mag diese Addition dem volkstümlichen Denken nicht recht zum
Bewusstsein kommen, eben wegen ihrer scheinbaren momentanen
Wahmehmbarkeit Biei allen anderen aber ist sie offensichtlich und
sogar in die ZaliKvorte aufgenommen worden, wie die Zahl-
be7eichnungen der Naturvölker beweisen (siehe die Schrift: ,.T)r\^
Werden der Zahlen"). Nun ist aber nicht etwa notwendig, dass
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eine Zahl immer aus Einsen zusammeng^esetzt gedacht mrd. Diese
Einheiten können auch gruppenweise auftreten. Die 6 ist 6 Einsen,
sie ist aber auch 5 + 1, 4-|-2, 3-|-3, 3 Zweien usw. Alle diese
und noch unendlich viele andere Beziehungen sind in der Zahl 6
enthalten; denn sie hat doch nicht bloss Beziehungen zu den
niedrigeren Zahlen; sondern auch zu den höheren (6 =s lO — 4 =
12 : 2 usw.). Irgend eine dieser Relationen steht im Bewusstsein
der Menseben im Vordergründe und wird dalier als Haupt-
beziehung angesehen , die übrigen sind logische Ableitungen. Hei
den Zahlen des ersten Zehners pflegt der heutige Kulturmensch
zuerst an die Beaehung zur Einheit zu denken, die 9 ist ihm
9 ^nsen. Aber es ist nicht von vornherein ausgemacht, dass die-
jenige Relation, die heute als die Hauptbeziehung angeschen wird,
auch zeitlich die erste gewesen sein muss, damals als die Zahl
erzeugt wurde. Ausschlaggebend für die Gestallung der Rechen-
methodik muss die Feststellungen dieser ursprönglichen Relationen
im natürlichen Werden der ^hlen sein. Darüber später. Hier
handelt es sich zunächst um die Tatsache, dass alle Zahlen synthe-
tischer Natur sind.
Muss demnach die analytische Behandlung der Zahlen im
Unterrichte, wie sie von den Anschauem betrieben wird, nicht
naturwidrig sein? Aber die Monographen werden sagen: Auch wir
bilden ja die Zahlen ebenfalls zunächst synthetisch, indem wir jede
folgende aus dem geometrischen Bilde der \ orhergchenden erzeugen
durch Hinzufügung einer Einheit (Würfel, Kugel, Punkt). Erst das
so entstandene neue Bild bdiandeln wir analytisch, d. h. wir zer-
legen es in seine Teile wie eine Pflanze und erhalten so alle
übrigen abgeleiteten Beziehungen, die im Begriffe einer Zahl ver-
einigt sind.
Dagegen ist manches zu erwidern:
a) Die Relation, welche jede Zahl darstellt durch Hinzufügung
einer Eins zur vorhergehend«!, ist im natürlichen Werden der Z^en
nicht die ursprünglichste gewesen.
b) Die Relationen, die in einer Zahl liegen, sind ganz un-
erschupfhch, weil sie auch Beziehungen zu lioliercii Zahlen hat.
Der Zahlbegriir ist ein Ideal, das deiv Mensch in seinem begrenzten
Denken niemals auszuschöpfen vermag. Die Allseitigen bes<äranken
sich natürlich auf die Relationen zu den niedrigeren Zahlen und
tun weise darin, wenn sie auch ihrem Namen damit nicht gerecht
werden.
c) Aber auch in dieser Beschränkung können wir ihnen nicht
zustimmen. Denn nicht bloss die Zahl ist synthetischer Natur,
sondern das ganze Rechnen überhaupt. Das Kind soll doch wohl
im Rechen unterrichte rechnen lernen, zahlentheoretische
Untersucliungen wollen wir getrost den Mathematikern überlassen.
Für das Redhnen ist notwendig, dass das Kind weiss, wieviel 5 -f~
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4 "f" 2, 3 -f- 3 ist, nicht aber umgekehrt, dass die 6 zerlegt werden
kann in 5 -|- i, 4 4* 2, 3 + 3. IMese ^Ziehungen der 6 alle im
Geiste zusammcfi zu haben, ist iiir das Rechnen vollständig über-
flüssig. Aber umgekehrt muss e*^ ic 7v:ü[ Zahlen schlagfertig
addieren können. Die Anschauer Verstössen demnach gegen die
natürlichsten Gedankengänge des Rechnens, sie sind in Wahrheit
Zahlentheoretiker; erst durdi Umkehrung ihrer Besidiungen werden
diese rechenfertig; Nun weiss aber jeder Psychologe» dass, wenn
zwei Vorstellungen assoziativ verbunden sind, es ganz und gar nicht
einerlei i^^t , von welcher der beiden Vorstellungen aus die Repro-
duktion erfolgt. Wer ganz geläufig auswendig gelernt hat: „mensa
der Tisch" der wird doch noch hälfen bleiben, wenn man ihn
plötdich fragt: wie heisst „der Tisch"! Das Aufwärtszahlenkönoen
schliesst nicht das RückwErtszählenkönnen ohne weiteres ein. Dazu
bedarf es einer besonderen Übung. Wer also weiss, dass 6 =
54'l=4"t"2 ist, weiss noch lange nicht, wieviel 5 -f- 1 und
4+1 ist Die Analytiker müssen ihre Umkehrungen von neuem
üben, sie kommen an ihre Relationen aus einer falschen, für das
Rechnen ganz nebensächlichen Richtung lieran , sie machen einen
Umweg und verschwenden die Kraft des Kindes.
Wir ziehen einige Folgerungen.
a) Wenn die 2ah1enl3lder wirkliche GedächtnbhiUen werden
sollen für gewisse Beziehungen, dann müssen sie von unten, von
den Teilen aus aufgebaut werden. Soll z. B. dargestellt werden,
dass 3 Dreien eine 9 ergeben, so muss man sein Augenmerk in
erster Linie auf diese Dreien richten. Jede muss sofort auffallen
ab eine geschlossene Gruppe, eine muss gebaut sein wie die andere,
jede muss im Ganzen auf gleiche Weise stehen; denn auch in der
begriffsmässigen Beziehung (3 X 3 = 9) spielt jede Drei dieselbe
Rolle. Das sinnliche Bild wird demnach nur dann einen natürlichen
Parallelismus zum Begriffe haben, wenn die 3 Dreien ganz gleich-
massig in 3 Rdhen geordnet sind, so dass das bekannte Quadrat
entsteht Sollte dagegen die Beziehung 4 -{- 5 = 9 dargestellt
werden, so muss die 4 für sich eine Grruppe bilden und ebenso
die 5. Das Bild der 9 wird dann eine andere Figur ergeben wie
in jenem ersten Falle. Die synthetische Natur der Zahlen und des
Rechnens verlangt demnach, dass die Teile immer in derselben
diaiakteristischen Gestalt auftreten, das Bild des Ganzen dagegen
veränderlich wird, so dass dieselbe Zahl bald in dieser, bald in jener
Figur sich zeigt je nach der dargestellten Beziehung. Bei den
Analytikern ist das umgekehrt; bei ihnen soll das Ganze un-
veränderlich sein för alle seine Beri^ungen. Man hat sich schon
den Kopf zerbrochen und Künstelei am Künstelei gehäuft, um
Figuren zu ersinnen, welche auch den Teilen gerecht werden.
Vergebliche Mühe! Jeder Methodiker verwirft die Bilder des anderen
und baut neue auf, die aber ebensowenig befriedigen können. Das
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macht: die Forderung ist unerfüllbar. Und ihre Erfüllung vrare noch
nicht einmal wünschenswert. Denn nur dann, wenn jede dargestellte
Beziehung ein besonderes Bild liefert, das sich von den anderen
recht charakteristisch abhebt, nur dann kann die f^co metrische Figur
eine Gedächtnishilfe werden für die Beziehung. Auch daraus ist
ersichtlich, dass dieses mnemotechnische Hillsmittd recht spärlich
angewandt werden darf. Brauchbar vielleicht bt es noch für die
Darstellung der geraden Zahlen (paarweise Anordnung der Einheits-
korper), der ungeraden Zahlen (paarweise Anordnung mit vor-
springender Eins), der 4 als 2 X 2 (Quadratj, der 6 als 2 X 3
(Rechteck). Ob noch andere Fälle praktisch sind, mag dahin-
gestellt sein.
Alldn in Bezug auf die ersten vier Zahlen kann man die Be-
hauptung, ihre Bilder hätten nur den Wert von mnemotechnischen
HUfsmitteln, nicht aufrecht erhalten. Hier wird tatsächlich das Viele
erkannt. Da man dabei dem Ganzen jede beliebige Gestalt geben
kann, so liegt die Möglichkeit vor, für jede Beziehung eine charak-
teristische Form des öanzen zu finden, welche auch den Teilen ihr
Recht gibt Wir konnten uns demnach hinsichtlich dieser Zahlen
mit der Analyse der Anschauer einverstanden erklären, wenn nicht
die synthetische Natur des Rechnens dem widerspräche. Mit Rück-
sicht auf das Rechnen fordern wir auch für sie den synthetischen
Aufbau ihrer gegenseitigen Beziehungen und stellen dadurch Ein-
klang her zu unserem ganzen übrigen Verfahren.
b) Das Rechnen müsse auf klare Einsicht in die Zahlen be-
gründet werden, wenn es nicht zu einem mechanischen Formalismus
werden solle, sagen die Anschauer. Wenn damit die Klarheit des
VorsteUens gemeint ist, wenn es bedeuten soll, man müsse die Ein-
heiten einer Zahl, die Einheiten ihrer Posten gleichsam vor dem
geistigen Auge stehen sehen, so ist der Unverstand dieser Forderung
schon oben bei Gelegenheit unserer Kritik der Anschauung be>
sprochen worden. Wir haben gefunden, dass es überhaupt keine
Vorstellungen von Zahlen gibt, sondern nur Begriffe solcher. Wenn
jene Redensart aber die Deutlichkeit des Zahlbegriffs meint, wenn
sie also fordert, dass man sich aller Beziehungen des Zahlbegrif!s
bewusst sein müsse und sie gleichsam an den Hngem herzählen
könne, wie z. B. die Eigenschaften der Parallelogramme, so ist das
unmfM'lirh wegen der unendlichen Vielheit dieser Beziehungen und
ausserdem übertiussig für das Rechnen. Jene methodische Forde-
rung der Anschauer ist falsch, man mag sie wenden, wie man vnlL
Das einzige, was gefordert werden kann und gefordert werden muss,
ist, dass das Kind jene Zahlbeziehungen nicht bloss aufnimmt,
sondern sich selbst überzeugt hat, dass sie richtig sind und auf
Notwendigkeit beruhen, dass es also nicht bloss Worte lernt, nicht
bloss Kenntnisse sich aneignet, sondern Erkenntnisse sich schafft.
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Wenn es diese Einsicht gewonnen hat, dann ist weiter nichts zu
tun, wie feste Einpragung der Zahleat>eztehungen in das Gedächtnis.
c) Die Fünfergruppierung.
Nachdem wir die monog^phische Methode abgelehnt haben,
ist zu zeigen, dass wir etwas weniger Anfechtbares an ihre Stellen
zu setzen "Vossen. Es bliebe zunächst das Zählen, Wenn man aber
unter 21ählen etwas mehr versteht als ein sinnloses Aufsagen der
festen Wortreihe, wenn man dabei in die W<Mte auch ehien Inhalt
legen will» so ist Idar, dass das Zahlen den Begriff der Zahlen
schon voraussetzt. In neuster Zeit ist daher ganz folgerichtig auch
der Vorschlag gemacht worden, die Zahlwortreihe zuerst ver-
ständnislos auswendig lernen zu lassen und dann nachträglich diese
leeren Helsen mit Inhak zu ftOea. Für uns ist dieser Vorschlag
nicht diskutierbar.
Wir wollen jetzt zeigen, dass die Ableitung der dem Rechnen
zugrunde liegenden Zahlenbeziehungen des langwierigen Zählens
entraten kann, dass diese Beziehungen bei unserer neuen Methode
mit derselben Augen blicklichkeit ericannt werden können, wie das
(fie Anschauer bei ihrer Behandlungswdse wenigstens behaupten.
Wir setzen voraus, was von niemandem bezweifelt wird, dass,
solange das Zahlmoment einer Gruppe die 4 nicht übeisteigt, die
anschauliche Unterlage genügt zur sicheren momentanen Erzeugung
des WievieL Diese ersten sozusagen empirischen Zahlen buden
nun das Material für den Bau der folgenden.
Es ist der Fehler der Anschauer, dass sie glauben, die Zahlen
5 9 ganz in derselben Weise behandeln tu müssen wie die
Zahlen i bis 4, weil jene sowohl wie diese uns im heuligen Zehner-
system als eifdache Zahlen als Grundzahlen erscheinen, d. 1l als ein
Aggregat gleichwertiger Einheiten, in welchem jede Eins die
gleiche Stellung zum Ganzen hat und keine ein Vorrecht vor der
anderen geniesst. So aber wie das Zehnersystem sich heute dar-
stellt, ist es von Anfang an nicht gewesen. Als zweites Haupt-
ergebnis meiner Untersuchung über das Werden der
Zahlen muss ich den Nachweis ansehen, dass alle
Zahlensysteme in ihren Entwicklungsanfängen Fünfer-
gruppierungen gehabt haben. Auch unser Zehnersystem,
wie sich noch daran erkennen lässt, dass das Zahlwort für 10
in den indogermanischen Sprachen die Bedeutung von „zwei
Händen" d. h. von „zwei Fünfern" hat. Es gab demnach
anfänglich nur 4 Grundzahlen, nur eben die Zahlen, welche vor-
stellbar waren; die 5 war schon die erste höhere Einheit. Ur-
sprügUch erzeugt aus 44-1, entsprechend den 4 Fingern und dem
Daumen, musste sie aus einer Vidheit zu emer Einheit zusammen-
schmelzen aus einem inneren und einem äusseren Grunde. Aus
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einem inneren, weil die 5 Einheiten nicht mehr als Vieles klar
verstellbar waren; aus einem äusseren, weil die 5 Finger ein Zweck-
ganzes, nämlich die Hand, bildeten. Daiaus ist ersiditlich, dass die
Fünfergnippierang die natürlichste von allen ist. Sie allein steht
in vollkommenem P^inklang mit der Vorstcllbarkeit oder momentanen
Erkennbarkeit der Zahlen. Das will sagen : Beim Fünfersystem —
und nur bei diesem allein — werden keine Zahlen weiter als
Grrundzahlen, d. h. ak ein gleichmäsages Aggregat von ^heiten,
angesehen wie diejenigen, deren Vielheit noch überschaubar ist;
sobald aber diese Möglichkeit aufhört, wird das Viele durch es in
eine neue Einheit umgewandelt und dadurch wieder überschaubar
gemacht.
Daxaus geht nun weiter hervor, dass mit Hilfe der Fünfer-
gnippierung auch die Zahlen 6 bis 10 momentan überschaubar
werden, wenn man sie nämlich darstellt als 5 i» 5 "f" 2, 5 -j- 3»
5 -|- 4, 5 -|- 5 (2 Fünfer) d. h. als Hand und i Finger, Hand und
2 Finger usw. bis 2 Hände. Und das sind nun wirklich die ge-
schicMich ersten Bezidiungen, in denen <Üe Zahlen 6 bis 10 ins
Leben getreten sind. Sie sind nicht als Grundzahlen erstanden,
wie wir sie heute auffassen, sondern als zusammengesetzte aus
Fünfern und Einern. Wenn wir sie nun im Unterrichte auf gleiche
Weise erzeugen, wie sie im Geistesleben der Völker geworden sind,
so können wir die Zuversicht haben, in der Methodik des Rechnens
wieder auf natürlidhe Wege zu kommen ; wir werden die momentane
Bestimmbarkeit der Grundzahlen, welche die Anschauer trotz aller
Aufwendung von mancherlei Kunstgriffen vergeblich erstrebt haben,
nunmehr unserseits auf einfachste Weise wirklich hergestellt haben.
Diese Ffinfergruppierung der Zahlen S bis 10 ist das Fundament
der neuen Rechenmethode. Diese benutzt also nicht zusammen-
gesetzte Zahlbilder, d. h. solche, welche aus den einfachen Bildern
der I, 2, 3 und 4 zusammengestellt sind, sondern gemischte, d. h.
solche, welche aus einer höheren Einheit (der 5) und aus den ein-
fachen Bilder (1—4) bestehea
Daraus folgt: die Zahlen 6 bis 10 gehen in ihrer ersten
Konzeption nicht auseinander hervor, die 7 setzt die 6 nicht voraus,
die 8 nicht die 7 usw. Das Material für ihren Aufbau wird viel-
mehr in den ersten 4 Grundzahlen und dem Fünfer gefunden. Sind
diese im Unterricht erledigt, so liegt dem Kinde die eine jener
Zahlen so nahe wie die andere. Die Gruppe 6—10 kann daher
im Unterrichte auf einmal dargeboten werden. Die momentane
Überschaubarkeit von 5 — 10 Dingen setzt nun aber voraus, i. dass
sie schon gruppiert sind, und 2. dass wir wissen, dass die höhere
Gruppe wirklich 5 Dinge enthält. Ist das nicht der Fall, so kann
uns kein Mensch und kein Gott über das Zahlen der Dinge weghelfen.
Und hier nun ersehen wir die ausserordentliche Wichtigkeit der
Hand für die Zahlbildung. Dass die Hand 5 Finger hat weiss
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jedermann und auch das Kind in der Schule prägt sich das sehr
scbnett ein. Ist das geschehen, so ist mit der Hand immer auch
die Zahl 5 gesttzt und umgekehrt mit der 5 auch die Hand. Aber
wir bilden uns nicht etwa ein, dass dns Kind das Viel des Fünfers
aus den Fingern heraussehe; wir wissen, dass hier nur eine ge-
dächtnismässige Assoziation vorliegt, aber eine natürliche, wie sie
aUe Menschen, alle VSlker haben, nicht eine künstliche (Ur das
ingeniöse Gedächtnis nach Art der Zahlenbilder der Anschauer.
Ebenso fest wird nun eingeprägt das Bild der 6 als S 4* <
(Hand und I Finder), der 7 als 5 -f- 2 {Hand und 2 Finger) usw. bis
10 als 5 "T 5 (2 Hände], so dass die Kinder beim Selit-n der Bilder
sofort an die entsprechenden Zahlen denken und umgekehrt beim
Denken der Zahlen sofort die Bilder sehen. Die Umbildung dieser
zusammengesetzten Zahlen zu einfachen Grundzahlen, wie solche
das Zehnersystem fordert, ist erst der 2. Akt im Werden dieser
Zahlen. Er vollzieht sich unter dem Drucke der Einfachheit des
Zahlwortes. £in zweiteiliges Wort (z, B. drei-zehn) zieht immer
auch die Vorstellung eines zweiteiligen Zahlbegrifies nach «ch
(10 und 3), unter den einfachen Zahlwörtern df und zwölf würden
wir dagegen einfache Zahlen uns vorstellen, wenn nicht ihre zwei-
teiligen Schreibbilder (ll; 12), die mit den Worten assoziiert sind,
iaimer wieder ihre Zweiteiiigkeit uns ins Bewusstscin riefe* So
wer(ten auch die Zahlen 6 bis 9 unter dem Drucke der einfachen
Zahlwörter aus zusammengesetzten zu einfachen.
Die Ableitung der Additionsrelationen des Einszueinses erledigen
sich nun in einfachster Weise. Soll z. B. 6 und 2 addiert werden,
so hebt das Kind 6 P'inger (Hand und i Finger), dann die folgenden
2 Finf^er. jetzt sieht es mit einem Blicke, dass die Hand und
3 Finger gehoben sind und mit diesem Bilde ist die 8 assozüert.
Somit hat es die Beziehung 6-f-2 = 8 erkannt. Alles geschieht
momentan ohne Zählen, ganz wie bei den Anschauern. Wir be-
trachten nunmehr die Grundzüge unsrer neuen Unterrichtsweise
etwas näher.
UI.
fimizlfe dar mhmi üsslHiBrtims.
a) Der Zahlenaufbau.
Die 21ahlen treten gruppenweise in den Ge^cfatakreis des
Schülers.
1. (jruppc! Die empirischen Zalüen l — 4.
Sic entstehen aul Grund der Anschauung von räumlichen und
zeitlichen Gruppen bei beliebiger Anordnung der Gegenstände oder
4»
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Geschehnisse. Die Gestalt des Zahlenblides ist somit ohne Einfluss
auf die Erkennunjr des WievieL
Das Erkennen wird zu einer momentanen Fertigkeit. Diese
Fähigkeit bildet sich schon in der vorschulpflichti^cn Lebenszeit
des Kindes aus. Mit ihr kann und muss der beginnende Unterricht
rechnen.
Die ersten vier Zahlen entstellen zunächst unabhängig von-
einander, jede für sich allein. Die Zahl 2 setzt die t nicht voraus,
die 3 nicht die 2, keine wird aus der anderen erzeugt. Eine schon
gebildete Zahl kann aber doch ihrerseits einen psychologischen
Druck ausüben zur Erzeugung der anderen. Nehmen wir
an — was wohl zweifellos ist — , dass die 2 (das Paar) die
erste Zahl ist, welche in der Seele des Menschen entsteht
Tritt nunmehr eine Gruppe vor AujT^en, derpn Moment nicht zwei
ist, so muss das auffallen wegen des Gegensatzes zum bekannten
2Uihlenbild der 2 und die Frage zeitigen, wieviel Dinge das sein
mögen. Nur ein einzii^es (nur eines) oder 5 oder 4, so wird die
Antwort lauten. In dieser Hinsicht ist besonders bemerkenswert,
dass die Eins aus der Triebkraft des Gegensatzes zum Vielen ent-
steht, also nicht die erste Zahl ist in der Seele des Kindes.
Die Einordnung der ersten 4 Zahlen zur Reihe ist erst der
zweite Akt in ihrem Werden. Nachdem der beginnende Untenidit
sich von der Fertigkeit der Kinder im momentanen Erkennen der
Zahlen 2, i, 3, 4 überzeugt und sie durch zahlreiche Bestimmungen
befestigt hat, setzt er mit der Herstellung der Bezieliungen unter
ihnen ein und betritt damit sofort das Gebiet des Rechnens. Die
erste Beziehung, die im Unterrichte hergestellt wird» ist die Hinzu-
fögung der i, wodurch die ersten Zahlen zur Reihe geordnet werden.
Im gcschiclitiichen Werden haben dabei die Finger ganz
hervorragend mitgewirkt Indem bei Bestimmungen von Zahl-
momenten von Gruppen gewohnheitsgemass för jeden Gegenstand
ein Finger gesetzt wurde, entstanden nacheinander die Fingerbilder
der 1, 2, 3, 4 und damit die Reihe.
Ganz im Sinne der Völkerpsychologie werden auch wir im
Unterrichte die Finger als bedeutendstes Hilfsmittel benutzen. „Das
Fingern" der Kinder beun Rechnen ist ein naturlicher Trieb. Es
wäre das Verkehrteste, was wir tun könnten, wollten wir ihn mit
Gewalt unterdrücken. Wenn wir diesen Trieb in den Dienst des
Unterrichts stellen, werden wir nicht bloss einem seelischen Be-
dürfnis des Kindes gerecht, sondern zugleich auch der Sache selbst,
dem Zahlenaufbau. Es ist ja eine bekannte Tatsache, dass das
Zehnersystem seine Entstehung den 10 Fingern verdankt.
Beim Gebrauche der Finger ist eine feste Reihenfolge ein-
zuhalten, die mit dem kleinen Finger der linken Hand beginnt und
mit dem kleinen Finger der rechten schlicsst. Um körperliche Über-
anstrengung zu vermeiden, werden die Hände nicht in die Höhe
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— 53 -
gcfaobeoi sondern auf die Tischkante gelegt, die gebrauchten Finger
über, der Rest unter die Tischplatte Vorschlag von Knilling).
Als gemeinschaftliches Daistdlui^mittel lur die ganze Klasse
dient eine russische Rechenmaschine mit 2 Stäben. Auf jeden
Stab lO Kugeln, die ersten 5 anders gefärbt wie dir zweiten 5,
so dass die Kugeln ebenso gruppiert sind wie die Finger an den
Händen. Die Kugeln (3 cm Durchmesser) werden in Abständen
gleich dem Durchmesser gestellt. Indem man die Kugeln beider
Drähte benutzt zur Aufstellung der Zahlenbilder 2 bis 4, kann man
diese in allen möglichen Gestalten zeigen mit der Absicht, aus den
Zahlbegntten die Gestalt der Bilder zu eliminicfen, wenn das nicht
schon durch eigene Er&hmng des Kindes vor seinem Antritt in dxt
Schule geschehen sein sollte.
2. Gruppe: Die 5. Sie entsteiil aus 4 -j" ^» entsprechend dem
Gegensatz der 4 Finger zum Daumen. Sit wird durch das einfache
Zahlwort und das Zweckganze der Hand zu einer einfachen Zahl
und zu einer neuen höheren Kinheit erhnbefi Dass die Hand
5 Finger hat, wird nunmehr gedachtüiMTuissig festgehalten so dass
die Hand stets die 5 und umgekehrt die 5 stets die iiand
reproduziert An dem Kugelapparat werden, sobüd die 5 von nun
ab als Ganzes auftritt, die 5 gleichfarbigen Kugeln ohne Abstände
aufgestellt Treten die Kugeln niso ohne Zwischenräume auf, so
weiss das Kinci, dass die > i^;csct:'t slIh soll, ohne dass es sich durch
Nachzählen davon zu überzeugen braucht. Auf diese Weise wird
beim Kugelapparat ebenso wie durch die Hand die momentane
Oberschaubarkeit dieser Zahl gesichert, und anderseits ist auch
jederzeit durch Auseinanderrücken der Kugeln möglich, die Kinheit
der 5 wieder aufzulösen in ihre Vielheit, ganz wie bei den Fmgern.
Die Einreihung der 5 in die Zahlenreihe geschieht infolge ihrer
Entstehung aus 4 -|~ ^ ganz von selbst. Das Kind kann nunmehr
bis 5 zahlen.
3. Gruppe: Die Zahlen 6 bis 10. Sic werden zuerst konzipiert
als 5 -j- 1 (Hand und 1 Finger), 5 -|- 2 (Hand und 2 Finger) usw.
bis 5 4- 5 (2 Hände). Durch diese Fünfergruppierung werden auch
sie momentan überschaubar gemacht, so dass nunmehr alle Grund-
zahlen momentan erkennbar sind. Die Umwandlung in einfache
Grundzahlen geschieht unter dem Drucke des einfachen Zahlwortes
und der nicht gruppierten oder anders gruppierten Dinge der
Aussenwelt (s. o.).
Die Einreihui^ in die Zahlenreihe geschieht durch for^csetzte
Hinzufügung der l. Nunmehr können die Kinder bi^ lO zählen.
Zur Bestimmung der Zaliimomcnte von Dingen, die nicht nach
Fünfern gruppiert sind, bleibt als einziges Mittel das Zählen übrig.
Ein anderes gibt es nicht
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— 54 —
4- Gruppe: Die Reihe dcT reinen Zehner. „Diese ist ganz un-
abhängijj^ von den Zwischenzahlcn, denn der 2. Zehner wird nicht
etwa hergestellt durch Ablauf der Reihe ii, I2 usw., sondern genau
so wie der erste durch Zählen von i — la Ebenso die folgenden
Zehner. Die Reihe der Zehner setzt nichts weiter voraus als
Gnippcnbildung und Zählen der Gruppen. Dieser Vorgang ist viel
einfacher als derjenige bei der Bildung der Zwischenzahlen. Denn
diese verlangt zudem noch die Bestimmung des Überschusses und
die Zusammenfassung des letzteren mit der Anzahl der Zehner zu
einer einzigen Zahl, ein ziemlich schwieriger Akt, weil die zwei-
gliedrige Benennung ein Hindernis bildet für die einheitliche Ver-
bindung. Die Analyse der seelischen Vorgänge lässt keinen Zweifel,
dass im Zehnersystem die Reihe der Zehner vor und ganz un-
abhängig von den Zwischenzahien entstanden ist." (Aus ,J)as
Werden der ZaMen". Ebenda, S. 82 und 83, wolle den
historischen Beweis nachlesen.)
Beim AuflDau der Zehner handelt es sich zuerst darum, das
Viele der Zehn in eine neue grössere Einheit umzuwandeln, in die
Grundeinheit des ganzen Zahlensystems. Es geschieht dadurch, dass
sie äusseili^ durch einen einngen Körper versinnbildKcht wird.
Dieser braucht aber nicht etwa 10 mal so gross zu sein wie der
Kinerkörper. weil nun einmal ein solches Crrössenverhältnis der
momentanen Anschauung nicht zugänglich ist. Das Kind würde in
Wirklichkeit nichts weiter sehen, als dass der eine Körper grösser
ist wie der andere. Das genaue Verhältnis könnte nur durch
Messung und Rechnung gefunden und müMte schliesslich doch für
die Zukunft gediichtnismässig festgehalten werden. Der Rechen-
apparat selbst aber würde dabei einen ganz unhandlichen Umfang
annehmen. Bei solcher Bewandtnis glauben wir unseren Zweck
ebensogut zu erreichen und mit einfocheren Mitteln, wenn wir den
besonderen Wert des Zahlenkörpers nur andeuten durch die be*
sondere Stelle, an welche er gestellt wird, ^anz so, wie es im ge-
schichtlichen Werden der Zahlen immer und überall der Fall
gewesen ist. Beim Kugelapparat können wir ein Übriges tun und
die Zehnerkugetn ein wenig grösser machen als die unerkugcin,
um die Kinder durch den sichtbaren Grrossenunterschied stets daran
zu erinnern, dass die einen etwas grösseres bedeuten als die anderen.
Dass die grösseren Kugeln aber gerade 10 mal so grosse Zahlen
vorstellen sollen wie die kleineren, das ist eine Feststellung, die
dem Kinde gesagt und von ihm gedächtnismassig festgehalten wird.
Neben den Kugelapparat der Einer wird also ein zweiter gestellt und
zwar links daneben, so dass Zehner und Einer dieselbe Stellung
zueinander haben wie später die Ziffern der Positionszahlschrift
(Vorbereitung derselben). Dieser 2. Apparat braucht indes nur
einen Draht mit 5 roten und 5 weissen Kugeln zu haben oder
besser zwei Drähte mit je s Kugeln.
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- SS -
So oft nun bei Bestimmung eines grossen Zahlmomentes von
Dingen der eine Schüler bis lo gezahlt hat, hebt ein zweiter einen
Finger oder schiebt eine grössere Kugel vor. So entsteht die Reihe
der Zehner (der Zig) als Anzahlen von £inheiten höherer Ordnui^.
5. Gruppe: Die zweigliedrigcni aus Zehnem und Einem zu-
sammengesetzten Zahlen.
Hier arbeiten beide Kugeiapparate zusammen. Die DaisLeÜung
der Zahlen durch die Finger wird jetzt fallen gelassen.
Es werden grössere Zahhnomente bestimmt, etwa die 13, 14
oder 15. Erst werden /ufr^t ro »^fczählt (grössere Kiiijcl'. dann die
übrigen (kleinere Kugeln) uik! diese wie ein Überschuss zum Zehner
hinzugefügt. Tür die Vcrcmheitlichung der beiden l'eile zu einem
Ganzen sind die Zahlen 11 bis 19 vorbildlich, weil diese Zahlen
des 2. Zehners sprachlich eine viel schärfere Einheit bilden als die
der übrigen Stufen, indem die Teihvortc zu einem ein:'i<:cn Worte
zusarimiengezugcn sind, was innerhalb den übrie^en Zcliiicr nicht
der Fall ist. Wir sagen z. B. dreizehn, aber drei und zwanzig. Dort ♦
kann man noch von einem einheitlichen Empfinden sprechen, hier
nur von einem verstandesmässigen Zusammenhalten.
Ist der zweite Zehner gebildet, so rrr^eben sich die übrigen
ganz von selbst nach Analogie von icnrin. Scharfe Kinübung,
gesetzte Zaiilcn . aiu»zusprechen und umgekehrt genannte Zahlen zu
setzea Zahlen bis locx
6. Gruppe: Der Aufbau der Zahlen über 100 hinaus hat sein
Vorbild im ersten Hundert. Ist die Hundert als neue höhere Einheit
begriffen, so ist das Gesetz des Zahlenbaues vollständig festgelegt.
Alles andere erfolgt aus der Triebkraft des Zehnersystems. Von
jetzt ab halten wir eine Versinnbildlichung der Zahlen nicht mehr
für notwendig. Die Rechenapparate werden überflüssig, weil etwas
wirklich Neues weder im Zahlenbau noch im Rechnen mehr vor-
kommt Alles weitere i^^t nur Erweiterung bekannter Tatsachen.
Sollte irgendwo ein Stocken, eine Schwierigkeit entstehen, so ist
auf den entsprechenden Fall im ersten Hundert zurückzugreifen
und das Neue nach Analogie zu bewältigen. Im schlimmsten FaOe
kann eine Zeichnung als Illustration dienen.
Zum Schlüsse dieses Abschnittes möchten wir noch bemerken,
dass wir dem ersten Schuljahre den Zahlenraum i — 10 zuweisen.
Sollte dieser nicht genug Stoff bietet», so ist nicht etwa bis 12
oder bis 20 zu gehen, wie das jetzt üblich ist, sondern es sind
die reinen Zehner zu behandeln, wdl alles Rechnen mit diesen nur
ein£ache Anwendung des ßnerrechnens ist
Schhus fiolgt.
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- 56 -
IV.
Die Bedeiitung und Verwandung des Zeidinens im
geograpliitclieii Unterrieiit.
Von Realgymnasialoberlehrer Dr. Hant Teltge.
Der <^eofn-aphische Unterricht gründet sich gleicti dem natur-
kundlichen auf Anschauung. Die wirksamste Art der Anschauung
ist die unmittelbare, die auf sinnlicher Wahrnehmung der Natur
beruht. Aber nur ein verschwindend kleiner Teil unserer Erde, oft
nur der, den die nächste Umgebung^ des Schulortes bietet, v/ird auf
diese Weise von dem Schüler crfasst, während die weitaus meisten
Gegenstände, von denen im geographischen Unterricht die Rede
ist, sich seiner unmittelbaren Beobachtung entziehen. Alle diese
Anschauungsobjekte können der Vorstellung nur durch künstliche
Mittel nähergebracht werden. Daher sind Modelle, Reliefs, Karten,
I^ndschafts- und Völkcrbilder unentbehrlich. Neben diesen jederzeit
fertig vorliegenden Hilfsmitteln dient zur Förderung klarer An-
schauungen audi das Zeichnen, das schon Rousseau in diesem
Sinne verwendet wissen wollte und das Karl Ritter in den geo-
graphischen Unterricht einführte.
Das ZeishaM als Ersats Mitador AaMfesasapnlttsl.
Das Zeichnen kommt in Betracht zunächst überall da, wo
anderweitige Anschauungsmittel fehlen oder wo sie die geographi-
schen Objekte und Frscheinungsformen nicht in voller Klarheit
hervortreten lassen, i^auhger, als es auf den ersten Blick scheinen
möchte, wird dieser FaU eintreten. So lohnt es in der matiie-
matischen Geographie bei der ersten Besprechung des Globus die
wichtipf-^ten T.inicn wie Äquator, Wende- und Polarkreise, Längen-
und Breit rrv^^ridc besonders zu skizzieren oder die Drehung des
Mondes uia die Erde, der Erde um sich selbst und um die Sonne,
die Lage der wichtigsten Sternbilder u. a. durch Skizzen zu ver-
anschaulichen. Hierbei wird der Lehrer uin so häufiger zur Kreide
greifen müssen, je mehr es ihm an anderweitigen I filf«;mitteln fehlt
Aber auch wenn Demonstrationsapparate in hinreichen dein Masse
zur Verfügung stehen, lassen sich derartige Zeichnungen keineswegs
ganz entbehren. Denn nicht immer zeigen die Apparate die zu
Ulustrierenden Vorgänge genügend deutlich und einfach; und ausser-
dem liegt bei Heren Verwrndunc^ die Gefahr nur zu nahe, dass die
Schüler ihr Interesse durch Nebendinge von dem, auf dessen scharfe
Betrachtung es ankommt, abziehen lassen. Auch in der allgemeinen
physilcalischen Geographie sind in mancher Beziehung, etwa sur
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— 57 —
Exlautenii^ der einzelnen Arten der Gebirgsformation, der mannig-
&cben Ii^bildungnen, der verBcfaiedenen Flussmündungcfi, der
DGnenbildung, der Entstehung von Ebbe und Flut, Wandtafel-
«ki77en recht förderlich. Weiterhin leisten bei der Einpräfjiing der
Statistik, die man mit Recht das „Schmerzenskind des geographi-
schen Unterrichts" genannt hat, Zeichnungen sogenannter Grrössen-
bilder, die geographische Grössenvcrhältnisse durch Linien und
Figuren, meist Rechtecke und Kreise, veranschaulichen, namentlich
für den Schüler der Unterklassen recht gute Dienste. Schon Ritter
hat sie empfohlen.*) Durch sie lassen sich u. a., mehr als es durch
Angabe von Zahlen geschehen kann, das Grössenverhältnis der
Planeten untereinander und zur Sonne, die Verteilung' von Wasser
und Land auf der Erde, die Grössenverhältnisse der Erdteile und
Einzelländer nach Flächeninhalt und Einwohnerzahl, die Verbreitung
der Religionen, Menschenrassen und Sprachen auf der Erde, der
Wert der Ein- und Ausfuhr verschiedener Länder u. dgl. in ge-
lungener Weise dem Schüler nahebrii^en« In allen diesen FMen
ist ein Mitzeichnen der Schüler nicht erforderlich, da die schnell
hinc^rworfenen Skizzen des Lehrers ihren Zweck erfüllt haben, wenn
sie seinem Worte zum Verständnis verholfen haben.
Endlich muss hier noch auf das Profilzeichnen hingewiesen
werden. Es ist in hohem Grade dazu geeignet, namentlich bei
jüngeren Schülern plastische Vorstellungen von der Bodengestaltung
eines Landes zu erzeugen, die die Plankarten, d. h. die grewöhnlichen
Landkarten nur unvollkommen hervorzubringen vermögen. Sowohl
Durchschnitte ganzer Länder und Erdteile wie auch einzelner Ge-
birgszüge und Bodenerhebungen kommen hierbei in Betracht Im
Interesse der Deutlichkeit wird steh bei ihnen eine massige Über*
höhung nicht vermeiden lassen, doch muss diese in den richtigen
Grenzen bleiben. Profile, wie sie sich noch mehrfach in Srhul-
atlanten finden, auf denen sanfte Höhen der Mittelgebirge zu spitzen
Zacken, die Alpengipfel zu orgelpfeifenälmlichen Figuren verzerrt
werden, können leicht den Schiuem ein falsches Bild von der
Steilheit der Böschungswinkel geben. Bei diesen Profilzeichnungen
werden die Schüler, sobald sie die notwendige Handfertigkeit be-
sitzen, mitzeichnen können; so lange dies noch nicht der Fall ist,
wird der Lehrer sie wenigstens für seine l'afelskizzen die nötigen
Feststellungen machen lassen.*) Ein konsequent durchgeführtes
Profilzeichnen dürfte übrigens die von vielen empfohlenen, aber
äusserst zeitraubenden Modellierübungen entbehrlich machen,
1) tfDtr riditige Gebnnich nncl die besoanene, vei^eietieiide Ajiwettdiitig geo-
metrischer Figoren fßr physikalische Räume wäre in einer geoKrapliisclien Verbältnis-
khrc gua dazu geeignet, auf eine sehr einfache und verständliche Weise zu bestimmten
Vontelliingen zu filhreo^"
*) Musterbeispiele fllr die Einführung in das PiofiltcieluMii gibt Maliat in leiiier
„Methodik des gcogr. Unterr." S. I93if. uad 220 f.
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- 58 -
Das ZtMmm zor ElBflKrini !■ dtt M«i— witttodiito.
In allen bisher genannten Fällen dient das Zeichnen dazu,
fehlende Anschauungstnittel zu ersetzen. Nun ist ja aber fiir den
Hauptinhalt der Erdkunde bildliches Anschauungsmaterial bereits
vorhanden, namentlich in den Karten. Indes dem, der ihre Sprache
nicht versteht, bieten sie ebensowenig, wie etwa dem Laien der
AnbUck der Partitur eines Musikstückes. Denn „Landkarten sind
Steine der Weisen und Sinnbilder, die in geheimer Sprache zu uns
reden, und vor allem sollte daher der Unterricht für ein volles
Verständnis dieser Bildersprache sorgen" (Pcschel, Abhandlungen I,
S. 436). Das erste Verständnis der Kartensymbole wird man nun
natürlich nicht so dem Schüler beibringen, dass man einfach in medias
res geht, eine Karte aufhängt und die Bezeichnungen der Karten -
Sprache nach dem gedruckten Kartenbilde selbst erklärt, wo sie dem
Auge alle auf einmal in verwickelten Gestalten und mannigfaltigen
Kombinationen entgegentreten. Man muss sie dem Schüler getrennt
von dem übrigen Stoff des Kartenbikles nacheinander und in ver-
einfachter Form nahebringen. Das meiste Verständnis wird man
finden, wenn man sie allmählich vor seinen Augen entstehen lasst,
wie es durch das Zeichnen geschieht.
Dass man dabei von der nächsten Umgebung des Schülers
ausgeht, bt naturgemass. 2^ichen können eben am besten ver-
standen werden, wenn sich die Erklärung derselben mit der gleidi-
zeitigen Anschauung des Bezeichneten verbindet, so dass Gegenstand
und Bezeichnung miteinander verglichen werden können. So wird
der erste Unterricht im Kartenverständnis Hand in Hand gehen mit
der Aneignung der geographischen Grundbegriffe aus der Heimat-
kunde. Der Lehrer wird dabei ausgehen vom Klassenzimmer, das
er mit allem, was es an Bänken, Tischen und Schränken enthält,
nach Länge und Breite durch die Schüler vermessen lässt und dann
im Grundrissbild an der Tafel entwirft.') Dann wird er in ver-
kleinertem Massstabe, weil — wie die Schüler einsehen werden —
der Raum der Tafel sonst nicht ausreicht, eine Ghrundrisszeichnung
des Schulgebäudes folgen lassen und daran in wiederum verkleinertem
Massstabe eine Darstellung des Stadtteils, der das Schulgebäude
umgibt, anschhessen. Alsdann kann er einen Stadtplan, natürlich
möglichst grossen Massstabes, aufhängen und mit den Schülern
*) Vj^l. zu f!ic<;rr Pinfühninp in das Knrtf-nvrr=tSndnis ; Kirchhoff, (leographic
{Baumeisters llaudbuch .XIIi S. 17 — 21 ; Lehmann, Vorlesungen übtr HilfsnaiUcl und
Methode des geographisclien l iu. rrichts S. 271 — 287; Trunk, Die Anschaulichkeit des
geogr. Uoterr. S. 135 — 153; Ebcling, Einnihrnng in das KartcnTcrständnis (1892);
Jungelc, Verhandlungen der preuss. Direktorenkonferenzen Bd, 43, S. 132 — 137; die
graphischen Darstellungen auf den ersten Seiten der Elementaratlantcn , besonders aber
die an die Umgcbuog von Wetlborg a&geknttpftcn Lchrprobea in Matzat, Methodik des
geographischen Untexridits S. 160 ff.
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— 59 —
besprechen. Durch diese Vorübungen werden die Schüler erstlich
daran gewöhnt, körperliche Gegenstände in ihrem GnindrissbUd
wiederzuerkennen, d. h, sie gewinnen Verständnis für die Horizontal-
projektion, auf der alle unsere Knrtendarstellungen beruhen. Ausser-
dem lernen sie an diesen einfachen Verhältnissen die Massstab-
verjuiigung und deren Wirkungen verstehen. Sie bekommen schon
jetzt einen Begriff davon, dass man die ganze £rde auf einem oder
mehreren Blättern Papier darzustellen imstande ist. Und sie ge-
langen, wenn sie beispielsweise auf dem Stadtplan die Einzelheiten
ihres Schulzimmers vermissen, zu der Einsicht, dass es nicht möglich
bt, auf Karten mit kleinen Massstaben jede Einzelheit zur Darstellung
zu bringen, dass unsere Karten vielmehr notgedrungen generalisieren
müssen. Diese Einsicht ist aber notwendig, weil sonst die Schüler
gr>n7 falsche Vorstclluni^en von einzelnen Geg^cnden erhalten, welche
nach der allgemein gehaltenen Darstellung ausserordentlich monoton
aussehen und doch sehr reich an Formen sind, die aber bei der
Kleinheit des Massstabes nicht mehr zum Ausdruck kommen können.
Nun kann der Lehrer weiter zur Aufnahme der Umgebung der
Stadt schreiten. Er wird seine Schüler auf passend gewählten
Klassenausflügen die geograpliischen Grundanschauungen gewinnen
lassen und sie nachträglich, vielleicht unter Heranziehung von ReUefs,
durch Skizzen an der Wandtafel mit den S}rRibolen, die unsere
Kartendarstellung für sit gefunden hat, vertraut machen. Schwierig-
keiten bereitet dabei nur die Zcichnunj^ der Bodenerhebungen. Der
Lehrer muss hier darauf aufmerksam machen, dass der Karto^^raph
bei ilinen ebenso wie bei den Häusern das Grundrissbild zu Grunde
dass er aber hier auch aussondem die Ausdehnung der Hänge
wieder^bt und deren Steilheit bezeichnet. Er wird alsdann einige
den Schiüprn bekannte Ber^e oder Hüg^el zunächst als einfache
Grundrissbiider, dann in kartographischer Darstellung in Schraffen-
und daneben in Schummerungs- und in Höhenschichtenmanier auf
der Tafel entwerfen. Dann kann er zur weiteren Übung eine Reihe
von Bci^ormen aus der Phantasie an der Tafel zeichnen und die
Schüler aus der Anlage der SchraflTen usw. über die Böschuni^s-
verhältnisse Auskunft geben lassen. Mit Hilfe aller solcher im
Anschluss an die Heimatkunde entworfenen tinzelskizzen wird es
dem Schüler wenig schwer fallen, sich in das eigentOmliche Wesen
kartographischer Darstellung und in die Anfangsgründe ihrer Zeidien-
sprache einzuleben.
Ein Wort noch zu der Frage, ob die Schüler solche Wandtafel-
skizzen des Lehrers in ihren Heften mitzeichnen sollen. Die
eifrigsten Vorkampfer des Zeichnens wie Kirchhoff, Lehmann und
Matzat sprechen sich dafür aus, die meisten praktischen Schulmänner
erklären sich dagegen. Gewi^^^ würde die Darstellung kleiner
tinzelobjekte eine gute Vorübung für die später geforderte Aus-
führung kleinerer und grösserer Kartenskizzen sein, aber die dafür
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aufzuwendende 2«eit dürfte in keinem Verhältnis stehen zu dem
Gewinn. Der Schüler, der noch keinerlei Übung im Lineal- und
Freihandzeichnen besitzt, würde schwerlich dazu imstande sein, die
äusserst schwierigen gekrümmten Linien auch nur einigermassen
richtig nach der Wandtafel zu kopieren. Man möge deshalb bei
der ersten EinfOhning in das Kartenverständnis dem Schüler das
Mitzetchnen wegen der entgegenstehenden technischen Schwierig-
keiten ersparen.
Da im Anfmfjsunterricht nur die allereinfnrh^ten und not-
wendigsten Llcmente der kartographischen Darstellung geboten
werden können, so wird auf höheren Stuica deren Kenntnis noch
crhebüdi zu erweitem und zu vertiefen sein. Hier &nd wenigstens
die Schüler höherer Lehranstalten in das Wichtigste der mathe-
matischen Kartcnprojektionslehrc einzuführen, wobei man der
Zeicliiumgen an der Tafel nicht wird entbehren können. Sie sind
etwa anzufertigen nach Art der bezüglichen Darstellungen in
Seydlitz* Leitfaden für Untersekunda. Vor allem aber muss noch
ein tieferes Verständnis der Terrainformen geweckt, z. B. der Unter-
schied zwischen senkrechter und schiefer Beleuchtung und besonders
auch das Wesen der Isohypsen durch fertige Wandtafclvorlagen
und durch schnell entworfene Idealskizzen veranschaulicht werden.
Es ist iur den Gebildeten, beispielsweise auf Wanderungen, kein
Schade, wenn er sich auf den Messtischblättern der (^k neralstabs-
karte leidlich zurccht/utindcn vermag, mit denen jeder Unteroffizier
vertraut sein muss. Freilich ist auch hier Beschränkung geboten:
Weniger wichtige Einzelheiten der Terrainlehre und selbständige
Anfertigung von Messtischblattem und Geländezeichtiungen muss
man nnUitimschen und anderen Fachsdiulen übeilassen.
Das IsMiiea »r VirMlioiNMg und Einpragasi dar KarMlldsr (Karli»-
zeiolinfMi).
I. Allgemeiner Zweck des Kartenzeichnens.
Wenn sich der Schüler im Anfangsunterricht auf die oben an-
gegebene Art und Weise mit den geographischen Grundbegriffen
und den Elementen der kartographischen Darstellung vertraut
gemacht hat, so tritt eine neue umfangreiche .Aufgabe an ihn heran.
Fortan wird für ihn die wichtigste, weil grundlegende Seite des
erdkundlichen Unterrichts sein, die topographischen Verhaltnisse
der Erdoberfläche kennen zu lernen. Diesem Zwecke dienen in
erster Linie Wandkarte und Atlas, die die preussischen allgemeinen
Lehrplänc für höhere Schulen als „.Ausgangspunkt und Mittelpunkt
des geographischen Unterrichts" bezeichnen.
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— 6i —
Nun geben ja freilich unsere gedruckten Karten recht treue
und vollkommene Bilder. Aber man versetze sich an die Stelle des
Schülers und betrachte mit dessen Augen ein bisher unbekanntes
Land: Ein buntes Durcheinander von Grebirgen, Hoch- und Tief-
ebenen, von Flüssen und Städten, dass ihm unentwirrbar erscheint,
tut sich vor ihm auf. Hier muss der Lehrer helfend eingreifen und
Erlcichtenmg und Vereinfachung schaffen. Das aber gelingt ihm
am besten durch das Zeichnen. Denn beim Zeichnen ist er in der
Lage alles mögliche Detail gedruckter Karten, dass dem Schüler
die Lriassung der Hauptformen nur erschwert, ausser acht zu lassen.
Ausserdem aber entsteht beim Zeichnen das Bild des Landes nach
und nachf was den grossen Vorteil bietet» dass alle einzelnen Züge
weit genauer und aufmerksamer betrachtet werden, als wenn das
Ganze dem Auge gleich fertig entgegentritt. Eine solche Aus-
schaltung alles störenden Beiwerks und ein so klares und deutliches
Herausheben der Einzelobjekte kann man durch blosse Erklärungen
an der Wandtafel, wie sie die Vertreter der sogenannten be*
schreibenden Methode allein gelten lassen wollen, nicht erreichen.
Damit, dass das Zeichnen die Auffassung der Kartenbilder er-
leichtert, ist seine Bedeutung noch nicht erschöpft. Ks ist auch in
hohem Grade dazu geeignet, fest und dauernd die behandelten
Gegenstande dem Gedächtnis einzuprägen. Zunädist werden die
Schüler, wenn sie bei der Neudurchnahme angehalten werden, die
Wandtafelskizzen des Lehrers sorgfaltig in ihrem Heft nachzuzeichnen,
zu weit schärferer und eindringlicherer Beobachtung der Gcstalt-
und Lagenverhältnisse gezwungen, als wenn sie nur dessen er-
läuternden Bemerkungen an der Hand ihrer Karte zu folgen
brauchen. Und auch bei der Repetition lässt sich auf keine andere
Weise einr lebhaftere ReprodiiVrtion der Karte erzielen als durch
das Kartenzeichnen frei aus dem ijredächtnis. Denn weder bei der
schriftlichen noch bei der mündlichen Darstellung ist die Nötigung,
die Vorstellungen mög^chst klar zu reproduzieren, auch nur an-
nähernd so stark wie bei der zeichnenden.
Ausserdem bietet die Verwendung der zeichnenden Methode
tur die Linprägung der Kartenbilder den Vorteil, dass die einzelnen
bedeutsamen Elemente der Karte wiederholt und aui ganz ver-
schiedenen Wiegen dem Schüler zur Wahrnehmung und AuiEassung
dargeboten werden. Was der Schüler mit seinem Auge aus der
Wandkarte und Skizze des Lehrers scharf uini bestimmt gesehen,
was er aus dessen P>läuterungen und Beschreibungen mit seinem
Ohre vernonuacii hat, das muss er auch noch mittels seiner Hand
selbsttätig darstellen. Diese Abwechslung der Tätigkeiten, diese
Vielseitigkeit in der Erzeugung und Ausarbeitung der Vorstellungen
gerade ist es, die ein Verblassen und Verschwinden derselben ver-
hütet und ihnen leichteste und vollkommenste Wiederkehr ins Be-
wusstsein sichert
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— 62 —
Nach den vorstehenden Ausführungen verfolgt das Karten-
zeichnen ein zweifaches Ziel: die Auffassung der Kartenbilder ?,u
erleichtern und deren Einprägung intensiver zu gestalten. Es ist
demnach in erster Linie Mittel zum Zweck, wirkt jedoch daneben
auch anderweitig fördernd auf den Schüler ein. Gleich dem übrigen
Zddienunterricht entwickelt es seine Beobachtungsgabe und sein
Darstellungsvermögen, schärft das Auge und übt die JhUnd. Daneben
verdient auch ein erziehliches Moment Beachtung. Im geograpl i^ iien
Unterricht verhält sich der Schüler zumeist rezeptiv, beim Zeichnen
hat er Gelegenheit selbst etwas hervorzubringen. £r wird dabei
die Freude des produktiven Schaffens und des K{$nnens in sich ver-
spüren, was sein Interesse für den Gegenstand nur heben kann.
Nach allrrlrm wird man das Kartenzeichnen als ein vor-
treffliches und höchst wirksames Hilfsmittel für den Unterricht an-
sehen. Doch muss man sich vor der andern Einseitigkeit hüten,
dass man allein durch das Zeichnen das Ziel erreichen wüL „Denn
wie es ein gedankenloses Abschreiben gibt, l^ei dem der betreffende
von den Inhalt des Abgeschriebenen schliesslich nur eine geringe
und unsichere Kenntnis hat, so gibt es auch ein mehr mechanisches
Nachmalen einer Vorzeichnung, bei dem das Gezeichnete nur ober-
6ächlich erfas^ wird und wenig sich einprägt, weil eben die Gc>
danken nur wenig bei der Sache sind und demnach das Gezeichnete
nicht genug in das Bcwusstscin aufgenommen wird." (Lehmaim
S. 297.) Um das zu verhindern, wird man. sei es vor, sei es nach
einem grössern Teilabschnitt, auf der Wandkarte oder Skizze diesen
im ganzen mit den Schülern überschauen und ihn durch allerlei
Fragen zu vollem Bewusstsein bringen. Erst solche Vereinigung
des zeichnenden mit dem beschreibenden Verfahren wird vollen
Erfolg sichern.
Zwei Einwände besonders sind es, die die Gegner des Karten-
zeichnens immer wieder geltend gemacht haben: Die Schüler seien
nicht imstande, brauchbare Zeichnungen zu liefern, liefen also Gefahr,
sich falsche Anschauungen an Stelle der richtigen des Kaitenbildes
einzuprägen, und das Kartenzeichnen koste zu viel Zeit.
Was den ersten Punkt betrifft, so sind gewiss die Schüler*
Skizzen — namentlich in den Unterldassen — keine Kunstwerke,
die einen Vergleich mit den gedruckten Kartenbildern aushalten
könnten. Aber sie wollen ja auch gar nicht Wand- und .-Xtlaskartc
verdrangen oder ersetzen; sie wollen nur diese ihre vollkommeneren
Vorbilder, aus denen der Schüler nach wie vor hauptsächlich seine
Anschauungen entnehmen soll, demselben näherbringen, das
Charakteristische auf ihnen hervorheben und dessen Einprägung er-
leichtern. Inline Gefahr, dass solche Skizzen den Geschmack ver-
dürben, wie die Zeichengegner behaupten, liegt ebensow^cnig vor
wie bei den ErstUngsversuchen und Leistungen der Schüler im
Zeichenunterricht uberiiaupt
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- 6z ^
Um auf den zweiten Einwurf einzugdien, so lässt sich nicht
leugnen, dass bei Hinzunahme des Zeichnens die Neudurchnahme
einer Karte mehr Zeit in Anspruch nimmt, als wenn man dieselbe
nur beschreiben lässt Da aber, wie wir sahen, die Verwendung
des zdchnenden Verfiihrens eine schärfere und dauerndere Erfassung
der Objekte verbürgt, so wird man sich bei Repetitionen kurzer
fassen und hier den Zeitverlust wenigstens teilweise wieder ein-
bringen können. Übrigens bemerkt Kirchhoff (a. a. O. S. 36) hierzu
nicht mit Unrecht, dass, wenn die Ausübung des Kartenzeichnens
die Topik tüchtig einpräge, für eine solche Hauptsache immer Zeit
vorhanden sein müsse.
2. Spezielle Handhabung des Kartenzeichnens.
») Was »oll man zeicbncB?')
Bei den grossen Vorteilen, die das Kartenzeichnen für die Ver-
deutlichung und Elinprägung der Kartenbilder bietet, halten es einige
Vorkämpfer des zeichnenden Verfahrens wie Kirchhoff und Lehmann
fiir erforderlich, dass alles, was im topographischen Teil der Erd-
kunde zur Durchnahme gelangt, auch gezeichnet wird. So wenig
stichhaltig aber die eben angeführten Einwände der Gegner des
2eichnenden Verfahrens dafür sind, es überhaupt aus dem Unterricht
zu verbannen, so richtig weisen sie doch auf gewisse Schranken
hin, die dem geographischen Zeichnen gezogen sind. Einmal
gebieten der unuangreiche StofT und die beschrankte Zeit gewisse
Rücksichten, und andrerseits müssen die Skizzen der Fassungskraft
und technischen Fertigkeit der Schüler angepasst sein. So warnen
denn auch die preussischen allgemeinen Lehrpläne vor Überspannung
der Anforderungen und legen es dem Lehrer nahe, „sich mit Um-
rissen, Profilen und ähnlichen übersichtlichen Darstellungen" zu
begnügen.
Zunächst fordert die knapp bemessene Zeit Beschränkung in
der Ven\*endung des Zeichnens. Werden wichtigere Aufgaben durch
das Kartenzeichnen beeinträchtigt, so kann es mehr schaden als es
nützt „So wird der Lehrer oft genötigt sein, ein an sich aus-
gezeichnetes Lehrverfahren unbenutzt zu lassen, selbst wenn es
einen bestimmten Zweck besser als jedes andere erreicht, sobald
dazu mehr Zeit erforderlich ist, als für diesen Zweck übrig bleibt."
(Jungeis a. a. O. S. 142.) Das ist um so eher möglich, als das
Zei(£nen, wenn auch ein vortreffliches, so doch kein unerlassliches
Mittel zur Aneignung der Kartenbilder ist Auch das erklärende
Wort des Lehrers kann, obp^leich im alli^emeinen wenif^er gut, das
Verständnis und die Erfassung des KartenbÜdes vermitteln.
1} Vgl. zu dieser Aiuwahl der za scicfanciiden Objekte bes. Jtmgeli a. «. O. S. I4$f .
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Da wird man das Zeichnen zunächst in allen den Fällen dn«
schränken können, wo so einfache Gegenstände vorliegen, dass sie
gar keiner Vereinfachung mehr fähig sind und sich ohne weiteres
verstehen und einprägen lassen. Nur dort, wo sicli gewisse
Sdiwierigkeiten bieten, wo das Zeichnen die Auffassung erleichtern
und fordern kann, ist es anzuwenden. Sodann ist massgebend fUr'
die Auswahl die Wichtigkeit des Gegenstandes. So wird man sich
bei der Wahl der Länder mit Skizzen derjenigen begnügen, deren
Einprägung „praktischen Nutzen" für den Schüler iiat.*} Man unter-
stÜtiEe demnach durch Zeichnungen die Geographie des eigenen
Vaterlandes und derjenigen Länder, mit deren Kultur es in Wechsel-
beziehungen steht oder einst i^^e^^tanden hat; präge also mit Hilfe
von Sl<iz7en besonders die Kulturländer alter und neuer Zeit ein.
Die Püiarländer, Britisch-Nordamerika, Sibirien u. ä. zeichnen zu
lassen wäre eitel Zeitvergeudung.
Endlich verdient auch die politische Einteilung der Erdraume.
deren genaue Einprägung von geringerer Wichti^Eeit ist ab <fie
ihrer physischen Gestalt, weniger Berücksichtigung. Sie kann zum
grössten Teil ohne Zuhilfenahme des Zeichnens auf der Grundlage
der physischen Gliederung eingeprägt werden.*)
Neben der knapp bemessenen Zeit erheischen sodann das
geistige Niveau und die Handgesdiicldichkett der Schüler Rücksicht-
nähme bei der Auswahl der zu zeichnenden Gegenstände. Man
darf daher in den ersten Jahren vom Schüler, soweit man ihn über-
haupt zeichnen lässt, noch nicht Darstellungen von formenreichen
und kompUzierten Gesamtübersichten, etwa von Erdteilen oder von
ganz Deutschtand, verlangen,^ so instruktiv solche auch sein mögen.
Dem Ldirer der Naturkunde, der gleichfalls zeichnen lassen soll,
wird es hier nie in den Sinn kommen, Umrisse eines ganzen Spechtes,
eines ganzen Elefanten, einer ganzen Biene zeichnen zu lassen; er
wird sich mit der Nachbildung charakteristischer Teile, etwa der
Zunge, eines Zahnes, des Stechapparates begnügen. Und so mag
es auch der Lehrer der Geographie, beispielsweise in der Quinta
höherer Schulen , mit der Skizzierung von Flusssystemen . -schwerer
durchsichtigen Gebirgszügen und einzelnen Landgebieten genug scui
lassen, für die die Geographie von Deutschland hinreichendes und
recht lohnendes Material bietet Alsdann wird man weiterhin all'
') Forik-rn doch auch die prt-ussischi-n :vll^<'nu'iru'n Lfhrjilänc, d;iss, „onbeschadcl
der Bedeutuztg der Erdkunde als Natumissenscbaft, vor allem der praktische NaUea
des Facha fhr die SehSler*' ins Auge zu tuten ist.
In dcmsclhcn Sinne äus<;ern sieh aitch Hetittlld ft. «. O. S. t$ ü. 33, IdehlBSlin
ä. 409 — 410 und Jungcls S. 146.
Solche hllt t, B. Lehmann a. a. O. S. 4SO— 4S3 ^ wllnsehensvert. Ganz
ttb^ rtriebonc Forderungen stellt C. Fr. Meyrr (I-phrprobrn und I.ehrgängr 30 S. 47 ff.)
schon an den Sextaner, so z. B. freihändiges d. h. ohne Zuhilfenahme des Lineals vor-
anehmcndes CItwInclweidtnca und Ealw«iiea von gaoxen Erdteilen.
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- 65 -
mählich vom Leichteren zum Schwereren fortschreiten. In der
Quarta lasst man dniache Skizzen der Einzelländer Europas, event
in TeUdarstellungen zeichnen, in der Untertertia von den kompU>
zicrtcren fremden Erdteilen (Asien und Nordamerika) TeUdar-
stellungen \vichtif;jerer Gebiete, von den weiiii^er gegliederten
(Austrahen, Afrika, Südamerika) Gesamtübersichten anfertigen. In
der Obertertia wird für eine sorgfältig ausgeführte Gesamtskizze
von Deutschland, in der Untersekunda für eine solche von Europa
die notwendipje Handfertip^keit vorhanden sein: hierauf wird man
sich allerdings \ve<^en der ^erin^en Stundenzahl beschränken müssen.
Die schon so oft behandelte Streitfrage, ob beim Karteazeichnen
Gesamtübeisichten oder TeUdarsteUungen zu bevorzugen seien, löst
man daher in der Praxis am besten so, dass man mit den leichter
auszuführenden Teildarstcllunfjen beginnt und allmählich mehr und
mehr zu den schwierigeren Gesamtübersichten übergeht. Dabei
aarl aiaxi natürlich eine andere Rucksicht nicht ausser Acht lassen ;
Gesamtubersicbten sind da angebracht, wo es weniger auf die
genaue Einprägung des Details als auf die grossen und hauptsäch-
lichen Züfjc des Ganzen ankommt. So wird man also bei den
fremden Erdteilen (iesanitübersichten bevorzugen und nur, wo sich
solche wegen Mangels an Zeit und wegen zu grosser technischer
Schwierigkeiten verbieten, zu Teüdarstellungen ab einem Notbebelf
f reifen, ßei Europa und Deutschland, mit deren Rinzclheiten die
chüler ebenso \ertr:\iit sein müssen, wie mit dem Gesamtbild,
werden sowohl Gesamtskizzen wie Spe/i;ildarstel!ungen .uii^eloracht
sein, von denen jene, wie oben ausgefüiirt, am besten auf der Unter-
Stufe, diese im späteren Verlauf des Unterrichts ihren Platz be-
kommen*
b) Wie weit »otlea sich Lehrer und Schttler am Zeichnen bctctligen?
Als Zweck des Kartenzeichnens haben wir oben die Ver-
deutiichung und Einpräguni^ der Kartenbilder hingestellt. Aus
diesem Zweck erpbt '-irh ohne weiteres, dass ein häusliches
Kopieren der Atlask.ir'Li n durch den Schüler — |^anz abjijcsehen
von dem Zeitaul wand, den es erfordert, — vöUig wertlos ist, weil
es, meist gedankenlos und mechanisch ausgeführt, die Karte weder
verdeutlicht noch einprägt. Denn der Scliiiler ist, namentlich auf
der Unterstufe, noch nicht dazu imstandf , Iis vor seinen Au^cn
befindliche Rild selbständiff zu analysieren, gleichsam das Gerii)j)e
fest zu erfassen, an das sich die Einzelheiten erst anlehnen. Es
bedarf dazu vielmehr von Seiten des Lehrers der Anleitung und
vorbildlichen Ausführung einer Skizze, die aus all dem Detail des
Kartenbildes das zu Besprechende in seinen Hauptformen und
seinem wesentlichen Verlauf zur Darstellung bringt.
Geteilt sind die Meinungen darüber, wann der Lehrer, ob vor,
FMtK^Wte atuMm. ZXIX. 1. 5
Digitizuü by <jüOgIe
I
66 —
nach oder fletchzeiti|r mit der Besprechung der Wand- und Atlas*
karte seine Skizzen ausführen soll. Das Zeichnen nach der Durch-
nahme der Karte*) halte ich nicht für angebracht. Ii ja ein
namcntlirh auf der Unterstufe bedeutsamer Zweck der Skizzen der
ist, das KarLcnbild zu verdeutlichen. Es wäre doch wenig zweck>
mässig, erst ein Land an der Hand der Karte zu besprechen und
sie dann mit Hilfe des Zeichneas dem Schüler näherzubringen und
ihm das Verständnis derselben zu erschlicssen, F!icr zu rechtfertigen
ist der von Kirchhoft' (S. 36 — 37) und Lehmann (S. 454 — 455) vor-
geschlagene Weg. Sie wollen — letzterer freilich erst nach einem
f^mmarischen Gesamtüberblick" der Wandkarte — unter Beiseite-
lassung aller gedruckten Karten gleich mit Zeichnen beginnen und
erst dann -/nr Wandkarte und zum Atlas r^rcifcTi, so vom Einfachen
zum Komjjli/.icrten fortschreiten. „Die Schüler werden dann," sa^t
Lehmann, „auf dieser zunächst mittels der Zeichnung gewonnenen
festen Grrundlage nachher auch die detailliertere und mit allerlei
anderem StofT umkleidete Darstellung» welche die gedruckten Karten
von denselben Gegenständen geben, um so besser zu überschauen
und um so leichter mit vollem Verständnis zu erfassen imstande
sein, weil sie dann in der letzteren sogleich die grossen Züge wieder-
erkennen, die ihnen bereits durch die gezeichnete Skizze bekannt
und geläufig sind, und die nun den sicheren Grundstock bilden, an
den sich auch alles andere damit um so leichter anfü^^t." Hierbei
lie^ nun aber die Gefahr nahe , dass die Schüler ihre ersten und
darum besonders haftenden Anschauungen vornehmlich aus der im
Verhältnis zur Karte doch recht unvollkommenen Skizze entnehmen
und sich vielleicht gar etwas Falsches einprägen. Ausserdem fehlt
ihnen bei den ersten Strichen der Zeichnung die Beziehung und
das Verhältnis zum Ganzen. Nach alledem halte ich für am
praktischsten einen dritten Weg, dass die Zeichnung die Durch-
nahme der Karten begleitet, derart dass der Schüler beide ständig
vergleichen kann. So wird er am besten die Karte zu lesen, zu
verstehen und zu benutzen lernen, und zui^leich wird er für die
Mängel der Zeichnung in dem Kartenbild jederzeit ein sofortiges
Korrektiv haben.
Das Votzeichnen des Lehrers bietet hauptsachlich nur den
einen Vorteil, dass es dem Schüler das Verständnis des Karten-
bildes erleichtert. Soll das Kartenzeichnen ausserdem dauernde
und feste Erinnerungsbilder einprät^en, dann muss auch der Schüler
mitzeichnen. Wäre es demnach am meisten förderlich, wenn der
Schüler alles das, was der Lehrer an der Tafel vorzeidinet, wahrend
der Stunde in sein Heft einträgt» so stellen stdi doch dem Schüler
') Dafiir treten ein Wagner, Die zcichucndc Methode beim geographischen Unter*
ncht S. 115, Matzat a. a. O. S. 108 — 109, Heiland a. a. O. S. 50 — 51 und Trank
a. ft. O. S. 159.
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- 67 -
zdduien Schranken in den W^. So müssen wir uns beispielsweise
an den höheren Schulen ebenso wie die preussischen Lehrpläne
wegen der Unbeholfenheit der Schüler gegen ihr Zeichnen auf der
Sexta wie in der Heimatkunde su in der Erdkunde überhaupt aus-
spredien. Für Quinta fordern die Lehrplane .Entwerfen von ein-
fachen Umrissen an der Tafel"; sie wünschen also hier offenbar
das Zeichnen in Heften noch nicht, das sie erst von Quarta auf-
wärts verlangen. Ich halte aber dafiir, dass auch der Quintaner,
besonders im zweiten Semester, imstande ist, einfaciie Darstellungen
auszuführen. Daher sollte man schon ihn aOer Vorteile, die das
Kartenzeichnen mit sich bringt, teilhaftig werden lassen.
In der folgenden Stunde wird man die Schüler das in der vor«
hergellenden Durchgenommene noch einmal an der Wandtafel dar-
stellen lassen. Dadurch werden sie grnfitigt sein , sich auch zu
Hause über die Skizze Klarheit zu vcrsciiaffen und sich dieselbe
unter vergleichender Heranziehung der Atlaskarte einzuprägen.
Hausliche Zeichnungen in sorgfaltiger .Ausfuhrung regelmässig auf*
zugeben, halte ich auf der Unterstufe nicht für angebracht. Solche
Massregel könnte dort, wo das Zeichnen dem Schüler noch 7.u viel
Schwierigkeiten bietet, leicht zur Überbürdung führen. Man wird
hier also das Ziel des Kartenzeichnens im wesentlichen durch
energischen Unterricht in der Schuld i r i< hen müssen. Bei fort-
geschritteneren Schülern mögen häusliche 2Leichenaufgaben besonders
wichtiger Gegenstände am Platze sein.')
Das von den eifrigsten V^ertrctern des Kartenzeichnens emp-
fohlene Kartenextemporale ist aus demselben Grunde, Uber-
spannung der Schüler zu verhüten, zu verwerfen. Dass es zu einer
solchen konunen muss, namentlich wenn, wie KirchhofT und Leh*
mann fordern, über jedes besprochene Land ein Extemporale an-
geferti'/t wird . beweist folgender Passus Kirchhofts in Schmids
Enzyklopädie II, S. 904: „Wird die Zeichnung öfter wiederholt —
und es genügen füerzu, nachdem der erste An&ng im geographi*
sehen Zeichnen überwunden ist (!), bei nicht aUzuschweren Karten (1)
crfahrungsgemäss fünf bis sechsmal (!) — so kann sie sich dem
Gedächtnis so fest einprägen, dass er sie schliesslich auch als eine
Art von Extemporale frei aus dem Kopf zu entwerfen vermag.
Und das ist als das wünschenswerte Ziel zu betmchten." Woher
der Schüler för diese Zeichnungen zu Hause — denn dort soll er
^) I länslicbcft KartcDzcichncn wird voo Grau, MassvoUe Anwendung des Zeichnens
im geographiseben Uoteniclit, «ster aUen Umstinden verworfen. Malut (S. 119) nnd
Heiland (S. 58 f.) fassen es als Regel, dass der Schüler jedesmal das, was er in der
Schule nachgczcichnci hat, zu Hause in ein Keinheft überträgt. KirchhofT (S. 37)
endlich, der das Mitieichnen der Scbttler in der Klasse fllr unratsam erklärt, will „das
zeichnerische Kinflben des Kartcnbildes nach dem Zeichcnallas allein di tn häuslirhm
Fleis« überlassen eine Fordenmg, die namentlich auf der Unterstufe ganz undurch-
fUtfbar ist.
5*
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— 68 —
sie ja nach Kirchhoff noch dazu in selbst angefertigten Gradnetzen
ausführen — die nötige Zeit finden soll, ist mir unbegreiflich. Mit
Recht bemerkt selbst ein so unbedingter Anhänger der zeichnenden
Methode wie Matzat (S. 119), dass durch solche Extemporalien das
Zeichnen nicht mehr Mittet, sondern Zweck des geographischen Unter-
richts werde. Wo das zeichnende Verfahren konsequent durchgeführt
wird, da sind Kartcncxtemporalien überflüssig und überall sonst zu
schwer. Als Mittel der Kontrolle und des Antriebs genügt die
bereits besprochene Wiederholung der durchgenommenen Zeichnung
an der Wandtafel Die aber stellt insofern nicht so hohe Anforde-
rungen an den Schüler, als hier jeden Augenblick der Lehrer oder
ein anderer Schüler helfend eingreifen kann.
c) Nacb welcher Methode «oU man zeichnen?
Es handelt sich zum Schluss noch um die Frage, welche von
den zahlreichen Methoden, die für das Kartenzeichnen in Vorschlag
gebracht sind, am praktischsten für den Unterricht zu benutzen ist.
Meine Aufgabe kann es nicht sein, alle diese Methoden, die nach
Dutzenden zahlen, einer eingehenden Besprechung zu unterziehen,
nur die allerverbrdtetsten wUl ich hier behandeln. Bemerken will
ich, dass ich zu dieser Zusammenstellung mehrfach Lehmanns
treffliche „Vorlesungen über Hilfsmittel und Methode des geogra-
phischen Unterrichts" herangezogen habe.
Die Kartographen unterscheiden bei den Kartenbildem Situation
und Terrain. Unter der Situation verstehen sie die Horizontal-
projektion der auf der Karte zu verzeichnenden Gegenstände, also
«hs Grundrissbild. Dieselbe umfasst die Darstellung der Küsten-
und Grenzlinien, der Gewässer, Ortschaften usw., kurz das ircsamte
Kartenbild mit Ausschluss des Bodenreliefs. Die Darstellung der
Bodenerhebungen, der Hohen- und Böschungsverhältnisse dagegen
wird unter dem Namen der Terrainzeichnung zusammengefasst.
Was zunächst die Situationszeichnung betrifft, so herrschen
die grösstcn Meinungsverschiedenheiten darüber, wie die Grundlagen
liir dieselben zu gewinnen sind. Soll man das gesamte Gradnetz
oder nur einen TeU desselben oder anderweitige I&fekonstniktionen
zu Grunde legen?
Kirchhoff und nach ihm Dcbcs und I.ehmann wollen als
Stütze der Kartenskizzen das gesamte Gradnetz verwenden und
zwar nicht, wie die Kartographen, ein Gradnetz in Kurven, dessen
Ausföhrung sehr mühsam ist, sondern ein geradliniges. Durch das
Maschenwerk wird das ganze Kartenbild in eine Anzahl von Teilen
zerlegt, von denen jeder einzelne sich sehr genau einzeichnen lässt
Die Vorteile der Methode sind vor allem, dass die Schüler bei
*) Vgl. denen Zadkenatluten.
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- 69 -
einiger Aufmerksamkeit grobe, das Bild entstellende Fehler auch
bei den kompliziertesten Darstellungen vermeiden und dass sie eine
Ansdiannn y über die genaue Lage des Landes auf der Hrdkugd
und über die aus dem Gradnetz berechenbare Grösse desselben
erhalten. Aber das Verfahren hat doch auch seine Mängel, die
namentlich auf der Unterstufe recht hervortreten. Erstlich erfordert
es sehr viel Zeit und MQhc^ wenn der Schüler, namentlich der un>
geübtere, sich für jede Zeichnung sein Gradnetz sdbst anfertigen
soll. Sodann liegt besonders im Anfang die Gefahr vor, dass der
Schüler ängstlich und mechanisch von Gradtrapez zu Gradtrapez
zeichnet und dass ihm so die Totalität des Bildes verloren geht
Weiterhin bringt der Schüler der Unterstufe den Begriffen geo-
graphischer Länge und Breite noch nicht das volle Wrständnis
entgegen. Endlich wäre es ein geradezu unj^eheuerliches Verlangen
an den Schüler, wollte man ihn, was Kirchhoff (Baumeisters Hdb.
S. 37} und Meyer (S. 71) — schon vom Sextaner — fordern, dazu
anhalten, sich gewisse nxpunkte zu merken, ohne die ach ja mit
dem Gradnetz nichts anfangen lässt.^)
Alles in allem mag man, wenn man auf die letzte Forderung
verzichtet und die Stützpunkte selbst angibt, auf der Mittel- und
Oberstufe das Kirchhotifsche Gradnetzverfahren, dessen Vorteile erst
bei vorgerückterem Verständnis und beim Zeichnen schwieriger
Gesamtübersichten hervortreten, verwenden. Auch in Quarta schon
kann man einige kompü/lf rtcre Gebilde Europas nach demselben
zeichnen lassen ; sonst aber ist es im alli^cmeinen auf der Unteistufe
zu schwierig' und wcnitj zweckentsprechend.
Den Mängeln des Kirchhoflschen Systems abzuhelfen, ohne wie
ae glauben dessen Vorzüge abzusdiwächen , versuchen mehrere
Methodiker dadurch, dass sie dem Schüler einen grösseren oder
geringeren Teil des Inhalts der Karte vorgedruckt in die Hand
geben. Derartige Hilfsmittel geben ausser dem stets fertif^ vor-
liegenden Gradnetz den ümriss entweder ganz in Punktierung,
so dass die Schüler dieselben einfach nur auszuziehen brauchen,
oder nur streckenweise, so dass sie das Fehlende freihändig ergänzen
müssen. Manche von ihnen bieten dann ausserdem noch das Fluss-
net? oder das Terrain. Für die oberste Stufe sind bisweilen die
blossen (iradnetze hinzugefügt
Was den Wert dieses Einzeichnens in gegebene Grundlagen
betrift, so ist dieser, je nach der Art der giMlruckten Vorlagen, ein
sehr verschiedener. Wo am wenigsten Nötigung zu aufmerksamer
'"^ Solcher vom Schüler /u im rk« tulcr Stützpunkt«" vcrl:inj,'t Kirrhhoff für einen so
einüch gegliederten Landkoroplcx wie Afrik.-v 7 : Kap hlanco, "/go Nadelkap,
Kap Gumrdoiai, Kap Verde, Strasse von Gibraltar, */,o Guineabiisen.
Das Einprägen sQ idiwer £u behaltender ZaUcnkombiiiatiaiDCn bdaitet dai Gedlchtnla
ausserordentlich.
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— 70 —
Beobachtung vorliegt, also beim blossen Nachziehen angedeuteter
Linien, wird sich der geringste Nutzen ei^eben. So ist namentlich
ein Gebrauch der — übrigens die Mehrzahl bildenden — Vorlagen ^
unratsam, die die gesamten Küsteiniinrisse in Punktierung bieten.
Gerade jene mit Hilfe des Karteuzeichnens fest und sicher ein-
zuprägen, ist ja von besonderer Wichtigkeit. Denn sie bilden
die notwendige Grundlage, den Rahmen, in den sich alles andere
erst einzuordnen hat Je mehr dagegen die gegebene Grundlage
dem freien Finzcichnen Spielraum lässt, desto mehr Wert wird die
betreffende Skizze haben. Alles in allem ist der vollständig freie
Kartenentwurf allem tinzeichnen in gegebene Grundlagen vor-
zuziehen, da er am be^en auf alle zu trachtenden Teile der Karte
die volle Aufmerksamkeit zu lenken und alles dabei jeweils störende
Beiwerk fernzuhalten vcrmac^f. Gcj^cn die Verwendung bloss vor-
gedruckter (iradnetze wird sich nichts einwenden lassen.
Selbst bei Zuhilfenahme gedruckter Gradnetze würde das
Kirchhoflsche Verfahren mtsprediend dem oben Angegebenen auf
der Unterstufe im allgemeinen nicht zweckentsprechend sein.
Welche Methode ist nun aber geeignet, hier dasselbe zu ersetzen?
Ich niuss zuucächst noch ein paar Methoden kurz besprechen,
deren Verwendung ich für weniger angebracht halte. Zunächst
suchen einige Methodiker anstatt des vollständigen Gradnetzes, »
dessen Anlage sie für zu zeitraubend halten, mit einigen aus>
gewählten Gradnctzlinien auszukommen. Ich halte es gleich dem
Kirchhofifschen X'erfahren auf der Unterstufe für ungeeignet, weil
hier der Schüler für ein tieferes Verständnis des Gradnetzes noch
nicht reif ist Noch weniger zweckmassig ist ein Verfahren, das an
Stelle des trapezförmigen Grradnetzes ein atiseinander gleichen
quadratischen Maschen zusanimcngesctztcs Ouadratnctz zu Grunde
legen will. Bei der Vergleichung der Skizzen mit den gedruckten
Karten kann dies Verfahren die Schüler nur zu leicht zu Miss-
Verständnissen, zu Verwechslungen von Quadratnetz und Gradnetz
führen.
Dagegen kann man öfters mit besomlerem Nuucn die sogenannte
konstruktive Methode verwenden, die aus einer geoinetrisrhcn Hilfs-
figur heraus die Grundgestait des zu zeichnenden Objekts entwickelt
welcher Lehrer möchte sich z. B. entgehen lassen, die Pyreiuien-
halbinsel als ein Trapez au&ufassen, Belgien und Sachsen als recht»
winklige Dreiecke zu bezeichnen, in Böhmen ein Barallelogramm zu
sehen, dessen Diagonalen sich in Prag schneiden? Natürlich darf
man nicht überall, was extreme Vertreter wie Canstein, Oppermann
und Dronke woUen, dieses Ver&bren zur Anwendung bringen.
Nichts wäre verkehrter, als komplizierte Gebilde, wie etwa Osterreich«
Ungarn, auf Grund desselben zeichnen zu lassen. Sie würden ganz
ungeheuerliche Hilfskonstruktionen erfordern. Nur wenn die natürliche
Ähnlichkeit den Vergleich der geographischen Gestaltungen mit
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— 71 -
dtifachen, geradlinigen Figuren nahelegt, ist diese Methode einfach
und zwecknnassig.
Nicht selten lassen sich auch mit Hilfe von „Nonnallinien" auf
einfache Wei'^p brauchbare Ski/zen anfertigen. Stössner, der dies
V'crfahren aiisj^cl jillet hat, legt als Normalmass die Entfernung
zweier wichtiger Funkte, die gemerkt zu werden verdient, — also
z. B. die Länpe eines Gebirges oder eines bedeutsamen Fluss- oder
Küstenabschmtts — zu Grunde. Um die Hauptstützpunkte seiner
Zeichnung zu gewinnen, zieht er eine Gerade und trägt auf dieser
die Normale mehrfach ab. Durch einige der so gewonnenen Punkte
zieht er dann, senkrecht zur tiaupthilfslinie, weitere Gerade, auf
denen er gleichfalls die Nonnale abträgt, so dass er eine ganze
Reihe von Stützpunkten gewinnt. Ähnlich sind die von Harms
empfohlenen Skizzen, nur dass hier die Normalstrecken nicht allein
rechtwinklig, sondern auch spitz- und stumpfwinklig zusammen-
gesetzt werden. Einfachere Skizzen von Flussläufen, Gebirgszügen
und wenig gegliederten Ländern lassen sich mit Hilfe dieser
Methoden meist recht bequem darstellen* Kompliziertere Gebiete
verlangen freilich einen gewaltigen Apparat von Hilfslinien und
werden, wenn noch Winkelabschätzungen erforderlich sind, oft recht
verzerrt. Zudem lassen sich nicht immer passende Normalen
auffinden.
Mehrfach wird auch das Matzatsche Verfahren,*) der den er-
forderlichen Anhalt fiir die 2Mchnung mit Hilfe von Distanzkreisen
gewinnt, empfohlen. Es werden je nach Bedürfnis 50 oder
100 Kilometer in den Zirkel genommen. Mit denselben schlägt
man um einen vorhergenannten, bedeutsamen Punkt einen Kreis,
zuerst auf der Karte, dann an der Wandtafel und auf den Skizzen-
blättem. Aldann werden alle wichtigen Punkte auf und in der
Nähe der Kreislinie und dazu die Richtung derselben vom 2^tral-
punkte aus bestimmt. Darauf werden mit grosserer Zirkelöflfnung
(200, 300 usw. km) neue Kreise gesclilagen und das angegebene
Verfahren wird so oft wiederholt, bis alle erforderlichen Stützpunkte
gewonnen sind. Man muss zugeben, dass das dargelegte Verfahren
an sich einfach und wenig zeitraubend ist. Dagegen bieten die
Distanzkrci^e in vielen Fällen keine wirksame Unterstützung beim
Zeichnen. Ausserdem ist zwar die ungefähr richtige Einhaltung des
Abstanden der einzelnen Tunkte vom Mittelpunkte aus auf alle
Entfernungen hinreichend gesichert Aber die Schätzung der
Himmelsrichtungen, in denen die einzelnen Stützpunkte vom
Mittelpunkte aus gelegen sind, wird bei zunehmender Entfernung
vom Mittelpunkte und der dadurch bedingten Vcrgrösscrung der
Spielräume immer unsicherer. Auch dies Verfahren ist daher gleich
t) Vg^. Methodik S. 3^9 AT. und die 35 SUzien im Anhug denelben.
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— 72 —
den vorherrschenden für die Anfertipinj: von TeildarstelKinp^en oft
zweckentsprechend, für Gcsamtübcrsichtcn eignet es sich nicht.
Häufig endHch wird bei ganz einfachen Spezialskizzen, namentüch
bei Gebirgszügen und Flusslaufen, der Fall eintreten, dass sich die-
selben auch ohne alle Stützpunkte zeichnen lassen. Alsdann möge
man nicht erst einer bestimmten Methode zu Liebe mit der Dar-
stellungs eines Hilfsgcrüsts mehr oder weniger Zeit verschwenden,
sondern frisch darauflos zeichnen. Mögen solche Zeichnungen auch
etwas summarisch ausfallen und die Hauptzüge nur annähernd
wiedergeben, sie werden immer noch klarere Anschauung und
festere Anei^mung vcrmittchi, als es die blosse Beprechung nach
der gedruckten Karte ohne das Zeichnen vermag.
Das Ergebnis der vorstehenden Erörterungen über die Ge-
winnung der Stutzpunkte för die Situationszeichnung ist folgendes:
Bei Gesamtübersichten, wie sie hauptsächlich auf der Mittelstufe
höherer Lehranstalten •gezeichnet werden, lässt sich das Kirchhoffschc
Verfahren nicht entbehren, da allein das Gradnetz hinreichende und
sichere Anhaltspunkte iiir kompliziertere Zeichnungen bietet. Auf
der Unterstufe, wo es ^ch ohnehin nur um Zeichnungen von ge-
ringerem Umfang und minder reichem Inhalt handelt, ist das Grad-
netzverfahren wenig zweckmässig. Überhaupt mag sich hier der
Lehrer nicht sklavisch an eine bestimmte Methode binden, sondern
in jedem einzelnen Fall die auswählen, die am einfachsten und
schneUsten zum Zide fährt. Als besonders geeignet empfehlen »di
entweder die Normallinien- und die konstruktive Methode, oder aber
das Distanzkreisverfahren; häufig kann man auch ohne besondere
Stützpunkte durch sogenannte Faustzeichnungen seinen Zweck
erreichen.
Wir gehen zur Terrainzetchnung über. Die Kartographen
stdlen das Terrain durch Schraffen und verschiedene Farben-
abtönungen dar. Ihr Verfahren lässt sich natürlich für den Unterricht
nicht verwerten. .A^ls Ersatz dafür sind eine ganze Reihe von
Symbolen empfohlen und in Anwendung gebracht worden. Seydlitz
zunächst deutet den Langenverlauf der uiebirgc durch einfache dicke
Striche an. Dies Verfahren hat den Vorzug grösster Einfachheit,
gibt aber kein Bild vom Umfang der Gebirge, so dass z. B. Städte
und Flussquellen, die dem Gebirge angehören, oft in der Ebene zu liegen
scheinen. Infolgedessen ist die Strichmanier für einen regelmässigen
Gebrauch untauglich. Ausnahmsweise kann man sie mit Nutzen
verwenden, um kompliziertere Gebii^;ssysteme wie die Alpen, bei
deren Einzelheiten es weniger auf die Ausdehnung als auf die
Hauptrichtung ankommt, mit möglichster Einfachheit zur Anschauung
zu bringen.
Die Nachteile dieser Methode sucht Matzat {a. a. O. S. 333 f.)
mit seiner nFlächenmanier" zu umgehen. Er lasst zur Darstellung
eines Gebirges den Sdiüler mit dem Wischer einen Langsstrich
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— 73 —
auf seinem Blatte ziehen, diesen dann auseinaoderwischen, wodurch
er die Breitenausdehnung; des Geb)r:_-r-^ erhält, und endlich dunklere
Tone aufsetzen, so dass sich höhere 1 k ! irasparticn von niedrigeren
unterscheiden lassen. Trotz unlcugba,rcr V orzüge ist auch diese
Art der TerraindaisteUung för Sehulzwecke nicht geeignet Erstlich
könoen durch sie bei minder gewandter Ausführung die Zeichnungen
leicht verschmiert werden. Ausserdem aber *'rh!t diesen Terrain-
bildern — und das ist der I'^all auch bei den \on Matzat seiner
Methodik beigegebenen Tafeln — das klare Hervortreten und die
deutliche Bestimmtheit der Umrisse; sie haben etwas ^Ver-
schwommenes, was einer leiditen Erfassung und sicheren Einpragung
hinderlich ist.
Die Kirchhofl'sche Bogcnmanier (a. a. O. S. 37) endlich stellt
die Ränder und Abhänge der Bodenerhebungen durch auswärts
geschwungene Bogen dar. Wie mit der Matzatschen Methode kann
man mit ihr nicht nur den Umfang der Gebirge, sondern auch
deren Höhen- und Böschuncrsvcrhältnisse ausdrücken, indem steiler
und tiefer abfallende Böschungen durch kräftigere und kürzere
Bogen, sanftere Abdachung und geringere Höhe durch gestrecktere
und schwächere Bc^nanlage angedeutet werden. Vor der
Matzatschen Manier zeichnet SIC äch durch Anschaulichkeit, Klarheit
und Bestimmtlieit aus, so dass sich die einzelnen Terrainformen
leicht und sicher einprägen laiöen. Ihre Darstellungsweise ist
einfach genug, um schon auf der Unterstufe, ohne dass es dazu
besonderer, längerer Einübni^ beditoite, von jedem Schüler leicht
und schneU ausgeführt werden zu können. Nach alledem entspricht
von allen Terraindai-stellungsweisen die Kirchhoffsche Bügenmanier
am besten den Schulzwecken, da sie die erforderliche Ausdrucks-
iahigkeit mit genügender Deutlichkeit und Einfachheit verbindet
B. Kleinere Beiträge und Mitteilungen.
L
Ober t. V. Sailwürks „Prinzipien und Methoden der Erziehung" und
die dritte Auflage der „Didaktischen Normalfornen.**')
Von Fr. Frauke in Leipzig.
I.
In der ersten Schrift will Verf. „deu »ystemaf tsrlir ji Gruufliilft)i' sehier Er-
fiehnngalfthrfe zeichnen and bietet so zu winen bishurigeu ächhften, insbesoudere
>) Prinaipien im 1 Methoden dpr ErziehuDj^. 80 S. Leipzig, Dürrsche
Bnchh. 1006. Preis 1,2U M. — Die did. Normaifonnen. 3. Aufl. 164 S. Frank-
fart a. H., M . Du8t«rweg 1906. PmIb 2 H.
üiyiiizoo by Googie
- 74 —
KU den „NonDalformen" und zu ^Uans, Welt und Schule", womit ich mich m
beschHftißfen Anlass? irenomtneu hatte, den letzten Unterbau. Dabei sucht er eine
feste Stellung zu gewinnen zu den Grundgedanken, welche in der Gegenwart die
Pttdagogik neu aufbftuen wollen nnd dabei einander TidlMh entgegenwirken.
Sin derartiger Terrach, daa Oawirr dnrehriehtigar an maebent iat willkommen in
beissen, aucb wenn man wieder Anlaas hat, der gegen Herbart und noch mehr
gesren Züler gerichteten Toleraik gegenüber — andere i t lirin kaum zn finden —
sich abwehrend zu verhalten. Da diese Zeilen die Grenzen einer Anzeige mög-
lichst innehalten aoUen, ao begnügen sie eich mehrfach, nnr die Difierenzpnnkle
fllr nOdge ciagehende SrBrtemngen beranisnbeben.
1. Nach einem einleitenden Kapitel entwickelt das zweite ,.die obersten
pädagogischen Prinzipien" (S. fi--15), und zwar sind 'leren drei. Das erste
Prinzip nennt Verl das „der vollen natürlichen Eutwickelung". Die Erziehung
ist nach ihm nicht erat eine Erfindung der Kultur, sondern schon eine „Ein-
richtnnir der Natnr. Aneh die Tiere eniehen ihre Kinder wie der MenedL"
Man sieht, dass Verf. den Begriff üraiebnng weiter als gewöhnlieh nimmt» nnd
das billigt wohl mir einer anderen, sogleich zn erwähnenden Anffassung zusammen.
Das Prinzip selUt wird nämlich dahin formuliert, die Erziehung solle „in das
Eraiehongsweik der Natur unmittelbar eintreten und die von ihr begonnenen
und begründeten Bntwidtelmtgen su Toller Ausbildung bringen". Gegen die
Mite Hälfte, gegen das ntäntreten" in das begonnene Wttk iat nichts einan*
wenden, denn anfansfen mnss die absichtliche T;itif*:keit crnnz gewiss bei dem,
was ohne sie schon vorhanden ist. Aber reicht die zweite Hälfte des „Prinzips**
Mr die Fortf&hrung der Arbeit aus? Dass man in dem, was die „Natnr^
begonnen und begrltndet bat, mOgliohat untMaebeiden mnsa, was davon TerdienOr
dasa man ea au voller AnaEtthrnng bringe, und was man zu bessern, zn biegen
oder unwirksam zn machen suchen müsse, wird man dem Verf. nicht erst sagen
wollen; aber sein „erstes oberstes Prinzip" legt in den Begriff „Natur" schon das
Merkmal der VorzUglichkeit, des positiven teleologischen Wertes mit hinein, und
dadurch wird daa Weitere bestimmt. Etwaa Äbnliebea tat Bonsseau, nnd nur
deshalb konnte er Umkehr zur Natur fordern.') Der Verf. aber erwähnt
Boussean mit dem Zusätze, seine Forderung 9ti insofern nicht richtig, „als die
Kultur kein Gegensatz der Natur ist".
Daraus ergibt sich, dass der Verf. auch in den Begriff „Kultur" das Merkmal
des rein positiven Wertes mit hinlegt, und daa mnsa auch jede PIdagogik tun,
die in ihrem teleologischen Teile Ober die „Kulturarbeit" hinaus nkdita HSherea
kennt. Dieser Punkt wird bei -lern dritten Prinzip wieder zur Sprache kommen.
Aus dem eniteu IMuzip folgert Verf. zunächst die FürdernuiLr, „dass der
psychische Kreislauf, der jeder Aufnahme unserer Eindrücke''} eine Ver-
arbeitung im Innern des ifmschen nnd eine dieaer entsprechende Gegenwirkung^
fo]<,n>n lässt, aufbsebt «"halten werde". Das ist vGllig anmerkennen, weil dabei
die „Natur" 80?:nsao:en nur ihrer formalen Seite nach zn Norm nnd /w ck
gemacht wird; die £nciehung, sagt Verf., kann vieles tun, was der Natur
^) VgL Theod. Vogts Biographie Bonsaeaus in Manns päd. Kiai^dikern.
*) Sollte ea beissen nftusierer EindrAeke"?
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- 75 —
entspricht, „aber sie tut vielleicht nicht alled" oder sie trifft „das von der Natur
gewollte VeililltBii" nicht. So webrt (Im ente Frlnsip jede Art Ton Einieitigkdt
ih» inebeoondere die, den ee mieeie Enieliuiig en EÜiwirknii; von wamea nielit
fehlen lässt, aber „diejeni^n jungen Menschen für besser erzogen hält, die wenig
nach anssen wirken-'. Diese Verkenmiiic,' und Verbannung des „Handelns" findet
Verf. aber auch in Herbarts Pädagogik. Er hat diese Behauptung schon in den
J)eatediai Btttteni* von tSOO („letenne und Huiddim Im! Heriieit*, mxth im
„PId. Kegmsm'* Heft 147) und mietet noeb in der „Bentacheii Sehlde^ (Desembeiv
heft 1906) vorgebracht: ich meine, man dürfte sich durch die Überzeugung, daae
man ihm dariii <Tnr niVhts nachgeben kffnne, nicht Jftnger abhalten lassm, ihm
einmal ;iuf dief'tuj I Ia«!« nachzug^ehen. —
2. Vom p^ychiiiobeu Kreislauf mis gelani^t Verf. 2U seinem zweiten
obersten Prinzip. £r betrachtet es ab> ein Verdienst Herbarts, dass er
gegenfiber der Trennung naeh SeelMivertnügen „der Sede in «einer Psychologie
ihre Einheit wiedergegeben hat". Teil wUl anoh niefat die tiefe Spaltung in
leibliche, geistige und sittliche Erziehung, sondern sein „Prinzip der inneren
Einheit" verlangt, dass immer ,.dic Einheit des menschlichen Wt« ns erhalten
bleibe". Die Anslubmngen setzen auseinander, wie gemäss dem ällgemeinen
Zasunmenbang eine eedliebe IbwAeinnn^ «ob anderen hervorgeht oder andere
herfortreibt; die Vontellnngen sind „niaprttnglieh nur die Antwort nniem
Organismus auf einen durch die Sinnesorgane ihm zugetragenen Reiz''; „auch
was wir Gefühl nennen, ist nichts linderes als eine Reaktion anf einen in be-
stimmten NerveugebiettiU zur Wirkung gelangten Keiz" u. s. f. Ob das wirklich
«in neues Prinzip" ist, darfiber naebher. Tof. bMbt hier wieder na ▼ertRUMos^
toU bd der „Natiu^ stehen. „Una« Denken," lagt «r, »ist eb«M0 von unseren
Oefnhlen abhän^g, wie unser Wille von ihm angeregt und durch das Gefühl
bedingt wird." Das sind allerdintifs Tatsachen de^ Seelenlebens, aber z. B. in
dem ersten Öatze, dass unser Denken von unseren Gefühlen abhängig ist, fehlt
to Gedanke, dass dieser tatsleihlidie Znsaumenbang «ach l&selwiniingrMi hervor^
treOyt, denen andere — oder aneh ein sweites Ich des Trigen selbst •
ftUen, denken und wollen, dass es so nicht sein sollte. Dann gehen zum
Bweiteu MaU» tvu einem ersten .\nsto?is die entsprechenden weitereu Wirkungen
hervor, das iJeaken überwindet gewisse subjektive Begnügen uud wird viel-
Isidit idn objektiv. AJadaim kann man wohl sagen, die nal^liche, aber Ter-
werfliehe Abbingigkeit des Denkens von OefUhlen sei mm einer hSheren
Instanz aufgehoben, von einem besseren Willen überwunden worden. Das alles
is*t in der P.^yehologie Herbarts genau erörtert») und in seiner Pädagosrik ver-
wertet; trotzdem bringt der Verf. das alte Vorurteil wieder TOir, dass Herbart
„den Boden seiner Erziehung lediglich im Vorstellungsranme dehl**
3. Das dritte Prinzip, das der sozialen Kultur, muss uns dann sagen,
warnm die Sniehnng das Werk der Nntnr fortsetsen nnd niehts mkipinera
lasssn BolL Die Eniehnng soll nftmlieh „der menseblicben Gesellschaft dienen,
' I Vir], nieiiieu .\ufsatz : ..Zu Herbarts Lehre vom Gefühl" im 36. Jahrb. dSff
Vereins L wiss. Päd., besonders S. 214 ft, und Päd. ätud. 1»04, S. 368 ff.
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- 76 ~
indem sie dmi Zögling das Knltnrgat der Zeit mitteilt und dednreh ihn sv
Arbeit an dieser Kultur befähiirt".
Damit legt also Verf., wie bt-i dem ersten Prinzip in die ^Natur", so liier
in die „Kultur" und in die „Gesellschaft" das Merkmal der Vorzüglichkoit mit
hinein und macht damit seine Arbeit an den „Prinzipien der Erziehung" unklar.
An der nBefUhigung: twr Mitarbtit" Insueht man nidits anentsetaeii« und mit-
teilen icann man dem Zögling auch nur, was man hat, wa« vorhanden und
mithin ein Bestandteil der Kultur ist. Aber man „soll" doch /gewiss der mensch-
linhen Gosellachaft nicht srhlprhthin dienen, nicht a» allem möglichen
mitarbeiten, und die eigentliubeu Kriterien des Sollens und Nichtsollens werden
in den Torliegmden Piinnipiai der Grnehnng nidit für sieh hmraagettdlt«
eondem ohne deatlidie Seheldong mitgedacht, bald mehr, bald aber anch weniger
erkennbar. Man prüfe nur folgende Sütze : zu dem Kulturgut „gehören anch die
Lebensgestaltungen, die wir unter dem Begriff des Sittlichen zusammenfassen.
Sie sind der Auadruck der ge-seliscbaftlichen Beziehungen unter den Menschen . . .
80 ist denn die Brsiehiing snr Sittiiehkdt ein Aneflnss des eoiialen Eniehungs-
piinElpa*. Das ist gaas die Sosialpidagogik mit den belcannten Fehlern, die
nun soirleich wieder verwendet werden zw unzutreffenden Besohuldigttngai
anderer. Die . lu-u. re Wissenschaft ' habe erkainit „dass der Mensch von Natur
ein Geselischaflswesen ist". Von wann an diese neuere Wissenschaft datiert
wird, ist nicht gesagt, doch wird der Durchschnittsleser diese neuere Wissen»
«ehaft nach der „LidiTidnalpidagogik" Herbarts nsw. sataen. Aber was Yerf.
Aber diese äeite der Natur des Menschen sagt, ist Herbart durchaus nicht fremd,
ja es ist vielloiclit von ihm erst gefunden oder mindestens durch seine neue
Auf- und Aufassuug der psychologischen Tatsachen erst klarer durchschaut
worden.*) Nur solche Katurcrkenntnis, nicht sittliche Qrnndgesetse
spricht der Verf. immer wieder ans, wenn er dariegt, dass die Sittlichkeit nur in
der Oesellnng entstehen nnd sich zeigen kann, ja er weist selbst bei dem
Manne auf Salos y domez s^mz richtig darauf hin, dass wir iins denselben sogar
„ohne alle Kunde von ^^esen seiner Art" denken müssen, bevor v^ir ?agm
könnten, er kenne keine Pflicht, es sei nichts ^siitlicheri au ihm; bei dem
wirklichen Manne Chamissos ebenso wie bei Robinson und sdnen wirkliehen
VorbUdem stiftet schon der aus der Gesellschaft mitgenommene psychische Besitz
eine Men^-e von Wülensverhiiltnissen. der Mann gefällt oder inissfiillt auf Grund
derselben weni^'stt-ns sich selbst und stellt sich ein Wohlgefallen oder Missfallen
des lieben (iottes vor.
In uuäereu wirklichen Verhältnissen mlisste mau, weil ja alle in der
Gesellschaft leben, nach den Bestimmungen, wie sie anch dttVerf. wieder-
holt, eigentlich erwarten, dass au( h alle sittlich lebten nnd handelten, so wie es
ja auch in der Gesf-llunq" unmr.^rjich isr, nichts von anderen zu erfahren und
selbst nicht von anderen bemerkt zu werden. Im Reiche der hewusstlosen
Natur sind z. B. die Strömungen unserer Atmosphäre der genaue Ausdruck
der YerteOnng des Lnftdmekcs, und Dmdc nnd StrSmnngen hängen
wiedemm ab von den WftrmeverhUtnisaen, sie gestalten sieh genan denselben
»j Päd. Stud. ltftJ6, Hh.
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— —
«itspreehend, nnd wir tragen keiae Sorg«» dais da «ininal eine boabafte
ireichnng an Terliflteii lein kOnate. Aber sind wir mit unseren menschlidiaii
Verhältnissen w anfrifilfü dass wir die vorliftmleneii Lebensgestaltungen
schlecht wt^iT „untf^r licu ßecrriff des Sittlichen zusammenfassen" mRphten? Sie
sind zunüclist ein natürliches, genau nach den vorbaudeueu Bedingungen ge-
bildetea Erzengnis, and wer dieaen Bedingnngeu naehfondit, der treibt Natar*
geaehicbte dieser Lehensgestaltnngen. Sittlich im nftturgeschichtlichen Sinne
nennen wir diese Erzeugnisse, weil wir an denselben üherhanpt über die Scheidung
von Trsache und Wirkung hinaus noch eine bcs<)ndere Betrachtnntfsiirt üben,
und im Sinne dieser Betr&chtongsart unterscheiden wir dann sittlich und un-
aitfUch.
Der letztere Begriff sittlich gehört in die pldagogisebe Teleobigiet die au«
geführten Bestimninng^on des Verfassers enthalten aber, wenn man sie im
Zusammenhange der gauzen Erörterungen au ff aast, nur den ersteren. Das i^t
die Unklarheit, die in der ganzen Sozialpädagogik immer wiederkehrt. In meiner
acbon erwfthnten gegen Riasmann gerieliteten Arbeit: „War DSipfeld
ladiTidaaliat?**) babe ich daa arnfftbrlieh sn «eigen Terancbt, aber B. fftUt aieh
bloss raissvergtanden und verletzt und hat sich bis beute fortwährend dagegen
verwahrt*. Die Verwahnvngen zeigen aber blos?, dfti*s ihm der eigentliche
Streit- und Treuaungspunkt immer noch nicht klar geworden ist; nicht die Natur
oder daa Wohl der Oeeelliebaft, nicht der natürliche Znaammenhang des
ftttliehen mit denelben iat faaglieh; aondeni Herbart fordert und vollaieht fttr
die eine Art prinzipieller Betrachtung die befjrif fliehe Trennung des
Sittlichen vom Sozialen.') die die Sozialpädag:oi;ik entweder höhnend abweist, 9
wie a. B. Bergemanij, oder wenigstens nicht klar vollzieht, wie der Verf. der
Toriiegenden Frinaipien,
Die UA^ anf die hiermit hingewieaen ist, aeigt rieh Mgleidi wieder, wo
Aber daa Verhältnis der drei Prinaipien zueiuandi r spricht nnd damit den
Ertra;^ der priufipielleu Untersuchung für dn- folgende zusammenfas^t. Das
dritte, sagt er, ist sachlicher Art, die beiden ereilen sind formaler Natur. Von
diesen beiden beaieht sich das erstere mehr auf die Sicherung natürlicher Vor-
ginge, wfhrend daa aweite sieb daraof richtet, dasa die nat&rliche Ordnnag nieht
dareh eine lUasregel der geschäftlichen Ordnnng des Endeben geftbrdet werde.
Ich Termag. wie oh«»n angedeutet, die „Sichcning natHrücher V r^ infre" und den
Schutz der natürlichen Ordnung gegen Gefährdung' nirbt t^enngend auseinander
au halten, will aber dabei nicht verweilen. Kichtig lat, dass zur Ausbildung
einer „gesehloasenen PersSnüchkeit'' alle drei gehffren, aber — sie reichen nieht
ganz! Man kann ohne Blühe geschlossene Persönlichkeiten finden, die gewiss
auch <ler Verf. nicht als Vorbilder betrachten und hinstellen würde; e.« fehlt in
dif""-«'!! „Prinzipien" die scharfe BestiniTnung^ , welche Anscbauungeu und
Mttximeu der Person GeschluHseuheit verleihen sollen.
') Päd. Stnd. 18i)6.
*) Über den ,^änaUoh renchiedenea Gang der Betrachtungen, durch welche
wir daa UeaJ, nnd dorcb wdaha wir die Kenntnis dee Wirkflcben gewinnen*',
Tgl. Hetbnrta Werke, Anagahe von Kehrbach 3, 8. 818ff.; von Hartenstein 13,
a. i2Sff.
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- 7« -
4. Die folgenden Kapitel treniun die „Arbeilögebiete der Erziehung" in
die drei Gebiete, nach denen dann drei Methoden unterschieden werden. Die
psychologischen Benerkangen aber die Natur de« Mnilene iviederholen die flblidieii
«dilefen Angrife uif Heibarti Psychologie vaä gipfeln in der Behaaptcmg,
Zillers Metbode f^se ganz anf einem Tenneintlich von selbst ablaufenden
psychischen Mechanismus, bei welchem der Schüler bloss Schauplatz »ei, dagegen
nehme v. Sallwiirks Metbode, indem sie sich auf die Logik stiltse, den Willen in
Ansprocli. Dm mttaBte im AnieUiiM «i die Bfoe^ttte SallwQrlEB ^^ber die
AnrfUlniig dei Gemflte dnrcb den enddwnden Untemcht'' (1904) fflr eieli Terfoigt
werden. Dahei findet sich folgender Satz : „Die Entschnldignng eines Anhängers
«lor Zillerfchen Schule, was psychologisch richtig sei, werde es wohl logisch auch
sein, wollen wir dort belassen, wo sie hingehört, bei den Bekenntnissen der
wiaaenechafUichen Unzulänglichkeit." Oh der Yert damit wirklich die Meinung
dieeee nngemumten „Anhängen" getroffen hat, mam man besweifeln. Ich habe
immer nur gefunden nnd eelbrt gdtend gemacht, was psychologisch un-
möglich sei, solle man anch nicht iDr. hf-n wollen, die lojpsche
Kichtigkeit könne al^ über dai>, was in einem bestimmten Zeitpunkte zu. machen
oder zu lassen sei, nicht absolut entscheiden; noch weniger kann natürlich die
pejchologiicbe HOglichkdt oder Unmöglichkeit der logischen Bicktigkeit an sich
etwas nehmen oder zusetzen.
Darauf folgt der „Entwurf einer allgemeinen pädagogischen
Methodt'". d. h. e.-* ivinl von der in den ..diflaktischcn Normalformen" dar-
gelegten Methode für die Ausbildung der Erkenntnis (daü zweite Arbeitsgebiet
d« Eniehong) gezeigt, dass sie auch gültig ist für das erste und dritte Arheito-
gehiet: fttr die „organischen Fertigkeiten" und für die .,sittlicbe QewOhniing">
Das i^t hinsichtlich der Forti^^Tvcitcn ein Überraschendes' JKigebnis nnd macht
einen Blick auf die zweite Schrift uotw< ii<lig.
Schlns» folgt
€» Benrtolliiiigeii.
Niemand kommt zum Vuier, dcuu
durch mich. Eine ernste Predigt
far Deutschlands Eraeber von
H. Schreiber. Minden i. W.,
Haimk7. Pnis 00 Pf.
Nach dem Verfasser ist in der
Bibelstellc Joh. 14. H die i^anze Kritik
des heutigen Beligionsunterrichts und
die Znkanftsmethodik der religiösen
Führung unsrer Jugend und der christ-
lieben Gemeinde enthtlten. Christus
sagt: Niemand kommt zum Vater, denn
durch mich. Die Kirche hat aber
gerade umgekehrt gedacht und auch
die Schule mm verkehrten Banddn
\erurLtilt. Den dogmatisclitu Keligions-
unterrieht kann man gar nicht bald
genug anfangen und nidit weit genug
ausdehnen, das alt« Testament wira
einseitit,' betont, ilie Relitjionsstanden
arten ztir Maulbraucherei aus, das
tiebren dvrch Beispiel fehlt, der
Kt'liirionsunterricht ist in eine R«ihe
selbständiger Fächer gespalten nnd
diese Yemraiedenen Gegenstände «erden
auch noch an mehrere Personen ver-
teilt. Wenn » hristus sagt. „Niemand
kommt snm Vater, denn durch mich",
so meint rr ntrht.H anderes als: Schaut
mich an als da» Beispiel einer wahr^
haftigen religiSsmk PenOnlichkeit, dami
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— 79 —
braocht ihr nicht j ilu lmg mit <len
Kindern in trockener Weise Uber das
Weaen der Rdf^on m dispntiere&,
ohne es zu ersohhessen; der BHck in
meine weit^ Seele und in mein klttMS,
leiebes Leben wird zu einer Erleuchtung
Sber das Höchste, zu einer Erschliessung
der Gottesidee, zu einem klaren Gottes-
bewnsstfieiji. — Das Verhalten Christi
zTir Ki?)zelsoele und zur (Tf;n»'inscbaft
muiiiiL man sich nicht zum \orbilde.
Die Kinder werden zu Nummern herab-
fewQrdigt, zu Oefässen, die man von
Stunde zu Stunde mit nackten Tat-
sachen und kaltom Wissensstückwerk
Ws «am Überfliessen füllt £• fehlt
das SchoUeben, in dem der Heiland als
Zentrum einer beseelten Gemeinde, nh
erhab^tes Vorbild lenchtet. Schule und
Kirche aollen snm Teietindifen ehriat-
lichen Hanse hinblickt^n. Ein Relig-ions-
lehrer braucht noch mehr Freiheit wie
jeder andere.
Albert dleyeri Die Wiederholunjg^
im Unterrichte. Ebenda. Pieu
1 M.
Der Titel ist nicht zutreffend, denn
CS ist in dem Hefte nur von der
Wiederholunc im Rt'litrionsunterricbtf
die Bede. Verf. steht auf einem ganz
roralteten Standnnnlcte. Die dnaelnen
Zweige des R^^iit^ionsiinterrichts siml
zu keinem einheitlichen Ganzen ver-
bunden, aondera bilden nach den Am-
fahruni^ii (k'S Verfassers ein buntes
Konglomerat. Über einen Lehrplan im
BdigioDsaBttmehte er&hren wir gar-
nichts . und es wäre doch durchaus
nötig gewesen, dass man« ehe man von
Plänen fUr Wiederbalu^pen gehört
hätte, zunächst klar ireworden wäre
Bber den Lehrplan, der zuy;ruude gelegt
ist. Verf. ist ein Verteidiger der alten
konzentrischen Kreise; da brauchte er
gar kdn Heft Aber Wiederholungen
zu schreiben, denn bei dem rnt< rrii-1it<^
nach dieser 5to£[anordnnn£ wird der
Stoff den Kindern snm Überdra» bereite
wiederholt.
Kre^burg a U. Hemprich.
<l. L. Jetter, Neue Schnlkunst.
Spezielle Didaktik uud Methudik
eines entwii kelnd-erzlehenden Unter-
richts. 2 Bände. 1. Bünd : Stii-zi.ile
Didaktik. 71 S. Geb. M. l,tiU.
2. Band : Spezielle Methodik. 150 S.
Geb. M. 3^0. Verlag von Blevl
Qttd Kaemmuer (0. Sdiambaeh)
Dieaden 1906.
Der Titel lässt einen zunächst
stutzen ; auch der Untertitel des ersten
Bandes (Spezielle Didaktik) geht mir
wider den Strich. Indes, das ist am
Ende Geschmackssache. Warum soll
man nicht «nch einmal „speziell'*
nennen, was ein anderer al.s ,.allii:emein'*
oder überhaupt als ganz was anderen
empfinden wtlrde? Abgesehen aber hier-
von: ein sehr, sehr lesenswertes Buch.
im 1. Bande spricht der Verfasser
a) tlber das Lernen, b) Qber die Lehr-
kunst, c) über die Penmnfaitdnng und
über Schulorgani^nti n.
Der 1. Teil fasst die guten Gedanken
über diesen wichtigen Gegenstand noch
einmal mit Vnrstftndni« zusammen. Auch
der 2. Teil steht aul der Höhe neuzeit-
lidier Pädagogik. Ob sich freilich die
TiPfer dauernd mit seiner Theorie von
den „Urund- und Umtauschakten"* be-
freunden werden , steht dahin. lüh
persönlich habe die gleiche Sache schon
einfacher gelesen ; desgleichen wird der
Verf. mit seiner Definition vom ,.dar-
Btellenden'* und „entwickelnd-darstellen-
den** ünterrichte in weiten Kreisen anf
erhebliclK.n Widerstand stoh.^en. Mit
seiner Musterlektiou über „Das Eich-
Mmehen" kann ich mich nicht in alten
Stücken einverstanden e: klären Teh
dächte, es mUsste doch Bcfrititliguug
erwecken, dass endlich das „biologische*
Moment zu seinem Keclitf gekommen
ist. Ihm ist, raeiutir Übt-rzbUgiiug nach,
alles, was ge.sehen wird, ohne weiteres
znHuhsnmipr<»n.I«'h mnss daher Stufell, la
für übiTÜlLssig erklären. Im übrigen
steht dahin, ob der „Themensatz'
uaturgeschichtlich betrachtet — absolut
richtig ist. Ich entsinne mich, etwaa
gelef*en zn haben , was dem dtirchaus
widerspricht. Der 3. Abschnitt ist reich
an feinen Oedanken, Beobachtnngen nnd
Änregnntjen. leh kann nur bedauern,
dass der zur Vcrl iiirung stehende Baum
es verbietet, anf ein/dnes einangeben.
Eben.>-o lesenswert ist fler 4., wenn auch
erheblich kürzere Toil über die „Sohnl-
organisation". Was hier der Verf. ins-
besondere über die Koedukation der
Kuabeu und Mädchen (der Volksschule),.
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— 8o —
KluBenweiterftthning' vnd Fachlehrer-
systetn faof^f . nntorsrh reihe ich nnhptlinsrt.
Wer (wovon Verf. nicht spricht) das in
Mtiuchi n (lurcbgefabrte und anaerwärts
mit Er{t)]<: angestrebte System der
v(illiö:en Auslieferung' der Müdcheu-
khissLii au die Lehrerinnen für den
Höhepunkt aller piulagoi,'ischeu Weisheit
hält, wird, soferu er uuch m uiiltlereu
Jahren steht, wohl noch Gelgeuheit
nehmen müssen, seine Ansicht zu revi-
dieren. Der Rflckschla^ mnis kommen !
\V;<- V. rf. bei der Krörrernnq; iliescs
Funkten über die dorchachuittUche
giOcsere geistige Beife der MBdeheii
sagt, die, seiuer Antrabe nach, den
Knaben ständig 1 — 2 Jahre voraus seien,
findet in meiner penSnlichen Srialirang
keine Stütze.
Der 2, Band (Spezielle Methodik) nun
enthält die Anwendung der didaktischen
Omndsätscc des 1. Tt iles. Verf. gliedert
in Gcflchichtäfächer [Bibl. Gesch., Ge-
Mduchta, Spnehnnterr. (?)], NfttviOeher
rNatnrgesch. , Geographie, Rechnen],
Kunstfftcher [Sinjjen. Schönschreiben (?;,
Zeichnen! und Spiel(?)fäcber [Glieder-
spiel, Handspiel, Sinnesspiel], behandelt
bei jedem Fache: Zweck und Ziel des-
selben, Auswahl und Ajiordnnn<r des
Stoffes, Besidnmsr tn den Nebenfächern,
Lehr- und Lemweisnn^n und schliefst
je mit einem Untemchtsbeispiele ah.
Schon aus dieser Inhalt^übt r«icht allein
ergibt sich, daas ee gauz uumiifiiich ist,
hier auf euiehies einangdien. sakann
also nur auf das eigene Studium des
Bandes verwiesen werden. Wer immer
aber in die Gedankengänge des Veit,
sich vertieft, der w^ird inne werden,
dass er hier — mag er in Einzelheiten
sieh mit ihm sdilagen oder auch ver-
tragen ! — einen warmherzigen Kenner
und selbständigen Kopf, kurz: einen
Heister der Sehlde vor sieh hat.
Eberahaeh (Sa ).
. Dr. Fr. Schilling.
Eingegangene Bttcher.
(Bespracbmng ▼orbehalten.)
PUngaflaolie Jahreaschaa Iber das Volktschulweaen Im Jahre 1906. Hcraut^iefscben
von C. Clausnilzcr. I.ciprip IQ07, B. G. Tcubntr I'r. geb. 7 .^^
Mitteilungen der Geaellscbaft für deutsche Erziehiinfls* und Sohulgesohichte. Be-
gründet von Karl Kehrbaeh. Berlin 1907, A. Hofinaon & Komp. 3. and
4 ri,
Vogel, Dr. Paul, Fichtcs philosophisch-pädagogische .Ansichten in ihrem Verhältnis zu
Pestalozd. Langensalza 1907, ilcrm. Heyer & Sohne. Pr. 2 M.
Wenxlg« i*rof. Or. C, Die VVcluoscbaanngen der Gegenwart in GegeosaU und Aot-
gloich. Leipzig 1907, Quelle h Meyer. Pr. Originatband 1,35 M.
Btitier, Justus, Aagnit Herntano FIrancfce. Letpsig 1906, Vdluigca & KJasiaig, FTeb
0,90 M.
Troott, Prof. Or. Karl, Beitrige cor Behandlung der Philosophischen Pfo]>Sdevtik in
iVima. I^ipziß 1907, Ou'-llc & ^Tt■\•t■r. Tr. (joh. o.So M.
HäntSOh, Or. IL, Herbarts pädagogische Kaust und von pädagogischer Kunst überhaupt.
Ein Beitrag mm Kampf um Herbart und dne Einfllhning in das Stadium seiner
Pädagogik. I.ripzif: 1907, E. Wunderlich. Pr. prb. 1,60 M.
Ziehen, Dr. I.. der Werkstatt der Schule. Leipzig 1907, (jucllc & Meyer. Preis
fli-b. 4.60 M.
KldKlU-GerlofT, Dr. Felix, Physiologie und Anatomie des Mensdiea. Ldpug 1907,
Tcubncr. Pr. 3 M,
Battl, K. 0., Einführung in die moderne Psychologie. «.—4. Abt. *. \vA. Ldpsig 1907,
Zickfddt. Pr. geh, 5 M.
(Fortsetzung fuigt.)
Drnefc von A. Bl«>u <fc Sohn in Matunburg s. 8
A. AbhandlangeiL
L
Die Erziehung schwachsinniger Kinder zur SelbsttätiglieitO
Von Schuldifektor 8, Nlfnoll«.
Leitsätze:
1. Die mnnfjelhafte psychophysi^^che Entwicklung des schwach-
sinnigen Kindes, welcher in der Hauptsache durch Besserung
der motorischen Reaktionen begegnet werden kann, fordert
die Anwendung des Prinzips der Selbsttätigkeit als Grund«
prinzip ihrer Erziehun^y.
2. Die Selbsttätigkeit, die heim Schwachsinnigen mehr einen
nachschaffenden als seibstschaffenden Charakter trägt, hndet
als das geeignetste wirksame Mittel zur geistigen und tech-
nscfaen Ausbildung auf aUen Endehungsstufen in der körper-
liehen Betätigung, im bewussten Tun ihren Ausdruck.
3. Die Anwendung des Prinzips der Selbsttätigkeit schützt vor
erziehlichen Fehlgriffen.
Die Heilj)ädaf(o^ik hat in der Erziehung schwachsinniger Kinder
von jeher den praktischen Standpunkt eingenommen, die Schwachen
mögUchst fürs Leben geschickt zu machen, sie zur Erwerbbluhigkeit
heranzubilden. Ein Bück in die Erziehungsgeschichte und selbst
noch in die Literatur unserer Tage zeigt aber, dass man die Lösung
der Aufgabe hauptsächlich in der int ellektuc 11 rn Pflege bei mehr
passivem als aktivem VcrhaUcn des Zöglings unter Ausschaltung
seiner Hand- und Körperbctatjgung zu finden meinte; es ist daher
kein Wunder, da» «fieser Art des Erziefaens der Vorwurf des
') Ein V'ortrafj, von dem Verfasser, der Vorstand der Königl. Schwuchsinnigcn-
Anslalt tu ChemniU i.st , gehalten auf der 12. Koufercai für das Idioten- uud Hilfs-
schulwesen. Was hier aber die Anregung zur Selbsttätigkeit und über deren Bedentoog
Oir die geistige Eniwickliiag gesagt wird, gilt prinoipieU auch (fir die Eniehang nomuJer
Kinder. D. R.
IMifOifMte Stodtan. ZZIZ. t. B
«
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— 82 —
Drillens gemacht wird. Wenn eine ärztliche Autorität') in einer
bekannten Schrift über die Geisteskrankheiten im Kindcsaltcr den
Rat gibt: „Dem schwachsinnigen Kinde muss entsprechend dem
Grad und der Eigenart seines IntdUgenzdefektes reicfalich Ge-
legenheit zu sor^fultig ausgewählten Empfindungen gegeben werden
d. h. das schwachsinnige Kind muss 7.. R. Hie r^fTvölmUrhsten,
praktisf'h wichttj^stcn Gegenstände und Tätigkeiten oft sehen ; es
darf nicht dem Zulall überlassen bleiben, ob es dieselben hin und
wieder und gemengt mit vielem Unrichtigen zu sehen bekommt" —
so fragt man sich unwillkürlich, warum darf das Kind mit den
Din'n;^en oder an ihnen nichts tun und warum darf es die Tätig-
keiten nicht nachmachen? Nur sehen, nur passiv sinnlich wahr-
nehmen soll es, man dirigiert zwangsweise seinen Wiiien und
en\ägt nicht, ob die zu sehenden Gegenstande und Tätigkeiten
sein Interesse besitzen und seine willkürliche Aufmerksamkeit fesseln
würden. Derartige Übungen wirken auf den Willen nicht fördernd
und kräftigend, sie lassen den Geist kalt Nur eigenes Mittun,
körperliche Tätigkeit macht das Kind glücklich, auch das geistig
tiefstehendste, sobald nur ein Funken budsamen imieren Lebens in
ihm wohnt. Diese Tatsache wird leider allzuwenig beachtet. Das
zeigen auch manche Lclirpläne von Anstalten und Hilfsschulen,
deren Stoftfülle die Fassungskraft der schwachen Kinder überschätzt,
das beweisen manche Methoden, die das Kind zur Passivität
zwingen oder bei ihm eine derartige geistige Selbsttätigkeit voraus*
setzen, welche es bei der Art seines psychischen Gebrechens nicht
besitzt ; solche Unterrichtsmethoden zeitigen unbefriedigende Erfolge.
Eine Reform tut hier not. Die Stimmen, welche sie fordern, sind
noch selten. Den Fortschritten in den Naturwissenschaften und
insbesondere den psychophysiologischen Forschungsergebnissen ist
es zu danken, wenn die Pädagogen durch äe in ihren Reform*
gedanken unterstützt werden und in ihnen eine Begründung ihrer
Ansichten und ihrer Arbeit suchen. Die Forderung , das Kind als
schaft'endes Wesen zu betrachten und die Erziehung auf seine
Selbsttätigkeit zu gründen, ist nicht neu; hat doch der grosse
Pädagog Fröbel sein ganzes Erziehungssystem darauf aufgebaut
Sind einerseits die Erfolge der Erziehungsarbeit für Verwirklichung
dieser Fordenmg ihre besten h'iirsprccher . so findet der Erzieher
schwachsinniger Kinder in der Kinderforschung und in der physio-
logischen Tsychologie für ihre Richtigkeit den Nachweis. Erfalirung
und Wissenschaft fordern, dass die Erziehung auch die schwach-
sinnigen Kinder durch Selbsttätigkeit zur möglichsten Selbständig*
keit führt.
Von den das geistige Leben des Kindes direkt fördernden
Trieben tritt der Bewegungstrieb zuerst in Erscheinung und äussert
^) ZiebeD, Die Getiteskrukbeiten de» Kiodeaalten. Heft t, S. 60.
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- 83 -
sich anfangs in unwillkürlichen und unbewussten Reflexbewegungen
(Schliessen des Auges bei Lichteinfall, Greifbewegungen) und sodann
in den durch Lust- und Unlustgefühle wachgerufenen Instinkt-
bewegungen (Saugen, Crreifen); beim schwachsinnigen Säuglinge
findet man oft die ersten Spuren seines Grebrechens in der geringen
Lebhaftigkeit und Stärke dieser Tricbbcwe<^unf:^cn. Bcwusstc, will-
kürliche Bewegungen (Greifen nach Gej^cnstanden) treten beim
Kinde erst im 5. Lebensmonate auf. Diese Erscheinungen tinden
ihre Erklärungen in der Entwicklung des Nervensystems. Mit ent-
wickeltem Rückenmaxlc und niederen Himteilen, welche die Reflex-
und Instinktbewegun^en auslösen, tritt das Kind ins Leben; im
Grosshirn aber sind, wie Flechsig*) nachgewiesen hat, nur einige
* wenige Nervenleitungen fertiggestellt, und diese Leitungen verknüpfen
ausschliesslich empfindliche Teile des Kdrper-Innem, insbesondere
die Muskeln und einige Sinneswerkzeuge mit dem Zentralherde des
Bewiisstseins, der ^auen Rinde des Grosshirns. Eine S-nncsleitung
nach der andern dringt von der Körperoberfläche her ge;^a"n die
Rinde vor. Nach der Fertigstellung der Sinnesleitungen bis zu
ihren Rindenzentren beginnen von da aus neue Bahnen — die
motorischen Apparate — in umgekehrter Richtung sich zu bilden.
,.P-in ürittcil der menschlichen Grosshirnrinde steht In direkter Ver-
bindung mit den Leitungen, welche Sinneseindrücke /.um Bewusst-
sein bringen und Bewegunc^smechanismen, Muskeln anregen; zwei
Drittel n^men aber die geistigen Zentren, die Assoziationszentren
ein, das sind die Apparate, welche die Tätigkeit mehrerer Sinnes-
zentren zusammenfassen zu höheren Einheiten, und die sich erst
nach dem inneren Ausbau dieser Zentren und der Verbindungs-
bahnen sämtlicher Zentren untereinander entwickein. Dieser Aus-
bau der Sinnesleitungen und der Hirnzentren ist aber abhängig von
dem al^emeinen Gesundheitszustande des Kindes, seiner Emälirung
und seiner Erziehung; nur die eigene Tätigkeit des Kindes bringt
die Nervenzellen und somit seine geistige Leistungsfähigkeit, die
allein in der Anzahl und Beschaffenheit der Empfindungs- und
Vorstellungsassoziationen begründet ist, zum Wachstum und zur
Entwicklung; ohne Erziehung der Sinne und des ganzen Körpers
tritt geist^e Verkümmerung ein. Den bedeutendsten Einfluss auf
die Assoziationszentren, auf das geistige . Leben, übt das dem Tast-
sinn /ugchörige Rindenzentrum, die Körperfiihlssphäre , aus, das
auch an Ausdehnung alle anderen Sinneszentren zusammen über-
trifft; stellen sich doch dem Tastsinn hunderttausende wohlisolierte
Leitungen zur Verfügung, um die tastenden Hautflächen zu bewegen.
„Die Körperfühlsphäre bildet aber nirht nur äusserlich, sondern auch
durcii ihre assoziativen Beziehungen den eigentlichen Mittelpunkt
des Seelenorgans. Sie ist unendUch viel rciclier an Assoziations-
>) FkdMic, Gdilm and Sede. s. Aufl.
6*
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- 84 -
s^'stemen als die übrigen Sinnessphären ; in ihr laufen Lcitunp^cn aus
der gesamten Rinde zusammen. Hiernach wird es begreiflich, dass
die Körperfühlsphäre für den Wachzustand die weitaus grösste Be-
deutung hat. Sie ist die unentbehrliche Voraussetzung für die
Bildung der Idl- Vorstellung ; damit ist sie auch die einzige für die
geisti<:^c Entwicklung absolut unentbehrliche Sinnessphäre. Ohne
sie ist die Herausbildung einer geistigen Persönlichkeit undenkbar,
während die Sehsphärc, die Hörsphäre und die Riechsphäre nicht
nur jede ftir sich» sondern allesamt (wenigstens funktionell) ausfallen
können, ohne dass die Erreichung seilet einer relativ guten geistigen
Leistungsfähigkeit hierdurch ausgeschlossen wird , wie das Beispiel
von Laura BridgeniaiT deutlich dartut. Nicht die Republik, sondern
die Monarchie ist in der Organisation des Seelenorgans verwirklicht.
Der Köiperföhlsphäre fällt von Anfang an die Führung zu, und sie
behält sie als Hauptträger des Seelenbewusstseins auch durch das
ganze Leben hindurch — zumal aus ihr auch alle für das „Handeln"
wichtigen motorischen Leitungen hervorgehen."^) Diese Tatsachen
sind für die pädagogische Behandlung kleiner oder geistig abnormer
Kinder von grosster Wichtigkeit und fordern ihre weitgehendste
Beachtung. Der für diese Kinder mögliche Unterricht muss der
Natur des Kindes entsprechend in der Hauptsache ein motorischer
sein, unter welchem aber nicht allein Spiel, Turnen und Hand-
fertigkeit verstanden werden soll, sondern ein solcher, der sinnen-
bildend unter konsequenter Inanspruchnahme der Selbsttätigkeit auf
Klarheit der sensorischen und motorischen Empfindungen liinarbeitet,
der das zu Lernende selbsttätig unter reger Mitbeteiligung von
Körper und Geist auffassen und in verschiedener Ausdrucksform
zur Darstellung bringen lässt; ein motorischer Unterricht, der bei
der Darbietung des Unterrichtsstoffes bereits eine möglichst aus-
giebige Aktivität des Geistes und Körpers in Anspruch nimmt und
nach der StofTverarbeitung sich nicht mit der sprachlichen Wieder-
gabe allein begnügt, sondern, so weit nur angängig, eine mannig-
fache Darstellung des Gelernten fordert und dazu Handfertigkeit,
Zeichnen, Gebärde und selbst dramatische Darstellung heranzieht
Nur durch ausreichende Tätigkeit der Sinne und des ganzen Körpers,
durch bewusste Selbsttätigkeit wächst und bildet sich das Organ
des Geistes; die Natur selbst drängt zu dieser Übung, sie strebt
zur Entfaltung des ganzen Organismus; ohne selbsttätiges Schaffen
gibt es keine Entwicklung, kein Leben. In welchem ursächlichen
Zusammenhange Bewegung und geistiges Werden stehen, zeigen
deutlich die apathischen und erethischen Naturen unter unseren
Zöglingen: Bei den ersteren Langsamkeit und Unbeweglichkeit des
Körpers und Geistes, bei deti anderen eine gesteigerte äussere
und innere Unruhe, eine grenzenlose Flüchtigkeit und Flatterhaftig-
>) Flectisif , EMe LokalintioA .der geistigen Voii^biee. S. 66, 67, 6S.
. y 1. ^ . y Google
- 85 -
keit — und eine Besserung im Verhalten beider bringt erst eine
geordnete methodische Erziehung^.
Die Entwicklung des selbsttätigen motorischen Verhaltens des
kleinen normalen idndes, durch das es in seinen ersten Lebens-
jahren ein solch eminentes Wissen und Können erwirbt, zwingt uns,
für die Er/irhiini^ unserer Schwachen nicht nur das Prinzip der
Selbsttätigkeit als Cirundprinzip anzuLMkcnncn und in Anwendung
zu bringen, sondern vor allem auch den Mittein zur Erweckung der
Selbsttätigkeit, die in der Anwesenheit von Auftnerksamkeit und
Interesse zu erkennen sind, sowie dem von der Natur eingehaltenen
Entwicklungsgange die nötige Beachtung zu schenken.
Vom 5. Lebensmonate ab vollziehen sich die ersten j>^\ chischen
Prozesse unter Mitwrkung der aktiven Aufmerksamkeit, die das
erste willkürliche Handeln, die ersten Regungen der Selbsttätigkeit
zeitigen; an die bewussten Greifbewegungen schliesst sich bald mit
der Steigerui^ der willkürlichen Sinnesfunktionen die Bildung der
raumlichen und zeitlichen Vorstellun^^en an. Weitere Zeugen für
sein wachsendes Gefühls- und Willensleben sind die mimi«:chen
Nachahmungen (Gesichterschneiden, Ballen der Jaust, l'akt-
bewegungen), die absichtlichen Nachahmungsbewegungen, andere
dnfache Handlungen und vor allem sein Gehen- und Sprechen-
lernen. Bei letzterem ist zu beachten , dxss dem Kinde das Ver-
ständnis für die von ihm (gebrauchten Wörter wesentlich durch die
mit grösster Aufmerksamkeit verfolgte Gebärde des Erwachsenen
vermittelt wird, welche entweder auf die zu benennenden Gegen*
stände hinweist oder die einfachen Tätigkeiten wie schlagen,
schneiden, gehen, schlafen darstellt; ..für die Gebärde — sagt
Wurult*^ — hat das Kind ein natürHches Verständnis, für das
Wort nicht" — eine Beobachtung, die wir bei der erziehlichen Be-
handlung tiefetehender Schwachsinniger täglich machen. Der Spiel-
trieb, die früheste Äusserung anhaltender Selbsttätigkeit, kommt
beim normalen Kinde zuerst in der Xachbildun^ des Gesehenen,
sodann in der Nachcrzeufrung des in l^r/ählunL^cn (xchörten zum
Ausdruck; das schwachsinrügc Kind eriiebt sich bei seinem Spiele
so lange nicht über die erste Stufe, als die Phantasietätigkeit —
d. L das selbsttätige Verbinden, Zerlegen und Beziehen konkreter
sinnlicher Vorstelhin^:;cn - und die \''erstandesfunktionen nicht die
triebartige Macht erlanji^en, welcher das kleine normale Kind niemals
zu widerstehen vermag; die mangelhaften und sich zu langsam
bildenden Assoziationen unmittelbarer Eindrücke mit früheren Vor-
stellungen bei geringer aktiver Aufmerksamkeit lassen die meisten
schwachsinnigen Kinder die zweite Spielstufe niemals erreichen.
Die Erregun^^ gesunder, ohne äusseren Zwang hervorgerufener
Selbsttätigkeit hängt aber, wie jeder Willcnsantrieb von der Ein-
*) Wandt, Grnndiitt der P^chologie. 5. Aufl., S. 353.
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— 86 —
Stellung der Aufmerksamkeit und des Interesses ab; das Interesse
wird in den ersten Entwicklungsstufen des Seelenlebens und bei
den Schwachsinnigen meist auch im späteren Leben hauptsächlich
durch die sinnlichen Gefühle der Lust und Unlust erzeugt. Ohne
Interesse gibt es keine gelingende Selbsttätigkeit. Ist der Erwerb
der ersten Anschauungen in der Art und Stärkr der Sinncseindriickc
und in den durch diese wachgerufenen Lustgefühlen begründet, so
wird der spätere Unterriclit dafür sorgen, dass bei Aneignung neuer
Vorstellungen im Innern des Zöglings apper/ipierende Vorstellungs-
massen sich vorfinden, damit die Apperzeption mit Leichtigkeit
geschieht, denn nur dnnn werden Lustf^efühle geweckt, die das
Verlanffen erregen, sich mit den betreffenden Gegenständen auch
weiterhin zu beschäftigen. Je interessanter eine Sache für das Kind
ist, desto aufmerksamer ist es, desto leichter wird sie aufgefasst
und ins Gedächtnis aufgenommen, einen um so bestimmteren Ein-
fluss übt sie auf den Willen. Wie aber die günstige geistige Ent-
w^icklung des normalen Kindes hauptsächlich durch eine von regem
Interesse begleitete Selbsttätigkeit, die in seinem motorischen Ver-
halten zum Ausdrucke kommt, bedingt ist, so ist eine Besserung
der psychophysischen Entwicklung des schwachsinnigen Kindes, der
mangelhaften Bcschafrenheit seiner Hirnzentren nur durch eine
Besserung seiner motorischen Reaktionen erreichbar, sobald für die
mannigfaltige und feste assoziative Verknüpfung der motorischen
Prozesse Soi^e getragen wird; diese Wiricung hat aber nur eine
Erziehung, die das Prinzip der Selbsttätigkeit als Grundprinzip zur
Anwendung bringt.
Bei der \ crscliiedcncii und eigenartigen i)S)'chischen Beschaffen-
heit schwachsmniger Kinder, ihrem mehr passiven Verhalten ist
auch durch die beste Erziehung nicht jener hohe Grad von Selbst-
tätigkeit des normalen Kindes erreichbar. Man wird sich begnügen
müssen, wenn die Arbeit der Schwachsinnigen mehr den Charakter
des Nachschaffens als des Selbstschaftens trägt und behält. In dem
kleinen schwachsinnigen Kinde regt sich äusserst schwach der Trieb
zum Selbstsehen, Selbsthören, Selbsthandeln und fast nichts ist zu
spüren von der regen Fragelust des Normalen mit dem unermüd-
lichen Was, Warum und Wie. Seine Kr/.iehung würde erfolglos, ja
unnötig sein, wenn sie nicht vermöchte, diese natürliche, darnieder-
licgende Iricbkraft zu wecken und zu stärken und aktiv als Mittel
zur geistigen und sittUchen Hebung anzuwenden. Die crziehlich-
unterrichtliche Behandlung wird daher die Kinder auf allen EnU
Wicklungsstufen zum Selbsttätigsein, zum Nachmachen des Vor-
gemachten, zum Suchen, Finden, Beobachten, Nachdenken, zum
Zeigen, Darstellen und Reden anregen und anhaken, sie wird den
Unterricht mit Handlungen verbinden, die Interesse finden, denn das
Interesse allein ist der Hebel zur Selbsttätigkeit Ein Unterricht,
der nur im Anlernen einigen Wissens seine Aufgabe erblicken
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- 8;
wollte, würde für Schwachsinnige ein Unding sein; die Erziehung
strebt dauernde Erfolge an und sie gewinnt sie durch die selbst-
tätige Beteiligung im Unterrichte, durch die stete Gewöhnung und
Übung im tätigen Ausüben des Guten.
In Rücksicht hierauf hat man seit Jahren die Aufnahme schwach-
sinniger ivinder in Erziciiungsanstaltcn nicht mehr von ihrer Bildungs-
iahigkeit d. h. von der Aussicht auf Erreichung des Schulzieles und
der Konürmationsfahigkeit, sondern allein von ihrer luziehungs-
fahic^keit abhän^f^ gemacht. Mit dieser dem Kinde L^ererhter
werdenden, humaneren Anschauung hat man aber die Vcri tl; htung
übernommen, auch mit dem tiefstehenden Kinde, bei dem an ein
Unterrichten im gewöhnlich gebräuchlichen Sinne nidit zu denken
ist, Erziehungsversuche anzustellet: Man erachtet heute diejenigen
Kinder als erziehunt^snihig, die durch ihre ei^oistischen Ausseningen
noch Spuren von Gefühl, Willen und Intelligenz an den Tag legen,
die durch, wenn auch recht beschränkte Tätigkeit ihrer Sinne doch
etwas Aufinerksamkeit zeigen, einfiichste Körpeibewegungen nach-
ahmen und einige Geschicklichkeit der Hände sich aneignen lernen,
man macht mit jedem solchen Kinde , in dem noch ein h'ünkchen
g^eistigen Lebens glimmt, einen Krziehungsversuch — wenn nicht
vorhandenes körperliches Siechtum, volles Verblödetscin, Epilepsie,
bestehende Geisteskrankheit diesen Versuch von vornherein als aus-
sichtslos erscheinen lasst Die hiesige Erziehungsanstalt^) sucht
durch ihre äussere Gliederung in Vorschule, Schule, Arbeitsidasse
fiir noch im Schulalter stehende Zöglinge und Arbeitsabteilungen
für überm Schulalter stehende Zöglinge den verschiedenen Ent-
wicJdungsstufen zu entsprechen und durch diese äussere Gliederung,
durch «e Zusammenstellung geistig und mö^chst auch k{>rperli<ä
gleichartiger Zöglinge in Gruppen von lO bis höchsteitt 15 Köpfen
unter Leitung erprobter und geschulter Erzieher Erfolge zu erzielen.
In die Vorschule nimmt sie die noch nicht schulfähigen, aber
erziehbaren Kinder aufj die Vorschule hiesiger Anstalt ist vierstufig
mit verschiedenen Parallelabteilungen; die Erreichung der Schul'
lahigkcit ist, wie der Name sagt, das Ziel.
Die Unterstufe der Vorschule will dem Kinde unter Übung
seiner Sinne und insbesondere seinp'^ Muskelsinnes zum sinnlichen
Auffassen, zum Wahrnehmen und zu bcwussten inneren Anschau-
ungen, sowie zu einer gewissen äusseren Selbständigkeit verhelfen.
Die dafür nötigen Erziehungsmittel bietet der Anschauungsunterricht,
das Pct Icnreihen, das Bauen, das Turnen und Spiel, die Übungen
im Selbstbcdienen : sich an- und auskleiden, sich waschen usw.
Der Anschauungsunterricht sucht zunächst den Nachahmungs-
trieb wachzurufen und in den Dienst der Erziehung zu stellen. Wie
*) Nitzsche, Die Königl. Sächs. Landcscrzichungsanstalt für schwachsinnif^c Kinder.
Entbilt Lehr- und Arbeitspläae. — Durch die Anstalt zu beziehen, Preis 1,50 M.)
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— 88 —
das kleine normale Kind am Nachahmen des Gesehenen Gefallen
findet, wie es die hinweisende und darstellende Gebärde des Er-
wachsenen früher als seine Worte versteht, so bietet der erste
Anschauungsunterricht zunächst an der Hand bestinunter Objekte,
die des Kindes Interesse erregen (Glocke, Ball, Hammer und Holz-
klotz, Puppenwagen), Reihen von Tätigkeiten, die vom Lehrer vor-
gemacht, mit Gebärden und Worten begleitet und von den Kindern
sofort, wenn auch zuweilen unter Hilfeleistung, nachgetan und wenn
möglich auch mit Worten bezeichnet werden. Ist das Sprechen
unmöglich, sa genügt die genaue Darstellung der Tätigkeitsreihe;
das Kind erarbeitet sich dabei einen gdstigen Inhalt, der sprach-
liche Ausdruck stellt sich bei der öfteren Wiederholung vielfach
nocli ein, wenn auch oft in recht verstümmelter Form ; mit dieser
Ursprache, die nur dem Erzieher verständlich ist, muss man sich
anfangs begnügen; durch besondere Artikulationsübungen wird sie
Später gebessert Ein Beispiel mag zeigen, wie auf dieser Stufe die
Tätigkeit der Sinne und des Geistes mit der Tätigkeit des Körpers
eng verbunden ist. Der Lehrer und jedes Kind hat auf dem Tische
vor sich eine Glocke stellen; der Lehrer zeis^t und spricht vor und
die Kinder ahmen nach: Da ist die Glocke. Ich fasse an. Ich
hebe hoch. Ich läute. Ich stelle hin. Auf die entsprechende
Gebärde und darnach auf das blosse Wort des Lehrers wird von
den Kindern diese Vorstellungs- und Tätigkeitsreihe wiederholt und
durch die öftere Übun^^ ihrem Gedächtnis eingeprägt, bis sie ohne
jede Hilfe reproduziert wird. An die Übung mit der Glocke werden
Hörübungen angeschlossen; Es wird vor der Zimmertür geläutet
Horcht! Was ist das? Es werden im Freien Übungen im Auffinden
nach dem Gehör vorgenommen. — Tastsinn, Gesicht und Gehör
werden nur erst durch derartigen reichlichen Um^^ang mit den
Dingen an nutzbringende Tätigkeit gewöhnt; einer sogenannten
systematischen Übung der Sinne aber widerstrebt das Kind. Das
blosse Zeigen und Benennen von Gegenständen, das Besehen oder
auch das Betasten — wozu schon die Intelligenz fehlt — und das
Abfragen: Was ist das? lässt das schwachsinnip^e Kind ebenso kalt,
wie den Sextaner dcis I'^inlernen der Vokabeln; das Kind muss
Interesse an den Gegenständen finden, es muss mit ihnen hantieren
und spielen, sie suchen und finden lernen, nur ausreichende eigene
körperliche Betätigung mit den Dingen schafft Klarheit der Vor-
stellungen und Begriffe; ein derartiger Unterricht trägt freilich mehr
flcn Charakter des fröhlichen Spieles, er gewnl-nt aber an Auf-
merksamkeit und Gehorsam und weckt Selbstvertrauen und Selbst-
beherrschung und führt zu ernsterem Schaffen; er nimmt den
Krethlschen mit seinem abnormen Ablauf der Ideenassoziation und
den Wortfänger, dessen geistiges Eigentum Worte, nichts als Worte
ohne jeden sachhchen Inhalt sind, in heilsame Zucht.
Welchen günstigen Kinfluss Turnen und besonders das Be»
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^ 89
wegungsspicl, das Selbstbedienen, sowie die einfachen Handfertig-
keiten: Perlenreihen und Bauen mit Holzwürfeln gerade infolge der
intensiven Inanspruchnahme der Selbsttätigkeit auf die ganze Ent'
Wicklung der Kinder ausüben, braiicbt hier nicht besonder«; hervor-
gehoben zu werden; nur soviel sei gcsa^^t, dass die Handfertigkeits-
übungen auch in den Dienst des Anschauungsunterrichts dieser
Stufe gestellt werden: Stuhl und Tisch werden z. B. bei ihrer Be-
sprechung nut Wurfein gebaut. Das Bauen setzt voraus» dass das
Kind, was es nachbaut, auch in Wirkliclikcit anc^cschaut und ver-
standen haben niuss; es ist auf der Unterstufe bereits ein geeignetes
Mittel zur Hrweckung und Pflege der Phantasie.
Auf der nächsten (2.) Vorschulstufe erweitert sich die Aufgabe
des Anschauungsunterrichts: Das Kind lernt den Schritt von der
Wirklichkeit zum Modell und endlich zum Bilde des einzelnen
Gegenstandes tun , es wird zum Betrachten der Dinge seiner Um-
gebung angeleitet; es lernt sie in ihrer Wirklichkeit kennen, es tut
oder erlebt mit oder an ihnen etwas; es setzt sodann die Dinge,
z. B. Tisch, Stuhl, Leiter, Rechen, Grabscheit im kleinen einfachen
Holzmodelle zusammen und sucht sie darnach im Einzelbilde zu
erkennen. Vorbereitet ist das Verständnis für die Auffassung des
Bildes durch das Bauen j bevor aber das fertige bunte Bild, das in
Rücksicht auf die räumlich beschränkte Fixation seitens des Kindes
anfangs nicht über 10—15 cm gross sein darf, dargeboten wird,
lässt der Lehrer vor den Augen der Kinder eine nicht zu grosse
einfache Umrisszeichnung entstehen — an der Wandtafel und
sodann auf der Schiefertafel. Die Schiefcrtafelzcichtiungen überlegen
die Rinder mit kleinen Stäbchen, halben Erbsen oder Linsen, dar-
nach bilden sie, wenn angängig, den Gegenstand im bunten Würfel-
kasten fMosaikkasten) nach oder stellen ihn mittels Töpferton dar.
Die aufj:jcfassten Hi!cl( r le^^en die Kinder an die Gec^enstände,
sortieren sie in der 1\( ilicnfolge der vor ihnen auff^estellten Dinge,
sie suchen die im Zuiuner verteilten Bilder, holen sie herbei und
Üben sich taglich im Bilderlesen. Dass Bilder auf dieser Stufe und
den na<disten niemals den Ausgangspunkt im Unterrichte bilden,
sonderTT dnss ein möglichst genaues Beobachten der Wirklichkeit
voraus^ciieii muss, ist selbstversttändlich. h^in lierarlii^es L'nterrichts-
verfahren, das an genaues Betrachten und Beobachten der Wirk-
lichkeit anleitet und gewöhnt und dabei sämtliche Sinne, insbesondere
den Muskelsinn anspannt, das nicht bloss auf sprachliche, sondern
auch auf eine manuelle Darstellun-^' des Auf[^cfasstcn hält, ein solches
Verfahren arbeitet lanj::jsani , aber griindlicli uiv! k-nnn keine Stoff-
fülle an die Kinder heranbringen. Auch die Spreciiubungen auf allen
Vorschulstufen werden vom wirklichen körperlichen Tun begleitet.
Eine Anzahl Begriffe, insbesondere lügenschaften, die das Kind
durch tlas .\nschauen in kürzerer Zeit nicht mit der erforderlichen
Klarheit und Festigkeit erfassen kann, werden durch Handtätigkeit
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— 90 —
eingeübt, so die Eigenschaften: gross und klein an grossen und
kleinen Ringen, Holztieren usw.; rund und eckig an S&ulen, hart
und weidi Bällen, schwer und leicht an Kastchen mit verschieden
schwerem Inhalte, Hie Farben an farbigen Würfeln; durch das
Sortieren, durch den l ingang mit den Dingen erwerben sich die
Kinder die Kenntnis tiacr Reihe von h-igenschaften.
Die Handfertigkeiten der Unterstufe werden auf der zweiten
Stufe fortgesetzt und durch das Hinzutreten von Tonformen, Papier-
und Schilfzopfflechten erweitert. Dieser motorische Unterricht, das
Turnen und Spiel, sowie der eigentliche Unterricht mit :er vnn
ihm gepflegten körperlichen Betätigung beeinflusst die Entwicklung
der sensorischen und motorischen Apparate auis günstigste, er lUhrt
zur Beherxschung des Korpers und wandelt anfangs willkürliche
Bewegungen, z. B. gröbere Körperbewegungen, das An- und Aus-
kleiden, das Zopfflechten nach und nach in automatische um und
wendet sich sodann zur Ausbildung der feineren Muskulatur der
Hand. Eine gewisse Mannigfaltigkeit der Handfertigkcitsfiicher, ein
Wechsel in der Betätigung ist nötig, wenn das Interesse und damit
die Selbsttätigkeit wacherhalten bleiben soll.
Die oberen beiden Vorschulstufen führen die Kinder in das
Verständnis einfacher Gruppenbilder ein^ Haus, Garten, Stall, Wiese,
Feld und Wald werden genauer beobachtet und besprochen, und
das auf den Unterrichtsgängen Geschaute wird im Gruppenbilde
aufgesucht und mit der Wirklichkeit in Vergleich gestellt; das
Selbstgeschaute weicht oft ab von dem im Bilde Dargestellten;
hierbei meldet sich dann eine selbsttätige Regsamkeit, die zur
Weckung der Fragelust der Kinder ausreichende Veranlassung gibt
Gegenstände, die sich ins Schulzimmer bringen lassen und Modelle
unterstützen die Bildauffassung der draussen erworbenen Eindrücke.
Ohne die '^rrlitc sachliche Anschauung gibt es kein erfolgreiches
f.ernen. kt im- Selbsttätigkeit im Ihitcrrichte. Nach Abschluss der
Besprechung; aber wird vom Lehrer das Bild in Umrissen an die
Wandtafel gezeichnet, wobei die Kinder den Inhalt des angeschauten
BÜdes angeben. Ein/eine Gegenstande oder Teile derselben werden
von den Kindern durch Formen in Ton , durch Bauen im Mosaik-
kasten, durch Malen mit Blei- und Buntstiften im Malbuche, durch
Bauen mit Würfeln und durch Stäbchenlegen, durch Falten und
Ausschneiden zur Darstellung gebracht. Wie der Anschauungs>
Unterricht das Kind selbsttätig zur Auffassung und zum Verständnis
seiner Umwelt durch Hineinführen in die Wirklichkeit anleitet, so
wollen auch die ersten Zahlübungen nicht durch mechanisches
Zählen oder durcii ausschliessliches Zählen von Gegenständen, die
in einiger Entfernung aufgestellt sind, z. B. an der gewöhnlichen
Volksschul-Rechenmaschine ihr Ziel erreichen ; die Zählmittel werden
vielmehr jedem Kinde in die Hand gegeben, damit es selbsttätig
die Zahlanschauungen sich erarbeitet Das erste Zählen nimmt das
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Kind unter Berühren des Zählmittels und unter l^antieren mit dem-
selben vor und erst später verrichtet es das Zählen nur mit Hilfe
des Auges; das Aufstellen und Legen der zu zählenden Gegenstände
geschieht besser in Gruppen als in Reihen; auch beim Zlhlen soll
sich ein fortwährender Austausch zwischen Anschauung und Dar-
stellung, eine Wechselwirkung zwischen Hand und Geist vollziehen.
Das Verständnis für die unbestimmten Zahlwörter: eins und viel,
etwas und nichts, mehr und weniger, wie auch für die bestimmten
von I — 6 ervrirbt' das Vorschulkind besser durch die tätige Hand
als nur durch das anschauende Auge. Als Zähl- und Darstellungs-
mittel dienen die Finger, Stäh'-hen , Würfel zum Einsetzen ins
Rechenbrett für quadratische Zahlenbihler, Glocken- und Ilaininer-
schläge, die Pfennige u. a. m. ; für die weitere Übung: die Gegen-
stande der ümgebune des Kindes. Unterstützt werden die Zähl-
Übungen durch nandrartigkeiten, wie Perlenreihen, Stabchenlegen,
Flechten.
In der untcrrichtlichcn Behandlung der \'orschulkInder übt man
vielfach') ,,den Sinn für die l'^ormcn an Modellen: Kreis, Viereck,
Dreieck, Oval usw. und benutzt dazu das Formenbrett; ein grosses
Brett, in dem Figuren ausgeschnitten sind, zu welchem Deckel
passen; der Lehrer hebt den Deckel heraus und lässt ihn durch die
Kinder wieder richtig in die Vertiefung setzen". Dieses Gerät halte
ich für entbehrlich, es nimmt fast nur das Auge, sehr wenig den
Muskelsinn in Anspruch, schliesst ein selbsttätiges Gestalten seitens
der Kinder voUs^dig aus und fesselt vor allem das Interesse nicht.
Der Formensinn wird durch einfache Handfertigkeiten: Tonarbeit,
Stäbe lienlcfjen, Mosaikarbeit, Falten und Ausschneiden am f^e-
eignctsten gebildet. Die hierbei darzustellenden Lebensformen f;e-
winnen des Kindes Interesse und entsprechen besser seinem kind-
fichen Sinne : Ring, BUderrahmen, Dach, Tüte, Ei sind flir das Kind
von interessanterem Inhalte als Kreis, Viereck, Dreieck, Oval
Überdies sind doch auch die durch bcwusstes körperliches Tun
erworbenen Kenntnisse haltl)arer als die nur durch das Au^e auf-
gefassten. Gesteigerte Aktivität, die in gelingender Selbsttätigkeit
und zunehmender Handgeschicldichkeit ihren Ausdruck findet, ist
aber ein Zeichen für eine bereits erreichte Besserung der mangel-
haften Hirnbeschaffenheit des schwachsinnigen Kindes, insbesondere
seiner motorischen Gehirnzellen.
Der Vorschulunterricht bietet den IK-Hlhij^teren Kindern die
nötige Vorbereitung für den späteren Unterricht in der Schule, den
nur beschäftigungsfähigen , die niemab in die eigentliche Schule
treten können, dient er als Vorbereitung zu einfachen praktischen
Handarbeiten. Solche noch im Schulalter stehende Kinder, die
weder das Ziel der Vorschule noch das der eigentlichen Schule
t) Wcyguidt, Die Behamflang idiotischer und imbeziller Kinder. S. $$.
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erreichen können — und früher als bildungsun(ahig galten —
werden in Absdiiebeklassen {Arbeitsklassen) vereinigt, wo sie
neben einigem Anschauungsunterrichte und Zählübungen haupt>
sächlich an die Verrichtung nützlicher Arbeiten gewöhnt werden.
Für Knaben kommen einfache Gartenarbeiten (Reinigten der Wej^e,
Jäten, Holzsägen, Späneschnitzen, Zopf- und Deckenflechten, für
Mädchen ebenfalls dnfache Gartenarbeiten, Wäschelegen und
Mangeln, Scheuern, Aufwasch- und Zuputzarbeiten, Stricken und
Nähen in Frage. Entsprechend der äusserst geringen geistigen Be-
tätigung dieser Kinder können für ihre Ausbildunix 7-u einiger Er-
werbsfähigkeit nur gröbere Arbeiten, deren Ausfülirung auch nur
die Tätigkeit der gröberen Handmuskeln verlangt, gewählt werden.
In diese Arbeitsklassen müssen meist auch die lünder aufgenommen
werden, die draussen ohne Unterricht geblieben und erst nach voll-
endetem 12., 13. Lebensjahre — also zu einer Zeit, wo Jie Ent-
wicklung der motorischen Hirnzentren beinahe ab;^^cschlo,sscii ist,
der Anstalt zugeführt werden; dass Schulunterricht und Versuche
in der Ausbildung durch Holz- und Papparbeiten oder Korbmacherei
bei diesen Spätlingen erfolglos bleiben, ist kein Wunder; bei dem
Mangel an motorischen I^egriffen und Her I landi^eschickliclikeit
kommt V)ei ihnen nur eine Gewöhnung an die Verrichtung gröberer
Arbeiten in Frage. Aufgabe der Erziehung ist es, die Kinder der
Arbeitsklassen zur m(>glichsten Selbständigkeit zu fiihren und bei
ihnen unter lobender Anerkainung ihrer geringen Leistung das
Vertrauen auf eigene Kraft und die Arlxitslust wachzurufen und
zu erhalten. Nicht anhaltendes Verrichten einer Arbeit, was sehr
bald Ermüdung zeitigen würde, sondern der Arbeitswechsel —
anfangs nach i , später nach 2—3 Stunden — und die Zuteilung
eines die Leistungsfähigkeit berücksichti^a-nden und auch leicht
erreichbaren Arbeitspensums für jeden einzelnen Zögling hält bei
ihnen das Interesse an der Arlicit wach. Die Kinder mögen geistig
noch so schwach sein, ein rein mechanisches Arbeiten von vorn-
herein gibt es auch bei ihnen nicht; die spätere mehr automatische
.Arbeitsverrichtung ist das Resultat langer Übung, der Betätigung
aller Sinne und der Arbeitslust, die erst durch das Bewusstwerden
gelingender Arbeit wächst. Die Gcwcihnung an anhaltendes Ver-
richten von einerlei Arbeit auf längere Dauer kaim erst Aufgabe
der eigentlichen Arbeitsabteilung sein; diesen Abteilungen werden
die Kinder aus der Arbeitsklasse zugewiesen, wenn sie das Schul'
alter überschritten haben und Aussicht auf weitere Arbeitsausbildung
bieten.
Die eigentliche Schule, die ihre Aufgabe nicht im Hcran-
brif^en von möglichst viel Wissensstoff ans Kind erblickt, sondern
auf die erziehliche Wirkung des Unterrichts den Hauptwert legt
und nur das fürs Leben unbedingt Nötige und Nützliche lehrt, hißt
durch Weckung und Pflege der Selbsttätigkeit das Ziel: Heran-
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bUdung zur ErwerbsföhigkcU erreichen. Die durch den Unterricht
in anschaulich-darstellerKlcr Weise zu vermittelnden realen Kenntnisse
dürfen niclit über den wirklichen erreichbaren Anschauungs- und
Erfahrungskreis hinausgehen; für Weltgeschichte und Geographie
ist kein Platz in der Schwachsinn^cn-Sdiule. Der in der Schule
betriebene Handfertigkeitsunterricht wirkt durch die Ausbildung der
Hand förderlich auf die geistige Entwicklung und erzieht fürs Leben,
andererseits hilft er im Unterrichte, der das Darstellungsprin/ip
möglichst beachtet, die Kenntnisse veranschauUchen, erwerben und
befestigen.
Für den Betrieb des Anschauungsunterrichts in der Schule
gelten auch die ftir die Vorsdiule aufgestellten Grundsätze, er soU
WirWichkeitsuntcrricht sein und darf niemals — wenn angängig —
von einem Modelle oder Bilde aiisf^chen , sondern soll dieses nur
zum Vergleich mit der Wirklichkeit, /Air Unterstützung und eventuell
zur Vertiefung benutzen j die Wirklichkeit ist das beste Lehrmittel.
Der Anschauungsunterricht hat iiir alle Schulklassen die Aufgabe,
^die Kinder unter Anleitung zu aufmerksamer Betrachtung und Be«
obachtung in Geist und Herz anregenden Besprechungen mit
Gegenständen und Erscheinungen besonders aus dem Kreise der
nächsten Umgebung genauer bekannt zu machen und soll dabei
die Sprache der Kinder mit entfesseln und bilden."*) Das Be*
trachten der Dinge, das Beobachten der Tätigkeiten, welche an
Menschen und Tieren wahrzunehmen sind , fordert das Aufsuchen
der Wirklichkeit. Damit die Kinder bei solchem Unterrichte sich
nicht bloss rezeptiv beteiligen, sondern reproduktiv und produktiv
tätig sind, werden sie mit der zu lösenden Aufgabe rechtzeitig
bekannt gemacht: ihr Beobachtungsdrang tritt dann bald zutage
und macht sich Luft in Mitteilungen über bereits Beobachtetes und
in Fragen; Hinweise und Fragen des Lehrers zur Leitung der Be-
obachtung und zur Weckunpf von Gedanken, die Anleitung zum
genauen Sehen, Hören und Betasten, das Nachtun und Nachahmen
der wahrgenonnmenen Tätigkeiten schafft Klarheit der Vorstellungen
und bildet das Urteil. Im Schulzimmer übt die Lektion die ge>
ordnete miindlirhc Wiederfrabc des drausscn Selbsterlebten an der
Hand einzelner nutgebrachter Gegenstände oder an Modellen und
Bildern und sie fügt daran die Darstellung der gesehenen Tätig-
keiten durch die Gebärde, sowie der Gegenstände oder ihrer Teile
durch malendes Zeichnen oder durch eine andere geeignete Hand-
fertigkeit
Erzählstoffe , Gedichte, Lesestücke, auch die biblischen Ge>
schichten fordern zur verständigen Auffassung und gemütlichen
Wirkung eine plastische AnschauUchkeit, die durch das bis ins
') Normallehiplao fiir die sächs. Volksschule.
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— 94 —
einzelne ausmalende Wort bei der anschaulich darstellenden Dar-
bietung infolge des schwachen Phantasielebens der Kinder und des
oft abnormen Ablaufs ihrer Ideenassoziation nicht erreicht wird, es
muss die dramatische oder zeichnerisdie Darstellung der einzdnen
Handlungen hinzutreten. Wenn wir in der unteren Schulklasse beim
Erzählen z. T. noch von Bildern mit beweglichen Flüren ausgehen,
so halten wir die Darbietung fertiger Bilder beim Erzählen auch
der biblischen Geschichten für verkehrt: das Kind schafft sich mit
HUfe seiner heimatkimdlichen Vorstellungen selbst den Schauplatz
dn ( ics;chichte, auch fiir die biblischen, das zeigen Geschichten mit
einfacher Handlung, die es mitunter selbst zur Darstellunfj bringt
Bei Geschichten mit wechselnden Handlungen und Änderung des
Handlungsortes wird das schwache Kind in seiner Auffassung der
Erzählung aber besser unterstützt, wenn der Lehrer beim Enählen
jede einzelne Situation durch einfachste Umrisszeichnungen an der
Wandtafel entstehen Kisst. Diese Zeichnungen bildet das Kind in
seinem Malbuche nach und führt sie bei etwas lebhafter Phantasie
oft in seiner Weise noch weiter aus. • Man soll sich nicht fürchten,
schwachsinnig; eil Kindern, die eine Erzählung nach und nach auf-
zufassen vermögen, den Griffel zur Darstellung in die Hand zu
geben; freilich entstehen mititnter Gebilde, die nicht vom fremden
Beschauer, sondern nur vom Kinde selbst c^r-lf-ütet werden können,
sie sind aber doch ein selbständiger Ausdruck Oes geistig Auf-
genommenen.') Nach diesem selbsttät^en Schaffen wird den IGndera
das künstlerische Bild zur Betrachtung und Aussprache geboten.
Sachverständnis und Sprachfertigkeit zu erzielen, ist Aufgabe
jedes Unterrichts; ganz besonders wird sie vom deutschen Sprach-
unterricht in der Schule mit seinen besonderen Sprech- und Auf-
satzübungcn, dem Lesen und Schreiben verfolgt Die besonderen
Sprechübungen sollen die Kinder mit den in der Umgangssprache
gebräuchlichen Sprachformen vertraut machen; sie soUen nicht /,u
n;rammatischcn Ergebnissen, auch nicht zur Re/.eichnung der Wort-
arten führen. Der Inhalt jeder Sprechübung wird aus dem h-r-
fahrungbkreise der Kinder entnommen, das Sprachstück wird ent-
wickelt und von den Kindern im Gedächtnis festgehalten, damit sie
es in Erzähl», Befehls- und Frageform, in die Ein- und Mdirzahl und
in die verschiedenen Zeitformen selbständig umsetzen lernen; dass
sie mit dem Sj^rechen — wo nur angängig — auch das Tun, das
Ausführen der lätigkeiten, das Hinweisen auf die ausgesprochenen
Personen usw. verbinden, ist bei der Anwendung des Prinzips der
Selbsttätigkeit verständlich. In Rücksicht auf dieses Prinzip und das
spätere praktische Leben der Zöglinge wird bei den Aufsatzübungen
von I^c^rhreibungen abj^cschcn tmd nur auf Darstellung der eigenen
Erlebnisse, z. i . in Briefform, gehalten.
>) Hier bot der Vortncoide Kindetiekhaiiiigeii dir.
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Das Leseolernen beginnt mit der Antiqua/) mit der aus
pädagogischen und hygienischen (iründen leichtesten Schriftart; vor-
bereitet wird es durch die Artikulations- und Sprechübungen der
Vorschule, durch das mit dem Stäbchenlegen verbundecie Zeichnen
und durch das Tonformen. Um den kleinen Leseschüler zu fester
und genauer Aufißusung der Buchstabenformen durch Auge und
Hand zu befähigen, werden ihm plastische Ruchstaben aus Holz in
die Hand gegeben , sie werden von ihm sortiert , betastet und auf
die gemalten Buchstaben der Wandiesemaschine genau aufgelegt,
er büdet die Buchstaben nach durch Zusammensetzen au^estanzter
Buchstabenteile, mit Hilfe des Mosaikkastens, durch Tonformen und
Nachmalen; der Wechsel in der Beschäftigung aber lässt sein
Interesse für das Lesenlerner; nicht sinken, das Kind verhält sich
dabei eben nicht bloss memorierend, sondern ist technisch selbst-
tätig und prägt sich dadurch die Formen fest ein. Beim Silben*
und Wörteriesen stellt jedes Kind auf seinem Handlesekastchen die
Ruchstaben zur Silbe und zum Worte zusammen und vollzieht
damit die ersten l"^bungen im Rechtschreiben. Hin mechanisches
Auswendiglernen von Silben- und Wörterreihen, wie es beim Fibel-
lesen vielfach eintritt, ist hierdurch ausgeschlossen — und die
Hauptsache ist, dass die Kinder durch Benutzung des Lesekästchens,
das sie selbsttätig erhält, nicht so leicht ermüden als beim alleinigen
Gebrauche der grossen Wandiesemaschine , die nur anstrengendes
Sehen ohne jede andere Sinnesbetätigung verlangt. Das Lesen der
zweilautigen Silben und einiger zweisilb^er Hauptwörter darf nicht
zu einem mechanischen Tun führen ; die zu übenden Wörter werden
den Kindern in einem geschichthchen Zusammenhange gegeben, sie
merken die Wörter, sprechen sie nach, zerlegen sie in Silben und
behalten die betonte Silbe, die dann an der Wandlesemaschine auf-
gestellt wird, wenn sie in die einzelnen Laute zerlegt worden ist;
die Silbe hat dann fiir das Kind die Bedeutung des ganzen Wortes,
z. B. es soll ma, mo, me, mu g !< s« n werden, so wird in etwas
ausführlicher Weise erzählt, dass Mama mit Moritz und Meta zur
Muh-Kuh ging. Auch die Übungswörter an der Lesemaschine
werden für die Anfänger in einen inneren Zusammenliang gebracht.
Durch das Nachmalen der Buchstaben wird das Schreiben an«
gebahnt, sobald darin einige Fertigkeit erlangt ist, wird durch
Diktierübungen die Selbsttätigkeit des Kindes in erhöhtotTi Masse
in Anspruch genommen. Der spätere Übergang von der Antiqua
zum Lesen deutschen Druckes und deutscher Schrift bietet keine
Schwierigkeit; wie notwendig übrigens das Lesen der Antiqua ist,
zeigt ein Blick ins Leben: Firmen, kurze Bekanntmachungen,
Warnungen sind in Antiqua ge^rhricben.
Von allen Unterrichtsdisziplinen fordert das Rechnen, abgesehen
>) HÜfiMcboUibe), Verlag von Ucyl & Kaemmeier ia Drasdca.
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von jenem verwerflichen mechanischen Memorieren der Rechen-
sätze, die Selbsttätif^keit des Schülers am deutlichsten heraus, wenn
bei jeder Rechenübung folgender Gang innegehalten wird. Zunächst
Rechnen mit Anschauungsmitteln, die in der liand der Kinder
sind — mit dem Rechenbrett iiir quadratische Zahlenbilder, mit
gewöhnlichen Zahlenwürfeln, mit Stabchenbändeln, mit ganzen,
halben und geviertehen Scheiben u. a. m., srtdann Kopfrechnen
unter Ablesen der an die Wandtafel geschriebenen Aufgaben und
weiter unter blossem Merken der Aufgaben, endlich schriftliches
Rechnen. Wie auf selbständige Lösung, so wird auch auf selb-
ständiges Bilden einfacher angewandter Aufgaben gehalten. Klarheit
und Verständnis für das im Rechnen zu bearbeitende Sachgebiet:
Geld. Uhr, Postwertzeichen, Gewicht imtl Wage und andere Masse
gewinnt das schwachsinnige Kind nur durch Un^ang mit diesen
Dingen, es muss sdbst zählen, messen, wiegen. Nur da<ßrch sammelt
es unter lebhaftem Interesse die fürs Leben nötige Erfahrung.
Der L'nterririit hört auf, von erziehlichem Werte zu sein, sobald
er der körperlichen Betätij^ung, dem Hauptmerkmale der Selbst-
tätigkeit, in der Erziehung Schwachsinniger nicht den breitesten
Raum gewährt Dasselbe gilt von einer Arbeitserziehung, die das
bildungsfähige schwachsinnige Kind im Schulalter nur an die an«
haltende Verrichtung gröberer Arbeit gewöhnen will, denn nur
feinere Arbeit bildet, sie fordert eine geschickte Hand und erzeugt
genaue motorische Vorstellungen und Begriffe. Bewegung, nicht
automatische Bewegung und Tätigkeit, ist ein Naturbedürfnis för
eine gedeihliche körperliche und geistige Entwicklung. Dem Grund*
Satze: Vom Gröberen zum Feineren! muss darum wie in der Vor»
schule, so auch in der Schule bei Handfertigkeiten Rechnung ge-
tragen werden. Das Zeichnen bringt in seinem Stufengange vom
Leichten zum Schweren nur Lebensformen und setzt sich iti der
Oberstufe für Knaben in Verbindung mit den Holzarbeiten; die
Gegenstände, welche in Holz dargest^t werden sollen, zeichnen die
Knaben unter Gebrauch von Reissschienen, Winkel, Zirkel und
ISS erst auf Papier, sodann aufs Brett auf und fertigen darnach
den Gegenstand mit Hilfe von Säge, Hobel und anderen Werk-
zeugen. Der Handfertigkeitsunterricht in hiesiger Anstalt besteht
für die Schulknaben aus einem systematischen Papp- und Holz-
arbeitsuntcrricht, für die Schulmädchen umfasst er die weiblichen
Handarbeilen: Stricken, Stopfen, Nähen und Ausbessern; für beide
treten auch industrielle Arbeiten: Flechten von Fussabstreichem,
RohfStuhlbeaehen, Bürstenbinden und fUr die tedinisch geschickten
Mädchen der Oberklasse eine Unterweisung in den Kc^anfängen
hinzu.
Die eigentliche Arbcitsausbildung fürs Leben erhalten die überm
Schulalter stehenden Zöglinge in den Arbeitsabteilungen. In
hiesiger Anstalt werden solche mannfiche Zöglinge je nach ihrer
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technischen Befi'ihi^^ung und ihrer Individualität entweder der Ab-
teilung für Korbmacherei, für Decken- und Rohrstuhlflechterei, lur
Gemfisegärtfierei oder lür landwirtschaftliche Arbeiten zugewiesen;
die Ausbildung der erwachsenen Mädchen erstreckt sich auf die
weibliclicn Handarbeiten, Wascherei, Haus- und Küchenarbeiten,
sowie auf Arbeiten in der ( )konomic. Unter >ti ; ^crung der zu
leistenden Arbeitspensen — zunächst unter Aulsiclit, spater ohne
diese — wird eine möglichst selbständige Arbeitsleistung tu et'
rdchen gesucht.
Neben Untcrriclu und Arbeit \vi:-i:t auch die Krziehunjij im
engeren Sinne durch ihre Massnahmen auf Weckung und Pflege
der Selbsttätigkeit. Die Freizeit pflegt die Bewegungsspiele, ins-
besondere die Ballspiele. Spielzeug, mit dem sich die meisten Kom-
binationen vornehmen lassen, nötigt schaffende Tätigkeit ab. Schaukel-
pferd, Reifen, Kreisel, Baukasten, Handwerkszeug und h'arhekasten
sind das beste Spiclzeufr fiir Knaben, Puj^pe, Puppenwagen, Puppen-
Stube und Küche für Mädchen. Die Übungen im Sclbstbediencn geben
Anleitung zum An- und Auskleiden, zum Sichwaschen und Allein-
Essen» zum Reinigen der Kleidungsstücke und ihrer Aufbewahrung
im eigenen Schranke, zum Bettmachen und zur Verrichtung mannig-
facher leichter häuslicher Arbeiten und kleinerer Handreichungen
für andere. An Übungen im Zurechtfinden im Anstaltsbereiche
schliessen sich die Spaziergänge mit ihren reichlichen Anregungen
zur Selbsttätigkeit: Die Eireichung des Zieles, die Beobachtungen
unterw^^l Auf Gemüts- und Willensleben übt die selbsttätige
Pflege von Tieren (Vögel, Fischen, Kaninchen, der Raupenkasten,
das Füttern der Vogel im Winter) und die Pflege von Pflanzen
(eigenes Beet, Blumentopf) den günstigsten Einfluss aus. Die Selb-
ständigkeit wächst bei Besorgung von Botengängen und Einkäufen.
IMe meisten erziehlichen Einrichtungen in Schule und Anstalt
sind auf die Beeinflussung des Willens der Zöglinge gerichtet, eine
nicht unbeträchthche Zahl darauf, dass die Zöglinge selbsttätig mit
dem Wissen aucii das Können vereinigen. Ohne Selbsttätigkeit ist
weder die geistige noch die körperliche Tätigkeit wachzurufen, zu
vermehren und zu veredeln; sie allein packt den ganzen Menschen
in seinem Werden und Sein, indem sie auf seine Denkkraft stärkend,
auf sein (lemut bereichernd und auf seinen Charakter biklend ein-
wirkt Die Anwendung des Prinzips der Selbsttätigkeit sciiuLiL vor
erziehlichen Fehlgriffen, sie fuhrt den Erzieher an jedes einzdne
Kind heran und zwingt ihn geradezu /utn Studium und zur SOrg«
Samen Beachtung der Kindes-Tndividualität. Sie verlangt eine an-
schauliche entwickelnde Methode sowohl für den Unterricht wie
auch für die Arbeitserziehung, eine Methode, die dem Kinde das
Lehrael vor Augen stellt, es vom Bekannten zum Unbekannten»
vom Leichten zum Schweren, vom Einfachen zum Zusammen*
gesetzten gehen lasst und dabei zum Selbstfinden durch eigenes
FMiUgtoohi Stndtai. ZXIX. t. 7
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- 9» -
Beobachten, Naclidenken und Tun veranlasst Sie vermeidet beim
Kinde ein mechanisches Lernen, fÜUt sein Gedächtnis nicht mit
Wörtern, sondern gibt reichliche Sachkenntnis durch einen seiner
Fassungskraft entsprerhenden Unterrichtssloff, sie lässt krin Kind
unbeschäftigt und fördert es naturgemäss durch seine eigene Kraft.
Begehbar ist aber der Lehrweg, an dessen Schilde „Selbsttätigkeit"
geschrieben steht, nur dann, wenn das Hindernis „LehistofiniUe"
glücklich weggeräumt ist. Das Prinzip der Selbsttätigkeit bedingt
die Beschränkung des L^ntcrrichtsstofTes : diese Tatsache dürfte seiner
Anwendung nicht entgegenstehen, denn damit wäre dann auch die
überbürdungsfrage in der Schwachsinnigenschule gelöst
Unser Endehungszie! heisst HeranbÜdung zur Erwerbsfahigkeit ;
CS ist erreichbar, wenn der schaffende Tätigfkeitstrieb bei unseren
Zöglingen nicht durch Hemmungen in ihrer psychophysischen Ent-
wicklung darnicdcrgehalten wird. In der VVeckung und Pflege
dieses Triebes aber, wodurch auch bei den Schwächsten eine
gewisse Besserung ihres Zustandes doch ermöglicht wird und die
die anderen fürs praktische Leben und Handdn geschickt madit,
wollen und werden wir nimmer ermüden 1
n.
Die Reform des naturwissenschaftlichen Unterrichts
im sächsischen Seminar.
Von Obeitelver Dr. E. Kotte in Dresden.
Schluss.
„Das Leben ist das Problem, das im Mittelpunkte aller wissen-
schaftlichen Forschung und alles philosophischen Nachdenkens steht,
es ist das Problem aUer Probleme. Hier berühren sich Materie und
Seele, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften. Die Kon*
struktion der Tatsache des Lebens ist darum entscheidend für die
VVeltanschauunfT überhaupt Hier scheiden sich die grossen Rich-
tungen des Materialismus und Idealismus. Und daher ist die
Kenntnis der Tatsache, um deren Konstruktion hier gestritten wird,
die Voraussetzung für das Verständnis aller Philosophie: ohne
Biologie kein Verständnis der philosophischen Probleme und ihrer
Lösungen . . . Demnach werden wir saufen: die Schule, die auf den
biologischen Unterricht Verziclit tut verzichtet auf den inter-
essantesten und wichtigsten Tcii nuLur wissenschaftlicher Erkenntnis,
den Teil, an dem die Naturwissenschaften am unmittelbarsten mit
den letzten und allgemeinsten Fragen menschlichen Erkennens sich
berühren.**
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— 99 —
In diesen Worten betont Paidsen diejenigen Gresichtspunkte, die
an letzter Stelle hervorgehoben sein mögen, um eine Ausdehnung
des biologischen Unterrichtes auf die Oberklassen zu rechtfertigen.
Wenn das eigentliche Lehrziel dieser Stufe darin bestehen wird, ein
tieferes Verständnis für den inneren Zusammenhang des Geschehens
und Werdens in der Natur zu erschliessen, so kann kein Zweifel
daniber herrschen, dass der Unterricht auf denjenigen Teil der
modernen Biologie nicht wird verzichten dürfen, dessen Kenntnis
gegenwärtig als unumgänglich notwendig zur Bildung einer Welt
aiischauung angesehen werden inuss. Alle Kmpiric strebt .ibcr zur
Vereinfachung. „Das ist eine miserable Empirie," sagt Feuerbach,
„die sich nidit zum philosophischen Denken erhebt*' — Und das
ist es, was auch der biologische Unterricht erstrebL Wir stehen
vollkommen auf dem Hoden der Ilamhiifj^er These, dass die
Biologie eine fcrfahrungswissenschaft ist und bleiben wird. Wenn
aber auch der Unterricht überall von den Tatsachen der Erfahrung
ausgehen muss, da allein die Sinne die Pforten unserer Erkenntnis
bilden, so steht doch fest, dass das Wissen von den Tatsachen
allein seinen Wert nicht ausmacht Vielmehr ist es die Erkenntnis,
wie sich Wissen zu einem Ganzen fügt, wie es zur Einheit strebt.
Darum wird auch die Schule, deren oberstes Prinzip die Wahr-
haftigkeit im Sinne wissenschaftlicher Voraussetzungslosigkeit tuklen
soll, nicht auf die Hypothese verzichten können, die es uns er*
möglichen will, Einheit und Zusammenhang in unsere Anschauungen
zu bringen und das Naturgeschchcn zu begreifen. Es ist eines der
erfreulichsten Zeichen der Gegenwart, dass die Furcht vor den zer-
setzenden Lehren der modernen Biologie, die im Jahre 1879 in
Preussen im Anschluss an den bekannten I-ippstadtcr Fall zu jenem
vernichtenden Schlag gegen den biologischen Unterrichte führte, im
Schwinden begriffen ist. Es schwindet jener Wahn, als müsste die
Entwicklungslehre jegliches religiöse Gefühl untergraben und ihres
(scheinbar) mechanischen Charakters wegen zu einer materialistischen
Weltanschauung und zum Atheismus führen. Vielmehr bringen
selbst Männer und Zeitschriften streng kirchlicher Richtung den
Bestrebungen nach ernster und tieferer naturwissenschaftlicher Unter-
weisung der Jugend ihr volles Wohlwollen entgegen.
Es ist entschieden eine auffällige Tatsache, die zum ernsten
Nachdenken nötigt, dass, nachdem der Materialismus im Laufe der
neueren Philosophie zweimal in kläglicher Weise Schiffbruch erlitten
hatte, ein Buch wie Haeckcls Welträtsel, das von der besonnenen
und ernst denkenden Wissenschaft unserer Tage sofort ad acta
gelegt wurde, trotzdem in wenigen Jahren in hunderttausenden von
Eüxemplaren unter den Gebildeten wie in der breiten Masse Ver-
breitung finden konnte. Auch besteht bei dem Wissenden, der die
Zeiterscheinungen eingehend verfolgt , gar kein Zweifel darüber,
welche ausserordentlich weite Verbreitung und Wertschätzung in
7*
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den gebildeten Ständen, besonders auch in der jüngeren Lehrer-
sdiaft (siehe die Bremer Vorgänge) in den letzten Jahrzehnten
mechanistische, monistische, materialistische und ähnliche Welt-
anschauungen gefunden halben. Man ist aber entschieden im Irrtum,
wenn man, wie dies oft geschieht, in leichtfertiger Weise unseren
Religionsunterricht dafür verantwortlich macht, dem man vorwirft,
sich in ausgefahrenen dogmatischen und orthodoxen Geleisen zu
bewegen. Sicher haben an dem Entstehen dieses Zustandes eine
Reihe von Faktoren mitgewirkt; der wichtigste aber scheint mir in
dem Mangel einer gediegenen naturwissenschaftlichen Schulung, in
dem F'ehlen gründlicher Sachkenntnisse und der nötigen Kritik-
fähigkeit zu li^en. Gegenwärtig lebt wohl niemand mehr, der es
für mögHch hält, die Entwicklungslehre vor den Schülern zu ver»
heimlichen. Fls liegt ja in der Art und RcschafTcnheit des Stoffes
der biologischen Wissenschaften begründet, dass ein ansehnlicher
Teil dessen, was diese Wissenschaften zutage gefördert, popularisiert
und somit dem Schüler leichter wie andere Lehrgegen^ände und
naturwissenschaftliche Unterrichtszweige zugeführt werden kann. Auf
tausend Wegen finden daher die von der Schule gemiedenen Ge-
danken Eingang in das Herz des Jünglings , in dem der lebhaft
und spontan erwachende Trieb zu metaphysischer Spekulation ge-
bieterisch und stürmisch um Antwort in Fragen ringt, die noch
dazu iur ihn den Reiz des Verbotenen haben und in denen er zu
leicht geneigt ist, an die Stelle des alten Credo quia absurdum ein
Credo quia vetitum zu setzen. Die Kehrseite aber ist das Miss-
trauen gegen alle von der Schule geschützten Wahrheiten, vor allem
gegen den Religionsunterricht, Darum erscheint es unbedingt ge-
boten, dass auch im Seminar von einem gewissenhaften Lehrer
Belehrung über die grossen Probleme der Biologie geboten werde,
weil nur dadurch unsere Schüler vor der seichten, oft unglaublich
leichtsinnig geschriebenen naturwissenschaftlichen Hintertreppen-
hteratur geschützt werden können, für die bereits alles dogmatische
Gestalt angenommen hat, was tatsächlich Problem ist und über das
die grössten Meinungsverschiedenheiten unter fast allen Fachgelehrten
bestehen, die sich diese Probleme zu ihrem Spezialstudium gemacht
haben. Für den auf höherer Warte Stellenden besteht kein Zweifel,
dass gerade gegenwärtig die Biologie einen Klärungsprozess durch-
macht Vorimer ist die Zeit, in der nach dem Erscheinen des
Dar^fnnschen Budies die grossen Orgien der Materialisten gefeiert
wurden. Die masslose Überschätzung; 1er Darwinschen Lehre wie
der sie verfolgende Hass haben allmählich einer nüchternen und
ruhigeren Beurteilungsweise Platz gemacht, und gerade in diesen
Tagen wird das D»winsche Dogma über die Ursachen der Art-
bildung und der Anpassung immer lebhafter und nicht ohne Erfolg
bestritten, so dass für viele von dem Darwinismus weiter nichts als
die allerdings unerschütterliche Tatsache der Entwicklung übrig«
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geblieben ist Wir stehen unzweifelhaft an einem Funkte der
wissenschaftlichen Entwicklung, wo sidi, angeregt durch die vid-
scitii:;e Krweiteninf^ unserer Erkenntnisse und die dadurch bewirkte
Vertiefung des Denkprozesses, ein vollständi<]fcr Umschwung in der
Biologie vorbereitet Man erkennt, dass sich eine positive Grund»
läge für die Annahme einer alleinigen Wirksamkeit kausal-mecha-
nischer Beziehungen weder aus den Erfahninganhalten noch aus
unseren Denkgesetzen ableiten lässt, und ist geneigt, zur Rettung
des natiinvissenschaftlichen Fiinhcitsgedankens auch die psychische
Kausalität als allgemeinen Faktor des Naturgesclichens anzuerkennen.
So wird woW in Zukunft die Gefalir schwinden, als könnte die
Bblogie die törichte Meinung erweckoi, dass durch den Darwinismus
das grosse Rätsel des Lebens und der Welt gelöst sei, gelöst wie
ein einfaches Rechenexempel. Die grosse Wahrheit aber, die ein
gewissenhafter biologischer Unterricht dem Schüler mit auf den
Lebensweg geben kann, eine der grössten Wahrheiten überhaupt,
ist die, „dass alles Lebendige auf unserem Planeten die gleiche
korperlidie Grundlage hat" (Waldcyer).
Aus dem Gesagten geht bereits zur Genüge hervor, welche
Ziele dem bi(ilui,nschen Unterrichte in den Obcrklassen L^esteckt
werden niüasen. Die Unterklassen werden neben Morphologie und
Sj^tematik in erster Linie die Aufgabe haben, die Lebensverhalt*
nisse der Tiere und Pflanzen und deren Einfluss auf die Organisation
so ein^^ehend darzustellen, wie es die Vorbildung und das Ver-
ständnis der Schüler gestatten. Dal)ci in(")cnte icli hier einer Ver-
teilung des Lehrstoffes im Lehrpiane das Wort reden, die in den
letzten Jahren insbesondere auch für die Seminare in eingehender
Weise begründet worden ist und mit der ich selbst die besten Er-
fahrungen gemacht habe. Da der Scliüler bereits im Natnrgeschichts-
unterrirhte der Volksschule mit den hauptsachlichsten Lebensformen
des Tier- und Pflanzenreiches bekannt gemacht worden ist, so dürfte
das erste Sommerhalbjahr nach Eintritt ins Seminar ausreichend
ersdieinen, um ihn an ein intensives Beobachten einzelner Formen
zu gewohnen. Dann muss zum mindesten der Unterricht in der
Zoologie von den einfachsten tierischen Ori^^anismen, den i'rotozoen,
ausgehend und zu den höheren und höchsten Formen alimählich
fortschreitend, sich dem Werdegange der Natur möglichst an-
zuschliessen suchen. Man gibt sich einer vollkommenen Täuschung
hin, wenn man «glaubt, dass ein Vogel, ein Säugetier oder gar der
Mensch dem Schüler besser bekannt sei oder seinem Verständnis
leichter nahegebracht werden könne als z. B. eine Coelenteratenform,
bei der wir die Bauform des tierischen Körpers auf ein einfachstes
Grundschema zurüd^bracht und auch die Lebensvorgänge in
typisch vereinfachter Weise sich abspielen sehen. Man lehre also
an den Seminaren, deren Unterklassen den Mittelklassen der neun-
klassigeu Lehranstalten entsprechen , die Biologie in aufsteigend-
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I02 —
systematischer Reihenfolge; denn auf diesem Wege Ifisst sich ein
viel tieferes Verständnis für die Organisation und die Entwicklung
der Lebewesen vermitteln als auf dem entgegengesetzten Wege.
Auf diesem Fundamente hat sicli ein Oberbau zu erheben,
dessen Notwcndif^keit aus dem \'oi handensein tiefgehender Unter-
schiede zwischen dem Auffassungsvermögen und der Vorbildung
der Schüler der Unter- und Oberklassen begründet wurde. Das
Ziel dieses erweiterten biologischen Unterrichtes kann nun auf
keinen Fall eine Erweiterung der Systemkunde sein; auch können
wir uns nicht darauf einlassen, die vcrj:;leichende Anatomie. Histo-
logie, Entwicklungsgeschichte, Paläontologie, Tier- und Pflanzen-
geographie so systematisch und ausfuhrlich zu behandeln, wie das
vielleicht von einzelnen Fachliebhabem erträumt werden mag. Dazu
ist keine Zeit vorhanden; auch widerspricht es durchaus der
durch das Ziel der allgemeinen Bildung notwendig geforderten Be-
schränkung auf das Wesentliche. Ich stimme vollkommen mit
WUhelm Schwarze*) überein, dass es sich vielmehr darum handelt,
die vielen biologischen Einzelheiten, die in den unteren Klassen
naturgemäss an den verschiedensten Stellen des Lehrganges auf-
treten, unter neue Begriffe und Gesichtspunkte zusammen-
zufassen, neue Heobachtun<,'cn , vor allem unter Zuhilfenahme des
Mikroskopcs anzustellen und endlich, was früher nicht möglich war,
die neuerworbenen physikalbch • chemischen Kenntnisse zur Er*
läuterung der Lebensbedingungen und zum besseren Verständnis
der Lebensverhältnisse heranzuziehen und dadurch ein tieferes Ver-
ständnis des inneren Zusammenhangs des Werdens und Geschehens
in der Natur zu erüflhen.
Demnach hesse sich die Aufgabe der einzelnen Klassen in einem
zukunftigen siebenjährigen Seminarkursus in folgender Weise be-
grenzen :
1. In den drei Unterklassen, der zukünftigen Septima, sowie
der jctzif^cn Sexta und Quinta , die den Mittelklassen Quarta bis
Obertertia der 9 klassigen höheren Lehranstalten entsprechen, sind
in systematisch aufsteigendem Gange die wichtigsten organischen
Naturfonnen nach ihrer äusseren Erscheinung, ihren Lebensverhält*
nissen und ihrer Organisation zu besprechen , so dass sich im
Rahmen des natürlichen Systems ein <:jeordneter Überblick über
den Formenreichtum der organischen Natur ergibt.
2. Den Mittelklassen, der jetzigen Quarta und Tertia, die der
Ober- und Untersekunda entsprechen fallen, folgende Lchraufgaben zu:
a) Die allgemeine Botanik und Zoologie, also Anpassungs-
ersdieinungen des pflanzlichen und tierischen Organismus an die
\u^ der Praxis des biologischen Untenidits in den Oberklawen, Natur mid
Schule IV, 195.
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— 103 —
äusseren Lebensbedingungen (Wärme» Licht, Boden, Wasser), femer
die Beziehungen der Pflanzen wie der Tiere unter sich, wie zu ein-
ander (Beziehungen der Geschlechter, Fürsorge für die Nachkommen,
Rruti)flege, Staatenbildiini?. Nahrungs- und Raumkonkurrenz, Aus-
nutzung der Mitpflan/en, Raubtier und Beutetier, Synökie und
Kommensalismus, Parasitismus, Symbiose, Mutualismus, fleisch'
fressende Pflanzen etc.), endtich die Erarbeitung der GruncHagen der
Pflanzen- und Tiergeographie.
b) Die vergleichende Anatomie und Physiologie der Pflanzen
und Tiere. Hier handelt es sich zunächst um die Erarbeitung des
Begriffs der Zelle als des Eiemcntarorganismus, um das Verständnis
des Baues und des Lebens der Zelle, sodann um die fortschreitende
Gewebedifferenzierung bei mehrzelligen Wesen, also um eine ver-
'gleichend anatomische Betrachtung der Organsysteme bei vid-
zclligen 'r!iaJloj)h\'ten, den Gefasskr}''ptogamen und höheren Pflanzen,
desgleichen in der Reihe der Tierstämme, wobei besonders die
Organe der Empinidung (Nervensystem und Sinnesorgane) sowie
der For^flanzung zu berücksichtigen «nd.
3. Der Sekunda, entsprechend der Unterprima, würde die
Anatomie und Hiysiologie des menschlichen Körpers, die unter
steter Berücksichtigung hygienischer Gesichtspunkte zu erteilen ist,
zuzuweisen sein; der Prima endlich im Anschluss an die Geologie
eine Betrachtung der geschichtlichen Gesarntentwicklung der Lebe-
wesen, wie sie als Tatsachenmaterial in den Überresten der Gesteins-
sdiichten und als spekulativer Erklärungsversuch in der Deszendenz-
tebre vorliegt, ^n derartiger abschliessender biologischer Kursus,
der eine Orientierung über die Tatsachen und I^Vag^cn der kosmischen,
tellurischen und bioioL^nschcn Entwicklungsgeschichte geben würde,
würde auch auf dem Seminar ein notwendiges Stück einer philo-
sophischen Propädeutik ausmachen, „die die KJuft zwischen Natur-
und Geisteswissenschaften überbrücken, den naturwissenschaftlichen
UnternVht nach der philosophischen Seite hin vertiefen und so ifazu
beitragen würde, den Gegensatz zwischen Realismus und Humanismus
zu versöhnen" (Norrenberf^).')
Es würde ein Leichtes sein, sich hinsichtlich der Forderung der
Stundenzahl für den biologischen Unterricht auf den Standpunkt
der Hamburger Thesen und der Unterrichtskommission zu stellen
und auch für alle Seminarklassen einen durchgehenden zweistündigen
biologischen Unterricht zu fordern. Indessen stimmen die meisten
kritischen Stimmen, die sich bisher zu dieser Forderung haben
vernehmen lassen, darin überein, dass bei der gegenwärtigen Organi-
sation der höheren Knabenschulen an eine Realisierung dieser
Forderung zur 2^it nicht zu denken ist und dass man sich in praxi,
^) Zitiert nach Natur and Schule II, 480.
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— IQ4 —
utn nur überhaupt etwas zu erreichen, am RealLjyninasium und der
Oberrealschulc auf je i Stunde in den Oberklasscn wird beschränken
müssen. Ich glaube, das ist audi das Ausseiste, was man bei
nüchternster Abwägung der gegenwärtigen Zettlage für das Seminar
• erreichen kann. Ich nehme daher abermals die schon von Prof.
Ulbricht 1901 «gestellte Forderung auf und playdiere dafür, dass wir
uns in der Biologie auf die Forderung von je 2 Stunden in den
Unter- und Mittelklassen (7 — ^4) und auf je eine Stunde in den dm
Oberklassen beschränken. Diese Forderung von 1 1 Stunden fiir die
Biologie stellt das zu erreichende Minimum dar. Da ich später
noch kurz Ticigen werde, dass unter bestimmten Voraussetzungen
die tatsächliche Möglichkeit der ReaUsierung dieser Forderung
gegeben ist, so kann ich nur die Bitte aussprechen, dass die be-
tr«nende These allgemeine Zustimmung finden möge. Wir stellen
damit keine Forderung, von der wir uns unter Umstanden noch
etwas abhandehi lassen könnten, sondern einigen uns auf ein Ziel,
das wirklich crreic hbar ist und dessen Erreichung daher mit allen
Kräften angestrebt werden kann.*)
n.
Ich wende mich zu den exakt-naturwissenschaftlichen Fächern,
denen die Aufgabe zufallt, dem biologischen das physikalisch-chemische
Weltbild an die Seite zu stellen. Was erstreben diese Fächer bei
einer zukünftigen Neuregelung des Lehrplans? Ich möchte mich
zunächst kurz mit der Chemie etwas naher beschäftigen, dem Stief-
kinde aller am Seminar gelehrten naturwissenschaftlichen Disziplinen.
Wenn die Dosis biologischen Wissens, die unter den gegenwärtigen
Verhältnissen den Schülern \'cral.>reicht werden kann, als eine sehr
minimale und un/urcichciule be/.ciehnct werden musste. so muss die
Rolle, zu der die Ciiemie gegenwärtig verurteilt ist, geradezu als
eine unwürdige bezeichnet werden. Wenn daher in Zukunft irgend
etwas für den naturwissenschaftlichen Unterricht am Seminar gescmeht»
dann muss an dieser Stelle zuerst der Hebel angesetzt werden.
*) Nach<li n; Acr crsle Teil in Dnick <::i[i};cn w.ir. erfuhr ich ihiroh ii,ichtrii(,']icli
eingcsogeoe Erkiudigungcn, dass sich die Untcrrichtskommission der dcuUcbcn Natur-
fbradier und Ante wie ta ihren f;e«amten Avbdten mich bH ihmn Urteife Uber die
gegcnwSrtipon Verhältnisse des ii.iturwisscnschaftliclieii Untrrriclits und die Vorbildung
der DiUurwis&casclttfUichea Lehrer an den Lelurcrbilduagsan&lalten weseoUich auf Gut-
ftchten i^tfltzt hat, die von prenssischcn Anstalten dn^zogen worden waren. Ich sdie
nii h d.ihrr veranla'^st. hirr besonders auszusprrrhfn, dass es mir selb.st\ > r^tündüi h völlig
ferngelegen hat. durch meine Ausführungen in Helt l S. 15 ff. der scyLu;.rcichcn und
unftasenden Tätigkeit der Unterrichtskommission zu nahe treten zu wollen. Ich kann
nur nofbinals nit incni Iii dam rii AuMlrnck geben, dass es der Kommission infolfje der
au-sserordentlich vcrwickcUcrii uuü vcröchii denartigcn Organisationsverhältnisse der Li hrer-
bildnngsanstalten in den einzelnen deutschen Staaten leider nicht möglich gewesen ist,
mit bestimmten, abgeglichenen Vorschlägen hervorzutreten und durch das Gewicht der
in ihr vereinigten Stimmen auch an den Seminaren eine baldige gründliche Reorgani-
sation des natanriasensdiaiUichen Unterrichtes xn veranbssefl.
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— I05 —
Die Chemie ab die Lehre von den die gesamte uns umgebende
Welt zusammensetzenden Stoffen ist eine derartig grundle<(endc
Wissenschaft, dass man ohne tiefgehende Beweisführung sagen kann:
Ohne Chemie gibt es überhaupt keine naturwissenschaftliche Bildung j
ohne sie wird diese immer itinerKcfa unvoUendet bleiben, also eine
Halbbildung darstellen. Langst hat sich diese Erkenntnis Bahn ge-
brochen ; an allen anderen höheren Lehranstalten sind Physik und
Chemie als völlig gleichberechtigt anerkannt und mit einer nahezu
gleichen Stundenanzahi berücksichtigt. Nur am sächsischen Seminar
befindet sidi die Chemie, auch verglichen mit den l%ir die preussbchen
Lehrerbildungsanstalten durch die Lehrpläne vom l. Juli 1901 ge>
schaffenen Verhältnissen in einer tief beschämenden Lage. Der
Grund Hegt darin, dass bei uns immer noch im wesentlichen der
vor einem Menschenalter entworfene Lehrpian Geltung besitzt. Er
entstammt einer Zeit, da der Bildungswert der Chemie vielfach
nicht ausreichend eingeschätzt wurde. Dieser aufiallige Umstand
findet seine Erklärung in der späten Entwicklung der chemischen
Wissenschaft während des 19. Jahrhunderts, der erst viel später die
Einführung der Chemie als Unterrichtsfach in den Schulen folgen
konnte und in der nicht genügend beachteten Methodik dieser
Disaplin, die nicht nur wie jeder naturwissenschaftliche Untericht
als notwendige Ergänzung der abstrakten Lehrfacher, sondern gerade-
zu als eine Schule logischer Induktion par excellcnce bezeichnet
werden muss und die wie kein zweites naturwissenschaftliches Fach
Gelegenheit bietet, Tatsachen der Erfahrung von Hypothesen und
Theorien zu unterscheiden, aber auch den grossen heuristischen Wert
der H3rpothese für den Fortschritt der Wissenschaft zu enthüllen.
Aber es sei ganz abgesehen von dem allgemein bildenden Werte
der Chemie, der sich doch nur bei genügender Stundenzahl recht
auskaufen lässt. Ist es unter den gegenwärtigen Verhältnissen auch
nur möglich, diesem Fache um seines grundlegenden wissenschaftlichen,
wie seines wirtschaftlichen (technischen) Wertes willen gerecht zu
werden? Ist es denkbar, jenes Mass chemischer Kenntnisse zu
übermitteln, das für die Anbahnung des Verständnisses der durch
die chemische Wissenschaft in Technik, Industrie, Agrikultur und
Komfort des täglichen Lebens erzielten Fortschritte unerlässlich ist,
das endlich im Verein mit verwandten Disziplinen die Eirgebnisse
der naturw^issenschaftlichen Bildung erst richtig zu fundieren, zu
ergänzen, zu verschmelzen und abzurunden vermag r Diese Frage
muss, insbesondere auch in Hinsicht auf die Anforderungen, die die
zukunftige Tätigkeit des Lehrers in der allgemeinen Fortbildungs-
schule und in Fachschulen an ihn stellt, völlig verneint werden.
Man bedenke, dass der Lehrplan von 1877 für die Cliemie nur
1 Stunde in der 3. Klasse ansetzt und dass durch die (rrüllich schen
Verfügungen nur noch eine weitere Stunde in einem Halbjahr
gewährt wurde, die noch dazu der Physik entzogen worden ist
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— io6 —
Ich verzichte darauf, hier denjenigen Stoff mitzuteilen, der sich bei
intensivstem Flcissc und sorgfaltigster Vorbrrritimg der Experimente
in dieser Zeit durcharbeiten lässt. Wer freilich auf das Experiment
verzichtet, der mag noch etwas ganz Erkleckliches fertig bringen.
Jedenfalls ist es ausgeschlossen, in eine Einzelbesprechung der
wichtigsten Metalloide u n i ihrer wesentlichen Verbindungen ein-
7.utrcten, nur einige Leicht und Schwcrmctallc nach ihrem Vor-
kommen, ihrer Gewinnung im Hochofenbetriebe, ihrer technischen
Verwertung zu kennzeichnen oder endlich gar einige grundlegende
Kapitel aus der organischen Chemie experimenteU zu behandeln.
Hier besteht entschieden eine klaffende Lücke in der naturwissen*
schaftHchen Ausbildung unserer Abiturienten, und es ist unsere
Pflirlit, immer von neuem an die massgebende histan/. mit der
Bitte heranzutreten, diesen argen Missstand in Zukunft abzustellen.
Dazu kommt, dass in unserem Lehrplanc noch immer jene
pädagogische Ungereimtheit besteht, die die Mineralogie vor die
Chemie verweist Liegen beide Fächer in einer Hand, dann lässt
sich wohl verhältnisnicHssig leicht Abhilfe schaffen; ist dies aber,
wie viclfacli, nicht der hall, so befindet sich der betreffen !e Lehrer
in der wolil nicht gleich wieder vorkommenden Lage, auf einem
noch nicht vorhandenen chemischen Grunde ein mineralogisches
Gebäude errichten zu müssen. Es liegt hier nahe, auf die schwierige
Frage der Stellung der Mineralogie im Lehrplane einzugehen. Ich
möchte nur soviel bemerken, dass ich auf der Seite jener stehe, die
die immer wiederholten Versuche von Scliuhnäiuiern, Mineralogie
und Geologie zu einem Ganzen zusammenzuschweisscn, wie zuletzt
P. Wagner,') als aussichtslos betrachten, „da die Arbeitsmethoden
beider Wissenschaften ihren wissenschaftlichen Voraussetzungen,
ihren Gedankenverbindungen und ihren Zielen nach grundverschieden
sind"^ und sich immer weiter in entgegengesetzter Richtung ent-
wickeln werden. Gerade das VVagner'sche Buch hat mich von
neuem in der Überzeugung bestärkt, dass bei einer derartigen Zu-
sammenschweissung innerlich widerstrebender Dinge notwendig das
eine zu kurz kommen muss; das ist hier die rein naturwissenschaftliche
Seite, der chemisch-technologische Gesichtspunkt zu Gunsten des
geographisch-geologischen. Auf dem Seminar würde meiner Meinung
nach die Mineralogie ebenso wie die allgemeine Chemie und die
Technologie am besten organbch in den nach systematischen
Gesichtspunkten bc inu^iten Ldtrplan der speziellen Chemie an-
gegliedert, während die allgemeine Geologie der Geographie zu-
zuweisen wäre, die ja in unserer Zeit mehr und mehr im Sinne
*) P. Wagner, Lehrbuch der Geologie uhU MiDcralogie ftir höhere Schulen.
Letpug, Tcubncr. 1907.
^ Job. Walter. MincnUogie aod Geologie in Forschung , Lehre nnd Uatenicbl.
Natur und Schule IV, 549.
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— 107 —
einer Naturwissenschaft aufgefasst und betrieben wird. Ich kann es
an dieser Stelle nicht unterlassen, der Geographie, jener anderen,
neben der Naturwissenschaft im Lehrplan der höheren Schulen so
schwer um anerkennende Wertunj^ und grössere Berücksichtigung
kämpfenden Wissenschaft 7.u f^cdenkcn und die Hoffnung aus-
zuspreclien, dass der Geographie in Zukunlt ihr jetziger Besitzstand
gewahrt bleiben möge. Jeder Gewinn der einen der beiden Wissen»
Schäften wird der anderen zu gute kommen, jeder Verlust der
anderen die erstere schädigen. Auf Grund eines reichen, im
Geog^aphieunterrichte nach und nach zu erarbeitenden geologischen
Tatsachenmatcriales würde dann dem abschliessenden, oben genauer
uim'enzten biolc^ischen Kursus der Prima noch die besondere
Au%abe zufallen, innerhalb des Rahmens der allgemeinenKntwicklungs>
^eschiclite rinsprcr Erde die grossen geologischen Faktoren zu-
sammcnhän^^end zu würdigen, die einst unsere Krdoberfläciie formten
und die noch beständig am Werke sind, sie umzugestalten.
Durch die gekennzeichnete Verteilung des Lehrstoffes wird der
Chemie innerhalb des Lehq:jlancs eine gewisse zentrale Stellung
angewiesen, und solcher Kristalhsaiionspunkte bedürfen wir dringend ;
denn sicher besteht eine Schwäche des gegenwärtigen naturwissen-
schaftlichen Unterrichts neben seiner bisher^en, vielfach verfehlten
Lehrmethode in seiner Zersplitterung nach getrennten Dis/ipHnen,
die. obwohl sie sich gegenseitig ergänzen und aufeinander angewiesen
sind, doch nacheinander statt nebeneinander betrieben werden.
Naturwissenschaft soll aber auch in der Schule als Einheit aufgefasst
werden und sich des Zieles der modernen Wissenschaft erinnern,
die Einheit der Natur immer mehr zu begreifen. Unter allen natur-
wissenschaftlichen Disziplinen wüsste icli aber keine zu nennen, der
ein so hervorragend assoziativer Charakter zukäme als der Chemie.
JSac erecheint in exster Linie dazu berufen, gegenüber der Zer-
splitterung der nebeneinander herlaufenden Fächer wieder einen
Sammelpunkt zu bilden, der kaleidoskopartigen Mannigfaltigkeit der
organischen und anorganisciien Hrscheinungen gegenüber wieder die
Einheit, das alles umspannende Gesetz zu betonen."') Von diesem
Gesichtspunkte aus erscheint auch die Behandlung einiger Kapitel
aus der organischen Chemie unerlässll( h. Auch wenn sich die
Belehrung über die Konstitution der Kohlenstoffvcrbindungcn auf
ein typisches Beispiel besciiränkt, braucht sie durchaus nicht obcr-
fiächhch zu sein; denn der Werl beruht einmal in der Klärung der
theoretischen Kenntnisse (Gresetz der multiplen Proportionen, Wertig«
keit der Elemente), vor allem aber darin, dass damit erst die Grenze
zwischen anorganischen und oiganischen Verbindungen fiberbrück*
') Norrrnhci^' in Lexu, Die ReforiD des höheren Schulwesens in Preussen.
HaUe 190»^ ^- 3^-
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— io8 —
bar wird und die Stoffwechselvoi^;ange als chemisches Geschehen
erscheinen.
SchulLcchnisch ist es nun völlifj ausgeschlossen, die Kraj^c eines
erweiterten chemischen Unterrichtes dadurch zu lösen, dass man
auch für die Chemie noch weitere Stunden in den oberen Klassen
des Seminars fordert. Bei der Mannigfaltigkeit der in unseren
Oberklassen zu lösenden Aiiff^nben werden wir schon sehr (dankbar
sein müs'^en. wenn sich der biologische Unierricht mit riner Stunde
von Tertiü. ab bis l'rima durchführen lässt. Also kann nur eine Ver-
schiebung des chemisch-mineralogischen Unterrichtes nach unten hin
in Frage kommen. Ais Minimum, unter das man m. E. unter keinen
Umständen herabgehen sollte, sehe ich etwa das Folgende an: Der
jetzigen Quinta würden mit 2 Stunden vor allem die Nichtmetalle,
der Quarta gleichfalls mit 2 Stunden die übrigen Nichtmetalle und
die Leichtmetalle, der Tertia mit 2 Stunden die Schwermetalle,
sowie die Grundlagen der organischen Chemie zuzuweisen sein.
Ich beschränke mich auf die Forderung von 6 Stunden für die
Chemie und Mineralogie; das Realgymnasium besitzt gegenwärtig
lo Stunden für beide Fächer.
Diese Verlegung des chemischen Unterrichtes nach unten föhrt
mich zu einer zweiten Forderung bezüglich der exakt naturwissen-
schaftlichen Fächer. Wenn in dem jetzigen Lehrplan einerseits
beklagt werden muss, dass er für die biologischen Fächer nur einen
Unterbau kennt, dem der krönende Abschluss in den Oberklassen
fehlt, so verfallt er bezüglich des physikalisch - chemischen Unter-
richtes in den entgegengesetzten Fehler. Es muss aus verschiedenen
Gründen lebhaft beklagt werden, dass das sächsische Seminar keinen
Unterbau für den physikalischen Unterricht besitzt, wie ihn z. B.
die preussischcn Anstalten aufweisen und wie er auch seit länger
als 30 Jahren an den österreichischen Gymnasien mit grösstem
Erfolge durchgeführt ist. Beklagenswert zunächst einmal deshalb,
weil durch unsere jetzige Einrichtung die Kontinuität mit dem
Physikunterrichtc der Volks^rluile völlig zerrissen, das dort ge-
wonnene Wissen auf Jahre hinaus unter den vielen neuen Ein-
drücken des Seminars völlig begraben und das bei den Knaben so
lebhafte Interesse för physikalische Dinge wieder künstlich erstickt
wird. Das lehren die täglichen Erfahrungen im botanischen und
zoologischen Unterrichte, der auch in unseren l'-^^ -^klasscn nicht
ohne ein nicht zu g'eringes Mass jtliysikalischer kcnntiiisse aus-
kommen kann. Aber nichl nur aus Rücksicht auf das Verständnis
der lebenden Natur erscheint es dringend geboten, gewisse phy»*
kaiische Fragen in den unteren Klassen in den Kreis der Betrachtung
zu ziehen. Unser physikalischer Unterricht der drei Oberkln-^^^srn
mit seinen 6 Stumien bedarf dringend einer iMitlastung, wenn auch
für das Seminar nur annähernd das von der Unten ichtskommission
formulierte Ziel erreicht werden soll, dass der physikalische Unter-
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— I09 -
rieht „als Vorbild für die Art 7.u dienen habe, wie überhaupt im
Bereiche der Erfahrungswisscnschaficn Erkenntnis gewonnen wird".
Ich glaube ferner, unsere Tertianer und Sekundaner empfinden es
selbst manchmal als ihrer nicht ganz würdig, wenn ae noch mit
gewissen einfachen Sachen und Apparaten traktiert werden, deren
Verständnis nicht einmal über das Fassunj^vermö{»en eines Kindes
hinausgeht. Anderseits gilt es zu bedenken, dass unsere ph)'si-
kaiischen Erkenntnisse gerade in dem letzten Jahrzehnt, insbesondere
auf dem Gebiete der Wärme- und Elektrizitatslehre, durch eine
solche Fülle bedeutsamer und allgemein wichtiger Erscheinungen
bereichert worden sind , dass wir an ihnen nicht mehr achtlos
vorübergehen können. Ich erinnere auch nur an die amtlich
geforderte vertiefte Behandlung der Meteorologie. Selbst bei Ein-
führung eines Unterkursus wird es auf der Oberstufe bei der Mannig-
faltigkeit des physikalischen Stofifes auch in Zukunft immer nur mög-
lich sein , einzelne ausgewählte Ka])itel gründlich durchzuarbeiten,
während grosse Gebiete nur oberflächlich gestreift werden können.
Endlich erfordert auch der chemische Unterricht gebieterisch
einen derartigen Unterbau. Die Schulchemie kommt nun hoffimtlich
recht bald über jenen Standpunkt zahlreicher, auch neuester Schul-
Ichrbücher hinaus, die die moderne Entwicklung der Chemie nicht
kennen und die sie noch künstlich auf dem Standpunkte einer rein
beschreibenden Wissenschaft zurückhalten, die sich darauf be-
schrankt, die diemischen Grundstoffe und ihre Verbindungen mit-
zuteilen und zu demonstrieren. Sie besinnt sich hoffentlich bald
darauf, dass die grossen Gebter, ein Boyle, ein Dalton, ein Davy
Physiker und Chemiker in einer Person waren und erinnert sich,
welchen theoretischen Gehalt die neuere chemische Wissenschaft
aus der Vereinigung mit der Physik in der physikalischen Chemie
gezogen hat Das einzig Mögliche wird in Zukunft sein, unter
völligem Verzicht auf hergebrachte systematische Einteilung der
Physik zu einer gemeinsamen Behandlung der Anfange der Physik
und Chemie zurückzukehren und ohne theoretische Vertiefung
experimentell die allgemeinen Eigenschaften der Stoffe, ihre Ände-
rungen und deren Ursachen vorzufiihren. Ich muss es mir leider
aas Mangel an Zeit versagen, denjenigen Stoff genauer zu um-
i>;ren7cn, der in einen derartigen physikalisch-chemischen Vorkursus
hmcmgehören würde. Ks ist eme grosse Aufgabe der Zukunft,
eine derartige Neugruppicrung des Stofifes in dem skizzierten Sinne
durchzuföhren; sie wird sicher auch für die Oberstufe kommen; nur
dürfte dazu noch ein gehöriges Stück Denkarbeit zu leisten sein.
Durch diesen in grossen Zügen entworfenen Plan würde sir h
auch für den physikalisch-ciiemischen I/nterricht ein folgerichtiger
Aufbau ergeben, in den die unterste Klasse organisch einbezogen
eischeint Sollte, wie dies aus Gründen der allgemeinen Staats-
raison scMiessfich zu erwarten ist, die zukünftige siebente Seminar*
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klasse unten angegliedert werden, so halte ich es namfich för völlig
ausgeschlossen, dieser Septima etwa 2 Stunden ph3rukalischen
Unterricht mit der Lehraufgabe zuzuweisen, die für die erste Klasse
unserer mittleren Volksschulen vor<^eschricbcn ist. Rücksichten auf
Schüler, die sich wäluend dieses Jahres als ungeeignet zeigen und
die dann bei ihrem Abgange nach einem Jahre gegenüber den
Volksschülem in ihrer BUdung benachteiligt sein würden, können
für uns nicht massgebend sein, wo es sich darum handelt, die
geringe Zeit , die den Naturwissenschaften im Gesamtlehrplane des
Seminars bewilligt werden kann, auf das ökonomischste auszunutzen.
m.
Mit wenigen Worten mödite ich noch die letzte unserer
Forderungen für den naturwissenschafUidien Unterricht berühren;
sie betrifft die praktischen Schülerübung^cn. Meinen Standpunkt in
dieser hochbedeutsamen Frage möchte ich kurz in folgender Weise
präzisieren :
Wenn an allen höheren Schulen über die raangelhaiteu Erfolge
im naturwissenschaftlichen Unterricht geklagt wird, so sind diese
neben der ungenügenden Unterrichtszeit wesentlich mit auf die bis-
herige verfehlte Unierrichtsmcthodc zurückzuführen. Wir werden
erst dann die in dem jetzigen Vortrags- und Demonstrations-
unterrichte hegenden Mängel und Einseitigkeiten überwinden, erst
dann aus dem vielfach auch in unseren Stunden herrschenden
VerbaUsmus herauskommen und unsere Aufgabe voll lösen können,
wenn wir einen für alle Schüler verbindlichen Laboratoriumsunter-
richt besitzen, durch den allein eine intensivere, individuelle Be-
tätigung der Schüler erreicht werden kann. In ausgezeichneter
Weise, von völUg neuen psychologischen Gesichtspunkten aus, hat
Herr Seminaroberlehrer Frey in seinem jüngst erschienenen „Physi-
kalischen Arbeitsunterricht" diese Idee aufgenommen und einen aus»
führlichcn Lehrplan für die Unterstufe entwickelt.
Und dennoch ist es äusserst ^rhwer, bestimmte, völlig ab-
geglichene Vorschläge für die praktische Durchführung zu machen.
Denn so sehr man auch innerlich von der unentbehrlichen Not-
wendigkeit derartiger Übungen überzeugt sein mag, die eigentlichen
Schwierigkeiten beginnen eben erst bei der praktischen Durch-
führung. Es gilt, die Ansprüche der verschiedenen naturwissen-
schaftlichen Disziplinen gegeneinander auszugleichen, da das, was
man dem Physiker gewährt, dem Chemiker und Biologen gleich-
falls nicht bestritten werden kann. Dazu kommt die sehr wesent-
liche finanzielle Seite der Angelegenheit: neben den nicht un-
beträchtlichen Einführung?- und Unterhaltungskosten ph>^ikalischer
und biologischer Schülerübungen die grosse Zahl der als volle
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— III —
Lehrstunden in den Stundenplan einzurechnenden Übungsstunden;
endlich nicht an letzter Stdie die leidige Zeitfrage; denn für mich
Uegt die Sache so: Lieber für die nächste Zukunft zunächst einmal
einen tüchtigen und ausreichenden Klassenunterricht ohne Schüler-
übun^en , als wie bi'^hcr einen mangelhaften unzureichenden Unter-
richt mit unzureichenden Übungen, wie sie die Grüihchsche
Obungsstunde zulässt*
Man tausche sich doch ja nicht darüber, dass, wenn in allen
solchen Übungen etwas erreicht, wirklich gearbeitet werden soll,
dann in erster Linie genügende Zeit zur Verfügung stehen muss.
Was lässt sich denn in den 45 Minuten einer solchen Übungsstunde,
die bei uns in Friedrichstadt mit der Schulpraxisstunde zusammen-
Mt, wirklich leisten? Da die Übungen im physikalischen Lchisaal
abgehalten werden müssen, lassen sie sich zunächst nicht sorgfältig
genug vorbereiten; die vorhergehende Erholungspause, die der
naturwissenschaftliche Lehrer ja überhaupt gewöhnt ist seinen be»
neidenswerten Kollegen allein zu überlassen, ist völlig ausgefüllt,
um die Apparate der vorhergehenden Lehrstunde wieder an Ort
und Stelle zu bringen. Dazu kommen die unangenehmen Kompli>
kationen mit der Schulpraxis, die es den Schülern unmöglich machen,
den aufgestellten Verteilungsplan einzuhalten, ferner die allgemein
bekannte UnbehiUlichkeit und Unerfahrcnheit der Schüler, durch
die kostbare 2^t versäumt wird, die Unmöglichkeit, die Schüler
noch einige Minuten länger festzuhalten und eine begonnene Ver-
•suchsreihe zu Ende führen zu lassen u. a. mehr. Da von jeder
Lehrpraxissektion nur ein Schüler entbehrt werden kann, so steilen
lur eine Stunde nur 4 — 5 Schüler zur Verfügung ^ der einzelne
Schüler hat demnach nur 5 — 6 mal im Jahre in Zyrischenräumen von
7 — 8 Wochen Gelegenheit, einmal praktisch Stunde tätig zu sein
und eine Untersuchung anzustellen. Dass eine derartige Institution
keinen Krfolg haben, nicht zur liebevollen Vertiefung in die Problcn\e
führen und im Schüler nicht das Bewusstsein von der Notwendigkeit
und Nützlichkeit solcher Übungen, von dem Segen, der von ihnen
ausgeht, wecken kann, steht für jeden Einsichtigen fest. Ich bin
überzeugt, dass der Gewinn f::r beide Teile L^rösser, der Kraft- und
Zeitverlust gcriuf^er sein wurtie, wenn an Stelle einer derartigen
Übungsstunde noch eine dritte Urtterichtsstundc zur Verfügung stände,
die zur weiteren Vertiefung des gewonnenen Lehrstoffes dienen
könnte, etwa in der Weise, dass einige Schüler vor der Klasse
abwechselnd praktisch arbeiten, ilie übrigen aber beobachten, be-
urteilen, verbessern. In der jetzt getroffenen h.inrichtun^ erblicke
ich ein pädagogisches Mätzchen, durch das die hohe moderne
Idee des schaffenden Lernens nur in Misskredit gebracht werden
kann. Vielleicht liegen an den Seminaren des Landes die Ver-
haltnisse günstiger als bei uns, wo die Grossstadt- und Externats-
verhäknisse überall hindernd im Wege stehen. Doch dürften sich
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auch draussen nur wenige Herren finden, deren Idealismus so weit
geht, dass sie jede Woche bereit sind, 6 Stunden und mehr ihrer
Freizeit für eine Tätigkeit zu opfern, die wahrlich nicht zu geringe
Anforderunpi^en an (]cn Lehrer stellt. Darum meine ich: Praktische
Schülerühungen werden nur dann von Erfolg begleitet sein, wenn
ihnen eine ausreichende Zeit zur Verfügung gestellt wird. Als
Minimum wird man zwei Nachmitt^rsstunden fordern müssen, in
denen ohne Pause durchgearbeitet werden kann« Angenommen
aber, wir fordern für jede Klasse zwei Stunden praktischer Übungen,
wie sie das Lübecker Seminar bereits besitzt, was ergibt sich in
der Praxis daraus? Natürlich kann damit nicht gemeint sein, dass
jeder Schuler jede Woche 2 Stunden lang praktisch arbeiten soll.
Nehmen wir eine vollkommene Organisation an, bei der jede Klasse
in Gruppen zu je 12 — 15 Mann zerlegt würde, die in gleicher Front
arbeiten und alle 14 Tage abwechseln, etwa mit folgenden Auf-
gaben :
In den Unterklassen zunächst nach der Frey 'sehen Idee eine Ver-
schmelzung des Handfertigkeitsunterrichtes mit dem physilcriischen
Unterrichte der Unterstufe zu einem physikalischen Arbeitsunterrichte.
Daneben herlaufend ein biologischer Arbcitsuntcricht, der sich zu-
nächst auf biologische Exkursionen, auf Heobachtuiigen und Arhcitcn
im Schulgarten, auf Übungen im Bestimmen von Tieren und i iianzen,
auf das Anlegen von Sammlungen, später auf mikroskopische
Übungen und pflanzenphysiologische Experimente erstrecken mfisste,
in den Oberklassen endlich phj'sikalisch-chemische Übungen nach
den Prinzipien von Hermann Hahn, verbunden mit obligatorischen
Besichtigungen technischer Anlagen und Betriebe.
Dann ergeben sich insgesamt 14 Stunden. Wenn man weiss,
welches Mass von Umsicht, Arbeitskraft und Energie des Lehrers
erforderlich ist, um die Anleitung, Bcaufsichti^unrr und ständit^c
Kontrolle der Schüler bei einem Gruppenunterrichte dur( li/ulühren,
dann muss man unbedingt fordern, dass diese Übungsstunden dem
betreffenden Fachlehrer als volle Lehrstunden angerechnet werden,
ja es erscheint nicht einmal die neuerdings erhobene Forderung
unbillig, auch die Vorbereitunf^sstundc für solche Übun^i^sstunden
als Pflichtstunde anzurechnen. Wir gelangen dann von den bisherigen
14 naturwissenschaftlichen Stunden des 6 klassigen Seminars auf 41
naturwissenschaftliche Stunden im siebenjährigen Kursus (27 Unter-
richts- und 14 Übungsstunden). Ks würden dann in Zukunft vom
Seminar allein 2 naturwissenschaftliche Lehrkräfte voll beansprucht
Für unsere Fächer würde dies allerdings von grösstem .Segen sein;
es würde dann sowohl der biologische als auch der physikalisch-
chemische Unterricht einen ganzen Mann und diesen ganz be-
anspruchen. Es wurde der physikalische Unterricht nidit mehr von
dem reinen Mathematiker als eine angenehme Abwechslung seiner
mathematischen Tätigkeit beansprucht werden können, der biologische
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Unterricht nicht mehr als ein Anhängsel an der Tätigkeit des
Geographen erscheinen. Es würde dann der zukänfüge Biologe
oder Physiker nicht mehr unter der beklagenswerten und Verhängnis-
vollen Zersplitterung zu leiden haben, die gegenwärtig den Natur-
wissenschaftler am Seminar zu keiner rechten Vertiefung und zum
intensiven VVeitcrstu>Jiuiu m seinen Fächern kommen iässt. Es würde
dann hoffentlich jene so oft wiederholte Phrase, die sicher' nüt zu
einem guten Teile zur Unterschatzung der Seminarlehrer und ihrer
Tätigkeit beigetragen hat, v erstummen, dass man von einem Seminar-
lehrer alles verlangen könne und müsse.
Die höheren finanziellen Kosten dürfen uns nicht veranlassen,
auf unsere prinzipielle Forderung der Einführung praktischer natur-
wissenschaftlicher Übungen zu verzichten, um so weniger, als es
gerade am Seminar leicht ist, auf die grossen Kosten lünzuweisen,
die die Ausbildung der Schüler in anderer Richtung erfordert. Es
würde wenigstens für den Staat sowohl wie für die Öffentlichkeit
von sehr erheblichem Interesse sein, wenn man einmal cm 1 xcmpe!
darüber aufmachen wollte, wie teuer ein einziger Kirchschuilehref
dem Staate zu stehen kommt
Endlich müssen wir aus hygienischen Gründen für einen der-
artigen Ausbau unseres naturwissenschaftlichen Unterrichtes eintreten.
Nicht nur, dass wir durch Arbeiten im Freien, durch zahlreiche
Exkursionen, durch körperliche Ausarbeitung an der Hobel- und
Drehbank unsere Schüler körperlich fördern, nein, noch mehr, wir
werden die Überbürdungsfrage zu einem guten Teile lösen, wenn
wir gegenüber unserem jetzigen Klassenunterrichte, bei dem immer
nur in das arme Schülerhim hineinfiltriert und -gepfropft wird, als
Korrelat Beschäftigungsweisen schafTcn, die einer gesunden geistigen
Hygieiit: Rechnung tragen, das Interesse des Schülers tief crrei^'^en
und scnic Selbsttätigkeit in ureigener Weise befruchten. iiicrnuL
betreten wir völliges Neuland einer zukünftigen Pädagogik, und wenn
uns heute am Anfange dieser grossen Bewegung unserer Tage auch
mehr das Ziel in allgemeinen Umrissen als bereits der bis in das
Einzelne gehende Plan klar vor Augen stehen mag, so müssen wir
doch einmütig zusammenstehen in der letzten Forderung:
Aul allen Klassenstufcn ist der naturwissenschaftliche Unterricht
durch praktische Übungen zu ergänzen, die wöchentlich in zwei
hintereinander liegenden Nachmittagsstunden abzuhalten sind,
IT.
^ehen wir das Resumc unserer Forderungen für den natur*
wissenschaftlichen Unterricht! Wir gelangen nach eingehendster
Erwägung aller in 1 rage kommenden Momente für einen zukünftigen
Pld>(osUelM Stadien. XXIX. S. 8
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— 114 —
siebenjährigen Seminarkursus zu folgendem Verteilungsplan der
einzelnen naturwissenschaftlichen Disziplinen:
VII VI V IV m u I Sa.
Biolu^^ic 3S33III ff
Pbysikalhcb*chcjnischcr
Vorkami ± i
Choirie and Mincnlogie » » t
Physik 3 S a
NaturwisMDieliaAliche
Übungen 9 t 2 9 t m » 14
Für die naturwissenschaftlichen Lehrstunden wird demnach eine
Krhöhung der jetzic^rn Gesamtstundcnz.ihl von 14 auf 27 Stunden
für notwcndi(T erachtet. Ist diese Forderung als eine unbescheidene
zu bezeichnen ? Trägt sie von vornherein den Stempel des Utopischen,
des nicht Reafisieibaren an sich?
Es würde wenig eispriesslich sein, hier eingehende Vergleiche
mit den Stundenzahlen für die Naturwissenschaften an den übrigen
höheren Lehranstalten anzustellen. Einerseits muss man bedenken,
dass die meisten der jetzt geltenden Lchr))'änc noch nicht von der
auf die Erweiterung der naturÄ'issenschaftlichen Ausbildung ab-
zielenden Reformbewegung berührt sind ; anderseits, dass die eigen-
artige Aufgabe des Seminars, besonders seiner Oberklassen, es
unmöglich macht, auf einen naturwissenschaftlichen Betrieb hin-
zuarbeiten , wie er etwa für die Oberrealschulc charakteristisch ist.
Ein Vergleich mit dieser Schulgattung kann ebensowenig in Frage
kommen wie ein solcher mit den völlig rückständigen naturwissen-
schaftlichen Lehrplanen der klassischen Gymnasien. Am nächsten
liegt noch ein Vergleich mit den gegenwärtig geltenden, also noch
nicht von der erstrebten Reform berührten Lchrplänen der sächsischen
Realcrymnasien vom 22. Dezember 1902, die den Naturwissenschaften
in den unseren Seminarklassen gleichstehenden Klassen IV^ — Ol
25 Stunden zuweisen.
Von diesen 25 Stunden werden aber der Biologie nur 4 Stunden,
je 2 in IV und UIH zugebilligt. In dieser Kl^e schliesst die
Biologe im allg'emcinen ab, nur in I'H <=oIIcn im Anschluss an die
Paläontülof^ie VViederholunfjcn aus Zoolu^ic und Botanik stattfinden.
Die Mineralogie mit Einschluss der Geologie besitzt 4 Stunden, je
2 in Om und Un, die Chemie 6 Stunden, je 2 in OU, UI und Ol,
während für die Physik 11 Stunden, 2 Stunden in Uli, je 3 in OII»
UI und Ol anc^rsct/t sind. Dem gefjcnühcr wird die oben vor-
geschlafxf"ne Verteilung den i in/t inen Fächern entschieden f^erechter.
Sie nimmt zwar der Physik das ihr bisher so wenig bestrittene
Recht, auf der Oberstufe die gesamte Zeit fUr sich zu beanspruchen;
sie schafft aber für diese Einbusse in den Oberklassen einen Aus-
gleich dadnrrh, dass sie für die Physik eine deutliche Scheidung in
eine Unter* und Oberstufe vorsieht Sie billigt ferner der Chenüe
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— US —
mit Etnschluss der Mineralogie nur 6 Stunden zu und verweist diese
mehr in die mittleren Klassen; doch werden diese Nachteile reichlich
au%e\^o;7rn durch die notwendigen Zugeständnisse an die Biolc^e»
die mit 11 Stunden bis zur i. Klasse durchgeführt erscheint.
Die Beantwortung der Fracke nach der Durchführbarkeit unserer
Forderungen setzt voraus, dass man die Seminarreformfrage in ihrer
gesamten Breite aufrollt Das aber würde weit über den Rahmen
der vorliegenden Arl)eit hinausgehen; und so k(>nnen hier nur kan
die widl1%stcn Leitgedanken der Reform ohne eingehende Be-
gründung angedeutet werden. Es würden etwa die folgenden sein:
1. Gegenüber allen weitgehenden Reformplänen, die das Seminar
in seiner jctzie^cn Gestalt überhaupt beseitigen und eine vollkommene
Trennung der aligemeinen und der BerufsbUdung des Lehrers durch-
fuhren woUen, wird im gc^'cnwäxtigcn Zeitpunkt der geschichtlichen
Ent^ndduog eine auf die Vertiefung und Erweiterung der Lehrer-
bildung gerichtete Neuorganisation der Lehrplane an das faistorisdi
Gegebene und Gewordene anknüpfen müssen.
2. Insbesondere erscheint es notwendig, dass das so schwer
um anerkennende Würdigung seiner Bildung ringende Seminar
auch in Zukunft an der bisiierigen bewährten Eigenart des sächsischen
Seminars festhalt und nicht <ße wissenschaftU^en Fächer zu gunsten
der pädag<^|jschen Fachwissenschaften sowie der Einfülirung in die
Schulpraxis noch weiter aus den Obcrklassen in die Mittelklassen
hinabweist; denn so sehr man auch die Unzulänglichkeit der jetzigen
Einrichtungen bezüglich der Einführung in die Schulpraxis atierkennen
und beklagen mag, so wenig erscheint es auch im siebenjährigen
Kursus möglich, Abhilfe zu schaffen, solange man wenigstens die
wissenschaftliche Hebung der Seminarbildung (Einführung einer
zweiten Fremdsprache etc.) emstlich will, wie unten kurz gezeigt
werden soll.
3. Um die jetzt bestehende Überlastung der Schüler zu beseitigen,
ist es dringend nötig, die Gesamtstundenzahl der einzelnen
Klassen herabzusetzen. Der jetzige Lehrplan weist folgende
Zahlen iUr die einzelnen Klassen auf:
VI V IV III II I
36ohl.-|- I fak. 35olil.-[-4£ak. 34obl.-f-5fak. 35 obl.-j- 5 fak. 35 obl.-[-4 fak. 30obl.-|-4 fak.
in Summa 205 obl. -f- 23 fak. Unterrichtsstunden. Man sollte nun
m. E. in Zukunft nicht über 32 obligatorische und 4 fakul-
tative, also über 36 wöchentliche Unterrichtsstunden
hinausgehen; denn erwägt man einmal naher, wie selbst unter
den für die Zeiteinteilung und Zeitausnutzung so günstigen Tnternats-
verhältnissen die in einer Woche zur Vcrfir^ung stehende Zeit von
6x24 Stunden ~ 144 Stunden in angemessener Weise verleüt
werden könne, so ergibt sich etwa Folgendes:
8*
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I. Schlaf pro Tag 8 Staddcn 48 Stundea | ^
3. Zeit Air MahUcitcn uud FrcUeit „ „ 6 36 „ f '
3. ArbdUttit „ „ 4 », \ 60 Si
4. üntwichteeit „ „ 6 „ 36 .. / °°
144 Stundrn.
Nimmt man die durchschnittliche Dauer einer Unterrichtsstunde
zu 50 iVIinuten an, so gelangt man bei dieser Zeit Verteilung zu einem
9stündi|fen Arbeitstag. Eine derart^e Überlegung scheint
an sich eigentlich ebenso überflüssig zu sdn wie der Hinweis, dass
bei der Aufstcllun«]^ aller Lehrpläne in erster Linie auf die Kapazität
des noch in der Entwicklung stehenden Gehirns Rücksicht genommen
werden müsse. Trotzdem bleibt die auffallende Tatsache bestehen,
dass nicht nur die zur Zeit geltenden Lebrpläne des sachsischen
Seminars, sondern auch die zaUreicher anderer höherer Lehranstalten
Deutschlands die Schüler bis zu 40 wöchentlichen Unterrichtsstunden
belasten, während man in ausserdeutschen Ländern, 7.. B. in Frankreich
und England, vielfach mit 32, ja mit 28 wöchentlichen Unterrichts-
stunden an den höheren Lehranstalten*) auskommt.
Bd einer wöchentlichen Cresamtzahl von 36 Unterrichtsstunden
würde es unter der Voraussetzung eines durchgehenden 5 stündigen
Vormittagsunterrichtes möglich sein, drei unterrichtsfreie
Nachmittage zu gewinnen, \on denen der erste, modernen
hygienischen Forderungen entsprechend, als obligatorischer
Spielnachmittag, ein zweiter für die naturwissenschaft-
liehen Übungen nutzbar gemacht werden könnte, während der
dritte völlig frei sein würde. Dann stehen in dem siebenjährigen
Seminarkursus insge5;amt 224 obligatorische und 28 fakultative Lehr-
stunden zur Verfügung, deren gerechte Verteilung auf die einzelnen
Unterrichtsfacher das eigentlich zu lösende Problem darstellt Über
die folgenden Fragen dürfte dabei mehr oder weniger allgemeine
Übereinstimmung bestehen:
Auch in Zukunft wird das Seminar in dem intensiven Betriebe
der deutschen Sprache eine seiner Hauptaufgaben erblicken müssen,
allerdings nicht in einem vorwiegend grammatischen Betriebe, der
einseitig Gedächtnis und Verstand ausbildet und dafür Phantasie
und Gemüt leer ausgehen lässt, sondern in einem Unterrichtei der
den materialen Wert der Lektüre mindestens eben so hoch einschätzt
als die formalbildeode Kraft der Sprache. Das um Anerkennung
)) Aus diesen Gründen erscheint auch der Lehr plan des Lübecker Semmars , das
für die NaturwiMefiacliaA«« einen TorbildUchea Vertefltmgwplaii b«ittst, naanaehmbw;
denn die notwcndii^en Konzessionen an die Naturwissenschaften haben sich hier nur
durch eine zu schweren Bedenken AnUs» gebende Gesamtbelastung der Schüler crreicbea
laHcn «rie die folgeiideii ZaUen «eigen:
FrSpanuide Seminar
TTT II 1 III II I
59-i-4f. 36-l-sf. 35 + 6f. 37 + 6f. 37 + 6f. 40+6C
— 117 —
und Gleichberechtigung ringende Seminar wird ferner nicht auf daü
Latein verzichten können, das mindestens in seinem bisherigen Um-
fange weiter betrieben werden muss. Es würde sehr wertvoll sein,
wenn man für diese beiden Fächer einen Stundenumfang erreichen
könnte , wie ihn etwa das Real^^ymnasium in den entsprechenden
Klassen IV — Ol aufweist, nur mit dem Unterschiede, dass das
Seminar das Scliwerge wicht auf die deutsche Sprache legt.
Allgemein herrscht ferner die Überzeugung, dass sich das
Seminar, wie schon eingangs angedeutet wurde, nicht länger mehr
der Aufnahme einer modernen Fremdsprache entziclicn kann. Tritt
man diesem Gedanken näher, dann ist freihch auch die weitere
Konzcssion unausbleiblich, der modernen Fremdsprache soviel
Stunden zu bewilligen, dass sie in einer Erfolge versprechenden
Weise gfelehrt werden kann, vieUeicht mit 3$ Stunden, die das
klassische Gymnasium (lir Französisdi und Englisch in den Klassen
IV— Ol ansetzt.
Endlich erscheint es ausf^cschlosscn , dass in Mathematik,
Geschichte, Geo^'raphie wesentUche licrabmindcrunf^en der jetzt
für diese Fächer angesetzten Stundenzahlen vorgenommen werden
könnten. Welche Wege^ sind also einzuschlagen, um die in Bezug
auf die naturwissenschaftliche Ausbildung der zukünftigen Lehrer
ausgesprochenen Reformgedanken ihrer praktischen Verwirklichung
näher zu führen? Man würde die für die Naturwissenschaften ge-
forderte Zeit im wesentUchen gewaihren können, wenn man sich zu
folgenden grundsätzlichen Änderungen cntschliesscn würde!
a) Der Religionsunterricht ist in allen Klassen auf 3 Stunden
zu beschränken; er besitzt dann mit 21 Stunden immer noch ein
sehr erhebliches Plus von 7 Stunden gegenüber den 14 Stunden
Religionsunterricht am Gymnasium und Realgymnasium,
b) Der musikalische Unterricht ist für die .All-
gemeinheit der Schüler zu beschränken. Es ist freilich
kaum zu erwarten, dass die Zeit bei uns schon dafür reif ist, um
jene in der geschichtlichen Entwicklung begründete, aber für das
Lehrerbildungswesen so verhängnisvolle und unglückselige Ver-
quickung der allgemeinen Berufsbildung des Lehrers mit der \'or-
bereitung zum kirchlichen Organistenamte zu lösen. Ich mürhte
auch nicht so weit gehen wie Poliak, der bckannthch die Musik
den Schmarotzer am Baum der Ldirerbildung genannt hat; ich
verkenne durchaus nicht, welches wertvolle und eigenartige Gut im
späteren Leben namentlich des Landschullehrers eine Ausbildung
nach der künstlerischen, der musikalischen Seite hin bedeutet ; aber
ich bestreite dem Musikunterrichte in seinem jetzigen Umfange die
Existenzberechtigung am Seminar, weil er die Lösung dringenderer
und viel tiefer mit den eigentlichen Zwecken des Seminars zu-
sammenhängender Aufgaben verhindert Zum mindesten musste im
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— n8 —
zukünlugcn Lehrplane das Eine erreicht werden, dass sich der in
neuerer Zeit aufgetauchte Gedaoke der „Bewegungsfreiheit" der
eine grössere Berücksichtigung der individuellen Eigenart der
Schüler auf der Oberstufe anstrebt , auch im Seminar Bahn bricht.
Wie das klassische (lymnasium nur durch eine Gabelung in den
Oberklassen imstande ist, unter Wahrung seines Charakters Kon-
zessionen an die Gegenwart zu machen, so wird das siebenklassige
Seminar seine neuen Aufgaben (Einführung der modernen Fremd-
sprache, bessere Ausbildung nach der naturwissenschaftlichen Seite
hin usw.) nur lösen können, wenn es mindestens von der 3. Klasse
ab eine Gabelung zwischen Eremdspraclilern und Vollmusikcrn eio-
treten ISsst und die musikalischen Anforderungen (Ur die übrigen
Schüler bedeutend herabsetzt Es muss der Grundsatz strikte all-
gemein durchgeführt werden, dass ein Schüler nicht neben zwei
fremden Sprachen gleichzeitig noch musikalischen Vollunterricht
betreiben darf und umgekehrt. Für alle Nichtmusikcr ist daher in
Zukunft, wie schon jetzt an den Lehrcrinnenseminaren, der Gesangs-
unterricht auf zwei obligatorische Stunden zu beschränken, der
Unterricht in Musiklehre, Klavier- und Orgelspiel von der 3. Klasse
ab fakultativ zu gestalten.
Ich weiss freilich genau, dass es hier noch einen harten Kampf
setzen wird, besonders nachdem der Gesangsunterricht in jüngster
Zeit von neuem seine hohe phonetische und ästhetische Aufgabe
betont Habe ich doch vor kurzem erst von einem Misker
auf meinen Hinweis, dass sich unter solchen Umständen der Deutsch-
imtcrricht in Zukunft mit 3 Stunden wird begnügen müssen, die
Antuort erhalten, dass die Aufgabe des Gesangsunterrichtes nicht
weniger wichtig sei als die des Deutschunterrichtes und dass er
unter allen Umständen an der Forderung von 3 Gesangsstunden
festhalten müsse. Gegen eine derartige Behauptung eines Fach-
mannes lässt sich al!erdlni:^s nicht viel einwenden. Die Herren
Musiker haben eben bei Zeiten tüchtit^ \-or!^cbaut ; ^) sie haben zwar
zum Teil sehr gejammert über den Verlust der schönen Violine,
sie haben sich aber wohl gehütet, von der Tatsache etwas zu ver-
raten , dass zwar durch die neuen Bestimmungen über den Musik-
unterricht nn den sächsischen Seminaren die Gesamtzahl der musi-
kalischen Stunden von 40 auf 33 herabgesetzt worden ist, dass sich
aber die Zahl der für alle Schüler absolut verbindlichen Musik-
stunden infolge der obligatorischen Einfährung des Harmonie«
lehre- und des Klavierunterrichtes von 22 auf 27 erhöht hat, also
für die Allgemeinheit der Schüler keine Verminderung, im Gegenteil
eine weitere Vermehrung des musikalischen Unterrichtes stattgefunden
*) Die folgende kleine Tabelle zeigt die Verteilung der oblig»tori«chen und
bkoliatiTcn Mtnikittinden auf Grand der alten und der neuen Beitimniangen Tom
30. Januar 1907:
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— 119 —
hat Ein Fach aber wie der Gesangsunterricht, filr das schon jetzt
in allen gegliederten Volksschulen besondere Fachlehrer angestellt
sind, ein Fach, mit dem sich der zukünftige Landschullehrer in einer
einzigen Wochenstunde beschäftigt, das kann und darf in Zukunft
nicht mehr 3 Stunden bis zur Prima hinauf im Seminarlehrplan be-
anspruchen, wenigstens so lange nicht, ab nicht wichtigere Auf-
gaben — und dazu rechne ich insbesondere auch die Fortführung
des biologischen Unterrichtes — gelöst sind. Darum hcisst es für
alle, die für eine Erweiterung^ und V'ertietung des wissenschaft-
lichen Unterrichtes am Seminar gegenüber dem jetzigen Über-
mass der technischen Fächer eintreten, an dieser Stelle ein-
setzen. Fällt die 3. Gesangsstunde oder wird sie zum mindesten
fakultativ für die Vollmusiker, so lässt sich sofort der biologische
Unterricht wenigstens mit i Stunde in den 3 Oberklassen durch-
führen. Die wissenschaftlichen Lehrer an den sächsischen Seminaren
hegen die bestimmte Oberzeugung, dass die durch die Ministerial-
Verordnung vom 3a Januar 1907 geschaffenen neuen Verhältnisse
für den Musikunterricht nicl i als eine für alle Zeiten verbindliche
Neuregelung, sondern nur als ein Übergangsprovisorium angesehen
werden können, dass vielmehr bei der Aufstellung eines neuen Ge-
samtlehrplans für einen 7 jährigen Seminarkursus nochmals eingehend
die Fn^ zu erwägen sein wvd, ob und inwieweit sich der jetzige
ausgedehnte Musikunterricht ohne schwere Schädigung anderer be-
rechtigterer Lehrplanfordenm^cn aufrecht erhalten lässt Auch liegt
es m. £. durchaus nicht im Sixme der Emporentwicklung der Seminare,
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— I20 —
wenn in Zukunft die verschärften Aufnahmebedingungen, die eine
gute musikalische Befähigung als unumgänfrlich notwendig
für jeden anfzunrhmrüdcn Schüler voraiisset/en, in Zukunft aufrecht
erhalten bleiben, da hierdurch eriahrunp^st^emass häufi<^ gerade den
talentvollsten und bcfahigsten Kö^jfen der Zugang zum Seminar
verschlossen wird.
c) Der Turnunterricht ist wie an den Gymnasien und Real-
j^ymnasien in allen Klassen gleichfalls auf 2 obligatorische Stunden
zu beschränken. Der Verlust der 3. Turnstunde in tlen Unter- und
Mittelklassen kann durch die Gewährung grösserer Bewegungsfreiheit
und durch Einführung eines obligatorischen Spielnachmittages völlig
ausgeglidien werden.
Daf^egcn erscheint es dringend notwendig, dem dritten der
technischen Fächer, dem Zeichenunterrichte, seinen jetzigen Besitz-
stand zu erhalten und das Zeichnen als zweistündiges Pflichtfach
durch alle Seminarklassen hindurchzufuhren. Die Naturwissenschaften
erblicken in dem modern aufgefassten Zleichenunterrichte einen ihrer
wichtigsten Bundesgenossen, dessen ungeheuere Bedeutung für die
Auffassung der Natur und ihrer Formen , überhaupt für die Vor-
steUungsbildung einerseits wie für die spätere Praxis in der Volks-
schule im Wandtafelzeichnen anderseits nicht laut und oft genug
betont werden kann.
Die fc)rgebnisse der vorstehenden Darlegungen sind übersichtlich
in dem nebenstehenden Verteilungsplane zusammengestellt
Ich stehe am Ende meiner Ausführungen. Ich schlicssc nut
der Hoffnung, dass unsere Worte und Beschlüsse nicht abermals
ungehört verhallen, sondern zu der vorgesetzten Behörde vordringen
und dort wohlwollendste Bcrücksidltigung finden möchten, damit
nicht dauernde Resignation bei uns einrieht , vielmehr die Natur-
wissenschaften aus ihrer jet7,igen Aschenbrödelstellung am Seminar
emporgehoben werden möcliten zu dem Range, der ihnen in dem
Erziehungsplane der modernen Schule gebührt, deren oberste Rieht*
schnür die Devise sein sollte: Nicht mehr Wissen, sondern
besseres Wissen und besser erarbeitetes.
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— 121 —
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b) Fraox. od.
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Khaftcr. :
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C— lOf.
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2
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12. Musik :
1) Gesang
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b) Musiklchre
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I f.
I f.
3 + 3f.
4-j-2 f.
c) Khvicryp.
I
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I
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4-f 3f-
4 + 2f.
I f.
I f.
I f.
I f.
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4f.
■i- bteo(^papbie
2 f.
If.
3 f.
sf.
2-.lf.
3f.
32 4-
4fr
32 +
4f.4-
2 f.
32 4-
6f.4-
2 f.
32 +
6f.+
2 f.
32 +
(3f.4-
3f.)-f
2 f.
32 -f
(3r.+
3f.)4-
2 f.
32 +
3f.) +
2 f.
224 -|-
4->4f.
209 +
I3f.
226 -j-
-f 13
-25f.
235 -f
H-9f.
') Diese Zahlen beziehen sich mit Ausnahme des Musikunterrichtes auf die noch offiziell
£dtcode Lclirordnung vom 2g. Januar 1877; auf die infolge der Reduktion des Sductbunlerriclitet
unriicbea staitgefiUKlciien Äadcnuig^ii isti^ dabei keine ROcluächt genotnmen.
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— 122 —
III.
Neue Rechenmethode. gegründet auf das natürliche Werden
der Zahlen und des Rechnens.
Von Dr. L Wllk-GotlM.
Fortsetximg.
b) Die Grundrechnungsarten.
Ausgang und Ziel aller Massnahmen des Rechenunterrichts ist
das Rechnen , nicht zahlenthcorcttsche Untersuchungen mit dem
angeblichen Zwecke, klare Zahlvorstellunf^en tu schaffen. Selbst
schon die Zalilbildung über 4 hinaus geschieht unter jenem Gesiclits-
winkel, nämlich unter dem Drucke der Additionsfonlerung.
I. Die Stellttag 4er Grnndreclinangsartea sneioftoder.
Die ursprünglichste der Operationen ist die Addition. Ohne
sie ist weder das Zehnersystem, noch die Zahlenreihe, noch fiber>
haupt eine Zahl möglich, weil diese bekanntlich eist durch hinzu-
gedachte additive ne/iehnnpcn unter den Einheiten zustande kommt.
Der Additionsbegriti' ist demnach so alt wie die Zahlen selbst, diese
sind aus jenem herausgewachsen.
Die Subtraktion ist logisch gesehen die Umkehrung der Addition,
aber auch psychologisch wird sie gefordert von dieser durch die
Triebkraft des Gegensatzes. Hat man zu einer Zahl eine andere
liin7.u;;efüf;t und dadurch beide durch Addition /.u einem (lanzcn
vereinigt, so zeitigt dieser Vorgang ganz von selbst den zweiten
Gedanken, das Vereinigte wieder zu trennen, das Hinzugefügte vom
Ganzen wieder wegzunehmen, zu subtrahieren. Und nicht bloss
begrifflich ist die Subtraktion eine Folge der Addition, sie ist es
nurli in der Ausfuhrune:. Wenn man weiss, wie etwas aufgebaut
worden ist, ist es ein Leichtes, es wieder abzureissen: das Wie des
Addierens ergibt das Wie des Subtrahierens. Aus alledem ist er-
sichtlich, dass in der Rechenmethodik jeder neue additive Schritt
nach vorwärts alsbald wieder subtfaktiv zurückgegangen werden
muss. Die Profilemc des Addierens und Subtrahierens haben parallel
nebeneinander herzulaufen, wobei dieses jenem stets auf dem
Fussc folgt.
Dass beide Operationen dnen grossen Vorsprung vor allen
anderen Rechnungsarten haben, hat seine guten Gründe.
Addieren und Subtrahieren sind die»natürlich en Operationen,
Weil die Zahlen Zusammengriffe additiv vereinigter iiinheiten sind.
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entspricht keine Operation dem Wesen der Zahlen so f^ut wie das
Addieren, Das Addieren ist gleichsam die Erfüllung der Zahlen-
natur, eine fortgesetzte Wiedergeburt der Zahleo.
Dazu kommt, dass beiden Operationen einfachste ParaUel-
vorgänge in der Aussenwelt entsprechen: dem Addieren die räum-
liche Annäherunf^ zweier Ding<;ruppen oder die zeitliche Anreihung,
dem Subtrahieren nur die räumliche Trennung (die zeitliche An-
reihung hat keine Auflösung, weil Geschehenes nicht ungeschehen
gemacht werden kann und die Zeit nicht rückwärts läuft). Diese
raumlichen und zeitlichen Vorgänge sind nun freilich nicht etwa
schon die Rechenoperationen selbst; sie reizen nur dazu an, jene #
ariüimetischen Beziehungen im Geiste zu knüpfen aus dem Grunde,
den wir oben angegeben haben. Aber schon dieser Parallelismus,
ist für die MetbodDc wertvoll genug. In den Anfängen des Rechnens
ist jede Addition durch ein räumliches ,,Hinzu", jede Subtraktion
durch ein räumliches „Hinweg" zu versinnbildlichen.
Die Multiplikation und Diviston da^re<,fen sind liühcrc, mehr
vergeistigte Operationen von grösserer Abstraktheil. Ks ist hin-
länglich bekannt, dass beide inbezug auf ihre Ausfuhrung Ab-
kürzim^en fortgesetzter Addition und Subtraktion gleicher Zahlen
sind. Wer mit Hilfe des Einmaleinscs rechnet: dreimal 4 ist 12,
kommt schneller zum /.ielc, als wenn er 4 4- 4 -}- 4 addiert. Aber
auch begrifflich — und das wird weniger beachtet — unterscheidet
sich die Multiplikation von der Addition gleicher Posten. Ein
Beispiel mag das zeigen: Ein Brett ist „2 Fuss" lang, der Mensch
aber hat ,,2 Füssc". Dort die Finzahl „Fuss" trotz der Mehrheit,
hier die Mehrzahl „Füsse". Woher dieser l'nterschied ? Im ersten
Falle wird dasselbe Ding, das Fussmass, zweimal ancinandergesetzt
gedacht Es handelt sich also nur um einen einzigen Gegenstand,
daher die Einzahl „Fuss". Die Vielheit 2 hat gar nichts mit dem
gesetzten GcL,'cnstande zu tun, sie bezieht sich auf die Mandliuij^
des Setzens und bedeutet eine Wiederholung dieser läti^kcit. Der
Ausdruck „2 Fuss" ist eine Abkürzung für „zweimal gesetzter Fuss".
Die 2 hat demnach die Bedeutung von zweimal, sie ist eine Multi-
plikativ- oder eine MalzahL „2 Fuss" ist ein Produkt (gleich zwei«
mal I Fuss).
Bei den Füssen des Menschen dagegen kommt es gerade um-
gekehrt auf das Viel der Gegenstände an: ein Fuss ist nur dem
anderen gleich, jeder aber hat sein besonderes Sein, ist ein anderes
Ding. „2 Füsse" ist eine Summe von Dingen, 2 ist dabei eine
AnzahL
Dazu kommt ein zweiter Unterschied : Bei der Anzahl „2 Füsse"
wird an die wirklichen Füsse gedacht, an konkrete Dinge; in dem
Produkt „2 Fuss" dagegen ist Fuss eine abstrakte Masseinheit.
Dieser Ausdruck besagt schliesslich nichts weiter, als dass die ge-
messene Strecke doppelt so gross ist wie die Masseinheit In
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I
— 124 —
dieser Auffassung bat der MultipIikationsbcgrifT schliesslich die
letzten Reste von Anschaulichkeit abgestreift, er ist zu einem rein
abstrakten Denkakt geworden. Die Malzahl gibt dabei das Ver-
hältnis zweier Grössen an, d. h. sie beantwortet die Fra^i^e, wiev'iel-
mal ein Etwas so gross ist wie ein anderes! Die Ausscnwelt kann
uns jetzt höchstens noch die zu vergleichenden Grössen vor Augen
stellen, die Vergleichung selbst aber ist ein reiner Akt des Denkens.
Die Unterschiede zwischen den BegrüTen der Multiplikation und
Addition, insbesondere der Addition gleicher Posten sind demnach
folgende :
a) Die Addition spricht den Din|^cn oder den Gruppen von
Dingen ein besonderes Sein zu; die MullipUkation setzt wiederholt
.dasselbe Ding oder dieselbe Gruppe von Dingen, sie denkt sich das
Gesetzte nur einmal vorhanden, die Vielheit des Multiplikators ist
keine Vielheit des Gesetzten, sondern eine Vielheit der Handlung
des Setzens.
Daraus cr^a'l)en sich zwei Arten von Zahlen: die Anzahl und
die Malzahl. Die Anzalil zählt eine Menge von Dingen , die Mal-
zahl eine Menge von Handlungea Jene tritt zum Hauptwort, diese
zum Verbum. Jene wird daher fast zu einem Etwas, man kann
daher sacken: die 3. die 4; i-c^-^ i'^t immer ein dreimal oder vier-
mal (d. h. citic in 3 oder 4 Zeitpunkten sich wiederholende HandluHj^)
oder auch ein dreifach oder vierfach (d. h. eine in 3 Fächern oder
Bezirken wiederholte Setzung). Die Addition und Subtraktion hat
es nur mit Anzahlen zu tun, bei der Multiplikation ist nur der
MulUpUkand eine Anzahl, der Multiplikator dagegen eine Malzahl.
Ist das Gesetzte eine Vielheit von Ding;cn, so kann nur die
Auffassung der Addition eine natürliche genannt werden. Drei
Gruppen von 5 Bäumen sind dem gemeinen Menschenverstände
5 Bäume -}- 5 Bäume -f 5 Baume. Wer daraus dreimal $ Bäume
macht (d. h. also in 3 Zeitpunkten gesetzte), der vergewaltigt die
natürliche Sachhif^e; denn die 2. und 3. Gruppe haben dieselbe
Daseinsberechtigung wie die erste und sind nicht bloss eine gedachte
Wiederholung dieser. Viel eher schon würde der Ausdruck „drei-
fach 5 Bäume (d. h. in 3 Abteilungen gescute) passen. So sagt-
aber kein Mensch: Beweis genug, dass die multiplikative Fassung
nicht dem natürlichen Menschenverstände entsprungen ist, sondern
der Schultreibhift der Rechenkunst.
Aus diesem Grunde iiat der MuItiplikationsbcc^rifT cij^cntlich
nur Berechtigung bei Massen und abstrakten Zahlen. Damit kommen
wir zum zweiten Unterschiede:
b) Der Multiplikationsbegriff verlangt, dass das Gesetzte (der
Multiplikand) abstrakt gedacht wird, nicht als ein Ding, sondern als
ein Begriff. Denselben Begriff mehrmals in Gredanken ZU setzen*
daran kann kein Anstoss genommen werden.
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— 125 —
Dem Unterschied zwischen den Begriffen der fortgesetzten
Addition und der Multiplikation ist unsere Sdiulsprache in ganz
richtij^em SpracitgefüII entgegengekommen, indem sie für den
Unterricht unserer Kleinsten Ausdrücke prägte wie 3 Vieren,
4 Dreien nach Analogie der aus der Schöpferkraft des Volkes
henrorgcgangenen Worte für die Zehner (die deutschen Worte
dreissig, vierzig, die lateinSschen triginta, quadraginta, ebenso 6it
entsprechenden g^echischen bedeuten nämUch 3, 4 Zdiner oder
Zehnen). Sie will damit sagen, dass die Zahlkörpergruppen mehr-
mals existieren wie Dingj^ruppen. In dreimal 4" dagegen ist 4
als abstrakte Zahl zu nehmen, welche einer dreimaligen ideellen
Setzung zu unterwerfen ist In noch grösserer Abstraktheit be-
deutet der Ausdruck, dass eine Zahl zu suchen ist, welche dreimal
so gross ist wie 4.
Die Auf^be: Was kosten 3 kg Kaffee zu 4 M. - ist demnach
einer zweifachen Losung zugänglich. Die natürliche und daher
kindliche Auffassung ist folgende: ich habe 4 M. zu zahlen fiir das
I. kg, 4M. iur das 2. kg usw., also 4 M. 4 M. -|- 4 M. Die Geld-
stücke, wirkliche Körper, werden dreimal hingelegt gedacht. Das
ist Addition ^loirfier Po^^ten. Dem f^ep^enüber steht die begrifflich-
abstrakte Auslegung des kunstgemässen Rechnens: I kf^ kostet
4 \L; kaufe ich nun dreimal soviel Ware, so ntuss ich auch einen
Preb zahlen, der dreimal so gross ist Das ist Multiplikation, weil
die Grösse 4 M. nur einmal gedacht wird, und gar nicht als Geld*
stücke, sondern als abstrakter Preis.
Aus alledem ist ersichtlicli, dass die Multiplikation alles Sinnen-
fallige abgestreift hat, während die Addition parallele Vorgänge der
Aiissenwelt Schritt für Schritt in Rechnen umsetzt So erklart sk:h
der Vorsprung der Addition und Subtraktion vor der Multiplikation
und Division; denn das für die Multiplikation Gesagte macht steh
auch geltend für ihre ünikelirung.
liaibierc ich eine 12 m lange Strecke, so ist das so wenig
eine Division, wie das Aneinanderlegen zweier 6 m langer Strecken
eine Multiplikation ist. Reim Halbieren werden beide Teile des
Ganzen g'edacht, beim Teilen Dividieren) durch 2 darf das Ergebnis,
der Teil, nur einmal gedacht werden. Jenes ist nur eine besondere
Art der Subtraktion, eine Subtraktion in gleiche Teile, d. L die
Umkehrung der Addition gleicher Posten. So wie nun diese letztere
durch Zusammenfügen aus glddien Teilen ein Ganzes macht, so
jene durch Brechen aus einem Ganzen jijleiche Teile. Mit anderen
Worten: die Subtraktion in gleiche Teile führt auf Rriiche. Der
Begriff des Bruches ist ursprünglich nicht aus der Division, sondern
aus der Subtraktion in gleiche Teile herausgewachsen. Dem ent-
sprechen auch alle Anschainingsmittel , welche den Begriff des
Bruches illustrieren sollen. Ob ich einen Apfel, einen Papierbogen,
einen Stab» einen Kreis halbiere» immer haben wir beide Teile des
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I
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Ganzen vor Augen. Der Bruch ist demnach em viel ursprünglicherer
Begriff als die Division, er ist anschaulich zu machen, so weit das
bei Zahlen überhaupt mö^'ü' h ist; die Division dagegen hat keinen
Paralielvorgang in der Aussenwelt
Aber nun die Ausführung der Subtraktion in gleiche Teilel
Ohne die Kunst des Einmaleinses kann sie nur aufführt werden
durch Probieren, bei sinnlichen Dingen durch Augenmass. Nur
wenn eine Addition gleicher Zahlen unmittelbar vorausgeg^angen
ist und die so gefundene Beziehung der Zahlen noch im Gedächtnis
festgehalten wird, kann sie dur<£ Umkehrung gefunden werden.
Wenn ich ausgerechnet habe, dass 2 Dreien = 6 sind, so weiss ich
au Ii c!ass die Hälften der 6 Dreien sind. Mit anderen Worten:
Das Brechen in gleiche Teile kann jederzeit nur ausgeführt werden
durch Umkehrung des Einmaleinses, also durch Division. Dalier
kommt es, dass man den Bruch immer als Folge einer Teilungs-
aufgabe hinstellt Vom logischen Standpunkte des Rechnens aus
mag das hingehen. Uns ^ber interessierte hier der Ursprui^ des
Bruchbegriflfes.
Weil nun die beiden höheren Operationen dem abstrakten
Denken ihren Ursprung verdanken, weil sie weit abliegen von dem
natürlichen Verlauf des Geschehens in der Aussenwelt, darum sind
sie auch in der Entwicklui^ der Geschichte weit später aufgetreten
wie das Addieren und Subtrahieren. Die Annahme, wie sie z. B.
von Cantor in seiner Geschichte der Mathematik vertreten wird,
die Annahme nämlich, die Begriffe des Multiplizierens und Divi-
dierens seien ebenso wie die beiden ersten Operationen so alt wie
die Zahlen, beruht auf falscher Auffassung elcs iMultiplikations-
begriffs. Kr betrachtet nämlich die reinen Zehner als Produkte.
Das kann wohl der denkgeübte Mathematiker tun, wenn er will.
Dem gemeinen Menschenverstände aber ist 30 nicht dreimal 10,
sondern 10 -|- 4" = 3 Zehner, also eine Anzahl Zehner, genau
so wie er 3 nicht als dreimal i, sondern als i + i H~ ^ = 3 Einsen
begreift. Wir könnten das leicht aus der Anah-sr der griechischen,
römischen und altgcrmanischen Zahlworle nachweisen; doch wollen
wir uns das auf eine spätere Gelegenlieit versparen. Wir bezweifein,
dass irgend ein Naturvolk den MultipUkationsbegriff' hat Sicher
nachwetebar ist er erst bei dem ältesten Kulturvolk der Wdt, bei
den alten Ägyptern, hier aber schon in sehr früher Zeit.
Alfs alledem geht hervor, das.s im natürlichen Werden nicht
bloss die Zahlen eine Entwick] un.' gehabt liaben von niederen zu
höheren, sondern auch die Operationen. Inbezug auf die Zahlen-
entwicklung irrten die alten Rechenmeister. Sie schütteten, wie
schon bemerkt, den ganzen 2^hlenraum auf einmal aus und führten
daran ihre Operationen eine nach der anderen vor. Ihr Gegen-
füssler ist Grube. Er irrte auf der anderen Seite. Bei den Zalüen
geht er Schritt für Schritt in die Höhe, heute die 15, morgen
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die l6, übermorgen die 17 usw., aber die Operationen setzt er alle
auf einmal hin, als lägen sie dem Menschen von Natur aus im
Geblüte. Beide irrten aber auch da, wo sie ganz richtig allmaUich
aufbauen wollten. Dk Zahlen sowohl wie das Rechnen sind nicht
Schritt für Schritt eine nnch der anderen entstanden, sondern
gruppenweise. Inbe^ucr auf die Zahlen ist oben d is .X -ti^^e schon
gesagt. Bezüglich der Operationen fordern wir aus aiien den an-
. gegebenen Gründen, dass die höheren Operationen zurückzuschieben
sind, bis der Zahlenraum l— 100 additiv und subtraktiv durcharbeitet
ist. Dann erst ist auch Platz geschaffen für das rasch in die Höhe
stcM^ende i.u.maleins. Aus denselben Gründen, wie sie für die
beiden niederen Operationen ausgeiuhrt worden sind, muss auch
bei den höheren das Dividieren dem Multiplizieren so nachfolgen,
dass jeder neue Schritt vorwärts wieder zurückgegangen wird. Das
Dividieren lernt man n;:s dem Multiplizieren.
In diesem Punkte hat schon Hcntschel das Richtige getroffen.
Er tat es aus logischen Gründen der Umkehrbarkeit der Haupt*
rechnungsarten. Unsere psychologische Untersuchung fügt sdnem
Verfahren den neuen Gedanken hinzu, i. dass sein Vorwärtsschreiten
noch immer geschieht — durch eine Gruppierung der Zahlen zu
ersetzen ist, die ihrem natürlichen Werden besser entspriciit (siehe
oben), u. 2. dass ' auch die beiden Gruppen der Operationen nach*
einander stehende Entwicklungsstufen des Rechnens sein müssen.
Als Vorbereitung des Multiplizierens und Dividierens dienen im
ersten Schuljahre die fortgesetzte Addition gleicher Zahlen und
als deren Umkehrung das Brechen in gleiche Teile. Hier sind also
Aufgaben zu bieten wie : Wieviel sind 2 Dreien, 3 Zweien, 2 Vieren
usw. und wie: Halbiere 6, brich 6 in 3 gleiche Teile usw. Da aber
die letzteren Aufgaben nur dann in jedem Augenblicke gelöst
werden können, wenn man auswendig weiss, wieviel 2 Dreien,
3 Zweien usw. sind, so sind die Aufgaben beiderlei Art zu ver-
schieben in die Zeit, in welcher die Zahlbcziehungen anfangen
gedachtnismSssig zu werden.
a) Ihr BegrifiC Das Addieren tritt in zwei etwas voneinander
versduedenen Formen auf, als Hinzufugen und als Summieren.^)
Das erstere geht aus von einer gesetzten Zahl und fragt : was wird,
wenn ich zu ihr eine zweite hinzufüge? Es unterscheidet also eine
primäre Additinnszahl und eine sekundär hinzukommende, sie weist
beiden verschiedene Aufgaben in der Rechnung zu i^Summand,
^ In allea F&llen werden wir die Fremdwörter fUr die Operation' :i 1:11 aJlgeroeiaes
gAraadMB, dk denlacbea Beteichinuigen dagegen für die beuaderca Azten derselben.
von Zehner zu Zehner
Rechenbüchern
a. Die Addition.
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Addcnd). Das Resultat hat natürlich soviel Einheiten wie beide
Zahlen zusammen. Das Summieren dagcp;^en zielt direkt auf dieses
Zusammen hin, es frae^t : wieviel Einheiten haben zwei Zahlen
zusammen? Es macht keinen Unterechied zwischen beiden i'osten,
es weist beiden von vornherein gleiche Stellung^ in der Rechnung
zu; sodass die Vertauschbariceit der Posten selbstverständlich is^
während beim , Hinzufügen diese ausdrücklich aufgezeigt werden
muss.
In der räumlichen Tarallele wird beim Hinzufügen die erste
Gruppe in Ruhe gedacht, während die zweite sich auf sie zubewegt
und sich mit ihr zu einem Ganzen vereinigt; beim Summieren
dagegen bewegen sich beide Gruppen in gleicherweise und laufen
in einem dritten Orte in eins zusammen.
Daraus geht hervor, dass das Summieren der einfachere und
ursprüngÜchere Begrifif ist. Aber er enthält alle beim bewussten
Addieren auseinander zu haltende Momente noch wie in einem
Knäuel zusammengeballt. Erst das Hinzuiilgen wickelt den Knäuel
auf nnd breitet alle Einzelheiten des Vorgangs aus. Daher ist an-
zunehmen, dass im natürlichen Werden nicht das Summieren,
sondern erst der Zwang des iiituufugens den Additionsbegritf
gezeitigt hat Wenn näiäich der Mensch nichts weiter wissen will,
als wieviel zwei Gruppen zusammen sind, so lässt er sie ineinander
laufen (wenn nirht wirklich, so doch in Gcdnnken) und bestimmt
nun das Zaiilm imcnt des vercinij:^ten Ganzen. Üie l\^stcn werden
dabei ganz liiniallig, weil das Augenmerk einzig und allein auf das
Endresultat hinzielt Erst wenn die Posten, als wertvoll für sich, in
Gedanken aufrecht erhalten werden, trotz der Frage nach ihrer
Summe, erst dann entsteht der Addilionsbegriff mit allen seinen
Einzclzüj^cn. Daher kommt es, dass dem Urmenschen die additiven
Beziehungen unter den Einlieiten der ersten 4 Zahlen wohl kaum
recht zum Bewusstsein gekommen sein mögen. Gesetzt aber den
Fall, er kenne nun die Zahlen bis S und wiU nun damit ein höheres
Zahlmoment (z. R. 7) feststellen, so kann er g^ar nicht anders, als
erst die 5 Dinge bestimmen und dann die übcrschicsscnden 2. Und
nun steht er vor der Forderung, zur primären 5 die sekundäre 2
hinzuzufügen. Hier machen sich die rosten mit Gewalt geltend,
der Mensch kann sie nicht fallen lassen zugunsten der Summe. Das
ist in Wirklichkeit der volle Operationsbegriff. Dem Hinzufügen
gebührt demnach im Unterricht der Vorzug vor dem Summieren,
weil nur bei ihm alle Momente des Addierens klar hervortreten.
Sobald die Zahlbildung über die momentan überschaubaren Zahlen
hinausgebt kommt der Addittonsbegriff in voller Deutlichkeit in
Sicht
bl Die Ausführung. Die kunstgemässe Ausführung^ aller
Operationen in unserer heutigen Weise steht weit zurück hinter der
Konzeption der Operationsbegriffe. Alles Rechnen der Naturvölker
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ist Zählen. Alles was darüber iiinau.sixegt, ist Errungenschaft wisscn-
schafttich denkender Kulturvölker. Im Zählen haben wir also auch
die erste, die natililiche Lösuiij^ der Additionsprobleme. Im ersten
Zehner knnn dieser lanffwierige Vorgang jedoch abgekürzt werden
mit Hüte der Km^;crbilder. Soll x. B. 4 und 3 addiert werden, so
hebt man die ersten 4 i inger, dann die folgenden 3, und sieht nun,
dass die Hand und 2 Finger gehoben sind (Bild der 7). Alles
?eschtefat dabei momentan (ohne Zählen), sowohl das Heben der
ingergruppen als auch das Erkennen des resultierenden Zahlbildes.
Den gleichen Vorteil bietet unser nach Fünfern grupfiierter Rechen-
apparat. Dieses natürliche Rechnen wird erst überwunden durch
Einprägung des Einszueinses, Besonders dadurch wird das Rechnen
zur Kunst. In der Geschichte ist dies kunstvolle Addieren mit Hilfe
des Kinzueinses cfst recht spät erstand rn, soviel wir wissen, erst in
den Schulen der römischen Kaiserzeit. Der durch den Drill der
Schulen hindurchgegangene Kulturmensch ist geneigt, mit einer
gewissen Geringschätzung auf das Fingerrechnen herabzublicken.
Mit solcher Auffassung versündigt er sich gegen den Greist des
natürlichen Werdens. Das Rechnen mit Fingern, Apparaten oder
durch Zählen ist ein natürlicher Kntwicklungszustand, aus dem die
Menschheit erst durch die beabsichtigte Wirkung des Unterrichts
herausgekommen ist Der Lehrer, welcher diesen geschichtlichen
Gedanken beachtet, wird nicht ungeduldig über das natürliche
Rechnen hinauswollen. Wenn die Frucht reif ist, fallt äe von selbst
ab; wenn das Einzueins festsitzt, wird die Benutzung der Finger
lästig und hört auf. Im Zahlenraume bis 10 wird dieser Übergang
zur kunbij^cniässen Addition sicher am Ende des ersten Schuljahres
voUz<^en sein.
Es fragt sich nun, in welcher Reihenfolge die Additions-
beziehungen, wie ne im Einszueins niedergel^ sind, zu gewinnen
and.
Wir haben das Verfahren der Monographcn abgelehnt, welches
die Rechenbeziehungen so nebenbei gewinnt als Inhalt des BegritTs
der Einzelzahlen. Wir meinen jene Relationen sind in erster lÄnxo.
nicht als Zahlbeziehungen autzufassen, sondern als Operations*
^thesen. Zur Feststellung eines Zahlbegrifis genügt anfangs voll-
kommen eine einzige He/.ichung (welche? siehe oben); die übrigen
bilden sicii nach und nach von selbst aus im Betriebe des Rechnens.
Ganz unnötig aber ist ihre Sammlung um bestimmte Einzelzahlen
als deren Inhalt Der Rechner muss vielmehr umgekehrt je zwei
Zahlen gegenseitig schlagfertig addieren, subtrahieren usw. können.
Der Redienuntenicht hat demnach synüietisch vorzugehen.
Daraus ergibt sich folgende Anordnung. Es ist zu fragen, wie
man die i, wie die 2, die 3 usw. zu jeder beliebigen Zahl hinzu»
fügt. So entstehen folgende Reihen:
PldügogiKbe Studieo. XXIX. 8. 9
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a) I -f I; 2 -f i; 3 -f- I; 4 4- 1
b) 1 4-2; 2-1-2; 3 + 2; 4+2
c) 1 + 3; 2 + 3; 3 H 3; 44-3
usw. bis 9 -f- 9
Da die Posten vertauschbar sind, ist das Hauptgewicht auf die-
jenigen Summen zu legen, m welchem der zweite Posten gleich
oder kleiner als der erste ist Die Reihen werden demnach immer
kürzer, bei Hinzufügung der 9 handelt es sich um ein einsiges neues
Glied, um 94-9=18.
Jede dieser Reihen wird natürlicli immer nur ausgedehnt auf
den gerade in Behandlung stehenden Zahleoraum. Wächst dieser,
so werden jene weiter fortgesetzt.
Gewonnen werden die Relationen innerhalb der Grundzahlen
durch Fingerbilder (i. Schuljahr). Gehen sie in den zweiten Zehner
hinein, so wird unter Beachtung des Zehnersystems zunächst der
erste Zehner vervollständigt und dann der Überschuss lunzugefUgL
(2. Schuljahr.)
Die obigen Reihen bedeuten bloss methodische Stoffanordnungen
für den Lehrer, sie sind nicht auswendig zu lernen wie das Einmal»
eins. Von Anfang an muss vielmehr das Ziel des Unterrichts darauf
gerichtet sein, das Wissen unabhängig zu machen von der Reihe.
Daher hat der Lehrer die einzelnen Glieder möglichst bald durch-
einander 7,u üben. Nur die natürliche Zahlenreihe und die Reihe der
geraden und ungeraden Zahlen sind auch als Reihen einzuprägen.
3. Die Subtraktion.
Fasst man die Beziehung a -(- b = c im Sinne des Hinzufugens,
so ergibt die Umkehrung dieser Relation zwei verschiedene Arten
der Subtraktion: Das Abziehen (Wegnehmen) oder Restsuchen
(c — b = a) und das Unterschiedsudhen (c — a = b). Das Abziehen
nimmt die hinzugefügte Zahl von der Summe wieder weg; es unter-
scheidet demnach eine primäre Zahl und eine nachträglich (sekundär)
zu ihr in Beziehung tretende. Ks bleibt ein „Rest" übrig.
Das Unterschiedsuchen dagegen setzt (ähnlich wie das Sum-
mieren) zwei von vornherein gleichberechtigte Zahlen und vergleicht
diese miteinander nach der Frage : Wieviel ist die eine grösser oder
kleiner als die andere? Man erhält ihren „Unterschied" (Differenz).
Beim Abziehen hat man von der gesetzten Zahl die zweite wegzu-
nehmen; beim Unterschiedsuchen dagegen hat man gerade zu be-
stimmen, wieviel wegzunehmen ist von der grösseren, um die kleinere
zu erhalten, oder besser umgekehrt» wieviel man zur Ideineren hinzu-
zulegen hat, um die grossere zu erhalten. Beides sind also grund-
verschiedene Rechnungsarten, was aber beim heutigen Rechenunter-
richt kaum einem Schüler zum Bewusstsein kommen dürfte.
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131 —
Das Abziehen ist von beiden die ursprünglichere Operation;
es liegt den Kindern näher als das Vergleichen zweier Zahlen in-
bcxupr auf ihie Grosse: Das Hinzugefiigte wieder wegzunehmen,
das ist ein Gedanke, der sich unmittelbar aus dem Addieren ergibt
durch die Triebkraft des Geyensatzes. Dazu kommt, dn^s dem
Abziehen ebenso wie dem Addieren ein paralleler Vorgang in der
Ausscnwelt zur Seite steht, das räumliche Entfernen oder Trennen
als Auflösung des Annahems. Dagegen gehalten erscheint das Ver^
Reichen zweier Zahlen schon wie eine Auffj^be spekulativen Denkens.
Der Unterricht hat somit die Addition stets zuerst umzukehren
in der l''orm des Abziehtrns. Auf diesem VV^ege dringt das Kind in
die Au:»iuhiuag des Subtrahierens ein. Kann es einen bestimmten
Rechenfall additiv und subtraktiv eriedigen, dann erst bieten wir
Aufgaben über den Unterschied zweier Gnrössen als Anwendung des
Gelernten. Anfänglich wird das, unter Vermeidung des Wortes
Unterschied, unter der Frage geschehen: Wieviel ist eine Zahl
grösser oder kleiner als die andere? Das versteht jedes Kind im
ersten Schuljahre. In den Mittdidassen muss dann aber sicher zum
vollen Bewusstsein kommen, dass der Rest zweier Zahlen gleidi
ihrem Unterschiede ist. Auf dieser Erkenntnis beruht die P'rsctzung
einer .Subtraktionsart durch die andere, was unter bestimmten Um-
ständen von grossem Vorteile für das Kopfrechnen ist Soll ich
namüch zwei nahe aneinander liegende Zahlen (z. B. i6i und 159)
voneinander abziehen (also erst die 100, dann die 50, dann die 9),
so komme ich schneller zum Ziele, wenn ich ihren Unterschied be-
stimme, wenn ich also frage, wieviel muss ich zu 159 zulegen, um
161 zu erhalten. Dieser Unterschied ist dann gleich dem Reste.
Umgekehrt, habe ich den Unterschied zweier Zahl ien zu bestimmen,
von denen die eine ziemlich klein ist (z. B. von 161 und 4), so
komme idi schneller zum Ziele, wenn ich die 4 abziehe. Der Rest
ist dann gleich dem gesuchten Unterschiede. Es zeugt von
Stümperhaftigkeit, wenn solche Kechenvorteile nicht beachtet werden.
4. Die Mattiplilcatlon.
Über den Begriff" <les Multiplizierens ist oben das Nötige
gesagt Hier nur nocii ein icuizes Wort über das Liiimaieins. Das
hat uns Grube gründlich verdorben. Von allem Anfange an, seit
eine Rechenkunst besteht, hat man mit den Einmaldnsreihen die
Fraf^e beantworten wollen, wie man die Zahlen I — 10 vervielfacht:
wie man sie verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht usw. Das Drei-
maleins iiatle also folgende Anordnung:
dreimal i ist 3,
» 2 „ 6,
» 3 » 9
usw.
»•
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— 132 —
Der Multiplikator blieb dabei derselbe, die Multiplikanden
wecfaselten. Und Ghrube? Er frug, was wird aus einer Zahl, wenn
man sie der Reihe nach verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht usw.
Bei ihm blieb also umgekehrt der Multiplikand derselbe und der
Multiplikator wecliseite. Das Dreimaieins, wie es heute noch gelernt
wird, lautet also:
einmal 3 ist 3,
»veimal 3 „ 6,
dreimal 3 „ 9
usw.
Es ist klar: früher zielte man auf das Rechnen, man stellte
Vervielfachungsreihen auf; heute hat man den Zalüenzusammenhanfif
im Auge, man baut Zahlenreihen auf. Auch hier der Gegcnsats
zwischen Rechnen und Zahlentheorie. Folgerichtig hat man auch
den altväterischen Namen „Einmaleins" fallen lassen, man spricht
heute von Dreier-, Vierer-, Fünferreihen.
Und nun vergegenwärtige man sich einmal, wie wenig diese
neuen Zahlenreihen für das Multiplizieren passen. Nehmen wir den
Fall, wir wollten 8935 mal 7 nehmen. Wir rechnen jetzt:
siebeomal 5: das ist das 7. Glied der l utiit rreihe;
„ 3; „ „ „ „ „ „ Drcicrreihe;
„ 9: „ „ „ „ „ „ Neunerrdhe;
„ 8: „ „ „ „ „ „ Achterreihe,
jedes Teilprodukt gehört v'-.r.cr anderen Reihe an. Führen wir
aber dieselbe Aufgabe mit iiilte des alten Einmaleinses aus, so
gehören alle vier Teilprodukte derselben Reihe an, der Reihe der
Versiebenfachung. Hier also bleibt das Kind in deiselben Reihe,
dort muss es mit seinen Gedanken herumhüpfen von einer Reihe
in die andere. Für den Erwachsenen ist es bedeutungslos , oh so
oder so, weil in seinem Gedankenkreise die Glieder des iiinmal-
einses längst selbständig und unabhängig; von ihrer Stellung in der
Reihe geworden sind. Man versetze sich aber in die Lage des
Kindes, welches diese Produkte nut Hilfe ihrer Reihen sich erst
aneignen will, in dessen Geiste jene multiplikativen Beziehungen
noch nicht auf eigenen Füssen stehen, sondern in ihrer Reprodu-
zierbarkeit noch abhängig sind von ihrer Stellung in der Reihe.
Für ein soldies Kind ist dieses Herumspringen aus einer Reihe in
die andere eine wahre Seelenqual; es multipliziert schwerfällig und
stockend, weil es bei jedem Schritte sein Wissen aus einem anderen
Bezirke seines Geistesinbaltes herbeiholen muss. Die Einmaleins-
rcihen werden durch solche Anwendungen nicht betesligt, sondern
auscinandergerissen.
Bei dieser Sachlage kann man sich nicht wundem, wenn die
Klagen über geringe Rechenfertigkeit unserer Kinder nicht ver-
stummen wollen. !• in wahres Glück, dass die Faktoren vertauschbar
sind, sonst wäre der Schaden unabsehbar.
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— 133 —
Wir fordern das alte Einmaleins der Verviel&chungsreihen för
unsere Kinder zurück, weil nur dieses ein braachbares Hilfsmittel
(lir das Multiplizieren ist infolge des Umstandes» dass es von Anfang
an für diese Kunst /umgeschnitten wurde.
Eine merkwürdige Entdeckung machte ich beim Studium der
Geschichte des Einnudeinses in einem Ideinen Lesebuchlein aus dem
Anfange des 19. Jahrhunderts (von Superintendent LöfTler, der sich
um die Entwicklung der Volksschule in der Stadt Goth«-! durch
Grründung der ersten Freischule hochverdient gemacht hat). Das
Büchlein enthält das kleine Einmaleins in Form der alten Ver-
vielfachungsreihen mit gleichbleibendem Multiplikator, das grosse
Einmaleins aber in Form der heutigen Zahlenreihen mit gleich'
bleibendem Multiplikand. Welcher Zwiespalt! Aber offenbar kein
Zufall. Der Mann ist wohlübcrle^ zu Werke g^gani7cn. Kr hat
sich offenbar «gesagt: niemand multipliziert mit dem ^rros^in Kin-
maleins, sondern immer nur mit dem kleinen. Bei jenem wiü man
vielmehr wissen, wieviel 2, 3, 4 Dtz., wieviel 5, 6^ 7 Mandehi sind.
Hier tritt die 12, die 15 als Multi^kand auf: also Zahlenreihen.
Beim kleinen Hinmaleins aber, weil man mit ihm multiplizieren will»
Vervielfac 1 1 u n g sr e i h c n .
Wir schliessen uns diesem Gedankengange an und bemerken
nur noch, dass wir bei unseren heutigen Masssystemen überhaupt
bloss die Reihen der 12 und 15 für notwendig erachten. Die
übrif^en können fallen, erstens weil sie keinen Wert haben weder
als Zahlen-, noch als Verviclfaltif^ungsreihcn, zweitens weil sie auch
bei fortgesetzter Übung unter viel Verschwendung kostbarer Zeit
und Muhe dennoch niemals zu einem so sicheren und unverlierbaren
Geistesbesitz werden wie das kleine Einmaleins, und drittens, weil
man in jedem einzelnen Falle des Gebrauchs durch besondere Aus-
rechnung (z. B. 17 • 5 = 50, 35; 85) fast ebenso schnell und ent-
schieden sicherer zum Ziele gelangt.
5. Die Division.
Die Umkehrung der Multiplikationsbeziehung a m = b, in
welcher a und b Anzahlen, m dagegen eine Malzahl ist, ergjibt
zwei voneinander ganz verschiedene Arten der Division, welche
in den Gleichungen b : m a und b : a =s m ihren Ausdruck finden.
Die ersterc Art heisst „Teilen'* und besagt: es soll von der
Grösse b ein gegebener Teil genommen werden, 7.. R. von 12 der
4- Teil (*/4 von 12). Es soll also die 12 nicht in 4 gleiche Teile
geteilt werden (das wäre Subtraktion oder Brechen in gleiche Teile),
die Division sucht nur einen dieser Teile, um die übrigen kümmert
sie sich nicht; diese liegen ganz und gar ausserhalb ihres Gesichts-
kreises. Hier «^ieht man wiederum t das Teilen bringt nicht etwa
den Bruchbegrih erst hervor, sondern es setzt diesen schon voraus.
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— 134 —
■Um diesen Bruchbegriff könnte man allerdings herumkontmen, wenn
man beim Teilen von der abstrakteren Erklärung der Multiplikation
ausginge, nach weicher eine Zahl zu suchen ist, die so und so viel-
mal so gross ist wie eine gegebene. Die Uinkehrung wurde dann
■lauten: uas Teilen hat eine Zahl zu suchen, die so und so vielmal
so klein {oder so und so vielmal kleiner) ist wie eine gegebene.
Aber diese Ausdnicksweise ist in der deutschen Sprache nicht
üblich.
Die zweite Art der Division heisst „Messen" oder auch „Eint*
haltensein". (Auf den langen Streit, wdches von beiden der bessere
Ausdruck sei, lasse ich mich nicht ein. Auf solcher Wortklauberei
beruht das Heil des Rechcnunterrichts wirklich nicht.) Es vergleicht
zwei Anzahlen miteinander nach der I'Va^e: wievieimal ist die eine
so gross wie die andere? oder wievielmal kann die eine von der
anderen weggenommen werden.
Ist der Dividend kein ganzzahliges Vielfaches des Divisors, so
ist das Teilen nur mit Hilfe der Brüche ausführbar. Die Aufgabe
3:4 = ? ist zunächst zu lösen, indem man jede i der 3 in 4 gleiche
Teile teilt (Subtraktion oder Brechen in gleiche Teile) und von jeder
der 3 Einsen einen Teü mmmt Nunmdir erst kann man 9xkAi die
auf Division gegründete zweite Erklärung des Bruches geben, nach
welcher ^j^ der 4. Teil von 3 ist, also das Resultat der Divisions-
forderung 3 : 4. Jetzt kann man auch sagen, dass der Bruch eine
Folge der Division ist. Gewiss ist er das! Wir haben oben nur
behauptet, dass die erste Konzeption des Bruchbegriffs innerhalb der
Entwicklung des Rechnens nicht aus der Division herausgeflossen ist
Wie das Teilen auf Brüche stösst, so das Messen in gleichem
Falle auf Reste. 13 geteilt durch 4 ergibt 3^4} 13 gemessen mit 4
ergibt 3 mal, Rest i.
c) Zahlenschreibung.
Unsere arabischen Ziffern — mag ihr Ursprung gewesen ^r'm,
welcher er will — sind in ihrer heuligen Gestalt willkürliche
Zeichen, die den Zahlinhalt in keiner Weise wahr darstellen oder
auch nur andeuten. Eine derartige Zahlenschrift kann unmöglich
die ursprüngliche gewesen sein, weil sie unnatürlich ist „Die ur-
sprüngliche Zahlschreibuni'^ untf^rscheidet sich in keiner Weise von
der Darstellung eines Zahlmoni cntes durch Steinchen, Samenkörner
oder i'inger. Die 21ahlzeichen waren Zählmarkcn wie diese Dinge
auch, d. h. Vertreter abwesender oder unhandlicher Gegenständer
welche durch und in jenen Marken vor die Sinne und in Reihe
gestellt wurden. Ob man für jeden zu zählenden Gegenstand ein
Steinchen hinlegte, einen Finger hob oder — je nach dem
Materiale — eine Kerbe in Holz oder Knochen schnitzte (Kerb-
hob), einen farbigen Strich auf Stein, Holz, Tierhaut zeichnete usw.,
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— 135 —
das ist im Grunde genoiniiien genau dasselbie. Demnach bestellt
die natürlichste und ursprünglichste Z^hlschreibung darin, dass man
dasselbe Zeichen (Kerbe, Strich, Keil, Punkt) so oft wiederholte, als
Ge^'enstände gezählt werden sollten" (Das Werden der Zahlen usw.
S. 89).
Da die Anzahl dieser in eine unterschiedslose Reihe gestellten
Zeichen nur durch Zählen bestimmt werden konnte, war diese Art
der Schreibung wohl zweckmässi^r für das Festhalten der Zahlen,
aber wenig geeignet für das Wiedererkennen oder I esen. Dieses
verlangt momentane ÜbersichtlichkeiL Das wurde erreicht durch
feststehende Gruppierungen, wobei höchstens drei (seltener auch
vier gleichartige Zeichen zu einer Gruppe vereinigt und die Grruppen
in Zeilen (bis deren drei) untereinander gesetzt wurden, so dass
beispielsweise die 9 als 3x3 in der Gestalt des bekannten
Quadrates erschien. Jetzt waren die Zahlen momentan überschau-
bar und darum lesbar geworden. So die Ägypter und Assyrier.
Einen anderen Weg schlugen die Griechen und Römer ein.
Sie erzielten die gewünschte momentane Übersicht dadurch, dass
sie die Fünfergruppierung in ihrer schriftlichen Darstellung nach-
ahmten. Die römische Zahlcnschrift — in dieser Form sind sie
noch heute, gebräuchlich — ist der Entwicklung der Zahlenbegriffe
wie auf den Leib geschnitten, weil sie eine Vielheit von Zeichen
setzt, wenn die Zahl als ein Vieles vorgestellt wird, aber nur ein
einzif^cs Zeichen, wenn das Viele durch Fünfer- und Zehner-
gruppicrung zur Einheit zusammengefasst wird. Ja noch mehr, das
Zeichen der Fünf (und der Zehn) ist sogar das schematische BUd
der Hand (beider Hände) und erinnert dadurch an dasjenige Körper-
ofgan, durch welches der Mensch die Vielheit der 5 als Einneit
begreifen gelernt hat. Mehr kann man wirklich nicht verlangen
von einer natürlichen Zahlenschrift Die römische Zahlschreibung
ist für den Gebrauch im ersten Rechnen geradezu ein Ideal j wäre
sie nicht schon vorhanden, müsste man sie erfinden (2SUer). Wenn
wir sie in den Unterricht aufnehmen, bringen Mrir die ZaJilzeichen
mit dem Inhalt der Zahlen und den benutzten Darstelhingsmitteln
in vollendete Harmonie. (Zu bemerken ist, dass die 4 durch
4 Striche dargestellt werden muss.) Wir fordern sie für den Unterricht,
b» die Kinder rieh losgelost haben von Fingern und Apparaten» bn
sie die Rechenbeziehungen steh gedächtnismässig angeeignet haben.
Der Positionswert der Zahlen darf nicht, wie das heute ge-
schieht, dogmatisch aufgezwungen werden. Er hat seine Vor-
bereitung im vorausgegangenen Gebrauche unserer Rechenapparate.
Wir haben links neben den Einerapparat den Zehnerapparat gesetzt
Das Bild der Zehner gleicht vollständig dem Bilde der entsprechen-
den Einer, die 30 besteht ^rcnau so aus 3 Kugeln wie die 3; nur
da^ jene 3 Kugeln sich in ihrer Stellung von die^^en unter-scheiden.
Da haben wir das ganze Prinzip der Fositionswerte der Zahlen. Dies
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— 136 —
ist so alt wie der Abakus und ähnliche Rechenbretter, es reicht
zurück in der Geschichte in Zeiten, die Jahrtausende v. Chr. Geb.
liegen. Nur dass der Positionswert nicht an Zahlzeichen, sondern
an Zahlkörpern (Zählmarken) hing. Die Erfindung der Indier in
den ersten Jahrhunderten n. Chr. beschrinkte sich auf die Über^
tragung des uralten Prinnpes von den Zahlkörpem auf die Schrift»
zeichen. Die Vorriussetzun^ dafür waren einheitliche Ziffern für die
Grundzahlen. Naciidem diese gefunden, stand nichts mehr im Wege,
das Bild, wie es sich am Rechenbrette zeigte, schriftlich nach«
zuahmen. Ebenso haben wir im Unterrichte zu verfahren. Wir
stellen also beispielsweise die Zahl Fünfzehn am Apparat dar:
links eine Zehnerkugel, rechts 5 KiTierkiit^eln. Dann zeichnen wir
an die Tafel zwei kleine Kcchtecke nebeneinander, Bilder der beiden
Apparate j die Kugeln ersetzen wir durch die Ziiicrn der Zalilen
und schreiben in das linke Rechteck eine i, in das rechte eine 5.
Loschen wir dann die Rechtecke weg, so haben wir die Schreib-
u'Pi-c 15. So sieht das Kind ein, dass die I vor der S in Wirk-
lichkeit einen Zehner bedeuten soll.
Nun erst, sobald die Rechtecke als zu umständlich weggelassen
werden, begreift auch das Kind, warum man, wenn eine Stdle (wie
z. R. bei der Zahl Zehn) nicht besetzt werden kann, sogar ein
Zeichen braucht für das „Nichts". Hier erst ist die Stelle, wo das
bisheri'^e „Nichts" ersetzt wird durch die Zahl „Null" und ihr
Schriftzeichen. •
So hat sich der Vorgang in der Geschichte des Rechnens ab-
gespielt, so nur ist er natürlich; so muss er auch im Unterrichte
verlaufen, wenn dieser irgendwelchen Anspruch machen will auf
psychologische Entwicklung.
d) Die Sachgebiete.
haben gefunden, dass die Zahlen und das Rechnen nicht
etwas ausser uns Gepjebcnes sind, sondern ein in uns Erzeugtes.
Aber diese Schöpfungen des menschlichen Verstandes sind doch
nicht ursachlos geworden. Das geistige Schafifen bedurfte eines
Antriebes, und dieser ging aus von den Dingen und dem Geschehen
in der Aussenwelt. Der beste Beweis dafür ist die Alhnahlichkeit
im Aufbau des Zahlenraumes. Seine Anfanp^e reichen zurück in ur-
alte Zeiten, seine Vollendung erhielt er erst in den letzten Jahr-
hunderten der Neuzeit, obgleich schon Archimedes und Apollonius
den Weg gezeigt hatten, wie das Gebäude weiter geführt werden
könne bis ins Unendliche hinauf. Aber das Beditffnis nach so hohen
Zahlen war noch nicht vorhanden, das kam erst mit der Weite des
Gesichtskreises. Die Dinge der Aussenwelt zal^Icnmassi!^ zu meistern,
das war das Verlangen, welches die Zaalcu scimi. Sachlicher
Probleme halber wurden auch Rechnungsarten und Lösungsweisen
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erfunden. Noch heute weisen die Worte Quadrieren und Quadrat-
wurzelziehen hin auf die Sachgebiete , denen diese späteren
Rechnungsarten ihre Entstehung verdanken. Deutlich liegt diese
Abhängigkeit der Arithmetik von den Sachen bei höheren Kapiteln
dieser Wissenschaft im hellen Uchte der Geschichte. In jenen
dunklen Zeiten, in denen die ersten Anfänge des Rechnens das
Licht der Welt erblickten, kann es nicht anders gewesen sein. Ja,
hier erst recht brauchte der Mensch einen äusseren .'\nstoss, um
weiter zu kommen in seinem inneren Schaffen. Denn die eigene
Triebkraft von Gedanken kann sich doch erst dann re^en, wenn
diese zu einer Macht im Vorstellungsleben geworden smd durch
Umfang und Geschlossenheit. Wenn der Mensch im ersten Hundert
das Gesetz des Zehnersj'stcms, wir können nicht sagen mathematisch-
abstrakt erfasst, wohl aber innerlich geahnt und erlebt hat, so mag
nunmehr wohl auch die Lust an arithmetischer Spekulation die
Frage aufwerfen, wie die Sache wohl weiter laufen werde. Und
sollte das tatsächlich im Leben der hart ringenden Völker jener
frühen Entwicklungsstufen nicht der ¥a.]\ gewesen sein, so ist
weiugstens im behaglicheren Schulleben die Möglichkeit nicht aus-
geschlossen, diese Neugierde in den Kinderseelcn zu wecken.
Wir sprechen demnach der Triebkraft der Begriffe eine gewisse
Berechtigung im Unterrichte kdneswegs ab, wenn die Hauptmasse
eines Beg^fTsbe7rrkes gewonnen ist, so mag der fehlende Rest
erzeugt wcrdca m reiner Zahlenspekulation. Aber die Hmij itruasse,
die ersten Anfänge aller Begriffszentren bedürfen äusserer Anregung
durch die Sachen. Die Rechenmeüiodik hat demnach die Sach-
gebiete nicht erst heranzuholen, wenn es gilt, gefundene Begriffe
und Gesetze anzuwenden ; die Sachgebiete haben vielmehr schon
die arithmetischen Probleme herbeizuschaffen: Her Unterricht hat
auszugehen von sachlichen Problemen. Der Uedaakenfortschritt
muss unter dem Drucke praktischer Forderungen stehen. So erst
sieht das Kind ein, warum es notwendig ist, diese und jene Rechen-
ßlle lösen zu können. Noch mehr, oft wird es sogar erst entdecken,
dass ein solcher Rechenfall überhauj)t existiert. Auf solche Weise
sind alle Hauptschritte im Aufbau der Zahlen und des Rechnens,
die dem Kinde etwas wirklich Neues bieten, tu tun; manche kleine
Scliritte, manche einfache Folgerungen werden wohl auch kurzer
Hand abzumachen sein ohne eine derartige gewuchtige Aktion.
Wir lehnen demnach das weitverbreitete Verfahren ab, das
schon genug getan zu haben glaubt, wenn es die Rechenregeln
nidit — wie die alten Rechenmeister — dogmatisch ausschüttet,
sondern sie aus einigen Beispielen nackter Zahlen entwickelt. Wir
fordern mehr. Das Kind muss auch sehen, welchen Zweck es hat,
solche Aufgaben zu lösen. Und diese Hinsicht kann ihm nur
kommen von Seiten der Sachen. Alles in der Welt ist nach Zahl
und Mass geordnet, sagt schon die Bibel. Diese Ordnung der
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Din[jc, die Verhältnisse des Lebens zahlenmässig zu bemeistem,
das ist der Zweck des Rechnens in der Volksschule. Aus diesem
Grunde muss das Rechnen in den Sachen aufgehen, es muss in
ihnen Ausgang und Ziel Anden.
Welches und welcher Art sind nun diese Sachgebiete des
Rechnens? Im Grunde genommen aBes, was der Mensch sieht,
hört oder vorstellt Es kann wenigstens alles mit Zahlen durch-
leuchtet werden, wenn wir den Willen haben und dazu den Ver-
stand. Für die Methodik handelt es sich aber nicht um die Frage,
was gewaltsam in das Rechnen hineingezogen werden kann, sondern
was sidi dazu anbietet; welcher Art der Stoff sein muss, wenn er
eine rechnerische Behandlungsweise herausfordert.
Mit den Zahlen hat es eine eigene Bewandtnis: es haftet etwas
verstandesmässig Abwägendes an ihnen, ein kühler, nuciiteraer
Hauch geht von ihnen aus und streicht über die Dinge, die in ihren
Bereich gerückt werden. Ein Zahlenmensch, eine lebendige Rechen-
maschine steht im Gerüche eines kalten, geinütlosen Gesellen. Das
ist erklärlich. Die Zahl kümmert sich nicht um den Inhalt der
Dinge. So lange der Mensch noch sein Interesse konzentriert auf
deren Eigenschaften, so lange er noch mit dem erwärmenden Ge*
fühle der Sympatliie an dem Einzelwesen hängt, so lange wird es
in seinem Geiste nicht y.ur Znlilcneinhcit. Nicht was ein Ding ist,
sondern dass es ist, darum uidclt es sich bei der Zahl; die Ein-
heit konstatiert, dass es da ist, nichts weiter. Dass der Hotelgast,
der Zuchthaustnsasse zur 23mmemummer wird, besagt, dass mah
sie nicht mehr als Persönlichkeiten einschätzt, zu denen man sich
hingezogen fiihlt oder von denen man abgestossen wird, sondern
nur noch als Existenzen bewertet, welche die Zimmer fiillen.
Aus solchen Erwägungen heraus verlangen einige Methodiker,
das Rechnen mQsse ausgehen von Dingen, welche dem Kinde ganz
gleichgültig seien« Sonst, meinen sie, werde es gefasst von ihrem
Inhalte und abgezogen vom ZahlmomenL Sie beginnen daher mit
Kugeln, Würfeln, Stäbchen, Punkten, Steinchen, Pappquadraten,
kurz mit Gegenständen, die in Massen vorhanden sind, dea Vorzug
der Handlichkeit haben infolge massiger Ausdehnung und daher für
das rechnerische Experiment sehr bequem sind. Es sind die Körper
ihrer Anschauungsapparate. Diese Rechenmeister gleichen den
Kabincttsmethodikerii des physikalischen Unterrichts, welche aller
Weisheit Schluss gefunden /u haben glauben, wenn sie an die Spitze
der Unterrichtseinheit das Experiment steilen. Aber dieses ist doch
nur ein Mittel zum Zweck, ein Mittel zur Erklärung und Aufhellung
von Naturerscheinungen. Das Experiment hat deshalb an zweite
Stelle zu rücken, Ziel ist die Kr^rhrinung. Ebenso sind iene Zalil-
ktirpcr und damit die ganze Rechenmaschine unterzuordnen den
sachlichen Problemen.
Gegenüber der Methodik der reinen Zahlen ist das soeben
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— 139 —
gekennzeichnete Verfahren der Zahlkörper (Zahlmarken) wohl ein
kleiner Fortschritt. Aber er genügt nicht. Der Gesichtspunkt der
gleichgül tiefen Dinge ist falsch. Gewiss, der Inhalt der Dinge darf
die Aufmerksamkeit des Rechners nicht aufzehren. Aber ein
Interesse müssen sie doch noch ffir den Menschen haben, wenn das
Verlangten entstehen soll, sich mit ihrem Wieviel zu befassen, das
Interesse nämlich an ihrem Vorhandensein. Absolut Gleichgültiges
ist gar nicht da, man nimmt keine Notiz davon. Wie sollte es zum
Rechnen reizen? Die Frage nach dem Viel oder Wenig wird nur
dann gestellt werden, wenn auf die Menge des Vorhandenen etwas
ankommt, wenn auf sie aus iigend einem Grunde ein besonderer
Wert gelegt wird. Also nicht die reinen Zahlen regen aus sich
heraus die Bildung neuer Zahlen an, auch nicht die Dinge an sich;
nur der Wert, den ihr Sein für den Menschen hat. Wenn ein Guts-
besitzer seine Schafe zählt, so will er wissen, wieviel ihrer vorhanden
sind. Und dieses Wieviel muss einen Weit fUr ihn haben. Einen
Haufen Kieselsteine, der zuilUig ihm im Wege herumliegt, zahlt er
mmmermehr; den schafft er ungezählt beiseite. Sobald er aber
anfangt, das ein/.elnc Schaf zu taxieren auf seinen Krnährungszustand,
so entschwindet ihm die Anzahl aller aus dem Sinne.
Die Vertreter der Gleichgültigkeitstheorie inbezug auf die
Sachen widersprechen sich übrigens selbst, indem sie im Gegensatz
zu ihren Zielpunkten für die Stnfp der Anwendung der entwickelten
Bcgntt'e und Gesetze wertvolle Aufgaben befürworien und auch
bringen. In der Anwendung wertvolle Dinge, im Ziele wertlose!
Werden denn die Kinder am Ende der Unterrichtseinheit, ins*
besondere bei ihren häuslichen Lösungsversuchen sachlicher Auf-
gaben, wo sie sich noch dazu selbst überlassen sind, weniger durch
die Qualität der Dinge irritiert als im Anfange, vvu doch der unter-
richtende Lehrer die abirrenden Kinder wieder auf den rechten
Weg leiten kamt? Der Widerspruch ist aUzu grdL Hier muss noch
ein anderes Leitmotiv vorliegen, dem gegenüber der Gleichgültig'
kcitsgrund nur wie eine verlegene Ausrede zu bewerten ist.
Die Anschauer — um diese handelt es sich natürlich — über-
schätzen den Wert ihrer Anschauungsmittel. Diese sind ihr Ein
und Alles. Daher das Bestreben sie in den Vordergrund zu rücken.
Das Kind soll die Zahl, die Operation sehen und ablesen. Weil
nun selten die Dinge so handlich sind, dass man sie in die Schul-
stube vor das Angesicht der Kinder bringen kann und noch dazu
so, dass sie alle zugleich in den Blickpunkt des Auges fallen, so
meinen sie, der Untenricht müsse mit abgeblassten Vorstellungen,
mit schwächlichen Phantasiegebilden arbeiten, wenn die Lektion
ihren Au^ang von wertvollen Sachen nehmen solle. Aus demselben
Grunde verwerfen sie vergangene Geschehnisse und Zeiträume als
Ausgangspunkte, z. B. die Bestimmung der Anzahl der Tage der
Woche zur Gewinnung der Zahl 7. (^merkung: Das Gesagte be-
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sieht sich natürlich auf die untetsten Schuljahre, die noch der HÜfik
mittel bedürfen).
Die gerügten Mängel müssen wir anerkennen. Glücklicherweise
lässt sich der Übelstand beseitigen auf die denkbar einfacliste Art.
Aber gerade« weil die Abhilfe so einfoch is^ scheint bisher kein
Mensch auf diesen Gedanken gekommen zu sein. Die Geometrie
«^oll uns den Weg zeigen. Auch sie hat oft genug von fiofiren-
ständen auszugehen, welche nicht in die Schulstube hineingetragen
werden können (Denkmäler, Häuser usw.), und doch sollen sie genau
beschrieben werden. Wie hilft man sich? Man macht Modelle der
betreffenden Gegenstände, man zieht gleichsam alle wesentlichen
Merkmale der Form von den Gei^enstanden ab und überträgt sie
auf das Modell. Indem der Unter ru ht Has Modell betrachtet, be-
schreibt er den Gegenstand. Denn iur die i>ander ist jenes nicht
eine leere Verkörperung eines abstrakten Formentj^us, sondern
der abgebildete konkrete Gegenstand selt)st Ein dem entsprechendes
Verfahren ist auch möglich für die zahlcnmässige Betrachtung^ einer
Dinggruppe. Jedes Ding, besser gesa^jt sein Zahlmomcnt die Ein-
heit, wird dargestellt durch einen Körper unseres Apparates. So
lösen wir gleichsam das Zahlmoment von der abwes^iden Gruppe
ab und stellen es vor die Augen der Kinder. Beim Sachrechnen
sind also die Finger, die Kui^elu Vertreter der Dinp^c, der
Geschehnisse, der Zeiträume. Indem wir mit den sichtbaren Zähl-
marken rechnen, rechnen wir mit abwesenden bachen. Das ist eine
ein&ehe Lösung der scheinbar so unüberwindlichen Schwierigkeit
Zugleich werden dadurch auch die Rechenapparate in die ihnen
zukommende sekundäre Stellung verwiesen. Die Zählmarken sind
nur Hilfsmittel, auf der einen Seite Hilfsmittel für die Versinnlichung
der abstrakten Einheiten, auf der anderen llüfsmittel der Ver-
sinnlichung des Zahlmomentes abwesender oder gedachter Ding-
gruppen. Oberall ist der Rechenapparat das Untergeordnete, das
Nebensächliche, eben nur ein Hilfsmittel.
Nun könnte jemand einwenden: man könne es sich schon pfe-
falien lassen, wenn gedachte Gegenstände ersetzt würden durch
sichtbare Zahlkörper, Dinge durch Dinge; ein anderes sei es aber,
2^träume wie die Wochentage» Geschehnisse durch Finger oder
Kugeln vertreten zu lassen, Zeiten durch Dinge. Das sei doch ein
etwas absonderhches V^erfahren, eine ausgeklügelte Weise. Dem
erwidere ich: Wird nicht auch der Zeitverlauf räumlich vorgestellt
in Form einer geraden Linie? Wie macht es denn der Mensch,
wenn er nicht weiss, ob der September der 8. oder 9. Monat ist?
£r zählt die Reihe der Monate an den Fingern ab und ersetzt also
auch die Zeiträume durch Grienst äude, jeden Monat durch einen
Finger: er macht das Zaiilinoment der Monate Januar bis
September sichtbar an den Fingern. Das ist genau dasselbe, was
wir fiir den Unterricht vorgeschlagen haben. Wenn der Vorgang
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hier naturlich ist — und er ist es — , so kann auch unser Unterrichts-
verfahren nicht unnatürlich genannt werden.
Wenn wir auf diese Weise im Sachrechnen die Finger und die
Kugeln verwenden, so haben wir dieselben Vorteile wie die An«
schauer für uns, nämlich die auf frische Empfindungen p^egründete
sichere Übersicht über die Zahlmomente, Wir aber stehen noch
günstiger da. Wir haben dazu noch wertvolle sachhche Ausgangs-
punkte. Bei uns geht die Anregung zum Fortschreiten im be-
grifflichen Rechnen vom Stoffe aus, bei den Methodikern der reinen
Zahlen und der gleichgültigen Dinge vom Lehrer. Wir meinen
aber, der Schüler solle vorwärtsstreben, nicht weil der Lehrer das
so will, sondern weil das Interesse am Stoffe ihn anreizt. Der alte
Spruch: non scholae, sed vitae discimus sagt erst die halbe Wahr-
heit. Die andere Hälfte muss lauten: vita docet, non schola, das
Leben ist der Jugend Lehrer, der Lehrer nur tein Mittler.
Schlus folgt.
IV.
Die Herbart-Forschung im Jahre 1907.
Von Dr. Hast ZiMHer in Leipzig.
Das Erscheinen dieses Jahresberichtes (abgeschlossen am
15. Dezember 1907) wurde bereits in den „Pädagogischen Studien"
(XXVIII, 3) angekündigt. Besprochen werden nur Bücher und Auf-
sätze, die in deutscher Sprache geschrieben sind und sich auf
Herbart selbst, seine Philosophie und Pädagogik, beziehen: seine
Schüler und Nachfolger bleiben unberücksichtigt, vor allem auch
theoretische und praktische Werke im Geiste seiner Lehre. Ausser-
dem ist es immer viel mehr auf einen orientierenden Bericht als
auf eine Kritik abgesehen.
Für die Zukunft erbitte ich freundliche unverlangte Zusendung
aller ei^^schlägigen Schrifien und Aufsätze und richte diese Bitte
nicht bloss an die Autoren, sondern auch an die Vcrlej^er: was in
Matth. Ren als Schrift „Herbart Zur Würdigung seiner
i'ädagugik" steht, kann ich meinen Lesern nicht verraten, da ich
das eroetene Werkdien vom Verleger Val. Höfling in München
nidit erhalten habe. Dasselbe gilt leider auch von Paul Natorps
„Gesammelten Abhandlungen zur Sozi al päd agogik",
I. Abt. Historisches. Stuttgart \<>n~ . Fr. Fromman (K. Hauff).
Über dieses 510 Seiten starke Werk kann ich nur in Anlehnung an
Wilhelm Münchs Besprechung in der „Deutschen Literaturzeitung",
XXVnii 12; 23. März 1907, referieren. Das Buch enthalt neun zum
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Teil sehr umfassende Arbeiten, darunter die früher als selbständige
Schrift erschienenen Vorträge Qber „Herbart, Pestalozzi und
die heutigen Aufgaben der Emchungslehre". Auch die meisten
anderen Arbeiten handeln von Herbart und Pestalozzi. Natorp
bekennt selbst, dass er früher „etwas schneidend" g^egcn Herbart
aufgetreten sei. Er hat dessen Theorie aufs neue geprüft und
spricht ihm jetzt das Verdienst zu, in der psychologischen Be-
obachtung „immer achtungswert" zu sein. Eine „reiche FlUle ge-
haltvoller Einzclbemcrkungen und fruchtverheissender Anregungen"
werde bei ihm gefunden. Im übrigen ist Natorps Standpunkt «^^ei^^en
HerbarL und für Pestalozzi derselbe geblieben. InLcrcsbanL und be-
herzigenswert sind die feinen Bemerkungen, die Münch in seiner
Besprechung gegen diesen Standpunkt macht. Unter dem Titel
„Kant oder Herbart?" erwidert Natorp in den .Gesammelten Ab-
handlungen" den Herbartianem , die scmc Kmik Herbarts an-
tegriffen haben. „Neue Untersuchungen über Herbarts Grundlegung
er Erziehungslehre" madien den Beschluss der Sammlung.
Ein Bericht über die Herbart-Forschung im Jahre 1907 darf
vor allem mit grösster Genugtuung der hocherfreulichen Tatsache
gedenken» dass Karl Kehrbachs Au^abe von Herbarts „Samt«
liehen Werken" {Langensalza, Hermann Beyer & Söhne), die
beinahe ganz zu versanden drohte, überraschend frisch und energisch
wieder aufgelebt ist. Zehn Bände hatte Kehrbach seit 1887 besorgt,
und jetzt, nach langer Pause, haben wir in einem Jahre gleich
drei Bände erhalten. Bd. XI bietet die „Commentatio de realismo
naturali * fi<*^37', die ,, Erinnerung an die Göttingische Katastrophe
im Jahre 1837", die „Psychologischen Untersuchungen" von 1839/40
(nebst Bruchstücken des 3. Heftes) und „Aphorismen zur Psycho-
logie". Bd. Xn und XIII bringen Herbarts Rezensionen. Es ist gar
keine Frage, dass mit diesem Wiederaufleben der Kehrbachschen
Ausgabe — zu danken ist es neben dem Verleger dem neuen Heraus-
geber Otto Flügel — ein frischer Zug in die Herbart-Forschung
gekommen ist; und das ist mit grösster Freude zu bcgrüssen.
Bd. XII und XIII teilen unter den Rezensionen Herbarts auch
eine Reihe bisher unbekannter mit. Darunter befindet sich eine
über Fichtes „Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters" (Berlin 1806),
die in der ..Neuen Leipziger Literaturzcttung" vom 21. Januar 1807
erschienen ist. Otto Flügel hat diese ziemlich ausführhche und
starke Bedenken gegen Fichtes Bucii geltend machende Kezcnsioa
noch vor ihrem Wiederabdruck in Bd. Xm der „Sämtlichen Werke**
in einer Studie „Herbart Über Fichte im Jahre 1806" (Langen-
salza, Hermann Beyer & Söhne; „Pädagogisches Magazin", Heft 297)
mitgeteilt und mit einer gediegenen geschichtlichen Einleitung ver-
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— 143 —
sehen, die vor allem scharf zwischen den philosophischen und den
patriotischen Werken Fichtes scheidet und auch die Verschiedenheit
von Herbaits Urteil über die einen und die anderen klar hervorhebt
Auch von einer anderen Herbart- Ausgabe, von Emst Wagners
„Vollständiger Darstellung der Lehre Herbarts"
(„Gresslers Klassiker der Pädagogik", Bd. I ; Langensalza, Schulbuch-
bamilun^ von F. G. L. Gresslcr), ist Erfreuliches zu vermelden: im
Berichtsjahr ist die elfte Auflage erschienen, abermals vermehrt und
verbessert. Vermehrt vor allem durch ein alphabetisches Sach-
register, das vielen willkommen sein wird, aber auch durch den
Zusatz ,4^urze Charakteristik der Pädagogik Herbarts" zu der bio-
graphischen Einleitung; verbessert durch eine neue Revision des
Textes an der Hand der Hartensteinschen Gesamtausgabe.
Gewissermassen einen kleinen Nachtrag zu den vorhandenen
Ausgaben bietet Theodor Fritz sc !i, der in der „Zeitschrift für
Philosophie und Pädaj^Of^ik" (X\', 3: ein bisher unbekanntes Stamm-
buchblatt Herbarts aus dem Stammbuch des aus Oldenburg
gebürtigen Jenenser Studenten Rumpf (vom 21. August 1795) mitteilt
II. GMoMoMItelies.
Otto P^lügel, dessen schon oben lobend gedacht werden
musste, hat uns im Berichtsjahre noch mit einer anderen Gabe
beschenkt: mit seiner Schrift „Herbarts Lehren und Leben"
(Lcipzit^, B. G. Teubner; „Aus Natur und Gcisteswclt", 164 I>andchen).
2H Seiten „Leben" — 128 Seiten „Lehren": es ist kein Wunder,
dass der beste Kenner von Herbarts Philosophie und Pädagogik in
seiner gehaltvollen Schrift die ,4^hren" so stark überwiegen licss»
denn „Herbarts Leben ist arm an Taten; Denken war seine Tat"
(S. 128), und auch Flü<^els Leben ist Denken, immer neues Durrh-
und Weiterdenken der Lehren seines Meisters. Line kurze llerljart-
Biographie konnte auch ein anderer schreiben, dagegen eine bei
aller Knappheit so voUstindige und selbständige Darstellung des
Herbartschen Systems zu geben, dazu bedurfte es nicht bloss der
souveränen Stoffbeherrschung Flügels, sondern auch seines hervor-
ragenden Geschicks, die schwierigsten Gedankengänge in schlichten,
klaren Worten leicht fassüch auseinanderzulegen. Wie Herbart
selbst sein System in mannigfachen Formen, immer wieder von
einem anderen Ausgangspunkte aus und in einer anderen Be-
ieoditung, voi^etragen hat, so hat auch Flüf^cl die Lehren des
grossen Philosophen bereits oft und sehr verschieden vorgetragen:
ich glaube ihm das grösste Lob zu spenden, wenn ich sage, dass
es ihm hier gelungen ist, denselben Stoff abermals in einer neuen
Form» in fesselnder Anordnung und Gliederung, sofort in die Mitte
der Philosophie, in das Problem des Ich führend, darzustellen.
£in Beitrag zu der noch lange nicht genug gepflegten ver«
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— 144 —
gleichenden Biidungsgeschichte ist Dr. Well er s fletssige Arbeit
, »Locke, Jean Paul und Herbart über Jugendspiele" („Deutsdie
Blatter für erziehenden Unterricht", XXXV, 5 ffg.). Weller vergleicht
die Ansirhtcn der drei genannten Pädagogen über das Wesen der
kindlichen bpicic, über Arten und Einteilung der Spiele, über Nutzen
und Bedeutung der Spiele, über das Verhältnis des Erziehers gegen-
über den Spielen, über Wesen, Ait und Beschaffenheit der Spiel-
aachen, Dabei geht er, weil Jean Paul der einzige von den drei
Pädagogen ist, der ein festgefügtes logisches Schema über die
Spiele aufgestellt hat, immer von diesem aus. Herbart und Locke,
die nur verstreute Bemerkungen ohne inneren Zusammenhang über
die Spiele niedergeschrieben haben, lassen doch „im wesentlichen
diescn)cn Gesichtspunkte hervorspringen wie Jean Faul, so dass
infolgedessen auch ihre Ansichten in <lnrchgängiger Parallele mit
denen Jean E'auls skizziert werden'" koiuuen.
Zwei ganz besonders wertvolle Beiträge zur Herbartforschung
verdanken wir dem Hannoverischen Professor Geriiard Budde.
Wenn ich sein neues Buch „Die Theorie des fremdsprach-
lichen U n t c r r i r Ii t s in der IKrbart sehen Schule. Eine
historisch-kritische Studie" (Hannover und Leipzig, Hahnsche Buch-
handlung) bespreche, so muss ich von vornherein erklären, gerade
über den Teu des Buches» in dem Budde selbst den Gipfel seiner
Arbeit erblicken wird, über seine praktisch-didaktischen Ausführungen
im allgemeinen und besonders über seinen Vorschlag zu einer Neu-
gestaltung des gesamten fremdsprachlichen Unterrichf^ nach einem
einheitlichen Prinzip, nicht kompetent urteilen zu können. Aber
doch darf ich wenigstens als m«ne persönliche Oberzeugung aus»
sprechen, dass Buddes Darlegungen allesamt ernste Beachtung und
lebhafte Diskussion, in den meisten P'ällen wohl auch Zustimmung
verdienen: aus allen spricht ein Mann, der mit reicher praktischer
Erfahrung die Fähigkeit fruchtbaren theoretischen Nachdenkens ver-
bindet, der nie über das Ziel hinausschtesst, sondern mit wohl-
tuender Besonnenheit das Für und Wider gewissenhaft abwägt
Dass Budde überhaupt an den Schluss des historisch \ isierten Buches
seine eigenen Vo? -schlage gestellt hat, ist kein Zufall: sie stehen
in wesentlichen Tunkten auf 1 lerbartianischem Boden. Dass ferner
die neusprachliche Reformbewegung im Zusammenhange dieses
Buches mitbehandelt ist, mag manchen, wenn er nur daus Inhalts*
Verzeichnis ansieht, wundernehmen, findet aber ebenfalls seine Be-
rechtigung darin, dass Budde iibcrj^eugt ist, die Uf^irlie dieser
Bewegung liege in der Hcrbartschcii Pädagogik Der geschicht-
liche leil des Werkes — hier darf ein bestimnilcies Urteil gewagt
werden — ist ausserordentlich wertvoll. Alles springt Idar heraus,
die Theorie Merbarts, ihre Weiterbildung, die Abweichungen der
Anhänger Herbarts vom Meister u. s. f. kvirz die ganze Entwicklungp-
rcihe mehr denn eines halben Jahrhunderts. Sie so scharf heraus-
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— 145 —
zuarbeiten, waur um so weniger leicht, als Budde nicht sdten statt
Züsammettbangeiider Ausfutmingen nur verstreute Bemericungen
vorfand, die er erst zu einem Ganzen zusammenschliessen musste.
Spezieller gehalten ist Buddes Studie „Das lateinische
Extemporale im Urteil der H erbartschen Schule" („Zeit-
schrift für das Gymnasialwesen", LXI, 6). Die „Extemporalenot",
die vor rddilidi einem Jahrzehnt und früher mit im Vordergründe
der pädagog^Mhen Diskussion stand, ist nach Buddes Ansicht auch
heute noch nicht überwunden. „Ich behaupte im Gegenteil, dass
in der Wirklichkeit das Extemporale vielfach noch ebenso inszeniert,
eingerichtet und beurteilt wird wie vor zwanzig Jahren. Dieser
Extemporalebetrieb ist aber ein grosser Schaden in unserer Gym"
nasialpädagogik. Deshalb haben auch aUe Lehrer und Pädagogen,
die sich nicht im Bnntie einer ungesunden philoloj^ischcn Tradition
befanden, ihn aufs helli*^sie bekämpft und eine Reform derselben
verlangt, so z. B. aucii die hervorragendsten Vertreter der Her-
bartschen Schule." . . . „Herbart selbst hat sich nicht speziell über
das Extemporale, wohl aber allgemein über schriftliche Arbeiten im
fremdsprachlichen Unterricht geäussert/' und seine Ar^'^chauungen
klin'^en durch die Ausführungen aller seiner Anhänger, deren Spe7.ial-
meinungen über das Extemporale Budde mitteilt, hindurch, nament-
lich der Satz: „Es wäre besser, das Erreichbare häufig zu üben,
nämlidi das Schreiben in den Lehrstunden selbst mit Hilfe des
Lehrers und nach gemeinsamer Überlegung." Besonders ausführlich
haben sich Frick, Hermann Schiller, Dettweiler und Adolf Matthias
über das Extemporale ausgesprochen; J. Lattmanns Ansicht konnte
Budde leider nidit wiedergeben, wdl sich Lattmann ausdrücldich
dagegen verwahrt, zu den Herbartianem gerechnet zu werden. Am
Schluss des gründlichen Aufsatzes kommt Budde auf das hinaus,
was ihm im letzten Grunde am meisten am Herzen liegt: auf seine
praktischen Vorschläge für den fremdsprachlichen Unterricht die
uns indessen hier nicht näher angehen. '
m. Dlt ailileitartlfolra StrSnung.
Derselbe Gerhard Budde, von dem eben die Rede waf, hat
in den „Neuen Jahrbüchern" {2. Abt., XX, 4) einen Aufsatz ,„Die
antiherbartische Strömung in der Pädagogik dtt
(regen wart" veröffentlicht, der viel zu denken gibt. Budde hat
es sich nicht zur Aufgabe gesetzt, die ganze antiherbartische
Strömung in der Pädagogik der Gegenwart zu behandeln — die
Angriffe durch die „V'ulgärpädagogik", aus dem Lager der
WundttaneTf durch -Leonhard Veehs „Pädagogik des Pessimiinras",
durch die Volkstumspädagogtk usw. fehlen — , sondern seine Arbeit
ist xxiederum ein Zeil seiner ertragreichen Studien zur Geschichte
und Theorie des fremdsprachlichen Unterrichts. Einleitend geht
UhUgosisebe Siudien. XXIX. 8. 10
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— 146 —
Budde davon aus, dass es tief zu bedauern sein würde, wenn bei
dem berechtigten Kampf gegen die didaktischen Übertreibungen
und den pädagogischen Mechanismus, in die eine gewisse Richtung
unter den Herbartianem geraten sei, etwa auch die wertvollsten
Grundgedanken der Herbartschen Pädagogik verloren geben soUten.
Der Überdniss gegen jene cfidaktischen Hyberbeln unter den Volks-
srhriüehrern sei verständlich und gesund, ein Verzicht auf die
Herbartschen Fundamentallohren dagegen nicht Die Abneigung
gegen die Herbarti>chc Schule unter den Gymnasialle hrern und
besonders unter den Philologen erklare sidh aus der Stellung, die
Herbart zum Sprachunterricht einnehme, ^ße sei der Kampf gegen
den philolop^isrhen Formalismus mit grösserer Schärfe, aber auch
nie mit grösserer Meisterschaft geführt worden als im Zeitalter des
Hcrbartianismus, und dieser Kampf eegen die „formale Bildung"
durch die alten Sprachen sei den HerDartianem von den Philologen
arg verübelt worden. So tauchten denn auch sogar hier und da
Stimmen auf, die Herhartlaner wollten von dem ganzen alt-
sprachlichen Unterricht nichts wissen, was indessen den Tatsachen
vollständig widerspricht ,^erbart und seine Schüler wullten ur>
sprüngUch weiter nichts^ als auch den fremdsprachlichen, speziell
auch den altsprachlichen Unterricht zu einem allseitig erziehenden
machen, und sie waren mit Recht der Mciniinf;, dass ein Sprach-
unterricht, der in formalistischen l 'bungcn aufgeht und die Aneignung
des Inhalts der Autoren als uuantite negiigeable ansieht, in dieser
Beziehung gar nichts leistet So war al^r jahrzehntelang der alt-
sprachliche Unterricht beschaffen, und es ist ein unvera;angtiches
Verdienst der Herbartianer, auf diesen Krebsschaden des Gymnasial-
unterrichts mit aller wünschenswerten Deutlichkeit hingewiesen und
mit Energie und Konsequenz auf seine Beseitigung hingearbeitet zu
haben." Afit vollem Recht machen die Herbarlianer geltend, „dass
das letzte und höchste Ziel des Sprachunterrichts das Veistandnis
der Schriftsteller sein müsse, und wenn in diesem Punkte neuerdings
an unseren höheren Schulen etwas mehr erreicht wird . . ., so ist
das den Bestrebungen der Herbartschen Schule zu verdanken."
Dass aber in dieser Beziehung ihr Einfluss nicht tiefere Wirkungen
cfzielt hatt liegt daran, dass sie auch hier in didaktische Künsteleien
und Übertreibungen verfielen. So verfochten sie u. a. „eine
Gestaltung des lateinischen Unterrichts auf der Unter- und Mittel-
stufe der Gymnasien, die sich in der Praxis sehr bald als unhaltbar
erweisen musste". Sic machten schon auf diesen Stufen« wo die
lateinische Sprache als solche erst gelernt werden muss» um später
auf der Obeistufe mit ihr arbeiten zu können, den Sprachunterricht
zu einem blossen Appendix- des Sachunterrichts. „Hierin
zeigte sich einer der Grun lirrtiimer der Herbartianer, dass sie
nämUch glaubten, es müsse nun jeder einzelne Unterrichtszweig
die erziehenden Aufgaben eriÜUeni die dem Gesamtunterricht mit
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— 147 —
Recht von Herbart gestellt waren." Durcfi die T 'czcmbcrkonferenz
vom Jahre 1890 zog dieser Irrtum in die Lehrpläne von 1092 mit
dn. Ab darüber aUenthalben gemurrt wurde» geschah wieder etwas
Bedauerliches, ^tatt die Einrichtung des lateinischen Unterrichts
auf der Unter- und Mittelstufe tu ändern, und :'\var in der
Weise, dass hier in erster Linie die Sprache erlernt werden
konnte, opferte man in den Lehrplaoen von 1901 den Formalisten
auch wieder die Oberstufe." „Der Geist, der uns aus den Be-
Stimmungen der letzten Lehrpl&ie über die Gestaltung des alt-
■sprachlichen Unterrichte^ auf der Oberstufe entgegenweht, ist
antiherbartisch. Wegen eines Irrtums hat man das ganze System
aufgegeben. Das war ein beklagenswerter Rückschritt Denn was
Hert>ttt über die letzten Ziele des altsprachlichen Unterrichts sagt,
ist sicherlich richtig. Es ist unbestreitbar . . ^ dass, wie Herbart
bemerkt, ein Sprachunterricht, der nicht zum vollen Genüsse des
Inhalts der Autoren führt, die auf ihn verwandte Zeit nicht wert
ist" Diesen seinen Hauptausführungen lasst Budde noch ein Wort
über die Abwendung der Hochschullehrer von Herbart folgen.
Er wendet sich dabei gegen Natorp, kommt aber auch hier auf
sein Spezialthema, die Theorie des fremdsprachlichen Unterrichts,
indem er Natorp vorwirft, als höchstes Ziel des Sprachunterrichts
wieder die „formale Bildung" zu proklamieren. Der bedeutungs-
volle Aufsatz schliesst mit den Worten: „Ich glaube, dass es die
Au%abe der PSdagogik der nächsten Zukunft sein muas, sich von
den mancherlei EioMitigkeiten und Übertreibungen der Herbartianer
noch mehr frei zu machen, als es bis jetzt schon geschehen ist,
und die antiherbartische Strömung, die sich gegen sie richtet, ist
vollauf berechtigt, aber wir werden meiner Meinung nach die
Grundlehren des erziehenden Unterrichts nicht wieder
prdsgeben dürfen, wenn uns eine gesunde Weiterentwicklung der
Fadri^ogik am Herzen liegt Bestrehiinf^cn, die auf ihre Preisgabe
genciitet sind, muss unentwegt entgegengerufen werden: Zurück zu
Herbart 1"
Auf päd agogischem Gebiete äusserte sich die antiherbartische
Strömung im Berichtsjahr zunächst in zwei Aufsätzen, die religiöse
Bedenken ge^en Herbart vorbrachten. Im „Philosophischen Jahr-
buch der Gorres-Gescllschaft" (S. 22 fi; den Schluss habe ich nicht
bekommen) veröffentlichte Karl Krings eine „kritische" Be-
antwortung der Frage „Darf der Mensen nach den Prinzipien
Herbarts erzogen werden?" Der VerÜBiSBer wirft das Problem
auf, „ob vom Standpunkte des Christentums aus der Mensch nach
den IVinzipien Herbarts erzogen werden darf." Man muss ihm zu-
gestehen, dass er nicht bloss „vom Standpunkte des Christen-
tums aus" urteilt, man muss ihm gewiss auch das Recht lassen, die
christliche Lehre vergleichsweise neben die Herbarts zu stellen und
sich auf Grund dieses Veigleiches zu entscheiden, auf welche Seite
10*
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— I4& —
9r sieb schlagen will, aber alles, was er seinem grossen Gegner im
einaelnen vorwirft, gipfelt zuletzt doch in dem — freilich nicht
geradezu ausgesprochenen, logisch indessen unabweisbaren —
Generalvorwurf, dass Herbart seine Pädagogik auf seiner
Philosophie aufgebaut habe. Man braucht den Gedanken nur
einmal umzudrehen und zu fragen: wäre Herbait ein konse-
quenter Denker gewesen, wenn er seine Pädagogik nicht auf
seine Pädagogik aufgebaut hätte? um die Ungeheuerlichkeit ganz
zu verstehen, die in diesem kühnen Vonvurf steckt. Dazu kommt
noch, dass Krings Herbarts Lehre in mancher Beziehung schief
darstellt : wen man kritisieren will, dem muss man doch wenigstens
die Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass man seine Lehre genau
wiedergibt; und dazu muss man sie denn freilich erst einmal genau
— kennen. Es genügt, um die ganze Arbeit zu charakterisieren,
eine Gedankenfolge aus ihr anzuführen: „Ganz falsch und zur
Grundlage einer Erziehung vollständig ungeeignet sind die Begriffe
von Autorität und Liebe im Herbartschen Sinne . . . Die Autorität
des Erziehers ist ein Ausfluss der göttlichen Autorität und hat
hierin den Grund ihrer Verpflichtung . . . Die Liehe, die zwischen
Lehrer und Zögling bestehen muss, ist die aus der Gottesfurcht
hervorquellende Tugend. Nur die cliristlichc Liebe ist die
erwärmende und befruchtende Sonne bei dem ganzen Erziehungs-
geschäfte . . Durch Herbart wird „die Religion von vornherein
ihrer zentralen Stellung in der Erziehung l)eraubt."
Ahnlich wie der Katholik Krings, aber \iel massvoller, stellt
sich der Protestant Georg Stempflc in seiner Studie „Die tut
den praktischen Schulmann wichtigsten Forderungen
der Herbart'schen Pädagogik" („Neue Blätter aus Sud-
deutschland für Erziehung und Unterricht" XXXVI, 5) zu Herbart
Seine klare und bestimmte Analyse der wichtigsten I'orderungen
des Meisten» gegenüber dem didaktischen Materialismus und
Verbaltsmus der „Vulgärpädagogik'' lässt er ausklingen in dem Satz:
jDie Herbart*sche Pädagogik kann uns viel lehren» und wäre es
auch nur der Ernst, mit dem alle Erzichungsfragcn und Erziehungs-
sorgen behandelt sein wollen." Und an einer anderen Stelle macht
er als tüchtiger Herbart-Keqner die feine Beobachtung, man sei
Herbärts System gegenüber eistaunt „über die £inf£hheit der
Voraussetzungen, über die strenge, unerbittliche Konsequenz der
Folgerungen, überrascht von der Einheit des Ganzen und dem
innigen Zusammenhang der Teile." Trotzdem stände Herbarts
Pädagogik „mit unserer christlichen Weltanschauung in vielen
Punlcten in direktem Widerepruch . . . kennt er doch keine Erb-
sünde, weiss auch nidits von einem Gewissen als Stimme Gottes'* . . .
„Wenn wir trotzdem uns mit den Massregeln, welche Herbart zur
Bildung eines sittlich guten und starken Charakters angibt, fast
durchweg einverstanden erklären können, so ist es der warme
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— »49 —
Idealismus des Mannes, der es uns angetan hat, des Mannes, dessen
Her/ in hoher Begeisterung fiir die Jugend und in inniger liebe für
seine Mitmenschen schlug."
Auch Ernst Linde trat mit einem Artikelchcn „Persönlich-
kettspädagogik, Herbartianismus und Sozialblldung '
CJ^ie deutsche Schule" X, 1 2) gegen Herbart in die Schranken. Zu
der „erneuten Abrechnung", die Rissmann in dem Oktoberheft 1906
der „Deutschen Schule" mit der Herbart-Zillcrschen Pädagogik
f ehalten habe, macht er einige ergänzende Bemerkungen, deren
lern in folgenden Sätzen liegt: „Vor allem bin ich mit seiner
[Rissmanns] Charakterisierung des Herbartianismus einverstanden;
nur dass ich hier zu den drei Merkmalen desselben, wie sie dort
angegeben sind: Individualismus, Moralismus und Intcllekiualismus,
noch ein viertes ergänzend hinzufüge : Methodismus. Ich ver-
stehe darunter die Überschätzung der methodischen Gestaltung des
Unterrichts» den naiven Glaul^n, es sei mdglich, den ganzen
Komplex der pädagogischen Praxis in ein System von Regeln zu
bringen, sodass jeder, der sich diese Rc^^eln aneigne und nach
ihnen verfahre, unfehlbar cry.iehendcn l'nlcrricht erteile. Dieser
MethudisiTius ist meines Erachtens nicht das geringste Übel, woran
die Herbart-ZiUersche Pädagogik krankt und er ist es ganz be»
sonders» dem ich den Begriff der »Persönlichkeitspädagogik' entgegen-
setze. Denn icli v erstehe unter Persönlichkeitspädagogik — nicht,
wie man mir unterstellt hat, eine l^iiterschätzung oder gar Ver-
achtung der Methode — sondern die reciite Schätzung derselben,
nämlich als eines Mittels, kraft dessen sich die Erzieherpersönlichkeit
unterrichtlich erfolgreicher auszuwirken in 1^, sowie die feste
Überzeugung, dass die Persönlichkeit des Lehrers das eii^cntlichc
Agens des Unterrichts ist, und dass kein Stoff, selbst bei korrek-
tester methodischer Beiiandlung, seine wahrhaft erzieherische, d. i.
gemüts^ und willenbildende Kraft zu entfalten vermag, wenn er
nicht im Lehrer zunächst Persönlichkeitsform angenommen, d. h.
ihm ein wertvolles Gut geworden ist, ilcm sein Herz ^.a^iiürt." Tjado
hebt dann noch hervor, dass seine Anschauungen sich eng mit
denen der Sozialpädagogen berühren. ..Und wenn der soziale
Charakter meiner Persönlichkeitspädagogik aus nichts anderm
hervorginge, so liesse er sich doch schon daraus erkennen, dass
diese sowohl als auch Rissmanns Sozialpädagogik ebenso instinktiv
als bewusst im Herbartianismus den zu bekämpfenden l'eind er-
kannt hat."
Selbst Emst von Sallwürks Aufsatz „Herbarts All-
gemeine Pädagogik 1806— 1906" („Die deutsche Schule" X, 12)
müssen wir an dieser Stelle unseres Berichtes einreihen. Dieser
Aufsatz ist zwar nicht im Berichtsjahr erschienen, aber so knapp
vor dessen Anfang ^Dezember 1906), dass er wohl mit hereingezogen
werden darf. Sallwürk will iierbart im Jubeljahre seines Buches
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„den einem bedeutenden Denker gegenüber einzig \vürdigen Dank
darbringen", nämlich, „was er uns hinterlassen, sorgfältig betrachten
und durch ein objektives kritisches Urteil aus ihm zu gewinnen
suchen, was den geänderten Umständen unserer Zeit gemäss und
den Zwecken der Gegenwart förderlich sein kann." Er fuhrt
zunächst entgegnen der bitteren ( Nizufriedenheit Herbarts mit der
Aufnahme sein^ Buches die ehrenvollen Urteile Jean Pauls, Nie-
meyers und Diesterwegs über die „Allgemeine Pädagogik" an und
lobt dann die aindnicksvoUe, mit trefflichen BQdem gesdimückte
Sprache des Budies, ohne freilich die Schwierigkeit zu verdecken,
die diese Sprache für den Lehrer bietet. Diese Schwierigkeit ist
einer der Gründe, die zu der geringen Einwirkung der ,, Allgemeinen
Pädagogik" beigetragen haben ; ein zweiter liegt darin, dass Herbart
sein pädagogisches Buch schrieb, ehe er sdne Philosophie bekannt
gemacht hatte. Die philosophischen Andeutungen, sehr häufig in
die Form kritischer, satirischer Bemerkungen gekleidet, konnten
nicht verstanden werden und liessen den Leser straucheln und
stutzen. In alledem hat Sallwürk ganz recht, aber er sagt damit
doch nur oft Gehörtes. Selbständiger und darum wertvoll sind
dagegen seine Bemerkungen über die genau parallele Darstellung
von Unterricht und Zucht in der „Allgemeinen Pädagogik", der zu-
liebe Herbart ,,scin streng deduziertes System der fünf praktischen
Ideen gewaltsam auf drei zusammendrängte", und über den
„mangelnden Zusammenhang" der Herbartschen Erziehungslehre mit
der Herbartschen Psychologie, der zum Vorteil der ersteren aus*
schlug. Zum Schluss leitet Sallwürk aus dem Satze: „Handeln
darf der Zögling [bei Herbart während seiner Erziehung ja nicht"
einen Gegensatz der Herbartschen Pädagogik zur modernen Welt-
anschauung ab und wirft ihr „Unkraft, Mangel an tätigen Impulsen
und aussdiliesslichen InteUektualismus** vor. Der Kern ist, dass
Herbarts Pädagogik aus dem Wedisel des bewegten Lebens zur
kontemplativen Ruhe zu fuhren suche, wahrend die moderne Welt-
anschaviung den Zögling ins Leben hinaus und an die Arbeitsstelle
zu bringen verlange, „wo nun seine Kraft im Wechsel der mensch-
lichen Generationen wirksam werden kann." In der „Zeitschrift für
Philosophie und Pädagogik" (XIV, 9) wird Sallwiirks Vorwurf zurück-
gewiesen.
Die antiherbartische Strömung auf p h i 1 o s o p Ii i s c Ii e m Ge-
biete äusserte sich zunächst in einem Angriff aui Herbarts Meta-
physik. Er erfolgte in Gustav Falters Aufsatz „Herbart
Hauptpunkte der Metaphysik 1806" („Philosophische Wochen-
schrift" V, I und 2V Der Umstand, dass seit dem Krsri; einen der
Ilerbart 'sehen „Hauptpunkte der Metaphysik" igoO hundert Jahre
verflossen waren, gibt Falter Veranlassung, die mctaphys. Ansichten
Herbarts Meiner Würdigung und Wertung zu unterziehen". Das
Ergebnis ist: „Es erklären sich alle Schwachen der Herbartschen
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lletaphysk aus seinem Abweichen vom Idealismus, und seine ganze
Metaphysik kann als eine indirekte Rechtfertigung des kritischen
Idealismus t^^elten." Nur „durch eine Inkon«;equen7" ist Herbnrt
„zum Realismus verführt" worden, „während tlit- Anhi^^L- seines
Systems durchaus idealistischer Natur ist". Der Begründung dieses
Grundgedankens ist infolge der schwefen Gedrängtheit von Falters
Ausführungen nicht leicht su folgen; manche Behauptung entbehrt
überhaupt der Begründung,
Was die Ethik anlangt, so beschäftifrt sich eine Züricher
Dissertation von Carl Henkel mit „Herbarts l^üiemik gegen
die Begründung der £thik Kants" (Frankfurt a.M., Druck
von August Weisbrod). Diese wertvolle, sehr sorgfältig und sauber
gefvihrte TTntcrsnrhutiir, deren Verfasser sich durcli wohltuende Be-
stimmtheit der Ausdrucksweise, grossen Hrnst und ein um erkenn-
bares Talent für lichtvolle Klarlegung systematischer Zusammen-
hänge auszeichnet» serfiUlt in zwei Teile. Das eiste Drittd ist
mehr historisch-referierend angelegt, die zwei letzten Drittel sind
ein selbständiger Beitrag zur philosophischen Kritik, also mehr
theoretisch gedacht. Im Mittelpunkt des Ganzen steht Kant, nicht
Herbart, denn Henkels letztes Ziel ist eine BeurteUung der Moral-
lehre Kants. Aber doch ist die Arbeit fiir die Herbartforsdiung
ein sehr schatzbarer Beitrag zu dem vielgestaltigen Thema ^erbart
als Kritiker" und als solcher auch methodologisch hochinteressant.
Dass die Kantischc Moralphilosophic noch heute vielfach umstritten
ist, liegt daran, dass „die meisten Kantausleger auf die enge Be-
ziehung, die zwischen der Ethik und der Erkenntniskritik Kants
besteht» nur in ungenügender Weise Rücksicht nehmen. Daher
cremet es sich denn nicht selten, dass Gedanken Kants, losgelöst
von den grundlegenden Bestimmungen seines Systems, ihre nähere
Bestimmtheit verlieren und nach den philosophischen Anschauungen
ihrer Kritiker gedeutet werden." Um nachzuweisen, dass auch
Herbart in diesen Fehler verfallen sei, gibt Henkel zunächst eine
Darieg^ng der ethischen Gedanken Kants, zeigt dann deren Tax-
«inmmcnhang mit den erkenntnistheoretischen Prinzipien des Kan-
tisi [irn Systems auf, bringt hierauf die Einwürfe Herbarts vor und
kritisiert sie. Dass Herbart „in dem Kampfe, den die Kantische
Moralphik>sophie dem Eudamonismus gegenüber bedeutet", ganz
auf itants S^te steht, erkennt Henkel an, präzisiert dann den
fundamentalen Untersrhiedl , der ^^vischen der Kthik Herbarts und
derjenigen Kants bestellt, erdrlert hierauf die Einwürfe Herbarts
gegen Kant und weist sie zurück auf der Grundlage des Oedankens:
»Heibart hat den Zusammenhang, der bei Kant zwtechen den
ethischen Fragen und den Grundgedanken seines Systems besteht,
zu wenig beachtet, um zu erkennen, dass Einwände gegen die
Kantische Morallehre von einer Kritik dicker erkenntniskritischen
Prinzipien ausgehen mussten." . . . „Mit dem Apnurismus steht und
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I
— 152 —
fällt das System der Ethik Kants. Daher hätte auch Herbart an
diesem Punkte mit seiner Kritik einsetzen müssen. Herbarts eigene
Richtung wird ja dadurch gekennzeichnet, dass er von empirischen
Willensveriialtnissen aus^^t, um aus ihnen sittliche Prinzipen at>-
xuleiten. Um so mehr hätte er daher zuQäcfast die Unhaltbarkeit
apriorischer Begriffe dartun und sodann nachweisen müssen, dass
die sittlichen IVinzipien lediglich den wirklichen sittlichen Tatsachen
der Erfahrung entstammen."
Ganz banden scharf ging man mit Heibarts Psychologie
ins Gericht. In erster Linie ist hier zu nennen: Edwin Stössel,
„Darstellung, Kritik und |) ä d a g o i s r h e Bedeutung der
H e r b a r tis c h e n Psychologie" (Altciilnir^»' , Theodor Inger
Verlag). Edwin Stössel, weiland Lehrer in Alten bürg, hat in jungen
Jahren sterben müssen und sein Werk nicht selbst der Öffentlichkeit
übergeben können: sein Freund Dr. Alfred M. Schmidt hat die
Drucklegung /.u Ende geführt und dem Buche eine wannherzige
Charakteristik Stösscls vorangeschickt. Kiii Untertitel bestimmt das
Thema der gründhchen Arbeit genauer : „Kann Herbarts Psychologie
als ausreichende Grundlage der pädagogischen Methodologie gelten ?"
Um diese Frage zu beantworten, gliedert Stössel sein Buch in einen
historisch-theoretischen und in einen pädagogisch praktischen Teil.
In der Einleitung zu ersterem holt er weit aus: er handelt über
Erziehung im allgemeinen, über den Zweck der Erziehung und
leitet aus seiner (modernen) Weltanschauung den Zweck der Erziehung
folgendermassen ab: „Erziehe den Zögling so, dass er 0Uiig werde
zu möglichst wirksamer Mitarbeit an dem Kullurprozesse der
Menschheit I)e/,w. seines Volkes?" Charakterstärke der Sittlichkeit
ist dabei inbegriffen, für Stössel aber nicht das einzige Ziel der
Erziehung, sondern „ein Gipfelpunkt ihres Strebens" neben anderen.
An diese Einleitung schliesst sich ein Abschnitt JDie pädagogische
Methodologie", der deren drei Teile, pädagogische Diätetik, Didaktik
und Hodegetik voneinander scheidet, die Grundlagen der päda-
gogischen Methodologie bestimmt, die .Stellung der Psychologie in
der Reihe dieser Grundlagen aufzeigt und den Psychologen Herbart
im allgemeinen charakterisiert Daran reiht sich ein sehr ausführ-
licher und fleissig gearbeiteter, wenn auch nicht immer leicht über-
sehbarer „Abriss der psychologischen Lehre Herbarts", wobei, an-
knüj)fend an die Lehre 1 lerbarts über den Willen , auch dessen
praktische Philosophie analysiert wird. Diesem Versuche einer
systematischen Darstellung der pädagogisch wichtigsten Haupt-
punkte der Herbartschen 1 s\chologie folgt, um die Frage ru be-
antworten, ob diese Psychologie eine ausreichende Grundlage zur
pädagogischen Methodologie abgeben könne, eine Kritik derscll)en
und zwar sowohl eine relative, d. h. historisch-genetische, als auch
eine absolute Würdigung der Psychologie Herbarts. Ersteres ge-
schieht in Form eines kurzen Abrißt der Geschichte der Psycho^
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logie. Herbait erhält das Lob, „dass er als der erste unter atten
Philosophen es unternahm und mit grosser Energie und Kühnheit
durchführte, die Psychologie als eine den anderen philosophischen
Disziplinen f^l eich wertige Wissenschaft aufzustellen und zu be-
arbeiten/' aber Stössei sieht in ilim eben nur den An t aug der
modernen Psychologie, der gegenwärtig wesentlich überholt ist. Zu
diesem Ergebnis führt nach Stössel auch die absolute Würdigung
der Herbartschen Psycliolü^ie. Unter den zehn Punkten, die Stössel
gegen Herbarts Psychologie geltend macht, leiten die beiden letzten:
„Herbarts Psychologie ist eine allgemeine (theoretische) Psycho-
logie ; es fehlt ihr das genetische (systematisch^ wie chronologisch-
sukzessive) Element [Psychogenetik und Kinderpsychologie)" und
„Ilerbarts Psychologie hat nur das normale (ausgebildete) Indi-
viduum im Auge, das unter- (Psychopathologie) und übernormale
finden keine Berücksichtigung" zum zweiten, pädagogisch-praktischen
Hauptteil des Werkes über. Denn für Stössel steht lest: „Aus-
reichende Grundlage einer pädagogischen Methodologie kann nur
eine auf objektiven psychologischen und besonders kinderpsycho-
logischen Studien (exakte Beobachtung, Experiment, Statistik) auf-
gebaute pädagogische Psychologie sein," und Herbarts
Psychologie entspricht diesen Anforderungen nicht, aber auch z. B.
die Wundts nicht, denn bei ihr Xxiit das genetische Element noch
zu wenig p die Beziehung auf die Pädagogik gar nicht in die Er-
scheinung. „Wie steht es um das geistige Werden und Wachsen
des Kindes, und wie verhalten sich unsere pädagogischen Mass-
nahmen und Methoden dazu?' Das ist die wichtigste aus dem
grossen Heer der ungelösten Fragen. „Für ihre Beantwortung lasst
uns Herbart im Stich , die neuere experimentell - psychologische
Forschung aber bisher ebenso. Hier liegt die grosse Aufgabe der
Pädagogik der Zukunft; sie ist im Kern büzial-[)sychologiScher Natur.
Wenn sie sich einmal ihrer Losung nahen wird, dann — so dürfen
wir hoffen, wird es Tag werden im Reiche der Erziehung. Dann
aber wird man trotz des viel weiteren .Al^tandes noch immer mit
Verehrung von Herbart reden als einem frühen Boten eines langsam
her;ii!fstcigenden Tages." Stössel war, wie aus seinem Werke
deutlich hervorgeht, ein stark spekulativ veranlagter Kupf und ein
Denker von re&chstem Streben und geschichtlichem Buck. Dass
er sich in allen Fragen zu absoluter Klarheit durchgerungen habe,
kann mnn freilich nicht sagen: gelegentlich hörte er wohl auf zu
viele Stimmen, d. h. seine grosse und gediegene Belesenheit ver-
führte ihn zu einem gewissen Eklektizismus und zu Kompromissen.
„Herbarts Psychologie im Verhältnis zu seinem
Erzichungsideal" untersuchte in einer Tübinger Dissertation
Hermann Ströle (Stuttgart, Chr. Belsersche Verlagsbuchhamlluiig).
Es ist nach Ströle ein bleibendes Verdienst 1 Icrljarts, sein ijekaruites
hohes ethisches Erzichungsidcal autgestellt, und stets nachdrücklich
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vertreten zu haben. Aber es fragt sich: „Zeigt Herbart audi den
Weg, auf dem dieses Ideal Wirklichkeit wird, führt seine Erziehungs-
methode wirklich zu dem Ziel, das er erreichen will?" Diese Frage
„nach Recht und Brauchbarkeit der Herbartschen Erziehungs-
methode" wird „genauer betrachtet zu der Frage nach Recht und
pädagogischer &auchbarkeit der Herbartschen Psychologie: ist die
P^choiogie imstand, der sittlichen Erziehung auareidiende Mittel
zur Verfügung zu stellen?" Um dieses Problem zu erörtern, be-
stimmt Ströle zunächst, getragen von einer nicht bloss landläufigen
Belesenheit in der Herbartliteratur, klar und sicher den Platz, den
Herbart in der Geschichte der Psychologie einnimmt, und gibt
dann in ausführlicher, eigenen Wert besitzender Darstellung eine
systematische Analyse der Herbartschen Psychologie nach den
drei Gesichtspunkten: ,,Dic Psychologie nimmt bei Herbart Teil
an der spekulativen Aufgabe der gesamten Wissenschaft; sie
erhalt einen dnheitlichen Qiarakter von seiner intellek*
tual istischen Anschauung aus und einen gesetzmäs«gen Aufbau
durch seine Auffassung vom Seelenleben als einem aus vielen
qualitativ verschiedenen Elementen zusammengesetzten Mecha-
nismus." Das Ergebnis, das Ströle schliesslich aus einer Parallele
zwischen der Herbartschen Psychologie und dem Herbartschen
Erziehungsideal gewinnt, ist enthalten in folgenden Sätzen : „Zwischen
dem Erziehungsideal und der Psychologie Hcrbarts besteht ein
sonderbarer Kontrast: das Erziehungsideal will eine vollendete
sittliche Persönlichkeit — die Psychologie weiss nur von einem
Gedankenmechanismus''; „Von Herbarts Psychologie aus kann es
nur zu einer Summe von Gedanken und Fertigkeiten, aber nicht
zu einer sittlichen Persönlichkeit, einem sittlichen Charakter kommen";
,3o wird die Pädagogik, die sich von dieser Psychologie ihre
Methode hat bestimmen lassen, unbrauchbar"; „Es ist begreiflich,
dass die pädagogische Methode Herbarts, die der GedankenbQdung
so \del anvertraut, gerade als Schulpädagogik so grossen Anklang
gefunden hat. Aber sie selbst will mehr sein als eine Schul*
Pädagogik, sie will überhaupt den Weg zu sittlicher Bildung zeigen.
Um so deutlicher ist freiUch ihre Unzulänglichkeit, Ihre Bedeutung
liegt im Grunde nur darin, dass sie mit Sorgfalt alles das aufgesucht
hat, was der Gedanke für die Erziehung leisten kann"; JüaA des-
wegen ist Herbart der Begründer der wissenschaftlichen Pädl^ogik,
weil se ine Psychologie das ewige Fundament der Kr/iehung gelegt
oder entdeckt hätte , . . . sondern weil er die F'orderung zuerst
ausdrucklich formuliert und zu erfüllen versucht hat, die Pädagogik
überhaupt mit der Psychologie in Zusammenhang zu bringen."
IV. Für Herlwrt
Genau dasselbe Thema wie die beiden zuletzt genannten
Schriften behandelt auch K. Thomas in seiner Studie „Kann
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Herbarts Psychologie noch heute als Grundlage des
psychologischen Studiums empfohlen w erden?" X*^CS8-
icrs Päd. Blätter", Heft 5; Langensalza, Schulbuchhandlung von
F. G. I Grej^sler), Wie es charakteristisch ist, dass keine der
angeführten antiherbartischen Schriften nur absprechen konnte, wie
jede audi etwas Gutes, z. T. recht viel Grates» an Herbait lassen
musste, so ist es auch bezeichnend, dass Thomas dieselbe Frage
wie Stössel und Ströle gerade entgegengesetzt beantworten
konnte.
In der etwas gekünstelten Form der Behandlung seines Themas
nach den Herbartschen Formalstufen sucht der Verfasser zu einer
Beantwortung der im Titel aufgeworfenen Frage dadurch zu ge*
langen, dass er die Herbartsche Psychologie i. mit der Lehre von
den Seelenvermögen, 2. mit Lotzes Psychologie, 3. mit Benekes
(Dittes') Psychologie, 4. nüt der Psychologie Wundts und Ziehens
vcrgleidit Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Herbartsche
Psychologie noch heute als Grundlage des psychologischen
Studiums geschätzt zu werden verdiene, dass aber das „Neuland"
in der Psychologie „als ergänzender Faktor" zu dienen habe.
Speziell für den Pädagogen (S. 47) und für den Anfänger im
psychologischen Studium (S. 44) behalte die Herbartsche Psycho*
logie dauernd ihren Wert Methode und Ergebnis sind, wie man
aeht, nicht eben neu , aber in Einzelgedankcn verrät sich doch
eigenes Nachdenken, z. B. in dem Versuch, Ilerbarts Metaphysik
mit der Gottesidee zu verbinden (S. 7 und 10} und in der Zurück-
weisung Ziehens mit dem Satze, dass er Herbarts Psychologie nicht
ihres metaphysischen Beisatzes wegen ablehnen dürfe, da er ja
selbst mit Hypothesen arbeite, jede Hypothese .aber mehr oder
weniger ins Reich der Metaphysik gehöre (S. 36). Uberhaupt ist der
Abschnitt über die Ziehensche Psychologie das Selbständi^^'^to an
dem ganzen fleissig gearbeiteten VVerkchen, wahrend Thomas ander-
warts ganz unnötig aus abgeleiteten Quellen schöpft. Das stört
besonders dort, wo er über Herbarts Psychologie nicht Herbart,
sondern — Ileman {,, Geschichte der neueren Pädagogik") reden
lässt (S. 10). Als gar nicht schlechter Kenner Herbarts hatte er
das doch nicht nötig!
Fsycholog^hen Inhalts ist auch Gerhard Reinickes Erlanger
Dissertation ^Herbarts Theorie der Hemmungen und ihre
Verwertunp^ für dm Unterricht" (Borna, Robert Noske).
Eine kurze Einleitung führt über zu einer Idaren Darstellung von
Herbarts Theorie der Hemmungen, und ihr wiederum folgt ein aus-
fiihfficher, von weitgreifender Bdesenheit zeugender Abschnitt „Zur
Kritik". Reinicke weist die gegen die Hemmungstheorie Herbarts
gerichteten Bedenken zurück, namentlich die Ecugnung der Koexistenz
mehrerer Vorstellungen im Bewusstsein. In einem dritten Abschnitt,
„Zur Begründung", zieht er sodann Psychiatrie und pädagogische
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Pathologie zur Stütze- der Herbartschen Hemmungstheorie heran,
und im vierten Abschnitt gibt er gedankenreiche Ausführungen
über die Verwertung der Hemmungstheorie für den Unterricht.
Was er selbst am Schluss über seine fleissig und umsichtig geführte
Utttersuchung sagt, scheint mir ein sehr objektives und treffendes
Urteil über das Werkchen zu sein: „Die Abhandlung beansprucht
nicht, die unterrichtliche Verwertbai kcit der Hemmungstheorie
Herbarts erschöpfend vorgeführt 7.11 haben. \'ielleicht hätte die
Einteilung der Tädagogik in Massregeln der Regierung, des Unter-
richts und der Zucht auf manche hier nicht getrennten Einzelheiten
ein helleres Licht geworfen, insbesondere lassen die nur gelegentlichen
An(Iei!tiin;'cn über den Unterricht schwachbefähiji^ter und schwach-
sinniger Kinder der Bearbeitung^ noch ein weites Feld offen.
Gleichwohl glauben wir von neuem den Reweis erbracht zu haben,
dass Herbarts Lehre, wenn die Bedeutung einer Philosophie an
ihren praktischen Konsequenzen zu messen ist, durch ihre An-
wendb.'irkcit auf das wichlii^e Gebiet des l'ntcrrichts stets einen
herx'ün .i;j;cn(lcn Platz unter i^ien neueren Systemen einnehmen wird,
mag auch namentlich die I'sychologie in vieler Beziehung anfechtbar
sein.**
Das Beste, was im Berichtsjahr — abgesehen von Flügel und
Buckle — für Herbart q^cschrielien worden, ist K. Häntzsch,
„Herbarts p ä d a g o^^i s c ii c K u n s t und von pädagogischer
Kunst überhaupt" (Leipzig, Ernst VVunderUch). Die gehaltreiche
Schrift kommt gerade jetzt recht, wo sich der Kampf um Herbart
in eine Abwendung von Herbart zu verwandeln droht, ja sie kann
geradezu als vorzügliches Mittel gegen die antiherbartische Strömung
der Gegenwart empfohlen werden. Denn ihr Hauptzweck ist,
Freude an Herbart zu wecken. Zugegeben — dies der Gedanken-
gang, — dass man mit Recht unter strenger Herbartscher Didaktik
an groben Mechanismus und unfruchtbare Methodenschablone denkt,
so sind dieser Mechanismus und diese Schablone doch nicht sowohl
Herbart als vielmehr Zillcr anzurechnen. Die wachsende Abneigung
gegen diese Zillerschen Zutaten führte aber leider ungerechter-
weise zu einer Abkehr von Herbart. Es ist daher nötig, erstens
Herbart in der Beurteilung von Ziller zu trennen, und zweitens die
positive Arbeit zu übernehmen, ctie Herbailschc ] a lagogische •
Kunst aufzü7eij:fen. in das Ganze seiner päda^^ogischen Wirksam-
keit einzuführen. Häntzsch leistet vor allem das letztere in seiner
trefflichen Interpretation und liebenswürdig-warmherzigen Charak-
teristik Herbarts, die sich aber offener KritUc nicht entschlägt, wo
diese dem Verfasser angebracht scheint. An zahlreichen Beispielen
aus den pädajTo<^ischcn Werken Ilerbarts zeigt er uns dessen
wunderbare l^cobachtungsgabe und Scelcnschiliieruni^skunst , den
feinen Blick Herbarts für Erziehungsziele und Erzichunt^^smittel, kurz
die intimsten Reize der Herbartschen Pädagogik, die weit
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entfernt sind von Schablone und Schcmatismu«;. Liegt in alledem
vornehmlich ein Stimmungswert, so hat das Büch doch auch
einea besonderen wissenschaltiichen Wert: er ist in der aus-
ßihriicheii Besprechung zu suchen, die i^tzsch Herbarts „formalen
Stufen" angedeihen lässt. Er tut dar, dass die Stufenlehre Herbarts
nicht das WescntHchc und Vollkommenste seiner Lehrkunst ist,
vor allem aber, dass den Stufen neben der psychologischen auch
eine ausgeprägt logische Bedeutung beiwohnt — »»Eine sehr aus-
iiihriiche und ansprechende Würdigung von HänttschV Schrift gab
Franz Schulze in seinem Artikel „Zum Kampf um Herbart"
(^ie deutsche Schule" XI, ii).
V. Hertart !■ VarMUtais n andtren. Heriiart in Frankrtiok.
Eine Vorarbeit tu der Monographie, die Ludwig Strümpell ohne
Zweifel verdienen würde, will Hugo Schmidts Leipziger Disser-
tation „Die Lehre von der psychologischen Kausalität
in der Philosophie Ludwig Strümpells" (Leipzig-Reudnitz,
Druck von Emil (jrlat»ch) sein, indem sie ,,vor allen Dingen den
Teil derselben zu hefern versucht, der sich auf seine Anschauungen
über die psychologische Kausalität bezieht." . In der Tat leistet
Schmidt in dieser Hinsicht mit seiner mündlichen , durch ein be-
achtenswertes Streben nach Klariegung der geschichihchcn Ent-
wicklungsgänge ausgezeichneten, mit feinen Beobachtungen aus»
gestatteten Arbeit recht Dankenswertes, vor allem durch eine
umsichtige uud eingehende Interpretation der tttcht immer aus-.
fuhrHchen und leichtverständlichen Darlegun«:fen in Strümpells
„Grundnss der Psychologie". Was den Anspruch der Arbeit be-
gründet, im vorliegenden Bericht erwähnt zu werden, das ist
die Behandlung des 'Verhältnisses zwischen Herbart und Strümpell.
Schmidt ist der Meinung, der Name Strümpdis werde häufig
in einer falschen Verbindung mit Herbart cfcnannt, Strümpell
werde meistens fälschlich zu den Herbartianern f^^erechuet". Hierin
können wir Schmidt nicht folgen, glauben vielmehr, dass Strümpell
ohne weiteres zu den Herbartianern gezahlt werden muss. Der
einfache Vergleich zwischen Fichte und Herbart einerseits, Herbart
und Strümpell anderseits scheint uns di'* f^nnze Beweisführung
Schmidts zu entkräften. Bei Herbart-Strümpcll dieselbe Basis, die
gleiche Art zu plulosophieren, die gleiciie Richtung des ganzen
Denkens» so dass Schmidt selbst S, ^ von Strümpell sagen muss:
,J>cr empiristische Grundzug seiner Psychologie stanmit von Herbart".
Bei Herbart - Fichte dagegen von ' nrnherein ein schroffer metho-
dologischer Gegensatz, kein Zusamment;ehen bis zu einem gewissen
Punkte, wo dann erst, wie bei Strümpell, die eigene Gedankenarbeit
weiterschreitend einsetzt, sondern ein völliger Bruch .von Anfang
an. Bei Schmidt selbst wird S. 83 die „Herbartsche Theorie" der
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Ausgangspunkt" Strümpeilis genannt, und Wendintt^n wie: „im
Gegensatz zu Herfoart", „er warnt vor dem Irrtum HedMurts", ,,er
räumt ein» dass Herbarts Auffassung zu weit geht", bestätigen
ebenfalls nur, wie sehr Strümpells Philosophie auf die Herbarts
visiert ist. Dazu verpjleiche mnn Strümpells eigene Worte (bei
Schmidt S. 79): „Wie zu Herbans Metaphysik überhaupt, so hat
mein Nachdenken insbesondere auch zu seiner Kausalitätslehre eine
bestimmte SteUuog eingenommen» wobei von mir ebensosehr die
darin liegenden Wahrheiten anerkannt, als auch die meiner Über-
zeugung nach darin enthaltenen Mängel und Fehler a\!sgesprochen
sino.** So sehr man mit Schmidt die Selbständigkeit Strümpells
betonen darf, so wenig darf man ihn von Herbart abrücken wollen:
es bleibt dabei, dass Strümpell einer der bedeutendsten Herbar-
tianer genannt werden muss.
Ganz ähnlich bei Theodor Waitzl In der „Zeitschrift für
Philosophie und Pädagogik" (XIV, 6) hat Otto Flügel einen 16
Seiten langen Aufsatz, „iierbart und Th. Waitz verollentiicht.
Dieser Aunatz ist eine ausführliche Besprechung der Gebhardtschen
Dissertation „Theodor Waitzs pädagogische Grundanschauungen in
ihrem Verhältnis zu seiner Psychologie, Ethik, Anthropologie und
Persönlichkeit", oder, besser eines Teiles der Gebhardtschen Arbeit,
denn auf deren bei weitem grösseren Teil, den Abschnitt über die
Waitzsche Pädagogik, geht Flügel nicht ein. Er zeigt an der Ethik
und an der Psychologie, den beiden Hilfswissenschaften der
K-dagogik, dnss die Gchhardtschc Behauptung, Waitz hänge nur
ganz lose mit Herbarl zusammen, unrichtig sei, dass Waitz ganz
entschieden auf den Schultern Herbarts stehe, dass Gebhardt viel
zu ängstlich darauf bedacht gewesen zu sein scheine, Waitz dne
besondere Originalität durch Abrücken von Herbart zu
wahren, dass aber ein so ernster, originaler Denker und fruchtbarer
Schriftsteller wie Waitz dessen gewiss nicht bedürfe.
Bruno Tittmanns kleine Arbeit „Herbart in französischer
Beleuchtung" (Jahrbuch des Vereins für wissenschaftlidie Päda-
gogik XL, S. 95 — 107) ist ein sorgGdtiger Auszug aus Louis Gocklers
Werk „La Pedagogie de Herbart" (Paris 1905). Sie zeigt, dass
Herbart in dem Franzosen einen zwar selbständig denkenden und
kritisierenden , aber im ganzen doch zu einem sehr günstigen
Ergebnis kommenden Beurteiler von grosser Belesenheit und tietem
Emst gefunden hat. Sehr interessant ist, was Tittmann aus dem
Anhangs- Kapitel „Herbart en France" mitteilt, vor allem, dass
Herbart schon bei Lebzeiten jenseit der Vogesen nicht unbekannt
gebheben ist.
Im Anschluss an Tittmanns Bericht sei endlich auch H. Schoens
Artikel „Ein hervorragender Vertreter der Herbartschen Philosophie
in Frankreich, Dr. Marzellus Mauxion" (Zeitschrift fUr Philo-
sophie und Pädagogik XV, 2 und 3) erwähnt, der eine warmherzige
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und gut charakterisierende Riop^raphie des X'erfasscrs von „La
Metaphysique de Herbart et la Critique de Kant" (Paris 1894) dar-
bietet Schoen gibt zugleich recht dankenswerte Auszüge aus dieser
Schrift und zeigt damit, wie tief Mauxion von dem S> stem Herbarts
durchdrungen war. Dasselbe gilt von seinem Werk „L' Education
par linstruction et les theories pedagogiques de Herbart"
(Paris 1903, 2. Aufl. 1906), und Herbartschen Geist atmet auch das
sdbsständigste Werk Mauxions, „Essai sur les ^16nents et T^olution
de la roofalit^" (Päris 1904).
G. Beuicilmigeii.')
Brett»chneidery Geschichtliches
Hilfsbueh fttr Lehrer- «ad
Lehrerinnenseminare nnd ver-
wandte Bildnngsanstal ten.
Halle, Bnchbandlanfir des Waisen-
hauaea 1904—6 (3 Teile, smanmieii
6,80 M.).
flwwiiMildnIHkiher nllneD beiondefa
strene beurteilt werden, da sie über
die Unterrichtszeit des sie Besitzenden
hiBttHwirken nnd dessen eii^erteiltea
Unterricht beeinflufwen. So ist der
Fehler in manchem neueren Geschichta-
MnlmdM zn erklären, dasa der Stoff
Torwiegend nach methodischen Gesichta-
pankten i^ppiert nnd dargeboten wird.
Um mOgbcbat abgemndete methodische
Einheiten sn erhalten, bat man den
Stoff nicht selten willkürlich serrisaen.
Flr den Geachichtsforscher ist der An-
blick eines denutigea Lehrbuches nn-
ertrftglich, für den OescUehtslehrer die
Bevormnndnng wohl nnnOtig. Danim
sollte der Verqnicknng von Methodik
and WineBsehaft «iidi im Seminer-
lehrbnche ernstlich zn Leibe gerfickt
werden. Klares nnd geordnetes Denken
zerlegt Ton selbst den Stoff in kldnere
Einheiten, ohne den Eindruck der
Kontinuität des geschichtlichen Verlaufs
zu Terwischen. Diesen (irundsatz be-
folet Brettschneiders Hilfsbuch. Es ist
dreiteilig, nnd die drei Pensen sind in
der Stolfmenge ungefähr gleich. Da
flu die untersten xwei SLUasen der
ildbiscben Seminare nnd der prensai-
schen Präparanden ein propädeutischer
Karras verlangt wird, so mOsste für
diesen ein besonderes Lehrbuch ge-
fordert und der Stoff der drei Teile auf
die oberen vier Klassen verteilt werden.
Vielleicht schliesst sich der Verfasser
in einer Nenanflage mehr an die vor-
liegenden Lehrpläne an. Im übrigen
ist Brettschneiders Bneh das beste seiner
Art, das mir bis jetst sa Oerfciht ge-
kommen ist. Die geschichtliche Schilde-
rung ist überall dem Lehrer vorbehalten;
das Hilfsbnch besweckt nvr die An-
leitung des Schülers zu innerlicher Ver-
arbeitung des Stofifea. Die Gliederung
ist ungemein klar, die Stoffwahl energisra
in der Ausscheidung alles Nebensäch-
lichen und die Darstellung in ihrer
relativen Höhe der Auffassung wohl
geeignet, den künftigen Lehrer in die
Lebensbedingungen des Staates, der
Gesellschaft, der allgemeinen Kultur
einsuftthren. Unter Hinweis auf den
wohl Vberall eingeführten Historischen
Atlas (von Putz^er) und die verbreiteten
Elten und billigen Bildersammlungen
t der Verfasser Karten nnd Abml-
düngen von seinem nilfshuche fern-
gehalten. Dagegen sind jedem Teile
Wiederholnngstabellen beigegeben, die
einen besonderen tabellarischen Abriss
überflüssig machen. Das Äussere des
Werkes ist vornehm.
BocUiti L&
Dr. phil. Wagner.
>) Die für Abt. B bestimmten Beiträge mussten wegen RaunUBtagds Ittr
das nächste Heft, das diesem sofort folgen soll, zurückgestellt werden.
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— i6o ^
Kiui^egangrene BOcher.
(Besprechung vorbehalten.)
StrSie, Hcrm., lli-rbarts PsyLliolujiie im Verhältnis zu seinem Ej'üehuDgsideal. Tiibingcr
Dissertation ioo(.. Stuttgart, Chr. Bdscr.
Dumemanil, Dr. Adolf, Psychiatric und Hygiene in den ErRelMin(Mftft«ltCII. HMnbtng,
Agentur des Kauben Hkoses. Pr. geb. 2,80 M.
Fooratsr, Dr. Fr. W., Schule und Charakter. Beiträge zur Pädagogik des Gehorsams
uad lor Reform der Scholdisziplin. i. 2. Aufl. Zürich 1907, Schalthess & Co.
Osttmiailll, Dr. W.« Int«mse. i. AttR. Leipzig T907, R. Schwarte.
lUirSOhensteiner , 660rg, riritM>irr;i;;i-n i1<t Sr1nilorc;ini>-;ition. Finc SammUinp von
Reden, AuisüUeo und Organi^ationsbcispiclco. Leipzig 1907, Tcubocr. Preis
3,ao M.
Wychgram, Jakob, Voitifge uod Aufsätse kam Hidehcnsdralwesen. Ebenda. Pt«is
geb. 3,20 M.
Regoner, Fr., Allgemeine Untorrichtslebre. 3. Aafl, Ebenda 1906. Pr. geb. 3,20 M.
Eooyfclopädisches Handbuch der Pädagogik, hcraoae. von Prof. Dr, W. Rein. 5. Bd„
2. Hälfte. Langcnsiiiljui. 190Ö, Ikyer <äi S.
Xnypers, Dr. Franz, N'olksschule und Lehrarbildnoi^ der Vereinigten Staaten. Ldpdg 1907,
Tcubner. Pr. geb. 1,25 M.
TOWS, J., Moderne Erziehung in Haus und Schule. Ebenda, Desgl. 159. Bd. Preis
geb. 1,25 M.
Richter, Dr. PtUllr P^chologie fiir LehrcrbUdangsanstollea. Ebenda. Pr. geb. 2,40 M.
Ganaberg, F., Schaffensfreude. Anregungen zur Beleboof; des Unterrichts. Ebenda.
Pr. geb. 3 M.
Derselbe. StreifzUge durch die Welt der Gros&stadtkinder. Lebensbilder und Gedanken-
gänge för den Aoschattiingsanterricht in Stadtschulen. Ebenda, a. Avil. Preis
geb. 3,20 M.
Derselbe, Plaudcrstunden. Schilderungen für den ersten Üntcrhcht. Ebenda. Preis
geb, 3,30 M.
Sdimldt, F. A., Möller, Karl, und Radczwill, Miniia, Schönheit und Gymnastik. Hfd
Beiträge zur .Vsthctik der Leibeserziehung. Ebenda. Pr. geh, 2,iio M.
Saateer, Josef, Das erste Schuljahr. 7. Aufl., bearfo, von Jvltna John. Leipzig 1907,
G. Freytag. Pr. geb. 2,20 M.
Kästner, Dr. 0., Sozialpädagogik und Neuidealismus. Oruadki^cn und Grundzüge einer
echten Volksbildung mit besonderer Berücksichtignng der Philosophie Rodolf
Fuck-^ns. Leipri" loor, Roth & Schunke.
Voflei, Dr. August, Dil- j l i ig oj^ischen SQnden unserer Zell. Ein Vritischer überbliek
über die Bestrebungen der modernen rätlL\<,'(igik auf dem Gebiete de-, höheren
und des niederen .Schulwesens. Lissa 1907, Friedrich Ebbecke. Pr. 3,50
Hösel, Paul, VHt Erriehnn^ tnr geizigen SelbatXndigkeit. Mit Berttckslchtigung der
Air-irlurn Di-'-t'-i wrf,'-;, l.iip,ij; IO07, Klinkluirdt.
Elller, Schulrat Prof. Dr. Karl, Geschichte da l umunterrichts. 3. Aufl. Neubcarbcilct
von Kart Rossow. Gotln 1907, C. F. Thienenumn. Pr, geb. 4,60 M.
Raydt, Prof. H., Spidnachmittage. 2. veno. Aull. Leipsig 1907, B. G. Teubner.
Pr. 2 M.
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Ferdinand Hirt. Pr ^fh. 2,50 M.
Köster, Hern. L. , Ktiliithc Hclr.irliiungcn über llauslchrcrhetet.rcbungen und ^Vltcn-
inundart. Leipzig 1907, \'> tu; ii-rlich. Pr. 50 Pf.
Oppenhelm, Prof. Dr. H., Nervenkrankheit und Lektüre. Nervenleiden und Erziehung.
Die ersten Zeichen der Ncr^-osität des Kindesalters. 2. Aufl. Berlin 1907,
S. Karger. Pr. 2 .M.
Uppold, Bernhard, Das Ehrgelhhl und die Schale. Leipzig 1907, Quelle Sc Meyer.
Pr. geh. 0,80 M.
(Fortselzoog folgt.)
Druek von A. Btots A 9«lin in Maamlmrg a. S
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A. AbluindliiiigeiL
1.
Reüflion und Kirchentum im Üben unserer Kinder.
Eine GcgenwwttbetiMhtnDg von EdMHd Uiputt
Unsere Zeit ist religiös tiefbewegt Es fliesst eiii Strom
religiösen Lebens durch unser Volk. Alle VVeltanschaumigai finden
begeisterte Prediger und AnliänL^er. Wie in den Tagen, von denen
die Schrift sagt, dass die Zeit erfüllt war, als Rom (x:» verschiedene
Kulte in seinen Mauern barg, werden heute die Glaubenslehren
aller Völker und Zeiten zusammengefasst und im neuen Gewände
der Menge oder nur einer auserwähltcn Schar geboten. Für jeden
ist etwas zu finden auf dein religiösen Markte. Je raffinierter und
intensiver das (ieschäftsleben unseres Daseins wird, desto lieber ver-
lassen die Menschen — und sei es auf Stunden — das laute
Treiben des Tages und gehen auf dämmernden Wegen religiöser
Philosophie, gleich denen, die das brausende Tal mit seinen Nebeln
verlassen und im grauenden Morgen den Höhen und Gipfeln zu-
streben, wo ihnen die Sterne Gottes klar und unverhülit brennen.
So urteilt der beobachtende Philosoph, so urteilen neben ihm
Tausende, die mit Optimismus und Lebensfreudigkeit unsere Zeit
ubersdiauen.
Anders die Kirche. Sie sieht eine entchristlichte Welt und
beklagt den .Abfall von Tausenden. Sic sieht das Kreuz in den
Staub gesunken, die Kirchen leer, christliche Grundsätze vergessen
und verlacht, sieht ein ungläubiges Alter und eine ruchlose Jugend.
Was ist Waiurheit? Es geht durch unser ganzes Leben in der
Gegenwart ein fortwährender Widerspruch zwischen Christentum
und Welttum. Der Rei^ritf des Christentums ist in vielen Köpfen
der vergangener Jahrfiunderte geblieben . in vielen anderen hat er
sich gewandelt. Die Kirche hat nicht bedacht, dass es auch in
Glaubensdingen eine Entwicklung |^bt, dass Tausende ihrer besten
Glieder sich von veralteten religiösen Vorstellungen losgerungen
FMagodMlM etodlM. XXtX. 1. U
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— l62 —
haben, die in ihnen kein religiöses Empfinden mehr auslösten.
Darum ist der liinlluss der Kirche mehr und mehr zurürk<:(cgangen.
Je mehr die Kirche das religiöse Leben in alten fruuunen Formen
halten wiH, desto mehr entrinnen ihr die wahrhaft Religiösen.
So ist allenthalben ein grosses, meist stilles Kämpfen» ein
Kämpfen um rrlip^iöse Vorstellungen, die vielen heute das grosse
Gottesbild verduMkrhi und verhüllen. Die Menschen suchen Gott,
aber nicht den Guit der Juden, nicht den Gott der Konzile und
Päpste und Mönche. So wie der Mensch, so ist sein Gott: diese
Erkenntnis ist in die Geister gedrungen. Und darum ringsum ein
neuer Glauben und ein neues Hoffen, viel Kampf und Unruhe und
Sturm — aber ein grosses Frühlingssehnen, im Kirchenkreisc des
Völkerlebens ebenso wie in den Kreisen des Staates, der Gemeitide,
selbst in der stillen (jemeinschaft der Familie, wo sich Lebens*
formen erhalten, die draussen Regen und Sturm wegpeitschten und
Winterfröste töteten. Denn unsere Eltern stehen im brausenden
Winde des Lebens, und es braust ihnen durchs Herz wie den
anderen , und riesenschwer legt sich der Gedanke einer Verant-
wortung gegenüber den Seelen ilu'er Kinder ihnen auf das Herz in
einer 2^it, die gross, aber seltsam bewegt und rätselhaft dunkd
ist, und es drängt sich die bange Frage auf die Lippen : Was lummt
dein Kind aus seiner Kinderstube mit hinaus ins Leben als un-
verlierbares Gut, als inneren Halt und innere Kraft?
Wir nehmen diese Elternfrage auf; wir schauen auf unsere
Jugend und fragen: Wie ist sie religiös vorbereitet lur schwere
F^rt? Welches ist ihre religiöse Ausrüstung für ein Leben, das
kaum weniger geeignet erscheinen kann für eine Ausbildung jenes
religiö'^en Weltbildes, das jeder in sich tragen mussi*
Ellciuhaus, Schule, Kirche und Umwelt sind die 4 l'akturen,
welche die reUgiöse Entwicklung des jungen Menschen bedingen.
Im Elternhaus werden die ersten religiösen Vorstellungen des
Kindes geboren. Die Kinderstube hat die einfachen Uranschaui;ngrn
über Gott und Welt durch die Jahrhunderte bewahrt. Wenn es
richtig ist, dass sich in jedem cuuelnen .Menschenleben die Phasen
der Menschheitsentwicklung erkennen lassen, so müssen die religiösen
Anschauungen des Kindes dem religiösen Standpunkte längst ver*
gangencr Jahrhunderte entsprechen.
Das Kind übt noch in ernster Schlichtheit den persönlich-
naiven Gebetsverkehr mit Gott.
Noch beten die Kleinen ihr Abendgebet Es hält die Mutter
auch in solchen Häusern noch fest an der alten Sitte, wo sonst
das Gebctsleben, das Leben in steter Berufung auf Gott und in
seinem Gedenken geschwunden ist. Ja es ist oft genug der einzige
Gottesdienst, den Alte und Junge im Hause noch feiern: die Zeit
des Kindergebcts am Abende.' Die Macht der Tradition, liebe
Kindheitserinneningen, ein dunkles religiöses GrundgefUhl und das
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— i63 —
Gefühl hoher V'erantwortlichkeit erhalten die alte Sitte lebendig.
Und daneben das unbescbreiblich Rührende eines Vorganges, bei
dem ein stammelndes Ideines Menschenkind mit dem grossen Welten«
gotte Zwiesprache hält.
Das Abcndi,a'})et ist die erste religiöse Betätigung des jungen
Menschengeistes, das üsciigcbct ist bereits gefallen oder eine leere
Form geworden. Das Gebet weckt zuerst die dunkle Vorstellung
von einem fernen grossen Wesen, wie ja überhaupt in der ersten
Kindheit einfachste religiöse Grandvorstellungen geweckt und ge-
bildet werden, die entwicklungsfähig sind und natürliche Vorstufen
zu richtigen Gliedern unserer christlichen Lchensauffassuiit; bilden.
Natürlich ist für das Kind Gott ^u anthropomorphisieren. Es denkt
sich darunter einen guten alten Mann mit langem weissen Barte.
Das Kind ist Realist ausgeprägtester Art. Es taucht alles in das
Licht greifbnrcn Lebens. So bilden sich in den ersten Kindheits-
jahren feste reli<,nöse Bef^riffe. Gott ist für das Kind der, der im
blauen iiinuncl bei den Sternen wohnt, der den Blitz leuchten und
den Donner rollen lasst, den Regen schickt und den Sonnenschein,
der alles sieht, was die Menschen tun, Gutes und Böses» der alles
aufschreibt in seinem grossen himmlischen Buche, der zu Weih-
nachten mit dem Christkinde über die Mensrhen redet, der die
Menschen sterben lässt und Krankheit und Sorgen schickt und
Freude ; der im Frühling die Baume grünen, im Sommer die Kömer
reifen lässt, im Herbst die Apfel und die Blätter malt und im
Winter pjseskälte und Sclineeflockcn sendet. Das ist der liebe
Gott unserer Kindheit. Kr stellt die blasse Mondiampe an das
Firmament und die goldenen Sterne und die rote Sonne, er lässt
den Wind wehen durch die Baumwipfel und über die Dächer, dass
der Rauch unwillig fortflattert, und die Kumen blühen und die
Vöglein singen und die Maikäfer brummen. Er ist der grosse, all-
fjewaltige Herr des Himmels und der Krdc, der Vater der Menschen-
kinder; mehr ein Wesen der Furcht als der Liebe. Mit grossen,
erstaunten Augen schaut das Kind zum Himmel auf und sucht die
Luft zu durchdringen, ob es Gott nicht sehen könne; er wohnt ja
dort, wo die Abendsonne im roten Golde in die Wipfel sinkt, und
dort kann es ihn nicht finden, nicht fassen. Und wenn die Mutter
hiniiufügt: Wer Gott sieht, der muss sterben — da wird die Vor-
stellung von Gott noch um einen Grad erhabener und unfasslicher.
Aber er wohnt ja dort, wo das Brüderlein ist — diese räumliche
Vorstellung des Himmels ist beim Kinde selbstverständlich und bei
aller religiösen Belehrung zunächst unbedingt nötig — wo der tote
Grossvater weilt, wo die Kn<Tel singen und spielen, und dieser Ge-
danke wirft lichte Strahlen auf das finstere Gottesbild und bringt
es dem kleinen Gemüt auf einmal unendlich näher.
Für das kindliche Fassungsvermögen ist nichts leichter ver-
ständli^ als eben diese Vorstellung von der Engelwelt Das Kind,
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das alles belebt, das auch alle unpersönlichen Dinge als l'crsoncu
auffasst und behandelt, findet sich ausserordentlich rasch in eine
von Engeln bdebte Umgebung^. Und wenn ihm die Mutter erzählt,
dass die Engeirin abends an srinem Bette Wache halten und es
des Morgens wecken , dass neben jedem Kinde ein Schutzengel
steht, dass es selbst, wenn es stirbt, so ein Knt^a^l wird; wenn es
dazu auf hundert Bildern und auf den Grabdenkmälern oder an der
Kirchenpforte Engelsgestalten neht, wurzelt der Kngelsglaube so fest
im Kinde, dass eine freiere religiöse Auffassung, die den Himmel
von den Geisterscharen entvölkert, schwere Widerstände zu über*
winden hat.
Und endlich sei der religiösen V'orstellungsgruppe gedacht, die
sich an den Tod anknüpft. Auch das Bild des Todes, den BegrifiT
des Sterbens bringt das Kind als religiöses Anschauungsblld miL
Es hat sogar dns Kind in seiner Kurzsichtigkeit und Naivität jenen
Betriff vom Tode, den erst der gereifte relit^i(')se Mensch nach
langem Lebenskampfe wieder erlangt, und es hält den Tod für
nichts Furchtbares;, es fehlt ihm das Grauen vor dem Tode. Nur
eine dunkle Ahnung sagt ihm» dass der Tod etwas Ernstes sri,
trotzdem es schon an Grab^üfi^eln f:^estnnden und schon tote
Menschen gesehen hat. Das Kind und der Tod — eine ausser-
ordentlich interessante Frage. Nur allmählich erwacht ein leises
Grauen in ihm, wenn ihm immer wieder gesagt wird, dass der
Tote nicht mehr aufwadie und in der schwarzen Erde schlafen
müsse, dass es selbst sterben müsse — ganz leise dämmert In ihm
auf das Gefühl des Grossen, Dunklen, Unnennbaren, nur leicht fühlt
es, dass die Todesluft aus der Ewigkeit herweht Es kommt jener
tröstliche Engelsglaube, der alle gestorbenen Kinder wenigstens in
Engel verwandelt und das Paradies so köstlich ausmalt, wie es
Martin Luther in seinem herrlichen Briefe an sein Söhnlein schildert,
hinzu, um dem Tode die Schrecken /u nehmen. So '^teht dr^s Kind
verständnislos dem g^rossen Geheimnis gegenüber, dessen Lösung
auf die grosse Ewigkeitsfrage des Seins, auf das grosse Warum der
Menschheit Antwort gibt.
Es bleibt die Frage nach der Vorstellung von Christus. Sie ist
dürftig, srh'vach umrissen. Nur das Weihnachtsfest hat den Namen
des Christkindes schon früh gelehrt. Aber selbst bei diesem
Kindheitsfeste kommt dem Kinde durchaus nicht zum Bewusstsein,
dass der Gottessohn und das Christkind ein und dieselbe Person
seL Das Christkind ist ihm nichts weiter als ein kleiner Freuden-
und Geschenkengel. Nur von dem Herrn Jesus wird ihm in kleinen
Gebeten gesprochen. In vielen (regenden ist es dem Weihnachts-
mann gewichen; ist die altgermanische V^orstellung Wodans, wenn-
gleich unbewusst, noch so deutlich im Volke lebendig geblieben,
dass die Lichtgestalt des Christkindleins noch nicht Eingang gefunden
hat Ist doch die altgermaoische M3rthologie itir Kinderherzen wie
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geschaffen, bot doch ihre grandiose Anschaulichkeit eine religiöse
Influenz, die unsere gesamte religiöse Erziehung von heute nicht
entfernt crrciclit. Die Welt ist leer geworden, seitdem die Geister
und Götter aus ilir f^ewichcn sind.
Zwar hat das Kind Bilder von Christus gesehen, vielleicht kleine
Buntdrucke katholischer Spielgenossen, vielleicht ein Kapellengemälde,
einen Christuskopf an der Wand. Aber es fehlt jede feste An-
schaulichkeit, jede Klarheit. Das Leiclc.v osiclit des Gekreuzigten
kann doch unmöglich mit dem lichten Christkind identisch sein.
„Nicht wahr, Mutter," sagte ein vierjähriges Mädchen, „so liäjislich
wie di^er — sie deutete auf ein ChristusantUtz mit der Domen-
krone — ist das Christuskind nicht?" In vielen Gegenden ist auch
die Bezeichnung „Herrgott" für Christus gang und gäbe. Die
Schnitzer von Kruzifixen nennt der Volksmund Herrgottschnitzer.
Das ist unser iicrrgott, Sc^c meine Grossmuttcr , als sie mir ein
Christusbild zeigte. Andererseits wird von dem 1 lerrn Jesus erzählt.
Und nun soQ ein kleiner Kinderkopf diese Dreieinigkeit von Christ-
kind, Herrgott und Herr Jesus mit der Nebcnvorstcllung des Weih-
nachtsmannes vereinigen oder .luseinanderhalten ? f^s ist so , dass
die Anschauung von Christus nur als blasses, undeutliches Bild
neben den Gottesvorstellungen steht.
Das ist etwa der religiöse Vorstellungskreis unserer Kleinen.
Diese Anschauuni^en sind unseren Sechsjährigen im ganzen ge-
\aufi<^ CS ist ihr religiöser Schatz — und das Gebet kennen sie
ebenfalls - - es ist ihre kultische BetäU}.(uni>^.
Hier setzt der Religionsunterricht der Schule ein. Mag ihn
theologisches Selbstgefühl als eine im ganzen gute Vorbereitung
auf den Konfirmandenunterricht bezeichnen, als ein Nebenwerk in
der religiösen Erziehunij des Kindes — das ist zweifellos, dass die
religiöse Richtung unserer Tugend durrli die Scluile, wenn nicht
bestimmt, so doch stark beeinflusst wird. Den Haupteinschlag
gibt naturgemäss die häusliche Erziehung. Die Form, in der die
Religion zuerst an das Kind herantritt, haftet am festesten, prägt
sich aufs tiefste ein. Das Klternhaus ^^iht dem religiösen Leben
von Millionen das Gepräge. Der Mensch kann sich dem ;^e-
heimnisvoilen Zauber der Kindheitserinnerungen und Kindheits-
gewohnheiten auf lange hkiaus nidit entziehen. Die rdigiosen Vor-
stellungen der Ju^^eno begleiten den Menschen auf seinem Wege
durch das rauhe Land unreligiösen Lebens.
Im ersten Halbjahre erzählt wohl manche Schule dem Kinde,
ohne seinen religiösen Vorstellungskreis zu stören, meist einfache
Märchen mit einer einfachen Moral Sie lässt Gott vollständig im
Hintei^runde. Sie zeigt gute und schlechte Menschen tmd zeigt,
wie das Gute belohnt, das Böse bestraft wird. Sie lässt die Kinder
nur ahnen , dass Gott hinter allem Geschehenen steht und es be-
wirkt, dass das Gute seinen Lohn findet
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Im allgemeinen aber setzt der Unterricht in der biblischen
Geschichte sofort ein. Er beginnt mit der iTiosaischen Schöpfungs«
geschichte, bringt das grosse Problem des Sündenfalles, die Sintflut —
alles Stoffe, die auf eine viel spätere Stufe '^^^ehören. Im kindlichen
Geiste wird der Begriff des Schöpfers verdichtet. Gott hat die
Welt geschafien und auch den Menschen — das ist die erste ^arke
religiöse Wahrheit, die das Kind im Eltemhause noch nicht gehört
hat. Neu erscheint ihm die Macht des Bösen, des Teufels, von
dem die Mutter nichts ereählt hat , vor dem es sich höchstens als
Grossstadtkiiid im Kanpertheater gefürchtet ; neu die grosse Mut, in
welcher die Menschen vor Gottes Zorn umkamen. Der Effekt ist
beim Kinde eine Vergrösserung des Gottesbegriflfes, Gott wachst
ins Riesige und Schreckliche, auf der anderen Seite zeigt sich Gottes
Liebe zu den frommen Menschen und beruhii^t das kindliche Denken.
Still und fromm wandelt Abraham im steten Verkehr mit dem
Ewigen über die Gefilde Kanaans. Die Josefgesciüchte zieht herauf
mit ihren bunten Träumen, den seltsamen WüstenbUdem, mit ihrer
Kunde von dem Lande der Pyramiden» mit dem wunderbaren
Lcbensj^nnge des Helden — so fesselnd für unsere Kinder, weil sie
den Boden der h amilie , auf dem sich die (ieschichte abspielt,
kennen. Ihr ethischer Wert liegt in dem Hinweise, wie wunderbar
Gott die Geschicke der Menschen lenkt, eine Illustration zu dem
Spruche, den unsere Kinder wohl lernen, aber eist später verstehen
können: Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum
besten dienen.
Die Davidsgeschichte, eine der behebtesten für unsere Kleinen,
bat wenig religiösen Wert Vor der Gestalt des kecken, mutigen
David vcrbtasst der BegriflT des Gottvertrauens, der hier betont
werden soll, vollständii;.
Kndürh tritt ganz, neu \ or tlic Kiiuk r das Christusbild. Die
Christusgestalt des Neuen l estaments, wie sie in den Erzählungen
lebt, die die Schule bietet, ist den Kindern neu. Und es mm hier
festgestellt werden, dass keine Geschichten die Kinder so feseln und
im Innersten erL:^rcifen, als die märchenhaften Wunden^eschichten,
Krankcnliciiungen, Totencrwcekun;^a-n des Neuen Testaments. Und
klarer und klarer bildet sich in den Kindern die anfangs nebelhafte
Gestalt eines barmherzigen, klugen, ernsten, mächt^en Mannes mit
wunderbaren .Xugen und einer unendlichen Liebe im Herzen, einer
unendlichen Milde und Hoheit und einer weichen Demut. Das
Hcilandsbild verdrängt das Bild des lieben Gottes. Es spricht
persönlich zu den Kindern, der Heiland redet urid weint und stirbt —
Gott bt unnahbar, so unendlich gross, so ernst, so unfa.ssbar, dass
das Kind mehr und mehr von dem einfachen reinen Gottesbegriff
seiner ersten Kindheit wegrödct
Je höher das Kind in seinem Klassenverbande steigt, desto
geringer wird die Wirkung der religiösen Unterweisung. Die
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Empfaiigli^keit schwindet. Die Nebenwirkung des Elternhauses
wird von Tn^ zu Tag schwächer. Nur das Gebet bleibt vielfach
erhalten als Rest der kindhchen Abhängigkeit vor Gott. In der
Schule wächst das Memoriermaterial. Die Jesusgeschichten nehmen
nur einen Teil der rdigiösen Besprechung ein. Es kommt der
Katechismus und behandelt anatomisch mit Strenge und Gedanken«
klarheit das Bild Gottvaters mit der Fhmmenschrift : du sollst'
Auch das Christiisbild wird im IL Artikel den Kindern nicht
lieb und wert gemacht Zu viel Nebenwerk wird geboten, die
Weihe, 'der Zauber, der über Jesu Person liegt, unbarmherzig
zerstört durch subtile Gliederung und systematische Zusammen*
fassung aller I.cbcnskleinheitcn und -unvvesentlichkeiten zu einem
künstlichen VVachschristus, der alle Teile des Korpers in wunder-
barer Korrektheit besitzt, aber nur eins nicht : das Leben. Hast du
im Gldchnis vom barmherzigen Samariter das Jesusbild in seiner
unendhchen mensclilichen Liebe und Milde gekennzeichnet und die
Herzen leise durchschüttert — hast du das Leben des Heilandes
in seiner Einzigartigkeit und Gotte^rösse und seinem Menschen-
jammer gross in die Herzen der Kinder gemalt, dass ihre Augen
in Tranen glänzen: dann sprichst du in der Katechismusstunde
wohl von den Standen des Erlösers und prägst den jungen Geistern
den Spruch ein: Einen solchen Hohenpriester sollten wir haben —
und hebst damit das menschlich- warme Jesusbild in die Kisluft des
dogmatischen Lehrbegriffs; und in der Kälte friert alles Leben. Du
tötest hier, was du dort entzündet. Dazu die katechetische
Deduktion» die sich an das Denken wendet und nicht an die
Phantasie und die Gemütstiefe. Nur besondere Kunst und innere
Wärme kann die Kinder an diesen Klippen vorüberfuhren — die
p^rosse Mehrheil unserer Kinder lernt diesen Christus kennen.
Lud m dammrigcs Dunkel führt dann die Betrachtung des heiligen
Geistes und seiner für die Kinder vollständig unfassbaren „Wirkungen",
die die Kirchenlehre ihm zuschreibt. Mag man auch nach Hempels
Vorgehen die ganze I Iciligungslehre an die Person des Apostel-
fürsten Petrus anlehnen und anknüpfen — es bleiben die Vorgänge
im besten Lalle ein halbverstandenes Mysterium, wenn man sich
nicht mit Worten begnügt, sondern auf ein gewisses Verständnis
Wert legt. Diejen^en, die eine Schwierigkeit in der Materie nicht
finden — es gibt allerdings wenige ~— begnügen sich mit einem
Wort wissen, mit VVortantworten , die zwar dem Unwissenden ein
falsches Bild eines Erfolges vortäuschen, aber ohne jegUchen Wert
sind. Unsere gesamte Katechismusbehandlung leidet unter einem
Wortnachhcten. Die ganze £rlösungslehre , die das IL LIauptstUck
gibt, ist in der landläufigen Betrachtung unfruchtbar und ausser-
ordentlich schwer verständlich. Wir dürfen die Menschheit nicht
als verdammt ansehen, die vor Christus lebte, wie es die Missionäre
samt und sonders taten und tun. Wir dürfen die Welt von heute
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niclii i^Iücklicher preisen weil sie von der Erlösung weiss. Wir
dürfen die Völker nicht unglücklich nennen, die heute noch das
Christentum nicht kennen oder noch nicht annehmen wollen. Wir
müssen das Hauptgewicht darauf legen, dass Christus dadurch die
Welt erlöst hat — und das ist der gewaltige Fortschritt, den seine
Lehre für die Welt bedeutet — , dass er die todüberwindendc [jebe
gezeigt, die ihre ^anze t^rosse Lebensaufgabe in der uneigennüt/ic^en,
Stillen, heiligen Arbeit an der Menschheit sieht. Der ist wahrhalt
erlöst, der in diesem Sinne Christus als seinen Herrn und Meister«
als den unvergleichlichen Lehrer ansieht. Das sind die Gedanken,
die unsere Kinder verstehen, und die auch bestehen, wenn im
Lebenskämpfe der Zweifel kommt. (An diesem Christus, dieser
Auffassung der Erlösung können auch Atheisten nicht rütteln. Der
Christus ist grösser als sie.)
Das in. Hauptstück, das Gebet, ist in seiner Tiefe von reiferen
Kindern wohl zu behandeln und bietet einen Schatz von sittlichen
Momenten, sie geben dem Lehrer praktische relij^iöse Grc-
sichtspunkte an die Hand, die der Fassungskraft der Kinder ent-
sprechen. Die grossen Themen von der Vaterliebe Gottes, von
dem grossen Gottesreiche, das alle Menschen umfassen soll, aber
nicht in der Ewigkeit liegt, sondern in der Zeit, von dem grossen
Glückswillen Gottes, von dem täc^Hchen Brot, von der Menschen-
schuld ein Thema, das sich besonders er^^rcifend und erschütternd
behandeln lässt, weiui man in die Lebensscliicksale von Völkern
und Einzelmenschen blickt — von der Versuchung des Lebens, von
dem grossen Übel, dessen Begriff sich in der Menschheitsgeschichte
allerdinc"- fortlaufend ändert entrollen das ganze Menschenleben
vor den Knidcrn und lassen sie riesige Nebclbilder aus dem Zauber-
lande Leben sciiauen, erschüttern und erheben /zugleich und be-
fruchten Geist und Gemüt, Phantasie und Willen, erziehen den
inneren Menschen und geben ihm die beste Ausrüstung för den
Gai'i: durchs Leben mir
So ringt sicli aus den dunklen Umrissen des Gotteshüdes, wie
es die Kinder aus dem Elternhause mitbrachten, allmaiüich eine
halbklare Vorstellung von Gott ddrch. Das Christusbild tritt,
freiUch meist nüchtern und lehrhaft gedeutet, in den Vordergrund
des religiösen Denkens, während die \'^orstellung vom heiligen
Geiste von der Stufe einer dämmernden, verschwommenen
mysteriösen Erscheinung nicht loskommt Eins aber vermag unser
RcUgionsunterricht nicht mehr zu erzeugen: einen lebendigen per
sönlichen Verkehr mit Gott, der das tägliche Tun und Beginnen in
den Schatten Gottes stellt und sich der Nähe des Ewigen stets
bewusst bleibt. Der Römer in grauer Heidenzeit, der bei Beginn
der Reise den Göttern seine Opfer darbrachte wie bei seiner Rück-
kehr, war frömmer als der heutige Christ. Die Fronmiigkeit, d. h.
die Betätigung des religiösen Sinnes im Leben, in allen grossen
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und kleinen Handlungen und Cjeschehnisscn des Lebens, ist heute
meist vcisdiwunden. Auch unsere Schule ist weit davon entfernt,
eine fromme Schule in diesem Sinne zu sein.
Die religiöse l'inicleidung unseres Lebens ist nur ein Schatten,
den nur Hellscher tur Leben halten; die reli^ösc Formengcbung
unseres Schulunterrichts lebt nur noch in schwachen Andeutungen.
Sie beschränkt sich im Alltagsveriauf auf die Morgenandadit und
das Gebet am Schluss. Zu Morgen- und Schlussgebet treten die
religiösen Formen des Fcstaktus, der mit Lied und Gebet verbunden
ist. Beide ^^ind religiös von geringer Bedeutung. So richtig der
Satz ist, dass religiöse Betätigung eine Übung voraussetzt, dass
Religion zuerst Grewöhnung sein muss, ehe ne inneriich eine Madit
werden kann, so falsch ist die Meinung, dass die Form von Wert
sein kann, wenn sie nur lose mit dem Inhalt verbunden ist oder
gar den Inhalt ersetzen soll. .Anfangs- und Schlussgebet werden
leicht zur Gewöhnung und schleifen sich ab; die Gebete gleiten
vorüber an der Seele, und es ist nicht die Regel, dass der Ton
Wärme und Andacht verrät. Von den Schulfeiern erscheint die
Entlassungsfeier der Beachtung für wert. Die patriotisdien Feiern
leisten für die reinreligiöse Erbauung des Herzens nur wenig.
Gewiss lernen sie immer wieder und wieder auf den Schlachten-
gott und Völkergott schauen, der über allem Geschehenen thront,
in dessen Händen Wohl und Wehe der Völker liegt; aber innige
Gemütserregungen religiöser Naturen sind nicht das Ergebnis.
Anders bei jenen sclilichten Feiern, d.i die Sclnilkinder nach Ab-
schluss ihrer Lernjahrc Abschied nehmen. Hier verwandeln sich
grosse menschliche Gefühle in religiöse. Der Ernst der Abschieds-
Stunde an sich, die Anwesenheit der Eltern^ die ihre Lieblinge aus
der OUtut der Schule zurückholen, um sie ins rauhe und kalte
Leben zu entlassen, der Gedanke an dies^'- F,'"ben, das mit seinen
grossen dunklen Sorgenaugen schon zu den Fenstern hereinschaut,
stimmen die Herzen weich, lassen in die innersten Kammern der
Seele hineinschauen, wischen alles Künstliche, Angewöhnte mit
starker Hand weg. Aber ausser dieser Feier hat die Schule wenig
rrluTiös-kirchlichc Einwirkungen in ihrem Machtbereich. Es ist die
Signatur nicht nur der christHchen Schulordnun;::^, dass unsere
religiösen Formen nicht mehr dem Inhalt entsprechen.
Schauen wir zurück in das Haus, dessen religiöse Einwirkungen
auf das Kind vor seinem Eintritt in die Schule wir schon be-
leuchtet haben.
Neben der rcligi(')scn Unterweisung und den religiösen Formen
der Schule wirkt der elterhche und kirchliche EinHuss. Aber der
elterliche ist kümmerlicher geworden. Fast will es scheinen, als ob
mit dem Beginn der schulischen Religionsstunden die religiöse
Unterweisung im Flternhause dahinscluvände. Fast will es scheinen,
als ob Bonus recht habe mit seiner bissigen Bemerkung, dass man
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— 170 —
irgend ein Gebiet nur schulisch - schulmeisterlich tu behandeln
brauche, um die Lust daran gründlich auf Grenerationen hinaus zu
ersticken.
Die Schule hat den Rcligion«;unterricht in die Hände j^^enommen.
Die Mutter scheut sich jetzt, ihre einfache Belehrung fortzusetzen,
sie wird unsicher, sie fühlt sich der Aufgabe nicht mehr gewachsen.
Auch der Vater nimmt wenig Anlass» an der religiösen Bildung des
Kindes mitzuarbeiten. Der kirchlich • religiös interessierten Väter
werden immer wcnif^er. Steht der Vater nicht auf dem Boden
kirclilichcn Christentums, so schweigt er meist taktvoll zu den
Lehren, die sein Kind aus der Schule mitbringt, in der Meinung,
die heute noch Tausende teilen: die Kinder sollen den Glauben
noch lernen und behalten — das Leben wird schon korrigieren,
wird streichen, was ohne inneren Wert ist.
Die religiöse Übung des Hauses besteht heute in bürgerlichen
Kreisen im ziemlich regelmässigen Kirchgang. Morgen- und Abend-
andachten im Hause sind längst tot — wenige Bauern- und Pfarr-
häuser ausgenommen. Das Bibellesen und stille Erbauungsstunden
vor Gesangbuch und Poslille sind selten, recht selten f'f^worden.
(Mein Grossvater las jeden Abend ein Kapitel aus einem alten
Erbauungsbuche mit allerdings prächtig anschaulichen Betrachtungen
eines Seelsorgers, eines Mannes, dessen Bild mit seinem klugen
dunklen Auge auf dem ersten Blatte des Buches mir heute noch
deutlich vor Auircn steht. Und meine Grossmuttcr nahm 'jcm das
Gesanv^buch zur Hand — sie konnte orsiaunlich \iel [Jeder aus
dem Gedächtnis rezitieren und auch anwenden zur rechten Zeit,
am rechten Ort, Aber wo ist heute diese Frömmigkeit?) Es ist
ein anderes Geschlecht geworden, eine andere Familie, eine andere
Familienerziehung. Es fehlt dem Kinde die Macht des Beispiels
religiöser Persönlichkeiten, zunächst im engeren Kreise. Der grösste
Erzieher, auch der grösste Verführer, ist das Beispiel, und dieses
Beispiel kann unsere an kirchlichen Lebensformen arme Zeit dem
Kinde nicht mehr bieten. Noch vor $0 Jahren waren die Eltern
kirchenstrenge Persönlichkeiten, in ihren kirchlichen Cbungen zwar
oft starr und formell, aber ernst und andachtsvoll. Die Formen des
mehrmaligen läghchen Gebets, des sonntäglichen Ganges nach dem
Gotteshause, die Beurteilung der Lebensgeschehnisse nach den
Worten der Bibel, der Gebrauch der Bibel in dunklen Lebenstagen
gewöhnten das heranwadiscnde Geschlecht an die Vorstellung von
einer grossen, dunklen Macht der Rclit^ion, von der t^rossen Macht
Gottes und waren gewiss manchen eine wunderbare Mitgabe für
das Leben. Dass diese religiösen Gewolinheiten oft nur Ausseriich-
keiten, lediglich Gewohnheiten und Formen waren, dass mancher
dieser Frommen in den Stürmen des Lebens und seinen Gefahren
nicht nach demselben Worte der Schrift handelte , das er so oft
zitiert, dais können Kinder nicht beobachten, nicht beurteilen, ihnen
— 171 —
war das Wort und der Brauch alles. Heute sind die Tage der
Kirchenfrömmigkeit in den Zeiten des modernen Lebens, in den
Grossstadten vorüber. Auf dem platten Lande lebt sie nach den
TrSghcitsgesetzcn menschlicher Entwicklung gemächlich weiter,
wenn auch der Inhalt dieser Formen immer dürftiger wird. Soll
man das Geschlecht dieser Tage als entartete Epigonen bezeichnen?
Oder als die Grundlage einer Generation der Zukunft? Soll man
die Wandlung beklagen oder bejubdn oder sie indifferent als
charakterlose Übergangszeit betrachten? War das alte Kirchentum
voll innerer Kraft und Lebensfülle? Oder war es viel Stimmunffs-
christentum ohne tieferes Nachdenken und grosse Wcltanschauun«^.
dem beschränkten Weltbilde einer versunkenen Epoche entsprechend?
Noch heute ist der Kirchgang die Form kultischer Betätigung
in wetten Kreisen des breiten lindes. Unsere Jugend geht gleich
unseren Gro-^scltcrn im allL^'omoiiien gern in die Kirche; ich erinnere
an die sehr gut besuchten Kindcrgottesdienste , die allerdings für
die religiöse Unterweisung unserer Kleinen fast wertlos sind und
im besten Falle eine Gewöhnung an den Kirchenbesuch erzielen.
Dk Glocken läuten seit Jahrhunderten durch die Lande, und immer
noch wallen die Beter ins Gotteshaus, Die Mutter hält auf den
Kirchenbcsucli und nimmt die Kinder schon beizeiten mit. Sie ist
das konservative Element in der Familie, und je mehr sie in ihrem
Familienkreise ihr Glück findet, je weniger das tausendfaltig be-
gehrende Leben mit modernen Forderungen in ihre Zurückgezogen-
heit hineinbrandet, desto treuer und sicherer überliefert sie die
Elemente alter Kirchlichkeit. Und der V'ater sieht ihr Walten gern
oder sieht es schweigend. Das Kind geht gern ins Gotteshaus.
Ihm gefallt die feieriioie Stille, die rauschende Orgelmusik, Ihm
gefallen die bleichen rotbrennenden Kerzen am Altar und die
hohen bunten Fenster, die zahlreichen stillen schwarzen Menschen.
Es kommt sich selbst vor wie in einer anderen Welt. Fs deucht
ihm, als gehöre es zu den Erwachsenen; Mutter zankt nicht und
sieht so feierlich aus. Und wenn es auch von der Predigt nicht
viel versteht, es hört dem Pastor gern zu.
Endlich fordert in der Konfirmandenzeit die Kirche Streng den
Kirchenbesurh. Die Frage, ob der Kirrhcnhesuch in seiner religiös-
pädagogischen Einwirkung hoch einzuschätzen sei, ist zu verneinen.
Die Predigten müssen grossenteils über die Köpfe hinweggehen.
Das Wertvolle und Unvei^ngliche ist nur die Erregung einer
feligiösen Weihestimmung. Die äussere Gewöhnung zum Kirchen-
besuche aber hält nicht vor, wenn die Seele im Gottesdienste keine
Befriedigung gefunden hat; oft «genügt eine Änderung in den Lebens-
verhältnissen, um den Kirchenbesuch einschlafen zu lassen. Es sind
nicht die Klügsten und Tüchtigsten, die am Schulbesuche nach der
Schulentlassung festhalten. Friedsame einfache Naturen mit starker
religiöser Stimmung und geringer kritischer Neigung und Unlust
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zum Umdenken alter Werte bilden die Mehriieit neben bequemen
Alltagsmenschen und solchen, die gern eine äussere Frömmigkeit
zur Schau tragen. Sicher t^ibt es auch eine grosse \n/,ahl derer,
(leren geistigem Standpunkte das heutige Kirchentuin gerade ent«
spricht.
Religiös l>edeutsam sind neben den kirchlichen Gottesdiensten
die christlichen Familienfeste der Taufe und Trauung. Religiös am
tiefsten packen die christlichen Totenfeiern. Selbst in unserer Zeit,
die nach ganz anderen Formen der Religion ringt als wir sie bisher
gewöhnt sind und durclüebt iiabcn, stimmt der Ruheplatz der
Toten ttefemst Wo die steinernen Säulen ragen, schwarze Kreuze
tief eingesunken in den morschen Grabhügeln verwittern und dfistere
Lebensbäume schwarzen Flammen f^lcich züngeln, da pflegt es stille
zu sein; ..iniii hört nur leises Jk'ten bei Kreuz und [.eichenstein".
Und der Gcuanke, der den Menschen, den Staubgeborenen, am
tiefeten ergreift, ist immer der an das Schdden von der Erde.
Merkwürdig, wie fest die Erden menschen an der Scholle haften, die
sie so oft als Jammertal und Unglücksland bezeichnen. Und Kinder
auf dem i oienacker. Hier zuerst werden sie von den Schauern der
Ewigkeit durchweht Hier zuerst fühlen sie etwas uncndhch tirosscs,
Unnennbares, Unfassbares, Dunkles und Ungeheures, vor dem ihr
Denken stille steht. So erzieht der Friedhof religiös, schafft innere
Werte. Nur ist seine Wirksamkeit auf wenige beschränkt. Den
meisten unserer Kinder bleibt der Tod fremd. Sic sehen seiner
Arbeit nur aus der Ferne zu. Nur - der lernt des I'odes Macht
innerlich fühlen, dem er in die Schar der Liebsten hineingreift
Und dann ist das Wesen des Kindes sonnig und gedaidcenlos. Es
neigt nicht dem Düsteren zu, es fehlt ihm noch das Verständnis der
Tragik des Menschenseins, und es sieht mit grossen, verwunderten
.Augen die iieeressäulen der loten durch die Pforten der Ewigkeit
ziehen.
Ich kennzdcbne im folgenden den Schulunterricht nach seiner
Bedeutung filr die religiöse Entwicklung unserer Jugend.
Von jeher ist die N a t u rw i ss e ns c h a f t dazu benutzt worden,
(icjttcs (1 rosse unti Allmacht und seine Weisheil und Ewigkeit und
auch seine Liebe ad oculos zu demonstrieren. ,,Die Himmel er-
zählen die Ehre Gottes und die Feste verkündiget seiner Hände
Werk" — dieses Psalmwort ist in tausend Variationen verkündet
und verbreitet worden: mit äusserer l'Vömmigkeit und raffinierter
Zweckausnutzung ist das iMiize Naturreich als Gottes grosses
Spiegelbild, alles Geschehene uuicriiaJb seiner Grenzen als Gottes
Wille dargestellt worden, bis hinab — oder hinauf? — zu jener
Kategorie \ on Religionslehrern, deren einer allen Ernstes behauptete,
auch darin sähe man die Weisheit Gottes, dass die Katzen gerade
dort Löcher im belle hätten, wo die Augen seien. Hei der Pracht
der Blumen und ilirem wunderfeinen öau, angesichts der vicl-
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— 1/3 —
gestaltigen Klassen der Tierwelt und ihrer Lebensaufgabe im grossen
Rrichc des Seins, beim Blick nnf die Ausrüstung der Lebewesen
regt sich das Gefühl des Erstaunens, des Wunderns, regt sirh das
Nachdenken und Sinnen und Grübeln, aber erst der Hinweis auf
den göttUchen Schöpfer, meinte man, kann diese unbestimmten
Gefühle und Vorstellungen in wertvolle klare Gefühlsbilder wandeln.
P> seien^^ hier Gellerts cinraltig-frommc kirchliche Dichtungen ge-
nannt. Übereifrige Männer haben seit Jahrhunderten ganze Natur-
geschichten unter diesem Gesichtswinkel bearbeitet und immer
wieder auf den gütigen Schöpfer, auf die Zweckmässigkeit der Natur,
auf das wunderbare Ineinandergreifen von tausend Radchen und auf
den Menschen als Zweck und Mittelpunkt der ganzen Schöpfung
hingewiesen. .Aber einmal passieren gerade hei Betonung des
letzten Gedankens leicht droUige Widersprüche, wenn z. B. auf den
ersten Seiten des Buches der fromme Verfasser sagt, dass auch die
hasslichsten und kleinsten Tiere Kostganger des lieben Gottes seien,
und ein paar Seiten weiter, dass wir dem heben Gott danken
sollten, dass er uns seine gefiederten Jäger zu Hilfe schicke, damit
wir das „alles verwüstende, schädhche, unnütze Gcsiadel" vernichten
können. Und dann ist doch auch zu beachten, dass etwas oft
Gehörtes abstumpft, dass das Kind, dem immer und immer wieder
vorgesagt wird: darin sehen wir Gottes Grösse und Wdshdt, nie
zur Hhrfurcht vor Gottes Grösse kommt. Ich meine, dass die
Naturgeschichtsstunde mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit
frommer Gewöhnung die wiederholte religiöse Belehrung nicht
stützen kann. Die Naturgeschichtsstunde predigt in Wahrheit Gott
am lautesten, die seinen Namen kaum oder nicht nennt, wie es
eine durchaus falsche Auffassung ist, wenn man die Naturkörper
nur von dem .Standpunkte des ängstlich (icwinn und Schaden be-
sehenden Menschen berechnet und so in die Enge des Krämer-
geistes hineinzieht, was man ins Licht universaler Betrachtungsweise
erheben sollte. Gott ist gross, unendlich gross, und ein wunder-
bares Sichverzehren unri Wiedergebären, Vernichten und Erschaffen,
Kämpfen und .lusgleichcn sind die (irundlagen der ganzen Natur.
Gebt den Naturgeschichtsunterricht mit inniger Liebe zur Natur,
mit sinniger Betrachtung und philosophischer Zusammenfassung,
nicht eine Gliederung in einzelne Objekte in anatomischer Zerlegung,
und ihr tut mehr für das religiöse Gefühl als mit frommen Sal-
badereien. Wem (he Naturgeschichte nicht in frommer Fredigt
Gott kündet, der wird nicht gottgläubig durch tausendfach wieder-
holte Wendungen. Aber immerhin ist die religiöse Wirkung auch
dann nicht wägbar und messbar, wenn der Unterricht in der an-
gegebenen Weise — und sie ist heute die Regel — gegeben wird.
Es bleibt eine Phrase, zu behaupten, dass der Naturgeschichtsuoter-
rieht durch den Religionsunterricht „verklärt" werde.
Und die Geschichte? Wenn in einem Fache der oftmalige
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Hinweis auf Gott nicht gefehlt hat, so ist es die Weltgeschichte.
Es ist die grosse Menge unserer Geschichtsbücher, die nach Art
der Darstellung des Alten Testaments in jeder Wendung der Gc-
schkdite Gottes besondere Fügung sehen und dabei alles vom
Standpunkte des gotteseigenen V<dke8 betrachten, in jedem Siege
eine Hilfe des National Rottes, in jeder Niederlage seine Prüfung
sehen und so das ganze Geschehen auf dem weiten Erdenrund von
den Zeiten der ältesten Dynastien der Pharaonen und der Griechen-
mythe an bis auf unsere Tage in das Licht eines göttlichen Willens»
eines Gesetzes stellen, das für ein Volk besonders gesdiaflen er»
scheint Kine Auffassung, die nur insoweit zn verwenden ist, als
tntsächlich jedes Volk eine Sonderaufgabe in der Welt<]^cschichte
y.u erfüllen hat. Wenn dicae Geschichtsschreibung z. B. Gustav
Adolfe Einfall in Norddeutschland mit den Worten erzahlt: ,J)a
erleuchtete Gott einen frommen und gerechten Herrn, den König
Gustav Adolf von Schweden, dass er . . — so ist das zwar
gewiss eine schöne fromme Auffassun^^, aber sie hat doch nur einen
recht bedingten Wert und nur bedinf^tc (leltung; sie gilt doch nur
fiir gläubige Protestanten von enger ^geschichtlicher Betrachtungs-
wdse, während der Katholik und Freund des Habsburger Hauses
etwa schreiben müsste: „Da fjefiel es dem Teufel, einem nordischen
Wehrwolf ins Ohr zu flüstern, dass gute Gelegenheit wäre , dem
siegreichen frommen deutschen Kaiser sein Werk zu zerstören, und
alsobald rüstete der blutige Polensieger seine Schiffe und fuhr mit
seinen gierigen und rohen Räuberscharen gen Süden." Und wenn
der Dichter singt:
„So hat sie (JoU geschlagen
mit MMOik und Ross nnd Wagen"
— so singt das ein deutscher vaterländischer Mann, aber die
Franzosen jener Zeit, unter denen es doch auch gute Christen gab,
haben als gute Patrioten und Untertanen bittere Tränen über den
Sturz des g^rossen Korsen geweint und nichts von göttlichem Straf-
gericht darin gesehen. Und umgekehrt: Während alle freiiieitlich
Denkenden am Anfange des 19. Jahrhunderts Napoleon als den
grossen Zerstörer fauler und morsdier Staatswesen ansahen, haben
die frommen Höfe keinen mit frömmeren und christlicheren Flüchen
bedacht als den Franzosenkaiser. Auch Kaiser Wilhelms Wort:
„Welch eine Wendung durch Gottes Fügung" ist ein herrliches
starkes Glaubenswort, aber nur ein Zeugnis persönlicher Auffassung
eines Vorganges, der immer von mehreren Seiten, nicht nur vom
Standpunkte des deutschen Volkes aus betrachtet werden muss.
Freilich sind wir es fjewöhnt, diesen Standpunkt als den rechten
cliristhchcn /.u betrachten. Haben doch unsere ( jottesmänner in
diesem Glauben gelebt, den Cromwells Wort wiederspiegelt; „Nicht
unser Verstand« nicht unser Mut und unsere Starke vollbringen das
Werk. Alles, was wir tun können, ist dem Herrn folgen, der vor
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— 1/5 —
uns einhergeh^ und einsammeln, was er ausstreut'* Es zeigt diese
Betrachtung ein ergreifendes starkes Gottvertrauen, zeigt ein ent-
wickeltes persönliches Glaubcnsleben von solcher Enerpfic cLiss wir
Epigonen fast demütig aufschauen zu den Männern solcher Grosse. In
diesem Zeichen haben sie gesiegt, und es gehört zum Verständnis ihrer
Persönlichkeit und ihrer £ifol|^. Aber eine andere Fr^e ist es, ob
diese Art religiöser Betrachtung eine religiöse Förderung unserer
Jugend bedingt, ob es nicht uir den Unterricht weiser ist, die
göttliche \Vcltreg^crLlng als {grosse, dunkle Macht liinter allem Ge-
schehenen leise und chrlürchlig anzudeuten, als mit groben Linien ihre
Idttdlich-ldeine Einmischung zu zeigen. Ist nicht unsere Anschauung
von Gott und Menschheit, von Weltgeschichte, Weltziel, von Erden-
sehnsucht und Himmelsglück eine andere geworden? Betrachten wir
nicht von höherer Warte aus das Geschehene auf dem Krdcnkrcisc
als jene Männer, die doch bei alier Grösse Kinder ihrer im uni-
versalen Denken stark beschränkten Zeit waren? Aber sollen wir
mit der alten Weise brechen? Sollen wir eine neue Melodie suchen
auf den alten Text? Fügen wir der reli*:^lösen Anschauung unserer
Kinder nicht unberechenbaren Schaden zu, wenn wir so ketzerischen
Gedanken Eingang gewäliren r Sollen wir den Kindern sagen, dass
alles Geschehene nicht mit der Nachtkerze des kleinlich rechnenden
Menschengeistes, sondern im Lichte der Ewigkeit angeschaut sein
will? Ist die moderne Weltanschauung^ wirklich schon so weit Ins
Volk gedrun^'en, dass man mit der alten Lehre brechen kann? Mag^
man die Frage beantworten, wie man will; es muss die Schule von
heute schon einen Anfang machen; vorsichtig, rücksichtsvoll, klug
und fein — einen Anfang! Es soll die bildliche Ausdrucksweise
des Alten Testaments, dass Gott zürnte, ergrimmte, dass es Gott
reute — nicht mehr die Sprache unserer volksgeschichtlichen
Schilderung sein. Gott ist nicht ein lachender und weinender,
zürnender oder verzeihender Kieinkindergott , Gott ist nicht jener
kleine Duodezfiirst, der mit jedem Untertanen sdnes Zweimeilen-
königreiches auf du und du Steht* Und dabei kann die geschicht-
liche Darstellung durchaus gross und erhaben sein . soll Lwigkeits-
gedanken auslösen und Ewigkeitsstinimung wecken. Alles Ge-
schehene richtet sich nach ewigen Gesetzen. Völker blühen und
welken und werden vom Gewitterwind der Weltgeschichte zensaust
und entwurzelt, und Tausende von Menschen sterben für Ideen, die
oft schon die folgende (leneration für klein und nichtig oder für
falsch erkannte oder scliät/.te , und dabei ^cht die Welt trotz aller
Rückschläge mit leisem Donnerrollen vorwärts, aufwärts, nähert
sich dem Ziele der Vollendung, werden die Mensdien immer mehr
aus Menschenkindern zu Gotteskindern.
Was ist denn religiös? Nicht, dass ich täglich zehnmal grüsse:
Grüss dich Gott! und in jedes Geschäftsbuch: Mit Gottl schreibe
und Sonntags fromme Lieder singe, nein, dass ich mein ganzes
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Leben in Beziehung setze zur Ewigkeitsbestimmung des Menschen.
Je kleiner der Mensch ist, desto inn'f^er h"m<^t rr an äusscrlichen
Zeremonien und kleinen kultischen Betätigungen. Je weiter aber
die Gesichtswelt sicii dehnt, je weiter der Blick in die Unendhch-
keiten schaut, desto grösser wird Gott und desto grösser dto Welt,
desto gewaltiger alles Geschehen im weiten Sonnenreich, desto
höher wächst die Aufgabe des Menschen aus der Beschränkung auf
sein eigen (ilück und Heil hinaus in die Sphäre eines allgemeinen
Volkerglücks, allgemeiner Wohlfahrt, in die Sphäre zum Gottes-
reiche, jenes goldenen lichtalterst von dem schon die Alten träumten.
Träumten l So wie der Mensch, so ist sein Gott, sein Glaube I
Der Sprachunterricht steht in der Reihe der Fächer, welche
religiöse BiMungswerte vermitteln helfen, insofern er die Poe»e in
der Volksschule vertritt. Kommt doch die Poesie nicht nur im
heiteren Gewände des Kinderliedes, des Friihlingssanges und des
Marchens in das düstere Schulzimmer, sondern auch in der Ritter-
rüstung der Ballade und dem frommernsten Kleide der Legende
und des Stimmungsgedicht?. Dichtung und Religion sind nahe
verwandt. Nicht nur die religiöse Dichtung ist religiös. Alle
Poesie betrachtet das iMensclienlebeu aus reiner edler Ferne und
will erheben und innerlich ergreifen ~ und damit weckt sie die*
selbe Stimmung, welche auch die Grundlage religiösen Erlebens ist,
Muss doch alle Religion /.unächst die edlen menschlichen Gedanken
und ( icfühle erwecken, ehe sie unter Hinweis auf die ewigen Mensch-
heitsgesetze und den Völkergott sagen kann, dass edler Mensch zu
sein zugleich göttlich sein heisst, dass der Mensdi Gott am nächsten
ist, der am vollkommensten alle edlen menschlichen Fähigkeiten
ausbildet. Dass die Poesie gerade mit berufen ist, ein Fülircr zu
sein ins Land des Kdlen Schönen, Guten, Menschbeglückenden,
Seligen kann nicht bestriiicn werden.
Doch darf bei aller unteniditlichen Unterweisung jenes Faktors
nicht vergessen werden, der wahrend der Zeit der höchsten inteUek-
tuellen Reife des Schulkindes, vor Vollendung der Schulzeit einsetzt
und mit dem Dnick äusserer Autorität und der Gcw'alt äusserer
jahrhundertealter Sitte Beachtung verdient: des Konfirmanden-
unterrichts.
Nach Meinung vieler Geistlicher ist der Konfirmandenunterricht
ein Faktor rel^isier Einwirkung, der alles das an Energie übertrifft,
was Elternhaus und Schule in 14 Jahren gearbeitet haben; be-
zeichnete doch ein Geistlicher auf der VIII. sächsischen evang.-luth.
Landessynode die Volksschularbeit im Religionsunterrichte als eine
„gute Vorarbeit" für den kirchlichen Konfirmandenunterricht. Eine
loritische Beurteilung der kirchlichen vorbereitenden Unterweisung
zeigt freilich ein total anderes Bild. Ich halte die Konfirmanden-
stunden für nahezu wertlos oder ihren Nutzen nur für kurzfristig,
wenn sie nicht eine Fortsetzung der Volkssciiuiarbcit bilden, emc
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— 177 —
innere, lebendige Fortsetzung mit Ireiem Blick und warmem Herzen.
Wenn anders ihnen nicht das IV. und V. Hauptstück zu einfach-
schlichter menschlicher Behandlun,;^ überwiesen wird Wenn anders
nicht der Geistliche frei von <ier Presse! des Katechismus religiöse
Lcbcnsprobleme mit den Kindern in erbauender und ergreifender
Weise behandelt Wenn anders nicht lebendiges Wasser geboten
wird. Konfirmandenstunden können so fruchtbar sein, ist dodl
schon die Autorität des Geistlichen , die für unsere Kinder un-
bestritten ist, ein günstiger Faktor für die Nachhaltigkeit der
reUgiöseii Belehrung, sind doch die Kinder in einem Alter, da das
Verständnis für religiöse Lebensfragen sich zu entwickeln beginnt
Aber wir leiden im Konfirmandenunterrichte noch am meisten
unter der katholischen Msudme, sich genügen zu lassen mit einem
Bekenntnischristentum, weiter nichts herauszubilden, weiter nichts
zu fordern als das Bekenntnis. Wir leiden unter der Maxime, dass
religiöses Wissen zugleich religiöses Tun bedinge, unter dem Riesen-
balUist des religiösen Memorierstofles, unter der verhängnisvoUen
Überschätzung alles Wortwissens. 1906 hat auf der Synode ein
Geistlicher das W^ort ausgesprochen: Religion ist Dressurl — Der
Memorierstoff inuss eingerammt werden. Man darf annehmen, dass
heute schon eine starke Minderheit diesen Standpunkt nicht mehr
teilt Aber alle Entwicldung geht langsam, schrittweise vorwärts,
und die Kirche hat nie in dem Rufe revolutionären Eifers und all-
zugrosser Hast gestanden. Ks bedarf erst noch einer gnjntne'.^endcn
Umwälzung, ehe unsere kirrhliche Geistlichkeit insgesamt .luf dem
Boden der Reform stehen wird. Die römische Hierarchie wird nie
dahin kommen. Eine Welt trennt im letzten Grunde Katholizismus
und Protestantismus. Kur diejenigen evangelischen Kreise, die das
innere Wesen des Protestantismus völlig verkennen , können von
einer Gemeinsamlceit beider Kirchen reden. Und grundversrhicden
ist auch die Autiassun^ von der Erziehung der Jugend, insonderheit
von der religiösen Erziehung.
Die religiöse Erziehung insgesamt, die Erziehung durch Um-
welt, Elternhaus, Schule und Kirche und alle Nebenfaktoren ist in
evangelischen und katholischen (.ändern grundverschieden. Die
sinnenfälligen Zeremonien der katholischen Kirche, die alles innerliche
veräusserlicht und am liebsten jeden inneren seelischen Vorgang
symbolisch in eine äussere Handlung umsetzt, weil die stumpfe
Menge nur das Äussere sieht und sich über die heiligsten Vorgänge
nicht den Kopf zerbricht, werden stark unterstützt durch tausenderlei
religiöse Hinweise und Krinnerungen in Stein und Holz, in greller
Buntheit und schlichter Einfachheit, die sich allerorten dem Auge
zeigen.
Es wirken auf das katholische Kind starke religiös-kirchliche
Momente. Von früh auf ist der Kirchgang ihm heilige Pflicht. Sein
ganzes Leben steht unter der steten Kontrolle des Geistlichen im
PidagofiMlie Studieo. XXIX. a. 18
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- 178 -
Institut der Beichte, der Ohrenbeichte, der Bdchtzettd, die vom
zwölften Jahre an im kirchlichen Leben ihre Herrschaft begimien.
Mit grosser, scheuer Ehrfurcht schauen katholische Kinder zum
Priester empor. Von klein auf wird ihnen das Gotteshaus vertraut.
Die dämmerigen Schatten der altehrwürdigcn Dorfkirche mit ihren
wurmstichigen Emporen und Bänken» verstaubten hohen Fenstern,
bunten Kirchenfahnen im Hintergrunde und dem goldstrotzenden
Hochaltar nimmt früh den Kindergeist gefangen. Am Eingange
schon übt es das Zeichen des Kreuzes, ^ve^n die kleinen Hände
in seltsamem Schauer in den Weih Wasserkessel tauchen. In den
Bankreihen stille Beter. Das ganze Mysterium unter dem Silber-
klang der GlÖckchen, den &remoniea des Priesters unter der
Assistenz der jugendlichen Ministranten. Goldene heilige Bücher
und blaue Weihrauchwolken. Und die rot<j^limmen<le ewi'jfe Lampe.
Das düstere Altarbild mit der Himmelfahrt uer Mutter (iottes. Die
starken und eckigen heiligen Gestalten an den Nebenaltären. Dazu
der feine, die Sinne umschmeichekide Weihrauchduft. Traum-
stille — Weltentrückung — seitab von dem brausenden Strom des
Löbens scheint das Kirclüein eine Stätte» wo die Zeit rastet und
betet, ehe sie zur Ewigkeit weitergeht.
Die evangelischen Kinder kennen alle diese sinnenfälligen
Wirkungen nidit. Der Protestantismus ist nach innen gerichtet,
und die Lehre vom allgemeinen Priestertum hat die Organisation
der Kirche nie stark werden lassen und le£:;t auf alles Äussere, auf
Bilder und Kirchenfahnen, auf Wallfahrten und Hcili^^^cnverehrunsr
keinen Wert. Je weiter der Protestantismus fortschreitet, desto
grösser muss seine Gottesauffassung werden, desto innerlicher sein
Christentum, desto mehr treten Kirche und Kirchenformen und
kultische Betätigung in den Hintergrund. Unser modernes Leben —
und unser modernes Leben ist frei - protestantisch — hat keine
Stunden mehr für religiöse Übung. Unser Verkehr mit Gott hat
andere Formen angenommen. Es fehlt die äussere Erkennbarkeit
und Siditbarkeit religiöser Verehrung. Hinein in die Stille des
Gewissens und des Denkens ist aller üliersinnliche Verkehr mit
Gott gelej:(t. Der Mensch muss in sirh selbst die Krlösunj;^ erleben,
Die Auffassun^r der Erlösuni^statsache und die Auffassung von Christi
wunderbarem Zeit- und Weltbild und Ewigkeitscharakter hat sich
gewandelt und die Irindlich'fromme biblische Erzählung der Evan>
gdien wird in das Licht geistig-kritischer und dennoch tiefrelif^iose
Stimmungen auslösender Betrachtung getaucht. Das kirchliche Leben
ist, äusserlich betrachtet, nüchterner geworden. Es hat seine
schreiende Buntheit verloren, allerdings auch seine volkstümliche
Eigenart, seine umfassende Wirkung am die Seele der Unmündigen,
die grosse Menge. Das katholische Kind hat geweihte Kerzen zu
Hause: es geht allsonntäglicb /um Gottesdienste; es beichtet; es
erhält Heiligenbilder und fromme Blatter und sieht in der Kloster-
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— 179 —
Idrche die Bilder, wdche die wunderbare Macht der aUerheUifrsten
Jungfrau und der Heiligen in grellen Farben schildern. Das
protestantische Kind sieht zu Hause kaum mehr einen Ch'-istuskopf,
vielleiclu noch den Haussegen mit einfachen Worten o lcr einen
Bibelvers in gestickten Perlenbuchstaben. Es sieht nicht mehr den
Leib Christi als kümmerliche Holzfigur im Sarge und nicht mehr
die Mutter Gottes auf einem geputzten Xebenaltar sitzen und nicht
mehr die Pctni^ ^c^trilt mit vergoldeter Zehe, die die Andächtigen
küssen, um hunderttägigen Ablass zu erhahen. Es wallfahrtet nicht
mit den Grossen unter Absingung alter Kirchenweisen nach der
Gnadenkirche zu X. und opfert keine Wachskerzen und kein Wadis-
händchen mehr und rutscht nicht die Stufen der heiligen Skala
hinauf. Zwar ^Ibt es — es ist nützlich, daran nicht vorüber-
zugehen - - auch in der evan^^elischen Kirche eine Richtung, die
wünscht, dass unser ganzes religiöses Leben wieder in streng-
kirchliche Bahnen gebannt würde; aber ihre Vertreter bedenken
nicht, dass unser Kirchentum überhaupt dne Anlehnung an das
romische tatsächlich ist, eine Anlehnung, die zweifellos eine reale
Notw^endigkeit darstellte und von unendlichem Segen auch für die
religiöse Erziehung unseres deutschen Volkes geworden ist, eine
Anlehnung aber auch, die allmählich zur Entfremdung von Christen-
tum und Religion Überhaupt fuhren kann, wenn es sich weiterhin
an feste, aber vom I^ben überwundene Formen klammert.
Es fehlt ihm das grosse reiche Bilderbuch der katholischen
Kirche. Zwar erhält es mitunter Flugblätter mit kirchlich - christ-
lichem liUialt. Es sieht in Zeitschriften Bilder aus der heiligen
Geschichte und aus dem Leben der Apostel Und es liest religiöse
Bücher? Was lesen unsere Kinder? Märchen- und Sagenbücher,
Jagdi^eschichten, Indianerpeschichten, historische Erzählim^en, Tier
geschichtcn, Bilder von der See, Biographien. Religiöse Erzählungen
sind selten darunter. Noch gibt es allerdings tausende von Volks-
büchern, die eine fromme Moral enthalten und die Menschen
künstlich mit religiösen Gefühlen bekleiden, wie das Kind seine
Puppen ausschneidet und mit Kleidern beklebt, aber religiöse Bücher
sind es nicht. Die frommen Sonntagsblätter sind nicht für Kinder
bestimmt und werden selten von ihnen gelesen. Einige wenige für
die Hand der Kinder bestinunte Wochenschriften sind meist religiös
zu handgreiflich und tragen zu dick auf, als dass sie auf klügere
Kinder wirken könnten — religiöse Erbauung können sie nicht
entzünden. Sie entbehren der Forderung, die Kinderschriften er-
füllen müssen: detaillierte, mit Kinderblick gesehene Ausschnitte
aus dem wirklichen Leben zu sein. Alles in allem: wenig, sehr
wenig.
Dieser konfessionellen Erziehung durch das gesamte kirchliche
Leben, durch die kirchliche Umwelt des Kindes und durch das
kirchliche Beispiel, die zweifelsohne bei der römischen Jugend viel
12*
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— i8o
intensiver wirkt als bei der protestantischen, steht die konfessiondle
schulische Unterweisung zur Seite. Eine Prüfung der Frage, welcher
Art sie hüben wie drüben ist, erfordert eine Wertung di r kon-
fessionellen Qualitäten der Gegenwartsschuie. Der Volksschule l
Denn nur um diese kann es sich handeln, da unser gesamtes höheres
Schulwesen simultan ist
Die Vertdd^er der Konfessionsschule sind der Meinung, dass
das Christentum nur in der kirchlichen Form, konfessionell ge-
schieden, den Kindern ans Herz gelegt werden könne, dass es eine
Allerweltsreligion nicht gäbe, dass das Christentum nur in einer
ausgeprägten Form und Fassui^ den Geistern überliefert werden
könne, dass der religiöse Charakter sich nur in der Konfessions-
schule ausbilden lasse, dass m-^n in der Simultanschule Gefahr
laufe, durch Verwischung der Konfession zugleich die (irundlinien
des Christentums selbst zu verwischen, und die kräftigsten inneren
Antriebe lahme. Ich bin der Meinung, dass unsere heutige Kon-
fessionsschule , so weit sie protestantisdi ist, keine eigentlich kon-
fessionelle Schule ist; dass nur insofern der Xame zutreffend er-
scheint, als sie die katholische Kirchenlelirc von der heiligen Mutter
Gottes, von der Heiligenanbetung, von dem Primat des Papstes,
von dem Prtestertum, von dem Fegfeuer in der Weise heranzieht»
dass sie diese Dogmen ausgesprochener- oder unausgesprochener-
masscn ablehnt. Im übrigen lehrt sie die heute noch von der
Kirche anerkannten Grundwahrheiten des Christentums, stellt in
den Mittelpunkt der Unterweisung den schöpferischen und gcsctz-
{reberischen, Himmel und Erde umwaltenden Gottvater, die Er-
ösung durch den Gottmenschen Christus und die (mehr oder
weniger frei aufgefasste) heiligende Wirkung des heiligen Geistes.
Der Katholiken wird etwa Erwähnung getan, wenn in der Heimat-
kunde von den Kirchen gesprochen wird, oder wenn man im
3. Schuljahre bei der Erzählung von den Weisen aus dem Morgen-
lande davon spricht, dass auch die Heiden kommen sollen, um an
den Herrn Jesus zu glauben. Denn weithin herrscht bei den
Kindern, die in konfessionell einheitlichen Gegenden leben, bis etwa
zum neunten Lebensjahre die Meinung, dass nur die Kvangelischen
Christen seien, und dass es daneben noch Heiden und Katholiken
gäbe, und es bedarf immer wieder eines klaren, eindringlidien Hin-
wdses, dass die Christen in Evangelische und Katholiken geschieden
werden. Zweifellos steht das Kindergemüt einer Zweiteilung der
christlichen Religion verständnislos gegenüber. Der Religions-
unterricht handelt darum nur klug, wenn er in den evangelisch-
konfessionellen Schulen jede nähere Auf Idärung bis auf die Ober-
stufe verschiebt, wo ein Verständnis für religiöse Bekenntnis-
Unterschiede vorausgesetzt werden darf. Beim III. Artikel bei der
Betrachtung der Kirche ist der Ort, wo eine kirchlich konfessionelle
Belehrung in der Regel einsetzt; andernfalls kann sie an den Schiuss
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— i8i —
der Katechismusbetrachtung gestellt oder an die Behandlung der
biblischen Briefe angeschlossen werden, unbeschadet dessen, dass
ihrer in der Kirchengeschichte unzweifelhaft gedacht werden muss^
die doch eine Entwicklungsgeschichte des Christentums darstellt,
und in der Weltgeschichte, wenn das Reformationszcitaltcr in den
Kreis der Betrachtung tritt. Der Konfirniandcnunterricht nimmt
nur selten Bezug auf die Kirchentrennung oder greift auf die in der
Schule gelernten Begriffe zurück. Es ergibt sich aus alledem, dass
in der evangclisrhm Kirrhc und) Schule der konfessioneile Unter-
richt von ganz genn^i r i Jeutung für die Au.sprägung der religiösen
Persönlichkeit ist. Kaum ein Steinchen fügt er in den Bau des
religiösen Charakters ein. Tiefer denkende Kinder macht er vid»
leicht aufmerksam auf die Möglichkeit der Kntwicklun^' auch der
Kirchen, nähert sie vielleicht dem Lessingschen Standpunkte, wie
ihn des i^rossen Denkers Drama Nathan der Weise darstellt. Hass
gegen die Anders^laubigkeit wird protestantischer ReUgionsunter-
ri<£t niemals weckea Ein Gegensatz der Konfessionen entsteht
vielmehr öfter durch die kultischen Äusserungen der römischen
Kirche, die dort, wo sie in einer ansehnlichen Minorität oder gar
in der Majorität, gewöhnt ist, keine Rücksicht auf Andersgläubige
zu nehmen in dem Gefühl, ja die Kirche zu sein, in jenem Gefühl,
das geringschätzig und spottend von dem Protestantismus spricht,
„der sich Kirche nennt". Hier lernt das Kind die Unterschiede
zwischen seinem und dem katholischen Glauben viel handgreiflicher
kennen. Ks sieht die Marienverchrung, die Heilighalt un^;,^ der
Monstranz, die absonderlichen Gebetsgepflogenheiten der Römischen,
ihre pomphaften Prozessions- und Wallfahrtsformcn und fühlt sich
stolz und darüber erhaben als Kind einer grossen anderen freien
Kirche. Aber dieser offene Cregensatz ist- nur dort sichtbar, wo
Rom keine Rücksicht tu nehmen braucht. In überwiegend
protestantischen Gegenden ebenso wie in Grossstädten, wo die
religiösen Formen von der Strasse sich zurückziehen in die
Dämmerung und Stille der Gotteshauser und Betsale, ist diese kon-
fessionelle Ausbildung und Einwirkung auf Geistes- und Charakter-
bildung nicht zu beobachten.
Der dürfti<:^en Ausbildung des konfessionellen Verständnisses
beim evangelischen Kinde steht eine bewusste, planmässige, ziel-
sichere Bearbeitung des römischen gegenüber. Liegt doch hier der
Unterricht grossenteils in der Hand des Priesters, des jungen
Priesters, des Vertreters der Kirche. Der römische Katechismus ist
scharf konfessionell. Er ist nicht zu vergleichen mit den evan-
gelischen Religionsbüchern. Seine Sätze sind durchweht von
exldunv-römischem Geiste. Da ist kein Wort, was nicht approbierte
Kirchenwahrheit ist, keine Freiheit der Auslegung, sondern strenge
Bindung an die Lehre der heiligen unveränderlichen Kirche. Und
der Religionsunterricht wird durchweg in diesem Geiste erteilt.
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— I82 —
Der dogmatisch-konfessionelle Standpunkt wird selbst bei der Be-
handlung des 4. Gebotes» bei der Betrachtung der Pflichten der
Kinder gegen die Eltern, in den Vordergnjnd gerückt Das Verbot,
mit evangelischen Kindern zu verkehren, ist oft genug ausgesprochen
worden. Ks haben sich Priester nicht gescheut, Kinder vor ihren
evangelischen Müllern zu warnen, Kindern zu verbieten, der Mutter
gewisse Marienbilder und Gebete zu zeigen. Zugunsten der Be-
Handlung der strengen Kirchenlehre, die alle Andersgläubigen als
verlorene Ketzer ansieht, zerstört hier die römische Kirche die
besten GrundlaL^en für eine innere religiöse Ausbildung des Gemüts:
die Khrfurcht vor der Mutter! Weckt den Gedanken in den Kinder-
herzen, dass die Mutter als törichte Ketzerin unrettbar verloren sei,
untei^äbt den Familiensinn und bringt in die kindlichen Vor-
stellungen einen unheilbaren Riss! Bei der Betrachtung des Bildes
vom Fegefeuer, in dem die Verdammten im Feuersclievi der HöUen-
flammen Grässliches dulden, erscheint dem armen Rinde das Bild
seiner ketzerischen Mutter, seines ketzerischen Vaters — und martert
das Ideine Gehirn. Und ist sein Mütterlein bereits gestorben — mit
welchen Gefühlen gedenkt es sein, wenn es an dem stillen Tage
Allerseelen an den einsamen Grabhügel auf dem Ketzerfriedhofe
tritt, den röniisclie Priester niclu geweiht haben!
Mag auch leichter, fröhlicher Kindersinn im Verkehr mit den
andersgläubigen Spielgenossen die Mahnungen der geistlichen Herren
beiseite stellen, mögen auch einsichtige Eltern an Stelle des Gebotes
der Kirche ihr eigenes stellen, es ist der Keim des Zweifels in das
Kinderherz gelegt; zwiespältig erscheint dem Kinde die Welt der
Christen, und die innere Begründung des Hauplgebotcs der Christen-
lehre: liebe deinen Nächsten! erscheint erschüttert, wenn der Christ
nicht immer dem Christen gegenüber an dieses Gebot gebunden
ist. Man braucht zur Ergänzung dieses Satzes durchaus nicht erst
die Famecker Kirchhoisafi^e und die Praxis katholischer Kranken«
häuser heranzuziehen.
Die Simullanschule wird zweifellos diese katholisch-konfessionelle
Unterweisung stark beschränken, wird die Erziehung freier gestalten,
dem Leben entsprechend, das weder katholisch noch evangdisch
ist. Das Leben ist eine grosse SiiTniltrtnschulc, in der die Menschen
jeglicher Bekenntnisse friedlich nebeneinander wandeln und unter-
richtet werden in der Kunst des recliten Lebens und des guten
Sterbens. Sie wird ^^egeo den Ultramontanismus eine Todfeindin
sein, wird auch katholischen Kindern schon früh die Augen öffnen
über die rcli<^iösen Zusammenhänge des Lebens und die Zusammen-
gehörigkeit aller Christen, wird sie Andersgläubige schätzen lehren.
Die Unterweisung der protestantischen Kinder wird in der Simultan-
sdiule kaum eine Änderung erfohren.
Welches Ergebnis hat nun diese konfessionell • kirchliche
Erziehung? Es sei aus dem Gegebenen kurz zusammengefasst: die
- 183 -
protestantischen Kinder haben ein freieres Weltbild. Die Betonung
dogmatischer Unterschiede innerhalb der Christenheit ist dürftig und
ohne Wirkung förs I 1 n. Die Andeia^ättbigen werden mit gleicher
Achtunor, gleichem Respekt angesehen wie die Glaubensgenossen.
Nur in konfessionell stark gemischten Gegenden wächst im pro-
testantischen Kinde ein (iefüiü der Überlegenheit empor.
Die katholischen Kinder wachsen in einer gewissen Enge des
Bewusstseins auf. Ihr Gesichtsfeld ist klein. Sie gehören zur
Kirche — die Protestanten sind verlorene Ketzer. Zwar entfernt
sich der heranwachsende Kathoiik, der auf den Strassen der Welt
herumwaadert und dem das Menschenleben den Blick weitet und
schärft, bald von dem Kircfaenstandpunkte seiner Jugend und lernt
die Protestanten schätzen, und es kommt ihm zum Bewussts«n, wie
die protestantischen Völker ol>en stehen im Weltkampfe und die
katholischen Nationen sinken ofler gesunken sind. Aber die grosse
Zahl der Katholiken behält das \Velibild und Urteil der Jugend-
jahre. Nur zu fein ist der Organismus der kathohschen Kirche
ausgebaut. Er schlingt in unzähligen konfessionellen Vereinen sein
festes Band um die katholisdien Volksgenossen auch in der Fremde
und hält mit eherner Kon-^equcnz die (iläubigen 7usammen, hält
sie kirchentrevi, liäit Leib und .Seele in seiiHMTi Mai iitl creich.
Nach diesem Blick auf die GegenwaiLicrz,ichung in religiösen
Bahnen ein Ausblick in die Zukunft: wie wird ach, wie soll sich
in künftigen Tagen die religiöse Erziehung unserer Kinder gestalten ?
Die Gcgenwartserzichung erscheint im ganzen ungenügend. Die
häusliche religiöse L nlerwcisutig ist heute stark verblasst. Hinter
den religiösen Vorstellungen, die die Eltern den Kmdcrn über-
mitteln, steht nicht mehr religiöses Gefühl. Der Religionsunterricht
der Schule arbeitet stark mit veralteten Vorstellungen, die heute
keine religiösen Empfindungen mehr auslösen können. Die kirchliche
Unterweisung betont nur die verhängnisvolle Seite der Srhiilarbeit,
ebenso wie die rehgios gefärbte Umwelt nur historische Vorstellungen
stützt Dabei bin ich mir wohl bewusst, dass Haus und Schule
und Kirche keine religiösen Pefsönlichkeiten schaffen können. Aber
keusche, religiöse Stimmungen wecken, das ganze Leben in religiöse
Beleuchtung rücken . einen religiösen Willen keimen lassen : das
muss die rechte religiöse Unterweisung vollbringen. Sie hat es m
der Gegenwart nicht erreicht Unsere Kinder sind religiös schwach
interessiert Religiöses Leben ist nur in kummeriichen Anfangen
vorhanden.
Und diese Jugend stellt man hinein in eine Zeit des reUgiösen
Suchens, des religiösen Zweifels, innerer Unruhe und tiefer Sehn-
sucht. Man sage nicht: das ist sie nicht für unsere Kinder. Gewiss
sind Kinder keine rel^ösen Grrübler. Einmal ist der Ge«chtskreis
des Kindes klein, sein Bewusstsein eng; zum andern wandeln sie
im Taie des Lebens insofern, als tausend Schranken für sie die
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— l84 —
geistige Umwelt verhüUen. Es fehlt dem Kinde jeder Blick über
das Universum, jede philosophische Betrachtungsweise, jede ver-
gleichende, forschende, allgemeine, religiöse Anschauungsweise ist
dem Kinde fern. Ist doch das Kind selbst ein Mikrokosmos in
einem Makrokosmos. So klein ist seine Welt, nach so kleinen
Gesichtspunkten handeln (tir es die Menschen, so kleine Wünsche
und so kleine Pläne scheinen ihm weltbewegend zu sein. Darum
sieht es auch ohne Verständnis ins wallende Treiben auf dem Markte
der Religion, auf das ganze Gären und Grübeln unserer Zeit.
Aber eins bleibt dem reifenden Kinde von heute nicht mehr
erspart: es begegnet auf Schritt und Tritt dem grossen Zwiespalt
unseres Lebens, dem Zwiespalt zwischen der kirchlichen Religion
und dem Lebensglaubcn , wie dem anderen zwischen Wort und
Handeln. Unser Leben mit seiner Riesenniacht, unsere hohe Kultur,
unsere gesamte innere Entwicklung haben ein anderes, grösseres,
tiefer blickendes Geschlecht geschaffen. Und dieser Zwiespalt
gebiert den Zweifel. Unsere reiferen Kinder stehen manchenfalls
in Seelennot. Nicht nur die Kinder des Proletariats, in deren
Herzen der freireligiöse Vater das Misstrauen gegen die Schul-
religion jy;eptianzt. Auch das Kind der oberen Schichten bleibt vor
frühem Zweifel nicht bewahrt. Es kommen ihm allerhand ernste
Gedanken, vor denen die Kirchenlehre nicht besteht Wohl fehlt
die direkte Mitschuld der Eltern. Mögen sie auch der Kirche nicht
sympathisch gegenüberstehen — zu stark wirkt die Tradition, zu
schwer ist das Gewicht der bürgerUch-sozialen Stellung des Vaters,
als dass er sein Kind irgendwie antikirchlich beciniiusste. Aber
das Kind, das einen viel weiteren Gesichtskreis hat, ak Kinder des
4., 9., 16. Jahrhunderts, denkt viel. Es liest viel. Es hört und sieht
viel: das Leben predigt zu laut, zu eindringlich. Und die leisen
Zweifel und Bedenken werden in wenigen Jahren eine Macht, aus
leisem Weh wird ein nagender, quälender Schmerz, Seelcnooti
Religionslehrer höherer Sdiulen, die das Vertrauen ihrer Schüler
besitzen, wissen von Sedenkampfen» von bitterem Ringen nach der
Wahrheit viel zu sagen.
Dieser Gruppe der religiös zum Denken gekommenen Knider
steht die grosse Majorität der kirchlich erzogenen — so weit man
heute noch von einer streng kirchlichen Entwicldungsforni reden
kann — gegenüber. Ihr Innenleben ist ruhig. Teils entspricht
ihrer Seelenstimoiung die kirchliche Religion, teils sind sie indifferent
und flach.
Und so treten unsere Kinder in das brausende Leben. Es
spült bei Tamenden und Abertauw»iden die altldrchlichen Vor-
stellungen über Bord und tötet damit die religiöse Empfindung;
Das Leben ist immer hart und grausam. In schärfster Form er&sst
seine Skepsis die unvorbereiteten Seelen, und nichts kann unerbitter-
licher, nachhaltiger, hoffnungsloser zerstören. Zuerst fallen ihm die
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- 185 -
Zweifler zum Opfer. Aber auch Jene Stillen und innerlich Ruiugcn
sinken in Scbarai dahin. Ihre Seelen können keinen Widerstand
leisten, die altkirchlichen Vorstellungen haben keine Stützpunkte
mehr in unserer Zeit, und mit ihnen sinkt die relif^iöse Empfindung-
weit in Trümmer. Zwar bleibt cm Rest. Aber er umf;isst nicht
die geistige Blute. Die Mittelmässigkeit bleibt der Kirche und dem
historischen Kirchentum erhalten. Die anderen sitzen vor den
Kirchentürea. Die Kräftigen und Edlen ringen sch nacli Jahren
innerer, aufreibender Kämpfe durch zu einer neuen Religion, zu
einem neuen Glauben. Die Schwachen aber leben religiös inditTcrcnt,
innerlich tot daliin, um vielleicht in satten Jahren wieder zur Kirche
turackzukehren.
Und nun dat Frage: was ist zu tun? Wie soll die religiöse
Gesamterziehung gestellt werden, damit sie die rechte Vorbereitung
für das Leben bildet? Zwei Anschauungen stehen einander gegen-
über. Ich will sie als die altkirchhche und die neukirciüiche be-
zeichnen. Jene sucht die Ursachen der grossen Glaubenslosigkeit
in der ungenügenden Einpflanzung der christlichen Lehre in die
Gemüter, in der Entchristlichung des Elternhauses, der Predigt
liberaler Theologen , dem Pünfluss einer glaubenslosen Presse und
Literatur, der VVirkung einer unchristlichen Kunst. Das fieil sieht
sie in einer Vermehrung der Rcligionsstunden im Seminar und
hl der Volksschule, in der Einfiihrui^ des Religionsunterridits in
der Fortbildungsschule; der Entfernung glaubensloser Hochschul-
lehrer und Theologen, in der Beschränkung und Zensur der Kunst
und Literatur. Diese hält die Kntkirchlichung durchaus nicht für
eine Entchristlichung, sieht in dem Ablall der Massen von der
Kirche durchaus nidht einen solchen von der Religion überhaupt^
hofft von einer Umformung der Kirche und einer Revision der
dogmatischen W rstellungcn eine Wiedergewinnung der kämpfenden
Seelen, wie der indifferenten .Masse. Ihre Forderungen sind freie
Lebenspredigt, eine Demokratisierung der kirchlichen Einrichtungen,
eine Reform des Religionsuntetridits der Schule (und Kirche) in
der Weise, welche die Evolutionsbestrebungen auf diesem Gebiete
dringend heischen.
Die vorstehenden .-Xusfülirungen lassen keine Zweifel, welche
Anschauung die Zukunft haben muss. Es ist damit auch kurz
gesagt, was für die religiöse Erziehung des künftigen Geschlechts
vonnöten ist Was die Demokratisierung der Kirche nur in wenigen
Fällen erreichen kann, indem sie Eltern der Kirche wieder geneigt
macht, das erzielt zwar ebenso langsam, aber sicherer die Reform
des Rehgionsunterrichts. Sie erntet erst nach Jahren, aber erntet
hundertfalt^e Frucht
Ins eimdne gedacht» eivibt sich die Forderung eines neuen
Aufbaus unserer religiösen Unterweisung auf psychologisch -päda-
gogischer Grundlage.
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— i86 —
Zunächst im Elternhaus. Nach wie vor ist eine retigiöse Be-
lehrung der Kleinen, eine Unterrichtung über die religiösen Grnind-
laj^cn, V ic sie oben ^csrbildert wurde, zu fordern. Dabei müssen
Vater und Mutter Gott und Christentum verkünden. Ks darf nicht
versäumt werden,, schon im zarten Alter die wunderbare Zweck-
mässigkeit des AUs den Kindern xu zeigen. Doch soll Gottes Bild
licht sein, nicht der harte, gerechte Nationalgott der Hebräer» ein
Gott, mit dem man die Kinder zum Gehorsam zwingen will, wohl
aber kann die Unterredung mit dem Kinde Gott als den schildern,
vor dciiscn Augen die Menschen leben und sterben, als den Vater
der Menschen, der aller Glück will So wird der Gott Jesu in den
Kindern geboren.
In allem gelte der Grundsatz der Freiheit, der Natürlichkeit,
und alle freie, ungezwungene, gelegentliche Unter^'eisung geschehe
mit leiser Vorsiclit und heiliger Scheu. „Jeder V^wanf:^, jede Eng-
herzigkeit ist tötlicher Frost für die zarten Blütenkeime des Frühlings."
Ein Aufbau auf psychologisch-pädagogischer Grundlage — das
gilt insonderheit ftir den Religionsunterricht der Schule, ein Aufbau
auf einer Anschauung, die den Katechismus Luthers als Ausgangs-
punkt, als Schema und Norm endgültig ablehnt, eine Verkindlichung
der jgesanUen Darbic-iungsweise, eine Vernichtung des Kuiu» des
religiösen MemorierstofTes bedeutet und eine offene Aussprache auf
der Oberstufe über die religiösen Weltanschauungen der Vellingen-
hrit und Ge^en^Yart. vielleicht in Form eines relijrionsgeschichtlichen
Kursus, für notwendig hält. Zwar ist Bonus der Meinung, dass
der Religionsunterricht der Schule auf die Religion tötend ein-
gewirkt habe, wie man Überliaupt nur etwas in der Volksschule
scfaulmässig zu betreiben brauche, um es für das Leben wert- und
interesselos zu machen, aber die Schule kann sich als Kultur-
brincrcrin nimmer der Aufgabe entziehen, das Kostbnrste aller
Kulturgüter;» die Religion, zu verkünden. Freilich, das nuiss sie in
Zukunft tun dürfen: die Religion in der Form den Kindern naher^
zubringen, die dem kindlichen Geiste entspricht Wenn die Schule
eine grosse Schuld hat an der Glaubenslosigkeit unseres Volkes^
so liegen die Wurzeln dieser Schuld in dem dof^^matisch-doktrinärcn
Betriebe unseres Religionsunterrichts, der im Dienste des Bekennt-
nisses steht und darum das gedächtnismässige Einprägen dogma-
tischer Schriftstellen in den Vordergrund rückt Indem die Schule
die Lehre der Kirche den Kleinen überliefern wollte und meinte,
damit rcchtc^läubi-r^e, wahrhaft religriöse Christen heranzubüden, dass
sie die Glaubenssatze in die Kopfe rammte sanii unzähligen Be-
weisstellen, hat sie der Kirche den schlechtesten Dienst erwiesen.
Dabei darf man sich die Schwierigkeit des Unternehmens nicht
verhehlen. Radikale Forderungen müssen vor das Forum päda>
rT(v^i<r!icr Klugheit gestellt werden, ehe sie durchgeführt werden
dürfen.
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- 18;
Zunächst ist die Behandlung der Kinder je nach der Schul-
stufe verschieden. Der Religionsunterricht auf der Unterstufe kann
im ganzen in den bisherigen Formen gehalten werden mit Aus-
scheiduiiLC der SchÖJ:lfur!c:^m^'th^ und der Wundergeschichten des
Alten Testaments und nnt Streichung alles Memorieren'; Sollen
Schriftwortc eingeprägt werden, dann geschehe es auf dem Wege
erbaulicher, gelegentlicher Wiederholung; ohne Zwang.
Die Mittelstufe ist im allgemeinen unter dieselbe Forderung zu
stellen. Es ist eine noch nicht genüffend erörterte geschweige
denn entschiedene Fr.if^e , ob die Totenerweckungen Jesu , seine
Natur- und manche Heilwunder, kurz: die Wundererzählungen des
Neuen Testaments mit Ausnahme einiger Krankenheilungen hier
noch behandelt werden soUen. Dasselbe gilt von Jesu Auferstehung,
Himmelfahrt und den hierher gehörenden Geschichten. Bejaht man
die Frage, dann ist kritiklose Darstellung; die cinzij^ anwendbare;
nur lasse man das Wunder in den Hintergrund treten und hebe die
religiösen Gefühlswerte bcsojiders heraus.
Die Oberstufe endlich sucht die Zusammenhänge, rückt alle
Geschehnisse in das Licht religionsgeschichtlicher Entwicklung. Wie
weit man darin fj^ehen darf, muss die Rücksicht auf die Kinder
bedingen. Ks ist ein grosser Unterschied, ob die Kinder in relicrios
gemischten Gegenden oder In konfessionell einheitlichen Gegenden
aufgewachsen sind. Es ist ein grosser Unterschied, ob die Kinder
sozialistische oder bürgerliche Väter hal)en. Ich habe jahrelang
Mädchenoberklassen in einem stark sozialistisch ciurchsctztcn Stadt-
teile unterrichtet. Im Klternhnusc vieler wurden nicht nur das
sozialistische Abendblatt, sondern auch sozialistische Monatschriften
gelesen, und in den wenigsten fehlten religionsfetndliche Schriften
atheistischer Tendenz. In solchen Klassen ist es nicht nur ohne
Zwan;^ tnö;^lich, sondern auch nötig, dringend nötig, aus der Enge
des Bekennt nis<^laubens den Blick hinauszulcnken auf die Religionen
der Völker und Zeiten, auf die religiösen Weltanschauungen der
Vergangenheit und der Gegejiwart ; den Kindern zu sagen, dass alle
Religionen eine Entwicklung gehabt haben ; dass die Menschen ewig
Gott suchen und ihn immer auf andere Weise finden würden, dass
die Religion cwicf bleiben werde; da«s sich die Anschauung über
die heiligen Bücher, insonderheit über die Bibel, gewandelt habe;
dass viele meinen, sie sei nicht in allen Teilen Gottes Wort, sondern
sie enthalte Gottes Wort; dass es in ihr Sagen, Mythen und Legenden
gäbe; dass manche Teile später eingeschoben oder angefugt worden
seien; dass es Christen gäbe, die über manche Lehre der Kirche
eine andere Meinuni:^ hätten als die Christen vor T400 Jahren, dass
diese Christen glaubten, dass auch die christliche Religion sich
weiter entwickeln könne und müsse; dass in unserer Zeit über diese
Frage viel geschrieben und gesprochen würde; dass man den
Mei^cheo nicht darnach fragen solle, ob er diese und jene Lehre
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— m —
anerkenne, sondern darnach, ob er religiös sei, d. h. ob er sein
ganzes Leben in den Dienst der Menschheit gestellt habe und sidi
bemühe, immer besser und edler zu werden; dass viele Christen,
die einige Punkte der Lehre nicht mehr verstehen \ind sich zu
eigen machen konnten, damit noch nicht dem Christentum und
ihrem Herrgott zu entsagen brauchen; dass unser Gott ein Gott
aller ist.
Das sind Gedankengänge, die unseren Kindern mancherorts,
unter gewissen Verhältnissen , gezeigt werden müssen. Unsere
Kinder müssen heute vorbereitet werden auf ein Leben, das
durchaus anders ist wie vor 50 Jahren, als unsere Eltern ihr Eltern*
haus verliessen. Niemals mehr als in unseren Tagen ist die Mahnung
des Dichters zeitgemässer gewesen: Treib nie mit heilten DingOl
Spott und ehr auch fremden Glauben! da die ver
schiedensten religiösen Weltanschauungen unser Geschlecht be-
wegen. Es darf dem Kinde der Glaube anderer nicht fremd sein.
Dann fallt die geheimnisvolle Madit fremder Religionsphilosophie.
Früher zogen die Kinder hinaus in ein Leben, das zwar schlechte
und gute Mensrhi n barg wi«" unsere Zeit, aber einheitlich kon-
fessionell gefärbte Christen. ikute ist eine sarke Mischung un-
verkennbar. Am stärksten oben und unten, wenig berührt ist nur
die bauerlich-handwerkerliche Mittelschicht geblieben. Früher glich
das Leben in religiöser Hinsicht einem stillen, weiten See, heute
ist es einem grossen Flusse gleich mit verschiedenen Gegen-
strömungen untl rcissendem Gefälle. Und darum darf die Heiehrung
auch in den stillen Schulen stüier Bezirke nicht feiiien, wenn sie
auch andere Formen haben muss. Unser ganzes Lebe» ist fivkr
tuierend. Auch die Bewohner des abgelegenen Dorfes lernen die
Welt kennen und die Grossstadt, ihren Brennpunkt Die Zeitungen
liegen im einfachen Dorfkruge wie in der armseligen Meideschänke.
Moderne Gedanken dringen auch in die Baucrnkopfe des Hinter-
waldes — Zentrumsmänner ausgenommen. Auch hier muss die
Schule auf das Leben vorbereiten, auch im Religionsunterricht.
Nur vorsichtiger und langsamer wie bei der schnellebigen Gross-
stadtjugcnd.
Das ist das Ziel, dem unsere Schule zusteuern muss, wenn die
religiöse Erziehung unserer Kinder zeitgcmäss und daniit zugleich
von Ewigkeitsgewinn sein soll
Und das ist der Weg, der zu einer Rückkehr der Menge zur
Kirche fuhren kann — wenn die Kirche zum Volke zurü'^kkehrtl
Die Kirche muss sich der Volksanschauung anpassen, in der l .t fire.
in der Kultusfonn, in ihrer Beteiligung am i amiiicn- und sozialen
Leben, muss eine Volkskirche werden, dann wird sie eine Kirche
des Volkes sein. Sie, die seit Jahrhunderten zäh festgehalten hat
an der I berlieferung vergangener Zeit, die die Augen geschlossen
hat gegenüber der iüitwicklung, die vor den Mauern ihren Weg
♦
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- 189 -
gegangen ist und die Geister mit neuen religiösen Idealen erfüllt
hat, muss f3r die Zurfickgewinnung der Familie sorgen, dass auch
in ihr ^deder ein Boden bereitet wird für die rdi^öse Lebendig-
machung unserer Jugend. Familie und Schule — die beiden Hau(3t-
faktoren aller reli^ösen Erziehung — mlis'=;cn ein anderes Gcpräj^c
erhalten: dann wird neues rehgiöses Lebcu unser V^olk durchglühen.
Vietteicfat nicht in dem Sinne wie Kirchentum und AUchristentum
wünschen, aber sicher in der Richtung^ einer Weckung rdigiöso:
Qnollrn, einer Neubelebung eines erstarrten, eines dürr gewordenen
inneren höheren Lebens. Schon ist die Lehrerschaft g^rossenteils
zugänglich für eine neue religiösgeschichtlichc Auffassung von Schrift
uad Qiristentum, sdion stehen zahlreiche Greistliche im Dienste der
neuen Idee neben tausend Männern der Wissenschaft, lebendiges
Grün sprosst allüberall : möge die Kirche es nicht als eine Aussaat
des Bösen, sondern als eine gute Hoffnung künftiger reicher Krnte
betrachten. Macht die iorc auf, reisst die Kirchenmauern nieder,
nur eine kleine Gemeinde ehrt drinnen ihren Gott in alter Weise —
draussen singt die Riesengemeinde der Unldrchüchen das Lied
vom Leben.
Häusliche Kindererztebiing in der Gegenwart
Von 0. HieronyBas, Rektor ia Leer.
Motto: Freunde, eint Eure Kraft mit uns,
Ans dem Irdiichen lainmelnd das Gottliche,
Dan wir Leben emtea.
FenUnuid AvciiBriiis.
Der Schatten der leuchtend aufgestiegenen Sonne der Kultur
iaUt dunkdi und drohend in das innere Leben der Menschheit
hinein, wenn er die Menschheitswurzel, das Kindcrgeschlccht, er-
kältend bedeckt, wenn er sie da bedeckt, wo volle Sonnen-
bestrahlung am notwendigsten ist: im Eltemhause. Das Haus mit
seiner warmen Atmosphäre muss den gesunden Nährboden bieten»
aus dem alle Kraft, alles Sein und alles Schaffen der aufwachsenden
Menschheit hervorkeimen kann. Im EUcrnhausc bietet sich die
Möglichkeit, die Menschenpflanze mit der Hand zu schützen und
zu leiten — eine MögUchkeit, die bei dem ausgewachsenen Baume
ausgeschlossen ist Kann man zweifeln, dass die häusliche Erzi^ung
eine der höchsten und wichtigsten Angelegenheiten nicht nur für
das Haus selbst, sondern auch für Staat und Volk ist? Ist es
wahr, dass trotzdem diese Erziehung der wundeste Pimkt in dem
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— 190 —
heutigen Gesellschaftsleben daistellt, indem sie emestdls nicht die
gebührende Reachtunf^ findet, welche ihr zukommt, anderseits oft
eine Drachensaat aussät, deren riesenhafte Folgen und bösartigen
Wucherungen unaustilgbar sind? In neuerer Zeit lenkt man der
Familieneniehung erhöhtes Interesse zu, angeregt durch die Anteil-
nahme nicht nur der Gesetzgebung, sondern auch der ganzen
bürgerlichen Gesellschaft an den Wohlfahrtsbestrebungen auf den ver-
schiedensten Gebieten der Fürsorge, Besserung und Rettung. Femer
weist die gegenwärtig bis ins Kleinste durchgeführte und in alle
Gebiete hineindringende Statistik immer wieder darauf hin, wie die
KriminaUtät noch stets ein erschreckendes Anwachsen aufzeigt,*) wie
die Zeichen der innerlidien Verrohung der Massen in dem Ver*
halten des Menschen zum Menschen (Sadismus, Lustmorde, Ver-
brechen an Kindern) oder auch des Menschen zum Tier oft in
grauenhafter Weise zutage treten. Da forscht man den Gründen
nach und — so kommt man dann ohne weiteres auch zur Familien-
erziehung. Die Neuzeit stellt für letztere neue Probleme auf, sucht
ihr neue Gesichts- und Richtpunkte zu geben, die vielleicht alle
gut gemeint, aber in ihrer Art so verschieden sind, dass sie ihre
Einseitigkeit an der Stirn tragen. Nicht alles erweist sich als
praktisch und gut, und wir sind aus dem Stadium des Suchens und
Experimentierens noch nicht heraus. Leider ist es ja oft „das un-
vermeidliche Schicksal neuer und guter Gedanken, dass sie bornierte
und fanatisclie Aniicänj^^er finden, die sie bis zum Unsinn übertreiben ;
es ist die Tragik grosser Ideen, dass sie in kleinen Köpfen klein
werden müssen.*}
Den Blick auf diese Gegenwarts-Strebungen und •Erscheinungen
zu lenken, insonderheit auch die neuen Ideen hinsichtlich ilues
Wertes oder Unwertes etwas näher zu beleuchten, die Mittelwege
zu suchen, die auch in der Gegenwart am sichersten zum Ziele
führen, soll unsere Aufgabe sein. Hierbei ist eine Einschränkung
dahin zu machen, dass es sich handefai soll um die pädagogische
Seite der Erziehungsfrage; die gleichzeitige Bdiandlung der psycho-
logischen, physiologischen und soziologischen würde die Arbeit ins
Weite dehnen und auf Gebiete fvihren, die in der Gegenwart zwar
gleichfalls im lebhaften Flusse, aber u. E. nicht so folgeschwer sind,
wie die erstgenannte, das Haus und die Fanulie in erster Linie an-
gehende.
Darum ist es auch notwendig, zuvor noch besonders die häus-
liche Erziehung von jeder andern Erziehung abzugrenzen, zu zeigen,
dass eben die häusliche Erziehung eine ganz eigenartige, unersetz-
bare und unübertragbare ist So wird vorweg der Einwand ent-
1) 1896 unter 493 59$ Bestraften = 14 167 Jiigvndlidie unter 15 Jahren — 3,06 %;
1905: JupfnrfHchr — ^'-2 "'q.
Utlo Ernsi, Des Kindes Freiheit and Freude. Leipzig 1907, HaesseJ. Pr. I M.
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— 191 —
kräftet, dass bei diesen oder jenen unangenehmen Folgeerscheinungen
dner mangelnden oder falschen häuslichen Emthnng andere Faktoren :
die Schule, die Gesellschaft, der Staat mitverantwortlich seien,
während c?; doch einzig und allein die Familie ist. I^ie Familien-
erziehun;^ ist eine eigenartij^c : sie stützt sich nämlich auf das
natürliche Verhältnis der Abstammung und ist die erste, die Urform
aller Erzi^ung. AHe grossen Pädagogen, wie Comenius, Pestalozzi,
Herbart, heben diese Eigenschaften hervor; der letztere, wenn er
sagt, ,,dic Krzichung bleibt wesentlich immer eine häusliche Aufgabe
und kein I^remder kann das ersetzen, was dem Angehörigen fehlt".
Deshalb ist „das Haus in all seinen Verhältnissen und Umgebungen
unendlich sdiätzbar" ; es ist der einzige Ort, wo die Personen sich
gänzlich unverhüUt gegenübertreten. Die häusliche Erziehung ist
auch die, welche von der Geburt an ununterbrochen fortdauert, sei
es gewollt oder nicht gewollt, bewusst oder unbewusst, und diese
stete Andauer bewirkt eine Sicherheit und Nachhaltigkeit der häus-
lichen Grundlagen, <Ue kdn anderer Erziehungsfaktor und keine
Zukunft ganz beseitigen können. —
L
Suciien wir nun einige für die Gegenwart typische Erscheinungs-
formen, weiche die FamiUencrziehung von heute zeig^, auf. Eins
der modernsten Schlagwörter ist: Erziehe möglichst wenig! Lass
das Kind nach seiner Individualität sich ausleben! Kein Eingreifen,
kein Zwang, keine Regel, keine Pflichten! Man sieht, der Zeitgeist
äussert sich auch inbe/ug auf das heranwarh^^cnde Geschlecht. Man
kommt unbesehen und unvermerkt in euic geistlose Befolgung
Rousseauscher Einseitigkeiten hinein. Diese absichtliche und
scheinbar pi^chologisch wie ethisch berechtigte Untätigkeit ist
aber nur zu häufig ein Zeichen innerer Gleichgültigkeit gegenüber
der wichtigsten aller Aufgaben, die das Haus hat. Fs ist ja das
kritiklose (ie währenlassen eine bequeme Art der Erziehung, die viel-
leicht den Kindern woiilgefällt, die aber in ihren Folgen unabsehbar
ist Dabei beruht ne auf falschen Voraussetzungen, denn das Kind
kuin eben nicht herrenlos aufwachsen, weil es nicht nur Individualist,
sondern in erster Linie Egoist ist. .^llc die schlimmen Folgen
des Egoismus werden sich in dem Tempo und Masse ver^jchlimmern,
als die Erziehung fehlt Darum fort mit der modernen i iuinanitäts-
duselei, als dürfe man nicht in die kindliche Freiheit eingreifen, als
müsse man ihm „ohne Unterbrechung Grold, Weihrauch und Myrrhen
streuen. Diese ungchinficrtf Entwicklung der Individuali*rit kann
nämlich sehr leicht zur Verlumpung führen."^) Doch hat solche
*) Her hart, Umriss pädag. Vorlesungen, § 333 und 334.
i) Otto Emst, Dm Kindes Freiheit und Freude.
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— 192 —
Erziehungsmethode — und so lässt sich manche Erscheinung ver-
stehen, verwandte Seiten im Erziehenden selbst : der eigene Egoismus
spielt dabei ohne Zweifel eine ^ros-^p Rolle. Solche Erziehung legt
nämlich den Kitern keine Pflichten auf und stört ihre Ruhe nicht,
gcwaiirt fröhliche Sorglosigkeit und ein ruhiges Gewissen. Viele
Eltern sorgen denn auch nach Jean Paul mehr für ihre Ruhe als
fiir das Wohl des Kindes, halten es sich stets ein paar Schreib-
tisrhe weit vom Leibe, haben für alles Zeit, nur nicht für die
eigenen Kinder.^) Die Gegenwart zeigt viele solcher Menschen, die
alles für sich selbst in Anspruch nehmen, die verlangen, dass sich
altes um sie dreht, dass alles sich um sie kümmert, die aber nie
daran denken, auch ihrerseits andern zu tun, was man ihnen tut.
Dieser Egoismus ist dann besonders bedenklich, wenn er in Gegensatz
tritt zu dem Wohl der heranwachsenden Jugend. Pflicht ist heute zu
einem harten Worte geworden. Hedda Gabler,'-) die Tochter des
Generals, das durchaus modern denkende Weib mit den stahlgrauen
Augen, den vornehmen Zügen, der kalten, klaren Ruhe, kann sich
weder bequemen, auf die vitalsten Lebensinleressen ihr^ Mannes ein-
zugehen: „Lass mich doch aus dem Spiele; daran verschwende ich
nicht einen Gedanken — noch viel weniger Mutterpflichten zu
übernehmen: Zu dergleichen habe ich keine Anlage; man soU mir
nicht mit Anforderungen kommen." Gabriele Reuter hat so Unrecht
nicht, wenn sie den markanten Satz aufstellt:^ „Die Manner ver<
langen Freiheit, die Frauen verlangen Freiheit. Und vor ihnen
erhebt sich plötzlich das Kind und sagt : ,,Und wie komme ich zu
meinem Reciite, wenn jeder von Euch nur an sich selber denkt?"
Zu diesem Nichtstun aus Selbstsucht kommt in der Gregenwart
mehr wie je die Untätigkeit aus eingebildetem oder wirklichem
Zwang hin/AI. Der letztere hängt mit den sozialen Zuständen, den
Arbeits- und Erwerbsbedingungen zusamincn, die die soziologische
Behandlung unserer Frage erheischen wurden und auf die wir aus
obengenannten Gründen hier nidit naher eingehen. Ebenso schlimm
erscheint uns aber die eingebildete Notwendigkeit, sich um die Er-
ziehung der Kinder nicht kümmern zu können, wie sie in wohl-
habenden und besseren Kreisen zutage tritt: es sind die gesell-
schaftlichen Pflichten, die namentlich die Mutter in eine ganz
falsche Stellung zu ihren Kindern bringen, es sind insonderheit die
Aufgaben, die das Weib, auch wenn es Mutter ist, noch iiir
Wissenschaft, Kunst, Poesie usw. meint leisten zu müssen. Findet
man doch kaum noch eine Zeitschrift, ein Buch, ein Zeitungsblatt,
in dem nicht die Frau das Feder-Zepter schwingt. Kein Redner-
stuhl ist zu hoch, es steht heute darauf — die Frau; keine Ver-
>) Lrrami, VoiTede.
•) Henrik Ibstn, Ilcdda Gabkr.
•) Das Problem der Ehe.
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— 193 —
sammlttfig ist so gross, so redet — eine Fraul Dieser geradezu
zur Kalamität gewordene Kulturauswuchs zeitigt den berüchtigten und
allgemein verbreiteten literarischen und künstlerischen Dilettantismus
der Kunst und Wissenschaft nicht fordert, in der Familienerziehung
aber viel Schaden anrichtet — Fände doch jede Mutter, statt in
der Öffentlichkeit prunken zu wollen, mehr Befriedigung daian, in
stiller unverdrossener Arbeit ihren KJ^em sich zu widmen, denn
„die Mutterstube und die Mutterpflef^e kann keine Anstalt und kein
Pfleger ersetzen". Wir sind gewiss die letzten, die etwa das Weib
in den zweiten Rang der Meuschheitswürde drängen wuilen, aber
die vornehmste Au^be der Frau und die einzig unerlassUche der
Mutter ist — das Kind! Zusammenfassend können wir nun sagen,
dass die heutige Familienerzichung vielfach den Stempel der (ilcich
gültigkeit und Untätigkeit trägt, und dass deshalb mehr Interesse
wr das Kind und treue Pflichterfüllung durchaus erforderlich ist
U.
Ein wichtiger Faktor im Gesdlschaftslebcn ist der Stand des
Menschen. Die häusliche Erziehung trägt heute mehr denn je den
Stempel der Standeserziehung. Dabei braucht man keineswegs nur
an die sogen, besseren Stände zu denken, denn schon lierbart sagt,
„das Wohlleben wie die Dürftigkeit haben ihre Gefahren".^} Die
vornehme Hedda Gabler, die sich so weit erniedrigt hat, die Gattin
des Universitäts - Dozenten Tcsmann zu werden, ist ein Produkt
solcher Standeserziehung. ,.Die ärmlichen Verhältnisse, in die ich
hineingekommen bin, sind es, die mir das Leben so jämmerlich und
lacherUch machen; man hat keinen, der nur ein bischen von „unsern
Kreisen" weiss." Es liegt im Greist der Zeit, auf das Äussere, auf
Äusserlichkeit Gewicht zu legen, die Kinder nicht nur in ihren
Kleidern, sondern auch in ihrer Persönlichkeit, ihrem Wissen und
Können, ihrem Charakter möglichst hoch und von Stand erscheinen
zu lassen. Nicht so sehr kommt es dabei auf die Frage an, ob
einerseits der elterliche Geldbeutel» anderseits das geistige Vermögen
des Kindes hierzu ausreichen. Die EHem wollen auch dem Stande
nach ihre Kinder höher hinaufbringen; sie sollen sich unter den
Gespielen, in der Schule usw. auszeichnen. Bei diesem an sich nicht
unberechtigten Wunsche liegt nur die Gefahr nahe, dass neben dem
Streben nach äusserem S<£ein der innerliche Bau des Seins nicht
g^eichmassig gedeiht „Nicht nur fort sollst Du dich pflanzen,
sondern hinauf."-) So sehen wir denn schon inbezug auf die
Lebensführung das Kind durch die Geburt in dem Strom seiner
Gesellschaftsklasse schwimmen: alles Gewicht wird darauf gelegt,
') Utnriss pädag. Vorlesuilfni, § 333.
*J Nietzsche, Zarathuslra.
PidMCOgiKbe Studien. XXIX.. 8. 18
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— IC/4 —
dass die äussere Form gewahrt bleibt, die äusseren Manieren
tadellos sind. Für den Denkenden dokumentieren diese Ausserlich-
keiten oft innere Hohlheit und Phrasenhafti<j;keit einer veräusser-
lichten Erziehungsmethode. Solche „jungen Herrchen und Dämchen
mit eingebildeten gesellschaftlichen Pflichten des Flirtens sind etwas
Grreuliches".^) Die Folgen dieser Er/iehunpspraxis sind um so
tragischer, als die Jugend dadurch für wissenschaftliche, künstlerische
oder religiöse Vertiefung weniger empfänglich wird, aber auf Ge-
bieten der Oberfläche, der Äusserlichkcit mehr leistet, denn zuvor,
wie dies in allerlei sogen, tdlen Jugenctetreichen in die Erscheinung
tritt Möchten sich doch die elterlichen Erzieher durch „ober-
flächliche Lebendigkeit nicht verleiten lassen, auf künftige Entwick-
lung von Talenten zu hoffen".^) Tolle Jugendstreiche sind keine
Garantie für spätere Tüchtigkeit, und Launen, Eigensinn, Ziererei,
Leichtsinn, diese typischen Jugendfehler, dürfen keine unnötige
Kräftigung erfahren. Mehr denn je ist notwendig, die Kinder
darauf hinzuweisen, dass des Mannes Kleid nicht er selbst ist,
damit sie Gefühl und Verständnis dafür behalten, Sein und Schein
zu unterscheiden, und auch schon in ihrer Jugend erfahren, dass
man nur durch Mülie, Anstrengung und Ausdauer sich hinaufarbeiten
kann — äusserlich wie innerlich. Dies zu betonen ist um so not-
wendiger, als gerade der zunehmende Wohlstand und die bessere
Lebenshaltung grosser Volkskrcisc die Gefahr des sittlichen Hcruntcr-
sinkens naher rücken. ,,Ini Wohlleben auf sittHcher H'>he bleiben,
erfordert einen hohen (rrad bewussten Wollens; Reichwerden eines
Volkes bedeutet häufig zugleich ein Heninteisinken."*) Darum ist
auch die Erziehung in den Häusern der unteren VoUcsklassen der
VeräusserUchung nicht in dem Masse ausgesetzt; aucli ist die „Er-
ziehung um so besser, je mehr Kinder die Familie zählt." — Wir
haben gefunden, dass die heutige Familicncrziehung sich zu sehr
auf Äusseres und Äusserlichkeiten richtet, deshalb Verinnertichung
und Vertiefung erfahren muss.
m.
Eine der markantesten Erscheinungen des gegenwärtigen Kultur-
lebens ist die Raschlcbigkeit , mit der man einerseits so früh wie
möglich alles mitzumachen und auszukosten beginnt, anderseits
hastend von einem zum andern, vom Alten zum Neuen eilt Diese
Eile und Unruhe hat sich auch auf die Erziehung übertragen. „Man
verfrüht heute ziemlich alles; man hat eine entsetzliche Angst davor,
die Kinder nicht rechtzeitig an alle denkbaren Interessen heran-
Baumgarten, Über Kinderendehoog. TBbiogeo 1905, Molur. 2 M.
«) Herbart. l niris<; § 30I.
•) Tews, Vortrag über KiDdcrcrzichung. iianaov. Scholzeitung 1907, No. 19.
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- 195 —
zubringen."^) Es gibt kaum etwas bezüglich der äusseren und
inneren Erkenntnis, des körperlidicn und geistigen Genusses, woran
man die Kinder nicht frühestens wollte teilnehmen lassen: Diners
wie Soupers, Theater wie Konzertbesuch, Hygiene wie Politik,
Kränzchen wie Bälle, Kunst wie Wissenschaft, Vegetarier- wie Anti-
alkoholbewegungen — was könnte man noch alles anfuhren 1 Wie-
viel Mühe und Kosten, wieviel sorgenvolles Nachdenken legt sich
doch die Familie auf, um mir ja d<*n Kindern inbezug auf Kleider-
pracht AuLjen- und Oiircneri(<:'»tzung. (lesclUgkeit gerecht tu werden.
Das „muss" das Kind docii haben, das inuss es doch mitmachen
schon in Rücksicht auf Gesellschaft und Bekanntschaft! Man müsste
weit in der sozialen Rangstufenliste der Familten abwärts steigen, um
iWr^c Auswüchse der Neuzeit nicht zu finden, und doch sollen die
Kinder vor solchem verfrühten und gehäuften (leniessen mögüchst
bewaiirt werden. Aber Kindergesellschaften, Geburtstagsvisiten,
Kranzchen junger Herren und Dämchen sind etwas Selbstverständ-
liches und so oft und regelmässig Wiederkehrendes, dass die Kinder
von einem dieser Feste zum andern die Tapfc \-orauszählcn. Ab-
gesehen von der unnützen Schleckerei der Zun^c lernt das Kind
hier schon das Naschen rümpfen über die ^uaütät der Zubereitung
des Kuchens und der Torte, auch ein Urteil sich bilden, wie gast-
gebende Häusar untereinander in der Feinheit und Kostspieligkeit
des Gebotenen sich übertreffen — wahrlich, das Kind wird früh
urteikfähig! Und nun gar erst die Kindcrbälle: die muss heute
nicht nur jeder festgebende Verein veranstalten, die muss auch ein
einigermassen fashtonables Haus in seinem Kindersalon mit sechs- bis
zwölfjährigen Puppen abhalten. Welch ein Kontrast zwischen kind*
lieber WcsensnatürHchkeit und dieser Blasiertheit, die künstlich gross-
gezogen wird! — Aber auch auf geistigem Gebiet soll das Kind
ein Frühwisser und ein Vielwisser sein; es soll sich geschickt und
mit Sachkenntnis an einer Unterhaltung beteiligen können, es soll
ein Gefühl und Verständnis für die Werke der Kunst bekunden.
Die Kunst überhaupt scheint für die modernen Heissspome als
Erziehungsprinzip nur noch einzig in Frage zu kommen! Man sagt
sich aber vemünftiL^crweise, namentlich wenn man die (icist-
reichigkeit und Schongeistigkeit in Kinderschuhen mit anzuhören
verdammt ist, dass diese Weise des Frühwissens doch zu sehr den
Stempel des Altklugen, der Blasiertheit tragt, die nicht imponieren
kann, sondern nur l;edauernde Gefühle nn-^Tist. — Bedenklicher sind
die Folgeerscheituui|^eii, wenn sich das l'rühwissen und -Lieniessen
auf das geschlechtliche Gebiet ausdehnt. Solche Resultate können
aber nicht ausbleiben, wenn man die Kinder wie Erwachsene be-
handelt, sie den Genussstätten der Erwachsenen zuführt und an
deren Vergnügungsweisen zu früh teilnehmen lässt. Da ist eine
Bauiugarten a. a. O.
1»»
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- 196 -
Atmosphäre, die frühzeitig die kindlichen Anschauungen und Urteile
verdreht, ja vergiftet, den Schleier des Bildes /.u Sais hebt — nicht
ungestraft Um so bedauerlicher und unverständlicher ist es, wenn
fanatische Aufklaningsapostei in ihrem Unveretand die preschlecht-
liehe Aufklarung als berechtigt und notwendig anpreisen; unter der
stolzen Fahne : Wirklichkeit und Wahrheit, jedes Sexualmärchen, auch
das vom Storch, verdammen. „Wahrheit sucht man, aber man
begeht die grosse Unwahrheit, von den wahren und natürlichen
Interessen des Kindes abzuweichen. Wie kann man in die un-
schuldige Welt des Kindes von 8 — 12 Jahren einen Zündstoff hinein-
bringen, von dem es selbst keine Ahnung hat.') Darum auch
Ludwig Gurlitt:*) „Man reisse die Kinder nicht gewaltsam, eilig
und zu früh aus der unschuldigen Märchenwelt in die kalten
Regionen der gesellschaftlichen Moral. Weg mit diesen armseligen
Dressierkünsten, die das Verständnis nicht abwarten können." ,»Man
habe doch mehr Achtung vor der Majestät des Kindes und störe
seinen ahnungsvollen Schlummer nicht durch zu friihes Wecken.*'*) —
Auch hinsichtUch anderer sogen, edler Genüsse, wie Reisen, Theater-
besuch usw., an die man das Kind vielleicht in guter Absicht teil-
nehmen lässt, geht man heute von der vielfach irrtümlichen Voraus-
setzung aus, als habe das Kind schon dasselbe Interesse und
Verständnis für Wald und Flur, Dichtung und Skulptur, wie der
Erwachsene es bei sich vorfindet — die Erfahrung lehrt das Gegen-
teü! Ebenso falsch ist und der kindUchen Natur unangemessen,
wenn man schon Kinder in politischen Vereinen zu überzeugten
Politikern, in sozial wirkenden Gesellschaften zu Streitern in der
Bekämpfung dieser oder jener sozialen Missstände zu schulen sucht;
denn solche Krziehungsrichtung — und geschehe sie noch so über-
zeugt und gutgemeint — ist verfrüht und unnatürUch und deshalb
aus erziehlichen Gründen nicht zu rechtfertigen. — Nach alledem
haben wir nachgewiesen, dass die heutige FamiUenerziehuog fast
alles verfrüht, sich vielfach überstürzt und das äussere wie innere
Erkenntnis- und Genussleben des Kindes in unnatürlicher und des-
halb schädlicher Weise beeinflusst. —
IV.
Nach Herbart setzt eine richtige Familienerziehung richtige
pädagogische Begriflfe voraus.*) Diese brauchen nicht etwa in
schulgemässer Weise in Thesen aufzählbar sein, sondern sie müssen
■) Hieronymus, Die gcmciBsame ElrEiehung der Geschlechter. Pid. Stndiea 1906,
Heft 5, Separatabdnick. BIcyl & Kacnunerer, Dresden 1906.
'} L. Gurlitt, Pflege und Entwickelilog des Penaolichkek.
Baningartcn a. a. O.
Umms, § 336.
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— 197 —
auch ohne wörtliche Ausdrucksform ein wesenhaftes System dar-
stetteo, welches das Haus beherrscht, welches jedem dnzelnen Gfiede
desselben, auch dem Kinde, genau bekannt ist Dieses System
wird vorzugsweise drei Seiten zeigen müssen: die Objektivität, die
Konsequenz und die Sorgfalt , sowohl in der Erziehung selbst als
in der Wahl der Hrzichungsmittel. Jene oben geschilderten Ver-
treter des Untätigkeitsprinzips halten es gleichwohl lur nötig, dass
für andere Kinder gar eine drakonische Erziehung notwendig ist,
sobald sie mit diesen andern in irgend eine unangenehme Berührung
gekommen sind. Be/.üglicli der eigenen Kinder und deren Schwächen
und Unarten behnden sie sich in vollständiger Selbsttäuschung und
Blindheit Diese Aflenltebe zur eigenen Art, bei absoluter Skepsis
gegen alle Wirklichkeit, ist ziemlich weit verbreitet Sie sieht die
Unarten der eigenen Kinder nicht, nimmt unbesehen und mit
Empfindlichkeit sofort für diese Partei — sehr zum Nachteil der
Charakterentwicklung des Schützlings. Solche schwächliche Ver-
hätschelung sieht auch nur zu häufig ab von Massregeln zur
Korrektur des kindlichen Verhaltens gegenüber Vater, Mutter und
Geschwistern, scheut sich, kräftige Mittel anzuwenden und „hinter
den Wünschen im äusserstcn Notfälle die physische Gewalt zu
setzen".^) In vielen Familien üben aber die Kltern ihr Recht, ihre
Freiheit gegenüber den Kindern tatsächlicii aus, ohne die segens-
reichen Erfolee, die man erwarten könnte, ernten zu können.
Woher diese betrübende Erscheinung? Es mangelt die Konsequenz
in der Anwendung der Mittel: Verhätschelung wechselt mit über-
mässiger Strenge, I iehe mit Zorn, schlaffe Geduld mit wildem Auf-
brausen — wie SüU da ein gutes Resultat zustande kommen 1 „Die
Erzieher sollen den Kindern möglichst stets die gleiche Stirn
ze^en/'*) sidi sdt»t beherrschen können. „Nicht die grossen Strafen,
sondern die unausbleiblichen, sind mächtig und allmächtig;"") ferner
werden Gemütsaufregungen-, langatmige Ermahnungen, Tränen in
ihrer Wirkung auf das Kind stets überschätzt — Gegenwärtig wird
der grösste Schaden dadurch angerichtet, dass das Haus es fehlen
lässt an der sorgfältigen und konstanten Überwachung in allem, was
das Kind tut, was es zu sehen und zu hören bekommt. Das Gefühl
des ständigen Überwachtseins muss im Kinde Platz greifen und in
dem Gedanken sich äussern: was würden meine Eltern dazu sagend
Hae unglaubliche Sorglosigkeit herrscht besonders inbezug auf die
Lektüre der Kinder; danach wenigstens zu urteilen, welche Schriften
12— 15jährige Kinder in ihrem Hause mit oder ohne Wissen* der
Eltern lesen. Alles Krankhafte, Perverse, die Leidenschaften er-
regende findet sich da, wovon kein Erwachsener eine Ahnung hat
OUo Emst a. a. O.
E. Ackermann, Die btoalicbe Enklntiig. LMgenMlift, Beyer & S. Pr« «,50 M.
*) Jean Panl, Lerana, § 64.
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Hier z. B. der Wirklichkeit entnommen das Lektürenest eines
1 4 jährigen jungen Mädchens: v. Gaudi, Schülerliebe; Rotstiber,
Tagebuch eines bösen Buben; Ladenbcri^, Testament des Fraiicn-
hasscrs; Alfred Sassen, Die Beichte der ersten Liebliaberin; Die
7 Leidensstationen eines Bräutigams zum Traualtar — selbst-
verständlich auch: Das Provinzniädel, Ghrossstadtrange und — ein
Ltebesbriefsteller — in Summa alles, was diesem uoldugen, früh-
reifen Kinde den Charakter verdirbt und die Seele \'er^nftet. Hier
ist eine der Ursachen, warum in dem oben cfczcii^ten Nachtbilde
der Verbrechen-Statistik gerade diejenigen ^egen die Sittlichkeit
am stärksten zunehmen. Und das Kind ist nicht etwa eine
verdammenswerte Ausnahmepflanze, sondern der Typus vieler
Gleichaltriger. Aber wie oft hört man trotz alledem: es sind
ja „Kinder", man kann ihnen doch nicht „alles" vcrsap^en! „Ist
erst die Kinderseele mit unzüchtigen Bildern und Einbildungen,
bösen Gedanken und Einbildungen befleckt, so bleiben diese
Schmutzflecke trotz der Erziehersoi^e immer zurück."') Eine
besonders sorgfaltige Überwachung sollte deshalb das Haus aller
Lektüre, auch den '/eiUmcfen, die das Kind liest, den Bildern
und KunstL^e;^enständcn, die es sieht, den Kineiiiatoirra]i!ien, die es
besucht, zuwenden. „Gross ist die Herrschaft der rem unsittlichen
Literatur. Auf dem Gebiete der Bilderkunst kann selbst das Laster
ästhetisch schön dargestellt werden, aber — es ist auch dann noch
kein Erzieliinittel ; ferner taitj^ nicht alles künstlerisch X'nllendete
nun auch für das Kind."-) Es ist ein xerhängnisvoller hehler, dass
das Haus gerade im letzteren Punkte sich seiner Pflicht der Über-
wachung entschlägt und sich um diesen Umgang setner Kinder bei
völliger Unterschätzung der drohenden Gefahren weni^^ kümmert
oder ihn gleichgültig gewähren lässt. Der <^deiche Vorwurf kann
ihm auch nicht erspart bleiben in Hinsicht auf den schriftUchen
oder persönlichen Verkehr, den das Kind oft mit oder ohne Wissen
der Eltern zu seinem eigenen Verderben pflegt. Mehr Aufeicht,
mehr Sittel ruft gebieterisch der Engel der Unschuld und Tugend.
Wir konnten und mussten feststellen, dass hei 1er häuslichen Er-
ziehung^ der Getrenwart vielfach die klare Objektivität, die konsequente
Durchführung und die sorgfaltige Überwachung fehlt —
T,
„Die Wahrheit Ist die erste Bedingung der Wirksamkeit geistigen
Einflusses" (Tolstoi), Die Wahrhaftigkeit ist ^deichsam das Fundament,
der sittliche Halt, der ethische Berechtigungsnachweis der Familien-
erziehung. Darum ruft Nietzsche dem Vater, der Mutter zu: „Aber
>) Schule und Leben 1894, Ober häusliche Erziehung.
*) Nach Schercr im Pfdagognchcn Jahresbericht 1903.
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— 199 —
du musst mir erst selber gebaut sein, rechtwinklig an Leib und
Seele" (Zarathustra). Die WahrbiftiL^keit in der Erziehung führt
zum Gefühl für Recht und Gut, zum i^cwusstsein des Tugendhaften,
stärkt die Autorität und flüsst kindliches Vertrauen ein. Der
modernen Familienernehung kann der Vorwurf nicht erspart werden,
dass es bei ihr sehr an der nötigen Wahrhaftigkeit mangelt, sowohl
was das Verhältnis des Mannes zur Frau , als der Familie zur Ge-
sellschaft, endUch der Kitern zum Kinde anbelan^. „Es ist," sa^t
Adolf Barteis, „ein Zug der Zersetzung im deutschen Familienleben
vorhanden, de^n hervorragende Kennzeichen die starke Abnahme
der Geburten und die prozentuale Zunahme der Verbrechen sind"*)
Es fehlt die vom Kinde aus gesehene untrennbare Einheit zwischen
Mann und Frau; nur zu häufig zieht das eine Pferd vor und das
andere hinter dem Wagen, und so geht für Sohn und Tochter der
verborgene Reiz dieser einzigartigen Gemeinschaft verloren, und
damit Pietät und Autorität. Und dann die Art der Lebensführung I
Nach aussen hin ein geradezu ewiges Theaterspielen. Man gibt
Gesellschaften, man ladet Gäste, man beräuchert sich in Super-
lativen und — hinterher erfälirt das Kind, dass alles nichts ist, als
konventionelle Lüge. So geht die natürliche üftenheit des kind-
lichen Herzens verloren. Wenn im Hause femer das Festefdem
so betrieben wird, dass der abgehende Trupp Gäste dem neu an*
kommenden Platz macht, wenn infolgedessen der Tacjeshimmel im
Hause in blci-^rauer Schwere lastet, wenn die Mutter erst gegen
Abend auflebt, um ins Theater oder in Gesellschaft zu gehen und
die Liebenswürdige, allzeit Heitere zu spiden: so wird die Haupt-
pflicht, den Kindern zu leben und die geselligen Pflichten dieser
Hauptpflicht hintan zu stellen, gröblich verletzt. Die Frau bestimmt
Ton und Wesen des Ilauskbens. Da möchte man mit jean Paul
rufen: „Sehet, die, welche unter eurem Herzen waren, und jetzt
nicht in demselben, strecken die Arme nach dem Verwandtesten
aus und bitten zum zweitenmal um Nahrung."*) Es ist kein Wunder,
dass das Kind durch dieses Vorbild zu einer ganz schiefen Auf-
fassung hinsichtlich der Lebensführung und Lebensziele gelangt
Geniessen und nur Geniessen, und wenn dieses einmal ein Ende
haben muss, dann — im äussersten Falle lieber den Tod als die
Pflicht „Tätigkeit erhält heiter — nicht der Genussl Das Ge-
messen erschöpft uns bald, nicht das Streben" (Jean Paul). Wie
sagt doch die vorgenannte Hcdda Gabler? „Ich hatte mich müde
getanzt — meine Zeit war um. So nahm ich den Fachmenschen
Tesmann, der darauf ausging, mich versorgen zu wollen. Tesmauin
macht sich immer Sorgen, woher er die Mittel zum Leben nehmen
soll; daran verschwende ich auch nicht einen Gedanken. Eins habe
') Adolf Bartels Deutsche Litfititnr, EinilchtcD und AuMtchteo.
*) Levana, III. Bruchstück.
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— 200
ich doch auf jeden Fall — meine Pistolen — General Gahlen
Pistolen 1" — In dem Verkehr zwischen Eltern und Kind muss Auf-
richtigkeit herrschen. Vater und Mutter müssen untereinander und
inbczug auf die Kinder nichts beschönigen und vertuschen, denn
der schlimmste aller F'ehler, die Heuchelei und Lüge im Familien-
kreise, nimmt alle Achtung vor den Eltern und jedes Interesse f&r
ihre Lehren hinweg; „die Lüge ist der fressende Lippenkrebs des
inneren Menschen !" (Jean Paul). Und auch dieses beachten die
Eltern, vorzugsweise in den niederen Ständen und Arbeiterkreisen,
gar zu wenig: „Tadeln und zanken die Gatten vor ihren Kindern
sich schamlos, ach, wie bald erstickt Liebe und Ehrfurcht im Sohn."
Man fragt sich: wo haben wir die Familie, welche eine solche auf
Wahrhaftigkeit , Autorität und hochschätzender Liebe begründete
Erziehung dem jungen Nachwuchs zuteil werden lässt.'' Nicht das
Leben in äusseren Manieren, die tugendhafte Lebensführung vor
den Augen der Welt, die nur vor dem Skandal eine tötliche Angst
hat, kann das Resultat einer vemüni^gen häuslichen Erziehung dar-
stellen, sondern die freie Entwicklung des Handelns und Tuns, wie
CS aus dem wohlgeformten eigenen Innern des Menschen erwächst.
Mehr als je muss auf die Erziehung zu sittlicher Tatkraft Gewicht
gelegt werden. Die gesamte Fürsorge- und Besserungserziehung
der Gegenwart ist eine öffentliche Anidage über die mangdnde Er-
aehung zu individueller sittlicher Tatkraft. Der Mensch muss nicht
seinen sittlichen Halt in der Beobachtung durch andere, sondern in
dem steten Bewusstsein eigener Selbstbeobachtung, die wiederum
der Selbstachtung entspricht, haben. Dahin wird nur eine wahr-
haftige Erziehung, die gegründet ist auf wirldicher HochschStzung
der Eltern und ihrer Lebensführung, die Jugend führen. Wir konnten
feststellen, dass der häuslichen Erziehung die nötige Wahrhaftigkeit
des Verhaltens zwischen Vater, ^hltter und Kind, zwischen FamiHe
und Gesellschaft mangelt, die aber ihre Grundlage sein muss, wenn
die Jugenderziehung wahrhaft sittliche Ziele erreichen soll.
Sahltss.
Wir hatten uns nicht die Aufgabe gestellt, die Pädagogik des
Hauses überhaupt in all ihren Vorkommnissen, Eigenheiten,
Richtungen, Regeln zu betrachten, sondern wir wollten diejenigen
Seiten der häuslichen P>ziehung beleuchten, die als typische Er-
scheinungen der Gegenwart aus dem Gesamtbild der häuslichen
Pädagogik hervortreten. Die von uns au^ezcigten Charakteristika
bedeuten zudem diejenigen Erziehmittel, welche als allgemein be-
achtenswert angesehen werden können und deren verschiedene Auf-
fassung und Durchführung von grundlegender Bedeutung fiir die
allgemeine Menschcnbildung sind. Sie werden an verschiedenen
Orten, bei verschiedenen Standes- und Berufsklassen in der Art
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— 20I —
ihrer Erscheinung voneinander abweichen, liire Idee und Grundlage
findet sich aber in der Gegenwart allgemein. Wir woUen niAt
gerade behaupten, dass die Resultate der Familienerzichung in der
Gegenwart wesentlich schlechter seien als in der Vergangenheit —
vielleicht sind wir auch als Gegenwartsmenschen etwas feinfühliger,
ja etwas nervöser hinsichtlich dieser und jener Vorkommnise: sieber
ist al>er, dass in der Vergangenheit die hausliche Ersiehung in ein*
fadiercn Bahnen sich bewegte, sidi in ihrer Tragweite besser über-
schauen und in ihren Zielen sicherer verfolgen licss. Sicher ist auch,
dass jede Zeit ihre besonderen Vorzüge hat — auch die heutige
bietet sie — aber auch ihre besonderen Aufgaben stellt und be-
sondere Sdiwierigkeiten darbietet Von neuem ist uns aber die un»
geheure Tragweite der Eltemerdehung nach der guten sowohl wie
nach der bösen Seite hin klar geworden, und es ist Pestalozzi,
welcher scharf betonte, „dass die P>:istenz einer Volks- und Striats-
gemeinschaft unbedingt auf die in Reinheit erhaltene Gcmcinscliaft
des Hauslebens angewiesen ist — ein Gedanke, den alle sozialistisch
internationalen Utopien nicht haben beseitigen können".^) Was för
die Jugend geschieht, dient zur Gestaltung der Zukunft, und „der
kurze Kinderarm ist der lange Hebelarm für die Zukunft".-} Aber
die rechte Ausübung der Erziehung ist gleichzeitig eine Schicksals-
frage für das Familienleben selbst. Nicht nur das Verxiallnis
zwächen Mann und Frau, sondern erst recht das zwischen Eltern
und Kindern bedingt Frieden und Glück oder Unheil und Hölle:
„Habt Ihr Euer Kind recht erzogen, so kennt Ihr Euer Kind. Nie,
nie wird eins seine reine und recht erziehende Mutter vergessen."*)
Und noch eins: Unsere Kinder werden uns selbst erst zu Ende
erziehen, denn wer im Kinde das Bild des Menschen in seiner
Reinheit, „das Gotteskind sieht, ehrt und bildet, der wächst selbst
hinauf zur Würde eines Werkzeugs der ewigen Güte."*) Nicht nur
fort sollet <\u dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir der
Grarten der Elie (Nietzsche).
CrashalMt:
I. Die hausliche Kindererziehung ist infolge ihrer Eigenart,
Unersetzbarkeit und Unübertragbarkeit die Urform und
Grundlage aller Erziehung; sie ist deshalb für die in der
Gegenwart hervortretenden Schäden auf dem Gebiete des
persönlichen Familien^ und Voltalebens in erster Linie ver-
antwortlich.
I) ^licronymas, Bcttrldliiiig der PettaloandiCB Pildafogik. Hmu «nd Schale 1903.
') Jean Faul,
^ Jean Pul, LevMUi.
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— 202 —
2. Die heutige Familienerziehung trägt vielfach den Stempd
der Gleichgültigkeit und Untätigkeit; deshalb ist ein grösseres
Interesse für das Kind und treuere Pflichterfüllung durchaus
erforderlich.
3. Die heutige Familienerziehung richtet sich zu sehr auf
Äusseres und Ausserlichkeiten und muss deshalb Verinner*
lichung und Vertiefung erfahren.
4. Die heutige Familiener/ichung verfrüht fast alles und über-
stürzt sich vielfach; sie heeinflusst dadurch das äussere wie
innere Erkenntnis- und Genussleben in unnatürlicher und
deshalb schädlicher Weise.
5. Der heutigen Familienerziehung fehlt vielfach die Idare
Objektivität, die konsequente Durchfuhrung und die soi|^
faltige Uberwach unt^r
6. Der heutigen Faniiiicnerziehung mangelt die nötige Wahr-
haftigkeit des Verhaltens zwischen Vater, Mutter und Kind,
zwischen Familie und Gesellschaft, die aber ihre Grundlage
sein muss, wenn die Jugenderuehung wahrhaft sittliche Zide
erreichen solL
III.
Die neuzeitliche Dichtung in der Schule.
Ein Beitng cur VeijQiiKWV ^ LelurpUuu.
Von F. HtMer, Rektor tind Oitedralinspektor in WeisswasMr O/L.
Mit lauten Schlägen pocht, Einlass begehrend, die Gegenwart
an die Pforten der Schule, der höheren wie der niederen j aber sie
findet vielerorts noch verriegelte Türen. Ihre dringendsten Forde*
rungen erstrecken sich einerseits auf eine zeitgemässe Auswahl der
Lehrstoffe und andrersf^it^ auf das bei der unterricbtiichen Ver-
arbeitung der letzteren einzuschlagende V^erfahreii.
Es ist nicht zu verkennen, dass die moderne Schule in immer
steigendem Masse bemüht ist, dem Verlangen nach einer natur-
gemässen, d. h. einer dem Wesen der kindlichen Psyche ent-
sprechenden Lehrweise Rechnung zu tra^^cn. Die Kenntnis der
Beziehungen zwischen Psychologie und Didaktik gewinnt zusehends
an Boden und bildet je länger je mehr das sichere Fundament für
eine erfolgreiche Erziehungs- und Unterrichtspraxis.
Nicht mit demselben Eifer und der gleichen Aufmerksamkeit
bemühen sich die Schulpädagogen der Gegenwart um eine
modernen Zeitverhältnissen gerecht werdende Stotlwahl. Wer sich
mit unbefangenem Blicke in das Studium der herrschenden Lehr-
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— 203 —
und Stoffpläne vertieft, dem will es scheinen, als ob man da und
dort geradezu bemüht sei, jeden Hauch des Gegenwartsiebens von
der Schule fernzuhalten.
In der Tal macht sich in der modernen Schule hinsichtlich der
Sloffwahl auf verschiedenen Gebieten ein Chinesentum breit, weiches
weniger in einem unbegreifliciien laisser faire iaisser aller seine
Wurzel hat als in der Meinung, dass die Gegenwart nur aus der Ver-
gangenheit heraus verstanden werden könne. Diese althergebrachte
Begründung zu einer Hegemonie der Verj^anj^cnheitsstoffc steht wie
manche andere noch immer sorgsam gehütete Ansicht auf tönernen
Füssen und ist dadurcn, dass man ihr allgemeine Geltung für den
Bereich der Schulpädagogik zuerkannt hat, geradezu verhängnisvoll
geworden.
Welcher Pädagoge wollte sich vermessen, seine Schüler mit der
Hoffnung auf den rechten Erfolg in die Verhältnisse und An-
schauungen vergangener Zeiten einzuführen ohne den Massstab, den
das Verständnis der Erscheinungen des Gegenwartslebens gewährt?
Eine Pädagogik, welche allein dem Aufsteigen aus dem Dunkel fern-
liegender Zeitlaufe zu den lichten Höhen der Gegenwart die richtige
Bahn erblickt und welche es darum verschmäht, die Vergangenheit
unter dem Sehwinkel der Gcf^enwart anschauen und auffassen r.u
lassen, ist jene .,Päda<^oL(ik auf Umwegen", von der man in unsern
Tagen nicht ohne Grund mit bittrer Ironie behauptet:
Es wird lic Jugend in unsrcr Zeit
durch Schulen nicht gescheiter;
die schlcp|>cn allein die Vergangenheit
auf müden Schultern weiter.
Klagt Otto Anthes nicht mit volletn Rechte darüber, ,,dass die-
Lehrpläiit: unsrcr Schulen von Vergangenheitsstofifen strotzen und
dass die paar Gegenwartsstoffe, die man in den Winkeln unter«
gebracht hat, von jenen schier zerquetscht und vollständig verfärbt
werden" ?
Tatsächlich bewegt sich in der Mehrzah! clor hens(^lienden
Lehrjjlänc die Auswahl der Stoffe i;cnau in denselben Grcnzeri wie
vor mehreren Jahrzehnten. Nur liier und da wagen sich schüchterne
Versuche hervor, welche auf eine modernen Verhältnissen Rechnung
tragende Stofifwahl abzielen, und dort, wo Gegenwartsstoffe schon
Aufnahme gefunden haben, müssen sie in (Icr Untcrrirhtspraxis in
der Re^el unbeachtet zurückstehen oder sich mit einem bescheidenen
Platzchen im Hintergrunde begnügen. Oft genug beschränkt sich
cUe Bezugnahme auf ihr Dasein auf blosse Hinweise, fem jeder ein-
gehenden untenichtlichen Verwertung.
Es sei hier beispielsweise auf die vaterländische Greschichte
hingewiesen. Der meist mit historischer Strenp^e inneLTchaltenc,
lückenlose Gang bei der Darstellung der geschichtlichen Ereignisse
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— 204 —
hat fast in der Regel zur Folge, dass im Unterricht die grund-
legenden Ereignisse der letzten Jahrzehnte, insbesondere die Kriegs-
und Friedcnstaten der neuen deutschen Kaiser, nur kurz g^cstrcift
werden, besonders dann, wenn ihnen der Stoffverteilungsplan, indem
er dem leider immer noch nicht gebrochenen Prinzip der kon-
zentrischen Kreise huldigt, ihren Flatz im letzten Monate des Schul-
jahrs anweist Wie oft beschränkt sieh unter solchen Umstanden
die Darbietung der neuesten Zeitereignisse auf einen trockenen,
dürftigen Überblick! Statt lebensfrischer Gc<5talten nur Schatten!
Die Unvernunft einer solchen Stoffwahl und Stoffverteilung, welche
das Alte auf Kosten des Neuen über Gebühr in den Vordergrund
rückt, welche die G^enwart zugunsten der Vergangenheit ver-
ächtlich beiseite schiebt, tritt ohne weiteres zutage, wenn man daran
denkt, wie ein «solches Verfahren auf die lehen^krcäftigen Apper-
zeptionshilfen ver/.ichtet. welche gerade inbezut^^ auf jenen Hochtfanti;
der geschichtlichen Ereignisse in Fülle zur V'crlüguiig stehen. Man
muss es in den Augen der eignen Schüler gesehen haben, wie die
Darbietung tagesge^hichtlicher Gegenwart packt, zündet Stunden
inneren Erlebens waren es für die Schüler, wenn sie z. B. vor
wenif^en Jahren auf (iiund der eingegangenen Depeschen und der
Zeitungsnachrichten täglich nach Schluss des Unterricht oder ge-
eigneten Orts auch innerhalb einer Stunde von den Heldentaten
der Buren erzählen konnten, oder wenn sie mit mir zur Zeit der
chinesischen Wirren oder des südwestafrikanischen Feldzugs den
Verhuif der wichtigsten Geschehnisse an der Hand von Bildern,
Skizzen und Karten verfolgen durften.
Auch in den übrigen Unterrichtsfädiem bietet sich dem auf-
merksamen Schulmanne jederzeit Gelegenheit, zu erkennen, wie das
lebhafteste kindliche Interesse wachgerufen wird, sobald Kr>"l cinungen
und Tatsachen aus der Fülle des Gcf^cnwartslehcns in den Vorder-
grund gerückt oder gar in den Kreis unterrichtlicher Betrachtung
gezogen werden. Was das Kind selbst sieht, mit erlebt, das darf
auf seine innere Teilnahme rechnen, und es wäre verkehrt, zu
glauben, dass das Wunderbare vergangener Zeiten ein stärkeres
Tntere<;se in ihm auslöse, als das Reale der Gcc^enwart; denn oft
genu^ crgil)t sich bei der Analyse des kindHchen Vorsteliungs-
Inhaltes, dass Geringfügiges bei der Aufnahme grosseres Entgegen-
kommen gefunden hat ab Tatsachen von weittragender Bedeutung.
So erweist sich die Gegenwart nach ihrer räumlichen und
zeitlichen Seite als die sicherste Basis, als der beste Xährbodcn für
den Auf- und Ausbau des kindüchen (ledankcnkreises , als das
Stoffzentrum , von dem aus der Unterricht die Fäden nach der
Vergangenheit und der Zukunft spinnen muss. Ein Unterricht,
welcher sich bemüht, das Gegenwartsleben als Ausgangspunkt und
Kraftquelle anzuerkennen und auszunutzen, darf von vornherein des
höchsten Masses der Teilnahme der Schüler sicher sein; denn
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— 205 —
ffLeben zündet sich eben nur am Leben ^ nämlich an dem
modernen — an". Darum kann gerade in unsem Tagen, in denen
das Mass des auch in der einfachsten Schule zu behandelnden
Stoffes bis zum Uberfliessen ang'eschwollen ist, nicht laut genug die
Forderung nach einer Reform des Lehrplans zum Zwecke seiner
Verjüngung erhoben werden, welche bei der Auswahl der Stoffe
ihr Netz vor allem in das Meer des frischen Gegenwartslebens wirft
und damit der Mahnung gerecht wird: „Warum in entlegene Zeiten
greifen? Als wenn nicht jede Gegenwart ihren Reichtum hätte! —
Aus dem Himmel, der über uns Lebenden ist, muss der zündende
Blitz fallen; was er beleuchtet, das wird lebendig für den, der sehen
katm, und läge es versteinert in dem tie&ten Grrabe der Vergangen-
hcit" (Theodor Storm, Psyche).
Unter dem Gesichtspunkte, dass das frisch pulsierende Leben
der Gegenwart mit seinen tiefen und breiten geistigen Strömen, mit
dem reichen Bildungsgehalte seiner Kultur schier unerschöpfliche
Mittel zu einer heilsamen Verjüngung der Lehrpläne zu gewähren
vermag, wollen die nachfolgenden Darlegungen den Nachweis er«
bringen, dass auch im deutschen Sprachunterricht und zwar be-
sonders nach seiner literarischen Seite eine Umgestaltung des Stoff-
pians durchaus notig und möfTÜrh ist.
Wir sind moderne Menschen und sollen auch unsere Schüler
zur tätigen Teilnahme an dem Leben der Gegenwart befähigen.
Und wenn wir das emstlich wollen, so muss es uns gelingen,
Menschen erziehen zu helfen, die den Erscheinungen und An-
forderungen ihrer Zeit nicht fremd und ratlos gegenüberstehen,
sondern Freude daran finden, sie ,.zu schauen, zu gemessen und
sich darin zu vertiefen", sie zu erfüllen.
Was wäre aber besser geeignet zur Befriedigung der Geistes-
und Herzensbedürfnisse moderner Menschen ^ und das sind auch
unsere Schüler — , als der unerschöpflich reiche Schatz unserer neu-
deutschen Dichtung? Wo spiegelt sich das moderne Leben klarer
und vielgestaltiger ab als in dem klaren und tiefen Strome der zeit-
genössischen Poesie? Gibt es etwas, aus dem der heranwachsenden
Ueneration der Pulssdilag unserer Zeit lauter und vernehmbarer
entgegentönt als aus den poetischen Schöpfungen unsrer Tage, die
man nahezu den Erzeugnissen der klassischen Literaturperiode an
die Seite stellen kann ?
Es dürfte zunächst am Platze sein, Stellung /u nehmen zu der
Frage, ob denn die zeitgenössische Dichtung Bildungswerte enthält,
welche der Erziehung unserer Jugend mit ^olg dienstbar gemacht
werden können. Wer davon überzeugt ist, dass die Dichtung der
notwendige Ausdruck der jeweiligen Kulturbetätigung ist, und auch
zugibt, dass es Aufgabe der Schule ist, ihre unterrichtliche und
erziehiicbe Tätigkeit nach allen Richtungen hin so viel als nur
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— 2o6 —
möglich in stetem Kontakt mit dem Leben zu erhalten» der v/ird
diese Frage an si ! i ohne weiteres bejahen müssen.
Wenn nach J. üiimm die Poesie „nichts anderes als das Leben
ist, gefasst in Reinheit und j^^chalten im Zauber der Sj^raclie",
dann sind es im weitesten Sinne auch die Dichtungen unserer Tage.
Man merkt es ihnen unverkennbar an, dass sie Schöpfungen moderner
Menschen sind. Diejenigen unserer zeitgenössischen Dichter, welche
für die Schule in Frage konunen, „greifen nicht hinauf in die Wolken
und Sonnen, sondern graben und tauchen hinab" in die Tiefen des
Lebens, der Seele und spiegeln deutsches Fühlen und Empfinden
aufs klarste wieder. Ihr Inhalt verliert sich nicht in fremde, welt-
ferne Sphären, sondern hat vielmehr das voUe reale Leben als Basis
und Hintergrund. Sie interpretieren den ganzen Reichtum der
Lebensv nrt^ängc von den grossen, weltbewegenden l-.rcignissen der
Gegenwart herab bis zu den kleinen Tagesverhäitnissen. Manchem
schönen Gredicbt merkt man es deutlich an, dass der moderne
Dichter am Waldesrande ausser dem uralten Geflüster der i^ume
auch das geheimnisvolle Klingen windbewegter Telegraphendrähte
vernimmt und dass an Gärten, die „überm Gestein verwildern", und
an Brunnen, die „verschlafen rauschen", nicht mehr das Gefährt des
Postillous, sondern das hastige Dampfross vorüberzieht Und indem
die Poesie mit der Zeit, in der wir leben, die engste Fühlung erstrebt
hat, ist sie ernster, mäni II I cr, gehaltvoller geworden. Sie erhebt
sich bei weitem über die Dichtunj^ vergangener Jahrzehnte durch
die Wahrheit in der Naturdarsteüung , durch die Plastik der
Scliilderung, durch die psychologische Vertiefung der i'roblcmc
und durch eine kraftvolle Phantasie.
Neben dem lebensvollen Inhalte ist es die sprachliche Dar-
Stellung, weiche der zeitgenössischen Dichtung einen hohen Bildungs-
werl verleiht. Sic wahrt sich Ungezwungenheit in der Diktion und
erfreut durch farbenfrohe Malerei. Unter Vcr/aciitleistung auf die
Wucht und Schwere des lateinischen Prinzips im Versmasse strebt
sie nach klangvoller Leichtigkeit und Frische.
Da nun c'ic zeitgenössische Poesie das Leben selbst ist im
Refiex der Dichtung und da sie zu dem Besten gehört, was unserer
Jugend geboten werden kann, muss ihren Erzeugnissen unbedingt
dn berechtigter Anspruch auf Grastrecht in unsem Schulen zu*
gestanden werden.
Auch die Forderung einer auf Anbahnung des Kunstvcrständ- *
nisses gerichteten Krziehung der modernen Jugend, welche seit
einigen Jahren mit so regem Eifer verfochten wird, lässt die aus-
gedehnteste Berücksichtigung der zeitgenössischen Diditung als
höchst willkommen erscheinen. Die Poesie ist und bleibt unter
allen Künsten diejenige, durch welche es auf dem kürzesten Wege
ermöglicht wird, die Jugend Blicke ins Land der Schönheit tun zu
lassen. Unmittelbar tritt hier die Kunst in ihrem den Geist
Digitizeci by C'oocT''
— 207 —
klärenden, das Herz berückenden Glänze an das Kind heran. Es
bedarf, wie wir weiterhin sehen werden, im wesentlichen nur einer
seelenvollen Darbietung, verbunden mit \ orsichtigcr Hinwegräumung
dessen, was etwa dm Inhalt versclileiert , um das Kind zum
„freudigen Schauen , Genicssen und Vertiefen" zu führen. Die
Werke walirer Poesie lassen sich ohne Zweifel viel unmittelbarer,
leichter und darum erfolgreicher in gangbare Münze prägen, das
soll heissen : zu verständiger Auffassung und gemütvoller Aneignung
bringen als die Schöpfungen p.ndcrcr Kunstgebicte. Wenn daher
die Schule ihrer kunsterzieherischen Aufgabe ernstlich gerecht
werden will, kann sie gar nicht anders, als den Gaben, welche uns
das moderne Schrifttum verliehen hat, Tür und Tor so weit als nur
möglich zu öffnen. Handelt es sich doch hierbei um den Versuch
und das Bestreben , einer gewissen Einseitigkeit in der Rctcätigung
des literarischen (leschmacks weiter Volk?;srhichtcn entgegenzutreten.
Es ist näinhch eine ebenso auffällige als beklagenswerte Er-
scheinung, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene aller Kreise
ausserordentlich wenig Sinn und Neigung für metrische Lektüre
entwickeln, dass sie vielmehr bei der Auswahl ihres Lesestoffs fast
ausschliessh'ch nach Darstellungen in ungebundener Rede greifen.
Diese Walirnehmung macht der Lehrer, wenn er nachforscht, ob
. seine Schüler in ihren Mussestunden daheim am Lesen von Ge-
dichten Gefallen finden, und zu dem gleichen Ergebnisse gelangt
jeder Verwalter einer Volksbücherei, wenn er darauf achtet, in
welchem Umfange die Leser auch gereimte Dichtungswerke als
Lektüre wählen. Line Ausnahme machen höchstens lujmoristische
Dichtungen, besonders solche, welche in irgend einem Dialekt ge-
schrieben sind. Abgesehen von solchen Gesellschaftskreisen, denen
zu einem umf rn len Genüsse neuzeitlicher Dichtungen in hin-
reirhrndcr Wi r Zeit und Mittel zur Verrügiing stehen, ist bei der
lebenden Generation und also leider auch bei unserer heran-
wachsenden Jugend die vorstehend beklagte Gleichgültigkeit gegen
die metrisdien Schöpfungen unserer neueren Dichter ganz allgemein.
Soll es in dieser Beziehung besser werden, so muss damit bei der
Jugend in ihren frühesten Altersstufen angefangen werden. Da be-
greiflicherweise unter den jetzigen Verhältnissen auf die Mitarbeit
des Elternhauses nicht ohne weiteres gerechnet werden kann, so
wird es in erster Linie Aufgabe der Schule sein, in den Herzen der
ihr zur Erziehung anvertrauten deutschen Knaben und Mädchen ein
lebendiges und nachhaltiges Interesse für die Erzeugnisse der
metrischen Dichtung der Neuzeit zu wecken und zu pflegen.
Hier gilt es, das Eisen zu schmieden, solange es warm ist.
Wer unsere liebe deutsche Jugend kennt, weiss, dass sie be-
geisteningsfahig ist; deshalb ist unter Voraussetzung einer richtigen
Handhabung des Verfahrens au& bestimmteste zu hoffen, dass es
gefingen wird, sie dahin zu bringen, dass mit Freuden „ihre Augen
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trinken, was die Wimper halt» von dem goldnen Ubemuse der
Welt". Auf diesem Wege vermag die Schule nach ihrem Teile
dazu zu helfen , dass einer weiteren einsichtigen P'ntwicklung des
literarischen Geschmacks Einhalt getan, die ästhetische Urteils*
fiOiijlfkeit g^ehoben und das LesebedtirfiUs nach einer Richtung
gelenkt werde, nach welcher es sich bis jetzt bedauernawerterweiie
durchaus indifferent verhält.
Nach diesen Erwägungen über die Notwendigkeit einer stärkeren
Berücksichtigung der zeitgenössischen Dichtung in der Schule möge
nunmehr zu der Auswahl des Stoffes geschritten werden.
Dr. Jacob I^ewenberg, dem wir sdber eine vortrefflidie nAua>
wähl aus neueren deutschen Dichtern" verdanken, weist in der
Vorrede 7\\ derselben mit Recht auf die Tatsache hin, dass der
bei weitem grösste I eil unseres Volkes seine poetische Nahrung
und die Kenntnis seiner Dichter aus den in den Schulen ein-
geführten Lesebüchern schöpft, und klagt mit gutem Grunde gieidi-
zeitig darüber, dass seit einem Menschenalter trotz des „goldenen
Überflusses" der poetische Besitzstand in den meisten I.esebüchern
fast unverändert geblieben ist. Und tatsächlich! In falscher Pietät
gegenüber dem Vergangenen befangen, haben bis auf unsere Tage
Verfasser zahlreicher Lesebücher an solchen poetischen und prosa-
ischen Stoffen festgehalten, welche nach ihrem Inhalte durch eine
neue, gegen frühere Zeiten veränderte Denk- und Anschamirv^^s weise
längst überliolt sind, an Stoften, lür welche in Her rtegcnwart viel-
fach die nötigen Anknüpfungs- und Berührungspunkte kaum noch
vorhanden sind.
Es sind daher jene Klagen wohlberechtigt, welche der preussische
Ministerialerlass vom 28. Februar 1902 laut werden lässt, der eine
durchgreifende Umgestaltung der VolksschuUcsebücher zum Ziele
hat. Es heisst in diesem Erlasse unter anderem: „Manciie der
Bücher iiihren einen beträchtlichen Ballast veralteter Stoffe mit sich,
was in der starken Abhängigkeit von gemeinsamen älteren Quellen
und in dem Mangel an eigenem Forschen nach geeigneten Lese-
stücken seinen Grund hat; unser Schrifttum seit 1870 ist zu wenig
ausgenutzt." Diesen Erwägungen zustimmend, darf man behaupten,
dass in fast allen zur Zeit gebräuchlichen Lesebüchern sich „wie
eine ewige Krankheit" Stücke forterben, welche niemals iür den
Jugendunterricht so recht geeignet gewesen sind.
Als durchaus unzeitgemäss muss es bezeichnet werden, wenn
in Lesebüchern, die heute noch in mehreren i^anzen Provinzen
Preusscns und waiirscheinlich auch in manchen anderen Bundes-
staaten verbreitet and, Autoren wie Gleim, Geliert, Hebd, Hölty,
Hey, Overbeck, Dieffenbach, Krummacher u. a. in einem Umfange
vertreten sind, der durchaus in keinem Verhaltnisse zu ihrer heutigen
Bedeutung steht Ein solches Lesebuch — nomina sunt odiosa —
bringt beispielsweise von GüU allein 22, von Hebel 21, von Hoff-
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mann von Falleisleben 2$, von Diefienbach 17 und von Hey gar
47 Stücke; auch der allerdings in die Gegenwart hineinreichende
Julius Sturm ist mit nicht weniger als 26 Proben vertreten. Ks mag
nun wohl zugestanden werden, dass auch von diesen Dichtern
vereinzelte Literaturproben in einem modernen Lesebuche unter
Umständen am Platze sein mögen; aber es steht ausser jedem
Zweifel, dass sie in der gerügten Anzahl auf Gastrecht keinen An>
Spruch haben , wenn eben nicht unsere zeitgenössische Dichtung'
zum unberechenbaren Schaden unserer Jugend in den Winkel ge-
drückt werden soll.
Eine ganze Reihe älterer Gedichte passt ihrem Inhalte nach
dier in das Gesangbuch als in das Lesebuch. Es sind dies
gewisse Festgedichte oder ähnliche Stücke rein religiösen Inhalts.
Hierher gehören beispielsweise: „Geh' aus, mein Herz, und suche
Freud'" von Paul Gerhardt, „Der Mond ist aufgegangen" von
Matthias Claudius, ,4n die Ferne möcht' ich ziehen" von Max von
Schenkendorf, „Lasst mich gehn" von Gustav Knak, „O du
fröhliche usw.", drei Strophen von Job. Daniel Falk. Was sollen
sich die Schüler denken bei der letzten dieser Strophen, in der es •
inbezug auf das Ffingstfest heisst: „Christ, unser Meister, heiligt die
Geister" ? !
Auch Gedichten, welche auf gespreiztes Moralisieren hinaus«
laufen und demzufolge für jede praktische Lebenslaufe ein wirksames
Rezept verschreiben möchten, sollte in unseren Lesebüchern ent-
schieden das Gastrecht cntzoj^en werden. In diese Katej^^orie muss
neben vielen Geliertschen und Lichtwerschen Fabeln z. B. das be-
kannte Höltysche Gedicht „Der alte Landmann an seinen Sohn"
(Ob' immer Treu und Redlichkeit — ) gerechnet werden, das man
nur in seiner ganzen respektablen Lcänc^c zu lesen braucht, um ein-
zusehen, dass CS iHcht in ein modernes Schullesebuch gehört.
Zu Nutz und Frommen der neuzeitlichen Dichtung muss ein
modernes Lesebuch auch auf solche Stücke verzichten, welchen nur
noch ein literar-historischer Wert zugestanden werden kann, wie
beispielsweise folgende Dichtungen: „Johann, der muntere Seifen-
sieder" von Hagedorn, „Das Habermus" von Hebel, „Das Lied vom
braven Mann" von Bürger und vielleicht auch „Die Sonne bringt
CS an den Tag" von Chamisso.
Selbst die Auswahl solcher Dichtungen, deren Entstehung nur
wenige Jahrzehnte zurückliegt, muss mit grosser Vorsicht gehand-
habt werden, damit nicht auch weiterhin Gedichte zur Aufnahme
gelangen, deren Inhalt in den Empfindungen des Kindesherzens
keinerlei Anknüpfungspunkte und darum auch nur geringes Interesse
findet, wie etwa das im höchsten Grade pessimistisch angehaudite
„Lied eines Armeti" von Uhland oder „Das alte Haus" von Friedrich
Hebbel. Meines Krachtens gehört das zuletzt f^enannte Gedicht
ebensowenig in die Schule als das bekannte Rückertsche Lied
PtdafOfteob« Studien. XXIX. 3. 14
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— 210 —
, Au- der Jugendzeit". Schülern, welche nodi das Glüdc der
goldenen Jugend in vollen Zügen genies!>en, ohne sich des unwider-
bringlichen Zaubers derselben bewusst zu werden, die wehmuts\ olle
Rückerinncrung des gereiften Mannes imputieren zu wollen, hicsse
doch nichts anderes, als Blinden von der Farbe pre<%en.
Als ein weiterer Bdag daför, wie sorglos bisweilen bei der
Auswahl von Literaturproben vorgegangen wird, diene der Hinwds
auf ein Gedichtchen von Hoffmann von Fallersleben , welches 'n
vielen Volksschullesebüchern Aufnahme gefunden hat. Es hat unter
der Überschrift „Klage der Vöglein" folgenden Wortlaut:
I. Wie war so schön doch Wald und Keldl
Wie i&t SU traurig jetzt die Welt!
Hin ist die schöne Sommerzeit,
und nach der Freude kommt das Leid,
3. Wir wussten nichts von Ungemach;
wir sassco noterm Lattbesdach
veiipillCt «od froh beim Sooneuchein
und nagen in die Wdl hinein.
3. Wir armen Vöf;l<'in irauoni sehr,
wir haben keine Heimat mehr.
Wir mlliten jetzt von hinnen fliehn
nnd in die weite Fremde zielio l
Wird nicht der Lehrer bei der Verwertung dieses Gedichtchens
mit der Wirklichkeit in argen Widerspruch geratend Beim Abzüge
der Vögel, der doch schon im August oder spätestens im September
erfolgt, ist die Welt durchaus nicht „traurif:^", der Sommer noch
lange nicht „hin". Noch herrscht der wärmste Sonnenschein und
Überfluss an Futter. Von einer Trauer und Heimatlosigkeit armer
Vöglein kann zu dieser Zeit gar nicht die Rede sein; Ursache zur
Klage haben höchstens die bei uns überwinternden Vögel, die der
Dichter jedoch nicht im Auge hat.
An solchen an innerer Unwahrheit leidenden Gedichten ist in
den zur Zeit gebräuchlichen Lesebüchern kein Mangel Sie dürfen
der Jugend nicht dargeboten werden.
So viel zunächst über einen Teil des gegenwärtigen poetischen
Besitzstandes unserer Lesebücher. Wie viele verwdkte statt tau>
frischer Blumen aus dem Garten der Schönheit l Wenn nun auch
schon wenigstens für Preusscn infol.^e des erwähnten Ministerial-
erlasses Ansätze zu einer Besserung dieser Verhältnisse vorhanden
sind, indem die bereits vorliegenden Lesebuchumarbeitungen einen
den Forderungen unserer Zeit einigennassen angemessenen literar-
ästhetischen Inhalt aufweisen, so werden doch noch Jahre, vielleicht
gar Jahrzehnte vergehen, ehe die heranwachsende Generation zu
einem möglichst umfassenden Genüsse kommt, wenn nicht die
Lehrerschaft, selbst erfüllt und überzeugt von der strahlenden
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— 211 —
Schönheit der zeitgenössischen Dichtung, eifrig bestrebt ist, ihr den
Weg sowohl in die Häuser des Wohlstandes süs auch in die Hütten
der Armut zu bahnen.
Je sorgfaltiger bei der Auswahl der aus der neudeutschen
Dichtung zum Schulgebraucb herüberzunehmenden Stücke verfahren
wird, desto leichter wird das Ziel wenigstens annähernd erreicht
werden. Die nachfolgenden Zeilen wollen für diese Auswahl einige
Fingerzeif^e hirten.
NicliL auib ücriitcwohl darf beim Suchen zugegriffen werden.
Vorsicht und scharfe Kritik sind um so mehr am Platze, als der
Stoff von allen Seiten in Fülle herzuströmt.
Bei der Beurteilung der Aufnahmefähigkeit eines Gedichts
dürfen auf keinen Fall zunäch<^t Nel)en7.\vecke in die VVaf^schalc
fallen. Solche Nebenzwecke fassen diejenigen ins Auge, weiche bei
der Auswahl der poetischen Stoffe vor allem darauf sehen, ob sich
aus den au&unehmenden Gedichten „etwas machen lasst". Wer
dieses Moment als ausschlaggebend betrachtet, der vergisst es zum
Schaden der Sache, dass Gedichte in erster Linie erfreuen und
erheben sollen und entweder überhaupt nicht oder doch erst an
letzter Stelle belehren, warnen, ermahnen, also das Willensleben
unmittelbar beeinflussen wollen. Wirkliche Dichtungen sind eben
Kunstwerke und dürfen unter keinem andern Gesicluspunkte be-
trachtet werden als Werke der Malerei oder der bildenden Kunst.
Wer die Qualität eines Gedichts /.unäclist oder bloss nach
seinem Inhalte beurteilt, legt einen veralteten Massstab an. „Hin
Gedicht kann den höchsten Wert haben» wenn sein Inhalt religiös
oder patriotisch ist ; aber es hat ihn ni<^t deshalb, weil es religiös
oder patriotisch ist." Auch soi^en. , zwecklose" Gedichte, d. 1.. solche,
welchen jede Absicht, zu unterrichten, zu belehren, zu cr/.ieiien, fern
liegt, erfreuen, erheben, ergreifen das Gemüt Gerade an derartigen
Poesien ist die zeitgenössische Dichtung ausserordentlich reich.
Es ist also vor allem die rein künstlerische Bewertung, welche
bei der Auswahl der Gedichte den leitenden Gesichtspunkt bilden
soll Gedichte, welche in allen oder auch nur in einzelnen Teilen
gehaltlose Reimereien darstellen, wirken nicht Sic „haben kein
hochzeitliches Kleid an" und gleichen in ihrem Werte jenen Farben»
klexereien, mit welchen jedes Kunstverständnisses bare Leute die
Wände ihrer Räume „schmücken" wollen.
Spielen so einerseits bei der Auswahl ästhetische Fragen eine
wichtige Rolle, so dürfen auf der andern Seite doch auch die
Forderungen der Pädagogik nicht ausser acht gelassen werden.
Freudenberg weist in der Vonrede zu seiner Sammlung deutscher
Gedichte „Was der Jugend gefällt" nachdrücklich darauf hin, dass
sicti in einem Kinderkopfe die Welt nun einmal anders malt als
hinter der Stirn des Grossen. Dies treffende Wort mag bei der
Auswahl von Litcraturproben aus neuer und neuester Zeit für die
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— 212 —
Schule dem Lehrer ein Anlass sein, im wesentlichen nur solche
Dichter und Dichtungen zu berücksichtigen, welche nacli Mö^^dichkeit
der Forderung der „Kindertümiichkeit" gerecht \s-erden, indem sie
nach ihrem Inhalte der kindlichen Lebens* und Gedankensphäre
entsprechen.
Zu diesem Zwecke muss in umfassendster Weise auf das
apperzipierende Vorstellungsmaterial, welches das Kind durch Um-
gang und Erfahrung, durch Anschauung und Unterricht gewonnen
hat, Bedacht genommen werden. Aus diesem Grunde werden bei-
spielswetse brandenburgisdie Sdiulen unter anderen besonders die
Dichtungen eines Fontane verwerten, die Schule in Heide- und
Moorgegenden die eines Allmers und einer Droste - HülshoflT be-
sonders berücksichtigen, wit- für die Schuljugend in der Nähe der
Meeresküste solche Gedichte, in weichen sich die Leiden und
Freuden des Strandbewohners wiederspiegeln, in den Vordersprund
u rücken sind. Gerade solche Dichtungen, welche nach ihrem
Inhalte, vielleicht auch nach ihrer Sprache ein heimatliches Gewand
tragen, werden im Geiste und Gemüte des Kindes Anknüpfung*
punkte von bedeutender Stärke linden.
Bei der Auswahl des Stoffes darf auch nicht vergessen werden,
dass die Fähigkeiten des Kindes eine Grenze haben, die nicht un<
gestraft überschritten werden darf. Daher muss auf Gedichte,
welche nach Inhalt und Ausdruck jenseits der Krfahrungs- und
Verständnisgrenze der Schüler liegen, ohne weiteres verzichtet
werden. Aus diesem Grunde können im Stofiplan der mittleren
und niederen Schulen poetische Schöpfungen wie etwa solche von
Friedrich Nietzsciie, Hugo von Hoffmannsthal , Stefan George,
Maximilip.n Dauthendey, Alfred Mombert u. a. , ebenso viele von
Arno liülz und Richard Dehmel überhaupt keine Stelle finden.
Im allgemeinen ist die Zulassung oder Ablehnung eines Ge-
dichts natürlich ganz und gar von der Art und dem Standpunkte
einer Klasse bezw. Schule abhängig. Wenn so die Stoffwahl unter
sorg^faltigster Abwägung des Kunstwertes und der Kindertümiichkeit
und unter iierücksichtit^unL; der V^erständnissphäre der Jugend erfolgt»
dann werden von selbst solche Stoffe femgehalten, die sich in der
unterrichtüchen Praxis als die sogen, crux interpretum, als das Kreuz
der Au5l^;ung erweisen. Zweier derartiger Gedichte wurde bereits
weiter oben Erwähnung getan; es sei aber hier beispielsweise noch
auf folgende hingewiesen: „Die Worte des Glaubens" und
„Hottnung" von Schiller, „Sehnen" von Heine und „Muttersprache"
von Schenkendorf.
Dem Lehrer, dessen Aufgabe es ist, die Jugend in die Schön-
heit und hülle der zeitgenössischen Dichtung einz.uführcn, muss bei
der Auswalil des Stoffes die nötige Bewegung' ^frci heil, die unerläss-
liehe Vorbedingung jedes Gegenwartsunterriclits, durchaus gewahrt
bleiben. Zwar werden im Stofif- und Lehrplan diejenigen Gedichte
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213 —
namentlich bezeichnet werden müssen, deren unterrichtliche Dar*
bietujig und Verwertung verbindKdi ist; im übrigen wird man aber
dem Lehrer zutrauen dürfen, dass er mit feinem Takte und tiefem
Verständnis nach Massgabc der Zeit und des geistigen Standpunkts
seiner Schüler der Kette dieser Gedichte weitere Perlen der neueren
Poesie zufüj;ft.
Bei der Beantwortung der Frage, woher die darzubietenden
Dichtungen zu nehmen seien, sei vorweg bemerkt, dass man nicht
erwarten oder verlangen soll, dass das eingeführte Lesebuch das
erforderliche Material in hinreichender oder gar erschöpfender FüUc
cnthahen mög;e. Das T.esf^lvich <]icnt auch noch anderen Zwecken
als bloss dem schöngeistigen, und ihm ein rein literarisches Gepräge
zu geben, wäre unter den obwaltenden Verhältnissen nicht ratsam
und aus mannigfachen Gründen auch untunlich. Auf die aus-
schliessliche Hilfe des Lesebuchs, welches selbstverständlich neben
den durch ihren tiefen Gehalt und die sprachliche Schönheit un-
sterblichen Werken eines Goethe, Schiller, Arndt, Körner, Uhland usw.,
die auch in Zukunft im Mittelpunkte des literarischen Deutsch-
unterrichts Stehen müssen, auch die schönsten Perlen der zeit«
genösaschen Dichtung in mi^Vchst reicher Zahl enthalten muss»
kann um so leichter verzichtet werden, weil es nicht an ergiebigen
Quellen fehlt, die sowohl dem Lehrer als auch seinen Schülern
leicht ziigäni^lich sind.
Durchdrungen von der Notwendigkeit , Möglichkeit und Kr-
spriesslichkcit einer stärkeren Berücksichtigung der zeitgenössischen
Dichtung im Unterrichte haben Dichter und Schulmänner die
schönsten Blumen aus dem Garten der modernen Poesie gesammdt
und zu Sträussen p^ewunden, um .sie dem deutschen Volke und
seinen Bildungsanstaltcn zu „freudigem Schauen und Geniessen" dar-
zubieten. Es sei zur Förderung dessen, wa.s wir zum Segen der
Jugend erstreben, auf folgende Sammlungen hingewiesen:
1. Schulrat Dr. K. Lange, Dichterstimmen aus neuerer und
neuester 2<eit Anhang zu dem Leaebuche von Jütting imd
Weber und anderen Lesebüchern. Leipzig, Julius Klinlmardt.
0,10 M.
2. Rektor .Au<^ri*;t T.omberp. .Auswahl neuerer Gedirlite Beyer
und Söhne, Langensalza. 0,20 M. (Hierzu als Lrlauterungs-
werk Heft VI der „Pmparationen zu deutschen Gedichten"
von Lomberg aus demselben Verlage.)
3. Dr. Jacob Loewenberg, Vom goldnen Überfluss. Leipzig,
Voigtländer. Gbd. r,6o M.
4. Alwin Freudenberg, Was der Jugend gefallt. Deutsche Ge-
dichte aus neuerer und neuester Zeit Mit Bildern und Buch-
schmuck. Alexander Köhler, Dresden. Gbd. 1,60 M.
5. Rektor Richard Lange, Dichtergaben. Ein Lesebuch für
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die Obei-stufe mehi klassiger Volksschulen und iui Üurgcr-
und Mittelschulen. Leipzig, Dürr. Gbd. 2 M.
6. Dr. Ernst Wasserzieher, Deutsche Lyrik seit dem Ausgange
der klassischen Zeit bis zur Gegenwart Leipzig, Max Hesse.
Gbd. 1,50 M.
7. Hans Bethge, Deutsche Lyrik seit Liüencron. Leipzig, Max
Hesse. Kart 1,80 M.
S. Rektor Joh. Meyer, Spiegel neudeutscfaer Dichtung. Leipzig,
Dürr. Gbd. 3 M.
9. Maximilian Bern, Deutsche Lyrik seit Goethes Tode. Leipzig,
Reclam. Gbd. 1,50 M.
la Scfaulinspektor Karl Friedrich Linke, Poesiestunden. Dk;
deutsche Dichtung von den Sängern der Freiheitskriege bis
zur Gegenwart. Zu freudigem Schauen, Geniessen und
Vertiefen. (130 Dichter mit über 450 Dichtungen, zugleich
Präparat ioiis werk.) Hannover u. Berlin, Carl Meyer (Gustav
Prior). Geh. 6,50 M.
11. Ferdinand Avenarius, Hausbuch deutscher Lyrik. München,
Call W ey. Gbd. J M.
12. Ferdinand Gregori, Lyrische Andachten. Leipzig, Hesse.
1,80 M.
13. Vespers, Die Ernte. Braiid-Langewiesche, Düsseldorf 1907.
14. Hans Benzmann, Moderne Lyrik. Leipzig, Reclam. 1,50 M.
15. Aus Münchs Hausschatz, Deutsche Dichtung der Neuzeit
Band 1. Charlottcnbur"^, Richard Münch 1907.
16. Neuer deutscher Balladenschatz. Berlin 1907, August Scherl
Kart. 2. i\l
17. Balladenbuch der deutschen Dichter • Gedächtnisstiftung.
Hamburg^-Grossborstel 1905.
Die \orbczeichiieteii .Xntholoi^icn befriedigen durch die in ihnen
dar^^eboli-ncii Literatuqiroben auch die weitgehendsten Bedürfnisse
aller niederen und mittleren Schulen.
Natürlich darf der Lehrer nicht daran denken wollen, den ge«
samten Inhalt eines oder mehrerer dieser Bücher ohne vorauf-
gegangene Sichtung wahllos im Unterricht zu verwerten. Es wird
vielmehr darauf ankommen, dass er unter Rückf^ichtnahme auf den
geistigen Standpunkt, den Erfahrungskreis und das Interesse seiner
eigenen Schüler und nach Massgabe der verfugbaren Zeit diejenigen
Dichtungen auswählt, deren unterrichtliche Behandlung ihm be-
sonders wirkungsvoll und erspriesslich erscheint. Am besten und
zweckmässijTstcn ist es, wenn der Lehrplan der Schule die Richt-
linien für die Stichwahl gibt und, wie schon erwähnt ist, einige
Gedichte aus neuerer und neuester Zeit, welche neben denen aus
früheren Literaturperioden unbedingt zur Behandlung gelangen
müssen, genau bezeichnet und nach Klassen verteilt Au%kbe des
Lehrenden wird es sein, ausserhalb dieses „eisernen Bestandes", der
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übrigens auf ein geringes Mass zu beschränken ist, unter Berück-
sichtigung aller massgebenden Faktoren eine weitergehende Aus-
wahl zu treffen, um den Forderungen der Gregenwart an den lite-
rarischen Deutschunterricht nach Kiwtcn zu genügen. Es wird dem
Lehrer hierbei sehr wohl möglich sein, auch seinem persönlichen
Kunstempfinden Raum zu gewähren und Ausdruck zu geben.
Schluss folgt.
IV.
Neue Rechenmethode, gegründet auf das natürliche Werden
der Zahlen und dee Rechnene.
Voo Dr. L Wllk-Goduu
SeUnn.
IT.
Lekrplo fir das I. Sduiljahr.
a) Die Zahlen 1—4.
Die allermeisten Kinder bringen die Fähigkeit, die Zahlmoniente
sichtbarer Dinge momentan zu bestimmen , mit in die Schule,
höchstens bei der 4 hapert es hie und da. Der Lehrer hat sich
von dem Können zu überzeugen und durch fortgesetzte Übung die
Klasse gleichmässig zu machen.
" I. Momentane Bestimmung (also ohne Zählen) der Zahlmomente
von 2, I, 3, 4 Dingen auf Grund von Empfindung^en (Sehen, Hören,
Tasten). Etwa, wie folgt : Wieviel Augen habe ich ? Hier ein Auge,
da ein Auge (zeigen!): zwei Augen. Was kommt am Körper auch
noch zweimal vor?
Was ist am Körper nur einmal vorhanden? I Mund usw.
W'elche Gegenstände sind in der Stube einmal oder zweimal vor-
handen? Ein Tisch, zwei Stühle usw.
Wievielmal habe ich geklopft?
Ebenso Gegenstände, welche in der Stube dreimal und vier-
mal vorkommen.
Dann alles durcheinander mittels bestimmter Fragen des Lehrers:
z. B. wieviel Fenster hat die Stube? Drei Fenster: hier eins, da
eins, dort eins (immer zeigen 1) usw.
2. Einführung der Rechenmaschine:
Stelle soviel Kugeln auf, wie du Augen hastl zwei Augen, zwei
Kugeln. Ebenso die übrigen 21ahlen. Jetzt werden auch nicht an-
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wesende Dinge durch Kugeln ersetzt, so dass ihr Zahlmoment
sichtbar wird. Z. R. Stelle soviel Kugeln, als du Eltern hast:
Vater, Mutter, zwei Eltern, zwei Kugeln,
Die Anordnung der Dinge im Räume wird dabei zunächst noch
gewahrt: Bei den Tischbeinen werden die 4 Kugeln in Form eines
Quadrates, bei den Beinen des Pferdes in Form eines Rechtecks,
bei den Kindern der vieratzigen Schulbank in gerader Linie ge-
ordnet«
3. Abstraktion. Die Zahlen 2 — 4 an der Rechenmaschine in
allen möglichen Formen zcip^en, so dass die q^eo metrische Gestalt
des Zahlenbildes durch Hemmung aus dem Begriffe der Zahl aus-
fallt Jetzt wird auch nur noch gesagt: das ist die i, die 2 usw.;
und noch kürzer: i, 2, 3, 4 (das Wort Kugeki wird weggelassen).
Von jetzt ab werden die Kugehi nur noch in geradliniger Reihe
gestellt.
4. Die Einfuhrung der Finger. Die Renutzung beginnt mit
dem kleinen Finger der Unken Hand und endigt mit dem kleinen
der rechten. Die Hand wuxl dabei auf den Rand der Bank gelegt,
die gebrauchten Finger über die Platte, der Rest darunter. Der
Lehrer, welcher vor den Schülern stehend in entc^ec^engesetzter
Richtung sieht , hebt natürlich die Finger in umgekehrter Reihen-
folge, wenn er es vormachen will, mit dem kleinen Finger der
rechten Hand beginnend.
Lege 2, 4, 3> I Fingerl oder die 3, i, 4, 3.
5. Das Hinzufugen und Wegnehmen der i.
a) Ableitung der additiven Beziehungen i -f- i; 2 -j- I; 3+1
in Begleitung von Kugeln oder Fingern zuerst in ihrer Rolle als
Vertreter von Dingen (also zuerst Sachaufgnben) , dann abstrakte
Kmubang, möglichst bald auch durch«, inander. Nun erst der Auf-
bau der Zahlenreihe I — ^4, etwa wie folgt:
Lehrer: Lege 1 Finger (i Kugel); Kinder: „i Finger",
„ noch einen dazu; „ „2 Finger"
usw. usw.
Legt und sagt das der Reihe nach noch einmal: „i Finger,
2 Finger. 3 Finger, 4 Finger"; abstrakt; „l, 2, 3, 4". Einübung des
Zaiilens bis 4-
b) Ableitung der subtraktiven Beziehungen: 4 — i, 3 — f,2 — i,
ganz analog der Entwicklung der additiven, so dass zum Schluss
die Reihe 4, 3, 2, i entsteht Aufwärts«, Abwärtszählen. Zählen
von Dinggruppen.
6. Das I ün- iilViL;( n und Wegnehmen der 2.
a) 1 ^- - . - - (mit Fingern und Kugeln),
b) 4 — 2 ; 3 — 2 ( „ „ „ „ ).
Bemerkung: Nur das Ilinznftgen tmd Wegoebmen der l wird jetzt Mhon ohne
Uilfinnittel gefordert. Bei den Übrigen Zahlen worden so Innge die Finger tarn Rechnen
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— 217 —
benutst, bw die betr^nden Rd«tioaen von «elbtt tich dem Gedlebtots eingeprägt
haben. Bei dem einen Kinde wird d;\s früher, bei dem anderen spater ^eschthen; das
eine rechnet daher aus dem Kopfe, das andere an den Fingern. Diese Bemerkung gilt
ftr ailei Folgeade,
7. Das Hinzufögca und Wegnehmen der 3.
a) I +3; b) 4 — 3.
Übung über alle Au%aben aus Abschnitt 5 — ^ durcheinander.
8. Das Unterschiedsuchen: Wieviel ist 3 grösser (mehr) als 2,
kleiner (weniger) als 4? Die beiden zu vergleichenden Zahlen
werden am Apparat vor Au^jen gestellt, die eine auf dem oberen
Draht, die andere auf dem unteren.
Das Untcrschicdsuchcn wird schliesslich auch in folgender Form
geübt: Legt 2 Finger; wieviele muss ich zufiigen, dass es 4 Finger
werden? oder: Legt 3 Finger; wieviele muss ich wegnehmen, dass
nur I Finger liegen bleibt ? Ahnliche Au%aben auch abstrakt» aber
immer mit Hilfe der Finder.
Das Untersciiiedsuchen wird ausgedehnt auf den Inhalt der
Abschnitte 5 — 7.
Zahlenschreiben: |, ||, |||, |||| (einfache Striche ohne ab-
schliessende Querstriche).
Schnltiiche Aufgaben in der Form :
1 + 1 = 11 oder IUI- 111 = 1.
10. Sachaufgaben (ab Anwendung) über Gegenstände des kind-
lichen Gebrauchs.
Das Geld : Pfennige, Zweier. Gestalt, Farbe, Grösse und Dicke
zueinander. Geldwechseln: Hier hast du einen Zweier, gib mir
dafür Pfennige, i Zweier ist soviel wert wie 2 Pfennige, ob du
dem Kaufmanne zwei Pfennige gibst oder einen Zweier, ist einerleL
1 Zweier = 2 Pfennige.
Du hast ein Dreiersbrötchen zu bezahlea Bezahle es n^t
Pfennigen; bezahle es mit Zweiem und Pfennigen. Also: ein Zweier
und dl Pfennig = drei Pfennige. Wieviel Pfennige sind aber
2 Zweier? usw.
Jedes Kind muss die Geldstücke in die Hand bekommen und
einzelne solcher Zahlungen ausfuhren.
b) Die 5.
I. Wie. ici einzelne Blätter hat dieses Blatt (wilder Wein, auch
einzelne Kastanienbiätter) ?
BemerlcDsg: Wenn xaflUlii; ein Gegemtand flinfinal in der Stabe TOiltonnnt, kann
auch diese Gruppe als Ausgangspunkt bcnnt/t werden. Vielleicht auch 5 Schieferstifte,
Schiefeitafeln usw. Von den 5 Fingern der Hand auszugeben, würde ich venneiden,
vdl.Yide Kinder Mhon aonrend^ trisMB, dut die Hud 5 Finger hat» olwe daw aie
«■ Kcbt bcgiiAsn haben, «dl sie eben mir vorgeingte Worte gelernt bähen.
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— 2l8 —
Die ersten 4 Blatter werden durch Zählen oder momentan
festgestellt; dann noch i Blatt Also:
4 Blatter und i Blatt; das nennen wir 5 Blatter. Demnach
4 Blatter + i Blatt = 5 Blätter.
2. Ersetjren der Blätter oder der anderen Gegenstande durch
die Kugeln, durch die Fiiij^er.
Auswendig: Die Hand hat 5 Fin^ci.
Andere Gegenstandsgruppen mit dem Zahlmoment 5, für jeden
Gegenstand i Finger gelegt.
4. Die Reihe der Addition der i erweitert bis 5. Also i -)- i ;
2+1: 3-ri;4+i; kurz: l, 2, 3, 4. 5.
Rückwärts; S — 4 — l; 3 — i;2 — l; kurz S, 4, 3, 2, I.
Durcheinander!
5. Das Hinzulugen und Wegnehmen der 2.
a) I + 2; 2 + 2; 3 + 2.
b) 5 — 2; 4 — 2; 3 — 2.
6. Das Hinzufügen und Wegnehmen der 3.
a) I +2; 2 + 3.
b) 5 3 ; 4 — 3.
7. Das Hinzufügen und Wegnehmen der 4.
a) I H- 4; b) 5 — 4,
Übungen ausser der Reihe.
8. Das Unterschiedsuchen auf den Inhalt von 4 — 7 ausgedehnt
9. Schriftliche Aufgaben.
IG. Anwendung auf Sachen. Insbesondere der Fünfer oder
das Fünfpfennig^Stück. Geldwechseln. Einkaufen und Bezahlen.
Bemerkungen:
a) Hier kann nunmehr auch das „Nichts" hinzugenommen
werden. Fs erscheint als l — i ; 2 — 2; 3 — 3 ; 4 — 4; 5 — 5.
b) Die 5 wird von jetzt ab als Einheit aufgefasst, wenn kein
besonderer Grrund vorliegt, sie in ihre Vielheit zu zerlegen. Beim
Fingerrechnen bildet die Hand die Einheit, beim Kugehrechnen wird
sie dadurch angedeutet, dass die Kugeln ohne Zwischenräume gesetzt
werden. Sobald also die Hand [gezeigt wird oder die Kuf];eln ohne
Zwischenräume erscheinen, so weiss das Kind, dass die 5 gesetzt
ist Eine Nachprüfung durdi Zahlen ist nicht zu fordern.
I. Ausgangspunkte: Für 6 die Anzahl der Schuhage zwischen
zwei Sonntagen, vielleicht auch die Wände (Begrenzungsäächen) des
3. Abstrakt: 4
5
-1=4/
mit und ohne Finger oder Kugeln.
c) Die Zahlen 6 — 10.
Digittzed bv GoooIp
— 219 —
Schulschrankcs oder der Schulstubc, die Fensterscheiben, wenn das
Fenster 6teilig ist
Für 7 die Anzahl der Wochentage oder das Kastanienblatt
Für 8 die Fensterscheiben, wenn das Schulfenster Steilig ist»
oder die Anzahl der Kinder auf zwei viersitzigen Banken.
Die 9 kann vielleicht durch Ergänzung ohne besonderen sach-
lichen Ausgangspunkt an den Fingern gewonnen werden; vielleicht
auch 9 Schieferstifte oder was sonst gerade 9 mal vorhanden ist
(z. B. Türfüllungen).
Für 10 die Finger beider Hände.
Überall Übertragung des Zahlmomentes der Gruppen zuerst
auf die Finger, dann auf die Kugeln. Es entstehen folgende Finger-
Ulder:
Hand und l Finger; 5 Finger und i Finger; heisst 6 Finger.
Also 5 -|- 1 = 6.
Ebenso wird gewonnen ;
; 2 = 7 ; 5 -f- 3 =: S ; ; 4- 4 = 9; s -}- t; = lO.
Diese i'ingcrbildcr sind fest einzuüben in der doppelten Form: der
Lehrer zeigt das Bild, die Kinder sagen sofort die Zahl (6, 8 usw.)
und umgekehrt: der Lehrer sagt die Zahl, die Kinder stellen das Bild.
2. EinreihuTig der neuen Zahlen in die Zahlenreihe durch Hinzu-
fiigung der i, beginnend mit 5.
a) 5 + i; 6-{-i; 7 + 1; S i ; g -\- i (an den Fingern ab-
lesen) kurz: 5, 6, 7, 8, g, 10. Zählen: i — 10.
b) 10 — I ; 9 — I ; 8 — I ; 7 — i ; 6 — I (an den Fingern ab-
lesen), kura: 10, 9, 8, 7, 6, 5. Zählen: 10— i.
Übungen durcheinander ohne Hilfsmittel; auch in der Form:
die 7 steht zwischen 6 und 8, ist i grösser als 6 und I Ideiner
als 8 'also in der Form des Unterschiedsuchens). Bestimmung von
Zahlmomenten von Din^gruppen durch Zählen. Die Kinder be-
kommen ein Bündel Stäbchen in die Hand und haben davon 8, 6,
9, 7, 10 Stäbchen abzuzahlen.
3. Hinzulegen und Wegnehmen der 2. Pas Folgende zunächst
alles noch mit Hil&mitteln.)
a) 1 + 2; 2 + 2; 3-|-2;4 + 2bis8-h2.
b) 10—2 0 — 2 bi.s 2 — 2.
Ausser (ier Reihe üben.
4. Das Hinzufügen und Wegnehmen der 3.
a) I -f- 3; 2 + 3; 3 -f 3; 4 -f- 3 bis 7 + 3.
b) 10 — 3; 9 — 3 bis 3 — 3.
5. Das Hinzufügen und Wegnehmen der 4.
a) I + 4; 2 + 45 3 + 4; 4 -f 4; 5 + 4; 6 + 4.
b) 10 — 4: 9 — 4; 8 — 4 bis 4 — 4.
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6. Das Hinzufügen und Wegnehmen der 5.
a) i + S;2 + 5i 3 + 5J4+5; 5 + 5.
b) 10— 5; 9— 5 bis S — 5-
Das Unterscfaiedsuchen auf den Inhalt von 3 — 6 ausgedehnt
8. Schriftliche Aufj^aben und Anwendung auf Sachen. Dabei
der Groschen oder das 10-Pfennigstück, auch kurz ,^hncr" genannt
Bcmerkan^: Alle diese Zahlcnrcihco sind aar Stofliuordntingcn für den Lehrer
und nicht etwa wie das Eiomaleia» auvwcodig za lernen Alie natttrliche Zahlenreihe
selbstverständlich ausgenommen). Die Hauptsache wt, da« diese Relationen aniier der
Reihe geiibt werden.
Wenn der Unterricht bis hierher gekommen ist, sitzt sicher im
Gedächtnis die Zahlenreihe bis 10 (zählen auf- und abwärts, Hinzu-
fügen und Abziehen der i). Manche der übrigen Relationen des
Einszueinses werden ebenlaJls schon behalten sein, alle aber jeden-
falls nicht.
Sie sind nunmehr bis zur Geläufigkeit einzuprägen. Um aber
eine doppelte Belastung des Gedächtnisses zu vermeiden, ist es
jetzt an der Zeit, die Vertauschbarkcit der Posten aufzAizeigen.
So lange mit Hilfsmitteln gerechnet wurde, war das zwecklos.
Die Vertauschbarkeit ist sofort selbstverständlich, wenn die
Addition in Form des Summierens gefasst wird. Es werden also
Aufgaben gegeben wie: Wieviel ist 3 und 2 zusammen? Dabei
müssen die beiden Kugel- oder Finf^ergruppen gleichzeitirr vor
Augen stehen; sie werden daher gesetzt vor Stellung der AülL;abe.
Am Kugelapparat werden die beiden Gruppen geschieden durch
einen etwas grösseren Zwischenraum. Sobald die Überzeugung
von der Vertauschbarkeit der Posten an Beispielen gewonnen ist,
hat der Unterriclil besonders auf diejenigen Relationen hinzuarbeiten,
in welchen der zweite Posten kleiner otler höchstens gleich dem
ersten ist Diese bilden den Stamm des Einszueinses. Die übrigen
werden durch Vertauschung der Posten auf diese zurückgefiihrt,
müssen aber ebenfalls tüchtig geübt werden.
Das schriftliche Rechnen nimmt \on jetzt ab den Charakter
einer Wiederholung gcdächtnismässigcr Leistungen des Kopf-
rechnens an. Deshalb werden die römischen Zahlzeiclien über-
flüssig und ersetzt durch die kürzeren und bequemeren arabischen
Ziffem. Nur die römische Zehn wird noch beibehalten, bis im
zweiten Schuljahre der Stellenwert der Zahlen gewonnen ist
d) Die Vertauschung der Posten in den unmittelbar
aus der natürlichen Zahlenreihe sich ergebenden
Relationen.
Voraussetzung: Die Zahlenreihe i — 10; Auf- und Abwärtszählen;
die Relationen i ^- i ; 2 -|- i ; 3 + i bis 9 -f- i*
221
1. Die Vertauschung der Posten : Die Gruppen dieser Relationea
werden nacheinander gesetzt und bei jeder die Frage gestellt: Wie-
viel zusammen? Diese Posten werden dabei von beiden Seiten her
gelesen. Wir erhalten:
2+1=3 3-1-1=4 bis 9+1= io
1 + 2 = 3 1 + 3 = 4 1+9 = lO
Bemerkung: Wenn es güt, einzuprägen, nehme der Lehrer immer nur so viet
Glieder einer sulchen Reihe vor, wie er einprägen kann. Ks v/iri! mch gut sein, gleich
die folgenden Xuniniern (das ünter^chiedsuchea und Abziehea) tur dicj»c (ilicder vorweg-
zunehmen, elie der UnUfficht dic folgende mdditive Relation in Bearbeitung nimmt. Das
gilt auch für das Folgen ie.
Probe der gelungenen Einprägung: Welche von diesen Zahlen
geben zusammen 3, 7, 6 usw.?
2. Unterschiedsuchen: Wieviel ist eine Zahl grösser als die
andere? z. B. 7 grösser als 6; 7 grösser als i?
3. Abziehen: z.B. 6 — i;6 — 5;8 — i;8 — 7 usw.
4. Schriftliche Aufgaben: Wenn die Kinder jetzt schri^che
Aufgaben wie 5 + 1= 6; 1 + 5= 6; 6 — i = 5; 6 — 5 = i
gerechnet haben, werden sie auch das Schema verstehen:
5 + ? = 6; I + r = 6; 6 - ' = 5 : - ? = I.
5. Sachaufgaben über Dinge und Geldwerte: z. B. i Zweier
und I Pf. = ? Pf.; I Pf. und I Fünfer = ? Pf. Du hast 4 Pf. zu be-
zahlen und gibst einen Fünfer hin; wieviel bekommst du heraus? usw.
e) Die Reihe der geraden und ungeraden Zahlen.
i. Gegenstandspaare z. B. Paare von Schuhen. Für jedes Paar
werden zwei Kugeln gestellt, so dass nach und nach folgendes Bild
entsteht :
1 Paar Schuhe sind 2 Schuhe;
nocli ein Paar hinzu: 2 Sch. + 2 Sch. = 4 n '-,
„ „ n „ 4 ^ch. + 2 Sch. ^6 „ i
>« » » » 6 Sch. + 2 Sch, = 8 „ ;
„ „ „ „ 8 Sch. + 2 Sch. = 10 n
Die Kinder rechnen d.il>ei an den Fingern , der Kuge!apparat (vom Lehrer ge»
bandhabt) dient nur dam. das p;uirwcisc Auftreten der l>inge zu versinnbüdlichrn.
Der Reihe nach einprägen immer in Begleitung von Kugeln
und Fingern. Dasselbe mit nackten Zahlen. Daraus die Reihe der
geraden Zahlen: 2, 4, 6, 8, 10 (auswcndi^^ lernen!). Jetzt muss das
Mnzufiigen der 2 für diese 4 Fälle sitzen. Der Lehrer überzeugt
sich und übt besonders auch ausser der Reihe.
Das Abziehen der 2 (10 — 2^8 — 2 usw.) wird nunmehr ohne
weiteres ebenfalls gehen.
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2. Wir haben einen einzelnen Schuh und setzen dazu ein Paar;
noch ein Paar usw. Es entsteht am Kugelapparat folgendes Bild:
Der T phrrr lasst das Bild nach und nach entstehen, die Kinder
rechnen an den Fingern:
Zuerst vorhanden: I Schuh;
dann i Sch. -\- 2 Sch. = 3 Schuhe:
dann 3 Sch. 4~ 2 Sch. = 5 „ ;
usw.
Das Weitere wie bei den geraden Zahlen. Wir erhalten die
Reihe der ungeraden Zahlen, so genannt, weil immer i über die
Paare hinausragt (siehe Bild am Apparat). Auswendig lernen! Nun»
mehr muss auch das Hinzufügen der 2 in den übrigen Fällen ohne
Hilfsmittel gclicn. Ebenso das Abziehen üben. Dann beide Fälle
gehörig durcheinander mischen.
3. Die Vertauschung der Posten:
3 + 2 = 5 4+2 = 6 5 + 2 = 7 6+2 = 8 7 + 2 = 9
2+3=0 2+4=6 2+5=7 2+6=8 2+7=9
8 -J^ 2 10
2 -|- 8 = 10.
Probe: Welche von diesen Zahlen geben zusammen 5, 8 usw.?
4. Unterschied: Wieviel ist 7 grosser wie 5? 7 grösser wie 2?
Wieviel fehlt?
5. Abziehen: z. B. j — 2; 7 — 5 usw.
6. Anwenden: Schrifthche Aufg.j Sachaufgaberu
f) Die Beziehungen, welche eine 3 als Posten enthalten.
Frage: Wieviel ist zusammen?
3 + 3 = 6 4+3 = 7 5 + 3 = 8 64-3 — 9 7 + 3 — 10
3 + 4 = 7 3 + 5^-^ 3 + 6 = 9 3 + 7 = 10
Posten am Apparat gestellt : die Kinder rechnen an den Fingern,
bis es auswendig geht (vgl. obige Ikmerkung unter d, l).
Alles weitere wie unter e, 4 — 6.
g) Die Beziehungen, welche eine 4 als Posten enthalten.
Frage: V^eviel ist zusammen?
4 + 4^=8 5-4-4 = 9 6 + 4=10
4 + 5=^9 4 + 6— lo
Alles weitere wie vorher.
Letzte Beziehung: 5 + 5 = 10. Diese sitzt längst fest (2 Hände).
Zur Übung — und nur in dieser Absicht — können nunmehr auch
die Relationen sämtlich um Einzelzahlen gruppiert werden.
Z. B. 10=5 + 5=6 + 4 — 7 + 3 — 8 + 2 — 9+1,
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— 223 —
Übungen, welche die Multiplikation und Diviston vorbereiten.
h) Die Reihe der Anzahlen von Zweien.
Am Kugelapparat wird vorgeführt (Finger überflüssig):
1 Zwei = 2 ^nsen;
2 Zweien = 4 „ ;
3 .» =6 „ ;
4 M = 8 „ ;
5 =10 „
1. I Paar Schahe = 2 Schuhe ;
2 »» n 4 »
3 n n ^ n
4 » n =8 fi
5 »I » = >o „ . _ .
Einüben in und ausser der Reihe. Dasselbe ohne Apparat.
2. Umlcehrung (Vorstufe des Enthaltenseins oder Messens):
Wieviel Paar sind 2, 4, 8, 6, lO Schuhe? Wieviel Zweien sind 2,
4, 8, 6, 10 Einsen?
3. Sachrechnen: Wieviel Pf. sind i, 4, 3, 2, 5 Zweier? Wieviel
Zweier sind 2, 4, 8, 6, 10 Pf.? Wieviel Pf. kosten i, 4, 3, 5, 2
ZweierbrÖtdien? Wieviel Zweierbrot^en erhält man für 4, 8, 6, 2,
10 PC? Ahnliche Aufgaben. Schriftliches Rechnen unterbleibt
i) Die Reihe der Dreien.
I. AusganiTspunkt : 3 Bänke mit je 3 Kindern. Der Lehrer
lasse an der Tafel folgendes Bild entstehen:
Auf I Bank sitzen 3 Kinder; i Drei hat 3 Kinscn ;
„ 2 Bänken „ 6 „ ; 2 Dreien haben 6 „ \
M 3 w tt 9 n * % n fi 9 I» •
Daraus die Reihe der Drden: 3, 6, 9. (auswendig!)
2. Umkehrung: Wenn auf jede Bank 3 Kinder zu sitzen
kommen sollen, so hrauclit man für 3 Kinder i Bank, für 6 Kinder
2 Bänke, für 9 Kinder 3 Bänke. Allgemein; Wieviel Dreien sind
6, 9, 3 Einsen?
3. Sachrechnen: Wieviel kosten 1, 2, 3 Dreiersbrötchen r Wie-
viel Dreiersbrütchen bekonunt man (ur 6, 9, 3 Pf.?
k) Verdoppeln und Halbieren.
Vorbemerkung: Der Begriff des „Verdoppeins** oder „Noch-
einmalstcllens" wird im folgenden gleich mitgewonnen. Die Begriffe
„Halbieren, halb, Hälfte, Mitte" müssen aber vorher schon an vielen
Beispielen klar gemacht sein. Man halbiere also zuerst Gegen-
stände, am besten zuerst runde z. B. Äpfel, Kartoffeln, Kreise;
dann auch Papierbogen, Papierblätter, ein Stabchen, eine gerade
Strecke usw. Einen Apfel halbiert man also, wenn man ihn mitten
durchschneidet, in zwei gleiche Teile zerlegt Halber Apfel; die
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beiden Hälften. Die beiden halben Äpfel zusammen der ganze
Apfel, die beiden Hälften das Ganze usw.
1. Der Lehrer stellt i, 2, 3, 4, 5 Kugeln auf den einen Draht.
Der Srhüler erhält die Aufgabe, das ( rrstcllte zu verdoppeln, also
noch einmal zu stellen (auf dem anderen Draht). Wir erhalten:
2 Einsen - - 2; oder: die 1 verdoppelt gibt 2^
2 Zvveien= 4^ „2 „ »4;
2 Dreien« 6; „3 „ „ 6;
2 Vieren = 8; „4 „ »8»
2 Fünfen = to; „5 „ * » I<X
Einüben in und ausser der Reihe!
2. Umkehrun^: Teile oder brich jede der Zahlen 2, 4, 6 usw.
in 2 gleiche Teile (halbiere sie); wie gross ist jede Hälfte? Die
Hälften der 2 sind Einsen» die Hälften der 4 sind Zweien usw.
3. Sachrechnen: Wieviel Kinder auf 2 Banken (Zweisitzer, Vier*
sitzer)? Wieviel Beine 2 Menschen, 2 Pferde, 2 Hunde? Wieviel
Finger 2 Hände? Wieviel Fenster 2 Schulzimmer? usw. 2, 4, 6,8,
10 Äpfel unter 2 Kinder zu verteilen; wieviel erhält jedes? Die
Schulwoche zerfällt in 2 halbe Wochen; wieviel Tage jede Hälfte?
Welche Tage gehören zur ersten Hälfte, welche zur zweiten? 2
kleine Heftchen kosten 10 Pf.; udeviel jedes? 2 Brötchen kosten
4 Pf., 6 Pf.; wieviel jedes? 2 Federn (Schieferstifte) kosten 2 Pf.;
wieviel jede? usw.
I) Verdreifachen und Dreiteilung (Dritteln).
Ini ezug auf die Vorbereitung der Begriffe Dreiteilung und Vier-
teilun^ gilt das über das Halbieren Gesagte.
3 Einsen = 3; 3 Zweien ~ 6; 3 Dreien = 9. Umkehrung.
Die Verdreifachung durch Punkte an der Tafel illustrieren. An
demselben Bilde die Dreiteilung zeigen l
m) Die Vervierfachung und Vierteilung (Vierteln).
4 Einsen = 4; 4 Zweien = 8 und Umkehnmg.
SehlMSwort
Unsere heutige Rechenmethodik ist erklügelt und gekünstelt
Man hat weilläufif^e und schwierige Untersuchungen angestellt über
das VS'esen der Zahlen. Wozu? Solche Nüsse mag der Philosoph
knacken, dem nun einmal von Amts wegen die Pflicht obli^^
fiberall nach den letzten Gründen des Gewordenen zu suchen. Der
Pädagoge braucht sie nicht. Wenn die Menschheit hätte warten
sollen, bis die Philosophie mit ihrem Denken zu Rande gekonunen,
hätte sie bis auf den heutigen Tag noch nicht bis zwei zu zählen
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— 225 -—
fdernt Die Zahlen und das Rechnen and die einfachste Sache
von der Welt, wenn man sie mit den Augen des Volkes und des
Kindes ansieht. Die Schule hat mit dem Wesen der Zahlbegriffe
so wenig zu tun wie mit der Metaphy'sik der Dinge.
Aber man will ja mit solciicn hohen Gedankengespinsten einen
einfachen, den richtigen Weg linden, wie die Zahlen an das Kind
heranzubringen sind. Wir zweifeln an dem Erfolge, und die Er-
fahrung — so will uns bedünken — gibt uns ein Recht dnzn. Was
ist herausgekommen? Unklare und falsche lit lai^kcn über die
Schaubarkeit und Vorstell bar keit der Zahlen, eine unabsehbare An-
lahl von Rechenmasclunen, eine immer gdcüastdter und kompli-
zierter als die andere. Und trotzdem 1 Der Nürnberger Trichter
ist noch immer nicht erfunden.
Aber es scheint, als ob es anfinge zu tagen. Schon regen sich
Spott und Hohn über die Erfindungssucht und die philosophischen
Anwandlungen unserer Rechenkünstler. Wer zuviel doktert, kann
unter Umständen ein gesundes und kräftiges Kind zu Tode kurieren.
Uns will es scheinen, als ob am Rechenunterricht wirklich etwas
zuvnel herumkuriert worden sei. Umkehr tut not. Die Rechen-
niethodik wird erst wieder gesund werden, wenn man alle
Künsteleien in Theorie und Praxis aufgibt und die Wege aufeucht,
weldbe die Zahlen und das Rechnen im natürlichen Laufe gegangen
sind. Leider wird die freie Entwicklung des Kindes innerhalb der
Kulturvölker abgebrochen durcli dns gewaltsame Eingreifen der
Schule, gerade da, wo die Beobachtungen der Psychologen uns am
notwendigsten wären. Zum Glück liegt das, was in der kindlichen
Seele auf .kurze Zeiträume zusanmiengedrängt entsteht, über Jahr-
tausende auseinandergezogen vor unseren Blicken ausgebreitet in
der Entwirklun;^ ricr Volker. Hier ist zu finden, was uns not tut
iur den Rechenuuterricht, die Natürlichkeit
B. Kleiner« Beltrige und HltteUniigei.
L
Ober E. V. SallwQrks „Prinzipien und Methoden der Erziehung" und
die dritte Auflage der „Didaktischen Normalformen".
Von Fr. Franke in Leipzig.
SckluM zn Heft 1.
II.
r»ip dritte Anflajre der ..Normalformen'* ist fast plf»icbzeitifr mit meiner
Besprechung; dir zweiten Auflage encliieaeiij ich habe mich alao bei dieser
PUafOglache äludien. iUUX. B. 15
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— 220 —
Allfeige mdit in der nii«igeo«3iiiieii Weiia wie bei der Tongen mit Erwidernngee
zu befassen. Im Vorwort sagt der Verf. sogar, weil die Schrift Ober „Das Ende
der Zillerschen Schule" die Angriffe, welche von Zillerscher Seite ireg^n die
Norroalformen erhobeu worden seien, sarUckgewiesen habe, habe er in der dritten
Auflage „allaa Pelenlaehe gern getilgt", und dfti wvrde in der »Dentichen Sdude"
eofört belniuit gemaditw In Wirklichkeit rind allerdiogt nur einige polenieehe
Stellen weggelassen, darunter auch einige, die ich beanstandet hatte, der Ausfall
ist aber dnrrli tipup Zusätze rÄumlich fast bis auf <^ie Zeile ausgeglichen. In
diesen Ä.uderuu';;eD zeigt sich nun eine gewisse Wandlung nicht nur in der
Polemik, sondern auch in der eigenen Aiuioht des Verfuiers.
1. Die Aiueige der 1. Auflege der Kormalfonnen (Fid. Stud. 1906^ 8. 402)
bat ohne weitere Bemerkung mitgeteilt, dass Yerf. den üntenieht in den
„Fertigkeiten" des Schreibens. Siujrens, Zeichnens und Turnens von seiner
Normaldidaktik ansschliesse. Auf .soine Fray;(*, ob „eine mit leiblichen Mitteln
SU leistende iuLigkeit nach der Methode unserer Normaididaktik ausgebildet"
werden ktane, antwortete er denmb eellMt: «l^ie Frage mnie ohne weiten»
Temeint werden; denn die letztere ist denOeeetzen der Erkenntnishildung gemäss
gfestaltet worden und nimmt infolgedessen auf leibliche Tätigkeiten keinerlei
Rücksicht: Diese können ihr nur Mittel, aber nie Zwecke werden. Eine ptinze
Hälfte der Akte, die bei der Ausbildung dieser Akte zu durchlaufen ist, entspricht
dem Sehema Srkenntniabfldung nicht Nor die bdden enten [nSndich
1. genane VorsteUong der Bewegnn^ ihrer einaelnen Akte nnd der richtigen
Reibenfolge, 2. sichere Einprägung dieser Ordnung] zeigen eine gewisse Ver-
wandtschaft mit den beiden Herbartschen Sttifen der Klarheit nnd Assoziation,
und das kann vielleicht zu dem Irrtum der Zillerschen i)chule beigetragen haben,
die aneh Fertigkeiten nadi den ForaieJetttfen behandeln will; mit unserer dldak-
tiaehen Methode berlkhren aida aneb dieae beiden Akte nicht» nnd ee.iat wichtiiTi
dasH der Unterricht «ich klar darftber sei, was er leisten kann nnd was er fremder
S'rjr^r'' überlassen muss." Man mn.<*8te sich damals fracren . wie denn nnn die
Ptlege dieser Fertigkeiten, die der Unterricht „Cremder Sorge tiberla-nsten nmss",
eigentlich heissen solle, wenn sie nicht Unterricht sei. Auf jeden Fall rflckte
Yerf. diese Pflege ren dem Gebiet seiner didaktischen Normalform weit ab und
tadelte die Zillefsehe Sdiule, weil sie es anders machte. Ähnliche starke Änise-
rangen hatte er sehon weit früher (in „Handel nnd Wandel"' cfetan.
Zu di^er Ansicht hatte dann Natarp in seiner Ijcspreclniiij^ der „Nonnal-
foruien" gesagt: „Eä ist uuwahrdcheiulich, da^s die Methode iu diesen Gebieten
eine von Omnd ans andere a^ mflsse^ wahrscheinlich dagegen, dass sie inneriialb
des weiten Rahmens der Methode — es gibt nur eine — sich in besonderer
Weise gc^'t-iitim wird."')
Herr v. Sallwürk nahm in der bald darauf erscheinenden Schrift „Haus,
Welt und Schule" (vgl. Päd. Stud. 1906, S. 21» ff.) sofort darauf Bezug (S. 8öf.)
nnd venichwte selbst, dass es sich bei den leiblieliNi Ftotigkeiten „nnr nm eine
Modifikation der Methode bandeln kSnnen. . . . Eine fttr Erkenntnisbildang
wid WiUenabildnng geeignete Methode noss so viel Geschmeidigkeit heben, das*
1) Rheinische Blätter für Erz. u. Unt 1UU2, S. lia.
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— 227 —
ancb die leiblichen FMtig'keiteii in ihrem Rahmen PlaU finden können." Aber
die Differenz mit der Zillerschen S< hn!f inir lp dadorch in seinen Ani,'CTi nicht,
wie man hätte erwarten mftwn. genu^ar, mir war nicht mehr die Rede darou,
d&ss die Einzelakte der leiblichen Tätigkeiten sich nicht mit den Akten der
firkanntnistitiglreiteii deckten« Miidera enter Lbüe" tollte das „phanteetiielie
LehrpUnj^jetem" Schwierigkeiten geschaffen haben, zu deren Beeeitiguog eine
besondere Arbeit nötig sei. Die 2. Atiflfic"'^ der „Normal formen"' Hess znnSchst
die ganze oben ani,'efülirte Steile weg. lu dem darauf fnlircTKlen Stück hiess es
noch: „Wenn in der Zillerschen Schale nach den Fornialstuteu gesnngen and
geiciiiliiiet wird, weiden dleee Fleher dem Xouwntmtionegednaken dieeutbsr
genmchl Sie verlieren damit Ihre eigenen Zwecke; die Xetlwde kann bei »deber
Bflliandlnng jedenfalls nicht der Kunst als solcher dienen.** Diese gewiss wenig
«winsrende Art zu schliessen wurde in der 3 Auflage ebenfalls weßTrela<i»<»n
und durch eine neue Stelle ersetst, welche nunmehr, wie die unterdes erschienene
Schrift aber die Prinapien «ad Mstboden Idire, behauptete, der L'nterricht in
den Fettigkeiten wriange nur eine Hödidkalion'' der allgemdtoen plda-
gogiaehen Methode.
Nun liegt es mir t^ewiss fem, an sieh t-'wvn Wandel der Ansicht tadeln jtn
wollen; jeder wirkliebe Fortachritt geschieht hioss dadurch, da^s mau von der
Unwissenheit zum Wissen oder von einem falschen zu einem besseren Wissen
IttergAt, nnd danini mnw Jeder ateta bereit aein, daa aelbat an tnn>) und ea bei
dem Andern aninericennen*) — wenn nur die UmwandlnngsfonnaliUlten einwand-
frei erfüllt -werden. Aber die Art, wie der Verf. erst von dem einen, spüter von
dem anderen, entgegengesetzten Standpunkte aus an der Zillerschen iSchuie Kritik
übt, ist nach dem Gesagten aufiäiiig, und et» wiederholt uich auch die leider schon
belnumte Wakmehmnng, dMa in eeinen kiitiachen Ananhmngen Uber die Hethode
Zillen sehon der Bericht darüber nicht zuverlässig ist. HierfOr nut ein
Beispiel. Er hehaupti^l in „Haus, Welt und Schule-^ iS. HR) über das Singen, der
Betrieb „nach den didaktischen Formalstufen, welche für die formale Behandhm^
des geaamteu die Kulturstufen darstellenden Stoffes massgebend Hind**, müsse zur
»Gewalttitigkeit*' in der Aoawahl nnd snr „VemadiUtosigung dar tedimaoben
Anabildnng" flliren. i,l>ut Süignnterricht, der vom Geainnnngsanterricht eich
aeiaan Stoff zuweisen lässt, wird sich nicht die Zeit zu stimmbildenden Übungen
nehmen und nicht jene einfachsten, in heschrRnktestem Rnnme sich bewegenden
Helodieu wähltu oder selbst gestalten dürfen, welche die Kücksicht auf die noch
unentwickelte jugendlidie Stimme nnd nnf die Oeaondbeit der Kinder fordert"
Xnn aagt aber Ziller Uber den Qeanng: «Er trlgt gleldifalla [Torher war vom
Zeichneu die Rede] dazu bei, dass sich eine engere Verbindung der Erziehung
mit der Kunst knüpft. . . . Nur muss sich der Text und seine Behandlung dem
besonderen Sachgebiete genau anschliessen [hier also wirkt der Kouzentrations-
gedauke], und Text nnd Melodie mUssen, ganz abgesehen von den ästhetischen
») .,Über lebhafte Gefühle und Liebliutrsineinungen ist der Fühlende nnd
Meinende stets ein parteiischer Richter. Überzeugung ist nur da vorhanden, wo
man sich bereit weiss, auch das Gegenteil fttr wahr gelten an laaaen, wenn ea
bewiesen würde." Rerhart. Kehrb. l. S. 618; Hart 7, 613.
') Krläuteruugeu zum 36. Jahrb., S. 16.
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— 228 —
FDrdernn^en fderen Befolgung also alg BellMVttttlndlkh gilt], in Angemeneiibeit
znr Tuilividnalifät de« Gn-^tc--- nii'I (Im StimroorsrAns stehen lu beiderlei Be-
ziehunjtr atelleu die Tolkstuiulicbeu melodischen Kinderreime, die sog. MutterUeder,
die im Liederhort vou ß«>chholz enthalten sind, ein wurklichea Maater aoi. Sie
halten tieh gaas im QttriehtakraiBe dce Kindel «od ftbenehrelteii anch die eof*
begrenzte Stufenfolge von Tönen nicht, die dem Kinde in der KindergtrfeenMit
EU (tfbnte steht."') Hätte da drr Verfasser nicht n^cht anders reden nir!«"«en'
Denn auch bestimmte Fehlt^niU' <\i^v Aii«fölirung, wenn er solche im ^ume
gehabt hätte, wUrden die übereinsiimmuug lu den wet»euüicheu Punkten der
Theorie md die ffiditigk^ denelben nicht nnfhebea. Zum Oberflnie aagt
Terf. seibat an einer anderen Stelle deaidben Buches (S. 106): ^Wir schliessen
daher das Singen an unsere Geschichten an. so dass die Texte volles Verständnis
fimlfMi V:"nnpn/ Und was tun die Konaentrationsmethoiiiker Weiter sagt Verf.
an demseibtiu Orte: „Singen ist gehobenes fieden"; und „der Gesangonterricht
giht dmn Kinde ein WMwbndi der Anadmckamittd der mnaiheliat^en KonsK".
Und deegleiofaen Ziller a. a. 0.: „Das Iniefeme aoll jn ala OefttU, jn als bleibende
Oefühlsstimmung den Zögling erfüllen, und es liegt in der Natur eines lebendigen
Geflhls. das.«; es znr Entäugserun^. insbesondere aooh anm Qeaange hindzingtb** —
Damit es über diese Fraiy^e genug.
2. Hit der „Methode der sittlichen Gewuhnung' hängt eine an mich ge-
richtete Note auf 8. 48 naammen, die in der 2. Anflage dazugekommen iat:
„Biner der Benenaenten dleeea finchea bemeriit, die unbedingte Wirkung der
ethisch-ftsthetischen ürteüe aal ein Axiom nnd bedürfe infolgedessen des Beweiaea^
den wir vermissen, nioht Ttm ist eine? der Missverstäudnisse. die der Zillerschen
Schule bei der Anwendung Herbartiächer Sätze so häufig begegnen. Herbart
b^anptet, daaa daa iathetiaehe Drtdl sich uns unbedingt aufnötige. Darüber
mOge er sich mit der Wlsaenachaft der Äathetilc abfinden, die ihm heute uidit
mehr raeht geben wird. Dass das ethische Urteil den nämlichen Zwang «uaAbe,
«fafllr nnrht er wenigstcn^i «»inon indirekten Rrweis l>»'izubriniren. Aber ztrischen
dem theoretischen Wohlgefallen euii s eiluMheu Verbältni.s^<»'s nnd der praktischen
Wirkung eines ethischen Urteils klafft eine groHse Lücke, die Herbart gesehen,
aber nicht anagelttUt hat* Wer meine frithefe Aibelt (Pfd. Studien 190B,
8. 480 f.) nachschlägt, wird finden, wie ea mit don HiasTerständnisse liegt. Dass
das ethische Elemf^ntrxrnrtpil sich nnht'tlingt aufnötiirt — 1 is \<t das Axiomatische,
das ich herrorhoben wollte.''^ nnd daneben wies ich danitit hin, dass Verf. ohne
deutliche Unterscheidung noch einen zweiten Beweis venaisst, nämlich dafür, das«
daa efandne Slementarurteil, nachdem ea sich unbedingt aufgenötigt hat, nun
auch soc^leich die ganze Folge jener praktischen Wirkungen nach aich nIdM, die
im Handeln eines Mennchen und in der Wissenschaft letztlich auf Omnd jenes
JElementarorteils „gut" geheisseo werden. Mit dieser „Lücke", sowie mit der
») Ziller, AUg. Päd. § 21, 3. Reihe der Unterrichtsfächer, d.
•) Übricens sprach es Ziller au-><drücklif^h nns jUiss der Ausdruck Axiom
hierbei nicht ganz den Sinn habe wie in der Mutiicmatik; ,.denn die mathe-
matischen Axiüme werden als metaphysisch ableitbar betrachtet, dagegen die
ethiecheA Ideen sind seibat Prinnipien, alao nicht ableitbar. £rl&atemngen aum
0. Jahrbuche a 66. ^
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— 239 —
Behauptung v. SaiiwUrkfi, der Gedanke, darch ästbetische Darstellung der Welt
den Zögling dttUch m delermliiiereii, lelMiiie tob H^riwitB Schute n^hMretisoli
ond praktisch Terlaften**, sollen .sich diese Zeilen nicht befassen. Die Zweifel
und Gegenbehauptungen, die Verf. besonders in seiner dabei angeführten Ab-
handlung^ über ^ästhetischen Zwang" vorbringt,') /.eigen am besten die Kluft,
welche ihn jetzt von Herhart trennt, aber ein Spalt ist schon vor langer Zeit
ICine immer irietokehrende Klag« des Verf. Uit, da« die Zillersche Schnle
ihn nicht verstehe; nachdem er in den „Prinzipien und Methoden der Er-
fiehunc"** einen Überblick Ober seine „ganie Pädagt>gik" gegeben habe, hofft er,
das« auch die Gegner seiner Didaktik „den Pnnkt in ihr entdecken werden, aa
dem sie der ZiUeiedien Ldure ttoli ein fttr aUemal eattonen rnnss*' (Vonr.
der 8. AdL). Idi gfanbe, du» der Ver£ tiidi detuit den Sadifexlialt nidit gman,
trifft Nicht dieses Verständnis brmdit an fehlen, sondern die völlige
Znstimmang ist ausiff bl ieben, nnd dass das mit Unrecht geschehen sei,
ist darch seine bisher gewühlte Art der Entgegnung noch nicht nachgewiesen.
Daes ich gleich im Anfange die Meinung geänaMit habe, ohne ZiHen Tor-
azMt würde dieie „Nonnaltonn* ao niolit ana Lieht gebradit worden aein (1908^
S. 407, 423 CF.). ^^^^ ziemlich weitgehende ZuBtimmnng enthalten, aber auch
in der neuen Norm ptwas mehr finden als blosse ^Reminiszenzen an Ziller", wie
das jetzt nicht wieder mit abgedruckte Vorwort der 2. Auflage sich aus-
drückte. Jedoch auch dem „Puukt', an dem Verf. von Ziller abweicht, d. h. der
Gmadanaidit, wdehe an Aliweiclningen fShrte, ist eogleieh Anfmerkaamkiiit an-
gewendet worden (1903, S. 418 ff.)- Hiervon abgoiehen, kann man jetat MfeUf
dass «ierjenige „Gegner seiner Didaktik", dem er am bittersten entg'egnet bat,
den „Pnnkt', an dem sich v. Sallwttrk von der Zillerschen Lehre eutfemte, den
bekauuU:u Anzeichen nach früher erkannt hat als — v. Sallwürk selbst. Der
letatere hat ea ttr aDgebracht gehalten, ana einem Privatbriefe, den er 1883 iwn
Prat TheodMr Tagt erhalten hat, in der Broschüre „Das Ende" (S. 17) eine Stelle
anzuführen, welche er ben-its 1885 in „Handel und Wandel-' (S. fit) verrtffentHcht
hatte. Vogt hatte damals geschrieben; „Ich habe noch immer den Eindruck, als
ob in Ihre Betrachtang ein der ganzen Zilierschen Pädagogik völlig entgegeu-
geaetatea Prinaip hereinepiele, obwohl nieht heixaehend darin an ündan Da
nun ana aoldian Hereinapielen ao ItnMg MisawatlndniMe entstehen, so werde
ich, 80 viel ich kann, mich bemtthen, an der Hand des alten Est distingxiendura
mop!i<^h'=t «<^harf zu scheiden" usw. Im Jahre 1886 sab v. Sallwürk hierin nur
eine willkürliche Entscheidung; er wi«i darauf hin, dass er „in keinem prinzi-
piellen Punkte Ziller beatritten" habe» und wie er aieh damala an Herbart atdlta,
fat Fid. Stnd. 1906, 8. 888 mitgeteilt. Jetat, meine loh, hat daa ^^mg ant*
gegengesetzte Prinaip" Uber den Verf. beträchtlich mehr Harrschaft erlangt, wenn
es ihn aticb noch immer nieht völlig beherrscht; jetzt legt er selbst Wert darauf,
das« sein Abstand von Ziiler und von Uerbart möglichst gross angesehen werde;
w&re es da nicht auch ftlr ihn Zeit, jenes Urteil Vogts endlich andern
ananaehen?
>) Rhainiiche Blätter fftr Kra. n. Unt. 1801, 8. 8öaiL
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3. Au dem „Bade** bftt Verf. stiae Behauptung; herttbergenoiMiieii» die
Zillereehe Schule habe Überhaupt die didaktischeR Qrttndlehren
Zillers aufgegeben. Libenig auf meinen Gegenstand, auf den ich mich hier
beschränken muss, hatte es nwh die zweite Auflaufe g-erade als ein Argument
gegen meine Einwände geltend gemacht, dass die Zillersche Schale und dtf
Vereiii fttr wusenschaftliche P&dagogik an ZiUers Formalatnfen „fe et hielte n".
•Das ist min nS^tilgt", und Verf. Ohrt jetst (S. 89 f.) snnftehtt Zillen Fordening
an: „Diese Gliederung [nach den formalen Stufen] innss eintreten, so gewiss
alles Lernen ein Appcrsieptionsprozess ist** usw. (Muf^rirtHen zur speziellen Päda-
gogik 188t>, ^ 12y,) Damfich sasrt er selbst: ^Der Verein für wissenschaftliche
Pädagogik jedoch, der ZiUera Erbschaft angetreten hat, erklärt jetzt in seinem
Jahrhach fttr 1901 S. 2fi3 die Fonnabtnfen fttr ein variables Schema" nur.
„Dieser Ziller anft Schärfste widersprechenden Anttasrang hat sich nun aoeh
Rein angeschlns<?cn im 2. Bande seiner Pltdagpon^ik in systematischer Darstellung
(1906)." Nnr um des ünssercn Scheines willen behalte man „die Formal-
gtnfeu Ziiiers sowohl, für welche dieser die unbedingteste Anerkennung verlangt,
als die Knltnrstnfen, die naeh dessen Meinung der Natar des menschlichen Geistes
gemifls jeder durchmachen muss, . . . als mSgliehe und arbiträre Formen bei".
(Vorwort der 3. Aiiflatfe.'; Per wuhre Sachverhalt ist Päd. Stud. lOOfi. S. 330ff.
nntofeteilt und es i.st schwer, noch mehr zu sagen nud doch di'^ Meinung- fem-
zubaiten, die Beschuldigung sei umgekehrt nur ausgesprochen und eifrig verbreitet
wnden, nm den insteren Anschein, dass die Lehren aufgegeben Misn,
hervor anrufen. Denn an sich hat die Sache selbst keine Schwierigkeiten.
ZUler betrachtet wirklich seine formalen Stufen als die natürlichen Akte des
Apperzeption.^'prnr^'sses und fordert daher Ptrcn(*e Befolpning". Aber er bezieht
die Forderung salbit ausdrücklich nur auf die Fälle, wu es gilt, konkrete .Stoffe
anbofessen und diesen Auffassungen höhere Geistesprodnkte absngewinnen, und
Bohliesst sie damit von anderen FMlIen ans;*) anch weist er wiederholt hin anf
„Modifikationen", welche der Beschaffenheit des Stoffes gemäss« eintreten kOnnen*)
oder der .^Itprsperiode geniRss eintreten Tiifl^spy; Nur atif diese von Ziller
selbst namhaft {,'eniachteu M o «1 1 f i k al i on en hat Votrt tatsächlich
hingewiesen, um den Vorwurf des Meehani&mu» abzuwehren; waü mau weiter
dann g^nflpft hat, ist sohVpferischm' Mnm. Gans Ihnlich sagt Pioi Bein:
„Die formalen Stufen sind, eben ihrer formalen Natur wegen, auf alle Lehrfächer
des erziehendea Unterrichts anzuwenden, bei welchen es sich um die Bearbeitung
von Vorstelluntren handelt. di«i zu Begriffen verdichtet werden sollen. Wo dieses
Ziel nicht vorliegt, sind sie selbstverständlich nicht am Platz/ (Man sehe die Bei-
qddstllle S. 612.) Gleich darauf werden die AnMagen Schräders angeführt, denen
Vogts Ansftthmi^en vom variablen Schema anertt galten. Ohne ansdrilcklichen
Znsammmenhang damit — denn dieselben Anklagen sind ja auch von anderen
erhoben worden — sa^ dann Rein S. 547: „Die Formalstufen «ind nidit etwns
Festes, Unabänderliches, Dogmatisches, sondern wollen dem deukenücn, künstlerisch
Allg. Päd. 3. AnÜ. S. 291 f. iß, Aufl. S. 2^4 f.]. Materialien § 131.
«) Allg. Päd. S. 271 12741 und 323 [JÖSl.
Allg. Päd. ä. 271 (273L].
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f«Ml«irten Lehier nur dia gnudtoffeaileii Q«aiditqwiikttt lii«fe«n. DmIh Utgt
ngkich . iläss die ForBulatnfeBtlieorie einer steten Fortbildnnip flhig iat. Im
TOn allem Mechanismns, frei von allem SchabloneotniD.*'
Das kommt alles auf «las fri^hpr 'F ül Sttid, 1906, S. 332; erürterte Verhältnia
xwischen Prinzipien und Mitteln iiiimiu. Herr Saliwürk hingegen fährt seiner
wrgtiuHtai Vdnang gemSw fort: „Um wnm mm. abwtitoB, ob die AnUbiger
SKUen, da de die Fordemngen, die dieser eiis eeinen pqrdiologiBehen Priiudi^
gezogen hat, nicht mehr anerkennen, eine neue Be^ifründunc; des Formalstnfen-
systeras versnchen werden, das sie äusserlich beibehalten haben; jedeufalls aber
mOflsen sie angeben, nach welcher Bichtang hin sie eine Abweichong von Zillers
perentariedier Yonelirift gestatten woUeiL** Bs ist »ber Jedenfelte sehr ttbel
getan, von Zille» SehBlon eine sokhe naehtri^liehe Begrandinf des fsst-
steiiflnden Schemas zu erwarten, gerade weil sie sich fort und fort bemüht haben,
d»Mi psychologischen Prinzipien den Plat?; vor nnd über dpn daraus aby»'!fiteten
methodischen Massregeln zu wahren; für sie mnss die Aufgabe bedenklich en
die Frage erinnern, was man verd&nen nttsse, nm hygienisch gut ~ speisen n
kVnnen. Wie in der DÜtetik die Frage nmgekehrt lantet, so moM umA die
Methodik die Psychologie, die schon für sieh selbst vom tfiUigen Aheeblnss noch
w !T Mirfernt ist, immer anfs nene befracpn tind ihren Antworten mit immer
trueuieui Phiitste uacbzuieben suchen. Damit ii»t auch der andere Wunsch, den
V. Sallwürk äussert, abgewiaten. Dass man die oder jene Abweichungen ge<-
stntten wolle, kann nnd mag ein Vorgeeelnter in dienstlicher Bielttnng sagen,
aber wer in freier wissensch if Ii her Arbeit etwaa entscheidet, tnt das nicht ans
„gutem" oder in strong-em Willen, sondern normalerweise nur um Gehorsam
gegen die <jri\nde, ilie seinen Willen gebtindeu haben, und brinti^t so nicht
„arbiträre m>uderu uutweudige Funueu hervor. Die Taktik, von der v. äall-
wllrk ao viel spricht, wird allerdings bei Beurteilung Torliegender Yennehe immer
nodi den geeignetsten Hassstab, der jeweilig ansnlegen ist, an treffen suchen
müssen. Dass der Verf. hierin die Anlegung des strenq:er(^n Masses vcrmiäst,
kSnnte an sich erfreulich sein, wenn nicht die TTm^ebung, in der dieser Wnn^^rh
auftritt, so sehr geeignet wäre, misstraaisch zu machen. Hierzu rechne ich auch
die Anneiknng anf 8. 18 der 2. nnd 9. Anflage, wekke dareh die ungenaue Art,
wie sie von der Freikoit in der Anwendung der Formalstofen q»rieht, den
Sckein nnd dieGe6üiren der Will kürlicbkeit möglichst naiie an rttcken snobt,
Die Art, wie Ziller seine methodischen Torschriften aussprach nnd verteidi^?:te,
war allerdinifü mit bestimmt dadurch, dass er damit der Mcinnn%^ seiner Zeit ent-
gegentrat, eine solche strenge Stufenfolge -sei überhaupt Uberflüssig, die angebotene
Pom aei nidit beieehtigt, die berechtigte Form flnde jeder von selbst, oder ai«
aei Boek niidit geftinden, oder do aei Oberbanpt niekt m ibdra, oder wie et eonst
im Gewirre der Meinungen damals heissen mochte. Versetzt man sich in diese
Zpjtlace zurück, so bemerkt man, wie es jetzt, nachtleni Ziller und seine Schule
den stärksten Wogenprall ausgehalten haben, t. Sallwürk mit seiner Normalform
doeh betrioktHek leiditer hat. Immerhin darf man der Lage noch nicht an sekr
trauen; dio Zeit ist stark mit BnbJektiTitRt getodeu, und daa Auftreten Meatmero
scheint fast dieselbe zu stärken. Ich sehe daher, wie in meiner ersten Bespreeknng
eiUirt worden ist (Pftd. Stud. 1908» S. 428f.), des Torf, fiintieten fftr eine all-
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gmdM Metlioda inun« noeli ils ein Verdiemt «b ud würde gegen dieielbe tu
tMk Mhwciüeh die Feder gerittut beben, wenn dee Bmb ntcbt tber die Metiiode
Zillen und Aber seine Anhänger so viel ünnttreffendei belichtete oder anch Zn*
treffendes mcht ht^richtptp mi«l wenn nicht znß-leich gerafli» ifnp Berichte so
begierig aufgegriffen und ausgebeutet worden wären, ünterdeüsen ist nun ein
weiterer Onind, nicht ganz xa schweigen, hiiucngekomiiien : die Behaaptimg, dass
nuHi die didaktiecben Qrandlehren an^iegeben beb«.
a
Praffmor Boutstt fibtr BttetforMhinig.
Yen Jnl. Honke in Oeestemlbide.
Im Lebrerrerein fttr Geestemttnde, Lehe und Umgegend hielt UniTersitäts-
pfeteeMir Boneiet Tor Itngerer Zeit einen Yortng über BiMloreebnnff. Dieee
Yemnunlnng wer nicht nnr von Lehreni, eondem eneh von vielen AngehSiigen
anderer Berufe besucht.
Einleitend legte der Referent die Berechtigung der modernen Hibelkritik
dar, verwarf jedoch die Cnterscheidang zwischen poflitiver und negativer Kritik,
deui eine Kiitifc, iUe nur lentflren wolle, gebe eii nicht. Der Anidnick «Bibel-
hrttik'* habe ttberfaanpt viel nur Yerdnnkelnng dei fledie beigetragen, dämm aei
es richtiger, dafür den ÄnsdrodE „Bibelfor^^chnng" an gebranchen« Oae Ziei dieser
Forschung sei, flie Bibel im ßranzen nnd in ihren verschiedenen Teilen griindlich
kennen zu lernen. Bei der Bibelforschong mUssten die gleichen Grnndsätze zur
Anwendtmg kommen, die bei der profanen OeschichtaforKhong oubestritten in
Geltnng rind. Jede wiesenecbaftliche Fcreehnng enthalte aiieh Kritik, dieee laeee
rieh deshalb auch bei der Bibelfor^chung nicht ausschalten.
Die Bibel, d. h. Buch der BiUht r, setze sich ans einer Anzahl grösserfr nnd
kleinerer Schriften zusammen, die in dem Zeitraum von 1000 v. Ohr. bis 2lX)
n. Chr. entstanden sind. Der Kanon des alten Testaments ist kurze Zeit vor
CQiiiati Oebnrt aosanmengeetelit worden, der dee nenen im 8. Jabrhnndert nach
Christi Geburt. Die Auswahl ist im aligemeinen als gut zu bezeichnen.
Die Forschnng richtet zunächst ihr Augenmerk darauf, den richtigen Text
festzustellen. Daj* ist nicht so einfach, wie man wohl irlanben könnte, weil wir
kein einziges Buch der Bibel iu der Urschrift besitzeu. Was wir haben, üind
Bandeehriftea ans späterer Zeit, meietene am dem 4. Jehrhnndert n. Chr. AttMi>>
dem besitsen wir griechische Übereetaangoi ane dem 2. Jahrhundert Die einseinen
Handschriften zeigen vielfache Unterschiede. Luther henntzie fi\r seine Über-
setzung, di<' leider im Bereich der evangeünchen Kifhf niuHtergüitig geworden
ist, da» lateini.<iche Bibelwerk des Krasmus von Rutterdaro. Dieses ist aber
eeineramt in grosser Eile beigestellt worden und entbilt wohl deshalb nele nnd
schwere Fehler nnd Ungenanigkeiten. So gehSrt x. B. der Ym 1. Job. 6» 7:
„Drei sind, die da zeugen im Himmel," nicht in die Bibel. Der Schlnss des
Karknaerangelioms Mark. 16, d— 10, ferner die & nnd 7. Bitte im Vatenmeer
— 233 —
4m LokM sind ebeuitlla von frander Hand liiiiiiigtAkgt Beim alten TetUment
ttiauncn »war die Hudachriften beeser ttberein, des itthit aVer nnr daher, da«
wir sie nnr in der Form besitzen, die sie im P>.—9. Jahrhundert n. Chr. erhalten
haben 'Hie ans frttherer Zeit stammenden j?riechi-i hen f'hereetzungen alten
Testamentes zeigen z. B., dass im Jeremias kein Kapitel mehr an der richtigen
Stdle steht Die Uniieherfaeit des Textes ist mittmter so gross, dsas moderna
Ohanetsung«», wie die sdir n empfehlende von Kautsdh, die Lttdcen dureh
Striche und Punkte andeuten. In dem Handkommentar zum alten Testament
yon f'njfessor Nowack liest man ffi^t hH jeiiem der zwölf kleinen Propheten die
Anmerkaug, dass der Text an einer sjtelie g-anz und gar verderbt oder unrettbar
verdorben sei. Der ursprüngliche Wortlaut kimn vielfach nur vermutet werden.
Eine weitere Aofigabe der Forschung ist die sprachliche Bearbeitung des
BibeltaKtes. Ton der Sehivierigkeit dieser Anllgahe kann maii sich ein Bild
machen, wenn man bedenkt, dass z. B. Christus aramäisch gesprochen hat, seine
Worte niT? aber in griechischer Sprache fiberliefert sind. Da die SprachforBchnnp:
grnsjäo Furi.Hthnile gemacht hat, kann man jetzt besser nnd richtiger übersetzen
als zur Zeit ded deutschen Reformatorb. Desdalb versteht mau jetzt auch eiuzelue
AasdrOcke hesser. Beispieisweise bedeutet dv Ansdraok JB«lha Gottes" nicht
dsa, was das Dogma daranter versteht, »ondem so viel als „Ansgewiihlter Gottes",
was jfleicbbedeutend mit dem Ausdruck ^MeKsias" ist. Indem sie den Dingen
anf den Grand geht, hilft so die Spraehfurschang vieleu f alr^chen Schein zenttüreu.
Die Forschung hat weiter festzustellen, ob der Inhalt der geschichtlichen
BSdMr aneh als wiiUiehe Gesehiehte sa hetraditen ist Vidbeh ist das nicht
dir IUI, denn saust mttssten die Btleher der CSiroaiker nnd dw KSnige besser
tbereinstimmen, wenn auch nicht in den Tendenzen, so doch in den Tatsachen.
Die fünf Bücher Mosis sind aus verschiedenen älteren Urkunden zu8amn)*'nL'f'fügt.
Daraus erklärt es sich z. 6., dass im Anfang der Genesis verschiedene Sciiupluugs-
httiehte luid Blatberiehte sa einem Oaiuten Terarbeitet worden sind, obgleich die
KiMeiheiteii nieht saeinander pttsm, gam ahfesdien von der fast irSrtlicheii
Übereinstimmung mit den viel älteren babylonischen Urkunden. Ähnliche
Piffpr^nzen fin<!*'Ti si^h anch im neuen Testament. Jesu Oebnrtsgeschichte nach
Matthäus nnd Lukas ut grundverschieden. Übereinstimmung herrscht nur darin,
dsas beide eine wanderbare Gebart annehmen. Weitere Differenzen finden sich
in den Anfeistdnuigsheif^iten, heim Vaterunser, in der BinBetsmig des Aheod-
md in der Bergpredigt, die hei Lukas eine Feldpredigt ist.
Femer mnsa auch die Frage nach der Datierung und Herkmift fler Bücher
erforscht werden. Mau dar!" sich hierbei nicht anf die Cberiieleruug ver-
lassen, noch aui däJi, was die BUcher selbst Uber ihre Herkunft und Abfassung
beriehten. So ist Moses nidit der Vertssser der nach ihm genannten Bücher
ond die Kapitel 40 — 60 im Jcsaias sind von einem unbekannten Propheten
verfasst worden. Daü Evangelium von Matthäus ist niehf von Matthäus und
der Hebräerbrief nicht von Paulus. Man ihirf sich auch nicht daran binden, was
die biblischen Schriftsteller Uber sich selbst sagen. So ist daM Buch Daniel nicht
von Daniel geschrieben, sondern von jemand, der splter gelebt hat Das 6. Buch
Ifosea wurde eist unter Jonas im Tempel ,.gefnnden'', wahrscheinlich ist, dass es
dsdttals oder erat kvn vorher verfüist worden ist. Aach sind die Fastoralhride (an
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— 234 —
Tiuiütheuü uud Titus) nicht von Paulas geschiiebeu aud Johauue« ist nicht der
YerfaMer des 4. STftiigeliiiins. Du LnkaMvanfeliiiin eneheint tb das jftiigate.
Manche Stoffe des alten Testament» werden intünilich für Gc-chichtti gehalten,
z. B. die Geschichte der Patriarchen. Ihr Inhalt ist Sai^e oder DichtunfiT- Zwar
hat Jesus sie offenbar aia Geschichte betrachtet, aber er ist in dieser Beziehung
nicht als Autorität anzusehen.
Wichtiger al« Eehtheitaftagen und Datiemng der Qaetten Ist die Frage
nach dem inneren W«t. Wichtig» ala die Frage, ob Abtaham eine historische
Figur ist, ist uns der Gott Abrahams. Ebenso ist es gleichgültig, nb der
Schöpfungsbericht Geschichte oder Mythe ist, bestehen bleibt der Kern, dass die
Welt aus dem Willen Gottes hervorgegangen ist. Vom neuen Testament bleibt
«la Hauptsache beetehen diu gcjächiehtlaclke PeraSnUchkeit JeiO, wenn Mch nandie
Einaelheiten nicht genttgend heglanUgt dnd.
Die Forschung hat weiter festgestellt, dass die Frömmigkeit, wie sie in der
Bibel zum Ausdruck kommt, in den einzelnen Teilen dpr heilisren Schriften sehr
verschieden ist. 80 ist z. B. der Gott Israels nur ein Volksgott, die Propheten
hatten durchweg eine edlere Vorstdlung von Gott In der Folgezeit (rat ein
Verfall ein, da kam das Oeeets und der öde KnltiiB cor Henaehaft. In der
Peiaou Jesu erreidite die Frömmigkeit ihren unttbertrefTlichen Höhepunkt.
Wir kftnnfn unsere Augen auch nicht vor d'^r Tatsache verschlu^isen, dass
die Keli^fion Israels viele Anregungen aus der Religion anderer Völker empfangen
bat. Das hat Delitzsch in seinen Vorträgeu über Babel und Bibel schon weit-
Iftnfig aaadnandeigmtst.
Welche Slellnng nahm Jesus za diOm seiner Zeit vorhandenen Teil der Bibel
ein? Antwort: eine sehr freie. Er war kein Buchstabengläubiger , mehrfach
sagte er: Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist . . ich aber sage
euch . . und dabei behauptete er doch, er sei nicht gekommen aufzulöneu,
soudem au erfttUen. Im Gegensata in ihm waren ea die Pharisäer, die eich au
den Bnehstaben dea Kanena UaamMiten. Jean Stellung ist die richtige. Wenn
auch zugegeben werden muss, dass einzelne Teile der Bibel minderwertig sind,
was Luther schon erkannt hat, als er von der ..ströhernen Epistel" sprach, so
bleibt doch sehr viel Yortrefnicbes übrig. ist nicht nötig, die Bibel gegen die
Kritik m bendiataen, aie kann Kritik vertragen. Dareh den Sdiatten wird daa
Gttte in ihr nnr um ao plaatiaeher heraaBgeataUt Wir erkennen, daae ms die
Bibel doch noch daa HQehste und Beste zu sagen hat. Darum wird sie sich aehmi
wieder ilire Stellung" verschaffen, wie die Sonne, die das Gewölk zerstreut.
Laugauhaitender, brausender Beifall folgte diesen Ausführungen. Ein Lehrer
und ein Pastor sprachen dann noch im Sinne des Beferenten, ein K.ata8ter>
kontrellenr Tertddigte den orthedexen Standponkt. Der Yonitaende gab um
Schluss unter Ichliafter Zustimmnag der Lehrer bekannt, dam yoranaiichtlich Herr
Dr. Bonaiet in nicht an femer Zeit hier eine Bmhe fon Vortiigcn halten wiid.
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— 235 —
C. Beurteilungen.
Bosenbur^, Dia Geschichte für
Prftparandenanstalteu. (2 Teüe,
sni. a,10 M) nna
He!uze, Tili: Geschifht«- für
Leh rerbildungsaustalten (nea>
bearbeitet und ergiost von B«Ma*
bnry. 4 Teile, zas. 10 M.). Hannover
und Berlin, C. Mejer (ü. Prior),
1905—6. (Die leUsten twei Tdle
Up:cn dem Unteneiehiieteii nicbt
mit vor.)
Da« Brett»cliiii'i'ler<M'he Werk (siehe
Beaenalon im zweiten Heft eifurdert
einen ganzen Lehrer, dus il.inze-
Rusenburgsche macht ihu fast über-
tiiis>4ig. Bezeichnend ist, dass eine
Menge schou vorliegender Kritiken da^
Werk «nr selbständigen Vorbereitung
für dit- Ijehrerprilfungen empfiehlt.
Brettscbueideni üilfebncb soll die inner»
liehe yerarbeitiing> des Stoffe nach dem
gtiioH.s»?iR'n riitrrrichtf fördern, da«
andere wiederhoit die im Unterrichte
gebotene anscbavlicheSefaildemnir. Daher
srhwillt es anf insgesamt (> Bände an,
deren Preiü angeHicnts der guten Aus-
stattung (dem vierteiligen Werke sind
Bilder angeheftet i no* h liillii; erscheint.
Stellenweise üiud Qaell^u int Anazuge
oder wörtlich aufgenommen worden.
Das Kulturgeschichtliche erfährt auf
allen Stufen entsprechende Betununi^.
Interessant« Einzelheiten erhöhen die
Anschaulichkeit. Die Diaponicmng ist
klar, der Stil llQsfiig, die .Stoffwahl
etwan reichlich, die Stoffbehandlung
xuverläseijr. Stets wird nach An^
deeknng der gesehiditKehen Znminiinen-
Iianj;»! i^ r richtet, doch steht ilie Höhe
der Auffa(j8ung der bei Brettschueider
naeh. Die angefQgten Zeittafeln dienen
nnr der Einprägung der Daten, niiht
dl a Ztisammenhanges, und der Schüler
wird daneben zum Exzerpt oder snr
Tabelle greifen. Wenn wir von einem
moderueu Lehrbuche Übersichtliche Za-
:^aiimienfa.s8ung und Aiangang Stt
denkender Vertiefnng verlancren. dann
gibt das Heinze-Rosenhurgsche Werk
zn viel Hilfe für die unmittelbare
Wiedergabe des Stoffes, zu wenig ftlr
die Einpr&^ng and fortdauernde Ver-
erbeitmiff. Se bleibt ein enpleblei»-
wertes Geschichtslesehuch und vorzilij-
Uch geeignet zur Vorbereitung de»
Lehren aut den Schvlmitenidit
■•Ins«, Die Geschichte in ta-
bellarischer Über.-^ieht. 19. Aufl.
heraosgeff. von HagefSrde. Hannover,
Helwing, im, 2 IL
Geachiehtetaliellen sind wohl eine
antiquierte mfthodi.sche Erscheinung.
Als alleinige (nundhijre für den Unter-
richt sind sie unbrauchbar, da sie an
das Gedächtnis des Lernenden zn Erms«te
Anfordeningen stellen; und neben dem
als ausirefiihrtcs Merkbnch gedachten
Hilfsbncb. das durch Druck im Text
oder durch Glossen die Hauptsachen
heranshebt und im Anhange Zeittafaln
bietet, sind sie überflüssig. Nur wo
an einem Lehrbuche mit breiter Dar-
stellung ft'styt'lmlten wird, da kann
eine Tabelle tfute Dienste ton. Sie
erspart aeltranbende Ezserpte. wie sie
wenigstens Heissii^c ScliUler vc r/n ivbiuen
pflecren. Exzerpte sind aber Eigen-
erarbeitetea, nnd ihre Einprägung wird
durch das LokalgedBrhtnis stark unter-
stützt. Heinzes Tabelle ist ja ge-
schickt zusammengestellt, aber von
erdrückendem Stoffr<'ic!itnni Wie nun,
wenn sich Schüler aus der Tabelle
wieder eine Tabelle exzerpieren? Viel
lieber sehe ich in der Hand des Lernen-
den ein geschichtliches Fragebuch, das
zn Längs- und Querschnitten, anregt
und deren Herstellung anbahnt. Übrigens
ist die StoiTwahl bei Hcinze für prenssi-
3che Verhältnisse zuj^eschnitten. Darf
mau aas der starken Verbreitnng des
Boebs anf mnneherorts noeh flnliche
Oedlehtnisftberlastnng sehliessen?
Ifenbaner-Seyfert, Lehrbneh der
(le schichte für sflchp. Real-
schulen und verwandte Lehr-
anstalten. Halle , Buchhandlung
des Waisenhanses, 1906^. 8 Teile,
ZU.S. ö,(><) M,
Dm Werk ist eine üu^tserat praktische
Bearbeitung des für prcussiscne hObere
Schulen bestimmten und stark ver-
breiteten Meubauerschcn Lehrbuche« der
Geschichte in der dnroh den Titel be-
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236 —
MieliDeten Ricbtnng. Vou der grieeU-
ichen und rSmischen Gesohichte ist ntir
dM kultnrgeschicbtli'-h BfMlt'ntsame und
nmtfcUich Ansprechende aufg-encnumeu
worden. Die sächsische Geschichte ist
der allgemeinen deutschen eingefügt
Daa Ausland wird mit Konsequenz nur
da ETCstreift. wo seine Verhältnisse die
deiu.scbeu unmittelbar bestimmten Zu
der Darstellung der politLschen (le-
Bchichte treten wie bei Ivenbauer in
angemessenem ümfange Terfassnnj^.H-
g^chicbtliche , knltnrTiistorische und
ToUuwirt&cbafÜiclieBeleiirungeu. Trotz-
dem ist der gCBUnte Stoff auf niclit
^ iiu ll^iM Seiten untergebracht Die
Sprache lat die der klaren Beschreibung;
stets entspricht sie dem Standpunkte
des Realschü!» i'! - r^i htliche Gliede-
rung des Sttittes, Heran»hebuug durch
den Druck, Randglossen nnd angehängte
Zeittafeln r-rhrshen die Leichtigkeit der
Auffassung und Eiupräguug. Der An-
■chauung dienen die dem Lehrbncbe
gleichfalls beiß-efHjften Bilder und Karten.
Jene sind mit Verständuis gewählt und,
wenigstens im 1. Teile, gut ausgeführt.
Diese sind sauber and halten sich fem
von Terwirrender Überladung. Der un-
bestreitbare Vorzug des Buchen liegt
darin, dasa es erstens dem Lehrer
(nrdwte Freiheit in der Heranbringnng
de» S^ ff . ui I n Schüler ISsst — für
die Glitiduraug i»t nur die Zeitreilie,
nicht der methodische Gesiehtsimiikt
massgebend — , dass es zweitens dem
Lernenden die Aneignung,' wesentlich
erleichtert, und dass es drittens jedes
weitere Hilfsmittel (ausser Wandkarte
und -bild; entbehrlich macht. Der Geld-
pnukt ist aber bei der TolkstUmlicben
KealKolm!«' beachtlich, die ihre Schüler
auch aus weuiger bemittelten Kreisen
empfängt. Unsere Zeit neitft ohnehin
zu philontropistiaeher Übertxeibaog des
Lemapparates.
Kurse« Deutsche Geschichte I
(Mittelalter hU 1619). 8. Aufl.,
1906. Deutsche Geschichte III
(Vom westfälischen Frieden bis
snr Aiififisnng des alten
T^eichs, 1648—1806). Sammlung
Göschen, 33. nnd 3ö. Bändchen (je
Modem ist an diesem Leitfaden
g«genttbcr ihnlicheii die Chanücteri-
aiemng der Quellen an Schluss der
Kapitel. M-i'*('rRiUtig gegliedert und
in knajjper, klarer Sprache wird vor-
wiegend die politische Geschichte der
Deutschen dargeßtellt. Die Entwick-
lung der kulturellen Verbaltiii.sse ist
auf einen angemessenen Kaum be-
schränkt Die Verknüpfungen der
deut.>*chen Grschicbte mit der des Aus-
lands werden genttgenu beleuchtet. Am
£nde jedes Bändctoas befinden sich die
flblichen Zeittafeln. Stichproben er-
gaben, dass das Werkchen nn Cf nauig-
keit der Verarbeitooff von üueiie und
Literatur auf der flOhe der Zeit itehl
Der gebildete Laie, der Studierende,
der reifere Schüler wird es dankbar
hegrtlsaen.
Mwgk, Germanische Mjrthologie.
&iBalxag Gitooken. 16. Bttndckea.
1906 (pIS M.).
Dieses lichtvolle Bürhl.iTi rr>rhr!nt
zn einer Zeit, wo wir auiaugca, iu den
religiösen Vorstellungen des alten
Orients heimischer zu werden als in
dem Heidentum unserer eigenen Vor-
fahren. Auf 124 Seiten führt uni
ein in die Quellen des altgermaniscben
Glaubens, in Auimisnius und Manismus,
die vielfältig ineinander überfliessen, in
die alt gennaniscbe (iötterwelt , iu die
von der isländischen Dichtung über-
lieferte Kosmogonie und Eschatolngie
nnd endlich in den alt^ermani:»chen
Kult. Bei aller Knappheit zeigt das
Werkclien die grösste. Klarheit und die
Vollständigkeit des Überblicks. Uo^k
ist anerkannter Faehmaiin , und sein
grösseres gleichnamige^^ ^Vr rlc wird
gegenwärtig in Facharoeiteu am meinten
ritiert. Das vorliegende Bttchldn ist
an die Stelle von Kauffmauns ,.Dent8cher
Mythologie" getreten nnd erscheint
gegenüber dieser inkaltlieh bedeutend
vertieft.
■erInger, Das dentsche Hans nnd
sein Hausrat. IIH. Bündchen der
Sammlung „Ans Natur und Geistes-
weit**. Leipzig, Tenhner, 1906.
1,36 M.
Aus Vorträgen, die df>r Verfasser
1905 iu Salzburg gehalten hat, hervor-
Segangen, führt das Büchlein ein in
ie Üesoluehte des dentacben üanaea
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— 237 —
Ton der Urzeit bis zur Gegenwart.
Die Wahl dea Stoffes und der Ab-
bUdangen ist vorzüglich. W enn ein
Gelehrter den Mnt hat, einen Stoff,
dessen wissenschaftliche Ergründniig
noch nifht ah!3rsfh!o<^ppn ist, znsamnien-
slellt'ud zu ul^erscliituea, ist eiue sub-
1'ektive Ordnung dea Stoffes nnd die
Cinführung mancher einseitiger Über-
zengongen nicht zn rermeiden. Der
Venas8er knüpft das Vorhandensein von
Haustypeu uichl schlechthin an die
geographieehen Eänllttiise, s. 6. des
Klimas und der Bodenbeschaffenheit,
■onderu an die Macht der Nachahmung
im Yerkelnr. Der komervmtiTen ZBhig<-
keit des Bnnrm tind dem TTmstande.
dass jener vor kurzem die vSpeziali-
Mening der 'ntigkeiten noch nicht
kannte, also auch sein eigner Bau-
meister war, verdanken wir es, dasa
wir heute noch anf ferne Urzeiten dee
Hausban-^s znrüf kblicken oder ans
Eest«;u (laiaui zurUckischliesseu künuen.
Darum behandelt M. im ersten Hanpt-
teile die heutigen Bauernhäuser Europas,
im besonderen das oberdeutsche, und
ffibt im zweiten Teile die tJeschichte
letatereo. Der Fachmann darf da»
MdUein nkbt eis bleuen Popnlni-
tfenmglffflliueh ansehen, und dem
Liüfln, du lieli „in seinen vier Pfählen**
Mnuach naeheii will, wiid ee ein m-
Terlässifi:er FQhrer.
Hochlitz i. S.
Dr. phil. Wngner.
Deutscher Literatnratlas. Von
Dr. Siegfried Robert ^agel, k. k.
Prüfessür in '*^t<*yr. Wien und
Leipzig 1907, k. u. k. Hofbuchdr uckerei
und Hof-Verlags-Buchbandloii^ Cud
Fromme. K. 7,20 - 3f. ß.— .
nDieUeottzapbie ist eine assoziierende
WmtittKlIaal und soll die Gelegenheit
nützen , Verbindung unter mancherlei
Kenntniasen^dae nicht vereinselt stehen
dlbrfen^ so ftiften" —' Mgt Herbart In
seinem ümriss padatroe^i8ch( r Vor-
lesungen. Die politische Geschichte
machte sich den assoziierenden Chetnkter
der Geogrmphiü schon immer zunutze.
Li neuerer Zeit haben auch die anderen
geschichtlichen, sowie die naturwissen-
Bohaftlichen Disziplinen angefangen,
mit der Geographie ein Bündnis ein-
ngnbciL Vmi wnietoen kkfnttniii be-
j^renzten Versuchen abgesehen, ist Nagels
deutscher Literatnratlas das erste grfoii-
liche, umfassende Unternehmen zu dem
Zwecke, die Beziehungen zwischen
Landschaft nnd literetnr durch Karten
deutlich zn machen. „Dit^se Karten
sollen eiuerseitÄi zeigen, welche Land-
schaften überhaupt an der Henror-
bringuug der bedeutenderen Dichter
nnd Denker Anteil haben, anderseits,
«eiche Landschaften oder Städte zu
Sewissen Zeiten besondere Auziehongs-
raft fttr diese Geister besemeD haben.*
Es ist für jeden Literaturforscher und
Literatorfrennd wertvoll, an der Hand
der 13 Hanpttafeln und einer grSsserea
Zahl von Nebenkarten lir (ifschichte
des deutschen Schrifttum» bis zum
Jahre 1848 zu verfolgen. Dass die
letzten f) Jahrzehnte nicht berück-
sichtigt wunieu .sind, ist erklärlich
genn^. Die Tafeln 14 nnd 15 enthalten
ftnsser'!erTi noch eine Anzahl Lebens-
karten ( liiiihor, Sachd, Opitz, Klopstock,
Wieland, Lessing, Herder, Schiller,
Goethe, Kleist, Hebbel, Grillparzer).
Behufs sicherer Orientierung wäre
es wünschenswert, das.s natürliche Stüt«-
punkte — am besten die FlussUlufe —
mit in die Skizsen eingezeichnet wSren.
Vii'lleicht entschliessen sich Verfasser
und Verlag bei einer 2. Auflage dazu,
obwold ieb die damit Terbnndenen
Schwierififkeiteu nicht verkenne. Es ist
für den Benutzer des Karteuwerkes
unbequem und zeitraubend, politisdie
nnd physikalische Karten daneben zu
halten, damit er sich genau zurecht-
findet. Das beigefügte Sachregister i8t|
wie ich mic:h durch verschiedene Proben
Uberzeugt habe, gründlich und genatti
die Äussere Ausstattung des Werket
swnr einfach, aber geschmackvolL
Joseph Victor v. Scheffel. 5. Heft
der Bilder aus der neueren Literatiir,
berensgeg. von August Otto, Kgl.
Seminarlehrer in Hilchenbach. III S.
Minden i. W., C. Marowsky.
Ottos Bilder stellen uns Rosegger,
Gerok, Raabe, Riehl, Scheffel, Storm,
Mörike, Keller, Freitag, PnV.n also das
Leben und Schaffen von Männern mit
gesunder, gut deutscher Gesinnui^ Tor
Augen. Pii Lt bensgeschichte Scherls —
in der Hauptsache im Anschluss an die
BiflgMpble von Job. FkeelM — ist
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— 23» —
firitoh und uuehanllcli geschrieben tind
eröffnet gleichzeitig das Yrntanrlnts
fUr das poetische Schaffen des Dichters.
Der ^Trompeter von SjUtkingen" und
der „Ekkehftnl'' sind diibei, wie recht
und billig, in ausführlicherer Weise
bedacht. Lehrreich wird die Mone-
jrmphic Lf.^ioniicrs anrh «iaduroh, dass
sie ihis Lt-beu 8cbeffds niit der all-
gemeinen politischen Geschichte und
der Geschichte Badens in Verbindiuig
bringt und seine Beziehungen zn anderen
bedeuteiidL'u Männern (Emil Fromniel,
Morita t. Schwind , Ludwig Uäusser
«ad «Ddere HiUrHeder des „Eueren"
in Heidelberi^, Paul Heyse, Willielni
Biebl, Aneelm Feuerbach, Felix Dabo,
Anton Werner, Adolf Hannrath)
aufdeckt.
(techatn. Dr. Mein ho Id.
Fiits Lehnentlek, Kertilieder der
Kirche in S t i ni m u n t;- s h i 1 d e r n.
Dresdeu-Blasewitz, Verlag von Bl^l
nnd Kaenmerer (0. Sehanbaeh) 1907.
XVI und 15(; S Bzocch. 2 M dO F£,
geb. 3 M. 20 Pf.
Es ist eine besondere Freude, ein so
wertvolles Hilfennittel fQr den evan-
gelischen neliq-ioiisuiiti ri icht , wie das
vorliegende, anzeigen zu können. Bis-
her war wohl die „Behandlung des
Kircht'uH'de.s r\nf historischtT (trund-
lage'' von Fritz Acheubach die beste
Adeitong au dieser schwierigen Seite
des Reli£rinTi?Tintorrichtes. Aber A. ist
zu Kcheniatitich. zu trocken and zn
schwierig für die Kinder. L. wendet
eine ühnlirhe Methode an, aber mit
lebendigerer rhauta.Hie und wärmerem
Gefühl. Jedem Lied gibt er einen an-
pchaulirhen I^ntL-rirnunl . ati«? drm in
iiatürlieher Wci.se die Stiiniimiig herauÄ-
wächst, die in den Vt rseii des Liedes
ihren Ausdruck findet. Dabei liegt
ihm jeder unfreie Schematismus fern.
Je iiach th'n besonderen Verhältnissen
l^t er biblische Geschiebten des Alten
oder Nenen Teatamentes , Sitiiatioiien
ans dt r Kirchenireschichte oder Welt-
geschichte, die Zeitiage oder die per-
sSnlichen Verhlltnissen des Piehtsva,
aus der berans ein Lied entstanden ist
nd*>r anch eine freie lliantasieachöpfung
ans dem Leben der Gegenwart seiner
Behandlung an Qmnde. Die üntec^
streichnng der m betonenden Worte ist
ttberflUssig.
Der Beurteiler hat die Methode
Lehraensicks im Unterricht erprobt und
damit vorzü^iliehe Ertfebnisse erzielt.
Dos Buch wird Jeden, dem die Be-
handlung der Kirchenlieder lilsher
Schwieriirkeit trema<'lit hat. auf den
richtigen Weg leiten und ihm diesen
Zweig des BeUgtonsnuteniehtes Heb
machen.
Pirna. Dr. fi. TG geh
Dr. E. Kotte, Oberlehrer, Dresden.
Lehrbuch der Chemie f&r höhere
Lehranstalten nnd anm 8elbstiutter>
rieht. I. Teil: Tlinführunir in die
Chemie. Bleyl & Kaemmerer, Dresden
1908. Pieis geb. 8 H.
Der Veifasser nennt sein Bnch einen
Lehrgang „auf modemer Grundlage
nach methodischen Grundsätzen** und
bezeichnet damit trefflich die Eigenart
seiner Arbeit. Das Buch ist ans der
Praxis herausgewachsen nnd didaktische
Gesichtspunkte haben zu einer Ant-
nähme und teilweisen Elementarisiemng
von wichtigen Kapiteln der modernen
Chemie jjefiihrt. So ist diese Ein-
führung eine .physikalische Chemie"
geworden, ein Lehrgang, der bewnsst
den phy. alkalischen (behalt der Einzel-
erscheinungen nnd allgemeinen Gesetze
in den Voraergntnd rttekt
Die Gedankenarbeit, die der Ver-
fasser damit geleistet hat, wird be-
sonders der zn schätzen wissen, — da.s
trifft die meisten l.ehrer an unseren
höheren Schulen — der mit physikalisch
ungenügend vorgebildeten Sehlllem den
elieniisehen Kursus beirinnen soll nnd
der, der chemische SchtÜerUbungen mit
seinem Unterridite verbindet.
Schon in den ersten Kapiteln treten
quantitative Versuche auf, deren Er>
gebnisse graphisch und tabellarisch dar-
t^cstellt werden, l'ie experinieutellen
Ergebnisse Uber Gewichts- und Volumen-
▼eniiUtnisse ffthren in sehr einfadier
und übersichtlicher W- isr zu den
chemischen Orundgesetzeu und zu
stSehiometrisehm Proportionen. Esmnn
dem Tf rf r -^pf als Verdienst angerechnet
werden, dat^s er diese scbwierigcu Kapitel
in seiner ^{ttfOhnuijg'' an einfaeluil
EipeiütteBteD mnOgiidit. und da« er
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— 239 —
die Atombypothcfle erat einführt, nach-
dem diese (luaiititativcn Beziehong^en
erJumit and g&üht sind. Nar ao wird
der Atombegriff fflr den Schüler ein
Werkieng', nur dadnrch wird dt^r
ScbQler bewahrt, die Hypothese als
Gfimdlftge der ^nzen Chemie zn be-
arteilen nnd den Erfabrnngagehalt der
£xpehiuente zn fibersehen.
Zn einem Spiel mit halbverstandenen
chemischen Formeln, die den Schttler
Knut wissenschaftlichen Dünkel erziehen,
Terleiteii alH>r alle Lehrblleher, die
chemische (iloichnngen als „Ab-
kürzungen-' der Beschreibung von Ex-
perimenten benützen, ehe die Ver-
bind nngsgesetze und die Volamgesetce
anareicbend behandelt lind. Dann bildet
der Unterricht das nedüchtiiis. aber
nicht das Denken und die Schüler
etohen ratlos , wenn rie des einfulitte
Eiperimrn! elbst machen sollen.
Besouder» hervorgehoben sei die He-
bandlon^desLitaangsbegriffes. Von der
klaren Unterfcheidnnij von GcTnenue Tind
Lösnnjg^, von der Auffassnug de.s Gleieh-
Ifewiehts in Lösungen, die durch eine
elementare .Tonentheorie gestützt wird,
nnd der Erweiterung dieses Gleich-
fewiefatsbegriffes in dem des all-
gemeinen ehemischen Gleichcrewichtes
k&rni uiau viel für das seibätändige
Denken der Schüler erwarten.
Als Vorzog des Baches müssen die
einfachen und klaren Zeichnungen be-
s<<:>ndf'rs erwähnt werden. Möcht« sirh
des Buch die berechtigte Wertschätzung
in weitesten Kreisen recht bald erwerben.
Leipsi^. 0. Frey, SeuL-Oberl.
Prof. Dr. A. Müller, Waud tafeln
snr Brklirnng derFormen der
Erdöberflü h' 'i Tafeln in - ' h^-
faihenj Fiirbtii.iiuck nach Onj^maieu
von Leo Kainradl. — ^orOMt
123 : 176 cm. I'; i? einer Tafel nn-
anfgesogen 6 M... auf Leinwand un-
IscUert mit Stäben 8 M., ant Lein-
wand lackiert mit Stiben 9 X.
Sehieiber» EssUngai, 1907.
Mr Wandtafeln sind für den ersten
geographischen Unterricht bestimmt nnd
wollen dem Entwicklnngsgedanken, der
die moderne Erdkunde beherrscht, ge-
recht werden. Tafel I enthält die
Formen am Boden und am Rande stehen-
der Gewasiser (I>elta, Nehmng, KOsten-
lagnne, Düne, Form der Küstenlinie —
Brandungswirknni,' an der Steilküste,
Vorsprünge, Fjorde, CnselformenX
Tafel II binnenl&ndische Formen (TU>
bildung, Verwittemng, einebnende
Kräfte usw.).
Man darf unter den Tafeln nicht
eine neue Form der VeranHchanlirlmi L —
mittel für die sogenannten „geographi-
tdien Grondbegrufe** snehen, die beiite
so hätttiir einen allznbreiten Raum im
heimatkundlichen Unterrichteeinnehmen.
Sie beschränken sich aumeblieiBlich auf
diejenigen Landschaftstypen, dir in
Lehrbüchern der physischen Erdkiuido
nnd der dynamischen Geologie be-
handelt werden. Die Verwendung für
„den ersten geographischen Unterricht",
wie sie der VeHasser im Sinne hat, ist
nicht recht verstiindlich. Eine syste-
matische Behandlung der auf den
Tafeln dargestellten Formen ist l ei
Volksschülem wie aach bei den Sex«'
tanem der hShereo Lehranstalten nn-
möglich, und eine ge legen tlile
Herbeiaiehung derselben im Verlaufe
des (JntMriohts ist deswei^ vntonlidi,
weil solche Gesamthnd,'^Llinft"Ti. wie sie
auf den Tafeln znr Darstellung ^
langen, nirgends eiistieren. sw im
Unterrichte verwenden zu wollet ^
ebenso falsch, als wenn man im Ge-
schichtsnntemchte wollte verschi^ene
Ztiitalter, etwa Belatrernncfsepisodf n ans
dem 3Üjährigen Kriege und der Er-
stürmung von Port Arthur, oder in der
Biologie künstliche Lebensgemein-
schaften auf einem Bilde vereinigen.
Loscbwite. Dr. £. Sebane.
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— 240 —
Eiogegiiigeiie Btteli«r.
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Schulwesens Ton 1453 — 1821. Leipzig 1908, A. Deichcrt. Pr. 2,80 M.
■OWM, Prtf. Dr. PmI, A Mef Coorse in the History of Edocation. New York 1907,
The Maemillin Company.
Mittaiiangaa der Gesellschaft f. deutaolie Erziehiw|a- y. Sobulgeaoblohte. t8. Jahrg.
(1908), I. Heft. Berlin, A. Hofinann & Komp.
Cflflnd, P. , Grundzüge der Pädagogik und ihrer Hilfswissenschaften in elementarer
Darstellunf;. I. Teil- Psychologie. U. Teil: Elemente der Ethik und allgemeine
Pädagogik. I. bis 4. Lief. 2. veib. «. vem. Aufl. Chur 1906 luid 190S,
F. Schnier. Pr. geb. je 7 Fr.
(Fortsetzung folgt.)
Druck, ▼on A. Rk*u <fc öotm iu ^aumborg a. S
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A. Abhaudlungeu.
I.
Wlilensbridung und Interasse.^)
Von Dr. M. Sohilling.
Lin Blick auf die pädagogische Literatur der Gegenwart und
der jüngsten Vergangenheit zeigt bunte Bilder in buntem Wechsel.
Bald wird die Kunsterziehung auf den Schild erhoben, bald eine
Persöolichkeitspadagogik proklamiert, die die Persönlichkeit des
Lehrers zum Zentralbegriffe der ^ranzen Pä ia^o^ik macht; bald
wieder findet man , dass der Lehrer und Erzieher ledif,dich vom
Kinde die Direktiven seines Tuns zu empfangen und dem Kinde
zu folgen hat; heute lässt man die Erziehungsschule gelten, morgen
erwartet man alles Heil von der Arbeitsschule; hier stellt man für
die Behandlung der verschiedenen Unterrichtsstoffe feste Regeln auf,
die der Lehrer wie mathematische Formeln zu handhaben hat, dort
gilt es als die beste Methode, keine Methode zu haben.
Anstatt an das historisch gegebene Wertvolle anzuknüpfen und
es unter Benutzung der reichen modernen Hilfsmittel fruchtbar für
die unterrichtliche und erzieherische Praxis auszugestalten, erfasst
man, des historischen Zusammenhanges oft unbewusst, einen an sich
richtigen Gedanken, um ihn ohne Rücksicht aufs (ianze der Päda-
gogik einseitig zu überspannen und als neue Pädagogik zu vcr«
kündigen.
Mit starker Energie verbundene Einseitigkeit fährt zu radikalem
Tun. Radikalismus ist stets unhistorisch. Umwertung aller Werte
ist sein Schlagwort. Was er Umwertung nennt, ist oft nur eine
Verkennung ^ter Werte. Kr stösst vorwärts und zerreisst die
Fäden der Entwicldung. Feuer und Schwert sind seine Waffen;
ihn verzehrt die eigne Glut. Daher der rasche Wechsel einseitiger,
mit radikaler Heftigkeit geforderter und geförderter Bestrebungen.
*) Erweiterter Konferenzrortrag, gehalten auf der 32. Haaptkoofereoz der Lehrer
dei S^nlimpcktkMnbedrlGi Rochlitz 1907.
»«■CDgileh« Stödten. ZZXZ. 4. 16
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— 242 —
Die Pädagogik muss, wie alle Wissenschaften, die Theologie
nicht ausgeschlossen, der Entwicklungsidee Rechnung tragen. Die
Idee der Entwicklung ist aus historischem Denken geboren. Das
historische Denken wahrt den ZusaTT'inienhanf:^ mit der Vergangenheit
und damit die Kontinuität der Wissenschaft. Pestalozzi und Herbart
sind in vieler Munde. Wie viele aber kennen sie? Die Hast der
Gegenwart schöpft eilig aus den bequemen Sammelbronnen zweiten,
dritten und noch tieferen Ranges und entwöhnt sidi des Genusses
lebendigen Quells von den Höhen. Daher so grosse Meinunj^s-
verschiedcnheiten, so viele Missvcrstandnissc, so viel Kritiklosigkeit
neuauftaucheiiden und Anspruch auf Originalität erhebenden Gc-
danlcen gegenüber. Nicht auf Schlagwörter, sondern nur auf klare
BegrüTe kann eine Wissenschaft gegründet werden. Die Pädagogik
arbeitet mit den Mitteln der Gegenwart, doch ist sie kein Mode-
und Saisonartikel Die fast an Zerfahrenheit j^'^rcn/cnde Unruhe auf
dem Gebiete des Erziehui^wesens scheint nm veranlasst zu sein
durch einen Mangel an IQarheit über die pädagogischen Grund-
begriffe. Man operiert zwar allenthalben mit ihnen, denkt aber oft
sehr Verschiedenes dabei.
Wir Avcrden, ohne den Blick für die Bedürfnisse und Fort-
schritte der Gegenwart zu verlieren, die Quellen immer von neuem
aufsuchen und freilegen müssen, aus denen der Strom der Gegen-
wart gespeist wird; wir werden dem, was pädagogischer Tiefblick
und Weitblick geschaut hat, immer von neuem nachdenken müssen,
um grosse und richtige Gedanken klar und rein zu erfassen und
nicht der Vcrj^c^senhcit anheimfallen zu lassen; wir werden die
Aufmerksamkeit immer wieder den Gnrundbegriffen der Pädagogik
zuwenden müssen. So nur kommt Zusammenhang und Folge*
richtigkeit in die Pädagogik und wird sie auf die Bahn sicheren
Fortschritts gestellt.
I.
Willensbildung und Interesse! Diese Betrachtung^ «^rhliesst sich
der in den „Pädag. Studien" {1907, Heft i) vcröftentlichten Abhand-
lung über Unterricht und Interesse an. Das Interesse, das der er-
ziehende Unterricht anzustreben hat, wurde auf Grund des Umrisses
pädagogischer Vorlesungen und der Allgemeinen Pädagogik von
Herbart durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
1. D;i^ Interesse ist Selbsttätigkeit, die aus der ijnv.-illkürlichen
und zwar der apperzipierenden Aufmerksamkeit sich ent*
wickelt
2. Es ist ein Streben nach Erweiterung des Wissens und steht
der Gleichgültigkeit entgegen.
3. Das Interesse hängt mit unwillkürlichem Wohlgefallen an
seinem Gegenstande, dem es als solchem, nicht aber in
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— 243 —
Rücksicht auf künftige Zwecke und Vorteile einen Wert
beilegt.
4. Das Interesse ist ein dauernder Gemütszustand, der Denken,
Fühlen und Streben, also alle Grundersrheinungen des
seelischen Lebens in sich schUesst, ein Gemütszustand, in
dem notwendige Bedingungen der Entstehung eines sittlichen
Willens liegen.
Mit der letzten Bemerkung wird angedeutet, dass das Interesse
noch nicht Wille ist, sondern nur eine Redingning seiner Enlstehunpj.
Da nun die ErzienunL^^ die sittliche Persönlichkeit oder die Bilduni^
eines sittlichen Charakters aiizusLreben iiai, der Charakter aber im
Willen seinen Sitz hat: so darf die Jugenderziehung nidit bei der
Pflege des Interesse stehen bleiben. Sie muss audi die anderen
Faktoren der Willensbildung berücksichtigen.
Wenn das Interesse noch nicht Wille ist, erhebt sich die Fmge:
Wie kann aus dem Interesse Wille werden' Diese I r iv;c 1 isst
sich nicht ohne weiteres beantworten. Man mochte zuvor darüber
Aufechluss haben, was Wille ist Da aber sehen wir uns einem
Problem gegenüber, an dessen Lösung die bevorzugtesten Geister
gearbeitet haben, ohne dass bis heute ein befriedigendes Ergebnis
gewonnen ist.
Der Lrziehcr kann auf diese Antwort nicht warten ; er wird
von der Sorge um die Gegenwart gedrängt. Metaphysische und
psychologische Probleme dürfen ihm nicht zum Vorwande werden,
das Widitigste zu vernachlässigen. Wir verachten daher bis auf
weiteres auf die philosophische Beantwortung:^ der Frafjc: Was ist
der Wille? stellen uns mit Herbart entschlossen auf den Er-
fahrungsbegriff des Willens und lassen uns von den Wider-
sprüchen, die allen Erfohrungsbegriffen, also auch dem vom Willen
innewohnen, nicht beunruhigen und beirren; ebensowenig, wie von
den sich widersprechenden Antworten auf die Frage : Ist Willens-
bildung möglich oder nicht? Wir halten sie auf Grund der Er-
fahrung für möglich und versuchen das Möglichste. Damit wird
selbstverständlich die wissenschaftliche Notwendigkeit, jene Fragen
zu erheben und an ihrer Lösung zu arbeiten, nicht bestritten. '
Die Pädagogik muss die Möglichkeit einer Willensbildung an-
nehmen. Ein spontaner (autonomer, ursachloser) Wille ist in der
Erfahrung nicht gegeben. Der empirische Wille ist von Gedanken-
verbindungen, Gefühlsregungen und physischen Voraussetzungen
abhängig. Herbart hat dieser Tatsache Rechnung getragen und
auch erkannt, dass der Kantisdie kategorische Imperativ eine leere
Formel ist, die bei der Erziehung zur Sittlichkeit versagen muss.
Mit der Forderung der Willensbildung hat Herbart der Erziehung
die höchste und schwerste Aufgabe gestellt, ohne Zweifel aber auch
die Sache an der Wurzel gefasst.
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Was ist Wille? Herbart sagt: „Wer da spricht: ich will! —
der hat sich des Künftigen in Gedanken ?;choa bemächtigt; er sieht
sich schon vollbrinijcnd, besitzend, geniessend. Zeifjt ihm, dass er
nicht könne; er will schon nicht mehr, indem er euch versteht"
(AUg. Päd. 3. B., 4. Kap. 1, S. 163).^)
In Münchs „Zukunftepädagogik" heisst es: „Zwischen dem
Sollenden und dem, der das Sollen auferlegt, besteht eine Art von
Feindschaft oder doch Spannung; wer uns das Bewusstsein des
Könnens \crmittelt, wird uns zum Freund." Mit andern Worten:
durch das Bewusstsein des Könnens wird die Spannung /svischen
dem Sollen und dem fremden Wollen gelöst; durch das Bewusstsein
des Könnens wird das im Sollen mir entgegentretende fremde
Wollen zu meinem Wollen, zu einem Sclbstgebot, das ich als
freien Entschluss empfinde. Prof. Dr. Julius Baumann in Göttingcn
hat eine Schrift über „VVille und Charakter" (Berlin 2. Aufl. 1905,
Reuther & Keichard) herausgegeben. Er nennt sie eine Erziehungs^
lehre auf moderner Grundla^^e. In dem Abschnitte über die physio-
lettische Bedingtheit des Willens führt er u. a. folgende .Aussprüche
zeitgenössischer Autoritäten an: ., Die Begehrungen werden eingeteilt
in Wunsch-, Strebens- und Wiliensakte. Das wesentlichste Merkmal
des Wunsches ist das völlige Absehen von der Verwirklichung.
Kommen zur Vorstellung Bewegungs- oder psychische AnstrengungS'
empfindungen hinzu, so entsteht ein Streben. Treten Urteile über
die Erreichbarkeit zum Wunsche oder znm Streben hinzu, so ent-
steht das Wollen" (von Ehrenfels). — „Wünschen ist Streben, bei
dem es sein Bewenden hat, Wollen Streben, das Hindernisse über-
windet, Wollen ist, wenn ich zur Verwirklichung des Zieles etwas
tun kann" (Lipps). Baumann selbst vertritt diesen Willensbegriff.
Ich führe das nur an, um zu beweisen, dass Herbarts Auffassung
von der Entstehung des Willens modernen Anschauungen cnts[)richt.
Das möchte icii denen gegenüber betonen, die es inni zum schweren
Vorwurf machen, dass er den Willen nicht iiir autonom (Air ur-
sprünglich) hält, dass er den Kantischen Begriff der transzendentalen,
ursarhloscn PVeiheit, den Begriff einer Freiheit als absoluter Selbst-
bestunnuing ablehnt. Herbart lehnt diesen Willensbegriff ab, weU
die Annahme eines absolut freien Willens einen erzieherischen Ein»
fluss in der Richtung der Willensbildung ausschliesst
Man hat Herbarts Auffassung von der Entstehung des Willens
in die Formel gefasst: Der Wille ist das Wissen vom Können.
Damit wird aber Herbarts .Auffassung nicht scharf getroffen. Die
Formel ist knapp und merkt sich leicht, doch erschöpft sie den
Begriff, ich wül lieber sagen: die Charakteristik des Willens nicht
Das blosse Wissen vom Können erzeugt, wie die tägliche Erfahrung
Es wird im foigeodea «teto nach der Ausgabe tob Dr. Th. Fritisch (Letpcif,
Reclam) zitiert.
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— 24S —
lehrt, nocli nicht den Willen. Richtig aber ist und haiten wir das
ninächst fest: Wenn jemand weiss, dass er etwas nicht kann, so
kann er auch dieses Etwas nicht wollen. Besteht jemand trotz
des Wissens vom Xichtkönnen auf einem Vorhaben, so nennen wir
ein solches Verhalten nicht Wollen, sondern Unvernunft. Der Wille
ist nicht ein blosses Wissen vom Können, aber auch mehr als ein
blosser Antrieb.
Wie gelangen wir zum Wissen vom Können? Die Antwort
kann nur lauten: durch die Tat, und zwar durch die gelingende
und oft geübte Tat. Einen anderen We^^ <,Mbt es nicht Hier kann
niemand für mich eintreten. Dn-^ t cdarf keines Beweises. Herbart
spricht sich darüber nicht naher aus. Er begnügt sich mit der
Behauptung, dass die Tat den Willen aus der Begierde erzeugt
(Allj^. Päd. S. 164 65), indem sie das Wissen vom Können vermittelt.
Das Tun, das Handeln, Sichbetätigen ist also nach Herbart eine
wesentliche Voraussetzung für die Entstehung des Willens. Haumann
stimmt hierin in seiner angeführten Schrift mit Herbart übercin; er
begründet die Bedeutung der Betätigung für die Willensbildung
eingehend physiologisch und psychologisch mit den Mitteln der
modernen Wissenschaft Er untersucht das Abhängigkeitsverhältnis
zwischen Betätigung, Vorstellung und Wertschätzung und gelangt
auf diesem Wege zu Hauptgesetzen der Willens- und Charakter-
bildung. Den Ergebnissen semer Untersuchung und ihrer Anwendung
auf die Willensbildung kann man sich vom Standpunkte der Her-
baitschen Pädagogik anschliessen, ein Beweis, dass Herbart in
seinen Erfahrungsbegriff des Willens mancherlei eingeschlossen hat,
was tiefer eindringende Untersuchung mit den Mitteln fort-
geschrittener Wissenschaft bestätigt. Es möge genügen, wenn hier
nur folgende Sätze aus Baumanns Schrift angefülirt werden.
„Zweierlei ist die Hauptsache:
1. vielseitige Ausbildung des Tuns, d. h. der verschiedenen
Arten von Bewegungen, denn ohne diese bleibt es bald
beim Wünschen und ergibt keinen effektiven Willen;
2. vielseitige .Ausbildung des Vor.stellens, denn ohne diese
bleibt der Geist dürftig und ungelenk. Auf diese Weise
kann dem Misslingcn vorgebeugt, dem Gelingen Leichtigkeit
vorausbereitet werden" (S. 47).
Das Interesse und die Tat, die Betätigung haben wir als Be-
dii^ui^cn der W'Illcnsbildung bezeichnet Wie aber gelangen wir
von dem Gemütszustande des Interesse zur Tat? Der bekannte
badisclie Schulmann Geh. Rat Dr, E. v. Sallwürk behauptet, dass es
nicht klar werde, wie bei Herbart das Interesse zur Tat gelangen
könne (Lit. BeiL No. it 2. Päd. Zeitung 1905» No. 44). Treten wir
der Sache näher I Es kann hier nur das ursprüngliche, oder un-
mittelbare Interesse in Frage kommen. Wir haben es kennen
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gelernt als ein Streben nach Erweiterung des gebtieen Besitzes»
verbunden mit unwillkürlichem Wohlgefallen an seinem Gegenstande.
verbunden also mit warmen Gefühlstöncn. Herbart weist darauf
hin, dass sich das Interesse dadurch über die blosse Wahr-
nehmung erhebt, „dass bei ihm das Walirgenommene den (jeist
vorzugsweise dnnimmt und steh unter den übrigen Vorstellungen
durch eine gewisse Kausalität geltend macht" (Allg. Päd. 2. B.
2. Kap. I, S. 72). Diese Kausalität, diese Wirksaml^t der den
Geist vorzugsweise einnehmenden Vorstellung, tritt nach Herbart
hervor im Merken (Aufmerken, Beobachten)') und kann zum Er-
warten, zum Fordern und zum Handeln fortschreiten. Das, worauf
beim Interesse die Auimericsamkeit gerichtet ist, ist das Gegen-
wärtige; davon geht das Erwarten aus. Das Erwartete aber Hegt
in der Zukunft. „Veränderte aber," fahrt Herbart fort ^Allg. Päd.
2. B. 2. Kap. TT, S. 7^), „der Gemütszustrind sich so, dass der Geist
mehr in da.s KuaiLiy,e als in das Gegenwärtige sich verlöre, und
risse die Geduld, welche im Erwarten liegt: so würde aus Interesse
Begehrung, und diese würde sich durdis Fordern ihres Gegen-
Standes ankündigten. Das Fordern aber, wenn ihm die Oro^ane
dienstbar sind, tritt als Handlung hervor." Soweit Herbart!
Der Begriff „begehren" umfasst bei ihm alle geistigen Regungen,
die aus dem Bereich des Innenlebens hinausstreben und auf den
Besitz eines Gegenstandes gerichtet sind.
Wenn ai > das Wahrgenommene, das im Interesse den Geist
vorzugsweise einnimmt, in seiner Wirkung die Grenze des Auf-
merkens und Erwartens, d. i. die Grenze des Interesse, überschreitet,
so geht der Gemütszustand des Interesse in den des Begehrens
über; in dem auf das Zukünftige gerichteten Erwarten bereitet sich
das Begehren vor. Das Begehren kündigt sich durch das Fordern
seines Gegenstandes an. Das Interesse hängt an seinem Ge;^en-
stande, aber es disponiert nicht über ihn; die Begehrung fordert
ihren Gegenstand; das Handeln greift zu.-)
Wir haben das Interesse und die Tat Bedingungen der Willens-
bildung genannt; nach Herbarts Ansidit geht jedoch die Tat nicht
luunittelbar aus dem Interesse hervor, sondern aus der dem Interesse
entsprungenen Begehrung, also aus einem vom Interesse ver-
schiedenen, jenseits seiner Grenze hegenden Gemütszustande. Der
') Allg. Päd. S. 73, Umriss (her. v. H. Zimmer) S. 46, .\phorUmen (her. von
ButholomEi) S. 459.
*) Nicht möchte ich mit Felschc (Die Hauptpunkte der Psychologie usw.,
Cöthea 1904, S. 3i2flr.) die Kausalitäten der im Interesse den Geist vorzxigsweise ein-
nduneoden Vorstellung, die Stufen de» Interesse nemien; dann mu^$tc nuuk Begehren
und Handeln in den Rt'fjrilT des Int^T'-«^«- «•iTT-^-hü-'-ic,..; xi,^,^ dürfte vorn Interesse nicht
sagen, da^s es ara aii^'-'^'^haulcn Gcgrnwartigen haln t. an seinem ücgcnstande hängt,
nicht aber Uber ihn disponiert ^Herbart, .\Ug. Päd. 2. Kap. I). Jene KaimÜtHiten
werdcD richtiger als Stufen der geistigen Regsamkeit zu bezeichnen sein.
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Weg vom Interesse zur Tat führt durch die Begehrung. Im Be-
gehren liegen demnach die Motive, die Antriebe zum Handeln.
Herbart behauptet also gar nicht, wie v. SaJlwürk anzunehmen
scheint, dass das Handeln unmittelbar aus dem Interesse hervor-
geht Wohl aber ei^bt sich aus unserer Darlegung, wie wichtig
die Pflege des Interesse für das Beehren und somit für die Willens-
bildung ist. Ein schwaches Interesse wird entweder gar kein oder
nur ein schwaches Begehren erzeugen; einem schwachen Begehren
mangelt die Kraft zur Tat, und es entsteht kein Wille. Ein ein-
seitiges Interesse erzeugt ein einseitiges Begehren, inseitiges Be-
gehren aber entartet, wenn es stark genug ist, zur Begierde und
Leidenschaft; der Wille, der durch Taten der Leidenschaft erzeugt
wird, unterliegt der Verurteilung. Hängt das Interesse an Un-
löblichem, dann ist auch das Begehren und der durch die Tat
daraus erwachsende Wille unlöblidu Treflend wird deshalb das
Interesse im Herbartadien Sinne als Wurzel des Willens bezeidinet.
Aber wie die Frucht nicht unmittelbar der Wurzel entwächst , so
geht auch der Wille ebensowenig wie die Tat nicht unmittelbar
aus dem Interesse hervor. Das Interesse sieht und beobachtet
scharf, verweilt gern und mit Ausdauer bei seinem Gegenstande,
sich nach allen Seiten in ihn vertiefend; es schafft so einen Reich-
tum inneren Lebens. Hingabe und Geduld sind seine Merkmale.
„Das geduldige Interesse kann nie zu reich werden; und das reichste
Interesse wird am ersten geduldig bleiben" (Herbart, Allg. Päd. 2. B.
2. Kap. II, S. 74). Ein Reichtum inneren Lebens, innerer Regsamkeit
aber ist die Voraussetzung eines kraftigen« vielseitigen WoUens.^)
Das Interesse bildet nach Herbart die unterste Stufe auf der
Leiter menschlicher Regsamkeit (Allg. Päd. 2. B. 2. Kap., S. 71 fg.).
Die innere Regsamkeit schreitet fort zur Stufe des Begehrens und
erreicht ihren (jripfel im Handeln.
Wir wissen aus dem Dargelegten, dass der Wille vicht un-
mittelbar aus dem Interesse hervorgeht, sondern durch die Tat aus
dem Begehren erzeugt wird.^ Der £rzieher darf deshalb nicht bei
') Prof. P. Natorp in Maibni^ ist cnt;;<'gcngesetster Menmiiff. In der Dentadien
Schuir 1899, Urft 7 u. S i'Gi'-iamnK'ltf At)handlungen I. 3S2) sagt er. nur wCbA daS
Wollen dais Interesse bestimme, nicht umgekehrt, könne dieser BegrüT zum ZeoUal-
begrifle der Pädagogik werden. IMete Abweichung eildSrt sieh danras, dass Natorp
von einem ganz anderen Willensbi'grifTr aus^'cht als Herbart. Natorp v r'rif. i n
Kaotischcn Begriff; er behauptet, dass der Wille autonom, etwas Ursprüngliches sei.
FasM man jedoch mit Herbart den Willen als ein Produkt der geistigen Entwicklang
auf, so muss man zu der Ansicht gelangen, dass das Interesse die Wurrel des Willens
iil, nicht aber der Wilk- die Wurzel des Interesses. Dieser Unterschied ist für die
Gestaltung der pädagogischen Praxis von tiefgehendem Einflüsse.
•) HerV)art ilrückl sich so aus: ,.Dic Tat erzeugt den Willen aus der Begierile"
(3. B. 4. K;ip. I). iJamit meint er selbstverständlieh nicht das sittlich-anstössigc Be-
gebren, das wir tadelnd Begierde nennen ; deshalb isl obeo dieser Ausdruck vermieden
tind Begehren oder Begelming gesetzt worden. Früher wude das Wort Begierde ohne
den tadelnden Nebensinn gebraucht, den wir heule in der Regd daaoit verUndeii.
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der Pflege des Interesse stehen bleiben : er muss dafür sorgen, dass
auf der nächsten Stufe der inneren Regsamkeit, der Stufe des Be-
gehrens, wertvolle Motive des Handelns sich bilden, rein, viel-
seitig und stark genug, um zur Tat zu treiben, die das Wissen vom
Können erzeugt. Auch solche Motive sind noch nicht Wille. Das
aus Antrieben des blossen Begehrens hervorstehende erstnialii^e Tun
hat mehr den Charakter eines Ereignisses, als einer VVillcnshandlung;
es ist unwillkürlich. Nur durch übende Wiederholung des 1 uns
entsteht das Bewusstsein des Könnens und verbinden sich die An«
triebe des Begehrens und die Tat so eng miteinander, dass sie sich
gcj^enseitig leicht reproduzieren. Dann erst wird das Begehren
zum W'ollen und kann der Wille zum Tatmotiv werden. Das Kind
wird durch das erstmalige, unmittelbar seinem Begehren ent-
springende gelingende Tun wie durch einen unerwarteten Erfolg
überrascht. Auen der Erwachsene , der vom Begehren zu rascher
Tat sich hinreisscn lässt, steht nicht selten betroffen und ruft: Das
habe ich nicht gewolltl Die populäre Auffassung vertritt mehr den
Satz; Ich kann, weil ich will. Sic sieht in der Tat nur die Wirkung
eines WUlens. Und doch bestdit auch der Satz zu recht: Ich will,
weil ich kann, d. h. der Wille ist das Erzeugnis, die Wirkung der
Tat. Der scheinbare Widerspruch löst sich so: bei der Ent-
wicklung des Willens geht die Tat dem W'illen voraus, wirkt sie
als Ursaciie; beim fertigen Willen folgt die Tat dem Willen,
wirkt der Wille als Motiv. Wir aber wollten unsere Aufmerksamkeit
nur auf die Willensbildung, auf die Entwicklung des Willens
lenken. Deshalb durften wir den Willen nicht sdion als vorhanden
annehmen und als Motiv ins Au^e fassen, mnssten vielmehr die
Antriebe zur Tat in einer Vorstufe des Willens, im Begehren auf-
suchen. So entstand die Reihe: Interesse, Begehren, Tat, Wille.*)
Mit dem Satze: Der Wille ist das Wissen vom Können —
wird das Wesen des Willens nicht erschöpft, sondern nur ein
charakteristisches Merkmal scharf zugespitzt hervorgehoben. Der
Wille ist mehr als blosses Wissen vom Können: er schliesst in sich
das beharrliche Streben und die warme Gefühlsbetonung des Inter-
esse mit seiner unwillkürlichen Hingabe und geduldigen Ausdauer,
das in die Aussenwelt strebende Fordern des Begehrens mit
seinen mannigfaltigen und geheimsten Motiven und das zuversicht-
liche Bewusstsein \'on der Möglichkeit des X'^ ollbringen s.
Er trägt als ein Gewordenes alle Spuren seines Werdens in sich.
O. Willmann bemerkt in seiner Didaktik als Bildungslehre
(n, 3S3): ,3ci Herbart erhält das Können im Ganzen des Systems
Im volkstümlicbca Spracbgcbraochc wird Bcgehrea nicht ain cioe Vorstufe des
Wollen« ftufge&sst, sondern mit dem Wollen identifineit. „Die Sterne, die bcgdirt
man nicht, man freut sich ihrer Pracht" (Goethe; Trost in Tränen, Str. 7). Das Kind
begehrt die Sterne, der Mann weiss, das« er sie nicht hcraotcrholcn kann; deshalb
begehrt er sie nklit, d. h. hier: will er sie niclit Iwben.
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kdncswegs die ihm gebührende Stellung." Der Gang unserer Be-
trachtung^ führt zu der Behauptung^: In Herbarts Erzich ungssystem
ist das Können eine Hauptbedingung für die Erreichung des Er-
ziehungszieles.
Ein charakteristisches Merkmal des Interesse ist die Selbst-
tätigkeit. Herbart sagt kurz: „Interesse ist Selbsttätigkeit (Umriss
§ 71). IHe Tätigkeit aber, die im Interesse sich kundgibt, ist
anderer Herkunft und anderer Art, als das Tun, das aus dem Be-
gehren her\'ortTetrieben wird und das Wissen vom Können erzeugt.
Nach der Seite des Gefühls hin steht das hitcrcssc im Gegensatz
zur Gleichgültigkeit, nach der Seite des Strebens hin im Gegensatz
zur Untätigkeit Mit dem Satze: „Interesse ist Selbsttätigkeit" soll
nur angedeutet werden: Das Interesse ist ureigene seelische Reg-
samkeit, eingeschlossen in den Bannkreis seelischen Lebens, nicht
hinausgreifend in die Dinge der Aussenwelt, nicht eingreifend in
den Gang und die Verhältnisse dieser Dinge. Das Interesse verfügt
nicht über seinen Gegenstand, sondern hängt an ihm, vertieft
sich in ihn. Das Tun jedoch, das das Wissen vom Können erzeugt,
somit eine weitere Bedingung für die Entstehung des Willens wird,
erhält seinen Antrieb durch einen anderen Gemütszustand, durch
das aus dem Interesse erwachsene Begehren. Deshalb greift es
zu, verfügt es über die Dinge, um äe b^timmten Zwecken dienst-
baur zu machen; in diesem Tun wirken die Gesinnungen aus dem
stillen Kämmerlein des Herzens hinaus in die Verhältnisse der Welt
und zeigen, was sie vermögen.
Auch in der Pädagogik Fichtes und Pestalozzis spielt die Selbst-
tätigkeit eine grosse Rolle. Dr. P. Vogel weist in seiner Schrift
über Fichtes philosophisch-pädagogische AubiciUca in ihrem Ver-
hältnis zu Pestalozzi (Langensalza 1907, Beyer &S.) darauf hin, dass
nach Fidlte und Pestalozzi der gesamte Bildungsprozess in einer
planmässigen Entfaltung des Willens und der Erkenntnis besteht,
Wille und Erkenntnis aber aus der Selbsttätigkeit als ihrer gemein-
samen Wurzel entkeimen. Metaphysisch begründet Fichte diese
Ansicht durch die BesdiaflTenheit des reinen Ichs, das ewiges
Werden, absolute Tätigkeit, frei und selbstherrlich ist ; psychologisch-
crkenntnistheoretisch ist nach Fichte das Weltbild jedes einzelnen
seine schöpferische Tat, nach Pestalozzi alles Seelenleben eine
spontane Entwicklung (Vogel a. a. O., S. 92 ff.).
Im wesentlichen steht Natorp auf demselben Standpunkte.
Wenn er von Selbsttätigkeit spricht, vom Selbstschöpferischen in
der Bildung, so meint er die a priori • Grundlagen der Er-
kenntnis (Natorp, Gesammelte Abhandlungen I, 381), die vor aller
Erfahnmg gegeben sind; er meint, dass der Mensch nur durch die
ursprünglich in der Seele liegenden Kräfte die Aussenwelt gestalte
und schaffe. Dann ist, wie bei Fichte, „alles Wissen lediglich ein
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Wissen von mir selbst, alle Erkenntnis Selbsterkenntnis" (Vogd
a. a. O., S. 93).
Natorp lehnt von diesem seinem Standpunkte aus die nach
Herbart im foteresse liegende Selbsttätigkeit ab und leugnet, da»
die Regsamkeit des Interesse überhaupt Tätigkeit ist (Ges. Abb. I,
381, 451). Das ist begreiflich. Herbirt erkennt ein ursprüngliches,
ursachloses Wollen, vor aller Erfalirun:^^ gegebene iiegritte und Ideen,
ursachlose Tätigkeiten nicht an. Wenn aber Natorp die im Interesse
hervortretende geistige Regsamkeit überhaupt nicht als Tätu^keit
gelten lässt, so verkennt er die tatsächliche Wirklichkeit Auch
muss der bei ihm immer wiederkehrenden Behauptung wider-
sprochen werden, dass bei Herbart die Bildung dc=; (Gedanken-
kreises „nur Bearbeitung von aussen, nicht Entwicklung von innen"
ist; dass die ganze „innere Aktivität"» „welche das Interesse be-
deuten soU, doch nur von aussen her . . . erregt wird" (Ges. Abb. I,
452, 262, 381. 448, 450).
Bei Natorp hat der Erzieher sich auf eine „Pflege" zu be-
schränken „gleich der des Gärtners und Arztes, die nicht das
normale Wachstum im Organismus „her\'orbringt", sondern bloss
die äusseren Bedingungen herstellt, unter denen es sich selber
hervorbringt" (a.a.O., S. 381/82, 262). Was es heissen soll: Das
Wachstum bringt sich selbst hervor, ist so schwer verständhch,
es zweifelhaft ist, was von Natorps Standpunkte aus der Erzieher
zu tun hat. Mit der Zurückweisung einer ursachlosen, rein spon-
tanen Tätigkeit der Seele entspricht Herbart dem modernen
Denken mehr, ab Natorp, und bereitet der praktischen, wie der
theoretischen Pädagogik einen fruchtbaren Boden.
Herbarts Pädagogik fordert mit der Willensbildung
die Erziehung zur Tat
Richtig ist, dass Herbart die Anregungen von aussen, die Aussen-
weit als einen Faktor alles seelischen Geschehens und Werdens
scharf betont; aber er ist weit davon entfernt, das Seelische als
bloss von aussen gegeben, nur als „Bearbeitung von aussen", An-
eignung von aussen", als etwas von aussen bloss Übertragenes auf-
zufassea Die auf Anregung von aussen erfolgenden seelischen
Reaktionen sind eigene, doch aber nicht ursachlose Tätigkeiten
der Seele.
Es ist schwer rerständlich, wie Dr. E. von Sallwürk (Die
deutsche Schule, 1900, 12. Heft, S. 740,41) sagen kann: „Herbart
schätzt die Erziehung höher, die aus dem Wechsel des bewcgften
Lebens zur kontemplativen Ruhe fuhrt, als diejenige, welche den
Zögling ins Leben hinaus und an die Arbeitsstelle brii^, wo nun
seine Kraft im Wechsel der menschlichen Generationen wirksam
werden kann . . . Aber, wird niati einwenden, sein Erziehungssj'stem
geht ja doch von der Aktivität des Zöghngs aus (v. S. denkt dabei
ans Interesse). Gewiss, aber es fährt den Zögling von dieser
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Aktivität zurück zu untätiger Beschaulichkeit; denn diese Aktivität
ist ein fremder Gedanke in Herbarts Pädac:n[^ik."
Diese auftallijre Behauptunj,^ wird schon durch unsere bisherige
Betrachtung widerlegt Wir wollen ihr noch einige Aussprüche aus
der AUg. Päd. Herbarts gegenüberstellen.
In dem Abschnitte über die Stufen der gdstigen Regsamkeit
(Aufmerken, Krwartcn. Fordern, Handeln) heisst es: ,,Wie wohl nun
das Handeln ganz eigentlich das \^orrecht des Charakters ist: so
gibt es doch auch eine Art von Tätigkeit, die den, natürlich noch
charakterlosen, Kindern vorzüglich wohl ansteht, das Versuchen.
Dies kommt nicht sowohl aus Begierde, als aus Erwartung hervor;
sein Resultat ist ihm (dem Kinde), wie es auch ausfalle, gleich
merkwürdig; immer hilft es der Phantasie vorwärts und bereichert
das Interesse" (Allg. Päd. 2. B. 2. Kap. II, S. 74). Damit soll gesagt
sein: Die Betätigung des Kindes im Versuchen ist etwas anderes,
als die aus dem Begehren oder aus einem fertigen Willen, also aus
Motiven hervorgehende Tat. Das Versuchen des Kindes entspringt
der untersten Stufe geistiger Regsamkeit, dem Interesse, das sich
in seinen Gegenstand vertieft. Das Versuchen ist das Handeln des
Kindes im Spiel. Der Knabe z. ß. beschäftigt sich so eingehend
mit seinem Pferd, das Mädchen mit seiner Puppe, dass deren ur-
sprüngliche Gestalt und Beschaffenheit oft Veränderungen erleiden,
für sie kaum noch als das erscheinen lassen, was sie narh der Ab-
sicht ihres Schöpfers sein sollten. Diese Veränderungen stören
und beunruhigen das an dem Gegenstande seines Interesse sich
versuchende Kind durchaus nicht Das oft arg zugerichtete Pferd,
die gewisser Zierden entkleidete Puppe ist dem Kinde nur inter-
essanter und lieber geworden. Es hat sich daran versucht, die
Veränderungen sind seine Tat. Nicht will es zerstören. Ks
vertieft sich in den egenstand seines Interesse. Würde der
Gegenstand seiner Tätigkeit Veränderungen sich unzugängig erweben,
dann würde er dem Kinde gleichgültig werden. Die Mutter sieht
mit Befremden, dass die neugeschenkte Puppe nach flüchtiger Be«
trachtung beseite gelegt und der hässliche Puppenbalg wieder her-
vorgesucht wird. An ihm hat das Kind schon so manche inter-
essante Entdeckung gemacht; er hat sich schon vieles gefallen lassen
und wird der Phantasietätigkeit des spielenden Kindes auch künftig
ernsten Widerstand nicht entgegenstellen. Die eigentliche Tätigkeit
des Kindes ist das Spielen ; spielend versucht es sich an den Dingen
der Aussenwelt und verfolgt es mit Spannung die Veränderungen,
die seine Tätigkeit an ihm hervorbringen, ohne dass es bei dieser
Tati^dt bestimmte Ziele im Auge hat; die Erfolge seiner Tatzeit
bereiten ihm Überraschungen. Das Versuchen des spielenden Kindes
ist eine wesentlich andere Tätigkeit, ril^ dis \''ersuchen, das Experi-
mentieren des forschenden Gelehrten. Em nicht spielendes Kind
ist kein geistig gesundes Kind. Im Spiel des Kindes betätigt sich
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— 252 —
das unmittelbare Interesse; schon deshalb ist es von grosser Be-
deutung^ für die Willensbildung.
Wir werden Herbart beistimmen müssen: die im Versuchen
hervortretende Tätigkeit des Kindes, die ihm so wohl ansteht,
kommt nicht aus dem Begehren, sondern aus der Erwartung des
in den Gegenstand seines Interesses sich vertiefenden Kindes. Das
Ergebnis seiner Täti<^keit ist dem Kinde, wie es auch ausfalle,
gleich merkwürdig. Immer hilft diese Tätigkeit der Phantasie
vorwärts und bereichert das Interesse. Wie das Interesse noch
nicht WiUe ist, so sind auch die aus ihm hervorgehenden Tätig'
keiten no<^ nicht Willcnshandlungen.
In dem Kapitel über den natürlichen Gang der Charakterbildung
lesen wir: „Offenbar aber gewinnt die Charakterbildung so viel an
Sicherheit des Erfolgs, wie sie beschleuiügt und in die Erzichungs-
periode hineingezogen. Und dies ist . . . nur dadurch mögUch, daiss
man den Jüngling, ja schon den Knaben früh in Handlung setze.
Diejenigen, welche blo.ss yiassiv als gehorsame Kinder heranwuchsen,
haben noch gar keiticn Charakter, wenn sie aus der Aufsicht ent-
lassen werden; sie geben ihn sich nach ihren verborgenen Neigungen
und nach den Umständen — jetzt, da niemand mehr Gewalt aber
sie hat oder da jede Gewalt, die man vielleicht noch ausüben
könnte, sie schief treffen . . . würde " (.Mlg. Päd. 3. B. 4. Kap. IV,
S. 171^ Hier hat Herbart eine höhere Stufe der geistigen Reg»
samkeit im Auge; er spricht vom Knaben und vom Jüngling. Bei
beiden hat sich im Verlauf der Entwicklung aus dem Interesse eine
Mannigfaltigkeit von Begeh run gen gebildet und aus den mannig*
fachen Versuchen, in denen sich das Interesse von frühester Kindheit
an betätigte, hat sich die Fähigkeit zu vielerlei Tun entwickelt:
Hand und Fuss, Auge. Ohr und alle Sinne haben im Dienste des
Interesse gestanden. Vielfache Bewegungsvorstellungen sind ent-
standen, die zu nichts weniger, als zu untätiger Beschaulichkeit
zurückführen. Den aus dem Interesse erwachsenen Begehrungen
des Knaben und des Jünglings muss der h>/.ieher die sorgfaltigste
Aufmerksamkeit zuwenden, niciit nur um unlöhlichcm Begehren ent-
gegenzuwirken, ihm die Nahrung zu enl^iehcn, damit es verdorre:
sondern um dem Knaben, dem Jünglinge Gelegenheit zu geben, die
löblichen Antriebe in Handlung umzusetzen. Hierbei wird der
Erzieher einen gewissen Sjiielraum gewähren; denn nicht selten
wird er erst an der Maniilung gewahr, welche Begehrungen den
Zögling bewegen, und umgekehrt merkt er an der ausbleibenden
Handlung, dass gewisse Motive der Stärkung bedürfen. „Der
Knabe muss gewagt werden." Die Gelegenheit zur Betätigung
kann dann wie ein Sicherheitsventil wirken. Für die Willensbildung
aber bleibt es immer 1 lauptsache, dass durch die Tat das Bewusst-
sein des Könnens erreicht wird, ohne das nie ein Wille entsteht.
Auf dieser Stufe kann unter Umständen der Befehl gute Wirkung
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— 253 —
tun, der gegenüber dem nur spielend sich betätigenden Kinde aus-
geschlossen ist. Denn Knabe und Jüngling haben schon Erfahrungen
vom Köfinea; der Appell an dieses Bewusstsein ist ein Appell an
den Willen» der dann zum Motiv der Tat wird. Aber hiermit
greifen wir über den Gegenstand unserer Erörterung hinaus. Es
war nur darauf hinzuweisen, dass das Handeln auf den verschiedenen
Altersstufen aus verschiedenen Gemütszuständen entspringt: das
Handeln der frühen Kindheit aus dem unmittelbaren Interesse, das
Handeln späterer Stufen aus dem Begehren; — und weiter war
im Ani^r zu behalten, dass Herbart auf allen Stufen der Entwicklung
innerer Re5:^samkeit dem Handeln eine hohe Bedeutung^ beilegt.^)
Die Behauptunj^ E. v. Salhvürks , dass das Erziehungssystem
Herbarts den Zögling von der Aktivität des Interesse zurückführe
zu untätiger Beschaulichkeit, ist nicht zutreffend. Herbarts Pädagogik
ist eine Pädagogik der Tat. „Handeln ist das Prinzip des Charakters"
(AUg. Päd. S. 163).-)
Im Widerspruch mit Herharts Forderung, dass der Knabe und
der Jüngling möglichst früh m Handlung zu setzen ist, scheint es
zu stehen, wenn er an anderer Stelle sagt: „Wer zu früh auf eine
bedeutende Weise d h. in hohem Masse in Handlung gesetzt ward,
dessen Erziehung ist vorbei oder sie kann wenigstens nur mit vielen
Unannehmlichkeiten und halbem Frfolgc wieder angeknüpft werden.
Überhaupt aber muss die äussere Tätigkeit nie so sehr überreizt
werden, dass die geistige Respiration — jener Wechsel von Ver-
tiefung und Besinnung — dadurch gestört würde" (AUg. Päd. 3. B.
5. Kap. m, S. 196).
Herbart warnt hiermit vor dem Anreizen zum Handeln, wenn
die inneren Voraussetzungen dazu nicht gegeben sind , wenn das
Interesse sich nicht hinreichend vertieft hat und die Antriebe zum
Handeln noch zu tiüchtig sind. Das Begehren ist immer reicher
als das Handeln. Wird nun das Handm zu früh und zu heftig
angereizt, so leidet darunter die Durchbildung des Begehrungskreises.
In die mannigfaltigen und von Natur unruhigen ßegehrungen muss
erst eine gewisse Ordnung und Ruhe gebracht werden. Auch sind
)) In diesem Zasftroraenhange wird die Stell« im 3. Boclie der Allff. Pfid..
4. Kap. II verstfindlich, wo Herbart sa^t, -la-s die Stufen der gcistigm Rcgs.inii^cit niil
den menschlichen Altersstufen zusammenpassen. Sie lautet; „Dem Kinde ziemt ein
teilnehmendes Merken, dem Kmibcn das Erwarten, deo JOaj^line kleidet die
Forderung' der Teilnahme. Hamit Her Mnnn daflir handeln möjje." Das ist sicher
nicht aufzufassen, als ob das Kind nur merken, der Knabe nur orw;irtcn usw. solle.
Herbart scheint hier nur die Genesis der Willenshandlung andeutrn /u wollen.
*) ..Charakior ist die stetig bestimmte Art, wir- <l. r Mensch sich mit der Ausscn-
vrelt in \ <rhaluais setzt." — ..Zur Bildung des sittlichen Charakters gehurt; der
Mensch mu.H$ ohne Vergleich mehr mit den gescUscbaftlichea Beziehungen, als mit sich
lelbst beschäftigt werdea" (Herbart. Aphorismen znr Pädagogik). E. v. SallwUrk
•dieint durch Herbarts Wort vom geduldigen Interesse zu »einer Behauptung veranlasst
worden ra sein (rgl oben S. S47).
— 254 —
sie den Werturteilen zu unterwerfen, d. h. sittlich und religiös durch-
zubilden. Dadurch kommt dem Zöglinge zum Bewusstsein, dass es
nicht löblich ist, jedem inneren Antriebe zu folgen. Oberflächlich-
keit, Voreiligkeit, Überschätzung^ der eif^enen Kraft, Enttäuschungen
sind die Früchte einer Erziehung, die den Zögling zu früh und in
zu hohem Masse in Handlung setzt Das alles aber: Oberflächlich-
keit. Überschätzui^ der eigenen Kraft, Enttäuschungen, Mangel an
sittlichem und religiösem Bewusstsein sind seelische Zustände, die
die Willensbildung erschweren, verhindern oder auf falsche Bahnen
leiten.
Das zuletzt angeführte Wort Herbarts stellt sich demnach nicht
als ein Widerspruch zu seinen Forderungen fiir die Willensbildung
dar, sondern als eine wohlbegründete W^arnung.
Wenn man eine Bestimmbarkeit des \\'i]]cns annimmt, dann
ist sie nur denkbar durch den Inhalt des seelischen Lebens, von
innen iieraus. Deshalb legt Herbart der .-Ausbildung des Gedanken-
kreises eine hohe und entscheidende Bedeutung bei Er denkt dabei
nicht, wie manchmal behauptet wird, an das bloss Intellektuelle,
sondern an alles, was die geistige Regsamkeit fördern, ordnen,
veredeln und bis zum Handeln fontreiben kann, also auch an Ik-
gehrungen und Gefühle, an Regeln und Grundsätze, an Sittliches
und Religiöses. ,J>er Gedankenkreis enthalt den Vorrat dessen,
was durch die Stufen des Interesse zur Begehrung und dann durchs
Mandeln zum Wollen aufsteigen kann. Er enthält noch überdies
den Vorrat zu allem Maschinenwerk der Klugheit — ihm gehören
die Kenntnisse und die Umsicht, ohne welche der Mensch seine
Zwecke nicht durch Mittel verfolgen könnte. Ja in dem Gedanken-
kreise hat die ganze innere Geschäftigkeit ihren Sitz; hier ist das
ursprüngliche Leben, die erste Energie." — „Die Grenzen des Ge-
dankenkreises sind Grenzen für den Charakter: wiewohl nicht
Grenzen des Charakters. Denn bei weitem nicht der ganze Ge-
dankenkreis geht in Handlung über. — Jedoch auch das, was in
der Tiefe des Gemüts, «ich selbst gelassen, ruhig liegt: ist wichtig
für die weichen Stellen des Charakters. Umstände können es
aufregen. Darum dnrf der Unterricht, was er nicht weit genug
treiben kann , doch noch lange nicht vernachlässigen. Es kann
wenigstens die Reizbarkeit bestimmen helfen; es kann die
Disposition ftir künftige Eindrücke vermehren und verbessern"
(Al^f. Päd. 3. Buch 4. Kap. 11).^) Herbart zeigt hiermit dem Erzieher
*) „Es iit nicht tu crwaitcn, daa» der Mencch alle seine VoistcUaagcn in I^dkuif
setze. Zu vieles blriht hintrr dm wenigen starken Trirhfv<l(rn unlt rdrückt Hepen, und
die Triebfedern, wenn sie auch anfangs nar ein schwaches) Übergewicht hatten, stärken
sieb im Handeln selbst. So entschieden nun alter auch durch sie das Huidlelii sein
oder werden map; so leichl kann doch ein nrurr Eindruck, wenn er alte verwandte
wK-dcr zu erwecken im Gemüte antriflt, dem Charakter eine neue Biegung geben. Hier
kommt es sehr auf die in der Tiefe versteckten Vorrtdlttafca nn" (Herbwt, ^»horiiiiien
cor Pidagogik).
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— 255 —
die Steile, an der er den Hebel seiner Tätigkeit am wirksannsten
einsetzen kann.
Wir haben folgende Satze gefunden:
1. Für die fi;eistige Regsamkeit, die als Streben bezeichnet
wd, bUdet das Interesse das Anfangsglied einer Reihe,
deren Endglied der Wille ist.
2. Der Wille entspringt nicht unmittelbar aus dem Interesse.
3. Aus dem Interesse erwachsen zunächst Begehrungen.
4. Die Begehrungen treiben zur Tat
5. Durch die gdingende und oft geübte Tat entsteht das
Wissen vom Können.
6. Das Wissen vom Können erzeugt aus der Begehrung den
Willen.
Damit breche ich die Untersuchung ab. Sie wird weit genug
geführt sein, um das Verhältnis zwischen Interesse und Willen und
die Bedeutung des Interesse für die Willensbildung erkennen zu
lassen.
IL
Für die Entstehung des Willens ist nur die gelingende Tat
von Wert. Deshalb muss der Erzieher den Zögling
1. zur Tat befähigen,
2. ihm Gelegenheit zu gelingender Tat bereiten,
3. durch anhaltende Übung den leichten Vollzug der lat
sichern.
Im folgenden mögen einige |>raktische Forderungen, die sich
aus den Darlegungen über Willensbildung und Interesse ableiten
lassen, eine SteUe nnden.
Wenden wir uns dem Deutschunterrichte zu! Der Zögling
soll zum guten Vortrage eines Gedichtes befähigt werden.
Nicht selten wird als vornehmstes Mittel zur Erreichung dieses
Zieles der mustergültige Vortrag des Ldirers angesehen und das
Kind in die Rolle des bloss Nachahmenden versetzt Es lernt das
Gedicht deklamieren". ,,Wie er räuspert und wie er spuckt, das
hat es ihm glücklich ab^ej^uckt." Ist der so erreichte Xortrag-
wirklich die Tat des Kmdcs? Wie es betont, mit wcldicm Aus-
druck es spricht, ist nicht seine Tat, es ist die nur nachgeahmte
Tat des Lehrers. Sein Herz, sein Kopf weiss oft nichts von dem,
was der Mund spricht. Daher das oft Unnatürliche, Unkindliche,
Schauspielerische solcher Deklamationen, im Vortrage des Kindes
soll sich offenbaren, wie es sich innerlich zu dem Inhalte des
Gredidites stdlt, wie das Kunstwerk auf sein Gemüt gewirkt hat.
Deshalb muss ihm dessen Gredanken- und Gefühlsgehalt vorher
cnchlossen werden, muss es durch eigenste Selbsttätigkeit ihn
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— 256 —
erfassen. Dieses Nachsinnen und Nachfuhlen kann man auch, wie
oft geschieht» ein Nachschaffen nennen. Betont das vortragende
Kind sinnwidrig, deckt sich sein Gefühlsausdruck nicht mit dem
Gefühlsgehalte des Gedichtes, dann hat innerlich noch nicht die
richtif^e Stellung dazu gewonnen. Hier muss die Korrektur ein-
setzen, nicht darf sie sich darauf beschränken, dass es heisst: So
musst du betonen» mit diesem Ausdrucke musst du das sprechen.
Durch das Eindringen in den Gedankengehalt wird die bewusste
logisch richti.^e IVtortnng, durch die lebendige Versetznngr in den
Gefühlsgehalt der ästhetisch wahre Ausdruck ;:,'e\vonnen. Eine der-
artige selbständige Betätigung ist natürlich nur unter der Voraus-
setzung denkbar» dass ein Gedicht dem geistigen Standpunkte des
Zöglings entspricht.
Nicht kann erwartet werden, dass alle Kinder dasselbe Gedicht
mit demselben Ausdrucke vortragen. So viel Individuen, so viel
Schattierungen. Eher noch lässt sich eine gleichmässige logische
Betonung anstreben, wiewohl auch manche Gedankenverbindungen
verschiedene logische Beziehungen und Auffassungen zulassen. Zart-
fühlenden Kindern widerstrebt es, fremde Gefühle zu heucheln.
Lässt man sie nicht gewähren, verzichten sie lieber ganz auf Be-
tätigung. Ihr Interesse am Gegenstande schwindet. Von diesem
Standpunkte aus erscheint das so häuhg geübte Lesen und Vor-
tragen im Chor in wenig vorteUluftem Lichte: es gewöhnt,
ganz abgesehen von anderen notwendig damit verbundenen Nach*
teilen, an einen Herdenmut, erzieht nicht zu persönlichem Mute.
Nur der persönliche Mut treibt zur persönlichen Tat , nur die per-
sönliche lat wirkt willenbildeiid. Nicht selten ist zu beobachten,
dass es im Chor „glatt geht", beim Einzellesen und Einzelvortrag
aber viele versagen; dass im Chore laut, oft überlaut gesprochen,
beim Einzelvortrag aber nur undeutlich geflüstert wird.
Vor kurzem erkundigte ich mich in einer Schulklasse nach den
gelernten Gedichten. Ich griff das zuletzt gelernte heraus und
fragte: Wer kann es vortragen? Viele meldeten sich. An leinen
munter dreinschauenden Knaben erging die weitere Frage: Willst
du's einmal recht schön vortrasrcn' Rr blieb verlegen sitzen und
schwieg. Warum willst du nicht .' Ich kann's nicht gut betonen.
Er wollte nicht, weü ihm der Mangel seines Könnens bewusst war.
- Nicht selten geschieht es, dass Kinder einen Befehl des Lehreis
mit Untätigkeit und Schweigen beantworten. Das Bewusstsein des
Nichtkönnens hemmt ihnen Hand oder Fuss, die Scheu, das vor
anderen zu gestehen, schliesst ihnen den Mund. Übel angebracht
ist in solchen Fällen strenges Beharren auf dem Befehle. Verhilf
dem Zöglinge zum Bewusstsein des Könnens, freudiges Tun, williger
Gehorsam danken es dir.
\'on den Gegenstanden des Deutschunterrichts ist den Zöglingen
der Aufsatz am wenigsten angenehm. Er ist ihnen ein lästiger
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— 257 —
Zwang, ein Muss, das den Antrieb zur Tat hemmt. Bis zur äussersten
Grenze wird die Arbeit hinausschoben. Woher diese bekannten
Erscheinungen ?
Oft wird übersehen, dass das Interesse die Wurzel des Willens
i&L Aus dem Interesse erwächst das Begehren, das Begehren strebt
zur Tat, Uber einen Gegenstand des Interesses spricht man sich
schriftlich wie mündlich gern aus.
Die Vorbereitung des Au&atzes verläuft meist nach dem Schema:
Stoffsammlung, Stoffanordnung, stilistische, orthographische Vor-
bereitung. Liegt das Aufsatzthema im Interessekreise des Kindes,
dann ist die Stotfsamnüung bald erledigt und em natürlicher, ein-
facher Gedankengang bald gefunden. Zur Qual nur werden diese
Stufen der Vorbereitung, wenn das Thema ausserhalb der unmittel-
baren Erfahrung liegt, wenn der Zögling nicht im Stoffe lebt. Dann
auch wuchert und blüht die Phrase, die klingende, gedankenlose,
unwahre, charakterlose Phrase. Die Gewöhnung an sie macht un-
iahig zu jeder wahren und ernsten Vertiefung.
Vielfach glaubt man, einer besonderen stilistischen Vorbereitung
nicht entraten zu können. Man lässt den Gegenstand mündlich
darstellen , Sätze bilden und variieren. Einen treffenden Ausdruck
für das zu finden, was uns innerlich bewegt, ist keine Sache, die
sich kommandieren lässt Was selbst dem gebildeten Erwachsenen
schwer fallt, sollte man nicht von Kindern verlangen. Die münd-
liche Aussprache über den Gegenstand des Aufsatzes darf nicht als
stilistische Übung behandelt werden sie soll nur als Massstnb dn^fiir
dienen, wie weit die Kmder den Stoff beherrschen. Weulcn Sat/e
gebildet und eingeprägt, so binden sich die meisten Kmdcr an
diese Formen, auch wenn der Lehrer es nicht verlangt Eis wird
zu einer Gedächtnissache, was selbständiges Tun sein sollte. Das
Variieren von Sätzen ist gewiss eine gute Sprachübung, aber n!s
direkte stilistische Vorbereitung zu einem Aufsatze nicht zu cmp-
icnien. Die begabteren Kinder bedürfen ihrer nicht, sie wenden
schliesslich doch den Ausdruck an, der ihrer Ansdiauung gemäss
ist — die Anschauung ist der Stil — ; die schwächeren Kinder
aber werden durch solche Variationen nur beunruhigt und unsicher
gemacht Ihr Vertrauen auf die eigene Kraft sinkt Sie möchten
es den Begabteren nachtun und geraten in Unfreiheit Sie ahmen
nach, anstatt den ihrer Anschauung angemessenen Ausdruck an-
zuwenden. Besser die unvollkommenere einne, als die vollkommenere
fremde Ausdrucksweise. Gerade die Schwachen bedürfen der
Stärkung des Vertrauens auf die eigene Kraft, des Mutes zur Tat,
sonst erfahren sie nie, was sie können. „Unmut,*) der habituell
wird, ist die Schwindsucht des Charakters" (Herbart, AUg. Päd,
3. E 4. Kap. I, S. 165). Der Erzieher muss sidi hüten, die Keime
*) D. b. hier: Mangel an Mut, Verzagtheit.
fUifOgtooh« Blndien. XXIX. 4. 17
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— 258 —
dieses Leidens in die Seele des Kindes zu legen oder zu nähren.
Auch der Schwache wünscht und begehrt Alles Begehren aber ist
Leiden. Befähige zur gelingenden Tat, du befreist von Leiden,
gibst Krafti^efühl, Freude und Willen.
Nicht selten beschränkt sich der Unterricht im Schreiben
und Zeichnen auf ein bloss nachahmendes Tun des Zöglings.
Es fShrt auch zum Können, aber za einem Können, das nidit ak
Faktor der Willensbildung wirkt WiUe ist Selbständigkeit Der
Selbständige soll nicht nur selbst stehen, sondern seinen Standpunkt
auch behaupten können; der Selbständige spürt hervortretenden
Mängeln seines Werkes nach und findet neue Wege. Ein bloss
nachahmendes Tun ist kein wurzelechtes; ihm fehlen die Wurzeln
des Interesse und der daraus sich entwickelnden natürlichen An-
triebe. Der nur mechanisch Handelnde ist rat- und hilflos, sobald
der Mechanismus versagt oder veränderten Verhältnissen nicht ge-
wachsen ist Schon der Gedanke an den möglichen P^intritt solcher
Verhältnisse macht unruhig, schwächt das Bewusstsein des Könnens
und hemmt die Entwicklung eines starken, selbstsicheren, freien
Willens.
Bei der zeichnerischen Darstellung eines Gegenstandes, bei der
schönen Ausführung einer Buchstabenform muss klare Anschauung
und ästhetisches Empfinden die Hand regieren. Fehlen diese natür-
hchen Antriebe, so ermangelt das Tun des erziehenden Wertes.
Nicht bloss Fertigkeit, sondern ein Hinaussetzen, ein Hineinbilden
der Anschauung und Empfindung in die äussere Welt, die Welt
der Erscheinungen, ist die darstellende Kunst, , Dns ist's ja, was
den Menschen zieret Und dazu ward ihm der Versland , dass er
im inneren Herzen spüret, was er erschafft mit seiner Hand." Nur
dann erschafft die Hand im eigentlichen Sinne, wenn sie darstellt,
was die Seele erlebt und beweget.
Das gilt nicht nur vom Künstler, das gilt auch vom Kinde,
das ein Mensch werden soll, ein bewusst handelndes, zur Fähigkeit
des Wollens sich durchringendes Wesen. Das Wollen ist nichts
Angeborenes j der charaktervolle sittliche Wille ist das Werk der
höchsten menschlichen Leistung.
Im Unterrichte der Schwachsinnigen wird mit Recht und mit
gutem Krfolrrc die Betätigung gepflegt^) Aber auch hier darf man
sich nicht auf eine rein mechanische, maschinenmässige Tätigkeit
beschränken: es ist eine Betätigung zu erstreben, die aus dem zum
Begehren fortschreitenden Interesse hervorgeht Das Interesse und
infolgedessen das Begehren solcher Kinder ist schwer und nur in
geringer Starke und geringem Umfange zu erzielen; deshalb erfolgt
die Betätigung spät» zögernd, auf eng begrenztem Gebiete und ist
<) Vgl Päd. Studien 1908, H. i.
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der Wille einseitig und schwach. Durch die Praxis in gut geleiteten
Eniefaungsanstalteo för Schwachsinnige wird unsere Theorie von
der Willensbildung bestätigt.*)
Das Leben in der Schulgemeinschaft gibt reichlich Gelegenheit,
die Kinder zur Betätigung des Ordnungssinns, der Dienstfcrti'^kcit,
Vertragiidikeit, des Gehorsams anzuhalten. Der Reiigiuns- und
Geschichtsunterricht berührt aber vidfach Gebiete, die dem
Kindes- und JüngÜngsalter noch fernliegen. Können wir hier die
innere geistige Regsamkeit über die Stufe des Interesse hinausführen?
Können wir hier das im Fordern sich äussernde Begehren zur Tat
fortschreiten lassen, die in die Aussen weit eingreift? Offenbar nicht
Mfissten dann diese Gebiete nidit ausgesdiieden oder auf ein
späteres Lebensalter verschoben werden? Das würde so sein» als
ob wir im Rcchcni:nterrichtc von der Zinsrechnung absehen wollten,
nur weil die Kinder Kapitale noch nicht ausleihen oder auinchmcn.
Das Handeln auf diesen Gebieten muss von langer Irland vorbereitet
sein. Ein Handehi auf ein nur von aussen kommendes Gebot ist
noch nicht religiöses oder sittliches Handeln. Die äussere Unter-
werfung unter solche Gebote erweckt nur den Schein der Reli-
giosität und Sittlichkeit. Nur wenn das äussere Handeln das Nach-
bild inneren Handelns ist, ist die Tat meine Tat; dann erst
gewinnt sie den Charakter des Religiösen und Sttlichen oder des
Gegenteils.
Wir stehen hier vor der höchsten und schwierigsten Aufgabe
der Erziehung: Gesinnungen, Motive zu bilden, die zur Tat treiben.
Ein ungenannter Militärschriftstellcr schreibt in einem Aufsatze
»JMe Zukui^tsschlacht" (Velhagen & Klasings Monatshefte 1907,
H. 7, S. 78): ^n kuhner Ge<&nke mag noch so ein&di und ein-
leuchtend sein — der innerliche Vorgang, der ihn in die Tat um-
setzt, erfordert einen ganzen Mann und eine Truppe von hingebender
Tapferkeit und von stillem ernsten Pflich^efühi . . . Da müssen die
edelsten Kräfte der Menschenseele tätig werden: Selbstverleugnung,
strenge Selbstzucht und Treue bis zum Tode.
Diese Kräfte lassen dch in der Stunde der Ge&hr nidit schaffen.
Sie müssen in der Truppe vorhanden sein, geweckt und gestählt
durch eine unermüdliche Friedenstätigkeit. Die festeste Stütze eines
Heeres aber ist ein schlichtes, einfältiges Gottvertrauen . . . Und
dass es nicht gleichgültig ist, ob ein Heer vor der Schlacht das
Lied singt: „Ein feste Burg ist unser Gott" — oder ein Operetten-
hed — das hat auch der Krieg von 1870 eindrin^dieh bewiesen."
Das sind Worte mitten aus dem Krnste des Lebens. Ganz
richtig: die Kräfte, die standiiaitea und uberwinden, lassen sich
Nitzsche, G., Die KgL Sachs. Ländes^Erziehungs- Anstalt für schwachsionige
Kinder. ( hcmaitz 1907. Di«K lehr bcttchttanrerte VeröffieadiclMUif bietet iDch dnen
Lehrplap (S. 26—76).
17*
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nicht in der Stunde der Gefahr schaffen, aber auch nicht in nur
zwei- oder dreijähriger militärischer Vorbereitungszeit. In der
Friedenszeit des Lebens, in der Jugend, müssen sie geschaffen und
geübt werden.
Sehr richtig betotit jener MiUtärschriftsteller , dass die gute
Gesinnung den nachhaltigsten und zuverlässigsten Antrieb zur Tat
bildet Immerhin ist das Wi^en vom Können eine unerlässliche
Vorbedin.Tun^ des Entschlusses 7ij!rTat und des gelingenden Hanr^eln-^,
da es die ( irimdlage des St Ibstvertrauens ist. Mit dem bott-
vertrauen muss das Selbstvertrauen sich verbinden, sonst erhält es
einen stark fiitalistischen Zug und artet leicht in Aberglauben und
Tollkühnheit aus, die nur geringe Gewahr itir das (Clingen der
Tat bieten.
In dem Abschnitte der AUg. Päd. Herbarts, der die Uberschrift
trägt „Handeln ist das Prinzip des Charaiciers * (3. B. 4. Kap. 1, S. 163)
lesen wir: „Vor allen Dingen aber muss man hierbei in Betracht
ziehen, dass der grössere Teil der Tätigkeit des gebildeten Menschen
bloss innerlich vorgeht, und dnss es meist innere Erfahrungen sind,
weiche von unserem Können uns belehren . . . Dann kommt es
darauf an, weiche Art von äusserer Geschäftigkeit in ihrer ganzen
Komplikation der Phantasie mit vorzüglicher Klarheit vorzubilden
gelingt. Der grosse Mann hat längst vorher in Gedanken gc*
handeil, — er fühlte sich handelnd, er sah sich auftreten. —
ehe die äussere Tat, das Nachbild der inneren, in die Erscheinung
eintritt"
Was hier gesagt ist, gUt wiederum nicht nur von dem schon
gebildeten, es gilt auch vom werdenden Menschen; es gilt nicht
nur vom grossen Manne, sondern von jedem ernstschaffenden
Menschen. Über die Bedeutung der Phantasie für die geistige,
insbesondere auch für die Willensbildung ist bereits an anderer
Stelle gesprochen worden.*)
Im Religions* und Ge^iiditsunterrichte handelt es sich meist
um ein Handeln in der Phantasie. Bei geeigneter Gelegenheit
müssen die Kinder durch einen anschaulichen Unterricht so lebhaft
in gewisse religiöse und sittliche Lagen versetzt werden, dass sich
starke Antriebe zum Handeln regen. Kann aus irgend welchen
Gründen das Handeln nicht in äussere Tat übergehen, dann muss
es dem Zöglinge Bedürfnis werden, auszudenken und auszusprechen,
wie er in dieser oder i^-rter Lage sich verhalten würde. Durch
häufig her! itngetuhrte iTeiegenheit zu solch inrrerer Betätigung wird
eine Übung und Fertigkeit, eine Gew^öhnuug erzeugt, die im
Ernstfälle nicht versag
Dass zwischen dem Handeln in der Phantasie und der in die
Verhältnisse .der äusseren Welt wirklich eingreifenden Tat noch
») PSd. Studien 1906, b. 3776".
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— 26l —
vielerlei besorgt werden muss, braucht hier nicht weiter ausgeführt
zu werden. Ganz allgemein sei nur daran erinnert, dass die ge-
lingende äussere Tat gewisse Anforderungen an körperliche Kraft
und Gewandtheit stellt, Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen
mancherlei Art voraussetzt, die erst im späteren Jünglingsalter ge-
wonnen werden, zum Teil erst dem gereiften Manne su Gebote
stehen. Bisweilen gelingt die rasche, durch den Schwung des Ideals
beflügelte Tat des Jünglings; der Erzieher soll den jugendlichen
Wagemut nicht unzeitig tadeln. „Wer gar zuviel bedenkt, wird
wenig leisten." Tollkühnheit aber ist noch nicht Wille. Zum
Wagen muss das Wägen sich gesellen. Auch das Zaudern kann
eine Tat sein. Manche freUich lernen ihre Schranken erst durch
eine Reihe von Misscrfolgen krnnen. Doch ist's etwas Missliches
darum. Misscrfolgc cntmutigeti und lahmen die Tatkraft: für die
Willensbildung ist die gelingende Tat forderlich. Dem gereiften
Manne verbindet sich mit dem Bewusstsein des Könnens das Be-
wusstsein von den Schranken seiner Macht, das Bewusstsein, dass
der Mensch nie alle Fäden zum Gelingen der Tat in seiner Hand
hält. „Ein rechter Mann, der beten kann, und Gott dem Herrn
vertraut." Die iat, die nur dem Bewusstsein des Könnens, der
Überlegenheit der eigenen Kraft entspringt, gewinnt leicht den
Charakter des Brutalen. Der Erzieher wird dafür sorgen, dass
edlere, feinere .Antriebe die Schärfe und Herbheit des fordcr;^r!cn
Be-t^chrens mildern, dass der Zöghng sich scheuen lernt, unreife
Gedanken und unlöbiiche Gesinnungen zur iat werden zu lassen.
Mit der Durchbildung des Gedankenkreises nach der sittlichen
und religiösen Seite hin, mit der Anregung des Handelns in der
Phantasie muss ferner die Ausbildun«^' der P>kenntnls von den Be-
dingungen der gelingenden Tat Schritt halten. Sonst überspringt
das innere Handeln in Ungeduld voreilig seine Schranken, Ent-
täuschung folgt und jener Unmut schlägt Wurzel, der die Schwind-
sucht des Charakters ist. Deshalb warnt Herbart davor, den
Zögling zu früh in bedeutender Weise in Handlung zu setzen.
Die Gesinnungen eines Menschen so zu bestimmen, dass aus ihnen
die gute Tat hervorgehen muss, ist unmöglich. Wenn man auch
eine psychische Kausalität annimmt, so muss man sich doch des
Unterschieds zwischen psychischer und physischer Kausalität be-
wusst bleiben, .^uch der feinste Psycholo«^; \ crmag nicht, alle
seelischen Vorgänge so zu erfassen und zu beeinflussen, dass der
Erfolg seiner Bemühungen mit mathematischer Sicherheit eintritt.
Trotz dieser selbstverständlichen Einschränkungen bleibt die
Verpflichtung des Erziehers bestehen, die innere geistige Regsamkeit
des Zöglings so vielseitig zu gestalten, so hoch zu spannen, so an-
dauernd zu üben, dass sie bis in das Alter hinein vorhält» das die
Mittel zur äusseren Tat in die Hand gibt.
Das innere Handeln, das Handeln in der Phantasie wird durch
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262 —
jeden dogmatisierenden Unterricht vereitelt, d. h- durch jeden
Unterricht, der Fertiges und Unverständliches bietet, der auf bloss
gedächtnismässic^e und mechanische Aneignung hinwirkt oder auf
blosses Nachahmenlassen sich beschränkt.*)
Ein jeder Unterricht, der die Selbsttätigkeit des Schülers hemmt
und hindert, oder dec sich mit blosser Scheintätigkeit begnügt, ver-
stösst gegen die Gesetze der Willensbildung. Nicht alles Tun ist
Selbsttätigkeit. Nur dem Lehrer wird es gelingen, die Kinder zu
wahrer Selbsttätigkeit anziirejren, der in kindliches Denken, Fühlen
und Wollen sich vertieft, die Beziehungen zwischen ihm und dem
Unterrichtsgegenstande erkennt und die richtigen Anknüpfungspunkte
zu finden weiss. Berichtigt der Lehrer falsche Antworten selbst
oder lässt er sie durch andere Schüler berichtitren und das RichtiiTC
nur nachsagen, so hat er durch das Nachsagen zwar Tätigkeit, aber
keine Selbsttätigkeit veranlasst Die Selbsttätigkeit wird nicht in
Anspruch genommen, wenn der Lehrer durch eine Flut von
Zwischenfragen den Schüler so leitet, dass er das richtige Ergebnis
gar nicht verfehlen kann und wie mit verbundenen Augen das Ziel
erreicht. Vor allem muss der Lehrer den Schüler anhalten, ein
Ziel, und wenn es noch so nahe gesteckt ist, scharf ins .Auge zu
fassen; dann darf er nicht Langeln, sondern nur anregen, aus eigener
Kraft dahin zu gelangen. Das ist freilich schwerer, als die Klapper-
mühle katechisierender Fragerei in Betrieb zu setzen, und den Schein
7.U erwecken, dass etwas unterrichtlich Bedeutsames geschieht,
während der Zögling doch nur mehr oder weniger mechanisch in
Anspruch genommen, gelaagweilt und geärgert wird. Das Interesse
will selbst sehen, suchen und finden, sich aber nicht jeden Schritt
und jedes Schrittchen vorschreiben oder gar vormachen lassen; es
setzt sich selbst Aufgaben und will sich bei ihrer Lösung nicht
beständig dreinreden lassen. Ein echter Lehrerkünstler, wer diese
innere geistige Regsamkeit zu wecken und bis zu ihren höchsten
Stufen zu steigern versteht; wer nicht mit plumper Hand in das
zarte Gewebe w:i Ii enden geistiL;cii Lebens hineingreift, sondern
fein beobachtend und leise lenkend und richtend weise im Hinter-
gründe sich hält.
Dem Christenlume wird von gewisser Seite zum Vorwurfe
gemacht, dass es zur Charakterschwäche führe. Dieser X'orwurf
mag aus dem einseitig und übermässig betonten Gedanken ent-
standen sein: „Du bist ein armer, elender, sündiger Mensch und
kannst gar nicht tun, was Gott von dir fordert." Was fordert Gott
im Christentume ? Die treue kindliche Hingabe an seinen guten
') Bei dcni Begriffe des dog mal i s i e r c ad e u Latcrriclus isl uicht etwa nur ud
Religioa zu deaken; auch im natiirkundlichen Unterrichte, im G^hichts«, Sprach*,
Rechen», Zeichen-, Schreib- und HandfertigkeiUiuterrichle kann dogmatiicli in oben
angedeuteten Sinne veifihren werden.
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— 263 —
väterlichen Willen. Der Gott wäre ein schlechter Pädagoge der
mehr von seinen Kindern verlant^, was sie leisten können.
Wir dürfen nicht, wie oft im Religionsunterrichte geschieht,
den Kiodem vorreden, dass sie nicht tun können, was Gott haben
will; wir dürfen zwischen dem AUheiUgen und dem strebenden
strauchelnden, irrenden Menschenkinde nicht eine unüberbrückbare
Kluft konstruieren. Das ist unpädat^oj^sch, weil der Wiilensbildun'T
hinderlich. Dabei brauchen wir uns nicht auf den unhaltbaren
Standpunkt zu stellen, dass der Mensch von Natur gut sei. Das
Christentum stellt Gesrnnungsideale auf und fordert ein unmittelbares
Interesse, die reine» voUe Hingabe an diese Ideale. Die Gesinnun^^en
sollen treibende Kräfte werden. „Das Evangelium ist eine Kraft
Gottes" (Rom. I, l6). „Welche der Geist Gottes treibet, die sind
Gottes Kinder" (Rom. 8, 14). „Lm Beispiel habe ich euch gegeben,
dass ihr tut, mt ich euch getan habe" (Joh. 15, 15). I& Ge-
sinnungen sollen zur Tat treiben. Freilich kann der Abstand
zwischen unseren Gesinnrm<^en und Taten einerseits und jenen
Idealen anderseits nicht \ri[)orgcn bleiben. Das Bewusstsein dieses
Abstandes aber, d. i. die wahre christliche Demut, darf nicht herab-
sinken oder hcrabgedrückt werden zu dem entnervenden Gefiihle
der Unfähigkeit, den Willen Gottes zu tun, es muss vielmehr zum
Antrieb eines unermüdlichen Strebens nnrh drn Idealen werden.
Das wird der christliche Relii^innsuntcrncht im Auge behalten
müssen, wenn die willen- und charakterbiidende Kraft des Christen-
tums zur Geltung kommen soll
• • •
Die lebendige Wechselbeziehung zwischen Erziehungspraxis und
Erziehungswissenschaft bewahrt vor Einseitigkeiten und Über-
treibungen, vor schablonenhaftem und handwerksmässigem Tun.
Eine Praxis, die enge Fühlung mit der Wissenschaft halt, ist immer
auf der Bahn besonnenen und wahren Fortschritts zu finden. Sie
hat Leben und kann Lebenswerte schaffen.
Die Untersuchung über Willensbildung und Interesse wird ge-
zeigt haben, dass ein iirziehuiigssystem, in dessen Mittelpunkte die
Charakterbildung steht, nicht zu untätiger Beschaulichkeit ftihren
kann. Herbarts Pädagogik ist eine Pädagogik der Tat
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264 —
Die Methode des modernen erdkundlichen Unterrichts.
Von Rektor K. Ehrhardt in Königscc (Thüringen),
L Die Aufgab« de« eeographischen UnterrichtSw
Wesen und Umfang der Geographie als Wissenschaft werden
je nach dem subjektiven Ermessen der Gelehrten in verschiedener
Weise dargestellt. Seit der ältesten Zeit ist die Kenntnis der Erd-
räume nach ihrer Verschiedenheit die eigentUche Aufgabe der Geo-
graphie, die einseitige Bevorzugung der mathematischen Geographie,
die blosse Beschreibung der Länder und die ebenfalls einseitige Be-
trachtung der Stellung des Menschen auf der Erde musstcn den
Hauptaufgaben weichen. Erforschung der Erdoberfläche, der festen
Erdrinde, des Wassers und der Luft wird aligemein als das Haupt-
ziel hingestellt, dazu kommt noch die Darlegung der Wechsel-
wirkung jener drei Faktoren und die Erklärung der Beziehungen
zum Sonnensystem und zu der gegenwärtigen Verbreitung der ge-
samten Pflanzendecke, Tierwelt und Menschheit. Entsprechend der
Methode der Naturwissenschaften bleibt die Geograpliie nicht bei
der Beschreibung der Länder stehen, sondern sie dringt bei der
Behandlung ihrer Stoffe in die Ursachen ein und sucht diese zu
erforschen. Nach Professor Wagner ist die Geographie „eine natur-
wissenschaftliche Disziplin mit einem ihr innewohnenden historischen
Element. Sie zeigt uns einerseits die Erde als einen eigenartigen
Naturkörper, an dessen mannigfaltig gestalteter Oberfläche eine
Fülle von Naturerscheinungen durch ihr gesetzmassiges Ineinander-
greifen das Leben zahlloser Einzelwesen bedingt , anderseits be-
trachtet sie dieselbe als Wohnplatz eines höherorganisierten und
dem Naturwalten nicht blindlings hingegebenen Wesens, des
Menschen".
Über die Aufgabe der Schulgeographie können kaum noch
Zwtifel bestehen, da sie ihre Aufgaben aus den Arbeiten der
Wissenschaft ableitet. Sie hat einerseits die natürlichen Verhältnisse
darzulegen, anderseits die Wirkungen derselben auf die Organismen
zu zeigen. Nur inbezug auf die Durclidringung und den Umiang
des Stoffes bestehen zwischen der wissenschaftlichen Geographie
und Schulgeographie Unterschiede. Weder die wasserloscn Wüsten
und undurchdringlichen IVwälder, noch die schneebedeckten Hoch-
gebirge und weiten Weltmeere können dem Vordringen der geo-
graphischen Wissenschaft Halt gebieten. Mit gleicher Genauigkeit
sucht sie jeden Winkel der Erdobetflädie zu durchforschen, jede
Erscheinung nach dem ursächlichen Zusammenhang zu erklären.
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— 265 —
kein Moment wird fortgelassen; mit demselben Interesse betrachtet
sie unser Thüringen wie die Polarlandschaften . die Inseln der
cieutschen Kviste wie der fernen Meere Der wissenschaftliche
Geograph steigt auf den Spitzen des Himalaja herum, er untersucht
den Aufbau der Anden, er stellt die Bedeutung von Timbuktu und
Kano fest, er misst die \-erschiedenen Temperaturen der Meeres-
tiefen mit derselben Sorgfalt wie die der Hohen des Festlandes, er
erforscht die Tier- und Pflanzenwelt der K il J ari und die Lebens-
vernaitnisse der Massai- Leute von Ostatnka. Die Wissenschaft
erstreckt sich mit grosser Gleichmassigkeit über die ganze Erde.
An It rs ist es im geographischen Unterricht der Schule; er kann
sich nicht über die ^anze Erde erstrecken, da der Stoff /u umfang-
reich, die Zeit des Unterrichts zu beschränkt ist, und der Schüler
nicht alles zu umspannen vermag. An den höheren Lehranstalten
kann der Geographielehrer weitere Gebiete der Erde einer genaueren
Betrachtung unterwerfen, da die Schüler in einem reiferen Alter
stehen, der l'nterricltt mehr Zeit zur Verfügung hat und genügende
Lehrmittel geboten sind.
Da die Volksschule Hrzichun;^sschule ist, so ist der durch Inhalt
und Form dieses Unterrichtsfaches vermittelte Kreis von Vorstellungen
nicht Selbstzweck, sondern es soll auf die Veredelung der Gesinnung
und auf die Bildung des Willens eingewirkt werden, der Stoff sou
in dem Schüler die? bestinü^-lichc Wirkung hervorbringen. Dem
dient als Hauptmittel die Bildung des Interesses. Der gcocrraphische
Unterricht weckt und entwickelt besonders das empirische, das
Streben nach Erkenntnis des Tatsächlichen, das spdculative, das
nach dem Warum fragt und zur Erforschung des kausalen Zu-
sammenhanges fuhrt und das ästhetische Interesse, das Wohlgefallen
an den Schönheiten der Länder empfindet. Neben den Interessen
der Erkenntnis werden auch die der Teilnahme gebildet
2. Di0 fiesieIrtHunkte fQr die StofautwahK
Oie Bildung des Interesses ist abhängig von dem „Was" und
von dem „Wie** des Unterrichts» von der Auswahl der Unterrichts^
Stoffe und von deren methodischer Behandlung. Eine zweckmässige
Auswahl und Verteilung, die Rücksicht nimmt auf die feststehenden
und im Verlaufe der Entwicklung sich verändernden Kigentümlich-
keiten des Kmdcs, kann wesentlich zur Erreichung des Zieles
beitragen. Für die Dinge müssen genügende Anknüpfungspunkte
in der Seele des Schülers vorhanden sein, und die zu behandelnden
Stoffe müssen der geisti ^cn Fassungskr:ift Srhiürrs entsprechen.
Was über den ^eistijren Standpunkt emer bestimmten Unterrichts-
stufe hinausgeht und nur mit Mühe angeeignet werden kann, muss
unbedingt aus dem Lehrplan gestrichen werden. ^^Nichts schadet
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der geisti^^en Gesundheit mehr, als eine ungeeignete geistige Nahrung."
Jede methodische Einheit muss die Geisteskräfte des Schülers in
Anspruch nehmen und fördern, damit das Gefühl des erfolgreichen
Gelingens der Arbeit entsteht, ein geistiges Fortschreiten zustande
kommt und sich ein beglückendes GefUhl einstellt Die leichte und
sichere Verschmelzung neuer Vorstellungen mit älteren erzeugt ein
Lustgefühl, durch welches das Verlangen nach weiterer Beschäftigung
mit dem Gegenstande geweckt wird. Wenn das Neue im Innern
apperzipierende Vorstellungsmassen vorfindet, wenn durch die sich
leicht volhdehende Apperzeption einem Bedürfnis Genüge gdeistet
wird, so wird durch den Unterricht Interesse erzeugt Die Fülle
der Vorstellungen, die das Kind zur Schule mitbringt, muss geklärt
vertieft und erweitert werden, denn wenn wir von dem Kinde ver-
langen, die stummen Zeichen der Karte in klare Anschauungen von
rauschenden Flüssen und klaren Seen, von fruchtbaren Tälern und
öden Wüstoi, von verkehrsreichen Städten und stillen Gebifgs*
Ortschaften zu verwandeln, so ^^^nschen vAt, dass «^f^incri
Inneren heraus diese Objekte belebe. Das ist eine Arbei:, iic nur
verrichtet werden kann, wenn die licimatskunde die richtigen und
zahlreichen Vorstellimgen herbeigeföhrt hat, wenn sie den Unterricht
ii^ der Gec^raphie beginnt und auf den weiteren Stufen audi
begleitet
Blicken wir auf die h' utiLycn Erwerbs- und Verkehrsverhältnisse,
so erkennt man, dass eine gewisse Menge des geographischen
Wissens auch für den gewöhnlichen Mann Bedürfnis ist, und der
Schule erwächst die Aufgabe, dieses Bedürfnis in angemessener
Weise zu befriedigen. Soll der Schüler später das Leben und
Treiben in der Weltwirtschaft verstehen, soU er die Ricsenlettem,
welche die arbeitende Menschheit dem Antlitz der Erde eingräbt
deuten, soll er die kolonialen Interessen seines Volkes ricfat^ ein«
schätzen, soll er endlich die Ausdehnung des Handels und der
Industrie und die Machtstellung eines Staates richtig erkennen, so
ist in keinem anderen Unterrichtsfache als in der Geographie die
, geeignete Gelegenheit zur Belehrung gegeben. Auch eine gründliche
Betraditung der kolonialen Bestrebungen ist notwendig. Denn als
Deutschland nach dem erfolgreichen Kriege von 1870/71 politisch
erstarkte, musste das wirtschaftliche Gebiet in der Form von Er-
werbungen an Aussenbcsitzungen eine Ausdehnun;:^ erhalten. Wir
können uns durch einen flüchtigen Bück auf die Handelsgüter leicht
davon überzeugen, dass wir ohne übeisedsche Produkte nidit mehr
auskommen; für die Kolonialwaren, die wir alltaglich nötig haben,
müssen wir Quellen besitzen. Wenn nun auch noch lange Zeit
vergeht, ehe die Kolonien einige Produkte uns ganz und gar liefern,
so kann doch durch den Fortschritt der Pflanzungen wenigstens ein
TeU der Ausgabeh an fremde Lander, ein TeU der Millionen deutschen
Vermögens, das in die Taschen der amerikanischen und englischen
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— 26; —
Spekulanten flicsst, dem eigenen Volke gerettet werden. Deutsch-
lanci hat sirh nach und nach von einem A^rar- zu einem Industrie-
Staate entwickelt, der sich durch Handelsverträge Quellen für die
Rohstoffe und Absatzgebiete für die fertigen Waren verschafft, aber
das Wohl eines Industriestaates wird durch einen Krieg bedeutend
mehr bedroht, als das eines Ackerbaustaates. Am sichersten sind
cic^cnr Besit7.ungen , die einerseits die zu verarbeitenden Stoffe
liefern, anderseits für die Industrieerzeutrnissc Absatzgebiete abgeben.
Die deutsche Textilindustrie allein beschäftigt etwa i MilL Arbeiter,
sie bezog an Rohstoffen im Jahre 1904 für 471 Mill. M. fast voll-
ständig vom Auslande, besonders von Amerika und £ngland. Im
nächsten Jahre zahlte Deutschland für den gleichen Bedarf an
Baumwolle nur 398,2 Mill.; 73 Mill. M. flössen an das Ausland.
Amerika hat die Baumwolle selbst, England erhält sie aus Ost-
indien und Ägypten, wenn nun durch einen Konflikt die Zufuhr
nach Deutschland für kurze Zeit unterbliebe, so wäre ein Haupt-
industriezweig bei uns lahmgelegt. Wir können verstehen, dass das
kolonial-wirtschaftliche Komitee mit dem grössten Eifer den Anbau
der Baumwolle in den Kolonien zu heben versucht, um die Ab-
hängi^^kcit Deutschlands inbezug auf die Zufuhr von Baumwolle zu
überwinden. Alle afrikanischen Kolonien, ausgenommen Südwest-
afrika, liefern schon jetzt Baumwolle, und die ostafrikanischen Er-
zeugnisse übertreffen an Güte die amerikanische und ägyptisch f>
Ware, Es gilt jetzt nur noch die Produktion zu steigern, dass aller
Bedarf von unseren Kolonien gedeckt weiden kann, und das ist
wohl möglich, denn die statistischen Angaben zeigen deutlich, wie
die Kolonien sich wirtschaftlich von Jahr zu Jahr heben. Auch
wir an Kakao und Reis, an \nt;'hölzem tind Gerbstoffen, an
Kautschuk und Ölfrüchten . an Federn und Häuten von dem Aus-
lande beziehen, kann durch unsere Kolonien recht gut gedeckt
werden. In dem Gelingen der Unternehmungen der Pflanzungs-
gesellschaften liegt die Zukunft der deutschen Schutzgebiete C^t-
afrika, Kamerun, To^o, Kaiser W'IIhelmland.
Aber auch jene Absatzgebiete, die noch vor einigen Jahren
eine bedeutende Zahl von Waren aus dem Deutschen Reiche be-
zogen, kaufen nicht mehr soviel wie früher, ihre Industrie hat sich
gehoben, so dass sie auf dem Weltmarkte bereits als Konkurrenten
der deutschen Industrie auftreten. Amerika wie Jayjan sind eifrig
bemuht, alle Waren für den eigenen Bedarf selbst herzustellen. Wir
müssen für unsere Industrie Absatzgebiete suchen, und wenn auch
diese Absatzgebiete unsere Kolonien noch nicht sein können, so
sind sie doch bedeutsame Warenniedeilagen, von denen der deutsche
Handel weiter verbreitet und weiter entwickelt werden kann. „Das
Deutschland von heute muss entweder über See verkaufen oder
Untergehn."
Die Kolonien sind aber auch dazu bestimmt, die Massen-
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auswanderungr des übervölkerten Heimatlandes aufzunehmen. Die
Zahl der deutschen Auswanderer betni;;^ in den letzten Jahren
rund etwa 30000, dem steht eine jährliche Zunahme von etwa
700 000 Seelen gegenüber. Es muss notwendig eine steigende Aus*
Wanderung einsetzen, ein Teil des Volkes muss steh abzweigen, und
deshalb ist es nötig, dass ein Gebiet mit einem annähernd gleichen
Klima, mit einer ähnlichen Bodenbeschaffenheit und Pflanzendecke,
mit einer möglichst f^eringen Bevölkerung zur Besiedelung vorhanden
ist. Solche Strecken sind in Ost- und Südwestafrika vorhanden.
Bisher ist fast der ganze Teil des Auswandererheeres, nachdem es
das Vaterland verlassen hatte, in der weiten Welt untergetaucht,
die deutschen Auswanderer wurden intelligente und energ^ische Be-
wohner von den X'ercinic^cn Staaten, von Brasilien und Australien,
die ihre Nationalität bald ganz und gar vergassen, ja sogar mit
ihren Kräften die Konkurrenzfähigkeit anderer Lander verstärkten
und das Vaterland schädigten. Unsere Kolonien in Afrika haben
bisher eine sehr geringe Anziehungskraft gehabt, nur einige Hundert
wanderten nach Afrika, 1901 bloss 55 Menschen.
Endlich dienen die Kolonien der Kriegsflotte als Operations-
basis, in den Häfen können die Schiffe Sdiutz finden, Reparaturen
lassen sich ausführen, die Ausrüstung kann ergänzt werden, sie
können wichtige Nachrichten aus der ficimat empfangen.
Die ideelle .'\ufgabc der Kulturnationen suchen neben den
Kolonisten die Missionare auszuführen, indem sie die Erziehung der
Naturvölker zur Arbeit, die Hebung ihres materiellen und geistigen
Wohles, die Ausbreitung der Segnungen unserer Kultur auf die
tieferstchenden Menschenrassen anstreben. Die Stoffauswahl hat
demnach auf die Erzeugung des \'erständnisses für die Kolonial-
bestrebungen Rücksicht zu nehmen, dadurch wird der wirtschaft-
liche WoMstand des Volkes gefördert
Schon aus der Fülle des geographischen Stoffes ergibt sich
notwendig, dass sich der Unterricht nicht mit derselben Gleich-
mässigkeit über die ganze Erde erstrecken kann. En7;yklopädische
Vollständigkeit ist ganz wertlos, da die Aneignung und Darbietung
des Stoffes in formal*bildender Weise zu erfolgen hat, durch an*
schauliche Betrachtung und Beobachtung, auf heuristischem Wege
sollen die Kenntnisse erarbeitet werden. Der gec^aphische Unter-
richt der Volksschule muss das Vaterland als geographischen Haupt-
stofl aufstellen. Der Schüler soll Mitträger der nationalen Aufgaben
seines Volkes werden, er soll sein Vaterland lieben, seinem Vater-
lande soUen seine Sympathien gehören. Erst dann folgt die Be-
handlung der Lander, die für Deutschland eine besondere Bedeutung
haben, von Europa und den übrigen Erdteilen werden nur solche
Stoffe betrachtet, die in historischer, politischer, wirtschaftlicher oder
kommerzieller Beziehung zu un.screm Vatcrlande stehen. Bisweilen
wird das allgemeine Interesse auf einen bestimmten Punkt der Erde
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gelenkt, ein Krieg, ein Naturereignis kann uns zur Besprechunfj eines
fernen Landes veranlassen. Alle anderen Stoffe brauchen nicht be-
handelt zu werden. Mit dem Prinzip der stofflichen Vollständigkeit
müssen wir brechen, wenn uns an einer anschaufidien Darbietung,
an rechter Vertiefung und an selbsttätiger Aneignung des Lehr-
stoffes gelegen ist. Der Lehrplan der Geographie leidet noch unter
der Last des „didaktif^chen Materialismus", er erstreckt sich noch
mit ziemlicher Gleichmässigkeit über den ganzen Erdball. Besser
ist es, wenn wir charakteristische und für alle Zeiten bedeutungs-
volle Stoffe auswählen, die fluchtige Betrachtung einer Unmenge
von Landschaften ist nur gceic^net, das im Kinde vorhandene
Interesse für die Erdkunde abzustumpfen. Wir können auch hier
eine kursorische und statarische Behandlung recht gut zur An-
wendui^ bringen, im übrigen bleiben auch unbehandelte Gebiete
durchaus nicht fiir das Verständnis unerschlossen, ferner gilt es oft
genug nur, das Gelernte auf eine neue Landschaft anasuwenden.
In der mathematischen Geographie will Pickel nur solche
Fragen behandelt wissen:
„I. welche auch dem c^emeinen Bewusstsein naheliegen, d. h.
die auch innerhalb der Formen des gewöhnlichen Daseins
zu immer wiederkehrender Betrachtung Anlass geben;
2. für deren Beantwortung ein inneres Bedürfnis im Schüler
vorhanden ist oder doch leicht geweckt werden kann;
3. die bei ihrer T rkiin^r mindestens eine teilweise tatige Mit-
arbeit des Scliülers zulassen."
Diese Gesichtspunkte für den Unterricht in der mathematischen
Geographie sind ganz berechtigt; was mit dem Leben der Schüler
' in keiner Beziehung steht, das muss ausgeschieden werden.
Es leuchtet ein, dass nicht alle Schulen denselben Stoff bc'
handeln können, die einklassige Schule mit nur einer wöchentlichen
Geographiestunde muss notwendig eine geringere Stoffmenge auf
den Plan setzen als die mehrklassige mit zwei wöchentlichen
Stunden. Ist die Mittelabtcilung gar mit der Oberabteilung im
Greograplueunterricht vereinigt, so wird der Unterricht durch diesen
Umstand auch noch ungünstig becinflusst. Am besten ist die
mehrfach gegliederte Schule daran, die gerade soviel Klassen besitzt
als Jahrgänge, also die achtklassige Schule. Wie in der Natur und
im Menschenleben die reichere Gliederung der Organe eine voll-
kommenere Erreichung der Lebenszwecke darstellt, so muss auch
in einem reichgegliederten Schulsystem das Unterrichtsziel voll-
kommener erreicht werden. In der achtklassigen Schule wird mit
dem 3. Schuljahr, nachdem der Anschauungsunterricht der ersten
Jahre auf die Interessen des späteren geographischen Unterrichts
ausföhrlich Rücksicht nehmen konnte, die Heimatskunde mit
wöchentlich zwei bis drei Stunden selbständiges Unterrichtsfach.
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In den fünf folgenden Klassen wird nun Geographie erteilt, das
sind jährlich 400 Stunden Erdkunde. Das ist eine schöne Zeit,
aber doch im (finbUck auf die Menge des Stoffes noch lange nicht
ausreichend.
3. Olo SMVertenunii siner achtklanigen Schule.
In dem ersten und zweiten Schuljahr tritt ein besonderer Unter-
richt in der Erdbeschreibung noch rucht auf. Anschauen, Auffassen,
Besprechen und Darstellen einfacher G^enstande sind die Haupt«
tätigkeiteUp die das Kind im Anschauungsunterricht , der auch die
Interessen des geographischen Unterrichts eingehend wahrnimmt,
auszuführen hat. Wie sicli der naturkundliche Unterricht auf die
Anschauung aulbaut, so auch der geographische; er muss demnach
mit der Heimatskunde beginnen, denn hier allein können sinnliche
Wahrnehmungen gemacht werden. An den Objekten der Heimat
soll der Schüler den Zusammenhang der cjeot^rajihkchen Fr-
scheinungen erkennen lernen, er soll die Heimat denkend be-
trachten. Dieser Unterricht sucht aus der unmittelbaren An-
schauung die meisten geographischen Grundbegriffe zu gewinnen,
schon hier ist es bei naturgemässer Behandlung möglich, den
Schüler mit den Fragen der Wissenschaft , ich meine die Frage
nach dem Warum der Dinge , zu fesseln. Es ist nicht zu schwer,
wenn ihm in der freien Natur die erderschaffenden und erd-
umbildenden Kräfte gezeigt, die Abhängigkeit des Menschen von
seiner Umgebung und seine umgestaltende Tätigkeit auf die heimat-
lichen Fluren klargelegt werden. Im übrigen Verlauf ist oft weiter
nichts 7.U tun, als die heimatlichen Vorstellungen und die heimat-
lichen Gesetze auf fremde Gegenden anzuwenden; je mehr Stoff
durch unmittelbare Anschauung dargeboten und angeeignet wird,
desto fruchtbririL; ender ist der spätere Unterricht und desto leichter '
wickelt sich der Denkvorgang dann ab. Die Unterrichtsausgänge
berücksichtigen auch die naturgeschichtlichen Tatsachen der Heimat,
so dass sich aus dem Anschauungsunterricht der ersten Schuljahre
die übrigen Zweige der realistischen Fächer ei^eben.
Ansdiauungsuntenicht
Heimatskunde. Naturkunde.
Geographie. Geschichte.
Die unmittelbare Anschauung führt das dritte Schuljahr weiter,
indem das kleine Stück Erde, die Heimat als die wichtigste Quelle
der Erkenntnis vorgeführt wird. Schulzimaier. Schulhaus, Heimatort
und Umgebung werden betrachtet, soweit urunittclbare Anschauung
möglich ist Soll auf den Hauptkursus in rechter Weise vorbereitet
werden, so sind alle Zweige der Geographie, daneber. auch noch
die Geschichte der Heimat zu berüc&icntigen. Auch die Natui^
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kuade ist noch ein Stuck Heimatskundc, werden doch die heimischen
Tiere und Pflanzen behandelt, und die Wanderungen bilden die
Grundlage und schaffen das naturlcundliclie BcobaätongsRiaterial
herbei, das nadi besonderen G^tchtspunkten in eigenen Stunden
verarbeitet wird. Die astronomischen Beobachtungen werden er-
weitert, der Horizont und die scheinbare Gestalt des Himmels, die
scheinbare Bew^ung der Sonne und des Mondes, die Himmels-
gegenden zur Bestimmung der Lage werden besprochen. Von den
eingeschlagenen Wegen, den Beiden, den Tätern und Bächen werden
auf Grund von Messunj^en und Schätzungen Faustzeichnungen an-
gefertigt, die einzelnen Skizzen werden am Ende des Schuljahrs zu
einer Karte der Umgebung des Heimatortes vereinigL Berge und
Taler werden auch in Sand nachgeformt, Durchschnitte angefertigt»
Terraindarstellungen geübt, das Kind baut nach und nach seine
Karte auf und erarbeitet sich das nötige Karten Verständnis. All-
gemeine erdkundliche Gesetze und erdkundliche Sätze werden durch
die Beobachtung des Bodens, des Wassers, der Pflanzen, der Tiere
und der Menschen gewonnen; durch die geregelten und umfassenden
meteorologischen Beobachtungen werden die Verhältnisse des heimat-
lichen Klimas gefunflen. Auf dem Wege sinnlicher Anschauung
werden an der Umgebung des Ortes die GrundbegrifTe wie Berg,
Tal, Bergkette, Kamm, Gipfel, Abhang, Fuss, Hohlweg, Quelle,
Flussbett, Ufer, GefiUle, Lauf, Graben als Kanal, Teich, See, Neben«
fiusßf Mündung, Insel, Halbinsel, Vegetationsform, Siedelung, Grenzen
gewonnen, damit der spätere Unterricht auf dieser Grundlage erfolg-
reich weiterbauen kann und nicht Gefahr läuft, bloss mit Worten
zu arbeiten. Grundbegriffe, zu denen die Heimat keine Anschauung
bietet, dürfen hier nicht behanddt werden, sondern sie werden auf
spatere Zeiten zurückgestellt Die geschichtlichen Elemente, wie
Sagen der Landschaft, Ortssagen, geschichtliche Begebenheiten
werden ebenfalls angeschlossen. Sollen die Kinder ihre Heimat
lieben, so müssen sie dieselbe zunächst kennen lernen. In den
meisten Schulen wird dieses Fach noch zu wenig bewertet, und
vides ist dem Zufall und der Willkür des Lehrers überlassen; ein
weiterer Hauptmangel ist, dass der Lehrer sich zu oft mit dem
blossen Worte begnügt, die Ausflüge finden nicht statt, am genauen
Beobachten mangelt es, und oft wird ein über die Fassungskraft
der Schüler hinausgehender Steif behandelt Zur Hebung des Unter-
richts in der Hdmatskunde ist notig:
1. Die Lehrer haben an jedem Orte das zu verarbeitende
Material zusammenzustellen. Das Material bleibt Eigentum
der Schule.
2. Aus dem Material ist sorgfältig das fär den Unterricht
Nötige auszuwählen und auf die passende Zdt zu verteilen.
5. Beim Lelurverfahren ist immer von der Anschauung aus-
zugehen.
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4- Es werden so oft als möglich Wanderungen vorgenommen,
und der Unterricht wird oft in das Freie verlegt
5. Die Dinge werden nicht bloss aufgezählt, sondern die
Schüler werden zur Erkenntnis des ursächlichen Zusammen-
hangs geführt, soweit dies die Fassungskraft der Schüler
ermöglicht.
6* Die Selbsttätigkeit muss angeregt werden.
7. Genügende Zeit ist zu verwenden.
8. Die nötigen Lehrmittel sind zu bescliaffen als
a) Grundriss des SchuUimme«,
b) des Schulhauses,
c) Plan vom SchuUiaus und dessen Umgebung,
d) Plan vom Wohnort und dessen nächster Umgebung,
e) ReUef der Heimat,
f) Karte der Heimat,
g) Bilder der Heimat.
„Ein geographischer Unterricht, der nicht in den Ergebnissen
einer ausfwirlichen Heimatskunde seine Hilfe suchen kann, spielt
auf einem Instrumente, dem die Saiten fehlen." Stoy. „Der Unter-
richt in der Heimatskunde soll sich wie ein roter Faden durch die
ganze Schulzeit hindurchziehen."
Dem vierten Schuljahr weise ich als einiieitlichen Stoll' die
heimatliche Provinz, das engere V aterland, demnach unseren Schulen
das Thüringcrland zu. Bei der Betrachtung wird nicht vor der
Landesgrenze Halt gemacht, sondern der StofT ist nach natürlichen
Landschaften zu ordnen und durchzuarbeiten. Thüringen würde ich
nach folpi^enden natürlichen Landschaften behandeln:
1. Thüringer Wald und Frankenwald.
2. Das südwestliche Vorland des Thüringer Waldes.
3. Das nördliche Vorland des Thüringer Waldes.
4. Die Saale- und Elsterplatte.
Das Gebiet der Pleissc.
Ls wird stets mit der Landschaft begonnen, der die Heimat
angehört j wir beginnen mit dem ihüringer Wald. Diese natür-
lichen Landschaften wotlen wieder in einzelnen methodischen Ein-
heiten durchgearbeitet, den Schluss bildet eine politische Übersicht
Thüringens. Ich ver\\'eise auf Pritsche, Präparationen zur Landeskunde
von Thürinj^en. Verlag von Oskar Rondc in .AltenburjT. Preis 2 M.
In der Naturgeschichte werden aus dem Pflanzen- und Tierreich
die wichtigsten Vertreter der heimatlichen Lebensgemeinschaften
durchgesprochen, in der Geschichte werden die Thüringer Sagen
behandelt Die meteorologischen und astronomischen Beobachtungen
erstrecken sich über den Verlauf des ganzen Schuljahres.
Das fünfte Schuljahr behandeh Deutschhmd nach natürlichen
Landschaften, Festes und Flüssiges geben meistens die Richtung
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bei der Gliederung an. Diese natfirtichen Landschaften bilden ein
organisches Ganze, in dem die einzelnen Glieder in einem ursäch-
lichen Zusammenhang stehen, sie heben sich deutUch von der Um*
gebung ab.
1. Die oberdeutsche Hochebene = das deutsche Donaugebiet.
2. Das schwäbisch-fränkische Stufenland = Main- und Neckar-
land.
3. Die oberrheinische Tiefebene Mittellauf des Rheins,
erster Teil.
4. Das lothringische Stufenland und seine Umwallung = Mosel-
und Maasgebiet
5. Das rhembehe Sehiefergebirge ^ Mittellauf des Rheins,
zweiter Teil.
6. Das hessische und Weser-Bergland =s Fulda und Weser.
7. Thüringen und Harz = Saale.
8. Schlesisch-sächsisches Gebirgsland = Eibe und Oder.
9. Das ost- und westdbische Tiefland = der Unterlauf der
deutschen Hauptströme.
10. Die deutschen Meere.
Dem deutschen Vaterland wird die inten^vste Behandlung zu*
gewiesen, indem sich die Betrachtung auf ein ^nnzcs Jahr erstreckt,
in dem nächsten Schuljahr der Stoü' wieder aultnit und im letzten
Schuljahr nochmals unter anderen Gesichtspunkten durchgenommen
werden muss. Da die Landesgrenzen von den natOriidien Land*
Schaftsgrenzen oft bedeutend abwdchen, so ist es in cfsttr Linie
nötig, dass sich die Schüler zunächst den Stoff nach der natürlichen
GHederung aneignen, erst dann wird die sondertümliche Landes-
aufteüung eingeprägt. Nicht Jede natürliche Grenze bedingt eine
poHtische Grrenze, denn jeder Staat ist bestrebt, nach seiner iSgenart
und Macht die Grrenze festzulegen. Werden die politischen Ver*
hältnisse durchgenommen, so haben die Schüler das in klarem
Flächenkolorit ausgeführte Kartenbild Deutschlands vor sich, und
das aus den einzelnen Stücken zusammengesetzte Bildwerk wird
durch Anschauen gar bald genügend erfasst.
Das Pensum des sechsten Schuljahres ist die Greographie von
Europa, ausserdem werden noch zu Anfang Lektionen aus der
mathematischen Geographie gehalten, da die Beobachtungen der
vorhergehenden Schuljahre zur weiteren Verarbeitung anregen. Die
Gestalt und die Grösse der Erde werden betrachtet, die Himmels-
gegenden zum Zwecke der Orientierung auf der Kugel festgelegt,
die geographische Länge und foeite entwickelt und die Entstehung
von Tag und Nacht und von den Jahreszeiten zur klaren Anschauung
gebracht. Sind noch die notwendigen Kenntnisse über die klima-
tischen Verhältnisse auf der Erde angeeignet, so verlassen wir wieder
den analytischen Gang und wenden den synthetischen weiter an,
Pidagogiicbe ätudien. XXIX. L 18
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Wir betrachten Europa in lo natürlichen Landschaften, die sich
meistens mit den politischen Gebieten decken. Sollen jene Be-
lehrungen aus der mathematischen Geographie, die auf dieser Stufe
unbedingt nötig sind, nicht in der Luft schweben, so müssen in
den vorhergehenden Schuljahren die erforderiichen Beobachtungen
am Himmel gemacht werden, auch die besten Veranschaulichungs-
mittel können dir Beohachtunf^en nicht ersetzen. Es ist empfehlens-
wert, ja unerlassiich, dass die Kinder die Beobachtungen in ein Heft
gewissenhaft und regelmässig eintragen. An die Besprechungen der
natürlichen Landschaften schJttessen v/ir die politischen Verhältnisse
an. Mit Deutschland wird begonnen, dann folgen: Alpen, Karpaten-
länder, Balkanhalbinsel, Apenninenhalbinsel, Pyrenäenhalbinsel, Frank>
reich, britische Inselpfnippe, Skandinav^ien, Osteuropa.
Das siebente Schuljahr behandelt die aussereuropäisclien Erd-
teile. Ich b^nne mit Nordamerika, da dieser Erdteil durch Handel
und Verkehr in unsere nächste Nähe gerüclet ist, auch dem Interesse
des Kindes am nächsten steht. Nachdem bei dem Erdteil Ver-
hältnis zum Ganzen und Gliederung betrachtet worden sind, richten
wir uns bei der Ableitung der methodischen Emiicitcn nach dem
Aufbau und nach dem Klima. Nordamerika wird in den kalten
Norden, das westliche Gebirgsland, das mittlere Tiefland und in
das östliche Gebirgsland mit dem Tiefland am atlantischen Ozr an
gei;'1iefK rt. Das Nordamerika der heissen Zone ist Mittelamerika
und W esiindien. Südamerika gliedert sich in drei Landschaften:
das westlidie Gebirgsland» das mittlere Tiefland und das östliche
Gebirgsland. Dann betrachten wir Afrika, das durch eine Linie
vom Golf von Guinea nach Osten zum Golf von Aden in das
niedrigere nördliche Viereck Nordafrika und in das höhere südliche
Dreieck Südafrika geschieden wird. Der Norden umfasst an natür-
lidien Landschaften die AtJasländer, die Wfiste Sahara, die Nilländer,
den Sudan, Togo und Kamerun. Südafrika wird zerlegt in Kongo-
becken, Deutsch-Süd Westafrika, Britisch-Südafrika, Ostafrika, dann
sind noch die afrikanischen Inseln zu besprechen. Asien wird zerlegt
in Vorderasien = Fassateebiet, Südasien = südliches Monsungebiet,
Ostasien « östliches Monsungebiet und Nordasien ^ Sibirien.
Vorderaaen bildet sieben Einheiten: Kieinasien, Syrien, Arabien,
Mesopotamien, Armenien, Kaukasien, Iran; Südasien drei: Vorder-
indien, Hinterindien, die malayische Inselwelt; Ostasien zwei: China,
Japan; Nordasien drei: Sibirien, Kirgisensteppe, Turan. Bei-Austrahen
wären etwa Festland, Inselwelt und der deutsche Besitz in der
Südsee zu t>etrachten. Zum Schluss empfiehlt ^ch eine Zusammen-
stellung der deutschen Besitzungen in Verbindung mit Deutschland.
AUe diese angeführten Stoffe sollen nicht mit der gleichen
Intensität behandelt werden, sondern ich mochte eine kursorische
und statarische Behandlung unterscheiden. Bei dieser Scheidung
soll aber nicht der Einteilungsgrund im Belieben des Lehrers liegen.
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sondern es soll darauf hingewiesen werden, dass die Landschaften
nach ihrer Bedeutung und Ausgestaltung^ eine verschieden ausführ-
liche Behandlung beanspruchen. Unbehandelte Gebiete sind für
den Schüler nicht unerschlosscn , auch in der Naturgeschichte
werden nicht alle Individuen einer Klasse mit gleicher Ausführ-
lichkeit behandelt, und das muss auch im geographischen Unter-
richt geschehen. Wir haben es hier mit „geographischen Individuen"
(Ritter) zu tun, welche die Bedingungen der Existenz in sich tragen;
genaues Betrachten einer Landschail ist die wichtigste btulzc für
das Verständnis anderer, auf die vielleicht erst im i^teren Leben
das Interesse gerichtet Wird.
Das letsete Schuljahr hat den gesamten geographischen Stoff
übersichtlich zu wiederholen und an einigen Stdlen zu efganzen
oder zu vertiefen. Es werden betrachtet:
A. Die astronomischen Verhältnisse der Krde^ Sonnensystem
und Kalender sind besonders zu behandeln.
B. Die physischen Verhältnisse der £rde: Verteilung von Luft,
Wasser und Land, die Luft inbezug auf die Wärme, der
Luftdruck, die Winde, die Niederschläge, das Wasser nach
Meeren, Seen und Flüssen; das Laad nach Gliederung, Ge>
birgen, Vulkanen.
C. Die Produkte der Erde: Mineralien, Pflanzen, Tiere ^ es
kommt besonders die Verbreitung und Bedeutung in Frage.
D. Die Bewohner der Erde: Verteilung der Mofflchen auf der
Erde; die Menschenrassen: die Lebensformen; die Staats-
formen, Sprachen und ReUgionen.
L. Die Weltmeere und Erdteile nach ihrer Weltstellung.
F. Die wichtigsten Verieehrs« und Handelswege: Der Binnen-
verkehr; der Seeverkehr; der elektrische Verkehr.
Bei allen diesen Besprechungen wird stets auf unser deutsches
Vaterland Rücksicht genommen, die Kolonien kommen nochmals
inbezug auf ihren nationalen und wirtschaftlichen Wert zur Be-
trachtung. Es heissi: Welche Stellung nimmt Deutschland im
Weltverkehr ein? Welches sind die wichtigsten Verkehrsstrassen
des Deutschen Reidies? Welchen Antdl hat es an der Eisen> und
Kohlenproduktion? ^^eviel Eisenbahnen kommen in Deutschland
auf I qkm? Ich bemerke hier, dass die Vergleiche richtig an-
gestellt werden müssen, damit nicht falsche Vorstellungen gebildet
werden. Eisenbahnlinien dürfen nicht auf die Einwohnerzahl ver-
rechnet werden, wie wir es an einigen SteUen in dem Lehfbuch
von Scydlitz finden. Auf loooo Einwohner haben die Vereini{^en
Staaten 42,6 km Eisenbahn, Belgien nur 8,8 km, und doch hat
Bol^ncn das engmaschigste Eisenbahnnetz von allen I^^dcrn der
Erde, nämlich 2108 km auf io<XX> qkm, die Union nur 334 km auf
dieselbe Fläche. Dieses soll ein Beispiel sein, wie ein Vergleich
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bei falschen Veri^leichsgrössen sich gestaltet Festes ist mit dem
Festen, Beweglichem mit dem Bewei^lichen zu vei^eichen; also
Eisenbahnen nur mit der Grrösse des Landes.
4. Di« Behandlung der Heimai
Mm eine Pflanze kennen zu lernen, betrachten wir sie mit Auf-
merksamkeit, wir merken uns ihre (iestalt, untersuchen iiire Teile
und Eagensdiaiten, beachten Farbe, Genich, Beschaffenheit der
Blumenkrone und der Blatter, wir untersuchen Standort, Lebens-
bedürfnisse und Umgebung, dadurch erhalten wir ein klares Bild
von der Pflanze. Dieses aufmerksame, eingehende, genaue Be-
trachten eines Gegenstandes nennen wir Anschauen, und das Er-
gebnis des Anschauens ist das klare, deutliche geistige Bild des
sinnUch wahrnehmbaren Gegenstandes oder die Anschauui^. Auf
die Anschauung bauen sich die Vorstellungen und Begriffe und
damit unsere gesamten Kenntnisse auf. Die Schüler sollen die
Heimat kennen lernen, es ist also unbedingt nötig, dass sie die
heimatlichen Objekte durch wirkliche Anschauung in ihren Geist
aufnehmen. Wir wissen, dass die Kinder von den Dingen, die sie
wohl schon hundertmal gesehen haben, sehr wenig anzugeben ver*
mögen, sie haben wohl Grösse, Fnrbc, Umriss und Teile von dem
Gegenstande durch einzelne Siniiescindrücke wahrgenomnioii , sie
kennen die Acker und Wiesen, die Hecken und Baume, die
Wälder und Fluren, jedoch besitzen sie kein in allen Teilen deutEch
unterschiedenes Gresamtbild. Für die Ergänzung und Vennehrung,
für die Berichtigung und Bcfestiirnng der Anschauvm j^en soll gesorgt
werden, deshalb müssen wir mit den Schülern die Dinge und Vor-
gänge in der Natur, die Pflanzen und Tiere, die Berge und Täler,
die Abhänge und Tiefen, die Bäche und Flfisse, die Seen und Teiche^
die Dörfer und Städte, die Burgen und Ruinen, den Aufgang und
Untergang der Sonne zu den verschiedenen Jahreszeiten beobachten.
Vieles lässt sich schon vom Schulhaus und Schulplatz aus be-
schauen, manche Aufgabe kann durch selbständiges Beobachten
gelöst werden, jedoch die beste Ansdiauung kann nur durch regel-
mässige , nach einem bestimmten Plane festgelegte Wanderungen
in die Umgebung des Schulortes vermittelt werden. Diese Wande-
rungen, welche im Frühling, Sommer und Herbst bei schönem
Wetter vorgenommen werden, sind unter allen Umständen auch
durchzuführen, wenn nicht das Kind die ganze Schulzeit hindurch
mit Worten arbeiten soll, denen die Anschauungen fehlen. Alle
Ausgänge sind so vorzubereiten, dass die Schüler bereits wissen,
um was es sich eigentlich handelt , was sie beobachten , was sie
kennen lernen sollen, was durch den Ausgang herbeigeschafft werden
soIL Es muss gestattet sein, getrennt liegende Stunden zusanunen-
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zulegen, Stunden vom Vormittag auf den Nachmittag zu verlegen.
Drei Stunden Heimatskundc wöchentlich sind unbedingt nötig, die
mehr aufgewendete Zeit kann an anderer Stelle wieder gespart
werden. Dass mancher Schulinspektor auf diese Wanderungen
nicht gut zu sprechen ist, kann nicht wundernehmen, wenn man
sieht, wie oft diese Ausgänge in Bummeleien und Spaziergänge
ausarten. Es soll auf dem Ausflug etwas gelernt werden, deshalb
muss er in bestimmter Ordnung erfolgen. Der Lehrer hat sich
gründlich vorzubereiten, er muss vorher selbst die Wanderung
unternehmen und sich zu Anfang einen festen Plan für den Weg,
für die Uulieounktc, für die anzustellenden Beobachtungen, für die
Massbestimmungen, für die weitere unterrichtliche Behandlung fest-
legen.
Die Haltepunkte der Ausgange sind möglichst an solche Stellen
zu legen , wo wenig Störungen durch den Verkehr eintreten , da
wird gemeinsam angeschaut, ausgesprochen, bestimmt und berichtet,
was klargelegt werden soll Tritt ungünstiges Wetter ein, oder ist
der Stoff eines bestimmten Gebietes durchgesprochen, so wird in
der Klasse Über das Beobachtete in derselben Reihenfolge berichtet,
in der es drausscn erlebt wurde. Die bereits auf dem Ausgange
in Sand ausgeführten Zeichnungen werden an die Tafel nach einem
bestimmten Massstabe gezeichnet Jede einzelne Wanderung wird
in Teilstrecken zerlegt, die nach Länge und Richtung bestinmit
werden. Die Lange wird durch tatsächliches Abschreiten und durch
Umrechnung der Schrittzahl in Meter gefunden, manche Entfernungen
werden auch nur ab'^^esrhätzt , die Kilometersteine werden zur Er-
mittelung der We'^^cst; ecken nicht unbeachtet gelassen. Oft genug
wird die Notwendigkeit eintreten, dass der Lehrer die Masse gibt,
auf jeden Fall aber müssen die Schüler die Richtung bestimmen,
von dieser Arbeit können sie niemals befreit werden.
So arm ist keine Gegend , dass sie der .'\nschauung und Be-
obachtung des Kindes gar nichts darbietet, suchen wir nur recht
mit den Schülern unsere Heimat zu erforschen, und wir werden
erstaunt stan über die Fülle von Ansdiauungen, die sie uns för den
weiteren Unterricht liefert Dass die Wanderungen noch nicht
überall durchgeführt v. erden, führe ich auf die häufig noch herrschende
völlige Unklarheit über den Begriff Heimatskundc zurück. Man
versteht unter Heimatskunde die Betrachtung des ganzen Heimat-
landes oder der Heimatprovinz, der Unterridit» der diese Gebiete
betrachtet, ist bereits Länderkunde. Die Heimat kann das Kind
durchwandern und unmittelbar anschauen; hört die unmittelbare
Anschauung auf, so treiben wir Länderkunde, nnd es ist dann iür
die methodische Beliandiung ziemlich gleichgültig, ob der Ort lO
oder TOO km von der Heimat entfernt liegt. Im Interesse des
weiteren erfolgreichen Unterrichts ist es unbedingt nötig, dass die
Wanderungen nicht nur im 2,-^4. Schuljahr unternommen werden.
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sondern sie sollen sich über die Dauer der ganzen Schulzeit er-
strecken, so oft sich die Notwendigkeit zur gründlichen Anschauung
bietet, so oft die Heimat die Begriffe zum Vergleiche mit einer
fremden Landschaft darlegt, wird gewandert.
Fruchtbringender sind freilich die Reisen , da dur-^h sie die
Schüler ein weiteres Gebiet mit anderen Lebensverhältnissen , mit
anderer Bevölkerung und init anderen klimatischen Verhältniiisen
kennen lernen. Aber je wdter die Reisen ausgedehnt werden sollen,
desto mehr häufen sich die Schwierigkeiten, die sich den Aus-
führungen entgegenstellen und von den meisten Schulen nicht
überwunden werden können. Viele Schubai'?f (i^^c, die im Frühjahre
jedes Schuljahres fast allgemein unternommen werden, sind in der
Tat nur mit Mühe und Kosten verknüpft, aber «geographische An-
schauungen werden wenig oder meistens gar nicht gesammelt. Auf
einem Aussichtspunkte anfjekommen, ist es Pflicht des Lehrers, das
vor den Augen sich ausdehnende lachende Landschaftsbild seinen
Schülern in allen Einzelheiten klarzulegen; was sehen wir, ist wohl
die erste Frage, dann werden mit der Heimat Vergleiche angestellt,
oft bietet sich Gelegenheit, den ursächlichen Zusammenhang auf-
zudecken. Von dem Lehrer der Geographie verlangen wir ein
offenes Auge für die Natur, er muss sich in der Welt umsehen, er
muss aus seinem Inneren herausschöpfen können, wenn er durch
seinen Unterricht Leben erwecken wilL
In der Heimatskunde müssen wir auch bereits den Blick des
Kindes auf den kausalen Zusammenhang der geographischen Elemente
richten, wenn es später überhaupt die Zusammenhänge der geo-
graphischen Objekte lernen soll. Der heimatkundliche Unterricht
kann insofern mit grossem Vorteil an der Lösung dieser Au%abe
arbeiten, als hier die Schüler aus der unmittelbaren Naturanschauung
schliessen können. Wie leicht lässt sich in der Heimat das Feste
und Flüssige in der stetigen Wechselwirkung und in dem Zusammen-
hang mit den atmosphärischen Erscheinungen beobachten. Hier
kann der Schüler lernen, wie sich an der einen Stelle das Land
neu bildet, wie es an anderen Orten verschwindet, hier lonn er
einen Einblick in die elementaren Naturvorgänge gewinnen, wie ^e
sich täglich vor seinen Augen abspielen. Die kleinen Regenrinn sp.le
an den heimatlichen Bergen sind die Gewalten, W'clche das Antlti/.
der Heimat umgestalten, der Bach arbeitet an seinen Ufern und
nimmt Teile hinweg, baut an anderen Stellen den Schwemmboden
auf und verändert die Bodengestaltung. Die Staubwolken, welche
an heissen Sommertagen von einem Wirbelwinde plötzlich in die
Höhe geführt werden, richten unsem Blick auf die Ablation des
Windes. Die Schüler lernen verstehen, wie die durch eine Vege-
tationsdecke geschützte Landschaft der Arbeit des Windes weniger
ausgesetzt ist, wie aber die Wüste das eigentliche Reich des Windes
sein muss; sie verstehen dann die Schilderungen von den Staub»
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und Sandstürmen in den Wüsten und Steppen, welche die Sonne
verfinstern und in manchen G^enden Innera^ens noch bei Wind-
stille den Sonnenstrahlen den Durchgang verwehren, sie können sich
auch eine Vorstellung von der Entstehung der äolischen Sand-
ablagenin^en bilden. Bei dem eintretenden Tauwetter wird t^elernt,
wie aui der Südseite der Häuser und Berge der Schnee zuerst
verschwindet, die Strahlung hier am kräftigsten bt, folglich auf
dieser Seite die Früchte zuerst reifen müssen; nun ist das Ver-
ständnis dafür geweckt, dass auf der Südseite der Gebirge andere
klimatische, biolo^^ische und anthropologische Verhältnisse herrschen
müssen als auf der Nordseite. Das kleine Kömchen, das sich oben
auf dem Firste des Daches ablöst und als grosser Ballen klatschend
auf die Strasse fallt, erklärt uns die Ursache und Wiricung der
Lawinenstürze in den Hochgcbir{:;;en. In der Heimat können w"r mit
den Schülern die Tätigkeit des die Spalten durchsetzenden und
die Gesteinsmassen sprengenden Wassers beobachten. Wir selten,
wie es durch Risse und Spähen seinen Weg in das Gestein findet,
wie es sich infolge von Temperaturschwankungen ausdehnt und zu-
sammenzieht, wie Risse und Sprünge das Resultat sind. So schreitet
die mechanische Auflösung vorwärts, ein Blick in die Verwitterungs-
vorgänge ist getan. Das Kind versteht, wie Kaikstcm und Dolomite,
Anhydrit und Gips, Salz und andere Bifineralien durch kohlensäure-
haltiges Wasser aufgelöst und fortgeführt werden, es lernt die Ent-
stehung der Höhlen und Erdfölle verstehen. Die vulkanischen
Gesteine geben uns Anlass, von dem Vulkanismus der Erde, die
Versteinerungen von der vorweltlichen iVleeresbedeckung der Heimat
zu reden. Wie der Knabe schon frühzeitig seinen Blick auf die
Schmetterlinge, Käfer und Blumen richtet, so g^It es nun auf den
Ausfliigen, ihn anzuleiten, seinen Sinn auf die gesetzmässige Ver-
breitung zu lenken. Er lernt -y^r bald , dass von dem Boden die
Bedeckung abhängig ist, dass auf der Wiese andere Pflanzen als
im Walde wachsen, im tiefen Waldschatten andere Lebewesen als
auf der sonnigen Halde zu finden sind. Über alles sieht er die das
Antlitz der Erde verändernde Macht des Herrn der Schöpfung. Er
erkennt den Einfluss des Menschen, wenn er die heimatlichen Fluren
durchwandert. Die Acker und Gärten, die Ortschaften und Gehöfte,
die Strassen und Eisenbahnen erzählen dem Schüler von der
mensdilichen Arbeit, durch welche die früheren Urwalder aus-
gerodet, die sumpfigen Niederungen getrocknet und in fruchtbaren
Ackerboden verwandelt worden sind Indem wir auf die Re-
schäftigfun^ der Rp\'n1kerung hinweisen, dass hier BeiL^Hcute, da
Ackerbauer, dort iiaadwerker und Fabrikarbeiter leben. Iragen wir
sogleich, warum entwickelten sich diese Erwerbszweige gerade an
diesen Orten. Die Verkehrsstrassen sin 1 \on der BodenbeschafTen^
heit abhängig, die Ortschaften entwickeln sich nn den Hauptstrassen,
in den fruchtbaren Tälern häufen sich die Siedelungen; für jede
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Ansiedelung; muss die Natur den erforderlichen Raum bieten. Für
alle diese Tatsadicn ist das Verständnis zu v, ecken, die Schüler
sollen die Herrschaft des Menschen über die Erde, zugleich aber
auch die Abhängic^keit von derselben verstehen lernen.
Die geographischen Gebilde der Heimat werden nicht nur auf-
gezählt, sondern der Lehrer muss sich bemühen, es dahin zu bringen^
dass die Wechselbeziehungen soviel wie möglich erkannt wer&n.
Warum bildet der Fluss hier ein Knie ? Warum ist er im Sommer
so flach' Welche Ursachen bedingen sein Anschwellen im Frühiahr?
Solche Fragen heben den Kausadzusammenhang der heimatlichen
Objekte hervor. Es werden auch allgemeine Sätze und Gesetze
abgeleitet wie: Bei uns weht der Wind meistens aus Westen; der
Ostwind ist trocken; je steiler der Boden, desto schneller fliesst
das Wasser; die Nebentäler liegen höher als die Haupttäler. Werden
solche Fragen gestellt und beantwortet, so fasst die vergleichende
Erdkunde schon hier feste Wurzeln.
Die Heimatskunde hat weiter die Aufgabe, die geographischen
Gnmdbe^flTe zu gewinnen und dem späteren Unterricht die Muster-
bilder zu verschatien. Die zahlreichen wichtigen Grundbegritfe der
physikalischen Geographie lernt der Schüler während der Wande-
rangen durch Anschauung der Heimat. An Bergen werden auf der
Exkursion durch gründliche Anschauung, sorgfaltige Beobachtung
und gewissenhafte Erklärung die Begriffe Gipfel, Kamm, Abhang,
Fuss, Tal gewonnen, am Bache lernt der Knabe Richtung des
Laufes, Bett, Ufer, Quelle und Mündung kennen, er lernt Haupt-
und Nebenfluss unteisäeiden. Joch und rass, Hoch> und Tiefebene,
Längs- und Quertal, Bucht und Busen, Halbinsel und Txisei, Steil«
und Flachküste lassen sich an heimatlichen Objekten veranschau-
lichen. Der Unterricht macht ihn auch mit den Bodenarten be-
kannt, damit für die Moor- und Marschgegenden, für die Steppen
und Wüsten klare und bestimmte Begriffe im cigcatlichen geO'
graphischen Unterricht zur Hand änd. Wo sich durch die heimat-
liehe Gegend eine durch Grenzsteine deutlich gekennzeichnete
Landesgrenze hinzieht, die den Staat von seinem Nachbarlande
trennt, so muss auf dem Aufgange natürlich auch diese berück-
sichtigt werden. Diese Grenzsteine sind aber durchaus nicht die
Grenzen seiner Heimat Der Schüler lernt die Nachbardörfer seines
Hdmatsortes kennen, gleichviel ob sie zu Schwarzburg-Sondexshausen
oder zu Rudolstadt <:^chören, er besteigt den Langenberg und
geniesst die in seiner Heimat weiteste Fernsicht, und dabei ist es
liini höchst gleichguiug, dass durch einen rein gescliichtlichen Zufall
ferade dieser Berg nicht zu dem Fürstentum gehört, das sein
[eimatland ist.
Die Geschichte der Heimat interessiert das Kind , Dorf und
Stadt verfissung muss behandelt werden , doch übersteigen die
Fragen aber die einzelnen Verwaltungsbezirke und über die Ver-
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fassung des Heimatlandes das Verständnis des 8 — i o jährigen Schülers.
Das Messen und Schätzen von Wegstrecken und Landnachen führt
ihr: 7v. klaren und deutlichen Vorstellunf^en von den geographischen
Irrundmassen wie qkm, km; wie gross ein KiloTnetcr ist, muss an
einem bestimmten Wegeabschnitte klargelegt werden, so dass diese
Grundanschauung jederzeit leicht in das Bewusstsein znTücktreten
kann.
Der gesamte Reobachtungsstoff der Heimat braucht nicht durch-
gearbeitet zu werden, es bietet sich später noch oft genug im Unter-
richt Gelegenheit, auf diesen oder jenen Begriff zurückzukommen.
Manche Landschaft ist von der Natur nicht so ausgestattet, dass
sie reichlichen Stoflf för die Gewinnung der Grundbegriffe darbietet,
doch wird sich der Lehrer in allen F"ällen zu helfen wissen. Auch
der Gewitterregen, der hier und da ein Gewirr von allen möglichen
kiemcn Rinnsalen erzeugt, kann durch diese Wirkungen ein Fluss-
system im kleinen Massstabe vor die Augen fuhren. Im Flachlande
muss ein kleiner Hügel zur Gewinnung der Begriffe Berg, Gipfel,
Abhang und Fuss als Notbehelf dienen, ein gutes charakteristisches
Bild ist dann am rechten Platze, auch das Relief, natürlich ohne
Überhöhung, ist ein vortreffliches Veranschaulichungsmittel.
Je nach der Schwierigkeit wird jedem Schuljahr eine bestinmite
Auswahl des Beobachtungsmaterials über die Erscheinungen in der
Atmosphäre und am Himmel zugewiesen. Die Beobachtungen haben
den Zweck, das Klima der Heimat verstehen zu lernen und für die
mathematische Geographie die unentbehrliche Grundlage zu schaffen.
Alle nötigen Beobachtungen werden erst unter Anleitung des Lehrer^,
dann von den Schülern selbständig ausgeführt und in ein besonderes
Heft aufgezeichnet. Dasselbe enthalt neben den Anmerkungen für
die Naturgeschichte solche für unsere Beobachtungen über Wetter,
Luftdruck, Luftwärme, Wind, Sonne, Taj^eslänge, Miltai^sstellung der
Sonne, scheinbaren Ort der Sonne, Mond und Sterne. Im 3. oder
4. Schuljahre wird mit der graphischen Darstellung der Wärme be-
gonnen; die Verhältnisse der Luft sind ein wichtiges Stück der
Heimat, sie erfordern eine regelmässige Beobachtung.
Auf allen Ausflügen ist der Schüler auch im Messen und
Schätzen zu üben. Lr muss die Schritte zählen, die er von einem
Kilometersteine bis zum nächsten zurücklegt, er muss sich auf den
Bergeshöhen und Aussichtspunkten ein Bild von der Grösse der
Überschnuten Landfläche bilden. Von den Längen- und Flächen-
massen muss er die richtigen Grössen Vorstellungen haben, damit
nicht alle späteren Angaben über Flächen und Entfernungen un-
haltbarer Zahienballast bleiben. Bei den Erwachsenen sehen wir»
welche Unterlassungssünde nch hier der heimatkundliche Untemdit
hat zusrhulden kommen lassen. Die meisten Soldaten müssen bei
den Schiessübungen erst das Entfernungsschätzen einigermassen
erlernen; kaum glaubliche Urteile werden ausgesprochen, wenn wir
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fragen, wie hoch wohl der Turm, der Baom, der Berg sein mögen,
wie weit wohl der Ort entfernt ist. Auch Temperaturgrössen
(Wärme der Luft in der Sonne, im Schatten, Temperatur des
Wassers), (xcschwindigkeitsgrösscn (Eisenbahn, Wasser im Bach, Pferd»
Radfahrer), Zeitgrössen werden ebenfalls zweckmässig geschätzt.
An das Messen scMiesst sich das Zeichnen an. wie aufGnind
der Anschauung die wichtigsten BegrifTe für den erdkundlichen
Unterricht gewonnen werden, so müssen auch auf Grund der An-
schauung die Zeichen gelernt werden , durch welche die einzelnen
Objekte auf der Karte zur Darstellung gelangen. Die heimatliche
Landschaft Uefert das Musterbild zur Erklärung der fremden Gegenden,
und die Hetmatkarte ist das Musterbild für das Verstandiüs aller
kartographischen Darstellungen. Der Unterricht geht von der Sache
zum Zeichen, damit die Schüler im eij^entlichen geographischen
Unterricht den umgekehrten Weg selbständig zurücklegen können.
Es ist eine Hauptaufgabe des gesamten geographischen Unterrichts,
dass die Schüler die Kartendarstellung richtig erfassen, die S3nnbol-
sprache richtig verstehen lernen. Eine gute, übersichtliche und
klare Karte bildet für die Gewinnung der geographisch- n Kt rmtnissc,
für die Vorstellungen über die Landschaft, für die Wecliselbeziehungcn
zwischen den Objekten die Grundlage.
Durch die Fertigkeit im Kartenlesen wird der Schüler beßttugtp
seine erdkundlichen Kenntnisse zu erweitem, er kann sich selbst
unterrichten, er vermag Länder und Orte, die mit seinem Vaterlande
in Verkehr stehen, aufzusuchen, er kann Entfernungen berechnen
und Reisepläne festlegen. Hat er das gelernt, so hat er einen wert-
vollen Besitz edangt, der nicht, wie es mit den meisten Namen und
Zahlen geschieht, nach dem Verlassen der Schule wieder verloren
geht. Schon im 3. Schuljahre wird mit der planmässigen Einführung
der Schüler in das Kartenverständnis begonnen. Wie die Schüler
im I. Schuljahre gar bald lernen, die Zeichen, die Buchstaben in
hörbare Laute umzusetzen, obwohl diese mit dem Zeidien keine
Ähnlichkeit haben, die gesammelten Buchstaben dann zu Laut-
verhindungen zusammenziehen und durch das gehörte Wort einen
Seeletünhalt hervorrufen , so soll der Schüler allmählich die Be-
deutung der Kartenzeichen kennen lernen, zusammensetzen und
durch dieselben einen Sedeninhalt des LandschaftsbDdes reprodu-
zieren. „Die Kartenzeichen sind Steine der Weisefi, aber de «nd
auch nichts als Steine, wenn der Weise fehlt." Peschel.
Die Vorstellungen von den geographischen Objekten der Heimat,
wie sie auf den zahlreichen Wanderungen angeeignet wurden, müssen
mit den Kartenzeichen fest verbunden werden. Kein anderes Land
als die Heimat kann in Wirklichkeit nach allen Seiten hin betraditet,
in Sand nachgebildet, als Skizze dargestellt, im Relief wieder be-
trachtet werden. Eine Karte, welche den Heimatort in der Mitte
und dann einen Umkreis von etwa 7 — 10 km im Massstabe i : locxx)
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darstellt, ist das erste Lesestück für den Unterricht in der Geograpiuc.
Neben der Karte von dem Fürstentum oder von der Heimatprovinz
muss noch jene eigentliche Heimatkarte vorhanden sein. Der Mangel
rührt daher, dass man da5 Wesen der Hcimat^kimde überhaupt
auch heute noch nicht richtiqr crfasst hat, sie ist Kenntnis der Gegend,
soweit sie der bciiuler durchwandern kann und auch durchwandern
soIL Diese fehlende Karte muss herbeigeschafft werden, wenn es
mit dem heimatkundlichen Unterricht endlich citunal vorwärt^ehen
soll, jeder Lelirer sollte die Karte nach allen Regeln der Karto-
graphie anfertigen.
Von jedem Ausfluge wird eine Teilskizze entworfen, dann wird
die Gegend in Sand nachgebildet, auf dem Relief der zurückgelegte
Weg nochmals verfolgt, am Ende werden alle Teile zu einer Ge-
samtskizze der Heimat vereinigt. Kartenbild und Landschaft
müssen immer wieder miteinander verglichen werden. An der
Heimatkarte werden Übungen im Ablesen und in der Ausführung
fingierter Wanderungen vorgenonmien , auch im Freien wird die
Karte mit der Landschaft öfters verglichen, damit der Schüler
dahin gelangt, die Zeichen in die Wirklichkeit umsetzen und den
Atlas richtig lesen zu können. V^iel Zeit und viel Mühe sind er-
forderlich. Das Rehef, am besten ohne Überhöhung, und wo solche
unvermeidlich Ist, mit ganz geringer, wird beim Übergang von der
Landschaft zur Karte mit Erfolg benutzt In unserem Gelände
kommen wir überall ohne Überhöhung aus. Auf diesem Wege
erkennt der Schüler, dass selbst die beste Karte dir Rodenplastik
nur unvollkommen anzudeuten vermag; in den nächsten Jahren
müssen die Schüler immer wieder darauf hingewiesen werden, dass
sich der Massstab bei der Darstellung grösserer Landschaften ver-
kleinert, dass bei der Zeichnung immer mehr generalisiert werden
muss. Bilder von Denkmälern und (iebäuden, von Dörfern und
Landschaften der Heim;it sind hier nötig, denn der spätere Unter-
richt bringt auch diese Anschauungsmittel, schon jetzt muss das
rechte Verständnis für die Bilder vorbereitet werden.
5. Die uaterrichtlicbe Behandlund der Fremde.
Der zu behandelnde Unterrichtsstoff wird zunächst nach fach-
wissenadiaftlichen Gesichtspunkten in einzelne Landschaften und
nach methodischen Rücksichten in kleine L'nterrichtsganze , metho-
dische tinheiten, zerlegt, die einen bcgritfÜchen Ertrag liefern. Die
Einheiten dürfen nicht zu gross sein, weil sie sonst das Behalten
erschweren, aber auch nicht zu klein, damit noch genügender Inhalt
g^cben wird. Die Behandlung selbst geschieht nach den Formal-
stufen, da sie den Weg angeben, auf dem das Interesse gebildet
und die Verwirklichung des letzten Unterrichtszweckes ermöglicht
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wird, auf dem auch der Stoff natur^mäss angeeignet wird. Scfaoii
allein die Verschiedenheit des geographischen Stoffes, die ver-
schiedene Beziehung der Objekte, die verschiedene Ausgestaltung
der Untenrichtsstufcn verhindert jede Schabionisierung.
Ziel: Die meisten Ziele der Präparationswerke enthalten in
ihrer Fassung Merkmale des Landes, die der Schüler erst von der
Karte ablesen oder durch eigene Denkarbeit finden soll, ausserdem
stellen sie meist einen einzigen Teil in den Mittelpunkt der Be-
trachtung, der oft genug nicht einmal der wichtigste Punkt der
I-andschaft ist. ,.VVir wollen Grossbritannien kennen lenit :i' ist ein
Ziel, das allen Aiiiurderungen entspricht, denn es ist aiiscliaulich,
kurz und fiasslich, weckt Interesse und Aufmerksamkeit, trilft den
Kernpunkt der ganzen Lektion, ist inhaltlich bestimmt und konkret,
ermöglicht ungesuchten Anschluss der folgenden Behandlung und
schliesst sich den Vorstellungen des Schülers an. Der Schüler wird
aufgcfürdert, durch Überlegen und Kartenlesen, durch Anleitung und
Schilderung des Lehrers, jenes Ziel zu erreichen. Jede Landschaft
soll der Schüler nach bestimmten Unterziclcn durcharbdten, um am
Ende auf der Stufe der Anwendung n^chvveisen zu können, warum
England sich zur ersten Handelsmacht emporgeschwungen hat oder
warum Italien das Land der Sehnsucht vieler Deutschen ist oder
warum das britische Inselreich den Angriffen Napoleons gegenüber
seine Freiheit und Seehandelsmacfat behaupten konnte oder warum
Indien ein Wunderland genannt werden kann. Die Ziele, welche
aus der Geschichte oder aus der Naturc^eschichtc ein für das be-
treffende Land hervorragendes Moment aufnehmen, sind zu ver-
werfen, weil man die Lebenswelse eines Volkes, die Art und Weise
eines Tieres erst durch die Landschaft, also nach der geographischen
Behandlung richtig verstehen lernt. Die meisten Ziele der geo-
graphischen Präparationswerke sind eigentlich Auff^aben, die auf der
Stufe der Anwendung mit Vorteü gestellt werden können.
Vorbereitung: Der Wahmramungsstoff kann nur apperzipiert
werden, wenn apperzipierende Vorstellungen geweckt worden sind.
Dem Verständnis des Neuen wird nicht durch die Mitteilung von
fremden Erfahrungen der Weg gebahnt, sondern aus dem Inneren
des Schülers heraus, aus seinem Gedankenkreis müssen alle die-
jenigen Hilfen leicht emporsteigen, welche die Aneignung ermög*
liehen. Diese apperzipierenden Vorstellungen steigen selbstverständ-
lieh am leichtesten und reichsten empor, wenn der Schüler über
Gegenstände seiner Erfahrung berichten kann, wenn also die in der
Heimat gewonnenen Begriffe und Gesetze, die hier Verwendung
finden können, bewegUch gemacht werden. Der Schüler teilt mit,
was er bereits von der Landschaft weiss, er führt auch den übrigen
gelernten Stoff an, welcher zum Ziele in Beziehung steht, er legt
sich einen Arbeitsplan zurecht, nach dem er nun das fremde Gebiet
durchforschen soll. Die Ergebnisse des heimatkundhchen Unterrichts»
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vor allen Dingen die auf den Ausflügen gemachten Beobachtungen
soQcn daf&r sollen, dass ein reicher Schatz apperzipierender Vor-
stellungen in der Seele des Kindes fiir den späteren Unterricht
bereitliern.
Darbietung: „In der Schule werden weder Entdeckuni^'^en
noch triindungen gemacht, noch auch Entdecker oder Erhndcr
grossgezogen, aber vorsfebildet sollen die Schüler dadurch werden,
dass man sie anleitet, das Entdeckte zu entdecken, das Erforschte
zu erforschen, das Gefundene tu finden." Lazarus. Dem Schüler
wird gestattet, das Ziel auf dem selbstgewählten, eigenen Wege zu
erreichen. An dem Kartenbild soll er nun selbsttätig sich den
grössten Teil des Stoffes erarbeiten, den stummen Zeichen soll er
denkend entnehmen, wenn er eben rechtes Kartenverständnis hat,
was ihm sonst der Eehrcr durch seinen Vortrag erst bieten müsste.
Andauernde Passivität verträgt sich nicht mit der Kindesnatur, der
lebiiafte Tätigkeitstrieb verlangt nach aktiver Beteiligung am ünter-
riebt, wird dieser Trieb in entsprechender Weise berfickstchtlgt,
so wecken wir das Gefühl der eigenen Kraft Die Schüler soUen
selbst suchen, finden, zeigen, reden, zusammenfassen, und der geo-
graphische Unterricht bietet hierzu die mannigfachste und reichste
Gelegenheit. Das Kind soll in der Schule selbst zugreifen lernen,
der Kopf soll nicht ohne eigenes Arbeiten voUgesteckt werden, von
dem Selbstgefundenen geht wenig verloren, von dem widerwillig
Angeeigneten nach kurzer Zeit fast alles.
Die Landkarte ist dasjenige Veranschaulichungjsmittel , das im
Mittelpunkte der Geographiestunde stehen muss. Manche Lehrer
gehen von der Wandlorte aus, andere vom Adas, andere von der
Kartenskizze. Ich halte dafür, dass der Adas am besten den Aus>
gangi^unkt bildet, da die Wandkarte doch nicht so genau \-on
jedem Schüler betrachtet werden kann, dass er die fraghchen
Objekte seibst zu entdecken vermag, sie verliert doch etwas ihre
Wirkung für die entferntsitzenden Schüler, ferner sind die Schulen
noch zu dürftig mit Kartenmaterial ausgerüstet Die Kinder sollen
audi nidit die Wandkarte, sondern ihren Atlas kennen lernen, sie
sollen in demselben den Stoff wiederholen und üben, in dem Atlas
ist ihnen das geographische Lesebuch gegeben, den Atlas ziehen
sie im späteren Leben bei verschiedenen Fragen zu Rate. Die
Ordnung leidet durchaus nicht, wenn es der Lelurer richtig versteht,
die Sdiäler zum Forschen und Entdecken anzuleiten. Von der
Skizze auszugehen, muss abgelehnt werden, da sie z\i unvollkommen
ist, auch die Anfertigung zu viel kostbare Zeit beansprucht. Zu
einer erfolgreichen Benutzung des Atlasses ist nötig:
I. dass alle Schüler einen Atlas haben,
3. dass alle den gleichen Atlas besitzen,
3. dass es der Lehrer versteht, den Unterricht richtig an die
Karte anzu^chliessen,
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4. das6 der Atlas grosses Fonnat hat,
5. dass er die nöti«,'en Karten enthält»
6. dass der Atlas nicht stumm ist.
Der Schüler verschafft sich zuerst einen Überblick, er liest
Lage, Grösse, Bodcflbeschafienbeit des Landes ab, zieht Schlüsse
auf Klima und Bevölkerung. Bei seiner Arbeit stösst er aber auch
auf Hindemisse, und durch die Frage des Lehrers wird er dahin
geführt , diese zu überwinden. Wenn auch durch die Frage dem
Selbstfinden und Sclbstdenken eine bestimmte Richtung gegeben
wird, so darf sie doch nicht zu viel angewendet werden, da der
Schüler leicht zurücktritt und die GelegeiDbeit zu einer Ruhepause
för seine Denk- und Sprechtätigkeit benutzt Gerade bei der Bc-
tonufif^ des vergleichenden Momentes muss der Schüler viele geo-
graphische Erkenntnisse selbsttätig auffinden, die Frage muss daiier
sehr zurücktreten.
Von der (jcsamtaufiassung geht es zu den einzelnen Teilen,
diese sind: Lage, Grenzen, Gestalt und Glied enmir^ Grösse, Bodeiir
Bewässerung, Klima, Pflanzen, Tiere, Menschen; vereinfachen wir
diese zehn Glieder durch ZusammenfassunL'^ , so erhalten wir Lage,
Bodengestalt, Bewässerung, iviima, Ptianzcn- und Tierwelt, Be-
völkerung oder physikalische Verhältnisse, biologische Verhaltnisse,
Bevölkerung. Auch liir den geographischen Unterricht ist das
Schema ein recht brauchbarer Weg, aber jedes Schema schliesst
einen Mangel ein, da den Dingen oft genug Gewalt angetan wird,
wenn alles nach einer Schablone ablaufen soll. Wer in der i^tianzen-
oder Tierkunde jedes Objekt von der Wurzel bis zur Blüte oder
von dem Kopfe bis zu den Füssen beschreibt, der schafft Lange-
weile; jede Schablone tötet das Leben. Die Landschaften sind
auch Organismen, an denen Gleiches wiederkehrt, doch in anderem
Zusammenhang und in anderer Beziehung. Ein Merkmal steht meist
bd jedem Lande im Vordergrunde und verieiht der Landschaft das
besondere Gepräge. Diese Eigentümlichkeit hat der Unterricht zur
Darstellung zu bringen , und deshalb muss der im Stofi' selbst
liegende Gang für die Darbietung der massgebende sein. Bei Togo
würde ich von dem Anschauungsbilde „Wochenmarkt an der Lagune
von Togo" ausgehen, da ein besonderes Merkmal bei diesem Lande
nicht in den Vordergrund zu setzen ist Fehlt das Bild, so könnte
Togo nach folgenden Punkten betrachtet werden: Wo liegt Togo
und wie gross ist es Wie sieht die Küste aus. Der Auilbau des
Hinterlandes. Weiches Klima herrscht. Einfluss des Klimas auf
Pflanzen- und Tierwelt. Die Bewohner Togos. Dir Aussehen, ihre
Kleidung, Nahrung, Wohnung und Arbeit. Wie die Weissen dort
leben. Welche Orte gibt es. Womit wird besonders Handel ge-
trieben. Welchen Wert hat Togo für Deutschland.
Nach dem Gesetze der sukzessiven Klarheit soll sich der
Schüler von Abschnitt zu Abschnitt in den Stoff vertiefen, darum
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wird der einzelne Abschnitt durch Lesen im Adas dargebuLcn, es
folgt dann die zusammenhängende Wiedergabe von Seiten eines
besseren Schülers; die Tätigkeit des Lehrers besteht darin, durch
ein ein(^^estre5!tes Wort, durch Fragen und Aufgaben die Schüler vor
Unterbrechungen und Stockungen zu bewahren. Dann wird derselbe
Abschnitt durch erklärende Besprechung von etwaigen Mangeln
befreit» die Schüler tragen zur Aufhellung von Unldarheiten, zur
Ergänzung des Ausgelassenen bei, und der Lehrer erweitert den
Stoff durch entsprechende Mitteilungen. Das Hild tritt neben der
Karte ergänzend und erklärend im Unterrichte auf. Ein schönes
Bild bringt mit einem Schlage vieles zum Verstananis, es vermittelt
diejenigen Anschauungen, die beim Betrachten der Karte «ch im
Kopfe des Schülers einstellen sollten. Karte, Bild und Schilderung
müssen einander ergänzen, wenn wir anschaulich unterrichten wollen.
„Die Karte gibt die Grundform des Körpers, Schilderung und Bild
geben das Kleid." Nach den ergänzenden Mitteilungen folgt die
nochmalige Wiedergabe, und das Ganze wird unter Berücksichtigung
des Hauptinhaltes durch eine Oberschrift kenntlich gemacht')
Die Namen werden inbezug auf Aussprache, Schreibung und
Bedeutung berücksichtigt, die Namenerklärung wird nur dann be-
achtet, wenn die Richtigkeit wissenschaftlich feststeht \md durch
die Erklärung die Eigentümlichkeit des Objektes klargelegt wird.
Das statistisdie Matenal ist nur in beschranktem Um&nge heran>
zuziehen, sobald es eben in einer bestimmten Landschaft in exakter
Sprache das sagt, was Karte und Landschaftsdarstellung nicht aus-
drücken können, oder wenn der machtvolle Aufschwung des Vater-
landes in vergleichende Beziehung zum Auslande gesetzt werden
sdL Deutschknd erzeugt z. B. 99 MUL t Steinkohl^. Diese Zahl
gewinnt erst Wert, wenn zahtenmässig nachgewiesen wird, dass es
mit dieser Produktion an dritter Stelle auf der Erde steht. Die
Sache wird klar, wenn ich sage: 1898 erzeugte an Kohlen England
174 Mill. t, Union 155 MiU. t, Deutschland 99 Mill. t.
Die Geschichte ist eine Hilfewissenschaft der Geographie, die
nötig ist, w^sdls Terrestrisches dadurch seine Erklärung ^ndet". Em
für die ganze Landschaft wichtiges Merkmal oder Ereignis kann
nicht unerwähnt bleiben, Namen von re|^ieren< Jen Herrschern oder
die Verfassungs- und Vei vvaitungseinrichtungen werden nicht gelernt,
nur fiir das Deutsche Reich Warden ErklSningen gegeben, die sich
auf Angelegenheiten des Reiches oder der EinzelsUaten, auf die
Aufgaben des Bundesrates oder des Reichstages erstrecken. Am
besten \", eisen wir diese Stoffe der Geschichte zu.
Die Geologie ist ebenfalls eine Hilfswissenschaft \ c n den
geolo^achen Tatsachen sind die orographischen und hydrugrciphi-
>) über die Stellang der Sehadcmiig im Uatenridile siclie PXdag. Stadial 1906,
S. 13/14.
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sehen, von denen wieder zum grössten Teil die kulturellen und
politischen Verhaltnisse abhängig. Ausbeutung und Verwertung
der Bodenschätze haben für ganze Gegenden eine Umgestaltung
der wirtschaftlichen Verhältnisse zur Folge gehabt. Die geologische
Wissenschait steht so sicher fundiert da, jeder Teil des Vaterlandes
ist so durchforscht, dass wir die Geologie unbedenklich in den
Schulunterricht aufndunen können. Für die Geographie ist sie aber
unentbehrUch, wenn man nicht die Unterwdsung über den Bodenbau
rein beschreibend mitteilen will, wenn man nicht das Bestehende
nach seinen Ursachen unergründet und nach seinen Wirkungen un-
beachtet lassen will
Am Schlüsse der Darbietung wird der Stoff von Seiten der
Schüler nach einer bestimmten Gliederung, nämlich an der Hand
der erarbeiteten Überschriften, zusammenhängend \vieder»egeben.
Verknüpfung: Wir dürfen aber nicht dabei stehen bleiben,
das Bild aufzufassen, Länder, Städte, Gebirge und Flüsse zu be-
schreiben, Stoflanhäufung ist nicht das Ziel der Arbeit Die geo'
graphbchen Momente, welche im Verlauf der Darbietung erarbeitet
worden sind, dürfen nicht -gesondert betrachtet werden, sondern sie
sind nach ihren Weciisehvirkungen und nach ihrem kausalen Zu-
sammenhange zu behandeln. Schon aus der Reüienfolge der
einzdnen Elemente eigibt sich, dass das eine Element auf das
andere einen gewissen Einfluss ausübt, dass das folgende von dem
vorhcrp^ehenden abhängig ist. Diese wechselseitige Abhäng^igkeit
den Schülern vor die Augen u führen, ist die Aufgabe drr \'er-
gleichenden Erdkunde, die besonders auf der Stufe der V^erknuplung
zur Anwendung kommen muss. „Jede Erscheinung ist ein Glied
einer grossen zusammenhängenden Kette von Erscheinungen." Die
c^rwonnenen neuen Vorstellungen werden nun teils unter sich, teils
mit älteren Vorstellungen verglichen , damit sie nicht vereinzelt in
der Seele liegen, damit sie auch nach ihrem Werte erforscht werden,
damit sich die einzelnen Voisteilungen zu Gruppen und Reihen
verbinden und dadurch an Haltbarkeit, Sicherheit und Klarheit ge-
winnen. Es werden nur mit bereits bekannten Erscheinungen Ver-
gleiche angestellt, und durch die Vergleiche sollen nur wertvolle
Gedankenverbindungen erzeugt werden, die mit den Jahren an
Festigkeit immer mehr zunehmen.
Die Vergleiche treiben uns dazu, die Kulturgeographie in
gebührender Weise zu berücksichtigen, auch der Mensch muss mit
seinen Bedürfnissen zu der Erde in Beziehung gesetzt werden. Wir
sehen ihn bei seiner Arbeit auf dem Acker, bei der Gewinnung
und Verarbeitung von Rohmaterialien, wir begegnen ihm auf den
Weltmeeren mit seinen HandelsschifTen und Kriegsflotten, wir er-
kennen seine Sorge für Nahrung, Kleidung und Wohnung, vni
richten den Blick auf Kunst und Wissenschaft , auf staatliche Ein-
richtungen und auf die Religionen. Auch bei den Kolonien sind
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die ursachlichen Bedingungen für die natüriichen Verhältnisse, für
Gewerbe , Handel und Verkehr klarzulegen ; erst durch Erkenntnis
des Zusammenhangs zwischrn den natürlichen Verhältnissen der
Kolonien und ihrem wirtsciiaiLliciien Zustand lernen wir die kulturelle
Entwiddung verstehen, lernen wir den derzeitigen und spateren
Wert würdigen. Hier können zweckmässig Zahlen als Bdeuditungs*
material dienen, aber auf Beschränkung und auf treffende Darstellung
ist zu achten. Die Zahlen dienen nur der V ergleichung, ausserhalb
des Vergleichs haben sie selbst für die Wissenschaft keinen Wert,
Die Bevölkerungszahl darf nie aUeinstehen, sondern sie ist stets mit
dem Flachen uiiialte zu vergleichen, die Verteilung auf i qkm gibt
das beste Bild für die Bevölkerungsdichte. Um einen Vergleich gut
durchzuführen, unterstützen uns C)bjckte der Heimat, geographische
Grossenbilder, Prohle und statistische Angaben.
Zusammenfassung: Sind die kausalen Verhältnisse der
geographischen Elemente von mehreren Landschaften miteinander
verglichen, so ergibt sich aus dem Kinzclnen und Besonderen das
Allgemeine und Begriffliche, das aus dem konkreten Inhalt heraus-
gearbeitet wird, und nicht als langer Begriff oder als Kegel, sondern
als allgemeine Wahriieit und als allgemeines Urteil zum Ausdruck
kommt. Es sind entweder allgemeine geographische Wahrheiten,
z. B. die Steppen sind wenig bewohnt. Auf den Steppen wohnen
Nomaden. Die Beschäftigung der Nomaden richtet sich nach der
Bodenbeschaffenheit eines Landes. Hohe Gebirgsmauern sind Wasser-,
Klima-, Pflanzen* und Völkerscheiden. Je reicher die Erwerbsquellen
sind, desto dichter ist die Bevölkerung. Es können auch Beg^riffe
sein, wie Delta, Wasserfall, Stromschnelle, Stcji[)e, Mangrove. Alle
Wahrheiten und Begriffe können nicht ohne konkreten Hintergrund
geistiges Eigentum bleiben, sollte irgend ein Merkmal, irgend ein
GUed des allgemeinen Urteils verloren gehen, so muss auf Grund
der konkreten Tatsachen, wie sie in der Darbietung erarbeitet
wurden und auf der Stufe der Verknüpfung sich ergeben haben,
die Möglichkeit zur P'meuenmg des Begriffes vorhanden sein. Schon
in der Heimatskunde lernte der jugendliche Geist die (irundbegriffe
kennen, die einfachsten Gesetze ableiten, er erkannte die über-
mächtige Grösse der Natur und die Abhängigkeit des Menschen
von der Scholle. Dieses Verständnis wird nunmehr vertieft, die
Urteilskraft gefördert und eine gerechte Beurteilung des Auslandes
angebahnt. Zur P>rcichung des Ziolps mangelt es weder an Zeit,
noch sind die Voiksschüler dazu uniaiug, nur muss die Zeit richtig
eingeteilt und die Lektion in geschickter Weise zu Ende geführt
werden.
Anwendung: Mit dem .^pperzcptions- und .Xbstraktions-
prozess ist die Unterrichtstätigkeit noch nicht beendigt, denn das
Wissen soll zum Können erhoben werden, und das geschieht durch
die Übung.
FUmbelM Sliidl««. ZXIZ. 4. 19
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1. Die Anwendung geschieht zunächst durch Übungen im
Anschluss an (V'.r Knrto. Nachdem auf der Stufe der Dar-
liictuHL'' das Karteillesen vorang^egangen ist, kann nun hier
der Schüler zeichnen j er zeichnet kleinere Landschaitsgebiete,
t>rpische Objekte, er entwirft Profile und GrössendarsteUungen»
er fertigt Skizzen von Flusssystemen, Mündungsarmen,
einzehicr. Gebirgszügen und Küstcnlinien an. Alle diese
Zeichenübun^ i n sind ein wertvolles Hilfsmittel zur Förde-
rung klarer Anschauungen und zur sicheren Einprägung der
geographischen Objekte. An der Wandkarte werdra Zeige-
übungen angestellt
2. Die Übung geschieht durch Losen von Aufgaben und durch
Beantwortung von Fragen, Entfemui^ und Ausdehnung
können die Kinder recht gut berechnen, wenn die Heimats-
kunde nicht versäumt hat, den Massstab zu berücksichtigen,
und wenn der weitere geographische Unterricht auf der
Grundlage fortgebaut hat Hier zu stellende Fragen sind
z. B. Warum heisst Kuba die Perle der Antillen? Warum
wird Indien ein Wunderland genannt?
3. Es werden Bilder betrachtet. Sind ^geographische Charakter-
bilder nicht vorhanden, so tut ein Bilderatlas gute Dienste.
Empfehlenswert sind Sammlungen von Bildern aus illustrierten
Zeitschriften i diese Bilder werden gesammelt, nach den
Ländern geordnet in Mappen aufbewahrt und immer er-
ganzt, so dass nach und nach ein gutes Anschauungsmaterial
vorhanden ist. Stereoskop und Skioptikon sind äusserst
wertvolle Veranschaulichun^smittel, die ein naturtreues,
klares und plastisches Kild liefern.
4. Es werden fingierte Reisen ausgeführt, die so zu unter-
nehmen sind, dass der Reiseweg die wichtigsten Punkte der
Landschaft berührt
5. Die entsprechenden Abschnitte des Lesebuches werden
gelesen, gute Charakterschilderungen liest der Lehrer vor,
noch besser träfet er sie frei vor. Die Schilderung kommt
jetzt erst zu ihrer vollen Geltung, da alle Voraussetzungen
zum völligen Verständnis nunmehr erfüllt sind; sie ist die
Krone des Ganzen. Soll die Schilderung in dem Hörer
eine klare und deutliche Vorstdlung von den Objekten und
Verhältnissen schaffen , so muss sie mit den glühendsten
Farben ein Bild malen und der Kartendarstellung nun das
Leben einhauchen.
6. Schriftliche Arbeiten werden angefertigt.
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Zusammenfassung.
1. Der geographische Unterricht hat einerseits die natürlichen
Verhältnisse darzulegen, anderseits die Wirkung derselben
auf d e OrL;rinismen zu zeigen. Die Vermittelung eines
bestimmten Kreises von Vorstellungen ist nicht Selbstzweck,
sondern es soll auf die Veredelung der Gesinnung und auf
die Bildung des Willens eingewirkt werden.
2. Die Stofiauswahl muss auf die subjektive Kraft der Schüler
achten, sie muss auf das praktische Leben, darum auch auf
die Erzeugung des Verständnisses für die kolonialen Be-
strebungen Rücksicht nehmen. Der Stoft' ist zweckmässig
zu beschränken, Heimat, Deutschland, Kolonien und das
Wichtigste aus der mathematischen Geographie bilden den
geographischen Hauptstoff, erst dann werden solche Länder
betrachtet, die in hislorischer , politischer, wirtschaftlicher
oder kommerzieller Rezichun;^ zum Vatcrlande stehen. Mit
dem Prinzip der stofflichen Vollständigkeit müssen wir
brechen, wenn uns an anschaulicher Darstellung, an rechter
Vertiefung und an selbsttätiger Aneignung des LehrstofTcs
gelegen ist. Die Gliederung der Schule und die zur Ver-
fügung stehende Zeit ist bei der Auswahl des Stoffes eben-
falls in Betracht zu ziehen.
3. Erstes bis drittes Schuljahr betrachten ausfuhrlich die
Heimat, denn ohne diese unmittelbare Anschauung läuft der
spätere Unterricht Gefahr, bloss mit Worten zu arbeiten.
Schon der Anschauun^untcrricht muss auf die Interessen
des späteren geographischen Unterrichtes ausführhch Rück-
sicht nehmen. Das vierte Schuljahr behandelt Thüringen,
das fünfte Deutschland, das sechste Europa und das siebente
die übrigen Erdteile. Im siebenten und achten Schuljahr
werden die Stoffe nicht mit Reicher Intensität behandelt,
auch in der Naturgeschichte werden nicht alle Individuen
mit gleicher Ausführlichkeit betrachtet. Genaue Betrachtung
einer Landschaft ist die wichtigste Stütze für das Ver*
ständnis anderer, auf die viellei^ erst im späteren Leben
das Interesse gerichtet wird. Das acino Schuljahr wieder-
holt und erweitert, das Deutsche Reich wird in seinen
Kulturbcziehungen zur Fremde betrachtet.
4. Die Heimatskunde ist Kenntnis der Gegend, soweit sie der
Schülern durchwandern kann und audi durdiwandem solL
Die Grundlage für die Behandlung der Heimat bilden die
Wanderungen. Es wird soweit als möglich der kausale
Zusammenhang aufgedeckt , allgemeine Sätze und Gesetze
werden abgeleitet, damit die vergleichende Erdkunde schon
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jetzt Wurzel fasst Auf den Wanderungen werden die
Grundhcj^riffe gewonnen. Die Heimatskunde hat r.xir Vor-
bereitung für die mathematische Geographie die Er-
scheinungen in der i^tmosphäre und am Himmelsgewölbe
zu beachten. Auf den Wanderungen wird gemessen und
geschätzt. Auf Grund der Anschauung wird die heimatliche
Karte aufgebaut, der Schüler lernt die Zeichen kennen,
durch welche die einzelnen Objekte auf der Karte zur Dar-
stellung gelangen.
5. Die unterrichtliche Bciiandlung der Fremde geschieht nach
den formalen Stufen.
in.
Die neuzeitliche Dichtung in der Schule.
EiD Beitrag nir VetjüDgnns des Lehrplaiis.
Von F. Helder, Rektor und Ortstchuliiispdctor in Weittwasser O/L.
Schluss.
Die beste Auswahl unter den neueren Gedichten wird unstreitig
die sein, welche der Lehrer auf Grund eigener Lektüre unter Rück-
sichtnahme auf die Bedürfnisse seiner Schule oder Klasse selbst
triflt. Da ihm aber ihres hohen Preises wegen nur in seltenen
Fällen die oft mehrbändigen Werke der in Frage kommenden
Dichter zur Verfiigung stehen werden, ist er eben zumeist darauf
angewiesen, an der Hand der empfohlenen Antliologien sich selbst
eine für seine Zwecke bemasscne Sammlung zusammenzustellen.
Eine solche Zusammenstellung wird in der nachfolgenden Über-
sicht als Muster dargeboten. Sie ist auf dem Boden eigener unter-
richtlicher Praxis entstanden und will etwa das Durchschnittsmass
dessen bezeichnen, was unter günstigen Schulverhältnissen den
Schülern vom 10. bis zum 14. Lebensjahre aus der zeitgenössischen
Dichtung geboten werden kann. Ks sind in dieser Zusammen-
stellung nur solche Dichter berücksichtigt, welche im Schulunterricht
bisher fast gar nicht oder doch nicht in hinreichender Weise zu
Worte glommen sind. Durch die Verwertung ihrer Dichtungen
sollen die unsterblichen Schöpfungen eines (ioetlie, Schiller, Körner,
ühland u. a., soweit sie bisher schon zum Pensum des literarischen
Deutschunterrichts gehörten, aus ihrer dominierenden Stellung nicht
im geringsten verschoben werden.
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Zusa tum cnst eilung.
I. Hermann Alliner?;: Ein Mutterherz. — Wassersnot. — In der
Fremde. — *Der Hailii^matrosc. — 2. Ferdinand Avenarius: Der
goldene Tod. — Vom Kirschbaum. — Rolands Horn. — Kom-
rauschen. — 3. Rudolf Baumbach: Der Holzwurm. — Die Gäste
der Ruche. — *Mein Thüringen. — 4. Hans Benjsmann: Christus
beruhi<^t das Meer. — I leulemärchcn. — 5. Carmen S>lva: Zum
letztenmal. — 6. FcUx Dahn; Wo ist Gott? — *Gotcritrcue. —
Saint Frivat — Vor Sedan. — *Sicgesgesang nach der Varus-
schlachL — 7. Annette v. Droste*Hülshoff : Der Knabe im Moor. —
•Das Haus in der Heide. — *Dcr Heidemann. — Der Weiher. —
*Der sterbende General. — Die tote Lerche. — Gethsemane. —
8. Otto Ernst: Nis Randers. — Genügen. — Ncujahrsgruss. —
9. Gustav Falke: Die Schnitterin. — *Zwicgcspiäch. — Die Sorg-
lichen. — Vor Tag. — 'Die Morgenprcdigt. — lO. Theodor
Fontane: Letzte Fahrt — Wo Bismarck liegen soll. — Der 6. No-
vember 1632, — *ArchibaId Douglas. — Herr von Ribbeck auf
Ribbeck im Havelland. — *John Maynard. — (nitcr Rat. —
11. Reinhold Fluchs; Deutsches Flottenhed. — Auf einem deutschen
Berge. — 12. Martin Greif: Morgendämmerung. — Abend im Ernte-
fcld. — Vor der Ernte. — •Die einsame Wolke. — 13. Gcrhart
Hauptmann: *Engeigesang (Aus ^^Hanneles Himmelfahrt") —
14. Friedrich Hebbel: Das Kind am Brunnen, — Herbstbild. —
•Der Heidcknabc. — *Schau ich in die tiefste Ferne. — 15. Paul
Heyi»e; Morgenwind. — ■•'Cbcr ein Stündiein. — Vorfrülüing. —
Treueste Liebe. — 16. Arno Holz: So einer war auch er! —
Winter. — Jüngst sah ich den Wind. — *Eeen Boot is noch buten.
— 17. Ludwig Jacobe wsky : Junge Kät/chcn. — Am Abend des
14. Juni i8S>>'. - - Am Morgen des 15. Juni iSHS. — 18. (lottfried
Keller: Sonuncrnacht. — Stille der Nacht. — Abendlied. — -Schlaf-
wandel. — •Die kleine Passion. — 19^ Fritz Lienhard: Meinem Vater.
— Vögel im Unwetter. — 20. Detlev von Liliencron : Meiner Mutter.
— *Das taubstumme Kind. — Abschied. — *Legende. - Tod in
Ähren. — Hcidcbilder. — Wer weiss, wo? — *Krie{T und Friede. —
21. Jacob Loewenberg: "''Gute .\acht. — An der Strfissenecke. — Auf
dem Felde der Ehre. — Auf der Strassenbahn. — ♦Ännchens Himmel-
fahrt. — 22. Julius Lohmeyer: Der gute König. — Ein kleines Nest.
— Unsere Mainbrücke. — 23. Conrad Vcrd. .Mcycr: Der eleitcndc
Purpur. — Luthcrlicd. — Hussens Kerker. — Der deutsche Schmied.
— *Die Füsse im Feuer. — Konradins Knappe. — 24. Eduard
Möricke: Er ist's. — •Der Feuerreiter. — Denk' es, o Seele. —
Zum neuen Jahr. — •Der Zauberleuchtturm. — Um Mitternacht. —
Anmerkung: Die mit ^ bezeichneten Gedtchlc kuonea bei Mangel an Zeil
fortbleiben.
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2$. Frida Schanz: Der singende Eiscnbahnzuf^. — 26. Prinz Emil
V. Sciiönaich-Carolath: Daheim. — *Schleswig-Holstein. — Sommer-
fest. — *Neben Gewittern. — 27, Victor v. Scheffel : Alt Heidelberg.
— Ausfahrt — 28. Heinrich Seidel: Bei Goldhähnchens. — Die
Speriinge. — Im Herbste. — 29. Theodor Storm: Knecht Ruprecht.
— Abseits. — Eine Frühlincrsnacht. — 30. Johannes Trojan : T.crche
und I'"alk. — Der schönste Te[jpich. — *Xeues von draussen. —
31. Heinrich Vierordt: Der Sandmann. — Die Grabstätten der
Namenlosen (L Insel Sylt). — 32. Ernst von WUdenbruch: Grross*
mutter Holzsammlerin. — Dem F'ürsten Bismarck. — Kaiser
ITcinrich IV. — Den Söhnen des Vaterlands. — Der Kaiserin
Auguste Viktoria. — Des ersten I lohenzollern Gruss an die Mark.
— 33. Julius VVollV: Die Fahne der Einundsechziger. — *Lied des
Rattenfängers von Hameln. — *Wo dir im Leben das Gluck er-
blüht — 34. Ernst Ziel: Abendfeier. — 35. Richard Zoozmann:
Bethlehem. ^ *Welt im Kleinen. — Ameisen.
Dass neben diesen Gedichten auch einzelne Wertstücke der
modernen novellistischen und dramatischen Literatur geboten werden
müssen , mag hier nur andeutungsweise erwähnt sein. Die weiter
oben gena nuten Gedichtsammlungen bringen u. a. Kapitel aus
Liliencrons ,,Kriegsnovellen", aus Frenssens „Jörn Uhl" und „Dorf-
predigten", aus Roseggcrs „Wildlingen" und „VValdfcrien" aus Raabes
„Chronik der Sperlinggasse", aus I^cyscs ,,Colberg" und ans Suder-
manns .Jühaiuies". (Für etwaige Neuauflagen dieser Sammlungen
seien auch einzelne Abscluiittc aus „Fcter Moors Fahrt nach Süd-
west" von Frenssen zur Aufnahme empfohlen.)
Wem es schwer fallt, in seiner unterrichtlichen Tätigkeit neue
Bahnen zu beschreiten, wer sich daran gewöhnt hat, jeder Ein-
ni'Mu^g neuer Sfeofic mit Vorurteilen gep;en{ibcrxutrcten . dem rr\n^
die im Vorauf^^ei^anj^renen gekennzeichnete Stoffmenge eine selbst
unter den denkbar günstigsten Schulverhältnissen nicht zu über-
wältigende erscheinen. Es wvd darum Aufgabe der nachfolgenden
Ausführungen sein müssen, den Nachweis zu erbringen, dass die
MögHchkeit ihrer Eingliederung in den I. ehrplan sehr wohl vor-
handen ist, und gleichzeitig die Wege /.u zeichnen, auf welclien sich
ihre unterrichtliche Darbietung und X'erwcrtung bewerkstelligen lässt.
Die Frage der Eingliederung ist zunächst eine Raumfrage, deren
Lösung scheinbar auf grosse Schwierigkeiten stossen muss. Fast
jeder in der Praxis stehende Schulmann empfindet es tägUch, wie
schwer nach der stofflichen Seite h\r. das Schulschiff belastet ist,
und dass es kaum nvigHch ist, in seuieu bescheidenen Räumen noch
weitere Ladung zu v erstauen.
Wird nun aber die eingangs erörterte Einfügung wertvoller
Gegenwartsstoffe, zu denen die hervorragendsten Erzeugnisse der
modernen Poesie doch ohne Zweifel gehören, als notwendig an-
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— 295 —
erkannt, so muss auch für ihre Aufnahme Raum bereitgestellt
werden, und dieser lässt sich hauptsächlich dadurch gewinnen, dass
aus den zur Zeit geltenden Lehrplänen mit beherzter Hand zahl-
reiche Stoffe gestrichen werden und zwar mit derselben Berechtigung,
mit welcher z. B. der Foistmann in gewissen B^tänden alten oder
morschen Bäumen die Axt an die Wurzel legt, um neue Pflanzungen
anzulegen oder um verheissunf^vollcm, kcrnii^em Nachwüchse Platz
und Licht und Luft zu gedeihlicher Entfaltung zu verhelfen.
Kritische Gänge durch das Dickicht der überkommenen Stoff-
gebiete ergeben ohne langes Suchen Stellen, wo die sichtendCp
Raum schaffende Hand angreifen kann. Die vorliegenden Aus-
fiihrun^en müssen sich auf einige Andeutungen beschränken.
Zunächst vermag der Deutschunterricht im eigenen Hause für
unsere Zwecke Raum zur Verfügung zu stellen. Ks ist schon an
einer Reihe von Beispielen nachgewiesen worden, dass die meisten
der zur Zeit gebräuchlichen Lesebücher in verhältnismässig grosser
Zahl Gedichte enthnltcn, die nicht allein des hochzeitlichen Kleides
moderner Formeüschonheit vollständig ermangeln, sondern auch
nach ihrem Inhalte als durchaus veraltet angesehen werden müssen.
Wenn diese von zeitgenössischen Schulleuten nicht ohne Ghrund als
j^^adenhüter" bezeichneten Gedichte ohne Erbarmen ausgemerzt
werden, so wird schon dadurch allein ein breiter Raum für die
Einfügung gehaltvoller Stoffe aus der Poesie unserer l äge gewonnen.
Auch das mit Freuden zu begrüssende Bestreben vieler Päda*
gogen unserer Zeit, die grosse &hl der zur Unterstützung der
übrigen, namentlich der ethischen und realistischen Lehrnicher
bisher in die Lesebücher aufp;enommenen Sprüche, Geschichten, Ge-
schichtchen und sonstiL^er kleiner Stücke auf ein weit geringeres
Mass zu beschränken und an die Stelle dieser sowohl in Unterricht-
lidier als auch in erdehlicher Hinsicht wenig wirksamen Bruchstück-
literatur grössere, zusanunenhängende Darbietungen mit zeitgemässem
Inhalte zu setzen, lässt die Hoffnun>:j aufkommen, dass es möj^lich
sein werde, die erwünschte Verjüngung des Stoifplans mühelos
herbeizuführen.
Endlich lässt sich auch — namentlich in den Vo I ks s chu len aller
Gattungen — durch Zurückdrängung des rein grammatischen Stoffes
Platz schaffen für die Eingliederung und Betrachtung neuer poetischer
St'jrke. Noch immer gibt e»; Schulen, welche Grammatik um ihrer
selbst willen treiben und also ganz vergessen, dass sie im wesent-
lichen nur die bescheidene Dienerin des orthographischen Unterrichts
sein soll. Wer dazu bedenkt, dass selbst bei geschicktester Be«
haodlung trockene granmiatische Erörterungen unsern Schülern meist
nur recht wenig Geschmack abgewinnen, der wird gern zugeben,
dass in einer Reiiie formvollendeter, gehaltreicher Gedichte, deren
Behandlung an ihre Stelle gesetzt wird, bei weitem höhere Bildungs-
werte liegen.
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— 296 —
Auch in den übrigen Lehrgegenständen lässt sich sehr wohl
durch Ausscheidung veralteter oder als wertlos erkannter Stoffe
manches Plätzchen zur Einschiebung eines inhaUreichen modernen
Gedichts, welches den Zwecken der Belebung und Vertiefung
dienen kann, schaffen. Ziele und Wege hierzu sollen weiter unten
dargelegt werden.
Zuvor mag mit kurzen Worten darauf hingewiesen werden,
dass sich der grösste Gewinn an Raum und Zeit durch ein zweck-
mässig gehandhabtes Verfahren bei der unterrichtlichen
Behandlung der poetischen Lehrstoffe erzielen lässt.
Noch immer herrscht in \ :rl' n Schulen jene pedantische Er-
klärungssucht , welche „sich nimmer erschöpfen und leeren" will
und welche die Hauptursaclie der betrübenden Erscheinung ist,
dass im langen Laufe eines ganzen Schuljahrs im besten Falle zehn
bis zwölf Gredichte als sogenannte „poetische Musterstücke" zur Be-
handlung und mühevollen Aneignung gelanf^cn.
Die herkömmliche Betrachtungsweise muss als das beklagens-
werte Produkt einer verkehrten Auffassung des Zweckes jener dick-
leibigen Erläuterungswerke angesehen werden, welche in den letzt-
verflossenen Jahrzehnten zu Dutzenden veröffentlicht worden sind.
Diese Kommentare stellen es sich mit wenigen Ausnahmen zur
Aufgabe, jede Strophe, jede Zeile, ja fast jedes Wort einer Dichtung
bis zum Tüpfelchen auf dem 1 zu erläutern. Sie ziehen zu diesem
Behufe alle nur möglichen geschichtlichen, erdkundlichen, ethno-
graphischen und naturkundlichen Erklärungen — oft an den
Haaren — herbei und können es nicht verwinden, bei jedem Ge-
dichte eine Disposition aufzustellen, einen Grundgedanken heraus-
zuheben, ausgedehnte Betrachtungen über metrische und dichterische
Kunstformen beizufügen, zahlreiche Themata für anzuschliessende
schriftliche Arbeiten zu bezeichnen u. a. m. Wird nun, was meist
geschieht, im Unterricht He Behandlun^^ der Gedichte in dem ge-
schilderten Masse unt^cbührlich in die Breite crezogen, so darf es
rucht wundernehmen, wenn im Laufe der langen Schulzeit nur
wenige unserer deutschen Dichter zu Worte kommen, abgesehen
von den Nachteilen, welche in psychologischer Beziehung durch die
sich ergebende stüdeweise Darbietung und Verarbeitung des Stoffes
entstehen.
Es maj^' zur Rechtfertigung der Verfasser angenommen werden,
dass sie ihre breitangelegtcn Erläuterungswerke nur für die persön-
lichen Studien des Lehrers berechnet haben; aber es kann auch
kein Zweifel daran sein, dass viele Lehrer sich insofern einer miss-
bräuchlichen Anwendung dieser Kommentare schuldig machen, als
sie in ihrer unterrichtlichen Praxis in ganz unselbstiindi<:^cr Weise
sich Wort für Wort an die dargebotenen Entwürfe und ausgeiunrien
Lektionen halten und damit in jenes Breittreten verfallen, welches
eine Verwasserung der Poesie bedeutet Wie augenfällig tritt der
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— 297 —
Unterschied zwischen den Kommentaren älteren und neueren Datums
hervor, wenn man beispielsweise die noch heute 7.ur unterrichtliclien
Vorberf-itun*:^ gern benutzten „Poetischen Musterstücke" von Wunder-
lich und das vor etwa vier Jahren erschienene Linkesche Fräparations-
werk „Poesiestunden" in Vergleich zieht)
In welcher Weise muss sich die unterrichtliche Behandlung
eines Gedichts p^cstnltcn , damit mö<::^Hchst an Zeit gespart und
Raum für die Darbietuni^ möglichst vieler Dichtungen gewonnen
werde, ohne der gemütsbildendenden Wirkung irgendwie Abbruch
zo tun?
Zunächst mag darauf hingewiesen werden, dass sich im Hin*
blick auf die X'ielgestaltigkeit der poetischen Lehrstoffe inbezug auf
das unterrichtliche Verfahren bestimmte Grenzen nicht ziehen und
feste Regein nicht aufstellen lasse«, hs hiesse einem Kunstwerke
Gewalt antun, wollte man die Behandlung dnes Gredichts in die
Zwangsjacke eines Schemas pressen.
Wie viel oder wie wenig über ein darzubietendes oder dar-
gebotenes Gedicht zu reden ist, ist ganz individuell und wird einer-
seits durch seinen Inhalt und seine Form bedingt und hängt
andrerseits von den Faktoren ab, deren Gesamtheit man als das
gegenständliche und geistige Milieu des Kindes bezeichnen kann.
Im allgemeinen muss tunlichste Kürze die Signatur der Ge-
dichtbetrachtung sein. Nur bei nichtlyrischen Dichtungen wird die
Behandlung bisweilen einen weiteren Umfang nehmen dürfen, sofern
nicht etwa schon ausserhalb der betreflfcnden Literaturstunde der
Boden, aus dem der Inhalt des Gedichts entsprossen ist, hinreichend
bearbeitet wurde.
Der unterrichtende Lehrer soll sich dem 7.\\ behandelnden Ge-
dichte gegenüber nicht in der Rolle des Hotanikcrs fühlen, iler eine
Blüte unter die Lupe nehmen, ja zergliedern darf, um ihren inneren
Bau zu erforschen; er muss vielmehr dem Naturfreunde gleichen,
der sich an dem Dufte und der Farbenpracht einer Blume erfreut,
ohne sie zu zerpflücken.
In gewissem Sinne lässt sich behaupten, dass der bei der Be-
handlung eines Gedichts einzuschlagende Weg eine Umkelu ung des
bisher beliebten Verfahrens sein muss. Während bislang viele
Methodiker das Vortragen bezw. Vorlesen eines Gedichts als den
notwendigen Ausgangspunkt der Hehandlung Ijezeichnctcn, dem die
eingehende Zergliederung mit ihrem Drvun und Dran sich an-
schHessen musste, wird von den Reformern mit grosser Berechtigung
die Forderung aufgestellt, dass die Hauptsache der Behandlung in
der Form einer Vorbereitung, einer „Einstimmung, welche die
Situation des Gedichts entrollt", der Darbietung des Textes vorauf-
gehen müsse.
Diese Vorbereitung hat den Zweck, die der .Auffassung des
Gedichts etwa im Wege stehenden Schwierigkeiten fortzuräumen.
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— 2gS —
den Schleier, welcher seine Schönheit verdeckt, hinwegzuziehen und
die Hörer, hier also die Schüler, in jene Stimmung und Spannung
zu versetzen, welche Adolf Stöber in den Worten andeutet:
Willst du lesen ein Gedicht,
sammle dich wie zum Gebete,
dass vor deine Seele licht
das GebUd der Schönheit trete.
Ist dtird) die Vorbesprechung einer sachlidi<richtigen und ge«
mütvoUen Auffassung der Boden geebnet, so folge die Darbietung
des Gedichts durch eine Vortragsweise, von deren Qualität die
Wirkung zum g^rösstcn Teile abhängt, also in einem Tone, „der aus
der Seele dringt und mit urkräftigem Behagen die Herzen aller
Hörer zwingt". Bei vielen Dichtungen hat der Lehrer durch eine
warmherzige Darbietung die Hauptarbeit getan.
Was noch /u tun bleibt, ist, dass der Lehrer unter Fernhaltung
alles beabsichtigten Asthetisierens und jeder trockenen Gelehrsamkeit
durch das Mittel einer kurzen Besprechung den tieferen üehalt
eischliesst und die Schüler die Schönheit der poetischen Form
finden und fühlen lässt Je mehr der Lehrer dabei, fem von allem
rhetorischen Uberschwang, „Lieb' und Glauben in die Form giesst,"
desto ruhifTcr, kräftiger und nachhaltiger wird sich die Wirkung auf
Geist und Gemüt gestalten.
Die Besprechung muss durchaus darauf verachten, alles erklären
zu wollen. Ihr Zweck ist vollkommen erreicht, wenn das Kind das
Wesentliche einer Dichtung erfasst hat, wenn das Aufleuditen der
Augen eine tiefere Wirkung verrät. Was etwa nicht tief genug
erfasst worden ist, darf der Lehrer sorglos dem Leben anvertrauen.
Sobald der Lehrer nur die Gewissheit hat, dass der Schüler die
dargebotene poetische Gabe mit freudigem Interesse aufgenonunen
hat, dann kann er gewiss sein, dass die Erfahrungen des Lebens
2u rechter Zeit das k > tl are (lefass mit wertvollem Tnhnke füllen
werden. Ein gehaltvolles Gedicht muss dem hchiiler für seui ganzes
Leben etwas bieten^ es muss eine bleibende Wirkung haben und
muss die Kraft in sich tragen, in der Seele des Kindes sich all-
mählich zu einem inneren Erlebnis zu verdiditen.
Wenn so bei der Hehandlung an dem richtigen Verhältnis
zwischen Dichtung und Auslegung festgehalten wird und zw*ar in
dem Sinne, dass die erstere die Hauptsache, die letztere aber immer
nur die bescheidene Dienerin bleibt, dann wird ein doppelter Zweck
erreicht: Raum- und Zeitersparnis zum Zwecke der von uns als
unerlässlich l)ezeichneten Stoffverjüngung und ein vermehrtes Inter-
esse für die erhabene Kunst der l'oesie. Denn je kürzer, zwang-
loser und gemütvoller die Behandlung der Gedichte in der Schule
sich gestaltet, mit desto grösserer Gewissheit darf darauf gerechnet
werden, dass die Schüler schliesslich aus sich selbst heraus« also
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ohne unmittelbare Weisung und Leitung seitens der Lehrenden für
den Umg^anc^ mit der Poesie lebhaftes Interesse gewinnen und dass
dadurch die in dem iieran wachsenden Geschlechte leider weit-
verbreitete Abneigung gegen poetische Lektüre allmählich an Boden
verliert
Es mag hier auch darauf lüngewiesen werden, dass der Lehrer
auf keinen Fall von seinen Schülern fordern darf, alle behandelten
(ledichte auch auswendicj zu lernen. Gewiss wird in jedem Schul-
jahre eine bestimmte Reihe von Gedichten zur wörtlichen Aneignung
gelangen; aber fiber dieses Mass hinaus wird das Memorieren ganz
der freien Betätigung überlassen bleiben müssen. Je mehr es dem
Lehrer fTclin*:^. in d^-ii Herzen seiner Schüler Liebe zur Poesie zu
entfaciien, desto meiir wird sich jeglicher Zwang als entbehrlich
er vs eisen.
In der Erwägung der Frage, auf welche Weise sich ein um-
fangreicheres Bekanntwerden unserer Schuljugend mit den schönsten
Perlen der neuzeitlichen Dirhtuni^ und ihr ■ nntrrrichtliche Einreihung
ermöglichea lässt» sei nunmehr eines weiteren Mittels Erwähnung
getan.
Wie die Dichtkunst geeignet ist, mit ihrem belebenden Glänze
das gesamte menschliche Dasein zu erhdlen und zu erklären, so
besitzt sie auch die Kraft, ausser im deutschen Sprachunterrichte
auch in anderen Lehrgegenständen Licht zu spenden, erklärend zu
wirken, das Interesse zu vertiefen, Leben zu wecken. In dieser
Erdehung bilden gerade die Erzeugnisse der neueren und neuesten
Dichtung eine ergiebige Fundgrube. Welcher praktische Sdiulmann
wollte seine Schüler nicht so oft als nur möglich an diesem munter
sprudelnden Quell trinken und sich erfrischen lassen!
Inbezug auf den Religionsunterricht macht Paul Staude^)
von „poetischen Zugaben'', als welche er die seinen „Präparationen"
angeschlossenen Gedichte bezeichnet, in weitestem Umfange Ge*
brauch. Er greift namentlich zu Dichtungen aus den ersten und
mittleren Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts. Zum Zeugnis
dafür, dass aber auch die Poesie unserer Tage ihre Gaben zur Be-
lebung und Vertiefung des Rehgionsunterrichts darbietet, sei z. B.
auf folgende Dichtungen hingewiesen: i. Benzmann, Christus be-
ruhigt das Meer fein prächtiges dichterisches Gemälde zur Ge-
schichte von der Stillung des Seesturois/. 2. Carmen Sylva. Zum
letztenmal (Jüngling zu Xain). 3. Zoozmann, Bethlehem (VVeihnachts-
geschichte). 4. Gustav Falke, Die Sorglichen (Warnung vor nutz-
bser Sorge, Matthai 6, 2$ — 34). 5. Droste-Hül^ofT, Gethsemane —
und als Pendant hierzu 6. Detlev v. Lilieiicron, Lqzende. 7. Felix
Dahn, Wo ist Gott^ (1. Artikel.) 8. Lohmeyer, Der gute König
Faul Suade, Präpäratioaen fiir den Kcligionsuntcrricht in danteUeader Form.
6 Hefte. Langeitsaba, H. Beyer & Söhne.
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— 300 —
(3. Gebot). 9. Liliencron, Meiner Mutter (4. Gebot). lO. C F. Meyer,
Alle (4. Ritte).
Der Geschichtsunterricht hat es von jeher verstanden,
poetische Erzeugnisse seinen Zwecken dienstbar zu machen, und
auch in der zeitgenössischen Dichtung findet er eine Fülle von
wirkungsvollen Stoffen, Die folgende Blütenlese beweise es: A. Zur
deutschen Geschichte: i. Felix Dahn, Siegesgesan«^ nach der Varus-
schlacht. 2. Dahn, Gotentreue. 3. Avenarius, Rolands Horn.
4. Lingg, Heerbannlied. 5. Gerok, Heinrich der Vogler (Pendant
zu dem gleichnamigen Voglschen Gedichte). 6. C. F. Meyer, Der
gleitende Purpur (Otto I. und sein Bruder Heinrich). 7. Lingg, Die
Feme. 8. E. v. Wildenbrudi. Kaiser Heinrich TV. 9. C. F. Meyer,
Konradins Knappe. lO. C. F. Meyer, Hussens Kerker. II. Fontane,
Der 6. November 1632. — B. Zur prcussisciien Geschiciile:
I. E. V. Wildenbruch, Bclehnung des Burggrafen Friedrich von
Nürnberg mit der Mark. 2. Lili r on, Wer weiss, wo (Kolin,
18. Juni 1757). 3. Richard Dehmel, .Anno Doinini 1812. 4. Loh-
nieyer. Die Mainbrücke (Einigung zwi.schen Nord und Sud 1870).
ü. Julius VVolff, Die Fahne der Einundseciuiger. 6. Wilhelm Jensen,
Lieder aus Frankreich. 7. Dahn, Saint Privat 8. Dahn, Vor Sedan.
9. Karl Stieler, An Anfrag. 10. Fontane, Letzte Fahrt (Tod Fried-
richs III.). II. Jacobowsky, Am .Abend des 14. Juni 1888, 12. Jaco-
bowsky, Am Morci^en des 15. Juni i8ss. 13. K. v. Wildenbruch,
Dem Fürsten Bismarck. 14. Fontane, Wu Bismarck liegen soll.
In weit geringerem Masse als die Geschichte hat die Erd-
kunde bisher an der unterrichtlichen Förderung, die aus einer
7.wcckniässij:;;"cn FinfijtTun';:^ und \'cn,vertun;^ poetischer StotTe cr-
wäclist. teihiehnien cHirfen. L'nd doch tut gerade diesem L'ntcr-
richtszwcige, der mehr als jeder andere einerseits der Gefahr einer
Anhäufung von Namen und Zahlen ausgesetzt ist und andrerseits
die höchsten Anforderungen an die Phantasie der Schfiler stellt, die
grÖSStmöglich.ste Entfesselung des Interesses not.
Wodurch Hesse sich aber eine schönere und zweckentsprechendere
Belebung und Vertiefung des Unterrichts erreichen als durch ziel-
bewusstes Einflechten passender Gedichte in den Kränz der Land*
Schaftsbilder, welche die Schüler auf der Wanderung, im Bilde oder
im Geiste schauen dürfen? Welcher Lehrer möchte z. ß. bei der
Schilderung der I.ünehurger Heide auf Theodor Storms prächtiges
Gedichtchen „Abseits" oder auf Liliencrons Zyklus „Heidebilder"
verzichten.' Wer wäre imstande, ein anschauliches Bild von dem
Leben an der deutschen Meeresküste zu entwerfen ohne Bezugnahme
auf die Gedichte „Strandbild" von Rudolf von Gottschall, „Wassers-
not" von Allmers, „Nis Ränder^*' von Otto Ernst und „Tnsel Sylt"
von \'ierordt' Für die ScliibJcruni,' einer friesischen .Vloorlandschaft
findet sich in der neuereu Literatur kaum ein dichterisch-schönerer
Ausdruck als in der Ballade „Der Knabe im Moor" von Annette
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— 30t —
von Droste - Hüishoft". Welchen schönen Abschluss für die Be-
trachtung Thüringens bietet die Verwertung von Rudolf Bamnbachs
Gedicht „Mein Thüringen"! Wer wird an der schönsten aller Neckar-
städte vorübergehen wollen, ohne einzustimmen in Viktor v. Scheffels
„All Heidelberg, du feine"? — So hat jede deutsche Landschaft
ihre Poesie. Und wenn der Schüler an der Hand des Lehrers im
geographischen Unterricht ganz Deutschland vom Fels bis zum
Meer, von der Maas bis zur Memei durchwandert hat, dann soll er
mit Emil von Schönaich-Caroladi am Schlüsse seines Achtzeilers
„Daheim" begeistert ausrufen:
Auch für die naturgeschichtlichen Stunden bietet die
zeitgenössische Dichtvm«^ mancherlei Stoffe dar, welche, am richtigen
Platze zu geeigneter Zeit in rechter Weise benutzt, vorzÜGflich da'/u
geeignet sind, die Schüler zu einer „sinnigen" Naturbetrachtung zu
fuhren. Diesem Zwecke können z. B. die nachstehend verzeichneten,
zumeist sehr kurzen Gedichte dienen: A. Zur [Pflanzenkunde:
I. Avenarius. X'oin Kirschbaum fvortrefifliches Seiteiistück zu dem
gleichnamigen Gedichte von Peter Hebel). 2. Ben/.niann , Heide-
märchen (schildert den Blütenieupich des Heidekrauts}. 3. Keller,
rauschen (ebenfalls für die Erntezeit). 5. Baumbach, Die Gäste der
Buche (Waldleben). — B. Zur Tierkunde: i. Heinrich Seidel, Hei
Goldhähnchens. 2. Heinrich Seidel, Die Sperlinjje. 3. Trojan,
Lerche und Falke (Leben und Verfolger der Lerche). 4. Trojan,
HasensalaL 5. EmU Weber, Waldabenteucr (Eichhörnchen). 6. Falke,
Zwiegespräch (Leben auf dem Geflögelhofe). 7. Baumbach, Der
Holzwurm. 8. Zoozmann, Ameisen. 9. Keller, Die kleine Passion
(Insekteiileben und -sterben), lü. Lohmeyer, Lin kleines Nest
(Vogelschutz). II. Jordan, Sei mitleidsvoll (Warnung vor Tier-
quilerei)!
Über die zweckmässigste Art und Weise der Einfügung solcher
Gedichte, welche vornehmlich zur Würze und zur Vertiefung ge-
wisser Lehrstoffe dienen sollen, muss die „gebietende Stunde" ent-
scheiden. Nur in ganz seltenen Fällen werden sie den Ausgangs-
punkt einer Lektion bilden können; sie werden vielmehr entweder
getreten Orts in die unterrichtliche Behandlui^ verflochten werden
oder als Zugabe den Schluss bilden müssen.
Wie die unterrichtliche Verknüpfung^ ist auch die Art der Dar-
bietung dieser Gedichte ganz und gar von den jeweiligen Verhält-
nissen abhängig. Die V^ermittlung kann ebensowohl dadurch er-
folgen, dass der Lehrer sie vorträgt bezw. vorliest, als dadurch,
dass sie an passender Stefle von den Schiilem gelesen oder mög-
lichenfalls gesungen werden. Dass übrigens auch bei solchen
Sei :ri"r f:i-;::riis>t. mr!:: 'Ir-iit- lii
Du schüostcs Land von allen!
4. Avenarius, Kom-
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Gedichten, welche, ohne in der Deutschstunde behandelt zu sein,
in den andern Unterrichtsiachem zur Belebung und Vertiefung
herangezogen werden, nötigenfalls eine kurze Besprechung am Hatze
istf liegt auf der Hand.
Schliesslich bieten auch Schulfeierlichkeiten aller Art
(Kaisergeburtstag, Sedanfest, Gedenkfeierr., Reformationsfest, Schülcr-
entlassung) und Elternabende reiche Gelegenheit zur Verwertung
neuzeitlicher Dichtungen. Leider wird bei der Aufstellung von
Programmen fast ausschliesslich zu jenen veralteten Deklamations*
Stoffen und saft- und kraftlosen Reimereien gegriffen, die zumeist
den Inhalt zahlreicher „Festbüchiein" für die Hand des Lehrers oder
der Schüler bilden.
Wenn Festgedichte wirken, d. h. die feierliche Stimmung er*
höhen sollen, so müssen sie im Festgewande einherschreiten und
die Sprache des Herzens reden. Solchen Anforderungen genügen
beispielsweise die folgenden Gedichte aus jüngstvergangener Zeit:
A. Für patriotische Feste: l. E. v. Wildenbruch, Den Söhnen des
Vaterlands. 2. Reinhold Fuchs, Auf einem deutschen Betge.
3. R. Fuchs, Deutsches Flottenlied. 4. C. F. Meyer, Der deutsche
S Ii mied. — B. Zum Rcfnrmnttnnsfestc : I. C F Meyer, Hussens
Kerker. 2. C. F. Meyer, Lutiierlicd. 3. Fontane, Der 0. Xo%'ember 1632.
— C. Zur Schulentlassung; i. Benzmann, Christus beruhigt das Meer.
2. F. W. Weber. Am Amboss. 3. Jutius Wolff» Wo dir im Leben
das Glück erblüht. 4. Lingg, Heimkehr.
Wir sind am Schlüsse. Die voraufgeganj^enen Darlcg^ingcn
haben zunächst den Nachweis fuhren wollen, dass die deutsciie
Schule die Pflicht hat, der zeitgenössischen Dichtung im Rahmen
der bestehenden Lehrplane einen breiteren Raum als bisher zu ge-
währen. Sodann ist eine genau erwogene Auswahl deijenigen
neuen Gedichte dart^ebotcn worden, welchen unter Belseiteschicbun«:^
veralteter oder als wertlos erkannter Stoffe unbedin^^t das Gastrecht
in unseren Schulen zugestanden werden muss. Schliesslich ist ver-
sucht worden, die Bahnen tu bezeichnen, auf denen die geforderte
Verjüngung des Stoffplans ausführbar ist.
Hiermit kann die Schule jedoch ihre Aufi^abe nicht als er-
schöpft ansehen. Auch ausserhalb des eigentlichen Unterrichts
stehen ihr Mittel zu Gebote, dem heranwachsenden Geschlechte ein
regeres, tieferes Interesse für die reichen Schätze der Gegenwarts-
dichtung einzuflössen.
Es wird sich vor allem empfehlen, den Schül erbüchereien
einic^e der vorhin bezeichneten Antholoj:nen in mehreren Exemplaren
einzuverleiben und, nachdem im Verlaufe des Unterrichts der Boden
zubereitet ist, die Schüler dahin zu beeinflussen, dass sie bei der
Auswahl der Bücher fiir ihre hausliche Lektüre vornehmlich auch
nach den vorhandenen Gedichtsammluf^en greifen, sie auch Rienau
lesen und Freude daran empfinden. BuUge Sammlungen, wie die
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— 303 —
von Dr. K. Lanj^e und Aui;ust Lomberg, welche für nur lo bczw.
20 Pfennige zu haben sind, müssen als Ergänzung zum Klassen-
lesebuche in den Händen aller Schüler sein.
Bis ins Elternhaus hinein wird ein Lehrer, der das Vertrauen
seiner Schuli^cmeinde im weitesten Umfange geniesst, ^rine He-
mühun^jen um die Herbeiführung einer höheren, allgemeinen VVert-
sciiatzung der modernen Dichtung tragen dürfen und zwar, wenn
es mit der Wärme des Herzens geschieht, nicht ohne die ge-
wünschten Erfolge. Es wird ihm nicht allein gelingen, die Eltern
und sonstigen Erzieher dahin zu brinpjcn , dass sie ihren Pflege-
befohlenen „Dichtergaben" in Form guter Anthologien auf den
Geburtstags- oder Weihnachtstisch legen, sondern dass auch im
Kreise der schulentwachsenen Personen der Familie das Interesse
fär die Schöpfungen zeitgenössischer Dichtkunst Wurzel lasst und
nach und nach an Ausdehnung gewinnt.
Wenn die Schule der deutschen Dichtung, insbesondere der
zeitgenössischen, aus ihrer gegenwärtigen Aschenbrödelstellung heraus-
hilft, dann leitet sie einen Strom des Segens ins deutsche Haus.
Dann bereitet sie der Kunst eine gewichtige Stelle in der Erziehung;
dann fuhrt sie die ihr anvertraute Jugend an die frische Quelle
edelsten Genusses; dann hilft sie Damme bauen gegen die trübe
Flut solcher Literaturerzeugnisse, welche die Sitten untergraben und
die Seelen morden.
So lange die Schule das kostbare Kleinod der deutschen
Dichtung mit dem rechten Eifer hegen und pflegen hilft, dann wird
ihre das Leben verklärende Wirkung dem Volke erhalten bleiben,
und es wird sich erfüllen , was der jüngst entschhimmerte Dichter
Prinz Emil zu Schönaich-Carolath wünscht, indem er singt:
Gesegnet >e:st du, (!u Lirrlrrpracht,
du tiefe, du dcuuche, du holde,
dn Scbatz, der unserm V'^olke lacht
in vDTci^liigUchem Golde!
Dich Warden hfltcn und latsen nicht
die Herzen von dcutechcm Schlage,
auf das» ihr Leben bei ernster Pflicht
•teti lachende Ito«eo trage.
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B. Kleinere Beiträge uud JütteiluiH^en.
I.
Heimatliunde im Freien.
Von J. Colbna in St Wendel.
^Es würde alles besser gehen, wenu mau mehr ginge." (Seume.)
Seit Fingers „Anweisung zum Unterricht in der Heimatkunde" ist die
lätentar anf dieaam Oelnete eine raiehluütige geworden. Trotsden ftbendl
Stimmen laut werden, die fUr den heimatkiittdiiehen Unterricht Wanderungen
im Freien fonlem , so t,^il)t es leider immer iiocli Schulen, in denen diesem
Unterrichte viel zu wenig Wert beiyeleijt wird, die auf Anschaulichkeit
rerzichteu und deu Unterricht in der althergebrachten Weise swischen den vier
Winden erteilen, anetatt mit den Sebaiem hinanerawandem in Gottes heiriiclie
Natur, nm ihnen hier Herz, Angen nnd Ohren fttr ihre Umgebmig an SSnen.
Allerdings treten dem Unterrichte im Freien manche Schwierigkeiten
ents:faren. In grossen Städten sind die Weire. nm ins Freie zn Erklangen, manchmal
«0 weit, dass in einer üuterrichtsstnude nichts erreicht werden kann. Hier w&re
dann eine Zneanmenlegung der beiden Woehenatuideii an «atrdien. Wenn der
Geographielehrer aneh den Unterrioht in der Natmrgeechidite ert^t, so kOnnen
diese beiden Stunden nacheinander gehalten werden. Auf Tnmmärschen wird
man es nicht vcrsitumen. die Schüler auf Ei£rentümlichkeiten des heimatlichen
Bodens und der heimatlichen Tier- und Pdauzeuwelt anfmerksam zu machen.
Sind in einer Sehnle mdirere Altersstufen vereinigt, so wird daa fttr die nntere
Stofe nen Dniehsuarbeitende annichst eine nOtalicbe Wiederholong fttr die ftlteien
SohttlW sein, dann kann aber auch manrhes erweitert und zum Vergleich heran-
gezogen werden. Vielleicht iSsst es sicli aber ;iu< h enn("i£rHchen. die Schüler zu
bewegeu, aa freien Nachmittagen mit dem Lehrer zusammen ins Freie zu wandern.
Li der hiesigen Seatta haben noch immer alle hier wohnenden Schüler an solchen
Anaflttgen freiwillig teOgenommen. Wenigstens sollte der Lehrer die Sebttler
anregen, ihre Spaziergänge weiter Musndebnen uud auf ihuen die vom Lehrer
bezeichneten Geß:enstände genau anr.nsehen oder bestimmte Vorjs:änge zu be<)1)-
achten. Manchen Lehrer wird wühl auch das Urteil Fernstehender, weiche diese
Wanderungen als nutzlose Spaziergänge betrachten, abhalten. Tut der Lehrer
aber nnentwegt seine Pftieht, ao wird aneh dieses Urteil getodert^ nnd besonders
die Eltern werden bald anders über diese Wanderungen denken, wenn ihnen ihre
Kinder V(dl Freude über die schSnen S]mziergänge und das dort Geseheue.
Geliürle und Erh^bte heriobten. Andere Lehrer wieder werden anfahren , es sei
hei iiberfuilteu Klassen schwierig, die uutweudige Aufmerksamkeit, Zucht und
Ordnung in erhalten. Zugegeben! Aber bei riehtigem Takte, gntem Willen
und gründlicher Vorbereitung wird auch diese Schwierigkeit zu Uberwinden seia.
Wie in der Klasse, so müssen auch im Freien die Schüler jeden Wink des Lehrers
befolgen. An einem bestimmten Orte sammeln sie sich and stellen sich in Beib
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ttud Glied wie beim Tnraen anf. Nun geht es geschlossen, in uiifrfzwnngener,
freier Ualtun^ dem Ziele eotgegen. Glaubt der äcbtUer etwas Besonderes za
tdien od«r sn kSren^ m mMht er din Ldinr ätiävi nimAmm. An geeigneten
SteUeD, die der Lehrer ai«ih vurber gemerkt hmben niue, wird Helt gemeebt und
die Aufmerksamkeit der ScbUler auf ein bestimmtes Ziel hingelenkt Ist die
Anfgabe di*' sich <ler Lehrer für diese Stelle gesr*^!!t hat. erleiligt, so wird
wtiterge wandt: l t. Wenn während des Marsches keine lieobachtnngen an machen
nndf liiet nieii vieUeieht ein munteres Liedchen singen.
Sollen aber die Wanderangen niebt In Uoeae Bammeldea aneerten» lo mitH
lieb der Lehrer anf jede einselne Stunde gewiiaenhaft vorbereiten, er mvm
wissen, was er auf den einxelnen Wanderungen erzielen kann, welche Stellen
sich am besten zum Haltmachen eignen. Durch Beobftchtnngsanfirahpn,
die den Schalem für die nächste Stunde gestellt werden, kann ein gewi&ües Ziel
einer Wanderung aebon f^^elegt werden. Das Ton d«i Sobfilw in ihrer freien
Zeit Beobaiditete wird dann anf der Wanderung sellMt noeh unmal angeiehant^
Falsches wird berichtigt. Unvollständiges ergänzt, Fehlendes nachgetragen. Eine
andere Vorb<>reitung ist das Verteilen bestimmter AnftrSge an die Schüler bei
Beginn der Wanderung. Jeder Schiller mnss einen Bleistift und ein Taschenbuch
(Heftdioi} mitführen. Dann eriiftlt ein SdiAler den Auftrag, den Kompass zu
Terwahren, ein anderer trigt oiit Stola das Femrohr, dn dritter die Hessleine
oder ein 10 m langes Seil, bei dem die einzelnen Meter dnrch Knoten oder
fällige Striche bestimmt sind. Wicfipr ein artfb n>r Sfhiü'T hat für die General-
stabskarte oder eine vom Lehrer augefertigte Karle des Bezirks zu sorgen. Bei
einigen Wanderungen werden auch Thermometer und Setzwage mitgenommen.
Sind die Wanderungen so vorbereitet, so werden sie dem Lehrer und den
Schlllem manebe Frende bereiten, die Sdifller werden ihre Heimat schfttaen
und lieben lernen, sie werden mit ihrer Umgebung bekannt geroaelit und
angehalteTK d^i« Erlebte mit offenen, klaren At!cr<'n zu beobachten, und
ihr geographisches Wissen erhält eine sichere Gninllage. Die Schule erfüllt
damit aunichst eine wichtige soziale und pädagogische Aufgabe, indem
sie «in dieser Zrtt der Heimatlosigkeit dem Hensdira das sichere, warme und
beglückende Gefühl der Zugehörigkeit zu dem Boden . dem er entsprossen ist,
wiedergibt tin<l die Seele des Kindes, sein Gemüt hineinführt in dir ^^■tmder der
heimatlichen Natur, damit die Schönheit der Heimat klar vor die Seele trete und
»ein Heimatgefühl eine wertvolle Bereicherung erfahre*" (Barchewitz).*) Die
ScbtUer werden „denkend nnd fftblend dnrch dm Wonnen der Heimat
geführt" (Kerp). Wie leuchten ihre Angen, wenn rie der Lehrer an eine Stelle
mit .schgner Runds!'1;T führt, wenn er ihnen das saftige Grün der Wiesen nnd
den reichen Segen der Felder zeigt und sie aufmerksam macht anf den lieblichen
Gesang der munteren Vögel! Was viele Worte nicht vermocht uatt*:u, das
bewiiltt eine efaudge Wanderung in Oottes berdiehe Natur. So lernt das Kind
seine Heimat schätzen, es lernt, was Heimat heisst, es findet «in ihr einen Schatz,
der es reich macht, nnd in dessen Besitz es nie wieder arm werden kann"
(Batael). ^^^^^^ Kindern, den Knaben, der Jagend mehr wahres Kiafv*
Fld. Studien 1906, Heft 1.
PUscogtadM atodton. XXIZ. 4. 20
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gefübl, regeres und sichereres Gefühl hüberen Ereistitren Löbens, nicht« wirkt
st&rkender, entwickelnder und erbebender dafür, als das sichere UcfUhl nud
lebendige BewnwtBeiiif in der uAchiten Umgebung, in der Gegmd eebor Odmrt
und Hilles doli cntfÜteitdeii Lebens redift in Hiase, recht hetndseli mit der
Natur und mit den NaturenengnisaMi seiner Umgegend recht bekannt und
vertraut zu sein" (FrÖbel).
Da — wie schon Finder klag't — unsere Zeit sich sn sehr von der Natur
entfernt hat, daas viele dem Geschriebeueu mehr glauben alti dem eigenen offenen
Ange, 80 sollen die SchtUer durch eigene Beohaehtvngen frtthseitig mit
ihrer Umgebung bekannt gemacht werden. Sie sollen die sie umgebenden
Dinge nicht aus Büchern, „gleichsam durch Glas, ein dichteres Medium, das die
i^trahlen brirht", kennen lernen, sondern Hclbst mit offenen, klaren Augen beob-
achten. „Darum aläo kein Buch hier,"* obachon es immer noch Heimatkunden
gibt, die „ftlr die JSmbA der Sdittler** bestimmt sind. Ijehren wir nnsere Sehttler
in dem grossen Bndie der Netnr, des aufgeschlagen vor uns liegt, lesen, halten
wir sie an, ihre Andren zn flben. denn „Kinder, die nichts gesehen, nichts beoh-
achtet hab«u, kann mau nicht unterrichrr-tt'' „Zum eigenen Nachdenken und zn
einem selbständigen Urteilen über das Heimatland" (Kerp) wollen wir sie heranbilden.
Sine andre Anfgabe erwächst dem heimatkundlichen Unterricht in der
Termittlnng der Grundbegriffe der aUgemdnen Srdknnde. «Demgemlss
verlangt der heimatknndliehe Unterricht ein Durchwandern der Heimat nach den
verschiedensten Richtungen; er erfordert vom Kinde ein fort L^'setztfts Beobachten
dessen, was in seiner üiosrebung ist und geschieht. Nimmermehr vermag auch
die lebhafteste Vorstell uug des Lehrers die eigene Beobachtung der Schüler zu
ersetisn nnd nnratbehrlich m maeben. Sie mttssen selbst sehen nnd hören, sdbst
mit den Sinnen wahrnehmen, wovon ihnen eine Ansdiaming snteil werden seU**
(D. Laupci (TfTfide die geocfraphischen Belehrungen mttssen vor alleü midem an
die eigeuf Erialirung' angeschlossen werden. „Man niuss zuerst die Augen der
Kinder öffnen, man musä durch die Augeu da« Verstäudniä einziehen lassen, au»
der Betrachtung mnss das Verst&ndnis heranswachsen** (Kath, Refbrmbestrebvngen
anf dem Gebiete des uaturwissenscbaftlidien und geographischen Unterrichts in
Frankreich. Natur nnd Schule, Kd. VI, 1. Heft). „Der Anfang aller Erkenntnis
i.st die Anächannng, das letzte Ziel der deutliche Begriii" (Pe.<«talozziv Nun
kuuuie mau wohl einweudeu, die Schüler hallen bereite ihre Heimut auä der
Aasehanimg kennen gelernt, man braudle die mit zur Sebnle gebraehten Vei^
etellnngen fiber die Heimat nnr wieder wachzurufen. Genaue Erhebungen haben
aber das Gegenteil bewiesen, und die Erfahrunir rfigt immer wieder, wie un-
roUständig und unklar die zufällig von den Kindern gemachten Anschauungen
sind. Zur JErgänzong, Berichtigung und Befestigung der vorhaudeueu Vor>
steUnngen mttssen wir den engen Sehidraam vertansehen y,VBSt der weiter»
Seb^^fungswelt. ans den Ziimmem mttssen wir hinans ins Freie, ins Msehe, fiohe
Leben. Hier ist der Ort, wo die Lücken im Gedankenkreise auszufüllen und die
Mängel in der Erfahrung zu beseitigen sind. Es gilt de.s Kindes Interesse für
die Natur lebendig zn macheu, sein Ange zu Offnen, seinen Blick zu fassen und
so lange anf die Gegenstlade hinnleiiken, bis die Ansebamug Ihre vtttlige Beife
erlangt bat" (Lemberg).
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Sorgen ivir also filr Gewianimg von AnichkUtingen, die ans erster
Quelle, ans nnserer Umgebnncf selbst geschöpft werden. An Stoff wird es
uns nicht fehlen. Mit dem Nahen beginnen wir „und leiten stnfenweise Ange
und Phantasie anf das Entfeniteie'' ^ttX Oleich die erste Oeographiestunde
wird im Freien ^ auf d«iii SchnUiofe — abgehalten. Am besten wiUt man
hierm die letzte Vormittagsstnnde. Die Schüler lernen die Himmelsrichtun|L,'en
CRlchtung des kürzr-t- ti Schattens N), 'lif TaLrt'*:^f'iten, Ort vou Soiinenauf- nnd
Sonnennntergaug uud den Gebranch des Kompasses keuueu. l'm die Himmels-
richtungen einznprägen, wird die Lage bekannter Geb&ude, Berge nsw. bestinunt.
Dann folgt das Ansnesaen und Zeichnen dea Klaasendmmen» dea Sdnügebftndea
nnd der nlhezen Umgebung deaselben. Anf einem oder mehreren Gängen lernen
die .Schüler nnn ihren Heimatort (wichtige Gebäude, Richtung nnd Länge der
Hauptstrassen, Fabrikaiilat'fn , K^^scliichtliche Denkmäler usw.) kennen. Unter
reger Teiluahme der Schüler uud mit Benutzung der gemachten Beobachtungen
wird in der Klasse ein Plan deaselben entwoifen. Nnn folgen Wandemngen in
die nihere Ümgebnng des Heimatortes.
Wohl in jeder Gegend stehen für die grosse Mehrzahl der geographischen
Begrifte heiiiiatliche Vorstellunsren zu Gebote. Es bieten sich Stoffe dar, an denen
sich GrumlheErrif fe aus der physikalisf^hen nnd astronomischen
Geographie erkiüreu la«iüeu, Stoüe topologischer Statur uud eudlich
Ersdieinnngen, welche vergleichende Betrachtungen Uber die gegen-
aeitigen Beziehunge n dieaeT Qebiete ermöglichen. Fast an Jedem Baclu- findet
man mannitrfaltiije I ferformen, Landencren, Landzungen, Inseln, Halbinseln,
Wa.^sertalle. Wie oft bietet sich nicht Gelegenheit, Uber die Verwenduntf der
Wasserkraft, über Laudgewiuu uud Landverlust zu sprechen! Zn beiden Seiten
des Baehea sind Wiesen, deren Qitser je nach ihrer Beeehaienhdt verschieden
sind. Vielleicht sind sie sumpfig und müssen entwässert werden, oder sie liegen
zu trocken nnd werden durch eine nahe Quelle oder dnrch das Wns.^r des Baches
bewässert. Das Gefit!!«» 'les Baciies mes.sen wir. indem wir au verschiedenen
Stellen Korkstttckcheu hmciuwerfen nnd zusehen, wie rasch diese eine abgemessene
Streike durchschwimmen. Li dem nahen Busche hat schon mancher Schttler eine
Nachtigall singoi bOrm. Ein andeier Schiller eizählt, wie er dort einen Fink
gehört und beobachtet hat. An dem Abhänge sehen wir eine Eidechse, die sich
rasch zn Terbergen sucht. Wir stellen fest, da«» ihre FärbnuL' '^-'u Grase
gleicht. ^Schutzfarbe.j Den Landmann beobachten wir bei seiner Arbeit. Die
Utigkeit des Fttisteis nnd Holshauers gibt nns Qelegenhdt ttber den Nutaen dea
Waldes nnd .die Ttexe in demseRMU m spreizen. Wandern wir auf der Land-
ttrasse, so belehren wir die Schiller Ober die Zahlen anf den Kilometersteinen,
lassen mit der T'hr in der Hand 0,1 kra abschreiten nnd dabei die Schritte zählen,
üben die Schiller in Schätzen und Messen, vergleichen die Steine der Strasse nüt
den Sandsteinen des nahm Steinbmdica, besdien uns hier die Schichtung und
Terwittenug der Steine, beobachten, wie das Wasser tiefe Gliben gerissen hat
(Erosion), merken auf den Verkehr auf der Landstrasse usw. Anf einer AnhiShe
werden die Schüler mit «l*-n innerhalb ihres Gesichtskreises liegenden
erdkundlichen Gegtustaudeu bekannt gemacht. An einem Berge oder Hügel
werden die Begriffe Spitze, Gipfel, Kuppe, Abhang, Fum erU&rt, anf die ver^
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gchift'lt'iic Rt^iannncr wird hingewiesen. Unten im Tale flie-'St ein Bach oder
FioBS, auf dessen rechtem Ufer eine Ortschaft liegt und auf dessen linkem Ufer
die Äüm entlang fährt. Kommt vieMcbt ein Personen- oder Güterzug vorbei,
•0 beobaeliten wir, womit die Guterwagen beladen sind nnd apreehen Uber den
Verkehr anf der Bahn. Den Schalem wird aufgegeben, die Beobachtungen fort-
rnsetzen Auch Beobachtnneren flher herrschende Windrichtnner. Richtung der
Bauinkrouen, Wetterseite der Bäuiue (Anhaltspunkte für die Bestimmung der
Himmelsricbtangen), Zeit nnd Ort von Sonneuauf- und -Untergang, Veränderungen
des Mondes, Stand bekannter Sterne usw. werden angestdlt INe Beobaehtnngs-
ani^ben halten die Schüler an, sich in ihrer Umgebung heimisch zu machen,
ihrf' pcr^rmü' he Tutiirkeit wird angsapomt, sie weiden an Veigletcbong nnd an
Verallgemeinerung gewühnt.
Die auterrichtliche Tätigkeit auf den Wandemngeu besteht darin,
dass man an Ort nnd Stelle die Begriffe, die man sich mm Ziele gesteckt hat,
nur Klfttheit bringt. Ein bestimmter erdknndlicher Gegenstand wird angeschant.
die Hanptinerkinale desselben werden unter reger Teilnahme der Schüler fest-
gestellt und hierauf wird erst versucht den nHireraeiueii Be^j-rifif zu bestiinincn.
Hier will ich aber ia keiner VVeiöe auswendig gelernten Begriöserklürnuiren
das Wort reden. Mit diesen kann man scheinbar in Prüfungen paradieren, aber
fftr die AnBchanlieUieit ist wenig oder nichts gewonnen, im Gegenteil, die
SchUer werdf^n eher an gedankenloses .'-^iirecben gewöhnt. Die einzelnen Gegen«
fitf?Tid»' Arerdeii dann besiiroehen. wenn sie sieli «rerade darbieten. Erst am Sehlnssp
eines l^rüsaeren Abschnittes wird da.s Heid)a'htPte und Erlebte iiber^icbtlicL
zuBammeugestellt und nach bestimmten OeäicüLspuukteu geurduet und ergänzt.
„Obenter Omndsats bleibt: nnr was vom Kinde angeschant werden kann, gehOrt
in die geographische Heimatkunde" (Rein, Encjkl. Handbuch der ntdagogik).
• Da.s Lehrverfahren ist also induktiv. Anf diese Weise kilnnen die eisrenen
Beobftchtnntren des Schülers erweitert und vertieft nn<l die reichen .\nschanungs-
itiittel des heimatkundlichen Unterrichts voll und ganz ausgenutzt werden. Auch
bei denBeformbestxebnngen anf dem Gebiete des natnrfcnndliohen nnd geographischen
Unterrichts in Frankreich will man „alles ausschliessen, was ntu* Wortkram nnd
reine (iedäi htnisübung ist, man will die Berührungspunkte mit allen dem ver-
mehren, was real, konkret, unmittelViar brauchbar ist. und durch diese Bemühungen
will man die persönliche Tätigkeit der Schüler auäponieu. mau will sie an
Beobachtung, an Ve^ileichnng, an Verallgemeinerung gewShnen, man will bei
ihnen mittels der sokratischen Methode die Flhigkeiten des Geistes entwickeln,
die dazu dienen die Wahrheit zu entdecken und zn begreifen" (Nath, Natur
und Schule Bd. VI 1. Heft). Es ist aber nicht genu^'. da?s die Schüler von den
einzelnen Gegenständen klare unil deutliche Begriffe erlangen, sondern es mosa
nach der nnlehliehft Zostsmeinhang der erdkondfichea Gcgenstlsde vatereinander
festgestellt werden. Die Schfiler TBVglddien den Pflaaiettreiohtnm terschiedener
Gebiete und ziehen Schlüsse auf die Fruchtbarkeit des Bodens; sie sehen, dass
sumpfige Wiesen andere Gräser anf%reiscn wie trockene: sie finden, dass an den
Sadabhängen und an Stelleu, die gegen die kalten Winde geschützt sind, die
Fflaaten viel flppigw sind als an w^reschfttBten Stellen. An Bachen oder
missen beobachten sie das GeflOle, Ltadgewinn und LaadTerlnat, Terwendnng
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der Wasserkraft, uod wir haben so Teraulasstwg, Uber den Einflnss der BewXsienmir
auf die VerUltnisse unserer Heimat m spredieD. Auf nnsern WiademngeB
leraen die Schüler verschiedene Ortschaften kennen, und es ist selbstverständlich,
«lass wir einen Vergleich zwisrheu (len?t']'>fM! rmstellen: der eine Ort ist gr^^sser
ai» der andere, vielleicht infolge eiues ^früsseren industrielien Unternehmen«
(KaUtboden, Kalköfen — Lette, Ziegeleien, Backsteinfabrilieii — Kolüen, gxQsseie
Fabriken nsw.), oder weil er eben Bahnhof hat. YergrSsaert sieh der dne Ort
immer noch, während \k\ dem andern ein gewisser StUktand zn verzeichnen is^
so vrenlen wir .loch wohl nach Gründen ^nrhen. Oft gremic: bietet sich Gelegen-
heit, „die Bt-ziehnngen zwischen dem Erdboden und seinen Lebewesen, zwischen
der Natur und der Knltnr*" und auf «pätereu Stufen „zwischen den Ländern und
ihren Völkern" (Keip) festanstellen. Was der Anfniehnnng wert iet, wird von
den SchlUera in ihr Taschenbuch eingetragen. Die Lage nnd Gestalt (Profil)
bestimmter erdkundlicher Gfsrenstilndc werden in einer Kartenskizze festgelegt.
i-Terade im Freien kann sehr vi«l für die Einfiibnin^' in »las Kartenverständnis
getan werden, weil hier die Schüler da» Karteubild mit der Wirklichkeit ver-
gldeben können. Deshalb ist es sehr ansnratettf daes der Lehrer sieh eine Karte
der näheren Urogebon^ des Heimatortes nach dem Muster einer guten Kreiskarte
mit Benntznno: der Me?isti«cbblätter im Maasstabe von 1 : 2'y(l^)0 uder ner^b Vp'j^.^r
in einem auch tfröaseren Massstabe anfertigt, und dies*? auf den Wnufierungeu
benutzt, um Urtschafteu, Berge, Bäche, Flüsse, Strassen auf der Karte autznsuchen
nnd ungeh^it nadi derselben zn beetinun«L
Mit dem Unterricht im Freien wechseln Stunden im Klassensimmer
ab. Hier wird das auf den Wanderungen Angeschaute nnd Erlebte zunächst in
der erzählenden Form besprochen. Die Schüler werden wdhl meist Uber N;\f"b-
einanderfolgende« und Gleicbzeitigeti berichten. Falsches wird verbe:it>ert, Fehleudes
ergänzt, unklare und nicht deutliche Begriffe werden zum vollen Verständnis
gebracht. Ist ToUstlndige Klarheit erlangt, so tretm Verknnpfangen (Asaosiatlonen)
ein, mit jeder Wantlening zahlreicher nnd tiefergehend. Begrifflich Gleiches oder
Verw^ndtp? wird Tergliclien , Gegensätze werden bervorcfehoben , örtlich N;i!i->-
-t 'hendeH und Gleichzeitiges wird angegeben. Aber auch Neues wird hinzugelü^a
viüil mit dem schon Bekannten verknüpft. Vor verfrühten und zu vielen Begriffs-
erklämngen httten wir nns, „sie MrmAden nnd nfitsen nicht viel**. Der so be-
bandelte Stoff wird nun nach bestimmten Gesichtspunkten eingeordnet. Die im
Freien gemachten Anfzeichnungen nnd Kartenskisaen bilden die Unterlagen für
die Behandlung in «len KUi^Äenzimmern.
Die Zahl der Wanderungen richtet sich zunächst nach der zu Gebote
8teb«sden Zeit. In kleineren Ottschaften kOnnoi die Wanderungen so eingerichtet
werden, dass meisteiiB eine Stunde ansreieht. Hier kann man also, besonders
wenn nur eine Klasse unterrichtet wird, mehrere Wandarnngen machen. In
grösseren Städten wird man wohl die einzelnen Waiidenincren auf mehrere Stunden
aoddehnen müssen, dabei kann mau aber ihre Zahl beschranken. In einklassigen
Sehnlen mnae man wohl mit 1—2 Wanderungen ansxnkommen snchen, wenn es
nicht möglich wird, die Schiller tn Wandernngoi in ihrer freien Zeit an bewegen.
Dann ist die Zahl der Wanderungen aber auch abhängig von der Boden^
beschaffenheit der Ueimat, yon dem Vorhandensein der erdkundlichen Qegen-
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stittde, an denen die Qnindbegiiile ▼entändlich gemeeht werden kfonen.'j ,.10»-
llttge in die Umgebiuir det Sehnlortef aoUen niebt Uoes von Zeit m Zeit eder
zur Abwecbslaug und Erholung^ stattfinden, sundem so oft der heimatkundliche
Unterricht die gründliche Aii^channiie: eines Ohjektea notwendig macht'' (Tnuili,
Die Anschaulichkeit des geographischen Unterrichts).
Die Wanderungen ine Freie kommen nber nicht nur d«n keimatkimdlidien
üntanieht sn gate, indem ne die SchUer mit den erdkundlichen Grundbegriffen
bekannt machen tmd die Heimat schfttzen und lieben lernen, sondern »ie Oftien
auch Angen und Ohren und tragen so wesentlich zur ('bnnf und Schärfnnq: der
Sinnesorgane bei. „Diese Austlilge lassen tiefe Eindrücke zurück und wirken
mehr anf dea Denken nnd Wollen der Kinder, als selbst ein gut geleiteter Unter-
ridit in der Sehnlatnbe'' (Trunk). Znr pftdagogisehen Würdigung der Wande-
nmgen darf anch nicht ausser acht gelassen werden, dass der Anfeuthalt in der
frischen Luft ffcsini li r ist al^ in den Zimmern. Namentlich für >lie Kinder der
grösseren Städte iät en eine Wohltat, wenn sie fUr einige Stunden aun dem Staub
und Baach, ans dem Hasten nnd Jagen, dem Lärm und Gewühl, ans den licht-
armen Bäumen in die ruhige, firiiehe Natur hinauskommen. Hier im Freien kann
anch ein viel ungezwungener Verkehr zwischen Lehrer und Schtilern herrschen,
der Schuler tritt dein Lehrer viel näher, der Lehrer lernt die Eigentttmlichkeiteii
seiner Schiller viel besser kennen.
Darum, so oft als es der Unterricht fordert, hinaus ins Freie, dann tritit
uns auch nicht der Vorwurf, den Berthold Sigismund Tielen Eltern macht:
nStatt das Kind in Flur und Wald zu fähren, um die Wirklichkeit beobachten
zu lassen, gibt man ihm Rücher mit nnn>htic:en . nn?rhönen Bildern; statt es
zum Ameisenhaufen, Hieueukorbe und Vd^ehicste zu geleiten, überreicht n)ftii iliiu
ein Fabelbuch; statt es durch Wanderung mit der Heimat vertraut zu macheu,
schenkt man ihm eine Beiaebesehreibnnir nach dea Wendekreisen mit den grellsten
Abenteuern! Von solcher i»a]iicmen Eniehung rtthren so viele Mingel nnaeies
jungen Geschlechtes her.**
IL
Jugendvereine.
Ein Vorschhig sur Weitereraiehung der sehulttitlassenen Jagend.
♦
Von A. Pietssch, Anstaltslehrer in Brännsdorf
Die Klagen über die Unbotmässigkeit der aus der Schule eutlasseueu Knaben
w<^en nicht Terstnmmen, ja, vermebien sich alljährlich. YorkomuMide Bohdten
und Frechheiten der jngmdlichen ArbeiterbeTälkerung, die Veriiöhnung jeglidier
*) Unterrichtagänge müssen in den Lehrplan eingefüllt s* in, mit 1 — 2 Unter-
ridltsgfingen wird nichtn erreicht. Nirht unr dem erdkundlichen, sondern auch
dem natnrkuiidlichen und |feschi( htlichen Unterrichte, dtr Bekanntmachung mit
Verkclin»- und Wohlfahrtseinrichtungeu usw. usw, müssen die Lnterhchtsg&uge
dienstbar gemacht w i l< n Die Heimat ist ein Abbild aller menschlichen Ver-
hältnisse in grosserer oder geringerer Beschränkung. D. B.
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Avtocitftt, die endireekMid giou» Zahl der gariebfUehen VenirteUiiDgen Jugend-
licher lassen bei einem jeden Freunde des Volkes und der Jugend tiefe Be-
kömraeniH \v^<'h werden. Wir ist «lies zu erklären trots einer wohlan'sccehantpn
Volksschule, trotz mainagiui-her Massnahmen zur Jugenderziehung seitens des
Staates uud der Gesellscliaftl-'!
Das« die Y erhetmiig der Jngend durch die Soaialdeinokimtie in Dentsehland
eifoigfeieh gewaieB Ist, dafür hat aneh der interoattonale Kengreia der eodal«
demokratischen Jugendorganisation, der im Änschlnss an den internationalen
sozialdemokratischen Kongress in Stutfsrart stattfand, den Beweis erbracht. Von
Ö9Ü00 Mitgliedern, die dem internationalen Verband angehören, entfallen auf
DentaehlMid nieht weniger als 6800. Davon sind Auguhörige der jungen Garde
in Hannheim 4600, die rieh auf 790 Ortegmppen Terteilen. Der Verband der
fr'-ien Jui^t- mlorganisationen, der in Beriin vor einigen Jahren getn'iindet wurde»
hiiT Miti^Iiedcr in 15 Ortsgnipp^n. darunter Berlin. Hamburi^. Bremen usw.
Iii ürosa-Berliu sind in ungefähr 20 Filialen 1300 Mitglieder verzeichnet. Die
letitere Organisation wird sonderbarerweise als unpolitische bezeichnet. Das
geaehiebt jedoeh lediglich mit fiflckaicht auf daa VerrinageBeti, das die VeielBs-
bildung von selten jugendlldier Peisonen nntersagt Im Übrigen witd ahtr in
den VerÄamniliii;i" u der jugendlichen Organisationen genau so verffihren, wie in
den Tersaraiulun<,'eu der jungen Garde. Die Behörden lassen diese Versamminnsren
überwachen, und nicht wenige davon sind schon polizeilich aufgelöst worden,
weil die Redner Themata erörterten, die tlbw den gesetsliehen Bidtmea hlaaiis-
gingen. Der T,eit<^r der juni,'en Garde ist der neugewühlte .\bgeordnete Beidlta-
anwalt Dr. Frank-Mannhtim , während in Berlin die Leitnnir der eigentlichen
Jugendorganisation in den Händen de^i l{e( htännwalts Dr. Karl Liebknecht liegt,
gegen den eine Anklage wegen Uochvenatä verhandelt wurde.
Daas die Verbinde and Terrine Ten jugendUehen Axbritem und Lehrlingen
krinen andwn Zweck habeUt als den jnngen Lenten daa aorialdemekratiaebe Gift
einzuimpfen nnd sie vor ihrer Einstellung in den Militärdienst gegen den
,,MiHtarismu8" aufzuwiegeln, zeigen klar nnd deutlich folgende Stellen ans einem
Leitartikel der „Jungen Garde", des Organa des Verbandes jugendlicher Arbeiter
nnd Arbriterinnoi Deittaehlands. Kmshdem anagefUiit ist, wdeha Fertschritte
die aonialdemokratiache Verhetsnng der Jagend im Anslande gemaeht hat, heisat ea:
„Und in Deutschland haben, trotz Polizei nnd Staatsanwalt, die Blätter der
beiden Jugendorganisationen heute srLon 12(K>) Abonnenten. Die snzia!i?'tiäche
Jugend der ganzen Welt ist einig. D&s BewussUseiu gleicher Ideale schlingt um
ans ein nnzeireissbares Band . . . Und wir pflanzen in die jungen Herzen den
Glanben an die neue Zrit, die sie sehaiFen sollen, den Glanben an den Sorialiamna.
Und \vie nach der schonen Erzählung tler Bibel ein Engel mit dem Flammen-
jchwert den Eintritt zum Paradiese wehrt, — so hindert der Militarismus mit
bewaäneter Fuu»t im Dienste der herrschenden Klassen die Entwicklung einer
Gesellschaftsform, die nidit auf Ausbeutung und Unterdrückung beruht. So
lehxen wir die Jngend, den Mititarismna als Henuaschnh des Fertschritte an be<
trachten. Wir verkennen dabei nicht , da»^ die Erscheiamgaformen des Milita>
n^mns nnd <«omit «lie Arten ariner Bekämpfung in den TerBchiedenen Ländern
verschiedeu sein mtlsseu."
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— 313 —
So gribt die Soaaldemokratie in die Heraen nnserer deatsehen Jugend den
Hass gegen das IGlltir «nd den Sinn der Unbotmässigkeit ein, der die Unter-
ordnniiL' r.nm unbekannten Becrriffe werden lässt nnd natnrg-einiiss spSter zn flen
8cbwerst«a Folgen führen mnsa. Darum sollten sich gegen eine solche Art der
Jngendanictag einmütig alle Kreise wenden, die der hemnwnelisenden Jugend
Glttek und Zufriedenheit gönnen, lin gatee StBek Volkswohl gilt es vor Itienden
Giften zu bewahren; de mvss jeder Tolksfreunil tütige Mithilfe leisten!
Es ist nicht abzustreiten, dass eine klaffende LUcke in der Erziehung der
Jngeud zwisthen Sebnlentlassung und der Militärzeit liegt. Diese LUcke wird
durch die voUstäudig veränderten sozialen Verhaltuisbe , in die Meister und
Lehrling, Aibeitgeber nnd Arbeiter versetst werden sind, grell belenehtet.
Der Lehrling, der frfther der TAterUchen Antoritftt des MeisterB geswnngai
oder ungezwungen unterstellt war, entsieht sich seiner Aufsiebt mehr und ittcSir.
In grösseren Städten h'^-^on-lers ist er nur am Tage Lehrlin^^, da er zu Han?e
wohnen und schlafen muss. Durch dieses Doppelleben können weder Meister
noch Mtem die reehte Kontrolle ans&ben. Andere Handwerksmeister sind froh,
wenn sie ttberhanpt tinen Ldirling erhalten, da der Zndnuig snni Handweik mit
Ansnahme einiger Zweige sehr nachgelassen hat. Ist ein Lehrling geschickt, so
weiss er sehr bald, wie ^nt ihn sein M^istfr brauchen kann. Er beginnt den Kopf
höher zu tragen, und wenn ihn der Meister nicht Terliereu will, so mmn er gar
oft gnte Miene snm bösen Spiele machen. Dazu kommt, dass die Lehrlinge ihrer
grosseren Abblogigkeit wegen von sogen, freien Arbeitern ihres Alters vwspottet
werden. Da ihnen die höhere Einsicht in ihre Pflicht noch fehlt, suchen sie sich
nnd ihren Kameraden durch Frechheit nnd Rüpenuifti^keit zrx imponieren. Die
Freizeit an Sonn- und Festtaji,'en bringt hir die I>ehrliiic:e insofern die Anrcining
zum Schlechten, als die jageudlicheu Fabrikarbeiter über ein verhältnismässig
reiehes Tasohengeld verfttgen nnd den Neid des Lehrlings noch dnreh hVhnisehe
Bemerkungen ins üngenessene wachsen lassen. Ein Griff in die Ladenkasse, ein
Betrug oder eine Unterschlagung ist dann vom Lehrling leicht ausgeführt, um
bei den andern „jungen Herrn" durch freigebiges Geldausgaben Kuhm und An-
sehen zu ernten.
Vid mehr noch steht in Gefahr der jugendliehe Fabrikarbeiter.
Bd ihm fehlt jede Einwirkung des Arbeitgebers. Es wird lediglich ein
Vertrag «her die Arbeitskraft und Entlohnung des Arbeiters abgeschlossen, der
jeden Augenblick von <len Vertrac'sch liessenden wieder gelöst werden kann. Der
Arbeiter bat sich der Fabrikorduung zu unterwerfeUt um sein Treiben ausserhalb
des Fehriktoree hat sieh niemand ni kttmmern. Zwar widmen sehr idde dieser
jnngen Leute hei den Eltern, aber sdhst dann ist ihre Bewahrang vor dem BVsen
auch meist unzureichend. Die Eltern getrauen sich nichts zu sagen, um die
zahlenden KostgÄnger nicht zu verlieren, nnd 8pftt(?r sind ihnen die Herren Jungen
über den Kopf gewachsen. .Mit dem zeitigen und mitunter reidilicben Geld>
wrdienst wissen die Barschen nieht Tiel ananfangen, er bringt sie war anf
Abwege. Damit hängt «laammen, dass eine gewisse Oiössimnnssndit sie beflUlt^
die sich im Biertrinken, Rauchen und Prahlen unangenehm bemerkb» macht.
Rücksichten anf ältere Leute oder Re^pektfpersonen zu nehmen, gilt ah
schwächlich. Darin werden sie durch sozialdemokratische Irrlehren unteistUtst
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niid gettfttkt. Die Mnaldonokratteclie Jngendieitodiritt ^Die jange Oude^ gibt
d«fttr saUreielie Bekge. Aneh sonst sadit die 9e«ialdemoki«tie «Itoe Gute und
Edle in ihnen dnrch Einimpfung blinden Hasses gegen StAat nnd Gesellschaft zn
ertränken, lediglich nm ans parteipoHti«'heii Motiven einen Nachwuchs zn ge-
winnen, der den regierenden Führern willen- und gedankenlos Gefolgschaft leistet.
Die dritte Gmppe, nm die es sich in vorliegenden Ansfabrungen bandelt,
lüden die Undwirttcliaftliehett Dienstboten.
Es sind sehr oft die geistig minderwertigsten Xnaben, cUe sidi diesem
Bertife widmen. Er bietet ihnen Geleg^ibeit, ihre Kdrperkxifte voll ansxnntttsen,
und sie mv\ m den einfftcheren Arbeiten wohl zn verwenden. Ihre g'eistige
Schwerf&iii^'keit erklärt den Mangel jedes Bildnngs'lranii-es , wiihrend j<ich die
überquellenden Korperkräfte in einer gewissen Boheit, die sich in Worten und
im Betragen zeigt, Lnft mseht Statt die Awwftchae an i^em Gesinde na
bekämpfen, ist der Ontsbesitaer geswimgea, seine Leute in verwOhneu; denn
der Dienstbotenmangel ist gross. Ein unfreundliches Wort kann schon bewirken,
da«> der Orhfen- oder Pferdejnnere den dringlichen Lockungen eines liebens-
würdigen Nachbarn Folge leistet und gerade in der dringendsten Arbeit unter
einem nichtigen Verwand absiebt.
Haboi wir bis jetzt die nniiebsamen Ersebcinnugen an einem Teil imseier
Jünglinge ans den sozialen YerbUtnisien zn erklären gesncht, so dürfen wir
dabei nicht stehen bleiben; denn wir finden dieselben Klagen nicht erst in
unseren Tagen. In einem 1858 erschienenen Schriftchen: Über die Ungezogenheit
der beutigen Jugend. Ein pädagogischer Mahnruf an Eltern und Erzieher von
Dr. £. W. Wiedenhidd" — heisst es : „Die Ungezogenhdten der Jngend onserer
Tage sind eine so weitTesbreitete, so grell nnd Iceeli tierrortretende Eiscbeinnng,
dass wir dieselbe fUglicb als allenthalben bekannt und als allgemein bitter emp-
fiinden vnran«isetzen müssen. Ja, die Sache ist so offenkundig: und allgemein
beklagt, dass wir in onsem Wabmehuiungen durchaus nicht vereinzelt dastehen,
sondern vidmehr von der Tmranssetzuug ausgehen dfirlen, dasi dae ganae Utere
Geschlecht tief Ton ihr berOhrt, nnd dass namentlieh Tansende von Eitern, Lehrern,
Predigpem nnd Erziehern auf die sehiuerzlichste Weise davon ergriffen sind." Der
Verfa«<8er findet die Ursache dieser Erscheinung lediglich in ilnnseren Verhältnissen,
ohne der Psyche des heranwachsenden Menschen Beachtung zu schenken. Daraue
erlü&rt sich auch , dass er in seinen Vorschligen zur Bekämpfung dieser Obti
nm Teil anf ICttel geiftt, die nnr Insseriichen Erfolg ndtigen können.
Die Zeit nach der Schnlentlassnng ist fttr den jangen Menschen die
kritischste. Die rasche körperliche Entwicklung, insonderheit der Eintritt der
Fulertftt äussern ibr^n Einfinss anf die psychische Entwicklung. Dazu treten
die veränderten Lebensverhältnisse, die im Verein mit den psychischen Ein-
Wirkungen den Charakter bestimmen. Wagner>) behauptet sogar, dass „der
JQngling am Anfange neeh Tollstladig unter dem Einflnsa des Körpers stehe.
An ihm ist alles phjrsiologiseher Reflexe Gana sicherlich hensohen im jogend-
') Zur Naturgeschichte des Fortbildunfi^sschillers. Ein Beitrag zur Kenntnis
der Altersstufe, die in den Fortbildungsschnfen nnteirichtet wird. Leipzig, Hahna
Veilsg 1«07.
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liehM Alter di« GefShle vor, die sam grünen Teil in k^rperlichtn ZnBtlndM
ihren Ursprung haben, während die notwendige Kritik dieser GefUhle noch zn
schwach einsetzt. Daran sollte jeder denken, der mit dieser Altorsstnfe in Be-
rübmng tritt. Erst am Ende der JüngUngszeit ist eine gewisse Heife des GefühU
und Ventaudes und eine Wechselwirkiuig swischen beiden zu enrarten. Toiker
gftrt die Natur — ans dem jungen Host kann ent nach und nach klarer Wein
werden. Dass das nicht ohne manche körperliche und aeeliadie SlrMh&tterang ab-
geht, ist leicht erklärlich, und dass in dieser Zeit der junge Mann eine richtis^e
Leitung nötig hat, ist oft schon gesagt, gewUnscbt und ausgeführt worden.
Staat, Kirche, Schule — olle werden aufgefordert, ihre Pflicht m erflUlen und
ilianehe Einrichtnug sengt daTOn, dam man allerorts bemttht ist, Hand ans
sn legen.
In ersttT Linie ?oll die Schule ihren Eiufluss geltend machen und die
Leitung uberuelimeü. Die obligatorische Fortbildungsschule wird mit Kecht in
allen Staaten erstrebt und hat dort, wo sie schon besteht, sicherlich reichen Segen
gebracht. Jedoch allen Anforderungen kann sie aneh nicht gerecht werden. Ihre
sittliche Einwirkung ist meist sehr gering. Dies tritt bei ländlichen Fortbildungs-
schulen besonders liervnr. dn in den wenigen Woclu-iistundeli. die im Sommer an
vielen Orten ganz wcgtalleii , eine tiefere Kinwirkuni,' auf das Seelenlehen der
JUnglinge nicht müglich ist. äoU nicht geleugnet werden, dass liir i^luilinss
grosser wird dnreh die Stdlnng des Beruh in den Uitteipnnkt, wie es jetst
immer energischer v<m den Fortbildnngsschulmännem gefordert wird. Ein
lehendicreres Interp«;,*^ am Unterriclit wird siclierlich areweckt und dadurch eine
tiefere t^ittliche Einwirkung gewunnen. Dabei ist aber nicht zu verkennen, da^ss
die Fortbildungs^hebule eben „Schule * bleibt und von den jungen Leuten jederzeit
als ein listiger Zwang geftthlt wird, wenn sich hd ihnen auch mit der Zdt die
Erkenntnis von der Nützlichkeit dieser Einrichtung Bahn bricht. Froh, die
Pforten der Volksschule hinter sich zn haben, zwingt man sie sofort in dxs neue
.loch hinein. Die Fortbildnufirsschnle ist wolil imstande, sie wt iter zu erziehen,
aber uicUl den wichtigen Lbergang zur Selbsterziehuug herzustellen.
Übung zur Selbsterziehong bietet die freie Zeit der Jugend. Darum mttssen
die Erwachsenen FttUung mit den Janglingen in ihrer freien Zeit an gewinnen
anchen, ohne dabei einen Druck zu erzeugen, der den jungen Lent^ listig wird.
Eine rer hte Verwendung der Freizeit ist unserer schttlentlassenen Tugend sehr
schwer j^emacht. Die schulentlassenen Kuabeu sind weder Frosch noch Fisch.
Kinder wulieu sie nicht mehr sein, und die Erwachsenen mögen noch nichts von
ihnen wissen, seh«! sie m^ als „dumme Jungen" an. Sie ahmen nun vletcs
den Erwachsenen nach, nm den Abstand swisehen ihnen und sich tu verringern.
Er- wird o^erancht . man trinkt schwere Biere, sucht durch allerhand RUi)elei«'U
sein Auseben zu erhöhen, verütjt im VoUgefllhl seiner Kräfte allerhand Sach-
beschädigungen usw. Wer wirft den ersten Stein auf sie? Die ganze Natur
des Jfinglings drängt anr Betätignug, der kritisierende Verstand ist an sdiwach
und niemand kQmmert sieh frenndschaftlidi um den im Übermut Dahintanmelnden.
Zwar nehmen sich die Jünglingsvereine der Jugend an. Aber auch dort
fühlen sich die jungen Leute nicht recht wohl , sie sind innner wieder die
„Kinder", die sich fügen müssen, die nicht bestimmen dürfen, die kommandiert
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— 315 —
werden, Iran, die «ueh hier nidit für toII angesehen werden. Und dies verleitet
iriden den Beitritt la diesen lonst eo segeureiehen Sinriehtniisen.
Ont, so itellt «ie doch anf eigne Fflsse.
Ich habe dasselbe Zntoinen zu nneerer Jugend wie Biaman^ nun jungen
Deatschen fieich, das er nur in den Sattd setsen wollte, reiten wOide ee sdion
können.
Die Sozialdemokratie hat wohl empfnndeu, von wekliem Werte die Ein-
wirkung auf die halbwilchaige Jugend iat. Sie sammelt dieselbe, gründet
Vereine, dchert aber der Jugend in diesMi Vereinen die grOaetmSgliebBte SeLbet-
stiindigkeit. Der Spott Uber diese „1>amnien-Jnngen> Vereine" hindert nicht, das«
sie siih zn grosser BllUe entfalten. In diesen Vereinen wird die Jugend in ein-
seitig part^'iitolitischer Wei.se beeinflnsst. «o ilaa« es gelingt, dif» Srhfxrpii der An-
häuger der doziaidemokratie zu renuehreu und einen Nachwuchs grosszuziehen.
Ist man mancherorts sogar in der Lage, Vereinsaeitungen heiansai^lMn. Wamm
nimmt man das Gesunde aus dieser Idee nicht anf?!
Damm gründe man an allen Orten JngendTereine, in denen
die T u <<: e II d a u l h H r r r ist! „Knaben und Jfingllnge rnttssen gewagt werden,
nm 3Iüiiuer zu werdeu.**
1, Zweck dtvs Veri'iiis. Soiii vuriiflimster Zweck besteht in der T'bnno'
ntirf Anleitung zur ielbsttTzieluiut:. r»r. Schneidt r sagt in Schraid's Pädagogischer
Eucyclopädie : „Es muss dem Knaben die Gckgeuheit gelassen werden, zu wollen,
ja. er ist unter Umständen gersdesu in die Lage zu bringen, wollen in rnttssen."
Die Jungen müssen lernen» sich selbst in Zncht an nehmen. Dies ist mOglich
durch freiwillige Untfrwerfung unter eine selbst und von Altersgenossen her-
gestellte Verfiniordnnntr. I>ie>p bf'diTTjt zugleich eine gegenseiticrp Unterstützung
und Kontrolle. Das Ehrgefühl wird iiugespornt, indem jeder verptlichtet ist, den
Schild des Vereines rein an halten. Höflichkeit und GefftUigkeit sind Vor-
bedingung eines jeden Gemeinschaftslebens. Unterdrtteknng der Bohheit, Gemein-
heit und niederer Gesinnung, dan» alles soll und kann durch diesen Zu.sammeu-
R«^hln««55 der Jugend erreieht werden. Inwieweit Hne Heranziehung der weiblichen
Jngeud möglich ist, luiiv^i von den lokalen Verbal tuisscii ab.
2. Mitirliedschaft. ijibt ordentliche und ansserurdeiitliche Mitglieder.
a) Ordentliches Mitglied kann jeder junge Mauu nach seiner Schulentlassung
bis inm 20. Jahre werd<m.
b) AnssarordentUcbes Mitglied kann jeder Brwaehsene werden, der Interesse
für die Saehe besitet.
Den ordentlkhen Mitgliedern ist der Vonriti^de, Kassierer und die übrigen
Vereinsbeamten zu entnehmen. Von den ausserordentlichen Mitgliedern hat eine
Anzahl beriitemle Stimme, und einer oder mehrere erhalten die Beftignis eine
gewisse Kontrolle auszuüben.
Die Hauptsache dabei ist, dass bei den jungen Leuten das Bewusstsein da
ist, dass sie diejenigen sind, die die Saehe halten. Dies Bewusstsein soll Be-
geistemag nnd Akteresse bewirken. Die Erwachsenen, die beraten und kontroUleren
sollen, rnttssen es Terstehen, hinter den Kulissen die Zttgel in den Hftnden in
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— 3i6 —
halten, ohne et der Jng^d merken zu hamk. Von gnns allein wird ale Vor-
sitzender einer <Ier tflcliti^rsteii nud besten jnngen Lente gewählt werden, auf den
die andern als auf ihr Vorbild hinblickeu. Mam trlanbe ja nicht, da?«; die Jtinglince
einen UnwtirdijLjen wühlen; nein, gerade die Freiheit nötigt sie, eich
selbst Zügel anzulegen. Wird diese Freiheit beschnitten, so schwindet die
BegeiBtemngr gar bald, die fieteUignng geht nrHelc, die Veranstalter bekemmen
es bald satt (siehe JQnglingsvereine), wenn sie nicht von Amts wegen daza ge-
zwungen sind. Es ist für die von mir vorgeschlasreiien Jne:eiidven ine von g^rSsster
Wichtigkeit, dass mf5glioh8t viele Erwachsene al» ausserordentliche Mitglieder
beitreten. Nicht nur die sogenauiiteu „besseren'' Leute, die Besitzenden des
Ortes, dnd heranansiehen, auch die etn&ehsten Arbeiter kOnnra diesem Werke
durch ihre Mitgliedschaft nützen. Wenn die Bespektspersoneu des Ortes, insonder-
heit Geistliche und Lehrer, allein dabei sind, so wird bei der Jugend leicht Mi^?■
trauen erregt, ja, das £ltenibaiis arbeitet wohl gar in Verkennung der 21iele
strikte entgegen.
3. Gründung des Vereins. Die erste Auitiguug wird meist vom Geist-
lichen oder Lehrer ausgeben müssen ; aber so bald als mßglicb ziehe er sich in
wdser Besdirtokong mt^lichst snrttck und suche den jnngen Yettan unsiciitbar
zu fördern. Findet sich im Orte eine geeignete Person, so dürfte es sidi viel-
leicht empfehlen, dies?^ zn vi rrnilassen, die Initi^Ativc zw ergreifen. Ti^hrfr und
Geistliche trag^en tilr di* i ii^end immer das Odium des Schul- und Zwangs-
mässigen. Auf dem Lande und iu kleinen Städten ist die GrQuduug solcher
Veimne leicht su emH^Tlichen, ihr Bestand ist am ersten gesichert.
In einer Gemeindeversammlung, einem Elternabend, einer öffentlichen Ver^
Sammlung veranstaltet Ton irgend einem Verein ist das Projekt den Erwachsenen
YOiiulegen und von allen Seiten zu beleuchten. Ja, es Hessen sich auch im
Anschlnss an schon bestelu nde Vereine i'Gewerhevereiu, Arbeiterfortbildnncrs'VpreiTi)
Jugendabteilungen angliedern. Durch persönliche Rücksprache sind junge Leute,
die einen gewissen Einlluss auf ihre Kameraden haben, zu gewinnen, und einer
von ihnen ist surEinbentfong der konstitoierenden Versammlung m Teraalass«.
Neben möglichst vielen JAnglingen ist auch das Erscheinen Erwachsener er-
wünscht, um den Anschein zn vermeiden, als gelte die Sache nicht viel. Nun
ist auch den jungen Leuten die Angelegenheit klarzulegen, wobei zu beachten
ist, dass sie nicht als Kinder behandelt werden, sondern als gleichberechtigte
PersOnliidikeiten. Sie sollen ja durch die Venutstaltungen ttbw nch raporgehobcn
werden; dann muss es auch änaseiüch geschehen. Bei den Besprechungen sind
die Juj^endlichen möglichst alle herauznziehen : troti ihrer t'ngreschicklichkeit
müssen .sie immer wieder ermuntert werden, die Erwachsenen niü.s.-ien in den
Hintergrund treten. Die Vereinssatzungeu dürfen nicht durch äusseren Zwang
gegeben werden, sondern mttsaen durch die jungen Leute, wenn auch unter An-
leitung nud Mithilfe Erwachaener, selbst geschaffen werden. Freiwillige Unter»
Ordnung wirkt nachhaltiger, tiefer als erawnngene.
4. Veranstaltungen. Die Jugendvereine sollen eine .\usfüllnng der Frei-
zeiten in nutzbrinq-ender Weise eimr^trliehen. Es ist auf körperliche und irei>tige
Ausbildung zu achten. In grösseren Vereinen sind Ansscbilsse za bilden, die die
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— 317 —
YerauBteltiiiigen aaMnarbeiteii und la leiten haben. Bei gtUutIgem Wetter «ind
gemeinBchaftlicbe Wanderungen zu unternehmen. Dies wUrde natürlich nur die
Sonn- und Feiertago betreffen. K'/uzern Freizeiten sind durch Tum- und Sport-
spiele auszufällen. !ni Winter tritt der Eialaui und bei irünstigera Gelände die
Ruscbelschlitteulabri hinzu. Schon die Herstellung der Plätze und Bahnen bietet
dne anregende und gesnndheitftfrdenide Beschlftigung. Grossere «nd gut «ob»
gebaut« Vereinigiingen können aadi Gelegenheit nnd Anleitung zu HandfeftigkntB-
arbeiten bieten. Allerhand Vorträge, womöglich mit LiobtbildervorfBhrmiß-Pn. an-
retreu'b' ^''piele, eine gutgesichtete Bibliothek gewähren auch der jjeistiaren
Änsbüduug genug Gelegenheit. SelbätTerat&ndlich hat jeder Verein sich nach
seinett mtteln, seiner Gitese, seinen lokalen EigeDtttuUchkeiten sn liehten. AUe
diese Darbietungen ktanen nicht allein Ton den jungen Leuten ins Werk gesetst
werden: die erwachsenen Mitglieder müssen sich daran beteiligen, se! es als
Anreger, als Veranstalter oder auch als Publiktxm
5. Käumlichkeiteu. Um die Zn^^ammenktinfte iibznhalteu, ist ein Kaum
zu mieten. Vielleicht ist eine Behörde zu bewegen, im Interesse der guten
Sadie Mnen soldien snr TerfOgnng sn stellen oder gegen ein geringes Entgelt
zu überlassen. Als Ziel für grosse Vereine schwebt mir ein eigenes, zweckmässig
eingerichtete«? Vereiushans vor. Ein Spielplatz Ist ebenfalls notic:. Im Vereinf-
zimmer i?t für eine Anzahl TTtterhaltungsspiele (Brettspiele, vielleicht auch
Billard;, einige Zeituugeu, eine gute Handbibliothek zu sorgen. B«;i reichlichen
Einkttnften nnd grosser 0|tferwiIligkeit einselser PereSnlichkeiten nnd Behörden
v>\\Tvu einem Versammlttngsiaum Lesezimmer, Spielzimmer nnd Werkatfttte für
H .1. If' rtii^keitsarbeiten nnzngliedern. Die Überwarhung dor Zimmer nnd
Emrichtunj^eu wUrde einzelnen Mitgliedeni als Elnenanit zufallen und erfüllte
damit einen pädagogischen Zweck. In den Vereiusräumen werden billige alkohol-
freie Getrlnke abgegeben. Dieselben sind auch gegen Marken sn erhalten. Solche
Marken kOnnen sich Meister, Dienstkenren nnd auch Privatlente kaufen und sie
als besondere Belohnunsron oder an Stelle ron Trinlcceldem an Lehrlinge und
jugendliche Personen abgeben. Dadurch wird einnuil jeder niissbrilucblichen
Benutzung des Taschen- und Trinkgeldes vorgebeugt und zugleich der Besuch
der YereinerSnnie gefordert.
Ob diesee Vereinszimmer nor an Sonntagen oder aneh an anderen TagMi
geöffnet wird, zu welcher Tageszeit und wie lange es zu geschehen hat, hängt •
von der BedUrfnisfrage und den örtlichen Verhältnissen ab. Im Auge ist zn
behalten, dass es ein Zoflnchts- and Bewahrungsort für die jungen Leute während
ihrer IVeisdt sein «oll.
6. Finansiernng. Da die VerdnsbeitrBge (Stenern) der Jttngliiige nnr
gering sein können, ist es nicht möglich, damit die Anforderungen zn decken.
Die ausserordentlichen Mitglieder werden es hi !. nicht nehmen lassen, nach
Kräften beiza:^teuem. Industrielle Untemehnuiuifeii (Aktiengesellschaften), die
junge Leute in ihren Betrieben beschäftigen, werden gern bereit sein, namhafte
Untenttttsongen sn tpendoi. Da daa üntemehmen Ar eine jede Gemeinde nnd
seihst den Staat von grogsem Nutzen i^t. werden auch diese beiden Faktoren sidi
nicht 8tr:iTibfn, ein solches Vorhaben nach jeder Richtung hin zn begünstigen.
So ist im Königreich Sachsen angeordnet, dass die Übersohttsse der Gemeinde»
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- 3i8 -
Sparkmen n gvmeinBtttsigen Zwecken verwendet werden. Eier bietet sick
eine Gelegenheit, dies Geld dnrch den idealen Gewinn, die sittliche FCrdernng
'le? künftigen Geschlecht? , sich reichHch verzinsen zn !a?sen. Sozialdenkende
begüterte Privatpersonen werden gern helfend diesen Vereinen beistehen, wenn
es gelingt, de flr die Ziele denetben m begeiste».
Der Zneemmeuchlnu der emadnen Onsrereine m Be^ke-, jk Lendee-
▼er^gnngen läast bei genügendem Ansban fftr die einzelnen Vereine grosse
Vnrtpile irhoflFeTi Wichtig ist mir, daw der kleinste Ort wie die grOeste Stadt
imstande sind, den Gedanken in die Tat umzusetzen.
IMe Weitererziehung der schulentlassenen Jugend ist ein sozial-pädagogisches
Problem von grOseter Bedentang. Jeder Bttiger hat die Flieht, deeselbe Um
sn helfen, das ganze Volk, nicht einzelne Kreise geht et an 1 usteine
ergeben eim feste Maner. die unser Volk schfitsen soll gegen den Verfall. Jeder
soll daran mit bauen helfen.
Wer die Jugend hat, der hat die Zukunft.
III.
Ferienkurse.
Ferienkurse in Jena vom 5—18. August 1908 für Damen nnd
Herren. Diis Pro^'ranim für dit- Kurse zeigt fttr dieses Jahr wieder ein»' ir.iiiz
bedeutende Erweiterung auf. Die Zahl der Teilnehmer war im vergaugeueu
Jahr bereite anf 631 gestiegen, wfthiend der erste Kmane im Jahre 1868 nnr 85
aufwies, ein Zeichen fttr die Lebensfähigkeit und wachsende Bedentnng der
Institntion. Das diesjährige Prog^ramm £:liedert .licli in 7 Abteilungen: Xatur-
wistieuschaft (12 Kurse), Pädaijogik (9 Kurse), Kolonialwissenschaft (4 Kurse),
Schulhygiene (6 Kurse), Theologie, Geschichte, Literatur (ö Kurse), Sprachkurse
(5 Rnree), SfationaUIkonomie nnd Sozial Wissenschaft (12 Knrse).
Im Ganzen werden 83 Terachiedene Knrse gehalten, teils 6-, teils ISetflndigeL
Xen sind in diesem Jahr die Abteilungen für kolonialwissenschaftlicbe Kurse,
welche die besondere Aufgab« verfolg-en, in den weite.«ten Kreisen das Verständnis
und Interesse fär unsere koiuuialen Bestrebungen zu beleben, und die seitens
der dentsehen Kolonialgesellsehaft energisch gefordert werden, flli National-
ökonomie nnd SosialwiMenacbaft (besonder» fttr Beamte) und flbr SAnlhyglene
(fQr Lehrer, Lehrerinnen und Arzte). Programme sind kostenfrei daroh das
Sekretariat, Frl. Clara Blome^'er, Jena, Gartenstrasj^e 4, zn haben.
An der Universität Greifswald findet auch in diesem Jahre vom 13. Juli
bis 1. August ein Ferieuknrsus (XV. Jahrgang) statt. Die Fächer sind
folgrade: Fbonetik (Fiel JBtoiidltaikamp), Denttdie Sprache nnd Idtamtnr (Prof.
Heller, Prof. Steaeh), FkaniOeieeh (M. Pleasia), Engliach (Hr. Anden) » BeUgimi
(Kousistorialrat Prof. Hanssleiter), Philosophie (Prof. Rehmke), Geschichte (Prof.
B^raheim), Geographie (Privatdozent Dr. Braun), Kunstgeschichte (I*rof. SPTnrau\
Geologie (Prof. Jaekel), Chemie (Privatdozent Dr. Strecker), Physik (Prof. Stark),
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— 319 —
Zoologie (Prof. Jaekel), BoUnik (Prof. Sehfitt), Physiologie (Privatdoient
Dr. Hugüld), Hygieae (Geheimrat Prof. Löffler). Den Vorletiuigeii rar Seit»
gehen zoologische, botanische, physikalische Übnngen bezw. Exkursionen, psycho-
logisches Seminar, frauzrisische, englische, deutsche Sprachübungeu. Ansfilhrliche
Programme sind gratis unter der Adr^ae „Ferienkurse Greifswald^ sa
erkelten.
€. Bearteilangen.
Lehrbuch der dentschea Lite>
ratur, filr «lie 'Zwecke der Lehrer-
bildung, veriasst von Ü. Hotop,
KreiMchiiliiiepeklor. Teil I ffir Prüpa-
raudenanstalten. 4. verb. Aufl. VIII.
180. Pr. 1,75 M., geb. 2^ M.
Halle iiK)6, Verlag Ton BeraiMm
Sduoedel.
Neben einigen äusseren Fehlem
welche dem Setzer zur Last fallen
(S. 33. 40, 62, 73, 101, 109) habe ich
im eiazelnea (olgeiide Einw&nde xa
erheben. leh würde Sehillen „Kiikhen
der Fi-emde" nicht, wie Hotop will,
aus der Schale hinanaweisen (8. 19). —
Ber Name Ballade ist wahrscheinlich
englischen l'rspmncfs (37). — Bedeutet
das ,,Männleiu auf einem Bein" in Hoff-
manus Rätsel nicht eher den Pik als
•lie Hagebutte (ö3)? — Beckers Rhein-
lied ist noch nicht vergessen (76). —
Hotop meint (89), Lied», welche die
srescblecbtlirhe Liobe bcMing-en. geLurten
lijclit iu die Volksschule, bma kommt
doch ^anz auf die Art und Weise der
Behandlung an! — Die Ausdrücke
männlicher und weiblicher Reim (99)
werden besser durch die Ausdrücke
stumpfer und klingender Heim ersetzt —
Ich giaabe, Hotop wird dem guten.Hebe1
nicht ganz lti r 1 1 1h' . In der Äusse-
rung „Auf eiueuKaleudermacher schauen
Tide Angen. Deswegen mnss er sieh
immer gleich bleiben, d. b. er mnss es
immer mitdt;räiegeud«;n Partei halten — "
steckt doch wohl ein iriit Stück
Schelmerei, sie braucht nicht al^ Hebds
ernste persönliche Anschauung auf-
g^asst zn werden. — J. H. \<m hat
nicht «pin Alter in Jena verlebt, ist
auch nicht dort gestorben (Ilöj. Er
war in Jena nur kürzere Zeit, ver-
brachte seiii Alter in Heidelberg, ist
auch hier gestorben. — „Des Knaben
Wunderhorn*' ersdiien nicht 18T2 iLSO),
sondern iu den Jahren lÖOÖ— IbOÖ. —
Ich halte es für veiMilt, den sdiwftbi-
schen Dicliteikreis nnr als einen Kreis
-des grossen Bundes" der romantischen
Schule xn betrachten (ISS).
ira Lesen des T'nrlies störten tnii h
die methodischen Bemerkungen, die in
die Hterarisehen Beteaehtimgen ein*
geflochten oder an sie angeschlo:^sen
sind. Für wen hind sie berechnet?
Der Lehrer an der Präparanden-Anstalt
braucht .sie nicht. Der Pruparand nber
hat gar kein Bedürfnis nach päda-
gogischen Reflexionen. Er (soll und)
will die Dichtung in sich aufnehmen,
{^eniessen nnd ohne methodische Be>
dirung verarbeiten.
Vielleicht versteht sich der Verfasser
bei einer Neuauflage dazu, auch die
neuere Dichtung mit zu bcaehtra. Daa
wäre dnn liaus kein Verstoss gegen den
siclier zn billigenden, im Vorwort aus-
gesprochenen Grundsatz, „dass ein der-
artiges Lehrbuch nur das enthalten
darf, was für den künftigen Lehrer
dauernden Wert behiilt. sei es, dass er
es ittr seinen Beruf brauche oder dasa
es seine allgeneine Oeiatesbildnng in
besonderem Masse fördert". Man kauu
soust mit der AuswaM einverstanden
•ein. Mit Recht wird das Sehlidite nnd
VolktUlmliche betont
Deutsche Grammatik für Prä-
laranden, Seminaristen und
1 ehrer. Von P. Tesch, KgL
Seroinardirektor zn Herford. Erster
Teil: Wortformen-, Wortbildungs-
nnd Satzlehre. 3. Aufl. Halle 1906,.
Verlag von Hermann Sehroedd.
Ungeb. 2,70 M. IX, 27a
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TfSfli b-'Zficlnu't Biltlun^en wie
„der VortraÄdes Professor Daeke" ab
mischOn (S. S0>. Ich meiue »ogar, dass
«■ine solche Wortfügunc: falsch i>>t. Da«>
Wort Professor gilt hier als (.TattniiJärs-
nanid and lunss dekliniert werden. Will
man aber Professor als blossen Titel
auffassen, so dass er nüt ilem eigent-
lichen Namen xm dner Einheit ver-
fcliniilzt, so rmis»« man eine andere
Form wühlen. .Uso »agt luaa entweder
,.iler \'ortra(; des Professors Daidce" oder
„Professor Üaekes Vortrag".
Die Forderung: ^Die verknüpfenden
Fürwörter welcher, welche, ur'.clii-s
werden nur in Yerbindnng mit einem
Dingwort frehnncht" (S. m) — wttrde
ich nicht so bedingungsl».'« hinstellen.
Ist es doch manchmu ratsam, ans
«tilistischen Orttnden jene WOrtchen fflr
der, die, das eintreten rn lassen!
Die Entstehung des Wortes kein
{S. Si ist richtig dargestellt. Nur
"wUnle i(b nicht satjeu: M:in teilte
ne-chein ab und fas&te ne als Ver-
neinung. Es handelt sich nicht um
blosse.'^ Auffassen: in dem ne steckt
doch tatsächlich die Verneinung. —
Falsch ist es, die Wörter lioffentlicb,
flehentlich, wesentlich, wissentlich als
^Znsammenaetsungen aw lidi and der
Mittelform der Gegenwart m betetcbneu
(S. 177).
Es wKie endlich aneh dnmal Zeit,
mit dem Gebrauche zu brechen, dass
man Formen wie ich schlüge, würde
|;esdi]agen, würde schlagen als Ver-
gangenheiten bezeichnet Sie sind doch
nie und nimmer Tätigkeitt:n, die als in
der Vergangenheit ausgeführt gedacht
werden. Neben der Ableitnngr der
Formen hat besonders die Abhängigkeit
der deutschen Sprachlehre von der
lateinischen Grammatik zu dieser
«chiefen Darstellung geführt. Fast
alle la]iilliinti():en Spiat Ii lehren schleppen
diesen Irrtum mit sich fort
MiC Beebt rftt Teseh (S. 110 Anm.),
den Ausdruck Wurzel in der dentscheu
Sprachlehre zu vermeiden. Denn dieser
Begriff ist sehr dehnbar, nur der Spraeh«
f« rscber wird die Wtirzel eines Wortes
halbwegs richtig bestimmen kr>iinen. —
<tut sind die Ausdrucke Zwielaut (für
Doppellaut), stamniverdoiipt-Ind (für
reduplizierend) , vergangeuheitsformig
(für praeterito — praesens), Tatform
(für TäüglLeitsform).
Tesch bezeichnet (S. 262 Anm.) die
Ausilribke Satzreihe mid Periode als
entbehrlich für die Siirachlehre. Gut,
ich stimme dem bei. Wijzu dann aber
beide Gebiete doch besonilers behixnileln?
Ich gehe noch weiter und meine, dass
vieles von dem, was Tesch in der
Wort- und Satzlehre ^reboten hat, ohne
Schaden wegbleiben küunie. Ich will —
von vielem abgesehen, was auch andere
Sprachlehren aus Liebe zur herkömm-
liehen, aber ziemlich nutzlosen Syste-
matik bieten — auf einzelne Punkte
hinweisen. So z. B. bin ich kein Freund
der grapUsehen SatsdarsteUnngen, deren
Tesch eine grosse Zahl vorführt. Sie
nützen wenig, können mitunter ver-
wirren. Und das Tieli^taltige Leben
der Siltze kann nnrnPe-lKli durch zeich-
nerische i<arstellnng widergespiegelt
werden.
Ancb ist es umi?5ti£r. von einlantigen
und umschlossenen Silben zu .««prccben.
Zwecklos ist femer der Begriff Zwischen-
selbstlaut; zwecklos ist es, deswegen,
weil das e ausfällt — um diesen Laut
handelt es sieh ja in der Heitel — , be-
sondere Wortgruppen, s. B. Zwischen-
setbitlRnÜose ZntwKrter, xn bilden.
Man niuss sich er^t '.mtre iiberleireu,
was gemeint ist. Wozu soll wegen
der drei W9rler tnn, gebn, atehn erae
besondere Klasse von Zeitwörtern niit^r-
schit-len werden? (Das ebenfalls un-
regelinässige sein konnte wegen dieser
unnötigen Neuemnc den genannten drei
Vertretern nur ganz lose und äusserlicb
angegliedert werden.) Zndem ist das
Wort unsch«'tn
Ich bin auf einzelne Dinge etwas
mehr, als üblich ist, eingegangen, weil
Teschs Grammatik eine ' ausführlichere
Besprechung verdient. Besonders lobens-
wert erscheint mir fMlt;;en<lcs : die passeu-
deu, bildenden Beispiele: das Betonen
der WortbildnngslebTe: die mancherlei
geschichtlichen Ausblicke, wie sie «irh
in der Erklärung von .\bleitnng.ssilben
nnd Wörtern, in der Besprechung von
vielen Sprichwörtern und Redensarten
kundgeben. Alles in allem: ein gut^
Buch.
Osehata. Dr. Hein ho Id.
Dnick TOB A. BlM« A BoliB tn Naombwi 8
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A. Abhandlangeu.
l
Psychogenesis und Pädagogik.
Von Hant LiMtl^ Kiel.
I.
Im I. Bande der Zeitschrift für angewandte Psychologie und
psychologische Sanimelforschung ^) vcröfifentlicht der besonders um
die Psychologie der Aussage hochverdiente Breslauer Professor
William Stern eine Abhandlung Über Tatsachen und Ursachen der
seelischen Kntwicldiing, die zugleich als Prolegomenon dienen soU
zu einer Reihe vr>n „Monographien <jber die seelische Entwicklung
des Kindes". Hei der Erörterung der Grundfragen der Psycho-
genesis streift Stern auch pädagogische Dinge, die er in ausser-
ordentlich Interessante Beleuchtung zu rücken weiss.
Dass die Beziehungen tiefgreifender Art sind, ist von vorn-
herein selTjstvcrständlich. Für eine ideale Pädagogik gilt die
Forderung, dass sie entwicklungstreu sei, d. h. sich in ihren Unter-
richts- und Krziehungsmassnahmen dem jeweilig erreichten Reife-
Stadium des Zöglings anpasse, unbedingt. Ldder ist davon, meint
Stern, heute wenig zu spüren, man begnügt sich zumeist bei der Aus-
wahl, Verteilung und Darbietung des Lernmatcrials mit stofflichen und
logischen Erwägungen. Und doch ist das erklärlich und entschuld-
bar, weil bisher eine I'sychogenesis des Schulkindes fehlte. Die
bisherige Ktndcrpsychologie, sofern sie entwicklungsgeschicbtUch
war, schloss zumeist mit dem dritten Lebensjahre ab, sofern sie
pädagogisch war und sich auf das Schulaltcr beschränkte, begnügte
sie sich mit der Untersuchung einzelner Funktionen bei einer be-
stimmten Altersstufe, selten bei verschiedenen iCindem verschiedener
Altersstufen, fast nie bei den gleichen Kindern und verschiedenen
Entwicklungsetappen. Dazu fehlt gänzlich die Epoche vom dritten
bis zum sechsten Lebensjahr und die Pubertat^eriode. Mithin ist
*) Borth, Leipzig, 1907.
ndafOfiMlN StodiM. XXIZ. B. 21
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— 322 —
eine voUausgebaute Psychogenesis dringend notwendig. I^en wir
den Finger auf einige Momente der praktischen Pädagogik, för die
sie, nach Stern, von ganz besonderer Bedeutung istl
Bekannteste Tatsache der seelischen Kntwicklung ist das
psychische Wachstum, das ziK^leich als Dillerenliation und Inte-
gration aufzufassen isL Man liat neuerdings das Wachstum der
Gradmessung unterworfen, doch erstreckt sich diese zumeist auf
einzelne psychische Funktionen und verfolgt wohl nirgends den
sukzessiven Entwicklungsfortschritt desselben Individuums. Das
Wachstum ist aber kein stetes Dahingleiten, sondern rhythmisiert.
Alles seelische Leben verläuft in Wellenform, auf iiohenpunkte
folgen Erachlafiungsmomente. Das offenbart sich zunächst an der
Entwicldung der Teilfunktion, das offenbart aber besonders die
Gesamtcntwicklung^ eines Tndividi;t:mc'. Allcrdin^ müssen wir
heute noch in der Abgrenzung der J',[.twicklun^sperioden sehr vor-
sichtig sein, weil wenig wissenschal üicii gesichertes Beobachtungs-
material voiUegt; man ist zumeist auf. die Beobachtung des ge-
wöhnlichen Lebens angewiesen. Diese lehrt, dass die Jugendzeit
sich in drei Wellen von etwa 6 — 7 jähriger Dauer zerlegt, deren
jede einen anfänf^Uchen starken Kntwicklungsfortschritt mit einer
folgenden schwächeren Periode aufweist Die Perioden des rapiden
Wachstums liegen in den ersten drei Lebensjahren, in den eisten
Sdiuljahren und in der Pubertätsperiode.
Wesentlich ist, Entwicklungslänge und Entwicklungsweite zu
imtcrscheiden, die crstcrc geht auf die Zeit, die zweite auf die
Tiefe der Entwicklung. \'on besonderer Bedeutung ist, sie als
relative Grössen zueinander in Beziehung zu setzen, d. h. in ihrem
Verhältnis zur Gesamtlebenslängc bezw. dem gesamten Lebensinhalt
des Indi^duums, also:
El
= relative El
1 A
^ « relative Ew.
Lw
Sicher ist, dass die Quotienten von Art zu Art, vom männ-
lichen zum weiblichen Geschlecht, vom Individuum zum Individuum
stark variieren, aber untereinander stehen ae einigermassen in
Proportionalität. So z. B. kommt das Menschoikind viel unfertiger
auf die Welt als das Tier, aber gemessen an der Gesamt-
lebenslänge und der Gesamtlebensweite erweist sich diese
Unfertigkeit nur als relativ, denn sie bedeutet eine viel
stärkere Entwicklungsmöglichkeit und Entwicklung. Innerhalb
der menschlichen Individuen zeigt sich Wiederholung dieser
Varietätenbildungcn, r\her unter viel geringeren Grössenvcrhältnissen.
So kann der bedeutende Vorsprung , den manche Kinder vor
anderen haben, daher rühren, dass ihre gesamte geistige Potenz
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— 323
eine höhere ist und bleibt, aber auch darauf beruhen, dass sie die
&itwicklung auf eine viel kürzere Zeit zusammendrängt/ so dass
die scheinbare Oben;v ertigkeit durch einen früheren Stillstand kom-
pensiert oder ^ar überkompensiert wird. Die Zahl der Menschen
ist ja leider recht gross, die in ihrer JiiLTcnd viel versprachen, aber
hernach nur wen^ hielten. — Auch Unterschiede in der Psycho-
genesis der verschiedenen Geschlechter erlauben die Anwendung
gleicher Geachtspunkte. Den zeitlichen Vorsprung in der Ent*
Wicklung des weiblichen Geschlechtes gegenüber dem männlichen
bestätigen vulgäre und wissenschaftliche Kindesbeobachtung. Die
wcibHche Entwicklung gelangt aber durchweg viel eher zum Still-
stande als die mäimUche. Während im 25 jährigen weiblichen '
Wesen alle seelischen Potenzen, die es überhaupt zu entwickeln
vermag, zum mindesten vorgebildet, grossenteüs schon voll ent-
wickelt sind, steckt der 25j^rige Jüngling noch voll ungeahnter
Zukunftsmöglichkeiten.
Eine weitere geschlechtliche DiiTerenziening offenbart sich,
wenn man Entwicklungsumfang und -rhytfamik miteinander verbindet;
denn da das weibUdie Geschlecht einen im ganzen etw^ geringeren
Entwicklungsumfang in kür/>erer Zeit durcheilt, so ist 7x\ vermuten,
dass bei ihm auch die einzelnen Stufen sowohl an Höhe wie an
Länge hinter denen des männlichen Geschlechts zurückstehen
werden. Stimmt das, so steckt darin die praktisch mcht un*
V.C entliehe Folgerung, dass die Entwicklungslinien beider Ge-
schlechter nicht parallel laufen, sondern bald konvergieren, bald
divergieren. Am Anfang und Finde der Schulpflicht, mit 6 — 7 und
14 — 15 Jahren stehen sich beide Geschlechter ziemlich nahe, viel-
leicht mit einem gewissen Vorsprung des weiblichen. Dazwischen
aber Idafft eine grosse Differenz zu U;igunsten der Mädchen, die
um das 10. — 12. Lebensjahr am grössten ist. Ja, nach schul-
pflichtiger Zeit, der des höheren Schulwesens, träte dann ein neuer
Vorsprung für Knaben. Das Ausgeführte bedarf zu seiner Be-
festigung aber noch viel genauerer I^fungen auf breiter Grundlage.
Die Bestätigung wäre dann allerdings ein entscheidendes Argument
in der Beurteilung der Koedukationsfrni^f ,
Bisher handelte es sich um r ;i: iruitative Grundtatsachen der
psychischen ii-atwicklung — von nicht geringerer Bedeutung sind die
qualitativen. Zu diesen gehören zunächst die Entwicklungsmeta«
morphosen. Die Entwicklung ist nicht blosses Wachstum, sondern
bildet eine Kette von Metamorphosen. VVohl sind im Neu-
geborenen alle seelisclien Hauptfunktionen in ersten Anfangen an-
gelegt, aber sie wachsen nicht gleichmässig nebeneinander, sondern
machen erst nacheinander ihre entscheidenden Reifungsprozesse
durch. So hat jedes Teilmoment seine Reifezeit, da es nach
Möglichkeit dominiert, um später einem andern Platz zu machen.
Diese Spezialisierung geht sicher noch viel weiter, als die wenigen
21*
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— 324 —
genauen Beobachtungen ahnen lassen, die heute vorliegen. Über
äre einzelnen Phasen wissen wir herzlich wenig — und doch wäre
eine genauere Kenntnis derselben notwendige Vorbedingung för
eine entwicklungstreu c Pädagogik.
Entwicklungsformeln. Mancherlei Feststellungen belehren, dass
gewisse Stadienfolgen nicht nur bei verschiedenen Individuen,
sondern auch bei verschiedenen Funktionen sich wiederholen* Darf
man auf Grund solcher Beobachtungen einfache Entwiddui^fsfonneln
konstruieren? Zweifellos haben solche Formeln (besonders die
Hegels: Thesis, Antithesis, Synthesis) gewissen Wert, sei es
heuristisches Forschungsprinzip, sei es als Anzeichen dafür, dass
dne formale Gesetzmassigkeit vorliegt — aber sie verluten auch
zu einer Schematisierung, bei der die konkrete Fülle der wirklichen
Fntwicklungsphasen geradezu vergewaltigt wird. T>:xgegen gibt
es keinen besseren Schutz, als die empirische Kinderforschung, die
wohl Formein hnden und anwenden wird, sich aber stets darüber
Idar bleibt, dass mit einer solchen Formel sich der Reichtum des
psychischen Lebens nicht erschöpfen lässt.
Als Beweis für die Rlchtip^keit des zuletzt Gesnc^tcn soll der
Versuch dienen, diejenige Formel herauszuarbeiten, die nach dem
heutigen Stande unseres Wissens am besten geeignet sind, die
Hauptrichtung in der seelischen Entwicklung des Kindes zu charak-
terisieren. Sie lautet: vom Peripheren zum Zentralen. Das soU
heissen : das sich entwickelnde Individuum ist ursprünglich vor-
wiegend peripheres Wesen, von aussen empfangend und nach
aussen sich entladend, ohne inneren Aufenthalt von einem zum
andern übergehend. IMese ursprüngUchste Entwicklungsform ist
einheitlich sensomotorisch. Die Entwiddung beruht nun darauf,
dass sich in diese ursprüngliche Ungeschiedenhelt ein ständig
wachsendes Zentrales einschiebt. F.s macht sich so geltend , dass
sowohl die sensorischen, wie die motorischen Bewegungen sich
nach und nach verselbständigen, nicht mehr rein reflektorisch aus-
gelöst werden. Dazwischen breitet sich die innerlich bleibende
Tätigkeit (physisch = Gehirn, psychisch = Bewusstsein) immer
weiter aus. Zuerst werden diejenigen Leitungen ausgebildet, die
in einem unmittelbaren Zusammenhang zu den peripheren JProzessen
stehen, dann diejenigen, in denen sidi das Bewusstsein immer mehr
emanzipiert und immer grössere Selbständigkeit erringt. Das ist
die Generalformel für viele Teilformeln: Von der Anschauung zum
Begriflf, von der Rezeptivität zur Spontaneität, von der einfachen
Willeitö- zur Vernunfthandlung, von dem Haften an der Gegenwart
zu einer immer souveräneren Fähigkeit, auch das Abwesende und
Feme, das Zukünftige und Vei^angene mit einzubeschUessen und
zu berücksichtigen u. s. t u, s. f. Jede dieser Formeln schliesst
zahlreiche Möglichkeiten pädagogischer Nutzanwendungen in sich.
Doch darf man sich diese Formeln nicht falschlich so vorstellen, als
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laufe das Ziel der Entwicklung auf ein von aller sinnlichen Wahr-
nehmung und von aller äusseren Willenstätigkcit losgelöstes Bc-
wusstscin hinaus; die zentralen Funktionen lösen nicht etwa nur
antithetisch die sensomotorischen ab, sondern verbinden sich mit
Urnen immer wieder zu synthetischer Einheit.
Der Generalformel widersprechen eine Reihe von Entwiddungs-
tatsachen, die in umgekehrter Richtung verlaufen« nämlich von der
Selbständigkeit zur SelbstverständHchkeit , wo nicht eine stete
Steigerung der Innenvorgänge, sondern eine Mechanisierung des
früher Bewussten stattfindet, wie bei allen Vorgängen des Ubens
und Lernens. Der Widerspnidi ist aber nur scheinbar. Die
Mechanisierung ist nur eine notwendige Ergänzung zu der fort-
schreitenden X'ersclbständigung, Die Mechanisierung t<=it nur eine
notwendige Selbsterlialtung, ohne sie würde die geistige Entwick-
lung sehr bald an der Grenze der MögUchkeit angelangt sein. Die
Ecsparung durch die Mechanisierung macht immer wieder Kräfte
frei für die progressive Tendenz, sie erst macht weitere Selbst-
cntfaltung möglich.
Damit wird die Pädagogik vor eine eigentümliche Antinomie
gestellt; auf der einen Seite ergibt sich die I' orderung: Erziehung
zur Selbständigkeit, auf der andern: Erziehung zur Sdbstverstand-
lichkeit Der bequemere Weg, nur eine der beiden Formeln zu
berücksichtigen , hat in der Pädagogik bis heute genug Unheil an-
gestiftet. Die Wahrheit liegt in der Mitte: der Mensch ist ein
progressives und konservatives Wesen zugleich, es gilt Erziehung
zur Selbständigkeit und Selbstverständlichkeit
Stern fragt weiter nach den Ursachen der seelischen Ent-
wicklun;^ Zwei Reihen von Faktoren kommen in Iktracht, äussere
und innere. Zu den erstcren gehören : konstitutionelle Einflüsse,
sensorielle Reize, beabsichtigte und unbeabsichtigte pädagogische
Einllüss«, — zu den letzteren: allgemeine und spezietie Vererbung,
sexuelle Beschaffenheit und die eigentliche Besonderheit der Indi*
vidualität Die Mtrrnntive „Innen oder Aussen", „Xativismus oder
Empirismus" tritit den Kern des psychogenetischen Ursachen-
problcms und die Entscheidung für diese oder jene Seite greift
auch tief und unmittelbar in die Kulturprasds ein. Tatsachlich
kann jeder der beiden Standpunkte schwerwiegende Argumente
für sich in Anspruch nehmen — ein Beweis dafür, dass beide teil-
weise richtig sind. Aber die Argumentationen halten sich an
fertige, nicht werdende Erzeugnisse des seelischen Lebens: in diesen
fertigen Erzeugnissen sind aber die Wirkungen des Innen und
Aussen so innig miteinander verschmolzen, dass nur ihre willkürliche
Scheidung möglich ist. Erst die Kinderpsychologie kann zuverlässig
entscheiden — und sie lehrt unwiderleglich, dass alle psychische
Entwicklung, ja jede psychische Erscheinung und Leistung im
einzelnen aus Produkt der Konvergenz des Aussen» imd Innen-
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faktors tu begreifen ist. Damit kommt man auf den Zentralbcgriff
aller genetischen Ursprungsprobleme, den der Anlage. „Unter
Anlage verstehen wir den ständigen inneren Anteil an den Be-
dingungen, die zur Verwirklichung des psychischen Lebens ge-
hören." Der Begriff der Anlage enthält drei besondere Merkmale:
I. das Aktivitätsmerkmal. Alles psychische Leben ist Tätigkeit,
nicht blosses Dasein, Kommen und Gehen, doch ist diese Aktivität,
trotz der verschiedenen Richtungen und Mittel, eine ursprünglich
einheitliche; man kann primär von Veranlagung, nicht aber von
Anlagen sprechen. 2. Das teleologische Merkmal. Auch das Ziel
ist einheitlich, es handelt sich darum, eine geistige Persönlichkeit
bestimmter Konstitution zu verwirklichen. 3. Das Merkmal der
Potentialität ist negativ. Die Anlage ist stets ergänzungsbedürftig.
Sie bedeutet nur die Möglichkeit der Betätigung und Tendenz
auf ein Ziel hin, erst wenn sie mit den von aussen kommenden
Umweltbedingungen zusammentreffen, entsteht der konkrete Inhalt
des seelischen Lebens. Das Ineinandergreifen beider Faktoren kann
man sich nicht innig genug denken.
Kinc ideale Pädagogik muss im psychogenetischen Sinne ent-
wicklungstreu sein. Die Forderung gilt vom Unterricht, wie von
der Erziehung — hängen doch beide aufs engste miteinander zu-
sammen. Entwicklungstreu kann nicht wohl etwas anderes be-
deuten» als die Pädagogik muss in allen Massnahmen und Forde-
rungen sich dem jeweiligen Stande der kindlichen Entwicklung
anpassen. Sic darf nirgends der natürlichen Entwicklung vorgreifen
oder ihr nachhinken. Es muss auf alle Entwicklungsetappen eine
gewisse Gleichgewichtslage bestehen zwischen der jeweilig be-
stehenden psychophysischen Arbeitskraft und den Arbeitsfordeningen
durch den erziehenden Unterricht. Schwankungen dürfen in dieser
Gleichgewichtslage nur innerhalb gewisser enger Grenzen vorkomtnen,
wenn anders das V^crhältnis gesund und erspriesslich scui solL
Zugleich enthält dieses Verhältnis ein Problem, das die Pädagogik
immer wieder beschäitigte. Praktisch and offenbar drei Verhält-
nisse zwischen Arbeitsforderung und Arbeitskraft möglich:
Arbeitsforderung > Arbeitskraft,
Arbeitsforderung <r Arbeitskraft,
Arbeitsforderung = Arbeitskraft.
Nur das Verhältnis Arbeitsforderung = Arbeitski ;itt i=;t päda-
gogisch richtig und wertvoll; die beiden andern werden in dem-
selben Masse unpädagogisch, wie sich das eingeschobene Wert-
zeichen positiv bezw. negativ verändert Ist die Arbeitsforderung
grösser als die Kraft, auf die sie gerichtet ist, wird dem Zögling
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zugemutet, zu leisten, was er nicht imstande ist oder doch nur
unter äusserster Kraftanstrenj^unf^ zuwege bringt , dann sind "Mut
losigkeit, Überdruss, Langeweile, diese Todfeinde einer gesunden
Arbeit, notwendige Folgeerscheinungen, bei dem Massenunterrichte
Ist selbstveiständtich, dass der Distanzwert zwisdien Kraft und An-
forderung nahezu ebenso viele Varianten aufweist» wie Schüler in
der Klasse vorhanden -^ind. Auslese durch Versetzung u. a. wird
zwar die relativen Ditlerenzwerte auf eine kleine und kleinste Zone
einschränken, aber niemals ganz au^leichen können. Ein steigender
Pkosentsstz der Schüler kommt nadi der Auslese doch wieder in
eine Lage, da Arbeitskraft und Arbeitsforderung einander nicht
entsprechen. Man darf den Wert ^ oder <^ nur dann als päda-
gogisch bedenklich verurteilen, wenn er für das Gros einer Klasse
zutrifft. — Genau so bedenklich ist das zweite Verhältnis, worauf
ich nicht nSher einzugdttn braudie. Es kommt darauf an, auf
jeder Entwicklungsstufe das Verhältnis zwischen Arbeitsforderung
und Arbeitskraft so zu regulieren, dass mit den geringsten Mitteln
die wertvollsten Leistungen erzielt werden. — Diese Forderung ist
scibstverstandiich, wie nur eine — um so verwunderlicher ist, dass
^e bis heute noch nicht in wünschenswertem Masse erfüllt worden
sind, ja, dass wir eist die Erfolge einer ganz jungen Wissenschaft
der von der Entwicklung des kindlichen Seelenlebens, abwarten
müssen, um ihr ganz Genüge tun zu können.
Der physischen Entwicklung des Kindes hat man mehr
Beachtung geschenkt Das ist durchaus , verstandlich. Hier haben
die Gegenstande der Beobachtung greifbare physische Gestalt, sie
können mancheriei Massmetfaoden unterworfen werden. Wertvolle
I- -'^'ebnisse Hegen vor aus vwschiedenen Ländern, teils anthro-
pometrische, teils die Pädagogik noch näher angehende physio*
logische Untersuchungen und Beobachtungen über Vitalität (Lungen-
ka|>azität), Druckkraft, Hörschärfe, Sehschärfe u. a. Man hat sie
studiert unter dem Einfluss von Alter, Geschlecht, Milieu,
Nationalität, Jahreszeit u. v. a. Man hat deutliche Gesetzmässi^^keit
nachgewiesen, sie mathematisch klar formuliert. Allgemeinstes
Resultat aller dieser Untersuchungen ist: alle physische Entwicklung
gebt nicht stetig, sondern periodisch, in WeÜenform, vor sich und
zwar nicht nur in grossen Zügen, sondern innerhalb dieser wieder
in kleiiif^ren .'\bschnitten. Man hat Wellenbewegungen nach-
gewiesen, die sirh über das ganze I eben, dessen Hauptabschnitte,
^eles hier auch noch zu tun bleibt — die physische Entwicklung
des Kindes ist uns heute durch zahlreiche wissenschaftlich zu-
verlässige Beobachtune^en ungleich näher gebracht worden als die
kindliche Psychogcnesis — hier ist heute — nach Stern —
höchstens von bescheidener Vorarbeit zu reden.
Zwar hat man psychische Einzelfunletionen, wie emige Seiten
des Jahres, ja der Monate
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— 328 —
des Gcdäclunisscs in seiner Kntwicklung, über einen längeren Zeitraum
hin und genauer verfolgt, doch handelte es sich zumeist um Massen-
beobachtungen, man begnügte sich mit der Aneinanderordoung
verschiedener Jahrgänge and beschritt nicht den unendlich vid
mühsameren Weg, dieselbe Gruppe der Kinder im Laufe der Jahre
immer wieder zu beobachten, geschweige denn eine umfängliche
Psychogenesis auf Grund wissenschaftlicher Studien zu gewinnen.
Dazu beschränkten sich diese Untersuchungen nur auf einen Teil
der Sdiulzdt, zumeist blieben die jüngeren schulpflichtigen Kinder
aus verauchstechnischen Gründen ausser Wertung. — Trotz dieser
und anderer Mängel spiegelte sich in den Ergebnissen der
Beobachtungen das allgemeine Resultat wieder, dass die phj^ischen
Untersuchungen zutage gefördert hatten : die Entwicklung geht nicht
Stufenweise oder in stetigem Wachstum vor sich, sondern periodisch
auf* und absteigend. Die Haupttendraz der Entwicklung ist natür-
lich aufstrebend, aber auf einzelne bedeutendere Vorwärtsbewegungen
folgen periodische Retardierungen, während deren zumeist eine
neue Seite psychischer Entwicklung, die alte verdrängt und für
sich vorübergehend die Hegemonie beansprucht, bis sie demselben
Schicksale erliegt Neben diesem Wechsel, der zumeist in längeren
Zettlauften sich abspidt, beobachtet man stündliche, monatliche usw.
Energieschwankungen. — Man beobachtet also deutlich in diesem
Hauptergebnis Übereinstimmung hüben und drüben, ob diese aber
derart ist, dass auf beiden, dem physischen wie dem psychischen
Gebiete die Wellenbewegungen parallel laufen oder einander ent*
gegengesetzt sind, das lässt sich aus dem geringoi wissenschaft-
lichen Material, das heute vorliegt, keineswegs auch nur mit einiger
Wahrscheinlichkeit entnehmen.
Und nun gar, wo es sich um die Entwicklung der kmdhchcn
Sede in allen ihren Funktionen handelt Auch wo es sich lediglich
um die quantitative Seite derselben handdt, sieht man sich zur
Hauptsache a^f dir Vulgärbeobachtung verwiesen und auf einige
wenige Forschungsergebnisse mit den Mitteln moderner psycho-
logischer Beobachtung. Hier hegt ein gewaltig grosses .\rbeitsfeld
vor, allerdings dn solches von ganz eminenter praktischer Be>
deutung Air die Pädagogik. Ich schätze die Arbelt so gross, dass
frühestens eine kommende Generation über die Grundlinien der
Psychogenesis orientiert, erst eine weitere im Sinne derselben ent-
wicklungstreu erzogen werden wird. — Warum ? Nennt man unsere
ZtÄt zu Unrecht das Jahrhundert des Kindes? Kdneswegsl Niemals
früher ist so viel über die Psychologie des Kindes gehandelt und
geschrieben worden.^) .^usserordcntüch wertvolle Snmmchrbcit
und Einzdbcobachtung, teils auch experimenteller Art, ist gdeistet
*) Be&ODdm za vcrglcichco: Ament, FortschriUc der KindcrsecicDkande 1895
1903' I^P»8i EnfdinmoD. 1906. (Dennicbtt snch die Lit ftm 1904/5.)
#
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worden, aber wir besitzen in ihnen nur Hindeutungen auf eine
Psychogcnesis. Es fehlt die sorgsame wissenschaftliche Beobachtung^
der Entwicklung eines und desselben Kindes von der Geburt bis
zur Reife in Hunderten von Einzelfallen, unter den verschiedensten
Umwdtseinwirkungen.
Die vorhandenen autobiographischen Aufzeichnungen
sind Rückkonstruktioncn dirbtcnsrh<^r Art auf versrh\^'undene
Kindheitstage; tatsächliche Stutzen hnden sie an gelegentlichen
Aufzeichnungen und an den trügerischen Daten des (ledächt-
nisseSy die för einzelne Momente oft weit in das Jugendalter
tuittcl^ehen. Um diese tatsächlichen Momente, wenn man sie so
nennen will, waltet und schafft die dichterische Phantasie, deren
Erzeugnisse um so mehr psycholot^ischc Wahrscheinlichkeit enthält,
je mehr Uir Träger versteht, mit „Kindern umzugehen", sich in ihre
Wdt hineinzuversetzen und sich zeitweilig darinnen wohl zu fulilen.
Immer bleiben diese Erzeugnisse dichterische Gebilde, ein Gewebe
gegenwärtiger Gedanken um einige rudimentäre Erinnenings-
petrefakte. Eine zuverlässige, glaubhafte Psychogenesis können sie
niemals bieten.
Aber ntc^t minder sind die angedeuteten Zusammen-
Ordnungen von Massenbeobachtiuigen lediglich Konstruktionen
einer Psychogenesis für licsondere Teilfunktionen. Keinen Augen-
blick soll der Zweifel aut kommen daran, dass sie erheblich wert-
volleres leisten als jene autobiographischen Darstellungen, — ein mehr
oder minder die Tatsachen wiUkÜrHch korrigierendes Moment haftet
ihnen dennoch an. Sie ordnen tatsächliche Einzelbeobachtungen
zu einem Bilde der Psychogenesis des Kindes in grossem Stile zu-
sammen , vertragen aber eine Differenzierung rückwärts nur in be-
scheidenem Umfange. Auf die stete „Konvergenz des Innen- und
Aussen&ktors" können sie keine Rücksicht nehmen.
Eine wertvolle Psychogenesis kann nur gewonnen werden auf
Grund durchaus zuverlässiger allseitiger Beobachtungen desselben
Individuums in allen P2nt\vicklungsstadien, Diese erfordern wieder
einen grossen Stab wissenschaftlich geschulter Beobachter, der zudem
genügend Zeit hat, das IGnd teilnehmend und sorgsam in hundert
Ueinen Dingen zu begleiten. Hier kann die psychologisch gebildete
Mutter der Wissenschaft grosse Dienste leisten (vgl. die einleitend
erwähnten Monographien von Qara und William Stern!); hernach
müssen Haus und Schule miteinander die engste Fühlung behalten.
„Die Pädagogik muss entwicklungstreu sein. Die Auswahl,
Anordnung und Darbietung des Stoffes wurde bisher meist nach
logischen oder sachlichen Gesichtspunkten getroffen." Ich fasse
diese Auslassung Sterns zunächst nicht auf als einen Vorwurf
gegenüber der Pädagogik, wie konnte man ihr vorwerfen, sie sei
nicht entwicklungstreu im Sinne einer Psychogenesis des Kindes —
wenn diese heute überhaupt noch nicht vorhanden, sondern
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— 330 —
höchstens in einigen allgemeinen Prinzipieti frissbar ist. Stern macht
nicht einen Vorwurf rückwärts, wohl aber eine Projektion voraus,
da entwickelte psycliogcnetische Gesetze tief mitbestimmend ein-
wirken werden auf die Massnahmen der praktischen Pädagogik.
Er spornt an, eine neue, tiefere, naturgemässere B^fründung der
Pädagogik zu erringen, als ihr heute, nach Stern, gegeben ist. eine
Bekundung — so zeigen die Prolegomena genau — die, unbeirrt
durcii einseitige, extreme Forderungen der Gegenwart (die doch
zumei^ nur ein Aufdrängen der eigenen subjektiven geistigen Ver^
anlagung und Entwicklung sind dem Andersgearteten, Andexs-
denkenden ge^i^enübcr' (!er kindlichen Eigenart in höherem,
schauenderem Sinne Rechnung tragen will.
Einen 1 adel konnte man für den praktischen Unterricht — auf
den beschrankt sidi Stern in der Auslassung erblicken, die
Auswahl, Anordnung und Darbietung des Stoffes geschehe bisher
meist nach logi.schcn oder sachlichen Gesichtspunkten, wenn sie in
dem Sinne gemeint sei, dass bisher die Pädagogik sich meist nicht
in entwicklungstreuem Sinne bemüht habe. Die didaktische Regel:
Beachte die ländliche Individualität — ist ein altes Inventaiium der
Pädagogik und als eines ihrer Hauptprobleme — natüfiich auf
Grund besonderer intuitiver Gabe der Vulgärbeobachtung oder
je nach dem Stande der Psychologie — immer so verstanden
worden: Vergiss nicht, dass du Kinder vor dir hastl
Doch werfen wir einen Blick rückwärts in die Geschichte der
Päda|rogik, so weit sie um Auswahl, Anordnung und Darbietung
des Stoffes sich bemüht Natürlich können nur die höchsten und
bemerkenswertesten Punkte in den mancherlei Wandlungen kurz
gestreift werden, auch soll die Geschichte des Unterrichts in fremden
Ländern unbeachtet bleiben.
Die Auswahl der Unterrichtsstoffe, d. h. die Unterrichtsfacher,
die man der unterrichtlichen Behandlung bot, richtete sich nach
den Bedürfnissen und Forderungen des praktischen Lebens. Als
es galt, unsere Vorfahren dem Christentume zu gewinnen, stand
als Alleinherrscherin da der Religionsunterricht (Kat Gesang). Die
elementaren Erfordernisse des praktischen Lebens erforderten «>äter,
sumal in den Schulen der Städte, Unterridit im Schreiben, Lesen
und Rechnen. Die Fertigkeiten wurden nur geübt, wo ein
elementares Lebenserfordernis bestand. Die Erfindung der Bucii-
druckerkunst erweiterte die MögUchkeit, erst die Reformation, die
jedem Anhänger Luthers die Bibel, das Gesangbuch, Erbauungs-
bücher in die Hand gab, mit der Verpflichtung, zu lesen imd zu
pKifen , die unbedingte Notwendigkeit, die Kunst des Lesens und
mit ihm des Schreibens zu einem Volksbildungsmittel zu machen.
Die Kunst des Lesens blieb dann die Brücke, welche eine
Verbindung zwischen den £mebnissen der wissenschaftlichen
Forschungen und den LesekuncUgen vermittelte, in erster Linie
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— 331 —
derjenigen Forschungen, die ihr Augenmerk gerichtet hatten auf
die uns umgebende Welt = die Menschen und ihre Schicksale, die
Erde und ihre ausser menschlichen Bewohner, den Himmel und
seine Erscheinungen, die Naturkräfte und ihre wunderbaren
Wirkungen u. v. a. je mehr diese Gebiete eine eingehende, um-
(angliche Beschäftigung verlangten, desto mehr spezialisierten sie
sich dem wissenschaftlichen Forscher. Es ist ausserordentlich
interessant, zu beobachten, wie aus dem Grossen und Ganzen sich
ein Fach nach dem andern abhebt. Zu Anfang haben wir neben
den Urdisziplinen Religion » Deutsch, Rechnen die drei grossen
Gebiete: Geschichte, &o^phie, Naturkunde. Diese spezialisieren
sich immer weiter zu emem komplizierten Gebäude. In sehr
weitem Abstände folgt den sich ablösenden wichtigsten Wissens-
zweigen die Schule nach, in der Absicht, das WesentUche iliren
Zc^lingen nutzbar zu machen — in weiten Abständen, weil sie
gestdierte Resultate der Forschung abwarten und sorgsam erwägen
muss, was sie den Kräften ihrer Schüler zumuten darf. Hie hier
zutage tretende historische Folge spiegelt S!rh im grossen und
ganzen wieder in der Aufeinanderfolge der Schulfächer, sofern sie
auf die Schuljahre verteilt werden. Am Anfang aUein finden wir
die Trias: Religion, Deutsch und Rechnen, die auch auf den
folgenden Unterrichtsstufen einen bedeutenden Raum einnimmt.
Dann treten dazu nacheinander die Untc; richtsföcher im grossen
und ganzen in der historischen Reihenfolge auf — man wolle sich
durch den Namen nicht tauschen lassen — in der sie als besondere
V^ssenschaften her\'ortreten und für das praktische Lebe; Bedeutung
gewannen. — So finden wir hier schon ein Moment der Fntwicklung,
allerdings oft unbewusst , respektiert. — Doch a'^-hten wir etwas
genauer darauf, ob man bestrebt war, den Lnternciitsstoff der
kindlichen Entwicklung anzupassen. Dabei sehe ich von dem
Elementarunterricht ab. Achten wir auf das Verhältnis Kind =
Unterrichtsstoff. In fernen Zeiten ^chen wir den UnterrichtsstofT
schlechtweg dominieren. Er forderte die tfnnze Aufmerksamkeit,
der Schüler muss sehen, wie er sich seiner bemächtigt. Das Unter-
richten steht unter dem Zeichen der Barbarei Otr schwächere
Schuler bleibt am Wegrande liegen, der Mittclbegabte erreicht
sein Ziel nur unter arger Quälerei. Der Unterrichtende weiss
nichts von den Gesetzen des Seelenlebens, er baut zur Hauptsache
auf dem Gedächtnis auf, er doziert dem Erwachsenen, den er im
Kinde erblickt und ist nur zu schnell bei der Hand, die Fo^n
seines pädagogischen Unvermögens als bösen Willen seitens des
Schülers zu deuten und mit den barbarischen Zuchtmitteln seiner
2^it zu ahnden. Nur allmählich gewinnen psychologische Vulgär-
beobachtungen auf das Unterrichlsgeschäft Einfluss — welch
weiter bis zu der Erkenntnis, dass Psychologie eine Haupt-
stutze und Voraussetzung jedes vernünftigen Unterrichtens sei Wie
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mühsam sehen wir einen Schritt nach dem andern gelingen.
Psychologische Beobachtungen gewinnen in mancherlei didaktischen
Regeln handliche Gestalt, immer aber handelt es sich um einzelne
seettsche Funktionen, die wohl bie und da Hinweise auf eine
Psychogenesis enthalten, aber niemals die geistige Entwicklung des
Kindes als Ganzes ins Auge fassen. Als sich dann die Psycho-
logie immer mehr aus den Banden der Philosophie befreite und
als Herbart den ersten umfassenden Versuch machte, Pädagogik
auf Psychologie zu stützen, da geschah das nicht im Sinne einer
Psychogenesis. Vielmehr wurde die reife, hochentwickelte
Menschenseele, — die trotz aller genialen Sonderbeobachtung und
auch abgesehen von der metaphysischen Grundlegung, doch eine
Konstruktion war, der praktischen Pädagogik zu Grunde gelegt.
Das reichgestaltete, feinste, gesetzmässige Spiel dieser Seele diente
letzten Endes zur Begründung pädagogischer Massnahmen. Sie
Hess keinen Raum für die umfassende Begründung des psychischen
Wachstums des werdenden Menschen. Wir erfahren in der Tat
auch, dass diese Psychologie in der Hauptsache dazu diente, die
Darbietung des UnterrichtsstoiTes psychologisch zu begründen.
Die Anordnung der Disziplin vermag sie nur so weit zu begründen,^)
als auf allen Unterrichtsstufen rine Konzentration aller Fächer um
einen wertvollen Interessenkreis gefordert wird. Damit wird wohl
gründlich aufgeräumt mit den enzyklopädischen Unterrichts-
Forderungen der voraufgegangenen Zeit, die grobe Aussenseite zu
jener tiefsinnigen Forderung: Herausbildung aller menschlichen
Kräfte zu einem harmonischen Ganzen — aber wo es darauf an>
kommt, die kindliche Entwicklung zu zeigen und nun anzugeben,
welche Interessenkreise auf deren einzelnen Phasen die vor-
herrschenden sind, welche Unterrichtsgebiete auszuwählen sind, da
versagt die Herfoartsche Psychologie und man greift nun zu einem
ganz anderen Prinzip, dem bekannten Grundgesetz, dass das
Individuum die Entwicklungsstufen seiner Rasse in schnellerer doch
übereinstimmender Folge durchlaufe, man konstruiert die kultur-
historischen Stufen. Kein Zweifel, dass hier ein sehr starker Hin-
weis auf eine Psychogenesis enthalten ist, kein Zweifel, dass diese
Theorie geistvoll durchgeführt ist, dass sie einen Reichtum psycho-
logischer Beobachtungen enthalt — sie bleibt aber doch eine
Konstruktion, ein geistvoller Vergleich, dessen beide Stützen nicht
einmal ganz festliegen. Sie beruht nicht auf der sorgsamen
Beobachtung der tatsächlichen Entfaltung des kindlichen freistes»
sie bleibt eine Pseudogenesis ^) und als solche ein Notbehelf.
Lehrpläne, die sich die Kulturstufentheorie nicht zu dgen
>) Hcrbait gibt atoch sehr beachtenswerte psychogenetiMlie Hinwdie flir ^
Stofbnordnung ; es wäre vielleicht nützlich, sie einmal 7n«!ammfn7iis;tellrn.
•) Ziller, Grundlegung, 2. Aufl., S. l86: „Die Methodik — , Dano: Es handelt -
tidi bier — ia Einem Blick« auammengclässt wird.'*
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— 333 —
machen, enthalten für einzelne Forderungen wohl psychogenetische
Begründungen für Auswahl und Anordnung des Stoik, die auf Grund
vielfacher unmitteibarer Erfahrungen; zu allermeist entscheidet aber
letzten Endes über die Frage: Welchen Unterrichtsstoff und in
welchem Umfange hat man für diese Altersstufe oder jene aus-
zuwählen, ein logisch - sachliches Kriterium oder die eigenwillige
Entscheidung: das halte ich itir geeignet, das den Kräften des
Kindes für nicht angemessen. Wie gesagt, diese Entscheidung,
sofern sie dem Takte eines klaren Beobachters entfliesst, trifft oft
das Rirhti^;e — sehr oft aber erwächst sie einer nickläufigen
KüusUukLiüii, einer \'cijuagung des reifen erwachsenen Geistes,
also wiederum einer Pseudogenesis, die notwendig dazu verföhrt,
im Kinde den kleinen Erwachsenen zu erblicken.
Ich bescheide mich mit diesen Andeutungen, die beweisen
sollen, dass es in der praktischen Pädagogik keineswegs an V'er-
suciien fehlt, die Anordnung der Unterrichtsfacher psychogenetisch
zu treffen, sie sind aber nur Versuche. Ihnen scheint mir gemein«
sam zu sein eine starke Hervorkehrung der logisch-sachlichen Zu*
sammenhänge des Unterrichtsstoffes gegenüber der Entwicklung der
kindlichen Seele. Die letztere kommt dabei zu kurz. Vielleicht
habe ich mit der Vermutung nicht unrecht, dass ein Teil der
Schuld die hohe Zielbestimmung trifft, die dem Unterrichte gesetzt
wird, mag man »e nun so oder so fassen — immer ist's der reife
ideale Kulturmensch, der vorschwebt als das Bild dessen, was der
Schüler werden soll. Das aber bedeutet eine Hinausprojizierung
weit über die Schuljahre, weit über das schulpflichtige Alter hinaus.
Das verfuhrt von vornherein dazu, auch in den Teilzielen zu weit
zu greifen, dadurch wieder entsteht eine Beschleunigung des Tempos,
eine nervöse Unrast bemächtigt sich dem Unterrichtsbetriebe zum
Schaden des Kindes. (Ich will zur Illustrierung nur auf einen Punkt
den Finger legen. Nach Ziller umfasst die Märchenstufc lediglich
das erste Schuljahr. Angehende Beobaditungen haben aber dar«
getan, dass das kindliche Interesse auf 4 — 5 Jahre durch das
Märchen beherrscht wird. Damit soll nun nicht ausgesprochen sein,
dass für diesen ganzen Zeitabschnitt das Märchen allein den Unter-
richt beherrschen müsste, sondern nur, dass wir nicht berechtigt
sind, lediglich das erste Schuljahr als Marchenstufe zu betrachten.) —
Man könnte aber im Hinblick auf jenes hohe Ziel sagen, dass bei
der Schulentlassung doch die Keime gelegt, die Entwicklungs-
möglichkeiten alle gegeben seien. Ich kann dieser resignierten
Annahme nicht zustimmen. Zunächst will mir scheinen, dass das
ein recht klägliches Resultat jahrelanger Bildungsarbeit ist, wenn
man am Schtuss derselben als Fazit nichts als Möglichkeiten in der
Ziller s. a. O. S, 184: „Vor allem kann der Gan^ der Wissenschaft — erheben."
— S. 187: „Alles, was der Bildoof des GeUtes dienen aoU — bcrvorwachseo soll."
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— 334 -
Hand hat. Ich bin weit davon entfernt, zu glauben, dass der
Erzieher aus dem Zöglinge alles machen könne, dass er ihn gänzlich
nach seinem Sinne modeln und drehen könne, aber andererseits
vermag die Kunst des Unterrichts sehr wohl greifbare reelle
Früchte zu zeitigen, die für den augenblicklichen psychischen Ent-
wicklungsstand des Zöglings durchaus vollwertig sind, die nur im
Hinblick auf ein imaginäres Ziel im Kuis fallen. Dieser Kursfall
inuss um SO lebhafter werden, je mehr das Tempo der unter ri l t-
lichen Massnahmen beschleunigt wird. Was zu früh gesäet wird,
findet keine Kiitwicklungsmöglichkeiten vor.
Man sieht, überall wird man auf eine eingehende Psychogenesis
verwiesen. Der (rrundgedanke, der durch die gelegentlichen psycho-
genetischen Begründungen hindurchzieht und der sich etwa so
formulieren lässt: das (reschichtlich Gewordene ist nach Möglichkeit
bei der Verteilung des Stoffes bestimmend — "i^g '"^ allgemeinen
richtig sein, aber er wird erst dann in das richtige Licht gerückt
werden können, wenn er zur Psychogenesis des werdenden Menschen
in Beziehung gesetzt wird, nicht aber zu einer Konstruktion einer
solchen Entwicklung, niö<^c sie noch so c^oistreich sein. Einer
Konstruktion fehlt notwendig Leben,') unnmtelbare zwingende Be-
weiskraft, Sie hat Wahrheit nur in groben Zügen und erweist sich
daher nachgiebiger, anschmiegsamer als jene ethischen Ziel-
forderungen, als Wühlgetan ist. Doch bleibt Hauptaufgabe der
Psychogenesis, an der Hand ihrer Ergebnisse nnrh/mveisen, welcher
Art Zielforderimgen überhaupt möglich, welche annähernd realisier-
bar, und welche für eine ziel- und tatkräftige praktische Pädagogik
von Wert sind.
Auch den begründenden Ausführungen Wiltmanns gegenüber
zu der Anordnung der UnterriclitsstofTe nacli Klassen- und Jahres-
pensen lassen sich ähnliche Erwägungen nicht unterdrücken. In dem
Abschnitt: Bildungsarbeit nach den Altersstufen*) führt er ganz
richtig aus, der Verlauf des Bildungserwerbes müsse auch vom
Standpunkte des Subjekts aus verfolgt und seine Abstufung mit
den Abschnitten nicht bloss des intellektuellen, sondern des (iesamt-
wachstums \n X'erbindung gebracht werden. Schon die weitere
allgemeine Bemerkung, dass das Wachstum der menschlichen Kräfte
(bis zu bestimmten (rrenzen) ein kontinuierliches und im Ganzen
angesehen, einem Wandeln auf allmählich ansteigendem Pfade ahn«
lieber sei als einem Ersteigen von Stufen steht im Widerspruch zu
der psychogenetisrhen Wahrheit, dass das Wachstum keineswegs
kontinuierüch , sondern deutUch periodisch erfolge und beweist —
''i Ist nicLl iiotw riuiig der Fall. Finc ic«lc Hypotlii sc ist eine Konstruktion, und
ducb kaoo von ihr Leben ausgehen, Entwiclüung und Foitscbritt gefordert werden.
AUc Ideale sind Komtniktioneo. Auch der moderne BegrilF der Psychogcneds ist
Ztinichst rrnr rinr Konstniktion. D. K.
*) Wülmann, Didaktik als Bildungsichre II, 238. Hraunschwcig l<)03.
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Uass wir es mit der Konstruktion einer Psychogenesis zu tun iiabcn.
WiHmann unterscheidet, sich dem Sprachgebrauch anschliessend,
drei Hauptperioden:*) Kind, Knabe, Jüngling, von denen nur die
beiden letzten rJcntlich durch den Eintritt Her Pubertät «geschieden
sind. Sitte und Kerhtsanordnung haben dann in jede dieser Perioden,
unbekümmert um natürliche Voraussetzungen, einen Markstein hinein-
gesetzt: Schulföhigkeit , Mündigkeit, Waäfenfahigkeit So ergeben
sich für den sich entwickelnden Menschen (Knaben) 6 Altersstufen:
frühe Kindheit, schulfäfii^^e Kindheit (4 Jahre), unmündiges Knaben-
alter, mündij^es Knabenalter (beide je 3jährig), frühes Jünglingsalter,
waneniiihiges Jünglingsalter (beide 4jährig). VVillmann charakterisiert
dann in einigen wenigen Allgenwinbemerkungen das geistige und
leibliche Wachstum (merkwürdigerweise beschränkt sich W. bezüglich
der letzteren auf ein Werk Fuctclets aus dem Jahre 1838, ohne
die vorliegende neuere Literatur zu berücksichtigen) des Kindes und
streift m grossen Zügen die Biidungsmittel, die den Wachstums-
stttfen eotspredien. — Alles sind a]||refneinste Räsonnements, die
iur eine pralctische Stoffauswahl nach psychogenetischen Gesidits*
piuikten sich wenig fruchtbar erweisen.
Mit allem Nachdruck fordert Rein,*) man müsse der jugcndliclicn
Entwicklung mit Hilfe psychologischer Untersuchungen nachgehen,
und einen Durchschnitt durch die aufsteigenden Entwicklungs-
prozesse aufdecken, der nach der formalen Seite hin die eine
Grundlage fiir den pädagogisch begründeten Lehrplan zu bilden
hat. Kr bekennt, diese Arbeit liege noch in den AnHingen und
femer, der grossen Geschäftigkeit, die auf dem Gebiete der Kinder-
forschung entspreche freüich jetzt noch nicht der Erfolg auf päda-
gogischem Gebiete. Wir dürfen daran die Bemerkung knüpfen,
dass auch nach Ansicht dieses hervorragenden Pädagogen wir
bisher noch nicht über eine eingehende Kenntnis der P-ntwicklung
der Kindesseclc verfügten, dass also die Psychogenesis, die eine
Grundlage für einen pädagogisch begründeten Lehrplan, bis heute
nur sehr lücken- und mangelhaft, in Wirksamkeit getreten ist und
auch treten konnte — eben weü sie nicht vorhanden war. Wir
sehen uns auf die Zukunft verwiesen, die Lehr|)lanfrage wird noch
auf lange hinaus Streiter in Atem halten. Ein ferneres grosses Ver-
dienst Reins besieht darin, dass er fordert, was heute an wertvollen
Ergebnissen der Kinderforschung vorliege, müsse schon jetzt für
eine brauchbare Lehrplantheorie erwünschte Fingerzeige geben.
Des Brauchbaren ist zwar heute noch nicht viel Der wertvollen
Zusammenstellung Hartmanns unter dem Stichwort ,,AIterstypcn"
in der Reinschen Encyklopädie , die sich auf eine sehr reiche
') W, hat nur die tnöiinlichc Jugend im Auge und setzt den Vollbesitz der
BUdllcgsniittel voraus.
^ PSaagogik U, H^f.
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— 336 —
Literatur gegenwärtiger Kinderforscfaung stützt» wirft Rein mit
Recht vor, dass sie, trotz vieler wertv oller Tatsachen, doch in der
Abgrenzung der Stufen 4 6 nach Schuljahren mehr Nachdruck nnf
äussere Einschnitte lege als auf die Formen typischer Entwicklun^j.
Vorsichtig entnimmt er Urnen (ur die Lehrplangestaltung nur zwei
grundlegende Tatsachen: i. die Auswahl der geistigen Nahrung hat
sich geOAM an die geistige Entwicklung des Zöglings zu halten, so
gut wie f\'.r physiche Ernährung an das körperliche Wachstum.
2. Die geistige Entwicklung schreitet in drei grossen Schritten
vorwärts. Zunächst bemerkt man in theoretischer Hinsicht die
Vorherrschaft der Phantasie, dann die des Gedächtnisses, dann die
des Denkens; in praktischer Beziehung zuerst die Zeit der Ge-
bundenheit des Willens an eine äussere Autorität; dann die Zeit
der Unterwerfunfr unter das Gesetz (die Zeit der Legalität); endlich
die Zeit der Herrschaft des Sittengesetzes (Moralität). 3. Diese
Entwicklungsstufen, wie sie jedes normale Kind durchläuft, treten
uns auch in der Geschichte der Völker entgegen. Das Sprechen-
Icrnen der Kinder geht analog der Entwicklung der Sprache im
Gesclilecht; Kind und Naturmensch folgen sinnlichen Motiven und
fussen auf sinnlichen .•\niciiauungen. Die abstrakten Begriffe stellen
sich erst nach und nach mit grösserer Deutlichkeit ein. Kind und
Naturmensch sind Egoisten, von den Gefühlen der Lust und Unlust
beherrscht, erst na' h tm ! nach geben sie in der Weiterentwicklung
auch altrui<^t!S'-hrii i T lunlen nach, je stärker sich die sozialen Triebe
entwickeln und jc weiteren Umfang sie annehmen; Kind und Natur-
mensch sind leicht von Furcht und Aberglauben beherrscht und
haben Gefallen an der Grausamkeit. Wie der Naturmensch zeichnet,
so zeichnet unser Kind. Wieviel Imeres'^r beide für das Tier- und
Jagdleben haben, ist bekannt. Im Knabenaltrr spiegelt sich das
Helden^eitalter der Völker wieder u. a. So fallt von der typischen
Gesamtentwicklung ein klärendes Ucht auf die Durchschnitts*
entwicklung des Einzelmenschen. Urui letzterer wiederum kann
den Gesamtgang erhellen und psychologiscli zu deuten versuchen." ')
— Man wird nicht behaupten wollen, dass die Lrnte reichlich aus-
gefallen ist, vielmehr, dass nur ganz allgemeinste Erlebnisse vorliegen.
Oder woUte man die Übereinstimmung zwischen Einzel- und Kultur«
entwicklung für besonderen Gewinn ansehen? Auch diese beruht
nur auf allgemeinsten Stützpunkten. Man darf aber nicht vergessen,
dass der sogenannte Naturmensch lediglich eine Konstruktion der
Forscher ist; es ist mögUch, aus einzelnen Gebeinteilen das ^anze
Skelett zu konstruieren, nimmer aber das Leben, das darin pulsierte:
das ist eine Rekonstruktion der Gelehrten, das können alle
Petrcfakte ahnen , aber nicht schauen lassen. .^bcr auch die
Naturvölker, die unsere Reisenden uns beschreiben, erlauben keinen
») A. a. 0., s. 256 C
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— 337 —
wertvollen Vergleich mit einer gewissen Entwicklungsstufe des
Kindes von heute, das gleich in unsere Ki!Uur\^'elt hineingesetzt
wird. Jene Wilden sind etwas total anderes als das Kind auf der
angeblich korrespondierenden psychogenetischen Stufe. Ähnliches
gilt lur die folgenden Entwiddungsstufen, obgleich sich hier aus
der jemals erreichten Kulturhöhe und dem Interessenkreise der
Kinder zweifellos ungleich reichere und wertvollere Vcrcyleichs-
momente anführen lassen. Nin^nit r aber geht das moderne Kind
auf korrespondierter Kuiturliöhe restlos in jenen Vergleichs-
momenten auf: es bldbt zum grösseren und wesentlicheren
Teile ein Kind seiner Zeit Dazu kommt femer und besonders:
die Dinge, auf die es einer Psychogenesis ankommt, sofern
sie sich nicht bescheiden will — und sie kann das ja nicht — nur
allgemeinste Fingerzeige für die praktische Pädagogik zu liefern,
und Gegenstand unmittelbaren Erlebens und wissenschaft-
lichen Brobachtens. Dabei handelt es sich notwendig um Besonder-
helten und Werte, die den überlieferten Kulturentwicklungsphascn
vollständig gleichgültig waren , auf die also von da aus keinerlei
gesicherte Rückschlüsse möghch sind ; mit Allgemeinheiten ist aber
der praktischen Pädagogik wenig gedient So ist dodi das
Hinüberhellen aus der Menschheits- in die Individualentwicklung des
Kindes und umgekehrt von recht problematischem Werte.
Rückblickend dürfen wir aussprechen, dass es in der Pädagogik
keineswegs an Versuchen, emstüchen Versuchen, gefehlt hat, die
kindliche Besonderheit auf den verschiedenen Altersstufen dem
Lehrstoffe gegenüber zu ihrem Rechte zu verhelfen, am nach-
drücklichsten ist das geschehen in unsern Tagen — aber es fehlt
heute noch an einer Psychogenesis des Kindes, trotz des weit-
verbreiteten Interesses für die Psychologie, trotz der Hunderte von
Händen und Köpfen, die an der Psychologie des Kindes so emsig
schaffen, trotz der " im Vergleich zu früheren Zeiten teilweise
vortrefflich ausgestalteten Beobachtungsmethoden, und trotz der
weiter und intensiver verbreiteten BeOihij^ung zu objektiver ein-
facher Beobachtung, die ein gesteigertes Interesse und die Übung
der erwähnten Methoden notwendig im Gefolge haben: Zu einer
Entwicklungspsychologie des Kindes liegen nur Ansätze vor.
m.
Gehen wir nun zurück zu den für die praktische Pädagogik
feststehenden und wahischeinlichett Ergebnissen der Psychogenesis,
die wir eingangs bei Stern kennen gelernt haben. Dabei möge
erlaubt sein, auch diejenigen, die nach dem heutigen Stande der
Wissenschaft als unumstössliche Tatsachen vielleicht nicht an-
gesehen werden dürfen, die weiterer Nachprüfung bedürfen, mit einem
sehr hohen Wahrscheinlichkeits-Koeffizienten zu versehen. Welche
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- 338 -
Bedeutung haben diese psychogenetischen Wahrheiten ifir das
Formalprinzip des Lchrplans?
„Alle psychische Entwicklung ist rhythmisiert."
Der Satz ist quantitativ gemeint, er hat geistige Mnergie-
schwankungen im Auge. Ihm entspricht die pädagogische Forde-
rung: die Anforderungen durch den Unterricht müssen dem
jeweiligen Kraftestande so angepasst werden, dass das Leistungs*
Optimum erzielt werde, sowohl nach sciten der Bedingungen aJs
des Erfolges der Arbeit. Diese Forderung aber kompliziert sich
bei näherem Studium sehr stark. Nicht allein, dass die ver-
sdiiedenen Individuen einer Klasse in Einzelheiten der quantitativen
Entwicklung bedeutend variieren, so dass sie nur unter den ver«
grösserten Gesichtspunkten für die formale Lehrplangestaltung zu
Klassentypen vereinigt werden können/) auch innerhalb dosseihen
Individuums ist in der psychogenetischen Entwicklung die W cllen-
bewegung für die verschiedenen Weisen der geistigen Betätigung
Iceineswegs übereinstimmend. Endlich ist die Wellenbewegung
auch noch Jahres-, selbst Tagesschwankungen unterworfen. Hier
muss die Psychogenesis noch viel Mnterinl sammeln , es durch-
forschen und die Resultate dieser Forschungen zu bestimmten
Typen vereinigen. Hierzu genügt nicht, wie wiederholt betont
werden möge» ein Konglomerat zeitlich, örtlich und vor allem
ßersönlich gelegentlich durch Massenbeobachtung gewonnenen
[aterials, so wertvolle Arbeiten heute auch schon vorliegen; die
Aufgabe, die zu lösen ist, heisst: Psychogenesis des werdenden
Menschen, Eine solche kann nur gelöst werden durch vielfache
Beobachtungen, die an denselben Individuen von unten bis oben
in sorgsamster Weise durchgeführt werden.
„Die relative l'-ntwicklungslänge und -weite stehen cinigermassen
in Proportionalität. — Die Entwicklungsgänge stimmen bei Knaben
und Mädchen nicht übereiu."
Beide Satze haben, wenn sie sich in fernerer Untersuchung
bewähren, grösste praktische Bedeutung. Sie werfen ein bedeut-
sames klärendes Licht in eine Reihe brennender pädagogischer
Zeit- und Streitfragen, zunächst bezüglich des Unterrichtszieles der
verschiedenen lüldungsanstalten. Diese Ziele sind nach sachlich-
iogbchen Gesichtspunkten — ich sehe von ethischen Ziel«
bestimmungen ab vielfach erwogen und die verschiedenen
Strömungen als pral;tis( he realistische, humanistische u. a. charak-
terisiert worden. Im Sinne der l\yrho','enesis ist man noch nicht
an sie herangetreten. Trotz der gcvvakigen Schwierigkeiten, die
sich hier aufttirmen, muss daran festgehalten werden, dass die
Fsychogenesis ein entscheidendes Wort mitreden muss in der Bc-
') Selbstverständlich wird ein taktvolles Lehrvcrfakreji tiefer in das Individuelle
dodHagcn können und mltaen.
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antwortung der praktischen Frage, welcher Bildungsanstalt, welchem
Unterrichtsziel der Zög;lin(^ /lu^cfiihrt werden könne und müsse.
Diese f\ir den Einzelnen so einuient wichtige Frage greift tief in
die gau/ce Schulorganisaüon ein. Man konstruierte die Unlerrichts-
aele der verschiedenen Bildungsanstalten, weil man aber keine
Rücksicht nahm auf die Entwicklung der kindlichen Seele, so musste
man die erste Auslese bei der Neueinschulung vielfach dem Zufall,
der Eitelkeit unverständiger Eltern, dem zufalligen sozialen Milieu
des Hauses überlassen. Dann greifen die Examina, Noten und
Zensuren ein, sie schaffen eine Auslese, die Beschrankteren „bldben
ätzen", verschwinden von der Anstalt, um einer andern Unterrichts-
anstcilt anheimzufallen, tlie sich in ihren Unterrichtsfordeningen nach
einer niedrigeren Decke streckt. In den Volksschulen wiederholt
sich ein ähnlicher Vorgang, nur mit dem Unterschiede, dass für die
schwächer und schwach Befähigten der Vorgang viel trauriger
verlief, weil die Volksschule sie behalten und als überflüssiges
Leergut mitführen musste, bis die Konfirmation sie von ihren Leiden
erlöste. Das waren jammervolle Zustände,^) die ernsten Reformern
ans Herz greifen mussten. Heute sehen wir überall in grösseren
Orten Ifilfesdiulen erstehen, in Bfannheim hat man Förderklassen
eingerichtet und wir lesen sehr einleuchtende theoretische Er-
örterungen über die Einrichtung von Sonderklassen für hervor-
ragend Befähigte, für Talente und Genies. Die Fordenmg einer
allgemeinen Volksschule tritt in ihrem berechtigten i'cile ein dafür,
dass der Begabung die Bahn freigemacht, dass die Wegsperren, die
heute künstlich aufgerichtet stehen, beseitigt werden. Alle diese
Bestrebungen sind in ihrem Kerne psychogenetLsch gedacht, wenn
das auch zumeist nicht ausgesprochen worden ist, denn genau be-
sehen fordern sie für das Individuum Proportionalität zwischen
Entwicklungsweite und Entwicklungslänge. Die „ab-
geschlossene Bildung" ist völlig identisch mit dieser Proportionalitat.
Wo man sie vernachlässigt, verstösst man notwend^ gegen elemen-
tarste pädagogische Forderungen: Entweder man verkürzt die Ent-
wicklungsiänge — und damit natürlich auch die Fntwicklungs-
höhe — bei begabten Schülern der niederen Schule oder man
sucht auf hergebrachten Bahnen mit den schwächer Beanli^en ein
Ziel zu erreichen, das ihnen zu hoch ist, entweder erreichen sie es
UfitfT nn verhältnismässig ausc^cdchnier Kntwicklungslänge — der
seltenere Fall — oder sie erreichen die Propf)rlionahtät überhaupt
nicht. — Dass die rroportionalität auf den einzelnen Stationen bis
zum Endziele hin relativ ebenfalls gewahrt bleiben muss, braucht
nicht naher ausgeführt zu werden, auch soll nicht näher gezeigt
*) Man bedenke, dass laut „Stalistischcm Jahr!mch" in Mannheim 54,3 */o, Lübeck
55.6 « Kiel 59.4 "iot Darnwtadl 63,8" ,,, Karlsruhe 66,« »Z^, Bremen 66,6%, Frei-
burg i. Br. 70,6 0 0 o. 9. ty Zwickau So,6 der ScbOlcr die OberldBsse enrcicheii.
82*
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— 340 —
werden , welche ikdeutung der Satz für die Gestaltung dcs Lehr-
plans der einzelnen Bildungsanstaken hat.
Wenn der Satt, dass die Entwicklungsgänge der Knaben und
Mädchen nicht übereinstinunen, durch fernere Untersudiungen sich
bestätigen sollte, so hatte man darin allerdings, wie Stern hcr\'or-
hebt, ein sehr wesentliches Moment im Kampfe gegen die Koedukation.
Doch will mir scheinen, dass die iJnterschiede in den Entwicklungs-
gängen, wenn sie geringeren Grades sind, nicht so schwerwiegende
Mängel sind gegenüber den Vorteilen, d^e ein gemeinsamer Unter>
rieht bietet. Man darf nicht vergessen, dass doch die Entwicklungs-
gänge individuell verschieden sind. Bei dem Mrts^cnuntcrrichte, der
verschiedene Entwicklungsgänge vereinigt, finden wir dort, wo die
Geschlechter getrennt ^d, zwischen den schwädieren und
tüchtigeren Schülern vielleicht ähnliche Divergenzen wie zwischen
den Knaben und Mädchen. Bleiben aber die Entwicklungsgänge
des einen Geschlechts erheblich unter dem des andern, dann muss
eine Koedukation bedenklich erscheinen.
,,Die Entwicklung geschieht in einer Kette von Metamorphosen,
die sich auf eine Formel nicht reduzieren lassen." Sie geschieht
vom Peripheren zum Zentralen und wird ursächlich bedingt durch
, Konvergenz des Innen- und Aussenfaktors.
Hier handelt es sich zunächst um qualitative Grundtatsachen
der seelischen Entwicklung. Sie sind mindestens ebenso wichtig
für die Psychogenesis — und fugen wir hinzu — iur die Pädagogik,
wie die besprochenen quantitativ en. Sie weisen der Psychogenesis
die grosse, schwierige Aufgabe zu: Typen der Entwicklungs-
metamorphosen zu zeichnen. Nicht kommt es darauf an , mit
minutiöser Genauigkeit den Eintritt der einzelnen Phasen zu ge-
winnen, dieser lässt sich überhaupt nicht genau bestimmen, vielmehr
„besteht in den Relationen der Entwicklungsphasen die Al^emetttr
gültigkeit der qualitati\rn Kntwicklung". Gewisse Hauptetappen,
ob schneller oder langsamer, durchläuft jedes Kind, auch kehren
sie bei gewissen Funktionen immer wieder (Beispiel ,3ei der
Sprachentwicklung des Kindes zeigt der Wortschatz nicht etwa
proportionales Wachstum aller Kategorien, sondern deren additives
Auftreten. Zuerst ist das Kind mir im ,,Suhstanzstadium"; sein
Wortschätz enthält (ausser Interjektionen) nur Substantiva. Dann
tritt es in das Aktionsstadium = es erwirbt, während natürlich
die Substantiva ständig zunehmen, ziendidi plötzlich eine grosse
Zahl von Verben. Zuletzt erst erreicht es das Niveau des
„Relations- und Merkmalsstadinms", in welchen .Adverbien, Adjektiva,
Präpositionen usw. erworben werden. Diese Reihe zeigt sich in
gleicher Folge auch z. B. bei der Entwicklung der spontanen
ErinnerungsSUiigkeit, bei der Anschauung von Bildern, bei Aussagen
Über ein vorher gesehenes Bild"). Solche und ähnliche Typen, so
erwarten wir, wird die zukünftige Psychogenesis der Pädajg^ogik zu
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Dienst stellen und ihr für den formalen Aufbau des Lehrplans und
das Lehrverfahren ausserordentlich wertvolle Dienste leisten.
Die voraufgegangenen Darlegungen beziehen sich lediglich auf
die Auswahl und Anordnung des Lehrstoffs unter Berücksichtigung
der formalen Grundlage der Lehrplantheoric und beschränken sich
dabei auf einige allgemeinste Grundtatsachen der Psychogenesis :
Von erheblich tiefer- und weiterdringendem Einfluss wird die
Psychogenesis werden, wenn sie den Ursachen dieser Tatsachen
nadigeht. Wenn die Psychogenesis nach dieser Seite einst wird
weiter ausgebaut sein, wird sie für die andere, die materialc Grund-
lage des Lehrplans zweifelsohne reiche Schätze liefern.
n.
Heimat und Unterricht
Vor J. L ietter io Kirchbeim.
Immer mehr wird die „Bedeutung der Heimat für den Unterricht"*)
erkannt. Der Unterricht soll praktisch, dem Kinde angemessen
und der Erziehung förderlich gestaltet werden. Das ist nur möglich,
wenn er Greif- und Begreifbares, wenn er konkrete Wirklichkeit
bearbeitet und die im Innern des Kindes anzubauenden WirkUchkeits-
werte aus jener Grundlage ableitet. Der blosse Wort- und Gc-
därhtnisdrill muss dem Sach-, dem Anschauungs- und TTeimat-
unierricht das Feld räumen. Das gegenständliche Denken" kommt
dann zu seinem Recht und Worte, Gefühle, Phantasien, Bilder er-
langen realen Gehalt. Das Urteil und das Wollen des Zöglings
gründet sich auf wirklichen Empfindungsgehalt und arbeitet nicht
mit blossen Gedankenschemen.
Diese Frrungenschaft der neueren Pädagogik machen sich die
Lehrpläne der Volksschule zu eigen,') indem sie in den ver-
scJiiedensten Fächern die Berücksichtigung der heimatlichen Ver-
haltnisse verlangen und die „Heimatkunde" anstelle des Anschauungs-
unterricht'-: aV. Vnrh aufnehmen. Damit kommt zur Ausführung,
was im [ auf der Zeit immer dringender als Fordcnmg aufgestellt
und durch Versuche im praktischen SchuUeben immer deutlicher
und gewinnbringender fiir den Gesamtunterricht vor Augen gestellt
') So lautete das Thema der nachfolgenden Vortrige, geludlen «nt dem praktUch-
padagogischen Ferienkars in Kirchheim-Tcck 1907.
*) So der neue „Lchrplan fUr die wUrttembergisdien VolkMchnlcp" I907 «od
auch der „Untemchuplaa der Volksschulen" in Baden, 1906.
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wurde. Wir müssen der Entwicklung der Dingte Rechnung^ tragen
und an der praktischen Ausgestaltung mithelfen, wenn wir anders
den Gedanken al^ gut und die praktische Ausnützunfr desselben als
förderUch erkannt haben. Damit aus der Hinsicht der Wille hervor-
springe, soll eine eingehende Darstellung der Sache mit ihrem
ganzen Schwergewicht auf uns wirken. Nicht das Vielerlei, sondern
die Starke der Eindrücke soll uns bestimmen, unsere Aufmericsamkeit
darauf zu richten und unsem praktischen Unterricht entsprechend
umzugestalten.
Wir wollen also in ausführlicher Weise von der Brdmttin;;' der
Heimat für den Unterricht reden und dabei folgende Fragen zu
beantworten suchen:
Was bedeutet uns die Heimat, was ist sie für den Schüler?
Warum hat sicii der Unterricht an sie zu halten, warum ganz
besonders sie zu behandeln?
Wie lässt sich diesem Verlangen in den einzelnen Fächern
nachkommen, wie in der einzelnen Lektion?
Wie muss endlich der Lehrer selbst in der Heimat zu Hause
sein, sie zum Gegenstand eifrigen Forschens und Uebevollen Um»
gangs machen, wenn er ihren didaktischen Wert erkennen und das
darin vorhandene reiche Arsenal von Anschauungsmitteln voll aus-
nützen und die Schüler nicht nur ^ur Heimatkunde, sondern zur
Heimatliebe und zum Heimatwirken führen will?
L
Was bedeutet die Heimat was ist sie für den Schüler?
Einsam durch Veronas Gassen wandelt einst der grosse Dante,
Jener Florentiner Dichter, den sein Vaterland verbannte.
Da vernahm er, wie ein Mädchen, die ihn sah vorüberschrciUSi
Also sprach cor jOogem Schwester, velchc saa« an ihrer Seiten:
„Siehe, das. i>t jener D.mtc. der ,ur II. »II" hinabgestiegen,
Merke nur, wie Zorn und Schwermut auf der ditstem Stirn ihm liegen;
Dena in kaer Stadt der Qnalen musst er solche Dinge schauen,
Dus SB Uh^ln nimmer wieder er vetmag vor innerem Gfanea/*
Aber Daatc, der e« lioit«, wandte älch und brach sein Schweigen:
,,Um das Ulchelo tu verlernen, braucht's nicht dort hinabrustfipcn.
Aileo Scbmecz, den ich gesungen, all die Qualen, Urcui und Wunden
Hab* ich schon aaf dieser Erden, hab* ich in Florenz gefhnden !** (Getbd.)
Und am heimatkundlichen Museum in Dresden steht als Motto:
„Des Lebens Tiefen, die Weiten der Welt
Die Heimat in sich Terschlossen hUt."
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Die Heimat ist der Nährboden für unser Selbst. Was wir an
Vorstellungen, an Gedanken, Empfindungen, Gefühlen und Willens-
rcf^ungen tagtäglich in uns bewegen, hängt irgendwie mit unserer
Heimat zusammen. Die Heimat ist freilich zunächst nichts anderes,
als der Ort, an dem man lebt und seine Erfahrungen macht. Wo
man aber bloss körperlich lebt, atmet und sidi bewegt, da ist man
noch nicht daheim. Man muss erst seine Umgcbunr:^ L^cistii:; In sich
aufgenommen haben, muss in seinen Gefühlen sicii mit ihr ver-
bunden finden und eine andauernde Arbeit in ihr verrichtet haben,
um sagen zu können, hier bin ich 2U Hause, das mcäne Heinnt
Deswegen ist der Ort der Greburt und der eisten Entfaltung unseres
Sinnes- und Geisteslebens unser Heimatort.
Aber auch später können wir irgendwo anders unsere Heimat
finden. Man redet dann von einer zweiten Heimat, die man
gefunden, und denkt sich dieselbe im vergleichsweisen, uneigent-
üchen Sinne. So kann man sich an einem neuen Wirkungsort
daheim finden, wenn man Heimisches erblickt, wenn sich Heimat-
gefiihle entwickeln, wenn Liebe zur Natur, zu Menschen, zu geistif^er
Arbeit, wenn diese oder jene Interessen einen würdigen Gegenstand
finden, dem man sich hingibt, an dem man sich erfreut und den
man im Weiterleben verwertet Aber dennoch sieht der Pfalzer,
der Unterfranke die Schwabenalb anders als der im Angesicht der-
selben geborene und aufgewachsene Schwabe, Man kann sich von
der schwäbelnden Mundart anheimeln lassen, dieselbe nachahmen,
aber zum Schwäblein bringt man es damit noch nicht Ebenso
umgekehrt Jedem Menschen bleibt ein Erdgeruch anhaften, er
mag geistig noch so hoch steigen utid körpeiiich noch so weit
reisen. Das Heimatkolorit verliert sich nicht, wenn es auch mit
andern Farben verdeckt wird ; es schimmert durch und ist dem
kundigen Auge erkennbar. Die Heimat ist die Gebiutsstätte des
Geistes. „Wo dir Grottes Sonne zuerst schien, wo seine Blitze dir
zuerst seine Allmacht offenbarten und seine Sturmwinde dir mit
heiligem Schrecken durch die Seele bmii'stcn • da ist deine Liebe,
da ist dein Vatrrl md. Wo das erste Mensciienaugc sich Hebend
über deine Wiege neigte, wo deine Mutler dich zuerst mit Freuden
auf dem Schosse trug und dein Vater dir die Lehren der Weisheit
und des Christentums ins Herz grub, da ist deine Liebe, da ist
dein Vaterland," so sagt Emst Moritz Arndt. Reise in fremde
Lünder, du wirst nicht fertig, immer wieder die Heimat mit der
Fremde zu vergleichen, Vorzüge und Nachteile abzuwägen, au den
fremden Sprachton didi zu gewöhnen und dabei immer ein kleines
Unbehagen mitzuscMeppen. Du gibst dir Mühe, fremde Denk- und
Lebensart zu verstehen, indem du sie nn drr rr^wohnten heimischen
missest. Durchquere als Älbler den Norden 1 Deutschlands und lass
dir nicht zum Bewusstsein kommen, dass du das Land der Berge
mit der Seele suchst, dass dich die Ode und Langweiligkeit der
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Fläche fast zu Boden drückt, dass du dich schon halb zu Hause
findest, wenn du dich von Leipzig her ins Saalct.il eingefiihrt
von Talhängen umgeben siehst und dann gar die Thüringer Wälder
gemessen darfst, die dich vollends in die Heimat versetzen! Die
Entfernung von der Heimat bedeutet Rur jeden eine Entbehrung,
sum mindesten einen geistigen oder gemütlichen Verlust Daher
das Herbe des Abschieds, das sich oft nur in stille gehegten Ge-
danken, oft auch in körperlichem Missbehagen, ja sogar in Krankheit
einstellt Und dann die Rückkehr zur Heimat! Wer hat es noch
nicht empfunden, wie sich in seinem Herzen das unterste zu oberst
kehrt, welches eigentümliche Gefühl ihn überrieselt, wenn er die
alte Heimat, die Stätte seiner Jugend nach langer Abwesenheit
wieder betritt. Hier die alte Brücke noch, an der er bei niederem
Wasserstand mit den Kameraden sich im Tiefsprung geübt; dort
das Hag mit dem ehemaligen prächtigen Durchschlupf, jetzt leider
durch einen Drahtzaun ersetzt, daneben der alte Holzbau mit
seinem vorstehenden Dach und einer offenen Einfahrt, an Regen-
sonntagnachmittagen der Versammlungsort der Jui^end aus der
Nachbarschaft; hier neben der Strasse einst der künstliche Teich,
im Sommer das Musikzimmer der Frösche, im Winter die
prächtigste Eisbahn. Aber, wo ist er^ Verschwunden, eingeworfen
und ein Häuslein mit der Brückenwage der Gemeinde darauf
plaziert. Überall Änderungen, Neues, das ersehnte Alte, das
Heimische verdrängt 1 Wie weh tut das dem zurückkehrenden Ein-
heimischen. Wenn er es gewusst hätte, dass man so rücksichtslos
das Alte durch Neues ersetzte, hätte er längst keine Burgersteuer
mehr entrichtet. Zu manchem seiner alten Bekannten spricht er
das bittere Wort : Es gefallt mir nicht mehr bei euch ; ich komme
mir hier {»anz fremd vor und so wie bei euch kann ich es überall
haben 1 Nur die Berge drüben, die Burg daran, der Bach unten,
der Kirchturm draussen und die Gestirne droben blieben die gleichen
und wie in der Heimat erfreuen sie nirgends.')
Die Heimat ist für jeden etwas Besonderes. Sie lieferte das
erste Material für die Vorstellungen, und alle folgenden im späteren
Leben sogen neue iCraft aus jener ursprünglichen Grundlage.
Deshalb ist das gesamte Geistesleben von den sinnlichen und räum-
lichen Grundformen der Heimat gebildet und formiert*) Die Denk-
S. smch: Die IleimaUdee im Unterricht der Volksschule von Karl Hossao.
Sttanborg 1905. i. Kapitel: Kkee emcs grouen Kindet tfber die Fovliehritt»'
beitrebungcn scims Ilcimit'irt- S. i — 4.
') Etogumil Goltz saj;! in scimiu ,,lUich der Kindheil": Wer das Lkhl der
Welt m eisem Torfmoor odi r m Wüstensandc erblickte, der ist Ar Zeit und Ewigkeit
an Heiden und Wüatenprund gelninnt und kein Paradieseszauber gewinnt und füllt seta
Herz ganz und gar, wenn er ihn später unibuhlt. — Ein wahrhaft kindlicher Mensch
sieht zeitlebens die meisten Dinge unfreiwillig in den Geschichten und Bildern, in der
Firbung, Belenchtong und LebcnifUüiiiig, in den HertenMchaacrn, der Scelenstimmong
«ad Symbolik, wie to der Jogeod luad Xiodcneit.
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bewegung selbst, die Höhe und Weite, gleichsam die Amplitude
der geistigen rV( illation, ist vom Wechsel zwischen Berg und Tal,
von der Mannigfaltigkeit des Gesichtskreises becinflusst, und die
Stärke der sinnlichen Wahrnehmungen, die Lust zu Beobachtungen,
die Bevorzugung besonderer GeistesLatigkeit , aus der sich die
Talente entwickeln, der GeiQhbausdruck in Sprache und Gesang;
die Art des Verkehrs mit dem Nachbar, das Verwinden von
Unglücksfallen, die Trauer um den Verlust von Angehörif^en, die
Freude an neuem Leben, das sich in der Kninnicr. im Stall, in der
Hecke zuerst zeigte, und noch so vieles andere gibt der Seele den
konkreten VorsteQungstnhalt, mit dem sie weiterhin wulschaftet,
gibt dem GefUhl seine eigene Färbung und dem Willen beharrliche
Antriebe.
Aus der Heimat erwächst die Individualität und diese ist die
Unterlage der Person. Aus der Heimat gewinnt sie die ersten und
tiefgehendsten Anschauungen. Die unvet&schte und unmittelbarste
Natur wirkt auf den Geist. Ihre mannigfaltigen Wesen in Hof und
Garten, Feld und Wald unterstehen der selbständi^^cn Betrachtung
und F-rforschung. Die Naturvorgänge in ihrer beständigen Wieder-
kehr prägen sich unwillkürlich ein und es entsteht eine Vorahnung
naturges^zlicher Ordnung. Auch der erste Gedanke und das
elementare Empfinden der Schönheit der Natur, eines Sonnen-
untergangs, einer Waldvcrfärbiing im Herbst, eines glitzernden
Schneefelds mit dem Rauhreif an den Bäumen, eines sternhellen
Abends u. dgl. stellt sich ein und die wandernden Wolken geben
der Phantasie die erste Nsüming. Noch mehr Anregung bieten die
Gemeinschaftskreise der Heimat, wie sie das Elternhaus, die
Nachbarschaft und der Heimatsort selbst darstellen. Wie man zu
Hause denkt und urteilt , ob daselbst ein geistiges Leben herrscht,
ob im Ort über Altes und Neues geredet wird, welche Bücher und
Zeitschriften gelesen werden, was im Kreise der Kameraden ver-
handelt und an^restrebt wird, — das alles verleiht der Heimat zu
jeder Zeit ein eigentümliches Gepräge und ist von grossem Einfluss
auf den werdenden Menschen. Er urteilt wie seine Umgebung,
wird von ihren Interessen angezogen, von widerstreitenden Gedanken-
richtungen abgestossen, lernt tadeln, streiten, kritisieren u. s. f. Er
nimmt aus dem Munde nicht besteUter Ldirer, sondern vielleicht
alter Männer, Mütter, älterer Genossen oder Kameraden geschicht-
liche Nachrichten, frühere und jetzige Ansichten über Zeit und Welt,
Gott und Mcnschlieit, über Tiere, Pflanzen, Sonne, Mond und Sterne,
erfährt Sagen, Märchen, Gcistergcschichten , lernt Bräuche, Sitten
und £igenMiten kennen und fiigt sich denselben unbewusst Es wird
aber auch im Angesicht konkreter Fälle das sittliche Urteil in ihm
geweckt, er lernt die Beziehungen unter den Menschen nach ihrem
moralischen Wert einschätzen und erhält die nachhaltigsten religiösen
Anregungen. Zugleich übermittelt die Heimat mit der Spraciie
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bestimmte Ausdr i^ke, Anschauungsweisen, Begriffe, Volks-vcishcit
in Sprichwörtern und Aussprüchen. Das Arsenal der Kinder- und
Volkspoesie schliesst sich ihm auf und der junge Mensch bemächtigt
sich des Grebotenen, ohne sich nur des Lernens bewusst zu werden.^}
In der Heimat erwirbt sich der Mensch ein geistiges F'amilienerbe,
ein Stammes- und Volksf:^ut, ein Anschauungsmaterial aus dem
Reich der Natur und Sittlichkeit, das seine Ausstattung fürs ganze
Leben bildet und die erworbene Seite der Individualität ausmacht.*)
Welche Bedeutung kommt nach all demderHeimat
für den Schulunterricht zu?
£r soll im Kinde ein kräftiges und vielseitiges Interesse wecken.
Ein solches erhebt sich nur auf starken, klaren und deutlichen An-
schauungen. Mit der Leichtigkeit ihrer Erwerbung erwacht auch
die Lust und das Bedürfnis darnach. Welcher Mensch will nicht
sehen , hören , sinnlich wahrnehmen ? Die im Bewusstsein er-
stehenden Bilder erfreuen, ihre Verknüpfung, Abänderung, weitere
Verwertung gehikt Mim Vergnügen des Lernens. Wie angenehm
ist es, wenn zu einem Wort, zu einem Begriff sich leicht und schnell
das korrespondierende Bild oder Beispiel hinzufindet. Daher kein
Interesse ohne Anschauung. Die unmittelbare Anschauung bietet
allein die Heimat, denn sie befindet sich, in sinnlicher Nähe. Was
dann der Schüler noch weiteres lernt, obwohl es seinem wirklichen
Anschauungskreis fernliegt, das lässt sich nur durch Vefgleichung
mit diesem deutlich m^hen und nur durch Vermittlung der schon
bekannten Vorstellungen aufnehmen oder apperzipieren bezw.
assimilieren. Dadurch wird das Lernen zur Selbsttätigkeit und die
Lernfreude ist sein Begleiter.*)
Der Schüler lernt nur richtig, wenn er durch selbsterworbenc^
klare und deutUche heimatliche Anschauungen die im Unterricht
notwendifi^en fernerliej^enden Vorstellungen und Begriffe gewinnt.
Dieselben sind dann nicht blosse Wortvorsteliungen, sondern haben
einen konkreten Gehalt und sind hernach nicht bloss ins Gedächtnis,
sondern ins Oemüt aufgenommen. Dann wird das Interesse bleibend.
Die Heimat ist auch Unterlage eines vielseitigen Interesse, weil
darin nicht nur ein reirhes Vorstellungsmaterial einer Richtunt^ und
Art, sondern ein vieifälfit^es Material für die verschiedensten
RicliLungen der Geistestätigkcit, iur Natur-, Erd- und Himmelskunde,
für Geschichte, Sprache, Rechnen, Geometrie, Zddmen, Gesangs
Sitte und Religion sich findet Der Schüler kann mithin für alle
Fächer, für den gesamten Unterricht ans dem Kapita! seiner heimat-
lichen Vorstellungen reiche Zinsen üehen. Aber der Unterricht
>) Das geistige IlinciDwachscn des Kinde* in <fie Heimftt sctiUderl Kerp, Flthrcr
bei dem Unterricht in der Heimatkuiulf, S. 13 — 17.
*) S. K. Lange, Über Apperzeption, S. 53 — 56 und 59,2 ff.
•) S. Dr. M. SehiUing, Untenicht «ad latcfCMe, Püd. Stadien 1907, Heft I.
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muss damit wuchern» er muss das Kapital fruchtbringend anlegen.
Dann wird das Unterrichtsziel „Interesse" erreicht und damit zugleich
die Voraussetzung einer persönlichen Bildung des Schülers gewähr-
leistet.
Heimatkunde ist somit ein notwendiges Erfordernis für einen
fruchtbringenden Unterricht in allen Fächern, d.h. sie ist Prinzip
des Schulunterrichts. Sie ist es nicht bloss in dem Sinne, dass sie
Beispiele und konkrete Anschauungen 7Air beliebigen Auswahl am
gewiesenen Orte darbietet, sondern sie bietet solclie in grund*
legender Weise und in Verbindung mit der inneren Teilnahme, mit
dem Gefühl und Willen des Schülers verbunden dar. Das Dar-
gebotene ist dann nicht ein blosses Wortwissen, sondern ein
lebendiger Besitz , geistige Regsamkeit und Strebsamkeit des
Schülers in sich schliessend. Ohne Ordnung, innere Verbundenheit
und Beweglichkeit der Vorstellungen kommt es zu keiner Apper-
zeption, zu keinem richtigen Lernen. Daraus folgt nun weiter, dass
die ursprünglichen heimatlichen Vorstellungen einer Bereicherung,
Verbesserung, Ordnunnr und steten Verwertung im Unterricht der
verschiedenen Fächer bedürfen. Dies ist um so mehr nötig, je
näher sich der Schulunterricht seinem Ausgangs- und Anfangspunkt
befindet, also in der Unterklasse mehr als in der Oberklasse. So
kam man denn zu der Forderung, die Heimaticunde als besonderes
Fach für die Unterklasse zu verlangen.
Wir befinden uns hier in derselben Lage wie früher mit dem
Anschauungsunterricht Von Pestalozzi nahm man den Grundsatz
an, dass die Anschauung das absolute Fundament aller Erkenntnis
sein müsse. Also mussten zuerst und vor attem in der Schule An«
schauungen gegeben oder erarbeitet werden. Solche hatte jeder
Unterricht und jedes Fach nötig. Ja, man dachte daran, dns An-
schauungsvermögen auszubilden und suchte hierfür besondere
Stoffe. Pestalozu stellte ein A B C der Anschauung auf, das sich
das Quadrat zum Ausgangraunkt nahm. Herbart führte die Sache
nach der mathematischen Seite weiter und legte das Dreieck zu
Grunde. Nachfolger Pestalozzis wie z. B. Denzel bearbeiteten die
nächste Umgebung des Kindes: Haus und Hof, Garten, Wohnort,
Feld und Wald, Jahreszeiten u. s. f. und bemühten sich namentlich
um die sprachliche Wiedergabe des Vorgestellten. Der Anschauungs-
unterricht schloss sich zusammen mit dem Spradiunterricht. Beide
hatten den Zweck, das Kind lernfähi^^ zu machen. Aber mit dem
Uberwiegen der feststehenden Spraclilorm in ihrer Übermittlung an
das Kind gelangte man gerade zu dem, was man vermeiden wollte,
zum blossen Wortwissen und abstrakten Vorstelten. Deshalb hat
auch der Anschauungsunterricht sich einer fortgesetzten Verbesserung
unterziehen müssen, ohne dass man damit zu Knde gekommen wäre.
Man verbesserte stets am l.ehrgan;^^ an den zu behandelnden Störten,
wie am UnterncliLsvcriahren. Mau sah ein, dass jeder Unterricht
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ein Anschauungsunterricht sein müsse und die ganze Schulzeit hin-
durch fortzugehen habe. ^Tnn fand, dass anschaulicher Unterricht
ein Prinzip des Volksschulunterrichts sei und Anschauungsunterricht
nur ein Fach für die Unterklasse. Man fand bald auch, dass es
eine Anschauung ohne ein Was des Angeschauten nicht gibt, dass
also dieser Unterricht die dem Kinde naheliegenden Objekte seiner
UmgcbunjT zu Unterrichtsgegenständen erheben müsse. Damit v/nr
man an die Heimat gewiesen. Um dieser Hinsicht im Schul
Unterricht Ausdruck zu geben, taufte man das seitherige Fach An-
schauungsunterricht in Heimatkunde um. Damit war der Zirkel
durch eine Wortvertauschu ng geschlossen und man stand wieder
vor derselben P'rage: Ist Heimatkunde ein Prinzip oder ein P'ach?
Noch auf einem andern Wege kam man zu demselben Resultat.
Von der Ansicht ausgehend, dass durch die Sinne schon in den
Kinderjahren die umgebende Welt unwillkürlich aufgenommen
werde und so der Schüler schon von selbst in den Besitz der ihm
zugänglichen Anschauungen gelange, war man angewiesen, die rohen
Massen solcher Anschauungen, die sich in verworrenem, oft auch
unbenannten Zustand im Kindesgeist einnisten, zu klären, zu ordnen,
in richtigen Zusammenhang zu bringen und unter Begriffe zu stellen,
damit hiervon eine formsue Kraft zu weiteren Erwerbungen aus»
gehen könne. So musste also die Vorstellungsmasse zuerst zerlegt,
im einzelnen klar vorgestellt, in Zusammenhang und in Reihenform
gebracht werden; denn die Erfahrung „wirft Dinge und Begeben-
heiten massenweise hin, zu einer oft verworrenen Auffassung". Aus
diesem Grunde verlangte Herbart einen „anal3rtischen Unterricht"
für das frühe Knabenalter und beruft sich dabei auf N i c m c y e r ,
der in „dem Kapitel von der ersten Erweckung der Aufmerksamkeit
und des Nachdenkens durch Unterricht, oder den Verstandsübungen"
nichts anderes als analytischen Unterricht gefordert habe. Schon
der Domherr von Rochow hat für die Volksschulen einen solchen
Unterricht angeordnet Freilich sollte derselbe nicht gerade an
bestimmte Lehrstunden, einen bestimmten Nnmen und bestimmte
Schuljahre geknüpft sein und .Anknüpfungsj)unkte für die Natur-
geschichte, Geograpliie und Geschichte bieten.') Das führte auf
einen Stammunterricht, der die Aufmerksamkeit des Kindes, seine
Phantasie, sein Denken und Sprechen formal bilden sollte.
Als Finder im Jahr 1844 die erste und j^tmdlegende An-
weisung zur Heimatkunde vcröfientlichte , wählte er den Stoff so,
dass die drei Führer: geometrische Formenlehre, Naturgeschichte
und Heimatkunde (Geographie) vorbereitet werden sollten. Aus*
führlich bearbeiten wollte er bloss das letztere Fach. Der spätere
Herausgeber des Werkrhens, Mat/.at, bemerkte dazu, es folge aus
diesem Vorgehen nicht, dass man die Fächer trenne; besser sei es,
S. Herbirt, Vmriii der allg. Pädagogik § 115.
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sie ungeteilt zu lassen und als Heimatkunde im weiteren Sinne zu
behandeln (gegenüber der sj>äter auftretenden Heimatkunde im
engeren Sinne oder gcograph chen Heimatkunde). Finger habe
diesen Unterschied nicht genüge ad beachtet und eben eine aU«
gemeine Heimatkiinde mit &tonung des Geographischen ge-
schrieben. „In der Volksschule könnte sie vielleicht ganz oder bis
in das vorletzte Jahr den geographischen Unterricht ersetzen," sagt
Finger 2). In der Benderschen Anstalt wurden von ihm anstatt
Anschauungsunterricht die Raumlehre, Naturgeschichte und Heimat-
kunde behanddt und zwar im ganzen in 6 Stunden. Stoy wirkte
neben Finger in derselben Anstalt und führte später die Heimat«
künde in eigener Anstalt weiter im Sinne eines Faches, der elemen-
taren Geographie.
Im Gegensatz zu Stoy hielt Zill er daran fest/) dass Heimat-
kunde nur ein Unterrichtsprinzip sein könne und in der Analyse
jeder methodischen Einheit besondere Beachtung finden müsse.
Auch Kehr liess die Heimatkunde nur als PrinTiip gelten. In der
von Kehr und Schiimbach verfassten Methodik des sprachlichen
Elementarunterricht (1866) heisst es (S. 43): „Uns ist der An-
schauungsunterricht keine Disziplin, sondern ein Prinzip." Muthesius
trat gegen diese Auffassung kritisch auf in seiner Schrift „Über die
Stellung der Heimatkunde im I^hrplan" und verlangte eine selb-
ständige Heimatkunde als Fach in den unteren Schuljahren, weil da
ein bild von der Heimat im Schüler geschafte-i erden solle, durch
weiches der weitere Inhalt des Unterrichts angccj^r^et werden könne.
In neuerer Zeit hat eine reiche Literatur fachliche Heimat-
knindcn in Menge hervorgebracht. Ks hat z. }'. J ri r h c n , .Theorie
und Praxis der Heimatkunde" zwischen AnsrhauunLrm^intcn icht im
I. und 2. Schuljahr, welcher einzelne, sinnhch waiirnehmbare Gegen-
stände für ach behandelt, und Heimatkunde als Brücke zwischen
Anschauungsunterricht und Realunterricht oder geschlossener Heimat-
kunde unterschieden. Die letztere soll P!)inzelvorstellungen in Be-
ziehung zueinander und zu der einen grossen Gesaiutvorstellung
Hehnat bringen und damit die Grundlage für den darauf zu
bauenden Reuimteiridit schaffen (3. und 4. Schuljahr). Endlich soll
eine eingegliederte Heimatkunde auf der Oberstufe dasjenige Material
der Heimat behandeln, welches zu den Stoffen der übrigen Fächer
in irgend welcher Beziehung steht. Eine ähnliche Unterscheidung
trifft man in Steckeis Aligemeiner Heimatkunde. Der Artikel in
Reins Encyklopadischen Handbuch von E. Scholz kommt zu dem
Resultat, diass die Heimaticunde in ihrer Totalität als Prinzip zu
denken sei, wenn gleichwohl die geographische Heimatkunde als
Fach auftreten könne. Ausser der geographischen wird auch die
geschichtliche Heimatkunde für sich angebaut in der „Heimatkunde
S. Zillcr, MateriaNen tnr tpcddleD nufaflogik, ^ 139 nad Allg. FId. S. 264.
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von Basel", weil es keine allgemein anerkannte Verbindung von
geographischer und historischer Heimatkunde >^äbt. Günther
und Schneider sagen in „Beiträi^c zur Metliodik des Unterrichts
in der Heimatkunde", die Hein^atkunde der unteren Schuljahre bilde
den gemeinsamen Stamm flir die drei später selbständig auftretenden
Unterrichtszweige der Erdkunde, Naturkunde und Geschichte. „Sie
ist eine propädcuti^rl c Disziplin, aber nicht eine einseitig - ^geo-
graphische, einseitig - naturkundliche oder einseitig -geschichtliche",
sondern eine „allgemeine Heimatkunde, welche die einheitliche
Lebensgemeinschaft der Heimat f^eichmässig nach allen drei ge-
nannten Seiten zu betrachten sich vornimmt". Ebenso drückt sich
H. Bande mcr in Königsberg in seiner „Heimatkunde als Grund-
lage für den Unterricht in den Realien" (1905) aus. Auch Prüll be-
rücksichtigt in seiner Heimatkunde von Chemnitz nur Geographie
und Natmfkunde, dte Geschichte weist er der Oberstufe zu. —
Darüber kann kein Streit sein, dass die heimatliche Umgebung
des Schülers einer unterrichtlichen Bearbeitung bedarf. Es fragt
sich aber: Soll diese heimatliche Umgebung als Ganzes im Unter-
richt vorgeführt werden und sollen die verschiedenen Bestandteile
(Stoffe und Betrachtungsweisen) nur als einzelne Seiten dieses
Ganzen zur Geltung kommen; oder sollen die in der Heimat auf-
zufindenden Stofiarten in Tvif her eingereiht und dann je für sich
einer fortlaufenden Betrachtung unterzogen werden^ Im ersteren
Fall würde alles, auch das Geschichtliche, Naturkundliche und
Sprachliche in Raumvorstellungen eingeordnet und die Heimatkunde
in vorbereitende Erdkunde auslaufen. Das wäre Heimatkunde als
Fach im Sinn neuerer Lehrpläne. Es wäre dies ein Sammelfach,
so wie der frühere Anschauungsunterricht ein „Stammunterricht"
war. Es ergäbe sich als Konsequenz, dass die übrigen Fächer:
Rechnen, Religion usw. nicht heimatlich anzubauen wären, da sie
nicht zur Heimatkunde gehörten. Wollte man sie zuch. vollends
hereinnehmen, so wäre aller Unterricht „Heimatkunde" und eine
Teilung desselben nach Fächern avifgehoben. Wir kämen zu dem
Jarototschen Grundsat/: Alles in allem." Die Fächer wurden nach
psychologischen, anstatt nach logischen Gesichtspunkten festgesetzt.
Nun liegt es aber im Wesen eines Faches, dass es als Disziplin
nur Vorstellungen oder Erkenntnisse einer Art und Richtung in
sich vereinigt und diese nach objektiven Gesichtspunkten entwickelt.
Die Stoffe sind von df^r Aussen- oder Innenwelt als Gegenstr'mde,
objektive Tatsachen und deren Beziehungen gegeben. Die iicimat
enthält eine subjektive Beziehung des Kindes zur Aussenwelt, die
psychologisch sehr wertvoll ist und daher bei der Stoffbearbeitung
beachtet werden muss, die aber für die Stoffauswahl keine Weisung
gibt. Mit Heimat" ist eine ähnliche Beziehung angedeutet wie mit
dem Grundsatz: Anschluss des Unbekannten (des Fernen} an das
Bekannte (das Nahe). Nach diesem könnte man ebenso wie
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Heünatkunde einen Nahunterricht oder einen Wirklichkeitsunterricht
verlangen. Es kann daher bei der psychologischen Begründung
eines Faches nicht sein Bewenden haben , vielmehr müssen bei
Festlegung der Fächer sachliche und logische Unterscheidungen
den Ausschlag geben.
Es ist auch eine Forderung der persönlichen Bildung des
Zöglings, dass in ihm ein vielseitiges Interesse angebaut werde.
Diese Interessen erwachsen aus verschiedenen, je für sich stark
betonten Gemütszuständen, die sich dann eben in ihrem ge-
schiedenen Zusammenwirken nachhaltig für Willensentschliessungen
erweisen. Deshalb ist auch notwendig/ dass die verschiedenen
Stoffe in der unterrichtlichen Bearbeitung auseinandergehalten
werden. Das ist zum wenigsten auf der „Stufe der Klarheit"
(Herbart) zu verlangen, wenn sie dann auch im weiteren Gebrauch
verbunden werden.
Sidit man die (lir die „Heimatkunde** vorgeschriebenen Stoffe
naher an, so findet man deutlich Geschichte, Erdkunde und Natur-
geschichte cinrin untergebracht, Zeichnen noch beigezogen. Es ist
nicht einzusehen, warum diesen Fächern in der Unterklasse nicht
der ihnen von Rechts wegen zukommende Name verbleiben soll?
Vidleicht weil sie sich hier als Fächer zu bescheiden, zu elementar
ausnehmen? Aber sollen denn die Fächer nur immer so im Lehr-
plan stehen, wie sie in den Lehrbüchern sich ausnehmen? Will
man überhaupt einen fachwisscnschaftlichen Unterricht und nicht
vielmehr einen schulwissenschaftlichen;*) Datm gebe man doch
vom ersten Schuljahr an einen heimatkundlichen Unterricht in
Gesdiichte, Erdkunde und Naturgeschichte, aber in so einfacher,
elementarer Form, wie es die psychische Natur des Schülers
erfordert. Der Lehrer hat dann drei Fächer vor Augen, die er in
elementarer Gestalt eben im Ausgehen von heimatlichen Vorstellungen
beginnt Es bleibt ihm überlassen, ob er jedes Fach in den auf
dem Stundenplan angesetzten Stunden fortführen, oder aber, was
praktischer ist, einen synoptis* hcn Lehrgang anlegen und f\\r auf
dem Stundenplan angcsctztt Zeit für Heimatkunde" nur eben für
die an die Reihe kommenden Gegenstände dieses oder jenes der
Fächer verwenden will —
Man mag die Sache betrachten wie man will, es ist eben
„Heimatkunde" kein Fach, denn sie hat wcnif; wie der An-
schauungsunterricht einen bestimmten, ^gleichartigen Stoff.*) Sic ist
ein Mischfach und mindestens aus 3 Fächern zusammengesetzt, bei
denen die Erdkunde wegen ihres assoziativen Charakters zum
S. Zillcr, (Irundkffnnp nir 7 hr - vom erziehenden Unterriehl, S. 343 fr., 440
u. a. O. Matrrinlien zur speziellen l auagogik, S. 18 {§ 56). Allgcuiciuc l'ädagogik,
S. 31, 48- 244 1{.
') S, auch E. Fuss, Der Unterricht jm ersten Schuljahr (Dresden, Bleyl und
Kaemmercr), S. 55 und Dr. >!, ScbillinCi Päd. Studien 1906, tieft I, S. 10 u. ff.
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Hauptfach wird. Unangebracht erscheint uns auch die Bezeichnung
eines Faches mit „Kunde". Kine solche begnügt sich mit dem
eintaciien Kennenlernen, Erfahren und Mitteilen. In der Geographie
wurde diese Aul&ssung des Faches erst in neuerer Zeit Ober-
schritten und dieselben dadurch erst zum eigentlichen Lehrfach
umgebildet. Da man nun in der Unterklasse noch nicht auf
physikalische, ethnographische und politische Erkenntnisse, auf
Kulturgeographie abheben konnte, glaubte man wohl, sich mit
blosser heimatlicher £rd,,kunde" begnügen zu müssen. AUein em
rechter Unterricht muss stets zu Erkenntnissen, zu vertieften Ein-
sichten, zu logischer und ethischer Verarbeitung des TatsächUchen
fortschreiten, wenn auch in der Volksschule und vollends in der
Unterklasse in elementarer und elementarster Form. Deshalb rede
man nicht von Hetmat„kunde", sondern von Heimatgeschichte als
Menschen-, Erd- und Naturgeschichte.
Auch die Verschmelzung des heimatkundlichen Stoffes in einer
elementaren Geographie ist unhaltbar. Ks sollen wohl Raum-
anschauungen gebildet werden; aber ebenso notwendig ist die
Bildung der Zeitanschauung. Wenn man genauer zusieht, so beruht
jene auf dieser; denn diese ist die einfache Beziehung des Vorher
und Nachher, jene ist solches mehrfach. Die Vorstellung des zeit-
lichen oder des geschichtlichen Vorgangs ist daher das Element der
Raumanschauung. Deswegen lässt sich auch die Raumerfullung in
erzahlender Weise geben, wie sich z. B. eine Landscluklts*
beschreibung am beäen in Fonn einer ReiseschUderung vorführen
lässt. Der geschichüiche oder erzählende Unterricht kann somit
viel eher als die geographische Raumdarstellung das Hauptfach der
Heimat werden. Der Geschichtsunterricht ist zugleich geeignet,
die Konzentrationslinie für die ganze Schulzeit bezw. für den
ganzen Lehrolan abzugeben, denn er schliesst sich mit der
psychischen Entwicklung des Kindesgeistes am ehesten zusammen,
ist derselben am meisten konform und stellt am besten den not-
wendigen Zusammenhan[T der Bildung her. Daraus ergibt sich,
dass durch den geschicialichcn Unterricht zusammen mit Reli^on
die geistige Hdherbildung des Schillers im ganzen gewährleistet
wird , indem dieser Unterricht in seinen Hauptpunkten die Kon-
zentrationsmittelpunkte für allen übrigen Unterricht nb<T:eben würde.
Es wäre dann dadurch das Unterrichtsziel: vielseitii^^js Interesse
und persönliche Bildung gewaiirieistet, wiederum nur, wenn sich der
Unterricht von der Heimat erhöbe und stets auf dieselbe Bezug
nähme. Also sollte nicht Erdkunde, sondern Geschichte die Grund-
lapfe des lipinintü'^lien Unterrichts abgeben und dies nicht bloss in
den ersten Schuljahren, sondei n durch die ganze Schulzeit hindurch.
Das heisst aber nichts anderes, als Heimatkunde ist ein Prinzip
des Volksschulunterrichts.
Wenn endlich die Heimatkunde als Fach darin ihre Begründung
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— 3S3 —
' linden soll, dass es in der Unterklasse eine Notwendigkeit sei, die
Vorstellungea des Schülers, welche er mit zur Schule bringt, erst
analytisch zti zerlegen, dann im einzelnen zu Idaren, zu ordnen, zu
vergleichen und schliesslich die Bcgriffsbildung in elementarster
Weise durch Reihenblldung zu beginnen, damit der Schüler in der
Ausbildung von zuLreüenden Anschauungen und in der Ableitung
deutlicher Begriffe eine Fertigkeit gewinne; so ist dagegen geltend
zu machen, dass Sich eine solche formale Fertigkeit nur in und mit
dem Stoff bildet, an dem sie gewonnen wird und dn-^s jede Stoffart
und jedes Fach seine ckynr Logik wie seine eigene Anschauungs-
weise mit sich führt und es nicht eine allgemeine Fertigkeit gibt,
die in dem einen Fach ausgebildet, sich audi auf die übrigen über-
tragen würde. Es muss deshalb jeder Stoff in seinem Fach erst
analytisch zerlegt und nach seinen l)pk.inntcn Teilen ins Bewusstsein
gestellt werden, worauf sich die i^iehandlung des Neuen anschliesst,
die zuletzt durch Vergleichung mit anderem Bekannten zur begriff-
lichen Abstraktion ftihrt Die analytische Behandlung ist nicht ein
besonderes Fach, sondern eine erste Stufe des Lehrverfahrens in
allen Fächern und bei jedem neuen Kapitel. Analyse und Synthese
sind überhaupt die einzig möglichen Wege, um zu einer Erkenntnis
zu kommen. Sie sind auch die elementaren Bestandteile jeder
psychologischen Methode, und wenn sie auch l<^risch streng zu
scheiden sind, so kann doch der Denkvorgang nicht ausschlie^tdi
auch nur bei einem einzigen Fach den einen oder den andern Weg
gehen. Wenn ich einen Gedanken, einen Begriff, eine Vorstellung
in die Bestandteile zerlege und dann jeden Teil wieder für sich
betrachte d. h. weiter zerlege, so drängt sich stets die Not*
wendigkeit auf, die erhaltenen TeUe wieder zusammenzuschauen,
zu vereinigen, um das Ganze wieder in der Hand zu haben. Nur
das trifft zu, dass das Analysieren der Vorstellungen zu Anfang der
Schulzeit mehr Zeit und Gelegenheit wahrzunehmen habe, als in
den oberen Schuljahren. Hier soll diese Arbeit von den Schülern
selbst vollzogen werden und die Neuaufnahme von Stoff ist dann
das Hauptgeschäft. Aber naturnotwendig reicht der analytische
Unterricht immer Schritt für Schritt dem synthetischen die Hand
und wird so zu einem unerlässlichen Teil des Lehrverfahrens, nicht
aber zu einem Glied des Lehrplans, zu einem Fach, wie es die
Heimatkunde zu sein scheint*)
') Üb«r analytischen und syntheliscbcn Unterricht siehe Ilcrbarts „Allgemeine
I^ulagogik" und Zillen allgemeine Unterrichtsmethodik ia „Allgemeine PSdagogik**,
liennsgegcben T<m Just g 23 und „M«teiwtiea** ww. — Prof. ]>r. Tli. Vogt,
Der analjrtiidie nnd symOietiidic Unterticht, Jnhrbndi des Vciriu C wte, Kd. 189$,
S. 211.
Pftdagogische Stadiea. XXIX. S.
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— 354 —
WaniM hH floh dir Uitirrloht in die Heimat za laitoa, wann tie fcnoadwt
n iMhiiNtoli?
Wir müssen uns noch ganz besonders klar machen, warum der
I Icimatkimclc die grosse Bedeutung für den Schüler und sein Lernen
zukomni'L, die ihr in der pädagogischen Literatur beigelegt wird.
Sie ist in erster Linie Anschauungsunterricht. Wir
wissen, dass von der ännlicben Ansebauun^ die Gedankenbildung
am ehesten ihren Ausgang nimmt Nichts ist im Verstand, das
nicht vorher in den Sinnen war, ist ein längst bekanntes Wort,
Damit die Sinne die davorstellenden und av:f sie einwirkenden
Objekte nach ihren Merkmalen und Formen erfassen, müssen ihnen
dieselben nahegdsracht werden. Es ist also sinnliche Nähe der
Unterrtchtsgegenstände erforderlich. Die Kinder müssen zu den
Gegenständen hingeführt oder die Gegenstände müssen in die Schule
gebracht werden. Letzteres ist nicht immer möglich, obwohl man
allerlei Ersatzmittel dafür gefunden hat, z. B. Bilder von den Dingen,
Modelle und Sammlungen mit je einem Vertreter oder Teilchen des
Dings selbst Die Anschauungsbilder und Anschauungsmittel werden
von einer betriebsamen Industrie so reichlich und mannigfaltig
angeboten, dass man sozusagen die ganze Welt im Schulkasten
finden kann. Das ist aber immerhin nicht die wirkliche Welt. Ein
Stein vom weissen Jura ist noch nicht der Jura selbst. Die
repräsentative Anschauung ist noch nicht die Anschauung der
Wirklichkeit; noch weniger ist es die Bildanschauung. Man wird
zwar im Unterricht immer auf diese Hilfsmittel angewiesen sein,
wie auch auf die blosse VV'ortdarstclluiig, denn tiie üljer die I Icimat
hinausliegendcn und durch Schulreisen nicht zu erreichenden Gegen-
stände der Geographie und Naturkunde lassen sich nicht in die
Schule verbringen. Deshalb muss man um so mehr darauf aus
sein, alles das, was die Heimat der Anschauung bietet, auch
wirklich zum Gegenstand der Untersuchung. Betrachtung und Be-
obachtung zu nciuncn. Ein Wahrnehmungs- und Wirklichkeits-
unterricht ist also durchaus notwendig, wenn von reellen Vor*
Stellungen, die auf sinnUchen Empfindungen beruhen, ausgegangen
werden soll. Ohne diese bekommt der Unterricht in schwanke n Jen
und wankenden, ungenauen und ungefähren KinbildungsvorstelKmgcn
ein unsichtbares und schwankendes Fundament. Der Wirklichkeits-
und Wahrhdtssinn wird begründet, der fär eigenes Nachforschen
die Grundlage bildet.^)
Ausser dem Gewinn an Wirklichkeitsgehalt und Wahrheitssinn
bringt ein richtiger Anschauungsunterricht an sinnlich nahen Gegen-
*) Vgl Töcel. Didaktik und Wirklielikeit. Draden. Rle^l & KaenuncRr, 1906.
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— 355 —
ständen in die geistige Arbeit eine bestimmte» sachgemässe Form.
Stützt er sich auf die Wirklichkeit, so stehen die Dinge in natür-
licher Grösse vor Augen. Die dreidimensionale Räumlichkeit kann
wahrgenommen werden, die Raumverhältnisse sind richtig gegliedert,
das Vorher und Nachher, Ursache und Wirkung lassen sich erkennen.
Den Wortbezeichnungen und Gedankenbewegungen für diese Ver-
hältnisse entspricht stets eine wirkliche Vorstellung, ein konkretes
Bild, an dem sich der Gedanke emporrankt. Das verleiht dem
Denken Klarheit und der Aussage über Gesehenes und Beobachtetes
die wünschenswerte DeutiiciikeiL
Durch die Sdiulung der Sinne an sinnlich wahrnehmbaren
Gegenständen der Heimat gewinnt der Schüler nicht bloss den
Empfindungsgehalt für seine Gedanken, für sein Fiihlen und
Wollen , sondern er gewinnt auch die richtige und bestimmte , an-
geniessene Form Vorstellung und den angcpassten sprachUchen Aus-
druck. Bei der Übung der Sinne im Sehen und Beobachten wirk-
licher Gegenstande, ihrer Anordnung und ihrer Zusammenhange, wird
das Auge geschärft, der Schüler lernt sehen, mehr sehen und
genauer sehen, fortt{esetzt sehen und prüfend, vergleichend be-
obachten. Man meint, sein Auge habe an Sehkraft gewonnen,
obwohl das nicht der Fall ist und hier ein Wort Herbarts gilt:
Man sieht nicht mehr, als man weiss. Das Sehen ist eben vom
SehenwoUen oder vom jeweiligen Zustand des Bewusstseins ab-
hängig.
Das Sehen richtet sich auf die Form, Bewegung, Farbe und
den StofT der Gegenstände. Der Zweck soll immer auch mit
erwogen werden. Das Abschätzen, das Messen, das Beurteilen und
Vergleichen schliesst sich als geistige Operation der sinnlichen
Tätigkeit an und ein. Die Kinder lernen dann sogar an längst
bekarmtcn Gegenständen Neues und das Bild des Gegenstandes
prägt sich ihrem Geiste ein, hat an Klarheit gewonnen und dadurch
das Interesse erweckt. Mit alledem beginnt ein geistiges Leben in
elementarster, anschaulichster Weise, das für die Folgezeit und nach
den v(^rs( ]iiedcnsten Richtungen sich zu einer wahren Bildung aus-
wachsen kann.^j
Die Heimatkunde ist aber nicht bloss richtiger Gegenstands-
Unterricht, sondern auch der beste Denkunterricht. Was durch
die Sinne an rohen Empfindungen, Eindrücken und Vorstellungen
in den kindlichen Geist aufgenommen ist, das wird schon bei seiner
Vereinigung im Bewusstsein geglättet, aufeinander bezogen und nach
Grund und Folge, Ding und Merkmal usw. verknüpft. Die Vor-
stelluneen werden dann weiterhin in die Sprache, in Zeichen,
Symbde und Begriffe umgesetzt Dieser fortgesetzte Umsatz der
'1 S. Ijei ScIu IIt, Xaturgeschichtlii In- Li lir.iu>t1il^c, eine kur/c ZoSMttRMnhmiDg
der GrundsiiUe für anschauliche Gestaltung des L ntcrrichlis. S. 4 — 5.
23*
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— 356 —
Empfindungen und Gedanken ist unser geistiges Leben, ist geistige
Kräfteübung. Werden diese Kräfteübungen recht g^^enstandlidi,
so dass das Kind gleichsam der Zuschauer ihres eit^cncn Spieles
wird, dass es sieht, wie sich die X'orstellungen aus Erfahrungen ab-
nehmen und sammeln lassen, wie sie gegenseitig sich verknüpfen,
einander entgegenstellen lassen, wie sie unter höherem Gresichts-
punkt sich wieder einigen, wie sie auf andere Gesichtspunkte:
Nutzen, Schaden, Brauchbarkeit, Unbrauchbarkeit, Schönheit, Häss-
lichkeit, Zweck, Ursache, Beständigkeit, Vergänglichkeit u. a. m.
bezogen werden können, wie dabei Urteile sich ergeben und eine
in den Dingen selbst liegende oder b^[ründete Wertschätzung er-
wachst, so macht es eine Erfahrung von den Vergnügungen des
Verstandes, des Urtcilens, Schliessens und Begriffcbildciis, das die
Quellen der Erkenntnis öftnct.^) Auf diesem Schaffen und Mit-
schaffen des Kindesgeistes beruht der wahre Unterricht, und der
Anschluss an sinnlich erworbene Vorstellungen gibt unmittelbare
Gelegenheit und Veranlassung zu denkendem Tun. Auf demselben
beruht die Einführung, das Verständnis und die spätere Teilnahme
des Menschen an der Kulturarbeit. Der seitherige Unterricht war
in der Hauptsache Tradition von Wissensstoffen, er muss zum
Selbsterwerben (zur Okkupation) vom Beginn der Schulzeit ab an-
leiten und sich deshalb unausgesetzt auf dem Boden der Heimat
anbauen.
Die Heimatkunde ergibt weiter auch den richtigen Be-
schäftigungsunterricht. Hier kann bei allem Lernen immer
gleich zur Anwendung übergegangen werden. Ks können Be«
Obachtungsaufgaben gelöst werden, die die Kinder ausserhalb der
Schulzdt in Anspruch nehmen. Sie müssen beaditen, was die
Leute sagen und erzählen, welche naive Ansichten von den Dingen
und Vorgängen in der Natur gehegt werden, welche Sitten und
volkstümliche Reden, Ansichten, Gebräuche und Arbeiten in ihrem
Umkreis sich finden. Sie sollen mit offenen Augen und denkendem
Geiste die Vorgänge im Natur-, Volks-, Familien-, Gemeinde- und
kirchlichen Leben verfolgen und so selbst das Material zu den
unterrichtlichen Besprechungen beibringen. Dadurch geht der
Unterricht ins Leben ein und gewinnt bei den Schülern konkreten
Gehalt Andererseits müssen die Schüler auch wieder das im
Unterricht Gelernte am Leben prüfen, müssen es anwenden und
sich darin üben. Sie müssen hinterher an der Wirklichkeit aus-
machen, ob es sich so verhält, wie iti der Schule gelehrt wurde.
Sie müssen im täglichen Handel und Wandel beobachten, was ein
reUgiös-sittlicher Unterricht ab richtig und nachahmenswürdig auf-
ge^idlt hat. Sie müssen also ihre Erkenntnis im Wollen und
>) Vgl des Verfassers Neue Schatkoost, Bd. I; SpccicUe Didaktik (Die Uhffcanit).
Dresden, Bleyl & Kacmmerer, 1906.
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— 357 —
Handeln hcn orlcuchtcn lassen , wenn anders Früchte zur Reife
kommen sollen. Dabei miiss mit Kleinem, Unscheinbarem,
Einzelnem begonnen werden, wenn etwas ürosses, eine Person er-
wachsen soll Und dieses Kleine und Unscheinbare, aber konlcret
Wirkliche, lässt sich nur im Umgangs- und Erfahrungskreis der
Kinder, im heimatlichen Leben ins Werk setzen. Die Heimat
bildet somit das Ubun^sfeld des werdenden Charakters, des
denkenden und probierenden Schülers; sie ist die notwendige Er-
gänzung zur Sehlde.')
In der Heimat findet sich auch die beste Gelegenheit zu einem
beglückenden und veredelnden Kunstunterricht.
Die von der i [cunat dargebotenen Naturbilder: die Ber^e, die
Täler, die weidenden Herden, der Wald mit seinem jungen Grün
oder in seiner Herbstfarbe, der Bach oder Fluss, die Baume des
Gebirges, das glühende Abendrot und noch so hundert andere
prä<,^en sich dem GeTvihl und Gemüt unauslöschlich ein und sie
sind es dann, durch die jedes neue Bild erfa-^st , durch die jede
Illusion, sei sie durch Malerei oder Poesie bewirkt, hervorgerufen
wird. Deshalb müssen hier die Eilemente des künstlerischen
Empfindens gewonnen werden. Was ein plätschernder Badi, ein
ruhig - still - bewegter See, ein tiefblauer Himmel, ein wogendes
Ahrenfeld ist, das lässt sich schlechterdings nicht mit Worten sagen,
sondern nur in deutlichen Erinnerungen vorsteilen. Mit Kindern,
die aus ihrem Heimatleben im Umgang mit der Natur einen reichen
Schatz solcher Vorstellungen aus Haus und Feld, Wiese und Wald
mitbringen, lässt sich über Naturschönheit reden. Sie verstehen,
was es heisst: „Morgen ist Feiertag! Wie will ich spielen im
grünen Hag, wie will ich springen durch Tal und Hohn, wie will
ich pflücken viel Blumen schön! Dem Anger, dem bin ich holdl"
Sie kennen die Vögel, die Blumen nicht nur dem Namen nach und
im allgemeinen, sondern sie unterscheiden sie am Ruf, am Stand-
ort u. dgl. Sie wissen, „wo die Mandeln rötUch blühen, wo die
heisse Traube winkt, und die Rosen schöner glühen, und das
Mondlicht goldner bhnkt".
Die Heimat bietet den rechten Kunstanschauungsunterricht
Wer hier nicht zum Gefühl des Schönen und Erhabenen gelangt,
der wird es in der Fremde nicht erhaschen; wer hier nicht ein
reiches Arsenal von (Tcfühlstönen einsammelt, der wird später nie
die Harmonie des Schöfien erlauschen. Freilich ist hier das Schöne
noch eingewickelt in die mitschwingenden Herzenstcme der
Sympathie, der Heimatliebe, der Jugendlust, der Sinnesfreude;, der
religiösen Schauer und des Ahsrhicdwehs. Aber gerade diese
bodenständige Ursprünglichkeit sichert ihm einen starken Wuchs,
Herbarl hat daher mtl allem Recht tiem Unterricht üic Aui'^abc gestellt, Et-
Uuoof nad Uwguig de» Scholen n ttgtaua. S, denen „AUg. Pid.".
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wenn nur vom Hause und von der Schule das Schönhcitsgcfühl ein
wenig genährt und (geleitet wird. Ausser dem Naturschönen stellt
sich auch manches Schöne in der Baukunst an Kirchen und altertüm-
lichen Gebäuden, an Gemälden und Denkmälern vor Augen, das mit
Nutzen für die Bildung des Kindes verwertet werden kann. Jeden-
falls aber drückt sich beim tät^liclien Sehen in der Jugend die
Erinnerung daran so unverwischlich dem Gedächtnis ein, dass sie
bei späterer Gelegenheit mit elementarer Gewalt erwacht und dann
ihre bildende Kraft entfaltet. Deshalb muss der Unterricht beim
Betrachten des Schönen seine Anleihe bei der Heimat des Kindes
machen tind Kräfte für die Erstehung und Entwicklung der künst-
lerischen Arh'^e im Kinde aus der Heimatkunde ge\\'innen.*)
Anschluss an Heimat und Wirklichkeit ist aber auch Bedingung
für Entstehung eines richtigen Interesses im Kinde. Aus blossem
Wortwissen und blassen, undeutlichen Anschauungen entsteht kein
weiterstrebendes Interesse. Dazu müssen konkrete Vorstellung^-
jijcbilde antreiben. Was die Kinder mit eigenen Augen sehen, das
ist ihnen fas>.bar und verbindet sich mit Gefiihls- und Lebens-
werten, die zum Wollen und Handeln veranlassen. Solche Aufgaben,
die das Kind durch Selbsttätigkeit löst, lassen sich an und in der
Heimat leicht stellen. Das Kind erlebt dann die Freude des Selbst-
findcns und bekommt so einen Forschertrieb, tlor seinem Lernen
die nötige Wür/c und Beweglichkeit verleilit. l.s ermüdet viel
weniger als an den blossen Einbildungsvorsteilungen. Es denkt in
und mit den Dingen. £s beschäftigt sich mit ihnen auch ausser
der Schulzeit. Es wird gelernt, ohne dass man vom Lernen weiss.
An der Heimat lasf;pn sich aitrh die verschiedenen Interessen
gleicherweise ausbilden: das empirische, da^ spekulative, das
ästhetische, das sympathetische, soziale, religiöse und praktische.
Durch Anschhiss an die Heimat erhält somit der Unterricht Viel-
scitigkcit ( iriindlichkeit und Beweglichkeit. Da sich aller übrige
l^ntcrricht damit \erbinden lasst, so ist die Heimatkunde imstande,
das Interesse des Schülers /.u schaffen. Damit wird der Unterrichts-
zweck erreicht, der durch die Anlegung des Unterrichts aufs Wort-
wissen, Hersagen, Üben u. dgl. gewöhifich verfehlt wird.
Ein Unterricht, der heimatkundlich gestaltet wird, hat auch
nicht weit zur Einheitlichkeit, zur Konzentration. Für die
Formfacher bieten die Sachgegenstände dm Inhalt. Man rechnet
dann mit wohlbekannten oder leicht mcss-, wäg- und zählbaren
Dingen aus dem heimatlichen Anschauungskrets. Damit wird die
Sachkenntnis nach der Seite der Quantität erweitert. Man schreibt
und liest von leicht vorstellbaren Dingen der Heimat; damit kommt
Inhalt in die Schreib- und Leseübungen und man hält i»ich fem von
>) Ausführliche Darstellung dieses Punkten fmdct man bei b. Sc bei 1er, N'alur-
getchtchtlicbe I^hrausüdge, $. 16—32.
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unverstandenem Zeu«:^. Man zeichnet, was man mit den Auc^en
wahrnehmen kann ; damit erhält die Form ihre Ausfüllung. Die
Sprache wird gegenständlich und wahr. Andere, geschichtliche
Vorgänge werden in der Heimat lokalisiert und kommen dadurch
wohl in eine eigentümliche Beleuchtung, aber auch zugleich in
greifbare Nähe. Steht man so auf festem Grund und Boden , so
kann die Phantasie hin und wieder weit ins Unbekannte und Nebel-
graue hinausschweifen, der Mensch bleibt doch stets zu Hause und
behält sein geistiges Gleichgewicht Die Raumform, auf die hier
alles übertragen und konzentriert wird , ist aber zuch si^leich die
beste Reihenform. Und so könnrn ^ich die Vorstcllungsreihen, aus
deren Bildung das Lernen besteht , mit Leichti^^keit an iene an-
knüpfen und sich ihr einfügen. Dann bleibt der Schüler vor Zer-
streuung bewahrt und weiss bei Befragung, dass er aus seinem be-
kannten heimischen Vorstellungskreis die Hilfen zum weiteren Denken
7.U holen hat. Dann werden (lefühlsleben, Erkenntnisse und praktisches
Streben des Kindes zusammengehalten, unterstützen und fördern
einander und es erwächst ein einheithcher Mensch, es wird in
richtigem Sinn flirs Leben erzogen.
Endlich liegt ein Vorzug des heimatlichen Unterrichts in seiner
Förderung der P er s o n b i I d u n g. Schon die ITervorrufung des
vielseitigen Interesse bereitet den Schüler innerlich vor, zum VVoUen
und Handeln im gewiesenen Gebiet fortzuschreiten. Bei solchem
Unterricht wird dem Kind nicht leicht etwas zugemutet, was es
nicht leisten könnte. Die Natur und Fähigkeit des Schülers wird
berücksichtigt Solches verlangte schon Rousseau, und Pestalozzi
forderte vom Unterricht die Naturgemässheit. Dieselbe wurde
jedoch bei den geltenden Lehrplänen wenig in Rechnung genommen.
Anstatt mit Sachen wurde mit Worten und Zeichen gewirtschaftet
Anstatt dem Kinde zu gewähren, so zu denken und zu reden, wie
es versteht und empfindet, mutete man ihm mi^icfast bald ZU, in
fremder, hochdeutscher d. h. Lehrersprache zu reden, ungreifbare,
abstrakte Dinge zu denken und sein Sinnen und Fühlen welt-
abgeschieden in der Schule anzubauen. In der Heimatkunde soll
das Kind Gelegenheit erhalten, aus dem eigenen Ich zu wachsen
und sich zu entfalten. Aufrichtigkeit, Sachgemässheit ist erste
Forderung, und der Lehrer kann sich ganz der kindlichen Auf-
fassung anschliessen. Kr kann sicli zum Kinde herunterlassen , mit
ihm weitergehen und erfährt es so, was sich dem Kinde lehren
laast» wie weit sich die Aufnahmefähigkeit und der Verstand des-
selben erstrecken. Man muss doch immer in erster Linie fragen:
Was bringt das Kind zum Unterricht mit? Reicht sein bereits
erworbener Besitz aus, das Neue zu erfassen oder nicht? — Der
heimatkundliche Unterricht kann am besten hierzu Veranlassung
und den nötigen Auischluss geben. Wie manches, das im späteren
Schulunterricht dem Kinde auf guten Glauben hin mitgeteilt wird
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— $60 —
und das es sich einprägen soll, würde beiseite gelassen oder
durch eine ausreichende Heimatkunde unterbaut, wenn man sidi
über die Entstehung der Vorstellungen erst richtige Klarheit ver-
schaffen würde! Die Lcistunge^fahigkeit des Kindes beachten, heisst
nichts anderes, als seine Personbildung fördern. Man meint wohl,
die Auffassungsfahigkeit des Kindes lasse sich auf künstlichem Wege
etwa durch Bilder, häufigen Gebrauch der Kreide und einer ein-
fachen, klaren, deutlichen Rede erhöhen. Allein kein Bild und kein
Wort können eigene Erfahrungen ersetzen. Sic können dic^cüicn
nur, wo sie bereits vorhanden ist. wachmfen. Iis müssen deswegen
in der Heimatkunde alle Anschauungsmöghchkeiten dem Kinde
eröffnet werden, in Geschichte, Naturkunde, Geographie, 2<eichnen
und Rechnen. Namentlich muss das Kind in der Vorbereitung der
Geschichte eigene geschichtliche Erlebnisse gemacht haben, sonst
kann es Geschichte niemals verstehen. Es muss auch von dem,
was das V^olk an selbstgemachten naiven Vorstellungen über das
Natur« und Geistesleben besitzt, etwas — und nicht nur zerstreutes
Einzelne — in sich aufgenommen haben , wenn es aus sich selbst
wachsen soll. Denn das bcwusst logische Denken geht aus dem
träumerischen, ahnungsvollen und oft phantastischen Denken her\'or,
und wie im Volk und in der Wissenschaft diese Voraussetzung eine
natürliche ist, so ist sie es auch bd jedem Kinde. Jene naiven
Vorstellungen klingen im Gemüte auch noch auf spateren Alters-
stufen nach und geben der Sache jenen unvergleichlichen poetischen
Reiz, der unmittelbar ins Reich des Idealen übergeht, in welchem
der Mensch erst seine eigentliche Heimat findet. (Man vergleiche
die Vorstellungen vom Christkind, von den Zweimen, vom Storch,
der die Kinder bringt!) In jedem Ort lassen sich eine Menge
solcher naiven Vorstellungen in den Volksttberlieferungen aulHnden,
in Märchen, Geschichtchen, Kindcrliedchen ii. dgl. auffassen und in
der Heimatkunde verwerten, so dass das Kind sich darin daheim
findet und sich durch dieselben in seinem Geistesleben weiter
entvrickelt. Der Unterricht wird dadurch populär, dass er von
dem ausgeht, was das Kind vom Vater, von den Leuten gehört
hat, auch /. R. in der Naturlehre die darin liegenden richtigen Ge-
danken von unzutreffenden Meinungen absondert und so die Brücke
zur wissenschaftlichen Auffassung findet [z. B. „Ein böser Tau hat
die Blüten verdorben." Manche Wetterregeln u. dgl.). Peter Hebet
ist ein Meister in solchen Darstellungen. Das Wissen des Kindes
mn'^s ein sclbstc^ewachsenes sein, es muss nach und nach aus
individuellen und volkstümlichen Vorstellungen herauswachsen, wenn
es personlicher Besitz werden soll und nicht bloss angelerntes Zeug.
Dadurch wird das Kind wahrhaftig und aufrichtig.*} Das gehört
>) Die erziehliche Wirkung des naturknndlielwii UaterridiU t. E. Scbellert
Naturgeschichtlidie Lehnnsflilge, S. ii — 16.
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zur Personbildung und ist durch die Heimatkunde bedingt. Dadurch
kommt auch Zusammcnhanfj und Stetigkeit in die Bildung des
Kindes. Solche verlangte schon Pestalozzi in der „Lückenlosigkeit"
des Unterrichtsganges. Die Sache ist aber, da sie in den Gegen-
standen des Unterrichts anstatt im Sdiiiler gesucht wurde, sehr ins
Gegenteil der ursprünglichen >Teinung umgeschlagen. Der innere
Zusammenhang der Vorstellungen und (redanken, die geistige Ent-
wicklung des Kindes verlangt Linstirnmigkeit Ohne solche ist
keine Personbüdung. Die Heimatkunde gibt dann dem Kinde die
Gelegenheit, seine Gedanken ins Leben zu übertragen, sein Wissen
anzuwenden und zu betätigen. Sein Wissen wird dann nicht zum
toten Besitz, sondern ein lebendiges Können. Pestalozzi warnte
eindringlich vor Kenntnissen ohne Fertigkeiten. Der Mensch soll
iiirs Leben, für seine individuelle Einstellung ins Leben, seine
^Jndividuallage" vorbereitet werden. Das ist dann der Fall, wenn
er sein Wissen persönlich anwendet. WTnn er darin aufgeht und
das Gelernte nicht als eine Last, einen unnötigen Kram mit sich
schleppt. Das Lernen muss also tiefer gehen als bloss ins Ge-
dächtnis; es muss das Gefiih! des Konnens, der eigenen Kraft
hinterlassen, sonst erwächst nie eine gebildete Persönlichkeit, ein
tatkräftiger, praktischer Mensch. Wo anders aber ist ein solch
tiefgehender, naturgemässer, angepasster und stetiger, zur unmittel-
baren Anwendung fortschreitender Unterricht möglich, als eben in
demjenigen elementaren Teil der Unterrichtslacher, die aus der
Heimat ihre Nahrung ziehen.
Wir wissen nun, warum sich der Unterricht an die Heimat zu
halten, diese ganz besonders zu behandeln hat.
Im Anschluss an die Heimat gewinnt das Kind richtige An-
schauungen, die auf Wirklichkeit, Klarheit und Deutlichkeit beruhen,
es wird veranlasst, zutreffende Denkoperationen zu vollziehen und
erhält Gelegenheit zur Beschäftigung im behandelten Unterrichts^
gebiet, es gewinnt die Grundlage zur ästhetischen Auffassung der
Natur- und der Kunstdinge, es erwacht und entfaltet sich ein viel-
seitiges Interesse, eine natürliche Kinheithchkeit seines Gedanken-
kreis (Konzentratton) und wertvolle Förderung in der Person-
büdung. Ein gediegener, pädagogisch richtiger Unterricht ist ohne
Heimatkunde gar nicht denkbar und somit die Heimatkunde
psychologisch und ethisch betrachtet ein notwendiges Glied des
gesamten Lehrplans.
.•^chluss folgt.
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B. Kleinere Beitrl^re und HitteUmigeii*
I.
Bericht über die 40. Jahresversammlung des Vereins für
wissenschaftliche Pädagogik in Magdeburg.
Von Fr. Frauke.
Die Vorversammlnng' am zweiten Feicrtasre abeiuls s^tellte znniichst die
unten befolgte üeibe der Arbeiten des Jahrbuches ak Tagesordnung feat. Als-
dann folgte eine ziemliche Reihe der Üblichen Mitteilmigen aus den Orte- and
LandaehnftBTereinen. Ans dem Bheinlande, und nwsr liemlidi von der holtta-
dischen Grenze her war ein Mitgrlied erschienen und konnte mancherlei ani
Rheinland, Westfalen und Hollantl erzählen. Aua Oflttincren berichtete ein
Mitglied, dass auch dort ein Herbartkräuzchen entstamleu ist und, wie schon so
oft geschehen ist, seine Arbeit mit der Lektüre der Ethik von Nahlowskj be-
gonnen hftt Die MitteUnngen gingtti mehxEach Uber in eine Attaqnnebe Uber
die Zeitlai^e ttberbanpt, wosh der neue erste Vonitiende, Prof. fieiUt ein anaebn-
liebes Teil beitnicr.
Am Dieiistatr früh begann »lerselbe, nachdem Rektor Sachse die Erschienenen
begrÜMüt hatte, die erst« HauptversamnUang mit einer kurzeu Ansprache, worin
er die Frage erörterte, ob nnaer Yerdn noch eine notwendige Avigtbe erfUle.
Herbartische Gedanken dnrchdringeii die pädagogiadie Literatur und neigen sieh
auch immer dentlidier in Schiili^esetzcn. YercrdnnnK-cn nnd Einrichfnngen. Aber
gleichzeitig erleben wir es. dass man von verschiedenen Seiten geeren unsere
Bichtung Stnrm läuft und trotz der sehr Tersduedenen Motive in dem Bufe
einig ist, Herbart aei Teraltet. Und wie die Aneifcenniing nnaerer GedankMi
noch keineswegs gerichttt ist, so sind wir anch nieht der Ansicht, daas wir die
Triebkraft unserer Gedanken bereits erschöpft hätten. Unsere Stelle kann anch
keine der Bichtunüren, die sich gegenwärtig geltend 2U machen snchen, ausfüllen.
Wir dürfen und wollen also die Arbeit nicht niederlegen. Nach gewissen Wahr-
nehmungen (Bednar verwies unter aadwem anf Dr. Zimmen Überneht Uber die
Herbartforsehnng, ?gL daa 2. Heft dieaea Jabrgangea der PId. Stnd.) ist aveh
die literarische Beschäftigung mit Herbart wieder im Zunehmen begriffen; ins-
besondere mmn es unser Bestreben sein, noch mehr Vertreter der höheren Schulen
und der Lehrerseminare au gewinnen, damit unser Verein, der von Anfang an
Vertreter aller Sohulartcn in aidi vereinigt hat, immer mehr die Einheit aller
eniehenden Titigkeit anm Anadmck bringa. —
Alsdann begann die Diskussion der Arbeiten des 40. Jalirbnches, die auch
in den zwei Ta^en zu Ende geführt wurde ; allenliners wurde wohl angesichts
der reichen Tagesordnung manches AuUcgeu zurückgehalten.
1. Zill ig benrteilt in dem Schlüsse seiner Arbdt den AUrnismns von
den Standpunkte dea Chriatentnma ans. Man nnteriieas es, n seinen Aus*
fAhmngen Uber das Wesen des Chfistmitums Stellung an ndunen, weil darllbtf
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— 363 —
oliiii' Not lange Erfirtemncren entstrlv n könnten: das Allgemeiii^ltig<> sei für
uns ^eu'eben iu der vorjiiliriijen Verhandlung über den Altniismns vom Stand-
puukie der Etiiik. Trotzdem betrachtete mau die diesjährige Fortsetzung als
dtttkeuwert, da die philoaoplüiehe Bfhik nicht jedenntiiii bekuut ist oder fftr
andere mit der philosophischen Formulierang die Spaltangen beginnen. An»*
Btellnnc^fn knöpften sich aber daran, dass Zillitr den Altrnismns blosf? nls
Sammelnamen für fulsohe ethische Anschauungen benutzt. Im Gruntle will er
den sozialen £udamouii4mu» treffen und zeigt, dass er aas dem indiTidueilen
Endimo&ienrae, d. b. nna dem Egoisnms hervorgegangen iat. Vim Ihering wurde
ein Ana^meh ngeführt, nach welchem man t^x lieh eelbit sorgt f indem man
für andere sorgt; desLrleiclien zeigte man, dass die konsequente Form dessen, was
Zillig bekämpft, bei Mill vorhanden ist. Daneben gibt es aber auch Lente,
welche, mehr an den Wortsinn als an die historische Bedeutung sich aniebend,
unter Altmlmnis das wirklieh selbstlose Wirken fOr andere verstehen, das aller-
dinge ehnstlieh erst wird dorch Besiehnng anf den göttlichen Willen.
Gegen ZilUgs Charakteristik der natarwissenschaftllchen Denkweise
wird dann bemerkt, dass der Darwin -Haeckelsche Monismus doch nnr eine
Sichtung der Natnn^'issen-ärhaft »ei, Dass die Naturwissenschaft an strenger
Kausalität festhält, gehört zu ihrem Wesen ; das ist auch in Herbarts Philosophie
begrSndet^ nnd Zillig selbst sagt aosdrllcklich, „dass die Religion nach Wesen,
Organ ihrer Gedanken nnd Oiond ihfer Zuversicht etwas anderes als die Wissen-
schaft ist" (Jahrb. S. 325). Der Anhinger der Naturwissenschaft brauche nicht
die sittlichen Tatnacheu zu leugnen.
Eine Uber das richtige Mass hinausgehende Schärfe findet man auch in
Zilligs Amfllhrungen gegen den Staat als Sehulhem. "Ex folgt dabei dem alten
Begriff TOm Staate, nach welchem sich die Tfttigkeit desselben auf Polisei,. Justia,
Steuerw. sen, Militär und Änsseres beschränkte. Aber auch Herbart dehnte aus-
drücklieh diesen eniren Reifnff auf das Bildiin^^swesen an" ^'man tstI- das II. Buch
seiner Allg. prakt. i'hilas.), und das stimmt wiederum zu Zilligs AuffaitsuDg, dass
der Staat eine „gottgewollte", d. b. doch eine sittliche Einrichtung, nicht ein
blosses Naturprodukt sei. Was er mit Recht bekKmpft, ist nnr die bnrean-
kratische Art und Neigung vieler Vertreter des Staates. Im wahren Interesse
dt"; "^raHt'-< liegt es aber gerade, mtiglichst weit zu dezentralisier'-n und die
kleinereu Gemeinschaften und die einzelnen Arbeiter möglichst frti arbeiten zu
lassen, während unter jener Verwaltungsform, wie ZUlig angibt, die Wirksamkeit
der „freistrebenden geistigen Krifte** erlischt
Im ganzen hält roan dann auch Zilligs Kampf in Hinsicht auf Erziehung
und Unterricht für berechtigt; der Lehrplan würde nach den (Jrundsützen des
Altruismus und derjenigen Gedankenrichtnnsren, die sich damit verbunden zeii!:en.
eine sehr unpädagogische Gestalt annehmen. Zillig hat dem Umstände, dass
KersdMnsteiner so heftig gegen unsere Lehren Tom Interesse, von der Bedeutung
des Gedankenkreises kämpft, bis auf die Wurzeln nachzugehen versncht. Es
werden aber wie im voriijen Jahre Zweifel n-etln^^t rr oh er dem Gegner, der ihm
als Reprä-sentant des Altniisiuus gilt, allenthalben ^ereeht geworden sei nnd ob
er gemäss der Dörpfeidttchen Regel seine Polemik «lurcbgängig daraui ein>
gerichtet habe, den Gegner nicht aurttcksustossen, sondern au Ubers engen.
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— 364 —
(Was Uber die L'ateracheidiiug Ues Eiziebnugs- und de^ Bilduugsideala , gegeu
die Veifrflbniig der BerafsbUdmigr o. a. TorgelwMiht wurde, deckt rieb notwendiger-
weue z. T. mit den vorj ährigen ErOrtemogeii; mm veryleiebe die „Erlftatemagen*'
nun 39. Jahrb. des Vereins.)
2. Hahns Arbeit Wh-r An« wähl und Anordming' des Stoffes im
Berliner Lebrplan hätte, wuau die Zeit dazu vorhanden gewesen wäre, eine
nocb weit Aiiegedebiiteie DbikonioB TeruüaMen kdimeii, al« sie obnehis MsboB
lud. Der Verf. tnebt in mancben Punkten die nftchsten Sebritte, die bei
einigem guten Willen getan werden konnten , an erleichtem und begibt ndi
damit auf eine gewisse Mitte zwischen dem, was in den noch f^eltenrlpn Ein-
richtungen verbesserungsbedürftig erscheint, und dem, was im Verein unabhängig
von soleben Bttcksichten bisher vertreten werden ist. So fftllt das, was Hahn
will, genau besdien nidit nnter die eigentlicben Anfgaben des Vereins, sondem
in das Arbeitgebiet landschaftlicher Vereine. Immerhin setat aber diese spesiellers
Tätigkeit woüu sie in rcchtor Weise wirken soll, all^eineincrc Vertiefuntren und
Besinnungen voraus, und so hat die Verhaudlung, indem sie nicht den Fächern
einzeln nachging, sondern bei einigen Hauptfragen verweilte, einer künftigen
Revision des fttr gans Dentscbland bedeatnngsvollen Berliner Planes durcb
Loekonng und ffinteilnng <!es Bodens vorgearbeitet. Die Erörterungen gingen
aus von der frrnppierunq; der Lehrfächer, weil man bei Unhn die Auseinander-
setzun^L,' mit Zillcr, Durpfeld unil Willnu\nn vermisste. Er gliuibt nun, das» seine
Gruppierung in der Hauptttache „ üörpfeldihch" üei. Reiu »teilt daneben die fort-
gebUdete Form, welche ans seiner „PUagogik in s!rsteniatisdier Derstdlnng"
(SL Band S. 291 ff.), aus dem ..Eue. Handlmch^ ("Art. Lehrplani und z. T. ssohon
aus den „Schuljahren" bekannt i^t, Sie nntersf in i n t /imächst mit H«n-bart die
beiden grossen (tebicte Men«ehenleben und Natur und fiilirt in jedem Herbarts
Einteilung in Sachen, Formen und Zeichen durch. Das ist jedem, der Oürpfelds
Tlieorie des Ldurplans kennt, gdänflg. Hahn gegenüber aber werden dadnreb
Turnen und Handarbeiten, die znr Zeit „au.sscrhalb dtt Lebrplans Stehen", auf
eine biihere Stelle gelirdien. Ebenso wird dem Zeicliennnterricht, der im Berliner
Plane nur der Übung der Darstellung «lienen soll, in iSatur und Kunst auch
eine sachliche Seite gegeben. Damit wird aber der besondere Xunstaufichanungs-
uttenidit, den Hahn neben das bloss teebnisdie Zeichen stellt, ftbeHlftssig:.
Bin anderer Hauptpunkt war, dass Hahn bei ndirerea Fldiem ein Bwei'>
maliges Durchlaufen des konkreten Stolfes vorschlägt, nämlich ein stolflich be-
grenztes mit vorwiegend empirischer und ein stofflich erweitertes mit vorwiegend
spekulativer Behandlung. Darüber kann man die ansiUhriichen Verhandlungen
des Yerdnt toh 1901 (Erllntenutgen aum 83. Jabrbnch) vergleidien. IHe dies-
jlbrige Bespredinng Tcxfloebt sieb mit dem folgenden Gegenstand:
3. Hahn, Besprechung des im Berliner Lehrp lau empfuhle neu
Lehrverfahrens. Ein Hetlner wenifrstens fand, dass er hier die Theorie des
Lehrverfahrens zu sehr nach seiner 1 niformung diese,-; Planes gestalte- dem An-
ächauuugbuutcrriüht der Unterstufe weise er das analytische üntemciitürerfahrcu,
der aweiten, empiriseben Stufe den darstellenden Unterricht, der mehr spekn*
lativeu Stufe das synthetische Unterrichtsverfahren zu. Dieses Bestreben geiiabt
an haben, wies Verf. ab. Die Tbeoiie des Lehnrerfabreas braneht aber tioti
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— 36s —
•Uea damnf «wwendaten Sdurfrinnei inmier Doch w«itere Klftrimg; üwbeiondflf«
«der wenigsttit» foniehst tehänt es daratf MunkoiniiMii, sn «eigen, wum man
Herbarts Fordernngen an das Unterrichtsverfahren erfüllt za haben glauben
dflrfe. Eine besondere Bedeutung gewinnt dies alles noch dadurch, das« Hahn
auch die Ansicht rertritt, das entscheidende Wort Uber die Konsentration des
ünterriohta kSnne iii<^t im Stol^pko, eondetn mr in methoditehett Fordenuigeii
m^Ewprodieii werden. Das wur, wird bemerkt, Stoji Standpunkt, der damit
!' rbarts Ansicht zu treffen meinte, aber doch auch Aber die Anarchie im Lehr>
plane klaj^u musste. Was das Lehrverfahren für wertvolle Assoziationen tun
kauu, wird immer das Erste bleiben, weil es sich versucbeu lässt, ohne dass man
anf die Einsicht und Nachgiebigkeit der Behörden zu warten braucht. Daas
diese Manregeln aber nicht anareicfaen, hat Ziller in seiner Omndlegiing geseigt
and sieh dabei auf dem Grnnde Herbartischer Gedanken bewegt. Ks mm Er-
scheinen des voUstftndigen Berichtes sei nochmals auf die Eri&uteningeii von 19Ü1
verwiesen.
4. Am Mittwoch früh wandte mau sich zu 0. Conrads übersichtlichen
IDtteilnngen: Erxiehnng und Schale in Wandt» Ethik. Die Äusserungen
der Redner waren aUMdings mit Ansnahme des letasten Punktes (die Arten der
Schnlen) fast nur kritischer Art, während Conrad im ganzen seine Kritik zurück-
hält. I>amuf, dass Wundt die Ethik au.s der Psychologie ableitet, führt das
Folgende wieder. Dass sich das richfii'e sittliche ürtcil auch in einem System
geltend macht, in dem es in einer uuun^< taessenen Abhängigkeit gehalten wird,
ist gleidifalls in der Gesdiiehte der Philosophie sehen oft geneigt worden. Es
wnrde hier auf ein Wort von Stuart Will hingewiesen, der trotz seines ütilita-
riamn« ^n<jcn konnte, er hätte lieber ein unbefrieiligter Sokrates .sein niügeu als
ein beinedigtes Schwein. In Wundts Ethik zeigt sich das richtige .sittliche
Eniptiudeu aber zu einseitig darin, dass vor allem die Kraft und Umsicht, mit
wehsher man an der Knltnraxbeit teilnimmt, betont wird. So wird die Frage,
was Wnndts Idealismus genau besehen ist, die Hauptfrage. Er glaubt an einen
Fnrt.schritt wie wir; aber für da?, was Fortschritt ist, fehlt der Massstab: dem
ideal ismu.s fehlen die Ideen! Kant und die Kationaliften hielten als das
zur Religion unbedingt Erforderliche fest: Gott, Freiheit und Lusterblichkeit ;
davon knnn Wandt eigentlich nichts annehmen, schon infolge seines nktadlen
Seelenbegiiffii. Er fasst wohl ftberhaupt „Religion" in einem ans Dentschen
fremden Sinne anf al.n Begeisterung für ein Unerreichbare.«!, wonach auch die
russischen Nihili.sten als besonders religiö.s gelten müssen und bezeichnet worden
sind. Wu bei den Unterrichtsf^em Naturkunde, Staatslehre und Geschichte als
das niedere Trivlnm beseiehnet werden, dem die drei konzentrischen Kreise
PersBnlichkeit, Staat and Mensehheit entsprechen, da wird seihst Conrad ans der
Reserve des blossen Darstellers heraus zu der Bemerkung getrieben, es handle
sich dabei „mehr um theoretische Konstruktion, nicht um f^mpirische Pädagogik".
Bei der Frage, wer erziehen solle, geht Wundt zwar von der Familie aus, bei
der staatiiehen Sehnlexniehnn; aber bt Ton eber Beteiligung der Annilien-
mtreler usw. keine Bede mehr. Im gansen bietet das, was in lehrreieber Kttne
aus Wondts Philosophie mitgeteilt ist, ein Spiegelbild der gegenwärtigen
Strömungen. Der Fortschritt, der wirklich da ist, wird anerkannt als das Rechte,
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— 3Ö6 —
aber indem man sich das fortgesetzt denkt, emdieuit dtr EiluAllie MUigeliefort
an die jeweilig vorhandene Strümntiff, man kommt ab von dem sittlichen
Per8önlichkeitf?ideaL Die ganze „Entwicklung", auf die uian so viel Gewicht
legt, wird zu sehr an die Wirklichkeit gebunden, während wir nns der Wirklich-
keit immer mit dem Be^ta dar Kritik gegenabntstdleii.
Schluss folgt
II.
Das Schulwesen in Württemberg t905 6.
Die amtiicbe Statistik über die pädagogischen Verhaltnisse Württembergs
ist zum Abschluss gelaugt. Nach den statistischen Erhebungen am 1. Januar liKM)
waren in Württemberg 2317 gewöhnliche Volkiiehiilen vorhanden, die eiek anf
20B7 Orteduften verteilten. Yen dieeeii VoUaeckideii untfaeiten 1116 nur eiBe
Klasse, während 661 zwei Schnlklassen besassen. Den ausschliesslichen Charakter
von Knabenschulen hatten 69 mit insgesamt 456 Schulklassen ; auf der gleichen
Basis war dieselbe Anzahl Mädchenschulen vorhanden, die einige Klassen mehr,
nimlich 478 ScbalklasBen, führten. Der Best von 2179 entfUit anf die gemischten
Sehvlen, die tther 4141 Sehnlklessen verfügten. Unter diesen leisten Sdinl-
klassen befanden sich 693 Oberklassen fünf- und mehrklassiger Schulen, in denen
die Erteilung des Unterrichts ff^r Knaben und AFädt hen gesondert crfoltjte. Neben
diesen allgemeinen Volksschulen bestanden 41 Mittelschulen und sehr beachtens-
werter 94 iaraelitisehe Yolksschiüen. Die Gesamtheit dieser Schalen
keUUift sieh auf 8882, die einsehliesslieh iweier Hilfsklassen fttr Sehwachbegakte
5308 Schnlklassen ilklten. In annähernd einem Viertel der Gesamtzahl, nämlich
1383 Schnlkliissen. mu«>st(^ die Erteilung von Abteiinngsnntenickt wegen Üher-
fUllung, Eaum- uud Lehrermangels vor sich gehen.
Die Zahl der vorhandenen „Lehrstellen bezifferte sich auf 6318, hiervon
waren 888B stindigef einsehlieesliek 75 Lehrerinnen, und 1366 Steilen fBr nn-
stttttdige Lehrer und Lehrerinnen. Ausserdem waren 74 sogenannte Schulamts-
verwesereien vorhanden. Die Zahl der Schulkinder belief sich mit Einschluss
von 1748 Ziiiilinj^^t'n der Retlung^anstalten und von 1119 Ziig^linc;^en der ^weiteren
Privatächuleu " auf insgesamt 31^015. Hiervou eniüeleu auf die Knaben 151 47U
md snf die Mftdehen 168096 Sehnlplliditige. Den evangelisehen Sehiüen gskOrtea
221805, den katholisohen 94 083 uud den israelitischen 390 Kinder an. Die Z6g-
linge der Rettnnr^-^anstalten, der „weiteren Privatbchulen" und der Seminarübungs*
flchulen, b tztere mit 872 Zöglingen, sind jedoch in vorgenannten Ziffern nicht
berücksichtigt.
Was die OehaltiverkUtidsse der Sdmlstellen nnd VaUcsseknllelirer in
Württemberg betrifft, so war die Sachlage fttr das Berichtsjahr folgende. Die
Gehalt.sverhältni?se werden nach den Best imnmn gen des Gesetzes vom 17. Juli 1905
geregelt, hiernach erhaltea die württenibery^ischen stiindigeu Lehrer uebeTi ^miut
angemessenen Wohnaug oder Mietsentschädigung ein pensionsfähiges Gehalt vun
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mindetteiw 1900—2400 K.; die «tiadigen Lelireriiui«ii unter deaeelbeii Vonii»-
aetitmgeii 1100^1700 M. Die Geh&Ite selbst bestehen ihrer Zasammensetning
nach an« »Ipd taji i\en Geuieintleu aufzubringenden Gmn<ltreli alten und den vom
Staate zu leiaienden Dieiistalterszulagen. Weiter ist zn bemerken, dass die Ge-
Dieinden eine peosionsberecbti^ Ortszulage Ton wenigdteus öü M. gewahren
kSnnen, wie Mush doi gitaeren Gemeiiiden die BiiiflUunnigr ^nes besonderen
DienstaltersTorrttcknngMystems gestattet ist und zwar mit Gehalten von mindestene
1400—2800 M. fär Lehrer nnd 1200—1900 M. für Uhrerinnen. Der Staat gew&hrt
in diesem Fall eine Beihilfe von 450 bezw. 350 M.
Sehr iutereäsant ist nach:itehende Tabelle, welche Anfschluss Uber daä am
1. JaanaT 1906 tob 8679 etladigen Ldirem bezogene peneioiMfiUiige Qehelt gibt,
welches sich, wie erwfthnt, tm dem Qnisdgehalt mit Dienstalten- nnd Ortszulage
nach besonderem System znsaioinensetst. Die Sachlage war hiernach folgende;
ee besogen ein Gehalt von:
Wir lassen nunmehr auf derselben Grundlage eine Gebaltstabelle von dl
atiadigeu Lehrerinnen foli^ren. Es bezogen ein Gehalt von:
Die Gehaltslnj^ der unstÄndigeu Lehrer und Lehrerinneu zei^'t folgendes
Bild: In Orten vou weuigcr ah (iOO() Einwohnern wird ein Gehalt von mindestens
900 M. gewährt; in Orten mit einer grOiseren Einwohnemdiaft tritt ein Hindei^
gehalt Ton 1000 M . in Kraft Daneben hat die Gemeinde ein Zimmer mit Mobiliar
ea stellen nebst freier Fenemnß:; anderseits ist bei Fortfall natnrffemäss die ent-
sprechende Geldentschädii^'ung zu leisten. Ist die Ablegung' der zweiten Dienst-
präfnng erfolgt, so tritt eine staatliche Gebaltszulage von 100 M. für Lehrer und
fiO H. für Lehrerinnen liiniiL Die DienstaltezBEulage rechnet ?om 8&. Lebougahre
ab nnd nwmr 1>eträgt diese 100 M. nach vollendetem 3. Dienstjahre. Die Dieast-
altarsznlage steigt dann bis zu öOO M. nach 27 Dlenstjahren auf.
Nach dieser Erf5rtemng der Volksschul Verhältnisse sei noch eine Betrachtung
des höheren Knaben- und Vorschnlwesens in Württemberg gestattet. Im Berichts-
jahr beetandea am 1. Jannar 1906 in Württemberg 91 »gymnetdale nnd real-
1200—1299 M. 82
1300—1399 „ 266
1400-1499 „ 966
1500—1599 „ 278
1600—1699 „ 219
1700-1799 „ 96
1800-1899 „ 307
1900-1999 , 418
2000-aoeo „ asö
2100' ?! 9** „ 160
2200-2299 „ 226
2400—241*9 „
2500—2599 „
2600—2699 „
27(> 1-2799 „
2K«i— 2H99
2900—2999 „
aOOO-3099 „
8100-9199 ,
3200 -3299 „
SHO<) u. m. ,.
131
342
162
116
49
87
33
49
18
66
15.
1200-1299 M. 1
1800-1899 n 7
1400-1499 „ 11
15(H)-1Ö09 „ 20
ICOÜ— 1699 „ 16
1700—1799 M, 16
1800-1899 „ 11
1900—1999 „ 6
20(T0— 2099 » 5
210(J 6.
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— 368 —
gymaasiale'' Schulen, deren einzelne ZergUedeiniig sich wie klgt gestaltet: Es
waren vorhanden 14 Gymnasien, 1 Pros^ymnasinm , 4 Realcrrmnasieu , 5 Real-
progymnasien und 63 Lateinschulen bezvv. Lateiuabteiiungen an Healscbolen.
Ausserdem sind hier noch 4 niedere evangelisch • theologische Seminare su er-
wihnen, die den obeien KImmii eine« Gymnaainnie eutqiredMii. Di» Q^fmauäm
wmdMi «n^UeHlieh der eTengelisdieii Seniinue jvn. 4491» die BcalgyiiiBMiei
von 1932, das Prog^ mnasinm von 123 und die Realprogymnasien Ton 783 Schttlern
besiirbt. Das niftrbt mitbin 7329 Schüler, die infolge der in diesen Sobulen vor-
hauileuen Oberkiaäüeu allein den preussischeu höheren Schalen Tergleiehbar sind.
Ei Totieibeik toaAt inmu noch 8883 Scblllar, die in fldiiileii alt iMiil im 1
«der 8 UnterriehtaUaaeeii nntcrgebredit aind. Die OesemtnU der Schiller dieeer
91 Sebulen betrug 9ö62, darunter befeinden sich 6317 ETangdisehe, 2945 Katholikes,
278 Juden und 22 Schüler sonstiger Konfession. Im franzen wnreii nn dipHen
Schulen 490 Lehrer, nnd zwar 4ö3 Haupt- und 37 Uilialehrer UUg. Au&äerdem
flind hier noch 24 Vikare- und BepetentenateUen an nennen.
An reelistiacken Sdnden worden in Wflrttemberg am 1. Jeanar 1906 imi-
gesaint 92 g^eziiblt. Den einzelnen Kategorien nach serfällt diese Anzahl in
in f^lM-rrealschulen, 6 Realschulen mit 2 Obf^rkln^^pn. 12 Realscbulen mir 1 Oher-
kliis<ie, 68 Realschulen ohne Oberklaäse — meiäl nur ein* oder zweikla^sig —
nnd 1 BOrgerschnle. Die Oherrealscholen und Realschulen mit Oherklassen
worden rasamnien von 9861 SdiUem besucht^ wttbrend nnf die ttbrigen Sdudeii
4500 Schüler entfielen. Den Konfessionen nach ergab sich folgende Verteilnng:
17 780 Evangelische, 2702 K;itbnlikf>n , 349 Juden und 25 Schüler sonstiger
Konfession. Die Anzabl der Lebrkratte an sftmtHchen realistiscben Sebulen belief
sich auf 460, auädchliesälich 16 beiiuuderer Vikarsstellen. V on den 4^ Lehr-
krif ten wuen 407 Bjmpt- und 79 Hilblehrer.
Zan SehloM seien noch die sogenannten ElementarBt^ideii erwibnt, von
denen am 1. Janaar l^Oß in Württemberg 18 voi banden waren, die von 3fi09
Schülern besttcht wurden. Lehrkräfte wurden 91 gezäblt, darunter 23 provisorische
Lebrerstelleu. Von den Schülern gehörten 2972 dem evangelischen, 543 dem
katheliechen und 88 dem jttdiaeben Olanbeiubekeantnisse an.
Paul Harten, Cbartottenbnig.
HL
Das Volksschulwesen in Budapest.
Die ungarische ünterricbtsverwaltnng hat eine Denkschrift herau.'tg^egeben,
die sich mit der g^chichtlichen Entwicklung des Budapester Yolksschulwesens
blaset, dantdlend den Zeitramn Tom Jahre 1871—1900. Dieae Schrift, von dem
berühmte, nnnmehr verstorbenen nngarischen Sohnlmann Jeeef Ton KBrtBis be-
arbeitet, enthalt manches, das auch über die Grenzen des Hagyarenlandes Interesse
beanspruchen dürfte. T!»it«prechend der in den letzten drei Jahrzehnten ausser-
ordentlich günstigen volkswirtschaftlichen Entwicklung der nngarischen Uanpt-
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— 3^9 —
Stadt zeigt anch das ungarische Volksschulwesen ein gleiche« Bild. Noch im
Jahre 1871 waren die Zustände auf dem Schulgebiet der ungarischen Hauptstadt
recht ttnetfrenliche; es waren für oahesu 10000 Schiüer ntur 32 Voltsschnlen
vmliaiidea mit 146 Klassen nnd 189 Lehnälen. Lediglielt in 4 Scholen kennfeen
die entsprechenden Ranmverhältnisse als genügend bezeichnet werden. In sämt-
lichen übrit^-en Schulen la^r eine bedenkliche Überfülluujc der Klasseniiimnpr vor.
Sit wurden äü ^Schulzimmer mit mehr als 80 Schülern gezählt; in 4 Lehrsälen
gar betrug die Anzahl der Schulkinder mehr als 100. Auch die sanitären £in-
riditongen der Bndapeeter Sdinlen waren hOehst uangdhafte, insbesondere die
Sehalbinke blieben hinter den an stellenden gesundheitlichen Anforderungen meist
weit znrftck. Wiihrend beigpielf?wei9e der Abstand zwischen Bank nnd Tisch,
nach Massg-ahe <ler üsterreichif^cheu NonnatiTbef?timmungen, der Breite nach in
den oberätea Klauben hüchäteut» 4, in der ersten Klasse aber h<k;hstens 3 Zoll
betragen sollte, war in keiner der etidtisehen Selralen «Ine geringere üntCemiD^
als 4 Zoll zu beobachten. Besonders arg lagen vereinzelt die Verhältausee in der
Klasse der sechsjährigen Kinder, wo die Bänke durchschnittiicb einen Abstand
von 5 — 7. gelegentlich sogar H und U Zoll Entferniini: zeigten. Hinzu kam
noch, dass auch die Uübenabstäude zwischen Bank und Tisch ongemeiu gross
waren, so dass die seehsjilujgen Kinder nnter dieeen Übelstanden eehwer sn
leiden hatten. Die Kinder hatten meist in einer Höhe von mehr als 10 Zoll, ge-
legentlich allerdings auch 9 Zoll zu schreiben, während das höchste, zulässige,
empfohlene Mass 7\ä Zoll beträgt. Es wird unter Bedauern zugegeben, dass
diese Übelstände bei einer grossen Anzahl von Kindern Kurzsichtigkeit, ja vex^
einselt auch scUetai Wnehs svr Folge hatten.
Aber aneh die LehrrerlriUtnisse Budapests lagen nngünstig; im Jahre 1871
standen nur 131 Lehrer zur Verfügung. Desgleichen waren die Lehrmittel vtH^
ungenügend , eine erhebliche Anzahl erster und zweiter Kla.s8en, oftmals ganze
Üchttien arbciTf'fpu ohne Recheukugelvorrichtung. Schtilerbibliotheken waren
gänzlich uubekanut, naturwissenschaftliche Kabinette besassen nur 2 Schulen.
Doch Tor allen Dingen fiel die Begellosigkeit des Lehrplans eehwer ins Oewielit;
4ie Ansarbeitnng der Stundeneinteünng blieb den Lehrern in der Begel selbst
vorbehalten. Die Folge dieser Möglichkeit einer freiheitlichen EntSchliessung
war denn auch die, flass die Lehrer je nach Talent und Lmt den einen Gegen-
stand in den Vordergrund zogen, oder den anderen zurückdrängten. £s konnte
Ueraadi nieht ausbleiben, dass die Binheitliehkeit in der AoibÜdong derSehUer-
gcaamtboit staric dnrchbiodken wnrde. Eine Bessenuuf in diesem Pmikte bitte
sich wohl erzielen lassen, wenn die sogenannten „Schulstühle'' gewissenhafter
ihres Amtes gewaltet hätten. Diese „Schulstflhle'* sind pädagogische Aufsichts-
behörden, deren Mitglieder jedoch vielfach während des ganzen Jahres keine
einzige Sitzung abhielten. Se kann es wdter nicdit tberrasckea, dass die
ünteniehtseriblge oft weniip befitiedigend waren. Am besten wird dies durch die
Tatsache illustriert, dass durchschnittlich jeder fünfte Schiller sich zu einer Wieder-
holung der Klasse ent<?< hlif^-sspu mu.sste. Zu berücksichtigen bleibt hier allerdings,
dass die Zahl der Scüulversäuomisäe ganz besonders gross war. Fast die Hälfte
der Kinder fersftnmten l-~6%, aunihemd ein Fünftel 6 — 10 "/^ , ein Siebentel
10— 90«/, der Sohnbtiuiden. Welter verslumten dS& Kinder 90— 80*/«, 96 Kinder
IMfOitiwIw amdkB. ZZXZ. 5w 84
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— 370 —
36—40" nnd 32 Schüler 40— 50»/„ iler Stunclen. Pi^«? Iptztere Frscheinnng
findet jedoch auch einige Erklärung aus politischen Gt uuden. Bekauuüich Iftsst
die nngariache Begienmg suidersspr&cbige Schulen nicht zu, wodurch deutsche
und dAwiBdie Kinder nr TeUnahine aa dem «ngariadMn üntenieht geswnngeii
sind. Derartige Kinder sind oft nicht imstande, dem magyarischen Unterricht
gen!l£jend zu folgen, worauf dann vielfach das AusbUnhen aus der Schule folgt.
Koch ühcrras{!hen(kr werden diese sprachen -politischen Verhältnisse dnreh den
Umstand charakterisiert, dass 364ö Kinder überhaupt keine Schule besuchten.
Diese nolKwttrdige Sncheimmgr wird man kritisch jedoch nur dann richtig er>
fassen, wenn man auch die p.sycholegisohe Seite dieser Tatsache berilckaichtigt.
Es ist nämlich «weifellos, dass das ungarische Volk in seiner Gesamtheit kein
grosses Bildung-sbedürfnis bekundet und dieser Tatsache dürfte der erwähnten
Erscheinung eioige Schuld beixuniessen sein. Als ein weiterer Beweis hierfür
mag gelten, daas eine grosse Annahl Kinder eist im verhlltoisniSssig hohen
jUter zur Schale gebracht werden. Von 3404 Sehttleni der ersten Klas^ie waren
nur 1203 (wenit^r mehr als ein Prittel) im Alter unter 7 Jahren; alle übri^'en
standen in einem höheren Alter. Ja, bei 24 lag bereits eine t ■ber*<rhreitnntr des
15. Lebensjahres vor. Koch trüber gestaltet sich das Bild, wenn man criahrt,
daas von 9816 eingeadirieheneii Kindmi am Jabiesscblnsse nnr noch 7720 die
Schnle Itesachten. Also mehr als ein FUnftel der schnlpflichtigen Kinder bli^
gSnzlich ans. Obtrleich natflrlicb in diesem Verfahren der Eltern ein strafbares
Verhalten gegenüber dem Schul tresetz lag, war man jedoch seitens der Schul-
behörden damals nachsichtig genug, nicht auf Erfüllung der vom Staate be-
itjmmtem Yerpfliehtangen ni dringm. Hente haben ridi die TeririUtaiase aller-
dings weaenclleh geliidext Wir geben nachstehend eine kleine stotistiadie
Tabelle, ana der die EntirieUnng dea Bndapester Sohnlweaens gat etriehtlidi ist:
Ks entfiden anf
Jahres-
Zahl der
einen
1()(.K>T
einen
lieriede
Lehrsaal
£iuw.
Lehrer
Schalen
Lehrsäle
Klassen
Lehrer
Schüler
Schüler
Klassen
Schüler
1871/8
38
189
146
181
9848
68J
6.0
67.8
1880 1
77
379
414
384
24 17i
59.6
11.2
Ö8.8
imii
»4
680
Ö87
657
36303
Ö&4
108
64.6
1900il
138
9«6
1072
1196
60938
6&7
18.9
46.6
Nn h (liesem statistischen .Ausweis iinterli'^gt es keinem Zweifei, dass die
üneutiuhen Sohulverhältnisse der ungan.schen Hauptstadt seit dem Jahre 1871
wesentlich bessere geworden sind. Sowohl die Zahl der Schulen, Lehrsäle,
Klassen nnd Lehier hat nicht nur abeolnt, aondem aneh im Yerhlltnia nr Zahl
der SchtUer nnd der BerOlliening bedeutend ngenommen. So waren im Sehvl-
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— 371 —
Jalire 18B9/1900 nur 9 Ldmll« mit iii«hr als 80 SehUera voriiMideii, wUtrend
die Anzahl dieser Lehrsälf« im Jahre 1871 1872 an! 88 laatete. Noch im
Jahre 1876'1877 wnrden hier 32 und im Jahre 1904'5 immer noch 15 solcher
Lehrsäle gezählt. Prozentaal genommen betrug diese ÜberfttUang im Schnl-
ißhn 1879/1680 noch 16,5 «>io> im Jahn 1889/1890 6,2%; 1904/5 war diese Zifer
badts wat 8,9% gemudcMi, wttrend deh der Profenlsati der in fibeittUten
LehnUeil untergebrachten Schüler für das Jahr 1889/1900 noch gttnstiiror stellte
nnd zwar anf 1,3 " o- Dest^k-ichen ist die absolut*^ Zahl der Lehr r im Verhältnis
zm Zahl der Schüler grüstier geworden. Ebenso bat der Lehrplau eme einheitliche
Gettaltnng er&hren. Die LehrmittelaiiBstattnng der Schalen ist eine vollständige
geworden, eneh natnrgeoeluditliehe Samnünagen sind in fast anen Sehnloi an-
zutreffen. Die Anzahl der mit Turngeräten ansgerüsteten S. hulen helättft lieh
anf 57, eigene Tnrn><Iile besitzen 46 Schulen. Von den V(dksschnlen sind In in
dem glücklichen Besitz eines Gartens, während 1 Snhnl«? so^^ar eine Banmschule
für Lehrzwecke zur Verfügung hat. Audi das Bibliothek» we^en hat eine er-
frenllebe Anogestaltang erfahren; an Fachbfldiotheken flr Ldner worden 64
angeidiafft; die Anzahl der heicrfmdeten jQg«idbibUothAen bedlEttt tich anf 17,
denen sich noch 4 Volksbiblinth lvf!) anschliessen. Es war naturgemftss, dass
bei diesen verwaltnnj!fstechiii^;chen Fortschritten anch die ünterrichtserfolsfe
heuere werden musäteu. luHbesoudere die Zahl der Repetenten sinkt stetig.
Noch im Jahre 1871/8 mnnten von 1000 Sehftlern 906 die Klasse wiederholen,
im Jahre 1881/2 betrog diese Zahl 162, im Jahre 1894/5 fiel sie anf 157 nnd im
Jahre 18*>9'iy00 wurden mir noch 148 Schüler gezählt. Anch die Schulversilumni^se
haben ein*" erh^'hliche Herabminderunü: erfahren, sie sind von 6,7o/„ des Jahres
1871/1872 aut 4 des Jahres gesunken. Zu würdigen bleibt hier
allerdings, dais die Kagyarinemngspolitik der JSegiemng im wesentUehen ihrea
Terderhiichen Einflusses entkleidet worden ist, dam sowohl die relative wie anch
die absolate Zahl der nicht magyarischen Schüler ist gesunken. Noch im Jahre
1873/1874 waren öü94 oder 37,3 '♦'^ der Schiller deutsch, während im Jahre
1889/1900 nur 4215 oder 8,6®/o solcher Schüler t^ezählt wurden. Hier spielt
aOerdings eine eigentftmliehe EonateUntion ethnographischer Art dar BerDlkening
Budapests hinein, die am besten dnrch die letsfe» VdloMihlnng des Jahree 1901
illustriert wird. Hiemach waren nämlich von den 703 448 Einwohnern Budapests
nicht weniger als 387 276 F'ersonen, welche die deutsche Sprache redeten. Übrigens
eine recht beachtenswerte Sachlage für das Deutschtum Ungarns. Die Zahl der
Uber 7 Jahre alten Schiller der enten Xlaate ist immtt noeh recht gross. Ik
waren hier 42fi*l^ aba nahemi dieHillte dieatt KlaasmisehtUer vorhanden, Anbh
das Ausbleiben vom Unterricht ist noch im starken Grade vorhanden; für 1899/1900
betrug: diese Ziffer 8497 von 57 3RR eing-eschriebenen Schttleri! was annähernd
ein Siebentel der Gesamtheit ausmacht. Immer noch eine bedenklich und auf-
fidlepd hohe 2iiliar. Anderamta erscheinen die ungarischen Untenichtserfolge
wiedemm in einem gttnatfgefen Licht, wenn man bertoksielttigt» daaa nadi der
letzten VoUcBsfthlnng anter den dreizehn- bis vierzehnjährigen Kindeni nur 2,2*/^
.Analphabeten gezählt wurden. Audi di»^-«^ Tatsache darf wohl ihre Deutung
dahin erfahren, dass die ungarischen Unterrichtserfolge zweifellos wesentlich
bessere geworden sind. Dass insbesondere das Budapester öffentliche Schulwesen
94«
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— 372
Kolr-InMi erfriiulichoii AuLsohwnno" g^enomTnen hat, wohel sehr iler sanitiiren Seite
zu gedenken int, erücheiot uicht zum mindesten als ein Vei^ieust Josefs von
KOrOffls, dessen unermüdliche und aufopferungsvolle Tätigkeit dem ungarischea
ünterricbtnresen xam nictuten Segen gereichte.
Paul Marten« Chariottcn1nu!g.
IV.
D0r erst» intornalionale Kongrew für Umlpiilagogilc
wM in der UiiiTenItIt m Londcn vom S6.— S9. September d. J. abgehalten
werden. Den ElirenTocmti im Koogreeekomitee liAben die ünterrichtimiiiiiter
einer ganzen Reihe von Ländern, darunter die von England, Frankreich, Italien
und Spanien, Hbemommen. Vorsitzende des deutschen Konnte»'s sind Panlsen,
Stumpf (Berlin), ßeiu (Jenaj and Eerschensteiuer (Mttncbeu). Das Programm
Teispnoht allen, denen die ethische Seite der JugendbUdung am Herzen liegt,
gana beeondei« aber den bembmSeaigen Joguidenieheni reiehe nnd fraditbare
Änregnng nnd die Kongressleitung wird bemttht sein, in strenger ÜB]iarteiliebkeit
die verscbit^i 1*^11 «Ml j'iidnLT'^ün^clien Richtungen zu Worte kommen zn lassen. Die
Dmcksaciieu des Kou^re^äcs sowie Teiluelimerkarteu (zu lU M.jt sind durch den
Oeneralsekretär Gustav Spiller (13 Buckingham Street, Straud, London) sowie
dnreb den Sekretlr für DenteeUand Bealscboldirektor Dr. Johanneitott (fierlin N. 66»
SeeetHMee 61) an beiidien.
C. Beurteilungen.
Vr. Richard Wickert, Die Päda-
p;ogik Schleiermachers in
ihrem Verhältnis zu seiner
Ethik. Leipzig 1907» Th. Thomaa.
Vm und 155 S. 8«.
Nicht ohne Berechtigung hat man
behanptet, in Dentnhland gehöre etwa
I in J ahrhundert dazu, ehe ein be-
deutender Mann Gnade vor den Angen
s^er Nation fKnde. Wenn dies nnn
auch auf Schleiermacher nicht völlig
zutrifft, wenn er im Staat nnd in der
Wissenschaft und in der Kirche seiner
Zeit auch eine der einflussreichsten
Fersüjoiichkeiten war, so erlebt er doch
in unseren Tagen eine Auferstehung.
Manches, wns Innir^t überwunden
schien, taucht lu ueuem Lichte wieder
Mf , maneheft wird gleiehaan ent neu
entdeckt, vieles scheint in ganz be*
soliderer Rücksicht auf unsere Zeit ge-
flohriebcn zn sein. Kein Wandw, das«
ein Teil »einer Werke in npuer utkI
verjüngter Gestalt wieder iu die Wt-li
geht, kein Wunder, dass die Be-
schäftigung mit diesem univeraellen
Geiste fortwährend zunimmt. Da ist es
denn erfreulich, dass man auch der
Pädagogik Schleiemiachers erneute Auf-
merkmmkeit anwendet nnd mit Secfat;
denn hier findet sich, freilich in der
etwas unvollkommenen Form von Vor-
lesungen und Nachschriften, eine Fülle
päda^jo gl scher AnregTtn^. Schleier-
macher hat ja selbst unterrichtet nnd
eine Fülle praktisch« Srfehrung nnd
praktischer Belehrung steckt in dem
Buche; aber das £mpLrische ist doch
nur dar gesftttigte Mtnteigrand eiMS
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— 373 —
geittTolIeii 8p«knlativeu Systems, wie
ea reicher nnd frnchtbarpr nicht tje-
dacht werden kann. Da kommt das
Individmmi mit seiner eigentümlichen
Bedingtheit durch Anlage nnd Talent,
dnrch Temperament. Rasse nnd Volks-
tttmlichkeit zu seinem Kechte; aber
wir leheu anch, wie daneloe ans
•dner Isoliertlieit bmnttritt nnd in
lebendiger Wechsehvirkuiiir mit dem
Staate, der nationalen Gemeinschaft
des WineiiB, der frefen QeRelligkeit,
der Kirche tind der Xniist am treniein-
samen Kulturfortschntt teilniuimt. Öo
ist Scbleiermacbers Pädagofirik sowohl
nach der Seite der Individnalitäts-
bildnng als ancb nach der Seite einer
sozialen Erziehung änssent bedentsam.
Schade nur. ilass .sf»in System d nns
in seiner philosopLischen hünk khir
nnd folgerichtig vor Augen steht, in
der Pädag:ogik teils infolge der bereits
erwähnten mangelhaften Form, teils
infoltre einer et\va.s unklaren Auffa.ssuiiij
Schleiennacbers über daj« Verhältnis
swiaelieB Etliüt und PSdagogik stark
verwischt und verschleiert ist. Eine
volle Würdigung der Schleiermacher-
•eben Pädagogik ist deshalb nur mit
Hilfe der Ethik moj^lieh, ja inan wird
noch weiter geben müssen, und da
hf-imt Kthik Güterlehre und Kultur-
philosophie ist, auch seine Politik,
seine Ästhetik , seine christliche Sitte
nnd seine religiösen Schriften heran-
ziehen müssen, man wird auch, da
Schleiermacher einer der persönlichsten
Denker, ein Philosoph, dessen System
die Projektion seines persönlichsten Ich
ist, genannt w«rden mns», diese Pei^
sönlidikeir in i:ennL,'» nder Weise und
als iudiTidnelle Ps^'cbe nnd als Produkt
ihrer Zeit, herfleksiebtigen mttasen. Erst
dann wird man den richtigen Stand-
pnukt für die }>>'urt> ilung seiner Päda-
gogik gewinnen können . dann wird
man aber auch die Fülle nnd den
Beichtum, die Tiefe und die Breite
dieser PIdagiogik aufn höchste be-
wundern müssen. l>ie.H<.n Standpunkt
zu gewiuueu, scheint die vorliegende
Arbeit vorzüglich geeignet. Der Stoflf
ist äusserst i^lücklich gruppiert, der
Stil dorchsichtig, so dass sie sich trotz
d«s sj^rüden jfaterials liest, der
AofCassongikhleiennacbers gerecht. So
wird dM Buch in «naerer Zieit, in der
die Romantik wit^ler im Vordergrund
des wis.^cnschaftlichen Interesses steht,
vielen willkommen sein als wichtiger
Beitrag' zur Erkenntnis jener grossen
Epoche deutscheu Geisteslebens. Aber
auch der l'ädagog, der inmitten der
.^cliularbeit steht, wird es nicht ohne
Nutaen lesen.
Thalhofer, Franz Xaver, Doktor der
Philosophie nnd Theologie. Die
sexuelle Pädagogik hei den
Philanthropen. Jo.^. Kösel,
Kempten 1907. VI nnd 124 S. 8°.
1,80 M.
Eine fast unübersehbare Literatur
ist in den letiten Jahren Uber die
sexuelle Belehmng entstanden. .Vnr
wenig ist dabei geschehen zur histori-
schen Beleuchtung der Frage. Manches
Buch wäre vielleicht ungeschrieben
geblieben, wenn man im ganzen Um-
fange gekannt hatte. \va.s bereit.s die Päda-
gogik der Philauthroidfeteu auf diesem
Gebiete geleistet hat „Li seharfsinnig
prinzipiellen Erörtemngen und unter
Verwertung eines reichen Tatsachen-
materials haben sie die Fragen teils
geklärt, teils der liu.^nnir nahegebracht,
teils endgültig beantwortet. Wären
die damut gewonnene Erkenntnisse
nicht vercTP^fsen worden, so stünde
man heute nicht wieder aui Anfang
der ganaen Erörterung mit all den
Mängeln, Übertreibungen nnd Schief-
heiten, die schon damals allmählich ab-
^strcift nnd Oberwunden wnrdcn. Es
ist seltsam, dass gerade in £rziehu&gs-
saebcR so viele tüchtige Wahrheiten
und ErkeniitMi — ' immer wieder unter-
sinken und neu gehoben werden müssen,"
Thalbofer hat es unternommen, die Ge-
danken der Philanthropi.'^ten Ober Er-
ziehung zn physischer nnd psychischer
Geschlechtsreife aussngraben. In einem
ersten Teile cribt er zunächst eine
historisch-entwickelude Darstellung des
Ganzen, wfthrend er im zweiten Teile
die Leser zu den wichtigsten Einzel-
problemen hinführt, diese kritisch
prüft und zeigt, wo die heutige Arbeit
einzusetsen hat. Da Eezensent sich
seit Jahren mit demeelhen Gebiet be->
schüft ifjrt hat, kann er dem Herrn Ver-
fasser das Zeugnis ausstellen, dass er
▼on dem grossen a. T. sehr schwer
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— 374 —
zujg:äD^lichen Material nur wetiitr über-
aßen bat. En betrifft £. Chr. Trapp,
da: rieb nicht nnr, wie 8. 19 m iMen
ist, in einer Anmerkunj^ zu Rou.sseiius
Emil zur sexuellen Erziebang äussert,
und das BraunschweigiHche Journal
(vgl. Th. Fritzsch, E. Chr. Trapp.
Dresden l'JÜO. Dort auch Bemerkungeu
über Basedows AhliängigkeitsverhältniB,
die Tlmlhdfer ergänzen I). Wag nun
die positireu Vorschläge aulaugt, so ist
es ^wias richtig, dass die ethischen
Motive in der religiösen Fassung für
das Kind am besten wirksam gemacht
wertleii kr»nnen, alipr dagegen, wie das
nach Thalhofer geschehen hat, lässt
rieh doch nuuiebes einwenden. („Es
müssen dem Kinde bestimmte Zeiten
angegeben werden, z. B. die Minuten
der tä^riiehen Gebete, StnndenseUai:,
Avelänten, Versuchnngszeiten — , und
es muss oft gefragt werden, wie es mit
diesen Übungen geht. — Daheim und
auf den Wegen können dann die Bilder
Gottes mitl Jesn die Gedanken des
Kindes immer wieder zum Reinsten
hinlenken." — Die Ohrenbeichte u. a.)
Danach mü.ssten doch die Verhältnisse
inbezui: auf das in Frage kommende
Gebiet in katholischen Familien, Schulen
und Gegenden erheblich günstiger sein
als in evanirelischen ! - Da.s Buch
bietet eine Fülle von Oedanken and
Anregungen imd wird in der Idteratnr
zur .sexuellen Psdaa:<i^ik einen herror^
ragenden Platz einnehmen.
Leipsig.
Dr. Theodor Fritsseh.
Dr. Heinrich BimiiUMlt. Kants
Kritik der reinen Vernunft
abgekürzt auf Grund ihrer
Bntstehnngsgeschiohte. Gotha,
Thienemann. M. 2.
Die Vernunft kritik in guter Dar-
stellung zu geben, Kant in bell«r,
frisoher Sprache reden zu la<srn, ist ein
sehr ICblivher Vorsatz. Liegt es auch
ntm Teil an der Sohwiencrkrit der
Materie und am ziiiien Festhalten einer
erfülgreictien Methode, wenn Kaut ge-
rade in den Hauptwerken weniger ver-
ständlich ist al.s in früheren PLriaden,
so sind manche Dunkelheiten üueh un-
oStig und darum abstellbar. Nur muss
der, welcher sol« hemiassen richtet und
beschneidet, entsagtuigsvoU die eigene
Person zurücktreten lassen. Was Kant
sagen wollte, was ihm den Geist «r-
nnte, muss der Interpret geben. Das
kann sehr wohl gcscheijeu, iudeni K:^rirs
Lehren auf Grund ihrer Vorgeschichte
dargelegt werden. Das Wachstum der
Philosophie und der Ternunftkritiken
würde dann eine genetische Darbt^Uting
von dankenswerter Art Anden. Bomnndt
hat nicht erreicht, wa* er pr^tr'-ht hit.
Trotz ehrlicher Einarbeiiuiiy^ m Kuuts
Werk hat er die eigenen Itfeinungen
und Abneigungen nicht verschweip;en
mögen, auch wo diese herzlich gleich-
gültig für die Vernunftkritik sind.
Oder war es t^üg, Hegel mit einem
Bildsritongaredaktenr m vergleichen
oder mussten Romnndts frühere Ver-
öffeutlichougen zitiert und eizerpiert
werdm, um fttr Kant eine Gasse an
hauen? Auch stilistisch ^bt's ver-
kehrie» Zeug. Gehäufte Infimtive (S. 54),
vier Konjunktionen hintereinander (S. 74)
wirken seltsam in einem Buclie. das
eine Nachhilfe und ein Beistand in der
Darstellung sein will. Wer zn Kant
kommen will, dem .seien als histori.-iche
Grundlage die Biographien au.> tiem
Todesjahre empfohlen, die Uoffmauu
nen herausgegeDen hat. Dann lese der
Gebildete mhig die „Prolegomena" nnd
die beiden ersten Kritiken, wobei Cohens
.Commeutar zur Vemunnkritik" recht
bilfreiehist Strritsehriften Uber Kant
{'edoch fähren nicht in - in Wf r!- Das
tat R. nicht genügend beachtet
Dr. Heinrich Komundt, Der Pro-
f cäiiu renkant. Ein Ende und ein
Anfang. E. F. Thientmamk in Gotha.
M. 2,40.
Es gibt eine Anzahl Kantianer
striktester Observanz, die in des Köni^-
berj^er Pinlosophen Lehre 'iie einzige
zuverlässige Ftthmng au Wissenschaft
nnd WelterUSnmg erbücken. Bomnndt
t^'elu'Jrt zu diesen. Nicht dass er die
von Kant selbst beklagte DarsteUnngs-
tom der Hauptwerke Tertridigte. Aber
er kilrapft für die Grundztige des
Kritizismus, wie sie Kant gezogen,
nnd weist mit Schftrfe all penc Nach*
folg-er Kants znrttek, die mit dem An-
spruch aufgetreten sind, Kants Werk
erst recht darzustellen oder gar so
vollenden. Fichte, .^f helling und Henrel,
aber auch Schopeuhauer werden als
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— 375 —
untüchtige Verwalter des reiehen Kan-
tischen Erbes anfgewiesen; der Pro-
fessor Kant wird in Schutz genonunen
(sregen die Kantprofessoren von Jena
und Berlin. In dem Abechlusa der
RonnindtKhen Kantieliitften, der im
vorliegenden Werke gegeben wird,
greift Komundt besonders auf die
philoeophiscbe Relii^omlelire und den
„Streit der Fnknltiiten" znrück. Wie
Kants l'nter)>nclniiigen und Vordchläge
noch keineswegs veraltet, vielmehr zum
gnten Teil noch immer nicht begriffen
und befolgt sind: das wird mit kräftigen
Worten und eindringendem Verständ-
nis aufgewiesen. Dass dabei Harten
und Übertreibungen vorkommen, liegt
leider in R.s Art, ebenso wie die vielen
Verweiaangen im Text, die gelegentlich
d«B Tortn^ unnötig unterbrechen.
Lndwigfioldschttiidt, K an ts.F r i vat-
meiniiBgen'* Uber das Jenseits
und Die Kant-Ansgabe der
kün ig l.preuss lachen Aka demie
der Wissensebaften. Ein Protest
Gotha Thienemann. M. 2,40.
Das Knrh vereinijrt zwei Abhand-
lungen eines gründlichen und eifrigen
Forsebers. Beide dienen dem Zwedce,
▼or jenem Doj^atismus zn warnen,
der sich aus blinder Ehrerbietung vor
einer Akademie - Ausgabe entwickeln
könnte. Indessen — es sind nicht alle
frei, die ihrer Ketten spotten! Gold-
Schmidt selber nennt die Berliner
Akademie „unsere erste wisieoschaft-
licfae KSrpersebaft" (S. 67). Solcber
Ansdmck leistet aber dem Stumpfsinn
Folge, der iu der politischen Vormacht
auch die wissenschaftliche, wohl gar
kulturelle Führerin schlechthin erblickt.
Gegen solche Auffassung hat Kein in
Jena mdirere sebr httSsebe Abband-
lungen geschrieben, die recht emp-
fehlenswert sind. In geistigen l>ingen
gibt's keine Örtlich oder dorch be-
stimmte Rangverhältnisse festgelegte
Auturitäten: heute vielleicht so wenig
wie in den Tagen, da Dt'Ut.sclilamls
S ästiges Zentrum iu WoUenbOttei,
önigaberg, Weimar leg. Für einige
Fragen der Kantforschung beansprucht
Goldscbmidt das Becht, mitsnredeu.
ja an «ntsobeidea. Wenn ans (feinen**
Privatni einungen „reine" FtirtA-
meinungen werden, wenn in einer
ganzen Beihe weiterer Fälle bedenk-
liche, ja offenbar falsche Lesarten Be-
achtung, ja Aufnahme fanden, so zeigt
da.s freilich, wie l'rofessoren und Aka-
demien so wenig unfehlbar wie Päpste
und Kouilien suid. Goldsdunidt nbrt
neben solchen Feststi l'ui.iren aber auch
ttoeb poaönliche Fehden und Prioritäts-
ktmpfe. Das bat geringeres Allgemdn-
intt^resse. Wer da »'.t Schiedsrichter
machen wollte, müsste die Kantbiblio-
granbie — also nicht bloss das Xaat-
stndinm — als Lebenszweck ansehen.
Das können nur eigenartig begabte und
wirt.schaftlich unabbingige Menschen.
Will Goldschmidt nicht bloss fUr solche
schreiben, so mnss er mehr bei den
grossen Zögen der Kant.schtni Lehre
bleiben. Und dazu sollte und könnte
er all das Tüchtige, was die Akademie«
Au.sgabe doch auch gefordert hat und
noch bhuRen wird, benutaen. Bei
seinen sincbingeiiden Stadien, seinem
ebriicben Eifer ivln das bocbenreolicb.
Ludwig Ooldschmidt, Baumanns
.\nti-Kaiit. Eine Widerlegung,
üotha, Thieuemaun. M. 2,80.
Der Göttinger Philopophie-Profesäwr
JnÜQS Banmann bat iii ^ inem 1905
erschienenen Werke jedem üebildeten
eiu selbständiges Urteil darüber, ob die
Kantische Philosophie heute noch halt-
bar sei, ermöglichen wollen. Am den
Schriften Tiedemanns, einra Zeitgenosse!
Kant^, hat ß. dargelegt, wie alt ge-
wisse Einwürfe gegen die Vemiuät-
kritik sind. SelbstBndig bat der
Oöttinger Philosoph dann nachzuweisen
gesucht, wie sich Mathematik und
Naturwissenschaften nicht im Sinne
Kants, sondern im Sinne jenr^ I nkm
den Empirismus, der auch Baumanns
Standpunkt ist, fortentwickelt haben.
Es ist also eine ziemlich komplizierte
Sachlage, in die (iuldschmidts Buch
führt. G. lä.^Ht Banmann als Denk^
und Menschen alle Anerkennung wider-
fahren, hält aber den „Anti-Kant" fttr
einen Mi.^sgrifl". Aus »einer unifas^rn-
den Keiiatnia der Kant-Literatur führt
Ö. tniÄelist die Argumente an , dnrdi
die der Königsberger Philosopli , ili^en
Schüler und Beurteiler — Tiedemanns
Einwürfe zurückgewiesen balkcn. Dann
geht er da/u i^hi-r iinchzuweisen. wie
die modernen Wiä^uschaften niemals
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— 3;6 —
„ilio Lehren ilcr Kritik in einem eiiizic:en
Punkte, geschweige überhaupt zu wider-
legen" TennOgreii. Ks ist eine Frage
der Methode, auf die endlich der ijanzc
hochinteressante Streit hinausläuft.
.Empirische Bikenntnialehre, empirische
Morallehre. empirische Reehtslehre
würden nichts leiteten, als alte Irrtümer,
nlte Verfehlungen, alte Misiibränche zu
konservieren*' i'S. 114). Kant hat die
Grenze featgestelll, bis zu welcher die
Vernunft auf Erfahrung angewendet
werden kann. Der üeist dieser Grenz-
scheidnng ist eben der Kritizismus, der
als Prinzip unanfechthar int, wenn er
«ach iu seinen Äus^^eningen einmal anf
irrtflmHche Bahnen gelangt.
Ludwig tioldsehmidt) Jvant und
Haeckel. Freiheit und Not-
wendige k ei t. Nebst einer Replik
an Julius Baumann. OoUia, Thiene-
mtnn. M. 8.
Natarwiaienichaft und Metaphysik
wirken um so kräftiger, je mehr
Feindschaft zwischen ihnen besteht.
Keine soll aber das fremde Gebiet be-
setzen wollen, da sie es doch nicht zu
halten und zu knltiTieren vermag. Der
Fall Haeckel zeigt, weleh unhaltbare
Folgerungen herauskommen, wenn mau
ans natnrwiMenschaftliehen Primissen,
dir Ti irli -l i7U ihrerseits nicht gesichert
sind, philoiiopbische £rkeimtnis8e von
abschliessender Bedentnng berieten
will. Goldschmidt prüft Haeckels
Lehre an Kant, wie etwa Lanj?e in
seiner ,.Geschichte des Materialisnins"
Büchners, Vogt«, Moleschotts Leliren
an der Vemunftkritik priitt. Gold-
BChmidt zeichnet sich vor vielen andern
vorteilhaft durch die Sachlichkeit
und Rnhe seiner Gegnerschaft wider
Haeckel aus. Aber er kommt trotzdem
zu dem Besultate: »Wer m wissen vor*
gibt, dass Freiheit nnmOgKch ist , der
täuscht sich und andere. Die Lehre
der Freiheit ist von Kant gelöst In
•ehr heeeheidener. aber in ahsehUessen-
der Weise" (S 77
Die angesciilüsstae Erwiderung anf
Bnumanns Kantbekftmpfung in dem
Buche „Welt- nn«l Lebensansicht in
ihren realwissenscbaftlichen Grund-
sngen" steht nicht völlig ausser Zu-
sammenhang mit der Stellnngnahme zu
Haeckel. So wahr es ist, dass keine
einpirische Erörtenmg jemals den
Kritizismus treffen kann, so sicher er-
seheint es, dass die Resnltate natnr-
wissen.schaftlicher For-rlunii,' auf die
Fragen nach Freiheit des Willens,
Formung der psychischen Tttigkeit,
nach Gott und Unsterblichkeit — keinen
Einfluss von beweisender Art gewinnen
können. Getrennte Gebiete sind und
hleil>en die reichen Felder der Natur-
wiüsenächaft und die hohen und kühlen
Provinzen der Metaphysik und Erkennt-
nistheorie. In ihrer Trennung erhalten
sie am besten ihre Reinheit und frncht-
brin<'ende Kraft.
Elsterberg. Dr. Qrimm.
Die Schriften des Neuen Testa-
ments neu übersetat und für die
Gegenwart erklärt von Baniiigarlen,
Bonsset, fiunkel, Heltmtlller, Holl-
mann, JiUicher, Knopf, Frans
KShler, Lücken^ Johannes WelM»
herausgegeben von Prof* D* Johannes
Weiss in Marburg. 2. verbesserte
und vermehrte Auflage. 8. '20. Taus.
Gi-ttingen, Vandenhoerk Ä: Kuprecht
lbU7. c. 1600 S. 14 M., in zwei
Leinenbänden 17 M., in awei Halb-
lederhäuden 19,00 M.
Das Sammelwerk beruht auf dem
Oedanken der Verfasser, dass das Bibd«
wort, traditionell als Gotteswort ver-
mittelt, keinen Widerklang erweckt,
wftU mt keine Fühlung dazu haben.
Per moderne Mensch sträubt sldh 9tg|^
die n> utestamentliche Lehre. Die
Wunder sind nnsrer naturwissenschaft-
lich und technisch denkenden Zeit
unbegreiflich, die theologischen Ge-
dankengänge Pauli und die Zukunfts-
phantasien der OfTenbamng nnverstHnd-
lich. Das Neue Testament hat eben
einen uunschlich creHchichtliohen
Charakter neben dem giittUchen Wort.
Zwar genügt die chrbtliehe Religion
ihrem Wesen nach dem r lid"- n und
sittlichen Bedürfnis vieler Generationen,
lUwr die histoilsdie Form ist vergäng-
lich. Die Bearbeiter wollen nun eine
geschichtliche Erklärung der
ältesten Denkmäler des Christentums
geben. Das Christentum hat sich mit
Denken und Kultur seiner Zeit ver-
handen. Man nuss Schale and Kern
nnterscheiden. Läset man das Beiwerk
fort, 80 hebt sich die Grundrichtung
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— 377 —
anf Wnhrhaftigkf if Tiiul Reinheit (1er
Gt%iuuuug, anl Selbstzucht und Hin-
gabe an Gott. — Das Bndi bietet
nicht nur Resultate, sondern auch die
Gründe der Kritik. Es erstrebt ein
fundamentales Geschichtsbild. Es ist
ffir snchentle Menschen, die zur Klar-
heil übur iiiru religiöse Grundlage
kommen wollen. Altüberliefertes
Glaubensgut will e» halten» wo es an-
S'ht. Der Vergleich mit Luthen
ebterwerk ist r.nsr,ii tlMft, weil nicht
pdiiliche Wörtlicbkeit, lirische lesbare
Wiedergabe das Zid iet, sondern die
Verfit>ser sich bemühen, den griechischen
Text ins Deutsche umzudenken. Ein-
bdtliohkeit der Erkllnug ist nicht
mechanisch erzwungen, die individuelle
Empfindung «kr Hrarbeiter ist überall
ersichtlich. Jedor neutestanentUchen
Schrift geht eine Einleitung vornns,
den Evangelien di«? Ge«ichicbte des N. Ts.
Dichterische Gesralttiiig des Textes ist
im Dmck der Übersetzunir festgehalten.
In der Erklärung sind biblisch - theo-
logische Themata durch starken Druck
hwToi^boben, was schnelleOhentiening
hinsichtlich der vemchiedenen PrSgung
der \vi(.htiir!*tf*ii Bi-i^'^riffe erTii«"s^licht. Die
Lektüre des Baches wird den denkenden,
Torarteilsfrelen Leser in stetem Werde-
prozcss übt'rzeu^t'ii , ila^ts iui<h die
moderne Theologie die Fräse: „Was
baltet ihr von CbrittQS?<* nieht rasch
neiriprt. sondern pietfitvoll erwägt und
Christum zu treiben ab ihre vor-
nehmste Aufgabe betnehtet.
,^eligion und Schule" hat
Fr. SelÜde eine Sammlnn^' von
Anfj'ätzen und Reden betitelt.
Tübingen, J. C. B. Mohr (Paul
Siebeck), 1906. 21d S. Geheftet
^.m M.
£s siad aus mannigfaltiger Stimmung
henras geschriebene« s. T. dn imd dort
schon vcrüffpntlichle Aufsätze, l.ttber die
Bibel und ihre Surrogate (Katechismus,
Spruchbucb und Historienbuch) in der
Volksschule, 2. ühf-r die Religion in
der Schule, wozu bt itret'eben die Thesen
von Baumgarten, Vollmer, Sthwartz-
kopf, Schiele, Beyhl. Battenberg und
Bonus gel. der Verbaudlungen der
Freunde der „Chr. Welt'' in Eisenach
am 2 Oktober 1900. 3. Gedanken über
die Lehrbarkeit der christlichen Religion.
4. Bremer Phantasien (f. n). Karl
Schneiders liebenserinneruugen. b. zum
Religionsunterricht im Volksschnllehrer-
seminar, 7. über die Bilduiiir <Ier Volks-
schullehrer nach den rreiu^sischen Be-
stimmungen vom 1. Juli 1901,
8. inwieweit die Zßglingp der evan-
gelischen Lehrerseminare uüt den ge-
sicherten Ergebnissen der wissenschaft-
lichen Forschungen über die Entstehung
des A. Ts. bekannt zu machen. 9. wider
die ireistlirhe Schulherrschaft. —
Schwerlich kann man schlagender be-
weisen, weleh ein Nonsens der Drill
des Kateeliisnins und des Historit-n-
buchs ist, als es Sch. tut, wenn er z. B.
sagt, dass man tarn Monnroentalbau
des Katechismus den Tempel der Schrift
als Steinbruch benutze, da.os man im
Bistorienhneh ein entstelltes, ver-
wässertes, nivelliertes nnd wohl gar
gefälschtes Bibelwort als Fetisch an-
preist, den später die Jugend weg^verfe,
und 60 in dem wirklich wertlosen
Srirrogat das Wort Gottes! Ergötzlich
lesen sich die Bremer Phantasien . in
denen er den Antrag der Bremer Lehrer-
schaft auf Abscbaffnng des Religions«
unterri'lits zu trnusteii einer iillyonn'inen
Sittenlehre an literarischen Vorbildern
dnrdi Darstetlnng der Weitermtwick-
liin£r der .\ngelegenheit bis ztir Wietler-
einfülimng ao 200Ö ad absurdum führt.
Die Aufsätze über das Lehrerseminar
atmen Sch.s Liebe zu dieser Anstalt,
die er mit Schneider teilt. iin<l seine
Hofihmng, dans es doeh möglieh
soin werde, diese Schule aus
orthodoxem Zwange in die Freiheit
relig^ionsgeschicbtlicher Auffassung ZQ
führen und somit die jungen Lehrer
8'leich den jungen Theologen zu be-
fiihiureii. im Kampfe mit der Wiffclieh-
keit ihreu Mann zu stehen.
Von der Sammlung: ..Gesehi(ht-
licher&eligionsunt er rieht" ist
das 8. Heft: Jesus (2. Teil) und
dieUrgemeiiule vnn Dr. H. Meitzer
erschienen. Leipzig, Verlag von
Heinrich Bredt, IwH. Sonderausgabe
des RelifrinnHiinterriebts im 7. Scnol-
jähr in ileius „Schuljahren".
Dem Verf. erscheint ebenfalls die
Geschichte, Heraushebnng der grossen
Persünlichkeiten und leitenden Ideen
als wirksamstes Mittel zur religiös-
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— 378 —
sittlichen Enuehuiiff. Systeumtiscbe
ErOrtemna«» sollen m Zasammenhang-
mit der lebensvollen Geschichte kon-
kreter, wirksamer werden. Die Ver-
gangenheit zeigt die Probleme, die
anch ans hente besrhäftitren , in ein-
facherer Fassung und biltt m znm
yenttndnis der verwickelten Gegen-
^^•!l^tsfraf^en. Die Präparationen be-
Kitineu mit dem Petmsbekenntnis.
Psychologische und theologisch-kritisehe
Gründe, nicht die zweifelhafte Chrono-
logie bestimmen die Ordnung. Der
Standpunkt des Verf. ist der der neuen
hifitoriftch-khtischen Tbeolcttie, die tich
Tom Dogma in keiner WeSe mbinden
weiss, vermittlungstheoloK'isnie Ver-
tOAcbangen verschuiäht, nach bestem
Wissen und Gewissen die Wahrheit an
erforfsrhen und niojerne Mensrhen für
üott und seine grössteu Roten zu g:e-
winnen sucht. Auf Dvrchfiilinini^ von
Frage und Antwort ist verzichtet. Oe-
danken sind reichlich augegeben. Die
Kichtungsf ragen solloi am S hl i s
rel<a|dtulier('nd verwandt werden. Für
die Zui^iivnmeufasöuugeu sind nur einige
Proben (gegeben. Auf Natur- und
Kultnrschilderungeu ist absichtlich ver-
sichtet, weil gründliche Schilderung
vom Wesentlicheu abEitli- n würde.
Um so mehr sollen BrUckec zum Uegen-
wartsleben geschlagen werden. Dn
auf der 4. Stufe zusammengestellte
religiös-sittliche Mnterial soll memoriert
und bei Luthers Leben im 8. Schuljahr,
wohin allein ihr Katechismus gehöre,
Verwendung Üudeu. Ein Stellen-
ferzeichnis und ein sehr beachtenswerter
Abschnitt über Verwendung relieri<iser
Dichtnngen und Bilder sind beigetilgt.
— Das Buch bietet in gedrängtester
Kürze die exegetischen Resnltate der
nenen Theologie und stellt mit grossem
Scharfsinn die Werte heraus, die die
Textworte an sich und fUr unser Urteil
hahtt (vgl. Pietrasviston , Parabeln,
Kreuzestod, Stelluni; der Besitzlosen
zu. Jesu Wort an den reichen Jungling,
Bedentvngr des wiwiedtrbringricben
Moments bei der Salbung* usw.i. Ob
freilich jede Erörterung, die diese
Prlparationeii fOr diskutabel erachten,
vom» ! Tiilif^h was die Vorgänge nach
Jesu l ocie und die Berichte darüber
betrifft, in die Tolksschttle gehört, das
mochte selbst ein moderner Theologe
bexweifeltt. Mit Sekundanern and
Primanern mag man so reden, und der
Volksschulich ri i- m:^'^ die.se Gedankiii
nachdenken, es wird ihm für «eine
personliche ubenengnnir lohnen.
In lö.il7. Auflage (umgearbeitet und
Terbessert) sind auch llr. TL Stendea
P r ä p a r a t i 0 n e n z u d e n b i b 1. Ge-
schichten des Neuen Testa-
ments, betitelt „Das Leben Jesu"
en«'^r>Tii^ii Presden. Bleyl tind
Kaemmerer, 1B06. 260 S. M. 3, in
Leinwand gebonden IL SgOO.
Verf. will die biblische Oesehiebts
{5s\'r!inliiLM-.rli wirken lass<^n nnd so
reiigiüs-Bittliche Charaktere anbahnen.
Die neue Auflage zeigt in methodisdier
Hinsicht Kürzung der Vorbereittingen,
vor allem der Associationen, die im
Gesinnungsunterrieht möglichst be-
scheiden sein müssen. Die Einzel-
systeme äiud im wesentlichen bei-
behalten; öfter werden mittels mehieier
Assoziationen mehrere Systeme ge-
wouueu. Sachlich sind' zugefügt:
Versuchung, Gleichnisse vom Fischfang,
Senfkorn, Sau^teig. Jesus und die
Stinderin, die nahen verwandten, Jesu
Leidensverkünditrung'. Völlig neu sind
18 Gleichnisse nach Jttlicher bearbeitet,
die Bergpredigt, der Kampf Jesu mit
den Phansäem und das Petni«bekennt-
nis. Dazu kommen starke Um-
arbeitungen unter Verwertung neuester
wissenschaftlicher Literatur. Johannes-
Stücke sind aus Kückäicht auf die
Lehrpläne beibehalten. Die Stoffauswahl
ist dadurtb bedingt, da.ss Verf. nicht
mehr für die kulturhistorischen Stufen,
sondern für ein zweimaliges Durob-
laufen der alt- und neutestamentlichen
Stoffe ist. Die Anordnung des die
öffentliche Wirksamkeit .Tesn betreffen-
den Stoffs sucht aufsteigend vom
Ldchten mm Schweren m gewismr
Abwechslang von Taten und R^deu mit
HUcksicht avf die Verwandtschaft der
Stücke ein Bild dee Wirkens Jean an
geben. Denn ein»' nnnifeehtbare chrono-
logische Anordnung aller Stoffstücke
erscheint nach den Quellen unmöglich.
Sie ist Willkür (Ii. Der pädagogische
Zweck drängt zu sachlicherGruppierung.
Innere Chronologie wie Wlderstana,
Kampf, Katastro^ sind berilcksiohtigt
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— 379 —
— Es ist inter»^««^)it. St.M Buch nehen
da» Mcllzcrzi zu haltt^u ; beide Bücher
wohl die emsthaftesten päda^gischen
Vertreter zweier verschiedener An-
schaunn^n: bei St. Einwirkung auf
die Stiiiiimiiii::. l>€i M. auf das Urteil;
beider Zweck derselbe: religiös -aitt-
Hebe Charaktere m Inlden. werichOne
Ptri'iiicii i^enie3?en will, mnss zu St.
^reiieu, wer Klarheit sucht, mit M.
irbeiten, ich mdne, gegen Stimmangen
geradezu k?inipfen. Es scheint mir so
mehr sittliche fiatschlosaeobeii erreicht
wa werden, doch man wird reehten.
Übers Alte Testaiiieiu liegt vor: Der
Prophetisrous und das nach-
exilische Judentnnt ^Hiob,
Messianische Hoffnung, Jona, ^lakka-
bäerzfit. IS.ilmen). Präiianitidueu
Ton Prof. Dr. E. Thriadorf and
Olierl. 1>r. E. Meltser. 2. rmiff
niiiiTfai leitete Auflagt'. Drcsilen-
Blasewitz, Blejl & Kaemmerer, 1907.
179 S. mit Stauen- md SaehregUter.
Preis geheftet 2,80 U., in Leinwand
gebunden 3,40 M.
Der Charakter der Umarbeitung
äussert sich stmächst in Weglassnng
der Le.-etexte welche ja besonders er-
schienen sina fals LesestQcke zu
den orophetis« heil .Schriften des Ä. T.s.
Dresoen, Bleyl ä Kaemmerer. 1904.
Ausgabe A 83 S. 0,.S5 M., geb. 0,50 M.,
ÄU8ic;ibe H 02 S 0,20 M.). Statt deren
sind jetst reiche Sacherkl&nuigeu im
WortiAQt beeter KomneRtare zugefügt
— wohl der t»<i(lent»'ii'lst«' nt'wiim der
Kenbearbeitting. Endlich ist die Stufe
der Vertt^mg als des Kernes der
methodi.«chen Einheit heraus^ utitr.
Behandelt ist der ProphetLiinii^ im
engeren Sinne ausser Hosea und Ezechiel ;
nicht zu viele Propheten, ab«^i die
grüssten anschaulich, in edlen Bildern,
ie Historie ist nur Mittel mun Zweck,
religiiJs-.sitiliohL' Charaktpro zu bilden.
Übers uachexilischy Judeutum sind aus
den im Titel genannten Schriften und
ans Daniel Stücke bebandelt. IHe
traktierten wenigen Psalmen sollen
die Stimmung veranschaulichen, nicht
disponiert werden. Im Ausdüoss an
die Psalmen bietet M. die ürgeschidite
gen. 1 ff — In Wrrkr kommen
der Lehrer wie Theoiug eiueu lun so
wertToUMOi Ftthier in die Handt als
die Anlt^itini!? 7m ziV]l»pwus8tein Untcr-
richtäveriahieii md ueiiiirh wissenschaft-
lich fundiert wird. Die Auszüge ans
modernen Kommentaren werden streb-
same tieate — und für diese nur ist
da.«? Bach! — «•enidczn zu diesen hin-
führen. Sie traA[en dann nicht nur die
Frttchte der Wtssensehaft in breitere
Schiclitrii. .ii;i"iTn aucli den Re.spekt
vor dereu ra^tlo^em Fluss. Allerdings
wM. es dem Nicfatfachmann Hirne
machen, mancherlei Fachaiisdrüclce zu
verstehen, aber er wird sich andrerseits
bei der Lektüre z. B. Jeremias, des
babylunischen Propheten, Daniels, Hiobs
und der Urgeschichte reich belohnt
sehen. Die methodische Ausgestaltan^
jedes Themas nach den Forderungen
eines psychologischen l'uterrichta-
verfahrens erscheint mir nach mehr-
jähriger Prüfnng bewanderongswttrdig.
Das Saehre^ister ermOglieht anch un-
schwer die neuere relitifious-wiäsenschaft-
liche Arbeit im Quer^hnitt zn schanen
und SB eiimr auideiiMii Umwertung der
Begriffe an kommen.
Die Propheten. Erlesene Worte
nii-' ihren Werken von Dr. Friti
Kosh, Tübingen, Verlag von J. C.
B. Mohr (Paul Siebeck), im\. 120 S.
Geheftet 1,20 M., kartoniert 1,50 M.
Verf. geht aus von dem Gedanken,
dass wir bez. des Wortes Gottes viel-
fach Literaturgeschichte ohne I.itenitur
treiben, dass der edle Schate wohl-
geborgen., im kostbaren Sehrein vmt
Luthers i'herHetzuntr mht oder kllust-
lich gefasst in gelehrten Schriften
glänst. Das Bneh Termittelt eine Ans-
wah! der poetischen biblischen Literatur
nach modernua ,. wiüscnächaftÜchen
Kommentaren und Übersetzungen (Ber-
tholet. Duhm, Kautzsch. Marti, Nowack,
Reusa; neben Eigenem für religiös inter-
essierte Kreise. M. £. hält sich Verf.
zu eng an die äusserliche Folj^e der
Bibel und versagt sich so die Wirkung
des inneren historischen Zusammenhangs.
Diesen festgestellt sn haben, ist a^r
der Vorzug der Moderne. Man wird
Meitzers und Spanuth.s ähnliche Ver-
suche gegen das Buch halten müssen,
um mieh sn Terstehen.
Die Geschichte Israels von
Moses bis Bliat (1. Heft au
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— $9o —
Religionsunterricht auf der Mittel-
stufe der Vnlksscbnle und in den
rnt<!rkliissen ln'-luTtT S lin. ii von
Prof. Thründorf und Dr. Melticer.)
2. verl eeserte und vermehrte Anflag-e,
liearbeit't von K. Beyer. I'rHsdon.
Verlag von Bhyl &. Kaemmerc-r, 1906.
141 S. Gtbeftet 8/5 M., in Lein-
wand gebunden 8,75 H.
Die neue Auflage zei^^t die Ver-
tiefung in neuer FaMung. Die Ant-
worten auf die Fragen sind als Zu-
sannnentas.sun^ im Znsainiiit'nhaiijLr
geben. Auf die Einxelfra^en ist nicht
▼erslelitet, weil ibre Formnliening
Mt ri 1 lieii Anfaiiß-ern i)ii Lehramt
üitneu soll, um das alte Dozier- und
Einpenkvermhren tn beeeitigfen. Anfe
Kulturgeflcbichtlicbe ist absif htHch ver-
siebtet. Umfassender hkiz^iert ist die
Josua- und Richterzeit. Neu hinzu-
gefügt ist der Sieg Uber Amalek , die
Siedelung im Ostjurdanlande, .lu^ua als
Volksffibrer. Eroberung von Jericho,
Ai, Erei^isse um Gibeon. Debora und
Jephta sind auch methodisch bearbeitet.
Die historisch- kritischen Anmerkungen
über den Quellenwert sind für den
Lehrer. Du Bncb ist fem davon, am
alt testamentlichen Geschichten Wichtig-
keiten des (ilanbens zu machen, betont
die historische WahrscheinHelikrit nnd
hebt vor a!lcm die sittlichen H rossen
hervor, besunden« Moses und die Kichter,
Ton denen gewötinlich der wertloseste,
Simson, in den HistoriciibtUliem die
gröbste Rolle spielt. Die neue Auflage
scheint mir allerdings in der Aosfflbrung
dieser Zeit zu weit zu gehen. Sonst
ist der Geist des Buches der alte.
Biblische Geschichten für die
Mittel- and Oberstufe, b«-
arbeitet Ton Prof« Klein. .Mit
Bildern von Schnorr v. Carolsfeld,
Gebetsammlung, Bibelkunde, Kirchen-
jniir, Geographie Palästinas usw.
5. verb. Aufl. bei Emil Roth in
Glessen, 1ÜÜ6. 300 S. Bro.whiert
1,60 H., geb. 2,60 M.
Das Biii'li ist auch für ilie rntcr-
klassen höherer Lehranstalten bestimmt.
Der Text soll der Passmigsltraft der
Schüler ent.iprf< lu n. daher ist das Bibel-
wort da geändert, wo schwierige
Konstraktion oder vendteter Art Die
Überschriften deuten klar den Gesamt-
inhalt an. Einzeluberschriften sind
fortgelassen. Vermittelnde Übergänge
sollen eine zusammenhängende Ge-
schichte des Reiche« Gottes herstellen.
Wfirt- und Sacherk'.annig^en in Fiiss-
noteu. — Das Buch bewegt sich vjUlig
In den Babnen de« HerkAnmliehen.
Die in^ >ere .\uordntiiic: der Bibel und
der Lehrplan bestimmen die Geschichte
des Bdehes Gottes. Immerhin haben
die Erzählungen kindliche .\rt nnd
geben im beigefügten Sjinieiuaaterial
eine ernste Ans wähl. — Vom Verf. liegt
auch ein Bändchen : Biblische ft e -
schichten für die ersten Schul-
jahre (mit 48 Bildern von Schnorr)
nnd einem Anhang. 4. Anfl. 1904,
Giessen, liruüchiert ÖO l'i.. in Schul-
Itand 60 Pf. vor. Eigenartig berührt
nach der Lektion Stmieles des Vexf.
Aussprach: Der Lehrstoff Ist nicht aaf
die einzelnen Schnljalire verteilt: dies
ist das Recht der KirchenbebÜrde (I). —
Bein eck e s biblisdie Geschiditen nr die
Unterstufe, neubearbeitet von Gaden.
7. Aufl., brosch. mit Bildern 36 Pf.
Hannover- List , 1906. Verlag von
C. Meyer (Prior) sind knapp graiegen,
sparsam in Spruch nnd Lied.
0. Krapf, Materialien für den
genetischen Religiuub Unter-
richt ist ein „Beitrag zum Aufbau
des Religionsunterrichts nach den
Anfordeningen der modernen Pftda-
gocrik", Dresden, Bleyl & Koemraerer,
1U06. Bd. 1 IBö S., Bd. 2 löl S.
Preis jeden Bandes 8,85 M., geh.
2,75 JL
PI. 1 bandelt vorn Ursprnnc: der
( hristliclien Religion und deren ^uelle,
von roateriaiistiscber und pantheistischer
Weltanschauung. V-ii. 2 «ribt die Entr
wickiung der Glaubenslehren der christ-
lichen Kirche. Verf. geht vom Natur-
erlebni«? auf. Die« erzeugt das Gefühl,
vom Fühlen , strebt der Mensch znm
Erkennen. Über die Quelle der christ-
lichen Religion, die Bibel, iribt Verf.
keine ennfloende TnhBlt8ani.'abe, «ondern
führt in dii.s Vcr.-^tändnis der bibli'^chen
Bücher aus den zur Zeit der Abfassung
herrsehenden Oedanken ein. Die knrse
Geschichte des Pantheismus nnd
Materialismus soll befähigen die
Dognenentwiddang m Torstentn. Jeder
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- 38i -
Glaubenssatz wird biblisch nliiri l^irpt
und miue Entwicklung nicht uur bit»
zar Conciliarfixierung verfolgt, tondeni
auch sein Spiegelbild im Geiste sp&terer
Wissenschaftler nnd Denker entworfen.
Die geaelnchtlicbe Betrachtung soll zn
einer frerephti ii iienrteilung der Bibel
und (ilauben;<t^iit2e fübren und die
Toleranz fbrdem, Katechismus und
Kirchenipeachichte verbinden. Kritische
Resultate sollen mit pädagogischem
Takt Verwenduni; finden. — Das Buch
ist eine organische VerarbeitiuijK tod
LeMfrttchteo «xegetnober, lareheii-
li: toriscber, doirmatiscber , philosophi-
scher Literatur, darum an und fär sich
anregend. Seine prakttache Verwend-
barkeit im Unterricht diiireg^en erscheint
mir i^oblem. £a wird schwer halten,
diMe Qedankeii jiigeiidlieheii Geistern
so nahe zn bringen, dass der grcnet Ische
Prozess erfasst wird. Wenn Verf. sagt:
Bei biographischer Behandlung der
Kirchengeachichte erscheinen die Tat-
sachen sporadisch, hier im Zusammen-
hang, so unttrschätzt er stark den
Wert der Biographie ittr jugendliche
Geister und «Tie Kaii«aHtftt der Oe«
schichte. Das systeniati- Ije Interesse
des Verf. teilt die Jugend nicht Ein
Svstem flberschant sie nicht. Von der
^irchengesohiehte ab«;r erhSlt sie so
nur verworrene .\u8schuitte. Also er-
scheint mir der Verlust gfOner als der
Gewinn. Des Verf. Überzeugung, daas
viele Elemente der christlichen Keiigiou
zu den unvergänglichen Idealen der
Blensehheit gehören, und die Einsicht
iu die letzten Konsequenzen des
Materialismus dem Christentum nicht
gefttlirlich ist, teilen wir, aber nicht,
dam die Historie den Erweis der
Katechismuswahrheiten bringen müsse.
Der Kateehismns ist selbet eine
Ustorisclie Einieihdt. Lnthera Er'
.Uftnmgf'n, wie sein Name venleut-
Uefaea, dass üein Wert praktisch-religiös
ist. Br gehört in die Konlirmanden-
stunde; wir in der Sehule wollen
Historie treiben; die Systematinierun^
religiöser Vorstellungen in i^rossen
Personlichkeit<»n zeigen. Hei <1p>* Verf.
Arbeiten werden diese Einheiten
gerade aufgelöst. — Trotz dieses
prinzipieUen Gegensatzes empfehle ich
dfts Bach dem Lehrer zur Vorarbeit.
Br wird dftnuii auf jeden IUI
lernen, und i'^b fnrchte ntcbtt daSS er
danach nnterrichteu wird.
Bfchard Kablseii, Relii^ionsbueh
fttr evangelisclie Lehrer- and
LebrerinnenseminareiindPrft-
pnrandenanstal tcn. I. Teil:
Lehrbuch des Unterrichts im A. T.
4. verb. Anfl. 1906. 1. Abt. Bibl.
Geschichte If^s A. T., geb. l.GO M.
2. Abt. Bibel knnde de« A. T., geb.
1,40 M. II. Teil: Neues Testament.
4. verb. Aufl., 1907, geb. 3 M.
III. Teil: Christliche Glaubens- und
Sittenlehre. 8. Aull 1906. Geb.
2;ä) M.
Schieies Forderung, dass der künftige
Lehrer mit den Ergebnissen der ueneren
theologischen Wissenschaft bekannt ^^e-
macht werde, wir! vou K. erfüllt.
Schon die Stoffanswahi und Anordnung
der Bibl. Geschichte A. T.s und der
Bibelkunde zeigen durchweg moderne
Gesichtspunkte. Die biblische Geschichte
entwirft zuniit'hst ein (iesL'hicbt.sbild
ohne fiücksicht auf die Einleitungs-
wissensdmft nnA Überwiegend religiSe-
sittlichen Gesichtspunkten. Es soll das
religiös-sittliche Wachstum, das nach
VolUtomnienheit verlangt, veransehan-
liehen. Die Ribelkunde bringt über die
Entwicklung der ii>nielitischen Literatur
und Religion Klarheit. Die Beligions-
wis.senschaft ist hier in einer dem
Seminar angemessenen Form geboten.
Kritik ist zu vermeiden. Nicht wissen»
schaftlich Interessantes, sondern religiös
Fruchtbares muss entscheitleu. Doch
soll der Schüler alles nachprüfen können,
nichts mechanisch lernen (rgL hierxa
s. B. die Einftihmng in den Pentateneb.
Resonderen Wert le^t V.-rf. auf die
Bichterzeit als verbindendes Glied in
der SellMtoffeiibarang Gottes. Die sitt-
lichen Schwächen einzelner Personen
sind nicht vertuscht. Die Urgeschichte
der Genesis soll möglichst spät traktiert
werden, wenn der junjje Mann Einblicke
in äicb selbst tut. Beide Abteilungen
des 1. Teils bilden eine Einheit, sind
nebeneinander zn benutzen. — .\nch
im II. Teil, N. T., spürt man Uberall
moderne Luft, z. B. wenn der Kanon
als Ergebnis kirchlicher Kämpfe, die
synoptische und johanneische Frage,
die politische imd gdstife Lage Israils
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— 382 —
ZOT Zeit Jesn l<oliaii«lelt worden; dcserl.
im Anfbau des Wirkens Jena, das nach
Müglicbkeit pra^ariscb geordnet ist,
in der Beurteihiiij- vnn Wundern nna
Gleichnissen. Taktvullu Zurückhaltung
wahrt K. dagegen gegwllber modern
mssenscbaftlicben Auffassun^n in den
Abschnitten ttber Tod und Auferstehnng,
Die Brieflitaratnr ist mit den Reisen
Pauli organisch verwoben. — Über die
Glaubendehre, die die gemttt- und
wUlenbildende Kraft iler christlichen
GlaubensTonteUungeu lebendig za
machen sneht, häbe ieh mieh «elion
frtlher zustimmend gcänssert. In der
2. Auflage sind wesentliche Wrände-
rangea ▼orKvnommen in den Kn}jiteln
von Erhsttnde, GotthHt Christi und
Versöhnung. Geändert bat Verf. seine
Ansicht von der Erbettnde, ausserdem
befleissigt er «sich noch objektiverer
Haltung a's sclion hisher.
In einer kleinen Schrift bebandelt der-
selbe Verfasser Das Gewissen,
«■■■inf'n T'rspmnCT nn<\ .-■•"im' Pfl.ege.
Güttingen, Vandenüoeck & Kupre(£t,
1906. 66 S. 1 M.
Hier beschäftigt ihn di« Frage, ob
«in-^ (iewissen uucn lUitresicht.s neuerer
Niiturwisseu-schaft und Seelenknnde als
Gottesstinnne festgehalten werden könne.
Er kommt durch psrcbologische, histo-
rische und andere Üntersnchungcn zn
positivem Besidtat«
Gemeinsame Schule für beide
(4 c f h ! e <- h 1 r wünscht Schulrat
K. iiützHcta. DreHÜfu, .\lwin Hnhle.
180B. ms. 60 Pf.
Er scbliesst aus der Kulturgeschichte
auf eine merkliche Hebunpr der Stellung
der Frau, deren ersiehlicher Einflnas
wachsen mUsse. nenieinsanie Er/it^hung
beider Geschlechter wirke Charakter»
festiocnd auf die Ämben, sittigend auf
die Mädchen. Praktische Erfahrungen
in Amerika, SchwedtiQ, Mannheim,
Winterthur bestätigen diese Annahme.
Auf Grund reicher literarischer Vor-
arbeit stellt Verf. Stimmen zusammen,
welche den heilsiimen Einfluss solcher
»Ziehung auf die ijnnze Nation be-
kraüigen. Einzelne Mädchen zu
höheren Schulen zuzulassen, erldirt
Verf. nor für einen Notbehelf.
Zwickau i.S. Job. Lfitzsch.
H. Spanuth, Präparationen für
den evangelischen Religions-
unter riebt. 1. Teil: Unterstufe.
Osterwieck/Har«, A. W. Ziokfeldt»
1907. 190 S.
Diese Prftparationen bilden den
12. Band des von K. 0. Beets imd
Ad. Rüde heransi,'egehenen „Bücher-
schätz des Lehrer»" und stehen im
engen Anaetduss an die nun schon in
"i Aiiflage erschienene Methodik de«?
geiiamten Vulkä^chulunterricbt« von Ad.
»de. Durch diese neue Arbeit, weloher
noch 3 weitere Bände mit Präparationen
für die Mittel- und Oberstufe folgen
werden, sollen die in der genannten
Methodik niedergelegten Grundsätze
unterrichtlich verwirklicht und in die
Praxis uinge.setzt werden, l'er Verf.
Steht auf demselben Standpunkt«, wie
die rnhmlieh bcdtanntett Auto ren Tnrto-
ilorf und Meitzer, Renkauf und Heyn.
Diese Präparationen weichen also von
dem noeh weite pädagogisebe Kreise
>i > ' h I T'-s c h en d en 1 ' n t e rri c h t .s verfahren
wesentlich und iranz hedeutend ab.
Gemeiuiiin hält mau die Über-
eignung der geforderten religionskund-
licben Kenntnisse und die Ausbildung
der Fertijrkeit, über dieselben in
Hiessender Eedt- Rechenschaft j^-eben zu
können, für die Uauptanfgabe des
Religionsontenicbts. Ein derartig
Denkender dürfte in der Spanuthschen
Arbeit nicht finden, was er sucht. Wer
dagegfen mit seinem Unterricht tiefer
crraben . sich mit dem Verständnis d^
äusseren Heriranires nicht begnügen,
sondern auch die im Untergründe
liegenden sittlichen Verhältnisse auf-
decken wiW, wer bestrebt ist, lebhafte
ethische Gefühle und intensive Wert-
schätzuns^n damit hervorzurufen, das
Mitgefühl im Schlllerherzen mächtig
anzuregen und das sittliche Interesse
zu verstftrken, der wird diese Arbeit
bald liebgewiimen.
Es trifft sieh gflnsti^, daas ieb seit
3 Monaten den P"lii.'innsnnterrirht
auch für die Unterstufe wieder erteile.
Die für das 2. Schuljahr von mir ge-
troffene Answald der ErzShlnnjren
stimmt mit der vorliegenden fa.«t genau
überein. Ebenso wende auch it h , wie
Spanutb durchweg daa darstellende
Verfahren an.
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— 3S3 -
Btim genauen Dnrcbgrehen der
ehiKlnen Präparationen, die in konse-
quenter Gliedemng anfgebant sind,
erkennt man sofort die Umsicht des
Jnuidiffen Pädagogen, sowie den Fleisa
vaA aie Sorgfalt des Seliriftstdlen.
Offen bekenne ich, dass selbst ein alter
Tielerfahrener Lehrer aus ihnen noch
leneD kann. Beaonden erwlhnt m
werden Terdient, wie sich Verfasser,
naraeutlioh in der Vertiefung, grosse
Müll -ibt, das eigene ethische Urteil,
das in kleinen Schfilpm hiUifiü' ?anz
aasbleibt, bestimmt unci wirkungsvoll
henrorzumfen. Wo dieses Urteil aus
der Seele des Kleinen nicht selbsttätig
hervorspringt, wo es nnr nachgesprochen
wird, übt es gar keinen Einflnss auf
das Kind ans, bleibt es etwas Fremdes.
Angeklebte« unä wird nie ein Teil
seines eigenen Empfindens nnd Denkens.
Solche Urteile kOnnen aber nur ge-
fiQlt werden, wenn die Terg^brten
Handlungen und Willensverliältniüse
einfach genug sind, um dem kindlichen
Verstän&u den sittlichen Gehalt nahe
zu bringen, wenn die Personen ausser-
dem das kindliche Interesse ganz in
Amproeh nehneo, weil nur unter dieser
Voranssetznng dem Urteile die nn-
enibebxlichü Wärme und Kraft zuströmt.
Aus diesem Grunde halte ich die
biblischen Erzählungen fQrs 1. Schul-
jahr selbst in der Spanuthschen Be-
arbeitung noch beute wie vur 25 Jahren
sur Bejg^ündung des sittlichen Urteils
für ffo sdiww, ei wftre denn, daas den-
i« IV n ein propädeutischer Kursus, dem
etbistbe M&rcnen zu Grande liegen,
leraniMadiickt wi\rde. Die nenerdings
gemachten Beobachtungen haben mich
m dieaer Anschauung aufs neue be-
stärkt
Meistens hat man keine Ahnung
davon, wie unklar, mangelhaft und zu-
sammenhangslos der VorstellungskreiB
der Sechsjährigen ist: in ihm fehlt —
abgesehen von den Yorstellangen , die
das körperliche Wohl snm Gegenstande
haben — jede Ordnung und Zusammen-
halt. Das hat zur Folge, dass dieses
Material zu neuen A|iperzeptionen wenig
ffeeignet iat, und die andere Wirkung,
daas die Kleinen idnen rasatttten^
hiinc;:enden Erzählen nur schwer, oft
Sir nicht folgen können. Greift die
raShlnng dagegen mitten hindn ins
Kindeslel^n und seinen Ideenkreis, wie
dies in dem Märchen „Frau Holle" mit
der Schilderung des fleissigen nnd des
faulen Mädtb'^Tis q^esi hiebt, so ist sofort
das Interesi^f wach, sittliche GcfUhle
nnd Beurteilung entstehen und die .Auf-
merksamkeit hält eine ganze "Weile an.
So gün.**tig lieiTcn die Verbältni.sse bei
den oibli.schen Erziihluni?en nicht, selbst
solche wie: Joseph und seine Brüder,
Joseph wird verkanft usw. nicht aus-
genommen. Er.stens haben die mei.sten
kleinen SchtUer keine lebendige Vor>
•teUnngr ▼om Httra nnd Weiden der
Schafe und vom Hirtenleben; anderseits
liegten ihnen auch die Empfindungen
und Willensverhältnisse der 17- und
mehrjährigen Brüder noch zu fem, als
dass 8ie sich mit der wiinüchenswerten
Dentliehkeit in deren Seelenvorgänge
versetzen nnd sie hinreichend verstehen
könnten. Ans die..sum üninde bleibt
die lebhafte .\nteilnahme und die er-
forderte sittliche Vertiefung und Er-
regung bei den meisten aus und die
Erzählung erweist dem Seelenleben,
namentlich der Begründongdes sitt-
lichen Urteils nnd aneh des rnftgefühls,
bei weitem nicht die Dif r.str v-ir- .-im
der von Ziller verwenUeteu Märchen.
Zum Sehlnss noch eine Bemerkung:.
Nicht alles, wa.s Spanuth in geinen
trefflichen Präparatiunen bietet, kann
unterrichllieb verwertet werden. Auch
auf der Stufe der Vertiefung mnss mit
BUcksicht auf den winzigen Bewnsst-
aeinsraum der Kleinen ntanchea weg*
gelassen werden.
Ologau. H. Grabs.
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— 384 -
Eingegangene Bfteher*
(Beqnedunc voAebalten.)
Selmldkmz, Or. N., ßtUeitwiir i» dk alcademttche PSdafogik. IfaUe «.S. 1907.
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Durg 1907, Strassburgcr Druckerei und VcrlaysaiVitall. Pr. 50 PC
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TsmininQ, Dr. E., Wie erzieht und bildet die höhere Mädchenschule unsere Töchter?
Ebenda. Pr. 0.80 M.
PiidlfOgiSOhe Abhandlungen. Herausgegeben von r. R.id<-m.ichcr. Ncur: Fol;;«*.
II. Bd., Heft z und 6; 12. Bd., Heft 3—5 und 10 ; 13. Bd., II. Ii i. liielcfeld,
A. Ilclmich. Pr. 40 — 60 Pf.: Schult/, A.. Der deutsche Schulmann in
Spiegel der vatcrländisclu-n Literatur des \VI. und XVII. Jahrhunderts. —
Leipacher. K. O.. Die Lehrfreiheit der Volkischulklircj. — Kiel, A., Wdche
Aufgaben stellt die Einheitlichkeit des Unterrichtsverfahrens dem Leiter diicr Ldv^
anstait etc. — Schultz» A., Die fianxösiicbe Volksschule. — Schwarz. C«
Inwiefern ist Eberhardt v. Rochow von den Phtlantropcn abhängig. — Ban*
bi-rj;. Fr., Die Gefahren der Verausserlichunfj der Schularbeit etc. — Weit,
Anton, Uno Cygnaens, der Vater der ünoläadiscbcn Volksschuie.
Heft 91, 94—96 und 99. Ö>cnda. Pr. 40 Pf.: Heitinann, A., Mimtinimungen im
Lchrerv-en inslrben. — Schen!^, A., Die Fürsorge für die aus der Hilfsschale
entlassenen Kinder etc. — Drcwke, U., Die Lehrerinnenfrage. — Bach, W, K.,
Über die Bdiaadlung des Sexuellen in der Schule. — Derselbe, Unsere Kolonien
im Schulunterricht.
DiO hShsrfi MädchenbiidUflg. Vortrage ^'ehulten .luf dem Kongress 7U K^m:! am II.
und 12. Oktober 1907 von Helene L uijje . I'.uila Schicidimann , Lina Hilgcr,
Lydia Stöcker, Julie v. Kästner, Marianne Welver. Dr. Gertrud Bftnmer, Marie
Äuurtin. Leipzig 1907. D. G. Teubocr. Pr. geh. 1,80 .M.
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peh. 2,50 M.
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l I I Osterwieck 1907, A. W. Zickfeldt. Pr. geb. 5,40 M.
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Pr. ii'-h. 2,40 M.
Seyfert, Dr. R.t ^i*: Ausbildung für den ForlbUduags- und GcwcrbeschuldiensU
Leipzig 1908, E. Wunderlich. Pr. 80 Pf.
Denwlbe, Der gesamte Lehrstoff des natttifcundBchen UnterrichU. 4. Term. Adl.
Ebenda. Pr. geb. 3,60 M.
Metobeta, R., Morphologie, Biolocie, Systematik. Leipcig. Siegisnnnd VoUBesmg.
Pr. 60 !"f
UtOhnewska, Marie, Die geschlechtliche Belehrung der Kinder. Zur Geschichte und
Methodik des Gedankens. 4, Aull. Frankfurt a.M., SauerlSnder. Pr. 70 Pt
Dniek von A. Biets A Mm In Vaumbuif a. 8.
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A* Aliluuiilliiiig0iu
1.
Korpsgeist
Zur BÜuk in der Sdraktube.
Vtjn Dr. L Grimm in ELterbcrg.
Zwei Strömunj^en sind es. dir immer neue Gestaltungen hrr\-or-
rufen auf dem ürcbiet der Sittlichkeit. Aus der kräftigen W urzel
des Ich treiben ^oistische Forderungen; die organische Ver-
bindung mit Stamm und verwandtschaftlichen Verzweigungen lässt
Gemeinschaftsinteressen von nicht geringerer Stärke entstehen.
Naturvölker zeif^en allenthalben besonders starkes Familien-, Blut-
brüderschafts-, Stammesgefühl. Und wenn wir vom Überhand-
nehmen egoistischer Triebe in der kultivierten Gesellschaft reden,
so deutet das bloss auf einen unnatürlichen Zustand hin, wie er
auch in anderer Hinsicht eintritt im Gefolge einer überschraubten,
einseitigen Kulturentwickiung. Bei der weit vorcj^eschrittenen
Arbeitsteilung, der räumlichen Entferniini^ der Tätif^keitsstätten von
Vater, Mutter und Kindern, wird die Interessengemeinschaft
zwischen Mann und Weib, Eltern und Kindern immer mehr ge*
lockert oder beschränkt Beim Fortschritt wirtschaftlicher Ent-
wicklung, der Verbreiterung einer gewissen Wohlstandsslufe leidet
doch nicht selten die Familienkultur. Dann finden die sympathe-
tisclien Gefühle nicht mehr zureichende Pflege.
Wo die günstigen Einflüsse des Elternhauses schwächer werden,
pflegt die Schule an der Ausfüllung entstehender Lücken zu arbeiten*
Ninunt Familiensinn und Gemeingeist in den Kreisen ab, daraus die
Schüler kommen , so dürfte die Schule Ursache haben , auf Pflege
der Gemeinschattügefuhle verstärkten Nachdruck zu legen. Es wird
das — mit dem Wachsen der zu Gemeinsinn planmässig erzogenen
Jugend — von Segen sein auch für die öffentliche Morsd.
Haben die Schulkinder noch nicht das Gefühl, von einem festen
^ ijande mit anderen umschlungen zu sein, so muss ihnen klar
PUIa«(^iache Stodieo. XXUL 6. 25
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— 386 —
gemacht werden, dass sie als Angehörige einer Klasse zusammen-
gehören, dass eine vielfaltige Interessengemeinschaft sie verbindet
Dieser Erkenntnis and schon die Kleinen zugänglich. Als Schul-
kinder besitzen sie einen Vorzug vor jünf^ercn Geschwistern. Etwas
vom Krnst des Lebens liegt über dein Schulhaus und dem Schul-
gerät. Soll die Unterweisung des Lehrers luei einsetzen, vielleicht
auf die Gefahr, dass Hochmut und Dfinkel grossgezogen wird, wie
er nicht selten namentlich bei Zöglingen höherer Schulen, Trägem
„bunter Mützen" überschäumt?
Begriff und Name „Korpsgeist" sind besonders Offiziers- und
Studentenkreisen geläutig. Die Uniform, die V'erbiadungsfahne deckt
den Träger gegen jeden Angriff von aussen, so lange er nicht selbst
den bunten Rock oder das farbige Band verwirkt hat durch Hand-
lungen, die innerhalb des Korps für unehrenhaft gelten. Dass der
Korpsgeist oft unerfreuHrhe Blüten, wunderliche Nebenersriieinungen
. zeigt, ist leicht erkennbare und darum vielbespöttcltc Tatsache.
Aber dass sich eine besondere Moral in der militärischen und
studentischen Gesellschaft gebildet hat und in ihren Ausläufern
gcIegentUch in bcwusstcn Gegensatz zur bürgerlichen Moral tritt,
lässt sich nicht schlechthin verdammen, sobald man alle Moral für
entwicklungsfähig und also auch ungleichmässig fortschreitend hält.
Es fragt sich manchmal, ob nicht hbtorische Gründe für Bei>
behaltung alter Bräuche sprechen, ob die schärfere Urteilskraft, der
hochgezüchtete Ehrbegriff vielleicht eine gewisse Berechtigung zum
Überspringen spiessbürgerlicher Beschränkung verleihen, ob die
Erfüllung ausserordentlicher Pflichten nicht vor dem Ricluerstuhl
gerade des feineren Rechtsempfindens auch ungewöhnliche Be-
wertung seltsamer Handlungen rechtfertigt
Wenn der hohen und höchsten Aristolcratie gewisse Rücksichten
zugebilligt werden , so dürfen auch andere Kreise verlangen , dass
sie mit dem Massstabc gemessen werden, der sich bei ihnen unter
einstiger Zustimmung der öffentlichen Meinung gebildet hat. Das
logis<3i Evidente ist nicht immer das historisch Berechtigte. In dem
Masse freilich, wie innerhalb eines Gesellschaftskörpers die Vernunft
zur Herrschaft gelangt, vollzieht sich die Anpassung der ethischen
Normen an die vernunftgemässe Allgemeingepflogenheit. So wird
das Bedenkliche an elhisclien Schöpfungen des Korpsgeistes
eliminiert, während die starken Motive, die sich innerhalb kräftiger
Gemeinschaften finden, zu tüchtigem Wirken emporgrc^fldet werden.
Denn das Berechtigte und Schätzbare am Korpsgeist ist nicht
seine Exklusivität, sondern seine (xcschlossenheit. Nicht bloss die
Art, sich zu kleiden oder zu grüssen, nicht der Gang nur und die
Redeweise nimmt bei den Angehörigen eines festgefügten Ge>
sellschaftskorpers gleiche Form an, es wächst auch beim Vorhanden«
sein höherer Interessen eine gehobene Gleichartigkeit des Denkens
und WoUens empor. Einer kann mit annähernder Gewissheit die
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- 387 -
Handlungsweise des Anderen vorausbestimmen, er fühlt sich gestützt
und gehoben durch die Grenossen, gezügelt und gespornt in seiner
Laufbahn. Das macht ein Offizierkorps unerschütterlich, nötigt
sogar Behörden Rücksicht ab, ersieht vor allem jeden Ein/.elnen,
der einmal zur Fahne i:^'csch\voren, sich z.u einer bestimmten l''arbc
bekannt hat. „Das tut ein deutscher Oltizier niel" ,J)as ist nicht
Burschenartl" „Unsere Familie hat hier andere Ansiditenl" — das
sind sittliche Urteile, die aus dem Korpsgeist heraus gebildet wurden,
und denen ein hoher Grad von Festigkeit innewohnt.
Welcher Lehrer wollte nicht ein so wuchtiges Motiv, wie es
der Korpsgeist oü'cnbar sein kann, in seinen Schülern pflanzen und
pflegen? &ie Neigung der Kinder, be^mders der Knaben, zum Zu-
sammenschliessen kommt ihm dabei zu Hilfe. Hier lasst sich ein-
setzen schon in der Elementarklasse. Es ist leicht genug, die
Kinder, welche den gleichen Stoff bewältigen, Leib und Geist durch
die gleichen Übungen kräftij^^en sollen, zum Bewusstsein ihrer Zu-
sammengehörigkeit zu bringen. Auch der Minderbegabte sieht da
ein, wie seine Geschäfte und Sorgen zum Ganzen gehören, legt
seine volle Kraft, sein bestes Aufmerken an den Tag, wenn es gut,
nichts zu verderben beim Chorsprechen , beim gemeinsamen Er-
streben eines der ganzen Klasse gesteckten Zieles, bei den Ver-
richtungen der Selbstverwaltung, die sich sehr wohl ins SchuUcbcn
einfügen lassen. Wie bei einem Schulausflug keine Nachzügler vor-
kommen sollten, müsste man allmählich auch gleichen Schritt und
Tritt im moralischen \'orrückcn erzielen. Der ^vic Ruf der Srhulc,
der Klasse, muss dem Kinde etwas gelten, die einzelnen Kinder
sollen einen iiegrifl von Kollektivehre gewinnen. Nichts tun, was
den Klassenverband in den Augen anderer herabsetzen könnte!
muss zum kategorischen Imperativ jedes Einzelnen werden.
Zu solcher Entwicklung i^enügen freilich nicht immer die
Stunden des Unterrichts mit ihrem vorwiegend stofflichen Interesse.
Schulleben ist melir als Uuterrichtetwcrden, der Lehrer mehr als
Stundengeber. Wir müssen das Schulleben erweitem: nicht gerade
durch sportmassige Ausföllung der freien Nachmittage, auch nicht
durch militärische Körperübungen, die 7.u viel Gezwungenes
haben — wohl aber durch Zusammensein im Wald und Garten,
durch gemeinsames Wandern ohne grosse Zurüstung, durch nütz-
liche Tätigkeit in Haus- und Feldwirtschaft. Aller Sport schlägt
gern in Hetzerei um. Er hat auch nicht genug sichtbaren Zweck,
Den Leib stählt Arbeit mit dem Spaten weit besser als die Aus-
führung von Stabübun;^cn; dem Rudern ist die lätigkeit am Schub-
karren vorzuziehen. Und es ist gut, wenn nicht nur ein „Sieg*',
sondern wenn ein dauerndes Werk zustande kommt
Die gemeinsame Wanderung und das Anleiten zu einem allen
bewussten Zweck stellt mehr Fragen und beschäftigt Geist und
Leib vielseitiger, als die Tätigkeit in der Schulbank oder in Reih
86*
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— 388 —
und Glied. Hauptsache, dass der Bewegungs- und Arbeitsdrang
geleitet wird, dass der Erzieher die Direktion behält Dann lassen
sich auch die sittlichen Richtlinien y^eben und weiteHtihren. Ist
nicht alle Kultur auf Grrund des Zusammenschlusses zur Arbeit
erwachsen ?
Nun wird es sich freilich besonders günstig treffen, wenn der
Sachunterricht anregend für das gemeinsame Handeln wirkt. Hier
liegt das gute Korn in dem Streben der Philanthropen, auch bei
den entsetzlichen Zwischenreden in Campes „Robinson" und ähn-
lichen literarischen Er/.eutrnisscn. Aber auch die umgekehrte
Folge; das Kruchtbarmachen des Gemeinschaftslebens für den
Unterricht ist mö^ch und nützlich. Sittliche Imperative bedürfen
beim Werdenden in allen Fällen der Verstärkung von autoritativer
Seite. Gibt das Schulleben die Anregung, das Lehrerwort bloss
die Bestätigung für eine BiUigung^ oder Missbilli'crunf!^, einen Vorsatz
oder einen völligen Plan, so pflegt der Schüler nichts von jener
verstimmenden Absteht zu merken, die so viele gutgemeinte und
an sich richtige Ermahnungen und Befehle beeinträchtigt Hat eine
Klasse einmal ,4hren Helden" erkoren, einmütige Wertung be-
stimmter Handlungen gefunden, so ist die kräftia;c Unterlage
gegeben, auf der sich dann auch die Edelreiser sittlicher Selbst-
bestimmung entwickeln können. „Das wird niemand in dieser
Klasse gutiieissen", ist in Knabenschätzung gewichtiger, als das
farblose: „Das schickt sich nicht" oder gar „das ist unmoralisch".
Gibt es Klassenideale, und sind sie recht f^ezeichnet, so messe man
ruhig an ihnen die Handlungen der Klassenangehöri^en !
Dadurch wird der Lehrer der unangenelmien Notwendigkeit
enthoben, der Klasse gegenüber seinen Tadel, seine Strafen zu
rechtfertigen. Der Übertreter hört auf, ein Held, ein „ganzer Kerl"
zu sein; die Klasse wird nicht mehr in jenen stummen Widerstand
treten, der dort vorkommt, wo die Massnahmen der Zucht un-
begriffen bleiben. Dafür werden auch die Musterknaben, die vor-
bildlichen Kameraden weniger hervortreten. Es konunt ein
„besserer Durchschnitt" obenauf, mit dem der Lehrer wohl einmal
einen burschikosen Ton anstimmen ma^. Nicht aber muss mehr
jenes fatale Zusammenhalten gebrochen werden, bei dem die un-
verstandenen Jungen im Lehrer den Feind, in seinen Vorschriften
Nörgeleien sehen.
Eine sehr wichtige Lebensbetätigung lässt sich nur innerhalb
grösserer Verbände lernen: die Verwaltung von Eigentum. Im
Rürg^ertum ist CS kluge Gepflogenheit, heranwachsenden Kindern
das hinkassieren kleiner Geldbeträge zu überlassen. Dabei wird
rechnerische Grewandtheit, Fertigkeit im Abrechnen vor einer
höheren Instanz, vor allem Schätzung des Geldes gelernt Doch
bleibt die Verwendung der Beträge anderen Personen vorbehalten.
Das ist anders, wo die Klasse, die Schule Hinkommen besitzt»
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verrechnet und verwendet. Schon mit jenen Straf kassen" lässt
sich allerlei tun, die in manchen Schulen für Auslösung liegen-
gebliebener Bücher und Hefte bestehen. Weit besser wirken
Kassen, die sich vom Erlös eigener Arbeit füllen. Wo Handarbeit
oder gemeinsamer Gartenbau besteht, da sollten die Arbeits-
erträgnissc immer in gemeinsame Kassen flic<;sen. Wie das spornt,
zum Schatten treibt, für die endliche Verwendung der ersparten
Gelder interessiert 1 Wir haben Bilderschmuck für das Schulzimmer
erworben, Lieblingsblumen und -Bäume gesetzt, haben auch schon —
in der Weihnachtszeil — vorsichtig (!) Arme unterstützt. Wie
schonend wird der selbstgeschalTene liesitz behandelt, wie liebevoll
ein allen gehörender Baum gepflegt, wie innig die Freude gemein-
samen Wohltuns empfunden! Kaum braucht darauf im^j^ewicsen
zu werden, dass Schüler, die so zur Achtung von Gemeinschafts-
besitz gewöhnt worden sind, schwerlich in den gedankenlosen Aus-
spruch einstimmen werden: „Der Staat kann's bezahlen," „die Stadt
merkt's nicht, wenn was beschädigt wird." Aus dem Korpsgeist
heraus bildet sich Achtung vor Gemeinde-, Vereins-, Staatsbesitz,
bildet sich auch ein Verständnis für prodtiktives GenossenschaftS'
wesen. Die Sittlichkeit hat bekanntlich noch andere Normen als
diejenigen , welche die Ikv.ichung von Mensch zu Mensch regeln.
Sie hat eminent moderne Aufgaben, die gerade dem vielgestaltigen
Erwerbsleben der Gegenwart entsprechen. Auch diese müssen
schon in einem Vorkursus gelöst werden. Die Pflege des
Korporationswesens innerhalb der Schule gibt Gelegenheit dazu.
Keineswegs ist mit den angedeuteten Betätigungen die
Lci'^timgsfähigkeit eines frühe gepflegten Korpsgeistes erschöpft.
Ein paar Hinweise seien darum noch gestattet.
In Kadettenhäusem wird die Wärheitsliebe gezüchtet durch
den beständigen Appell an die ehrenhafte Gesamtheit der Zöglinge.
Ganz nebenher weist man die jungen Leute darauf hin, <his>^ es
Feigheit ist, einen 'i"ati:)estand zu verhüllen. Bei jeder (lelcgcnheit,
wo ein kleines Vergehen begangen, eine Abweichung von der Haus-
ordnung geschehen ist, wird der Täter ersucht, sich selbst za melden.
Dass jede Angeberei durch die Kameraden ausgeschlossen erscheint,
ist selbstverständlich. Aber der Kadett meldet sich: entweder weil
er wirklich schon männlich genug denkt, dass er seine Taten auch
offen vertreten muss, keinen andern ni Verdacht kommen lassen
darf — oder weil ihn die Gesamtheit seiner Klassengenossen zum
ehrlichen Bekennen drängt. Wenn irgend möglich, wird das Ein-
geständnis mit Straffreiheit oder doch durch besondere Milde der
Ahndung belohnt. Und auch das ist nachahmenswert Denn wo
der Schüler zum Bcwusstsein des Fehltritts gekommen ist und wo
kein ausgebildeter Hang vorliegt, hat die Strafe wenig Sinn mehr,
wenn anders nicht der Lehrer zu den Anhängern der bloss noch
im Strafgesetz spukenden Vergeltungstheorie gehört
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— 390 —
Wichtiger als selbst bei der Bekämpfung schwerer Verstösse
ist ein gesunder Korpsgeist — zur Verhütung übler Gedanken
und GepHogenhdten bei den heranwadisenden Jungen und Mädchea
Manches berühmte Institut hat hier die Wurzeln seiner Blüte. Noch
immer sind Präservative die besten Arzneien. Eine lockere Auf-
fassung gegenüber dem Glücksspiel, dem Alkoholp^cnuss, dem (xe-
klatsch und Getratsch oder auch in sexuellen Fragen ist kaum
wieder wegzubringen, wenn sie einmal Platz gcgrifKfi hat Bei
jungen Leuten, die sich als Glieder einer wichtigen Lebensgemein-
schaft zu földen gelernt haben, im Lehrer oder \''orf^esetzten den
Berater, den wohlwollenden Genossen der Arbeit und der Freude
sehen, wird wirkliche Einsicht in das Verderbliche übler Gewohn-
heiten erzielt, wenn man es dahin bringt, dass die jungen Leute
untereinander mit Emst und Ruhe die Beobachtungen austauschen,
die sich auf den angedeuteten Gebieten leider so reichlich anstellen
lassen. Übcnreuj^ungen muss nun einmal jeder selbst erarbeiten.
Sie waciisen aber am schnellsten und tiefsten, wenn sie im wechsel-
seitigen Austausch zwischen Gleichstrebenden gewonnen werden.
Wo Korpsgeist ist, kann keiner sich so leicht ausschliessen von
Betrachtungen, die das allgemeine Interesse des Kreises, dem er
angehört, erregen. Parteinahme ist fast unvermeidli b . und selbst
der Flatterhafte oder der \' erschlossene kommt zu Resultaten, die
von der Allgemeinheit kontrolliert werden.
In unserer Zeit, wo Individualitat Schlagwort ist, dürfte es be-
denklich erscheinen , wenn dem Korpsgeist eine hohe Bedeutung
fiir die Hilduni; der Sittlichkeit zugemessen wird. Korp'^-.ycfühl ist
aber sehr wohl mit individueller I lochentwicklunf^ zu vercuii n Die
Grundschranken für das, was verwerflich, die Richtlinien tur das,
was ehrenhaft ist, sind durch die Anschauungen der Körperschaft
gegeben: wie weit und stark der Einzelne innerhalb der zur Ge-
wohnheit werdenden Schranken läuft, ist von seiner Kraft und Aus-
dauer abhän^;i^. Ja, Ljerade der, dem für eine Menge von Einzel-
fragen die Entscheidung durch Gemeinschaftsurteile und auf diesen
beruhendes Herkommen at^nommen wird, kann mit grösserer
Frische an ausserordentliche Aufgaben herantreten und zu eigen-
artiger Lösung derselben schreiten. Kann er bei solchem Beginnen
so wrken, dass er zugleich den Nutzen einer cn-össcren Gemein-
schaft erwirkt, wenn er seine individuellen Kräfte einsetzt, so ist
eben die Erziehung zum Korpsgeist durch Korpsgeist erfolgreich
gewesen.
Das lässt sich bei dem, der frühzeitig unter den Wirkungen
kräftigen Korpsgeistes gestanden hat, mit viel Wahrscheinlichkeit
vermuten. Innerhalb einer gutgefügten, strebcnskräftigen Gemein-
schaft wird Anerkennung und Kritik frühe wirksam gewesen sein.
Sehr oft urteilen Kinder schärfer und richtiger über ihresgleichen,
als der Lehrer es tun könnte. Es gilt, dieser bildenden und
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— 391 —
re^lierenden Beurteilung Cjclet^enheit zu geben. Innerhalb einer
Schulklasse, einer iurnerriege, eines Schülervcreias lässt bicii lie-
fehlea wie Gehorchen üben; formiefen sich Verhaltnisse, wie sie
das Leben der Erwachsenen kaum komplizierter, wenn auch viel-
fach \'erantwortungsreirher , bietet Dass neben den persönlichen
Zielen und Wünschen die Gemeinschaft zu ihrem Rechte kommen
muss, das lässt sich nicht bloss lehren, sondern auch erproben in
jeder Schule, die Freiheit genug gibt för das Erwachsen eines ehren-
haften Gemeingefiihls innerhab jener Schulwände, die sonst so leicht
selbständige Regungen junger tatenireudiger Menschen erdrücken.
Heimat und Unterricht
Von J. L Islltr in Kircfahdin.
Schluss.
m.
itariflktlaliti|Mi| iar Heteat la daa eiaaelaia UatarrioMsiiahn
Wenn wir die Heimatkunde den dnzelnen Fächern zuweisen,
so möchten wir verhüten, dass nur die ^geographischen Vorstellungen
des Kindes nn der Heimat ^^ewonncii und, alle übric^en eben bei-
laulig oder /ulailig in den Unterricht eingreifen. Jede Art der
Vorstellungsentwicklung des Kindes, also jedes Fach, muss mit
voller Absicht und möglichster Sorgfalt aus den heimatlichen Vor«
Stellungen hervor\vachsen und sich fortwährend aus denselben er-
nähren und mit denselben verbinden. Dadurch werden die
einzelnen Fächer zu Schulwissenschaften und die Stoffpläne er-
weisen sich als Lehrpläne. Das Geforderte wird wirklich lehrbar
und führt dazu, dass der Schüler ein unmittelbares Interesse am
betreffenden Unterricht gewinnt und in seiner Pcrsonbildung ge-
hoben wird. Ks muss also Naturkundliches, Ethnologisches, f^pschicht-
Uches und Geograplüsches der Heimat in Betracht gezogen werden.
a) Naturgeschichte.
In dieser handelt es sich nicht bloss um ein Kennenlernen
(eine „Kunde") von den äusseren Merkmalen der Naturgegenstande,
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— 392 —
Steine, Pflanzen und Tiere, sondern um die Lebensgeschichte dieser
Dinge. Sie müssen deshalb in ihrem Lebenskreis, in ihrer lebendigen
£rsdieinung und ihrem Lebenszusammenhang erkannt und erforscht
werden. Eine RctrnrhtMn-,^ dirscr Dinge im toten, vereinzelten
Zustand hat keinen Wert, denn in ihrem toten Zustand gehören
sie überhaupt nicht meiir der Naturgeschichte, sondern der Techno-
logie, Industrie oder auch der Natuilehre an. Will man sie aber
in ihren Lebensbeziehungen erkennen, so muss man sie in der
Heimat aufsuchen. ¥Än Verbringen einzelner Exemplare in die
Schule hat lange nicht den Wert, wie eine Betrachtung in der
Natur. Angenommen, man wolle den Kindern die unterscheidenden
Merkmale der Nadelholzer: Weisstanne, Fichte, Kiefer und Lärche
an mitgebrachten Zweigen in der Schule klarmachen, so wird man
sie damit nicht so weil bringen, dass sie schon von weitem einen
derartigen Baum erkennen, denn es hat sich kein Gesamtbild davon
eingeprägt. Anders wenn man auf einem Lerngang durch den
Wäd die ^ume mehrmals betrachten lässt und dann bei einem
etwaigen Streitfall die Einzelmerkmale aufzeigt. Doch mit der
Formenkenntnis Hesse es sich schließlich noch machen. Wenn man
aber erst die ursächlichen Beziehungen, die Eebensbf din'^ungen
nachweisen will, so muss man doch notwendig die Lebensgemein-
schaft besichtigen. Ein Wiesensalbei hat am sonnigen Rain andere
Blätter und ein anderes Ausseben als inmitten der Wiese; ebenso
erhält eine Buche auf freier üeide eine andere Gestalt als im ge*
schlossenen Wald. Der Boden, das Wasser, die überhängenden
und schattenspendenden Pflanzen u. s. f sind nicht ohne Einfluss
auf die Geschöpfe derselben Art. Ks ist auch etwas anderes, wenn
ich eine Pflanze im Blumentopf, als wenn ich sie im Freistand
pflanze, wenn ich den Fisch, den Frosch im Aquarium und wenn
ich ihn im See oder Sumpf betrachte. Ebenso nimmt sich ein
Pferd, ein Hase, ein Fuchs anders aus, wenn sie sich im I-Veien
abgebildet sind. Jedes Einzelobjekt muss deshalb in lebendem
Zustand und in seiner Beziehung zur natürlichen Umgebung be-
trachtet werden. Der Unterricht darf sich deshalb nicht nach dem
Buch für Naturgeschichte, sondern nur nach dem Buch der Natur
selbst richten. Hier stehen dann die Dinge in anderer Ordnung
als dort. Da merkt man nichts vom System. Früher ging man
durch die Felder, um die Pflanzen auszuraufen, die in diese oder
jene Klasse gehörten. Nichts daran war wichtig als die Staub-
gefässe und Griffel. Man suchte nach Raritäten und war blind
gegen das überall begegnende Leben. Das Buch führte die
Herrschaft und die Natur lieferte die Beispide. Wenn man dam
eine möglichst grosse Anzahl von Systemvertretem gesammelt und
in der Botanisierkapsel nach Hause geschleppt hatte, um sie dort
zu zerzausen, dann hatte man „Naturgeschichte getrieben". Wie
bewegen, als wenn
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— 393 —
schwer ^lug; es da dem Anfänger, das Buch mit seiner Unmasse
von Kenntnissen, die von gelehrten Männern im Lauf der Jahr-
hunderte aufgestapdt worden waren, nachscbafiend am der Natur
selbst wieder zu gewinnen. Wie mancher gab dieses Unternehmen
auf, ehe er zu einem wirklichen Resultat gekommen war. Ein
Wortwissen aus Büchern oder aus dem Mund des Lehrers, der oft
auch wie ein Buch redet, hat wenig oder keinen Wert. Es muss
KU Wahrnehmungen an den Dingen kommen, die nicht bloss auf
die äussere Gestalt, sondern ebensosehr auf das innere Leben
gerichtet sind. Wir müssen die Dinge erst in unser geistiges Leben,
unsere innere Wirklichkeit, umsetzen, wenn sie als eine wert\olle
Bereicherung desselben dauernden Wert erhalten sollen. Das ist
dann wirkliche Anschauung durch Sehen und Beobachtung, durch
Denken und Beschäftigung gewonnen. Deswegen hat ein Bauer
oder ^n Arbeiter, der täglich mit Naturdinij^en umgeht, oft mehr
Kenntnis vom Wesen derselben als ein Buch^^reichrler. Er sieht die
Wandlungen, die Entwicklun;^ der Dinge mit an. Der Schul-
unterricht wiU durch plaiunässige Beobachtung und durch
fixperinkente auch dahin gelangen. Er wird nur dann einen wahren
ExtcHg erzielen, wenn er die Schüler so weit bringt, dass sie von
selber weiterforschen und beobachten. Denn hier ist Interesse,
nicht wissenschaftliche Erkenntnis das Ziel. De 'ii alh ist der
biologische Unterricht der beste. Jeder Gegenstand wird in seiner
Umgebung betrachtet und beobaditeL Dadurch ergeben sich die
Lebensbedingungen und Lebensbeziehungen för das Vorstellen und
Denken von selbst. Der Schüler ist p^enöti^, seine Gedanken mit
der Natur zu beschäftigten und sie nicht an ir^^end eine Seite des
Buches anzuketten. Von dorther kann er sich auch stets durch
erneute Untersuchung Rat und Hilfe holen. Dabei lassen sich
Pflanzen, Tiere, Erden oder Mineralien nicht auseinanderhalten, wie
es beim Buchunterricht der Fall ist, denn alles zusammen bildet
die Lebensgemeinschaft. Dieselbe knüpft sich noch an eine
besondere Ortlichkeit, die wiederholt aufgesucht wird. Solche Ört-
lichkeiten bilden Haus, Hof, Grarten, Wiese, Feld, Heide, Sumpf,
Bach, Wald u. dgl. Für die Naturkunde bilden diese Örtlichkeiten
den Ort der Beobachtungen, die sich auf Pflanzen , I'iere und
Gesteine erstrecken. Dabei ist nicht rävmiliches Nebeneinander der
Erscheinungen, sondern das zeitliche Nacheinander der verschiedenen
Lebewesen Gegenstand der Betrachtung. Die Entwicklung der
Pflanze vom Samen bis zur Frucht, des Hers vom Ei bis zur nächsten
Generation, das Erwachen des Naturlebens im Frühling bis zum
Schlaf im Winter, die Entwicklung der Tier- und Pflanzengeschlechter
im Laufe der Zeiten ergeben die Naturgeschichte, wie sie allein
an der Heimat studiert werden kann, wenn man nicht fertige
Resultate überiiefem will. Der Weg der Forschung muss ödbei
im kleinen und in abgekürzter Weise vom Kinde eingeschlagen
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~ 394 —
werden , wenn ein selbsterworbenes Wissen und ein bleibendes
Interesse erreicht werden soil.
Der Schüler bringt bereits eine Summe selbstgemachter
Wahrnehmungen zur Schule mit. Er hat schon manches gesehen,
beobachtet, hat sich schon mit den Dingen beschäftigt. Er hat
schon von andern Leuten dieses und jenes gehört, hat Belehrun^Ten
vom Vater, von den älteren Geschwistern und den Kameraden
erhalten. Er hat auch Meinungen aufgefangen, wie sie eine un-
zureichende Beobachtung entwickelt, hat selbst sich Einbildunga»
Vorstellungen zurcchtf^emacht. Diese seine volkstümliche und naive
Anschauung von den Dingen muss vom Unterricht aufgenommen,
geklärt, vermehrt, berichtigt und geordnet werden. Dadurch eriiält
der Naturkundeunterricht den richtigen Ausgangspunkt Es treten
die in der Schule und ausser derselben zu machenden Beob-
achtunj^en hinzu, um die Wahrnehmungen zu vermehren, zu ver-
bessern und den Schüler dem Ziel ent^cgenzuführcn. Im Unterricht
ist es namentlich die denkende Betrachtung, ausser demselben der
Lemgang (Schulspaziergang), welche zu weiterer Erkenntnis iuhrea
Es genügt also nicht, die Wahrnehmungen und Beobachtungen an
der Natur auf den verschiedenen Wegen einzuheimsen, es müssen
auch die Gedanken über die Din^e berichtigt, p^eordnet und an-
gewendet werden. Da gilt es zunächst, falsche und abergläubische
Ansichten mit der Wurzel auszurotten, da dieselben ein Hindernis
und Irrweg (tir weiteres Nachdenken sind. Es müssen auch die
Ansichten verschiedener Zeiten, sowie die poetische Auffassung der
Naturdinge sich sehen lassen, eine blosse Beschreibun«^ und Kenntnis
der Dinge kann nicht genügen. Da sich mit der Zeit die natur-
kundlichen Objekte allzu sehr ansammeln, müssen sie in übersicht-
liche Ordnung gebracht und einem Hauptgedanken unterstellt
werden. Dadurch lernt der Schüler sein Wissen beherrsdien. Die
innere Beschaflfenheit der Naturdin<:^e ist gleichfalls zu erechliessen
und da davon ihre Verwertung abhängt , muss diese noch be-
sonders ins Auge gefasst werden. Hier geht die Naturgeschichte
in Kulturgeschichte über und beide wirken zusammen in der Auf*
richtung eines tiefgehenden Interesses im Schüler, das seinen
Urquell in der Heimat hat.
Zur naturkundlichen Betrachtung l:r (icgenstände gehört also
auch die Herausstellung ihrer wirtschaltUciien Bedeutung und ihres
Werts für das Leben der Menschen. Die Natur gibt die Mittel
an die Hand, um sittliche und technische Zwecke zu erreichen.
Dabei f^ir Naturgesetze in Berechnung gezogen werden.
Mit der Erreichung solcher Zwecke wird das Menschenwohl ge-
fördert. Somit tritt die Naturerkenntnis in den Dienst der Arbeit.
Die Naturkunde wird dann in der Schule zur Arbeitskunde. Bei
alledem bleibt sie auf die Heimat beschränkt und wir können daher
sagen, Naturkunde oder Naturgescliichte ist durchw^ auf aUen
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— 39S —
Stufen , eben Heimatkunde. Deswegen ist ein guter naturgeschicht-
Ucher Unterricht ein heimatkundlicher Unterricht.
Es bleibt noch der Einwurf zu erledigen, dass bei einem
solchen Unterricht ausländische Naturgegenstände nicht zur Be<
handlung kommen. Es sollten aber doch auch Tiere, Pflanzen und
Gesteine behandelt werden, die in der Heimat nicht /.u sehen sind,
z. B. Löwen, Tiger, BaumwoUpflänzen, Kaffeestauden, Kdelsteine u.dgl.
In cmcm .Artikel des VVürtt. „Schulwochenblatts" (1907, No. 19) ist
die These aufgestellt: „Es ist zu erwägen, ob es nicht geboten er-
scheint, im Unterricht in der Naturkunde wie bisher auch fernerhin
einige ausländische Pflanzen zur Behandlung zu stellen, da hierdurch
in die Monotonie des ausgewählten heimatlichen Lehrstoffs einige
Abwechslung gebracht würde." Dagegen ist zu sagen, dass wer
den heimatlichen Unterricht in der Natur monoton findet, dem ist
mit ausländischen Naturgegenstanden nicht zu helfen. Dieselben
können dann nicht um(:,Mngen werden, wenn sie durch den übrigen
Unterricht ins Gesichtsfeld der Schüler treten, oder wenn sie in die
wirtschaftliche und kulturelle Arbeit eingreifen, die gleichfalls
Gegenstand des Unterrichts ist Aber das wird dann zumeist in
der Erdkunde zu behandeln sein. Treten uns durch die Lesestoffe
Löwen, Affen u. s. f. vor Augen, so lassen sie sich heimatkundlich
behandeln im Anschlu.ss an den Besuch einer Menagerie oder eines
Tiergartens, ausserdem noch durch darstellende Behandlung unter
Herbeizichung ähnlicher Tiere unserer Zone, z. B. der Löwe als
grosse Katze. Jedoch das naturkundliche Interesse, und dieses ist
Ziel des Unterrichts, ist vollständig auf dem Boden der Heimat zu
erreichen.^)
b) Erdgeschichte.
Der erdgeschichtliche Unterricht lässt sich nicht seiner ganzen
Ausdehnung nach wie die Naturgeschichte in der Heimat ab-
wickeln. Deshalb ist um so mehr darauf zu sehen, dass wenit^stens
der vom Kindesauge zu überblickende und durch Unterrichts- oder
Lerngänge noch etwas zu erweiternde Kreis eingehend und gründlich
zur Behandlung kommt Das Fremde kann nur dann und insowdt
dem Geiste nahegebracht werden, als es in Vergleich zur Heimat
gebracht und dann mit llilfc der Phantasie erobert werden kann.
Die Heimat selbst erfordert genaues und verständiges .Sehen.
Die Formen der Erdoberfläche: Berge, Ebenen, Täler, Seen,
Flusse, Bache; die Art der Bebauung, Bepflanzung und Benfitzung;
die Strassen und Verkehrswege; die im Innern der Erde liegenden
L'ber lia-. M,ii< ri.»l ilt-r hi-iraallichen N'.iturki^ndc Dr. K. Lanpr. Vhir Apper-
zeption, und in ausgeführter Weise bei Kr. Kronici», licimatkunde (Hühl in baden,
KoDkordiabodihaiMUans. a M).
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- 396 -
und den äusseren Kindruck verursachenden Gesteine; die Kultur-
arbeit der Menschen, eiie vergangene Arbeit der Naturkräfte und
die daraus resultierende Erdgeschichte; die Dorfer und Städte und
deren Kultureinrichtungen; der gestirnte Himmel mit seinen Tages-
und Jahrcscrscheinungen : diesem nlles gibt vielfachen Anlass zu
intcressanlen Untersuchungen. Der Formenreichtum ist ein viel
grösserer als im Naturkundegebiet. Jeder Berg, jede Landschaft
&t ein Individuum und gleicht nie auch nur annähernd einer andern,
wie z. R. eine Pflanze oder ein Tier derselben Art dem andern
gleicht. Deshalb sind gerade die individuellen DitTerenzpunkte der
Gegenstand unterrichtlicher Darlegung. Daher kommt es auch,
dass sich der Stoff in diesem Unterricht nicht erschöpfen lässt.
Deshalb sind auch dne Menge von I^lismitteln im Gebrauch, um
diesen Unterricht zu unterstützen. Es gibt Landkarten, geographische
Bilder, Ansichten, Panoramen, graphische Darstellungen und Samm-
lungen. Dieselben sollen den Unterricht fördern, bedürfen nber wie
z. B. die Karten, erst noch eines besonderen Unterrichts, damit sie
verstanden und richtig verwendet werden können. Das natürliche
Sehen muss zum geistigen werden, vermittelt durch den geo*
graphischen Anschauungsapparat.
Hin heimatlicher erdgeschichtlicher Unterricht kann nur den
synthetisclien Weg einschlagen. Der analytische Gang würde von
der Gesamtgestalt der Erde ausgehen, diese in ihre Teile zerlegen
und schliesslich bei der Heimat anlangen. Die Heimat selbst aber
ist dem Schüler ein wahrnehmbarer Gegenstand und bietet überall
so viel, dass die nötigen .Anknüpfungspunkte für die geogrnpl^! -rhe
Anschauung zu gewinnen sind. Hier lässt sich vulkanisrlu r Ki ;j;rl,
Gebirge, Berg, Pass, Muss, Mündung, liügelzug, Becken oder iiuciil,
Ebene, See, Teich, Moor, Torfstich, angeschwemmtes Land
(Kies) u. s. f. leicht veranschaulichen. Das erste ist freilich, dass
der Lehrer selbst diese geographischen Formen aufzufinden und
bei einiger phantasiemässigcn Vergrösserung und l^mformung zu
den vollkommenen Formen hinzuieiten vermag. Dazu sind Lern-
gänge unbedingt nötig. Die Belehrungen werden im Freien
gegeben. \*on einem Berge aus lässt sich die zu den Füssen
liegende Gegend wie aus der Vogelperspektive betrachten und
dadurch zur Darstellung auf der Karte überleiten. Die Kinder
müssen dabei eine Freude an der Naturforschung und Erd-
besichtigung , dem Wandern und Reisen im Hinblick auf Er-
weiterung des Horizonts, auf Vermehrung der Kenntnisse gewinnen.
Dann werden sie von selbst bei ihren Ausflügen mit Kameraden
oder mit den Eltern diesen Dingen ihre Aufmerksamkeit zuwenden.
Einen kräftigen Anstoss zur Selbsttätigkeit in dieser Hinsicht geben
die den Schülern zu stellenden Beobachtungsaufgaben, die sehr
mannigfaltiger Art sein können. Man lässt die Windrichtung, das
Wetter, den Barometer- und Thermometerstand beobachten und
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— 397 -
aufzeichnen, weiter sind Sonncnaiif- und Sonnenunterganj^, Schatten-
länge, Mond und Sterne forti^csetzt Gcjjenstand der Beobachtung,
ebenso die Ankunft der h ruhiingsboten usw. Die Autgaben werden
zur Übung als Hausaufgaben in der einen Stunde gestellt und in
der nächsten erörtert^)
Zur Anschauung von Kulturpflanzen und ausländischen Pflanzen
und zur Nachbilduni^ von ts pischen Formationen lässt sich der
Schulgarten benützen. Die Anlegung von rohen Reliefkarten in
Sand gewährt den Kindern viel Vergnügen. In der Schule können
solche ebenfalls in Sand, in Sägmehl oder Lehm angelegt werden.
Daran schliesst sich die Nachzeichnung oder Skizze ins Heft der
Schüler. Schliesslich ist die \\^mi<^knrte und der Atlas das beste ,
Mittel geographischer Veranschaulichung , da hierdurch die Raum-
verhältnisse in zutreffender Weise wiedergegeben werden. Um in
die festliegenden toten Verhältnisse Leben und Bewegung zu
bringen, müssen Reiseschilderungen und Kartenwanderungen dem
Unterricht eingefügt werden. Dabei waltet die Phantasie ihres
Amtes und bringt das Ferne in innere Jk-ziehung zur Heimat.
Dadurch, dass neben den heimischen Krdenraum ein zweiter und
dritter entfernter und daher fremder tritt, wird der Schüler zum
Vergleichen veranlasst und das geographische Denken erhält reiche
Nahrung. Es handelt sich bald nicht mehr bloss um das Wie der
Erdgestaltung, sondern auch um das Warum. Man sucht nach
Grund und Ursache. Aus dem Vergleich mit der Fremde entsteht
auch der richtige Massstab för Grösse und Bedeutung der Heimat
und des Vaterlandes, seine kulturelle Wertung und nationale Be-
deutung. In letzter Linie handelt es sich um die der Wirklichkeit
entsprechende Gliederung der Raumverhältnisse. Darin wird alles
andere Wissen über reale Dinge eingeordnet und mit dem räum-
lichen Horizont des Menschen erweitert sich auch der geistige,
d. h. er wird immer mannigfaltiger, gegliederter, reicher an Be*
Ziehungen. Der Mensch wird menschlicher, er lernt das Fremde
verstehen und schätzen, legt die Vorurteile dagegen ab und sucht
sich das Gute zu nutze zu machen. Die ganze Erdoberfläche wird
nach Karl Ritters Wort zum Vaterland der Menschheit, zur Heimat,
in die »ch Brüder geteilt haben. Die Tätigkeit des Menschen auf
der Erde, die Begünstigung dieser Tätigkeit kommt zum Ausdruck
im Kulturfort^rhritt. Die Kulturgeographie sucht die Einsicht in
diese Zusarnnirnhän'Te klarzustellen und verbindet die (ieschichte
mit der Erd- und Naturgeschichte. Die Landschaft, die zur Be-
sprechung steht, urird & eine grossere Lebensgemeinschaft be-
trachtet und aus deren wirklichen Verhältnissen werden die Lebens-
^setze für die Vor- und Jetztwelt, für die darauf lebenden Pflanzen,
ilere und Menschen und für die physikalischen Vorgänge abgezogen,
>) S. Kerp, Führer dwdi die HdnMtkimde.
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— 398 —
nach Ursache und Wirkung, Grund und holije erörtert. Alles lenkt
den Blick zurucK auf das in der Hcuiiat Gesehene und Erlebte und
dehnt so das eigene Erlebeiii das Menschsein ungemein aus.
Indem der heimatkundliche Unterricht das Denken und Emp-
finden des Schülrrs erweitert und vertieft, indem er zei^, woraus
das \'olk seine Kraft, seine Arbeit, seine staatliche Organisation
schöpfte, wachsen die Keime zur Heimat- und Vaterlandsliebe,
zur eigenen Tatkraft und zum nationalen Wirken. Es wird daher
gut sein, zum Schluss des erdgeschichdichen Unterrichts wieder zur
Heimat zurückzulcnkcn und von höherer Warte aus die Einordnung
derselben ins «;anze \'olkerlcben und die kulturelle Verknüpfung
klar und deutlich aufzuzeigen.^)
c) \' o 1 k s g e s c h i c h t e.
Am schwierigsten sind den Kindern die Ouellpunkte des ge-
schichtlichen Lebens aufzuzeigen. Sie finden sich aber mitten drin
im geschichtlicben Leben unserer Zeit, ohne dass jedoch dasselbe
gefasst und begrÜTen werden könnte. Verständlicher und deshalb
naheliegender ist das geschichtliche Leben der Vorzeit, das Kinder-
und Jugcndlcbcn unseres Volkes. Nur weni^je Reste der Erinnerung
weisen darauf iiin und zudem müssen diese noch mit bereits ge-
bildetem geschichtlichen Sinn und einer bewegten geschichtlichen
Phantasie erschlossen und aufgenommen werden.
Es muss daher in erster Linie der geschichtliche Sinn, das
geschichtliche Denken und Empfinden beim Kinde geweckt
werden. Äussere Veranlassung geben die sich im Orte findenden
geschichtlichen Denkmäler, die Erinnerung an geschichtliche Personen
im Orte. Innere Veranlassung sind EraShlungen, Geschichten aus
früherer Zeit, Märchen, Sagen, Anekdoten. Das Kind muss beim
Anhören solcher Dinge die Fähigkeit entfalten, sich in andere
Menschen, in Situationen und Gemütslaj^en , die das alltä^^liche
Leben nicht bietet, zu versetzen.-) Es muss in (jcdankca mit dem
WUden ein Wilder, mit dem Helden ein Held werden. So weit es
diese Bewusstseinssynthesen zu vollziehen vermag, so weit erstreckt
sich sein geschichtliches Interesse und Vcrständni*? Also nur in der
inneren Nachbildung baut der Schüler frühere Zeiten, Vorgänge,
Zustände in seinem Geiste an, nicht aber im Lernen von Namen,
Zahlen, im Anhören von kulturgeschichtlichen Beschreibungen und
Schilderungen hei^brachter Art. Es muss etwas dem Kindesgeiste
Angemessenes» I&ngeniales, Heldenhaftes, irgendwie Besonderes
^) Welches Matoriat der heimatliche geographische Unterrieht za erarbeiten bat,
crsielif m;in aus Julius John, r)<T L'ntrrricht in der N.itur als Mittel ftlf gnmdlegende
Aa&cb»uuog, S. 49, und der Heimatkunde von Friedrich Krönlein.
«) Vgl. ScbiUing, Die Pflege des geacbtehtUcheii lateieMcs. Fid. Studien XDC.
Heft 5 (I^piesden, Bleyl & Kaenimerer).
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und Hervorragendes sein, nicht bloss etwas Nützliches, wie z. B. die
Buchdruckerkunst, wenn es setner Natur zusagen soll. Das Kind
ist dem Geiste nach noch eui durchaus Individuelles, sich Ent-
wickelndes, durch Bewusstseinsprotuberanzen sich Ausbreitendes.
Was dann in diese Beleuchtung zu stehen kommt und den Blick
fesselt, das ist Leben. Dasselbe erwacht auch oft ohne die Schule,
wird genährt durch Erzählungen der Kameraden, der Geschichtcn-
bücher, der Bilder. Die Schule muss diesen Zug, Geschichten zu
hören und darin su leben, sich zu nutze machen. Auch wenn der
Geschichtsstoif selbst zu Anfang noch ohne objektiven Gehalt ist,
so muss er als ein ABC der Phantasie in ähnlicher Weise vor-
bereitend wirken, wie der Schreib- und Leseunterricht für die
Lektüre, der frühere Anschauungsunterricht für den eigentlichen
Real* und Formenunterricht
Bei der geschichtlichen Vorstellungsentwicklung handelt es sich
um Entwicklung von Zcitrcihcn im sukzessiven Wandel der Vor-
stellungsinhalte. Beim Austausch der Reihen gejj^encinander ent-
stehen die Zeiträume und Handiungen darin. Dazu lässt sich noch
eine dritte Reihe, die Kausalitätsreihe hinzunehmen, wobei die
eigentliche, objektive Geschichte vor Augen steht. Die ersten Ge-
schichten bedürfen des letzteren Gesichtspunktes nicht. Das Kind
frag^t noch nicht nach den Gründen, nach Ursachen und Be-
dingungen. Es begnügt sich mit dem psychischen Ereignis des
zeitBchen Fortschritts zur raumlidien Gestaltung. Daher genügen
für die erste Zeit die Märchen, Legenden und Sagen, um den ge-
schichtlichen Sinn zu entwickeln Ausserdem wird das Kind im
Märchen und der Sap^c mit den mythischen Klcmenten des Volks-
bewusstseins erfüllt und vermag sich dadurch dem Empfinden und
Fühlen, dem geschichtlichen Leben in seiner ursprünglichen Kraft
und Gestalt anzuschmiegen. Fls j^ewinnt geschichtliche Lebenswertc
durch den Genuss dieser Stoffe, die durch keine Beschreibung und
Deduktion in späterer Zeit mehr zu gewinnen sind.
Die in Betracht kommenden überlieferten Stoffe lassen sich
verminen durch kulturiiistorische Darstdlungen , die ein Stficlc
Leben aus vergangener Zeit in konkreter, dem Kinde zugänglicher
und angemessener Weise vorführen. Es handelt sich dabei nicht
um objektive Richtigkeit, wenn nur geschichtliche Tatsachen nicht
geradezu umgestossea werden. Der Nachdruck liegt auf psycho-
logischer Wahrheit und Sachdienlichkeit So haben wir einen
kindertümlichcn Roman der kulturellen £ntwicklui^ des Menschen-
geschlechts im Robaison, einen Roman der Zustände am Schluss
der Höhlenmenschenzeit (Eiszeit) in Rulaman , einen Roman der
Kcltcnherrschaft in Kuning Hartfest, einen Roman der Entwicklung
des Selbstbewusstseins im Faustbuch. Es wird sich darum handeln,
diese Erzeugnisse volkstümlicher Dichter auf ihre Verwertung im
Schulunterricht noch naher zu untersuchen und neben den epi^en
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— 400 —
Sagen, die eine solche Untersuchung und Kinordnunjüf in das Lehr-
plansystcin bei der Herbart - Zillerschen Schule gefunden haben,
richtig zu verwenden.
Neben dem geographischen und naturkundlichen ist ein ge-
srhirhtliclier Anschauungsunterricht notwendig und für die Person-
bildung äusserst fruchtbar. Es müsste dieser elementare Geschichts-
unterricht auch in fortgesetzter Folge auftreten und die beiden
anderen Interessenrichtungen verbinden und erganzen. Der Zu-
sammenschluss bestände am besten darin, dass die (3rtlichkeiten
der Heimat sowohl bei der Auswahl der Stoffe als der Behandlung
massgebend würden. Unsere Märchen spielten draussen im
^errenwaidchen" am Bürgersee und um das dortige „Hexen-
häuschen", wohin zuvor ein Spaziergang mit den Kleinen gemacht
würde. Unser Robinson müsste mit einem südwestafrikanischen
Vaterlandsverteidiger nach Bremen und schiffte sich dort ein.^)
Rulaman spielte ohnehin in hiesiger (iegend und Kuning Hartfest
hatte seinen Sitz auf dem nahen Neuffen.
Für die eigentliche Volksgeschichte müssten die Funde der
Altertumssammlung, die geschichtlichen Berge Aichelberg, Limburg;
Teck, Neuffen, die einstigen Römerstrassen, das Kastell in Köngen,
das Kloster in Denkendorf und eine Menge von Tatsachen aus der
hiesigen Ortschronik die Anknüpfungspunkte geben. Endlich würde
es auch kein Fehler sein, geschichtliche Daxstelluagcn ohne weiteres
in die Nähe unseres Wohnorts zu verlegen und zwar in der Form
eines Vergleichs. Die Kinder lokalisieren ohnedem jede Geschichte
und der Lehrer würde gut tun, hin und wieder sich sagen zu lassen,
wo sie sich die Sache hingedacht haben, um so für seinen Unter-
richt nützliche Fingerzeige zu gewinnen. Wenn jedoch durch die
Geograptüe die fernliegenden Landschaften dem Blick des Schülers
erschlossen sind, so kann leicht unter Beihilfe der Karte die ge-
schichtliche Begebenheit an die richtige Stelle hingedacht werden.
Die geschichtliche Heimatkunde ist noch am wenigsten an-
gebaut. Alan wollte sie seither durch das Lesebuch ersetzen. .Allein
dadurch verlor man die Verbindung mit der Heimat und schob sie
einer andern Disziplin zu. Zudem müsste dann jeder Schulort sein
eigenes Lesebuch haben. Manche leimatkunden" lassen das Ge-
schichtliche ganz beiseite und enthalten nur (ieographischcs.
Krön lein schliesst hin und wieder im ersten Schuljahr an ein
Märchen an und geht im dritten Schuljahr zum Schluss zu einer
völkergeschichtlichen Betrachtung über, aber auch in Form eines
Lesestücks („Die Markomannen"). Die „Heimatkunde von Basel"
gibt eine schöne Zusammenstellung und Darstellung des geschicht-
lichen Materials, überlässt es aber dem Lehrer, das Geeignete am
gewiesenen Orte in seinen Unterricht aufzunehmen. Es fehlt also
VgL Fieniiea, Peter Mogn Fdut naeh SOdwcsU
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— 4^1 —
die Einordnung des heimatlichen Geschichtsstoffes in den Unterrichts-
plan. „Ortschronikographische Belehrungen" wurden von A. Holder
in einer eigens hierüber verfassten Schrift längst verlangt, aber die
Ausführung wurde nicht gezeigt. Allzuleicht überschreitet man das
Bedürfnis der Kinder und bewirkt anstatt Interesse das Gegenteil
davon. Es gibt eben (ur die geschichtliche Heimatkunde nodi viel
weniger eine alU^emoinr Norm der Anordnung als für die geo-
graphische. Daher muss für jeden Schulort das Material besondere
festgestellt und dann dem gesamten Geschichtsunterrichtsplan ein-
geordnet weiden. Ausser diesem besonderen Material zur heimat-
Heben Geschichte muss das allgemdne, wie es in Märchen,
Sagen, Legenden, kulturhistorischen Romanen vorliegt, noch für
den Sc!iul;^ebrauch zubereitet und in den Lehrplan aufgenommen
werden. Anlange hierzu sind gemacht.^)
Im neuen württembergischen Lehrplan (1907) sind für die ersten
drei Schuljahre im heimatkundlichen Unterricht genannt: Geschicht-
liches und Sagenhaftes aus der Heimat. Unter der Überschrift
„Behandlung" findet sich die Anweisung: „Durch Einflechten von
Geschichten und Märchen soll der Unterricht belebt und für
Phantasie und Gemfit fruchtbar gemacht werden." „Den geo-
graphischen Stoffen sind Mitteilungen aus Geschichte und Sage
einzuflechten." Man denkt sich wohl diese Stoffe als blosse Bei-
gaben zum übrigen heimatkundlichen Unterricht.
Der BerUner „Grundlehrplan ' von 1902 führt keine „Heimat-
kunde" unter den Fächern auf. Neben dem Anschauungsunterricht
gibt die Erdkunde der V. Klasse eine Gelegenheit zur Heimat-
kunde. Tn der sächsischen X'-^lksschule treten schon in der
VI. Klasse statt der zwei Stunden Anschauungsunterricht drei
Stunden Heimatkunde auf und in der V. Klasse tritt Vaterlands-
kunde an die Stdie der Erdkunde. Man verateht dort unter
Heimatkunde hauptsachlich die Kenntnis der Stadt und der um-
gebenden Natur und unter Vaterlandskunde die Kenntnis Sachsens,
Es werden die Gestalt der Bodenoberfläche, die wichtigsten Boden-
arten, die heimatlichen Gewässer mit einigen Tieren, die heimat-
Kchen Wald- und Parkanlagen und charakteristische Landschaften
behandelt*)
Wenn der gesamte Unterricht ein heimatliches Gepräge trage,
meint Conventz, so würden sich besondere Unterrichtsstunden in
der Heimatkunde erübrigen. Beim derzeitigen Stand der Sache
empfehle es sich aber zunächst, dass dem offiziellen Lehrplan in
jeder Klasse eine bestimmte Anzahl von Stunden für die Heimat-
Vgl. Baxtbolomäi, Ueimatkunde der Märcheostaie. — Ziller, Meimatkande
d« MSrch«!». (Jahrbuch des Vcrdna fttr wineoschaftliclie PXdagogik III.) — ZUIer-
Bcrgncr, M.u< riali ;n /ur spczicUcD PSdagogik. — Rein, Theorie und Praxis des VoNcs-
xhuiuDterrichts, Scbuljabr I — m.
*) S. JXc Heimatkunde ia der Schule von Prof. Dr. Conventz, Berlin 1904.
FldaaoglMh« atadln. ZZIZ. 6. 96
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— 402 —
künde anf^efügt werden. Der gegenwärtige unhaltbare Zustand
wird sich dann leicht aufheben lassen , wenn die geschichtliche
Heimatkunde mit derselben Sorgfalt und Konsequenz ausgebaut ist
wie die geographische
Zum Schluss sollen noch die Hilfsmittel, die dem gesamtea
Heiinatkundeunterricht zur Verfügung Stehen, vor Augen gestellt
werden. Es sind:
I. Die Lehrausflüge oder Lerngänge. Dieselben sind längst
unter den verschiedensten Titeln verlangt (Schulreisen, Exkursionen,
Schul*, Lehr-, Lernausflüge, Spaziergange, Schulwanderungen,
Unterrichtsgänge im Freien, Lernspaziergän5:^e u. s. f.) und finden
immer mehr Anerkennung. Zum mindesten werden sie nicht
als blosser Zeitverlust oder Missbrauch der Lehrfreiheit betrachtet.
Manche Städte gewähren Unterstützungen fiir die Schüler, z. R
Beilin, Breslau, Karlsruhe, München. Die Wander-, Gebtrgs- und
ähnliche Vereine unterstützen die Einrichtung. Die Lehrervereine
könnten noch mehr dafür tätig sein. In Leipzig besteht ein
„Verein für Volkshygicne", der die Ferienwanderungen der Schüler
in die Hand genommen hat und eine eigene Bibliothek sowie
Lehrer als Führer auf den Wanderungen zur Verfügung stellL
Ihre Aufgabe ist,^) eine Verbindung zwischen Schule und Leben,
Schulzimmerunterricht und Wirklichkeit herzustellen; dabei kräftige
Anschauungen und klare Vorstellungen erwerben, Probleme suchen
und finden, nachprüfen, wiederholen und erweitern, selbständige
Beobaditungen machen zu lassen, Liebe zu Heimat und Vaterland
zu wecken und zu pflegen. Nebenbei fördern sie die Gesundheit »
bei Lrhrrrn und Schülern. Sie sind auch ein vorzügliches
KonzciUr itlonsmittel. Die heimatliche Natur wird zur Unterlage,
zum Aubgangs- und Beziehungspunki aller Lehr- und Lerntätigkeit.
Die Aufnahme der Lerngänge in den Unterrichtsplan ist eine
Verwirklichung des Anschauun^sj)rinzij)s im speziellen Fall. Es
treten dabei mancherlei Hindernisse in den Weg (Unruhe der
Schüler, unerwünschte Zuhörer, Widerstand der Eltern, Grossstadl-
verkehr, Auslagen, Zeitverlust, überfüllte Klassen, intensive Vor-
bereitung), aber sie lassen sich bei gutem Willen überwinden. Ibah
Stoff- oder Arbeitsplan für das j^^anze Jahr ist durchaus notwendig.
In demselben muss bei den einzelnen Fächern bemerkt werden,
welche Lcrnpjänge in der ersten und in der zweiten Hälfte des
Monats zu machen sind. Als kleine Hilfsmittel sind notwendig:
Bandmeter, Bandmass {lO oder 20 m lang), Notizbuch, Pflanzen-
schaufel, Botanisterkapsdi, etwas Verbandzeug u. dgl. Die Lern-
gänge werden erst dann regelmässipje praktische Einrichtung^ einer
Schule werden, wenn auf dem Stundenplan eine Stunde dafür an-
S. ii«hcbt über die Vorträge von Lehrer Pfalzgraf auf dem Kirchheimer
Fcricnknn. SclnUTeiiod No. 9, 1907.
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— 403 —
gesetzt wird. Am besten ist es, eine Endstunde des vor- oder nach-
mittäglichen Unterrichts zu wählen, damit dann der Lcrnj^ang auf
der Unterstufe auf 2, auf der Oberstufe auf 3 Stunden ausgedehnt
werden kann, wenn sich solches notwendig macht Bei AbteUungs>
Unterricht, in einklassigen Schulen u. dgl. ist ein Wechsel der Ab-
teilungen nötig. Auch muss ein Austausch der Lerngangstunde
mit einer andern Stunde zulassig sein, da immer die Witterung
mitspricht.
Lerngänge sind dann keine Spaziergänge, sondern Unterrichts-
stunden. Sie bedürfen deshalb eines Ziels und einer Vorbereitung.
Neben der Hauptaufgabe können noch Nebenaufgaben gestellt
werden, die im Vorbeiziehen 7.u erledigen sind. Hin- oder zweimal
im Jahre erweitern sich die Lerngänge zu Leraausflügen, die einen
ganzen Schultag in Anspruch nehmen.
Die Ausföhrung der Lemgänge und Lemausflüge wird so ge-
handhabt, dass die Schüler in Marschkolonne (Viererreihe) antreten,
geschlossen marschieren, vielleicht auch ein Marschlicd singen. Am
Ziel stellen sie sich um den Lehrer auf. Die Heiehrung f^ibt kurze
Andeutungen, die Schüler erinnern sich stets der aufgestellten Ziele,
Stellen selbst Fragen, messen, vergleichen usw. Humor und Spiel
kommen zu ihrem Recht, wenn die Schüler sich lagern. Wirt-
schaften werden gemieden. Man lässt die Schüler die Natur be-
lauschen (z. B. das Rauschen des Waldes) und nimmt stets wieder
Orientierungsübungen (Raum, Himmelsgegend, Zeit) vor. In der
Schule müssen die Kinder über den Lerngang berichten. Zum
Schluss wird noch die Frage aufgeworfen: Was wurde nicht, was
wurde mehr gefunden, als beabsichtigt war: .Xuch der Lehrer muss
sich nach dem Lerngang darüber Rechenschaft geben, was sich
erreichen und wie sich das Erreichte verwerten lässt. (Einträge in
den StolT- und Arbeitsplan.)
Die Lerngänge stellen sich in den Dienst der gesamten Heimat-
kunde, d. h. sie dienen allen Fächern. .Auf einem Lerngang lassen
sich oft die Auf^al)en für zwei oder mehr Fächer löseii. Für die
Geographie wird der Gesichtskreis erweitert, der Sternenhimmel
bcÄrachte^ die Karte zur Anwendung gebracht; für die Geschichte
werden historisch wichtige Punkte besichtigt und der Zusammen-
hang der Orts- und Stammesgeschichte mit der Vülksi;eschichte an
Ort und Stelle aufgezeigt; für die Naturgeschichte werden Ik*ob-
achtungen gemacht, Gegenstände gesammelt, die Schonung der
Naturdinge geübt, das religiöse Gefühl erweckt; für den Spradi-
unterricht werden Namen am Gegenstande erklärt, Poesiebüder und
Gemütsverfassungen begründet, Gedichte erlebt; für den .'\ufsatz
werden Themen ans dem Erleben gewonnen und das Bedürfnis des
schriftlichen Ausdrucks wird unmittelbar empfunden (Tagebücher);
für das Rechnen werden Sachen zur Verfügung gestellt, selbst-
gefundene Aufgaben gewonnen und die verschiedenen Rechnungs*
36*
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arten miteinander verbunden; für das Zeichnen ergibt sich der
Anschluss an Natur- und Kunstwerke von selbst; das Singen findet
für die Naturlieder eine gute Anwendung und das Turnen wird zur
Spiel-, Wald- und Freiluftschule. Somit haben alle Fächer von den
Lerngäogen einen reichen Gewinn zu erhoffen.
2. hi den Dienst des heimatiichen Katuruntetrichts treten auch
die Schulgärten. Was sich in der Natur oft sehr zerstreut vor-
findet, das lässt sich hier en^ vereinigt und gesichtet, planmässig
und systematisch geordnet vor Augen stellen. Die Natur ist ji^leich-
sam vergeistigt. Es ist darin schon ein l'eil der Schularbeit ge-
leistet und somit der Weg zur Erkenntnis geebnet. Deshalb bildet
der Schulgarten eine willkommene Ergänzung der Naturbeobachtung.
Man braucht, um zum Ziele zu kommen, nicht weit zu gehen, ist
nicht vom Zufall abhängig, hat das Beobachtungsobjekt nach Wunsch
in beliebiger Anzahl vor sich und was dergleichen Bequemlichkeiten
noch mehr sind. Aber man darf nicht vergessen, dass der Schxü-
garten nur ein Nachbild der Natur in verjüngtem Massstab bietet»
dass er daher die Lemgänge und direkte Naturbeobachtung in vielen
Fällen nicht zu erset^^en vermag. Wo er vorhanden ist — und das
ist noch an wenigen Orlen der Fall — und wo er richtig angelegt
ist — und das ist noch seltener zu finden — leistet er dem Fort-
schreiten im naturwissenscfaafllichen Denken, dem weiterstrebenden
Interesse eine willkommene Beihilfe.
3. Ein ähnliches Hilfsmittel sind die Sammlungen. So
vorteilhaft es ist, wenn man Sammlungen von Steinen, '^epre-^sten
Pflanzen und ausgebälgten l'ieren zur Hand hat, um die liriunerung
damit aufzufrischen, so nachteilig ist es, wenn man die erstmalige
Behandlung und den gesamten naturgeschicbtUchen Unterricht daran
anschliesst. Ihren vollen Wert haben sie dann, wenn sie eben bei
dem an die Natur unmittelbar ane^eschlossenen Unterricht immer
wieder von neuem entstehen, wenn die Schüler bei der Kntstcbung
persönlich mitschatfend beteiligt sind und sich ein Stück SchuUeben
damit verbindet Wenn Sammlungen gekauft werden, so sollte
dabei mcht auf systematische Vollständigkeit, sondern auf das
Vorkommen der Stücke in der I leimat und im Vaterland besonders
gesehen werden. Sie gehören dann in einen Glaskasten, in welchem
sie den Kindern stets vor Augen treten und so in seinen Umgang
einmünden.
4. Ebenso ist es mit Pflanzenkästen, Aquarien und
Terrarien. Sie bieten auch ein Naturleben sozusagen im Auszug.
Es sollte aber der Zusammenhang mit der Natur im Grossen auf-
recht erhalten werden. Wenn der Schüler selbst an ihrer Auf-
richtung, Einrichtung und Unterhaltung beteiligt ist, so behalten
sie für ihn diesen Zusammenhang und erscheinen als Episoden der
Naturgeschichte.
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5- An grosseren Orten stehen auch zoologische Gärten,
Aquarien, Museen u. dgl. dem naturkundlichen Unterricht zur Ver-
fügung. Darin sollte aber eine heimatliche Abtcilunp: vorpfesehen
sein. Manche Tiere der Heimat, wie Uhu, Marder, Haselmaus,
WUdkatze bekommt man im Freien zeitlebens mcht zu sehen, deshalb
kann oft ein Ersatz der Anschauung durch solche Nachahmung der
Natur erwünscht sein. Sind auch die Tiere in der Gefangenschaft
wie besonders in den fahrenden Menagerien, nie ganz mehr das,
was sie im Freien vorstellen, so erhält man doch noch ein
besseres Bild von ihnen, als wenn man sie bloss im Bilde sieht.
6. Bereits hat man auch die Menagerie in die bciiule auf-
genommen als Hegung und Pflege lebender Tiere. Die Vogel-
arten konnten auf den Bäumen des Schulhofs oder im Schulgarten
beobachtet werden. Statt dessen werden in Posen verschiedene
Vogelarten in Käfii^^cn in der Schule gehalten. In München ist in
21 Schulen ein besonderer Raum für Spongien, Schnecken, Muscheln,
Insekten, Amphibien, Reptilien, Vögel und Ideine Säuger eingerichtet
worden. Auslagen für jede Schule betragen jährlich 58 M.
Dem l'flcger werden i '/j Überstunden angerechnet. Derselbe hat
auch in den Ferien seinen Dienst zu versehen: jedoch die Mehrzahl
der kleinen Tiere wird vorher in TVeiheit f^^^csctzt,
7. Viel weiter ab von der wirklichen Natur liegen die Bilder.
An Anschauungsbildern, geographischen Charakterbildern und
sonstigen Wandbildern ist kein Mangel In neuerer Zeit konrnien
dazu die I.ichthildcrvorführungen. Sie treten zwischen Wort und
Sache und bilden fijr letztere einen Ersatz, wenn sie dem wirklichen
Auge nicht erreichbar oder wenn die Reproduktion des Vorstellungs-
bUdes einer Unterstützung bedarf. Als Erinnerungs- und Ver-
deutlichungsmittel dienen sie dem Unterricht, wenn Anschauung
der Sache vorausgegangen ist.
8. Weiter unterstützen die K a r t e n den heimatkundlichen Unter-
richt, besonders dann, wenn sie demselben ihre Entstehung verdanken.
In Betracht kommen die Wandkarte des Oberamtsbezirks, die
Markungs- oder Ortskarte, die Karte des engeren Vaterlands, eine
Handkarte für die Schuler u. s. f. Als solche kann die General»
Stabskarte verwendet werden, die vervielfältigt für 5 oder lo Pf. an
jeden Schüler abgegeben werden sollte.
9. Die Lesebücher. Sie sollten die Natur der Heimat
mit ihren Eigentümlichkeiten, sowie die Heimatgeschichte mehr
berücksichtigen. Freilich müsste dann jeder Be:drk sein eigenes
Lesebuch haben. Namentlich mässte das Unterklassenlesebuch die
örtlichen Verhältnisse zur schönen Darstellung bringen. Auf der
Mittelstufe käme das engere Vaterland, auf der Oberstufe Deutsch-
land und seine auswärtigen Beziehungen in Betracht. In allen
Fällen müssten bei Beschreibung von Naturgegenständen oder von
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Kunstschätzen immer konkrete Dinge vor Augen stehen. Das
Lesebuch sollte in jeder Hinsicht eine Heimatkunde sein, indem
für jeden Landesteil solche Stücke ausi;;ewählt würden, die einer
genauen Kenntnis derselben Rechnung tragen. Die Abbildungen
dürften nicht fehlen. Geschichte, Erdkunde und Naturgeschichte
sollten gleichmässig darin vertreten sein, teils in realer, teils in
poetischer Darstellung.
TO. Die S c h u 1 c h r o n i k. Eine solche ist in Prcussen von den
Allgemeinen Bestimmungen gefordert und cig^net sich ohne Zweifel
dazu, das Interesse des Lehrers für die Heimat beständig wach-
zuhalten und neuangekommene Ldirer in ihrem Wirkungskreis zu
orientieren.
Das Unterrichts^ebiet der Heimatkunde ist in den ver-
schiedenen Fächern so reichhaltig^, so wertvoll und interessc-
erweckend, dass es wohl des Schweisses der Edlen wert ist, die
erst begonnene und noch lange nicht gelöste Aufgabe zu fördern
und im eigenen Kreise ihren praktischen Ausbau zu versuchen.
IV.
Wie ist beinatkundiicb zu unterrichten)
Aller Unterricht in sämtlichen Fächern hat es, wenn er rechter
Art ist, zunächst mit !)ckannten Vorstellungen zu tun, an welche
alle fremden anzuknüpfen sind. Beide müssen einander die
Hand reichen, wenn sie sich im Bcwusstsein festhalten
sollen. Die bekannten Vorstdlungen sind soldie, <Ue sich der
Schüler bereits erworben hat und auch solche, die er sich leicht in
seiner Umgebung erwerben kann. Nach beiden Seiten hin muss
der Lehrer Bescheid wissen, wenn er seinen Unterricht recht an-
legen und betreiben will. Er muss wissen, über welche Vor-
stellungen seine Schüler von Haus aus verfügen. Um hierin keiner
Täuschung anheimzufallen, wird es gut sem, wenn bald nach der
Aufnahme der Schüler in die unterste Klasse systematische Er-
hebungen über den Gedankenkreis der Schüler nach Ausdehnung
und Inhalt angestellt werden, wie seiner Zeit vom Pädagogischen
Verein in Berlin und von Dr. Hartmann in Annaberg bekannt
gegeben wurden.^) Man wird sich wundem, manches bei den
Schülern zu finden, was man nicht vermutete, aber noch mehr
darüber, dass die Schüler so vieles nicht wissen, sich nicht vor-
stellen können, wovon man annahm, dass die Bekanntschaft damit
bei ihnen vorhanden sein müssle. Diese Erhebungen lassen
sich aber auch ganz gelegentlich zu Beginn einer jeden Unterrichts-
S, Dr, HMtmaum, Über die Analyse des kindlichea Gedaakenkreiscs; auch bei
E. Piltz, Natarb«obaehtitiig dci Sc^ttei«.
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— 407 —
stunde anstellen, wenn man die Schüler veranlasst, immer erst an-
zu<Teben, was sie von der in Betracht kommenden Sache bereits
wissen und so ihren freien Mitteilungen und Fragen entgegen-
kommt. Lasst man sich von diesen Angaben der Schüler
im Unterricht leiten, merkt man die nicht hei^ehörigen für spätere
Lektionen vor, dann wird der Unterricht in den heimisdien Vor-
stellungsschatz der Schüler einf^reifen und sein Interesse gewinnen.
Der Lehrer muss tatsächhch lernen, sich in den Gedankenkreis des
Kindes zu versetzen, sich zum kindlichen Denken, Empfinden und
Wollen herabzulassen und an seinem Interesse teilzunehmen, wenn
er es weiter und höher emporziehen wilL Der Erwachsene muss
freilich sich etwas Gewalt antun, um sein Bcwusstscin so 7\i
wandeln; aber das «gehört zum I.chrcrbcruf. Als Hilfsmittel können
gute Bücher dienen, die das kindliche Denken treffen und in der
Sprache des Kindes sich bewegea Wir nennen aus früherer Zeit
die Schriften Berthold Sigismunds, namentlich dessen Kinder-
psychologie: ,,Kind und Welt". Als weitere wissenschaftliche
Werke dieser Art schliesscn sich an: liedemann, Uber die Knt-
wicklung des Seelenlebens des Kindes, Löbisch, Entwicklung der
Seele des Kindes, W. Preyer, Die Seele des Kindes, J. SuUy, Unter-
suchungen über die Kindheit und noch manches andere aus der
neuen Kindcrpsy* holot^ic. Demselben Zweck dient das Lesen
guter Jugendschriften und solcher Schriften, die sich in der Heimat
anbauen, z. B. die Roseggers. Auch humoristische, wie die aus
dem Englischen übersetzte Schrift „Helenens Kinderchen" sind nicht
zu vergessen. In der Gegenwart sind es die Schriften des „Haus-
lehrers" fBcrthold Otto) und dieses Hlatt selbst, welches sich be-
sondere Mühe ^^ibt, das kindliche Geistesleben in Sprache und
Denkweise zu erfassen.
Wie der Lehrer sich der heimatlichen Sprech- und Vor-
stellungsweise und der kindliclien Denkart möglichst anzuschliessen
sucht, so muss er auch dem Kinde gestatten, sich in der Mundart,
in der üblichen Ausdrucksweise und entsprechend seinem innersten
Fülilen und Denken auszudrücken. Wo sich naive Naturlaute und
eigenartige Gedanken hervorwagen, dürfen sie nicht mit Spott oder
Verweis zurückgewiesen werden, sonst kann sich das Kind nicht
in der Schule daheim finden. Es wird dann dem beständj^en
Schweigen oder dem papa^einrticren Antworten verfallen. Man
denke nur an die Forderung der hochdeutschen Sprache schoji in
den untersten Klassen, von der allerdings In neuen Lehrplänen
etwas nachgelassen wird. Die Schriftsprache ist ganz und gar ein
Kunstprodukt und nirgends beheimatet Die lUnder aber müssen
natürlichen Ausdruck wie Freiheit im Denken und Fühlen zu-
gebilligt bekommen, sonst können sie nie sich aus eigenen Wurzeln
entfalten. Besondere Berücksichtigung verdienen die im Kinder-
mund befindlichen Verschen und Reime, Sprichwörter und Redens-
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arten. Dieselben leiten leicht zu sachlichen Betrachtungen über,
die ffünsti^ auf den anzuschliesscndcn Unterricht wirken. Es ist
deshalb nötig, dass der l^ehrer mit der Mundart seines Wohnorts,
der volkstüimicheii Ausdrucksweise , dem Greistesgut des Volkes
innig vertraut, also im Schulort auch daheim ist. Er muss
herrschende ( Tchrän'^he, Ansichten, Redensarten, Sitten, den Orts-
aberglauben, sagcniiafte und geschichtliche Erinnerungen u. dg^
kennen.
Damit kommen wir an eine zweite Art, wie der Lehrer sich
för seinen heimatlichen IMterricht geschickt zu machen hat Er
muss die eigene Heimat seiner Schüler in naturkundlicher, -^geo-
graphischer, freschichtlicher und cthnogrnphischer Hinsicht durch-
forschen, dann das iMaterial ordnen und für die zukünftige Ver-
wendung bereitsteilen. Im Leipziger Herbartverein bildete sich
seiner Zdt eine Kommission zur Sammlung der am Oite vor-
handenen „geographischen Urelcmente, Typen, charakteristischen
Raumformen, sowie aller vorhandenen Anknüpfungspunkte, z. B.
auch typischer heimatlicher Zahlen und Grössencinheiten , die zur
Büdung des Raumsinns dienen, kurz zur Sammlung aller Momente,
die als Bausteine zu einem rechten geographischen Wissen ver-
wendet werden können". Die Arbeiten erstreckten sich auf a) Be-
griffe und Gesetze der physikalischen Geographie, soweit sie aus
der Betrachtung^ der Heimat gewonnen werden können, b) geo-
graphische Anknüpfungspunkte aus der Heimat für ausserdeutsche
Landschaftstypen, c) Bewusstsoinsmomente des Leipziger Volks-
schülers fSr den Geographieuntenicht von Sachsen, Deutschland,
ineuropäische und aussereuropäische Länder. Das Sfaterial wurde
dann nach Klassen dem Lehrplan entsprechend geordnet, l. nach
dem System des Lehrbuchs, 2. alphabetisch oder lexikalisch,
3. nach Stadtteilen (Himmelsgegenden), 4. nach Spaziergängen,
5. nach grosseren typischen Bildern, z. B. ,J>er Heinesche Kanal^
„An der Mündung der Rödel in die Elster*^ Eis kann noch unter-
schied n werden zwischen solchem Material, das eingehend zu be-
trachten, solchem, das fortlaufend zu beobachten (z. B. klimatische
und Himmelserscheinungen) und solchem, das gelegentlich zu be-
sonderen Zeiten, z. B. überschwemmtes Wiesengebiet als See, und
das nur vorübergehend zu besichtigen ist')
Zur Mitarbeit können die Schüler und durch diese noch die
Eltern beigezogen werden, wenn man jene zu Hause nachfragen
lässt, wo dieses oder jenes zu finden sei u. d<^\. I'Veiiich muss bei
diesen Erkundigungsfragen eine gewisse Vorsicht walten, damit die
Leute nicht eine Spionage dahinter wittern. Die Zusammenstdlung
') Vorti»p . ^,'<l'.;i!'.>ii von O. Mönch im I-^ ip/i^- ' 1 < lircrvircin Geo-
graphie als crwcitcnc iicimatkundc. I. Teil einer .Saauniuiig heimatkundlicher An-
Vaflpfnngipunkte fllr den Geosrapbie-Uiitemcbt,'^
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des Stoffes kann leicht in die Fonn einer Ortschronik gebracht
werden. Die Sammlung erhält dann bleibenden Wert. Dazu lassen
sich noch Bcnierkunfjen machen, die Anweisung geben, wann und
wie der Stoh im Unterricht verwertet werden kann (z. B. im Auf-
satz oder ab Lesestück oder im Rechnen usw.).
Ist so der Stoff gesammelt und zur Verfögung gestellt, dann
muss die Heimat nf]cr Landschaft in kleinere, charakteristische
Gebiete eingeteilt werden, die als methodische i^.inhciten je eine
besondere Behandlung verdienen. Derartige hinheiten sind : Schule,
Scfaolhaus, Hof, Garten, das Nachbaihaus mit StaU und Scheune,
Kirche, Friedhof, die Hauptstrasse, der (irabcn (Stadtmauer) u, s. f.»
der Schafhof, die Wiesen an der Lauter, die Acker an der \abcrner
Strasse, der ialwald, die Halinweid, der liüri^crsee, der Ilohcn-
reisach, die Teck, die Hochebene am Breitenstein, das Zipfeibach-
tal u. s. t Zur Be^chtigung jeder dieser methodischen Einheiten
Sand ebenso viele Lemgänge notwendig. Die auf denselben ge-
wonnenen Anschauungen werden in den nächsten Unterrichtsstunden
verarbeitet. Dabei kommen eine Menge heimatlicher Begriffe zur
Entwicklung, wie z. B. bei Schulhaus und Garten: Lage, Grösse,
trdgeschoss, Stockwerk, Dach, Giebel, Front, Kante, First, Geräte,
Raum, W<^nung, Pflanzen, Gemüse, Beete, Obst, Himmelsgegenden;
bei Kirche: Turm oder Dachreiter, Glocken, Geläute, Wetterfahne,
Schifif, Empore, Kanzel, Altar, Taufstein, Sakristei, Chor, Or^el,
Pfarrer, Predigt, Gottesdienst, Kirchhof, Friedhof, Gottesacker,
Bahre, Leiche, Denkmal j bei der Wiese: Gras, Wiesenblumen,
Heu, öhmd, Schwaden oder Mahden, Flurname; beim Wald:
Laub- und Nadelwald, Baum, Gebüsch, Wurzel. Stamm, Rinde, Äste,
Zweige. Moos, Schutz der Fluren, Raubtiere, Raubvöjrel. Förster,
Forst, l loliiarbeiter, Wild: beim Ber^: Fuss, Steil- und Flachabhang,
Gipfel, Rücken, Abdachung, Bergstrasse, Aussichtsturm, Hoch-
ebene u. s. t
Der Gang der Untcrrichtslektion ist kein anderer, als
in den übrigen Fächern auch. Zuerst müssen die Schüler das
schon Bekannte angeben. Man geht mit ihnen so darauf ein, dass
sie kaum wissen, ob sie nur Bekanntes sagen oder aber schon
Neues lernen, denn es handelt ach ja nur um Klärung ihres Vor-
stellungskreises, und die neuen Vorstdlungen treiben bei dem
konkreten Stoff und nac]ihalti;^'cn Interesse selbst aus dem Bcwusst-
scin hervor. Das HeimatUclie leitet ihr Denken immer weiter
und höher, und bei aUedem erhält die Selbsttätigkeit des Scliülers
den Vortritt Was er nicht genau weiss, das muss er messen,
beobachten, auskundschaften; liernach berichtigen, bestimmen,
ordnen und in Reihen oder Be^^rifCc bringen; dieselben weiterhin
verLjleichen und anwenden. Die Selbsttätigkeit kann auch in der
Weise genährt werden, dass der Schüler selbst die Aufgabe stellt,
die übrigen Schüler den Gvang des Unterrichts angeben. Der
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Unterricht nimmt dann freilich beim Schüler eine solche zutrauliche
Form an, dass er sich leicht vcrg^isst und die Schranken der
Disziplin überschreitet. Allein das ärgste Vergehen ist das nicht;
lieber zu viel Interesse und Leben als gar keines. Das allzu
dressierte Antworten ist weder Zeichen eines ^ten Unterrichts,
noch einer guten Erziehung.
Bei der Aufstellung der Ziele muss überall das Heimatliche
herauslcuchten. Also nicht etwa: „Heute reden wir vom Stuhl",
„von der Ziege", „der Schlüsselblume", „dem Rotkäppchen" u. dgl.,
sondern: „Ob euer Stuhl /.u Hause auch aussieht, wie der hinter
dem Ftilt", „von der Ziege des Amtsdieners", „von der Schlüssel-
blume im Herrschaftsgarten", „vom Rotkäppchen im Renen-
wäldclicn", „das gestrige Gewitter", „der Brand am 20. Februar in
der Höhnischen Mühle'" u. s. f Auch die übrigen Fächer, z. B. das
Rechnen, erhalten solche Aufgaben : „Wir wollen einen Brief an den
Onkel schreiben, es fehlen uns aber zum Porto noch einige Pfennige"
(Ergänzung auf lo). „Der Vater des Gteorg verkauft Postkarten"
(Reihe 5).')
Bei der Behandlung der vom Lehrplan vorgeschriebenen Stoffe
ist noch besonders darauf zu sehen, dass eine Kulturpflanze, wie
TL. B. der Hopfen, der in der Heimat gebaut wird, weit ausführlicher
zu behandeln ist, als z. R ein Ackerunkraut wie der Klatschmohn.
Es ergeben sich dann fiir crstere folgende Unterrichtseinheiten:
I. Die noj)fenpf1anze. 2. Welche Arbeiten Ht-r Vater auf dem
Hopfenacker verrichtet. 3. Wie der Hopfen ;^cemtet, t^epf!ückt,
gedörrt und verkauft wird. Die zweite oben angegebene Pflanze
kommt nur bei Gelegenheit der Behandlung des Gerstenfdds zur
Besprechung. Dieses aber erhalt folgende Besprechungen: l. Das
Gerstenfeld im Frühjahr (Pflügen, Säen, Keimen); 2. die Ger^ten-
pflanze blüht, reift; 3. ein Unkraut im Gerstenfeld (Klatschmr uin^;
4. das Gerstenkorn nach der Ernte; 5. der Gerstenacker nach der
Ernte. In der Geschichte würde man ebenso nidit nur im all«
gemeinen behandeln ,,Wic es in Württemberg vor Zeiten aussah"
oder „Die alten Deutschen und ihre Beziehungen zum römischen
Reich", ,, Römische Überreste in Schwaben", ,,I)as Christentum unter
den germanischen Völkern", „Rittertum", „Kiosterwesen" '*) usw^
sondern: „Wo man die Dinge in unserer Altertumssammlang
gefunden hat?", »JDas Kastell bei Köngen", ,,\Vie Kirchheim ent-
standen sein soll?", „Das Kloster in Denkendorf', „Wie die Teck
früher aussah?", „Ein Fest darauf, „Ein Jagdtag", „Wie der junge
Ritter aufwuchs", „Ein Überfall der Burg" u. s. f. Für alle diese
Dinge finden sich Anhaltspunkte in der „Oberamtsbeschreibung",
sowie in zahlreichen Notizen zur Geschichte der Stadt Soll in
*) S. Hossann, Die Heimatsidec usw., S. 45 (vj;!. besonders S. 75 u. 76 o.).
*) 5. Lchrplan für die wttrtt«inb«rgisch«tt Volkstchtdea 1907.
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— 4" —
das Material Leben und Bewegung kommen, dann muss die
Phantasie mithelfen. Ausserdem müssen die Produkte der Volks-
phantasie, die Sagen, recht häufig 7.ut Verwendung kommen. An
die heidnische Vorzeit erinnert die Sage vom Sibyllenloch unter
der Teck, an die Alemannenzeit die Sage vom Heim im Heimen-
stdfi, an die Ritterzeit die Sage von den drei Brüdern auf Wieland-
stein. Württembergische Volksschullehrer haben die Märchen und
Sagen unseres Landes gesammelt und so eine dankenswerte Vor-
arbeit geliefert, die grundlich ausgenützt werden sollte. Es wäre
kein grosser Fehler, wenn auch Sagen anderer Gegenden auf die
eigene übertragen wurden; denn es kommt ohnedem vor, dass eine
und dieselbe ^^e an verschiedenen Orten spielt.
Die Geschichte beginnt überhaupt mit der Sage.*) Diese ist
dem kindhchen Alter angemessen, weil sie <h> Stufe der kindlichen
Denkweise des \ olkcs repräsentiert. Die \ oiksphantasie spricht
sich darin aus. Deshalb wird die Sage stets heimatliches Gepräge
an sich trs^n.
Man hat es nun för richtig gehalten, die B^ärchen und Sagen
dem Geographieunterricht anzuschliesscn und einesteils die ver-
schiedenen Ortlichkeitcn damit zu beleben, den Unterricht inter-
essant zu machen, und anderenteils die Geographie zum Schauplatz
des Geschichtlichen zu erheben. Damit scheint eine Art Kon-
zentration zur Ausführung zu kommen. Doch wäre es eine Klebe-
konzentration zu nennen, die zur Aufhebung der verschiedenen
Fächer führte und ein Fach an das andere verloren gehen liesse,
hier die Geschichte an die ( reographie. Die Wechselwirkung der
Gedankenmassen, dieses geistig belebende und allein bildende
Element, bleibt dabei aus. Die Konzentration lässt sich nur er-
reichen durch richtige, auf das Erziehungsziel abgestimmte „Ziel**-
stellung der C'n/r^lnen Fächer im Lchrplan, durch Festhaltung am
vielseitigen Interesse, das durcli <iie \erschiedenen l'iicher aufrecht
erhalten wird, und durch ein Lehrvcriaiiien, das bei der Vorbereitung,
Verknüpfung und Anwendung die Gedanken ineinanderspielen lasst.
Es dari^ also der Geschichtsunterricht nicht im Geographieunterricht
aufgehen , wohl aber muss er demselben parallel laufen. Es wird
'^irh dann von selbst ergeben, dass der Behandlung des Ortes und
der Umgegend die zugeliürigen Sagen angeschlossen werden. Doch
wäre damit ein fortlaufender elementarer Geschichtsunterricht noch
nicht erreicht. Einen solchen ins Werk zu setzen, sind zwei Wege
gangbar. Der erste Weg ist der, dass man ausser den örtlichen
Sagen noch weitere sagenartige Geschichten des eigenen Stammes-
gebiets und der deutschen Gescliichte behandelt.^ Manches davon
kann dem Lesebuch oder einer Ergänzung des Lesebuches zu-
*) S. oben S. 400.
■) S. Beispiele bei Hossaan. Die Ilcinuitsidcc usw., S. 95 — 98.
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gewiesen werden und dann als Lektüre sich anschliessen. Noch
besser scheint mir, wenn f^rosse zusammenhängende Geschichts-
stoffe , Märchen , kulturhistorische Romane und epische Sagen das
Geschichtsfach repräsentieren und der übrige, vorhin genannte Einzel-
sagenstoff angeknüpft wird. Wir denken ausser den Grimmschen
Märchen an Robinson, Rulaman, Kuning Hartfest, die Nibelungen.
In dieser Hinsicht lässt (ier bisherige Geschichtsunterricht noch viel
zu wünschen übrifj und euie Begründung auf die Heimat ist nicht
die geringste Reform, die seiner wartet/)
Die Behandlung der geographischen Gebiete muss sehr
eingehend sein, besonders so lange man sich im heimischen Ge-
sichtskreis bewegt. Die Ausdehnung dieses Gesichtskreises richtet
sich jedenfalls nicht nach der })olitischen Einteilung, sondern nach
den wichtit^^sten Beziehungen der Miiuvohner des Orts. Was die
Schüler schon wissen, was sie in Erfahrung ziehen können, was
sie auf einem Ausflug mit dem Lehrer sehen, das müssen sie zu-
sammenüaissend erzählen und dann in gewisse Ordnung bringen.
Dasselbe gilt bezüglich der Naturgeschichte. Auch was sie gelesen
und gehört haben, dürfen sie erzählen. Es schUesst sich unmittelbar
daran an die Aufstellung von Fragen, Berichtigungen, weiteren Ziel-
stellungen. Der Unterricht muss sich hierin möglichst naturgemäss
gestalten, d. h. die Unterredung des Vaters oder der Mutter oder
älterer Leute mit den Kindern sidi zum Vorbild nehmen. Die
dialocMsche Lehrart ist Hie geeignetste. Auf diese Welse erhält
das Kmd seine Anweisungen und Belehrungen im täglicheii lieben,
so spricht man am P amilientisch, so verhandeln es die Kameraden.
Da in der Schule viele Schüler zum Wort kommen wollen, so
müssen die Schüler zur Disputation erst angeleitet und erzogen
werden. Sic müssen sich melden, che sie fragen, sie düifen nicht
dasselbe fragen, was schon einer gefragt hat, sie müssen nicht auf
jede Frage eine besondere Antwort erwarten, sondern erst zusehen,
ob dies^e nicht durch den nachfolgenden Unterricht erledigt wird.
Durch die auf den Lemgängen gepflogene vertrauliche Unterredung
werden die Schüler gewöhnt, aus sich herauszugehen und Fragen
zu stellen. Sie sollen es lernen, alles zu sagen, was sie interessiert
Fragen sie in der Klasse, so muss das laut und möglichst bestimmt
geschehen, nachdem der Lehrer die Erlaubnis erteilt hat Dann
geben andere Schüler Antwort, wenn sie es können oder zu können
vermeinen ; im andern Falle antwortet der Lehrer. Ausgelacht oder
getadelt dürfen die Schüler wegen ihrer Fragen nie werden. Ent-
weder wird bei einer sogen, dummen Frage das gelobt, dass
wenigstens gefragt und so Gelegenheit gegeben wurde, das
Dunkel — oder vielleicht nur den unrichtigen Ausdruck — auf-
>) Sieh« oben über „Volksgcschichle", S. 400«.
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zuheUen» oder wird mit einer Gegenfrage geantwortet oder der
Schüler kurzerhand ad absurdum geführt.
Man kann die Schüler auch ihre Fragen aufschreiben lassen,
muss ihnen aber sagen, dass sie nur das in Krage stellen sollen,
was sie nicht oder nicht sicher wissen. Zum Aufschreiben genügen
einige Minuten. Dann liest ein Schüler Fiagc um Frage. Wer
(üeselbe Frage geschrieben hat, der steht auf und die sitzen*
bleibenden Schüler geben die Antwort. Endlich stehen diejenigen
Schüler auf, die noch weitere Fragen haben und lassen sich die-
selben beantworten. Auf solche Weise lässt sich ein Gegenstand
auf andere Weise als gewöhnlich behandeln und es verbindet sich
damit zugleich eine Wiederholung.
Die Mithilfe der Schüler kann noch weiter ausgedehnt werden,
wenn die Schüler bei der Verbesserung unrichtiger Antworten nicht
einfach djts Richtige sagen, sondern Hilfsfragen stellen oder Ein-
wendungen machen.
Endlich kann der Lehrer seine Schüler veranlassen, die Unter-
redung zu beginnen oder weiterzuführen, wenn sie es nicht von
selber tun, indem er sie auffordert: Wer möchte hier etwas fragen?
Machet eine Einwenduntr! Warum i<ann es nicht so sein ? Vielleicht!
Was niemt ihr dazu? Regell Denkt an die Hauptiragel usw. usw.
Nirgends mehr als im heimatkundlichen Unterricht kann ein
lebendiges, selbsttätiges Lernen in Szene gesetzt und können die
Kinder zu freudigem Mittun veranlasst werden. Und Freude ist
die Seele des Unterrichts,
Die Darstellung im Unterricht ist am besten die er-
zählende. Blosser Beridit oder blosse Beschreibung hat lange
nicht die Anziehungskraft wie eine Geschichte. Dann muss aber
die Geschichte auch eingehend, konkret, ausführlich und in ein-
fachem Gan<^ lebhaft fortschreitend sein; sie muss das heimatliche
Leben und dessen Verhältnisse berücksichtigen. Das gilt namentlich
von dem Geschichtsunterricht der Oberstufe. Er muss mög-
lichst an Vorkommnisse der eigenen Heimat, an Erinnerungen
daraus angeknüpft werden. So beginnen wir dann den dreissig-
jährigen Krieg nicht mit dem Ereignis auf dem Rathaus in Prag,
sondern mit dem Einmarsch feindlicher Truppen in unsere Gegend
und ihre Aufstellung am Egelsberg nach der Nördlinger Schlacht
und gehen dann den Weg der Ereignisse rückwärts; das weitere
knüpft sich uns an den Namen Widerholt, der in Kirchheim nach
den Mühsalen des grossen Krieges seinen Wirkungskreis gefunden
hat Manche geschichtÜchen Erlebnisse verlegen wir an eine be-
kannte örtlichkeit in der Nähe, um den Hergang besser vorstellig
ztt machen. Die Raubritterzeit zur Geschichte Rudolfe von Habs-
burg illustrieren wir durch ein Vorkommnis auf der Strasse zwischen
Owen und Unterlenningen. Dort ist eine Burgruine, heute „Rauber",
ürüher Untere Dieboldsburg geheissen. Ein grosser Frachtwagen
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kehrt von Frankfurt zurück nach Augsburg über Blaubeuren und
Ulm. Ausser dem Kaufmann und dem Fuhrmann sind noch drei
gerüstete Knechte dabei zur Bedeckung gegen feindliche Überfalle.
Der Dieboldsburgcr hat schon das Nahen des schwerbelasteten
Wagens ausgekundschaftet. Mit 4 Kriegsknechten hat er sich in
einem Wäldchen hart an der Strasse aufgestellt Kaum ist der
Wagen an der Stelle vorbeigefahren, da jagen die Ritter mit den
Gäulen im Galopp auf die Strasse heraus, hinter dem Wa^en hrr
und schreien: Halt! Die andern halten, stellen sich kamfifl creit
um den Wagen auf und erwarten den Angriff. Der Fulirmann
Spannt schn^ seine Pferde aus, setzt sieb auf den Sattelgaul und
reitet davoa Ein heftiger Kampf tobt um den Wagen. Die
Ritter gewinnen es. Von der Burg sind norh eine Anzahl Knechte
nachgefolgt. Sie besteij^en den Wappen, nehmen, was sie brauchen
können, und schleppen es zur Burg hinauf. Der Kauiniann beginnt
au& neue abzuwehren. Da padcen ihn die Ritter, binden ihm die
Hände auf dem Rücken zusammen und ein roher Knecht fuhrt ihn
wie ein Stück Vieh zur Burg hinauf. Er weiss schon , was sein
Los ist. — P"s genügt nicht, dass man von der Ungcreclitigkcit,
der Unsicherheit usw. jener Zeit redet, man muss sie den Kindern
vor Augen stellen, dann können de selber urteilen. Ebenso genügt
uns bei der Hermannsschlacht im Teutoburgerwald die Ausfuhrung
des Lesebuches nicht, sondern wir zeigen, wie geheime Boten mit
Runenstäben durchs deutsche Land ziehen, wie die Fürsten der
Deutschen zu einer Verschwörung im heiligen Hain zusammen-
kommen, wie sie ihren Plan entwerfen und denselben bei günstiger
Gelegenheit ausfuhren, wie die Römer aegesbewusst ihres Weges
^ehen, die Deutschen sich gefallig und dienstbereit anschliessen,
wie das Wetter, der Weg sirh gestaltet und die verschiedenen
Angrifife ausgeführt werden, wie sich endlich kein Ausweg mehr
zeigt und Varus bei der Schwierigkeit der Lage und seinem, dem
römischen Namen nachteiligen, unglücklichen Unternehmen zu dem
Entschluss kommt, sich selbst zu töten. Die Motive müssen auf-
gezeigt und die Kinder müssen sich in die Lage der leitenden
Personen versetzen.
Am meisten ist eine dctailUerle, konkret dargestellte Geschichte
bei kulturhistorisdien Kapiteln notwendig, lüer wird oft mit
wenig Sätzen, mit einem einzigen Wort so viel ausgesprochen, dass
die Schüler sich unmöglich etwas Zutreffendes dabei denken können.
So z. B. „Bonifatius fällte die Donarseiche bei Geismar und führte
das Christentum in Deutschland ein". Die Schüler sollten doch
mindestens den alten Glauben der Deutschen kennen und sich
dann dem gegenüber den neuen vorstellen. Sie müssen einen
Götterhain sich ausgesucht haben und hineingeführt worden sein,
sich ein Opferfest an Ort und Stelle ausgedacht haben. Dann erst
lässt sich das Gottcriest bei der heiligen hiche in Geismar, die
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Predigt des Bonifatius und was sich daran anschliesst, so deutlich
vor Augen stellen, dass die Bedeutung der Sache empliinden wird^)
Wie der erzählende Unterricht hauptsächlich der Gescl\ichte
dient, so drr /rirhnende der Geographie. Es werden damit
Anschauungen und Begriffe womöglich an Ort und Stelle gewonnen.
Was die Kinder auf dem Lemgang gesehen haben, wird vielleiclit
diaussen in den Sand, in der Schule auf die Wand- und von den
Kindern auf die Schultafel oder auch auf einen Bogen Papier und
ins Schulheft gezeichnet. Die Verkleinerung muss vor ihren Augen
entstehen und auf ungefährer Schätzung beruhen. Dieses Fntstehen-
iabsen der Heimatkarte ist viel besser als die Vorführung eines
fertigen Reliefs, das viel zu viel enthält und die Übersichtiichkeit
und Vereinzelung der besprochenen Gegenstände vermissen lasst.
Besser ist es- , mit den Kindern in Sand oder durchweichten Säge-
spänen ein Relief zu formen. Als Grundlage dient eine alte Wand-
tafel. Die Kinder treten heran und geben an, wo eine Erhöhung,
ein Tal usw. anzubringen sind. Die Flässe und Bäche werden mit
blauen WolUäden gelegt, Eisenbahnen und Strassen mit schwarzen
oder weissen. Hin abg( 1 n M-r enc-- Streichholz dient als Br;; "l:e. Die
Ortschaften lassen sich mit Sternchen andeuten. Mit grüner Farbe
können die Talgründe, mit brauner die Acker, mit blauer oder
schwarzer die Höhen bezeichnet werden. Dieses Modell wird
sodann durch farbige Kreide an der Tafel skizziert und von den
Schülern im Heft nachgezeichnet
Wer recht sorgfältig vorgehen und ein sicheres Kartenlesen
erreichen will, der muss erst eine Karte von der Schule entwerfen^
dann je von den einzelnen Lerngängen und den betrachteten Einzeln
gebieten, hierauf eine Orts- oder Markungskarte zusammenstellen.
Die Kinder müssen sich üben, bei jedem Zeichen der Karte den
zugehörigen Gegenstand sicli vorzustellen und den Schluss vom
Zeichen auf die Sache mit Leichtigkeit zu vollziehen, so dass sie
in der Karte nicht ein Blatt mit vielen Zeichen, sondern ein Bild
erblicken. Bis dann zur Beärkskarte übergegangen wird, müssen
die Schüler bereits imstande sein, aus der Karte die Wege, Ge-
stalten der Berge, Art der Erhebungen u. s. f. abzulesen. Sic
erhalten jetzt auch eine kleine Handkarte, die sie bei grösseren
Ausflügen mit sich führen. Sie empfinden dann das Bedürfnis,
manches auf der Karte aufzusuchen und aus dem Kartcnlesen eine
unterhaltende Beschäftigung zu machen. Es schliessen sich Phantasie-
reisen daran und der Schüler findet am folgenden Geographie-
1) S. weitere I*< l^piLle l>ei Ilossann, S. 104 — loS. — IKindner ScminarbläUcr
No. 6, 1902, S. 136 — 142 uad Berthoid Sigismund gesammelte ächrifteo 296:
„Weltceschicbte im Dorfe**. — Dentscbe Gesciuctite, Enihluiigen nidi QndlcB von
A. CI. Schciblhuber (Nnrnbcrg, Ft. Donudw Bochhandlung) ist cift prüdtt^es
HUfsmiUcJ für solchen Unterricht.
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Unterricht das Vergnügen des Selbstfindens, das fUr allen Unterricht
das beste Förderungsmittel bildet.
Eine wichtige Unterrichtsform ist auch die Vergleichung
in der Heimatkunde. Schon bei der Vergleichung der wirklichen
Grössen der Gegenstände, bei der Vergleichung der in der Karte
dargestellten Ghrösse und endlich bei der Vergleichung der reprasen-
ticrendcn Kartenzeichen miteinander ist das Schätzungsverfehrcn in
Tätigkeit. Xoch wichti^^er aber sind die aus f'( obachtungen oder
gehäuften Wahrnehmungen abzuleitenden Gleichförmigkeiten, wie:
die meisten Orte liegen am Fluss, im Tal; die Höhen sind be-
waldet usw. Die Vetgleichung besteht oft nur darin, dass fest-
gei^ellt wird: l£er ist es wie da und da; diese Gegend dacht sich
ab nach dieser Seite, die Flüsse nehmen deshalb diese Richtung;
das Klima muss so und so sein; hier werden viele Leute wohnen,
hier nicht usw. Wird die Gesteinsart angegeben, so können daraus
noch mancherlei Schlüsse gezogen werden. So kommt man zum
Denken in der Greographic , i einer Erdgeschichte und erwirbt
Landschaftsbilder, geographische He^nffe und Erkenntnisse.
Führt der (xeogTaphieuntcrricht immer weiter in die Fremde,
so müssen die heimatlichen Analogien das Verständnis und Intere^e
aufrechterhalten. „Heimatliche Vorstellungen von Bergen, Tälern»
Ebenen, Flüssen, Bachen, Teichen, Wudem, Heiden, Äckern,
Wiesen, Pflanzen, Mineralien spielen eine vermittelnde Rolle." Soll
ich die Moore Norddeutschlands oder die Riede Oberschwabens
behandeln, so müssen die Erinnerungen an den Sumpf oder See
der Heimat aufgefrischt, vielleicht muss demselben noch einmal
Besuch gemacht und ein Stuck Sumpfboden aushoben und unter«
sucht werden.') Die erworbenen Begriffe müssen Sodann wieder
rückwärts auf die Heitnat übertragen werden.
Auch im naturgeschichtlichen Unterricht ist durch Vergleichung
das Gleichartige zusammenzustellen und schliesslich ein typischer
Gegenstand der Heimat eingehend zu beschreiben. Es ergeben
sich Gesetze und Begriffe, die in das Viele des auftauchenden
Materials eine Übersicht und Ordnunc: bringen, die eine denkende
Betrachtung unterstützen und namentlich in der Naturlehre eine
Anwendung der Naturgesetze auf Gegenstände und Vorkommnisse
des taglichen Lebens, des Gewerbes und der menschlichen Arbeit
gewähren. Von den bekannten Vorfallen muss ausgegangen und
auf gleiche oder ähnliche Dinge der Heimat stets der Blick zurück-
gelenkt werden.-)
Eine durchgreifende Wirkung äussert die Heimatkunde auch
bei ihrer Anwendung im Unterricht der verschiedenen übrigen
S. Lehrprobe von Ringelmann, Schulfreund 1900, S. lojff.
Vgl. Conrad, Prfipantionen fiir dea PhysUniDtcmcht. Dresden, Bleyl and
Kacmmerer.
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Fächer. Der Sprachunterricht umfasste seither aof der
Unterstufe den Anschauungsunterricht. Dieser ging in neueren
Lehrplänen m Sj^rachunterricht und Heimatkunde über. Daraus
ersieht man die enge Verwandtschaft. Es soll eben bei diesem
Unterricht die Sprache der Sache unmittelbar angeschlossen werden
und diese der Heimat angehören. Die Erlebnisse und Erfahrungen
des Kindes, nicht die Mitteilungen des I.elircrs sind dabei die
Hauptsache. Deswegen dürfen die Stoffe niclit allgemeiner Art sein,
z. B. der Säemann, das Pferd, der Regen, das Gewitter, der Wald usw.,
sondern es muss stets von einem Mstimmten Gegeiuitand und einer
bekannten oder leicht vorstellbaren Situation ausgegangen werden,
z. B. der Ackergaul des Hofbauers Christian, das Kutschenpferd
des Schwanenwirts, der gestrige Regen. So redet man durchweg
nicht von der Kuh, sondern von einer bestimmten Kuh, nicht von
der Stadt, sondern von unserer Stadt Kirchheim, nicht von der
Mühle, sondern von der „Schellenmühle" nicht von dem Vogelnest,
sondern von dem Vogelnest, das Gustav gestern gefunden hat,
nicht vom Storch überhaupt, sondern von dem vornehmen Herrn
auf unserem Kirchendach. Heimatlich sind auch die diesem Unter-
richt einzufügenden Kinderreime, Rätsel, Fabeln und Märchen. Statt
der Beschreibung kann bei naturgeschichtlichen Gegenstanden leicht
die erzählende Darstellung gewählt werden, bei der sich die Kinder
selbsttätig' verhalten. Statt der hochdeutschen Bezeichnung der
Dinge ist antangs die mundartliche /.u/.ulasscn. /.. H. nicht der Hahn,
sondern der Gicker oder Gockeler, und erst nach und nach die
hochdeutsche einzuführen. So nur kommt Heimatgefuhl in die
Sache, sonst aber mutet sie das Kind fremd und kalt an. Das
Schwierigste auf der Unterstufe, die Erlernung der 24 Buchstaben
im Lese- und Schreibunterricht und hier wieder in S .Alphabeten
könnte erleichtert werden durch Ausgehen von den an iiausschildern
uns entgegentretenden Grossbuchstaben im Lesen, durch einfache
Darstellung nach Elementen, Übergang zur Lateinschrift und Ab-
schaffung der Kurrentschrift. Sodann muss die natürliche Ver-
bindung von Sprechen und Schreiben durch Aussprache und Zer-
legungsübungen dem Kinde recht greifbar gemacht werden, damit
durch Spiel und Beschäftigung die weltfremden Dinger beim Kinde
heimisch werden.^)
Bei der Behandlung eines Gedichts oder eines belletrisüschen
Lesest iirk-^ ist immer an heimatliche Gegenstände oder Vorfalle
anzukn i] fcn Schwabs „Gewitter" lä^t sich mit Vorteil behandeln,
wenn la^s j.nvor ein Gewitter die Aufmerksamkeit der Kinder auf
sich gezogen hatte, oder wenn ae sich auf den kommenden
Feiertag oder Sonntag freuen. Werden Vorkommnisse im Orte
oder Erinnerungen der Schüler angerufen, so bringen die Kinder
*) S. des Vciiaiaen Nene Schulkuust, Bd. II, S. 62. (Dresden, BIcyl & Kaemmcrcr.)
PldkfOffMlu BtadtaD. XXUL S. 27
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bald so viel Stofi" herbei, dass dem Lehrer die Wahl schwer wird,
was und wie er alles austuhrlich darlegen lassen will. Dann sind
aber die Kinder ganz anders beim Unterricht, sie müssen nicht fort-
während mit Fragen gezwackt werden, als wenn der Gesichtskreis
auf einen kleinen Ausschnitt des vorliegenden Buches eingeschränkt
bleibt.
,1"- rr-^r sich dor dunkl<-n (it fühli- Gewalt,
Die >ni Hmi ii wunderbar schliefen."
Die Handlung des Lesestücks und seine Gegenstände werden
unwillkürlich in die Heimat verlegt. Ks ist ruieh i^Mr kein Fehler,
wenn bei Lesestücken, die etwas fremdartig anmuten, eine kleine
Umdichtung vorgenommen wird, oft reicht eine Abänderung der
Namen der auftretenden Personen oder die Einfügung kleiner Nebcn-
umslände vollständig da/.u aus. In dem Lesestürk „Der kleine
I'riedensbote" komnAt ein ("lerber vor. Dieses Handwerk ist nicht
überall vertreten, man wird daher gut tun, einen andern Handwerks-
mann, etwa einen Schmied, dafiir einzusetzen. So sind noch ver*
schiedene Ausdrücke darin: „hob der Bäcker das Kind aus der
Taufe" — stand zu Gevatter: .,an .Martini und am heiligen Abend"
— am Christtapf: der gute .Märte ist nicht überall f^ehräuchli' b n f.
Es wäre Sache der Lesebuch Verfasser, die Lesebuchstückc der
Heimat anzupassen, also nicht kurzweg norddeuteche Lesestücke in
süddeutsche Lesebücher einzustellen. Das Lesebuch sollte eben ein
heimatliches „Geschichtenhuch" sein.
Um der Phantasie im sprachlichen Ausdruck und in der Dar-
stellung noch mehr Raum zu lassen, dürfen die Schüler die Lese-
Stücke in ihre Sprache übersetzen, dieselben in Gespräche auflösen
und auf diese Weise dramatisieren. Ein weiterer Schritt ist das
Antwortlesen. Der Lehrer stellt eine Frage, der Schüler sucht die
Antwort mit einem Satz ries Lesestücks /.u gehen. Oder der I^ehrer
lässt einen Satz lesen und fragt dann die Schüler, was sie sich aus
der Heimat hinzugedacht oder wo sie die Sache hingedacht haben.
Leicht lasst sich die Sache in anderer Fassung in einem Aufsatz
wiedergeben. Es kann irgend eine Person des Stücks, selbst ein
Tier seine ..Geschichte" erzählen. Rewei^ sich die Erzählung in
Rede und Gegenrede, -^o treten die Gegensätze mehr hervor.
.\lle geistige iätigkcit bewegt sich in zweierlei Bevvusstseins-
formea*) Die eine ist die Scheidung oder Auseinanderlegung
(Entfaltung) der Inhalte, Gedanken, Worte, die andere die Ver- ^
knüpfiinij. Vrrtauschung oder l'rnsetzunc^ derselb'*'i \''on der Auf-
lösung der Gedankeneinheiten in ihre Bestandteile haben wir schon
geredet. Die Verknuiitung des Gelesenen wurde ins .^uge gcfasst
bei der Wachrufung heimatlicher Vorstellungen, die ^di mit den
1) S. dci> Vfrfassers Neue Schulkunst. M. J. Die Lehrkuitst. (Dresden, Hlcyi und
Kacmmcrer.)
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im Lesestück enthaltenen mehr oder weniger decken oder wenigstens
dieselben herbeiziehen. Z. B. können poetische Bilder und Aus»
drücke ?.n der heiiiiallichen Xatur und dem Mcnsclienleben ihre
Erklärung finden („Das Geheimnis des Waldes'", ,,der Teppich der
Wiese", „der Schleier der Abenddämmerung", „der Mai des Lebens",
„das prächtige I^ubdach schattiger Buchen", „ins Handwerk pfuschen",
ndetne Uhr ist abgelaufen" u. s. f. oder Sprichwörter: „StiHc Wasser
gründen tief; „wie die Aussaat, so die Ernte"; „Wetzen hält nicht
auf im Mähen, Sitzen hält nicht auf im Gehen"; ,.wcim ihr langsam
geht, seid ihr in einer Stunde am Ziel, wenn ihr schnell gehet, so
braucht ihr zwei Stunden"; „wer den Acker ptlcgt, den ptlcgt der
Acker"; „steter Tropfen höhlt den Stein": „wie man in den Wald
ruft, so hallt es wieder" (Köhler).^)
F s kann aber noch weiterhin das Lesestück insgesamt in die
Mundart übertragen und so erzählt werden, wie die Kinder
ausserhalb der Schule miteinander reden. Damit erhält dann nicht
bloss die Sprache, sondern auch das Denken und die ganze Sache
einen neuen Anstrich, ein heimatliches Kolorit, das ungemein an-
ziehend wirkt. Hier muss dann das Kind aus der Gcsatntvorstcllung
der Sache heraus reden, muss mit Hilfe der Phantasie die Ausdrücke
und Fortgänge suchen und kann nicht die Scheidungsfunktion des
Gedächtnisses in Anwendung bringen, je reiner der Dialekt ist
und um so weiter er von der Schriftsprache abweicht, um so
sch\vierif::;er gestaltet sich der Vorgang; um so leichter aber, je mehr
sich di * rm^.uiL^ssprache dem Schriftdeutschen annähert, wie z. B.
in den oladten. lierthold Otto redet in seinem „Hauslehrer"
eine „Sprechsprache", die sich den verschiedenen Lebensaltem
(„Altersmundarten") anzuschmiegen sucht Aber das Berlinische
ist auch in der Kindersprache nicht viberall daheim. Deshalb kann
eine Sprechsprache nicht all'^^ernein^ültis^ aufgestellt, nicht ge-
schrieben, sondern nur eben von den Kindern gesprochen werden.
Sie dient dann dazu, den Unterschied zwischen der gewohnten
kindlichen Denk- und Sprechweise erkennen zu lassen und durch
FcststclluHE^ der Unterschiede das Interesse für spracliliche Formen,
die konkrete Vorstellung derselben hcrbcizulühren. Die Abweichungen
des Sprechdeutsch vom Schreibdeutscii sind dann Gegenstand des
grammatischen Unterrichts. Die mundartlichen Abweichungen in
der GeschlechtsbezeichnutiL,^ der Wörter (der Butter, der Bank usw.),
in der Mehrzahlbildunt; Ilenuler, Retter, .Steiner usw.), in abweichen-
der Zeitwortbildun;^' er hat gedenkt usw.) müssen aufgegriffen und
besonders geübt werden. Umgekehrt kann vom Dialekt aus
manche hochdeutsche Sprachform erläutert und &sdicher gemacht
werden. Die Wortlehre kann sich in den Hauptwörtern an die
') fibcnso sjiricl.wortlichc K f!r ii-;irtcu, wie z. B. : „Er schimpfl , wii i-in Kohr-
spatz, zittert wie Ivspcnlaub, ist grob wie lk>hocnstrob, ist »chlank wie eine Taonc' usw.
27*
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Flurnamen, in den Eigenschaftswörtern an die Hauser, in den
Tätigkeitswörtern an die Verrichtungen der Handwerker anschliessen.
Die Wortableitung kann an die Familiennamen, an Fremdwörter,
an Tiernamen (wie z. B. Maulwurfs, v. a. Moltwurf, En^j^crlinj s. v. a.
IUI Anger wohnend, Eichhorn s. v. a Eichläutcr) und i ilan/.cimu.men
anknüpfen.
Schon in den dreissiger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde
in Schwaben der Versuch gemacht, den Sprachunterricht an den
Dialekt anzuschliessen.') In treflflichcr Weise hat Rudolf Hilde-
brand in seiner Schrift „Vom deutschen Sprachunterricht in der
Schule usw." ausgeführt, wie das Hochdeutsch im Anschluss an die
Volkssprache oder Haussprache gelehrt werden sollte (S. 66 IT.).
Dieselbe Forderung ist von H. Burgwardt, Diesterweg, R. von
Raumer, Schneller, Weiland u. a, aufgestellt worden. Der neue
WÜrttembor^Msche Laiidcslchrplan hat sich diese Forderung auch zu
eigen |:^cmacht und es steht nichts im Wege, derselben nunmehr
nachzukommen.
Die neuerliche Reform des Aufsatzunterrichts verlangt
gleichfalls, dass die Themen dem Lebenskreis des Kindes ent-
nommen und Berichte über seine Erfahrungen ^nd. Damach ist
das Thema nicht in allgemeiner Fassung, sondern in bestimmter,
Gedanken und Erinnerunj^en weckender Form zu stellen, z. B. nicht
„Der Hund", sondern „Der Mops des Apothekers", nicht „Die
Feuersbrunst", sondern „Der Brand am 20. F'ebruar d. }.", nicht
„Die Saugpumpe", sondern „Unsere Güllenpumpe" oder „Der Schul-
brunnen" oder „Warum unser Brunnen letzthin kein Wasser mehr
gab". Mit Vorteil läs^;t sich au Mi Icr Brief als Benachrichti^ing
verwenden. In die Auf^ät/e kunuen leicht eigene Erlebnisse ein-
gestellt werden, wenn z. Ii. der Schüler schon Reisen machen
durfte. Die Sprach- und Au&atzfehler sind am leichtesten zu ver-
bessern , wenn man die mündliche Ausdrucksweise danebertstellt
oder bei forüaufender Abweichung, wie z. B. beim Gebrauch des
Perfekts statt des Imperfekts in der KrzähliinL^, dies als Regel zum
Bewusstsein bringt und dazu das Schriiidcutsch m Gegensatz stellt
Auch Betonungsfehler im Lesen werden bemerkt, wenn man das
Sätzchen in der Sprechsprache sagen lässt.
Das Heimatliche findet somit im gesamten Sprachunterricht
euie fortwährende Verwertung. Auch in diesem Formfach muss
der Mensch aus eigenen Wurzeln wachsen und der Lehrer sirh stets
bewusst bleiben, dass es keine Form ohne Inhalt gibt. Wenn der
Inhalt gedacht und klar vorgestellt wird — und solches ist eben
nur bei Bekanntem, Erlebtem, Heimatlichem der Fall — dann
') G< virr Die deatsebe Dcklimdion mit Rllckaidit «if den Klmibiidieii Didekt.
Rcotiingen 1835.
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ergibt sich die richtige Form voa selbst „Ks ist der Geist, der
sich den Körper baut," der Inhalt, der die Form erschafit.
Die Heimatidee muss weiter ihre Anwendung finden im
Rcchcnuntcrricht. Das ist veHanojt , wenn man anstelle des
formalen Rechnens mit abstrakten Zahlen oder mit blossen Mass-
bezeichnungcn, mit stellvertretenden Zeichen wie Kugeln, Ringlein,
Stäbchen, Fingern usw. die Dinge selbst setzt, wie sie in der
Heimat dem Schüler begegnen, abo zum „Sachrcchncn" greift.*)
Er rechnet dann mit den Hasen im Stall, den Hühnern im Hof,
deren Hicrn, den Fenstern am Haus, den Füssen der Tiere u. s. f.
Diese Diiii^c sind greifbarer Natur, ihre Vorstellung ist konkret,
dem Schüler geläufig, mit Gefühlswerten versetzt und die nötige
Rechenoperation leuchtet im einzelnen Fall ohne weiteres ein. Was
die Kinder vor und neben der Schule lernten, findet damit seine
natürliche Fortsetzünj^. Schliesst man sich dem Interesse des
Schülers an, so bringt er von sich aus das nötige Material für die
Au%aben herbei, stellt sich selbst Aufgaben und übt sich im
Rechnen. Er muss daran i^rwöhnt werden, zu jeder Zahl immer
einen bekannten t lef^fcnstaml hinzuzudenken, so dass er nie bloss
aus dem Zahlen- und V\\)rt;.:fedärhtnis rechnet, sondern immer aus
der Mengcnvorsteliung heraus, d. h. die rechnerische Operation an
den vorgestellten Dingen wirklich vollzieht Für gewisse Zahl*
Vorstellungen lassen sich typische Heispiele einführen: für die Vier
der Wagen mit seinen vier Rädein, für die Fünf die Hand, für die
Sechs das Fenster mit sechs Seht ilien, für die Sieben die Wochen-
tage u. s. f. Auf der .Mittelstufe wird das Zahlensystem mit der
Vorstellung' der Münzen-, Mass- und Gewichtseinteilung innig ver-
schmolzen; das Einmaleins wird auf das Reihenzählen mit je 2,
3, 4 usw. vcreini_,'len Kinern begründet. Die Darstellung des Ge-
dachten durch Fin«;er, durch Kugeln, durch systematische Zeich*
nungen geht stets nebenher.
Auf der Oberstufe beginnt das Rechenbuchiein seine
Herrschaft zu fuhren. Die Kinder sind es aber gewohnt, nur Be-
kanntes und dieses in leicht vorstellbaren Verhältnissen zu be-
rechnen. Die Huchaiir^aben sind ihnen inhahlieli frenui, unverständ-
lich und meist zu allgemeiner Art. Daher übers|)rinL;en sie die
Sachverhältnisse und stürzen sich ohne weiteres auf die Zahlen-
operation, den Nachbar höchstens noch fragend: Muss man Zu«
sammenzllhlen oder Abziehen, Multiplizieren oder Dividierend je
nachdem fjcrade eine Rechenoperation an der Reihe ist. Wenn
man nun neben dem Rechenbuch den Kindern .Aufp^aben diktiert,
die aus dem übrigen Unterricht, aus den Vorgängen auf dem Markt,
>) S. . D.i Snchrechncn nach seiner geschichtUcbe» Ktitwicfchu^, seiner ptycho-
lo^ischen Bekundung und srintr methodischen GestaJtaoj^*, bearbeitet von den Lehrern
Weit, Kai&, Ileiningcr und Zluhan. 1904.
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den Berichten der Zeitung, dem letzten Lemgang u. dgl. entnommea
sind, werden sie gewöhnt, denkend und selbständig zu rechnen.
Aber dies '^eiuii^rt nicht. Man muss auch noch die Aufj^abcn des
Rechenbuctis in die heimischen Verhältnisse und Vorkam: naisse
übersetzen lassen» also statt „ein Bauer", „ein Arbeiter" oder „A",
„B" u- dgl. einsetzen: ,,Der Bauer Pfleiderer", ,J>cr Arbeiter Friedrich
in der StaiiclscliCii I-"abrik" u. ^. f. Mnn muss weiter statt der im
Buch genannten. Preise die im Ort \orkoinmcnden und dnher be-
kannten Preise einsetzen, sie die Aufgaben in den Einzelbestimmungen
abändern und die Frage selber steQen lassen. Dadurch kommen
die Kinder in die Rechensachc hinein, sie gewinnen Liebe zu dieser
Tätigkeit, Interesse dafür, so dass sie von selber rechnen und sich
Aufgaben stellen. Durch Einschicbung heimatlicher Aufgaben in
den Unterrichtsgang wird der Rechenstoff so erweitert, da.ss dafür
eine ganze Anzahl der RechenbÜchletnaufgabcn , die unbekannte
oder fernliegende Aufgaben in Betracht ziehen, kurzerhand ge-
strichen oder der freiwilligen Übung zugewiesen werden können.
Die Raumlehre mit ihren Berechnungen muss unbedingt an
die heimatlichen f }en;enstände anrii^eschlossen werden. Die Schüler
müssen an den Acker geführt, derselbe muss mit dem Ouadrat-
meter gemessen werden; sie müssen über die Ausmessung ihre
Vermutungen anstellen, den einfachsten und kürzesten Weg finden
und so die Regel oder das Verfahren ableiten.') Die geometrischen
Figuren müs'^en an Gecifenständen aufgesucht , treme<;'^en und be-
rechnet werden. Man rechnet und berechnet ti inn incht ' jedanken-
dinge, sondern wirkliche Gegenstände, die in der Heimat /u tmden
sind.^
Der Zeichenunterricht ist in seiner neuerlichen Wendung
zur Natur- und Volkskunst ganz an die Heimat gewiesen. Schon
im lieiniatücju n elementaren N'aturgeschichts-, Erdkunde- und Ge-
schichlsunterri ht werden die behandelten Gegenstände „gemalt",
so gut es die Kinder eben fertig bringen. Es ist das eine Fort-
setzung des schon vor der Schulzeit begonnenen kindlichen Zeichnens
und Kritzeins, als ein Ersatz des Schreibens, zeichnerischer Aus-
drucksversuche. Sodann wird der I, ehrer seinen Unterricht in den
Sachfachcrn durch Skizzen, Rildrhen und schcrnatische Darstellungen
an der Wandtalel unterstützen, die sodann wieder Anlass geben zu
Nachzeichnungen von sdten der Schüler. Für den eigentlichen
Zeichenunterricht muss der Lehrer unter Beihilfe der Schüler die
zu zeichnenden einfachen Gebrauchsgegenstände; Briefumschlag.
Mappe, Lineal. Damenbrett, Taschentuch, Sternformen, Papierhclm,
Drache, Rad, Schützenscheibe, Fächer, Schild, Palette, Bogen und
' i Vgl. Kinc I..chrprobc in d*r Oberklavsc: Das Fcldmc-sscn und H< mvrkunRci> ru
der l..ehrprobc Uber daii Fcldmcsscn in „Der Schulfreund" No. l und No. ii, 189$.
«) S. Kohler ». a. O. S. 67- 71.
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Pfeil, Wappenschild» Hufeisenmagnet u. s. f. anfertigen und sammein
lassen, ebenso die V^ogelfedern , Blattformen, Blütenformen,
Schmetterlinge, Früchte, Srhnccken nnrl Muschchi u. s. f. in eine
heimatliche Materialiensainnilung aufnehmen und sie in eine be-
stimmte Stufenfolge bringen. Aus dem Gebiet der Kunst stehen
an Greräten, an Häusern, Kirchen, Denkmälern zahlreiche Vorbilder
zu Gebot, wenn man sich nur die Mühe geben will, dieselben auf-
zusuchen. Manches, das nicht i^ezelclinet wird, dient der kunst-
sinnigen Betrachtung, so z. B. die Bilder der Schule, Baustile, Ver-
zierungen an i^läusern, Kirchen, landschaftliche Schönheiten.
Im Singen ist ein Anschluss an die Heimat gleichfalls von
grossem Wert, denn es wird dadurch die Singlust und das Gefühl
fiir angemessenen Ausdruck innerer Regungen befördert. Die
Spiellieder dürfen in der Schule weitergepflegt und die Volkslieder
müssen ihren Eingang finden. Was die Schüler nicht gern singen,
das behalten sie nicht Was nicht leicht erlernbar ist und was sie
nicht ausser der Schule zu hören bekommen, das hat Hir sie kein
Interesse. Es ist deshalb von Vorteil, wenn übliche Volkslieder,
Melodie samt Text, in den f.ieden;rhat/ der Schule aufgenommen
werden, wie ja auch der kirchliche üemcindcgesang in der Schule
seine Pflege erhält.
Endlich sollte audi der Religionsunterricht die Tatsachen
und Erlebnisse der Heimat in Betracht ziehen. Da sind z. B. die
Grabsteine des iMiedhofs, die ("icdächtnistafeln und Denkmäler der
Kirche, Glasmalereien, Hausinschriften . Wandsj)rüche , lOdesfälle
unter den Kindern oder in der Gemeinde, welche zu religiösen Be-
trachtungen anregen. Die Gedenkfeiern, kirchliche Feste, auch
nationale Feiern bringen den Kindern das religiöse Gemeinschafts-
gefühl nalie. Die f ilückwünsche zum neuen Jahr, die Konfirmation.
Hochzeiten, die Leichenfeiern, Schulentlassung lassen sich immer
mit der Religion in Verbindung bringen. Lbenso in der Nähe
vorgekommene Verbrechen oder hochherzige Taten, Feuer- oder
Wassersgefahr, Verleurndung und Lügen, schändliche Taten führen
zur etliis h t 'ÜL^ioscn IJberlegunf^. Die Mrzählun^cn der biblischen
Geschichte werden in der V^orsteüung der Kinder nicht bloss von
selbst an eine Stätte der Heimat verlegt, sie haben auch in iieimat-
liehen Vorkommnissen ihre Analogie. Eine Nilüberschwemmung,
eine Weide für umherziehende Wirten, eine Zie;:,^elei mit fremd-
ländischen .Arl)eitern. eine ummauerte Stadt, durchziehende Manöver-
trui)j)en. Höhlen als Schlupfwinkel u. dgl. finden sich schliesslich
überall und lassen eine Ani<nupfung des fernliegenden Stoffes zu.
Manches jedoch, wie Märkte, Stadttore, Lilien des Feldes, Vögel
unter dem Himmel, Sperlinge auf dem Dache, Schafe der Hcnie,
Rebe am Weinstock. Sausen des Windes, l'nkraut unter dem
Weizen, ein säender Landmann. Ahrensammler u. d;,^!. ist hier wie
dort daheim. Endlich lässt sich die Vorerzahlung oder Entwicklung
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des Inhalts so gestalten, dass der Schüler sich in heimatlichen
Vorstellungen bewegt, das die fremden Geschichten lokalisiert und
dass die Gefuhlsweise , der sprachliche Ausdruck und die Vor-
stellungsweise dem Kindes^eist angepasst werden.')
Man kann nun wohl sagen, jeder rechte und gute. Unterricht
werde dadurch den £rweis seiner Angemessenheit und Frucht-
barkeit erbringen , dass er die Schüler zum freudigen Mittun , zur
eifrigen Selbsttätigkeit und zu persönlichem VVciterwirken ver-
anlasst. Das kann aber nur dann erwartet werden, wenn der
Unterricht mit dem Vorstellungsmaterial arbeitet, das die Kinder
mit zur Schule bringen, wenn er dasselbe konsequent und anschau-
lich vermehrt und weiterbildet, also Erfahrung und Umgang des
Kindes ert^änzt und erweitert (Herbart), und wenn er auf (Tfund
dieses kindlichen Geistesbesitzes die weiteren Einsichten, Erkennt-
nisse, Begritie, Fertigkeiten und VVillensregungcn ausgestaltet Ein
richtiger Unterricht ist mithin in allen Fächern ein heimatkundlicher
Unterricht. In den unteren Schuljahren wird das heimatliche Vor-
stellungsmaterial gewonnen, ergänzt, berichtigt und verbessert, in
den oberen Schuljahren wird es angewendet und von einem höheren
Standpunkt aus betrachtet. Kui solcher Unten icht ist dem Kindes-
geist angemessen, schliesst sich seiner geistigen Entwicklung an,
berücksichtigt die Individualität des Kindes, sein erworbenes
Muttergut, seine I.cistungskraft. führt zur Selbsttätigkeit, zum Inter-
esse. Bei einem solchen Unterricht kommt dir Figenkraft des
Kindes, seine Abhängigkeit von der umgebenden Natur, von der
Gesellschaft, dem Vollratum und der Kidtur zu ihrem Recht und
die Erziehung erhält damit ihre Richtung auf das Soziale, auf die
bürgerliche Gemeinschaft, die Konfession und die Xation. Der
heimatkundliche Unterricht wird somit allen echt pädagogischen
Anforderungen gerecht Er folgt der Weisung; „Bleibe im Lande
und nähre dich redlich I'^
V.
Erfordernisse der Vor- und Fortbildung des Lehrers fiir den
kelMatkflsdnohMi Unterrfelit
Wir müssen noch überlegen: Wie muss der Lehrer selbst in
der Heimat zu Hause sein, sie zum Gegenstand eifrigen Forschens
und liebevollen Umgangs machen, wenn er ihren did^tischen Wert
') ^'k'- »^r^ählcn wir dcD Kindern die l>ihlis(!!. n nt-vcliii !ii< ii ' \oii Zur-
hcllcn, Titbinjjeu lyoo, und Scharre I mann, „Hcrzliaücr Lnltriiclil ' und „Der
Wcp zur Kraft'", Weiter fahren die von Fritr. Lienhard in „Neue Ideale" {Crtorg
H. Meyer, Leipr.ifr '^i'^'' <1t m At srhaiU „Cbristentom «nd Dcutscbtmn'* gefiasscitea
Gedanken Uber den Religionsuntcrrtcbt.
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— 425 —
erkennen und das vorhandene reiche Material voll ausnützen und
die Schuler nicht nur zur Heimatkunde, sondern zur Heimatfiebe
und zum Heimatwirk« II führen will?
Die beste Pädai^rr^ik erwirbt sich der Lehrer durch l'ntcr-
suchunpf und denkende Betrachtung setner eit^enen f^eistii^en I*!nt-
wickiung. Das eigene Erlebnis bedarf keiner weiteren Begründung,
um unser pädagogisches Handeln zu beeinflussen. Es können
jedoch diese Erfahrungen sowohl' gute als schlechte gewesen sein,
beidemal ist etwas daraus zu lernen , wenn der ernstliche Wille
vorhanden ist, den besten Wei; der I. in Wirkung auf die anvertrauten
Unmündigen zu finden. Man erinnere sich nur. welcher Unterricht
am meisten und nachhaltigsten zum Lernen anregte, wdch«i Lehrer
man am liebsten hatte, wie man sich bleibende Einsichten ver-
schaffte, wo man am liebsten mit seinen Gedanken verweilte u. s. f.
und man wird finden, was für die heutige Jugend am meisten An-
ziehungskraft hat, denn Kind bleibt Kind zu allen 2^iten. Die Ein-
fiihlung in dasselbe, die Zurückversetzung in die eigene Jugendzeit
sind die besten Grundlagen fiir die Erwerbung eines theoretisch
dnwandfreien Lehrverfahrens.')
Wir haben bereits darauf aufmerksam gemacht, dass man
neben einem lebendigen Umgang mit den Kindern durch Lesen
von solchen Jugeiulschriften . die im Anscliauungskreis der Kinder
sich halten, durch Lektüre von Biographien, durch gute poetische
Werke — Poeten und Kinder sind immer verwandt — durch volks-
tümliche Erzählungen u. dgl. sich die Fähigkeit erhält, bei Kindern
den rechten Ton zu treffen und die Phantasie beweglich zu erhalten.
Von grossem \'^orteil ist es , wenn man schon selbst einen
richtigen iieitnatkundlicheii Unterriehl genossen hat. Dann ist man
durch das Beispiel belehrt und weiss die V urteile besser ab-
zuschätzen. Man hat sein eigenes Wissen und Können auf den
richtigen Boden gestellt, seine geistigen Fähigkeiten aufs beste aus-
gebildet, ein seihsterworhencs Wissen m vergeben, und hat eben
eine persönliche Bildung erlangt. Ein guter heimatkundlicher
Unterricht hat „die Verheissung ' nicht bloss für das erste, sondern
fiir das folgende Geschlecht, faUs er Schülern zuteil wird, die später
Lehrer werden.
Noch grtisscr ist der Vorteil, wenn das Seminar sich der
Vorherritung des Lehrers in heimatkundlicher Hinsicht annimmt.
Wiederum in erster Linie so, dass die Seminarlehrcr aus dem
Eigenen, aus dem Vollen schöpfen, dass sie ihre Fächer selbständig
' anbauen, heimatkundlich unterbauen und nicht bloss Bücher durch'
machen. Wenn man sich mehr bewusst wird, dass nicht bloss das
«) Finp HftrnrhtTinp d-r nächsten Umgebung, wie «ie in „Waiden** vonThore«a
begegnet, ist glcichfallb dienlich.
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— 426 —
Gedächtnis, sondern ebenso die Phantasie der Ausbildung bedarf,
so müsste auch in den Seminarjahren dieser Rechnung getmr^en
werden, trotz der Gefahr, Hass dieselbe erst üppipfe Hliiten treiben
könnte. So dürfte es iin Aufsatz den Seminaristen woiii freigestellt
sein,^) eine konkrete AufTa^ung des Stoffes, eine etwas romanhafte
Ausführung u. dgl. sich zu eigen zu machen, ohne deswegen sich
in der Zensur anzüglicher Zurechtweisungen auszusetzen.
F.benso planmässig und der Individualität den nötigen Spielraum
lassend soll die freie Rede oder der Vortra'^ bei den Seminaristen
entwickelt werden. Man sollte dazu angeleitet werden, aus der
Anschauung zu reden und nicht bloss zurechtgemachte Gedanken
zu wiederholen. Die freie Aussprache, nicht die gedachtnismässige
Wiederholung eingelernten Stoffes, sollte die Hauptsache sein. Alle
Fächer könnten hiebci in Betracht kommen. Die Themen und die
Anknüpfungen sowie die Ausführungen im einzelnen müssten sich
der Heimat möglichst eng anschliessen. Hossann führt folgende
Themen an: „Wenn z. B. der getreue Eckart behandelt würde,
könnte daran der Vortrag geknüpft werden: Der Eckart meines
Heimatdorfes — oder: an welches Vorkommnis aus meiner Jugend
erinnert mich diese Sache? Weiter: Wie ich mir den Zul; Barbarossas
über die .-Mpcn vorstelle r (Aufgebot der Ritter, Ruine der Heimat,
Abschied, Beschwerden.) Was man in meiner Heimat von der
grossen französischen Revolution (von Napoleon) erzahlt. Wie sich
die Kauern unseres Orts gegen ihren Gutsherrn auflehnten. Zeigte
sich der Löwe in der Menagerie noch als Wüstenkönig? Der
Stabreim in meiner Mundart. Falsches Geschlecht, abweichende
Wortbedeutung, bildliche Redensarten,*) Silbenkürzung in meiner
heimatlichen Mundart Ein merkwünli«; : Tag in meinem Leben.
Ein Wintertag aus meiner Jii;:jendzeit. Was mir der Kettenhund
er/ähltc. Wie irli mir den David vor dem höluiischen Goliath
vorstelle. Die Prärie und die grosse ungemähte W'icse im „Senk-
feld". Der Nutzen des Waldes für meinen Heimatort Selbst-
i^cspriich des James Maxwell am Ruder des brennenden Schiffes.
Hebel in der NVerkstättc meines Vaters (in Küche. Keller, Wohn-
stube . Wie meine Mutter physikalische (xesctze l)eachtct. ohne
sie /AI kennen. Der Gebirgsbach ein kleiner Rlieinstrom. Die
Dorfgemeinde ein kleiner Suat Schildere die Überraschung eines
Mannes» der vor 50 Jahren gestorben, heute wiederkehrte."
EXa weiteres gutes Aifittel wäre die Führung eines Beobachtungs-
heftes. Die ^minaristen des letzten Kurses hätten wodientlidi
zwei von ihnen gemachte Beobachtun«]fen vom Spa7.ier5::^ang, aus der
Ferienzeit oder aus der früheren Jugendzeit darein einzutragen und
*j Vgl, Hossann, Die Hi'imatsidt.«' usw.
*) Z. H. „Wfna's auf die GriisK ankäinc, »o mttsstr eiac Kuh einca Hasen
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— 42/ —
mit irgend welchem Unterrichtsfach in Verbindung^ zu bringen.
Solche Beobachtungsnotizen führt Hossann an.*)
Kill ähnliclics Mittel ist die Fülirurij:^ eines T a ;^ c l) u c h c s , -)
in welches man einschreibt, worüber man ^^^clcscn und was man
dazu gedacht liat Z. B. Heute habe ich Quo vadis von H. Sienkiwicz
zu Ende gelesen. Es enthalt eine unvei^leichliche Darstellung der
Kultur Roms /.ur Zeit Neros, den Hergang bei Christenverfol^^ungen
und das Lebensende des Apostels Petrus. Oder: Die Schrift
„(loethcs Lcbciisanschauung" von Li ', tb.eol. S. Lck zeigt die P-in-
wirivung Spinozas und nachher Kants auf Goethes Denken und
Dichten. „Er meint zwei Kapitalfehler, die ihn verfolgt und ge-
peinigt haben, entdeckt zu haben. Nie hat er das Handwerk einer
Saclie lernen mögen. Darum gelang oder misslang, wie es das
Glück oder der Zufall wollten, was er ant^riflT. Und nie mochte er
so viel 2^it auf eine Arbeit wenden, als sie wirklich erforderte:
die schrittweise .Ausführung der Gedanken und Kombinationen war
ihm unerträglich.'' Um die Kunst und Wissenschaft zu erfassen,
arbeitete er darin, indem er zeichnete, modellierte, malte, botanisierte.
„Beim Lesen des letzten Abschnittes der Schrift ..l.ntwicklung
des Kindes" von Oppenheim kam ich auf den Gedanken , einen
-\doptivkindervcrein ins Leben zu rufen, der i. vielen 1 lauen einen
Lebensberuf verschaffte, 2. die Mängel der Anstaltserziehung um-
&i"gc, 3. das Kinzellebcn und die untere Stufe der Gesellschaft
höher heben würde, 4. Nachfrage und Angebot in dieser Sache
regelte."
Damit würde der Lehrer sich beständig Stoff zu seinen Auf-
sätzen sammeln, im selbständigen, tatkräftigen, pädagogischen
Denken zunehmen und den Weg zur Originalität betreten. Auch
wäre Antrieb und Anleitunpf p^e'^cben, dass er noch nach der
Seminarzeit diese Hemühungcn um selbständige berufhche Fort-
bildung weitcrfülirte.
tndlich luüsstcn auch die .Ausfluge der Seminaristen in der
Weise geregelt werden, dass sie nicht bloss zu frischer Luft, Essen,
Trinken und Rauchen führten, sondern dass bestimmte Ziele ins
Au;^e gefasst würden, die mit dem geschichtlichen, ^coi^rnphischcn,
Zeiclien- odrf n.iturkuniilichen Unterricht in \'er!)indun-.; stünden.
Es mussten iicolKichtungeJi gesammelt und dann weiterhin verwertet
werden. Der junge Lehrer müsste angeleitet werden, sich auf
solche Lerngänge vorzubereiten und bei der Ausführung wirklich
auch Wahrnehmungen zu machen. Trot/dem nur ein bestinmitcs
Ziel vorschwebte, dürfte er niclit achtlos an Dingen \ orül;er;^eiien,
die sich für sein Studium oder seinen Unterricht besonders nützlich
erwiesen. Er müsste eben Auge und Ohr (ur solche Dinge oder
') Hll^^ann .S. 39. 40. 4I.
*) auch Über Lesen uml UilUunji vou A. l^. Schöub.icii, 7ifT,
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— 428 —
Interesse dafür bekommci r>eis engere Vaterland sollte ein Lehrer
seiner typischen (icstrilt und der sich darin findenden Besonderheiten
nach aus eigener Anschauun«:^ kennen.
Die Fo rt b i 1 d u n i,^ des I ehrers niüsste sodann an jedem
neuen Anstcllungsort wieder dalua gerichtet werden, dass er eben
diese örtlichkett nach allen Seiten erforschte und bald darin zu
Hause wäre. Was er aus Büchern lernen kann , das genügt für
seinen Unterricht nicht. Kann c auch nicht alles wissen, nicht auf
jede an ihn i^^erichlele l'rat;c eine zutreffende Antwort geben, so
muss er doch vieles und manches genau kennen. So weit er durch
den Seminaninterricht dafür nicht vorbereitet ist, muss er durch
fortgesetzte Arbeit wenigst ns auf einem Gebiet sein Interesse wach
erlialtcn. „Sei es Tjotanisches oder Geologisches oder Mineralogisches,
seien es Schnecken oder Heuschrecken, Gräser oder Moose. < rall-
äpfcl oder Pilze : Das Sammeln lehrt unterscheiden , beobachten,
sdien. Wer sammelt, geht nie achtlos durch das Land, allenthalben
fallt ihm etwas auL Und alles» was man gesammelt hat, sollte man
sofort verarbeiten, es bestimmen, darüber nachlesen, also nicht
einfach anhäufen und am Haufen Freude haben,"*)
Zu solcher Arheii steht eine Mcnj^c wissenschaftlicher Literatur
zur Verfügung. Auch bieten der deutsche Lehrerverein für Natur-
kunde und naturwissenschaftliche Zeitschriften ihre Unterstützung
im Bestimmen und im Nachweis geeigneter Schriften an. Sf^dann
sind die naturkundlichen Bezirksvereine für diese Aufgabe bestimmt
Dieselben bedürfen allerdings noch einer geeigneten Organisation in
der Hinsicht, dass die Teilnehmer sich in die versciiiedenen
Forschungsgebiete teilten und jede Gruppe dann über ihre Funde
und Arbeiten in Vorträgen berichtete. Wenn nur hin und wieder
ein Vortrag eingesetzt wird, der mit dem Studium der Mitglieder
in keiner Heztchung steht oder dasselbe gar ersetzen will, so kommt
nicht viel heraus.
£5 könnten sich auch benachbarte Kollegen zu heimatkund-
lichen Kränzchen zusammentun und die Erforschung der Heimat
nach allen Seiten systematisch betreiben, die Ei^ebnisse nach
Wssensgebieten zusammenstellen und dann ein lexikalisches und
ein nach OrtUchkeiten f^eordnetcs Gesamtverzeichnis anlegen, in
dem die Sammlungsgegenstände initi>czeichnet wären. Der
.•\nschluss an bereits bestehende naturwissenschaftliche, historische
oder sprachkundliche Vereine liegt für jeden Lehrer nahe, der
ein besonderes Interesse lÖr eines dieser Gebiete hat und zugleich
sich bewusst ist, dass er in seiner Heimat die Aufgabe der Kultur-
förderung in erster Linie mit angreifen muss.
>) H. Wegcliu, Über Kxkunioneo. Schweizerische pAdagogische Zeitschrift 1907.
Heft I, S. 38.
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— 429 —
So ausgerüstet wird es dem Lehrer nicht schwer fallen, an
Vortragsabenden in landwirtschaftlichen, Lese-, Altertums-, Arbeiter-,
Jünglings- und anderen Vereinen interessante Themen zu behandeln.
Eine neuestL- Einrichtung, Lehrer und Schüler mit der Heimat
in mannigfaltige Berührung zu bringen, sind auch die in Leipzig
von der Ortsgruppe vom „Deutschen Verein für Volkshygiene" er-
öffneten „Ferienwanderungen für Schulkinder.*' Die Kinder melden
sich freiwillig dazu, werden in Gruppen von höchstens 30 Köpfen
eingeteilt und dann einem ebenfalls sicli freiwillig dazu erbietenden
Lehrer zugewiesen. Dieselben bleiben während sämtlicher Wande-
rungen in einer Ferienperiode beisammen. „Die Anmeldung
geschieht durch FcMrmuIarfcarten , die kurz über Zweck und Ein-
richtunt; der Wanderungen orientieren und die bindende Unterschrift
des Waters oder Pflegers verlangen. I'ür jede rlirscr Wander«;ruppen,
bei deren Bildung nach Möglichkeit das Aller und vor allem das
Wohnviertel in Rucksicht gezogen wird, wird för die Dauer einer
Wanderperiode ein Führer bestellt, dem, abgesehen von einigen
nötij^en Bestimmungen, völlii,'c Freiheit L^elasscn ist." Ein
Lehrer, der sich dieser Sache mit Fieiss annimmt, wird nicht nur
an pädagogischen! Geschick im Umgang mit Kindern gewinnen,
tiefe Blicke tn ihr Inneres tun und Begeisterung för seinen Beruf
davontragen, sondern er wird auch die Natur und Umgebung selbst
immer genauer und vollsiändiijcr kennen lernen und die zur Ver-
fügung- gestelhe reichhaltige BibHothck zur weiteren Selbstbelehrung
fleissig benützen, da er jederzeit reichliclie Verwendung für seine
Kenntntsse findet
Wer also eine angestammte Liebe su seiner Heimat und ebenso
eine wirkliche Liebe zu den ihm anvertrauten Schülern, wer eine
nachhaltige Begeisterung für seinen Beruf sein eigen nennt, der
wird die Mühe nicht scheuen, die Heimat nach allen Seiten
zu erforschen und im Unterricht zu verwerten. Und „nur ein ver-
ständnisvoUer Beobachter und gründlicher Kenner seiner Heimat
wird die Augen der Kinder für die Eigentümlichkeiten, die Schön-
heiten der Heimat schärfen können und sie zu der Erkenntnis bringen,
dass die Heimat wohl das teuerste ist, was sie besitzen".
>) Näheres erfährt man durch Obmann W. Schubert, Lcipzig-G. , Elslx-thslr. 36.
S. auch dessen AufsaU über „Ferien wand eruugeu" im „Jahrbuch für Volks* tmd
Jugendspicie" 1907, B. G. Teabfker, Leipzig und in „Das Biidi ▼om Kinde" von Add«
Schreiber, 1906, cbemd«.
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— 430 —
B. Kleiiiere Beiträge und Mitteiluugen.
1.
Bericht Ober die 40. Jahresvertammlung des Vereins f&r
wlssenacliaftllclie Püiiagoglk in Magdeburg.
Von Fr. Franke.
Sehlns».
ö. In 8 f*li n/t zt^ u in ay rs Alihiuidlmii,' hIkt Dr. E. Webers „Ästhetik
als iiruud wihHeUrichaf t der Pädagog^ik" wird die iui Tilei des Weberscheu
BiteliM liegfende Bebaaptmiff mit dnein vidldcbt zu wortnicben Eifer« aber mit
Becht bekäuii'ft. Da<i:egien leheii beide die Ästhetik als eine ans der Psychologie
hervorgehende und dieser untortreordnete WisHcnschift an h-s;]. nnter 4\ und so
wird der Irrtum Wehprn doch nicht völlig klar Die Ästhetik bezieht sich zwar
eben&o wie die Ethik aut psychL^che Ilrscheinuugeu, aber die Psychologie erklärt
dieaelbeii anr, indem sie das Spfttere ans dem Drsprttngltchen, das Zornrnnen-
geeetate aus eingehen Gmndtatsaehen herleitet nnd dabei lediglich der Ver«
kuüpfung vou Ursache und Wirkung* uachgeht. In solchem Erklären, das Herbart
der theoreti-ächen Philosophie zuweist, besteht bei vielen, auch bei Wundt, dif
ganze Philosophie. Ästhetik und Ethik dagegen entstehen richtiger Weise
dadurch I dass der Mensch aas sich heraus an der Wirklichkeit- Kritik Abt und
Ideale aeichnet; sie sind normative Wissensehaften, fthnlich der Logik. Die
Psychologie als solche verhält sich gegen alle diese ÜHtersohiede, welche die
normative!» Wissoti^rhaftcii niaclion . indifferent, sie erklärt tins S'rhöne wie das
Hässliche, das Cthic wie das Schlechte, die Wahrheit uüd den Irrtum.
Weber kitte dnige SMae an den YorsitMi^eu gesandt vad in einem der«
selben gegen Schretaenmayrs an schroffe Qegeattberstdlnng von Ästhetik nnd
Ethik IT* Iten l :^eniucht, auch Herbart baue seine Ethik auf ästhetischen Nuruen
auf. Pas hat gegen Schretzemnayr eine gewisse Berech tiiTune. in Hinsicht auf
Uerbart aber trifft es die Sache nicht genau. Der Ausdruck „ästhetisch" bezieht
sich bei Weber darchans auf das SdiSne im gewfihnliiAmi Sinne , Herbart hin-
gegen fasst, nachdem die ethischen Ideen als die ^Normen" des Guten entwickelt
sind nnd auch die davon verschiedenen Monnen des Schttnen als gründen gedacht
werden, ht id«- (lobii t« Ionisch zusammen als Ästhetik im weiteren Sinn<*. weil
»ie darin stusummeutrtÜeu, dass über Verhältnisse unwillkürliche Urteile ergehen.
So kann mau zwar die Ethik als Ästhetik der WillensTerhältnisse erklären; aber
Herbart lehrt kanm etwas bestimmter, als dase die Normen des einen O^ietes
nicht aus denen des anderen abgeleitet werden dürfen.
Die figeutliche Absicht WrlMr> ist, zu zeigen, flass das pädagogische
Handeln nicht durch Wissenschaft bis in-i Einzelne zu beistiinmen sei, sondern
wie das Tiui des Künstlers aus lutniiiun hervorgehen müsse. Nicht das streng
wissenschaftliche Denken mache den Ptdagogen, „sondern das leiektbew^ilidie
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— 431 —
KttnstlergemUt, dM Yerinöirc ii. sii h dem mifstiebenden Neuen rasch hinzugeben,
m\i\ Kraft, es organisch mit «lem eigenen Ich zu verschmelzeTi und als neue»
Gebilde wieder erscheinen zu hülsen". Das ist seiupni Kerne nach tiitsäoblich
richtig. Aber dieses Richtige hat von selbst nicht die Spitze gegen die Wissen-
tehsf t, di« W«lier ihm ^bt, WenigsCeai die Fidegogik in HerlmTte Sinne bat
TOll Anfang an nicht gemeint, die Hendelo bis in die Einzelheiten des konlcreten
Falle« wissenschaftlich lit-4tiniinPTi zu kCnucu. Im Aui^cnhlickc des Ilandelns da»
zu treffen, was den vielen Anfordertin i-en ilic /.u ertullen sind, am besten ent-
spricht, ist nach Herbart Sache des Taku s vun tangere ^ treffen), und dieser
ihm ek dee „htebete Kleinod für die püdagogiaehe Knnet". (Man vergleiche
darftber die in den pädagogieeben Schriften mitgeteilten erat» beiden Vor-
lesungen Herbarts aus dem Jahre 1802.) Weber behauptet aber sogar, Ästhetik
sei „die Wissenschaft der pädagogischen Praxis''. Jc-tloch auch wenn man b^i
dem stehen bleibt, was in der Analogie zwischen dem Künstler uud dem Päda-
gogen wirklich treffend ist, wird die Ästhetik iiieht eine OnmdwineiMdieft der
P&dagogik. Denn dieielbe Analogie kehrt bei dem Handeln des Mediainers, des
Staatsmannes, des Strategen n. s. f. wieder, ohne dn.ss die Medizin usw. Grnsd«
Wissenschaften der Pädagogik wären. Die pHdairoirisch*» KuTi««t jrleidit in dir-^er
Hinsicht jeder anderen Kunst, uud e-i war lediglich ein aus der Zeitströmung
in eiUArender Miisgriff, ans der laugen Bähe die sehSne Emut heianszogreifen
nnd dafllr Ästhetik an sagen. Diese sellwt ist fikr den Fidagogen nötig in-
soweit, als er auch mit dem Schönen zu tun hat, aber sie istuieht in einen Rang
zn stellen mit der Ethik. Um es knr?: mit ITerhiirt zu sacrpn : die Imperative
der .\sLhetik lauten hypothetisch, die der Ethik lauten kategorisch. Wer dies
mit Bewosstsetu nnikehrt, kommt anf den Standpunkt des Ästhetentums , aber
auch der Pflege des Schfinen in der Ensiehnng als einer ernsten Sache soll man
nidit darch eine gewaltsame Erweitenmg der P&dugogik dienen wollen.
R. Thiilliofers .^U'jfnhnmiren über fesnelle Piidagogik im Anschlüsse
au den bekauuteu Kougrend in Mannheim laufen daianf liinan«. da'*:^ den einjielneu
Massnahmen der Belehrung nur ein durch besondere ^otstän<le bedingter Wert,
dem allgemMU«! Geiste der ersiehenden Massregeln die Hanptbedentnng sn-
kemae. Daiin stimmt er llbercin mit ntrster, aber anch wir Herbartiauer, meinte
ein Redner, hätten niemals andern stehen können; die Bestimmung des Willens
im entscheidenden Augenblicke i<f Siehe der Zucht, es laufen aber Fäden von
dem Unterricht her. Was Tbalnoiur über besondere Massnahmen der Zucht vor-
bringt, wurde dnreh Mitteilungen ans seiner sezadlen Pttdagogik bei den Philan-
thropen eigftnst Nach dem, was er dort verlangt, mllsste man sieh freilieh
fragen, wamm in katholischen Ländern die fraglichen Notstände Uberhaupt noch
vorhand-'n sein können. Die I>isku.<»8ion eriTitr ni- i.f vorüher. ohne dass wieder atif
die Nutwtjadigkeit einer Reinigung der Haua- nnd Scbnlbibel hingewicseu
worden wäre.
7. Hollenbachs Beitrüge snm Verständnisse der Schrift Kants
Uber Pädagogik haben die noch unsichere Terminologie nnd den Plan dieser
zuerst von Rink verfiffpntlichten Privatnotizen unseres Eraehtens wirklich klarer
gemacht. Willmann freilich, de^isen .Vnsr^^ahf» der Schrift Kants von Hollcnbacb
mit angegriffen worden war, hatte in einem Briefe an den Vorsitzenden den
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g-ftlogentliclien Charakter <li«:'S( r Kantischen Distinktiouen viel mehr betont and
allgemein behauptet. Kaut habt' meiir Noicrnnq- \nu\ FJhi ekelt ST'^babt. rer-
^hiedeues auocinauderzubaiten, aU ütu» Zu^auiuieugebüiige xu verbiudeu. Darum
xechnet er HollenbMlis Arbeit zn den ^ttongen'', die notwendij^ nussÜDg««
mÜBSten. Bektor Dr. Felsch, der sich mit Kmnt auch eingehend beschäftig:! htX
(vgl. f>eiiit; Sclirift: Da.« Verhältnis fler transzendentalen Freiheit bei Kant zttr
Möglichkeit moralischer Erziehung, 18^M-. sni^te, da.s Richtige habe schun
Strümpell in seiner Darstellung der Pädagogik Kants getroffen, nur habe ei e»
nieht wie HoUenbech im eiuseliieB naehgewieseii.
8. VSliringere Dftrstelliing der Pftdagogik Sebleierniftebers
und ihrer ethischen Prinzipien nimmt ihren Standpunkt ganz ianerbllb
dts (if ire?ittHiules und setzt sich weder mit der frflhereu Arbeit v. Rhodens noch
mit lierbarUi l'adagogik überhaupt auseinander. In der Besprechung stellt man
zunächst die ethischen Prinzipien der l'ädagogik voran. Die £thik Schleier-
mMbers ist eine kosmif ebe Sittenlebre (man TgL Rttgel, Die Ftoblme der
Pbiloeophie, im II. Hauptteil); de will die Darstellung eines kosmischen Bealoi
geben, die l^ndeii/tn des Absoluten, sofern fie sich im menschlichen Willen
offenbaren, autzei{>:eu. Eine Haudlnug wird alw> darnach gewertet, ob oder wie
nie in die jeweilig gegebene Entwicklung hineiupai^e. Dadurch wird diese Ethik
eine Gftteilebre, die fintwieUmig des Garnen eine EntwieUnng der „Otter*:
I'ainilie, Staat, Kirche, allgemeine Geselligkeit. Darin sind nun gewiss Worte
enthalten, aber es fehlt irnmor die einfentliche, letzte Begi-Ündnnir dies«« Wertes
Es ist schon eine L/Uikehrnnir des richtigen VerhRltnis.ses . -.venu Ptliclit und
Tugend in dem Begriff des Gutes mit enthalten sein sollen , aber auch diese sind
nodi nicbt die Orandbegrilfe der Ethik. So bleibt die geforderte Dnrebdringiing
4«r Natur mit der Vernunft im Grunde nur ein tbeoretischnr Voigauiir. Diese
Mängel der Ethik an sich treten noch deutlicher zutage, sobald der Versuch
gemacht wird, daraus eine Päüai^oLrik alizuieiten; es kommt zu keiner wirklichen
Herausstellung eines Zieles. Am meisten macht sich wie immer in solcher Be-
arbeitung der Btbik die Idee der VoUkmnmenheit und die daraus abgeleitete
Idee der Knltnrgesellschaft geltend, aber aach diese wird Tenebwommen dmcb
die Besiehnng aqf das Unendliche.
9. Tittmanns übersichtliche Mitteilungen au« den» T>rvhe von Louis
<iockler „La Pedagogie deHerbart" (Paris 190Ö) sind willkooimeu gewesen
4Üs Hinweis daratif, dass mau aneh bei mueren westliehen Nachbarn HofEnungen
«of eine „liebtere Zukunft** mit Herbart Terknttpft. Die Mitteilnngen aeigeB
aber auch, dass der Verf. in wesentlichen Punkten ganz anderer Meinung ist
als Herbart. Eine Ifanptqnelle dieser Abw^irlinüfron macht ein Satz sichtbar,
den Tittmann su wiedergibt: „Der krankhafte Wider.viüe Kants gegen den Endä-
mouismus habe Herbart derart ergriffen, dass er alle wesentlichen Elemente eines
moralisehen Aktes anrOekweise und sieh in der Bewertong lediglieh an ^
äusserlicbea Formen des abstrakten Willens halte." Dass auch in der blossen
Auffassung der F. ehren TT*'rharts Fehlgriffe vorkommen, ist angesiebt« dessen,
was die Literatur in Deutschland bis heute ;^eig-t,. kein Wunder, ja gerade die
weite literarische Umsicht des Verf. mag manchen Fehler verursacht habeu.
Dihin ist wohl an reehnen, dass er die theoietisdie Trennung der Beglerang
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Ton der Zucbt ao selur tadelt; ferner Ataa er Stoy den freien, Züler dagegen den
orthodoxen Anhänger Herbarts nennt. In Wirklichkeit hat Ziller Ht^rharta
Lehren in einem Masse fortgebildet, das« noch immer d^r Streit darüber nicht
entsciiieden üit, ob olle Fortbildungen dem Sinne lierbatU geuiü^ä waren, Stujr
dagegen blieb im weeentlieben bei Herbarte Lehre stehen, und ein Hanptteil
seiner Verdienste liegt auf organiiatofiscliem (it lMtte. Wenn d^ Verf. weiter
meint. Ilerbart habe drei Erziflnniirszwecke, nfimlich die IndividnalitSt. die Viel-
seitigkeit des Intwsfi*» und die Charakterstärke, so hat dabei neben dem Vor-
gange Jachmaujia wohl anch die Mehrdeutigkeit des Andruckes „i^riuziy " mit-
gewirkt; denn ^e Individnalittt ist jedenfalki ein Erstes, dn Anfangspunkt in
dem Sinne, dass der Erzieher sonftcbst sn das gebnnden ist, was er findet, wenn
sie amli durchans nicht ohne weiteres ein Finalzweck sein kann. Am anf-
fäjli;rst*u tand man die Be<«timnnin^-, das«» bei dem Unterricht, im Gec'ensatz zu
Segiernug und Zucht, „ein neue« ülenjeut — d&n Wort — hinmkumme." Das
erinnert nn Herbarts fiats in der Selbstanzeige der Allg. Pädagogik : „Das eharak-
teristisehe Merkmal des Unterrichta ist, daas hier Lehrar und Lahrliag femem-
schaftlich mit etwas Drittem beschäftigt sind; dahingegen Zucht und Regierung
unmittelbar den Ziiirlinir treffen^ (vgl. anch Allg. Päd., IIT. Buch, 5. Kap., Abs. 3).
Aber es milsste doch noch irgend ein neckischer Xoboid mitgewirkt haben, um
die obige Bcadmibong des üstenidts hmorndniogen. IHua Herbart der
Begründer der SoaialpSdagogik genannt wird, konnte dmeli irgend eine Ver-
teidigung HerbartH ir^^u die Vorwürfe der wirklichen Sozialpädagogen ver>
anla$<rtt sein. - Den N> uphilologen wurde die Schrift von Gockler als eine sehr
anregende Lektüre empfohlen, ebenso die von Tittmann am 6cbiusiie mitgenaunte
Sebrift von Mauden. Die Uteste nnd sngleich soTerlässigste franaOsiseha Sobiift
■ei wohl die von Ed. Boebrioh : Thforie de l'idiieatioD d*ainte les principes de
Herbart, Paris 188d.
Daran schliessen wir einige geschäftliche Mitteilungen. In den Vorstand
wurden nenirewRhlt Srhnlrat Dr. Schilling in Rochlitz. Rektor Dr. Felsch in
Magdeburg und f^erainardirektor Dr. Capesius in Ijermannstadt. Die Beschloss-
fassong aber die Satxongsauträge wurde auf das folgende Jahr venoheben, damit
man hinsichtlieh der nor alle awei Jahre an manstaltenden GeneralTenammlmig,
gegen die auch Bedi nken geltend gemacht worden nind , .sicherer das Richtige
treffen mui^c I ber den Inhalt des folgen lf r fahrhuelie« konnte der Vor-it/pnde
schon ziemlich ausführliche Mitteilungen machen; e» wurden noch einige Wiiuttcha
und Batschläge geäussert, anch >Mirde ausdrücklich darum gebeten, derartige
Wttnsdie und BatsebUge jedemit aueh brieflieh dem Vorsittenden mitmteilen,
überhaupt jede Art von bedentongayollen WalirnehinungOD an ihn oder an den
Schriftführer ^ehtni,'en zn la.<»«i<»n , damit .sie gegebenen Falles aneh dorch die
„Mitteilongen" allen Mitgliedern bekannt werden.
PSdafoilMlw StadieD. XXUL 6
28
— 434 —
IL
Die sozialen Utopien.
Vor ungeffthr 400 Jahren Hess der bertthmte englische Staatskanzler ThomM
Horns ein Bwh. ♦'!^fli»'in»Mi . wclchoii betitelt war: ^Von der iM 'jrpn Verfassang
des Staates und vou '1er neuen Insel Utopia." Ein weitgereister Mann mit
Namen Hjthlodens schildert seinen Freunden die idealen Ztistände der fenien
Insel. Das ist der Haiptinhalt dee Bnelies. Sohon d« Maine Bythledena, in
welchem das griechiadie Wort hythlo* - leere Rede, Geschwäts — enthalten
i«t «' heint andeuten zu sollen, iia?f man den Erzähler nicht völlig ernst nehmen
uiüge ; aber dabei lüsat Thomas Morus doch durchMicken . dass gttr manche« aas
der Erzählung des Weltreiseutleu äich wohl praktisch verwirklichen laiit»e.
Der Name Utopia ist an einem Wort geworden, mit welchem man eine
ganze Reihe fthnlieber literarischer Erscheinungen beseiebnet hat. Die Menaebmi
in dieser unvollkommenen Welt haben nidit nur in nn?eren Tagen, sondern schon
im grauesten Altertum, weit die geschichtliche Kunde reicht, das ernsthafteste
Bestreben gezeigt, ilber ihre sozialen Verhältnisse nachzudenken und sich einen
Znstand von allgemeinem Glflek nnd Wohlbefinden anmimalen oder davon m
trinmen. Wir haben nns gewöhnt, solche Gedankengänge kurzweg als Hirn-
{>^pspin=te. Phantastereien oder Utopien zu besreirhnen und halten damit die Sache
für abgetan. Indessen die Tatsachen lehren, da«s wir liie Utopien doch etwas
ernster aufzufassen haben. Wir brauclien nur. zu erinnern an Bellamys Schrift:
MBtIckUick ans dem Jahre SOOO^ oder an Hertskas nFreilaud", die beide in
knraester Zdt in sahlreidien Auflagen vom Publikum verschlangen wurden,
wenn wir behaupten wollen, dass die Lnst und Liebe an Utopien unausrottbar
auch in den Menschen unserer Zeit schlummert In der Tatsache , dr.ss immer
wieder hervorragende Köpfe sich gedrungen fühlen, Flaue einer unbedingt voU-
kommenen Staats- nnd GeeeUschaftaordnnng an entwerfen, welche allen MeascheB
hier anf Erden schon eine nngetrllbte Olttckseligkeit Terbfirgcm soll , liegt ein
Problem, welches unser Nachdenken herausfordert.
In den Utopien spricht sich die erf>«ise Sehn«sncht des Men«<chen nach Glück,
nach if'reiheit und Gerechtigkeit, nach Frieden und Ordnung aus. Welches B^ht
hat iHese Sehnsneht im allgemeinen? Welohea Bedit hat inabescmderB das SMMben,
de anf dem W^ na stiUen, den die Utopisten einsehlagenf Wie Terhilt deh
dazu die christliche oder eine philosophische Weltauffassnng? Wie ist das ver-
schiedene Verhalten gegenüber den utopistischen Ideen zu erklären? Das sind
Fragen allgemeiner Art, die sich uns bei der Betrachtung der Utopien aufdrängen.
Lange Zeit haben sich die ätaatswisaenscbaf ten nicht um die Gemälde einer
besseren Welt in den Utopien oder Staatsromenen gekümmert, bis der Gelehrte
Bobert von M(riil sieh eingehend mit diesen Geisteserzeugnissen befasste und ihre
tiefere Auffa.ssong vorbereitete. Seitdem haben die staatswi^K^enschaftlirhen .^'chrift-
steller die Bedeutung des Gegenstandes erkannt. In Beinem Werke über den
deutschen Föderalismus si>rieht Konstautin Frantz mit grosser Anerkennung von
Tersebiedenen Uu^iien.
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Ganas befeyuders gilt das von Professor Dr. Audreas Voigt, der diesen lito-
rariflchen Erscheinungen ein besonderes Bnch gewidmet hat (Die sozialen
Utopien, O^todienMlie Yerlagthaiidliuig in Leipiig). Dm Bocb besteht am
fünf Vaiixlgeu de» Veduten^ gehalten im freien dontichen Hoehstift m Frank*
Cnrt «.M.
Im crsti'ii Vortrag- werfIcTi «lic sozialen Utopien in psych'-'l'i'rischer und
ethischer Betracbtuug gewt;rtet alä Ideaigebilde einer stokAnftigeu Staats- und
Wirt«chaf tsordnnng , deren innerer Gehalt sich mit der fortschreitenden Kultur
vereddt Sie lehnen es meieteni nnadrllcklielk eb, die etwaige YeryoUhemmnnnf
Am menschlichen Odetee oder der Sede im leligiOsen nnd sittlichen Sinne rar
Vorauj'^etznni^ tn machen oder zn erstreben, um mit Hilfe der vollkommeneren
nnd besseren Meusjcbcn auch bessere staatliche und wirtschaftliche Zustünde zu
schauen. Den Einwand, den wohl alle Utopisten zu hüreu bükuuimen babeu, d.uis
lie den Himmel anf Erden nur «chaien könnten, wenn die Menaehen Engel
wären, pflegt ne mit Entschiedenheit zurückzuweisen. Der Mensch verändert
•ich ihrer Meinung nadl nnr mit den Verhältnissen, unter welchen er lebt.
Diese Anschauunir i?t nach Voigt für den wirklichen T'topisteu eine Not-
wendigkeit, denn er will nicht auf eine lerne, uiiabselihare Zukunft warten, in
der sich seine Ideeu möglicherweise verwirklichen, suudern er luüchie aiu liebsten
eofort mit der Umgestaltung des Staates nnd der Wirldidihelt heginneit Voigt
laacht femer auf die merkwttrdige Eritcheinnng aufmerksam , dass nicht die
energischen, aktiven, fniheitfliehenden Naturen es s^ind, welche als Utopisten
Zukunftsbilder voll Freiheit und Selbstherrlichkeil erdenken, und dass es nicht
die sanften, passiven, friedfertigen Naturen sind, welche Staatsideule entwerfen,
in denen der Friede, die Sicherheit nnd dss Wohlbetinden mit dem Opfer der
per»ünlichen Freüieit der Bliiger erkauft wttrde, yielmehr ist es gerade umgekehrt.
Der Freigesinntc träumt von einem Zwanfr>?taat, dessen Zwang, und der Ge-
druckte von einem Freiheitsstaat. dessen VVilikür er nicht empfindet, weil jeder
sich in seineu Gedanken au die .Spitze des erträumten Gemeinwesens stellt und
da besonders das erstrebt, was ihm in der hatlMi Wirklichiteit fehlt.
lui «weiten Vortrag wird hauptsäclilich die älteste Utopie besprochen, wenn
wir vom nenentdeekten morgenllbidiseben Schrifttum ahsehtti, nlbnlieh das Ideal
▼om Staate, welches sich der ::riechii!(che Philosoph Plato gebildet hatte. In
Piatos Staat sind die Weisen Ii' llerracher. die da?« Ptaatliche Leben beraten und
leiten. Um das« hesner zu können, leben sie ohne Ehv und Kii^cntnm. Die Mmm
des Volkes wird gezüchtet nach Gesetzen, wie sie etwa heul*i lur die Pferdezucht
massgebend sind. Das liat der alte Grieche sehr weitläufig anseinandergesetst
Im dritten Vortrag setzt Voigt auseinander, dass der sogenannte christliche
Sosialismns ein schiefer Begriff nnd die christliche Fttrsorge nnd Vorliehe fflr
die Armen keine Sozialpolitik ist. Er sagt : „Niemals hatte das sich selbst tren-
gebliebene ("liri^tentum die (l*'m ni oilcinen Au.>ie8eprinzip entgegengesetzte
Tendenz, die Schwachen zu erhalten und die Starken zu unterdrücken. Da.s lag
ganz ausserhalb seines Bereiche:;, denn es wollte überhaupt keine Politik treiben,
sondern nnr Seelsorge. Es wollte den Schwachen trfieten in seiner Schwachheit
nnd wollte den Starken demütigen in seiner Stärke mit dem Gedanken» dass
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Schwarhhpir w.vl Stinke im weltlichen Sinuc überhaupt nicht über den wahren
Wert des Menschen entdcheideu. £s ist nicht an sich dem Starken abhold und
mn Freund d«8 Sdimalittii, dum dM Starke kam inneiüch gross nnd da«
Schwache kann innerlich Terkommen sdn. Ebenso verwirft es nicht den Kampf
nms Dasein, denn der Kampf kamt edle Kotlve haben, während die Friedfertigkeit
vielleicht nu" niedriffstcr Gesinnung entsprausr Was das Chriateutum behauptet,
ist allein, das» der Ausgang des Kampfes niciit massgebend sei für den inneren
Wert eines Menschen, wie es die Anschaaujig des Altertums gewesen war. Es
kann also ein MoiBch im wirtschafUichen nnd gesellsehaftlichen Kampfe nms
Dasein unterliegen und doch in den Eigenschaften, nach welchen wir vor allem
den Menschen bewerten, hfiher strhcn als dir irlänzendste Sieger."
Zncfeirebeu, aber es trifft (lorh nirht il u Kern der Sache. Das christliche
Dogma vom Hcilsplan Gottes ist doch eine so grossartige Utopie, die von keiner
anderen erreicht wird. Sie als die allein seligmacheude Wahrheit anaonehmen,
wie die ortliodoxe Lehre will, lehnen wir ab, aber das Gedankttngebftade des
Dogmas verdient eine eingehendere Würdigung, als Voigt sie betätigt hat. Auch
dürfte dahoi <1>s Kirchenvaters AngostiniiB Schrift Uber den „Gottesataat" nicht
übergaiiiien v.ertlen.
Von dcü Staatsidf iileii, welche im christlichen Mittelalter ausgebildet wurden,
schildert Voigt besonders den „Somxenstaat" de« Dominikanennfinches Thomas
Kampanella. In ihm ttben die Geistlichen alle Regieningstütigkeit ans, denn
nur sie sind im VoUbesita aller Tüchtigkeit und Tugend. Die Beaiehnnff in
riato xiiifl An^rnstimiH Hesft auf der Hand. Wie sich diese Utopie im BpSteren
Kircheiista.it VLrwirkli( ht hat, lehrt die Geschichte,
l'tM- vierte Vortrag ist interessant dnrf^h seine eiugehemle Schilderung des
Jesuitenstaates Paraguay. Die Väter von der Uesellschaft Jesu hielten die
Ibudiaatt aar Arbeit an, nnterwiesen sie darin nnd hatten damit Erfolg, wenigstens
tiisaerlich. Aber weil sie das Volk in Unmündigkeit erhielten, war die Knitnr
nur ein dlhinfr Firnis; wenn die Leut« siidi selbst überlassen warnn. dann kam
die Unkultur in allen Formen nieder zum Vt-rrsf^hfin In unsem Schulen ist es
gerade so, wenn die Kinder in ihrem Tun nnd Lassen so viel gegängelt werdeiu
Die Jesuiten haben sieh in ihren Schriften von der besten Sdte geieigt, aber in
Sttdamerika haben sie die Probe auf das Ezempid schlecht bestanden.
Dass der grossen französischen Revolution auch sehr phantastische Utopien
vorausgingen und die I[andlun<;> weise der Bevolntiouäre beeinflussten , wird von
Voigt .sehr cinsrehend geschildei t.
Im fünften Vortrag werden die modernen Utopien mehr im allgemeinen are-
wttrdigL Die besseren Erscbeinougeu dieser Art unterscheiden sich von den
Utemi üto|d«ii durch ihr Bestreben, die seit der «weiten Htlfte des vorigen
Jahrhnnderts entwickelten Lebreu der NalionalSkonomie für den Anfban ihres
Idealstanto^ an verwenden nnd sich damit anf eine wissenschaftliche Omndlage
an stellen.
Man kann nicht leugnen , dass die neuere sossialii^tiüche Literatnr manchen
wissenschaftlich wertvollen Gedanken zutage gefördert hat. Doch ist damit der
Soidalinniia noch nicht wiaaenschaftlidier geworden als er vordem war, denn die
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Hauptfrage, ob nnd wie eine soaialiBtiBche Organiaation der Qeselbdiaft duch-
ftbrbar itt» wild niemals durch rein wissenscbaftliche Elrörteningen und T^utei^
gQchnngen 2:11 entacheiden sein. Oh jemand Sozialist oder Individualist, Kom-
mnuist oder Aoarcbist wird, hängt nach Voigts Ansicht nicht von seiner
wissenschaftlichen Bildung und Erkenntnis, sondern von seinem Temperament
und Yon adnem monUiaefaen nnd inteUektnelleii Cbaiakter ab. Die Entaebeidniig
fOr oder gegen ist Sache des Olaabens, nidit des Wissens.
In dieser Form dUrfte der Ausspruch wohl sehr anfechtbar sein, aber der
Verfnsper will sagen, dass nirht Frkcnntnisgründe allein nnser Handeln be-
stimmen, sondern auch (iefühle und ätimmungeu, die sich der näheren Beurteilung
entaieheiL Daram bietet anch das Bewoistseiii petsOnlieher IMheit und Un-
abhingig^eit den besten Sekatx gegen überspannte Ide».
Zum Schluss meint der Verfasser, hd. veroflnftiger wirtwAaftlicher FreilMit
sei wohl eine Versfihuung zwischen Kapital nnd Arbeit denkbar. Nicht nur
denkbar, sip mn^s praktisch verwirklicht werden, oder unsere ganze Kultur
versinkt in den Abgrund. Die Lösung dieser Aufgabe stellt grosse Anforderungen
•a die Gebildeten nnd Beeitsenden, denn von ihnen darf man bflügerweise
erwarten, dass sie anerst Hittel nnd Wege finden lar Anbahnung gltteUidKter
Verhältnisse,
Eine bessere, friedlii-herf Ordnung ist es, worauf die Mensclila-it hofft. Sie
herbpiziiführen, ist tlas Stri lx-ii aller Gntgesinnten, Tn dieser Hiusii lit hat .'«ich
der Verfasser der sozialen Utopien ein grosses Verdienst erworben, denn er setzt
Gedanken in Bew^nng, die niemals mhen dürfen.
„Es ist billig nnd leicht, wenn hier die Realpolitiker die Achseln zucken
nnd etwas von Binsenwahrheiten nnd utopisti^cher Schwärmerei murmeln. IHese
braven Leute verge^a^n nur dahei, da.'^s dif oiofpiie Erzichunfr. die sie j^'enossen
haben, sie ans unsoziah-u Ei;i>i^t<'n zu j^T.si'll.^ichaftlich Itranchbaren MeiiHchen
gemacht hat, dass Vernunft und Sittlichkeil eine uulöhbare Ehe miteinander
geschlossen haben» nnd dass alles, was wir Koltor nennen, darin besteht, dass
anfingliche Utopien nur Wirklichkeit geworden sind" (Dr. R. Penzig).
Deshalb sind auch solche Überl' irniiijen wertvoll. Wer aber so gestellt ist,
dass er «1ur< h .-ino eflle Tat etwas .nrharft. wa.«; dem Frieden forderlich ist, der
ist ein VVohltÜter der Mou.Hchheit. Für alle Zeit blL-ibt wahr das Wort der
edlen Königin Luise; „Es kaun uur gut wcrduu iu der Welt durch die Guteu!''
Wir haben schon daratif hingewiesen, dass die Verfasser der hier erwähnten
Utopien anftnglicb nnr den politischen Ban des Staates im Ange hatten. Später
wurde mehr und mehr das gesellschaftliche Leben in den Bereich der Darstellung
gezcf^^n. Zu diei'en ErseheinnniT'en mtlssen wir aber auch Rnnsseans Emil zählen.
Wilhrt ud I'lati). Kaiiijiaiiclla und Morus der Ausit ht wareu, durch eiue j^TÜndliche
Umgestaltung der üuääerun Lebensverhältnisse würde auch das geistige und
nttliehe Leben nach der idealen Seite hin Tenrollkomninet werden, gehen die
pädagogischen Utopisten den umgekehrten Weg. Sie machen Vorschläge, wie
der Mensch innerlich umgestaltet, zn einem Ideal herangebildet werden kann,
nnd sie sind der Hoffnung, dass eine so er7"L" TU' Menschheit besser befähigt ist,
das staatliche nnd gesellschaftliche I^ben umzubilden un<l gesunder einzurichten.
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Wie sehr diemr Gedanke Rontiaaiti gestlndet bat, tMti maii ans den praktiaelien
Yennchen, zn weklten er Anlaea gegelwtt Itat. Pestalozzi wurde nicht mOde,
immpr wieder 7'i vt'rkftmlen, dass nnr von einer f^HhulIichen ErzielinKL^ ias Hfil
der Menscbheit zu erwarten sei. Dass der Vater Pestalozzi nn unverbesserlicher
Schwäruier, eiu Utopist war, darin stiiumteu die Zeitgenossen übereiu.
Aber nocb ein anderer ist bier an nennen, nlmlieh der Plüloeopb liebte.
In seinen berflbmten nBeden an die deutsche Nation" bexweckte er die geistige
Wiedergeburt unsere Volkes. Mit der häuslichen Erziehung hat Fichte in seinen
„Reiien" radikn! (rebrochen. Pichte kam auf solch eine radikale Unigeataltunc;^
der lürzieiiuug^, weil er deiu BUrgerbause seinerzeit jede moralische Betuhiguug
nur Eniebttng abepraeb. Wie daa ataafticbe Leben der Dentscben sieb im ttebten
Yeilall befand, so sab Fichte auch in der Gesellschaft nur die Auflösung aller
bärgerlichen Tugenden. Darin hat ihm die (JiRchichte Unrecht i,-. rr, h n Wir
sehen soi^ar, dass seitdem die staatlichen Behörden fh'r Erziehung m Haus und
Schule eine grössere Wttrdignug zuteil werden lassen als früher. Der Staat hat
dnrob die aoiiale Geaetsgebnn^ damit begonnen, daa geaamte Leben der am
meisten bedrohten Yolkeklassen energisch zu beaebfltaen. Die Erfolge davon aind
jetzt schon zu spüren. Die Familie den .\rheitors jrelantft in eine h(.»sspre soziale
Lage, so dass nie imstande ist, ihren Kiudeni eine Erziehung geben au lassen,
wie sie dem Stande unserer Kultur entspricht.
ÜB iat aobadc^ daaa Proteflor Yoigt die aosialcn Utopien, die aicb nnf dem
pidagogiscben Gebiete bewegen, nidhi in den Krma seiner Betmditnngea geaogen
hat. Wir sprechen den Wunsch aus, dass er die neue Auflage aeinea interessanten
Buches um eiu pädagogische.«; Kapitel erweitert.
Jeder Lehrer, der es mit seinem Beruf ernet meint, ist auch iu etwas
ntopiadscb Teranlagt Um ao mebr ist ea verwnnderlicb, daaa ZiUer so ent-
acbiedenem Widerstande begegnete, als er mit aeinen becbgeapannten Forderungen
einer kunstvollen Anordnung und Durcharbeitung des Lehrstoffes auftrat. Yom
Standpunkt der Schulverbältnii*.se in der Get^enwart mag Zillers Lehre als Utopie
erscheinen, trotzdem enthält sie wertvolle Gedanken für einen gesunden Fort-
achritt in der praktischen findehung.
Siegen. JuL Honke.
C. Beurteilniigeii.
Th. Fmnke, Praktiaohea Lebr-
huch der «leutschen Recht-
schreibung. Lautgemässer Leb rgang
in drei Stufen nebet Übungsaufgaben
und l^iktaten. 124 S. Leijiziq:,
AUred Hahn. 1906. Preis 1,30 M.,
geb. 1,7D H.
— Prüfende Satsdiktate über
alle r e c h t s c h r e i b 1 i c h e n
Schwierigkeiten. Zu praktischem
Gebraueb ttbersiebtlieb geordnet und
auf drei Stufen verteilt. 98 S.
Dresden, Alwin Muhle. 1906. Preis
geh. 1,80 M.
— Deutsche Sprachlehre. Prak-
tisches Lehrbuch für Volks- und
Bürgerschulen, in drei Stufen be-
arbeitet. 160 S. Meissen, Sächsische
Schulbuchhandlung (Albert Bnchheim).
1907. Preis 2 M., geb. 2,40 M.
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— 439 —
Die fT^irinn „Lehrbücher" g-eben die
Materialien ihrer Fächer iu fachwLiseii-
schaftlicher Anordnung, aber nach der
Schwierigkeit auf drei Stufen ((J, H, 0)
▼erteilt. Hierbei zeigt die „Sprachlehre**
diete Verteilung in einem einzigen
Gang^ durch den jpresamten Stoff, in
der „liechtächreibung" dagejjeu ist der
Stoff der Unterstufe führ sich voran-
getteUt. Diese Absonderung hängt
mit der Absicht des Verfassers zu-
sammen, dass bei tlem _entjpii Anschluss
der Bechtschreibung an den Übrigen
Deutsch- oder Sachnnterrieht'*, den
.Züler und seine Schale forderten^,
der Lehrgang der Rcchtscbreibnug „von
fremden Lehrfächern bestimmt nnd
nicht nach den Gesetzen des Recht-
schreibtiüs geregelt" werde. Dabin
kann nnn zwar dieser Anschluss führen,
aber dein Sinne n;:d den Bemähnngen
derer, welche denselben zuerst gefordert
haben, würde das nicht entsprechen.
£in Fibelunterricht, der Lesen
und Schreib en nicht an seiuande r-
reisj>t. scmdern das, was d;is eino Farli
fftr das andere von selbst mit getan
hat, aneb demselben sogleich wiridich
zuführt, hat auch die für die Unter-
stufe ausgesonderten Lehren grössten-
teils schon ZOT Aneignung gebracht,
wie ein Vergleich mit irf»'end einer
ShonetischcQ Fibel zeigen würde; nur
er Wortschats, der den einzelnen
Gruppen zuzuordnen wäre, würde einer
Erweiterung bedürfen. Dahin zielt
eigentlich auch der Wunsch des Ver-
fassers, dass man hh zur Hälfte des
zweiten Schuljahre» Lesen, Sckreibeu
und Rechtscli reiben „nur im Bereiche
der Gleichschreibnug'' zu üben haben
sollte. Von dieser Ansicht abgesehen
ist aber der z. B. von Hache und
Prüll vollständig durchgeführte
Anschluss an den Qbru^ Üntmicht
Büchern für Lehrerhand etwas be-
engend, denn die wirklii heu Voraus-
setzungen dafür Hind seiir wanddhär,
und dieser Wandelbarkeit gegenüber
bietet eine reichhaltige, gut gegliederte
Stoffttbersicht Schutz gegen mancherlei
Verirmngen. Die vorliegende besitzt
noeb besondere Beweglichkeit und An-
Jtassnngsfähigkeit r^ndurch, dass sie
ormulierte Regeln k.aim i^ibt; „im
allgemeinen verdienen Reih e n ,
Gruppen') ror den Reg^eln den Vor-
zug". Den Reihen und Gruppen, die
regelmässig aufgeschrieben werden
sollen, hat der Verfasser zur Üb
oft Wort- und Satzdiktatc hinzu^^efügt;
zur r t il f u 11 LT der Fort.sehritte und zur
Aussonderung des noch Unsicheren
sollen die „Prttfenden Satadiktate''
dienen, deren Anordnunjj sich im
ganzen nach dem „Lehrbuch der Mecbt-
schreibnng** richtet. — Die „Sprach-
lehre'' Kann natürlich nicht in derselben
Weise ohne Resfeln auskommen, aber
Ikberall ist denseueu ireeignetes Material
zur Entwicklung voran- und zur Übung
nachgestellt, e!< linden sich öfter
parallele Reihen des mundartlichen
nnd des schriftdeutschen Ausdrucks,
nnd die i^nze Art der Anordnung gibt
immer eine leichte t'bersicht dessen,
was bereits gelehrt ist und was sich
daran an sebliessen bat. Die Hanpt-
teile sind I ^^'o^tlehre. II. Fallsetzung
(Verhältnis-, Zeit- nnd Eigenschafts-
wörter), m. Satalebre. Li nanohen
P:ir:illi"']rrihini ist die Verwandtschaft
der VV üiter nicht klar genug behandelt
worden. Z. B. stehen S. 6 „Blumen-
strftnsse — zahme Strausse. Buntstifte
— milde Stiftefr]'' in einem ganz
anderen Verhältnis wie „Schulbänke —
deutsche Banken, Talglichte — Irr-
lichter" und ähnliche, die in langer
Eeiiie folgen; S. 55 stehen ebenso
stehlen — st4hlen, befehlen — fehlen**
in einem MMen KlanifTerbSltnis
(fehlen gehört etymologisch zu fallen),
im übrigen aber stellt die Reihe immer
iwei etwasnaffleicheVe r w an d teneben»
einander („schwingen — schwenken").
Das könnte den an dieser Stelle ver-
folgten grammatischen Zwecken
genügen: aber S. M wird bei dem Ab-
schnitt .. WortbiMung"* -) ausdrücklich
Uber den Unterschied vgl. meinen Aufsatz: „Laut, Regel, Gruppe nnd
Sefhe" in Jnsts Praxis der Braiemmgasehvle 1894, dam nein MSebtilw9rterbneb,
nach Reiben und Familien angeordnet", Leipzig, Wartigs Verlag, 181»2.
•) In meinem Artikel „Onomatik iu der Vulkss( Imle- in Reins Encykl.
Handbuch, soeben in 2. Auflage erschienen, habe ich zu zeigen versucht, dass es
der Seite des Spraciiunterrichts, welche besonders Rudolf Hildebrand in denselben
eingeführt hat, nicht günstig ist, wenn man sie in die Grammatik einordnet.
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— 440 —
immer gezeigt, ^wic der Stamnibeerriff
ancb in den abgeleiteten Wörtern noch
wirksam ist"; nnfl po mnsste in den
angeführten Reiben eine kleine Unter-
•eheidnn^ angeliradit werden.
Steuer imd Wohlrabe, Fibel für
den ersten Unterricht im
Deut seh 0 11. Nt'ue, ua« h phone-
tischen Grundsätzen umgearbeitete
Ansgabe. Ausgabe B in einem Teile.
98 S. Hallr' a d. 8., Hemaim
Scbroedel. Fr. ÖO H.
Born nml Kranz, Fibel. Anf phone-
tischer Grundlage bearbeitet. Mit
reichem Bilderschniui k von G. Kilb.
Ansgabe C für Volksschuli-ii mit
Schreibschrift nach dciu urtu^-sischfn
Nornialalpbabet. 82 S. Leipzi^j und
Frankfurt a. M., Kesselringzcbe Hof«
bucbbandluug.
Beide Fibeln stützen sich in der
Weise, wie es früher an dieser Stelle
be^prochf II ist . auf iV\e Phonetik nnd
haben besoudcrs eine ähnliche Ein-
richtung nnd Yerteiinng irie die Fibel
von Bnrkhiirdt, Laas.« und Schrndfr:
uiau VL'I. Päd. Stud. 1Ü04. S. 2'Jlä.,
1906, §. 165. Steger und Wohlrabe
haben die Fibel von Scharlach und
Haupt umgearbeitet. Sie bringen auch
ähnliche Siitzo zu döii BiMeni wie
Bnrkhardt, z. B. „Das £i ist bunt",
-wonQs Mr das Lautaeren (die ersten
7 Nonnalwttrtt r koII. n ,.il« in Schüler
nur im Lautgewaude entge^ntreten'')
der Laut ei gewonnen wird; Born
nnd Kranz ..formulier» n solcho Sätze
nicht. Im Übnnarsj^ti ff.; unterscheiden
lieh beide dadurt )i . «iass die letzteren
kleingeschriebuK.' Hauptwf^rter c-cbpn.
also im Anfang eine reichere Auswahl
haben. Die Lateiui^chrift führen beide
sehr kurz ein. auf 6 bez. 4 Seiten.
Steger uiui Wohlrabe bringen am
Scblnsse noch 2 Seiten „Muster für (la.s
mtlende Zeichnen", Born und Kranz
bringen dafllr eine Zeitlang kleine
BililclK u nach Art Güht lbcckers (Tiul.
Stud. 1906, S. 22Ö), aber benuUt zur
Beselcbnnnff der Zellen («Hotreihe,
Sibelreihe*').
Die mir zugegan^nen neuen Auf-
lagen der Fibeln von liurkhardt usw.
und TOB Green (im einseinen mD>
gearbeitet) geben zn neuen ijemerknngeu
Seinen Anlan.
F. HoUkamm, Lüben und Nackes
Lesebuch: FibeL Nach der kom-
binierten Schreiblese- und Normal-
wortmethode, sowie nach den Grund-
sätzen der Phonetik völlig nenbearb.
Mit Zeichnungen von Max Daiio.
27. Aull. 2. Aufl. der Nenbearbeitnnff.
124 S. Leipzig. Fr. Brandstetter. 1906.
Pr. geh. 60 Pf., geb. 76 Pf.
Die Grundsätze, nach denen diese
Fibel umgearbeitet ist, und das Lehr-
verfall rt'Ti . sif' voraussetzt, sind
dargelegt in deu UMJti, S. 155 t. be-
sprochenen Präparationen für den
Schreiblesenntt riirlit im 1. nnd 2. Schul-
jahre". Man erblickt also bis S. 37 nur
Schreibflchrift, aber schon kleine Be-
Kchrcibungen nnd Erzählungen. Man
biehl ferner auf der ersten Seite nicht
bloss einen Igel oder einen schreienden
Esel, sondern die Szene, wie Esel,
Hund, Katze nnd Hahn in das Ranber-
liaiH einfallen; denn ilir i rstt n Nonnal-
wUrter UoUkamms sind, wie frUher mit-
geteilt ist, AnsmfewSrter. Das Bild
zu dem Normalwort S^ if. neuer Buch-
stabe: S) zeigt, wie die Mutter ihre
„schmutzige Jangfran" reinsuwasehen
sucht tisw. .\n(1pro Bilder zpftren Vor-
gän'r*' au.-; der wirk!icln>n Uniy:t'Viuns^.
In iihiilichfr Weise b'wen 8i< h ^*p;iter in
den Lesest iickfu Märchenwelt und
Wirklichkeil ab. Vou den Bremer
Stadtmusikanten kommt zunächst ein
Abschnitt mit der Nebenüberschrift:
Der Esel und seine Reisegefährten;
dann folgt eine ..Loseilbung: als,
Hals usw.; Iti alt, kalt, gelt usw.**.
darauf die He3r8che Fabel „Knabe nna
Esel" nnd anderi^s, 4 Seiten {später aber
die „Fortsetzung: Wie die vier Tiere
Herberge fanden." Die Einführung in
die Lateinschrift erfoltrt etwas kürzer
als bei Burkhardt usw.^ aber doch auch
in der richtiireii Weise, dass jedes
Lautzeicben einzeln vorgeführt und
sogleich mit einer Wi'irtergmppe belegt
wird. Der zum Lesen dai^boten«
Inhalt würde, Imeson dei-s wenn ein sog.
Vorbereitungskuia vorausgelit, für das
erste und zweite Schullahr völlig
ausreichend sein. Wie ehrenvoll es
fUr den Verfasser war, daas ihm die
NenbeMrbeitiing dar altberflhmten Fibel
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— 441 —
von Lttbeik uud Nacke übtitruiren
wurde, so erfreulich ist es, dass seine
theoretischen Ansichten darin eine
solche nach Art nnd Mass gleich i?lück-
Ucbe Verwirklicbans: gefunden haben.
Die Mutttrsjt räche. Lesebuch für
Volksscbaleo. Neubearbeitung, berau»-
gegeben roni Dresdner Lehrerrerein.
Ausgabe A in 6 Teilen F.v<\lv T< \\
(d. h. Fibelj. 112 S. Ltipzi^^. Jul.
KUnkhardt. V.m. Preis «jeb. 50 Pf.
T>azn als Be;^!' irwuit : KiitiM-lie P.p-
lenchlung der Methode des ersten
LeBenuterriehts von Otto Lippold.
Die Fibel ?on Gansber«:, auf welche
meine frühen« ' hi^sbemcrkuna: (Päd.
Stnd. iy06, S. 2^7 üuniicbst hinsteuerte,
war, wie ich hinterher bemerkte, bereit«
TOD einem Dresdner Kollegen beleuchtet
worden rdasellHit 8. 213— 2U)).') Ausser-
dem iiWr wifr^ iili liiii auf <k-ii Vor-
schlag eines anderen Dresdner Kollegen,
G. Sehanie, das Lesen anssehliesRlieh
an der Drurksrhrift li iiu n /ti lassen
nnd das Schreiben erst beträchtlich
•piter IQ beinnnen. G. Sehanxe sre-
hr^Ttc nnn nebst dem ob< n STPiinntitf-n
Lippold zu der Komini-siou, welche die
Fibel der «Matterspmche" in diesem
Sinn" inii'„'^ 'nrbeitet hat. Es steht folg-
lich, iraii/, nn Gegensatz^ zu den seither
besprochenen Fibeln, in dem ganzen
Buch kein Schrcihbitchstabe, sondern
lauter SchwabacUui Dmckschriil iu
hyg'ienisch soriiffältii; erwogeneu üKisseu
ond Entfernungen. Wann das äckreiben
Btt besinnen nnd fn welcher Art es sn
betreilnii stA. will diese Fibel dem
Lehrer überlassen i sie ?erlangt aber,
das malende Zeietmen mit Bleistift um
Farbstift mf^«>5p vor Ii er „den Fonnen-
sinn so entwickeln uud die Fertit^keit
der Hand so ausbilden, dass die Auf-
fassung und Aneignunf^ der Bnchstaben-
fonnen niHhelos nnd sehr schnell
erfolgen kann". ,,Möirlichst leicht,**
wird am Schlnsse des Begleitwortes
gesagt, soll anch das erste Lesen ge-
macht werden und folglich, wenn es
einmal begonnen wird, ebenfalls rasch
erlernt werden. Dabei ist aber hinzu-
mdeftken: in Dresden aoU „in Znkmift
Lesen uud Schreiben erst nach Pfingsten
bcginiKii", dieser Aufschub wird nur
als das jetzt erreichbare Minimum be-
trachtet, das Schreiben muss der Idee
nach noch eine gewisse Zeit länger
warten, and damit die demselben ge-
stattete Fr«'iheit nicht zu 'Jnzuträglich-
keiteu führe, müasten „dem Slementar-
lehrar seine Kleinen während zweier
Schuljahre überlassen werden.'' Also
wieder der tiedanke der Elemeniar-
fttnfe, statt der Elementar kl esse,
wip wir wiederholt gefordert und stets
gewünscht haben. Die Fibel im engem
Sinne reicht nach dem Sinne der Ver-
fasser nur bis S. fi9, dann folgt ein
.II. Teil: Lese.stücke". In der eigent-
lichen Fibel bewegen sich die Verfas.ser
viel freier, als es iu Schreiblesefibeln
möglieh i.st. weil sie nicht auf Schreib-
schwierigkeiten Rücksicht zu nehmen
haben. Sie haben keineklein^eschriebenen
Hauptwörter, können einige Gross-
buchstaben bald einführen, im Anfange
aber besteht der wesentliche Kunstgriff,
nra lebensfriscben Stoff an finden, darin,
dass sie das Lesen ,,al8 Sprachunlerrtf ht"
betreiben, d. h. aus sachliciien Unter-
redungen Siltze gewinnen, ans denselben
geeignete Wörter herausnehmen und
von einem solchen Worte etwa zunächst
nur einen oder awei Anfangslente znm
Lesen benutzen. W^'nn also zur Be-
handlung des a Sätze aus dem Kot-
küpiohen benutzt werden sollen, so
stt'h-n Wörter vf\f Tag. gab. sage,
kam, latr. sili. nahm (na!) zur Ver-
füguni:, iinrh tiics l;i^^t tl( r ['nisirht,
dem gemütvollen Sinn, der hingebenden
Treue noeh ein weites Fdd offen, nnd
die in leicht üh-T^chiinhaten ?':I!itien
von Joseph Goller dargestellten JhLiuder-
taenen geben dabei, weil sie nur in
miUsiger Zahl auftrctf n, » ine Anleitung,
die nicht den erst Ireigemaohten Weg
wiedMT fenchrSnkt.
In den liesest iu ken treten zwei der
einfachsten aller Volksmärchen auf (der
eigentliche Märchenband ist der 2. Teil
des ganzen Lesewerkes). In den
Stücken, die wie die Bilder die kind-
liche Wirklichkeit behandeln, findet
•ich wie bei Göbelbecker eine AnzaU
*) Damit fiel aneh mein Voriiaben weg. sn der „Sehatfensfimtde" v<m Gane-
bog im 7ir-nnimenhange mit der Fihe! be^timintt-rt^ Stcllting zn nehmen, als es
in einer einzelnen Anzeige möglich war^ vgl. Päd. Stud. 1Ü03, S. 4ö0.
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— 442 —
neuer, bisher noch ungedmckter Ver-
lache, beeonders von dem genannten
O. Sehanse. In dem Übnngsroaterial,
welche« den eigentlichen Lesestücken
Toraoflgeht, waltet der »schöne alte
Kindflnreini*'.
El geht nicht au, noch mehr mit-
zuteilen: (laher mögen einige Be-
haaptuugen de» Begleit wortes, die an-
fechtbar sind, ni< hf hervorgezogen
werden. Da«i an der Drackachnft das
bloeie Leieii leichter und raielMr tn
lernen ist. :ils an d. r lireibschrifT, ist
unaweiCelbaft, and da das Scbreiblesen
iowold l«i den reinen Syntbetikern, ala
auch bei den im Reglfitwortf' stark
mitgenommeneu ^Nornjalwörtlem" eine
10 grofwe Verbreitung hat, iit es nur
zw bpgrftosen, dass an dem franz ab-
weichenden Verfahren, das die I>reiidner
Kollegen gewählt haben, da» aber früher
sehr verbreitet war (hh weit über die
Mitte Uus lü. JaLrlmuderts gab es in
sächsischen Dorfschulen Druckschrift-
Übeln, und Lipuold selbst hat noch
1870 auf einem Dorfe bei Meissen an
der Hand einer solchen lesen gelernt),
auch anter ganz anderen Verhältnissen
wieder Erfahmngen gesammelt und
dwebdacht werden können.
Blicke ich auf die seit mehreren
Jahren nach nnd nach angezeigten
Fibclarbeitcn zurück — es wurde liier
am Orte bei JComnüssionsberataogen
noch eine ganxe AnxabI vorgefahrt —
so darf ich wohl folgende! als firgebnil
aussprechen.
1. Die aiü Faclivvi.sgeuschaft suhr
fortgeschrittene Phonetik brachte in
die Fibelliteratur zunächst eine gewisse
Einseitigkeit, die einen Ausgleich mit
edit ])iiilai;ü;:ischen Oesicbtapnnkten
verlangte und auch bnld fand.
2. Die synthetische und die ana-
lytisch - synthetische Leselehnnethode
ringen noch immer miteinander um den
Yorrftug; was am meisten getrieben
wird, ist irgend eine Kombination beider.
3. Hierbei hat das Scureiblesen fort-
gtiäui^t au Hoden gewonnen: Gausberg
wollte am frühesten selbständige, eifpair
artige kindliehe ^iedecachiSEten er>
reichen,
4. Die nene Fibel der HMntter-
Sprache" dagegen verlässt den ,,gr08sen
Umweg", das Lesen an der ikhceib-
schrift zu lernen, wieder tränzlich.
schiebt das Schreiben möglichst binau
nnd will durch befdei mit gewinnen
/II einem viel inten.^iveren An-
scbauungsonterricht verbunden mit
malendem Zeiehn«i, Tonea nnd Pomen
nnfi anderer Handfertigkeit nnd zu
einer umfassenden mttn^cben Sprach-
pflege«.
5. Von einseitigen Phonetik rn ab-
gesehen, sind alle Eicbtongen .aof
guten Stoff hedaeht"; die Oltte enehen
aber z. B. Gan*beri: nnd Göbelberker
etwas zu einseitig darin, dass der Sto£f
der Wiriüiehkeit nnd der sinnlich nahen
Umwelt entspreche oder das.s die fie-
staltungeu und Verbindungen, welche
die Phantasie schaffen miiM, vom Kinde
wirklich schon vollzogen worden «leien.
Den förderlichen Anreiz dessen, was
die diehtende Tolkneele in der Ver*
gangenheit davon schon geschaffen hat,
schätzen aber doch, greifbar ausgedrückt,
nicht mehr bloss Ziller und Rein, und
die Richtung des Blickes auf „das
Kind" iSsst hoffen, man werde auch
schärfer sehen lernen , was in den
Schöpfungen der Neuzeit und der Gegen-
wart vHAlieh Undertttmlidi iit oder
bln.> V in vielen Erwachsenen dafttr
hallen wird.
6. Ziemlich alltreinein. abgesehen von
Ph(>netik<'rn wir Bi iis:geniann , Green,
die ganz darauf verzichten, legt man
besonderen Wert anf die Fibelbilder
und liat d imit anch einen wirklichen
Fortschritt erreicht. Aber bei Göbel-
becker z..6. führte diese Entwicklung
zu einer Überzahl von Bildern und bei
den einzelnen Bildern, weil die Aus-
führung „zu" methodisch war, zu einer
Überfälle von Stoff. Anf der anderen
Seite muss man immer bedenken, dass
der Künstler die kindliche Phantasie
nieht blo.ss befrachten und heben, sondern
auch au seine Subjektivität bindeu kann.
An die Dresdner nnd an die Holl*
kamniMche Fib«-1 schliessen wir sogleich
einige Bemerkungen über die Lesewerke,
sn denen dieselben geboren.
Die ^f;;tteri^p räche. I^.sebnch für
Volkäschuleu , herausgegeben vom
Dresdner Lebrerverein. Ausgabe A
in 5 Teilen. II. Teil. 154 S. Geb.
70 Pf. UI. Teü. 260 S. 1,10 M.
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— 443 —
IV. TeU, 306 S. 1.35 M. V. T«il,
s 1,60 H. Leipcig, Jidiu
klinkhardt. Id06.
Llben und Nackes Lesebuch für
den Gebranch in mehrklaiwigen Volks-
srhnlcn und in Hittelsrhalen neO'
bearbeitet von Hermann Kasten.
I. Teil (2. u. 3. Schnlj.). 336 S.
Preis geh \.m M., geb. 2 M. 2. Anfl.
der Neubearbeitung. 1904. II. Teil
(4. u. 6. Schnlj.). 488 S. Geh.
2,40 M., geb. 2,80 M. 2. Aufl. VJ06.
m. Teil (6.-8. Schul j). 621 S.
Geh, 8 H., geb. 3,öU M. 1. Aufl.
1906. Leipiiirt Friedlich BnndBtefctttr.
Jedes dieser beiden Lesebuch werke
zeigt uns mit seinen Umarbeitungen
ein ganzes Stück üeachicbte de« Volks-
schnllesebncheA; ich erinnere mich aus
den letzten Jahren des ungeeinten
Deutschen Reiches noch gar wohl des
. heimlichen Nrides, mit welchem Ich,
selbst mit einem „Werke" noch früherer
Art aufgezogen, bei Gelegenheit bier
in die ^LebtaishiMei'', dort in ,.'len
Lüben" geblickt habe. Die „Mutter-
sprache'* entstond 1876/78 ads Um-
arbeitung der „Lebenubililer". Eine
weitere Umarbeitung erfolgte 1ÖÜ6/96,
80 dass dos Werk jetzt in vierter Be-
arbeitung vorliegt. In derselben hat
mau die frühere achtteilige Ausgabe
g«Bi Calleu gelassen, so da.s.s mit Aus-
nahme der Fibel und des darauf
folgenden II. Teiles jeder Band zwei
Jahre in den Händen der Kin<lei
bleibt, dagegen die dreiteilige Aus-
gabe (B) hat man beibehalten. Beim
ersten Blicke fällt auch hier wie in der
Fibel sogleich die Deutlichkeit des
Dm eh es auf, herrorgertifen durch die
Grosse und den Abstand der nnchstaben
und durch den Abstand der Zeilen,
ausserdem durch mOglich.ste Einheit der
Schriftarten. Der tr^^nze II. Teil zeigt
noch die Schwabacher Schrift der Fibel,
die in den weiteren Bänden mit gleicher
Fraktur und .Antiqua so ^li)\vel■h^<elt,
dass jede Gattimg^ gleich eine Anzahl
Seiten bis znm Ende eines Stückes fort-
läuft. Der II. TeU zeigt an gewissen
Stellen noch Fibelelemente. S. 6 steht
über einem Stück: ^al ei". dann
kommt dei Maikäfer j ebenso S. 16:
„X ks", ond 68 kommt dann «neh
eine Hexe vor. So sind alle die an-
gewHhnlirhpn Lantbezeichnnngen , die
son^^t die Fibeln belasten, bis S. U8
hin verteilt. Die Bilder nehmen nach
oben hin an Zahl ab; Ludwig Richter
hat die grü.sste Ausbeute geliefert. Sie
sollen nicht .Vuscbanungsbihier .^ein,
sondern im Aufaug „eine einzelne
Stimmnng der Enfthlnng durch die
Kunst des Malers" weitemlhren, j iter
neben das Lesestück oder zu einer
ganxen Gruppe „ein ySlUg sethetAndiges
Werk" stellen, iu dem „die Haupt»
Stimmung der Erzählung fortklingt''.
Eine ganse Ansahl ist für die .Mutter-
sprache erst gemalt. Wie in diesen
Bildern die lebenden Künstler, so zeigt
das Buch auch im Inhalt an vielen
Stellen die neuesten Autoren: Scharrel-
mann, Gansberg. Ilse Frupaii (im III. Teil
8. V muss das Buch derselben genauer
heissen „Hamburger Bilder für Ham-
burger Kinder"), Otto Ernst, Wolrad
Eigenbrodt (V!,d. Päd. Stml. l'.KB. S.;V)8),
Voikmauu - Leauder. Hoseggcr u. a.
Aber in der literarischen übenieht des
V. Teiles haben doch die grös^te
Keihe — die Brüder Uhmm, und bei
vielen der Neuheiten muss man, wie
die Geschichte des Lesebuches deutlich
l^renn? lehrt, die Aufnahme nicht an-
seilen als eine Entscheidung, sondern
al.s eine Anfrage, ob es «»ich be-
währen und HO das kiudertUmliche
literarische Erbe vermehren wird.
Endlich muss noch ausdrücklich be-
merkt werden, dass die Bearbeiter in
gewissem ^\nm ein in d i v i d ii e 1 1 e.s
Lesebuch scbafien wollten sie iiben^^ebeu
es nach demScblnsssats desbeigegebenen
Plmes „der sächsischen Lehrer-
schaft'', und ein Bild der Augustns-
brfteke in Dresden xiert die Anssenseite
jedes Bandes. Darum wandte sich auch
G. Schanse in dem schon erwähnten
Artikel der Sächs. SchuJzeitung (1906,
Nü. 2) gegen das Vorhabeu des Ver-
legers der Gansbergschen Fibel, die-
selbe für andere Gegenden abändern m
liLs^t^ii. Das ist eine .\rbeit. die man
durchüUji den Leuten der anderen
Gegenden selbst Uberlassen sollte.
Jede eigenartige Arbeit baut aber
znj^leich an dem System der all-
gemeinen (irund-iiitze und Gesichts-
punkte, und nur was durch die Ver*
mittdnng derselben erfolgt, ist die
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— 444 —
recbte Wirkung iiach aussen. Maw
vergleiche dAmit Keius Forderang iudi-
vidHdl dnrchgebiMeter LebrpUüie (PM,
StDd. 1906, S. 443).
Da?? dreiteilige Lf^eVinrh von Lüben
uml N a c k e zählt, wie die Tit«:laDgabe
sei^. die Fibel nicht mit und Tcrtdlt
sich iwif die ?!dm!iahre etwas anders.
Der buntscheckige Druck ist gleichfalls
▼«rmicden, der Kauui aber wird mehr
ausgenutzt. Etwas mehr getan ist
auch für die Bilder, ebenso für den
Einbnn i <lie obigen Preise beziehen
«ich auf Gauzlemenbftude). Beträchtlich
mehr aber hat der Bearbeiter getan in
stofflicher Hinsirlit. wie schon die an-
fftthrten Seitenzahlen beweisen; dcor
Teil ist dicker als der Dradner IV.,
nnd df^r TU Tpü hat das Aussehen einer
Bibel ohne \j»okryphen. Das erklärt
lieh ja znni I cil aus der Beschränkung'
auf drei !>aiiiU% der andere Teil der
Schuld liegt aber darin, dass der Be-
arbeiter die in den Begleitworten ans-
gf^prochenen Grundsätze der Auswahl
luitii ,.literari3ch-ästhetischeu" Gesichts-
punkten wohl benutzt hat zur Herbei-
ziehung trefflicher Stoffe, aber nicht
fenug zur Abwehr solcher Bestandteile,
ie man zw u- l'l- wohnt war zu finden,
die aber ohne wirklichen Schaden weg-
bleiben oder wenigstens nnt«' der
Meng':- il's ni'li'itrücu nicht zu der
ihrem Werte entsprechenden \\irkung
gelangen konnten. Eine Messerklinge
mass wohl zunächst starlc £rf'e:"'<*>'n
werden, aber vor dem Gebtiun ln' wird
sie dttnn geschliffen. Es lassen sich
auch ganz hant1i,M«*if liehe Beisuiele an-
geben. Die Erzählungen, welche der
L Teil zur Geschichte bringt, gehören
meinem Empfinden nach mehrfach
gerade zu dem, was nach dem Begleit-
wort austreschieden werden sollte. Im
U. Teile ist der erzählende Hauptinhalt
mit Recht „der SajBfe Bern" entnommen ;
warum alu-r n''('hni:»l< t-inc ;,';\n /e An-
zahl Märchen, und zwar vorwiegend
„Knnstmflrcben"? Im flbrigen trifft die
Auswahl ih r nein ii Sttirkc sehr uft mit
der Muttersprache zusammen, weil man
nach denselbett GmndsStcen gearbeitet
hat. Einen augpnfJil!ir:;en Unterschied
macht es nur, dass Kasten nach sach-
lichen Gesichtspunkten ziemlieh weit
ins einzelne gliedert, während die
rMuttcrsprache** eine solche Anordnung
zwar befolgt, »her iist im V. Teile
doreh Überschriften kenntlich macht.
In diesem V. Teile aber seheint mir
die oberste Teilung in Prosa nnd Poesie
nicht glücklich, denn nnn kehren zum
Teil dieselben Unt erteile (Ers&hlnu gen —
.\U6 der Gt'sfhiihle - Aus der Natur
u. 8. L) zw« inial wieder, und was dem
Inhalte nach zusammengehört nnd bei
Karten nnnh. b» isammensteht, z. B. die
Briefe, Aktenstücke und Prosa-
erzäh Inngen ans dem deutsch»
französischen Kriejre und die Dich-
tungen ans derselben Zeit, das steht
dort der Form wegen weit aus. iniinder.
Leipzig. Fr. Franke.
Die Technik der Feder, dor
Weg der Schrciblehrkunst,
sacblich begrAndet nnd methodisch
erläntoi t von Georg Lang. Slit Ab-
bildungen und y fckhrifttafelu. Ver-
lag von B. Oldenbonrg. Mfinehen.
Preis 4,75 M.. geb. 5.25 M.
Die Stagnation der Schreibmethodik
hat hauptsächlich ihren Grund darin,
dass bisner aller Nachdruck auf »in
vorgeschriebenes Alphabet gelegt wurde.
Hierdurch glaubte man die Hauptsache
abiretan zu haben: etwas Lehrge.schick
rattsse das Weitere erledigen. Im
Übrigen boten die ^Anleitungen" anch
so wenig Neues . Piukendes, dass sie
die allgemeine Indolenz anfzurntteln
nidit imstande waren. Oder man sah
III ihren Vorschriften — rr.^ist freilich
mit Hecht - persönliche Anncbanungen
nnd der Beachtung nicht werte theo-
retische Pedanterien. Sie konnten die
Gepflogeuheiteu nicht aus dem Gleis
bringen. Tatsächlich fehlte die auf
sicherem rtninde aufgebaute Theorie
der Methodik, es fehlten unerschütter-
liche Normen, welche zum zielbewussten
Handeln, zum Beachten gedrängt
hätten.
An (lit scHi ?a( hvorh.iltc ändert auch
das Erscheinen eines Lehrbuches aaf
sogenannter physiologischer Gnindlage
nichts, weil es trotz <h's ^^: le!n t( n .\us-
hänge-schildes nur alte Bewegungs-
übungen mit allerlei neuen Benennungen
vcrhriinit und gerade den physiologiacnoi
Kernpunkt des Kraftaufwandes durch
Dmckgebnng nicht kennt.
Das angezeigte Buch füllt diese
Lücke ans. Es zerstreut hindernde
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— 445 —
Vorarteile und eröffnet die erfreulich t-
Aassicht anf einen zum ersehnten Ziele
führenden Weff. Lanjr hat einen Grund
jjelegrt tiir (inmilsat/.c : er stellt die
b^än auf uuanfecbtbare Tataacbeu
der Tfttii^rkeit, nm die e« rieh bandelt
Wo bisher Traditi-m, Horkommen,
Meinuugen ^herrscht halMiu, erringt
er festen Boden, klare Einsichten, ent«
r€i««t er Lehrrndf nnd Lernende den
Zweifeln und Zufällen. Die Schreib-
methodik erhält eine wissen - 'haftUc^e
Begründung. Langjähriiri I^i tahrunjjen
and Versuche führten ihn, wie er in
der Vorrede mitteilt, auf den Weg.
Er begnügte m-h ah<>r nicht mit
blossen praktischen Eifulgen. Er ging
auf eine Untersuchung der be.«»tinjnien-
den Verhiitniase aus, um die £r-
aar Theorie zn erheben.
Was beweist er nns und worin
:;i]ifi'lt (las Ergebnis? Hii^rülitr knunen
freilich nur Andeutungen folgen, aber
nicht alle weeentlicben l^tsaehen nnd
Schlussreihen atif<,'t:'f- li-r wr^nlon. Die
Schrift aU tochnischc-s i'rodukt nmm.
wenn sie als Handerzeugnis nicht
widerspruchsvoll •jfrratPti soll, einer L'her-
einatimmuugsnotvvi udigkeit zwischen
Werkxeng, Stoff und Form gerecht
werden. Man darf sich nur ein dem
Wesen des Mittels angepasstes Produkt
als Ziel st< Ikn. Die der Stahl-
feder eigentümliche Elastizität mnss
•für die Schrift nnd ihre Erlernung
befragt, befolgt und luii rkamit werden.
Dies ermüelicbt erst eine federgemftsse
Schrift. Die Federgemlssheit der Schrift
ist oberster Grundsatz und die Mög-
lichkeit hierzu die Methodisiemng und
Gestaltung unserer Alphabete. Der
richtig^' Cifbranch rlcr FL-der tw Mnem
berech tiijt et) . siachlich begründeten
8chreibj)rodiikt muss daher auch unsere
▼ornohniste Sorge sein. S'ioherheit und
Lvichtigkfiit der Auüiguuug stehen
daxn im geraden Verhältnis, denn Ver-
kennong and Nichtbeachtung der
Wirknngsweise de« Schreibinstrnments
kann nur ein ffblerf; »IN - Tun ergeben.
Nur aof Grund klarer Erkenntnis des
gemtnnKasifleii Znsanmenbangs kann
.sirb der Unterricht vr.n ,]<■::' l'"r-^>."ln
der Vorurteile und Halbheiten befreien.
.Die Hauptursache für die Bflekstltodi^-
keit der Schreibniethodik der Oegenwart
ist die gelehrte federwidrige Schrift,
d. Ii. ilit' Verschleppung der
Federkielschrift in die Zeit des
Stahlfedergebraucbs.** — In dem
Hnf i<<^ i>t im \v»'itrren um» überzeugend
uachgewieseii and bis in alle Einael-
beiten hinein yerfolgrt, welche Herk-
nmle unsere Schul- und Lonischrift
erhalten muss, um als Liehrobjekt brauch-
bar sn werden. IHe gebrKnebtteheii
Alphabete verdanken ihren Ursprung
der ehemaligen Federkieltechnik, sind
daher veraltet, angeeignet, hindernd.
Man fürchte nun ab»^r nicht, da^s lie
gofordei-te Methodisiernng und Mudorni-
sierung mit der gesamten Schreibpraxis
im Wi'U'rsprucli strlion werdo. N'ur
gewöhiiiiclicu ScliuLscliabluueu ist der
Krieg erklärt, jenen pedantischen
Zügen, die schön sein sollen, die aber
niemand schreibt und nicht schreiben
kann. Nur der Ciiiwctr ist Vfrlasscn,
den unsere Jugend bisher einschlagen
mnsste, nra die angelernte, steife, nn>
beh'>lf' ii*- Srlmls' In ift zu brauchbarer
Handschritt umzubilden. Freilich ist
derartiges schon hie nnd da venmcht
und vorgeschlagen worden , aber weil
mau keine Begründung hici'für hatte,
ernteten ihre Urheber nur Anzweifetnng
und Nichtbeachtung. Längs unzweifel-
haftes Verdienst ist es, als erster da-n
Irrtümliche im seitherigen Unterricht
mit Aufwand von Scharfsinn und un-
beirrter Logik aufgedeckt zu haben,
sowie in all«' S.'hliiiifwinkel der
Methodenliteratar hinein verfolgt an
haben. Wenn das Rnch nmfendrreicb
irt'\vi»rdt'ii i.^t, 80 hat dif s in dem B<'-
sireben seine Ursache^ die neue Lehre
sogleich gegen alle Binwflrfe nnd Be-
denken sii hcrznstfllen. Eine Berufung
atif Antoritäitiu oder Gewohnheitsrechte
lehnt der Verfasser auf jeder Seite
seines Buche? ab. Dafür i:l - rrascht
er den Licser in ailen seinm ivapiteln
durch neue Einblicke nnd £iu>i< hten,
die man eben nicht gesucht hat, aber
mit ISetrieiligung aacikeuui-n wird,
zumal inui mit unfruchtbaren, der
Praxis femliegenden Doktrinen ver-
schont bleibt. In gewandter Weise
vermittelt uns der Verfasser « iu'
Stadien. Wir künneu aus Überzeugung
seinem Werke die uriürmate Empfehlung
mit anf den Weg geboL
Nttmbeig.
M. Schanberger.
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Frof. Dr. Felix Auerbach, Die
Grund begrifle der Uiudernen
Natnrlebre. (Aus Natur and
Gei.stepwelt , Bd. 40.) Verlae: von
B. G. Teubuer in Leipziif. 2. Aufl.
Ifi6 8. Pr. geb. 1,26
Der reiche Inhalt dieses Bmhe.s
Us8t «ich in 3 Teile anaeinauderlegeu.
Der erste Teil fAtoelm. [ n. IT) be-
handt lt die Anscbauuutrsformeii, Ranin
and Zeit, sowie die Hastie, die fest-
nietet worden lincl, nin BaniD und
Zeit der Gr^^ssi? luich peiiau ■n^ bf-
stimmen. Im zweiten Teil (.\bscliii III
bisT) werden die loj^schen Werkzeug^e
Torpefilhrt. die von der Natuiu-bre her-
gestellt worden sind, um «iie Er-
•cheinnngen bestimmt beacbreibeu
zu können. Es ift da? vor allem der
Begriff der Bewejfuug, die gerad- und
krummlinig, gleicbförmig und be-
schleunigt sein kann. Als besondere
Bewegungsformen werden die Schwing-
nntrs- und die \Vellenbev\ cltiid^'^ aus-
führlich abgehandelt. Der dritte Teil
(Abeehn. Vl—Y!^ maebt den Leser mit
den geistigen I]ilfsiiiitt*dn hekaiiiiT. dir-
in der I^iaturlehre angewandt weiden,
nm die Natnrerscheinnngen im Zn-
sammenhang verstphen und be-
greifen zu küiiii'Mi. Nach einer
kurzen ErOrtemn^ «leg Bt»s:rifrs der
Kausalität werden die Be<;iiffe Kraft
und Mas.'se, die Eigens« bat Uii der
Materie und die Begriffe Arbeit und
Energie entwickelt. Benonder.s inter-
essiert hier, was man sonst in den
L« lirbii( heru der Physik gewöhnlich
nicht üudet, die Abhandlnng über die
ErflTilmnini? «nm Prindp von der Er*
hiilTiiiiir dt-r Kn> r<rie. tiUjidirli 'lie fUn-r
die Entwertung der Energie und Entropie.
Schon ans dieser lohaltftangiibe
dürfte hervorgehen, dnsii das Buch her-
vorhebt und zu)<ammenstellt , was der
Naturlehre an philosuphischem Gebalt
eigen ist. ^^'ird dies dem willkommen
sein, der schon iimiger mit der Physik
vertraut ist, so wird der Laie die ein-
fache, anschauliche Darstellnii^i'wf'i«?
freudig begrüssen, die es ihm duicu
ihre allgemein bekannten Erscheinungen
entlehnten Beispiele möglich macht,
sieb einen Einblick in die ganze Denk-
weise der iiicdtriit-n Natnrlebre zu ver-
schaffen. Ein Iirtum dürfte bei Fig. 4ü
8. 69 sUdiengeblieben sein, wo der
Pfeil bei Punkt 4 wohl v.:\rh oben, der
bei Punkt 8 nach unten zeigen mussj
denn die Wendepunkte der Bewegung
sind nicht Pnnkt 1, d und 9, aondem
3 und 7.
Prof. Dr. S. OppemheiBiy Das astro-
nomische Weltbild im Wandel
der Zeit. (Aus Natur und Geistes-
welt, Bd. 110.) Verlag von B. G.
Tenbner in Leipsig. IM 8. PMis
geb. X.
Der Hni] tz-iveck de? vorliegenden
Werkeheus ist, eine Geschichte der
Astronomie sn geben. Mit den Völkern
des Orients sammelt da der Leser <lie
ersten Bausteine zu einer astrononüscbea
Weltanschauung. Er nimmt teil an
den Spekulationen . wodurch die grie-
chischen Philusupbeu das Material zu
ordnen und zu deuten suchten. In der
aiexandriuiscben Scbnle hilft er mit
Aristarch. Hipparch und Ptolem&ns
jenes grossartige Gebäude errichten, in
dem sich die Astronomie länger als ein
Jahrtausend behaglich fttnlte. Er
eni]»findet, wie die ftrrnereu Entdtckmit^eii
in den alten Käuuien schwer unter-
zubringen sind und führt mit Koper-
nikus, Keppb'i" und Newton ein neues
Htius auf. da.s allee- auüiimmt, waa die
Folgezeit Neues gebracht hat. Diese
aktive Beteiligung des Lesers weiss
der Verfas.«er durch verschiedene Mittel
zu erreichen. Fast immer zeichnet er
die Triebfedern auf, <lie zu neuen
astronomischen Beobachtungen geführt
ha! en, .so dass die ganze Entwicklung
als beinahe notwendig erkannt wird.
Wo das Wdltbild dnrcb phantasie-
inä.'i-iL'ef' Krfa.^seii räumlicher Verhält-
nisse gestaltet werden muss, fUgt er
ZQ gans bekannten Vontelloncen all-
mählich nene, bi? das Gunze Ubi.rsicht-
lich dasteht. Wem» verstande-miissige
Einsicht gewonnen werden soll, ."iiellt
er die Piohleuie einzeln bestimmt
herauh und bringt dann klar die
Lösung. Der Ertrag eines Zttt-
Abschnittes oder die Verdienste eines
grossen Mannes werden knapp zu-
sammengefasst , wo ein Überblick
wünschenswert ist. Bei dieser treff-
lichen Einflihrnng im ganzen bat man
zuweilen den VVun.-^eb. im einzelnen
noch etwas tiefer eindringen su können.
Wie bei Hipparchs Sonnentheorie wSte
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— 447 —
auch bei Keppler- iH-i-'-i'lihniiu'' <ler Kfl-
and der MarsbaLu ein Zahleab«ii>|)iel
wiUkoniinen. Bei der Entdecknng der
Fix«ternpar;illase durch Bessel erfttbre
mau ^tra ctwa^ über die Methode, die
so feine Messungen möfi:lich machte.
Doch die«e und andere Wünsche kann
■an zurückstellen an^sicbtä der
weiteren Vorzüge des Buches. Ein
philosopbiftcher Zug gebt dnrcli da»
ganze Bach. In bezug auf die Natur-
philosophie sei nur auf die .\u«<fübrung
Aber Flato, Aristoteles uud Descartes
varwieeen. In religionsphilosophiseher
Hinsicht winl dtr Liif^e Zu-^ainmeiiliang
swiscbeu üdigiou und Astronomie be-
tont Die Erkenntnistheorie wird voi^
bereitet dnrrh die Darstellung der ver-
schiedenen Hypothesen, die zur Deutung
der Erscheinungen aufgestellt wurden
sind. Gro<5szügig ist das vorli' ir''ii(lo
WerkcUeu auch insofern, als die be-
schichte der Astronomie immer im
Lichte der Kultur- und allgemeinen
Geschichte betrachtet wird. .\U8 alle-
dem folgt, dass das Buch nicht bloss ge-
eignet ist, das Wissen des Lesers zu be-
reichem. Hondera auch dazu, seinen
ranzen Bildungsstand zu heben \u-s-
halb wird besonders der um seine
Fortbildmiff sieh mfthende Teil der
lii'hrt rschaft da.'^ Puch daiikli.ir liin-
nehmen. Ein Sixchregister würde seinen
Gebrauch sehr erleichtem. Einige
Druckfehler sind rihfrsf-hen. iS. 4 8teht
12 X 2y 4- 7 = statt 12 x lU -p 7
= 230 . Seite 6. iteht 4x366 = 1640
statt 14f)0.
Zschopau. E. W i n k 1 «' r.
Nntorp, P., Ge.Manunelte Abhand-
lungen zur Sozialpäday u^i k.
1. Abt.: Historisches. Stutt^rart
1907. Fr. Froiiiniaiir.. IV. S.n<) M".
Der reiche uud wertvolle Inhalt
dieses Bandes besieht sich mm gr(tsseren
Teil 203-510^ auf Hr-rliart. I^ie
1. Abhandlung handelt von Flatos 8taat
nnd der Idee im dozialpftdagngik, die
2. Abhandluntr mai^ht mit (" iiidfirrris
Idf^^-n zur Nuliuaaterziehan^ bek.iunt,
iWc Abhandlungen 3—6 bL^ häftigen
sich mit Pestalozzi. Dfr ernnd-iiit/Iicli*^
Unterschied zwiH-ben ilerbari und
Natorp liegt auf dem Gebiete der
Ethik nnd der Erkenntnislebre. Natorp
erkennt Herbart nicht als den Furt-
soA/Ar der Kaiit.sclicn Ethik an. Nach
Kaut soll „das Formgesetz des Willens,
das Oesetx der inneren Einheit nna
durchgängigen Übereinstimmung des
Willens mit sich selbst, den Massstab
der sittlichen Beurteilung geben". ,,Die
Gesotzirfhnng de.s Willens tritt dadurch
in eine geuuue Aualugie luit der Ge-
setzgebung des Verstandes" (S. 223, 226).
Herbart begnügt sich nicht damit, da-^s
die Pflicht, der kategorische Imperativ,
der (it hnrsaiu des einen Willens gegen
den andern diese Form sei} er hat die
Frage erhohen nnd beantwortet: Welche
Form uiachi • inen Willen zu einem
sittlichen, gil<t ihm die Würde des g<e-
hietenden Willens?
Natorp vertritt die Autonomie des
Willens gegenüber Herbart, der die
Bestimmbarkeit dei Willens durch
Rildniitr des Gedankenkreises behanptet.
ÜAck Natorp ist der Zweck des Unter»
richts Erkenntnisbildung nnd destmlb
die Didaktik anf den Gt^etzen der
Logik aufzubauen; bei Herbart steht
der Unterriebt im Dienste der Willens-
biMniis': er hat ein vipl.soitiL'"e« und
gkiciiHchwebendes unmittelbarem Inter-
esse zn enengen nnd den Oedanken-
kreis so auszugestalten, das» ein sitt-
licher Wille entstehen kann. Im
erziehenden L'nterricbte Herbarts ist
Unterricht und Erziehuncr praktiffch
nicht getrennt. Nach Natorp deckt
sich die wissensrhaftliche Forschungs-
methode mit der Unterhchtsmethode,
beide finden ihr Qesets in der Logik ;
nach Herliart empfiingt die ünterrichts-
roethode ihre Weisangen von der Er-
kenntnis der Rindesnatnr ond sttttst
«{'"h niitrr selhstverstäTidlMiiT Bcrück-
sichtiguiig des logischen Aulbaus aller
wissrnsciiaftlichen Erkenntnis nnf die
Psyeliologie.
Der weitreichende uud tiefgehende
Binllnss, den Herbarts PRdagogik ans-
geUbt hat und h aii.«nVit, wird von
Natorp nicht in Abrede gestellt, aber
ftls verwunderlich nnd angehener be-
zeichnet. Herbart mit Schleiermaeher
vergleichend ^sagt er: filier bei<onder8
nimmt es Wnnder, was eigentlich
Ht'rl>arf ein «o ungeheures ilberiiewicht
ver.Mü.ilTf liat- (S. 2U8). „Vielleicht
li<-L'^t dA< Gtheimnis der Wirkung Her-
barts nicht zum wenigstcni eben in dem
Tunc seines Auftretem, in der Art des
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— 44» —
Vortrags nn<1 . was sich damit nahe
berührt, in dem eigeutttmiichen Stil
seines Denkens. Hernart T^niteht die
erosse Kunst zu imponieren. Kr führt
die kurze, iremeüseDe Sprache der mass*
(geblichen Entscheidnns:. ist kdn
lan::r^\ ieriirfs Ahwäi;: u i\f"i Für und
Wider, keiu diiUckti»t:lie.^ iiiu und Her
wie bei Schleiermacher, kein bohrender
Zweifel, kein verschlungener Gang: der
Ihitersuchnng; twndcru die reifen runden
Ergehnisse prangen nus «ntgcgen wit'
die Früchte am Baum; man braucht
bloss zu schütteln, und hat bald den
ganzen Korb davon vuH' S JOit
„AUein er versteht durchatu nicht zu
entwickeln; ja er tcheint in befremd-
lichem Masse, ich iiiai: nicht sair»'ii uii-
befähigt, aber unbedürftig, ireeud einen
Ornndgednnken, etwss wie ein Prinzip,
in reiner Folgerichtigkeit festzuhalten
and auch nur einige Schritt weit su
Tcrfolgen. Ich kenne kein zweites Bei-
spiel eines starkeu IKukers. dtr m
uiuatcrhaft klar /.u beiu verumg im
^seinen Siitz. und so wenig selbst
nur ein Gefühl dafür verrät, dass auch
Satz und Satz unzerreissbar aneinander-
hängen loOssteo, zusammengeschlossen
dnrch die eiserne Klammer der logischen
Folge. Macht man merst diese Ent-
de< knnir (und es ist keineswegs schwer,
sie zu machen), so moss man freilicli
fast bestflrxt sein Uber den niiberechen-
baren Einfluss, den gerade dieser Mann
auf die pädagogische Praxis gewonnen
hat'' (S 211 12). Den Einfluss Meri»aTta
auf solche l'rsachen znrHrkznfiihreu,
ist wenig schmeicbelhatt für Herbart
und für alle, die sich von ihm haben
beeinflussen lassen, noch wpnirrer aber
ein wissenschaftliches Verdienst dea
Kritikers. Anf diese Weise darf man
Herbart doch gewiss nicht abtuu wollen.
Sein Einfluss ist tiefer begründet, nicht
zum mindesten durch die Abkehr von
einem ttberroannten, erkenntnistheore-
tiaehen IdeaUamna, dem die Wirklich-
keit unter den FBasen Terscbwindet.
Herbarts Einfluss atif ilic j):u1a-
gogische Theorie und Praxis ist dem
stark pftdagogischen Znge seines ganaen
Wesens und -ifintT Philosophie zu-
msfhrciht'u; dieser Zui^ uini ein — ich
mci].[. sage»: ( inethis* her Bliek für
das Wirkliche heherrsiht seine Philo-
sophie. Das fühlt Natorp wohl (vgl.
S. 201)). Herbart> theoretische, wie
Sraktische Phüosoptiie läset sich daher
er Pädagogik leicht dienstbar machen,
leichter, als ein erkenntnisthporf'tisrher
Ideaiismns, oder eine Ethik mit inhalts-
losem Pflichtgebot, die dem Pidagogen
sein Zi 1 nicht zu zeigen verni i_- und
ein Willeusbegriff, der eine Kluft
zwi^dieii dem Erzieher und dem Zög-
lini; lieiestigt. 80 dass der eine w'uht
zum anderen gelangen kauu. Natorp
stellt den Untenichtsstoff. Herbart das
Kind in den Mittelpunkt des Unter-
richt«. Bei Natorp ist die Erkenntnis-
liildung, bei Herbart die Willensbildung
Uuteri-ichtsiid. Deshalb findet bei
Kitorp die ünterriehtsmethode ihr
Gesetz in >ler T.ogik, bei Herbfttt ab«
in der l'syelinloi^ie.
Natorp kann dem Pädagogen Her-
bart seine Philosophie nicht Tersdheiit
und doch bedingen sich der Pftdagog
und der Philnsfijtli Hei hart weclwel-
8eiti^,^ worauf Fiüi:el in seiner Schrift
„Herbarts Lehren und Leben'' S. 1071.
hinweist.
Der Band gesammelter Abhandinngen
enthält zum grössten Teile eine Polemik
gegen Herbart; deshalb ist der Titel
nicht gans antreffend.
Dankenswert ist die .Abhandlung
über Pestalozzis Prinzip der Anschauong
(S. 129 ff.), dessen echten Sinn der Ver-
fasser zu enthüllen sucht. Ob er das
nichtige getrofien bat, mag dahin-
gestellt sein. Jedenfalls hat die avf
Pe!stah>z/i sieh berufende Entwicklung
der Praxis die Anschauung nicht als
die a-priori-Omndlage der Erkenntnil
auffTpfasst. nicht mit Begriffen ge-
rechnet, die vor aller Erfahrung i^egelMsa
sind, nicht etwas wie die ^reine An-
«srhanrinir*' Knnts unter der Ansfhannng
dem Prinzip alles Unterricht« sich
vorgestellt Unrichtig ist es, wenn
Natorp einen Gegensatz zwischen
Pestnlozii und Herbart in dem Sinne
konf»tmiert , als ob nach Herhart die
Bildung als etwas von aussen in die
Seele Gelegtes sei (S. 902. 381, U8,
450, 4ö2), während Pi.stulozzi ilie tjüuz-
liche Spontaneitiit der Bildung vertrete.
Natorp will Unterricht und Erziehung
mit Knntisdien Bausteinen neu fnnda-
mentieren. Dieser Gedanke wird in
der Vorbemerkung zu einer Schrift
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— 449 —
ausgesprochen, die juuseii Ldmni ein
Fiihr. 1 s, i:i will znva VereULndnis für
K&uu kritisches Problem iu der Auf-
fiassüDg Pmü NfttoqM. Eb ist die
8duift von
lM«irich Meyerh«ll, Erkenntnis-
begriff und Erkenntniserwerb.
Eine Natorp-Stadie. Hannover 1^,
C. Meyer. Fir. 1,20 K.
Der Terfa.^Her hat ilie Beobaohtnug-
gemacht, dam ans den Äussenmgen
fon Sdralminnem ttber Katorpeohe
Schriften hin und wieder ein wenig
freundlicher Ton erklingt Die Ursache
^anbt er nur in der „SchwerleelwrlKeit*'
der Schriften Natorps erblicken zu
ra mflasen. In klarer, ruhiger Dar-
legmig Ifthrt er in die von Natorp ver-
trctpn(> philosophische Richtung des
„methodischen Idealismus" ein, der
nicht das Sein der Dillige agrOndeD,
sondern die Verfahningsweisen , die
Methoden darlegen und begründen will,
durrh die menschliche Erkenntnis aich
aofbanl (S. 9ilO}. Der Verfaaser nimmt
Mb wid wieder Bemg ftaf Natorps ge-
nnuneite Abhaudluni^en, Bd. I.
Ali Haunterffebuis seiner Erürte-
für (fie Dtdftktfk MlurC der Ver-
fassrr an: 1. ^Anfa^ahe iles rnterrichts
ist die Gewöhnung an die tuaktiunelle
Denkweise" (d. h. das Denken, durch
das wir uns des eignen Tnns im Er-
zeugou der Anschauungen [in Natun«
Sinne] bewusst werden). 2. „Es gibt
in Wahrh«'it für Forschnii<f und
ünterweisuuj,' nur t;in Verfahreü''
(also Identität der wissenschaftlichen
Forschuugemethode nnd der Unterrichts-
methode).
Ostermann^ Dr. W., Das Interesse.
2. Anfl. Oldenburg u. Leipzig 1907,
Schnlse. Fir. 1^ M.
Walsemann, A.^ Das Tnt rf^-sse.
Eine Ziller-Studie. 2. Aull, neubearb.
▼on Dr. H. Wnltemann. HannoTer
1907, C. Jfeyer. Pr. 1,8Ü H.
Ostennanu ^f'h;n^lltet, (la.<5s das
Interesse „gan^ und gar im üduhl
wurzelt" (S. 12 ff); er identifiziert es
geradezu mit dem GefUhl (S. 77, 115)
bez. mit der Wertschätzung (S. 38),
Das erscheint nicht zutreffend. Im
Hinblick auf di^ Bedeutung des
PldaffOfiiobc Studieo. XXJX. &
Interesse in Herimrts Pidagogik kSnnta
man Herbart dann einen Geftthls-
pftdagogen nennen. — Nach Ostermann
entspringt die nrsprflngUelie Aufmerk-
samkeit dem Interesse: nach anderer
Auffaseung (vgl. Zillerj entwickelt sich
dax Interesse aus der ursprünglichen
Aufmerksamkeit. — Es i.'*t auffällig:, in
wie vielen Punkten der Verla^itr der
„hanptsächlichsten Irrtümer der Her-
bartscben Psychologie usw." in der
Bewertung des Interesse mit Herbart
im Grunde doch übereinstimmt. Dieser
Umstand könnte zu der Annahme ver-
anlassen, dass der Ffeydioloi^ Herbait
be.'^ser ist , als der ihm bereitete T\uf.
Ferner habe ich den Eindruck ge-
wonnen, dass Ostermann der Herbart-
schen Ethik nähersteht, als er dinkt
zugibt. Es wäre kuusjeyueut gewesen,
in dem Kapitel ^Ethische Bedenken-^
(S. 103 ff.) auf die Ilerbartsche Forde-
rung des vielseitigen Interesse
als auf einen Schutzwall gegen die
Selb.striui'ht zuzukommen.
l)ie Erweiterung der Uerbartschen
Fordenmg des vielseitigen Interesse
zu der des allseitis^en (S. l'^*'"! muss
als pädagogisch »ehr bedeukluh be-
Miehnet weraen. — Die Unterscheidung
eines positiven und negativen Interesse
(S. 11 j erscheint erkünstelt und logrisch
nicht haltbar. — Ostermanns l'nter-
snchung ist ihrer Vielseitigkeit wegen
zn seniteen nnd aneh Ton dem mit
Nutzen zu lesi :. i!er seinen psycho-
logischen Standpunkt bezw. seine
Gegnerschaft gegen Herbart nidit teilt.
Dem r>nrhe ist ein h i haltsverzeichnis
und ein Register zu wünschen.
A. Walseroann wollte durch seine,
bereits 1884 in 1. Auna^:e erschienene
Arbeit mit der Herbart -Zilierschen
Pädagogik vertrant machen. Selbsi-
Ter8tüudlit:h erschöpft Sich diesi? Päda-
gogik nicht in der Iiehre vom Interesse;
aber es sengt von gesundem pSda-
fogiscben Blick, dass der Verfasser die
infObrung in Herbarts Pädagogik
getnde von diesem Punkte aus vor-
zunehmen versuchte. Er stützte sich
dabei, wie im Vurwort gesagt ist, ganz
auf Zillers Grundlegung zur Lehre
vom erziehenden Unterrichte. Die
2. Auflage ist von Dr. H. Walsemann,
dem Bruder des früh verstorbenen
Verfassers, herausgegeben. Ein Ver-
2y
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— 450 —
gleich zwiachen der 1. und 2. Anflat^e
ißt mir nicht m'iglirb , da ich <lie
1. Auflage nicht zur Hand habe. Der
Heraatgeber der 2. Aufla<:<' scheint an-
zunehmen S. 5), dass Herbart und
Ziller den üciühlüfaktor im Wesen des
Interesse verkannt haben. Da« Ver-
hältnis des Interesse zum Willen und
zur Handlnncr (S. 23) ist nicht richtig
auffJTtfaHsr. Der S'atz: „Die Aufnu'rk-
aamkeit spielt im Unterricht, das
iDterMse im Leben die HanpiroUe"
(S. 2'V , U{ nicht zutivffend. Da»
Interesse ist doch der Zweck des er-
riehenden Unterrichts. Wenn femw
dus Intprcssc als die Wurzel des
Willfiis eilt , dami kann das Interesse
nicht schon Wille sein und nicht als
„Willenslage" bezeichnest werden (S.24).')
Auch was über die tormalen Stufen
gesafft ist, über ttittelbftres vaA nn>
mittelbares Interesse und manches
andere, bedarf der Revision. Alles in
allem: dem Buche, dessen Zweck ge-
billigt werden mnss, ist eine gründliche
Umarbeitung von nOten.
Yogel. Ur« Faul, Fichtes philo-
sopniseh - pädagogische An-
sichten in ihrem Verhältnis
SU Pestalossi. lAugensalza 11)07,
H. Beyer & S. Pr. 2 M.
Diese Arbeit bildet in gewissem
Sinne eine Eri,'äiizuug zu Natorps
Studien über Pestalozzi im 1. Bande
seiner Oeeammelten Abhandlungen. In
scharfsinniger, gründlicher und um-
fassender Untersuchung wird eine
weitgehende Übereinstiuunuiig zwischen
Fichte und Pestalo«ü nachgewiesen.
Als charakteristisch für die ndagogik
beider werden die drei grossen teleo-
logischeu Tendenzen ihres Sorialismos,
IttdiTidvaUsmns und Hnmanismns be-
zeichnet. Der Verfasser schlics'^t mit
dem Satze: ^Fichte und Pestalozzi
gehören der Vergangenheit an, aber
uure Kulturanschauun^ren her;2^en Keime
zu einer Ideenentwickluu^s die auch
heute noch nicht abgeschlossen ist."
Die Lektüre des Buches bestärkt die
Meinnug^ dass die metaphysi scheu und
erkenntnis-theoretischen * Grundlagen
fruchtbarer Ideen von der Nachwelt
nngesweifelt , ja aufgccrehen werden
kffnnen, ohne dass jene Ideen an Wiilc-
8amkeit einbüssen. Von den Tausenden,
die sich beute noch zu Pestalozzi be-
kennen, werden nur wenige dessen
metaphischen und psychologisch-erkount-
nistheoretischeu Standpunkt teilen.
Trotzdem föllt es niemand ein, zu
sagen : Fort mit Pcr^talozzis Pädagogik.
Herbart gegenüber erlaubt man anaers
sich verhalten zu dinfi n
Vogels Unteisachaug kommt auf
Natorps Ansicht sn, dass die An-
schauung im Sinne Pestalozzis als
apriorbtische Grundlage aller Erkenntnis
na denken ist, dass der Proseas des
Anschauens s iii -n innersten Wesen
nach die Au.^lt^uiii^- aprioristischer
Funktionsanlagen ist, wodurch sich die
Genesis der objektiven Merkmale der
Erfahrungswelt vollzieht". „Wenn
Pestahnn wiederholt von der un-
wandelbaren Urfortu der menschlichen
Geistesentwickiuu^if und vuu den ewigen
Gesetzen der Natur spricht, so liegt
in dem Gebrauche der B^gfriffe un-
wandelbar, ewig die Annahme gewisser
von der Erfahrung nnabhängiger Be-
wusstseinsbestaud teile' (S. 94). Uier-
iuu;h wArde die Anschnnnngspädagogik
de?i 19. .Tahrhuuderta nicht in Pesta-
iu£ziä Bahnen wandeln, sondern mehr
dem Standpunkte der Herbartieh«&
Philosophie eut.sprechen.
Vogels Buch mnss eingehendem
Stadium angelegentlich empfohlen
werden. Leicht freilich ist die Lektüre
nicht. Die Übersichtlichkeit di:s weit-
schichtigen Stoftes würde wesentlich
dadurch erleichtert werden, dass am
Schluss der einzelnen Kapitel die £r-
gebnis-ie in kurzen Sätzen sdlftrf Sll>
sammengefasst werden.
Boddite. Br. V. Sehilling.
Herbarts Lehren und Leben von
0. Flügel. Leipzig, Teubner, 1907.
156 S. Pr. geb. 1,26 M.
0. Flügel bat uns schon manches
schöne Buch geschenkt, zu dem man
gern narttckkehrt, wenn man sieh vom
modernen Materialismus und Monismus
angewidert fühlt; aber dieses neueste
kleine Schriftchen ist entschieden sein
pädagogisch - philosophisches Meister-
stück. Keine Geschichte der Philosophie
>) Über Willensbüdttug und Interesse siehe Päd. Stadien liMJö, H. 4.
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— 451 —
«Üe ich keuue, gibt mm 6o klare Dar-
flellang der Herbartischen Philosophie,
und kein Doaent der Philosophie kann
geine ikiiuler geschickter zum Mit-
philosophieren anleiten, als tu Flai;el
tut in diesem kleinen Heftch- n ihr
Sammlaufir .Aas Natur und Geistes-
W6lt«.
Tauseude von Lehrern, die in Her-
itarüscher Pädagogik und Psycholo^^ie
unterwiesen worden sind, haben gewiss
(las Rf;>lnrfnis, die philosophischen Aus-
schnittef die man ihnen geboten bat,
m einem abgerundeten Gmucen sn ge*
stalti-n. Fiiiircl bietet ihnen dazu «He
beste Gelegenheit. Indem er das
Weiden nnd Wachsen der Philosopliie
Herbarts ^■leichf^am initerlehen iSsst,
führt er ohne da» sciiwtre KüsUeug
einer gelehrten Scholaprache den Laien
in «he wichtigsten philosophischen
Prtihkme ein und zeigt ihm, welchen
Answeg Herbart gefunden hat und
warum er ihn gerade so gefunden hat
Indem Flügel so seinen Leser zum Mit-
phih-i^phieren <'in!,iil«t nnd anleitet,
bietet er ihm xagleich eine Aus-
eutudersefarnngr mit allen wiehtigvn
philosophischen Zeitfragen. Er geht
nämlich, ohne es immer besonders
bttrvorzuheben , anf alle Einwftrfe ein,
die im Laufe der Zeit gegen Herbart
erhoben worden sind, nnd gibt so
reichlich Gelegenheit und Anleitung,
sich mit i»iol!xi*ogischen und philo-
öophischeii Gegenwartsfragen aus-
einanderzusetzen. Ich möchte daher
das Flligelsche Schriftchen besonders
auch den Gegnern Herbart« recht »ehr
an» }ier/. legen; denn oft beruht ihre
Gei^nerachaft bloss anf dem falschen
Bilde, das man ihnen ron diesem
Philosophien entworf«-n hat. Es ist jii
leider so, dasa gewisse Leute sich die
Überwindmig ihns wiaaenaehaftlieben
Gegners dadurch erleichtem, das.*« sie
ihren gläubigen Lesern ein ZerrbUd
•einer Oedanken vormaleu, mn dann
diesen selbstgeschaffenen Popanz gründ-
lich zu vernichten. Wer sich also
ein eigenes Urteil über Herbart bilden
will, der sehe sich das BiM an, das
Flügel, der zwuifullus gründlichute
Kenner des Philosophen, von ihm ent-
wirft. Dastt m^bte ich um so
dringender aoffordem, weil es gerade
jecat bMMideia bei jangeien Leuten
xom guten Tone zu gehören scheint,
dam man Herbart berutetit, om das
eigene kleine Licht um so beUer
stnihleu za lassen.
Anerbacb LV. E. Tbrindorf.
eil* Gmber, Wirtschaftliebe
Erdkunde. Leipzig, B. G. Tenbner,
1906. (Ans Natur und Geisteswelt,
122. Bändchen ) 137 S. 1.25 M.
Dieses kleine Wt rk des leider zu
früh verstorbenen Vcrfassirs isi erst
nach seinem Tode ven'iffentlicht wor«len;
er selbst hat es aber noch nahezu
druckiertii» herstellen können. Die
Wirtschaftsgeographie gewinnt heate
immer grössere Bedeutung. Es ist
ileslialh mit Frenden zu be^^rüsseu,
wenu von so berufener Feder auch für
das ^roese Pnblilcnm wirtsebaftsgeo-
l^rai»lii3che Fragen in anreihender und
allgemeinverständlicher Weise behandelt
werden. Grober gibt ulebt, wie der
Titel vielleicht vermuten lassen kf^nnte,
eine vollständige Wirtschaftsgeographie.
Er greift wichtige Kapitel herans,
er kurz nml hftn<fig bespricht, und zwar
so, dass der Leser selbst zum Nach-
• lenken angeregt wird. Das Buch be-
bandelt in einem allgemeinen .Abschnitt
den Einflnss von Meer uml Festland auf
das Wirtschaftsleben der Völker und
dann in abgerundeten Einzelbildern
die Wirtschaftsgeograph iscbe Stellung
Europas und der bedeutendsten Staaten
nnsers Erdteils. Ans der deutschen
Wirtacbaftsgeograpbie bat Gruber
Deutschlands .^tellnnür anf dem Welt-
markt und deren Ur.'-arhen ausgewählt
und dieses Thema auf '22 .'leiten in ge-
drängter Kürze und sehr übersiihtlich
behandelt. Die Schlusskapitel [)ieten
einen Überblick über ganz Asien nnd
eine Betrachtung über die Wurzeln der
volkswirtschaftlichen Stärke der Ver-
einigten Staaten. Wir kOnncn das
Bttcblein bestens empfeblen.
A. Kleinschmidt. Die geographi-
schen Grundbegriffe. Gieaseo,
Emil Küth. 73 S.
Das Heft ist ein Konimeutur zum
Relief von Siedle, das den gleichen
Titel führt Eine sehr farbenfreudig«
grosse Abbildung des Reliefs ist dem
Bndie beigegeben. Sa iat eine der
29*
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— 452 —
bekannten Itleullandsclmfteu, auf tieneu
aUes mögliche anf dem ene^aten Raum
znsammcngenfercht ist. Im Hinter-
gründe erbebt sieb eine blutrote Sonne
mit der Hälfte ihrtr Schdbe Aber den
Meeresspiegel. Links davon speit ein
Vulkan^ und in dessen nächster Nach»
barscbaft erbebt sieb ein mit Ületschem
bedecktes Hochgebirge. Von diesem
kommt man ansseroFdentlich schnell
herab tn StiiiUen, Feldern, Eisenbahnen.
Hafenplfttzen und Inseln. Kleinschmidt
unternimmt es mm, mit den Kindern ntf
dieiem Relief Reisen zu machen, auf
denen alle Elemente der Erdkunde von
den einfachsten Omndbegriffen bis snr
allmmeinen Geoqrriiphie des Weltmeeres
QUO Festlandes entvYickdi und lyrewunueu
werden. Sogar die Entstehmig der
Eoralleninscln und riffe wird erläutert,
obgleich die Relief-Laudsscbaft durchaus
nichts Tropisches an sich hat und
Koralleninseln in ihr nicht zu erblicken
sind. Es ist erstaunlich, was der Ver-
fasser aus dem Relief herausholt. Eine
noch grtludlichere Ansnutzuug dieses
Anseliauungsniittels ist kaum denkbar.
In dieser Ikziehunc if>t die Arbeit
ausserordentlich fleissig und sorgfältig
dnrcb^fnhrt, ond wer ein Freand yon
derartigem geographischen Untt ri ',f
ist, wird mit Nutzen das Heft zur Hand
nehmen. Ich kann mich allerdings für
derartii,^e AuHcbauungsmittel , die dem
Kinde ein Bild geben, das in Wirk-
lichkeit nirgends vorhanden ist. und
die deshalb nur zu leicht falsdir An-
schauungen erwecken, nicht erwärnjcu.
A» Oppel, Landeskunde des
britischen Nordamerika. Hit
13 .Abbildungen und 1 Karte. (Samm-
luug Göschen, No. 2&i.) Leipzig,
Gfischen, 1906. 164 S. 80 Pf.
Die Sammlunip O^lscben bat er-
freulicherweise jetjrt auch die Erdkunde
in ihren Bereich t,'ezogeu. Das« die
Verlagshandlung da^ in grosszttgiger
Weise tun will, beweist das vorliegende
Bändchen. Dieses behandelt ein Gebiet,
das dem deutschen Leaer im allgemeinen
fem liecrt und durh von Jahr zn Jahr
eine erbühie \virt»ekU'tsgeci«jnijdiisehe
und politische Bedeutung erhält als
neue Weizenkammer der Erde und als
eine der wichtigsten englischen Be-
sitzungen infolge seiner Lige iwiseben
zwei Ozeanen. l>er Verfasser kennt
Amerika aus eigener Anschauung.
Seine Darstelluni}: ist von wissenschaft-
licher Gründlichkeit und Sachkenntnis
getragen und durchweg anr^end ge-
schriehen. Die hei^ejjebene Karte stellt
im Massstabc von 1 : 20 Millionen
ganz Britisch - Nordamerika mit dCD
neuesten Verkehnwegen und politischen
Grenzen dar.
W.Uhle, Alfred Kirchhoff. Halle,
Waisenhans. 1907. 30 S. 50 Pf.
Die Schrift iht dem Andenken des
verstorbenen Hallischen Geographen
gewidmet. Uhle wtirdigt in liebevoller
und doch nicht kritikloser Darstellung
da.H Leben und die Verdienste des Ver-
storbenen. Er betout, daas die Uni-
Teraltät die Stfttte von Kirdibofls
wichtigster Wirksamkeit war und dass
K.S wissenschaftliche Bedeutung weniger
auf der eigenen Erweiterung unseres
Wissens beruht als auf der Fäliiffkeit,
andere für eine solche .\ufgabe zu ge-
winnen. AlK* trüberen Schüler K.s
werden das Heft ürern zur Hand nehmen.
Ein wo hl gelungenes Bildnis des Ver-
storbenen ist i^igegeben, ebenso eine
Cbersicht seiner wichtigsten Werke
und Schriften,
Heinrich Fischer, Schul at las für
Anfang SU nterric h t und Mit lel-
Btufen. 47 Haupt- und 74 Neben-
karten auf ;')2 Kartenseiten. Biele-
feld und I^ieipzig, \ elhagen Klasing,
1907. Ft, 1^ M.
Dieser neue Atlas zeiehnet sieb
durch eine sehr scharfe und wirksame
Darstellung des <4elftndes und grosse
Übersichtlichkeit der Kartenblätter aus.
Der Preis ist für das Gebotene sehr
billig. Der Name des Heransgebers,
der als Vorsitzender der Zentral«
komuüssion für ertlkundliciien Unter*
riebt in Fachkreisen auf das beste
bekannt ist . bürgt wohl tr^nflirend
dafür, dmn auch die Stoffanswahl und
die methodische Anlage auf der H9he
der heutigen Erdkunde stehen. Der
Atlas beginnt mit der Darstellung
typischer Landschaftsformen Mittel-
europas in Gestalt von äusserst sanber
ansgefQhrtea SpexialkSrtcben, •«!
denen s&mtliche Oitschaften in ibiem
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— 453 —
wirklichen ümfaiicr durch rotes Kolorit
h^TOrtrSten, ohne ilnss bei (k'n
kkilMlieil die Namen ein^etrAqreii 8inii.
Po c^cvrinnt der Schüler ein wirkliches
iSüii über die Verteilnng, Grösse und
Anlage d«r Si«'(lclungfen, ohne dass ein
Übermass von überflüssigen Namen das
Karteubild »türt. Hervorzutiebtju ist,
daas für die einzelnen Blätter der
eigentlichen Landkarten miteinander
Tergleichbare Massstäbe gewählt sind
iiiiil zw.ir V. n 1 : 3000000 bis zn
1 : 4ti0üÜ0U>. Jiksterer Maesetab dient
für die spezieUeren KartenblStter Ton
Mitteleurop;» . der letztere für lie
awsereoroii&ischett Erdteile. Au^ diese
Weise let es leidit, Masse aas der
dBen Karte vergleichsweise auf die
andere zn übur tragen. Anch die
Nebenkarten sind in einem Massstabe
gehalten, der immer 1 : 3000 (XX) oder
ein vielfacbeü vuu 3 Millionen ist.
Ganz besondere Berücksichtigung haben
die deutsche Heimat und das deutsche
Volk gefanden. Besondere Karten
zeigen die Verbreitung des Deutsch-
tuins innerhalb and ansserbalb Europas
nnd lUe wiitsdiartliche Bedentnng ««r
vers(hieileiieu Liuider für Deutschland.
Pie letzten Kartenblätter behandeln
die aDs:em<dne Erdkunde. Sie geben
ins die r übersichtlich das Wichtigste
Bber Klimu, Vegutationsformcu und
Meeresströmungen, Nutzpflanzen, wich-
tige Tiere, Weltverkehr, Volksdir hte.
Verbreitung von Kohle und Eisen uitd
ein Blatt zur Himmetolnude. Die
Reibenfolf^e der Karten pas^t sich
genau «lern Gange des Untt-rricbls au.
Ans praktischen Gründen sind noch
zwei Kartenblätter zur biblischen Ge-
schichte nnd zn den deutseben Ein-
heit>kriegeii beiy^ef^eben. Der Fiscbersche
Atlas kann als eine wertvolle Bereicbe-
nms maserer bUfigwi UnterrichtsndUel
bmehmet werden.
Devtscbe Rundschau fUr Geo-
granhie und Statistik. Ileraus-
gegebeu vuu Trvf. Dr. Fr. Lmlaoft.
Wien, A. Hartleben. Jibtl. 18 Hefte.
Pr. 13,50 M.
Wir haben diese für einen weiteren
Leserkreis berechnete Zeitschrift hchon
wiederholt empfehlen können. Auch
der jetzt abgeschlossen vorliegende
29. Jahrgang rechtfertigt den Ruf,
den sich die D. R. erworben hat. Neben
grös^seren Aufsitzen, die die ver-
schiedensten Themen aus den Gebieten
der Erd- nii ! ^^ilkerknnde behandeln,
unterrichten nie kleineren Mitteilungen
schnell nnd zuverlässig ttber alle
Neuigkeiten. Eint n besonaeren Schmuck
deis letzten Jaiiii,aiiigs bilden die vor-
züglich ausgeführten Abbildungen, die
fast ausnahmslos nach guten Photo-
graphien angefertigt sind und dem
Leser Lander und Völker im Bilde vor-
führen. Am lehrreichsten sind in dem
Tortiegenden Jahrg-ange yielldeht die
AbLilmingeu errünländischer Glet.scher,
Eisfjorde und Eisberge. Jedem Hefte
ist, wie bbher, eine Karte beigegeben;
im letzten .lahrgang:e sind die Karten-
beilagen zum grossen Teil der Verkehrs-
Geographie gewidmet. Bis auf die
egenwart ergänzte Eis«.nbahnlcrn-t»'n
von Afrika, Argentiuieu und llussiaud
geben eine Vorstellung von der Ent-
wicklunj? des Verkehrs in diesen
Ländern. Auf der Karte von Rassland
sind auch die WaisBiBtraisen eingehend
berücksichtigt.
Planen i.V. Dr. J. Zemmrich.
Die Technik i1 1 < Zeiehenun t er-
richtes vont^eorgFriese. Hannover,
Hdwingsehe Verlagshandlnng. Freie
76 Ft.
Die vorliegende Schrift ist ein er-
weiterter Sonderabdruck ans dem
8. Bande des Jahrbnehes fttr den
Zeicheu- und Kunstuuterricbt von
Friese. Sie will weitere Kreise mit
einem wichtigen Abschnitt des gt-
nannten umfangreichen Werkes be-
kannt maciieu. In vier Kapiteln ver-
breitet sich der Verfasser über den
Raum, in dem gezeichnet wird. Ober
die Modelle, die für die verschiedenen
Stufen nnd die verschiedenen Schnl-
gattnn^n empfehlenswert sind, über
die Zeichengeräte für den Unterricht
im Freihandzeichnen U)id aber £»e-
ei^nete jUilfsnuttel heim konstruktiven
Zeiehnea.
Die Amfllhrungen lassen doieh-
ijänarig den erfahrenen Fachmann er-
kennen nnd können Behörden und
Lehrern bei der Aulatje und Ein-
richtung von Zeichensälen und ebenso
bei dar Amehaflqng von Zeichen"
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— 454 —
modellen und der Auswahl tob Zeicbeu-
gerfiten gute Dienite leistcii.
Zeichnennnd Zeiclianu ut er riebt.
£ine theoretisch-praktische Anleitang
inr Neugestaltaug des Schnlzeichcn-
anterrichtes von K. JÜAngold.
Halle a. S., Hermann Sehroedel.
Preis 2 M.
Das 150 Seiten umfassende Buch
•will Zeichenlehrern, die bisher nicht
Gt'k'^'pnhcit hatten und voraussichtlirli
auch in Zukunft nicht haben werden,
lieh in logenanoten Etnfahntiin- oder
Fortbfldiuiffskursen mit den Zielen und
den Kethown dea neoseitlichen Zeichen-
unterriebtes bekannt m machen, als
Wegweiser dienon.
in dem ersten, all^emelneu Teile
der Schrift werden das Wesen und der
Wert der Zeichenkunst besprochen. Der
zwcitti Teil bebandelt zunächst die
Wandlungen, die der Schulzeichenuuter-
richt seit den siebzicrer Jahren des
vergangcueu Jahrhuuderts erfahren hat,
und wendet sich dann dem Unterrichte
an, wie er nach den ministeriellen Be-
stimmiingen Aber den Zeichennnterricht,
die in den Jahr^^n 1901—1904 erlassen
worden aiud, in Prenuen erteilt werden
•oll.
Benonders willkommen werden vielen
die Lehrbeispiele sein, die der Be-
apreebmipr jeder Unternehtsitnfe hti'
gefügt sind.
Auch Aber das Linearzeichnen im
6., 7. und b. Sobnljahr, aber Zeit,
Banm, Lehr^ mid Leminittel (Zeieheii-
bl<" V-"- Zeichenstiinder u. a.) fttr den
Zeichcuunterricbt spricht sich der Ver-
fasser aas.
Den SchluBs bilden die prenssisohen
ministeriellen Bestimiuuiigeu über den
Zeiehenonterricht.
Von der Beigabe grösserer bildlicher
Darstelluu^eu ist Abütaud geuuinmen
worden. Die kleinen Textfignren wollen
nur die Formentwicklung einiger Vor-
bilder vor Augen führen.
Eine empfehlenswerte Schrift für
jeden, der sich mit dem Betrieb des
neiumtUdHui Zeieheniinterridits belnuHil
matcbfln willl
Zeichenger&te nnd LehrnitteL
Ein Hilisbach für den Zeichennnter-
richt an gewerblichen Lehranstalten,
nach eigener Brfümng Bttsammen-
gestellt und herausges-eben von Otto
Llppmanji. Dre»deu-N. SO. Preis
60 Pft
Verfasser unterrichtet über die Be-
schaffenheit, Behandlung und An-
wendung sämtlicher bei dem technischen
Zeichnen in Betracht koim , i ier Werk-
zeuge und Hilfsmittd. Zahlreiche
saabere Abbildungen VDtenttttsen den
Text nnd 1 i ^ n das Hefteben auch ffir
die Verwendung in Fortbildungsschulen
geeignet erschonen.
BoeUitaiS. A. Mtder.
Eingegangene Bfleher.
(Besprachnag vwbebaltcii.)
Ermert, 0., Vom deutschen Aiifsal;* in drr Volksschule. >Tindf n, >t.irowsky. Plr, 70 PC
Miller II. Völker, Realienbuch für Volks» und Mittcischulco. Ausg. A. fllr nfbi^
klasaige Sdralen. Giesien, E. Roth. Pr. 9,50 M.
Flügel, 0., Monismus und Theolocir. 3. Aufl. Cöthcn igoS. O. Schiil/c. Pr. 7 M.
Franke, Herrn., Chfullicher Monismus. Dresden 1908, Ungelenk. Pr. 60 Pf.
Conrad, Qerh., HomefTers Well- und LcbrnsanschauoBg. Ebenda 1908. Pr. 80 Pf.
BaM, Prof. Lic. B.. Unsere religiösen Ersieher. Bd. I tt. a. Ldptig 1908, Quelle
und Meyer. Pr. geb. 8,80 M.
BltOllr Lndw., Das Markus-Evangelium als Grundlage zur Gewinnung eines Lebensbildes
Jesu. Berlin 1907, C. Meyer. Pr. geb. 1.70 M.
Klepl, Georg, Zur Umbildung des religiösen Denkens. Leipzig 1908, Klinkbardt.
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Ebenda.
■urz, Fritdrteli, ChrisÜtclf«*aiigdiMhes Ldu-bflehlein fllr den Konfirnundcnnntmicbt.
Auspiibe für Baden. Tübingen 1907, Mohr. Pr. geh. 50 Pf,
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erziehung. Neu herausgegeben von einer Vereinigung prakÜ5.chcr bchulmänntr.
r j J ihrp. 2. Heft. Hamm i. Westf., Breer & Thiemann, Pr. d. Jahrg. 6 M.
lülltir der Familie. Heraugegebcn voa Dr. Heinrich Pudor. z. Jahig. 5. Udk.
Beriin-Slcglitz, Forttstrasse Pr. Quartal 2,10 M.
TM Kindergarten Magazine and Pedagogloal Digest. IIor.iu>f;cf^'tb< n von E. Lyell
Earlc. New \'otk, 59 West 96"« Street. Pr. d. Jahrg. i Dollar.
IHnt lustige Kindergarten. Text voa Oskar Wiener. Kider von Aug. Gcigt n-
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Schiller höherer Lchnmstalten und zum Stlbstunterrichl. Hannover IQ07,
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Derselbe. Lesebuch zui deutschen Staatskunde. Ebenda. Pr. 1,20 M.
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liebes Leben. II. Privatleben. Leipzig 1907, Guschen. Pr. je o,8o M.
Brandenburger, Dr. Cl., Polnische Geschichte. Ebenda. Pr. 0,80 M.
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F, Hirt. Pr. geb. je 3,a5 M.
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und Hödel. Pr. 0,60 M.
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Hü. 43: Wasse r /i e her , Shakespeare, Julius Cäsar. Hd. 44 . SchLidehach,
Rflckerts Gedieht« . Bd. 46: Kinzel, Bcgicitstoffc zur deutschen Literatur-
geschichte, ßd. 47 . Wohlrab, Sopholdcs König Ödipns. Pr. 0,80 M., I M.«
I, 45 M. und 0,60 M.
Die »isländischen Klassiker. Herausgegeben von Dr. P. H; 1 11? Dr. H. Wolf.
9. Bdch. : Shakespeares Coriolan von Wasserzichcr. b. Bdcb.: Shalcespeares
jölins Cäsar von P. Han. l^ipzig 1907, Bredt. Pr. i,ao M., f M.
Dld deutschen Klassiker. IIer,iu.>-^;rj,'ei)en von K. Kuenen undM, Evers. 2. Bdch. :
Schillers Jungfrau von Orleans von E. Kucacn. 6, AuA. Ettenda. Pr. l M.
Volktblolier der Deoteebeii Dloliter*fiedloMiilt*Sttfhiiig. Heft i3->3o: Wiehert,
Der VV^ilddicb, Srhückinf^. Die drei Grossmächte, .^n7engruber, Der
Erbonkel und andere Geschichten. Döhlau, Kusswirkungen. Frapan-
Akunian, Die Last. H. v. Kleist, Die Veriobong in St. Domingo. — E>as
Erdbeben in Chili. — Der Zweikampf. Roscggcr, Der Adlerwirt von Kirch-
bruua. Ernst Zahn, Die Mutler. Hamburg-GrosslMJrstd, Verlag der DcuUchen
Dichtcr-Gcdächtnis-Stiftung. Pr. geli. 50 — 60 Pf.
Odlkmäler der älteren deutschen Literatur. Herausgegeben von G. Böttieher und
K. Kiiiicl. Halle, Waisenhaus. D-is Nibelungenlied. Pr. 1,40 M. W.ilther
von der Vogelweide. Pr. i,io M. Ufr arme Heinrich und Meier Helmbrecbt.
Pr. 1,10 M. Die Literatur des siebzehnten Jahrhunderts. I'r, 1,20 M. Neu-
baoer, Martin Luther. Eine Auswahl aus seinen Schriften in aller Spracliform.
Pr. 3,80 M.
Uruet TOD A. Kl«u A e^bn in >'auo>burg a. S.
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Pädagoöiscbe Studien.
Neue Folfle.
Gegründet
ProfflBsor Dr. W. Rein.
XXX. Jahrgang.
Heramgegeben
Ton Schulrat Dr. M. Schilling,
in Eochlits.
DraBd«ii*Blawwitji.
Oertoa 90B Bleyl A Katmmtrer (0. S<bainb44)).
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60. A. FabHt« Praktische Krsiehonff. S. 888. ^rättig.)
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rieht, Teil in/IV. S. 318.
71. Müller A Völker, Geschichte. S. 318.
72. Uelnrieh Heine. Kaisers Bilder und Lebensbeschreibungen ans der Welt*
rsbiehte. 8. 818—819. (Hemprich )
V. SoTfllitz, Handbuch <li r r,,rir.niphie S P>19— 320. (Zemmrich.)
74. M. Uemprich, Winke zur üründong und Leitung von JugendTereinignngea.
• 8. 396. (Franke.)
7n ThcDdar Paul Tol^ Hein Kind. 8. 886-887. (Blttthgin.)
76. i'eutscijeh Lesebuch.
77. Leonhard, Der dentMiie Aufsatz auf der Mittelstufe. S. 397.
7& Ewald, Wegweiser mr Eniehong einM adbatiiidlgeii daiitaohiB Sehftlar-
anfsatzes. S. 397
79. Reiff, Praktische Kunsterziehung. S. 397—398. (Fr. Schilling^
80. J. F. HerbartK sämtliche Werke. Band 14 m 15 S. 466—46(8. (Pranke.)
81. Dr. Kurt üeiiHler, Moderne Verimmgen auf jihilosophisch -mathematischen
Gebieten. S. 466—467. (Geissler.)
88. Friedrich Ranaefe^ Mängel der AnaehaaiiBgsbilder and die StoiDahimittel.
8. 467 — 468.
8!' W, Krück, Wie ich mit meinen Kleinen rechne. S. 468.
84. Uermann HaaM» Zwc Methodik des eiaten Bechennaterdehtea. S. im-AßH,
(Hemprich.)
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A. Abhauüluugeu.
L
Lehrerpersönlichkeit.')
Von Dr. M. Sohllling ia Roclüitz.
In Zeiten grosser Bewegung wird die Fahne des Schlagworts
"gepflanzt. Dies geschieht nicht nur auf dem Gebiete der Pohtik,
idern auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens. Schlagwörter
rden zu F^eibezeichnungen. Das Schlagwort ist ein Schein-
rfer, der nur einzelne Streifen einer Landschaft erhellt Wer die
eifen für das Ganze nimmt, wird getäuscht und irregeleitet Im
tilagworte kommt ein starkes Verlangen nach Befreiung von einem
lel, oder nach dem Besitz eines Gutes zum Ausdruck. Ein Übel
'd zu dem Übel, ein Gut zu dem Guten, zum höchsten Gute,
s Schlagwort ist ein weites Gedankengewand; in seinen Falten
nnen tausend individuelle Wünsche und Auffassungen sich bergen ;
her bannt es die Massen in seinen Zauber. Es erleuchtet blitz-
ig, aber es verhüllt auch; es lockt den Blick in weite Fernen
d blendet das Auge für das Nächstliegende.
Nicht darf verkannt werden, dass ein jg;ltteklich geprägtes Wort,
3 die Aufmerksamkeit auf ein hohes Ziel lenkt, Grosses zu wirken
mag: es eint die Auseinanderstrebenden, sammelt die zerstreuten
mpfcr TU wuchtigem Verstösse. Doch ebenso wichtig wie solche
•rstösse ist der Überblick über das Ganze der Gefechtslage und
s verständige, treue und zahe Festhalten an dem bereits Er-
igenen. Das Schlagwort drängt nur in einer Richtung vorwärts;
i-ht wird dabei die Fühlung mit dem Ganzen verloren. £in<
ti^keit wird zur Abseitigkeit.
In der pädagogischen Presse und Literatur begegnet man jetzt
ir oft dem Worte Lehreroersönlichkeit Die Lehrerpersönlichkeit
ihrem Verhältnisse zur Unterrichtsmethode, zur Schul-
*) Eine Ansprache , gehalten auf dcr^ i^Iauptkooferenz des Scholinspektionsbczirks
cUHt am 15. September 1908.
FldHMMblMta. XXX. L 1
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aufsieht und zu dem Erzieh u 05:^5 ziel: unter diese drei Ge-
sichtspunkte lassen sich die verschiedenen Meinuni:,'en, Wiinsche und
Forderungcii zusammenfassen, die sich an jenes VVort knüpfen.
Bei dem Worte Persönlichkeit wird nicht immer an dieselbe
Sache gedacht Manche benennen schon die Eigentümlichkeiten
eines Menschen damit: sie verwechseln Individualität und Persön-
lichkeit. Wir Wüllen dabei an die sittliche Persönlichkeit denken,
deren Wollen auf sittliche Urteile gegründet und von sitthciien
Grnindsätzen beherrscht wird» die ein in sich geschlossenes har-
monisches Gefiige bilden. Der Begriff der sittlichen Persönlichkeit
ist ein Idcalbcg^riff. Die Fordcrun^^cn dieses Ideals ert^ehen als
zwingende und bindende h orderungen an alle Menschen ohne Unter*
schied des Berufes und Standes.
In dem Worte „Lehrerpersönlichkeit" tritt aber zu dem Be-
griffe der Persönlichkeit etwas Besonderes, etwas auf den Beruf
Be/ücjlichcs, was diese Persönlichkeit von allen anderen unterscheidet.
In keinem anderen Berufe ist das allgemein sittliclie Ideal so eng
mit dem Berufsideale verbunden, wie in dem Berufe des Lehrers
imd des Geistlichen. Daher haben in keinem anderen Stande Mangel
der sittlichen Persönlichkeit so nachteilige Wirkungen auf die Berufe-
erfüUung, als bei den genannten; daher wird auch dem Lehrer wie
dem Geistlichen die Fähigkeit zur Ausübung des Berufs abg^esprochen,
wo unter sonst gleichen Verhältnissen andere Berufe nocli ausgeübt
werden dürfen. Jener enge Zusammenhang mrkt hinein in die
bürgerlichen Verhältnisse und drängt nach mancher Seite hin in
dne Ausnahmestellung. Diese Ausnahmestellung bedeutet an sich
noch keine bürgcrliclic Dei^radierung, als welche sie Öfters aufgefasst
wird. Von höherem Gesichtspunkte aus kann man vielmehr darin
eine besondere Hochhaltung und Wertschätzung des Standes er-
blicken.
Gehen wir nun auf die Lehrerpersönlichkeit etwas näher ein!
Die Lehrerpersönlichkeit und die Unterrichtsmethode. Da
hören wir /.. B. : „Von einer Persönlichkeit verlangen wir nichts
aiideres, als einen braven, ehrlichen, strebsamen, selbstherrlichen
Menschen mit einer bestimmten Summe von Kenntnissen für seinen
Beruf;" oder: „einen vollen Menschen eignen Gepräges und eigner
Selbstbestimmung, der denken Irann, und mit einer starken Seele,
einem starken Wollen ausi^erusiet ist In diesem Sinne muss der
Lehrer eine Persönlichkeit sein." — „Jeder Mensch denkt ver«
schieden; darum passt auch nicht eine Methode für alle." So nach
einem Berichte der Fädag. Zeitung (1906, No. 15) Prof. Dr. Ludwig
Gurlitt in einem Vortraf^e vor einer ausserordentlich stark besuchten
Versammlung des Berliner Lchrervereins. Von einer anderen Seite
hören wir: „Mehr PersönUchkeit und weniger Methode 1 Ihr
Methodiker seid kalt und herzlos; denn euer Mechanismus ist die
Sünde wider den Geist des Unterrichts und der Erziehung. • . .
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Unterriclitskunst ist wie die Bühnenkunst in so vielen Fällen
Mechanismus mit dekorativem Schimmer. Die wahre Kunst
n Schöpfungsakt Sie steht über Anweisungen und Theorien
ist ein Feind jeder Schablone. Ihre Ausübung ist ganz
nlichkeitssache'* (O. Seydel in der Pädag. Zeltung 1905»
2).
n diesen Aussprüchen kommen fol;^cnde Auffassungen zum
rucke: Persönlichkeit ist Ungebundenheit, Freiheit, Selbst-
:hkeit; Methode bedeutet Grebundenheit , Mechanismus,
>lone. Demnach stehen Persönlichkeit und Methode in einem
asatze. — Persönlichkeit ist inbe/.u^ ;iuf den einzelnen Einzig-
:cit, inbezug auf alle unbegrenzte .Mannigfaltigkeit. Daher gibt
• viel Methoden als es Lehrer gibt. (Mit demselben Rechte
:e man sagen: daher muss es so viel Methoden geben, als es
lehende Individuen gibt) Allgemein bindende Vorschriften
vom ÜbeL Sie vergewaltigen den Lehrer und Erzieher auf
inen, den Lernenden Ufid Zögling auf der anderen Seite.
A'ären die«;e .Auffassungen richtig, dann müssten die Schulen,
enon .Methode nichts gilt, die besten Erfolge und die meisten
gediegensten Lehrerpersönlichkeiten aufweisen, die Schulen aber,
iich eines methodischen Verfahrens befleissigen, gedankenlose
iklaven und nur dressierte Zöglinge erzeugen. Dem wider-
hen die Tatsach <^:i. Wenn jene Auffassungen über da.s Ver-
ls zwischen Lehrerpersönlichkeit und Methode richtig waren,
müssten alle hervorragenden Pädagogen \'erächter der Lehrer-
inlichkeit gewesen sein, denn ae alle haben es als eine der
^hmsten Aufgaben erachtet, bestimmte Normen für das Lehr-
hren zu erforschen , rlann auch müssten wir die eifrige Arbeit
Gegenwart auf dem Gebiete der experimentellen Psychologie
die Erforschung der seelischen Entwicklung nicht nur als
klos, sondern geradezu als verwerflich erklären, denn diese
'ebungen sind auf Feststellung von Normen für das Lehrverfahren
htct und würden folglich ebenfalls zur Knebelung der Lehrcr-
inlichkeit beitragen.
Dass die Persönlichkeitspädagogen der oben gekenn7eichncten
tung sich starker Einseitigkeiten und Übertreibungen schuldig
len, bedarf kaum eines Nachweises. Ihre Behauptungen können
iT vor der Ethik, noch vor der Logik und Psychologie bestehen.
könnte deshalb darüber hinv. ersehen und diese Richtung sich
t überlassen, wenn nicht .\n/,eichen vorhanden wären, dnss ihre
:hauungen Kingan;^ finden und Verwirrung anzurichten beginnen,
.erleiien zu dem Irrtum, dass der Lehrer das Mass aller Dinge
nterricht und Erziehung nur in sich zu suchen habe und da
finden könne.
Peisönlichkeit ist nicht Ungebundenheit und Methode nicht
Schablone.') Wer die Methode als Schablone auffasst, oder wer sie
dazu macht, beweist nur, dass er nicht Pädagog ist. Wem
methodische Normen überhaupt nur äusserer Zwang, blosse PoUzei-
vorschriften sind, dem können sie allerdings auch nicht zu einem
Bestandteile seiner Persönlichkeit werden, der entbehrt aber auch
eines charakteristischen Merkmals der Lehrerpersönlichkeit. Wenn
die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen auf ethischem und psycho-
logischem (jrebiete nicht auf gewisse Normen zurückgeführt werden
könnte, danfi mOsste diese Mannigfaltigkeit verwirren und ein ztel>
bewusstes und zielstrebiges Handeln des Lehrers und £rziehers im
Keime erstickt werden. Wenn die Persönlichkeit im Sinne blosser
Individualität schon die Methode wäre, dann wäre ein jeder Lehrer
ganz auf sich gestellt, ein jeder müsste immer wieder von vom
beginnen; was andere erfahren, gedacht und erforscht haben, wäre
fiir ihn unmassgeblich, also so gut wie nicht vorhanden. Ein Fort'
schritt wäre danti nicht möglich, nach den Anschauungen gewisser
Persönlichkeitspädagogen aber auch nicht nötig.
Persönlichkeit und Methode bilden keinen Gegensatz; auch ist
mit der Persönlichkeit die Methode nicht schon gegeben : wohl aber
soll alles, was man mit dem Worte Methode zusammenfasst, als
Ei^ebnis gründlicher Erwägungen und emster Selbstbildung Sadw
der Überzeugung werden, in die Persönlichkeit des Lehrers an-
gehen, also nicht etwas nur Angelerntes und handwerksmässig An-
zuwendendes sein. Methode ist ein wesentlicher Bestandteil der
Lehrerpersönlichkeit Persönlich wird nur, wovon wir überzeugt
sind* Mit der Lehrerpersönlichkeit werden daher nur solche
methodische Vorschriften in Widerstreit geraten, die wider besseres
Weissen gehen, den Tadel eines feineren, schärferen pädagogischen
Gewissens sich zuziehen. Das pädai^nfTi-sche Gewissen ist die
Lehrerpersönlichkeit. Ks wird nicht angeboren, sondern durch sorg»
fältiges Studium und prüfende Prasds erworben. Je tiefer und um-
fassender das Studium, je feinfühliger die Pkaxis, desto schärfer das
Gewissen auch in methodischen Fragen.
Weil nun das pädagogische Gewissen erworben und infolge-
dessen bei verschiedenen Personen verschiedene Grade hat, ist eine
gewisse Unterordnung aucli m lueLhodischen Dingen luciiL wieder
das Gewissen. Der angehende Lehrer muss eine solche Unter-
Ordnung geradezu als Wohltat empfinden, la sie ihn in einer Ver*
antworüichkeit entlastet, die er noch nicht voll tragen kann. Je
weiter er sich zur Überzeugung heraufarbeitet, desto mehr wird
das ursprünglich fremde (jebot zum Sclbstgebot, desto mehr
schwindet da» Gefiihl der Unterordnung und wächst bei normalem
Empfinden das VerantwortlichkeitsgefiihL Die LdirerpefSönlichkeit
>) Vgl. Pädagogische Studien 1904, S. 81 ff. (Hefi 2); Individualit&t und
Persttalichkeit.
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— 5 —
lichts Fertiges, sie ist und soll ein beständig Wachsendes sein,
r fertig^ i-^t dem ist niclits recht zu maclien, ein Werdender
X immer dankbar sein."
'Mit dem Schlagworte „I.chrerpersönlichkeit" soll au-h das
biet der Schulaufsicht getroffen werden. Wenn man memt,
SS Aufsicht irgend welcher Art, Aufsicht an sich schon eine Be-
digung der Lehrerpersönlichkeit sei, so geht man gewiss zu weit
sgreiflich ist, dass der Lehrer in diesem Punkte besonders
npfindlich ist und empfindlich sein muss. Jede Sc lnvächung der
utorität trifft den Hauptnerv seiner Wirksamkeit, verletzt oder
iterbricht die Leitungsbahn, die ihn mit dem Zöghnge verbindet,
»er Empfindlichkeitsgrad hängt unter normalen Verältnissen ab
on der Stärke des Verantwortlichkeitsgefuhls. Wie das Ver-
ntworllichkeitsgcfühl des einzelnen, so wächst das eines ganzen
itandes im Verlauf seiner Entwicklunjr. Ks wird zur Standesehre.
Je lebendiger das Verantwortlichkeitsgcfuhl ist, desto zarter
muss die Aufsicht ausgeübt werden. Aber sdbit das empfindlichste
Verantwortlichkeitsgeluhl braucht die Aufsicht an sich nicht als
entwürdigend anzusehen. Die Schule ist eine Einrichtung des
Staates, ein Faktor der religiösen Volkserziehung, ein wichtiges
Selbstverwaitungsgebiet der Gemeinden, eine Ergänzung der
FamiUenerziehung. Der Staat und die Gemeinde muss die Ver-
antwortung daßir tragen, dass diese Einrichtung ihren Zweck nicht
veifdüt, die Kirche und die Familie haben ein wesentliches
und natürliches Interc'^se daran. Diese Verantwortung kann nur in
der Form einer Aulsichtsführunfr über das Schulwesen in die Er-
scheinung treten. Aufgabe des Staates iSl es, dafür zu sorgen, dass
die Au&icht nicht ein Hemmnis der Entwicidung wird, dass sie
nicht in Formen ausgeübt wird, durch die die Lehrerschaft in ihrer
Wirksamkeit beeinträchtigt und in ihrem Vorantwortlichkeitsgefühle
gekränkt wird. P^s ist ijewiss nicht leicht, einen siciieren Massstab
für die Stärke des Verantwortlichkeitsgefühls eines f^anzen Standes
ZU gewiiuiea Die Erfahrung aber lehrt, dass entgegengebrachtes
Vertrauen starke Kräfte auslöst. Im Lefarerstande hegen Kräfte,
die ein solches Vertrauen rechtfertigen.
Es wird gesaf^, gerade das Beste, was der Lehrer geben kann,
entzieht sich der Aufsicht und kann durch keine Prüfung festgestellt
und gesicbert werden. Das kann doch nur heissen: Das Beste, was
der Lehrer zu geben hat, kann weder durch Aufsicht, noch durch
Prüfimgsvorschriften erzeugt werden. Das ist nicht zu bestreiten.
Einem geiibten Blicke entgeht es aber wohl kaum, ob der Lehrer
ein Hera für seinen Beruf und für die Kinder hat, oder nicht; ob
die Kinder sich unbefangen geben und gern ihm folgen, oder ob
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knechtische Furcht sie behercscht; ob der Unterricht das organische
Wachsen der Seele fordert, oder eitel Drill ist. Das Her/ kann
freilicli durch keine Aufsicht ersetzt, und das echte päda;^o<;ische
Schaffen nicht durch Anweisungen und Vorschriften von Fall zu Fall
geregelt und ermöglicht werden; aber es ist ebenso widitig, zu
wissen, was ein Lelu'er nicht vermag, als zu wissen, was er vermag.
Eine verständige Beratung kann die üblen Folgen von Mängeln der
Lehrerpersönlichkeit abschwächen, wenn auch nie ganz aufheben.
Dass solche Mängel bestehen, wird niemand bestreiten wollen. Sie
bestehen so gewiss, ab wir alle eben nur Menschen sind. Im
Interesse seiner selbst und wegen der Wichtigkeit seiner Aufgaben
muss der Lehrerstand wünschen, dass solche Mängel entdeckt und
ihre Folgen möglichst abj^cschwächt werden. Lehrerpersönlichkeit
und Schulaufsicht sind nicht geborene Feinde, sondern natürliche
und notwendige Bundesgenossen. Nur müssen sie sich auch wie
Bundesgenossen und Kameraden zueinander stellen. Wenn die Auf-
sicht den Charakter pilichtbewussten und pflichtgetreuen Zusammen-
wirkens der verantwortlichen Faktoren trä^^ft, kann durch sie die
Lehrerpersönlichkeit nicht gekränkt, sondern nur gestärkt und ge-
hoben werden.
Es wäre falsch, die in neuerer Zeit hervortretende Betonung
der Lehrerpersönlichkeit schlechthin als Standeseitelkeit, als Ausfluss
eines überreizten Standesfjefiihls zu betrachten und zu verurteilen;
ebenso falsch aber, ja sot^ar zweckwidrig und c^efahrlich ist es, zu
weitgehende Folgerungen daran zu knüpfen und die Persönlichkeit
als einen gänzlich unumschränkten Herrscher sich zu denken. Wie
die sittliche Persönlichkeit an Normen gebunden und eben durch
diese Gebundenheit erst Persönlichkeit ist, so auch dir f chrer-
persönlichkeit. Hüten wir^uns vor Ubertreibunfjen, die von niemand
geglaubt werden und die Anerkennung berechtigter Wünsche und
Forderungen nur verhindern. Die besonnene Betonung des Rechts
der Lehrerpersönlichkeit muss als ein gutes Zeichen der Zeit auf-
gcfasst werden, denn in. der Lehrerpersönlichkeit liegt ein Haupt>
faktor der Erziehung.
Es hat wohl kaum eine Zeit L,a'i^eben, die den Pünfluss der
Lehrerjjcrsönlichkeit auf die Erreichung des Erziehungsziels
verkannt hatj aber es hat Zeiten gegeben, in denen dieser Einfluss
nicht hinreichend wirksam werden konnte, oder in falscher Richtung
sich ii^eltend machte. Es kommen hierbei die Staats-, sozial- und
schulpolitischen Anschauungen , die Bildungs- und Erziehungsideale
der verschiedenen Zeiten, besonders auch Fragen der Lehrerbildung,
der sozialen und wirtschaftlichen Lage des Lehrerstandes in Betracht
Nachdem die Bildung des sittlich -religiösen Charakters, oder die
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»önlichkeitsbildun^ als oberstes Erziehung^sziel mehr und mehr
Tkennunff srefunden hat, ist die Persönlichkeit des Lehrers in
ste Beziehung zu seinen Beruisaufgaben gerückt. Nur wer selbst
der Bahn nach dem Ideal der Persönlichkeit wandelt; kann mit
>lg in der Richtung jenes Erziehungszieles wirken. Nur Charaktere
nen Charaktere bilden Deshnlh ist die Betonung der Lehrer-
iönlichkeit mit FtrinJcn zu bc^russen; doch darf man Persön-
keit nicht mit iiidividuaiit«it verwechseln, wie manche tun. Der
rifr der Lehrerpefsönltchkeit schliesst die sittliche Persönlichkeit
dazu aber alles das, was den Lehrer und Erzieher ausmacht,
das ist nicht wenig. Wenn die Lehrerschaft das Recht der
rerpersönlichkeit geltend macht, so fordert sie im letzten Urunde
it mehr und nicht weniger, als dass der Lehrer ein sittlicher
rakter sei, dass er mit einer zeitgemassen allgemeinen Bildung
mit den Hilfsinittcln einer wissenschaftlich gut begründeten und
:enschaftlich fortschreitenden Pädagogik ausgerüstet sei; sie
ert damit aber auch, dass der Lehrer in seiner Selbständigkeit
it weiter beschränkt werde, als gemeinsame planqiässige Arbeit
die Rücksicht auf berechtigte Interessen und Anbrüche des
ttes, der Kirche, der Gemeinde und der Familie unbedingt nötig
hen. Mit dem Ansprüche auf ein Recht der Lehrerpersönlichkeit
:nüpft sich ferner der Anspruch auf Vertrauen. Die Stellung des
rcrs als Jugenderziehers ist eine Vertrauensstellung. Der Grad
entgegengebrachten Vertrauens ist ein Massstab nir die Wert-
itzung einer Person, oder eines Standes und somit ein Massstab
die Ehre, die man einem Stande, oder einer Person zubilligt,
önliche Khre kann nur durch strenge Selbstzucht, Standesehrc
durch strenge Standeszucht erworben und gewahrt werden. So
der Anspruch auf das Recht der Lehrerpersönlichkeit zugleich
Pflicht der Selbstzucht und der Standeazucht auf. Durch Söss-
en kränkt ein andrer meine Ehre, durch Missbrauch des Ver-
ens verletze ich sie selbst. Beides ist scfaUmm; das Schlimmere
Missbraucii geschenkten Vertrauens.
Wer könnte von sich behaupten, eine vollendete Lehrer-
önlichkeit zu sein? Darf man deshalb von einem Rechte der
rerpersönlichkeit sprechen? Persönlichkeit ist Wille. Alle
Gerungen, die sich an den Willen richten, müssen die Möglichkeit
Könnens voraussetzen, sonst sind sie unvernünftig. Ideale sind
iste Willensforderungen. Nur schrittweise nähern wir uns ihnen.
aUmähUdie Annäherung an das Ideal ist ein Wachsen, ein Sich-
nckeln. Wer im Zustande des Wachsens sich befindet, muss
da.K c^enommen werden, was er werden will, d. h. es müssen
alle Bedingungen gewährt werden , dem Ideale nachzustreben
sich ihm anzugleichen. Persönlichkeit ist Selbständigkeit und
*dei auf aOen &ufen der Entwicklung ist dem Rechnung zu
en. Das ist schon in der Erziehung der Unmündigen zu berock*
sichtigen. Durch Anregung wahrer, bildender Selbsttätigkeit, durch
ein verständiges Gewährenlassen innerhalb notwendiger Schranken
entwickelt sich ein gesundes Selbstbewusstsein» die Voraussetzung
der Selbständigkeit. Bei solchem Verfahren sieht der weise Er-
zieher im wachsenden Knaben den künftig^en Mann ; seine Haupt-
erziehungssorj^e ist darauf frericlitet, sicii allmahUch überflüssig zu
machen. Ähnliches geschieht und soll g^chehen durch das moderne
staadidie Verwaltungssystem, das eng mit der Idee der Selbst-
verwaltung verknüpft ist Freilich wird zwischen Ideal und Wirk-
lichkeit immer ein Abstand sein. Sobald sich beide decken, hört
ein Ideal auf, Ideal zu sein; es muss aber durch ein neues und
höheres Ideal abgelöst werden. Ohne Ideale gibt es keine Ent-
wicklung, keine Aufwärtsbewegung vom Unvollkommenen zum Voll-
kommeneren.
Lehrerpcrsönlichkdt ist ein Idealbegriff. Je mehr wir die
Lehrerpersönlichkeit in uns verwirkHchen , desto freier werden wir
in der Handhabung und Betätigung alles dessen, was zur Erfüllung
unseres Berufs nach der Seite des Unterrichts und der Erziehung
erfordeilich ist, desto mehr muss die Aufsicht sidi zurückziehen,
um der Selbständiglceit weiteren Spielraum zu gewahren. Nicht
wollen wir <las hohe Wort I ohrorprrsönlichkeit -m finem blossen
Schlagworte und zum Deckmantel der Willkür werden lassen.
August Hermann Niemeyers Stellung zu Religion und
Religionsunterriclit')
Eine Stodi« von Uc. Oieol. Albsrl KMsr, Gymnaiialoberlchrer in Zitlatt iS«.
Die den Religionsunterricht — sowohl in der Volksschule als
aucii in den höheren Schulen — betreffenden Fragen stehen zur
Zeit im Vordergrunde des öffentlichen Interesses, besonders seit
dem bekannten Antrage der Bremer Lehrerschaft (Mai 1906} auf
') A. H. Nicmcyer, Urenkel A. H. Franckc.s, gchorm am i. Srptrmbcr 1754 in
Halle, I*rofcssor und Kanzler der L'nivcrsii;it, Direktor dt-r Franckeschcn Stiftungen in
Halle, gestorben den 7. Juli 1828. — Verzeichnis der in de-r folpcndrn Studio vrr-
wendeten Schriften Nietnej'crs: I. Grundsätze der Erziehung und des Uolcrrichte«.
8. Aufl. 1S24 ( - V.r. I, II, III). 2. Handbuch für christliche Religionslehrer. 7. Aull,
1829 (= Hd. I, II). 3. Briefe an christliche Religionslehrer. 1796. 3 Saramlongen
(=. Br. I, U, III). 4. Lchrboch füx die oberen Religionsklas$cn. 14. Aufl. ifaS
Lb). $. Erllntcnide Anmerkviifcn und ZotStie m dm Lebriwch Ar die obeicn
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— 9 —
tfernung des Rel^onsunterrichtes aus den öffentlichen Schulen.
e d icshr 7 ü etlichen Fragen haben weit über den Kreis der Srhn!-
inner hinaus Interesse und zwar berechtigtes Interesse j^cfunden.
el ist dafür, viel ist dagegen geschrieben worden. Neben Be-
ienen — womit nicht nur die Fachleute gemeint sein sollen —
ben auch Unberufene sich zum Urteilen veranlasst gesehen. Es
nun ohne Frage schwer, beim Streit der Meinungen den richtigen
indort zur Beurteilung zu finden, besonders da die Verhandhingen
:ht immer rein sachlich geführt werden. Motive und Stimmungen
er Art spielen dabei eine oft unheilvolle Rolle. Individuelle Er-
mingen werden zum Schaden der Sache generalisiert. Zu einer
befangenen Würdigung und sachgemässen Lösung der in Frage
:henden Probleme bedarf es meines Erachtens einer genauen
inntnis der geschichtlichen Entwicklung des gegenwärtigen Standes
s Religionsunterrichtes. Diese notwendige geschichtliche Kenntnb
ht nicht wenigen ab, die sich berufen fühlen, an der Diskussion
ilzunehmen. Man kann die Gegenwart nur recht verstehen und
der Beseitigung der ihr anhaftenden Mängel mitarbeiten, wenn
an die Vergangenheit kennt. Sonst kommt man zu leicht in die
irfahr, den Boden der Wirklichkeit unter den Füssen zu verlieren
id ins Aschgrau der Theorie zu geraten.
Unter den Männern vergangener Zeiten, die betrefl^ der den
angclischen Religionsunterricht berührenden Fragen gehört zu
?rden verdienen, darf wohl in erster Linie A. H. Niemeyer genannt
*rden, er, „der mit dem inneren Berufe zum Pädagogen ein ebenso
iches Mass tüchtiger und gründlicher Bildung in den verwandten
ebieten der Philologie, Philosophie und Theologie verband"
. Georgiii In seinen zahlreichen pädagogischen Schriften ist eine
nie von Gedanken über den Religionsunterricht und von Rat-
hlägen zu seiner erspriessliclien Erteilung enthalten. Mit Recht
."trachtet Herbart Niemeyers Hauptwerke: Grundsatze der Erziehung
id des Unterrichtes „als die Summe der Pädagogik der Zeit, als
IS Sicher-^te und Bewährteste, als das allgemein Verständliche und
Igemein Anwendbare, als die breite und feste empirische Basis
r die Theorie der Erziehung". Wir haben hier „die erste wirklich
'stematische Darstellung der Pädagogik auf deutschem Boden"
!. Hennecke). Im Ans<£luss an dieses Hauptwerk Niemeyers und
iter Berücksichtigung seiner übrigen oben angeführten Schriften
)11 in den folgenden Zeilen Niemeyers Stellung zu Religion und
eligionsunterricht dargestellt werden. Dabei ist unter Religions-
iterricht die planmässige religiöse Belohnung der Jugend im
llipoMklassrn , nebst einer Abhandlung über die Melhodik des Unti-rricht*; f= Erl.
Lb.). Dif Litcr;itur über A. H. Nicniovcr findet sich angegeben vi. a. in Kein,
wyklopädischos Handhurh der Pädagojjik , 2. Aufl. 1907, in der rruU stantischeD
ralrnzyklopädie Alf Theologie und Kirche, 3. Aufl., I4. Band und ia der Allgemdncii
eutschen Biographie, 2J. Bcuid.
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— lO —
Schulunterricht — inag er öffentlichen oder privaten Charakter
haben — verstanden, nicht in dem weiteren Sinne, wie es sich auch
bei Niemcyer findet, der in sehr anfechtbarer Weise alle Tätigkeit
des Geistlichen in dem Begriff „Religionslehre" zusammenfasst
L
Qher RemiML
Für Nicmeyer ist die Religion zunächst Gefühl. Das zeigen
seine Ausführungen Gr. I §§ 67 ff. und 75 ff. Damit steht Niemeyer
auf dem Standpunkt seines grossen Zeitgenossen Friedrich Schleier»
macher, nach dem ja „die Frömmigkeit nie für sich betrachtet weder
ein Wissen noch ein Tun , sondern eine Bestimmtheit des Gefühls
oder des unmittelbaren Selbstbewusslscins ist und zwar Hegt hier
das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit vor". (VgL dazu
Fr. Schleiermacher, Der christliche Glaube usw. §§ 3 ff.) Näher
schildert Niemeyer dieses Gefühl als „ein geheimes Ahnden und
Suchen des grossen Unbekannten, der nicht fern von jedem mensch-
lichen Gemüt ist, durch den und in dem wir leben uiui sind, ein
Gefühl, in dem sich Ehrfurcht, Demut, Bcwusstscin der Abhängigkeit
mit Liebe und Zutrauen verbinden." Gr. I § 77.
Nach Lb. S. 1 hat man unter Religion überhaupt den Glauben
an Gott und das Bewusstsein unserer Abhängigkeit von ihm zu
verstehen. Das „Religionsgefühl", das tief in der menschlichen
Natur wurzelt, ist, wie Nicmeyer Lb. S. 67 sagt, „das Gefühl der
Abliängigkeit von einem selbst unabhängigen Wesen". Weitere
Aussprüche dieser Art finden sich x. B. Gr. n, § 130; Br. n S. 337;
Hd. I, Sw 37 und S. 63. An letzterer Stelle sagt er ricluii;: „So
weit unsere Nachrichten von dem menschlichen Geschlecht hinauf-
reichen, so weit zeii^cn sich auch dunklere oder hellere Spuren
eines frommen Glaubens oder eines Gefülils der Abhängigkeit des
Endlichen vom Unendlichen und je mehr sich die Kenntnis von
den Erdbewohnern erweitert, desto mehr bestätigt sich diese Be-
merkung."
Besonders wichtig für die Entstehung der Religion ist das
Gefühl der Dankbarkeit Hat doch nach Nicmcycrs Ansicht die
christliche Religion „ein eigentümliches Motiv darin, dass sie durch
die Anregung des edlen Gefühls der Dankbarkeit geneigt macht
zu den Absichten eines Wohltäters mitzuwirken, der alles, was dem
Menschen teuer ist. selbst Blut und Leben aufi,^eopfert liat, um eine
Gesellschaft zu <:^ründen, die sich durch Reinheit des Wandels von
der herrschenden religiösen Denkart unterschiede". Br. II, S. 295.
Dieses Gefühl ist „streng genommen in keinem einagen Mensdien
dasselbe, das in einem andern ist". Richtig unterscheidet Niemcyer
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II —
ischen dem al^emein religiösen und dem spezifisch christlichen
fUhl (Gr. I, S. 172; II, S. 438). Es ist das eine Folge seines
)ssen Vcrständni?;scs für den Wert der ReliVionsp^eschichte. wie es
5 in seinen Ausfühnuv^cn über allgemeine und besondere ReUgnons-
jchichte Lb. S. 67 h. entgegentritt.
Freilich ist das Gefühl nur ein Moment im Wesen der Religion,
smeyer ist ab Kind seiner Zeit misstrauisch gegen eine zu starke,
iscitiji^c Beton- !n<^ des (iefühls in der Religion. Gefühl und
hwärmcrci iic^^cn ihm sehr nahe beieinander (Br. I, S. l65ff.;
S. 330 ; Gr. I, 'S i i6j. Religiöses Geluhl ohne sittliche Bewährung
ihm ein „sehr verdiächtiges Geföhl, ja ein irreführendes Gefühl",
diesem Sinne sagt er Gr. I, § 116: „Jede Religiosität» mit der
h nicht zugleich alle sittlichen Empfindunf^cn und ernste Be-
ehvingcn des Willens, dem Gesetze zu gehorchen, verbinden, bleibt
\ sehr verdächtiges Gelühl, das der Sinnlichkeit näher als der
^munft verwandt." Ahnlich auch Br. II, S. 217.
Das religiöse Gefühl ist nun entwicklungsfähig. So heisst es
r. 1 , § 75: ..So wie die Rcli'^ion ein allgemeines Bedürfnis des
enschen ist, so gehört sie auch unstreitig zu seinen ursprünglichen
nlagen, und in der religiösen Bildungsfähigkeit liegt schon
'ink und Aufforderung an die Erziehung." Aber nicht nur ent-
icklungrsfahig, sondern auch entwicklungs bedürftig ist das religiöse
efühl. Dieses Entwickeln geschieht nach Niemeyer durch das
orbild des Erziehers und durch Belehrung. Also verlangt Nie-
eyer ethische und intellektuelle Vertiefung des als Anlage vor-
indenen Gefühls. Religion ist für ihn selbstverständlich lehrbar.
aran ändert auch nichts eine Äusserung wie Gr. I, § 88: „Es kann
so auch keine Erziehung eigentlich unternehmen wollen, dem
ögling einen sittlichen Charakter zu geben otler ihn etwa so
igendhaft oder gar fromm zu machen, wie der Uriterricht ihn
:wa gelehrt machen kann." Von Interesse sind in dieser Hinsicht
»Igende Worte Niemeyers: „Die in neuerer Zeit geäusserten, be-
anders Schriftstellern, die überall das Paradoxe lieben « nach-
esprochenen Behauptungen : „Religion lasse sich nicht lehren" oder
alle gelehrte Religioii sei leerer Wortkram, nicht lehren, sondern
arstellen solle man sie im Leben" köimen die Verständigen nicht
TC machen. Denn es geht allerdings auch durch den Verstand zu
lem Herzen, und gerade die, welche am meisten für Religiosität in
!er Weit gewirkt haben, haben Religion gelehrt und gewollt, dass
ic gelehrt und den Menschen dadurch geholfen würde, dass sie
ur Erkenntnis der Wahrheit kämen. Frommer Sinn ist etwas Vor-
reffliches, aber ohne Licht kann er zum gröbsten Aberglauben und
;um schrecklichsten Fanatismus werden" (Gr. II. § 126 Anmerkung).
Bei dieser Gelegenheit streift Niemeyer eine Frage, die auch in
leuerer Zeit, besonders infolge der scharfpointierten Äusserungen
/on Arthur Bonus in der „Christlichen Welt" 1900 No. 32 fr.,
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— 12 —
erörtert worden sind. Kr sagt nämlich an der zuletzt genannten
Steile: „So hat man z. Ii behauptet: der Rehgionsuntcrricht gehöre
nicht in die Schulen, weil da so selten das Heilige als recht heilig
betrachtet und zu sehr mit den übrigen Lehrgegenständen in eine
Reihe gestellt werde. Gewiss ist dies letztere oft nur zu wahr.
Aber wie ist es denn möglich, den Schulunterricht auf andere Art
zu ersetzen? Oder ist der kalte und geistlose Unterricht so vieler
Prediger besser als der öffentliche?"
Mit Recht unterscheidet nun Niemeyer zwischen Erziehung zur
Religion und Unterricht in der Religion, wenn er in Gr. II, § 126
am Anfang erklärt: „Erziehung zur Religion und Sittlichkeit ist
allerdings etwas vom Unterricht in der Religion und Moral Ver-
schiedenes, aber keineswegs zu Trennendes. Wenn sich die Er-
ziehung vorzüglich die Erweckung und Belebung frommer und sitt-
licher Gefühle und Gesinnungen zum Ziele setzt, so wül der Unterricht
den Verstand mit den höchsten Gegenständen aller Erkenntnis
beschäftigen und den Menschen zur klaren Einsicht seiner Be-
stimmung und seiner PHichten bringen. Soll das Erste nicht nur
ein dunkles Gefülil erzeugen, so muss der Begrin die Empfindung
leiten; soll der Verstand an dem Übersinnlichen Interesse finden,
so muss das Herz dafür erwärmt werden und das Bedürfnis, sich
in einem Verhältnis zu dem Unsichtbaren zu denken, in das Innerste
der Seele aufgenommen scm."
Die Frage betreft's der Lehrbarkeit der Religion erledigt Nie-
meyer zu rasch, ohne sie in ihrer ganzen Tiefe erfasst zu haben.
Wie die gerade in unserer Zeit gepflogenen Erörterungen über diese
Frage gezeigt haben — man vergleiche besonders Katechetische
Zeitschrift IV, 4, Zeitschrift für Theologie und Kirche XII, 4,
Monatsschrift für die kirchliche Praxis 1903, 3. Heft — kann hier
die Antwort ,ja" und „nein" lauten, je nachdem man den Begriff
Religion aufiasst Religion als persönliches Erleben und Eriebnis
kann niemals gelehrt werden ; man kann nur zu einem solchen
Erlebnis anleiten, dazu \ orbereiten , in die innere Verfassung zu
setzen versuchen durch Belehrung verschiedener Art. Man kann
das religiöse Leben bedeuteikler Persönlichkeiten kbendig und
anschaulich dar^ellen, sein eigenes religiöses Leben — wenn auch
in der keuschesten Art — beschreiben, aber das Nacherleben in
den Herzen anderer steht ausserhalb der Kraft des Lehrenden und
ausserhalb des Einflusses der Belehrung. Es tritt eben in Niemeyers
Ausfiihrungen die Religion, der Glaube als Erfahrung, die keines
wissensdiaftiichen Beweises bedarf oder überhaupt durch kein wissen-
schaftliches Verfahren mit logischer Notwendigkeit als wirklich nadi-
gcwicsen werden kann, zurück. Damit soll nicht gesagt sein, dass
Niemeyer auch in seinem eignen Leben diese Art des (ilaubens
entbehrt habe. Trotz aller Betonung des Gefuhlsmomentes in der
Religion stdit doch in seinen Sduiften ihre Besdehung zur Vernunft
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— 13 —
1 Vordergrunde. Als solche ist sie lehrbar, als solche kommt sie
uptsächfich für den Unterricht in der Schule in Betracht An
»len Stellen — besonders in seinem Briefe an christliche Rdigions-
irer — redet er von der Vernunftmässigkcit der Religion, von
m Zusammenhange und von der ewigen Harmonie ihrer ewigen
iriiunftwahrheiten. Man verglcicac u. a. Gr. II, § 132; Hd. I,
37, 61; Br. I, S. 132 fr.; n, S. 49 ff., 147; Lb. S. 141. Wegen
eser Betonung des rationalen Charakters der Religion darf man
emeyer nun aber nicht kurzn ec' einen Rationalisten im hndläufigen
nne dieser Bezeichnung nennen. Schön sagt in dieser Hinsicht
Hennecke in der Protestantischen Realenzyklopädie für 1 heologie
id Kirche, 3. Aufl., 14. Band: „Nieme3^r gehörte unter die nicht
enigen Manner jener Zeit, in denen mehr Christentum war, als sie
sagen '.vtisstcn , die eine lederne Sprache führten in Prosa und
)esie, aber dabei einen Ernst in der Überzeugung und eine sitt-
:he Entschiedenheit des Charakters hatten, wie sich dies, auch
o man von allen himmlischen Dingen mit viel 0berscliwenglicher
Übung zu reden weiss, nicht immer findet. Und dass unter der
ichcn Decke nüchterner Verständigkeit eine tiefere religiöse Innigkeit
st unbewusst ruht, davon geben einzelne Laute — wie sein i.ied:
h weiss, an wen ich glaube — ein immerhin schönes Zeugnis."
iesem Urteil sdüiesst sich Binder an, wenn er hi der A]^;emeinen
eutschen Biographie, 23, Band, S. 679 bemerkt: „Nicmeyer besass
?i vielseitiger Gelehrsamkeit ein tiefreligiöses Gemüt, eine feine
2obachtungsgabe und genaue Vertrautheit mit der Natur des
enschUchen Herzens." In gleicher Weise äussert sich Rein in
anem Enzyklopädischen Handbuch der Pädagogik, Artikel Nie*
leyer: „Niemeyer huldigte der wahren Oiristusrdigion , deren
auptgesetz Liebe heisst. Vor den religiösen Freigeistereien der
imals in Deutschland sehr einflussreichen englischen Deisten be*
ahrte ihn sein tiefes Gemüt und das Bestreben, die sittliche Kraft
es EvangeUums in den Mittelpunkt seiner Theologie zu rücken."
in ähnliches Urteil findet sich auch bei Geoi^, in Schmids Enzy*
lopädic, 2. Aufl., Band 5, S. 336.
Also Niemeyer darf nicht von den theologischen Garderobiers
cn Rationalisten schlechthin zugewiesen werden. Kr kennt sehr
'ohl die Grenzen der Veraunfterkenutius aut religiösem Gebiete ^
r weiss, dass wir nicht anders als in sinnlichen Budem von über-
nnlichen Dingen reden können und dass solche Ausdnicksweise
:ets etwas Unzulängliches an «^ich hat. Mit der Anwendung der
5^enannten Gottesbeweise will er vorsichtig umgegangen wissen,
lan vergleiche hierzu Lb. S. I44tf. Seine Bezeichnungen für Gott
ind mannigfaltige: z. B. die Idee der höchsten und unendlicben
rüte, der Welturlleber, der grosse Unbekannte, die höchste Macht
er Liebe das beste und heiligste Wesen. Den Vaternrimen Gottes
/ünscht er aus beachtlichen Gründen sparsam angewandt zu sehen.
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— 14 —
obwohl er die Bedeutung des Vatemamens voUkommeo würdigt
Siehe besonders Br. II, S. 162 ff.
Gleich wichtig wie die Beziehung der Religion zur Vernunft
ist ihr Verhältnis zur Moral. Von Religion und Moral redet Nie*
meyer sehr häufiff, so Gir, II, S. 428 flf., 531 ff., 607 f.; Br. I, S. 153,
258, 272; II, S. iioflf. u. 5. f. Niemeyer kann sich Religion oluie
Moral gar nicht denken , eher noch Moral ohne Religion. „Ein
moralischer Charakter lässt sich gar wohl denken, ohne zugleich
ein religiöser zu sein," sagt er Gr. 1, ^116. So wird ihm die
Religion oft nur zu einem Vehikel moralischer Forderungen. ,»F]eis8
in der Tugend zu immer wahrerer Annäherung an Gott — das ist
und bleibt doch der let/.te Zweck aller religiösen Belehrung; auch
die christliche Religion kennt keinen andern. ' Vgl. Br. II, S. 295.
Und was Niemeyer hier in der Theorie als sein Lehrideal und
Lehrziel aufstellt, das hat er auch in setner eigenen Lehrtätigkeit
durch viele Jahre geübt Mit Recht stellt ihm W. Schräder, Die
Geschichte der Friedrichsuniversität zu Halle, I. Band, S. 487 ff. das
Zeugnis aus: „Kr/.iehung des Menschen zur Sittlichkeit unter
harmonischer Entwicklung seiner allgemeinen Geistesanlage auf
Grund des Christentums und nach Massgabe der Vernunft, das war
das Ziel, dem er während einer fünfzigjährigen Wirksamkeit in Amt
und Wissenschaft mit unermüdlichem Fleisse ond stets wachsender
Erfahrung nachstrebte." Wie hoch Niemeyer die Sittlichkeit im
Vergleich mit der ReliL^ion wertet, zeigt folgender Ausspruch, den
er gelegentlich der Aufstellung der höchsten Grundsätze aller Er-
ziehung tut Gr. I, S. 1$ sagt er: „Die Harmonie der Freiheit mit
der Vernunft lass dein höchstes Ziel sein, weil auf ihr der sittliche,
folglich der unbedingte und höchste Wert des Menschen beruht."
Mit c^an/er Entschiedenheit wendet sich Niemeyer i^C'^en die
versuchte Trennung des Religiösen vom Sittlichen; er hat dabei
Schleiermacher im Auge. Zu diesem Zwecke sagt er Gr. I, S 268
in der i. Anmerkung: „Die Trennnng des Sittlichen und Religiösen,
welche von mehreren Schriftstellern einer neueren philosojihischen
Schule in theoretischen .Schriften so stark aiis;^^esprochen ist, scheint
mir kein Gewinn, so wenig für die Theologie als für die Moral.
Wo diese Trennung stattfindet, da verliert das eine oder das andere
sicher." Man kann sich nidit des Eindruckes erwehren, dass für
Nicmcycr die Religion im g^rossen rrid ':^-lnze^ der Sittlichkeit nach-
steht, der die erste Stelle eins^eräun^t wird. Doch für uns Christen
bleibt die höchste Sittlichkeit immer eine Folge des neuen religiösen
Verhältnisses, d. h. des Kindesverhältnisses zum Vater-Gott, in das
wir uns durch Jesus Christus versetzt wissen, je tiefer das religiöse
Leben wurzelt, desto grössere Kraft führt es dem sittlichen Leben
zu; je reicher sich das sittliche Leben entfaltet, desto mehr vertieft
sich das religiöse. Also Religion und Sittlichkeit in schöner Wechsel-
wirkung.
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Wie in Niemeyers Aui&issuag der Religion deren Beziehung zu
rnunft und Sittlichkeit ausschlac^gebend ist, so ist auch sein Urteil
;r die Bibel an diesem Gesichtspunkt orientiert. Die Bibel ist
1 in erster Linie ein „moralischer Text" (ßr. II, S. 112), auf dessen
ereinstimmung mit den „ewigen Vernunftwahrheiten" Niemeyer
1 grössten Wert legt. Femer Br. II, S. 264ff. Niemeyer ist oft
it entfernt von einer richtigen Beurteilung der heiligen Scfarifit
geschichtlicher Urkunde des relig:iösen Lebens. Je mehr man
ti in die Schrift vertieft, um so deutlicher erkennt man, dass uns
ihr die Bekundungen des religiösen Geisteslebens konkreter,
rch ihre Individualität und die gesdüchtlichen Verhaltnisse ihres
Ikes und ihrer Zeit bestimmter Persönlidikeiten m^egentreten.
ist eine Welt religiöser Empfindungen, Überzeugungen und
ffnunfn^n , die sich uns dort erschliesst und die sich in engster
iiehuug auf die jeweiligen geschicntiichen Verhältnisse der V'er-
ser dort ihren Ausdruck gegeben hat.
Mit der erwähnten Betonung des Wertes der Vernunft und der
ligion hängt auch Niemeyers Beurteilung der Persm^ Jesu zu-
nmen. Nach ihm war „der letzte Zweck Jesu kein anderer als
r; den Menschen durch eine würdige Gotteserkenntnis zur Sitt-
ikeit zu fuhren und ihm seine Bestimmung für jene wie für diese
slt gleich wichtig zu machen" (Br. I, S. 23). Ja, das „letzte Ziel
?r Bemühungen Jesu war die Hervorbringung einer durch die
ligion motivierten Sittlichkeit der Gesinnungen" (Br. I, S. 79).
doch die Sendung Jesu — nach Br. II, S. 287 — eine „Ver-
staltung der Vorsehung zu moralischen Zwecken : denn der grosse
m seiner Sendung war die moralische Beglückung der Men^hen"
•. II, S. 303). „Ihm, Jesu, verdanken alle, die ihn kennen und
f %c'mc Lehre achten, die wohltätigste Belehrung über die
chtigsLen Gegenstände des menschlichen Denkens, die voll-
mmenste Anleitung zu einem tugendhaften Wandel, ihm die
■freiung von der quälenden Furcht vor Gott und Zukunft; durch
1 also gelangen sie zur Wahrheit, zur Tugend und zur Gemüts-*
he." L!r S. 179.
Nur ganz vereinzelt findet sich ein reHgiöses Verständnis der
:rsönlichkeit und des Werkes Jesu, z. B. Gr. I, S. 172; Hd. I,
351, an welchen Stellen er mit Melanchthon (loci communes)
:kennt: hoc est Christum cognoscere, beoelicia eius cognoscere,
in quod isti doccnt, eius naturas, modos incarnationis contueri.
scias in (]ueni usuiti carnem induerit et cruci affixus sit Christus,
lid proderit ems iüstoriam novisse !
So viel über Niemeyers Stellung zur Religion.
— i6 —
n.
Obtr dm RelisionNiitMTtoM.
Aus Niemeyers Auffassung der Religion ergibt sich schon zum
Teil seine Stellun£^ zum Religionsunterricht. Mit Recht scheidet
Niemc}'cr — wie bereits erwähnt wurde — zwischen religiöser
Erziehung und religiöser Unterweisung. Die erste weist er vor
allem dem Eltemhause zu und legt t£r die aUergrösste Bedeutung
bei. Damit gibt Niemeyer zu, dass bei der ri£giösen Exziehung
nicht allein die Schule in Fra^^e kommt und kommen kann, schon
in Anbetracht dessen, dass sie ihre Zöglinge nur auf Stunden —
und wie wenige oft — unter ihrem Einflüsse hat Also kann auch
die Schule» d. h. der Religionsunterridit, besonders der auf den
höheren Sdiulen, nicht allein Schuld sein an der religiösen Gleich-
gültigkeit und kirchlichen Teilnahmlosij^rkeit einer bestimmten Zeit,
wie man gerade in unseren Tagen oft recht unbillig urteilt. Einen
unsichtbaren, aber höchst einflussreichen Faktor betreffs der reli-
giösen Erziehung sieht Niemeyer ganz richtig im „Zeitgeist", der
wie es Grr. I, S. 269 heisst — im allgemeinen aufgefasst, kein reli*
giöser Geist ist. Wenn das Niemeyer von seiner Zeit sagt, um
wieviel mehr gilt das von der unsrigen. Das „Milieu", das oft
alles andere nur nicht religiös und kirchlich ist, ist ein sehr gefähr-
licher, weil geheimer Gegner der religiösen und kirchlichen Unter-
weisung. Gewiss betont auch Niemeyer mit Entsciiiedenheit, dass
der Religionslefarer — und hierzu gehört ja nach ihm audi der
Geistliche — vor allem durch sein Beispiel religiös erziehen und
unterrichten müsse. „Das Wichtigste bleibt auch hier — so heisst
es Gr. I, S. 271 — durch eigenes Beispiel bei allen Gelegenheiten
zu beweisen, dass der Gedanke an Gott des Lehrenden Seele erföUe
und ihm Kraft zur Selbstbeherrschung, Geduld bei misslingenden
Unternehmungen, Ruhe bei widrigen Srhirksnlcn einflösse." Weit
mehr als religiöse Andachtsübungen, als lange moralische Prc liL^ten
wird der Geist des Lehrers wirken. „Wenn der Schüler wahrnimmt,
dass jener gerade diese Lehistunden mit einer besonderen Wichtig-
Iceit behandelt, dass ihm alles Heilige selbst heilig ist, dass er
Religiöse in dem einzelnen Menschen und in der Menschheit in allen
Gestallen achtet und ehrt, dass seine Wehmut oder scmen Unwillen
nichts so stark aufregt, als wo kalte Gleichgültigkeit an die Stelle
frommer Empfindung tritt oder roher Mutwille sich an dem, was
anderen heilig und ehrwürdig ist, vergreift, so wird das me ohne
Wirkung auf den Schüler bleiben; so wie im Gegenteil der
frevelnde Leichtsinn oder die Kälte, mit der von manchem Lehrer
die Religion im Unterricht behandelt wird, alle die Folgen erklärlich
macht, welche sich nur zu sichtbar ofTenbaren." Man vergleiche
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T. II, S. 43$. Recht zeitgemass muten uns folgende Worte (Hd. m»
, 313) an: „Der Religionsunterricht in Gekhrtenschulen ist oft
nter den anderen Lehrn^e^enständen am schlechtesten bestellt, ja
er und Ja wecken der \'erkehrtheit der Methode und wetzen der
riiiaiigeiung alles religiösen Sinnes der Lehrer mehr schädlich als
Utzlich. Daher man auch schon darauf angetragen hat, sie lieber
anz von lii sem Unterrichte loszusprechen."
Neben der religiösen Erziehung steht der religiöse Unterricht,
essen Schu-irrigkeiten er aus lanf:^jähriger Praxis kennt und zu
ürdigen weiss. Darum sagt er (ir. II, S. 412: „Wenn man bloss
on der Allgemeinheit dieses Bedürfnisses (nämlich des religiösen
rnterrichtes) ausgeht und sidi erinnert, dass auf allen Stufen
lenschlichcr Kultur rclii^iüse Vor-tenruit^en und religiöse Bestrebunc^cn
eüindcn werden, so s'^hrint die Aufgabe, KeUgion in dem jugend-
chen (jremut zu begründen und Teilnahme an diesem Unterrichte
u erwecken, nicht schwer. Aber wenn man die individuelle Anla^
er Meisten, die Hindernisse von aussen, die eigentümliche Art, wie
twas von allem Irdischen und Sinnlichen so ganz Verschiedenes
■ehandelt und gepflegt sein will , in Anschlag bringt und erwägt,
nc alles in der gemeinen Wirklichkeit unseres gewöhnlichen
^bensganges anders als in der blossen Idee ist, so findet man
«i keinem Gegenstand die Schwierigkeiten so gross und in einzelnen
•"ällen fast unüberwindlich,"
Mit dem Religionsuntcrrirht , dessen Ziel die „.Aufklärung des
Verstandes" ist, kann unbedenklich im jugendlichen Alter begonnen
«rerden, natürlich muss es der Religionsichrer verstehen, sich dem
Viter in Sprache und Bilderwelt anzupassen (Ghr. II, S. 415 f.)* Eine
Curückschiebung des Religionsunterrichtes empfindet Niemeyer mit
iecht als einen Mangel im Unterrichtsbctriehc. Er sagt deshalb:
Aber dass der Mensch sehr früh mit den rehgiösen Fragen und
jedanken vertraut werde, ist von der höchsten Wichtigkeit, da sie
:u seinem Wesen gehören und, erst spät nutgeteilt, zu wenig in
jein ganzes Denken und Sein verwebt werden" (Gr. II, S. 415).
Die Anweisungen und Ratschläge Niemeyers für die Erteilung
les Religionsunterrichtes in den einzelnen Stufen in extenso wieder-
zugeben, würde zu weit führen j man müsste die diesbezüglichen
Paragraphen einfach wörtlich reproduzieren, besonders die recht
esenswerten Ausführungen über die „Methodik des Unterrichtes"
m I. Teile des Handbuchc'i und in den ,,erläutenidcn Anmerkungen
jnd Zusätzen zu dem Rcligions-Lehrbuch". Aber das sei betont,
iass aus all den einzelnen Anweisungen der Mann der Praxis spricht,
der auch den Lehrern unserer Tage, nicht nur den pädagogischen
Anfangern, noch etwas zu sagen hat. Gewiss mag manches ver»
iltct, durch die Zeit und die Verhältnisse überholt -ein aber der
praktische Wert seiner Grundsätze bleibt im allgemeinen in Geltung,
ts seien einige Proben von Niemeyers Lehrweisheit mitgeteilt So
Pikittgagtsche Studien. XXJL 1. 9
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zeigt sich uns Niemeyer als erfahrener und nachahmenswerter
Führer auf dem schwieri^^en Gebiet dr< Katechismusunterrichtes in
seiner Anleitung, die Lehre von der i)unde zu behandeln (Hd. I,
S. 197 ff. und Br. III, S. 78 ff.). Was wird doch oft hier den Kindern
voi^tragen und zugemutet; wie langatmig, wie rein theoretisch
sina da oft die katechetisdien Leitfaden ! VVie \veni<^ berücksichtigt
man das Fassungsvermögen und den Erfahruiif^^skrcis der zu Unter-
richtenden I Gleich beachtenswert ist das, was Nieiiic\-er hd. I,
S. 424 über die Behandlung der Heilslehre (ordo salutis, 3. Artikel)
sagt: „Der Kranke wird nicht durch die Theorie der Heilsart,
sondern durch die wirkliche Anwendung der Mittel gesund. Der
Zögling wird nicht durch die Theorie der Pädagogik, sondern
dadurch gebildet, dass man ihn in alle die Lagen bringt, alle die
Eindrücke auf ihn zu machen sucht, ihn alle die Übungen vor-
nehmen lässt, davon man eingesehen hat, dass sie zu seiner Bildung
die dienlichsten sind. — Dies wollte man auch wohl durch den
Satz sa^en: Der Religionslehrer müsse die Tugend nicht lehren,
sondern hervorbringen. Statt also theoretisch die Hcilsordnung zu
lehren oder zu zeigen, dass alle Besserung vom Nachdenken und
von der Berichtigung der mancherlei Irrtümer der Erkenntnis aus*
gehe, dass daraus Reue entstehe, die gleichwohl mit Vertrauen oder
Glauben verbunden sein könne usw., müsste man vidmehr das eigne
Nachdenken des Menschen über sich selbst anzuregen , ihn durch
Vorhalten eines Spiegels von seiner Kigenliebe zurückzubringen,
Sinn für die höheren Güter in ihm zu wecken oder ihn durch die
lebendigste Darstellung der Güte Gottes von seiner Undankbarkeit
zu überzeugen, ihm seine väterlichen Gesinnungen bei all unseren
Irrtümern und Vergehungen aus der Lelire tles Evangeliums an-
schaulich zu machen suchen. Das hiesse weit besser die Ordnung,
worin wir gute Menschen werden, predigen und lehren als durch
dne unaufliörliche Wiederholung der Theorie von Busse und
Glaube."
Den Sinn und das Verständnis Niemeyers für die Religions«
geschichte hatten wir schon kennen gelernt anlässlich seiner Unter-
scheidung zwischen dem aligemein religiösen und dem spezifisch
christiidi-religiösen Gefühl. Niemeyer redet nun auch der Religions*
geschichte im Unterrichte das Wort und zwar mit durchaus Stich-
haltigen Gründen: einmal um die Erhabenheit des Christentums ins
rechte Licht zu stellen , sodann um ein billiges Urteil über die
nichtchristlichen Religionen zu bewirken. Sicherlich kann ein so
getriebener, sich nicht in fiinzelheiten verlierender Unterricht in der
Reli^onsgeschichte sehr fruchtbar sich gestalten lassen, nicht nur
in den höheren Schulen. Die erforderliche Zeit Hesse sich wohl
durch kürzere Behandlung anderer Stofte gewinnen.
Das „vorzügliche Hüfsbuch für den Religionsunterricht" ist und
bleibt för Niemeyer die Bibel, deren hohen Wert für den Untenidit
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— 19 —
nit foli^enden Worten kennzeichnet: ,,Dic eiste Tendenz alles
stlichcn Rcli^onsuntcrrichtes soll sein, Achtunpf fiepen die hcilij^^e
unde zu erwecken vind von ihr als einer bestehenden, von dem
üben der Vorzeit ancricanuien Autorität auszugehnn." Man ver-
che Gr. II, S. 419. Jedoch bei aller Schätzung der Bibel ver-
nt Niemeyer nicht die Möglichkeit, Zweckmässigkeit und Not-
idigkcit eines Lesebuches, eines l^ibehiusziiq^es oder einer
ulbibel — auf den Namen kommt es ja nicht an. l{r will
nit keineswegs die Vollbibel aus der Schule und aus dem Hause
drängen. „Ein anderes ist's bei der Jugend mit dem Grebraudi
Bibel — so führt er Br. II, & 123 ff. aus — ein anderes bei
\ Geübteren. Ich kann mir gar wohl denken, dass für sie die
ne Lektüre der Bibel ein sehr nützliches Geschäft werden kann und,
is man daher wohltun könne, sie zu empfehlen. Nur steigt dabei
oner aufs neue der Wunsch auf. dass wir neben unsrer ganzen
>el ein Buch haben möchten, welches das Allgemeinverständliche
d das Allgemeinpraktische ihres ganzen Inhalts in einer durchaus
slichcn Sprache darstellte. Man muss auf gar keine Gründe
Ilten oder mit offenen Augen blind oder von einer schwachen
ircht für den Verfall der Religion ergriffen sein, wenn man die
glaublichen Schwierigkeiten verkennt, welche bei den meisten der
lehrten Theolc^e Unkundigen die nützliche Lesung der heiligen
;hrift hindern, wenn man den Missbrauch übersieht, welcher bc-
nders bei der Jugend unvermeidlich ist, sobald ilir so vieles in
e Hände fällt, was sie wenigstens nocii niclit tragen kann. Man
sst sich dabei Inkonsequenzen zuschulden kommen, welche sich
ir aus der auch sonst bekannten Verdrehung des menschlichen
erStandes durch vorgefnsstc. besonders religiöse Vorurteile erklären
ssen. Man zittert vor den unschuldigsten Stellen in menschlichen
üchern, wciiu mau sie in den 1 landen der Kinder sieht. Man gibt
inen aber, ohne Ahnung der Gefahr, selbst die anstössigsten Er-
üilungen in die Hände, sobald sie nur in der Bibel stehn." Nie-
icyer erwägt sehr wohl die Hrrienken ^cf^cn einen solchen Bibel-
uszug, wenn er auch nicht befürchtet, dass dadurch die Bibel in
irem Wert beeinträchtigt, aus ihrem Gebrauch verdrängt werden
:önnte. Ja, er ist auch bereit, auf den Namen „Auszug" zu vcr-
ichten. „Selbst der Name eines Auszuges würde vielleicht besser
'crinicdcn. Er erinnert allerdings zu leicht an Wcglassungen und
:ann den Verdacht erregen, ob nicht absichtlich manches Wesent-
iche weggelassen sei. Man belege doch das Buch mit irgend einem
mdem Namen, man rede gar nicht davon, dass es an die Stelle der
Bibel treten, sondern sage bloss, was ja auch der Wahrheit so voll-
kommen gemäss ist, dass es auf sie vorbereiten solle." Das Be-
rechtigte der Forderung nach einer soIcIicti Schulbibcl können nur
die in der Schulpraxis Stehenden ganz ermessen. Erfreulicherweise
bricht ach ja die Überzeugung von der Notwendigkeit einer
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Schulhibcl immer mehr Bahn ; die nocli bestehenden Widerstände —
mehr dogmalischer Art — werden schliesslich doch nicht ausreichen,
die Durchfuhrung der im Interesse eines gedeihlichen Unterrichtes
erhobenen Forderung zu verhindern, zumai bei den massgebenden
Stellen dankenswertes Entgegenkommen vorhanden ist
Diesen weitherzigen, im besten Sinne auf das Zweckmässige
achtenden Standpunkt Niemeyers finden wir auch bei der Fra^e
betretts der Benutzung ausserbiblischer Erzählungen zur religiös-
sittlichen Belehrung, besonders in dem Elementarunterricht Nie-
meyer verhält sich durchaus nicht ablehnend gegenüber auch in
neuerer Zeit wieder aufgetauchten Gedanken. In diesem Sinne sagt
er Gr. II, S. 4 19 f.: ..Für die erste Stufe des Religionsunterrichtes
eignet sich nichts so sehr, als durch (ieschichte und an der Ge-
sdiichte die religiösen und moralischen Grundbegriffe zu entwickeln.
Die biblischen &:hriften liefern hierzu einen reichen und, sobald er
mit reicher Auswahl benutzt wird, auch zweckmässigen Stoff, womit
jedoch auch andere für die Ju<]^cnd ausgewählte I^rzähhm^cn und
Parabeln zu verbinden sind. So reiclier Stoff" auch in den biblischen
Geschichten liegt, so ist doch die Zeit und der Kulturzustand, be-
sonders in den älteren, zu verschieden von den unsrigen, als dass
sie alle anderen entbehrlich machten. Daher sind daneben gute
SammlunL^en entweder wahrer aber auch erdichteter Geschichten
für Kuider. wenn ein recht rcii^nös - morahscher (jeist in ihnen
herrscht, nicht ohne Verdienst." Freihch eins sei mit allem Nach-
druck betont: för Niemeyer sollen die ausserbiblischen Erzählungen
nur eine Ergänzung der biblischen Stoffe sein, während manche
moderne \''crtrcter dieser Idee einen Ersatz, eine Verdrängung der
biblischen Krzählungen beabsichtigen.
Vor einem zu frühen Gebrauch des kleinen Katechismus warnt
Niemeyer, ohne den Wert desselben irgendwie schmäkm zu wollen;
sa^t er doch Gr. II, S. 425 Anmerkung: ,JLuthers Katechismus war
bckannthch für sein Zeitalter eine grosse Wohltat und hat auch
fortdauernd unter den Händen verständiger und frommer Lehrer
sehr viel gutes gewirkt; denn solche Lehrer verstehen es, die Lücken
anszufÜllen, das Dunkle zu erklären und Geist und Leben in den
toten Buchstaben zu bringen." Mit Recht nimmt Niemeyer Stellung
gegen die Religionslehrer, die den kleinen Katechismus benutzet),
um populäre Dogmatik zu treiben ; dazu berechtigt auch nicht der
Umstand, dass der kleine Katechismus symbolisches Ansehen
erlangt habe. „Schuldogmatik gehört ebensowenig in die Sphäre
des Schulunterrichts als strenge philosophische Ethik." Gr. II,
S. 429 Anmerkung i. Dem Religionslehrer räumt Niemeyer volle
Freiheit ein <^ef:^enübcr der Reihenfolge der fünf Hauptstückc. In
diesem Sinne sagt er: „Dass gerade dieser Gant:^ der fünf Haupt-
Stücke, diese Anordnung der Materien, diese Beschrankung der
ganzen christlichen Moral auf zehn mosaisdie Gebote Hauptmängd
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Katechismus Luthers sind, die selbst durch so viel Praktisches
Herzliches in seinen Erklärungen nicht ersetzt werden können,
jedem Unbcfantn*ncn wohl einleuchtend." Dass sich Luthers
cchismus in irucliibringender Weise zum Unterricht wohl ver-
iden lässt, auch wenn man sich nicht an die urspriingtiche
henfolge der Hauptstücke gebunden föhlt, zeigt u. a. in treff-
er Weise W. Reyschlags „Christenlehre auf Grund des kleinen
herischen Katechismus".
So viel zum Belege für Niemeyers pädagogisches Können. Die
ligen Proben werden zeigen, dass Niemeyer als praktischer
lagogischer Schriftstdler auch für unsere Zeit noch nicht ganz
altet ist; so manche seiner Ansichten und P'orderungen sind auch
unseren Tagen noch zeitgemäss. Dass er bereits sie aus-
.prochen und gestellt hat — und damit in gewissem Sinne seiner
.t vorausgeeilt ist — , soll man nicht unterschätzen. Gewiss kann
.n Niemejrer nicht zu den Grossen im Reiche der Pädagogik
:hnen , sofern man an die Begründer neuer wissenschaftHcher
dn<^o<;ischer Theorien denkt, z. B. an Herbart. „Erfinder neuer,
hnbrechender pädagogischer Systeme war er nicht." (Binder in
r Allgemeinen Deutschen Biographie, Bd. 23.) Aber das steht
X: Der Lehrer unserer Tage — und nicht nur der Religions-
ircr — , der sich Zeit nimmt, Niemeyers sicherlich oft etwas ins
eitc j^chcnde Ausführungen zu lesen, wird dies nicht ohne Gewinn
- sich und sein Amt tun, wie das auch der Schreiber dieser Zeilen
m Schluss dankbar von sich bekennt.
III.
Zum Katechismusunterricht
Von SclMil»t Dr. B. Staflde.
Der Streit um den Katechismusunterricht, um Sein oder Nicht'
sin« um seine Stellung und Methode dauert nun schon Jahrzehnte,
nd noch ist sein Knde nicht abzusehen. Wer dies Auf- und Ab-
rollen der Ansichten und h'orderungen verfolgt hat und dal)ei den
)ingen auf den Grund zu blicken vermag, der wird bald zu der
Überzeugung gekommen sein, dass es sich hierbei in erster Linie
licht um einen methodischen Streit handelt, sondern um einen
achlichen Zwiespalt, um eine kirchlich-religiöse Differenz, und dass
)ei allen Beteilicften bewusst oder unbewusst, ausfrcsprochen oder
inausgesprochen massgebend ist die Stellung, die sie zum Glaubens»
nhalt des Lutherischen Katechismus einnehmen. Bei allen ist die
22 —
entscheidende Frage: Deckt sich tler Glauheiisinhalt tics Katcchismn'^
mit unserer religiösen UberzeuL,nni<^\ mit dem Christentum, das wir
als moderne evangelische Christen haben und unseren Schülern für
das Leben mitgeben möchten? Decken sich insbesondere die von
Luther verkündeten Glaubenssätze und altkirchlichen Dogmen über
Person und Werk Christi noch mit unserer an der wissenschaftUchen
Darstellung^ des ursprünglichen KA'angeliums <]^ereiften Ansrhauunf^?
Diese Frage wird je nach dem religiösen Standpunkt des Kritikern
bejaht oder verneint, sei es glattweg oder mit Einschiänkungen.
Wer die Frage bejaht, kann und wird für den Katechismus ein-
treten, sei es auch nur unter gewissen Voraussetzungen, wer sie
verneint, wird dem Katechismus seine Berechtigung im I,chrplan
bestreiten und wird zur Unterstützung dieser Absage erst recht auf
die methodischen und formellen Bedenken hinweisen, die gegen
den Katechismus geltend gemacht werden können. Dieser kom-
plizierte Stand der Frage reizte mich zu einer Zeit, wo ich gerade
mit dem Problem des „Schulkatechismus" beschäftigt war, mich in
die IVage zu vertiefen, um ein wirklich sachverständiges, selb-
ständiges Urteil zu gcvvimieti. Nicht ohne Vorurteil in Betreff des
dogmatischen und unpädagogischen Charakters des Lutherschen
Büchleins trat ich an dasselbe heran, studierte vor allem den
grossen Katechismus, vertiefte mich dann in die gfedie^enste neuere
Katechismusliteratur und verband damit praktisclie Versuche. Das
Ergebnis dieser Bemühungen waren meine „Präparationen zum
Katechismusunterricht",^) und hierin schon liegt das Bekenntnis»
dass ich die oben aufgeworfene Kernfrage bejaht habe. Warum f
Mit oder ohne Einschränkung?
Ich erkannte vor allem , dass I.uthers Katechismus kein
theoretisches Sv'stem der christhchen Lehre ist, sondern ein persön-
Uches Bekenntnis Luthers bezw. des evangelischen Christen, eine
praktische und gemütliche Herzens* und WUlenserklärung desselben
inbezug auf seine durch Christus vermittelte Gemeinschaft mit Gott
Er stellt daher dem Unterricht die ebenso einlache als schwicric^e
Auf^^abe. dem durch die biblisclie ( reschichte und die ihr ent-
sprechende i..ebcnscrfahrung vorgebildeten jungen Christen die
„innere Leichtigkeit" zu schaffen, dereinst das allgemeine kirchliche
Bekenntnis zu seinem eigenen zu machen, den von Luther aus«
geprägten Glaubensstand und Lebensstand zum peisönlichen Besitz
auszugestalten.
Wie steht es aber nun mit den sachhchen, religiös-theo-
logischen Bedenken gegen den Katechismus, mit der viel
1) Der KatccIiisRraBttnterricht. T«U I. Das erste Hmuptstfick (3. «1. 4. Auflag).
Teil II. Das zweite Ilauptstiick (3. u. 4. .\uftagc.) Teil III. lUs driUe llauptstü k
und aU AnhaDg: Viertes und fünfte» Ilauptsliick (2. u. 3. Auflage). Dresden 190S,
Verlas ^o» ^ Kaemmerer (O. Schambsch).
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— 23 —
reiteten Anschauung, dass der Katechismus die Verkörperung
Schutzstättc längst überwundener Dogmen sei? Da habe ich
in Übereinstimmuog mit den besten Kennern die Überzeugung
onnen, dass Luther in seinem Katechismus nicht Dogmatik und
olo^ic , sondern religiöses Leben und persönliche Glaubens-
issheit lehren wolle und darstelle. Denn er hat in seinem
schismustext keines der grossen altkirchlichen iiauptdogmen
Trinität« Zweinatarenlehre, steUvertretende Genugtuung als zum
.sglauben gehörig verkündet, ja er hat nicht einmal seine
>lingslehre von der Rechtfertigung erwähnt. Er liat vielmehr
die religiöse Bedeutung des Werkes und der Person Christi für
Christen unter dem alleinigen Gesichtspunkt der Erlösung dar-
teUt. Er hat also weder seine noch irgend eine Thedc^e hier
iergelegt, sondern nur Religion. Wohl haben bei der Prägung
ler Sätze jene theologischen Denkergebnisse mitgeschwungen,
l Luther hat sie natürlich voran sg^esetzt , T.um Teil auch an-
leutet (Erbsünde, erlösende Kraft des Todes Christi), aber sie
>en keinen Einfluss auf seine Glaubensdarstellung ausgeübt
nn für den Gläubigen hat Luther, wie Hamack so gründlich
:hgewicsen, das altkirchliche Dogma als solches, d. h. als ein die
i^^kcit bedingendes Lehr^csf-t/ aufgelöst, wenn er auch noch
ht selbst diese theoretisciic Konsequenz aus seinem faktischen
inütsveriiältnis zu Gott und Christus gezogen hat. Wer also
!se Konsequenz zieht, der legt nichts Unlutiierisches in Luthers
orte hinein, sondern hält sich an das Bleibende in Luthers reli-
isem f.eljen gegenüber dem zeitlich Bescliränktcn in seinem
üologischen Denken. So hat Lnther in seinem Kntrchismus nichts
sgesprochen, was das Denken der Christen an alte Dogmen
iden soll, sondern nur was sein Herz und seinen Willen religiös
i Gott und Christus tnndet Das gilt meines Erachtens auch flir
:n stärksten dogmatischen .\usdruck Luthers: „wahrhaftiger Gott,
>m Vater in K\vi<Tfkeit j^^eboren". l.uther wollte mit dein Begriff
wahrhaftiger Gott" nicht das Dogma von der Gottheit Christi fest-
gen, sondern er wollte dem darzustellenden Eriösungswerk von
>mherein die letzte und höchste Bürgschaft für seine wirkliche |
ollendung mitgeben; denn nur wenn Christus auch auf die Seite
ottes gehört, wenn Gott selbst durch ihn mit uns handelt, gilt die
on ihm gebrachte Vergebung. Und wenn Luther hier noch
reiteigeht und aus dem Nlcänum noch das „vom Vater in Ewigkeit
eboren" herübernimmt, so will er auch hiermit nicht das ihm
elbstverständliche Dogma als ein zum Seligwerden q^chörcndes
rchrgesetz festlegen, sondern er benutzt bloss die Athanasianische
*ormel, mit der einst die Kirche in den Denkformen ihrer Zeit die
Gottheit" Jesu bezeichnete, um die för die Erlösung unbedingt
idtige gotdiche Seite der Person Jesu so deutlich als möglich aus*
lud^ckeo. Und so wurde ihm die „Gottheit" Jesu aus einem
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— 24 —
Unterwerfung des Verstandes heischenden Lehr^j^csct/. ein herz-
beglückendes, eriosungwirkendes Evangelium, das im Grunde nichts
anderes sagt als das jedem Christen selbstverständliche, einfache
Wort: Grott war in Qiristo. So berührt sich Luther mit unserer
modernen Anschauunj^, dnss Relis^ion eine von der Theologie völlig
unabhängige Grösse ist, dass die theologischen \'orsteUungen und
Begriffe bloss wechselnde Darstellungen des wirklichen Glaubens
sind, und dass es im Verhältnis zum Wert des wirklichen Glaubens-
lebens ziemlich gleichgültig ist, ob dieses durch orthodoxe oder
liberale Anschauungen getragen wird. (Es wird Sache der sonstigen
Weltanschauung und r>)enkweisc sein , welchen von diesen beiden
Wegen man selber gehl und andere führt) Die Dogmatik Luthers
braucht also dem heutigen Katecheten keine Schmerzen und Skrupel
zu bereiten; er kann ruhig der modernen pädagogischen Forderung:
Ausscheidung oder Zurückdrängung des theologischen und dog-
matischen Elementes im Katechismusunterricht Folge leisten und
wird dabei entdecken, dass von dieser Ausscheidung Luther selbst
weit weniger betrofTen wird als die spätere katechetische Tradition,
die erst so massenhaft Theologie eingetragen hat; gewisse theo-
logische Lehren des altkatbolischen Apostolikums (Geburt von der
Jungfrau, Höllenfahrt) aber wird der Lehrer durch alleinige Be-
tonung der Lutherschen Erklärung als unwesentlich zurücktreten
lassen.
So ist also der Katechismuslehrer berechtigt zur W^lassung,
bezw« Umdeutung und Erweichung der altkirchlichen Dogmen, ja
er kann sich dabei auf den undogmatischen Geist Luthers selber
berufen; er kann sein modernes Christentum, d. i. die durch die
moderne Wissenschaft als Kern des Evangeliums bestätigte Luthersche
Gnindauffassung der christlichen Religion» ruhig in die von Luther
geprägten, klassischen und weitherzigen Formen hineinl^en und
den Kindern in dieser Fassung übermitteln.
Die methodischen Bedenken 'J:ep[en den Katechismus
lassen sich meines Erachtens noch leichter beseitigen oder ab-
schwächen. Wenn man auf die Ungereimtheit hinweist, dass man
hier erst einen Grundtext und dann noch einen diesen erklärenden
Text zu erklären habe, so ist mit Bornemann 7.\^ erwK^crn, dass es
sich für uns evanji^elische Christen wesentlich nur um die von
Luther gegebene evangelische Deutung der teils vorchristlichen
(L Hauptstück), teils alScatholischen (II. Hauptstück} Texte handelt,
während (nach meiner Ansicht) beim IIL Hauptstuck der evan*
gelische Grundtext massgebend bleibt. Befürchtet man , dass die
abstrakte Form des Katechismus zum Begriffespalten und -definieren
und zum Verbalismus verführt, so ist dieser Verirrung durch
reichlidics Herandehen von Anschauungsmaterial aus der biblisdien
Geschichte und noch mehr aus der iSidlichen Lebenserlabning zu
begegnen, wie ich in meinen „Präparationen'' genügend gezeigt zu
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— 25 —
1 glaube. Die Sorge über Verfrühung des Lehrhaften und
matischen beseitigt der Lchrplan , indem er den Katechismus
e letzten Sciiuljahre setzt und vorher nur einzelne Stücke des-
n gelegentlich aus der biblischen Geschichte gewinnen iässt.
Igt man die sprachliche Schwierigkeit des Katechismustextes
die Mühsal seiner Einprägung, so ist darauf hinzuweisen, dass
jetzt schon vielfach die lirklärun^ zum V^atcrun^er nicht
orieren lässt, was ich als völlig berechtiget nachi^^ewiesen zu
n glaube (Teil lllj, und schon darangeht, auch beim I. und
auptstück den zu lernenden Text wesentlich zu verkürzen, was
auch lur zulassig halte, da ja dadurch die Zugrundelegung des
ersehen Textes für die Besprcchunc^ niclit l^eschränkt wird.
man zu dieser Vermeidung von l'chlcrn noch als positive
jesscrungen hinzu: die christozentrischc Behandlung des I. Haupt-
kes und des i. Artikels, und demgemSss die theozentrische des
.rtikels, ferner die Auffassung, dass das I. Haujitstück nicht ein
lenspiegel sein, sondern das Idealbild christlicher Vollkommenheit
teilen soll, weiter dass in jedem Hauptstück das ganze Christen-
enthaiten ist und in jedem nur unter einem anderen Gesichtspunkt
efasst wird, und ist man ach stets bewusst, dass es sich im
echismusunterricht nicht um das Idealziel handelt, den Kindern
volle Aneignung des evangelischen Christentums zu vermitteln,
iern nur um die erreichbare Aufgabe, ihnen Interesse un'd Vcr-
.dnis für die Hauptpunkte des Christenglaubens beizubringen
ihnen so die innere Leichtigkeit zur dereinstigen Gewinnung
vollen Glaubens zu verschalfen — so ist meines Erachtens
5 geschehen, um auch bei dem heutigen Stand der Dinge den
echismus Luthers dem abschliessenden Religionsunterri(At der
nie zu Grunde zu legen und mit Erfolg zu behandeln.
Die wichtigste Voraussetzung ist und bleibt die Berechtigung
freien Stellung des Katecheten zu allem Dogmatischen, das im
:cchismus vorausgesetzt, angedeutet oder ausgesprochen wird,
Recht zur Erweichung und Umdeutung des Dogmas bezw. zur
-ückführung desselben auf den religiösen Kern, dessen Ausdruck
sein sollte. Denn gerade auf dem tiefuuicriichen Gebiet der
ligion duldet das evangelische Gewissen keinen Gewaltspnich des
alogisch - kirchlichen Lehrgesetzes, und das religfiöse Leben des
hrouden kann nur gedeihen und wirken, wenn es frei aus ihm
ber quillt. Das ist aber eben die Not der Zeit, dass viele religiös
iinnte Lehrer den iCatechismus als eine Sammlung von Dogmen
d zwar, wie sie später erkennen, von überwundenen Dogmen,
ffassen, weil es ihnen nie anders dargestellt wurde, dass sie nun
f dieser Grundlage Religionsunterricht erteilen sollen unti dass sie
zu oft von Behörden beauftragt werden, die gerade das Dog-
itische für das Wesentliche am Christentum halten und betont
ssen wollen. Grerade diesen Lehrern wollte ich einen Dienst
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erweisen, indem ich ihnen die Mo;7lichkcit zcii^te, auch ihr modernes,
freies evangelisches Christentum in die ehrwürdigen Sätze Luthers
hineinzulegen. Ihnen wollte ich ein Hilfsmittel bieten, das — wie
sie selbst — sich erhebt über die herkömmliche dogmatisch-theo-
logische Lehrweise und doch dem bleibenden evangelischen Gehalt
des Lutherischen Katechismus i^^erechl wird. Ein solches L^ntcr-
nehmen muss ich für wohlberechtigt und zeitgemäss halten, weil es
dem an den Katechismus gebundenen L^rer, der sich selbst nicht
mehr an die altkirchliche Theologie bindet ^ den gegebenen Weg
zagt oder gehen hilft, um in freiem und doch biblischem Geist, mit
gutem Gewissen und gutem Erfolg Luthers Katechismus zu be-
handeln. Und wenn ich auch in dieser Auffassung und vor allem
in dieser Behandlung des Katechismus noch ziemlich isoliert stehe,
so glaube ich doch in gutem Rechte zu sein, weil ich nicht durch
negatix e Verstandeskritik dazu gekommen bin . sondern durch
positives Zunirkc^ehen auf Luthers Lebenswerk und auf die offenbare
Tendenz seines Katechismus, nur Religion, nicht Dogrnatik zu lehren.
Es gibt noch andere Wege, um den vermeintlichen oder wirk-
lichen ähwierigkeiten zu begegnen, die Luthers Katechismus in
dogmatischer Hinsicht bereitet. Viele Sdiulmänner schlagen jetzt
vor, dass dir Wilksschule /war den geschichtlirf^n Religions-
unterricht übernehme, während die Kirche in einem erweiterten und
vertieften Koniiraiandcnunterricht den Katechismus als Einführung
in das Bekenntnis der Gemeinde behandeln solle. Diese Lösung,
die auch ich schon 1882 vorgeschlagen habe, setzt aber ein Idrchen-
und «chul.^fcschichtHchcs Fntwicklungsstadium voraus, auf dem wir
eben noch nicht angelangt sind, und, was die Hauptsache ist, sie
schiebt einfach die Entscheidung über die zweckmässigste Gestaltung
des abschliessenden Religionsunterrichtes aus dem schulischen in
das kirchliche Gebiet hinüber; denn auch hier bleibt noch die
reli^^ionsmethodische Fraj^c bestehen: Soll dieser Abschluss im
Ansehluss an den Katechismus geschehen oder nicht? Andere
Methodiker empfehlen neuerdings als den einfachsten Ausweg,
Luthers Katechismus im Unterricht auch der Volksschule als ein
rein historisches Zeugnis vergangenen Glaubenslebens aufzufassen
und daraustellen und ihn demgemäss als ein kirchcngeschichtliches
Ouellenstück in aller Kürze zu behandeln. Damit entkleiden sie
aber den Katechismus seines normativen Charakters, und gerade
diesen normativen Charakter müsste meines Erachtens der Lehr-
stoff haben, der dem abschliessenden Religionsunterricht zu Grunde
gel^ wird. Denn die blosse Gruppierung und Durcharbeitung des
im geschichtlichen Relic^ionsuntcrricht gewonnenen Systems f,,Schul-
katechismus"; kann doch sicherlich nicht die rechte Mitgift der
Schule an die ihr entwachsende Jugend sein, und die blosse
Historie (Bibel und Kirchengeschichte) und deren Besprechung
genügen auch nicht, sondern irgend einmal müssen wir auch beim
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iscben Religionsunterricht aus den geschichtUchea Relativitäten
den stets wechselnden Zcitanschaiiun.^en hcrnu'-kommcn und
luf den Boden des absoluten Glaubcnsurteils und VVerlurteüs
II, damit die Kinder gerade zur Zeit ihrer höclisten schulischen
klar und deutlich erfahren, wie ihr Lehrer über die grossen
isfragen denkt, und was für sie selbst die höchste religiös-
hc Wahrheil sein snU. Der aljseliliessende Relii^ions-
'icht muss nlso einen normativen Cliarakter haben und wird
i am besten im Anschluss an eine möglichst allgemein an-
nmene Norm erteilt, und als eine striche Norm kann unter
oben angegebenen Einschränkungen noch immer Luthers
liismus angesehen und verwendet werden, so lange kein
er, /.cii<,'eiTiäs«;er und kirehlich sanktionierter Ausdruck des
clischen Christentums vorhanden ist.
:h weiss, dass ich mit meiner Bejahung und Behandlung des
tischen Katechismus manchem Lehrer, der von mir völlig neue,
vatechismus abführende Wege im abschliessenden Religions-
icht erwartete, eine P^nttäuschung bereitet habe. Andererseits
labe ich auch bei manchem Rezensenten ob meiner „Rück-
(vom Schulkatechismus) zum Lutherschea Katechismus An-
lung und Lob gefunden. Auf die Gefahr hin, nunmehr beiden
en zu missfallcn, muss ich aber erklären: P2s war, wie ich
oben anf^edeutct habe, von jeher mein Ideal, dass die Volks-
nur geschichtlichen Religionsunterricht erteilen, die Kirche
Icn Katechisrausuntcrricht übernehmen sollte, wobei ich die
ng hegte, dass die Kirche bald einen treffenderen und zeit-
icn Ausdruck für ihr evangelisches Bekenntnis finden werde,
lies Ideal kann unter den gep, ebenen Verhältnissen noch nicht
dicht werden, und die HolTnung auf eine Neuerung im
•nsbekenntnis bleibt bei dem konservativen Lnarakicr der
und der Schwierigkeit der Aufgabe sehr schwach. Und so
oraussichtlich noch ein längeres Interim eintreten, während
sich der Religionsunterricht in der Kirche sowohl als auch
Schule mit der historisch gewordenen und gegebenen Norm
itherischen Katechismus so gut als möglich abfinden muss.
im Ende der Entwicklung stehen wir noch nicht, und noch
steht die Im age nach der besten Gestaltung und Krönung des
lischen Reüf^ionsuntcrrichtcs offen.
d so ist auch das Kr^ehnis meiner obigen Darlegungen nur:
)schliessendc Religionsunterricht kann an den Lutherischen
ismus angeschlossen werden, aber nicht: Kr muss daran
ilossen werden. Und deshalb wahre auch ich mir das Recht,
iidcrcn besseren Anschlüssen und Wethen zu suchen. Und
^cht aucii die Richtun[:,f der Bewegvnig in den führenden
gischen und theologischen Kreisen, nämlich vom Katechismus
nicht auf ihn zu. Hierin wirken mancherlei Gedanken und
«
~ 28 —
Anschaiiiini^cn zusammen. Vor allem wird der ö\f^ Rcligions-
mcthodik immer stärker beherrschende Gedanke, dass die Wirkung
des Religionsunterrichtes vor allem in der anschaulichen Vorführung
religiös •sittlicher Persönlichkeiten und ihrer konkreten Lebens«
äusseningen liege, das Lehrhafte und Systematische immer mehr
zurückdrängen und wird für das Wcnit^c , was auf diesem Gebiet
noch bleibt, homogene AnschlussstolTe und Kristallisationskeme
suchen. Dazu kommt, dass jede Zeit nach einem eigenen treffenden
Ausdruck ihrer Frömmigkeit strebt, dass die kommende Zeit dies
Bedürfnis in weit stärkerem Masse geltend machen wird und sich
daher immer mehr von der Umdeiitun<:;^ und Erwcichunc^ der
historisch gegebenen Begriffe und Lclirformen wie von etwas l in-
wahrem abwenden wird. Ohne diese ümdeutung der allklassischen
Sprache und Begriflfswelt ist aber Luthers Katechismus nicht als
Ausdruck des modernen evangelischen Christentums zu brauchen.
Ungünstig für Luthers Katechismus ist auch seine Verbindung mit
dem für viele evangelische Christen als Bekenntnis unannehmbaren
Apostolikum und die wie in jeder Glaubensformulierung so auch
im Katechismus ruhende Gefaihr, dass sich die Unterweisung ins
Dogmatische und Lehi^setzliche verirre. Alle diest Gedanken
und Bestrebungen wirken langsam aber sicher gegen die Erhaltung
des Katechismus als Grundlage für den abschliessenden Religions-
unterricht der evan^^elischen Jugend, und . so wird die fort-
schreitende Entwicklung wohl damit enden, dass der Luthersche
Katechismus dereinst aus dem Religionsunterricht der evangelischen
Volksschule ausscheidet (abgesehen von den zehn Geboten und dem
Vatenmser, die Bestandteile des biblischen Unterrichtes bleiben)
und schliesslich auch aus der kirchlichen Katechese verschwindet,
sei es mit oder ohne Ersatz durch eine zeitgemässe Formulierung
des evangelischen Christentums.
Aber bis dahin muss noch in der Mehrzahl der evangelischen
Volksschulen RcHf]fionsunterrirht nach Luthers Katechismus erteilt
werden, und für dies Interim verspricht die Behandlung des
Katechismus nach den von mir angegebenen Gesichtspunkten und
Einschränkungen und auf den in meinem Buch beschrittenen Wegen
noch immer einen guten Erfolg. Also nicht das Ideal des ab-
schliessenden Rclit:;ionsunterrichts suclitc ich darin zu verwirkHchcn,
denn daran werden noch viele Jahrzehnte zu arbeiten haben, sondern
ich wollte nur zeigen, dass und wie Luthers Katechismus dogmatisch
freier und methodisch richtiger behandelt werden kann und dadurch
dazu helfen, dass Luthers Katechismus auch in unserer Übergangs-
zeit der religiösen Bildung der evangelischen Jugend diene.
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IV.
fldartliche Wörter und Wendungen im deutschen
Aufsatze.')
Von Dr. Richter io Kochliu.
ist am besten, wir fassen gleich anfangs die Bedenken
len, die uns das Thema aufdrängt.
IS will die Mundart im deutschen Aufsatze? Die Kinder
Joch in neuhochdeutscher Sprache etwas aufsetzen lernen.
die Sprache, die jeder Deutsche versteht und die darum
i Schulen des Reiches gddut und gelernt wird. Wie viel
und Geduld fordert es namentlich auf der Unterstufe, dem
Tolpatsch fiir seine plumpen und derben Ausdrücke das
leutsche Wort einzutauschen und nach und nach geläufig
henl Der Lehrer auf dem Lande weiss ein Lied davon zu
Und wenn dann glücklich ein Vorrat an Wörtern und
ic^en aufi^estapclt ist und wir der Mundart nicht mehr be-
(lanii will sie sich wieder eindrängten? Das Aufsatzdeutsch
h Wühl eine solche Mischung nicht gefallen lassen.
Bedenken; Zur Mundart gehört die Sprache der Hauern-
auf dem Felde, im Hofe und Stalle, des Grassenjui^gen auf
issc — alle die verunstalteten, groben, derben Ausdrücke —
crissenen Redeweisen — die abgebrochenen Darstellungen,
wir allem diesem ungewaschenen Gesindel, dessen Namen
kaum zu schreiben vermochten, ein iiausrecht neben unseren
beren neuhochdeutschen Wortkindem gewähren?
bedenken: Was soU auch die Mundart in unserem Aufeatze?
id doch bisher mit gemeindeutschen Ausdificken aus-
icn. Vielleicht ist es nur eine Liebhaberei von mir, den
ind auch im Aufsätze als etwas Beachtenswertes anzusehen*
r Wortkundc, da liegt die Sache anders I
. sind 3 Bedenken, die schwer genug wiegen, um aufstützig
hen; das letzte kann sogar Misstrauen erwecken. Wir
darum recht sachlich nachprüfen, ob hier ein Wert gefunden
kann, der für die Schule brauchbar ist. Ich will deshalb
r tatsächlich Erfahrenes vorlegen und, so weit möglich,
ches aus dem Spiele lassen.
>rtra$r. ^( haltcD «Ulf dcf Hauptkoikfereitt de« SdudioapcItUoiubedila RocUits
jtember 190S
— 30 —
T.
Hit welchem Rechte kann die Mundart einen Platz Im Aufsatze verlangen? Kau
sie Werte aufzeige« — und welche Werte, die wir brauotien können
oder gar müuwf
Ich behaupte zunächst:
der Aufsatz muss nach Inhalt und Ausdruck wahr sein.
Wenn ich vom Aufsatze rede, so meine ich nicht die Nach-
schrift von Ergeboissätzen, sondern die soweit möglich selbständige
schriftliche Darstellung eines Gegenstandes. Auf der Unterstufe
und Mittelstufe macht ein solcher Aufsatz Schwierigkeit, da die
Kinder in Schreiben und Rechtschreibung^ noch zu wenig fertig
sind; aber es gibt ja nach Inhalt und Umfang angemessene Stoffe.
Und ausserdem unterstützt die Hand des Lehrers in entsprechender
Weise. Wo es auch sei» der Schüler muss den äusseren Vorgang,
über den er bericlitet so erzählen, wie er wirkUdi war oder sein
konnte. Und britiL^t er seine eigene Stimmung hinzu, so werde ich
auch da Unwahrscheinliches und Gekünsteltes zurückweisen. Kurz:
der Inhalt muss wahr sein.
Zwischen Schüler und Lehrer vermittelt die Sprache. Will ich
ein ganz natürliches Bild bekommen, so muss ich mündlich be*
richten lassen. Nur die gesprochene Sprache — nicht die ge-
schriebene — kann das Krlcbte voll ausdrücken, und sie ist
namentlich die Sprache des Kindes.
Wie schwierig ist daher der Aufsatzunterricht, der die Schüler
befähigen soll, schriftlich darzustellen. Es ist das Geringste, dass
seine Sätze grammcitis.ch und orthographisch einwandfrei sind ; das
ist .Aufgabe der Spraciilehrc und Rechtschreibung. Die Haupt-
sache ist die. Der Schüler soll seine Erzählung schriftlich so dar-
stellen lernen, dass der Leser genau sieht, was der Schreiber sah,
das fühlt, was jener ftihlte. Der Ausdruck soll nach und nach dem
Gegenstande und dem persönlichen Jundrucke entsprechend: also
wahr werden. — Die Schwierigkeit wird dadurch grosser, dass sich
der Schüler der gemeindeutschen Schriftsprache bedienen muss, die
er sich erst in der Schulzeit aneignet, während sein mündlicher
Ausdruck ausserhalb der Schule mundartlich ist. Wir werden nodi
sehen, ob er an allen Orten mit gemeindeutschen Ausdrücken aus-
kommen kann, daran müssen wir jedenfalls festhalten: der Aufsatz
muss nach Inhalt und Ausdruck wahr sein.
Wenn ich so die schlichte Wahrheit im Ausdruck als den
Massstab fUr die Aufsatzsprache hinstelle, so weise ich zugleich
andere Instanzen ab, die z. Z. mit halber oder ohne Berechtigung
mitsprechen wollen. — Wie von selber hat die beschreibende
Sprachlehre einen Einfluss erlangt, indem ihre Satzbeispielc
schlechthin als normal angesehen werden; und so glauben viele
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, nur solche Satzgebilde nach Wortwahl und Wortstellung
Fsatzc schreiben zu dürfen, wie sie in der Sprachlehre be-
: wurden. Ich habe den Eindruck, dass die Grammatik
mli' h eine Analyse der geschriebenen Wörter und Sätze sei.
rbcit kommt in erster Linie ihrem System und dann der
chreibung zugute, die Kernfrage des Aufsatzunterrichtes aber:
"ücke ich mich richtig aus? und: Warum ist nur dieser Aus-
nchtig? lässt sie meist ausser acht. Ich bin auch der Meinung^
an auf der Unterstufe aus technischen Gründen weniger und
^ätzc schreiben lasse, aber man darf dabei nicht vert^e^scn:
jentliche Sprache, das ist nicht die vun der Grauuiiatik
e und geheiligte — das ist jdie gesprochene Sprache. Welche
: aber leistet die Sprachlehre der lebendigen Sprache des
, die sich in allen Formen wenn sie auch nicht benannt
- schon darbietet? Ich habe die (xrammatik stark im Ver-
dass sie neben der peinlichen, ungeduldigen, mündlichen
tur die Hauptschuld daran trägt, dass unsere Schüler so
gern Aufsatz schreiben und dass ihr schriftlicber Ausdruck
entfernt ist von ihrem lebendigen und anschaulichen Gc-
das sie nach der Stunde im Schulhofe und im Hause
n,
ch eine zweite Instanz. Eine Frage, die man früher oft selber
1er oder Mutter richtete, lautet: Wie klingt das? — Klingt
lön? Diese Fraj^c hat sicher meine Quintaner geleitet, als
rieben: „Der mit grünen Blattern bedeckte Wald" — ,,cine
:;he Menschenmenge kam durch das Tor" — „der Kuckuck
; der finsteren Nacht der Tannen" — „das sUbeme Band des
trägt die Blicke aufwärts zu den jenseitigen Höhen." — Der
: Schönklang ist der [i^rösste Feind eines wahren Aus-
; denn er frac^t nicht nach der wirklichen Beschaftcnheit der
und prüft nicht das Wort nach seinem wirklichen Inhalt,
iste Unwahrheit — Unldaiheit und Übertreibung, mit einem
alles hohle Getäne kommen von ihm her. Schon deswegen
er blosse Schonklang kein Massstab für den Ausdrtick sein,
nicht für alle Stoffe passt und weil er keiner Abstufung
cigcrung lahig ist Besonders charakteristisch aber ist, dass
schwächere Schüler die duftigsten Blüten bauen,
t, dann halten wir uns an das klassische Vorbild:
, der Meister des klaren Ausdruckes in der Abhandlung,
mit seinen Naturschilderungen, die so wahr und so lebendig
ass das Kind seine Freude dran hat; Peter Hebel vom
'.walde, der alles so witzig und persönlich darstellt, dass
enau weiss, das ist Hebel und kein anderer. Nach-
, das ist unmöglich; ich müsste alles von Lessing, von
von Hebel kennen, und ich müsste mich selber aufgeben;
unmöglich namentlich für die Schüler. Aber wir kommen
— 32 -
«in Stück vorwärts, wenn wir so fragen: Wie kommt es, dass diese
Darstellungen so klar, so anschaulich, so persönlich sind ? Antwort:
Wie die Saciie war und wie die Verfasser sie sahen, so haben sie
geschrieben : Sie haben walir geschrieben. — Der Aufsatz kann wohl
die Dienste der Sprachlehre nicht entbehren, der Schüler muss sich
an Mustern fortbilden und auch den guten Klang darf er nicht
-ausser acht lassen ; aber sie sind nicht die entscheidenden Instanzen
für den sj^rachlichen Ausdruck, sondern die Wahrheit. — Und wenn
uns die Mundart dabei unterstützen kann, so muss sie einen Platz
im Aufsätze eriialten.
Statt uns weiter theoretisch auseinanderzusetzen, wollen wir
mal in den Aufsätzen meiner 13jährigen Ubungsschüler blättern.
Ein Junge erzählt da, dass Weihnachten auch bei ihm zu Hause
ein Fest der Verzeihung war. Die .Mutter liatte erst wenige Tage
vorher den Fritz tüchtig auszanken müssen. Auch der Vater war
auf den Bengel ganz böse geworden, als er heimkam und die
Mutter alles erzählt hatte. Sie hatte ihm aufgetragen: Geh' beim
Fleischer! Der dumme Junge aber war trotzig stehen ge-
blieben und hatte gesagt: Grete kann auch mal gehen 1 — Wie
hässUch klingt dieser grobe Verstoss gegen die Grammatik: Geh'
beim Fleischerl — Ja, aber die Mutter l»t wirklich so gesagt, und
der Junge schrieb es, obwohl er die gemeindeutsch sprachrichtige
Form kannte. — - Ich habe das (jefühl, dass der Junge die Frau
nicht mehr als seine Mutter darstellen würde, wenn er sie sa^en
lassen müsste: Gehe zum Fleischer! Er hat den VaLcr noch nicht
zornig gesehen, wohl aber kann er mal recht böse werden. Von
Knaben hat der Vater noch nie geredet, nur von seinen Jungea
Der vierjährige Karl fragte jeden Tag^: Wenn kommt denn
nun der „Ruperch"? So hatte er wirkhch gefragt; denn er wusste
den Namen nicht anders. Die Mutter musste sich nachher beim
Ruprecht über den Franz beschweren, weil er in den letzten Wochen
ganz und g^r ungezogen gewesen war. Komm' mal vor, du
Schlin^i^ell hat ihn der Ruprecht angedonnert So war es
wirklich gewesen, und so musste der Schüler schreiben, sollte ich
überhaupt ein getreues Bild von der ganzen Geschichte bekommen.
Als wir den Aufsatz aus dem „Postillon*' von Lenau vor-
bereiteten, hatte ich den Schülern gesagt: Denkt immer daran, dass
der Postillon ein einfacher Mann aus dem Volke war, gerade so
wie unser Postillon in Rochlitz oder der Kutscher aus dem Bären".
Wenn ihr ihn reden iasst, dann iasst ihn so sprechen, wie ein
solcher Mann wirklich sagen wurde. ,^s ist doch jammer*
schade um den guten Kerl!" Trifft das nicht die Sache eher,
als wenn der Schüler „treuer Genosse" oder „lieber Freund" schreibt?
An anderen Stellen Hessen wir sicher die Mundart schon reden
und dachten nicht daran. Die Kinder erzählen von der Schlitt-
schuhbahn auf der „Lache"; sie waren am „Küngborn" vorbei-
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gen und auf den „Schöllberg" geklettert. MMonchsstieg^e",
grund", (.Teufclsloch" und wie die mundartlich gefärbten
ümlichen Ortsbezeichnungen alle heisscn: der Lehrer muss sie
a und das Kind sie schreiben, soll seine kleine Erzählung
werden.
s handelt sich in den hier aufgeführten Beispielen um Dinge«
r den Schüler und auch für uns mit bestimmten volkstümlichen
jcken verbunden sind. Nehme ich das Wort, so entstelle
e Wahrheit Ks erscheint dann alles so scheinatisch abgeklärt,
iinUch zugerichtet, die Worte so vornehm, die es doch nicht
Es liegt ein falscher Idealismus darin, die Leute so reden zu
wie sie eigentlich reden sollten. Man kann dann nur noch
iner Übuni^ in neuhochdeutscher Sprache reden, nicht aber
iner wahrheitstreuen Erzählung. Soll die Darstellung walir
o können wir in gewissen Fällen die Mundart nicht entbehren,
strachten wir eine neue Reihe von Beispielen, die mir die
r aus ihren Aufsätzen herausgeschrieben haben. Ich wollte
;hen, ob die Junj^en eine einfache selbstcrlcbte Geschichte
frisch und heiter erzählen könnten. Jeder sollte sich einen
er fangen und ihn turnen lassen. „Ich schütteiie einen
bäum an der Hohenldrchener Strasse und richtig! da
chte einer auf den Weg." So hatte ein Lunzenauer gc-
)en. Ich habe das Wort klatschte" gern stehen lassen;
es sagt viel mehr als: er fiel herunter. Meine Augen ver-
nicht bloss die Ricluuag, wie sicli der Maikäfer bewegte,
ort erzählt mir zugleich, dass er mit seiner breiten plumpen
aufschlug und dass ihn mein Junge schon gehört hatte, ehe
sah und :\ns dem Staube aufhob. Ich glaube sogar aus
nundartlichcn Worte zu hören, wie sich der Jun^e g;efreut
Curz gesagt: „fiel" gibt nur die Richtung der Bewegung an,
hte" aber ausserdem den Grad und den Schall der Bewegung
ägt einen Geiiihlston.
□rt plumpste eine dicke Kröte ins Wasser. Das trifft aus-
mct nicht bloss die Hewc^unj^slinie, sondern auch die Stärke
en Klang. Wie matt dagegen die Ausdrücke: Eine Kröte
— hüpfte ins Wasser, Ausdrucke, die überhaupt nicht richtig
Besser wäre noch: Eine Kröte lieas sich ins Wasser fallen,
ie's auf dem Ameisenhaufen wuselt und krabbelt! Es
'in ^gemeindeutsches Wort, das das Leben auf dem Amciscn-
so anschaulich, klangvoll und kurz bezeichnete. Ich kann
agen: die einen schalen Nadeln herzu, andere kriechen aus
Schern des Baues, um neuen Vorrat zu holen, wieder andere
len sorgfaltig die Eier, da löse ich alle die Bewegungen in
e auf. Aber wenn ich alles kurz und treffend mit einem
deutschen Wort zusammeutassen soll, komme ich in Ver*
;it
«flMbe Stiidi«. X3LX. 1. 3
— 34 —
Die Jungen haben Ausdrücke gebracht, die ich noc'n nie gehört
hatte. Einer aus rirünlichtenbcrj:^ bei Waldlicim schrieb in dem
Aufsätze vom Fostillon: Der Kutscher hagelte mit seiner Peitsche,
dn echtes Volkswort Er knaOte mit seiner Peitsche — er klatschte
mit seiner Peitsche — er hagelte mit seiner Peitsche. Das ist
nicht bloss einmal gewesen, Icli höre einen starken Knall /.wanziormal
hintereinander, und wie pfeilschnell mag der Riemen mit der
Schmitzc durch die Luft gesaust seiiil
Wir waren durch und durch nass — ganz durcbnässt schreiben
wir mit gemeindeutschen Ausdrücken, „klatsche nass" und
„klitschen ass" sagen die Kinder. Die Jungen patschten im
Wasser herum. An seiner „a b ^ e s c h u n d e n e n" Lederhose merkte
man, dass er manchen Baumstamm mit auf]|;claden hatte. — Die
Beispiele mögen genügen. Die Mundart hat viele aus der unmittd-
baren Empfindung heraus geschaffene anschauliche, klangvolle und
treffende Wörter, die die gemeindeutsche Schriftsprache nicht er«
setzen kann.
Ebenso ist es mit vielen volkstümlichen Redewendungen. —
Manche von den Jungen hatten geschrieben: Mosen gab seinen
Gefühlen Ausdruck, andere: er brachte seine Gefühle zum Ausdruck
in dem Gedichte „Aus der Fremde". Als ich aber bei einem las:
„Er musste seinen Gefühlen in einer Weise Luft
m a c h e n , und da schrieb er das Gedicht", — da wusste ich, dass
dieser Verfasser am innigsten nacherlebt hatte. — So anschaulich
ist gar keine inhaltsahnlidie gemeindeutsche Wendung. Er brachte
seine Gefühle zum Ausdruck, er schrieb seine Gefühle nieder, er
legte sie nieder u. ä. — Das klingt alles so trocken und nüchtern,
so verstandesmässig absichtlich. So war es ja gar nicht. W'i»^
ganz anders: Er musstc seinen Gefühlen Luft machen. Sie draugcu
mit Gewalt aus seiner Brust; sie hätten ihn erwürgt, hätte er nicht
seinen Mund geöffnet und geredet.
Die l'ahrt nach Maricnc}- ^cht los. Wir hatten uns schon
frühzeitig aus den Federn gemacht und dann, so schrieb ein
anderer, machten wir uns auf die Beine. Das „machen"
klingt nicht gerade hübsch, vollends wenn es zweimal aufeinander
folgt Aber ich habe diese Wendungen gern stehen lassen. Sie
sind so anscliaulich . frisch vmd liumorvoll - - viel anschaulicher
und mehr hurnurvoll, als wenn dastünde: Wir erhoben uns zeitig
von unserem Lager, und dann wanderten wir fort
Eine manche Forelle hatte Mosen in dem Bache geian^^en.
— Ich weiss wohl, dass das unbestimmte Fürwort den unbestimmten
Artikel nicht noch braucht. Aber es liegt doch ein ci^'cnartii^er
Unterschied darin, oh ich sn^c: Manche Forelle — oder — eine
manche Forelle. Bei dem letzten Ausdrucke scheinen es nach
meinem Sprachgefühl mehr Forellen gewesen zu sein als bdm
ersten. Der Junge aus Köttwitzsch, der so schrieb, muss doch so
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ht haben, oder er hat aus Liebe ZU seinem sonstigen ^rach>
uchc diese Wendung gewählt.
Da lag in der Stille des Sonntagmorgens das Dorf
eney. Dort die Kirche mit dem Glockenboden,
osen so oft gespielt hat. Dort die weissgetünchte
le und Pfarre: Alles Bekannte. Horch, die Glocken
Dort noch ein Bekannter: der umgestürzte Weih-
unterm Weic Ii selbaum. — Ich habe den Junp^cn weder
r Klassen Verbesserung, noch in meinem Aulsatz, den ich ge-
Uch biete, — weder vorbildlich noch ausdrücklich — erlaubt»
sie sich solch abgerissener Sätze bedienen dürfen. Warum
bt der Jtmge gerade an dieser Stelle eine ganze Reihe von
ständii^cn Sätzen? Vom irrammatischen Standpunkte aus ist
aerhort. Vielleicht kam es daher, ich sagte: Machi, so lebhaft
>nnt, die Wanderung mit, so, als ob ihr über die Höhe ins
ner Tal oder ins Köttwitzschtal hineinkämt. Und wie ihr's
md fühlt, so sclireibt! Ganz, riclitig, das ist die Wahrheit,
;chade, diese Form ! Wenn er geschrieben hätte : Dort erhebt
lie Kirche mit dem Glockcnboden. Dort stehen die Schule
farre. Es sind all« Bekannte. Dort ist noch ein Bekannter»
mgestürzte Weihkessel liegt noch unterm Weichselbaum, da
lies in schönster Ordnunj;". — - Aber der Inhaltswcrt dieser
n! Die Kirche erhebt sich: Selbstverständlich. Die Schule
'farre stehen: Wusstcn wir das nicht schon vorhin? Das
alles Bekannte. Ist es nicht ein Sdierz, das „sind" zu vcr*
> — Warum lässt die Volkssprache alle diese Aussagen weg?
)inge drängen sich dem Auge so schnell auf, dass es mit
allein voll beschäftigt ist und jede nebensächliche selbst-
idliche Beziehung dabei nur stört. So sieht das Kind, und
let es, wenn es mit der Mutter am Felde vorbcigclit, oder
es vom Turme auf unserm Berge ins Land hinausschaut:
, o die schönen Blumen! Gib mir cinel Dort die Augustus- ,
dort der Fichtelbcrp;^! Das ist aber schön I DaderKirsch-
! Bald werden seine Knospen aufbrechen. Ach, wenn sie
irst! — Ein dumpfer Fall — und dann tiefe, tiefe
tl — Horch ein Schussl Noch einer!
alt, was war das? So unterbricht ein Junge plötzlich die
ung. Wir werden stutzig und lauschen , bis wir das Eich-
icn im knisternden Geäst über uns entdeckt haben und die
jrung ruhig fortsetzen. — Ist es nicht eine Unart, statt ruiiig
achlich vom Walde zu erzählen, da plötzlich mit seiner
n Gedanken- und Gefühlshaltung dazwischen zu fahren
cn Leser auf das Subjekt der h>/ählung abzulenken? — Ja,
ciien es aber die I-cutc. Sie haben eine MenL'^e Finschiebsel
■r Hand; Warum? — Man sollte es kaum glauben 1 — Hält
fiir möglich? — Was für ein Mannl — Nun noch einen
3*
- 36 -
Schritt weiter. Darf ich sie im Aufsatze durchlassen, diese Stören-
friede, die in gesitteter Versammlung immer halblaut und diesmal
ganz laut ihre Bemerkungen nebenher und zwischenhinein machen?
— Ich meine, sie werden nur an einer ganz besonders spannenden
Stelle auftreten, an einer Stelle, wo man etwa im Reicfastagsbericht
„Ohol" oder „Hört, hört!" lesen würde. Und wenn unser kleiner
Erzähler so lebhaft darstellt, dass er sich der Zwischenbemerkung
nicht mehr enthalten kann, dann können wir acht zufrieden sein.
Diese volkstümlichen Ausbrüche des persönlichen Abscheus, der
Verwunderung, der Freude, der Trauer beleben den AufisatK ganz
wirksam.
Die Volkssprache hat also viele aus der unmittelbaren Emp-
findung heraus geschaffene eigenartig bedeutsame, lebhafte Rede-
wendungen und Darstellungsfornien.
Die Kinderzeit ist eine Zeit zartester Empfindung, das kommt
auch in der kindlichen Sprache zum Ausdruck. Ks redet vom
Vati und Vatel, von Mutti, Mütterchen und Multcl, vom
Bubi,*von Martel und Liesel und wie die Kosenamen für seine
lieben Menschen alle heissen. — Die Puppe im Wagen, Mätzchen
im Bauer, Mieze hinterm Ofen, alle haben ihre besonderen Idnd*
liehen Namen, die schon das Vierjähri^rc spielend erfindet — Wenn
CS dann Frühling auf der Wiese winl , da spielt das Kind mit
Hundeblumen und Milch blumcn, und es bringt einen feinen
Strauss von iVIiczchen mit heim. Die schulmässigen Namen sind
ihm wohl bekannt, aber die volkstümlichen sagt es lieber. — Eine
Gruppe von Jungen schart sich an der Bleich wiese zusammen, ein
Spiel soll bej^iiuicn. Ein Zählrcim oder ein anderer S[Melvers wird
aufgesagt, der Häscher ist gefunden, und nun läuft alles lachend
auseinander. Diese einfachen Reime sagt das Kind tausendmal und
wird doch nicht müde dabei.
Die mundartlich gefärbten Kosenamen für Menschen und Tiere,
die Blumenbezeichnungen, die Spielreime und Spielausdrückc sind
recht eigentlich kindlich und würden sicher für den Aufsatz kleiner
Kinder Wert haben und zugleich Freude machen. Vielleicht ist
das ein Mittel, unvermerkt das Kind vom Spiel zur Arlieit zu locken
und die so oft langweilige Aufsatzstunde lebendiger zu gestalten.
Sc^ar die neuhochdeutsche Verkehrs- und Kunstsprache können
in gewissen Fällen den mundartlichen Ausdruck nicht entbehren.
Nikolaus Fries berichtet, wie er's erlebte; „Die Buben schreien:
Napolium ist gefangen 1" — Wie haben sich die Jungen gefreut, als
sie das lasen I Theodor Storms „Ruprecht" erzählt in seiner be-
häbig freundlichen Art: „Und wie ich so strolcht' durch den finstera
Tann, da riefs mich mit heller Stimme an." Konrad Ferdinand
Meyer im Lutherlied:
,4^ic Bulle schmcisst lÜDcin er Hiak
Wie Pftiikit schleakcrt* in den Brand den Wwm.**
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It zitternde Kringelein an die Wand** heisst es bei Chamisso.
in Goethes Briefen wininiell's von mundartlichen Ausdrücken,
icbenbei gesagt, nicht immer die zarteste Tonart sin^ren. Unterm
September 1782 schreibt er an Frau v. Stein: „Ich bin recht
dnem Privatmeoschen erschaflTen und b^^reife nicht, wie mich
S< hicksal in eine Staatsverwaltung und eine fürstliche Familie hat
flicken mögen." Und am 22. Februar 1779 meldet er ihrhoch-
nt : „Kinen gar guten Brief \ on meiner Mutter hab' ich kriegL"
Aus natürlichen Gründen kann die gemeindeutsche Schriftsprache
Mundart nicht voll ersetzen. — Es ist nicht zufällig, dass das
skind an seiner Mundart so festhält Es ist auch nicht dörflich
e Hartnäckigkeit, dass der gemeine Mann sie trotz Schule,
he, Zeitung, Behörde und Briefverkehr nicht lässt. Das ist seine
fliehe Haus- und VVerktagssprache , natürlich aus folgendem
ide. Seitdem die ersten deutschen Einwanderer unsere Gegend
iten, hat sich ihre Sprache auf Grund der eigentümlichen
smischung, der Beschaftigui^, der Verkehrsverhältnisse so
iart!*T weiter entwickelt, wie wir sie jetzt mundartlich hören. —
sie so eigenartig macht, sind gewisse Lautbildungen, das
chtempo, die Sprachmelodie, gewisse Wortbedeutungen und
ndere Erscheinungen im Satzbau. Am auffälligsten sind Laut*
ing, Sprachtempo und Sprachmelodie. — Ganz natürlich ent-
cite sich aber auch in der l.üic'en Zeit des jrcschlossenen Zu-
rienlebens dieser Menschengru}Ji>e eine eigene Art heraus, Dinge
ewisser Weise zu sehen, Schälle und Geräusche zu hören und
ndere Bcgleitgefühle zu haben. So vielartig und eigentümlich
lindrücke und Gefühle, so vielgestaltig und eigentümlich auch
sprachlichen Ausdrücke dafür. — Die gernrindrutsche Schrift-
'he kann daher nicht allenthalben den volitrcttenden Ausdruck
las Volksempfinden haben. Wie oft geht's einem nicht selber
lass man sagen muss: Na, wenn ich die Sache beim richtigen
en nennen soll, muss ich so . . . nämlich in der Mundart . . . sagen.
U«
felok«iii IlBlhno« fOmm «ondartliohe WSrItr md WMAii|M Im AufMlie
bMutzt werden?
In den Schüleraufsätzen wird teils Selbsterlebtcs, teils Fremdes
htet. Das Sclbsterlebte (den Ausflur: den Frühling. Königs
irtstag) kennt der Schüler in allen seinen Einzelheiten. Das
le und Einzelne ist das Element, worin das Kind lebt, das ist
sein Stoffgebiet im Aufsatze, wenn es gut und selbständig
Iten soll. Ruprechts Hosen, Stiefeln und Mandelsack, ja das
Dinge, die Staunen erregen, nicht aber, dass er wie ein Buss-
iger vor dem Christkinde herschreitet. Von den kleinen Zügen
n besonders Bewegungen die Aufmerksamkeit des Kindes auf
- 38 -
sich — merkwürdig, dass auch die meisten wertvollen mundartlichen
Ausdrücke Tätigkeitswörter sind. Wie der Maikäfer aussieht, dns
hatten viele Jungen zu schreiben vcrc;^essen, keiner aber, wie er
grabclt und krabbelt und klettert und die schweren braunen Decken
leichtert Wenn der Lehrer den Schüler anregt, das Kleine m
gestalten und wenn er wünscht: Schreibe genau, wo und wann und
wie du es gesehen und gehört hast: dann wird es klar: Bei <ler
lebendigen Krzählunt; von Selbf;terlebtem mit all seinen bestimmt
gezeichneten Einzelheiten und namentlich den Bewegungen sind
mundartliche Ausdrücke an ihrem Katze.
Halt! Jetzt sollen aber die Schüler im Anschluss an das
Gocthcschc Gedicht vom Ostcrtai^f bei Frankfurt or/.ählcn — ein
andres Mal \on Schiller, dass er ein Knabe wie andre war -- von
Dingen also, die fern von Heimat und Gegenwart liegen, die der
Sdriil«* höchstens nadierleben kann. Da sind die mundartfidien
Ausdrücke wahrscheinlich überflüssig. Sehen wir mal genauer zu. —
Das räumlich und zeitlich F'erne kann in zwei Weisen dargestellt
werden : entweder a!«; einfache Narhcr/ählung ~ bc7.w. unver-
ändertes I'ernbiid oder lebendig verändert. Im ersten Falle, wo
der Vorgang aus weiter Feme ohne eigenes Zutun gesehen wird,
reicht das gegebene Material aus. Im zweiten Falle aber, wo die
Handlung lebhaft ausgestaltet oder umgestaltet werden soll, muss
der Schüler seine eigenen Vorstellungen und Gefühle hinzubringen.
Die Vorstellungen entstammen meist seiner nächsten Umgebung:
er trägt also einzelne Züge der Heimat in den fremden Vorgang.
Oder wenn er die heimatlichen Raumelemente in grosser Zahl und
in heimatlicher Anordnung benutzt, so rückt er das Ferne kühn in
die Nähe und in die Gegenwart. Das ist der natürliche \''crlaitf;
denn der Schüler benutzt, oline aiifc^efordert zu sein, Sclbstn;cseheiies,
Selbstgchortes, Selbstempluiidenes, wenn er Nacherlebtes lebendig
berichtet. „Bimbaum, bimbaum, klang es jetzt vom Dorfe Afarieney
her." Was der Junge bei Seelitz hörte, das überträgt er einfach auf
Marieney. — Wenn er vom Ameisenhaufen auf der Tannenhöhe
vor Marieney schreibt: Wie's dort wuselt und krabbelt I so n;lauht
er, dass der Ameisenhügel dort genau so aussieht wie einer im
Rochlitzer Walde. Er reiht nicht Bildliches, sondern übertragene
Erlebnisse aneinander. Das geht sogar so weit, dass er sich körper-
lich in die Fremde einfülilt. ,,Ich fühhe, wie mein Herz weit w urde,
und ich konnte mich nicht mehr hallen, ich musste mitjubcln."
So schrieb einer in demselben Aufsatze. Eine plastische Darstellung,
gemütvolle Vertiefung und selbständige phantadevoHe Umgestaltung
des räumlich und zeitlich Femen ist nur dann möglich, wenn es
nacherlebt, d. h. in die Heimat ciferückt oder mit heimatlichen
Elementen ausgestaltet wird. Ist das aber der Fall, dann wird auch
in der Darstellung des Nacherlebten, wo sie lebhaft wie die Wiric-
lichkeit wird, der mundartliche Ausdruck von selber gebraucht werdea
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frotzdcRi wird uns nicht entgangen sein, dass die Gründe für
.'^erwcndung von volkstümlichen Ausdrücken im Aufsatze zu-
i ihren Umfang einschränken und bestimmen, wo sie gebraucht
:n dürfen. Wir werden ja unsere Kinder auch nicht mit jedem
del auf der Strasse spielen lassen. Ich las den Schülern bei
Lückgabe des 2. Aufsatzes den Satz vor: der Kutscher knallte
einer Pritsche und machte einen ziemlichen Radau. Gegen
: Wort erhoben sich sofort eine Menge Hände. Es gehört dem
Ideutsch und der Gassenjungensprache an und ist kein gutes
scbes Wort^} Auch mit den gewöhnlichen Schimpfwörtern»
'luch ausdrücken und anderem unfeinen Gesindd wollen wir
zu tun haben. —
)as Wort ,,bu ekeln" v.ichi ohne weiteres von der Hand
:isen; es kann ut\s ati sruu in Chtr, im Walde oder in der
lahlgeschichte zur Abwcciisiung vielleicht einen Dienst leisten.
:r iGrchentür aber muss es Halt machen. Es stört die weihe*
Stimmung, wenn es ein Unvorsichtiger mit hineinschlüpfen
Ich ^hiube , mein kleiner Stilist war mit seinen Gedanken
ganz bei der Sache, sonst liättc er sich seine Begleitung besser
:hen. „Da stand ja das Marienbild schreibt er, „das Mosen
so bewunderte! Der Kirchner erzählte uns nachher, dass
vom Boden heruntergebuckelt hatte." Benutze das volks*
he Wort un<^esucht, am passenden Ortet
ic mundartliche Aussprache an sicli hat für den Aufsatz keinen
etwa Boom für Baum, schcene tur schön, griene für grün
Es könnte höchstens dann sein, wenn es die ungeschminkte
eit an besonderer Stelle verlangte. Und dann genügt das
inende Wort Ja» fiir den Dialektforscher sind alle münd-
en Erscheinungen von gleicher Bedeutung. Fiir den Schüler
der aus nationalen, kulturlichen und Verkehrsgründen das
ndeutsche im Aufsatze schreiben muss, kommt die Mundart
soweit in Betracht, als sie durch wertvolle Wörter, Rede-
igen und Satzfügung die von der gemeindeutschen Schriftsprache
nen Sprachmittel bereichert und den wahren, lebendigen
ck fördert.
III.
hen Vorzug hat der Aufsatz, der in dnn vorhin gezogfnen Grenzen die
zolässt, vor dem, der ohne Ausaabme fleneiodeutMhe Auadrücke fordert?
tr prüfen an zwei Schülerarbeiten nach. Der erste Aufsatz
Selbsterlebtes, der zweite Nacherlebtes.
>o ist es bei uns. In anderen Gegendea wird das Sprachgefühl wieder anders
— 40 —
Der Frühling kommt! {Freier Au&atz.)
Noch vor wenig Wochen bedeckte Schnee das ^anze Land.
Jung und alt vergnügte sich mit Schlittenfahren und war fröhlich.
Aber dennoch war es nicht die rechte Herzensfreude, wie sie im
Frühlinge herrscht Woran lag's? — Die Natur war noch tot und
kahl. Wie unter einem Leichentuche lag sie da. Im Walde war
kein Ton, keine Stimme eines Singvogels zu hören. Wie manches
kranke Kind wird da täglich, ja stündlich gefragt haben: Mutti,
darf ich denn noch nicht bald naus? Und immer wieder die
Antwort : Ja, wenn der Frühling kommt, wenn die Sonne warm
scheint, dann darfist du draussen spielen, aber eher nicht
Und jetzt! Jetzt ist er endlich gekommen I Die Sonne steht
jeden Morgen eher auf als ich, und der Schnee ist überall ver-
schwunden. Die Wiesen bedecken sich mit frischgrünem Grase,
und durch die Halme kommen an manchen Stellen schon Blumen
geguckt Die Bäume und Sträucher haben braune Knospen, manche
sind schon aufgesprungen. Jetzt regen sich auch die Vogel. Die
Stare sitzen schon längst auf unserem Apfelbaume hinterm Hause
und pfeifen ilirc Melodien. Und im Bergwalde oben, da r.witschert's
und singt's und pfeift's, dass man vor lauter Lust mitsingen möchte usw.
Eine Wanderung in die Heimat Julius Mosens.
(Nach dem Gedicht „Aus der Fremde".)
Einsam und fem von den Seinen lag Mosen auf dem Kranken-
lager. Einmal war er nun so traurig, — denn er konnte seine
Heimat nicht wiedersehen — dass er nicht anders konnte, er musstc
seinen Gefühlen in einer Weise Luft machen. Da hat er das
Gedicht „Aus der Fremde" gedichtet Darin erzählt er, wie er
einmal als Student eine Wanderung in sein Dörfchen unternommen
hat. An einem Frühlingsmorgen überstieg er den letzten Bei^, da
schreibt er: Bald umgab mich das grüne Holz. Und dann die
kleinen Vögel in Bäun\ca und Sträuchern ! Wie das zwitscherte und
jubilierte aus tausend kleinen Kehlen 1 immer höher hinauf stieg
ich. Steif und ernst standen die weissstämmigen Tannen und
dunkelgrünen Fichten da. Ich fühlte, wie mir das Herz weit wurde,
und ich konnte mich nicht wehren, ich musste hell aufjauchzen.
Endhch langte ich am „f elsensprung" an. Ich stand nun oben un<l
konnte das ganze Dörfchen überblicken. O wie schön, mein
Marieney! Unter den Eschen rieselte der klare Bach mit frischem
Bergwasser hinab. Drüben zog mit frischrotem Backen der Gciss-
bubc mit seiner Herde hinaus. Seine Geissen srir-inj^^en um ihn
herum, und plötzlich erhob der Bube seine Stimme und sang und
jodelte, dass es in den Bergen widerhallte. Endlich war er ver*
schwunden. Horch, was war das? Jetzt wieder 1 Von unten herauf
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die Glocken zur Kirche. Eben wollte ich hinunter, da trat
I der Geissbube auf die Feisenkanxel und sang seinen
(gschoral ins Tal hinab:
Erheb' ihn ewig, o mein Geist,
erhebe teiaea Namen!
h kam ins Dorf und ging mit den anderen zur Kirche.
jr einige kurze Bemerkungen dazu.
ich der ffemeindeutschen Ausdrucksweise in den Lesebüchern
die Hrzählung vom Frühlinge glcichmässig fortfliessen. Der
aber bringt schon nach einigen Sätzen die Frage: Woran
und weiter unten den freudig spannenden Ausruf: Und jetzt!
r Erzabiton hört auf, das gleichmässige Tempo wird unter»
n, die Aufmerksamkeit c^espannt, und ich lausche dem Berichte
— Wenn ich den kindlich-volkstümlichen Ausdruck lese:
die grünen Halme kommen an manchen Stellen schon Blumen
t, so freue ich mich schon an seinem eigenartigen Klange
ass ich mal etwas anderes höre als das Alltägliche. Der
ck wird durcli die Verwendung von volkstümlichen Wörtern
endungen iti der Tat mannigfaltiger, — Das Bedenken, dnss
imeindeutschcs und Mundartliches nicht miteinander vcrtraj^ea
ist hinfallig geworden. Die Beispiele haben ones anderen
. Es entsteht eine ganz eigenartige, aber gesunde Verbindung
iitvaterländischem und enger Heimat, von Sache und Person,
rres Diirrhein unler ist ausgeschlossen, da jedes von beiden
bestmimtca .Vntcil zu Hefern hat,
ie solche Darstellung, wie in den beiden Aufsätzen, hat
1 Leben. Das sind lebendige Worte, nicht solche, die
h gezirkelt nur im Buche stehen. Da fängt auch der
tand an zu leben, und der Le&er hört gern zu und erlebt
iL
as Wissen vom Können erzeugt aus der Begehrung den
") Wenn nun der Schäler im Au6ata» die Sprache reden
ie seiner Zunge naheliegt, so hat er das Gefühl sicheren
is. Die Tat wird dadurch nicht bloss leichter, sondern auch
hr Kraft vollzogen. Der mit dem Bewusstsein des Könnens
e Au&atz redet eine viel mutigere Sprache als der ängstlich
Auch der sdiwächere Schüler bekommt Mut und versagt
/enn er sonst guten Willen hat.
i Schreibung der mundartlichen Wörter hindert nicht so,
n meinen könnte, hrstcns einmal kommen gar nicht so viel
ige Wörter vor. Und dann braucht man ja nur auf die
henen Laute, ähnlichldingende und sinnverwandte Worter
iten. Im schlimmsten P'alle geben Grimm u. a. Auf-
— Den Schülern hat die Schreibung von mundartlichen
dagogisehe Studien, XXIX. Jahrg., 4. Heft, S. 255.
— 42 —
Wörtern immer l)e<>ondere Freude gemacht, gerade so, wie wenn
sie den NaiTien eines lieben Bekannten zum crstenmale schreiben.
Der Autsatz soll persönlich sein, das ist die höchste Forde-
rung, die an den Schälerauisatz gestellt werden kann; denn das
setzt schon Sicherheit im Sehen, Sicherheit im Urteil und eigen-
artige Ausdrucksweise voraus. Wenn der Ausdruck sich nur zufäHig
und äusserlich in Wortwnhl und Satzbnu vom anderen unterscheidet,
dann ist er noch lange nicht persönlich, erst dann, wenn er in
innerem Zusammenhange gerade mit diesem Verfasser steht. Voin
gleichförmigen Aufsätze auf der Unterstufe schreitet der Schüler ZU
mannigfaltiger Darstellung fort, und das Ziel ist mannigfaltige Dar-
stellung schon mit persönlichem tlepräge.
Die volkstümlichen Wörter und Wendungen haben nach meiner
Beobachtung mit dazu beigetragen, dass der Ausdruck persönlidi
wurde. Der Schüler durfte nicht bloss schreiben, wie er den Wald
sah, sondern auch mit dem Ausdrucke, der seine Beobachtung am
besten bezeichnete : „das c^rüne Holz" — „da kommen schon Blumen
geguckt", tr schrieb, wie er fühlt, wenn er einen schönen Bück
ins Tal hat, und mit dem Worte, in dem sich für ihn der ganze
Eindruck des Bildes widerspieglt: das ist aber schön!
Der Verfasser, der in seinem Aufeatze von dem kranken Kinde
schrieb: , Mutti, darf ich denn noch nicht bald naus?" erschien mir
von da an in einem ganz anderen Lichte: viel kindlicher und herz-
licher und melir häusUch, als ich's vorher gedacht hatte.
IV.
Wo Im UataiTlchte kam der Schüler planmäetig asf die wertvollen miadarinshia
W8rttr und WeadnaiAn anftnerktaii genaoht werden?
Finc .\nleitung ist notwendig, da der Gebrauch von mund-
artlichen Wiirtcrn und Wendungen in vielen Fällen ein verfeinerte
Sprachgefühl voraussetzt, absichthclie Anleitung, weil die Sache aus
sprachlichen und methodisclicn Gründen von solcher Bedeutung ist
Es ist nichts Neues, dass die Beachtung der Mundart in erster
Linie der Wort! l ide zufallt, besonders bei der Betrachtung von
Wortfamilien und sinnverwandten Reihen. Die Wortfamilie nimmt
auch ihre mundartliclien Hriidcr und Schwestern auf und lässt aus
ihrem Gesicht und ihrem Charakter die natürliche Zugehörigkeit
und Abstammui^ erkennen. Schon da sieht der Schüler, was das
mundartliche Wort bedeutet; sein Wert für den Ausdruck aber
wird ihm erst klar, wenn er es neben Gebilde ähnlichen Inhaltes
stellen und abwägen lernt, also bei der Betrachtung Sinn
verwandter. — Ausser den gemeindeutschen Wörtern nimmt
die Reihe auch die zugehörigen mundartlichen auf, neben sehen,
erblicken, schauen, stehen, gucken, schielen, schiekeln, stieren, klotzen.
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auptsache ist nun allerdings weniger die Aufzählung und
il, sie besteht darin, dass der I ehrf^r in recht einfacher und
er Weise die Schüler anleitet, den Sinn des Wortes zu ver-
und sich für seinen eigenartigen Wert zu interessieren. Wenn
it Worten umschrieben oder verbalistisch definiert wird:
d. h. . . spähen, das bedeutet . . dann wird die Wort-
zuin entsetzlichsten Wortkramc. Die neue Snche, der neu«
vustand verlangten ehedem die neue sprachliche Bezeichnung,
jscr Entstehungsakt muss nacherlebt werden, damit wir Herr
•rtes werden. Wo der Ausdruck geradenwegs den Naturlaut
mt, kann der Schüler sogar die Formentstehung nacherleben,
as ist xcrluiltnlsmässi;^ selten olinc gcu'af^tc X'ermutiinf^en
1. Die Erforschung ties Wortsinnes, d;is ist die Hauptsache,
ort ist mit der Sache entstanden, das eigenartige Sprach-
nUt dem besonderen Gegenstande, das macht sich der
aus genetischen und methodischen Ghrunden zu nutze. Am
jlichen Gegenstande, an der Heimat muss die Sprache fest-
t und klargemacht werden. \ur zwei Heispiele. Wenn ich
IS Bild dort in unserem Zimmer „besehe ', dann richte ich
beiden Augen auf das Bild — ich mache meine Augen weit
ich trage sie sogar dn Stück näher hin — ich möchte alles
aulfassen, damit ich nichts vergesse, auch wenn das Bild nicht
or mir hängt Das ganz kleine Kind ,, guckt" noch nicht aus
Bettelten, es „stiert" mich an ; denn es macht ganz grosse
— sie sind gerade aus gerichtet — und das Kleine weiss
licht, was es sieht. — (Einfache sachUche Klarheit genfigt,
.onen sind schwierig, langweili^^ leblos und wenig gebrauc^-
Wenn der Schüler in solch schlichter lebensvoller Weise
1 Sinn der mund.irtlichen Worter achten lernt, dann wird er
Iber das trelfcndc Wort am riclitigen i iai/.c schreiben,
ich in der gelegentlichen Aufsatzkorrektur vor der
irift können die Schüler zum Gebrauche der Mundart an-
; werden. Jeder .Aufsatz hat i !it bloss seinem Inhalte,
n auch seiner Form nach ein eigentümliches Gepräge,
ch; denn die Sprache ist mit dem Inlialtc untrennbar ver-
I, wenn sie wahr sein soll In der Schilderung des Gewitters
I die Ausdrücke bedeutsam, die die Naturerscheinungen und
Timung der Kinder am besten bezeichnen : der Donner rollte,
prasselte: der Regen strömte — klatschte — platschte an
.leibeo. — Schon um das ewige Einerlei zu vermeiden, lenke
i der Enählung vom Ausfluge die Aufmerksamkeit auf die
rausdrücke, beim Schulfest werden die Spielausdrücke
cht, und zum Weihnachtsfeste, da werden dem Kinde die
chaftswörter lieb, die seinen Baum nach Gestalt, Beleuchtnn<^,
ck usw. malen. Den rechten Erzählten müsste der Schüler
«Iber treffen, wenn er die Geschichte im Augenblicke der
Niedersrhrift wirklicli mit- und nacherlebt und so lebhaft berichtet.
Ja, so sollte es sein. Aber jeder, der mit Kindern arbeitet, weiss,
wie ungeschickt sie oft im Gebrauche des Nächstliegenden sind und
wie unsicher zumal Schwächere angreifen. Ich eröflhe ihnen den
reichen Schatz der Sprache auch nach dieser Seite» damit sie bewusst
und sicher für ihre Zwecke nehmen. Wir fragen auch die Mundart,
wie sie diese Slininuin<^ pcrn ausdrückt, und wählen das Wertv'olle
und Geföilige für unseren Aufsatz. — Was der Aufsatzunterricht da
nicht selber schaffen kann, übernimmt die Wortkunde und leistet
auf diese Weise wertvollste direkte Dienste.
Noch eine wichtige Frage bleibt übrig: Wie kann der Unter-
rieht auf der Unter- und Mittelstufe einem solchen Aufsat/c \or-
arbeiten? Ich kann mich auf dem engten Raum hier nicht umlangiich
mit der grundsätzUciien Frage auseinandersetzen, ob Aufsatz auf der
Unterstufe oder nicht. Nur eine kurze Bcmeikung. Wenn man
vorschlägt, erst im 5. oder 6. Schuljahre Aufsätze und dann sofort
freie schreiben zu lassen, so muss diese Ansiclit auf der Auffassung
ruhen, dass das Kind da schon über die Ausdrucksformen verfügt
oder dass eine Anleitung zum Gebrauche der Ausdrucksformen
und namentlich zu persönlichem Gebrauche unmöglich ist. Eine
solche Anerkennung des Kindes ist das schärfste Gegenwort gegen
das Gcän^cl- und Drechsclprinzip früherer Methode und wird als
starker Ruf in die Zeit ihre Wirkun^^ nicht verfehlen. Aber wenn
sie ohne alle Einschränkung in der Praxis verwirklicht werden soll —
man denke auch an die verschiedenen Schulgattungen und an die
weniger befähigten Kinderl — ^ so ist das zu weit gegangen. — Von
der Willkür in der Sprache vor der Schulzeit gehe das Kind durch
eine Zeit weiser Gebundenheit, und dann lasse man ihm sobald als
möglich alle Formen in wertvoller persönlicher Freiheit handhaben.
Wie wäre es, wenn vom 3. Schuljahre an Lehrer und Schüler zu«
sammen solche nette kleine Sachen arbeiteten, wie sie Scharrelmann
in seinen „Fensterchen" erzählt*) Schadet nichts, wenn sie anfangs
auch formenglcich sind. Aber der Schüler erfahrt doch, wie so
etwas wird, und freut sich, dass er mitgearbeitet hat. Und wenn
vollends Aufsatzdiktate in gleich kindlich-natürlicher Sprache neben-
hergehen, dann kann der Erfolg nicht fehlen.
Auch auf der Oberstufe ist eine direkte Anlcitunj.,^ hie und da
wertvoll. Manche Stoffe werden dem Schüler nicht gleich in die
Feder fliesscn, schon weil er nicht immer gleich stoffsicher und in
der Stimmung dazu ist. Wenn ich an einer solch schwierigen Stelle
ein kleines Stück selber gestalte — recht frisch und kindlich —
und dazu bemerke: So habe ich mirs gedacht, du wirst es wahr-
scheinlich anders ansehen, da nehme ich dem Schüler von seiner
Freiheit nichts, und er wird mir dankbar sein.
Sebamlmaim, laienhafter Untcnicht", S. io8flg.
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31 Schlüsse noch dn kurzes Wort
;le fordern für die Oberstufe durchaus freie Aufsätze. Ich
1 Jahre auch mehrere vollständig freie Aufsätze als zwci-
! Klassenarbeiten schreiben, halte es aber im iibrigen so:
Satzüberschrift verlangt von allen Schülern eine nach Inhalt
:fang bestimmte A<t>eit, aber eine Arbeit die inhaltlich nicht
g ist und die meinen kleinen Stilisten Freude macht. Wir
n einer Stunde die Gliederunf^ fest und führen das Wesent-
s. Darnach hat jeder Schüler zu arbeiten. Aber innerhalb
ircnzen ^^ewähre ich gern hVeiheit:
Wenn du Einzelnes, was dich interessiert, weiter ausführen
D tue es, ich werde mich darüber freuen. Aber denke immer
lass es iiir deine Oberschrift Wert haben muss!
Schreibe, wie du sonst gut sprichst — wahr und lebendig,
der Leser genau das sieht, was du gesehen hast, dass er
fühlt, was du gefühlt hast — , so, dass er dir gern weiter
Findest du einen guten vollcstümlichen Ausdruck, der viel-
s ein anderes Wort sagt oder den du gern hast oder den
irheit verlangt, so schreibe ihn ruhig hinl Wenn du nicht
ist, frage mich noch einmall
t der Unterricht auf den kausalen Zusammenhang
kulturgeograpbischer Stoffe hinzuarbeiten?
Von ü RomM, WoUin i/P.
Das kulturgeographiscbe üenient im allgemeinen.
fem der geographische Unterricht den Nachweis fuhrt, wie
uttcr Krde auf die Lebensführung des Menschen, auf seine
>eine Eigentümlichkeiten leiblicher und geistiger Art, auf
;ten und Gewohnheiten, auf Kunst, Wissenschaft und
einwirkt und einwirken muss, erhebt er sich zur Kultur-
ie. Und dieser Zweig des Unterrichts findet gegenwärtig
er wirtschaftlichen Kampfstellung Deutschlands gegenüber
rcndcn Nationen mit Recht eine grössere Wertschätzung.
Ti besonderen wird der kulturgeographischc Unterricht
as und in weicher Weise der Mensch für die verschiedenen
tines Kulturlebens unter dem Einfluss der durch die Natur
des Landes gegebenen Verhältnisse geleistet hat, bezw. lebten
konnte.
Doch nicht die Tatsachen an sich, sondern der Nachweis des
kausalen Zusammenhanges zwischen kulturgeographischen Stoffen
und anderen geographischen Tatsachen, ateo die lückenlose
Darstellung von Ursache und Wii»kung machen wie in der
physikalischen Geor^^raphie, so auch hier den Reiz des Unterrichtes
aus und verbürgen ein allseitii^es Interesse.
Iis ist gewiss, dass in Lui/cifallcn das Verständnis des kausalen
Zusammenhanges über die geistige Fassungskraft der Schüler hinaus-
geht ; im aU^emeinen aber wird dieser Zusammenhang nicht schwer
zu erbringen sein.
Der Mensch lebt auf dem Krdbodcn, auf ihm erbaut er seine
Wohnungen, zieht seine Strassen und betreibt seine Geschäfte. Aus
ihm gewinnt er Nahrung för sich und sdne Haustiere, Holz zu
seinen Bauten und Möbeln, Kohlen zur Feuerung und Erze zur
weiteren Bearbeitung^ und Verwertunj^. So empfangt er Anrcgtino^cn
der verschiedensten Art, wird durch den Boden erzot^en und unter
Umständen zur höchsten I.eistungsfahigkeit im Kampfe ums Dasein
angespornt. Und so sind die einzelnen Landgebiete das treueste
Abbild menschlicher Tatkraft oder menschlicher Gleichgültigkeit
und Faulheit.
Den Nachweis dafür zu führen und die kausalen He/ieliuiUf^cn
aus Natur- und iVIenschenlebcn in möglichst lückenlosem Gange
darzustellen, ist die wichtigste, wenn auch schwierigste Aufgatie
kulturgeographischer Heiehrungen.
2. Ist der kausale Zusammenhang festgestellt, so hat der Unter-
richt sich nicht mit einer g^anz im allcjemeinen gehaltenen
Exemplifizierung zu bet^niit^en. Stets muss er auf gan z bestimmte,
konkrete Fälle zurückgreifen. Wie es zwecklos ist, wenn die
Schüler von einem Fürsten etwa die so beliebte Wendung ge-
brauchen: er sorgte für Kunst und Wissenschaft, so ist es für das
Verständnis kulturgcographischer Tatsachen völlig nutzlos, wenn es
heisst : die Bewohner beschäftigen sich mit Ackerbau und Vieh-
zucht. Das mag ja ganz richtig sein, wahrscheinlich haben es Adam
und Eva auch schon getan. Will man diese kritische Würdigung
der Besdiafdgung der Bewohner eines Landes überhaupt zulassen,
so muss sie durch Etnzelf^Ule bestätigt und begründet werden.
Richtitn-r aber scheint es mir. von der Bodenkultur und Viehzucht
nur dann un besonderen zu sprechen, wenn es sich um hervor-
ragende Leistungen handelt, wie z. B. im Warthe-, Oder-,
Netzebruch, in der goldenen Aue, in den Werdergegenden, an der
unteren Weichsel usw.
Im Einzelnen ist nachzuweisen, welciien bcsond : n Umständen
gerade diese Gegenden ihre hohe Ertragsfähigkeit verdanken; leils
handelt es sidi um Niederungen an Flüssen und am Meere, deren
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mmboden einen grossen Vorrat von Nährsalzen birgt, für die
Mtuncj locker ist und ^'enü(Tcnde Feuchtigkeit erhält und fest-
teils sind es Gebir^fsgc^cndcn mit ihren Tälern und Vor-
n, also Gegenden, die sich, wie jene, nur wenig über den
«Spiegel erbeben und darum ein mildes Klima haben, geschützt
die Gebirgsmauer.
icht darf es heissen: In Deutschland werden viel Zuckerrüben
, sondern es sollte heissen : Die meisten Zuckerrüben liefern
, Braunsciiweig, die Pro\iii/. Sachsen. Die Zuckerrübe ver-
nämlich einen tiefgründigen Lehm* und Mergelboden. Er
US der Verwitterung gewisser Gesteine hervor, die gerade in
enannten Gebieten die Gebirge /Zusammensetzen und in dem
de als Lehm beüw. Mergel abgelagert ^iiid und zwar in
* mineralischen Zusammensetzung, wie sie lur die Zuckerrübe
kdmmlichsten ist Dieser Zusatz darf nicht fehlen, weil auch
loch Lehm* und Mergelboden vorkommen. (Geschlebemergel
:utschhnds.) Dass Wärme und Feuchtigkeit mitsprechen,
jstvcrständiich.
ne gleiche Spezialisierung ist mit Rücksicht auf den Getreide-
Deutschlands erforderlich, wo man zwischen Roggen- und
iibau einerseits und VVeizenbau andrerseits Streng scheiden
E!)enso ist im einzelnen der Nachweis zu führen, warum
der Rheingau das gesegnetste deutsche Weingebiet ist.
im Schlüsse noch ein Beispiel aus dem Gebiete des in-
llen Lebens. Rheinland, Westfolen und Oberschlesien sind
uptorte unserer Eisenindustrie: Hs genügt nicht, diese Tat*
zu konstatieren, sondern der Schüler hat sie zu begründen:
;en Gegenden liefert der Boden das Eisen zur Herstellung
lüchinen und zahlreicher Eisenwaren und Eisenwerkzeuge.
; und Stelle findet sich aber auch die Kohle, die die Fabrik-
en heizt Viele Menschenhände sind notwendig, die Schätze
ic ans Tageslicht zu ffirdcrn und zu verarbeiten. Darum
>e Gegenden stark bevölkert, und die Landschaft erhält durch
aid von Eabrikschornstcinen ihr eigentümliches Gepräge.
Erst dann, wenn die Kulturverhältnisse der einzelnen Landes-
ezw. Länder im besonderen erörtert worden sind, ist eine
natische Zusammenstellung am Platze. Der Schüler
mit Hilfe des Lehrers zu erarbeiten. Sie gchTirt an das Ende
•uartals- oder Scmesterpensunis und hat in der l Gruppierung
er Einzelheiten zu bestellen, aus denen sich all gemein -
e Urteile über die Kulturtätigkeit des betreffenden Landes
eren lassen.
>t ' ihrer generellen Gültigkeit sollen diese Urteile doch auch
euieii individuellen Charakter habon, sollen das Land heraus-
JUS der Reihe anderer und ihm ein festabgegrenztes spezi-
Gepräge geben. £s ist ja richtig, wenn der Schüler etwa
von Deutsc l il.Kid sagt, dass da und dort viel Steinkohlen gewonnen
werden, da und dort viel Eisen erzeugt wird usw. Gcnnu dasselbe
aber gibt er später von England, Frankreich, Belgien und den
Vereinigten Staaten an. Somit ist für die Kenntnis der deutschen
Verhältnisse nichts individuelles, nichts spezifisch Deutsches ge-
wonnen. Deshalb muss bei solchen Zusammenstellungen der Ver-
gleich hinzutreten, damit sich unsere Kulturverhältnisse aus der
Reihe anderer bestimmt herausheben.
Am deutschen Bergbau sei es gezeigt.
Unter den Schätzen der Erde, die Deutschland besitzt, sind
Eisen, Kohlen, Kupfer, Nickel, Blei, Silber, Zink und Salz zu nennen.
Die Lage der Fundorte beweist, dass diese nüt/li' hen Mineralien
hauptsächlich im Gebirge und in seinen unmittelbaren Vorländern
gefunden werden, während das Schwemmland arm an Bodenschätzen
ist So muss der Bergbau in den Gebirgsgegenden seinen
Sitz haben, was der Name ja auch treffend andeutet.
Welche Bedeutung aber der deutsche Bei^bau hat, ergibt sich
aus folgendem:
Deutschland ist das erste Zinkland der Erde und das
einzige Land, das die für die Landivirtschaft so wichtigen Kali-
salze liefert. Silber erzeugt es ebensoviel wie die andern
europäischen Staaten zusammen, wird aber von den V'ercinigtcn
Staaten von Nordamerika und von Mexiko übertroti'en. In der
Steinkohlenfbrderung steht es hinter England und den Ver-
einigten Staaten» allein seine Kohlenlager sind nach Ausdehnung
und Ergiebigkeit die bedeutendsten des europäischen Festlandes.
In der Kisen gewinnung behauptet es in Europa den zweiten,
in der Welt den dritten Platz, da ihm England und Amerika voran-
stehen.
Will der Lehrer noch ein Übriges tun, so mag er durch be*
stimmte Zahlen die Kulturbeziehungen beleuchten. Solche Zahlen
sind nicht zum Auswendiglernen; sie sind Strahlen. „Eine Zahl am
rechten Flat/e eingesclioben, verstärkt die erstrebte Vorstellung
weit mehr als die kräftigsten Worte." (Harms.)
B. Das kuiturgeographische Element im besonderen.
Die folgenden Abschnitte bieten Material zu einer /Aisammen-
hängenden Betrachtung der Kulturverhältnisse Deutschlands, durch
die die Schüler ein tieferes Verständnis und eine auf kausalen Ver-
hältnissen aufgebaute Obersicht erhalten sollen.
I. „Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essend
sagt die heilige Schrift. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen",
heisst es an andrer Stelle; und an einer dritten lesen wir: ,,Gehe
hin zur Ameise, du Fauler, siehe ihre Weise an und lerne." So ist
die Arbeit unsere Lebensaufgabe, sie ist des Bürgers Zierde.
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'as heisst es denn aber: der Mensch arbeitet?
enken wir uns jemand, der einen schweren Stein eine starke
e hinaufrollt. Kaum oben angelanr^. t:^leitet der Stein wieder
Der Mann versucht die Sache zum zweiten oder dritten
nit demselben Erfolge. Wir werden nicht bestreiten, dass es
ier um köperliche Anstrengung handelt» aber Arbeit nennen
IC solche Tätigkeit nicht. Oder ein Schlosser beschäftigt sich
täglich ein sof^enanntes Kunstschloss auseinanderzunehmen
ieder zusammenzusetzen. Der Mann zei^^t seine Geschicküch-
irbeit aber nennen wir seine Beschäftigung ebenfalls nicht,
n wir weiter an Diebe, Einbrecher, Falschmünzer u. a., die
•ft den grössten Anstrengungen unterwerfen, oft eine kaum
che Geschicklichkeit an den Tag legen: sie arbeiten ebenfalls
denn eine gesetzwidrige, verbotene Tätigkeit kann nie Arbeit
it werden.
nders ist's beim Handwerker. Von ihm sagt man gewiss»
r arbeitet Er will Geld verdienen, um sich und seine FamiUe
ähren. Er will seine Bedürfnisse nach N'ahnmg, Kleidung,
ung, nach geselligen I'Veiulen bcfrictiij»;?^"!. Kr will seine
hten als Hausvater und Staatsbürger eiiullcn. (Weiterer
'eb am Kaufmann, Gelehrten, Schüler usw.)
Ergebnis: Arbeit ist jede erlaubte Tätigkeit des
Renschen, die ihn in den Stand setzt, seine Bedikfnisse zu
>efriedigen und seine Pflichten zu erfullea^
Doch wir reden in der Geographiestunde nicht von der
an sich, sondern von der Kulturarbeit des Menschen,
n Zwecke müssen wir untersuchen, unter welchen Bedingungen
hliche Arbeit zur Kulturtätigkeit wird,
/ür vergleichen deshalb die Zustande, wie wir sie z. B. bei
ilden oder halbwilden Völkern finden, mit tienen, die wir bei
alirnehmen. Dann entdecken wir auf Schritt und Tritt ganz
lendc l nterschiedc : Die Wilden auf den Inseln der Südsee
n .'Afrika, die Indianer in Amerika erzeugen das Feuer durch
i; vnr haben die so bequemen Streichhölzer. Jene leuchten
:ht mit einem Kienspan ; wir haben die Petroleum- oder Gas-
oder das elektrische Licht. Jene wohnen in Hütten, Zelten,
hlen, wir in oft prächtif^cn Häusern. Weitere Beispiele: Lasten-
erung, Schiffahrt, VVcrk/cu[^e, Handmühle der Wilden usw.
US den Beispielen folgt, dass wilde Völker zwar die Mittel
:en, die die Natur ihnen bietet, um notwendige Verrichtungen
ühren, dass sie sich aber auch damit begnügen. Der WUde
nicht nach, wie etwa ein Werkzeug verbessert werden könnte,
er es vom Vater ererbt hat, so werden es auch die Enkel
Ftlr Schfiler mw diew Dentonp genSgen.
«qglMiM StadtoD. XZX. 1.
4
— so —
brauchen. An Vervollkommnung denkt niemand. Das ist der
Naturzustand der Völker. Ihm steht der Kulturzustand
gegenüber, in dem Kulturvölker im Gegensatze zu den Wilden
lel^n. Zwar befanden auch sie sich anfanglich im Naturzutande
und benutzen Gaben und Kräfte der Natur, um ihre Bedürfnisse zu
befriedigen. Doch sie blieben auf der Stufe nicht stehen. Sie
dachten nach, wie sie dies und jenes verbessern könnten, sie machten
Erfindungen aller Art und kamen im Laufe einer langen Ent-
wicklung zu einer äusserst vollkommenen Ausnutzung aUcr Natur-
gaben und Kräfte.
Ergebnis: Kulturarbeit ist jede Tätigiceit des Menschen,
durch die er die Gaben der Natur zu vervollkommnen und neue
Mittel und Wege zur Befriedigung seiner Bedürfnisse zu ent-
decken sucht (Nach Harms.)
3. Die erste und wichtigste Kulturarbeit leiittete der Mensch
in der Bearbeitung des Bodens und in der Pflege gewisser Tiere.
Mit Bedacht lässt darum der Verfasser des i. Buches Mo-^cs Kain
einen Ackersmaiiii, Abel einen Schäfer sein. Der Mensch inusste
sich bemühen berbeizuschafien, was zu seines Leibes Nahrung und
Notdurft gehört. Durch lange Erfahrung fand er heraus, welche
Fcldfrüchte und Feldgcwächse ihm besnndi rs nüt/lich wnren, und
welche Tiere er vorteilhaft für sich r^iifzicl.cn müsse. limcn wandte
er seine besondere Pflege zu und wurde so Ackerbauer und Vieh-
züchter.
a) Als Ackerbauer sucht er dem Boden in möglichst voll-
kommener Weise Erträge abzugewinnen. Daraus folgt, dass er
als solcher völlig vom Boden abhängig ist
Denn nicht jedes Land, nicht jede Gegend eines Landes ist
zum .Ackerbau geeignet.
aa) Die gebirf^if^en Gegenden scheiden meistens aus. I. Das
Klima ist oft zu rauh. 2. Die fruchtbare, lockere Erde bildet,
wenn sie Überhaupt vorhanden ist, eine nur dünne Schicht auf
dem felsigen Untergrunde. Es fehlt der tiefgründige Boden.
3. Lawinen. Her^türze, Gewitterregen vernichten die Felder.
Der Ackerboden wird mit Geröll und Sand bedeckt und nicht
selten zu Tal gespült. 4. Die Bearbeitung ist wegen der Un-
ebenheit und Steilheit des Bodens äusserst schwierig. So
bleiben nur die geschützten Täler und die sanften, nach Süden
gerichteten .Abhännje der Gebirge für den Ackerbau übrig.
(Ricsen^a'birf^e, Jura, Harz.)
bb) Anders ist's in der Ebene.
I. Das Erdreich ist locker und besteht aus Erdmassen,
die im Laufe langer Zeiten durch Wasser angeschwemmt
worden sind. 2. Aus diesem Grunde und weil der Boden
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meist eben ist, ist auch die Bearbeitung: verhältnismässig leicht
3. Das Klima ist warmer als auf der Höhe, vorausgesetzt, dass
die Ebene nicht etwa selbst Hochebene ist. (SchwIÜDisch'
bayrische Hoclic'bcne, norddeutsches Tiefland.)
Eines besonderen Vorzuges erfreuen sich die Gebiete an
oder in der Nähe des Meeres, i. Der oft bewölkte Himmel
verhindert die Ausdorrung des Bodens, wie sie Länder, weit
vom Meere entfernt, oft ertragen müssen. 2. Die Niederschläge
sind häufig, weil viel W.T^ser verdunstet und de- Seewind die
Wolkea nach dem Lande zu treibt. 3. Die Sommer sind kühl.
Aber es können unter sonst günstigen Bedingungen
für den Ackerbau im Tiefland die Gebirge durch ihre
Richtung die Tätigkeit des Landmannes beeinträchtigen,
nach der andern Seite hin noch mehr fördern. Taunus, Rhön,
Thüringer- und Frankenwald sind günstig gelegen für den
Rheingau und die Maingegenden, ebenso Harz tmd Erzgebirge
für die südlich davon gelegenen Gebiete, waincnd sie für die
nach Norden zu sich erstreckenden eine ungünstige Lage
haben. Jene schützen sie vor den kalten Nordwinden, diese
aber nicht. Auch die Alpen sind ein typisches Beispiel.
Bemerkenswert ist es, dass jetzt fast 50% der HoHfniflächc
Deutschlands für den Ackerbau Verwendung finden. Das
Streben des Menschen, sich einen Boden iierzurichten, der ihn
ernährt, die stets wachsende Bevölkerung und das Bemühen,
nicht aus fremdem Lande zu kaufen, was der eigne Boden
:^'ebcn kann, waren die Ursachen der gesteigerten Landkultur
Kreilich konnten nach dem Gesagten nicht alle deutschen
Lande den gleichen Anteil daran haben. Süddeutschland muss
linter Norddeutschland zurückstehen, der Osten hinter dem
Westen, dem die grössere Meeresnahe zum Vorteil gereicht
Doch kommen auch Hannover und Oldenburg wegen ihrer
Trossen Moor- und Heideflächen tur den Ackerbau nicht
ATCsentlich in Betracht. Ungünstig gesteilt sind auch die
3ommersche Seenplatte, die Saadfläcfaeo zwischen EU>e und
Dder (Brandenburg) das Sauerland, die EifeL
Angebaut werden in erster Linie die Getreidearten. Der
'nterricht bat nachzuweisen, warum Rogf^en und Hafer in
jvcitem Masse, Weizen und Gerste in beschränktem Umfange
rebaut werden.
Es kommen dann die Hackfrüchte in Betracht,
tarnen I Dazu gehört vor allen die Kartoflel. Deutschland
!rzeugt mehr Kartc^eln ab irgend ein anderes Land der Erde
md kann darum seinen Bedarf selbst decken. Da die
Kartoffel auch mit i incm leichten, sandigen Roden zufrieden
St und kühles Klima vertragt, hegen die Hauptgebiete des
4«
— 52 —
KartofTclbaues im Nordosten Deutschlands. Eine schlechte
Getreideernte kann durch eine gute Kartoffelernte zum teil
wieder ausgeglichen werden und umgekehrt. — Zu den Hack-
früchten gehört ferner die Zuckerrübe. Ehe man an ihren
Anbau ging, musste man den Zucker aus Tropenländem be-
ziehen, wo er aus dem Zuckerrohr gewonnen wird. Allein
der Anbau der Zuckerrüben ist so bedeutend, dass die Menge
des Rübenzuckers die des Rohrzuckers weit übertrifft. So
kommt es, dass Deutschland seinen Zucker auch nach andern
Ländern, besonders nach Grossbritannien tmd Nordamerika
versendet Es nahm daiiir im Jahre 1905 etwa 170 Millionen
Mark ein. —
In ähnlicher Weise, nach den im 1. Teil ausgeführten
Grundsätzen, sind die weiteren Krzeugnisse des Ackerbaues
zu behandeln, also: Hülsengewächse, Handelspflanzen (Flachs,
Hopfen, Tabak). Literatur: E. Rasche, Handels* und Wirt-
schaftsgeographie Deutschlands. Hirt, Leipzig.
Beim Gartenbau handdt es sich um die Zucht von
Sämereien, Gemüse, Obst. Bemerkenswert ist es, dass sich
grosse Gärtnereien oft in der Nahe grosser Städte befinden:
Rieselfelder, viel Bedarf, gute VerkchrswcE^e.
Der Wein „verlangt zu seiner vollen Entwicklung einer
mittleren Juliwärme von 20® und zu seiner Reife eines langen
sonnigen Nachsommers". Die Talwände des Rheines, der Mosel,
Nahe, des Mains und Neckars entsprechen diesen Bedingungen,
insbesondere das Rheinf:rau: i. dunkler. kalkhaltip;er Srhicfcr-
boden, 2 nach Süden gerichtete Lage, 3. Schutz gegen Nord-
winde, 4. Zuruckwerfung der Warmestrahlen von der Rhein-
Oberfläche auf die Weinberge.
Da, wo der Ackerbau keinen rechten Krtrag liefert, finden
die Rewohner vielleicht durch Waldwirtschaft Beschäfti-
gung und Verdienst.
Es handelt sich dabei um Gegenden, deren Boden zu
unfruchtbar Sandboden) oder zu schwer zu bearbeiten, oder
deren Klima zu kalt ist. (Gebirgsgegenden.)
Noch immer ist der 4. Teil des deutschen Bodens mit
Wald be leckt. Davon sind 65 '^ j, Nadelwald. 35 " .^ Laubwald.
Jener ist mit einem sandigen Boden zufrieden und \"erträgt
auch rauhes KUma. Deshalb finden wir Kiefern in den sandigen
Gegenden Norddeutschlands und an der Ostsee als Dunen-
schutz, Fichten und Tannen auf den kräftigown Verwitterungs-
böden der Gebirgskämme Mittel- und Süddeutschlands. Der
Laubwald verlangt hect;ercn Roden, namentlich aber braucht
er genügende Feuchtigkeit. Darum treffen wir Eichen- und
fiuchenwaldungen mit anderem Gehölz gemischt auf den
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;andlg-lehiiu(ren Hügelketten in der Nähe der See, in sumpfigen
Niederungen und in Flusstälern. Auch der untere, meist
luellenrelche Teil von Gebirgen trägt Laubwald.
Für die Bewohner der Waldgegenden brinjrt das Abholzen
ler Stämme und ihre Abfuhr lohnende Beschäftigung, die um
o mehr zu schätzen ist, da sie in einer Zeit vorgenommen
Verden kann, in der die Landarbeit ruhen muss.
t immer geht mit dem Ackerbau die Viehzucht Hand in
id. Der Grund dafür ist leicht einzusehen: der Landmann
ucht auf dem Felde Stalldünger. Rind und Pferd helfen ihm
Land bestellen; hat er Getreide gedroschen und gemahlen,
>cn geemtet, so kann er ohne Viehstand Stroh, Kleie, Blätter
it ausgiebig verwerten. So aber verwendet er diese und noch
ere Nebenerzeugnisse der Landwirtschaft zur Viehzucht und
et auf diese Weise die Erträge des Ackerbaues vollständig
Für Wiesen- und Weideland hätte er ohne Viehstand cben-
5 keine Verwendung. Endlich können schlechte Krnten durch
nahmen aus der Viehzucht wieder oder doch zum teil aus-
liehen werden.
Nur in seltenen P'ällen besteht die Viehzucht für sich allein:
Gebirgswiesen und -weiden. Dort kann der < rt l jir'^sbe wohner
h ohne Landwirtschaft bestehen, da er un \. ichfutter keinen
Igel hat
Gezüchtet werden besonders Pferde, Rinder, Schafe und
weine.
\uf die Kntwickelung der Pferdezucht Ic^t die deutsche
ve;^ncrung t^rossen Wert, will sie doch für das Heer f^utcs
ferdematerial und für den Kriegsfall brauchbaren Ersatz haben.
Regehnässige Pferdeschau [Weitere Belehrungen nach Rasche,
iVirtschaftsgeographle\)
i-)ie Verschiedenheit des deutschen Bodens, der im Norden
•"lachland, im Süden Hergland ist, tritt in der Rindvieh-
:ucht deutlich hervor, indem das Flachland die soijenannten
.Niederlandsschläge" des Rindviehes, das Gebirgsland die
.Berglandsschlage" erzeugt Jene, in Friesland, Holstein und
Aldenburg besonders gepflegt, zeichnen sich durch Milch-
irgiebigkeit und hohe Mastfahigkcit aus, diese sind vortreffliche
\rbeitstiere. Es gibt aber auch hier Ausnahmen.
>chafe brauchen viel Weideland, wenn es auch ina^cr ist.
is können demnach nur Grossgrundbesitzer eine einträghche
Schafzucht betreiben. Doch hat die deutsche Schafzucht gegen-
vilrti^' niit Schwierigkeiten zu kämpfen, da Australien, Süd-
ifrika und Argentinien auf ihren f^cwnltiiyen Steppen ungeheure
Schafherden halten und die Wolle billiger produzieren können,
la die Bodenpreisc verhältnismässig gering sind.
— 54 —
dd) Bienenzucht: Klee- und Rapsfelder, Heide, Nach Frank-
reich ist Deutschland das am meisten Honig erzeugende Land
Europas.
ee) Dass die Anwohner von IHü^srn Seen und der Meeresküste
Fischerei betreiben, ist uamrlicii. Indessen geht die Fluss-
fischerei immer mehr zurück. Man hat in früheren Jahren,
als noch völlige Fan^reiheit herrschte und Bestimmungen über
die Masch cnG^rns-r- der Netze fehlten, auch kleine und kleinste
Fische weggelangcn. Man trieb Raubfischerci, Dr^zu kommt,
dass zahlreiche Fabriken ihre schädlichen Fabnkuasser in die
Flüsse schicken, dass der rege Dampfenrerkehr die Fische
beim Laichen stört: das alles verursacht den Niedergang der
Flussfischerei. Gewiss bietet das Meer rcichHchen Ersatz,
doch steht auch hier mit Recht die Fischerei jetzt unter
Kontrolle.
c) Neben den Erzeugnissen des Pflanzen- und l ierreiches lernte der
Mensch schon frühzeitig auch die des Mineralreiches kennen
und zu seinem Nutzen verwenden. Darum steigt er in die Tiefen
der Rcrgc und holt aus ihnen Frzc aller Art, fördert Braun- und
Steinkohlen ans Tac^esHcht, bricht Schiefer, Sandstein, Granit u. a.
Gesteine, gewinnt Ton und Salz: und so ist er zum Bergmanne
gewordea
Wie schon der Name sagt, kann Bergbau nur in gebirgigen
Cregenden getrieben werden. Weil Tag und Nacht gearbeitet
wird, erfordert er viele Arbcitskrrtftc, und darum sind auch die
Gegenden, wo die Erde in ilircni Innern reiche Schätze birgt,
dicht bevölkert Die Karte von Deutschland zeigt das aufe
deutlichste (lir Obeiscbleaen, das Ruhrgebiet, den Harz. Und
so wirkt der Bodenreichtum eines Landes auf die Ansiedelung
seiner Bewohner, indem er sie nötigt, sich zusammenzuschliessen
und in reichbevölkerten Städten und dichtgedrängten Dörfern
zu wohnen.
Für Deutschland kommt dabei noch in betracht, dass die
mdsten Erzlager sich in Gemeinschaft mit Kohlenlagern befinden.
In solchen Gegenden bewahrheitet sich des Dichters Wort:
„Tausend fleissige Hände regen, helfen sich im muntern Bund.**
Schhias folgt.
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Kleinere Beiträge und Mitteiiuugen,
I.
Herbartt Regtarunn und Zucht ^}
Von Dr. Friedrieb Warneeke in Magdeburg.
egiernnfif. ^Nichts iu der Welt erschwert so «ehr cUe eigeutliche
:be Erziehnug als Anhäufung vieler Kiuder auf einem Punkte" (Herbart:
« yeriiUtais dei IdeilinniiB nur Pidagogik, Werke X, ^.
I folgenden weist Herbart darani, daw jeder Direktor diese Sehwierig-
cennt. Den Anfängern wird dergleichen ent bewusst, wenn siewToUen
fler jüncTPr*»!! Jahrgräng'p ge«tand''n hnVipn. Was die Kr:^i^hiino' »ohr
rt deutet Herbart in den Apborisnieu über die Anhäufung vieler Menschen
1 wenige geben keinen gleichmässigen Fortschritt, zu viele machen, dass
ler mehr von der aUgemeinen Bewegung, worin die Menge einmal fort«
oosB getrieben wird, als selbst treiben kann. Sehr viele bilden leicht eine
seibat mit Be-wnsstsein, wo nicht die Ma^ht de« Staates dahinter ist.
rielen hiMon sich die iJbel einer rohen (icselligkeit : ParteiPn ttnd deren
ad Streit und Betrug; dagegen als gegen ein stets drohendes Uebel muss
gewirict werden. Also — strenge Dissiplin. Sie ist mdir fiegtemng ah
eben deshalb nicht Iksiehang.'' (Werke XI, 499.)
inehe Mutter zahlreicher Söhne ist am Ende der grossen Ferien froh, wenn
die wieder betrinnt: brancht sie doch dann nicht mehr allein fiir Ordnung
m. Herbarts Beobachtung ii}t dettbaib richtig, iUirn : „aus manchen Häuüem
der nur darum iu die Schule g^chickt werden, weU sie ün Wege sind,
bt mBieig sein sollen. Da wird die Sehnte so angesehen, als ob sie vor-
se regiere". (Umrisa der Pidagogik, Werke X, 147.)
as Herbart unter „Befiemng der Kinder'^ versteht ist damit schon an-
t.
18 wilde Ungestüm der Knaben, liorbart nennt es auch ,.das Prinzip der
lug" (YI, 18), gefährdet andere und auch das lünd selbst; es muss unter-
srerden, ehe die Spnren einee echten Willen mciä leigen. Dies: nOidnnng an
Die Arbeil ist von Herrn Direktor Prof. Dr ZaUi: • Erfurt, anjferegt
und hat auch von ihm in den Seminarbesprechungen manche Fördenmg
I. — Uteratnr: Herbart, S&mHiehe Werke, heranseegeben von Harten-
83 — 9H. — A.Matthias: Praktische Pädagoprib für höhere Lehranstalten,
n 18iH), iu Bauiueiüter, Krziehuugs- und Unterrichtülebre Ii. — A. Mat-
Wie erziehen wir unseren Sohn Benjamin? 5. Aufl. München 1904. —
chrift ftlr höhere Schulen, herausgegeben von Küpke und Matthias, Weid-
erlin. — W. Münch: Geist des Lehramts, Berlin 1003. — W. Toischer:
iäcbe Pädagogik und allgemeine Didaktik in Baumeister, Erziehuugs- und
:htslehre IL — Th. Ziesrler: Geschichte der Pädagogik, in Banineister
ngs- nnd UntenicbUtlehre I. -- Th. Zill er: Die Regierung der Kinder.
- 56 -
schaffen", ja mir ,,Or.Inui)£r für den Augenblick" (Apliori8iii«n XI, m wahren
ist die ATtfe:;ibp dfr Iiop:iernug.
Zurht. Herhart behauptet nun X, 81: ^da£5 man Zucht und Regierung
in der Pädagogik notwendig unterscheiden moss". An anderer Stelle (X, 177;
Umrim pidago|fi8Gh«r Vorlesnugen) sagt er dAnn nwnr, da» es mehr eine
Trennung (h-r Bejjriffe sei, die fttr die Erzieher utttrlich wÄre, als dass rie in der
Praxis zum Vorschein kStmc (siehe atich X. 81 1; doch widerspricht sich Herbart
damit nicht. In der Praxis ist vieles nicht oifensichtlich, man legt nicht immer
die Gründe seiner Handlungen dar, obwohl man weis», dies tue ich im Interesse
des Zöglings nnd jenes gescliiebt in Bttekaielit auf die Disziplin, ist also eine
Begiernngsmasenahme.
Die auch für den Ersiaher listige Begiemng (Ziller, Regierung der Kinder,
S. 18) sorf?t für Onlnnnir nra überhaupt erziehen zt; kennen. Die Art nnd Wei-e,
wie en iftschieht, soll zwar nicht roh, unitberiegt sein, doch ist sie für mnncheri
Schüler miudesteos iudiflerent. Weder Uerbart noch Zilier leugnen, dass
Beschäftigung, die die Unmhe ablenkt (ZUler, B. d. K. 24}, MQssigang, Lange-
weile bannt, dem Laster keinen Eintritt gewShren, ohne unser Znton endeherisdi
wirken könmn oder wie Münch (Geist des Lehramts 206) es ausdrückt: ,.Zur
poHitiTen Gestaitnnf^ des Innern des Züi,'liugs" beitragen k($nnen; doch sie branchen
es nicht, die Wirkung ist keine beabsiclitigte.
Keicheu Autorität und Liebe des Kindes zum Erzieher nicht aus, um vor
Übertretung smtteksnhalten, so snoht die Begierung durch nDrohea" und nAuf*
flicht'' die für alle gttltigen Oeeetse, weldie nicht motiviert werden {Ziller,
B. d. K. .%) aufrecht zn erimlten.
Ihre Verletznncf wird rasch nnd ener[,'isch bestraft. Die Strafen werden
auch dadurch nicht zu Zucbtmitteln. dass man die Strafandrohungen unbestimmt
gelassen hat and sie selbst für den Einzelnen nach Lage der Sache suschneidet.
Eiatma ist nOtig, weil die Ungewissen Folgen mdir gelRlrehtet werden als die
▼OH vom herein bekannten, nnd letsteres ist dmeh die Bttckriciht auf dia physische
Natur des Schülers «geboten.
Das Wesentlich«' ist innner, dass man nicht straft mn sn bessern, sondern
um in Schranken y.n halten.
Die Kc'i^ierunt; sorgt für den .Aiiyenblick , ist conventionell, ') während
die Zucht die Zukunft des Zöglings im Auge hat (Herbart X, 17ß), ganz indi-
vidneli ist
Wie kommt nnn Herbart, der seine pftdagogischen Erfahrangen doch im
wesentlichen als Frivatlehrer machte, m dieser scharfen Trenmnng von Begiemng
nnd Zucht'::'
Im Emile, der einen Erzieher ganz fflr nch hat, ist von Regienmg oder
etwas dem gleich Bedeutendem nicht die Kede. Matthias Benjamin hat aoch
>) Das Wort im Sinne Goethes genommen. W. Meisters Wanderjahre II 8:
„Es 'das Genie) bequemt sich zum Respekt, sogar vor dem, was man konventionell
nennen könnte, denn was ist dieses anders, ab dass die vorzüglichsten Menschen
abereinkamen, das Notwendige, das Unerlilssliche für das Beste sn halten/
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trnder noeli >Scbweiter, ihm wird die Fllnoigtt der Slteru gaux allein
T bnnchl nicht mit andern regiert an werden.
■er Herbart hatte drei Brflder zw erziehen nnd er bcsasa Mnt genog« Herrn
ger zu gehreiben: „Karl und Rndolf übersah ich, sio waren mir zn nn-
id neben Ludwitr: jed..- Vemachl&.«?i£rnn2: schien mir leicht zu ersetzen,
ierte, statt zn erziehen. Jenes ist nur ein zuweilen notwendiges übeJ,
ndlicli ala Anarchie; aber e> aehwSeht, tütet die Kraft, Sisiehnng: lenkt
tBe.**»)
e«e Anffaasnng der „Regieninie:" als einer Art Massenverwaltnng nnd der
n!s eigentlicher. individtipHer Erziehnng teilt anch Matthias; wai
m sich nicht au ät^iuer Terminologie sbossen, er gebraacbt „Zncbt" im
en Herbaits Regiening nnd redet daneben vmi dner KBehandlong nnd
sag des einadnen Scbfllers", waa wieder Herberts Zneht ents|iriebt.
{: Fraktieehe Pädagogik fßr hühere Lehranstalten, siehe Baumeister, Er-
- nnd ITnt«Trieht<lehre II. 121 : .— ftramme Zncht und Ordnung haben
hen Wert, es darf nur dabei die Individualität des einzelnen, sobald sie
«iekelnng der Feniteliebkelt nm Nntaen iet, nicht einfMh fibergeranut
nnd gXnzlich an Schaden konraaen. Deebalb ist der Übencbrift und dem
les 3. Abschnittes auch die „Behandlung und Beurteilung des einzelnen
zugeffiert. Die Zncht will alles il;i^. was im Scliiih r vorhanden ist. aber
irhanden sein sollte und was nicht habituell wtni*n darf, vernichten,
tu aber dasjenige, was im ScbfUer nicht vorhandeu ist aber vorbanden
te dnrcb Nötigung ihm beianbringen sndben.*)
selbst KUnch, Geist des Lehramt« 396, mnss angeben: ^Dass das gesamte
Lebensgebaren ein etwas wilderes ist bei einer Klasse a]s bei dem
n Einzelnen. — Schon verhältni«!inässi(r schwache Resrnnsren finden
ark erscheinenden Ausdruck. Das aileü bedingt für die Beherrschung
formen also fttr diejenige einzelner Zöglinge. Etwas mehr vom Tier-
wird der KlaasoiMirer an sich haben mfiasen; ans Ange, Stimme nnd
mnss der Klasse der überlegene, feste Wille des Lehrers fühlbar werden ;
fa<:<«e. wie sie selbst iii< hr F'^agerin mhigen, festen, einheitlichen Willens
ri sie eine« solchen CTeiremibers«."
n sollte memen, das« wäre von Herhart nicht allzuweit entfernt. In die
mgesetzt würde man Herbarts von Münchs Pädagogik in diesem Punkte
im nntwsdieiden kfinnra.
l der ZOgling an setnem Beebt kmnmen, so mOssen die Vertreter bdder
:en doch immer wieder an dem Schlnss kommen, dass: iu
)er Gedanke kehrt bei Herbiui wieder iu dem Umriss pädagogischer
^en X, 178. „Bey strenger Regierung, welche Allem was verführen könnte
itt sperrt, ergiebt sich eher ein mangelndes Wollen, als eine bleibende
theit. Hört die Erziehung auf, so kommen die gefürchteten Gelegen-
ind der Ziiylinir kann sich bis zur Unkenntlichkeit schnell veriindem.
;abe der Zucht muss so gedacht werden, dass sie Bejdes Wollen imd
esoi, nrnfssse.**
iiiler, Reg. d. K. 17, spriclit davon, diL^s es sich bei der „Begiemng
; ein Unterweisen, sondern um ein Abrichten bandelt".
- S8 -
strengen Sinne (Heibarta Zueilt) ein tob der Begieniiif< Tellig venehiedeiiMtigw
GeMhAft ut" (Herbart. Apborümen XI, 449).
Einwand. Zic>£:Ier nnd Münch weisen Mch nii^geiide wh^ dut Herbut
jyfiegierunc: nnd Zucht" mit Unrecht trennt.
Der Schein eines Beweises wird bei MUnch darch die neue Termiuolo^e
erweckt Er gebmoeht ebenso wie Tor ibm Toleober, Theoietisdie PAdagogik
und allgemeine Didaktik (Baomeister, Sniebiuigs- und Unterriebtelehi« II)
„Zacht'' im Sinne von Herbarts ^^^nug", wogsgea ^Pflege" fttr Herbaxts
„Zacbt" i^ehraucht wird.')
MUnch hnt sicher seine Verdieuate, ih\än er mehr al« Herbart und vor allem
Ziller aueb für die körperliche Bntwickeluug der Schfller eingetreten ist Seine
Worte, 0^ des Lehramts 167: «Das Vervebmi der leiblieben Anfeniehnng nnd
leiblichen Schulung mit der bildenden Einwirkung auf das Innere erhält denn
doch in den meisten nach Herbartischen Systemen') sein Becht", treien nicht
zum wenigsten auf Münch selbst
Tietadem geht MlbH^ eher m weit 166: ,,Das Febtoi der leibHchen fttnorge
nnd der gerade mit ihr Tetbindenden gnindleipB&dNi Fttrsetge fttr die seeliiche
Bntwickelang ist eben doch auch charakteristisch fflr Herbart. £r ist zu sehr
0Jeist<»STnen8ch, zu sehr abfstrakter ^Gedankenbildner", nm ssicli um das zu kümmern,
waä nur die Mätter, Wärterinnen, oder was die technischen Lehrmeister an«
angehen scheint.''
Einmal hatte schon Toiseher (Bsanrister, Eraiehnngs< and Uaterrichtdebre H,
18&) darauf hingewiesen, dass auch Herbart betont, ,,dass jeder Unterricht, auch
der Tortrefftichste, v«<rdcrhliiMi wird, sobald die piqrsische Kraft der Kinder nicht
gegen ihn im Gleich^-ewichi i^elialten wird".
Münch, der bodkI allen andern Pädagogen historisch gert^cbt zu w erden suchte
hätte auch sehen können, dass Uerbarts scharfe Betonung des Geistigen eine
gesonde Reaktion gvsgan die BonMeaniicb-philanthro]Hstiiehe Bicbtong war, die
nnter Basedow nnd Carl Friedrieh Barth doch recht aondcrbare Blttten seitigte.
Hi'iharts nnd ZUlers Abneigung Tor dem englischen Erziehnngsideal war
denn doch i^o iram nnbegriindet nicht. Wenn man von hamionispher Ausbildung
der Persönliciikcit redet, muss man sich hüten nicht in das schlimmere, entgegen-
gesetste Extrem sn fallen, den Körper mehr als den Geist zu pflegen.
In England sdbet nacht dch eine Opposition gegen die ttbertrieb» q^rtlidie
Richtung geltend. Li der „Erening Kews" vom 19. Juli 1907 wirft jemand die
Frage auf : Do our public scbools stand in need of reform ? Do they pay too mnch
attention to athlotirs and too little to work? Are their methods of teachin^ ont
o£ date? Is what is known as tbe „public school type" of man the heKt available?
niese «re questions of grave importance wbidi are being widely diseaased to-
day." (Sind nnsere Öffentlichen Schnlen relormbedttiftig? Berltckriditigen sie die
kSiperlicben Übungen ni<bt zu »ehr und wird die geistige Arbeit nicht dabei
Temachlässigt? Sind die Methoden des Untetrit^ts noch auf der Ufihe der Zeit?
>) „Lehre" für .Unterricht" im Herbartschen Sinne ist Ton Münch selbst
geprägt worden es kommt aber hier nicht in betracht.
Stoy war 156 in diesem Punkte als weitherziger bezeichnet.
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•las, was mau unter öffentlicher Schulbildung versteht, den Menseben für
ben am tauchlichtteii? Das sind Fragen, die ihrer Wichtiirkeit gemte,
ttberall erörtert weiden.) Einem Abschnitt dieses Aufsatzes, „Caases of
ion" überschrieben, cnrnehme idi ik^cIi fol/j^fiuk- Stellen: ^Hfimlp, Flösse nnd
der Knabpn werden zuiu mindesten /.a gleich hoher Geschicklichkeit aus-
:t wie ihre Denkföhigkeit wird auch bei der Anstellang der Lehrer
dchtigt: de rnttasen Meister auf dem Cricket- und Fnnballplats sein,
der die Verhältnisse kennt, weiss welche Rolle die Bedingung, ,.er muss
nn von kßrperlic her Stärke nnd Geschioklichkeit sein" bfä der Anssehreibttnjp
eilen durch die Dir^iktoren spielt,"
.Us weitrer Beweis für die Wichtigkeit die den sportlichen Übungen beigelegt
8t fener die Tatsache aasiiselien, dass in mianvii bedsatendsten Schulen
infigr ein Lehrer für Cricket und einer fVr Fniaball Torihanitoi ist, deren
eit znm mindesten in gleichem Ansehen steht, wie die der Lehrer für alte
en, Mathematik und Naturwissspiii^chaft. Der Vertreter der fremden
en kommt kaum zn Worte, er wird ganz in den Hintergrund gedrängt."
Der Schfriber dieses glaabt jedoch, das«, wenn die Aniddien nidit trttgen,
mde fttr den ttbertriebenen Knltns des KOrpem gescUagen hat Schon
j nüchtern denkende Leute ziehen Vergleiche die nicht zu unserem Vorteil
m zwischen den heute in Enjrland vorhandenen Anschannngen Uber Vater-
ebe und Fortschritt und denen gewisser Vülker des Festlandes, die nicht
sser Sportmeht ergriffen sind nnd Urteilskraft nnd Hut genug haben ein-
n, dass eine gesnnde Seele nicht leben kann bei nngeannder Ansbildang
iipen." >)
Iwar sinil wir in Deutsrhlaiui von derartigen Zuständen noeh 5«ehr weit
it (vgl: „Die Mitarbeit der wi^senschaftUchen Lehrer bei der körperlichen
ang der ScbtUer höherer Schulen", von Fritz Eckardt. Nene Jahrbücher f.
issiiohe Altertam nsv. 1907, S60f.), doch handelt es sich dämm zn neigen,
ierbarts Abneigung Tor dem englischen Ideal nicht gans nabegrftndet war,
•ünseitii^keit also wohl zn entschnlfüpfen ist.
Itnbart nnd Ziiler beHchrüukten den Begri£f der Erziehung auf die geiHttge
lung, nicht weil sie die körperliche fUr behiuglüs halten. Betrachtet man
ite nicht als einen Fehler, wenn ein Lehrer medininische Vorkenntnisse
, so dass er bei der Erziehung auch einen klaren Einblick in die körperliche
^keluug seines Zut^Hnj^H li.it, so wird man doch ziigreben inllssen. dass beide?«
irtch m trennen ist. Herbart setzt einen «•esumien Körper voraus, er
i ihn, um ihn geüuud, dem Geiste Untertan zu erhalten.
)el Kants £inteilnn|r der Ersiehnng iSsst es Münch dahin gestellt, ob man
viel von dem Gebte des grossoi Philosophen finden kCnne (Odst des Lehr-
) Einem Aufsatz der „School World" Mai 1907, entnehroe ich noch folgende
„Während icli für vernünftige körperliche Ühnniren eintrete, bedame ich
rseits fast gladiatorenhafte Schaustellungen ; hier ist der Eifer übel angebracht
?r Schüler wird geschädigt und auf falsche Bahnen geleitet. Wir konnten
letsten Jahren einen gewi^^scn Rückfall au einer Art von Barbarei heohuehten,
ir man bfltte glanben sollen^ dass sie ein fOr allemal hinter nm lüge. Es
PtHcht der Männer der Wisaensch;ift. dem durch die Ebsielrang entgegen
leiten oder ein Gleichgewicht entgegen zu setzen."
amts 155). Münch sieht darin mehr den Geist seines JahilltinderCs (ft.a.0. 16^
Schleiermacber erhält ähnliche Mildenmgsgründe
Nur von Herbart heisst es 156: „Bestimmter spiegelt sieb in der Einteilung
Herbarts der Gebt seiner Pädagogik überhaupt: eigentliche Erziehung ist ihm
die Bildung emes gcseUossenen and wertvoUrni Oedankeukretses, der m^eieli
das wesentlichste Vehikel für die (^haraktirbildung wird, was als „Zuchf nach
seiner eipr^^ntlichen Tt'iininointn'* neben «len Unterricht tritt, ist in seinem Sinne
nur eine Ergänzung; 'kr Ein\virkuu>( auf die Bildung eines positiren Zpntmnis,
Jedenfalls ist eine Einteilung etwas ganz anderes und ist weit mehr als der
Venuch Ordnimg: in das foehliche Denken an bxii^pai. Hinter dem Schema der
SinteUnng steht eben der eigenartig« Geist der Pidagogik und des
Pädagoiren."'
Dilss mir diesem „eigeuartigen Geist " die Philosophie Ilerltarts c^eiiKint ist,
gebt aus einer andern Stelle noch deutlicher -) hervor, IGÜf. : „Die .Soudcruiig dieser
Tfttigkdt der Pflege von derjenigen der Lehre und aneh selbst der Zncht ist
freilich keine so unbedingte, wie sie Herbart für seine „Regierung ' und „Zucht"
forderte - M-lir dif NiclitiintPi-srht^idniiLr de? nach Ziel und We-fu Ver-
schiedenen den Geist der Erjtiihuntr irre leiten kann, so gro.<s naraentiich die
Gefahr der Einseitigkeit ist, wt-nn nicht die verschiedenen Linien zugleich im
Bewnsstda od«r Gefflhl festgehalten werden, so liegt es andererseits doch geiadn
im Wesen der Endebung. die somit der universalen und nicht mechanisch
zu konstruierenden oder zu zerlegenden Mcn sch ennatur sntnn hat^
daas jene einzelnen Gebiete vielfach iiieinnnder überfjelien ''
Ich inilhnt k:»nn dem Pbilosojjlitn Herliart auch nirut folc^en und rede bei
der Erziehung mit Münch lieber von dci Eutnickelung des Angeborenen, das ün
wesentlichoi den Charskter bestimmt,*) als von der Bildung eines geaehlessenen
Gedankenkreiaes.
Geist des Lehramth lit6: „Mau wird kaum sagen krmni n, da<s sich in
der Gliederang von Schleiermacher, dem alle Ersiebung in (Te;4\invirkung und
Uut'-rstiUznnsr vorfHllt. d( r Geist dieses Übrigens 80 eindringlich sucbenden pftda>
gogiscben Denkers ottenbare."
*) Oani nnumwnnden ist es nirgends gesagt — es gehSrt das mit an dem
eigentümlichen Stil Mlinrhs. Matthias sairt scherzend von ihm. Monatss. f. L
Schnlen 11K)4, 310: „liei dem Studium dieser Aufsätze kommt einein der Gedanke,
ob nicht Münch <'i;j:i nTli('li seinen Beruf verfehlt hat: thnn er i.-t »in Essayist
feinster Zunft, wie wir wenige besitzen: und fnr -»Avhe Mfns(lien ist die
Schule und alles waä mit ihr zusammenhängt, doch eigentlich recht langweilig."
*) Deswegen braneht man noch nicht jede Enriehnng als nnnttts anattsehen,
de bietet im G.'irenteil dem Z*'£rlin2r (ieloc:enhtdt zu zeigen was in ihm i^^t. macht
ihn mit sich selbst bekannt, lehrt ihn das ihm Gemässe zu ergreifen und macht
ihn so zum festen Charakter. — Die philosophische Voranssetzung ist aber fttr
die Praxis fast gleichgttltiq*: die Hanpr>a(lie ist, dass man überhaupt ein Ideal
bat. ..Ohne «inen erhabenen Zwtck. wer »nichte es aufhalten, den männlichen
Geist berabznbengra xnr Kinderwelt ? Ohne die Hoffnung mit der man si-lltst die
Jugend anf.inirt, wer möchte die Kälte des Gi iankens überwinden, dass ilie Welt
bleibtn vviril wie sie ist? Vielleicht könnte mnn hinzusetzen, jeder dem Erziehung
am Herzen liegt habe etwas von Ubaschimg wissentlich in jener Hoffnong
geduldet und ernährt; nur um sich in seinem eigenen, pflichtmässigen Streben mm
Bessern die rechte Gesinnung zu erhalten." (Herbart Aphorismen.)
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)och darauf kommt es hier gar nicht an.
[iinch hat Ilerbarts „Zncht" falsch ansg-elejrt.') Sie ist bei Uerbart
A'egs bloss eine Ergänzung der Einwirkungen auf die Bildung „eine« posi-
Uatrm^t es iit ifaia sogar die eigratliche, wie wir Mhea Inttvidaelle,
nng. Ferner ist tie dem Daterricht nebengeordnet oder gar Toa dieflen
idoi, wie die B^eniiig.
aäjt doch Herbart in der Einleitung zur Allgemeinen Pädagogik X. 11 : Ich
! gleich hier keinen Be£riiff zu haben von Erziehung ohne
riebt; so wie ich rUckwärts iu dieser Schrift wenigstens
D Usterricht auerkemie, der nicht eraieht/'
II.
Die Zukunft der Fortbildungsschule.
Von Dr. M. Schilling in BochUte.
on der Zukunft der FortbUdnnguchule kann man in doppeltem Sinne
a: man kann dabei an die Weiterentwicklung tatsächlich bestcbeiuler
lungsschnli-ii denken, oder an die Verwirklichnng einer UoMen Idee, der
lnnßi«sphtiliiliM'.
dem Begriäie „Fortbildungsschule'' liegt der Gedanke der Weiterfllhrung
egounenen Bildung. Daher fallen Fachschulen jeder Art nicht unter
BegrtfT, denn sie setaen nicht Begonnenes fort, sondern ndimen Neues in
Auch der Umstand, dass mancherlei, was vorausgegangener Unterricht
en hat, hier nach einer lestiniinten Richtung hin Aiiwondnnsf hndet,
au dem Charakter dieser öchuieu nichts und macht sie noch nicht 2U
.ongsscbulen.
n die VenHrkUchiuig der Fortbildangsechiilidee handelte ee sich bei dem
les aichsiaehen Volksschnlgesetaea 1873. Sachsen eihielt die JFertUldvngS'
Ob die demOesetigeber seinersdt vorsdiwebendeldee volle Verwirklichung
M. scheint sich dabei anf Ziegler, Geschichte der Pädagogik (Baumeister
stützt zu haben. Es fehlen uns aber noch die Gedanken Herbarts über
ten Haapteil seiner Pädagogik, über die Zucht, die nun doch von der
ng und Unterricht in «einem Sinne als einem erziehenden schroffer
len wird, als dies kouMt'qut'ntcr Weise hätte der Fall sein sollen; d>-nn
ck ist eben der Hauptzweck der ganzen Ersiehung: nCharakterstärke der
:eit.*'
4: ..Wie dif'ses Tlerhart^rhe System, dessen lliiuptbedeutuntr doch in dor
und tief trriindigeu Verbindung von Pädagogik und Philosophie (Psycho-
ad Ethik) lietrt and dessen Fülle von pädagogischer Weisheit im
;u durch die Verbindung mit einem unhaltbarer philosophischen S}-8tem
cht den ^nzen formalistischen und schablonisiereuduu Aufbau mehr ver-
ird als ui die Snoheinung tritt,
— 62 —
geftuHleii hat, wird im Hinblidc auf die tatiächlieheii VerhUtnisM der 6es«iwarl
bezweifelt werden mn>%seu. Eine starke Strömung droht die Fortbildnngnebnle
in das Fahrwasser der Fachschule zu ziehtn. Ist claa wüiiscbenswert?
Mit dieser Frage beschäftigt sich eine Denkschrift des Herausgebers der
Pädagogischen .Studien. Sie ist unter dem Titel „KichtOnien znr Orgauis&tioa
der Fortbildungsschule und Lehiplan" bei Ble^ dt Keenunerer in Dieiden-
Blasewits Anfan; Oktetor 190B eiseMMien. Die Sdiiilt eritetert den BegriM der
allgemeinen Bildung, berührt das Verhältnis zwischen allgemeiner und Bemfs-
bildung, zwischen Fortbildungsschule und Volksflchnle ond ninunt dabei äteilnng
zu Dr. Kerschensteiiiers Ansichten.
£s wird eine Organisation der l'ortbilduugsschale empfohlen, die den
jBedSrfniiMii bemfUeber Anabildnnir ^ >n dnem gewinen Gnde Bedinnag
trftgt, ohne jedoch den Beruf zuui Min Ipimkte des gesamten Fortbildungsschnl*
nnterric-htes zn machpr, und die juicli di»* Mitwirkuiiü,' der an der rein beroflichen
Auibilduuj^ interessierten Kreise in weitem Umfanije züliiyjil.
Die Deukbchrift war bereite erschienen, als dem Verfasser Nr. 4 der
«Broicbttren «ir ScbnlpoUtik'' (Leipslg und Beriin 1906, JnL Klinkbardt) in die
Hand kam. Hier wird ein Vortrag des Freiherm von Zedlitz nnd Nenkireh
Whf'T die wichtigsten Anfir i^eu der prenssischen Schulpolitik'' veröffentlicht, den
er in der Vereinigung- tür .Schulpolitik in Berlin gtdialten hat. Der Vortrag
gedenkt der Fortbildungsschule in folgenden Sätzen : „Mit 14 Jahren kann weder
KncAe noch Xidehen das notwendige Man Ton Kenntninen nnd rittUeher
Herzensbildung besitzen. Es ist durchaus nBÜg, dass die sarten Keime, die in
der Volksschule in die jugendlichen Herzen und Geister geletft sind, noch mit
sorgsamer Hand jahrelang f^eplleijt werden, damit sie kräftig bleiben, festwurzeln
nnd nicht von den Stürmen des Lebens weggefegt werden. Wir haben zwar
jetst nach nwnehen Riehtnngen hin FottUldnngeantalten , geweibliehe, kaiif>
männwche. landwirtschaftliche. Aber daa, was noch fehlt, ist die allgemeine
Fortbildungsschule, die oben anf die Volksschule sich aufbaut und für Knaben
wie Mftdrhen bis zn einem £rewissen Lebensalter oblicfatorisch ist. Dies obere
Stockwerk werden wir sobald als möglich aufsetzen müssen, wenn wir erreichen
wollen, diss wir in den Stflnnen nnsexer Zelt^ ia der naohMi Knltaventiriiddcing,
in der wir anf gewerUiehem nnd sonstigeni Gebiete in Jahnehnten nacUMlen
wollen nnd müssen, was wir in den Jahrhunderten seit dem dreissigj&hrigen
Kriege vendinnit haben, nnj^crc Jngend. mit dem notwendigen geistigen nnd
sittlichen Büstzeug zu versehen.''
Das MmmA» Volkssehnlgeseti bat vor bereits 86 Jahren die Tolkssohnle
mit diesem oberen 8to<^werke versehen. Heute ist man an der Arbeit, dieses
Stockwerk ahmtragen nnd neben der VoUtasehnle dnen Ban mit ebenso vielfln
Isoliersellen zu errichten. a1>> e< Berafe eibt.
Die oben erwähnte Dcuki^chrift steht im wuseutlichcu auf dem Standpunkte
des Freiherm von Zedlitz und Neukirch. Sie tritt dafür ein, dass der Volksschole
das obere Stockwerk erhalten bldbe, wenn auch nicht so, wie es snrseit
beschaffen ist. Die Konstruktion, die es durch das sächsi.'iche Volks-schnlgesetS
von 1873 erhalten hat. ist im allt,'eineiuen gilt, nur wird hie uri l la r in Pfeiler
zu verstärken sein; für den Ausbau aber ma«s noch mancherlei ge:»chehen, wenn
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rtbildongsschnle einen das Volk&sclialweaen krüueadeu Ab»chlus8 d&r-
nnd nnabweiBbareii eniehUcben, nationalen nnd tosialen Aufgaben ent-
n mU.
er Denkichrift ist ein Lebrplan beigegeben. Er erbebt nicht ÄatfXwHk
bis in alle Einzelheiten allen Verhftltnifsen iin<l Bedürfniesen zn ent-
n; der Plan will nur ein Beispiel dafür sein, welche Ziele ins Ange an
iind, und mit welchen Mittein diese Ziele erreicht werden können.
III.
Scbule und Charakter.
Ein Bttiebt von Fr. Franke.
e Uerbartkränzehen bezw. Ortsgruppen des Vereins für wiuaiacbaftliche
Sik in Halle, Kanmbnrg, Leipzig ntw. hielten am 14. November 1906
eine gemeinsame Sitzung: ab Vereammlnngsort war diesmal Halle; die
r Hesncher betrug etwa öü, der weiteste war m\< Mair'lf^^nrt: gekommen.
LT'-iistHud der Beratung, mit dem sich die Urtsvtreiiu- seit Muuaten
igt batteu, war das Buch von Fr. W. Foerster: „Schule und Charakter.
) nur Fftdagogik des OehorBams nnd snr Reform der Schnldiniplin.''
1908.
ktnr Hemprif'h ans Naumburg crab p?Ti)fitPnr1 eine T'hiTsicht über den
Biuh^. Die dreistündige Besprechuug bewegte sich um folgende
jdaukeu.
Vorwort epricht Feenter ans, der Charakter dee Ifettechen id noch
je ^edes noch so kleine köri)crliche Organ** Gegenstand eines besonderen
s geworden, die morali)iida*,'oirisclie Literatur sei der „Intellekt-Piidasfogik"
er sehr arm. Das niiiL' bloss statistinrh an<re«iehen leider richtig sein,
iirde darauf hingewiesen, dass vor allem üerbart die Charaktbildnng eben
iMDd behandelt hat wie das Interesie, und in einer Weise, dass noch
der neue Versneb damit Tergliehen weiden mnas. Foerster behandelt die
konkret und wird hierdurch, nnter8tützt von einer j^lOcklichen Schreibart,
n trrösüeren Teile der Eltern verständlich; er bezieht sich fortwährend
öffentlichen Einriebtangen der Gegenwart, hebt ans dem Auslande
Torlnidfiehe hervor und gewinnt dadurch das Ihterssse alkr» denen das
is gaami Volkes am Hersen liegt. Jedoch seine Erfshning ist an sich
\ nnd dazu fehlt ihr auch die Deutung durch eine durchgebildete phycho-
ethifche und pädagogische Anschannnq^weise. Pestalozzi wird bei
ung der „DriUdisziplin" als Vorbild hingestellt, und gegen B^nsBeaas
ihon an dÜB Gftte der mensddiehen Natnr wird polemisiert; aber eine
ende Ansdnandeneürang mit den IHUiagogen dmr Vergangenheit findet
lt. So erklirt es rieh wohl, dass üMt alle Hanptbegrilfe des Bnohes in
- 64 -
«iii«r gewissen tlnbeetimmtheit schweben. Es gelang t. B. nidit, Uber den Sinn
des Satzes: „Wahrhaft logisches Dmken setst Gbarakter voraus*' (S. 11) so einer
z^nngenden EDt.«rli^i.lung zu Icommeu. Feruer wäre der Ksuupf i^eiren Brutalität
der Disziplin, die entweder Angstgefühl erregt oder den Widerspruchsgeist reiit,
wirkungavoiler zu führen gewesen, wenn er wie Herbart Eegierung (von Stoj
SchnlpolÜBei, sonst meist DissipUn geiuuat) und Zucht MueJasudefgehBltin
hfttte^ In der jetcigeu DarsteUnng entsteht anf der einen Seite leicht der Sdiefai»
dass Foerster gsns ohne Zwang auszukommen glaube; auf der anderen Seite
wird ant h das, was sich an da« nach und nach ausreifende Urteil des Schülers
weudct, durch die Vermincbung mit jenen vorwiegend negativen Massreg^ nicht
genügend Idar. Oberhaupt scheint dieses dgene sittliche Urteil nicht als der
eiste Qinnd, ans dem alle Pflicht herfoigeht, erkannt su sein; wo Foenter sidi
an da&^elbe wendet, s])richt er davon, dusa man sich an die Persönlichkeit oder
an den Charakte r wende. Der .\h8chnitt: ,,die Bedeutnnir de^ Gelior-sani.* für die
Freiheit^ tritt wobi der unklaren modernen Freiheitspädagogik entgegen, nnd
diese Absicht fand allgemeine ZosUmmong. Jedoch die Begriffe Indi vid aalit&t,
Charakter nnd Persönlichkeit sind nicht in das richtige YerhUtnis gesetit
„Die Indindualität muss sterben, wenn die Persönlichkeit aotersteben Boli" liest
mau S. 'JO. Nun ist zwar nichts Silnverwies'cndes das^t'pfpn zu sagen, dass man
heute wie schon zu Fichtes Zeiten und noch früher mit dem Ausdrucke Persuu-
lichkeit, der ganz allgemein die bewusste Beziehung aller paycbiscben Inhalte
anf einen Ptinkt, anf das Ich bedentet, sdion die besondere Art, die starke,
eigenartig ansgepilgte Persönlichkeit, bezeil haen will nnd dass Foentar noch
enger nur die srnte starke Persönlichkeit meint ; es stört auch nicht wesentlich,
dass er unter ( burakter inniiLr die eine Hanptnrt, den sittlichen Chanikter
versteht, obwohl aiitltire Arten auch voiliauden äind. Aber bei dei Individualität
denkt er umgekehrt nnr an die ttbdn Seiten, nfimlicb an dasjenige Angeborene
(oder in der ersten Bildungszeit Erworbene), welches eine ideal gerichtete Erziehung
wirklich zn überAvindi n .suchen nin««?, und st<dlt ihr, wie wenn sie hloss .Sinn-
lichkeit, verwerlliche Bci^ierde. Leiiienscliift wHre. die BekampftiTii,'- iiud
Beherrschung durch den (^besseren) ,.üei8l" gegcuüber. Nach HerbarL hiugegeu
soll die IndiridnaUt&t mit allen ihren hervorragenden Seiten oder Spitsen mOgliclMt
nnversi dirt erhalten werden. Was man der Persönlichkeit an stark Ausgeprägton,
an chixnikttruiäs.'ilt,' Festem nur iiiimer wünschen kann, muss sich an die Natnr-
gaben der Individualität anschliessen. denn auch die gelungenste Erziehung zeigt
noch einen „besonderen Menschen . iMan vgl. Uerbartä Allg. Päd. L Bach
8. Kap. nift.) Hier ist Foerster dvreh sein löbliches Bestreben, dem modernen
Extrem entgegenzntreten , zu einem älteren Extrem snrftckgedrfingt worden.
Deshalb kann das liuch manche Eltern dazu verleiten, ihre eigenen individuellen
Seiten bei den Kindern durchaus durchsetzen zu wollen, denn dieses Stück Erb-
sünde droht den Eltern immer. Dagegen fordert Herbart a. a. 0. den Erzieher
anf, dass er f,seine eigenen ZnfUligkciten wohl nntersdieide'', d. h. nur als solche
ansehe, nicht blindlings als das, was normaler Weise sein mass. Ausser dem
angedeuteten Grunde hat hier bei Foerster wohl auch der verschwommene Begriff
des Triebes mitgewirkt; die Versammlung sab aber davon ab, diesen Punkt
zu verfolgen.
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- 6s -
r folgende Abschnitt: „Dw Bedentung der FteUiMt fttr den Gehorsam"
Tendenz nach sranz niit Herbarta Zacht znsammen. l>ie Freiheit,
•.«ter mit tieiu Gehorsam ..versöhnen*' will, ist eben der (it^horsam gegen-
II sittlichen Forderungen, deueu das bessere Selbst des Schülers Beifall
die er also selbst an sich stellt. So ist wirklich ,,der freiwillige
n der eigentliche Trinmpli der Enidinni?" tS. 112). Doch ergibt sieh
was an an<Teri*ii Stellen zweifelhaft erscheint, dass anch F'i"r-ät»'r vor
Teiwilligeu üehorsam den ,. Zwang", also den Dmck der Kei^iemug nicht
thehren kann; daza wurde ausgeführt, dasa auch bei milder Behandlung
e Foersters noch regiert wird. Seiner PKdagogik dee Gehontms fehlen
rh andere scharfe ü&terscheidQngen. Herbart nntenebeidet annftchst den
iven Charakter, d. h. die Fertigkeit, die allmählich durch Einwirkung
ssen entsteht, und den subjektiveu Charakter, welcher sich, wie
:agt, anf die eigene Einsicht gründet. Daran ächliessen sich dann
Arten von TKtigkeiten: die haltende und bertimmende, die regelnde nnd
taende Zucht, die sidi in dersdhen JPolfa an die Begiemng ansehliessen
a Laufe der Gntwickelung dieselbe allmählich überflüssig machen sollen,
sammen ist aber die unm ittelbare Charakterbüdnn?, deren eisrentliche
i darin besteht, Wollen in Handeln ttbersuftthren. Ikr steht die
bare CkaiakterUldung gegenüber, weleh» den GeibnlnnkreiB heetinmen
»ieaem Zwecke dienen bei Foerster die „Beapreehnngen", mit denen er
das bessere Selbst der Schüler wendet. Man findet darin vides, was der
enbildung, wie sie Herbart beschreibt. "!i»'nt aber die Bedeutnng des
'.hts für das eigene Urteil steht im Dnukei der „iuteilekt- Pädagogik",
sr letale Abschnitt: „Befonn der SohnldiaaipUn" wmde in der Besprechung
»ingeleitet, dase die Yorscbllge, die Foenter darin madit, ans iwei
rtihchen Staaten stammen, aus der Schweiz, wo Foerster selbst tätig ist,
Amerika wo er viel Vorbildliches findet. Ein in London abj^ehahener
s über moralische Erziehung hat sich dahin entschiedt^n . da^s eine
leuhafte Übertragung auf englische und deutsche Verhältnisse nicht
- seL Die Voraanunelten bemUhten sich aber, an aeigen, daas doeh vieles
sei; nur läast sich über solche lünaelheiten nicht kurz beriditen. Zu
lool-city-System wurde bemerkt, dass ausser den Hmnani-^ti n le.s Ii). .Jahr-
« bereits Trapp in Halle 17h;I— iKj einen .SchuUtaat gefordert und
Utet hahej vgl. Th. Fritzsch, £, Chr. Trapp. VJUÜ, S. 47.
18 Bnch Feersteia ist also anch für an« eine sehr erfienliche Erseheinnng.
: nickt t^entliek von wissenschaltflehen Wetonngen, sondern Ton Erfahr
und politischen Anliegen ans und betont besonders die religiöse Stütze
rakterbildung; in dieser Art tut es einen wiehtigen Teil der gegenwärtig
Arbeit, gibt dem Uefereu theoretischen Denken einerseits Anregungen
>blenie nnd dient anderseitB denselben noch an nener Bestätigung. —
ie schon an Pingatoi 190B in Magdebnrg Torllnflg Terabredet worden
U in Febmar oder März IWtö in Leipzig verhandelt werden über den
glichen Sinn der Herbartschen Stufen (Klarheit, As.^oziation usw.); zur
ituuij wurde ausser der Allc:emeinen Pädaerncik nnd dem Umriss besonders
len UerbarLH butachteu Uber (iraff und die llezeusiou von Vogels Atlas.
KOgUohe SiodteB. XZX. i. . 6
~ 66 —
IT.
Ober visuelle Erinneruimsbilder beim Rechnen.
Von H. Stern iu TarnowiU.
Über diesen GfirfTi fand hcrichtet K.Eckhardt, Frankfurt a M.. im
V. Band der Zeiteclirift für experimentelle Pädagogiii (Herausi;. I'rof. M*^^iiTinnn
in Mttuster, Verl. ?on Otto Nenmicb, Leipzig). Eckhardt geht von dem Gedanken
»na, daas, da die Zftbl als ^giiff nicht TeiMellbar ht, sie im OedScbtuis d«
Kindes stet« von einer entepieehenden Tonteihniff ab AepritoeDtans des ZaU-
beerrifts betjleitet >ein muss. Da muss es für die Didaktik doch von höchstem
Interesse »ein zn * rfahren, welche Bedentnngr diese Erinnemncrsbilder fttr den
Rechenonterricbt haben, welche Stelle sie bei den Bechenoperationen spielen.
Die Antworten anf diese Fragen sind das Ergebnis von experimentetten
Unteffsnchangen, die an 62 Kindern im Alter von 6—10 Jahren voigenonanen
worden sind, und die sich über einen Zeitraum von zwei Jahren erstreeken.
Es ergeben sich drei HanjJtarten von Vorstellnngstypen :
Vistielle (Gesichtsbilder), akustische (Klangbilder), motorische (i^prcchinnar-
vationen, Schreibvorstellnngen). Natarii«h tritt lücht jeder Typ rein für rieb anf,
sondern in Verbindung mit den einen oder anderen. Ss waren von den 58 Kindern
ttberhaupt nicht visuell 13 = 25® ,,, gemischt, d. h. aw^ oder drei Typen in
gkicher StSrke vorhanden, r.i = ;Uj,5^',>, rein oder vorzufr.'ivv»'!«* visnell 20 = 'AS.b^',,.
Dem visuellen Typ, der für das Rechnen der wichtigste ist, gehören also die
wenigsten Schiller an. Die weiteren Untersuchungen beschränkt Eckhardt auf
diesen l^P infblge sdner Bedentnnip.
Die visuelle Vorstellung kann nun wieder sein: 1. die arabische Ziffer
isolitrt. '2 in der Reihe und 3. (nehonhei) verbumlen mit sachlichen Phanta?i<»-
vorsii-iiiini^eu (der scbreibeude Lehrer, die Tafel usw.}. Dabei muss sofort auf-
fallen, dass nur ein Schüler — im Anfange des 2. Schuljahres — das Gesichts-
bfld der Ponktgntppe, kein einsiger das der Kngelgmppiernngen an der msnsehen
Rechenmaschine hatte. (Ich habe das Ergebnis in meiner Klasse, ebenfells
zweites Schuljahr, nachgeprüft und fs vollauf bestätigt gefunden.) Die isolierte
Ziffer erscheint vor^ngi»weisp bei dem s:emischteu Tvj) , die Zifferreihe beim
visuellen Typ. Letztere ist ein Produkt der Übung, deau uutaugs tciilt üie voll-
stindig. Da die Ziflerreilie allein eine intnitive Ansehatning von der GrQsse nnd
Zusammeusetzuug der Zahl ergibt, ist sie für die Rechenoperation besonders von
Wert. Die.se Behatiptnng wird dnrch die weit*'nn! l'ntersuchnnfren betrrftndet.
Sie haben uiimlich ergeben, dass der Visuelle, und zwar der, der die Zifferreibe
produziert, das beste Zahleugedächtnis hat, überhaupt der begabtere Schüler und
bessere Reehner ist. Der gemischte Typ ist leicht ablenkbar. (Anch das hahe
ich als richtig g^nden. Meine besten Rechner stellw die SSffeneihe vw. Ein
Privatschiller .stellt die isolierte Ziffer vor, ist aber, trotzdem er ein begabter
.Iiinge ist, kein sicherer Rechner, ist leicht ablenkbar and fitagt die Operation
oft von vorn an.)
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Welche Bedeutung haben nnn die visuellen Erinneningsbilder bei der
Operation? Das sucht EckliarJt an 'kr Anfsrnbe 24 -\- 15 festzustellen,
.eben sich hierbei folgeude Bilder: 1. Einzelne Ziffern: 24 15 39, 2. die
les schriftlichen BeebnenB: a) 24 -f- lö = 3U, b; 24 -f lü = 34, 34 -{- ö »
)peration alt Vorwärtsgehen in der Bcihe. Etwa io...nns824n...
6 • . . 39 (Reihenseber). Daraus ergibt sich: In Gruppe 1 und 2 sind
> Bilder der KcchoTioperation selbst nicht vorhiuiden; erst das Rf'snltat
isuell vorgestellt. Diese Gesichtsbüder aiud infolgedessen nur als Hilfen
i Zahlengedächtnis von Bedeutung. Dagegen wird in der 3. Gruppe die
ion »dlMt TOii TisueUen OeeichtoUldem kegrieitet. Also erwdst sieh aiteh
<• visuelle Zahlenreihe als wichtigstes Gesichtabüd.
:t khiuilt fa>;s't di ■ h apteiohlicbsten £rgei>niB8e seiner Untersuebangeii in
l>ii "^'iitzen zusammen:
. Eine unterrichtlicbe Bedeutung haben nur die visuellen Ei inneruiigbbilder
ittler, die dem Tisvellen Typ angehUieu oder Tonngsweise visndl arbeiten.
. Die Zahl dieser SobUer ist yerbiltnismSstig grees, so dass ihre besondere
sichtignng wünschenswert ist.
. Die visuellen Erinnerongsbilder zeigen sieb als wertvolle Hilfen des
gcdächtuisses.
. Auch die enten BeehenoperatioiieB kltaiiea dnreh dieTiaiiellenErianenuigs-
erleichtert werden.
. Die Schüler zeigen si< h i»hne Anleitnn^ in der Handhabung und Aas-
ig dieser Vorstellungen durchweg unsicher und unbeholfen.
Die Zahl der visuellen Zahlvorstellungen ist durch Übung steigerongs-
ihre Art kann modiflsiert und der Schüler in der Vorwendong dersdben
itet werden.
€. Beurteiliuigeu.
arationeu für den Pliysik-
terrichtin Volks* u.Mtttel»
nlen, mit Zugrundlegung von
ividuen bearbeitet von P. Conrad,
leil. Mechanik und Akustik. Mit
im Anhang von Präparationen ans
I elementaren i'liemieunterrichtft.
utl, 3,60 M., gtib. 4,50 M. II. TeU.
ik, Wärme, Magnetismus und
litrizität. 2. Aull. 3.60 M. Dresden,
yl & Kaemmerer (0. Schambach).
ist mir eine besondere Freude, in
I Blättern anf die Neuauflage des
les der Conradschen Priiparationen
en i'bysikunterhcbt hinweisen an
tn, entledige ich mich doch dadurch
der Danke.''schuld einem "NVerke ^'ey^on-
über, dem ich selbst die reichste An-
regung venhmke und das idi seit Jabten
den Präparationen der Lehrseminaristen
an unserer Übungsschule mit vor-
attglichem Erfolge zugrunde legen lasse.
Ich zöQ^ere nicht, diese PrSiuirationen
für das Beste zu erklären, waä wir an
Vorbereitnngswerken für den Physih-
Unterricht in der Volksschule überhaupt
besitzen. Sie sind vorbiidiicb zunächst
inbemg anf die Stoffauswabl nnd -Um-
grenzung; denn sie räumen pmiiilsätz-
lieh mit jener leitfadeuuiässigen Voll-
ständigkeit auf, bei der im Grunde doch
nur um des .^Systems'' willen dem
Gataen Lehrstoff geopfert wird, und
6^
— 68 —
TimCTenzen in elilcklichst«r Weise «len
Ston einer VoTkanatorleUre , die sich
auf diejenigen Gegenstände und Er-
Bcbeinnagen zu beeckräukeu hat, auf
die tieh die menschliche Arbeit richtet
oder die sonst in nalier T?t /,it hiuiir zum
Henschen stehen, Vorbildlich aber sind
sie aoch inbesnf mt die Behandltmg
des Li'hrst>iffs. Iiier erscheint mir
neben der gfcuiali ji Anwendung der
Forderungen der ulliremeinen Didaktik
auf das pliysikalische Lehr<,'t>1)iet am
glücklichsten der Leitgedanke Conrads,
die Naturerscheinungen nnd die auf den
Naturgesetzen beruhenden zahlreichen
menschlichen Werkzeuge und Ver-
richtungen als den Ausgangs-,
Hittel- and Zielpunkt des
physikalischen Unterrichts zu
b e t r :i r h t c n. Dadurch wird ilt-m
Schulexperimeate die ihm gebühreade
Bolle angewiesen ; der Apparat tritt in
den Hintergrund gegenüber dor zu
demonstrierenden Erscheinung und er-
Bch^nt nnr all« Beiwerk, ala ein ge-
eignetes Hüfsmittt?] . um au» der
Mannigfaltigkeit der Ursache» nnd
Wiikiingen eine bestimmt - (i nippe
heranszuffhfilfn nml sie '\vr rntt-r-
suchun^ zugänglich zu machen, kurz
die Natvmscheinungen und die
wichtigen menschlichen Arbeitswerk-
zeuge erscheinen als da« Wesentliche
gegenüber den Experimenten und Ge-
«etsen, deren wir doch nur bedUrfeOi
Hin die Erseheiniingen zu „erkliren**.
Die Auswahl der Versuche ist eine
sehr glürküclie, «In übtTall diejenigen
Ver«uchi»auurdnunt;cu beschrieben sind,
die sich auch in den einfachsten Schul-
verhältuis^en herstellen lassen und die
in ihrer Einfachheit und Übersichtlich-
keit i^eei^rnet sind, die y.u demun-
stricrcudeu Vorgänge nicht zu ver-
achleiern. aondem Idar hervortreten an
lassen. Vielleicht ent.scliliesst sich der
Herr Verfasser, in späteren Auflagen
«neh die für oen Unterricht besonders
wertTolleu Exprrimnnte ohne eifr^ntliche
Apparate, sogen. Freihandversucbe, noch
«iwaa mehr sn berttckBlditigen.
Die wertvollste Bereichern iiij hat die
neue '6. Auflage des I. Teiles durch
die Anfnahme einer Beihe von Pri-
parationen ans der elementaren Chemie
erfahren, die nach denselben Grund-
afttsen wie die idiyslkaliaehen Präpa^
rationen bearbeitet sind. sind be-
handelt: 1. Die Verbrenuuuiif nnd der
SautTstoff. 2. Kohleudioxyd als erstes
Verbrenuungaprodukt. 3. Wasserdampf
als «weite« Verbrenntingsprodtikt
4. Piiitsiilinr und .>cb\vefel und ihre
Verbindung mit tSauerstofi. ö. Die Ver-
brennung im meuBcbUchen nnd tierisehen
K<'iriier. ß. Atmung uiel .\?>imi?atinn
bei den Pflanzen. £s wäre zu H uuschen,
daSB der Herr Verfasser die in .\ussicht
gestellte Erweitenuiir des chemischen
btohes auf einige wichtige techno-
logische Prozesse recht bald roniähme.
Iiier würde er nirklicli einmal ..einem
lutäächlich vorhandenen IJeiliirtnissü"
gerecht werden.
Den grössten Vorzug dieser Präpa-
rationen gegenüber anderen Rnsfßnr-
liehen Präparationswerkeu des Lehrers
erhUoke ich darin, dass sie nicht einfach
in die Fmzis ttbertragbar sind nnd
daher zur „Eselsbri\cke" wi-rden können,
sondern den Lehrer, der wirklich bestrebt
ist, fiberaU in seinem phy-sikalischen
Unterrichte von tatsächlichen Er-
fahrungen seiner Schüler axi^ugehen,
m freier, nach.«chaffender Tätigkeit
veranlagten. Kndlieli mair hier noch
au die überall wieder kehrende Forderung
Conrads ciinnert sein, auf allen Unter-
richtsstufen vom Zeichnen w ei tischenden
Gebrauch zu machen, tla leider das
Zeichnen auch im physikalischen Unter-
richte noch lange nicht in seiner grossen
Bedeutung für die genaue Beobachtung,
denkende Verl<nüiifii!i;r und richtige
Üeschreibung der Vorgänge und Gegeu-
stittde recht flrewflrdigt an werden
schein*. Die Fi^rureti ^ind j*^tzt zweck-
mässig ia den Teil eiugeluirl und er-
scheinen nicht mehr wie in den ersten
Auflagen im .\nhan:::e. T»ie ( 'unr.idschen
Präparatiouea seien daher erneut allen
Faengenossen angelegentUchat emp«
fohlen.
Lehrbuch der Mineralogie nnd
Geologie für Schulen und für die
Hand des Lehrers, zugleich ein Lehr-
buch für Naturfreunde von H. Peter».
2. Auflage der ,.Bilder aus der Min»'
ralogie nnd Geologie-'. Kiel, Liptiva
& Tiseker.
Die^^es jetzt in zweiter Auflage mit
verändertem Titel vorliegende Werk
hat «if die Nengeataltnng das min»-
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- 69 -
log-ischen Uuterrichts äusserst be-
achtend eing^ewirkt, da es eine ener-
sche Protest- und Absageschrift ^egcn
e aacb jeut noch so weit varbrnteten
»tftdCD der Mineraloifie d«r«teUt, die
der Stnffübt nüUe erstirken-' uiul sich
f reine Kennzeicbenlehre beschränkend,
jeDem ycrdammniiffsarteile Anlua
treben Laben, das nor Mineralopic
i einem geisttütvnden, zu geistiger
•erbflrdnng und ödem VerDalismns
irfnden Fache Uberhauut am liebsten
* Daseinsrecht in der Schule bestreiten
«kte. grosse Verdienst Ton
tere beste llt ilarin. da«s er dem^eg'pn-
?r die Fiui^e nach dem kraftbüdendeu
jrte des mineralogipche« Stoffes wieder
den Vordergrund rückte und die
bl der zu b^recbenden Mineralien
«chüessHch auf diejeniirt ii b< -
ränkte, die für den Aufbau der £rd-
de sowie fSr den Menscben toü
v«rr:u't ii'li r nt-rtcutung sind. Er
e aber ni. £. darin, dass er die
ler faitt aUgemein in den Lehr»
neu übliche Vf-rbiiiiluTii^ dt r Minc-
•gie mit der Chemie aU Krcbs&chiiden
rachtete nnd für die Synthese der
leralügie und Grologie eintrat. Hier
it freilich Meinung ge|;en Meinung;
gehöre zu jenen, die mit Prof,
Iter-Jeua diese immer von neuem
terholten Versuche von Schul-
incrn, Mineralogie und Geologie zu
m Ganxen znsammeuzascb weissen,
ainsicbtslos betracbten, „da die
ritsmethoden beider Wissenschaften
n wissenschaftlichen Voraus-
ingen. ihren GedankenTerbindiniiiren
ihren Zi' !< ti nach grundverschiedon
Wtim die moderne Mineralogie
Entwicklungsgeschichte ihrer Ob-
' . ihr Sein nnd Werden, ihre •
mg nnd Umbildung erforschen
.HO wird sie sich wesentlich der
mittel nnd Methoden bedienen
c'ü, die die Physik und die ('hemie
«ondere anwenden. Verzichtet man,
dies Peters offensichtlich tut —
dche auch seinen Artikel in
nr und Schule- II, 201 ff. — auf
»hemiache Grandlage, so werden
alle (Jnterbflltungen über das
?n" der Mineralien schliesslioh
gewissen allgemeinen Redensarten
igen mflnen, ein wirklich tieferes
ttndDia fllr die ^geseli«cbeii Vor-
gSnge im Mineralreich darf nicht er-
wartet werden. Das Bnch wird als
„Lehrbuch für Naturfreunde", denen an
allgemeiner Belehrung gelegen ist,
HicHer grossen Nutzen stiften; als Lehr-
hunli für höhere Schulen dagei^en halte
ich es — abgesehen von der Breite der
Dftr»teUiu$r — ntebt fttr geeignet, da
iiiiin hier ans gutem Ciruude nicht
TöUig auf die Kristallographie, die bei
Feten auch nicht sehr hoch im An-
sehen ftpht. und auf eine ;<i( here, durch
physikalisch-chemische Merkmale be-
atinunte Diagnostik wird verzichten
wollen. Beidfs scheint mir im Mine-
ralogieunterrichre ebenso wichtig zu
sein , wie gründliche morphologische
und systematische Kenntnisse in Zoologie
und Botanik, ohne die alle schönen
„intensr<aiittir hidlogischen (ökolo-
gischen) Mitteilungen völlig in der
Lnft aehweben. Man kommt freiUeh
beinahe in den Geruch der Kückständig-
keit, wenn inan gegenwärtig wieder
dnmal an solche Biraenwahrheiten sn
erinnern w.ict. Snlunge an unseren
höherenSchuit litten Naturwissenschaften
im allgeroeinon nicht mehr Zeit wie
bisher znr Verfügung qrestellt werden
kann, wird sicher die Verknüpfung der
Mineralogie mit der Ciiemie aie natllr^
liebere sein, während die Geologie in
Verbindung mit der Gtographie zu
lehren sein wird. Über das, was die
Volkaschnle unter den gegenwärtigen
V«rhKltniB«en erarbeiten kann, geht
Peters, besonders unrh in dem histori-
schen Abschnitte, weit binans. Ent-
schieden wurde &et frOhere Titel des
Bni hps der ^'anien Anlage des Werket
besiter gerecht.
U Ute 1 such untr*'ii nijer das Lieht
und die Farben von Dr. Arnold
BriM. I. Teil. Osterwieck;Harz,
Verlag von A. W. Zlekfeldt
•
Dieses merkwürdige Bnch sucht den
Nachweis zu führen, das« die gegen-
wärtig wissenschaftlich allgemein
herrschenden Anschauungen Uber das
Wesen des Lichtes vüUig falsch seien
mid daher anf gegeben werden mftnen;
schon die Begründer der modernen Auf-
fassung, Newton nsw. hätten, „von
ganz ndaehen mathematischen Vorans-
setcongen ausgehend'*, (welche, wird
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— 70 —
ireilich nicht gesagt), „dia Verh<niMe
irrifir dargestdlt und daher Ar ihre
Nachfolger verschleiert" . Dann ist es
aber doch eine auffällige Tatsache. <las.H
diese Orandfehler von all den beileuieu-
den mathematischen und phy'si kalischeu
Geistern, ilie auf optischem Gebiete
geartMitot haben, bisher nicht entdeckt
worden siml : auffällig bleibt uuoh. dass
sich bisher ulk optischen Kr&ubeiuuugeu
in einwandfreier Weise ans der Undula-
tionshypothese des Lichtes ableiten
Hessen nnd dass alle anf dieser Hypothese
anffji'bauten Deduktionen zu den foltroii-
jceichsten Fortaohritten auf optiBchem
Gebiete geführt haben. Der Herr Ver-
fasser yersteiirt sich mehrfach zu der
Behaaptuiig -dass wir Wellenkonstmk-
tionen awffBhren kOnnen, ao viel wir
v,n!lf ii, >vir dnch nicht imstande seien,
bestimmte Kröoheiiiungtiu " (Bcuguugs-
streifen z. 6.) „herausznrechneu oder
graphisch darzustellen"; er bleibt aber
den mathematischen Nachweis tUr die
Unmöglichkeit solcher Konstruktionen
überall ^rTmldig, wie denn überhaupt
die mit eiufaclisten Mitteln arbeitende
nnd sich au die grosse Masse, nicht au
die Physiker wendende Darsteilaug
Icanm geeiguet sein dQrfte, die wissen-
schaftlichf Arlx-it mehrerer Jahrhunderte
ernstlich zu erschüttern. Anderseits
•etat die ganae DatateUnng bei dem
JjCwt eine völlii^e Vertrautheit mit
den gegenwärtig herrschenden Anschau-
ungen Torans. Nor solchen Lesern
kann daher auch zn einem Studium des
Buches geraten werden, da es immer
wertvoU Dleibt. eine die i^egenwtrtlfe
Auffassung optischer Phänomene vrtllig
ablehnende Behaudltuig keuutu zu
lernen, Selbstverständlich ist es aus-
geschlossen hier näher auf die Materie
selbst einzugehen; die Versuchs-
ergebnisse scheinen mir indessen die
sorgfältigste Nachprüfung zu verdienen.
8ehni«U, Lehrbvch der Zoologie.
17. AnfliMfe.
Seknellf Leitfaden der Botanik.
12. Auflage.
Schmell. (irnndrisR der Natur-
ge«iehichte. 2. Heft. Pflanzen-
künde. 1. Auflage. Leipsig» Erwin
Nägele.
Vuu der ^'e^lagsbuchhandluug siud
OBS abermab die SchmeÜscben Lehr*
bücher in ihren neuesten .\ntlagen za>
gegangen. Der beispiellose Erfolg
.sjtrieht mehr als viele Worte für diese
l'uterricht^werke. die nach Inhalt und
Ausstattung gegen würtii: un«.-rreicht
dastehen und daher abermals eindring-
lich empfohlen seien. Der Leitfaden
der Botanik sowie der Grundriss sind
im wesi'Utlieben tmveräudert geblieben;
das Lehrbuch der Zoologie weist dagegen
eine grosse jVnzahl neuer anatomischer
Zeichnungen und uener Habitusbilder
der Wirbel- wie der wirliellosen Tiere
auf: auch sind 4 neue farbenj)rüehtige
Tafeln (Kolibris von Heubach, Krebse
Yon KereaHano, zwei Insektentafeln:
schSdlicbe hmetterlinire und Käfer
von J. Griebel^ hinzugekommen, die
sich gleich den ilteren Tafeln dem
Text sf»rürfältig anpassen und in hervor-
ragender Weise der kiiustleriscben
BiTdnng der Jngend dienen werden.
Schmeilä pWisseuschaltliche Be-
leuchtung" derjungesch» n Re-
formbestrebangen, nm einige
Normalkerzen verstärkt Ton<
Otto Jnnge, Obeilehrer. Kid*
Lipsins & Tischer.
Diese schon in ihrem Titel, mehr
noch in ihrem Texte durch die persOn-
liebe Znspit/.uuijabstossende. menschlich
vielleicht verständliehe Kampf broschiire
des Sohnes des VerfasserBTOm„ Dorf teich"
sucht die von Fr. Junge aufgestellten
„Gesetze" des organischen Lebens
gegenüber dem ablehnenden Standpunkte
zu rechtfertigen, den Schmeil in «einer
bekannten Broschüre „Keformbe-
Btrebungen im uatnrgescbichtlichen
Unterrichte" eingenommen hat. Es mag
hier hervorgehoben werden, dass 0. Junge
recht beachtL-nswerle ^a eli Ii c he Gründe
für diese Gesetze vorzubringen weiss,
anch dass man sidi mit der Art nnd
Weise, wie er .sicli die Einführung dieser
Gesetze in den Unterricht der Volks«
aehiüe denkt, durchaus eiuTerstanden
erklären kann. Mir scheinen die
wissenst-haftlicbeu und pädagogischen
Bedenken, die Schmeil gegen diese
„Gesetze" geltend gemacht hat, trlcich-
falls nicht zutreffend, und so ij^t za
hoffen, dass durch diese Broschüre die
vorliegfende Frage von neuem in Fluss
kumuieu wird. Iiu übrigen mag hier
beiden Parteien nahe gelegt werden,
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Zukunft eiuer weniger gereizten
icben SprAcbe n oedienen, da
Inrch (ItT Snche . die sie doch
fördern wollen, besser dienen
i. Vielleicht stehen wir dem
beide Männer, Fr. Jnnge und
1. geschaffenen gewaltigen Ura-
ige in dem >atnrge«chichts-
uUte der Schule geschichtlich
zn nahe; soTiel «ber lSs»t «ich
MXiU- »ittr';'n, Friedrich Junge
seinen Dorfteich und seine
n Schriften die Kefonn de» Mo-
len Unterrichtes in genialer
eingeleitet Ijat, dass aber
meil von der Znkmift das grosse
nst nicht bestritten werden wird,
ich genialer Weise, mit hervor-
ier Sachkenntnis nnd in gross-
tr, auch die technischen Mittel
r Zeit voll auswertenden Art
Reform an niederen und höheren
■a durchgeführt zu haben. Es
iber hier auch einmal 0. Sehmeil
-■ nn<re}ienere miituortlichkeit
rt werden, die iiiui durch die
nhliche Verbreitung seiner
ten auferlegt ist. alle z. T. mit
i Rechte von verschiedenen
rem geltend gemachten Einwürfe
zahlreiche biologische Einzel-
1 seiner Schriften und vielfache
immigkeiten'' recht Tomrteilsfrei
-nfen nnd abzuändern; es würde
dadurch kein Stein aus seiner
I fallen.
Nolls Katuri^eBehichte des
nscheii (AnthropolrjuMei fUr den
»rauch an höheren Lehranstalten
. Lebrerbildnngsanstalteii. 6.Aiifl.,
irs?t von Prof. Dr. II. Relehea-
•,b. Breslau. Ferdinand Hirt.
IS Buch bebt «?ich weder binsicht-
1er Auswahl des Stoffes noeh seiner
beitan£r wesentlich von der grossen
hl ähnlicber, für höhere Schulen
riebenen L» itfiiden ab. Es ist
auffällige Tatsache, dasa gerade
intbropologiennterricht bisher am
fsten von einer wirklich bioh»t:i-
BetrachtungsweiBe, bei der Ana*
Physiologie imd Hyi^ene des
:hlichen Körpers zu euiem ein-
chen GaB»n verknttpft sein
ten, berührt worden lit Auch
man in dm meiften Mr llittel-
schulen geschriebenen Leitfäden den
Hoischen immer noch viel zu sehr
atis«erhalh der übrigen Natur nnd f»ncht
den Authropologieuüterricht nicht, wie
es doch natürlich wäre, auf einer ver-
ffleichenden Tierkunde aufxubanen.
Dann wtirde wohl auch die Entwiek*
hnifiTsgescbicbte, die iti 1 )u vorliegen-
den Leitfaden gar keine Berücksichti-
gung gefunden hat, etwas mdir an
ihrem Rechte gelansren IHc Gründe
dieser Erscheinungen liegen w ohl darin,
dass die Herren vn^asser viel zu sehr
mit den an unseren Mittelschulen be-
stehenden Lehrplauverhältnist»en rechnen
müssen, die den Antbropolog-ieunterricht
auf eine Klassenstnfe lU III der Voll-
unstaiten. Quarta oder Tertia der
Seminarien) verweisen, auf der die
Schüler absolut noch nicht die geistige
Reife besitzen, auch die notwendigen
jdiysikalischen und chemi^ichen Kennt-
nisse ihnen mangeln, die für einen
▼ertiefteren anthropolo^schen Unter-
richt durchaus notwendin? sind. Die
Ausstattung des Bttehleins ist eine
gut». —
Männer der Wi^senschif» Eine
Saiumhm^ von Lebensbe8chreibuugen
zur Geschichte der wissenschaftlicfien
Forschung und Praxis. Heraus-
gegeben von Dr. Julius Ziehen-
Berlin, Leipzig. Wilhelm Weicher.
Jedes Heft 1 M. : hei Subskription
auf die ganze Sammlung 0,80 M.
Um tiefer in wissenschaftliche
Probleme elnendringen , wird sieher
immer ein- r 1 r wertvoll^itf n inid :\n-
ziehendsten W ege der sein, sich in liebe-
ToUer Weise in das Studium derjenigen
Persönlichkeiten zu vertiefen, die für
die Geschichte der Wissenüchaft von
hervorragender Bedeutung geworden
lind. Probleme, die in Lehrbüchern
büntitf abstrakt, ja sogar schwervör-
ständlieb erscheinen nnd uns völlig
kalt lassen, gewinnen plötzlich ein
höheres Interesse, wenn wir ihre Ent-
wicklung studieren, wenn wir sie in
jener eigenartigen, lebendorchglühten
Beleuchtung grosser Forscher Kennen
lernen, die sie sich zuerst stellten, mit
ihnen in heisser Arbeit rangen und sie
sehiieeslich in glliMder Weise be-
wältigten. Diesen Gedanken sucht dl«
— 72 —
vorliegende Sammluuer ant eiue sehr
glückliche Art zu vorwirklichen.
Uns liegen 2 Hefte vor. Heft 4
enthält die feineiniiig crescbriebene Ge-
dächtnisrede auf FerdinaiKi Freiherr v.
Richthofen, die Erich v. Djygilski in
der GeseUachaft fttr ßndkiinde in Berlin
fi-ehalten hat nnd in dor er ein um-
fasseudcä Bild der grossartigen forschen*
den und or^ganisierenden TStigkeit
Ricbthofens entrollt, die. nnr ini* ler
Alex. V. Humboldt« verglicheu wenien
kann. Das H^t ist beeonders wertvoll
durch die beigefügte Znsatnmenstellnilg
sämtlicher Werke v. Kichthüfens.
Auch das Bild, das Prof. Dr. Jäger
von dem Leben und Wirken, dem Wesen
und den Ldstungcn Werners v.
Siemen« in Heft ö der !^ammlnng
bietet, ist ausserordentlich fesselnd
freseiebnet; zeigt es doch in eindring-
licher Weise, was eine zähe Energie,
gepaart mit festem, «ielbewnasten Willen
mia klnran, weitem BUek, zn enrdclMD
vermag trotz der manniirfrxchen, sich
entgegenstellenden Hindernisst;. Bei dem
populären Klange, den der Name Werner
V. Siemens besitzt, wünschen wir gerade
diesem Scüriftcben die weiteste Ver-
Quellenbuch zur GpschicLte der
Natur ^^ i < 'ngchaften von Dr. F.
Dannemann^ deutsche Schulausgaben,
herausgeg. v, Dr. J. Zidien. Verlag
V. L. iMennuinf Dresden.
Auch dieses Schrift chen ist ein Beweis
für die Wertflchät^uug , die man in
neuerer Zeit der geschichtlichen Be*
trachtunir für das Verständnis der Natur-
wissenschaften beilesrt. Der durch seinen
Orundrise einer (lesdiiclite der Natur*
Wissenschaften bekannte \'erf asser unter-
nimmt es hier, auf engem Rahmen ein
naturwissenschaftliches Quellenbuch ftlr
den Scbulgebrauch und für weitere
Kreise zusammenzustellen. Die ge-
troffene .Auswahl mnss angesichts der
Fülle des Stoffes als eine sehr glückliche
beMichnet werden; das Verständnis der
geboten i !i All iinitte wird durch kurze
£inführuugeu am Kopf jedes Lese-
rtttekes, durch AnniMrktingen nnd
literarische Nachweise wesentlich £re-
f Ordert. Die kleine Schrift sei neben
dem grii^.sereu Ornndritt anch fBr
SchülerbibJiotheken wann ein]rfohlen.
Aus der Sammlung Göschen
rind uns mgegangten:
E. Rebmann, Der menschliche
Kör] r sein Baa nnd seine
Tätigkeiten.
Dr. £. Dennert, Die Pflanze, ihr
Bau nnd ihr Leben.
Frof. A. Kistner, Geschichte der
Phjsik. I. Die Physik bis Newton.
n. Die Physik von Newton bis zur
Gegenwart
Die an;,'t'zeic-ten Srhriftohen jfas-en
sich dem Zwecke, dem die ganze Samm-
lung dienen will, auf das beste an. Am
wertvollsten erscheint mir die .\rbeit
von Prof. Kistner. in der eine Unmenge
von wertv(^en IMiigen in voncnglicher
Weise zusammeniretragen und über-
sichtlich dargestellt ist, so dass die
zwei Bändchen für schnell.' i)ri«i*
tierungen und als erste^s Nachsdilaire-
werk vorzügliche Dienste leisten dürften.
D,ie Ameisen. Von Dr. Friedrich
Knaner. „Ans Matur und Geistes*
weit.'' 94. Bändchen. Verlag von
R. G. Teubner.
Die .Naturgeschichte der Ameisen"
ist in den letiten Jahren dnreb'^e
«solche Fülle insbesondere biolo^is« her
Arbeiten bereichert worden, dass es als
ein besonderes Verdienst des Verikssers
bezeichnet werden kann v/rnn er in
grossen Zügen das Wissens weiteste Uber
die systematische Gruppierung, die
wichtigsten Vertrptfr der einzelnen
Gruppen, die Beobachtungen über die
Formenmanigfaltigkeit, die Bautätigkeit,
die Brutpflege und Ökonomie, dasSmoes-
leben der Ameise und ihre Symbiose
mit anderen Tieren und Pflanzen dar-
zustellen versuchte. Das Schriftchen
wird sicher diesem Gebiete, auf dem
ieder dnn h liebevolle Beobachtung die
Wissenschaft fördern kann, neue Freunde
suffthren.
Dresden. Dr. B. Kotte.
Dr. P. Wtibrand, Leitfaden für
den methodischen Unterricht
in der Chemie. Hildesheim, Lax.
a Aufl. 1906. 248 Seiten mit 87 Ab-
bildungen. 3,60 M., geb. 4,20 X.
Das Bnch ist in Fsdikfeisen benils
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— 73 -
rOhinlichst bekannt; die Xot-
tfkeit einer 8. Auflage spricht für
Wert. Es nmfasat ausser der
uuscben Chemie, welche den
Inhalt bildet, einen kurzen Abriss
ineraloKif" und oiiiitje ausirewiihltö
el aus der organischen Chemie,
und hat neben Arendt merit den
> h trt'""^<'^''. f^i*' Cht-niit' für T'iitf-r-
zwecke zu bearbeiten. Sein Buch
mag methedieeh aufgebaut. Den
\«gr der Besprechiiucr bildpn stets
2, die allgemein bekannt sind und
m praktischen Leben grosse Be-
ug luiln.M. so Luft, Wasser, Schwefel,
äalz, Kalkstein u. a. DerGedanken-
eines jeden Kapitels ist tDOüter-
Ij; mehrfach folgt der Verfasser den
iten alter Forscher, wobei die An-
historischer Daten nicht unan-
icht aein dilrfte. Die Veranche,
qnalltatiyer, teila quantitativer Art,
trefflich gewählt; i;>i:fTi die so-
nnte Elektroljse des Wa-säers im
ipitel lieesen steh allerdings gewisse
«ken erhebin. Am Srlilus-»- eiiu-s
X üLapitels tinden sich Denk- haz.
lenanfgaben. Dadurch und durch
gauTif^ri Aufbau des Stoffes werden
jchüler zu leger geistiger MilHibeit
nlaaet Auf die methodische Dnrch-
itnilK der anorganischen Chemie
5n Kapitel allgemeinen Inhalts,
lieh theoretische Darlegungen im
»mmenhange und eine systematische
rsicht Aber die Elemente. E>a8s
i>ei H ^ 1 mit 0 = Iß i.'-i'hranrht
1. lässtflich aus methodischeu Grinden
billig. (Das genauere Verhftltiüa
i i'ibngeni am SeUniae knis uit-
ilt.)
Jie Mineralogie kommt freilich recht
j weg: bei der Bedeutung dieses
1)69 wi\rde sich «loch eineErwciicrnng
fehlen. Es iat besonders anzu-
tnnen, dass Verfemer trots des
ngen Raumes wichtigr- (?lioim>;< he
ktionen der Erze, die zu deren Er-
mag dienen, angeführt bat. Gerade
,e Cntereuchnngen sind geeignet,
Unterricht interessant zu machen;
bieten ferner Stoffe zn Schfller-
.ngen.
Erwnnsilit wäre ein R»'gistfr, Die
istatttmg Ist tadellos. Das Buch ist
;eleg«itlicbit m empfehlen.
Jallua Schmidt, Chemisches Prak-
tikum. IL Teil. Breslau, Hirt 1907.
138 Seiten mit 47 Fisrnran. 1,80
kart. 2 M.
Der Verfasser hat im Berliner Lehrer-
▼erein mehrfach praktische Übungen in
Chen)ie ;ibirehnlt»-ii ; die ilabei zur Aus-
ftthruDg gelangten Experimente sind
Ton ihm als Leitfaden in umck gegeben
worden. Der vorliegende IL Teil ent-
hält ausgewählte Kapitel aus der
organischen und Nnhnini;:snüttelebemie.
N' ben kurzen EinleiTnngeu bez. Er-
läuterungen werden 883 Versuche so
beeehriewn, dass sie vou jedermann
bequem ansgcfiilirt werilcn können. In
den meihtca Fällen siiiil zu diesem
Zwecke nur ganz t intai l»e Hilfsmittel
nötig. Eine grosse Anzahl dieser Ver-
suche sind für die Volksschule brauchbar;
es sei besonders wn die Über Nahrungs-
mittel gedacht. Die Uansbaltungslninde
fBr Hftdchen wird viel Nutzen ans dem
Buche zicht n. Die VevMichsergebnisse
sind vielfach iu chemischen üleichoutfen
ansgedrHekt, nnd mit Recht weraen
'laliei ilie Stniktiirfonneln ane:ewendet.
Das Buch enthält ein Literaturver-
/t ichttis nnd am Schlüsse eine knne
ZuaanimenstcHnng allt < drssen. was an
Chemikalien und Apparaten gebraucht
wird ; auch einige BecngKinellen werden
angeführt.
Der Verfasser zeigt sich als rechter
Praktiker. Das Bacfa, dessen Ans«
<<t!Tttnng eine <:ohr gnte ist, kann bestens
empfohlen werden.
Rochlitz. Rieb. Möller.
Bilder aus Paul Gerhards Leben.
Festspiel von Fanny SioeklinnMa«
Leipzi? Fiiedr. Jansa. 1907. 31 S.
'M) l'fg.
Mit etwas spärlicher Verwendung
Panl Gerhanltacher Lieder vier Bilder
ans de« Dichters Le»en in Berlin,
Mittenwalde, Berlin. Lilbben, die iu
poetischer .\usschmttcknng und Freiheit
sein Bekannt werden mit seiner Gattin,
die Entstehung des Liedes: Befiehl du
deine Wege, seine .\mtsentsetzung in
Berlin und sein Sterben behandeln. Der
Dichter tritt selbst nicht auf. In der
Form, abgesehen von einigen Härten,
geföUig. AuffUhrbar mit bescheidenen
Krftftennnekin einfaehsteiiyerhiltniBiien.
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— 74 -
Sollt ich meiuem Gott nicht
singen? Ein Liederspiel zu
Paul Gerhardts Ehren von
P. Ludwig Reinlcke. Leipzig. Friedr.
jmm«. mi. 31 8. ao pfg.
Paul Gfrliaidts Bedcutniig wird dar-
gestellt in einem Wecbselgesang von
Ebni^ii im deutseben Walde nach dem
dreissiejäliriiycn Krieefo. Seine Lieder
lindern nnd mindern das Elend der Zeit
nftch dem Kriege und helfen der
Frömmigkeit wieder auf Keichliche
DarbiefunLT l'aul üerhardtacher Lieder
£ör alle Feiitzeiteu des Kirchenjahres
und alle VerhäUni.sj}L* des zeirlirtien
Lebens nnd dochmassvolleBeschrankimg
in Bezug auf die Verszahl. Die Zu-
hörer werden zum Mitsingen heran-
gezogen, was immer wirkungsvoll ist.
Der verbindende Text ist in schöner
E>eti8cher Form gegeben. Audi diesee
iedenpid leicht aufffthrbar.
Der Wert sokhcr Singspiele liegt
darin, da."?! durch sie dem Volke,
sonderlich der Schuljugend Leben und
Lieder des Dichters in der Form an-
sprechender und edler Unterhaltiing
bekannt gemacht werden.
P. Otto Hardeland. Panl Gerhardt
der liebliche Sänger unserer
Kirche. Ein Erinnemngsblatt zur
Feier seines 300 jährigen Geburtstages.
Mit Bildnis. Leipzig, Friedr. Jansa.
1907. 48 S. 20 Pf IT. M Exenplaie
ä \b Fig., 100 ä lU Pfg.
Uardeland zeichnet zuerst das Lebens«
bild P. Oerhardts, gibt dann in 3 Ab-
srhuitt» n iiioti Überblick über seine
Lieder, uideni er ihn schildert als den
Singer, 1. der grossen Taten Gotte»,
2. des Olaulicns, 3. des Gebets, nnd fi^c-t
zum 8( hliisH einige Urteile von kom-
petenter Seite über Panl Gerhardt und
seine geistlichen Lieder an. Die Schrift
zeugt von guter Orientierung und
Sichtung de.s geschichtlichen MateriaU
und ist in volkstümlichem Tone gehalten.
Sie bietet in allen Abschnitten reichliche
Zitate au(» I'aul Gerhardts Liedern,
besonders auch aus den weniger bo*
kannten, die dnrchgehends ge8(£iekt in
den Text verflocliten .^ind. Als ans-
gesprochener Lutheraner wird der Ver-
naser der konfeMioDellen StdlnnKnahme
Panl Oerhardta in Sachen der Beven*
Unterschrift ohne kiini^tlich gezüchtete
Objektivität gerecht und weiss anch
sonst die Individualität des grossen
Liederdichters als treuen Lehrers der
lutherischen Kirche geblUirend int Licht
zu stellen.
Lie Dr. Hermann Gebhardt, Paulus
Gerhardt der Streiter und
Sftnger der evangelisch-lnthe*
riscnen Kirche. Leipzig, Friedr.
Jansa. 1907. 92 S. 1 M.
Eine wissenschaftliche Schrift Uber
Panl Gerhardt von grossem Werte,
reich an interr^santen Einzelheiten,
die sonst nicht begegnen. Der
Verfasser hat viel Qnellenmaterial
verarbeit und wiedergegeben, auch die
Geschichte der Zeitgenossen Paul
Gerhardts, sonderlich seiner Mitarbeiter
im geistlichen Amt herangezogen. Ans
dem 1. Teil, der das Leben dee Dichten
behandi^'r Im I n wir hervor die feine
Charakteristik meiner geistlichen Kede
aus den Leichensermonen nnd den
Abschnitt: ,.Paul Gerlnr^ als treupr
Vorkämpfer evangeliä- tieii Luthertums'',
in dem die Frage; „Wie kam es sn
einem so heftigen Streit zwischen zwei
so bedeutenden und zugleich reli!?if>««n
Männern, dem Grossen Knrfüreten und
Paul Gerhardt, von denen jeder den
anderen hochachtete?", ausgebend von
einer kurzen Vorgeschichte der kon-
fessionellen VerhIUtnisae in Branden-
burg gründlich nnd sachlich beantwortet
wird. Der 2. Teil iri^t zunfichst die
Skizze einer Entwicklung des evan-
gelisehen dentechen Kirehhedes hie auf
Faul Gerhardt und zeichnet diesen
dann als Liederdichter: „Paul Gerhardts
Lieder tragen kirchlichen Charakter an
sich. In ihnen spricht sich das geistige
Gut der evanp^elisch-luiherischen Kirche
aus „Dabei sind sie der getreue .\n8-
drnck ilirer Zeit.** „Eine Eigentihnlicb-
keil i.st auch ihre Biblizität" und ..dass
ne den ganzen Inhalt des Christentums
mit all seinen scheinbaren Gegensätzen
erschöpfen" ; u. a. m. Zum Scnlnss gibt
Gebhardt in 2 Beilaijen die für die
Geschichte Paul Gerhardts so bedeut-
samen Edikte des Knrffisten Friedlieh
Wilhelm vom 2. Juni 1662 und 16.
September 1664 in extenso wieder. Die
Schrift iShlt entschieden «i dem Beeten
in der neueren Paal Gerhardt Ütentar.
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D. Faul Wernle« Panlas Ger-
d t ( Rel igioDsgeschiehÜfdie Yol1i§-
ler TV, 2, TiiI>in<rMi. J. C. B.
f (Paul Jsiebeck) ml. 60 S.
Hg., kvtt 75 ?{g., feine Atisgabe
l,öO M.
ml Gcrhftnlr i*; 'It-n rt-ligiona-
:iitliclii;ii VolkiitiilcUeru" ist ein
ke, anf desien AnsfUhnin^ man
rnherein gespnnrf sspiii darf. Der
ser steht ofitiibar selbst unter
Eindruck, wenn er im Vorwort
Gerhardt ^den enirsten und
sten Lutherkänipfer des 17. .Tahr-
ts" nennt und ilunii sact: „Eh
icht an Stimmen fehlen, die dann
ünwahrhafteR erblicken! Ihr
:kt die Ciräbf r 'l^r Propheti n. die
s Zeitgenossen, gesteinigt hättet!"
nnn ein abfiülure« Ürteil ttber
Gerhardt prwnrtpf. knmint tiiVht
ine Rechnung. Kanu auch Froi.
e nach seiner Theolo^rie und
'n.-stcllnntr dem grossen Lieder-
r nicht allseitig »rereeht werden
ielleicht i^erade Mir die tiefste
anc an ihm kein volles V'er-
is Lubcü, 80 betätigt er doch in
Schrift grossartijfe Objektivität
mcht Paul Gerhardt aus den
snsanschauungen seiner Zeit und
Juug lieraiH ir-Ttdit z\i Wi-rlen.
es Gabe, in kurzen markanten
ein ansprechendes Zeitbild tn
un<l zu ülxTmaleu. tritt aucli Iii» r
; Erscheinung. Paul Gerhardts
«?an^ in der Konfliktszeit ist
kt in iVie narritfllnn;: der dog-
hen und kirchlichfu Kämpfe jener
rerflochten; diese selbst fesselnd
Idert und mit feinen Schlaglichtem
Zt. In der Wiedergabe der kon-
ttllen Streitigkeiten ist eine starke
nähme für die Reformierten nicht
•kennen. Wohltuend berührt es,
lil ik'ii t^eistlichen Verwl( klu!i''^eu
einmal etwas rein Menschliches
m Leben Pknl Oerhardts zn hSren.
erfasS'-r erziihlt in Kap. 3 bei der
mg des Dichters nach Lübben:
Lttbbener stiessen sich an seinem
i^en einer anständigeren Pfarr-
ing, fanden seine Familie zu gross,
hnten, er wollte sich wÄhrend der
•it seiner Gemeinde entzieb«Mi und
rde im Widerspruch zur Lübbener
»recbtigkeit trräides Bier einführen
und ausschänkeu/ — Charakteristisch
ist. dass Wemle das Kapitel, in dem
er von Paul (icrhardt.s Lifdem handelt,
Überschreibt : „Gerhardt als lutherischer
Dichter vnd Offenbarer." Ebenso«
dass ihm Versf vom Wa.s«or, das durch
das göttliche Wort Wuudürkraftempting,
oder von der Kraft des Blutes, das
Lebenssaft und göttliche Liebe ins TT>'rz
bringt, Anklänge „an die alleiälteäte
Zauberreligion'' sind. Abschlies-seud
rirt' ilt Wt-rnlc: „Eine geschichtliche
Betrachtung', die Paul Gerhardt im
Rahmen seiner Zeit zu verstehen sncht,
wird ihn als den voUendesten Typus
lutherischer Theologie und Frömmigkeit
'le> 17. Jahrhunderts erfasj^icn niüss<'n.
der, in unsre Zeit versetzt, etwa in
einer separierten altlntherisehen Ge»
mcindc PrcU'-' i> i;: ri riutz bekäme.""
FUr lebendigem i hiisteutuni gewiss kein
schlechter Platz. „Die Gerhard tsche
Dichtung ist das klas<;i»;f lu« Werk des
Luthertums, in dem khir und bündig
zum Vorsrhein kommt, was dieses fOr
die Welt bedeutet. Sie ist aber ganz
gewiss mehr als da«: in ihren
scliliclitfisten liedern gflnirt sie dem
Christentum, mehr noch der Menschheit
schlechthin au als ein Ausdruck dessen,
was die frohsten, aber aiuli für im
Leid erprobtesten Menschen mit ihrem
Gott erlebt haben, verttftndlich für Jedes
•ndere Menseheohem.*' —
Heranow JMei»]iMn,Panl Gerhardt.
Leipziir, Sächsischer Volksschriftai''
Verlag liK)7. 63 S. 50 Pfg.
Ein poetischer Zug geht durch divi
ganae Büchl< m < bucht wie die Ein-
t-ilnng: sein Leben, seine Lieder, und
wann in der Weise der Darstellung.
Die Konfliktszeit ist in aller Kürze
behandelt, für ein Volksbuch, das diese
Schrift sein will und wahrhaft ist.
gewiss nur ein Vorzug. L>arin ergänzen
sich die verschiedenen Paul Gerhardt-
Festschriften in glücklicher Weise, dass
sie i'ine schöne Reibe bemerkenswerter
Au.*).sprUche des Liederdichters und Einzel-
heiten ans seinem Leben mitteilen.
Auch Jost'phson trügt hierzu reichlich
bei. Er gibt z. L. wieder Paul Ger-
hardts Eintrag in das Berliner Ordinii-
tionsbuch vom Jahre 1651, der vv. Plick
auf seinen späteren Bekenntuiükumpf
besondere Benchtang Terdient; Au«
zeichiituigeu seiuer Gattin iu ihrer
Hamblbel, die, wenn aneh ibre EcMheit
zweifelhaft ist, <1(h;1i ein getreue? Spiegel-
bild der edlen t'ran nnd Mntter gehen
und ein Zeugnis sind, wie das fromme
Geschlecht jener Tage in der Schrift
lebte; das Testament an seinen Sohn
im vollständigen Wortlaut. Zu Anfang
des 2. Teils empfiehlt der ^'eI•fa88er,
Paul ÜLihardts Lieder selbst zu lesen
nud nennt einige Ausgaben derselben.
Dieser Teil bietet femer bedeutsame
Urteile neuerer Theologen, JCnimmacber,
S'l»itt.i u. a. über Paul Gerhardts Lieder,
je ein besonderes Uber ibre Masikmeiater
und ihren Segensgang, das sind gnt-
gewählte (ieschic'hteii aus alter nnd
neuer Zeit, die für den bleibendes und
nnlTenellen Wert dieser Lieder beredtes
ZengTii? ahlpgon. Pie Schrift ist in
ihrer Kigeuart recht zu empfehlen.
D. Jalin§ Kaftui) Jesus und
Paulus. Eine frenndscliaftHche
Streitschrift gegen die Reli-
fiousgeschichtlichen Volks-
ticber von D. Bonsset und
D. Wrede. Tübingen 1906. J. C.
B. Hohr (Paul Siebeck). 77. S. 80 Pfg.
Kaftan geht von einer Kritik der
(iruiidaätze uns, mit denen Sdiiele als
Herant^eeber seincrseit die Heligions-
gesehicntUchen VolksbUeber einführte,
und weji'let sich treiron den o. dieser
Gnindsfttze; ,,Da.s Gesetz der Unver-
brüchlichkeit der wissenschaftlichen
Methode, die alle WelT£re>)irte nach
ihrer Besonderheit ordnet unter den
gemeinsamen Regeln der Venrnnft."
l)aliinter stecke, kurz gesagt, die soge-
nannt«: moiieme Weltanschauung. Die
ütini ( ;esetz « rlK-beue Unverbrüchlichkeit
der Methode bedeute hier soviel wie
den Vorsatz : Wir wollen die Geschichte
erkennen nicht wie sie ist oder war,
sondern wie sie sein darf. Dadorcb
werden die Resoltate. zn denen Bonaset
tnnl Wrede in ihren Büchern iiitcr Jesus
und Paulus kommen, g;erade ali ge-
schichtliche, nnrichtig'. Statt der wirk-
lichen zeicen sie uns eine d'esrliicLte,
die den Vorau-ssetzungen des modernen
Bewusstseins augepasst ist. So sucht
Kaftan die Kontroverse auf dem Boden
rein geschichtlieber Betrachtung fest-
xobalten. Er will zeigen, dass diese
ganz andere ftesultate eigibt als die
von Bonsset und Wrede vorgetragenen.
Dabei leitet Kaftan dasselbe Interesse,
ans <leni rlie Volkshiieh(T hervorirriranpen
sind, nämlich das Iutere!<t.t' au der Er-
ziehung der Gemeinde zum ge.Hchieht-
lichcn Verständnis von Bibel und Dogma.
— Bonsset hatte die wichtigste Aufgabe
übemoinini II. die den religionsgesducht-
lichen Volksiinchem cestellt war, ein
feschichtlichts Bild Jesu zu entwerfen,
aftan sagt, er hat das Bild arg ver-
zeichnet. Denn er hat die prophetische
Wirksamkeit Jesu geschildert nnd sein
Charakterbild entworfen <>hn ' iede
Rücksicht anf den Messiasgedankeu.
Was so faeranskcmimt, ist niebt Ge-
schichte. Für Jesu eiiclies Rr^vnsstsein,
auf das es hier allein ankommt, ist
seine Sendung als der Messias Israels,
als der Christ des Herrn die sein inneres
Leben und all sein Tun bedingende
Tatsache gewesen. Und zwar hat er
sich in seiin-n Bewusstsein nicht an den
national-politischen Messiastypus ge-
halten, sondern an den apokalyptischen;
daher seine Selbstbezeichuung als des
Menschen Sohn^. Weiter: Wenn irgend
etwas in diesem Leben geschichtlich
f^tsteht, so ist es dies, dass Jesus von
Anfang bis Ende mit unerschütterlicher
Zuvei>ii ht auf den Messiaserweis durch
den Vater gereclniet hat. Dieser Erweis
ist die Anferweckung des Gekreuzigten.
Gesehiehtlicli i,'eAvI<s ist, dass die Jünger
den Herrn gesehen haben, und dass sie
nach Art dieser Erschdnnngen vtm
seiner Atiferweckung überzeugt waren.
Ebenso gewiss ist, dni^s Jesus hierdurch
der Gegenstand ihres Glaubens und,
wenn man diese Katr'gorie anwenden
will, der biiiter der christlichen Religion
^worden ist. Die urchristliche Predigt
ist von .'Vnfang an die I'redi^t von dem
Gekreu7-igteu und Auferstandenen ge-
wesen, ist es nicht etwa erst durch
Paulus geworden. Eine Jesusreligion,
wie fite die modernen Theologen sich
denken, hat es daher in den Anfruiiren
des Christentums überhaunt nicht ge-
lben, weder Tor dem Tode Jesu noch
m «It r Gemeinde nach seiner Auf-
erweckuug. Hätte es sie gegeben, so
wftre sie Streiks gegen Jesu eignen
?iTiTi ;-'e\vesen. Vui\ Paulus steht in
allerernter Linie unter den Zeugen,
durch die da« Evangelium Jesu als du
Evasgelinm von dem gekreuzigten
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anf erstandenen Christas geiuem
en Sinn sremäss eiae welt-
ichtücli wirksame ilaclit geworden
Oer wirkliche ^Paulos'', den uns
e zeigt, hat i'ljeTi-iuweuia: jerruiit«
.T Oeschiclite exisLicrl wiw der
liehe Jesus", den uns Boasset
ert. Das weiat £LafUu im 2. Ka-
nach. Die eigentliche Lehre des
el Paulus ist ili»- Lehre von «kr
tag uod zwar der Erlösung von
fdt. Dies Heilflwerk, sagt non
e, ..i>t na<:1i Paulus ein durchaus
schlechterdings objelttives Ge*
m. Ei hat mit penOnlichen Er-
igeii nn 1 inneren \ orgängen nichts
u. Wer glaubt, d. h. wer diese
gehoiMuu annimmt, ist erlöst,
'rsprung der Lehre liegt in der
hen Christologie, die dem Apostel
feststand, ehe er Christ wurde.
Iriebuis vor Damaskus überzeugte
ass Jesus — der Gekreuzigte und
«tandcue — der Messias sei. Aus
1 Glanhen zusammen mit den
iken, die Panlns mitbrachte, ist
Lr'are » utnlau<l':u. Sie steht ihiber
jm geschichtlichen Jesus nur in
losen Znsammenhanire. ist dem
•elium Jesu creg-enllbcr «■in Zweites
seues. Paulus ist durch diese
und VerkUudigiin^ der swelte
igeutiif h erfultrieichere Stifter des
tnitums gt; Wurden." Dem gegen-
le weist nun Kaftau, dass die tat-
:hen An^fiiLrungen in den Brii fen
postels iu deutlich wie müglich
•genteil zeigen. ,,\Vi< Paulus von
riösuug redet, erscheint si<^ st. ts
was, was er und die CLrlüLeu
t luiht'U. Es ist nicht eine Lehre,
entwickelt, für die er Glauben
l. Bs ist eine Wirklichkeit, in
lebt, und von iltr li voraussetzt,
ie das fUr alle Christen ist.'' So
nn anch durch Paulus, gerade
ihn und keinen andern, das
eliiun Jesu im Urchristentum
!B nnd eine die Welt umgestaltend«
geworden. Kaftau ?•< liliesst diese
irungeu mit den bedeutsamen
n ab: „Mag man denn heute
md Paulus ausf'inanderreissen, sich
sus berufen und Paulus abstossen
die Geschichte gesehen ist das
ir. In der Geschichte gehören
uunmen als der Herr, au den wir
glauben, nnd der Apostel, dem wir die
hleihi-ndeu Formen die.ses Glauben-? ver-
daukcu. (So ist es iu der Gemeinde
bisher gehalten worden. Ich zweifle
nicht, dass es anch in Zukunft rlabei
bleiben wird. Die moderue Treuuuug
zwischen Jesus und Paulus wird sich
in der weiteren Entwicklung von
Theologie und Kirche als eine Torttber-
gehende Iiruu«,' erweisen." — Dlt Ver-
Sisaer fügt seiner Streitschrift noch ein
drittes Kapitel hinzu: „Jesus, Paulufl
und Johannes." Auch die jolminii-rtiM
Theologie in die Erürlenmg einzube-
siehen, yeranlaast ihn der Umstand,
dass unleugbar bei Paulus Gedanken
vorhanden $tiud, in denen seine Predigt
auch sachlich über das Evangelium
Jesu hinansreicht. Hierin liegen die
AniiaiUspunkte für Wreilts Betrachtung,
überhaupt für die Betrachtung aller
derer, die Jeans nnd Paulus in einen
Gegensatz zueinander stellen. Wir
heben aus diesem Teil der Kontroverse
den Nachweis Kaftans heraus, dass das
vierte Evangelium eine Znsammen-
fassung des EvaniT' liuni-s Jesu nnd der
apostolischen Verkündigung ist. So
schliesst sieh Johannes als dritter in
der Rtihe an Jesus und Panln-* an.
In dieser Üeibe ist uns der geistige
Inhalt des Neuen Testaments gegeben
und damit die massgebenden Anfänge
unsrer Religion. In einem Schluss-
abschuitt endlich stellt der Verfasser
u. a. die Fra?»-: ,,L;isst sieh ntin der
(relative) Geyensatz, um den es sich in
dieser Streitschrift letztlich handelt,
auf einen bestimmten Gedanken zurück-
führen? Ich glaube, dass es der Fall
ist. Die modernen Theologen wollen
den Gedanken von der Erlösung in die
Peripherie schieben, wSbrend er doeb
der Mitt-'lpunkt il!' r lebendigen
SeisUgeu Keligion und vor allem aneh
es Christentums ist. Was wir hraneheii
uml erstreben müssen, ist, dass in
allen Glaubenssätzen dieser Gedanke
als das eigentlich bewegende Element
erkennbar werde."
Was uns Kaftau iu seiner Schrift
bietet, ist keine leichte Speise, aber
wer sich die Mühe nimmt, ihm iu seinen
klaren Gedankengängen zu folgen, wird
reichen Gewinn davon haben. Besondecs
wertvoll erscheint uns der hier von
berufener Seite geführte Nachweis, dass
- 7« -
es ein folgenschwerer Irrtiim ist, wenn
das geschichtliche Vt>t<?tiiudni8 mit der
moderueii WekaHbchauiiug unauflüslicb
Teiqiuckt winL ~
• PraktischeFragen des modernen
Christen tarn 8. Fünf reliirioii.s-
wissenschaltUcbe Vortrtoe von Pfarrer
Lk. Tninb, Pfarrw Jatho, Prof. Dr.
Am iM Mever, Privatdozeut Dr.
Niebergall nnd Pfarrer l). theol.
Förster. Herausgegeben von Prof«
Dr. Heinrich (veffken. Leipsig 1907.
QueUe & Meyer. 126 S.
Die Veranstallnng dieser im HerlNit
1906 in Köln gehaltenen Vortiilge
ergab sich für «Iii- AiiLarijrer des ..in-n-
zeitlicb verstaudeutu Christt-utuius"'
aus dem begreiflichen Wunsche, nicht
immer nur dem alteu dogmatischen
Glanben zn opponieren nna an dem
Altbnirli srincs Lehr^'-eliaudes zu
arbeiten, sondern auch „eine positive
Weltansdiaiinng zn gewinnen'', „die
Glauben niul \Vi<i.<» u zu viTsr/hncn
weiss, die in der Geschichte Jesu das
g^chichtlich gegebene nnd seither un-
erreichte Vorbila men?rhlirher Selbst-
erlOsnng und Gottes2:emeini>eliäft ver-
ehrt". Der Zj'klus begann mit zwei
Vortriitren Uber die Frage, in welchem
Sinne tlie altehrwürdigen Einrichtungen
der Taufe und des Abendmahls aucb
dem Anbänger neuzeitlicher Weltan-
schauung weiterhin als wertvolle Sym-
bole seines religi()st:-ii (iluuhtiis tcclttu
können. Der dritte Vortrag führt« in
ein Problem ein, welebei heute das
V»'r;uit\vi»rTli( bkcitsgefühl unzähliger
Eltern und Pädagogen mit schwerer
Sorg« belastet: ^WieernebenwiriuueTe
JnS'Pnfl zn wahrer FrüTuriii^keit?". wie
schützen wir sie vor dein iunereu Zwie-
spalt, der ihnen durch widerspruchsvolle
Eindrücke in Schule und Haus er»
wäch.st, und wie erzi»*l«'n wir in ihren»
GemUte jene harmouisehe Entwicklung,
die sie später vor allzu gewaltsamen
Erschütterungen ihres Innenlebens be-
wahrt. Ein vierter Vortrag erörtert
diese Frage speziell im Binblick auf
die besondere Not, welche unsem
Kindern aus der herrschenden Konfir-
mationsnraxiB entsteht. Der letxte Vor-
trag befajmt adi mit den Bekenntnis-
.schrifton und legt dar, welchen
tatsächlichen Gegen warts wert der
historii^th nnd natnrwisseuschaftlieb
gebildete Jiilrfrer der Xenzeit dem
Apostfflikum und den übrigen offiziellen,
Bekenntnissen der evangeliseben Kindie
beizumessen in der Lage sei.
Das bind alles sehr wichtige und
brennende Kratzen und sie werden in
den Vorträgen sehr eingebend and
fesselnd bebtndelt. Zwar mnde und
trlatte Antworteu erbiilteri wir nicht.
Dazu ist die moderne Kichtong noch
sa sebr im KlSmngsprosess. Aber et
tritt dl eil allonthatbc-n deutlich 7,u
Tage, ila.Sh wir hier mit einem
modernen Rationalismus zn tun haben,
der mit den Grundwahrheiten des
( hristentnms gründlich aufräumt nnd
den Glaubeuj«inhalt vOUig umwertet.
Es wird alizuw.Hrten sein. (>h die
praktische Durcbfülirun-,' dieser Ge-
danken das religiöse Bedürfnis dauernd
befriedigen kann, oder die Befürchtung
sieb bestätigt, dass ein so TdlHges
Aus>( lit iden von Glaub^'iisrealitäten aus
der Wortverkttndigung eine ähnliche
Verarmung des geistlieben und Ureb-
ü.lien Lebens zeitigen muss wie Mir
Zdt des alten Hatiuualismus.
Die höbe Bedeutung der Torliegen»
d<-n Frac»^n prfordeit es. arit; ihrer Be-
handlung nnd Beantwortung in den
einzelnen Vortrigen nodi etwas la
geben.
L Was halten wir von der Taufe?
Ton Pfarrer Lic. O. Tranb-Hortmnnd.
„Irgend eine 8pe?:i M Fii: tzung der
Taufe durch Jesus ibi um nirgends
glaubwürdig berichtet.* „Ein reli-
<,n*'"Her 'JrundcredAnke steckt in der
Kiadci tuufc" ; „Dd*» ganze Leben des
Menschen vom ersten .Atemzuge an
«steht unter Gottes Gnade . und ehe
wir überhaupt etwas gedacht haben,
kam Gott der Herr in seiner Güte uns
entgegen und sagte : du bist mein lieber
Sohn, meine liebe Tochter." Das
Wassergic'^sen in der Taufe weeke die
Sebnsncht nach üerzensreinbeit. Bei
KonTertitentanfen komme einem manch*
mal die Erapfinduntr: „wllrdo es hier
nicht auch ein Uandschla|^ tun ? Wäre
es vielleicht nicht minnheher nnd wBie
es nicht höher?"
U. Welche Bodentaug hat f&r no«
das Abendmahl ? von Pwrer Karl Jatbo-
Koln. ..Die biblischen Abendmuhls-
berichte, besonders der panlinische, sind
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— 79 -
ahUtoriüch zu bAseichnen." ^Et
bnen aber eine gesunde geschiebt-
Brumeran^ zngrnnde.'* ^An den
I Tatsaeh«!!, das8 Jesus sich wedw
iu übermenschlirbe« Wt'HOti ge-
i, noch »einem Tod als ein stell-
tendee Söhnopfer anfgefasst hat.
ern alle Versuche, das AbendmAhi
ne sakramentale Stiftung zn er-
II ' .. r)as Abendmahl .Ii'su ist ein
irmahi des Frupheteu mit saiuor
!rg«mMiide treweMU in der Bf>
lüg d< - Koches Guttes.'' „Je
r aber Jet>u einstige Haudlung iu
'er^angenheit xttekte, desto niher
s8, ihr eine heson l ri \\n<\ cinrÄ»-
i Bedeutung beizuiues^en. und die^
ler Weg, auf welchem sich mit
eiufacner Handlung allmiiblich
<omplizierten theologischen Ideen
Suhnung und Versöhnung, dce
•todes nnd der reale» Christus-
.'ilung verbiüdeu; oder kRrzer ge-
: auf diesem Wege wurde aus dem
idmahl ein Sakrament.'' .Wer der
.dmahlsfeier nicht bedarf snr ehr-
n Befrieilitruntr eines religiösen Re-
liases, der bleibe ihr fern. £in
terwertige« Glied der Oemeinde
er dadnndi Tiirht.** ..Wir haben
Abendmahl so aufzttfaii.sen und seine
r eo sn gestalten, wie es den Vor*
etzungen unseres religiösen Denkens
sittlichen Empfindens entspricht."
n Begehen einer solchen Feier
i*fte die lit\iri,''i>< he F<»nn i1e<
idmahls in vielen Stücken einer
cning/ ^Religiöses und ästhe-
les Empfinden mtUsten sich bei der
Gestaltung einer solchen Feier die
d reichen wie etwa in der poetischen
irbeitong der üinsetzungiiworte in
lard WagBcrt PtusifaL"
in. Wie ertiehen wir nnsre Kinder
wahren Frömmigkeit? von Prof.
Arnold Mejfer-Zlirich. In diesem
trtg wirkt wohltuend das Hervor-
m ynn mancherlei Berilhmnirs-
kieii zwischen altem und neuem
aben auf praktischem Gebiete. Be-
lenswert und «harakteristi.'-cli sind
\. (olgende Sätze. „Do sollst deinen
aen Gott haben und nicht den
.t deiner Mitmenschen neben dir."
tt erste Haupterfordemis , Re-
lon mitzateilen , ist die» , dass
' wlber fromm sind, denn
Religion ist eben keine Ldjire.* ^Wir
haben nicht zr. wenig, sondern su viel
Beiigionsunter rieht!'' „Wirklich
lel>endiges Christentmi bat sieh so
wenig überlebt, dass man nicht fragen
darf: „Sind wir auch L brieten sondern
vielmehr: „Sind wir schon Christen?"
(Paulsen.) „Die Religion des Kindes
besteht darin, dass es zunächst seine
Eltern und seine UausgenoHsen nnd die
U&glieUen firiebnisee des Hauses und
des dgenen Lebens in religiSser Wdse
erfährt. ' ^Freude au Gott zn schaffen
and zu stärken, ist gewiss eine be*
reehtigte Aufgabe der TeligiOsen
ziehnncr, ja das letzte Ziel der religiösen
Erziehung, ja dag letzte Ziel der
BeUgioQ.*' „Es gilt der Jugend aneh
zu reden von dem furchtbaren und
schrecklichen Gott. Allgemach muss
das junge Oeschleeht es ertngen lernen,
ohnf an Gott irre zu werden, dass Gott
die Mens eben oft tief in die Not
hineinführt und wir oft keine SflOsnng^
▼on ihr sehen."
IV. KonfirmationsnSte von Privat-
dozent Dr. Niebergall-Heidelberfi:. ITicr
stört der saloppe Ton nnd die
starken Übertreibungen imd Verall-
gemeinerungen. So zirmlieh all»^ Schuld
au den Kontlrniatiousiiüteu wird dem
Apostolikum aufirebürdet. Interessant
ist die Auslegung dieses Bekenntnisses :
..E"? sribt eine grosse, eeistige, gütige
Macht, der untersteht nie ^n»e Welt,
sie leitet unser Leben zu einem ewigen
Ziele hin. das in unserem Herzen wohnt.
Wir werden an diese yiifiLre Macht vor
allem durch den Gedanken an den einen
Grossen erinnert, dem wir uns alle
miteinander bengen, zu dem wir sagen
müssen: Herr! Ans ihm, aumal aas
•einem Leiden und Sterben. strUmt eine
fii) eindrucksvnlle Gewalt ^-eistiefen
Ltjbenö, das» wir iu seiner Sphäre immer
über uns selbst hinaus wachsen und an
da.s Höchste uinl Beste erinnert werden.
Was von ihm aber ausströmt, bringt
BOTiel Kraft, soviel Leben nnd Steden
in uns hinein, macht un-^ so mfinrhes
klar und hebt uns über die Ziisammeu-
hänge des mechanischen Weltlebens
hinaus in eine andere Sphäre hinein!"
Und „durch dieses Bekenntnis", d. b.
diese Auffassung' des Apostuliknms,
„sollen die Konfirmanden immer die
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— 80 —
Mranne Erklänine: Luthns hiadllMli''
hören"'; das if»t viel verlaTi<;t 1
V. Waa sind nm die kirchlichen
Beltenntiii8«e? von Pfarrer D. Erich
FotTsitor-Friinkfurt a. M. „Freumio der
Bt;kenntnis8e. nicht Kuecbt«" nennt der
Verfasser sich und die Anhänger seiner
Richtmi? Aber wie sein Vortrarr er-
gibt, geht diese Frenndschaft eben nur
Büweit, als man sich mit dem Inhalt
der Bekenntnisse befreunden k uHi. und
damit ist der Willkür Tiir uml Tor
geöffnet. Unhaltbar sind Behauptungen
wie diese: Die Reformatoren hätten die
Sfttse des Apostolikums von Christi
Gottli'it usw.. ilie ihnen neliensiicblich
^weseu wären, ans politischen Gründen
und aus \'er8öhnlichkeit gegen Rom
in ihre Bekenntnisse aofgeuommen.
Auch die dogmengescbichUiche Karri-
katur (!♦ r 3Io(lrnien. Luther und die
Reformatoren als Vorläuier ihrer Rich-
tung in Ansprach tn nehmen, begebet
ans hier des öfteren. „Dass die Zeit
der Bekenutiusvtrpäiehtuog unaufhalt-
sam und unwiderruflich dahin \ai\
läs.s^t -iicli eben ducli nicht so „als ein-
i'ache W'alirheif hiusteileu. Das
Zeugni.s der Uesohichte ist an stark,
dass ohne Bekenntnis und ohne Be-
kenntnisverpflichtung in irgend welcher
Form eine KirchragenMiiWQluft nicht
bestehen kann.
Bochlitz, Naumann.
Eingogaagene Blleher.
(Besprechmig vorbehalten.)
IL BSttoher U. K. Kinzel, Geschichte der deatsehea Lateratw uid Spiache. Halle 1907.
\V i'v- nVi.iu-. IV. i.So M.
Holz, Georg, D- r Sagenkreis der Nibclungc. Leipzig 1907. Quelle & Mcycr, Preis
Rcb. 1.25 M.
DaUn» Prof. Sottirold, Wicdcrholungsfragen aas der deutschen Literatur mit angefugten
Antworten, l.— 3. Teil. 2. Aull. Dessau. C. Dünnhaupt. Pr, geb. 1,20 M.,
^: 1 V.
Behimhei, Otto, Die deutsche Spntche. 4. Aul). Leipxig 1907. O. FreyUg. Prds
geb. 4 M.
Uldo, Ernst, Die Muttersprsdic im Ekmentairnntericht. 2. Aufl. Leipzig 1907.
Küokbardt.
BarfmtM, Or. A., Anleitmig tum Auftatzbilden. Leipzig 1907. Quelle ft Meyer.
Pr. geh. 3 40 M.
Krause, Paul, Der irclt- Aufsatz in den Lntcrkl^scn. Leipzig 1907. Wunderlich,
P. I M.
tUbtf Dr. C. U. Soblimbacb, 6., n. r deutsche Sprachunterricht im ^r<ilen Schuljahre
nach seiner geschichtlichcü Lntwicklung, theoretischen iiegründung und prak-
tischen Gestaltung. 10. AuH. Gotha 1907. Thicneman:i. I'r. geb. 4 M.
Funk, Dr. G., Heispicle zur Satzlehre. 3. verb. u. vcrm. Aufl. Ebenda. Pr. 0,90 M.
HofTmann. Karl. DcuUche Sprachlehre. Ein methodischer I^itfaden filr Mittelschule»
u:id ll^Jht:re Lehranstalten. 4. Auri. Glessen 1907, Roth. Pr. geb. 1,30 M.
MayeT) Johanneai Deutsches Sprachbuch. Ausg. B. 4. lieft, a. Aud. Haoaorcr 1907.
Meyer. Fr. i M,
Ders., Lehr* und Übungsbuch für den Unterricht in der deutschen RechtSChrethu^.
Ausg. b. I. Heft. i. Aut). Ebenda. Pr. 30 Pf.
LahMMR, Dr. 0., n. Dor«DW«li, iL, Deutsches Sprach« und Übungsbuch für höhere
Schulen, .\usgabc B. Urft r — 4. rhcno.T Pr. je 0,50 M.
Wilke, Edwin, Sprachhefte für Mittelschulen und verwandte Lehranstalten. 3. Aud.
Halle 1907. Schroedel. Heft I— 3. Pr. 15 Pf., 30 Pf., 35 Pf.
DMCT, A., U. Hesse, E., Methodisch geordnete ni:sch!iftsß:inp;r für dm Huchhaltungs-
untcrricht. Heft 2. Uankbucbhandlang. Leipzig 1907. i eubner. Pr. 40 Pf.
Btfitch. Karl, Diktatstoffe fttr Unter« und Hittelstufi^. BerUn. Gerdes & HMel.
Pr. 60 Pf.
Conund, Die lautremc Kechiächrcibuug. Dresden. Pierson. Pr. 1.50 ^L
DfUflk TOD A, Ittels A Soba ia Vrambwi a. B.
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A. Abiiandiongeik
Zur Psychologie des Kinderspielt.
Von LatibiHI Sohratnnmyr.')
Die Weihnachtszeit kommt wieder heran. Wenn der Nikolaus
Buben keinen Wagen besorgen kann und dem Mädchen keine
)enküche, so bringts das Christkindl. Und die Alten werden
er jiin^, und der Junge, der das ganze Jahr über nur als der
fcl im Hause fungiert hat, der ist heute seine paar „Marki'n"
;er wert. Das ist gcwissermassen ein oiKzieller Akt der höheren
dereinschätzung unserer Jugend, ein Vorgang der Weltverjüngung,
rein menschliche Sinn des Weihnachtsfestes.
Und was hat nicht die Weihnachtszeit Spielzeug in die Welt
acht. Man könnte die grössten Warenhäuser von oben bis
n damit vollpfropfen. Alles aber wandert so nach und nach
US an die Millionen. Und die Dinge aus Holz und Blech machen
Lebensprosess mit, leben und sterben. Dann und wann bleibt
den langen Jahrhunderten ein Stück für die Landcsmiiseen übri^j.
Pu|)penhaiis der Prinzessin X. eine Krie^'saiisrüstung des
zen Y und ähnliciies. Die besten Spielzeuge aber, die einem
de gedient haben, verirren sich kaum in ein fremdes Jahrhundert
nn — sie sind verbraucht, ebenso wie man sein eigenes Leben
)raucht. Die besten Spielzeuge machen den Lebensprozess
ithaft mit und gehen daran zu«Trunde. Sie haben Wochen,
late und Jahre, wo üuien die höclisten Werte zugedacht werden —
b wenn kein kaufinännischer Wert sie deckt — und dann sinken
urplötzlich zu einem Nichts zusammen. Sie haben sich im
ilichen Geiste überlebt — weil das Kind sich jeweils selber
») Nach einem Vortrag, gchallcn am 7. Dezember 1907 im Bczirks-Lehrcr- Verein
chcn (Sektion für allgemeine Pädagogik).
Der Verüwer dieser Abhandlung, der 2. Vorstueoder de« MUnchocr Bezirks«
erveremi w, ist gestorben.
<. 6
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— 82 —
überlebt Was das Kind früher geliebt hat, dessen langt es sich
sol: *! in einen i 1 c timmten Alter zu schämen an. Es wendet sich
ab. Das ist der l'rozcss. Das SttiHium aber, das der Spickchatii
vorausgeht, begreift lange Jahre eines reichen, psycholo-^asch eigen-
artigen Lebens in sich. VVir bezeichnen die intensivsten Momente
dieses Kinderlebens als Kinderspiel.
Ich möchte versuchen, diese Momente psychologisch zu fassen.
Es ist dabei wohl die von allen neueren Psychologen geteilte
Ansicht vorauszuschicken, dass die Seele des Kindes mit der Seele
des Erwachsenen niciu streng vergleiclibar ist. Die Kindesseelc ist
wie der Leib im Hauptstadium der Entwicklung und Entfallung,
sie ist im Wachstum begriffen. Dabei ist zu bedenken, dass die
Wachstumsprozesse, die man sich ganz organisch vorstellen kann,
in der Hauplsaclic da< Hcwiisstseinsleben erfüllen, und dass zunächst
alles psychische I.cbcii andere Rnergieverhältnissc au 1 weist als im
späteren Leben. Der Gesanilbau der Seele kann im jeweiligen
Lebensalter mit einem Baume verglichen werden. Ein junger Baum
weist andere Proportionen und Kraftverhältnisse auf als ein alter.
So auch hat die Kindesseele der ausgereiften gegenüber ganz andere
Prü])ortioneii und 1 .ehcnsabsichten, Sic will /unächst auch nicht
nach aussen hin zweckmässig wirken, sondern vor allem wachsen
— und zwar nicht wachsen durch medizinische und pädagogische
Eintrichterung, sondern aus eigener Kraft, von innen heraus, wachsen
und werden an der eigenen Produktion.
Wenn wir uns deswegen von der Psychologie her mit dem
Kinde beschäftigen, so müssen wir von dem Erbübel abkommen,
die psycliischcn Ersciieinungen analog denen der Ewachsenen zu
nehmen und immer mit dem Massstab des Erwachsenen zu messen.
Der Massstab des Erwachsenen passt auch bei der grössten Ver*
kleinerung nie aufs Kind, weil sich, je weiter wir zur Geburt des
Individuums zurückschreiten, die Proportionen und Warhstums:^\vccke
mehr und mehr vcrscliieben. Die Weise, das Kmd proportional
dem Erwachsenen zu behandeln, so wie man Landkarten im ver-
kleinerten Massstab zeichnet, ist absolut falsch. Soweit sind wir heute.
Ich habe mir deswegen auch nicht zum Ziele gesetzt, Ihnen
eine Ps) rhologie des Spieles im allgemeinen vorzutragen, weil unter
dieser Bezeichnung au( Ii die Spiele des Erwachsenen mit hinein-
bezogen werden müssten.
Das Kind steht sclion durch seine Tcörperliche Grösse in einem
ganz anderen Vcriiäknis zur Umwelt als der Erwachsene. Die Enge
des Horizontes, die generelle Einfachheit des begrifflichen Denkens,
der Mangel an Reflexion, Selbstbestimmung, Willensstärke, Übung
und Geschicklichkeit, der Manc:el an Erfahrung und geschichtlichem
Denken, die .Abhängigkeit vom Wachstum und von der Wucht
bestimmter EinzclvorstcUungen, all das macht es unmogiich, vom
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erspiele und \on dem der Erwachsenen in psychologisch
hlnutcndcr Weise /.u sprechen.
Weil die Seele des Erwachsenen eben andere organische Vcr-
issc hat, als die des Kindes, so entartet das Spiel des lir-
isenen teSs unter Begleiterscheinungen des Stump&inns wie
ich beim KegelMhicbcn, teils der Spekulation wie beim Hazard-
teils des Sportes wie beim I.awn-Temiis, teils der abstraktesten
tandcstätit^kcit wie beim Schach, oder es eriiebt sich zur Höhe
Cunst, die sich gleichfalls nicht in eine dem Kinderspiel analoge
leinungr auflösen lässt Man wird sagen dürfen, dass Spiel und
t des Erwachsenen entwicklungsgeschichtlich mit dem Kinder-
ziisammenhängen; mehr aber haben sie miteinander nicht zu
Sie erheben sich weit über das Kinderspiel, oder sie sind
rs geartet.
\hce auch nicht alles, was das Kind spielt, ßl\t unter den
ff des Kinderspieles, an das man um Weihnachten herum
t, das in der Hauptsache mit Spielzeug gespielt wird oder doch
tr Tlh!sion und Darstellung In irgend einer Form in sich
ift, und das durch seine Xatur so sehr zur reizenden psychischen
leinung wird, dass es uns oft das Kind verklärt und auf einer
-en geistigen Stufe stehend erscheinen lässt, höher als es in
rat zutrifft.
Nir wollen uns nh i'ädagogcn gerade den Blick für dieses
•rspiel offen halten und bewahren.
Carl Groos (vgl. „Die Spiele des Menschen") liat den Ikgriflf
Spieles über seine landläufige Fassung hinaus erweitert Er
licht bloss die Spiele der Erwachsenen gemeinsam mit den
^'-spielen behandelt, sondern auch schon das Str;un})cln der
iristen mit Hand» ri »mkI Füssen, sowie alles i'iappern und
nein /.um Spiele gezuiilt, also alles, was man nur physiologische
Ilgen und — biologisch gedacht — Vorübungen für Gang,
und Sprache heissen könnte. Soweit Groos den biologischen
htspunkt nllcin hervorkehrt, kann ihm nicht 'A idcr^tritt':'n v.'crdon.
: vielmehr unstreitig wahr, da^s d'^r biologische Gedanke alles
legung, Übung, Spiel und Spielerei betrifft, einheitlich begreiten
Nicht ganz so steht es mit dem psychologischen Gesichts«
., von dem aus eben im wesentlichen auf Bewusstseinselemente
icwusstseinsvorgängc zu arliten ist.
'sychologisch gedacht kann nur das als Spiel bezeichnet v. erden,
nit Bcwusstseinsvorgängen verbunden ist^ eigentliches Kinder-
ist nur Spiel innerhalb der Bewusstseinsvorgänge und zwar
jpicl des Vorstcllungslebens mit irgend welchen Sinnes-
ichmungen. Beispiele dieser psychischen Erscheinungen sind Ihnen
hl genug in allen Arten gegenwärtig: das Kind zieht im Sand
r\rt Viereck um sich^ das ist sein Haus, und da muss es aus-
eingehen; oder es steckt einen Stecken zwischen die Beine
6*
— 84 —
und gefallt steh als Reitersmannn; oder es stellt die Stuhle im
Zimmer zusammen, schiebt die game Reihe und fahrt auf diese
Weise Eisenbahn. Oder die Kinder spielen Papa und Mama. Der
Papa ist Schreiner, Der Tisch ersetzt ihm die Hobelbank, der
Bürstenrücken den Hobel, das Lineal die Säge — obwohl es absolut
nichts absägt, sondern nur wie eine Sage hin- und herfunktioniert
Das Mädchen als Mama ist eine Bügelfrau und hat es wichtig.
Das Taschentuch ist die irro5sse Wäsche, die zusammen^epresstc
Faust das Bügeleisen. Noch ein anderer Knabe stellt so clwa'^ wie
Stäbchen in eine Alice und sagt : Das sind Apfelbaume. Dana lallt
ihm der Sturmwind ein, und da bläst er unter die Bäume, und der
Wind reisst seine Bäume um.
Psycfiolo^isch kn:in dieses Kinderspiel von den reinen Bewej^ungs-
spielca und Sumesspiclca — wie da Laufen und Hüpfen, Schiessen,
Knallen, Klopfen usw. es sind — losgelöst betrachtet werden. Es
wäre demnach das Kinderspiel in meinem Sinne jeweils jener
intensive psychische Moment de> Kin l rlebens, der uns als ein
phantastisches I>eben in einer ScheinwirkHchkeit crsclieint, der aber
bei grossem Gefühlsreichtum und kräftiii^en X'orstcllungsbewegungen
verläuft, indes die Sinne — bei vollständiger Befriedigung —
praktisch unzulänglichen realen Mitteln oder Verhältnissen zu-
gewandt sind.
Und die Psychol()i,'ie des Kinderspieles wäre nichts als eine
Analyse dieser I,ebenstuonicnte unter Berücksichtigung des \'ür-
stellungslebens, der Gefühls- und Willenscrscheinungcn, wobei noch
eines über Ausdrucksbewegungen und Begleiterscheinungen des
Spieles zur Vervolbtändigung der Gesamterscheinung angeführt
werden könnte.
Sehen wir aber zunächst von allem Ausseren, Sichtbaren, von
allem Liebreiz der Bewegungen, von allen ästhetisch wirksamen oder
unwirksamen Spielzeugen ab und versuchen wir bloss in dem
Augenblick eines tiefen Spielzustandes in das Innere der Kindesseele
zu dringen. Was ist da? Mit kurzen Worten: Da ist Leben. Da
treffen wir ebenso eine Werkstätte der Natur an und scliauen
organisches Hilden und Wachsen, wie weim wir mit oftenem Auge
durch die Wälder und Fluren irgend einer Landschaft wandern.
In engem Rahmen sehen wir eine ganze Welt von Gestalten, einen
reichen Wechsel lebensfrischer Bilder. In ungestörtem Sommerfrieden
lebt H'csf' Welt sicli selber und will nichts als sich selber leben.
Jeder Kenn wetteifert, der Blüte t^leicii zu werden. Und das reiche
Leben umsehliesst ein weiter llinnnel von Gefühlen. Und bei allem
Leben kein sichtbarer Kampf, kein Ringen, kein Schmerz.
Was im spielenden Kinde lebt, das ist nicht ein Zweck, eine
Absicht, das ist zunächst nur die Vorstellunc^, die leben will um
ihrer selbst willen — und dann das Gefühl, der Gesamtgenuss dieses
Lebens.
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wird die l'sychologie des Kinderspieles ein besonderer
hnitt aus der Kinderps\-chologie , und insofern sie sich mit
wertvollen, häufig wiederkehrenden Situation im gesamten
ellungs- und Gefiilüsleben des Kindes beschäftigt, wird sie ein
kteristisches Bruchstück der Kinderpsychologie.
ist das Kntscheidende in der Psychologie des Kindcr-
s, dass hier die Vorstellung lebt und herrscht. Selbst das
1 tritt gegen dieses Leben, wenn auch nicht an Intensität, so
an Reichtum und stetiger Entfaltung zurück. Mehr als sonst-
1 einer psychischen Verfassung gilt im Kinderspiele, dass nicht
die gesamte Psyche ein Kraft- und Energiezentrum ist, sondern
jede apperzipicrte und selbständig gewordene Vorstellung in
»eele zur Kraft- und Lcbensäusserung will und kommt. Im
le hat ja jede Vorstellung immer Lebensbedürfnis und einen
ichen Lebenswillen. Die Vorstellung will leben, wie das Ich
und sie strebt unaufhöiiich nach Bewegung und Umgebung,
piele reisst sie nur eine gewisse Herrschaft des sedischen
IS an sich. Das Kind wird von der Vorstellung beherrscht.
Voher die Vorstellung dieses Stück Urkraft hat, das ist eine
fnr sich, die eine Metaph3rsik fiber das Leben erklären mag.
genügt es, diese Kraft wirksam zu sehen, za sehen, dass das
<lurch den Lrht-'iswillen einer Vorstellung einem bestiniintt^n
ntsprechcnden i eile der Aussenwelt gegenüber — etwa einem
n Sand oder einem Stück Papier oder einem Holzblock gcgcn-
in ein neuartiges Lebensveihahnis gerückt wird, in eine
bche Potenz, die sich auswirken wÜl und sich auszuwirken weiss.
)ieses Sic'i-.Xuswirken der Vorstellungen maclit da*^ Kinderspiel
ner inneren oder seelischen Aktion. Alles ist Im Zustande
.ktivität. Und diese Aktivität ist so mächtig, dass sie nicht
das Kind, sondern auch die Aussenwelt zum TeUe nutbeherrscht
Aktivität der Vorstellung ist Herr in allen Formen. Daher
las Kind in der Vorstellung.
Jnd die erste Form der Herrschaft und der Aktion äussert sich
icr Wirkung auf die Außenwelt und auf die Sinneswahr'
ungen, und zwar als Belebung an sich toter, leerer Andrücke
un'-cheinbarer Objekte. Die lebendige Vorstellung fiihlt sich
ndlichen Geiste nicht wirklich und wirksam genug. Sie will
:ein und sagt daher zu einem an sich unzulänglichen — aber
r blossen Form und Funktion doch verwandten Objekte der
nwelt: „Set du das. was ich bin! Und, du bist est Ich
» in dir!" Und um sich wirklich zu machen, vergräbt und
ppt sich so die Vorstellung in ein Schema, das der Aussen-
angehört. Da wird durch diese .'Xktion aus der Hand ein
eisen, aus dem Lineal die Säge, aus dem Bürstenrücken ein
l usw. Alle realen Anforderungen, die das Lineal oder der
tnrücken als solche an das Sionesleben und an das
— 86 —
Bewusstsein stellen, werden überhört; sie kommen nicht auf, sie
treten in ihrer sachlichen Existenz zu Gunsten der Vorstellung
zurück und werden zur Puppe der im Bewusstsein eben lebendigen
Vorstellung.
Ein Merkmal dieser Puppen, oft ein ganz nebensachliches, tritt
in den Vordergrund und wird wichtig genug, Vorstellung und
Sinnescindruck gleichwertig im Bewusstsein zu machen. Wetin
das Scheinobjekt nur zur Darstellung einer Giundfunktioti des
gewollten Objektes dienlich ist, dann ist das Kind schon ausser
aller Verlegenheit
Das IGnd sieht ohnedies alle Sachen elementar. Wo wir zehn
Eindrücke von einem Gegenstände ins Bewusstsein geschleudert
bekommen, wirkt beim Kinde ein Merkmal, oder zwei, allem voran
und betont den Gegenstand nacii dem realen V'orzugsmerkmale.
Darum hat es die Vorstellung leicht, i^u'c Madit zu äussern. Das
Kind findet überall Puppen genug für seine Vorstellungen.
Natürlich ist hier das Wort Puppe im vvcitc-ten Sinne zu
nehmen. Der .\tein ist I'ui)pe für den Wind, die .Schachtel Puppe
für einen Wagen und der Stecken Puppe für ein Pferd. Und bei
der eigentlichen Puppe der Mädchen deckt sich mein Begriff mit
der landläufigen Bezeichnung. Der Puppe werden die Qualitäten
der Vorstellung unterschoben. Oder: Die Vorstellung tritt beim
Spiel innerlich auf — und äusserlich — aber äusserlich verpuppt
Die Sinne des Kindes halten an der Puppe und suchen immer
aussen — aber die Vorstellung, die geml% ihrer Kraft die Situation
beherrscht, wechselt die Eindrücke /u ihren Gunsten vor dem
Bewusstsein in einer selbstgesuchten Täuschimc^ um. So wollen
die Sinne einen Holzblock auf einem Karren schieben — die Vor
Stellung aber setzt sich als Zauberprinz darauf und lässt sich in
einer Kutsche fohren.
Während so die Sinne im Spiele immer einem realen Objekte
zugewandt sind, ist der Geist mit einer Vorstellung beschäftigt, oder
besser gesagt, von einer Vorstellunf:r absorbiert. Die mächtige
Aktion der Vorstellung bewirkt es so, dass wir im Kinderspiele
eine direkte psychische Zwiespältigkeit erfahren, die unbehinderte
Zwiespältigkeit nämlich zwischen Sinnesempfindung und Vor*
stellungsverlaui Diese Zidespältigkeit ist immer mit der Ver>
puppung gegeben, und sie macht in erster Linie unser Spiel zum
Kindersj)iel.
Und wenn wir die eingangs erwähnten Dinge aus Holz und
Blech ins Auge fassen, so wollen «e der Zwiespältigkeit dienen.
Es sind lauter beabsichtigte Puppen, die auf das kindliche Vor-
stellun;^sleben abzielen. An ihnen hält sich die Vorstellung aufrecht,
sie tragen die Vorstellung oder in leicliter Berührung gleitet sie
über das Gerüste der sinnlichen Eindrücke hinweg. All die mannig-
faltigen Puppen sind brauchbar, wenn sie einer lebenski^igen und
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isrcicticii Vorstellung zur genügenden sinnlichen (jrundlage
m können. Im anderen Fall taugen sie nichts.
Die Verpuppung, bezw. die Veischiebung oder Unterschiebung,
,tattfindet, ist gerade beim Kinderspiele eine äusserst feinsinnige
bringt alle Khrc über die \'crstandes- und Gcmütsanlagc des
.es. Wie hübsch, fast poetisch ist es, dass der Jun«]^e, der eine
; aus Holzstabchen aufstellt, plötzlich seinem Atem die Funktion
Sturmmndes überträgt, ja eigentlich den Atem vollständig
nwind werden lasst Schon für die innere \'crknüpfung des
liehen Vorstellungsmaterials ist es charakteristisch, dass dem
en dort, wo er funktionell den Sturmwind braucht, der Jilasbalg
:r Backen einfällt. Alles ist in seinem Kopfe schon organisch
edert. Die gemeinschaftlichen Merkmale zweier Dinge werden
lammem, die die Vorstellungen zusammenhalten und vor allem
Spiel zwischen Vorstellung und Sinnlichkeit ermöglichen, den
i^^losen Zusammentritt einer inneren und einer äusseren Welt,
Soweit das Spie! den Charakter der Verpuppung hat, wiederholt
ch beim Erwachseaeii unter ähnhchen Zügen in der Poesie und
dann ästhetisch empfunden. Es ist der Fall, wenn der Dichter
einem Gesänge das Murmeln des Wassers eine geheimnisvolle
che nennt oder wenn in seiner Pliantasie die ..eilenden Wolken
er der Lüfte" werden. Das ist ein \'erpuppen höherer Art, eine
iell ästhetisciic Verpuppuiig, insuferne sie nämlich vorwiegend
:tisch wirkt
Auch hier werden dem Geniessenden durch Eigenschaften
ndiger Dini^^c die Funktionen toter Objekte belebt und Ijeseclt.
l',ine ästhetische Verpuji] im^,^ ist allerdings die der Kinder
: immer. Wenn wir das Kmderspiel ganz würdigen, kann es
1 mit gewisser Beschrankung poetisch genannt werden oder es
i um der Verpuppung willen als die Poesie der Jugend in der
atur figurieren, aber ein ausschhcssÜch ästhetisches Phänomen
s nicht, so zwar, dass es immer schon eine Poesie für sich ist,
Kinderspiel eine Poesie im ästhetischen Sinne zu nennen.
Die Poesie begnügt sich übrigens auch mit einer vorgesteltteo
3uppung, indes das Spiel eine immerhin real gestaltete Welt,
1 Schauplatz und tatsächliche, nicht bloss gedachte Handlungen
mgt und das Kind selbst, in die Lage versetzt sein will, diese
dlungen zu vollführen. Das Kind steht körperUch und selbst-
lelnd in einem Weltmittelpunkt Das Kind ist in dieser Wdt
1 kausaler Grrund und Gesetzgeber realer Verhältnisse, und
entsprechend werden wir auch seine Gefühle finden.
Ein besonderer Fall ist, dass beim Spiel die Vorstellungen
t bloss Puppen um das Kind herum schaffen, sondern dass sie
elber zur Puppe umschaiTen und es das Kind so in sich erlebt,
'er des Vorstellungsgehaltes und Träger des Scheines zu gleicher
zu sein* Oft kommt es bis zur voQigen Identifizierung beider.
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— 88 —
Im tiefsten Spiele ist das Kind nicht mehr Kind, sondern Vater,
Lehrer, Soldat, König, Robinson, und seine unscheinbarsten Fähig-
keiten werden zu elementaren Gewalten.
Bisweilen endlich kommt es vor, dass das Kind ein Spiel ohne
Puppe spielt — und zwar ein Spiel in unserem Sinne, mit Gestaltung,
Handlung und Illusion. Da werden ausschliesslich Bewegungen,
Worte und Gebärden y.u den Trägern der Vorstellunc^en. Der Fall
ist indes selten. Ich konnte ihn in auffälliger Form nur an meiner
2*/,jährigren Nichte beobachten. Da erinnere ich mich, dass es nur
nötig war, zu ihr zu sagen: „Mädi, spiel einmal, hab das Kindlcin
lieb! Hol's!" Da verfiel sie sofort in den Zustan ! der Illusion,
lief an die Türe, tnt als ol) sie ein kleines Kind hert-mlassen würde,
iuiirtc es bei der Hand an den Tisch, setzte es aufs Sofa, sprach
mit ihm, streichelte es, lachte, gab ihm Kosenamen, tat als ob sich
das Kind angestossen hätte, beschwichtigte es, nahm es in den Arm,
als ob es leibhaftit; da wäre, und führte es wieder 7i!r Tvire hinriii';.
Und sie bt-nutzte zu all dem nicht den Schein einer l'uppe. Ihre
Worte und ihre Fantomimik genügten ihr. Mein Bruder versicherte
mir, dass sein Mädchen sehr oft auf diese Weise und in mann^-
facher Variation spiele.
Die Aktion der Vcrpuppun<T erscheint in ihrem vollen UmfancfC
in der Belebung und Organisieruni^^ chicr unzulänglichen sinnlichen
Grrundlage als der Anfang einer anderen im späteren Leben sehr
bedeutsamen psychischen Aktton, der Kinftihlung, insofern sAt das
Ich wirksam und passend in die gegebenen Verhältnisse der Aussen'
weit stellt. Das entfaltete Ich erfüllt die Welt mit Sinn und trägt
sich in die Welt hinein. Jeden Vorgang, jeden Menschen, jede
Absicht, jeden Zweck verstehen wir nur durch uns, durch die Anlage
unserer eigenen Psyche ~- unserer eigenen Person — über die wir
nicht hinauskönnen, auf die jeder Ausgang und jede Handlung wieder
aurückgeht.
Im Spiele erw^eist das Kind seine Fähifi^keit zur Einfühlnnjr, es
fühlt sich nicht bloss in andere Personen und Spielkameraden ein,
sondern in hundert- und tausenderlei Verhältnisse. Man möchte die
Natur beglückwünschen, dass sie so frühzeitig die wichtigsten Lebens-
funktionen vorzeitig in Erscheinung drangt, gewandt macht und fiiis
spätere T.eben festic;t.
N'atürlicli ist beim Kinde die Einfühlung seiner ganzen Ent-
wicklung entsprechend einseitig und nach den Lebensforderungen
direkt unzulänglich; aber an Intensität ist sie wohl der Einfühlung
des Erwachsenen überlegen. Der Erwachsene ist bei aller Einfühlung
in <V:c Erscheinungen des Daseins zurückhaltender, er hat sich mehr
kennen gelernt durch sich selbst. Kr weiss, dass er das Mass der Din<^e
ist, und dass mit Verschiebung der Dinge die Gedanken nicht zugleich
mitverschoben werden, und umgekehrt. Die Welt steht ihm mehr
objektiv gegenüber. Das ist beim Kinde anders. Bei ihm ist die
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Tianchmal Subjekt. Die (Icwalt der \'orslcIluii>^en schiebt das
bisweilen förmlich in die Aussenwelt hinein. Und das Kind
irch diese Macht nicht begreifen, dass die Aussenwelt anders
)11 als die Gedanken. Der Zustand gilt vor allem beim Spiele,
ird aus der Einfühlung leicht ein völliges Verbundensein mit
jsseren Gegenständen des Spieles zur Schöpfung einer Welt
h, damit eine vorübergehende Einheit bestehe zwischen dem
und dem Aussen. Das Spiel erscheint in Form der Ver-
ig als selbsttätiger Ausgleich der beiden Mächte: Vorstellung
nnlichkeit zur Erhaltung und zum Wachstum der ersten.
berblicken wir nun die Aktivität des gesamten Vorstellungs-
im Spiele ohne Rücksicht darauf, ob und wie sich jede
llung zur Verpuppung und zur herrschenden Stellung im Be-
:ln durchringt! I)a fallt neben einem relativ grossen Reich-
n Vorstellungen die allgemeine BewegUchkeit auf. Die Vör-
den leben und bewegen sich wirklich. Und das ist etwas
rtiges, insofern wir das in der Schule bei den Kindern so
e gar nicht, oder doch meist nur mangelhaft antreffen,
ir wissen ja, wie ganze Klassen oft dasitzen, als wäre ein
iber die Bcwusstseinslage der Ju^^end gelegt, der nichts rinnen
:)rudelii lassen will. Das geistige Band ist wie in tausend
gebrochen, und die Vorstellungen kommen abgerissen und
zum Ausdruck. Freilich, die Mutter sagt uns dann und
;chon: „Wissen S' Herr Lehrer iaheim kann der Bub alles."
in er spielt! Da hat die Mutter nicht ganz unrecht,
er da spielende Kinder belauscht und ihren Vorstellungs-
1 verfolgt, der erlebt jedesmal, wie da so natürlich Bild um
^oxt um Wort, Vorstelhini^ lun Vorstdlung sich drängt und
Das ganze Bewusstsein ist in Bcwcf^un^ aufgelöst und eins
dere gebunden. I^angc Assoziationsketten bilden sich oline
Bruch. Das Seelisch- Line weckt das andere, bevor es nur
u Ende gedacht ist, ganz perzipiert zu sein scheint Wie
an eine Schnur gefasst, folgt das Verwandte dem Verwandten,
he dem Nahen.
weit wir die Vorstellungen jede für sich betrachten, liegt am
v'ohl auch immer ein Sprung vom Hundertsten ins Tausendste
>er die frappierendsten Wendungen stören kaum die Einheit
uizen. Und eben das eine muss bei allem Wechsel zu-
len werden: die Kinder bleiben gegen ihre Gewohnheit und
ihr Naturell — wenn sie wirklich vertieft spielen — lange
er Idee, bei einem I hema, wie man sich ausdrücken könnte,
ir wissen ja, wie hart es bei einem Kinde sonst mit der
itration hält. Das voUständige Abirren nach einer Viertd>
— 90 —
stunde ist beim sieben- und achtjährigen Kinde noch i<eine Selten-
heit. Im Spiele aber ist die Natur wie verleugnet. Ohne Unter-
brechung und ohne wesentliche geistige und körperliche Ermüdung
sehen wir Kinder ganze Nachmittage lang sich in einem Milieu
beweisen, mit ein und denselben Gegenstanden oft in dutzendfacher
Wiederholuni,'^ dasselbe 5;pielen, und das Wissen, die Geduld, die
Lust und die Kraft «^eht ihnen nicht aus. M
Ohne Besinnen, ohne Zwang, ohne sonderlichen Kraftaufwand
stellen sich alle Vorstellungen und Vorstellungsverbindungen ein.
Die Möglichkeiten in neue Vorstellungsketten hinüberzugleiten ver*
doppeln sich und verdreifachen sich bei jeder neuen Wahrnehmung
und bei jeder p^elegentiichen Ausserunir. Alle Vorstellunnren sind
gc Wissermassen an die Schwelle des Hewusstseins herangerückt. Die
geringste Erregung genügt, sie deutlich und offenbar zu machen.
Wir sehen, dass alles, was zum Bewusstseinszutritt bei ihnen fähig
ist, zugleich auch rege, lebendig, disponibel ist. Im Spielzustande
drängen die Vorstellungen mehr als sonst zur X'erbindim;:^ mit nndrrn
Vorstellun;:^en. In Hast und Eile kommen sie einander entgegen,
folgen sie einander nach, erinnert die eine an die andere. Man
könnte sagen, es bestehe ein Wetteifer unter den Vorstellungen,
sich gegenseitig zu unterhalten.
Es ist nicht etwa ein wirres Chaos von geistigen Inhalten, was
sich da ineinander fügt: Es ist ein orj^anisches Wachstum. Und
das W'achslinn ist die weitere Aktivität der Vorstellungen. Was
in Erscheinung tritt, das ist ebenso naturgeniäss, wie es ir'lianzen
und andere Organismen sind, so sehr, dass die Biologie ein neues
Arbeitsfeld vor sich sehen könnte. Die Vorstellung hat im Kinde
eben nicht bloss den Han<^, ins Bewusstscin zu treten, sondern vor
allem das Bedürfnis, sich organisch in Gesamt^^^ebilde, in Vorstellungs-
organismen einzugliedern, sich an einem (jcsamtwachstum in der
Seele zn beteiligen.
Die Vorstellung ist wohl durch irgend ein Erlebnb in das
Bewusstsein gekommen. Was will aber ein rein sinnlich gewonnenes
Erlebnis bedeuten, wenn es nicht innerlich nachgelebt wird. Ein
äusseres Erlebnis wird in der Kinderseelc erst fruchtbar, wenn es
innerlich wieder durchlebt wird. Und die Vorstellung hat, natur-
gemäss gerade beim Kinde, nur dann die Lust, ins Bewusstsein zu
treten, wenn dadurch ein inneres Erleben zustande kommen kann.
Das Kind will erleben. Das innere Zusammenleben und Zusammen-
crlcben von X'orstellungcn äussert sich in pssxhischcr I^'orm und
ist eben das organische Wachstum der Elemente zu Gestaltungen
und Gesamtgebilden und zeigt sich im Kinderspiel als dessen Inhalt
oder Verlauf. Jedes Kinderspiel ist daher notwendig ein inneres
>) Du Interesse ist geduldig, ansdaaerad. D. R.
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leben, tiicht bloss eine Vorstellung» sondern ein gestaltenreicher
bensvorgang.
Das jeweils organische Wachstum bringt es aber mit sich, dass
finiclKstücke von Erinnerungsbildern nie wieder genau in der
nn reproduziert werden, in der sie in die Seele aufgenommen
rdcn sind. Und in dem gleichen Sinn erfolgt die Angliedcrung
• einen Vorstellung an die andere niclu unbedingt nach dem
dauf der Wirklichkeit, sondern nach einem inneren Bedürfnis,
f diese Weise wird .im Spiele die Reproduktion fast immer zur
anischen oder freien Produktion, d. h. sie erfolgt als AusAuss
erer Regelungen und umgeht aus Lebensbedürfnis und innerer
)ensabsicht jede sklavische Nachahmuno;^. Dass die Seele mit
1 vorhandenen psychischen Material so ihre eigenen Formen
äfft oder ihre eigenen Wege geht, das heissen viele Phantasie.
Phantasie ist ein etwas schadhaft gewordener Begriff. Auf der
;n Seite tritt das Wort sehr gern als leere Phrase auf; auf der
cm Seite wird der Begriff sehr eingeschränkt. Mit der phrasen-
en Anwendung: wollen wir uns gar nicht auseinandersetzen. Die
ise Einschränkung tmdet sich vielfach in psychologischen Lehr-
hem. Dazu wollen wir einiges bemerken.
Phantasie bedeutet in psychologischen Lehrbüchern vielfach
änderte Reproduktion der Vorstellungen". Gemeint ist damit,
Vorstellung^ sei eine Einiieit, msofern sie gedacht wird. Gedacht
l sie also immer als Einheit. Aber sie ist bei verschiedener
roduktion nicht immer die gleiche Einheit, insofern sie nämlich
tils ein kompliziertes Gefüge aus psychologischen Elementen
teilt, die sich ihrerseits bruchstiJckwi loslösen oder ergänzen
so einen Klementarprozess in jeder einzelnen Vorstellung her-
afen. Durch den Elemcntarprozess, der sich im ganzen
hischen Leben findet, wird die Vorstellung dem ursprünglichen
ruck imtreu.
Und damit gilt die Phantasie vielfach für einen blossen Verfall
i^'orstellungen. Nun, teilweise ist das auch so. Aber wenn die
crung der phantastischen Kräfte nur ein Verfall der V^or-
mgen wäre, so hätten wir in der Phantasie den grössten Feind
tierischer Massnahmen zu suchen. Glücklicherweise hat der
entare Verfall der Kindrücke und Vorstcllunqfen nur vereinzelt
nmc P'olgen. Im grossen und ganzen ist er nötig, so wie alle
e dem Tode zu müssen, damit sie wiedergeboren werden
en. Dieser Tod macht eist das möglich, was wir woflen:
wahre Phantasie, das Wachstum des psychischen Inhaltes in
r jeweiligen Lebensmöglichkeit, in seiner Weite und Begrenzung.
3er Verfall der Vorstellungen ist ein passiver Vorgang des
alebens, und nur ein seelisch krankhafter Mensch hat darunter
;r zu leiden. Beim gesunden Menschen und hauptsächlich
Kinde, das an natürlichen Triebkräften reich ist, folgt auf den
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passiven Vorgang tin aktiver, ein gewaltsam aufsteigender Prozess,
der aus Elementen und Fragmenten in neuer Synthese neue Gebilde
erzeugt, nicht aber etwa aus Hang am Abenteuerlichen und Roman-
tischen, sondern aus Lebensbedürfnis. Und dieser Trieb schafft
vielleicht über die Erscheinungsformen des realen Lebens hinaus»
schafft aber den allem Leben zugrunde liegenden Gesetzen im
normalen Zustande nicht entgegen.')
Das Spiel des Kindes ist zum grossen Teil identisch mit diesem
aufsteigenden seelischen Prozesse. Es ist ein inneres Aufraffen und
Bilden, und seine Gestaltungen sind nicht wertvoll, weil sie so hübsch
phantastisch sind und uns bisweilen im ästhetischen Sinne gefallen,
sondern weil die Pliantasie eine naturf^emässe Folge innerer Kraft-
regung ist und das innere Wachstum die reiche Möglichkeit zur
geistigen Synthese verrät. Und Synthese ist in allem geistigen
Leben nötig. Die Sjmthese ist die wahre Produktion.
Die Synthese des Kindes hat allerdings etwas Sprunghaftem
Unbeirrt von dem Bewusstsein, dass die Lebensformen in der
Realität ihre notwendige Grösse aber auch ihre notwendige Be-
schränkung besitzen müssen, macht sie das Kleine gross und das
Grosse klein. Das Kind reimt Dinge zusanmien, die in der Tat
nie bestehen würden und nie bestehen könnten. Wie die Vor«
Stellungen kommen, werden sie verbunden. Sie fügen sich ihrer
eigenen primitiven organischen Ordnung, die allem Naturalismu> in
der Darstellung fern ist und nur eine Art konstruktiven Charakters
verrät. Eine sachliche Kritik mischt sich selten in die freie
Gestaltung. Nur bei Stadtkindern kommt vielfach früh eine
naturalistische Kontrolle und diese wird vor allem durch den
Anblick und die lienui/ung der zahlreichen, hypermodernen tech«
nischen Kunstspiel zeuge erweckt.
Zur wichtigsten psychischen Aktion wird also das Vorsteüungs»
leben im Spiele dadurch, dass ein organisches Zusammenführen
oder Zusammengehen der kindlichen Vorstellungen möglich wird,
das ohne Spie! vielfach ausgeschlossen wäre. Das Spiel ist für das
Kind eine Notwendigkeit, ein nahezu unumgänzUches iMittcl zur
psychischen Selbsterhaltung, zum psychfechen Wachstum und zum
Zusammenschluss des gesamten Geisteslebens im Kindesalter.
Ohne Spiel haben wir beim Kinde ein geistiges Leben in ab-
gerissenen Bruchstücken. Seine geistige Existenz ist allen Zufällig-
keiten des Lebens preisgegeben. Und so müsstc das Kind ohne
das Spiel ein endlos zerfahrenes, geistig unmö^ches Wesen werden.
Die Eindrücke der Aussenwelt würden seine Einheit zerreissen und
die neuen Eindrücke die alten töten, ehe sie noch ganz zum Leben
erwacht wären. Setzt das Spiel ein, so sammelt und belebt und
») Vgl. Schill iug, Über Begriff und Bedcatung der Phantasie : P&d. Mudicn iyo6,
Hefte, S. 377fr.
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— 93 —
das Kind die Eindrücke durch die Kraft des Lebens, und sie
liert oder organisiert die Vorstellungen zu psychischen Ver-
und Einheiten, indem es durch seine eigene innere £inheit
;h die Kinheit der äusseren Vorgänge schafft
as so beim Kinderspiele scheinbar zufällig Herauskommt, ist
;weadiger Zusammenschluss von seelischen Bruchstücken und
it den vollen Namen der Produktion. Als Produktion ist das
lie höchste psychische I">schcinun;^ seines Alters, und jedes
-)rodu7ierl, wenn iiim freier Spielraum gewährt wird, seinem
seiner Kraft und seiner Keife gemäss. Daher wechseln auch
iele mit dem jeweiligen Alter nach Inhalt, nach Gegenstand
.ch sachlicher Vollendung. Mit zunehmendem Alter bewältigt
nd die Aussenwelt mehr und mehr und der Junge, dem
die Tischplatte und der Stubenboden als Grundl.if^e seiner
stischen VVeit ausreichte, der trägt später sein Spielbedürfnis
:ie hinaus; die ganze Stadt mit ihren Strassen, das Gelände
ISS und Weiher und vor allem der Wald wird das Gefilde
seligen Träume. Die Zinnsoldaten werden ausgewechselt gegen
Itrige Genossen , die Verschanzung aus Schnee oder aus
)ündeln zwischen den Waidbäumen zieht er der kleinen an-
en Holzburg vor, die ihm vor Jahren das Christkind gebracht
dehr und mehr merkt man, dass das Vorstellungsleben sich
nt und einesteils sein Gebiet in der Aussenwelt erweitert,
teils den inneren Anschluss an neue Gefühls- und Willens-
ite, an erwachte iriebe und Instinkte nicht verpasst iiat.
Schlnn folgt.
II.
Der Bagritf Bildung und die Schule.')
Voa a tMhum, Rektor, Wandsbek.
ie geläufig ist doch einem jeden das Wort „Bildung ", und
ufig wird es gebraucht Ebenso ist aber auch Tatsache, dass
dung, die man allerseits verlangt, selbst noch ein Gegenstand
inungsverschiedenheit genannt werden muss und bald in dieser,
Benutzte Werke. Hauber, Artikel „Bildung" in Schmids Encyklopädic.
Gotha, F. A. Perthes. — Fr. Paulsen, Artikel ,,Hililun^'' in Rrins Ericykt.
b. Bd. t. UwgCQSsUza 1895, H. Beyer & Söhne. — Lazarus, Das Leben
s. Bd. t. Berlin 1885, Dammler. — Wnndt, Grandxflge der pliysiol. Psyeho-
Jd. 2. Lcipnß 1893 und (f.. Fn^i liuann. Willriiann. Didu'ktik uls P.üiiun^j^Ichre. •
tweig 1895, Viewcg & Sobo. — llerbarts pädagogische Schriften. Herattsg.
— 94 —
bald in Jener Weise gefasst, gefordert oder auch zur Schau getragen
wird. So nennt man häufig denjenigen einen Mann von tiefer
Bildung, von dem man weiss, dass er umfassende Kenntnisse, also
hohe Gelehrsamkeit besitzt, auch wenn man ihn sonst nicht weiter
kennt. Wer nicht mit der Hand arbeitet, dagegen Gewandtheit und
Ungeniertheit im Umgange zeigt, sich richtig zu benehmen und an-
zuziehen weiss, kurz die sogenannte „Weltbildung" oder „gesell-
schaftliche Rüdunf^" besitzt, zählt vielfach nur sich und scines[^lcMchen
zu den Gebildeten; alle Mensciien, die nicht dieselbe Sicherheit in
gesellschaftlicher Beziehung zeigen, bezeichnet er als Leute ohne
jede Bildung, mögen dieselben auch an wahrer Bildung hoch über
ihm stehen. Oft wird die Ansicht ausgesprochen, dass nur der
erfolp^rciche Be>^urh einer ,,höherii Schule", wenigstens bis Unter-
sekunda, Bildung' übermittle. Andrerseits ^^'chort das Prädikat
gebildet, dein Sprachgebrauchc nach, allen „besitzenden Klassen ',
während die besitzlosen, arbeitenden Schichten ohne weiteres un-
gebildet sind. Ausdrücke wie: formale, materiale, nationale, in-
tellektuelle, ethisehe. äsllietische. rcliijiöse l'ildun^, Schulb!lduni,%
Volksbildung, Berufs- und Stainiesbildunef u. a. m. lielc rn gleiehraÜs
den Beweis des häufigen (lebrauchs und der verschiedensten An-
wendung, welche der Begriff erleidet. Der häufige Gebrauch ist eben
die Ursache davon, dass der Bcgrifl' so viclsinnig und vieldeutig
geworden ist; er hat ihn nach soviel verschiedenen Richtungen
hin auseinander gezogen, dass man die Behauptung aussprechen
dürfte, „die ganze Ansicht des Menschen von Leben und Welt, von
Himmel und Erde, von Zeit und Ewigkeit drehe sich um das
Wörtchen Bildung". Ja, Roth glaubt ein Recht zu der Versicherung
zu haben: „Sage mir, was du Bildung ncnn'-t. so werde ich dir sagen,
was du denkst, glaubst, liebst, wer du bist." Um der V'ieldeutigkeit
willen, welche der Begriff im Sprachgebrauche zeigt, nennt Hauber
ihn „einen Rocken, aus dessen krausem Werg die Fäden (ur manches
Hirngespinst gezogen werden, ein Nest, darin verstiegene Ein-
bildung ihre Wind- und politische Berechnung ihre Kuckuckscier
zu legen suchen". Es ist gewiss, dass mit dem W'orte Bildung eine
von O. Willmann. Hamburg 1S75, Voss. — Dr. Emil iichettig, Der BcgnÜ* der
Bildung ub.w. Leipzig; 18S5. Heinrich Mauhcs. — K. Thiemano, Das Wesen der
w.ihr< n Bildunj;. Wittenberg 1893, Wunsclimann. — Rieh. v. Schubcrt-Soldern.
CtKT den Begriff der aligt-mcincn Bildung, l^ipzig 1896, H. iiaake. — Ddnhardt,
Kleine Schriften. Bromberu 1S55. — Dr. Th. Carl Ludwig Roth, Kleine Schriften
pädapopischtn und biopraphischcn Inhalts. 2. H>1. S"iii?{j.',i r iS;7. J. F. Steinkopf.
— lir. Ludwig Uoderlein, Rcdca und Aufsätze. Krlangcn 1S43, Fcrd. Eoke. — Prot.
Dr. Gustav Zenker, Über das Wesen der Bildung. Jena 1859, Cröker. — Gebr. Grimm,
I Hutschcs W iirtcrbiich. — Sanders, Wörterbuch I : deutschen Sjiraclie. Leipzig 1905.
Wigand. — Weißuad, Dr, Fr. l,uwig Karl, Deutsches Wortcihuch. üicäseu I&73,
I. Kicker. — RIatr, Neahochd. Grammatik, Karlsruhe, 1899/1900, Uuig. — Vihniir,
Dr. F A. C. .\nf n;:>ßrBndc der neuhochd. Graismatik. 4. Aaflagr. Marbnrg und
Lcijjiit; 1S55, Llwert.
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üle von Idealen verknüpft ist; ebenso gewiss haftet dem Begriife
er auch viel Fremdes an. An den Lehrer, dessen Beruf doch die
gcndbildung^ ist. muss die Forderung gestellt werden, dass er sirh
dieser Frage Klarheit verschaffe. Treten wir darum im folgenden
m Begriffe Bildung näher.
Grimms Wörterbuch (uhrt einen mehrfachen Gebrauch des
Rede stehenden Wortes an : imago, forma, cultus animi, formatio.
der ältesten Zeit ist Bildun»:^ nur in der Bedeutung von f^ild,
dnis, Gestalt, Form angewendet worden, so z. B. von Notker \ on
Gallen, der es nachweisslich zuerst gebraucht hat (Weigand,
i. 0.). Dieser Gebrauch zeigt sich uns überall, so oft bildunc,
lui^ in der Literatur des Mittelalters auftritt. Erhalten hat er
I bis in die neuere Zeit. So sagt Lessing: „Ich glaube zwar
it, dass es etwas Unerlaubtes für ein Frauenzimmer ist, sich zu
niücken, aber doch habe ich noch nie lür gut befunden, meiner
lung auf diese Art zu Hilfe zu kommen^'; Kant spricht: „Die
imelskörper sind runde Massen, also von der einfachsten Bildung,
ein Körper haben kann", und in Goethes Hermann \um\ Dorctlicn
et sich die Stelle; So bewet^tc vor Hermann die liebliche
ung des Mädchens b»aniL sich vorbei!" — Daneben tritt aber
»n seit der Zeit des Humanismus eine mehr verinnerltchende
endung auf, wenn auch anfangs die vorher genannte die Ober-
I behielt. Die ritterliche hineschheit des Mittelalters, welche
• eine gewisse Bildung kaum gerlacht werden kann, wurde etwas
;r durch das französische courtoiaic bezeichnet. Als dieses aber
- auf das rein Ausserliche angewendet wurde, trat an seine
?. unser Wort Bildung. Der Hei^riff erhielt also neben seinem
•üni^Iichen Inhalte den einer Verfassun;:;-. einer Gestaltun^f der
iiiinier mehr trat der neue Gebraui^ii in den N'ordergrund,
die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderls machte daraus einen
amcntalbegriff der Pädagogik und brauchte ihn einmal von der
ideten Geistesverfassung, sodann aber auch von der Arbeit
^cstaltens der Seele. Herder und Pestalozzi sind wohl die
i, welche den Begriff, auf die Pädagogik bezo]::en. in ihren
ten zur Anwendung bringen, und bei beiden hndet sich auch
ervorgehobene doppelte Gebrauch.
Vic Vilmar nachweist, hatte das Suffix „ung ' ursprünglich die
itung eines Zustandes (a. a. O. 3. Teil, S. 32). Heute aber „sind
MTiinina auf — ung nomina actionis und können eine vorübcr-
dc oder dauernde Handlung bezeichnen" (Blatz, a. a. O. Bd. i,
}. Die Substantiva auf — ung bezeichnen also ein Werden,
teile nur die Wörter HeOi^ng und Heiligkeit einander gegen*
Das letzte Wort bezeichnet den vollendeten Zustand, das
r das Werden, das Wachstum in diesen Zustand hinein. Die
le der Gegenwart besitzt das Wort Bildung in doppelter
Lung, entsprechend dem im vorhergehenden nachgewiesenen
- 96 -
doppelten Gebrauche: Bildung wird im aktiven und passiven Saonc
gebraucht. Es dient einerseits zur Bezeichnung des Prozesses oder
der Tätigkeit des Bildens; andrerseits versteht man darunter das
Resultat, welches durch die bildende Tätigkeit im Objekte hervor-
gebracht wird. Wenn man beispielsweise sagt: „Der Mensch zeichnet
sich durch hohe Bildung aus", so denkt man die Bildung als
Resultat eines Prozesses und daher als Qualität eines Menschen,
durch die er sich von jedem Ungebildeten auf das bestimmteste
unterscheidet. Sagt man aber von einem Erzieher, dass er die
Bildung eines Knaben übernommen habe, so mcml man mit Bildung
den Prozess, dessen Frucht etwa das vorher genannte Resultat ist
Dem hier GesaL^ten entsprechend, müssen wir zu einer doppelten
Definition des Begriffes Bildung gelangen.
Versuchen wir , bevor wir zur Menschenbildung übergehen,
den Begriff der Bildung in seiner liöchsten Allgemeinheit so kurz
als mögUch klar zu stellen. V^oraussctzung aller Bildung ist ein
Stoff, an oder in welchem sie vor sich geht Derselbe kann ein
unorganischer, starr und tot erscheinender oder ein organischer
sein. Der Künstler bildet den MarmorMrv-k die Pflanze bildet sich:
im Ki bildet sich der junge Vogel; der Erzieher bildet den Knaben
oder Jütigling. — Eine nächste Bedingung ist ein Bildner oder ein
bildendes Prinzip. In der Pflanze und im animalischen Organismus
äussert sich ein sich seiner selbst unbewusster Bildungstrieb.
Gehemmt oder crefördcrt durch äussere ungünstige, beziehunt^^sweise
günstit^c Kinwirkunj^en entwickeln sicli die Organismen durch eine
in ihnen wohnende Kraft. Von dieser aus dem Innern hervor-
gehenden Bildung müssen wir diejenige wohl unterscheiden, welche
at>sichtlich oder unabsichtlich mit einem Gegenstande vorgenommen
wird, Ist dieser Gegenstand ein roher Stoff, Marmorbiock oder
Holz, so verhält er sich rein passiv, während dieses bei der Bildung
des Menschen, wie wir später sehen werden, niemals der Kall sein
kann. — Dem Stotfe wird etwas an- oder eingebildet, nämlich die ■
dem Künstler vorschwebende Idee. Diese ist die dritte Voraus-
setzung der Bildung. Fassen wir Bildung als Prozess auf, so kommen
wir also zu dem Ergebnis: Bilduni,^ ist Gestaltunj::^ oder Formc^ebung
irgend eines Stoffes durch einen Bildner oder durch ein Prinzip
nach irgend einer Idee. Andrerseits müssen wir Bildung bezeichnen
als das Resultat dieser Arbeit, somit als die durch den Künstler
oder durch das Prinzip vollendete Idealgestalt, welche aus dem
Stoffe hervorgegangen ist
Gehen wir nun zur Menschenhildung über, so müssen wir uns
im Hinblick auf die Schule zuerst darüber klar sein, dass Berufs-
und Standcsbildung hier nicht Gegenstand der Erörterung sein
können. Jeder Beruf stellt besondere Forderungen an die Bildung
des Menschen, und die Berufsbildung dokumentiert sich demgemäss
als Beherrschung und Kultivierung eines bestimmten Faches. Wir
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»inmen zif dem Resultat, dass das Daheimsein in den Fundamenten
id verschiedenen Teilen eines bestimmten Faches wohl Fach-
nntnis ergibt; für die Beurteilung der Bildung^ eines Menschen
rin diese aber nicht massgebend sein. Gesellt sich 7U ihr noch
s Heimisclisein in den Ausläufern des betrefienden Faches, welche
len Kern konzentrisch umlagern, nicht aber direkt dem Fache
gehören, so kennzeichnet diese Verfassung des Menschen den
:)ildeten Fachmann. Indessen ist es denkbar, dass wir uns in die
yc versetzt finden, einem solchen Menschen dennoch das Prädikat
es gebildeten Mannes verweigern zu müssen. Was man von
em Gebildeten verlangt, ist die sogenannte allgemeine Bildung,
lohe zugleich die Fähigkeit gibt, über „die Grenzen des eigenen
-ufs in fremde Gebiete hinüberzuschauenp und die Willlj^^keit, aus
1 selbst heraus- und in andere einzugehen". — Desgleichen müssen
hier von dem Hcgritfe der Volksbildung- absehen. Denn es
n ein Volk im Gegensatz zu einem andern gebildet genannt
den, es kann ihm also in der Bildung voraus sein; dennoch ist
möglich, den Einzelnen aus diesem Volke ohne Bildung zu
ken. Also die allc^cmeine Bildung des einzelnen Menschen ist
die wir in den Kreis unserer weiteren BetrachtutiL^en ziehen.
ist diejenige Bildung, die allen, welche auf das Prädikat
:>ildet" Anspruch machen können, gemeinsam ist; sie ist dasjenige,
den Gebildeten zum Gebildeten macht.
Was nun diese allgemeine Bildung im Sinne eines Prozesses
?laii£;t, so erinnert sie an die bildende Kunst. Der Stoff, mit
sie es zu tun hat. ist das menschliche Individuum nach Leib
Seele. Dieser Dualismus im Menschen muss berücksichtigt,
er der beiden Teile darf vernachlässigt werden. Das natürliche,
Wesen des Kindes macht es bildungsbedürft^, — Die Stelle
Bildners wird vom Lehrer und F.rzicher eingenommen. Jedoch
-scheidet sich seine Tätii;keit \on der des bildenden Künstlers
bedeutend. Der zu bildende Mensch verhält sich der auf ihn
irkenden Tätigkeit gegenüber nicht lediglich passiv; aus ihm
der Erzieher durchaus nicht machen, was er will. Nein, neben
Lehrer tritt der Zögling als sein eigner Bildner. Bezüglich der
gen und rrmütlichen Entwicklung, von welcher der Begriff
ng eine gewisse Stufe voraussetzt, besteht die Arbeit des
hers zunächst darin, die verschiedenen Bildungselemente dar-
ten. Aufgabe des in Bildung Begriflfenen ist die Aneignung,
ung und Assimilierung derselben, welche Tätigkeit ihm natürlidi
dem Bildner durch seine Hilfe erleichtert werden kann. Nur
id.ition setzt die 7ur Krnährung aufgenommenen Stoffe in
ii und Blut um, und nur Umsatz der Bildungselemente kann
:ig verschaffen. Daher ist diese nicht als Ausstattung zu
:n. Ausserdem vollzieht sie sich nicht allein durch gcniessendes
:hmen, ist keine Anhäufung. Es gehört vielmehr sowohl Ab*
- 9« -
Weisung als Aneignung des Stoffes, ebenso Selbstbeschrankung wie
Ausdehnung dazu, Demgemäss können wir Bildung nvir als Aus-
gestaltung bezeichnen. — Falsch wäre es, wenn man die Bildung
nur nach dem Reichtum des Wissens und nacli der Mannigfaltigkeit
des Könnens beurteilen wollte. Alle in dem Menschen liegenden
Keime sind zu gestalten. Deshalb bezeichnet die Pädagogik die
organische oder haimonische Ausbildung des Menschen als den
Weg, auf welchem mnn in den Besitz der Bilduni^ «gelangt Kein
Teil darf auf Kosten eines andern besonders kultiviert werden. So
wie dem Körper die nötige Pflege zu teil werden muss, so versteht
es sich für die Seele, dass mit dem Geiste und Gemüte auch der
Wille gebildet werden muss. Die sittliche Seite der Menschennatur
ist ein ebenso wesentliches Merkmal der Bildung als die intellektuelle
und ästhetische. Ja, das sittliche Moment ist für alle Bildungsfragen
das entscheidende, wie wir das bereits aus dem Umstände erkennen
können, dass der Sprachgebrauch zwar den Erwachsenen, niemals
aber Kindern Bildung zuschreibt Wirklich gebildet ist deshalb nur
ein Mensch von sittlichem Charakter, jemand, dessen Inneres feste
und klare sittliche Gesichtszüge aufweist. Ist der Mensch eine
sittliche Persönlichkeit geworden, so wird er sich als ein tätiges
Mitglied der Gesellschaft beweisen und ist befähigt, das von ihm
Errungfene dem Granzen dienstbar zu machen. Doch kann man die
sittliclie Wertschätzung nicht lediglicl^ \ om Wirken ins Grosse und
Weite abhängig machen ; es [^'ehört dazu ebenso notwendig
Treue in der Pflichterfüllung auch im kleinsten. Auch hei diesem
Punkte, bei der Sittlichkeit, sehen wir, dass wir Bildung durchaus
nicht als Ausstattung bezeichnen können, dass sie vielmehr Aus>
gestaltung ist Ohne eigne sittliche Arbeit an sich ist diese Aufgabe
nicht zu lösen. Gewiss bilden Erzieher, Lehrer, Verhältnisse und
Schicksale den Menschen; aber sie sind doch dabei nur mehr oder
minder Gehilfen. Bildun;^^ ist nicht lediglich das Erzeugnis fremder
Arbeit am Menschen. Der Meister, der den rohen Stoff der Natur-
anlage zur Kunstgestalt formt ist jeder Mensch för seine eigne
Person; er hat sein Werk im eignen Innern. — Sehen wir genauer
zu, so finden wir auch hier, dass ein blosses Formen des Stoffes
noch keine Ausgestaltung ergibt. Gebieterisch \ erlangt die Menschen-
natur vor dem Gestalten und neben ihm heriautcud ein .Ausscheiden
von Stoff. „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust", sagt Alt«
meistcr Goethe, und die Bibel redet im Römerbriefe gleichfalls vom
Widerstreit des Guten und Bösea Plato stellt denselben Gedanken
unter dem Bilde eines Zwiegespannes urserer Seele dar. Daran
denkend, kommen wir zu dem Schlüsse, dass Menschcnbildung die
Uberwindung der Gegensätze erfordert, eine Kritik des unreinen
Herzens. Im gewissen Sinne muss die menschliche Seele umgebildet
werden, und diese Arbeit vollzieht sich durch Bekämpfung, Be-
schränkung und Oberwindung des in ihr wohnenden Niedrigen und
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)sen. Dieser Kampf geht dem Gestalten voraus, begleitet dasselbe
er auch. Wir stehen auch hier völlig auf dem Hoden der
dagogik Herbarts. Nach Herbart erzeugt die Tat den Willen
s der Begierde (All^. Päd., 3. Buch, 4. Kapitel, V.). Begehren
d Wollen einrs Menschen ist sehr mannisijfach. Die verschiedenen
1 /chvüllun*^cn. wie sie aus dein mannigfachen Begehren stammen,
int Mcrbart den objektiven Charakter. Weil sie so mannigfacl\
d, sich so oft widersprechen, so kommt es oft zwischen Innen
n Kampf. Jedes Wollen sucht sich in diesem Kampfe zu
naupten, und (lemje:iii.;cn, das durch grössere Stärke und Klarheit
i Ubergewicht erhält, muss sich alles übri;:^c fii«^en. So ist es
on schwer, den objektiven i eil des Charakters in Übereinstimmung
sich selbst zu bringen. Geschehen aber muss das; es gehört
1 Wesen der Bildung, nicht Charakterlosigkeit zur Folge zu haben,
u'akterlos nennt man einen iMenschen, wenn seine Handlungen
nals übereinstimmend sind, wenn Temperament, Neigung,
vohnheit usw. sie stets entscheidend beeinflussen, also die aller-
ersprechcnd.sten Handlungen zutage treten. Bildung muss
rerseits auch das böse Wollen bekämpfen und unterdrücken,
lit es sich nicht zu hö^cn Grundsätzen herausbilde, die, wenn
zur herrschenden Macht im rremüte werden, den unsittlichen
rakter kennzeichnen. Dagegen nui>s das Wollen, das sicli auf
Gute und Rechte richtet, unterstutzt und gestärkt werden. Auf
nd einzelner gleichartiger Willensakte entstehen dann durch
•erzepUon sittliche Allgemeinwollungen. — Ausser diesem Wider-
t im objektiven Teil des Charakters gibt es noch einen zweiten
ipf, den zwischen objektivem und subjektivem Charakter.
>art sagt: .,Der Mensch beobachtet sich selbst; er möchte sich
cifen, sich gefallen, sich leiten" (.\llg. Päd., 3. Buch, 1. Kapitel, I.).
Wollen, das er bei dieser Selbstbeobachtung bereits vorfindet,
!er objektive Teil des Charakters: es wurde dieses Wollen vorher
I'inzclwolUn f:^cnannt. In und niit der Selbstbeobachtung ent-
abcr ein neues Wollen. Ms resultiert aus den bereits vor-
enen Vorstellungsmassen und aus dem bisher erzielten Allgemein-
;n oder, wenn der Charakter reifer geworden ist, aus den
mnenen Vorsätzen, Maximen, Grundsätzen. Herbart nennt es
subjektiven Charakter (Umriss, 3. .\bschnitt, Kapitel 3, § 143
47). „Das Bemühen, sich aufzufassen, wirkt unmittelbar als ein
ihen, sich zu befestigen; denn das Festere wird dadurch
lern minder Festen noch mehr im Bewusstsein hervorgehoben.
iVf ensch kommt dadurch leicht zu irgend einer Art von Einheit
sich selbst. ... So erheben sich die Her\'orragungcn des
■ctiven zu Gnmdsätzen in dem Subjektiven des Charakters, und
herrschenden Neigunp[en sind nun Ic^^alisiert." i-Mlg. Pädag.,
ch, I. Kap. IL) „Kommt der subjektive Teil des Charakters
eife, so entstehen nacheinander Vorsatze, Maximen, Grundsatze.
— 100 —
Damit hängen Subsumtionen. Schlüsse, Motive zusammen. Diese
Motive gelten zu machen, wird oft Kampf kosten. Die Schwäche
oder Stärke des Charakters wird sich danach bestimmen, ob beide
Teile desselben zusnmmenstimmcn oder nicht. Das Sittliche mus
in beiden l;ci:;eii: sonst ist die Stärke nicht einmal eruüiischt."
(Uniiiss, 3. Abschnitt, Kap. 3, § 147-) iüldung iiat daiiir zu sorgen,
dass ein einheitlicher Gedankenkreis entsteht, nicht mehrere Kreise,
sonst wird das Wollen und Handeln nicht übereinstimmen; der
Menscli ist charakterlos. - - Wird dieses l)ekäinj»fende. bescln änkende,
aussondernde Schaffen versäumt, so entstein keine waiire Bildung.
Man erzielt dann höchstens eine gebrechliche Kunstgeslalt, an der
sich leicht die Versäumius rächt; „denn die Elemente hassen das
Gebild der Menschenhand".
Fassen wir das Gesagte zusammen, so kommen wir mit Hauber
zu der Definition: „Bildung ist Ausgestaltung des Menschen zu einer
in sich liarmonischen I.ebenserscheinuni;."' Sie ^ehi dadurch vor
sich, dass das uatUrhclie West'.u des Mensciicn aus dem an sich
rohen Zustande herausgearbeitet wird, wobei die sündhaften Elemente
ausscheidend bekämpft werden. Bei dieser Tätigkeit muss der zu
Bildende, indem er sich selbst entwickelt und selbst beschränkt,
sich die vorhandenen HildunL^selcmente aneii^ncn, sie sichten und
assimilieren, und das in einem solchen Grade, daiss er imstande ist,
sich im Leben zu orientieren und mit dem Ganzen als Glied in die
Wechselbeziehung des Empfangens und Wirkens zu treten. (Vgl.
Artikel „Bildung" von Hauber in Schmids Encyklopädie.)
Es würde nun noch erübrigen, Bildun|]f als das Abgeschlossene
zu betrachten, und wir müssten es als das Resultat der vorher
gekennzeichneten Ausgestaltung bezeichnen. Hierbei ist jedoch zu
bedenken, dass ein Endresultat nie erreicht wird. Es ergeht uns
da wie einem Menschen, der einen Berg erklimmt: je höher der
Mensch steigt, desto !2frösser wird sein Gesichtskreis, und somit wird
das, was man als festes Resultat anzusehen versucht war, nichts
weiter als eine neue Station auf dem Bildungswege. Bildung ist
also auch als bleibende Qualität nichts Fertiges, nichts endgültig
Abgeschlossenes, sondern ein bestandiges Werden.
Lässt sich aus dem oben Gesagten in keiner Weise verkennen
dass es die Bemüiiung eines jeden sein müsse, wahre Bildunir an-
zustreben, so ergibt sich daraus, dass bereits in der Jugend, als der
Zeit der grossten Büdsamkeit, bei dieser Gestaltung der Hauptteil
der Arbeit geleistet werden muss. Erziehung und Unterricht müssen
also stets dieses Zid vor Augen haben. Sie stellen den Weg dar,
auf welchem der wahren Bildung zugestrebt werden muss; die
Bikluni^ selber ist das Ziel jener beiden, und im Hinblick auf dieses
Ziel müssen beide alle iiirc Veranstaltungen tretilen.
Wenden wir uns zunächst dem Unterricht zu. Damit er zur
Bildung führe, muss von ihm verlangt werden, dass er den ganzen
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ienscheri ^^lciclimässi|^ cri^reife. Will der l'ntrrriclu nicht den
urwurf des Mechanismus erhalten, sondern die Selbsttätigkeit des
j^üngs, die, wie wir gesehen haben, schliesslich doch nur allein
I wahrer Bildung führt, in Anspruch nehmen, so mtiss er bezüglich
» Intellekts an den vorhandenen Bewusstseinsinhalt anknüpfen
id ihn durch natui^emässe und zielbcwusste Leitung zu weiteren
itv. il klunf^en fortfuhren. Das geschieht durch Vcrmchruncr,
larung, Verbindung und Ordiumi^ der Vorstellungen. Vermehrt
rd der Bewusstseinsinhalt täglich ; jede Unterrichtsstunde liefert
was Neues. Das geistige Bild in dem Schüler, der Mikrokosmos,
II femer mit der Aussen weit, dem Makrokosmos, übereinstimmen,
in^m müssen die Vorst eil un{::fcn der \\ irkhchkeit ent<;prcchcn :
; \'orstrllun<^cn müssen richtig sein. Das erfordert einmal auf-
:rksame Beobachtung und bei derselben Anspannung aller Sinne,
drerseits aber auch Richtigstellung desjenigen, was durch die
Inestätigkeit allein nicht so erkannt werden kann, wie es in
irklichkeit ist. Ferner müssen die bereits erworbenen Vor-
llungen strcn;^ sachlich aufeinander bezogen und ihre Wrhältnisse
Mnandcr bestimmt und klar erkannt werden. Aul diese Weise
bindet sich mit der Richtigkeit die scharfe Trennung des Ähn-
len, und die Forderung der Klarheit wird erreicht Eine grosse
il von \^orstcllungcn hat nun aber nicht zugleich eine intensive
rkiin'^^skraft zur I'olge ; diese^ h itv^'t vielmehr von der innigen
rknüptung der \ orstcllungcn niiieinander ab. und muss der
terricht sich eine solche angelegen sein lassen. Allerdings liegt
der Seele schon a priori das Bedürfnis, die Vielheit der Vor-
hinL(cn ZU vereinigen. Sic \ t>ll/.ieht diese Zusammenfassung nach
bekannten Gesetzen. Der Lehrer vermag es aber im Unterrichte,
V^organg zu erleichtern, zu sichern und zu steigern diuch Vor-
citung des Neuen, Fingerzeige auf Verwandtes und durch Übung.
; Ergebnis der Vereinigung ist Neben-, Unter- und Überordnung.
nächste Folge der Verknüpfung und Ordnung ist die Möglichkeit
schnellen Durchlaufens und der Beherrschung der Vorstellungs-
sen, die weitere das schnelle, sichere und richtige l^rteilen und
licsscn. Sorgt der l ■nterricht auf diese Weise luv die Bildung
Intellekts, so pflegt er auch zugleich das Gemüt. Mit der V^or-
ung ist das Gefühl verbunden. Wird in der Vorstellung der
:h äussere Reize veranlasste „innere Vorgang objektiviert", so
i/cichnct sich das Gefühl als .,das Ik'wusstwcrdcn desselben
2^aii;^'es nac}i. der subjekti\en Seite". 1 >ie Bedeutung der (iefühle
darin, dass sie Antriebe für das Wollen sind. Weil nur lebhafte,
ce und herrschende Gefühle diese ihre Aufgabe erfüllen, so folgt
US, dass der Unterricht entsprechend auf sie einwirken muss,
ihnen die hervorgehobene Verfassung zu geben. Der Einfluss
sie ist nur durch Einwirkung auf die Vorstellungen möglich,
littelbar, frisch und in angemessener Starke müssen die Reize
— 102 —
wirken; durch Wicdeiholuncf müssen die Gefühle ;^^cstarkt und nach-
haltig wirksam gemacht werden; durch Bildung von klaren, richtigen
Verstellungen müssen sie aber auch von allem Unhaltbaren befreit
werden zum Zwecke der Beherrschung, damit nicht „das Herz über^
fliesse zum Nachteile für klare Entscheidung und Entschtiessung^. —
Das entscheidende Moment bei der Bildung ist, wie wir preschen
haben, der Charakter; darum darf der Unterricht die Pfle^^c des
Willens nicht vergessen. Von dessen Stellung zu den Gefühlen
und Vorstellungen sagt Wandt: „In dem Willen erfasst das Subjekt
unmittelbar sein eignes inneres Handeln ; in dem Vorstellungsinhalte
spicg^elt sich eine von dem Subjekt verschiedene Wirklichkeit, die
Beziehungen aber, die zwischen beiden stattfinden, äussern sich in
den Gefühlen und Gemütsbewegungen." Der Charakter verlangt,
dass der Mensch weder Projektenmacher sei, noch unentschlossen
hin und her schwanke; also ein tatkräftiger Wille wird gefordert
Derselbe setzt aber einen Gedankenkreis voraus, wie er im Vorher-
gehenden gezeichnet wurde; denn nur bei einem solchen ist es
möglich, das Ziel schnell, richtig und klar zu sehen und nicht in
Verlegenheit zu geraten wegen der Wahl der geeigneten Mittel zur
Erreidiung des Zieles. GeseUt sich zu diesem Bewusstsetnsinbalt
noch ein lebhaftes, nachhaltiges Gefühl, so erlangt der Wille die
erforderliche Stärke. Die Vielseitigkeit des Lebens und die mannig-
faltigen \'erhältnisse erfordern einen vielseitigen Willen. Die Vor-
bedingung eines solchen ist wiederum ein reicher VorsteUungskreis.
Armut, Ode und Leere des Geistes und Gemüts werden nie zu
einem kraftigen und vielseitigen Wollen Veranlassung geben. —
Ausser den hier genannten Anforderungen , welche der Begriff
Bildiini; an den Unterricht stellt, muss noch seines Einflusses auf
die Unterrichtsfächer gedacht werden. Sic erhalten ihren Platz im
Lehrplan der Schule nur mit Rücksicht auf den Bildungswert, der
ihnen innewohnt Nicht nach ihrer materiellen Rentabititat fär das
Leben ist zu fra^^^en, wohl aber danach, welchen Beitrag sie zur
Gewinnung der Bildung liefern. Doch ist hier nicht der Ort, näher
auf diesen Wert einzuj:(ehen. Es in^nüge der Hinweis, dass die
einzelnen Disziplinen, wie sie gegenwärtig in der Schule vorhanden
sind, die ScbiUer allseitig zu bilden vermögen, dass die Schule aber
auch die Pflicht hat, dem Einlass begehrenden Meuen prüfend ins
Gesiciit zn schauen und ihm, falls es der Prüfung standhält, die
Tore weit zu öffnen, umgekehrt veraltete Stoffe ohne Bedenken
preiszugeben. — Was die Anordnung der einzelnen Stoffe betrifft,
so ist es nach dem oben Gesagten nicht zweifelhaft, dass der
Begriff der Bildung eine möglichst vielseitige Verknüpfung veriangt
Somit müssen die verwandten, gleichartigen Stoffe eines L'nterrichts-
gebietes gleichzeitig auftreten, damit die ähnlichen Vorstellungen
sich gegenseitig fördern und zu einer grösseren Klarheitsstufe empor-
heben, die Verknüpfung auch leicht und sicher erfolge. Dasselbe
. ijui. u i.y Google
— 103 —
auch bezüglich des Gleichen und Ähnlichen innerhalb ver-
dener Disziplinen. Erreicht wird diese Forderuno^, wenn einmal
«ehrplan mit Rücksicht darauf autgcstellt wird, andrerseits jede
iofi es nicht unterlässt» das Verwandte aus derselben Disziplin
aus fremden Unterrichtsstoffen veifrleichend und verknüpfend
izuziehen.
\'on ähnlicher Bedcutun^f ist der Begrifif Bildung für die
lerische lätis^keit. Auch sie knüpft, gleich dem Unterrichte,
cn bereits vorhandenen Besitz an. Ausgangspunkt ist das in
n keimartig vorhandene Ghite und werni es noch so winzig
Von ihm die häusliche Zucht «is; die Schule hat dann
W'rk des Hauses for/uführen und zu cr^^änzcn. Wie wir schon
er Entwicklung des Begriffes Bildung salien, gilt es, die Neigung
Niedrigen und Bösen zu hemmen, zu unterdrücken, gänzlich
irotten, das Gute aber zu pflegen, zu fördern, dass es gedeihe
fröhlich wachse. Zu dem Zwecke muss die Unterordnung des
ngs unter den Willen des Erziehers der erste Zweck aller
iiichen Arbeit sein. Die unbedingte Unterordnung unter die
rität des Krziehers ist aus dem Grunde so streng zu verlangen,
dem Kinde die Einsicht vollständig mangelt und weil es infolge-
n nur auf Befriedigung seiner Begierden, mögen dieselben noch
>h sein, dringt Lernt das Kind dieses früh nicht, so wird
rhin Nci<.,ain'.^ zur Willkür immer die I"'olf^e sein. Selbst-
tndlich verwandelt sich der unbedinf:,ne Gehorsam in den
Glichen, sobald die Einsicht bei dem ZögUnge vorhanden ist.
auch bei dem gesetzlichen Gehorsam darf es nicht bewenden ;
i Legalität ist noch keine Sittlichkeit, nur eine VorhaUe zu ihr.
Erzieher tritt immer mehr zuräck; die attlichen Grundsätze im
lg erstarken immer mehr und werden eine solche Macht, dass
ch das gesamte Kinzelwolien unterwerfen. Dann sprechen wir
einem sittlichen Charakter. Also auf Abgewöhnuug alles
:hten und Unanständigen zielt die Tätigkeit des Erziehers vor
zuerst ab. Zugleich aber ist auf gute Gewöhnungen, auch
re, hoher Wert zu legen; denn .sie bilden dir rrrundlage aller
hen Lebensordnung. Sorgt der Unterricht lur Feststellung
nmter, fester Grundsätze, so hat die Erziehung zu bewirken,
die Theorie in Praxis umgesetzt wird, dass der Same der Rede
wehre feste Wurzeln schlage. Sie muss des Zöglings Crewissen
en, auf dass dasselbe ihm das Rechte vorhat und ihn vor
gen eindringlich warnt. Die Macht der Gewohnheit muss in
3ienst der Zucht gestellt, und durch treues Festhalten am
i muss die Gewohnheit eines sittlichen Wollens erzeugt werden;
st Grundbedingung eines sittlich-religiösen Charakters.^) Die
< Herbart spricht demgeraäss von <l<-ni Gedächtnis des Willens nnd <eigt flberall,
. Gcwonobeit in dca Dienst der Zucht gestellt werden soll.
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— I04 —
bildende Tätigkeit kann, wie wir Lieschen haben, nur Gehilfin der
Sclbstbildiiiij^ sein. Die l^r/.iehung lockt die Sclbsttati<;keit des
Zöglings dadurch hervor, dass sie ihm Charaktere, abgerundete
Lebenserscheinungen entgegen und zur Anschauung bringt. Vor«
bilder greifen am schäxften ein. — Da wird uns auch der Unter*
schied zwischen Erziehung und Bildung klar. Erziehung im eigent*
liehen Sinne erfolgt immer durch Menschen und zwar durch solche,
deren Stellung zum Zö^^ling^e ein Autoritätsverhäknis ergibt: Bildung
dagegen ist eine Tätigkeit, an der ausser dem Erzieher noch vieles
teilnimmt, vorzüglich der zu Bildende selbst. ,,So sind Erzidiung
und Unterricht zwar Momente der Bildung, geben ihren Beitrag
dazu von aussen: diese selbst aber entsteht erst dadurch, dass das
durch jene Gebotene angeeignet, inwendij.; und individuell verarbeitet
wird. Jene bilden an dem Menschen, sich bilden muss jeder
selbst" (Hauber).
Der Zweck aller Schulen, so mannigfach und reich gegliedert
sie auch erscheinen mögen, ist also Eretrebung der BUdun;^. Eine
alleinige Ausnahme hiervon machen nur diejenigen, welche eine
ausgesprochene Berufs- oder FachbikUiiif^ überliefern wollen. Jedoch
die Bildung zur Vollendung zu bringen, das liegt nicht in der Macht
des Lehrers und Erziehers, am wenigsten kann es das Ziel der
Volksschule sein. Mancherlei Art sind die Schranken. Die Jugend-
bildun^^ darf nicht vom allgemeinen Hec^riffe des Menschen aus-
gehen, da es keinen Menschen in abstracto ^il)t. Wie weit zu
gehen ist, das hängt einmal von der Individualität ab. Denn die
menschliche Natur, die mit ihren besonderen Anlagen und Kräften
ausgestattet ist, lässt sich nicht aufheben, nicht absolut umändern.
Bei manchen Menschen findet sich vollständige Unfähigkeit zu dieser
oder jener Lebcnsäusserunpf. Wollte man das Versagte gewaltsam
herbeiziehen, so würde man nur Missbildung erlangen. X^ielmchr
gilt es, die relativ bestimmte Natur zu pflegen und zu gestalten. —
Liegt hier der Grrund in der Natur des zu Bildenden, so sind
andrerseits auch äussere Verhältnisse Ursache davon, dass der
BcL^HtT der al 1 seitit^cn Bildun^^ begrenzt werden muss. Wohl
nicmantl oder docli nur sehr wenig Hochbeifabte, vom Glürk
Begünstigte können zu allseitiger Bildung gelangen. Somit ist die
Forderung der harmonischen Ausbildung nur als Ausgestaltung des
von der Natur Gegebenen zu verstehen. In Ubereinstimmung damit
fordert Herbart vielseitiges Interesse, nicht allseitiges.*) Der Volks-
schule stellen sich ausserdem oft die häuslichen . örtlichen und
geselligen Verhäitni.sse entgegen, welche an dem Werke der Bildung
als verborgene Mitbildner teilhaben. Weiter ist die kurze Spanne
Zeit zu bedenken, welche dieser Bildungsanstalt zugemessen ist
') Vergleiche hierzu: „Pädagogische Studien" 1907, Heft I, Seit; 4 oben «od
Seite 8—13.
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— I05 —
so die Macht der Volksschule besonders beschränkt, so kann
Forderung von keiner Schule erfüllt werden, nämHch die, die
ktere 7Air Reife zu bringen ; denn dieselben bildcTi sich, wie
)ichter sagt, „im Strom der Welt". Es wird also klar, dass
ehrer und Erzieher sich für seine praktische Tätigkeit ein eng
nztes und erreichbares Ziel setzen muss. Gewiss muss auch
/olksschule die leitenden Gedanken für I'nterricht und Kr-
i<jf aus dem liilduni^siclcale herleiten; sie hat sich aber auf die
ge, d. h. auf die Grundlegung der Bildung zu beschränken,
löchste erreichbare Ziel wäre etwa dieses« dass die jungen
:hen dazu befähigt werden, sich nach BedürTnis und mit
enen Mitteln jede Art von Bildung aneignen zu können,
irum muss auch etwas Abj^eschlossenes verlan<^t werden.
Ibe ist geschehen, indem man iijcfordcrt hat, „der der Schule
chsenc Mensch" miisse diejenigen „Kenntnisse und Fertigkeiten
en, welche ihn befähigen, sich als Glied einer grösseren
inschaft zu behauj>ten". Diese Forderung ist etwa gleich-
lend mit „praktischer Tüchtii^kcit". Selh-^' verständlich soll
olksschule nur diejenigen Kenntnisse und 1* crti^keitcn über-
n, deren jeder ohne Rücksicht auf einen besondern Beruf
f; denn sie ist keine Beniftschule. Das engere Ziel derselben
so „besondere Berücksichtigung derjenigen Kenntnisse und
keiten, deren Besitz das Leben, das Fortkommen in der Welt
•incm jeden ^gebieterisch fordert, innerhalb des Rahmens der
leinen Bildung". Würde sie die harinonische Gestaltung ver-
issigen, so wäre ihre Arbeit nicht Bildung; wenn sie aber die
fntsse des Lebens nicht beachtete» so wäre sie unpraktbch.
idet wird die Bildung durch das Leben mit seinen freudigen
raun«^en Schicksalen.
)ie Jet/t/eit ist der Bildung von Charakteren, wcnii^ ;::fiinstig.
Verdunklung der Aufgabe, Persönliclikeiten herauszubilden,
durch die Ansprüche der Berufsarten ein. Sie fordern
:erjsch spezielle Kenntnisse und Fertigkeiten. Darum geht
trcbcn der meisten Menschen dahin, sich in möglichst kurzer
dieselben aus dem reichen Schatze, der Überfülle de^^ Wissens
ignen. Nach umfassenden Kenntnissen und Fertigkeiten für
erwählten Beruf drängt alles. Die ruhige, innere Aneignung
iusgestaltung kommt dabei oft zu kurz. Diesem Zeichen der
gegenüber cfarf der Lehrer und Erzieher nie vergessen, dass
Aufgabe eine höhere ist als Dressur: er soll Ju;;endbildner
Nur wenn er fest im Auge behält, dass er immer Mitarbeiter
/erke der Bildung sein soll, kann seine Arbeit wirkÜcii von
. sein.
— I06 —
m.
Wie hat der Unterricht auf den kausalen Zusammenhang
kulturgeographischer Stoffe hinzuarbeiten?
Von N. Roetttl, WolUn i/P.
Scbluss.
4» Auf der Arbeit des Menschen als Ackerbauer, Viehzüchter
und Ber^ann beruhen eine grosse Zahl anderer nicht minder
wichtigen Tätigkeiten.
Was der Landmann auf seinem Acker erntet, nennen wir Roh-
erzeugnisbc oder Rohprodukte der Landwirtschaft Mast-
vieh, Pferde, die Wolle der Schafe, Milch der Kühe sind Roh>
Produkte der Viehzucht; Kohlen, Erze, Gesteine die des Bergbaues.
Manche dieser Rohprodukte finden unmittelbare Verwertung
(Beispiele I), andere aber werden weiter verarbeitet, um neue Bedarfs-
stoffe daraus tu gewinnen (KartofTel-Brennerei-Spiritus, Stärkefabrik,
Stärke], und noch andere sind überhaupt als Rohprodukte gar nicht
zu brauchen, sie müssen, wenn der Mensch sie verwenden will,
erst durdi viele Hände, durch zahlreiche Maschinen gehen, ehe sie
zu verwerten sind. (Erze, Pochhämmer, Schmelzhütten, Giessereien,
Eisen- und Stahlwerke, Maschinenfabriken.)
Die Tätigkeit des Menschen, durch welche Roli-
produktc weiter verarbeitet werden, nennen wir Ge-
werbetätigkcit oder Industrie.
Sie wurde früher ausschhesslich durch die geschickte Hand
des Meisters ausgeführt, war also Handwerk.
In dem Masse aber, als die Bevölkenii^ zunahm, die BedOifnisse
der Menschen grösser und vielseitiger wurden, reichte die Tätigkeit
der einzelnen Handwerker nicht mehr aus. Man musstc schneller
arbeiten, auch gab es Rohprodukte, die gar nicht durch Menschen-
hand verarbeitet werden konnten (Erze). Der Menschengeist erfand
deshalb Maschinen, baute Fabriken, und so entwickelte sich die
Grossindustrie oder Fabriktätlgkett
a) Die Landwirtschaft liefert Kartoffeln in die Brennereien und
Stärkefabriken, das Korn in die Mühlen, Rüben in die Zucker-
fabriken. Dabei ist zu beachten, dass solche Fabriken in den
Gegenden sind, deren Boden für den Anbau der Rüben geeignet
ist, ein Beweis dafür, wie die Industrie oft örtlich von der
Erzeugung des Rohproduktes abhängig ist. Weitere Beispiele l
. ijui. u i.y Google
den Wald schlicsscn sich Sattem ühlcn, Teer- und Pech-
ercicn, Spiclwarenindustrie, Instrumentenfabhkation , Papier-
ikation.
Verarbeitung von Faserstoffen des Tier- und Pflanzen-
hes ist Sache der Gewebe» oder Textilindustrie. Die in
-acht kommenden Rohstoffe sind: Flachs, Schafwolle, Baum»
!e, Seide und eine Art Hanf aus Ostindien, Jute genannt.
Aus diesen Faserstoffen hat die Textilindustrie Gewebe her-
ellcn. Wenn auch die deutsche Industrie in Europa näclist
englischen die bedeutenste ist, so bringt sie uns doch nicht
Reingewinn, den die Engfländer erzielen, weil sie z. B. ihre
ifwoUe aus den eigenen Kolonien beziehen, während wir
f^Tt ebenfalls; kaufen und tlcn hohen Ausfuhr/o]] entrichten
5CU. — Die verschiedenen Gewebe und ihre Haupterzeugnis*
Bergbau liefert Erze. Sie sind Grundlage für eine viel-
ge hochentwickelte Industrie geworden, deren Einzelbetriebe
h nachstehende industrielle Anlagen gekennzeichnet werden:
imühlcn, Ilüttenbetrieb, Eisengiesserei, Maschinenfabriken,
nkurzuarcnfabriken (Schrauben, Bohrer, Zangen, Nieten, Nägel)
Iwarcnfabriken, F'abriken für Haus- und Wirtschaftsgeräte.
Neben der MetaUindustrie ist aber auch die Industrie der
le und Erden vom Bergbau abhängig. Riesengebirge, Fichtd-
rge, Böhmerwald, Erzgebirge liefern z. B. den Granit Er
: als Fundamentstein 'Druckfestigkeit), Trottoir- und Pflaster-
( A!)nutzungsfestigkeit: , Grabstein (Politurfähigkeit). Die
»Witterung seines Feldspates und anderer fcUlspathaltis:Tcr
eine liefert tonerdige Massen als Gundlage der Tonvvaren-
$trie (Steingut, Porzellan). Bei der Verwitterunfr des Granits
t Quarz übrig (Glashütten). Das rheinische Schiefergebirge
das Rohmaterial für Dachziegel, Schiefertafeln, Griffel,
steinindustrie — Kaliwerke von Stassfurt; künstliche Dünge-
Ein ÜberbUck über die Industrietätigkeit Deutschlands lehrt,
h ihre wichtigsten Hauptzweige auf bestimmte Mittelpunkte
.endriingen. Dabei kommt es auf den möglichst billigen
der Rohstoffe und auf billige Arbeitskräfte an, seien es
anbände oder Naturkräftc. Man darf behaupten , .,dass
:rs die nördliche und nordöstliche Abdachung der deutschen
birgslandschaften das bevorzugte deutsche Industriegebiet
tn". Hier liefern Gebirge und Ebene die Rohstoffe (Kohle,
:e, Wolle, Machs) und die Gewässer bieten mit ihrem starken
billige Betriebskrafi.
2in die Entwickelung der Industrie hängt noch von andern
n ab; zu diesen gehört ein reger Einkauf und Verkauf.
a) Dass ein solcher stattfiiulcn muss, lehrt die h rtahning im kleinsten
Orte. Der Landmanii fährt an gewissen ra;^^eri in die Stadt, um
seine Erzeugnisse /u verkaufen. Der Städter ist auf sie angewiesen,
weil er selbst nicht Landwirtschaft betreibt Der Landmann ist,
weil er landwirtschaftliche Rohstoffe erzeugt, Produzent, der
Städter, der sie braucht, ist Konsument. Umgekehrt kann
aber auch der Landmann nicht ohne den Städter auskommen.
(Beispiel.)
Ks findet somit ein wechselseitiger .-Xustausch der Erzeugnisse
zwischen Dorf und Stadt, zwischen Produzenten und Konsumenten
sUtt.
Da aber der Produzent, z. B. der Tuchfabrikant oder Eisen-
warenfabrikant, nicht immer in der nächsten Stadt wohnt und selbst,
wenn es der Fall wäre, nicht an cin7,elne Konsiimcnh-n \erkaufen
würde, so hat sich im Laufe der Zeit ein besonderer bland von
Leuten gebildet, die die Vcnnittlerroüe übernommen haben, das
sind die Kaufleute und Händler. Mit ihrer Hilfe gebt der
Austausch von Waren vor sich ; früher geschah es im Tauschhandel
(Beispiel: Germanen, Kolonien) jetzt mit Hilfe des Geldes.
Wie im kleinen ein solcher Austniisch 7Avischcn Produzenten
und Konsumenten in Stadt und Land vor sich geht, so c^csrhicht
es auch im Grossen. Norddeutsciiiand z. ß. hat keine Steinkonle
und keine Erze (einige Vorkommen sind belanglos), seine Fabriken
sind deshalb auf den Bezug aus Gegenden angewiesen, die dies
Rohmaterial produzieren. Süddeutschland wiederum ist Konsument
für landschaftliche P>zeugnisse, die es nicht in dem Masse pro-
duzieren kann, als es ihrer benötigt ist. So tauschen Provinzen, so
tauschen Lander iiire Erzeugnisse wechselseitig aus; sie sind Kunden
und Lieferanten, Konsumenten und Produzenten.
Unsere bedeutendsten Lieferanten sind Russland, Nordamerika,
Grossbritannien, unsere hervorragendsten Kunden Grossbritannien,
Österreich-Ungarn und Nordamerika.
Ergebnis: Die für die Hedürfnise des Menschen er-
forderlichen Rohj)roduktc und Erzeugnisse des Kleini^cwerbes
und der Industrie sind nicht üljerall in ausreichender Menge
vorhanden. Es findet deshalb ein wechselseitiger .Austausch
der Erzeup;nisse statt Dieser Warenaustausch mit Hilfe des
Geldes heisst Handel.
Binnenhandel — Aussenhandel: Ein> und Ausfuhrhandel
6. Wie die Entwickelung des industridlen Lebens hauptsadüich
vom Handel abhängig ist, so kann auch der Handel nur unter
gewissen Bedingungen gedeihen.
Aus der Betrachtung: der heimatlichen Verhältnisse heraus
gewinnen wir einen Einblick in die Sachlage.
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/on dem Dorfe A fuhrt eine Landstrasse, von B eine Chaussee,
Z eine Eisenbahn und von D führen Land' und Wasserweg
ladt.
lat es längere Zeil j^eregtict. ist der Landweg durchgeweicht,
'agengeleise sind tiei ausi^^cfahren, und mancher Bauer besinnt
ob er unler diesen Verhältnissen in die Stadt zum Markte
1 wird. Besser haben es die Bewohner von B.; des guten
s wegen werden sie wahrscheinlich öfter in die Stadt kommen
ie von A, \im zu kaufen und zu verkaufen. Auch die C
günstig gestellt. Sie werden schnell, bequem und billig in die
gebracht, sind freilich auch an bestimmte Zeiten gebunden,
gute Lage in bezug auf den Handel hat auch D. Der Wasser*
ist billig und schont die Arbeitskraft der Pferde, die ander«
• benutzt werden kann.
> sind also verschiedene Einrichtungen vorhanden, die Dörfer
er Stadt zu verbinden.
V'w hei uns, so ist's auch anderwärts.
liie Linririitun-^'en, die eine denicindc, ein Kreis, eine Provinz,
aat gelroften haben, um die Verbindung mit anderen möglichst
id schneU herzustellen, nenhen wir Verkehrseinrichtungen.
)ie Beispiele zeigen, dass, wo für sie ausreichend gesorgt ist,
xuch der Handel ^entwickelt und umgekehrt : Wo wir einen
iden Handel sehen, wo Einkauf und Verkauf der Waren
von statten ^ehen, da sind auch -^ute Vcrkehrscinrichtungen
fcn worden, l^landel und \'crkchr lassen sich also gar nicht
landerzutrennen.
r Handel wird unterstützt durch gute Strassen.
ähere Besprechung der Heimatschausseea
r Handel wird gefördert durch Eisenbahnen.
isenbahnlinien der Heimat. Ihre Verbindung mit der Provinzial-
itadt und Berlin. Die wichtigsten Orte an der Bahnlinie.
l im Lesen von Fahrplänen. Die PLiscnbahndirektion stellt
ahrpläne unentgeltlich zur Verfügung. Auch Eisenbahakarten
le aus.
ie Gesamtlänge der deutschen Eisenbahnen (soocxj km 1906)
iron keinem europäischen Staate übertroffen. Anders ist es,
man die Dichtigkeit des Bahnnetzes in betracht zieht, also
'crhältnis der Schienenlänge zum Flächeninhalt des Landes.
steht Bel|]^ien an der Spitze, wo auf 100 qkm 18.4 km Kisen-
:oiiinien. Rs foli'en ( rrossbritannien mit 10,4, dann die Schweiz
und jetzt erst Deutschland mit 8,2 km. —
iscnbahnknotcnpunkte sind meist auch Mittelpunkte des
Is. Das gilt insbesondere von Berlin, von wo aus strahlen«
nach allen Richtungen 11 Linien ausgehen; doch spricht hier
HO —
und an andern Handels- und Eisenbahnknotenpunkten der Binnen-
schififahrtsverkeiir wesentlich mit
c) Der Handel wird unterstützt durch postalische Ein-
richtungen.
Postkarten, Briefbestellung, Telegraphie, Telephonte. Gegensatz
zu früher.
d) Der Handel wird unterstützt durch schiffbare
Wasse rstra SS c n.
Für den deutschen Binnenhandel kommen Flüsse und Kanäle,
für den Aussen» oder Welthandel kommen die Meere in betracht
aa) Die Karte belehrt uns, dass Deutschlands Ströme recht
g 1 c i c h (n ä s s i g über das Land verteilt sind. Das ist nicht
Zufall, sondern hängt von der Bodengestaltung ab, die den
Strömen ihre Bahnen weist.
Da wir ein süd- und mitteldeutsches Gebirgsiand und ein
norddeutsches Tiefland haben, so erklärt sich der meist nach
Norden gerichtete Lauf der $ Hauptströme. Die ver-
hältnismässige grosse Entfernung des Gebirgslandcs von dem
Mündungsgebiet bedingt, dass sich der Unterlauf der Ströme
bedeutend entwickeln kann. Je länger aber der Unterlauf
eines Stromes, desto ruhiger fjliesst sein Wasser
dabin, eine für die SchiiTahrt günstige Eischeinung.
Neben der nach Norden gerichteten Hauptabdachung des
deutschen I ieflandes unterscheiden wir aber noch ein nach
Westen hinweisendes Gefalle. Dies zeigt sich einerseits hei
den Flüssen dadurch, dass sie neben der Nord- bezw. Nord-
west-Richtung alle eine oder auch mehrere grosse Strecken
nach Westen fliessen: die Elbe von der £uimündung der
schwarzen Elster bis Magdeburg, die Oder bei Glogau, Grüne-
berg, Küstrin usw. Andrerseits erklärt sich aus der West-
abdachung, dass die grossen Ströme ihre Hauptnebenflüsse
von rechts iiijalten. Beispiele!
Ergebnis: Die Bodengestaltung Deutschlands bedingt
die gleichmässige Verteilung, den nach Norden gerichteten
Lauf seiner Haupt* und die nach Westen oder Nordwesten
hinstrebende Richtung seiner Nebenflüsse.
bb) Für den Verkehr ist das aber von grosser Bedeutung. Die
nördliche Laufrichtung stellt eine Verbindung zwischen dem
Binnenlande und dem Meere, also auch eine Verbindung
zwischen Binnen- und Welthandel her.
Durch die ost-westliche Richtung der Nebenflüsse aber
werden die grossen Flussläufe einander genähert. Darum hat
man nicht nötig, lange Kanäle zu bauen, um den landbau*
treibenden Osten mit dem industriellen Westen zu verbinden.
Digitizeo ^^OOgle
Vuch die Herstellung dieser Kanäle erfordert keine erheblichen
>chwierigkeiten, da bedeutende Bodenerhebungen in Nord-
ieutschland fehlen, die wenigen Bodenanschwellungen aber
eicht zu durchstechen sind. (Beispiele!)
Dass die Ost-West-Richtung der Flüsse mit der Richtung
ler alten Stromtäler der Eiszeit zusammenhängt, sei hier nur
ingedeutet.
Ergebnis: Ks ist für den deutschen Binnenhandel von
grosser Bedeutung, dass die Bodenbeschaffenheit des Landes
iandelsverbindungen zwischen Süd und Nord, zwischen Ost
md West begünstigt, insbesondere auch die Anlage von
Kanälen erleichtert
is ist der Nachweis zu fuhren, dass die Ströme Deutschlands
licht alle in gleichem Masse für den Verkehr in betracht
commen. Die Besprechung führt zu folgendem:
Ergebnis: Die Bedeutung eines Flusses für den Handel
längt davon ab, ob er einen ruhigen l^uf, weni^; Krümmungen,
genügende Tiefe, glcichmassigen Wasserstand hat, ob er durch
'ewerbreiche oder hochentwickelte landwirtschaftliche Gebiete
liesst oder doch mit ihnen durch Kanäle oder schiffbare
"Nebenflüsse verbunden ist, ob er lange Zeit eisfrei bleibt und
n ein offenes Meer mündet
Um sich eine Vorstellung von der Menge der Waren zu
Hachen, die ein Flussschiff befördern kann, muss man es mit
ier Ladefähigkeit eines pjsenbahnwagens vergleichen.
Jedes Sciiiff trägt an der Seite eine Zahl, die die Tonnen
gezeichnet, die es höchstens laden darf. Fine Tonne —
20 Zentner = lo Doppelzentner (Seeschiffe recimen nach
Registertonns = 2,8 Kubikmeter). Die grössten Rheinschiffe
aden 2400 Tonnen, die Elbschiffe 1 100 Ein Güterwagen
adet 10 Tonnen, mithin befördert ein Rheinschiff soviel wie 240,
»in F^lbschiff soviel wie 110 Eisenbahnwagen. Jenes schafft
ilso soviel weg wie 4 lange Güterzüge (a 60 Wg.}. Spree-
Icähne leisten soviel wie 45 Eisenbahtiwagen. Dazu kommt,
dass die Flüsse und Kanäle die bequemsten und billigsten
Strassen för solche Waren ^d, die einen grossen Raum ein-
lehincn und bei denen es auf schnelle Beförderung nicht
ankommt.
• r Handel wird unterstützt durch die günstige
ge eines Landes zu den Nachbarstaaten und dem
lere.
Mit Recht hat man Deutschland das Herz Europas genannt
„Berlin ist vom mittleren Skandinavien soweit entfernt wie
— 112 —
vom mittleren Italien, von üibraiiar soweit wie von der
asiatischen Grenze." Sieben Staaten begrenzen es unmittdbar,
drei andere sind nach kurzer Seefahrt zu erreichen.
Je mehr Nachbarn, desto leichter lassen .sich Handels-
verbindungen anknüpfen. Dazu kommt, dass Osterreich und
Russland darauf angewiesen sind, ihre für den Welthandel
bestimmten Erzeugnisse durch Deutschland zu senden, ihre
Ein- und Ausfuhr durch Vermittclung Deutschlands zu bewerk-
stelligen. Der Hauptteil Österreichs ist von seinem Meere
zu weit entfernt, ebenso liegen die russischen Häfen zu weit
vorn Weltverkehre ab. Gehen nun fremde Waren durch
Deutschland, so verdienen unsere Eisenbahnen und Schiffe zu-
nächst durch die Fracht, dann aber erhebt Deutschland von
diesen durchgehenden Waren einen Zoll, TransitzolL
Nicht verschwiegen darf werden, dass die zentrale Lage
Dcutchlands auch Gefahren birgt. Krieg, grosses stehendes
Heer, Festungen, Flotte, stete Bereitschaft zum Kampf.
Ergebnis: Da Deutschland das Herz Europas ist, kann
es allseitigen bequemen Aussenhandcl treiben und seine Ein-
nahmen durch Transithandel iiiui Iransitzoll erhohen.
bb) Günsti«^ ist auch die I.a;^e DeutschlatKls zum Meere; nur dies
öflhet ihm die Pforten des Weltverkehrs. Freilich haben Nord-
und Ostsee niicht die gleiche Bedeutung. Zur Zeit des Hansa*
bundes hatte die Ostsee die Vorherrschaft, jetzt ist es um-
gekehrt. Die Nordsee ist unser Eingangstor zum Atlantischen
Ozean, darum müssen Könip^ber^, Danzic^, Stettin und Lübeck
weit hinter Bremen und iiamburi:; zurückstehen. Doch hat
der Nord- Ostseekanal schon Wandel geschaffen, und namentlich
wird der Grossschiffahrtsweg Berlin-Stettin diesem Hafen grossen
Vorteil bringen. Jetzt ist der überseeische Verkelir von Ham«
bui^ und Bremen doppelt so <^ross wie der der Ostseeliäfen.
Interessant ist ein Vergleich der Krachtsätze. die im See-
verkehr erhoben werden, mit denen der Eisenbahn, der Fluss-
bezw. Kanalschiffahrt. Zunächst ist leicht erklärlich, dass
Seegelschiffe billiger fahren als Ozeandampfer, aber auch deren
Preise für Frachten sind verhältnismässig gering. Sie befördern
im Durchschnitt den Doppelzentner lOO km weit für 2 Pf.
Die Binnensciuffahrt nimmt etwa 40, die Eisenbahn (X) i'f.
So kostet z. B. die Fracht für den Doppelzentner Getreide von
Odessa nach Köln i Mk., von Argentinien nach Hamburg 50 Pf.
Ergebnis: Deutschlands Lage an der Ost- und Nordsee
hat seine Beteiligung am Welthandel ermöglicht
0 Der Handel wird unterstützt durch entsprechende
Eigenschaften des handeltreibenden Volkes.
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>ie natürlichen Verhaknisse hätten allein nidit genügt, unser
so f^ross und mächtig zu machen. Es kommen auch geistige
Schäften hinzu, die es befähigen, aus den natürlichen Ver*
>sen den grössten Nutzen tu ziehen.
lan muss dabei zunächst an den hohen Stand der allgemeinen
:sbildung denken. Der deutsche Kaufmann ist wegen seiner
igf besonders seiner Sprachkenntnisse wegen, überall zu
, wo CS sich auch nur einigermassen lohnt, Handelsverbindungen
nüpfen. Er ist klug, die Bedürfnisse der einzelnen Völker
hre besonderen Wünsche bezügUch des Warenaustausches zu
en. Dazu gesellen sich Tatkraft, Unternehmungsgeist,
3r keinen Schwierigkeiten zurückschrecken.
Das deutsche Volk ist begabt und von hoher sittlicher Kraft.
Statur des Landes und des Volkes haben zusammengewirkt,
eutschland zu einem ersten Kulturstaat der Erde zu machen." ^)
IV.
Die Herbart-Forschung im Jahre 1908.
Von Dr. HlM ZlBMT.
IS wäre undankbar, diesen zweiten Bericht (abgeschlossen am
ezember 1908) anders zu beginnen als mit Worten der Freude
den Anklang, den der erste gefunden hat. In der „Zeitschrift
hilosophie und Pädagogik", im „Deutschen Schulmann", in der
isisciien Schulzeilun^^", auf der Magdeburger Phngstversammlung
v'^ereins für wissenschafthche Pädagogik und anderwärts ist auf
aingewiesen worden, und private Zuschriften gaben Zeugnis
n, dass diese Berichte vielen willkommen sind. Das ist mcht
ein scliöner Lohn für meine bescheidene Arbeit, sondern vor
i auch ein gutes Zeichen dafür, dass nach wie vor viele
inen sind, sich einem ernstlichen Herbart-Studium zu widmen.
Das Jahr 1908 ist für die Herbart-Forschung vielleicht quantitativ
ganz so erträgnisreich gewesen wie das Jahr 1907, hat uns
besonders in den unten besprochenen Schriften von Walther,
iner und Dietering qualitativ höchst beachtenswerte Leistungen
icht. Und sollte mir vielleicht trotz aller eifrigen Umschau, die
;u halten gewohnt bin, etwas entgangen sein? Dieser Verdacht
*) Literatur: Dr. Ernst von Halle, Weltwirtschaft. — Harms, Vaterländische
nde. — Dr. Christian Gruber, WimchoAsgeographif. — Tiscbendorf, Präpaiationeo.
dafogisobe Studien. XJUL. 8. 8
Ieg[t mir au& neue die eindrifigUche Mahnung in den Mund, mir
doch ja alle Arbeiten über Herbart und seine Lehre, vor allem die
Aufsätze, zuzusenden (Adro-^so : Leipzig-Reudnitz, Constnntin'^tr ^ TIM
Ich muss in dieser Bczieiiun^ noch bittere Klage erh* l>i n. Die
neue Auflage von Oslermann, „Die hauptbächlichslcii intumer in
Herbarts Psychologie" habe ich z. B. trotz BesteUung nicht erhalten:
hatte das etwa einen besonderen Grund, auf den zu raten nahe
liegt? Und eine Anzahl 1907er Arbeiten, die also schon in meinen
ersten Hericht gehört hatten, sind mir erst im Laufe des Jahres 1908
zu Gesicht gekommen , sie müssen nun hier mit besprochen werden
und wurden durch ein Sternchen kenntlich gemacht
I. Geschichtliches.
Zunächst ein Akt schuldiger Pietät! Dem am 3. Juni ver-
storbenen bedeutendsten \'crlegcr von Merbart-Literatur, Friedrich
Mann, widmet Theodor Fritzsrh in den „Mitteilungen der
Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte" ^XVIII, 3)
einen Nachruf, in dem die mehr als dreissigj ährige buchhlndlerisdu;
und schriftstellerische Tätigkeit des Unermüdlichen gewürdigt wird.
Wer Kehrbachs grosser Herbart- Ausgabe gedenkt, darf auch ihres
Verlegers Friedrich Mann nicht x erf^^essen. Ein ausführlicheres „Blatt
der Erinnerung" an den Verstorbenen aber schrieb Ernst von
Sallwürk in den „Deutschen Blätlera für erziehenden Unterricht"
pCXXVI, 10). Er gab eine warme und eingehende Würdigung des
Jujrendiehrers, Volkserziehers, Geschäftsmannes, Schriftstellers und
Menschen Mann und zeigte vor allem auch, wieviel die Herbart*
forschung diesem verdankt.
Ein zweiter Verstorbener sprach noch aus dem (irabe heraus
zu der grossen lierbartgemeinde : in der „Zeitschrift für riülosophie
und Pädagogik" (XVI. i) kam ein nachgelassener Memer Aufsatz
des verstorbenen Königsberger Professors Karl Thomas zum
Abdruck: ,,Uber mein Verhältnis zur Herbartschen Philosophie".
Der Verfasser hält das philosophische Gedankensystem Herbarls
unbedingt für „die grossartigste Erscheinung, von welcher die
Geschichte der Philosophie wird jemals zu sprechen haben", und
föhrt genauer aus, warum die beiden Punkte, in denen er „seiner
ebenen Überzeugung zu folgen gewagt hat", keinen „Konflikt" mit
der Herbartschen Philosophie darstellen. Diese beiden Punkte sind
Thomas' Ansicht über die Lehre Spinozas und seine „Reihe der
Scliät/ungsbegnile" in der Ethik.
Neben den Toten ein fast Vergessener! Uber Herbarts Ver-
hältnis zu Emst Tillich stellte Theodor Fr itzsch in einer längeren,
gründi; hrn Abhandlung über den letzteren („Deutsche Blatter för
erziehenden Unterricht" $S. Jahrg., Nr. 16 ff.; S. 163 und 164; auch
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edrich Manns .^Pädagogischem Magazin' , lieft 330, ais besondere
t erschienen) das Wenige zusammen, was noch bekannt ist
'gl Tillich als günstigen, aber nicht blindlobenden Rezensenten
Icrbarts Schrift „Pestalozzis Idee eines ABC der Anschauung"
Dcsteht ferner in zwei — nicht allzu belangreichen — Brief-
i Herbarts über TilHch aus dem Jahre 1806.
MS Gricpenkerb äusserst selten gewordenen .«Briefen an einen
en gelehrten Freund über Philosophie und besonders über
rts Lehren" (1832) teilt derselbe Theodor Fritzsch („Zeit-
für Philosophie und Pädagogik" XV, 7) die Kpigrammc mit,
len Griepcnkcrl die fünf praktischen Idccti 1 icrbarls „in einem
:n, etwas trüberen Lichte" zu zeigen versuchte. Die kleinen
hte charakterisieren die Ideen tatsachlich recht glücklich und
ohne Reiz, wenn sie ihren Grehalt auch nicht völlig ausschöpfen
n,
I einer kleinen Mitteilung ,. Herbart im deutschen Anticjuariats-
andel" in der „Zeitsclirift für Philosophie und Pädagogik"
3, S. 113 und 114) gelangt Hans Zimmer auf Grund
sehen Materials, das ihm eine Inserat>Umfrage bei dem
tcn deutschen, österreichisch • ungarischen und schweizer
lariatsbuchhandel zuführte, /u dem Schluss, „dass Herbart
zu Lebzeiten als Etiiiker und Pädaf^oi^ eine f^frössere l^rliebt-
enosscn, eine tiefere Wirkung ausgeübt habe als mii semem
>logischen und metaphysischen Schaffen". Vor allem aber
sich auch auf diesem Wege die Beobachtung, „dass das
sc an Herbart noch keineswegs abflaut": aus dem reichen
ot, das Zimmers Inserate veranlassten, und den hohen
i, die zum Teil angesetzt wurden, geht deutUch hervor, dass
-t noch stark verlangt werden muss.
inen geschickten Auszug aus B. Tittmanns Aufsatz „Herbart
nzösischcr Beleuchtung" im 40. Jahrbuch des V^ereins für
«^chaftliche Pädagogik (vgl. meinen vorigen Bcrichti gibt unter
ung der Kritik, die seitens der Magdeburger Pfingst-
imlung 1 908 an Gocklers Werk geübt wurde, Rektor Schubert-
urg in seinem Artikel „Das 40. Jahrbuch des Vereins för
schaftliche Pädagogik und die Verhandlungen darüber
en 1908 in Mac^deburi^" („Zeitschrift für Philosophie und
>gik" XV, 11). \eben dem Scliuberts ist auch il ermann
SS umsichtig zusammengestellter „Bericht über die 40. General*
tmlung des Vereins lur wissenschaftliche Pädagogik" in den
chen Blättern für erziehenden Unterricht" (XXXV, 49) zu
t, in dem für uns besonders die Wiedergabe der Debatte
ocklers Buch von Interesse i«;t. Dasselije ^ilt von Friedrich
.<es klarem „Bericht über die 40. Jahresversammlung des
3 för wissenschaftliche Pädagogik in Magdeburg" in den
:ogischen Studien" PCXIX, 5 und 6). Vgl aber vor allem
8»
— Il6 —
das stenographische Protokoll über die genannte Versammlung in
der „Zeitschrift iur Philosophie und Pädagogik" (XVI, i ft).
II. ElnfBhrungMchrtflen und Nilffrailttel zuin Studium Herbartt.
Hier gebührt der Vortritt einem längst bewährten Buche eines
vortrefflichen Autors: im Berichtsjahr ist die 4. verbesserte Auflage
erschienen von G.Voigts auch ihrer vornehmen Darstcllungsweisc
wegen rühmenswerter Schrift ,,Dic Rcdeiitunf^ der Herbartischen
Pädagogik für die Volksschule" (Leipzig, Durr.sche Buchhandlung).
Das Werk ist herausgewachsen aus einem Vortrag, den der Ver-
fasser vor mehr als einem Jahrzehnt gehalten hat, aber auch die
neue Auflage ist nach Form und Inhut abermals liebevoll über*
arbeitet worden. N'ielseiti:,^, umsichlii;, anrcf^end und selbständicf,
ist das Buch treftiich geeiiaict, die hinsieht in den wesentlichen
Gehalt der grossen pädagogischen Bewegung, die sich an Herbarts
Namen knüpft, zu fördern. Es handelt sich nir den Verfasser inuner
nicht sowohl um eine einfache Darlegung der Herbartschen *
Lehre, sondern um eine Klärung des Urteils über sie ZU dem
Zweck, das herauszuheben, was ihre bleibende Bedeutung für die
\'olksschule der (Tei^einvarl ausmacht. Dabei geht Voi^rt bis ins
Einzelne, bis in eine Besprechung der verschiedenen Unterrichts-
facher, und mit besonderem Glück betrachtet er den Stoff von
Seiten und in Beziehungen, die man anderwärts in der Herbart-
Literatur wcnip^cr berücksicluiort findet. Gerade weil er zunächst
unumwunden die mos^Hchen Kinwände gecjcn die Merl>artsche
Philosophie aufdeckt und dann doch die bleibende Bedeutung der
Herbartschen Pädagogik voll anerkennen muss, kann die Lektüre
seiner Schrift vor allem denen empfohlen werden, die Herbarts
Pädagogik für die Gegenwart tot und unfruchtbar nennen. Denn:
„Der Wrfasser der vorliegenden Schrift, ein weitblickender und
vorurteilsfreier Mann, weist nach, dass auch heute noch trotz aller
experimentellen Didaktik, trotz aller Persönlichkeitspädagogik usw.
in der Herbartschen Pädagogik so grosse Werte liegen, dass sie
auch heute noch als ein zuverlässiger Führer gelten kann. Der
Leser muss sich nur an das Ganze und das Wesentliche halten, er
muss in den Geist dieser Pädagogik eindringen und sich nicht
beirren lassen von den oberflächlichen Stimmen, die da meinen,
in der Formalstufentheorie sei die Summe der Herbartisdien
Pädagogik enthalten, während sie in der Tat an der Peripherie des
Systems liegt" (W. Rein in der „Zeitschrift für Philosophie und
P<ädan;ogik" 8.). Die kurzen Inhaltsangaben der einzelnen Ab-
schnitte in Form von Marginalien erleichtern die Benutzung des
Buches wesentUch.
In dem — durch den Mangel eines Sachregisters neuerdings
glücklicherweise in seiner Brauchbarkeit nicht mehr eingeschränkten —
. ^ .d by Google
lorisch-pädagogischen Literatur-Bericht über das Jahr 1906", den die
Uschaft für deutsche Erzichungs- und Schulgeschichte als 1 5. Beiheft
rcn „Mitteilungen" herausgegeben hat (Berlin, A. Hofmann & Co.),
aul S. 47 bis 50 Theodor Fritzsch eine Zusammenstellung
die Herbait-Literatur des Jahres 1906, die als eine Ergänzung
rückwärts zu meinem Jahresbericht über die Herbart-Forschung
ahre 1907 gelten kann, obwohl sie, ganz ohne Schuld des
issers, VoiIständij_;kcit nicht anstreben durfte (vgl. V orwort S. V).
Fritzsch wird seine entsagungsvolle Arbeit fortsetzen; dass
>art in dem „Historisch-pädagogischen Literatur-Bericht" dauernd
besonderer Abschnitt eingeräumt wird, verdient unseren Dank.
Nach Form und Anlage ähnelt Fritzsches Bericht dem hier
"f^rnden. ein Mitstrrbender, kein Konkurrent. Etwas andere
:ke verfolgt dagegen ein weilerer, der gerade deshalb nicht
llkommen ist: in der mit vielen anderen von E. Clausnitzer
Lisgegebenen „Pädagogischen Jahresschau über das Volksschul»
n" (Bd. T Kx/), Bd. II 1907, Verlag von B. G. Tcubner in Leipzig
Berlin) hat Krnst von Sali würk in den von ihm bearbeiteten
•hnitt ,,All^rcmcine h'rziehunp^- ujid Untcrrichtslchre" beide Male
1 besonderen Alisciinitt über „Herbartische Pädagogik" ^I, 2^—22
U, 25 — 28) aufgenommen. Es ist ein kritischer Literaturbericht;
ständigkeit ist nicht beabsichtigt, die Auswahl richtete sich nach
Grundsätzen, die für das ganze Werk aufj^a-stellt wurden (vgl.
tvort). Dabei beschränkt sich Sallw ürk nicht, wie unser IJericht,
Herl)art selbst, sondern legt fast mehr noch Wert auf die Ent-
:elung seiner Lehre, auf die Schicksale ihrer Weiterföhning im
e ZiUers und Retns. Er veischafft damit seinem Leser die
mntschaft mit einer Reihe von Werken, denen man es nicht
r weiteres ansehen kann, dass sie in Beziehung zu Herbart
sn, und er hebt dankenswerter Weise immer die Abweichunfj^en
.\utoren dieser Werke von den Lehren Ilerbart-Zilleis iiervor.
Vorwurf des Intellektualismus gegen Herbart kehrt auch hier
1er; anderseits leitet gleich den Anfang des ersten Sallwürkschen
chtes der Satz ein . ,iHcrbart steht wieder im Vordergrund des
igogischcn Interesses,"
In der von Max Reiniger gescIiickL zusammengcworbenen und
eitlich gruppierten Sammlung „Pädagogischer Abhandlungen^'
le a.S., Hermann Gesenius) macht Hans Zimmer den Beginn
einem 30 Seiten umfassenden Aufsatz über „Herbarts Pädagogik",
geht davon ans, dass ,,einp knappe und möglichst schlichte
Stellung" von Herbarts j)kdagogischem System, „wie sie hier
agt wird", „keineswegs ein blosser Auszug aus Herbarts Werken"
kann, vielmehr, ,,so eng sie sich auch, wo immer möglich, an
barts Wortlaut hdten soll", eine Interpretation sein muss.
s«, diese, wenn sie versucht, kurz und verständlich zu sein, einen
:tilossenen, leicht zu überblickenden Zusammenhang herzusteileni
— II« —
die Architektonik des Lehrgebäudes scharf hervorspringen /u b<;sen,
etwas Sc he malisches annehmen muss, ist nicht zu vermeiden,
gegenüber Unklarheit, Weitschweifigkeit und /Cusanmienlianglosigkeit
aber gewiss das kleinere Übel." Zur weiteren Charakterisierung der
Arbeit seien hier nur noch folgende Sätze aus den „Schltiss>
bemerkungen" angeführt: „Ihrer Bestimmung, eine klare und ver-
ständliche Kinführung in das Studium der Herbartschen Pädagogik,
einen leichten Uberblick über seine Erziehungslehre, einen bequem
übersehbaren Grundriss seines Systems zu bieten, hat unsere Dar-
stellung bei der Behandlung jedes einzelnen Gegenstandes immer
auf die Weise zu entsprechen gesucht, die gerade von Fall zu Fall
am besten dazu t^eeignet schien. Meist Hessen sich Klarheit, Ver-
ständlichkeit und Übersichtlichkeit am sichcr'^trn durch kurz zu-
sammenfassendes Herausheben der Hauptgedanken erzielen, gelegent-
lich auch durch schematische und tabellenartige Darstellung, da und
dort aber war eine ausfuhrlichere Darstell ui^^ zugleich die schneller
verständliche und darum vorzuziehen. Bald schien es besser, dass
Mcrbart selbst, bald dass der Verfasser redete. Stets war der
praktische Zweck des Aufsatzes bestimmend : um ihn zu erreichen,
wurde selbst der Vorwurf ungleichmässiger Darstellungsweise nicht
gescheut."
Drei „Bibliographisch-kritische Studien zur deutschen Herbart-
Literatur" hat Hans Zimmer auch in der „Volksschule" (fiüher
„Dorfschule". Herford, F. Kortkamp; IV', 7, 13 und 17) veröffentlicht.
Es sind die ersten drei Kapitel eines „I'ührers durch die deulsciie
Herbart-Literatur", der im gleichen Verlag erscheinen soll, und sie
behandeln: i. Einführungsschriften, Allgemeines, Bibliographie, 2. Aus-
gaben und Antholoj^ien, 3. Bioc^raphisches. Die p^anzc .Arbeit tritt
höchst bescheiden auf: sie will nichts sein als ein einfaches H i 1 fs-
mittel, sie verfolgt einen rein praktischen Zweck. „Die wissen-
schaftliche Beschäftigung mit Johann Friedrich Herbart, dem Philo-
sophen und dem Pädagogen, begann vor rund sechzig Jahren, und
in diesem Zeitraum ist eine so erstaunliche Fülle von Literatur über
den grossen Denker an^je wachsen, dass man daraus nicht bloss seine
überragende Bedeutung und seinen weitreichenden Einfluss erkennt,
sondern dass sich der Nicht-Spezialist auch schlechterdings nicht
mehr allein darin zurechtfinden kann. Er braucht einen »Führer*
durch das I-abyrinth der Herbart-Literatur, und als ein solcher bietet
sich ihm diese .Artikel-Reihe an. Ihrem praktischen Zweck ent-
sprechend durfte die Arbeit keineswegs vollständig sein. Sic berück-
sichtigt grundsätzlich nur Bücher, und zwar nur Bücher in
deutscher Sprache. Immer will sie über diese viel mehr
orientieren als sie kritisieren. Prinzipidle Gegner Herbarts kommen
gar nicht /u Worte: die Aufgabe war, zu Herbart zu führen, und
weil es sich stets nur um diesen selbst handeln sollte, ist auch seine
Schule (die Literatur über Ziller, Stoy, Strümpell u. s, f.) nicht mit
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ingezogen worden. Es kam eben lediglich darauf an, die reine,
äre Lehre Herbarts für Lehrer, Lehrerinnen, Seminaristen und
enten, die sich mit ihr beschäftigen wollen, ins Auge zu fassen
Wege zu ihrem Verständnis zu eröffnen durch Hinweis auf die
ke, die darüber von den verschiedensten Seiten aus unterrichten,
snbei wird vielleicht für den tiefer Blickenden noch ein zweiter
'k erreicht werden können: man wird zum Teil die Lücken
1. ciie in der Herbart-l* orschung noch für weitere Arbeiten
sind."
III. Der Kampf um Herbart.
In meinem vorjährigen Bericht hatte ich Faul \atorps
ammeite Abhandlungen zur Sozialpädagogik" (i. Abteilung) aus
n äusseren Grunde nur im Vorübergehen erwähnen können:
widmete ihnen O. Schmidt in seiner Besprechung von
riilen zur theoretischen Pädagogik" im März-Heft des „Deutschen
Imanns" eine ausführliche Besprechung, die für die Herbartianer
;en Wert hat. Denn obwohl er der scharfen Denkkraft und
v.onsequenz Natorps alle gebührende Ehre erweist, und obwohl
vas entscheidender ist, selbst keineswegs auf Herbarts Lehre
'Oft, ergreift er doch im Kampfe Natorps gegen Herbart mit
chiedenhcit für letzteren Partei und wirft dem erstcren Härte,
ischickliclikeit und Übertreibung vor. Er sagt u. a. : „Wenn
rp Herbart verfolgt, wenn er ihn hasst — man kann es nicht
rs nennen — so ist mir das unverständlich. Ungerecht ist es
, wenn er ihn so weit wie möglich von Pestalozzi abzudrängen
t. . . . Und doch gehören beide zusammen, wie Herz und Kopf,
üt und \>rstand zusammengehören. Der eine ist ohne den
rcii gar nicht zu verstehen." Weiter unten fährt er fort:
rps „Warnung vor Herbart, vor den Gefahren der Verkümmerung,
Schematismus, des Formalismus, des Intellektualismus, die der
le und der Wissenschaft der Fäd^ogik von ihm und seiner
ile drohen, ist völlig unbegründet Diese Gefahren bestehen
in dem Geiste des Herrn Natorp. Seine aprioristisch überhitzte
ttasie malt sie ihm aus. Die Wirklichkeit, in der wir leben,
t sie nicht Sie kennt aber Segensströme, die auch von Herbart
egangen sind und noch immer von ihm ausgehea'^ . . . „Übrigens
et sich das Wort von der in unseren deutschen Schulen
•nden und geübten Pädagogik — mit der Natorp nur die
)artsche verstehen kann — , die an aller altklugen Erzieher Weisheit,
aller greisenhaften Engherzigkeit des herrschenden Systems
Id sein soll, dieses Wort richtet ihn selbst, denn es entspricht
t den Tatsachen, es beweist, dass der Verfasser die deutschen
ilen nicht kennt." Herbarts Art soll es nach Natorp sein, seine
r auf ein bestimmtes Dogma testzulegen. „Wen", fragt Schmidt
— 120 —
dagegen, „hat er festgcl - t" Seine grösstcn Schülei : Drobisch,
Strümpell, Wnitz, Kern, Ziller, Sallwürk, Rein, Lotze, Ziehen, sind
alle ihre eigenen Wege gcijan^en." auch Max Schillings
massvolle Besprechung von Natorps ..( Gesammelten Abhandlungen zur
Sozialpädagogik" (i. Abt) in den „Pädagogischen Studien" PCXIX, 6);
der grundsätzliche Unterschied zwischen Herbart und Natorp ist hier
besonders Idar herausgearbeitet
Zu seinem Aufsatz „DarstcHnn.r und Beurtcihmpf des Gedanken-
ganges von Otto Willmanns Geschichte des Idealismus" [..Deutsche
Blätter für erziehenden Unterricht" XXXV, 25) hat Julius lionke
einen bei aller Gedrängtheit recht inhaltreichen und dankenswerten
Anhang „Willmann gegen Herbart" gegeben. Er geht davon aus»
dass Willmaiiii bekanntlich einst ein her\'orragendes Tnterosse an der
Philosophie Herbarts bekundet hat, und dass daher jetzt um so
mehr in Erstaunen setzt, was er seinen Lesern über llcrbart mitteilt.
In klarer, ruhiger Weise halt er WUImann an einigen wichtigen
Punkten der Metaphjrsik und Ethik vor, Herbart falsch aufgeiasst
oder verstanden zu haben, Behauptungen, aber keine Beweise zu
brinfjcn, aus Mangel an scharfem Denken Herbart Widersprüche
zuzuschreiben, die keine sind, und, verleitet durch seine katholische
Rechtgläubigkeit, sehr rückständig eine Rückkehr zur scholastischen
Philosophie zu empfehlen. Honke selbst fasst seine interessanten
Ausfuhrungen über den Gegensatz zwischen Herbart und Willmann
in die Sät:'f* zusammen: „Herbart geht aus von den ge<,'ebcnen
Erfahrungen und versucht durch sorgfältige Bearbeitung dci Rej^iifi'e
eine widerspruchsfreie Erkenntnis im ganzen Erfahrungsgebiete zu
gewinnen; bei der Unrast und Begrenztheit des Wissens bedarf der
[ensch der Ruhe im Glauben an Gott; eine direkte Kinwirkung
auf die menschlichen Verhältnisse ist nicht Sache des Philosophen,
sondern der Männer, die ausser ihren speziellen Berufen auch noch
durch philosophische Studien vorgebildet sind; diese praktisch
Tätigen bedürfen auch später der Philosophie, um sich die Spann-
kraft des Geistes zu bewahren. Willmann dagegen glaubt, durdi
göttliche Erleuchtung sich in das Zentrum der Welt versetzen zu
können, und er blickt von hier aus in die entleii^ensten Zeiten und
in die lernste Zukunft; er wirkt für eine katholische W'eltanschauung,
nach der sich das Leben der Menschheit gestalten soll." Übrigens
ist diese Zusammenfassung, wenn auch ganz richtig, das am
wenigsten gelungene Stück des ganzen Aufsatzes: er geht, wo sich
Honke auf metapi)\-sische und ethische Einzelheiten einlässt, bei
weitem mehr in die Tiefe.
In einer „Zur Herbartischen Pädagogik" betitelten „kurzen Be-
trachtung an der Jahreswende'' stellt Wilhelm Rein („Zeitschrift
ftir Philosophie und Pädagogik" XV, 5) dem „Geschrei des Tages"
und dem von bekannten Namen bestätigten Urteil der Menge, die
Herbartsche Pädagogik sei tot oder wenigstens so arg in Mißkredit
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nmen, dass man lieber davon schweige, die Hoffnung gegenüber,
der nach Wahrheit ringende Geist der Deutschen doch bald
Oberflächlichkeit und Seichtigkeit Herr werden werde, und
dann auch die absprechenden, wegwerfenden Urteile über
irts Pädagogik verstummen dürften. Die Staatspädagogik,
irbe Pestalozzis, die evangelische und katholische Pädagogik,
txperimentalpädacropk und die Pcrsönlichkeitspädagogik, die
)leiben würden, wenn wir die Herbartsche Pädagogik leichthin
alten Plunder würfen, bieten für sie, wie Rein im einzelnen
keinen vollen Ersatz. Damm: „Wer sein Volk lieb hat und
rzieher liir seine Zukunft mit sorgen will, lasse sich von der
läftigung mit der Herbartischen Pädagogik in Theorie und
s nicht abschrecken. So reich sind wir Deutsche doch nicht,
wir ein Gedankenmaterial, dessen Fruchtbarkeit tausendfach
bt ist, auf den Index setzen dürften, weil die Modernen aller
:tierungen es so wollen." Im i. Heft des i6. Jahrgangs derselben
rhrift gibt Rein dazu unter dem Titel „Ist Herbart veraltet?"
Nachtrag. „Das bewahrte Alte", fuhrt er auch hier in Heutig
lerbarts vielfach erj^roblc Lehre aus, „darf nicht eher beiseite
loben werden, bis nicht ein vollgültiger Ersatz gefunden ist",
bewahrte, Bleibende liegt bei Herbart vor allem in der Bestimmung
irziehungszieles, und „eine pädagogische Lehre, die in dem
ff der Charaklcrbihhmg gipfelt, kann überhaupt nicht veralten",
'rs v erhält es sich mit den BildunL^sidealen, die so oft \ on
Sächlicher Gedankenlosigkeit mit dem Erziehungsziel zusammen-
>rfen werden: „wer wollte da unbesehen festhalten, was Herbart
hundert Jahren geschrieben hat?" Aber auch hinsichtlich der
ingsideale hat sich die Herbartische Pädagogik lebensrähig
isen, denn sie zeigte sich „bieg«;am und aufnahmefähig:^ g^^T^n-
aUeni, was als Mittel zur Ver\virklichun{]^ des Erziehungszieles
und im Begriff der Bildung eingeschlossen ist". Ahnliche
len verfolgt Rein auch in seinem gedankenreichen Aufsatz „Das
lelnde Erziehungddeal unserer Zeit", mit dem er zu dem i. Heft
.Deutschen Frühlings", einer neuen, scheinbar recht gut geleiteten
monatsschrilt lür freies deutsches Volkstum, Kulturwissenschaften
Kulturpolitik (Leipzig, Verlag Deutsche Zukunft) einen
rzigenswerten Beitrag beigesteuert hat
Ein in ruhiger Sachlichkeit gehaltener längerer Aufsatz „Herbart
die Modernen" („Sächsische Schulzeitung", No. 18 -20; Leipzig,
s Klinkhardt^ von Max Rrethfeld spricht ein richtif^es Wort
Verständigung über Herbart und tritt zugleich den Bestrebungen
egen, diesen in die pädagogische Rumpelkammer zu verweisen.
Ansicht der meisten „modernen" Pädagogen, dass Herbart
e lebendige Grösse mehr, sondern nur noch eine gesdnchtliche
dass er dem modernen Lehrer nichts mehr zu geben vermöge,
Brethfeid nicht, findet sie aber begreiflich und natürlich. Die
— 122 —
Gründe dafür sieht er darin, dass der Jalirclang tobende Kampf lier
Meinungen um Herbart eine ruhige, sachliche Stellungnahme nur
ganz selten zuliess, zweitens in der „unglückseligen Verkoppelung
Herbarts mit ZiUer**» drittens in der Überholung Herbarts duixrh die
Ergebnisse der modernen Wissenschaft Gleichwohl ist der Schluss
nicht richtig, eine längere Beschäftigung mit Herbarts Pädagogik
lohne sich nicht mehr, denn hier lehnt sich Rrethfcld an die in
unserem \orjäiirigen Bericht besprochene Schrift von K. Häntsch
über „Herbarts pädagogische Kunst" an — Herbarts bleibende
Bedeutung liegt nicht in seiner Theorie, in seinem wissenschaftlichen
System, sondern in den Elementen seiner genialen Lehr- und Ejr-
ziehunf^skunst, in dem Geist, der ihr zugrunde liegt, in den ein/rlnen
feinen, treffenden Gedanken, die auch heute noch zu befruchten
vermögen. Aber auch Herbarts eigenartige, ja schwierige Ausdrucks-
weise ist ein Grrund für die Abwendung hastiger L^er von ihm;
dass sie indessen keineswegs reizlos bt, zeigt Brethfeld eingehend
an einer Reihe von Proben, mit denen er den Rat verbindet, das
Studium Herharts nicht mit dessen pädagogischen Hauptwerken,
sondern mit den kleineren pädagogischen Schriften (Berichte an
Herrn von Steiger, Aphorismen, Schriften über Pestalozzi u. s. C) zu
beginnen. Der letzte der Gründe, die nach Brethfelds Ausföhrungen
das Loslösen von Herbart begreiflich erscheinen lassen, ist ganz
allgemeiner Natur, weil er sich auf alle Pädagogen der Vergangen-
heil bezieht: es ist die vielfach sich zeigende Abneigung gegen das
Studiun) der Geschichte der Pädagogik und gegen pädagogische
„Autoritäten". Bei der Besprechung dieses Punktes findet Brethfdd
Gelegenheit, den ,JModernen" mit Recht ein Hinwegsetzen über die
\'ergangcnhcit der pädagogischen Wissenschaft und ihre Grössen
zum Vorwurf zu machen.
Und die Gegner Herbarts? Sie haben — vielleicht die Ruhe
vor neuem Sturm — im Berichtsjahr meines Wissens geschwiegen,
und mir bleibt nichts, als frier zwei kleine Aufisätze zu nennen, die
mir für meinen ersten Bericht entgangen waren. Vom katholischen
Standpunkt aus geschrieben, nennt *Dr. Baiers Artikel „Die fünf
Musterideen Herbarts und deren Würdigung" in den ..Katechetischen
Blättern", herausgegeben von A. Weber (1907, ^left 4), lierbarts
Ethik eine naturalistisdie, überkleistert mit dem christlichen Grund'
prinzip der Sttlichkot Eine wahre Etliik im katholischen Sinne
würde sie erst werden, wenn man die fünf Ideen an Gott als dessen
Willen anknüpfe. Auch die Studie ..Herbarts Lehre über gute und
böse Handlungen in ihrem Widerstreite mit der christlichen Sitten-
lehre" von *J. Pötsch in der „Katechetischen Monatsschrift", heraus-
gegeben von F. W. Bürgel (1907, XDC, 2) tritt Herbart nicht frei
und unbefangen gegenüber: sie versteht unter christlicher Sittenlehre
ein<;eitig die des heil. Thomas» zitiert übrigens Herbart nur aus
abgeleiteten Quellen.
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Untersuchungen zu HerbarU Philosophie unil P&dagogilt.
■rfreuKcherweise kann dieser vierte Abschnitt meines Berichtes
dritten an Reichhaltigkeit bei weitem überragen. Ül>er
Ottelins akademische Abhan(llun<^ „Herbartiansk Historie-
L-isninc;" (Geschichtsunterricht nach Herbart; Helsiii^^fors igo^,
rsität, 115 S. kann ich freilich leider, obwohl sie mir durch
reundlichkeit des Verfassers zugekommen ist, nicht genauer
ten, da CS mir in der kurzen Zeit nicht möglich war, mich
cmden Idioms mit Hilfe des Wörterl)uches ^cnüg;-cnd zu be-
igen. Aber so viel habe ich doch gesehen, dass sie sich
eindringende Gründlichkeit, ernste Wissenschaftlichkeit sowie
eine gute Kenntnis auch der dnschlägigen deutschen Literatur
chnet, und von ihrem Inhalt kann man sich mit Hilfe von
rens kurzem Bericht in der „Zeitschrift för Philosophie und
ogik" (XV'I, i) ein Bild machen.
.US Dr. Wellers im vorjährigen Bericht besprochenen
,6, „Locke, Jeaa Faul und Herbart über Jugendspiele" in den
sehen Blättern für erziehenden Unterricht*' ist inzwischen das
::he Buch „Die kindlichen Spiele in ihrer pädagogischen
timrr bei Locke, Jean Paul und Herhart" (Langensalza, Herrn,
und Söhne; „Pädagogisches Magazin* Nr. 320) hervorgegangen,
^handelt das gewählte Thema mit grosser Gründlichkeit in
;ter Umfassung: der frühere Aufsatz erscheint jetzt nur noch
^ bescheidener Ausschnitt Um erschöpfend sein zu können,
/eller beispielsweise bei Jean Paul auch seine Dichtungen, bei
• und Herbart nicht bloss die pädagogischen, sondern auch
lilosophischcn und besonders die psychologischen Werke mit
gezogen, und es genügte ihm nicht, einfach die Ansichten der
*ädagogen systematisch darzulegen, sondern er hat auch den
gungen nachgeforscht, aus denen heraus sie erwachsen sind
ich erklären, ebenso ihrem Einfluss und ihrer Einwirkut^i^^ bis
lic Gegenwart. Gerade aus der Parallele zwischcii den
rungen der drei Pädagogen und den tatsächlichen Ver-
ssen der Jetztzeit gewann er am Schluss seines Werkes
IC beherzigenswerte Winke für die weitere pädagogische
idlung der Spiele in der Zukunft, nachdem er das nicht mehr
»mässe in sachlicher Beurteilung von dem noch heute Brauch-
und Nachahmenswerten geschieden hatte. In der Anordnung
tofifes hätte es sich Weiler viel leichter machen können, wenn
len der drei Pädagogen nach einander fiir sich im Zusammen-
behandelt hätte; aber er tat sehr recht daran, die grössere
nicht zu scheuen, das Ganze nach sachlichen Gcsichts-
en zu disponieren und stets vergleichend vorzugehen,
irt, der sich nirgends im Zubanmieniiang über die Kmderspiele
— 124 —
geäussert hat, wird, ebenso wie Locke aus demselben Grunde, bei
jeder Kinzclfrajijc in l'arallele zu Jean Paul besprochen, der von den
drei Pädagogen allein ein festgefügtes Schema über die Spiele auf-
gestellt hat.
Eine Untersuchung über „Die pS3^hoIogische Denkweise Herbarts
in seiner Schrift »Briefe über die Anwendung der Psychologie auf
die Pädagogik' im Verhältnis zu der modernen physiologischen
Psycholof^ie" bietet Franr. Willcrs in der Beilage zum Progranun
Nr. 342 der h-islebener Übcrrealschule i. t. Lr gibt zunächst eine
Charakterisierung der psychologischen Denkweise Herbarts in den
,3riefen" Schwieriger war die hierauf folgende Charakterisierung
der modernen physiologischen Psychologie, weil hier eine ganze
Reihe Forscher herangezos^en und in Verbindung gebracht werden
mussten, während für den einzigen Herbart eben nur die „Briefe"
systematisch m exzerpieren waren. Bei der das dritte Kapitel aus-
machenden Parallele zwischen Herbart und den modernen Physio-
psychologcn kommt Willers zu dem Ergebnis: Herbarts Psychologie
in den „Hriefen** ist in der Hauptsache physiolojü^ische PsyclioloL^ic.
Die moderne Lehre dar! keineswegs die Beziehungen zu PIcrbart
ablehnen; kann dieser auch nicht als V^ater der physiologischen
Psychologie angesehen werden, so ist er doch deren Vorläufer.
Th. Ziehen ist bekanntlich in seiner Schrift „Das Verhältnis der
Herbart'schcn Psychologie zur phx siolog^isch-expcrimentellen Psycho-
lotTie" (Berlin 1900) zu anderen Ergebnissen j^ekommen, aber es
muss betont werden, dass Ziehen gerade die „Briete über die An-
wendung der Psydiologie auf die Pädagu^^ik" nicht besonders
untersucht hat. WtUers' fleissige und ernste Arbeit ist also zum
mindesten eine willkommene Ergänzung zu Ziehens Schrift. Aber
es empfiehlt sich , bei Benutzung von Willers* Arbeit die Be
richtigungen und Kri^änzungen nachzulesen, die Otto Flügel in
seiner Besprechung des auch von ihm hoch anerkannten Werkchens
gibt („Zeitschrift för Philosophie u. Pädagogik" XV, 10, S. 489—493).
Sie sollen vor allem zeigen, in welchen Stöcken Herbart den physio-
lopschen Psychologen überlegen ist.
Eine feinfühliije Herbart-Studie ist auch M.Schillings Aufsatz
„Willensbildurig und Interesse" in den „Pädagogischen Studien"
(XXIX, 4). Zwar bewegt er sich nicht ausschliesslich auf rein
Ilerbartischem Boden, sondern enthält auch Vergleiche (mit Kant»
Eichte . Pestalf)/.ziV, Aiiseinandersetznnf^cn mit anderen Forschem
fz. n. Xatorpf und praktische Forderunt^en , die der kundige Ver-
fasser offenen Auges aus den Erfahrungen seiner Amtstätigkeit
ableitete, aber im wesentlichen ist die Arbeit doch eine sorgfältige
Analyse der Gedanken Herbarts über das gewählte Thema. Das
wichtigste theoretische Ergebnis ist: „Für die geistige Regsamkeit,
die als Streben bezeichnet wird. Ijildet das Interesse das Anfangs-
gUed einer Reihe, deren iindglied der Wille ist Der Wille cnt-
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: nicht uniniudbar aus dem Interesse. Aus dem Interesse
Isen zunächst Belehrungen. Die Begehnmgen treiben zur Tat
die gelingende und oft geübte Tat entsteht das Wissen
lönnen. Das Wissen vom Können erzeug aus der Brj^rhtung
/illen." Ganz von selbst wurde Schilling; zu einer Ausemander-
j mit Ernst von Sallwurk gciuiut, der in der „Deutschen
" (1906, Heft 12; vgl. meinen vorjährigen Bericht) den Satz
:ellt hatte, die Aktivität sei ein fremder Gedanke in Herbarts
Knk , diese führe vielmehr zu untäti|^er Beschaulichkeit. Es
ir erfreulicli , dass aucli liier in so g^riindlicher uud wissen-
ich sachlicher Weise Sailwürks „auffälliger Behauptung" mit
lenswerter Entschiedenheit widersprochen wird. Nachdrucks-
hliesst der Aufsatz: „Die Untersuchung über Willensbildung
teresse wird gezeigt haben, dass ein Erziehungssystem, in
Mittelpunkte die Charakterbildung^ steht , nicht zu untätiger
.uUchkeit führen kann. Herbarts Pädagogik ist eine Fäda^c^k
lt."
it einem der schwierigsten philosophischen Probleme, aber
heoretisch, sondern historisch-kritisch, beschäftigt sich *Otto
es in seiner Rostorker Dissertation ,,Über Fichtcs und
'ts Lehre vom Ich und ihr \'erhäitnis zueinander". Sie ist
e wohlgelungene, durch Klarheit, umsichtige (Juelienbenutzung
ihige Sicherheit der Beweisführung ausgezeichnete Leistung zu
inen. Bordes hat entschieden Talent zur Darlegung ge»
lieber Entwickelungsreihen ; sehr gut ist z. B. gleich nach der
mung Kants als gemeinsamen Ausi^anj^punktes P'ichtes und
ts (Einleitung) und nach der Analyse des Kaatschen Ichs
, l) die Entwickelung, wie Fichte, der ursprüngUch stark zum
ismus neigte und dann, nach eindringlicher Beschäftigung mit
Philosophie, deren Lücken zu erkennen und sich nur die
)e gestellt glaubte , diese Lücken zu ergänzen, An^ifedeutetes
ihren und noch Unbewiesenes auf die sicheren l-'üsse des
logischen Beweises zu stellen, die phüosophisclie Betrachtung
mehr auf die Betrachtung des inneren Lebens, des Ichs,
und schliessUch alle Erfahruni^^ aus dem Ich als obersten
' abzuleiten suchte (I, 2 und 3). Inwieweit ihn> das ^elunt^cn
Cft der 4. Abschnitt des ersten Teils. Hier fol^t Bordes mit
Darstellung des Ich-Problems bei Fichte nicht Otto GühlofT
transscendente Idealismus J. G. Fichtes", Halle 1888), der das
r ersten Perk>de vom Ich der zweiten Periode trennt und
später bei Fichte ein ganz neues System an Stelle des alten
sieht, sondern Kuno Fischer, der in den Variationen der ver-
=*ncn Ausgaben der „Wissenschaftsichre" nur Lntwickelun;^ und
hritt, nicht aber Gesinnungsänderung und Leugiiung der
m Denkart erblickt Im 2. Teil wird zunächst das Verhältnis
(ts zu Kant noch eingehender bestimmt (i), dann die all-
— 126 —
mähliche Abwendung Herbarts von Fichte geschildert {2). Ein-
gehend behandelt Bordes hierauf Herbarts Kritik des Fichteschen
Ichbegriffs (3) und zeigt im 4« Abschnitt , welche neue Lösung des
Ichproblems Herbart an Stelle der Fichteschen Analyse des Ich-
be^riffs scl/t. Und nun, im 5. Abschnitt, ist er im Stande, die
Parallele zwischen Fichte und Herbart zu ziehen. Sein Urteil fallt
weder ganz zu gunsten Herbarts noch ganz zu gunsten Fichtes aus:
er sdldnt zwar Herbarts Verdienst um das Ichproblem höher an-
7Aischlagen als das F'ichtcs, hat aber doch auch ge^cn Herbarts
Fösung Einwände zu erheben. Wieweit sie berechtigt sind oder
nicht, kann hier nicht entschieden werden.
Unter dem Titel „Herbarts Ästhetik und der Kunstanschauungs-
unterricht in der Volksschule" hat R. Hahn in den „Deutschen
Blättern für erziehenden Unterricht" (XXXV, 45 und 46) einen durch
geschickt gewählte Beispiele und das Streben nach scharfer Begrifis-
Scheidung ausgezeichneten Aufsatz erscheinen lassen, in dem er
folgende Sätze zu erhärten sucht: „i. Herbarts allgemeine Ästhetik
hat nicht nur historische Bedeutung, sondern darf sich als Versuch,
das Wesen des Schönen wissenschaftlich zu erfassen, durchaus neben
den modernen Auffassunji^cn sehen lassen und ist von ihnen keines-
wegs überholt ; 2. der Kunstaiischauun^'sunterrirht ist eine Forderung
der Herbartschen allgemeinen Pädagogik und iindet seine wissen-
schaftliche Stütze in Herbarts allgemeiner Ästhetik." Es ergibt sich
in der Tat aus Hahns Ausführungen die Richtigkeit dieser Sätze,
doch scheint mir der letzte Teil der zweiten These, dass der Kunst-
anschauun^^sunterricht seine wissenschaftliche Stütze in Herbarts all-
gemeiner Ästhetik finde, nicht ausführlich genug begründet zu sein:
im Schlussabschnitt redet zu viel der Verfasser selbst, wälirend
man vielmehr die Darlegung Herbartscher Gedanken als Beweis-
mittel erwarten sollte. Hahns Arbeit ist als Heft 350 des „Päda-
gogischen Magazins" von Friedrich Mann bei Beyer und Mann in
Langensalza anch ^^csondert erschienen.
Die besten wissenschaftlichen Leistungen des Berichtsjahres auf
unserem Gebiete wurden uns im bescheidenen Rahmen zweier
Dissertationen geboten, gehen aber weit über das Mittelmass
derartic^cr Arbeiten hinaus, ja sind zwei der lichtvollsten Studien
über Ilerbart, die wir je erhalten haben: Alfred Zicchncr, „Herbarts
Ästhetik", und Martin Walt her, „J. F. Herbart und die vor-
sokratische Philosophie" (Halle a. S., Hofbuchdruckerd vcmi
C A. Kaemmerer u. Co.). Wenn auch nicht alle Resultate der
äusserst tief eindringenden Untersuchung Walthers neu sind, so
gewinnt doch auch das Alte in dieser Geschlossenheit und in dieser
reichen Verbindung mit einer Fülle von Neueni eine besondere
Wirkung, und beides zusammen wird zu einem Gewebe von
zwingenden Schlüssen. Je sparsamer sich Herbart selbst über
seinen Entwickelungsgang ausgesprochen bat, desto dankenswerter
— 127 —
die Bestrebungen, die Beweggründe aufzudecken, die ihn zum
en und Suchen, zum Schwanken und schliessHchcn Entscheiden
ilasst haben. Welche Rolle hierbei die zu Herbcirts Frühzeit
:r ans Licht gezogenen V'orsokraiiker ^fcspiclt haben, ist das
la Walthers. Sein Endergebnis aber ist folgendes: Die Philo-
e bat die alten An&ige echter Metaphysik, wie sie bei Heraklit,
enideii, Zeno und den Atomikem vorlagen, die Probleme, die
I diese frühen Denker erkannt und aufgeworfen hatten, ver-
n. Aber diese Fracken warten immer noch auf Antwort, uiui
ifbeit muss wieder N on vorn an beginnen . wieder genau so
3ei den Vorsokratikern. Darum schrieb Herbart der vor-
tischen Philosophie für die akademische Jugend eine ganz
dere Bedeutung zu. „Wenn ein Anlanger," sagt er, „heutigen
; die Metaph^'sik zuerst aus Rüchern und T.ehrvorträcijen kennen
wodurch sie ihm als historische Tatsache und deshalb un-
ridlich als eine gelehrte historische Masse erscheint, wenn er
Masse nicht auflösen, sie nicht auf Ihre Elemente zurück-
ihren Ursprung nicht begreifen kann: dann helfen ihm die
die Anfange der Fäden zu finden, aus welchen sich später
erworrcnste Gewebe erzeugt hat . . . Sie bekennen ihm ihre
:n Verlegenheiten und fordern ihn auf, zu überlegen, was sie
für einen Gebrauch von heutiger Naturkenntnis würden
:ht haben, wenn ihr Erfahrungskreis auf einmal die jetzige
lerung erhalten hätte." Demgemäss musste es aber auch,
VValther fort, Merbarts Forderung für die Geschichte der
aphie sein, dass sie i>ragmatisch dar<?telle und zei^e, dass und
ie wahren metaphysischen Probleme, die jedes Denken in
ung erhalten, schon die alten Jonier, Eleaten, Atomiker he-
gt haben; dass und wie diese Probleme aber fernerhin ver-
worden sind; weiter, dass und wie dieselben Ar.triebe des
ns heute wie damals bestehen urul in den Kampf hinein-
i, und endlich, dass und wie die alleräitesten Versuche, die
me zu lösen, schon eine betrachtliche Annäherung an die
.eit enthalten.
an sieht, Walthers Arbeit ist zunächst rein historisch orientiert,
t ein starker entwirkclungsgeschichtlicher Zug durch sie hin-
der genetische Aufbau der Metapliysik I lerbarts ist uns durch
scntlich bekannter geworden, ja wir müssen hierin in mancher
(vgl- z. B* S. 64) entsdüeden umlernen. Aber sie reicht
h weit über das bloss Geschichtliche I^inaus, sie zeigt am
1 des jungen, suchenden und findenden Herbart, wie Meta-
überhaupt getrieben werden soll, wie eng sie sich an die
chtc der Philosophie anzuschllesscn hat. Es ist geradezu das
:ste Ergebnis der Arbeit, dass Walther zeigt (z. B. S. 40 f. in
Exkurs über das ämigov des Anaximander), Herbarts Philo-
verdiene durchaus nicht den ihr oft gemaditen Vorwurf, ein
unhistorisches Abspringen vom geschichtlichen Verlauf der Philo-
sophie zu sein. Im Gegenteil steht keiner unserer grossen Denker
wie Herbart im Strom der Geschichte der Philosophie, keiner hat
diese Geschichte wie er verstanden und zu benutzen gewusst.
Dass Walther von einem sehr gründlichen Herbartstudium her-
kommt, beweist nicht nur die Sicherheit, mit der er immer mit
wenigen vür/.ÜL^lich ausgewählten HauptsteUen den Kern der Herbart-
sehen Gedanken scharf herauszuheben versteht, sondern auch der
Umstand, dass er nebenher eine ganze Fülle von feinen Kinzel-
bemerkungen hinschüttet, die er nicht ohne weiteres am Wege auf-
lesen konnte. So wird z. B. Herbarts Verhaltnb zu Spinoza
beleuchtet, so wird gelegentlich eine falsche Lesung in Kehrbacbs
Ausgabe von Hcrbarts ,, Sämtlichen Werken" berichtigt, f?o wider-
s^)richt Walther aucli Mcrbarts eigenem Zeugnis, wenn es die
Ergebnisse seiner üntersucliung verlangen. Zu dem reichhaltigen
Literaturnachweis ist jetzt anzumerken, dass von Diels, „Die Frag-
mente der Vorsokratiker" inzwischen (Anfang 1908) der erste Tai
von Bd. n erschienen ist.
Walthers schöne Arbeit gewährt einen reizvollen Einblick in
Hcrbarls Werkstatt: wie er bald positiv einen Gedanken aufnahm,
bald durch Widerspruch zu Eigenem gelangle, bald einen fremden
Gedanken bis in seine äussersten Konsequenzen verfolgte u. s. £
Vielleicht zeigt nichts die geistige Stärke Herbarts so deutlich wie
die gcwaltlL^rc Kraft, mit der er die Ideen der X'orsokratiker kritisch
und selbständig verarbeitete, und wenn man's nicht schon wüsste,
SO würde die Schrift Walthers auch dartun, wie beharrlich und un-
erbitdich Herbart jedem Pit>b]em auf den Grund ging. Für manchen
Leser wird sie noch eine letzte und vielleicht sehr wichtige Be-
deutung haben: sie wird ihm die Metaphysik Herbarts in ihrem
positiven Wert nahe bringen, deren Durchschlagskraft für ihn
wesentlich erhöhen.
Alfred Ziechners vollwertige Leipziger Dissertation über
„Herbarts Ästhetik, dargestellt mit besonderer Rücksicht auf seine
Pädagogik und im Zusammenhange mit der Entwickelung der
Ästhetik an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert betrachtet"
(Druck von Frankenstein und \VaL,mer in Lci|v/,icrl hat sich im Rerichts-
jahr beide Preise der philosophischen Eakuität zu Leipzig errungen.
Die klar und in sich reich gegliederte Arbeit schiclrt dem eigent>
liehen Thema einen Abschnitt „Herbart als Schüler Fichtes und
Schillers, der Vertreter zweier Geistesströmungen und Denkweisen''
voraus, erörtert dann die X^oraussetzungen für Herhart s ästhetische
Lebensanschauung, hierauf deren Inhalt, nänüich erstens die all-
gemeine Ästhetik, das Gefallen einfachster Verhältnisse, das
ästhetische Urtdl, zweitens die „Kunstlehren", das Gemessen des
Kunstschönen, das Kunsturteil, endlich das Ästhetische im weiteren
und engeren Sinne im Verhältnis zur Pädagogik. Um eine Gesamt*
129 —
; über die Arbeit abzugeben, genügt es vielleicht zu sagen,
Hosdnskys bekanntes Buch üba* Herbarts Ästhetik weit i£er-
;ii ist Aber das wichtigste Ergebnis Ziechners liegt doch
dem Gebiete einer ganz allgemeinen Herbart-Frage: was
sch (vgl meinen vorigen Bericht) und andere für die
gogik nachgewiesen haben, beweist hier Ziechner für die
etik, nämlich dass Herbarts Hauptbedeutung nicht im Syste*
ichen, Schematischen, Konstruktiveii liegt, sondern in der
?n lebensvollen Weitanschauung und Persönlichkeit,
Bei Herbart zeigt sich ein Nebeneinander zweier verschiedener
rweiseii : es spricht einmal der empirisch oder durch Gefühls-
: bestimmte Mensch, zum andern der systematisierende
soph. Daher ist Herbarts Lebensanschauung „nicht in allen
ten der Inhalt seines Systems; seine ästhetische Lebens*
lauung ist mehr als seine philosophische Ästhetik, und was
in ihr gefunden hat: sie ist eine Lcbensanschauung im
reten Sinne des Wortes, mit dem tiefinnersten Wesen seiner
' verknüpft, sie ist nicht ein blosses philosophisches Sich-
Trechen über Fragen des Ästhetischen". Die eigentliche Auf-
die sich Herbart in Bezug auf die Ästhetik zu lösen vor-
•b, war die, „einfachste Prinzipien objektiv wissenschaftlicher
•ufzustellen", aber er ging mit einer Fülle von feinsinnigen
irungeii über ästhetische Fragen weit über diese Aufgabe
s. „Herbarts ästhetische Lebensanscfaauung ist reicher und
svoller als der Inhalt der Par^iaphen, die in der J'inlcitung
ie Philosophie' der Ästhetik j^i^ewiffmet sind. Herb:irts
tische Lebensanscliauung kann nicht erkannt werden bei
rung seiner Urteile über Ästhetik von seiner übrigen Gedanken-
sondem nur im Ifinblick auf sein vorB%lich etlusch inter«
tes Denken und seine pädagogisch-psychologische Denkweise
nur unter steter Vergegenwärtigung seiner individuellen
art."
)iese ijanze Gedankenreihe greift nun auch über auf das
igogisclie Gebiet. „Nicht Herbart selbst, wohl aber seine
e traf es, was Schulze-Perghof sagt: es güt ,Lücken Im System
irts auszufüllen, zu ergänzen, zu erweitem', nämlidl durch die
ilsbildung im Ästhetischen. In Herbarts System ist diese
: gar nicht vorhanden." Denn „die Fliege des ästhetischen
sses hat Herbart ausdrücklich hervorgehoben, und ihre Aus-
r ergibt sieb aus einer tieferen Duvclidringung der Ghrond-
seiner Pädagogik mit weit grösserer Notwendigkeit als etwa
arre Anwendung der fünf Formalstufen".
üechner verrät ausgeprägten Sinn für geschichtliche Zusammcn-
■, nimmt stets auf die Zeitströmungen Rücksicht und geht bei
anzen Untersuchung aus von dem Bdilieu, in das Herbart bei
n Eintritt in Jena gestellt wurde: die Welt Fichtes und die
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— i30 —
Wdt Schillers. Hochinteressant ist der Beweis, wie eng ach
Herbart an die ästhetischen Anschauungen des letzteren anschloss.
Manche feine, trefTende Bemerkung fällt nebenbei ab, i. B. die über
die „glücklichen Inkonsequenzen", die im ,,Umriss ' die strengen
Folgerungen aus dem „intellektualistischen" Unterbau durchbrechen.
Den Satz (S. 40), dass geschichtlicher Sinn nicht Herbarts Stärke
gewesen sei, wird Ziechner selbst nicht festhalten wollen, wenn er
Walthers oben besprochene Arbeit gelesen haben wird.
Aus demselben Geiste freiester, weitester IIcrbart-Betrachtung
ist endlich auch eine schöne Schrift gewachsen , mit der wir die?e
Mitteilungen voll ausklingen lassen können. Denn wie itn vorigen
Bericht in der feinfühligen Schrift „Herbarts pädagogische Kunst^
von Karl Häntsch ein Buch genannt werden konnte, das mitteo
hinein in die „modernen" Versuche, den „ledernen" Herbart ,, endlich
emmal" abzutun, den Fanfarenruf schickte: ,,I''reudc an Herbart!
Ihr bekämpft ja nur das Gerippe; sucht doch das lebendige
Fleisch; Ihr seht ja nur das Schema; fasst doch endlich den
Geistl" — so haben wir auch dieses Jahr wieder die Freude, in
Paul Dieterings Werk „Die Herbartsche Pädagogik, vom Stand-
punkte moderner Erziehiingsbestrebnni^^ n gewürdigt" (f^eipzig, Fritz
Eckardt) ein Buch anführen zu können, das uns die Fülle der
Herbartschen Gedankenwelt nahebringt, das uns zeigt, wieviel
immer wieder neu zu hebende» nie veraltende Schätze in Herbarts
Pädagogik liegen, wenn man nur nicht glaubt, sie erschöpfe sich in
gewissen didaktischen Regeln und Rezepten. Solche Bücher haben
etwas Beschämendes, denn sie offenbaren, wie wenig tief das
Herbart-Studium von Männern gewesen sein muss, die in rascher
Verurteilung dazu kommen konnten, Herbart „ledern" zu nennen,
wie wenig historischer Sinn — wenn sie auch noch so viele „Ge«
schichten der Pädagogik" geschrieben hätten — in ihnen vorhanden
sein musste, dass sie einen solchen Mark<;toin in der Geschichte
der Pädagogik einfach überspringen zu können glaubten, wie
äusserlich aber auch noch immer bei manchen „Herbartianern" die
Kenntnis ihres Meisters ist: das Schema seiner Lehre kennen
sie genau, der reiche Gedankenbom dagegen, der seiner lebens-
vollen Persönlichkeit ent-si^rincrt, floss ihnen noch nicht.
Die Schrift Dielerings zeigt, was wir freilich schon wussten,
dass man mimcr nur gegen euizelne, teilweise \\\ der bekämpiica
Passung gar nicht einmal auf Herbart selbst zuruckzulUhrende,
herau^egriffene Bruchteile seiner Lehre kämpfte, dass die Bruchteile
nichts weniger als den Kern seiner Lehre ausmachen, dass die
Kritik also mehr oder weniger in die Luft stiess, dass man in
diesem Kampfe gegen Herbart gar nicht den wirklichen Herbart
bekämpfte — und kannte, kurz, dass die Art und Weise, wie man
Herbart gegenwärtig in wissenschaftlich und vor allem pädagogbcb
interessierten Kreisen behandelt, seiner Bedeutung nicht im ge-
. ijui. u i.y Google
ten gerecht wird. Das zdgt Dieterin^ — und hierin liegt das
seines Buches nicht in negativer Kritik, sondern er erbrln<;![t,
virkun^svoUcr , den positiven Beweis, dass Herbarts Ideen
unter den gegenwärtigen Verhältnissen noch vorzüglich brauchbar
Weder die „individualistische" noch die „universalistische", weder
soziale" noch die „autonomtstische", weder die „künstlerische"
die „sittlich-religiöse" Seite der Erziehung vermag sich über
ichlässigung in Herbarts I'ädagogik zu beklagen, und nach
ler Richtung die modernen Bestrebungen nur immer den
eipunkt der Jugendbildung vorlegen: nie vermissen wir bei
iTt die entspre^enden Vordeutungen und Voraussetzungen,
srsagt die Fülle seiner Anregungen und praktischen Fii^r-
Das ist für Dictering das vielleicht nur gelegentlich zu un-
gt hingestellte Ergebnis seiner ersten fünf Abschnitte. Dass
auch der Vorwurf, Herbart habe über der Sorge für die Seele
[enschen die Pflege seiner ph>'sischen Gesundheit vernachlässigt^
Berechtigung habe, zeigt der Verfasser in seinem 6. Abschnitt
den „hygienischen Zug" in I lerbarts Pädagogik, in dem vor
die „Mutterschaftsfrage" Interesse verdient, und der sich
lieh auch mit Wellers Buch über die Spiele bei HerbarL be-
Nach alledem kommt Dietering zu dem Schlüsse, dass
allen Gezeters über Herbarts Pedanterie und sein veraltetes
erstarrtes System . . . die gesamte moderne Pädagogik auf
I Schultern ruht, und dass die .neuen Lehren', die jetzt häufig
ai ktschrcicrisch angepriesen werden, im Grunde docli nichts
es sind als mehr oder weniger glückliche und mehr oder
!r einseitige Ausprägungen der Ideen, die Herbart schon vor
- als einem halben Jahrhundert ausgesprochen hat". Das
f)lle Ruch kann, aufmerksam gelesen, in hohem Masse der
icfung des Studiums der Herbartschen l^ädagogik dienen:
die Methode Dietcrings, Einzclbcgriffe (Individualität,
sse usw.) genau und im Zusammenhang zu analysieren, wird
ics klarer, als wenn man es — bei Herbart selbst — bald da,
dort an getrennten Stellen liest. Ein vortreflTliches Inhalts-
chnis mit der Reichhaltigkeit eines Sachregisters gewährt
istes Zurechtfinden in dem Werke, das freilich ernst mit-
ende und hingebende Leser voraussetzt, wenn es den vollen
n bringen soll, den es dank seiner Tüchtigkeit bringen kann.
9»
Die vielklassige Sehula,
ihre Vorteile und Nacliteile, und andere Organfeationefragen.
Die Klasseneintcilunt; ist wie der Lelirplan , der Stundenplan
und die Schulordnung ein Stück der Schulorganisation. Welcher
von diesen Teilen itir den ganzen Schulorganismus der wichtigere
ist, dürfte kaum zu sagen sein; fraglos wächst die Bedeutung jedes
derselben in dem Verhältnis, wie die Teilung der Schule zunimmt.
Eine Organisation überhaupt muss sowohl die einklassige wie die
32 klassige Schule haben. Die Organisationsfrage der Klassen-
teilung darf in ihrer Bedeutung keineswegs unterschätzt werden,
wenn sie auf den ersten Blick auch nur als eine Schulformfrage
erscheint, denn „je zweckmässiger die Form, desto vollkommener
der Inhalt".') Ihr ist hi^ /um Jahre iSoo weder von Pädagogen
noch von Behörden besondere Aufmerksamkeit zugewandt worden,
weil man einesteils weitgehende Erwägungen über Klassenteilung
nicht für wichtig genug hielt, weil andemteils die äussere Not«
wendigkeit grösserer Klassenzahlen, bewirkt durch grosse Einwohner-
und Srhiilerzahlen, ni^ht vorlag. Hrst das 19. Jahrhundert ha! dio
Frage der Klasseneinteilung aufgerollt und sie besonders in seinen
letzten Jahrzehnten zur Diskussion gestellt Ausserdem zeigt das
19. Jahrhundert auch in praxi die Vergrössening und Teilung der
Volksunterrichtsanstalten von der einstufigen bis zur achtstufigen,
von der cinklassigcn bis zur vielklassigen in unbestimmter Abgrenzung.
— In Bezug auf unser Thema dürfte eine Unterscheidung zwischen
den Begriffen „vielstufig" und „vielklassig" zu machen sein — eine
Unterscheidung, die im taglichen Leben wie in schriftlichen Ab-
handlungen in der Regel nicht eingehalten wird. Die Zahl der
Stufen einer Schule kann u. E. ihre Höchstgrenze nur in der Zahl
der Schulpflichtjahre in Preussen z. B. 8, in Bayern 7 *) haben,
während die Klassenzahl durch Parallel-, Nachhilfe-, Forder-, gehobene,
Oster- und Michaelisklassen eine beliebige, nicht allgemein fest-
zusetzende Zahl erreichen kann. In Rucläicht auf die historische
EntwickcU:ii[:( ler Klassenteilung werden wir als vielstufig die
sieben- bis achtstufige anzusehen haben , denn die allgemeinen
Bestimmungen von I872 und eine Ministehai- Verfügung vom 29. 1 1. 75
Voo 0, Hiarssymia» Rektor io hcv.
I.
•) Sdt I. September 1907 flir Knaben nneh S Fffidttjalue.
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I das Sechsklassensystem fiir die höchste Entwickelungsfonn
reiklassigen Nonnakchule. Als viel kl assig müsste diejenige
? bezeichnet werden, <iic durch Teilung der Stufen in der
jng eines der vorgenannten Gesichtspunkte die Zahl der
1 über 8 hinaus unbeschränkt vermehrt hat
II.
ür die richtige Beurteilung und Bewertung der vielstufigen
elklassigen Schulen dürfte die Anführung und kurze Beleuchtung
ründe, die ihre Einrichtung erwünscht, zum Teil notwendig
:ht habea, nicht zu umgebeii sein. Sie lassen sich unter
ppen bringen: kulturdUe, materielle und pädagogische.
it der steigenden Kultur wachsen auch die Anforderungen
er wie innerer Art, die an die Volksschule gestellt werden,
r und Elektrizität, Erfiiuiungen und Kntdeckungen, die wirt-
ichen Lebensverhältnisse in Familie und Staat müssen langsam
iicher die Schule zu einer Anpassung nach aussen wie innen
;n. So behauptet auch Scherer im pädagogischen Jahres«
: 1902: ..Die Schulorganisation folgt, wie uns die Geschichte
hulwcsens lehrt, immer der fcntwickelung des kulturellen und
en Lebens eines V^olkes nach. Das Schulwesen muss sich
leuen daraus hervorgehenden Forderungen anpassen. £s
ten neue Schularten, welche den neuen Bedürfoissen Rechnung
sollen." Die Statistik zeigt eine rasche Zunahme vielklasstger
smen. Während es im Jahre 1886 in Preusscn 290 sicbcn-
ehrkl assige Schulen gab, steigt deren Zahl m 10 Jahren (i 896)
33 und nach weiteren 5 Jahren, nach der amtlichen
k von 1901 auf 16161 Dementsprechend vermindert sich die
der wenigklassigen , namentlich der einklassigen Schulen,
tzteren gehen in der erstgenannten Periode um 14^/0 in den
1, 8'/4®/o auf dem Lande zurück und die ersten 8 Jahre unseres
Jahrhunderts zeigen einen rapiden Fortschritt in der Ver-
lg derStdeii und Klassen. Nach der zuletzt vereflTentHchten
sehen Statistik vom 20, Juni 1906 ist die Zahl der 8 stufiges
i auf 544 gestiegen, wovon allein auf Berlin 282 = S^^U
n. Das .Warum" dieser Krscheinung liegt auf der Hand:
rspricht sich von einer mehr gegliederten Schule mehr Erfolge,
iweise Unterrichtscrfolgc, wie überhaupt in der gegenwärtigen
reit „die Menge des Wissens und der Fertigkeit massgebend
en ist für die Arbeit der Volksschule".*) Ob diese Voraus-
betrefis des grösseren Erfolges richtig ist, soll nachher vom
n den früheren Statistikea ist eine zahlcnnüssige Trennung zwischen 7- und
Sjritemen noeli nicht gctroffien.
»ncltt. Zur Sclndfcfiinn.
pädagogischen Standpunkte aus untersucht werden. — In mindestens
demselben Masse ist das oben genannte Klassenwachstum durch
materielle Gründe veranlasst, von denen als hauptsächlichster
die Schüler zahl zu nennen ist. Denn für Vermehrung der Schul-
klassen ist in den allermeisten P'iillen das Wachstum der Schülerzahl
ausschlaggebend. Die letztere führt zunächst zu einer Klasse n-
vermehrung, in zweiter Linie bei Vorhandensein auch anderer,
namentlich örtlicher Rücksichten, zur Einrichtung neuer Schulen.
Denn nicht minder wichtig und cinfliissreich ist die Geld-, Platz-
und Zeitfrage. In «grösseren Volkszcntrcn ist die Vermehrung der
Schülcrzalü oft so rapid, dass Schulgebäude nicht so schnell zu
bescbafien sind, woför unsere Reichshauptstadt mit ihren 583 Klassen
in gemieteten Räumen und 28 Klassen ohne eigene Klassenzimmer')
einen schlagenden Beleg bietet; auch kostet eine neue Schule mit
neuer Schulvcrwaltung und Einrichtung viel Geld. Die Vermehrung
von Klassen an vorhandenen Schulen lässt sich leichter ermöglichen
und ist nicht so kostspielig; wie ja überhaupt jeder Grossbetrieb
prozentuell billiger ist als der Kleinbetrieb.
Für Lehrer sind die pädagogischen Gründe, welche für
oder wider eine Vermehrung der Stufen und Kiassrn in Betracht
kommen können, die wichtipi^stcn und ausschlaggebenden, und wir
betrachten es als die Hauptaufgabe unserer Ausführungen, diese
eingehender au&ufuhren und zu beleuchten, um so unter Mas^abe
allgemeiner pädagogischer Prinzipien eine feste Grrundlage für die
Org^anisationsfraf^e zu gewinnen. Diese Untersuchung wird uns
Gelegenheit ^eben, die Vor- und Nachteile der viclklassigen gegen-
über den wenigklassigen bis hinab zu den einklassigen Schulen auf-
zusuchen und zu beurteilen. Es kommen hier 3 Hauptfaktoren in
Frage: Die Schüler, der Lehrer, der ganze Schulbetrieb.
in.
Bei der Sciiulcrzieiiung pflegt man gemeinhin die uuternchtiiche
und erziehliche Seite zu unterscheiden. Alle Schulen, ohne Rücksicht
auf ihre Grrösse und Teilung, verfolgen das gleiche Ziel : bei einer
möglichst grossen Anzahl von Schülern möglichst weitgehende
Unterrichts- und Krzichungsrcsultate zu gewinnen. Während die
Unterrichtsgegenstände nach Zahl und Art bei allen im wesent-
lichen gleich smd, gehen die mehr- oder vidldassigen Schulen in
der Auswahl und N^nge des Stoffes, in der Herausarbeitung der
Methode und der Absteckung der Ziele über die ein- und wenig"
klassieren hinaus. Auf erziehlichem Gebiete Vorteile zu haben, wird
in Hinsicht auf das vielklassige System nicht, wohl aber bezüglich
des ein- und wenigklassigen oft betont Die öffenUichkeit sucht.
1) Sutiitik vom ao. Juni 1906.
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— 13S —
wir schon ausführten, die Vorzüge, besonders auf dem
terrichtsgebiet — Diejenige Unterrichtsanstalt wird nun
emein — abgesehen von einzelnen Ausnahmeleistungen — die
;en Erfolge zeitigen können, bei der die Unterrichtsbedingungen
günstigsten sind, und dies ist dann der Fall, wenn die Schule
hier in Betracht kommenden psychologischen wie technisch-
ctischen Anforderungen möglichst weitgehend Rechnung trägt
iirend in der ein- und wenigklassigen Schule sämtliche oder
trere- Alters- und Bildungsstufen zusammen sind, kann mit der
:hoienden Zahl der Klassen eine dem geistigen Stande der
Jer entsprechende Scheidung und eine diesem Geistesstnnde
prcchende bessere methodische Ausgestaltung des Unterrichts
offen werden. Darnach ist fraglos diejenige Scliule die voU-
imenste, die för jedes Schuljahr eine besondere Stufe und dem-
prechend einen besonderen Stoff und eine besondere Methode
Schülern bieten kann. Damit ist keineswegs gesagt, dass jede
inde Klasse nur neue Stoffe habe. Im Gegenteil ist für die
Uassige Schule eine Gefahr die zu weitgehende Vermehrung der
fe, wozu einerseits die leichtere und grössere Darbietungs-
lichkeit, andererseits die Forderungen des modernen Lebens
ihren können. Dadurch würde sie sich des Vorzuges, den ae
chtlich des Stoflfumfangcs tatsächlich hat, begeben und den
.vurf, der ihr von der wenigklassigen Schule oft gemacht wird,
chtigrt erscheinen lassen, dass sie vieles einpfropfe nur zum
^ssen. Es wird deshalb in dem Lehrplan der vielldanigen
ile nur das eingefugt werden dürfen« was dem kindlichen
;issungs- und Begriffsvermögen zugänglich und für dir Allgemein-
ing, die das heutige Volks- und Kulturleben fordert, unentbehr-
isL — Die Individualität der iünder ist ausserordentlich
Flieden, und der Unterricht wird um so mannigfaltiger sein,
ehr Altersstufen in einer Klasse vereinigt sind. Deshalb dürften
Fröhlich*) „jedenfalls nicht mehr als zwei verschiedene Altcrs-
n gemeinschaftlich unterrichtet werden". In der einklassigen
en z. B. in der Religion in der Unterabteilung drei, in der
abteilung fünf Altersstufen (Kinder von 9 — 14 Jahren) gemeinsam
"richtet — ein Notbehelf, der psychologisch und meth<raisch nach
rr Seite zu rechtfertigen ist, denn ein grosser Teil des Stoffes der
stufe, noch dazu in einer der Oberstufe entsprechenden metho-
en Behandlung, stellt für die Mittelstufe den nacktesten didakti-
1 Materialismus dar. Eine beachtenswerte Seite der Individualität
eBegabung der Kinder. Die grössere Klassenzahl gestattet es,
der Schwachbegabten besonders anzunehmen, ihnen ohne Ver-
ung der Dienststunden des Lehrers NachhUfestunden zu geben,
ventl. in besondere Hilfsklassen zu schickeiL Wenn zwar die
-) Die Giundlehren der Schulorganiiation.
Forderung der Gegenwartspädagogik, wonach die Schülerzahl einer
Klasse 45 lücbt übersteigen soll, auch für die vielklassigen Scliukn
im allgemelnea nicht entfernt eHiittt Ist, so haben sie doch darch-
schnitüich eine geringere Klassenfrequenz als die ein- und wenig-
klassigen Systeme, an denen es nach der Statistik \'on looi in
Preussen noch 422 Klassen mit je 120 bis über 210 Kindern L,^ab.
„So nachdrücklich normale Frequenzverhältnisse der Vertiefung des
unterrichtfichen und erzieUichen Einflusses Vorschub leisten, so
schwer müssen anormale die Erreichung des Zieles schädigen und
bis zu einem orewissen Grade in Frage stellen."*) Ausgeglichen
wird die grössere Frequenz, falls sie in der mehrklassigcn Schule
vorhanden ist, durch die psychologisch gewährleistete Gleichmässig-
keit des gleichen Alters der Kinder in derselben Klasse. Immerhin
wird ja auch eine solche Klasse mit emem Durchschoittsmass der
Begabung zu recluien haben , und alle Schüler werden auch in der
Altersstuff nklasse das Endziel nicht erreichen , welch letzteres
jedoch die ein- und weingkla^igen von sich ebensowenig behaupten
können.
Wenn wir oben ausfiSirten, dass in der mehrklassigen Schule
die Stoffgrenze weiter gesetzt werden könnte, so erscheint es fast
als ein Widerspruch, den weiteren Vorteil anzuführen, dass die
Stoffpensen für die einzelnen Klassen kleiner bemessen und
gleichmässiger verteilt sind. Ein einfaches Divisionsexempel be-
stätigt aber, diese Behauptung: je grösser der Divisor, desto Idetner
der Quotient; das will si^en: je grösser die Zahl der Stufen, desto
kleiner der auf die einzelne entiallettde Teil des Gesamtpensums
setze man letzteres nun so eng oder weit wie man wolle Die
Kleinheit des Pensums ist aber nicht von zu unterschätzendem
Wert, denn „je kleiner das Pensum, desto grösser die Möglichkeit
allseitiger Bearbeitung und Befestigung".^ — EKesen letzten I\nkt
KU betonen ist wichtig wegen der von den Vertretern der ein- und
wenigklassigen Schul rn allgemein nls Vachteile der mehrklassigen
Schule ins Feld getuhrten Behauptung:;« n und Vorwürfe folgender
Art: In der viclstufigen Schule bekommt das Kind jedes Jahr ein
neues Pensum, das erledigt werden tnuss. Die Bearbeitung steht
unter dem Signum der i^e: keine Ruhe, nur Forteilen; keine
Schonzeit, nur Ausnutzung — kein Festhalten früherer KapttafieOi
nur viele Stoffe verarbeiten, um sie zu — vergessen. Alles wird
mündlich gemacht, Griffel und F'eder w^erden wenig gebraucht;
durch ständiges Fragen und Mitarbeiten des Lehrers kommen die
Kinder vom (j&ifribande nicht los; zum ebenen and selbstindigea
Aibeiteii und Erarbeiten bietet sich ihnen nicht Zeit noch Gelcgietiheit^
*) Statistische Beila^ mr PSdago^scKen Zeitung 1907, No. 3.
*) Reiiikc, Organisations* und Lehrplan.
') Stehe bienctt Oitinetiiches Scbulblatt 1894, lliciBa <lcr ostiriesiscbco Haupt»
Tenammliwg in Leer: Wu Itum die mMimmgt von der diJJMijeea Sctele lenco'
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— Das wären in Wirklichkeit schwere Mängel, die unverzüg^lich
eine Abstellung erheischten, die unter Umständen schon allein
dixu zwingen könnteii, das gaiuee Sj^tem — wenn sie in dessen
Organisation begründet lägen — zu beseitigen. Wir müssen diese
ernsten Vorwürfe deshalb etwas auf ihre Stichhaltigkeit untersuchen.
Die ein- und wenij^klassige Schule meint nach der Behauptung ihrer
Vertreter, dem V^erg^ssen dadurch vorbeugen zu können, dass ein
und dasselbe Kind in derselben Abteilung oder Klasse denselben
Stoff mehrere Jahre lang bekonunt, dass femer durch Kombination
mehrerer Abteilungen bei einzelnen Fächern Stoff- und Unterrichts-
gleichheit noch verlängert werden kann. Die Sicherheit des Fort-
schritts und des Erfolc^es mubse so ohne Zutun schon mit jedem
Jahre waciisen. linuu käme noch, dass durch die ständige
Möglichkeit einer Bezugnahme auf das in früheren Jahren &'
handelte und Gelernte auch dieses Alte, immer erweitert und
vertieft wird. Zunächst ist zu bemerken, dass in der mehrklassigen
Schule die neue Stufe nicht nur neue Stoffe bringt, sondern auch
die in der Vorklasse bereits vorgekommenen wieder verwertet.
Neben und mit dem Neuen das Altel Der Lehrer an der
sBdvklassigen Schule baut in seiner Klasse also keineswegs
in der Luft, ohne die Gmindlage zu halten und zu beachten ; er
verschleudert keineswegs die vorhandenen Kapitalien. Wenn das
mehrjähricrc Beibehalten prenau desselben Stoffes zu besonderer
Sicherheit und Vertiefung luhren soll, so könnte man das ebensogut
als Stagnation bezeichnen, und wieviel bei der sogen. Kombination
mehrerer Jahrgänge herauskommt, das hat uns das Beispiel aus dem
Rcli.7:onsuntcrricht rj^czcigt. Den psychologischen Nachweis lassen
wir hier folgen: wenn man mit vereinigter Mittel- und Oberstufe
einen Unterrichtsstofl' — ganz abgesehen von der Auswahl — ge-
meinsam zu behandeln genötigt ist, so muss auf alle Fälle die eine
der beiden Stufen zu kurz kommen. Denn: bei Kindern von
8 — II Jahren (Mittelstufe) ist alle Muhe darauf zu verwenden, dass
sie die primitiv (pcrzcptiv) gewonnenen Vorstellungen auch dem
vorhandenen Seelenleben 7Aiführen, einordnen, verdauen, assimilieren.
Bei der Oberstufe muss man die selbsttätige Apperzeption der
meisten Unterrichtsstoffe als bisheriges Erziehungs- und Alters-
resultat mehr oder weniger voraussetzen und den kindlichen Geist
weiterfuhren zur Reflexion, zu Begriff und Urteil, l'ciclr'^ lässt sich
bei Kindern so verschiedenen Alters nicht vereinen. Soll der
Unterricht zu klaren VoreteUungen, Begriffen und Urteilen führen,
soll er das gleichschwebende und vielseitige Interesse aller Schüler
entwickeln und pflegen, soll er zur Selbsttätigkeit anleiten und dem
Wollen Kraft und Konsequenz verleihen — so ist nötig, dass der
Lehrstoff nicht unter oder über dem geistigen Horizont der einen
Hälfte der Schüler liegt, und dass die Vorstellungsma^en eine den
psychologischen Grundforderungen entsprechende Behandlui^ er-
- 138 -
fahren können. — Übermässig zu hasten und zu eilen ist schon
deshalb nicht nötig, weil, wie schon erwähnt, das Pensum kleiner,
das SchülemiateriaS einheitlicher ist Entschieden bessere Chancen
aber hat die mehrklasage in Bezug auf die der Individualstufe ent*
sprechende sorgsame Verarbeitung^ und Vertiefung der Unterrichts-
stoffe. — Die Gefahr des einseitigen mündlichen Unterrichts, der
zu geringen schriftlichen Betätigung, des zu vielen Gängeins der
lünder liegt f&r die vielklassigen taääeUieh n&her als för die wenig-
klassigen, denn besonders in der einklassigen Schule wird in dieser
Hinsicht bei den 2 — 5 Abteilungen die Not zur Tugend. Man darf
nur das sogen, selbständige Arbeiten weder in seiner Quantität
noch Qualität, wie bezüglich seines dauernden Erfolges nicht über-
schätzen j auf eine kritische Untersuchung dieses eigenen Eraxbeitens
wollen wir im Rahmen unserer Art^t jedoch nicht eingehen.
Gesagt sei nur nodi, dass der in der mehrklassigen Schule
mögliche Fehler einer zu geringen schriftlichen Beschäftigung eine
gleich bedenkliche Parallele hat in der zu geringen mündlichen
Beschäftigung, die der Lehrer der ein* und wenigklassigen Schule
den einzelnen Kindern und Abteilungen zuteil werden lassen kann.
Wenn in der einklassigen Schule stets 2 oder 3 Abteilungen
schriftlich beschäftigt sind, so muss dem Lehrer, der gleichzeitig
mit einer andern mündlich arbeitet, die Überwachung und sorg«
fältige Korrektur unmöglich werden. Gewiss ist auch ein stetes
und zu langes Gängeln der Entwickelung zur Selbsttätigkeit und
Selbständigkeit hinderlich — man fiihre das Kind auf allen Stufen
dahin, möglichst seine eignen Kräfte zu gebrauchen. Man ppSetze
es aufs Pferd , so wird es schon reiten können". V^ergesse man
aber doch nicht, dass das Kind auch bei der Selbstarbeit der sorg-
Uchen Beobachtung und mehr im Hintergrunde stehenden Leitung
bedarf, damit es nicht — die Ge&hr liegt bei seiner Unreife um so
näher, als es an Schuljahren jünger ist — in falsche Geleise gerat
In der Tat vermag der Schüler wenig ganz aus sich selbst heraus
zu erarbeiten — wozu wäre denn aber auch der Lehrer und seine
Methode da? Die Probe aufs Exempel bietet ja schliesslich das
Resultat. Wären die oben aufgeführten schweren Nachteile der
vielklassigen Schule tatsächlich vorhanden, so müsste am Ende der
Schulzeit die schriftliche Leistung eines Kindes dieser Anstalt weit
hinter derjenigen der andern zurückstehen — die Wirldichkeit redet
aber eine andere Sprache und beweist das Gegenteil!
Nach den bisherigen Untersuchungen dürfen wir wohl zunächst
folgendes feststellen: Ein Schulorganismus ist um so voll-
kommener, je mehr er sich in seiner Stufenzahl der
Zahl der Schulpflichtjahre nähert. Die grössere
Klassenteilung ermöglicht eine reichhaltigere Auswahl und erfolg*
reichere Verarbeitung der Lehrstoffe.
SchlnsB folgt.
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B. Kleinere Beitrlge und Mitteilnngen.
L
Herbarts Stellung zun Arbeiteunterrichto.
Von Witt ig in BrlniuulorfL
Die „moderne Pftdagogik" beieheit ans fast täglich Den« Werke; wirklich
gen» indcnen nur wenige. Was uns da oft mit laotem SdiaUe als Nenhelt
angeprieND wird, zeigt sich, genan besehen, als altes, chnrürdiges Erbetttck Ton
einem nnjirer piulfiL^^^ciMclien Klassiker. An^^h in räilasjoßrik erkennen wir,
fast wie in der Mode, die Wahrheit döä Jsprnches vom Kreisläufe der l 'iiiL'^ ' und
i'Jeeo. £iue Torheit wäre es darum, wenn wir über der muderueu Pädagogik
UMeier Klaadker vergenen wollten. Sie kSnnen nne for Hodunnt bewahren,
zugleich aber auch vor Oberflächlichkeit, Flachheit: wie in Stein gemeisselti tat,
bestimmt, klar, tief dnrchdiieht .stehen ihre Werke vor nns. vorbildlich für unsere
gei.«»tiir»' .Arbeit. Sie können uns aber auch ermuntern zn weiterem Vordringen
aof beschrittener Bahn, wenn wir in ihnen onsre Vorkämpfer erblicken.
Eker wn denen, die ao ntanober nModeme" tftr ttberwnnden etaehtet (weU
er eie nieht kennt), iat anaer Jok. Friedrich Herbarl Die folgende Zn-
sammenstellting Herbartischer Worte mOehto mit dazu beitragen, ihn als noch
nicht so ^nnt veraltet zu zeig-en. Ans zweien seiner bedeutenilsten Werke wollen
wir ihn zu uns sprechen laiiätin, dem „Umrii»ii pädagogischer Vuriesuugeu'' (1836)')
und der „Allgemeinen Pädagogik ans dem Zweck der Erziehung abgeleitet" (1806).*)
Als Abkttranng bei Nennnng beider bedienen wir nna für eiatecea «tf.", für
letstena „A. P.".
Wir glauben Worte eine« nnfrer Modernsten zu huren, wenn ITerhart «prieht:
„Mit den lifkariüten Werkzeu^'eu der Ti.schler sollte jeder heranwachsende Knabe
uud Jüu^'-img lungtsheu lerueu, ebeusowohi aii> mit Lineal und Zirkel. Mechaniitche
Fertigkeiten würden oft nOtslieher aein ala Tonflbnngen. Jene dienm dem Geiate^
dieae dem Leibe. Zn Bflrgerschulen gehören Werkschulen, die nicht gerade
Gewerbschulen zu sein brauchen. Und jeder Mensch soll seine Hilnde gebrauchen
erneu. Die Hand hat ihren Ehrenplatz neben der Sprache, am den Henachea
Iber die Tierheit sa erheben." (U. § 2bd.)
Der Hand ihren Eluani^ati ndven dar Spraelnt Dan iat*^ nm waa wir j^st
.oeh kttmpfen, waa man in der Eraiehnng Gdatig-Sehwacher behentfgt. In der
er Geistig-Gesunden aber leider venutchl&ssigt oder Überhaupt nicht fllr nOtig
ält. Das Schlagwort von der harmonischen Ausbildung aller KrHfte und Fahig-
äiteu braucht man Überreichlich; dass aber die Pflege der geiatigen und körper-
Heclam-Ausgabe.
*) Pndag. Sammelmappe, Heft 159, I^eipaig, Siegiamund & Yolkening.
I. Die Arbeit im Dieaate der Erziehung im allfleaieinen.
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liehen Arbeit die Hannonip cr^t herstellen kann, vergisst man. Herbart belehrt
uns anch darüber: „Die jL,'»nstige Tätigkeit ist auch gfestind! sowohl wie <\\f
Tätigkeit der Glieiliuasseu und der iuuern Or^uue^ ea werde alles stuammea m
Bewegung gewtst^ so dtM «s leiste, was es ktane, ohne irgend eine Kraft n
eisehöpfen. Nur was ohne Interesse lange fortgetrieben wird, das verzehrt Geist
nnd Körper; doch auch dies nicht so Hcbnell, das? man die ersten Schwiericrkeiten
dessen, was bald interessieren wird, ta tiberwinden sich »ebenen dürfte. Man
gewöhne au Arbeitsamkeit aller Art." (A. P. S. 127, Abs. 2, Z. 16.) BUdang und
daraus hervots^MBde Getuidhelt des KOrpers und Oeistes ist ihm das evstrabcns-
wflTM Ziel der Endehmi^ im besonderen aach Tom Standpunkte der Idee der
T«llkoBinienheit ans: „Durcblänft man nun die übrigen praküscben Ideen,
so erinnert die Idee der Vollk tniTiienheit an Gesundheit des Körpers und Geiste^
samt der Wertschätzung beider und ihrer absichtlichen Knitnr." (U. g 10.)
Ein anderer Gesichtspunkt noch lässt Herbart die Arbeit alü Kreiehungsmittel
iofdem: nVen Nator kommt dar MenM^ lur Erkenntnis dnieii Bifüining.'' (A. P.
8L 42.) Mato^mä88 werden es für das Kind zunächst äussere Erfahrungen sein;
sugleich müssen sie an Dingen i^cinacht wr rden die des Kim!^ Interesse fesseln.
Beidem entspricht die Arbeit. Darnm Uerbart: „Er sei wer er sei, die Bauern,
Hirten, Jäger, die Arbeiter aller Art, und ihre Knaben werden ihm in friikhern
Jaluren der treJDielists Dmgang sein; wohin sin ihn mitnehmen, wird er fon ihnM
lamen «nd gewinnen.'' (A. P. S. 48, Alis. 8; Z. 6.) Nvn spiieht er aber weiter:
„Der eigentliche Kern unseres geistigen Daseins kann durch Erfahrung und üm>
^ne^ nicht mit sicherm Erfolge gebildet werden. Tiefer in die Werkstätte der
Gesinnungen dringt gewiss der Unterricht!" (A. P. S. 4ü, Ahn. 2.) Scheidet er
damit die körpodiehe Arbeit fttr die Schule ans? Keineswegs. Man mnss nur
wissen, dass Harbart unter Untemoht jede abaiehtlielie^ bewnsste bildende Ein-
wirkung auf den Zögling versteht, also ebenso die planmissige Arbeit im Werk-
nnterricht nnd in der S(>hf)k'r Werkstatt. Er meint also nur — nnd wir mit ihm:
— wir können «lit> Bildung/ nicht dem Zufall überlassen, sondern müssen nach
einem festen i'ian bei uuserm „Gewübneu an Arbeitsamkeit aller Art'' vorgeben.
Sebliesslieh ünden wir bei Herbert anch den Hinweis anf die sosiale
Seite des Arbditsuntenicbtes: ,J)m Verwaltungssystem hat einen wichtigen
Bezug auf Pädagogik, indem jeder Zögling, ohne Unterschied des Standes, daran
gewiJbnt werden muss, sich auzuscbliessen. nm für ein geselliges Ganze brauchbar
zu sein. Diese Forderung kann sehr viele verschiedene Gestalten, auch in Bezug
anf KSiperbildong annehmen." (U. § 15.) Wenn aneh das Wort j^rbeit** hier
feUt, so sehen wir doeh eine fierechtigiing sn nnserer Annahme in den Worten
„auch in Bezug auf Körperbildung**.
Bei aller Pfleg-e nnd Wert«' TiiUxung der Arbeit dürfen wir aber uiemal5
Terg^sen, dass wir durch sie erziehen wollen. Der Alli::emeinbildung wollen wir
dienen, nicht aber auf einen besiiuimteu Beruf vorbereiten. Letzteres ist Sache
der Fsdtsdinlea. Httbart UUt die Warnung aneh schon fttr nStig : „Mit einndnen
Abnormititen, welche die Natnr in der Anlage zuliess, darf die Erddiiuig
nimmermehr gemeine Sache machen, oder der Mensch ist zerrüttet. Unter dem
Titel bescheidn'^r T if^hhahereif^n nn'.tren sich schöne Talente in Nebf^i^tunden
ausbilden und sehen, wie weit sie kommen können. £s ist die Sache d^ Individuums,
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•b M seinen Beraf danach zu bestimmen wtg<e; der Sk^her kann lagleich Ba^
geber sein, aber di» Anielnuig «rbätet nieht Ittr den Beraf !** (A. P. & 96^
Abs. 2, Z. IT/i
Die bisher aTi<:eführten Aussprüche bezogen sich auf die Fordenine: der
eniehlichen Knabcnbandarbeit im allgemeinen. Des weiteren werden wir darlegen,
wift HeriMurt die Axbeit im beioiidereB im IKcnfl der 8 HeapttitigkfliteB der
Breieliniig Ywwertet wieeen nfiebfte, im Dimutie der Regieruig, dee Unterriclitik
der Zadit.
2. Die Arbeit im Dienste der Regierng.
pDie Grundlage der Regierunt? besteht darin, die Kinder zn beschäftigen.
Dabei wird hier noch auf keiueu (iewinn für Geiätesbilihnif:: r^^srhen; die Zeit
soU jedenfalls aa»gefUllt sein, wenn auch ohne weitereu Zweck ak nur Unfug
SU vermeMeii. ffierin liegt jededi die forderniig^ deie dem BedfliMe UbiMilielier
Bewegong, insoweit die jedetmalige AHenstnUe ee mit eidi Iringt, Genüge
geschehe, scbou nm die nattirliclie Unruhe, wekhe daraus entstdrt^ abmleiteB.
Das Bedürfnis ist nicht bei allen gleich gross; ee gibt Individuen, welche un-
bändig erächeiuen, weil man »ie zum Sitzen zwingt." (U. § 46.) Unter diesen
Gesichtspunkt fällt zum Teil die in den Knabenhorten betriebene Arbeit, Auf
dem Lande Imt man eolelie Kiwbeiihorte weniger nOCig, Imiieht man nidit vm
Beschäftigung verlegen zu sein, um m mehr in denStftdten. Darum begrOsetet
H^r>i;\rt an anderer Stelle, dass die Erzieher einen Ausweg geschaffen haben mit
dl r Kuif Uiruiiij der Arbeit- Mit dem grOssten Rechte aber liabon die Erzieher
iaugät daraut gesonnen, ilcn üiudem eine Menge angenehmer und unschädlicher
Besoliiftigungea danmUeten, mn dadurch die Dnnihe abmleiten, welche ein»»-
dämmen sn schwer ist" (A. P. S. 19, Z. 10.) Spiel allein lengweilt mit der
Zeit; angemessene, den Qeist in Anspruch nehmende Arbeit, niemals. Sie ermfidet
höchstens, was wiederum vom Standpunkte der Regierung au.s nicht unerwünscht
sein kann. Nun besteht die Möglichkeit, dass der Zögling sich die Arbeit selbst
wihlt, eiiA Biso Mdbst beschäftigt, oder dass ihm eine bestimmte Aulgabe gestellt
wild. Am besten ist jedenfells eine Vereinigung beider. Und so sind wohl andi
Herbarts Worte aufzufassen: „Selbatgewählte Beschäftigungen haben sw*r,
wenn allf^ ttbrige gleich ist, den Torzug; allein selten weiss die htrrend '«ich
hinri^^u liuüd und anhaltend zu be.sohäftigeu. Bestimmte .Aufgaben, dies oder jenes
2U tuii, bis es fertig ist, sichern die Ordnung beä«»er, als regelloses Spieleu, welches
in Iiongeweile sn endigen pflegt" (U. § 47.) Bei allem Ftthrea nnd Regieren
doch dem Wunsche des Zöglings nach Möglichkeit entgegensokommen, fordest
auch der § 55 im „Umris.s": ..In der Regel muss man darauf gefasst sein, dass
die Jugend versuchen werde, die Sehr inkr n zu (irweiteru, sobald sie dieselben
empfindet. Ist sie nach Wunsch besctiatiigi, und sind die Schranken gleichförmig
iM, so werdea die Yennidie dagegen «war bald an|gegeb«i, aber sie enenem
' ' Ist hier nur der UMfntiTe Zw i horont, s-> wird deswegen der positiTe,
der schon in Unterricht uadZncht hinübergreift, nicht verkannt — wie ja auch
Herbert mdnfseh daianf hinweist, dass dm strenge tbeoretisehe Seheidnng von
BegieniBf , Untssriehti Zaebt in der Fkaxis sieht bestehi
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rieh. Bei zanehraenden Jahren ändern sich die BeachUtigiingMi, und die Schranken
müssen allmählich erweitert werden. Es kommt nun daranf an. ob iuz wischten
die Erziehnnf»- weit genug; vorareschrittcii sei, damit die Rejneruncr entbehrlicher
werde. Akdann richten »ich die gewünschten Bescbäftignngeu nach den Aoasichteo,
dift du junger Mensch BCinem Stuid imd VennCgen gemäss, in VcrUadiuig mit
nntttrliehen Eähigfceiten uid eiwoibeneu Kenntnineiif für leine Znkimft gMuH
findet. Solche fUr ihn zweckmässige Beschäftigungen zu begünstigen, hingegen
die blo5Sf:n Liebhubercio'n nnd Hpnicssnnpcn anf das ünsrbHdliche zu beschränken,
bleibt auch jetzt noch das Amt der Regierung, die nicht zu früh ganz darf aus
den Händen gegeben werd^ bennden dann nicht, wenn die Umgebung so
beediaffen ist, dan fie Verffllunmg besorgen lässt." (U. § 56.)
KDnnte ftim jemand einwenden, dass Herbart in den angefahrten Anasprilefaea
doch TOB Arbeit direkt nicht rede, sondern nur von Besi häftigimg im allgemeiaen,
es also zweifelhaft sei, ob er aw h nti-^r- Knabenhandarbeit im Sinne q;ehaM habe,
so sei der §56 des , .Umrisses" noch angeführt, der alle Zweifel zerstreuen mus^:
„Die Kinder miisäen iu jedem Falle be»chäftigt sein, weü der Müsäiggang zum
Unftag und der ZflgeUosigkeit flthrt Besteht ntm die BesebUtigung in nttts*
lieber Arbeit (etwa Handwerks- od«r Fddariieit), desto beeser. Und noch besser,
wenn dnreh die Beschäftigung etwas gelehrt und gelernt wird, welches znr
Bildung für die Zukunft beiträgt. Aber nicht alle Beschäftigung ist Unterricht :
und wo schon die Regierung der Kinder schwierig wird, da ist nicht immer das
Lernen die paasoidste BeschKftignng. Manche heraniradisende Knaben kommen
eher in Ordnung beim Handwerker oder beim Kanimann oder beim Ökonomen
als in der Scbnle." (U. § 66.)
3. Die Arheit im Diwtto das Untarriobtna.
Herbart ist mit dem Schnibetrieb seiner Zeit dnrehans nicht ehiTerstandea.
Er sagt: „Da» Knabenalter wird durch deu tePs nOtIgen, teils nützlichen Unter-
richt oftmals auf eine Weise gedrüekt. die mau zwar t lehrten Stande sich
zn verhehlen sucht, die aber anderwiirtö auffällt, nnd wobti .Mut, Entschlossenheit«
Gewandtheit, Eigentümlichkeit, Körperbildung und geistige Produktion wesentlich
leiden. Einige wenige Standen gymnastischer Obung sind kein dnrehgreifendes
Oegramittel." (U. § 896.) Als Qegenmittel achfttst er die Famüieneniehmig;
richerlich nicht zuletzt, weil sie das Kind zur .Arbeit erzieht und damit den
ganzen Menschen bildet. Die Schnler2iehnn<3r sollte sich nach Krilften bemühen,
darin ihrer Partneiin, der Familienerziehung, ähnlich zu werden: „Dem erziehenden
Unterridite liegt alles an der geistigen Tätigkeit, die er yeranlasst Diese soll
er vermehren, nicht Termindem; vered^, nicht Teradüeditem. ^ Anmerknng.
Vomindaning entsteht, wenn unter vielein Lernen, Sitzen — besondere unter dem
oft nnntitzcn Schreiben in allerlei Schnlhüchem — die Köq f ildang in solcher
Art leidet, da^s früher oder später Nachteile für die (iesundheit erfolgen Daher
neuerlich eine Begünstigung gymnastischer Übungen, bei denen aber die Heftigkeit
der Bewegungen kann übertrieben werden, yerscbtechtemag entifiehti wenn das
Wissen anr Ostentation nnd xnr Erlangung nasserer Vorteila diant: die nafdhtsilige
Seite mandier öffentlichen Frftfongen. Die Scholen aollten nicht genStigt sein,
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all« SU Migfliif WM sie Idaten. ^ Wenn der Untenkfat anf solche Weise gegen
seinen Zweek wiikt, so setst er sidi ttberdies mit der Zucht in Widenrfveity
nelohe für die gunze Zukanft des Zöglings dahin zo sehen hat, ut sit mens sann
in corpore sano." (U. § 59.) Ganz l»p«(<ii'!or«? eife rt Ht^rbart anch gegen die
Ansicht, dass die Schule nur Kenntnisse zu übermittelu habe: ..Inwiefern durch
den Unterricht bloss Kenntnisse dargeboten werden, insofern läs^t sich anf keine
Weise TerbOigen, ob dadwch den Fehlem der ladividnalitlt und den Ton jenem
nnabhlngig Tothandenen Vorstellnngsmassen ein bedeutendes Gegengewicht kSnne
g'Cgebcn werden, soirlem auf das Einö:r('if"ii in die letztem kommt es an, was
und wieviel durch den Unterricht für die Sittlidikeit raiige gewonnen werden.
. . . Das sittliche Wirken der Kenntnisse bleibt immer zweifelhaft, so lauge sie
ideht entweder das Ksthetisefae Urteil, oder des Begehren nnd Handeln, oder bddcs
hecicbtignn hellen. Und anch hierbd nooh sind n&hcre Bestimmungen nfftig."
(D. § Sa) Herbart gibt zu bedenken, dass „dasjeni^'e Lernen, das bloss znm
Aufsahen führt, die Kinder frr?5g9tenteils passiv raaelit ; denn es verdrängt, so
lange es dauert, die Ge<lanken, welche sie suu^t wütdea gehabt haben. Im
Phantasieren nnd Spielen aber, also anch in demjenigen Unterricht, welcher hier
nachklingt, ist die freie Titigkeit 'verhemchend." (V. §71.) Da es nnn eher so
mancherlei gibt, wa.s gelumt werden muss, so empftehlt Herbart, diet^CH Ans>
wenditriernen durch Beteilij^ung der SinnentiUigkeit an erieichtem. (Siebe A.P.
S. 67 öW, auch S. b2, Abs. H.l
£8 iüt oben schon darauf hingewiesen worden, wie sehr Herbart die Erfahrung
als Gmndlange aller Erkenntnis sdüttst Dsss er sie also bei seinen Betrachtnngen
Aber den Unterricht nicht ▼emachllsaigen wird, ist selbetventtndlich. „Der
Unterricht hat Erfahrung und Umgang zu ergänzen: diese seine Grundlat^en
müssen schon vorhanden sein; wo sie es nicht sind, müssen sie zuerst, und va
gehöriger Tüchtigkeit, g^hafft werden ; was daran fehlt, ist ein Verlust für üea
Unterricht, denn es fehlt an den Gedanken, welche die Lehrlinge selbst in die
Bede des Lehrers hindnli^en mOssen." (U. § 78.) Fehlende Erfahmngen an
erginnen, vorhandene sn vertiefen, das kann und tut unser Arbeitsnuterricht im
höchsten (irade. Und wenn Herbart in der A. P. sagt: „Das Auffinden der
Beziehun?r»>ii oder die Synthe^si.s a priori, setzt, in allen Fftllen von Bedeutung,
vorher gutüuUe Schwierigkeiten, — Vertiefung in spekulative Probleme voraus.
Der reelle Boden dieser Ftobleme aber ist die Etfahmng, die ftnssere nnd innere;
— ihn sollte eigentlich die Jogendbildnng als solchen in Besitz nehmen, so
breit er ist" (A. P. S. 70, Abs. 3}, so kommt es uns vor, als hätte er hier nur da.s
eine Wort verffessen „Arbeitiunterricht". Dass dies nicht nur ein in die Worte
hineingetragener Sinn ist, beweist der an andrer Stelle betonte Wert des „Ver-
such«»" von Seiten der Zttglinge. Betborts Gmndsatn faintet ja: „Knaben nnd
jOiig^iiige mttssen gewagt werden, nm Xlnner an werden." Dem Gedanken ent*
sprechend „dass jeder nur erfährt, was er versucht" (A. P. S. ö, Abs. 4), redet
er dem . V tr.suchen" stets dn«.' Wort 7nm;il er weis«, dus.s er dem Knaben
damit i iitifef^fenkommt: „Schon der Knabe, wahrend er weuii^^er fragt, macht desto
mehr Versuche, die Dinge zu behaudelu, dadurch im stillen zu lernen nnd sich
m ttben." (U. § 86.) Und wanm weiter schAtat er dieses Versnchen so hoch
ein? Weil es dem ZSglinge Bifahningen bringt^ von denen er sagt: Jn, der
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Tat, w«r mflclite firbliniiig nnd Umgang bei der Enlebiing entbdtieii? Ii ftt»
als ob man des Tages ^tbelureii, und sich mit KenenUcht beg^Vgeii sollte!
Fülle, Stärke, individuelle Bestimmtheit für alle unsre Vorstellungen, — Übung
im Anwenden des Allgemeinen, Ansohliessen ans Wirkliche, au das Land, an die
Zeit, Qedald mit den Menschen wie sie sind: — dies alles muss aus jenen Ur-
des geistigen X^bens geschöpft weiden." (A. P. S. 48» Abe. 2.)
WdebeB Unterriditesweigeii will nna Herbert dae Tenndieii, die AiWt
dienstbar gemacht wissen? An erster Stelle dem ÄuschanungsmiteRiekte ^
weitesten Sinne). So vAvt unserm Werkunterricht das Wort, indem er ?ftgt:
^Das Kombinieren — gememifirlich i^ixuz und sehr mit Unrecht vernachlässigt —
gehOrt zu den alierleicktesteu und vieles erieichterudeu Übungen, recht eigentlich
für Kinder. Daas swei Dinge ihre SteUnn^ rechts nnd links (lünten md vea,
oben und unten), waehseln kSnaen, ist der Anfang. Daas drei Dinge sieh seehsliMh
(in einer Linie) versetzen lassen, ist die nächste Folge, Wieviel Paare man ans
einer Menge vorliegender Ding'e nehmen könne, ist eine der leichterten Fragen.
Wie weit man fortzuschreiten habe, müssen die Umstände bestimmen. Nur sind
meht Bnekstahai, sondon Dinge nnd die Kinder selbat zu Tcrsetico, aa
kombinierea und in Taniezen. So etwaa mnaa man anm Teil soheinbar apieleai
lehren. — Zn den ersten Aaaehanuugsübungen dienen gerade Linien, soikredrt
oder Bchrrifr aufeinander geneichnpt (auch Stricknadeln in verschiedenen Ijigm
zusammengelegt und sich kreuzend, ferner Dame nhret tisteine und ähnliche Dinge),
alsdann der Kreis in mumigf altigen Ahteilungeu und Darstellung^" (U. g 215.)
[Man heacbte in diesem Paragraphen auch daa IVirdem „sinnlidier Dinge" flis
erste Rechnen!] Nach seinen Worten: „Den höchsten Grad des (apperzipierenden)
Merkens bezeichnen die Worte Schanen, Spören, Horchen, Tasten" {V . ^ 77) und:
^Das Zeigen, Benennen, Betasten- \ind Bewegeiilasseu der Diuge geht allem
voran" [beim analytischen Unterrichte] (A. P. S. 65, Abs. 3) därfen wir bestimmt
annehmen, daaa er hente mcher an den Anhisgeni dea „Ponnana im weitaam
Binne im Ontenkdite* gdiSren wttrde. „Der ünterrieht s|nuit eioen ianfint
dünnen, weichen Faden ; den der Glockenschlag zerreisst, und wieder knüpft, der
in jedem Ansfcnblick die eitnif 'teistesbeweernnK" des Lehrliups bindet, und, indem
er sich nach seinem Zeitmas.s abwickelt, ihr Tempo verwirrt, ihren itprüngen
nicht folgt, tind ihrem Ausruhen nicht Zeit lässt. Wie anders die Anschauung!
Sie legt eine hrette« weite FÜdie anf einmal hin; der Bliokf vom ersten Staanaa
anrhckgekommen, teilt, verbindet, läuft hin nnd wieder, verweilt, ruht, erhebt
sich von neuem, es kommt die Betastung, es kommen die übrigen Sinne hinm.
es saiumeln sich die Gedanken, die Versuche beerinnen, daraus g^ehen neue
Gestalten hervor und wecken neue Gedaukeu, — überall ist freies und volles
Leben, ttberall Gennaa der dacgabatenen FOile! Dieae FUle, nnd diaa Darfaialai
ahne Anapmeh nnd Zwang, wie will ea der Ontertieht emichen!* (A. P. 8. 4SI
Aba. 4, Z. 3.)
Fl\r die Verknüpfuni? der „Arbeit" mit dem I'ntprrifhte in Ge o m *> t rie hat
Herbart die Anfange erlebt und sich sofort daflir begeisiert: ,.Die GeMmetne hat
andere Vorteile der Anknüpfung, die man erst neuerlich angefangen hat ernstlich
an benntaen. Figuen ans Hob nnd Pappe, Zeiohnnngeo, Scifta, 8taag«a, biagssma
Drähte, Ftden, den Gebrauch des Lineals, daa Zirkels, dea Winkshnesssw,
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geiiUtM Odd in Ungeren nad kttnerm, panUcleB aad aishi panlMen Reihiii
— kann man beliebig dem Auge darbieten und mit anderen anschaiilichen
Gegenständen in Verbindung setzen ; man kann geordnete Beschäftigungen und
Übungen daraus entnehme, und das wird mehr und mehr geschehen, wenn man
begreift, dua rinnlidw yoratellongen in gehöriger Stärke die eicherate Omndlage
für einen Unterrieht aoBmaohen, deeeen guter SrlUg abhlngig iet von der Art,
wie der ZOgling die VorateUnng des Räumlichen innerlich bildet." (U. § 102.)
Am unzweideutigsten spricht sjcfi Ht^rHarr "-^hlies.slich für die Arbeit im
Dienste lUr Natnrlehre ann: ,,I)ahin gcnurt iiiit <ier einen Seite; Beachtung; der
Uiuimelsküiper — auf der anderen Seite: techuologiüche Kenntnisse, welche teils
darehs eigne Sehen, teiia in Lehntnnden der Natorbeeehreilmng mOgen erworben
we(rden. Man betrachte die Technologie nicht bloss von der Seite der sogenannten
materiellen Interessen. Sie liefert sehr wichtii,'e Mittelglieder zwischen den
AaÜussun^,'en der Natur und der uiensehlii heu Zwecke." (ü. i? 2öy.)*)
Besonders wird es noch interessieren, wie sich Uerbart zu nnsem
Beetrebnngen der Knnsteiiiebung »teilt Hohen Wert miiet er der Bfldang des
iBthfitiidien Urtdie bei (er versteht danuiter dos Jtni» beg^erdtf ose Wohlgefiülea
oder Hissfolien, sei es an den Yerhältiiissen von TOnen, Formen, Unien, Farben,
sei es an Willeusverhftltnissen"), also würde er ein Verfechter nnsrer hnutipen
Ideen sein. Auch in dem Punkte, das» wir nicht nur das Reden über die Kunst,
sondern auch Kunstbetätigung verlangen? Nach seinen Worten ganz gewiss:
HFualiehe Gegenstände raflasen dugeboten sein; snr Betrsehtong darf nicht
getrieben werden. . . . Oft ist Nachahmung, wenn auch anfangs sehr roh, Nach-
zeiclinen, Nachsintjen, lauten Nachlesen, späterhin Übersetzen ein Zeichen der
Aufuierksaiukeit; dies Nachahmen mau bejarüustifift. nur nicht gt^lobt wenlen.'*
(U. § 93.) — „Das Lehren ästhetischer Zerlegungen nach Kunstregeln und das
PIdlosophieren dartther ist mebtens niselich" (A. P. S. 6^ Abs. 8). — „So weni^
gehlnÜB philesopbisehe Lektttre Philosophen bildet, ebensowenig ersengt sieh
Geschmack aus einem Umhertanmeln unter allerlei Kunstwerken, selbst wenn die
letztern wirklich klassisch sind " (A. P. S. 70, Abs. 4.) — ..Kesjt sich der
Geschujack, so mnss man die Phantasie zu beobachten suchen. Dazu hilft ein
TertrauUchee Verhältnis. FQr seine £r(JffnuQgeu sei der Zögling besonders hier
ein«r gefiUligen Anfasbme gewias, ohne sehaifen Tadd, aber aneh ohne lebhaftes
Lob. £r dsif, wenn er selbst etwas bildet, nicht vom Reiz überwältigt werden,
sich nicht erschöpfen, nicht sich .«elher g-efallen. Dnrch sanfte Knnnerungen
abgekühlt, nicht tjelienimt. werde er vun einer l'mduktion zur andern Inrtgelenkt.
— Auf dass er nicht zu n uh lu seinen eignen üaüchmack verdiuke: dazu mögen
ÜMsierwerke venehiedener Gattungen aufgeboten werden. Die nämlichen,
periodindi wieder anügesodit^ leisten der eignen Fortbildung einen Masaatab."
(A. F. S. 74, Abs. 4, Z. 9) Würde Herbart als so eifriger Verfechter einer
Kunsterziehnn? durch die Tnt nicht auch nn^orn heutigen .^krheite-
nnterricht begrüsseu, der die Kuui^trcgelu zu den seinen macht bei der Wahl
Ton Form, Farbe, Schmuck, der, um mit Herbart an reden, „die Hanptaaehe vom
Sdnanek, die Idee Ton der Diktion, das Sujet Toa der Form entUeidef* (A. P.
») Siehe oben S. 139.
PSdaaoflia«ha StodtaB. XXX. 8. 10
— 146
& 66, Abs. 8, Z. 26), der in dem „Hin- und Herrücken di« YerliUtnisse veiiiidera
IMt imd di« finden Utet^ die dank ihren Sfinkt die Avteexkeemkeit leeeela''?
4. Die Arbeit im Dieoete der Zuobt
Der Zuo}iT <iiul leidenschaftliehe Regruug'en biinlrrlifh. Wo sie ;\nftn>t"i!,
müssen sie nnit-rdrückt werden. Als Mittel dazu empriciiJt Herbart die Aiim it.
,Zar Ableitung der Gefahr, welche mit leideuiichaftlicbeu Kegungen verbunden
ie^ dient foimgsweiee dne Erlernen irgend einer edi9nen Knnst, wenn waxk wu
mlidges lUent vorlianden ist; elio Musik und Zeichnen b irgend weldier
beschränkten Art (nicht mehrere ninsikalisclie Instminente zugleich, nicht zer*
streuende Versuche in allftrlei Art von Malerei durcheinunder, .sondern Konsequenz
im Bemühen um eine bestimmte Fertigkeit). — Fehlt da.H Talent, so mögen Lieb*
habereieii, PflnnienMmnMln, Mneehehmnuneln, Papparbdten, aelbet TiscUer- eder
Onrtenuheiten usw. sn ffilte genommen wwden." (U. § 179.) (Deae hier
Zeichnou und Pepp-, bezw. Holzarbeit in der Bewertung getrennt sind, scheint
uns belanglos zu sein.) Di«- Beschäftii^ang^en an sich q-enütjen aber nirht; ««ie
fwllen der Willensbildmii,' dienen und miiSöeii deshalb in Einkhxng: mit dem
Unterrichte gesetzt werden : „Gesetzt nun, die Leideuscbafteu seien fern gehalten,
■0 kommt es für die Begrttndnng der Vorelitlt im allgemeinen dentnf an, wie
mit den Beschäftigungen <ler TTnterrioht ansammenwirke." (U. § 181.) Hier iät
zugleich d(>r I ntenichied zwischen der Arbeit im Dienste der Zucht und der in
Dienste der Kegieruuf,'- betont.
War biHber mehr die i4*?de davon, dass die Arbeit eine vorben^ende
Massregel bedeutet, so haben wir jetzt darzulegen, wie Herbart der Arbeit,
der Tat eine gnna direkte Wirkung auf die Willensbildung snadueibt,
ao, daas ihm WiUenabüdong ohne Tat nnmffglidi scheint. „Die Tat also etaeagt
den Willen ans der Begierde. - Aber zur Tat gehört Fähigkeit und Gelegenheit
— Von hier aus lässt wh übersehen, was zusamtnenkomme. um den Charakter
zu bilden.'' (A. P. S. 1)4. Abs. 8.) Auf diesen Fuudameutalsatz sich gründend,
spricht er wdter: „ivi grösser alle Art von Tätigkeit und vom Bewusstsein der
Tatkraft: desto mehr FKhigkeit anm eehteo, entschlosaenen Wollen. (A. P. 8. 132,
Abs. 1, Z. 18.)
Wenn der Tat eine so entscheidende Bolle aokommt, ist es selbstverständlich,
dass sie so bnid a!«^ möglich L''"]>flefft werden mns!«. Damm spricht Herhart:
„Offenbar gewinnt die * harakterbilduni^ so viel iiu Sicherheit des Erfol^•s, wie sie
beschleunigt und in die Krziehuugsperiode hineingezogen wird. Und dien ist
nadi dem Vorigen nnr dadnrdi m0(^ch, daas nmn den Jttngling, ja aehon den
Knaben früh in Handlung setze.*' (A. P. S. 99.) Freilich eine »ioaaere Viel'
geschRftiifkeit ohne tiefe, beharrliihe Xei^ttn? nnd l'berlegung, worin mehr
körperliche alf^ «rMiKtiffo Anlage sich zeitrt, t»rilndet keinen Charakter" fA. P.
8. 115), für die ( harakterhildimg ist vielmehr nur die Tat bedeutungsvoll, die ücli
ans einer Beteiligung des Körpem and Geiatea aoeammeasetat; „Vor allen DingM
nun darf nicht Tergeasen werden, dasa anm Handeln dea Meaaehea nicht Hees
0 Vgl. Pidag. Stadien 190^ Heft 4: WillensbUdimg and Intereaae.
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— 147 —
^ in die Sine lallende Geidilftigkeit, aondern aueh das imere VolUningai
gdkOre; vad daai nur nns mit dem andon den dunkket grttndoi ktane. Die
Vielgesi häftigkeit g^esander Kinder, welche ihr Bedttfiiis nach Bewegimg auadrückt,
die bcfttändifTPii I'mtriebe flattersinniger Naturen, ja selbst dio rohen Ver-
gnägnngen di^rcr, welche eine wilde Männlichkeit rerrateu, — alle diese scbein-
baien Aniteigun eines künftigen Charakters lehren den l^ieher nicht so vielf
ab eine etnsige, itille, übeili^e, dnrchgeftthice Handlunsr eines in eicb geaenkten
Genfttes." (A. P. S. 114. Abs. 5, Z. 1.)
Herbart würde heute - \vi»* «rhoT) mphrfarb gesagt — 8ich<?r p'u] Anhänger
tkr KimbenhitTidarbpit •«ein. i'indeu wir ihn doch in einer crewisaen Ratlosigkeit
gegenüber der erkaunieu Notwendigkeit der Tat für die Charakterbildung:
»Man spricht viel von den Nntsen cinw abbtrtenden Lebensart für die Jugend.
Ich lasse die körperlichen Abhärtnngen in ihren Würden; ich bin aber ttber-
zeugt. dass man das eii^entlicb hilrtende Prinzip für den Menschen — der nicht
bloss K'ii-|)er ist — nicht ehtr findt!n wird, als bi« man eine Lebensart f!lr die
Jugend einrichten lernt, wobei sie nach eignem, und zwar nach eignem richtigen
Sinn, eiiM in ibieit Augen ernste Wiifcsaakeit beträben kaiUL Sehr viel würde
das« eine gewisse Öflenftichkeit des Lebens beitrafen. Aber die^nigen Oflent-
liehen Akte, welche bisher gewöhnlich sind, dürften die Kritik schlecht bestehen.
Penn e«« fehlt ihnen meistens da- »^rst« Erfordernis eines charakterbüdenden
Handeln.«^; sie geschehen nicht au:^ eitrnem Sinn, sie sind nicht die Tat, durch
welche da« innere Begelireu sich aih Wille entscheidet. Man bedenke uusre Examina,
dnreh alle flehnlklassen von miten an bis hinanf rar Doktordispntatlon! Han
nehme, wenn man will, die Reden, die theatralisehra Übungen hinzu, wodnroh
zuweilen junsrc Leute dreist nnd gewandt gemacht werden. Künste, de.s Scheins
können gewinnen durch das alles; — die Kraft, sich selbst darzustellen und
festzuhalten, worauf der Charakter beruht, wird der künftige Mann, den ihr durch
jene Übiugen ftthrtet, Ti<dleidit eannal eben so sehmenlieh als Tergeblieh in sich
soeben! — Prägt suui mich, was denn fttr bessre Übungen statt jener an empfehlen
wlren, so gestehe ich, die Antwort schuldig zu bleiben. Ich glaube uicbt, dass in
UDSrcr jetziiren Welt bedcTitpnde allgemeine E'iiri r tnngen, um die Jugend zweck-
raSssiiy in Handlung zu setzen, getroffen werden können; aber ich glaube, dass
destu mehr die Einzelnen alle Bequemlichkeiten ihrer Lage durchsuchen sollten,
um dem Bedürfnis der Ihrigen sn entspreehoi; leb glaabe, dass eben in dieser
BSeksieht Viter, die ihre Söhne seltig an Familienangelegenheiten teilnehmen
lassen, sich um deren Charakter verdient machen." (A. P. S 9t) 100, Abs. 6,)
Die Familie ist ihm noch der einzige Rettun^^rsanker. Sie Vonnte es xn seiner Zeit
auch noch sein. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, dass Uerbart
unter den Teilnebmenlaisen an Familienangelegenheiten aneh das Helfen des
Kindes bd der Beroftititigkeit des Vaters, der Kntter, mitTwvtebt FSagerseige,
wie dieses Helfen erziehlich wirksam gemacht werden kann, sehen wir in den
Worten: „Man kann, man a*ill die frülieste deschäftigkeit, wozu sich das Kind
von selbst durch die umgebenden Gegenstände aufgefordert zeigt, nähren, umher-
ienken, fortdauernd beobachten, gana allm&hlich und sanft zur Stetigkeit, snm
Hagem Anhalten bei demselben Oegenstande, mm Veifblgen derselben Ab^t an
bringen snehen.« (A.P. SL187, Abs. 2.) Herbart hilt dieses Helfen fOr seh?
10*
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widitig, geht 9og»r «oweit, dut er fordert: „Kan laue Kinder regelmäßig
erwerben * (A. P. S. 196, Z. 84.) Sr will damit den Beütsgeiet liildea and die
Xtthe ericouien laaienf dnreh die man nt Besits fdangt (cf. Indnatriesehnla^
Wir kennen unsre Ausführtiti<^en wohl «lahin zusanmienfassen, dass Herban
als ein VorkSnipfrr für die Sache w Ilan(larbeitsiiutorrichtc,> hezeiolmct wt-rden
darf, da^s er mit meiner hohen Auitassung der „Handarbeit" den Srzieheru unterer
Zeit noch Wichtiges zu sagen hat. Sein Besuch hei Pestalozzi mag ihm manche
Anregung gegebmi liaben; deegMchen FWbela Wirken, dessen sdkriftsteUeiisehe
Tätigkeit ja 1820 begann und ihren Höhepunkt 1826 in dem Werke „Menschen-
erziehnnjE:" faml. 1835 erschien Uerhart?! „rinrifs pädapotriTh'T Vorlesongen^,
in dem di«; Bidentung der Handtätigkeit tiir die Erziehung weit prägnantef
ausgesprochen ist als in der „Allgemeinen P&dagugik".
€. Beartoilnngeik
Emst Heu mann, Vorlesungen zur
Einfuhr ung in die experimen*
teilte Pädagogik und ihre psy-
cho lo^jischen Grundlagen. Leipzig
1907 Entreimann. Bd.I (XII u. r)5ö S.)
n. n (VII U. 464 S.). Pr. 13,50 M.
Verf. legt mit Kecht Wert darauf,
zu betonen, dass er lediglich eine Ein-
flkkmng in die empirisch-pädagogische
Forschung heabsii "nri-re, sein Streben
keineswegs aber darauf gerichtet .sei,
anf Grund der Torliegenden Resultate
enii)iris<-her und experimenteller Be-
handlung pädagogischer Fragen, ein
Sjrstem der ganzen Pädagogik anfzu-
hanen. Das wäre heute entschieden
sehr verfrüht. Das bedarf noch einer
grossen Zakl grundlegender Ssperi-
mente. >)
Die Arbeit Heuraanns bedeutet für
die im Entstehen begriffene experi-
mentelle Pädagogik ein epochemachendes
Werk. Das nächste Verdienst desselben
ist, dass es einen Überblick gewilurt
über die zablr^^i^hen, überHilliin ver-
streuten £iuzcluutersachuagcn , die
direkt oder indirelrt nur wissenschaft-
lirhf'n GrandltH'-nnir der Pädagogik
beitragen küunen. Kin zweites Verdienst
ist, daüä die Übersicht mit feinem
kritiseken Sinne alles ausgemerzt hat,
was eine willkürlii'ho Dinitnntr <ier
Experimente ver.-^ucliii;, oder gar eint
voreilige Auwendung unsicherer Resol-
tate auf die pädagogische Pmxis, in
der richtigen Erkenntnis, dass ein
solches Unterfangen nur geeignet ut,
der ganzen Wissenschaft zu schaden,
zum wenigsten aber keinerlei positiren
Gewinn für ihren weitereu Ausbau
bringen kann. Als ferneres Verdienst
sehe ich an, dass der Vertamer nirgends
den Blick für das hij^torisoh Gewordene
verliert, vielmehr bei aller berechtigten
Kritik, dooh immer, sumal im 8. Bande,
wieder liinwPipt auf dir- Arbeit und die
Erfahrungen der grossen Pädagogen der
Vergangenlieit, die swnr weiter n
fiilirtn, an die aber anzuknüpfen sei.
wolle mau nicht Gefahr lauten, ein
wichtiges pädagogisches Erbgut n
verHeren nnd frilhiTf Erf.ihnmeren noch
einmal macheu zu uiUsseu. Ein femereii
Yeidienst ist, dass aufs nachdrUcklidbate
eine Wissenschaft dtr Pädagogik ge-
fordert wird. Diese ist in methodischer
Hinsicht (Experiment, statistisches Ver>
fahren usw.) zwar eine Tochter der
experimentellen Psychologie, in mAte-
*) Wenn IVof. Menmanu eine Anzahl grundlegen'l' r Exp 'rimt^nte, die ihn
schon seit Jahren beschäftü^en, abgeschlossen haben wird, dlirfen wir ron ihm
eine sjatematiache Ftdagoguc erwarten.
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— 149 —
rieller Hiusicht verdankt sie Fünlenmp
der Logik and Methodeulehre , der
BtUk, der Aitbetik, den SoxialwfMen-
acbaften nsw. — da« hindert aber nicht,
sie als selbständige WiMenscbaft zu
reklamieren ; denn sie gebt nicht restlos
auf iu der Anwendung dieser Dis-
ziplinen, sie ist nicht bloss angewandte
Psychologie. TiOgik. Ethik xum., sondern
sie i«t die Wi^^'^enschaft von den
Erziehung» tut machen, und unter
diflfen fttr die UilfrtwiHsenscnaften völlig
nenen Gesichtspunkt rUckt sie deren
Probleme und Ergebnisse. — Auf den
reichen Inhalt des Werkes ansftthrlich
einzugeben verbietet derRanm. Henmann
behandelt in 18 Vorlesungen (sie sind
hervor^-^eiLjanifen ans Vortrilgen, die
Verf. hielt in den Lebrervereinen sn
Königsberg, Frankfurt und Bremen):
formale und niatt ri.ilr B< stiiiiinnntr der
Aufgabe der experimentellen Pädagogik.
BsperimenteUeUntennichangen ttberdi«
kiirji rliche nnd trei^tii:'' Entwickelnng
des Kindes und ihre pädagogische £»-
deatttnif. Expeiinentelle unteisnelniiig
der EntwickelnnpT der einzelnen pei^tit^en
Fähigkeiten beim Kinde und ihre
pädagogische Bedentong. Experi-
mentelle Untersuchnnir der kimllichen
Individualitäten un« ihre Analyse.
Die wi>8enschaftliche Begabungslebre
nnd ihre pädagogische Redentnn^.
Experini' ntelle Untersuchung der gei-
stigen Arbdt des Kinde-!. Experimentelle
Behandlung spezieller didaktischer
Probleme. Experimentelle Analyse de«
Schreibens. Das Rechnen. Das Zeichnen.
Ansblicke auf die weitere Entwickelung
der experimentellen Didaktik. Diese
gewährt einen Ausblick auf die Höp^lich-
keit einer Aiudehnung der experimen-
tellen Methoden auf die höhere Didaktik,
insbesondere auf den Sprachnnterricht
nnd die Bealienj. — Die U|»idtren
Knpitdttberidiriften Itssen den Beiebtnn
neuer Gesichtspunkte, neuer Fragen
and Probleme, die eine experimentelle
PIdagogik sn stellen und m eneUiewen
verniae:, nicht im entferntesten ahnen.
Ich bescheide mich, aus den Schloss-
Muftthnini^ Menmanns ein knrses
Wort zn zitieren, das kurz nnd treffend
über Sinn und Geist der neuen päda-
gogischen Wissenschaft zn belehren
imstande ist. Die allgemeinste
Folgeinng, die er ans allen seinen
Betraclitunpeu zieht, ist ili«^, ..dass von
der rechten Pflege des Gemüts- und
Willenslebens der Kinder ans aUeia
das rechte Erziehungssystem gewonnen
wird, nnd dass der Kern der rechten
Gemüts» nnd Willenspflege in allen
den Massregeln nnd Verhaltnngsweisen
des Erziehers liegt, die auf Hebnng
des Selbstvertrauens der Kinder abzideo,
auf rechte Anleitnufr dis Kindes zur
Selbstschätzuiif; seiner Kräfte, auf die
Entwickelung einer willentetarkes
Persönlichkeit ausdrehen. . . . Die
ginze Pädagogik der Demütigung, der
epression, der Schädigung des Selbst-
bewnsstseins, der Unterdrückung oder
Nichtentwickelung der Selbsttätigkeit
des Kindes ist ein Verbrechen an der
Kiudesseele; an ihre Stelle mnss die
Pädagogik des Vertrauens, der Attf-
raunteruni^. der Aufinnutening' um jeden
Preis, der Belebung der Selbsttätigkeit
und Selbsttndifkeit, des grflIndlfebeB
Eingehens auf die Individualität und
Begabaug der Kinder, der iüniUhlang
in ibre Entwiekehmgsstnfe und des
vertieften Verständnisses der gesamten
kindlichen Eigenart treten". (II. 420 f.)
Adolf Fuhlmann, Experimentelle
Beiträge zur Leüre vom Ge-
dächtnis. Gerdes & Hödel, Berlin
1906. r.ll S. Pr. geh. 8 M.
Die Arbeit zerfällt in drei Uanpt-
teile: 1. Die Methode der behaltenen
Glieder. 2. Einflnss der Lokalisation
auf ilas Behalten. 3. Kinflus« des
»ensorischen Modns der Vorführung anf
das I5ehalten. Der Zweck des 1. Teils
ist, ,.in zusammenhängender, bis letzt
noch nicht vorliegender Behandlung
die Metbode der behaltenen Glieder,
die bei derselben in Präge kommenden
Versuchsmöglichkeiten nml Verfabmngs-
weisen, die mit ihr gewonnenen Besnl«
täte imd deren Bedentnng und endlieh
die Vorteile und Nachteile ihrer An-
wendung auf Grund der bisher er-
sebienenen Literatur und eigener
Beobachtungen undVenncbe zusammen-
fassend und kritisch damatellen.'' Verf.
kommt sn dem Ergebnis: diese Metbode
„hat dieselbe Berechtigung wie die
andcni Methoden zur experimentellen
Untersuchung des Gedächtnisses und . . .
verdient je nach den Umständen dieselbe
Berücksichtigung wie jene". — Der
i^iyui^ud by Google
— ISO —
«weite Teil zeitjl, i1ans die Lokalisation
(visuelle wie akustische SteHeuassozia-
tion) filr alles Lernen ▼(« einffl]nieideB<
der Bedentnn^ int. — Der dritte Teil
weist nach : die Reprodaktiuuswerte aof
Gmnd der Darbietung konkreter Objekte
tlberticfTeii diejenigen auf Gnirid ver-
baler EinrIrMcke betrBchtlic h. besonders
Untichtlieh der (Tedächtiiistreue. Da-
nach zeigte n\c\\ die akustische Vor-
ftthnuig bei siuuvollen Wörtern, die
visuelle bei sinnlosen Silben und bei
Zahlen am ^ttusti-^steu. Die kombinierte
akustisch-visuelle Metbode erzielte im
allgeBMUMO etwas höhere Werte als die
elwn genannten EinzelvorfOhrnniren,
während die kombinierte akustisch-
Tisuell-motorische Methode schlechtere
Erfolge zeitigte. Doch scheinen Schul-
art, soziales Milieu, kurz derErziehnnurs-
und l'nterriL'htsbetrieb un<l <lie Art der
Übung and Gewöhnung in Schule und
Hat» auf die Gestaltung der Retoltate
nielit ohne Einfluss zn sein. — Wieder-
holt knüpft Pohimaun, durchww in
TorsiebtigerWeise, pädago^ischeSöunaa-
folgt>ningen ein.
Es ist bior nicht wohlpfetan, in eine
urofftngiiche Kritik der Poblmannächcu
Arbeit einzutreten : ich bescheide mich,
au bemerken, dass er den aufmerksamen
Leser sehr wohl in die experimentelle
Unter.suchun;^ des Gedächtnisse;? einzn-
führen vemagf trotadem seine Kritik
der altierten Antoren (nnr Ms 1905)
keine.>iwegs immer Am Puchtige trifft —
ein sorgsamer Vergleich ist empfeblens-
nnd lohiieiiswert.
Kiel. Marx Lobaien.
Josef Jäkel, Die Freiheit des
menschlichen Willens. Wien.
K. k. Hof-VerlagB-BaeUiandliiBg ton
Carl Promine. 1 M.
Wie sein ganaes Vermögen hat der
hexmgegangene (laterreieliisehe Oym-
nasialprofessor auch seinen Schriften-
nachiaas dem ^Dentachen ächul verein"
vemaeht. Nnn gibt die nationale
dentsche Vereinigung ihre Freunde
md fiir alle, die am Thema Interesse
haben, daa vom Verfasser nieht ab-
gerundete aber doch reclit If ^^ Mis werte
ftchleln heraus. Es mag aus der alten
Lehrerfrage heran» konzipiert worden
aein: „Wie ist firziebaag mOglich?**
Jäkel weiss, daiss „di* üi -isten und
konseqaentesten Denker den menscb-
liehan Willen fttrdetenBlnierterkMfM*
(S. 66). Er hättf! liinznfüs'en kennet,
dass nach weitverbreiteter Ansicht air
darum von Freiheit gesprochen wird,
weil den Menschen meLst'^'n« d'>
Zwiscben^flieder nicht bewusst werden,
durch deren Kette aein Denken und
Tun gehalten und gezogen wird. Trotz
alledem kommt Jäkel zu dem Resultate,
daia ^der Drang sich zn bajaben^ alA
TXi einem eigenen liCitcn auszuleben,
der IndivKiuaiisierung.strie])'" i,S. 71) auf
eine ^wisse Freiheit des Individuums
hinweist. Mit recht angenehmer Bild-
lichkeit Hucht er seinen Lesern nahe zu
Iringen, dasi* wir gewiss nicht* .Neue«
in die Welt und in den Intellekt brin^
können, dass wir aber sehr wohl im-
stande sind, schon v iIkui lene Tatsachen
and Erkenntnisse im Sinne einer be-
wnMrten Leitung der Oeaehehniase und
Einsichten zu m rwi n len. In der
Leitung der zu Bildenden zeigt siob
eine der wiebtigsten Bet&tigungen dar
Freiheit. Bedingtheit ist noch nicht
Fatum. Vielmehr gehört zu all den
Keoeaaitierangen, die im Menschen ver-
erbte um! :mtrf»^nr,>no Kiirentttmlich-
kelteu bewirkt haben, noch der er-
zieherische Einfluss als wesentlicher
und oft entscheidender Faktor. Glaube
ans Fatnm lähmt alles Ringen, er-
achlafft die für nene Unternehmungen
notwendige Spannkraft. „Freiheit ist
gleichbedeutend mit Herrentum, weil
sie dazu fuhrt" (S. 24). Ein Erzieher,
ein Stand, ein Volk, die anf !«ich halten
— nach Jilkel lehrt's der ganze Kampf
ums Da-sein — müssen „eine erkannte,
mit Absicht gelenkte uud mit dem
vollen Bewnsstsein von der Erreichbar-
keit eines vorschwebenden Zwecke»
herbeigeftlhrte Natomotwendigkeit'' als
Ziel ihrer Huanalmen m aidi hnbai,
am frei an aein.
Pn»f. Br. «tter-ftonlib Politik.
Leipzig 19()7. (^m lle dt Meyer. Gab.
1 M. Originaili iiil>:ind 1.2.^ M.
In der neuen >ammlung von Moao-
nhien zur ^Wissenschaft and BU-
j" stellt Stier-Somlos ^Politik" das
vierte B&ndchen dar. Ausgesprochener-
massen will der Verlader die Unwissea-
beit, die maa aalbst in Kieiaen Qebil«
Digitized by Google
— iSi —
deter bei Fratzen der theoretischen
Politik findet, beaeitiffeu helfen. Denn
es erscheint ihn beoanerlich and ge-
fährlich, dass wir Df-ntsrlien in |tre-
rinsrcrem Masse als Engländer, Franzosen
onil Italiener tun politisch-geaalitiltM
Volk sind. In der Tat ist kaum sn
leugnen, dms dem Massengewicht, wie
es bei allgemeinen gleichen Wahlen znin
Ansdmck kommt, bei wua die politische
Massenbüduug nicht euutpricbt. Fragt
sich nur, ob die Mäng«! nicht dnrä
anderweitige Vorzttge , insbesondere
eine weitgehende und reichgegliederte
Fachbildung, kompensiert werden!
Immerhin ist die Forderung ver-
stKndnisvolIer politihcher Mitarbeit
möglichst Vieler zu en<treben. wo ein
Volk durch eine Menge tou Institationen
als mtndig anerkannt wird. — 8tier>
8omlo entwickelt zunächf*t den BeerrifT
der Politik und grenzt ihn von Ter-
wandten BtgrUfon ab. Naeh«i]idii]igtD>
der Gliederung seinas Gebiets gebt der
Verfasser auf Weeea und Lebeuh
ftusserung des Staates ein, nm schliess-
lich die wichtip-iten im Reichstage
vertretenen Parteien m eharakterisieren.
Es fehlt diibei sieht an Wiederholungen
und Verweisungen, doch i.st der Vortrap
lebhaft uud klar. In der Geschicht.»-
betrachtung vermittelt St.-S. zwisehen
dem Persönlichkeitsknltu.s dei Kmke-
Bchen Schale und der Massen wirkungj}-
theorie Lamprechts; den Parteien gegen-
über sacht er einen objektiven Stand-
Sunkt zu wahren — , freilich nicht, ohne
as Zentrum liebevoll ans dessen
eigenem Programm, die Nationalliberalen
ans ihrer wirtschaftlichen Bedingtheit
heraus zu char.ikterisiercn. Mit Recht
wird mehrfach die fast ausecbliesslicbe
Tertretnng von ErwertninteiesBen
seitens dt-r politischen Part- it u
beklagt, lllr die Wahlen der £inzel-
landtage ein FlnraUtito^stem enip*
fohlen. Kurz und bündig geschrieben,
kann St.-S.s Buch wohl helfen zor
Übenicht nnd ISnmeht: nidit smn
mindesten dem Lehrer, von dem man
ja in kleinen Orten Auskunft Qber so
ziemlich alles, was in der Zeitung steht
UTifl schwer verständlich ist, verlanirt
Keicblich angefülirtes nnd kurz
charakterisiertes Quellen material hilft
rar Weiterftihning. Von „Bürger-
koiide" für FortbUduugsacholen er-
scheint St.-S. die Arbeit von Hoßmanu
nnd Groth als „einzig brauchbar'. Das
deutet auf eine nicht ganz extensive
Kenntnis der reicUiohen diesbestti^iGkeB
Literatur.
Dr. A. Neuland , I' e r W e zur
Universität. Ratschläs^e für Volk.s-
schullehrcr, die sich dem l'nivenjitÄts-
stndium widmen wollen. Aadien,
Hans Küsters Verlag. 2 M.
\Verdie Universität besuchen möchte,
soll ein selbstfindiger Mensch sein, der
nicht ti^ar so viel um guten Rat herum-
geht. Scharfäogige Leute finden sudem
anf Umwegen mehr Intereseantee als
die DuTchschnittiimeni^e anf der ge-
wohnten Landstrasse. Die individaelle
Begabung bedarf sehr oft des ganz
selb.ständig vnr[r^zri'MiTieten Wrtfr-,
Batschläge aligemeiner ^atur lassen
flieh wnn nicht gnt geben. Dr.
Neuland ist aber auch recht vorsichtig
und sparsam mit Eigenem. Prlifangs-
ordnungen, UniTerBitätsgesetze(die doch
kaum einer genan hält!!. Fromotions-
bediugungen füllen den weitaus iTT'üssten
Ten 106 bedruckten Seiten: hinzu-
gekommen sind bloss reichliche Druck-
fehler , sinnentstellende Zusammen-
achiebungen (8. 6i)) uud ein paar
Bemerkungen ztir Geschichte der Uni-
versität, über die Vorlesungen und
Institute der alma mater. Die Kern-
punkte, auf die es gerade dem Lehrer
ankommt, sind aber doch nicht die
Prüfungtn nnd äusseren Ordnungen,
sondern die Bildnn^möglichkeiten,
welche die Universität in sich schliesrt.
Wie diese letzteren dem eigenartig
vorgebildeten, mit ganz bestimmten
herantretenden Lehrer
zugangli( li l;i [iiucht werden können,
ist Berufs- und Standeeft'age. Nenlana
empüelilt In sdnem HefteMn iweinud,
der Lehrer möge <h\-< Zeugnis einer
Vollanst&it nachträglich erwerben. Dass
dadurch aber dem, der nicht philologische
Gaben nnd Nei^ngen hat. viel Zeit
und Kraft für sein Spezialfach verloren
gehen würden, ist unleugbar. Der
Tiehrer mit wahrhaft wissen.schnftlichen
Interessen wird lieber die Annehmlich-
keiten und Vorteile eine.s Titels, einer
verbrieften Anwartschaft missen wollen,
als dass er das Liehlingsfach ver-
nacblässic'te , clesseThnlhtu] ihm der
UniversitäUbtiüuch wiinisclteuswert ist.
FIdagogik und deren Hilfswinensehaften
werden snmeist in Fvasg kommen. Für
die biiÄen die nVoüanstaltcn" nicht
ffenngr. Daram wftte et kaum unbillig,
Lehrern, die vor einer — etwa von
üniversitäuproteasoren zu bildenden —
Eommittdon ausserordentliche ftlhifi:-
keittn in bestiniintt-n (k'bieten nacn-
weiseu, die akademisehe Forlarbeit iu
der betreffendenRichtuni^ zu ermöglichen,
gleichviel ob der in Frage Irammende
Kandidat auf früherer Alteratttfe und
der einstii^'i'u BildungsanKtalt !«clton jene
BefKhigung verriet, oder nicht.
Dr. AagQHt Yopcl, f'berhlick Uber
die Geschichte der Philogoy hie
in ihren intereasanteeten Pro-
blemen [ T il. Die griechische
Philosophie. Leipzig, Brandsletter.
M. I,fl0«
Fttr Wcftsehfttsnng und Gedeihen
der Staaten ist die Bflrse der feinste
Oradmeiiser. Wenu man sich über
Wirksamkeit i^eistiger Strömungen
unterrichten will, kann einem der Bnch-
hftndlerkatalog gute Dienste leisten.
Da zeigt sicti mit einigen Jahren ein
bedeutendes Wachstum «kr philosophi-
schen Verlag-swerke. Nicht bluss die
üuiinierendt'ii Schriften Nietzsche.') und
der weil links« >tehenden Natur-
philosopheu , auch uicht nur jene
Materialisten, die sich Okkultisten und
Spiritisten nennen, finden weite Leser-
kreise: es wird auch das Altertum
durrli j,nit übersetzte Quellschriften der
modernen Gesellschaft nahe gebracht,
die Romantiker leben auf, KantaWerk
findi^t immer neue KommentatOiun.
Ein neaes Buch Wondt's wird — trota
der snweileo recht schwierigen Vortrags-
weise mit Heisshunger genossen,
and eine arbeitsfreudige Gemeinde
sammelt aidi unter der fUine des nun
heimgetrang'eTieii Eilnard von Uartmann.
Dahn darf man einen Kückschlac" ^egen
die Übermacht der wirtschaftlicnen
Intere.isen drrrilssen. Was den Zufrang
zur Pbiiosopüie erleichteit, hilft aber
sogleich Sjarbeit bnogen in das
ChftOJ5nnsererGedaukenondStimmnng'en.
Auch Vogels pCherblick"* wird darum
manches Gut« stiften. Der erste Teil
des Weriichena befaast sich mit der
griechischen Philosophie. Den fn-rh u,
originellen Ton, den z. B. Kalthelts
Büchlein über die grieokiaehen Philo-
sophen auszeichnet, sucht man freilich
vergeblich drin. Bei allem Streben,
die Alten aus unserer Denkungsart
heraus zu behandeln, läuft dem Verf
immer wieder ein wenig Schulaslik
unter; Darstellung und Benrteilung
einzelner Philosophen und Schulen sina
nicht immer scnarf geschieden; der
Periodenbau hat zuweilen etwas Müdes.
Trotzdem ist Vogels Buch zur Ein-
leitung in die Philosophie (canz nützlich.
In der Art der (iliederuug, bei der
ruhigen Diktion, trotz der Einseitigkeit
mancher Urteile zeigt sich ein Autor,
der Eii'fene*; zu bieten hat und in
schlichten Worten manches dem Ver-
stlndnis nahe brinirt, was andeniorls
aus der Fülle den Itetails nicht heraus-
suerkennen ist. Kurz, aber meist sehr
treffend, sind die Scnieksale der
dünken zn i^ni Weltschicksalen in Be-
ziehung gesetzt ; ein zusammenfassender
Rückblick deutet zugleich auf die neuere
Philojicviliii v.ir. rl r » in zweites BSnd-
t heu ^'ewidmet wird. Dürftig sind die
WorterklfimnpenimangefUgten Register
der pliiloeophiscben Ausdrücke.
Dr. A. Gill«, Philosophisches
Lesebuch in systematischer
Anordnung. Halle, Waisenhaus.
2 H., geb. 8^ M.
Gill*' ^'eht von der richtigen Ansicht
aus, da^s Philosophieren am besten gegen
blindes Nachbeten eines Modephilosopben
schützt. Wie nötig solcher Schutz istj
wird jeder erfahren, der mit der Jugend
Ton heute zu tun hat. Freilich bedarf
auch die beste phih^sophii^chc Blütenlese
der Hand de« Lehrers, die sie zusammen*
hftlt. Wenn GiUe, nachdem er Zeller
über Anftrabc und Stellung der Philo-
sophie hat reden lassen, Abhandlungen
cur Logik und Brkenntuialehre, aar
Psychologie, Rechts- und Staat.Hphilo-
sophie, eudlich zur Ethik und Religion^
Philosophie bringt, so kann man dss
im Tntere-:r> schneller Orient ierunc
billigen, trotzdem findet Referent es
bedaueilieh, dassGilb* nicht wenigstens
in .Vnmcrknng:en geschichtliche Dar-
bietungen zur Philosophie gegeben hat.
Im Zusammenhange mit der geringeren
Beaditung der ^lilosophiegMcUohte
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— 153 —
steht «5 wohl aneh, <\n»-<. Gille nirf^cndM
die kliissi^chfii Dark^aiugen Heijeli*
herangezogen hat. Andrerseits gibt
Gille freilich manches Nützliche nnd
Gnte, was nicht innerhalb philosophischer
Fachgelehrsanikt'it c^t'warhseii ist. Dahin
gehören die reiddich benutzten Ab-
■dnitte ans Pauls „Prinzipien der
Sprachg^bichte" und aus Jh^'rin^
„Zweck im Kechf^ tot allem aber die
gut gewühlten Diehterworte die in
veikULrend' i F nn zusammenfassen, was
die strenge Deduktion des Philosophen
eneUdflsen hat In der I^qrehou»gie
kommen die Vertreter verschiedenster
fitchUingeo. <lie allerdings nie Uber das
^Mdie Teilgebiet befragt werden, zn
Worte, Aber der Zweck, schärfer hin-
sehenden Augen die Hulutivitiit unseres
Wissens kenntlich zn machen, dürfte
doch erreicht werden. Um den Schüler
zu nötigen, dort, wo er Einzelfragen
beantwortet haben mOohte, die näcbelen
ZnsaTntnenhSnge mit zu überblicken,
verweiüi das Sachregister nicht anf die
entsprechende Seite sondern jedesmal
anf die .\bhandlung, darin sich die
gesuchte Auskunft tiudet. So blickt
ein praktischer Schulmann selbst bei
den .\usKerlirhkeiten aus dem Hnehe.
£lsterberg. Dr. Grimm.
Pf. Lic. Traub, Die Wunder im
neuen Testament. (BeUgions-
Seschichtliehe Vo]kabtteher V. 2.)
[alle a. S., Gebaner^e]iwet8clikel905.
72 S., 40 Pf.
Der Verf. behandelt das schwierige
TlMnia nach folgenden Kapiteln : Wnnder
md Mirakel. Pauluf luni ■]{<■ W'mvh-r.
Die evangelischen W uniierbenchte.
HeUnngserzählungm. Die Heilmefiiode
Jesu. Seeanekdoten. Speisnnsrfcre-
schicbteu. Schon ans einigen dieser
Oberschriften gebt hervor, dam er
Wnnder im lundliiufigen Sinne des
Worte« ablehnt. Sie sind ihm Mirakel.
Darunter versteht er „Vorgänge, die
einzig deshalb anf Wundorcharakter
Anspruch machen . weil sie dem
verstÄndigen Erkenn-ji ins Gesicht
schlagen". Das Eine Wnnder de«
Glaubens, das er auerkennt, ist ihm der
lebendige Gott. „Gutt sorgt für uns,
wie er für die Sperlinge sorgt'' — das
iit der Wnnderglanbe oiriatUcher
Frömmigkeit. In Kapitfd 2 Htellt Traub
iimächst fest, das» Paulus seine Predigt
von der Erling nicht auf Wunder*
erzählungen aus dem Leben Jesu ge-
stützt Imt. und beutet diese Tatsache
in einer Weise ans, die nii ht auf der
Linie pauliniscber Gedanken üttgL
Wfthrend sonst von den Modernen Jesn
Evangelium gegen Pauli Theologie aus-
gespielt wird, geschieht hier das Um«
gekehrte. Die Wnnderberichte d«
Apo»t*ilß-eschichte werden, trotzdem der
Verfasser das in Abrede stellt, eben
dodt allegorisch omgedentet und ab
Wandere rl eb n iss e aus der l'rr'ihrnng
mit und Beeinflussung durch heidnischen
Mytbrasdientterklftrt. In diesem Kapitel
begegnet uns eine ansprechende Aus-
lassung über das Zuugenreden. 8. 20,
al»er auch hier wieder ganz religions-
geschichtlich: ^Ähnliche Erlebnisse
ünden wir auf allen miiiflicheii anderen
BeligionsRtnfen." In Bezug auf die
evangelischen Wunderberichte, Kap. 3,
E'ebt der Verf. zn: „die Schreiber der
rangclien wollten Mirakel erzählen,
»"^ \vr»r ihnen um wirkliclip Wunder
zu tun '. Aber die Wunder haben für
ihn keinen .spezifischen Wert, sondern
.,wir haben es mit einer grossen Wunder-
atmosphäre in der ganzen alten Welt
zu tun, die nicht an den (irenzen einer
bestimmten Beligiousgemeiuschaft halt
macht, sondern Oemeingnt relig^Qeen
Erlebens ist.** Entschieden anfechtbar
ist der Gedanke: Weil das dogmatische
Meesiasbild in allen Gtnndzttgen (eet-
stand , längst ehe Jesus kam , nnd
Wandertun ein Uanptzog darin war,
dämm rannten diejenigen, die ihn in
ihren Berichten als den Erlöser « )iil U rn,
gerade diese Wunderberichte hervor-
kehren. Das wäre doch eine tendensSae
SchriftHrrllt rri ohne Gleichen gewesen!
Aus Kui). 4 ist der intereädante Versuch
einer Erklärung des Krankheitsbildet
Der Dämonischen S. 34 f. hervorzuheben.
Dagegen werden die Heilungswunder
Jesu zu einseitig unter den relativ
richtigen Gesichtspunkt gestellt, dass
allen mittelbaren und uiiui ittelbaren
Erscheinungen der hysterischen Krank-
heiten gegenüber der Wille einer über-
mächtigen Person heilende Kraft besitzt.
Der Abschnitt über die Ileilmethode
Jesu gibt mancherlei AnregOAg in
Bezug auf das Peripherische niM dMsan
. y 1. ^ . y Google
— 1S4 —
Auffassnnp. Die beiden letzten Kapitel
bringen wenipr neue GesichtspnnKte :
der Verf. umgeht %. T. den springenden
Punkt. Der Ausdruck „Seoanekdoten"
für die Stillunja: dts Stumit.s iiuf dem
Meer nnd das Wandeln Jesn auf den
Wellen ist als frivol zn beaustandeu,
wenn er anch nur in der Überschrift
begegrnet. — Im allgemeinen tVs.«ielt die
Schrift, aber der aufg^ewendeto kritüche
Appftiftt woss Ldflong iler Wnndesfrai^
im modern religionsgeschichtlichen Sinne
steht in keinem Verhältnis zu den ge-
wotmenen fietuluten. Wm ist damit
gesagt, daas wir hei herangereiftem
lanoen ^avs 4er eingebildeten Welt
der Mirakel in dae woUonraniäierte
Reich dps vi"nn 'lorvollen Scbalfena und
Wirkens uoites geführt werden"! Und
wohl ist „Jesus kein WnmdenBUiiif
souilem der Heiland'', aber von seiner
Erbcheinung \*t eben das Wunderbare
tmaertieuulich und findet nnsers Er-
achtens eine befriedigende Erklärun<>:
nur in dem einzigartigen Verhältnis
aeiner QemeuiMliAft mit Gott
Prof. D. Runkel, Berlin, Elias,
.Iah VC und Baal (Religions-
geschichtlii h« \ IksbUcher II, 8).
Tübingen, J. C. B. Mohr (Paul Siebeek)
1906. 76 S. 60 Pf.
Die zweite Reibe der Belificins-
gesohichtlichen Volksbücher behandelt
die Religion dei Alten Teatameuts.
■an MA\X irawillMiliali «n dleee Be-
handinng mit dem Gedudren heran:
Wieviel wird erat hier a«f aUteatament-
Hehem Bodens wo die Urteile der Ter>
«^'^hiedenen Richtungen von jrher am
meisten schwankten, an allen Über-
lieferungen und Aneebannngen im Sieb
der Religionsgeschichte ausscheiden,
und welche Werte werden für das
Auseheidende eingestellt werden! Bei
solchen Erwägungen möchten wir es
als ein Glück bezeichnen, Gankels vor-
Hegende Schrift in die Hand %\\ be-
kommen. Bei aller weit^henden Kritik,
die er übt, bat er eine feine ernste
Art, die versöhnend wirkt. Hier redet
zn uns »'in M*'ister auf dem Gebiete
alttestaraeiiiiiclier Forucbuug. der den
Stoflf in souveräner Weise beherrscht,
das merkt man auf jedem Blatte; und
er schreibt fliessend nnd klar, so dass
man wirklich weiss, %vaf« er will. —
In der Enleitung stellt er die wissen-
schaftliche Aufgabe. Das 1. Kapitet
bringt die Erzählungen von läiss.
ästhetisch und literatorgescbichtlich
betrachtet, das zweite die Kritik der
Erzählungen von Elias als Quellen der
Geschichtschreibung, und das dritte
Kapitel das historische Bild des Elia.s
im ZusammenliaDg der BeUgionsge-
sehiefate btaels. — Der VerCteser geht
davon ans. da.s.s nnter den Anklagen,
die gegen die gegenw&rtige alt-
testanentliebe Forsebung von Hinnen
der Kiri'lu' (•ilmh-ii werden, keine m
schwerwiegend ist wie die, dass durch
die lüttestamentliehe Kritik der Glanlie
an die göttliche nffcnhnmng zerstört
werde. Er gibt auch uime weiteres
zn, dass die moderne alttestaanatlkhe
Wissenschaft sich wirklich von der
bisher in der Kirche herrschenden Über-
lieferung aufs stärkste entfernt und
demnach die Frage verständlich ist.
was denn eigentlich noch feststehe, wo
io vieles sehon gefallen. Auch das sei
znriTre'ben. dai«.'! die alttf^tam^^utliche
Kniik gelegentlich ein wciüti zu weit
gegangen sei nnd hie und da ein zer-
setzender und profaner Geist in diese
Wissenschaft eingedrungen. Besonders
wertvoll aber ist von dieser Seite das
Zugeständnis, dass vielleicht in Zukunft
manche biblische tyberliefemng. die
gegenwärtig verwf rfi ii (hIit li'ir jung
erklart wird, wieder zu Ehren kununea
mdebte. — Als Probe moderner Selnift-
forschung will Ounkel dns T'ild lie-
Propheten Elias naeh den Quellen
seieimen, aber nicht nnr anf Grand
hi^t'^ri-ch - kritischer Brtrn^htung. son-
dern zugleich ästhetischer Unter-
snebang, die der Bedentang der bibU-
schen Elias^rr^ühlnngen als religiöser
Kunstwerke gerecht wird. Da«
Resultat seiner Kritik ist dieses: In
den Eliaserzählungen redet _ nicht
eigentliche Geschichte zu uns, aoch
nicht eine mit einzelnen sagenhaften
Zügen vermischte (^e^chichte. sondera
die Sage, die ja treüich mancherlei
historisches Gut enthalten kann". ^
sind unbewQsste Dichtungen des Volkes,
ein schönes Zeogni.s dafür, dass das
Gedächtnis des Heros nicht unter-
gegangen iKt, dass es nach seinem IMe
Menschen gegeben bat, die seine öe-
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— 155 —
danken verstanden, die ihn verehrten
nnd bewanderten," ..ja die zn ihm auf-
geblickt hab»"U wif zu einem der Gottes-
helden am Himmel.'' — Wie gestaltet
iich aber nnn historisene Bild
des Eli t Guiikel sa^ u. a. : „Bei
solchem Qnellenbefande ist es natttrlich
unmöglich, eine Lebemgeeelilehte des
Elias zu zeichnen ; und utir das kann
die Auf^be sein, die Ferson und vor
dien «e Oedanken des Mannes m
erkennen" und „da.^ Typisch' diran-
zn nehmen.** ^enn wir za beaiuimteu
Zßgen der fliastradition frappante
Parallelen in weit entfernten und litera-
risch ganz unahliänt^igen historischen
Qnollen finden, lürfen wir uns wohl
dem Vertrauen hingeben, auf festen
geschichtlichen Boden gestosseu zu
ueiu." „Elias ist ein Prophet, ein
Nabi." Er eifert „fflr Jabves alUinic:'
Verehrung in Israel gegen den hiuil-
dieiist". „Er stellt in seiner Person
altisraelitisches Wesen dar: sein Ziel
ist. da« Uuisraelitiscbe aufzutreiben."
Jniive ist dem Propheten mehr als
Israels Nationalgott; er siebt ihn den
Gott der ganzen Welt werden. „So
ist Elias eine grosse Weis.sagunir für
die Zaknnft. Sein Kampf gegQU den
Baal, sein ISfer für den Qott des Rechts,
der mehr ist als ein Gott Israel.'«, sind
nur daä Vorspiel einer gewaltigen Be-
wegung." „Kein Prophet erseheint uns
gewaltiger als der Glanben.sheM Elia.«."
Auch wer zu ganz anderen Boni-
täten kommt, als Onnkel, «dl er bei
der Srhriftforschung von anderen
Voriuflsetzungen ausgeht, wird da«
Hu< t] mit innerem Gewinn lesen: £«
führt ein Stiirk i=ra( Ii tischer Geschichte
in edler Plastik vor unser Auge, es
regt zur Prilftuig der eignen Position
energisch an und bereichert nach
mancher 8eite nicht uuweüentitch da»
leligionsfesdiichüiche Verständnie im
allgemeinen Sinne des Wortes.
BochlitB. P. Na n mann.
B. BesS; Unsere religiösen £r-
lieher. Eine Geschichte des Christen-
tums iu Lebensbildern. Unter Mit-
wirkung einer Beihe von Oelehrtea.
Leipzig, Quelle Mm, 190B. 2 Bde.
2YJ n 2B6 S. Je 8,80, gthnndeii je
4,t}Ü M.
Es ist aicher ein glücklicher Gedanke,
statt einer vollständigen Kirchen-
geschichte, zn deren Durchlesen sich
viele besonders w^en der mannigfachen
unerquicklichen Partien nicht ent-
schliesseu werilen und di»' von einem
JSinselnen kaum gleichm&ssig vollendet
ni sehreibflii ist, eine Sammlung von
Darstell uncren nur der hervorragen d.sten
Persönlichkeiten der ohristlichen Beli-
gionegesehiehte dnreh anorkannte Faeh-
m&nner zu vr ran stalten Au eh so er-
halten wir ja, wenn die Auswahl tref-
fend ist, der vemohiedenen fiedentonr
ilie Betonung entspricht und jedesmal
einleitend erweise di»» nötigen Ver-
hinduiig«linieu ^^ezotjeii werden, ein
Bild von der Kiitwieklnng nud dem
Wesen des Chrinteutums überhaupt.
Und gewisMi wird dieses Bild um so
kriifticrer relii^^iös erzieherisch wirken
künneu. ah ..uicht.s m geeignet ist,
religiöse Erkenntnis nnznregeo und
relijriöses Leben zu lordern, als die
BerUhraug mit ^leichgearteteu machte
vollen PenOnlichkeiten'* (Vorwort).
Ansj^ewählt sind „Moses und die
Propheten" von Prof. D. Meinhold-
Konii. .Jesus von Prof. D. .\. Meyer-
Zürich, Fanlu?- von Prof. Lic. Dr. 0.
Clemen-Honu, Or igen es von D.
Preuschen-Hirschhorn, August in von
Prof. IK T)omer-König8b€rg. Bernhard
von C 1 a i r V a u X von Prof. D.
Deutsch-Berlin, Franz von Assisi
vonProf,Dr.Wenck-Marbnrg,Hein ri ch
Sense (Sn.so) von Lic. Dr. 0. Clemen-
Zwickau, Wicl if u. Hu« von f D. Dr.
Bnddensieg-Dresden, Luther von Prof.
D. Kolde-Erlanj,'en. Zwingli von D.
Baur-Weiusber!^, Calvin von Prof.
Lic. Bess-Halle, Spener von D. Grttn-
hfTg. Schiller n. Goethe von Prof.
D. Sell-Bonn. Schleiermacher von
Prof. D. Kim-Leipzig, Bismarck von
Prof. D. Baiimg«rten*Kid. Dam ^
SeUnsswort „Die Religion der Erzieher"
Ton Prof. D. Hemuann-Marburg.
Der Auswahl wird in der Haupt-
sache zuzustimmen sein. ObOrigenes,
Ton dem Prenschen schlicht erzählt, in
seiner Bedeutung Nicht-Gelehrten nahe-
zubrinsren ist. scheint mir allerdings
fraglich i nötiger wäre jedenfaUa ein
Abeehnitt über den geistTollen VerflMeer
des .Tohannesevangeliums, der
schon lange vor Origenes die Gebildetem
. y 1. ^ . y Google
- 156 -
aeiner Zeit für das Chiistontum sa
Mwiimen gvsndit hat und desten Jesna-
nild, wenn es - vrie meist in T'nter-
richt und Fredigt mit dem der drei
ersten STangelien vermeagt wird, viel
Verwirrung anriebt* t T^n« von Mys-
tikern der weniger bekaunlc Stiuse
ansgewäblt ist, begründet 0. Clemen,
der ihn mit viel Sympathie darstellt,
damit, dass die Eckhart- und Tanler-
fondiailg noch zu sehr im tagen
liegen um! die wohl nicht von Thomas
?ou Kempen stammende „Nacblul^'u
Christi'" wenig originell ist, während
wir Scuso. den liebenswürdigsten und
anKiehemlsten aller Mystiker", „besser
kennen als irgend einen Frommen des
Mittelalters"". Das sind Gründe. Ob
es nicht glücklicher gewesen wBre, nur
einleitend von Spener, dann aber
awuEtthrlkher von dem tatenreicheren
Franeke mid dem gebitvoUeren Zinseii-
dorf 'in erzählen, will ich nur friitr<?n.
nicht entscheiden. £ic fühlbarer Hangel
ist das Fehlen von Lessinflr. dem
neben, ja vor (Goethe nnil Schiller eut-
üchicden eine Stelle unter unseru reli-
giOeen Erriehem gebttbit; die wenigen
beiläufigen Zeilen Seils erninsren noch
weniger als die über Herder. Auch
Kant vermisst man. Ob dagegen
Bismarck, noch dazu im wesentlichen
„bei»chränkt auf die Zeit, da er sich
selbst erzog oder erziehen liess", unter
die religiösen Erzieher gehört, ist wohl
fraglich. Freilich kann es erziehlich
wincen, wenn nnsem Patrioten gezeigt
wird, eine wie bedeutsame Rolle die
IvcU^'iuu doch im Leben unsers grüssten
Staatsmannes gespielt hat. Al^ dann
müsste doch auch die Frage — und
zwar gründlich — erörtert werden,
wieweit und ob überhaupt seine Politik
dorcb seine persönliche Frömmigkeit
beeinllnsst worden ist Endlich ist noch
zu beanstanden, dass keine Zeugen iler
Innern und ^usaern Mission und
des socialen Ohristentnnis —
etwa "Wichern. Livint^stone, Kingllej,
Werner - vertreten sind.
Der Wert der eiuzelucu Bei-
träge ist bei einer solehmi Aniahl
Gelehrter niituri^^emäss verschieden. Vör-
bereiteud handelt Meinhold kui-z und
vorsichtig von den mosaischen Anfängen
der israelitischen Rflit,'i<'n, eini,'eliendcr
von den grossen Propheten Arnos, Hosea,
Jesaja, Jeremia, zu knaj^p von Deaten>>
jesaja, gar ttidit s. B. von dem be-
dentsamen Buche Hiob. Am besten
hat mir das von .\rnold Heyer auf
50 Seiten knapp imd doeb inssent
inhaltsreich in fris'-hei! Farben und
kräftigen Linien eutwortöne Lebens-
nnd Charakterbild Jesu gefallen. Mag
man am-h zu so und so vielen Einz«»l-
tragen »ich anders stelicQ, das Ganze
ist eine ebenso warmherzige wie ge-
schickte Darstellung des tferrlichstPB
der Menscbensöhne, vuu der üich m. £.
vielfach sogar ebenso Altgläubige
fweiiig'sten.s Nithttlieologen) wie Un-
kirchliche antre^jirochen fühlen könnten.
Um so zweifeliiatt'M ist mir, ob viele
Laien mit Freude und Gewinn
C. Clemens Paulus durchlesen werden,
der durch .stärkere Betonuni: <les aus
den Briefen sa erbebenden Biographi-
sdien rieber lebendiger nnd plastischer
hätte werden können : nmn denke nur
an Weineis Buch. Auch bei Dorners
Angnstin bitte der enieberiseb gewiss
hedeutsame Lebensgaiig stärker nnd
zwar in Worten der „Bekenutnisse"
aiiBgefllbrt sein sollen, wihrend sein
Nchwierige?^ Gedankent^ehände fWr 'iie
doch wohl hHupt!»ik:hlich als Leser
gewünschten Nicbttheologen kttrsar,
vereinfachter dargestellt werden rausste;
der Verf. sclieint da.-* selbst gefühlt zu
haben , wie seine Zusammenfassang
S. 17'? 178 zeigt. In Deutschs an-
«precheuder Schilderung des h. Bern-
hard ist dieser als Gegner Abälards
rfii'b'i; h milde beurteilt. Aus Wencks
Frauziäkus erwächst einem eineraeii«
das etwas unbehagliche Gefühl, dass
der uns durch P. Sabatiers köstliches
Buch ans Herz gewachsene Idealkatbolik
von Assisi von dem französischen
Gelehrten doch etwas veneichnet war;
andrerseits scheint mir auch wieder
Weuck zu weit zu Inn, .t-)i); -r die
parallele jSntwickiung der — im
Kenne doch andersartigen — Fraitiis»
kaner mit den andern Orden für
geschichtliche Notwendigkeit hält.
Kol de aeichnet ausführlich leider
nur den werdradeo Luther nnd begnti|^
sich dann, wohl ans Plat/.mangrel, damit,
za aeigen, was der Keformator der
ObriBtenbeit an neuen religi<leeo Werten
^tȣreben hat. .\her in einem snlchf^n
Buche hätte doch in erster Linie der
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— 157 -
Hdd d«r Eimsen BeCnniittioiisjftliT« in
seinen Taten und Worten mirhlir^h
geschildert werden and dann auch (ier
SchnuLken des gronen Hannes gedacht
werden müssen. A. Banrs vnnirteils-
freie warme Zwingli - Charakt^iri.stik
wünschte man nur länger; der Züricher
Iif'fürmator i<r "crade eine Gestalt, liii;
auch den „Laierr leicht verätäudlich
nnd sympathisch sein dürfte nnd deren
rPliofirwe Tiefe und TIcrzlichkoit dann
um sü ergreifender wirkt, üm so
schwerer ist das religiös Erzieherische
bei dem meist düsteren, strengen Calvin
zn entdecken, dem der Heransgeber
Bess eine ausführliche Darstellung
widmet Wert?oU für viele Gebildete
wird Seils Nachweis sein, dass Qoethe
und Schiller indirekt die Religion
förderten, indem sie den übersinnlidien
Mlehten im mensehlieheB Lebm «Inen
Platz anwiesen, direkt religiÖi Iber
wirkten als £rBieher zu einer kaiwoni-
9clMm Sitttichkeit besonders dareb die
stetig fe.stgehaltene Richtung- ihres
fuuzeu I^bens anf die höchsten Ideale,
ndlich laaeen hoffentUeb auch recht
viele Hrs von Kirn vortrefflich i^e-
zeichuete Bild bchieieraiacherü auf ^ich
wirken, des geist- und gemütvollen
Verfassers derKeden über die Kelicfion,
der Glaubenslehre und der Monologen,
des Patrioten nnd Unionsfreundes, des
Versöhnen fon Christentum und Bil-
dung.
Trutx einer Reihe vou Ausstellungen,
die ich zu machen hatte, möchte ich
die Lektüre der beiden gut gedruckten,
weniger gut gehefteten Bände sehr
empf ehl (-11, da ich kt-in besseres Hnch
dieser Art m nenoeu wto»te und ein
solebes doeb ein entschiedenes Bedürfnis
i«t. Freilieh könnte ich es mir in der
eanzen Axt der DarsteUnng noch glUck-
Beber ansg«fBhrt denken: es sollten
d u r c h g e h e n d s v i el r e i h e r die
eigenen Worte dieser religiösen
Heroen und Virtnosen der mnuttig^
kl it inryeboten nnd nnr mehr mit vor-
bereitenden, erklärtiudeu, Uberleiteudeu
und abschliessenden Betrachtungen ver-
sehen sein. Dadurch l>rrinchte die Dar-
äteiluug formell nicht beeinträchtigt
zu werden, inhaltlich würde sie be-
deutend Qn(MIfrische. Originalität
nnd Objektivität gewinnen. Damit aber
wttre^ wie woU jedem intereiiiexten
Leser, so Insbesondere dem Lehrer fttr
die Verwertung im ünteniöht nooh
weit mehr gedient.
Zwickau i. S.
Dr. Hermann Meitzer.
Hr. Uustav Buttastein, Oberlehrer am
Kgl. Wilheimsgymnasinm in Berlin.
U n t e r r i c h t i m ,\ 1 1 e n T e s t a rn e n t.
In Verbindung mit Prof. D. theol.
J. W. Rothstein verfasst. L Teil,
Hilfsbnch für den Unterricht im
Alten Testament. X nnd 230 S..
broch. 2 M. 40 Pf. II. T(>il, Quellen-
buch für den Unterricht im Alten
Testament, XII nnd 216 8., broch.
2 M. 00 Pf.
Im l. Teil inbt der Verfasser einen
Abrlss der Israelitischen Volks-, Reli-
S'ons- und Literatargeschichte. Diese
ei Oesicbtspnnkte werdMi aber niebt
nebenein;iiider , sondern in- und mit-
einander verfolgt. Er fnsst in allem
anf den .\n8channngen der alttestament-
lichen Wissenschaft der Gegenwart.
Dabei neigt er nicht nach der radikalen,
sondern nach der bedächtigen Seite bin.
Abraham ist ihm eine geschichtliche
Persönlichkeit, der Dekalog geht in
seiner Grundform auf Moses zurück,
yio^tA ist durch eine Offenbamnq: Gotte?
das geworden, was er iät. Die wisüen-
schaftlichen Angabeji Aea Baches sind
in jeder Hinsicht zuverlässig.
Das Qnellenbnch begleitet den ge-
schichtlichen Anfriss des Uilfshuches
durch Qnellenstücke. Diese folgen nicht
dem Gange des Alten Testamentes,
sondern sind ans seinen Zusammen-
hängen herausgenommen nn 1 entwick-
Inngsgeschichtlich anciuaudergereiht.
Etwas ganz Neues ist es, dass anA
aus-serbiblische Quellen nn den zu-
gehörigen ÖteUeu eingefügt sind, so
teilen ausdenAmamabriefen, Zeugnisse
TUT Königsgeschichte aus assynschcn
und babylonischen Quellen, Stelleu aus
Josephus, der babylonische Schöpf nugs-
mytbns, die Sintflutgescbichte ans dem
Gilgamesch-EpoB u. a. Dieses Quellen-
buch wisseuscbaftlich höchst wert-
voll und in seiner Art und Ausdehnung
neiL
Wenn fceiUoli der Yerfamer meinte
- IS» -
dMi lein Werk Untertertiaaeni nfttMn
wird, m (Ittrfte er sich H«hr täuschen.
£r bietet einen exakten Extrakt der
alttt'.stnineut lieben WiBaenaehaft, aber
pädagogische ErwilsriinifPn treten ganz
zurück. Dein Religio Uülebrei, dem
Laien, der sich für die moderne alt-
testamentlit^b»* \Vi?i>:enschaft interessiert,
dem Stmieuteii der Theologie, dem
SchOler der letzten 2 oder liQcbstens
75 Klassen der hf'thfrt'u Schalen biet^'t
er eiueu treffli« heu Wegweiser; für
SchOler der mittleren Klassen ist seilt
Werk sn bocb und m nmfangreicb.
Mehr Frendi^keit, mehr Frei->
heitim T\nli£:!ünHunterricht. Vortrag
von PaHtor priui. Bode in Stade.
Verlag H. Bargdorf-BMhholi (Kr.
Hftrlmrg) 1907. 16 &
Der Verfasser geht den Mänifelü
des EeligiooMUiterncbt« is ftbiüich
energisoher Weite m Leibe wie
Baumgarten in den 1 kannten Neuen
Bahnen. Auch seine 1^'ordenui^ea be-
wegen flicli naeh deraelben Etuhtna;
hin.
Pina. Dr. Ü. TSgel.
(Bespiechiiflg vcxbehalten.)
KrUtS, Karl, Prakliscli crprobtr Anfpihcnsammlung für den ersten rnterricht in
Rccht»chrciben, Sprachlehre, VVurtbiiduag und Aufsatz auf Grtindlagc de» Selbst-
unterrichts im Anschluss an die Kibcl. 5. Aull. Giessen 1907. Roth. Pr. $0 Pf.
Huth, C. H. A.. Kl' lnrs Wörterhurh. Dresden 1907. Fhlrrmnnn.
Fischer, P., liialührung in liic clciitschc Drucküthnlt. Leipzig 190S. Sicf^iamunfi
& Volkcning. Pr. 30 I'f.
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1907. l'r. 60 Pf.
Sebtlfer, Pnif. A., Peir<i^usriite. i. Heft. Spanien und Portugal Hannover 1907.
^t<•v-•^ Vr yh hn ]'> _
Veibagen & Kiabingi» Sammlung deut&aher Schulausgaben. 116. Licferg. : Porgcr,
Moderne erzählende Prosa. 7 IM. 188. I.icferg. : I^öschhom, Anthologie mittel-
alterlicher Gedichte, iro l i -ferg . Muckau, iiilfsbuch zu Homer. 120. Lieferg.:
Wielands Oberon, hrruus^(^. von v. SaUwOrk. Pr. i M., 1,10 M.
DfOlSChe Scbulausgaben, herausgeg. von Ür. j. Ziehen. Bd. 48: Stutzer, I.tsehuch
zar deutschen Staatskunde. Bd. 49: Kiazel, Ans Goethes Prosa. Bd. 50:
Ziehen, Goethes Ttalienlsche Reise. Dresden. Eblermann. Pr. 1,20, 145.
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K«H«, Dr. Em tMe Reform des naturwinensdiaftBchen Untcrriditi im Sldiibdiea
^"i-n i'iAr Dresden iqoS. Rleyl & Kaemmcrcr. l'r. 60 Pf.
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Huber Co. Pr. 3,50 M.
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BaddS, Gerhard, Mehr Freude an der Schule. Leijizig I908. Haha. Pr. 1,50 M.
Ders., Der Karapf um die höheren Knabcnschnlen im Spiegel des modernen Geialci*
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MSlUer, Gustav, Zweck, Ziel und Behandlung der I leimatkundc in der Volksschule. —
Wichtigkeit, Anlage und Behandlung der Glicdcnugcn im Unterricht.
$Mk, Die Volks- und Jugendipiete nach den GrundsStsen des ZentndansachitMes.
Ebenda. Pr. 40 Pf.
MflllOr, Dr. Georg, Skoh'osen*Scha1en. Berlin 1907. Urban & Schwarzenberi;.
SlMliong pädagogischer Vorträge, herausgcg. von Wilh. Meyer. Bd. 18. Hefl t.
Tews, J., Wer wird die VoUttscbuie befreien? Heft 2, Michel, O. H., Die
Wohn« und Scblafverhaitnissc unserer Schnlkinder. Heft 3, Glaser, E., Die
Beseitigung des Religionsunterrichts nus der Schule. — Heft 4, Helling. Un-
wichtiges und Wichtiges aus der Sprachlehre. — Meyer, Sprachliche Heimatkoodc.
Bd. 17 Heft 5, Von einem alten Dentsch-Amerilcaner, Die Sciralstadt Selbst-
rejji<Tun^,' und ULirf^ertugend in der Schuir. Minden. .MarowslsV. Pr. 60 Pf.
SollMtBeheininiase, von einem sächsischen Schulmaone. Leipzig 1908. Gracklaag.
Pr. i,ao M.
AftM, Konrad, luf^mdwoM und Tugendrecht. Halle I907. Schrocdel. Pr. 3,25 M.
Buh, Wilh., Karl, Moderne ScbultVagca. Minden i. W. Marowsky. Pr. 60 Pf.
Biltlierg, F., Aus der Urgeschichte der Mensdten. Leipzig I908. Qadle ft Meyer.
Pr. geb. 1,25" M.
Ebner, Dr. Eduard, Magister, Oberlehrer, Profcssorrn. Nürnberg. Koch. Pr. geb. 5 M.
BoMwITf H., r>as Petit Lycec. Zur Vcrgleichttng d< r Cinindklassen drr fr m/ösischen
Lyceen mit unseren Vortchulklawen. Berlin 1908. Trowit»ch & Sobo.
Pr. 75 Pf.
Otfal, Berthold, Wie ich meinen Kindern von der BodeBrefom eRihte. BerHn. Bnch"
li.n.ilunjj Bodenreform". Pr. 50 Pf.
PreuSSibches Volksschularchiv, herausg. von Kun v. Rohrscheidt. 7. Jahrg. 2. bis
4. Hefl. Berlin I908. Vahlen. Jahrg. 5 M.
MittellUBea der Gesellschaft für deutsche Erziehungs* und Schalgeschichte, twgr. von
Karl Kehrl>ach, 18. Jahrg. 2. — 4. Heft. Berlin 1908. Hofinann Comp.
Pr. jährlich 8 M.
Fiilirer darch das Museum von Meistenrcrkcu der Naturwicsen&chafl und Technik ia
München. Leipzig. Tcvboer Pr. i M.
Dnisk Tsa A. Mala 4 Sohn fn Vwambng a. S.
. ^ .d by Google
A. AbluuidliiiigQiL
1
Militärische Jugenderzieiiung.
Von Generalmajor Gradioger in München.
fiDic Blüte eines Kulturvolks steht und fällt mit seiner Wehrkraft"
So Dr. Herrn, Lorenz, Direktor der Guts-Muths-Realschule in
Quedlinburg in der Einführunf{ zu dem , Wehrkraft durch Erziehung"
betitelten Bande der Schrilten des Zcntraiausschusses zur Förderung
der Volks» und Jugenderziehung in Deutschland.
Fasst man den Begriff „Wehrkraft" als die Vereinigung all der
ethischen, intellektuellen und physischen Eigenschaften, welche erforder-
lich sind, um den Einzelnen, wie die gesamte Nation im vollsten Sinne des
Wortes „wehrhaft" zu machen, so wird an der Richtigkeit des an die
Spitze gestellten Aussprucltt in keiner Weise gedeutelt werden können.
Nur solange die Nation in ihrer Masse sieh die moralische, geistige
und körperliche Gesundheit und Tüchtigkeit bewahrt, durch welche
sie innerlich und äusscrlich wehrhaft wird, kann sie sich auch auf
der Höhe wirklicher Kultur — diese recht wohl von Zivilisation zu
unterscheiden — erhalten. Hang und Streben nach kriegerischer
Betätigung bilden kein notwendiges Korrelat des in einer Nation
lebendigeti Bewusstseins der Wehrfähigkeit. Vidmebr werden die
der inneren Wehrhaftigkcit, wie der wirklichen Kultur, gemeinsamen
sittlichen Voraussetzungen gerade geeignet sein, ungesunde Triebe
nach dieser Richtung einzudämmen. Die Erfassung des Begriffs
der Wdirkiaft in dem ^nne aber, dass sie eine Blüte sitdicher und
körperlicher Entwicklung der Nation darstellt, bei den heutigen
Volksheeren wirkliche nationale Kultur zur Voraussetzung hat und
wieder in mannigfachsten Beziehungen auf diese zurücktritt, muss
die Erhaltung und Pflege der Wehrhaftigkeit auch ohne auf
kriegerische Betätigung gerichtete Tendenzen — geradezu als ein
GetK)t nationaler Selb^edialtun^r erscheinen lassen. Die Pflege der
köiperlichen und moralischen iixziefaung, welche das äussere Rüst-
. y 1. ^ . y Google
— i62 —
zeug im Kampfe erst zur brauchbaren und vernichtenden Waffe zu
gestalten vermag, behielte darum filr die Erhaltung der physischen
und sittlichen Tüchtigkeit der Nation gleich hervorragende Hcdcirtung,
auch wenn der phantastische Traum ewigen und aüj^emeinen hriedeiis
zur Wirklichkeit geworden wäre. Noch sind wir aber nicht soweit;
noch hat das Getöne der Friedensschalmeien nicht die Wirkung
gehabt den Schritt der kriegerischen Rüstungen anzuhalten oder
zu hemmen; im Gegenteil, wir sehen überall das rastlose Streben,
nicht nur durch Vermehrung und Vervollkommnung der äusseren
Kampfmittel die Wehrkraft zu starken, sondern auch militärische
Schulung und Ausbildung auf möglichst hohe Stufe zu heben. Und
nicht nur auf die Armee selbst beschränken sich die dahin zielenden
Bemühungen und Bestrebungen. Vielfach treffen wir auf Einrichtungen
und Einführungen, welche schon die heran wa'-hscnde Jugend durch
spezifisch militärische Unterweisung und Erziehung für den späteren
Watfendienst vorbereiten sollen. Es mag auf den ersten Blick
befremdend sein, dass gerade in Deutschland — dessen Heeres-
einrichtungen mit Recht als vorbildlich gelten und wo den Interessra
der Armee durchwegs weitgehendste Fürsorge und Förderung
gewidmet wird — das Gebiet der staadich geregelten militärischen
Jugenderziehung vernachlässigt erscheint, während wir es vielfach
anderwärts durch gesetzliche Organisation oder doch mehr oder
weniger staatliche Unterstützung und Aufmerksamkeit gepflegt sehen.
Es fehlt ja auch bei uns nicht an Stimmen — und besonders in
den ]ri7tcn Jahren sind solche wiederholt und dringlich laut
geworden — welche unter dem Hinweis auf das Vorbild anderer
Staaten die Einführung ahnlicher Einrichtungen in Deutschland als
in hohem Giade wünschenswert, wenn nicht sogar geboten bezeichnen.
Aber die Anläufe und Versuche in dieser Richtung sind bis jetzt
vereinzelt geblieben und fast lediglich privater Initiative entspningen.
Ehe auf die Erörterung der Frage näher eingeci^rincrpri werden
will, ob die Einbeziehung einer spezifisch militärischen Vorschulung
in Unterricht und Erziehung unserer Jugend wirklich geboten oder
auch nur erstrebenswert erscheint, soll in Nachstehendem eine all*
gemein orientierende Skizze der in anderen Staaten auf dem Gebiete
der militärischen Jugenderziehung bestehenden Einrichtungen und
Bestrebungen versucht wertien.
Zunächst sei Japan genannt, schon deshalb, weil es sein der
kriegerischen Erziehung dienendes System auf die richtigsten und
verlässigsten Grundlagen stellt, nämlich auf die von frühester Jugend
an in Familie und Schule, wie cfurch den Kultus geübte Pflege
patriotischen Sinnes, auf das Gefühl für staatsbürgerliche Pflichten,
für Selbstverleugnung und Aufopferungsfähigkeit, auf die Begeisterung
für kriegerische Tugenden, auf das v eistandnis für die Bedeutung
der Armee und für das Ehrenvolle des Waffendienstes. Auf dieser
Basis bereiten Gymnastik und müitariscfae Exerzitien von den
. ijui^ i.y Google
niederen Schulen ab bis .rum Austritt aus den höheren, in den
oberen Kursen ausserdem Handhabung des Gewehres, Felddienst
und Aufnahmeübungen , ferner elementarer mflitar- theoretischer
Unterricht für den Dienst in der Armee vor. In den Unterrichts*
pausen regelmässig abgehaltene Tum- und Kampfspiele auf den
jeder Schule zur Verfügunj^ stehenden «grossen freien Plätzen, gemein-
same Auszüge ins Freie, sowie Marschübungen wecken Gemein-
samkeitsgefühl, Ehrgeiz und gesunden Wetteifer, stählen die
Willenskraft und erziehen zu Ausdauer und Überwindung von
Unbequemlichkeiten und Anstrengungen. Ermöglicht wird die in
solchem Umfange geübte körperliche und militärisch vorbereitende
Übunif durch eine auf unsere Verhältnisse nicht übertragbare
Beschrankung der für die eigentlichen Schulzwecke eingeräumten Zeit
Die sträTste und um&ssendste äussere Organisation der nrili-
tärischcn Jugenderziehung weist Rumänien auf. Zum Zwecke ihrer
Durchführung ist das Königreich in fünf, der militärischen Territorial-
einteilung entsprechende Bezirke geteilt, deren jedem ein höherer
Offizier als Inspekteur für Ueberwachung des militärischen Unterrichts
an den Schulen vorsteht Dieser ist obhgatorisch für alle Schulen
und sein Resultat ebenso ausübend für das Vorröcken in die
nächsthöheren KlasseOp wie die Leistungen in den übrigen Lehr*
fächern. Ein eigenes, ausschliesshch zur theoretischen und pmktischen
militärischen Ausbildung bestimmtes Lehrpersonal — Offiziere zur
Disposition und aktive Unteroffiziere — erteilt den iniliiärischen
Unterricht, der abgesehen von theoretischer Unterweisung Grymnastik,
Exerzieren und Sauessübungen umfasst.
Breiten Rnnm gewähren der militärischen Vorschulung die
Vereinigten Staaten von Nordamerika an ihren höheren Schulen.
Wenn auch nach unseren Anschauungen nicht durchwegs den An-
forderungen des praktischen Bedürfnisses entsprechend — 6b, die
Gymnastik anscheinend vernachlässigt ist und einzelne theoretisdie
Lehrgegenstände zu hoch gegriffen erscheinen — sind die getroffenen
Einrichtungen doch in Anbetracht der aligemeinen dortigen Heeres-
organisation zweifellos in hohem Grade wertvoll. Zur Erteilung
des militärischen Unterrichts, welcher von den höheren staatlichen
Lehranstalten obligatorisch ist, werden Offiziere abkommandiert;
den privaten Bildungsinstituten können solche unter gewissen Voraus-
setzungen gleichfalls zujTeteilt werden. Je nach dem speziellen
Zwecke, dem die einzelnen Lehranstalten dienen, sind sie be.:üglich
der miiiiarischen Vorschulung in drei Klassen eingeteilt, für welche
veischiedene Lehrprogramme bestehen. Im allgemeinen umfassen
diese Lehrpläne so ziemlich alle Gebiete der theoretischen, wie
praktischen militärischen Ausbildung; auch Hygiene und erste Hilfe
bei Verwundungen sind in sie einbezogen. Die besonders befähigten
Schüler, welche im Armeejournal der Vereinigten Staaten eingtragen
werden, haben Bevorzugung bei der Beförderung zu gewärtigen.
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— i64 —
Unter unsern nächsten Nachbarn ist die Schweiz durch ver-
schiedene Einfiahningea bestrebt, die Wehrkraft ihres Milizheeres
durch Vorbereitung der heranwachsenden Jugend fiir den Waffen-
idienst zu stützen und zu heben. Schon in der Militäroi^^anisation
von 1874 hatte sie den Kantonen die Sorge übertragen, dass die
riKinahche Jugend vom 10. Lebensjahre ab durch angemessenen
Turnunterricht für den MiUtärdienst vorbereitet werden für die
ältesten Jahrgänge sollten ausserdem durch den Bund auch Schiess>
Übungen angeordnet werden können. Da diese Auflegung jedoch
vielfach nicht genügende Durchführung' gefunden und daher nicht
den erhofften Erfolg hatte, so wurde mit Wirk nnikcit vom
I. Januar 1907 ein neues Programm herausgegeben, weiches inten-
sivere Förderung des Zweckes mit spezieller Rücksichtnahme auf
Übungen im Marschieren, Überwinden von Hindernissen sowie audi
das Schiessen fordert. Der schon im schulpflichtigen Alter be-
ginnende Turnunterricht wird im Sinne dieser Forderung unter
sukzessiver Steigerung später erweitert, indem zur Gymnastik
Soldatenschule und Zugschulc. Gewchrkenntnis, Schiesslehre, Ent-
fernungsschätzen, sowie grössere Obungsmärsche zu treten haben.
Der Bund unterstützt ausserdem Vereine und Bestrebungen, welche
sich die körperliche Ausbildung und die Vorbildurp; fiir den Wehr-
dienst nach dem Austritte aus der Schule bis zum i iF.tiiitc in das
den Turnvereinen, welche nicht alte die gleiche Tendenz verfolgen
und in ihrem Betriebe teils mehr allgemein gymnastische und sport*
Hebe Ausbildung, teils mehr militärischer Vorschulung ins Auge
fassen, vornehmlich die Kadettenabteilungen zu zählen. Diese,
welche hauptsächlich in der Oslschweiz weite Verbreitung gefunden
haben und sich uns freiwilligen Schülern der Mittelschulen vom
13. Lebensjahre ab rekrutieren, haben es ^ch zur Aufgabe gemacht,
die jungen Leute auf der Grundlage eines, dem militärischen nach*
gebildeten Reglements für den späteren Waffendienst vorzubereiten.
Unter fxitung von Offizieren der Milizarmee finden an je cmem
Nachmittage des Sommerhalbjahres Übungen im Exerzieren,
Marschieren, Schiessen und Entfernungsschätzen statt, deren An-
fordern ngen in den einzelnen Kursen der körperlichen Leistungs-
fähigkeit der Teilnehmer entsprechend bemessen werden. Aus-
märsche in das Gelände und Manöver in zwei Parteien gegeneinander
schliessen die Ausbildungszeit. Die Anforderungen in Bezug auf
Marschleistungen, Überwinden von Anstrengungen und Entbehrungen
sind in anbetracht des jugendlichen Alters ganz beträchtlich. Nach>
dem die Mehrzahl der Schüler aber nach drei Jahren wieder die
Kadettenabtcilungen verlässt und die Vorbereitung für den Waffen-
dienst also bis zum Eintritt in die Rekrutenschule eine nieliriahriiie
Unterbrechung erleidet, in welcher vieles wieder vergessen und
verlernt wird, so ist der positive Wert dieser Anst^ten lUr die
machen. Zu diesen suid ausser
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- i65 -
militärtechnische Vorschulung nicht allzuhoch anzuschhc^en. Desto
mehr wird ihre moralische und er/icficrische Bedeutung, die
Wertung und Hebung des Interesses lur das Wehrwesen, des
Unterordniif^issinns und Korp^dstes, Kräftigung der Willensstärke
und Ausdauer, Anspomung zum Ehrgeize durch infolge guter
Lcistunp^cn er\vorbene Verleihung höherer Grade hervorgehoben.
In Kngland ist nach dem südafrikanischen Kriege der Bezwinger
der Buren, Feldmarschall Roberts, im Hinblick auf die Mängel des
Heerwesens des Inselreiches energisch für Einiuhning einer all-
gemeinen militärischen Jugendvorl^reitung eingetreten, welche In
beschranktem Masse schon in den Volksschulen beginne und später
durch rcgelmässi'^e Übungen im Turnen, Schwimmen, Exenriercn
und Schiessen tongesetzt werden sollte. Neben solch praktischer
V^orschuiung forderte Roberts auch Unterricht über die militärischen
Pflichten, sowie die wichtigsten militärischen Einrichtungen, ausserdem
Pflege des patriotischen Sinnes durch Belehrung und Erziehung. Für
die oberen Klassen der höheren Lehranstalten verlangte er ähnliche
Ausbildung, wie an den Kadettenanstaltcn ; die Zöglinge dieser
höheren Lehranstalten sollten in einer Schlussprüfung den Nachweis
ihrer militirischen Befähigung ilihren und durch diese Anwartschaft
auf spätere Beförderung bei der Miliz oder den Freiwilligen erhalten.
Roberts Anregungen, in welchen er bis zur Einführung der all-
gemeinen Wehrpflicht das einzige Mittel erblickt, Englands Wehr-
kraft auf gesunde Basis zu stellen, fielen auf wenig empfänglichen
Boden. Nur das Turnen soll künftig etwas lebhafter betrieben,
die Einführung exerziermässiger Obungen aber — als nicht zweck«
dienlich — ausgeschaltet bleibea Die für die Volksschule in
Bashey und dann auch für andere versuchsweise erteilte Erlaubnis
zur Vornahme von Schiessübungen für Knaben ulx r 1 2 Jahre erwies
sich — nachdem einige kleinere Unglücksfalle vorgekommen — als
unpopulär und wurde wieder zurückgenommen.
Solche sollen dagegen, sofern die Kachrichten hierüber zutrefTen,
in Norwegen in den beiden oberen Klassen der Volksschulen, in
den zwei obersten Klassen der Mittelschulen und in den höheren
Lehranstalten eingeführt sein und in den Volksschulen auf dem
Lande, wo diese EinRihrung sich am schwierigsten gestaltet, durch
SchOtzenveretne in besonderen Knabenidassen gepflegt werden.
Die Übungen zerfallen in vorbereitende und Scharfschiessübungen.
Auch in Schweden finden wir rege Beteiligung der Jur^end,
vom 14. Lebensjahre ab, an den Schiessiihungen der freiwilligen
Schützenverbände, welche in jeder Landsclialt oder Provinz unter
Leitung von Offizieren feldmässiges Scfaiessen mit angeblich bestem
Erfolge betreiben.
Die in Frankreich bald nach dem Kriege 1870/71 eingeführten
Schulkadettenkorps (Schülerbataillone) wurden auf Betreiben von
Pädagogen und Militärs als nach Einrichtung und Leistungen
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zweck- und nutzlose Soldatcnspielerei wieder aufgegcL)en und
erst in neuerer Zeit ist man der Idee des militärischen VoruiiLerrichts
der Jugend wieder nahe getreten. Speziell der derzeitige Kriegs»
minister Picquart steht dieser Idee sehr sympathisch gegenüber.
Nachdem Artikel 94 des Gesetzes vom 21. März 1905 spätere
Bestimmungen für eine auf den Waffendienst vorbereitende Unter-
weisung in Schulen usw. in Aussicht gestellt hatte, ist — wohl mit
Rücicsicht auf die inzwischen allgemein eingeführte zweijährige
Dienstzeit — die Angelegenheit in die Anfangstation praktischer
Verwirklichung getreten. Durch eine aus Delegierten der Ministerien
des Kriegs und des öflTentlichen Unterrichts, sowie der Union des
Societes de g\'mnnstique gebildete Kommission wurde zunächst ein
Reglement für den einheitlichen Betrieb der Gymnastik in Armee,
Schulen und Turnvereinen bearbeitet und zur £inföhrung ausgewichen.
Eine weitere Förderung der speziell militärischen Ausbildung er«
wartet man sich von den Sorit^tcs de tir scolaire (Gescllsrhaften für
Schulschiessen). Solche sind für alle Garnisonsorte, an denen sich
Lyceen oder Kollegs * befinden vorgesehen. Zur Teilnahme soUen
alle jungen Leute vom 15. Lebensjadire ab berechtigt sein, welche
hierzu die elterliche Erlaubnis erhalten. Da die Leistungen im
Schiessen zugleich mit denen in der Gymnastik den Zöglingen
dieser Anstalten besondere Begünstigungen bei Erfüllung ihrer
militärdienstlichen Verpflichtungen gewähren, verspricht man sich
stetig zunehmende Beteiligung. Die Einführung von besonderen
Unterrichtskursen an der Normal-Tum- und Fechtschule von Joinville
für in Erfüllung ihrer gesetzlichen Dienstpflicht stehende Lehrer
bezweckt ferner die Heranziehung eines für Leitung der körpcrischrn
Ausbildung an den Schulen -ccigiieten Personals. (Auch in l'reus-.en
bestehen müitarisch akademische Winterkurse zur Ausbildung von
Turnlehreni» und soll 'das Kultusmimsterium einer Mitteilung der
„Nationalzeitung" zufolge beabsichtigen, diese durch' etwa 4 wöchige
Sommerkurse zu ergänzen, welche zur Ausbildung für die Leitung
von Spielen und volkstümlichen Übungen dienen sollen.) Vor längerer
Zeit ging durch die Presse die Nachricht, dass in Frankreich ein Gesetz-
entwurf eingebracht worden sei, welcher die körperliche Vorbereitung
auf den Bwitärdienst för die gesamte nicht mehr schulpflichtige
Jugend obligatorisch machen soll und den mit guten Zeugnissen in
dieser Richtung Au^estatteten nennenswerte Begünstigungen für
die Militärdienstzeit zugestehen will.
In Österreich begegnen wir ersten Anfingen einer militärischen
Jugcnderriehung in seit einigen Jahren errichteten Knabenhorten, deren
Programm sich in mäsagen Grenzen hält, innerhalb welcher wirklich
Gutes erzielt werden kann. Durch nach den vSchulstunden und an
den Feiertagen stattfindende Jugcndspiele, Turn- und Fechtübuni^cn,
Exerzitien, Marschübungen und anregende AusHüge ins Freie soll
die geistige und körperliche Entwicklung der Jugend gefördert und
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— i67 —
diese zugleich den moralisch und physisch schädigenden Einflüssen
des grossstädtischen Lebens möglichst ferne gehalten werden.
In Ungarn ist durch die Initiative des denettigen Honvedp
ministers die militärische Jugenderziehung auf eine breite Basis
gestellt worden. Zahlreichen Mittelschuwn, Ji]^endvereinen und
Sportvereinigungen werden Gewehre, Mvinition und Ausrüstungs-
stucke zur Verfügung- gestellt und ist den Kommandanten der
Honvedtruppen die Unterstützung dieser Schulen und Vereine bei
Einführung des militärischen und des Scfaiessunterrichts zur Pflicht
gemacht.
Ihr V< irhild haben diese Knabenhorte wohl in der seit längerrr
Zeit in Berün bestehenden Jugend wehr gehabt. Als Verein für
müitansches Turnen, Exerzieren und Schwimmen der Jugend er-
richtet, beabsichtigt diese, junge Leute zwisdien 14 und 20 Jahren
in den freien Abendstunden und an Sonntagen zweckmässig zu
beschäftigen, den schlechten Wohnungsverhältnissen und den Gefahren
der Grossstadt zu entziehen und so auf Körper und Geist günstig
zu wirken. Unter Leitung und Beaufsichtigung durch inaktive
Offiziere werden Frei- und Gewehrübungen, Geräteturnen, Fechten,
Marsch- und Exerzierbewegungen gepflegt; auch militär-theoretischer
und Krankeatrager-Unterricht findet statt. Für Zöglinge, welche
zur Marine zu gehen beabsichtii^^en, ist durch Ucbungen im Rudenii
Mastklettcrnunddgl.speziclleV^orbcreitung vorgesehen. Abgesehen von
den Bestrebungen dieser Jugend wehr sind in Deutschland — wie
schon bemerkt — auch sonst mancherlei Venuche und Anlaufe in
Richtung einer militärischen Jugenderziehung wahrzunehmen, und
sicher arl)eitet die seit einer Reihe von Jahren in steter Zunahme
begriffene Pflege von Turn- und Jugendspielen, von Wanderungen
und Turnmärschen usw. der späteren militärischen Ausbildung ebenso
in die Hände, wie die da und dort in kleineren Städten und Land-
gemeinden bestehende Einrichtung von Jugendkompagnien f&r
Sanitäts* und Feuerwehezwecke. Jedeofalls vermögen all diese Ein-
fuhrungen und Finrichtungen, wenn zugleich in (ien Dienst der Fr-
ziehung allgemein bürgerlicher Jugrndcn gestellt, auch für den
Waffendienst wertvolle moralische Grundlagen zu schaffen. Aber
SO günstig diese Bestrebungen im einzelnen sich äussern mögen,
sie werden doch nur in beschränktem Umfange wirksam und ent*
behren der einheitlichen, nach gleichem Ziele gerichteten Regelung.
Besteht nun wohl auch in d e m Punkte volle Ubereinstimmung,
dass mit Einfuhrung der verkürzten Dienstzeit bei gleichzeitiger
fortwährender Steigerung die Anforderungen der militärischen Aus-
bildung in ganz eilieblichem Masse gewachsen sind, so gehen doch
die Ansichten über Notwendigkeit und Umfang einer, die speziellen
Anforderungen des späteren Wehrdienstes berücksichtigenden, also
ausgesprochen militärischen" Jugenderziehung weit aus-
einander. Neben mässigen, auf der Grundlage unseres gegenwärtigen
— i68 —
Bildungs- und Krziehun^ssystems recht wohl 7!i \'(»rwirkHrhrndrn
Anregungen gcbjcii extremste Fordcruü^rii mihcr, welche tiefgehende
Reformen der derzeitigen Organisation unseres Schulwesens bedingen
würden. So wird beispiebweise u. a. gefordert, dass als Lehramts-
kandidaten nur völlig militSrdiensttaugliche Persönlichkeiten tugelassen
werden, dass diese an den Lehrerbildungsanstalten eine der mili-
tärischen konforme g}'mnastische Ausbildung erhalten, dass an diesen
Anstalten neben Bürgerrecht und Burgerpflicht auch die haupt-
sächlichsten militärischen Einrichtungen Gegenstand des Unterrichts
werden, dass an den Fortbildungsschulen militärische Unterweisung
durch ausgediente befähigte Unteroffiziere, an den höheren Lehr-
anstalten aber Vorbereitung der PVequentanten zu militärischen
Vorgesetzten des aktiven und Bcurlaubtenstandes durch geeignete
verabschiedete Offiziere Platz zu greifen habe. Die Beaufsichtigung
der so gedachten militärischen Jugenderziehung soll den Bczirks-
kommandeuren und deren Organen übertragen werden.
Fester gesunder Boden kann im Widerstreit der so weit aus-
einandergehenden Anschauungen, Vorschläge und Forderungen wohl
nur gewonnen werden, wenn man sich darüber klar macht, was
eigentlichster Zweck der Schule — im weitesten Sinne — ist und
bleiben muss, ob von Einbeziehung militärischer Lehr- und Aus-
bildungsgegenstände in den Lehrplan der Schule wirklidi ein
wesentlicher positiver Nutzen für die militärische Dienstzeit zu er-
warten ist, ob denn Schule und Erziehung, sofern sie ihr vor-
nelimstcs Ziel „Heranbildung gesunder kräftiger Menschen und
tüchtiger brauchbarer Staatsbürger" überhaupt erreichen wollen, mit
der ernsten Hinarbeit auf dieses Ziel nicht schon gleichzeitig die
wesentlichsten Grundlagen für Erhaltung und Stärkung der Wehr-
kraft zu schaffen vermögen; und endlich, inwieweit nach dieser
Richtung dermalen noch Mängel und Lücken bestehen, und in
welcher Weise hier zunächst Hebel zu einer ins Grrosse gehenden
Wirkung anzusetzen wären.
Die Tatsache, dass ein verhältnismässig hoher Prozentsatz der
ins militärpflichtige Alter tretenden Jugend — namentlich der von
den Mittelschulen abgehenden — durch körperliche Untauglichkeit
für den Wehrdienst verloren gelit, iüL ebenso allgemein bekannt,
wie die bedenkliche Erscheinung, dass auch ein nicht geringer
Bruchteil des jährlichen Hecresersatzes infolge der Einwirkung von
Mängeln der Erziehung, von Verhältnissen aller Art, von Umgang
und Umgebung, sowie Beeinflussung durch destruktive Propaganda
keinen moralisch intakten und für die Erziehung in der Schule des
Waffendienstes empfani^chen Boden darstellt Es kommen also
nidit nur Fragen der sozusagen militärtechntschen Ausbildung,
sondern auch in eminentem Sinne pädagogische in Betracht.
Gerade diese sind in höchstem Masse aktuell geworden angesichts
der so intensiven Bestrebungen der Sozialdemokratie, die heran-
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— i69. —
wachsende Jugend durch Wort und Schrift fiir ihre Grrundsätze und
Zwecke zu gewinnen Aus der Erkenntnis der gerade in dieser
Richtung drohenden (Tclahr ist ja auch der Ruf nach Einführung
sozialpolitischer Aufklarung und Belehrung durch geeigneten Unter-
richt an die unter den Fahnen stehenden Mannschaften entstanden.
Man wird sich vielleicht erinnern, da^ der Versuch solcher Einführun^f
vereinzelt bereits angebahnt war, durch kaiserliche Willenskundgebung
aber wieder unterbunden wurde. Diese Allerhöchste Willens-
äusserung ist jedenfalls nur dankbarst zu begrüssen. Abgesehen
von den Bedenken, welche der Hereinzichung der Politik in die
Armee immer anhaften werden, wäre ihre Wirkung im beabsichtigten
Sinne voraussichtich recht fraglich und nach anderer Richtung wohl
mehr schädlich als nützlich geworden.
Treten wir zunächt der Frage naher, ob in Bezug auf körperliche
Heranbildung in der Schule — diese im allgenneinen Sinne gefasst —
gegenwärtig durchwegs das angestrebt und geleistet wird, was sie,
ganz abgesehen von militärischen Zwecken, nach ihrer allgemeinen
nationalen, volkswirtschaftlichen Aufgabe leisten sollte und könnte.
Da muss denn wohl zugestanden werden — und gerade ein-
sichtige Schulmänner weisen immer nachdrücklicher auf diesen
Mangel hin ^ dass unser gesamtes Schulwesen der körpertichen
Entwicklung und Ausbildung noch immer nicht durchwegs jene
Aufmerksamkeit und Pflege angedeihen lässt, welche ihr unbeschadet
der Leistungen auf dem Gebiete des Wissens eingeräumt werden
könnte. Zweifellos ist hierin gegen früher schon manches gebessert,
und ebenso wenig ist zu verkennen, dass das in den letzten
Dezennien so sehr gewachsene Interesse für Sport aller Art bis zu
einem gewissen Grade ausgleichend, ergänzend und nachhelfend
wirkt. Aber abge^^chen davon, dass Auswfirh^r im Sportbetrieb
auch vielfach wieder schädigende Folgen zeitigen, vermag der Sport
nie vollen Ersatz zu bilden für jene harmonische Körperdurchbildung,
wdche der spatere WalTencUenst bedarf und welche nur durdi
konsequente und geregelte körperliche Erziehung erzielt werden
kann. Nicht nur aber, dass die an den Schulen für Gymnastik,
Turn- und Jngcndspiele eingeräumte Zeit eine verhältnismässig zu
gering bemessene ist und die für deren Betrieb bestehenden Ein-
richtungen vielfach noch recht mangelhaft und unzureichend sind,
es besteht auch noch su viel Willkür in der Beteiligung am obligaten
Turnen. „Das Turnen an den Schulen muss den obligaten Charakter,
den das Gesetz ihm rmff^rprn^n hnt endlich auch wirklich erhalten,
im Betrieb sowohl als in der Beteiligung" spricht sich der bayrische
Generalstabsarzt Dr. von Vogi in einer Abhandlung „Das Schul-
turnen und der Waffendienst*' aus, indem er auf seine in einem früheren
Aufsatze erhobene Klage zurückkommt, dass „in den Mittelschulen
(in Preussen höhere Schulen genannt) jedes Wahlfach strenger
t>etriel>en wird, als das obligate Turnen" und „dass es dem jungen
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Menschen nicht schwer fällt , durch gänzliche Vernachlässi^riing
seiner körperlichen Ausbilduni; sich als untauglich der Wehrptiicht
zu entziehen." Die in erwaiuitcr Abhandlung gegebenen Daten
lassen erkennen, welch verhältnismässig hoher Frozentsatz der
Schüler auf Grund ärztlicher Grutachten vom obligaten Turnen fern-
bleibt und zwar nicht durchwegs wegen körperlicher Mängel oder
Gebrechen (was häufige Beteiligung der Dispensierten am Sport
aller Art beweist), sondern aus Abneigung gegen den Turnzwang
und Widerwillen gegen ernste Anstrengung. «J^iese Unlust steigcit
sich" aaglt Vogl ebenda, „mit dem Vorrucken in die höheren
Klassen bis zur Blasiertheit; sie drücken sich vom Turnen zum
Vergnügen und zur Geselligkeit; dies finden sie am Tennisplatz,
der sich sofort leeren wird, wenn man ihn dieser Xaziehung
beraubt. Die Eltern gewähren gerne diese Lrholuag von der
„Überbürdung"; sie leiten die Tumbefrdung der Söhne ein und die
Schule bereitet dieser keine zu grosse Schwierigkeit; ...schliesslich
findet der Hausarzt sich nicht berufen, der ungeteilten Stimmung
mit besonderer Strenge entgegenzutreten . . . um so weniger, als
Nachteile einer Befreiung vom Turnen bei dessen gegenwärtigem
Betriebe nicht gar zu hodi anzusdilagen nnd." Die Schidd an
dieser in dem ganzlichen Verkennen seines körperlich und sittlich
erziehenden Wertes wurzelnden Abneigung gegen das Turnen fallt
somit nicht auf d\c Schule allein, wie so gerne behauptet wird,
sondern j^anz vorzugsweise auf Schüler und Eltern. Mit Grund hat
Generalstabsarzt Dr. von V ogl hier den Finger auf einen wunden
Punkt gerade in der Erziehung im Hause geltet, und auf die Fest*
Setzung hingewiesen, dass in einer ganzen Reme von Fällen die in
der Schule '-om Turnrn Dispensierten sich später sehr wohl für
den Waffendienst gcei^^net erwiesen.
Und voll beistimmen wird man ihm darin, dass es Aufgabe
der Zukunft ist, den physischen Wert der studierenden Jugend in
toto zu heben durch methodische körperliche Jugenderziehung
unter sachkundiger Leitung in unerbittlichem Festhalten an dem
Satze: „Jeden Tag eine Stunde körperlicher Übung, so dass
2 VVochenstunden (bei richtiger und unbeschränkter Verwendung
genügend), dem obligaten Turnen und 4 Wochenstunden den
obligaten Jugendspielen, den Märschen, dem Schwimmen usw.
gehören."
Noch allzusehr herrscht die einseitige Auffassung vor, -welche
in der Gymnastik nur ein Mittel der SchuIhvLTicne erblickt, be-
stimmt die gesundheitschädlichen Erwirkungen des Schulbesuchs
einigermassen zu paralysieren. Die hohen erzieherischen Ideale,
welche Männer wie Stein, Fichte, Gneisenau, Jahn usw. von der
Pflege der Ixibcsübungen erreicht sehen wollten, sind allzulange in
Vergessenheit versunken «gewesen und unseren Schulen haftet noch
ZU viel von dem ihrem kirchlichen Ursprünge gemassen Charakter
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ausschliesslicher Unterrichtsanstalten an. Diese Exklusivität konnte
zu Recht bestehen, so lange Leben und Erziehung ausserhalb der
Schule für körperliche Entwicklung genügend sorgten, ist aber jetzt
ohne bedenkliche Benachteiligung dieser nicht mehr aufrecht zu
erhalten. Für die Überwiegend grosse Menge unserer männlidien
Jugend, welche nicht auf dem Wege durch die Mittelschulen in das
wehrpflichtige Alter eintritt, gilt es, in der körperlichen Ausbildung
aber auch die Lücke zu füllen, welche zwischen Entlassung aus der
Volksschule und Dienstantritt besteht; so trefTlich unsere Fort-
bildungsschulen im al^meinen sind, tritt die körperliche Weiter-
bildung doch vielfoch an ihnen zurück^ was um so mehr zu be-
dauern ist, als ^cr.ide in den Jahren ihres Besuches die physische
Entwicklung am lebhaftesten vor sich geht und daher die körper-
liche Erziehung am meisten wünschenswert und förderlich wäre.
Was in der Schule an körperlicher Ausbildung errungen wurde,
geht also zum grössten Tdle bis zum Diensteintritt wieder ver-
loren, soweit nicht Vereinsturnen hier erhaltend und fördernd ein-
tritt. Nicht nur im militärischen Interesse, sondern im allgemeinen
nationalen und volkswirtschaftlichen gelegen wäre es, wenn die
Fortbildungsschulen etc. auch nach Richtung der systematischen
körperlichen Ausbildung die ununterbrochene Kontinuität in der
gesamten Eruehung des jungen Mannes vermitteln würden.
Dass die- neueste Zeit wieHer auf die Ideen Fichtes zurück-
zugreifen beginnt, welcher die Leibesübungen fordert im Hinblick
auf die Pflichten, welche der Einzelne seinem Volke schuldet, und
es zum sittlichen Grebot macht, den Körper nicht unverständlich zu
schadigen und zu schwächen, sondern um höherer Ziele willen zu
stählen und tüchtig zu machen, ist ein erfreuliches Zeichen.
Hervorragendes Verdienst kommt in dieser Richtung wohl in
erster Linie der langjährigen unermudhchen Tätigkeit des Zentral-
ausschusses zur Förderung der Volks- und Jugendspiele in Deutsch-
land zu, in dessen Bestre&ngen die Anschauungen und Erfahrungen
bewährter Pädagogen, Schulmänner, Offiziere, Arzte etc. zum
Ausdruck gelangen.
P'ür die in den von (genanntem Zentralausschuss im Verein n\it
der Organisation der iurnerschaft und der Turnlehrerschaft im
Februar 1908 in Beriin gefassten Beschlüssen u. a. aufgestellte
Forderung der Fortsetzung der Körperpflege der gesamten Jugend
über die Volksschule hinaus, also in mittleren, höheren, den Fach-
und Fortbildungsschulen, hat sich schon triihcr Schulrat Kerschcn-
steiner in seinen Grundfragen der Schulorganisation ausgesprochen.
Er erkennt in regelmässigem, systematischem Turnen etc. nicht nur
ein Stärkungsmittel för den Körper, sondern auch ein ausgezeich-
netes Zuchtmittel für den Willen und weist darauf hin, wie gerade
zwischen dem 14. und 18. Lebensjahre Herz und Lunge eine
Wacbstumsperiode haben, wie weder vor noch nachher. An den
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— 172 —
seiner Leitung unterstehenden obligatorischen allrff^meinpn Fort-
bildungsschulen, wie auch den besonderer Turnhygicnc bedürfenden
fachlichen Fortbildungsschulen und bachschulen hat er auch diesen
Gesichtspunkten gemäss obligatorisches, an den übrigen Fach* und
fachlichen Fortbildungsschulen einstweilen fakultatives Turnen und
Turn spiele eingeführt.
Eine über das Ziel kontinuierlicher, systematischer, geregelter
Körperpflege hinausgehende Aufgabe braucht der körperlichen Er-
ziehung vor dem Eintritt in den Militärdienst im biteresse der
Wehrkraft gar nicht gestellt zu werden und soll ihr, allen g<^en-
teiligen Anschauungen zum Trotz, auch nicht gesetzt werden. Die
Hereinnahme speziell militärischer Vorübungen in die Schule, so-
zusagen eine Verteilung des militärischen Übungsstoffes zwischen
Knaben- und Jüngiingsjahren einerseits und der Dienstzeit in der
Armee anderseits ist überflüssig, sofern die letztere nur einen
durchwegs allgemein körperlich tauglichen und vorgebildeten Ersatz
erhält. 'Übrigens enthalten ja alle Ordnungs- und Freiübungen an
der Schule an sich schon mannigfache Elemente des militärischen
Unterrichts,} Mit solchem Ersatz wird die Armee trotz der ver-
kürzten Dienstzeit in intensiver Arbeit, wie bisher, alle ihr zu-
fallenden Aufgaben der technischen Schulung zu bewältigen wissea
Ernstzunehmende, die spätere militärische Ausbildung wirklich ent-
lastende Leistungen würden an Zeit und Kraft unserer Jugend
Ansprüche machen, wie sie nur nebenbei, gleichsam zu einer Art
körperlicher Erholung, nicht befriedigt werden können, sie würden
aber auch straffste militärische Disziplin zur Voraussetzung haben
müssen, wie sie an der Schule oder in freiwilligen Vereinigungen
aus naheliegende!] Griinclrn nicht durchführbar ist. Es ist in dieser
Beziehung schon früher auf den problematischen positiven Wert
der Schweizer Kadettenabteilungen hingewiesen worden. Was aber
das mit der körperlichen AusbUdung unzertrennlich zu verbindende
erzieherische Moment anbelangt, so ist es nebensächlich, ob der
Grrund für die dem Soldaten nötigen moralischen Eigenschaften
gerade durch militärische Übungen oder auf anderem Wege in die
Jugend gelegt und in ihr gefestigt wird , wenn diese Eigenschaften
nur überhaupt geweckt und grossgezogen werden. Und nach dieser
Richtung kann das Turnen, können Jugendspiele usw., Ausserordent-
liches leisten. Die ethische Bedeutung ernst und systematisch
betriebener körperlicher Übungen ist nicht hoch genug zu ver-
anschlagen. Sie fördern die Willenskraft durch Überwindung der
Zaghaftigkeit und Becjuemlichkeit und führen durch Steigerung der
Forderungen zur vollen Selbstbeherrschung, zu Selbstüberwindung,
Mut und Ausdauer, zu Selbstvertrauen und Kraftbewusstsein. Uiä
wenn die gesamte Erziehung — in Schule, Haus usw. — über-
haupt in richtigem Sinne aufgefasst und geleitet wird, wenn sie
auf Bildung charaktervollen Willens, auf Selbstzucht und Einsicht
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— 173 —
in die Au%aben und das Wesen des Staates hinarbeitet, wie dies
ihr Ziel sein muss, so schafft sie auch ohne weiteres die wert-
vollsten ethischen Grundlagren fär den spateren militärischen Beruf.
Was endlich die vielfach vertretene Forderung anbelangt, in
Nachahmung ausserdeutscher Einführungen, Gegenstände des militär-
theoretischen Unlerrichts in den Lehrplan der Schulen einzufügen,
so muss dieser Folgendes entgegengehalten werden. Aufgabe der
Schule ist es zunächst, für die Masse der Jugend eine allgemeine
Bildungsgrundlage zu schaffen und in möglichster Beschränkung des
Lehrstoffes die Basis zu festigen, auf welcher die spätere spezielle
Berufsbildung verlässig fussen kann. Schon jetzt ist das zu be-
wältigende Wissensgebiet gross genug, dass nicht die Gefahr
bestünde, die Ergebnisse des Schulunterrichts würden durch Bei*
nähme militärischer Lehrßcher noch mehr geschmälert und statt
gediegener positiver Leistungen auf einem Gebiete Halbheiten in
der einen, wie der anderen Richtung gezeitigt werden. Was im
militärischen Unterrichte reine Gedächtnisarbeit fordert (Ken[iinis
militärischer Einrichtungen, Formen, Vorschriften usw.) ist nicht
allzuviel und nicht das Schwierigste.
Das Wesentlichste und Schwerste ist die Umsetzung jener
Unterrichtsstoffe in Leisten und Können, welche nur in der prak-
tischen Anwcnduni^ ihre Bedeutung erlangen. Hier bedarf es der
in die Augen fallenden Anschauung, der Verbindung mit der prak-
tischen Obnng. Ohne beträchtüchen, den allgemeinen, oder
speziellen Zweck der einzelnen BUdungsanstalten empfindlich be-
einträchtigenden Zeitaufwand wird sich aber solche Theorie und
Praxis verbindende Unterweisung nicht mit einem Erfolge durch-
führen lassen, welcher das spätere Arbeitspensum in der Arnue
wirklich entlasten würde. „Der militärische Lehrstofif wird nirgends
besser, energischer und gewiss auch nirgends in verhältnismassig
kürzerer Zeit angeeignet, als im Heere selbst."
Mögen anderwärts Verhältnisse und Besonderheiten der Heeres-
organisation die Einfügung' militärischer Unterrichtsgegenstände in
die Lehrpiane der Schulen und Lehranstalten zweckdienlich oder
geboten erscheinen lassen, eine Übertragung solcher Einflihrungen
in unseren Schulbetrieb kann daher nicht befürwortet werden, so-
lange noch erst die Erfahrung aussteht, ob die anderen — von
militärischen Beimengungen freien — Wege nicht ebenso zum er-
strebten Ziele führen. Was hingegen im Bildungs- und Erzieiiungs-
system unserer Schulen entschieden mehr als bisher berücksichtigt
und gepflegt werden müsste, ist die Entwicklung der Einsicht in die
Grundlagen und Aufgaben des Staates, sowie in die Rechte und
Pflichten des Stantshürnrers. Dieser Punkt berührt aber nicht nur
eine Frage der Unterrichtsmethode, sondern der Organisation unseres
Schulwesens überhaupt; denn hier macht sich — gleich wie in
der körperiichen Ausbildung — wieder die Lücke empfindlich
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fühlbar, welche dermalen noch in der Erziehung breiter Massen
unserer Jugend besteht Die elementare Volksschule vermag diese
Aufgaben, die eine gewisse Reife der Auffassung und des Verstandes
bedingen, selbstredend nicht zu erfüllen. Mit dem Austritte aus
dieser ist aber für einen grossen Teil der heranwachsenden Jugend
die öffentliche Erziehung abgeschlossen; in völhger Unreife ist dieser
nun den Kindrücken und Einflüssen des öffentlichen Lebens preis-
gegeben, gerade in den Jahren, in welchen Herz, Gemüt und Charakter
am emp^nglichsten und bildsamsten sind. Dass von Seite des
Staats die Hand auf die Erziehung möglichst der Gcs:imtheit der
Jugend gelegt werde ist daher direkt ein Gebot der h.rhaitung des
bestehenden staatlichen Organismus, wie der naüonaicn Wehrkraft,
eine Forderung, welcher sich eine weitschauende Erziehungspolitik
trotz aller entgegenstehenden Schwierigkeiten auf die Dauer nicht
wird entschlagen können.
Auf welche Weise dieser notwendige Ausbau unseres Schul-
wesens am zweckmässigsten zu geschehen hätte, ob — wie
Kerschensteiner überzeugend ausführt — durch Fffichtfortbildungs*
oder Fachschulen, oder in welch anderer Art, ist eine Fraise, deren
Lösung der Einsicht Berufener bei ernstem Willen nidit unmöglich
sein wird.
Ihr gegenüber erscheint die Hercuiiiaiifiie soldatischen Drills,
militärischer Dienstfonnen und Unternchtsgcgenstände in den Lchr-
plan der Schule unter Zurückdrängung der eigentlichen BÜdungs-
ziele dieser als schwacher, bedeutuf^[sloser Behelf. Ein Behelf,
dessen beabsichtigte Wirkung zudem — wie nachzuweisen versucht
wurde - schon jetzt durch Zusammenarbeit von Haus und Schule
erzielt werden kann, sofern nur regerer Sinn für verständnisvolle
Körperpik'ge und die ihr innewohnende erzieherische Bedeutung,
und im Zusammenhange damit intensivere Verwertung aller hier
zu Gebote stehenden Mittel Platz greift. Als solche Mittel bieten
sich neben dem eigentlichen Turnen die Jugend-Tum- und Wett-
spiele aller Art, Kislauf und Schwimmübungen. Schüler- und Turner-
Wanderungen usw. Dass sich der geregelte Betrieb solch in manmg-
fachster Richtung sich betätigender Körperpflege sehr wohl ohne
Benachteiligung der wissenschaftlichen oder technischen Leistungen
in die Schulpläne einfügen lässt, wie günstig durch sie die körper-
liche und geistige Entwicklung breinflusst w'ird und wie sehr sie
geeignet ist, die sittliche und Charaktererziehung zu fordern, beweist
die Erfahrung an all den Lehranstalten, wo solche KnAihruneen
über das bisherige allgemeine normale Mass hinaus durchgegriffen
haben.
Und nicht genug Anerkennung und Förderung kann all den
Männern und Vereinen gezollt werden, welche durch Hebung des
Sinnes für freiwillige Beteiligung der Jugend an diesen Zwecken
dienenden Übungen und Einrichtungen bemüht und bestrebt
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— 175 —
sind, die jungea Leute in den Jahren zwischen Schul- und Dienst-
antritt möglichst körperiich und sittlieh schädiffenden Einflüssen
Mögen in der einen oder anderen derartigen Vereinigung^
immerhin militärische Ausserlichkeiten ohne tieferen Wert mit
unterlaufen; in Anbetracht des verfolgten und in der Hauptsache
auch wohl erreichten Zwecks kann darüber ruhig hinweggesehen
werden, sofern sie nicht in zwecklose Soldatenspiderei ausarten.
Vor solcher kann allerdings nicht nachdrücklich genug gewarnt
werden. Die Grundlage all dieser Bestrebungen muss der Gedanke
des erzieherischen Zwecks, der Charakter ihres Betriebs erzieherischer
Emst und ihr Ziel Vorbereitung auf den Emst des militärischen
Berufs, wie auf die cmsten Forderungen des Lebens überhaupt sein.
Treffender und trcttiicher kann auf diesen notwendigen Ernst
ludit hingewiesen werden, als es in der Vorrede zu dem an früherer
Stelle erwähnten französischen Reglement (Ür den Turnunterricht
durch folgenden Appel an die Jugend geschieht: „Vergesst nichts
dass im Leben der Erfolg im Verhältnis zur Anstrengung steht;
arbeitet, strengt Euch an, sucht nicht hastig zu ernten, ehe Ihr
genügend gesät habt; denn die Zeit zerstört, was ohne Zeitaufwand
geschehen tet Seien wir ausdauernd und wir werden reiche Ernten
heranrücken sehen, welche die französische Jugend durch physische
und moralische Tüchtigkeit der Armee, des Vatcrirtndes und der
Republik würdig erweisen wird." Und ebenso treffend ist an
gleichem Orte das auch in der körperlichen Ausbildung gleichzeitig
anzustrebende erdeherische Ziel bezeichnet: „Achtung vor den
Staatsgesetzen, Vaterlandsliebe und Heilighaltui^ der nationalen
Fahne."
Möge auch bei uns das Verständnis für diesen vornehmsten
Gesichtspunkt der gesamten Erziehung und für die Notwendigkeit
ergänzenden Zusammenwirkens von Haus, Schule und Armee all die
Kreise durchdringen, denen das Wohl des Staates und des Heeres
am Herzen liegt Wenn dieses Verständnis in unserer ganzen
Erziehungsmethode durdigreifende praktische Betätigung findet, sa
wird damit auch den an eine militärische Jugenderziehung zu
stellenden Forderungen vollauf Genüge getan. Nicht darum handelt
es sich, in der heranwachsenden Jugend der Armee halbiertige
Soldaten zuzuführen, sondern mehr — neben Entwicklung und
Stahlung der körperlichen Kräfte — diejenigen Eigenschaften und
Tugenden heranzubilden, welche auch die Grundlagen aller mili-
tärischen inneren Tüchtigkeit sind. Und vor allem, lasst uns
Sorge tragen, dass die Überzeugung mehr und mehr bei Eltern und
Söhnen sich befestige, dass der Wäcndienst liir das Vaterland eine
ehrenvolle Pflicht, nicht aber eine widerwillig zu ertragende Last seit
Trelfen wir doch noch allzuhäufig — und nicht am seltensten
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— 1/6 —
gerade in den oberen Gesellschaftsschichten — auf die bedauertiche
Erscheinung, dass die Befreiung des militärpflichtig gewordenen
Sohnes vom Waffendienste als ein GlücksfaH betrachtet wird; dass
weichliche Besorgtheit, Scheu vor Unbequemlichkeit, harter An-
sucnj:^iui^ und stren^'cr Zucht das niederdrückende Gefühl körper-
licher Minderwertigkeit vollständig zurückdrängen, dass Schwächlich-
keit, Kränklichkeit oder körperliches Gebrechen freudiger getragen
werden f als die der Erfüllung einer der vornehmsten nationalea
Pflichten zu bringenden Opfer.
„Welch' Gerat berühren
Er noch son&t mag klag,
Ob di«> Feder rühren
Oder ob den Pflup;
Fuhrt er nicht auch Pfeil und Bogen
Gut genuK,
I*t das Vaterland um ihn betrogen"
singt eine dem altchinesisrhert nationalen Liederschatse , dem
„Schi-King", nn-^ehörende Dichtung.
So versöhnend der Gedanke ist, dass im heutigen staatlichen
und gesellschaftlichen Organismus auch der nicht Waffendienstfahige
Gelegenheit hat, seine Kräfte in den Dienst des nationalen WoUs
zu stellen und in jeder Betätigung voll gewürdigt wird, die höchste
Entwicklung der Wehrhaftigkeit ist nach wie vor eine unveräusser-
liche Pflicht der staatlichen Fürsorg^c, der Erziehunrr in Schule und
Haus gcbUeben; sie bildet nach wie vor das Fundament» mit dessen
Erhaltung oder Abbröckeluog Selbständigkeit und Tüchtigkeit der
Nation steht oder fallt
IL
Zur Psychohigie des Kinderspiels.
Von Lsmterd Sdirstitiwayr.
ScUnw.
Während sich das Vorstellungsleben im wesentlichen als pro-
duktive Aktion äussert ht die Seele des Kindes beim Spiele von
einem Komplex froher (Tcfuliie erfüllt.
Das Kijid charakterisiert sich ja immer durch sein starkes
Gefühlsleben. Es steht der Wirklichkeit schon immer mit
anderen GefUMen gegenüber als der Erwachsene. Wo wir in einem
FaUe das leidenschaftslose und kühle Verhalten eines Mannes etwa
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— i;7 —
seinem Charakter zugute schreiben, heisscn wir ein unter ahnlichen
Umstanden sich ebenso benehmendes Kiod schon pathologisch.
Vollends beim Spiele fiihlt das Kind sich selbst und verspürt die
ganze Wonne seines inneres ZuStandes.
Dieses Gefühl ist keineswegs einfacher Natur, aber es geht ein
gleichartiger Charakter durch den ganzen Komplex, und das ist die
Lust. Ein Spiel ohne Lust kann gar nicht vollbracht werden, und
gesetzt den Fall, es würde ein Kind gegen seinen Eigenwillen, also
zu seiner Unlust, gezwungen, an cinenn Spiele tdkunebmen, wie es
ja wohl in einem iCindergarten oder in einer Schulstube vorkommen
könnte, so würde vieüeirbt das Kind äusserlich den Schein zu
spielen wahren können, innerlich aber würden ihm alle Beginguogen
zum Spiele fehlen, d. h. es wurde in der Tat nicht spielen.
Dieses Geföhl der Lust gründet sich augenscheinlidi auf die
ganz natürliche Befriedigung eines Lebensbedürfnisses. Es gehört
mit zur Natur des Lebens, dass eine Bejahung ihrer ureigenen
Bedürfnisse Lust erweckt, und das Gefühl der Lust verrät wohl in
der Regel irgend eine Erhöhung und Bejahung des Lebenscharakters.
Auch die Seele fiihrt ein Bedürfnisdasein. Die geistigen Kräfte
verlangen fflbh Befriedigung. Es ist, im allgemeinen gesagt, ein
Verlangen na. |i Selbstdarstellung und Welterfassung in der Menschen-
seele. Einerseits will der Mensch mit allen seinen Kräften aus sich
heraus, um in der Welt als Wirkender aufzutreten, anderseits
will er die ganze Welt in ihren viciLausendialtigen Formen in sich
hinein ziehen. Jeder Augenblick des Lebens, in dem die Bahn fiir
beides frei liegt, trägt Lustcharakter an sich. Dieser Vorgang offen-
bart sich auch im Spiele, wenngleich eine freiwillige Verwechslung
zwischen der wirklichen und einer nur um das Kind herumgedachten
Welt mit unterläuft. Es ist zunächst ein Genügen der Seele am
Schein. Jedoch funktionell ist der Prozess derselbe.
Und gerade das Genügen am Schein kann seinerseits auch noch
mit Ursache der Lust sein oder doch zur Lusterhöhung beitragen.
Denn das Genügen ist im Spiele weniger passiver als aktiver Natur.
Handelt es sn h dabei um Vcrschicbvmgen zwischen Wirklichkeiten
und wirkliciikcitsfcrncn Vorstellungen, so ist der Spielende Ursache
der Verschiebung. Dieses Ursachsdns ist sich das Kind in seiner
Weise wohl bewusst und es hat Freude an einem derartigen
Schü j>rL'i-akt. Das Kind sieht sich durch den Austausch zudem in
eine angenehme Situation gerückt: die Umwelt ist ihm mit euiem
Schlage nicht mehr Willenshemmnis, sondern geradezu Gleitbahn
seiner versteckten Wünwfae. Und das ist lustig an sich. Sodann
gibt das Kind sein inneres Leben als den Zusammenhang zu den
Bildern, Handlungen und Manieren, die stückweise, abgerissen und
un^efüf^t in seine Seele gekommen sind. Diesen Zusammenhang
geben, das heisst leben und erleben, und dieses Erleben ist not-
wendig Freude.
ntUgoftook* SMka. ZXZ. %. U
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•
- 178 -
Der Psychologie könnte es zum Bedürfnis weiden, das spezielle
Gcfiibl des Kindes beim Spiele näher zu bezdchnen. Denn schliesslich
tragen auch andere spezielle Gefühle den Lustcharakter an sich und
entsprechen diorh nir}-it dem Komfilexe, an den wir hier denken,
und der bei aller elementaren Mannigfaltigkeit doch ein Gefühlseinklang
und eine Gefuhlseinheit für sich ist. Und da werden wir nicht ohne
weiteres diesen GefÜhlseinklang mit einem andern decken dürfen.
Die Lehre von den speziellen Gefühlen hat mannigfache Komplexe
und Gefuhlseinidänge unterschieden. Um an die bekanntesten zu
erinnern, sei nur der sozialen, moralischen, religiösen, ästhetischen
und intellektuellen Gefühle gedacht Und da taucht die Frape auf:
Wird eine dieser Arten aber das spezielle Gefühl des Kindes in
seinem Spielzustande auch nur annähernd richtig bezeichnen?
Wohl nicht I Denn, wenngleich das Kinderspiel seiner Natur
nadi mit Rd^on und Kunst (im ästhetischen Sinne) verwandt sein
dürfte» so werden wir beim spielenden Kinde doch nur mit unseren
Augen die Keime des Religiösen, des Sozialen und Ästhetischen
herauslesen, soweit wir den (Testaltun<;^sprozcss im Spiele beobachten.
Ob aber das Kind auch die religiösen und ästhetischen Gefühle hat,
die wir Erwachsene ihm zumuten, das scheint mir zum mindesten
zweifelhaft.^) In der Regel wird dabei übersehen, dass wir die
he-^ondcre Gestaltun«:^ unserer ästhetischen und religiösen Gefühle
zum grossen Teile jahrzehntelanger Arbeit, einseitiger Beschäftigung
und Pflege oder tief in unser Leben einschneidenden Erfahrungen
verdanken. Das Gefühl des Erwachsenen ist auch ein historisches
Erzeugnis seines individuellen Lebens. Diese individuell>historische
Einseitigkeit und Betonung fehlt beim Kinde.
Sodann ist gerade das Charakteristische unserer höheren
Gefühle, dass sie sich in ihrem vollen Umfange nicht mehr an
Spielobjekten, sondern in der grossen Wirklichkeit, in des Lebens
Ernst und Würde und Freude zeigen. Und es wird für uns immer
schwer sein, das hinwegzudenken, um möglichst wenig in das Kind
htneinzumystifizieren. Beim Kinde gibt es nur Gefuhlszustande, auf
Grund ricrer man die Ausdruck c Kunst, Ästhetik, Religion und
Ethik sehr vorsichtig anwenden sollte.
Der Gefühlszustand des spielend; ii Kindes ist daher als ein
Phänomen für sich zu betrachten. Wir hadcn die eine *\.usserung
des Gefühls oder dne Fonn des Fühlens» die speziell nur bdm
spielenden Kinde vorliegt
Das Kind fühlt sich spielend. Und das lässt sich gar nicht
anders sagen. Es ist eben die besondere Freude an dem Hingleiten
wertL'chaltcner Vorstellungen, die Lust an dem inneren Wachstum
una der Eigenproduktion, das frohe Empfinden souveräner Stellung
0 Vgl. SebUHng, Ober Eegriff und Bedeuttug der FhutMie, «.«.O. 5. jfo.
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— 179 —
in einer für sich begrenzten und abgeschlossenen Welt und das
Gefühl der unbedingten Wertschätzung dieser Welt. Ks ist kein
ausschUessUcb ästhetisches und kein eigentlich soziales Geitihl; es
ist nur das Geiiihl des Spieles. Wir könnten es Spielgeftihi nennen.
Ja, wir müssen es so nennen, wenn wir es in seinem besonderen
Charakter mit den speziellen Gefühlszuständen Erwachsener ver-
gleichen wollen.
Nur das Kind erlebt dieses Gefühl in seiner ganzen Tiefe und
zwar eben ab spielendes Kiad. Es mag später zu einem neuartigen
— wie wir von unserm firwachsenen-Standpunkt aus sagen —
geistig höheren Leben emporsteigen» aber es wird auf diesem
Gebiete niemals die gleiche Lust, die selijre Spannun^^, das glühende
Sich-Einleben in dieser psychischen Zusammenstellung wieder hndcn.
Das Spielgefühl ist das vollendetste und reinste Gefühl des
kindlichen Alters, und seine Intensität bringt es mit sich, dass das
Spiel nicht bloss die vollendetste Lebensform fiir das Kindesalter,
sondern an sich eine Lebensform ist, über die das Leben in seiner
Fortsetzung wohl hinausschreitet, die es aber in seiner spezifischen
Konstellation auch nie wieder erreicht.
Eben weil das Kind infolge der ni mi^elnden Lebenserfahrung
und Lebensreife der höheren Gefühle im ausgedehnten Masse ent-
behrt, freuen wir uns, dass es in seinem Sinne so schön entschädigt
ist. Und wir messen dem Kinde eben um seines intensiven Spiel-
gefühles willen rein menschliche Qualitäten bei. Instinktiv ist uns
ein Kind unsympathisch, das nicht spielen mag, oder das bei
gelegentlichem Spiel nicht die Hingabe eines andern verrät, eines
solchen, das in seinen kindlichen Gefühlen schwelgt Wir schätzen
das spielleidige Kind nicht hoch ein und versprechen uns wenig
von seiner Entwicklung.
Gefühle zu haben ist des Menschen Reichtum; auch beim Kinde
schon. Das Spielgcfühl geht den Gefühlen höherer Art in der
Entwicklung voraus und es ist wohl bei jedem Menschen fiir die
Ausbildung der sozialen, ästhetischen religiösen und ethischen Gefühle
von grösster Bedeutung. Wenn wir der natürlichen Entwicklung
des Kindes folgen, werden wir von ihm nicht schon streng ästhetische
und technische Produktionen verlangen, wenn ihm noch nicht hin-
reichende Gelegenheit gegeben worden ist, rein spielend zu produ-
zieren. Im Spiele möge sich das reine Lustgefühl am Dasein und
an der Lebensgestaltung im Menschen entwickeln!
Weil die Tiefe und Stärke des Spidgeföhles gerade mit der
Reife des Menschen schwindet und ausgesprochen höheren» differen-
zierten Gefühlen den Platz einräumt, so werden wir es — gleich
dem Kinderspiele — wenity^tcns in seinem vollen Umfange und in
seiner tief eingreifenden Wirkung — als eine psychische Temporai-
erscheinung ansehen müssen.
. y 1. ^ . y Google
Das Spielgefühl kann viel weniger als jedes andere Gefühl
anerzogen und angelernt werden. Es ist eine innenständige oder
seelische Regung und kann nur durch günstige Umstände und durch
sweckmäange Spie%el^enhett unterstüzt werden.
Die grosse Herrschaft des Spielgefüliles zeigt sich vor allem
darin, dass das Kind zum Spiele immer Zeit hat. Es bringt vielfach
keine Zeit zu etwas anderem heraus. Der Erwachsene dagegen
muss in ganz besonderen Verhältnissen stehen, wenn er wie das
Kind zu spielen anfangt. Besonders viel 2^it hat 6r nicht dazu.
Zum andern finden wir aber beim Erwachsenen auch nicht die
leidenschaftliche Gereiztheit wie bei Kindern, wenn er so wie dieses
einmal plötzlich aus seinem Spiele herau«;geri?sen, bezw. gestört
wird. Alle I.ust des KinrJcs schlägt bei der Störung seines Spieles
in der Regel in die denkbar grösste Unlust um, die sich nicht selten
durch ungebührliches Weinen, Schlagen, Stessen oder unwilliges
Stampfen auf den Fussboden äussert. Der Spielverderber ist in den
Augen des Kindes schon ein ganz nichtswürdiges Subjekt Es mag
bei dieser Gelegenheit auch gesagt sein, dass Erwachsene m diesem
Punkte vielfach ungezogener gegen das Kind sind, als die Kinder
untereinander. Wenn Eltern ihre Kinder jeden Augenblick und ohne
zwingenden Grund vom Spiele aufjagen, so halte ich das nicht bloss
för eine Rücksichtslosigkeit, die einen Vater und eine Mutter wenig
ziert, sondern für eine psychische Schädigui^ des Kindes.
Nun haben wir wohl das Vorstellungs« und Gefühlsleben im
Spiele ausgeforscht, die Wille nsersch einungen aber kaum mit
einem Worte erwühnt.
Unter Willenserscheinung sind jene psychologischen Formen
zu verstehen, die uns das Innenleben als ein bewusst aktives zeigen.
Die Aufmerksamkeit, das Handeln nach Ideen und Zwecken, das
alles zeigt uns die Seele wahrhaft wollend. Der Wille steiit seinem
Charakter nach aUer Passivität und allem psychisch Mechanischen
gegenüber. Wir haben auf dem Gebiete des Vorstellun^ebcns
und der Gefühle im Spiclzustande des Kindes grossen Reichtum
und grosse Intensität gefunden. Da ist die Frage, wie es um den
Willen steht, selbstverständlich.
Sic kann aber keineswegs ebenso günstig beantwortet werden.
Das Kmd wird im Spiele von der Art seiner Natur mehr gelebt,
als dass es selber lebt. Alles hat mehr nur die Form der Aktivität,
als dass es bewusste, überlegte Aktivität wäre. Es formt und schafft
in dem Kinde, aber dem Willensträger selber sind die regulierenden
Gewalten und Rechte nahezu entrissen. Der an das Zweckbewusst-
sein der Handlungen geknüpfte Wille fehlt Das Kind ist im Spiele
wie ein Junge, der vom Berge kollert Dieser hat seinen Willen
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— i8i —
ausgeschaltet und trotzdem erlebt er die Bewegung, fcr nützt bei
seiner Bewegung nichts aus als die Energie seiner Lage. Die Hohe
des Berges hat ihm Potensen gegeben. So ist auch das spielende
Kind auf der Höhe von Potenzen zu denicen, von denen aus es
leben und erleben kann, ohne impulsiv zu wollen. Es verfallt in
einen willenlos aktiven Zustand — nicht ganz so, aber doch ähnlich
wie der Schläfer in einen lebhaften Traum gerät und ohne scm
Zutun darin lebt
Ein Impuls, eine Gmindidee genügt im grossen und ganzen, um
alle Neigungen aussutösen. Gleichwie der eilende Bote nicht jeden
seiner Schritte aufs neue wollen muss, so entfaltet sich in der Seele
des Kindes der grosse psychische Mechanismus oder vielmehr der
lebenskräftige Org^anismus der Vorstellungswelt nahezu von selbst
Es ist in erster Unie nicht eine Willensproduktion, wenn das Kind
spielt, sondern eine Produktion der Vorstellungen, die sich bieten,
weil sie leben. Nur dann und wann wird ihr Verlauf durch
Willensmomcntc geregelt, wie sie in zeitweiliger Aufmerksamkeit, in
zweckmässiger Anordnung oder bewusst konstruktiven Eingriffen
notwendig werden. Aber diese Eingriffe gehören nicht unbedingt
zum Wesen des Spieles. Daher dan man im aUgemeinen sagen:
Ohne das absichtliche persönliche Zutun spielt sich das Leben wie
ein Schauspiel mit allen Details im Kinde auf Nicht der mensch-
liche Wille spielt, sondern die Natur. Wenn das bpiel Dichtung
ist, so ist die Natur der Dichter.
Auch wir haben glücldiche Stunden, in denen wir selbst
willenlos auf die innere Sprache unserer Seele horchen oder in
denen uns durch günstige leiblii Iie und seelische Dispositionen jedes
Wort, das wir sprechen müssen, unc^e%vohnt leicht über die Lippen
fliesst, jede Bewegung mit Chik und iiieganz gelingt, als ob ein-
gelernt worden wäre. Nicht unser WiUe ist es, der das vermag.
Es ist der Ablauf selbsttätiger Kräfte. . In diesem glücklichen Zu-
stande ist das spielende Kind. Es lebt und hat den Willen dazu
kaum nötig. Es iiberlässt sich mehr dem psychischen Mechanismus
seiner Vorstellungen, als es regulierend mit Überlegung in denselben
eingreift. Daher akzeptiert es das wunderlichste Material, das ihm
dieser zufährt In Willenszuständen, wie wir sie an Erwachsenen
beobachten, wäre bei dem kindlichen Mangel an realer Gestaltungs-
kraft diese Assoziationshast und die unbändige Phantasie des Spiele;,
aber auch die totale Einfühlung unmögUch. Und die Lustgefühle
könnten nicht ihre ungestörte Macht bewahren.
Das von der Willenlosigkeit beim Spielzustand Gesagte ^t in
der extremen Form natürlich nicht von allen Spielarten im gleichen
Sinne. Gerade die reifere Jugend, die ihre „Soldaten" und
(Jläuber" im Freien spielt, löst sich von dem ausgesprochenen
VorstcUungsspiele, wenn auch nicht vom lUusionsspiele, insofern
mehr ab, als die körperlichen Bewegungen in ihrer Tüchtigkeit,
. y 1. ^ . y Google
— I82 —
Schnelle und Ausdauer, das Sprincren, Laufen, Hüpfen, Klettern,
Stessen und Stürmen, neben den Vorstellungen in den Vordergrund
treten, als solche viellach bewuseter WiUensantriebe bedürfen und
nahezu einen Obergang von der Spielhandlong zur zweclcmissigen
Handlung, zur bewussten, beabsichtigten Produktion und zur
gewollten Arbeit herstellen. Vielfach aber tragen selbst diese an-
gestrengten Versuche zur Verwirklichung- der Spieldarstellung nicht
streng psychologischen Willenscharakter. Die Inipulse zur Aus-
lösung und Leistung der Arbeit werden oft nur von dem lebendigen
Vorstellungsverlaufe in mehr oder weniger automatischer Weise
gegeben.
Man hat spielende Kinder wohl auch schon mit Myj)aotisicrten
und Suggerierten verglichen. Dieser Vergleich dürfte zutreffend
sein. Denn auch wer unter dem Einfluss der Suggestion steht,
charakterisiert sich pS3rchologisch durch seine eigene Willenslostgkeit,
wenngleich in ihm wie beim spielenden Kinde die Formen des
Willens vollführt und der Ablauf seiner Vorstellungen und Gefühle
bekanntlicii ein vom eigenen Willen unabhängiger und auch nur
von aussen her zu behindernder ist. Das Kind ist aber sein eigener
Hypnotiseur. Es hypnotisiert sich selbst — natürlich ist das nur
ein Vergleich — indem es eine dazu günstige seelische Disposition
ausnützt, seine Ich-Vorstelhmg oder sein Ichbewusstsein kurz und
bündig mit einem ganz fremden Inhalte zu erfüllen. Gelingt ihm
das ganz, so wird es von dem dem Inhalte hinzugedachten Willen
abhängig, und entwindet sich so seines eigenen Wollens. d. h. es
überlässt sich dem organisch strebenden Willen der Natur.
Das kann, wie Ludw. Strümpell (vgl. seine Päd. Pathologie,
Leipzig 1899, S. 142) meint, soweit kommen, dass das Kind während
der Zeit eines solchen Spieles vollständig dem erwachsenen Irren
gleicht, der an einer fixen Idee leidet und aus dieser heraus handeltt
Wenn es freiwillig diesem fremden, leitenden Willen folgt, so
ist erldSilich, dass alle dementsprechend en Vorstellungen ohne
weiteres auffaurhrn Es genügen einleitend oder »^on-^twie geringe
sinnliche Andeutuiv^eii dazu von aussen, genau wie beim Hypnoti-
sierten, der durch eine geringfügige Beeinflussung von aussen so
sdir in einen Ablauf von Vorstellungen geraten kann, dass er damit
gleich einem ^mulanten oder Schauspieler ein ganzes Auditorium
unterhalten kann.
Dass der Zusammenhang des Spielzustandes mit dem der
Hypnose sehr nahe liegt, geht schon aus der allgemein anerkannten
Tatsache hervor, daä Kindern am leichtesten irgend welche
Gedanken suggeriert werden können.
Der Wille tritt beim Kinde auf die geringste ihm Zutrauen
erweckende Vorstellung hin zurück. Was ihm Autoritäten sagen,
ist ihm jahrelang Kvangrlium. Je mehr das Kind zum Erwachsenen
wird, desto nieiu Lnlt dicker Zustand bei ihm zurück. Zunächst
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ist das Kind nun einmal so. Wenn wir hei ihm über den Mangel
an Überlegung, an sittlichem Ernst, an Aufmerksamkeit, Ausdauer
und Konzentration Klagen fuhren müssen, so hängt das damit zu-
sammen und ist durchaus nicht in demselben Masse bedauerlich»
als wenn eben der sittliche Emst und die Willenskraft und der
Mut zur Überlegung beim Erwachsenen fehlt. Durch den Mangel
an praktischem Bestreben bleibt das Bewusstsein den traumhaften
Kräften und dem Vorstellungsicbcn zugewandt. Beim Spiele haben
wir nahezu eine Erlösung von dem Eigenwillen des Menschen.
Der Zustand wird dadurch zur völligen Kontemplation, zum Zustande
des inneren Schauens, des Lebens ohne Leid, des Handdns ohne
Zweck, der Arbeit ohne Ermüdung. Indem das Kind von aller
Not und Härte, von allem Bedürfnis und Übel der Welt vorüber-
gehend erlöst wird, bleibt es für seine Entwicklung geschmeidig und
seine schwachen Schultern werden von der fortwärend drückenden
Last des realen Lebens — dem sich unser Wille entgegenstemmen
muss — nicht vorzeitig gebeugt.
Indem man so das Kind im Spiele ganz frei von allen Zwecken
des Menschenlebens einem ergötzlichen Scheine nachgehen sieht,
wird man unwillkürlich an Schopenhauer erinnert und an seine Lehre
von der Verneinung des Willens, iittbesondere in der Stellungnahme
zu den Problemen der Kunst und der Religion. Schliesslich hat ja
Schopenhauers Lehre einen metaphysischen Charakter, und wir
wollen uns frei halten von Metaphysik, aber Schopenhauer hat doch
gerade durch seine meisterhafte Behandlung aller Problenie, bei
seinem Scharfblick und seiner Menschenkenntnis auch der Psycho-
logie indirekt grosse Dienste erwiesen. Er hat sich auch zum Spiele
dahingehend geäussert, dass hier der Wille schweigt. Das ist fnst
wörtlich psychologisch zu nehmen. Ich will seine Ansicht nach
Kuno Fischer zitieren: „Mit grossen, erstaunten Augen bhckt das
Kind in die ihm fremde WdL Alle Gregenst&ide sind ihm neu.
Und es kann sich daran nicht satt sehen. Welche Lust gewahrt
ihm sein Bilderbuch, worin es die gesehenen Dinge wieder-
erkennt. . . . Mit welcher Lust hört das Kind Geschichten, die man
ihm erzählt und kann nicht genug davon hören. Die wirklichen
Gegenstände, das Bilderbuch, die Geschichten von Menschen und
Dingen, lauter blosse Vorstellungen und Bilder der Welt sind das
Thema und die Lust des Kindes. Noch unverfälscht und unver«
kümmert durch den Willen, seine Begierden und Interessen, die ihm
noch nichts anhaben. Noch schweigt die heftigste aller Begierden. . . .
In di^er reinen Vorstellungslust besteht die Unschuld und das
Paradies der Kindheit. Die Welt erscheint diesem Lebensalter im
frischen Morgentau, im Zauber des Morgenlichtes." Wir können
diese Ansicht, wenn sie auch andere als rein psychologische Grund>
lagen hat, alaeptieren.
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— l84 —
Nach der neueren Psychologie werden im Zusammenhang mit
den Wiliensproblemen in der Regel auch die Ausdrucks-
bewegungren behandelt, insofern der Wille sich, physiologisch
gedacht, auf den motorischen Bahnen nach aussen wendet und die
Ausdrucksbewegungen eine natürliche Folge der motorischen Ver*
aolagung des Menschen sind.
Die Ausdrucksbewegungen mit dem Wiüensleben in psycho-
logischen Zusammenhang su bringen, ist aber nur zur Hälfte richtig.
Es gibt alle Ausdrucksbew^^ungen auch in der Art, dass sie mit
dem persönlichen Wollen oder Nichtwollen nur in ganz fernem,
lebensgeschichtlichem Zusammenhang stehen. Wären die Ausdrucks-
bewegungen immer VVillcnsäusserungen gleich zu erachten, so wäre
das Kinderspiel entweder die an Ausdrucksbewegungen ärmste
Erscheinung oder die an Willensversuchen reichste Lebensform«
Das wideispricht der Tatsache.
Das Kind hat im Spiele mehr als zu irgend einer andern T ehens-
zeit mannigfaltige und zahlreiche Ausdrucksbewegungen und erreicht
in denselben sogar eine Vollkommenheit, die es im späteren Leben
oft nicht mehr hat Als Ausdnicksbewegungen des Willens gelten
nur die mit bewusster Absicht und Aufmerksamkeit zweckdienlich
vollzogenen Äusserungen. Daneben g^bt es viele anders geartete,
wie Schlaf- und Traumbewcf^unt^en, automatische und suggerierte,
die sich gerade durch den Mangel an Zweckmässigkeit und i^ewusst-
sein charakterisieren können. Möglich sind sie nur durch die
natürliche Bildungskraft der Organe usw. Als solche haben wir
auch die Ausdnicksbewegungen im Spiele zu nehmen. Sie ver-
laufe zum grossen Teile frei vom persönlichen Willcnseinflusse.
Das Hauptaugenmerk mag dabei auf sprachliche, mimische und
pantomische Ausdrucksformen gelenkt sein. Alle drei Formen
kommen beim Spiele in einer dem jeweiligen Kindesalter ent-
sprechenden grössten Vollkommenheit vor. In der Schule etwa
hat ein Kind, selbst wenn der Lehrer für eine zwanglose Stimmun^^
im Unterrichte besorgt ist, immer eine leere, tote, karge, schema-
tische Sprache. Seiten, dass des Schülers Naturell einmal ganz zum
Durchbruch kommt. Tonlos spricht er seine Sätze; einförmig ist
sein Leseton, sein Lied und der Vortrag seiner Gedichte. Auch
sonst bei ernsten Anlässen, etwa in fremden Häusern, ^a selbst ia
der eigenen Familie gebricht es ihm oft an euier der Situation an-
gepassten Sprache.
Ganz anders im Spiele: eine fabciiiailc Akkommodation seiner
Ausdnicksbewegungen an die gegebene und gebildete Situation
zeichnet das Kind aus. „Ganz wie die Alten !" kann man dann und wann
hören. Die Sprache ist ausdnicksrähig, rhythmisch, melodisch Die
Sätze fliessen, der Akzent sitzt an seinem rechten Platze. Dir 1 ra^x,
der Ausruf, die Verwunderung, der Befehl und die trzahiweise, alle
kommen in ihrem spezifischen Charakter und in ihren sahllosen
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Schattierungen wie zum .Schai!«;piel eingelernt hervor. Mit iiinereiD
Triumphe sieht sich das Kind in seiner Vollendung^.
Wie mit der Sprache, so geht es mit der Mimik des Kindes.
Das kindliche Gesiebt hat ja keine reiche LinienlÜhning; der Mangel
an Falten und Zügen macht es wenig ausdrucksföhig. Und doch
hinterlassen uns die Gesichter spielender Kinder ganz eigentümliche
Kindrüc kc in der Seele. Die Formen des Ernstes, des Zornes, der
Freude, des Unbehagens, der Grossmut, der Würde und Demut,
der Frömmigkeit und viele andere beherrschen sie, es scheint, je
nach der Art ihrer Spiele in grosser Vollkommenheit. Das Aller*
weltsgesicht des Durchschnitts Schulkindes, das zwischen geheucheltem
Interesse und offenbarer Gleichgjultigkeit schwankt und dem Lehrer
aus Schulen und Schülerphotographieen nur zu bekannt ist, fehlt
hier vollständig. In freier Selbstbestimmung formt die freudige Seele.
Zu wahrer Virtuosität gesteigert aber sind die pantomimischen
Ausdrucksbewegungen des spielenden Kindes. Das Mädchen, das
„Puppenmama" spielt, ist schon oft bewundert worden. Der Knabe,
der als Indianer oder als Räuber und Dieb durch den Wald schleicht,
der junge, der an der Spitze seiner Schar den Feldherrn markiert,
und das Kind, das vor seinem SpieDaden mit regelrechtem Geschäfts-
gebaren seine Blechmünzenware anpreist, verdienen dasselbe Lob.
Die gravitätischen Schritte der Kinder, wenn sie Hochzeit halten,
sind bekannt. Ihre Gewandtheit beim Laufe erhöht sich im Spiele.
Selbst Komplimente, die im Leben, wenigstens bei ungeübten, nicht
dressierten Kindern immer mi^ngen, glücken ihnen in aller Anmut
und Zierlichkeit, wenn sie Besuche und Gratulation spielen. Hundert
ähnliche FäUe wären wohl noch anzuführen; scharfe Beobachter
kindlicher Spiele könnten wohl ein ganzes Reglement für Schau-
spieler danach zusamniL^stell!'!:
Der Schritt vom Spiele bis zum kmdcrtumlichen oder natür-
lichen Drama scheint mir übrigens auch nur ein ganz kleiner zu sein.
In der Schule habe ich Spiel und Drama oft ineinander übergehen
sehen, z. B. wenn sie Nikolaus sfdelcn oder Kasperlthcater. Das
Dramatisieren irgend eines Stoffes macht auch in der Schule den
meisten Spass und wird immer als „Spiel" angesehen. An dieser
Steile hätte wohl, pädagogisch gedacht, die Erziehung des Kindes
iiir den Sinn und Genuss des Dramas einzusetzen. Der Sinn fUr
theatralische Darstellung ist ein tiefgehender menschlicher Zug. Den
vernachlässigen wir offiziell in den bildsamsten Jahren und Llatiben,
vor Torschluss im 8. Schuljahre, also knapp vor der Schulentlassung,
rasch alles noch retten zu können, wenn wir den klassischen „Teil"
ab Lektüre in den Lehrplan einsetzen. — Das ist natürlich eine
AufpHanzung und keine Ejuipflanzung!
Bei den Ausdriirksbcv.'e(^uni:yen kommen wir notgedrnnr^en nuch
noch auf die Nachahmung zu sprechen, weil für gewöhnhch alle
Erscheinungen im Kinderspiele als Nachahmung — oder wie eine
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— i«6 —
schreckliche Phrase heisst — als Belric(lij:^ung des Nachahmungs-
triebes hingestellt werden. Von einer Nachaiimung oder Nachbildung
kann im Spiele wohl gesprochen werden, aber doch nur insofern,
als die Elemente von Eindrücken und Erlebnissen im Spiele zu
Gcstaltung^s- und Illusionszwcckcn wiederkehren. Platte, sklavische
Nachahmung ist das Spiel nie, weil damit das Spiel sofort zum
geistlosesten und verbildendsten Zeitvertreib heruntersinken würde.
Im Menschen liegt viel weniger der Trieb zur Nachahmung als viel-
mehr der Trieb zur Umgestaltung, zur Neugestaltung und zur Eigen-
darstellung. Ich halte es für falsch und für sinnentstellend, wenn
man in dieser Auffassung soweit geht wie selbst Wundt, dass er in
seinen Voriesunc^en über Menschen- und Tierseele (III. Aufl. S. 403)
die Nachahmung geradezu als ein Kriterium des Spieles hingestellt
sehen will
Gerade für den Psychologen ist diese I'assung falsch, weil
psychologisch der Begrift der Nachahmung die volle Aufmerksamkeit
und den zweckdienlichen Willen zur Handlung voraussetzt. Beides
tritt aber um so mehr zurück, je vollkommener sich das Kind im
Medium des Spieles bewegt, d. h. je vollkommener es scheinbar »
oder nach der landläufigen Bezeichnung — nachahmt Sodann
kommt hin/!], dass das Spiel in der Regel von vorne herein eine
natürliche Konstruktion, ein Wachstum ist, in ch ni das Kind rein
für sich und mciit etwa für andere zum Zuscliauen oder zur er-
götzlichen Unterhaltung auf dem VorsteUungswege das in eine
Lebenseinheit vereinigen will, was es da und dort bruchstückweise
gesehen hat. Darum läuft die Nachahmun;^»^ mit Heziif^ auf das
Wesen des Spiels fast auf einen Widerspruch m sich selbst hinaus.
Auch bei weiser Beschränkung ist es gefahrlich, das Wort Nach-
ahmung beim Kinde immer wieder anzuwenden, weil das Wort
nicht ganz frei von vidfadien Deutungsmöglichkeiten ist und deshalb
ohne nähere Bezeichnung dessen, was man meint, den wahren Sach-
verhalt leicht entstellen kann. Wir halten vieles mehr für platte
Nachahmung, als es tatsachlich Nachahmung ist Nachahmungen
gelingen selten in der Vollkommenheit, in der uns die Ausdrucks-
bewegungen des Spides entgegentreten.
Der Glaube an die Nachahmung wird hier erweckt, weil der
Anstoss zum Spiele retrelrecht das der Welt abgeguckte Bruch-
stück irgend einer Lebensersclieinung ist. Dieses Stück ist aber tot
und muss unter der Beteiligung des Kindes lebendig gemacht
werden.
Die Erinnerungsbilder tauchen wohl auf, aber das Kind ist es, das
sich daran entfaltet. An den Erinnerungsbildern wird das spielende
Kind produktiv'. Was wir also für Nachahmung halten, ist vielfach
ein neues Wachstum der Natur. Psychologisch indiskutabel bleibt
dabei natürlich die Ansicht oder doch die These, die möglicher-
weise ein Lebenshistoriker aufstellen könnte, dass gerade alles neue
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Wachstum der Natur Nachahmung sei, insofern sich die Natur
jeweils selbst nachahmt. Dieser Nachahmungsbegriff gehört ent-
weder in die Naturgeschichte oder in die Metaphysik; die Psycho-
logie hat damit nichts zu tun.
Wie der Zustand des Spieles Änderungen in den Ausdrucks^
bewegungen hervorruft, so hat er noch mannigfaltige andere
Wirkungen auf die Kinder. Besonders zwei verdienen hier hervor-
gehoben zu werden: dio K m p fänglichkeit des Kindes im
Spiele und die Heilwiikung des Spieles.
Die ümp fänglichkeit beruht teils auf einer erhöhten Sensi-
bilität teils auf einer gesteigerten Eindrucksiahkrkeit des ganzen
Gemütes. Wie die motorischen Bahnen des Körpers technisch
besser funktionieren, so scheint es auch Ijei den sensorischen zu
sein. So stumpf sonst die Kinder bisweilen der Welt und ihren
Eigentümlichkeiten gegenüber stehen, im Spiele macht alles mehr
Eindruck auf »e. Das Unscheinbarste fallt ihnen auf, fesselt und
sammelt sie. Ks ist als würden die Farben, das Licht, die Töne
und die Berührungen in feineren .Abstufungen unterschieden, als
wären die Haut, das Ohr, das Auge reizbarer. Mir hat es oft
geschienen, als ob spielende Kinder, wenn sie z. B. als Indianer oder
Rauber den Wald durchziehen, ein schärferes Gesicht und ein
schärferes Gehör bekommen hätten. Es ist das natürlich nicht
einer absoluten Zunahme der Sinnesqualitäten zuzuschreiben, sondern
vielmehr der generellen Lebendigkeit, in der sie sich befinden, so
dass sie hierdurch wie etwa ein Kranker dann und wann sensibler
werden.
Die Empfänglichkeit für das Schöne und Ghite hebt sich im
Spiele nicht Uoas durch das gesteigerte Gefühls- und VorstellungSp
leben, sondern vor allem dadurch, dass der Wille allen äusseren
Zwecken abgewandt ist. Ein Kind, das äussere, reale Zwecke ver-
folgt, ist dabei meist so eigenwillig, dass es idealen Einflüssen nur
zugänglich ist, wenn sie seinen Absichten nicht entgegenwirken.
Im Spide fehlt der starre Eigenwille. Bei dem Hang, den die Vor-
stellungen haben, bewusst zu werden und sich orj:'nnisrh mit anderen
zu \'erbinden, werden sie diirrli Kleinigkeiten ungernein stark betont,
ixn Kinde ruhen die Dispositionen zu den Ideen des Guten und des
Schönen, die in der Menschheit nie gefehlt haben. Es ist nur
schwierig, sie im geeigneten Momente zu dem auszubilden, was sie
sein sollten. Im Spiele reicht oft ein Wort, eine Situation hin,
solche Dispositionen zu starken und zu erweitern. Das spielende
Kind spielt eben auch mit Ideen und Gefühlen: mit Liebe, Freund-
schaft, Edelmut, Tapfericeit, mit Lust, Schmerz, Güte, Grausamkeit,
Stolz und Verachtung.
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— i88 —
Allerdings, wenn das Kind spielt, sind das durchaus keine echten
Tugenden oder Laster — es ist kein Mord, wenn der Knabe im
Spide Soldaten umscbiesst, wie einmal ein ängstlicher Pädagoge
gemeint hat, so wenig es Religion 'ist, wenn Kinder mit Heiligen-
bildclicn spielen, wie die Klosterfrauen und Schulschwestern meinen.
Aber es entstehen im Spiele immerhin JVozesse des inneren Lebens,
und zustimmende oder verwerfende Gefühle für alles Lieben und
Hassen werden wach und verbinden sich mit den Lebensvorgängeo.
Im Interesse höherer Lebensgüter ist das Spiel an sich selbst
pädagogisch. Das Kind empfangt im Spiele verständnisvoll jeden
rechtlichen und sittlichen Einwurf von Spielkameraden oder Zu-
schauern, wofern er das Spiel betrifft, und reagiert darauf stets in
der entsprechenden Weise. Daran sind die Wertgefuhle schuld, die
das Kind im Spiele mehr als im realen Leben bächleichen.
Die Heilwirkungen des Spieles können mit den Heil'
Wirkungen oder doch mit den gesundheitlichen Kinflüssen des
Schlafes und der Hypnose verglichen werden. Das erste ist die
Aubbpaaauiig der aktiven Kräfte, mithin eine Erholung, geringer
zwar als im Schlaf, doch diesem analog, besonders wenn das Spiel
ntdit zu lange dauert und so die Schädigungen langer Auto-
suggestionen zur Geltung kommen. Dem Blutkreislauf aber scheint
die Verfassung des Kindes im Spiele sehr zu Dienste zu kommen.
Spielende Kinder haben für gewöhnlich rosigrote Wangen, warme
Hände und FQsse und ihr Befinden ist meist nur allen Wünschen
entsprechend. Ob die Wirkungen der inneren seelischen Verfassung
entstammen oder ob die grosse äussere Beweglichkeit daran vor-
wie(^end schuld ist. lässt sich wohl kaum genau bestimmeo. Offenbar
hat beides daran teil
Tatsache ist audi, dass die Kinder im Spiele leibliches Übel-
befinden vergessen: Hunger und Müdigkeit entschwindet ihnen, Kälte,
Hitze, Nässe, Anstrengungen und Gefahren schrecken sie gar nicht
ab. Das geht teilweise beim blossen Vorerzählen schon so, wenn
das Kind davon ebenso erfasst wird, wie vom Spiel. Da kannte
idh ein Kind, das durch frühzeitige tdlweise Lahmung an einem
Fusse im Gehen sehr beschweilich vorwärts kam. Um es zu
kräftl^n, nahmen wir es wiederholt mit zu einem Spaziergange auf
einen Hü^el, der in Stunde zu erreichen war. Beim Heimweg
blieb das Kind mehrmals vor Ermüdung und Anstrengung unwillig
zurück. Wir hätten uns vielfach genötigt gesehen, das Kind heim-
zutragen. Die Mutter des Kindes aber beuss eine treffliche Gabe,
dem Kinde allerlei zu erzählen. Kaum hatte die Mutter begonnen,
so licss dns Kind vom Weinen und von seiner grämlichen Miene,
richtete sich empor und Hess sich an der Hand führen. Der VV'echsel
der Vorstellungen erfasste das Kind, es vergass seine Müdigkeit
vollständig und kam ganz gut mit nach Hause. Ja, mit Ausdrücken
der Freude begleitete es die Erzählungen der Mutter.
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- 189 -
Ganz ähnlich ^eht es im Spiele. Da will ich ein paar Knaben
zitieren, die ich beobachten konnte. Sie waren nervös und blutarm
und sollten sich auf dem Lande nach und nach durch Spaziergänge
wieder an Anstrengungen gewöhnen. Das hielt schwer, weil sie in
der Sommerhitze schon in der ersten Viertelstunde ermatteten und
nicht weiter wollten. Der Hanp zum Spiele half. Wir sammelten
noch einige Kameraden um uns, fingen an, Spere, Helme aus Fapier,
Holzsabel und Gewehre zu machen, rüsteten uns mit Beilen, Hämmern»
Stricken und andern Gerätschaften aus und zogen einmal als
Soldaten, das andere Mal als Entdecker in die Wälder und Felder
hinaus. Die Wälder des Ortes wurden in unserer Phantasie zu
Urwäldern Südamerikas. Wir suchten nach fremden Tieren, feind-
lichen Urvölkern, friedlichen Farmern, sahen alle Pflanzungen und
Tiere der heissen Zone: Palmen, Brotfruchtbaume, Leoparden, Ttgtr,
Jaguare, Paradiesvögel und Kondore ohne Rücksicht auf geographische
Genauigkeiten, erschlugen Löwen und fin-^pn Affen, bauten Hütten,
gruben Höhlen und übf^rfielcn im Geiste die I.apferstätten der
Indiajicr. Die Kombinaliuaca und Variationen wuciisen niü JindlüJ>e.
Langeweile und Müdigkeit gab es kaum wieder. Wir liumten der
Vorstellung ihr Recht ein. Und bis zu drei, vier Stunden blieben
die Knaben in der Sommerhitze auf den Beinen und schleppten
obendrein ihre Waffen und Beutestücke mit sich herum.
Ähnliche Beobachtungen wird jeder schon gemacht haben.
Ich betone aber an dieser Stelle, dass es sidi bei der Erhöhung
der Leistungsfähigkeit nicht um eine Stärkung und Stählung des
Willens in eigener Funktion gehandelt hat, sondern lediglich um
eine gesundheitliche Forderung. Dass der Junge durch das Spiel
körperlich widerstandsfähiger und nebenzu wülenskräftiger wird, das
ist eine Sache (Qr sich und ist mdir den Nebenumständen als dem
Wesen des Spieles zuzuschreiben. So glaube ich, dass der Kraft*
Zuwachs dem Willen nur indirekt oder auf Umwegen zugute kommt,
vor allem durch die Stärkung und Gesunder^tung des freien
Vorstellungswachstums.
Soweit diese Wirkung in Betracht kommt, lässt sich allgemein
behaupten, dass das Spiel zur leiblichen und geistigen Gesundung
oder Gesunderhaltung und Lebensfrische unserer Jugend Wesent-
liches beiträgt, und dass das Spiel im Prinzip dazu geeignet ist, die
Kräfte des Individuums soweit zu üben und zu vermehren, dass sie
dann noch unverdorben und unverkrüppelt sind, wenn so nach und
nach das Stadium der Kindheit übergehen muss in das Stadium
einer sittlich freien und zweckmässigen Selbstbestimmung.
*) Vgl. Schilliag. WUleosbUdong tmd Intereue . l'id. btudiea 1908, H«ft 4,
a «45 ff*
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— 190 —
Wir werden als Pä(Ja<,'Oj^tii zwar das Spiel nicht zum all-
gemeinen Zweck des Lebens erheben können; doch es hat seine
Bedeutung, und allem Anscheine nach ist die Pädagogik eben wieder
in ein Stadium eingetreten, in dem man auf Grund psychologischer
Einsichten dem Kinderspiele wieder eine grössere pädagogische Rolle
zuweist als etwa die eines ergötzlichen Zeitvertreibes. Und wenn
ich mich nach dem Prinzipe frage, um deswillen man das Spiel
selbst vom Standpunkt der Schule aus wieder wertet, derselben
Schule, die sich früher das Kinderspielzeug wie Gift vom Leibe
gehalten hat, so komme ich auf kein anderes als auf das der freien
Produktion. ^)
Das Kinderspiel ist eben heute schon dem wahren Pädagogen
nicht mehr platte Nachahmung, sondern freie Gestaltung, freie
Produktion. Wir in München verstehen ja, was das zu bedeuten
hat, wenigstens zunächst in dem Sinne, wie unser Schulrat
Dr. Kerschenstelner etwa die produktive Arbeit auf dem Ticbiete
des Zeichenunterrichtes erforscht, gewertet und verwertet hat. Die
kindhche Produktion ist ein Naturphänomen, dem die Pädagogik
m^r als bisher Rechnung tragen muss.
Schulrat Dr. Kerschensteiner hat kurzlich in dem Vorworte zu
Reymund Fischers Elementar-Laboratorium die Aufgabe der Er-
ziehung dahingehend präzisiert, dass die geistige Entwicklung des
Kindes nicht auf Zuschauen und Auswendiglernen, sondern auf
produktive Arbeit gesteilt werden müsse. Das ist die Kenn-
zeichnung eines ganz allgemein gewordenen pädagogischen Strebens
unserer Zeit. Heute Hegt überaU der Versuch vor, dem alten
Grundsatz der „Betätigung*' einmal sein volles Recht einzuräumen.
Die produktive Leistung ist in erster Linie — also beim Kinde —
eine Selbstproduktion, d. h. ein psychisches Wachstum, das ohne
Rücksicht auf den realen Zweck der Sache zur Äusserung und
Gestaltung drängt; es ist eine freie Produktion; es ist ein Spiel im
weiteren Sinne. Wir haben kein Recht und keine Ursache, diese
freie Produktion zu unterbinden oder vorzeitig um der Durchftihrung
systematischer Lehrpläne willen abzubrechen. In gewissem Sinne
wird das Leben erst Leben aus dem Spiel, und die zweck-
mässige Produktion wird ohne die freie Produktion ihrer Grundlage
entbehren.
BetStiKiuic de* QomitleltMreB InteKwe.
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— 191 —
m.
Die vielklassige Schule,
Nire Vorteile und Nachteile, und andere Organisationsfragen.
Von D. HlaraiyMn, Reklor m Lev,
ScUnu.
IV.
Wenn wir der ersiehlichen Seite der Schularbeit unsere
Aufmerksamkeit zuwenden, so tritt uns da in der einklassigen
Schule ein Faktor entgegen, der anstandslos als ein grosser Vorzug
bezeichnet werden muss, den aber auch nur die einkiassii^e Schule
für sich in Anspruch nchmea kaiui: es ist der eine Lehrer. Ein
WiUe regiert, ein Vorbild leitet und stützt das gesamte Tun und
Werden der Schüler, prägt sich ihnen in Lebensansichten, ja, in
äusseren Lebensformen auf, überschaut ihr Werden von Anfang bis
zu Ende, begleitet sie womöp^lich noch ins Liternhaus und Leben
hinein. In dieser Ausprägung kann ein Lehrerkollegium auf den
einzelnen Schüler nicht wirken, da muss die mehr* und vidklassige
Schule einen Ausgleich suchen durch eine wohlgelugte einheitliche
Schulordnung, die nicht nur jedem Lehrer, sondern auch jedem
Kinde durch Ge<vohnheit sich einprägt, denn, was für die Einheit
des Unterrichts der Lehrplan, das ist für die Einheitlichkeit der
Zucht die Schulordnung. Das längere Zusammensein mit dem
Kinde erweckt ohne weiteres Interesse für seine Person, seine
Lebensfragen, sein Vorwärtskommen. Diese Möglichkeit ist auch
dem Lehrer der vielkJassigcn Schule dadurch geboten , dass er
dieselben Kinder 2, 3, 4 Jahre und länger weiterführt. Die Durch-
führung der Schulklassen, auf die wir im nächsten Teil zurück*
kommen, ist keine System-, sondern eine Lehrplanfrage, tmd Vor-
würfe in dieser Hinsiel) t können dem vielklassigen System nicht
aufgebürdet werden. Die eingehende Beschäftigung mit dem
einzelnen Kinde, mit seinem P>gehcn ausserhalb der Schule hat
stets — das darf nicht vergessen werden — eine geringe Schüler-
und Eltemzahl auch bei der einklassigfen Schule zur schweigenden
Voraussetzung, und bezüglich des Verkehrs mit dem Elternhause
kommen manche Momente in Frage, wobei das System der Schule
nicht ausschlaggebend ist. — Von grosser Br d( utniij:; für die
Charakterent Wickelung des Kindes ist der tagliche Umgang mit
seinen Mitschülern. Iiütschüler sind verborgene Miterzieher 1
In dieser Hinsidit ist, theoretisch betrachtet, die vielklassige Schule
im Nachteil gegen die wenigklassige. Wo 3 — 600 Kinder auf einem
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— 192 —
Schulhofe verkehren, da ist das Vorkommen zweifelhafter und
schlechter Elemente prozentuell {prösser, die Möglichkeit des bösen
Vorbildes in Wort und Tat naheliegender, als auf dem Schulplatze
eines friedlichen weltfernen Dorfes mit 20— 6o Kindern. Es ist aber
andererseits keineswegs ausgeschlossen, dass von einem cin/ip^en
rohen und boshaften Buben bei kleinerer Kinderzahl ein weiter-
gehender und nachhaltigerer Einfluss ausgeht, als von mehreren
Taugenichtsen auf dem Massenspielplatz, deren gefahrliches Beispid
leichter in der Menge untergeht Für die Charakterbeeinflussung
kommt überhaupt nicht so sehr der Spielplatz, als vielmehr der
Wohnort in Frage, und die Gefahren wachsen mit der zunehmenden
Grösse, Volkszahl und industriellen Entwickelung d^ Schulbezirics.
Die mehrklassige Schule wbd, soweit ihre Pmchten in Betracht
kommen, durch eine gute Schulordnung und sorgfältige pers&iliche
Bcaufsichticrunp^ vollen Ausgleich schaffen können. — Der negativai
Seite der Beeinflussung ist die positive zuzugesellen, die sich in dem
freundlichen Verkehr der Älteren mit den Jüngeren, in der Ueb-
reichen StQtze der Schwächeren durch die Stärkeren, besonders in
der ein- und wenigklassigen Schule zu äussern die Möglichkeit hat
Wie im Unterricht das ältere Kind als Helfer t'it\<^ ist, so wird es
auch zu Hause seinen jüngeren Geschwistern mit Rat und Tat zur
Seite stehen. — Wenn die hier beschriebene Art des Umganges
der Kinder, soweit es den Spielplatz, die Strasse und das Hat»
betrifft, ein besonderer Vorteil der wenigklassigen Schule sein soll,
so wäre das ein Irrtum. Uber die Hilfe hinsichtlich der Schul-
arbeiten kann man vom pädagogischrn Standpunkte aus aber
durchaus gegenteiüger Ansicht sein. Man darf um ethischer Gesichts-
punkte wUlen nicht loben, was man von pädagogischen aus tadeln
muss: die Hilfe bei den häuslichen Aufgaben. Zudem lassen wir
dahingestellt, wie weit ethische Motive die Geschwister zu dieser
Hilfe treiben. Berechtigtere Frfolge werden durch angemessene
Wahl und Vorbereitung der Hausaufgaben in der Schule herbei-
geführt. Was endlich das Helfersystem anbelangt, so wird der
Lehrer der mehrklassigen Schule gerne auf seuie Anwendung ver>
ziehten, da das eine Schuljahr seiner Klasse ihm die Möglichkdl
der eigenen Hilfe gestattet, die derjenige mit 2 — S Abteilungen
durch Kinder ersetzen muss. Wir dürfen demnach zusammen-
fassend behaupten: Die vielklassige Schule bietet für die Charakter-
entwickelung der Kinder keine besonderen Gefahren und Schwierig»
keiten; sie pflegt und fordert die erziehliche Seite der Schularbeit
in demselben l^mfange und in der gleichen Art wie die ein> und
wenigklassigen Schulen.
T.
Mit der Zahl der Klassen einer Schule muss die Zahl der
Lehrer steigen. Während in der einklassigen Schule der doe
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— 193 —
Lehrer der alles Tuende, Übersehende, Leitende und Anordnende
ist, findet sich an der mehrklassigen Schule ein Lehrerkollegiiini,
das um so zahlreicher i^t, als die Klassenzahl der Schule grösser.
Je grösser irgend ein Betrieb ist, desto schwirrieyer gestaltet sich
die Übersicht und Durchsicht betreffs des Ganzen, während ja im
einzelnen das Ganze durch Arbeitsteilung in Arbeitsgebiete von
beliebiger Grösse verkleinert werden kann. Diese Arbeitsteilung,
d. h. Beschränkung der Arbeit auf ein bestimmtes Gebiet, bringt der
vielkla-^sigcn Schule nun — so wird wenigstens behauptet — den
Nachteil, dass der einzelne Arbeiter — der Lehrer — zwar seine
Klasse individuell behandeln und weiterführen kann, dem ganzen
Schulbetriebe aber ohnmächtig; nichtwissend und deshalb interesselos,
bUnd gegenüber stehe — ja, dass diese Interesselosigkeit auch
gegenüber seinen Klassenschülem, die nur ein Jahr bei ihm durch-
laufen, sich ausprägen müsse. Diese Behauptunt^^en konnten , vom
grünen Tisch aus und allgemein betrachtet, ja richtig sein, aber
ttire Chrundlage wird ihnen in der wirklichen Praxis entzogen.
Tatsächlich ist es in den meisten Fällen so, dass jeder einzdne
Lehrer des Knllpjrhims teil hat an der Entwickelung und dem
Betriebe des i^anzcn Systems durch die Ausarbeitung des Lehifilans,
die Konferenzen und den täglichen Umgang mit dem Kollegium
und dem kollegial gesinnten Schulleiter. Femer laufen durchweg
die Schüler nicht nur ein Jahr bei ihm durch, sondern er kann seine
Jahresklasse 3, 4 und mehr Jahre fortführen, sodass die Möglichkeit des
Ansherzwachsens gegeben ist. Andere Formen erfordern andere
Normen 1 und notwendig ist allerdings, dass alle mehr- und viel-
Idassigen Schulen nch die vorgenannten Nonnen zur Regel machen.
Notwendig ist die Durchführung der Schulklassen sowohl
im Interesse des I. ehrers wie der Kinder, wie oben gezeigt. Über
den Umfang der Durchführung gehen die Meinungen noch aus-
einander; man wünscht sie: für je 2 Jahre; für 3, 3 und 2 Jahre;
lur 4 und 4 Jahre; fiir 4, 2 und 2 Jahre; für alle 8 Jahre usw.
Unseres Erachtens muss die DurchAihrung der einseinen Schule
und ihrem System individuell angepasst werden unter der grund-
sätzlichen Bedingung, dass die Unter-, Mittel- und Oberstufe
mindestens für sich durch denselben Lehrer geführt werden; (t runde
besonders erziehlicher Art erheischen aber dringend, dass die
Weiterfährung auf Unter- und Mittelstufe ausgedeluit wird. Wenn
wir sonach einer Durchführung bis zu 5 Schuljahren das Wort
reden, so erscheint uns die Forderung: bis ans Ende hinauf, zu weit-
gehend und weder im Interesse der Kinder noch des Lehrers zu liegen.
Hier reden persönliche Fragen z. B. das Alter der Lehrer, der
Lehrerwechsel, die Schulzucht, femer audh sachliche Erwägungen:
Lebensverhältnisse der Kinder. Ausbildungsziel, Lehrplan-Übersicht
und -Durchsicht, methodische Sicherheit und pädagogische Erfahrung
eine gegenteilige Sprache, des Inhalts: Die Oberstufe braucht fiS
FMacogiaebe 8iudi«ii. XXX. S. 13
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— 194 —
steh eine besondere Durchfuhrung. — Notwendig ist in erster Uaie
auch, dass die volle Selbständigkeit des Lehrers in setner Klasse
gewsihrt und seine Selbständigkeit im Kollf^f^inm nur «owcit ein-
geschränkt wird, als sich aus der ZuLjehori^^kcu eines einzelnen zu
einem Gau/xa iiaLur^euiäss und notwendig crgibi.
Die vorerwähnte Möglichkeit der Arbeitsteilung bietet aber
auch mancherlei Vorteile, die die wenigklassige Schule nicht hat,
sich auch nicht zu eigen machen kann, die sowohl den Schülern
wie den Lehrern selbst zugute kommen. In der einklnssi^en Schule
muss der Lehrer — wie oben ausgeführt — allen alles sein. N''.;n
ist aber das Mass und die Richtung unserer Anlagen und Kiaiie
sehr verschieden: der eine hat besondere Begabung und dem«
entsprechend Erfolge hinsichtlich der Unterstufe, ein anderer auf
dem Gebiete eines Unterrichtsfaches, ein dritter im Rat, rin vierter
in der Tat. Mrin sieht auch ohne nähere Ausführung dieser Punkte
und ihrer Konsequenzen für die Einrichtung des Lehrpians« dass
ans der verschiedenen Kräfte vereintem Streben blühendes Leben
erwachsen kann und dass im freudigen Bewegen alle Kräfte kund
werden. Sodann bietet das vielklassige System die Möglichkeit,
die Arbeit des pin/.elnen Lehrers zu erleichtern, einesteils in und
bei der Arbeit selbst, andererseits durch Einschränkung der Stunden-
zahl. Wie aufreibend ist doch die Arbeit in der einklassigen
Schule, wo der Lehrer seine Kräfte nicht auf einen Punkt und eine
Abteilung konzentrieren kann, sondern sie auf 2 — 5 Grruppen gleich»
zeitig richten, an 2—5 Materien und Gedankengängen sie zersplittern
muss. „Je ungleichmässigcr das Schülermaterial ist, desto schwieriger
wird der Unterricht, desto problematischer der Erfolg, desto grösser
die Anstrengung des Lehrers."^) Durch eine grössere 2UiM von
Unterklassen mit geringer Stundenzahl werden mehr oder weniger
Unterrichtsstunden frei, die abzüglich den Lehrern als Freistunden,
teilweise aber auch den Schülern als Nachhilfestunden zugute
kommen. Der Lehrer an der einklassigen Schule wird seine volle
Pftichtstundenzahl bis an das Ende seiner Dienstjahre nicht los.
Und noch eins: wenn er krank ist, so kann sich niemand der ver-
waisten Kinder annehmen in der mehr- und vielklassigen Schulf«
greift ein anderer 7.u, entsprechend dem Motto: heute dir morgen
mir. — Und wenn es nun auch Lehrer geben soll, — es gibt solche
bei uns wie in jedem Stande — die ärer Pflicht in vorbildlicher
wie unterrichtlicher Beziehung nicht oder nidit genügend nach»
kommen, so sind in der einklassigen Schule ganze Generationen
von diesem Einen abhängig. Die mehrklassigc Schule hat mehr
Mittel, den Müssiggänger anzuspornen, den Untüchtigen dahin zu
stellen, wo er am wenigsten schaden kann. Endlich hat die viel-
0 Pidacpciidie Zditang 190$, No. 4$, NadoUe, Zur Oisramtion pona Sdu]-
tjMtmt,
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— 195 —
Massige Schule weniger unter Lebrervakanzen zu leiden, und auch
bei Eintritt solcher braucht der Unterricht nicht wesentlich gekürzt
oder gar unterbrochen zu werden. Wir sehen nach allem, dass in
der mehr- und vielklassigen Schule die den Lehrer betreffenden
persönlichen Verhältnisse für ihn selbst wie lur die Schüler
und Schule eine günstige und befriedigende Lösung finden, ja
mancherlei Vorteile bieten, die die ein- und wenigldassige nicht
hat und auch nicht erlangen kann.
Tl.
Wenn wir nun dem Schulbetriebe in seiner Gesamt-
heit unsere Aufmerksamkeit zuwenden, so müssen wir daran er-
innern, dass die heutige Kuiturwelt mit ihren Anforderungen und
die heutige Volkszahl mit iliren wachsenden Kinderzahlcn die viei-
klasstge Sdiule gezeitigt, gefordert, ja aufgezwungen hat, sowohl
in Hohen- als Hori/.ontalgliederung. Der gegenwärtige Schulbetrieb
zeigt je nach dem Teilungsprinzip alle möglichen Schulgattungen,
Schulstufen und Schulklassen. Man teilt die Kinder in Rücksicht
auf die mancherlei physischen und psychischen Mängel und
Gebrechen, man bat reine Knaben- oder Mädchenschulen, nach
Geschlechtem gemischte Schulen. Immer mehr Gründe und Formeln
findet man auf; nach denen die Schule noch zu teilen wäre — zur
Zeit handelt sich's vor allem um die Frage der Begabung. Die
Teilung „schwach-" — „normalbegabt" ist nicht minutiös genug —
dazwischen muss liegen „minderbegabt"; und hierfür die neue
Teüungsldasse oder Klassengruppe: Förderldassen. Ohne auf das
psychologisdie Mittelding „Minderbegabung", dessen Grenzlinien
nach oben und unten sich schwerlich sicher abstecken lassen, und
auf die aus seiner Aufstelhing als Klassenprinzip sich ergebenden,
in manchen Orten im praktischen durchgeiuiirlen Konsequenzen
naher einzugdien, möchten wir nur im Interesse der Kinder den Wunsch
verlautbaren, dass die Schulteilung sich nicht weiter in der Richtung
ängstlicher Gristrsmikroskopie fortbewege. Es gelangen die Schulen
in konsequentem Fortgang auch noch zu Hegabungs-Klassen für
Realien^ Zeichnen, Rechnen- überhaupt für sämtliche Unterrichts-
fächer, femer zu Fleiss- und Faulheitsklassen, endlich zum Einzel-
unterricht als einzig vollberechtigter Unterrichtsform. Richte man
lieber alle Kräfte zu dem Ziele hin, die Xormalklassen, d, h. die
Klassen für das durchgängige Gros der Kinder, in Schülerzahl,
Stoff, Methode und Technik so einzurichten, dass Sonderklassen für
kleinere seetische VerKhiedenheiten keine Berechtigung haben.
Eine andere der Überlegung werte Frage der Gesamt-
organisation ist in neuerer Zeit aufgetaucht, dahingehend, ob Zwei -
oder Dreiteilung dem Stufensystem zugrunde zu legen sei. Die
Dreiteilung ist die zur Zeit historisch gewordene und berechtigte,
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- 196 -
die behördlich anerkannte der AÜfremeinen Bestimmungen: Unter-,
Mittel- und Oberstufe oder nach herkömmlicher Unterscheidung
die Anschauungs-, Übun^^- und Anwendun^sstufe. ^) Auf lücses
Teilungsprinzip sind sämtliche heutigen Lehr- und Stundenpläne in
Bezug auf Methode, Stoff und Stundenzahl zugeschnitten. Daran
zu rütteln wird nicht leicht sdn. Dennoch sprechen gewichtige
Gründe namentlich psychologischer Natur für eine prinzipielle
Zweiteilung als Grundlage, nämlich unter Fortfall der Mittelstufe nur
eine Unterstufe als Stufe der auf Anschauung beruhenden, vorwiPt^'^nd
gedachtnismässigen Aufnahme (Schuljahr l — 4) und eine Oberstufe
als Stufe der grösseren Selbständigkeit und des eigenen Denkens
In Verarbeitung und Wiedergabe (Schuljahr $—8). Die Zweiteilung
würde zu einer wesentlichen Veränderung des heutigen Lehrplans
fuhren, würde z. B. fordern, dass für die Unterstufe (auch 3., 4. Schul-
jahr: jetzige Mittelstufe b) der Katechismusunterricht, der syste-
matisch getrennte Geschichts-, Geographie- und naturkundliche
Unterricht fortfiele — dafür mehr Stunden auf die fundamentalen
Fächer: Lesen, Schreiben, deutsche Sprache, Rechnen und heimat-
kundlichen Anschauungsunterricht verwendet würden. Die Frage
ist der allseitigen Durchleuchtung und Prüfung wert und es scheint,
als sei die Zeit, in der man in behördhchen und parlamentarischen
Kreisen Über die Resultate der Volksschuleniehung in Zweifel gerät,
reif iiir ein Aufrollen derselben.
Stellen wir nun noch die Zahl der Klassen in den Mittel-
punkt der Erwägungen, denn gerade nach dieser Richtung will man
mancherlei Übclstände als Req^lcitcrscheinun^en finden. In grossen
Zentren, wie z. B. in Berlm, hat man die Zahl der Klassen an einer
Schule durchschnittlich auf 16, in vielen Fällen aber auf 20, 24
bis 32 vermehrt. Da redet man mit Recht von Schulkasemen, die
eine kasernenmässlj^^c Systematik Her Gesamt- und Ivinzclnfbcit, einen
gewissen Bürokratismus in Verwaltung und Leitung naturgcniäss nach
sich ziehen. Noch im Jahre 1860 schrieb Karl Schmidt in seiner
Enzyklopädie, ^ dass eine Dorfschule unter keinen Umständen mehr als
3 Klassen haben dürfte. „Die grossartigeren Schulanstalten", sagte s. Z.
Dörpfeld, dessen Schulideal das 4 Klassensystem war, „mit 5, 8 und
noch mehr Klassen, die wohl gar in öfTentUchen Blättern als deutsche
Mustervoiksschulcn gepriesen und von ausländischen Schulreisenden
besucht zu werden pflegen, sind in meinen Augen leibhaftige Schul-
ungeheuer, oäds^rogische Kasernen, Bildungs&briken, über die man
nur fragen leann: was hindern sie das Land?" An die Notwendig-
keit einer so weit gehenden Klassenbeschränkung glaubt heute
wohl kein Mensch mehr, vielmehr halten die meisten Tädagogoi
^) Auf jeder dieser Stufen muss angeschaut, geübt, angewendet werden. Diese
Untencheidung ist durchaus nicht zutreffend. D. R.
*j finqrUopidie des geMuniDtcn Ernehimgs» and Uoterrichtiwcieiii. 1859 bit 1S75.
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das 8 klassige System ab die voUkommenste Schuloi^nisation*
Ein dahinlautender Beschluss wurde zuerst 1878 auf der deutschen
Lehrcrversammlung in Frankfurt a. M. und bis heute zuletzt 1907
auf der hannoverschen Frovinzial- Versammlung in Goslar gefasst
und hier folgendes zum Audruck gebracht: »Die AufgaM der
Volksschule kann am besten in den Schulanstalten gelöst werden,
in denen, der geistigen Entwickelung des normalen Kindes ent-
sprechend, die Zahl der aufsteigenden Klassen der Zahl der Schul-
jahre gleicht*' Der Beschluss entspricht ganz den psychologischen
Grundlinien, die wir anfangs für die relativ vollkommenste Schul-
teilung') aufteilten. Dem zunächst mit dem 8 stufigen System
rivalisierenden 78tufigen rühmt man besonders eine grössere
MöMirhkeit zur Erreichung der I. Klasse und bessere, wiederholende
Festlegung des Schulpensums in der zwei Schuljahre fassenden
Schlussklasse nach. Nach eigenen Berechnungen gingen beim
7 stufigen System aus Klasse I ab 1903 85^/0. 1904 8o°/o. 19^5 8o**/o»
1906 83°/o, 1907 84°/4>, 1908 82% aller Vierzehnjährigen. Das
S\"^.tcm i'^t aber allein nicht nus^rhlaggebcnd ; es können hier die
mannigfachsten hintlüsse: Lehrerwechsel, Systemänderung, durch-
schnittliche Gesamtbegabung ganzer Jahrgänge mitreden. Das
letzte Jahr ist nicht nur Repetitionsjahr, sondern hat noch manche
wichtige neue Aufgaben iiir sich zu erHUlen. U. E. kann und muss
zu den 8 Stufenklassen, die als Systemzahl gelten sollen, bei Vor-
hanHcnsein gewisser Notwendigkeiten, wie Überfüllung einzelner
Klassen, Sonderpflege der Schwachen, die Möglichkeit gegeben
sein, die Stufenklassen durdi Einrichtung von ParaUdldassen zu
vermehren. Doch sollte auch mit diesen Nebenklassen eine Schule
nicht über 12 — 16 Klassen als Höchstmass hinausgehen, wenn die
Lehr- und Schülerinteressen nach allen Richtungen hin gewahrt und
die Ü beistände der Schulkasernen vermindert werden sollen. Eine
solche Schule würde jedem Schüler die Möglichkeit bieten, soweit
zu kommen, wie es ihm nach seinen Kräften und seinem Wollen
möglich ist Ein solche Schulbetrieb gewährt auch sonst mancherlei
Vorzüge sowohl nach aussen wie nach innen.
Nach aussen: Die heutige Zeit fordert schon des Ansehens
wegen ein imposantes Schulgebäude, und wenn auch die Hülle
nicht der Kern ist, so sieht man doch in grosser Klassenzahl mit
Recht eine Anwartschaft auf intensivere und weitere Bitdung. So
beugt auch die /irl klassige Schule in den Städten der Snrichtung
besonderer Vorschulklassen für die höheren Schulen vor und rückt
die allgemeine Volksschule näher. Erfahrungsgemäss werden die
Oberklassen vielklassiger Schulen von manchen Kindern über 14 Jahre
hinaus besucht, selbst von Freiwilligen aus benachbarten Orten.
Es bricht «ch im Volke eine Erkenntnis des Wertes der Volks*
1) Seile 137.
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— 19« —
Schulbildung Bahn, die vor Opfern an Greld und Zeit nicht zurück-
schreckt. Ein grosses Schulsystem ist stets und das ist ^on
ausserordentlicher Wichtigkeit für die innere Schularbeit — mit
mehr und wertvolleren Lehr- und Lernmitteln ausgestattet. Wie
ausserordentlich dürftig, ja traurig, sieht es in dieser Beziehung noch
heute in vielen ein- und wenigklassigen Schulen aus! Überhaupt
bedingt es die (jrösse des Systems, dass der panze Beirieb in die
Hände von Pädagogen ^rlmgen muss und von andern, ausserhalb
der Schule und des Lehrerstandes stehenden Personen nicht mehr
überschaut und dirigiert werden kann. Vit mehr- und vielklassige
Schule bringt das Prinzip zur Durchführung: die Schule den Päda-
gogen! In Betrachtung dieser Vorzüge ruft auch ein prinzipieller
Vertreter der ein- und wenigklassigen Schule aus:*) Die mchr-
klassige Schule überragt nach dieser Seite hin weit die einkiassige,
und wir dürfen zusammefassen : Der Gesamtbetrieb der mehr-
klassigen Schule dient, wenn eine zu grosse Klassenzahl vermieden
wird, zur Hebung der Schularbeit nach aussen und nach innen und
fördert die Selbständkeit der Vollcsschuie.
Scblttss.
Unsere ganze Abhandlung hat gezeigt, dass an der mehr- und
^nelklassigen Schule gewisse Nachteile gegenüber der wenigklassif^en
prinzipiell vorhanden sind und in praxi vorhanden sein können,
dass sie aber keineswegs vorhanden sein müssen oder im System
notwendig begründet sind, sondern ^etmelir durch pädagogische
und methodische Massnahmen vermieden und abgestellt werden
können. Andererseits ist unbestreitbar und bewiesen, dass sie \'ic!e
und bedeutsame Vorzüge besitzt, zu deren Genuss und Verwertung
die ein* und wenigklassige nie kommen kann. Um schöner
Theorien willen darf man jedenfalls die Wirklichkeit nicht vericennen,
und man muss sich der Entscheidung zuwenden, weldie die grössten
Wirklichkeitserfolge gewährleistet. Ks wäre gewagt, nun überhaupt
heute ein für alle Mal sagen zu wollen, welches Schulsystem das
absolut ideale und beste wäre, und welchem sich die Zukunft zu-
wenden wird. Die Frage der Schulorganisation wird Lehrer, wie
Land und Leute noch lange beschäftigen 1 Für sie passt aber auicb
so recht das Wort des Reichskanzlers Fürst Bülow: „Es kommt in
letzter T inie weniger, auf Einrichtungen und Massregeln an als auf
Persönlichkeiten 1"
0 Siehe FoAHiote 3, S. 136.
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IV.
Moderne Erziehungsroimuie.
Von M. Sobeffel, Dresden.
„Das zu entwickelo, was Gott in den Keim gdq^
Ist des Endehe» Amt, WoU, «cnn er*« iceht erwi(t.'*
Wahre Kunst muss ihren Inhalt immer in ihrer Zeit finden,
und ein wahrer Künstler schafft niemals losgelöst von seiner Zeit.
Er spricht zuerst nur das aus, was unbewusst in der Volksseele
lebt und ans Licht drängt. Biegsam und eindrucksvoll, ein Echo
für jede Stimme, fühlt er sich leichter hinein in das äussere und
innere Leben eines Volkes, und dann kommt ihm das Bedürfnis,
aus dem Lmpiindcn des Volkes zu gestalten. Alle Gedanken und
Träume, die durch die Volksseele ziehen, werden von Künstler*
herzen aufgegriffen und von Künstlerhänden gestaltet. So hilft
dann der Künstler, dass durch seine Darstellung auch in den Kreisen
der Nichtkünstler das dunkle Empfinden zu immer klarerem
Erkennen wird. Das gilt von der bildenden Kunst, wie von der
Dichtkunst
Was uns Menschen von heute bewegt, die grossen Probleme
und die kleinen Sorgen, die Leiden der Menschheit und des eigenen
Herzens, alles verwebt der Dichter in seinen Schöpfungen.
Auch der Roman soll ein Spiegelbild seiner Zeit sein. Er soll
die Fragen, die ein Volk bewegen, die Aufgaben, an deren Lösung
es arbeitet, die Schwächen und Mängel, die einer Zeit besonders
eigen sind, zur Darstellung bringen und so an seinem Teile mit
zum Kulturfortschritt seiner Zeil beitragen
Zu den wichtigsten Fragen eines Volkes gehören Bildungs- und
Erziehungsfragen, die darum auch zu allen Zeiten im Romane
behandelt worden sind. Von den bedeutendsten älteren Erziehungs-
romanen erwähne ich nur Rousseaus „Emil", Goethes „Wilhelm
Meister" und Kellers Grüner Heinrich", Werke, die nicht bloss
hterarischen Wert haben, sondern auch für ihre Zeit wichtig sind.
Rousseaus ».Kmil" erschien 1762, Goethes „Wilhelm Meister" (I) 1795,
Kellers „Grüner Heinrich" 1854. Wie Rousseau, zu dessen Zeit die
Unnatur in jeder Beziehung herrschte, in seinem „Emil" das Natur-
evangelium der Kr/iehung predigt, so fordert Goethe, als am Aus-
gang des t8. Jalirhunderts die innere Hohlht it und Haltlosit^keit
der damaligen Kultur erschreckend klar iiulage trat, als das alte
Haus zusammenstürzte und man die ersten Steine zum Neubau
zusammentrug, eine geschlossene, im Dienste des Ganzen tätig«
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Persönlichkeit, in der neben dem Lichte des Verstandes besonders
die Fülle des Herzens den Ausschlag gibt und den Wert bestimmt,
und so zeidmet Kdter in der Bfitte des 19. Jahrhunderts, als nach
den Frühlingsstürmen des Jahres 1848 eine starke Emüchterungr
und Enttäuschung eingetreten war, ein Bild jugendlicher deutscher
Welt- und Lebensauffassung, in dem ungebrochenes realistisches
Lebensbegehren mit der idealen Anforderung des deutschen Gemüu
zu innerer Versöhnung gebracht ist
Un nun zu den modernen Erziehungsromanen! Das Wort
„modern" wird in sehr verschiedener Bedeutung gebraucht Modem
ist ein Kleid, eine Frisur, ein Hut; man spricht aber auch von
moderner Wissenschaft, Kunst und Dichtuno;, von modcrricn
Geschäftseinrichtungen usw. In der ersteren Anwendung ist „modern"
f^eichbedeutend mit „modisch", ein modernes Kleid ist ein modisches;
in der letzteren Anwendung bezeichnet modern aber alles das, was
zeitgemäss ist, was dem Geiste und den Anforderung"en der Gegen-
wart entspricht, was von dem Überlebten entschlossen sich ab-
wendet und den Bedürfnissen der Gegenwart gerecht wird. In der
letzteren Bedeutung haben wir unser Thema aufeufa^en und zu
behandeln.
Nicht umsonst nannte Ellen Key, die bekannte Frauenrechtlerin
und schwedische Soziologin, die zur Krziehungs- und Schulreform
energisch Stellung genommen und ihre Ansichten darüber in einem
Buche niedergelegt hat, das infolge der radikalen Anschauungen,
die es vertritt, das höchste Aufsehen erregte, unser 2^italter das
„Jahrhundert des Kindes". Wieder wie in den Tagen der Herder,
Goethe, Schiller, Kant, Humboldt, Fichte, Arndt, Pestalozzi, Freiherr
von Stein, Schleiermacher wird die Erziehungstrage zur Sache aller
Volkskreise. Da treten Männer und Frauen auf den Kunsterziehungs-
tagen zu Dresden, Weimar, Hamburg zusammen, um durch die
Erziehung der Jugend neues Leben heraufführen zu helfen. Aus
allen Teilen des Reiches strömen Laien und Fachleute herbei zu
den Tagen für deutsche Erziehung, um in der Stadt der Klassiker
mit herzerfrischender Begeisterung, OfieiiheiL und Einmütigkeit das
Ideal einer deutschen, uideutschen Schule zu verkündigen. Gelehrte
und Laien beider Geschlechter vereinigen sich und suchen in allen
Schichtrn der Bevölkerung die Frkrnntnis zu verbreiten, dnss das
Kind ein Gegenstand höchster Aufmerksamkeit, liebevollster hursorge,
zärtlichster Liebe sein muss. Diese Erkenntnis hatte zur Folge,
dass man der Psyche des Kindes, der Psychologie des Einzelmenschen
erhöhteres, stärkeres Interesse zuwandte. Mit ehrfürchtiger Andacht
betrachten wir heute die ersten leisen Schritte, das frühe Werden
und Wachsen einer Kindcrseele — auch darin spiegelt sich nur
eine Sehnsucht unserer vom Hasten und Jagen übermüdeten und
deshalb wieder nach dem Einfisidien und Ursprünglichen sich
sehnenden Zeit
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Und so darf es nicht Wunder nehmen, dass auch eine neue
pädagogische Literatur ihren Platz an der Sonne sucht in Werken,
Broschüren, Zeitschriften und Reden, in Dramen, namentlich auch
in Erziehungsromanen emster Schriftsteller. Der moderne Roman
beginnt wiraer, nach dem Vorbilde unserer grossen Toten, die
Darstelliinp^ seelischer Entv/icklnnj;^ 7a\ werden. Wie der junge
Mensch m die Welt tritt, wie er mit ihr im Guten und Bösen fertig
wird, wie ganze Geschlechter wachsen oder vergehen, das ist das
Thema einer ganzen Reihe neuer und neuester Romane, die man
mit dem Namen „Entwicklungs- und Erziehungsroman" zu bezeichnen .
pflegt. In dieser modernen Romanliteratur, macht sich wieder eine
stark subjektive Strömung geltend. Daher blüht der bior:raphisch-
individualistische Roman, in dem der Verfasser ein Stuck seines
eigenen persönlichen Lebens vor uns entrollt, sei es direkt in der
Ichform, sei es unter der Masice irgend einer erfundenen Gestalt,
eines ,JH[elden". Die Erzähler versenken sich mit Andacht in die
Erinnerung an ihre Kinder- und Jugendjahre, wandeln mit ver-
träumten und verzückten Sinnen in diesem Paradiese und können
es doch nicht verbergen, dass sie nichts weniger als seine Wieder»
kehr wünschten. Ja, zwischen den Zeilen dieser Idyllen blitzen
nicht selten heftig und leidenschaftlich vorgetragene Reformgedanken
fiir die Jugenderziehung nuf Icr ['r/ähler verwandelt sich in einen
Prediger und Agitator, drr mit sciiu-n ri:_;crH-a Wunden und Beulen
warnen möchte, die kommende Generation denselben dornigen Weg
gehen zu lassen, den er selbst hat schreiten müssen.
Zweifellos bt das schön an dieser Bewegung, dass sie Fragen,
die früher nur nls ,,Fachfraf::;cn" ?::-nlten, in ihrer allgemeinen Be-
deutung erkennen hilft. Wenn nun auch die Dichter der praktischen
Erziehung im allgemeinen fernstehen und eigentlich keine „Fach-
männer" sind, also Personen, deren Urteil von Fachkenntnis nicht
getrübt ist, so sind sie doch, gleich den Philosophen, Seisucher
und Pfadfinder der Menschheit. Auch von ihnen kann man sagen:
,J>er Menschheit Würde ist in eure Hand p^' j^cben." Und so stellen
sich Aussprüche oder Darlegungen über Erziehung aus den Tiefen
gdstvoller Nichtp&dagogen, obgleich sie kein pädagogisdies System
enthalten, den beruflichen wissenschaftlichen Erziehungsschriften
doch ergänzend zur Seite. Manch richtigem Gedanken wird auf
diese Weise die Teilnahme der Allr^emeinheit und damit der Weg
zur Verwirklichung eröffnet. Wenn aber Erziehungsangelegenheiten
in Romanen besprochen werden, so ist damit noch nicht gesagt,
dass die dort vorgetragenen Grundsätze nun auch iicfatig sind.
Zweifelloa müssen die belletristischen Schriften, die Erziehungs-
romane für psychologische Erkenntnis niedriger eingeschätzt werden
als die Beobachtungen der psychologischen Vorgänge durch Männer
wie I iedemann, Sigismund, Preyer, i crez, SuUy, Tracy u. a, ; ihre
Lektüre ist abor d^ vieUach anregend, sei es, dass man den oft
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unerwartet scharfen Blick des Verfassers für sreli^rhe X'np.Tänj^c
bewundern kann, sei es, dass man im Cjcgensatzc hierzu erkennt,
wie leicht gerade auf diesem Gebiete falsche Beobachtungen
gemacht oder aus richtigen Beobachtungen falsche Schlüsse gezogen
werden.
\^on bedeutenden Entwicklunc^s und Kr/iehungsromanen, an
denen man nicht achtlos voriiherp^f lu n kann, nenne ich: J. C. Heer,
Joggell, H e r m a n n Wette, Krauskopi, Otto Ernst, Asmus Sempers
Jugendland, Hermann Anders Krüger, Gottfried Kämpfer, Emil
Strauss, Freund Hein, Hermann Hesse, Unterm Rad, Clara
Viebi}:^, Einer Mutter Sohn.
„Joggeli" ist ein Buch, das man in einem Zuge von Anfang
bis zu Ende lesen möchte, so spannend ist die Schilderung, so
reizend und natürlich seine Sprache. Zwar Leser, welche grosse,
absonderlich verschlungene, ungewöhnliche Schicksale, erschütternde
oder rührende Begebenheiten, effektvolle äussere Handlungen er-
warten, werden wahrscheinlich enttäuscht sein über die äusserlich
harmlosen und unwichtigen Ereignisse und Dinge, die sie in dem
Buche erzählt finden. Was jedoch in den Augen dieser Art Leser
als ein Nachteil erscheint, bildet gerade den Vorzug der Selbst-
biographie. Wohl siii i < s kleine Schicksale und Geschiditen, wie
sie jedes Kind etwa erlebt, die J. C. Heer erzählt, aber er stellt sie
dar mit einer IJebe, Gegenständlichkeit und .Anschaulichkeit, mit
einer feinen Beobachtungsgabe für kindliches Wesen und kindliches
Seelenleben, mit einer reichen Kenntnis der Kindes- und Jünglings-
seele; über den Dingen liegt ein solch frischer Glanz der Jugend-
erinneninfT dass die scheinbar unbedeutenden Geschichten und
Schilderungen den selbständigen Reiz fesselnder künstlerischer Dar-
stellung erhalten und in Tiefen blicken lassen, die dem Menschen
nicht oft erschlossen zu werden pflegen. .Joggeli" ist ein Roman,
den jeder Lehrer mit besonderem Grenuss und, vom psychologisch-
pädagogischen Standpunkte betrachtet, auch mit Nutzen lesen wird;
CS ist auch ein Ruch für Eltern wie kein zweites, und die Väter
und die Mütter, die sich nüt schwer zu behandelnden Kinder-
charakteren abquälen und verzagen möchten, sollen es getrost in
die Hand nehmen; sie werden Trost und Leliren daraus sdien.
Das Schlusswort: „O Heimat, o Jugend, x> Liebet" konnte man über
das £;:anze Buch schreiben.
In „JoggeU" hat J. C. Heer, der gemütreiche und liebenswürdige
Schweizer Erzähler, die Geschichte einer Jugend, seiner Jugend,
die Erlebnisse und die äussere und innere Entwicklui^ seiner
Innenwelt in Kindheit und Jugend xom Gegenstande eines fesselnden
Romanes gemacht. Er schildert in ergreifender Weise die „Irrungen
und Wirrun^en eines befangenen Menschenkindes, das, nur dem
Zuge der eigenen Seele folgend, durch seine Tage ging", die ganze
Sturm- und Drangperiode &es schöpferischen Talentes» den Werde-
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gang eines Dichters vom ersten Dämmern dieser seiner Bestimmung
an bis zur immer deutlicher werdenden „Zielstrebigkeit", ja bis
dahin, wo er sich siegreich, wenn auch mit schmerzlichen Wunden
bedeckt, zur Höhe seines aufwärts führenden Lebensweges hindurch-
fekämpft hat. Wir erfahren, wie Joggeli in dem wohlhabenden
chweizerdorfeKrug(=Töss) in trauhchem Heim bei guten Menschen
aufwächst. P'in frohes Kind, schweift er tiurrh \V'.ild und Feld,
lernt das Leben der Pflanzen und Tiere kennen und beobachten
und speiät so seinen Geist mit den iiuidrücken der hcnnaüichen
Natur und des dörflichen Lebens. Aber er ist ein Kind, das seinen
£ltem schwere Sorgen macht. Er ist ein Tor, ein Träumer und
Phantast, und sein in sich gekehrtes, unbeholfenes We-cn trä^'t ihm
VcrkennuHj^', Spott und Hohn, wohl auch Mitleid bei Kameraden
und Dorfbewohnern ein. Für das praktische Leben von vornherein
als untauglich erachtet, wird er auf das Gymna»um der benachbarten
Stadt — Winterthur — geschickt. Aber er ist ein seltsamer
Gymnasiast, von allen Seiten drohen ihm Missverständnissc. Selbst
der wackere Vater verzweifelt schliesslich. Und doch ist Joggeli
klug, durstig nach Schönheit und hungrig nach Licht. Aber für die
Schablone der Schule ist er schlecht gemacht. Dichter zu werden,
war seine dumpfe Sehnsucht; über dem Reimschmieden verpasste
er das Lernen. Vor abgeschlossener Studienzeit vom Gymnasium
geschickt, flieht er aus dem Elternhause, so dass auch in Joggeiis
Leben nicht ein Kapitel vom „verlorenen Sohne" fehlt. Der Vater
will ihn schon preisgeben, aber die Mutter, die ihr Kind noch immer
am besten verstanden, rettet ihn und bringt ihn auf den rechten
Weg, der ins Lehrerseminar Kuosen (= Küssnacht) am Züriclisee
mündet. Zwar «spinnt er auch hier, weil der Dichter oft hinderlich
im Wege steht, lucht eitel Seide, findet aber doch endlich teil-
nehmende Freunde und Lehrer, ja, einer derselben, der selbst
schriftstellerisch tatig ist, erfasst des jungen Mannes dichterisches
Talent und ermuntert ihn zu fernerem Schaffen. Eine stille, feine
KinderÜehe spielt hinein, eine Liebe, so still und fein und keusch,
wie dir des ,,(irünen Heinrich" 7u 'icni iioldscligen Schulmeister-
töchlcricm. Joggeiis Lehrcrcxamca lallt so massig aus, da^ sein
Vater nicht den Mut findet, den jungen Mann, wie dieser wünschte,
auf die Universität ziehen zu lassen. In einem Bergdorf beginnt er
seine Laufbahn als vSchul!c!>rpr, hat aber unter c!cn ktiOtigen Ochsen-
bauern bei wachsenden hntbehrungen und Demütigungen einen
recht schweren Stand. Schliesslich findet er den Weg zur Freiheit.
Krankheit und Mittellosigkeit brechen über ihn herein. Ein Aufent-
halt bd Verwandten am Adriatischen Meere gibt dem Halb-
versicgten die Lebenslust wieder, gibt ihm Gesundheit und Tatkraft
zurück. Seine Erholungszeit benutzt er zu fcuilletonistischen .^.rbciten,
die ihm den Weg in eine angesehene Redaktionsstube bahnen.
Aus einer Reiseennnerung von früher entsteht der Roman „An
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heiligen Wassern". Glücklich, über den Pass des Journalismus den
Weg zur freien Schriftstellerci c^cfunden zu haben, gedenkt Joggeli
an diesem Ziele voller Dankbarkeit aller derer, die ihm geholfea
und ihm in schweren Stunden Beistand und Ermunterung geschenkt
haben.
Das Buch enthält so recht eine praktische Pädagogik, eine
echte Laicnpädapof^ik. Wenn irgend ein Buch, so macht dieses
auf das schlagendste anschaulich, was eigentlich Heimatkunst
ist Alle die prächtigen Menschen, die Joggeli umgeben, wandeln
in diesen mit dem Herzen geschriebenen Blittem aum Greifen nahe
vor uns: die Eltern, denen der Verfasser sein Buch in liebevoller
Pietät gewidmet hat, und sodann die vielen Geheimerziehcr Joggeiis.
Die Umgebung des Kindes, die persönliche wie die unpersönliche,
die bcwusst erziehende wie die verborgen mit einwirkende, sie ist
der Schlüssel für viele Erscheinungen im Charakter joggeUs, die
ohne Berücksichtigung derselben unerklärlich sein würden.
Zunächst ein Wort über Jnrrrrelis Erziehung im Eltern-
hause! Da ';ehcn wir die Kcrngestalt des V'aters. Der kluge,
tatkräftige, charakterfeste, helläugige Vater, der aufrecht durchs
Leben geht, aber vielfach, durch Bttufsgcsch&fte gezwungen, in der
Fremde ..weilt, greift erst später in Joggeiis Leben ein. Er ist um
seinen Altesten schwer bekümmert und spricht in sorgenvoller
Stunde zu ihm: „Du bist ein rechter Exzenter, ein Rad, dass seine
Achse nicht in der Mitte hat Gewiss, es braucht Exzenter in der
Industrie und im Leben, aber noch viel mdir nindlaufende Rader;
jener hat man bald genug, und nur die stärksten Stücke taugen,
die andern kommen in den Abfall, grad wie die meisten Menschen,
die sich fiir etwas Besonderes halten und sich nicht in das schlichte
Räderwerk nützlicher 1 atigkeit fügen wollen. Darum wäre es besser,
du würdest trachten, kein Exzenter zu sein." Ein Freudenstrahl
bricht aber aus seinen blauen, leuchtenden Augen, wenn er von den
Dichtungen seines Sohnes sagt: „Sie gefallen auch mir, sie sind
gesund und zeugen von Lebensverstand. Ich bin überrascht, wie
du ihn dir erworben hast."
Auf die Jugend hat niemand grösseren Einfluss als die Mutter.
Es ist kein Zufsdl, dass fast alle grossen Männer mit schwärmerischer
Liebe und Verehrung ihrer Mutter gedenken, dass sie die tiefsten
Quellen ihres Seins als ein mütterliches Erbteil betrachten. Auch
in Joggeiis Leben war die Mutter, die strenge und doch so zart-
fühlende Mutter, eine gar tüchtige Frau von peinlicher Pflichtcrlullung
und grosser Liebe, der weitaus wichtigste Erziehunesfaktor. JoggeU
selbst schildert uns seine Mutter als eine Frau, in die er von Anfang
an wegen ihrer unendlich sonnigen, braunen Augen verliebt war,
als eine Frau, die viel dachte, aber wenig sprach, die bei aller
Arbeit, die auf ihr lastete, der unerschütterliche Vorsatz beseelte,
Joggeli zu einem Jungen zu erziehen, an dem Gott und die Menschen
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ein Wohlgefallen haben können. Höchst einfach waren die Mittd
der Emehung, besonders in den ersten Lebensjahren: Gewöhnung,
Gewöhnung und abermals Gewöhnung, vor allem an unbedingten
Gehorsam. JoggeHs Mutter zeigte in der Forderung des Gehorsams
eine Ausdauer, eine Festigkeit, wie sie die Mütter und wohl auch
die Väter nidit allzuhäuHg besitzen. Diese Matter zog aber im
Kampfe mit ihrem Kinde nicht, wie es so oft der Fdl ist, den
kürzeren; sie blieb auch gegen die Tränen im Auge ihres Kindes,
gegen die das vernünftigste Herz oft nicht gewappnet Ist, doch
Sieger; sie konnte aber auch, als Joggeli ungehorsam gewesen, so
innig beten: „Lieber Gott, du weisst, wieviel Hoffnungen ich auf
meinen Joggeli s^ze. Werni andere einen Narren aus ihm machen
wollen, so lulf du mir, dass ich ihn zu einem rechten Burschen und
Manne erziehe, meinem fernen Christoph und mir zur Freude.
Amen." Doch hat er noch viel Herzeleid über seine Mutter gebracht
Woher steigen die ^ueiieu des Schicksals? Die Tiefen sind
unerfoischlich. Niemand kann sagen, warum Joggeli ein Sonderling
wurde und über seine Mutter mehr Sorge und Kummer brachte
als seine Brüder, die so brav geartet waren das-; über sie kaum
etwas zu melden ist Die Mutter aber verlor j ie den Glauben an
ihren Sohn, so dass sie, als er ans Ziel gekommen, die Hände
faltete und sagte: „Ich wusste es ja schon als junge, glücldidie
Mutter, dass mein Joggeli einmal etwas Rechtes würde.'*
Vielleicht finden wnr einen Schlüssel für Joggeiis Jugendwesen
auch in den geheimen Miterziehern, die auf ihn einwirkten. Neben
den Brüdern, dem Onkel, der sich am liebsten Vetter „TeigafT'
nennen liess, war es dn Vierfolatt: die blonde, weichherzige Ms^ap
lena, <£e Schwester des Vaters, die dunkle, feurige Susanna, die
Schwester der Mutter, und zwei muntere, liebliche Bäschen, die
sich darum stritten wer dem Kleinen die Liebesdienste erweisen
dürfe, die em Bublein in den ersten Jahren notwendig hat, die ihm
so viel Volkslieder vorsangen, als er sich wünschte, und sich
bemühten, von der ganzen Verwandtschaft unterstützt, ihn aufs
redlichste zu verziehen.
Auch im grosselterlichen Hause finden wir einen Schlüssel für
Joggeiis träumerisches, grübelndes Wesen. Da grüssen wir eine
lichte, doch auch geheimnisreiche Gestalt: die Grossmuttcr. Die
Grossmutter ist eine schlichte Bauerin, zugleich aber eine gedanken-
reiche, biedere und sagenkundige Frau; sie ist die tiefinnnige
Philosophin im Bauemdorfc, die Gottes Frieden im Herzen am
höchsten hält. Das Bild der Grossmutler mit ihrem geheimnisvollen
Wesen und ihren bedeutungsvollen Liedern, deren tiefen Sinn unser
Dichter sp&ter an sich selbst erfahren, hat er mit besonderen Augen
der Lid>e entworfen. Die seltene Frau mit jenem sonnigen Humor»
der :!uweilen ihr run/liches Gesicht verklärte, umgab stets ein
„Sonntag von eigenartigen, schönen und grossen Gedanken", aus
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deren Fülle sie Joggeli gerne schenkte. Besonders gern lauschte
er den Erzählungen, Bauernregeln, Sinnsprüchen, religiösen und
weltlichen Liedern, mit denen die alte Frau ihre Hantierungen
umgab. In den Kammern des ^rosselterlichen traulichen Heims
hatte sich ein Arsenal merkwürciiger Dinge aufgespeichert. Da
standen grosse, blumig bemalte Schränke, in denen verblichene
Uniformstückc und al^elegte Trachten hingen, alte Wehr und Waffen
lagen, in denen es aber auch allerlei Gedrucktes und Geschriebenes
gab, alte Schul- und Gesanj^bücher, Pergamente, wohl meist Kauf-
verträge, aus vergangenen Jahrhunderten, mit kunstvollen, fast
handgrossen Staatssiegeln und angehängten Urkundenkapsdn, dazu
Hefte und Examenschriften mit altvaterischen Zierbuchstaben und
die Liebesbriefe verschiedener Geschlechtsfolgen. Während die
jüngeren Brüder sich besonders erfreuten an dem, was von Metal!
war oder als Werkzeug dienen konnte, wandte Joggeli seine Neigung
namentlich den alten Pergamenten und Papieren zu. Von den
Urkunden riss er die schönen roten Siegel, die auf einer zierlich
gepackt*™n Pnpierunterlap^e ruhten und in ifirem Geprä<^e die
Gestalten dic;ri Heiligen wiesen, die ihre abgeschnittenen Kopfe
auf den Händen trugen. Er betrachtete die Heiligen mit ehr-
fürchtigem Staunen. Doch einer der stärksten Ströme ^ing von
dem geheimnisvollen Wesen der Grossmutter auf den Enkel über,
aus ihren Worten und Liedern entwickelte sich in ihni ein bohrender
Forschertrieb, und wie weit sie ihm auch mit Scherzrede und
freundlichem Ernst entgegenkam, so war ihm doch, die Dcnkerm
gebe sich nicht aus, sondern behalte viele grosse und schöne
Geheimnisse für sich. Damm suchte er den Zusammenhang der
Dinge, die in seinem Sehbereiche lagen, auf eigene Faust zu er-
gründen, und da er die Gedanken der Grossmutter oft zu wörtlich,
Scherz für Ernst, dichterische Bilder für Wirkiichkeitsmünze nahm,
fiel er, ein kindlicher Tor oder kleiner Philosoph — wie man grad
min — auf die absonderlichsten Vorstellungen.
Der Grossvater war eine gedrungene, zahkräftige» sdiweigsamc
Ge<=ti!t Bei ihm war für einen neugierigen Buben nicht viel mehr
zu iiolcn, als ein freundliches Gewähretilassen in allen Dingen. So
durite sich der unverstandige Joggeli sogar an alten staatsmässigen
Kanzleibogen, an den zierlich veischnörkelten Examenschriften und
an den Liebesbriefen steinalt gewordener Basen, wie er die Papier»
schätze eben grad in den alten Kammern aufstöberte, vergreifen.
Auf die nicht beschriebenen Stellen malte er wintertagelang mit
dem Bleistift, was ihm einfiel, mit Vorliebe krumme, in sich
geschlossene Linie.
Zu den geheimen Miterziehern Joggeiis gehören auch die
interessanten fahrenden I-eute. durch deren Erzählen das Kind
zuerst zum Fabulieren angeregt wird, gehört auch der geschichten-
reiche Samenmann aus Schwabenland, der aus des kleinen Joggeiis
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wahren aufleuchtenden Augen dessen Dichterzukunft liest und die
schicksalsschwere Prophezeihung ausspricht: der wird ein Geschichts-
schreiber und Ticderflichter, und wenn cr's net wird, Will i nct der
Samenhändler Schuhmacher aus Göppinp^en sein!"
Und unter Joggclis Jugendji^espiclcn begegnen wir jener lichten,
lieblichen Mädchengcstait der FriedH und mit ihr der Geschichte
einer keimenden Jugendliebe, die Joggeli auch in die Lehijahre
hinein begleitet Friedli glaubt an ihn und hält treu an ihm, bis
dem Finden ein Verlieren folgt: das süsse Friedli stirbt, und
Joggeiis Schmerz wandelt sich in eine Menge Lieder auf der
Geliebten Tod. An dem Grabe der unvergessenen, früh von dieser
Erde abberufenen JugendgelielHien hat Joggeli sich geschworen, «n
fiir das Schöne ringender Mann zu werden.
Aber auch in das Idyll dieses Jugendlebens ragten Schatten
hinein, die so manches andere schon verdunkelten, Beklemmungen
aller Art, die beispielsweise dem jugendlichen Träumer aus schlechten
Schriften erwuchsen und ihn in den Bann einer Phantastin, der
Kartenschlägerin Lu Teifelein fiihrten.
Das waren die Eindrücke, die Joggeli aus dem nächsten Kreise
seiner Umgebung empfing und die geeignet waren, griiblerische
Gedanken in ihm zu wecken und ihn ZU einem Träumer, einem
Narren, wie viele meinten, zu machen.
VV'eiter empfing; Joggeli die ersten Eindrücke, die immer neue
Interessen und Schanenstriebe in ihm weckten und wach erhielten,,
in der Natur. „Der Müssiggang ist aller Laster Anfang", vielleicht
aber auch der Anfang aller Kunst Wenigstens hatte Joggeli das
Bcwusstscin, sein Lieblingszeitvertrcib , das Spazierengehen und
Flanieren, fördere ihn in allerlei Wissenswertem. Auf seinen ein-
samen Gängen betrachtete er tiefsinnig das Wurmmehl, das aus
hohlen Bäumen rieselt, den grünen Mistelbusch mit weissen Beeren,
der auf alten Obst> und Waldbäumen wuchert, die Quelle, die aus
dem Tufstein weint, die Maililie und den Frauenschuh in ihrem
Schweigen, die Tollkirsche in ihrem falschen Glänze die am Himmel
stehenden Sterne, und alles sprach wunderbar zu semer Träumer-
seelc."
Was will uns Lehrern das sagen? Es ist eine der erfreulichsten
Wirkungen der neuen pädagogischen Bestrebungen, dass sie uns
zwingen, dem Kinde klarere, reichere Naturanschauungen zu ver-
mitteln. Alle grossen Dichter und Künstler stehen in engster Ver-
bindung mit der Natur; sie ist die Quelle, aus der sie immer wieder
Frische und Kraft trinken. Alle echte Kunst geht von der An-
schauuf^, von sinnfichen Vorstellungen, von anschauender Erfahrung
aus. J. C Heer, der Schriftsteller und Dichter, wäre das nicht
geworden, was er tnts^rhlich ist, hätte er nicht in seiner Kindheit
und Jugend seinen Geist genährt im Anschauen der Natur. £r gibt
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uns nicht etwas ganz Neues; was er gibt, rückt er nur aus dem
Dämmer seiner Seele ins helle Licht des Bewusstseins.
Verleg^en wir darum die Schule so viel wie möglich aus den
vier Mauern hinaus in den Garten, auf die Strasse, in Wald und
Feld, ins Freie! Ks ist ein Unterschied, ob ich dem Kinde den
blühenden Apfelbaumzweig zur Betrachtung in die Hand geb^ oder
ob es von Tag zu 1 ag sieht, wie die kleine dunkle Winterknospe
schwillt und schwillt, sich bäumt und weitet, und eines Morgens im
Sonnenschein die schimmernde Blüte die Hülle sprengt. Welch
ein Unterschied, ob ich dem Kmdc ein Vogelnest in der Klasse
zeige, oder ob es an einem Busche steht, vorsichtig leise die
Zweige zurückschlägt und nun mit pochendem Herzchen in das
lebendige Wunder schaut! Wie und wo sich die Dinge in der
Natur vorfinden, wie sie werden und wachsen, wie sie leben, das
muss das Kind sehen. Der natürliche Zusammenhang der Dinge
ergreift den mensdilidien Geist und das menschliche Herz gewaltiger
und nachhaltiger, als irgend ein menschlicher Gedankenbau, als
irgend ein aufgebautes System. Der Lehrer der, mit seinen Schülern
eine Pflanze im Garten umstehend, an der Hand dieser Pflanze und
im innigen Zusammenhange mit ilir eine chemische, eine physikalische,
eine meteorologische, eine geographische, eine gärtnerische Unter-
weisung erteilt, gibt seinen Zöglingen ein Eilebnis, das sich mit
mancherlei Wuizeln in die Seele gHLbt; derjenige Lehrer dagegen,
der heute von der Haarröhrchenanziehung und ein anderes Mai,
ohne inneren Zusammenhang damit, von ihrer He Icutung für das
Pflanzenleben spricht, gibt im besten Falle Lehren. Darum hinaus
ins Freie l — Das bt das ganze Geheimnis der pädagogischen
Erneuerung. Eine Wiese, ein Gehöft, ein Acker, an dem ein Strom
oder ein Bach vorübcrflicsst, umschliessen so vieles, was ein Mensch
leinen, wissen und brauchen kann, und lehren dieses Wissen und
Können durch die Tat.
Auch ein solcher Unterricht wird vom Schüler Anstrengung
und Ausdauer verlangen. Man kann nicht „alles spielend lernen",
wie Erziehungsanarchisten und philanthropische Schwarmgeister
uns glauben machen wollen; lernen und sich vollenden wird niemals
ohne Mühe und oft nicht ohne harte Muhe sein. Aber Mühe schliesst
Freude nicht aus, im Gegenteil: aus der Mühe erblüht sie in den
reimten und kräftigsten Farben. Sollen die Mühen unserer Kinder
aber frohe Mühen werden, so müssen sie minder erzwungen sein.
Die Zukunft unserer Erziehung liegt im Freien und in der Freiheit,
im Schauen und in der Tat Die Anschauung, die hier gewonnen
wird, ist nicht eine papierene Anschauung, die statt der Gegen-
stände nur Bilder gibt Verlassen wir doch nicht zu früh die An-
schauung um der abstrakten Lehre willen 1 Wo aber keine An-
schauungen sind, da ist keine Klarheit, und wo keine Klarheit ist,
da ist weder Freude noch Freiheit des Geistes.
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Und noch ein Gedanke, der sich beim Lesen dieses Romanes
aufdrängt! Mit der Schulseik beginnt Joggdis Leidenszeit — er
wird nicht verstanden von seinen Lehrern Wahrlich wenn man
die Schul- und Lernzeit Jo^g^elis in der I Dorfschule, im Gymnasium
und im Seminare überbUckt, dann fällt einem das Wort schwer
auf das Gewissen: „Kinder sind Rätsel von Gott und schwerer
als alle zu lösen; aber der Liebe gelinget 's, wenn sie sich selber
bczwing-t." Ein wunderbarer Zauber liegt über dem Gchrimnis der
Kindesnatur, der immer aufs neue anlockt, dieses (jeheimnis zu
ergründen. Seit i'lato und Aristoteles, Locke und Leibniz, Hegel
und Herbart, Fechner und Lotze haben die Philosophen sich redlich
abgemüht, dieses Greheimnis zu enthüllen, den Inhalt desselben in
eine präzise Form zu fassen; aber wie interessante Aufschlüsse sie
uns auch dargeboten, der innerste Kern jenes Geheimnisses ruht
noch immer im magischen Dunkel wie zuvor. Wie verschieden an
Art und Fülle der Gaben, der Neigungen und Abneigungen, der
Tugenden und Untugenden zeigen sich nicht oft, wie wir im Eltern-
hause Joggeiis sehen, die Kinder eines Elternpaares! Daher nahe
sich der Erzieher dem Kinde als einem Rätsel mit Respekt vor der
geheimnisvoll waltenden und sich bezeugenden Kraft und studiere
mit heiligem Ernste an der Lösung dieses fleischgewordenen Rätsels.
Die Kenntnis einiger allgemeiner Erfahrungssätze, einiger pada«
gogischer Prinzipien und Maximen reicht nicht aus, jedes beliebige
Kind danach beurteilen und damit erfolgreich leiten zu können.
Nur bei gründlicher und ausdauernder Erforschung jeder einzelnen
Kindesindividualität wird der Lehrer in das Geheimnis jedes einzelnen
dieser Rätsel nach und nach einzudringen vermögen und das
Gemeinsame und Verwandte dieser Einzelrätsel erkennen können,
ai!s beiden aber Mittel und Wege zu einer fruchtbringenden
Erziehung gewinnen lernen.
Für die Eltern aber birgt das Buch „Joggeli" den Trost, an
einem Kinde, das ihnen in der S<^ule Soige macht, nicht zu ver-
zweifeln. Nicht jeder Primus in der Schule zeigt sich als Primus
im Lehen, und manche von denen, die oft auf der Schulbank uns
wie em Rätsel angestarrt, das all unsere pädagogis he Kunst nicht
lösen konnte, manche, die nicht auf den ersten, sondern nicht selten
sogar auf den bescheidensten Plätzen gesessen haben, erweisen sich
im Leben als die tüchtigsten Menschen.
Als einen weiteren Erziehungsroman, der zugleich kultur-
historische Bedeutung hat, ziehe ich in Betracht Hermann Wettes
Krauskopf.
Hermann Wette — praktischer Arzt in Köln — ist Münster-
länder, gehört also einem Menschenschlag an, der durch seine
Urwüchsigkeit und Bodenstandigkcit seinesgleichen in unserm
Pidagogwobe äMidi<>ii. JLXX. S. 14
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210
deutschen Vaterlande sucht. Damit ist von vornherein schon eine
Kratt und Naturwuchsigkeit gewährleistet, die erquickt wie eines
Quelles frischer Labetrunk. Wette ist, das gilt besonders vom
I. Teile, ein Meister der Daistdlungskunst; seine Sprache ist glodisam
ein Idarer, sprudelnder Bach. Und so haben wir vor uns ein Buch,
das ernste Gedanken anregt und doch das Herz, das ohne Hinterhalt
mitgeniesst, fröhlich macht {„Ja, beim Krauskopf kann man lachen,
wenn man das Lachen noch nicht ganz verlernt hat Und reine
Luft weht dort Reine Luft aber und herzliches Lachen, sie tun
dem Menschen gut, sie sind ihm gesund'*); es ist ein Buch, das
verstandige Eltern nicht anders als mit Gewinn und Dank lesen
können. Krauskopf ist ein deutsches Buch, ein Buch der echtesten
Heimatkunst — Land und Leute, Volksglaube und Volksbrauch des
eigenartigen westfälischen Gaues sind mit offenbarer Liebe gezeichnet
— ein Buch, das auch umstrahlt ist von dem Sonnenscheine dnes
herzwarmen, tiefen, sprühenden Humors, eines oft derben, aber nie
verletzenden Humors, eines Humors, der darum jeder Bitterkeit
und Schärfe entbehrt, weil er auf innigem Ernste ruht und uberall
vom Geiste der Liebe durchwaitet ist^ es ist ein iiucii vüü freier,
frommer Gedanken, in seiner Gesamtwirkung manchmal geradezu
erbaulich im besten Sinne.
Das ganze Werk stellt eine Lebensgeschichte dar, und in der
Entwicklungsgeschichte dieses Sprösslings aus Westfalenland, dem
katholischsten Teile Deutschlands, wo man auf die „luttersken
Dicidcöpfe und auf Bismarck schimpft'* erleben wir zugleich auf
kulturhistorischem Hintergrunde die Neubegründung und Entwidduog
des jungen Deutschen Reiches mit, spiegelt sich die Ära Bismarcks
ab, soweit sie die Ära des Kulturkampfes war.
Der erste Teil, den ich hier lediglich ins Auge fassen will,
erzählt uns die lündhcitsgeschidite, das erste Jahrzehnt des Knaben,
also die Zeit bis zu seinem Eintritte ins Gymnasium. Es ist die
Geschichte eines Knaben, der freilich ein echter Krauskopf ist Der
Schauplatz ist ein grosses katholisches Dorf auf westfälischem Boden,
im heiligen Münsterlande, in der Zeit vom Ende der Fünfziger bis
in die Neunzig des vorigen Jahrhunderts. Hier spielt sich die Ent-
wicklurig des Knaben, eines frischen, phantasierdcnen, warmherzigen,
dichteräch beanlagten, aus dem Dunklen ins Helle strebenden
Burschen ab, um dessen Seele sich die katholische Kirche in den
verschiedensten Vertretern besondere Mühe gibt. Eine Reihe, ja,
ein Reichtum von lebendigen, originellen, eigenartigen Gestalten
tritt auC Menschen von Fleisch und Blut, vmI Leidenschaft und
Tugend, voll Grott vertrauen und — Aberglauben, echte Kinder der
roten Erde, lauter zähe westfälische Dickköpfe, kirchenfromme
Katholiken, denen aber Kirr ficnstreit und Reijgionshader fremd
sind, Leute, wie sie der nur zeichnen kann, der unter ihnen lebt
«md webt, mit ihnen denkt und fühlt
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211
Und alle diese lebendigen Gestalten greifen ein in das geistige
Leben des Kindes. Die Umgebun'4^ in die unser Krauskopf hinein-
wächst, ist die Welt der deutschen Ratholiken in Rheinland und
Westfalen, sie ist der Boden, in dem die Wurzeln liegen, durch die
eine junge Menschcnpflaose ihie erste Gebtesnahning zieht Da ist
der Vater, schlecht und rech^ wissbegieri^ launig und behag^ch,
ein bürgerücher Ehrenmann, der, als Kaufrnann des Dorfes, mit
Gutmütigkeit, aber noch mehr mit bäuerhcher Srhlanlu-it nicht bloss
für sein ewiges, sondern aucli für sein zeithchei Wohl zu sorgen
weiss. Weit starker als der Vater tritt die Mutter in den Vorder«
(^nd, eine Frau von leidenschaftlich-nervösem Temperament» eine
kraftstrotzende Natur und, wie im Schimpfen, masslos in allem : im
Beten und im Arbeiten nicht minder als im Hassen und l ieben.
Abhängig von ihren Stimmungen, rasch wechselnd in dem, was sie
bewegt, ist sie namentlich ihren Kindern gegenüber ein edites
„Donnerwettermütterchen". Ausdrücke wie: Jung, it drech di den
Hals üm! oder: ,,Pass op, gliks pack di de Düwcl!" sind bei ihr
stehende Redensarten, denen j^ecfenüber da<^ Trommelfell der Kinder
freilich mit der Zeit verhärtet wurde. „Viel hüft viell" das gilt ihr
auch beim Beten. Der Rosenkranz üt ihr ein und alles. Das
Kaupterziehungsmittel in ihrer mütterlichen Hand bleibt: in die
Ecke mit dem Jungen und eine gute Anzahl Vaterunser gebetet!
Eine grundehrliche Natur, aber völlig ungebändi^t, kirchlich korrekt,
aber dabei voll heidnischen Aberglaubens und unserer evangelischen
Empfindung nach ohne irgend welches tiefere religiöse Gefühl 1
Einen besonderen Einfhiss auf Krauskopf übt seine erste
Lehrerin aus, „Stöfiferken", die zwar femer nicht Lehrerin bldbm
kann, auch nicht Mitglied des Jungfrauenvereins, von der wir aber
doch als dem herzigen AßC-Buchbengel mit dem Pfarrer sagen
müssen: „Sie war mit all ihren kleinen Fehlern eine vortreffliche
Lehrerin von nicht gewöhnUcher Begabung. Und sie hatte die
natürliche und walirhaftige Liebe zu den Kindern" — sie hatte, voU
Fröhlichkeit als der .leibhaftige Lachtri]!er" Verständnis für die
Kindesseele, sie hatte ein Herz fiir die Kinder, Von Krauskopfs
ReUgionslehrern lernen wir kennen den mehr m i eufclsvorsteiiungen
ab in Gottemdanken lebenden strengen Lehrer Ross, den Pfarrer
Wiemer voll Rottes- und Menschenliebe, den eifr^en Kaplan Sauvage,
der weder ein rechter Lehrer noch ein Seelsorger ist, voll geistÜrhen
Dünkels auf Min Amt, das er in mechanischer, toter Weise fuhrt,
die Religion zur Zuchtrute und den Beichtstuhl zur Folterkammer
macht Von allen Lehrern hören wir eine ausgeführte Katechese
über irgend ein Lehrstück, oft in Fragen und Antworten, die, obwohl
immer orin;inelI, auch für den röinischrn Unterricht gani charak-
tcristisch, doch entschieden des Guten zu viel sind
Weiter greift in Krauskopfs Entwicklung em lügenhafter Oheim
ein mit seinier plumpen Vcrstindnialotii^^ fir & Kindesseele.
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Die weitaus bedeutendste Gestalt, vor allem bestimmend für Kraus-
kopfs jungen Geist, ist sein Pate, der aufgeklärte, freigeistige und
— trinkfeste „Ohm Doktor" . der Schutzgeist des Knaben, ein
Mensch voll tiefer, eigener Gedanken, die er am rechten und un-
rechten Orte in begeisterter Rede auszuströmen liebt, ein treuer
Katholik von tiefer Religiosität, aber doch die Geheimnisse des
Glaubens sicli in seiner Weise zurechtlegend, ein Mann, der seiner
Kirciie, die er hebt und ehrt, zwar den vollen Respekt eines
Gebildeten zeigt, dem sich aber Gottesdienst und helle Weltfröhlichkeit,
Geradheit und Demut, Vaterlandsliebe und Treue gegen das Ober»
haupt der Kirche gern wohl zu vertragen scheinen und der den
verschiedensten Vertretern der Kirche entgegentritt, ein Mann endlich,
der in seinem Patenkind ein Genie wittert.
Unter so mannigfachen Eindüssen entwickelt sich der junge,
unbefangene Detmar. Treulich macht er alle Andachtsübungen
mit, setzt aber immer wieder die Mutter mit allerlei Fragen in
Verlegenheit. Seine Seele ist Eindrücken weit geöffnet, die Phantasie
ist rege - ein Künstler, ein Dichter steckt in ihm, und einseitige
Erziehung bildet reicher sein I räumen und Fühlen aus als An-
schauung und Verstand.
Da fuhrt ihn ein günstiges Geschick auf einige Wochen nach
Münster in die Familie eines Augenarztes, der evangelisch ist —
„luterske Dickköppe" nennt man solche im Dorfe und denkt dabei
unwillkürlich an das höllische Feuer — , und eine Flut kräftiger und
frischer Eindrücke von modernem Geiste, religiöser Freiheit und
Vaterlandsliebe dringt auf den Knaben herein, besonders durch die
Schwester des Arztes, die „dem Knaben eine mütterliche Freundin
wurde, die hernach dem JüngHnge mit Rat und Tat ver'^tändig zur
Seite stand". Soweit der i. Band. Der 2. Band, der die Entwicklung
des Knaben zum Jünglinge behandelt und ihn durch die
Biekkestedter Rektoratsschule, die Gaisfurter Klosterschule und das
Gjnnnasium zu Münster fuhrt, zeigt hauptsächlich Krauskopfs Kampf
um seinen Gottcsglauben, und der 3. Band umfasst die bewegte;,
nicht einwandfreie Studienzeit Krauskopfs. Der erste Tei! ist ein
feines, in seiner Schlichtheit prächtiges Werk, geschöpft aus dem
Borne reicher Lebenserfahrungen, dais Werk eines echten Kindel^
freundes und 'kenners, eines feinsinnigen Pädagogen voll sitUicb-
religiöser Lebensanschauung, und es ist in der Tat, um mit dem
Verfasser zu reden, „ein volkstümliches Buch"; denn was es enthält,
es wurzelt im ureigenen Wesen des deutschen Volkes. Was dem
Werke aber noch besonderen Wert verleiht, ist der von tief
religiösen Empfinden getragene (rnindgedanke, die Gottinnigkeit,
die so warm und üb^zeugcnd aus jeder Zeile spricht und es bei
aller gesunden, derben Natürlichkeit in eine höhere Sphäre hebt
Der religiöse Gedanke gewtntu Gestalt und Leben in mancherlei
Menschen. Der Protestant kann au^ dem Buche lernen, wie wahre
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— 213 —
und schlichte Frömmigkeit, wenn auch in anderen Formen, auch auf
katholischem Boden gedeiht. Nicht will ich darauf eingehen, wie
sich die grosse Zeit, in die uns „Krauskopf versetzt, in dem inneren
und äusseren i.ebensgange des Helden wiedergespiegelt hat; ich
will nur aus der Fülle der pädagogischen Gedanken des
Buches mit wenigen Worten das pädagogische Problem hervorheben,
das auch in der Gegenwart besonders stark in den Vordergrund
tritt: die religiöse Erziehung, bezüglich derselben die Aufmerksam-
keit aber nur darauf lenken, wie die kindliche Gottesvorstellung
Detmars an Sinnliches anknüpft. Ich weise diesbezüglich hin auf
Seite Ii6 des ersten Bandes: „Das erste Bild, das sich Krauskopf
von Grott machte, ging aus von einem glanzenden Punkte, der für
ihn und die älteren Geschwister eine grosse Rolle spielte. Dieser
glänzende Punkt war ein schönes, gelbes Bernsteinstück von der
Form und der Grösse eines kleinen Hühnereies, das, sehr sauber
und glatt geschliffen, im Innern ein grün schillerndes Käferlein barg.
Es gehörte dem Grossvater und war von ihm als einziges Erbstüdc
aus dem Elternhause mitgenommen worden. Herstammen sollte es
vom alten Bliicher, der es des Grossvaters Vater für eine kurze
Meerschaumpfcife geschenkt habe.
Den VVeckingkindern wurde es immer gelb und grün vor
Augen, wenn der Grossvater von seinem Schatze sprach oder ihn
gar zeigte und in ferne Zukunft dem verhiess, der der Tüchtigste
würde Das mochte denn wohl den älteren Geschwistern ein
kräftiger Sporn sein zu Fleiss und Artigkeit.
Krauskopf jedoch, obwohl der jüngste und nach ihrer Meinung
nichtsnutzigste, schlug ihn allen ein Schnippchen, und zwar mit
einem Nervenfieber, das den Fünfjährigen jählings packte und in
kurzer Zeit zu einem so elend magern Bürschlein abzehrte , dass
der Ohm Doktor immer bedenklicher den Kopf schüttelte. Da
aber sagte eines Tages, als der kleine Eigensinn die schlecht
mundende Arznei nicht nehmen wollte, der Grossvater zu ihm: Det,
wenn du machst, dass du wieder dick und gesund wirst, dann kriegst
du das Rlüchcrei I Und siehst du mich, kriegst du mich! schluckte
Det Arznei und frische Eier, soviel der (jrossvater wollte, und schnitt
also dem Tod eine lange Nase und bekam zum Lohne dafür das
herrliche Tauschstück des alten Marschalls Vorwärts zu eigen.
Da jammerten zwar die Geschwister bei der Mutter, um solchen
Preis hätten sie auch das Nervenfieber haben mögen. Und unter
sich schimpften sie. der dumme Junge habe das gar nicht verdient;
der Grossvater habe ihm das Geschenk auch nur gemacht, damit
ihm Krauskopf desto öfter auf die Knie klettern, um ihm die Beine
und den Magen zu wärmen. Im Geheimen jedoch suchte jedes von
ihnen dem Bruder das Prachtstück abzukungeln, und der eine bot
ihm eine Mundharmonika, der andere sogar einen FUtzenbogen
dafür.
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Krauskopf aber hielt seinen Schatz und hütete Ihn wie seinea
Augapfel. Tagsüber trug er ihn in der Hosentasdie» die er mit
einem von der Mutter dazu eigens ring^cnähtcn Knopf verschliesscn
konnte. Abends aber nahm er ihn mit ins Bett und schlief mit
ihm ein und wachte mit ihm auf. In seinen Träumen aber sah er
alles gelb; Häuser, Bäume, Wasser, Himmel und Wolken, alles
leuchtete wie durch den Bernstein gesehen, wenn er ihn gegen das
Licht hielt
Aus solchem gelbglitzrigen Traumwerk wurde er in einer
Nacht jählings empor^crissen von einem fremden Menschen, der
ihn samt Ober- und Unterbett grill und eiligst aus dem Hause trug.
Als er zur Besinnung kam, sass er in seinen Kissen auf der Strane
vor dem Amtshause. Nicht weit von ihm kniete Pastor Wiemer
und betete mit lauter Stimme um Beschwichtigung der Feuersbruns^
die im Weckinghause ausgebrochen war.
Krauskopfs erster Gedanke war sein Bernstein. Er war nicht
in seinen Händen und auch nicht in seinen Kissen. So fin^ er denn
kläglich an zu schreien: Mein Bernstein! Mein Bernstein! Da aber
niemand darauf hörte, und sich auch der Pastor, der seiner Gewöhn*
heit gemäss beim Beten die Ohren mit den Fingern zuhielt, nicht
um ihn kümmerte, so schlich er in seinem Nachtkittel bis an die
Treppe des Hauses, um ins Schlafzimmer zu seinem Bettchen zu
gelangen, worin er den Bernstein liegen wusste.
Aus dem Hause aber stürzte ihm in grösster Aufregung Mutter
Nettchen entgegen, über und über beladen mit Gegenständen, die
sie vor den Flammen zu retten suchte. Da schrie denn Detmar
wiederum: Mein Bernstein 1 Mein Bernstein ! Mutter Nettchen aber,
in der An^^st. er möchte in das brennende Haus gehen, schrie
dagegen: Juagc, ich dreh dir den Hais um! und trieb ihn zu seinen
Ki»en zurüclc
Dort fand den Jammernden Schwester Katharina, die ihn
beschwichtigte und ihm zuredete, ruhig zu sein, sonst könne der
Herr Pastor das Feuer nicht besprechen. Er selber solle flcissijj
mitbeten, damit der liebe Gott alles zum Guten führe und ihm auch
seinen Bernstein wiederschenke. Das tat Detmar denn auch, bis
er einschlieC
Mit einem seligen Gefühl, das er bis dahin nicht gekannt hatte,
wacht er andern Morgens in einem fremden Hause auf. Er hatte
die ganze Nacht den lieben Gott gesehen, wie er als feuriCT^frelb-
glänzender Bernsteinmann mit dem Kopf und dem Gesicht Meister
Rohrs — des Schreiners des Dorfes, bei dem Krauskopf besonders
gern war und der im Volksmund Mester Härgott genannt wurde ^
auf einem bernsteinernen Throne sass und ihm sein Blücherei ent-
gegenhielt. Wirklich hatte Krauskopf beim Fnvachen sein Kleinod
in der Hand, das sich in seinem aus dem Brande geretteten Bettchen
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— 215 —
wiedergefunden hatte und dem Schlaleiiden von Katharina in die
Rechte gedrückt worden war.
Da betete denn der Knabe zum erstenmal das „Vaterunser,
der du bist in den Himmeln" mit lebendiger Vorstellung und
wirklichem Dankgefiihl gegen Gott, der ihm über Nacht persönlich
geworden war.
Diese erste Vorstellung von Gott als einem schönen Bernstein»
mann mit Meister Röhrs lockigem Haar und Bart hat sich so lange
bei Krauskopf erhalten, wenn <=i\rh auch dessen Starre, unbewegliche
Ruhe bald in lebendige Tätigkeit verwandelte.
Diese Verwandlung hing zusammen mit dem Baumeister des
neuen Hauses, Fritz Surholt
Als dieser mm den Bauplan bradite, auf dem nacb. Doktor
Weckings Angabe im Stil des westfälischen Bauernhauses das neue
Weckinghaus gezeichnet stand, wünschte Vater Hermann manches
daran geändert, und vor allem statt des einstöckigen ein zwei-
stöckiges (lebäude, das weniger Bodenftächc einnehme und doch
mit dem Laden und der Wohnung des Kaufmanns die Räumlich-
keiten des Ackerbau treibenden Landmanns in sich vereine. Und
sofort setzte sich Meister Surholt an den Tisch und entwarf in
kunrer Zeit eine neue Zeichnung. Dabei sah Krauskopf zu, und
sein Erstaunen wuchs mit jedem Striche des Bleistifts, den er auf
dem Papiere entstehen sah. Das hatte er noch nie gesehen, und
er (ragte deshalb ein über das andremal: Meister, wie machst du
das? Der aber deutete weiterzeichnend zur Antwort mit dem
Zeipefinr^'er der linken Hand nach seiner Stirn und von dort nach
oben himtneiwärts. Und sofort war Krauskopf klar, dass der liebe
Gott, droben auf dem Throne zitzend, Häuser, Schlösser, Kirchen
entwiirfe» die dann nach seinem VfJUHea auf £rden von den Menschen
ausgefiihrt würden.
So entstand aus dem ersten, in starr ruhiger Majestät thronenden
Gotte in Krauskopfs Vorstellunc^ ein tätiger Weltbaumeister, der
ganz nach Wunsch alles aus der Erde hervorzauberte, was er nur
wollte."
Warum ich gerade diesen Gedanken herausgreife? WeU in
unserer Zeit, in der uns an nichts mehr liegt, als den Faktor genau
zu kennen, der Zentral- und Brennpunkt alles Unterrichts, aller
Erziehung ist: das Kind, die gesicherten Ergebnisse der Psychologie
auch bestimmend werden müssen für die religiöse Erziehung des
Kindes. Art und Wesen unseres Refigionsunterridits stammen aus
einer Zeit, wo kein Erzieher daran dachte, das Kind als die Haupt-
person bei der Erziehung anzusehen, sich also auch nicht gedrängt
fühlte, über die Natur und die P'ähigkeiten des Kindes sich genauen
Aufschluss zu verschaffen. Dagegen geht man jetzt mit einer
gewissen Spannung an die Untersuchung der Frage: In welchem
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— 2l6 —
Verhältnis steht der heutige Religionsunterricht zu der von der
Psychologie aufgewiesenen Beschaffenheit der Kindesnatur?
In Bezug auf die Entwicklung des religiösen Gefühls im Menschen
Stellt die Fäychologie den fundamentalen Satz auf: der religiöse
Standpunkt des gebildeten Erwachsenen ist durch
eine lange Entwicklung'; von r^em des Kindes getrennt
Darum kann ein Krwachsener sicli nicht darüber wundern, dass
seine Religion von einem Kinde" nicht begriffen wird, oder, anders
ausgedrückt, dass an dem psychologischen Unvermögen des Kindes
alle Bemühungen der Erwachsenen scheitern müssen, die darauf
abzielen, dass dem Kinde beizubringen, was sie selbst bewegt.
Wenn nach einem biologischen ( icsetz der neueren Naturwissen-
schaft die Entwicklung des Ein/.ciwcsens in einem gewissen
Parallelismus steht zur Entwicklung seiner Gattung, so wird es uns
um so glaubwürdiger erscheinen, wenn die Psychologie behauptet,
dass die ReHgion, besser die Gottesvorstellung, des Kindes so sinn-
fälliger Art ist, wie die der Menschheit in ihren ersten Anfängen
oder wie die der jetzt lebendigen Völker, die sich noch auf den
ersten Stufen der Kultur befinden. Darum hat des Kindes Gott
denselben Namen wie der, den die Erwachsenen im Herzen tragen,
aber er sieht dennoch ganz anders aus als dieser. Das Kind denkt
sich Gott unter dem Bilde eines Menschen mit Vorzügen und
Fehlern rein menschlicher Art, Gott weiss alles, sieht alles, kann
alles, Gott vcrgisst, er trägt ein schönes Kleid, er ist gerade nicht
zu Hause, isst und trinkt Es geht dem Kinde wie dem Krauskopf
mit dem lieben Gott, es geht ihm auch wie Asmus Semper, von
dem Otto Ernst erzählt : ,,Sein Vater war doch ^^cnau wie der liebe
Gott . . . dieselbe breite Stirn mit einem hcnUcii vollen Kranz von
grauen Haaren darum, dieselbe kräftige Nase, derselbe grosse Bart '
usw. Wird es uns da nicht ohne weiteres klar, wie das, was das
Kind vom höchsten Wesen in Haus und Schule horti ihm zu leer,
zu tot ist und wie sein frisches (Tcfuhls- und Sinnenleben es daher
ausschmückt; wie uinnöglich es dem Kandc und gar erst dem
kleinen Kinde ist, sich in die geistige Religiosität eines Chrislen-
menschen hineinzufinden, wie eine tiefe Klmt gähnt zwischen der
herkömmlichen religiösen Unterweisung und den Anlagen und
Kräften der Kindessecle? Will man diese Kluft überbrücken, so
heisst es einfach, sich der Natur des Kindes anpassen, sich herab-
lassen zum Kinde. Rudolf iiildebrand kannte daher die Kinder-
seeien genau, als er schrieb: „Dieses stille Gemütsleben, das cBe
leeren Hälsen ausfüllt, das wäre eigentlich der HauptarbeitsstofT des
Lehrers, ich meine, in dem und mit dem er zu arlieiten hätte."
Darum werden wir auf der Unterstufe dem Kinde nur solche
Stoffe bieten, die seiner Gottesauffassung Rechnung tragen. Hier
erzählen wir ihnen von dem lieben Gott, der im Himmel wohnt,
der nicht selten auf die Erde steigt, um die Guten zu belohnen und
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die Bösen zu bestrafen oder die Menschen zu prüfen, der mit
Abraham im Schatten vor seiner Hütte zu Mittag isst, zu dem
hinauf in den Himmel eine lange, lange Leiter führt, auf der seine
Englein auf> und niedersteigen. In diesen Geschichten lebt ein Gott»
den ein Kind begreift und versteht, den es sich vorstellt als einen
Mann mit weissem Haar und gütigen Augen. Und solche Grcschichteo
finden wir in den Geschichten des Alten Testamentes.
So lernen wir also für unsern ersten Religionsunterricht aus
„Krauskopf", was Rückcrt in die Worte gefasst hat:
„Des Kiodes erster Trieb ist sinnliches Bedürfen;
Eni «pitcr widut die Kmft «a geiitisen Entwflrfm."
SeUttM folgt.
B. Kleinere Beiirige und Mitteilaiigen.
L
Die Bedeutung Montaignes für die Pädagogik unserer Zeit.
Von Dr. Heinricb Pador.
Michel Sdgneur d« Hontugne ftanuDt «u «inem ütbaaMMsm Adels-
geschlecht, aher sein Erzieher war ein DeQt.schcr, der sehr gut lateinisch, aber
k*»in Wort franzöfich sprechen konnte, und Montaigne selbst bezeichnet lateinisch
als seine Mattersprache. Und in der Tat erinnern seine Erziehongsgrands&tse
in ihrer litttiAhaa -Strenge en tlttfitniidM Voiiiilcler, ud in der Art» wie sie die
BUdaag des QewisMis vor allem entnben, an deatsehe Nationaleigenachstteo.
Wenn msn die Montaignescbe Erziehongslehre liest, so glaubt man manch-
mal, sie sei in unserer Zeit für nnsere Zeit geschrieben «o «flir trifft ^^io nft den
Nagel aaf den Kopf bei der Geisseiung von Erziehangasciitideu. Vieilach freüich
sagen wir uns auch, dtm wir über solche barbarische Zeiten hinaas sind, dass es
■It der Bnriehong besser gworden ist Wenigstens sind seit MentaigM eine gaase
stattliche Reihe von bedeutenden Pädagogen aufgetreten ; ob aidit nur die Lehre
der Erziehung sondern auch die Praxis d^r Frziehung besser g:eworclen ist
freilich eine andere Frage. Besonders aber, iusoferu Montaigne einer der ersten,
wenn nicht der erste war (seine Essajs [im erste Buche das Kapitel „Dit Er-
debvBg der Kinder] evsehienen bereits im Jahn ISBO^ weleher die nenaeitliehen
pldagogischeii Qinndsltse «ngespnwheii hat, lohnt es sieh, auf ihn inriick-
ngnifen.
In den letzten Jahren hat man der Pädagogik wieder einmal vorereworfen,
da^is sie bei dem Unterricht einen zu grossen Nachdruck auf das Gramatikaiische
ucl Phüolegisehe lege, dass sie den SchtUer mit einem Wort — WiaMn be-
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reichere, statt das sie ihn erziehe nm^ hüde. das« »ie einseitig das GedAThtni"; fibe.
Hört-n wir, waH Montaigfi'' im .lahrr loH) darüber safft: „Vier oder füui Jahre
lehrt mau um Worte venüeiieu uud zu batzen verbiuden; uugefälir ebensovi«!
Zeit ▼eibringOD wir damit, «in grttaMVM GaniM io vier oder Anf proportiowle
Teile zu teilen, nnd aUMMdin mlndesteas noch aadere fünf Jahro, vm n leriM,
wie sich die Worte kurz ordnen und in apitafindi^^er Weise versetzen lassen . . .
In der Tfit, die Sort^j^falt unserer Eltern zielen nnr darauf hin, uns den Kopf mit
Wissen auszuäiaiüereui ob wir auch Urteilsluaft und Tugend erlangen, darnach
frm^ man wenig. Wir arbeiten nur daranf hin, dai Godiehtnie so tttllen, snl
lassen dabei Verstand und Gewissen leer ausgeben. Wir sind gewOhnt ra fragen:
Versteht er Griechisch uud Lateinisch? Schreibt er in Versen oder in Prosa? Ob
er jedoch besser uud verständiger geworden sei, was doch wohl die Han|itaache
wäre, danim kümmern wir uns nicht."
Montaigne gibt vni hier nicht nur etwas Negativeii soiidani aneh etwas
FotttiTes; er tagt oas niebt nnr, was wir an miterlaaeea, aendein au^ wai wir
zu tun haben, and darin rnht der besondere Wert seiner Gedanken Uber Ernehong.
]Bs ist ja klar, dass nns das Wissen an und für Hieb nirhts ni^tsdi kann, wenn
wir es nicht in unser Fleisch nnd Blut übergehen lassen, für unser Leben nuti-
nieasen nnd edtor nnd toUkommener werden. 80 kann s. B. die Lektttre von
„De ottciit** Ton CHcero dodi mir den Zweeit haben, dem Scbfiler Fttditbogriii
nicht nnr beizubringen, sondern ihn anntstacbeln, diesen Pflichten gem&ss la
leben. Andernfalls haben wir nur Unterricht und Lehre, aber Veiue Erziehung
nnd Bildung. Deshalb führt Montaigne an: „Zenxidamns antwortete jtimandein,
der ihn fragte, warum die Lakedftmonier ihre Vorschriften der Tapferkeit nicht
aduiftlich abfaiaten nnd der Jngend an leaen giben, ee geoehebe, um letstei« an
Taten niebt an Worten an gewöhnen." Das ist wie für nnsera Zdt geschrieben,
die viel zu sehr sich um Worte kümmert nnd riel «n wenijr nm d^s Handeln,
Tun nnd Leben. , .Erkenne dich selbst lernt der Schüler: aber dieses W^ort sa
kennen nutzt nichts, sonderu nur das, was es sagen soll, zu können hat den
Wert Wenn ea nnn Saeba dea blooMn Unteiriehti ist, daa , JLenaen** m labien,
•0 iat ei Sache der wahren finiehang, znm „Können'* anzuregen: „Wir könnea
wohl sagen, so spricht Cicero; so handfltn Pinto da<i «irid Worte de«; Arist^jtels;
allein, wa« sagen wir seiht? Was urteilen wir? Was tun wirr Jeuee konnte
ein Papagei ebensogut uachsagen wie wir." £s mag wohl beute Lehrer geben,
weieba bei dar Iiektttf* der Platoniadian Dialoge in der flobolatabe den Weit
darauf legen, dem Sehttler Sitae Iflr dae Leben mitaageben, lenchtende Toibüd«
edler Gesinnungen zu dem Zwecke, dass der Schüler diesen Vorbildern nacheifert
und nachlebt, aber im allgemeinen tut man das nirht Man lässt vielmehr die
Platonischen Dialoge nnr Tom philologischen äundpunkt aus lesen. Natftrli^
nmaa man, aba man na feien kann, dia Wdrtar nnd dia Oiammstlk dar Skinebi^
in der lia geaebrieben aind, gelernt Imben: diea aber betrifft nnr dia Ventnib
and die Vorfaedingang. Der Zweck der Lektttre aber ist, die hohe Moral und t
Philosopliie, wHohp jene Dialofr^' darstellen, für das eigene Leben za verwertea.
Bieranf — das kann ganz unumwunden ausgesprochen werden — wird in der
Sniehnng zn wenig Nachdruck gelegt Wenn man einwenden Wirde, dass jene
Koni flr uaeta Zeit niebt mehr paaaa^ ao wllxda man damit aagmi, daaa dima
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ganiA Lektflre imd folg'lidi «aeh die Erlennug der griechischen Spnehe — denn
fflr grammatikalischen nnd formellen Unterricht würde die Mntlenpnuhe Andl
grattgen — unnütz sei. Dies ist aber durchaus nicht der Fall.
Ähnlich ist es Übrigens auch mit dem archäologieokeu Unterrieht in der
grieeUieheB Kiiiiit. Dereelbe nMe gntwtder des Zwmk habm, dea
SehtUar kBniUeilieh und iathetiaeli oder aiittel1»r eCUieb uunngan und m
WIden. Statt dessen ist aber auch hier der philologische Masaetab fast allein
mas.<)gebend. Es kann nns wenig nützen, die Statne der Venns von Hilo sn
kennen, wenn wir nicht durch ihren Anblick zu den gleichen oder ähnlichen
Snipflndmigea augeregt weiden, wie «ie der SdiÖpfer hatte, wenn
uuer ScbOnheitflsinn gebildet wird und wir telbet dadoreh ms imieilioh w-
edeln.
Dieser Ansifht i^t Mnntnif^Tif» , nnd sein Tdoal igt daher ein*» Frziehnng,
welche nicht durch Worte, sondern durch Handlangen eraieht, welche nicht nur
sn Worten, sondern znm Leben erzieht. In diesem Sinne sagt er: „Es ist sehr
bemerkenewevt, due die TortreflU«^ und in der T^t Uniieht]ieh ihrer Ycdl-
kommenheit auf^serordentliche Gesetzgebung des Lykurg, welche doch die Sorge
für die Erziehung der Kinder als ihre wichtigste Auferabe betrachtet, der Ge-
lehrsanikeit so wenitr gedenkt, gleichsam als ob diese hochherzitje Jagend sich
nur der Tugend hätte uut«irwerfeu und statt unserer Lehrer der Wissenschaften
nnr Lehter der Ta]»fer1ieit, Klngbeil nnd Oereehtiglteit bitte exlialten nrileB,
welchem Beispiele auch Plate in seinen Oesetzen gefolgt ist Ihre Methode be»
stand darin, den Schülern Fragen Ober die Urteile und Handinngen der Menschen
zu ütellen und sie die Gründe augeben zu lassen, weshalb sie eine Person nnd
Handlung verurteilten und lobten. Sie haben den kürzesten Weg einschlagen
woUen, und dm die WieMUchaften, Mlbst wenn man aie rieh nnf geradem Weg
angoeignet hat, nns doeh nnr Klngheit, Bedlidikeit nnd SntsdilotMaihdt Mtren
können, haben sie ihren Kindern von vom herein Vorteile verschafft und sie nicht
durch Hörensagen, sondern dadurch iks« «jp dieselben selbstfindig im Handeln
sich versuchen lieesen, belehren wollen, und aie nicht allein dorch Vorschriften
vid Worte^ aondem hnnptalehlieh dnreh ihre Bei^ele nnd fhi» Werke gebildet
nnd für das Onte gewonnen, damit dasoeHie bei ihnen nioht blom dn Wiiseft
wbe, sondern ihnen zur Natur und zur Oewohnheit würde, damit es nicht ein
enTorbener, sondern ein natürlicher Besitz w-firp Als mau in bezncr hiemnf (?inst
den AgeaiiaoB fragte, was nach seiner Meinung die Rinder lernen n]üf:sten, war
seine Antwort: „Was sie tun sollen, wenn sie erwachsen sind." Ich denke diese
herrtichen Worte kOnnen noch snf fBnfsig Jahre hinaus nns Anregong svr Yer»
bessernn^ unsefer Erziebunt^smethoden geben. Im reinen Unterricht werden sie
sich ja «iliwerpr <lnrr!:führen lassen und sind 'Ii nn^h gar nicht am Plrtt^p. aber
überall, wt» laau Erziehung, nicht nur Unterricht erstrebt, vor allem in allen
Pensionaten und Erziehungsanstalten, welche ihre Zdglinge in Pension haben.
Gerade fttr nnsere Zdt, welche, wie man sehen oft mit Beoht betont hat, grosse
nnd feste Charaktere braucht, gilt dies, eine Zeit, in «eleher anderseits es doppdt
schwer ist sich zum Charakter zn bilden Wenn es nnumstfisslich ist, dass den
Wert des Menschen nicht das Kennen «^(uidtTii dm Können bestimmt, SO haben
jene Grundsätze für unsere Erziehung Cieitung zu beanspruchen.
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— 220 —
Montaigne berührt an jenen Stellen auch, wie wesentlich in der Brnehimg
das Beispiel des Erziehers ht. Und in der Tat erzieht nicht dieser nd»»r jener
GegenAtaud, die» oder jenes Bnch, Kunderu der Lehrer, welcher es bcnaudelt. Das
lebeude Beispiel ist in der Enadiang beinahe alles. Davon wissen alle filtern
ein Lied m singen; das Kind ikhtet ridi niolit daaneli, ob es iliin genfiik wird
oder nicht, das es nicht lUgen soll, sondern danach, ob seine Eltern lügen oder
nicht lügen. In (liesem Sinne sagt ppÄt«r Locke in seinen . ^Tedanken über Er-
ziehung'' (§ 90): „Es kommi darauf an, div^ä der Erzieher seinem Schüler ein
beständiges Vorbild gibt and, was dieser zu erstreben und zu werden hat, ihm
nieht bloee lehrt» mideni in seiner gansoi PenSnIiehkeit s^eiehsem vorlebt/* Dieiet
Ansicht ist auch der deutsche Pädago^'^ Dieisterwe^^, der aus eben diesem Grunde
empfiehlt, dass als Grundlage des Religi« n^uuterrichte:« ein Buch dienen .'■oll,
welches die Darstellung' des Lebens Jesu mit allen praktischen Momenten erhiilt.
Selbst der Religionsunterricht rerfulgt ja heute vielfach nur den Zweck, dea
SehlUer mit Wiesen vollsnetopfen, etotl iluk rittlich in veredeln: „Ee gelt nnd
gilt noch bis in die neuste Zeit hinein, du Gedlchtnie mit dem Katechismus m
n&hren. Diesen Kaiechisnma lässt man nnn auswendig lernen nnd herplappem
,auf8Rß:en", wie es, zur Schande der Pädagogik, noch in uiauchen Schulen
Katcchisierstubeu und Kirchen zu hören ist Wer dieses Schnattern mit den
Lippen einmal gehört het» vrird ee «ein Leben lang nieht wieder vergeeeen. Wae
fttr ein Werk ist das? Sisn>l>ws'belt nnd Tantalnaqnal — daa anigeanehte Mittel,
den Kindern, und namentlich den besten, Schule, Kirche nnd Rcli^rion nach Wahr-
scheinlichkeit auf ewig zu verleiden Es ist nnd bleibt ein nni^eheurer Wahn,
den Beligionsnnterhcht an den Katecausnui::» zu knüpfen" usw. (Die^terweg). Hier
kann man Dieoterweg dnndi Montaigne erg&uzen: „Beim Religionanntenieht
darf daa Fhilologiicbe keinen Banm einnehmen, der Bdigionsnntenieht mnm
Sittenunteriiebt sein mit dem aUeinigai Zweck, den Sehttler anm Leben an er>
aiehen."
Auch den Gedanken, der sich durch die neuen pädagogitichen Systeme wie
ein roter Faden zieht, den Oedanken der Individnalität, findet man aobon bei
Montaigne nnd awar gana klar anagesprochen. Znm Teil war daa achon ana
den oben angeführten Stellen erkennbar. Man aber erst das Folgende: „Ich
stelle meine Einfälle nnd MHinnntreTi nh das hin wn« ir-h für \v:\hr halte, nicht
als das, was überhaupt fiir wahr geuiiltcn iüt. Ich beabsichtigte, mich selbst ztt
zeigen, wie ich bin, morgen bin ich vielleicht ein anderer, weuu neue Belehrung
mi^ indert" Woin aomit Montaigne daa Becht der Individvalitit fttr aieh adbet
in Anspruch nimmt, verlangt er auch die Währung desselben bei der Sraidrang:
„Ich wünschte, dass der Lehrer von Anfang an den Zögling, den er zu bilden
hat. seine Kraft nach seiner Befuhi{*itnq: selbst erproben lasse Er wirke zu
diesem Zweck darauf hin, da^ts derselbe selbst Geschmack an den Dingen hude,
lie aelbtt wKhle nnd vernttnftig nntencheide; bald aeige er ihm den Weg, bald
lasse er ihn denadben adbat rachen. Wir sind alle viel reieher ala wir glimbea.
Allein, man ^cwtihnt uns an Boffzen nnd Betteln, man leitet uns an, uns mehr
der Kräfte anderer als unserer eigenen zu bedienen." — Auch hierhin berühren
sich spätere Erziehuugalehrer, wie Kousseau, Locke, Fröbel, Herbart, P^talozzi,
Comenina, Lagarde, Kliuggräf, mit Montaigne. Bei Locke im besonderen, dem
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— 221 —
Philogopbeil derjeni^n Nation, welche das grOwt» fodiTidllAlität.sbcv^nisgtsein htt^
bildet die Entwicklang der Intüvidualität das Hauy)tt1i»'?na der Erziehiin^r^lehre.
Ich erwähne endlich noch das, was Montaiefne über die körperliche Erziehung'
der Jugend, die ja beute so in den Vurdergruud tritt, »lagi. Auch hierin lassen
mIm Aniiehteii nicht den Fmuioaeii v«nftt«ii, «ie eriimen dtnOf dus ihm das
Altrömiscbe sozusagen mit der Muttermilch eingeflößt wurde: „Man ersieht nicht
ein<^ Seele, nicht einen Leih, poudern einen Men.schen. . . . Lehrt euren Zögling
Aiistrenffuu^en, Kälte, Wind und iSonue ertrajfeu und Gefahren verachten. Ent-
wübnt ihn aller Weichlichkeit und Verzärtelung in der Kleidung, im Schlafen,
im Eigen nnd Trinken; gewMmt ihn an nllei^ «r tei nidit du aufgeputzter,
geckenhafter Knabe, sondern er aei ein Mecber, kiiftiger Junge. So habe ich
in der Jagend als Mann nnd Oreis gedacht nnd gearteilt. Anf die Spiele und
Leibesübnnsren, das Laufen, das Ringen, die Musik, der Tanz, die Jagd, das
Reiten und die Führung der Waffen, werden wir grossen FM»s verwenden. Es
iit bewondcnmgvwttrdig, wie wAs ekdi Plate in Minen Qewtien mit den Wett-
llnfen, Spielen, OeiSngen nnd Urnen beeohiftii^ von denen er lagt^ die Altertum
habe sie der Obhut und dem Schutze der Götter selbst, des Apollo nnd Minerya,
riht^rtreben. Er verbn-it^r "ich in tausendfachen Vorschriften über die pyronastischen
Lbuugeu; bei den \Viiisen:jchaiteu hält er sich nicht lange auf, und besondera
scheint er die Dichtkunst nur wegen der Musik an preisen." <
Nnn, heute nimmt ja die Spielbewegung in Deutiehland einen teit ungeehnten
Raum im OfientUclMn Leben sowohl wie auch schon in der Praxis der Erziehung
ein. dank dem uuermüdlichen Wirken «les Zeutralausschnsses für Ju)?eud- nnd
Volkstf])ieIe, und seit einigen Jahren sind auch an den meisten Uniyersitftten Kurse
für Volksüpiele eingerichtet
Alle« in allem kann man nnr das «inganga Gesagte wiedetholen, daw
Montaigne wie ein Mann encheint. als g^cht fttr unsere Zelt. Der Glaube an
Autoritäten einer vergangenen Zeit darf zwar ein gHwiH«*^" Ma«s Tiicbt überschreiten,
aber doch tut man gut, wenn mau seine eigeneu Ansichten luir dtnen von
M&anem, deren Ruhm Jahrhunderte überdauert, belegt und stützt, und anderer-
leite mnn man sich heecbimend M^en, daaa eoriet von dem, was edion im Jahre
1660 gedacht, geurtflUt und gefordert wurde, auch heute noch nnr in Bflchem
8t«-'hr Wir ,, wissen" es, wir sehen die Berechtigung ein, wir fordern es sogar, —
aber wir tun es uir bt ,.Wer meinen Annichteu gemftm bandelt," sagt Montaigne,
„hat mehr Vorteil davon, als wer sie bloss weiss."
n.
OigM «• SdMHMHHMrahr.')
Ein nenes Mittel im Kaii^pfe g^en die ächundiittiratur wüi die Deutsche
Okhter-Oedftchtnis-Stiftnng in Hamhnrg-Groesboffltel anwenden. Wer die Snt-
<^ Auf Ersuchen des L Vonitienden der DentBchen Dichter-GedAcbtnie-
suitung autgenommen.
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wicklnn? nTisrer kultnrellen Verhältnisse mit Aufmerksamkeit verfolget, wird mit
wachsendem Sebreckea bemerkt haben, daas die Schundliteratur immer weitere
Yerbreitaog gewinnt. Durch Tausende von Kanälen wird sie dem Volke zo-
gddtet Iii lUiiiUigen Papi«rwftraiibtadliiiigw und kleiMB Zig»miilid«ii, donh
fliegende Händler auf deu 5f!entlich«li PUtetti nnsrer QnMMtidte und Kleinstädt«
werden die „Detektiv" }! .fte, die ^Intimen Geschichten" und wie alle di»!8e
Sammluntjen beissen, zu iO oder 2Ü Pfennigen das Heft verkauft, um dann ihren
vergiiteuden £inüns8 in der Seele des Volkes aussuüben. Die Behörden and die
XOrpMidiAftai, di« lioli die Vertmitnng guter Uteratnr n» ZIaI« ««Mtak kAtm,
können gtgm ümt Pett einstweilen nnr weni^r anaridrtfln. Um to mehr aber teilte
die gute Literatur ein Anreizmittel benutzen, das von der Schundliteratur mit
dem grö88ten Erfolge angewandt wird: die Illustrierung. Unser Volk hungert
nach bildlicher Darstellung der geschilderten Vorgänge. Wenn ein Heft schon
nnf dem UnechUg ein dumetiseb bewegtet Bild trägt, so itt et niiienden Abtetaet
nna» iiebrer. Hier will die Dentiebe Diehtar^iediditnit-Stlftnng eineetien. Se
hat es bisher ans künstlerischen Bedenken meistens vermieden, ihre Bücher
illnstrieren sa lassen, abor «ie bar »ich damit ganis ebenso wie die ^W!»'!»bftdener
YoUubttcher", die „Rbeiniäche Hauübücherei^ und andere billige Sammlungen
einet fcxlftigea Zugmittels beraobt« deeten eie «vf die Daner im Kampfe gegen
die Sebnndliteratnr nieht entbebran kann. Jetat hat die Dentidie IXebtei^
Gedächtnis-Stiftung beaeblossen, nm anch dieeea Mittel gegen die Schnndliteratar
in Anwendiini,' zn bring-f^n einige neu»' Reft^ ihrer „Volksbürhf'r"' von Könttkr-
hand illustrieren zu iaasen. Das preui^sii^ctie Lnterrichts-Ministenum hat diesen
Versuch in dankenswertester Weise durch Zuwendung einer Geldunterstütsung
ennOgliebt,
So werden denn zwei „VolksbQcber" der Deutschen Didlter-Oediebtnit-Stiftun£r
erschoiiipn, die literarisch wertvolle Erzählungen in gediegener Aumtattusg und
von Kuustlerhand illu-striert, dennoch aber zu billic^sten Preisen darbieten. De«
im Jahre 1^07 verbturbtiuen Adolf Schmitthenner dramatisch bewegte Novelle
„Die FrllbgloQke«, die in Heidelberg im 16. Jabibnndert spielt« ist von Prot
Wilhelm Schulz in München illustriert worden. Die Bilder sind dem Text ein-
gegliedert, riiicH wird ausserdem al.s Titelbild den üm.schlag schmücken. Da«
andre mue Hett der „Volksbücher" der Stiftung enthält eine launige Erzählung
von Jb^rust Joh. Groth, nDia Kuhhaut", die eine heitere Episode aus dem
dentechen Militirleben im Kriege 1810/71 nnd naeb dem Kriege mit ktatliebam
Hnmor schildert Dieees Heft ist von dem Maler Og. 0. Srier illnstriert nnd
wird ebenfalls mit einem üm^chlagbilde versehen sein. Die Schmitthennentche
Erzählung wird geheftet nur 20 Ff., gebunden 60 Pf. kosten, die Grothsche
Krz&hlung geheftet 16 PI, gebunden 40 Pf. Die Bücher sind durch jede Buch-
btadlong oder gegen BSnsendnng des Betrages an ^e DentadM Diohter-Oedlebtais-
Stiftung, Hambnig4}i«etbertM, nm ditttr edbit M bemeben. Jeder Feind der
Schundliteratur mag dazu beitragen, dietet neof Vitlei im Xaa^ gegen die
üble Literatur nach Kräften an benntien.
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— 223 —
G. BeurteUmigeii*
FrlBkel, EraityÜberVorstelliings-
elemen le und Auf merk lam keil.
Ein Beitrag snr experimenteUen
P8ycholo(rie. Inaag.-IMaMrt. Aogl-
burg 1906. 246 S.
Der Verf. stellt sich die Aufgabe,
flzpefhnentell d6f Ffagc iriUier bq treten,
ob die fandacnentalen EiiTf^nsi haften
der Aafmerksamkeit and der .neusorielle
Grandebarakter in engren Beziehnngen
zneinander stehen, sich vielleicht :^ar
gegenseitig bedingen. — Seinen Ver-
■nehen unterwarf er 10 Persoiwil:
ß normale, 3 debile nnd 1 erwachsene.
Er unterwirft sie verschiedenen Unter-
su Imngsmethoden der neueren Psydio-
iogie: Methode der Stömngen, der
Hilfen, des Silben- nnd Wortlemens,
des Zählens nnd Dorcbstreichens von
Silben and Buchstaben, tachisto-
ikopischerÜBtersacbvngen OberFization ,
Flnktuation der .\ufnierksamkeit n. a.
▲nf Grand soner aasserordentUch la*
wllMigoB and vnftkngniQlMii Be*
obachtniigen charakterisiert der Verf.
dann die typischsten Versnchspersonen
hilrichtfich ihrer Vorstellnngseiemente,
Utter Aufmerksamkpit nn l beider Be-
liehangea ontereiuauder uud knüpft
daran didaktische Folgeningra. Die
Kardinalfrage seiner Arbeit: I^t die
Anfmerksamkeit das PrimiLre uud sind
die Vorstellnngselemente das SeknndAre,
oder, sind umgekehrt die dominierenden
Gesichte und Gehürsbilder uud die ihnen
eigenen Gefühle für die AnfmerkBani-
keit bedingoid? erfolgt auf der Grund-
la^ Mesmuin'Layscner Anfmerksam-
keitstheorie die Antwort: Das eine
Sind fasst vor aUea Dingen da«
AlHMtiMhe, das aadm« dts Optiiehe
auf^ weil diese Eindrücke leichter in
sein Bewosstaein eingehen nnd lebendiger
iarii haften. Ihircli diese Leiehtigkait
des Eindringens in das Bewusstsein
entsteht natnrgemäss eine Lnstempftn-
icBmgt M oft die vorhandenen IHe-
positionen nnd Neigongen der inneren
Begabang durch die ihnen entsprechen-
den Funktionen anpreregt und bereichert
werden. Durch diese Funktionen und
ibre L'buag entwickeln sich dann die
natfliiichen Anlagen, das Talent immer
mehr, welch letzteres aber nie und
nimmer aus der „Schärfe der Sinne'*
nud der „Unterschiedsempfindlichkeit '
allein sa erklären ist. Erste Bedingang
ist nnd hleibt die lebendige nnd be-
wtrjliche, intensive Anschauungsvor-
8tellun(r, die sich als treues Gedächtnis
nnd leichte Beprodolrtion»- und
Eombinationsfähigkeit für beitinnnte
Sinnesgebiete äussert.
Fränkels Untersnchnngen ^ben
auf ein psychologisch - pädagogisches
Kapitel von grösster Bedeutung: die
Typenunterschiede des Anschanens und
des (ledächtniHfes. Ibr Hanptverdienst
i»t, dass sie eine Reihe von Beobachtungs-
metboden aui eine geschlossene Gmppe
von Versuchspersonen vereinigen und
sorgsam durchführen. Die Resultate
zeigen vorzügliche Übereinstimmung
und bilden eine Bewähnmg der
Xekhoden.
Dr. Joh'8 Köhler, Zur Einführang
in dieezperimentell« Peyeho-
logie. Zwei Vorträge. Gerde« und
Hödel, Berlin Ibüö. 32 S. U,6U M.
Verf. zeigt in seinen Vorträgen, die
er im Fortoildungskuraus der Lehrer
des östlichen Odenwaldes gehalten hat,
Wesen und Bedeutung der experimen-
tellen P^jehologie für den praktischen
Pädagogen. Er geht von konkreten
Beispielen aus, im 1. Vortrage von den
Wundtschen Komplikationsversuchen
QLompUlEationfabr) nnd den tachiato-
nopisoben Beobaehtnngen der Wundt-
schen Schule, im zweiten von dem
Weberschen Gesets. — Die klare Schrift
kann dem Stodinm warm empfohlen
werden.
Kiel. M nrx Lohiiea.
FlUgel, 0.9 Moniimns nnd Theo-
logie. Dritte, nmgearbeitete Aufl.
der spekulativen Theologie der Gegen-
wart. XV u. 413 S. CSthen 1906^
0. Schulae. Pr. 7 M.
Flügels Buch ist nicht minder fUr
den Pi4agogen, wie für den Theologen
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— 224 —
Ton ^'To^^^em Interesse. Ts Im leuchtet
die Kernfraffen der Theologie, Philo-
flophie und Ethik und flllirt mitten fai
die Bewegnnpcn der Gei^^enwart, die
in ihrer Mannigfaltigkeit uud Tragweite
leicht Terwirren. von festem Stand«
punkte ans prüft der Verf. die ver-
schiedenen Richtiiuijen. Er weist nach,
wie weit der Monismus verbreitet ist,
indem er die Gedankengäiiirp der
firefeiertsteu Theologen, Philusopheu uud
Natarwi8«enßchafüer klarlegt, und zu
Avokhen Eonsequenzen der weithin
herrschende Moniamiis führt. „Es gibt
nur das Entweder-oder : Tlieisnius oder
Atheismos. Was dazwischen liegt, ist
dan unklare, traninhafte Denken des
Pantheismus oder Monismus" (S. VI).
Der Verf. kommt in seinen Darlekttogen
auch anf Peyeholngisehes und EtAiseliee
fz. B. in den Kninteln ,,Gliinben und
FUrwahrhalten" — „Religion und Sitt-
lichkeit"), an dem pftdagogische Rich-
tungen der Gegenwart .'»ich scharf
echeiden. ,.Gehen Glauben uud Wissen
nebeneinander her?" Es wird betont,
dasf HiT'h rf>li,'7i'<')e Gefühle von relitjiüser
Erkenutnis uhnaugig sind; üassKeligiuu
nicht nur Sache des tnbjdttiven Ge-
nusses sein darf, wenn sie einen festen
Halt bieten soll, oft den einzitren Halt
im Leben und im Sterben. Der Verf.
erweist die Unvertrftglichkeit des
Monisrnns mit dem Olanben an einen
persönlichen Gott, an persQnlicbe Ub>
sterhiichkeit, an einselbständiffeaSeelen«
weeen. Ja ruhiger, klater Oedanken-
fUhninp: tr*^t - : len Widersprächen
nach, zu denen der Monismus führt, und
kommt zu dem ErgebuisAe : „Wire das
AIl-Eine wirklich vorhanden, dann wftre
es ein iogiücheü und moralisches Un-
geheuer. Jeder moralische Meaadl
müsste sich hfUen. demselben zu dieBen,
oder es zn verehren" fS. 148).
Das Studium des Buches ist aufs
wftnnite so empfeklea.
Im Änschlusfi an Flüprels Buch
möchte ich eines vor mehreren Jahren
erschienenen Bnehes gedenk<m. Et Ist
ein Band der unter dem Sammeltitel
„Lebensfragen" von H. Weinel heraus-
gegebenen SchriftMi and Beden:
Otto,R., Prlvatdozent Llc, Natura-
listische und religiöse Welt-
ansicht. Tübingen 1901. Mokr.
Pr. g-eb. 4 M.
Der Verf. i.st bestrebt zu erweisen,
dass die Forschungsmethode und die
Gesetze der Natnrwi.'*«en«ch!ift nicht
auf das Gebiet der GeisteHwisseuächaiieo,
insbeaondere das Gebiet des Relisriöasn
tibertragen werden dürfen und kr.nn»»n.
Er tut das mit einem Aufwände gr*».<*er,
aber nicht nngeniessbarer Gelehrsamkeit
Das Stndium des Buches setzt einen
nicht unbedentenden Grad philosophi-
scher Bildung vorau.*^. .\nc:eiiehui bf-rührt
die ruhige objektive Betrachtungsweise
des Yerf
Rein , Prof. Dr. W. , G r u n d r i s s
der Ethik mit Bezieliuug auf
das Leben der Gegenwart.
2. Aufl. Osterwieck 1906, Zickfeldt.
Pr. geb. 3,80 M.
Wenn man vom Monismus ans nicht
zu dem (Thmben nn einen persönlichen
Üott gelangen kann, so muss auch eise
auf den Moniimus begründete Ethik
der Peieönlichkeitsbildung hinderlich
sein. Die Sittlichkeit darf man nicht
aus deneelben Prinzipien ablöten, wie
die theoretische Weltanf>chanung : Ronst
tfelangt man znm sittlichen Evolutionis-
muH. T)arüber anr Klarheit zu gelangen,
ist eine der vornehmsten Pflichten de«
Lehrers und Erziehers. Die Bildung
der sittlich-religiösen PeraSnlicbkeit als
Erziehnn<>:sziel anerkennen und dem
sittlichen Evolutionisuius hnldifiren. ist
ein Widerspruch. Eis scheint, ddps in
der Berufsbildung der Lehrer die Ein-
führung in die Grundfragen der Etbik
noch nicht die notwen 1 " l."^' Berflrk-
sichtignng erfährt. Ein Maugel in
dieser Benehunr mura dnreh PriTst-
studium ansge^glichen r 1 u. Diesem
Zwecke su dienen , ist das oben an-
fezeifirte Buch Heins wobl veagnet.
)cr Vrrf vertritt den Standpunkt der
idealistischen Ethik Herbarls. Diese
Ethik steht nicht in einem Gegensatn
cur christlichen Ethik, vielmehr kann
durch sie der Religionsunterricht wie
tberbaupt aller Gesinnnngsunterricht
an Klarheit und Wirksamkeit nar
gewinnen.
EncyklopSdischesHandbucb der
Pädagogik, her. von Prof. I>r.
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— 225 —
W. 1t«iii, 8. Aufl., 6. Ba. 8. HMfte,
6. u. 7. HJ. Lan(?:'nsa];':a, Beyer u.
Söhue. Pr. des HaJubaiides 7,öU M.
Der 2. U&lbband des ö. Bandes bietet
irertvolle Artikel (Lehrerinnenverdne
bis Mondart in der Volksschule). Ohne
Nachteil könnte jedoch auch dieser
Band durch Wegfall «ner Reihe von
Artikeln entlastet werden (Leichtsinn,
LiebentiM ürdigkeit, Linkisch , Listig,
Lttmmel, Lustigkeit. Luxus, Mftkel-
sncht). Der. Artikel „Liebe" trüge
besser die Überschrift: „Geschlechts-
liebe'. Von den wertvollen Arbeiten
seien besonders genannt: Lotze (von
Schwertfeger), Löge (von Trflper),
Luther ivm Kefcrsttiu , Mager (von
Bliedner), Mitgefühl, Mitfreude, Mitleid
fwn Flügel) , MoxialmitMri«ht {Ton
Temming;). Mundart in der Volkucniile
(von Meuges).
Auch folgende Artikel des 1. Halb-
bandes d>^s f). Banil» H bieten dem Päda-
Sogen wenig: Mutwille, Neckerei,
iederträchtig, Nachgiebig, Naseweis, •
Oberflächlich. Unter dem Stichworte
„Naturerziehung'' tindet sich sehr Ver-
schiedenartiges beisammen. Es er-
scheint nicht zweckmässig, der Knnst-
miebnug die Naturerziehung gegen-
überzustellen. Einen wertvollen Be-
standteil dieses Bandes bilden die
Artlltel von Dr. Th. Ziehen: Knnkliafte
Muskelunnihe. Mntacisnius, Nächtliches
Aafüchrecken , Nahrungsverweigerung,
üerfmsjstem, Nenrasthenie. Ont unter-
richten über ausländisches .Schulwesen
die Artikel: Neugriechit^ches Schul-
wesen (von Oikonomos). Niederländisches
Schulwesen (von Bos), Norwegisches
3chulwe8en (von fünf Verfassern),
Osterreieh. Sclmlwesen (von Homich).
Willkommen anch sind die Biographien
von B. Ch. L. Natorp {von P. Natorp),
Joh. Fr. Oberlin (von Eugenie Oberlin],
Aug. H. Niemeyer (von Bein), Fr. W,
Nietzsche (von Weoer). Interessante
Versuche, den Lehrgang auf geschicht-
licher Grundlage aufsubaoen, bieten:
Kieniti-OeiloffT „Natnrfesehiehtlioher
Unterricht nach historischeu Gesichts-
punkten"; Albrich u. Capesios: Natur-
jehre anf geschichtlieker Orandlagfe.
Beicheren pädagopi^-rhen Inhalts ist
der 2. Ualbband z. B. in den Artikeln:
Philosophische Pädagogik (W. ReinX
P&dagogik und Medizin ( Koch u.TräperX
PMagOfiMlM Studleo. ZXX. S.
FIdagogische Presse (Eillmaan, HOhene
Schulwesen, Zieg^lcr, Volksschulwesen)^
Parallelgrammatik (Homemann), Panp
noia (Ziehen). PersSnIichkeit des Ldiren
(Lan:: I'estalozzis Pädagogik (NatorpjL
Feätulozziä Psychologie und Etmk
(Uphues), Pflanzenphjsiologie in dar
Schale (Schleichert), Phouetik (W.Victor),
Phonetik beim Lesenlemen fSpieserj,
Physiologie und Pädagogik f Schaf erj,
Physiologische Psychologie (Th. Ziehen).
Weshalb aber die Artikel: Parteiisch,
Patzig, Pedantisch, Pfiffig, Plump,
Possierlich Aufnahme in das Handbuch
gefunden haben, ist nicht recht ein-
zusehen.
Anf folgende Artikel des 7. Bandes sei
hiernoeh Imigewlesett : Prinxenersiehiing
(E. Meyer), Privatlektihe rWolgust),
Pubert&tsirresein (Th. Ziehen), Psycbo-
mthisches in lundesleben (TrUper),
RettungsanRtalten (v. Rhoden), Rezen-
sententum in der P&dagogik (VV. Bein),
A. RitBchl und seine Schule in ihrer
Bedeutung für die chri.siliche religiOse
Erziehung (Katzer), B4>uiiseau (£. v.
Sallwürk), Schopenhauer (0. FlttgelX
Bochow iKlähri, Schularzt (Borg^rstelll)^
Schulanfsicht ^Hiutner).
Oh sich der Gedanke wohl tsp-
wirklicheu Hesse, neben dem viel-
bändigen Encyklopädischen Handbnche
eins zu schaffen, das im Unifan^re etwa
dem .^dneu Meyer" oder dem „Kleinen
Broekhans" entspricht? Ee wllrde airf
alles mehr nur Historische Terzichten
und das die Q^cnwart besonders
Bewegende in den Tordeigrand stellen
müssen.
Barthf Dr. Fral, Die Elemente der
Erziehungs- und Unterrichts-
lehre. Auf Grund der Psychologie
und der Philosophie der Gegenwart
darge.siellt. 2, durchffesehene und er-
weiterte Auflage. Leipzig Ibüö. Joh.
Ambr. Barth. Ar. ?^ M.
Die 1. Auflage dieses Buches ist in
den Päd. Studien 1906, S. 869-878 be-
sproeben worden. Dort wnrde n. n.
bemerkt, dass die I^ar t* uuiig des Ver-
fassen weniger den Eindruck des Ver-
saefas, ein nenes Sjwtom antenstelleit,
macfif. vielmehr den Eindruck einer
gründlichen und besonnenen Revision
hBVvtslehlieher Leistungen und Be-
•tremmgen «af dem Gebiete der Pida^
16
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— 226 —
^ü^'ik in der Vergaugenheil min in der
(iejfenwart. Im folgenden »oll nur auf
die Ürandlage des neuen pftdag<i«i«chen
Systems hingewiesen werden, un Vor>
Worte zur 2. Aufliii:' ij^ der Verf.,
du« er nach seb&rferer Srotematisie-
nm^dmOansafn gMtrebt hsoe. „Ferner
sollte die Philosophie, auf der dieses
(ianze rab^ klarer hervortreten. £^ iat
die« in der firkeontnistheorie der Neil'
k^Mitianisrnns A. Riehls, der dorn
i'ositivismns sehr »ahe kommt, in der
allgemeinen Weltanschauung die Ent-
wicklungslehre, wie sie nach manchen
Vorg&ngem für die Natnr und die Natur-
epocneu der Geschichte von H.Spencer,
für die Natur und für die Geisteawelt
Tou W. Wuüdt heraiLsgearbeitet, und
wie sie mir durch meine soziologischen
Studien bestätigt worden ist." Daher
auch die Erweiterung des Tltds durch
die Worte: „und der Philoiophie."
Wie schon in der ersten, so sind
auch in der zweiten Auflage Begriff
und Ziel der Erziehung nicht scharf
auseinander gehalten; in dem Kapitel
aber letzteres wird nur eine Definition
der Erziehung gegeben: sie ist die
„Fortpfiaazaaff derOeselUohaft".
Damnen nram siäi das Ziel der Ent-
wicklung der fiesellst'liaft mit dem Er-
siebun£»ziele decken. Dieses Ziel er-
bttokt der Verf. „in den Idealen der in
einer Gesellschaft herrschenden nrin-
dpielien Sittücbkeit „Solche Ideale
mttnm anch des Eniehers nnwandel«
bare Überzeugung sein, denn sie bilden
i'a das Ziel der Erziehung. Und ein
iiel, das sich stets veiindert, kann
nicht We^rweiser sein. . , . Welche
Tugendeu der Mensch erwerben soll,
das weiss jeder (?). Denn die mensch-
lichen Tugenden sind in unserer west-
eurooäischen und in der amerikanischen
Gesellschaft allgemein anerkannt; nur
die BegründoDg ist in den ethischen
Systemen yerscneden." Als die Ideale
der in einer Gesellschaft iierrschenden
nrinsipielleu Sittlichkeit werden die
beiden obersten, „von allen Biehtmigen
der wishenschaftlichen Ethik ■ an-
erkannten Zwecke (S. 14^, deueu der
Kenseh nachstreben soll: Eigene Voll-
k'MPrnenheit und fremde 6lllok<-
Seligkeit (S. 9), bezeiotmet
Hit dieser Oedankeueibe ist sehwer
in Einklang m bringen, was 8. 6 ge-
sagt ist: „Wie sehr auch die Moral-
systeme der Menschheit gewechselt
haben, neben dem variablen Elemente
bt es ein konstantes, nämlich die
ingehung au die Zwecke der (teuu-ia-
schaft, deren kein wirksames Moral*
System entbehren kann. — Die Zwecke
seihst wechseln und ergeben das variable
Element Die Hingebung an diese
Zwecke bleibt konstant, nnd aus ihr
folgen gewisse Tugenden, die, weil all-
^meingültig und allgtiiuunn)enschlicb,
in jedem pädagogischen Systeme wieder^
kehren." Wie kann die Hingebung an
wechselnde Zwecke (Ideale) allgemciu-
gültige und allgemeinmenschliche
Tugenden hervorbringen? Tugend ist
hiernach, wu.h der Fürt^Üauzuug der
Gesellschaft dient: sie wird einer bloss
relativen Wertschätxung nnteraogen.
Im übrigen wird man nicht scbon deshalb,
weil {gewisse Tugenden in der w<■^t-
earonttischen and in der amerikanischea
Geidlsehaft anerkannt sind, diese
Tugenden allgemeinmrnsi hliche nennen
dürfen. Nach Spencer ist die Gesell-
sehaft ein Organurana, der einem bar>
monischen Gleichgewichte aller seiner
Teile zustrebt; das Endziel: Sicherung
der Erhaltung des Individuums nnd der
Gattung. Selbstverständlich muss die
Erhaltung des Tndividnaras gesichert
werden, denn wo bliebe sonst die
Oattuni:? Was aber könnte uns ver-
anlassen, die Gattung zu erhalten r Er-
haltung der Gattung ist an sich etwas
Sittlich-Indifferentes. Sie erfordert in
der weetenropttisehen Gesellschaft ge-
wisse Tugenden. Demnach andere in
der Süd- and osteuropäischen, andere in
den aeiatlschen Oeeellfchaften. Vgl.
wdter & 458.
Wie in der monistischen Wpltnnschan-
uiig die Persönliebkeit Gottes sich ver-
fluchtet, so gelangt der ethische Evolu-
tionismus auch nicht im Bunde mit
der Soziologie zu einem sittlich-reli-
gifisen Persünlichkeitsifhale. ErbUckt
man das Ziel der Erziehung im Ideal
der Persönlichkeit, die nicht nur als
Mittel zu einem Zwecke, z. B. der Er-
haltung der Gattung, bewertet wird,
dann kann fttr sie nur eine Ethik ziel-
setzend sein, die auf dem Satze bembt:
.fis ist ttberall nicht» in der Welt, ja
flberfaaapt anch ausser dendben sn
denken mdglich, waaekneSinaebiiakoiig
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— 227 —
fOr gut künute ^'ehalten werden, als
allein ein guter Wille." £iue Pftdagogik
mit dieMm Zid kann als höchstes Gvt
nur die sittliche Persönlichkeit an-
erkennen j sie wird aacb der Gesell-
•dbafl am besten dienen, die doeh das
Ziel ihrer Entwicklung nicht in sich
trägt, wie ein physischer Organismus.
Herbarts idealistische (absolute) Ethik,
die nicht nur individnal, sondern auch
sozial gerichtet ist, >) schliesst eine Ent-
wicklung nicht aus, aber das Konstante
liegt bei ihr nicht in der Hingebung
an gewisse Zwecke der Geselkchaft,
an das Interesse der Gemeinschaft, in
der der Mensch lebt" (S. 88)^ sondern
in den sittlichen Ideen; die Hingebung
dagegen ist das Variable, das der Ent-
wicklung Unterworfene. DieHingebnng
•oU sieh freilich anr Vollkomnienheit,
Bestäudiijkeit und Harmonie den ein-
seinen sittlichen Forderungen gegen-
flber entwickeln. Die Sittliehkeit, d. i.
der Grad der Annäherung an die sitt-
lichen Ideen, entwickelt sich im In-
difidnnni wie in der Gesellschaft Wenn
der ethische Evolutionismns nichts
anderes meinte, dann brauchte man
aiehts gegen ihn einzuwenden. Aber
er erkennt allgemein- und dauerndgültige
sittliche Forderungen im Sinne der
Herbartschen Ethik nicht an. Daher
auch der Satz: „So er^ribt sich, streng
genommen, dass die Erziehungs- und
nterrichtslehre nicht alli;<iriLin sein,
dass sie vielmehr immer nur für eine
bestimmte Oesdisehaft gelten kSmie''
(S. 5 Bi. Diejit-m Satze widerspricht
freilich die ikhauptung auf S. äU, dass
für die Sndehungslehre das Ziel ein
allge-meingültiges .sein kann, während
nur für die U nterrichtslehre ein all-
gemeingtlltiges Ziel in Abrede gestellt
wird. In einer Fufsnote auf 8, 6 wird
bemerkt: „Die moderne Ethik neigt
vifllbudi mm Relativismus. Diesem
segenllber wird die Beständigkeit der
formalen Seite der Ethik, d. h. des Ge-
dankens der Verpflichtung und .sogar
gewisser mateiialer Gebote mit Becht
betont von A. FoniUfe. Unter den
materialen Gehoten hitte Fonillte a. B.
das der Wahrhaftigkeit gegen den Volka-
ffeiiQiiea anftthxen kOnnen." Gilt diesea
Gebot nur dem Yolksgenossen gegen-
über? Der Verf. empfindet die Not-
wendigkeit eines iülgemeingültigea
Ziels*); aher sein philosophischer Stand-
punkt scheint ihn zu einem solchen
nicht gelangen zu la^üen. Mau gewinnt
öfter den Eindruck eines Hin- und Hef^
Schwankens zwißchoii unvereinbaren
Grundanschauungen. Ob dabei eine
scharfe Systematlsierung der Elemente
der Erziebungs- und UnterrichtHlehre
müglicb ist? Der Versuch, auf einer au
den Positivismus grenzenden Philo.sophie
und einer evolutionistischen Ethik, die
die Willensmotive eudämonistisehen
und utilitarischen Systemen entlehnt
und die Wirksamkeit der ethischen
VotiTe Ton ihrer psjehologisehen Be>
grQndnng abhängig sein lässt (vgl.
a. 88 ff.), ein pädagogisches System aof-
inbaneiL mnas den rdigiteen nnd etld-
schen Werten gegenüber, die anderen
Ursprungs, als die empirischen Gesetze
sind, in Bediftnguisse ftthren. Eine Zeit
des Ringens zwischen mechanistischer
und teleologischer Weltanschauung er-
scheint übrigens Ar den Aufbau eines
solchen Systems wenig günstig. Der
Mensch kann sich bei bloss mecha-
nistischer Erklärung der Erscheinungen
in Natur und Geisteswelt nie befriedigt
fühlen. Trotzdem sind derartige Er-
klär ui> es versuche sehr wertvoll: sie
führen za tieferem Maturerkennen und
leisten Endes snr Yerfeinerung des
religiösen und sittlichen Empfindens.
Auch die Pädagogik wird nicht un-
berührt davon Dl«Den; doch wird sie
sich hüten ratts.Hen, ihr System dem
schwankendem Grunde eine.s ethischen
Relativismus anzuvertrauen, und sieh
der Beschränkung eines Positivismus
zu unterwerfen, de.s8en naturwissen-
.«rhaftliche Methoden auf den Gebieten
des Psychischen, Ethischen untl Reli-
giösen versagen, oder zu bedenklichen
Ergebnissen führen müssen.
Der erkenntnistheoretische nnd
ethische Standpunkt des Verfossen
wdcht wesentlich von dem eines Festa-
*) Louis Gockler (La Pedagogie de Herbart) nennt Herbart sogar den
Begründer der Sosidpuafogik.
^) Was der Verf. S. iCü m über die ideale Gesellaehaft sagt, erinnert an
Herbartsche Idee der beseelten Gesellschaft.
15*
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— 228 —
lozzi, Herbart a. a. ab. Trotzdem will
er deujenigen Erwerb der Vergan^eu-
beit, der bleibende Oeltnnif hat, nicht
nn^'onntzt laspon ('Vorwort zur 1. .\ufl.).
üb sic h dieser Erwerb aber ohne Zwang
und innere Widerspruche in ein System
einfügen lässt, das anf gans anderen
Orondlagen sich anf baut? Ob da nicht
die Gefahr nahe liegt, in Eklekti/ismus
m Terfftllen, der aller Systembüdung
widerstreht?
Im Ubrii,'cn mü^e gestattet nein zu
wiederholen, was am Schluss der Be-
fprechmig der 1. Auflage gesagt ist:
^Das Buch bietet viel Gutes und viel
Anregung zur Vertiefung in wichtige
pädagogische Fragen; ei ist einem sorg-
fältigen Studium zu empfehlen. Auch
wer in wesentlichen Funkten abweichen-
der Meinung ist, wird oft Gelegenheit
haben, zu dem gnt orientierenden Buche
zurückzukehren. Wohltuend berührt
das Bemühen des Verfassers, den An-
sichten und dem Standpunkte anderer
in Vergangenheit und Gegenwart ge-
recht zu wi'iilen." - Auch der Wuuj<ch
wird wiederholt, daas dem reichen In-
halte des Bodtes «in Saduregister bei-
gefflgt werden mSdite.
Beeti. K. 0.. EinfOhrnng in die
moderne Psychologie. 2. völlig
nragearb. and erweiterte Aufl. SBU S.
Osterwieck 1907, Zickfeldt. Pr. g«b.
9,60 M.
Da.i vorliegende Buch ist die 2. Aufl.
de.s 1. Teils eines unter gleichem Titel
i. .T. 1900 enchienen Büches. Der Ver-
fasser hat. wie er im Vorworte bemerkt,
von der Herausgabe des seinerzeit in
Aussicht gestellten 2. (bi j^nndcrt-n) Teils
abgesehen, dafttr aber eine bedeutende
Erweitemng jenes 1. Teils (Allgemeine
Grundlegung) eintreten lassen. Die .Zu-
lage der auf S&ü Seiten angewachsenen
Menanflage nntetaeliddet neh von der
1. Auflage nicht. Die 1. Abt. (Ge-
schichtliche Grundlage der Psychologie)
ist als besonderer Band und .\bt. 2—4
(Begriffliche Einleitung ; Psychophysische
Grundlinien der Psychologie; Psycho-
logiseher Anfriss) als Band für sich
mrschienen. In der 4. Abt. sind nnr
2 Kapitel neu eingefügt: Die (Jrund-
züge des pHsischen Vorgangs (Kap. 2),
und: Der Zusammenhang des Psychi-
schen (Kap. 8), susammen 166 Seiten.
Die ursprünglichen Abteilnnyren sind
demnach um 2^ Seiten gewachsen; die
2. Auflage bat also im ganzen eine
Erweiterung um 46n S. erfahren Zn
welchem Zwecke ? ^Nur einführen
wollte ich", heisst es am Schlosse d»
Vorworts, „und zwar vor allem in solche
Gebiete, die für Erziehung und Unter-
richt von besonderem Interesse sind.
Daneben m(>chte ich allerdings boSeo,
aneh etliche Anregung und Beihilfe
zum verständig-»'!! Studium scbwcrersr
psychologischer Werke, insonderheit eine
Dranchbare Handreichnng bei psycho-
logischen Sonderxtndium für Lehrer-
prtlfungen gegeben zu haben." Das
gaUBO Buch ist die Frucht eines weit
auHg^'delintcn Studiums. E« :,nbt einen
Überblick über gesammelte Lesefrüchte
und die Gedanken, die der Verfasser
sich über die verschiedensten Wissen-
schaft liehen Kichtiuitren und .\n.Hichtea
gemacht hat. Das Buch kann für jemand,
der schon einen Standpunkt gewonnen
hat, interessant werden ; aber zur ^Ein-
führung"' in die moderne Psychologie
erscheint es schwerlich geeignet. Es
(tthit den Anf&nger nnd mebenden so
wmiig in die Psychologie ein. wie ein
Uteiatnrgeschichtlicher Leitfaden voU
Namen, Jahrescablen, Titeln, Bibalta-
angaben und Urteilen im.stande ist, fai
poetische Stimmung zu versetzen. Im
Übrigen darf ich wohl auf die Be-
sprechung der 1 Aufl. iPüd. Studien
1902, S. 282) verweisen; das dort Ge-
sagt» kann auch auf die neue Auflage
angewendet werden, die sich wie schon
bemerkt, in der Anlage und Metbode
nicht Ton der frftberen nntersdieidst
BoehUtn. Dr. M. Schilling.
Dr. QBftaT Herberieh. £atwttrfsa
einem Lebrplan ffir die Ober-
realschnlc. Nürnberg und Leipzig,
U. E. Sebald. 1907. Preis 1 M.
Die Errichtung von Oberrealschiüea
in Sachsen und Bayern hat ra lebhaften
Erörterungen in Fachkreisen .\nla.>»8 ge-
geben. In diese greift die vorliegende
Schrift ein. Verfasser, ein bayrischer
Schulmann, hat nämlich vor allem die
bayrischen Verhältiii>*sc im Auge, do^
ist die Schrift von allgemeinem Interesse.
Ich halte seine Ausführungen für vor-
trefflich. Sie beweisen eine umfassende
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9
— 229 —
Bildooff und ein feinet Ventindiiui für
die Benürfiiisse iiuserer Zeit. Für «las
Hauptproblem bei der Aafittellttug ded
Lebrplans der OherrealHchule hält er
die Vf-rmeidiintr 'If r UberbUrdung, Ober
die ja an den Oberrealechalen besonders
Ti«l gtikiiBgt wird. Der Verfasser stellt
darTim einen Lehrplaii auf, der auch für
die Oberklasitu nur 30 Pflichtstnudeii
wöchentlich enthält, in den Unterklassen
bis U UI 27 bis 28 Stnnden. Nattirlich
ist eine solche im Vergleich mit anderen
böluren Schnlen geringe StnniUiizfilil
nur möglich, wenn f«s( jedem Fache
IFewiase Opfer stBierenratet werden. Zur
fliitla^ttunL' «ItT SrliüUr hält der Ver-
fasser aosserdem lUr nötig, daes im
GefrenBats sn dem bisherigen Verftthren
die einzelnen Fiii'her sUmrliih in eine
innere Verbindung ge.ietzt werden, um
•0 der ZneAmmettDeDirlociirkeit der Biv
kenntnisse zu ftenem nnd die hete-
rogenen ßildnngselcuRiite im Geist des
Schülers zur höheren Einheit zu ver-
sc>niirlzen. Eine besondere Wichtigkeit
winl dabei der Geschichte zuerkannt.
Wie sic h der Verfasser die Beachrftnknng
des Stoffes and die Erreicbmie wert-
voller Unterrichtsziele denkt, ist sehr
l«»en«'\\ »Tt. n.ilH'i wenlcn iibcr «lic (mii-
lelnen Fäclier treffeude und feine Be-
merkungen gemacht. Anf die Wichtig-
ki'it lifr Biologie und Grnlogie, der
Wirtschafts- und Verkehrsgeographie
wird hingewiesen nnd aneh die xün-
fnhmnß dprphilo«ophir«'hfn PropSilenlik,
weoit anrli iii'^lit als bt'soinK're« Fach,
empfohlen. Besonders sympathisch be-
rührt mich, dass der Verfasser, selbst
ein Nenphilolotre, der Überschätzung
der neuem Spra« hi q entipegentritt und
bei aller Vorliebe für zeitgemässe Um-
gestaltung des Sprachunterrichts doch
Ziele ablehnt, die nnn einmal imKliMen-
nntexricht nnerndcbbar sind.
Prof. Dr. Piiul Förster, Anti-
£oethe! Eine Streitschrift. An die
Frennde des hnaMmstHcheii Gym-
naHiums TeatonSa-yerli^. Leipnig
iy07. 60 Pf.
Diese Schrift ist gtgeu die Pro-
fessoren Hamack (Theolog) und Roethe
^i"^ rtnanist) gerichtet, die wann für die
humanistische Bildung uiugetreten sind,
und vertritt im schroffen Gegenaats
dun ein rein deotedies Enidinng»*
nnd BildvngiddeaL — Die Weise, in
der die Polemik geführt wird, beröhrt
nicht gerade sympathisch. Schon die
Überschriften ^Enr Hamack"; „Herr
Hoethe" muten seltsam an. Am n das
Herausbeben einzelner Worte, die mit
KiiudbeiDMrknngen und Fragezeichen
ver^rlien werden, besonders in der Po-
leuiik gegen Ilarnack, macht eiueu
kleinlichen Eindrtuk Auch lässt der
Verfasser überall durchblicken, dass er
seine Gegner für unklare, beschränkte
und verranntt' Meiis(;h(-n hält. Trotz-
dem finden sich bei Förster auch viele
richtige nnd treffende BenHsrknngen, be>
sonders wo er auf die Notwendigkeit
und Wichtigkeit einer Bildung, die auf
unserer dentsehen Sprache, Geeehiehte,
r*i -l.tung, Kunst nnd Gejiittnng beruht,
hinweist. Obgleich ich die humanistische
Bildung, wie sie aus der Beschäftigung
mit dem klas^ischrn Altertum erw£>h8t,
nicht so gering s< hftrze wie der Ver-
fasser, so erkenne ich doch einen be-
rechtigten Kern in dem "Rcstrebcn,
unsere Jugendbilduug mehr auf die
deutsche Sprache und gerraaniBOhes
Wesen zn begründen.
Dresden-Räcknitz. K. Needon.
Hölzels Wandbilder fUr den AiiBchan-
ungs- und Sprachunterricht. Fünfte
Serie: Blatt XV III: Rom. Nachdem
Original- Aquarell von Adolf Kauf-
m au u u. A n t nn Piukawa. Hfacher
Farbendruck. 141; 92 cm. Prei^ mit
Leinenrand tind Ösen 7,20 M., aof
Leinwand 6,60 M., anf Leinwand mit
Stilben 10,20 M.
Die neueste P*ublikation der Hölzei-
schen \Vandbilder stellt sich den voran-
gegangenen würdig an die Seite. Das
Torliegende Bild hält in geschmack-
voller Farbengebung den mächtigen
Eindrnck fc-it, den jeder Besochti-r dur
.Ewigen Stadt"* gewinnt, wenn er von
dem tm 8 gelegenen Aventinns ans das
gewaltige Hiln.sf rmeer und seine wunder-
volle landschaftliche Umrahmaug auf
sich wirken iftsst. Ss ist selbstventtnd-
lieh, dass bei der Entwirklnng der
modernen Grossstadt Rom eiu grosserer
der Stadt nicht mit zur Darstellung
gelangen konnte. Das antike Rom aber,
das 6chule und Besucher am meiste
interessiert, tritt ans dem Hinseigewirr
plastisch hermr.
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— 230 —
Die Hauptgliederung des Bildes wird
(Inrcli die 3 charaktcriHtisrhen Win-
dungeu des Tibtirü gegebeu, die dic^r
Terkebrsgeograpbicb beute vigentlicb
recht unbedenlfude Fluss in uord-siUl-
licher Kicbliiug iiiuerfaalb des Stadt-
gebiet« eeigt. Auf dem linken Tiber-
ufer, also auf der Ostseite der ätadt
fallen aas der klassiscben Periode auf
der Riesenbau des KnlossenniH . der
Trinmpfbogeu KoiMtastias, das j^onim
Bomannni , die Tmjenmtnle , dai
Pantheon nsw , Ton Moiiuinentalbauten
der Gegenwart ganz besonden der
Qnirintf, der «eit 1870 die Kesidens
de^i italienisrlien KOnigs bildet, die
recbte Tiberseite wird durch das
Leoninische Stadtviertel mit dem
Vatikiin nnd der Peterskirebe beherrscht,
Ton wo aus ein laniror Arkadengang
ta der ebenfalle imponierend in die
Atitren fallenden fingelabiurg hinttbei^
füLrt.
Dem Bilde ist ein gfuter Situations-
plan im gleichen Massstabe beigegeben,
der eine unmittelbare Orientierung er-
laubt. Das von rn<f. Dr. Fr. T ni la u f t
?erf aaste Begleitwort ist knapp, aber
Tentlndlioli und relatiT wUeOndig.
Loediwiti b. Dresden.
Dr. Smil Sehftne.
Dr. fcarl Flötz, Auszug ans der
alten, mittleren und neueren
Geschichte. Leipzig, Q. A. Pldts.
440 S. Pr. geb. 3 M.
Ein alter, bewährter Freund, der
•rine 15. Auflage erlebt. Schon das
spricht für die Oflte des Buches. Es
ist nichts weniger als ein Tabellarium,
vielmehr, wie der Heraut^tjeber itn
Vorwort bemerkt, ein Leitfaden für den
Unterricht in den oberen Klassen
hifherer Lehranstalten. .\ber nicht nur
fftr Scholen, auch für Lehrer, die Oe-
aehiehtinintenrieht erteilen oder sieb aal
eine Prüfung: vorbereiten, i.-^t da« Werk
ein zuverlässiger, ja uueutbehrlicher
Fttlirer. In denkbar knappster, aber
dennnrh eingehendster Weise fBhrt es
als wirklicher „Leitfaden" durch die
Staaten- , Dynastien- und Kriegs*
gescliichte. Kunst und Wis~rrri«rhaft,
Koloniaigeiicbichte und die sozialen
Bestrebungen, die neueste Geschichte des
Oetena nnd gebUuend beiflcluielitigt.
Alfons Bock, Hellas und Rom.
Kleines Lehr- nnd Lesebuch für den
Unterricht in der griechischen nnd
römischen Geschichte. Erlangen und
Leipzi^r. A. Deichert, 178 8. Pr.
bn.oh. 2,20 M.
Dag Buch ist ausdrücklicii für
bayerische Seminare resp. Präparandien
bestimmt. Die betr. Bestimmungen
sind mir nicht bekannt, aber man dkrf
wohl annehmen, dass die Ziele dort
nicht niedriger wie in Preussen sind.
Das Bneh yon diesem Standpunkte aus
betracht t r' hrf» i tigt es den alten
Spruch: Zweeu Herren kann man nicht
dienen. Es ist dem Verfasser mcht
gelungen, den beiden Auf^'^nben, dn
Lehr- und Lesebuch zu schaffen, in
gleicher Weise gerecht zu werden. —
Der Gedanke, auch (h u I nterricht in
der alten Geschichte durcij <^ueUenstücke
zu beleben und dem Schüler damit die
Kuntit der Meister der alten (iescbicht-
sehreibung zu erschlii^seu, verdient
volle Anerkennung; ebenso die reich-
haltige und sorgfältige Auswahl. Anefa
die steten Hinweise auf Meisterwerke
der redenden r.ntl bildenden Kun.-'t.
deren Stoffe der antiken Geschichte
entnommen sind, sind dankenswot. —
Lfn'',(T Ftt ht iler lehrhafte Ti-il ni-ht
auf derüelbeu Üühe. Auch die knappste
Form rechtfertigt nicht den Mangel an
Tirfe Die inneren Zusammenhänge
BUid nicht immer aufgedeckt. Der
Persönlichkeit der grossen Miiuner ist
nirgends die gebührende Aulmerkh^aiB-
keit geschenkt (Lamprecht?). Aus der
Ansanl von Heisjiielen nur zw«i
Peisistratos und Kleisthenes sind knapp
12 Zeilen gewidmet. Von der hervor-
ragenden I'ersönlichkeit de.s en*t»-ren
nnd den wirtschaftlichen Kämpfen, die
ihn in den Vordergmnd der Oeschickte
festellt haben , Kein Wort. Non,
eisistratos and seine Tjraunis bedeuten
fttr die grosse Verfaasnngsgeschichte
dn,}i r{\K.\< mehr als eine Episode.
2. Das erste Triumvirat. Cra&»us in
charakterisiert und eingeführt. Cäsar
nnd Poinpejii^ ^ind auf eirun^l 'h
Woher sie kommeui' Ihr Charakter.'
Keine Silbe! Und doch ist das eigen-
tümliche \'erhalten des Pompeju» gegeti
Cäsar nur ans seinem Charakter zu er-
klären. Hier wtren Mommsens treffende
Cbamkteristikeu am flatse gewesen.
Digrtized by Google
— Vielleicht entscbli^t sich der
Verfasser, beide Teil« bei einer Neu-
aufläge fretreniit herau8«ngeben. Da-
durch lies.se sich das Lesebach erheblich
verbilligen und sein Gebrauch auch
in aasserbayerischen Seminaren und als
Ergänxong zu jedem beliebigen LehxbQOii
der Geechiehte^ ennOgtieben.
Aus der Sammlung Nfttur vitd
Qeisteswelt (Teubner. Leipiig, Pr.
Jro Bindehen geb. 1,25 M.) liegen vier
istorische Neuerscheinungen vor.
Zwei von ihnen führen in das
XnlCitriebeB der alten Welt ein:
Ziebarth , Kulturbilder ans
griechischen 8 tädten(l20S.)and
F. T. Dahn, Pompeji, eine helle*
uistische Stadt in ItftHea
(llö S.).
In fesselnder Darstellung, unterstttzt
▼ou z Ahlreich en gel ung e n e n A b b i 1 d u n 12: e n .
entwerfen die Verfasser ein anschauliches
Bild vom öffentlichen nnd privaten
Leben in den Knltnrzentren des grossen
Altertums. Zur Belebung nnd £r-
glnsung dee Oeechiehteiintttxiehte
können die beiden Schriften gute
Dienste leisten.
Mit der neueren Qeschidite beschäftigen
sich Daenell, Oesehiohte der
Vereinigten Staat en von
Amerika (170 S.) und M. Ü.
Sehnldt, Oese hie hte dee Welt-
handel'* fUO S).
Trotz der knappen Form, die sich
Daenell zur Aufgabe uremacht hat, gibt
das Werkchen einen tieferen Einblick
in die Entstehungsgeschichte der Ver-
einigten Staaten. Wleeicb geographische,
Sditische, kommerziell« mil kulturelle
omentegegenaeitiflr betiiutlimen, ist in
trefllifherill^eesarDarstellnng gelangt.
Schmidts Geschichte des Welthandels
♦ schildert die Entwicklung des Welt-
handel, TOD den Handelsberiehnngen
der Sltesteii Kulturvölker ausgehend
bis zur Aera der Dampfmaschine. Trotz-
dem das Werk aus Vorträgen ent-
ftnii'V n ist, fehlt ihm nicht der innere
Zusammenhang. Jenem Umstände ist
wohl auch die Frische und Anschaulich-
keit der Sprache zu verdanken.
Ans der Sammlung (jöscben (Pr.
pro Bd. 0^ M.) liegen swei mne
liadchen vor:
Dr. B. Roth, Oeeehiehtt der
christliehen Balfcanetaftten.
(153 ä.)
Das Buch geht von dem Eindringen
der Slaven in den europäischen Wetter-
winkel ans und zeichnet dann in Um-
riäiJieu die ewii^eu Kämpfe der Bulgaren.
Serben, Rumänen, ^rnutenegriner und
Griechen um ihre nationale und staat-
liche Selbständigkeit TOitereinander nnd
mit den Vormiu I ti n des Ostens. Auch
die Kulturgeschichte ist nicht vernach-
lässigt.
Dr. Jftelnhold OOnther, Deutsche
Knltnrgeiehiehte. (182 S.)
Erscheint in 2. völlig: umgearbeiteter
Auflage. Die Meubearbeitnng nimmt
überall auf die Ergebnitie der neneren
Forschungen Rücksirlit Paf^rirnn ist
dieKttrzung um 43 Seiten kein dewiun
für dae Bimi. In der Kulturgeschichte
■Ind auch Sinidsttge von Wichtigkeit.
Dr. Fr« Henbauer, Geschichta-
Atlas zu dem Lehrbuch der Ge-
achichte für höhere Lehran-
stalten (QuartabisSekunda). 5. Avil.
Halle, Waisenhans. Pr. 0,60 M.
Als Ergänzung zum entsprechenden
Lebrbneh notwendig, kann aber im
übrigen durch die aen andren Lehr-
büchern gewöhnlieh beigefügten Karten
ToUatändig ersetzt werden.
Tanowits O/SchL H. SterD.
S. baptnaBBf Nationale Erd-
kunde. Strassburg i. E. Friedrich
Bull. 1907. 206 S. 4 M. 2. Teü
(Eniepa) 1906. 00 S. 1^ IL
Ein gana neuartiges Hilfsmittel für
den geographischen 'Unterricht. Der
Verfasser will kein voUständigeB geo-
graphisches Lehrbuch geben, sondern
eine Ubersicht über die für Deutsch-
land wichtigen geographischen Gesidite-
punkte in der Geographie der ausser-
deutscheu Länder. Der 1. Teil ist
dazu bestimmt, das heute noeh so viel-
fach mangelnde Verstiindnis für Deutsrh-
lands übeneeische Interessen im Unter-
ridite sa wecken. Es ist kein Ldt-
faden für die Hand der Schüler, sondern
in erster Linie ein Uil&buch für die
Hand dea Ldirers: aber es sollte auch
ia keiner Bibliothak fttr gtHmvn flehttter
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— 232 —
fehlen. Der Verfasser behaudelt zu-
nftcbst in einem einleitenden Abschnitt
Deatsctüaads iiberaeelBche Interessen.
Ben Haaptinbalt bildet die Behandlung
<ler ausserearopäischen ErdieiU'. Hier-
bei wird die WirtaohaftsgeoerApliie der
ttbefseeiedieii Linder TerDimden mit der
Darsielluiit^ der deutscheu Interessen
Ein Btüäpiel wird dies am besten er-
läntenL Den Anfang mneben die Ver-
einicrten Staaten vnn N irdarnerika. Be-
handelt werden zuiiächät der Boden und
seine Frlielite, dum die ndnemlieehen
Bodenschätze , hieranf Peut.<'chlands
Handel mit den Vereinigten Staaten,
endlich das Dentachturo in den Ver-
einigten Staaten. In entsprechender
Weise wird mit allen wichtigeren anderen
Ländern Aussereuropas verfahren. Be-
sonders eingehende Darstellung finden
natttrlich die deutschen Kolonien. Auch
die Behandlung der deat«chen Inter-
essen in der^ auatieehen Türkei wird
man kanm in einem geographischen
Lehrbuch in dieser Ausführlichkeil tin den.
Den Schluss des 1. Teiles bildet eine
Bttsasimenfasaende wirtsehaftsgeogra-
phiacbe Cbereicht in F :ii ii i dl
gemeinen Wiederholung. Hierbei kommen
die wicbti^ten Rohprodukte und Li-
dnstriezweige nach ihrer Verbreitung
Uber die ganze Erde iiml ihrer Bedeutung
Ittr DentschJand in i:i:eilrängter Übersicht
zur Darstellnng. Zum .Sehlu'^s sind
eine Au2uihl wichtiger (Quellenschriften
angefügt. Hauptmanns «»Nationale Erd-
konde" ist jedem Lehrer angelegent-
lichst zu empfehlen, der mit grösseren
Sehülem die überseei.schen L&nder zn
behandeln hat. Das Buch ist sorgfältig
r batet nnd sttitet sich überall auf
neuesten Er£rehni<»se Der 2. Teil
behandelt die auaserdeatschen Länder
Sluropae nach densdben Oeeiehtspnnkten,
^r leider nicht ebenso ausführlich ini l
Itlckeulos wie der 1. Teil. Bei einer
Neoanflag« wird der 2. Tbil entejtrachend
ra erweitem sein.
Sehmelile, l>r. K., Deutschland
Bach nenen methodischen Qe-
8ichti?p unkten für Schüler
höherer Lehranstalten. Leipzii|^
und Berlin. B. Q. Ttolner, 1906.
64 Seiten. 80 Pf.
in dieiem Wiedailiolimgaliaeli fttr
Schüler hat der Verfasser die jetzt so
vielfach verlangte Frage als Wieder-
holungsmittel eingeführt und zwingt
dadurch den Schüler, die Karte zu
studieren und selbst nachzudenken.
Alles, was nicht aus der Karte heran«»
gelesen irerden kann, wird in besonderes
\ h.schnittfii /.\'^ischeu den Fnii,'eu in
zuHammenhängeudcr Darstellong ge-
geben. An der Spitrn stehen einure
einleitende Abschnitte aus der all-
gemeinen Erdkunde über die Mond-
phasen und Finsternisse, die mittct-
enmpRische Zeit, die BiMuut: der festen
Erdrinde, die Gletscher und die Gezeiten,
um das znm Ve^^4tändnio der physischen
rtcoq-raphie Nötiijste r.n rennitteln. Es
folgen dauu Fragen über Deutschlands
Lage, (tr(>8se, Grenzen, Aufhau, Klima,
Pflanzenwelt und Bevölkerung im An-
schluss an die entsprechenden all-
gemeinen Kiirten im Atlas. Der Haupt-
teil des Buches ist der Betrachtong
Dentseblandt nacli nattlrlieb«! huii-
.Schäften l;- widmet, wobei Oberflächen-
S estalt, Be«iedelaug, Verkehr usw. auf
M encsteuiteinander verknüpft werden.
\ m Ende der Hanptabschnittf' sind
Kuck blicke eingefügt, die in zusammen-
fassenden Fraien nnd Aufgaben den
SchHler veranlassen, sich über dag
Wesentliche des Gelernten nochmals
Rechenschaft zu geben. Das Buch ist
sorgfältig gearbeitet nnd wird manchem
ein willkommenes UUfämittel für den
Unterrieht bieten.
Planen. Dr. Zemmrieh.
Olsevins, Prof. Dr. Paul, Die land-
wirtschaftliche Naturkunde.
Ein Leitfaden für Lehrer an Uindlichen
Fortbiblunü^sschulcn, sowie zum Selbst-
unterricht. Oieasen 1S0& £. Both,
Pr. 2,40 M.
Der Verfasser ist der Leiter von
Kursen zur Vorbildung von bri -äft a
in laadwirtschaftlicher Naturiiuade tur
heniiehe FortbildnnipBechnlen. Der
Kursus ii'u\g davon «m«, dass landwirt-
Hchaftiiche Naturkunde streng ant die
Anschauung gegründet werden mOaete,
drtss die Anschauungsmittel nur an« den
in jeder Landgemeinde ernichbarea
Gegenständen au.szuwiiiileu seien, wie
wir sie in Feld, Wies^ Wald nnd im
Haashalte koatealM mr Verfügung
haben.
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Das Bnoh s;\ht die Lehre vom Boden
in klarer anschaulicher Darstellung. Die
Tierkunde ist nicht so ausführlich be-
handelt wie die Lehre vom Boden : von
den Bestandteilen desselben, von der
Entstehung, von der Bearbeitung,
Düngtmg desselben, und die landwirt-
schaftliche Pflanzenkunde. Das ist das
Einzige, wag wir an dem sonst vor-
Efiglicben Buche aussosetsen haben. Es
kann jedem Lehrer nnd Schüler an
landwirtschaftlichen Schulen, wie auch
Fortbüduigsschnlen , aufs wärmste
empfohlen werden.
0. Ran.
A. Pabet, Praktisehe Eraiehiin^.
Verlag von Quelle und Mever. Leipzig
laOB (Nr. 28 von „Wissenschaft und
Bildnng"). Preis geb. 1 H., geb.
L25 M.
Von jeher war das Bestreben aller
Pidagogen. Sebnle nnd Leben in Be-
ziehnnir zu einander zu setzen. In der
Gegenwart ist dieses Bestreben besonders
stark nnd findet seinen Ausdruck in
der Fordenme;- einer ^praktischen Er-
liehnng-. An Sti lle dts Buchwis-sens
wflnscbt man das Erfahrnugswipen,
eintrcvlfiik der Wahrheit, dass ^.einzig
die Kraft da^t Leben zu meistern ver-
mag, das Wissen nur dann, wenn es
im Dienste der Kraft steht". — In vor-
liegendem Buche entwickelt Dr. Pabst
ein Programm der praktischen Erziehung
mit einer iüarheit und Gründlichkeit,
dass dieses Buch allen Freunden nnsers
Volkes. Berufserziehem und Eltern aufs
w&rmste empfohlen werden kann. In
8 Abschnitten (1. die ersten Anfänge,
Ziel, Macht und (ircnzen der Erziehung
— 2. Zögling und Erzieher — 3. £r-
aiehnng vor und wHbiend der ersten
Schulzeit — 4. Naturgemässe Erziehung
— 5. Psychologische und päilag. Be-
^iindnng der Notwendigkeit des prak-
tischen Unterrichts — ß. Zeichnen, Hand-
arbeit und Beobachtungsunterricht —
7. Erweiterung der .Aufgabe der Schnle
— 8. Schule und Leben) findet man
eine reiche Fülle guter Gedanken.
Brinnsdorf. K. Wittig.
Dr. Albin Pabst, Heminardirektor,
Die Knabenhandarbeit in der
heutigen Erziehung. 112S.Text
mit 21 Abbildungen. 140. Bändchen
„Aus Natur u. Geisteswelt", Ldprig*,
B. G. Teubner. Pr. 1,25 M.
Der Direktor des Leipziger Lehrer-
seminars für Knabenhandarbeit, den
Neigung, Beruf, Mose und Stadium der
Frage in den wichtigsten Knltnrilndem
in iswm besonderen Grade für die Be-
handlung obigen Themas befähigen,
bietet uns bier eine Arbeit, an der
weder Eltern noch Lehrer der niederen
und höheren Schulen und Vorsteher
privater Erziehungsanstalten vorüber-
gehen dürfen. Er begründet die Knaben-
handarbeit aus der Kulturgeschichte,
ans der Seelen- und Unternchtslehre,
geht auf ihre Geschichte ein und fixiert
ihreu gegenwärtigen Stand in den
wichtigsten Kulturländern, den er aus
eigener Anschauung kennt. Dann geht
Verf. auf die Bedeutung des Hand-
arbeit-.unterrichtes für das private und
öfientlicheErziehungsweseu ein, nament-
lieb finden HillBsebnlen, WaisenbSnser,
ferner Lehrerseminare und andere höhere
Schulen besondere Berücksichtigung.
Dttfl letite Kapitel beltott sieb besonders
mit dem Knabenhandarheitsunterri'ht
in den Ländern, die unsere Konkurrenten
anf dem Weltmarkte rind.
In meisterhaft knapper und doch für
die Beurteilung völlig ausreichender
Weise werden ans bier alle Tatsachen
unterbreitet, die uns zu einem richtigen
Urteile Uber den wichtigen Gegenstaud
beföhigen, den man sonderbarer Weise
besonders in nuinchen Kreisen der
Lehrerwelt noch als nebensächlich an-
sieht und so lange so beurteilen wird,
bis uns die Überlegenheit anderer Völker
begreiflich BiadiC^ dass wir einen Ast
verkümmern lienen, auf dem anch wir
sitzen.
SaehHeb ist m erfflnsen, dass
Clausen - Kaas ausser dem Emdener
Kursus 1880 einen von 64 Teiluehmern
besnebten Kniens in Dresden abhielt,
der von den spÄteren Gründern der
meisten sächsischen Haudfertigkeits-
schulen besoeht wurde, nnd dass derselbe
als Lehrer am Blindeninstitnt in
Dresden auch den rein erziehlichen
Handfertigkeitsnnterricht pflegte. Im
Interesse der häuslichen una öffenUicben
Ersiehnng unserer Jugend rouss man
dem kleinen Buche ue grOsste Ve|w
breitung wünschen.
Zwickau i. S. Franz UerteL
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Meumanii) Prof. Dr. E.^ Intelli-
Keuz nnd Wille. Leipzig 19Ü8,
Quelle Q. Meyer. Fr. geb. 4,40 M.
Nach HemnannB Untenachnng^n ist
die Atifmerksanikeit die elementare
Vorbedingung aller Intelligenz ^S. lö).
Sr entteheicltt sich fttr den Primat der
Intellifjonz gegenüber dem Willen.
Wille ist ibm nichts anderes, als „ein
ffidunBMtsen de» intell^tndlen Seelen-
lebens in eine Wirkung nach aussen".
„Er ist der Inbegrifl" der Vorgänge,
durch welche das innere Seelenleben
aus »ich heraustritt, seine Innerlichkeit
▼erl&sst, bei welcher es nnr ein ruhiger
Spiegel der äusseren Reize war. Erst
indem sieb Vorstellungen und später
Yorttdlangen und Urfcefle mit notori-
schen Vorgängen und aii'-filhi ■ nden
Handlungen verbinden, und diese dann
«pKter wieder reprodutieres kSnnen,
tritt die reine Innerlichkeit unserer
Empäuduugtiu und Vorsteilungeu über
«icb hinaus nnd wird zu einer nach
aufsen wirkenden nnd handelnden
MucLt" {S. 21b). Wenn Meumann be-
hauptet: „Es gibt kein Wollen ohne
Können" (S. 214). so steht er anf
Herbarts Staudpuukte; „Die Tat erzeugt
den Willen aus der Begierde." Er
stellt ferner neben das bloss äussere
Handeln die innere Willeushandlung
(S. 200 ff.). Unter diesen Begriff fällt
aas „phantasierte" Handeln Herbarte,
dessen Bedeutung noch häufig miee-
verstiinden wird. Was über Charakter-
bildung gesagt wird, kann in wesent-
lichen Puikten anch Tom Herbartechen
Standpunkte aus angenommen werden,
nnr scheint die Bedentung der Vielseitig-
keit im .<inne des gleldluehwebwd
Tielseitigen Interesse nicht zu ihron
Hechte zu kummen (S. 259 ff.).
Diese Ergebnisse stimmen in wesent-
lichen Stttcken ttberein mit tai Br*
gebnissen der Untersuchung Über
,. Willensbildung und Interesse" im
2^. Jahrtr. (1908) der Pidag. Stndien,
8. 1^41 ff. Die letztgenannte Abhaiuilnng
erhebt den Anspruch, d&a. Verhältnis
zwischen Interesse und Wille im
Berbartscben Sinne bestimmt zu haben.
Die Ergebnisse von Menmanns Unter-
suchung wiliden daher als ein weiterer
Beweis dafür gelten könnexu dass die
gnodlegeiiden Gedanken der FIdagogik
Herbarts noch nicht überholt sind nnd
nicht als veraltet bezeichnet werden
dflrfen. Wenn diese Auffassung richtig
isfe — Qud man kann dtirch <ms Buch
selbst sdiwerlich zn einer anderen
geführt werden — dami u .irr - - v. r-
dienstlicb gewesen, wenn der Veri
atieh atif Heibart hingewiesen hitte
Ein zust imui- ri les Urteil von dieser
Seite würde rielleicht manchen ver-
anlasst haben, in seinen Änsserangei
über die Pädagogik Herbarts vor-
sichtiger zu sein, anderseits würde
damit anch dem gesehiehtüohen Zq-
eammenhange der pädai^ojEri sehen
Forschung ein Dienst erwiebcu wordtfu
sein.
Mit Meumanns Buche erfährt die
pädagogische Literatur eine wertvolle
Bereicherung?. Indern die Darstellung
sich Irei hält von Uberfl&migeu philo-
sophisehen mid wSIkttrlidi geprägten
KunstansdrUcken und in einfachen,
klaren Gedankengängen sich bewest,
gewinnt sie den seltenen Vomg der
UemeinTentiBdUehkeit.
Förster, I>r. Fr. W.y Schale
und Charakter. Zürich 1907.
Schulthess u. Co.
Dieses Buch ist zum Gegenstand
eingehender Beratung in einer Lehrer-
Vereinigung gemacht worden, worüber
ein ausfilhrlidier Bericht von Fr.fYanke
im t. Hefte der Ptd. Studien 1908,
r>3- r>5 veroffentlirtit wurrl-- Da*
Buch wird hier als eine sehr erfreuliche
Endieinmig beieiehnet. Anf diesen
Bericht, der, w im ri h tiirht zu allen
Kinzelbeiteu. so doch zu wesentücbea
Punkten kntiseh fiteOinf nimmt, sei
hiennit verwiesen.
BochUU. Dr. H. Schilling.
Karl Hemprlch, Otto Fl&gel«
Leben und Schriften. Langen-
salze 1908. Beyer u. S. Fr. 0,76 M.
Am 1. Oktober d. J. ist Pastor Otto
Flügel zu VVauzleben bei Halle nach
vierzigjähriger Amtstätigkeit in den
Ruhestand getreten. Das hat den Ver-
fasser des vorliegenden Bflchleins mt-
anlasst, ausführlich anf die wisiien-
scbaftliche Bedeutung Fiagels hiasa*
weisen. Wir sind dartbnr sehr «rfmt
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nd hoffen, dM die U^m Biofrraphie
BOeh viele dazu anrept. sirh mit Flügels
Schriften zu bescbäftigeD. Heiuprich
hat in Reiner Broschüre aller Liebe und
Verehrung Ausdruck g'cc:ebpn, die ihm
der langjährige Umgang mit dem
Wanzlebener Philosophen eingeflMtt
hat. Das gibt der Darstellung grosse
Wärme uml Innigkeit. <lie auch dem
Fernstehenden eine Ahnung von der
ttberaos sympatliischen Persönlichkeit
des Oefeierten gewihrt. Der Hauptteil
des Schriftchen» gibt einen ausgezeich-
neten ÜberiiUck über die umfangreiche
litemifdM Tätigkeit Flilgels. Dabei
wird TCMl jedem Buche der Hiiuptinhalt
knn. fthttr treffend angegeben. Folgende
^^enn wenden beRproehen : 1 .
und Theoloyip" "1 iiinircarbfitete Aufl.
„der speknlativeu Theologie der üegen-
wart"), 2. „Der ewige Gehalt de«
rhristentums und der iiiDderne Mensch",
3. „Der Kationali»ujus in Uerbarts
Pldagogik", 4. „Rit«chls philosophische
und tlipojogische Ausichten", ö. ^Daa
Wunder und die Erkenuburkeit (»otte»'',
6. pDieReligionspbilosophieinder Schule
fierbarts". 7. ^Falsche und walire
Apologetik**, 8. „Kant und der Prote-
stuntifmii.«", 9. ,.Zur Philosophie des
Christentum«'', 10. -Idealismus und
MateriaUtmiis der Oesemehte*, 11. „Die
Bedentung der Metaphysik Herbarts
für die Gegenwart", 12. »Die Seelen-
frage mit Rttekiiebt auf die neueren
Wandlungen gnwi.<t8ernatnrwiss!en!«chaft-
licher Begriffe". 13. Über die persön-
liche Unsterbiichkeit^ 14. „Die Sitten-
lehre Jesu". 1\ Das Ich nnd die
sittlichen Ideen im I^ben der Völker"',
16. „Über das Selbstgefühl", 17. „Über
das Absolute in den ästhetischen Ur-
teilen", 18. Schiifi und gut nach Herbart",
19. „Über Aas Verhlltnis des OefOhls
nun Intellekt in der Kindheit des
iBdividnnms und der Völker", 20. „Das
Seelenleben (h'v Tiere". 21. ..Die Pro-
bleme der Philosophie und ihre Lösungen"
und 88. „Abrln der L^k". AnMerdera
we rden die kleinen n Abhandlungen
Flügels nnd seine beiden Herbarts-
biographien angeführt. Hempridi Ittt
es verstanden, das wissenschaftliche
Charakterbild seines berühmten Meisters
in kursen aber treffenden Strichen zu
aeichnen. Wir wünschen mit ihm. dfiHH
ei der Lehre Uerbarts, die ja in Flügel
gegenwartig ihren bedentenditen Ver-
treter hat, neue Freunde znführe.
Naamborg a. S. Blftthgen.
Jnriatiseh-paycbiatriecheGrens-
fragen, herausgeg. von Prof. Dr.
jur. Finger, Prot. Dr. med. Uoche,
Oberarzt Dr. med. Bresler. 3. Band,
Heft 8 Die Zwang.s-{ Fürsorge )-Er-
ziehaug. Halle, Verl. v. C. Marhold.
Fr. I,ft0 M.
Da.H Heft enthält 3 Vorträge, ge-
halten in der Vereinigang für gericht-
Hebe Peyehiatrie mid Psychologie im
Grossherzogtura Hessen. 1. Privat-
dozent Dr. Dannemanu in Uiessei^
Flkrsorge-{Zwang8-)Ersiehnng. — Verf.
weist hin auf das au.ssergewöhnliche
Anschwellen der Bestrafungsziffer
Jugendlicher. Er ibidet eine Erkl&rung
in den ungünstigen sozialen Ver-
hältnissen, in dem scharfen Kampf ums
Dasein, in den gesteigerten Bedflrndaeeii
und in dem hantigeren Auftreten von
Psychopathen und nervös Veranlagten,
die ihr Dasein durch oben genannte
Ursachen defekt gewordeneu Eltern zu
verdanken haben. Prophylaktische Er-
wägungen haben in verschiedenen
Staaten (PreuBsen, Hessen) lur Schaffang
von FBiaorge- nnd Zwangsendehtuigs-
gesetzen geführt. Dr. Daunemann
onteracheidet 2 Hauptgruppen der Für-
aofgeaSgUnge: 1. (Mistig nonnale,
2. geistig abnorme. Er wendet sich
als Psychiater besonders den letzteren
SU und verlangt, dass besonders Hin
ihretwillen dem Arzt ein viel errösserer
Einriuss eingeräumt werden mnss als
bisher, da aer Pädagog die Führung
hatte. Einige Sätze dürften den BeifaU
der Leiter und Lehrer der Erziehung
anstalten nicht finden, so wenn D.
Seite 18 sagt: «Das psychisch Abnorme
nnd oft du direkt Krankhafte spielen
dabei eine so eminent wichtige Rolle^
dass es undenkbar ist, wie man het
einer grossen Anialil von Flllen den
ri( btii,^en Behandlungsmodus finden will
ohne den psvchiatnsch gebildeten Artt,"
Eine psychiatrische Bildung des Ptd»*
gogen scheint sich der Verfasser nicht
denken zu können. Die Leiter und
Lehrer der Erziehnngsanstalten kOnnen
ihre Zöglinge nicht handwerksmässig
nach einer Schablone behandeln. Ein
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jeder von ihnen ist veq)flirhtf't. sich
egrcbiatriscJi auwsubildeu, sei es durch
üfM (wie im Banbett Hatts-Hamburg
unter Leitung Dr. Dannemanns), sei es
durch Selbststudium. Die Hauptsache
ist aber die Praxis. Die Beobachtnngs»
gäbe „des Erziehers wird durch t&g-
Uche Übuüg i^eschärft, der steto Um-
gang mit PUraorgecQgliugeu lehrt die
Eigentilmlichkeircn , nucE die krank-
hatten, schnell erkennen und die Be-
li&ndlung darnach einrichten. Mnn
diese doch bei gleichen Äuswernniren
der Abnormität verschieden sein. Kami
dies der Arzt, der das Individuum doch
nur flüchtig beobachten kuaUf beuer
tanwiederPHdagog? Da«sTiiiachnnfi[«i
vorkoinmeu ist beim Arzt ebenso leicht
möglich (cL ä. 26), wenn es sich um
knrae Beobachtnngsseit handelt, wie
beim Pftda£r<^sren. Der Verf. spricht
einmal von psychiatri»4ch gebildeten
Anten uud dann von psychiatrisch nH'
enOgend ije.sehulten Erziehern, ebenso
Önnte man den uiugtkehrteu Füll
konstruieren. Kiue Trennung der
psychopathifchen Zöglinge, bei d^nen
die krankhafte Entartung besonders
hervortritt, von den Qbrigen Züglingen
ist mit dem Verfasser zn wünsclien.
Auf dem deutschen Fürsorgetag zu
ßrexlau 1906 fand dieser Oedauke
warme UnteisttttEang. — Der Vor-
schlag einer psychopathischen Be-
obaehMini,'.sstation hat sicher etwas Ke-
stechendes, meines Wissens besitzt
Fjrattkfnrt a. M. eine solche (vgl. aaeb
S. 66). Allein ob in 11 kurze Be-
obacbtungszeit (Verl, spricht von
1—3 Wochen) genUgt, mCchte ich
dahin frestellt sein lassen. Die Erzieher
an Erziehungsanstalten brauchen oft
Monate, ehe sie ttber einzelne Charaktere
ein abschliessendes Urteil gelien kfmnen,
obgleich sie viel mehr mit dem Zögling
in Ber ii innig kommen als der Ant in
der Beuliachtnnß'astfttion. Bei dieser
kurzen Beobachtnugszeit bilden die
neue Umgebung, das beobachtende
Interesse, in &asen Mittelpunkt die
Kinder stehen, so viele Hindernisse,
dass auch dor >r» sehickteste Psychiater
TftnschaDgen nicht ent^ben wird. In
der Aprilnnmmer der^Kinderfehler^lflO?,
ht rau.stri'ir. von Trtiper u. a . hat
ein Praktiker, Oberregiemngsrat Müller»
Chemaita, lelir beaditliehe Sfttie Aller
die Behandluntr psychopathischer Kinder
Seschriebeni die vollen Beifall finden
ttrften. Im ttbrigen ist dieaer Vortrag
ebenso wie r1ie f Tirenden allen sirh für
das Erziehuufi;swe&eu sittlich gefährdeter
und verwahrloster Kinder inte^asaieren-
den Kreisen wann zu empfehlen.
2. Die Zwaugserzieli u uL-^ vt/o
Rechtsanwalt Dr. Fuld-Mun/ Der
Verf. beleuchtet denselben Stoff von der
inristiächeu Seite. Er weist d^ranf
llin, dass unter Zwangaeraiehnng nicht
nur Atistalt.s-. sondern auch Familien-
erziebuiig zu verateheu sei und redet
letzterer besonders das Wort Er
spricht ans, dass Zwangaeraiehong für
das betr. Kind keine Strafe ist nnd
sf>in soll. In dankenswerter Weise er-
innert er die in Frage kommenden
Personen nnd Behörden daran, daas das
Kind recht z ititj der verderblich en
Umgebnug entrissen werde. Eine
Forderung, der nnr zu weni^ eot*
sprochen wird! Beizupflichten ist be-
sonders dem Satz: „Es bt^tehi heute
kein Zweifel, dass der Staat das Ver-
brechen am wirksnm.'sten bek.impft. in
desÄuii Gebiet »ier Umfang dtr Fürsorge-
erziehung dem tatsächlichen Bednrfnil
entspricht." Eine ernste Mahnung an
die Staaten, denen ein ausreichendes
Fürsorge • Eniehni^ • Gcaets noch
mangelt.
S. Zur Zwangserziehnngs-
praxi s von Mediziiialrat Kreisarzt
Dr. Balser-Mainx. Der Verf. venpricht
am Anfang, sich mit der Frage m
beschäftigen: Welche Erfolire haben
wir mit der Durchführung des Gesetzes
ttber die Zwangserziehung Minder-
jähriger erreicht? Obgleicli er zur
Beantwortung dieser Frage gar nicbt
kommt, lassen seine beachtenswerten
Ansfübmngen diesen Mangel vers^rsjen.
Er sieht mit offenem Auge, wo zu
baaaem gibt, ohne sich von den
modernen Sttirinern nnd Drangern ins
Schlepptau uebnien zu lat»«en. Dies
gilt besonders auch vom seiner SteUnag
anr Arbeit.
Von dennachfolgenden Bemerkungen
zur Zwaufserziehnny^ von Ministerialrat
Dr. Best-Darmstadt und Dr. £lamke^
Frankfurt sei ein Hinweis des letntersn
hervorirehoben, nämlich, die öffentliche
Kinderfttrsorge den kleinen Armen-
Terfataiden abnuiebnieii und hxeiteiea
S
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Schnlteni (Becirksverbftnde, Landarmen-
verbände) zu übertragen, um zu ver-
maiden, das» aus pekuniären Gr&aden
mit der Unterbringung ron Fttnoig«-
züelin^cn g«i5gert wird, bis es in
spät ist
Bräiinsdorf i. S. Pietzsch.
Karl EoUery Haasaufgaben uud
b9here Scbnlen, Leipzig, Verlag
von Quelle u. Mever, 19Ö7, geh.
M, 2.H(J; t:eb. M. 3,20. 142 S.
Die hüchst beacUieuswerte Arbeit
behandelt die verschiedenen Probleme
Ober die Uausauf gaben und utellt die
Frage der Hausaufgaben anf eine reine
wisseiiscliiiftliclie Basis. In einem ersteu
Abschnitte geht der Verf. auf die
pädagogischen Erwftgnngen ein, die
Li.sber über die so wi('btis,'e Frage
gemacht worden sind, und hebt neben
dem untenricbtlidien und erziebUehen
Momente auch das hygienische hervor.
Der 2. Abschnitt „Die Berechtigung
der Hausaiifgabeai'* briiiLct die Äusse-
rungen der i Vi»'r«t*M! Schulbehörden der
deutschen Buudeb.staateu iu der Haus-
anf^abenfrage, betrachtet das Verhältnis
der Hausaufgaben zum TTntorrichte und
ihre Bedeutung im ScUulleben. Der
3. Abschnitt behandelt die äusserst
wichtige Frage ttber ^die Hygiene der
Hamaifgaben**. Znm Schloss bringt
der Verf. die gesamte Literatur und
zur raacheu Orientienmg ttber die
einzelnen bei den Haoeanf^nben in
Betracht kommenden Fragen ein
Naiueu- uuü Sachregister.
Die Uberaus fleissige Arbeit, die
anch andere wichti«-e pildapogisohe
tragen berührt, sei aufs wäruiiite alleu
Kolletjen, an welcher Schule sie auch
unterrichten, empfohlen. Sie bietet An
reguiig uud forderte zum Nachdenken
anf Uber eine Frage, zu deren Lösung
es in der Zukunft noch anssprordentlich
viel zu tun gibt. .\ucn der erfahrene
Kollege winf die Arbeit nicht ohne
Segen fttr seine Zöglinge studieren.
Die ausländischen Kla.ssiker,
■rlJuitert und gewilrdxgi für höhere
Lehranstalten von Dr. Hau, Prof. Dr.
H. Wolf und einigten Mitarbeitern.
Verlag von Heinrich Bredt in Leipzig.
7. B&ndchen: Ascbylus' Prome-
thens-Trilogie wn Donner. Nen
bearbeitet nnd mit Erlftnterungen
versehen von Prof. Dr. Heintidi Ytw£,
1907. 111 R. 1.25 M.
Das Bändchen bringt zuerst die
Übersetzung von Donner mit kurzen
Fussnoten. In rim-m zweiten Teile,
den „Erläuteruii^'en ■, behandelt der
Herausgeber zuer.st in knapp« n Umrissen
die geschichtliche Entwickehmg der
attischen Tragödie und daä griechische
Theater, bringt dann eine kurze Bio-
graphie de.s Äschylus und den Sang
undAufbaiidcä „^efe.^selteuPrumetheus"*.
Ausführlicher wird die Prometheus-Sage
behandelt und die Zens-Beligion, nnd
zwar mit Becht; denn wir mtlssen die
Ä.schylns-Trilogie als einen Versuch
betrachten, eine erliabeue Anffaasnng
▼Ott der alles flberragenden Stellung
des OStterkÖnigs Zeus zu verkündigen.
In der weiteren Geschichte der
Promethena-Sage kommt der Herans-
geber auch auf Goethes Prometheus zn
sprechen. Zum Schlüsse geht der
Heransg^ernoch auf die geographischen
Vorstellnngen des Aschylns ein nnd
bringt schliesslich eine alphabetisch
geordnete Erkläning der wichtigsten
Namen. ist ein»* Ht'issigfi .\rbeit,
die dem Verf. alle £kre macht und
gewiss den benbsielitlgten Zweek
erreicht
8 Bftndebent Enripides' Medea
übersetzt von Donner. Neu bearbeitet
and mit Erläuterungen versehen von
Ptof. Dr. H. Woli 1907. 109 &
lß& M.
.\nch dieses Bändchen brin^.:! zuerst
die Übersttzuug voa Donner mit kurzen
erläuternden Fussnoteu Danu folgt
,.Euripides' Leben und Wirken", und
zwar 1. sein äusseres Leben, 2. £uri-
pidesals philosophischer Dichter, 3. Euri-
pides als Realist nnd Naturalist, der
Wettkampf zwischen Äschylus uud
Euripides in Aristophanes FrOschen,
5l ^Nachwirkungen des Euripides. Ein
weiterer Abschnitt behandelt die Sage
von Jason und Medea. Recht an fülii-
lich wird die dramatische Bearbeitung
des Stoffes dvreb Buripides ertrtert nna
das Stflck ■ist)irfiMh gewOrdiirt Tn
einem Znsatae werden kurz die Nach- •
dlehtangen der Sntipides'scben Meden
erwthnt. Aneh dieses Bttndohen wA
Dlgitized by Go -^v^i'-
— 23« —
aufs wftnnsto empfohlen« da et nun
Verständnis der interes<tantea TngMie
den gewünschten Aufschlass gewfthrt.
Hoffentlich besclienkt uns der Heraus*
feber auch mit deu Tragödien des
opbokles, die ja auf deu böber§n Lebr-
anstAlU'u noch mehr als die deeAsefayloa
und Euripidee geleien weiden.
Die deutschen Klassiker, erläutert
und gewürdigt für höhere Lehr-
anstalten, sowie zum Selbststudium
voll Kneneii und Evers und eiui;,'eu
Mitarbeitern. Verlag von Heinnch
Bredt in Leipzig.
9. Btndehen: Schillers Oloeke.
Nene Textau^sirabe mit veranschau-
lichender Erklärung , eingeheuUer
Siiinternng und umfassender Würdi-
fung, von T'rnf A. Evers. Direktor
es G^'mnabiuui» zu Barmen. 3. ver-
besserte Auflage. 1908. 844 S.
1,50 M.
■pie erstft Anfln^,^' dipser vnrtreff-
Ucheu Arbeit erschien IbüH, eine zweite
folgte 1902. Der Verfasser ist am
24. August 1906 gestorben und hat uns
noch eine 3. Aufl. dieser ausgezeichneten
Arbeit hinterlassen. Was den beiden
eisten Auflagen nachgerühmt werden
konnte, gilt besonden auch für die
letzte verbes.-^erte Auflage. Es erübrigt
daher nur auf diese biosuweisen. Wer
flieh mit Schulen Glocke beschäftigt»
nun» dies Werk kennen und studieren.
10. Btndehen: Das Nibelungenlied
erläutert tmd gewürdigt mit einem
Überblick über die Sage und die
neuere Nibelungeudicbtung. Dritte,
neu bearbeitete und erweiterte Auf-
lage von Lic. Hans Vollmer, Ober-
lehrer an der Gelehrtenschule des
Johanneums sn Hamburg. 1906. 20i S.,
1,25 M.
Die erste Attllai^ diese« BSndchen
erschien 1894, beurbeitet von Prüf. Dr.
Friedrich Vollmer iu München. Die
dritte Auflage hat der Bruder besorgt.
Sie hat starke Ändernnj^en und Er-
weiterungen erfahren, die Kritik bat
besonders ein^eeetst, mit Literatnr-
angaben int nicht »re^part. Die? ist
• zu btgrüHHt-n, da wir mit der ueuuu
Auflage eine ToUstindise Übersicht
Uber das KibelungenimUeni erhalten.
Es ist eine vortreffliche Arbeit, die dei
Deutschlehrer in den Oberklasseu nicht
im Stieb lässt. Das Bändchen bringt
zuerst den Inhalt des Epos nach den
einzelnen VbpTitenem. Vielleicht konnte
auf deu (irainatiächeu Aufbau des
Stückes grösserer Wert geleiert weidn.
Der Konunentar nnifiusst die «^anze
Dichtung und dient dem tieferen Ver-
ständnis deslubalts. — Ausführlich werden
der Ursprung und die Entwickeluug
der Sage behandelt, die Auffassungen
über die Enti^tehunif des Nibehuifii n-
liedes erörtert, Metrisches und die Uaud-
Schriften besprochen. JBn Kafrftd
handelt über „die Klage*'. Nachdem
der Verf. noch einen Blick auf die
Mittel der Dichtung, Idee und Tragik
geworfen hat, die Chaniktere im
Nibelungenliede betrachtet hat, be-
schäftigt sich der letzte Teil mit der
Wiedererweckung des Nibelungen-
liedeji" und der „neueren Nibelungeo-
dichtung". Gerade dieser letste Teil
erhüht den Wert des Bündchens, wenn
mau auch etwa nicht ganz damit eiu«
verstanden ist. Z. B. die vorzügliche
Übersetzung des NibelungoiUedes von
Gustav Legerlotz findet keine Er-
wähnnnsr. Wer das Vergnügen hat,
mit seinen Schülern das Nibelungwüied
SU lesen, wird gern ans diesen
Bändchen nent- Anretriii'C schupfen.
£s steht auf der Höhe der Zeit tuid
▼erdient mehr als blosse Beachtung.
26. Bändcheu: Gudrun, erläutert und
gewttrdigt für höhere Lehranstalten
sowie zum Selh.ststudiain von Rudolf
Peters, Überlubrer au» Köuigl. Hoben-
zollem - Gvninasiuro zu uüsseldort
1906. 123 S., k'eh. 1.21) Mk.
Die vorliegende Bearbeitung stellt
aus den kritischen Ausgaben und den
literarischen Besprechungen das zu-
sammen, was fttr den Unterricht oder
das Sdbststudium Bum VerstSndnis der
Dichtung notwendig und wertvoll er-
schien. Sie bringt „Inhalt und Auf baa
des Epos", dann einen Kommentar, der
in seiner Anlai^e von dem obiiren zum
Nibelungenliede abweicht. Der Kom-
mentar sucht spraeUiehe Schwierige
keiten ans dem Wes:e zu räumen tmd
bringt kurze Erklärungen, könnte viel-
leicht auf ein tieferes Verständnis des
Inhnlta nftber «^wg«*»«», da ja gerade
— 239 —
für eine Muftthrlichere Beliandlaflg des
Geiliehtei In Mar Selmle kmnni Zeit
übrig: bleibt. Danu orientiert nnr die
Arbeit über „£ut«tehang und Über^
liefemng des Oedicbtes" und „die
Quellen , brinert cina Charakteristik
der Personen, gibt einen Beitrag „zor
Wttrdigang des Gedichtes* rnid führt
zum Scbluss „Übersetzuugen und Be-
arbeitungen des Stoffe*** an. Die vor-
liegende tSchrifr uDterstQtzt und er-
f^fiiizt den T'Titerrirhf iiiifl dient als
wilü&üiaiueuer \VegweiiM;r. Wir kCnuen
ne nur anfi wirmste empfehlen.
Erfurt G. Deile.
Paul F. F. Schall, Un.«w>re Zierpflanzen,
uiuti zwanglose Auswahl biologi^ber
Betrachtungen ton Qarten- und
Zimmerpflanzen sowie von Purk-
gehölzen, mit ö farbigen Tafclu nach
Aquarellen von Wolff-Maage, 4 Tafeln
von Georg £. F. Schulz uaw. Verlag
von QtteUe iL Heyer, Leipzig 1909.
216 S. 8».
Das Ganze gliedert sich in vier
Teile: Sporeup&uizen, JSadelbölzer,
Monokotylen nnd Dikotylen. In amelian-
lieber, gründlicher Darutellnng werden
die häuptsächlichen Zierpflanzen nach
Berkunft, Gestalt, pbysiologisi heu Be-
sonderheiten myr. oescbrieben. Da hört
mau von der giftigen £ibe, deren
Bluter lieh adtwirte itellen, um der
gegenseitigen Beschattung zu entgehen,
mia stMint über die fArsorgende Weie-
heit der Natur. Tnd liat der Text
nnser lebhaftes Intereese erregt, so
kommt die Abbildung ni GKue nnd
vervol]stän'1i::t die ent-^tandenc Vor-
stellung. HöchHt lehrreicli nnd fesselnd
iet die Schilderung der Pla.sina-
strSmungen bei der virginiscbenTrades-
kantie (S. 48). Sehr fasslich werden
auch die eigenartigen Belebangs-
erscheinunffpn an der fopf. .\uffT^t'^bnnq's-
{>flanze beschrieben und diuth Blilz-
ichtaufnahmen demonstriert (S. 14).
Anmutig ist femer. die Beschreibong
der MondvioU'. „0 wie die Nachtviolen
lieblii h duften !" ruft Kleists Prinz von
Homburg, er meint die stiUe Pflanze,
die tagsüber nieht doftet, bei Naeht
jedoch einen k?).stlichen Wohly-eruch
ausströmt, wie denn die Natur selbst
immer weit poetiaeher iat, ala ihre
verHeschraiedendenLobrediier! So vertieft
man sich gern in die^e freundlichen
Naturbilder und dankt dem knndigen
Führer und Schilderer für willkommene
Itelehrung und Anregung. Der Text
wir] durch eine gros.se Zahl von
Illustrationen belebt , besonders die
kolorierten sind vuu j^ru-sser Feinheit
und Farbenpracht. Die ganze .Aus-
stattung des Werks ist prJl(hti£r und
Sediegen und des schönen, gelehrten
inehea dnrehana würdig.
Berlin. Oberlehrer Dr. C. Friea.
Eingegangene Bttcher.
(Besprechung ▼orbehalten.)
Hietariacb-pidagogiecher Literaturbericht über das Jahr 1906 u. 1907. hmus^rg.
von der Gcsellj>cb.iÜ fiir dcuUchc Erzichungs- und .Scbulgcscbichtfj. Berlin I908.
Hofmann & Comp. Pr. je 3 M.
Pidagogische Jahreaachau über daa Volkaaobalweaen im Jahre 1907. in (Gemein-
schaft mit hervorragenden Fachmännern herausgeg. von Dr. Clsuisnitzcr.
Lclym^ 190S. Teubncr. Pr. geb. 7 M.
RadC2Wiil, Minna, Reigcn-äammlong. Ebenda 1908. Pr. kart. 2,40 M.
Mever, Gertrud, Tanz&piele und Siogtinte. 3. A«fl, Ebenda 1908. Pr. kart. l M.
Bluter für deutsche Erziehung, h> ^ausg•^^ von Arthur Schulz. 10. Jahrgg. Heftön.?.,
Leipzig. Fcrnau, Pr. vicndj. 1,60 M,
A|aM, KMnMl, Soli die LehrenchUt in Jugendflinorge-Orgaoisatioiicn mitarbeiten ^
Halle. Schrocdcl.
Dehrn, Or. Karl, Über die geschlechUicbe Aufklänmg der Jugend. Ebenda I908.
Pr. 30 Pf.
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— 240 —
RMMkraiZ, C, über flcaraeUe Belehronftcn der Jugend. Ebenda 1908. Pr. 50 Pt
AgaM, Konrad, tM cr <1ic so/^i ilc Bedeutung des hauswirtsdudUichca UntenidllS vaA
seine EinHihrung in alle iirläUchcnschuleD. Ebenda I908. Pr. 50 Pf.
Stinqifl, Dr. Jotepb, Der Wert der Kinderpsyehologie für den Lehrer, s. Aufl.
Gotha 1908. Th; i-r.mnn. Pr, 80 Pf.
Freiherr V. Zedlitz U. NeukirOh, Die wichtig:»tca Aufgabcs der preussiscbcn Schul-
politik Leipzig I908. KJinkhardt. Pr. 60 Pf.
Stidinnann. P. Heinr., Das mod* mr- Junt^niannorproblem und seine Ldeang. Bannen
\f)o6, \crb. des Westd. Jüngiingsbundes, Pr. 80 Pf.
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SfMfBliier, H., nie rLlit:iosc Erziehung des Mcrl^ch(.•n im Lichte seiner rdigidten
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ErNtataniDieil zmi Jahrbaoll des Vereins für wissenschaftliche Pidagogik (39 Jahrgg. 1906)
nebst Mittcilun^"-n an scim- Mitglieder, herausgeg. von Ptof. Dr. K. Jwtt
Dresden 1907. Ülcyl & Kacmmcrer. Pr. l M.
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JtiOrrlt Or. phil. Theodor, Welche BcJcutunir hnt die philosophische Propädeutik für
die Hildnnp und insbesondere für die Lehr' rliildung. Gotha I907. Tbicnemann.
Pr. l'i,
RShlnann, Dr. F., Politische Bildung, ihr Wesen und ihre Bedeutung «sw. Letpog
1908. Quelle & Meyer. Pr. geh, 2,Ko M
UniWreität und Schule. Vorträge auf der Vers Linmlun»; Jeutscher Philologen oad
Schulmänner am 25. September I907 ZU Basel gehalten. Leipdg I907. Tenbner.
Pr. geh. 1,50 M.
Wtttkamp, Prof. W., Selbstbetätigung und Schaffensfreude hi Eniehnng und UntcrtiebL
Ebenda 1908. Pr. kart. 1,80 M.
Obfert, Arnold, Abbrach und Aufbau des ünteiiichUaysienis. i. Bd. rar Löxang des
■'i'i' ,:.i,'s;)rol)!eni Hannover I908. Meyer. Pr. f^eh. 1.50 ^^
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Torimlll Md Sohule, Beiträge /um (^csiimlen Unterricht an technischen I^hraoStnltca,
herausgeg. von Prof. M. Gimdt. 1. Bd., 4. u. 5. Hefl. Leipzig 1907. Tenbner.
Pr. geh. je 1,60 M.
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Meumann, Prof. Dr. E., Inttllij,'en/ und Wille. Ebenda. Pr peb. 4,40 M.
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Muazyaalü, Franz, Die Temperamente. Paderborn 1907. Schöningh.
Dnwk TOB A. BiMs A Botaa ia Mauiabnif a. 8.
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A. Abhandlangeiu
L
Da8 geographische Individuum.
Von Rektor tL Ehrhardt, in Köoigsee (Thüringen).
I. Www 4m iMgripbMei toilvldiini
Seit den Zeiten des klassischen Altertums ist die Kenntnis der
verschiedenen Erdräume die Aufgabe der Geographie gewesea Es
ist ein weites und reiches Arbeitsfeld, das sich dem Gec^raphen
darbietet, die P"rde in ihrer Mannigfaltigkeit der Erscheinunji^en und
Gestaltungen kennen zu lernen, sie vom Nordpol bis zum Südpol,
von Osten nach Westen zu erforschen. Ein ausgedehntes Gebiet
liegt vor der Wissenschaft, und je nach der Verschiedenartigkeit
der Gesichtspunkte, mit denen der Geograph an die Lösung seiner
Aufgabe herantritt, ist die Geschichte der Methodik dieses Farhcs
nach und nach entstanden. Zwei Hauptrichtungen sind es, die seit
den ältesten Zeiten deutlich und klar zur Erscheinung gelangen;
die eine sucht den Ehrgeiz darin, möglichst viele Gegenden und
Lander kennen zu lernen und zu beschreiben, der anderen kommt
CS besonders darauf an, die kausalen Verhältnisse zu erforschen,
die Wirkungen, welciie die Objekte auf den Menschen ausüben,
kennen zu lernen. Die Wissenschaft häuft nicht «bloss Stoff an, sie
sammelt nicht alletn fleissig Material, sondern ihr Hauptwert Üegt
in 1( I geistigen Verarbeitung des dai^ebotenen Stoffes, in dem
durch Vergkichung gewonnenen Einblick in den Zusammenhang
der Objekte, in dem Nachweis einer die Verhältnisse beherrschenden
Gesetzmässigkeit Schon Herodot von Halikarnass meinte, dass
sich die Verschiedenheit der Völker auf die Verschiedenheit der
physikalischen Verhältnisse des Erdballs zurückfuhren lasse, und
Strabo wusste wohl schon, dass die Erde ein grosser Organismus
ist, ein Erziehungshaus drr Menschheit. Die weiteste Berücksichti-
gung der kausalen Veriiaitnisse erfolgte aber erst, nachdem eine
ausreichende Sammelarbeit vollbracht war, dann begann die Durch-
dringung und geistige Verarbeitung des Stoffes durch Ritter, der
in der vorrede zu seinem Werke f3dndbach von Europa" sdireibt:
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— 242 —
„Mein Zweck war, den Leser zu einer lebendigen Ansicht des
ganzen Landes, seiner Natur- und seiner Kunstprodukte, der Menschen-
und Naturwdt zu erheben und dieses alles als ein zusammen-
hangendes Ganze so vorzustellen, dass sich die wichü^ten Resultate
über die Natur und den Menschen von selbst, zumal durch die
gegenseitige Vergleichung entwickelten. Die i. nie und ihre Bewohner
stehen in der genauesten VVechselverbindung, das Land wirkt auf
die Bewohner und die Bewohner auf das L^nd ein." seinen
Grundgedanken: die Grundlage alles erdkundlichen Unterrichts ist
die physische Geographie, die geoc^rnpliischen Elemente stehen im
organischen Zusammenhang und in innerer Wechselbeziehung, und
die Elrde übt auf ihre Bewohner einen bedeutenden Einlluss aus,
die durchaus nicht neu waren, sondern die er zur allgemeinen An-
erkennung brachte, schuf er den Begriff des geographischen Indi-
viduums. Jedes Glied ist ein integrierender Bestandteil des Ganzen,
das geographische Individuum lässt sich niclit teilen, es lässt sich
davon kein Glied wegnehmen oder vertauschen, ohne dass das
Ganze aufhört das zu sein, was es war. Diese einzelnen Glieder
des geographischen Individuums sind von einander abhängig, jedes
folgende Element setzt das vorhergehende voraus, und alle zu-
sammen bilden eine fortlaufende Reihe von Abhängigkeiten. Jedes
geographische Individuum kann nach Lage, wagrechter Gliederung,
senkrechter Gliederung, Boden, Wasser, Klima, Pflanzen, Tieren uad
Menschen betrachtet werden. Wie im Pflanzen- und Tierreiche bis
zu einem gewissen Grade gesonderte Organe unterschieden werden,
welche den ganzen Körper zusammensetzen und durch ihr Zu-
sammentreten die Einheit des Individuums au.smachcn, so stellen
auch die einzelnen geographischen Elemente im inneren Zusammen-
hang und bauen durch ihr ZusammentrefFen die Einheit des geo-
graphischen Individuums auf. „Man kann keinen Faktor, auch nicht
den kleinsten, in dem einen Glied verändern, ohne die Gleichung
zu zerstören." Die Krde bildet eine Vereinigung einer Anzahl
einzelner geographischer Individuen, die durcii die Entwicklung der
Volkswirtschaft zur Welt^Knrtschaft zum Teil in Verbindung stehen,
auch von der Natur aus schon durch mannigfache Fäden verbunden
sind. Sind diese vorangestellten Sätze richtig, so muss durch eine
gründliche Kenntnis einer bestimmten Anzahl solcher Individuen aus
den verschiedenen Zonen und Erdteilen am besten Zweck und
Aufgabe des erdkundlichen Unterrichts erreicht werden. Die Natur-
gesdiichte, welche nach Stoff und Methode die der Geographie am
nächsten verwandte Wissenschaft ist, führt der Schule auch nicht
die Fülle der Einzelwesen ihrer Reiche zu, sondern die Kinder sollen
durch die unterrichtliche Behandlung einer Anzahl von Naturkörpem,
insbesondere derjenigen der Umgebung, „dieselben denkend betrachten,
kennen, achten und lieben lernen". Immer and es Einzelobjekte,
Individuen, welche behandelt werden, die Zahl derselben richtet
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— 243 —
sich nach dem Schulsystem, und nicht in der Menge, sondern in
der Tiefe des Stoffes Kegt die Wirkung. Damit die geisttötende
Nomenklatur vermieden wird, behandeln wir immer einen Natur-
körper nach biologischen Gesichtspunkten ausführlich und schliessen
auf der Oberstufe an einen oder an mehrere Repräsentanten die
Gattung oder Familie an. Dasselbe möchte ich auch von dem
geographischen Unterricht verlangen, nicht mehr Behandlung der
^nzen, weiten Länder, der fernen und fernsten Gegenden unseres
Planeten, sondern Auswahl einer bestimmter! Anzahl von geo-
graphischen Individuen, diese seien Vctir t* r der Landschaftsformen
und werden aus den hohen, mittleren und niederen Breiten je nach
ihrer Bedeutung itir unser Volks- und Wirtschaftsleben ausgewählt
Für den Unterricht habe ich deshalb schon früher eine kur-
sorische und statarische Behandlung der Gebiete in Vorschlag
gebracht. Diese verschiedene Art der Behandlung ist eine praktische
Notwendigkeit, und die Unterschiede hegen nicht in der yuaiität,
sondern in der Quantität; die Grundaufgabe ist dahin modifisiert,
dass sich die mehr vorwärts eilende, übersichtliche, kurze Belehrung
zu einer ausführlichen, verweilenden Besprechung umwandelt. Die
kursorische Betrachtung eines geographischen Individuums dient der
fortlaufenden Übung im Kartenlesen, im Auffassen geographischer
Verhältnisse, sie sorgt för eine Bereicherung des Wissens, für eine
Ergänzung bereits gewonnener Unterrichtsresultate. Für die kur-
sorische Behandlung werden sich besonders solche geographische
Individuen eignen , welche in bereits unterrichüich angeeigneten
Gedankengruppen eine Stütze finden, für deren Verständnis keine
Schwierigkeiten vorHegen, für deren Aufnahme der Boden schon
bereitet ist. Die statarische Behandlung geht mehr in die Tiefe,
der gesamte Inhalt, die ganzen Verhältnisse des Individuums sollen
nach Möglichkeit in dem Geiste Aufnahme finden, Bildung klarer
Begriffe, Verständnis der geographischen Verhältnisse, Erfassung des
Unterrichtsmaterials nach allen Seiten wird angestrebt. Aus dem
gesamten Komplex der so behandelten geographischen Individuen
soll das richtige Verständnis für die ueographie, für die erd-
kundUchen Verhältnisse und Fragen hervorwachsen. Die Erde soll
als Naturkörper vorgeführt werden, auf dessen weiter und formen-
reicher Oberfläche durch das feststehende, gesetzmässige Ineinander-
greifen der Naturerscheinungen eine grosse Anzahl von Lebewesen
ihr Dasein fristet, die der Wohnplatz eines hochstehenden, von den
Naturgewalten sich immer mehr befreienden Lebewesens, des
Menschen, ist. Bei der Behandhing ist für den Krfolg der Stunde
die richtige Herbeischaftung des Anschauungsmaterials von besonderer
Wichtigkeit Ist dieses in genügender lüarheit und ausreichender
Menge vorhanden, so können die Sdiüler für die Mitarbeit gewonnen
werden, ihr Interesse wird geweckt und dauernd lebendig erhalten.
Der immer reichlich vorhandene geographische Stoff entbehrt
16*
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meistens die Kraft der vollen Anschaulichkeit Das Anschauungs*
material soll der Unterricht in der Heimatkunde, die fortgesetzte
Bc obnrhtiirr^y der Natur, die Karte, das Bild und das Wort des
Lehrers luirM, Das in der Wirklichkeit geschaute Objekt ist für
den Erwerb klarer Vorstellungen von höchster Bedeutung, jedoch
nur in der Heimatkunde lässt sich diese unmittelbare Anschauung
durchführen; der weitere erdkundliche Unterricht muss auf die Vor-
führung der Gegenstände in der Wirkhchkeit Ver/.iclu leisten, er
wendet heimatliche Vorstellungen, an der Heimat erworbene Gesetze
auf die fremde Scholle an. Nur die Sachen haben den höchsten
Wert, die sich der Schüler auf Grrund der Betrachtung von Er-
scheinungen, von natürlichen Formen in der umgebenden Natur selbst
erarbeitet hat, alles andere sind nur Glaubenssätze, von denen er
nicht den Wahrheitsgehalt abzuschätzen vermag. Der Schwerpunkt
liegt nicht in den abstrahierten Sätzen, sondern in den ihnen zugrunde
li^enden Tatsachen.
Die unmittelbare Anschauung der Natur und die Betrachtui^
von Bildern macht die Landkarte nicht überflüssig. Der Tourist
kauft auf seiner Wanderung die Ansichtskarte um eine Seite, um
ein Bild aus der Landschaft zu besitzen, die Karte ist ihm aber
doch noch ganz unentbehrlich zur richtigen Auffassung der Gegend
nach Lage und Gestaltung der Verhältnisse, sie gibt ihm ein Bild
der ganzen I^ndschaft Die Landkarte will die gegenseitige
horizontale Entfernnn'j;^ der einzelnen Punkte auf der Erde neben
den vertikalen Entfernungen veranschaulichen, ersteres ist Auf'^abc
des Situationsplanes, letzteres des Reliefs oder der Tcrraindarstcliuag,
sie will eine Darstellung von der Landschaft geben, wie SIC den
Auge aus der Vc^elschau erscheine!. \' ürde. Die vollkommenste
Karte müsste in dem Re«;chauer den Lindruck hervorrufen, als ob
sie en relief gearbeitet wäre. Die Teriaindarstellung ist der
schwierigste und wichtigste Teil der Landkarte, von der Darstellung
der dritten Dimension hängt Wert und Brauchbarkdt der Scbid*
karten ab.
Die zwei Ilauptmcthodcn der Terraindarstellung, das hypso-
graphische und das orographische System, wurden vereinigt zur
Darstellung des Geländes durch Höhenschichten verbunden mit
SchraiTen besw. mit Schummerung oder durch Höhenlinien mit
SchralTen oder Schummerung. Da auch diese Darstellung noch
nicht genug Plastizität erzielt, wird die senkrechte oder schräge
Keleuchtung angewandt. Bei der schrägen Beleuchtung muss
natürlich durch die Lichtquellen aus verschiedener Richtung stets
ein anderes Bild erzeugt werden, das von so beträchtlicher Ab-
weichung sein kann, dass ein Wiedererkennen derselben Landsdiaft
zur Unmöglichkeit wird; bei der senkrechten Beleuchtung wird das
Terrain nicht reliefartig genug. Die Plastizität der Karte muss alle
Formen des Geländes klar und wirkungsvoll zur Anschauung bringen,
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— 245 —
dabei aber die Einzelheiten der Höhenstufen deutlich und leicht
crkentien lassen, alle konventionellen Zeichen m{i-^?^cn, wenigstens
auf tlcn Karten für den ersten erdkundlichen Unterricht, zurück-
gedrängt werden, so dass die Scliulkarten nicht mehr so viele
Rätsel aufgeben, sondern leichter gelesen und verstanden werden
können. Für die Schule ist es sicherlich von gfrossem Gewinn und
eine Erleichterung^ der Arbeit, wenn bei der Darstelhmg der Karten
die Objekte nirht sinnbildlich, sondern mehr bildlich ani^egeben
werden, wenn auf dem Situationsplan die künstlerische Darstellung
das Gelände aufbaut Erst dann werden die Karten allgemein
brauchbarer, es bedarf nicht mehr der vielen Vorarbeiten zum
Kartenverständnis, sie werden das richtige Anschauungsmittel für
den erdkundlichen Unterricht, ein geographisches Lesebuch. Von
allen Anschauungsmitteln verlangen wir neben ausreichender Grösse
und notwendiger Beschrankung der dargestellten Gegenstände
Naturtreue und künstlerische Darstellung, ßir die Schullcarten, als
wichtigstes Anschauungsmittel des geographischen Unterrichts, müssen
diese Forderungen auch massgebend sein. Die Schulkarte muss
immer mehr an Naturtreue und Lebendigkeit gewinnen, an Sinn-
bildlichkeit abnehmen, erst dann wird sie ein pädagogisch wertvolles
Lehrmittel werden, welches das volle Interesse der Kinder erweckt
Die Handkarten dienen durch ihren besonderen und reicheren
Inhalt einem bestimnUcn Studium.
Soll das geographische Individuuni fruchtbar behandelt werden,
sollen alle seine Elemente die nötige Beachtung erfahren, so muss
der Schüler einen Atlas in den Händen haben, der eine weite
Selbsttätigkeit ermöglicht und allen Anforderungen entspricht. Die
Karten sollen mir eine Verkleinerung der Wandkarte sein, in dem
Entwurf, der 1 erraindarstellung , der Stnffrinswahl, kurz in ihrer
gesamten Darstellungsweise mit der Wandkarte Ubereinstimmung
zeigen. Der erste Atlas, den die Schüler in den Händen haben,
enthalte die Karte des Heimatlandes bezw. der Heimatprovinz,
Deutschland in \lcr Abteilungskarten, als Nordwest-, Mittel- und
Nord-. Nordost- und Süddeutschland und endlich noch eine Über-
sichtskarte von Deutschland, alle sind orohydrographische Karten
mit eingezeichneter roter Grenzmarkierung. Diese sechs Karten
enthalten den ArbeitsstofT für das 4. und 5. Schuljahr. Die Kärtchen
zur Einführung in das Kartenverständnis sind für die Unterrichts-
praxis absolut wertlos.
In der beschränkten Kartenzahl ist die Möglichkeit gegeben,
die Wünsche in bezug auf Format, Inhalt und Darstellung zu erfüllen.
Das Format kann gross genug gewählt werden, um die Darstellung
in dem Massstabe von i : 500000 für die Heimatkarte, von
1 : 2 500(XX) für die Teilkarten von Deutschland und von i : 5000000
für die Übersichtskarte zu ermöglichen. Der erste Atlas braucht
gar nicht reichhaltig zu sein, das Hauptgewicht muss auf gute und
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246 —
gediegene AusÜihrung der Kartea gelegt werden, Inhalt und Dar-
stellung^ müssen eine Zufuhrung von geographischen Vorstellungen
im wohlg^eordneten Zusammenhang ermöglichen. Das Papier ist
unbedingt nur einseitig zu bedrucken, denn das Streben nach
äusserster Verbilligung, das wohl Aaerkennung verdient, darf nicht
den Ausschlag bei der Anfertigung geben, sondern Gediegenheit,
D^iierliaftigkeit und Schönheit müssen dieses Lehrmittel in allen
seinen Teilen auszeichnen.
Für das 6. bis 8. Schuljahr ist die Anschaffung eines weiteren
Lesebuches für den erdkundlichen Unterricht nötig, den Inhalt bilden
die übrigen zur Besprechung gelangenden £rdräume und eine Karte
mit den nötigen Darstellungen aus der mathematischen Geographie»
Für die Beiehrungen in Her Wirtschaftsgeographie, die immer mehr
an Ausbau und Bedeutung zunimmt, sollte wenigstens eine Karte
über Weltverkehr und Kolonialbesitz Aufnahme hnden. Die Länder
Europas sind im Massstabe von i : 5 000000 dargestellt, nur Russ*
land im Massstabe von i : looooooo^ Europa I : 20000000, die
übrigen Frdteile im Massstabe von 1 : 40000000. Für einfache
Schulvcrhältnisse können die Erdteile auf einer Karte von der
östlichen und auf einer zweiten Karte von der westlichen Halbkugel
dargestellt werden. Das Verjüngungsverhältnis ist fiir die Karten-
frage ein wichtiger Punkt, und die angeführten Massstabe sollen nur
darlegen, dass leichte Vergleichbarkeit unbedingt erforderlich ist.
die Karten selbst müssen /.um Vergleich der einzelnen Grössen und
Entfernungsverhältnisse drängen. Für die statarische Behandlung
einzelner geographischer Individuen aus den aussereuropäischen
Ländern reichen jene Karten kaum aus, es sind besondere Karten
des Individuums im grösseren Massstabe wünschenswert; sie allein
ermöglichen unter Selbsttätigkeit der Schüler Entwicklung und klare
Darstellung der geographischen Elemente.
Soll der geographische Unterricht die Schüler dahin fuhren,
die Ewigkeit zu erlangen, im späteren Leben ohne Antrieb von
Seiten eines Lehrers ihr Geiste^eben weiter zu entwickeln, die un»
bewussten Bildungsmächte auf sich wirken zu lassen und in ihrer
Tätigkeit zu unterstützen, so ist es nötig, durch die Kunst des
Kartenlescns die Kenntnis der Elemente des geographischen Indi-
viduums auf die höchste und vollkommenste Weise zu entwickeln
und auszubilden. Alle Kenntnisse von Namen und Zahlen gehen
nach der Schulzeit gar bald verloren, die schönste Schilderung wird
durch neue Eindrücke bald wieder verlöscht, aber die Fertigkeit
des Kartenlesens gibt die Möglichkeit, in bisher ufibekaniiien Land-
schaften das Entdeckte wieder zu entdecken, die Kenntnisse zu
erweitem und aufzufrischen.
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2. Die Eiemente des geograiiliisohen Individuums.
Die Hrde yr'hjt uns in ihren einzelnen Teilen und Weiten von
der Natur aufj^efuhrte Bauwerke, einheitliche, in sich geschlossene
Gebiete, in denen die besonderen Teile nicht regellos zusaramen-
gehäuft sind, sondern eine gewisse Verbindung und geistige Ver-
knüpfung besitzen, durdi nvelche das Gesamtergebnis, das geo-
graphischr !iidi\ idinim, erzeugt wird. Die Wechselbeziehungen der
erdkundlichen Kiemente sind so mannigfach und zahlreich, dass
durch die Veränderung eines Gliedes notwendig die ganze Harmonie,
das ganze Gleicligewicht zerstört würde. Die feststehenden Tat«
Sachen, die unwiderleglichen Ergebnisse der W^issenschaft, durch
welche eine Krkcnntnis der Kausalität der Elemente möglich ist,
muss der Unterricht verwerten und ausnutzen.
Von den einzelnen Teücn des geographischen Individuums
kommt zunächst die Lage in Betraditj die erste Frage: „Wo liegt
das Land?" muss beantwortet werden, ehe zu den weiteren
Elementen fortgeschritten werden kann. Zeige ich den Induktions-
^lobus mit dem aufgezeichneten Heimatsort vor, so erkennen die
Schüler bei der Drehung desselben, dass zwei Punkte, der Nordpol
und der Südpol, ihre Lage nicht verändern sondern feststehen, sie
wissen aber noch nicht die einzelnen LagevertöltnisBe zu anderen
Punkten auf der Kugel festzustellen. Durch eine Reihe von Be-
obachtungen haben sie die Entstehung von Tag und Nacht erkannt,
und diese Erfahrungstatsache führt zum Verständnis der geo-
graphischen Länge. Die Kenntnis der Erdgestalt ermöglicht die
Auffassung der geographischen Breite. Der heimatkundliche Unter^
rieht hat für die nötigen Beobachtungen, die bei der Erklärung der
geographischen Länge und Breite gebraucht werden, schon früh-
zeilig Sorge zu tragen, sonst schweben diese Erkenntnisse in der
Luft, das Wissen kann nicht auf die Erfahrungstatsachen zurück-
geführt werden.
Die Länge und Breite jedes Individuums wird im Unterricbt
bestimmt, natürlich nicht durch trockene Zahlenangaben, sondern
durch genaue Erklärung der Bedeutung jener Zahlen, indem die
Schüler reden: Kamerun wird durchschnitten vom 5^ n. Br., d.h.
es liegt auf der nördlichen Halbkugel; s mal 1$ Meilen nördlich
vom Äquator; wir liegen $1 mal i$ Meilen nördlich vom Äquator;
das Land ist also 46 mal 15 Meilen südlich von uns auf der nörd-
lichen Halbkugel gelegen. 85 mal 15 Meilen südlich vom Nordpol;
wir liegen nur 39 mal 15 Meüen südhch vom Nordpol. Es wird
ferner durchnitten vom lO** ö. L. v. Gr. £s liegt also auf der öst-
lichen Halbkugel. Wir wohnen auf dem ii^ ö. L.; dort geht die
Sonne um 4 Minuten später durch den Meridian. Es liegt unter
demselben Meridian wie Hamburg, dort ist zu derselben Zeit Mittag.
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Aus der geographischen Breitenlage wird erkannt, dass dieses
Land jährlich zwcnoial von der Sonne senkrecht zur Mittagszeit
bestrahlt wird, dass die Dämmerung fast fehlt, dass es für die
Bewohner eine Zu- und Abnahme der Tage nicht rvht. dass es
endlich nur zwei Jahreszeiten hat. Ein BHck auf die Karte belehrt
ferner über folgende Punkte : das Land ist von den europäischen
Kulturstätten im Norden durch die grosse Wüste abgeschlossen.
Die Bewohner waren auf sich angewiesen, erst durch die Ver-
besserung^ der Verkehrsmittel zur See riirktr drin Weltverkehr
näher, auch die benachbarten Landschaften konnten keinen fördern-
den EinAuss ausüben, da sie nach ihrer Lage unter denselben Ver-
hältnissen stehen. Von der geographischen Lage können vide
Fragen über die Bedeutung des Landes in der Welt, über die
StellunjT zu den Nachbargebieten und zur f^eimat, in Bezug auf
Wirtschaft und Kultur, auf Handel und Verkehr beantwortet werden.
Reizten in der Ferne herrliche, reiche Eilande zum Verkehr auf dem
Wasser, oder lockten in der Nachbarschaft fruchtbare Landschaften
zu friedlichen Handelsbeziehungen oder zu kriegerischen Eroberungen,
aus der L^e erldaren sich vide geschichtliche Ereignis des
Landes.
Bei der insularen Lage ist es wichtig, ob wir kontinentale oder
ursprüngliche Inseln vor uns haben. Die KontinentaUnseln verraten
meistens ihre Verwandtschaft mit dem Festlande sofort, ehe man
überhaupt ihre mit der benachbarten Festlandsküste in geologischer
Beziehung übereinstimmende Beschaffenheit erkannt hat. Die
Pflanzen- und Tierwelt zeigt bis zu einem gewissen Grade eine
überwiegende Mcxirzahl von Organismen, die mit denen des Fest-
landes Obereinstimmung aufweisen. Neuseeland, die einsamste aller
Kontinentaltnseln, konnte eigentümliche Lebewesen bewahren, sie
konnte durch die Abwesenheit von mcächtigen Tierformen, den
grossen, flügellosen Vögeln eine Zufluchtsstätte gewähren, aber durch
das iiindringeb neuer Feinde war für diese der Untergang unaus-
bleiblich. Die ursprünglichen Inseln zeigen in der Flora und Fauna
eine dürftigere Ausstattung, denn nur durch die Einwanderung oder
Einschleppung von Organismen kann eine Bcsiedelung erfolgen.
Vor allen ist es der Mensch, der Nutztiere und Nutzpflanzen ein-
führt, ihnen folgen allerlei andere Tiere und Unkräuter, und alle
stören den stiHen InsdfHeden and schaflen ein neues Bild der Flora
und Fauna. Die insulare Lage sondert die Bewohner zunächst von
den Nachbarvölkern ab, dadurch werden sie aber auch vor fremden
Eroberern geschützt.
Nach den Lagebestimmungen ist die wagrechte Gliederung,
Fläche und Ausdehnung des geographischen Individuums zu
betrachten und durch Aufwerfen von Fragen nach Grund und Folge
zur Erkenntnis der verschiedenen Verhältnisse zu fuhren. Die
Heimatkunde befähigt die Schüler, mit Hilfe des Massstabes Ent-
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fernungen und Flächen wieder m die Wirklichkeit umzusetzen, diese
Fertigkeit wird in der richtigen Weise fortdauernd angewendet,
wenn der Schüler auf der Karte die Entfernungen mit dem Zirkel
abmisstp die gefundenen Grössen auf das Millimetermass überträgt
und die f^^efiindene Zahl mit dem Massstabe der Karte multipliziert.
Diese Arbeit muss immer wieder eintreten, damit Gründlichkeit in
der Kenntnis des Massstabes die Folge ist, und eine klare Vor-
stellung der verschiedenen Massstabe fOr das spatere Leben
gewonnen vnrd. Diesdben Entfernungen werden auf verschiedenen
Kartenblättern abgemessen und berechnet, an bekannten Strecken
der Heimat im Räume veranschaulicht und endlich wird auch
berechnet, welche Zahl von T ageswanderungen von etwa 30 km
nötig sind, jene Entfernungen zu durchreisen. Ist der Gradbogen
zwischen zwei benachbarten Parallelkreisen bekannt, so wird auch
mit Graden gerechnet.
Von einem cliarakteristischen Punkte ist es g^t in der Form
einer Windrose Richtungslinien zu ziehen und nun die Lage-
beziehungen einiger wichtiger Punkte bestimmen zu lassen. Die
Linien in ihren Ejnden miteinander verbunden ergeben die erfordere
liehen Punkte fiir die Grundgestalt des geographischen Sonder-
^ebietes, die Gestalten können die Schüler selbständig; berechnen,
falls sie in den Flächenberechnunc^en zur Genüge f^eübt sind. Die
Karten der aussereuropäischen Länder müssen auf einem kleinen
Nebenkärtchen stets Deutschland in genau demselben Massstabe
dai^estellt enthalten. Dieses Kartchen soll Anregung zu Vergleichen
von Entfernungen und Grössen geben und die Klarheit in der
Auffasstm^^ von Massverhältnissen fördern.
Von der Grösse des Ländergebietes werden verschiedene
Schlüsse auf Reichtum und Mannigfaltigkeit der Pflanzen und Tiere,
auf Leben und Arbeiten der Menschen gemacht, das kleine Gebiet
wird von den Bewohnern nach allen Richtung^cn rascher durch-
wandert, nach seinen natürlichen Hilfsquellen schneller erschlossen,
die Menschen selbst wohnen näher beieinander und treten in engere
Verbindung, der weite Raum dagegen wird langsamer erobert und
erforscht. Von der Ausdehnung der Länge und Breite ist das
Klima abhängig; bei diesem Element des geographischen Indivi-
duums ist Kenntnis der senkrechten und waj^echten Gliedenin^^
nötig, denn die Verschiedenheit der Klimate beeinflusst die Pflanzen-
und Tierwelt und endlich die Besiedelung durch den Menschen.
Während die angeführten Punkte nur die Umrisse, die Grund«
rüge des Individuums darstellten, tritt nun durch die Betrachtung
des Bodens nach Höhe, (jestalt und Stoff eine tiefere Durchdringung
ein, die Betrachtung schreitet mehr in das Einzelne, in das Resondere
fort. Die richtige Auffassung der Bodenerhebungen kann nur durch
die in der Heimat gewonnenen Vorstellungen vennittelt werden,
die Heimatkunde soll zur Auffassung der Höhen fremder Land*
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Schäften nach der Karte befähigen. Es wäre für den gesamten
geographischen Unterricht ein grosser Gewinn, wenn für die Hand
der Schüler einige billige und leichte Reliefkarten aus Papier gepresst
angefertigt würden, wie sie schon Atlanten für die erste Stufe des
Unterrichts in der Erdkunde in früheren Jahren enthielten. Eine
Karte von Deutschland könnte wenigstens hergestellt werden. Unter
allen Anschauungsmitteln nimmt dasjenige, welches die Boden-
erhebungen körperlich wiedergibt, entschieden die erste Stelle ein,
es gelangen da alle drei Dimensionen zur Darstellung, während die
Landkarten die Bodenerhebungen nur durch Farben und Striche
andeuten, bieten die RcUetkarten dagegen wirkliche Erhebungen.
Die plastische Darstellung wird von dem Schüler mit grösserer
Freude betrachtet, sie vermittelt durch die volle Körperlichkeit
klare Begriffe von den Arten der Gebirge und Täler, von den Tief-
und Hochländern, von den Quellen und Flusssystemen. Eine solche
Reliefkarte von genügender Grösse wird eine ganz andere Vor-
stellung von der tellurischen Plastik erzeugen, einen erfolgreicheren,
anschaulicheren Unterricht ermöglichen und för die Kartenbenutzungf
ein nicht zu unterschätzendes Hilfemittel abgeben.
Die Bcfähir^ung zur Auffassung der Höhen fremder Länder
erfahrt durch die selbständige Anfertigung von Profilen Im deutende
Förderung. Das Prohi niuss im Unterricht öfters Verwendung finden,
denn die Bodenformen vieler Landschaften, Gebirge und Täler lassen
sich mit wenigen Strichen rasch und klar darstellen. Natürlich darf
•auch hier die Reduktion der Länge die der Höhe nicht in einem
solchen Grade übersteigen, dass Zerrbilder entstehen und falsche
Vorstellungen von Höhen und Böschungswinkeln gebildet werden,
l^fach darzustellen und unterrichttich wertvoll sind die klemen
Profile von Tälern und einzelnen Gebirgsformen, als am lehrreichsten
müssen die durch ganze Landschaften bezeichnet werden, denn durch
diese wird der Unterschied zwischen den Höhen und Tiefen, der
Aufbau des Landes am besten zur Anschauung gebracht. Das
Gelände ist in unsern Schulatlanten und auf den Wandkarten meistens
durch farbige Hohenschichten dargestellt, dadurch wird die An-
fertigung der Profile ganz bedeutend erleichtert, denn auf den
Karten sind die Höhen messbar.
Der Wiedergabe der Höhen in der Wirklichkeit dient auch
das Bilden. Es ist ein die Selbsttätigkeit ganz besonders anregendes
didaktisches Hilfsmittel, das immer mehr in den Schulen Einzug
hält und ein reiches Arbeitsfeld (tir die Tätigkeit des Schülers dar-
stellt. Besonders sind es Bergformen, Vulkane, Gebirge. Gletscher,
Felsschluchten, Flusstäler, landschaftlich schöne und geof^raphisch
besonders wichtige Orte, welche sich ganz gut in Sand odw
Plastilina nachbilden lassen. Es kommt beim Bilden nicht auf
Naturtreue an, sondern auf allgemeine Charakterisierung der Formen.
Die Wirkung der Gebirge auf die benachbarten Landschaften ist
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XU bedeutend, als dass wir auf völlige Klarheit Verzicht leisten
können- Die Art des Anstieges, des Abfalls, der Erhebung beeinflusst
Wärme und Kälte, Häufigkeit und Menge der Niederschläge,
Richtung und Stärke des Windes, der Boden schreibt den Flüssen
die Richtung ihres Laufes vor, er bestimmt Wasserreichtum und
Gefalle. Weiteriiin ist von der vertikalen Gliederung der Oberfläche
der Reichtum und die Verbreitung der Organismen abhängig, Ver-
kehr und Arbeit, Körper und Geist der Bewohner werden beeinflusst.
Durch die Erkenntnis dieser Zusammenhänge tritt an die Stelle der
blossen Beschreibung und Au&ählung wirldiches Verständnis der
geographischen Elemente.
Beim Boden muss unbedingt noch der Stoß* interessieren, da
von hier aus wieder eine grosse Zahl von Schlüssen möglich wird.
Basalte und Phonolithe zeigen meistens Kuppen- oder Kegelformen,
Porphyre bilden scharfe, steile Felspartien mit grotesken Zerklüftungen
und scharfen Gebilden, Granite haben mehr abgerundete, welSge
Oberflächen, Quadersandsteine zeigen senkrechte Felswände,
machtige, wagrecht zerschnittene Schirhtrti, und der Kalk bildet
lange Bergketten und Hochflächen. Die Kr mit ms der wichtigsten
Gesteinsarten, welche den Grundstock der äusseren iirdhnde auf-
bauen, ermöglicht die Gestalt der Berge und Täler und die Ober-
flächenformen wenigstens teilweise zu erklären. Auch Reichtum
und Verteilung an stehendem und flicssendem Gewässer n'<"rden
bedingt durch den geologischen Aufbau. Die Pflanzen bilden nach
und nach ihre Organe unter Mithilfe der Sonnenstrahlen aus den
StoiTen, die sie aus der Luft und aus dem Boden ihres Standortes
entnehmen, durch die Venritterung des Grundgesteins wird der
für die Kultur mehr oder weniger fruchtbare Roden gebildet, und
aus der Zusammensetzung des Bodens, aus dem Reichtum seiner
Schätze kann auf die Ansiedelung und Bauart der Wohnungen, auf
die Beschäftigung und die Lebensverhältnisse, wohl auch auf den
Gesundheitszustand und die Bildung der Bewohner geschlossen
werden. Die Oberfläche allein ist ein Individuum mit eigenen
Zügen nach äusserer Erscheinung, nach Höhenlage und Entstehung.
Alle Veränderungen am Relief des Landes zwingen zu einer kurzen
Erklärung einiger Mittel der Gebirgsbildung; Hebung und Senkung,
Auffaltung und Ausnagung werden durch anscbauHdie Betrachtung
leicht zum Verständnis gebracht Die heutigen Bewegungen der
Erdrinde müssen auch in ihren Grundzügen Beachtung erfahren,
schon allein um die landläufige Vorstellung, welche das Festland
als für das Unbewegliche hält, zu berichtigen. Für die tektonischen
Beben, welche an den Bruchlinien der Erde vorkommen und von
der stetigen Verschiebung der Erdrinde Zeugnis geben, hat unser
Vaterland auch Gebiete aufzuweisen. Die Einsturz- und die
vulkanischen Beben haben meist lokalen Charakter, Die Seebeben
und die grossartigen und in ihren zerstörenden Wirkungen gewaltigen
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Erdbebenfluten lassen erkennen, dass die Erschütterungen auch auf
dem Meeresboden an manchen Orten vorkommen.
Von dem Wasser, das als fliessendes, stehendes, gefrorenes und
als Meer erscheint, wird ebenfalls der Zusammenhang mit den
anderen Elementen aufgedeckt. Die allgemein gültigen, durch An-
schauung in der Heimat gewonnenen Satze über das fliessende
Wasser ^cben an, dass zunächst von der Nci<:^ung des Bodens Fluss-
richtung und Geschwindigkeit, von der Bodenbcschafl"cnheit die
Form des Laufes abhängig sind. Die Wasserführung, welche mit
der jahreszeitlichen Verteilung undMeni;e der Niederschläge wechselt,
beeinflusst die Geschwindigkeit, von dieser ist Kraft und Arbeits-
leistung abhängi<^. Der Fluss ist in der Erosion ein flcissigcr und
selbständiger Arbeiter und in der F'ortschaffung des ihm zugeführten
Verwitterungsschuttes ein Diener fremder Kräfte. Es ist nicht
genug festzustellen, wie hier ein Fluss sich entwickelt, ausbreitet,
zerspaltet, sondern die Neugierde richtet sich auf die Fragen warum
die Richtung, die Form des Laufes, die Geschwindigkeit, die
Wassermenge gerade so hervortreten, auf seine mechanischen und
chemischen Wirkungen, auf die Bedeutung für Pflanzen und Tiere,
auf den Einfluss im Leben der Menschen; wie die Mensdien sich
am Flusse ansiedeln, da er ihre Arbeit unterstützt, ganze Betriebe
erst ermöglicht, den Verkehrsweg vorzeichnet oder bei genügender
Grösse selbst zur Verkehrsstrassc wird. Von der Karte kann neben
Namen, Quelle, Mündung, Richtung, Gestalt und Länge des Laufes,
Gefalle und Wassermenge auch die Geschwindigkeit und die
Bedeutung abgelesen werden.
Das stehende und das gefrorene W^'lsscr wirkt in vieler
Bezichun^^ auf den Charakter der Landschaft und auf die wirtschaft-
liche Entwicklung der Bewohner. Durch die Berechnung der
LängS' und Breitenausdehnung einige stehender Gewässer* wira eine
Vorstellung von der Grösse gewonnen. Dass der Viktoriasee in
Afrika und der obere See in Amerika an Grösse dem Königreich
Bayern vergleichbar sind, wnrd nicht genug hervorgehoben. Meist
sind die Vorstellungen über die Grössen der Seen falsch und daher
auch die weiteren Schlösse über die Bedeutung in dem geo-
graphischen Individuum unrichtig. Vom Meere interessiert die Arbeit,
welche es am Lande verrichtet, der Einfluss auf das Klima in Bezug
auf Feuchtigkeit und Wärme, die Bedeutung für die Pflanzen und
Tiere, die Wichtigkeit für den Verkehr, der Einfluss auf den Charakter
und auf die Beschäftigung der Küstenvölker.
Das Klima, nämlich der mittlere Zustand der Atmosphäre dar*
gestellt durch langjährige meteorologische Durchschnittswerte, hat
als direkte I laiiptfaktoren Wärme und Niederschläge, als indirekte
Winde und orographische Verhältnisse. Die Wirksamkeit aller vier
Faktoren wird durch die Beobachtung des Klimas der Heimat ver-
standen; Wärme, Wind, Niederschläge, Luftdruck, Himmd und
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besondere Frscheinungen werden im Wechsel der Jahreszeiten
verfolgt, danuL die erforderlichen Sätze und Gesetze auf Grund der
Anschauung abstrahiert werden können. Die Festlegung des
Gesetzes, die Wärme nimmt mit der Höhe ai?, erfolgt nach einer
Anzahl von Temperaturmessuntfen auf den Ausflügen, nach der
Beobachtung der benachbarten Höhen, welche die Schneedecke im
Frühling etwas länger tragen, deren Vegetation sich später ent-
wickelt, und die sich im Winter zuerst mit einem weissen Kleide
schmücken. Für die Kenntnisse, dass die Eurwärmung der Hrd*
Oberfläche nach dem Winkel der Bestrahlung verschieden stark ist,
dass die Intensität der Erwärmung von der Erwärm ungsfahigkeit
der bestrahlten Fläche abhängig ist, also das Land sich stärker er-
wärmt aber auch stärker erkaltet ab das Wasser, dass die erwärmte
Luft: in die Höhe steigt und dass die Luft bei grösrorer Erwärmung
eine höhere Dampfmenge festhalten kann, bietet die Natur and die
Umgebung dem Schüler reichlich Gelegenheit zur fleissigen Be-
obachtung. Die Klarheit über die Neigung und stete (ileichrichtung
der Erdachse während der Bewegung um die Sonne bringt den
Unterschied in der Mittagshöhe der Sonne, die Läi^ von Tag und
Nacht, die Entstehung der Jahreszeiten und die Entstehung der
Zonen zum Verständnis. Wie sich Wärmezonen unterscheiden lassen,
so ist auch Festlegung von Wind- und Niedcrschlags/.onen möglich.
Durch das besondere Zusammentreten der angefülirten Faktoren
unterscheiden wir auf der Erde KUmaprovinsen, die bei der
Besprechung eines Landes eine kurze Schilderung nötig machen.
Alle Ursachen müssen aufgehellt werden um die Tatsachen zu
erfassen.
Die Witterungserscheinungen haben für alle Menschen Interesse,
alle beobachten den Himmel, alle schauen nach der Wetterfahne,
alle sehen nach dem Stande des oft dürftigen Barometers und
Thermometers, wenn es auch nur 7,11 dem Zwecke sein sollte, sich
über die Wetteraussichten für einen geplanten Ausflug zu unterrichten.
Das Kimia wirkt auf die religiösen Vorstellungen der Völker, auf
Geistes- und Gemütszustand der Menschen ein, selbst in der Literatur
zeigt sich ein gewisser Zusammenhang mit den meteorologisdien
Erscheinungen des Wohnsitzes.
Die Physiognomie eines gengraphischen Individuums ist nicht
bloss von den i'errainverhältnisscn und von dem Wasser abhängig,
sondern vor allem ist es die Vegetation, welche besonders dem
Auge bemerkbar hervortritt und der Landschaft ein bestimmtes
Aussehen und besonderes Gepräge verleiht. Die Pflanzen snd
abhängig vom Boden und vom Klima, dem Boden entnehmen sie
wichtige Xahrungsbestandteile, er übt durch Dichtigkeit und Wärme-
kapazität und VVasserdurchlässigkeit einen bedeutenden Einfluss auf
sie aus, und Wärme, Licht und Feuchtigkeit sind Grrundbedingungen
für das Gedeihen der Pflanzendecke. Für uns hat eine Pflanzenform
— 254 —
nur dann Bedeutung, wenn sie das Bild der Landschaft in besonders
charakteristischer Weise bestimmt, sonst kommen nur die \ c^c
tationsformen in Betracht, da sie ein eigenartiges LandscfaaftsUld
vor dein Auge entstdien lassen und ausierdem noch die Folge von
den lokalen Boden- und Klimaverhältnissen darstellen.
Schon frühzeitig lernt das Kind die Vegetationsformen der
Heimat kennen, es besucht Buscii- und VValdland, auf der Wiese und
im Riede ist es tatig, das Ödland tritt an irgend einer Stelle deutlich
hervor, auch das Kulturland wird in den Formen als Feld, Garten
und Weinberg als eigener Typus beachtet Die Bedeutung^ der
Pflanzen für die Neubildung des Bodens führt das Moor und der
Humus, ihren Wert für die Erhaltung der festen Erdrinde jedes mit
Weiden bewachsene Bachufer, jeder beraste Eisenbahndamm, jeder
au^eforstete Berghang vor, und der Einfluss des Waldes auf das
Klimr\ ^vird in der Heimatkunde durch Erfahrung zur Klarheit
gebracht, denn auf den Wanderungen wurde im heisscn Sommer
die angenehme Waldkuiiie empfunden; das Aufsteigen des Wasser-
dampfes konnte an zahlreichen Tagen deutlich beobaätet werden, und
im Walde suditen undfandendie KinderoftgenugSchutz vordem Winde.
Die Veränderungen, welche die Vegetationsformen durch die Arbeit
des Menschen oft genug erfahren mussten, sind so bedeutend, dass
die Physiognomie der ganzen Landschaft dadurch eine gründhche
Umgestaltung erfahren hat Waldland und waldlose Gebiete, die
beiden Hauptt)q>en der Vegetation, haben auf die meoscfalklie
Arbeit einen verschiedenen Einfluss. Die undurcbdrin^chen und
weiten Wälder der troj ischen und gemässigten Zonen, besonders
aber die tropischen L rualder, in denen sich die Lianen von Baum
zu Baum schwingen und ein dichtes rilanzcngewebe bilden und dem
Urwalde hauptsächlich die Unwegsamkeit verleiben, scheiden die
Menschen voneinander und hindern den Verkehr, ja sie verleiben
ihren ständigen Bewohnern ein besonderes Gepräge. Das Eukalypten-
und Akaziengestrüpp in Australien hat durch seine harten und
Steifen Formen die Erforschung des linieren aufgelialten. Anders
sind die Wirkungen der waldlosen Gegenden, der Wüsten und der
Grassteppen. Die Haupteigentümlichkeit der Steppen liegt darin,
dass sie immerwährende Wanderungen den Bewohnern gestatten,
Steppenvölker brachen zur Zeit der Völkerwanderung in Mittel-
europa ein und überfluteten das Land. Der Ackerbau führte zur
Sesshaftigkeit der Bewohner und zur dichteren Besledelung des
Landes, er förderte die Kulturentwicklung der Menschheit. Um
Raum für den Anbau der Kulturpflanzen zu gewinnen, mussten
natürlich durch den Menschen die Vegetationsformationen vprandert
werden. So zeigen nun die alten Kulturländer China, Hindostan
und Ägypten ein eigenartiges Landschaftsbild, und durch dk
energisäe Arbeit der Ansiedler wurde in Nordamerika und in aOeo
jüngeren KulturUuidem die Landschaft mit einem anderen PBanxen-
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klt'idc ;in;j^rtan. Unter der I'tlcL^c und Tätii^keit des Menschen ent-
wickeilcn sich die NahrungsauLtei und i^liaiuenfasern, Heil- und
Genussmittel liefernden Pflanzen zu ertragreichen Formen, und um-
gekehrt wifkten die Pflanzen auf die Kultureotwicidung und Gesittung
ihrer Pfleger und Anbauer wieder segensreich ein.
Viel weniger als fiie Pflanzenwelt bestimmt die Tierwelt den
Charakter des geographischen Individuums. Wenn auch die Faunen
getrennter Gebtete mehr oder weniger bestimmte Sonderformen
besitzen, so treten sie doch nicht sofort in dem Landschaftsbilde
hervor, sondern sie wollen erst gesucht und entdeckt sein. Die
Unterschiede der tiergeographischen Verhältnisse sind im wesent-
lichen ein Produkt des Klimas, ein Ergebnis der wecliselnden Ober-
flachenverhältnisse unseres Planeten. Der Einfluss der Tierwelt auf
die Physiognomie der Landschaft erstreckt sich nur auf wenige
Fälle. Zunächst sind es einige Angehörige der niederen Tierwelt,
besonders Vertreter der Anthozoen, welche auf den unterseeischen
Erhebungen des Meeresbodens ihre Bauten bis zur Überfläche empor-
fuhren. Die Schalen einiger Rhizopoden bauten in früheren Epochen
die Kalk- und Kreidefelsen auf, und von den höheren Tieren sind
es nur wenige, die zerstörend in die Pflanzendecke eingreifen und
das Büd des Landes auf die Dauer verändern. Die Umgestaltung
der vegetativen Decke in vielen Ländern musste natürlich auch zu
einer Änderung der tierischen Bewohner fuhren. Für den Menschen
haben die Tiere Bedeutung:, welche entweder wichtige N^nings«
mittel liefern oder Kleidung spenden oder eine gesuchte Handels-
ware fir^r'^tcllcn oder als treue (ichilfcn bei dem Kainjjfc ums Dasein
für iliTi i;tit/h"ir sind oder auch als Feinde sein Leben, seine
Gesundheit, semc .*\rDeit bedrohen. In das Verbreitungsgebiet der
höheren Herwelt hat der Mensdi machtvoll eingegriflen ; die schfid«
liehen Raubtiere hat er aus den Kulturlandschaften vertrieben,
wertvolle Pelztiere hat er fast ausgerottet, und die riesenhaften
Säuger, Klefant und Wal, hat er in wenigen Jahrzehnten nus
weiten Gebieten gedrängt Den grosstcn Nutzen und die sicherste
Einnahmequelle bilden die einzelnen Organismen nur dann, wenn
der Mensch die Nutztiere in seine Pflege, in seinen Schutz, in seine
Kultur nimmt, dann erst sind für ihn die Hilfsquellen der Landschaft,
welche sich ihm in der Tierwelt öffnen, weniger den Zufälligkeiten
und Schwankungen ausgesetzt Die für die I^ndschaften charakte-
ristischen Individuen aus dem Tierreich, welche durch ihre körper-
lichen Einrichtungen und durch ihre Färbung ganz und gar ein
Ergebnis der geographischen Verhältnisse sind, werden in der
Naturgeschichtsstunde oder auch in der Geographie so weit als
notig behandelt, erst jetzt sind die Bedingungen erfüllt, welche ein
volles Verständnis ihrer Lebensweise ermögUchen.
Von allen Beziehungen sind die auf den Menschen die wichtigsten ;
er ist abhängig von einer grossen Anzahl von Erschemungen, ein
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Glied in der langen Kette von Abiiaugigkeiten, das iindglicu und
hervorragendste Wesen im geographischenlndividuum. Die Menschen
zeigen als Naturvölker die grösstc Abhängigkeit von den geo-
graphischen Verhältnissen. Obgleich wohl heute kaum norh ein
Volk zu finden ist, das gar keinen Kulturbesitz aufweist, denn überall
berichten uns die Reisenden von Waricnsclimuck, von einfachsten
Gerätschaften, von rd^iösen Anschauungen, so soU doch durch die
Bezeichnung Naturvolk ausgedrückt werden, dass jene Völkerschaften
noch wenige oder gar nicht sich der Beeinflussung durch die Natur-
mächte entzogen iiaben. Die Völker, welche dagegen auf den
höchsten Stufen der Kultur stehen, haben jene Abhängigkeit von
den geographischen Verhältnissen ihrer Heimat immer m^ur Über*
wunden, ja sie wirken sogar umgestaltend und behenschend auf
jene Verhältnisse ein, sie entwickeln und bilden die unabhängige
Stellung immer mehr aus. Die Arbeit des IMcnschcn zum Zwecke
der Veredelung und Vervollkommnung des materiellen und geistigen
Besitzstandes interessiert uns nur nach der räumlichen Seite, soweit
Nahrung, Kleidung und Wohnung in Frage kommen. Die Er>
zeu 1 1 : und Steigerung des Vermögens an Gütern setzt verschiedene
technische Verbesserungen voraus und die Ausbildung eines Güter-
austausches, eines V^crkchrs, der sicii mit der Weiterentwicklung;
zum Weltverkehr ausgebildet liat. Aüe Anteiinalune eines immer
g^sseren Kreises der Gesamtbevölkerung der Landschaft an den
Erzeugnissen der einheimischen wie der fremden Gebiete fuhrt zur
höheren Kulturstufe empor, zur Verallgemeinerung aller wirtschaft-
lichen und geistigen Errungenschaften. Die natürlichen Hilfsquellen
werden geöft'net, die Gewerbtätigkeit wird in verschiedenen Staaten
durch das Volk gehoben, entwickelt und erweitert, mit den Nachbar^
Völkern beginnt ftir die Herbeischaffung der erforderlichen Rohstoffe
oder für den notwendigen Umsatz der heimischen Erzeugnisse die
.Anknüpfung von Handelsbeziehungen, die Interessen des Volkes
werden durch die Gründung von Kolonien auf grössere Gebiete
ausgedehnt Ciütererzeugung und' Güterumsatz sind die beiden
Hauptseiten jener Wirtschaftspolitik, die sich heute über die ganse
Erde erstreckt und stets für das materielle Wohl des eigenen Volkes
Sorge trägt.
Das wirtschafthche Leben der europäischen Kulturvölker hat
sich von der Volkswirtschaft zur Weltwirtschaft entwickelt, iur diese
Tatsache gibt das tagliche Leben die zahlreichsten Beweise. Die
Bevölkerung der Kulturkreise ist abhängig von der Arbeit zahl»
reicher, weitentfernter Gebiete, entweder werden zur Befriedigung
der Bedürfnisse an Nahrungsmitteln die heimischen Ernten aus den
Erträgen fremder Gegenden ergänzt, oder die Erzeugnisse des
Gewerbfleisses müssen im Auslande abgesetzt werden. Die vielen
Fortschritte der menschlichen Kultur gerade in den letzten Jahr-
zehnten machten die Menschheit selfc^tändiger und unabhängiger
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von den geographischen Faktoren. Dabei wurden auch immer
mehr die Gaben der Natur für den Menschen verwendbar gemacht
Das Volk verwächst durch die Kulturarbeit fester mit seinem Wohn-
sitze, das Antlitr des ^geographischen Individuums wird durch die
Urbarmachung des Bodens, durch die Abiiolzung und Anpflanzung,
durch die Regelung und Änderung der Flussläufe, durch die Anlage
von Strassen, Brücken und Dämmen, durch Eisenbahnen und Kanäle
so beträchtlich verändert, dass dieses und jenes erdkundliche Element
in seinen Wirkuniren auf die anderen Glieder und in seiner
Bedeutung tur das Ganze eine Abänderung erfahren hat Alle jene
Arbeiten haben nur den einen Zweck, Nutzbarmachung för den
Bewohner. Jede Überwindung eines Widerstandes, den die Natur
der Arbeit des Menschen entgegensetzt, bedeutet für die Menschheit
einen Kulturtortsciiritt, einen Schritt zu grösserer Selbständigkeit
und Unabhängigkeit.
Durch den grössten Aufwand an Geld und Arbeit vergrössert
der Niederländer den Raum seines kösüichen Weide- und Frucht*
bodens, ein Viertel des ganzen Landes, das tiefer liegt als der
Meeresspiegel, besonders die grosse Flärlie von der Zuidersee nach
SW hin, beschützt er durch hohe, unabsehbar lange Deiche an den
Küsten und Flüssen gegen die Überflutungen ; das Haarlemer Meer,
i8o qkm, wird bereits von iScxx> Mens(äen bewohnt Auch die
geographische Lage hat durch die Bauten \on Verkehrswegen eine
Veränderung und durch die Entwicklung der modernen Verkehrs-
mittel eine andere Bedeutung erhalten. Die Verbindung der Aus-
gangs- und Endpunkte auf dem kürzesten Wege wird durch Kanal-
bauten für den Seeverkehr angestrebt, und durch die Dampfkraft
können die Fahrzeuge die kürzesten Wege einhalten, sie sind un-
abhängig von Wind und Strömung geworden. Raumüberwindung
ist das Ziel jedes V^erkehrs, Verbindung der getrennt lebenden
Menschen un J VV irtsciiaftsformen. An der Veränderung der vertikalen
Bodengliederung hat neben dem Bergbau noch die Anlage von
Verkehrswegen, welche Abtragung von Höhen, Ausfüllung von
Tälern, !)t?rrhbrechung der voi^lagerten Höhen nötig macht,
besonder rn Xnteil.
Das stehende und fliessende Gewässer des Binnenlandes erfahrt
die Macht der menschlichen Arbeitskraft Hier weist er den Flüren
ein anderes Bett an. dort entwässert er Seen und Sümpfe. Vor
allen Dingen ist es das Flachland, wo das geringe Gefälle der Flüsse
die Schiffahrt gestattet, wo keine Stromschnellen und Felsenriffe
hindernd entgegentreten. Aber auch die Stromschnellen überwindet
der Mensch durch Sprengungen und die fladien Wasserschriden
durch die Anlage von Kanälen; durch die Kammerschleusen werden
selbst beträchtliche Höhen überschritten. Die Ströme trennen die
Menschen nicht mehr voneinander, da gewaltige Brückenbauten
ein Ufer mit dem andern verbinden. Die East Kiverbrücke, 1827 m
PMafOfuclMs äUHU«n, XXX. i. 17
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— 2S8 —
lang, 26 m breit und 41 m über dem Wasserspiegel, bietet Raum
für 2 Eisenbahnwege, für 2 Fahrstrassen mit elektrischen Bahnen,
für einen Fussweg und wird täglich im Durchschnitt von rund
I15CXX) Menschen überschritten. Die Williamsburgbrücke ist ^o^st
2200 m lang und bietet Platz für 2 Hochbahnen, 4 Strassenbaiiu-
S leise, 2 Fahrstrassen, 2 Radfahrer- und 2 Fussgängerwege. Soldie
'beiten zeigen deutlich, dass die Flüsse die Menschen nicht mehr
voneinander trennen können. Die Bedeutung der Flüsse als Wasser-
wege zeigt ihren Wert für die Verbindung der Länder untereinander.
Die Arbeit des Menschen beeinflusst auch die Vegetationsformen
der Landschaft, dadurch hat er an vielen Orten dne merkfiche
Veränderung der klimatischen Verhältnisse herbeigeführt Der Mensch
hat durch seine Arbeit im Laufe der historischen Zeit in auffallender
Weise die Verbreitung der Pflanzen verändert. Jene Veränderung
des Landschaftsbildes der älteren Kulturländer ist ein Werk des
Menschen und durch seine energische Arbeit haben auch die jüngeren
Kulturländer eine neue Physiognomie erhalten. Überall begann
zunächst seine Arbeit mit der Ausrodung der Wälder, Kultur- und
Odhnd trat an die Stelle. Die Vermischung der Floren ist eine
Fül^e der menschlichen Kulturarbeit, absichtlich verbreitet er die
Kulturpflanzen, aber auch gegen seinen Willen folgen viele fremde
Grewädise seinen Spuren, Unkräuter werden mit den Kulturgewächsen
verbreitet. Besonders ist es der Verkehr der Neuzeit, welcher die
Pflanzen in ferne Gegenden trägt und die Floren vermischt. Kirchhoff
führt an, „dass auf der Strecke .•Xupfsburg-Haspclmoor gelegentlich
der Getreidetransporte 1868 bis 1880 44 neue Phanerogamen in
die Flora eingeführt wurden". Der Botaniker findet gerade an den
Etsenbahndämmen gar manchen Fremdling in der heimischen Flora.
In derselben Weise widmete der Mensch den Tieren seine
Aufmerksamkeit, indem er einit^e :'n Xutztieren heran/.og, verfolgte
er andere des Pelzes oder Fleisches oder einer anderen Beute wegen,
die gefahrfidien verdrängte er, oder er rottete sie gans und gar
aus. Bei dieser Tätigkeit sind auch die Naturvölker beteiligt, wenn
auch ihre Arbeit nicht so intensiv geschieht. Zuerst fallen die
wenig geschützten, grossen Tiere dem Kampfe zum Opfer, während
die am besten geschützten Individuen am leichtesten den drohenden
Gefahren entgehen. Ebenso wie die Pflanzen, verbreitet er absichtlich
oder unabsichtlich manche Tierformen, besonders sind es kleinere
Tiere, Parasiten und Ungeaefer, welche dem Menschen in die ent-
legensten Erdräume folgen. Der Mensch verbreitet Tiere, welche
durch natürliche, schwer überschrcitbare Grenzen, durch grosse
Meere, hohe Gebirge, ausgedehnte Wüsten von einer Gegend auS'
geschlossen werden. In Nordamerika führte er den Spetüng ein,
der sich so vermehrte, dass er zur Landplage geworden ist, auch
das in Australien von Europäern eingeführte Kaninchen hat sich zu
Millionen vermehrt. Dadurch, dass der Mensch verschiedene, einer
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— 259 —
bestimmten Tiergruppe zur Nahrung dienende Fflanzenformen einer
Gegend vernichtet» nimmt er zugleich auch hemmten Tierformen
die Möglichkeit ihrer Existenz. So liebt das Auerwild, das rechte
Bild des Urwaldes, den primitiven Waldzustand, von Schluchten,
Gehängen, Felsen, zerrissene Waldstrecken, unregelmässige Bestände,
es hasst die Kulturarbeit des Menschen. Durch die mehr oder
minder bewusste Beeinflussung von den Menschen sind die meisten
unserer Haustiere ohne jeden Zweifel von wildlebenden Arten ent-
standen. Durch die ständige Auswahl und durch die planmässige
Wiederholung der Ausle-sr erreicht er nach und na'^h rias Ziel; zahl-
reiche Arten von Pferden, Rindern, Hunden, iiuhiicrn und Tauben
hat er seinen besonderen Zwecken entsprechend gezüchtet. Wie
schon angegeben, tritt die Fauna stets in dem Landschaftsbilde
zurück, das Auge des Geographen muss erst die Tierformen Stichen,
während die Vegetationsformen sich dem beobachtenden Auge von
selbst darbieten, doch darf die Betrachtung des geographischen
Iiidiwdoams deshalb nicht an wichtigen, durch die Menschen herbei*
geföhrten Veränderungen in der Tierwdt vorübergehen.
3i Dar aslarrlolitildis Wart das gsaf raplilaelmi ladtvldanm.
An erster Stelle erfordert die fruchtbare Behandlung eines
geographischen Individuums die Bildung deutlicher und klarer
Anschauungen als Grundlage der richtigen Vorstellungen und Begriffe.
Dieser Erwerb von Anschauungen wird dadurch erleichtert, dass
ein gründlicher, sorgfältiger Unterricht in der Heimatkunde erteilt
wird, der sowohl in materieller als auch in formeller Hinsicht seine
Aufgaben kennt und auch zu erreichen weiss; der also den Heimats-
ort und dessen Umgebung nach allen Seiten betrachtet, Tier- und
Pflanzenwelt beobachtet, Wetter- und Himmelsbeobachtungen anstellt,
die einfachsten wirtschaftlichen und gewerblichen \'< i .lalttiisse
berücksichtigt und den Sinn tur die Geschichte der Heimat weckt,
auf der anderen Seite aber auch den geograi)htschefi B^priü&schatz
erweitert, allgemeine erdkundliche Gesetze ableitet und in das Ver-
ständnis der Karte de^^ I Heimatlandes einführt, überhaupt den Sinn
und das Verständnis für geographische Verhältnisse und Dinge
erweckt und i)ildet. Den besten Schutz gegen allen geisttötenden
Verbalismus gewährt die Anschauung der Natur in ihrer eigenen
Werkstatt, hier zeigen sich die geographischen Elemente in absoluter
Vollkommenheit. Diese unmittelbare Anschauung schärft in den
Schülern die Aufmerksamkeit und berichtigt, vermehrt und verstärkt
die Vorstellungen. Selbst die besten Bilder sind Surrogat, Notbehelf,
didaktische Hilfsmittel, die immerhin der kindlichen Fassungskraft
einen gewissen Widerstand entgegensetzen, aber ein notwendiges
und nützliches Unterrichtsmittel geworden sind, ja bei vorzüglicher,
künstlerischer Ausfiihruog der äsüietischen Bildung dienen, die Teil-
17»
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— 26o —
nähme der Kinder wecken und erhalten können. Femer müsseo
gute Karten und geschickt gegliederte und tüchtig zu Ende geführte
Unterrichtsstunden klare Vorstellungen von der Gegend erzeugen,
die nicht mehr direkt an^^eschaut werden kann.
Von dem zu behandelnden geographischen Individuum wird
erst durch den Totaieindruck eine Übersicht von dem Ganzen
gewonnen. Diese unvollkommene, lückenhafte, von Irrtümern
erfüllte Anschauung wird dann durch Besprccliuni^ in das Einzelne
berichtigt, vertieft und ausgefüllt, ausserhalb des Anschanungskreiscs
liegende Dinge werden soweit als möglich durch die Heimat ver-
anschaulicht Im Anschauen wird die Richtung der Aufmerksamkeit
Stetig verändert, es tritt ein Analysieren, ein Auflösen der Totalitat,
ein Zerlegen des ganzen Bildes in die einzelnen Teilinhalte eiq,
dadurch werden die einzelnen Glieder zu deutlicherem und klarerem
Bewusstsein gebracht. „Die Anschauung legt eine breite, weite
Fläche auf einmal hin; der Bhck, vom ersten Staunen zurück-
gekommen, teilt, vetbindet, lauft hin und wieder, verweilt, ruht,
erhebt sich von neuem, — es kommt die Betastung, es kommen
die übrigen Sinne hinzu, es sammeln sich die Gedanken, die Versuche
beginnen, daraus gehen neue Gestalten hervor und wecken neue
Gedanken, — überall ist freies und volles Leben, überall Genuss der
dargebotenen Fülle."*) Das geographische Individuum bietet ein
neues Bild, das von den Kindern jedoch nur soweit erfasst werden
kann, als verbindende Fäden zwischen demselben und den früher
erworbenen Vorstellungen entdeckt werden. ., (gelingt es ihm, die
an dem Gegenstande gemachten neuen Beobachtungen und
Erfahrungen mit früher erworbenen Teilvorstellungen zu einem Ganzen
zusammenzufassen, so hat es neue Anschauung erworbea"^
Von der richtigen Auffa^^sung des besprochenen Landes über*
zeugt sich der Untf-rricht dadurch, dass er eine Zusammenfassung
durch den Schüler in der b'orm einer klaren Beschreibung Verlanen.
Wenn in früherer Zeit die Beschreibung einen Hauptteil des erd-
kundlichen Unterrichtes ausmachte, so möchte ich sie jetzt entweder
soweit ausgedehnt oder soweit eingeschränkt sehen, als es zum
V^erständnis der ganzen kausalen Verhältnisse nötig ist. Sie soll
demnach nicht eine Darlegung aller möglichen Kleinigkeiten sein,
sondern sie soll die geographischen Elemente nur in dem Masse in
Betracht ziehen, nur sofern ihre Bedeutung und ihre Wirkungen ver*
folgen, als sie der Beantwortung von Fragen nach dem kausalen
Zusammenhange dienen können. Das geographische Individuum
verlangt zu seiner Charakterisierung ein Darlegen aller wesentlichen
und ausserweseatlichen Merkmale, diese Beschreibung erstreckt sich
in einer gewissen Ordnung auf die einzelnen Teile, gerade die feste
1) Herbart, Allgemeine P&dago^k. Buch IL Kapitel IV.
•) Fldagogische Studien. XXVII. JalvKai«. I. Heft. & 9.
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— 26l —
Reihenfolge erzeugt grössere Durchsichtigkeit, Klarheit und
Deutlichkeit.
Hat der Schüler das Objekt mit der nötigen Klarheit angeschaut,
ist ein t^anzcs i[^eisti{:^es Leben dal t i in rätic^keit [besetzt worden,
hat der Geist die Dinge richtig cr(abi>t, so bringt er sie seinem
Wesen nach miteinander in Verbindung, er muss das Verhältnis der
Teile feststellen, er muss unter den einzelnen Bewusstseinsinha1tet\
Beziehunpf^n aufdecken. Dann wird ein tiefes Verständnis für die
Teile uml lur ihre Bedeutung im ganzen Unterricht erreicht, das
Interesse wird grösser, da der Schüler weiss, warum er zur Bcaclitung
der Teile venmlasst wurde. Wie weit die Berücksichtigung der
Beziehungen der Elemente untereinander und zum Ganzen möglich
ist und in dem Unterricht geschehen kann, dafür kann der geistige
Standpunkt der Schüler zunächst den Massstab und Ausschlag
geben. „Die Verknüpfung von Sein und (ieschehen ist ein
Qiarakteristikum des geistigen Lebens, über jedem seelischen Akt
schwebt der Kausalitätsgedanke." Da sich das Denken inrnier-
während auf die Erfassung der kausalen Verhältnisse richtet, so
muss der geographische Unterricht überall nach dieser Richtung
hinarbeiten. Bisher hatte mit dem Aufzählen und Nennen der
Merkmale des Landes der Unterricht den Hauptteil seiner Arbeit
getan. Man wanderte mit den Schülern in der Welt umher, von
dem einen Land ging die Reise in das andere, rastlos und immer
weiter strebte man vorwärts, von den Höhen hinunter in die Täler
und dann wieder hinauf auf die Höhen, die Kinder waren überall
und doch nirgends daheim. Wir durchwandern nun ein bestimmtes,
in sich abgeschlossenes Gebiet nach verschiedener Richtung, so dass
sich die wege kreuzen, dass wir an bekannten Orten wieder
vorüberkommen, '.vir verweilen niif dt-n Höhen um uns zu besinnen,
um die Natur zu gcnicssrn und üiren ewigen, unwandelbaren Gesetzen
zu lauschen, um Eindrucke zu sammeln und Erfahrungen zu machen
und inomer geschickter zu werden för eine erfolgreiche Reise in ein
neues, unbekanntes Land. Benennen und Aufzählen erzeugt kein
vollständiges Wissen, in der Erkenntnis der kausalen Faktoren Hegt
der Wert der Krdkunde. Die Wissenschaft verlangt systematischen
Zusammenhang ihres Inhaltes, eine einstimmige Erkenntnis der
einzelnen Objekte. „Jede Wissenschaft soB eine klare und deutliche,
geordnete und möglichst vollständige, zusammenhängende und in
sich einstimmige Erkenntnis ihres Gegenstandes geben."*) Das
Wesen des geographischen Individuums erfordert schon allein eine
Darlegung der Abhängigkeiten, eine innere Verknüpfung der vor-
liegenden Teilvorstellungen. „In dem Gesetzmässigen wird Not-
wendigkeit erkannt oder doch vorausgesetzt; die Unmöglichkeit des
Gegenteils also ist gefunden oder angenommen; das Gegebene zer-
Drobisch, Nene Daratdlucg der Logik. §114.
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— 262 —
föllt io üfaterie und Form, und die Form zum Versuch un^^ormt:
nur so konnte der Zusammenhang als gegeben und dann weiter
als notwendig hervortreten."
Wollen wir die Dinge erkennen, so suchen wir über die
Bedingungen des Entstehens, über den Ursprung, über den ursäch-
lichen Zusammenhang zwischen Gestaltungen und Erscheinungen
nachzudenken. Dahin soll audi der Schüler durch die Betrachtung
des ffeo.'rriphischcn Individuums {jefiihrt werden, durch Selbsttätigkeit
und ei^M Tie Beobachtungen soll er die Verhältnisse aufdecken, die
in der Hciinai erworbene Schulung des Geistes soll er auf fremde
Gegenden anwenden. Die Fragen nach den kausalen Verhältnissen
drangen sich dem denkenden Freund der Geographie und dem
ernsten Beobachter der Erde g^anz von selbst auf, diese Fragen
sollen auch die Schüler zum genauen Beobachten der Heimat und
dann der Karten führen, sie müssen die Kunst des Beobachtens
lernen. Das Beobachten ist nicht bloss einfaches Sehen, sondern
verweilendes, reflektierendes Sehen, das schon im Anschauungs-
unterricht gelehrt, dann aber immer weiter entwickelt und gebildet
werden muss, denn das Kind betrachtet die Natur nur soweit, als
ein Anreiz dazu vorliegt. Diesen Anreiz g^bt die Schule im Unter-
richt, indem sie die heimatliche Scholle im Wechsel der Jahreszeiten
beobachtet
Das geographische Individuum kann auch nicht losgelöst von
der Umgebung, für sich allein, sondern nur in Beziehung zu den
anderen betrachtet werden, das Verhältnis zur Heimat, zum Wohnort,
zum Vaterland, zu anderen Gebieten muss aufgedeckt werden. Es
wird dai^esteUt» wie das EinzelgUed einen Teil in dem grossen
Weltall bildet, ein Glied in dem Gesamtorganismus von \ielen
anderen abhängig ist, durch diese Betrachtung bleiben die Einzel-
vorsteliungen nicht isoliert, sondern sie treten miteinander in
Beziehung, das stets weiter geführte Verknüpfen fuhrt zu einer
höheren Erkenntnis. Mit dem Auffassen der Formen ist die Tätigkeit
des Geistes noch nicht beendet, das Wesen des Geistes verlangt,
zu höheren Erkenntnissen aufzusteigen. So führt der weitere Akt
des Unterrichtes den Schüler dahin, aus den Formanschauungen und
konkreten Ergebnissen, aus der Fülle der Vergleiche das Gemeinsame
herauszuheben und zusammen zu fassen, den Begriff* abzuleiten;
es wird nach der Betrachtung mehrerer Individuen aus den vielen
Merkmalen das Gemeinsame abgesondert und vereinigt. Diese
Arbeit ist ganz natürlich und erwächst aus dem Bedürfnis des
menschlichen Geistes, Ordnung, Übersicht und Klarheit in die vielen
isoliert nebeneüiander lagernden Vorstellungen zu bringen, damit
durch die Er£usung und Festlegung der wesentlichen Teile der
Dinge eine sichere Erkenntnis erlangt wird. So luhrt nun der Weg
*) Herbart, AUgemciae Pädagogik. 2. Buch. J. Kap. II.
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263 —
zu Obemchten, Gruppen, Zusatnmenstellüngen, Oberblicken, zum
System. Das System ist jetzt nicht mehr das Unterrichtsziel, sondern
eine äusserst notwendige Verrichtung des aus der Psychologie
abgeleiteten Lehr- und Lernprozesses. Der Schüler gewinnt durch
diese Zusammenstellungen an Übersicht, er baut üich selbst die
Gruppen auf, damit in seinem gesamten Wissen Ordnung gebildet
wird und eine bessere Unterscheidung möglich wird. Der ganze
Gang der Behandlung soll den Schüler zum Denken nötigen, er soll
die Voraussetzungen erkennen, von denen die Richtigkeit seines
Schlusses abhängig ist. Die Betrachtung muss sich auf diejenigen
Tatsachen erstrecken, die ihren Grund in festen, unanfechtbaren,
wisseoschafUichen Ergeboissen haben; mit Preisgabe der Richtigkeit
darf auf keinen Fall auch nur ein einziges Mal der kausale Zusammen-
hang nnrb gewiesen werden.
Die Bedeutung dieser auf klaren und deutlichen Anschauungen
sich erhebenden Betrachtung für die Bildung der Phantasie muss
auch hervorgehoben werden. Nur an sinnlichen Vorstellungen, nur
an einem reichen Vorrat von in der umgebenden Natur gewonnenen
Anschauungen kann sie sich entwickeln, kann sie neue Verbindungen
hervorbringen. „Die Phantasie ist wie das Gedächtnis einseitig und
richtet sich nach dem herrschenden Vorsteliungskreise eines jeden." *)
Selbst die kühnste Phantasie kann keine neuen Vorstellungen hervor-
bringen, alles Neue sind nur neue Verbindungen, Umbildungen nach
dieser oder jener Seite der bereits vorhandenen Vorsteliungskreise.
Der Phantasie darf der geographische Untcrni !it nicht zu viel
zumuten, sie kann bei dem ganzen Aufbau nur wenig tun, ihre
Arbeit ist, Kleinigkeiten zu gestalten und auszumalen, aber auch
hier sind ihr durch die Bilder die Wege vorgeschrieben, das äussere
Anschauen der Bilder soll das innere Anschauen und produzierende
Bilden unterstützen. Der grösste Wert der Anschauung liegt dort,
wo die Kinder die Sache in der Wirklichkeit sehen, in ihr leben
und sie selbst anschaulich machen durch die Nachbildung. Zeichnen,
BUden und Messen sind wesentliche Bildungsfaktoren, wdche die
Anschauungen überwachen, beaufeichtigen und berichtigen. Die
Grenzlinien der besprochenen geographischen Objekte, die Lage-
verhältnisse der angeschauten Formen werden gezeichnet. Das
Messen bereitet das Verständnis des verjüngten Massstabes in bester
und gründlichster Weise vor, es befähigt auf die teichteste Art zur
Zeichnung von Landschaften im verkleinerten Maasstabe und lernt
£atfemungen und Flächen richtig abschätzen Das Bilden bietet
die Möglichkeit der plastischen Wicdcii^alfc von J^ergen und Tälern
und fördert so die köruerliciic Auilassung der Objekte, die Karte
gibt in der Terrainzeidinung die Richtlinien an ftir die Art und
Weise jener plastischen Darstellung. Deshalb ist es gerade die
>) Herbwt, Uhrb. der Ps. g 93 f.
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— 204 —
Heimatlcunde, in welcher das Beobachtungsvermögen geschärft werden
kann, die charakteristischen Formen der Berge und Täler, der Flüsse
und Bäche, der Dörfer und Häuser erfasst werden, die Zeichen der
Karte ihre Realität finden. Der Sinn für die Erfassung der Formen,
für das Verständnis der Kartenzeichen muss gebildet werden, damit
der Phantasie ein Schatz von Vorstellungen zur Verfügung gestellt
wird, dass sie später im eigentlichen geographischen UnterriGht eine
wirksame und erfolgrciclic Tätigkeit entfalten kann, wenn es gilt,
ferne Länder und fremde Verhältmsse dem geistigen Auge vor-
zuführen.
Der sprachliche Ausdruck wird dadurch gepflegt, dass wir von
dem Schüler nach beendigter Anschauung verlangen, sich in klarer,
treffender und richtiger Weise über das Geschaute auszusprechen,
das durch die Anschauung gewonnene iMaterial in bestimmte
sprachhche Form zu bringen. In dem Verlaufe der Betrachtung
wurden schon an verschiäenen Stellen Vergleiche angestellt, Ur»
teile gefällt, Schlüsse gezogen, in der Folge soUen die erworbenen
Vorstellungen logisch miteinander verbunden werden. Die richtige
Beschreibung des geographischen FJemcnts erhöht die iClarheit der
gewonnenen Anschauungen, das geographische Individuum wird in
allen Teilen und nach allen Seiten bestimmter aufgefasst, und die
wichtige Grundlage ftir den weiteren Fortschritt des Unterrichtes
ist gegeben. Der sprachliche Ausdruck wird durch jede Bereicherung,
Vertiefung und Stärkung der geistigen Funktionen vervollkommnet,
alle Geistesbildung fördert zugleich die sprachliche Bildung. Deshalb
muss verlangt werden, alles Angeschaute in vollständigen und
treffenden Sätzen aussprechen zu lassen, auch die geographische
Stunde Uefert zum Wachstum des Sprachvermögens einen Beitrag.
Der tfent^raphische Unterricht blieb in früherer Zeit in einem
geistlosen, gewöhnlichen und platten Benennen und Aufzählen einer
zusammenhanglosen Reihe von Objekten stecken, durch die Wieder-
kehr derselben Redewendungen wurde gar bald Langeweile erzeugt,
das Fach stand deshalb im geringen Ansehen, es war immer ein
Fach unter den anderen, brachte es aber noch nicht zum Hauptfach.
So wertvoll und unentbehrlich auch das Betrachten der Formen,
das Benennen und Beschreiben derselben ist, so wird doch durch
die Betonung der Wechselwirkung und Verknüpfung der geo-
graphischen Elemente ein Ausblick fiir den Schüler angebahnt, der
sich auf die Erkenntnis der inneren Verhältnisse nach Grund und
Ursache richtet, und damit ist der hohe formale Kildungswert des
Faches dargelegt Die Fragen nach dem kausalen Zusammenhang,
nach der Verkrttung der Tatsachen, nadi dem inhaltsrdcben, wert-
vollen und anregenden „Warum" regen zu einer denkenden Erfassung
des Stoffes, zu einer Vertiefung an, die Vorstellungen werden durch
zahlreichere Fäden fester miteinander verbunden, und die Aneignung
wird erleichtert Gelangen wir zur tieferen Erkenntnis der ein-
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— 265 —
lachen, gemeinaamen Ursachen fUr die vielen, zahlreichen und
komplizierten Erscheinungen, ¥ne sie uns die Erde in ihren ver-
schiedenen Gegenden vor die Aup^en führt, so erreirhen wir das
gesteckte Ziel, nämlich Vertiefung und damit V^ereiniachung des
Wissens und der Bildung. Erst die Aufdeckung des ursächlichen
2Uisammenhangs verwandelt das Fossil in ein lebendes Wesen, das
tote Wissen in lebendige Wissenschaft. Auch das zunächst ver-
wandte Unterrichtsfach, die Naturgeschichte, verdankt seine Wert-
schätzung für die Bildung der Bchandluncr von Einzelwesen nach
biologischen Gesichtspunkten, durch weiche der Zusammenhang
zwischen Bau und Lebensäusserung in den Vordergrund gestellt
wird. Früher suchte der Unterricht in der Naturgesdüchte
Beobachtungstatsachen aneinander zu reihen, jetzt werden die
einzelnen Tatsachen nach dem ursächlichen Zusammenhang, nach
den Gesetzen von Ursache und Wirkung, nach Grund und Folge
verbunden. So ist auch die Betrachtung des geographischen Indi-
vidtnims nicht bloss eine Beschreibung zum Zwecke der Kenntnb
der Länder, sondern eine Erklärung zum Zwecke der Erkenntnis
der geographischen Verhältnisse, Die Schüler sollen geographisch
denken lernen. „Nichts ist besser geeignet, den gesunden Menschen-
verstand zu wecken ais die Geographie", sagt Kant. Gerade die
eingehende, verweilende Behandlung eines einzelnen geographischen
Individuums besitzt einen grösseren Bildungswert als das blosse
Beschreiben und oberflächliche Betrachten einer i^rosscn Anzahl.
Dadurch, dass der Unterricht der Schüler stets zum Nachdenken
anregt, kann es auch nicht ausbleiben, dass der Schüler zur eigenen
Beobuhtung und Selbsthilfe greift, dass er aus eigenem Antriebe
den geographischen Verhältnissen nachforscht, dass er in seinem
Atlas die Beschaffenheit anderer Gebiete abliest. So kann er sich
auf Grund der einzelnen früher erworbenen Anschauungen ein un-
gefähres, in den Hauptzügen richtiges Bild von dem Lande entwerfen,
die Karte wird ihm zur Wirkliclikeit, er sieht Höhen, Gebirge,
Flüsse, Seen und Buchten, er kann auf Grund der Lage, Grösse,
oro- und hydrographischen Verhältnisse in bezug auf Klima,
Beschaffenheit. Fruchtbarkeit, Besicdclung und Beschäftigung der
Bewohner Schlüsse bilden. Der gute Unterricht, der die Schüler
zur fleissigen Beschäftigung und zur stetigen Mitarbeit nötigt, übt
einen bedeutenden Eiiäuss auf die sittliche Erziehung aus und ist
darum ein wichtiger Faktor in der Willensbildung. Um aber einen
guten erfolgreichen Unterricht erteilen 7,t: können, muss sich der
Geographielehrer des zu behandelnden Gel n et es [:^riindli:h bt is lärhtic^en,
er muss in die Verhältnisse eines Landes einzudringen und darin
zu leben versuchen, damit er seine Schüler bei der Wanderung
durch die fremden Fluren zielbewusst und sicher leiten und iiihren
kann
Neben dem empirischen und spekulativen Interesse erfahrt
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— 266 — *
durcil die Betrachtung des geographischen Individuums das ästhetische
Interesse eine bedeutende Förderung. Die Freude an der Natur
gehört zum Ästhetischen, auf das ästhetische Gefühl wirkt die Natur
ganz allein schon durch ihre Mannigfaltigkeit der Gestalten und
Formen. Die ästhetische Wirkung wird aber gesteigert, wenn die
Gestalten durch einen Inhalt belebt werden, wenn der ursächliche
Zusammenhang der Erscheinungen erkannt wird, wenn die Formen
nicht mehr leer und zwecklos, sondern von tiefen Gedanken erfüllt
und belebt erscheinen. Das kann aber nur durch eingehende, unter-
riciiüiche Behandlung, einer bestimmten Zahl von Individuen er-
möglicht werden, denn diese bringt erst die ästhetische M^kung
der Elemente dem Schüler zum völligen Bewusstsein. Empfänglich
machen für das Grosse und Krhabcne, für über alles Menschliche
hinausgehende Gestalten und Formen, ist der Zweck. Hier gibt
die Betrachtung der Heimat Gelegenheit, die Kinder zu veranlassen,
zu dem weiten Himmelsraum mit seinen strahlenden Lichtem, die
seit Jahrtausenden in jeder klaren Nacht auf uns herniederbfinken,
aufzuschauen. Die Heimat bietet so dem Blick das Erhabenste und
Schönste dar, was überhaupt das irdische Auge schauen kann; selbst
das unermesslich weite Meer, der feuerspeiende Berg, das von
Stürmen und Wolkoi umbrauste Gebirge sind kleine Dinge im
Verhältnis zur Grösse des Himmels. Die Kindesnatur zeigt schon
frühzeitig eine gewisse Teilnahme für Erscheinungen am Himmels-
gewölbe, und die Sterne begleiten als einzige Genossen den
Scheidenden in ferne Länder. Das Anschauen der erhabenen und
mannig i dl Ligen Formen, die Kenntnis der inneren, einheitUchen Ver-
kettung der Erscheinungen lasst das Herz aufsteigen zu Gott, aus
dem Werke wird der Meister erkannt, ftir das innere und äussere
Leben, für die zeitliche v.nd ewige Bestimmung wird der Zögling
geschickt. Das intellektuelle Gefühl sucht auf die vielen, ungelösten
Rätsel eine Antwort, das ästhetische bewundert die Grösse, Schön-
heit, Vielheit und Mannigfaltigkeit in der Welt, und beide erblicken
darin die Wirkung einer unsichtbaren, geheimnisvollen Macht, die
Weisheit und Allmacht Gottes. Je mehr durch die Betrachtung
einzelner Individuen der geographische Unterricht die Erkenntnis
der kausalen Beziehungen der erdkundlichen Elemente übermittelt,
je mehr er das intellektuelle, sittliche und ästhetische Interesse
fordert, desto mehr steht er auch im Dienste der religiösen Erziehung.
Der Schüler erkennt die Wahrheit der Worte des Geographen
Ritter: „Die Welt ist überall erfüllt von der Herrlichkeit des
Schöpfers."
Die Behandlung des geographischen Individuums hat auch einen
praktischen Wert, der kurz angegeben werden soll. Er liegt nicht
darin, durch einen Uberblick über die verschiedenen Gebirge, Flüsse,
Städte und Länder der Erde die Kenntnis der beim Lesen von
Büchern und Zeitungen etwa vorkommenden Namen zu übermittein,
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— 26; —
sondern er liegt in dem freien Bewusstsein der Grösse und Bedeutung
seines Volkes und Landes» in der Hochschätzung des deutsdien
Landes und der deutsdien Arbeit fremden Ländern gegenüber.
Der praktische Wert, welcher die Ausgestaltung der Wirtschafts-
und Verkehrsgeographie und der Handclsgcographie herbeiführte,
kann durch die Betrachtung einzelner Individuen vollkommener und
letchter erreicht werden, weil cüe eini^ehende Behandlung sich not-
wendig auch auf die wirtschaftlichen Fragen erstrecken muss.
Unsere Beziehungen zu den anderen Kulturvölkern haben sich in
den letzten Jahrzehnten so erweitert, dass das Wirken, Arbeiten
und Schaffen der fremden Nationen ein wesentlicher l^aktor in
unserer Entwicklung geworden ist. Für das ökonomische Denken
und Handeln werden wertvolle Erkenntnisse herbeigeführt» wenn
neben Boden und Bewässerung, Bergen und Tälern die wirtschaft-
lichen Hilfsquellen im Vergleich mit denen des deutschen Landes
betrachtet werden. Die Behandlung verfolgt den Zweck, den
Schüler mit den Bestrebungen der Nation, wie sie in der derzeitigen
Untemehmungskraft, in Handel und Industrie, in den augenblicldicfaen
kolonialen Bestrebungen hervortreten, bekannt zu machen, die
Bedeutung, die Weltstellung und dm Wert der anderen Staaten
richtig 7u würdigen, das geographische Wissen zu einer Weitmacht
zu erheben.
„tin kUrcr Vfrstand, ein warnu-s (iemüt uml inii kräftiger Wille siad unter aJleo
Umständen mehr wert, als ein Kupf vuli toter Kenntnisse/' Kehr.
II.
Moderne Erziebongeremane.
Von M. Scheffel, Dresden.
SchloM.
Ein Roman, der die grössten Ersiehungs- und Unterrrichts-
fragen streift, ohne sie zu erschöpfen, der neuzeitlichen Anschauungen
und oft überraschende Beobachtungen der Kindesseele ausspricht,
ist das Buch von Otto Krnst, Asmus Sempers Jugendland.
Otto Krnst ist in f chrerkreisen wohl meist als Dramatiker
bekannt durcii seine „jagend von heute", besonders auch durch
seinen „Fladumann als &zieher'', der ja seiner Zeit die deutsche
Bühne erobert und auch, da er nicht frei ist von Übertreibungen
und Verzerrungen, zu Erörterungen in pädagogischen Fachblättem
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— 268 —
vielfach Veranlassung gegeben hat Doch neben dem Dramatiker
hat sich der fleissige Otto Ernst auch als Romanschriftsteller ent-
wickelt, der in dem Buche „Asmus Sempers Jugendland" die
Geschichte eines Kindes aus den Sechziger- und Siebzigerjahren
des vorigen Jahrhunderts, des Sohnes eines armen Zigarrenarbeiters
aus einem Vorort Hamburgs, trotz einer gewissen Eintönif^keit und
Einförmigkeit der Vorgänge mit SO viel Wärme und Innigkdt
erzählt, dass er sich in das Herz eines jeden Lehrers einschleichen
wird. Der Knabe arbeitet sich trotz widriger äusserer Umstände,
trotz einer an geistigen und materiellen Genüssen recht bescheidenen
Kindheit, trotz einer seltsamen verworrenen Schulzeit bei seinem
offenen Kopfe, seiner lebhaften Auffassung^, nicht zuletzt auch durch
die Einflüsse eines edelgesinnten Vaters und durch die selbstlose
Verwendung eines braven Schulmeisters, zu der ersehnten Stellung
eines Lehrers empor. Dass das Buch keinerlei spannend geschürzte,
starke Handlung oder gar aufregende Verwicklungen enthält, nimmt
ihm wohl den strengen Romancharakter, aber ninunt ihm nichts
von seinem Werte.
hs ist wohl unverkennbar, dass der Junge, den wir da von
der Geburt in der armen Zigarrenarbeiterstube bis zum Eintritte in
das Lehrerseminar begleiten, im Leben nicht Asmus Semper, sondern
Otto Emst geheissen hat, dass der Dichter uns also zumeist sein
eigenes Jugendleben, seine geistige und sittliche Entwicklung
schildert, denn der, der das geschrieben hat, fühlt noch heute f^^m
genau, wie es in einem zwar blutarmen, aber auch kerngesunden
Jungen ausschaut Die Lebenswahrheit, die Scharfe der
Chvakteristik und die Kraft der Darstellung, die der Roman
offenbart, halten den Leser von Anfang bis zu Ende in Atem.
Asmus ist wie aus einem Gusse geschrieben, alles ist rein und echt,
wirkliches, wahres Leben, aus dem Spiegel der Poesie angesehen.
Für den Lehrer insonderheit ist das Buch eine praktische Kinder-
]>S3rchologie ersten Ranges, ähnlich dem Heerschen Romane
„Joggeli". Hier wie dort läuft der Held nach langer, klippenreicher
Fahrt endlich in den ersehnten Hafen ein — in die Laufbahn eines
Volksschullchrers. Aber während bei Heer alles etwas gedämpfter,
emster, innerUcher dargestellt wird, hnden wir bei Otto Ernst
frische Farben, herzhaften Humor, sonnige Heiterkeit vorwalten.
Wenn wir die pädagogische Seite des Romans, bei dem
es sich um das Buch eines Mannes handelt, der seinen früheren
Beruf als Lehrer nie verleugnet hat, ins rechte Licht /.u stellen
suchen, so muss anerkannt werden, dass Otto Ernst, wenn er auch
in der scheinlMU- ganz losen und zufälligen Aneinanderreicfaung der
kleinen Ereignisse seine dichterisch ordnende Hand und seine ver-
knüpfende, belebende und verklärende Phantasie walten lässt. doch
nirgends seine Darstellung am bloss ÄusserHchen, bloss Wirklichen
und Tatsächliclien haften lässtj nein, überall behält er die innere,
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die seelische Entwicklung Asmus Sempers im Auge. Das Innen-
leben des Knaben, die wechselnden Lebenserscheinungen, die es
vom ersten Augenblick des dämmernden Bewusstseins erregen,
Vater und Mutter, die Familie, die Nachbarn, die Nachbarskinder,
die häusliche und dörfliche Umgebung, die alltäj^lichen Kinder-
streiche, die ersten Kindrücke der Natur, der Kunst, der Schule,
das erste Empfinden der Todesfurcht, die Eindrücke der Bibel, die
religiösen Fragen und auch die Lebensfragen in seinen Beobachtungen
des Spieles der Welt, die ersten Lebensregunf^en, der erste Schaflfens-
trieb, Theaterspielen, das Ringen und Durchkämpfen bis zum
Eintritte ins Seminar — alles da zieht in gemiitvoilen und gemüt-
lichen, auch im Ghrau der Not nodi von einem hellen Optimismus
überhauchten Bildern an uns vorüber. Vielleicht könnte man dem
Dichter den Vorwurf machen, dass er zu viel Tiefe in eines Kindes
Seele hincindichtc. Aber der Dicliter darf ja das Vorrecht für sich
in Anspruch nehmen, sich ein besonderes Kind mit einem besonders
guten Kopf und einem besonders starken Gemüte sur Schilderung
auszusuchen. Und so wird jeder, der für die Probleme der Kindes*
seele und zugleich für die Fragen des Menschenherzens Sinn hat,
das tüchtige und gute Buch, das zwar kein pädagogisches Ruch im
engeren Sinne mit ausgesprochener Tendenz ist, aber doch das
grosse Publikum mit den neuen, noch kämpfenden Ideen über
Erziehung und Kunst bekannt zu machen sucht; gewiss nicht ohne
Nutzen zur Hand nehmen.
Worin beruht die Wirkung dieses Buches? Zunächst wohl in
dem Umstände, dass das Leben anch des unbedeutendsten Menschen
anziehend erscheint, wenn liim, wie es im jugendlande Asmus
Sempers geschieht, der Griffel eines Meisters das rechte Leben
verleiht. Auch ohne Kenntnis davon, dass in diesem einfachen
Arbeiterkindc ein bedeutender Mann steckt, der Dichter selbst, der
in Dichtung und Wahrheit seine eigene Kindheit wiedergibt, sehen
wir trotz der äfmiichen Umgebung ein Kind, in dem sich die
leuchtende Schöne eines lichterföUten Geistes ausprägt, ein Kind,
das die Welt mit anderen Augen als mit denen der AUtaglichkeit,
mit denen des verklärenden Idealismus betrachtet Darum: Adltttf^
vor jedem Kinde, auch dem ärmsten!
Was dem Erzieher jedoch in diesem Roman, aus dem er viel
lernen lonn, lieb und teuer macht, das sind zunächst die mancherlei
Hnflüsse, die bei der Bildung des kleinen Helden tatig sind. Allen
voran wirkt bestimmend auf den jungen Lebensgang des zukünftigen
Lehrer und Dichters sein Vater, der, aus besserer Familie stammend,
vieles, aber doch nicht das Rechte gelernt hat, der beispielsweise
so weit in den Sprachen unterrichtet ist, dass er englische Verse
wörtlich anfÜAut, aber dennoch als Zigarrenarbeiter das Elend der
Heimarbeit durchkosten muss. Er ist oft recht schweigsam, will
aber im Mangel und in der Not den Schmuck des Lebens» die
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Poesie, nicht entbehren. Wie durchaus mustergültig väterlich erdebt
er seinen Solui! Da ist kein schroffes Zurückweisen der unmöglichen
Wünsche des unerfahrenen Kindes; er weiss, ,,dass in einem kleinen
Kinderherzen endlose Weidefluren sind", er lenkt aber den Sinn
des Knaben auf das Mögliche, ohne die Phantasie zu zerstören.
Kai^ in der Strafe, äussert der mitfühlende Vater auch kein über-
schwengliches Lob bei den klugen, eigenartigen Einfallen seines
Sohnes oder bei seinen Schulerfolgen; nur ein sonniger Blick, ein
Lächeln nur — aber von diesem Lächeln wird Asrniis Sempers iihrgeiz
angeregt. Als dem alternden Manne die Möglichkeit eröffnet wird,
dass sein Sohn l>hrer werden kann, „da kam in seine trüben Augen
ein Licht aus frühen, frühen Tagen langsam zurück, immer näher
kam es, immer näher, und seine Augen wurden immer grösser und
immer heller und verbreiteten ihr Licht über seine Stirn und seinen
Mund und sein silbernes Haar, und siehe, er lächelte, und er stützte
sich nicht mehr, sondern stand frei und aufgereckt da und ergriff
noch einmal das Fahrzeug seines Lebens am Steuer, ergriff es mit
lächelndem, blindw^endem Griff und legte die Hand auf den Kopf
seines Sohnes und sagte: ,,Gul. du sollst Lehrer werden". ... Er
rechnete nicht, er fragte nicht einnial nach den Kosten; er konnte
nicht sorgen lur den kommenden Morgen j aber mit erhabenen
Leichtsinn etwas Grosses und Gutes tun — das konnte er.
Zu den unbewussten, aber zu den kräftigsten Erziehungsfaktoren
gehört der „VVolki Ti>,chieber", der Sohn eines armen Arbeiters in
Sempers I lause. Kr ist der verkörperte „Bildungshunger" der
Arbeiterkreise} auf seiner Stirne wohnte die „unüberwindliche
Heiterkeit des Gedankens". Er bringt in den tiefen Taschen seines
abgetragenen Rockes d 1 Knaben die ersten Bücher mit, erweckt
in ihm die Lust zvm Lcsenlerncn, ein Ziel, das nach unendlicher
Mühe Asmus ohne Zutat einer besonderen I ,esclehrmethode erreicht.
An des „Wolkenschiebers" Hand tut der Knabe den ersten Schritt
in das geweihte Land der Dichtung; die ersten guten Holzschnitte
' befriedigen das Kunstbedürfnis des Kleinen; bei Gesprächen über
Theater und Kunst steht sein kleines Herz offen, bis er, der Zwölf-
jährige, den Shakespeare liest. „Alles las er mit demselben andacht-
offenen Auge und Herzen: die sinnlichen Schwüre der Liebenden
und die Gedankenflüge Hamlets, die Zoten Falstaiis, wie die
meuchelmörderischen Sreuel des Macbeth. Alles war heUige Feier
und Gottesdienst, denn alles verbrannte auf dem Altar seines Herzens
zu einer Flamme höheren Lebens. O ihr kurzsichtigen Toren, die
ihr die Kunst fürchtet um der Tugend willen! Hättet ihr hinein-
blicken können in das Herz dieses lesenden Knaben, ihr hattet
verstanden, dass die Kunst unschuldig ist wie das Kind.**
Und die Schulzeit unseres Helden! Seine Lehrer sind nicht
moderne Lehrertypen, sondern sie sind n'!s der Erinnerung heraus
geboren, sie sind ganz so, wie sie dem Kinde damals erschienen.
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seufzen unter der Überbürdung des religiösen Memorierstofies,
seufzen auch unter der druckenden Last ihrer mangelhaften Vor-
bildung. Einmal im Jahre kommt der Schulinspektor, der vierzig
Minuten Dogmatik und fünf Minuten in der Wissenschaft prüft. In
den Lehrstunden wurden die 900 Choräle des Gesangbuches jahraus,
jahrein gelesen, stundenlange Abschreibeübungen wurden vor*
genommen, denen Asmus die sausende „Rohrstock* Pädagogik"
vorzog; denn hier dauerte der Schmerz nur drei Minuten; die lang-
weilige Arbeit wäre aber eine mehrstündige Qual gewesen. Trotz
alledem erhellt der Dichter die Schattenseiten der Unterrichtskunst
seiner Lehrer durch Züge freundlichen Humors; er stellt das Liebens-
werte ihres Wesens in das hellste Licht; er findet trotz des Über-
masses an Liederversen und Katechismus emste und schone Worte,
die ihm doch die Erinnerung an jene Tage hen,'orCTerufen, Worte,
die auch den Ewigkeitswert der biblischen Geschichten Alten
Testaments klar bezciciinen: „Es folgten . . . alle jene Geschichten,
die trotz alles Dunkels und aller Seltsamkeit den Weg zum Kindes-
herzen finden, weil sie aus der Kindheit des Menschengeschlechtes
herüberklingen und träumevoüe, ahnungsvolle, hoffnungsvolle Kind-
heit in ihnen selber ist.' Wie verklärt sich auch das Au<^e des
rückwärts schauenden Dichters, als er des ersten Eindruckes
gedenkt, den die Geschichte des Heilandes auf ihn ausgeübt 1
„Des Knaben ganze Seele bebt wie eine Harfe, die der Sturm
bewegt in einer Nacht wie sieben Nächte lang . . . Zum erstenmale
erschien ihm der Gedanke des Christentums in der reinen M.ijestät
seines Stifters, mit den lebendigen, rührenden, bezwingenden Zügen
des Nazareners, des ewigen Königs der Herzan."
Mag" man auch nicht alles unterschreiben können, was Otto
£mst in seinem Buche sagt, mag auch viel Manier darin sein —
man lese nur die abgesclimackten Kapitelüberschriften — , mag^ der
Dichter auch als unruhiger Poltergeist seinen Kopf dann und warm
erheben und freigelst-demokrotische Hiebe niedersausen lassen auf
den Religionsunterricht der Schule, auch manchen scheelen Blick
werfen auf diese und jene staatliche Einrichtung, die, well sie dem
erwachsenen Otto Emst nicht gefallt, auch seinem juE^cndlichen
Urbilde Asmus Semper schon von vierzig Jahren nicht {gefallen
darf, immerhin steckt viel gute, wirklichkeitsgemässe Pädagogik
darin, und es gewährt eine grosse Freude, zuzuhören, wie uns die
Jugend Asmus Sempers erzahlt wird, die zwischen den Zeilen auch
Vätern und Möttern so vieles zu sagen hat, was dickleibige Werke
über Erziehung bei weitem nicht so eindringlich vermöchten.
Eine erfreuliche Erscheinung des I^üchermarktes ist „Gottfried
Kämpfer" von Krüger. Ein herrenhutischer Bubenroman. Den
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deutschen Jungen und ihren Schulmeistern gewidmet von einem,
der beides war". Es ist ein Roman» der frei ist von jeder Tendenz,
durch und durch (gesund, voll von treuer Lebensbeobacht-n^;^
getragen von einfach-wanncr Darstellung und durchweht von einem
Hauche echter Poesie, ein Buch, das man mit gutem Gewissen den
Primanern empfehlen kann, das jedem ernsthaften Leser tiefgehende
Anregung bietet und auch manchem Lehrer Freude und Nutzen
bringen kann. Im wesentlichen eine \Vierirrp;nbc wirklicher Schul-
veriialmisse und Krziehungserlebnisse des Schriftsteilers, Hegt der
Wert dieses Romans nicht in liirer mehr oder weniger fesselnden
Schilderung, sondern in der Art, wie der Verfasser den Charakter
seines jungen Helden Gottfried, der nicht umsonst den Namen
Kampfer führt, im Kampfe mit seiner Umgebung ein Ich, ein Selbst,
einen Eij^enen werden lässt.
Gottfried Kämpfer, der Sohn eines herrnhutischen Gemeinde-
vorstehers, ist ein munterer, frischer, aufgeweckter Junge, aber durchaus
kein Musterknabe. Er ist ein reichlich selbstbevnisster, trotz%er
Bursche, eine leidenschaftliche Jungennatur, aber voll Wahrheit und
Gerechtigkeitsgefühl. Frühe hat sich ihm eine auf Stolz beruhende
Verschlossenheit und eine starke Herrschsucht entwickelt. Am
bedenklichsten aber ist sein unbändiger Irotz, der ihm den V'^ater
innerlich entfremdet, das Elternhaus als verhassten Zwinger erscheinen
lässt und schliesslich zur Flucht verführt. Nun scheut der Vater
auch vor einer Gewaltkur nicht /iinick, die zum Segen ausschläs^
und die innere Umwandlung des jungen einleitet In der gesunden
Luft und in den festen religiösen und pädagogischen Traditionen
der herrnhutischen Erziehungsanstalten Herrenteid und Girdein, dem
„Ziele der Sehnsucht für jeden ehrgeizigen Hermhuterjungen", reift
er heran, kämpft sich trotz Straucheins und vonlhenxehenden Irrens
in hartem Rinf^en mit sich selbst stets wieder aul den rechten W^cg
hindurch, dass er am Schlüsse mit männlich klarem Bewusstsein
Girdein verlässt, um Theologie zu studieren. Mit wohlbegründeter
guter Zuversicht lassen wir ihn allein seiner Strasse ziehen.
Krügers Bubenroman ist offenbar ein Ehren- und Dankbarkeits-
denkmal, das er den herrnhutischen Erziehungsanstalten nnd seinen
Lehrern setzen wollte. Wir lernen aus seinem Buche, dass das
Erziehungswesen der Hermhuter trotz der Besonderheit seines
Nährbodens keineswegs in jenem engen pietistischen Banne befangqi
liegt, an den wir so leicht denken, wenn wir nur ihren Namen
hören. Gesunde pädagogische Prinzipien, gesundes religiöses Leben,
für ihren Beruf begeisterte Lehrer, voll Selbsthingabe an die Jugend,
und eine an Leib und Seele gesund sich entwickelnde Knaben-
schar — ist das nicht etwas, woran das Herz sich erfireuen kaum?
,J^n deutschen Jungen und ihren Schulmeistern gewidmet von
einem r!er beides war", liest man auf dem VVidmtmi^sblattc, und
beide, Jungen wie Schulmeister, dürfen die 21ueignung mit Dank
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und Freude entgegennehmen; denn beide sind in dem Buche vor-
trefflich lebenswahr dargestellt.
Die Schul m e ister zuerstl In dem Roman ist so weni^ von
den Schulstunden geredet, weder von langweiligen noch von geistig
bedeutenden. Das wd^ uns wohl darauf hin, dass der Dichter es
vornehmlich auf die Erziehung abgesehen hat, wie sie in den
Hermhuter Anstalten, an denen uns manche Verhältnisse und Ein-
richtungen eigenartig vorkommen, geboten wird. Von einem
Internat hören wir also.
Das Internat ist hauhg als Idoster- oder kasemenartiges Institut
ohne weiteres verdammt worden. Und doch ist keine Autorität
der alten und neuen Zeit namhaft zu machen, welche die
geschlossenen Lehr- und Erziehungsanstalten verworfen hätte. Die
Geschichte der deutschen Erziehung zeigt vielmehr, dass immer
gerade denjenigen Perioden, wo die Pädagogik einen neuen Auf-
schwung nahm» neue Ideen verwirklichte und neue Bahnen einsdilug,
den Trieb nach Interoatseinrichtung sich ganz besonders kräftig
erwies. Die pädagogischen Ideen des Reformationszeitalters schufen
in Württemberg, Sachsen, später auch in Brandenburg die Fürsten-
schulcn. und es ist bekannt, mit welchen Gefühlen inniger An-
hänglichkeit und freudigen Stolzes die Schäler dieser altberfihmten
Bildungsstätten auf ihre Schule blicken, welch innigen Zusammen-
hang zwischen den Schülern solcher Anstalten auch im späteren
Leben besteht In ihrer P>innerung ist ihnen <\\c Schulzeit eine
Zeit beständigen Glückes, bis zu dem Tage, wo die bittere Trennungs-
stunde schlug.
Nun weiss ich sehr wohl, dass die GremütsbUdung in den
Internaten nicht in dem Grade gepflegt werden kann, wie in der
Familie, dass, weil das Leben in einer solchen Anstalt bis aufs
Kleinste geregelt sein muss, ein gewisser Mechanismus unumgänglich
notwendig ist, dass in einer Gemeinschaft, wo Arbeit und Erhoning,
Schlafen und Essen gleichmassig und gleichzeitig von allen geteilt
wird, für manche Natur eine gc'wisse Gefahr liegt. Aber ich kenne
auch das Gegengewicht gegen die straffe Anspannung der Disziplin:
die persönhche Einwirkung der Lehrer, durch die das Internat bei
seinem unvergleichleich stärkeren Einfiuss auf die Schüler wesentlich
leichter tiefe Wirkungen hervorzubringen vermag als ein offene
Schule.
Und ein gutes Internat ist es, das wir in dem Buche kennen
lernen, gut durch die uns gezeichneten ErzieherpersönUchkciten.
Da sieht man einmal wieder den deutschen Lehrer .in reinerem
Lichte, nicht, wie so oft, als feigen Kriecher, pedantischen Philister,
kurz als „Bildungsschuster" oder als weltfremden Idealisten, sondern
als idealgesinnten, aber fest auf dem Boden des realen Lebens
stehenden und <.lirses mit klarem Aul^c <_ i fasseisden, wahren Jugend-
bildners voll Krait und Sciiwung, ais tuclitigen Gelehrten, aber
UdAgoglsch» SlutttB. TXXi 4. 18
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zugleich voll Verständnis für die Jugend und darum von unbedingter
Gerechtigkeit, wahrhaft bereit, ein Genosse, ein Freund der JunL^ünge
zu sein in Freud und Leid und mit herzlicher Anteilnahme m ihrer
Seele zu lesen, kurz als männliches Vorbild des Werdenden.
Keiner ist wie der andere, jedoch jeder ist eine Persönlichkeit voll
wahren Lehrerglückes, wie es sich darbietet in der Möglichkeit
tiefgehenden erzieherischen Einflusses, der für Ideale in der Schule
zu begeistern strebt. Und darum blickt selbst der trotzigste und
selbstbewussteste Schüler zu ihnen vertrauend auf. Bei aller Ver^
sdiiedenheit der Persönlichkett herrscht doch ein Geist in dieser
Lehrerschaft, treue Hingabe an das Ziel: Menschen zu erziehen zu
körperlicher Tüchtigkeit und Selbständigkeit in der geistigen Arbeit,
zur Emptangliclikcit für alles Schöne, 7um Ringen um die Wahrheit,
zur Hingabe an das Gute. Das waren Erzieher, die da wussten,
dass eine Natur wie Gottfried Kampfer nicht gebrochen werden
soll, sondern dass man ihr helfen muss, sich sdbst zu zugein, dass
sie nicht zur knechtischen Furcht vor Menschen sondern zur Freiheit
in Gott erzogen werden soll. Die im fünften Kapitel des zweiten
Buches geschilderte Lehrerkonferenz, pädagogisch von grossem VV crte,
gehört mit zu den besten Teilen des Werkes; sie lässt die Per-
sönlichkeiten sich scharf von einander abheben, und Bruder Losldel
gibt da herrnhutischer Erzieherweisheit in goldenen Worten Am^
druck- Erziehen ist mehr eine Kunst als eine Wissenschaft Zum
£rzieher wird man geboren, nicht erzogen. Dennoch gilt es studieren.
Namentlich bei luiaben wie Kämpfer ist das sehr angebiachL
Solche Jungen ^d steinharte Nüsse für jeden, der sie nicht ganz
genau studiert hat und nur aufs Geratewohl an ihnen herumknacken
will. Solche Jungen sind ferner mit Gewalt überhaupt nicht zu
bändigen. Dazu haben sie ihre eigene charakterUche Kraft und
ihr angeborenes Willensvermogen. Da kann man nur anregen,
erganzen, aber man darf nicht schlechthin bilden oder gar umformen
woUen. Ein kluger Erzidiw wir<f gerade aus Fehlem langsam
Tugenden entwickeln können, indem er das Elhrgefuhl weckt und
das Gewissen schärft. Viel mehr braucht's nicht, aber das braucht s
wiederum unermüdlich! Und darm noch eins: nicht nur das
Gerechtigkeitsgefühl, sondern auch das Wahrhdtsbewusstsein unserer
Knaben ist heilig zu halten. Es ist unser bester Bundesgenosse
bei ihrer Erziehung."
Mag auch der Tscheche Rassowsky nicht zum Lehrer für
deutsche Jugend geignet sein, mag auch Bruder Robinson kein
geborener Erzieher sein, der gleich fiir jede besondere Individualität
ein besonders geeignetes Mittel anwenden kann, mag er nur ein
armselig hilfloser Schulpädagog sein, der sich furchtsam an die
Schablone klammert — man muss doch seine Freude haben an
den prächtigen Gestalten dieser Lechner, Loskiel, Nielsen, Reicher,.
Schmiedecke.
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Was lernt der Lehrer für seine eigene hr^iciicrarbcii aus
diesem Buche? Wir müssen ernstlich daran festhalten« dass die
Schule keinen Polizeistaat darstellt, sondern eine Erziehungsanstalt,
in der mcht die Furcht, sondern die Liebe regiert, die nicht durch
harte Straten schrecken, sondern durch freundliches Mitfühlen und
Verstehen gewinnen soll. Das notwendige Vertrauen des Kindes
2um Lehrer entsteht meistens erst, wenn der E zieh er die dem
Lehrer leicht anhaftende Unnahbarkeit abstreift, wenn er sich als
Mensch dem Menschen nähert. Nie findet man ein willigeres Ohr
für ein mahnendes Wort, als in einem Gespräch unter vier Augen,
das freundschaftlichere und wärmere Töne anzuschlagen gestattet
und dem Schüler einen BUck in das Gefilhlsleben des Lehrers ver*
schafft Ich denke dabei an die Gespräche Bruder Loskiels mit
Gottfried Kämpfer, wie sie Seite 204 und 208 ff., und Bruder Nielsens
mit ihm Seite 423 ff. {geschildert sind. Wahrlich, ein Wink solcher
wahrhaften Erzieher kariü eine Wcgzeigung fürs Leben sein!
Und auch die deutsche Jugend wird trefflich geschildert.
Sie ist im Kerne des Wesens eine frische, kraftvolle (jesellschaft,
der nicht Menschliches fremd, die aber doch von einem ehrlichen
Streben erfüllt und eines poetischen Hauches nicht bar ist Kein
Schulbetrug war üblich, eine tüchtige Leistung gehörte zu den Selbst-
verständlichkeiten. Man muss seine Freude haben an den Girdeiner
Zöglingen, besonders der Kolonne 80, zumeist auch an „Nöke",
diesem Kinde echter Poesie, Gottfrieds bestem Freunde. SoU man
nicht froh darüber sein, dass es im deutschen V'aterlande noch
solche Jugend gibt? Neidlos erkennt jede Klasse die Vorrechte der
höheren an; die älteren Schüler sind voll von Verantwortungsgefühl,
die jüngeren voll von Üewundcrung und Vorwartsstreben. Willig
ordnet sich jeder Zögling unter den Kameraden, der für Ordnung
zu sorgen hat; er ist ja der Vertreter des Gesetzes, der Ehre, des
guten Rufes der Klasse oder der Kolonne. So wirkt besonders die
Prima durch ihr Beispiel, vor allem beim Spiel, als Krzieher der
jüngeren Karoeraden. Der Lehrer aber braucht auf diese Weise
ganz selten bezüglich äusserer Ordnung einzugreifen, kann um so mehr
der Freund und Berater seiner Schüler werden, kann in unbefangenem,
frischem Verkehr bei gelegentlicher Abenduntcrhaltung, bei gemein-
samen Festen, bei freier Beschäftigung mit Kunst und Literatur
seine Schüler auch ausserhalb der Stunden anregen. Und wie
crzidierisch wirkte unter diesen Zöglingen auf den Gdst der Schule
die Tradition! Die Feste, die Weihnachtsfeiern, die Sitten, die,
schon lange, lange so gehalten, eine ehrwürdige Geschichte hatten,
sie waren durch das pietätvolle Gedenken gehoben. Wir fühlen es
nach, was in den letzten Worten des Buches liegt;
„Des Friedhofs Lindca schweigen,
Sie keoaen des Scheidens Weh«
18*
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Wir schütteln die Hände and ndgcn
Die flMnpt'-' nieder — ade*
Ade — und wir blichen so gerne.
Wo Liebe gelängen uns hält.
Doch die Berge rufen zur Feme
Und dahinter die freie Welt."
Und noch ein kurzes Wort über besondere Einrichtungen,
die man in dieser Anstalt geschaffen ! Zweifellos ist in Girdein
tüchtig gearbeitet und durch diese Arbeit der Charakter der
Zöglinge gestählt worden. Aber auch die Kunstpflege — ein
modernes Schlagwort — war nicht auf schmale Atzung gestellt.
V/it schön waren die Teeabende am Sonnabend, wenn der Lehrer
einen Roman vorlas, um die Jugend mit feinem Geschacke in die
deut<?che Literatur einzuführen; wie ist man beglückt, wenn
dramatische Werke mit verteilten Rollen gelesen werden; weichen
Höhepunkt erreicht die Kunstpflege, wenn unter der Leitung des
Icünstlerisch veranlagten Direktors vor den grossen Ferien das
Sommerfest fsiehc Seite 394 — 410) gefeiert v/ird. wenn draussen auf
der Wiese unter den mächtigen Eichen die Kräfte im W^ettkampfe
sich messen, wenn eine scherzhafte Szene oder eine ergreifende
SteUe der Tragiker, wenn die „Antigone" auf der rasch auf-
geschlagenen, einfachen Bühne zur Darstellung kommt und am
Abend bei loderndem Feuer der Gesang kraftvoll und stark die
milde Sommernacht erklingt! An solchen Tagen atmete man
griechischen Geist, da wurden Wettkampf und Kunst, was sie den
Griechen gewesen waren: Die Weihe des Lebens. Solche Feste
umschlossen die schönsten AugenbliclK des Jugendlebens.
Und auf dem Boden der Schule wurden durch die Anregung
der Lehrer auch Bestrebungen selbsttätig gepflegt, die diese Zeit
zur herrlichsten des Lebens der Zöglinge gemacht haben. Der
Lektüre wurde in den Girdeiner Anstalten besondere Aufmerksamkeit
geschenkt. Man las gerne und mit Eifer, weil nicht auf Kommando,
man ging gern und oft in die Bücherei, um neue Schätze zu heben.
DaS8 bezüglich der Lektüre Schranken gezogen waren, dass auf-
regende, romanhafte Bücher nicht geradezu verboten, doch höchstens
in den Ferien aus der Bibliothek geliehen wurden, dass in der
Schulzeit die Schüler nur bildende Lektüre zu lesen bekamen, wurde
nicht störend empfunden. Das Interesse der Privatlekture lenkte
sich freiwillig auf Schiller, Shakespeare und Goetlio, vor allem aber
auf dir Griechischen Tragiker. An den Sonnabend- imd Sonntag-
abenden lasen die Lehrer oder Aufseher gelegentlich unterhaltende
Bücher vor, während die Zuhörer schnitzten, zeichneten oder Bilder
ansahea Auch bei Tische wurden wochentags von den „Ersten**
Biographien, Reisebeschreibungen oder anschauliche historische
Schilderungen laut vorgelesen. Auf diese Weise wurde in den
Anstalten manchem Schüler ganz unmerklich und fnüizeitig ein
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guter literarischer Geschmack anerzogen, der ihm später half, sich
einigermassen selbständig durch das Chaos der modernen Literatur
hindurchzuhnden und sich trotz der Modetorheiten den Sinn für
das Schlichte und Gesunde zu erhalten.
Das Buch ist — den Gedanken mochte ich schlies^ch nicht
unausp^csprorhcn lassen — auch eine vortreffliche Srhiitzrede für
das huniamstisrlic Gymnasium auf christlicher Grundlage. Wie
charakterbiidend wirkt diese Anstalt 1 Diese Knaben und Junglinge,
vne sind sie so gesund und fröhlich, so begeistert und phantasievottl
Solche Jünglinge wünschen wir unserm Volke: frisch ins Ld>en
hineinstürmend, für alles Hohe begeistert, wirklich frisch, fromm,
froh und frei.
Zwei Erziehungsromane, die in einer sdiwerwi^enden Anklage
ausIdingen, sind ,Jnreund Hein" von Emil Strauss und „Unterm
Rad" von Hermann Hesse.
„Freund Hein" — das Buch packt, wie selten ein Buch dieser
Zeit Nicht ohne Grund heisst es eine „Lebensgeschichte". Man
könnte es aber auch die Tragödie der Schule oder die Tragödie
des Küf^ers, die Tragödie des Knaben oder die Tragödie der
Erzifhiinrr nennen. Es ist ein Kr/iehnnr'sroTnan, der bei der heiitip^en
Schulhilf lun^^ stehen bleibt, die l orderuiig nach BerücksirhtiL^ung
der Individualität in den iMittcipuiikt stellt und zu einer Anklage
gewisser Zustände in unserem Ernehungswesen wird. Im besonderen
liest man zwischen den 2^ilen die Frage: Ist es notwendig, dass
jrrirr, der zu den Gebildeten gezählt werden will, durch alle Klassen
einer höheren Schule gelaufen sein und alle Schulfacher in gleicher
Weise beherrschen muss, auch die, für die er durchaus keine
Anlage hat?
Der beklagenswerte Held des Romans, Heiner, der Sohn eines
Rechtsanwaltes, ist ein Kind, in dem ein Künstler steckt, das aber
ein Gymnasiast sein '^oll und unter seiner doppelten Last /erbricht;
es ist ein ungewöhnliches, aber einseitiges Talent, das durch die
fleichmadieri«:hen Aispröäie der Schule in erdrückender, frosdoser
olgerichtigkeit vernichtet wird. Sein Leben wird auCs sorgfältigste
im Elternhause überwacht. Wenn er auch anfanglich nach den
Plänen seines Vaters , .Staatsanwalt" werden sollte, so hatten beide
Eitern doch nicht gerade den Ehrgeiz, etwas Besonderes aus ihrem
Knaben werden zu lassen. Vor allem ist die Mutter eine „jener
seltenen Mutter, die ganz ehrlich das am Hebsten sehen, was ihre
Kinder sich selbst wählen und suchen, und die, wenn nicht aus
reifer Erkenntnis, dann in der unbefangenen Demut ihres überall
wunderschauenden Herzens so ein neues, aufschliessendes Leben
nach seinem eigenen, noch unverstandlichen Sinn sich dehnen und
formen lassen". Früh bricht bei Heiner ein ausserordenilich starkes
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musikalisches Talent durch, das ihm vom Grossvater her. der als
Geigenspieler und Dirigent die halbe Welt durchreist ist, im Blute
liegt und das der Vater erst bekämpfen und dann wenigstens
soweit als möglich eindänunen möchte. Dass der Sohn nicht zum
Zeitvertreib Geige spielt; dass ihm die Musik ein Element ist, ohne
das er nicht leben kann, vermacr der Rechtsanwalt nicht einzusehen.
Auch er besass ia musikalische Bet;abnnp und spieite hervorra^jend
Geige ; aber ei hatte sich, da ci an sich selbst bezüglich dieser
Neigung die übebten Erfahrungen gemacht» indem das Geigenspid
auf der Hochschule seinen Studien gefahrlicli geworden war, mit
festem Willen endlich ermannt und seither keine Saite mehr an-
gerührt. Das muss der Sohn auch vermögen — so meint der
Vater, der seine Liebhaberei mit dem echten, reinen KünsUcrtum
des Sohnes in eine Reihe stellt, und der keinen verträumten Musi-
kanten, sondern einen lebensklugen Mann aus ihm machen will
Doch als der Vater sieht, dass Heiner in der Musik lebt und webt,
und dass die Naturan!r\cye sich nicht unterdrücken lässt, gibt er
schUesslich seine Einwilligung dazu, dass der Knabe sich dieser
Kunst widmet, macht aber diese Erlaubnis vom Bestehen des
Abtturiums abhangig.
Nun schildert uns Emil Strauss die Leiden, die daraus quellen,
dass der Knabe in eine Schule muss, in die er nicht gehört. Die
geistige Verfassung, die hier vorausgesetzt werden muss, ist nicht
die seine. In seiner Individualitat sind die Elemente dei Mensch-
heit anders gemischt als bd den Durchschoittsschttlem. Und zu-
gleidl ist seine Eigentümlichktit so zart, so empfindlich, dass er dem
Zwange, der ihn zerstört, keinen Widerstand zu leisten vermag
Heiner soll .Mathematik lernen, hat aber für sie durchaus keine
Anlage. Was er schon m mehreren Jahren mit langsamer, doch
Stetig wachsender Gewalt gegen sich herandrängen gefiihlt hat, das
tritt in Obersekun hi mit plumper Unwiderstehlichkeit vor ihn hin:
er kann mit der Mathematik nicht fertig werden Sie ist seine
Qual bei Tag und N'acht und verbittert ihm das junge Leben; er
erreicht in Matliematik das Ziel nicht und bleibt sitzen. Auch die
Grammatik der fremden Sprachen kann er nidit schidgerecht
lernen, obwohl ihm das Verständnis der Sprache keine Schwierig-
keiten macht. Er \'erc^isst bei dem Sprarhcnlcrnen leider vollständig,
dass z, B. „Homer vor allem dazu gedichtet hat, um dem CT;erma-
nischen Jüngling mit jedem Worte die Anwendung einer gramma-
tischen Regel und die Eigentamlidikeit des jonisdien Di^üekts n
zeigen". Sone griechischen Stilübungen fielen immer geringer aus,
so dass der Professor eines Tages bei Rückgabe der Hefte den
Witz machte, Heiners griechischen Leistungen erginge es ^ne dem
Pharao, als er den Juden nachsetzte: sie ersöffen im Roten Meere.
Zwar arbeitet er mit rastlosem Pflichteifer, sein Wissen in Grammatik
und Mathematik zu vermehren; aber er sieht immer mehr ein, dass
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er hierin den Anforderui^n nie (^nügen werde. Er weiss wohl,
wie es zu machen wäre: Abschreiben, mogeln, spicken, sich aus-
reden und lügen, Formeln und Beweise auf die l^ank und die
Fingernägel und die Manschetten schreiben, die Lehrer anlügen —
aber „pfui, Teofd, ich kann's lücht", so Heiner. Er bittet seinen
Vater, von der Forderung des Abituriuins abzustehen, zumal es für
seinen späteren Beruf durchaus nicht nötig sein. Der Vater bleibt
aber bei seinem Verlangen, und als die Prima ihm dasselbe Schicksal
des Sitzenbleibens bereitet, als der Lehrer ihm das Zeugnis, an das
er ein ganzes Jahr redlichstens Strebens gesetzt, mit seinem un-
genügenden Resultat höhnend vor die Füsse wirft, unterliegt das
zum Musikschaffen geborene Menschenkind dem Martyrium der
Schule, in deren abstrakten Begriffsdrill sich sein kbensinniges
Wesen durciiaus nicht zu finden vermag. Sein überreiztes Gehirn
gibt ihm als einzige Rettung den freiwilligen Tod an.
So kommt es, dass er verzweifelnd „allzubereit, den Wunsch
der Götter zu erfüllen, ins All zurück die kürzeste Bahn ergreift" —
er Ic^ Hand an sich, schiesst sich eine Kugel in den Kopf und
stirbt Am Mant;f 1 des Verständnisses für ihn und seine Art bei
seinem Vater und bei seinen Lehrern, so gut sie's alle meinen mögen,
geht unser Heiner zugrunde.
Die Erzählung nimmt den Leser gefangen. Die psychologische
Zeichnimg der in ihrer Art viel versprechenden Knabennat'jr, der
die Schule zum Verhängnis wird, ist \o!i grosser Feinheit. Vor
allem ist die sittliche Reinheit des Knaben mit so grossem Ver<
ständnis dargestellt, dass man ihm von Herzen gut wird. Um so
mehr befremdet der Ausgang; denn gerade in ihrer Reinheit hatte
die Eigenart des Knaben einen Schutz, der ihn endlich doch allem
Zwange gegenüber hätte überlegen machen müssen. Selig sind, die
reines Herzens sindl Darum ist der Selbstmord des Jünglings, so
ergreifend er auch „wirkt", nicht recht verständlich. Die Sditde
bietet doch nur, wie auch Strauss durchblicken lässt, den äusseren
Anlass des Unterganges. Im Grunde ist es das Leben selbst, an
dem Heiner scheitert. Sein Selbsterhaltungstrieb ist nicht so stark,
dass er ihn dazu hätte fuhren können, den unverständigen Zwang,
der vom Vater in guter Absicht ausging, mit Gewalt zu brechen.
Hemer ist ein armes, schwaches Menschenkind, dessen Talent im
Sturm des Lebens erst recht untergegangen räne. Das hartköpfige
Genie hätte nicht zur Pistole gegriffen, sondern wäre aus dem un-
wirtlichen Vaterhause einfach davon gelaufen, um sich draussen allem
zum Trotz Geltung zu verschaffen. Auch muss dem Einwurie eine
gewisse Berechtigung zuericannt werden, dass ein ungewöhnlich be-
anlagter Mensch trotz aller Einseitigkeit doch das Notwendigste in
jedem Gegenstände erlernen kann, wenn er Heiners Mr-iss und pritcn
Willen besitzt. Ks ist niciit zu leugnen, dass alle Schüler eine ^^e-
wisse Wissensmenge lernen und leisten müssen. Auch wird überall,
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^ 280 —
wo sich Menschen zu einer gemeinsunen Tätigkeit vereiiiigen, ein
gewisses Mass von Uniformität iinvcrmrifllich sein. Demnach wäre
CS töricht, von allen Schülern matiiematischc Leistungen zu ver-
langen, da doch die Erfahrung vielfach bestätigt, dass es unmathe»
matische Köpfe gibt, die auf anderen Gebieten Hervorragendes
leisten. Die neueren Prüfungsordnungen für die höheren Schulen
enthalten darum auch Bestinunungen, die dieser Erkenntnis Recfa>
nung tragen.
Man ist leicht geneigt, in einem solchen Falle, wie er vorliegt,
der Schule die Schmd beizumeasea In Wahrheit liegt jedoch der
Grund darin, dass mancher Knabe sich auf dner Lehranstalt be*
findet, auf welche er wegen seiner nicht zureichenden Begabung
nicht gehört. Immer sollten bei der Wahl einer Lehranstalt die
Fähigkeiten des Kindes in erster i^inic massgebend sein und, wie
schon Luther wollte, „die ingenia unterschieden und nur Wohl*
geschickte zugelassen werdend Leider ist es aber in den meisten
Fallen nur der Wunsch der Eltern, der Herbei die Entscheidung gibt
Es ist ein charakteristischer Zug unserer Zeit, dass viele Eltern
danach streben, ihren Kindern eine höhere Lebenstellung zu ver-
schaffen, als die ist, die sie selbst einnehmen. Dieses Drängen nach
oben bedingt denn auch den Andrang zu den höheren Lehranstahen.
Oft hört man von sonst recht einsichtsvollen Männern die Ansicht:
„Trh will meinen Sohn dns Gymnasium durchmachen lassen" mit
derselben Leichtigkeit hinwerien, iiDt der sie sich etwa entscheiden,
wenn es sich darum handelt, dem Knaben ein neues Kleidungsstück
ZU schaffen« Es wird nicht bedacht, dass ein Knabe nicht ohne
weiteres „ein Gymnasium oder ein Realgymnasium durchmachen"
kann, dass dies vielmehr Bildungsanstalten sind, in welchen der
ganze innere Mensch durch- und umgearbeitet werden soll, dass
dies die Stätten sein sollen einer gediegenen Vorbereitung für den
Besuch der Hochschulen. Ob ein Knabe die Anlagen fiir eine
solche Laufbahn besitzt oder ob ihm die Befähigung zu dauernd
anstrengender Geistesarbeit abgeht, danach wird oft nicht gefragt
Msn klagt die Methode der Lehrer an, beschwert sich über zu
hohe Anforderungen und redet von Überbürdung. Und doch ist
schliesslich die Ursache mangelnden Erfolgs nur darin zu suchen,
dass der Knabe nicht fiir das Gynuiasium passt
Aus dem Roman „Freund Hein" klingt doch für jeden Ldirer,
gleichviel an welcher Schulgattung er arbeitet, die Mahnung, der
Individualität des Schülers die grösstc Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Es ist ein hartes Wort, das Hermann Hesse ausspricht; „Eineo
toten Schfiler blicken die Lehrer stets mit ganz anderen Augen an,
als einen lebenden. Sie werden dann für einen Augenblick vom
Werte und von der Unwiderbringlichkeit jedes Lebens und jeder
Tugend überzeugt, an denen sie sich sonst so häufig sorglos
versündigten."
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— 28l -
Ein ähnlicher Gregenstand wie in „Freund Hein" wird behandelt
in dem Roman von Hermann Hesse, „Unterm Rad". In
dieser Schülertragödie, einem Buche voll Schwermut, heimlicher,
leiser Klage und Anklage, ist es nicht, wie in , Freund Hein" ein
besonderem ialent, das aussergewöhniiche Krisen duichlaaft, nein,
es ist ein Normahnensch im engen Kreise, der, begabter als der
Durdischnitt, stolz und mit Anwartschaft auf Ruhm und Glück in
der ersten Zeit der Schulentwicklung einen vielverheissenden Anlauf
nimmt, dann aber von der grossen Geisteszurichtuogsmaschine der
Schule zermalmt wird.
Der zarte Hans Giebenrath ist in dem sdiwäbischen Wald*
Städtchen, wo sein Vater das Leben eines enghenigen, durchaus
prosaischen Kleinbürgers führt, einer der begabtesten Schüler, das
Wunderkind, aus dem der Stadtpfarrer, der Rektor, die übrigen
Lehrer und der eitle Vater die Leuchte des Städtchens machen
wollen. Für das Landexamen vorbereitet, besteht er als Zweiter,
und damit sein Licht in dem berühmten Seminar zu Maulbronn,
dessen Pforten sich ihm nun öffnen, noch heller leuchte, wird von
eifrigen I^hrem auch die Ferienzeit, die dem Eintritte ins Seminar
voraufgeht, noch ausgenützt und der Junge noch weiter gefördert,
wenn aud^ die Augen schon mit trüber Glut brennen und auf der
Stirn feine Falten zucken. Im theologischen Seminar in Blaulbronn
geht es zunächst munter fort, aber dann, ja, dann geht es langsamer
vorwärts, steht es still, geht es allmählich zurück. Das Wunder-
kind — welche Ironie der beleidigten Natur! — ist kein grosser
Geist. Besonders lassen seine überanstrengten Kräfte nach, seit sein
dnziger Freund Maulbronn verlassen musste, bb es eines schönen
Tages klar wird: er ist krank, „nervenkrank", und es wird wohl aus
ihm nichts Gescheites mehr werden. Als seine nervösen Schwäche-
zustände bedenklich werden, schickt man ihn rasch entschlossen,
dem Vater nach Hause, um seinen Körper und Geist zu kraftigen.
Li der Schwarzwaldluft gewinnt er scheinbar die Gesundheit wieder,
muss aber die Vorbereitung zum Studium anheben, dämmert noch
so ein Weilchen in geist:n;cr und körperlicher Übermüdung dahin
und lernt noch Lust und Qual der ersten Liebesregung kennen.
Doch alles ist nur wie das Aufleuchten eines Sonnenstrahles. Die
NOditemheit einer Handwerkerarbeit — er soll Mechanikeriehrling
werden — befriedigt ihn nicht, und nach dem ersten Sonntags*
ausflug mit seinen Arbeitsgenossen, der ihm die Enge und Niedrigkeit
ihrer Feiertagsfreuden enthüllt, findet sein frühgeschwächter Leib
und sein angekränkelter Geist* Ruhe und Frieden in den Wellen
des Flusses, in dem sich einst der Knabe die Glieder und die
SeeSe stärkte, che der Schulswai^ ihn in seine harten Hände nahm.
„Halb zog es ihn, halb sank er mn" in die erlösende Flut, halb im
Weinnebel, halb in Verzweiflung und im Ekel vor dem schnellen
Sturze aus seinem vormahgen Musterknabendasein.
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— 282 —
So war Hans Giebenrath unter die Räder «rekommen; es ging
abwärts, tiefer und tiefer, sechs Schuh unter die Krdc hinab. Es
sind nicht allerlei Zulalligkeiten , die in besonders unglücklicher
Verschlingung so ungünstig wirken, sondern es sind dem Schul-
betrieb wirklich wesentlich innewohnende Grefohren, die uns in
diesem Romane geschildert werden, Gefahren, die gerade die
bedrohen, welche die Schule emstnehmen: eine l^hcrspnnnung der
Gei>tt skrafte, welche die Natur in den ausschlaggebenden Jahren
zerrüttet, und die Krregun^ eines falschen Ehrpfeizes.
Aus Hans Giebenrath sollte ein Studierter werden; durchs
Landexamen auf das staatliche Seminar zu Maulbronn, dann au6
Tübinger Stift nnd von dort entweder auf die Kanzel oder au6
Katheder, das ist der Lebenspfad, den der begabte Knabe wandeln
soll. Welcher Vater, besonders so einer wie der alte Giebenrath,
freute sich nicht beim Gedanken an eine solche Zukunft seines
Sohnes?
Und die Lehrerl ,,Die Lehrer, der Rektor, die Nachbarn, der
Stadtpfarrer, die Mitschüler und jedermann gab zu, der Bub sei ein
feiner Kopf und übcrh.nipt etwas Besonderes. Er wird natürlich,
die Ehre des Städtehen« zu wahren, entsprechend vorbereitet.
Täglich eine oder zwei besondere Unterrichtsstunden, Griechisch
und Latein, und vier Stunden Mathematik in der Woche ist ja gar
nicht viel und für einen Schüler wie Hans Giebenrath ausreichend.
So wird die Zeit nach den Schulstunden ausgefüllt. Für die
Sonntage wird fleissiges Wiederholen der Grammatik dringend emp-
fohlen. Natürlich mit Mass, mit Massl Ein-, zweimal in der Woche
spazieren gehen, ist notwendig und tut Wunder. Bei schönem
Wetter kann man ja auch ein Buch mit ins Freie nehmen — du
wirst sehen, wie leicht und fröhlich es sich in der frischen Luft
draussen lernen lässt." Das Angeln freilich, ob er auch bitterlich
weint, gibt Hans auf, seitdem er Schätze aus der Tiefe der Wissen-
schaft hebt; damit er ja nicht zerstreut werde, nimmt man ihm
seine Kaninchen ab; das kleine, hölzerne Wasserradchen im Garten
wird zerstört und die Fischrute mit Beschlag beleg^. Der Knabe
bekommt tiefHegende, unruhige Augen mit trüber Glut, er hat
beständig Kopfschmerzen; müde und matt schlepjit er seine haL:^ereo
Glieder umher. Aber er besteht in quaivolier Aufregung das Land-
examen als „Zweiter". Nun darf er zwar seine wohlverdienten
Ferien geniessen, darf auch zu seiner Freude angeln, Fischniten
schneiden usw. Doch der Ehrgeij seiner T.ehrer ruht nicht. E'
könnte in Maulbronn nachlassen — man hndet m ihm einen ver-
derblichen Hang zur Träumerei — und da muss vorgebaut werden.
Rektor und Stadtpfarrer sind „so gütig", ihn die Sprache Homets
und in das Hebräische jetzt schon einzuführen, und der
Mathematiklehrer ist aufopfernd genug, ihm die Anfangsgrunde der
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— 283 —
Algebra und Stereometrie begreiflich zu machen. Im Maiilbronner
Seminar bricht er zusammen.
Eine Mutter hatte fler arme Junge nicht mehr, die mit liebendem
Auge seine körperliche iinlwlcklung beobachtet hätte. Der Vater
Giebenrath ist viel zu stolz auf seines Sohnes Erfolge. Was der
einfache, gemütstiefe Schuster Flaie sieht, das bleibt dem würdigen
Vater ein Geheimnis: dass der Knabe Haut und Knochen wird,
weil ihm Luft und Bewegung und Erholung fehlen.
Es ist nicht zu leugnen, dass die Lehrer In der Uberspannung
seiner Kräfte das geistige Erlahmen und den körperlichen Verfall
ihres Sciiukrs, in dem sie ein ehrgeiziges Strebertum geweckt«
veischuldet haben. Daher verstehen wir, dass das Buch von
gehamischten Ausfallen strotzt, die in einer Streitschrift besser nieder-
gelegt wären als in einem Roman. So viel Lehrer und keiner hat
Einsicht, so viel Pädagogen, die, so wohl sie es alle meinen, ein
junges Menschenleben regelrecht in den frühen Tod treiben!
Doch „Unterm Rad" ist kern Tendenzbuch im üblichen Sinne;
es ist eine ernste Dichtung, die ein früh veilöschendes Menschen-
leben in Liebe und Mitleid schildert. Darum fühlen wir uns überall
von der Frage umsponnen, die uns alle mehr oder weniger bewegt:
Bilden wir unsere Jugend recht? Haben wir nicht alle Ursache,
von Hans Giebenrath zu lernen, dass ein Kind, dass ein Junge
doch eine Jugend braucht! Warum, hatte man ihm seine Kaninchen
weggenommen, ihn den Kameraden in der Lateinschule mit Absicht
entfremdet, ihm Angeln und Bummeln verboten und ihm das holile
Ideal eines aufreibenden Ehrgeizes eingeimpft ? Nun lag er zusammen-
gebrochen am Boden. Wieder nahmen die Lehrer, der Rektor
und der Stadtpfarrer an seinem Schicksale teil. Sie erschienen
sämtlich in Gehröcken und feierlichen Zylindern, begleiteten den
Leichenzug und blieben am Grabe einen Augenblick stehen, unter-
einander flüsternd. Der Latcinlehrer sali besonders melancholisch
aus, und der Rektor sagte leise zu ihm: „Ja, Herr Professor, aus
dem hätte etwas werden können. Ist es nicht ein Elend, dass man
gerade mit den Besten fast immer Pech hat? Und keiner dachte
etwa daran, dass die Schule und der barbarische Ehrgeiz eines Vaters
und einiger Lehrer dieses gebrechliche , feine Wesen so weit
gebracht hatten, indem sie in der unschiildirr vor ihnen aus-
gebreiteten Seele des zarten Kindes ohne Rücksicht wüteten."
Es war ein hartes Wort, das der einfache Schuhmacher aus-
sprach, als er, durch das Kirchhofstor auf die abziehenden Gehröcke
deutend, sagte: „Dort laufen ein paar Herren, die haben auch mit-
tle holfen, ihn so weit zu bringen — und damit meinte er die
Schulmeister. Und Sie, Herr N'nchbar, „so spricht er /um Vater",
haben vielleicht auch mancherlei an dem Buben versäumt, meinen
Sie nicht?"
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— 284 —
Man spricht so viel — und oft in falscher Weise — von dem
Rechte des Kindes. Ein Recht hat aber das Kind auf alle Fälle:
Das Recht auf Lebensfreude und Lebensmut, die auch auf der
Schulbank in froher Arbeit erworben und gewonnen werden können,
dann nämlich, wenn die Arbeit auf der Schulbank wechselt mit
reichlichem Spiel und reichlicher Freiheit Hinweg mit dem Obcr-
mass von Hausaufgaben und Privatstunden mancherlei Art, wenn sie
sich der notwendigen Erholung in den Weg stellen ! Der Mensch wird
im Leben der stärkste sein, dessen Herz sich in der Kindheit voll-
gesogen hat von Lebendireude und Lebensonut £ine selige Kindheit
ist ein Kapital, das gute Zinsen tragt
Vor n]lrn Dintren müssen wir nbcr unsern Kindern die Ferien
ganz und ungeteilt gönnen. In ^icii 1 rricn sollen sie alle Schulsorgen
los sein, sollen in Garten, Wald und Eiusü sich „ausleben", sollen
gemessen, was ihnen die Natur darbietet in licht und Luft» Sonne
und Wind, sollen sich krafÜgen zu fröhlicher geistiger Arbeit
In dem Erziehungsroman „Einer Mutter Sohn" hat Clara
Viebig uns einen Fall vorgeführt, in dm die Annahme eines Knaben
an Kindesstatt, die unvermittelte Änderung seines Lebenslaufes
aus der ärmlichsten, entbehrungsreichsten Umgebung heraus in die
gesättigte Wärme des Wohlstandes, zum Unglücke ausschlägt.
Der Roman spielt in Berlin und ist in seinen Grundzügen sehr
rasch erzäUt Das vermögende Ehepaar SchUeben Hebt sidi und
ist glücklich, beide haben auch höhere geistige Interessen. Und
doch liegt ein Schatten auf dem hellen Grunde: sie haben keine
Kinder — „es blüht ihnen keine zweite Jugend". Zwar schmiedet
dieser Mangel ihren Bund um so fester; einer sucht den andern
hinwegzuhelfen über das tiefe Weh seines Lebens; aber ... die
Sehnsucht? Die Frau verzehrt sich so vor Verfangen nach einem
Kinde, dass sie nervös wird und hysterisch zu werden droht Zur
Heilung dieser Krankheit werden Reisen von einem Bade ins andere
unternommen; aber keine Reisen, keine Arbeit keine Liebe kann
die Sehnsucht besiegen, sie wird vielmehr durch den Anblick
hübscher Kinder nur starker. Da findet das Ehepaar in der Venn,
in der Nähe von Spaa, mitten in der Wildnis des Waldes ein
wenige Monate altes Kind ohne Kiesen, ohne Dcrkc, in ärmlichen
Lumpen gehüllt, auf der hrde liegen. Es ist das Kind einer lieeren-
sammlerin, deren Mann beim Schmuggeln von Grenzjägern erschossen
worden ist und die mit einer grossen Schar von unversorgten Kindern
in g^össter Armut lebt. Dem armen, wilden, finstern, stumpfen und
gleichL^iilt:<Tcn Weib kauft das Flhepaar das Kind ab, nimmt es an
Kindesstatt an, bringt es nach Berlin und erzieht es dort in einer
der Grunewaldvillen mit liebevollster Sorgfalt. Aber obgleich die
beiden Leute alles Erdenkliche tun, um den Jungen wie einen
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Sprössling ihres Hauses aufwachsen zu sehen, obwohl besonders
die Frau an hingebender Liebe und an Opfermut fast Unmögliches
leistet, so kann doch zwischen dem Knaben und den Eltern kein
herzliches Verhältnis entstehen, besonders nicht /wischen ihm und
der Mutter, die mit leerer Brust neben ihrem Kinde lebt, das nicht
ihr Kind ist Die Eltern finden nicht den Weg zum Herzen des
sich immer wieder finster von ihnen absdiliessenden jungen Menschen,
der, nervenstark» fast brutal kräftig, der Natur sehr nahe, der Kultur
sehr ferne steht. Er sucht sich seinen Wc*;, der weitab führt von
dem der in veredelten Lebensbedingungen erzogenen und in sie
hinein gewöhnten Eltern. Es gelingt diesen nicht, seinen Sinn nach
ihren Wünschen zu verfeinem, seinen Geschmadc zu veredeln und
ihm Geist von ihrem Greiste einzuflössen. Die Erziehung des Knaben,
der den niedrigen Leidenschaften seiner leiblichen Eltern aus der
Venn verfällt und erschreckend schnell eine Individualität zeigt, die
nichts gemein hat mit der Wesensart der Pflegeeltern, wird zu einer
furchtbaren Seelenqual für beide Parteien, besonders auch, sobald
er, herangewachsen und veranlasst durch aufgefangene, bösartig
hingeworfene Andeutungen über seine Herkunft und erregt durch
eigenes Nachdenken, sich die Frage nach seinem Ursprünge vorlegt
Durch den Vergleich seiner Gesichtszüge mit denen der Pflegeeltern
kommt er zu Zweifeln an seiner rechtlichen Zugehörigkeit zu den
Pflegeeltern und spricht diesen Zweifel in liebloser Weise aus. Ja,
am Tage der Konfirmation öffnet sich der Leidenschaft seines
Forderns das sorgsam bewahrte Geheimnis. Der kräfti^fp ^^^esundc
Jüngling nimmt die Dinge lächelnd dankbar hin, wie sie nun einmal
liegen, entwickelt sich aber immer weiter nach unten und bereitet
den £ltem eine Pein nach der andern durch seinen schlechten Um>
gang, infolgedessen er einmal sinnlos betrunken nach Hause kommt,
durch seine Schulrlrnmachen, durch das Krwachen seiner sinnlichen
Gelüste, so dass er nur mit Mühe aus den Händen einer schlechten
Person befreit wird. Gebrochen an Leib und Seele, geht er
schliesslich im Sfiden, wo er Genesung hoffte, zu Grunde. Sein
früher Tod ist nicht allein die Folge seines wilden Lebens, er wird
beschleunipft durch eine Herzschwäche, die von einer schweren
Kinderkr.iiikhcic zurückgeblieben ist, und durch eine quälende Sehn-
sucht nach semer wirklichen Mutter, von der er freilich keine klare
Erinnerung hat, zu der ihn aber ein heisses Verlangen stärker zieht
als zu der edlen Frau, die ihm ihr ganzes Leben geopfert und die
infolge des Kummers um ihn vor der Zeit zur Greisin wird. Am
Sterbebette wird es den Adoptiveltern klar, dnss sie nicht das Recht
hatten, die Pflanze aus ihrem Erdreich zu reissen. „Hätt' ich ihn
dort gelassen, — ach, hätt' ich ihn dort gelassen !" entringt es sich
dem Herzen der enttäuschten und gramerfüllten Frau am ToteU'
lager des Sohnes, und wie aus einem Munde flüstern die beiden
Gatten: „Vergib uns unsere Schuld."
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— 286 —
Der psychische Vorgang, den Clara Viebig zum Gegenstande
dieses Romans gewählt hat, ist durchaus nicht neu. Das Problem:
Können kinderlose Ehepaare durch Annahme eines fremden Kindes
sich selbst die volle hlternstimmunfy bereiten und dem Kinde ein
ungetrübtes Glück schaffen? ist oft von Eltern erwogen, theoretisch
von Philosophen erörtert, von Dichtem behandelt worden. Qara
Viebig vertritt den Satz, dass in dem vorliegenden Falle mcdit die
Mutter, die das Kind verkauft, ein Verbrechen begeht, sondern
dass die reichen, kinderlosen Leute, die ihre Sehnsucht nach einem
Sprössüng, den ihnen die iNatur versagt hat, durch den ivauf eines
Kind^ befriedigen, eine grössere Schuld auf sich laden. Die Stimme
der Natur sei stärker ate die Gewöhnung und Sitte; ein Mensch
lasse sich nicht verpflanzen wie ein Tier oder eine Bhime. Diese
Ansicht ist wohl nicht ganz zutreffend : denn wenn das an-
genommene Kind in ..Einer Mutter SdIih gern mit Proletaricr-
kindern verkehrt, über Hecken und Zaune klettert, Räuber und
Gendarm spielt und am liebsten wie ein junges Füllen sich im Wald
und Freien tummelt, so sind diese Einzelzüge, auch die später \ or>
kommenden AuK-^rhreituniren des JünHinf^s kein Durchbruch des
eing'edämmten iSlutes, emcs fortf^eerbten Familiennaturelis. Und
das ist docli wohl auch wahr, dass solch wilder Sprösshng sich oft
leicht an das vornehme, verfeinerte Leben gewöhnt und auch
innerlich so eng mit der Welt seiner Pflegeeltern verwächst, dass
er keinerlei Riickcrinnerungcn an die X'ergangenheit und nur in
geringem Masse den Naturinstinkt seiner eigentlichen Eltern bewahrt.
Doch den Pädagogen interessiert mehr die andere Frage, die
aus dem Roman herausgelesen werden kann: Vermag die Eraehung
den Wesenskem des Menschen zu beeinflussen, ist die geistige
Sphäre des jungen Kindes zu heben, oder lenken den Gang seiner
Entwicklung lediglich die ererbten Charaktereigenschaften? Gara
Viebig leugnet in dem Romane die Erfolge der Erziehung, den
Einfluss der Kultur auf das durch die Geburt zur Niedrigkeit
bestimmte Wesen. Allerdings liegen triftige Gründe für die Erblich-
keit gewisser P-i genschaften durch Generationen hindurch \ cr, und
anderseits hat die beste Schulung noch nie aus einem Dummkopfe
einen Weisen machen können. Aber es darf doch nicht übersehen
werden, dass die Anpassung ein Gegengewicht gegen die Ver-
erbung schafft. Und wenn man auch nicht alles in ein Kind hinein*
erziehen kann, so kann man aber wohl erreichen, dass der Zögling
seine schlechten Triebe und Rrrrjcrden bis rv einem gewissen Grade
beheiTScht, ihre Hässlichkeit erkennt und fühlt.
Darin aber ist der Dichterin beizupflichten, dass man bei einer
Annahme an Kindesstatt nicht dem augenblicididien Überwallen
starker Gefühle folgen darf, sondern dass mit weiser Voreicht die
Verhältnisse ins Auge zu fassen sind, damit nicht allzuscharfe Gegen*
Sätze unüberwindliche Hindemisse bereiten.
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— 28; —
Mögen auch die in den besprochenen Erziehungsromanen
befühlten Fragen noch so verschieden sein, eins geht aus allen
hervor: das Kind mit seiner Fi<:fen;irt ist in den Mittelpunkt der
Erziehung zu stellen; an! die Bildung einer Persönlichkeit ist hinzu-
wirken, die Antrieb und Richtung des Handelns aus ihrem innersten
Wesen erhält
IlL
Die Neugestaituiig des 8pruchbuchs.O
Von Dr. H. TSgel, Pirna.
Über drcissig Jahre sind vergangen, seit die 1 50 Sprüche des
sächsischen Memorierstoffs zusammengestellt worden sind. Da ist es
selbstverständlich, dass in den Kreisen derer, die ihn im Unterricht
ZU benutzen haben, das Bedürfnis nach einer Reform empfunden
wird. Denn diese 30 Jahre sind in Kirche und Schule reich an
innerer Entwicklung gewesen. Dieses Bedürfnis hat ir der Rede
des Herrn Kultusministers Dr. Beck vom 19. Januar 1Q09 in der
zweiten Sächsischen Ständekammer offizielle Anerkennung gefunden.
Er hat an dicsor Stelle gesagt: „Es gibt, das ist nicht zu leugnen,
eine Menge von Sprüchen, die in ihrem Wortlaut för Kinderherzen
nicht ohne weiteres verständlich sind und die, wenn sie den Kindern
eingebleut werden müssen, ihnen ausserordentliche Schwierigkeiten
bereiten."
Bisher sind mir 3 Versuche zu dner Neugestaltung des Sprucfa-
buchs zur Kenntnis gekommen:
T. Die Beiträge zur Neugestaltung des religiösen Lernstoffs.
Dem Kgl. Sächs. Min. des Kultus und öffentlichen Unterrichts über-
reicht von Leipziger Religionslehrern 1908. Diese Arbeit lässt bei
der Auswahl der Stellen drei Gesichtspunkte bestimmend sein,
nämlich den allgemein-pädagogischen, den lehrhaft «theologischen
und den erbaulich-praktischen. Meiner Meinung nach muss der
zweite Gesichtspunkt, wie ich dann nachweisen will, wegfallen. Die
Beiträge schwächen ihn an einer späteren Stelle selbst ab. Sie
wollen die Ordnung nach dem Katechismus beibehalten. Von den
150 grossgedruckten Sprüchen des Katechismus wollen sie 26 aus-
sdialten und 31 neu aufnehmen, so dass sich als Gesamtzahl 155
ergibt Mir erscheinen diese Vorschläge nicht enei^gisch genug.
>) Naeh ehiem der Konferenz von Religionslehrern an höheren Sehnlea Suhienc
gehaltenen Vortrag D- r .\ufsatz ^^cht doshalb Ubrrall von dem Im Königreich SadlMII
»eit dem 9. September 1877 offiziell bcoutztcn Spmchbuch aus.
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Ausserdem ist es mir zweifeUiaft, ob durch Abstimmung in einer
Kommission über die Zusammenstellung der einzelnen Sprüche zu
einem Spruchbuch entschieden werden soll. Lmer muss die Arbeit
machen. Im Einzelnen kann ja dann noch geändert werden.
Der 2. Versudi „Unser reli^öser MemorieistoiT im Lichte der
Verkündigung Jesu" von Herrn. Pfeifer, 1908 enthält viel mehr, ab
man nach dem Titel vermutet, nämlich sehr tiefgehende theologische
und pädagogische Betrachtungen über den Inhalt des Katechismus.
Erst am Ende kommt Pfeifer ganz kurz auf die neue Auswahl des
Spruchbuchs zu sprechen. Er bezeichnet die Anordnung nach dem
läitechismtts als gefahriich. Er will, dass der vorgeschriebene Stoff
auf ein tunlich l L:eringes Mass beschränkt werde. Zu diesem
Zweck bezeichnet er etwa 50 Sprüche als entbehrlich. 15 macht
er namhaft, die neu hin:^utrcten können. Ausser den Sprüchen des
Spruchbuchs sollen auch solche Sprüche gelernt werden, die den
Höhepunkt einer Unterrichtseinheit im Sibellesen kennzeidmen.
Diese Bibdstcllen hat sich jeder Lehrer nach seinen unterrichtlichen
BerUirfnissen sclbst ZU wählen. Pfeifer geht zu wenig auf die Einzel*
heilen ein.
3. liegen vor: „Vorschläge für eine Durchsicht des in den
Schulen Sachsens vorgeschriebenen Memorieistoffe" von Funke 1907.
Durch Kürzung einer Anzahl Sprüche und Weglassung andrer wUl
er den Umfant; uni vermindern. Das kleine, 11 Seiten lanpe
Schriftchen krankt meiner Meinung nach an Widersprüchen. Ks
sagt ganz richtig „In der Kürze liegt die Würze". Trotzdem will
es Phil. 2, 5 — II beibehalten. Dem Sinne nach Schwerverständliches
soll wegfallen. Trotzdem will es 2. Kor. 5. 17 — 21 „Gott war in
Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber usw." wieder her-
stellen. Es fehlt an durchgreifenden Gesichtspunkten.
In einem Punkt stimmen alle drei Vorschläge überein, nämlich
darin, dass sie nicht nur weglassen, sondern auch hinzusetzen
wollen. In der Tat stehen nicht nur Spräche in unserm Sprudibudi.
die unkindlich oder übermassig lang sind. Es fehlen auch solche,
die nach allen Seiten hin vorzüglich für den Unterricht passen. Ich
nenne z. B. Matth. 10, 17: ,,Seid klu^ wie die Schlangen und ohne
Falsch wie die lauben." Hat man an der Schlangenklugheit
Anstoss genommen? Aber es ist ein Wort des Herrn für sebe
Jünger! Is ist kurzi wertvoll, leicht verstandlich, anschaulich. Oder
Joh. 9, 4 „Ich muss wirken, so lanj^e es Tag ist. Es kommt die
Nacht, da niemand wirken kann." Die teste, fromme Männlichkeit
dieses Wortes ist auf das Leben der Gegenwart wie zugeschnitten
und ist unendlich schöner als das pessimistische, viel zu vid
gebrauchte Wort Carlyles „Arbeiten und nicht verzweifeln'', bei den
ich immer zusammmcngekniffne Lippen und krampfhafte Rewe^iin j^en
vor mir sehe. Au.s dem Römerbrief stanimen 14 vnn 1 50 Sprücheu,
und doch fehlt Körn. 12, 12 : „Seid fröhlich in Hoitnung, geduldig
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— 289 —
in Trübsal, haltet aa am Gebet'' Hat Paulus in einer jener
14 Stellen die Stimmung des wehrhaften Christen so kindlich einfach
und rhythmisch schwungvoll zum Ausdruck f^cbracht, wie gerade
hier? Es muss also zugleich die ganze Bibel neu durchforscht
werden, um keine der schönsten Blüten am Wege stehen zu lassen.
Bäne Neuwahl der biblischen Sprüche hat stattzufinden, eine Um-
arbeitung der SamnUung^.
Wir werden dabei am besten vorgehen, wenn wir zuerst die
Sprüche unsers Spruchbuchs prüfen und die ausscheiden, die uns
nicht geeignet erscheinen. So haben wir den Stamm gewonnen,
der bleibt. Es wird ein recht grosser Prozentsatz sein. Dann
müssen wir die ganze Bibel nach Sprüchen durchforschen, die
bisher vernachlässigt worden sind. Vor allem gilt es zunächst,
innerliche Massstäbe zu finden, an denen wir die Sprüche messen
können.
Grundsätze bei der Aiswahl.
Zu welchem Zweck lassen wir Bibelsprüche lernen? Luthers
Geburtsbnct unsrer Spruchbücher aus der deutschen Messe und
Ordnung des Gottesdienstes von 1526 iuiirt uns auf den richtigen
Weg. Hier heisst es: „Man gewöhne das Kind, aus den IVedigten
Sprüche der Schrift mit sich zu bringen und den Eltern au&usagen,
wenn man essen will über Tische [gleichwie man vorzeiten das
Latein aufzusagen pflegte), und darnach die Sprüche in die Säcklein
und Beutlein stecken, wie man die Pfennige und Groschen oder
Gulden in die Taschen steckt. Als, des Glaubeos Sacklein sei das
goldne Säcklein; in das erste Beutlein gehe dieser Spruch, Röm. 5, I2:
An clnis Einzigen Sünde sind sie alle verdammt worden; und der,
Ps. 51, 7: Siehe, in Sünden bin ich empfangen, und in Unrecht
trug mich meine Mutter. Das sind zwei rheinische Gulden in das
Beutlein. In das andre Beutlcin gehen die ungarischen Gulden, als
dieser Spruch, Röm. 4, 2$ : Christus ist für unsre Sünden gestorben
und für unsre Gerechtigkeit auferstanden; item Joh. I, 29: Siehe
das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt. Das wären zwei
gute ungarische Gulden in das Beutlein. Der Liebe Säcklein sei
das silberne Säcklein. In das erste Beutlein gehen die Sprüche
vom Wohltun, als GaL 5, 13: Dient untereinander in der Liebe;
Matth* 25, 40: Was ihr einem aus meinen Geringsten tut, das habt
ihr mir selbst getan. Das wären 7wei silberne Groschen in das
Beutlein. In das andre Beutleni L^ciic dieser Spruch Matth. 5, 11 :
Selig seid ihr, so ihr verfolget werdet um meinetwillen; Hebr. 12, 6:
Wen der Herr liebt, den züchtigt er, er stäupt aber einen jeglidien
Sohn, den er aufiümmt Das sind zwei Schreckenberger in das
Beutlein." Dass an dieser Stelle Glaubr nicht etwa als die An-
nahme von theoretischen Kirchenlehren mit dem Verstand gemeint
FMagofUdM Slodlco. ZXJC. 4. 19
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ist, geht daraus hervor, dass Luther wenige Zeilen vorher gescfarieben
hat: „Was heisst an Grott, den AUmäditigen, glauben? Antwort:
Es heisst, wenn das Herz ihm ganz vertraut und sich aller Gnade,
Gunst, Hilfe und Trost vm ihm gewisslich versieht, zeitlich und
cwigHch." Um Glaube und Liebe also handelt es sich bei den
Sprüchen, um Angelegenheiten des Herzens und der Hand, des
Fühlens und des Wollens, nicht um solche des Kopfes und des
Verstandes.
Auch aiif dem Gebiete des profanen Lebens merke ich mir
theoretisolic Wahrheiten nicht wörtlich. Die Philosophie und die
Naturwissenschaft prägt ihre Ergebnisse niclit zu kuricn bauen, auf
deren einzelne Worte es ankäme. Dagegen laufen unzählige Sprich'
Wörter von Mund zu Mund, die alle auf das praktische Leben hin-
zielen und den Willen beeinflussen wollen. Bej^rififÜrhrn P>;^cbnissen
widerstrebt es sogar, sich in eine nni'errijckbare l orm zwängen zu
lassen. Denn das ist gerade das Wesen des begrifflichen Denkens,
dass es zwischen den Vorstellungen hin- und herwandelt und, ihre
Beziehungen beschauend, zwbchen ihnen schwebt. Es muss fah^
sein, sich beständig neu zu erzeugen, wenn es Leben in sich behalten
soll. Genaue Wortfii^nng^ und Satzbildung hemmt diese Möglichkeit
Es ist deshalb auch falsch, im fremdsprachlichen Unterricht
grammatische Regeln oder in der Mathematik Lehrsätze wörtlich
einprägen zu lassen. Ganz anders ist es mit Gefühlen und
Strebungen. Sie haften am Wort und an der Wendung der Rede.
Die Seele des Dichters drückt sich in kaum merkbaren Modulationen
der Sprache, in der Wahl der Worte aus. Man versuche es, ein
bekanntes lyrisches Gedicht in andern Worten wiederzugeben. Die
Seele des Dichters ist entflohen, der Hauch innersten peisonlichen
Lebens, der die Hauptsache ist, ist entschwunden. Den Verstand
des Denkers haben wir auch in dem unbehilflirhen Stil eines Kant,
dessen Ausdrucksweise wir am liebsten vergessen, nachdem wir den
Sinn der Worte crfasst haben. Was auf Herz und Gemüt wirken
\riU. muss eine festgefügte Form haben; was den Kopf bereichem
SoU, bedarf einer solchen festen Fügung nicht.
So ist es in noch hol. crem Masse attf drm Gebiete des religiösen
Lebens. Die Religionstiftcr reden m Spruchen, die Philosophen
halten Lchrvorträge. Die Worte Christi sind absichtlich kurz und
anschaulich, damit sie sich die Jünger merken konnten, und wir
sind überzeugt, dass äe sich auch dem Wortlaut nach im wesent«
liehen unverändert ihren stark fühlenden und heftig wollenden
Seelen eingruben. Also nur bei Sprüchen, die auf Gefühl und Willen
wirken, kommt es auf den genauen Wortlaut an.
Warum aber lassen wir solche Worte auswendig lernen? Warum
lassen wir profane Gedidite lernen? Danut die Kinder später
einmal ihre schwach g^mmenden Gefühle für die Natur, für Vater-
land und Mitmenschen und was sonst das Herz bewegt, durch die
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weit stärkere Seele des Dichters zur hdlen Flamme anfachen lassen
können, und damit sie so starker zu richtigem Handeln angespornt
werden. VV'cnn der Mann oder die Frau nach zwanzig Jahren am
ersten Frühlingstag zur Arbeit gehen, da soll es in ihnen wieder
aufklingen: ,J)ie Unden Lüfte sind erwacht, sie wehen und säuseln
Tag und Nacht usw." Die Seele Uhlands stärkt und verfeinert ihr
eignes Innenleben. Oder wenn das frühere Schulkind draussen in
der Fremde unter fremdsprachigem Volke in Gefahr ist, nach der
schlimmen Art des Deutschen Sprache und Wesen an die andern
zu verlieren, dann soll es Schillers Wort antreiben, sein Deutschtum
zu wahren:
' i,Ai» Valeriud, was tcore sdiHcH «ttcli an.
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen,
Hier sind die starken Wunteln deiner Kraft;
Dort in der fremden Welt stctut du allein,
Eia schwankes Rohr» das jeder Stnm serkaickt,"
Ebenso soll es bei den Blbelsprflchen sein. Ein Geschäftsmann
konmit nicht recht vorwärts und hat Sorgen. Dazu ist er nervös
geworden und fühlt sich nicht mehr dem Kampfe ums Dasein
gewachsen. In der Nacht kann er nicht schlafen Fr ist religiös
gesinnt j aber auch die Religion ist matt und kümmerlich geworden.
Da iälltihm das Felsenwort aus dem 73. Psalm ein: „Dennoch bleibe
ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. . . .
Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch,
Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil." Daran richtet
sich seine schwache Kraft auf. Neues Vertrauen und neue Lebens-
freudig^eit strömt aus der Seele des Päafandlchtecs in seine Seele
Über. Den Gatten, der den Tod der Gattin betrauert, tröstet auf
El wird gesSet verwcslich,
und wird auferstehen unverweslich. '
Es wird gesäet in Unehre,
und wird auferstehen in Herrlidlkeit,
Es wird geslet in Schwachheit»
und wiH anfientelwB in Kraft."
Beide Beispiele entstammen meinem zufälligen Erfahrungskreis
und sind nicht erfunden. Freunde sollen die Bibclworte dem Kinde
werden, Vertraute, die ihm auf seinem Lebenswege gerade dann
mdien, wenn er sie nötig braucht. Sie stehen also völlig im Dienste
des praktischen religiös-sittlichen Lebens.
Während Luther selbst lediglich an solche Lebensworte
gedacht iiat, wäiircnd dementsprechend das erste Spruchbuch der
evangelischen Kirche, nämlich die Haustafel in Luthers kleinem
Katechismus, einen durdiaus praktischen Charakter zur Schau trägt,
kommt bald ein neues, störendes Moment dazu. Der Orthodoxismus
des 17. Jahrhunderts betrachtet die Bibel vor allem als eine Fund-
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grübe för Belegstellen zu den Lehren der Kirche. Danach durch-
sucht er sie, pflückt diese Stellen aus dem Zusammenhalt heraus
imd füllt mit ihnen die S})riic]ibüchcr. Diese neue Betrachtung der
Sprüche wird durch eine neue Kinteilung verstärkt. Luthers
reizende Einteilung in Säcklein und Beutelein haben wir erwähnt
Trotzendorfs Rosarium, „Ein Kranz von Rosen, genommen aus dem
Paradis des Herrn", vom Jahre 1568 teilt nach den Sonntagstexten
des Kirchenjahres, das Panarcton Neanders von 1580 nach den
Büchern der Bibel, die kursächsische Schulordnung von 1580 in
tröstliche und lehrreiche Sprüche ein. Jetzt aber tritt im Anfang
des 17. Jahrhunderts das „Grundbuch der Religion" mit einer Ein*
teilung nach dem Katediismus auf. In der Mitte des 17. Jahr-
hunderts lernt man in Frankfurt und Hessen nur nOCh Katechismus*
Sprüche. Diese Einteilung behält der Pietismus bei, und auch gegen-
wärtig noch sind die meisten der in Deutschland benutzten Spruch-
bücher so eingerichtet. Dies bringt die grosse Gefahr mit sich,
dass man die Sprüche nicht danach auswählt, ob sie liir das
praktisclie Seelenleben des Christen passen, sondern danach, ob die
betreffenden Stellen des Katechismus alle dvirrh Hibelstellen belegt
sind. Auch im sächsischen Spruchbuch tragen noch eine <;rössere
Anzahl Sprüche den Charakter von Belegstellen. Joh. 15, 26 z. B.
ist offenbar nicht aus einem praktisch-religiösen Bedürfnis au%enommcn
worden, sondern als Stütze für die Lehre vom heiligen Geist
2. Tim. V 15 — 17 soll nicht zur praktischen Rcnutzun«:^ der Schrift
auffordern denn diese sehr nntirre Aufgabe erfüllt das daneben-
stehende Wort Ps. 119, 105 „Dem Wort ist meines Fusses Leuchte
und eui Licht auf meinem Wege", schöner und nachdrücklicher.
Sicher haben die Worte „alle Schrift, von Gott eingegeben" dieses
Wort als Stütze für die Lehre von der Verbalinspiration empfohlen.
Wer ein Wort wie Hebr. II, 3 „Durch den Glaub»fi merken wir,
dass die Welt durch Gottes Wort fertig ist, dass alles, das man
siehet, aus nichts worden ist", zum Lernen empfehlen kann, dem
fehlt der Sinn für die Behandlung der Sprüche im Religionsunterricht
völlig. Nun soll hier nicht etwas über den theologischen Wert
dieser Belegstellen oder auch über ihre Benutzung im Unterricht
gcsafjt werden. Die ganze Bibel steht dem Lehrer offen. Aber
sie eignen sich nicht zum Auswendiglernen. Der schlichte Christ
braucht im Leben kein Rüstzeug zum Disputieren über theologische
Fragen, keine Zitate aus der Bibel, die er zu solchen lehinaften
Zwecken Vicrcit haben müsste. So ungefähr dachte man es sich
im 17. Jahrhundert. Dieses intellektualistischc Motiv bei der Aus
wähl der Sprüche muss gänzlich wieder ausgeschieden werden.
Wir müssen wieder zu Luthers Beutlein des Glaubens und der Liebe
zurücldcehren. Die erste und zugleidi wichtigste Forderung bei tiner
Neuauswahl des Spruchbuches lautet also: Praktische Lebensworte;
nicht theoretische Belegstellen.
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Eine weitere Forderung dürfte nur in seltenen FäHm in Tätigkeit
treten. Man hat bisher die Sprüche aus dem Zusammenhang heraus-
genommen, ohne sich um diesen zu kümmern. Man nahm den Sinn
des Wortes, wie er sich an der Oberfläche kund tut. Dieser Sinn
des isolierten Wortes sdmmt nun meistens mit dem auf wissen-
schaftlichem Wege gefundenen Sinn des verbundenen Wortes im
wesentlichen überrin. Ks ist nher auch denkbar, dass dies nicht der
Fall ist, dass der Smn, um dessen willen ein Wort dem Spruch-
schatz einverleibt worden ist, bei näherer Untersuchung anders ist.
So ist z. B. sicher das bekannte Wort Joh. 5, 39 „Suchet in der
Srhrift; denn ihr meinet, ihr habet das ewige Leben darinnen, und
sie ist's, die von mir zeuget" deshalb aufj^enommen worden, weil
darin eine Aufforderung zum Bibcllesen gesehen wurde. Tatsächlich
ist man jetzt einer Meinung, dass dem Zusammenhang entsprechend
der Sinn ist: „Ihr Pharisäer, die ihr nicht an mich glaubt, studiert
ja so emsig in den Schriften des Alten Testaments, um hier ewiges
Leben zu finden. Und doch weisen sie auf mich hin. Warum
folgt ihr diesem Wegweiser nicht, damit ihr bei mir Leben findet?"
Damit verliert der Spruch den für uns wichtigen Tunkt, und es
widerspricht der gewissenhaften Wahrheitsliebe, ihn eines Sinnes
wegen lernen zu lassen, der g^r nicht in ihm liegt Oder man lese
im Zusammenhang Hebr. 3, 1—6. Man wird deutlich finden, dass
das Wort „Kin jegliches Haus wird von jemand bereitet. Der aber
alles bereitet, das ist Gott" in diesem et\\'as spitzfindigen .Syllogismus
gar nicht die Bedeutung hat, die man ihm gewöhnlich zuschreibt.
Wissenschafdiche Zuverlässigkeit können wir diese Fordernis
formulieren.
Diesen Gesichtspunkten über den Inhalt muss eine klare .\n'
schauung über die nötige Form an die Seite treten. Wir haben
schon gesehen, aus welchem Grunde gerade bei Lebensworten die
Form bedeutungsvoll ist Poetischer Schwung ist wünschenswert
Nüchterne Sachlichkeit ist nicht geeignet, Gefühle zu tragen und
Strebungen zu wecken. 2. Mos. 20, 8 — lO haben wir ein Beispiel
dafür. Knapp und bestimmt wird zuerst das Gesetz fixiert:
„Gedenke des Sabbattagcs, dass du ihn heiligest." Dann folgen
klare ErlauterunCTbestimmungcn: „Sechs Tage scdlst du arbeiten
und alle deine Dinge beschicken; aber am siebenten Tage ist der
Sabbat des Herrn, deines Gottes." Logisch richtig geordnet werden
zuletzt die Subjekte aufgezählt, auf die sich das Gesetz bezieht:
„Da sollst du kein Werk tun, noch dein Sohn, noch deine Magd,
noch dein Vieh, noch dein Fremdling, der in deinen Toren ist"
Dieser Stil ist für eine GesetzessteOe vorzüglich; denn juristische
Sadilichkeit und Logik bt hier die durch den Zweck geforderte
Eigenschaft. Wir aber wünschen nicht Sachlichkeit und Logik,
sondern Schwung und Gefühlswärme. Man vergleiche damit
Ps. 139, / — 10:
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„Wo soll iell hinpchen vor deitiem Heist
Und wo soll ich hintlichen vor deinem Angesicht?
Fflhre ich gen Himmd, so bist du auch da.
Bettete ich mir in die Mölle, liehe, SO bist du anch da.
XShme ich Flügel der Morgenröte
Und bliebe am &ussersten Meer,
So würdt- inii-h doch dtnnr Hand daselbst (tthrea
Und dtinc kt-chlt mich Imlten."
Das ist die P'orm der Sprüche, wie wir sir- brauchen. Freilich
können wir nicht nur Poesie bieten. Aber auch in Prosa-Sprüchen
findet sich vieles, bei dem die Form besonders schön ist und
poetisdieQ Schwune beatzt Von den Worten Christi ist £es
bekannt Aber audi bei Paulus findet sich genug. Man denke an
I. Kor. 13, I — 3. Vieles in seinen Sdiriften hat rhythmische
Gliederting:
Frettct euch mit den Frühlichen,
Und weinet mit den WdneiMlen.
oder:
Irret euch nicht,
Gott liist sieb nicht spotten;
Denn was der Mensch sSet,
das wird it «Tnlcn.
Wer auf sein Fleisch säet,
der wird von dem Fleisch des Verdeihen ernten.
Wer ahor auf den Geist säet,
der wird von dem Gci^t daa ewige Leben ernten.
Ferner ist Nüchternheit und Schlichtheit nicht zu verwechseln.
Nüchtern ist z. B. Jakobus: „So jemand das g^nze Gesetz häh und
sündigt an einem, der ist's ganz schuldig", schön in seiner Schlicht-
heit Petrus:
Tut Ehre jedermanl
Habt die Brüder lieb!
Fürchtet Gott!
Cbret den König (
oder Christus:
„Geben ist seliger denn Nehmen/*
Aus demselben Grunde müssen wir so viel wie möglich an der
Übersetzung Luthers festhalten. Seine Sprachgewalt läst es uns
oft vergessen« daas wir unsre Sprüche nicht in der Ursprache vor
uns haben. Moderne Übertragungen muss jeder Lehrer aus wissen-
schaftlichen Gründen bei seiner Vorbereitung heranziehen. Aber
sie können ihren wissenschaftlichen Ursprung in der Nüchternheit
ihrer Sprache nicht verleugnen. In den Lutherworten berühren wt
uns Zürich mit der Seele Luthers, deren Schwingungen wir in
ihnen /ii sj>{iren meinen. .A-Uch altertümliche Wendungen haben
ei-icn iH stiinmti Kr\7., einen gewissen Stimmungswert. Alte Forniefi
und W orte kUngen oft edler als moderne. Auch im Sprichwort
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lieben wir sie: „Gleiche Brüder, gleiche Kappen." „Wie die Alten
sungen, so zwitschern auch die Jungen. ' „Es ist nichts so fein
gesponnen, Es kommt endlicii an die Sonnen," So möge denn
ruhig weiter gelernt werden: „Wes das Herz voll ist, des gehet
der Mund über." „Selig sind, die reines Herzens sind." „So ihr
den Menschen ihre Fehler vergebet, so wird euch euer himmlischer
Vater auch vergeben." Anders ist es mit Wendungen, die uns
jetzt sonderbar anmuten wie z. B. Ps. 139, 14 „Ich danke dir darüber,
dass ich wunderbarlich gemacht bin; wunderbarlicb sind
deine Werke, und das erkennet meine Seele wohl" oder Eph. 4, 2$
„Leget die I-üge ab und redet die Wahrheit, ein jeglicher mit seinem
Nächsten, sintemal wir untereinander Glieder sind." „Wunder-
barUch" und „sintemal" haben einen komischen Beigeschmack
erhalten. Anderes ist unverstandlich geworden z. B. „Es ist ein
grosser Gewinn, wer gottsdig ist und lasset ihm genügen. Denn
die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke
und viel törichter und schädlicher T üste." Die alte Ein-
setzung des persönlichen Fürworts für das rückbezügliche und der
alte Genitivus partitivus stören hier.
So lauten unsere Forderungen in Bezug auf die Form: Der
Wortlaut muss so sein, dass Gemüt und Wille angeregt werden.
Nüchterne, verstand esmässige Form schliesst von der Aufnahme aus.
Altertümliche Wendungen aus dem Lutherdeutsch sind beizubehalten.
Störendeä ist zu beseitigen.
Bisher sind wir vom Spruche ausgegangen. Jetzt müssen wir
als Ausgangspunkt die Kinder ins Auge lassen, die die Sprüche in
sich aufnehmen sollen. Hierbei ist von vornherein die Meinung
abzuweisen, dass etwas dem Gedächtnis der Kinder einverleibt
werden möge, was sie erst später verstehen werden. Saat auf
Hoffnung gibt es hier in diesem Sinne nicht Wer meint, dass
etwas Unverstanden gelernt werden soll, der hat die letzten 300 Jahre
Entwicklung der Pädagogik nicht mit gemacht, der lebt pädagogisch
noch hinter Comenius. Bevor die Kinder etwas lernen, müssen sie
es verstanden haben. Was ihnen nicht zum Verständnis zu bringen
ist, das dürfen sie auch nicht lernen. Was ich ohne Verständnis
lerne, dem haftet die Spinnwebe des Stumpfsinns an, und es bdiält
auch seine graue Farbe, wenn dann die Zeit gekommen ist, wo es
verstanden werden könnte. Es heisst dies nicht „Saat auf Hoffnung"
säen, sondern den Ackerboden untauglich machen, bevor die Saat
gesät und aufgegangen ist Wenn Baumgarten in seinen Neuen
Bahnen fiir den Religionsunterricht sagt: ,^ch eifre nicht d^^egen,
dass dann vieles unverstanden memoriert würde; das wäre ja nur
normal und gesund für das mechanische Gedächtnis. Wenn der
Stoff nur schön und der Mühe wert und in seinem Werte geahnt
ist, dann lasse man ihn rullig auch unverstanden einprägen," so
wandelt er damit in uralten, veriassenen Pfaden und bewebt nur»
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dass er nicht von der Pädago^k herkommt. Diese Praxis stammt
aus Zeiten, in denen der päda^^ogisrho Gedanke noch nicht lebendig
genug war. Die Rede von der „baat auf Hofthung" ist nur eine
naditraglich entstandene Schutzidee, um das nunmehr vorhandene
pädagogische Gewissen zu beruhigen. Es gilt hier aber, alte Fehler
gut zu machen, nicht zu hcschönicrcn. Es mii^s (1er liinprä^ung
eines Spruches stets eine zweckentsprechende Bchandlun»:^^ voraus-
gehen ; wenn eine solche unmöglich zum Verständnis führen kann,
hat der Spruch wegzubleiben. Der Spruch 2* Kor. 5, 17 — 21:
JsX jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur usw." ist
deshsdb mit Recht in der gegenwärtigen Ausgabe des säclisischen
Katechismus in eckige Klammern, d. h. auf den Aussterbeetat
gesetzt worden. Unverständlich ist z. B. für Kinder auch Rom. 3,
23 — 24. Wir müssen an dieser Stelle die pädagogische Fetniuhligkete
Luthers, wie es schon oft hervorgehoben worden »t, bewundern.
Er hat in seinen kleinen Katechismus nicht die Lehre \on der
Rechtfertigung^ aufgenommen, obwohl sie ihm der Mittelpunkt des
evangelischen Christentums ist. In der Form lebendigen religiösen
Lebens durchdringt sie, recht verstanden, den ganzen Katechismus;
in der Form der Lehre würde sie von Kindern nicht verstanden
werden. Dies muss auch uns, den Söhnen Luthers, Richtschnur sein.
Vicht alles, was den Hn.vr\ch?enen wertvoll ist, kann schon den
Kindern zugeführt werden. Die lehrhaften Abschnitte de« rauius
z. B., die auch dem erwachsenen Laien noch Schwierigkeiten
bereiten, eignen sich deshalb nicht für den MemorierstoiT. Man
denke dabei an Melanchthons Worte aus der Kursächsiscfaen
Schulordnung: „Dies ist nicht fruchtbar, die JiK^rnd mit schweren
und hohen Büchern zu beladen, als etUche Paulum zu den Römern,
St Johannis Evangelium und andere dergleichen um ihres Ruhmes
vnHesk lesen." Dwei darf man freOich nicht in den andern Fehler
verfallen, Paulus ganz beiseite drängen zu wollen, wie die Stimmung
gegenwärtig an manchen Stellen ist. Die theoretischen Stellen in
seinen Schriften nehmen kaum den vierten Teil dem Umfange nach
ein, und auch in ihnen sprüht und glänzt es von lebendigstem,
praktischem, rel^riösem Leben. Es ist einseitig, ihn nur ab den
theoretischen Verbieger der Lehre Jesu hinzustellen, pr ist eine
religiöse Persönlichkeit voller Kraft und Leben, deren Äusserungen
vielfach auch für Kinder verständlich sind. Nur muss Kindern
gegenüber die theoretische Seite seines Wesens zurückgestellt und
die praktische in den Vordergrund gerückt werden. Danach müssen
wir uns auch bei der Auswahl der Sprüche richten, damit sie den
Kindern verständlich bleiben. Umgekehrt ist den Kindern alles das
leicht verständlich, was der Anschauung nahe steht, bildliche Rede-
wendungen und Vergleiche enthält. Ks bedarf nur der Erwähnung,
dass sich auch aus diesem Grunde die Worte Christi vorzüglich
fSr den Unterricht eignen.
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Die Forderung der Verständlichkeit darf allerdings nicht folsch
verstanden werden. Kinder können die Tiefe von vielem noch
nicht erfassen, was ihnen trotzdem verständlich ist. „Gott ist die
Liebe, und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott
in ihm." Wer meint» dass er dieses Wort voU ausgeschöpft habe?
Und doch können es Kinder in kindlicher Weise schon fassen. Es
ist nur zu fordern, dass sie es mit den Vorstellungen, die sie schon
besitzen, zu apperzipieren vermögen. Es darf nicht so sein, dass
ihnen die Möglichkeit der Apperzeption von vorn herein abgeschnitten
ist Ihre kindliche Auffassung muss auf dem geraden Wege zu
einer vollkommenen Erfassung hin liegen. Die Beurteilung der
Verständichkeit muss vom Kinde, nicht vom Ervvachsenen oder
wohl gar von der Wissenschaft her verstanden werden. Wovon
die Kinder nach wohlüberlegter Besprechung im Unterricht über-
zeugt sind, dass sie es verstanden haben, das haben sie tatslchlidi
in unserm Sinne verstanden. Weiter kann es wohl vorkommen,
dass ihnen eine Wendung, ein Ausdruck, eine Feinheit des
Gedankens innerhalb eines Spruches unverständlich bleibt. Auch
dies brauchte uns nicht zu stören, wenn sie nur die Hauptsache
richtig erfassen. Fordern wir bei der Lektüre, dass jedes einzelne
Wort verstanden werden muss? Wenn es leicht geht, werde ich
natürlich auch solche Schwierigkeiten meiden.
Für Kinder aus andern Gründen unpassend ist z. B. die Stelle
Jak. I, 12—15, the noch in unserm Spruchbuch steht : ,. Ein jeglicher
wird versucht, wenn er von seiner eignen Lust gcrcizet und gelocket
wird. Darnach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die
Sünde.'' Das Bild der Buhlerin, die zur Unzucht verfuhrt, kann ich
mit Kindern nicht ausfuhren. Somit muss der Lehrer, der die
Aufgabe hat, Klarheit zu schaffen, hier absichtlich Unklarheit
bestehen lassen.
Falsch scheint es mir, alles als unkindlich zu bezeichnen, wo
von „Sünde" die Rede ist. Man möge nur bei der Bdiandlung
alle dogmatischen Abstraktionen beiseite lassen. Dass die Kinder
oft ungezogen sind, sagt ihnen die Mutter alle Tage. Jedes Kind
hat solche Situationen aus dem Hause und aus der Schule im
Gedächtnis. Man fmie also solche Sprüche mit kindlichen An*
schauungen; dann werden sie sie verstehen. Alles in allem muss
— so können wir kurz zusammenfassen — ein Spruch für Kinder
passend sein.
Passend muss er auch sein für das Gedächtnis der Kinder.
Es ist nicht so, wie man bisher angenommen hat, dass Kinder
ein besseres Gedächtnis haben als Erwachsene; Es ist noch in
manchen Lehrbüchern zu lesen, dass die Höhe des Gedächtnisses
etwa mit dem I3. Jrthr erreicht sei. Tatsächlich haben exakte
Versuche ergeben, dass die Stärke des Gedächtnisses beim Er-
wachsenen in der Blüte der Kraft weit grösser ist als beim Kinde.
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Schon die Erinnerung an die Leistung des Geistlichen, des Schau-
spielers, mancher Parlamentarier sollten von diesem Irrtum abhalten.
Der Geistliche lernt m einer längeren Predigt so viel Worte, wie
die 150 Sprüche unseres Spruchbuchs zusammen ausmachen,
nämlich ^cr Erwachsene lernt, weil ihm seines reicheren
Seelenlebens wegen eine mehr mechanische Tätigkeit sehr bald
langweilig wird, ungern auswendi-^; so lässt er es, wenn es gebt,
ganz und verliert damit die Übung.
Aus diesem Grunde darf man dem Gedächtnis der Kinder
nicht zu viel zumuten. Allerdings ist in dieser Hinsicht früher viel
mehr gesündigt worden als gegenwärtig Ich selbst habe als Kind
neben andern Psalmen den 104. Psalm mit 35 Versen auswendig
gelernt Der hochbedeutende Schuimethodus des Herzogs Ernst
fordert die Erlernung von 32 Psalmen. Jetzt ist davon nur der
25. ^alm zurückgebUeben. In den höheren Schulen lernte man
damals die lateinische Dogmatik des Leonhard Hutter auswendig.
Ein für die damalige Zeit höchst modemer Pädagog, Eilhardt
Lubinus, der Freund des Ratichius und Vorläufer des Comenius,
wünscht 1614, dass 7- oder 8-jährige Knaben das Geschlechtsrcgibter
aus Matthäus und aus Lukas vor- und rückwärts auswendig lernen
sollen. Wenn wir uns von hier aus zu den 150 Sprüchen unsers
Katechismus wenden, atmen wir erleichtert auf. Da davon noch
9 in eckige Klammern gesetzt sind, die wohl kaum mehr gelernt
werden, bleiben nur 141 übrig. Sein Voi ^^angcr, Petermanns Spruch-
buch, enthält noch 800 Sprüche, ein Spruchbuch von C H. lascher
aus der Mitte des 19. Jahrhunderts 250a Freilich müssen wir
bedenken, wenn wir einmal von der Unvernunft jener Zeiten in
dieser Hinsicht nhsehen, dass man in den Volksschulen bis gegen
Ende des 18. Jhs. weiter nichts lernte als religiöse Stoffe. Es gab
noch keine Gedichte, keine Geschichtskenntnisse, keine Geographie,
keine Naturgeschichte und Naturlehre einzuprägen. Auf die Zahl
der Sprüche kommt es nicht allein an, mehr auf ihre Schwierigkeit
für das Gedächtnis im einzelnen. Am besten sind Spruche geeignet
wie Luk. 11, 28 „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren"
oder Offenb. 2, 10 „Sei getreu bis in den Tod, so wiO ich dir die
Krone des Lebens geben." Der kurze, sprichwortahnliche Charakter
dieser Worte prägt sich von selbst ein. Auch ich sage: In der
Kürze liegt die Wür7e. Wiederum ist hier der Rhythmus als
besonders geeignet für unsre Zwecke zu bezeichnen z. ß. Ps. 27, I :
„I>er Herr ist mein Licht und mdn Heii.
Vor wem sollte ich mich fttrcbten?
Der Herr ist meines Lebens Kraft.
Wen wem »Ute mir gnuien?"
oder Matth. 7, 1—3:
Richtet oicbt,
auf 4us ihr aicln gerichtet werdet!
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Denn mit welcherl<-i Gfricht ihr richtet,
werdet ihr gerichtet werden,
imd mit wdcherki Mut ihr messet,
wird euch gemessen werden.'»
Solche Spruche lernen sich leicht. Eine unnötige Mühe ist
z. B. die Einprägung der Seligpreisungen nach der Reihenfolge.
Einzeln merken sie sich sehr leicht, im Zusammenhang äusserst
schwer. Nach meiner Kenntnis finden sie sich in dieser Weise nur
im sächsischen Spruchbuch, Alle andern Spruchbücher, die ich
kenne, enthatten ^ einzeln und meist nicht alle. Durch die Miih-
seUgkeit der Einpragung, durch die Furcht vor dem „Aufsagen" im
Unterricht, durch eventuellen Tadel oder gar Strafen bei mangel-
haftem Können werden so leicht die schönsten Sprüche den Kmdern
mit dem Gefühle des Unangenehmen verbunden. Sprüche, die in-
folge ihrer Länge oder info%e von schwierigen Aufzählungen müh-
sel^ zu lernen sind, müssen wegbleiben. Als Beispiel iur den zweiten
Punkt nenne ich Gal. 5, 12: „Die Frucht aber des Geistes ist Liebe,
Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut,
Keuschheit." Als Massstab kann die Frage dienen, ob sich ein
Spruch bei guter Behandlung schon während des Unterrichts den
besseren Kindern einprägt. Ich habe stets die Erfahrung gemacht,
dass am Ende der Behandlung ein grosser Teil der Kinder den
behandelten SprTirh oder das Kirchenlied schon im Gedächtnis
hatte. Wenn die Kinder zu Hause den wohlverstandenen, warm
erfassten und schon '/^ gelernten Spruch nochmals durchgehen, bis
er in kurzer 2^it „fest siut", fallt das Unangenehme des Auswendig-
lernens weg.
Von hier aus ergibt sich allerdings die Forderung, dass auch
die Gesamtzahl der Sprüche nicht grösser sein darf, als dass jeder
einzelne im Unterricht eine genaue BeliHudiung ermöglicht. Unter
diesem Gesichtspunkt ist die gegenwärtige Anzahl zu gross. Ich
wünschte sehr, dass auf jeden einzelnen Sprudi bei seinem erst-
maligen Auftreten in den vier oberen Klassen der Volksschule
durchschnittlich eine halbe bis eine Stunde verwendet werde. Mit
Wiederholung, Anknüpfung, erklärender und vertiefender Besprechung
und vor allem der Anwendung dürfte damit meist eine Schulstunde
geHiUt werden. Bei einer so eingehenden Behandlung ist er dann
auch wirklich innerlich und äusseriich Eigentum der Kinder geworden,
tr ist kein nutzloser Stein mehr im Gartenboden, sondern eine
PHanze, die wächst und blüht und Früchte trägt. Näher kann ich
hier auf die methodische Behandlung der Bibelsprüche nicht eingehen.
Ich verweise auf mein Buch „Der konkrete Hintergrund zu den
150 Kemsprüchen", 3. Auflage, 1908, Dresden- Blase witz, Bleyl und
Kämmerer, ferner auf die „Pädagogischen Studien" 1904, 5. Heft,
wo ich die Theorie dazu bringe und auf die „Praktische Volks-
schulmethodik von Zeissig und Fritzsche, 2. Auflage, 1908, Leipzig,
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Kfinkfaardt, die sieben ausgeführte SpruchbchaiuiUingen von nur
enthält. Da ich auf die Zahl von 120 Sprüchen hinauskomme, so
würden in den letzten vier Schuljahren im Durchschnitt 30 Stunden
auf die Spruchbehandlung verwendet werden müssen. Mehr ist
kaum möglich. Unsre Sprüche sollen also leicht lembar sein und
ihre Gesamtheit muss eine Behandlung jedes einxelnen Spruches
ermöglichen.
Zuletzt kommen norh einifje mehr praktische Gesichtspunkte
in BetrachL Sehen wir uns den ersten Sprucii in unserm Spruch-
buch an] „Schaffet, dass ihr selig werdet» mit Furcht und Zittern;
denn Gott ist*s, der in euch wirket beides, das Wollen und das
Vollbringen nach seinem Wohlgefallen." Wenn ich daneben noch
aufnehme: Matth. 7, 13 — 14 „Gehet ein durch die en^e Pforte u.sw.",
so habe ich zweimal denselben Gedanken: Strengt euch an, dass
ihr selig werdet 1 Es ist offenbar unnötig, zweimsu dasselbe lernen
zu lassen. Ich wähle das, was mir geeigneter erscheint. Dubletten
sind also zu vermeiden. Freilich dürfen wir auch hier nicht nur
den Intellekt sprechen lassen. Derselbe (icdankc kann durch ein
neues Bild, eine neue Wendung einen völlig neuen Gefühlswert
erlmhen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln" und
„Vater und Mutter verlassen mich; aber der Herr nimmt mich auf,
sind dem Gedanken nach identisch: Gott beschützt mich in der
Not. Der Gefühlsnunnce nach sind sie sehr verschieden voneinander.
Umgekehrt ist auch keuie Vollständigkeit beabsichtigt. Wir treten
nicht mit irgend einem Schema der christlichen Frömmigkeit und
Sittlichkeit an die Bibel heran» das wir mit Sprüchen ausfüllen
müssten, sondern wir ndimen die Bibel, wie sie ist und suchen die
besten Sprüche zusammen, die unsem Wünschen entsprechen.
Deshalb wollen wir auch nicht mit fertit;en Urteilen über den Wert
der einzelnen Schriften und Schriftstellen, über Altes und Neues
Testament messen, sondern uns von vom herein Unbefangenheit
wahren. In den prophetischen Büchern des Alten Testaments^ die
ich sehr hoch schätze, ist die .Auslese ?.. B. n'i-- c^erin^. Um so
interessanter wird zuletzt ein Vergleich der Verhältniszahlen unsrer
Neuwahl mit den Zahlen der bisherigen Auswahl seia
Weiter wollen wir nicht alle Sprüche, die mitten in bekannten
biblischen Geschichten stehen, in das Spruchbuch aufnehmen.
I. Mos. 39, 9 sollte ich ein solch f^rosses Übel tun und wider
Ciott sündigen" wird in jeder Schule in der Josephs[:jeschichte den
Kindern bekannt. Auch ein Lehrer, der sich bei der Erzählung
nicht sklavisch an den Wortlaut bindet, bringt diesen Idasasdien
Ausdruck eines zarten Gewissens wörtlidh. Jeder Lehrer freut sich,
wenn er ein allgemein gültiges Wort aus einer biblischen Geschichte
herausheben und zum Hauptergebnis machen kann. Als solches
prägen sich kurze Worte von selbst ein. Ein Memorieren zu Hause
ist unnötig Solche Worte wird jeder Lehrer nach seinem eignen
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Urteü herausheben und einpr^en, und tatsächlich tut er es auch
schon jetzt bei Stellen, die nicht im Sprochbuch stehen. Sie werden
in der biblischen G^chichte von selbst mit gelernt Aber wir
wenden diesen Grundsatz nicht mechanisch an. Besonders wichtige
Worte, solche, die wir auch ausserhalb ihrer Geschichte und ohne
ihre Geschichte benutzen, nehmen wir doch auf. Als Beispiel nenne
ich Joh. 4, 24 ,,Gott ist Greist und die ihn anbeten, die müssen
ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten."
Auch sonst gibt das Spruchbuch nur die Grenze dessen an,
was pflichtmässi};. nötip^enfalls auch durch Hausarbeit der Kinder,
angeeignet werden soll. Im Unterricht kann der Lehrer nach seinem
freien Urteil benutzen und auch dem Gredächtnb der Schüler zu-
fuhren, was er für wünschenswert halt In den höheren Schulen
würde ich es nicht für richtig halten, wenn die Schüler nach dem
14. Jahr noch religiöse Stoflc auswendig lernen. Denn man lernt
dann nicht mehr gern auswendig, und der Religionsunterricht soll
keine unang^enehmen Aufgaben stellen. Aber bei der Behandlung
der Bergpredigt sage ich stets: Ich freue mich, wenn Sie einen
Abschnitt bei der Wiederholung einigermassen wörtlich wiedergeben
können, ohne ihn auswendig zu lernen. Einige präcfen ihn sich
dabei doch ohne jede Mühe ein. So wird die Wirkung vertieft,
und manches bleibt von selbst iiir immer. Wie vieles aus der Bibel
und aus unsrer schönen Literatur hat man im Gedächtnis, ohne es
jemals gelernt zu haben!
Um der geschichtlichen Entwicklung Rechnung zu tragen, gehen
wir von unserm Spruchbuch aus ; wir prüfen zuerst die Sprüche,
die es enthält, untersuchen dann, welche Sprüche der Bibel ausserdem
geeignet sind und stellen zuletzt die Ergebnisse zusammen.
Bssrlsiliiio dir sIstelMa Spishs das sMwIiohta ttpraohkrtn.
Klein gedruckt, d. h. zu Sprüchen zweiten Ranges erklärt,
sind in unserm Spruchbuch 32. Die meisten unter diesen nämlich
l.Mos. I, 27; I. 31; 3, 15; 4, 7; 8, 21; 8, 22; 17, i; 22, 18; 32, 10;
39. 9; 50, 20; Jos. 24, 15; 1. Sam. 16, 7; Matth. 4, 10; 17, 5;
20, 16; 22, II ; 25, 21; 25, 34; 26, 39; 26, 41; 28, 19—20; Ma. I, 15;
Luk.2, 10 — Iii 2, 29—32; 15, 21; Joh. i, 29; Apgesch, 2, 4; 4, 12
sind Biblischen Geschichten entnommen. Es finden sich unter diesen
echte Belegstellen wie Apostelgesch. 2, 4 und manche auch in
unserm Sinne trefi'liche Sprüche, wie z.B. 1. Mos. 32, 10 ; 39, 9;
Luc. 2, 14, die siebter jeder Lehrer im Unterricht einprägen wird.
Nur zwei von ihnen behalte ich für das neue Spruchbuch bei, aber
nicht als Sprüche zweiten Ranges, nämlich Matth. 22, 21: „Gel>et
dem Kaiser, was des Kaisers ist und Grott was Gottes ist" und
Matth. 26, 41 „Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung
fallet. Der Geist ist wilhg, aber das Fleisch ist schwach." Diese
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— 302 —
beiden Herrenwoite sind wuchtiger und leichter merkbar» als die
Paulusworte RöiiL 13,1 — 2: „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit usw.**
und Rom. 7, 18 — 19: „Ich weiss, dass in mir, das ist in meinem
Heisch usw." Diese können nunmehr als Dubletten wegbleiben.
Nur drei von diesen 32 Sprüchen kommen nicht in biblischen
Geschichten vor. Unter diesen sind Rom. 3, 20 und Mich. 5, i
BelegsteUen, Joh. 16, 23 Dublette zu Matth. 7, 7. Auch sie fallen
also weg. Dir in ecki^^e Klammern eingeschlossenen 0 Sprüche
Nr. 3, 50, 03, 79, 95, 98, 99, III, 146 Qoh. 17, 3; I. Joh. 3. 4;
Gal. 3, 24; Ebr. 11, 3; Joh. 7, 16—17; 2. Kor. 5, 17—21; Gal. 2, 20;
2. Ptr. 1, 19; Eph. 4, 22—24) l^se auch ich weg, da ich überall
mit dem in der Einldammening liegendem Urteil einverstanden bin.
Es sollen nun die übrigen Sprüche mit kurzer Begründung an-
gegeben werden, die ich ausserdem ausscheiden möchte. Sonst führe
ich noch die Nummern an, bei denen ich aus längeren Sprüchen
einzelne Verse weglasse.
i) Phil. 2, 12 — 13. Die logische Verbindung der zwei Veise
ist für Kinder zu schwierig. Für das Pauluswort nehmen wir das
anschauliche Jesuswort Matth. 7, 13 — 14. 4) 2. Tim. 3, 15 — 17.
Die Auf/ähhinf^ ist zu schwer. Das Wort ist offenbar als Bele;^-
stelle für die Verbalinspiration gewaiill, ausserdem ist qs Dublette
zu Nr. 5, Ps. 119, 205. 6) Ebr. i, i — 2 Belegstelle. 7) Joh. 5, 39.
Wissenschaftlich nicht stichhaltig. 8) Jak. i, 21 — 22. Form etwas
nüchtern, statt dessen besser das Jesuswort I.uk. 11, 27 „Selig sind,
die Gottes Wort hören und bewahren", das bei grosser Kürze
klassische Form zeigt 10) Matth. 5, 17. Für die Auffassungskraft
der Kinder hat dieses Wort nur theoretischen Sinn. 11) Spr.
Sal. 23, 26. Die zweite Hälfte ist för Kinder schwer verständlich.
]0 Ps. 37, 4—5 nur V. >. t8) i. Joh. 2, 15 — 17 nur v. 17, son?t
unnötig lang. 20) Ps. 23 v. 5—6 weglassen, da nur Dublette za
2—4 und schwerer verständlich. 25) Ps. 103, 1 — 5 v. 3—5 weg-
lassen. 27) 2. Mos. 20, 8 — 10. Der Inhalt ist nüchtern. An
29) Joh. 13, 34 — 35 möge weggelassen werden „auf dass auch ihr
einander lieb habet". Dann ist der höchst wertvolle Spruch auch
der Form nach geeignet. 30) 1. Joh. 4, 19 — 20 enthält zu viel
Reflexion. 31) Matth. 7, 12. Das dreimahge „das" stört. Für
Kinder ist der Inhalt logisch nicht leicht zu durchschauen. Man
kann bei diesem Wort schwanken. 32) Sir. 3, 9 — 1 1. Dublette zum
4. Gebot. 33) Rom. 13, l — 2. Dublette zu Matth. 22, 21 „Gebet
dem Kaiser, was des Kaisers ist, und (rntt, was Gottes ist." Bei
35) T. Petr. 2, 17 — 18 muss die zweite irialftc fv. icS) weggelassen
werden, da sie auf das Verhältnis des Sklaventuras zugeschnitten
ist 37) Röm. 12, 18 — 21 ist zu lang. Dublette zum Jesuswort 14a
Matth. 6, 14 — 15. 42) Phil. 4, 8. Die Aufzahlung ist zu schwierig
zu merken. 44) l. Tim. 6, 6 — 10 ist zu lanc: Matth. 7. f — 3
V. 3 weglassen. Das BÜd ist für Kinder störend. 48) Rom. J,
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— 303 —
i8 — 19. Dublette zum Jesuswort Matth. 26, 41. 49) Jak. i, 12'— 15
ist viel zu lang und für iunder unpassend. 51) Jak. 4« 17. Nüchterne
Form. 55) Rom. 3, 23—24 ist zu schwierig für Kinder und Beleg-
stelle. 56) I. Joh. I, 8—9 ist Dublette zu T13, Sprüche Sal. 28, 13
„Wer seine Missetat leugnet usw.", wo die Worte einfacher, leichter
zu merken und klassischer in der Form sind. 58} Rom. 6, 25. Der
BegrUr des Todes als Sold der Sünde ist zu schwierig fiir Kinder.
Dem Sinne nach ist das Wort Dublette im wesentlichen zu 59, Spr.
Sal. 14, 34. 60) Matth. 5, 3 — 12. Wir behalten bei v. 4, 7, 8 und 9,
aber als einzelne Sprüche. 62) Jak. 2, 10 — 11 ist völlig nüchterne,
nur versLaiidesmässige Erwägung, die nicht wörtlich eingeprägt
werden muss. 64) £br. Ii, i. Belegstelle über das Wesen des
Glaubens. Definitionen als rein begriffliche Erscheinungen braudien
nicht gelernt zu werden. 68) Ps. 90, 2 — 4 v. 3 — 4 weglassen.
71) Ps. 139, I — 4 ist ein schönes Wort, aber etwas zu schwierig
für Kinder; das noch schönere Wort 70, Ts. 139, 7 — io, aus dem-
selben P^alm dürfte genügen. 77) Ps, 103, 8—13 kann wegbleiben,
da Psalm 23 gelernt wird. 78) £br. 3, 4 ist wissenschaftlich nicht
stichhaltig, wenn man den Zusammenhang betrachtet, aus dem es
genommen ist. 80) l's. ig, 2 — 4. v. 4 ist wissenschaftlich unsicher
und kann wegbleiben. 84) Matth. 6, 25 — 33 ist so zu lang. Wir
nehmen diesen Worten Jesu, die zu den herrfichsten zählen, die
Schwierigkeit för das Lernen, indem wir sie in zwei Sprüche teilen
und V. 27 30 weglassen. Es bleiben also v. 25 — 26 und v. 31 — 33
stehen- 86) Jak. i, 17. Im wesentlichen Dublette zu 88, Rom. 8, 28.
89) Gal. 4, 4 — 5 Belegsteile. 92) Phil. 2, 5 — 11 ist zu schwierig
für Kinder, zu lang und Belegstelle, v. 5 allein würde Dublette zu 96,
Joh. 13, IS sein. 97) Ebr. 7, 26 Belegstelle. loi) i. Petr. i, 18—19.
Belegstelle. 102} l. Petr. 2, 21 — 24. Der Schluss ist viel zu
schwierig für Kinder, ausserdem Belegstelle, v. 21 allein ist Dublette
zu Joh. 13, 15. 103) Jcs. 53, 4 — 5 Belegstelle und zu schwierig
für Lernen und Verständnis. Trotzdem habe ich geschwankt
IQ4) I. Kor. 15, S5 — S7> I^i« Bilder sind zu schwierig für Kinder.
105) Rom. 14, 7 — 9, nur v. 8. 107) i. Tim. 1, 15. Belegstelle.
100^ Joh. 15, 26. Belegstelle. Iio) i. Tim. 2, 4. Bele;:stpne
ii2j 2. Kor. 7, 10. Die Worte sind recht schwierig für Kinder
(„göttliche Traurigkeit"); ausserdem ist der Spruch Dublette zu 113,
Spr. SaL 28, 13. 115) Röm. 3, 28 behalte ich bei, obwohl es ds
Belegstdle gefasst werden kma. Es ist das Panier im Kampfe
Luthers gegen die römische Kirche und hat über.ill n\ir}\ praktische
Bedeutung, wo die evangelische Kirche gegen die katholische zum
Kampfe gezwungen ist. 1 l6j Eph. 2, 8 — 9 ist neben 115, Röm. 3, 28,
unnötig; ausserdem ist der Spruch unruhig in der Form.
1 17) Röm. 8, 31 — 32. Dieses schöne Wort ist neben 88, Rom. 8, 28:
„Denen die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen",
aus demselben Kapitel vielleicht entbehrlich. 118) Röm. 5, i — S
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— 3<H —
Belegstelle. Für die praktische Seite des Spruches wählen wir
PhiL 4, 7: ,.Dcr Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle
Vernunft, bewahre curr Hrrzen und Sinne in Christo Jesu."
119) Rom. 6, 14—17. Der Anfang ist für Kinder unverständlich.
120) Gal. 5, 22. Die Aufzählung ist zu schwierig für das Lernen.
123) Kph. 4, 3 — 6. Die Worte sind wohl etwas zu schwierig für
das Verständnis der Kinder. Sonst ist der Spruch recht passend.
127) I. Kor. 15, 42 — 44, V. 44 weglassen, da er zu schwierig für
das Verständnis der Kinder ist. 128) Rom. 2. 6 — 9 ist zu .schwierig.
Man sehe sich die unvollständigen Sätze am Ende ani 131) Ps. (9, 15
ist wohl als Belegstelle für das Wesen des Gebetes gewählt
133) Matth. 6p S"8, v. 7 — 8 weglasen, da sonst zu lang.
133) I. Tim. 2, I — 2. Belegstelle für die Arten der Gebete.
Dublette zu 35, i. Petr. 2, 17-18, und zu Matth. 22, 2\.
134) Eph. 3, 14 — 15 ist wohl als Lehrstelle über das Wesen Gottes
aufgenommen. 135) 1. Petr. 1, 15 — 16, nur der Schluss nach
Lev. 19, 3. 141) t. Kor. 10^ 13—15 Aur v. 13, v. 13 ist zu schwierig.
142) 2. Tim. 4, 18 Dublette zu 129, Offenb. 21, 4. 145) Gal. 3,
26—27. Belegstelle zur Taufe. 147) i. Kor. 10, 16. Belegstelle
über das Wesen des .Abendmahls. 14H) i. Kor. 11, 26 — 29. Der
Spruch enthalt zwar eine praktische Ermahnung über den Genuss
des Abendmahls; aber der Wortlaut ist nicht nötig und zu schwierig.
149) Ps. 1 30, 23 — 24. Die Worte von v. 23 sind nicht recht IdndlicL
Ich bin mir v:oh] bewusst, dass trotz der oben aufgestellten
Regeln die Wahl in emij^en I-'ällen subjektiv bleibt Es L,nbt Sprüche,
bei denen man zweifelhaft sein kann, ob es sich um Lebensworte
oder um Belegstellen handelL Bei manchen Sprüchen wie z.E
Nr. 8 (Jak. 1, 21—32), 77 (PS. 103, 8—13), 86 {Jak. i, 17). 117 (Rom. 8,
31—32^, 123 fKph. 4, 3 — 6), 131 fPs. 19, 15). 134 (Eph. 3, 14—15).
149 fPs. 139, 23 — r»4'i habe ich in anderer Hinsicht geschwankt
SchliessUch hat trotz der Erkenntnis ihrer Brauchbarkeit die Meinung
gesiegt, dass sie nicht zu den allervorzü^chsten gehören und ent-
behrlich seien. Je weniger Sprüche gelernt werden, desto mehr
Zeit kann man auf den einzelnen Spruch verwenden.
Neu aufnehmen würde ich folgende 30 Sprüche, die zum grossen
Teil kurz und leicht lernbar sind: Ps. 27, l; 27, lO; I2i, 2 — 4;
126, 5—6; 133, I; Jes. 66, 13a; Sirach i, löa; Matth. 5, 14a, 16;
6, 24; 7, 13—14; 8, 20; 10^ i6b; lO, 38; 22, 2lb; 34, 35; 26. 4«;
Luk. II, 28; Job. 9, 4; 16, 33b; Apostelgesch. 20, 35 Ende:
Rom. Ti, 36; 12, 12; 12, 15; I. Kor. 7, 23; 2. Kor. 3, 6 Ende
9, 7 Ende; Phil. 4, 4: 4, 7; 2. Thcss. 3, lob; i. Petri 5, ; Fndc.
Aus dem Alten Testament stammen von diesen 30 Sprüchen 7,
aus den Worten Jesu I3, aus der Apostelgesch. t, von Paulus 9
und aus dem f. Petrusbrief 1. Kleine Veränderungen, die ich z. 1.
vorgenommen habe, erklaren sich aus den oben aufgestellten Gniod*
Sätzen von selbst
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— 305 —
Das neue Spruohbuoh.
Es genügt nun nicht, diese Z;ihlcn hinzusetzen , um einen
Eindruck des Spruchbuchs zu geben, wie wir es uns denken.
Denn auch wenn sich jemand die Mühe machte, alle Verse genau
nachzuschlagen, so würde er doch kein klares Gresamtbild gewinnen.
Es muss deshalb unser Spnichbuch ganz abgedruckt werden. Für
die Reihenfolge der Sprüche des neuen Spruchbuchs kann nur die
Folge der biblischen Bücher in Betracht kommen. Die Ordnung
nach dem Katechismus geht von der völlig irrigen Voraussetzung
aus, dass die Sprüche lediglich im Kated&nusunterricht benutzt
würden. Als diese Ordnung aufkam, gab es ja noch keine biblische
Geschichte. Dass die Sprüche ebensogut als Ergebnisse von
biblischen Geschichten oder in ihrer Anwendung auftreten, hat man
gar nicht berücksichtigt. Diese Anordnung ist ein grosses Hindernis
im Aufsuchen bestimmter Sprüche, pr^ctischen Wert hat sie nicht.
Es ist einfach entsetzlich, wenn man nach ihr einen bestimmten
Spruch im Spruchbuch aufsuchen will. Alle Sprüche sind ja nach
subjektiven Gesichtspunkten d^ircheinandergeworfen. Wo steht der
23. Psalm, beim I. Crebot oder beim t. Artikel oder bei der Anrede
zum Vaterunser? Wo steht Joh. 4, 24, beim 2. Gebot oder beim
I. oder beim 3. Artikel oder beim 3. Hauptstück? Wo steht ein
Spruch über die Liebe zu Gott, wo i. Kor. 13, i — 3? Die meisten
Sprüche könnten an verschiedenen Stellen stehen. Diese Anordnunf;:^
verführt ausserdem dazu, die Sprüche mit den Sätzen des Katechismus
d. h. abstrakt zu apperzipieren. Die Ordnung nach den biblischen
Büchern dagegen veranlasst den Lehrer, stets den Zusammenhang
des Wortes in betracht zu ziehen. Sie ist ihm eine stete Mahnung,
das Wort historisch zu erfassen. Andere Bemerkungen, Unter-
scheidungen nach der Schwierigkeit oder nach dem Alter der Kinder,
überhaupt alles, was den Lehrer gängeln will und seine Selbständig-
keit beschrankt, möge wegbleiben.
Den Druck würde ich so gestalten, dass alles Poetische und
rhythmisch Gegliederte anschaulich zur Darstellung kommt und für
die Augen der Kinder kenntlich gemacht wird. Dabei kommt nicht
nur der wissenschaftlich festzustellende Rhythmus der hebräischen
Poesie in Frage, sondern auch der Rhythmus der hebräischen und
griechischen Prosa und des Lutherdeutschs. Nur wenige der
120 Sprüche entbehren des Rhythmus. Besonders zahlretdi sind
die Zweizeiler. Selbst die Wahl der T5^en erscheint mir nicht
gleichgültig. Das Spruchbuch als Ganzes muss allen Anforderungen
eines künstlerisch gebildeten Geschmackes genügen. Ich hatte mich
darauf gefreut, das neue Spruchbudi in dieser Weise ohne Rücksicht
auf den Raum abdrucken zu kdnnen. Das SteUenverzdchnis wollte
ich vorausschicken. So sollten die 130 Sprüdie, nur unaiddringlich
PUafOcUotaa Studien. XUL 4. 80
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— 3o6 —
numeriert, durch sich selbst wirken. Es sollte so der Eindiuck
recht deutlich er&elt werdeo« welche Perlen der Weltliteratur, welche
FüUe von Ewigkeitswerten und Lebensquellen hier auf kleinem
Raum zusammcngedränfTt sind. Aber Platzmangel in diesem Heft
macht es unmöglich. So muss ich mich mit einer Probe begnügen.
1. 3. Mos. 19, 2.
Ihr soUt heilig sein;
denn ich bin heilig,
der Herr, euer Gott
2. 3. Mos. 19, 32.
Vor eitlem g^rauen Haupte sollst du aufstehen
und Uie Alten ehren.
3. Hiob IG, 12.
Leben und Wohltat hast du an mir getan,
und dein Aafiwfaen bewahret mehien Odem.
Du bist nicht ein Gott, dem gottlos Wesen gefallt;
wer böse ist» bleibet nicht vor dir.
5. Ps. 1% 2—4-
Die Himmel erzählen die Ehre Gottes,
und die Feste verkündigt seiner Hände Werk.
Ein Tag sagt es dem andern,
und eine Nacht tut es kund der andern.
6. Ps. 19, 13.
Wer kann merken, wie oft er fehlet?
Verzeihe mir die verborgenen Fehlerl
7. Pä. 23, 1—4.
Der Herr ist mein Hirte;
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser ^
er erquicket meine Seele;
er nihret mich auf rechter Strasse um seines Namens wQleo.
Und ob ich schon wanderte im finstem Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
8. Ps. 27, I.
Der Herr ist mein Licht und mein HdL
Vor wem sollte ich mich fürchten?
Der Herr ist meines Lebens Kraft;
vor wem sollte mir grauen?
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— 307 —
«
9^ P& 22, la Meiii Vater .und meine Mutter verlassen midi;
aber der Herr nimmt n^ich aut
10. Ps. 33, 4. Des Herrn Wort ist wahrhaftige und was er
zusagt, das hält er gewiss.
11. Ps. 33, 8. 9. Alle Welt fürchte den Herrn, und vor ihm
scheue sich aU^ was auf dem Erdboden wohnet; denn so er spricht,
so geschieht es; so er gebeut, so steht es da.
12. Ps. 37, 5. Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf
ihn, er wird es wohl machen.
13. Ps. 37, 37. Bleibe fromm und halte dich recht; denn
solchem wird's zuletzt wohlgehen.
14. Ps. 50, 15. Rufe mich an in der Not, so will ich dich
erretten, so sollst du mich preisen.
15. Ps. 51, 12 — 14. Schliffe in mir, Gott, ein reines Herz und
gib mir einen neuen, gewissen Geist. Verwirf mich nicht von
deinem Angesicht und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir.
16. Ps. 73, 23—261 Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du
hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem
Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an. Wenn ich nur dich
habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich
Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines
Herzens Trost und mein Teil.
17. Ps. 90, 2 — 4. Herr, Gott, du bist unsre Zuflucht für und
für. Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt
geschaffen wurden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
18. Ps. 90, 10. 12. Unser Leben währet siebzig Jahre, und
wenn es hoch kommt, so sind es achtig Jahre, und wenn es köstlich
gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fahret
schnell dahin, als flögen wir davon. Lehre uns bedenken, dass wir
sterben müssen, auf dass wir klug werden.
19. Ps- 90, 17. Der Herr, unser Gott, sei uns lieundlich und
fördere das Werk unsrer HSnde bei uns; ja, das Werk unsrer Hände
wolle er fordern 1
20. Ps. 103, I. Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir
ist, seinen heiligen Namen' Lobe den Herrn, meine Seele, und
vergiss nicht, was er dir Gutes getan hatl
21. FS. 104, 24. Herr, wie sind deine Werke so gross und
viel I Du hast sie alle weise geordnet und die Erde ist voll deiner
Güter.
22. Ps. 115, 5. Unser Gott ist im Himmel; er kann schaffen,
was er will.
35. Ps. 118, I. Danket dem Herrn; denn er ist freundlich,
und seine Giite wihret ewiglich.
24. Ps. II 9, T05. Dein Wort ist meines Fusses Leuchte und
ein Licht auf meinem Wege.
25. Ps. 121, 2 — 4. Meine Hille kommt von dem Herrn, der
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Himmel und Erde gemacht hat. Er wird deinen P'uss nicht gleiten
lassen, und der dich behütet, sctüäft nicht. Siehe, der Hüter Israels
schläft, noch schlummert nicht
26. Ps. 126, 5 — 6. Die mit Tränen saen, werden mit Freuden
ernten. Sie gehen hin und weinea und tragen edlen Samen, und
kommen mit Freuden und bringen ihre Gaben.
27. Ps. 133, I. Siehe, wie fein und lieblich ist ts, wenn
Brüder einträchtig beieinander wohnen 1
28. Ps. 139, 7 — la Wo soll ich hingehen vor ddnem Geist,
und wo soll ich hinHiehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen
Himmel, so bist du da. Bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist
du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am
äussersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen
und deine Rechte mich halten.
29. Ps. 139^ 14. Ich danke dir darüber, dass ich wunderbar
gemacht bin; wunderbar sind deine Werke, und das erkennet meine
Seele wohl.
30. Ps. 143, 10. Lehre mich tun nach deinem V\ oiilgefailen,
denn du bist mein Gott; dein guter Greist föhre nüdi auf ebener Bahn.
31. Ps. 145, 15, 16. Auer Augen warten auf dich, und du
gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit Du tust deine Hand auf
und erfüllest alles, was lebet, mit Wohlgefallen.
32. Spr. Sal. 12, la Der Gerechte erbarmet sich seines
Viehes; aber das Herz des Gottlosen ist unbarmherzig.
33. Spr. SaL 14« 34* Gerechtigkeit erhöhet ein Volk; aber
die Sünde ist der Leute Verderben.
34. Spr. Sal. 28, 13. Wer seine Missetat leuj^net, dem wird
es nicht gelingen; wer sie aber bekennet und iässt, der wird Barm-
herzigkeit erlangen.
35. Jes. 6, 3. Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, aDe
Lande sind seiner Ehre voll
36. Jes. 28, 291. Des Herrn Rat ist wunderbar, und führet es
herrlich hinaus.
37. Jes. 54, 10. Es sollen wohl Berge weichen und Hügel
hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der
Bund meines Friedens soU nicht hinfallen, spricht der Herr, dein
Erbarmer.
38. Jes. 55, 8. 9. Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken,
und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr; sondern
Wege höher denn eure Wege, und meine Gedanken, denn eure
Gedanken.
39. Jes. 66, 13. Ich will dich trösten, wie einen seine Mutter tröstet.
40. Micha 6, 8. Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und
was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und
Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott
so viel der Himmel
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_ 509 —
41. Tob. 4, 6. Dein Leben lang^ habe Gott vor Augen und
im Herzen und hüte dich, dass du in keine Sünde willigest und
tust mder Gottes Gebot
42. Sir. I» 16a. Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang.
43. Matth. 5, 4. Selig sindi die da Leid tragen; denn sie sollen
getröstet v. t r lcn.
44. Matth. 5, 7. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden
Barmherzigkeit erlangen.
45. Matth. 5, 8. Selig sind die reines Herzens sind; denn sie
werden Gott schauen.
46. Matth. 5, 9. Selig sind die Friedfertigen j denn sie werden
Gottes Kinder heissen.
47. Matth. 5, 14a. 16. Ihr seid das Licht der Welt Also
laast euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke
sehen, und euern Vater im Tlimmel preisen.
48. Matth. 5, 34. 37. Ich sage euch, dass ihr überhaupt nicht
schwören sollt. Eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist,
das ist vom Übel
49. Matth. 5, 44. 45. Liebet eure Feinde; seg^net^ die euch
fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch
beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vaters
im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen
und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
50. Matth. 5, 48. Ihr sollt vollkommen sein, gleich wie euer
Vater im Himmel vollkommen ist.
51. Matth. 6, 5 — 6. Wenn du betest, sollst du nicht sein wie
die Heucliler, die da gerne stehen und beten in den Schulen und
an den i-ciccn auf den Gassen, aul dass sie von den Leuten gesehen
werden. Wahrfidi, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin.
Wenn aber du betest, so gehe in dein Kämmerlein und scbfiesse
die Tür zu und bete zu deinem Vater im Vcrborj^^^enen'
52. Matth. 6, 14. 15. So ihr den Menschen ihre Fehler ver-
gebet, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. W^o
ihr aber den Mensdien ihre Fehler nidit vergebet, so wird euch
euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben.
"3. Matth. 6, 24. Niemand kann zweien Herren dienen.
Entweder er wird einen hassen und den andern lieben , oder
wird einem anhangen und den andern verachten. Ihr könnet nicht
Gott dienen und dem Mammon.
54. Matth. 6, 25 — 26. Sorget nicht für euer Leben, was ihr
essen und trinken werdet; auch nicht für euern Leib, was ihr an-
ziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn die Speise und der
Leib mehr denn die Kleidung? Sehet die Vögel unter dem Himmel
an. Sie saen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die
Scheunen und euer himmlischer Vater nähret sie doch! Seid ihr
denn nicht viel mehr denn sie?
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— 3*0 —
55. Matth. 6, 51 — 33. Ihr sollt nicht sorgen und sagen: Was
werden wir essen? Was werden wu- trinken? Womit werden wir
uns kleiden? Nach solchem allen trachten die Heiden. Denn euer
himmlischer Vater weiss, dass ihr das alles bedürfet Trachtet am
ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so
wird euch solches alles zufallen.
56. Matth. 7, I — 3. Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet
wcrHet. Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet
werden, und mit welcherlei Mass ihr messet, wird euch gemessen
werden.
57. Matth. 7, 7. Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so
werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.
58. Matth. 7, 13 — 14. Gehet ein durch die enge Pforte.
Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis
abiuhiet und ihrer sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte
ist enge, und der Weg ist schmal, der zum Leben führet, und
wenige sind ihrer, die &n finden.
59. Matth. 7, 21. Es werden nidit all^ die zu mir sagen:
Herr, Herr! in das Himmelreich kommen, sondem die den Willen
tun meines Vaters im Himmel.
60. Matth. 8, 20. Die Fuciisc haben Gruben und die Vogel
unter dem Himmel haben Nester; aber des Menschen Sohn hat
nicht, da er sein Haupt hinlege.
61. Matth. 10, t6. Seid klug wie die Schlangen und ohne
Falsch wie die Tauben.
62. Matth. 10, 38. Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und
folget mir nach, der ist mein nicht wert
63. Matlh. II, 28— 3a Kommet her zu mir alle, die ihr
mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmet auf
euch mein Joch und lernet von mir; denn ich bm sanftmütig und
von Herzen demütig: so werdet ihre Ruhe finden für eure Seelea
Denn mein Joch ist saft, und meine Last ist Idcht
64. Matth. 12, 34. 36. Wes das Herz voll ist, des gehet der
Mund über. Ich sage euch aber, dass die Menschen müssen Rechen-
schaft geben am jüngsten Gericht von einem jeglichen unnützen
Wort, das sie geredet haben.
6$. Matth. 16, 26. Was hülfe es dem Menschen, so er die
«nze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seck?
Oder was kann der Mensch geben, damit er seine Seele wieder löse?
66. Mritth. 20, 28. Des Menschen Sohn ist nicht gekommen,
dass er sich dienen lasse, sondem dass er diene und gebe sein
Leben zu einer Erlösung für viele.
6^. Matth. 33, 31 b. Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist,
und (jotte, was Gottes ist
68. Matth. 22, 37 — 39. Du sollst lieben (xott, deinen Herrn,
von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemütc.
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Dies ist das vornehmste und grösste Gebot. Das andere aber ist
ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst
6g. Matth. 24, 35. Himmel und Erde werden vergehen j aber
meine Worte werden mdit vergehen.
7a Matth. 26, 41. Wachet und betet, daas Ihr nicht in
Anfirähtung fallet; der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.
71. Mark. 10, 14. Lasset die Kindlein zu mir kommen und
wehret ihnen nicht; denn solcher ist das Reich Gottes.
72. Luk. II, 28. Selig sind, die Gottes Wort hören und
bewahien«
73. Luk 17, 10. Wenn ihr alles getan habt, was euch bdohleo
bt, so sprechet: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was
wir zu tun schuldig waren.
74. Job. 3, 16. Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen
aneeboraen Säm gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nidit
verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
75. Joh. 4, 24. Gott Ist Geist, und die ihn anbeten, die
müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.
76. Joh. 6, 68. Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast
Worte des ewigen Lebens, und wir haben geglaubt und erkannt,
dass du bist dästus, der Sohn des lebendigen Gottes.
77. Joh. 9, 4. Ich muss wirken, so lange cs Tag ist; es
kommt die Nacht, da niemand wirken kann.
78. Joh. II, 25. Ich bin die Auferstehung^ und das Leben,
wer an mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe^ und
wer da lebet und glaubet an mich, der wird nunmermehr sterben.
79. Joh. 13, 15. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr
tut, wie ich euch getan habe.
80. Joh. 13, 34. 35. Ein neu Gebot gebe ich euch, dass ihr
euch untereinander liebet, wie ich euch geliebet habe. Dabei wird
jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe unter-
einander habt
81. Joh. 14, 6. Ich liiii der Wc;.^ und die Wahrheit Und daS
Leben j niemand kommt zum Vater, denn durch mich.
• 82. Joh. 16, 33 b. In der Welt habt ihr Angst; aber seid
getrost, ich habe die Welt überwunden.
83. Apost 14, 17. Gott hat steh selbst nicht unbcstuget
gelassen, hat uns viel Gutes getan und vom Himmel Regen und
fruchtbare Zeiten gegeben, unsere Herzen erfüllet mit Speiae und
Freude.
84. Apost X>, 35. Geben bt seliger denn nehmen.
S5. Röm. I, 16. Ich schäme nSch des Evai^ütmu von
Christo nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig machA
alle, die daran glauben.
86. Röm. 3, 28. So halten wir cs nun, dass der Mensch
gerecht werde ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben.
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— 312 —
8/. Rom. 8, 28. Wir wissen, dass deaen, die Gott lieben,
alle Dinge zum Besten dienen.
88. Rdm. II, 36. Von ihm und durch ihn und zu ihm sind
alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit 1
89. Rom. 12, 12. Seid fröhlich in Hoffiiung, geduldig in
Trübsal, haltet an am Gebet!
90. Rom. 12, 15. Freuet euch mit den Fröhlichen und weinet
mit den Weinenden.
91. Röm. 14, 8. 9. Leben wir^ so leben wir dem Heim :
sterben wir, so sterben wir dem Herra Darum wir leben oder
sterben, so sind wir des Herrn.
92. Rom 14, 17. Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken,
sondern GercciiUgkcit und Friede und incude in dem heiligen Geist.
93. I. Kor. 3, II. Einen andern Grund kann niemand legen
ausser dem» der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.
94. I. Kor. 7, 23. Ihr seid teuer erkauft; werdet nicht der
Menschen Knechte 1
95. I. Kor. 10, 12. Wer sich lasset dünken, er stehe, mag
wohl zusehen, dass er nicht falle.
96. I. Kor. 13» I — 3. Wenn ich mit Menschen- und mit
Engelzunq-en redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein
tönend Lrz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich wcis^iar^en
könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hatte
allen Glauben, also dass ich Berge versetzte, und hatte der Liebe
nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den
Armen gäbe und liesse meinen Leib brennen und h&tte der Liebe
nicht, so wäre mir's nichts nütze.
97. I. Kor. 15, 42 — 44. Es wird gesäet verweslich und wird
auferstehen unverweslich. Es wird gesäet in Unehre und wird auf-
erstehen in Herrlichkeit Es wird gesaet in Scbwacbheit und wird
auferstehen in Kraft.
98. 2. Kor. 3, 6. Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht
lebendig.
99. 2. Kor. 5, IG. Wir müssen alle uüenbar werden vor dem
Ricfatstubl Christi, auf dass ein jeglicher empfahe, nach dem er
gehanddt hat bei Leibesleben, es sd gut oder böse.
100. 2. Kor. 9, 7. Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb.
101. 2. Kor. 13, 13. Die Gnade unscrs Herrn Jesu Christi
und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes
sei mit euch allen.
102. GaL 6, 7. 8. Irret euch nicht, Gott laast sich nicht
spotten. Denn was der Mensch säet, das wird er ernten. Wer rl^•f
sein Fleisch säet, der wird von dein Mclsch das Verderben ernten.
Wer aber auf den Geist saet, der wird von dem Geist das ewige
Leben ernten.
103. Eph. 4, 25. Leget die Lüge ab und redet die Wahrheit,
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— 313 —
ein jeglicher mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder
sind.
104. Eph. 4, 28. Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr,
sondern arbeite und schaffe mit den Händen etwas Gutes, auf dass
er habe zu geben dem Dürftigen.
105. PhiL 3, 12. Nicht dass ich*s schon ergrifTen habe oder
schon vollkommen sei; ich js^e ihm aber nach, ob ich's auch
ergreifen möchte, nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin.
106. Phil. 4, 4. Freuet euch in dem Herrn allewege und
abermal sage ich: Freuet euchl
107. Phil. 4, 7. Der Friede Gottes, welcher höher ist als
aUe Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu.
108. Kol. 3, 16. Lasset das Wort Christi unter euch reichlich
wohnen in aller Weisheit; lehret und vermahnet euch selbst mit
i sainien und Lobgesangen und geistlichen, lieblichen Liedern, und
singet dem Herrn in euerm Herzen*
109. 2. Thess. 3, lobw So jemand nicht will arbeiten, der
soU auch nicht essen.
HO. 1. Petri 2, 17. Tut Ehre jedermann l Habt die Brüder
liebl Fürchtet Gottl Eliret den König!
111. I. Petri 5, 5b. Gott widerstehet den Hoflartigen; aber
den Demutigen gibt er Gnade.
112. I. Petri 5, 7. Alle eure Sorge werfet auf ihn; denn er
sorget für euch.
113. I. j oh. 2, 17. Die Welt vergehet mit ihrer Lusti wer
aber den Willen Gottes tut, der bleibet in Ewigkeit
IZ4. I. Joh. 4, 16. Gfott ist die Liebe und wer in der Liebe
bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm.
115. I. Joh. 5, 3. Das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine
Gebote halten, und seine Gebote sind nicht schwer.
116. Hebr. 13, 16. Wohlzutun und mitzuteilen vergesset nicht;
denn solche Opfer gefallen Gott wohL
117. Hebr. 13, 17, Gehorchet euem Lehrern und folget ihnen;
denn sie wachen über eure Seelen, als die da Rechenschaft dafür
geben sollen, auf dass sie das mit Freuden tun und nicht mit
Seufzen; dcaa das ist euch nicht guL
118. Offb. 2, la Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir
die Krone des Lebens geben.
TT9. Offenb. 14, 13. Selig sind die Toten, die in dem Herrn
sterben von nun an. Ja der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer
Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.
12a Offb. 21,4. Gott wird abwischen alle Tranen von ihren
Augen ; und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Gesdirei,
noch Schmerzen wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
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— 3i4 —
SohliM.
Wenn wir das alte Spradibuch mit diesem neuen zunSdist
äusserlich vergleichen, so enthält jenes 150, dieses 120 NummeriL
Da aber vor allem lange Sprüche teils schon früher in eckige
Klammem gesetzt, teils von mir ausgelassen sind und da ich auch
bei den stehen gebhebenen Nummern hier und da überflüssige
Verse gestrichen habe, so ist die tatsächliche Erleichterung für das
Lernen weit bedeutender. Das ake Spruchbuch enthtdt in
150 Sprüchen 5500 Wörter, das neue enthält 2700, also nur knapp
die Hälfte. Dies hat auch darin seinen Grund, dass die 30 neu
aufgenonunenen Nummern fast durchwein kurze Sprüche enthaltea
Weit wichtiger ist das Verhältnis der Schriften, aus denen die
Sprüche genonunen sind. In das alte Spruchbuch sind nur 30 Worte
Qiristi, aJso ^Z« des Spruchbucfas» in das neue 40^ also auf*
genommen. Worte des Paulus finden sich im alten 50, also ^f^,
im neuen 25, also \ -,. Dri? Verhältnis zwischen Paulus und Christus
hat sich also g^enau umgekehrt. Bei aller Schätzung des Paulus
dürfte man wohl nirgends diese Umkehrung für unrichtig haltea
Die Steilen aus den Psalmen umfassen bd dem alten Spruchbucfa V»
bei dem neuen ^j^ des Gesamtumfangs. Das Ergebnis der Nen-
auswahl, das nicht absichtlich herbeigeführt wurde, sondern sich
aus den Grundsätzen von selbst ergab, ist also, dass die Worte des
Herrn und die Poesie im neuen Spruchbuch stärker hervortreten,
Paulus suruckttitt Dieses praktische Ergebnis scheint mir den
Sclduss zuzulassen, dass meine Grundsatze richtig sind.
Die wichtigste Änderung bezieht sich auf den Inhalt Das
Spnichbuch ist so nicht mehr eine Sammlung von Belegstellen für
die Lehre, sondern eine Sammlung von Lebensworten für die
praktische Frömmigkeit Es entspricht damit einem der erfreulichsten
Zuge der Gegenwart, der Abkoir von der Theorie und der Hin-
wendung zum praktischen Leben. Ich denke, dass bei Benut2ui^
eines Spruchbuchs, wie ich es vorschlage, die Schule in höherem
Masse als bisher im Stande ist, lebendige warme Frömmigkeit an-
zubahnen.
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- 3"S -
B. Kleinere Beiträge uud Mitteilaugen.
1.
Zu Hertarts Mr« von den Stufen des Untsrrldits.
Eiu Bericht von Fr. Franke.
Die im 1. Heft S. ß5 angetüudigte gemeinsame Sitznnj!: der IJ^^rhfirtVrilnzchen
von Halle, Nftnmbnr'tr, Leipzig usw. hat den 27. Februar in Leipzig stattgefunden.
Die Absicht der Vereinigungea geht dahin, Uerbart« didaktische VVeiaangea
mSgfHehat weit Ut zur unmittelbaren Praxis m ▼erfolgen und damit ttber gewisu
Punkte, die immer wieder umstritten werden, mt KllThflit sa geUuigen. Das
(lifc<nialige einleitende Referat von Rektor Haase ans Halle wollte ansschliessllch
den Sinn der Stufen bei üerbart feststellen und hielt sich hauptsächlich
an die „Allg. Pftd.". Nachdem Herbart Vielseitigkeit des Interesse als näheren
Zweek d« Untmiehts feslgwttllt hftt (A. P. L Bach, 8. Kap.), bchud«lt «r erat
die Vielseitigkeit und dann du Imbenmb «inieln; aoi der ezeteren gewinnt er
die ^.formalen Begriffe" : Klarheit und Assoziation (= ruhende und fortschreitende
Vertiefung), System und Methode (ruhende und fortschreitende T^eftirtnnncT ^1 IV
ans dem Interesse gewinnt er die Beihe: Merken, Erwarten, i^'ordem, Mandeln
CII 2). BeMe Beiken soimeii legeln dns Nnekeinander dei Unterrlehti
Cn 4, Abeetn 17IL).
Der Vortragende betrachtete die aus der Vielseitigkeit gewonnenen
vier Begriffe ziinK(h<?t als „allgemeine Bildungsstufen" und erst darnach aiB
Stufen des absichtlichen Unterrichts. Ob diese Unterscheidung bei Herbart vor-
banden Mi, dae wnzde in der Besprechung der Naohprttfting empfohlen. Oer
Vortragende katta daianf MngewieieB, daie Herbert mitten in der Sntwieketaag
der Begriffe z.B. sagt, der Erzieher müsse „das eigene pftdagogische Denken
methodisch beherrschen" fll 1 20). Fenier werden die VorEfänge in einer Voll-
endung gedacht, die dem Unterricht in seinen Anilngen nur als ein fernes Ziel
Torach weben kann; man moas aber sngleich daran denken, dass Herbart auch die
(UkeepUaeke lUnütSt der ünivenitlft, „falb der Btodievenda sie gekSiiff
benntst", flun ersiehenden Untarri^ rechnet (Outachten Qber Oraff, Abs. 112).
Will man sich dann klar machen, was die Vorgänge im TMitPr rieht bedeuten
sollpTi. so denke man des üegensatzes wegen an solchen n-inen ^ ik hunicrrirht.
der die tertigen Ergebnisse der betr. Wissenschaft einlach in ä^Htematiscker
Ordnung ttkeiliafert. Hit so geMduetem Wiaaen daif der Unterriekty der alck
yieläoitiges (unndttalbaraa) Interesae snm Zid geaetst hat, nicht den Anfang
machen, sondern er muss znnSehst naohsuahmen suchen, wie schon vnr aller ab-
sichtlichen Ciiterweisung F r f II Ii r u n g und Umgang den Geist bereichert haben.
Was im System beisammen steht, das steht im Leben meist weit auseinander,
ja ea kommt Tlalleidit nie von aelbet miamnien; und nragekekrt, waa im Laken
hf^aamma» ist, das yerteilt die Fachwisaenadiaft, um ihre besonderen Zwecke in
llffdmi, in Tareekiadeaa Fteker. (Peataloaii ateUt einmal die Ordmug dar
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— $16 —
PfUuuNi auf der Wiese und in der Boteatk eumder gegenüber.) Bine MelnlMit
▼on fftchwimemdiaftlioli ulie wmmmi^MSägtiA EinsellMiteB (es wurden i. B.
die drei Abomarten genannt, znnilchst aber genttgen schon iwei davon) bilden
nach Herbarts Ansdmck eine „kleinste Gruppe" oder ein „lileinstes Glied''
(A. P. II 4, 22—24). Folgt man (im Anfang und ao lange es nötig ist), dem,
wss dnieh loldieii lelteittVoUeii Znsemmenhsiig gegeben wird, eo kommt die
«weite Art Tielleieht eine betHtehfliehe Zelt später snr «raten liinsa. Die vidn
s. T. ganz zufälligen und ftosserlichen Verbindungen würden aber allm&hlidt
eine drückende Laat werden, wenn nicht in dieseni Reichtum Hauptsachen nnd
Kebensacben unterschieden wflrden und jene die Oberhand erhielten; also hebt
eich aus den vielerlei Verbindungen als „auserw&hlte Beihe" die Ordnung in
System henns (A. P. n 1, S8). län seleher Gang wird sieh nnsihlige Heb
wiederholen, es werden aus den vielen kleinen Gruppen durch allm&hlicbe
Vereinignnp höhere nnd wieder höhere Besinuungsstnfen pntstehen feb. 4, 231
Immer wird die bessere Ordnnng ancb die Anwendbarkeit erweitem : aber zu
vielseitiger Anwendung im Leben ist neben der systematischen Anordnung, die
«le die vonllfl^here Aber jede andere gestdlt worden ist, ench die Venge der
nf&lligen Verbindungen wichtig nnd notwendig. Fehlen sie zu sehr, »o werda
viele Krenznnsren der Gedanken nicht bemerkt, tind der systematisch geordnete
Beichtttiii stiftet iu seiner Sphäre Einseitigkeit und Steifheit statt Vielseitigkät
nnd Beweglichkeit.
Der Vertragende eritnterte das an dem Beispiele te Geographie, die gut
angebunden beginnen mnss mit der Auffessong, Zerlegung nnd Benanrang d«
wirklichen Urn^bung. Diese Wirklichkeit ist hier der erste Zusammenhang, dem
man nachgeht. Solchen natürlichen , nicht - systematischen Zusaniraenbang
setzen Herbarte Stufen immer voraus ^ ein weiteres Beispiel neben der Heimat
ist die Loktttn der Odyssee, wondt Herbart den giiaehlsdMn UalenicM wiiUioh
anfing und nnn ven da ans ailmllüieh a. B. Elemente der Vfilkerkonde, dm
gesellschaftlichen Lebens, aber auch der griechischen Grammatik gewann.
Trotzdem aber dieser Unterricht von dem rein logisch angreordneten Fach-
unterricht so verschieden verfährt, soll er doch allmählich in demselben Qb^
geben. Wenn der erste Unterricht, indem er von lebensvollen Zosammenhingen
aasgeht, nnr das natftrlidie logisdie BedUrfnis beaebtei nnd nlbrt^ so gewinnt
der Schüler mit den Mberen Besiunnngai andi eine wachsende Fähigkeit, in
systematischer Ordnnn^r ?n lernen. Ein*' ..erowe Gefahr" dagegen liect fiarin,
dass gewisse moderne BeBtrebnngen am liebsten lauter Vertiefungen aneinander
reihen möchten. Die Anhänger solchen Verfahrens denken allerdings mehr an
das^ was mm Ihtexesie, also in die sweit» der obigen BegriHbreihen gehört
Hit den hierzu gdiOrigen Fragen kam die Besprechung nicht zu Ende; mm v^ill
also in einer Herbstversammlnng den Gej^enstand weiter behnndeln. Was Vor-
stehendes festzuhalten auclit f^as ist im wesentlichen von Glöckner «schon 189*2
im 24. Jahrbuch als der Siuu der vier Stufen Herbarts dargesteUu iJamais war
aber einer Verwirmng an wehren, die jetst nidit in scdehem Ibsse Toriiegt, and
dabei konnte die praktische Endabsicht der jetzigen Behandlung nicht besoadms
verfolg-t werden. Was Herbart mit den vier Begriffen der Klarheit ugw. fest-
gesetzt hat) das hilft daa Lehxverfabren wohl in jedem Aogenblick bestinunea;
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— 317 —
denn immer soll man für Klarheit des Einzelnen und für mannigfache Assoziationen
sorgen, so weit die Erfahrung nicht schon das Nötige tut (Umriss HO, 120),
man soll nicht versäumen, im rechten Zeitpunkte Gruppen zu bilden und kleinere
Qiiqipen immer wieder m höheren Gruppen tusammemiaxieheu, endlich mII man
jader geoidmeten SriMontnie die mflgliclie Bfickwlrtebewegnog in der Anweiidiiiig
abgewiUMM. Das ganze I^hrrerfahren aber hat zugleidi m beachten die
Be'lins'nngen des Intrrv^?e, die sechs Hauptklassen des Interesse und die Unter-
scheidung d«r Uutcrrichtaart (darstellend, analjrtisch, synthetisch). „Und erst aus
der Rücksicht auf alle diese Begriffe ergibt sich jedesmal das Lehrverfabreu,
welches bei einem bestimmten Untenichteetoff oder Lehrabaolmitt dosuschlagea
ist." (Glückner, Jahrb. 24, 215.) Die Zusammenfassung der Bedingungen
der VlelseiiiL'keit und der Fordeningen des Interesse macht aber noch Schwierig-
keiten; deswegen hat Ziller das ganze Lehrrerfahren, wie es in einem g'eeifirneten
Lehrabschnitt 2ur Durchfuhraug kummt, den vier Begriffen der Klarheit u»w.
nntamuvdnen geeaebt nnd dabei die Begriffe einer teilw^een Umbildung vnter-
tieben rntteien.
II.
Ferienkurt«.
Das Verzeichnis für die Ferienkurse in Jena (vom 4.— 17. August 1909 fOr
Danen nnd Herreu) zeigt wieder eine ganz bedentende Erweiterung. Die Zabl
der Teilnehmer wer im vei^gangenen Jahre bereite auf 637 geetlcffen, wOrMid
der erste Eursoe im Jahre 1889 nur 25 aufwies, ein Zeichen für die Lebent'
lahisTkeit nnd wachsende Bedeutung der Einrichtung. Das diesjährige Ver-
zeichnis gliedert sich in 6 Abteilungen : Naturwissenschaft (14 Kurs«), Pädagogik
(9 Kurse), Schulhygiene (3 Kurse), Beligionswissenschaft und Religionsonterricht
(ß Kvree), PMleeopMe, Oeeehiebte, Idteratitt', NationaliSkoiiomie (12 KweeX Spiadi-
haiee (8).
Im ganzen werden 5ö verschiedene Kurse gehalten, teils 6-, teils V2 -ti'mdige.
Programme sind kostenfrei durch das Sekretariat, Frl. Clara Blomejer,
Jena, Garteustrasüe 4, zu haben.
An der Universität C^reifswald üudet vom 5. Juli bis 24. Juli einFerien-
knrens (XVI. Jahrgang) statt Die Fieber find folgende: Phonetik (Pief.
Henckenkamp), Deutsche Sprache nnd Literatur (Prof. Heller, Privatdozent
Dr. Baeseck*») ?'mTi/ösisch (M. Plessis), Englisch (Mr. Montgomerie), Religion
(Konsistorialrat Prot. Haussleiter), Philosophie (Prof. Rehmke), Geschichte (Prof.
Bemheim), Kunstgeschichte (Prof. Semrau), Geologie (Prof. Jaekel), Obeoiie
(PriTatdoient Dr. Stiecker), Physik (Prof. Starke), Biologie (Prof. Eallhu), Botanik
(Prof. Schutt), Fhyeiologje (PriTatdoiant Dr. Mangold), Hygiene (Geheimrat Prof.
Löffler). Den Vorlesungen zur Seite gehen zoologische, botanische, physikalische
Uebungen bezw. Exkursionen, psychologisches Seminar, franzüsische,
englische, deutsche SprachUbungen. Ausführliche Verzetchnisse sind unentgeltlich
unter dar Adresse: nFerienknrse Greifswald** sa erlialten.
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C Bearteilniigeii.
iQgt, Prof.. Cbarftkterbildvitgr
nnd S oh ti lieben oder die Lehre
von der Zucht. Vorträge, gehalten
bei den Ferienkursen in Jen».
A. W. Ziokf eldt, VerlagsbnoUumdlllllg',
Osterwieck Hunt. 86 8.
Han kaiui Jost nur dankbar sein,
daM er Mine in Jena gehaltenen Vor-
trRgfe in Form einer Monographie Uber
die Zucht veröffentlicht hat. Gerade
in unserer Zeit tut es dringend not,
deaa wir der CbarakterbUdnng dorob
des ScbnQeben erbSbte Anfmerkeemkeit
zuwenden. Klarheit und Wärme durch-
sieben das Bucb. Secbs Stuten der
Chanürterbildiiiis mitersebeidet der
Verf.: I.Stufe: Gewöhnung an eine
feste Lebensordnune. s) Regelmässig-
keit der riBBUefien Befriedigung.
b) Anhalten zu entsprechender regel-
ro&ssijBrer Beschäftigung des Kindes.
c) Einfache, gleichförmige Lebensart
im Hause, d) Dab stete, sieb gleich
Weihende Verhalten des Erziehers.
2. Stufe: WnSbtit der Bewegung de«
/'ÖL^lin;'*" . wenn er an Pönktlichkeit.
Ürdiiuug und Sorgfalt des Verhaltens
gewöhnt ist. aj Gelegenheit zum
Handeln geben. b) Teilnahme des
Ernehers an den Nei^ingen und Be-
strebungen des Zöglfngj*. c' pHl.i-
ffosiscbe Strafen und Belohnungen.
8. Stufe: Der Zögling wird mr mxf
sieht in die sittlichen Elementar-
▼tfb<nisse geführt 4. Stufe: Um-
wandlung der sittlichen Eineieht in
sittliches Streben und Wollen, iv Ori^««e
sittliche Energie ist der Effekt grosner
Szenen und ganzer uuzerstttdkfeer
Gedankenmasseu. b} Der Zögling mnss
die Macht der sittlichen Krtfte nicht
nur in der Pliantuie undem durch
idealen Umgang erfahren, c) Ideali-
sierende Begegnung. 5, Stufe: Aus-
bildung bewnsster sittlicher Grundsätze
und Durchdringung des ganzen geistigen
Lebens mit ihnen. 6. Stufe. Erhebung
der trewonnenen GrnndBätze /,ur
dauernden Hentcbaft im Innern. Die
ersten 4 Stufen UMen den objektiren
Charakter, er wird geleitet von einem
enasen stehenden ^wussteein. Die
5. und 6. Stufe bildMi den subjektiven
Charakter; das eigene sittliche Bewnsst-
sein ubiriiimmt die Führung. Herbart
untersch idrt Die haltende Zucht
(1. u. 2. >tiile nach .lust). die bestim-
mende Zucht 1^3. u. 4. Stufe;,
regelnde Zucht (5. Stufe) und die nnter>
stutzende Zucht (6. Stufe).
Im 4. und 5. Kapitel seines Bucbee
ftthrt der Verf. aus, welche Gestalt mi<l
welche Formen da« SchuUeben haben
mnss, damit der GedaaltenkTete, die
Einsicht, die der Unterricht geweckt
bat. nc^ nmeetzen soll in das Wollen
nad rar Anneruuii: gelangen in der Tat
KOgen recht viele das Buch studieren
und Bich fttr die ideale Pädagogik
begeistern lasent „So warm md
lebenskräftig, so natnrfriscb und viel-
seitig auch das Leben sich regen soll
in uneeren Sdinlen, immer doch soll e«
Setragen sein von dem ethischen f^i"i?!f
er von einem Kant und Pestalozzi und
Herbart ausgeht, und m gerecht es
werden soll den Gegenwartsbed&rtnissen,
immer soll e.s eingedenk sein des hoben
Zieles der Gesamterziehung: den junfirn
Menschenkindern die&icbtODg ra geben
auf ein schönes, odlc» MenaehMtna,
auf eine chainktervolln dttUcbe
Penünlichkeit."
Der Vetlagttr knt Iftr «ina wAtm
Attietnttimg dei Bvehea geeoigt
Br. Stnade nnd Dr. GSpfert, Lese*
buch für den deutschen Ge-
schichtsunterricht 3. Teil: Er-
zählungen und Bilder aus der deutMchfln
Geschichte von Heinrich TV. bis zu
Rudolf Ton Habsbuig. 2. AuÜ. Pr.
75 Pf. 4. Teil: Ersiblungen und
Bilder ans der deutschen Geschichte
von Luiiier bis zum dreisai«iäbri«ren
Kriege. 2. Aufl. Fr. 70 Pf. Dresden-
Blasewits. Blevl di Kaemmerer
(Schambaoh). 1907.
Müller u. Yölker, Geschichte. lia
Wiederholungsbuch für die TJanil der
SchfUer. 3. Aufl. Verlag vuu iümil
Batk in Gieaaan. Pr. eOPf.
Heinrich Heine, KaiserB Bilder
und LebensbeschreibungeD
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— 319 —
ans der Weltgeschichte. Ein
Lehr- und Lesebuch für Mittel-,
Bttr^er- und gehobene Volksschulen
80 wie Töchterschulen. 6. n. 7. gleich-
lautende Auflag. Pr. 2,50 M.
Hannover-Berlin. Verlag von Karl
Mcgrar (GwtaT Prior).
Diese BQcher wurden mir zusammen
snr Besnrecbiine auf meinen Arbeits«
tiaeh ^legt. HttUer n. Völker bieten
ein Wiederholunpsbuch, einen Leitfaden,
der eben wie alle Leitfäden in trockenen
Znnmineiistellnngen , in aU^emeinen
Zusammenfassungen, die meist nicht
zutreffend oder nur halb richtig sind,
den UnterricbtutofT darbietet, so dass
die Schüler durch ihn nicht erwärmt
werden. Kaiser-Heine erzählen zwar
anschaulicher, da.s Bnch ist aber trotz-
dem von dem Ideal eine« Geschichts-
lesebüches weit entfernt. Der Geschichts-
unterricht hat vor allen Dingen die
Teilnahme so zn bilden, dass -das Herz
gross und voll werde". Mit „voll-
tönender, lebender Stimme" müssen die
GeschichtsdaisteUaiiffen den Kindern
geboten werdm. wer dM verlangt,
der wird es in den Büchern von Oöpfert
und Stande realisiert finden. Im
AahttMe dieeer LeseMtaiier beflndet licb
die tTbersicht , die auf Grund der
Quellendarstellungen gewonnen wird.
Es ist wirklich gut, von Zeit zn
Zeit UnterrichtBwerke, wie die von
Gebert nnd Stande nnd ähnlicbe, die
einen wabrtaft endehenden Unteniebt
zu erteilen sich bemühen, mit solchen
an vergleichen, denen als Ideal nur eine
Lenewnle vorsebw^it. Der Vergleich
wird stets lehren: dass wir mit den
snerst genannten Werken anf don
riehtigen tiBd.
Nanmbug a.8. Henpriek
E. von SeydlitS) Handbuch der
Geographie. S5. (JnbilBnnu-) Aus-
gabe des „Grossen Seydlitz". .. Heraus-
gegeben von Prof. Dr. £. Ohlmann.
Brealan 1908. Pr. geb. 6,60 X., in
Halbfrans 7,60 H.
Der „Grosse Seydlitz" liegt in einem
stattlichen Bande von 844 Seiten in
seiner 26. Ansgabe vor. Das Buch an
sich ist 80 bekannt, dass wir nicht des
näheren auf seine Anlage ^nzogehen
brauchen. Der Herausgeber hat sich
bemüht, da«, was sich als gut und
praktisch bewährt hat, beizubehalten,
aber überall dem Fortschritte der
geographischen Wissenschaft ent-
sprechend Änderungen nnd Verbesse-
rungen einzufügen, sowie ganze Ab-
schnitte neaansngliedern. DerHaaptteil
des Biulis, 068 Seiten, behindeh die
Länderkunde. Hierbei i.st die systema-
tische Gliederung nach Grösse, Grensen,
Bev61kemng nsw. beibehalten, mitunter
auch noch die veraltete, aufzählende
Behandluugsweise. Der 2. Hauptteil
ist der allgemeinen Erdkunde gewidmet.
In diesem Teile ist der alte „Seydlitz"
vollständig umgearbeitet, öanz neu
ist die Uandelsgeo^phie von Prof.
Dr. Friedrich bearbeitet. Da« Buch ist
bei seinem Lmfauge natttriich nicht
als Lehrbuch fttr den Klassenunterricht
gedacht, für diesen solloi vielmehr die
verschiedenen verkürzten Ausgaben
des Werkes dienen. Die vorliegende
JnbilAnmsansgabe ist ein brancbbaxee
md anreittssiges Werk nrai Nneh-
schlagen und Lesen. Es wird dm
Lehrer für die Vorbereitung nm
Vaterriebte g[ute Dienste tun, neer noeb
in jeder Privatbibliothek ist es am
Platze und wird sicher gern nnd oft
zur Hand genommen werden. Der
Preis des geschmackvoll eingebundenen
Buches ist im Verhältnis zu Inhalt und
AusiKttnng ausserordentlich niedrig
bemessen. Die .Ynsstattnng mit Bildern
hat eine vollständige Umwälzung
gegenttber den älteren Auflagen er-
fahren. Gegen 400 Abbildungen, Karten
und Profile sind in Schwarz- oder
Photographiedruck eingefügt. Nament-
lieh die letstecen Mkhnen sichdurch
wirkmffiToIle Plas^ ms. Übertll
sind charakteristische Landschaften,
Siedelnngsfoimen usw. ansffewählt.
Ihrter jedem BUde steht, einer bebumtea
Ratzelscben Forderung entsprechend,
ein besonderer erläuternder Text, der
den Beutaer des Baches anf das auf-
merksam macht, was auf dem Bilde an
fischen geogiuohischen Erscheinungen
ta sÄn Vt wir iftouben nicht zuviel
zn sagen, wenn wir behaupten, dass
hinsichtlich der Auswahl und .Xusführung
der nach Photographien hergestellten
typischen Landschaftsbilder die
Seydlitzsche Jubiläumsausgabe von
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— 320 —
keinem audereu ähnlichen and gleich
billigen Werke Ubertroffen wird. Atiner
Ftoffloi «mI Kirtoben in Sdiwandmek
sind ciera Werke a'if^h v^pr farbige
Karten beigegeben. Aid meisteu fallen
äosserlicb die 30 ganzseitigen farbigen
Bildertafeln auf, die tjpiHche Land-
schaften darstellen und die bei den
einfarbigen Drucken nicht zu enddende
Wirkuufr der natürlichen Farben zum
Ausdruck bringen. Sie treten vielleicht
mitunter an Schärfe preg-enOber den
anderen Bildem sortlck, «ind aber zom
grBietta Teile dnreh ihre ParbwiwiAuBg
!iorh eindmrksvoller. Ein ausfflhrlichei
Kegister erhöht den Wert des Werkel
als Nachschlagebuch. Auch in Schftle^
bibliotheken und als Prämie für m-
zozeicbnende Schüler wird das Bneh
wUlkenunen etf n.
PlaiMniV. ' Dr. Zetnmrieh.
Elagflgangene Blldier»
(Bcspradigm vorbehakai.)
Richert, Hans, Philosophie. Lxipzi},' 190S. Ti-ubner, Fr. gi-b. 1,25 M.
Bancll, Dr. BruOO, Geschichte der Philosophie, IV. Neuere Philosophie hi» Kant.
LdfMdf 191^. Gflieben. Fr. 0.80 M.
iMi§ß, Oliver, Leben nnd Heterie. Deoladic ObenetMug. Berfin 1908. Caithis.
Pr. 2,40 M.
TiMUrkll» Praf. Dr. Anna, Spinoza. 8 Vorletnnsen. Leipdg 1908. Qndle Mqrer.
Pr. geb. 2,40 M.
Kleineobmldtf Max, Grammatik und Wissenschaft. Eine psychiatrische Studir.
HannOiver 1908. M. Jiincckc. \'r. 1,50 M.
Zur Strassen, Otto, Die- neuere TicqisychologiL-. Leipzig 1908. Teubncr. Pr. kart. 2 M,
DekkOf, Or. Hermann, Nalurgeschichtt des Kindes. Stullgart. Franckc. Pr. l M.
Meerkatz, A., Einfühnuig in die Psychologie. Halle 1908. Schroedel. Pr. 2 M.
Salomen, Alice, Soziale Frauenbildung. Leipzig 1908. Teubner. Pr. geh. 1,20 U.
Monumenta Germanlae Paedagogioa, hcrausgcg. von der Gesellschaft fbr deotsdie
Erzichungs- und Schulgcschichte. Bd. XLl: MittclschuIgcschichÜ. Dokamentf
Aitbayenu, eioschlicsalich Regeuaburgs, von Dr. G. Lurs. i. Teilj Bd. XLU .
a. Teit, Bd. XLIII: Andrea Gnamas Bdlnm gnnunaticale nnd seine Nacb>
ahmungen FroC Joh. Bolle. Berlin 1907/oS. Hofinann Comp. Pt. 9 ML,
10 M., it M.
D8n*eroer, Dr. E, OraaaMMI, Dr. IL, Unsere latlebchfller m Hanse. Schal-
hygienische Studie. München I908. Lehmann. Pr. 5 M.
KrOttf Dr. R., Französische Taschengrammalik des Nutigsten. Kreiburg (Baden) 1906.
Bielefeld. Pr. geb. I M.
Ders., Englische Tascbrnt^r imT-ntik r]rs V !i^-=;trn. Ebenda. 1907. Pr. prh. 1.25 M.
L'Hietolre de France depuis 1326 jusqu'en 1871 von Erost Lavit>!»c u. a., bc^rb. \oa
II. Brclschneider. Wolfenbüttel 1905. Zwissler. Pr. i M.
VallWflen & KlasingS Sammtung fnmrösischcr und englischer Schulauspabrn. Bd. 167
Joseph Chailley-Bcft, Tu scras Commcryant. Wörterbuch dazu 20 Pf. Bd. 168 ;
Giranlt, P., Tony i Paris. Wörterbuch 30 Pf. Bd. 169: Chuqoet, Arthur, La
Gnerre de 1870I71. Wörterbuch 30 Pf. Bd. 170: Guizot, F., Histoire de ia
CivUisation en Europe. Wörterbuch 20 Pf. Bd. 17?: Edm. et Tnlcs de
Goncourt, Histoire de la Socictt Fran(;aise. Wörterbuch 20 Pf. 1 ! i~2
Gaspard, Emile, Lc& Pays de Fmuce. Wörterbuch 30 Pf. Bd. 17J: Duruj,
Victor, Le Sitele de Louis XIV. Bd. 174: Chateaubriand, Nmpoleon. Bd. 175:
Mme B. Boissonna««, Unc Familie pcndant la Gurrre iSjolJl. Rd. 176: Monod,
Gabriel, Allemands et Frao^^ais, souvcnin de Campagne. Leipzig 1907/0S.
Vdhagen lUaiing. F^. i H, f ^ 1,40 K., 1^ It, 1*10 IL, l^o ML,
1,50 K., 1,80 M., 1,30 II, 1,10 M.; Wdfterbadier daan ao n. 30 PC
Oniek TOB A. RtoU 4 Soba ia Naombuis ». S.
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A. Abhandlangen.
L
Das biologische Prinzip im naturgeschioiitliclion Unterriciits.
Von Krebidiiiliiitpeldor 0. KohlMytr in J«rotsdim I. P.
Die tntwickelungsgcschichtc der Methodik des naturgeschicht-
lichen Unterrichtes beweist, dass seine wissenschaftlichen Grund-
lagen die methodische Austeilung des Stoffes durch den Unterricht
gewissermassen als etwas Naturgemasses in sich selbst bergen, die
Wahrung der geeigneten Unterrichtsform vorausgesetzt. Daher er-
klärt es sich, dass im klassischen Altertume und besonders im
Mittelalter, wo exakte Forschungen fast gänzlich fehlen, der natur-
wissenschaftliche Stoff, soweit von einer untenichtUchen Übermitte-
lung^ überhaupt die Rede sein kann, ohne Anschauung^ an die
Schüler, von ihnen meistens gelesen, herangebracht wurde. Erst als
das Prinzip der Anschauung durch FranzBaco's (gest 1626) Forde-
rung: „Man muss die Natur mit Augen anschauen, statt sie aus
Jiucliern zu studieren" — wenn auch durch Baco selbst weniger, als
vielmehr durch Gafilad, den Vater der modernen Naturwissenschaften,
in die Tat umgesetzt — der wissenschaftlichen Forschung und damit
dem Unterrichte geboren war. konnte sicli die Methodik der Aus-
gestaltung dieses berechtigten Grundsatzes widmen. In der Theorie
hat er gewiss von vornherein Anerkennung finden müssen j an seiner
praktischen Verwirklichung im naturgMchichtlichen Untemchte
arbeiteten dann drei Jahrhunderte, arbeiten wir noch heute.
Es ist erklärlich, dass, so lange die Naturwissenschaft sich aus-
schUesslich oder doch vorwiegend mit dem ,,Was" und „Wie" in der
Natur, mit der morphologisch-anatomischen Seite und, getrennt von
dieser, mit der physiologischen Seite der Naturkörper beschäftigte,
auch der Unterricht nur so die dargebotenen Stoffe methodisch
verarbeiten konnte. Das ist der Fall gewesen bis in die Mitte des
vorigen Jahrhunderts. Die Wissenschaft beschäftigte sich — ver-
einzelte Forscher ausgenommen — durchweg mit Beschreiben und
PSdtcogiicbe Studitro. XXX. 6. 91
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— 322 —
Klassifizieren der Naturkörper» also auch der Unterricht; der äussere
and iDnere Bau der Lebewesen und ihrer Oi^^e wurde zu deo von
ihnen verrichteten Lebenstätigkeiten nicht in Beziehung ge<:etzt.
wie das heute bei der biologischen Unterrichtscrtcilung^ der Fall ist.
Unter diesem Zeichen der Wissenschaft stand die Methode
Lübens» deren Einwirkung auf den Unterrichtsbetrieb von heute so
bedeutsam ist, dass wir ihrer und ihres Begründers kurz gedenken
müssen, um den '^^eschichtUchen Faden für das Verständnis des
Folgenden zu haben; denn Lübens methodische Korderunj^en,
niedergelegt in seinen „Anweisungen zum Unterricht in Prianzcn-,
Tierkunde und Anthropologie" (1832 und 36)*) bringen zum Ab-
schlüsse, was die Methodik der vorigen Jahrhunderte verwirtdicbt
hat, und leiten hinüber zu dem, was die heutige Unterrichtserteüung
in der Naturcreschichtc anstrebt.
Lüben, gestorben 1873 als Seminardirektor in Bremen, war wie
jeder Mensch ein Kind seiner Zeit und im Rahmen dieser muss
man ihn verstehen und würdigen.
Die am Ausgange des 18. Jahrhunderts von Linnö begründete
erste Periode der Vorherrschaft der reinen Empirie auf natur-
wissenschaftlichem Gebiete, gegen die Kant, Lamarck, Goethe,
Hegel, Schelling, Fichte, Geoffroy St. Hilaire, Oken u.a.
durdi Betonung einer plülosoplusch-spekulativen Naturaulfassung Front
gemacht haben, kdirte als zweite, durch George Cuvier (1769--1832)
neubegründete und belebte wieder. Die Auffassung der äusseren
Form, das durch logisches Denken aufgebaute System hatte die
Herrschaft im Schulunterrichte, wofür der geniale Forscher Cuvier,
dessen Arbeiten einen ganz anderen Geist verkörpern, natürlich
ebensowenig verantwortlich zu machen ist, wie Lmn6 für den
öden Verbalismus, den sein System ?n den Schulen her\nr<Terufen
hat. Lüben konnte, wie oben allgemein schon ausgesprochen,
darum nur das geben, nur das pädagogisch verarbeiten, was die
ihm zugängliche Wissenschaft von damals bot; und diese p3da>
gogische Verarbeitung des Schulwissens auf dem Gebiete der
Naturbeschreibung hat er fraglos musterhaft gemacht. Er fasste
nicht nur sämtliche richtigen pädagogischen Forderungen der Vor-
zeit zusammen, sondern er führte die Methodik auch weiter. Da-
durch, dass er den Unterricht in der Naturbeschreibung wieder
selbständig machte, löste er ihn aus der unglücklichen Verquickung
mit anderen Fächern, insonderheit befreite er ihn von der überall
gebräuchlichen Lesemethode. Die Beseitigung der letzteren forderte
naturgemäss auch wieder Anschaulichkeit des Unterrichtes. Endhch
will Lüben einen klaren, straff methodischen Grang der Unterrichts»
erteilung und zwar:
1. Behandlung des Einzelwesens,
*) Vgl. auch Diesterwcgs Wegweiser 1S35. Natorkuode, bearbeitet voa LSbca.
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— 323 —
2. Behandluni^ verwandter Arten,
3. Betrachtung der Familie, Ordnung, Klasse; Einföhnuig des
Systemes und
4. Behandlung der Grundzüge des inneren Baues und des
Lebens der Naturkörper.
Lüben wertet den so erteilten Unterridit in der Natur-
beschreibung richtigp wenn er sagt:
„Der Unterricht in der Naturgeschichte macht den Menschen
mit der ihn umgebenden Natur bekannt, deren Einwirkung er
täglich erfahrt, aus der er seine Lebensbedürfnisse befriedigt, und
in der er das Nützliche von dem Schädlichen, das Brauchbare von
dem Unbrauchbaren unterscheiden können muss. Weit höher aber
als die blosse Brauchbarkeit steht der bildende Einfluss, den dieser
Unterricht, zweckmässig betrieben, auf den ganzen Menschen ausübt.
Er bildet die Sinne, übt das Gedächtnis, beschäftigt die Einbildungrs-
kraft, stärkt Urteilskraft, Witz, Scharfsinn und Beobachtungsgabe,
erweckt und bildet den Schönheitssinn. Den höchsten Wert erhält
der Naturgeschichtsunterricht als Mittel, den Menschen zu wahrer,
innerer Gottesfurcht zu erheben."
Wenn Lüben als Ziel di^es Unterrichtes fordert: „Kenntnis
der Natur als eines grossen Ganzen, Erkenntnis des Lebens und der
Kräfte in der Natur, Erkenntnis der Einheit in der Mannigfaltigkeit und der
Mannigfaltigkeit in der Einheit der Natur, Verständnis für die Gesetz-
mässigkeit im Walten der Natur" und Ähnliches, so sind das alles
Zielpunkte, über seine Zeit hinausgehend, die wir heute audi fordern.
Die praktische Verwirklichung aber bringt bei Lüben und mehr
noch bei den Methodikern, die in seinen Bahnen wandelien, tat-
sächlich nicht die Kenntnis der Natur als eines grossen Ganzen,
nämli^ nicht die der Natur selbst, sondern die des Systemes, in
dem sich die Natur gleichsam wiederspiegeln soll. Hierin liegt der
Grundunterschied zwischen dem von der Lübcnschen Schule er-
reichten und dem von uns heute an^^estrebten Ziele.
Für die Erreichung dieses Zieles fehlten Lüben die erforderlichen
wissenschaftlichen Unterlagen j darum konnte er es eben nicht ver-
wirklicheo, selbst wenn es ttim vielleicht, seinen Worten entsprechend,
vorgeschwebt hätte.
Die Geisteshelden auf dem Gebiete der Naturwissenschaft nach
Cuvier, die ihr eine nie geahnte Blüteperiode verschafft haben, indem
sie sie Tag für Tag \-on Sieg zu Sieg führten und noch fulm n und
gleichsam unserer ganzen Zeit den naturwissenschaftiiciicn Stempel
aufdrucken — sie hatten dem Schulwissen und der Methodik zu
Lübens Zeit noch nicht das Feld geebnet wie heute, wo durch
exnkte Forschungen der modernen Naturauffassung täglich neue
Stütz- und Angelpunkte gewonnen werden. Aus der grossen Reihe
der Forscher auf den verschiedenen Gebieten der Naturwissenschaften
21»
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— 324 —
leuchtet ohne Frage der Name Charles Darwin^) (1809— 18S2)
strahlend hen-or, weil seine überaus reichen imd mannigfachen
Forschungsergebnisse und seine Ideen wohl am klarsten und
eindrucksvollsten das geschichtliche Forschungsbüd seiner Zeit
wiedergegeben und erweitert liaben. Doch weder Darwin behauptet
von uäi, noch wir können von ihm behaupten, dass die Ergebnisse
seiner und anderer Forschungen eine befriedigende und allgemein
g;ülti?^e Erklärung für die Fntstehung und Ausgestaltung der Lebe-
wesen gäbe; aber wir verdanken ihm und anderen Forschem der
Neuzeit doch als unumstössliche Tatsache den wissenschaftlichen
Nachweis
1. „von der Veränderlichkeit der Lebewesen überhaupt,
2. den von dem allmählichen Werden und Neuentstebeo in
der belebten Natur und endlich
3. den der Abhängigkeit der Lebewesen von den wechselnden
physischen Bedingungen der Aussenwclt."
Ndimen wir dazu die Fülle von Anregungen, die von I^rwui
auf Naturforscher, Leser seiner Werke, Lehrer und Schüler, den
Gesamtbetrieb des naturwissenschaftlichen Unterrichtes in Schulen
aller Gattungen ausgegangen ist, so erhellt die Bedeutung dieses
geistesgewaltigen, aus Unkenntnis geschmähten, selbst in seiner
persönlichen religiösen Anschauung meist völlig verkannten Mannes.
Neben Darwin aber haben wir um der geschichtlichen Gerechti|r.
keit willen auch einen Wallace, der bez. der „Entstehung der Arten*
im wesentlichen dieselben Ideen vertrat wie Charles Darwin, einen
Schleiden, den Entdecker der lebendigen Substanz in der Ptliinzcn-
zelle, Schwann, den Entdecker der Ticrzellen, Meckel, den \ aier
der vergleichenden Anatomie, Bär, den Begründer der Embryologie,
den vorzüglichen Physiologen Joh. Müller, die Botaniker Sprengel,
Herm. Müller, Hoff nie ister und Schimper.dir Geologen Gottl.
Abraham Werner, Hutton, William Smith, Hoff und
Lyell u. a. m. zu nennen, die alle an den naturwissenschaftlichen
Forschungsergebnissen der Zdt Darwins mehr oder weniger beteiligt
sind und dessen Ideen naturgemass nicht unwesentlich beeinflusst
haben; denn auch die Ideen eines Geisteshelden werden nicht
unvermittelt geboren, sondern allmählich auf geschichtlichem Wege
erzeugt, um ausgereift — der Menschheit als dauerndes Eigentum
von einem „Ghrossen" geschenkt zu werden.
In der wissenschaftlichen Forschung unserer, der nachdarwinschen
Zeit haben Hae ekel und die sog. Neudarwinisten Weissmann und
R 0 u X , die „Sclektionstheorie", d. i. die Theorie zur Erkläning der
„Umwandlung oder Abstammung der Arten", den „Darwinismus"
im eigentlichen Sinne des Wortes, am konsequentesten vertreten,
1) Ol. Darwin, ,,Über Entstehung der Arten durch natürliche Z^ichtwaU**. t$flk
„Das Variieren der 'l'iere und Pflanzen im Zustande der Domettikation."
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— 325 —
wahretui andere Forscher, wie Moritz Wagner,*) E. v. Baer,
Nägeli,*) Rcioke,*) de Vrics*) andere Hypothesen über die
„Entstehung der Arten" aufstdlten und — vieUeidit nicht ohne
Erfolg — der Darwinschen Theorie den Boden zu entziehen suchen.
Mit diesem Kampfe der Meinungen und Hypothesen hat die Schule
natürlich nichts zu tun; denn sie hat sich nicht in erster Linie
mit Hypothesen, sondern mit wissenschaftlich Feststehendem, mit
„Tatsachen" zu befassen, und als solche dürften die in den oben
angeführten drei Sätzen enthaltenen Ergebnisse wissenschaftlicher
Forschung heute allgemein anerkannt werden.
Obigen drei Sätzen liegt das genetische und biologische Prinzip
zu Grunde. Ersteres konunt für den Naturgeschichtsunterricht in
niedem Schulen selbstredend nicht in Frs^e; hi«r kann es »ch
höchstens darum handeln, die Schüler erkennen zu lassen, dass
Pflanzen und Tiere, unsere Mutter Krde nicht immer so waren, wie
sie jetzt sind,, sondern dass des Schöpfers: ,,Es werde" sie durch
die in sie gelegten Entwicklungskräfte zu dem gemacht hat, was sie
heute sind. In Lehrer* und höheren BUdungsanstalten dagegen wird
sich das genetische Prinzip heute nicht mehr umgehen lassen, wie
ich weiter unten des (genaueren nachweisen werde. Aber auch hier
soll beileibe nicht Deszendenztehre im Darwinschen Sinne getrieben
werden; sondern nur eine taktvolle, ruhige Aneinanderreihung des
tatsachlich vorhandenen Materiales soll das genetische Prinzip gleich-
sam durchleuchten lassen und vielleicht seine verschiedenen Er-
klärungsversuche im Lamarkismus, Darwinismus, durch die Mi^rations-
und Mutationstheorie, soweit sie sich auf der Sachkenntnis der Schüler
aut bauen lassen unterrichtlich verarbeiten.^) Das biologische
Priiizi p dagegen muss für j ed en Naturgeschichtsunterricht, auch iiir
den in der einfachsten Volksschule — selbstredend nicht dem Worte,
sondern dem Inhalte nach — in Betracht kommen. Die beständige
Betonung von Ursache und Wirkung, das Schliessen vom äusseren
oder inneren, vom morphologischen und anatomischen Baue eines
Lebewesens auf seine Lebensverrichtungen, auf das Physiologische
oder umgekehrt — sind die Kernpunkte der morphologisch-phyno-
logischen Betrachtungsweise, sind die Angelpunkte des biologischen
Prinzipes im naturpesrhirhtlichcn Unterrichte Der Stoff für diesen
ist dem derzeitigen Standpunkte der Wissenschaft zu entnehmen ;
•) Begründer der „Migralionstheoric".
*) BaeT'Nigeli crkliren die Eatstehaog nciter Arten durch das „VcrvaUkonunnmn«-
priniip".
») Reinkc, „Dii- WVlt al«? Tal". Lcipzip 1901.
*\ dt Vrics, „Die Mutationslehre'*. Leipzig 1903.
*) Mflller, H., „Die Hypothese in der Sehiile und der aato^eseltielitlidie Untere
rieht an der Realschule in Lippstadt". — Wasmann, E., „Der biologische Unterricht
an höheren Schulen". Coln. 1906. — Vgl. Kollbttch, „Naturwissenschail und Schale".
CfliD. Neuboer 1894. — Uy, „Geschichte, Kritik md Graodtilse der Mcdiodlk** in
H. C. Rothe, „Der nwdcnie Natafgesehtehtsontetridit". Ldpiig. G. Fnrtag.
Digitized by Google
326 —
nicht Hypothesen, sondern Tatsachen sind zu bringen. Der Unter-
richtsstoff ist nicht in öder, gedächtnismassiger, sondern in geist-
und gemütbildender Weise an die Kinder hinanzubringen; die
Selbsttätigkeit, die Vorstufe des Interesses, ist überall anzuregen.
Die Erkenntnis der äusseren Form ist zwar nicht ausser acht zu
lassen; aber sie ist nur insofern von Bedeutung, als sie die Trägerin
des warm flutenden Lebens ist. Die Lebensausserungen, -be>
dingunf^en, -aufgaben, -zustände, -bcziehungen hervorzuheben, bildet
die Hauptaufgabe des Unterrichtes, nicht die Einordnung der
Lebewesen in ein Gedankengebiidc, ein abstraktes System. Hiermit
soll natürlich nicht gesagt sein, dass — bescmders fiir höhere
Unterrichtsstufen — die Einordnung der Naturkörper in ein auf
morphologischem und cntwicklung^eschichtlichem Euiteilui^sgrunde
aufgebautes System verboten sei; im Gegeqteil: eine vernünftige,
auf methodischem Wege gewonnene Bekanntschaft und Beschäftigung
mit dem System halte ich aus formalen und sachlichen Gründen
fUr ausserordentlich wertvoll Es ist hier nur die öde, anschauungs^
lose, rein verbalistische Hnordnung der Naturkörper, die die Schüler
wohl gar nur dem Namen nnrh kennen lernen, in ein veraltetes und
erstarrtes Schema, wie es heute z. B. das Linnesche System darstellt,
gemeint.
Wie schon angedeutet, konnte Lüben obige Ideen nicht ver*
wirklichen; sind sie doch nicht wie ein deus ex machina auf-
getaucht, sondern erst aus der Fülle der wissenschaftlichen £inzel-
forschungen als methodische Forderungen geboren.
Rossmässler, Grube, Masius, Wagner, Tschudi
und Rttss forderten schon gegenüber der rein verstandesmässigen,
trockenen Formauffassung eine gemütvolle Erfassung des Naturlebens.
Ihre prächtigen Naturbilder, die sie im Unterrichte verarbeitet wissen
wollen, geben davon Zeugnis, beweisen aber auch, dass sie die auch
nötige Formauffassung so sehr in den Hintergrund drängen, da^
der organische Zusammenhang zwischen Form und Lebensbetatigung
nicht herzustellen ist Eine Vereinigung beider Richtungen, die
Betonung des „Was und Wie" als der Vorbedingung für das
„Warum und Weil", das Hervorheben des ursächUchen Zusammen-
hanges zwischen beiden — das kennzeichnet den heutigen Stand
der Methodik des naturgeschichtlichen Unterrichtes, in dessen Mitte
dadurch die Forderung der Verwirklichung des biologischen
Prinzipes steht. Die wissenschaftliche Grundlage fiir die biologische
Unterrichtsertrilung war f^esrhaffen. Da ist es erklärlich, dass
Männer, die sie kannten und den erforderlichen methodischen Blick
besassen, in der i-age waren, sie unterrichüich uiiuusetzen. Herrn.
Mtiller-Lippstadt, Kerner vonMarilaun, Vitus Graber,
>) Rossmässler, „Der natiirwissauchaflliche Uatmtdit'S Gedtokea und Vondülfe
«a einer Umgcstakong detselbeii. Letpxig 1860.
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— 327 —
Häckel, Kraepelin, Burbach, Kehr, Helm u. a. sind als Forscher
und Verfasser von populär-wissenschaftlichen oder methodttchen
Werken in diesem Sinne in hervorragender Weise tätipr gewesen.
Das Verdienst, dir weitesten Kreise in der VVellenbcwei^im^ der
Methodik des naturgeschichtlichen Unterrichtes in dieser Richtung
gezogen zu haben, gebührt fraglos dem Kieler Hauptlefarer Fr. J u u g e
durch Herausgabe seiner Schrift „Der Dorfteich ab Lebensgemein-
schaft". ^) Die Hedri:tiing dieses Buches und dessen unmittelbarer
reformatorischer t-intiuss auf die Methodik des naturgeschicht-
lichen Unterrichtes, insonderheit in der Volles- und Mittelschule,
bleibt bestehen, auch wenn man Junge in seinen einzelnen Forde-
rungen nicht zustimmt.
Doch kommen wir zu Junges „Dorfteich" selbst: Um die Zahl
der Beurteilungen der Jungeschen Reformbestrebungen nicht noch
um eine zu vermehren, darf ich hier einen Auszug aus Mac hold:
„Uisachen, Ziele und Wege der Reformbestrebungen des Natur-
geschichtsunterrichts in der Volksschule" einftieen:
Junge bezeichnet als Ziel: „Es ist ein klares, gemütvolles (!)
Verständnis des einheitlichen Lebens in der Natur anzustreben."
Dieses Ziel ist ein wissenschaftliches, ebenso wie das Liibensche,
nur mit dem Unterschiede, dass Lüben die Einheit der Form, Junge
dagegen die Einheit des Lebens betont (Siehe S. 3 d. Verf.) Für
die Volksschule sind beide unerreichbar. Anzuerkennen ist aber,
dass Junge glcichmässig Gemüts- und Verstandeshildung fordert
Worin besteht nun aber nach Junge die Einheit des Lebens?
Kr hndet sie darin, dass jedes Wesen eine Einheit ist und von
innem Gesetzen regiert wird, die für alle Naturkörper dieselben and.
Die Einheit des Lebens besteht demnach in der innem Gesetz-
mässigkeit, der die Naturwesen unterworfen sind. Um nuii das
gesetzmässige Walten der Natur zu verstehen, halt Junge die Kenntnis
und Erkenntnis folgender einzelnen Gesetze"') für notwendig:
1. Das Gesetz der Lriiaitungsmässigkeit: „.Vufciitliait,
Lebensweise und Einrichtung entsprechen einander."
2. Das Gesetz der organischen Harmonie: „Jedes
Wesen ist ein Glied des Ganzen."
Das Gesetz der Anpassung: ..Lebensweise und Lin-
ricntung passen sich (bis zu einem gewissen Grade) einem veränderten
Aufenthaltsorte (veränderten Verhaltnissen) an." Die nach den
Niederlanden versetzte Schweizerkuh z. B. verliert nach und nach
den kurzen Hals, da sich dieser durch den fortwährenden Gebrauch
beim Bücken nach Nahrung verlängert. Pflanzen, die au^ dem
Binnenlande an den Strand des Meeres versetzt werden, bekommen
nach und nach dicke, fleischige Kätter. Pflanzt man sie dagegen
*) Lipsius S: Tisch, r, Kiel. 1885.
*) Voa Junge im Anschlass an Schmarda, Zoologie, Bd. 1, «uammengcUelli.
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— 32« —
an sandige, trockene, heisse Stellen, so bekommen sie behaarte
Blätter, um Feuchtigkeit aus der Luft an sich zu ziehen. Der
Verfasser.)
4. Das Gesetz der Arbeitsteilung — der Differen-
zierung der Organe: „Je mehr die Gesamtarbcit auf einzelne
Or^ne verteilt ist, desto vollkommener wird ae ausgeführt" So
besitzt z. B. der Blutegel bloss die Haut (hat auch Augen — der
Verfasser), um seine Feinde wahrzunehmen und um seine Beute ^■t
wittern. Der Ente da^e^en dienen dazu Gehör, Gesicht und
Schnabel. Die Gesamtarbeit kann mithin vollkommener ausgeführt
werden.
5. Das Gesetz der En t Wickelung: „Jeder Organismus
entwickelt sich und zwar aus dem Einfachen zur Stufe der Voll-
endung."
6. Dn^ G c s t alt u ngsg'es ctz: ,,Die vorhandenen Teile üben
auf die hinzukommenden einen Kinfluss derart aus, dass ein Körper
von bestimmter Form entsteht" Um das Salzkrümchen in einer
Kochsalzlösung setzen sich z. B. die einzelnen Teile so an, dass em
Würfel entsteht, um das Alaunstückchen in einer Alaunlösung so,
dass ein Oktaeder entsteht; in der Keimzelle der Bimenblüte
gruppieren sich die Teile so, dass der Keim zu einem Birnbäume
entsteht. Art lasst also nicht von Art.
7. Das Zusammenhangsgesetz: „Die einzelnen Organe
sind von der Gesamtheit und voneinander abhängig/' Wenn ein
Glied leidet, so leiden alle Glieder. Raubtierklauen bedingen Raub-
tierzähne; stark entwidcelte Knochenfortsatze lassen auf starke
Muskeln schliessen.
8. Das Gesetz der Sparsamkeit in Raum und ZahL
Diese Gesetze sollen in der Volksschule entwickelt, erklärt und ein«
geübt werden, wenigstens sollen sie dem Lehrer bei seinem Unter-
lichte vorschweben. Das letztere halten wir lur gut, aber ihre
Formulierung nicht iur notwendig, es möchten sonst Phrasenhelden
gebildet werden . . .
Auf welche Weise sucht man das Ziel zu erreichen? Die Ant-
wort lautet im allgemeinen kurz durch Behandlung von „Lebens-
fmeinschaften". Das Wort „Lebensgemeinschaft" ist zuerst
Der Verf.) von Junge in die Literatur eingeführt worden. Er
hat es von dem IVofessor Möbius entlehnt. Um uns eine klare
Vorstellung von dem BegntTe „Lebensgemeinschaft" zu bilden, müssen
wir verschiedene Definitionen desselben untersuclien. Möbius erklärt :
„Eine Lebensgemeinschaft, Biocoenose, ist eine Gemeinschaft
von lebenden Wesen, eine den durchschnittlichen äusseren Lebens»
Verhältnissen entsprechende Auswahl und Anzahl von Arten und
Individuen, die sich gegenseitig bedingen und durch Fortpflanzung
in einem abgemessenen Gebiete dauernd erhalten."
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— 329 —
Diese Definition ist eine wissenschaftliche. Es liegen ihr drei
Gedanken m Ghrunde, zunächst der, dass in jedem abgemessenen
Gebiete eine den gegebenen Bedingungen entsprechende grosst-
mögliche Lebenssumme erzeug^ wird. In einem Karpfenteiche,
führt Jungte an, wurden 30000 junge Karpfen gesetzt. Als er
gefischt wurde, betrug das Gesamtgewicht 40000 Pfund. Ein
andermal setzte man eine grössere Anzahl Karpfen in den Teich;
man fischte natürlich auch eine grössere Anzahl heraus, aber das
Gesamtgewicht war dasselbe, die Karpfen waren kleiner geblieben.
Hieraus folgt, dass schon das erste Mal die Lebensbedingungen
erschöpft waren, also das zweite Mai keine Steigerung zuliessen.
Es ist durchaus nicht zufälUg, welche Tier- und Pflanzeoarten sich
zu einer bestimmten Zeit in einem Gebiete finden, wie gross die
Zahl der Individuen und ihr Entwickelungsgrad ist. Das alles ist
von den vorhandenen Lebensbedingungen abhängig, von Boden,
Luft, Licht, Wärme, Feuchtigkeit, von der Anpassungsfähigkeit der
Arten, von der Einwanderung und Auswanderung der Arten, von
der Witterung. Aber jedesmal entspricht die vorhandene Lebens-
summe den vorhandenen Lebensbedingungen. Möbius redet abcar
nicht von den Lebensbedingungen eines einzelnen Jahres, sondern
er verlangt Feststellung der durchschnittlichen Lebensbedingungen
und der davon abhängigen durchschnittlichen Lebenssumme, die
ach aus der Zahl der Individuen der verschiedenen Arten zusammen-
setzt Das ist aber eine wissenschaftliche Aufgabe, die jahrelanges,
genaues Studium voraussetzt, und die schwerlich der Lehrer, noch
viel weniger ein Volksscliüler lösen wird. Der dritte Gedanke ist
der, dass alle Lebewesen, die zu einer Lebensgemeinschaft gehören,
9ch gegenseitig bedingen.^)
Das Studium einer Lebensgemeinschaft im Sinne von Möbius
übcrsteityt weit die Kräfte der Volksschule. Junge hat daher eine
andere Dclinition gegeben, bei der von den durchschnittlichen
Lebensbedingungen, von der Auswahl und Zahl der Individuen nicht
mehr die Rede ist Sie lautet:
„Eine Lebensgemeinschaft ist eine Gesamtheit von Wesen, die
sich nach dem inneren Gesetze der Erhaltungsmässigkeit zusammen-
gefunden haben, weil sie unter denselben chemisch-physikalischen
Einflüssen existieren und ausserdem vielfach voneinander und von
dem Ganzen abhängig sind, bezw. aufeinander und das Ganze
wirken."
Im menschlichen Leben bilden Familie, Stadt, Staat Lebens-
gemeinschaften. Die einzelnen Glieder sind voneinander abhängig,
stehen miteinander im Verhältnisse des Gebens und Empfangens,
der Dienstleistung und der Dienstentschädigung. Sie bilden einen
O^iantsmus, in dem sämtliche Teile sich gegenseitig als Mittel und
>) Vgl. Senpcr, „Die nalflrlichca EsHtcubediiiguicai der Tkre*.
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— 330 —
Zweck verhalten, in dem der Teil auf das Granze, das Ganze auf
den Teil wirkt. Wenn der Beamte für das (lanr^e, die Stadt oder
den Staat sorg^, so sorgt er zugleich für sich, und wenn der Hand-
werker für sich sorgt, so fördert er das Wolil des Ganzen. Die
Abhängigkeit, Wechselwirkung, Wechselbeziehung der Glieder ist
also ein wesentliches Merkinal der Lebensgemeinschafl Junge
rechnet aber noch dazu die Freiwilligkeit des Zusammenschlusses der
Glieder nach dem inneren Gesetze der Erhaltungsmässigkeit, und
dadurch verengt er den Begriff so, dass wir in Deutschland kaum
eine einzige Natur -Lebensgemeinschaft antrefifen werden. Den
Garten mfissten wir ausschuessen, Haus und Hof ebeofalls, selbst
den Wald, sofern die Bäume von Menschenhand gepflanzt sind.
Unsere Kulturpflanzen und liaustiere könnten wir nicht unterbringen,
den Einfiuss des Menschen auf die Xatur und seine Abhängigkeit
von der Natur nicht nachweisen, und wir würden damit zugleich die
Gemütsbildung durch den Naturgescbichtsunterricht beeinträchtigen.
Wir müssen mithin die Freiwilligkeit im Zusammenfinden ausscheiden.
Dann bleiben übrig das allgemeine Gebiet, die gleichen Lebens-
bedingungen, die Abhängigkeit und Wechselwirkungen der Glieder.
Nun wird es nicht ^schwer haken, die Tiere und Pflanzen der Heimat
in Lebensgemeinschaften zu vereinigen. Wir brauchen aber nun gar
nicht mehr den Ausdruck „Lebensgemeinschaften", wir können ihn,
wie Kiessling und Pfalz tun, durch Grruppenbild ersetzen. die
Stoffanordnung nach „Lebensgemeinschaften" im Jungeschen Sinne
heute kaum noch in Frage kommt, so erübrigt es sich wohl, das
„Für" und „Wider" noch des längeren zu erörtern.'-)
Bei Beurteilung der Bedeutung Junges för <fie Methodik des
Naturgeschichtsunterrichtes dürfte sich folgendes ergeben:
1. Das Ziel, das Junge aufstellt, ist in der Volksschule un-
erreichbar.
2. Die biologischen Gesetze, in Anlehnung an Schmarda von
Junge ausgewählt und formuliert, sind als Naturgesetze im eigentlichen
Sinne des Wortes kaum anzuerkennen, weil fast alle Ausnahmen
erleiden, von denen weiter unten die Rede sein wird.
3. Die .Anordnung des .Stotfcs nach Lebensgemeinschaften im
strengen Sinne des Wortes ist unzweckmässig.
4. Ab Kein von bleibendem Werte der Jungeschen Reform-
bestrebungen ergibt sich meines Erachtens nur die energische
Betonung einer ausgesprochen biolog^chcn Behandlung des Einzel-
wesens, obwohl der N'nchweis der Zweckdienlichkeit der Ein-
richtungen der Naturkörper bei Junge, wie sich ebenÜalls weit«
unten ergeben ^rd, oft einseitig übertrieben ist
Kiessiing iiod Ffals, „Wie muss der natnrgeschichUiche Untenicht »ch fp-
Malten?". Brannschw«!!? 1SB8. — Kletsüni; und Pblz, „Metliodisches Haadbodi fifr
den Unterriehl in <i<'r Xatur^t-schichtc". Braunschweig 1S88.
') Vgl. Baad«, „Zur Refoim des NaturgesctüchUunterrichtes". Spandau 1S86.
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Obige Ausstellungen sollen aber Junges Verdienst nicht
schmälern, für die Methodik des Naturgeschichtsunterrichtes in der
Volkschule von vielseitig anregender Bedeutung gewesen zu sein
und der Einführung einer für die Schulen aller Gattungen noch
neue Behandlungsweise des Einzelwesens die Tore geöffnet zu
haben.
Die Verfasser der neuesten Erscheinungen für unser Unterrichts-
gebiet haben alle, mögen sie ihre Werke gleichzeitig mit Junge
oder nach ihm herausgegeben haben,- mit mehr oder weniger
Geschick und Sachlichkeit das biologische Prinzip in der Behandlung
des Einzelwesens zu vertreten gesucht; ihre Stellung zu den
„Lebensgemeinschaften" und den „biologischen Gesetzen" birgt
meistens das Kennzeichnende und den Unterschied ihrer „Methoden".
Es ist zwar meines Erachtens völlig überflüssig, hier von
„Methode" zu sprechen; denn eine so verhältnismässig untergeordnete
Sache, wie sie die eine oder andere Abweichung in der Lehrweise
bei den verschiedenen Verfessem darstellt, soll man nicht mit dem
stolzen Namen „Methode" belegen. Wennz. B. Partheil und Probst
in ihrer Naturkunde die Stoffanordnung nach Jungeschen Lebens-
gemeinschaften treffen, seine Gesetze aber nicht verwertet wissen
wollen, so ist das noch keine besondere Methodr. Wenn Kiessling
und Pfalz den Jungeschen Begriff „Leben.^gcineinschaften" in
jjiatfirliche Grruppen" abschwächen und dem Einzelwesen eine
Überschrift geben, die seinen ästhetischen Gesamteindruck kenn»
zeichnen soll, so berechtigt das noch nicht dazu, in Konferenzen
Vorträge über die Methode „Kiessling und Pfalz" zu halten. Oder
wenn Lay „biologische und geologische Leitsätze" und Schmeil in
seiner Broschüre: „Über die Reformbestrebungen auf dem Gebiete
des naturgeschichtlichen Unterrichts" statt der Jungeschen Gesetze
des organischen Lebens „allj^emeine biologische Sätze" entwickeln
wollen, so mögen sie das ruhig tun; man kann das für ganz nett
halten; aber wenn man auf Grund dieser doch gewiss nicht so
bedeutungsvollen Sache beispielsweise Vortrage über die „Schmeilsche
Methode" hält, so wirkt das komisch.
Das biologische Prinzip hat sich hf-nte so ziemlich zu all-
gemeiner Anerkennung durchgerungen; Stimmen dagegen werden
kaum noch lauL Seine Verwertung im Naturgeschichtsunterrichte
— das gibt man heute allgemein zu — ist mehr als die nur
beschreibende Behandlungsweise geeignet, allseitig bildend auf den
Schüler einzuwirken; sie führt den Forderungen der „Allgemeinen
Bestimmungen" gemäss von aufmerksamer Beobachtung zu sinniger
Naturbetrachtung; sie bereichert den Vorstellungskreis der Schüler
dadurch, dass sie die morphologische Betrachtungsweise zur Voraus-
setzung hat; aber sie lasst ihn auch Schlüsse ziehen und Urteile
fallen; auch die Beeinflussung des Gemütes und Willens vernach-
lässigt sie nicht Den biologischen Naturgeschichtsunterricht fordert
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auch der MmUterialerlass v. 31. i. 08 ausdrücklich; denn es heisst
darin : ,Jn der Naturgeschichte hat der Unterricht nidit in trockenem
Beschreiben und Klassifizieren seine Aufgabe zu suchen, sondern
den Zusammenhang zwischen Bau und Leben der Naturkörper dar-
zulegen, sowie das Verhältnis der Naturkörper zueinander zu beachten
und so in ein Verständnis der Natur einzufiihren und den Natur*
sinn der Kinder wirkung|SVoll anzuregen. Die Behandlung gründet
sich auf die Beobachtung — tunlichst der Gegensände selbst ; soweit
angängig, ist auch der Unterricht im Freien (Schulgärten^ Schul*
Spaziergänge) hierfür nutzbar zu machen."
Das biologische Prinzip wird sich darum das Feld bewahren
auf dem Gebiete des naturgeschichtlichen Unterrichtes, je mehr die
wissenschaftliche Forschung seine Stellung befestigt Damit sofl
natürlich nicht gesagt sein, dass mit der Verwirklichung des
biologischen Prinzips sämth'che methodischen Fragen des natur-
geschichthchen Unterrichtes gelöst seien. Wenn Lay in seiner
„Geschichte, Kritik und Grundsätze der Methodik des Naturgeschichts-
unterrichtes" ^) gegen Schmeil hervorhebt: „So ist die Forderung, der
naturgeschichtliche Unterricht müsse biologisch werden, schon
deshalb mangelhnft, weil sie die (leologie und die ganze anorganische
Natur, ohne welciie ein tieferes \''erständnis unmöglich ist, aus-
schliesst", so ist das, wenn man den Namen „biologisch" presst,
wohl berechtigt; aber da man mit technischen Ausdrucken vielfach
nidit so schal? ins Gericht geht (ich erinnere beispielsweise an die
allgemein gebräuchliche Bezeichnung: „willküriiche und unwillkürliclie
Muskeln u. ä.) und der Ausdruck sich einmal eingebürgert hat, und
endlich jeder Fachmann wenigstens weiss, was gemeint ist, so denke
ich, behalten wir ihn ruhig, weil keine passendere Bezeichnui^ da
ist, und ordnen ihm — wenn auch unlogisch — auch das unter»
was aus der Geologie zu lehren ist.
Bezüglich der Stellung des ,, Biologischen Prinzips" in der Gesamt-
methodik des urkundlichen Unterrichtes verweise ich auf Kol Ibach. ')
Lay,") May,*J Imhäuser/) Busemann,^j Melinat, Loew/J
Schmid*) und die Reformvorschläge für den mathematischen und
M Rothe, „Der moderne N.nur^cschichtsuntcrricht' . G. Frcytag. Leipzig.
s) KoUbach, „Natorwitseiuchaft und Schule". Methodik der gesamte» ü*Xvx'
wiMCnieluift. Cdb. Nenbncr. 1894.
*) Lay, „Mediodik da nmtoiigeMliidiÜiclKn Unteiridifs^. Uxpäg. ^xwm
Nägele. 1907.
<) Majr, ,,Methodik d«r Natarkvade". Dflawldorf, Sditraan. 1906.
Imhäuser, ..Milliodik des naturkundlichen Untrrrichts". Breslau. THrt. 1007.
*i Husemnnn, ..MclhoUik der naturkundlich<-n Fächer in der Volksschule". Brrstao.
WoyftHxi, 1902.
Melinat, >t ihodik il. r XiUurkunnc". Halle. Schroedcl. 1900.
*) Loew, ,.I lid.iktik und McÜiodik dc-r Nalurbcschreibung". Für höhere Scbuicn.
Mflnchen. Beck.
*) Schmid, Basüaa, „Der natonriucnschaftliche Unterricht". Leiftag. TeatMMK
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naturwissenschaftlicÜen Unterricht von der Unterrichtskommission
der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte, ^) in denen
sämtliche Fragen der heutigen Methodik mehr oder weniger ein-
gehende, aber immerhin sachgemässe Lrorterung linden.
Um das bis dahin Gesagte am praktischen Beispiele zu zeigen,
darf ich liier den unterrichtlich zu verarbdtenden Stoff von Bienen-
saug und Biene einiiigen. Er soll erläutern, was und wie die
Schule zu lehren hat, um das biologische I'rinzip im Unterrichte zu
verkörpern; er ist nicht als für eine bestimmte Schulgattung oder
Stufe zugeschnitten zu denken.
Für einen Leser, der nicht methodisch geschult ist, darf ich
bemerken, dass der Stoff dem Schüler nidit als ein Fertiges
erzählend oder wohl gar dadurch, dass letzterer den betreffenden
Abschnitt eines Lehrbuches liest, übermittelt werden darf. Der zu
behandelnde Stoff muss vielmehr nach thunUchst voraufgegangener
oder gleichzeitiger Beobachtung beider Gegenstände in der Natur
und in ihren verschiedenen Entwidcelungsstufen durch anschaulichen,
lebendigen, fragend entwickelnden Unterricht aufgebaut werden.
Alles, was der Schüler selh-^t sehen, hören, riechen, schmecken,
fühlen kann, muss durch Selbsttätigkeit in seinen Vorstellungskreis
gelangen^ alles, was der Schüler selbst schliesscn kann, worüber er
sdbst ein Urteil al^eben kann, muss er sdbständig leisten; nur
dadurch wird sein Interesse erweckt und erhalten; dieses wiederum
treibt ihn an, neues zu lernen, greift gleichsam wie ein Polyp mit
tausend Fangarmen hinaus ins warme Leben, immer bestrebt, den
VVissensschatz zu erweitern.
Ob diese beiden Unterricht^genstände, Bienensaug und Biene,
bei der Stofüauaordnung nach „Lebensgemeinschaften'* oder „natür-
liehen Gruppen" unmittelbar nacheinander oder, wie beim sj'ste-
matischen Unterrichtsgange, getrennt behandelt werden, so dass die
Konzentrationsiaden erst später gezogen werden können, ist, wie
ich weiter unten nachweisen werde, nicht von so grosser Bedeutung.
Die Hauptsache ist die vernünftige Behandlung des Einzelwesens
nach den oben gekennzeichneten Forderungen,
Doch kommen wir zum Stoffe selbst:
Oer weisse Bienensaug. Lamium album.
I. Name: Der Name Bienensaug wird uns verständlich, wenn
wir bei lachendem Sonnenscheine die Bienen von Blüte zu Blüte
dieser Pflanzen fliegen sehen, um den Honig aufzusaugen. Weisser
Bienensaug heisst sie um ihrer weissen Blüte willen im Gegensatze
zu dem roten und gefleckten Bienensaug. Man nennt sie und ihre
Schwestern auch wohl Taubnessel, weil ihre äussere Tracht der der
*) Leipzig. Teubner. I, 1905. II, 1906.
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Brennessel ähnelt; da der Bienensaug aber keine Brennhaare hat,
bezeichnet man sie als „taub". Der botanische Name „Lamiom"
(gr. lamös = Rachen) kann in freier Übersetzung „Rachenblamc"
heissen; albus a. um. hcisst weiss. (S. Blütenbau und -Farbe.)
2. Vorkommen: Man findet den weissen Bicnensaug mit
Ausnahme der kalten Wintertage bei uns fast das ganze Jahr in
Gärten und auf Feldern, unter Hecken, an Zäunen und Maueni.
Mit Vorliebe aber wächst die Pflanze auf Schutthaufen ; man be*
zeichnet sie deshalb auch ak „Schuttpflanze". Als solche liebt sie
die Nähe menschlicher Ansiedelungen. (Warum? Beziehung zur
Lriiaiii ung.j
3. Beschreibung:
a) Grösse: Der w. B. wird 20—30 cm hoch. Die Starke der
Entwickelung hängt van dem mehr oder weniger gunstigen Standorte
ab. (Warum?)
b) Stengel und Wurzel: Der unterirdische Teil der Pflanze
besteht aus dem Wurzclstocke (dem unterirdischen Stengel oder
Rhizom) und den Wurzeln. Der Wurzelstock ist wie der ober-
irdische Stengel vierkantig, hohl, knotig gegüedert. An den Knoten
oder Gelenken entspringen die Faserwurzeln, an die sich viele kleine
Saugwürzelchen ansetzen. Das gesamte Wuizelgeflecht hat einen
nur {Terinfjen Umfang; es reicht nicht weit vom Stengel wqf.
(Bedeutung siehe bei der Wasserleitung.)
Der oberirdische Stengel ist in seinem unteren i cile sehr dünn
und schwach, so dass er sich nicht aufrichten kann, sondern wage-
recht auf der Erde liegt: er sendet, um dem aufstrebenden Stengel
besseren Halt zu geben, noch Wurzeln in die Erde. Aus den
Gelenken des liegenden i eiles wachsen oft schwächere Triebe nach
oben und geben dem Taubnesselbusche das Ansehen eines wohl-
geformten Blumenstrausses* (S. Vermehrung.) Der aufgerichtete
Stengel ist starker gebaut; seine Knoten sind dicker und unten
dichter gestellt als oben. (Rcdcutung.) Sie stellen gleichsam
„(■rurtungen" dar, die durch ihre Festigkeit und Tragfähigkeit ge-
statten, dass die zwischen ihnen liegenden Stengeiglieder hohl und
viel schwächer gebaut sein können, ohne dass sie %e Biegungs»
festigkeit und Tragfähigkeit einbüssen (Doppelte I-Träger). Der
Stengel ist vierkantig, schwach gerillt und mit einzeln sitzenden,
abwärts gerichteten, steifen Haaren besetzt. (Bedeutung bei der
Wasserleitung.)
c; Blätter: An jedem Gelenke entspringen zwei gegenständige,
lang gestielte und schräg aufwärts gerichtete Blätter, die zu dem
nächst darüber oder darunter sitzenden Blattpaare rechtwinkelig
oder kreuzständig gestellt sind. Das einzelne Blatt ist herzförmig
zugespitzt, der Rand gesägt. Die Blattrippen der behaarten, ober-
seits etwas ruozdügen Blattspreite führen nach dem ein wenig
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oapfförmig eingebogenen Blattgninde. Der Blattstiel ist an der
Obersette gerillt. In der Mitte der Stengel sind die Blätter am
stärksten entwickelt, nach oben und unten werden sie schwacher.
(Bedeutung der ganzen Einrichtung von Stengel und Blättern
siehe bei der Ernährung.)
d) Blute: Die Blüten stehen in Scheinquirlen, lassen an zwei
Seiten des Stengels eine schmale, kaum bemerkbare Rüle frei; sie
sind vollsändig. Der Kelch ist dn Ideiner zierlicher fiinfzipfeliger
Becher, der den unteren, gebogenen, schräg aufgerichteten, Honig
enthaltenden Teil der Bhimenkronröhre umschliesst. Der obere
Teil der letzteren ist kelchförmig erweitert und spaltet sich in die
Ober- und Unterlippe, so dass die ganze Humenkrone die Form
eines geöffneten Rachens bekommt (S. Namen.) Die Oberlippe
ist, nach unten hohl, gewölbt, einem Helme vergleichbar, der die
Befruchtungswerkzeuge vor verderblicher Nässe schützt, und mit
feinen Härchen an der Oberseite und an den Rändern besetzt ist.
Die Unterlippe ist in 3 Lappen gespalten, deren mittlerer breit und
herzfönnig ist; die Seitenlappen dagegen sind ganz schmale Zahnchen.
Die Unterlippe weist einige dunkle Flecke als Saltmale auf.
In der Blumenkronröhre stehen zwei lange und zwei kurze
(zweimächtige) Staubgefässc, deren weisse, zarte, aufgerichtete
Staubfäden unter dem Fruchtknoten angewachsen sind; ihr oberer
Teil mit den grauschwarzen, paarig nebeneinander stehenden Staub-
beuteln liegt geschützt unter der gewölbten Oberlippe.
Zwischen den vier Staubgcfassen, etwas über sie hinausragend,
steht der Griffel der sich zur Zeit der Reife in eine zweispaltige
Narbe teilt Die mundartige, kleine Öffnung der Griffelröhre sondert
zwischen den beiden Naibenästen dann einen Idebrigen Saft ab.
(Bedeutung des Ganzen siehe Bestaubungs Vorgang.) Der Frucht-
knoten — im Kelchgrunde ruhend — wird durch vier kleine, grüne
Körperchen gebildet, die einen kreuzförmigen Kinschnitt zwischen
sich haben. Die Frucht besteht aus vier kleinen, dreieckigen
Nüsschen, die bis zum Ausstreuen im Kelchgrunde liegen.
4. Lebenstätigkeiten:
a) Ernährung:
Da der weisse Bienensaug besonders häufig auf Schuttstellen
wachst und hier am üppigsten gedeiht, so ist anzunehmen, dass er
hier Nährsalze Hnrch Hie Saugwurzeln dem Boden entnehmen kann,
die ihm besonders angenehm sind und sein Gedeihen befördern.
Welche das sind, wissen wir bis heute noch nicht.
Der Bienensaug nimmt aber auch durch seine Laubblätter —
wie alle grünen Laubpflanzen — Nährstoffe aus der Luft auf, vor
allem Kohlensäure, die er unter dem Einflüsse des Lichtes und der
Wärme verarbeitet. Darum müssen besonders die Blätter von
Licht und Luft umgeben sein. Dadurch nun, dass die Blattpaare
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kreuzwetse*gef|fefistandig am Stengel ang^eheft sind und je rmi
untereinander stehende Paare von unp^Ieicher Länge find, kum von
allen Seiten Licht und Luft an sie gelangen.
Vor allem aber bedarf der Bienensaug zu seiner Ernährung
des Wassers, das er durch seine zarten Saugwurzdn aufiiininit
Das Wasser wird besonders durch den Regen dem Erdboden und
damit den Saug^wurzeln des Bienensaug zugeführt.
Versuch; Wir träufeln etwas Wasser auf frische, wachsende
Pflanzen und gewahren folgendes: Die auffallenden iropfen laufen
an den Adern eines schräg aufwärts gerichteten Blattes hinunter
an den Blattgrund, von da in die Rille des ebenso gerichteten
Blattstieles; dann fliesst das Wasser in der Furche an den beiden
Rändern der Ansatzstelle des Blattstieles an den Stengel und kommt
in die flache Furche des letzteren. Hier wird es durch die spär-
lichen Haare vor zu schnellem Herantoiaufen und damit vor der
Gefahr des Abspringens auf dem nächsten Blattstidgrunde, der wie
die Stengelfurche rechtwinklig zum nächst höheren Blattpaare steht,
bewahrt Von hier aus kommt das Wasser in derselben W^eise
weiter zu dem rechtwinkelig unter der nächsten Stielfurche stehenden
Blattstielgrunde und so allmählich auf den Erdboden und an die
Saugwurzeln.
Was hier auf künstlichem Wege erzeugt wurde, geschieht bei
jedem Rc^^en auf natürliche Weise. Man nennt die Wasserleitung;;
des Bienensaugs, der sich der ganze äussere Bau der Wurzel, des
Stengels und der Blätter aufs engste anpasst, eine zcninpetale [zum
Stamme hinstrebende) Wasserleitung.
Selbst der auf die Blüten fallende Regen wird von di^n in
der schmalen Rille, die die Scheinquirle frei lassen, hinunter und
der übrigen W^assermas^e zugeführt.
Im Alter und weim sich der Bienensaug reichlicher Wasser-
zufuhr erwehren muss, richten sich mehrere Bkittspitzen nach unten,
leiten einen Tdl des Wassers zentrifugal, also von den Saugwurzeln
weg, nach aussen.
Bei anhaltender Dürre, auch wenn der Bienensaug einen besonders
trockenen, sonnigen Standort hat, so runzeln sich die Blätter stärker;
dadurch, wie auch durch die Behaarung der Blätter, wird die
Pflanze eine Zeitlang vor zu starker, dann schädlicher Ausdünstung
geschützt.
b) Fortpflanzung:
aa) durch Stengelteüe (Vermehrung): Da der weisse Bienen-
saug einen ausdauernden (perenniemden) Wurzelstock hat, da auch
aus den Knoten des unteren, der Erde aufliegenden Töies Wurzeln
wadisen, so kann man den Bienensaug durch diese Stengelteile
vermehren.
bb) durch Samen: Am häuhgsten aber pflanzt sich der weisse
Bienensaug durch Samen fort.
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Wie bildet sich dieser? Der weisse Bienensaug ist ausgeprägt
»Jnsektenblütor^, d.h. auf Vermittelung der Beitäubui^ durä
Insdcten aogewiesen. Darauf weisen folgende Eigentümlichkeiten hin :
Der eigenartige Geruch der {j^anzen Pflanze, insonderheit der
Blüten, die Anhäufung der letzteren zu Scheinquirlcn am oberen
Ende der Ftlanze, die weisse, leuchtende Farbe, die dunkeien Flecke
der Unterlippe als Saftmale, der reichlich am Grunde der Blumen-
kronröhre abgesonderte Honig und endlich die Grrösse und auffällige
Fonn der Blumenkrone. Dass grössere Kerfe beliebte GSste sind,
zeigt nicht nur der Augenschein; man kann es schon schliessen
aus der grossen Anflugstelle, die die Unterlippe bietet — die
zarten Seitenläppchen dienen gleichsam als Fussleistcn für das
Insekt — t aus der Grösse der Blumenkronröbr^ die einen langen
Riissel voraussetzt, und endlich aus der grossen Honigmenge.
Dadurch, dass die Staubbeutel sich eher öffnen als die Narbe
(protandrische Blüte), wird die Selbstbestäubung zunächst verhindert,
aber ihre Möglichkeil ist — vorausgesetzt, dass Fremdbestäubung
nicht eingetreten ist — schliesslich noch da. Kommt das Insekt
auf eine jüngere Bliite mit reifen PoUenkömem, die aus den
geöflheten Spalten der Pollensacke heraustreten, sich auf dem
behaarten Rücken des Gastes setzen und hier haften bleiben infolge
ihrer Kiebrigkeit, so trägt das Tier sie dann nach einer anderen
Blüte. Ist diese älter und hat eine schon geöffnete Narbe, so
schiebt sich günstigen Falles die Pollenmasse in die weit geöffiiete
Narbe, wird hier durch den klebrigen Saft, den letztere absondert,
festgehalten, wächst zu einem feinen Schlauche aus, der die GrifTel-
röhre hiiiunterragt und in den Fimund der kleinen h ruchtsknoten
hineinwächst und damit die Möglichkeit der Samenbildung gibt
Mitunter beissen die Hummeln m die Blunienkronröhre unten
Löcher und holen den Hon^ heraus, ohne der Blüte den Dienst der
Bestäubung zu leisten.
c) Verbreitung der Samen:
Die vier kleinen Nüsschen sitzen ziemlich fest im Kelchgrunde
und sind dadurch vor dem leichten und unzeitigen Herausfallen
aus dem Kelche gesichert. Zur Zeit der Reife aber tragen Wind-
stösse oder andere die Pflanze lebhaft bewegende Anlässe den
Samen von der Mutterpflanze weiter weg und geben ihm dadur€:h
Gelegenheit zu keimen; oft wird er auch, wenn Erde von einem
Platze zum andern geschafft wird, mit dieser verschleppt. (Bedeutung.)
Der nachfolgende Stoff, „Die Honigbiene", Apis mellifica
(Apis -— l'icne, mellifica = Honig machende), ist dem Lehrbuch
der lierkunde von Fickert und Kohimeyer^) entnommen. (Die
unter B. b. I gesperrt gedruckten Stellen weisen auf die eigen*
») 3. Auflugc. Leipzig, G. FnpAg,
PIdagofiacbe Studiea. XXX. A. 28
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- 338 -
tümlkhe Einrichtung der Biene hin, die auch die Vermittduiig der
Bestäubung beim Bienensaug möglich maclit)
L Dia WefewMo ^ Bt«M.
Der Imker oder Zeidler hUt die Bienen in einem Bienenhanse oder Bienen-
sänne, die nach Einriciitnnsf und den Zweck erfüllen müssen, die Stocke
ffegen Kälte, Hitze und ranne Winde zu schützen. Der uumittelbare Wohujiku
der Bienen ist der Korb oder Bogenstülper nnd der Kasten; in den östhciien
Teilen Dentscblands bat man hie nnd da noch aoBgehöblte Banmklütze, KloU-
benten (renannt. Letztere und die Boizrenstälper dienen dem 8oe:enaimteu „un-
bewes^lichen" Baue; die Ka.sten dagejjen. in denen die Waben in herausziehbaren
Bahmea sitseo, dieueu dem .bewqj^Uchen" Baue. (VorsQge und Mängel beider.)
Alle drei Beieimiiigeii der Keneit mtteeen nfttoweiBiie mit Flii^Ociwn aad mit
Yorrichtimgeii tun Anbringen der Waben Tenenen eein.
2. Dto Bewohner des StMknt.
A) Formen:
Im Bienenstöcke leben 10— öOtiüO Arbeiter, 6- 8(J0 Droiiaeu nnd
1 Königin, die andi der Weisel oder Weiser genannt wird. Sie alle bilden
das BienenTolk oder kurzweg das Volk. Der Körper aller drei Arten besteht
ans Kopf, Brust nnd Hinterleib, die durch tiefe Einschnitte von einander
getrennt sind. Am Kopfe sitzen zwei Netz- und drei Ilinktaugen, die Fühl»
nnd die Hnndwerkzeuge. Die Brust trägt 2 Paar häutige Flügel nnd 3 Paar
Beine, der Hinterleib bei Königin und Aroeitem einen Stachel.
t)ie Weichteile sind von der erhärteten Chitinmasso unitreben, die glänzend
schwarz und mit rotbraouen Haaren besetzt ist. (Woher erklärt es sieb, das«
ältere Bimen ibre Bdiaanmg yerloren beben?) Jede Fbnn der Bienen bat non
aber neben diesen allgemeinen Merkmalen noch entsprechend der Eigenart
ibrer Lebensweise ihr eigentümliche Körpereinrichtimgen:
a) Die KSnigin. Sie ist die grSaete Biene nnd kenntlich en den langen
Hinterleibe, der zur Legezeit nn h sehr dick ift. Sie ist dat consige gesehleät>
lieh Tollattodig entwickelte Weibchen.
b) Die Arbeiter dagegen sind unentwickdte Weibchen. Sie haben eine
längere Zunge, kräftigere Kinnbacken. Sammelbaare, Körbchen und Honigmagcn,
and, mit der Königin gemein, den Stachel, der ihnen als Waffe dient.
c) Die Drohnen sind die Männeben, die einen plumi>ereu Körper, grosse
nber den K ] f zusammenstoceende jfetMQgen nnd weder Stachel, noch Kfirbebca,
noch Sammcl haare haben.
(8. n. den Naehwds, M-ie Ki rpeninziebtongen und Lebenswdee der einwliiwi
Foimen innig «wanmenbängeu.)
B) Lebensweise der Bienen in den Tersehiedenen Jahresieiten.
a) Im Winter. Ifa» lieben mht im Bienenstaate. Anf einen Haufen m-
sammengedrängt, erhalten sich die Bienen durchweg eine Wärme von 8® R.. er-
starren deshalb nicht, sondern nehmen Nahrung zu sieb, ja einzelne kummen an
sonnigen Wintertegen sogar ins Freie, um sich zu entleeren. Geschieht die £nt<
leerung der Bienen wegen nngftnstiger Witterung im Stocke, so gebt dieser
meistens zu Uruude.
b) Im Sommer:
1. Das Leben der Arbeiter.
Beim Erwachen der Natur im ersten Frtthling ert nt Preudengesumme ns
Stocke; »nn Ifbhaftes Tniherkriechen ist bemerkbar. Der erste geraeinsan)«
Belniguugsausflug wird uuiemomraen, der besonders auf helle Gegenständ, z. B.
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in der Nahe haugencli) Wäsche, gerichtet ist. Der Stock wird von Wach?i!i i kf in
und toten Schwestern gereinigt, die Waben werden aoaeebessert. Eifrige Arbeit
fUlt die nur Mchs Woäieo dauernde Lebemieit der im Soimner arbdtenaen Biene
ans. Ein Ansflnij reiht sich an den andrrn in den Jptztpn drei Wodwn der
Lebenszeit. Die Arbeiterin ist zo geschicktem und am^idaueradem Finge dnrdi
ihren ganaoi Kdrperhan eingerichtet, insbesondere durch ihre Flügel, die durch
Netzadem gespannt werden. Der umgebogene Rand der Vorderflf^i^el fasst über
feine Häkchen der HinterflUgel, so dass beide FlUgel eine Fln^rplutt« bilden.
Krallen nnd Fussballen befähigen die Biene, sich an sc h wankenden
Blüten nnd Blättern f est zu h a 1 r <• n Blütoustaub. Honip.saft, Harz nnd
Wasser werden heimgetragen. Zur Mitnahme des Blütenstaubes ist
die Arbeitsbiene befähigt durch die starke Ausbildung der
Kieferzangen, die die Pollensäcke, falls sie noch nicht geöffnet
sind, durchschneiden, durch die Sammelhaare am ganzen Körper,
durch die Bürste am ersten Fussgliede der }{interbeine und
darcb die Körbchen am Schienbeine der Hintergliedmasaen. Mit
der Bflrste feg-t sie Bltltenttanb und Hars in «Tie ESrbehen, die
eine 'lic-e Flüssijrkeit auschwitzen, nm die „Hfi.ichen" besser
haften zu lassen. Sie holt aber auch den üonigsaf t aus den Blttten.
Dnreh ihren beweglichen KKrper nnd die lange Znnge iet die
.Arbeiterin befähifift, gelbst in die Tiefe der Bin nien Krone, wn
häufig die Uo nigbehälter üiud, einzudringen. Der Rüssel der
Biene ist tttr den Zweck, dem er dient, ein wahres Kunstwerk:
Unterkiefer und Unterlippe sind sehr verliin g-ert. Letztere, die
reich mit feinen Härchen besetzt ist, wird die Zunge genannt
und trägt am Ende ein kleines LOffeichen, mit dem der Honig
feschöpft wird. Unterkiefer. Lippentaster nnd die kurzen Ober-
iefer bilden eine Rühre , die sich weitet nnd verengt. In dieser
Röhre steigt der Honigsaft durch d ie Haarröhrchenanziehnag in
die Höhe, wird zugleich aber auch durch den im Kopf gelecrenen
erweiterungsfähigen Schlund gleichsam hinaufgepumpt. Der
Honiir {j^elangt zum Teile in den Magen der Biene, zum Teilein
den gestielten Anhang der Speiseröhre, den Kropf oder Honig»
magen; hier wird er dnreh BeimiBehnng von Drilsensftften dsner-
haft gemacht. Wie der H 80 wird aucn da.s Wasser verschluckt. Alle
Stoffe, die nicht zur eigenen Ernährung oder aar Fütterung der im Stocke
ubeitenden SehwesCera Sienai, werden nun Anfbtne des Stockes "verwandt.
Die .Arbeitsbiene erzeucrt znnllchst in ihrem KJirper das Wachs. Dieses wird
durch die Hinterieibsrioge abgeschnürt, durch die Fersenhenkel abgenommen
nnd sn den einzelnen Zellen und Waben yerarbeitet. Diese werden mit Honig
e^efttUt, der durch einen Brechvorgang aus dem Kröpfe wieder ausgeschieden
wird. Der Honig wird entweder rein in die Zeilen getan oder mit Blüten-
staub zu dem sogenannten Bienenbrote vermischt. Ist die Zeile gefüllt, so
wird sie gedeckeTt. Das Harz dient zur Befestiprnni^ der Waben (Stopf- oder
Vorwachs). Die im Stocke arbeitenden Bienen haben ferner für peinlichste
Sauberkeit zu sorgen. Sie müssen auch das Brutgeschäft ausführen und
haben endlich die Aufgabe, etwaige Feinde vom Stocke fem zu halten. Jedes
lebende Wesen, das an Erfüllung der Arbeitspflichten hindert, wird mit dem
Stachel verwundet. Der Stachel .sitzt in einer Hornklappe; er ist inwendicr hohl
ond mündet in die Giftdrüse. Durch Muskeldmck wird das Gift in die Wände
des gestochenen Wesens getrieben. Sticht die Biene dnen Henschen oder
' in w arniib!iitit,'eg Tier, so -st die Wunde Mich i\ber den W^iderhaken des
Stachels. Dieser reisst beim Fortfliegen der Biene aus, und letztere mnss
8. Das Leben der Königin.
Sie loigt für die Vermehrung des Stockes, ist Herrf<cberin nnd
Ftthrerin. Schon im ersten Frühiinge beginnt sie mit dem Eierlegen. Während
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ihrer 3 bia 4jährig6Q Lebenszeit legt sie über eine Million Eier nach einraalii^pr
Bcfnichtnng. Wird ein befruchtetes Ei in eine gewöhnliche Zelle geuo
und die daraus entschlüpfende Larve mit gewöhnlichem Futter versorgt, so mint
n\ph an«? der Pttppe eine Arbeitsbiene T^t das Ei unbefruchtet, so win!
efi iu eine grüssere Zelle gelegt; ans ihm entsteht die Drohne. Winl ein
befruchtetes Ei in eine grössere Zelle getan, die Larve ausgezeichnet
Tenflegt, so bildet sich eine Königin, aho ein vollständig entwickeltes
Wdbchen. Es ist eine wunderbare Fähifjkeit der Königin, willkürlich, je
nach Bedarf des Stockes Arbeiter-, Drohneu- oder Küingiuneneier zu legen.
Das Aoskommeu einer neuen Königin beding dis Scbw&rmen. Hdrea
die Bienen dsa „Tttten** der nenen Königin, to «itstebt ein l^haftes Snnram
im Stocke, ian man den Sch war m sang neuut Thr alte Königin wei?s.
dass eine Nebenbuhlerin xur Welt kommt und schwärmt deshalb mit einem
STOBsen Teile d«B Volkes aus. (Vor- odw Hanptscliwarni, Naeheeliwaria.
J ungfernsch warm. .,Schwarni im Mai, ein Fuder Hen; Schwärm im .Inn' ein
fettes Huhn; Schwärm im .Jul', kein Federspol.*') Wenn die alte Königin aber
im Stocke bleibt, so i^'M eR einen Kampf aof Leben oder Tod mit der neuen
und keinen Sclnvarm Der Schwann setzt sich gewöhnlich an irgend einen nahen
G^enstandj er wird dann vom Zeidler eingefwgen und in einen neuen Stock
genaelit, der dann in dmelben Weiw avl^baiit wird.
S. Bedeutung der Drohnen.
Sie sind träere Faulenzer, von denen nur die eine oder andere den Zweck
erfüllt, die neue Köni^n zu befruchten. An einem schönen, sonni^n Maitage
erhebt sich diese zu ihrem Hochzeitsfluge in die Luft und wird hier von
einer Drohne befru litrt. l«t sie nicht befnichtet, so erzeugt sie nur Hu 'k«-l-
oder Drohnenbrut und miiss beseitigt werden. Durch gute Fflege iwird bis-
weilen alsdann eine krlftige ArMterinnenlarre svr Königin herangezogen.
(Wie erklärlich?) Knde Juli oder Anfang August macht die „Drohnenschlacht"
den unnütz das Winterfutter verzehrenden Drohnen, die ihren Zweck erfüllt
haben, eine Ende. Die Bienen aterben nichts wnmt eine Drohne entecben,
(Waram nicht?)
4. Bedeutung der Bienen.
Die Bienen nutzen dem Menschen zunächst durch den Honig ^Linden-,
Raps- und Heidhonig; Scheiben-, Press-, Schleuder-, (Schieudermaschine) und
Futterhonig), dann alwr auch doroh dai Wachs. In guten Jahrai Uefert «In
Stock :^ü Mk. Ertrag.
Die Bienen haben im Haushalte der Natur diu Aufgabe, die Bestäubung der
Pflanzen zu vermitteln. Gib Beispiele an, wie Bienen und Blumen eingerichtet
sind, flieh wechselseitig zu dienen! (S. o.j Die Bienen haben endlich auch eine
ideale Bedeutung für die Menschen: Das Leben und Treiben im Bienen«to^ Ist
da.H Bild eines mu.'^terhaft geordneten StSAtslebei». Die Biene ist das BiU dsi
Fleisaea, der Ordnung und Eeinlichkeit. —
Die alte Gefahr, bei einer neu auftretenden Sache, sidi eist
bahnbrechenden Gedanken, ins Extrem zu verfallen, hat sich auch
dem biologischen Prinzipc gegenüber wieder gezeigt. Man braucht
nur das eine oder andere Lehrbuch aufzuschl^en: das Haschen
nach sogenannter „Vertiefung" des biologischen Prinzipes zeitigt die
sonderbarsten Blüten. Der eine Verfasser meint, sich bemühen zu
müssen, jeden obskuren Muskel, jede kleine Knocheneigentümlichkeit
möglichst genau zu bringen. Fehlt diese „wichtige" Sache, so sieht
er, der „gründlichere" Biologe, stolz auf des anderen „Machwerk'
herab, „Ist das eine grundsätzliche Durchführung des biologischen
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Prinzipes?!" — so hört man sprechen und schreiben. „Einige
Konzessionen an die neue Richtung!" — „Neue Flicken auf ein
altes Kleid I" Letzteres ist gewiss nicht das Wünschenswerte ; aber,
wenn es ein Ausdruck von beabsichtigter Vorsicht ist, sicherlich
doch besser, als wenn im hitercsse der eben genannten biologischen
Vertiefung sachliche Unrichtigkeiten ftir interessante Schlüsse kalt
lächelnd verwandt werden, besser, als wenn Kausal-Hjfpothesen, die
durchweg an und für sich schon gar nicht in diesen Unterricht
hinein gehören, dem Buche einen mehr biologischen Anstrich geben.
Ich darf hier cinr derartige Blütenlese zusammt^nstellen aus
verschiedenen I-eiirbuchern, die ich nicht nenne, um mich nicht in
den Verdacht zu bringen, als verfolge ich, als Verfasser eines hier
in Frage kommenden Lehrbuches^ mit diesen Zeilen ein eigennütziges
Interesse. Ich erkenne im Hinblicke auf das Folgende gern und
willig an, dass in den hier angezogenen Lehrbüchern auch viel
durchaus brauchbarer Sloff enthalten ist. Die folgenden Zeilen
wollen also nicht heruntersetzend, sondern sachlich fördernd wirken.
Es lässt sich nicht verkennen, dass in den oben angedeuteten Über-
treibungen und sachlichen Urichtigkeiten im Interesse der ver-
meintlichen Vertiefung des biologischen Prinzipes eine Gefahr liegt,
besonders wenn die betreffenden Bücher in Lehrerbildungsanstalten
gebraucht werden.
Zunächst führe ich eine Reihe von sachlichen Unrichtigkeiten
an, die als Unterlagen fUr Schlüsse verwandt werden, und gebe
Beispiele, die zeigen, dass aus richtig angegebenen Tatsachen febche
Schlüsse gezogen werden:
1. „Hnii'lt' liahen keine SchweiBsdrüsen"; daraus wird pefolcrert: Zu grir^'^r.
SteigeniDg der Kürperwärme, herrorgerafeu bei den Säugern durch angestrengte
Bewegung, wird ausgeglichen durch AmselieMai tob Schwein, dessen Ver>
dunstnng die Wärme herabmindert Pa die n»ndß keine Schwpissdrüsen haben,
so muss die Uerabmindcrung der Wärme durch ein anderes Mittel geschehen.
Welches ist das? „8cbon jeder hat beobachtet, wie bei einem edinell Unfendoi
Huude, der ja nichts weiter ist al.i ein AbkönimliTin- verv^if-dener Wolfsarten
^diese Bemerkung erklärt »ich aus dem Zusammen haji^ti des Text<;>, der den „Wolf*
behandelt), der Atem „jagt". Bei einem si Ii schnell bewe)?euden Pferde, z. B,
ist dies bei weitem nicht in gleichem Grade der Fall. Während der rnhende oder
langsam laufende Hund in der Minute 20— 30 mal atmet, macht er bei schnellem
Laufe 300 — 350 (?!) AtemzOge. Genau dieselben Erscheinungen sind beim Stamm-
vater des Hundes, dem Wolfe, zn beobachten. Durch die beschleunige Atmung
wird aber den Lungen eine grosse Menge Wasser entzogen (bei einem mittel-
^rosgen Hunde in der Stunde etwa 130 g). Die starke Verdnnfttnng des Was.sers
in der Lunge bewirkt aber wie die des ScbweiMes auf der Kant eine beträcht-
liche AhMtalnng des Körpen.
r>-ir< h !■ n Schweis« wird ferner eine Menge rl ranchter Stoffe ans dem
Körper entfernt. Da der Wolf (Hund) nun wie erwähnt, der Schweissdrttsen
entbehrt, so ttbcvnehmen di^e Arbdt die Nieren. Bierdnreli wird mm das liiiifi(|re
Hünen der Wölfe (und Hunde) vrr«Tanrllirh "
Die PrftmiüR« für diesen Scbluss ist falsch ; denn die Hnnde Itaben Schweiss-
drÜMS und zwar nicht nur, wie das in älteren anatomitdieil lUd physiologischen
Werken sa finden ii»t, haaptsidilich swisehen den Zehen, Mndem aneb dhiBr dea
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gansen Körper, und zwar wohlaiugebildete, knänelförmige Scbweiss<lnigeu in
fftOMerer Zahl als Iteispiebweisc stark schwitzende Tiere, wie z. B. Rind and
Pferd. Kill physiologischer Zusammüiihaug zwischen dem vtriueiotlicben Xangel
au SchweissdrUsen und dem häufigen Harnen der Hunde ist bis heute ftberiiaii|iit
noch nicht nachufcwiesen. wird auch wohl schwerlich je nach^jewie-i^n v%err!^
können, da Hunde, wie jeder weiss, das Hamen auch sehr lantre verhait^^u k>'iiaea.
2. Hunde haben bek&uutiich ein sehr grvtes Geruchs vermögen. Da« erklärt
eich daraus, so schliesst man, dass die Nasenlficher «ehr weit sind, tun niöeliehst
giowe Loftmengen auf die in ihnen enthaltenen riechbaren Stoffe antersaciiiea zb
kOnnen. Die ^Tasenllkiher der Hnnde sind aber tatsächlich nicht neiraensw«7t
weiter als die der Katzen heispiels weise, die bekanntlich sehr schlecht ritchen
Wäre die Voraossetzong allgemeingtlltig, einen wie feinen Geruch mäjiaten ent
Pferd oder Kuh haben.
3. „Der Hund ist zu .^chnellent Laufen beföhigt; denn er ist ein Zehen»
einobeiBpiels weise auch Sohlengänger und doch ebeuso schneller Bewegung fähig
wie Zehengänger.
4. ^Die Hunde haben einen seitlich zusammen^drttckten Rumpf und sind
dadurch zu leichterem Durchschneiden der Luft, somit zu schnellerem Laufe be-
fähigt." — Das Pferd, der Renner im tweten Sinne des Worte«, hat einen walien-
ffirmigen Körper. Der „seitlich zusammengedrückte Rumpf «ird damtn nicht
neuueuüwert iurderlich, und der walzenmnde nicht besonders hinderlich Ueiu
Benaen sein.
Das alles und noch mehr findet sich in der Behandlung eines einzigen Tieres.
Der Nichtwissende muss diese Behandlung8wei.se für vorzüglich biologuch dureh-
gefllhrt helfen; in Wirklichkeit ist das aber keine Yertiefoog de« eiologiiehm
Pldnzipes, sondern ein „Verballhoruisieren-' der Wissenschaft.
6. Die grosse Biegsamkeit und Elastisitftt der Bttckenwirbelsänle wird als
Gnnid (ttr die Torzttgliohe Sprnngrfähigkeit der Kntce angegeben. (Vemkeehe«-
lirimi::^: der zusammengedrückte und Beim liOslaasen fort.schnellende Rohrstook '
I)a.s iiückgrai de« Hundes besitzt dieselben Eigentümlichkeiten wie das der Katze;
denn auch der Hund kann ganz bequem und n«tt den „KatzenbneM* nmdMi;
Aber seine Sprungfähigkeit wird dadurch nicht nennenswert erhßht.
6. Beim Oebisse der Katze- heisst es: „Die gewaltige Arbeit der Eck- und
Meulspalte sind die Kau- uud Jochmn.'^keln, wenn auch kräftig, so doch ba
weitem nicht so gross wie bei den Najfetieren. Dafür sind aber die Schläfen-
muskel mächtig entwickelt. Zur Vergrösseniug ihrer Ansatztiächen erhebt sich
in der Mitte des Scheitels ein hoher Knochenkamm, welcher sich am Hinterhaupte
in zwei Seitenkämme furtsetzt. Um den unteren Teilen der starken Scbläfen-
muskeln und den mächtig entwickelten Kronfortsätzen des Unterkiefers, an weldie
sich jene Muskeln anietien, Baoni in gertatlen, mVnea die Joehbogen weit mw-
gesch weift sein."
D&i Gebiss der Hanskatze muss seine Arbeit aber ohne die oben be-
schriebene Einrichtung Muffthren können ; denn in der Mitte des Scheitels ist
kein hoher Knochenkamm n. s. f ; diese Einrichtungen haben nur die grossen
Katzen, wie Löwe und Ti^^er. Daraus ergibt sich weiter der Schluss : auch vhüi
dienen Knochenkamm kann die Hauskatze ihre Kauarbeit gut verrichten; folglich
ist der Knochenkamm für diese von nicht nennenswerter Bedeatnng, der game
flchlnss also falsch.
7. Dem Eisbären schreibt man behnurte FnessoUea sn und folgert aus dem
angeblichen Vorhandensein dieser: er kann sieh auf dem glattesten Eise mit
Leichtigkeit fortbewegen. Das letztere ist richtig ; aber der Eisbär muss es ohne
behaarte Sohlen können ; denn er hnt swar rauhe, aber keine bdiaaxtn SoUm;
nur die Tatsen sind behaut
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8. Den Wasservögeln. Adler, Eisvogel, Ente, wird, weil sie ihr Oefieder
einfetten, ohne jede Berecntignng eine besonders grosse Bflrzeldrlise angeh&ngt,
nnd aas ihrer Grösse die Möglichkeit des reichlichen Einfettens gefolgert; wie
man leicht fcau^t^llen k um, ist die BUraddrllM dmr Kite nidit aauMiuiwart
grosser als die lies Hahues beispielsweise.
9. Der Krauich tiiegt, trotzdem sein Körper an den eiiie^ Laufvogels er-
innert, vorzüglich. Erklämng: „Er hat sehr bewegliche Scbnltergekaka.'* Letitove
nher »ind in Wirklichkeit nicht bt^we^licher als die anderer Vögel.
10. „Beim Schlaf oder bei Kälte füllt der rnhende Vo^l die Säcke stark
mit Lnft, so dass sich die Federn sträuben, wie dies beim Sperlinge oder Kanarien-
vogt'l 1 i br z ; beobachten ist." Die Federn des Vogels sträuben sich aber in
Wirklichkeit durch Hautmnskelt&tigkeit, in derselben Weise, wie sich beim
HttiaelieB die Haare elrlQben.
11. Jiit der Sehntefarbe der Tiere wird walniiafl Iromieoh bemnigewirt»
gehaftet
a) EriLurbe zuui Schutze gegen Feiüde, wie auch, um nicht so leicht von
den Beutetieren erkannt zu werden, tragen: Dachs, Wolf, brauner Bär, Sperling,
Lerche, Nachtschwalbe, jSidechse n. t. a. m. Auf Grund dieser Zasammenstellung
muss man aidi doch fraget Was in dieeer Verschiedenlieit der F&rbung ist nim
wirklich Erdfarbe?
h) Die Nachtigall soll man nicht so leicht erkfini'Mi ihrer rindenfarbigen
Oberseite wegen; in Wirklichkeit ist aber die Nachtigall luiolge ihres neugierigen
WeMis einer der letehteet an erkennenden YQgel.
c) Wildkatze, Luchs, Wendehals, Baumläufer haben „Flechtenfarbe**.
d) Beim Leopard und Fanther täuscht, wenn sie auf dem Boden des Ur-
waldee mhen, ihr nBoeenlell so genau das Spiel der Sonnenstrahlen und die kreie-
fSrmigen Schatten der Blätter vor, dass sie selbst df-m <i^harfen Ange dee JIgert
nnbanerkt bleiben'' — sehr poetisch^ aber schwerlich objektiv richtig.
e) Die „Sehreekfurbe" bd der KrSte, der Unke, dem Mamaader fMlt meinet
Erachtens auch ins Reich der VeriDutuntren ; ich meinerseits habe schon manche
Unke erschreckt, aber noch nie gesehen, dass sie mir ihre Flecke gezeigt hat.
Wenn jed«; grelle Firbnng „Schieckfarbe" wire, eo bitten gar viele Tiere dieeee
Schntimittel.
f) „Der Pirol ist ein sehr schöner, aber auffällig gef&rbter Vogel; doroh
•eine auffällige Farbe werden die Feinde angdockt; demdb iet vogel adir
BCblaa." Wie reimt sich das mit obigem?
g) Die Geschichte mit dem Wiedehopfe, der den bekannten hmitpn Lappen"
markiert, dadurch, dass er sich mit atisgebreiteten Flügeln un<i autg-erichtetem
Sehnabel niederlegt, um seinen Feinden zu entgehen, scheint mir auch auf
wackelie^en Fussen von Buch zu Buch zu srehen. Die Tatsache, dass er sich
niederduckt iu üefahr, ist eine Eigentümlichkeit, die er mit vielen anderen
Tieren teilt; aber dass eine »o auffallende Farbe, wie sie der Wiedehopf hat,
einen Schutz bedeuten soll, lässt sich jedenfalls nicht nachweisen; das Gegenteil,
wie beim Pirol, könnte man gerade 80 gut «amriimen.
12. Vom Fuchse finde ich gesagt; „Mit seinem vorwiegend nächtlichen
Leben steht das Vorhandensein von 'nistbaaren im Zu.Haramenhan^e. In stock-
finsterer Nacht ersetzt der feine Tastsinu daa Gesicht.'' Spürhaare hat der I\icha;
aber dass sie mit seinem „vorwiegend nächtlichen (!) Leben in Verbindung stehen,
ist schwerlich zu beweisen" ; denn es gibt sogar Hunde (der Tiere anderer Familien
braucht mau gar nicht zu gedenken) mit TasthaareiL die kein Nachtleben führen,
nnd 8olche ohne Tasthaare, die ein Nachtleben flUiieB. Der obige Sehlnea iit
also TGllig unberechtigt.
Beim Maid» werden die Spürhaare der Oberlivpe als .KennseidMai dee
schleichenden Binben" aoagvgeben. Haben aUe aeUeidienden BftiAer Taet-
baare? Nein!
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13. J)a der Dachs kein Springer ist wi« seiu Vetten der Xarder, so ist
•ein Schwane kurc." BSokschinta: Alle springenden lien nfiwteii taage
Sdiwänxe haben.
14. „Der plumpe Körper des Dachses bedingt es, dass er — wie S<^hweii2
md Bär — ÄUeefresser ist/ Es gibt Tiere mit weit plamperem Kürperbaue, die
nicht AUesfreH8er »«ind, wie z. B. die ElelRuitea.
15. „Der Pflanzenfresser Dummheit, geringere Sinnesscbärfe, geringere Ge-
wandheit nnd Wehrbaftigkeit weist sie anf gegenseitigen Schntz an.'' — .Da
der Bär vorwiee;end ein I'tianzeufresser ist, 8o ist er v^eistis^ nur weuis: betjabt/
Fferd und Elefant sind nicht nur vorwiegend, sondern ansschliessUch Pflaiuen-
frewer; ihre Beeabnng mttMte ftlflo noch weit geringer sein. Data die Geme
^ringe SinnesäcUtof^ Gewuidheit vod Wehrbaft^dt bedtit, kmii »aa lehwaw
lieh behaupten.
16. Da das Lama .stet» genUi^ende Nahrung tiudet (im Gi^^eusatze zum
Kamele), besitzt es keinen Fetthöcker " Der ßnckeloohs oder des Zelni hataidiar
•täte genügende Nahrung und doch einen Fetth^5cker.
17. „Der Wels hat einen walzenförmigen Körper, der ihn befähigt, sich in
den iehlammigen Grund zu bohren. Welse leben wou auf dem Onnwe der G*>
wKseer, aber sie bohren ^-{rh nicht in den Schlamm.
18. .Die Bttsselschnauze, der Bohrer, (!) des Maulwurfs ist steif nnd er>
leiehtert das Eindringen in den Erdboden." Die RtttedsohnenM des K. ist in
Wirl-.li:^Vik''it pehr bewetj'lii'h uiii! kann ^chlnrhterfline^ nicht als -Bohrer" be-
zeichnet werdt:u. Die vielen Nerven im KUssel des Maulwurfs würden bei eiaei
Bohrt&tigkeit des ersteren gleich den Tod des letzteren bewirken; ein Schlag anf
den Rüssel tf5tet den Maulwurf schon. Nicht einmal den granzen Körper, der in
der Tat ein wunderbarer Bohrm^chanismus ist, boU man dem ächüler als solchen
bezeichnen, denn der Begriff lässt sich nur am aufgeweichten Skdette veraneehaB"
liehen; er ist also, so schön er klingt, für den Schül- r oine Phrase
19. Die ILiohtnng des Haarkleides beim Orang Utan nnd beim Faultiere
wird als wichtig fttr me Ableitung des Begenwassers hinijrestellt. Sind da nicht
alto Tiere, die m derselben Wei.se den Regengüssen im I r vnl'^p mis£re.«eTzt sind
nnd nicht dieselbe Haarrichtnng haben, von der Natur vernachlässig / Dass der
Orang Utan bei Regengüssen die Binde ttber den Kopf halte, um dadurch das
Wasser vom Körper abzuleiten, mag- perne richtig sein, aber daraus folgt noch
lauge nicht mit Notwendigkeit, dass die Stellang der Haare am Unterann der
An eine „Anpanang" an die EigentttniUehkeiten seines Aafentlialtsoites sei
20. Elefiuxt nnd Wildschwein werden als vorzflijlich eingerichtete Dicki- hf-
bewohner betrachtet Das Wildschwein soll imstande sein, „mit BUtseachneUe
dcli einen Weg dnrch Dieknngen, die für andere OesehOpfe geradesn naducb-
dringlich sind zu bahnen". Wie wenlm da die armen, von der Natur vemach-
liS8igt«n (leschöpfe fertig, di« ausser dem Wildschweine dort leben und nicht die
Körpe rein rieh tung haben, mit Blitzesschnelle dasDiekicht zu durchbrechen? Dass
das Wildschwein infolge ?r»in»^r Ki'iryif^reinrichtnng verhältnismässig leicht nnd
schnell da.s Dickicht durchbrechen kann, ist selbstverständlich: aber „Blitzeft*
schnelle" ist — selbst fi^rlich an^r^CMt — mehr alt Übertreilrang, vieimdlr
eine tatsächliche Unrichtigkeit.
„Des Elefanten gewaltiger, riesenstarker Leib bricht wie ein Keil das Dickicht
des Urwaldes auseinander ^ ; tatsächlich bahut sich der Elefant seinen Weg
meistens mit dem Rüssel. „Die starke, brettartige Haut vermögen Domen und
Äste nicht zu verletzen." — Die starke, brettartige Haut schützt gewiss vor
Verletzungen, aber sie ist daneben in Wirklichkeit in ihren Falten so emiifind-
lich. dass der Elefant schon unter den Mückenstichen sehr leidet. Das« den
Sleranten srine KOrperfonn, die massige Gestalt nnd die Inrettartige Bedecknng
sehr zu statti n k n.i.meu. wenn er den Urwald durchbricht, ist selbstverstamllich;
aber diese Eicentülichkeiten als „Anpassungen" an das Leben im Urwalde aof-
anftusen, iit aoeh eelir gewagt und ein ofmnditlioliea Haiehen nach Tenneinfc'
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— 345 —
lieber „biologischer Vertief" nj::' Der afrikanische Elefant z. B. ist ebensohäufig
„Savannentier'* alB Urwaldbewohuer, and ob beispielsweise das Mammat letzterer
war, itt doch mindestens anwahrscheinlich. Der Elefant ist ein RaCbestand einer
xinterg;eg'ang^nen Tierwelt, in der vi^^Ifnch solche Körpereinrichtungen anzutreffen
waren, ohne dass wir heule noch nachweisen können, welchen besonderen Ver-
bSltninen sie angep«Nt werden.
21. Der ?ch vnnz des Fiscbotters ist seitlich znsamniengedrücltt : das befähigt
ihn besonders zuiu Steuern. In Wirklichkeit ist er von oben nach unten sa-
MUBmengedrnelrt, und doeh ist er dn gens gutes Steuer.
22. Die Lnftraume zwi^^cheu den Haaren der Wassersänger, Fischotter, Eis-
bir, Seehund, Terringem das snezifische Gewicht der üere; denn Luft ist leichter
als Weaeer. Du bdUiigt sn Deeierera Sidnpiiiiineii und eehtlttt zugleich rm m
starkem "Wärmeverluste. — Dir- Vr rriugerung des spezifischen Gewichtes ist sicher
noch nicht Ü,01% und hat infolgedessen ganz gevriss keinen nennenswerten Ein«
Hon auf die Leioliti^eit dee Säiwiminens.
23. „Die kleinen, im Pelze versteckten Ohrmuscheln der Wa.ssersäuger
benunen nicht die Fortbewegung im Weaaer* — sicher nicht, auch wenn sie
defpelt 80 gross wftren.
24. „Die Nahrong der Ziege macht einen sehr komplinmten Vetdanongs-
apfarat nOtig-."
Die >«atur der Nahrung der Ziej^e macht einen sehr komplizierten Ver-
dauungsapparat nicht nötig; denn die nicht wiederkäuenden Pflanzenfresser haben
ihn alle nicht und werden sehr gut fertig. Das Wiederkäuen, „diesen gross-
artigen (I) Lebens- und Emährnngsbetrieb" als „eine direkte logische Folge der
dem Tiere zutjewii's"nen Nahrung"' hinzustellen, ist ein Unsinn. Das Wesentliche
im i^ue der Verdauongswerkzenge der Pflanzenfresser liegt nicht in dem
„Komplidertea", mmikm in der GraMe des Ksgens, der Linge des Dannes und
der Sbgenart ihrer Tfttig)cdt
Doch genug der Beispiele dieser Art. Auch die Hypothesea
und diesen entnommene Schlüsse finden im Interesse einer ver-
meintlich gründlicheren Durcharbeitung des Stoffes in biologischer
Hinsicht Tür und Tor offen.
1. Für ein Schulbuch hat es meines Erachtens keinen Wert,
die bekannte Hypothese: „Die gerade Linie ist grundlegende Form-
idee und Ausdruck des Bewegungsprinzipes der drei oberen Tier-
kreise" zu verwerten. Am loiclitcsten lässt sich ein stabförmiger,
cyiindrischcr Körper bewegen, wenn die Bewegung in der Richtung
seiner Längsachse erfolgt, zumal wenn er an dem Vorderende noch
zugespitzt ist Darum hat auch der Leib der Wirbeltiere (mehr
oder weniger deutlich) die Form eines zugespitzten Cylinders und
bewegen sich die Wirbeltiere auch vorwiegend in der Richtung
ihrer Längsachse." Was soll ein Schüler mit diesem Gedanken
machen, wenn er sich die Vögel, Schildkröten, Schlangen u. a. als
zugespitzte Zylinder sich bewegend vorstellen soll
2. „Das Gefiihl der Schwäche gegen Mensdien und Hunde
nötigt den Fuchs, sich in unterirdischen Bauen ein sicheres Versteck
zu suchen." Ob der Fuchs das Gefühl der Schwäche hat, wird
sich schwerhch nachweisen lassen, also mindestens Hypothese
bleiben; aber auch der Schluss ist unberechtigt; denn beispiels-
weise der Hase, der sich doch sicher schwächer liihlen muss als
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— 34<5 —
der Fuchs» legt sich keine unterirdischen Bauten an; andererseits
der Dachs, wohl bezahnt, legt eine Höhle an, und der Bär zieht
sich in eine solche während des Winters /wriick; beide tun es
sicher nicht aus dem Gefüiile der Schwäche, sondern weil sie eben
einen Winterschlaf halten und in Höhlen ungestörter sind.
3. Hypothesen über Entstehung beispidsweise der verschiedenen
Hunderassen, wie Jagdhund, Pudel u. a. , gehören nicht in ein
Schulbuch, weil der Beweis für die Richtigkeit solcher Mutmaßungen
nicht erbracht werden kann.
4. „Das brütende Kranichweibcfaen bestreicht «ncfa den Rücken
mit dunkler Moorerde, um sich durch das hellfarbige Kleid nidit
zu verraten."
In einer Abhandlung über den Naturgeschichtsunlerrichl in
der \ üiksschule lese ich folgendes: „Die Hervorkehrung des Gegen-
teils, der Nachweis etwa, wdch ein Unding im Hinblick auf die
sonstige übrige Beschaffei^eit des Wesens es wäre, wenn der U>we
Homer, oder die Schlange Beine, der Storch, die Giraffe, der
Strauss einen grösseren Kopf oder kürzere Beine hätten, der Elefant,
der Ochse, das Schwein, der Walfisch einen kleineren Kopf oder
längere Beine hätten, welch ein Widersinn darin läge, wenn die
Blüten der Rose etwa in Trauben oder Dolden, die Blüten der
Doldengewächse dagegen einzeln, die Preissclbeeren mit ihrem
dunkelgrünen Laube etwa schwarzblaue und die Heidelbeeren mit
ihrem hellgrünen, spater gelb werdenden Laube rote Beeren hatten
usw., kurzum, die phantasievulic Neuschöpfung einer verkehrten
Schöpfung zur Unterhaltung während der Unterrichtsstunde die
Erinnerung vielleicht an den Weltverbesserer, den tadelsüchtigea
Schulzen I foppe u. a. m., werden diese Erkenntnisse zu immer
grösserer Klarheit bringen und die Weisheit und Vollkommenheit
der wirklichen Schöpfung, sowie die Überzeugung, dass wirklich
alles „gut" in ihr ist, nur in um so helleres Lic^t setzen."
wtan der Nachsatz nicht den Vordersatz in einen emsthaften
Rahmen rückte, so könnte man sich das ersterc als L^iterrichtsscherz
vielleicht mal gefallen lassen; so aber kann man nur sagen: das
wäre allerdings die Höhe der hier gegeisselten Verirrung, ganz ab-
gesehen vom Walfische mit „kleinerem Kopfe und längeren Beinen".
Das mögen der Beispiele genug sein, die beweisen, wie das
Haschen nach vermeintlicher Vertiefung des biologischen Prinzipes
auf Abwege führt und Ungereimtheiten hervorruft, die die biologische
Unterrichtserteilung in Misskredit bringen müssen. Hat man ihr
doch sogar vorgeworfen, sie sei „schädlich, weil sie die Kinder
fabch denken lehre und zu einer falschen mechanisdien Natur-
anschauung verleite", indem man die wemgen Ausnahmen von Nicht-
anpassung, die die Natur in ihrer unend1i<"ben Mannfc^faltigkeit auch
aufweist, der 'mzweifclhaft gültigen allgcmemen Regel gegenüber-
stellt. Ausnahmen aber bestätigen die Regel auch hier^ denn die
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wenigen Tterformen, deren Einrichtung und Lebensweise nicht mit-
einander im Einklänge stehen — Teich- und Wasserhuhner, Wachtel-
könig, eine Spechtform in den baumlosen Ebenen des Rio de la
Plata u. e, a. — , stossen die tausend- und aber trmsendfach bestätigte
Regel gewiss nicht um. Millionen von VVasscrvÖgeln haben mehr
oder weniger genau die Organisation der Ente, nur verhältnismässig
wenige die der Wasserhühner. Die erstere ist also ohne Frage die
charakteristische für die VVasservögel und als zweckmässig — das
lässt sich auch physikalisch nachweisen — kann man sie doch wohl
bezeichnen, wenn man sie auch nicht «gerade als die einzig zweck-
mässige oder als die zweckmässigste hinstellt.
Soll die biologische Unterrichtsweise vor solchen Be- und Ver-
urteilungen geschützt sein, so muss
1. der Unterrichtsstoff auf eine sichere, wissenschaftlich nicht
anfechtbare Grundlage gestellt werden ; darum darf der Unterricht
sachlich Falsches oder Zweifelhaftes nicht bringen oder wohl gar
als Ausgangspunkt für biologische Schlijsse verwenden.
2. nicht um jeden Preis ein zweckdienlicher (theologischer)
Zusammenhang nachgewiesen werden sollen, auch wo er sich nicht
nachweisen lässt; denn die Natur weist auch Ausnahmen auf^ nicht
alles in ihr kann als zweckmässig bezeichnet werden.
Die eine Art der Anpassung schliesst nicht aus, dass es noch
eine andere, von ihr abweichende, aber ebenso zweckmässige oder
zweckmässig ausgenutzte geben kann.
Verlassen wir hiermit die im Vorstehenden gekennzeichnete
Richtung, die in Befolgung des biologischen Prinzipes, wenn auch
in bestgemeinter Absidit^ so doch traglos über das Ziel hinaus-
schiesst
Schloss folgt.
n.
Die Veranschaulichung auf Abwegen.
Von F. HsMer, Rektor io WeimraMer O.-L.
Die Psychologie lehrt, dass von allen auf dem Wege der sinn-
lichen Empfindung und der bewussten Wahrnehmung auf uns ein-
wirkenden Geg^enständen in unsrer Seele Bilder critstehen, welche
„Anschauungen" genannt werden, und sie zeigt femer, dass diese
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Anschauungen die zum Vollzüge des Geisteslebens erforderticfaen
Grundlagen und Bausteine liefern.
Wohl gewinnen unsere Schüler schon im vorschulpflichtigen
Alter durch die mannigfache Berührung mit ihrer Umwelt eine Fülle
von Anschauungen, deren unterrichtHehe Verwertung sich lohnt;
doch ergribt sich aus der sorgfaltigen Analyse des kindlichen Ge*
danken- und Erfahrungskreises die Unzulänglichkeit des vorhandenen
Vorstellungsmateriah. Der Seeleninhalt des noch nicht schul-
pflichtigen Kindes ist zum grossen Teile passiv, ja nahezu instinktiv
erworben, was zur Folge hat, dass die in Betracht kommenden
Anschauung^en und Vorstellungen ebenso sehr der Klarheit und
Bestimmtheit wie der Ordnung ermangdn.
Die Notwendigkeit einer Vermehrung und Klärung dieses
Anschauungsvorrates, die Unentbehrlichkcit eines planmässigen
Eingreifens in das „wirre Durcheinander des l*roletariats der An-
schauungen und Vorstellungen" auf dem Wege des Unterrichts ist
von der Pädagogik frühzeitig erkannt worden. Noch ehe Pestaloza
sein bekanntes Wort: „Die Anschauung: ist das Fundament aller
Erkenntnis" prägte, haben alle grossen Erzieher des 17. mui 18. Jahr-
hunderts ausnahmslos für jedwede unterrichtliche Betätigung eine
(^anschauliche" Basis gefordert Auf dem Boden dieser Idee tv
wuchsen u. a. der Orbis pictus des Comenius und das Elementar-
werk des Basedow.
Nur wenige pädagogische Ideen haben in den letztverflossenen
Jahrzehnten eine so ausgedehnte praktische Durchführung erfahren
wie gerade die Forderung der unterrichtlichen Veranschaulichung.
Kunst und Wissenschaft haben sich in ihren Dienst gestdlt Mit
ihrer Hilfe ist die Lehrmitteltechnik auf einem erstaunlichen Höhe-
punkte ang-elangt. Lehrmittelhandlunpen schiessen wie Pilze aus
der Erde und preisen in dickleibigen Katalogen die Fülle ihrer
Artikel an. Kaum eine Woche vergeht, in der sie nicht hin und
wieder in den Schulen durch Reisende ihre neuesten Erzeugnisse
mit demselben Nachdruck zum Kaufe anpreisen lassen wie Waren
des tägHchen Lebensbedarfs. Die Zeiten, in denen der Lehrer fast
ausschliesslich mit eigener Hand den n;rössten Teil der für '^eine
Schule nötigen Veranschaulichungsmittci herstellte oder samnieiie,
sind dahin. Die Grenze zwischen dem primitiven Anschauung»*
Objekt und dem Kunstgegenstand verwischt sich mehr und mehr,
und nicht bloss in höheren Lehranstalten haben schon da-^; Stereoskop
und Mikroskop, d,is Skioptikon, dei K u.ematograph und der Phono-
graph als Lehrmittel ihren Einzug gehalten. Gibt es überhaupt
noch ein Stoffgebiet, für weldies nicht kostspielige Lehrmittel zur
Verfügung standen? Wo vor nicht langer Zeit da und dort noch
ein .Mangel an zweckmässigen Hilfen zur Veranschaulichung sich
fühlbar machte, herrscht heute jene Überfülle an Material, welche
die Wahl zur Qual macht.
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Ai^sichts der nidit abzuleugnenden Oberproduktion auf dem
Lehraiittelmarktc larf behauptet werden, dass wir uns einem Extrem
nähern, welches die Veranschaulichung auf Abwege zu führen geei^et
ist. Diese Gefahr des Abirrens von der richtigen Bahn springt
namentlich ins Auge im Hinbhck auf den liildcrkultus, der
heutzutage in vielen Schulen, niedem wie höhem, getrieben wird,
,^es wird heutzutage illustriert und soll mit Bildern aus-
gestattet sein: unsere Bibeln und Gesangbüdier, unsere Klassiker,
unsere Lyriker und Volksliedersammkingen, unsere Geschichtswcrke,
selbst wo es sich um die Darstellung geistiger Strömungen handelt,
— alles wird zum Bilderbuch, und diesem Zuge folgen naturiich
auch die Schulbücher/'*) Und wo diese letzteren versagen, tritt
ein überreicher Vorrat an mehr oder minder grossen Wandbildern
oder wohl gar der Projektionsapparat in seinen mannigfachen
Formen einschliesslich des Hiographs ergänzend ein. Guckkasten-
unterrichtl Kaleidoskopisch zieht der Figurensch wall von
Hunderten und Tausenden von Bildern vor den Augen der
Sdiuler vorbei, Bilderreihen, in Massen fabrikmässig dargestellt
oder dilettantenhaft aufgenommen und oft des Ansehens nicht wert.*)
Sollte es als Ketzerei gelten, wenn gegen diese ..Plakatpädagogik"
zu Felde gezogen wird' — Zunächst wird es immerdar als eine
unbestrittene Forderung gelten, dass der Unterricht, um Anschauungen
im psychologischen Sinn zu erzeugen, so oft und so viel als
nur möglich von der Beobachtung der Dinge selbst ausgehen
und überall da, wo diese letzteren in natura zur Verfugung stehen,
auf Bilder und Zeichnungen derselben verzichten muss. Also Sachen,
Sachen! „Sind denn aber Bilder Sachen? Auch das Bild ist nur
ein Ersatzmittel und Notbehelf, auch nur ein Zeichen und quidproquo,
und für das Kind oft ein recht schwieriges und irreiöhrendes, weil
zum Übersehen des Unterschiedes verleitendes quidproquo."*)
Hiernach dürfen Bilder nur als Lückenbüsser angesehen, grund-
sätzlich also nur in Ermangelung der wirklichen Gegenstände und
Erscheinungen angewendet werden und zwar in dem vollen Bewusst-
sein, dass sie die lebendige Sache nicht voll ersetzen.
Die Schäden einer übertriebenen Veranschaulichung
durch Bilder statt durch Sachen liegen offen zutage. Zunächst
führt sie in vielen Fällen zur Veräusserlichung des TJnterrichts.
Wer auch nur einem kleinen Teile der von LehrniiLtelfabrikanten
für gewisse Stoffgebiete als unentbehrlich angepriesenen Bildwerken
Raum zu ihrer unterrichtlichen Betrachtung gewähren wollte, fände
kaum noch Zeit zu jener denkenden Vertiening, welche immerdar
die Hauptsache aller Lehrtätigkeit bleiben muss. Je komplizierter
') Th. Ziegler, Allgcm. Pidagogik. S. 34. Teaboer, Leipzig.
«) Nach Zi.r),'lcr a. a. O. S. 35.
») Tk. Zieglcr a. a. 0. S. 33.
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— 350 —
eine bildliche Darstellung ist, desto mehr liegt die Gefahr einer
gegenseitigen Verdunkelung der Kinzelempfindungen nahe, und
desto mehr Zeit ist nötig, um die „Anschauung" auf den jeweils
erforderlichen Klarheitsgrad zu erheben. Es liegt also auf der Hand,
dass es unmöglich ist, im Rahmen der kurz bemessenen einxebea
Unterrichtsstunden Bilder zum Zwecke der Veranschaulichung in
solcher Zahl zu verwerten, w^ie sie der Fülle des Angebots ent-
sprechen würde. Wo dennoch der Unterricht dies Unmögliche
versucht, ist er nicht viel mehr als ein „Bilderamsehen", welches,
indem es an der Schale haftet, statt in den Kern einzudringen, in
nutzlose Spielerei ausartet. Bei einer solchen Handhabung der
Veranschaulichung geht es dem Schüler ähnlich wie dem Mann im
Gleichnis, „der sein Angesicht im Spiegel beschaut und dahingeht,
um von Stund' an zu vergessen, wie er gestaltet war," und er hat
kaum einen grösseren Gewinn aJs das Kind, welches raschen Fluges
sein buntscheckiges Bilderbuch durchblättert, um bald wieder von
vom anzufangen.
Wenn bei der \ eranschaulichnng in kaum unirrbrorhener Rcüie
Bild um Bild auf den Schuler em wirkt, dann wird dem Zustande-
kommen klarer und bestimmter Anschauungen und Vorstellungen
geradezu der Weg verlegt. Wohl erzeugt auch eine zeitlich sehr
beschränkte Betrachtung eines Objekts eine Plmpfindung und Wahr-
nehmung. Da aber bei einer solchen oberflächlichen Inaugenschein-
nahme die äusseren Sinnesreize der erforderlichen Dauer und Stärke
(Intensität) ermangeln, so bleibt im besten Falle neben einem
flüchtigen und darum dunklen Gesamteindrucke im Bewusstsein das
Bild einzelner, vielleicht besonders sinnfälliger Merkmale zurück,
nicht aber das, was die „Anschauung" ihrem Wesen nach ist: „das
nach seinen einzelnen Merkmalen und in deren Gesamtheit von
der Seele aufgefasste Bild eines Gegenstandes."
Die betrübenden Begleiterschdnungen und Endergebnisse eines
solchen Verfahr^s bei der Veranschaulichung z^en sich bald oder
später in immer wachsendem Masse und zwar in der Unaufmerksamkeit
und Zerstreutheit einzelner Schüler und ganzer Klassen, in der
Unfähigkeit des denkenden Verweilens und Sichvertiefens nicht
allein bei der Betrachtung der weiterhin zur Veranschaulichung
dienenden Bildwerke, sondern im gesamten Unterricht
Doch damit nicht genug. Dir \^eranschaulichung muss, wenn
sie den Geist nachhaltig bereichern und das Gemüt wirksam
befruchten will, darauf bedacht sein, da^ dem Schüler Zeit und
Anlass geboten werde, zu den seinen Sinnen dargebotenen Objekten
in persönlichen inneren Connex zu treten. Hierzu ist aller-
dings möglichste Schärfe der Sinnesorgane zwecks genauer Auf-
fassung der äusseren Merkmale Vorbedingung. Sie genügt indes
für sich allein ebensowenig wie bloss die Tätigkeit des Verstandes,
wie sie sich auf der Grundlage der Anschauung im Vorgange der
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Begriffsbildung vollzieht. Zum Zwecke der Verinnerlichung,
die ja das letzte Ziel jeder Art von Veransrh:iuiirhung bilden muss,
ist vielmehr als conditio sine qua non noch eüi Drittes nötig. Das
ist das innere Sehen, die Belebung des Budes von innen heraus»
das eingangs erwihnte Aufnehmen und Gestalten des äusseren
Eondrucks unter teilnahmsvoller Mitwirkung der Persön-
lichkeit, die auch im Schüler schon vorhanden ist. Diese Ver-
innerlichung der Anschauungen, die, wie Chamberlain in seinen
„Grundlagen des 19. Jahrhunderts" sagt, „jeden notgedrungen zum
Dichter macht", ist aber nur denkbar, wenn in der VeranschauUchung
— namentlich durch Bilder — weises Masshalten geübt wird.
Hiermit Stessen wir auf eine weitere Gefahr der Überspannung
des Prinzips der bildlichen Veranschaulichung. Das ist die £in-
engung der Phantasie.
Von der Tatsache ausgehend, dass die i iiantasie wohl in An-
lehnung an die Elemente der Erinnerung und Wirklichkeit schafft»
im übrigen aber in durchaus freier Weise gestaltet, fordert die
Psychologie, das ihr ein möglichst weiter Spielraum zur Betätigung
gewährt werde und zwar besonders in Bezu^ auf solche StofT^cbiete,
deren Inhalt in das Gebiet der Künste, z. B. der Poesie, hinüberreicht.
Jedenfalls sollte man bildliche Darstellungen letzterer Art
niemials zum Ausgangspunkte der unterrichtlichen Behandlung
machen, Ich denke hier beispielsweise an die in allerjüngstcr Zeit
entstandenen Anschaungsbilder für die Betrachtung bekannter Ge-
dichte, wie z. B. die Bilder zu „Schäfers SonntagsÜed" von Molitor,
„Schloss Boncourt" von Bukacz, „Die Auswanderer" und „Ein süsser
Trost ist ihm geblieben" von Müller, „Das Schloss am Meer" und
„Lieblich war die Maiennacht" von Liebermann. Wenn man diese
in künstlerischer Beziehung vielleicht einwandfreien Darstellungen
so benutzt, dass sie die Grundlage der Darbietung und Besprechung
der betreffenden Gedichte bilden, so wird damit von vornherein
die freischaffende Tätigkeit der Phantasie unterbunden. Wo bleibt
ihr dann noch Raum zum freien Spiel ihrer Kräfte ^ „Alles ist ihr
nun vorgeschrieben, nichts d^irf sie sich selber machen, ausmalen,
gestalten, und so geht über dem äusseren Schauen das innere Auf-
bauen und künstlerische Bilden, über der Gebundenheit blosser
Reproduktion die Freiheit nachschaffender Produktion verloren.
Und noch mehr schwindet über diesem äusseren Sehen der Sinn
für den Inhalt und den inneren Wert, v.'ic es der auf das Ausserliche
gerichteten Tendenz unserer Zeit leider nur zu sehr entspricht und
ihr so von frühe an Vorschub leistet"*)
Dass unter einer solchen VeranschauUchung, bei der die freie
Abstraktion, Determination und Kombination der Vorstellungen und
Erinnerungsbilder von Anfang an bestimmt und eingeschränkt ist»
») PsoL Zieglcr a. a. O. S. 34.
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die Elastizität der Einbildungskraft auf die Dauer Schaden Iddct.
wird man nicht leutfnen wollen.
Snlltc für die Schüler der Cicwinn in Bezug aut Geist und
GcinuL luciit ein ungleich höherer sein, wenn üirer Phantasie die
Möglichkeit des eigenen, also individudlen Grestaltens gewahrt bleibt,
wenn jeder einzelne Schüler vor seinen Geistesaugen sich selbst ein
„Schloss Boncourt", ein „Schloss am Meer", die „Kapelle ' auf dem
Berge aufbauen, den Schäfer auf sonntäglicher Fhsr, dru \ om Maien-
mond umgiänztcn Friedhof am Bergesrande, den Hirtenknaben an
der Quelle nadi sdner Weise äcfa vorstellen darf, wenn er auf
inspiratoriscfaem Wege angeleitet wird, auf Grund skizzenhafter
Andeutungen ganze Landschaften, Szenen und Gemälde unter
Zuhilfenahme der eit^cnen Ideen im Geiste sich selbst zu entwerfen
und lebensvoll zu illustrieren i Man gewähre doch den Kindern diese
Schaffensfreude und furchte nicht, dass ihre Phantasie daM sidi
allzuweit von der Wirklichkeit entfernen und ins Ziellose sdiwofen
werde ! Schranken dürften in dieser Beziehung nur selten vonnöten
sein. — Was hier von Bildwerken literari'^chrn Inhalts gesagt ist,
gilt auch in Bezug auf viele heils- und protangeschichtUche Dar-
stellungen.
Es ist gewiss ein wohlgemeintes und anerkennenswertes Bestreben,
wenn versucht wird, dem Schüler die Lernarbeit so leicht und
angenehm als nur möglich m niachen. Eine Veranschaulichung
aber, die ihm jede geistige Kauarbeit ersparen will und zu diesem
Zwecke das Büd über Gebühr in den Vordergrund des Unterrichts
rückt, ist auf dem besten Wege, ihn der Oberflächlichkeit
und Denkfaulheit in den Arm zu treiben. Und nicht bloss der
Schüler leidet unter diesem Extrem, sondern auch Her Lehrer.
Wohl mag es für den letzteren bequem sein, Bilder an ciem leib-
lichen Auge des Schülers vorüberzufuhren, statt sie in seiner Seele
erstehen zu lassen, >->- und verlockend, das Bild an seiner Stdle
reden und sich von ihm gängeln zu lassen; aber ebenso wahr ist
es, dass er sich durch das fortgesetzte blosse „Rilderzeigen" in die
Gefahr begibt, an seiner Selbständigkeit einzubüssen und den Eintiuss
seiner Persönlichkeit auszuschalten. Wie leicht verleitet es den
Lehrer dazu, von einer sorgfältigen Vorbereitung auf die Unterridits*
stunden abzusehen 1 Das BUd wird ihm zur unentbehrlichen Krücke,
auf die er sich stützt Die Kunst des anschaulichen Beschreibens
kommt ihm abhanden, und an die Stelle ernster Uiiterrichtsarbeit
tritt gar leicht geschäftiger Müssiggang. Wandelt solch ein Ver-
anschaulichen nicht auf Abwegen?
Es mag hier mit Nachdruck betont werden, dass in den meisten
Fällen die Gefahr nicht in der Anwendung des Bildes an sich liegt,
sondern darin, dass sie durch den Umfang, die Auswahl und die
Art seiner Verwertunfr heraufbeschworen wird.
Wie gross die iNachtcile einer alizu umiassenden Ausnutzung
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des überreichen BÜderschatzes, den die Gegenwart zur unterrichtUchen
Verfügung stellt, sind, ist im Vorau^henden erörtert worden«
Dass aber auch in Bezug auf die Auswahl der Bilder Beblitsamkeit
am Platze ist. damit die Veran«;rhai!lirhun^ nicht auf Abwege gerät,
wird jeder Wissende wern zugesteiicn. Für die Schüler ist auch
hier nur das Beste gut genug. Man darf von den Büdcrn fordern,
dass ae sich mit Rücksicht auf die femsitzenden Schäler durdi
grosse, deutliche, sinnenfallige Darstellung auszeichnen. Sie dürfen
ebensowenig übertrieben einfach als überladen sein, sondern sie
müssen nach ihrer ganzen Ausführung das pädagogische, wissen-
schaftliche und künstlerische Interesse befriedigen. Hierzu ist nötig,
das sie nicht nur durch lebenswahre Komposition und durch licht-
echte, harmonisch abgestimmte Farben ästhetisch wirken, sondern
auch geeignet sind, die Phantasie der Schüler in richtige Bahnen
zu lenken und sie nötigenfalls zu korrigierren. Wie gross ist aber
unter den gebräuchhchen Bildern die Zahl derjenigen, weiche gegen
diese Forderungen Verstössen I
Die Frage, in welcher Welse Bilder dem Zwecke der
Veranschaulichung dienstbar gemacht werden sollen,
berührt das gesamte Empfindungs- und Vorstellungsleben des Kindes
und ist daher so umfassend, dass ihre Beantwortung hier bloss im
allgemeinen und zwar nur insoweit erfolgen kann, als erforderlich
erscheint, um vor Abwaren zu warnen.
Zunächst ist daran Kstzuhalten, dass es den Forderungen der
Psychologie durchaus widerspricht, wenn das zum Zwecke der
Veranschaulichung eingeführte Bild entweder bloss vorgezeigt oder
höchstens mit ein paar dunen Worten abgetan wird. Es gilt
vielmehr, das Anschauen planmässig zu üben, zweck-
entsprechend zu dirigieren und zu vertiefen.
Dass selbst Schüler mit ^^.nz normalen Sehortranen nicht sehen
oder bei gleicher Sehschärfe «jualitativ verschieden sehen, ist eine
durch die Untersuchungen und Feststellungen der experimentellen
Psychologie erhärtete Tatsache, die der Lehrer in der Unterrichts-
praxis jeden Tag zu beobachten Gelegenheit findet. Angesichts
dieser Erfahrung ist es Aufgabe der Veranschaulichung, die Schüler
zum bewussten, genauen Sehen zu führen und sie darin un-
ablässig zu üben.
Es handelt sich dabei von Anfang an um eine schrittweise
Schulung des Auges durch verweilendes, in die Einzelheiten ein-
dringendes Betrachten und Beobachten. Da es die Kraft des
Schülers übersteigt, mit einem einzigen Blicke das zur Veranschau-
fichung dienende Bild m seiner Totalität zu erfassen, erweist es sich
als nötig, bei dem unterrichtlichen Verfahren das alte Divide et
impera derart zu befolgen, dass man, von den wesentlichen Merk*
malen ausgehend, das „Schaufeld des Bewusstseins" in wohlerwogener
Reihenfolge auf alle bedeutsamen Momente lenkt Dabei kann, wie
FUiCOflMbe StndlMi. XXX. 6. 28
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— 354 —
Filz fordert, »jede Einzelheit des Bildes zum Ausgangspunkte einer
Gedankenrethe gemacht werden, wobei die Phantasie durch das
Ausmalen gedachter Situationen ihrem Rechte komTnt."*] In
vielen hallen, besonders bei Uruppenbildern, sind sodann die Be-
ziehungen zwischen den Einzelheiten und Teiisujets aufzudecken,
bis scnliesslicli das Verständnis der Gesamtdarstellung erzielt ist
Hierbei ist nachdrüctdidist darauf hinzuweisen, dass die Arbeit der
Veranschaulichung nur dann wirkliche Erfolge zeitigt, wenn die
Schüler angeleitet und angehalten werden, über das Angeschaute
sich auch versländig und vollständig auszusprechen.
Steht der Schule hinreichend Zeit zu Gebote, neben dem In-
stniktionsbilde auch das eigentliche künstlerische Gemälde,
das heutzutage auch in einfachen Schulen in einem oder mehreren
Exemplaren vorhanden ist, in den Kreis der unterrichtlichen Ver-
wertung zu ziehen, so erwachsen für die Veranschaulichung erhöhte
Aufgaben. Bei der Betrachtung solcher Bildwerke wertvollerer Art,
wie etwa Artur Kampfs „Volksopfer" und „Einsegnung der Frei*
wilUgen" oder Schräders , j^riedrich IL nach der Sdüacht bei Kolin",
darf auch das ästhetische Moment nicht ausser acht gelassen worden.
Profe-^sor Lichtwark*) hat dargetan, dass es möglich und ersprie<?slich
ist, auch bei Kindern schon das Interesse für künstlerischen Aufbau,
für die Darstellungsmanier und den Stimmungsgehalt eines Bildes.
Itir das Schöne und Charakteristische seiner Formen, (tir die Har-
monie und Kontrastwirkung der Farben wachzurufen. Ja man wird
mit Pilz') der Ansicht sein dürfen, dnss e«^ sich empfiehlt hei wert-
vollen Bildern und Gemälden die dargestellten (icl; anstände förmlich
memorieren zu lassen, um dem Gedächtnisse und dem V^orsteUungs-
schatce wertvolle Stucke einzuverleiben"
Durch stete Schulung gewinnen viele Schüler ein so ruhiges,
scharfes Auge, dass sie schiesslich aus eigener Kraft in das Ver-
ständnis eines Bilden einzudringen vermögen. Den Verfasser vor-
liegender Erörterungen machte einst eine 13jährige Schülerin nach
kurzer Betrachtung des „Abendmahls" von Leonardo da Vinci von
selbst darauf aufmerksam, wie der Maler die Jünger Jesu zu je drrien
gruppiert habe, wie sie in ihren Mienen und in ihrer gesamten Haltung
den tiefen F.indruck des eben gefallenen Wortes : „Einer unter euch
wird mich verraten !" zum Ausdruck brächten und wie der Abend-
himmcl als Hintergrund zu dem Gemälde ,,so trefflich passe".
Damit erreicht die unterrichtUche Veranschaulichung den Höhe-
punkt ihrer Aufgabe; denn dadurch, dass sie es dahin zu bringen
sucht, dass die Schüler aus freiem Antriebe und eigenem Vermögen
sich in ein schönes ffild vertiefen, seinen Inhalt in sich aufzunehmen
') E. i'ik, Bodcahländigc Pädagogik, S. 1 37. Leipzig, Hahn.
*) Lichtwark, Übungen in der BettkchtUDg TOS KnMtwerkeii.
•) E. Pik «.a.O. S, 137.
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versuchen, wird sie zu einem wirksamen Faktor der Kunsteraiehung,
die ja auch in der einfachsten Schule eine bescheidene Pflegestätte
finden kann und soll. Dieser Dienst der Sc huir ist um so not-
wendiger, als gerade in unsem Tagen infolge der in hohem Grade
entwickelten Herstellungs- und Vervielfältigungstechnik das Bild
als Wand> und Budischmuck eine unbegrenzte Verbrdtung ge-
wonnen hat
Der Reisende, welcher zum erstenmal eine ihm bis dahin fremde
Gegend durchstreift, nimmt in der Regel nur einen oberflächlichen
Eindruck von ihr auf. Erst nach und nach vertieft sich bei wieder-
holtem Besuche der erste Andruck. Die einzehien Szenerien der
Landschaft prägen sich seinem Geiste fester ein, und auf dem Weee
dieser wiederholten Anschauung gewinnt er ein detailiertes, afle
charakteristischen Züge umfassendes, bleibendes Bild. In einor ganz
ähnlichen Lage befinden sich viele Schüler dem Anschauungs bilde
gegenüber. Mag man auch bei der erstmaligen Vorführung eines
Bildes die weiter oben gegebenen Winke nach Kräften berück-
nchtigen, so ist doch bei vielen Schülern ein allmähliches Abblassen
der erzielten Vorstellungen zu befürchten. Um dies zu verhüten,
müssen die .Schüler möglichst in dauernden Umgang mit dem
Bilde gebracht werden. Nur so ist ein wirkliclies Vertrautwerden
mit seinem Inhalte denkbar. Als das beste Mittel, einmal erworbene
Anschauungen und Vorstellungen in ungeschwächter Weise zu
erhalten, gilt von jeher die mater studiorum, die Wiederholung.
Eine Veranschaulichung, welche ohne diese Hilfe au?knm!iTen
will, wandelt auf .\bwegen; denn nur eine wiederholte Vorführung
der Anschauungsobjekte fuhrt zu einer grfindlichen Auffassung, zu
eiruM wirklichen Assin il ition. Die Repetition des unter Zu-
hilfenahme der bildlichen Veranschaulichung durch-
gearbeiteten Lehrstoft'es sollte in der Regel unter erneuter Benutzung
der betreffenden Büder erfolgen, sofern sie sich nicht bloss in über-
sichtlicher Form vollzieht Sehr oh wird es angängig sein, die
Wiederholung an früher behandelte Bilder anzuschliessen, so
dass diesen die führende Rolle zugewiesen wird. Auf diese Weise
wird eine gründliche Ausnutzung des I.ehrmittelschatzes einer Schule
erzielt Die vorhandene Sammlung wird dann gewissermassen zum
Museum, jederzeit bereit, der Unterrichtsarbeit wertvoUe Hilfen zu
bieten, und es tritt dann nicht der leider so häufig zu beobachtende,
beklagenswerte Fall ein, dass kostbare Anschauungsmittel wie ver*
grabene Pfunde zinslos im Schulschranke lagern und dort veralten.
Wie nutzbringend wäre es, wenn jede Schule sozusagen über
eine allen Schülern frei und leicht zugängliche permanente
Ausstellung ihrer Bilder und sonstigen Lehrmittel ver*
fugte! Innerhalb bescheidener Grenzen gewinnt dieser Gedanke
praktische Gestalt, wenn unter Benutzung von Wechselrahmen und
einfachen Gestellen ständig ein Teil der verfügbaren Bilder in einem
23*
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besonderen Zimmer, auf dem Flur oder in sonstigen Räumen zur
Steten Besichtigung offen aushangt In der vom Verfasser eeleitetoi
Mittelschule ^tid solche GesteUe seit längerer Zeit in Gebrauch.
Sie h^stf^hcn aus 2*/^ m hohen, senkrechten Stäben, die durch
mehrere etwa 25 cm weit voneinander entfernte Ouerleisten von
2 bis 3 m Länge verbunden sind, an welchen die Bilder mittels
Reissawecken befestigt werden. Die Schüler benutzen diese Ge-
legenheit zum be(|uemen, genauen Betrachten erfahrunrrsgemäss sehr
gern und mit sichtlichem Erfolge. Dass diese Art der kontinuier-
lichen Veranschaulichung planmässig, d. h. unter beständiger Rück-
sichtnahme auf den stoffUchen Fortschritt des Unterrichts, sowie
unter steter Kontrolle und unt» angemessener, regelmässiger Er-
neuerung der Aushänge erfolgen muss, liegt auf der Hand. Ein
Durcheinander in den Aushängen ist natürlich vom Übel. Am
zweckmässigsten erweisen sich Grruppen oder Serien, die sich eng
an Lehreinheiten anschlicssen. — "
In die Reihe derjenigen bildlichen DarsteUungen, welche zu
unterrichtUchen Zwecken Verwendung finden, gehören seit einigen
Jahren auch die sogenannten Ansichtskarten. Es nimmt nicht
wunder, wenn man in Ermangelung grösserer Bilder diese Dar-
stellungen en miniature, welche zu einem geringen Preise erhältlich
sind, vielerorts als Lehrmittel würdigt. Schon im Jahre 1900 forderte
Stübler^) geradezu ihre Verwendung im Dienste des erdkundlichen
Unterrichts, und auch auf dem 15. deutschen Geographentage wurde
dieser Gedanke durch Dr. Schwarz aufs cifric:ste verforhtcn. Leipzig
besitzt seit 1907 eine Zentralstelle guter Ansichtskarten aller Art
für Unterrichtsiwecke", deren Bestrebungen u. a. auch Tischendorf,
Harms und Schmeil ihre Zustimmung bekundet haben. Und war
es anfangs nur die Ansichtskarte geographischen Inhalts, welche
unterrirhtliche VefAcndung fand, so sind inzwischen bekanntlich
auch Kalten mit naturkundlichen, weltgeschichtlichen, knnst- und
literarhistorischen Darbietungen da und dort in Umlauf und Benutzung.
So gewagt und rückständig es nun einerseits wäre, einer gnind*
sätzlichen Ausschaltung der Ansichtskarte aus der Reihe der Schul«
lehrmittel das Wort zu reden, so notwendig erweist es sich andrer-
seits aber auch, gegen ein Ubermass in ihrer unterrichtlichen
Verwertung Einspruch zu erheben. AUe unterrichtlichen Massnahmen,
vor allem auch diejenigen der Veranschaulichung, sind so zu gestalten,
dass in weitestem Umfange auf die Verhältnisse und Bedürfnisse
des Klassenunterrichts Rücksicht genommen wird. Der Massen-
unterricht stellt aber in Bezug auf die vorzuführenden Objekte die
Forderung, dass sie möglichst gross und deutlich und jede Be-
einträchtigung der Aufmerksamkeit fernzuhalten geeignet sden*
Das übliche Verfahren bei der Verwertung der Ansichtskarten zo
1) Zötsclirift fttr Sduügeognphie 1900, S. 357.
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— 357 —
Lehrzwecken widerspricht aber diesem selbstverständlichen Ver*
langen. Die Kleinheit der Darstellung auf der Ansichtskarte zwingt
dazu, den Kinssenunterricht nnhe;ai in Einzelunterricht aufzulösen:
sodann mindert sie die Klarheit der Auffassung und verhindert das
unterrichtliche Eingehen auf die Einzelheiten und Teile. Das bank-
weise Vorzeigen der Ansichtskarte oder das Weiterreichen von
Schüler zu Sdlüler innerhalb der Stunde erfordert nicht allein vid
Zeit und strenji^te Kontrolle, sondern erschwert auch in hohem
Masse die Disziplin namentlich bei starkbesetzten Klassen. Und
dieses unruhige Momemt, welches die Verwendung der Ansichts-
karte als Lehrmittel in den Verlauf der Unterrichtsstunden hinein-
trl^t, macht in Verbindung mit den übrigen störenden Begleit-
erscheinungen den erhofften unterrichtlichen Gewinn in der Regel
zur Illusion.
Nun mag man vielleicht einwenden, dass es möglich sei, jede
zu verwertende Ansichtskarte in so vielen Exemplaren zu beschaffen
und zu verteilen, dass jeder einzelne Schüler sie in den Händen
habe. Würde nicht aber der zur praktischen Ausführung dieses
Gedankens erforderliche Betrag hinreichen, grosse, die Erreichung
des beabsichtigten Zweckes besser gewährleistende Bilder zu be-
schaffen r Diese Frage wird kaum zu verneinen sein.
Hiemach wird der AnsichtskartCp so vollkommen sie auch
immer gestaltet sein mag, in der Reihe der Lehrmittel immer eine
untergeordnete Rolle zuzuweisen sein, Sie wird da ':nd dort als
Nothelfer diLnen können, z. B. in der Kunde der engeren und
weiteren Heimat, i ur den letzteren Zweck dar lic sie ohne erhebliche
Kosten uberall in ausreichender Zahl zu haboi und namentlich
dann am Platze sein, wenn grosse Bilder nicht zur Verfugung
stehen. Es dürfte sich als erspricsslich erweisen, die Schüler
anzuhalten, gute Ansichtskarten und ähnliche Darstellungen {?.. H, die
bekannten Photocols und Licbigbilder) zu sammeln, und sie anzu-
leiten, ihren Inhalt aus freiem lotercsseselbsttätig zu verarbeiten.
Eine so gehandhabte Benutzung der Ansichtskarte dürfte keinen
Einwendungen begegnen. — Mit derselben Vor- und Umsicht wie
die Ansichtskarten werden auch Stereoskopische Abbildungen unter-
richtlich zu behandeln sein.
Unter den Mitteln zur bildlichen Veranschaulichung bedürfen
audi die Projektionsapparate, welche die moderne Techmk
zu Lehrzwecken darbietet, einer sorgfaltigen Prüfung in Bezug auf
ihren unterrichtlichen Wert. Sie kritiklos mit dem übervollen Masse
des Entgegenkommens hinzunehmen, welches einer ausserordentlich
geschäftigen Reklame stets erwünscht ist, wäre eine bedenkliche Über-
eilung; denn gerade auf dem Grebiete des Lehrmittelwesens
hat sich bisher vieles als Blendwerk oder doch als zwar amüsante,
aber völlig ertraglose Spielerei erwiesen. Wie manches mit hohen
Kosten beschatte Lehrmittel ruht wenig benutzt oder gar verstaubt
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im Dunkel der Vei]p:esseiiheit» weil seine unterriclitliche Verwendung
kompliziert, disziplinstörend oder -erschwerend und durchaus nicht
von der erhofTten Wirkung war! Auch besteht im Sinne des ahen
Spruches: ,,Kincs schickt sich nicht für alle" unzweifelhaft die
Möglichkeit, dass nicht jedes an sich einwandfreie Leiu-mittel
unbedingt auch in jede Schule, gleichviel wie sie geartet sei,
hinein passt
Als die höchste Poten:- der bildlichen Veran<^rhriulichung ^?^ird
zur Zeit vielerseits der ivinematograph in seinen verschiedenen
Konstruktionen angesprochen, und wer den ihm geweihten Lob-
Uedem mancher Zdtschriften^) ohne Bedenken Gehör schenken will,
muss in ihm unbedingt das Non plus ultra aller Lehrmittel oder
den Nürnberger Trichter in seiner zuverlässigsten Gestalt er? licken.
Und doch fordert gerade diese modernste aller Unterrichtshilfen jene
kühle Erwägung heraus, weiche neuen Lehrmitteln gegenüber so oft
am Platze ist Zwar kann von einer strikten Ablelmung des Kine>
matographen als Vetansdiaulichung nicht die Rede sein, das hiesse
das Kind mit dem Bade ausschütten : die Frage aber, ob er in dem
Stadium seiner tfefrenwärti^.^en Entwickelung unbegrenztes G^st-
recht in der Schule beanspruchen darf, ist aus den nachfolgenden
Gründen zu verneinen.
In erster Linie sprechen ernste Bedenken hygienischer
Natur gegen seine uneingeschränkte Verwendung zu Lehr-
zwecken Die photograpbisrhcn Momentaufnahmen, welche mittels
des kincmatographischcn Af iiaiats in raschester Aufeinanderfolge
(20 Films innerhalb einer Minute) auf den von konzentriertem Licht
grell bestrahlten Schirm projiziert werden, präsentieren sich bd
ihrer Vorführung bekanntlich in einem unaufhoriich tanzenden
Flimmern und Blitzen, welches auch bei Apparaten bester Kon-
struktion sich nicht hat beseitigen lassen. Die Netzhaut des im
verdunkelten Räume der hellen Leinwandfläche zugekehrten Auges
ist gezwungen, in kürzester Frist unzahlig viele in Bezug auf Städte
und Bewegung verschiedene Erschütterungen hinzunehmen. Nun
vermag ja wohl das gesunde Auge eine einmalige oder in langen
Zeitintervallen sich wiederholende Einwirkung dieser dnrrh die
Projektion noch vergrösserten Zitterbewegung ohne merkhchen
Schaden zu ertragen j aber es steht ausser allem Zweifel, dass eine
unterrichtliche Verwendung des Kinematographen in dem weiten
Umfange, welcher neuerdings von verschiedenen Seiten gefordert
wird, die Sehkraft der Schüler unbedingt schädigen muss, und
nicht bloss das! Wenn sich auch die Schule davon fernhalten
wird, den Schüicrn Stücke aufregenden Inhalts vorzuführen, so wird
doch sdion durch die Art der Darbietung nicht allein das Auge^
sondern der gesamte Nervenapparat nachteilig beetnflusst werden.
') I. B. „Schale «od Techmk". Berlia, Verlag fOr Fachliteratur.
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Die hetzende Gresdiwindigkeit, welche jeder kinematographischen
Demonstration wesenseigen ist, kann In keinem Falle förderlich auf
das Kind wirken. Die nervöse Hast, welche bedauerlicherweise
einem grossen Teile unserer Schuljugend ohnehin sciion aaiiaitet,
wird durch eine umiassende Benutzung des Idnematographischen
Apparats im Unterricht sicher nicht eine Verminderung erfahren.
Man wird daher dem Berliner Schularzte Dr. Paul Schenk bei-
tlichten müssen, der vom hygienischen Standpunkte aus seine
tellungnahme zum Kinematographen so präzisiert : ,J^iekinemato-
graphischen Vorführungen sind geeignet, durch die
sinnverwirrende, die Leistungsfähigkeit der Augen
überlastende Schnelligkeit, mit der die einzelnen
Kindrücke aufeinanderfolgen, die Gesuadheit, nament-
lich die der Kinder, zu s c h äd i |^en."
Auch von dem rein pädagogischen Standpunkte aus
maci:en sich Bedenken gegen ein Ubennass kinematographischer
Vorfiihrui^[en geltend.
Zunächst darf die Behauptung, dass der Kinematograph die
Anschauung der Wirklichkeit durchaus ersetze, nicht unwider-
sprochen bleiben. Was er bietet, sind Bilder, — nichts mehr.
So gross die durch ihn erzeugte Illusion auch immer sein mag,
ein voUer £raatz fiir das wirimche Leben, iur die Dinge und Er-
scheinungen an sich ist sie nicht Wenn auch bei den ersten
Vorführungen das durch den Reiz der Neuheit gefesselte Auge des
Schülers über die Diskontinuität des bildlichen Geschehns, wie sie
auch beim rapidesten Abrollen der Films in die Erscheinung tritt,
sich liinwegtäuschen lässt, so kann es doch nicht ausbleiben, dass
es beim wiederholten und regeknässigen «Gebrauche des Apparats
das durch unaufhörliches Aufblitzen markierte Zerreissen des Vor-
gangs in lauter kleine Abschnitte allmählich deutlich bemerkt \md
bewusst empfindet, V^on dem ungestörten, verweilenden Hclrachlen,
welches wir weiter oben als die uneriäösiiche Basis jeder bildlichen
Veranschaulichung bexeiduiet haben, kann dann wohl kaum die
Rede sein. Wie sollten dauerhafte Wahrnehmungen entstehen, wenn
eine Fülle von Bildrhen im Automobiltempo auf das Auf^e eindringtl
Was in Wirklichkeit sich im Laufe mehrerer Stunden abspielt,
drängt der Kinematograph in den engen Raum weniger Minuten
zusammen. Je scharfer der zuschauende Schüler das Unnatürliche
dieses überhastenden Geschehens empfindet, desto geringer muss
die anschauliche Wirkung sein.
Wohl mag es bequem und verlockend erscheinen, dem Schüler
mit Hilfe des Kinematographen auf der Leinwand „die ans Ufer
^) Hierzu und zum folgcoden ▼ergleiche man den Aa&alt: „Der Kinematograpll
Tom hygienischen Standpuoirte*' TOD Df. Schenk („Sdivlpflege** 1907 Nr. 30, Verhf
von R. Süicker-Bcrlin W.).
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— 3^ —
schlagenden Wellen des heimatlichen Sees, das vom leichten Winde
gekräuselte Wasser, die träge einherschleichendc Zille, das vorüber-
Schicssende Klubboot', u. a, vorzufiüiren, sie zwischen den Wänden
des Schulzimmers „üie Konstruktion des Automobils, die Arbeit
des Krahns» das Grtioiebe einer Dampfinaschine" u. dergl. sdiauen
zu lassen. Ist es aber nicht natürlicher und erfolgversprechender,
sie die Schönheit der Heimat, das Leben im Walde usw. durch
wirkliche Anschauung auf Beobachtungsg^ängfen, die Wirkungsweise
physikalischer Apparate an diesen selbst oder an guten Modellen
erkennen zu lehren?
Wirklich naturgemasKT Unterricht im eigensten Sinne des
Worts wird immer in der Natur selbst seine sicherste Grund-
lage und kräftigste Stütze finden und das Bild, gleichviel in welcher
Gestalt, nur dort, wo die Wirklichkeit nicht selbst ohne weiteres
zugänglich ist, als berechtigten Ersatz benützen dürfen. Mehr ab
ein solcher Ersatz können auch Idnematographische Voduhrui^en
billigerweise nicht gelten. Und in diesem Sinne halten wir eine
sparsame, sorgfältig erwogene Verwendung des Kinematographen
für erlaubt und erspriesslich. Was darüber ist, das ist vom Übel , ist
eine Veranschaulichung auf Abwegen. Und damit sei die pomp-
haft tönende Behauptung: „Die Einfälurung des Kinematographen
in die Schule ist eine Kulturtat ersten Ranges, die dem Pädagogen
seine Arbeit in ungeahnter Weise erleichtert''^) auf ihren irahren
Wert zurückgeführt.
Günstiger als der Kinematograph ist das Skioptikon als
Lehrmittel zu beurteilen. Die Einwendungen, welche vom ärztlichen
Standpunkte aus gegen die unterrichtliche Verwendung dieses
Projektionsapparates erhoben werden könnten, beschränken sich
auf ein geringes Mass, während seine Benutzung eine ausserordentlich
vielseit^e Veranschaulichung und die Mögliciikeit des verweilenden
Betrachtens in weitestem Umfange gewährleistet
In Bezug auf die Diapositive, welche för das Skioptikon ver-
wendet werden, ist zu wünschen, dass man sich auf gute p h o t o •
graphische Bilder, die ja auch schon wegen ihres weit niedrigeren
Preises den kolorierten vorzuziehen sein werden, beschranken möge.
„Wohl haben diejenigen recht, welche behaupten, dass Farbe Lelwn
bedeutet, aber nur dann, wenn die Farben naturwahr sind.
Dies ist aber bei den wenigsten im Handel befindlichen farbigen
Diapositiven der Fall und kann auch nicht der Fall sein, so lange
es sich um Handkolorierung handelt- Nur ein Künstler ist imstande,
in dieser Miniaturmalerei Brauchbares zu leisten. Ein Handwerker
wird durch waachblaufarbigen Himmel, grünspanfarbige Bäume und
Uditblaue Was»nrfölle vielleicht das Entzücken unserer lieben Jugend
>) Felix Wolff, Der Kinenwtocimpli als LdmaiUel („Schule nud Technik" i. Jahr-
gang No. 2, S. 44).
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— 301 —
hervorrufen; der Lehrer aber wird auf derartige „kostbare Kunst*
erzeugnisse" gern verzichten. Etwas anderes ist es» wenn es sich um
Märchenbilder handelt. Diese sind ja für die kleinsten Leute
bestimmt, da muss Farbe her, da darf sie auch ein bisschen grell
sein, da darf aber auch kein zu strenger künstlerischer Massstab
angelegt werden."*)
Es wird daher nichts dagegen einzuwen<ten sein, wenn überaiD
da, wo ein eigens hergerichteter, womöglich mit elektrischem Kon-
takt und Verdunkelungsvorrichtung versehener Raum fiir Lehrzwecke
zur Verfügung steht, das Skioptikon seinen Einzug hält und inner-
halb wohlerwogener Grenzen in sparsamer Weise zu Zwecken einer
vernünftigen Veranschaulichung benutzt wird. Die Höhe der An«
schaffungskosten verschwindet gegenüber der ergiebigen, in allen
Unterrichtsfächern möglichen Verwendung dieses IVoirktionsapparats.
Niemals wird aber ausser acht gelassen werden dürfen, dass eine
missbräuchliche , über ein gesundes Mass hinausschiessende In-
anspruchnahme seiner Dienste zu Unterrichtszwecken auf Abwege
fuhren würde. Solch einen Abweg beschreitet Scheel,^) welcher
den Lichtbilderapparat nicht nur als gelegentliche Unterrichtshilfe
benutzen will, sondern für einen besonderen Lichtbüderunterricht
eintritt.
Sogar das Grammophon, dieser moderne, nicht bloss im
öffentlichen Leben, sondern auch in vielen Privathäusem sein lästiges
Wesen treibende Plagegeist, steht bereits Sniass begehrend vor den
Türen unserer Schulzimmcr. Ein bayrischer Landtagsabgeordneter
hat kürzlich im Parlament allen Ernstes empfohlen, die Sprech-
maschine auch unterrichtlichen Zwecken nutzbar zu machen, und
eine reichshauptstadtische Verlagsfinna hat sogar unter den Mitteln
zur Aneignung fremder Sprachen das Selbststudium mittels An-
wendung des Grammophons als das bequemste und beste be-
zeichnet.*) Wie alles Neue hat natürlich auch diese Idee schon be-
geisterte Verehrer gefunden, von denen einer schreibt: „Wem fem
von der Stadt kein geeigneter Sprachlehrer zur Verfügung steht,
der braucht jetzt nur eine Grammatik und ein Grammophon, so hat
er den Lehrer im Hause, der ihm auf unbegrenzte Zeit erhalten
bleibt."^) Auf das Irrige, Utopische und Extreme einer solchen An-
sicht näher einzugehen, erübrigt sich. Wohl ist der Fall denkbar,
dass auch die Sprechmaschine unter Umständen einmal, eine ver-
*) Hans Kellermann, Die Zukunft des Skioptikons in der Schule („Periodische
Blätter für Kealienunterricht und Lebrmittdwesen'* 1907, Heft I. Wien atid Leipag,
Akademischer Verlag).
«) Dr. W. Scheel, D.IS Lichtbild. Lciprig, Quelle & Meyer.
*} So sind u B. die Retsegeq>riche zu dea Laogcnschcidtschcn Sprachführern auf
GflUiittophonplatten Mnflidi zn bsben. Welda wrlodteade Penpektive: Spreche
BWChine mit Zubehör im Rcisekoffer I
*) „Schule und Technik" 1908 Nr. 4.
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— 302 —
vottkommoete Konstruktion vorausgesetzt, dem Unterricht einco
schätzenswerten Dienst zu leisten vermag; ihr aber sdion heute
einen bevor^ug^ten Plnt? unter den Lehrmitteln zuzubilligen, dürfte
doch sehr verfrüht sein. Maschinenhafter Unterhchtsbetrieb erstickt
die Persönlichkeit. —
In welcher Gestalt und Darbietung das BUd auch immer als
Vcranschaulichun^s mittel Verwendung finden mag, wird es doch in
der Mehrzahl der Fälle als blosser Ersatz der lebensvollen Wirkürh
keit auch bei vorzüglichster Ausführung nur selten ebenso
kräftig und nachhaltig wirken wie diese. Darum muss die
Schule Überall da, wo die Dinge und Erscheinungen in natura er-
reichbar sind, unter Verzichtleistung auf ihre iMldlidie Dacstdlung
die Objekte selbst Ausg-angspunkt, Grundlage und Fördcrungs-
mittel des unterrichtlichen V'eranschaulichcns sein lassen. „Diese
wirklich unmittelbare Anschauung bringt lebendige Vorstellungen
in die Seele, nährt und beschäftigt diese mehr als zdm der schönsten
BUder/«')
Wie oft sündigt aber die Schule gegen diese Forderung? £i
gibt kaum ein Unterrichtsfach, das nicht in irgend einer Weise un-
erlaubten Bilderkulius treibt. Am augenfälligsten tritt er allenthalben
im naturkundlichen Unterrichte zutage. Man will noch immer
die lebensfrische Natur an Bildern kennen lehren. Der oft
ausgesprochenen und von den Meistern mit Nachdruck erhobenen
Forderung des „Unterrichts im Freien" wird meist auch dort, wo
ihre Erfüllung ohne Mühe möglich wäre, nicht praktische Folge ge-
geben. Wo sind die Lehrer, welche mit ihren Schülern die Natur
selbst: das Leben im Walde im Laufe der Jahreszeiten, die Pflanzen
der Wiese und des Gartens, das Vieh auf der Weide, die Fruchte
des Feldes, den gestirnten Himmel, physikalische Vorgange im Luft*
meer u. dgl. anders als im Bilde, an der Zeichnung oder am .Apparat
betrachten * Warum schliesst man beispielsweise die unterrirhtlichc
Beschreibung des Hundes, der Katze, des Huhnes und anderer Haus-
tiere, der heimischen Kulturgewächse und anderer Pflanzen fast aus-
nahmslos an Abbildungen an, wo diese Objekte sich selbst uogesudit
zur unterrichtlichen Demonstr:ition darbieten' Verleitung zum Vor-
witz, zur Tierquälerei, zum Frevel in I lur und Wald oder noch
Schlimmeres sind bei einer so gearteten Veranschaulichung ganz
gewiss nidit zu befürchten; wohl aber wird diese Veraoschautichuiig,
zweckmässige Handhabung vorausgesetzt, dazu bettragen, dass bei
den Schülern ein erhöhtes Interesse für die wirkfichoi Dinge und
Lebensvorgänge in der Natur Boden gewinnt.
Nun meint man ja wohl, dass „Bcobachtungsaufgaben" das von
uns als unerlässlich bezeichnete Verfahren vollauf zu ersetzen im-
') ^^>i;ß'' Martiu. Grundlagen tat iMtoigeniSaien Unigectdtiiiig det Volk*>
schulwcscos, S. 1S9. — Leipzig, Kahle.
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Stande seien. Wer es aber erfahren hat, auf was fUr unselbständige
Weise sehr oft die jeweils erforderten „Ergebnisse" gewonnen werden,
der wird den wahren Wert eines solchen, mehr oder minder den
Schülern anheimgegebenen Naturstudiunis zu würdigen wissen.
Eine Naturbetrachtung in dem Sinne, wie wir sie fordern, darf
nicht auf halbem Wege stehen bleiben, sich auch nicht mit der Er-
zeugung von Teilvorstellungen begnügen* Ist es nicht eine ganz
armselige Art der Veranschaulichung, wenn man sich z. B bei der
Betrachtung des Apfelbaums, der Kastanie, der Linde oder der ixiefcr
darauf beschränkt, lui dumplen Zimmer vor einer ganzen Klasse
mit einem Zweiglein, mit einigen Blattern, Blüten oder Früchten zu
operieren, anstatt „unter Eichen und Buchen zu lehren", was schon
Comenius forderte? Wieviel kräftiger muss die Wirkung auf die
Schüler sein, wenn der Lehrer sie so oft als möglich hinausführt in
den Garten der Natur, wenn er lehrend sie wiederholt unter die
Bäume stellt, deren Lebensvorgän^e und Bedeutung sie verstehen
lernen sollen, das erstemal, wenn ihre Knospen schwellen, sodann,
wenn ihre Blätter und Blüten sich entfaltet haben und von Insekten
uin-^nrnrnt, von Vögeln umflattert werden, uttd schliesslich noch ein-
mal, wenn ihre Aste sich unter der Last der Früchte beugen 1
Inbezug auf die Entwicklung kleiner Pflanzen und Tiere, wie
etwa der Erbse und des Maiglöckchens, des Frosches und des
Schmetterlings, kann die kontinuierliche Beobachtung im Schulzimmer
erfolgen. Gewisse Objekte stehen fast jederzeit und überall zur
unterrichtlichen Verfügung und machen Abbildungen dav^on ganz
entbehrlich, so z. B. charakteristische Gebisse geschlachteter Tiere
^ind, Schwein, Hase), Fussarten der Vögel (Gans, Ente, Huhn,
Taube). Wertvolle Hilfe leisten auch gut ausgestopfte Here, Spiritus*
und Trockenpräparatc. Da aber derartige Sammlungen nicht den
Zweck haben, die Beobachtung im Freien 7u ersetzen, sondert) zu
ergämzen, braucht in ilincn nur das vornanden zu sein, was in der
Natur sich nur schwer oder nur in unzureichender Weise beobachten
lässt. M^ie Natur bleibt mit ihrem allzeit Zuganglichen immer die
vollkommenste Sammlung der Srhide."
Die im naturkundlichen LiUerricht am wirklichen Objekt ge-
wonnene Anschauung ist das natürlichste und tragfahigste Fundament
für einen g<dst- und gemütbfldenden Ausbau des findlichen Vor-
stellungskreises, während jede anders geartete Veransdiaulichung
leicht auf Abwege gerät und darum zu Scheinerfolgen fuhrt. Von
diesen Erwägungen lassen sich u. a. auch die für die preussischen
Volksschulen geltenden neuen ministeriellen Anweisungen vom
Jahre 1908 leiten, welche für den gesamten naturkundlichen Unter-
ficht die Beobachtung der Gegenstände selbst zur Pflicht machen
and Zeichnungen und Bilder nur dort zulassen, wo sie unumgänglich
notwendig sind.
Es liegt im Raiunen unserer Untersuchungen, einer Verirrung
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zu gedenken, welcher der naturkundliche Unterricht sich hier und
da schuldig macht. Gemeint ist jenes Verfahren, welches in dem
wohlgemeinten Bestreben, alles bis ins Kleinste veranschauhchen zu
wollen, es zuiässt, dass Schüler Mengen knospender und blühender
Zweige von Bäumen und Sträuchem und ganze Strausse von Wiesen-
und anderen Blumen zur Naturgeschichtsstunde mitbringen. Wie
oft werden sie hier angeblich zu bildenden Zwecken zerpflückt, «ie
oft in den Händen der Schüler zum Spielzeug I Ganze Körbe ver-
welkter und zerfetzter Pflanzen wandern bisweilen nach beendetem
Unterricht auf den Kehrichthaufen.
Von dieser zweckwidrigen Handhabung der VeransdiauUdiung
ist nur ein kleiner Schritt zu solchen naturgeschichtlichen Versuchen,
welche an die Rohcitrn der Vivisektion erinnern Frnst Linde*)
weist in seiner „Personlichkeits-Pädago^ik" nut c;n derartiges Ex-
periment hin. Da soll — er zitiert aus cnieni nieiiriach aufgelegten
Präparationswerke — eine (allerdings vorher getötete) Taube vor den
Augen der Schüler zerschnitten werden, um den Schülern die Luft-
säcke im Innern des Vogclleibrs zu /eigen. Man wird zugeben, dass
bei einer solchen Veranschaulichung der erzielte spärliche Gewinn
gegenüber der groben Verletzung zarter Elmphndungen vollständig
verschwindet; denn es wird damit, wie Linde treffend bemerkt, „das
Gremfitsleben der Kinder, ihre herzliche Pietät gegen die Geschöpfe
seziert." Das Zergliedern eines Tier- oder Pflanzesleibes bis in die
feinsten Orj^anr muss Sache der wissenschaftlichen Forschung bleiben;
in der Volksschule ist sie in dieser Tiefe nicht am Platze. Die
Schule ist keine Universität Sie besitzt einfachere Mittel zur Ver-
deutlichung biologischer Vorgange. Wo die VeranscfaauUchuog
kleinster organischer Teile geboten erscheint, mag man doch lieber
Handskizzen oder geeignete zootomische, biologische bezw. morpho-
logische Abbildungen, etwa die von Schröder-Kull oder die von Junt;-
Koch-Quentell oder die Pflanzentafeln von Pilling-Müllcr, zu Hilfe
ziehen. Hier sind Bilder am Platse! Und wenn im botanischen
Unterricht das Mitbringen kleiner Pflanzen unerlässlich ist. dann sollte
der Lehrer darauf halten, (1as<:, sofern es sich nicht gerade um
Unkräuter handelt, die Schuler beim pjnholen dieser l'flanzen zur
naturgeschichtlichen Lektion bezw. nach erfolgter unterrichtHcher
Behandlung möglichst nach dem Goethe'schen Worte verehren: „Idi
grub's mit allen den Würzlein aus, zum Garten trug ich's am
hübschen Haus ; ich pflanzt es wieder am stiUen Ort; nun zweigt es
immer und blüht so fort."
Wie in der Naturkunde, so gebührt auch im Geschichts-
unterricht überall da, wo geeignete Objekte zur Verfügung stehen
oder leicht zu beschaffen sind, der unmittelbaren Ansdiauui^ der
Vorrang. Oft bieten sich solche Objekte am Heimatorte selbst oder
>) Emst Linde, Persönlichkeits- Pädagogik S. 189. Lcipsig, BraodsteUer.
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in seiner Umgebung in Menge dar, z. B. allerhand Bauwerke (Kirchen
und K^ellen, Kltiiter, Burgen und ScMSsser, Festungswerke, alt-
ehrwürdige Stadtmauern» Turme, Tore und Ruinen der versdüedensten
Art), alte Gräben, Brunnen und Wälle, historische und kunstgeschicht-
liche Denkmäler, Gedenksteine und -tafeln, Friedenseichen, Wappen
und andere Wahrzeichen, Galgenberge, sogenannte Schwedenschanzen
und Franzosengräber, Urnen, ferner einzelne Waffen sowie ganze
Rüstungen, Dokumente, örtliche Sagen, Sitten und Gebräuche. Diese
Objekte ganz übergehen, sie wenig ausnutzen oder durch ffilder er-
setzen 7.U wollen, wäre zweifellos eine Veranschaulichung auf IJm-
und Abwe^^cn. Stellon sie doch d^*; naheliegendste und natürlichste
Ausgangs- und Anknüpiungsmalcriai lur die VermitLclung und
Klarung der zu behandelnden geschichtlidien Stoffe dar. Es wird
dem Lehrer ein Leichtes sein, diesen Repräsentanten vergangener
Tac^e und Sitten f. eben rinznhauchcn. Gute Abbildungen und
Handskizzen mögen zur Ergänzung dieses heimatlichen Anschauungs-
materials dienen.
Auch im erdkundlichen Unterricht fordern in Beüug auf
die Art der Veranschaulichung gewisse Massnahmen zur Kritik heraus»
und zwar hegen auch hier die Fehlgriffe ebenso oft in der Auswahl
als in der Anwendung der Anschauungsmittel.
Die Geographie ist noch zu oft Buch- und Bilder-
unterricht. Dieser Vorwurf trifft in erster Linie die heimatkund-
Uchen Lehrstunden. Unzweifelhaft bildet „ein lebendiges, durch Er-
wandern erreichtes Bild des Wohnbezirks"*) also eine durch un-
mittelbare Anschauung gewonnene, genaue Kenntnis der Heimat die
beste, die tragfahigste Grundlage des gesamten Geographieunter-
richts. Wie selten begegnet man aber in der Praxis einer solchen
Grundlegung! In neunzig von hundert Fällen begnügt man sich
damit, zwischen den vier Wanden des Schulzimmers die wichtigsten
„geographischen Grrundbegriffe" zu entwickeln und festzustellen. Man
feht wohl auch einmal oder ein paarmal mit der Klasse hinaus ins
reie, um im Anschauen der Wirklichkeit die Schüler über einige
allgemein-geographische Fragen (Horizont, Himmelsgegenden) oder
über einzelne topographische Erscheinungen zu belehren und glaubt
damit genug getan zu haben. Indem man vertraut, dass die Schüler
beim freien Umheistreifen in der engeren und weiteren Umgebung
des Heimatortes von selbst Anschauungen in hinreichender Stärke
und Menge gesammelt haben, vollzieht sich der weitere Aufbau der
Heimatkunde fern vom wirklichen Objekt Da aber bei ge-
nauerem Zusehen sokhe „Anschauungen" entweder gar nicht vor-
') -Schilling, Über die Grundsütze der .\uswahl , Anordnung und
Behandlung des LehrstofiEs für dcu Geschtchtsuaterricht, S. 36 ff. Leijni^i Klinkhardt,
PädagogiMte Stadien 1898: 11 Schilling, Die Pfl^e de« gesdüchtlicheii Intcresw.
^ Heiiv. Flichcr, tletliodik des Untenricht» in der Eadkiinde, S. 10. (Bmärnot Hirt.)
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— 366 —
banden oder doch verworren, unbestimint und unIdar sind, so ge>
staltet sich der Unterricht xu einem bloosen Spiel mit Worten, das
des realen Untergrunds crmanf^elt. Wie vermag ein derarlit,fes
Fundament das weite, vielgestaltige Gebäude der Erdkunde zu
tragen ?
Wie in der Naturkunde, muss der Lehrer auch in der Geo>
graphie seine Schüler so oft als angängig hinausgeleiten und sie
unter seiner Leitung an den wirklichen Objekten der Heimat geo-
graphische Anschauungen gewinnen und sammcki lassen. Es ist
ein folgenschwerer Irrtum, wenn der Lehrer meint, die Umgebung
seines Schulortes ermangele des notwendigen Materials zur Ver*
anschaulichung geographisdier Erscheinungen.^) Die Erde ist, genau
besehen, auch in ihren kleinsten Teilen stets dn Ganae& Wenn der
Lehrer nur sorgsam sucht, so findet er überall — und wäre es nur
an Halden und Gräben, an Teichen und Bächen — die erforder-
lichen Objekte zur Verdeutlichung orograpiiischcr, hydrographischer
und anderer BegrifTe. Oft Öbertrifft ein grosser Sauhaufen auf dem
Schutgrundstück das kostspieligste Relief an unterrichtlichem Werte;
mächtige Gebirgsketten mit Gipfeln und Plateaus, mit Kämmo-n und
Tälern, Abgründen und Pässen, Seen und Wasserläufen lassen sich
an ihm aui das sinnfälligste veranschaulichen. In den Augen der
Schüler beleben sich derartige primitive Reliefs zur puren Wirtdicb«
keit Was sind oft Bilder dagegen und wären es die bestempfohlenen
Idcallandschaften, wie etwa die bekannte Schreiber'sche oder die
Hirt'sche Darstellung der .Hnuptfornicn der Krdoberfläche", die
wegen ihrer unnatürlichen Kombination aus demselben Grunde zu
verwerfen sind wie in der Naturkunde die nadi rein a^ematisdien
Rücksichten zusammengestellten Tiertafeln von Schreiber-EssltngeiL
Fischer-) hat durchaus recht, wenn er hofft, dass die genannten
geographischen Anschauungsmittel in unsern Schulen bald ebenso
unmöglich sein möchten „wie Bilder von Einhörnern und See-
schlangen".
Oberhaupt muss auch an dieser Stdle vor einer zu grossen
Fülle von Bildern gewarnt werden. Die beiden Hauptlehrmittcl des
erdkundlichen Unterrichts sind neben der Wirklichkeit die Karte
und die farbenreiche, lebensvolle Schilderung; Abbildungen sind von
untergeordneter Bedeutung. Fischer ^) hält zur Geographie Deutsch-
lands folgende Lehmann'sche Typenbilder für ausreichend: i. Lindau,
2. Zugspitze, 3. Binger Loch, 4. Schwarzatal, S. Riesengebirge,
6. Düne auf Rügen, 7. Hamburj^er Hafen, 8. Hclr^^olnnd indem er
hinzufugt: „Man hat dann ein Bild des südlichen Grenzgebirges aus
') Vgl. die trcfTenden Ausfühningen in dem Aufsatze: „Heimatkunde im Freien"
von rollius im 4. Hefte der „PidAgogUchca Studiea** 1908. Drcsdcn-BlMewits,
Bleyl & Kiicmuicrcr.
-1 Hcinr. Fischer a.a.O. S. lat.
3) Hdiir. Fiicber a. a. O. S. 90.
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der Feme und eins, das uns einige Einzelheiten zeig^, drei Bilder
aus den Mittelgebirgen, eins (Riesengebirge), das uns wieder ein
Totalbild gibt, eins (Schwarzatal), das un*? in Deutschlari !s Waldes-
ticfcn versenkt, eins, welches uns den Durchbrucli eines i iusses in
seinem vornehmsten Beispiele zeigt, und 3 von der Wasserkante ^Steil-
küste, Flachküste und Hafea'* Dass sich zu diesem Zwecke ebenso
gut Bilder andrer Sammlungen, wie z.B. die von Geistbeck Engleder
oder die von Hoelzcl, verwerten lassen, ist selbstverständlich. Auf
fortgeschrittenen Untcrrichtsstufen wird, wie schon früher erwähnt
worden ist, bei der Veranschaulichung auch das Skioptikon wert*
voUe Dienste zu leisten vermögen. Zu betonen ist aber auch hier,
dass in jedem Falle der Inhalt der Bilder durch verweilendes Be»
trachten, unterstützt durch anschauliche Schilderung, lebendig ge-
macht werden muss, wenn die Eigebnisse nicht schemenhaft bleil^n
sollen.
Als eins* der erfolgversprechendsten Mittel zur geographischen
Veranschaulichung betrachtet man vielfach das Kartenzeichnen.
Man lässt äch hierbei von dem Gedanken leiten, dass es möglich
sei, mittels einiger auf das Papior ;:jcworfener Linien und Zeichen
dem Schüler eine richtige Vorstellung nicht allein von der äusseren
Gestalt ganzer Erdräumc oder einzelner Ländergebiete, sondern auch
von den zugehörigen Boden-, Wasser- und Bevölkerungsverhältnissen
zu geben. In manchen Schulen sind zu diesem Behufe besondere
Hefte mit vorpredrnrkten Grrifinetzcn und Umrissen in Gebrauch,
unter deren Benutzung ein i^rüsser leil der erdkundlichen Unter-
weisungen in zeichnerische Darstellungen sich auflöst.
Wie gestaltet sich die Handhabung dieses „Kartenzeichnens"?
In den meisten Fällen beschränkt es sich auf ein mechanisches
Kopieren, auf ein blosses Nachmalen der im Schulatlas enthaltenen
Karten Und da in der Regel die Schüler jener Fertigkeit im
Zeiciincii, die ein erfolgreiches geographisches Skizzieren voraussetzt,
ermangeln, so greifen sie nicht selten zu dem unerlaubten Mittel des
Durchpausens und zwar besonders dann, wenn die Herstellung der
geforderten Skizze als häusliche Aufgabe gestellt wird.
Wie unzulänglich und ergebnisarm ist aber meist eine solche
unter einem grossen Aufwand an Zeit und Mühe zutage geförderte
Leistung! Was durch ein so gehandhabtes Verfahren im besten
Falle gewonnen wird, ist ein topographisches Bild in allergröbster
Form, höchstens eine mehr oder weniger zutreffende Vorstellung
von der Gestalt und Flächenausdehnung eines geographischen Ge-
biets. Zu dem blossen Zwecke, dem Schüler ein anschauliches,
seinem Geiste jederzeit parates Bild von dem Umriss eines Landes
zu vermitteln, bedarf es indes dieser zeitraubenden Skizzen meist
nidlt; viel leichter und rascher vollzieht sich diese Vermittelung auf
dem Wege des figürlichen Vergleichs. Augenfällige Ver-
anschaulichung und haltbare Gedächtnisstütze zugleich gewälut es
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— 368 —
dem Schüler, wciiu der geographische Unterricht ihn beispielsweise
den Umriss Italiens als Reiterstiefel, den Frankreichs als ans*
gespanntes Fett auffassen und festhalten lässt Ähnliche Veigteidie:
Europa = sitzende Frau, Schweiz — Schildkröte, Morea — Kuh-
euter oder Plalanenblatt (Plinius!). Hinderindien = Hand, Branden-
burg = fliegender Adler, Schlesien = Hichblatt, Königreich Sachsen
= rechtwinkeliges Dreieck, Böhmen = Viereck. Pyrenäenhalbinsd
= Quadrat, Belgien = Trapez.
Natürlich ;^ibt es zahlreiche Fälle, in denen sich das Karten-
zeichnen als ein wertvolles Mittel zur Erzeugung klarer Anschauungen
erweist. Es ist beispielsweise am Platze, wenn es sich darum
handelt, das, was auf der Karte nur verworren oder versdiwommeo
in die Erscheinung tritt, wie etwa die Landschaften Thüringens
oder die Hauptzüge eines Gebirgssystems, zur deutlichen und über-
sichtlichen Darstelh!nf_' zu bringen Ebenso werden Reisewege,
Flussnetze, Grossenvcrgleichc, Vertikaidurchschnitte verschiedener
Gebiete, vergleichende HöhenproiUe u. ä. zweckmässige Objekte
für das geographische Skizsieren darbieten. Aber auch diese Art
der Veranschaulichung durch Faustskizzen, die am zwedcmSssigsten
vor den Augen der Schüler mit Benutzung weisser und bunter
Kreide an der Wandtafel entworfen werden, ist massvoll zu üben.
Dabei ist festzuiialtea, dass dieses Skizzieren in der Hauptsache
Arbeit des Lehrers bleiben muss und dass „das Übertreiben be-
denklicher ist als das Unterlassen". Das Skizzieren darf in keinem
Falle die denkende Durchdringung des Stoffes überwuchern und
dadurch beeinträchtigen; es darf nie Selbstzweck werden, sondern
rouss stets Mittel zum Zwecke bleiben. Auch ist hier daran zu er-
innern, dass nicht das Kartenzeich nen, sondern die unausgesctst
und gründlich betriebene Übung im Karten lesen die lohnendste
Form der geographischen Darbietung und Veranschaulichung ist.
In der modernen Schule, auch in der einfachsten, beschränkt
sich das Kartenlesen in der Regel nicht mehr auf die Wandkarte,
sondern es erstreckt sidi in umfassendster Weise audi auf die in
den Händen der Schüler befindliche Kartensammlung, den Atla&
Und das ist gut. Für einen zweckentsprechenden Betrieb des Karten-
lesens ist aber völ lige Atlas ei nh eit absolutes Erfordernis.
Doch gerade in diesem Punkte wandelt die Veranschaulichung oft
auf einem Abwege, der eine gründliche Einfuhrung in das Ver-
ständnis der kartographischen Darstellung ausserordentlich ersdiwert
Jede Karte ist ein Bild, dessen Inhalt der Schüler in sich aufnehmen,
ein Text, den er lesen soll Wie vermag aber der Lehrer die hierTti
erforderliche Geistesarbeit zu dirigieren, wenn nicht alle Schüler
Karten von gleicher Ausfuhrung und Darstellungsmanier vor sich
haben! Ma^ auch immer die vor der Klasse hängende Wandkarte
das Bindeglied flir die gemeinsame unterrididiche Betätigung bilden,
so wird der Lehrer doch mit derselben Berechtigung; mit der er
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— 369 —
im deutschen Sprachunterricht von sämtlichen Schülern dasselbe
Lesebuch, im Rechenunterricht dasselbe Aufgabenheft usw. fordert,
auch verlangen dürfen, dass alle Schüler einerlei Atlanten
benutzen.
Hiermit sei unsere Revue beendet Wohin wir in der Unter-
richtspraxis auch blicken, ijberall begegnen wir auf dem Gebiete
der Veranschaulichung bedenklichen Fehlgriffen. Schlimm ist es,
wenn diese Fehlgriffe sich zu pädagogischen V'crirrungen steigern,
bei denen übersehen wird, dass zwischen schulgemässer VerdeuL-
lichung und Mdssenschaftlicher Demonstration eine Grenzlinie besteht,
die nie ohne Schaden überschritten werden kann. Einer solchen
Uberschreitunc: würde die Schule ^ich ^chiilcüp^ machen, wenn sie
z. B. auf dem (rebiete der se-xLu llcn Heleiirung /.u dem von Marie
Lischneswka empfohlenen Verfahren greifen wollte, nach welchem
auch die intimsten geschlechtlichen Erscheinungen und Vorgänge
wenigstens durch Bilder zu veranschaulichen sind, — oder wenn
sie die verderblichen Wirkungen des Alkohols an Abbildungen zu
demonstrieren suchte, welche wie die Tableaux Muraux von Armand
CoUin oder die von Ch. Delagrave in Paris unter dem Titel
„L'AlcooI et rOrganisme" herausgegebenen Skizzen das Grefiihl ver*
letzen und Ekel erregen. —
Wir haben erkannt: Eine in Bezug auf Lehrmittelwahl und
methodisches Verfahren falsch gehandhabte Veranschaulichung
wandelt auf gefahrlichen Abwegen. Sie verkehrt eine im Kerne
gesunde Idee ins GegenteU und wird zur Spielerei, zu einem Haschen
nach Effekten, von dem das Wort des alten Gaudius gilt:
„Wir lachen vid« KOiutc
«od kommen weiter rmi dem Ziei.**
UI.
Ober die Aufnahme in die Schule
und Uber die Feststellung der Gegebenheit des Kindes.
Voa Pstar Zilill in Wttnborg.
Im folgenden wird ein wichtiger Punkt von der Anfangsarbeit
in der Volksschule auf der Grundlage der Erfahrung nach dem
Gedanken der Erziehung überlegt: die Aufnahme des Kindes in die
Schule und die Feststellung seiner ganzen Art. Die grosse Be-
deutung der Sache wird empfunden, sobald man sich nur dieses
jEine vergegenwärtigt, dass das gegebene Kind der Anfeng und das
VUwIaflhe Stadl«. ZZZ. ». 24
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— 370 —
Ende, Grundlage wie Beziehungspunkt aller pädago^scben Ein-
wirkui^ ist
I. AufkiaHme des Kindes in die Scliule.
Die Aufnahme des Kindes in die Volksschule erfolgt bei uns
gemäss der Vorschrift zum Heginn des Schuljahre^ in der Regel für
alle Knaben und Mädchen von gehöriger Liuwickeiung der körper-
lichen und gei Ilgen Kräfte bei zui^ckgclcgtem 6. Lebensjahre;
Ausnahmen von der Vorschrift, das hetsst Aufnahme jüngerer
Kinder, ist zulässig und wird nicht selten gewährt. Abermals nach
der Vorschrift ist bei der Aufnahme festzustellen: Zu- und Vorname
des Kindes, Konfession, üeburtsort, Zeit der i. Impfung, Zu- und
Vorname, Stand, Heimat und Wohnung der Eltern.
Die Schulaufnahme darf nicht als eiledigt erachtet werden,
wenn der Vorschrift nach dem Buchstaben genüge geschehen ist
Der Lehrer riclite vielmehr an Vater oder Mutter, die etwa das
Kind vorführen, über seinem nächsten Auftrag hinaus noch folgende
Fragen: War das Kind immer gesund? Welche schweren luank«
heiten hat es durchgemacht? WannP Was ist ihm davon geblieben?
Hat das Kind einmal ein Unfall getroffen? Welcher? Welche
Folgen hatte es davon zu tragen ? Hat es kein Gebrechen an den
Gliedern f (an der Hand?) Kein Leibgebrechen? Fehlt ihm nichts
an den Augen? Ohren? Sieht, hört es gut? — Wie ist es mit
seinem Sprechen? Bringt es alle Laute heraus? Oder stösst es an?
Stottert es? Hat es sonst einen Mangel im Sprechen? — Kam es
zuweilen mit hinaus* Wohin? Was hnbcn Sie an ihm inbezug
auf seine Aufmerksamkeit wahrgenommen.' Worauf achtet es
gerner — Merkt es gut? genau? oder vergisst es leicht? — Erschrickt
es öfters? FOrchtet sich's? — Folgt es? — Sagt es die Wahrheit?
— Wie haben Sie es I i. her behandelt? Mit Strenge? Sind Sic
mit der Mama (dem Papa) gegenüber dem Kind in der Zucht einig'
— Haben Sie ihm vor der Schule angst gemacht? — War es schon
in einer Anstalt? in welcher? wie lange? was machte es dort? —
Wie viele Geschwister hat es? welche? wie viele sind älter? jünger?
(jedesmal: um wieviel?) welche davon gehen auch in unser Schul-
haus? zu wem? welche gehen daheim am meisten mit dem Kind
um? Verträgt sich's? — Was spielt es? Hat es Kameraden?
welche? wie geht es mit ihnen um? — Sind Grosseltern oder An-
verwandte (Onkel, Tante) in der Familie? Haben sich diese nut
dem Kind viel beschäftigt? Oder ein Dienstbote? —
Die Gefragten werden zwar nicht auf alle Fragen eingehen,
einzelne e«; sogar verwunderlich finden, dass dergleichen Fragen an
sie gerichtet werden ^ die Antworten werden auch mehrfach dürftig
ausfallen; selbst an Aufrichtigkeit wird es einzelnen fehlen. Aber
eine Reihe Aussagen wird sich als zuverlässig erweisen und es wird
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— 371 —
mit solchen ein Anhalt fiir die Rücksichten gewonnen sein, die dem
einzelnen Kind von Seiten des Erziehenden entgegenzubringen, und
es wird dainit auch ein Anfang zu dem wechselseitigen vertrauens-
vollen Austausch zwischen Haus und Schule gemacht sein.
Einzelne Punkte sind bei der Schüleraufnahme der Beachtung
durch den Lehrer besonderes zu empfehlen. Zuerst Geschlecht,
Alter und 6sa Mass der körperlichen Entwickelung der Kinder.
Geschlechts- und Altersunterschied weisen gewöhnlich auf tief-
gehende Differenz hinsichtlich der geistif^en Kraft und Stufe der
Kinder hin. Wichtig ist es sodann zu ermitteln, ob die kindliche
Entwickelung bis zum Eintritt in die Schule ungestört verlief, oder
Hemmungen und Schädigrungen unterworfen war, und welcher Art
diese gewesen. Es ist eine so betrübende Erscheinung in der
Kindcrwelt der grosse mi Städte, dass die Leiden unter den Kleinen
zunehmen und die Schatten der Vererbung in diesen Leiden wahr-
genommen werden. Die Gedanken gehen davon unwillkürlidi
weiter zu den häufig verkehrten, ja verwerflichen Gesichtspunkten
bei der heutigen (rnttenwahl. Bei der körperlichen Entwickelung
des Kindes kommt noch Nahrung, Wohnung und Spielstättc des
Kindes in Betracht. Wo die Kost schmal oder ungesund oder
beides, wo' die Wohnung enge, dumpf und unreinlich, wo die Spiel*
Stätte die luft* und lichtarme Gasse, da findet das Kind kein
Gedeihen, Abstammung, Leibespflege, Gesundheitsstand sind Fragen,
bei deren Erwägung vielleicht auch der Arzt mit dem Lehrer in
der Schulaufnahme zusammenwirken sollte.
Schon die Spielgelegenheit des Kindes zeigt über die rein
körperliche Seite der kindlichen Individualität iSnaus. Denn mit
der kindlichen Spiclgelegenheit hängt bereits so vieles im Kindes-
gemüt und in der Haltung des Kindes zusammen. Im besonderen
Masse ist aber die ganze Heimat des Kindes als wichtiger Faktor
in der geistigen Entwickelung desselben zu beachten. Ob das Kind
am Schulorte selbst oder anderwärts geboren, ob die Wuizeln seines
geistigen Lebens nahe oder ferne gelegen, sich leicht auffinden, oder
schwer verfolgen lassen, das ist fiir die Einflussnahme auf das
kindliche Bewusstsein, wie sie die Schule beabsichtigt, von grossem
Belang.
Zur sorgfaltigen Achtsamkeit auf die bisherige Umgebung des
Kindes geselle sich das Bemühen, mit seinen Familienverhältnissen
nach aller Möglichkeit vertraut zu werden. Namentlich sollen
Heimat, Beruf und soziale 1-age der Kitern Gegenstand genauer Er-
mittelung seitens des Lehrers sein. Das elterliche Bewusstsein hat
von dem Boden, auf dem die Wiege des Vaters, der Mutter
gestanden, seine früheste und wichtigste Nahrung empfangen.
Wohin nun auch der Mensch durch seine Lebensfügungen später
gelange, die Vorstellungen, Gefühle, Charakterzüge aus seiner Heimat
bringt er überall mit hin. In den Dingen, welche er aus der neuen
24*
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Umgebung besonders aufsucht und betrachtet; in der Art» diese
Dinge zu verstehen; in der Anerkennung wie Missbilligung, die er
gegenüber den neuen Lebensverhältnissen äussert ; in seinem V^or-
ziehen wie Ablehnen bei der Einrichtung am neuen Orte: in allem
wirken seine ursprünglichen heimatlichen Vorstellungen, Gefühle
und Charakterzii^ bestimmend mit Und unter dieser ganzen
geistigen, gemütlichen und moralischen Stellungnahme der Eltern
zu Dingen und Menschen kommen die Kinder herauf. Das kind-
Kche Bewusstsein bildet sich unter der steten Beeinflussung durch
das elterliche: von der Familienerinnerung geht die geschichtliche
Aufmerlramkeit und Anteilnahme des Kindes aus. Von der
Familienauffassung wird das Kind in seiner Erfahrung, vom Familien-
geist in seinem Denken, von der Familien Wertschätzung in seinem
Gemütc, von dem Familiencharakter in seinem Streben anfänglich
und dauernd berührt.
Vom Beruf hängt das Auskommen in der FamHie ab, vom
Auskommen die Versorgung des Kindes. Von Bedeutung nament-
lich für die Krziehung des Kindes ist weiter der Umstand, ob der
Vater durch seinen Beruf viel ausser der Familie beschäftigt, ob
vielleicht selbst die Mutter mit verdienen und dabei auch ausser
Hause sein muss. Femer ist wohl zu beruck^chtigen, ob noch
beide Eltern am Leben und gesund und rüstig, oder ob eines oder
beide gestorben, oder ob Krankheit und Unglück in der P'amilie
heimisch seien. Wo der Mensch der Not tagtäglich ins Angesicht
schauen und ringen muss, um nicht unterzugehen, da pflegt alles
andere vor dem einen zurückzutreten: Woher nehme ich Brot?
Und in solcher Lage bleibt auch der kindliche Geist unangesprochen.
Aber auch dort, wo nicht gerade die Not schreckt, haben es heute
die Familien, zumal die in den grösseren Städten, vielfach nicht
leicht, wirtschaftlich zu bestehen. So nimmt der Gedanke an das
Auskomuicu überhaupt den Sinn vieler Eltern ein. Dazu gesellt
sich die AufliSsung in bürgerlichen Kreisen, das Herabsinken ehedem
selbständiger Leute zu blossen Arbeitern, die nur von heute auf
morgen zu leben haben. Der grosse Zeitvorgang der Verwandelung
ehedem bürgcrUcher und bäuerlicher Existenzen in proletarische
berührt die Volksschule in ihrem innersten Wesen; sie wird in der
Stadt (und vielleicht auch auf dem Land) nach und nach Schule
der Abhängigen, Besitzlosen, Armen; ja sie ist es schon über-
wiegend. Die wirtschaftliche I-agc der Familie wirkt mächtig
zurück auf ihre gesamte geistige Haltung; sie bedingt mit das
Mass der elterlichen Fürsorge für das seeüsche Gedeihen des Kindes,
sowie der Pflege der Sdiute durch das Haus.
Wichtig ist auch die Mannigfaltigkeit der Bent^ugehörigkeit
der Eltern und der Mangel an vertrauterem Austausch unter ihnen.
In der Geteiltheit der Arbeitsrichtungen spiegelt sich die Getcilthcit
der Interessen bei den Eltern wieder. Wenn die Eltern nicht lu-
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ialUg im gleichen Berufe stehen oder im nSmlicfaen Hause wohnen,
so kennen sie sich nicht einmal von aussen, geschweifte von innen.
Es besteht unter ihnen keine geistij^c Gemeinschaft, keine Be-
rührung in Gedanken und Bestrebungen. Abgesehen vielleicht
von einer BovfS' oder Facfavereinigung mit dem vorwiegenden
Trachten nach Herbciitihrung besserer Arbeits- und Lohnverhältnisse^
oder von einem geselligen Verbände mit der Bestimmun;7, an-
genehme Unterhaltung zu gewähren, gehört der Vater kaum einer
Gesellschaft an. So bringen die Eltern der Schule keinen gemein-
samen höheren Geist entgegen. Und wie sie selber in ^n und
Streben sich gegeneinander fremd verhalten, so ihre Kinder, die sie
zur Schule bringen. Die meisten derselben Vrrnnen einander nicht
einma] dem Namen nach. Sie gingen nicht miteinander um. So
Stellen SIC der Schule gegenüber, die sie in einer kleinen Gemein-
schaft sammdn und pflegen soD, lauter getrennte Punkte dar.
Solche Geschiedenheit kennt die Landschule nicht.
Die Schulaufnahme soll zur Vorbekanntschaft zwischen Eltern
und Lehrer, Kind und Lehrer führen. Sic steht im Dienst der
Ermittelung der Individualität Vor allem sucht sie bereits einige
Anhaltspunkte zu gewinnen zur Beurteilung des Kindes hinsichtlich
der ererbten und erworbenen Züge. Sie bildet den Anfang für die
Erforschung der kindlichen Leben^eschichte durch den Lehrer.
Darum ist sie auch der Anfang zur Bekanntschaft mit der Geschichte
der Familie des Kindes. Unter den Bedingungen, welche die
kindliche Entwickelung bis dahin vor allem mit bestimmten, kann
die Schulaufnahme wenigstens schon die Gesundheitslage des Kindes,
angeborne Fehler oder spätere Schädigungen in leiblicher Hinsicht
mit ihren inneren Fortwirkunc^en; femer die häusliche Lage, wie sie
hauptsächlich durch die gesellschaftliche Zugehörigkeit der Eltern,
den väterlichen (oder mütterlichen) Beruf, die isjuderzahl, Lebens-
haltung, Aufenthalt der Familie, Umgebung, aber auch durch die
Bekenntnisart, Rasseneigenschaft bewirkt wird; sowie auch noch
den Erfahrungs- und Umgangskreis des Kindes bereits in etwas
kund machen. Dazu empfängt der Lehrer Anzeichen und An-
deutungen über die bisherige FAege des Kindes (in der Familie
oder /üistalt), über die Weise der elterlichen Zucht und die Auf-
fassung der Eltern von Erziehung überhaupL Er hat Gelegenheit,
dieses und jenes wohlgemeinte Wort an Vater oder Mutter zu
richten und tritt in der Art, wie er die Kleinen ansieht und begrüsst,
diesen selber schon ein wenig nahe. Mit Einem: es ist ein
bescheidener Anfang gemacht zum Zusammengehen von Haus und
Sdiule in der Erziehung des Kindes. Oberdem lenkt die Schul-
aufnahme die Aufmerksamkeit des Lehrers wieder auf manche
bedeutungsvolle Frage seines Berufes und gibt so seinem beruflichen
Nachdenken frischen Anstoss und neue Arbeit. Die Anlage, die
Seiten der Individualität, deren Abhängigkeit, die günstige und un-
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günstige Beeinflussung des kindlichen Gedeihens an Leib und Sede,
die äussere und innere (Tcsundhcit des Kindes, dessen Fehler, ihr
Fortwirken auf das kindliche Leben, ihre Ursachen, die Erblichkeit,
die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele, Haus-, Schularzt in
ihrer Sendung fSr das IGnd, Erziehung in der Familie, in der
Mutterschule, in der Anstalt, die Stufe der Schulfälligkeit, die Alters-
grenze für die Schulaufnahnne, Wechselbeziehung der leiblichen und
geistigen Entwickelung, Trennun-^^ der Schüler nach den Geschlechtern,
gemischte Klassen, kleine — grosse Klassen, kleine — grosse Schul-
systeme, Schulverfassung, die notwendigen Voraussetzungen der
Klasseneinigkeit, die Gesichtspunkte flir die IGassenbildung, Verhältais
derselben zum Erziehungsgedanken, zum Gedanken der Gesellschaft, der
Schulverfassune^, des Schuls\'Stems: dert^leichen Fragen werden durch
die Schulaufnaiinu an Lehrer lebendig, und die eine oder andere
darunter geht lanj^er mit ihm um. Darum wäre es zu bedauern,
wenn die Scbulaumahme angesehen würde als bloss äusserer Akt,
als nur formdle Feststellung ebenso formeller Angaben, zum btosscn
Zwecke äusserer Schülerverteilung. Leider können die g^rossen
Schulganzen in der Stadt, die räumliche und innere Entfernung
zwischen Schule und Elternhaus, die ganze Schulrichtung mit ihrer
Beiseitesetzung der Familie und ihrem kalten Verhältnis zum Kinde
doch dahin bringen, die Schulaufiiahme als ledi^ch äusseren Akt
zu t>ehandeln. —
II. Oer Befund des Kindes.
NQtimNMliiiwit, pädagogische Bedeutung der Kenntnis des eiozelien Kiodaip
Abhängigkeit von der LehrerpersSnliohksil
Seit Lessing ist es ein geläufiger Satz, dass die Kunst in ihrer
Ausübung genaue Kenntnis ihres Gegenstandes erfordere. Lessing
selbst führte auf die Missverständnisse inbezug auf den Gegenstand
die Verirrungen zurück, welchen Maler wie Dichter verfielen, indem
sie glaubten, mit nebeneinander geordneten Zeichen Handlungen,
und mit aufeinanderfolgenden Körper darstellen zu können. Auch
die Erziehung wird als Kunst angesehen. Sie ist mehr als Kunst
Wenn in dieser, „das Tote bildend zu beseelen, mit dem Stoff sich
ZU vermählen, tatenvoll der Genius entbrennt"; so findet sich in
der Erziehung das Gemüt von dem Willen beherrscht, sich des
einzelnen aus Wohlwollen, in innerer Freiheit, anzunehmen, damit
er sich zu dem Guten erhebe. Der Kunst schwebt als Gedanke
die Darstellung des Schönen vorj der Erziehung die Verwirklichung
des Cruten. Der Gregenstand, mit welchem es die Erziehung zu
tun hat, ist nicht das Tote, nicht der Stoff; sondern die einzdne
Menschenseele. Schon Platn hat die Kunst der Erziehunc^ unter-
geordnet. Aber wenn auch die Erziehun<T höher steht wie die
Kunst, und wenn sie auch im Verfahren darin von der Kunst
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wesentlich verschieden ist, dass sie es eben mit der Seele, nicht
mit dem Stoffe zu tun hat: darin begegnet sie sich doch entschieden
mit der Kunst, dass sie gleichfalls genaue Kenntnis ihres Gejren-
standes verlangt. Dieser (i^enstand, die einzelne Menschensccle,
ist von allem, was sich der Untersuchung anbieten mag, wohl am
schwefsten zu veratehea Es handelt sich dabei um etwas, das sich
nicht, wie der Stoff, der unmittelbaren Sinneserfahrung darbietet
Was sich davon ermitteln lässt, kann nur ausgelep^t werden mit
Hilfe der eitjencn inneren Erfahrung. Es handelt sich ferner (iat.ei
stets um ein Individuelles, welches sich nicht nur in seinen Er-
weisungen sondern noch mehr in seinen Zusammenhängen der
Feststellung öfters schwer zuganglich zeigt. So ist es schon fiir
diejenig^rn, welche dem Kinde von Anfang an am nächsten stehen
— für \ atcr und Mutter. In einer weit ungünstit^eren Lage ist der
Lehrer, der zuerst und vielleicht aut lange hm dem Kind als
Fremder gegenüber steht, und dem das Kind in seinem freien
Leben, in seinen intimen Äusserungen überhaupt selten erreichbar ist.
Wie unerlässlich für den Lehrer die genaue Kenntnis de-^
Kindes, und zwar des vorfindlichen, gegebenen ist, dies bekräftigt
die einfache Tatsache, dass er ohne das Kind in keiner Richtung
auch nur das gerillte vermag. Mit dem Kind^ wie es is^ muss
er beginnen, im lUnde muss er weitergehen, zu dem Kinde muss
er stets zurückkehren. Nach dem Kinde richtet sich die ganze
Ausführung der Erziehung. Der Erziehungsplan, soll er nicht in
den Wolken hängen bleiben, muss bereits im Hinblick auf das
gegebene Kind aufgestellt werden. Die Vorarbeit für die Erziehung,
die Regierung des Kindes, muss äch an das Kind in seiner Art
halten und zusehen, wie sie es für die eigentliche Erziehungsarbeit
zubereiten könne. Das erziehliche Hauptgeschäft, der Unterricht,
muss Auswahl und Anordnung der Aufgaben mit Rücksicht auf
Art und Zug der kindlichen Aufmerksamkeit betätigen, bei der
Durcharbeitung in seiner Zumutung, Bewegung und Grenze der
kindlichen Kraft und AnstelUgkeit Rechnung tragen, auf allen Stufen
in jeriem Gebiete sich in das ancf^Tnessenc Verhältnis zum Kind
setzen und als Höchstes vor Augen haben, das Kind, wie es ist,
mit der ethisch geordneten geistigen Vielseitigkeit so zu durch-
dringen, dass dabei auch die rechte Einheit des inneren Lebens
ihre Verwirklichung findet Die abschliessende Bemühung der
Erziehung, die Zucht, ist abermals bei ihren sämtlichen Schritten
an das gegebene Kind gewiesen: Kraft und Beharrlichkeit, Uber-
einstimmung und Berechenbarkeit des WoUcns, Gewissenstreue und
Selbstunterwerfung, endlich Sdbstewang und Selbstkampf — aBe
diese Grundzüge charaktermässigen WoUens und sittlichen Strebens,
welche die Zucht im Sinne hat, haben ihren nattiilichen Grund und
Boden im vorfindlichen Kinde.
In der Anerkennung oder Missachtung des gegebenen Kindes
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scheiden sich im Bereich der Erziehung die Geister. Heute droht
der Erziehung die Gefahr, dass der Gesichtspunkt, den die Er-
ziehung nicht aufgeben kann, ohne sich selbst aufzugeben: nämlich
dass Erziehung dem einzelnen gelte, durch die Hochflut der geseii-
schaftUchea Bewegung überdeckt und so verloren werde. Für —
oder wider das gegebene Kindt dürfte die Losung in dem Kampf
der pädagogischen Aui&ssungen gegeneinander wahrend dernachstai
Zeit sein.
Die Stellung zum gegebenen Kinde ist von der Lebens-, ja
Gesamtanschauung dessen abhängig, der sich gegenüber dem Kind
zu entscheiden hat. Anders wird die Entscheidung aus&Uen auf
dem Boden des Christentums, anders auf dem Boden des modernen
Heidentums: anders auf dem Standpunkte der ethischen Wert-
schätzung, anders auf dem Standpunkt der eudämonistischen
Denkweise ; anders auf dem Standpunkt des philosophischen
Realismus, anders auf dem Standpunkt der Philosophie Schopen-
hauers oder Wundts: anders auf dem Boden der NaturaufTassung
unter dem Gedanken der Organisation wie der höheren Abzwcckung
der ganzen Naturordnung, anders auf dem Boden der Naturauffassung
unter dem Gedanken rein mechanischer Weitgestaltung und Ver-
inderuf^. Wer die Berufung des Menschen zum Streben nach dem
Persöolichkeitsvorbttde abweist und den Egoismus als Achse des
menschlichen Lebens anerkennt; wer das Gute nur in der Befriedi'
gung der Lu'^t erblickt; wer im einzelnen nur die Erscheinung eine?
allgemeinen sieht; wer aus der Natur den Schöpfer und Lenker
voU der Macht und Weisheit und Heiligkeit fortweist und an semc
Stelle den Zufall setzt» oder die ausnahmslose, blind wirkende Not-
wendigkeit: der kann auch gegenüber dem Kinde nicht so sich
entscheiden, wie derjenige, dem die menschliche Lebensbestimmung
in der christlichen Berufuncy He-n. der die innere Freiheit achtel,
dem der einzelne wirklich ah cmzelner gilt, der in der Natur
Zwecl^missheit und Unterordnung unter einen auf die Verwirk-
lichung des rittUchen Lebensgedankens berechneten höheren Plan
erkennt Der Wert des gegebenen Kindes muss sich als ein völlig
anderer darstellen, je nachdem der einzelne zu einem gottgewollten
Zweck oder, gleich dem Tiere, nur zur Daseinsbctnedigung bestimmt
erachtet; das Gute als das absolut Wertvolle, oder im Grunde ab
Torheit; die Einzelseele als ein tatsächlich neuer Anfang, al^ wirk-
licher Grund eines eigenen Lebens, oder nur als Name für die
Äusserungen eines allgemeinen Urgrundes angesehen; die Natur als
durch Gott geworden und bestehend oder als durch sich selbst
daseiend; auch eine innere oder nur die mechanische Kausafilit
begriffen wird.
Hier wird die grosse Verantwortung derjenigen für die Er-
ziehung des Kindes lebendig empfunden, welche an Hoch';<~hulen
die Lehren darbieten, nach welchen sich so viele ihre Ansichten
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— 377 —
über die Bestimmung des menschlichen Lebens, über die Seele^
über die Natur bilden, die dann entweder an Lehrcrbildungs-
Anstalten diese Ansichten wieder weitergeben an die künftigen
Lehrer der Kinder, oder die sogleich in das Volksschulamt treten
und dann aus diesen Anwehten wirken. Aber auch die grosse
Verantwortung der Schulverwaltung fiir die Erziehung des Kindes
wird hier deutlich gefühlt, welche darin gegeben ist, dass die Schul-
verwaltung die Macht hat, für die Seminarien die Lehrkräfte zu
bestellen. Gesetzt, es mangle da bei der Schulverwaltung selber
an der rechten Einsicht, die Berufung an die Seminarien erfolge
gar nicht unter dem Gesichtspunkt des Lehrerbildungs^Beruis, sondern
etwa des blossoi Wissens^ ohne Rücksicht auf refigidse, ethische,
allgemein philosophische Überzeugung, so kann man die Schul-
verwaltung nicht freisprechen von der Verantwortung, wenn dann
etwa an einem Seminar eine naturalistische Auifassungsweisc hervor-
gdkehrt werden sollte, oder religiöse Gleichgültigkeit, oder neu«
heidnische Ixbensschatzung — und wenn davon die künftigen
Lehrer ergriffen und gegenüber dem Kinde einmal sich so verhalten
würden, wie es naturalistischer Denkweise, Gleichgültigkeit in religiöser
Hinsicht, oder Hinneigung zum modernen Lcbeni^ed^nkcn gemäss
wäre.
Auch die grosse Verantwortung der Lehrerfiihrer und -Berater
für die Erziehung des Kindes wird hii r im Gcmüte ausgemacht.
Der Lehrerführer gleicht in mehrfacher Hinsicht einem Steuermann.
Der Steuermann muss sich auskennen auf dem Wege, auf dem er
das Schiff zu fiihren hat; sonst wird dieses ein Spiel der Winde
und der Wellen. Ebenso nun muss der Lehrerführer ein Mann voll
pädagogischen Geistes sein, dem der Berufsgedanke des Lehrers
klar und unverrückt vor Augen steht. Er darf sich nicht jedem
Winde der umgehenden Meinungen ergeben, nicht jedem Wellenzuge
der Tagesströmungen unter dem Scheine des Fortschritts sich
fiigen. Wer in rel^öser, ethischer, allgemetn phüosophischer Ober-
zeugung, und zwar in solcher, die durch den Erziehungsgedanken
gefordert ist, nicht fest gegründet, der wird die l.chrer auf dem
Wege des Henifsgedankens auch nicht zu leiten vermögen, vielmehr
an seinem i ciie dazu beitragen, dass die Lehrer den Zeitmeinungen
williger Crehor schenken und in ihrer Entscheidung gegenüber dem
Kind mit grösserer Wahrscheinlichkeit geirrt werden. Die Lehrer-
berater vollends, die Herausgeber und Schriftleiter der pädagogfischen
Zeitungen, sollten in religiöser, ethischer und allLM-mcin philo-
sophischer Hinsicht inmitten aller Zeitauffassungen irut festem Sinne
auf das weisen, was die Erziehung erhebt und überhaupt möglich
macht. Wenn sie selbst gleich dem Wandellichte umher schweben,
so werden die Lehrer, die ihnen vertrauen, gleichfalls den richtigen
Weg nicht finden und namenthch bei der Entscheidung gegenüber
dem gegebenen Kinde wieder sich leicht irren.
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- 378 -
Also bei der Frage, wie der Lehrer sich zu dem ihm an-
vertrauten Kind zu stellen habe, kommt es bereits auf die ganze
Lehrerpersönlichkeit an. Aber nicht allein hinsichtlich der Greltun^.
welche dem Kinde für die Erziehung beigelegt wird, sondern auch
hinsichtlich der ganzen Bestimmung der kindlichen Gegebenheit
ist die religiöse, ethische, aUgemein philosophische Oberzeugung
des Lehrers von massgebendem Einflüsse. Es dreht sich bei dieser
Feststellung doch um die beiden Punkte: Was? und wie soll (das
Gesuchte) beim Kinde festgestellt werden? Überall, wo eine '^ute
Antwort erwartet werden will, da muss eine gute Frage voraus-
gehen, und wo das Ergebnis mit Sicherhett sich einstellen soü, da
muss das Verfahren verständig gewählt sein. Für die Feststellung
des kindlichen Tatbestandes ist es auch durchaus entscheidend, die
Frage zutretfend zu gestalten und das passende Verfahren anzu-
wenden.
AtlOMntas 0MloMtpMiktt flr «• Fmtttsihng ier CsgshssliBlt des KMm.
Die Bestimmung der Gegebenheit des Kindes erfolgt unter
Anerkennung des Musterbildes der Person, der Wirklichkeit der
Einzelseeie, der Tatsache der Individualität, worin der sicheiste
Erweis der Wirklichkeit der Einzelseele liegt Jemand sagte
angesiclits der Schwierigkeit des Arbeitens bei den Anfängern in
der Schule: In den oberen Klassen ist nur weiterzufahren, in der
Eienientarklasse ist aber zu beginnen. Das letztere ist nur nach
dem Anscheine so. In der Wahrheit ist auch in der ersten Schul-
klasse fortzusetzen, was eben vor der Schule im Kinde bereits
irgend Wertvolles angelegt wurde. Die Erziehung untersteht dem
besonderer Wichtigkeit bei der Arbeit in der Anfangsklasse der
Schule. Die Erfüllung dieses Gesetzes — der Lückenlosigkeit, wie
es genannt wurde — lag Pestalozzi am Herzen. Aber er veriegte
die Lückenlosigkeit in den Lehrgegenstand und ward so der Ausgang
jenes sogenannten systematischen Ganges im Unterrichte, bei dem
vor lauter Sorge, dem Gegenstande nichts abzubrechen, unerträgliche
Lasten auf die Jugend gehäuft werden, zumal im allerersten Unter-
richt in Schreiben, Lesen, Rechnen. Ein Gesetz, das die Gesundheit
des geistigen Lebens verbüi^ ist so in missverstandener Anwendung
gerade zur Gefahr der inneren und damit auch der äusseren Gesund*
heit des Kindes geworden.
Bei den Anfangen der Schulerziehun^ ist ausser dem Gesetze
der Stetigkeit noch etwas anderes scharf ins Auge zu (assen: dass
ein jeder nur seinem eigenen Masse gerecht zu werden vermag.
Es ist ein furchtbarer Satz, den eine Schulaufsichtsperson aus-
gesprochen hat: Ich kenne keine Schwachen! Darnach ^nrd in
der l'at in vielen Schulen gearbeitet Man möchte fast annehmen,
von
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— 379 —
dass die Schablone — denn darauf kommt dieser Satz zuletzt
hiniiis — mit dem innersten Wesen der Schulnftcntlichkeit unab-
trennbar verbunden sei. Darnach gih das Kind, wie es einmal von
Natur und Lage her ist, gar nichts, hs ist ein bestimmtes Mass
von LetstuDg in den sogenannten Lehrplänen gefordert, und dieses
Mass soll jeder erreichen^ es möge gehen, oder nicht Man ver-
gegenwärtige sich einmal unter diesem Gedanken: Keine Schwachen!
die Lage des Kindes in der Schule, besonders wieder des ncti auf-
genommenen! Schwach, hilfsbedürftig in aller Weise ist jedes Kind,
das der Schulerziehung zugeführt wird, und schwach, hilfebedürftig
bleibt ein jedes Kind, so lange es die Schulerziehung in ihren Händen
hat. Jedes Kind natürlich nach seinem Grade. Und eben das ist
das Wrdicnst der Erziehnn«', aurh der Schulerziehung, sich zu
jedem Kinde in seiner Bediirttii^keit herab/.ulassen und ihm darin
zu dienen. Davon kann keine Rede sein, wenn nach dem Satze
verfahren wird: Keine Schwachen 1 An die Stelle der hebenden,
führenden Liebe tritt dann der Druck der Leistungsforderung mit
all seiner llärtr und Rücksichtslosigkeit gegen das einzelne gegebene
Kind, tritt ( ne Freudlosigkeit und jener Mangel an holder Art in
der Schule, unter welchem so viele Sonne suchende Menschen-
pflänlzein trauern. Das muss man wieder besonders mit erleben
bei den Kleinen, die noch so ganz Kind, ganz Hoffnung und Hingabe
sind, und welche nun in ihrer lieben Kindlichkeit, ihrer ahnungslosen
Zuversicht und herzhchen Zuneigung nicht weiter können angesehen,
sondern müssen getrieben und getrieben und zum drittenmale
getrieben werden, damit das „Lehrziel", vor allem im Schreiben
und Lesen, erreicht werde. Es wurde einmal von einem ehemaligen
Lehrer, der dann unter die Redakteure eines bekannten bürgerlich
demokratischen Blattes gegangen war, ein Buch verötlentlicht : Unsere
Schulen im Dienste gegen die Freiheit Er meinte freilich: im
Dienste gegen seine FreUieit, die demokratische. Man könnte aber
ein Buch veröffentlichen, das mit grösserem Flug den Namen trüge :
Die Lcistungsschule im Dienste gegen die kindliche Freiheit, oder
noch zutreffender: im Dienste gegen die Freiheit der Menschen-
natur. Die Bäume im Waide dürfen w'achsen, wie sie wachsen; die
Blumen auf der Flur dürfen blühen, wie sie blühen. Das Kind in
der Schule darf nicht gedeihen, wie es gedeiht Es wird hierhin
und dorthin gezerrt, bis es dem äusseren Anschein nach so ist wie
' die andern. Aber das Kind sollte gelten, und zwar gerade in seiner
Gcv'ebenheit gelten, soweit dieselbe nicht der Krzichungsabsicht
zuwider ist. Es sollte in allem, was es ist und liat, mit der an-
gegebenen Einschränkung, Anerkennung finden; in allen Zeiten der
Schulerziehung, in besonderem Masse aber in der ersten. Nur unter
Erfüllung dieser Bedingung ist es überhaupt möglich, an das Khid
zu geltingen, es in der Richtung der Krziehungsabsicht ui mnere
Bewegung zu bringen. Nur unter Erfüllung dieser Bedingung besteht
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— 380 —
Aussicht, die WiUens-, Persönlichkeitsbildung in die Wege lo
leiten.
Die l'atsache, dass jpd r nur seinem eif^encn Masse zu ent-
sprechen vermag, weist ihrerseits wieder zurück auf das geistige
Grundgesetz der UrsprüngUchkeit, demzufolge die Seele gar nichts
haben kann, ausser sie habe es durdi ihre eigene Tätigkdt er^
worben: von der Empfindung, dem einfachsten Etewusstseinsinhalte,
angefangen bis hin zur sitthchen Entscheidung, dem höchsten
Bcwusstseinsinhahe. Auch dieses Gesetz, die psychoiogisclie Richt-
schnur für alle Krziehungstätigkeit, wird in der Schule zu wenig
geachtet, gerade gegenüber den Kleinen. Es ist kaum zu giaubeo,
was man solch einem Kinderbewusstsein wohl zumutet, obschon es
in jeder Hinsicht noch so gering ist; weil man nicht bedenkt, dass
Ursprünglichkcit die Regel des Seelenlebens ist, und die Seele nichts
von aussen her empfangen kann. Dieser Missachtung des bedeut-
samsten Seelengesetzes gegenüber ist mit dem grössten Nachdrucke
hervorzuheben: dass die »eele nur mit ihrer eigenen Kraft arbeitet
und mit ihrem eigenen Gute wirtschaftet. Sie ist genau so titig,
wie es ihrer Kraft gemäss ist und sie wirkt dem N'cuen gegenüber,
das in ihr Bcwusstsein eintreten will, genau gemäss ilirem eigenen
Besitze. Die Naturkrait der Seele und ihr erworbenes Eigentum,
die ursprüngliche und zugewachsene Anlage, bilden die Voraus-
setzungen, womit die Erziehung bei jedem einzelnen Kind in allem,
was sie unternimmt, schlechterdings zu rechnen hat.
Das Ocsctz fit r *^tctigkeit schliesst ein, dris«; das Kind nur dort
wirklich inncrlicii weiter gedeiht, wo man die Fäden aufsucht, welche
in seinem Geistesleben in dieser oder jener Richtung bereits vor-
handen sind: im Gesetz der Stetigkeit liegt die Forderung, sich in
allen Stficken an die im Kinde schon gegebene Zubereitung zu
halten D:is Gesetz der Ursprünglichkeit sclilicsst ein, dn-s rlas
Kind nur jene Aufgaben wahrhaft angreift und durchfuhrt, welche
seiner Naturkraft und seinem Bewusstseinsinhalte gemäss sind. In
jedem anderen Falle gleicht die Bemühung um das Kind dem
Versuch eines Menschen, Wasser zu giessen in ein Sieb, oder Streiche
zu tun in die Luft. Die Erziehung ist durchaus gebunden an dte
Regel der Verhältnismässigkeit.
Wenn sich der Lehrer angelegen sein iässt, das Kind, wie es
ist, nach aller Möglichkeit kennen zu lernen, so erfüllt er also in
der Tat eine berufliche FAicht ersten Ranges. Nur wenn er es
damit ernst nimmt, kann er darnach streben, allen Kindern alles ;u
werden; kann er es jenem nachzutun versuchen, der da die Rindlcin
7.U sich rief, und der ihm das Vermächtnis hinterlassen, auch die
Kindlein zu sich kommen zu lassen, und sie aufzunehmen in seinem
Namen.
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- 381 -
Batontart flMioMipiakts fir üe FattatalHMi tf«r fioatlMoliatt iIm lUidM.
Die Feststellung der kindlichen Gegebenheit muss sich richten:
A. auf den Vorstdlungskreis und seine Zusammenhänge;
B. auf den Gemütskreis und seine Zusammenhänge;
C. auf den Lebenskreis und seine Zusammenhänge.
Dabei ist sogieicii Eines nicht zu vergessen:
Der Erwachsene kann sich nicht anders in das Kind denken
wie so, dass er das Kind in sich, seioem eigenen Bewusstsein, denkt
Es wird gegenwartig so viel von Kinderpsychologic geredet und
geschrieben — schier so viel wie von der Kunst im Leben des
Kindes ; Kinderpsychologic ist bereits beliebter Gegenstand der
Zeitungsplauderei geworden j als ob die Sache die einfachste von
der Welt wäre. Es hat den Anschein, dass es in der Wirklichkeit
^e unmittelbare Kinderpsychologie gebe. Dieser bedenklichen
psychologischen Einbildung gegenüber muss doch darauf hingewiesen
werden, dass es so wenig eine unmittelbare Kinderpsychologie als
eine unmittelbare Tierpsychologie geben kann; vielmehr alle Kinder-
psychologie, wie aUe Tierpsychologie, zuletzt nichts anderes ist, als
die Ausdeutung der am lUnde, am Tiere beobaiditeten inneren
Erscheinungen mit Hilfe der entsprechenden des eigenen Bewusstseins.
Darum ist auch bei der Feststellung der kindlichen Gegebenheit
Vorsicht doppelt am Platze; damit nicht der Erwachsene in das
Kind sich trage, nidit unterlege, statt auslege, oder bei der Aus-
deutung der kindlichen Greistesausserungen Irrungen anheioiüille.
A. Die Feststellung des kindlichen Vorstellungskreises.
I. Die Fe«tateUttng der ErfahraagaTontellanf en.
a) Die Feststellung des Idncttichen VorsteUungskreiscs ist darauf
besonders gerichtet, auszumachen, wie weit innerhalb der kindlichen
V I stcUungt II bereits die dem Inhalte derselben angemessene
Sclieidung m bestimmte Gebiete sich vollzogen habe. Es ist für
den ersten Unterricht eine wichtige Sorge, su wissen, ob im
Bewusstsein des Kindes noch ein Zustand der Gebundenheit herrsche,
wie er vielleicht im Pflanzenorganismus vorausgesetzt werden darf:
ein Zustand wie im totalen Schlafe, bei dem das I eben tortbesteht,
aber ohne Helligkeit; oder ein Zustand des alinungslosen Durch»
einander, in dem die geistigen Elemente ohne Ordnung, wie sie der
Zufall herangdührt hat, gleich einem ungeschiedenen Urgemisch,
gefunden werden; oder ob schon ein Anfang der Sonderung der
Vorstellungen nach ihrer objektiven Zusammengehörigkeit, durch
biidende Beeinflussung, erreicht seL^)
1) Vergleiche dazu die lehireiclie Lehrprobe: „IKe SternthaleT** too Emil Fast.
(SchuUrcood, 1896, Nr. 6—%.)
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— 382 —
b) Der ganze Vorsiellungskreis umfasst die zwei grossen Gebiete:
der Erfahrun^s- und der Erlebnis-Vorstellungen, welche den beiden
grossen Onellcn der Vorstellungen entsprechen: der Erfahrung und
dem Um^an^. Es ist also zu ermittein: hat das Kind in irgend
welchem Ansätze schon ein Bewusstsein davon: das gehöret zu dem
Erfahrungsmässigen, das zu dem Erlebnismässi^^cn ; jetzt lerne idi
etwas von den Dingen, jetzt von den Menschen (von der Natur,
der Geschichte)?
c) Bei den Hrfahrungsvorstellungen ist wieder ins Auge zu
fassen : der psychologische Charakter und Wert. Nach dem psycho-
logischen Charakter können es sein einfache oder zusammensetzte;
je nach ihrem Inhalte, und in beiden Fällen wieder: ursprüng^che,
unmittelbar empfundene; oder wiederj^ekommene, von neuem
bewussl gfewordene Vorstellunf^en. Die einfachen Vorsteilun'jen
können nach den Sinnesgebieten wieder sein solche des Gesichts,
Geruchs, Geschmacks oder des Getasts und Gdiörs; die zusammen-
gesetzten nach den grossen Gebieten der Erscheinungen entweder
Gegenstandsvorstcllungcn oder solche des Geschehens (Vorstellungen
des räumlich Erscheinenden oder des /.eitlich Erscheinenden). Nach
dem psychologischen Werte können alle Vorstellungen aus der
Erfahrung sein klar oder unklar, beides in den möglichen Gnaden;
deutlich (bestimmt) oder undeutlich (unbestimmt), abermals beides
in den möglichen Graden.
Die zusammengesetzten Erfahrunfi;svorstellun|:;^cn können
höheren Gebilden, als weiteren Folgen im Bewusstsein, fuhren: zu
Gesamtvorstcllungen und Begriffen.')
e) Aus den Eriaiiruiigsvorstellungen scheiden sich nach und
nach auch aus die Vorstellungen der Formen, in welchen die Bt-
Ehrung gegeben ist: des Raumes und der Zeit Zu den Vor-
stellungen der Formen des sinnlichen Erscheinens tjehören auch die
Vorstellungen der äusseren Bewegung, worin die räumliche und
zeitliche Erscheinungsweise vereinigt erfahren wird. An die Vor-
stellungen der „Anschauungsformen" schliessen sich an die Vor-
stellungen der Zahl.
f) Auch die höheren Gebilde aus den Erfahrungsvorstellimgen
sowie die Vorstellungen der Anschauungsformen und der Zahl unter-
liegen der Wertung hinsichtlich der Stärke (Klarheit) und inoerea
Vollkommenheit (DeutUchkeit).
g) Auf den Erfahrungsvorstellungen beruht das Erfahrungs-
gedächtnis, auf den Vorstellungen der Anschauungsformen das
Die Gesamtvorstcllungcn werden auch ah „Allpcmrinvorstclluagca" , als
„psychische Begriffe"; die Begriffe hinwieder auch als .,Gcmciiivor»lellungca" beieichoet.
El wlre dringend zu wünschen, dass in der Psychologie grössere EiiMtillin%kdl in der
Benuuinng derselben Dii^e angestrebt würde. Die Ventiadicmg wie icbOB das
Arbeiten Tnnerbalb der Psychologie würde viel gewinnen.
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- 383 -
Raum- and Zeitgedächtnis und das Gredächtnis für Bewegungsp
erscheinungen, auf den Zahlvorstellungen das Zahlgedächtnis.
h) Das Gedächtnis tritt hervor in der Wiedererinnerung. Die
VVicdcrerinncrnnir spiegelt ab: den psychologischen Charakter und
Wert der Erlahrungsvürsteiiungen. Die Wiedererinnerung hat die
Merkmale: der Dauer oder Vergänglichkeit; der Treue oder Un-
Zuverlässigkeit; der Frische oder Jüilattii^eit. In diesen Merkmalen
Hegt ihr Mass.
i) Im Umkreis der Erfahrungsvorstellungen erwacht ein Denken.
Dieses Denken äussert sich in der Anerkennung des Erfahrun[;s-
inhalts. Es erscheint als Überlegen dieses Inhalts, als Sichbesinnen
auf die Bedeutung desselben, als Auffassen, Verstehen dieses Inhalts
— in irgend welchem Grade der Richtigkeit, Genauigkeit, Schärfe;
der Tiefe und F"üllc. Das Denken im Bereich der Erfahrungs-
vorstellungen ist Betätigung der Aufmerksamkeit auf das sinnlich
Erscheinende: Erfahrunt^ssinn.
k) Schon für das blosse Vorstellen, aber noch mehr für das
Denken der Erfahrung ist das Anzeichen die Sprache (tm weitesten
Sinne). Die Sprache offenbart, welcherlei Erfahrungsvorstellungen
das Bewusstsein hat, wie beschaffen sie sind, wie weit die denkende
Durchdringung des Erfahrungsinhalts gediehen ist. Die Gebärdcn-
und Formensprache geben mehr den objektiven Inhalt der
Erfahrungsvorstellungen kund, die Lautsprache, die Sprache im
engeren Sinn, zeigt mehr die innere Anerkennung dieses Inhalts an.
1) Im Umkreis der Erfahrungsvorstellungen erwacht auch ein
Phantasieren. Es entstehen Gebilde, welche sich in ihrem Inhalt
von der Wirklichkeit, die sie abspiegeln sollten, entfernen. Inner-
halb der Erfahrungsvorstellungen regt sich das Spiel. Die Ergebnisse
desselben sind die Einbildungsvorstellungen. Innerhalb der Erfahrungs-
vorstellungen regt sich bereits auch das Gestalten.
Die Feststellung der kindlichen Erfahrungsvorstellungen geht
wohl der ganzen möglichen Mannigfaltigkeit derselben nach, behält
aber dabei doch im Auge, dass die Sinnesgebiete des Gesichts,
Getasts und Gehörs die bei weitem wichtigsten sind. Sie gibt
darauf acht, wie sich das einzelne Kind verhält gegenüber dem
wirkenden sinnlichen Eindruck: inbezug auf Empfänglichkeit dafür,
auf Leichtigkeit und Sicherheit der Aufnahme, auf Andauer der
Aufmerksamkeit darauf, auf Ausbreitung der Aufmerksamkeit. Sie
strebt dahin, aus dem Verhalten des Kindes gegenüber dem wirkenden
sinnlichen Eindruck bereits Anhaltspunkte y.w -gewinnen für die
Bestimmung seiner geistigen Naturkraft, insolcrn dieselbe in dem
Grade der Frische im Augenblick des Empfindens, der Tiefe im
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— 3«4 —
Augenblick der Hingabe an den wirkenden äusseren Eindruck, der
Stärke im Augenblick des unmittelbaren Bewu5»sthabens der Er-
fahrung und der Kortwirkung derselben auf die gleichzeitige kind-
liche BewuüsUeinslage, nacii dem Zeugnis der kindlichen Äusserungen
in Blick, Miene, Haltung, Gebärde, Sprache (und vidleicht auch
Darstellung) schon erkannt werden darf. Es handelt sich um die
Ermittelung des Masses an Mrsprünglicher (primitiver) Aufmerksam-
keit, welches dem einzelnen Kmd fijr die Krfahrungswelt \erhehen
ist. Hierbei besteht auch die Aufforderung, der leiblichen Organi-
sation des Kindes, seiner Ausstattung in den Sinneswerkzeugen,
seinem körperlichen Gesamtzustand, wie er im sinnlichen AUgemeip*
gcfühl sich reflektiert, die schuldige Achtsamkeit zuzuwenden. Auge.
Hand, Ohr des Kindes, Gesundheit, I'Vohmut desselben spielen beim
kindlichen Verhalten gegenüber wirkenden sinnlichen Eindrucken
eine widitige RoUe.
Beim Verhalten des Kindes gegenüber dem wirkenden aumiichen
Eindruck kommt nicht allein das Mass seiner geistigen Naturkraft,
seiner ursprünglichen Aufmerksamkeit, worin die Naturkraft im Falle
der Wahrnehmung erscheint; sondern auch seiner auslegenden Auf-
merksamkeit zur Geltung. In seiner auslegenden Auteerksamkeit
ofifenbart es die Richtung^ seines erworbenen Erlahrungsbewusstsdns^
die Art seiner botits gewonnenen Erfahrungsvorstellungen und
deren Wert. Sein erworbenes Krfahrungsbewusstsein ist das Ergebnis
aus der Arbeit der geistigen Xaturkraft an dem Erfahrungsstoff, der
ihm bis dahin dargeboten wurde. Die auslegende Aufmerksamkeit,
das innere Interesse, gibt sich bereits in gewissen Erwartungen
gegenüber dem neuen sinnlichen Eindruck kund; dann aber vor-
nehmlich in (lern Sinn, welchen sie dem Eindruck verleiht. In der
Antrkrruiung der Bedeutung des Eindrucks wirkt die geistige
Naturkraft durch das bereits erworbene Erfahrungsbewusstsein, soweit
dasselbe (ur die Auslegung des neuen Eindrucks brauchbar ist. Die
Feststellung der kindlichen Erfahrungsvorstellungen hat hier, im Akt
der Anerkennung des neuen Eindrucks, ihre günstigste Gelegenheit,
um einen Blick zu tun in die innere Welt des Kindes, seine V^or-
Stellungen von der Ej'scheinungswelt. Sie lernt da kennen das
Mass an geistiger Beweglichkeit, welches dem einzelnen Kinde f6r
das Herbeikommen, vielleicht (ur das Heranrufen der auslegenden
Erfahrungsvorstellungen gegeben ist; die Beschaffenheit seiner
sinnlichen l~rinncrung. Die Anerkennung der Bedeutung des neuen
Eindrucks spiegelt ab die kindliche Verständigkeit hinsichtlich der
Erfahrungsvorstellungen. Es kommt darin zur Wirksamkeit, was
das kindliche Bewusstsein bereits an höheren VorstellungsgeÜlden,
an Gresamtvorstellungen, aus dem Gebiete der Wirklichkeitsvor-
stellungen, einschliesst. Hier in der Anerkennung des Sinnes des
Erfahrungsinhalts, wird das eiiebt, was mau phantasiemässige Auf-
fassung des Kindes genannt hat. Der Lehrer kann dabei sehen,
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- 385 -
wie weit das Kind noch von dieser AufTassuogsweise gefangen ist,
wie weit schon seine sachgetreue Auffassung reicht Das Zeicl^en
für die Auslegung des Erfahrungsinhalts ist vor allem die kindliche
Benennuncr nächst dieser die kindliche Darstellung im Bild. Die
kindliche Benennung ist indes nicht nur Zeichen der kindlichen
Auffassung des Wahrgenommenen, sondern auch bereits seiner
gesellschaftlichen Bednflussung. Die Benennung gehört entweder
dem Kinderdeutsch an, oder dem Heimatdeutsch, oder dem Schrift-
deutsch. Von hohem Interesse hinsichtlich der Erkenntnis der
kindlichen Auffassung ist darnach auch das Bild des Kindes, die
VersichtUchung seiner Auffassung des Erfahrenen durch den Griffel
auf dem Schiefer, oder den Bleistift auf dem Blatt Papier.
Die Ausleguag der Bedeutung des äusseren Eindrucks ist die
Einleitung zur weiteren Verarbeitung des neuen f 'rfrihrungrsinhaltes
im kindlichen Bewu.sstsein, auf Veranlassung des Unterrichts. Da
erscheint das kindliche Denken: der Grad, in welchem es vermag,
eine erlebte Erfahrungsvorstellung eine Zeit im Bewusstsein vor
sich zu halten, sie su betrachten, zu anderen früher erlebten
Krfahrungsvorstellungen, verwandten oder ent|Tegengesetzten Inhalts,
in Beziehung zu bringen, das ist zu urteilen, die allgemeinere
Bedeutung der sinnlichen Einzelvorstellung zu hndcn und ihr, gemäss
dieser allgemeineren Bedeutung, innerhaS) des eigenen Erfahrungs-
bewusstseins, den angemessenen Zusammenhang zu geben.
Schon beim Erwerb der neuen Erfahrungsvorstellung, namentlich
aber gelegentlich der weiteren X'erarbcitunp^ des frischen Erfahrungs-
inhaltes durch das Kind, tritt aucii dessen Raum, Zeit-, Zahlauf-
fassung, wie es sich fügt, an das Licht Die Raumauf&ssuog; die
Auffassung der Richtung, des Ortes, der Lage, der Entfernung, der
Ausdehnung, der Begrenzung, der Grösse, der Gestalt, offenbart sich
in der Besinnung auf das Aufsuchen des Erfahrungsgegenstandes
an seinem Platze, in seiner Umgebung, im Unterscheiden dieses
Platzes von dem Platz des Kindes, in der bildlichen Darstellung des
Weges zum Orte des Erfahrungsgegenstandes sowie dieses letzteren
selbst durch hinweisende, malende Gebärde und Zeichnung auf dem
Schiefer (Blatt). Die Zeita jffassung p^ibt sich kund in der Besinnung
auf das Wann, VV^ielange des Erfahrungserwerbs, auf das Zugleich,
Vorher, Nachher dabei, auf den natürhchen Zcitzusammenhang, in
welchen etwa das Hervortreten der erlebten Erfahrung (bei Pflanzen,
Tieren, Himmels-, Lufterscheinungen) gehört Die Zahlauffassung
verrät sich in der Angabe der Unterschiedrnheit, der Mannigfaltig-
keit, der Vielheit, des Wechsels, der iMcinheit bei der Besinnung
auf die Merkmale des Erfahrungsgegenstandes, auf die zeitlichen
und räumlidien Bestimmungen bei demselben.
Bei dieser weiteren geistigen Verarbeitung des neuen Erfahrungs-
inhaltcs durch das Kind zeigt sich dessen Mass an Befähigung zur
Vertiefung und Besinnimg — zwei verschiedenen Richtungen der
FtdagogiaGli« Studiea. XXX. t. 25
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— 386 —
Äusserung der geistigen Naturkraft, von wddien die eine darauf
geht, aus dem Ganzen des neuen Erfahrungsinhalts das einzelne
Element herauszunehmen und in der Aufmerksamkeit gesonde'-t
betrachten, die andern dagegen darauf, aus den einzelnen Elementen
das Granze, nach der Bedeutung der einzelnen Elemente im Ganzen,
wieder zusammenzusetzen; und weitcarhin die eine wieder darauf,
das Wahrgenommene zu älterem Wahrgenommenen zu hahcn und
dadurch in seinem Sinne zu beleuchten, die andere hingegen darauf,
sich aus der Vergleichung von Einzelvorstellungen zum Erfassen
ihrer gemeinsamen GlUtigkeit zu erheben. In dieser sich verttefenden
und dann auch besinnenden inneren Tätigkeit des Kindes erweist
sich seine ursprüngliche Anlage zu Genauigkeit, Schärfe, wie zu
Bestimmtheit im Denken: zum Eindringen in die KrfahrunLf'^wahrhcit
und zum Erkennen derselben j zur Lenkung der Reproduktion und
zur geistigen Sammlung.
Abermals ist es die kindliche Sprache, und zwar jetzt die Laut-
spräche, weiche dem Lehrer gestattet, In die innerere Arbeit des
Kindes, beim Durchdenken des neuen Erfahrungsinhaltes, einen Blick
zu tun. Die Sprache offenbart das Verwachsensein des kindlichen
Denkens mit den individuellen Vorstellungen, aber auch mit dem
individuellen Ausdruck des Kindes.
Auch bei der denkenden Verarbeitung des neuen Erfahrungs-
inhaltes durch das Kind besteht die Aufforderung, der Abhängigkeit
des Kindes bei seiner geistigen Tätigkeit von seinem leiblichen
Zustande, der Rückwirkung dieses letzteren auf die innere Auf-
gelegtheit und auf die seelische Freiheit des Kindes beim Denken,
die gebührende Beachtung zu schenken.
Die Feststellung der ErfahrungsvorsteUungen geht den bisherigen
Erfahrungsgelegenheiten des Kindes, seiner Welt, nach. Obwohl
dem Anscheine nach die Kinder, welche die Heimat gemeinsam
haben, alle aus dem gleichen ersten Erfahmngsquell — eben ihrer
Heimat — schöpfen; obschon die Kinder, welche dazu auch die
Sprache gemeinsam haben, dem Anschein nach alle dersdbea
Beeinflussung unterstehen: so ist in Wirklichkeit, sowohl was die
Erfahningsgclcgenheiten wie die absichtslos Vsirkenden Mitbildner
des Kindes anbetrifft, doch unter den gegebenen Kindern nicht
selten ein grosser Unterschied. Schon die allererste und aut lange
hin wichtigste Erfahrungsgelegenhdt för das Kind, seine Wohnstube,
ist wohl in allen Fällen etwas völlig Besonderes; desgleichen die
allererste und abermals auf lange hin wichtigste Sprachquelle für
das Kind, die Muttersprache. An die Wohnstube schliesst sich an
das Wohnhaus, daran die Gasse oder Strasse dabei, der Spielplatz;
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— 38; —
an die Muttersprache die Farniliensprache, daran die Umgangs-
sprache in der Kameradschaft. Dieses alles ist für jedes Kind
wieder etwas Unterschiedenes, Kigentüinliches. Und wie nun die
Pflanze stets anders gedeiht, je nach dem Erdreich, worin sie steht,
audi stets anders, je nach dem sie sich des Lichtes erfreut: so das
ländliche Erfahrungsbewusstsein stets anders, je nach der Statte,
wo es emporkommt, auch stets anders, je nach dem Geist in seiner
Umgebung, je nach deren Sprache, der getreuen Abspiegelung
ihres Geistes.
Die Feststellung des kindlichen Erlahrungsbewusstseins führt
also weiter zur Feststellung der Idndfichen Heimat, geistigen Pflege
und Sprache. Der Lehrer kann sich nicht tief genug die Tatsache
einprägen, dass jedes Kind ursprünglich seine eigene Heimat, Be-
einflussung und Sprache hat Diese Tatsache lässt schon die grossen
Schwierigkeiten ahnen, mit welchen der Lehrer in der Ausübung
seines Berufs am Kind zu ringen hat; wie schwer insbesondere
das Gesetz der Stetigkeit, der Anerkennung des Kindes, der Ur-
sprünglichkeit zu erfüllen ist — schon im Bereiche der JE^ahrungs-
bildung. Die geltenden Lehrpläne gehen von dem grossen Irrtum
aus, dass es bei den Kindern bereits ein gemeinsames Heimat-
bewusstsein gebe. Nein, ein solches wird anfanglich nicht vor-
gefunden, so wenig, als eine gemeinsame Aufibssung oder Sprache
der Kinder. Der Unterricht erst mag zusehen, ob es ihm gelinge,
mühsam ein allen Kindern gemeinsames Heimatbewusstsein, einen
allen Kindern gemeinsamen Vorstellungskreis und eine allen Kindern
gemeinsame Benennung und Verständigung anzulegen. Wenn ihm,
trotz redlicher Anstrengung das vielfach nicht gelingt, so tragen
die geltenden Lehrpläne daran die Schuld. Wo die Gesetze der
Bildung nicht anerkannt sind, geschieht alle Bildungsarbeit vergeblich.
Die Tatsache, dass jedes Kind ursprünglich seine Heimat, seinen
Sinn und seine Sprache hat, lässt auch erkennen, wie verfehlt die
Annahme der Theoretiker einer sogenannten Sozialpädagogik ist,
dass das EiiKEdbewusstsein in seiner Entwidcdang an die Be-
einflussung durch das Gemeinbewusstsein vom An£uig an gebunden
und dadurch bestimmt sei. Das Gemeinbewusstsein ist nicht der
Ausgang, sondern ein mögliches Ergebnis der Bildung des Menschen.
Die Feststellung der Erfahrungsvorstellungen geht den kindlichen
Einzelvorstellungen weiter nach.. Sie ermittelt deren Gegenstand,
ihre BeschafTeimeit und Starke: wie weit sie richtig oder folsch;
hell oder dunkd; roh oder bereits etwas gebildet; vom Zufall her
oder einer gewissen Anleitung zu danken sind. Ebenso geht sie
*) iSaa erinnere sich gegenüber dieser ^ViuuLbmc an die tatsächliche ZcrtcUung
der Menwhen ia luaatr Zeit in jeder, voinehmlicli andi in getitiger, Hinricht, eine
Zerteilung. welche bald die VerMlndigitog unter Mehrerai a^it leicht mehr mfigUeh
erscheinen lässt.
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den kindlichen Gesamtvorsteliungcii nach. Sie ermittelt ihren Sioiit
Umfang, ilire Grundlaj^cn in der Wirklichkeit, ihren Zustand: wie
weit sie etwa noch verworren oder schon deutlich, eng oder aus-
gebreitet, oberflächlich oder begründet sind. Sic beobachtet die
Erinnerung im Umkreise der Erfahrungsvorstellungen, dieGescbwindig'
keit, Sicherheit, Ausdehnung (den Reichtum)» die leibliche Begünsti*
g;uog oder Hemmung dabei Sie merkt auf das kindliche Verstehen
und das, was ihm voran, zur Seite geht, oder folgt: auf das
Besinnen, den Rhythmus im Gang der kindlichen Vorstellungen, den
Grad der Aktivität des Kindes, der Ausdauer im geistigen Arbeiten
und der inneren Spannung wie ihrer Verkündigung in Blick, Miene,
Haltung; endlich auf die Kntäusserung in der kindlichen Rede und
auf deren besondere (mundartliche) Züge.
Die Feststellung des vorhandenen kindlichen Erfahrungsbewusst-
seins schliesst ab mit der näherungsweisen sicheren Ermittelung des
kindlichen Gutes an Erfaiirungs Vorstellungen; der Bestimmung der
sinnlichen Aufmerksamkot des Kindes, ihrer Richtungen und Nacb-
haltigkeit; des kindlidien Denkens im Umkreis der Erfahrung, seiner
Aup'=priingcn in Fragen nach dem Woher? Warum ^ — im Suchen.
Zerlegen, Vergleichen, Zusammenfassen, Ordnen, übersehen; der
vorfindlichen kindlichen (Laut ) Sprache, ihrer Wörter (Benennungen)
und ihr^ Ausdrucks (Satzgestaltung) — hinsiditlich des Grades der
Angemessenheit und Vollkommenheit; und zuletzt der kindlichen
Darstellungsföhigkeit im Bild hinsichtlich des Grades der Treue
Schlnss folgt.
B. Kleinere Beiträge und Mitteilaugeii.
1.
Ebutlmmung.
Von Edmund Leupolt in Dresden.
Weite pädagogische Kreise interewiert noch heute der Konflikt, der «ch an
die beiden Namen Bremen-Scharrehnann knüpft. Scharredmaiin hatte in einem
pädagoglsoboi Atttetn HAunug vertreten, diM ea ihm nicht nri^eh in,
ddi aa dm ToigeaobilebeiieB Lehipkui so Uadea, weil die bapteadie Iwiii
Unterricht die Stimmong des hehnn für das Fach sei, dieie SäMmvng aber ack
für Zeit und Stunde nicht kommandieren lasse.
Im besonderen wird bei Besprechung des Themas Rcüs'ionsanteTTicht imraer
wieder die Ansicht yerfochten, dass man cum Keligiousunterricht vor aüen
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Stinaaraog bntndie» d«M nuun lebtptoniBfarig Mli 7—8 oder 8—9 sotebe Stiamiiuig
an mandien oder Tiden Tagen gar nicht haben kOnne; ohne Stimmnng sei wahrer
Eelitrionsnnterricht nicht tnojifHcli , ohne Einstimmung der Seele , des ganzen
Denkens, ohne £in.s])inunng in dif (<( t ihlserregang and Gedankengänge, die ein
gesegneter Beligionsunterricht nuu einmal erfordert.
Ea ist im letiten Grande diewlbe Wahrheit, «etohe die Sekten erfahren
haben, in denen der „vom Geiste Ergriffene*' anifaigt m predigui — > in immo*
heiliger Erregung, in „Begeisterung". Und es wird auch jeder Lehrer zugeben,
dass seine Stunden, nicht bloss di" RcliL'inn<»8tnnden, ganz verschieden i^tragen
werden von dem Geiste der Disposition, da^s es Weihestunden gibt mit innerer
Befriedigung und lencbtenden Kinderangeu und auf der anderen Seite Standen
in nttehtemem Alltagsgran, wo weder Kinder nodi Lehrw sieh ans bleierner
Mattigkeit zur Höhe erheben können; dass die Stunden je nach derlndiTidnalität
de? Stoffen und der Individnalit&t nnd sonderlichen j^stimniuig des Lehrers
stark wechseln.
Der Begriff der Stimmnng kommt von der Kunst herüber. Auf den Kunst»
eniehnngstagen hffrte man viel Trefflidies nnd ^el stark Anfeehtbares Aber
Stimmung und Einstimmung beim Geniessen des Kunstwerks mit starken Angriffen
auf die herkömmliche Schnlarbpit und ihre berkömmlirhe Kunstbehandlung". Es
klingen beim Werte Stimmung — Einstimmung alle jene Begriffe luit, fttr die
wir die Werte innerer und äusserer Aufmerksamkeit — Apperzeption und
SonaeDtration — Interesse geprägt haben. Die Sede hoidtt gleichsam gespannt
anl die TSne, die Ihr von der Anssenwelt anstrSmen. Dass diese Elnstellaog
der Anfraerksamkeit, diese Aufnahme der neuen Vorstellungen in die Reibe der
altt n imd die bewusste Willensrichtung auf diese Aufnahme, verbunden mit den
Schwingungen des Lustgefühls, ihre höchste Steigerung in der Kunst erfahren,
bedarf keines Bewdses. Ist docli jraes die ledite l^stunmong der Seele, da der
Mensch Welt nnd Wirklichkeit, Zelt nnd Stande vergisst nnd lencbtenden Anges
in eine unsichtbare Welt voller Seligkeit schaut! Es hat äie EiiHtimmnni? in
diesem höchsten Sinne nichts zu tun mit leicht aufflarkem<ler Augenblicks-
begeisterung, nichts mit sUsslicher Empfindsamkeit. Sie ist gesund und gross
nnd innerlich. Sie kann voriianden sein beim schafTendeu KOnstler, dem die Kunst
selber die Hand führt; sie kann vorhenden sein bdm Kanstgcniessenden, der
leinen Herzens die Kunst ihr heiliges Feuer in seinem Innern entsflnden liest
Immer ist sie — selten eine bessere Himmpls^^abe.
Heute ist das Wort Stimranner nicht auf die Kunst beschränkt gpblipben.
Es ist Sitte geworden in unseren Tagen, den Ausdruck Einstimmung in seinem
edelsten Sinne anf die „SebnUranst" an ttbertragen. Und es Ucgt aweifelloe eine
hohe Auffassung iles Lehrberufs in dieser Übertragung. Es spricht eine ausser-
ordentliche Bcgeistemnc' nnd eine grospe Liebe filr die Erziehungs- und Unterrichts-
arbeit an unserer Jugend aus ihr. Der Lehrer der Künstler, selber auf das
Höchste eingestimmt, der Schüler, der die Kunst de» Lehrers ergriffen, gefesselt:
welch berrUdieB Bild! Bs mttsste eine Lnst sein, Lehrer in sein in einer Zeit,
die so hoch von ihm nnd seinem Berufe denkt Aber anf der andern Seite steht
emtlchtemd der oft ^ geringe Erfolg unserer Arbeit, die geringe Anteilnahme
der SohiUer! Hier stehen die zahllosen Vergehen gegen Anfmerksamkeit nnd
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Fldn. Wie reimt «ick das mianunen? Wie iit dieser Ocgeneats m eridlm?
Hat die Einstimmung in jenem Sinne für die VoUmehnle Überhaupt einen Zwedi?
d. h. ist sie niöy:lioli? Und wenn j«: wa? ist zu tnn, nni int-hr als biaiier jene
innere Anteilnahme am Unterricht bei Kind und Lehrer zu trzt u^'en?
Bei der Stellnngnabme zn dieser Frage erscheint mir zunächst die Tatsache
nicht genügend beachte daae die Knatimmini^ im hdehsten Sinne eine ieltme
Gabe dee Himmels ist. Man mnss aieh auch darüber klar werden, daaa Leluer
xmA Künstler niif der einen und Kunsti^enieinde und Schiil-^r auf der andern Seit«
einander dnrehatis nicht gleichzusetzen sind. Relativer als der künstlerische
Erfolg und die künstlerische Kraft der Einwirkung ist der p&dagogisohe Erfolg,
der pädagogische Knflnea. Tk hingt die Binatimmang bei der Sehnlarbeit anwo
ordentlioii atarii von der A^die dee Seht lere nb.
So gewiss man zugeben kann, dass vom Lehr^ dii Weihe des ünterriebti
ausgeht, Wämie und Kalte, dass er die Tonart beetimmf Tempo, den
Rhythmus und die Tonstärke, er ist dennoch nicht souveräner üerrächer. Das ist
nicht einmal der Lehrer von Oottea Gnaden. Nun haben wir ee fOr gewöhnlich
mit Dnrehaebnittamenaeben an tnn. Und dann ist es dn alter Fehler, der bei
AnfBtellnng von pädagogischen Fordemngen immer gemacht wird, dass sie nr
ans^zeichnete Exemplare der Gatttmsr magleter im Auge haben. Es ist mv
einmal m: alles in der Welt ist relativ. Die Welt ist selber ein Helativnm.
Aber von allen Dingen in der Wdt ist die Pädagogik — die Schule das relativste.
Damm ist aneb die „Stimmnny", die man Jetat anf allen Qatten beiingen bflit,
mit Vorsicht zu betraditen. Der bekannte Pfarrer Tranb aagte MisUeb in
einem Vortrasre. dass jedesmal, wenn das Wort Stiinninng- s^nannt werde, ein
Gefühl des .Absehens emphude. Nirgends wird so in die Luft Iiinein £:ebaut wie
in der Pädagogik. Und aach die Einstimmmnng, dieses ueugeprägte, neudeutsche
Wort, iet durehana relatiT an Tetatahen. Kinder nnd Ldirer, Objekt nnd Sabj^
der Erziehnng, nnterl legen auch in nnaern Tagen den neuen Plopheten, die seltea
Neues bieten, sondern oft .Allbekanntes in neuer Aufmachnntr. wie der KaufmaDU
f);\irt darBtellen uder mit einseitiger Betonung predigen, immer nach den Tiig-
hcitsgesetzen menschlicher Entwickeluug.
Zoniekit der Schttler. Bi hängt mit di«Mi TUlglieitegeaetMa dei
mensohliehen Oeiatea anaammen, daaa einmal der Geiat lingere Zeit braneht, am
aich TOD der normalen Kälte der Indifferenz auf eine gewisse, ich m&chte sagen
höhere Temperatur einzustimmen; dass zum andern eine geraume "Weile n'tiir
ist, ehe er in der Temperatur einer gewissen Spannung zu wechseln vermag;.
ÜB ttllt dem Kinde, dem nicht gereiften, nicht aar Selbatbehemchnng gekommenen,
beaende» sehwer, etwa ana der Sonntagi' oder der Ferienatinunimg in die Arbeite-
Stimmung überzugehen; es föllt ihm schwer, atis der Oebobenhlit einer gelungenen
Religion '^'■t 'in de in die klare Kälte der Rechenstiindc hinilberzne'h reiten. Es
fehlt dem Kinde die Akkohimodationsfähigkeit, die unser Auge besitzt. Unser
Auge vermag sich rasch einzustellen, je nachdem die Entfemong des Objekts
groaa oder klein iat; nnaere 8ede nicht Und ea ist wohl ao, daia dieae FUdgkMt
der Seele um so melir mang^elt, je einfacher, natftrlicher, nnberührter sie ist, j»
näher dem Naturstandpunkte sie sieb befindet. Ein an moderne Sprtln^e un<l Geeen-
a&tze gewütmter Geist vermag dieee Einetimmaag leichter zu leisten als jener,
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dar jftdw TStnmag nmielMt Mtlos gieganftbenteht) mit giowtr Eraftonaigifl n
flberwinden sncht und, inmitten dieses Prozeraes dnrch ein neues Objekt gestört,
diesem neuen neue Aufgf^aben stellenden p^eg^nüher völlig versagt. E« fehlt dem
emiacäeu Dorfkiude die Fähigkeit, seine Seele einzuätimmeu, weit mehr als dem
Stadtkinde. Du Stadtkind ist es gewOhnt, seine Seele gewiiaenianeai aluMi^
fteUen. An hundert Objekten der belebten Strasse geht ee achtlos Torftber; wie
in einem sich drehenden Fuionma gleiten die Bilder an Mliiem Ange vorüber,
kaum gesehen, beachtet; nur ein besonderer Fall lenkt Mine Airfmerkiamkeit
auf sieh.
So auch im Unterricht. Gewiss gibt eti auch Kiuder, welche das Vermögen
cinigenDMwn wenigtleas betitsen, eich sdadl in das Nene sn finden, aber im
allgemeinen gilt die Tatsache einer sohlechten Einstimmungsmöglichkeit yon der
ganzen Klasse. Dabei kann man. wenn ui-ui will, eine doppelte Einstimmung
unterscheiden. Einmal die innere, die ideale Erfasnang durch den Stoff, welche
namentlich bei fieligious- und Q^hichtsstunden aultritt; dann das äossere
HIneiniehicken in das Fach, die tedaiache Fertigkeit nnd Sebnelligkeit, sieh in
ein anderea OeMet an werfen. Da aber ikxe Unterscheidung nnd Trennung
immerhin idiwiexig iat^ ftuae ieh «ntw dem Begriff Binerimmgag gemeiniglidi
beide.
Besonders auffällig tritt sie in die Ersoheinong bei Kevisionen,
Prüfungen nnd Lektion STermiachnngen. Ss ist eine alte Klag^ daaa
bei Beviaionen die Klane venagt Nieht, daaa der Beviior m Solnvlerigea vei»
langt. Aber die Klasse vermag sich nicht sofort einzustimmen in die Stimmung,
in welcher der Revisor sich befindet, ganz abgesehen davon, dass die .\utörität
der Persönlichkeit des Revisors, äussere Eigenheiten, Eigentümlichkeiten der
Sprache, die Frageweise, das UngewShnliche der ganzen Sitnation stark mlt-
irirken. Dabei ist die dne Klasse sdiwerfRlUger als die andrae. Die Kinder
waren mit ihrem Lehrer in Stimmung — sie wurde jäh zerissen durdi den
Eintritt Hp-^ Revisor« - nun st-hweben die Saiten der Seele in ungleichen
Schwingungen, imd ea dauert lauge, ehe sie gleichschwebend werden und ein
leiser wohlgestimmter Akkord über die Saiten länft.
Sine analoge Biaehelnnng flUlt dem Beobadtter bei Prflfnngen aaf. Es
ist bduinnt. dass gerade die Besten hier oft versagen. Ihre Seele ist am feinsten
besaitet. Es irrhf.rt zu den Gründen gegen die Prüfuniren , f1ns<i viele der Kinder
sich hier total aulers zeigen als im Unterricht. Doch abgesehen davon: auch
die Einstimmung der Kiasse ist in vielen Fällen nur »chwer £U erzielen. Ich
nehme den FUl, dass das Themar das sieh der Lehrer gestellt hat, nieht gani
dem Thema im Tagebneh entq^dit, dass auch die Behandlungsfoim, die der
Lehrer wählt, neuen Forderungen nachgebend, durchaus originell sei. Das Thema
soll beispielsweise lauten: Nerven und Muskeln in Wechselwirkung. Die alt-
hergebrachte Methode, wie sie von vielen Lehrern gettbt wird, wäre die Betrachtung
des Nervensystems (a), die Betnwhtnng des Mnslnlqrstttns (b), die Betraohtung
des Verhiltttisses beider nneinander (c). Der Lehrer hegimtt etwa mit dar
Betrachtung des Durchschnitts des Unterarms von der Haut bis auf die Speiche,
wiederholt dabei kurz die Beschaffenheit d*>r Haut, Bedentnng und Lage der
Adern and geht nun näher auf die Muskeipartien and Nervenstränge ein: kurz:
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er entwickelt uen sein Thema. Weklie Ebrfuhrung wird er machen ? Die
Lektion g^eht wahrscheinlich .Hchlecht. Die Kinder antworten schwach, oft falsch.
Die Frag:enreihe schleppt sich dahin wie eine mttde Karawane dnrch die WfUte
in dar Ifittagsglnt. 0ie Siiutiimnoiis fbUt Et iit den Sindan nicht möglich,
•ieh aeeÜMh sofort sn Cumh, aieh in die nene Form der Belwodlanir n Sad«.
Sie sind auf gewisse Folgereiben in ihren Gedanken gwohnlt, tidleicht nach der
Regel: Wesen iles Muskels, Bestandteile, T<a?e. Tätigkeit n«Av .lern betrinnt
die Gedankenreihe anderswo. Da ist die £iuaümumng fUr die meibteu unmöglich.
Der ParaUelUasaenlehrer und mit ihm die grosse Zahl der Lehrer Temeidet
die angegebene oder eine Ihnliehe Behandlang des Themas. Xs kenaMn die
bekannten Examenf ragen: Wie haben wir damals gesagt? Wdehe drei Sätze
haben wir nns damals n-^'m^rkt '-' heippcn die Überschriften ien^^r Absohnitte?
Gib znsammeulasäen«! die besoudereu K«gelu über die Schonung der Nerven, der
Muskeln an! Wie habe ich damals die Bedeutung der Nerven mit einem kurzen
Worte gekenutiehnet? nsw. Und die Kinder arbeitea ,,bfj]laat'' mit, wie der
technische Au»dmck lautet. Ja, wnmm? Die Einstimmung ist da, die Kinder
werden in die iLjewohnte Tempemtnr geführt, in der j^'ewohnten Weise werden
ihre Gedanken aust^elünt ohne Hemmungen, ohne innere Schwierigkeiten, h«
arbeiten wie ein grosses Manchinenwerk : sobald das Werk eingestellt ist, l&ntt
aUee In lostigern Brammen and Samam von selbst.
Und nnn cor Frage derLektionsvermischung und der Vergleiehnng.
Dn hältst eine Lektion in der Erdkunde, lieber Le^er. b^hreibet die Mittel-
gebirgsland!4chafteu Ungarns und vergleichst sie nun in ihrer Beschaffenheit und
ihrer Höhe mit mitteldeutschen Bergländern. Welches ist die Erfahrnng, die da
maohst? Die Kinder versagen beim Vergleichen. Dn weisst. de kennen die
deutschen llittelgebirge, da hast sie gründlieh behandelt, es ist aneh eiafctes
Wissen genügsam vorhanden, du warst stolz auf deine Erfolge noch am Schlosse
des letzten Schuljahres — und nun? Mühsam holpert die T.»ktion weiter. Die
Einstimmung fehlt! Heisst das Thema wieder: Die Ueut&cben Mittelgebirge
au der We«er, zwischen Bheiu und Elbe oder sonstwie, sofort wtirde die Klasse
eingestellt sein; das Uhrwerk wttrde federleieht gehen. Aber so? Da weilst in
Ungarn bei den Paastahirten und beim Tukaver und bei den Siebenbürgener
Sachsen nnd den halbwilden Schafhirten der Karpaten und den Biinnjaireni der
transsilvauischen Berge und verlaugi^t den Sprung rückwärts, unvermittelt in die
deutsche Heimat, in deutsche bunte Wiesenlandschaften und stille Stromlänfe,
sehwdgende FiditenwUder nnd gewerblldssige Tiler? Und nnn vei|^eiehBt da
gar die Höhenzablen der Gebirge Ungarns mit denen der deatachen Berga. Da
lässt rechnen, wieviel Meter, wieviel QiiadmTkUometer Differenz zwischen jenem
Gebiete nnd diesem liejjen, nur rund, nur ungefähr — ilu erschrickst! l'ie Kla.'^s«
rechnet fürchterlich, und «loch hast du vom Direktor das Zeugnis bekommen, dau»»
die Klasse die beste BeehenUaase der Schale sei. Da lieber Gou! denkst da,
wie man deh inren kann. Und dennoch kann das Urteil richtig sein !
Man kann oft bei Prüfungen die Rechenfertigkeit nnserer Schulkinder
bewnndem. 789 + 213, 1212 — 987, 88 x 9. 777 : 16 — es geht Schlag auf
Schlag, die Zuhörer schütteln erstaunt die Häupter, die Kollegen denken:
lisnsendkttnstier! Und dann verlangst Da von denadben Kindani blo« in der
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GeMduehtiBtniide das Lelitnsalter Lvthent; tagst dreiml die beiden JahreaiaUoi
1483 and 1646 — ich wette zehn gegen eins — du bekommst erst drei falsche
Antworten thk! nach fünf Minuten das richtige ErgebAis. Das ist ein Beispit^l
für raang'elnde Ein.stiramnng nnserer Kinder, das jeder erlebt und registrieren
kann. Gerade die mecbauiüchü Fertigkeit des Bechnens verlaugt eiue besondere
ffinstellniig des YontflUnngsappante. In der Beehenetonde kOnneii die Kinder
glatt, erstaunlich sicher rechnen, in der nächsten Stande schon venagen sie bei
der leichtesten Aufgabe. Darum bezweifle ich auch den Wert dieser Rechen-
dressur. Wenn der Lehrer nur sechs Woclirn lang diese schwindelnden Schnell-
aufgabenreihen nicht gibt, nicht ttbt, «lauu ist die mechanische Fähigkeit ver-
schwonden. Frage ansserbalb der Sehnte einen solcheii SöhneUrecInier nach der
LOsnng einer leichten Aufgabe — > die laaehe Astvort wird anriUeiben. Das ist
ein Grundgesetz unserer Kinderseele im besonderen, dait lie ftr jede besondere
Leistung eine besondere Einstimmung^ niUig: hat. Und so ist es bei allen
LektionsTeriuiiicUuugen, wie ich es nennen will. Sprünge aus einem Fach ins
andere, etwa der Yttraoli einer Oeeohichtslektion auf geographischer Grundlage,
^rerUttisn die Kinder. Die Kinder denken mir eins, wie man in gewtHinlidien
Leben sagt, wie es die Hausfrau von den Dienstboten ebenfalls behauptet. Ein
spmn^weises Hin- und Herfahren vcrträtrt ein Kind nicht, wenigstens nicht bei
enuter Arbeit, m i^ehr es soost den Wechsel liebt. £s gehört schon ein philo-
sophierender, überlegender Geist dazu, hier mitarbeiten zu können. Es gehört schon
eine anseerordentlieb gescholta, geistig IdHsndige Klaese dam, dabei Outee an MetMi.
Damit komme ich zu der Frage: ist es mOgUeh, diesen Mangel an Fübigkdt,
die Seele ra^ch einzustinniKn für das Nene, in etwa«? zn beheben? Die Autwort
lautet Ja. wenn iinch dieües Ja nur relativ zn verstehen i^t Anlagen der vSeele,
Erbbtiicke einer unermesslich langen Yergaugeuheit kann mau mcitt beHeitigen,
nie ansrotten, nur dftmpfen nnd bleichen. Durch intensiTe lebendige Unterridite-
arbeit, die nicht das ganze Jahr hindurch in denselben Gleisen wandelt, die
vielmehr einmal von der. das andere Mal von jener Seite an das Objekt heran-
geht, die den Kin<lern auch einmal Problenie stellt, die die geistige Ausdrucks-
fähigkeit und schnelle Beherrschung der Yorst^llung im freien Aufsatze, in der
Mtem Übnng von UndertSmlichen Vergleichungen , neoartlgen Znaaaunen-
fassongen, interessanten Übeiblidmi nnd Ansblieken nach Krtften fördert, kann
die Akkommodationsfähigkeit der kindlichen Seele ganz bedeutend ausgebildet
w» rd*ii. (Tnd es ist das Kennzeichen einer wirklich durchgearbeiteten Klasse,
weuu sie bei neuartiger StoSbehandioug ihren Mann stellt. Das sind die
aeblechtesten Klassen, die nnr bei ikram Klassenlehrer etwas leisten, wie fUe
Zneht der Klasse iinnier Tetkehrt ist, die nnr bei dem Klassenlehrer sieh
beherrsehen kann, gleichsam auf seine Per^ u iressiert ist. Es fehlt in solchen
Klassen die wirkliche An^bildnng fHr das Li Inn die Ausbildung freistiger
Fähigkeit, geistiger Gewandtheit. Die nahen Greuzeu dieser Ausbildungsmügiicb'-
keit aber liegen auf der einen Seite in dem schon gekennzeichneten Gruud-
«Aarakter der Undliohen Seele, die aar Vertiefung in geistige Arbeit immer erst
einer Einstellung bedarf, und auf der anderen Seite in der Person des Lehrers.
Dabei schalte ich im Rahmen dieses Aufsatzes die erzieherisch Itfrdemden nnd
hemmenden Einflüsse des Hauses und der Umwelt aas.
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ZnnlU^t gilt auch von der Penon des Lehrers jen» OnmdgOMts te
kindlichen — menschlichen Seele von der Schwierigkeit rascher Einstimmting in
Wechsel. Ja. es kommt bei ihm in seiner Wirkun? b^^^entetid stärker inbetracht
als seine Allgcmeinbegabang nnd seine innere Teiinahme für £inxelfäch^ m-
eadlieh wichtiger fttr die SäntCini&inf der Eleaee iü «Ii die der Xiiider. M
den Kindern heben sich die Tenchiedenen Begnbongen und Neignagen im
Organismus der EUuM gegenseitig an!; Ton der Begelnuig des Lehrers aber
hängt die Einst immune der Klosse ab. Jeder Tjehrer ist mehr oder wenijr«r
Fachlehrer. Mcbt alle Scbuüäcbcr entzQnden in gleicher Weise sein Inneres.
Es ist die spezielle Begabang für ein oder mehrere Fleher aogar ein starker
Fiaktor bei der Featetellnng der Bemtifreiidigkeit
Wenn es richtig ist, dass die Bentfsfrendigkdt bedingt wird dnrch die
iTn!*>n» f5n''«pre'^ Rnhe des Lehrers, wird fiif«?pr Zusammenhang: klar. Die
iieiiiimuigeu der Berul.slreudigkeit, die eben diese innere Ruhe des Lehrenden
und den äusseren i^riedeu der Schalarbeit stören, beeinträchtigen zugleich die
Sinstinininng. Ibrw ist Legion. Nicht nnr die, die in seiner Sondorbegabnag
und ihrer Nichtberückaiditigmig liegen, also die rein pHdag-ogiseben Hemmungen.
Der Lehrer ist wie jeder andere ein g'ar abhän^irig'es Geschöpf, ein schwarher
Mensch, Bürger des Staaten. Haupt der Familie, Glied de.s £jros.Hen SchulorgamsBins
und -bfirokratismus ; alle die Hemmungen, welche ihn als Glied dieser Gemein-
schaften trefien, Terwonden ihn als Lehrer. Der Lebier trlgt seine Not mit in
die stille Sebnistnbe hinein: die Bitternis seiner Standeskftmpfe, die Not seinm
Leibe.s. die Last seiner sozialen Stellung, die Sorgen de.s Hanses und Jlu-»*>ere
EiutiUsäe obendrein. Die Unzuliinq-lichkeit der räumlichen nud technischen Schul-
einrichtnngen macht die Arbeitsergebnisse stark relativ. Strassenlärm und Sonnen-
hitse, ftberfUlte Xlaieen nnd MinimaUehrpline neben mangelhaften Lefai^
vontchtnngen stttren die Einstimmong. Sasn die Hermhaft des lieUigen
Bürokratismus. Er vergleicht fleissig Parallelklassen mit Parallelklassen, gibt
alle 4 Wochen Prüfnng-sarbeiten und schickt ümfrajjeh-.Ln'n auf T'nifni^.bogen,
um alle möglichen Ergebnisse fein säuberlich in Prüzeuteu darzubtellen. Ade
Feieratille der inneren und insieren Einstimmung. Es geht dir wie der wahroi
Seligioiltit, die im Gepitnge des kiiehUdun Gottesdienstes nnd des weltüehsa
Linns nnr an oft flächten muss.
Hierher ?eh('»rt auch die Nnnimerierungs- und Schematisierungs-. die Ver-
ordnungs- und Verf üffunari*krankheit Preussen-Dentschlands in unserer Zeit. Hierher
gehürt die Yielrevidiererei, die Sucht, Ergebuisse, Früchte zu r^istrieren, ehe die
Saat noeh reoht in die Halme gesebossen ist Es faUt die hdlige Bnbe, in der
allein echte Schul- und Erzieherarbeit gedeillt. 1^ neaerdings bringt die jüngste
Grossmacht manchmal neue Beunruhigun^n . neue Hemmnisse in unsere Schnl-
arbeit hinein: das ist die Hygiene. Mau verstehe mich nicht falsch. Gewisa
ist die Hygiene eine mächtige, freundliche Bundesgenossin auf dem Gebiete des
Unterrichts, die an der Seite des Lehrers wacker nütstreitet gegen alle Funde
der Yolksgesundbeit, der Xindeigeeundheit im besonderen. Aber wir leben in
einer Zeit, da ihre Vertreter im guten Eifer, in der besten Absicht über da* Ziel
hinausschi essen und in ihrem Ifühlichen Drange, der unterrichteten Jugend zu
helfen, mitunter in die Unterrichtsarbeit ein verwirrendes Moment tragen. Sie
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hab«! in ihren frendifen Ih-ange, m refonitienii, nicht bedacht, dass in
Schule neben dem ^^elen, waa die Hygiene fordert, anoh noeh — der Untttrieht
etwas Wesentliches ist. Da werden die Elementaristen nach dem Schuleintritt
untersncht — T'nter!*iu'huiiy wiederholt sich (so ist es z. B. in Dresden) vor
Beginn des 1 oruuuterrichts. Da verordnet der Scbolarat eine allgemeine Angen-
anteniiohiing, und mit HUIb der Cehnadhen Sehtafetn wird die Sehkraft ebatlieher
Schvlkinder der Groiietadt festgeatelit. Die Kffiperlinge wird genenen — das
kleinste nnd das grGsste Scbnlkind beransgefnnden — Gewicht und Gewichts»
annähme ermittelt. An den Scliulem der Nachbarschule wird eine alle^empine
nnentgeltliche Zahnbehandlung durchgeführt ; klansenweise marschiereu die Kmder
nach dem Operationszimmer der nahen Zahnklinik, kehren blass, aufgeregt in den
ÜBterridit anrdck <~ nnd dann: weiheToUe Bins^mmnng! KUralieh wandte steh
ein Oberarzt eines grossen Kinderkrankenhauses in D. an daa Schnlamt wegen
der Erlaubniss rn einer alli^euieiueu — Uriimuter-Jnf'mmp einer ^m">ssereü Zahl
Kinder. Immer und ininier wieder die Schule, die Schule, Bonos' Worte über
die Volksschule als Mädchen für alles sind bissig, aber treffend.
Han sieht, wie relatiT der Begriff der Einetininrang ist, soweit er tob der
Person des Lehrers abhängig ist, von der doeh hauptsächlich die Einstinunoag
der Klasse hergestellt wird, man sieht, wie beide. Kinder und Lehrer, oft in
gleicher Weise von dem in ihrer stillen Besinnung gestört werden, was mit Lärm
nnd Wichtigkeit in die Hube der Schularbeit tritt.
Gewiss gibt es eine besondere Begabnng für das Lehifaeh, ein Oottea-
gnadentnm in der Pildagogik ; ee gibt geborene fiehnlBieister, die die Geister nnd
Seelen der Kinder an sich fesseln, die alle inneren und Süsseren Hemmungen über-
winden mit innerer Sieghaftig^keit , unverwüstlich, unerschöpflich in neuen
Anregungen, kleinen Kunstgrifiten, im stets iuteressiereudeu Wechsel, unverwüstlich
in lohender Begeistemng. Aber diese innere Freudigkeit, die nidit sterben kann,
die daa onsterbtiebe Teil der echten Fidagogen bildet, ist ein selten Ont Der
pädagogische Erfolg ist etwas sehr Relatives. Wie will man auf so schwanken
Boden di»' ii»'ue Lehre gründen, dass aller Unterriebt sich richten mü^sp nach
der Einstimmung des Lehrers für das Fach, für die Stunde? Wie will man noch
eine nene Bedingtheit an hnndert andere anreihen? Das Mittel, mit dem der
Lehrer aneb ohne Sondwbegabnng, ohne heroiMhe GiOsse trota aUer Hindernisse
die Einstimmung der Klasse erzeugen kann, ist noch immer jenes starke Pflicht»
c»''iihl das den Volksschullehrer befähiti^-t hat. in den tnl^i'ten Zeiten .seine
schwere Arbeit 2U tun; die subjektive Stimmung des Lehrers kann nicht den
Haupttou bekommen.
Daians ergibt sich für alle Frennde der innmi ISnatinimang inniehst nur
das eine mit nnerbittlicher Notwendigkeit: der entschlossene Kampf gegen alle
die äusseren und inneren Hemmnuffen. welche die wahre Unterrichtsarbeit
schädigen. Im allgemeinen gilt sehr noch lirr Sntz, dass die Praxis des Lebens
immer wieder von Uberf erneu Sterueuhoheu aui harten, steinigen Boden zurttck-
ftthrt. Alle Wttnaehe darüber hinaas sind blind versehossene Pfeile. Die subjekiTe
Eigenwilligkeit des Lehrers darf nicht den Hauptton bekommen. Es wird gewisslieh
auch bei gröPBcrer Freiheit im Reiche der Schule das Lehrtum eine oft dornen-
volle Arbeit bieten ; ihr bestes Äquivalent ist jene innere Freude, die üna&hligen
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Uber die Ifitera des LehrexMins UmunfelMlfen 1»t, imd der G6daaker <^ gmde
(Ur die Besten die DardueluiiUdAbenifbnDen der Welt ein Kartvriuin LedeoAea,
und der Gedanke, dass unsere ganze Arlieit im I»ieiiste des Kindes st^-ht. Das
hehre, heilige Menschenleben im Kinde achten und ehren wir als eiu Stdok
Menscbheit8geiicbichte und Menschheitszukunft, das es repräseutirt, ein ätück deji
eigeneii Lebmu im letiten Qnuide. Dm gibt die be«le innere BSnatinimmig Ar
den Bernl ttberbanpt» dae iet dae beste, das amterbliehe Teil dea eebten Lebten;
jene innere Begeisterung:, die tröttlicbe Fanken aontreot^ an denen lieh
Feuer in Einderheizen eutzOnden.
C« Beurteilungen.
K« Hemprleh, Winke inrGrttndnngr
und Leitung von Jugendver-
eiuigungen« Osterwieck a. Hars,
A. W. Ziokfeld 1906. 134 8.
Der Verf. gibt in dem Buche edne
in 18 Jahren gesammelten Erfahrnnii'en.
Der 1. Teil zeic-t zuerst im Äu^chluHä au
Mas.sow. Haeseler, Kerschensteiner u. a.,
dass JugendvereiniiTungeu nötig sind.
(Man vgl. Päd. Stnd i;)07, 2. H. den
Auf^iatz yon Rektor Hieronymus.) Dann
folgt als Hauptsache die Beselireibnng
der ,,Einrichtungen zur Fürsorge für die
arbeitende Jugend"', wobei wiederum
die veESchiedeuen Formen der bereite
Torhandenen FQrsorge neben einander
gehalten werden. So wt^tdet sich IT.
s. B. gegen y. Massuw, insofern dieser
verlangt, dam die ^Pflegschaften" Ton
Staat - \\ L' i Ti ■ iiitrerichtet werden sollen,
sondern meint, dass sich in jeder Ge-
meinde die nötigen „Pfleger" ohne
gesetzliche Anordnung finden würden.
Vülie peraöuliche Hingabe und der liebe-
volle Zwang, der von ihranageht, wirkt
hier mehr als Verordnungen r.nd Vor-
schriften, »Jigt Verf. mit Kerscheuäteiner,
aber auch ihm selbst ist das zur Tat
treibende Wort nicht versagt. Im
2. Teil des Buche«* gibt er „einige
Vorträge und Abschnitte aus solchen
Büchern, die meinen Jungen in den
Abendnnt«rbaltungen am besten ge-
fielen". Hier liiidet also jeder angehende
Leiter eine erprobte Auawahl des besten
Unterhaltnnga« und Belehmngastoffes;
anch dt-r Hiinntr und die Mmulart
(Anhältische Dorfjachichten von U.
WiBchke) fehlen nieht; den Frer-
burgischen Zng im Buche zeigt be-
sonders der Vortrag über Ludwicr Jahn.
Leipzig. Fr. Franke.
„Mein Kind.'' Ein Endebungsbudi
Theodor Tanl Voigt. Verlag von
Theod. Thomas in Leipzig. Preis
broaebiert 3^ H.» gebd. 430 IL
Das Intereaae nn der Erziehung ist
gegenwiirtig ausferord^^ntlich gross E*
hat sich von den Berufspädagogen auf
Ärzte^ Künstler, Juristen. Sozialpolitiker
und Geeetsgeber erstreckt. Und in der
Tat tnt es not, dass mehr als bisher
dafür t^'esclielie, dass nnst^re Kinder .zum
Heil der Welt das werden, was wir g»>
worden nicht und haben werden wollea*.
Und der Punkt, an dem der stärk^-te
Hebel eingesetzt werden moss, ist die
Familie, „das Protoplasma der aodalen
Verbände". Aber wozu einer Mutter,
einem Vater noch Belehrungen Dber das
Geschäft der Erziehung gehen Ist
nicht jedes W^eib, das ein Kind geboren
hat, und jeder Mann, der seinen Erst-
geborenen aus der Wiege hebt, schon
dadurch zur Erziehung befShigt? Nein.
En gibt nun bereits eine Reihe recht
gediegener praktischer Anleitongen znr
rziebung, von Salzmanns bekannten
Schriften bis auf Ammous „Mutter-
pflichten'". .\ber keine berück -ichtigt
in ao ToxtceffUcher Weise das nnmittel-
baie BedVrfiife einea jungen Ehen-
l aare^. wie daa oboi genannte Bneh
von Voigt.
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— 397 —
Der Verfasser steht anscheinend auf
d«m Boden der Herbartschen Pädagogik :
entnimmt das Ziel iesrlicher Er-
ziehung der Ethik und schöpft aus der
Psychologie die Mittel, es zn erreichen.
mIui mnM im wnxu da« geistige
068 Menschen schauen, den ich aus
meinem iiinde im Laufe der nächsten
zwanzig Jahre machen will.*' „Als sitt-
licher Charakter zu leben, in seinem
Stande glücklirb zu sein und in seinem
KrdM niltzlü li /.u werden, ifJt die Be-
stimmung des Menschen, ist das Ziel
der Auferziehung unserer Kinder." „Ich
muss aber auch die Bildsamkeit, die
Fähigkeiten und KrMfrp der kindlichen
Seele wenigsteus einigennasseu keuueu'.
Das Hauptmitte] der Regierung ist ihm
Autorität und Liebe. Der Gottesbegriff
Voigts deekt sich mit dem Herbarts,
indem er dertuirit wird als der , .reale
Grand aller Weltwirkliohkeit." Kxaz
mi gut, wir haben hier ein Bneh, dass
nnrh li'in^lii }]•' Erziehung' in der
Jüetnkiuderstttbe in Herbartschem Cieiate
beeiniliiMen will. Ond wie echte Uest
es sich, wie an^-^rhiTTÜch lehrt es. "^vie
herzlich ermahnt es, mit welch freund-
lichem Scherz sagt es oft seine Wahr-
heiten, nnd über allem, welch innige
Liebe zu unsern Kindern durchweht das
ganze Buch! El ist eine Erqnickiing
aarin zu lesen.
Nanmborg a. S.
Friedrich Blilthgen.
DeutschesLesebuch, bearbeitet von
einem Vereine praktischer Schul-
rntimer. Ausgabe A [7 Teile]. Verlag
Ten Emil Soth, Oieaeen.
D i f ' .\ T 1 r i^guu ge n d es "We i ni a r < ' r K ti nst-
erziehuugätages sind auch dem Lese-
baehe zu gut gekommen: wir etehen
im Zeiclh^n der „Neubearbeitungen".
Vorliegendt^ Lesebuch ist wohl eine der
ersten Schwalben, <üe den Sommer
glorreicher Lesebuchfreuden ankündigen
— leider, um es gleich vorwegznsagen,
keine Of^hle Übermässiger Befriedigung
auslöitt Nicht, dass die vorliegende
Neubearbeitung keine tüchtige, der
Anerkennung werte Leistung sei! Wenn
indes die Verfasser immer wieder (in
den Vorworten zu den einzelnen Schul-
J'ahreu) betonen, dass die anerkannten
rorderongen der modernen Pädagogik
ihr Kriterium gewesen, so müsste man
den Pnlsschlag derselben doch eigentlich
etwas kräftiger versptlren. Denn fdr
alle Vorwürfe gegen das bisherige Le.se-
bnoh lässt sidi iu den 7 Teilen eine
ttattliehe FttUe Ton Beweieetelleii bei-
bringen: Platte Reimereien die Menge,
sehr wenig Humor, zahlreiche V^-
frfthnngen, eine grosse Zahl nnkindlicfaer
Erzählungen, I 'f»eradierun^ zum Realien-
burhe usw. usw. Konservative Gesinnung
ist sicher etwas schönes, aber wie in der
Politik, so kann sie auch in der Pädago^k
von Übel werden. Man trenne sich
doch endlich einmal energisch Ton den
ältesten Ladeuhilleni un(f lasse, z. B.,
auch in der Geschichte eudüch die
Modernen zum Worte kommen. Wir
haben heute Männer genug, die die Er>
gebnisse der neueren Forschung in
künstlerische Form zu giessen hervor-
ragend befähigt sind. Vielleicht eut-
«eufessen eich die Herren VerfasBer,
eiuzelue Teile geiegentlieh noohmale
umzuarbeiten.
Leonhard, Der deutsche Aufsatz auf
der Mittelstufe. Ans der Praxis für
die Praxis. \ erlag von Wilhelm
Weicher. Leijjzig. M. 1.2ö. 72. S.
Ewald, Wegweiser zur Krzielong
eines telbstSudij^en deutschen
Schllleraufsatzes. \ erlag von Moritz
Diesterweg. Frankfurt a. M. Geb
H. 2,40. 109 8.
B e i f f , Praktische Koneteniehnng.
Neue Bahnen im Aufsatzunterrichce.
Verlag von B.G. Teubner, Leipzig.
Qek. k IfiO. 131 S.
Du Werkeben Ton Prof. Dr. Leon-
hard ist eine 'mf atzmethodik für
Mittelsdiuleu, s|>ezieU für die Mittel-
klassen deiedben, aleo für Unter-,
Oberterz nnd T^ntersekunda Pie Arbeit
ist um deswillen interessant, weil sie
zeigt, wie ein bemfener Vertreter eeiBei
Faches zur modernen Aufsatzbewegting
steht. Um es kurz zu sa^n: zwie-
spältig: mit einem Bein in der alten,
mit dem anderen in der neuen Bahn.
[Er erinnert hierin lebhaft an seinen
Spezialkollegen, Prof. Dietz, den Re-
ferenten über den ..Anfsats" anf dem
2. Kunsterziehungstage . dessen Dar-
legungen ja, wie Lels aijiit, teihs eise auf
lebhanen Widerspruch stieasen.] Und
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— 39« —
das ist nidit verwunderlich, wenn man
bedeokt, dass Deatech iluu wesentlich
KoDientrationsfAeh iat Ich imif»
es mir selbstredend rersai^on. m ini
Auflasauo^ euu^ebeud su begründen,
will aber beiepiebwcJw «vT pair. 9 seiner
Schrift verweisen, \^ n » r im Becjfinn des
2. Absrhnittes die selir verständige An-
sicht vertritt, dass die Unterstiäe der
If ittelscbole (Sexta bis Qnarta) in Bezug
auf den Deutschunterricht nichts weiter
■ei als die Fortset zun fr <ter Unter-
stufe der Volksschule, lö Zeilen weiter
unten aber erklärt, dass öic „nur die
Wiedergabe von Gelesenem und £r-
liblt^m" sich zum Ziele setzen und
dam man „selbst in Quarta, höchstens
au die Diirstellun^, keiue.sfallö aber an
den Inhalt irgend welchen Anapruch auf
SdlMtindigkeit" stellen mid dumr „toh
.seinen' deutschen Arbeiten nur im be-
schränktesten äinne des Wortett * reden
ktaiie. Ich denke, dus genügt.
Ewald bietet eine ifc;:ute. zusammen-
fassende Arbeit, die alle einschlägigen
Fragen in den Kreis der Betrachtwig
zieht. Man kiiuu ihn etwa als ge-
mässigten" Freiaufsatzler ansprechen.
Die ,^ttngiten" werden «lio vieles an
ihm ansztisptzen habpn . manehe ihn
vielleicht gar als rückständig ablehnen.
Ich selbst, wiewühl durchaus kein
„Radikaler", bin gleichfalls in vielen
Punkten anderer Meinung. Der Haupt-
differenipQiikt swischen mu dttifte «ohl
der sein, dass Verf. noch immer an
üonzentrationsidee klebt. Ich kann nick
faJerniebtin eine psycboIogiMhe Koatro*
verae mit \\uv. f iTila>-i; n : i].\>s er abt-.r
jeden ordnun^sgeuiäss au das lund beraa-
gibrachten Imterriehtastoff als ,,inner6i
rlebnis" ansieht, ist ein schwerer Irr-
tum. Und nur solche Stoffe können
Gegenstand freier Aufsätze sein. Dm
alles kann mich indes nicht hindern,
das Buch namentlich den Jüngeren
unter uns und deuffii, die keinemümde
wt.'itschichtiger Werke -^ind, zu sorg-
samer Lektüre dringend zu empfehlen.
Alle in Frage kommenden Faktoren
werden reichen Gewinn haben, wenn
nach des Verf. Intentionen gearbeitet
wird.
Beüf spricht in seinem Werkch»
Kiinichtt mr Theorie dee Aafiats-
nnterrichtes im 1 ;^w,ir über Theroen-
auswahl, Vorbereilnng und Korrektur
und gibt eodaim im prakdeehes Teile
eine .\nswahlsammhing von 12.5 selb-
ständigen Schüleraufsäuen. Verf., der
Mf BioderiMtem Staadpankte eiehc,
zeigt, was mit unseren Kindern
leistet werden kann, wenn hinter der
Sache eine entsprechende Pen>i>nlichkeit
steht. (Und da liegt eben 1 •'■ >{ i<e im
Pfeffer!) Das Buch sei eindnug lidist
der Lektttve nad — Kaehaehtang eiDp>
fohlen.
EbexabachLS. Dr. Fr. Schilling.
Eingegrangene Bttcher.
(Besprechung vorbehaUcn.)
Oiakler, Rudolf, Morceaux Choisis poor le« £coles de Commeroc. Lcipiig 1907,
icubner. Pr. geb. 2,20 M.
Nwwib Theodor, Lateinische Salildire flbr Refornaiistalteik Ldpcig 1907. G. Fi^tag.
Pr prh. 1,80 M.
FisoH and Zieglers Select Extractä from Briiisb and American Authon in Praic aad
Verse. 3. Anfl. ytm Prof. Dr. Regel und Kzicte. Halle 2907. Gcmin.
Pr. geb. 4 M.
TSgel, Dr. H., Der konkrete Hintergrund zu den ijo Kemsprttches des religidseii
LcrnstüHis. Drcsdrn 190S. Blryl & Kacmraercr. Pr. geb. 2, So M,
Balir, H., Erläuterungen zu den biblischen Geschichten des Alten und Neuen TesUmcntcs.
Leipzig 1908. Tenbner. Pr. 2 M.
Rttkauf, Or. A., Erl&utcrunK<:n rn Reukanf-SduMKiks «ciKB biUisehcii Wandbilden.
Stuttgart. Havlik. Pr. 0,30 M.
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~ 399 —
HTHOWky, Hilfsbuch für dea evangelischen Religionsantenidlt. I. il. 3. Teil.
2. Aufl. Halle 1908. Schroedel. Pr. 2 M., 2,50 M.
Stein, W., Or. Martin Luthers kleiner Katechismus. Halle 1908. Schroedel. Pr. 1,50 M.
Ders., Biblisclic Clcschichten des neuen Testaments. Halle 1908. Schroedel. Pr. i M.
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Der I, u. 2. Art. Osterwieck 1908. Zickfcldt. Fr. 0,80 M.
Ragwer, Fr., Dr. Martin Luthers kl. Katcchismos flir den Schnlimtciricht erlftutert.
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Lchranstaltrn. I. Teil. Ausg. A. 5. Aufl. Nea bearbeitet TCn B, P. Schmidt.
Hannover 1908. Mcycr. Pr. 2,80 M.
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II. Bd. 8. Aufl. Halle I908. Schroedel. Pr. :,,yo M.
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Tlttnofren 1908. Hoiir. Pr. geb. 1 M.
Schnitt, f'hri tr Bekenntnis eines Gläubigen. Rcrlin. Schwaner. Pr. 50 Pf
Die ReligiOB in Geschichte und Gegeiiwart. Handwörterbuch, i. Lieferung, licraus-
gegcben von F. M. Schiele. Tllblofen i^oi, Mohr. 4—5 Bde. Sabtkiiptioni-
preis 20 M. für den Band.
Meitzer, Or. H., Geschichtlicher Religionsunterricht. 4. Hcfl. Leipzig 1909. Bredl.
ItaUlnger, Prof. Dr. A. W., Die reBgiooifreaebiebtlicbe Methode. Berlhi 1909.
V Rur;'.-. Pr. 50 Pf.
Monatsiliätter für den evangelischen Religionsunu-rncht von 11. Spauulh. i. Jahrgang»
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Groue Ausgabe für Realgymoasica und ÜberrcaUchulea.
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Hanft, H., Altes und Neues zum Rcchenunterrichtc. Halle. Schroedcl. Pr. 60 Pi.
Twbner's KunstK-rMutlcllierbogen. Leipzig 1907. B. G. Teubner. Pr. 40 Pf. ftr
I Bogen, dazu 20 Pf. für einen Staifogebogen.
Htaiiton, Louit, The English News-IHiper Reeder. Leipzig 1908. Freytag. Pr. 4M.
ThhMrgen, Dr. Oskar, Lehrbuch der endlichen Sprache für Bürger- und Mittrilchalea.
a. AuA. Leipzig 1907. Teubner. Pr. geb. 2,80 M.
Boemer, Pilz h WoiWltttl, Lehrbuch der fhuiztMsehen Spradw Ar Pripanaden«
anstalten und Seminare. I.Teil. 2, Autl, 1 .1: ijj 1907. Teubner. Pr. geb. 1 .40 M.
Camll, M., Methode Camil pour rEnseignemenl Pratiquc des Langues Modernes.
I. u. 2. Teil. Berlin. Boll PidcardL Pr. je 3 M.
EbirlHUrd, 0., Je parle fran^is. ron% crsations et lectures finufaiaes k Ywmgt des
ecolcs. 2. Teil. Zürich. FUssli. Pr. i.ao M.
Prtlle, IL» Le Commer^ant Hsmiorer 1908. C. Mqr«^. Pr. geb. s Bl
Druck too A. Bleu A Sohn lo Nauuibws a.8.
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A. Abhandlungen.
1
Unsere Schulfeste.')
Von Schuldirektor L Köhler in Laosa.
Als ich den Auftrag erhielt, einen Vortrag über Schulfeste zu
halten, da war mein erster Ged?inkc: Du sprichst t^oL^^en die Schul-
feste! Des ungeteilten Beitaiis der Lehrerschaft wäre ich wohl
sicher gewesen; hatte doch der Berirkslehrerverein Dresden-Land
erst im vorangegangenen Winter folgenden Beschluss gefasst : „Die
Lehrerschaft kann den Gemmden die Veranstaltung von Schulfesten
oicbt empfehlen."
Damit nun erst einmal der Saulus in mir zu seinem Rechte
gelangt, will ich zunächst auf alle die Auswüchse hinweisen, die uns
Lehrern das Schulfest so unliebsam machen. Wir lassen solch ein
,,modemes" Schulfest an unserm Geiste vorüberziehen.
Der Schulvorstand beschliesst ein Schulfest. (Trund : Da bleibt's
Geld hübsch im Dorfe. Nun werden Beratungen gepflogen l., über
das Wann 2. über das Wo ; 3., darüber, wer die Würstchen liefert
Die „Geldfrage" behandelt man in herkömmlicher Weise: Der
Lehrer sammle in der Schule ein, oder er nehme den Kasten, wie
weil. Tetzel. Sicherlich hat mancher Schulvorstand gemeint, mit
diesen Erörterungen seiner Schulfestpflicht Genüge geleistet zu
haben, obwohl es nicht wenig Schulvorstände gibt, die sich mit
einem wahren Feuereifer ,4ns Geschäft" stürzen und sich's zur Ehre
anrechnen, den Lehrer unterstützen zu können.
Einkassieren Bittumgang! — ein besonders vergnügliches
Geschäft. — inkaufen! Der Lehrer versorgt Sonnabend nach-
mittag unter Assistenz zweier Schulvorstände alles, was zu eines
Schulfestes Nahrung und Notdurft gehört, als Vögel und Armbruste,
Geschenke und Spiele, Pfefferkuchen und Schiessprämien. Er
*) Vortrag, gehalten auf der Hauptkooferciu des Scholinspektioosbczirks Dresden IIL
PIdagogiacbe Studien. XXX. b. 86
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— 402 —
schleppt heim, xahlt, sortiert, tauscht um, bessert aus, letmt, holt
Vergessenes nach, macht Bestellungen bei Bäcker und Fleischer,
engagiert den Herrn Kapellmeister und rennt von Pontius 2x1
Pilatus. In den letzten Tagen vor dem Feste wird er auch „quali-
luierter Arbeiter" und durchläuft in wenig Stunden aiie Rangstufen
dieser Spezies vom „gemeinen Erdarbeiter" bis zum „Herrn Poliei^.
Nebenbei hält er vor- und nachmittags Unterricht, und in den
Spätnachmittagsstunden werden auf der „Festwiese" Spiele geübt
Die I ehrersfrau aber ist des Mannes treue Gehilfin. Wie einst bei
Erschahung der Welt die Voglern alle zum lieben Gott geflogen
kamen, dass er ihnen aus seinem grossen Farbenkasten mit dem
Pinsel die Federn betupfe, weiss und grün und rot und blau, so
fliegen in der Lehrerwohnung jetzt täglich kleine, wilde Finken
zwitschernd und zwatschemd ein - und aus. Schulmädchen sind s;
die Frau Kantorin soll ihnen das weisse Festkleid mit bunten
Schärpen schmücken. Endlich ist der herrliche Tag erschienen.
Er gehört den Kindem» und zwar ganz. Drum geht*8 an manchen
Orten schon früh um 6 Uhr mit Reveille los. Die ersten Knaben-
klassen marschieren mit Musik durch Dorf oder Stadt. Und dieweil
der Tag einmal angerissen, statten sie sodann im Laufe des V^or-
mittags dem Festplaue eine Anstandsvisite ab, um da die Zimmer-
arbeiten auf ihre Haltbarkeit und die Bretter auf ihre Festigleeit hin
zu prüfen. Feststimmen 1 man hört sie ; Feststimmung 1 Du spürst sie,
wenn diese Knaben dmn in der denkbar günstigen inneren Ver«
fassung 7.um Festzuge antreten.
Der Festzug 1 Die Spitze: ein Herold zu Pferde; dahinter:
ein Musikkorps mit Posaunen und Trompeten, wenn*s sein kann
Militärmusik ; dann die Kinder gross und klein, auch die Sdiule der
Zukunft, dreijährig und darunter; dazwischen: Gruppen — uni-
formierte Knaben und Mädchen in Tirolertracht: der Glanzpunkt:
der Fest wagen, drauf eine Göttin. Das ganze Dorf hat ein Recht
auf den F^zug; darum wird auch jeder Winkd ausgekehrt Ganz
draussen, weitab vom Wege, wohnt der reiche X, der 5 Mark dazu-
gegeben, da müssen wir hin.
Der Festplatz 1 Gesamteindruck: X^ogelwiese. Einzelbilder:
Karussell, Luftschaukel, Rutschbahn, Bier- und Weinzelte, Würfel-
buden, Glücksrad, Fisch- und W^ürstelbuden, Sauergurfeentoiincn,
Ausrufer, Kleinkrämer, die mit kletternden Affen und Schnurrbärten
der Festfreude aufhelfen wollen u. dergl. Da leiert's und pfeift's,
da schmettert's und schnarrt's, da knallt's und schallt's, da klingt's
und singt's: ,,F.in Prosit der Gemütlichkeit!" Ist auch die Aus-
stattung des Festplatzes nicht allerorten so reichhaltig, ein Bierzelt,
wo man nebenbei auch ein kleines Schnäpsehen riskieren kann,
muss doch zum mindesten da sein, wie soll sonst der Wirt bestehen?
Und die Kinder: In quetschender Enge spielen sie, spielen ohn*
Unterlass, reisen hundertmal nach Jerusalem, umkreisen tausendmal
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den Carolasce, wo die Fischlein schwimmen und fragen immer
wieder, ob die schwarze Köchin noch da ist. Da streiten sich die
kleinen Leut beim Vogelschiessen herum ; hier werfen Mädchen den
schweren, eisernen Stechvogcl so gewucbtig nach dem bunten Stern,
als stäken nicht schwache Stäbchen, sondern Telegraphenstangen
in seinem Korpis; dort dreht sich, bis zum Brechen überladen, das
Karussell, oder es lassen «^irh die Kinder, himmelhochjaurhzend,
zum Tode betrübt, auf der Schaukel oder Rutschbahn die Nerven
kitzeln. Von der Kaffeekanne und dem Kuchenteller geht's zum
flottfliessenden Bier&ss, und auf die Würstchen mit Semmel stopft
die sorgende Mutter oder die kinderliebe Tante Pfefferkuchen und
Sauergurken. Und so sich noch ein Löchlein zeigt im Magen, das
wird verfüllt mit Zuckerzeug, das beim Spiel in ungeahnten Mengen
verteilt wird. Endlich — alles hat sein Ende, auch das Schulfest.
Doch halt! Die Hauptsache fehlt noch: Lampionzug durchs ganze
Dorf, auch durch den Rittergutshof, wenn auch die gnädigste Herr-
schaft nicht da ist; olili^ates Feuerwerk; Böllerschüsse; eine
bengalische Flamme; für die Erwachsenen im Gasthof ein Tän/.chen,
damit sich die Kinder möglichst lange auf der Strasse herumdrücken
können; Vater und Mutter sind ja auch oben. Endlich -~ Schlussl
Wirklich? Dort flackert's und dortl Bei der Lampe Dämmerschein
geht's nicht etwa ins Kämmerlein, nein, jetzt feiert erst der Neid
sein Ifest. Am andern Morgen aber erzählen die matten Augen von
der Übermüdung und die bleichen Wangen von der Überfütterung.
Und das war ein Kinderfest, von der Schule veranstaltet! Damit
sei nicht gesagt, dass alle Schulfeste aufe Haar diesem einen glidien,
bewahre ! Aber soviel ist sicher, sie dnd alle auf denselben Ton
gestimmt, und der ist verstimmt. Drum meine ich:
Gegen Schulfeste, wie sie bisher üblich waren,
bestehen erhebliche Bedenken.
Als ich aber so die Anklageschrift verfertigte und Punkt an
Punkt reihte, da ward mir's auf einmal recht wunderlich zu Mute.
Ich träumte :\h Kind mich zurück in meine Schulzeit. Da lag sie
wieder vor mir im Frühlingssonncnglanze. Wars nur der Schein
der Abendsonne, der sie umgoldete? Nein, der wärmt nicht. Ich
aber fühlte deutlich die wonnige Wärme, als an meinem Geiste
vorüberzog Bild um Bild: die freien Jahrmarktstage mit ihrem
Tand und F"litter; der Geburtstag unsers lieben alten Kantors, da
dieser, freundlich lächelnd, vor dem geputzten und mit Schätzen
breit beladencn Katheder stand; der alte Bergmann nüt seinem
„ganz richtigen" Bergwerke und seinem freundlidien Grusse: „Und
nun wünsche ich auch diesen Kindern ein fröhliches Glückauf^
womit sich die Bergleute einander mit diesem Grusse begrüssen";
der Mann mit der Riesenschlange und der mit dem stinkigen Gase,
und alle die andern fahrenden Lehrer mit den von unsern gewärmten
Pfennigen vollgefüllten Händen; der Schulgarten, da wir in der Lese-
SS*
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stunde auch einmal die geschüttelten Birnen und Pflaumen auflesen
und während der Rechenstunde das Laub unter den hohen Baumen
rechen durften. Ich hörte wieder das Alarmsignal meines am
Fenster sitzenden Freundes N.: „Herr Lehrer, die Bienen schwärmen 1"
Natürlich schwärmten auch wir sofort unserm Wdscl ins Frne oadL
Und dann! Noch weiss ich den Ort, da ich, achtjährig, beim
Schulfest eine Wurst bekam. Die war mein? Wirklich ganz allein
mein? Ich brauchte sie nicht mit meinen beiden Schwestern zu
teilen? —
Als ich diesen £rimierungen so nachhing, da woUte mir's
scheinen, als ob das Schulleben unsrer Kinder nicht mehr so farben-
reich, so poesievoll wäre. Nicht, dass ich jene „alte, gute Zeit"
zurückwünschte, das sei ferne I Aber was dem Bauer Unkraut deucht
Kornblumen, Mohn und Raden, d«^ ist dem Kinde Fracht, iis
fragt sich nun: Darf man auch das Schuifcst zum Unkraut rechnen,
dass man es verbrenne? Ich wollte es tun und konnte es nt^t
Ich k im mir vor wie einer, der seine Hand drohend erhebt, eine
fröhliche Kinderschar aus einem blumenreichen Garten zu vertreiben,
den eine gütige Fee ihr geöffnet. Ich sah die hellen Kinderaugen
verlangend auf die schimmerde Pracht gerichtet, und ich dadite
dabei an das ewij^e Einerlei der Schule. Ich spürte die zarten
Keime des kindhchen Seelenlebens, und ich fühlte, wie ihrer 80
viele im Treibhaus der Schule dahinwelken. Ich sah vor mir die
gefalteten Kinderhände und die in Andachtsfalten gelegten kindUcheo
Gesichter, und es wollte mir schier grausam erscheinen, dass der
Lehrer Tag für Tag manche lange Munde den kleinen Schalk in
die Augenwinkel und in die Finger^itsen verbannt. Ich wollte
mein Herz stille machen und sagte zu mir: Unser heutiger Unter-
richt ist viel lebendiger, abwechselun^reicher; Pausen zwischen den
Unterrichtsstunden dienen dem Kinde zur Erholung^ in den Turn-
stunden richten sich die gekrümmten Rücken wieder gerade, und
die Glieder strecken sich. Bald führen wir die Kinder auf Schul-
spaziergängen in Jen Tempel der \ntitr und dann wieder ver-
wandeln wir die Schulstube in einen 1 enipel der Kunst. Aber i'^t s
nicht so? Auch den Schulspaziergängen haftet der SchulsLaub an,
und auch die Scbulauffuhningen riedien nach Schulluft Immer
gehen wir mit unsem Kindern den Weg der Mühen» ob wir sie
auch mit Menschen- und mit Engelzungen hinter uns herlocken;
die Schulwände trr\,'en jahraus, jahrein dasselbe Grau, wenn wir
auch einige der kahlen Stellen mit bunten BUdera schmücken i die
Schulbänke drücken eben, gleichgültig, ob sie aus Lickroths weit-
bekannter Fabrik hervorgegangen, oder ob des Dorfes schlichter
Meister sie gezimmert, und Schulstunden bleiben Schulstunden, auch
wenn der Schulkalendermacher die Ermüdungsmoleküle der ver-
schiedenen Unterrichtsfächer auts sorgfältigste auszählt.
Ums Schulfest aber schlingt sich beim Kinde ein eigner Zauber,
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Wir Alten sehen ihn freilich nicht, föhlen ihn kaum; aber er ist dal
Worin er besteht? Vielleicht darin, dass das Kind mit seinem Feste
plötzlich in den Mittelpunkt des Familienlebens rückt; dass es, ein
König Wichtel, schön geschmückt und fein f^oput/t wird. Sieh nur,
^e es aus dem Hoftor tritt, die Strasse hinaut zum Schulhof
schreitet, in g:leichem Schritt und Tritt im Festzug marschiert, die
Fahne schwenkt oder erhobenen Haupts das Rianzchen trägtl
Ihm zu Ehren hat der Ort ein Feierkleid angdegt; man föhrt's von
Freude zu Freude. Die angesehensten Männer und Frauen der
Gemeinde reichen ihm Speis und Trank. Reizende Mädchen, feen-
gleich, nehmen es an die Hand und singen und tanzen mit ihm den
Ringelreihn. Das Ideine Mädchen ist Grasprinzessin geworden, und
der Junge glaubt ans Schlaraffenland , und bisher hatten beide
gemeint, das stünde alles nur im Leisebuche. Wir merken die
Märchenpracht nicht.
So mancher Griesgram denkt beim Schulfeste nur an das viele
Geld, das dabei verpulvert wird. Er freut sich nicht an der Farben-
pracht des Festzugs, sondern ärgert sich über jede Lücke, die die
Kleinen lassen; er sieht nicht die strahlenden, sondern nur die er-
hitzten Gesichter der Spielenden. Es ist so wie mit dem Walde:
Dem tiefen, kindlichen Gcmut erscheint er cm Dom, so IcirchenstiU,
mit himmelanstrebenden Säulen; der Holzhändler, der ihn durdi-
schreitet, berechnet im stillen den Gewinn, den er abwerfen könnte
und ärgert sich über den Rpheu, der sich am Baume hinaufrankt»
weil er mit von dessen .Safte zehrt.
Weihnachtszauber im Hause, Schulfestzaubcr in der Schuld
Wie bald, ach, wie bald schwindet das Kindermärchenglückl
Tausende unsrer Kinder werden nach der Schulzeit ins harte Joch
der Arbeit gespannt, und erst, wenn der Tod die gekrümmten
Finger streckt, lässt die harte, schwielige Hand das Werkzeug fallen.
Wie wenige von ihnen finden im Leben dann noch solch' reine
Freude, wahres Glück! Nur in der Erinnerung lebt es fort; es
blinkt als freundliches Stemlein auf den Lebenspfad und fangt wieder
an aufzuleuchten, wenn dann das eigne Kind in den Lichtkreis
tritt. Wir Lehrer wollen, dürfen sie unsern Kindern nicht rauben,
diese kindliche Poesie der Schulzeit.
Aber auch um der Eltern willen möchte ich fest am Schulfest
halten. Wohl fordert solch ein Fest Opfer; aber man bringt sie
freudigen Herzens. Niemand empfindet sie als druckende Last. In
den besser gestellten Fnmilien sind nicht nur die Ausgaben für
Essen und Trinken, sondern auch die für Kleider und Schuh mit
in den Voranschlag des Haushaltpianes aufgenommen. In armen
Familien, namentUdi dort, wo der Herr des Hauses seinen Verdienst
fast ausschliesslich seiner werten Person zugute kommen lässt, gelingt
es bei Gelegenheit eines Schulfestes, endhch einmal, der armen
Mutter, dem Alten Geld zu entlocken zu einem Kleidchen ilirs
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Töchterchen oder zu einem Anzüge iiir den Buben; denn für einen
Lump sollen ihn die Leute nicht halten. Wo aber wirkliche Armut
wohnt, da steht für die Wohltätigkeit Tor und Tür offen. An
freundlichen Geberinnen hat's mir nie gemangelt. Manches Kleidchen,
manches Höschen ruht in der Truhe wohlverwahrt, es harrt auf
seinen Ostertag, rufe nur: „Jochen heraus Sprichst du dann, lieber
Freund, zur gutmütigen Spenderin ein anerkeno^des Wort, dann
darfst du das nächste Mal getrost wiederkommen, und — pass
auf! — sie gibt zum Rock noch den Mantel. Es ist mir immer
eine grosse Freude gewesen, wenn so das Volk seine Opfer brachte.
Wohl weiss ich, dass bisweilen weidlich geschimpft wird, wenn
es sich um Ausgaben fiir Schulbücher, Schulgeld, Schulanlagen
handelt; aber das glaubt doch wohl niemand, dass das Raisonnieren
aufhört, wenn die .Schulfeste aufhören. Vielleicht wäre das GegenteÜ
nicht ganz unmöglich. Ich meine, wenn wir den Eitern und den
Gemeindegliedern bei einem Schulfeste Gelegenheit geben, einen
Blick durchs Schulfenster zu tun, das könnte manchen Widersacher
vielleicht willfahrig machen. Man wird mir entgegnen: Dazu sind
die Schulprüfungen da. Antwort: Die sollen ja wegfallen. Wir
haben Schulspaziergänge 1 Antwort: Ja, aber die Eltern will man
nicht dabei haben. Scbulaufifuhrungen , Schulfeiern werden ver-
anstaltet! Antwort: Da genügt selten der Raum fUr eine allgemeine
Teilnahme. Zum Schulfeste können alle kommen, da können alle
teilnehmen, können ganz nahe dabeistehen, können sich mit den
Kindern und über die Kinder freuen. Gönnen wir doch den Eltern
diese Freude 1 Manche Mutter dürstet förmhcii nach einem Tropfen
Freude. Das Alltags* und Schulleben des Kindes bringt nldit immer
leuchtende Sonnenrosen, wohl aber oft Nesseln und Distdn hervor.
Bald hat das Mädchen im Hause etv/ns versäumet, verwahrloset
oder Schaden getan und dann wieder gibt eine ungeratene Zensur
des Sohnes dem Vater Anlass zu schrecklichen Zukunltsbildcm.
Am Schulfesttage herrscht endlich einmal reine, ungetrübte Freude.
Wenn das Kind im Feststaate vor seiner Mutter steht, wenn ihr
kritisches .^uge zum letzten Male die kleine Gestalt mustert, vom
und hinten, oben und unten, wenn ihre arbeitsrauhe Hand die letzte
Falte glättet, wenn sie dann ihr Kind im Festzuge gefunden, wenn's
dann gelaufen kommt: Mutter, hast du mich geselm? — wer denkt
dann noch an Arbeit, an Opfer, an Fehler?
Am Schulfeste empfindet es auch die kinderreiche Mutter einmal
als ein Glück, dass sie mit Kindern gesegnet ist und findet in dieser
bescheidenen Freude reichen Ersatz für all die schweren Mühen,
mancherlei Entbehrungen und langen Sorgen. —
Ich wende mich an die Amtsgenossen, die Weib und Kind
haben. Fraget eure Frauen, die Mütter eurer Kinder, ob sie für
oder gegen das Schulfest stimmen 1 Was gilt's? Ich errate die
Antwort 1
Dioiti7P<i bv Google
407 —
Wer aber den Bitten der Kinder und Eltern sein Ohr ver-
schliesst, der bedenke, ob er als Lehrer nicht selbst Interesse an
der Beibehaltung der Schulfeste haben müsste.
Die Diener der Kirche müssen manchmal den Vorwurf hören,
dass sie sich alhuviel hinter ihre Kirchenmauem versteckt und
damit die EntkirchUchungr eines Teiles unseres Volkes mit ver-
schuldet hätten. Hier sind wir Lehrer einmal besser dran. Sich
der Schulpflicht zu entziehen, hat das Gesetz unmöglich gemacht.
Aber es ist wohl möglich, dass das Interesse, das man unserer
Arbeit erfreulicherweise entgegenbringt, wieder erlöschen könnte,
noch ehe es ein allgemeines Feuer geworden, wenn wir uns selbst
und unsre Arbeit den Augen der Menge tmmermehr entziehen.
Nodi liest das „bessere Volk" mit Wohlbehagen, wenn W. von
Polenz in seinem „Pfarrer von Breitendorf am Hilfslehrer als das
einzig Glänzende seinen glänzenden Rock hervorhebt und den alten
Kantor als ein vers Genie zeichnet Noch sind die Leute
nicht ausgestorben, die sich den Lehrer nicht anders denken können,
als mit dem Bakel in der Hand; denen es als höchstes Mass von
1 chrerfreundlichkeit gilt, wenn sie ihn als notwendiges Übel in der
Gemeinde dulden; die es als eine Gnade ihrerseits erachten, wenn
sie die Kinder zu ihm in die Schule schicken; die ihm ein Recht
auf Kindererziehung nur dann einräumen, wenn er als Retter in der
Not gegen fremde böse Buben gebraucht wird; die seine Arbeit
gering achten, dem entsprechend gelolint wissen wollen oder ihn
um den verdienten Lohn beneiden.
Liebe Amtsgenossen' Unsere Würde ist in unsere Hand
gegeben, bewahren, heben wir sie! Nicht Sturm und Wetter zwingen
den Wanderer, den Mantel abzulegen, die milden, warmen Sonnen-
strahlen aber vermögen es. Lasst uns die Welt bezwingen, indem
wir die Kinder gewinnen durch den Sonnenschein der Liebe und
der Freude ! Das alte, dicke Fell des Vorurteils und der Gleich-
gültigkeit gegen die Volksschule und ihre Lehrer muss doch endlich
einmal löchrig werden, wenn die Leute sehen, wie der Lehrer mit
den Kindern umgeht, wie er sie achtet, wie er Leib und Seele vor
Argem zu bewahren sucht, wie er mit ihnen singt und spidt und
nidit müde wird, ihnen reine Freude und edlen Genuss zu bereiten.
Das war der Gedankenstrom, der mir entgegen flutete,
als ich an der Spitze der Schulfestgegner ins I^'eld ziehen wollte.
Tu's nicht! riefs aus der Kindesseele mir zu, du raubst dem Schul-
leben ein gut Teil kindlicher Poesie. Tu's nicht 1 riefen die Eltern,
du ninnmast uns eine Gelegenheit, fröhlichen Herzens Opfer fiir unsre
Kinder zu bringen und uns mit denselben zu freuen. Tu's nicht!
du verscherzest der Lehrerschaft eine feine Gelegenheit, Schule und
Elternhaus einander näher zu rücken und den Leherstand zu heben,
so riefs in meiner eignen Brust
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Wie kann aber iemand für eine Sache eintreten, die er eben
erst verworfen? Wenn dem Gärtner in seiner Anlage ein Wildling
wächst, da kommt ihm wohl der Gedanke: Haue ihn ab, was
hindert er das Land! Er besinnt sich aber eines anderen, rammt
Sage und Messer, schneidet die wilden Triebe, Dornen und Knorren
ab und pfropft ein Edelreis auf das Stämmchen. So wird der Un-
nütz zum Segenspender. Versuchen wir auch einmal am Wildling
Schulfest unsere Kunst! Nicht ausreissen aus dem Schulacker wollen
wir's, sondern den ^Iden Wuchs entfernen und ihm ein Edelreis
aufsetzen» vom Baume der Pädagogik gebrochen. Nicht be-
seitigen wollen wir die Schulfeste, sondern sie nach
erzieherischen Grundsätzen umgestalten.
W* ie geschieht das ? Bisher ist es wohl in den meisten Schulen
Brauch gewesen, alljährlich entweder ein Schuifest oder einen
grösseren Schulqiaziergang zu verafutakoi. Schuifest und Scbid-
Spaziergang galten als gleichartig, gleichwertig, weil eben beide die
Sommervergnügen für die Schullunder ausmachten. Dagegen müssen
wir Lehrer zuerst Verwahrung einlegen. Schulfeste können niemals
die Schulspaziergänge ersetzen; denn diese dienen an erster Steile
der Belehrung, weil sie die vorzüglichste Gelegenheit bieten, den
Anschauungskreis des Kindes zu erweitem. Die Zahl der Schul-
spaziergänge darf unter keinen Umständen durch ein Schulfest
Einbusse erleiden. Aber anrh dis Schulfest darf nicht degradiert
werden zum gewöhnlichem Sommervergnügen ; denn dann unter-
scheidet sichs in nichts von den Kinderfesten, die bei Gelegenlieit
der Vereinssommerfeste abgehalten werden. An derartigen Festen
ist aber leider in unsrer vereinsreichen Zeit kein Mangel Kaum
hat ein Verein den Platz geräumt, da baut schon wieder ein anderer
seine Zeltstadt auf. Jeder Vereinsvorstand setzt seine Ehre darein,
während seiner Regierungszeit Mehrer des Vereins zu sein. Sommer-
feste, verbunden mit Kinderfesten, sind em bewährter Köder für
den Mitgliederfang; ausserdem füllen sie die Vereinskasse. Ich
befürchte nun, dass, feiert die Schule keine Kinderfeste mehr, die
Vereine um so eifriger dem allgemeinen Bedürfnis unsers Volkes
nach Festen Genüge tun werden. Wollen, oder vielmehr, dürfen
wir die Kinderfeste den Vereinen ausUefem? Niemals 1 Unser
Streben müsste vidmdir dahin gehen, die zuständigen Behörden tu
veranlassen, die Beteiligung von Kindern an Vereinssommerfesten
möglichst einzuschränken, bez. Unterlagen zu verschaffen, die ein
etwaiges Verbot rechtfertigten. ^) Denn was unsere Kinder bei
derartigen Festen zu hören, zu sehen, zu geniessen bekommen, ist
meist nicht fOr Kinder. Welch schidlichen Einflfissen sie ausgesetzt
gewesen sind, das hat wohl jeder Lehrer mehr als zur Gren^^e er-
Der „Dresdner Anzeiger" brachte in No. 183 (4. Juli 1908) einen kurzen, aber
tehr behenngeiigwerten di«sbetllgticlteD Artikd.
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fahren müssen, wenn der liebe Montag die Kinder wieder brachte.
Von Frische, wie man sie nach der langen Sonntagspause erwarten
müsste, keine Spur: Schwere Köpfe, trübe Augen, blasse Waiden,
und der Geist c^anz befangen!
Kinderfeste, von Unberufenen veranstaltet, können also leicht
unheilbringend wirken; darum wollen wir Lehrer sie nicht aus den
Händen geben, vielleicht, dass sie dann segenbringend werden.
Natürlich dürfen unsere Schulfeste ntir weni^^ gemein haben
mit jenen. Nicht blosse Vergnügen, sondern Feste müssen die
Schulfeste sein, Feste, darüber eine feierliche Weihe liegL Für
jedes Schulfest muss somit ein konkreter Hintergrund vorhanden
sein, der ihm Bedeutung und Wert, Richtung und Ziel gibt, und
wonach sich seine Vorbereitung regelt und sein Verlauf. Darum
sollen sich die Schulfeste an bedeutsame vaterländi-
sche oder heimatliche Gedenktage oder Feste an-
schliessen.
An solchen fehlt es nicht. Uns ist ein weites Feld zugemessen,
darauf wir unsre Feststadt bauen können. Die oberste Schul-
behörde hat verordnet, dass die vaterländischen Gedenktage auch
in der Volksschule zu feiern sind. Wie geschieht das? Ich denke
zunächst ans Sedanfest. In der Schule findet ein Aktus statt.
Schulvorstande, Eltern und Freunde der Schule sind dazu ein>
geladen. Ein Gluck, dass wenig Gebrauch von der Einladung ge-
macht wird; denn im „Fcsf^immer sitzen die Kinder „fest",
geschichtet wie die Heringe. Steht eine Aula oder Turnhalle zur
Verfügung, dann sind zwar mildernde Umstände vorhanden, viel
besser ist's aber auch nicht Nach dem Aktus fiel früher in
allen Schulen der Unterricht aus. So wurde der Sedantag wenigstens
ein Festtag für die Kinder. In allen Städten und gröp.^crrn Orten
ist er's heute noch; er ist's nicht mehr auf vielen Dorfern. Nun
soll zwar in der ersten Unterrichtsstunde des 2. September auf die
Bedeutung des Tages hingewiesen werden; aber wo geschieht's,
uod wie geschieht's, und wo bleibt die Weihe? Wer das Rauschen
jener einziggrossen Zeit mit vernommen, dem muss die Nicht-
beachtung des Sedantages bitter wehe tun. Wir rufen unsem
Kindern zu: „Vergiss die treuen Toten nicht!" und d^bei streichen
wir den Ruhmestag, den sie geschaffen. Wir wollen am Sedantag
ein Schulfest feiern mit unsem Kindern t Wird ein solches SchuT
fest zu einem Volksfeste, so wollen wir Volksschullehrer gar nicht
böse darüber sein, sondern uns dessen freuen. Es ist unsere Pflicht
und unser Recht, auch das Volk mit zu erziehen. Da dürfen und
wollen wir andern Ständen nicht nachstehen, nein, wir müssen an
der Front marschieren, unbekümmert darum, ob unsere Kultur*
arbeit auf Trompeten und Posaunen ausgeblasen wird oder nicht
In wenig Jahren vollendet sich ein Jahrhundert seit Her \'o!ker-
schlacht bei Leipzig. Dort, auf jenen Feldern, wo die Sterne reden.
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— 4IO —
wird das gewaltige Völkerschlachtdenkmal geweiht werden. Dürfen
wir dann hinter dem Ofen im Pfühl sitzen bleiben und lesen, was
unser Wochenblatt davon schreibt ? Wollen wir Lehrer uns be-
gnügen, vom Katheder herunter der Denkmalsweihe Erwähnung zu
tun oder, wenn's hoch kommt, unsem Kindern den Veilauf der
Leipziger Schlacht nach irgend einem ,,Leitfaden der Geschichte"
erzählen? üann hätte wohl Leipzig ein Völkerschlachtdenkmal,
aber nicht das deutsche Volk. In unserm Vaterlande gibt's sicher
keine Gegend, der nicht jene Zeit ihre Runen eingegraben hätte.
Wir wollen sie lebendig machen, uns, unsem Kindern, unsem
Gemeinden 1 —
Und wenn die evangelische Kirche, 191 7, ihren grossen Gredenk'
tag feiern wird, da darf auch die Schule nicht zurückbleiben. Da
soll es allen, den Kleinen und den Grossen, auch denen, die nicht
in die Kirche gehen, gesagt werden, dass es Luther gewesen, die
wittenbergische Nachtigall, der den neuen Tag verkündete. Zu
solchem Werk aber sollten Geistliche und Lehrer einander ab
treue Freunde die Hände reichen und dem ganzen deutschen Volke
ein Reformationsfest veranstalten. —
Der heimatlichen Gedenktage, Geburts oder Sterbetage grosser
Männer, Ortsjubclfeste u. s. f., soll nur kurz gedacht sein.
Feiert aber die Schule selbst ein Fest, die Weihe eines Schul-
hauses oder einer Turnhalle, dann gehört ein Schulfest dahinter,
wie der Punkt hinter den S^tz. Die rührendsten Abschiedsworte
des Lehrers vom alten Schulhause veigisst das Kind ebensoschnd!,
wie die geistreichste Weiherede des K|^. BezirksschuUnspektois;
aber das Schulfest vergisst es nicht. —
Ein Schulfest könnte der Lehrer auch veranstalten am Tage
nach der Ostcrprüfung.^) Prüfungstage sollen Festtage für die Kinder
sein. Sind sie es? Was Rousseau einmal von den Schulprüfungen
sagt, ist zwar lange her, aber wahr ist's heute noch: „Das Kind
macht seinen Ballen auf und legt seine Ware aus. Man ist zufrieden
damit. Es macht den Üallen wieder zu, und fort ist man!"
Vielleicht könnte man , wenn nicht ein W'egfall , sondern eine
Gedanken einmal nachgehen, durch einen festlichen Abschluss die
Osterprüfungen Lehrern und Kindern gemessbarer zu machen. »
^n Festt^ ist unsern Kleinen unbestreitbar der erste Schul-
tSig\ mache ihn zu einem Schulfesttage, lieber Elementarlehrer, für
dich und deine junge Schar! Hier das Rezept: Nimm 3 oder 4
grosse Knaben, die trommeln oder Mundharmonika spielen, steile
die AB Geschützen mit dem Tornister auf dem Rücken in Reih
und Glied dalunter, marschiere mit den Sdiulrekruten die eine
^) Vgl. Sachs. Schulz. 1847, 49-
Umgestaltung^ der Üsterprüfun:
Frage kommen sollte, dem
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— 411 —
Strasse hinauf, die andere hinunter, zurück nach dem Schulhofe;
spiele eine Stunde mit ihnen und teile, werm's sein muss, am
Schlüsse die Zuckertüten aus! Solch ein Menu bekommt den
Kleinen hesser, als wenn sie an Klapp- oder Schiebetafeln neuster
Konstruktion sitzen und im Chore wiederkäuen: Wir sind — in
der Schu — lei Du aber, lieber Lehrer der Kleinen, kannst sicher
sein, dass du nicht von vorn herein den ganzen Brei verdorben
hast. Am 2. Tage wird das Fest wiederholt. Die Zuspeise,
Trommeln und Pfeifen, fallen diesmal weg, ebenso che süsse Nach-
speise. Hast du aber eine Knabenklasse, dann lasse das „Wiede-
mann'sche'* Vogelschiessen ^) los, aber nur nicht, wenn irgend
möglich, im Schulzimmer, sondern draussen auf dem Schulhofe.
Dort stört's die andern Klassen nicht und ist doch tausendmal
schöner. Schultafcl und Gestell sind schnell aufgestellt, und nun
wird gerichtet, gezielt, geschossen, und der mit Kreide angemalte
Doppeladler sinkt unter der beschwammten Hand des Lehrers,
Stück für Stück, je nachdem gut oder schlecht gezielt wurde, zum
Gaudium der ABC- Schützen. Solch ein SchuUiest kostet weder
Vorbereitung noch Geld, erfüllt nher seinen Doppelzweck voll-
ständig: Zwischen Lehrer- und Kindesherz webt die Liebe ihr Band,
und dem Lchrerauge öffnet sich die Kindesseele. —
Mit solch geringem .Aufwand an Geld, Zeit und Kralt lassen
sich natürlich die obengenannten Sehulfeste nicht abtun. Ihnen
soll ein edler, Geist und Gemüt des Kindes erheben«
der und erfreuender Inhalt gegeben werden; darum er-
fordern ihre Vorbereitungen viel ernste Arbeit des Lehrers. Lenken
wir noch einmal unsere Blicke auf ein Schulfest, das ans Sedanfest
sich anlehnt. Die Kinder erfahren vom Lehrer so zeitig wie
möglich, dass am Sedantage ein Schulfest stattfindet In aller Stille,
nicht mit Hochdruck, wird im Deutsch-, Gesang- und Furnunter-
richt auf die Feier hingearbeitet. .Auf diese Weise verliert die
kindliche Freude das Wilde, Unbändige. Kurz vor dem Feste
wendet sich der Lehrer an die Mädchen der i. Klasse mit der
Frage: Wer will Kränze und Laubgewinde bringen, damit wir am
Sedantage das Kriegerdenkmal schmücken können? Da kommen
sie alle. Nie habe ich eine Spur von der Parteien Hass bemerkt.
Das Fest wird mit einem Festzuge eingeleitet, der sich von der
Schule aus nach dem Kriegerdenkmal bewegt; die Knaben tragen
Fahnen, die Mädchen Kränze. Soll ein Muäkkorps an der Spitze
marschieren? Notwendig ist's nicht. Viel lieber wäre mir eine
Knabenkapelle mit Querpfeifen und Trommeln. Mundharmonikas
tun's auch. Sie haben uns bei Schulausflügen öfters gute 1 >ienste
geleistet. Fehlt's aber an alledem, nun, wozu lernen denn unsere
Kinder singend Die Grossen stimmen ihre Maischlieder an, und
Wiedcnuuu, Ldirer der Kleioca.
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die Kleinen marschieren im „ohne Tritt" mit dem „Häuschen Idein"
oder mit der „Goldncn Abendsonne" um die Wette. Freude macht's
entScheden, und das genügt. Der Zug bewegt sich nach dem
Festplatze. Ist ein Kriegerdenkmal am Orte, so würde ich die
Feier unbedingt hier abhalten. Am Denkmale stehen ja die Namen
der Jünglinge aus der Gemeinde, die einst, mit tausend anderen,
ohne Zögern ihr Leben geopfert, die sich mit all ihren Jugend-
träumen und Jugendhoflfnungen ins dunVle Grab t^dei^t haben und
uns das Reich gegründet, dessen Wohltaten wir L:<ni< >sen, unter
dessen Schutze wir leben und streben und uns freuen können. Im
Angesichte dieses Gedenksteines wird des Lehrers Mahnung ein»
dringlicher wirken; denn „der Ort, darauf du stehest, ist heiliges
Land". Der Ansjjrache des Lehrers (er entziehe sich dieser .Auf-
gabe nicht) folgen Gesänge und Deklamationen der Kinder. An
gassenden Liedern und Gedichten ist kein Mangel, und an mutigen
Deklamatoren fehlt's auch nicht Sollte aber ein Kind stolz werden
auf seine Kunst, so ist's mir immer noch lieber als ein anderes, das
stolz auf seinen Königsschuss ist. —
An vielen Orten werden jetzt sogenannte Heimatfeste gefeiert.
Verleihe, lieber Amtsgenosse, dem Heimatfeste Weihe und Gianz
durch ein Schulfest 1 Und wenn dann die einstigen Ortskinder ver-
sammelt sind, und es hört ein jeglicher seine Sprache wieder, die
alte, traute Sprache der Heimat, die mancher draussen hinter alle
mögliche und unmögliche Zungenverrenkungen und Gaumen-
verbiegungen zu verstecken suchte, dann rühre an den Saiten der
empfänglichen Gemüter mit Schenkendorfl's „Muttersprache, Mutter-
laut, wie so wonnesam, so traut!"; dann stimme mit den Kindern
Heimatklänge an „In der Heimat ist es schön!"; dann mache
Herzen zittern mit Frciligraths ..O lieb, so lang du lieben kannst 1",
dann mache Herzen jauchzen mit Vogls „Das Mütterlein hat ihn
doch gleich erkannt 1" Halt, lieber Freund, was ich dich zu lehren
versucht, zeigt dir dein eigen Herz viel besser. Eins nur noch:
Vergiss heimatliche Sage und Geschichte nicht! Und zidien dann
nach dem Feste die ,,.\uswanderer" wieder ihrer Heimat zu. im
Herzen das Lied bewegend: „Nur die alten Liehen rauschen in^.mer
noch dasselbe Lied, sonst ist alles anders w^orden, seit ich aus der
Heimat schied", sollte dann nicht neben der Wehmut der Stds
sich spiegeln auf ihren Angesichtern ^ Alles anders worden — alles
— auch die Schule! —
Nach allgemeinem Gesänge beginnt der heitere Teil des Festes
auf der Festwiese. Kindliche Spiele wechseln mit turnerischen
Übungen, Gesang fröhlicher Volkslieder mit zierlichen Reigen,
ernste mit heiteren Deklamationen. Damit aber die Angst vor dem
Gelingen die Freudigkeit nicht beeinträchtige» wähle man ein^ube
Übungen, Lieder und Reigen. Wenn es vor dem Feste immer
wittert oder gar donnert und hagelt, da gucken die Kinder auch
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am Schulfesttage besorgt nach oben, ob dort sich etwa wieder
drohende Gewitterwolken auftürmen. Viel Spass macht den Kleinen
eine Polonaise. Die Musik dazu spielen gern ein paar grössere
Knaben. Nach den in der Schule gelernten Tanzliedchen lasse man
auch die Kinder auf dem Wiesenplane tanzen; denn dazu sind doch
wohl TanzUedchen da. In der Schulstube hnden sie doch kaum
Verwendung. Welch eine Freude (und ich behaupte — reine
Freude), wenn die kleinen Knaben und Madchen sich nach dem
schönen Liede drehen : „Liebe Schwester, tanz mit mir, meine Hände
reich ich dir! Einmal hin, einmal her, nun rundum, das ist nicht
schwer 1' Sollte etwa, lieber Amtsgenosse, deine Gemeinde im
Besitz eines Extraheiligen sein, dem die frommen Augen übei^ehen,
wenn du duldest, dass 6— 8jährige „Jungen und Mädels" einander
zum Tanz umfassen, diesem bedeute, er solle doch lieber den
Schulfeststaub von seinen Füssen schütteln. Für die grossen Kinder
will sich, ich habe es oft gelesen, das Tanzen nicht mehr schicken.
Und damit ich nicht etwa in den Ruf komme, als wäre ich ein so
gar arg Tanzlustiger, meine ich auch, man soll es lassen. Mag sein,
dass die heutige Kinderwelt keine kindliche Welt mehr ist Wir
haben einst wacker getanzt beim Schulfeste, und ich erinnere mich
noch, dass ich mir immer die grössten Damen engagierte; denn
diese brauchte ich nicht zu drehen, die drehten mich. Schaden
habe ich nicht dabei genommen, weder am Leib, noch an der
Seele. Aber die Zeiten ändern sich, und die Menschen auch, und
tanzen kann später noch, wer da will. —
Wir berichten in der Erdkunde den Schülern von Märchen-
erzählern im Morgenlande, wie sie dort ihre Kunst auf der Strasse
treiben. Lass solch einen Märchenerzähler auftauchen, wenn möglich
in langem Kaftan (aus einem alten Kattunvorhange lässt sich leicht
einer zurechtstutzen), um den Kopf ein langes Tuch zu einem
Turban gewunden. Oder am Spinnrad sitzend erzählt Gross-
mütterchen, ein grosses Mädchen, die ewigschönen Geschichten von
Dornröschen und Schneewittchen, von Rotkäppchen und Frau
Holle u. a. Stelle lebende Bilder aus Märchen, aus des Ortes Ver-
fangenheit, am Sedantage aus dem Kriegs- bezw. Lagerleben,
assende Lieder umrahmen <hc Rilder. An andächtigen Zuhörern
und dankbaren Zuschauern tVlilt s licstimmt nicht. Wir haben's ein-
mal versucht, es ging prachtig. Auch ein Nussknacker kann er-
scheinen. Eine entsprechende Maske, ein Sack mit kleinen Gaben,
und die Ausrüstung ist fertig. Die Kleinen setzen sich wie beim
Märchen erzählen um ihn herum, und er gibt Scherzrätsel auf. Die
Klugen belohnt er auf frischer Tat, und am Schlüsse bekommen
auch die andern ihr Teil. —
Auf die Bewegungsspiele hier einzugehen, halte ich fiir über-
flussig. Man sorge in der Zeit fiir einen guten Stamm von guten
Spielen, sie erben sich leicht fort Nur unterlasse man nicht, hin
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und wieder die Teatte zu revidieren, weil sich oft die wundedicfasten
Wort- und Sinnverschiebungen einschleichen. Im übrigen mische
man sich nicht allzuviel hinein, sondern überlasse den Kindern die
Spielordnung. Auch bei Streitigkeiten dränge man sich nicht als
j^diter auf, sondern warte möglichst, bis man dazu aufgefordert
wird, —
Nicht von der Hand zu weisen ist der Credanke, die Erfindungen
der Neuzeit, wie Phonograph und Kinemotograph, beim Schulfest
zu verwenden. Wo sich Gelegenheit dazu bietet, fasse man sie
beim Schopf. Hier darfs auch was l<osten.
Wird so den Schulfesten ein edler, Geist und Gemüt der
Kinder erhebender und erfreuender Inhalt gegeben, dann, sollte ich
meinen, wirken sie auch erzieherisch. Hhiweg aber mit all den
Spielen, die den Kindern Veranlassung geben, einander zu ver-
spotten, zu necken und zu schaden. Weg mit den Spielen, wo das
fröhliche Tummeln zum wilden Tumult ausartet.*) „Spiele sollen
erfreuen, aber nicht kränken und verderben!" Ich war einmal
Zeuge, wie bei einem Schulfeste zwei Knaben mit verbundenen
Augen vor einer Schüssel mit Syrup sassen. Jeder hatte einen
Löffel in der Hand, und nun fütterten sie einander. Ein lieblich
Bild ! Das Pubhkum wälzte sich vor Lachen.
Ein ander Bild! Sämtliche Knaben erhielten Befehl, ihre Schuhe
auszuziehen und sie auf einen tlaufen zu werfen. Wer nun zuerst
wieder im Besitz seines Eigentums war, erhielt einen Preis. Dn
drittes: Ein als Spassmacher bekannter Dorfbewohner Itess seine
Kleider mit Brezeln und Pfefferkuchen benähen. Nun wurde er
losgelassen. Die „ganze Bande" jagt wie das wilde Heer hmter ihm
her, über Stock und Stein. Was stürzt, das stürzt Endlich —
viele Hunde sind des Hasen Tod — auf einem lehmigen Stutz«
acker bricht er zusammen. Die Jungen über ihn her. Jeder will
seinen Raub. Der arme Kerl aber blutete aus vielen Kratzwunden.
Mehr noch, als der Mann, dauerten mich die Kinder, denen eine
solche „Freude" bereitet wurde. —
Wegzulassen sind femer alle Spiele, die die Gesundheit und,
ich setze hinzu, die Kleider der Kinder gefährden können, wie
Schlangeziehn, Kletterstange, Laufstange, Sackhüpfen u. a.
Vor allen Dingen sind aber die Veranstaltungen vom Schul-
fest auszuschlicssen, die lediglich di<^ sinnlirhc Gennssleben oder
die (lewinnsucht fördern. Ich meine nicht etwa, man solle den
Kindern nichts zu essen und zu trinken geben. Das ginge gar
nicht an, denn am Schulfestmittage wird bekanntlich der Ma^
ziemlich stiefmütterlich behandelt, und es wäre auch nicht richtig.
Denn gerade in der gemeinschaftlichen Mahlzeit liegt ein besonderer
>) Sächs. bchuh. 1847, 49.
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Reiz iiir die Kinder, und niemals schmeckt's so gut, als beim
Schulfest. Fernzuhalten ist jedoch jeder Genuss von Alkohol. Auch
nicht einfaches Bier sollte man fachen; denn ieder Tropfen Alkohol
wirkt schädigend auf Gehirn und Nerven des Kmdes. Die Schule
darf sich nichts erlauben, wovor sie warnt. Bier ist eben den
Kindern Bier, gaiu gleich, welcher Art das Gebräu auch seL Und
gibt die Sdiule „£infach", so lässt der Vater ,JCulm" oder „Lager"
folgen. Man gebe erfrischende Limonade statt Bier, wanim nicht
auch einmal Milch oder Kakao für Kaffee, Obst statt Würstchen I
Dass eine Massenabfütterung der andern folge, vermeide man ja.
Das Kind soll Mass halten lernen, auch im Genuss. —
Niemals sei auf einem Schulfeste Raum für Schaukel und
Kanissell. Sie überreizen die Nerven des Kindes und untergraben
jegliche Ordnuni{ Die Kinder stürzen, schon nach Beendigung des
Festzuges, wie besessen auf diese Ungetüme los und sind dann für
nichts mehr zu haben. Das Schreien der Drehorgeln stempelt das
Fest zur Vogelwiese und nimmt die Weihe.
Auch zu Gewinnspielen führe man die Kinder nie, gebe auch
durch ihre Zulassung auf die Festwiese keine (lelegenheit. „Wenn
wir die Kinder an den Gewinntisch stellen, zersluren wir ihnen die
reine Freude durch die Nieten, die da fallen, und auf ihren Wohl-
gestalten kindlichen Gesichtern graben sich die Fratzen der Gewinn«
sucht, der Habsucht, des Neides ein." Auch Vogebchiessen und
Vogelstechen sind nichts anderes als Gewinnspiele, sobald auf die
Treffer Geschenke entfallen. Zum Konigsschusse gehört immer
mehr Glück als Geschick, und doch wird er besonders ausgezeichnet,
meist durch ein verhältnismassig wertvolles Geschenk. Sehr oft ist
noch dazu ein Unwürdiger der glückliche Schütze. Die Vogel-
schiessen möchte ich von den Schulfesten aber auch deshalb ent-
fernt wissen, weil sie sehr kostspielige Veranstaltungen sind. Das
Vergnügen entspricht den Kosten sicher nicht; denn sehr oft wird
'das Vogelschiessen vom Mis^sduck verfolgt Hier dreht plötzlich
ein Vogel seinen Korpus; dort gehen alle Pfdle zu hoch; hier er-
reichen sie kaum die Mitte der Stange. Können die Kleinen nicht
zielen, so tuns die Helfer. Ja, oft habe ich gesehen, dass die Er-
wachsenen schössen, wenn der Vogel unerschütterlich bUeb. Dann
ist erst recht Stoff zu übler Nachrede geschaffen. Widersteht aber
ein Vogel allen giftigen Pfeilen der Finsternis, dann fällt er schliesslich
eir^em Steinbombardement zum Opfer. Wer ist nun der König?
Man überlasse darum das Vogelschiessen dem Privatstudium der
Knaben. Einen .Abschiessvogel muss der Junge selbst gezeichnet,
angemalt und ausgesägt haben, dann erst bereitet das Abschiessen
den rechten Genuas. — Von gleicher Güte hinsichtlich der Kosten,
wie des Vergnügens ist das Sternschiessen der Madchen. Dabei
möcht' es cinrm angst und bange werden, wenn der schwere,
eiserne, mit einem spitzen Schnabel versehene Stechvogel an der
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Leine hin und her und den Kindern um die Köpfe baumelt Und
was ist der Zweck des Spiels? Die schönen bunten Sterne in
lauter kleine Stückchen zu zersplittern. Wie wenig Interesse die
Mädchen diesem Spiele entgegenbringen, kann man auf ihren gkich-
gültigea Gesichtern lesen. Darum schade ums Geld, we^ mit all
diesen kostspieligen Sachen.
Ein Schulfest erfordert ohnehin eine Menge Geld. Die Eltern
lassen sich's nun einmal nicht nehmen, ihre Kinder, besonders die
Mädchen, herauszuputzen. Nötig ist es nicht, dass diese wie die
Puppen verziert werden. Der Lehrer kann zwar zur Einfachheit
ermahnen, hdfen wird's nicht viel, die „Mfitters" haben eben ihren
Kopf für sich. Was ist nun zu tun, damit die Armen sich nicht
beschämt fühlen? Ich machte einmal aus der Not eine Tugend.
Geraume Zeit vor dem Feste fragte icii, welche Kinder kein
schönes Kleid oder keinen guten Anzug hätten. Diese Armen be-
stellte ich nach der Schule zu mir, und da Hess ich sie die feinste
Gruppe ausdenken. Das Sonntagsunterröckchen wurde zum Staats-
kleid erhoben; eine gewöhnliche Bluse und einen Strohhut konnte
jedes aufweisen. Dreissig Pfennige für ein paar Meter grellrotes
Band um Hut und Leib waren die einzige Ausgabe fürs Kind, und
die entwendete ich der Schulfestkasse. Nun borgte ich Hacken,
Schaufeln, Rechen, Grabscheite zusammen, lauter Kinderspielzeug,
und teilte aus. Ein paar Mädchen trugen kleine Körbe mit Heu
auf dem Rücken, andere solche mit Feld- oder Gartenfrüchten in
den Händen. Ahnlich wurden die Knaben ausstaffiert. Aus Hut,
Hemd, Hosen und Schuhen bestand die ganze Ausstattung. Sogar
2 Barfiissler, denen der Vater keine Sch(£e kaufen konnte, brachte
ich unter. Und mir deuchte, sie wären als Holzlescr mit ihren
Reisigbündeln auf den Rücken die Stolzesten unter den Stolzen -ge-
wesen. Von einem Neid der Besitzlosen keine Spur! — Vor kost-
spieligen Gruppen möchte ich warnen; man weiss dann oft keine
Grenze zu zidien.
Was wir brauchten zu einem Schulfester „Eine g^ne W'iese
und einen blauen Himmel, ein buntes Fähnchen für die Knaben
und ein frisches Kränzchen für die Mädchen." Die Turnhalle leiht
Reifen, Bälle, Seile u. s. f. Notwendig aber sind, und daran wird
selten gedacht, auf dem Festplatze Sitzgelegenheiten für die Kinder.
jEinig^e Pfahle werden in die Erde gfescmagen, mit Brettern benagelt,
wenn's sein kann einige grüne Birken um den Ruheplatz , das
gcnü'^t vollständig. Mit Zelten, Buden und Verkau&ständen lasse
man sich den Platz nicht verbauen.
Nun könnte wohl mancher denken: Wenn die Vogdsdiiessen
wegfallen, wie soll man darm die Zeit hinbringen? Sehr einfach,
lieber Freund ! Wenn beim Bauer die Schüssel leer ist, hört das
Essen auf. Mach's auch so ! Ist der Vorrat an Spielen, Liedern,
Reigen usw. zu Ende, dann hört eben die Geschichte auf. Muss
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denn ein SchuUest bis ums „tz" aus|redelmt weideo? Dadurch
wird's zu einer Strafe für den Lehrer» wie für die Kinder, wenigstens
für die Kleinen. Sie lassen zwar ihre Müdigkeit nicht merken,
sondern humpeln weiter, so gut es f^eht. Die Soldaten bedauern
wir, wenn sie in Staub und Sonnenbrand ein paar Stunden
marschieren müssen, ohne zu ruhen; unsem zarten Kindern muten
wir aber Schfimmeres zu, wenn wir um I Uhr oder noch frOher
zum Festzuge stellen, sie dann 2 Stunden oder noch mehr strass-
auf, strassab marschieren und bis abends 8 Uhr oder länger auf
der Festwiese herumtummeln lassen und daran noch einen möglichst
ausgedehnten Lampioneinzugsmarsch anschliessen. Masshalten in
der Freude» Masduuten im Genuas, Masshahen in der Anstrengung,
also Masshalten auch in der Dauer des Schulfestes 1
Dem Lehrer wird, auch wenn man das Schulfest hinsichtlich
der Zeitdauer einschränkt, noch ein voll g^erüttelt und geschüttelt
Mass von Arbeil aufgebürdet. Die Hauptarbeit, die Vorbereitungen
in der Schule, die Vorbereitung für den Festaktus, liegt attein auf
seinen Schultern. Doch gibt es eine ganze Anzahl niederer Dier^t*
leistungen, die er sich vom Halse halten muss und kann. F r lehne
alles ab, was mit der AuOiringung von Geldmitteln zusammenhängt;
er verweigere jegUchc Besorgung von Einkäufen und Bestellungen.
Fände ein Lehrer wirldicfa kein Entgegenkommen, dann heisst's
einfach: Sein oder Nichtsein! Das zieht. Auf diese Weise verliert
das Schulfest für uns Lehrer viele der kleinen Scherereien und Plackereien,
die uns seine Veranstaltung so verleiden. Klappt dann hinterher die
Sache nicht so, wie sie soll, dann geht's nicht über unser Feil.
Auch iUr das Fest selbst sehe sich der Lehrer nach Helfern
und Helferinnen um. Wenn da der Ruf erklingt: Freiwillige vor!
dann stellen sich hilfsbereite Kräfte in Menge ein, oft mehr als
einem lieb ist. Der Turnverein stellt seine Mannen, wie der Gesang-
verein, und auch die Jungfrauen drängen sich herzu: Manche um
ihrer kleinen Geschwister willen, manche aus Anhänglichkeit an ihren
alten Lehrer und manche — noch aus einem andern Grunde.
Man teile einige Wochen vor dem Feste den grossen Mädchen die
Klassen zu, damit sie an den Sonnta^nachmittaf^rn die vom Lehrer
ausgewählten Spiele kennen lernen und einübrn können. Die Schule
verliert durch solche Beihilfe seitens der Gememdeglieder nicht an
Ansehen, sie kann nur gewinnen. —
Sollten in grösseren Gemdnden der Veranstaltung von Schul-
festen allzuviel Schwierigkeiten entgegenstehen, dann lässt sich das
nicht ändern. Wer so leibesstark geworden ist, dass er sich 's nicht
mehr getraut, einen Berg zu ersteigen, der muss dann unten bleiben.
So gerat er zwar nicht in Sdiweiss, aber die Aussicht auf die
lachenden Gefilde ringsumher, die geht ihm dann verloren. —
Dass die Schulgemeinde die Haftpflicht bei den Schulfesten
übernimmt, ist selbstverständlich. —
Pada(O0i«eh« Stttdiea. XXX. «. 97
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— 4»S —
Lieber Amtsgenosse, wifst doch nicht enttauscht sein über das,
was du gelesen? Hattest doch nicht etwa wdtcfschfittemde Ideen
über die Umc^estaltung der Schu]fe<^te erwartet? Die gibt's ja gar
nicht ! Oder meintest du, einen brunnen tiefster Weisheit zu finden,
daraus dein Geist schöpfen könnte? Da sei Gott vorl Du weisst
ja von unserm Altvater Wodan her, wie gefährlich es ist, aus dem
Brunnen der Weisheit zu trinkenl Also: Viel Lärm um nichts?!
Was ich bringen wollte, du musst es längst gefühlt haben: Eine
Bitte der Kinderwelt an die Lehrerherzen, also lautend: „Ihr lieben
Lehrer, lasst uns das Schuhest!" — Was ich begehre, sind nicht
aDein die Ftoe und die Hände, und nidit das Auge nur und das
Haupt, ich greife nach deinem Herzen. SoQt's ein Fefalgiiff ge*
wesen sein?l
„Hüpfen and springen,
Lachen und smgen,
Jubeln und schfr?cn.
So recht von Herzen,
Das ist der Kinder Eknent.
Web den, der diesen Zog verkennt 1"
über die Aufnahme in die Schule
und Uber die Feststellung der Gegebenheit des KiiNte
Von Psisr anii in Wflvibaig.
Schhuft.
Die Kindesfehler.
Hs ist ein wahrhafter Fortschritt in unserer Zeit, dass verlangt
wird, auch den Kindcrfeliiern in der Erziehung mehr und mehr
Beachtung zuzuwenden. In jenem Vermächtnis an den Lehrer, die
Kleinen zu sich kommen zu lassen, in der Aufibrderus^g der Ethik
an ihn, aus Wohlwollen in innerer Freiheit dem einzelnen Kind sich
zu widmen, liegt für ihn auch die Verpflichtung, dem Kind in seinen
Mängeln und Gebrechen, äusseren wie inneren, entgegenzukommen
und dieselben, soweit es durch ihn versucht werden kann, allmählich
zu bessern. Im Lichte dieser Verpflichtung des Lehrers durch
Religion und Ethik zur Barmherzigkeit, Nachsicht, Geduld und Pflege
gegen ein solches hilfsbedürftig Kind wird erst recht die Härte
jener Ansicht erlebt, derzufolgc es in der Schule keine Schwachen,
das ist eben keine Kinder geben darf, welchen der Lehrer in ihrer
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— 419 —
Bedürftigkeit in besonderem Masse dient Es wurde gelegentlich
schon gesagt, dass bei der Feststellung des kindlichen Erfahrungs-
bewusstseins auch auf die körperliche Organisation des Kindes zu
achten sei. Ergänzend ist hier noch zu berühren, dass beim Ver-
halten des Kindes gegenüber dem wirkenden sinnlichen Eindruck
besonders die wichtigsten Sinne nach MögUchkeit z,\i prüfen sind.
Vor allen wieder ist das Auge zu untersuchen: auf seine Kraft,
seine Scharfe. Es ist vorkonnmenden Falls der Grad der Schwäche,
der Kurzsichtigkeit zu ermitteln. Ein ernstes Cbel, das namentlich
auch den Gebrauch des Aujres zum Erfahrungserwerb recht nach-
teilig berühren kann, sind die andauernden, wiederkehrenden Ent-
zündungen des Auges. Wie der Zustand des Auges ist femer der
des Ohres zu prüfen. Die Feinheit, die Zuverlässigkeit des Ohres,
seine Aufnahn-cfähigkeit in die Ferne beeinflussen in hohem Masse
die üelehrbarkcit des Kindes durch jene Erfahrungen, die dem
Umkreis der Gehörseindrücke angehören. Hierfür kommt auch die
Gesundhdt des Ohres sehr in bäracht. Es ist beispielsweise nicht
zu vergeben, dass dem sogenannten Laufen der Ohren gewöhnlich
keine, oder nur geringe Beachtung zuteil wird. Dasselbe kann im
Verein mit starker Harthörigkeit auftreten; es kann Anzeichen tief-
sitzenden Übels sein, wie in einem Falle, wo es im Zusammenhange
stand mit einem Leiden im Gehirn, das unerwartet den Tod eines
hofihungsreichen jungen Lebens herbeiführte. Krankheitserscheinungen
am Ohre zeigen stets Hemmungen beim Kinde an fär den Er-
fahrungsunterricht im Gebiet der Gehörseindrücke, ja für den
gesamten Unterricht, soweit er durch die Rede vermittelt wird.
Wie die Beschaffenheit namentlich der führenden Sinne, ist auch die
Beschaffenheit der Glieder, zumal der Hände, ja des Leibes — unter
dem Ge^chtspunkt der Brauchbarkeit für die Ausführung von
Bewegungen — beim Verhalten des Kindes gec^enüber wirkenden
äusseren Eindrücken sorgfaltig zu beachten. Fehlen von Fingern,
Verstümmelungen, Missbildungen, Steifheit j Schwerbeweglichkeit des
Körpers (etwa infolge der sogenannten englischen Krankheit);
geringer Grad von Anstelligkeit, leiblic!\e Unbeholfenheit sind Mängel,
die sich beim Umf^ehen mit den Dingen, beim Ausmachen der
hrlahrDDgsgegenstände, insonderheit auch nach ihrer räumlichen tr-
schemungsweise hin, beim Gebrauch von Werkzeugen, wie vielleicht
eines Messstabes, beim Darstellen erlebter Erfahrungen durch
Zeichnung empfindlich fühlbar machen können. Diese Mängel können
aber auch von öfters weitreichenden Folgen für das geistige Leben
überhaupt begleitet sein, die in der Reproduktion der Vorstelkmcren,
im kindlichen Gedächtnis, in dem Grade der geistigen Munterkeit
des Kindes bei Zumutung denkender Tätigkeit hervortreten. Hiervon
wird der Akt der Aneitoinung einer eiiebten Erfahrung durch das
kindliche Bewußtsein und die Verarbeitung dieser Erfahrung zu
höheren geistigen Gebilden seitens des Kindes merkbar ungünstig
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ber&hrt Eine Sache, welcher der Lehrer ebenfalb schon bei der
Feststellung des kindfichen Erfahrungsbestandes seine voDe Auf*
merksamkeit zuwenden soll, ist die Armut an Blut beim einzelnen
Kind. Blutarmut hat ja schon in leiblicher Hinsicht für das Kind
ernste Fortwirkungen: sein ganzes Wachstum wird gehemmt, es
gleicht einer unglücklichen Blume, die dem Verwelken verfiel Aber
Blutarmut drückt auch so tief das Allgemeingefühl hinab und nut
die<^em die Sinnenfröhlichkeit, die Empfänglichkeit fi-^ die Er-
scheinungsweit. Dem körperlichen Schwächezustand, der sich im
blassen Angesicht, in der Müdigkeit, der Neigung zum Schlaf anzeigt,
geht eine geistige Mattigkeit zur Seite, die sich im halb trauernden
Blick, in der langsamen Rede verrät Diese innere Mattigkeit bringt
mit ?ich ^nnz geringe Aufmerksamkeit gegenüber den frisch wirken-
den Eindrücken und eine sich träge bewegende Erinnerung. Zur
geistigen Arbeit des Überlegens, V^ergieichens» Erkennens ist solches
Kind nicht sdten völlig untüchtig. Ein schlimmer» bedauernswerter
Zustand des einzelnen Kindes wird femer durdi die Stcrophulose
herbeigeführt Ein solches armes Kind ist wohl nie völlig frei von
Schmerzempfindungen. Daher legt sich darüber wohl eine ganze
Traurigkeit. Es wird in seiner geistigen Entfaltung gegenüber dem
gesunden Kinde zuweilen auffaiUend zurückgehalten. Das Unlust*
gefiihl, das den Grrundton seiner Sedenstimmung abgibt, macht es
im Vmfpatg Ittcht scheu, gibt ihm einen herben Zug und lasst es
wenig geneigt erscheinen zum Eingehen auf \K*irkende sinnliche
Eindrücke. Es ist viel zu sehr stets mit sich selber beschäftigt
Es fehlt ihm die Heiterkeit des Gemüts, die eine wesentliche Be-
dingung frischer Aufgeschlossenheit und Empfänglichkeit iiir die
äusseren Eindrücke bildet. Seine geistige BewegUchkeit leidet auch
unter dem Druck der SchmerzgefüWe, und mit ihr auch sein Denken.
Das Gedächtnis erscheint wie erstarrt, gebunden, der Lauf der Vor-
stellungen wie stockend; die Aufgelegtheit zur Selbsttätigkeit ist
nicht da. Die psychische Freiheit ist beengt, gefährdet Daher ist
mit einem solaien Kind btt dem Eingehen auf erlebte Erfahrung
nicht viel zu unternehmen. Das einzelne Kind ist hcutr :iuch öfters
von dem allgemeinen Zeitübel, der Nervenangegriffenheit, befallen.
Ein solches Kind gleicht von Ansehen sehr viel dem blutarmen
Kind; aber es unterscheidet sich von diesem wesentlich in seinem
Verhalten gegenüber dem wirkenden sinnlichen Eindruck. Während
das blutarme Kind sich dabei wie empfindungslos erweist, gleich
als ob es ohne Leben, ein blosses Bild, wäre ; benimmt sich das
„nervöse" Kind oft im hohen Grade innerlich unruhig dabei. Seine
Achtsamkeit hält dem Eindruck gegenüber nicht stand. Wie sein
Körper keine drei Augenblicke stille zu halten vermag, wie seine
Hände, Füsse, sein Auge sich so oft regen, so ist seine AufnierkBam-
keit springend, flüchtig. Es kann freiüch auch vorkommen dass es
im Bewusstsein wie gelähmt erscheint So war es in einem Falle*
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bei welchem die Nervenangegriffenheit von einem grossen Schrecken
herrührte. Das Auge des nervenangegrifienen Kindes sucht nichts.
Es blickt hinein in die Welt wie in ein Leeres, oder es irrt umher«
Die Reproduktion ist in solchem Zustande zuweilen anscheinend
wie aufgehoben: das Kind merkt, behält nichts, weiss nichts; oder
sie ist in hohem Masse unzuverlässig und abgerissen. Wo die Kraft
s^eht» die Sinne dem Eindrucke auf einige Zeit zuzukehren, da
mangelt erst recht die Kraft, in der Abwesenheit des Gegenstandes
der Erfahrung, in der reinen Vorstellung, zu denken. Dns Kind ist
nicht imstande, sich mit Ernst tu besinnen, die ins Bewusstsein
getretene Vorstellung mit der Aufmerksamkeit eme Zeitlang festzu-
halten, an anderes, welches zur VorsteUung etwa in Beziehung steht,
^ch zu erinnern, die erwünschten Vergleichungen anzustellen und
mit Beharrlichkeit nach einem inneren Ergebnisse hinzustreben. Mit
den angedeuteten leiblichen Fehlern des einzelnen Kindes sind die
möglichen Fälle noch lange nicht erschöpft Es ist schon mehrfach
die äussere Aufstellung gemacht worden, dass das Geschledit infolge
geseUschaftlicher Zustände und der Wirlcungen unserer sogenannten
Kultur der Entartung entgegengehe. Der einzelne iibefdeht in seiner
Erfahrung viel zu wenig Fälle, um wagen zu dürfen, zu dieser Auf-
stellung sich beiahend zu äussern. Aber das darf ich doch aus
meinen mehr als 2ojahrigen Beobachtungen an so vielen Kindern
in der Stadt anmerken, dass die Kinder der Stadt inbezug auf
Gesundheit, körperliche Grösse, Kraft, Sinnenfrische, Ausdauer,
Lebcnditjkeit im Abnehmen -^ind.
hme Erscheinung, welcher der Lehrer nächst den eigenthchen
körperlichen Kindermängeln schon bei der Feststellung des Er-
fahrungsbewusstseins des einehien Kindes grosse Beaoitung zu-
wenden soll, sind die sogenannten Sprachgebrechen. Dieselben
sitzen entweder im Organ (der Zunge, dem Gaumen) — oder sie
reichen mit ihren Wurzeln in das kindliche Bewusstsein selbst hinein.
Sie bestehen in unvollkommener Aussprache einzelner Laute, oder
in dem sogenannten Anstossen, im Stottern; oder in einem unver-
standlichen, mehr tierischen Sichkundgeben Überhaupt. Diese letztere
Art, die wahrhafte Sprachkrankheit, wenn die Bezeichnung bei der
Sprache überhaupt angängig ist, ist eines der allerpfrössten Hinder-
nisse bildender Arbeit am einzelnen Kind — schon im Bereich der
Erfahrungspflege. Der Lehrer kann häufig gar nicht herausbringen,
was das IGnd meint So ist es schon bei der blossen Benennung.
Noch emster wird der Missstand beim zusammenhängenden Reden
im Satze. Die Sprache de% Kindes ist da ein getreuer Spiegel
seiner Vorstellung, seines Gedankens; wie seiner Auffassung über-
haupt. Diesen undeutlichen, kaum auslegbaren Wörtern und diesen
wie verwischte Schrift schwer oder gar nicht verständlichen Sätzen
wenn es zu solchen kommt 1 — entsprechen ebenso undeutliche,
dunkle Vorstellungen und ebenso unsioiere, verschwommene Auf«
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fassungen im Bewusstsein des Kindes und diesen wieder eine ebenso
niedrif^ stehende geistige Naturkraft.
Damit ist schon der zweite Hauptkreis der Kinderfehler
betreten — der Kreis der inneren Fehler. Dieselben liegen nicht
so zutage, wie die äussern, sie müssen aus dem VcrhaiLca des Kindes
gegenüber dem neuen äussern Eindruck, aus seiner Axt der An«
erkennung des Sinnes der Erfahrung, wie der weiteren denkenden
Verarbeitung derselben, erst erschlossen werden. Vorsicht ist da
zweimal geboten, damit nicht \oreilig .Annahmen gemacht und
irrtümliche Beurteilungen unternommen werden.
Der grösste unter allen inneren Fehlem ist die geringe geistige
Naturkraft, die schwache ursprungliche Anlage. Er äussert sich im
einzelnen Kind gcf^cnübcr dem wirkenden sinnlichen Kindruck als
Stumpfheit. Bei geringer geistiger Naturkrnft erscheint öfters bestes
leibliches Gedeihen, körperliche Grösse und Starke. Die ursprüngUche
Stumpfheit . des Geistes gibt sich vor allem kund im Bisck. Das
Volk bezeichnet das Sehen des stumpfen Menschen zwar derb, aber
zutreffend als Glotzen. Die Volksbenennung dieses Sehens weist
darauf hin, dass Stumpfsinn den Menschen dem Tiere annähert.
Die ursprüngliche geistige Stumpfheit ist der eine Hauptiug in dem
Zustande der Dummheit und der erste Girund der Faulheit. Sie
wird vom Volk mit Recht als wahres Unglück veranschlagt; das
Volk erkennt darin eine unholde Fügung des Schicksals. Ein anderer,
dem anf^egebenen entfj^cGfenc^esetzter Fehler ist die Unstätigkeit der
Aufmerksamkeit. Auch dicker macht sich gCL^cnubcr dem wirken-
den sinnlichen Emdruck sclir nachteilig geltend. Der Stumpfe ist
für den Eindruck nicht zugänglich, der Uostäte springt mit der
Aufmerksamkeit sofort von demselben ab, so dass es zu einer
tieferen, bleibenderen und wertvolleren Wirkung desselben auf das
Bewusstsein nicht kommen kann Stumpfheit ist geistige Unbeweg-
Uchkeit, Unstätigkeit ist geistige i* latterhaftigkeit. Wieder ein ernster
geistiger Fehler, der sidi besonders im Vorgang der Anerkennung
des Snns der neuen Erfahrungsvorstellung als recht ungünstig er-
weist, ist die geistige Schwerbeweglichkeit. Bei diesem Zustande
kommen die älteren Vorstellungen, welche etwa die Auffassung der
Bedeutung der neuen Erfahrungsvorstellung sichern sollten, nicht
leicht und nicht reich genug wieder zum Bewusstsein, was air Folge
hat, dass die neue Erfahrungsvorstettung in keine, oder nur tn
höchst dürftige innere Wechselwirkung tritt und darum auch in ihrem
Sinne nicht, oder nur wenig verstanden wird. Diese Schwerbeweg-
lichkeit des Geistes ist der andere Hauptzug in dem Zustande der
Dummheit und der zweite innere Grund der I'auüieit. .Abermals
ein nicht geringer geistiger Fehler ist die Gefangenschaft der
Aufmerksamkeit in der Assoziation. Derselbe äussert seine nach«
teiligen I'ViIl^^cu besonder- heim Verarbeiten der einzrlnen Erfahrungs-
vorstellungen im weiteren Denken. Nach seiner Kundgebung beim
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Denken erscheint er ab Mangel an Achtsamkeit Die Assoziation
beherrscht da das Bewusstsein. Ks fehlt die Kraft, in der Besinnung
sich davon zu befreien und darüber zu erheben. Wie die Assozia-
tion die Vorstellung mit sich bringt, so wird sie ohne Prüfung zu-
gelassen. Und in der Vorstellung, welche die Assoziation aufdrängt,
bleibt das Bewusslsdn hängen. XMese Gdangenschaft der Aufmenc-
samkeit in der Assoziation kundigt Passivität als ursprünglichen
Grundzug des Bewusstseinslebens an. Sie möchte als falsches
Übergewicht der Phantasie über den Verstand angesehen werden.
Das ist sie nicht Sie ist vielmehr eine Art geistiger Gebundenheit
Wo sie vorgefunden wird, fehlt es an dem psydäch WeitvoUsteo,
an der ursprüngUchen inneren Aktivität Noch dn erheblicher
geistiger Fehler ist der I eichtsinn. Er äussert sich nuf allen Stufen
des sinnlichen Bcwusstseins: der Wahrnflimung, Anerkennung, des
Denkens und Erkeiuiens. In der Wahrnehmung tritt er hervor als
Mangel an Sammlung in der Anfmerkaamkeit nir den Gegenstand.
Der Leichtsinn verweilt nicht beim Gegenstand. Er kürzt am
liebsten tändelnd sich die Zeit. Im Vorgang der Anerkennung
gebricht es ihm an Wertschätzung. Ihm liegt nichts an der Be-
deutung der Erfahrung; so mag er auch nicht darauf sich besinnen.
Im Akt des Denkens und Erkennens geht ihm das innere StiOehalten
ab. Er folgt jeder Ablenkung durch äussere oder innere Reize.
Die Arbeit des Vergleichens, Unterscheidens, Begreifens empfindet
er als etwas Unlustvolles; darum findet er sich mit ihr ab, wie es
angehen mag. Der Fehler des Leichtsinns zeigt an einen Mangel
der geistigen Naturkraft und Organisation.
Zu den ursprünglichen geistigen Fehlern können noch er-
worbene kommen. Sie können herrühren von geistiger Verwahr»
losung, Verwilderung, oder Verweichlichung und Verfrühung, Die
Verwahrlosung schafft Verödung im Bewusstsein. Weil die geistige
Versorgung abgeht, emplaagL das Bc vvusstseia keine oder doch nur
ganz unzulängliche, zuiälige Anregungen. So sieht es darin aus wie
auf einem verlassenen Acker, den niemand bestellt, welcher darum
wüst dort Hegt, nur hier und da von Unkraut bewachsen. Die Ver-
wilderung dagegen führt zur Entartung im Bewusstsein. Hier ge-
schehen Einwirkungen, aber von einer rohen Umgebung. Die Bilder,
welche infolge davon das Bewusstsein aufnimmt, sind Bilder des
Derben, Groben, Gemeinen. Die Verweichlichung berührt das
Bewusstsein sehr nai htcilig nach der Seite der Erfüllung. Sie sieht
im Kind ein Blümchen Rührmichnichtan. Darum hütet sie es
ängstlich, hält es viel auf dem Zimmer, entzieht es nach aller Mög-
Ucmkdt jedem rauheren Luftzuge, jedem wärmeien Scmnenstrahle,
erspart ihm jede, auch die kleine Anstrengung in der Bewegung,
warnt es vor jeder freien R^ung, sperrt es ab vom Umgang. So
bleiben dem Bewusstsein des verweichlichten Kindes viele Gelegen-
heiten, mit der £rscheinun|ßwelt in Berührung zu kommen, ver-
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schlössen. Die Stube ist durch Jahre vidleicht fast sein einziger
Erfahrungskreis, und in der Stube wieder nur die Enge seines Spid-
bereiches. Das verweichlichte Kind ist darum innerlich dem ver-
wahrlosten ganz nahestehend, wenigstens was die pfrosse Leerheit
seines Bewusstseins anbetrifft Die Verweichlichung hat freilich
noch eine völlig andere Richtung. Sie sieht im Kind wohl auch
schon ein Vögletn Ffiegü1>erallinitliin. Da muss das Kind bereits
Anteil nehmen an den Zerstreuungen der „besseren" Leute. Es
wird mitgenommen in die Unterhaltungen. Ja, es werden nach-
ahmende Vcransultuagen ausgeführt, worin den Kleinen die JFrcudcn"
der Grrossen zugänglich gemacht werden soUen. Das Kind tridct
da aus einem Becher, dessen Inhalt es überhaupt nicht geniessen
sollte. Seine Aufmerksamkeit wird durch Regehrungen bestimmt;
sie wendet sich ab von dem, was nicht in der Richtung der Be-
friedigung dieser Begehrungen liegt. Alles, was nicht Lust verheisst,
wird ihm gleichgültig. Diese letztere Art der Verwdchlidiung be-
gegnet heute leider in grosser Vertirdtung, nicht nur bei den Kindern
der oberen Zehntausend, sondern auch bei den Kindern der
mittleren und unteren Volksklassen, wo das Beispiel von oben ja
so gerne nachgeahmt wird. Sie ist ein wahres Zcitübel. Die V^er-
fruhung, anscheinend der zweiten Art der Verweichlichung ver-
wandt, ist doch wesentlich verschieden von ihr. Sie wurzelt in dem
Gedanken, dass das Wissen das notwendigste Erfordernis des
modernen Menschen sei. Sie c^lnubt darum schon beim Kind nicht
bald genug mit dem „Lernen" beginnen m können. Da muss das
arme Ding, vielleicht mit Unterstützung von Bilderbüclicm, die den
Inhalt unserer Lexika in verdünntestem Umfai^e und angebfich
t völlig kindesgemasser Vermitteln ng darbieten, schon tausend Namen
nufnehmen, deren tatsächliche Bedeutunc^ e?; nicht erleben kann.
Der Eifer geht sogar soweit, dass das Kmd etwa auch schon die
wissenschaftliche Bezeichnungsweise, wissenschaftliche Übersichten
möglichst bald lernen muss. Das Kind darf da auch schon sehr
frühe mit wissenschaftlichen Forschung^mitteln spielen. Was Wunder,
wenn ihm der köstlichste kindliche Zug, die Einfalt, verloren geht
Wie dns auf die zweite Art verweichlichte Kind erscheint es an-
gekränkelt von Blasiertheit, der widerlichsten Erscheinung im Um-
kreise der Kinder.
Alle die Folgen im Bewusstsein aus Verwahrlosung, Verwilde-
rung, Verweichlichung und Veriirühung werden schon im Verhalten
des Kindes gegenüber dem unmittelbar wirkenden Eindruck als
grosse Beeinträchti ^Hingen der Bildung erlebt. Das verwahrloste
Kind ist fast wie das stumpfe durch den Eindruck gar nicht inner-
lidi zu erregen; das verwilderte sucht am Eindruck ihm Gemässes,
und wofeme ihm der Eindruck solches nicht anbietet, hat es an
ihm weiter keinen Anteil : das verweichlichte Kind, das abp^eschlossen
gehalten wurde von der umgebenden Welt, steht dem Eindruck
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auch ohne Aufmerksamkeit gegenüber; es schaut den Gegenstand
nur physisch an, nicht geistig. Das verweichlichte Kind, das schon
eingetaucht ist in die Gcniessunc^cn der Frwr^chsenen, ist nicht mehr
unschuldig genug für das schlichte Aufnehmen des Eindrucks. Es
ist in ihm bereits Verderbtheit angelegt, die es hindert, im Gegen-
stand nur den Gegenstand zu sehen. Es will etwas för sich haben
bei der Erfahrung, und wo ihm das nicht in Aussicht steht, da gilt
ihm die Sache als „dummes Zeug". Das verfrühte Kind ist in seiner
Meinung über die einfache Natur weit hinaus. Was ihm so eine
nahe Erfahrung vorlegt, das ist in seinen Augen doch gar nicht
wissenswert ; da hat ihm Herr Papa doch schon ganz andere Dinge
gelernt. Im Akt der Anerkennung der Bedeutung des Erfahrungs-
Inhaltes versagen alle vier, das verwahrloste, verwilderte, das ver-
weichlichte und verfrühte Kind: das verwahrloste empfindet nicht
die innnere Aufforderung zur Besinnung auf die Bedeutung des
Wahrgenommenen, weil das Wahrgenommene in ihm keine Repro-
duktionen in Bewegung Mtzen kann; das verwilderte denkt nicht
an die Bedeutung des Wahrgenommenen, weil es an dem Gegen-
stand kein Hrhn<jen hnt: dns durch Ahschliessung' verweichlichte
ist ohne inneres Leben, es kommt übe: die Stufe blosser Smncs-
auinahme des Eindrucks nicht hinaus ^ das durch Geniessungen ver-
weichlichte ist ohne Hingabe an den Gegenstand; das verfrühte
lässt sich mit ihm nicht ein. Endlich bdm Denken und Erkennen
scheiden wieder die vier aus: das verwahrloste und das durch Ver-
zärtelung verweichlichte Kind ist zu diesen inneren Tätigkeiten gar
nicht imstande; sie sind beim Unterrichte tot; d?is verwüderte
bereitet höchstens Störungen ; das auf Geniessungen gelenkte äussert
Langeweile; das vorgesattigte ebenfalls; innerliches Arbeiten zum
Erfassen der al^emeinen Wahrheit in der Erfahrung ist allen zuwider.
Besonders beim verweichlichten Kind, das schon dem Genussleben
zuf'eführt ist, tritt die Erscheinung der Zerstreutheit hervor. Es
verweilt in seinen Vorstellungen aus den Erlebnissen beim Ver-
gnügen, der Unterhaltung.
Abermals empfinden wir da die Bedeutung des Familie lür
das Kind Die beste Naturkraft im einzelnen Kind muss nach und
nach zu gründe gehen, wenn in der Familie Verirrung, Verkehrtheit
oder Schlimmeres herrscht. Auf das einzelne Kind machen sich
auch insbesondere die Wirkungen aus der wirtschaftlichen Lage der
Familie geltend, mit welcher die übrigen Zustände in der Familie
gewrihnh'ch zusammenhängen. Armut — Reichtum, Not — Wohl-
leben, Ringen ums Brot — Müssiggang beeinflussen die erworbenen
geistigen Züge des einzelnen Kindes mitentscheidend. Ein Punkt,
der fier auch in Frage kommt, ist die Kinderzahl in der Familie.
Lebt in der Familie die Scheu vor Kindern, so ist die Rückwirkung
davon auf das eine oder die paar Kinder, die etwa in der Familie
geduldet oder ertragen werden, in der Regel eine unheilvolle. Es
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entstammt daher möglicherweise Verweichlichung des Kiodes; aber
auch leicht eine besondere Art der Verwahrlosung kann von daher
kommen, nämlich jene, welche das Kind ils Last überhaupt aus
dem Hause entfernt und sorglos fremden Händen ohne viel Wahl
fiberlässt Die Kinderscheu, die wieder vor allem in der feinen
Familie angetroffen wird, aber auch schon in der bürgerlichen jund
Arbeiterfamilie vertreten ist, ist eines der verhängnisvollsten Übel
auch in Ansehung des Volkes, ein Anzeichen drohenden Niedergangs.
Die grossen Erzieher waren im Rechte, welche die Familie ais den
ersten Hort alles Gedeihens, wie als die erste Ursache aUes Febl-
schlagens des einzdnen Menschen erkannt haben. Der Lehrer, dem
namentlich auch daran gelten sdn muss, den Anfangen der Kinder-
fehler auf die Spur zu kommen und den Nährboden derselben zu
ermitteln, muss deswegen auch sich nach Möglichkeit Einblick zu
verschaifea suchen in die kindliche Familienlage; von hier aus nimmt
möglicherweise so vieles Ungünstige für das Kind, mit dem es dodi
der Lehrer im Beruf zu tun hat, seinen Ausgang, und hier findet
es möglicherweise seine fortwährende Unterstützung.
Auch die geistigen Fehler des Kindes, sowohl die ursprüng-
lichen als erworbenen, sind vorstehend nur in den Haupterscbeinungen
angedeutet Manches, was insbesondere die erworbenen Fehler so
kräftigt, die im Bereich des kindlichen Erfahrungsbewusstseins dann
als so nachteilig erlebt werden, wie die moderne Kinderspielware
und der moderne Bilderkult, wurde kaum gestreift Eine Frage,
welche sich schon bei dem Punkte von der Feststellung der leib-
lichen Kindesfehler herangedrängt, ist nun aber nicht mehr ganx
aus dem Wege zu gehen: Ist dem Lehrer nicht Unmögliches damit
zugemutet, dass gefordert ist, er soll die vorfindlichen Fehler des
einzelnen Kindes, die geistigen wie die leiblichen, festzustellen ver-
suchen? Soll der Lehrer da nicht Aufgaben zu lösen übernehmen,
die dem Arzt und Psychiater müssen vorbehalten bleiben? Auf
die Flage ist zu erwidern: Die Feststellung soll geschehen unter
dem G«ichtspunkt der Erziehung, näher: der Bildung des Kindes,
und zv.ar fnr*^ erste unter dem Gedanken, welches die Momente
beim Kinde seien, die auf sein ErfahruriL^siji'wusstsein, auf sein
Wahrnehmen, /iiierkennen, Denken und Erkennen un Bereich der
Erscheinungswelt nachteilig einwirken. Erziehung^ Bildung, Er-
fahrungsunterricht des einzelnen Kindes obliegen weder dem Aizt,
noch dem Psychiater, allein dem Lehrer. Dr^rum h^t auch nur er
die geforderte pädagogische Untersuchung der Kindestehler aus-
zuführen. Dazu gehört allerdings Vorvertrautheit mit den Äusse-
rungen der Kind&ehler, wenigstens der hauptsächlichsten. Sokhe
Vorvertrautheit gehört einfach mit zur Erfüllung des Erziehuogs*
berufs am Kind und sollte darum dem Lehrer vom Seminar aus
mitgegeben werden für sein Leben in der Schule. Das Seminar
müsste ihn dazu anleiten, wie die Kindesfehler, im Zusammenhang
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mit der Erziehung» Bildung des Kindes» zu beobachten und zu be-
stimmen seien. Zum Unglück scheinen viele Seminare noch ganz
unter dem Banne blosser VVissensvermittelung zu stehen. Es mag
noch viel Wasser den Main hinablaufen, bis an allen Seminaren
darnach gestrebt wird, den Lehrer zum Kindeserzieher vorzubilden.
Vielleicht weist auch bereits bei diesem Punkte die Lehrerbildung
über die vier engen Mauern des Seminars hinaus. Der Aizt und
Psychiater werden in dem» was ihres Berufes ist, gerne dem Er-
zieher zur Seite stehen: wo es sich um medizinisches Eingreifen
handelt, sind sie an ilirer Stelle. Die Pflicht, solches Eingreifen zu
veranlassen, hat aber in erster Linie die EaniUic, nicht der Lehrer.
Die Kindesfehler» vne sie bereits bei der Feststellung des Erfahrungs*
bewusstseins des einzelnen Kindes sich bemerkbar machen, weisen
hin auf die Grcnren der kindlichen Hild'^^-iTnkeit, hier im Bereich der
BilduP'j' durch I i tahiung und Erkenntnis der äusseren Welt.
Die ^uien Manner, welche das Studium und nach Möglichkeit
die Berücksichtigung der Kuidesfehler dem Erzieher ans Herz legen
und ihm hierin mit Lehre und Beispiel vorangehen»^) möchten nur
niemals aus dem Auge verlieren, dass das Mass für das Abweichende
stets das Regelmässige, für das Kranke immer das Gesunde ist,
und dass die Erziehung, die Bildung ihre Fingerzeige zuerst vom
Normalen, Gesunden sich abnehmen. Auch möchten sie nie ver-
gessen, dass auch das fehlerhafte Kind zuletzt ein Menschenwesen
ist, dass das Studium und die Behandlung der Kinderfehler nicht
at^elöst werden dürfen von der Gesamtauffassung des Menschen»
die dem Erziehungsgedanken allein Genüge bieten kann.
IL Die Fattetollung der Eriebnisvoratonuiioeii.
a) Die Feststellung des kindlichen Vorstellungskreises ist weiter
auch darauf gerichtet, die Vorstellungen des einzelnen Kindes aus
seinem Umgange, die Erlebnisvorstellungen, aufzusuchen und nach
ihrem Qiarakter und Wert zu ermitteln. Während die Erfahrungs«
Vorstellungen hauptsächlich dem Bereiche der Xatur entstammen,
kommen die Erlcbnisvorstellungen hauptsächlich aus dem Bereich
des Menschlichen in seinem weitesten Sinne.
b) Als Sinnesvorstellungen, das heisst als Vorstellungen, die vor
aUem wieder vermitteb des Gesichts, Gehörs» der Glieder erworben
werden» zerfallen jiuch die Erlebnisvorstellungen nach dem psycholo*
Unermüdlich lälig auf dluSL-m siml iii-ibesondt're mehrere Männer, die auf
dem l^udcn der i'oJagogik Herbarts gestanden und wohl noch stehen; vor allen Herr
J. Trüper, Direktor dei Privaternelliuifaheiins für tebcwet croelibMe Kinder «af der
Sophifänfaiöhe bei Jcnt.
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gischen Charakter in einfache und xitsaimnengesetzte und beidemak
in unimttelbar emplundene oder blosse ErinnerungeiL
c) Doch fallt bei ihnen die Trennung nach ^nnesgebieten weit
wenirrer ins Gewicht als bei den Erfahrungsvorstellungen. Ai;-^
treten unter ihnen die Gegenstandsvorstellungcn entschieden zurück
hinter die Vorstellungen des Geschehens.
d) Den Merkmalen, woran der psychologische Wert der Vor-
stellungen gemessen wird, unterliegen natürtich auch die Erlebnis
Vorstellungen; wie sie auch dieselbe psychologische Entwickdung
nehmen können, welcher wir bei den Erfahrungsvorstellungen bc^qgnea
c) Ebenso scheiden sich im Bereich der Erlebnisvorstellün^er
allmählich die Vorstellungen der Formen, unter welchen auch nier
das sinnUch Gegebene erscheinen muss, die Vorstellungen von
Raum und Zeit, nebst ihrer Begleiterin, der Vorstellung der Zahl,
von den Vorstellungen der Dinge und Vorgänge selbst ab — ab
Idare oder unklare,- deutliche oder undeutliche Gebilde.
Auf den Frlcbnisvcrstellungen beruht das Erlebnisgcdächtnis
und mittelbar ein eigentümliches Raum-, Zeit- und Zahlgcdächtnis.
g) Auch im Umkreis der EriebnisvorstcUungen erwacht ein
höheres Greistesleben, ein besonderes Denken und eine besondere
Phantasie, und die Erlebnisvorstdlungen finden wieder ihren Aus*
druck durch das Mittel der Sprache im weitesten Sinn.
Die Feststellung der EriebnisvorstcUungen des einzelnen iOndes
geht vor allem wieder von der Beobachtung aus, ob im Kind das
Bewußtsein von Erlebnisvorstellungen überhaupt bereits angelegt sei,
das heisst, ob im Kind die Scheidung der Erlebnis- von den Er-
faluungsvorstellungen schon angesetzt iiabe. Hat das Kind ncLcii
den Anfangen eines Bewusstseins von der Natur schon die Anfange
eines geschichtlichen, religiösen Bewusstseins? Das ist die wichtig
Frage, über welche der Lehrer im Umkreise der Erlebnisvorstd-
lungen zuerst einige Gewissheit sich verschaffen muss. Durch den
Umstand, dass in den Erlebnisvorstellungen das kindliche geschicht-
liche und religiöse Bewusstsein beschlossen liegt, ist zugrleidi die
Besonderheit der ErlebnisvofStellungen und ihre hohe Bedeutung für
die Erziehunf^ angezeigt.
Die Erlebnisvorstdlungen stammen aus den Lcbensgebictcn, in
welche das einzelne Kind möglicherweise eingetreten ist. Das be-
deutsamste aller Lebensgebiete für das einzelne Kind ist die Familie.
Daran reiht sich an die Spielgemeinschaft — die Kameradsdiaft.
Weiterhin kommen in betracht: die heimatliche Gemeinschaft (die
Nachbarschaft), die Stammes* und Volksgemeinschaft, die kirchliche
Gemeinschaft Die Vorgange in der Fan^e, die heiteren und frohen
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Begebenheiten im kameradschaftUcben Kreise, aber auch die un-
angenehmen, die Ereignisse in der Nachbaischaft, in der Heimat,
die heimatliche Arbeit, die heimatlichen Feste, die Momente des
Andenkens an Ver^ani^enes in der FamiHe, Heimat, bei Stamm und
Volk, der Gottesdienst, die kirchlichen Feste, die Überlieferung (im
weitesten Sinne) — dies alles kann eingehen in das kindhchc Er-
lebnisbewusstsein. Insbesondere ftlr die Stetigkeit der Bildung ist
es von grosser Bedeutung, dass die Erlebmsvorstellungen des
einzelnen Kindes aufgefunden und als Grundlagen fiir den Unterricht
benutzt werden.
In den kindlichen Krlebnisvorstellungen beruht die Möglichkeit,
durch Geschichte und ReUgion das einzelne Kind innerlich zu be-
einflussen. Durch die Erlebnisvorstellungen allein wird Geschichte,
Religion für das Kind nach dem Inhalte vorstellbar. Die auslegende
Aufmerksamkeit des einzelnen Kindes in Geschichte, Religion; die
geschichtliche, religiöse Anerkennung seitens des einzelnen Kindes
liängt durchaus ab von seinem Erlebnisbewusstsein; aber auch alles
Einsehen des einzelnen Kindes in den angedeuteten Lehrgebieten.
Darum wollte Pestalozzi die religiöse Bildung des Kindes beschränkt
wissen auf die kindlichen reUgi(>sen Eriebnisgelegenheiten. Das
Kind untersteht in der Gestaltung seiner Erlebnis v^orst eil ungen dem
naiven Vermenschlichen. Es betätigt den Zug, das Lebendige zu
nehmen, wie es sich selber nimmt. Ja es verleiht selbst dem Toten
eine Seele, die seiner gleicht. Und ^e es das Irdische aufiasst,
als ob es Ihm wie ein Bruder verwandt, die Abspiegelung seines
Ich sei; so denkt es '^ich auch das Überirdische, GröttHche, Dämo-
nische ganz in P'instimmung mit sich selber — wenn es in seinem
Geistföleben so weit kommt. Das ist die andere phantasiemässigc
Auffassung, wdche das kindliche Bewusstsein kennzeichnet
Das Erlebte geschieht an seinem Ort, in seiner Zeit, unter
sdnra Umständen. Dadurch verknüpfen sich mit den Erlebnis-
vorstellungen bestimmte Raum- und Zeitvorstellungen, sowie be-
stimmte Zustandsvorstellunt^^en. Mit den Raum Vorstellungen, welche
sich an die Erlebnisvorstciiuagen notwendig anschliessen , werden
dieselben mittelbar der Ausgang der kin<Sichen Aufmerksamkeit
auf das Geog^phische. Mit den Zeit- und Zustandsvorstellungen,
welche sich an die Erlcbnisvorstcllungen knüpfen, werden dieselben
mittelbar der Anfang der kindlichen Aufmerksamkeit auf das
Kulturgeschichtliche (im engeren Sinnel -)
Die Feststellung des vorhandenen kindlichen Eriebnisbewusst-
seins richtet sich, gleich jener des kindlichen Effahrungsbewusst-
*) Wie Gertrud ihre Kinder lehct, tj. 14. Brief. AugewUilte Werke (lieiw»-
gelben von Mana), III., 273 fr.
*) Voo Uer «u« erOflaet sich eine gtttuUge AmAäA auf die Komentialioa de«
Unleniclilt tmA ihicr piyehologiielKn Seite.
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seins» auf das Verhalten des Kindes gegenüber dem wirkenden
Eindruck, auf das Verhalten im Vorgang der Anerkennung und
beim geistigen Durcharbeiten des FJrlebten. Aber sie ist in einer
ungleich schwierigeren Lage; denn sie kann in den meisten Fällen
die Gelegenheit für die Wirksamkeit des Eindrucks nicht, wie es
erwünscht erscheint, herbeÜiihren; sondern sie tnnss sich vertröstcni
bis einmal die Gelegenheit geboten ist. Sie kann in der Regel dem
Kind nicht folgen in seine Lebenskreise; die kindlichen Erlebnisse
werden meistens im rein individuellen Umgang gemacht Es erhellt
daraus, wie leicht die kindliche Bildung in Geschichte, Religion
Gefahr lauft, dem Kinde gar nicht gemäss zu sein. Die Anfange
des geschichtlichen, religiösen Sinns im einzelnen Kinde zu Im>
stimmen, das Mass seiner Aufmerksamkeit für Geschichte, Rdigioo
zu ermitteln, wie dieselbe als Ergebnis aus der Anregung seiner
geistigen Naturkraft durch den Umgang hcrvorgj^eht, dabei die Rück-
wirkungen aui dieses Ergebnis aus der ieibiichea Organisation des
Kindes, seinem Gesundheitsstande, seinen geistigen Fehlern mit zu
veranschlagen, mag jedenfalls viel schwerer gelingen, als die Lösung
der entsprechenden Aufgabe im Bereich des kindlichen Erfahrungs-
bewusstseins.
Es wird hier noch dringlicher wie vorher die Notwendigkeit
fiir den Lehrer empfunden, sich so nahe als möglich zum einzdnen
Kinde und zu den Kreisen zu halten, unter deren Einfluss es stand
und steht.
Die Höhe des einzelnen Kindes in seinem Krlebnisbewusstscin
kommt näherungsweise zum Ausdruck in seiner Fähigkeit zu er-
zählen und in seinem SpieL Die Erzählung des dnzdnen Kindes
offenbart namentlich, wie wenig oder wie tief das Kind bereits
eingetaucht ist in die Uberlieferungen, wie eng oder wie weit der
Kreis seiner Anteilnahme am Menschlichen ist. Sein Spiel gibt
ebenfalls kund, ob und wie weit es schon vom Leben der Menschen,
von der Uberlieferung berührt ist
Die Feststellung des Erlebnisbewusstseins des einzelnen Kindes
sollte abschliessen mit der Bestinunung des gegebenen geschicht-
lichen, religiösen Bewusstseins im cinzclnrn Kinde, der Erkenntnis
der Begünstigungen und Hemmungen des emzelnen Kindes dann
in seinem Umgang wie in seinen persönlichen Eigenschaften. Gerade
die Feststellung des kindlichen Erlebnisbewusstsdns fuhrt wieder
zurück auf die ausschlaggebende Bedeutung der Familie für die
Erziehung des Kindes. Einer Familie ohne Aufmerksamkeit auf
das Menschliche, ohne Sinn für Uberlicferuncr, ohne kirchlichen
Geist, einer FamUie, die nichts pflegt, nichts mitlebt, die aufgebt
entweder in der Sorge: Was werden wir essen? trinken? anziehen?
oder aufgeht im Häufen des Beatzes, in der die Gleichgültigkeit
oder die Menschen Verachtung wohnt, die geistige Verkümmerung
oder die moderne geistige Nichtigkeit: einer solchen Familie Icano
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auch kein in seinem Erlebnisbewustscin gesegnetes Kind entspriessen.
Ein gut Teil der einzelnen Ausiuhningen zur Feststellung des
ländlichen Erfahrungsbewusstseins hat auch Gültigkeit iur die Fest-
steUung des ländlichen Erlebnisbewusstseins. Es sei dem geneigten
Leser anheimgegeben, die Anwendungen selber zu vollziehen.
B. Die Feststeilung des kindlichen Gemütskreisea.
Die Gemütskenntnis des Kindes ist aufs innigste verbunden
mit seinem Vorstellungsk reise und der N'.itur der Sache nach
eigentlich davon nicht abzutrennen. Wenn er gleichwohl hier eine
gesonderte Betrachtung erfahrt, so geschieht das vor allem wegen
der erhöhten Deutlichkeit, welche damit för die Betrachtung des
kindlichen Gemütskreises gewonnen wird. 13 er Gemütskreis zerfallt
in die zwei Gebiete: der sinnlichen und geistigen Gefühle. Unter
den sinnlichen Gefühlen ist für die Erziehung bei weitem das
wichtigste das Gemeingefühl. Dasselbe ist sozusagen die seehsche
Resonanz aus dem Gesamtverhältnis zwischen Leibeszustand und
Bewusstsein. In ihm beruht die innere Stimmung. Sofern es ge-
knüpft ist an die beharrende körperliche Organisation, beziehentlich
an den körperlichen Zustand, welcher mit dieser gegeben ist, gehört
es zu den dauernden Zügen des Seelenlebens. Es ist vermutlich
die Grundlage des Temperaments. Das gesamte übrige Seelenleben
wird durch das Gemeingefühl beeinflusst Dies macht man aus,
wenn man das frohgemute Kind beobachtet gegenüber dem durch
Leiden gedrückten. Vom Gemeinc^efühl rührt her die Färbung, in
der uns die Welt erscheint. Dem ungestörten, freien Gemeingefühl
entspricht cm heiteres Verhältnis zu den Dingen, dem nieder-
gebeugten, gebundenen ein trübseliges. Die ganze Bildung hat mit
dem Gemeingefühl als ihrem Bundesgenossen oder Gegner zu
rechnen. Man muss die Wichtigkeit des Geiiicitii;efühls für
Empfänglichkeit, Vorstellungsverlauf, innere Aufgelegtheit und Aus-
dauer bei geistiger Arbeit in Zeiten der Krankheit in sich selbst
erlebt haben, um gehörig zu ermessen, welche Tragweite für die
Erziehung ihm zukommt Es schliessen sich aber auch an die
sinnlichen Vorstellungen Gefühle an. Schon durch die zusagende
oder nicht zusagende Erregung des Sinnesorgans entstehen wohl-
tuende oder schmerzende Gefühle. Die sinnlichen Vorstellungen
bewirken aber auch Gefühle durch die Beeinflussung des äugen»
blicklichen Bewusstseinsstandes. Sie erwecken Empfindungen der
Befriedigung oder Missbefiriedigung, je nachdem sie das gegen-
wärtige Bewusstsein günstig oder ungünstig berühren. Die sinn-
lichen Vorstellungen erwecken auch Gefühle durch die Rück-
wirkungen auf den Vorstellungsverlauf. Wenn sie Erwartungen be-
gegnen und diese eriutten, kommt der Vorstellungsverlauf in guten
Zag, und daran schliessen sich Lustgefühle; wenn sie aber
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Überraschungen oder gar Bestörzungen hervorrufen, gerat auch leicht
der Vorstellungsverlauf ins Stocken, und daran schliessen ^ch Un»
lustc^efühle. Damit ist freilich der Bereich der sinnlichen Gefijhle
fast überschritten. Eine besondere Art der sinnlichen (refühle sind
diejenigen , die sich an bestimmte i^arben-, Gestalt-, Tonwahr-
nehmungen knüpfen und Elemente ästhetischen Empfindens ab-
geben. Abermals eine eigene Art der sinnlichen Gefühle sind jene,
die sich an die Bewegungen der Glieder knüpfen; sie gehen ein in
das Selbstgefühl. Die Gelegenheit zur Beobachtung des Gemein-
gefühls im Kind ist der gesamte Unterricht in seinen matuugi altigen
Zumutungen an das einzdne Kmd. Bei der andeutenden Besprechung
der Kindesfehler ist bereits etwas der verschiedenen kindUchen
Krankheitszustände gedacht, aus welchen die Minderung des Gemein-
gcfühls in besonderem Masse erfolgt. Auch die Verweichlichung
kann auf das Gemeingefühl und im Zusammenhang damit auf das
Selbstgefühl sehr nachteiUg zurückwirken. Es sind aber namentlich
die zwei Augenblicke der unmittelbaren Wahrnehmung und der
denkenden Verarbeitung des Neuerfahrenen oder -Erlebten, bei
welchen 5?ugleich auf die Gefühlsseite, auf die Rückwirkung des
Kindrucks auf das kindliche Bewusstscin, sowie auf den Eünfluss
des Gemeingefuiils auf Hmpfaiigiichkeit und Innere Arbeitslust,
gemerkt werden sollte.
Unter den geistigen Gefühlen sind zu unterscheiden die inner-
liehen Kraftgefühle, die Schönheit?; ii^a- fühle, die sittlichen und
religiösen Gefühle Die innerlichen Krattgefühle wurzeln m dem
Vorgang der Anerkennung und des Erkennens. Stösst die An-
erkennung auf Ifindermss^ oder will sie überiiaupt nicht gelingen,
weiss man nur mit Mühe und Not das Neue geistig unterzubringen,
oder kann man es gar nicht bewältigen, so entstehen in der Seele
Gefühle innerlichen Unvermögens; geschieht hingegen die An-
erkennung mit Leichiii^keii, findet man sich gegenüber dem Neuen
mühelos zurecht, geht die Ausgleichung zwischen Altem und Neuem
ohne Reibungen und Verzögerungen vor sich, so regen sich Gefühle
innerlicher Überlegenheit. Ähnlich im Akt des ß-kennens. Will
es damit nicht vorwärtsgehen, ist das Bewusstsein in der Lage jener
Gestalt der Sage, welcher der Stein, den sie mit Händen und
Füssen von der Au aufwäUte zum Berge, mit Einemmal entstürzte,
gerade als sie ihn glaubte su drehen auf den Gipfel, dann entstehen
starke Unlustgefiihle^ die sich bis zum Zustande innerer Gepresstiictt
steigern können. Da versagen nach und nach die Erinnen-nc^en,
es wird öde im Bewusstsein, es regen sich V erlegenheitsgetühic,
über das Bewusstsein legt sich die Empfindung eines wachsenden
Drucks. Schreitet liingegen das Denken fort, fliessen die Repro-
duktionen ohne Zögern und ergiebig herbei, wird die allgemeine
Bedeutung und Geltung des P'rfahrenen oder Frlebtcn heller und
heller erkannt, so bemächtigt sich der Seele auch wachsende Freude^
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das Geföhl gütiger Stirke. Hier ergeht Einladung an den Lehrer»
die Folgen der Gemassheit der BUdiing iUr das geistige Leben und
gegenteils der Nichtgemässheit zu erwägen und im Lichte solcher
Erwägung die geltenden Lehrpläne für die Kleinen anzusehen. In
der Hebung des innerHchen iCraftgefühls beruht das Geheimnis der
Erzeugung von Interesse im Sinne von Aufmerksamkeit; in der
Lahmung des innerlichen Kraftgefühis liegt die Ursache der Interesse*
losigkeit im Sinne von Gleichgültigkeit oder gar Widerwillen beim
Unterrichte. In der Belebung des innerlichen Kraftgefühis beruht
Grund der Disdplinlosigkdt im Sinne geistiger Abweisung ver*
suchter bildender Einflussnahme. Die Krafikgeföhle weisen zurück
auf die gcistif^c N itr.rkraft und auf die erworbene Anlage; aber die
wertvollste Naturkratt und die günstigste erworbene Anlage erschöpft
sich und leidet unter den bitteren Gefühlen ergebnisloser An-
strengungen, wenn das Gesets der Gremässheit durch die Lehrpläne
nicht befolgt wird. Die Gelegenheiten zur Achtsamkeit auf die
Äusserungen des innerlichen Kraftgefühls beim einzelnen Kind sind
schon angezeigt: der Vorgang der Auffassung des Erfahrenen und
Erlebten und des Eindringens in seinen beg^fflichen Sinn. Die
Entäusserung der Gefühle geschieht durch Auge, Miene, Stimme
und Haltung. Schon bei den sinnlichen, noch mehr aber bei
den geistigen Gefühlen muss der Lehrer trachten nach Bekannt«
schnften mit den Kundgebungen der Gefiihle, dem Ausdruck der
Gemütsbewegungen.
Die SchönheiLbgciuhle sind Gefühle des Wohlgefallens oder
Missfallens an dem Sdieine, in dem das sinnlich Gegebene sich darstellt.
Es ist gestreift, dass in die Schönheitsgefühle sinnliche Gefühle als
Elemente eingehen. Das kindlirhe Gefallen oder Nicht [gefallen steht
ursprünglich in engster Be/irliung zu seinem Ich. Es kommt darin
sein persönliches Verhältnis zu Dingen oder Vorgängen zur Gellung.
Schön ist, was Lust bereitet; garstig, was Unlust macht Dassels
kann jetzt für schön, darauf für garstig gehalten werden, je nach-
dem CS das einemal Behagen, das anderemal Missbehagen bereitet.
Das kann man im Benehmen des Kindes gegenüber dem Spielzeug
erfahren. Das Kind wird stofflich gereizt^ es ist schliesslich die
Art, wie es durch etwas Wahrgenommenes in seinem Bewusstsein
angeredet wü-d, darüber entscheidend, welches Gefühl es dem
Wahrgenommenen entgegenbringt und welchen Geschmackswert es
ihm verleiht. Doch sind auch Augenblicke reinen Wohlgefallens
am Scheine sehr frühe beim einzelnen Kinde festzustellen. Die
kindliche Geschmacksstufe tritt hervor im Verhalten des Kindes
Gegenüber dem wirkenden Eindruck, dann beim Unterricht in dem
Lunstmassigen (Gesang, Dichtung, Bild -Darstellung). Weisst die
Benennung Geschmack für die ureiuhlsschätzung im Gebiete des
PldHOCiMh« 8«adtea. XXX. f. fS
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— 434 —
Schonen nicht auf dn ursprüngliches psychologisches Veriiähnii
dieser Scliätzung zu den Empfindungen des Angenehmen • Uih
angenehmen im Bereich des GreschmadcssinnSr auf das Herüber-
wirken von Gefühlsassoziationen hin?
Die sittlichen Gefühle sind anfänglich wieder Lust- und Unlust-
gefühle. Das erste Mass für die Wertschätzung im Gebiete des
Lebens wird abermals genommen aus der Beziehung des Gewerteten
zum Ich; in dem Beifall oder Tadel spiegelt sich lediglich die
eigene erlebte Gefiihlsbcgahung oder -Verneinung durch die Be-
rührung von dem Gegenstand , der gelobt oder gescholten wird.
Und auch hier kann es sich begeben, dass der nämliche Gegen-
stand nun für gut und dann für böse «mgesehen wird, je nachdem
er entweder ab angenehm oder als unangenehm zur Empfindung
kommt. So sind die ursprünglichen sittlichen Gefühle des einzelnen
Kindes wie die ersten Schönheitsgefühle desselben nur dem Namen
nach das, als was sie psychologisch anerkannt werden möchten.
Sie reichen mit ihren Wurzeln noch tief in den Boden der sinn-
lichen Seite des Geisteslebens hinein. Eine Stufe höher stehen die
vorfindlichen Sympathie- und AntipathiegefilQile des einzelnen Kindes^
Die Wertung nach Lust-Unlust ist vielleicht noch die tierische. Die
Wertung nach Sympathie- Antipathie ist der Beginn menschlicher
Beurteilungsweise. Das Sympathiegefühl und das Antipathief^cfühl
ist in seinem Wesen noch durchaus verwandt der Lust-Unlust und
wie diese verknüpft mit dem persönlichen Verhältnis zu dem Gegen-
stände, dem es Das älteste Ssrmpathiegefühl ist wohl das gegen
die Mutter, danach das gegen den Vater. Hieran reihen sich die
Sympathiegcfühle mit Gespielen (Geschwistern),*) dem (vermensch-
lichten) Spielzeug, Verwandten, Bekannten (Nachbarn, Heimat-
genossen), Stammes-, Volks-, BekenntniszugdiÖrigen. Das Familien-
gefühl, das Heimatgefuhl, das Stammes- und Nationalgefühl, das
kirchliche Gemeinschaftsgefühl ist in seinem Kerne Sympathiegefühl.
Das Antipathiegefühl regt sich bereits gegenüber der Umgebung,
im Kreise der Kameradschaft, dann wider Fremde, zumal Fahrende
(Zigeuner, Scherenschleifer), wider das „Gresindel", die Anders-
gläubigen, Juden, in Zeiten auch gegen andere Volksangehörige
^egen die Engländer beim Burenkriege). Das Sympathie- und
Antipathiegefühl äussert sich in der Übertragung auch gegenüber
Tieren, Pflanzen. Es gibt geliebte und gescheute Tiere wie Pflanzen.
Das Sympathie- und Antipathiegefühl ist ein noch völlig natür-
liches, ein .^leidnisches" Gefiihl.*) Abermals eine höhere Stufe im
attlichen Gefühl zeigt an das Verhalten gegen Gutes oder Böses
wie gegen Schönes oder HässUches. Damit hat das einzehie Kind
') Iphigenie von Goethe, I. I.
«) MatÜHas, V, 46. 47.
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— 435 —
das wahrhafte sittliche Gefühl, wenigstens im Anfange, erreicht
Gleichwie reines ästhetisches regt sich reines ethisches Wohlgefallen
möglicherweise sehr frühe. Schon öfters erkannten wir bisher die
Familie als Glück oder Unglück für die Erziehung des einzelnen
Kindes. Bei den höheren Gefühlen, dem Schönheits- und sittlichen
Crefuhle, bedeutet die Familte noch vid mehr als in aQem Bis-
herigen Heil oder Unheil für die Erziehung. Wohl dem Kinde, dem
von frühe an in seinem häuslichen Kreise Anmut und Würde nahe
trat! Das wahrhafte sittlich?* Gefühl äussert sich im Hmpfinden
gegenüber Erlebnissen von Fncde-Streit; Lohn-Strafe; Frc'jndscbaft,
ueschwisterliebe - Feindseligkeit, Hass; Barmherzigkeit, Hilfe • Harte,
Obeltat; Unschuld, Zufriedenheit -Begehrlichkeit, Neid; Mut-Ver-
zagtheit; Treue-Falschheit; Gehorsam* Unfolgsamkeit . . . Die Fest-
stellun«^' im fmkreise des sittlichen Gefühl«; achtet darauf, ob das
einzelne Kind noch ganz selbstisch empfindet, roh, fühllos sich
äussert, in der Unschuld Flecken iiat^ oder ob es Ansätze besitzt
zu Familien-, Freundscfaafts-, Heimat«, Stammes-, National- und
kirchlichem Gremeinschaftsgefiihl; Ansätze auch edleren Empfindens
gegenüber Tieren, Pflanzen; besonders aber, ob sich srhon wirklich
ethisches Fühlen vornndet — Wohlgefallen am Guten, MissfiUcn
am Schlechten. Sie merkt auch auf die Gemiitsfehier : ob sich
Ansätze zeigen zu Abneigungen gegen Fremde, Andersgläubige;
Ansätze zu nationaler Antipathie, zum Rassenhass; Emp^ndungs*
eigenheiten gegenüber bestimmten Tieren, Pflanzen. In den Sym-
pathie- und Antipathiegefühlcn hat eine Reihe von Zügen der
Individualität ihre Grundlage: der kindliche, der FamiUenzug, der
heimatliche, der stanunestümliche, der nationale, der konfessionelle,
der soziale. Erinnern wir uns hier daran, dass die Individualität
die natürliche Achse der Erziehung ist, und dass die Enddhud^ aUe
berechtigten wertvollen Züge derselben zu schonen und zu pflegen,
hingegen die unberechtigten, nachteiligen Züge derselben zu be-
kämpfen und nach Möglichkeit zu überwinden hat; so kommt uns
ein Bewusstsein von der Bedeutung der Sympathie- und Antipathie-
gefühle für die Erziehung des Kindes. In den wahrhaft etluschen
Gefühlen des Kindes liegen die Anfange des Gewissens; diese
Gefühle sind die Grundlage des besseren Ich im Kinde. Nur von
hier aus ist es für das Gute zugänglich. Alle die edleren Äusserungen
eines Sinnes für Recht und Unrecht, eines GefUhls för wahre ^re
und Schande, eines Gefühls für Verantwortlichkeit und Zurechnung,
eines Anfangs der wirklichen Ehrfurcht und Achtunt^, der Empfindung
innerlicher Reue beruhen anf rfiescn Gefühlen. Sie sind der Keim
des moralischen Charakters. Der Lehrer wird unter allem, was im
kindlichen Geistesleben seine Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt,
diesen Geföhlen die grdsste Schätzung entgegenbringen. Wo sie
angetroffen werden, da mag er in der Hoffnung des Sämanns leben,
der den Samen auf gutes L^nd streut, wo er aufgenonuncn wird
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— 436 —
und Frucht bringt, dretssig-, sechzig-, hundertfaltig.') In den Sym*
pathicgcfühlen und in den ethischen GefUhlen liegt die stille Heimat
des einzelnen Kindes beschlossen, da ruht sein Sdiatz, bei dem sein
Herz ist.
An die sittlichen (jeiiihle reihen sich zuletzt die möglichen
religiösen Gefühle des Kindes: Wunschgefühle, Gefühle der Furcht
und Abhängigkeit, vielleidit auch GeOihle des Vertrauens und der
Hingabe. Diese Gefühle nehmen ihren Ausgang vom Zustande oder
der Lage des Kindes (einer Krankheit, Gefahrdung des Lebens), von
gewaltigen Naturerscheinungen (einem Sturme, Gewitter, Hagel-
schlag), vom religiösen Leben in der Familie (Weihnachten, Ostern),
vom religiösen Gemeinsdiafibsleben (Sonntagsfeier). Aus den
religiösen Gefühlen des einzelnen Kindes erhebt sich dessen Glauben»
wie aus seinen ethischen Gefühlen dns (Tf"svi'^?en. Die religiö«:en
(xefühle bilden auch eine der Grundlagen des iictcren Ich im
Menschen. Sie sind möglicherweise innig mit Syinpathiegefühlen
verknüpft, ja vielleicht nur eine Übertragung solcher GefUhle; denn
das kindliche religiöse Fühlen hat leidit zum Hintergrunde die
Neigungsgf fühle gegen Mutter und Vater, wie auch die kindliche
Vorstellungswcise eines höheren Wesens, wo sie sich über die aller-
niedrigste Stufe, den Fetischmus, zu erheben vermag, wohl nirgends
von der Vorstdlung der Eltern sich ablöst Die religiösen Gef&ble
des Kindes können auch enge mit dessen sittlichem Fuhlen ver-
bunden sein. Liegt es doch jeder Mutter so nahe, ihren Äusserungen
sittlicher Billigung oder MissbilHtrun^ beim Kinde dadurch «^rö-^seren
Eindruck zu sichern, dass sie dieselben zugleich als Austiuss des
Beifalls oder Tadels des höheren Wesens dem Kinde zur Empfindung
bringt Die religiösen Gefühle des Kindes dnd wieder etwas so
ausgesprochen MenschHches. Durdi die Wahrheitsgefühle, die
Schönheitsgefühlc , die ethischen und religiösen Gefühle empfangt
das Menschenkind das Unterpfand seines Adels gegenüber dem
tierischen Wesen. Die neueren Versuche, die Erziehung auf die
Biologie oder die Entwicklungslehre zu begründen und dem
menschlichen Leben einen reinen natürlichen Suin zu geben, über-
sehen die totale Geschiedenheit drs Menschen von allem geschöpf-
lichen Wesen gerade durch die höheren Gefühle, deren der Men«;ch
fähig ist. Die religiösen Gefühle zumal sind die Unterlage und der
Anfang der Erhebung des Menschen zu einer jenseitigen Lebens-
auffassung. In ihnen liegt die Möglichkeit der Anknüpfung dieses
irdischen Daseins an die Iloffhung einer künftigen inneren Herrlich-
keit, welche den mächtigsten Antrieb zur persönlichen Höher-
bildun|; gibt.
Die Gelegenheit zur Feststellung der sittlichen und religiösen
Gefühle des einzelnen Kindes bietet der Gesinnungsunterricht, der
1) Matthias, ta» 1—23.
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— 437 —
geschichtliche und der religiöse, aber auch der Unterricht im Gebiete
des Kunstmässigen wie der Natur, soweit hier der Inhalt in den
sittlichen und relii^'iosen Gemütsbercich hineingreift. Im besonderen
dienen zur Feststeilung der sittlichen und religiösen (lefiihle des
Kindes die Fälle des Schullebens, bei welchem das Kind in seinem
sittlichen, religiösen Gemiitsbesitz angesprochen wird. Das sind die
Zuchtfälle, die Fälle, die sich ergeben aus dem Anschluss an das
kindliche Leben in der Familie, an das Heimatliche und Volks-
tümliche, an das Nationale und Kirchliche, an das Leben in der
Natur.
Mit dem Gemütskreis des einzelnen Kindes ist zugleich dessen
Interessenkreis umschrieben. Die einzdnen Interessen, die etwa
im Ansatz beim Kind '/orL'cfLaidrn werden, beruhen nicht allein
auf naiv erlebten geistigen Kraftgetuhien, wie sie sich vielleicht aus
der beständigen Erregung der ursprünglichen Anlage in einer be-
stimmten Richtung hin schon vor aller absichtlichen Bildung er*
geben, sondern vor allem auch auf den geistigen Gefühlen, die sich
an die Beschaffenheit des Vorgestellten (aus Erfahrung und Umgang)
schlicssen. Interesse, wo es begegnen möge, ist ursprünglich nicht
bloss Aufmerksamkeit, sondern auch Schätzung (im weitesten Sinne).
Gerade diese Schätzung bewirkt jenes Merkmal im Interesse, das
als gewisses geistiges Bedürfnis hervortritt; während die Aufmerksam»
keit aus innerlichem Kraftgefühl mit dem andern Merkmal im
Interesse zusammenfallt, das als geistige Regsamkeit in die Er-
scheinung tritt Eifer für Erfahrung und Denken, Freude für das
Schöne, das, was man als Anteilnahme (im höheren Sinne) und
Gemdngetst bezeichnet, oder als Frömmigkeit benennt — Sinn für
das Gute und Göttliche — , alle Richtungen des Interesse gehen
auf 'ene Srhär;'iinff'^c^efühle (im weitesten Sinne) zurück. Der viel-
leicht ini einzelnen Kmd entstandene Ansatz zu einem Eifer für
Erfahrung und Denken äussert sich vornehmüch in der Begleitung
einzelner Erscheinungen des Naturlebens (im Laufe der Jahräzeiten)
und im Nachgehen bei solchen ein/.elnen Erscheinungen, also schon
in einer Empfindung für die Bedeutung derselben; die Freude für
das Schöne im kindlichen Aufsuchen einzelner Dinge (Blumen), in
dem Gefallen an der Sonne (Auf-, Untergang, Abendrot), den
Siemlein und dem Monde, an Bächlein und Wadd, an Bildern; die
Anfange einer Teilnahme im höheren Sinn im Beifall bei Erleb-
nissen des Rechten im Kreise djer Famüie, Kameradschaft und
Heimat, darin, dass das Kind Züge des Guten gerne hört, aber auch
im Missfallen bei Erlebnissen des Unrechten, darin, dass das Kmd
Züge des Bösen nicht gerne hört; die Spuren der Frömmigkeit im
kindlichen Gebet, in den Anzeichen des Vertrauens auf den liebea
Gott und der Folgsamkeit um Gottes wtUen.
Bei der Feststellung der Interessenansätze ist nicht nur auf die
Starke und Richtung, sondern namentlich auch auf die Reinheit
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— 43» —
derselben acht zu geben; darauf, ob das kindliche Gemüt in Ein*
fall sich nach einer Richtung^ neiget» oder ob es dabei von Be*
gehrungen getrieben wird.
Zur Feststellung der Eigenschaften des einzelnen Kindergemüts
gehört endlich noch die Auftnerksamkeit auch auf die Gleich*
gewichtslage des Kindergemütes, mit welcher die Gemfitsklarfattt
aufs engste verknüpft ist; auf die Dispositionen zu Störungen des
Gleichgewichts durch GernütsbeweguriL^en, wie: Lustigkeit, Traurig-
keit, Furcht, Angst, Sclireckea; und auf die mehr oder weniger
fest gewordenen Eigentümlichkeiten im Ausdruck der Gremöts-
bewegungen (Lachen — Weinen). Hier kommen dann die von ur-
altersher unterschiedenen „Gemütsarten" (des „leicht- und schwer-
blütigen, warm- und kaltblütigen" Menschen), die Temperamente,
die Angelegtheiten zu gewissen Stärkegraden und Massen der
Schnelligkeit im Wechsel der Gemütsbewegungen, besoadcrs in
betracht. Sie bedeuten nicht selten erwünschte Begünstigungen —
oder auch grosse Hemmungen der Erziehung. In ihnen wurzelt die
„gute Seele" des Volkstums, möglicherweise aber auch der „un-
verbesserliche Taugenichts". Hier sitzen die ursprünglichen Gemüts-
vorzüge, aber auch die ursprünglichen Gemütsfehler. Die Gremüts-
fehler weisen aber auch wieder zurück auf die Verwahrlosui^, Ver>
wilderung, Verweichlichung und Verfrühu ng des einzelnen Kindes
in der Erziehung, der Bildung. Der Geistesverödung des verwahr-
losten Kindes geht die (yemütsverödung zur Seite; der (Tcistes-
cntartung des verwilderten Kindes die Gemütsentartung; der Ab-
lenkung der verweichlichten Kindes auf den Weg des Genuss*
Verlangens, oder seiner Einkapselung und seiner Absperrung von
jeder anderen Berührung die Ansteckung des Gemütslebcns durch
unrechte Gefühlseinbildungen und daraus entspringende Begchrungcn
— oder die Gemüts Verzärtelung und Gemutsarmut; der verfrühten
S&ttigung des Geistes mit allerlei unpassender Nahrung die Gemüts-
unempfanglichkeit und -Gleichgültigkeit. Die Ansteckung des
Gemütslebens durch unrechte Gefühlsphantasicn und die Blasiert-
heit sind zwei der allerunerfrculichsten Erscheinungen in der heutigen
Kinderwelt. Sie stehen der Bildung zumal durch Religion, Dichtung
(Volkstum), überhaupt der Gemütsveredlung durch idealen Umgang,
der Erhebung zum Glauben und zur Freudigkeit, am meisten im
Wege. Besteht etwa hier auch Aufforderung für die Schule, in sich
zu gehen und sich mit schuldig zu bekennen an der Beförderung
der kindlichen Gemüt^leichgültigkeit? Oder hat die Schule von
heute mit der Erhebung des Leistung^trebens keinen Teil an der
Verantwortung fUr die Verfrühung, der so manches Kind schon in
der Familie nicht entgehen kann, und die dann im eigentlichen
Schullcrnen erst recht ihre Blüten treibt? Ist die einseitige Wissens-
pflege m den Schulen nicht eine der hauptsächlichsten Ouellstätten
der geistigen Verfruiiurig bei den Kindern schon un Eilernhausc
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— 439 —
und somit auch eine der hervorragenrlstcn Verursachunp^en der vor-
findlichen Gemütsgleich eniltigkeit bei den Kindern und ihrer ernsten
Fortwirlcungen auf die kindliche Eatwickelung?
Zu den Gemfitsfehlern ans Verwahrlosung, Verwilderung» Ver*
weichlichung oder Verfrühung in der Versorgung des einzelnen
Kindes kommen die Erscheinungen der Gemütsverirrungen im
Bereich der ästhetischen, ethischen und reHgiösen Gefühle: die An-
sätze zum Behagen am Hässlichen, Gemeinen ; zur Lust am Frechen.
Die sogenannten Geisteskrankheiten haben ihren verborgenen Keim
nicht selten im Zustand des Gemütes. Der Lehrer, sollte wohl acht
geben auf die Gemütsschwankungen, auf die Gegensätzlichkeiten im
Gemüte, auf die Stimmungen. Gemütsruhe und geistige Gesund-
heit, Gemutsfahrigkeit, jäher Gemütswechsel, Gemütsdruck und
geistige „Minderwertigkeit" stehen wahrscheinlich in nächstem Zu-
sammenhange miteinander.
C Die Feststellung des kindlichen Lebenskreises.
Das kindliche Leben ist innig verwachsen mit dem kindlichen
Vorstellen und Fühlen; und darum die Betrachtung des kindlichen
Lebenskreises eigentlich wieder nicht abzutrennen von jener des
kindlichen Vorstdlungs- und auch nicht von der des kindlichen
Gemütskreises. Indessen steht doch das kindliche Leben als Er«
scheinung dem kindlichen Vorstellen und Fühlen äusserlich wie
freier gegenüber. Es lässt sich für die Betrachtung leichter wie
etwas Seibstständiges ansehen, als die kindliche Gemütswelt. In
seinem Leben offenbart zwar das Kind seine Gedanken und seine
Empfindungen, Kopf und Herz; aber es begegnet darin doch
etwas wie em neuer An&ng. Während Vorstellungen und Gefühle
im Innern ihre Wohnung haben, tritt das Leben nach aussen in die
Erscheinung. Bei den Vorstellungen und Gefühlen gibt uns nur die
Sprache (im weitesten Sinne), das Büd kund, was da im Bewusstsein
gehegt wird. Und die Sprache, die Darstellung — sind sie nicht
schon dem kindlichen Leben zuzurechnen? Dort verläuft die Reihe
der Voi^^uoge von aussen, der Erscheinungswelt (der auch der
Körper zugehört^ nach innen (zum Bewnisstsein) ; hier umgekehrt
von innen (dem Bewusstsein nach aussen (7ur Erscheinungswelt, der
das Handeln sich einordnet). Bei der I cäti>tcüuag des kindlichen
Ixbenskreises ist ins Auge tu fassen: Absicht, Tat, Charakter, Person.
Die Absicht liegt im kindlichen Begehren und Nichtbegehren, Auf-
suchen und Meiden, Liebhaben — Vorziehen, Nichtliebhaben —
Zunickweisen; in dem, was das Kind hLibcn oder nicht haben will.
Die Absicht zeigt an die Abhängigkeit des kindlichen Lebens von
den Vorst^ungen des Kindes» welche es zu Gemütswirkungen,
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womöglich zu beharrlichen, gebracht haben. Die Tat ist bejahendes
oder verneinendes Handeln, Tun oder Lassen. Das kindliche
Handeln ist geknüpft an die kindlichen Erfahrungs-, oder bewegungs-,
oder Erlebnisvorstellungen. Es ist Spiel Im Spiel wirkt attn fort,
was das Kind im Bewusstsein so berührt hat, dass davon zugleich
die Gemütssailen in stärkere und dauerndere Schwingungen versetzt
wurden. Beim Handeln des Kindes kommen auch die kindlichen
Mittel für das Handeln in betracht. Ks sind oft die allereinfachsten
Susserlich uoscheinbarstea Wie wenig kennen diejenigen die Art
des Kindes, die dem Kinde in unseren modernen Spielwaren die
zusammengesetztesten, künstlichsten Sachen anbieten £U seinem
Spiel! Bei der Ausführnng der Handlung kommt zur Offenbarung,
was das Kind bisher in seinem angenommenen Charakter vor sich
gebracht hat: seine (mittelbaren) Tugenden wie Untugenden. Da
erschdnt sein Fleiss, seine PunktUcMcdt, Ordnung. Sauberkeit —
oder seine Trägheit, Nachlässigkeit, Unordnung, Unreinlicbkeit; dena
wie das Kind L^eworden, so verhält es sich im Spiele. Da er-
scheinen die Folgen Wirkungen aus seiner „Umwelt", seiner Familie,
vor allem aus dem Beispiele seiner Mutter, dann seiner Mitgespielen.
Die Mitgespiden zählen zu den wichtigsten Miterziehem des etnzelfieo
Kindes — im Guten, wie im Bösen; und das Volk legt mit Recht
grossen Wert auf einen guten Kameraden, während es in seinem
Sprichwort dem bösen Gesellen die Schuld beimisst am endUchen
Untergang eines Menschen. Wenn die Mitgespielen so oder so für
das kuidlidie Leben bedeutungsvoll werden können, dann ist darin
doch auch ausgesprochen, dass das Emporwachsen ohne Mit-
gespielen im kindlichen Leben sich entschieden äussern muss. Das
verzärtelte Kind , dass nie unter andere Kinder kam und daheim
des Brüderchens oder Schwesterchens entbehrte, ist in seinem Sieb-
geben ausserordentlich zaghaft und wird leicht ein Spielball in den
Händen anderer Kinder, welchen es spater doch nidit mehr völlig
entzogen bleiben kann. Aber vides von dem, was im kindUchen
Handeln als Ankündigung einer werdenden Charaktereigenschaft
gelten darf, ist nicht Folgewirkung aus der „Umwelt", sondern hat
im Kind selber seinen Ursprung. So die .Anzeichen von Leichtsinn,
von Unverträglichkeit, StreitsOchtigkeit, Henschsucht, märriscfaem
Wesen, Müssigang; aber auch die Anzeichen der heiteren Zufrieden-
heit, stillen Aufgehens in der Besc häftic:ting (Sonntagskind), des
Ernstes und der Ausdauer, des freundUchen Sichanschliessens an
andere. Da kommt schon des Menschen leibliche Ausstattung^ sein
Gemeingefiihl, dann aber auch sein Temperament sehr in Frage.
Der Leichtänn, die Streitsüchtigkeit z. B. weisen doch geradesweges
zurück auf sanguinische oder cholerische Veranlagung. Auch die
mehr formalen Züge im Handeln des Kindes leiten auf das Kind
selber zurück. Darin spricht sich vornehmlich sein „Talent" aus, das
ihm möglicherweise in Vcrgunsugungcn bei seinen Sinnen, Gliedern
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— 441 —
oder ganz allgemein in leiblicher Anstelligkeil überhaupt verliehen
ist. Im Handeln des Kindes treten ferner gewisse Eigenschaften
des Kindes, oder doch Anfange zu solchen, hervor, die im aus-
gereiften Charakter von grosser psychologischer Bedeutung sind:
Zutrauen zu sich selber, Kraft, Entsdilossenheit — oder Mangel an
Wülensgewisäieit, Zaghaftigkeit und Unentschiedenheit Diese
Eigenschr\ften wurr.eln vielleicht auch mit in der körperlichen
Organisation, vor allem aber in den kindlichen Bewegungsvor-
stellungen. Sie weisen bereits weiter, auf die Ankündigungen
künftiger Persönlichkeit in dem Tun und Lassen des Kindes. Solche
Ankündigungen liegen vor in dem Vorwalten mehr tätigen, oder
mehr leidenden Verhaltens im kindlichen ( eben. Die überwiegende
Selbsttätigkeit des Rindes, Ausdruck innerlicher Spontaneität, Selbst-
behauptung gegenüber fremden Zumutungen ist Verheissung des
Gredeibens zur Männlichkeit im Wollen. Überwiegend nachahmendes
Gebaren, Nachgiebigkeit gegen jede fremde Zumutung, Sichschmiegen
und -Biegen bei jedem willkürlichen Eingreifen eines zweiten in die
eigene Sphäre des Handelns nötigt zur Besorgnis, dass die selbst-
bewiisste persönliche Entscheidung und Haltung da einmal nicht so
günstig sich entwickeln werden. Die Festst^ung des kindlichen
Lebenskreises stösst in der Schule auf besondere Schwierigkeiten.
Denn das kindliche Leben und die Schule sind bei der heutigen
Schullage, die es oft so hindert, dem einzelnen Kinde entgegen-
zukommen, nicht selten gegen einander ganz abgeschlossen: das
Kind lebt ausser der Schule, woferne ihm die Schule noch etwas
Raum und Freiheit dafür gewährt, sein Leben fiir sich; in der
Schule ist es wie ein aiKgewechseltes Wesen. Die Schule sollte
selbst kindliches Leben werden! Wo sie das werden darf und
kann, dort hat der Lehrer die Möglichkeit, das kindliche Leben in
seinen LiUiiusserungen beim ungezwungenen, natürlichen Spiel, bei
kleinen Versuchen, bei Spaziergängen, bei den Gelegenheiten der
Andenkenpflege, bei dem Umgang zwischen Kind und Lehrer, den
der Ansrhluss an die Familie, Heimat, an Stamm und V^olk, an die
kirchliche (lemeinschaft, an die Natur herbeiführt, zu beobachten
und seinen Zusammenhängen weiter nachzugehen. Die Leistungs-
forderungen, die gerade bei den Kleinen und noch dazu in den
Lehrgebieten, die dem Kinde, wie es frisch von der Mutter kommt,
am wenigsten zusagen, nämlich im Schreiben — Lesen — Rechnen
so hoch gespannt sind, die tiefe Entfremdung zwischen Schule und
Haus ^} (weiterhin der Kiassen Wechsel und das Eindringen des Fach-
lehrersystems in die Schule) lassen es nicht einmal dazu kommen,
'i Herr Prof l^r T^icohald Zicplcr ist fast ptncifjl, das bcsländipc Gt-gencinundcr-
wirkcn von Schule und i laiis, den jjchcimen Kriegszustand zwischen beiden für unab-
änderlich zu halten : das Unztüängliche der Verbindung zwischen Schule und Haus liege
im \\'escn der heiden ah menschlich unvollkommener iutitalionen begründet. (All*
gemeine Pädagogik, lojf.)
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den kindlichen Vorstellungskreis au&usuchen, geschweige, dass dabd
die Möglichkeit bestände, dem Gemüts- oder gar den Lebenskreis
des Kindes nachzugehen. So muss das Lehren wie Lernen in der
Schule häufig unter Missachtung der unaufgebbaren Forderungen
des Gesetzes der Stetigkeit, Gremassheit und Ursprünglichkeit ge>
schehen. Von Erziehung, erziehUchem Leben, Umgang in der
Schule darf iibprhnupt knnm ^eri^det werden. ,,Die I.chrcr sind
einzig und allein Unterricht rr, die Erziehung gehört den Kitern."
Die sozialpädagogischen Bestrebungen, die den einzelnen zum Mittel
der GcsellschaA und die Schule zu einem ökonomischen Institut
machen, werden den Ri» zwischen den Ansprüchen wahrhaft
pädagogischer Versoiguni^ des Kindes und seiner tatsächÜcbea
noch erweitern.
Schlusserwägungen.
Das Ziel bei der Feststellung des kindlichen Vorstcllungs-,
Gemüts- und Lebenskreises ist zunäclist die Ermittelung der ge-
gebenen Individualität Darüber hinaus steht dabei vor Augen, das
Kindliche in seiner Besonderheit auszumachen: a) die Iriracffidic
religiöse Stufe: den kindlichen Gottesgedanken, die kindliche Vor-
stellungsweise des rbersinnlichen, die kindlichen religiösen Gefühle
und Äusserungen (Kindergottesdienst); b) die kindliche sittliche
Stufe: die kindliche Weise der Wertschätzung, das kindliche Ge*
wissen, den kindlichen Gehorsam, das kindliche Sinnen und Trachten,
den kindlichen Willen; c) die kindliche Geschmacksstufe: den kind-
lichen Schönheitssinn, das kindliche IJcd, den kindlichen Spruch,
das kindliche Bild, die Reize des kindlichen Spiels; d) die kindliche
Erfahrungs- und Hrkenntnisstufe : die kindhche Weise, die Weh
au&ufassen, die IdndUdien Naturgedanken, die ländliche Raum-,
Zeit* und Zahlenvorstellung; die kindliche Einbildung. Im Kind'
liehen gilt es endlich das Menschliche in seinen Anfangen zu
studieren. Das Menschliche ist der Bewegungspunkt für das Indivi.
duelle. Es ist eine schöne Aufgabe, in all den einzelnen Aus-
prägungen des Kindlichen (je nach Rasse, Geschlecht, Herkunft,
gesellschaftlicher Abhängigkeit, örtlicher Bedingtheit) das Menschliche
auf seinen ersten Stufen wiederzuerkennen.
Dabei bietet sich die Gelep^enheit dar, die in Umlauf gebrachten
Ansichten über das Kindliche zu prüfen. Ist es z. B. richtii^. dass
es überall die gleiclicn Duige seien, an denen die Kuider uberall
ihr Hauptinteresse haben? Ist es richtig, dass das Kind, wie es
vorgefunden wird, durch Beobachten, Experimentieren, Vei^eichen
und Fm^ren in das X'orständnis der Erscheinungen auf der Erde
und am Himmel einzudringen sucht? Umfassen die Typen der
kindhchen Fragen, wie sie aufgeführt werden, die ganze menschliche
EikenntnisP Werden alle Kinder mächtig angezogen von den Be-
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— 443 —
wegungen der Tiere, der Sonne» des Mondes und den Bewegungen
überhaupt? von den Licht- und F'arbenerscheinungen' von den
Schaileind rücken? vom Himmelsgewölbe, den Wolken, den Hmimels-
körpern? von dem Mechanismus der Lokomotive usw.? vom Ent-
stehen des inßndeSf des Regens, des Schnees? vom Wadisen der
Pflanzen, Tiere und Menschen? vom Herstellen und Werden der
Dinge überhaupt? vom Tod und Grab? vom lieben Gott und den
Endeln? Hat das Kind, wenn es zur Schule kommt, ein mächtiges
Interesse für Dinge aus der Tier-, Pflanzen- und Mineralienkunde,
aus der Himmelskunde, Physik und Chemie, kurz für Dinge aus
allen Gebieten der Naturkunde, itir Nebenmenschen (Familie) und
Gott; beobachtet, vergleicht, experimentiert es, stellt es sprachlich,
zeichnerisch und körperlich die Din^^e dar, strebt es namentlich
durch Fragen in das Verständnis jener Din^e der Heimat sachlich
einzudringen und legt es einen regen Kausalxtatstrieb an den iatjr
Wissen die Kinder — auch die in ihrer natürlichen Entfaltung nicht
angetasteten und die nicht verfrühten — dass die Märchen doch
nicht wahr sind^''* Oder i?t es richtig, dass beim Kind dns Interesse
von Haus aus im aligememcn wenigstens kein Lielilingsobjekt habe
und dass das geistig wie körperlich gesunde Kind im allgemeinen
allem Interesse entgegenbringe, was seinen geistigen und körper-
lichen Kräften Nahrung und Beschäftigung bietet, wenn nur die
Nahrung zweckmässig dargeboten werde ?^ Lebt im Menschen ein
angeborner Naturtrieb, dem es entspricht, schwungvolle, rhythmische
Bewegungen frei auszuführen, und darf darauf etwa das Kinder*
zeichnen basiert werden?^)
Im Weiteren handelt es sich um die Entscheidung darüber,
auf welche Weise die Feststellung des kindlichen Voistellungs-,
Gemüts- und Lebenskreises ausgeführt werden soll. Die bisherigen
Versuche, das VorfindUche im Kinde aufzusuchen, hielten sich wohl
zu ausschliesslich an das kindliche Vorstellungsbewusstsein und
darin wieder vorwiegend an die kindlichen Wirkiichkeitsvorstciluagen.
Vielleicht Übte darauf der Gedanke seinen Einfluss» dass der Unter»
rieht es mit den Vorstellungen zu tun habe? Immerhin waren die
Versuche, ganz abgesehen vom Ergebnis, dadurch bedeutungsvoll,
dass sie die Verpflichtung einschärften, mit dem Rinde sich erst
einmal ins Benehmen zu setzen, ehe die unterrichtliche Arbeit bei
demselben anhebe. Es darf wohl auch hervorgehoben werden, dasa
es wieder vor allem Manner aus dem Kreise waren, der sich auf
M Lay, Fahrer durch den Rechtschrcibunterricht, II. Aufl., 1356*.
V Betnchtttacen rar Theorie des Lclnplans von Dr. Gcors Keneheasteiner.
n. Aufl., 39.
*) Deutsche Natioiulschule Wertheim am Mais, V.
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— 444 —
dem Boden erziehenden Unterrichts im Sinne Herbarts zu-
sammenfand, weiche der Untersuchung des kindlichen „Gedanken-
kreises" ihre Aufmerksamkeit zuwandten. Die „statistische" Methode,
der sie folgten, konnte aber nicht wohl zu sichern, befnedigef^en
Resultaten führen. Durch Ausfragen, zumal bei neugekommenen
Kindern, und Zählen der Fälle, in welcher beispielsweise festzu-
stellen war, dass ein bestimmtes Tier in einer bestimmten Be-
wegung gesehen oder nicht gesehen worden, u. dg!., kann wenig
Gewisses und Brauchbares ausgemacht werden. Hier steht im Wege
die ländliche naturliche Befangenheit und die kindliche Nachahmung
welche bdde so leicht bei Fragen an das Kind durch fernere
Personen sich geltend mr\rhen und dem Kind entweder den Mund
vcrschUessen oder das Kmd zu Aussagen verleiten, die es andern
nur nachspricht iJaruni ist der Weg, den z. B. Hartmaan gegangen,
nicht zu empfehlen. Bei den AusßUurungen über die Gesichtspunkte
bei der Feststellung; der kindlichen Gegebenheit war oft genug sdum
im voraus auch darauf hinzudeuten, auf welche \^'eisc die Fest-
stellung fjeschehen solle: die Ausübung des erziehlichen Berufs ist
zugleicil die rechte Art, das Kind nach seinen verschiedenen Seiten
ZU beobachten und in seiner Gegebenhdt nach und nach zu
bestimmen.
m.
Das bielogisciw Prinzip im Mrtttr|Mclrieirtlieiim Ihrterrieirtt.
Voa Krcüscbulinspektor Q. KohioiQyer in Jarotscbin i. P.
ScUatt.
Unsere kritische Betrachtung der Verwirklichuog des biologischen
Prinzips im modernen Naturgeschichtsunterrichte hat sich bis dahin
ausschliesslich mit dem „Was" in der biologischen Unterrichts*
erteilunp; beschäftiget. Auch das „Wie" bietet sowohl in Bezug auf
die methodische Verarbeitung wie auch bezüglich der methodischen
Anordnung des Unterrichtsstoffes zu einigen kritischen Bemerkungen
m. E. Anlass.
Dass unsere heutige Unterrichtspraxis in allen Fächern sich
auf die modernen Forschungsergebnisse in der Anatomie, Ph>-sio-
logie, Psychologie, Biologie und Erkenntnistheorie mehr und mehr
gründen muss, das wird bei allen Pädagogen, soweit sie über
Handwericerroutine hinausgewachsen sind, uneingeschränkt anericannt^)
>) Vgl. Lay, „Experimentelle Didaktik. Leipzig 1905. — Wnadt, „Gnindifige
der physiologischen Psychologie. Leipzig 1906.
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— 445 —
Aber von der theoretischen Anerkeiiflung bis zur praktischen Ver-
wirklichung liegen dodi oft Jahizehnte, ja Jahrhunderte lange
Spannen Ztit,
Mag man die unterrichtlichen Massnahmen zur Verarbeitung
einer methodischen Einheit oder ganzer Stoflfmassen mit der
Dörpfeldschen Dreiheit: „Anschauenen, Verknüpfen, Anwenden", mit
den Herbart-Zillerschen Fomnalstufen: „Vorbereitung, Darbietung,
Verknüpfung! Zusammenfassung und Anwendung" bezeichnen, oder
mag man, wie Lay, fordern: i. Beobachten (Beschreiben), 3. Ver-
gleichen (Gruppieren; Systeme, biologische Leitsätze), 3. Erklären
(Schliessen von beobachteten Erscheinungen 'Wirkun^enl auf die
Ursachen und umgekehrt^ Aufdeckung der ursäclihchen Beziehungen),
4. Verwertung (Anwendung in Theorie und Praxis) — immer wird man
zugestehen müssen, dass wir dem Anschauen, dem Beobachten
noch nicht den ihm g^ebührenden Platz im Unterrichte
überhaupt, im biologischen Unterrichte pran/ besonders,
zugewiesen haben. Der Fluch des mittelaiteriichcn Verbalismus
haftet unserm Unterrichte in allen Unterrichtsanstalten von der
Volks- bis zur höheren Schule noch viel zu sdtr an. Ist's nicht
eine Tatsache, dass wir unsere Schüler, statt sie an die Sache
selbst zu führen, noch viel zu viel mit ,,Wort und Bild" abspeisen !
Unsere modernen naturgeschichtiichen Lehrbücher, die nach Inhalt
und Ausstattung ja fraglos vielfach Vorzügliches bieten, und die
häufig ebenso ausgezeichneten, aber z, T. doch ganz überflüssigen
Bildertafeln tragen einen nicht unwesentlichen Teil der Schuld daran*
Die Parole der modernen Methodik muss darum mehr und mehr
werden. Los von dem Bilderkultus, wo wir die Wirklich-
keit, Tatsachen bieten können! Hinaus in die Natur, ins Leben!
Idi kann mich im Rahmen dieser Iddnen Abhandlung nicht über
das Für und Wider von Ausflügen, und in der Natur angestellte
Beobachtungen und anderes einlassen. Ich verkenne gar nicht
die Schwierigkeit, die die harte Wirklichkeit der Durchführung
dieser Forderung oft entgegenstellt^ aber da sie sachlich und
methodisch unbestreitbar berechtigt ist, so müssen Mittd und
Wege gefunden werden, sie — wenigstens soweit es möglich
ist und mehr als bisher ■ — in dir Tat umzusetzen. Um das in
der Volksschule zu verwirklichen, ist vnr allem notwendig,
dass ganz besonders in unseren Lehrerbildungsanstalten in dieser
Beziehung gründlich mit dem Bilder- und Wortkultus gebrodien
wird; denn hier ist naturgemäss die Quelle für das Übel, das sich
tausend- und abertausendfach auf die Volksschule wieder überträgt.
Hiermit verknüpft sich m. K unmittelbar ein 2. Punkt, der eine
überaus wunde Steile in unserer heutigen Unterrichtserteilung dar-
>) Vgl. Kohlmcyer, „Die praktbcben Obnacai im biologischco Natorgeschichts-
oBtcnicbte 4e* Seninan. Pid«(. BUtttcr 1906. tUcmiimiui, Ooüia.
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stellt Das ist die viel zu geringe Selbstbetati^^ung der Schöler
aller Schulgattungen im Unterrichte. Die Stimmen mehren sich
von Tag zu Tag, die unserm modernen Schulunterrichte in allen
Schulgattungen den Vorwurf machen, dasszuvie] und iw vielerlei pjelchrt
werde. Wir überschütten die. Schüler mit Wissensstoffen der bunt-
scheckigsten Art Der Schüler ist dabei meist passiv beteiligt
Die Pflesfe seiner Selbsttätigkeit und Selbständigkeit die doch m
die Betätigung im späteren Leben so bedeutungsvoll ist, wird ver-
nach]äs!^igt. Unsere dickleibigen Lehrbücher für alle Unterrichts-
gebiete, mögen sie noch so Hervorragendes nach Inhalt und Aus-
stattung bringen, sind ein schlagender Beweis für die RiciiUgkeiL
des Bdiaupteten. Wo findet man in ihnen die Forderung, den
Schüler selbsttätig und selbständig arbeiten zu lehren, auch nur
einigermassen konsequent und befriedigte rul [.gelöst? Ps ist eine
nicht zu bestreitende Tatsache, dass unsere Schule gegenüber den
amerikanischen und englischen auf diesem Gebiete weit zurück-
stdien. Man konnte mir entgegenhalten: gerade im naturkundUchen
Unterrichte wird doch der Schüler zur Selbsttätigkeit angehalten;
er stellt hier und da Beobachtungen an, macht diesen und jenen
Versuch. Gewiss, aber wer wird behaupten wollen, dass das eine
pianmässige und grundsätzliche Durchführung eines als richtig an-
erkannten Grundsatzes wäre ? ^} Es ist theoretisch und experimentdl
p^chologisch - physiologisch nachgewiesen , dass das gesamte
Innenleben des Kindes nach Empfinden, Anschauen, Vorstellen
(Denken), Fühlen und Wollen in ausgeführte oder gehemmte Be-
wegungen sich umzusetzen bestrebt ist. Daraus folgt mit logischer Not-
wendigkeit die energische Betonung der Erziehung der Schüler zur
Selbstbetätigung im Unterrichte. Verfasser hat <Üesen Weg plan-
mässig und konsequent zu betreten versucht, indem er den Unter-
richt in der allgemeinen Tier- und rflan7enkunde in Seminaren und
höheren Unterrichtsanstalten aufdenallercir.fachstenund notwendigsten
praktischen Abeiten des Schülers aufbaut. ') Für die Volks- und
Mittelsdiule handelt es sich in Befolgung der grundsätzlichen Durdi*
fuhrung der Sdbstbetätigung der Schwer natürlich in erster Linie
um sprachliche, zeichnerische Betätigung, Beobachtungen in der
freien Natur, in Schulgärten,^) an Raupen- und Pflanzenkästen,
Aquarien, Terrarien, Volieren, um Blumen- und Tierpflege und
Ähnlidies, weniger um Arbeiten mit Lupe und Mikroskop und
anderen HtUsmitteln, wie bei dem höheren Unterricht Hier wie
M Aus Kohlmcycr, ..Allpcm. Tierkunde ntbst Anleitung zur Ausfuhrung d- r not-
weadigstcn und einfacbsten praktischen Arbeiten". Handbuch für Schüler von Lehrer-
badiiiigs*iiiMlhöhemiCntcrriebUu»talteii. VorwoitS.4. Leipzig. DUmche BachluiBiBimg.
*] Kohlmrycr, „Allgemeine Tierkunde". Leipzig. Dünsche Bachhandlung 1905.
2,10 M. — Kohlmeycr, „AilgeiQcinc Pflanzenkunde". Leipzig. Diirrsche BachhändJnn^
1906. 3 M.
•) Schndd, ,4>er biologitcb« Sclmlgitftctt**. Ficuiiig. D«ttcicr A Co. 1908L
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— 447 —
dort aber ist es m. E. eine unbedin|;t nötige und zu allererst
zu verwirldtchende Forderung für jeden Unterricht und nicht zuletzt
für den naturgeschichtlichen: Mehr Passivität für den Lehrer, weit
mehr Aktivität für den Schülerl Was sich auf diesem
Gebiete bei konsequenter und energischer Verwirklichung der
Forderung der Selbsttätigkeit der Schüler erreichen lässt, beweisen
die Erfolge Kerschensteiners, in München, das wohl allen deutschen
Schulorten in dieser Beziehung rühmlichst vorangegangen ist')
Der 2. Punkt in der Beurteilung des Stoffes im biologischen
Xaturerpschichtsunterrichte betrifft die Stoffanordnung. Sie dreht
sich im wesentlichen um 2 Fragen:
1. Soll der Unterrichtsstoff, die biologische Behandlung natürlich
vorausgesetzt, nach dem System, nach Leibesgemeinschaften oder
in natürlichen Gruppen angeordnet werden?
2. Wie ist es zu ermi^ichen, dass durch die Stoffanordnung
der Konzentrationsfordening in höherem Masse als bisher ent-
sprochen werden kann?
Zu 1 : Die geschichtlich begreifliche Abneigung der Methodiker
gegen die Stellung des Linneschen Systems in der Lübenschen Schule,
gegen das System überhaupt, hat dazu geführt, dass man um jeden
FirSs vom System loszukommen suchte; daher zu Ende des vorigen
Jahrhunderts das eifrige Suchen nach einem Ersatz für die syste-
matische Stoffordnung. Junge und seine Anhänger glaubten in der
Stoffanordnung nach „Lebensgemeinschaften" das Rechte gefunden
zu haben. Sie wurden bald ersetzt durch die „natürlichen Gruppen",
Heute haben auch diese sich nur noch auf den niederen Stufen des
Unterrichts gehalten; selbst auf der Oberstufe der Vollcsschule fangt
man an, dem System, natürlich soweit es hier in Frage kommt,
doch eine gerechtere Würdigimg als noch vor lo Jahren zu teil
werden zu lassen. Selbstverständlich handelt es sich hier nicht um
irgend ein künstliches System, wie ich das schon oben angedeutet
habe» sondern um das auf morphologischer und entwicklungs*
geschichtlicher Grundlage au%ebaute natürliche System und um dieses
selbstredend nuch iibrrall nur insoweit, als es auf sachlicher Grund-
lage, methodisch berechtigt, aufgebaut werden kann. Man erkennt
doch mehr und mehr: „Was uns die Morphologie und Systematik
wertvoll macht, das ist eine Reihe von teils formalen, teils sachlich
wichtigen Momenten: zielbewusstes Einwirken auf die Sinnesorgane,
dem bald ein selbständiges Sehen und Tasten folgt, klare Scheidung
von Wesentlichem und Unwesentlichem, strenge Disziplin der
Gedanken, korrekte und knappe Aussprache über das Gesehene
>) Siebe Kencheosteiner, „GniDdürageo des Unterrichts". Leipzig 1907.
Kcnchemtdaer, „Der cnte natnrktuidUclie Unterricht". Mttadicii. Gerber. 1904.
und Erkannte, Übungen
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— 44» —
Einteilen und Erfasien des Einteüimgsgrundes ; das alles schafft eine
ausserordentlich schätzenswerte Disziplinierung des Greistes, der im
Sprachunterrichte vergleichbar, wenngleich dieser durch die fort-
währende Beteiligung der Sinnesorgane und Verarbeituncr dieser
Eindrücke überlegen, ein Gegengewicht gegen die namentlich in
der Unterstufe zutage tretende sprunghafte Phantasie.
Wie schon erwähnt, darf es sich heute nicht mehr um die ahen
erstarrten Schemata vergangener Zeiten handeln; auch in der Schule
muss jener belebende Hauch die Systematik und Morphologie durdi'
ziehen, der in der Wissenschaft die Gegenstände so ui^emein an-
ziehend und interessant gestaltet^)
Aus diesem (irunde haben aber die Lehrbücher für höhere
Schulen und Lehrerbildungsanstalten alle — mit Ausnahme des
Quehlschen Versuches, von dem wir noch sprechen werden, den
biologisch-systematischen Gang innegehalten. Meines Eiaditeos
unbedingt mit Recht, und ich weiss mich darin mehr oder weniger
in Ubereinstimmung mit Baadc, Schmcil, Smalian, Rothe, La\- und
verschiedenen anderen Methodikern und Verfassern von hier in
Frage kommenden Lehrbüchern. Selbst für die oberen Stufen rdcher
gegliederter Volksschulen, für Mittel- und höhere Mädchenschulen
will mir aus den oben angegebenen Gründen diese Stoffanordnung
als die geeignetere erscheinen.
Doch darf ich hierauf noch zurückkommen bei Erörterung der
2. Frage:
„Wie ist es zu ermöglichen, dass durch die Stoffanordauag
der Konzentrationsforderung in höherem Masse als bisher entsprochen
werden kannr"
Über Notwendigkeit, Wesen, Wert und VerwirkUchung der
Konzentrationsforderung i. a. mich zu verbreiten, gehört nicht in
den Rahmen dieser Arbeit Der Grundgedanke ist für den ge-
samten Unterricht wie auch für den in der Naturkunde insonderheit
schon SO oft erörtert, dass man ihn nidit mehr als neu bezdchnen
kann. Scheller,*) Beyer,*) Seyfert,*) Twiehausen*) und
? a r t h e i 1 - r r o b s t haben ihn für Volks- und Mittelschulen schon
früher in die Tat umzusetzen versucht. Quehl hat in seiner „Natur-
Ba&üan Schmid: ,,Dcr natarwissenschaftliche Uaterricht'*. Teubaer. Leipzig I907-
*) Rein, Pickel u. Scheller, „Theorie uad Pnodt des VolksschalnalefTiclMS^.
3, Schaljahr. Naturkunde. Dresden. Blcyl & Kaemmerer. Dresden. 1S82.
Beyer, „DieNaturwisscnschaflcnindcrErdehoogsschuie". Leipzig. Reichardt.l8S5.
*) Scyfert, ,J>er gcannl« LehnU^ de» oatwlcnndlicbea Untemclitt**, l^^p^
Wnnderiich. 1899.
*) Twidumsen (Dr. Kmubaner) „Nstnrlehre flir Volksscbolen in «oagefUifte«
Lektionen". Vorwort, Halle. Schrocdrl. 1891.
pMtbeil-Probftt, „Zur KoucnUatioo der oatorkuodUchen Ticket'. Gerda
t, Hoedcl. Berfin. 1897. — „Die neuen Bahnen des nitnrknndllehen UaUnkhIi.**
Gcrdct & MoedcL Berlin. 1904. VgL dm Rude, „MethodOc*« Bd. IL
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— 449 —
künde für Lehrerbildungsanstalten" (Leipzig, Düm898u.99)
den Versuch gemacht, den Konzentrationsgedanken in ähnlicher,
wenn auch wissenschaftUch vertiefter Weise auf den naturkundlichen
Unterricht in Präparandenaastalten zu übertragen. VV' ie sich Quehls
Gedankenbau gestaltet haben würde, wenn er seine Arbeit auch auf
die Seminare ausgedehnt hätte, ist aus den bis heute nur vor-
liegenden Anfangen seines Werkes natüiüch nicht in vollem Umfange
ersichtlich. Es darf aber angenommen werden auf Grund
dessen, was vorliegt, dass er sich nicht mit der so hölzernen
Konzentration begnügt hätte, wie sie die Bücher für Volksschulen
vielfach aufwetsea Kienitz-Gerloff^) (in Reins Encyklopädie der
Pädagogik. V. S. 23— 35) sucht den zoologischen und bota-
nischen Stoff für höhere Unterrichtsanstalten an der Hand der
Geschichte dieser Wissenschaften auszuwählen und zu verteilen,
also gewisserinassen die ZÜlerschen kulturhistorischen Stuten auf
den Unterricht in der Naturbeschreibung auf höhere Schulen zu
übertragen. Alle diese Versuche haben den berechtigten Kern, die
einzelnen Stoffgebiete des naturkundlichen Unterrichtes in- und an-
einander zu schweisscn, wie auch sie dem übrigen Unterrichtsstoffe
anzugliedern. Alle machen jedenfalls keinen Anspruch darauf, die
Frage endgültig gelöst zu haben; sie würden dadurdi schon
geschlagen, dass man statt der von ihnen aufgestellten Stoffreihen
beliebige andere bilden könnte; von wesentlichem Einflüsse auf die
Ausgestaltung eines einheitlichen Gesichtskreises kann deshalb
die Sache nicht sein. Die vorliegenden Versuche entbehren sogar
z.T. oft eines komischen Beigeschmackes nicht; wenn beispielsweise
an die Wiese als naturgeschichtliches Gruppenbild angeschlossen
werden: Regenbogen und Barometer, weil es zur 21eit der Heuernte
öfters regnet; Rolle und Flaschenzug, weil sie verwandt werden
beim Einfahren des Heues; Reibungselektrizität, Gewitter, Blitz,
Blitzableiter, weil zur Zeit der Heuernte der Blitz bisweilen ein-
schlägt — so wirkt das ohne Frage komisch — , und mit der
Bildung eines einheitlichen Gesichtskreises in den SchtUem hat es
gewiss nichts zu tun. Ich möchte aus dem Anführen dieser ver-
unglückten Versuche im Streben nach Verwirklichung der Konzen-
trationsidee jedoch nicht den Schluss gezogen wissen, als ob ich
mit diesen Zeilen ein abfalUges Urteil über die einschlagigen Bücher
überhaupt (allen wollte. Ich spreche vielmehr gerne aus: es steckt
in ihnen auch sehr ernst zu nehmende Arbeit, und sie zeugen viel*
fach von einem hervorragend praktischen Lehrgeschickc.
Ich kann mir aber nicht denken, dass in diesem \''ersuche zur
Verwirklichung der Konzentiationslorderung etwas Wesentliches für
einheitliche Naturauflassung, für die Bildung eines einheitlichen An-
schauungskreises liegt Der berechtigte Grundgedanke, Vereinigung
*) Kjcniu-Gtrloff, Methodik des botanischen Unterrichts". Berlin. Salle.
FadAgogücbe Studieu. XJÜX. 6. 29
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— 450 —
der verschiedenen Zweige des naturkondtichen Unterrichtes und
Angliedening dieser an die übrigen Unterriditsiädier, kann in dieser
doch ganz zufalligen, äusserlichen Zusammenstellung meines Erachlens
niemals seinen Lebensnerv finden. Im Vergleich zu diesen Formen
der Verwirklichung der Konzentrationsforderung erscheinen mir die
diesbezüglichen Gedanken Kollbachs» die er in seiner b^eisteft
geschriebenen und eine Fülle von Reformvorschlagen zur Verwiric-
fichung des biologischen Prinzips bergenden Methodik ausspricht,
ungleich tiefer und wertvoller. Kollbach fordert in seiner „Methodik
der gesamten Naturwissenschaft für höhere Lehranstalten und fiir
Volksschulen mit Grundzügen zur Reform des Unterrichts"*}: Der
naturgesdiichtliche Unterricht beginnt als „Vorschule der
Naturkunde" im heimatkundlichen Anschauungsunter-
richte. Aus ihm wachsen die einzelnen Zweige der Naturkunde
nach und nach hervor; sie ziehen sich durch alle Schuliahre. sich
stetig weiterentwickelnd, sich untereinander stützend und vertiefend.
Das ist ohne Frage das, wie ich weiter unten nachweisen werde,
worauf die einzig und allein sachlich und methodisch berechtigte
Verwirklichung der Konzeotrationsforderung beruhen kann.
Auch die Forderung von K. Remus,'*) die Kräftelehre
oder Dynamik als Aiisorangspunkt und Grundlage für sämtliche
Zweige des naturkundlichen einschliesslich des geographischen
Unterrichtes zu benutzen, zielen auf einheitliche Gestaltung des
naturkundlichen Unterrichtes ab. Aus der Kräftelehre, als der
Wurzel, sollen Meteorologie als der Stamm, Botanik, Zoologie,
Geologie, Physik und Chemie als Zweige herauswachsen, was fach-
wissenschaftiich ja sehr schön gedacht ist, aber methodisch in
Hinsicht auf die Wesenseigentümlichkeiten des Schülers aus vielen
Gründen doch sehr bedenUich sein dürfte;
Einstweilen scheint mir darum, wenn wir von der KoUbadhschen
Verwirklichung der Konzentrationsforderung auf der Unterstufe ab-
sehen, hier die Losung bleiben zu müssen: „Getrennt marschieren
und vereint schlagen" — will sagen; Die einzelnen Zweige des
naturwissenschaftUdien Unterrichtes müssen ihren besonderen,
ihnen eigentümlichen Gang gehen, der durch das Wesen
des Stoffes und der Methode t>estimmt wird. Dieser ist so
einzurichten, dass verwandte Stoffe und Stoffgebiete sich srichüch
stets, zeithch, wenn es möglich ist, berühren, so dass sie an-
und ineinander gewoben werden können zu ihrem besseren \^er-
standflisse, zur Erzielung der Einheitlichkeit der Anschauung. Jeden*
falls muss man am Schlüsse der Behandlung grösserer Abschnitte
der verschiedenen Zv. rige des naturwissenschaftlichen Unterrichtes,
so weit es geht, erstere unter einheitliche, verbindende Gesichts-
>) Kollbach, „Naturwissenschaft und Schiller". Cöln. Neubcr. ft. Attfl, S894.
*} K. Rcmus, „Das dyaamologische Prinxip". Ldpiig, Teobner. 1906.
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*
— 451 —
punkte bringen, sie auch zu den übrigen Dibzipiixiea in Beziehung
zu setzen suchen, um auf diese Weise die Konzentratioosfordening
zu verwirklichen. Zoologie, Botanik, Geologie, Physik und Chemie,
sie alle müssen sich in ihren Berührungspunkten treffen, um ein
einlu :itli( lies Bild vom e\vi(:^'t n Werden und Vergehen im grossen
Haushalte der Natur anzubahnen. Auf den unteren Stufen muss
dieser Zielpunkt durchleuchten, auf den oberen muss er
bewusst leitender Gesichtspunkt sein. Dadurch wird Klar-
heit und Schärfe des Vorstellens, Folgerichtigkeit im Denken jeden-
falls besser erreicht, als durch die Verarbeitung eines wenn nicht
planlosen, so doch jedenfalls locker aneinander gereihten Stoff-
gewirres, das meines Evachtens viel eher ZcnplHtening und Obv-
flachlichkeit erzeugen kann als das GegentdL
An den Lehrer stellt die zuletzt gesdülderte Konzentrations-
verwirklichung grosse Anforderungen: er muss den Stoff völlig
beherrschen, ein umfanc^rciches, klares und sicheres Wissen besitzen,
das es ihm möglich macht, die einzelnen Zweige seines Unterrichts-
gebietes zu Uberschauen und geschickt und bewusst zu den gemein-
samen Berührungspunkten hinzuleiten, ohne dadurch die Schärfe des
Einzelwissens zu verwischen ; er muss die beschränkte Unterrichtszeit
mit peinlichster Gewissenhaftigkeit ausnutzen; er muss die erforder-
liche pädagogische Geschicklichkeit haben, durch Stoff und Methode
die Selbsttätigkeit und das Interesse der Schüler immer wieder an-
zuregen. Wie der Lehrer die — es sei mir die Wortbildung erlaubt
— „Konzentrationsfaden" von den einzelnen Zweigen der Natur-
geschichte -Aw^ 7\\ ziehen hat — denn nur mit dieser haben wir es
im Rahmen vorliegender Arbeit zu tun — , will ich weiter unten
nachweisen.
Werfen wir zunächst noch einen Blick auf die praktische Seite
des biolo^chen Naturgeschiditsunterrichtes nach der Riditung hin,
dass wir uns firagen:
Wie sind die Forderungen, die sich aus dem Wesen des bio-
logischen Prinzipes heraus ergeben, in den verschiedenen Schul-
systemen zu verwirklichen ?
Die Stoffauswahl, für die verschiedenen Schularten meistens in
den gesetzlichen Bestimmungen in grossen Zügen umschrieben und
durch die Sonderbedürfnisse der Sdiule im einzelnen be<Hngt, wird
durch die biologische Unterrichtserteilung wenig beeinflusst. Nur
auf den höheren Stufen des Unterrichtes wird hie und da ein
Naturkörper, der an und für sich ruhig fehlen könnte, um des bio-
logischen Interesses vw illcn, das er bietet, eingestellt, z. B. Salbei,
Orchideen u. a. In biogenetischer Hinsicht würden auch beispiels-
weise in diesem Zusammenhange ctie Obergangsformen, z. B.
Archäopteryx, Lanzettfischchen u. a. zu erwähnen sein.
Die Stofianordnung berührt, wie wir schon oben gesehen haben,
29*
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— 452 —
das Wesen der Sache gar nicht; sie bildet nur eine mehr oder
weniger förderliche oder hinderliche HfiUe filr sie.
Die methodische Behandlung des Einzelwesens sowohl wie
ganzer Gemeinschaften dagegen ist streng den Forderungen des
biologischen Prinzipes unterworfen und bildet den Kernpunkt des
gesamten naturgeschichthchen ünterrichtsbetriebes.
Sehen wir zunächst auf die einklassige Volkssdiule. Diese hat
nach den heute in Preussen geltenden Vorschriften, den „All^a-m.
Best." vom 15. Oktober 1872, 6 Stunden wöchentlich für Realien,
wovon zwei auf Geschichte, zwei auf Geographie, zwei auf Natur-
kunde fallen. Letztere sind meist so verteilt, dass im Sommer zwei
Stunden Naturbeschreibung, im Winter eine Stunde Naturbeschreibung
und eine Stunde Natuilehre erteilt werden. Rechnen wir rund:
40 Schulwochen, so kommen im ganzen 80 Stunden heraus, 60 für
Naturbeschreibung und 20 für Naturlehre. Bei dieser Verteilung ist
die Naturbeschreibung ohne P'rage sehr bevorzugt; man könnte die
Zahlen zu Gunsten der Naturlehre sicher etwas verschieben, (Ich
habe bei dieser Aufrechnung den gesonderten Unterrichtsgang for
Naturbeschreibung sowohl wie auch für Naturlehre im Auge, also
nicht die Twiehausen'sche Stoffverteilung.) In manchen Proxnnzen
tritt für die Sommmcrmonatc, von Juli bis Oktober, noch eine ver-
kürzte Schulzeit ein, so dass nur eine Stunde Naturkunde wöchentlich
bleibt Was da an einzelnen Naturgegenständen bdianddt werden
k;uiri ist äusserst gering; deshalb ist es völlig zwecklos, sich bezüg-
lich der eiiiklassigen wie auch der verwnndten Halbtagsschule darüber
herumzustreiten, ob man nach dem Systeme, nuch Lebensgemein-
schaften, nach natürlichen Gruppen den Stoft anordnen solle, oder
wohl gar, ob man Jungesche uesetze oder Schmeilsche allgemeine
biologische Sätze entwickeln wolle. Aber die vernünftige biologische
Behandlung des Einzelwesens, die den Kindern die Augen öffnet
und sie zu denkender, sinniger Naturbetrachtung führt, muss unter
allen Umständen auch hier gefordert werden.
Für die mehrklassige Volks*, die Mittel* und höhere Mädchen«
schule gUt für die Behandlung des Einzelwesens in erweitertem
Masse dieselbe Forderung wie für die einklassige Volksschule. Will
man hier allgemeine Gesichtspunkte entwickeln, seien es Jungesche
Gesetze, Schmeil sche ,, allgemeine biologische Sätze" oder Lay'sche
„naturgcschichtliche Leitsätze", so scheitere man nicht an der Klippe,
Phrasen einzuprägen, ohne der erforderlichen sachlichen Grundlaige
des Verständnisses bei den Schülern sicher zu sein. Ob man hier
den Stoff systematisch anordnet — die ,,A11;:i^cm. Best." gestatten
das für die mehrklassige Volksschule, schreiben es \ or für die ^tittc)-
schule — , ob man ihn nach „Lebensgemeinschaften oder „uaiur-
lichen Grnippen" zusammenstellt, ist zwar nicht nebensächlich, aber
den Lebensnerv der Sache trifft es rucht Mir persönlich, will ich
gestehen, ist für die Volksschule die Anordnung nach Mnatürlicben
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— 453 —
Gruppen" für die miMlcrcn Stufen am meisten sympatisch; syste-
matische Zusammenstellungen, wenn sie die erforderliche sachliche
Unterlage haben, auch von der Oberstufe verbannen zu wollen,
halte ich für nicht methodisch berechtigt sowohl in Hinsicht
auf den Stoff, als auch unter Berücksichtigung der Eigenart der
Kinderseele. Für Unter- und Mittelstufe der höheren Mädchenschulen
würde mir auch die Stoffanordnun^ nach natürlichen Gruppen in
der Kiessling' und Pfalz'schen VVeise und die Behandlung des
Einzelwesens unter einem bestimmten ästhetischen Gesichtspunkte
zusagen, nur müsste dieser nicht so beabsichtigt, gezwungen und —
wie das bei Kiessling und Pfalz bisweilen nicht der Fall ist — des
komischen Beigeschmackes entbehren. „Die Orchis bietet Uber-
raschungen wie wenige Pflanzen." „Die Farne sind eine ganz eigene,
uns fremdartig anblickende Zierde unserer Wälder." „Die Pilze
haben etwas Geheimnisvolles in ihrem ganzen Wesen/' „Die Lerche
stellt ein Bild heiterer, lieblicher Anmut dar." „Die Frösche sind
Tiere, welche auf jeden Menschen erheiternd wirkenj aber doch von
keinem £!;ern nngej^riffcn werden:
a) Erheiternd wirken sie durch ihren eigentümlichen und beharr*
liehen Gesang.
b) Erheiternd wirken sie auch durch ihr seltsames und auftalliges
Aussehen.
c) Erheiternd wirken sie durch ihr zwar furchtsames, aber doch
munteres und drdliges Benehmen.
d) So viel Vergnügen auch der Frosch den Renschen bereitet,
so greifen ihn doch die wenigsten von ihnen gerne an."
„Ahnlich ist behandelt der Storch („erfreut den Menschen"),
die Schwalbe („alibeüebter Vogel"), die Bachstelze („anmutigster
Vogel") und viele andere. Es ist bedenklich, Gestalt, Bewegung,
Lebensweise unter solchen ganz subjektiven Gesichtspunkten zu
betrachten. Wenn nun der Frosch auf irgend einen nicht erheiternd
wirkte, dann wäre ja das Ganze in die Uuft gebaut! Schafft den
Kindern Tatsachen! Nur die objektive Betrachtung ermöglicht uns,
immer wahr zu bleiben . . . Gesichtspunkte endlich wie : „So zierlich
die Eidedise ist, so trefflich ist sie doch durch ihre Körpereinridi«
tung befähigt, sich das Leben zu erhalten" oder: ,J)ic Schildkröte
ist auj^enscheifilich trefflich zu Schutz und Trutz eingcrirhtct, nimmt
aber doch unter den Tieren eine ziemlich tiefe Stellung ein" —
solche Gesichtspunkte sind weder einheitlich noch logisch, noch
umfassend." (PartheU und Probst) Für die oberen Klassen der
höheren Mädchenschulen, insonderheit der nach den neuen Lehr-
plänen den b hrren Schulen für das männliche Geschlecht gleich-
gestellten, ^ilt im wesentlichen das P'olgende.
Für höhere Schulen wie auch für unsere Lehrerbildungsanstalten,
Präparandenschulen sowohl wie Seminare, halte ich, wie ich oben
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— 454 —
schon erwähnt habe, den systematischen Gang för den eümg
richtigen, weil er — und das ist ganz besonders auch für den
werdenden T . ehrer wichtig, Übersichtlichkeit Hes Wissens sichert,
ohne, w^cnn atiders der Unterricht ein rechter war, die iiinheitlichkcit des
Wisseos zu geföhrden. ^) (S. S. 447 u. 448. Bedeutung der Beschäftigung
mit dem System.) Die Stofianordnung nach Lebensgemeinschalten,
nach natürlii hl n Gruppen, den sämtliche Zweige der Naturwisser
Schäften vereinigenden Quehl'sche Lehrgang ii. a. soll der werdende
Lehrer wohl bei der Besprechung der Methodik des naturkundlichen
Untenidites toinen lernen, nicnt aber darf s^e materielle Aus*
bildung sich an der Hand dieser vollziehen.
Wenn ich die systematische StofTanordnung für die oben ge*
nannten Anstalten folgere, so will ich damit selbstverständlich nicht
sagen, dass der Unterricht mit rien niedrigsten Lebewesen, den ein-
zelligen Pflanzen und Tieren beginnen und so allmählich die ganze
Entwickelungsreihe des organischen Lebens durclüaufen müsse ; das
verbietet sich ja dem mediodisch geschulten Lehrer ganz von selbst.^
Ich will ferner nicht damit sagen, dass ich wie Lüben das System
als Ziel, als Kndpunkt und Krone des Unterrichtes fordere; im
Gegenteile — die Sache ist die Kenntnis des warm Tiulsicrenden
Lebens in der Natur, dessen Kinheitlichkcit der Schüler ahnen soU;
die Sadie ist die Gewöhnung der SdiQler an aufmericsame Be*
obachtung und die Erziehung zu sinniger Betrachtung der Natur
selbst. Der Gang nach dem Systeme aber ist nur die Form, die
Hülle, die das Gekennzeichnete zusammenfassen soll. Das System
liefert gleichsam die Leitschnüre, vermittelst derer der Lehrer im-
stande ist, zu geeigneter Zeit und am geeigneten Orte aus den
einzelnen Gebieten des gesamten naturwissenschaftlichen Lehr* und
Lernstoffes das heranzuholen, was gerade nötig ist zur Ergänzung,
Beleburn^, Wiederholung des 7.u bchnndelnden Gegenstandes, das
heranzu, icl.cn, was zur Erweckung, Belebung und dauernden Er-
haltung dea Interesses der Schüler dienen kann. Der systematische
Unterrichtsgang, obwohl er Selbständigkeit für die Hauptzweige der
Naturwissensduiften, Bi^suiik, 2^ologie, Physik und Qiemie. bedingt,
soll keineswegs die Konzentrationsidee ausser acht lassen ; aber die
Konzentrationsfaden sollen der Sache selbst entnommen werden
und nicht, wie das bei dem oben geschilderten Verfahren der Fall
^ k'- Vcrworn, ..ncilräge rur Frage des naturwissenschaftlichen UntcrrichU ao
höheren Schulen '. Leipzig. G. Fischer. — Norrcnberg, Geschichte des natanrissen*
KhBfilieiitt Unteniditi u hüberca Scindea DeoltdilMds'*. Leipcig. Teahiier.
') Vf^l. Zacharias, ,,VorschlSpe tut Frriclung hrssprcr Vorbedingungen für die
Hebung des biologischen Unterrichts an unseren höheren Schulen" und „Über die
Nützlichkeit der Begründung eines staatliclieD Instituts für Hydrobiologie und
Planktonkunde". Stuttgart. Schweizerbart. 1906. — Derselbe, „Das Plankton nb
Gegenstand eines zcitgemässen biologischen Schulunterrichts". Ebenda. 1906.
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ist, beliebige Stoffgebiete mehr oder weniger zuiallig und locker
ancinande rfii '^en.
Sehen wir uns zur Erläuterung des obigen die beiden Haupt-
zweige der Naturgeschichte, Botanik und Zoologie, an. Welche
Stoflgeblete haben sie zu verarbeiten, und wie sind die „Konzen-
trationsfäden" in ihnen und von ihnen aus zu ziehen?
Das Stoffgebiet der Pflanzenkunde ist die spezielle und all-
gemeine Botanik. Kr^^tere hat das gesamte Pflanzenreich von den
einzelUgen Grünalgen und Spaltpilzen an bis zu den vollkommensten
und auf diese Weise den biogenetischen (jesichtepunkt hervorleuchten
zu lassen. Die wichtigsten natürlichen PflanzenfanuEen dnd an
hen'orstechenden Typen zu veranschaulichen. Letztere sind zunächst
natürlich beschreibend aufzufassen (Was und Wie?); dann ist aber
auch ihre äussere und innere Einrichtung zu ihren Lebenstätigkeiten,
SU ihrem Aufenthalte in klare und scharfe Beziehung zu bringen,
wie ich das oben am „weissen Bienensaug" — äusserer Bau und
zentripetale Wasserleitung^, Blütenbau, Insektenbestäubung usw.
— versucht habe kiarzulepen. Die Ausbeutung des biologischen
Prinzipes bei der Behandlung des Einzelwesens, ganzer Püanzen-
gruppen, Familien, spielt in so vielen Farben, daas ich hier nur
einiges weniges andeuten kann: Schutzeinrichtungen gegen den
Regen, W'ind, die Kälte, Hitze, lästige Gäste; Anpassung an trockenen,
feuchten, steinigen Boden, lichten oder schattigen Standort; Nach-
ahmung zwischen Blüten und Insekten; Bestaubungseinrichtungen
bei Wind», Insdcten- und Wasserblütem; Verbrcitungsmittel der
Samen — und vieles andere mehr. Am Schlüsse des Kuisus
erfolgt die übersichtliche Zusammenstellung der behandelten Familien
der Phanerogamen und Kryptogamen und die Einführung eines
natürUchen Systemes. Der Kenntnis des Linne'schen Systemes ist
nur insofern Wert beizulegen, als es vielleicht für den Anfang eine
leichtere Handhabe zum Bestimmen bietet als ein natüiüches System.
Sollte die ob^ Stoffzusammenstdlung die Furcht vor Stoff-
Überhäufung hervorgerufen haben, so bemerke ich ausdrücklich, dass
Beschränkung auch hier insofern Meisterschaft zeigen muss, als
mcmalh die Stoiiuiie die Gründlichkeit der Verarbeitung und der
Einprägung, die Sidierfaeit des Wissens beetnträcfatigen darf. Die
allgemeine Botanil^ die das Wichtigste aus der Histologie über
Zellen, Gefasse und Gewebe, aus der Morphologie — der hier in
Frage kommende Stoff bedarf auf Grund der speziellen Botanik
wohl nur der gelegentUchen Zusammenstellung: Blütendiagramme,
Blatt', Stamm», Wurzel* und Fruchtformen — sowie endUch aus
der Physiologie der Pflanzen zu bringen hat — Pflanzenbewegungen,
Ernäbrcn'T, Fortpflanzung und Vermehrung, Empfindlichkeit gegen
Licht und Wärme, Feuchtigkeit, Trockenheit, Wind u. s. f. Die
Physiologie kann entweder im Zusammenhange und unter Wieder-
Blütenpflanzen hinauf
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holung dessen, was die Behandlung der Einzelwesen bereits geboten
hat, vorgeführt werden oder aber, in einzehie Abschnitte zerle^^.
an geeigneten Stellen der speziellen Botanik eingefügt werden.
Selbstverständlich muss der Stoff unter Zuhilfenahme des Mikroskopcs,
SdoptikonSi durch Versuche, vom Lehr«' undvonden Schülern')
angestellt, durch Inanspruchnahme der Beobachtungstatigkeit der
Schüler veranschaulicht werden; denn der Unterricht darf beileibe
nicht ein blosses Andozieren sein; der Schüler soll das Gebotene
nicht einfach im guten Glauben hinnehmen; denn gerade darin, dass
er selbst beobachtet, selbst die Tatsachen findet, hegt der mächtige
Hebel flir die Erwecfcung des Interesses.
Die Konzentrationsfaden in beiden Stoffgebieten sind so zahl-
reich, dass wir hier nur die allerwichtigsten andeutungsweise berück-
sichtigen können :
Die Vermittelung der Bestäubung der l'flanzen führt in die
Zoologie; die Wechsdbeziehung zwischen dem Baue der Blüte und
dem des sie besuchenden Insektes sind hervorzuheben ; \ iele Pflanzen
sind der Tummelplatz unzähliger Käfer, die als Freunde oder Feinde
kommen; in welcher Beziehung stehen sie tu einander? u. s. f
Die Behandlnng der Kryptogamen sowohl wie der Phanero-
gamen föhrt auch in die Geologie. Erstere bieten Anknüpfungs-
punkte für die Primarzeit der Erdoberfläche, die Nacktsamigen und
Spitzkeimer versetzen uns in die Sekundärzeit, die Bildung der
Zweisamlapper vollzieht sich in der Tertiär- und Quartärzeit. Stein-
kohle, Braunkohle, Torf u. a. leiten von den sie bildenden Pflanzen
in die spezielle Mineralogie über. Die Spaltpilze, Bakterien, BacdOen
und Micrococcen, bieten Anknüpfung für das Kapitel ,3&u und
Leben des menschlichen Körpers".
Die Zellenlehre, die Lehre von den Lebenstätigkeiten der
Pflanze sind ohne Beziehung zu l'hysik und Chemie gar nicht dar-
stellbar. Neiiinen wir beispielsweise bei der Behandlung des Zell-
inhaltes die Kohlenhydrate, Fette, Starkemehl, Zellulose, Zucker,
Gummi, Dextrin, heraus, so erhalten wir als nächst liegende Kon-
zentrationsfäden für die Chemie die Flemcnte KohlcnstofT. Wasser-
stoff, Sauerstoff, die wieder nacli den ver^chic U eisten Seilen hin
Brucken bilden können: Vom Kohlenstoile zu Diamant, Graphit,
Steinkohle, Petroleum, Kohlensaure; vom Sauerstoffe und Kohlen-
saure zur atmosphärischen Lufk, zur Pflanzen- und tierischen Atmung,
zu Wasser, Salzsäure. Salpeter, Ammoniak u. s. f. Das Chlorophy]!
bietet Anknüpfungspunkte für Eisen, Eisenerze, tierisches Blut
») Siehe KoWmcycr, „Die pmktisehen übuniren im biolofrisdien Naturgrschkbt»-
unterrichte des Seminars", ..Pädagopschc BlättLr für die Lehrerlildung". Goihi.
Thienemaim. Jahrg. 1906. — DeiKlbe, „Allgemcioe Zoologie nebst Anleitung zur
Ansfithraa^ der notvendigstea und eiafiühsteii prektiMhen Arbeiten der SehUa**.
Derselbe, ,,Allgfmcinf Pülanik nehst Anleitung zur Ausführung der nülwcndip^lca od
einfachsten praktischen Arbeiten der Schüler". Leipzig. DUrr. 1905 u. 1906.
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u. V. a. m. Kurz gefasst: der ewige Kreislauf der chemischen Grund-
Stoffe zwischen anorganischer und organischer Natur ist ein wichtiger
Leitpunkt für die Erfassung der Natur als eines einheitlichen Ganzen.
Die Schüler sollen zur Krmöglichunp des obigen in der Herstellung
von mikroskopischen Präparaten, in der Handhabung des Mikroskopes,
im Anleigen biologischer Sammlungen, in der Herstellung einfacher
schematischer Zeichnungen geübt werden. Die Besprechung einzelner
ausländischer Pflanzen, ganzer Pflanzengruppen, ihre \'frbrpitung,
Betrachtung von charakteristischen Landschaftsbüdern führt hinüber
zur Geographie; die Herstellung von Pflanzenskizzen, von Blüten-
diagrammen und anderen schematischen Zeichnungen bedingt die
Zeichenfertigkeit die in noch weit höherem Masse als bisher
im Interesse der Selbstbetätigung der Schüler in An-
spruch genommen werden muss. '} Die Heranziehung von prosaischen,
poetischen Stoffen im botanischen Unterrichte berührt sich mit dem
Sprachunterrichte. Das sind in flüchtigen Strichen eine Menge
Konzentrationsföden* Wo immer es sich machen lässt, soll man
die sich berührenden Stoffgebiete gleichzeitig auftreten lassen. Die
Gleichzeitigkeit erleichtert naturgemäss die Verschmelzung der ver-
wandten Yorstcllungsgruppen zu einheitlicher Anschauung: aber sie
bedingt schliesslich nicht das Wesen der Sache; der Kernpunkt
liegt doch darin^ dass früher oder später die Konzentrationsfaden
überhaupt gezogen werden, sei es nach Abschluss der Behandlung
des Finzelwesens, nach Al^'^rhluss eng begrenzter Stoffgebiete, oder
am Lade eines ganzen Kur is. Auf alle Fälle aber muss ein tun-
lichst einheitliches Überschauen der vei-schiedenen Stoffgebiete
herbeigeführt werden, um die Einheitlichkeit der Naturauffassung
nach Kräften zu sichern.
Auch die Zoologie hat an den wichtigsten Vertretern des Tier-
reiches die Kntwickelungsreihe \on den einzelÜLcn Urtieren bis
hinauf zu den höchst entwickelten Saugetieren in dem oben gekenn-
zeichneten Sinne zu durchlaufen und das biogenetische Prinzip bei
Behandlung von Übergangsformen, wie Schnabeltier, Urgreif. Fisch*
lurchen, Lanzettfischchen usw. in einfacher, tatsächlich begründeter
Weise durchleuchten zu lassen. Bei der Behandlung des Einzel-
wesens ist ganz in derselben Weise zu verfahren wie bei den
Pflanzen: Auffassen der äusseren Form (Beschreiben, Bestimmen,
') Ilenkc, Zeichnen aad Sehen. Haniburg 1908, — Rculcr, MorpholugiMrb-
biologisches Skizzenbuch. Arnsberg. Stahl. 1908. — Natur und Schule. Bd. L
S. >i. „Über d.i'^ /(-ichncn im naturgcschichtlichcn L'ntmichl". — Schoenichen,
„Das Zcichcncxtemjjuralc im naturkundlichen Lntcrrichtc". Natur und Schule. Bd. I,
— Franken, ..Warum, wann und wie im naturkundlichen Unterricht-' fjf/richnel
werden muss. Natur und Schule BJ. IIT. — ^^^>^ius, „Das Gcilichlnis^ciclin'-n im
biologischen Unterrichte". Natur und Schule. Bd. IV. — Natur und Schule.
Bd. IV. „Die Bedentnns dci ModeUicrens filr den mtnrgeichichdicheii Utttcrrieht.
Bd. 1. S. 72.
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Vcfgleichen, Feststellen der Gattungs- oder FamUienmerkmale), Be>
trachtung der Lebenstätigkeiten, die bei den Tieren differenzierter
und darum in noch schärferen und klareren Zusammenhang mit den
Organen zu bringen sind als bei den Pflanzen, Herausheben des
ur^Lchlidien Zusammenhaltes zwischen Eigenart der Lebens-
Verrichtung und Bau der in Frage kommenden Organe. Die Kon«
zcntrationsfäden von hier aus führen, abgesehen von denen, die wir
schon bei der Hotanik erwähnten, besonders durch die Paläontologie,
die Vorwesenkuude, die der Behandlung der jetzt lebenden Tiere
sich zwanglos anknüpft, in die Geologie. Die Besprechung des
Tierreiches von den Urtieren bis zu den Knorpelfischen gibt Ge-
legenheit, die Vorwescn und die sie führenden Schichten des Primär-
gesteines daran zu knüpfen. Die Behandlung der Krebse, des
Tintenfisches, der Stachelhäuter fuhrt zu den Trilobiten, Ammoniten,
Belemniten und der Meerlilie, zu den Galeriten und Ananchyten;
man wird bei ihrer Erwähnung den Schülern nidit vorenthalten,
dass diese Versteinerungen der Erdschichten sich da und da finden.
An die Eidechsen knüpTt man zwanglos die Meersaurier, Flugsaurier
und Landsaurier, sowie den Urgreif (Archaeopteryxj und ist damit
im Jura und seinem charakteristischen Gebiete. Elefant, Ohiuuer
und Mastodon, die Entwickdung des Pferdcdiufes^ der Hailisch geben
Anknüpfungspunkte für das Tertiaigestdn; Riesenhixsch, Höhlenbär
u. v. a. führen in die Eiszeit
Umgekehrt führt die Geologie in die Zoologie zurück und
berührt sich vor allem mit der Geographie. Wie interessant ist es
z. B. in letzterer Beziehung bei Besprechung des böhmischen Gebirgs-
systemes hervorzuheben: ,J>ie Grauwacke im inneren Becken war
eine Bucht jenes uralten Meeres, in dem die Trilobiten noch
herrschten; die Sandsteinbildungen aus der Kreidezeit verdanken ihr
heutiges, den Unkundigen zu den wildesten Phantasieen heraus-
forderndes Gepräge drei einfachen Bildungsphasen, der Ablagerung
aus dem Kreidemeere, dem Rückzüge des letzteren und der Ab-
najgung durch spatere Wasserarbeit; in der darauffolgenden Tertiär-
zeit stellte dann das basaltische Mittelgebirge ein ungeheures Vulkao-
terrain vor." Ebenso interessant ist die geologische Bildung der
Alpen: Zusammenschiebung, Faltungsprozess, vulkanische Hebung;
Gletscher-, Höhlen-, Klamm-, DoloniitbUdung; sie wie die Bildung
der Riffe und Atolle durch Korallen und ihr Vorkommen in ganz
bestimmten Bezirken bieten geographische Konzentrationsfaden,
(Nach R. Schneider, „Der naturwissenschaftliche Unterricht und die
neuere Forschung'.)^)
Die Vorführung der einzelnen Krdsrhichten in der Rrdhilduni^
lehre hat überall das parallel laufende Leben in Pflanzen-, iier-
>) Vfül. Land<;herg. ,,Di( Biologie auf der Oberstufe des GymiHWlHBS**, llomU*
Schrift 1 S. 692 f. und „Handbuch für hühere Schulen" S. $24,
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und Mensdienwelt zu berOcksichttgen, so dass der Schüler klar
überfolidct: z. B. in den Primärschichten finden sich Spuren des
Pflanzenlebens von den einzelligen Pflnnzen bis zu den Gefass-
kryptogamen einschliesslicb ; das lierreich ist vertreten von den
Urtieren bis zu den ersten Knorpelfischen. Oder: der Jura weist
auf: Meersaurier, Flugsaurier, Urvögel, Krokodile; die Pflanzenwelt
steht im Ubergange von den Nadel- zu den Laubwäldern u. s. f.
Bau und Leben des menschlichen Körpers, biologisch behandelt,
geben ebenfalls eine Fülle Konzentrationsfäden: Die Behandlung
des Rumpfgerüstes kann zu Hebel und Pendel,^] die der Muskeln
zur Elastizität, die der Nerven zur Elektrizität (iihren. Der Ver-
dauung»-, Kretslaulsr und Atmungsvorgang stellt Brücken zur Giemie
her: Chemische Lösung, Umwandlung von Stärkemehl in Dextrin,
Zuckerbildung, Überführung der Eiweisskörper in Peptone, Ver-
seifung der Fette, Verbrennung durch Sauerstoffzufuhr bei der
Atmung usw.
Die neuere Einteilung der Menschenrassen nach Schädel, Kiefer
und Behaarung ist einzufügen; sie beweist, dass die schon dem
äusseren Baue nach am tiefsten stehenden Menschenrassen, z. B. die
Papuas, Langschädcl mit Schrägkiefern und büscheliger, stark ver-
filzter Behaarung, heute noch in der Kntwickeiungsstufe der Stein-
zeit stehen, die uns in die Urzeit des Menschengeschlechtes, in die
Zeit der Höhlenbewohner, in die Tertiärzeit zurückversetzt, in
der die ersten Menschen, wie das zuverlässige Funde beweisen, schon
Jahrtausende vor ihrem Eintritte in die Geschichte des Altertumes
ein auf der obigen Kulturstufe stehendes Leben geführt haben müssen.
Das ist in kurzen Zügen ein BÜd von der Möglichkeit der
sachlichen Stoffverknüpfung, der Verwirklichung der Konzentrations-
forderung aus dem Kerne ihres Wesens heraus, und nur in ihm
kann der Keim zur X'ervoUkommnung der heutigen Konzentrations-
versuche liegen, niemals, das sei noch einmal hervorgehoben, in
einer Stoflhnordnung, der man nicht einmal als Vorstufe für sachliche
Verknüpfung irgend welchen Wert für die Anbahnung einheit-
licher Naturauffassung beilegen kann.
Wenn ich in der vorstehenden kleinen Abhandlung nach zwei
Seiten hin, nämlich gegenüber dem Stoffe und der Stoffanordnung
des biologischen Naturgeschichtsunterrichtes, mich hie und da nicht
zustimmend ausgesprochen habe, so will ich damit gewiss nicht,
ich hebe das noch einmal ausdrücklich hervor, die Verfasser der in
Frage kommenden Lehrbücher treffen; ich betrachte vielmehr erstere
wie letztere als schätzenswerte Mitkämpfer um das gemeinsame
Ziel, um die Verwirklichung des biologischen Prinzip es im Natur-
geschtchtsunterrichte unserer Schulen.
') Vgl. Berthcau, „Ausgewählte Kapitel aus der Physik des menschlichen
Körpers". (Frogr. der Haionbarger Realschule a. d. Lübecker Tor. I903 u. 1906.)
B. Kleinere Beitrige und MltteUungeiu
BericM Oker die 41. Hauptversammlung dee Vereine für
wiesenschafUiclie Pädagogik.
Von ¥t. Franke in Leipzig.
Die iliesjähricfe Versaramluns: fand am Dienstajj^ und Mittwoch der Pfiiiirst-
wocbe in 8tr aas bürg 8Utt. Der Verein hat im Reichalande noch nicht vid
Mitglieder, der Besncb aber war gut, auch die Behörden waren vertreten, iüreu-
admUnqt^tor KCnig hatte eine BegrVwnngBtehrilt: ^Yim Herbart wU wdm
Sdrale" Twfawt, welche der Herauegeber dee llnas-Lodiriiigieebeii SchidMetteii
Geheimer Regierungs- und Schnlrat Dr. Stehle, der zwei Tage wacker aoshidt
und auch in die Verhandinnpen eingriff, am Dienstag frtlh den VersanimfU^
Überreichen liess. Der VorBitzeude, Prot. Rein, hatte in der VorTereammiung im
2. Pfingtsttag abeuda anegefOhrt, dase wir alle Zeitätrömuugen su verfolgen und
mit Vordebt in lernen evehen mnesen, vm aaeer OebSnde immer weiter amsi-
bauen. Am Dienstag früh wicderLcdte er vor dem grösseren Kreise, dass wir
uns nicht floq-ninti'irh f-'-rli .rt*n ln'-«< n. (i.xss eiiir* crö>;sere Weitht;rzi^keit. hii
§ 1 u. 2 unserer äatzuugeü zeigen, kaum uu'>i,'iaü ist und das-s auch die Arbeit
unseres Vereins eine grosse Fortentwickclaug zeigt. iJie BegriUsungsschhft sei
dne trdfliehe Einftthrnng, cie leige die Notwendigkeit einhdtUcher Dor^
bildung der pAdagOgiechÖi Gedanken, sie stärke auch dae Vertrauen aof die
Solidheit nnserer Gnindlapen, die zwar viel an^'egriffen werden, aber auch inuncr
wieder aus der Mitte des Kampfes heraiit! Bestätigung finden.
Die Arbeiten des Jahrbuches vtiirden diesmal im allgemeinen in der Heib«
von nnten nadi oben dnrehgesprochen ; diese Folge weiden lunen MitteUnagen
innehalten.
1. Spieser, Schwierigkeiten des Schreiben- nud Lesenlernens und die
Mittel dairejjen. Per Verf. ist d«äs«?i«icher Dorfpfarrer, sehr vertrant mit Phonetik
und Lautphysiologie und neigt zu radikalen Ansichten hinsichtlich der C>rtho-
graphie. Er hat mit Erlanbnia dee KretBechnlinspektois dae, wae er im Binscl-
imtenicht gefunden, im Klaaeennnterrieht erprobt nnd eeine Methode in mehreren
Abhandlungen und kleinen Schriften mit einem Ausdruck von B. Otto „begliffiidie
Methode** genannt, weil „der Schüler zner.«>t znm Be§:reifen seiner SprechtHtisrkwt
geführt wird." Zu diesem Begreiflichmachen benutzt er ein pla^ti^tches Kopt-
modeU nnd seitliche Abbildungen der Hnndstellnng beim Anasprechen der
wiehtigetea Laute. An den von liuka nach rechts angeordneten Lantbildem aber
lernen die Kinder auch lesen und dabei den „Schreibgrundsatz'' begreifen, nach
wp! ht-in wir niclit die Begriffe schreiben, sondern die Lant/.ei<hen fTir die
betreneuden Worte. So bald dieses Lesen nach .,Lant?chrift" ic- lünlig i.st. wt rden
die Lautbilder allmählich durch die willkUilicheu Buchbtaben ersetzt. Da^ä die
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Kinder auf diese Weise rasch leseu leruea imd früblich dabei sind, wurde bezeugt
durch dem Knindralintpelrtor «nd dweh Prof. Bein; ani Qera Itg ein Gutachten
des Kollegiums der Enzianschnle Tor. Trotzdem blieben gegen die allgemeine
Einführuui^ Bedenljen, da ein z. Z. nicht allgemein vorauszusetzf-nrli^-; M:\^^
phonetischer nnd physiologischer Keuntuisse nötig sei. Auch hielrt^i einzelne
Beduer böi uurmalcu iüaderu deu kurzen Weg der Nachabinuug tilr bes^r,
dagegen eä hier eine an^feaeichnete fiiginanng anderer Metii<»den gegeben bei
£indem mit ^rechfehlem. Vor allem aog man ans der Möglichkeit, rasch und
leicht zu lernen, den Scblns;^. dass m\n mit wm so weniger Bedenken das
Erlemen des Lesens und SchreibenH vom ersten nach dem zweiten Schuljuhre bin
schieben dUrfe, wie es Ziller hielt und die Jenaer Übuugsschule hält. Un-
geeigneten Fibelatoff wird man yoUiMndisr vieUeiidit nvr dadoieh Termeiden,
dav man gar keine gedmekte Eibel gebrancht, wie ee ven Kiftnlein in Freibnrg
nnd wiederum von der Jenaer Übungsschule berichtet wurde.
2. Pabst, Der Handarbeitsunterricht im Seminar. Der Verf erörtert
I. die Bedeutung des Handarbeitsunterrichts für das Erziehungsweseu überhaupt,
n. beriehtet er von seinem eigenen Yermoh am Sendnar an OOthen (1889), der
von Bedllrf^iiaten nnd Wdningen der natarwiNnuehaftUdien Lebrftoher ausging,
III. stellt er für das sechsklassige Seminar einen Lehrplan auf. Hinsichtlich der
Notwendigkeit praktischer BetiitigTing' überhaupt herrschtr- vUIüe^e Übereinstim-
mung; der Verf. wies (was man in der Vorlage vermissen konnte) darauf hin,
dass ein besserer Nachweis dieser Notwendigkeit, als er bei Herbart (z. B.
ümrias § M, 179, 269), Ziller (besondere in der Omndlegang) nnd den Naeh>
folgetn zu finden sei, sich kaum geben lasse. Doch greift er, mehr Kerschen«
Steiner folgend, die theoretische Scheidung: von AUsremeiubildune; i^n 1 Tlprnfs-
bildnng und damit auch die Trennung des .Srrninnrkursus in die ailK'emeine
Bildnngsanstalt nnd in die Fachschule an. Semiuurmspektor Audreae aus Kaisers-
lantMn nUirte siofa gegen die Trennnng, wie sie in Prenseen dnrchgeftthrt ist^
wies zum Zwecke der Begründung nicht auf Kerschensteiner, sondern auf P. de
Lagard hin, füarte aber mit Recht hinzu, dasa sich diese Frare nicht nebenher
ausmachen lasse. Der Lehrplau, den Papst für das Seminar auf.stellt, ^'ehl von
den leichter zu behandelnden Materialien zu den üchwierigeren; der obersten
Klaase wird banptaiohlidi der Unterridit in der Übnagtehnle angewiesen, SMUt
sieht man von einer ,^eren Verbindnng^ Biit dem tbrigen üntenieht des Seminais
wenig. Das Leipziger Seminar, sagt man in der Versammlung:, kann aber auch
in seiner jetzigen Einrichtung nicht mehr lehren als Materialienk-m le und ent-
sprechende Technik; das suchen auch zunächst die Lehrer, die zu ihrer Aus-
bildung hinkommen, wie sie von einem Piotesor der Oeeebiehte gediegenes Faeh-
wissen, nioht Methodik lernen wollen. Die Methodik maeht sieh dann jeder nach
seinen VerhältnisBen selbst. Der stille Wunsch der Versammlung ging nun offenbar
auf einen T^f hri ^in filr Ai*^ Volkes ^h'ile, der die „innere Verbindang" mit dem
Übrigen ünierricht zeigte; das iieipziger Seminar kann aber einen solchen erst
zustande bringen, wenn es eine Übungsschule mit Üntenieht in allen FIchem
bdKommt (und aneh dann erst, das sei hier hiningefllgt, wenn es den pBdagogisehen
Geist besitzt, der sich nicht mit einem Aggregat von LehrffteheiB begnügt). —
Die Verhaadiong Uber diese beiden Gegenstinde nahm den ersten Tag voU-
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ständig in Anspruch; die Boeh nidit abgescUoMcne Abhandlung &ber Gitae od
Zahl wurde ttr die folgende Venanunhug snrtckgeeteUt
8. Giteweki, der Kustoiiteirieht im Deatscben. Zu dieser Azheit wk
«ur folg-en'IPTi waren von mehreren Mits^liedem schriftliche Bemerknnf'en «ii^
gesandt j es berührt« au^eaehm, dass man an diese alt« Sitte wieder erinncft
wnrde. Über die Erörterung des Zieles der Kunsterziehung ging man hinweg,
da die ]»iBiliiielleii Ftagen nicht genttgend eBteeMeden und mit den Mherea
Arbeiten dee Vereins (1906, 1908 und frfiher) sowie mit der Übiigen Literatur
nicht {^enttgend in Beriebnnsr g^esettt seien. (Die Ankntipfnng an das Bisherige
liess überhanpt bei mehreren Arbeiten dieses Jahrbuches zu wünscbfri 'ibne '
In der aligemeineu £rürteraug der Wege stellt Verf. sieb auf den btandpiuiit,
daee die Kmiitbetiaditiiiig dem ttbrigmi Unterricht eingefügt weiden eolL ffier
erregte die entechiedene Form Anstoss, mit der Verf. verlangt, dass die erste
Anleitung- zum künstlerischen Sehen „nicht im Bilde, sondern an der Natur'
beginnen solle (S. 280\ Der Sinn für da« Naturschöne ist, wie er ja selbst S. 278
erwähnt, in der Vülkereutwickelnng ein sp&tes Erseognis, und wiederum ist der
Sinn für dai SehOne im Kleinen filkher erwacht (s. B. bei W. t. d. Vegelweide^
der anf YUglein und FiacUein achtet) alt fttr dae SehSne der Lendaehaft (v|^
J. Burkhardt, Kultur der Renaissance, Bd. XII). Ergötzliche Beispiele zeigten, wie
man bei solchen Betrachtungen Ton den Schülern zu viel erwarten und ganz
enttäuscht werden kann. Dasselbe ist aber auch bei Betrachtungen von Bild-
weAen möglich, wenn derm irthetiaehe Terittttmaie ee nSA rind, daat aie nach
verwirrend wirken. Bin Bildwerk von beeebiSnktem Beiditnm kann eben dnreh
die Beschränkung wirken, aber auch den Sinn atlrken für die Auffassung einer
reicheren Xatxir. Welche Bej^iehunp: die Pnbertftt zur Entwickelung des Schön-
beitssinnes habe, war eine weitere Frage, mit der mau sieb befasste, und wdt«r
rttckwftrte die ungefähre Featietanng gewisser Zeitgrenzen für die Stufen der
Knnateniehnng (S. 976^ S78). Sodann hob man berror, daac Yeil den entwidcdnd-
daietdlenden Unterrieht in die Knnatbetracbtung eingeführt hat, wahrscheinlich
bloss nach Erfahrungen, ohne an das bei Literaturstoflfen gegebene Vorbild
bewusHt anzuknüpfen ff. 292). Ähnliches wiederholt sich in dem Lehrpiane.
Am 6cbluBiie zeigt nämlich Verf., wie sich in den drei oberen Klassen des Oyrn-
naainma in d«i dentKhen Literataranterricht Betraehtongen von Kunalweckn
einfügen laaaen. Da er vor allem an deutsche Kunst denkt, gruppiert er die
Betrachttingen nm die „drei Zentren" Dürer, Rembrandt, Thorwaldist^n Tind füllt
dann die Lücken bei Geletrenheit aus. Damit folgt Verf. wohl H. Gnmm. aber
es ist auch dasselbe Veriahren wie bei Ziller, der im Gescbicbtsunterricbt von
HOheininkt an HSheponkt aducitet nnd von denaelben au »aehlieeaBn Üaet"
(Qmndlegung S. 276, 429, 2. Anfl. S. 296^ 467). — Da aneh die Abhandlottg von
Friedrich noch nicht vollständig vorliegt, so folgte nun
4. r^de, Der Einfluss Herbart.s nnd seiner Schule auf die Entwickelung
des fremdsprachlichen Schulunterrichts. Verf. möchte eine Wendung de» phil«>-
logiflchML Üntenicbta Ten dem einieitigen Fermaliamna an einem genmden
„mateijalen Frlnaip'*, welehea in dem Inhalte der Antorcn die atirktte bildende
Kraft sieht, mit Hilfe der Herbartischen Pädagogik herbeiführen und glaubt auch
eicher, daas sie bald kommen wird. Man vergleiche aein Werk: Die Ilieorie dee
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fremdsprachlichen Unterrichts in der Herbartschen Scbnle, 11K)7. In der Yer-
stnunlimcr wardm jedoch imi Auieliteii dea Terftwwra als intllmUeli iMidehnet,
die den Erfolg seiner sehr dankenswerten BemCihnngren beeinträchtigen mUsseiL
Er meint n&mlich, Herbart verwerfe den Begriff der formalen Bildimg in jedem
SitiiK Aber w&s er Jahrb. S. 231 Zillers „richtige Formel" nennt, ist schon
Herbarts Ansicht; es wurde hingewiesen anf die aosfUhrlicbe Erörtemng in der
JBBcyUopädie" § 107 (bei WiUniaiui, Heifierto FId. Sdir. II, 462). Ferner eprieht
Herbart dem grammatischen Unterzieht nklit allen bildenden Wert ab nnd verwirft
besondere Stunden dafür durchaus nicht, er wartet nur die „Reife" dafür ab; hier
wurde auf Umriss § 283, 284 verwiesen. Viel bestimmter lässt sich das jetzt
nachweitenf nachdem die Akten des Königsberger Seminars in aller nur wünschens-
werten AnaflIhrUehkdt eraeUenea sind (als 14. n. 16. Bd. der KelnbadieAen
Ausgabe won Herbarta Werken, vgl. 14, S. 90, 131, 167, 208 und 8tter). Alsdann
bleibt Budde gegenüber noch dieFra^e, ob der philologische Unterricht anf den
unteren und mittleren Stufen so bleiben soll, wie er im (^mzen jetzt ist. Trotz
aUedem bleibt aber sein Eintreten {Qx p&dagogiscbe Gestaltung eine höchst
erfreididie Eiidieinung.
6. Or am barg, Die SehtUeibIloherei. Der Verf. tritt dafttr ein, daas in
Schulen Klassenbibliotheken gebildet werden mit wenigen Bflchem (die Zahl
seiner Vorschläge steigt vom 4. — 8. Schuljahr von 12— -'24), aber mit entsprechend
vielen Exemplaren. In den Päd. Stnd. 1892, S. Iö2ff. ist schon ein ähnlicher
Vorschlag, den K. Strohe] in Lyons Zeitschr. f. deutschen Unterr. V, 1^1,
S. 687 ff. gemaebt batte, belevehtet worden. Die Veisanunlnng kam leider nicht
aar genaueren Frtfung der einzelnen Werke; vielleidit. aber wird die Arbeit fort-
gesetzt, denn e« wnrde eine Prüfung der Omnds&tze der „Hamburger ', die eine
dankenswerte Arbeit begonnen haben, angeregrt. Wir können diese Prüfung in
mehrfacher Hinsicht al» eine Khrenptiicht aiLseheu, denn Uerbart gibt klassische
Beatimmungen ftber die Jogendsduriften (Allg. Päd., Binl. Abs. 19), nnd d«>
Organisationsplatt fttr die wissenschaftliche Arbeit der Lehrntereine von dem
Berliner Hauptlehrer Senff (1867), der im fnlq-pndeu .Tahre zur Gründung des
Vereins f. w. P. ftihrte, enthielt als letzten Punkt die Aufgabe: die entsittlichen-
den Jugend- und Volksschhften von den besseren zu scheiden und fttr Yer-
breitnng der letateien la wirken. (Man vgl. den Artikel »V. f. w. P." in Seine
Sn47kL Haiidb., 2. AnH, Bd. 9.)
6. Hemprich, Zur Jugendfürsorge und Jugendrettung. Diesem Gegen-
(ätftTide wurde eine ansführliehe Besprechung zu Teil. Unsere Mitteilungen können
aber kurz sein, weil keine erhebliche Meinaugsverschiedenheit sich seigte und
die mit groaser Wirme abgeftaate Voriage den Praktiker in flacben der Jugend-
Vereinigungen verrät Man wandte sieb gegen die gans einseitige Sichtung der
Fortbildungschule auf den Beruf, wie sie Kerschensteiner vertritt, nnd wiea
da<r»'ir''n hin auf die neuen Schriften von Schnlrat Schilling und von H Blitz,
welche die Aufgabe weiter fassen. Die ungeheure Wichtigkeit der Jahre nach
der Schulentlassung führte auch dahin, eine grössere Einheitlichkeit in der
obersten Leitoag der Eniebni^fatitigkeit an forden, wlhrend jetat Iiier dieser^
dort jener Uiniflter die Spitze bildet. Aber auch die einheitliche Oberleitung
nfitat nickte, wenn nicht an den nnteisten Stellen die nnmittdbar^tfttigen Krifta
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deb finden und regen. Vgl dan Nr. 8. — Hiermit waieii die G^gemtiid»,
«leiche der praktiieliMi PIdagogik «ngdiSrfceii, erledij^; die nUiate AiMI
betraf das Gebiet der GrandviaMuchaften.
7. Felsch, Ein nener Versnch. Herhart« Psychologie zn vernichten. Pi<'
Abbandinug bezieht sich aaf das Bach von Stossel, desseo Inhalt toq Dr. Zimmer
Päd. Stud. 1908, S. 152 fl ohne besondere Kritik angegeben worden ist. Man war
Fdadi danklNur, dan er tidi der ideht angoiehmeii Aufgabe einer dagebesdea
Beleuchtung untereogm babe; wenn auch nicht alle Angriffe, welche «iie Üttlgtt
gelieftirten WiderlecninsTPn nicht beachten, so beleuchtet werden konnten, von
Zeit zu Zeit sei es nötig. Freilich hat unterdessen der Herausgt;ber des StiVsel-
schen Buche«, Dr. A. Schmidt, gegen Felttcb Gegeueinw&ude erhoben. Über
Fragen der Interpretatien n. dgl. tteat aieb in der Kttrae niebt beriehteo. Fdeeb
batte aber die Einwände Schmidts berdts im Abenge vor sich und konnte m. B.
alles, was irtjendwie von Beilentnner war, gut erledigen. Nur da.s eine sei
bemerkt, dass, wenn Felsch aus dem Gebrauch des Ausdruckes § keinen .^i^chlu«.«
gezogen hätte (Jahrb. Ilö), mancher kleinlichen Bemerkung Schmidt« die
acheiDbaie Beieebtigung gefehlt beben wflrde. Yen den «Msblieben Auf&bningen
in der Vomnualang lei nnr ein Punkt bervorgeheben. Wnndt o. a. haben
bestritten, dass es freisteigende Vorstellungen gebe. Dagegen ist Elias Maller
in Güttingen in einer Abhandlung über Perseverationen auf dieselbe .\nnihmp
gekommen wie Herbart (da« „piStaliche^ Weichen eines physiologischen Druckes,
4er in einem Bdlnterangabdäpiel Herbatti voAommt, madit StOiMl mitünreebt
n dnem cbarakterittiiebMi Merkaud). An Mflller bat dcb dann Meomann an-
geschlossen. Pabei wurde weiter erwähnt, dass sich Meumann in dem Boche
„Intelligeni! nnd "Wille" auch der Willenstheorie Herbart)^ q-enähert hat (Zeitschr.
für Philos. u. Päd., April u. Mai 1U09). Eine Bemerkung äusseriicher Art, die
gleichwohl nicht unwichtig ist, betraf das Zitieren aus Herbarts Werken. Wenn
Felaeb naob Hartensteins Anagabe litiert, es ist flkr einen Leser, der Kebibacbs
An^fabe bat, die NaebpiOfnng oft sdir idtnnbend, und ebenso im nmgekebzten
Falle. Es sollte also Gebranch werden, dass jemand, der nicht beide
Ausgaben zitieren kann, das Werk nach §, Kap. oder dcrl. wenigsten.-* mit angibt;
oft wird dauu letztere Angabe alleiu genügen. Das gilt in veratärktem Masse
für die in sablrdeben Ansgaben nnd Auflagen Tozbandenen ptdagogisebsn
Schriften; für diese empfiehlt uch dann sehr die Benntanng der von S. ten
äallwürk eingeführten Ziffern für die .\baätae.
8. H. Pndor, Dörpfeld als Erzieher. Der knrse Aufsatz ist vom V'ors.
aufgenommen worden, weil er durch die Art, wie er Dörpfeld feiert, geeignet ist,
dem jüngeren Gesebleehte den Haan in Erinnenuig au bringen. Diiektor Trtper,
4er mit ihm lange in peEsBnKcbem Yeikebre gestanden, gab dM AnifSbinngen
Pndors eine angemessene Verstärkung. Auch der Jugendfürsorge sind in setaer
Schnlverfassungslehre nach unten wie nach oben Platz, Aufgaben und Kraft-
quellen bestimmt. Damit musste geschlossen werden. Die umfängliche Arbeit
TO» Dr. Heine: Ans dem bandsebijftiiebmi Kaebtasaa J. O. Sobnmmals, entbilt
nwar noeb kdne dgentliebe Yeraibdtnng, aber idebis und nadi nden Seiten
lehrreiches Quellenmaterial.
In gescbif tlieber Hinsiebt erbidten die Sationgen eine Form, nacb der der
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— 4^5 —
Yoretaud t wischen zwei HauptTereammlungeu aocb swei Jabre vergeben lassen
kami, wUuend dM JahilMHli nie Udiir welter.flndMint. Bi flUlt ndüiiii kttnftig
im VrtKefaan Yerdiuii «ine grünere Anfgtbe m. In literariscber Hinnolit mx
(las neneste rlip nntfir 4 erwähnte Fortfetsung der Herbartausgabe; die beiden
Baude laijen zur Kiusichl ans. Als ein gediegenes Werk, da8 bei aller Vertraut-
heit mit den modernen Stromongen den hohen Wert der Leiire Herbarts eriieunt
und anerkflnot, wurde wiederholt dea Baeh von Dietering genannt, du Dr. Zimmer
im 2. Hefte dieses Jahrganges aageieigt hat Jm Qe^rieh erfahr raen, daas die
2. Auflege Ten Zilien GrnBdlegiuig nd von Miaer Bthik s. Z. veii^illNi iit
C BenrteUimgeiL
J. F* Herbert« OmtUeke Werke.
In chrnnolitrri.srher Reihenfolge hsi^^j.
von K. Kehrbach t> 14« l^ö. Bd.,
hsgg. Ton 0. FUtgel XXn, 987,9958.
Lwigenaalia, Beyer iS: Mann 1909.
Preis geh. Je ö M., in Originalhalb-
In dem Bericht ttber die Versamm-
Ime in Strassbnrg ist bereite anf die
beiden Bände hingriwiesen worden ;
hier folge nun eine kurze Angabe des
Inhalts. Den Anfang machen Akten-
stücke über die Bernfunc: Herbarts nach
Königsberg. In seinem Schreiben vom
24. Oktober 1806 liest man: „Unter
meinen Besch&fügnngen liegt mir der
Vortrag der Eniennngslehre gase
besonders am Herzen. Aber diese will
nicht bloss gelehrt sein, es moss euch
etwas feaeigt und getlM werden** ; xmA
darauf feig f *^er Vorschlag einer „kleinen
£xperimeQtaIi>chule''al8„xweckmä88ig8te
Verbereititng ftlr kttnfüge mehr ine
Greese gehende Anordnungen". Der
KOnig aber genehmigt Uerbarta Be-
rufung „mn io lieber, als dieser fttr
die Verbe'^"'f"ning des firziehnngswesens
nach Pestaiozzischen Gmnds&tzen be-
sonder« nfitslich sein kann". Ausserdem
treten schon hier die Namen W. von
Humboldt, Nicolovius, Süveni, Auers-
wald usw. auf. Weiterhin bilden dann
die „Acta betr. das Seminarinm fttr
gelehrte und bOhere Schulen" den
eigentlichen St unm des Inhaltes (bis 15,
S. 102). Wiederum das Wichtigste darin
•iiid die Jehreslteiiehte. die Herbeit
mit TfltMhllgeii, WtaeoMi «. dgL der
xzz. e.
Beh(Me übergab. Dieselben würden
aber vielfach unyerständlich sein. t\ eim
nicht auch die Antworten, £n1r
•ebeidungen, Anfragen dee lunbtei«,
Aps T'niversitäts-Kuratorinms usw. in
kleinerem Drucke beigegeben wären,
und von beeraderem Werte iind audi
die Berichte von Dinter u. a. über
Prüfongea und Besuche in Herbarts
Institut. Gut ist es auch, dass der
Heransgeber im Vorwort die Angaben
in Schmids Encyklopädie wiederholt
(Schmidt ist Druckfehler); denndieeelbem
sind lange Zeit beinahe die einzige
Quelle über Herbarts pädagogische
Tätigkeit in KOnig^sberg gewesen, und
doch sind sie niiät ofajie die Zeichen
der Animosit&t Mit derselben hatte
auch Herbart immer zw kämpfen, wie
es einer, der einer so alten Kinrichtong
wie der dee OyiiiiMiieini etwes Beweree
entgegenstellen will, stets zn tun haben
wira. Darum darf man auch daraus,
den das Seminer nach Herberts Weg-
«mg nicht fortbestund, Herbart keinen
Vorwurf machen i wer die vorliegenden
Akten zu lesen verstell^ dekt das schon
lange vorher i^o kommen. In vieler
Hinsicht erlangen wir durch einzelne
Ansftthmngen grossere Klarheit ttber
H^rbarts Lehre oder darüber, welche
der biöheri|;en Ausleguncen die richtige
ist; das wird sich z. B. ninsichtlich der
Begriffe Klarheit, Assoziation usw. bald
zeigen lassen. — Daran sehliessen sich
Akten, welche Herbart als Mitglied der
-wissenschaftUohen De]mtation^, später
PrDfrmgskommimien genannt, zeigen.
1819 snekte er wn seine Sntlassming
80
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— 466 —
nach, hatte aber anch fernerhin Öfter
Gutachten abzugeben, von denen schon
Ziller und nach ihm Will mann (Päd.
Sehr. n. Bd., Nr. XVII u. XVIII) ein-
seLne verCifentlicht haben. Ein Bericht
Herbarts Uber ein nach Pestalozzis
Grundsätzen geleitetes Waisenhan«
wurde schon von Hartstein veröffenllicht
im 30. Jahrb. des Vereins für wiss.
Päd. 1898 (Tgl. Päd. Stud. 1898, S. 164)
und darnach jetst abgedruckt da er
pin der Urschrift nicht mehr vorwuiden"
ist. Hier findet man schon 1813 eine
sehr lehrreiche AoseinanderBetBiiii^ mit
der Pe8taleniedie& Sehnle; tia wMteras
Licht wird auf das Verhältnis Herbarts
SU Pestalozzi fallen, wenn die „Briefe"
erechehieii werden. M Ggen die Schitse,
welche die mm vorliegenden Mitteilungen
enthalten, recht bud durch 8orgfälti|;e
Arbeit gwoben werden!
Leipog. Fr. Franke.
Dr. Kurt Geissler, Moderne Ver-
i r ru u g e n auf philosophisch-
mathematischen Gebieten.
Kritische und selbstgebende Unter-
suchungen. Veriai^ Alp wacht, Ebikon
bei Luxem, Schweiz. 160 S. OlOM 8;
Pr. 2 M. (direkter B»*zng]
Es wird für den philosuphiadi, aber
dabei idoht weit^end mthematieoh
Gebildeten hpnte immer schwerer, ilb-^r
die Richtigkeit der Meinungen bea.
der mathematischen GrandbeifiÜh m
urteilen. Diese Meinungen stehen
keineswegs endgültig fest; es tiudet
ein fortwährender Kampf statt zwischen
den P!ii!o«f>]>hpn einerseits und den
Fachuiüiiieiiiatikem andererseits, aber
auch zwischen letzteren. Ein Teil dieser
Fachmathematiker hat die erkenntnis-
theoretischen Grundlagen immer mehr
80 behandelt , dass damit recht
•chwienge Fragen der höheren Hathe-
mtik Terkuttflt worden sind, und be-
hauptet iljren Gegnern, besonders den
Micütmathematikem gegenüber, diese
VerknVpltaDg sei notwendiff. Matlli^
lieh i-^t. fall.s da<^ rirhtig ist, damit den
ßhilusophisch, wenn auch sehr grftnd-
eh Gebildeten die Möglichkeit ge-
nommen, überhaupt nocn Uber diese
Fra^n zu urteilen^ und der Sieg der
gewissen mathematischen Partei wäre
damit aiemliob Tetfallrgt Leider aber
fehlt diesen Mathematikern fast durch-
weg eine wirklich tiefe philosophische
Bildung und Einsicht. Man wird das
von einem Fachmanne ja nidit immer
verlangen; gewiss aber muf? mnn ^
verlangen, wenn derselbe eudgülu^ über
ein Gebiet urteilen will, weläi^ dureh-
an<! philosophisch ist, wenn es auch die
Grundbegriffe und Anschauungen der
Mathematik behandelt.
Die betreffenden Fragen sind von
allgemeinem Interesse, besonders wichtig
für jeden Sehidmsnn, weWier nüt der
Mathematik, mit Ranni und Zeit, mit
der Logik, mit dem Unendlichen liegend
wie m tun hat. Und wer bitte das
nicht In meinem Buche sind in =
besondere behandelt: Die nicbtenküdi-
sdien Geometrien, die Frage der Binma
Ton mehr als drei Ausdehnuni^n, von
anderen Eigenschaften als sie unser
Raum aufweist, das Wesen des Punktes,
der Linie, der Geraden, der Parallelen;
der grosse, lauge, allgemeine Streit Uber
das rarallelenaxiom. Sehr oft werden
auch in der Schule und im gewöhn-
lichen Leben, in fast allen Wissen-
schaften Begriffe (wie derjenige der
Zahl U8w^ geometrisch aasebaulich
gemacht, der verlaaf von BreignisBen
graphisch angedeutet. Es wird hier
nntersnobt der Gebranch geometiischer
Namen für Fbrmallogisches und Zahlen-
mässiges ni\<l r^cznzt. wie leirht ■Irv-
selbe trotz des sousugen grossen ^ntzeus
in Falsches fuhren kann. Femer ist
hier durch möglichst einfirbf Dar-
stellung der beiderseitigen Ansichtn
die Mdc^ichkeit geboten sich über ^
Lehre vom Unendlichen, die Mengen-
lehre, die Axiomatik Kenntnis zu ver^
schaffen und zwar so, dass es mtH^ieh
sein soll sich kritisch eine Meinung zu
erwerben und dem Vururteil oder der
Behauptung entgegenzutreten , man
müsse hierbei höchst spezielle Kennt-
nisse besitzen, um überhaupt urteilen
zu köimeii Freilich wird man Lr^m
tieferen Einblick ton in die Behao]^
tnngen mancher Faohlente; und das
iQche ich durch das Buch auch dem
nicht sehr weit mathematisch Ein-
geweihten zu ermöglichoi. Ein Kapitel
über Stetigkeit, Genzknrve und die
vielgenAnnt«n stetigen Kurven, die
keine Tangentialrichtnngen, keine Dif-
fereatialq«otieatett bentaen ioUen, ist
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— 467 —
für lic fachmännisch mehr gebildeten
iiifetügt. Ich hielt es für nötig, J^uu
meklmiBMit vm Gefallen oder An-
fallen bei jener, hier scharf kritisierten
Riebtang' von Fachgelehrten, khtiüdi
zu besprechen, nnd ich durfte mich
dabei anf die Arbeiten sttttsen, die ich
bisher aof beiden Gebieten, dem der
Philosophie wie der (auch höheren)
Mathematik verSffcntlicht habe. Die
Kenutais dieser Bücher uud Abhand-
lungen habe ich aber nat&rlich nicht
für den Leser vorausgesetzt, sondern
suchte in dieser Schrift selbst nach und
bei gegebener Kritik das kurz nnd
Bchaii zu sagen, was ich anstatt des
Getadelten setzen mSehte. Hoffentlldi
l<iuin nnn jeder Leser tlber beides seihst
urteilen, wenigstens aber wird er. wie
ieh boffe, in aieten Fngen eine bIm»
Überaicht nach der Lenftre besitcen.
Xnrt Geitsler.
Friedrich Bauseh, Mängel derAn-
■ehanungsbilder und dieStnff-
lehrm Ittel. Hauptverzeichnis. Als
Bandschrift gedruckt. Kordhauseu.
Fr. BtiiMdi.
Ganz neue Bahnen werden durch die
Stofflehrmittel, wie Fr. Rausch in Nord>
hausen sie bietet, auf dem Gebiete der
Ix-'hrmittel für den Anschauuntrsunter-
licht beschritteu. Man hört öfters, so
lieisst es in dem vorliegenden Hanpt-
verzeichnis von Stofriehrmittelu,
mahnende Stimmen, die den „allzusehr
ins Krant sehiessenden Plakatonter^
rieht", wenn auch nicht liri^kt be-
käupftiu, m doch seinen praktisch^i
Wert anzweifeln. Folgende Nachteile
weist das Bild nnd steine BtMiutznng
im Unterrichte auf: 1. Das Bild kaon
nur die Form nnd Farbe der Gegen-
stände wipflercreben, also nur den
Schein der \S u kiichkeit; im Unterrichte
braucht man aber mehr als den Schein,
man braucht das Sein der Din^e.
2. Das Bild kann nur einen Augenblick
zur Darstellnng bringen; Handlungen
können nicht in ihrem Verlauf gezeigt
werden. 9. Dtt Bild ist nnr swel-
dimensional und fordert vom Beschauer
einen besonderen, wenn jMich nnbe-
wiwBtai BenkpTOzees: INe tiberMtraoir
ins Dreidimensionale. 4. Das Bild ist
etwas Totes, Starres j es weckt meist
nur anf kurze Zeit das Interesse, das-
selbe erlahmt jedoch schnell, so dass
ein Büd leUiesslieh langweüi 5. Die
Einwirkung des Bildes auf tlin Seele
de» Kinder ist eine SO beschräukte,
weil die graphische Dantellung nur
Eindruck auf das .\nge macht. 6. Das
Bild ist immer etwas mehr oder weniger
Vnwirklichee, Gemnehtet.
Statt der Bilder, die ein Nothrhplf
minderer Güte bleiben, bietet die Lehr-
mittelhandlmig von Kaosch eine viel'
seitinrp TTeranziehnng der Sachen, der
WirkUühkeit, des Greübar«u als Lehr»
mittel. „Stofflehrmittet", werdoi die
Anschannngsobjekte genannt.
Baosoh liefert vortreffliche Modelle
tnstt&diselier KnlturpflanseiL Sie sind
naturgetreue Miperliche NeolibUdiuigeii
der Pflanzen.
Der Knffeenwdg ist beispieliwdie
nach einem gleichen aus Madras ein-
gefUhrteu angefertigt, und die Mandeln
at der Herausgeber in der Markthalle
von Tunis gekauft. Die Kakaofrucht
ist auf deutschem Boden in Afrika
gewachsen. Mit peinlicher Sorgfalt ist
die Naturtreue gewahrt, so dass die
Zweige fast den frischen vom Baume
gepflückten gleichkommen. Alle Teile
sind so dauerhaft wie möglich hergestellt;
die Früchte bestehen aus bestem Papier-
mache, die Blätter ans Leinenstoff und
die Stengel ans Stahldrabt Bis jetzt
sind enehlenent Ananas , Apfelsine,
Aprikose, Banane, Baum», nllpnzweig,
Dattelzweig, Feigenzweig, Kaffeezweig,
Kalcaosw^g, Vandelsweig, Melone,
MaiFknl^p-: , I'firsichr', Qnitte, Tabak-
zweig, Teezweig, Tomate, Weinrebe,
Zitronenzweig.
Auch för den Kultui^cschichta-
unterricht bringt Rausch die Wirk-
Uehkeit in Form von Stofflehrmitteln
den Schülern nahe. Das sind seine
Modelle zur Veranschaulichnng^ vater-
ländischer Kulturgeschichte. Die Nach-
bildungen wahren anf das Peinlichste
die Öriginaltrene. Eingehende Er-
Ifiuteningen über Fundstellen, Auf-
bewahmngsorte^ Material. Orössenver-
hUtniase nnd Literatnmaenweise liegen
j''il<'Tii einzelnen Mfiddlp l^vl. Vrai flon
Düektionen der namhaftesten deutschen,
britisdien, diaiaehtii und idrNredlseheB
M'nseen bat Rausch die Erlanbn:=* pr-
worben, die nnterrichüich wertvollen
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— 4^8 —
Objekte Tinrlihil.l'^n nnd als Ltluillittel
herauageben zu durfeu.
Hier finden wir folgende An-
schaaiuigniiittd: 8tdiik«i].mnineinel,
Beibefeaerseng, Bronzescnwert, Pfluff-
modell (ans der £iaenseit), HandmttMe
gKömerseit), Woekeu und Spindel,
chlagfeuerztMii? nnd Zünlerkäjjtchen,
Bogeu und i'ieii, iiuttenbergs Buch-
dnickerpressd , SUtotsriieliei Sdireib-
seog usw.
FQr den Geographieanterricbt sind
wertvoll die noanktMuammlnngen.
Die Saminmlangcn sind nach folgenden
Gesichtepuiiktea aofgebant : Erzeug-
nisse des nnbebanten iMii ii^ des
Ackers, der Wiese, des Gartenbaus,
der Viehcncht, der Forstwirtschaft, der
üruben uud Steinbrüche, des Bergoaus,
der Jagd, der Fischeroi, des Oewerbe-
fleisses, der Industrie, des Handels.
Dit Stoffe sind in Bllchsen mit
SchraubendeckelTerschloss oder in
Flaiebm mit Glasstöpseln untergebntoht.
Die rirffiss.-' mit den Erzeiii^nissen je
eines Ltmdes stehen in einer handlichen
degant polierten Kiste.
Fttr Naturkunde sind die techno-
logisch-biologischen Stoffsammlungen
wertvoll. Die Naturgabe Pferd mit
8 Büchten besw. Flaschen enthält ein
Stück präparierte Eosshant, rerschiedene
Pferdt'zähne, einen präparierten Huf
mit Hufeisen, Bossleder, Fabrikate ans
dem Fleisch, Talg, Schweifhaare und
Verfälschungen derselben. Natnrgabe
Gerste und die Bierbrauer mit
21 Mummey^ enthält die Umgestaltung
fw der Ahre bis zum Mehl, Malz.
Malzztuki t, dazu kommen Hopfon una
seine Bestandteile; Uefe undBrandpilx
seicen des Biologische; tisw. den Fort-
bildungsschulen bietet Rausch in seinen
Lehrmitteln für Gewerbeknnde
brauchbare Hilfsmittel. Durch diese
Lehrmittel lernen die Lehrlinge die
Terschiedenen Qualitäten der Eoh-
materialien^ die YonX^ der einen und
die Nachteile der anderen Sorte sicher
beurteilen. Eau^ch hat fttr die ver-
schiedenen Fachklassen lein techno-
logische Lehrmittel zusammengestellt,
die die liohato^fe, Halbfabrikate und
die verschiedeiien Sorten denelben
aeigen.
Ich kann jedem Lehrer uud jedem
Schulleiter nur cmpf-'-hlen. s'irh. diese
prächtigen ätoälehrmittel eiam&i an-
zusehen, er wird dann sicher wünschen,
seine T^ehrmittelsammlung durch BnBSdl
vervollständigen zu lassen.
W* lätfUtlfj Wie ich mit meinen
Kleinen rechne. £ine praktische
Anweisung för den Beehenrnttenricbt
im Zahlenkreise von 1— Mit
sahireichen Illustrationen. Thiliiog^
Teriagaanatilt W.-Jtm. fß Seiten.
Der Verf. will mit helfen, dass um
den Rechenunterricht sich Lust, FrL U le.
Heiterkeit. Eifer, selbsttätige Miiarbeit,
aufmunternder Erfolg gruppiere. Schlag-
fertiges Rechnen, meint der Verf., wird
bedingt durch die iiirweckung eines
allseitigen Interes.ses. Die Exempel
bietet er darum in dem fttr die Kinder
gewiss interessanten Gewände von aa-
^-e wandten Aufgabeu ixi-; dem Er-
khrungsgehiete der Kleinen dorcb Dac^
zt^lnng' der NaturtTpen dmeb Ton nud
Zpirhnnnr:. mit Stäbchen und selbst-
gefertigteu Tonkugeln nsw. wird die
Selbattätigkeit der Kinder in boliem
lUsse gefördert. Die Au8?rnTi^r??toffe
„in geschichtlichem Gewände stehen
anschMnoid isoliert neben dem An-
schauungsunterrichte, wenigstens findet
man keine Andeutung, in welchem
Verhältnis zu ihm (iie Sachgebiete
des Rechnens stehen. Ob übrigen.s die
Becheufertigkeit durch Beschäftigung
mit interessanten Qegenständen in der
Weise, wie es der Verf. vorschlägt,
erzielt wird, ist zu bezweifeln. ÜMr
den eigentlichen psycholoßrischeu Vor-
Sangbeim Kechnen ierfahren wir durch
en vetfuser nlchte. Des wire aber
^ende Lösung der im Eechenuuterrichte
in Frage kommenden FroUeme blrten
will
Ich möchte hierbei hinweisen auf
die 2, Anfl. die treOiehen Bnebes Ton:
Heraann Haaaey Zur Methodik
des ersten Rechenuuterrichts.
Langensalza, Beyer & Sühne (Beyer
luuin).
Hier finden wir nicht nur einen
praktisch erprobten Lehrgang, sondern
auch eine klare, dnrcfadachte psvcho-
|ng;i.sche Darlegung öber das Zahl-
vorstellen und das Hechnen. Ich halte
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— 4^9 —
nach eingebender Vergleichnng der Ich empfehle sehr, beide Sehriftili
Mhlreicben Schriften ttber den ersten einmal gründlich zu yergleicben.
BedMumtenicht den Weg, wie ihn „ . „
Bmm meUlgt, tttr d«ilest«L NMmborg Henpric b.
Elngeguigeiie Bfteher.
(Betpreebnag votbebalten.)
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Ebikon 1909. Alpwacht,
Y. Brookdorir, Dr. Bftron Gay, THc Kunst des Verstebens. Osterwtedt 1908. Ziek>
fcidt. Pr. br. 0,60 M.
Moderne PhllOSOpllie, herausgegeben von Dr. M. Apel, Band 4. l>arwin, 6 Aufsätze.
Herlin 1909. „Hilfe." Pr. I M.
ZtittObrift für Experinentelle Pidagogik usw., herausgeg. von E. Menmann. Bd. 7.
Leipzig 1908. O. Ncronich. Pr. geb. 8,50 M., im Abonnement 6,50 M.
PUagogitOhe Monograpblea, herausgeg. von Dr. E. Meumann. Bd. V: Experimentelle
Untersuchungen über qualitative Arbeitstjrpen, von Dr. L. PeifTer. Leipzig 1908.
Nemnich. Pr. geb. 8.50 M., für Abonnenten der 2^tschrift „Experimentelle
Pädagogik" 6,80 M.
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Ebenda. Pr. 0,75 M.
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F. Vahlen. Pr. des Jahrg. (4 H.) 5 M.
DeuteOher Frühling. Eine Halbmonatsschrift für freies deutsche« Volkstum, KuHnr-
WiwePtChaften und KtlUtUpelilik. Hcrausgeg. von Graf Paul von liocnsbroech
u. a. I. Jahrg., Heft l/a. (908. Leipog, Verlag Deutiche Zokimft. Pr.
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2. Teil. Ausgabe A n. B. Drcadea 1909. Bleyl & Kaeaineier. Fr. geb. 2,80 M.
n. 2,50 M.
Volkmar, Prof. Dr. E., Lehr^^aog der Chemie auf methodischer Gnmdlage. Gunea,
Roth. Pr. geb. 0,80 M.
Saolisze, Dr. R., Elnftnirang in die chemisehe Teehnik. Leipzig IQ07. Teobocr.
Pr. 2 M.
Klingeihölfer« Prof. H., Leitfaden der Phvsik. Glessen I908. Roth. Pr. geb. a M.
Meyer, K., Naturtehre (Physik «. Chemie) (Ibr höhere Midchensdraleo. 5. veib. n.
Venn, Aufl. Leipzig T908. Freytag. Pr. geb. 3 M.
Tidy, Ch. M., Das Feuerzeug. Bearbeitet von P. Piannensdunidt. Leipzig I907.
Tenbner. Pr. geb. a M.
Book, H., Die Uhr. Grattdiagen mid Technik der Zdtmettttng. Letpds 1908, Tenbner.
Pr. geb. 1,25 M.
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W. Gerdcs u. Hödel. Pr. geb. 2,2$ M,
BaadOt F., Getteiaaknnde u. Er^eachiehte. 3. AnA. Halle 1908. Sduoedd. Vr.
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l'bicmann. Pr. I iL
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gearb. u. stark vcrm. Auri. Dcsdcn, Bleyl u. Kaemraer. Pr. geb. «,70 If.
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Ulfer, Prof. Dr., U. A. TreSOhor, Gewerbliches Rechnen. Ausg. B in i Heft. Ausg. C,
Holzarbeiter, i Heft; Bauhandwerker, i Heft. Leipzig 1909. KünkhardU
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I. TeiL S. Aufl. HaUe 1908. Geaeüat. Pr. geb. 2,40 M.
Meyer, J., Recitenfibel. Ausg. L. i. u. 3. Heft. Ausg. A. i. — $. Heft. ScfbafT
hausen I908, Schoch.
RIttlMtler« AaLf Praxis des grundlegenden Kcchenunterrichts. I. Teil. Halle 1909.
Hemaan SchroedeL IV. geb. 3,50 M.
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Hannover 1909. J&necke. Pr. l M.
Stlrarar, F., Wörterrmeichni« m den griechisehen ObongtbOchem ton Prot Dr.
O. Kohl. 1. u. II. Teil. Hall. ir,o8. Waisenhaus. Pr. t M.
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Pr. geb. s M.
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Pr. geb. 1 60 M
WaaeerzielMr a. Goatard, L'Avare. Ebenda. Pr. geb. 1,50 M.
InMT, K., Sammlung französischer und englischer VolktUedCT flbr den Sdudgebnildl.
Marburg 1909. Elwcri. Pr. geb. 1.25 M.
Peeobler, Prof. A.« CaaMrieiPkriiienoes. Berlin I908. Langeniekddu Fr. geb. 1,25 M.
Borger, Dr. A., Die französischen Wfirter genooniachen Vnfma^ St Pttlten 1909.
Sydy. Pr. 0^85 M.
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■rtlkt, A., Geschichte der engUsdien Literatur. 2. verb. Aufl. Deatidi tm Di;
A. Matthias. Berlin irioS. Langtnschcidl. Pr. geb. 2 M.
Klftpperioh, Prof. Dr. L, i^ hambcrs's Hiaitorj- of Eogland. Glogau, Flanmiag. tt,
peb. 1,40 M.
AotMiM-Be^el, Eagliscbe SpnchlekK. Aug. B. 7. Aufl. Uatmtafie. Hdle
Gesenms.
Rnm, Dr. R., italienische Tttebeagniiiiiiitik dci N«li(ctcii. Fieib«s 1908. Bkkfiü
Pr. geb. 1,25 M.
UMllMket LetetMoh fir Lehr«rMniMre, benmif. tob Ue. Dr. Gebhw^
Dr. Neubncr, O. Müller, Dr. Togel, II. Teil, von Dr. Tögd u. Lic. Dr. GcUMf^
Dresden-Blasewitz I908. Bleyl &. Kaemmerer. Pr. geb. 3,8s M.
V. JIwriMt R., Landeslmade der Kepoblik BraslHen. Leipzig 1908. GflsdMU
Pr. 80 Pf.
ÜUHM, Dr. Fr., Zur EinfUhroog in den erdkundlichen Unterricht an mittleren nad
bMieren Schulen. Halle 1908. WaMim. P^. 3 M.
Oppmiann, E., Geographisches Namenbadi. verb. AdL Hannover igoft. Uet/tt,
Pr. geb. 3,60 M.
Bmtoell, Dr., Die Hdnat. Landeikimde von KOnjgreich Stdma. Ld|Mie. Dcgcaei;
Pr. 70 Pf.
PoblO» P., Laadcskuodc %'om Kouigrciche Sachsen. Leipzig 1908. Klinkhaxdl.
WllWiChtffe, Oberflfichengestaltung des notddenladiien Flachlande«. 3, Aufl. Slall|H^
J. Engelhom, Pr. 10 M.
SobSnke, K. A., Aus der Sagenweit der Alten. 3. Aufl. Durchges. von Dr. H, QodioL
Bt rl;ii iQoS, VVinckclmann & S. Pr. geb. 3 M.
IMaiMr, Dr. Fr^ 11. RM|«r, Dr. F., Lehrbuch der Geschichte die böbeica Ld«^
aaftalten in SfidwestdentsehHmd. 4. u. S- Teil. Halle 1908. Buchandig. dei
Waisenhauses. P. 2 40 M., 2,70 M,
Soyftrt, Dr. B., GeschichtUche Erzählungen. Vorstufe zu Neubaucrs Lehrb. der Gcsck
Ebenda. Pr. f,6o M.
SsteA, K., T-chrbuch der Geschichte, für I^rKparandcnanstaltcr» bearbeitet voa
Dr. H. G. Schmidt. 3. TeiL Geschichte des Altertums. Leipzig Teubocr.
Pr. geb. 2 M.
SpMMBn, Dr. C, Der Grschichtsunterncht in :ii:^prfiihrtrn ! ektioncn. 7. Anfl I Teil.
Die HohenzoUem von Kaiser VSilhcim Ii. bis zum Gros&cn Kurtürstco.
Halle 1908. Gesenius. Pr. geb. 3,80 M.
WaIgMd u. Teokienbnrg, Deutsche Geschichte für Schale vodUam. II. Aufl. A«ig.A»
Hannover 1908. Meyer. Pr. geb. 1,20 M.
Zander, H., GeschichlsUbellen. 3. verb. Aufl. Leipzig 1907. Tenbner. Pir. 40 PC
Or. Steide U. Dr. Mpfert Lesebuch für den deutschen Geschichts-Unterr^chU 5. TdL
2. Aufl. Dresden 1909. Bleyl & Kaemmerer. Pr. geb. 1,20 M. •
EMuui, Th., Friedrich Wilhelm IV. Kteig m Pkauaen. n. vcm. Anfl. ÜM.
Eulitz. Pr. geb. 1,60 M,
Gerber, Prof. L, Englische GeieMehte. Leipzig 1908. Gfiidieii. P^. geb. 0,80 M.
Hommel. Prof. Dr. Fr., Geschichte des alten Morgenlandes, Ebenda. Fr o So H
Devrient Or. L, llifiringische Geschichte. Ebenda 1907. Pr. geb. 0,80 M.
Reha, N. 8., Denttche Vollafeite tnd Vcdlndtten. Leipzig 1908. Tenbner. Ik
geb. 1,25 M.
Weadl^i, IL, Deutsche BUrgcrkunde. Leipzig 1908. Freytag. Pr. geb. t M.
NMbaiar, Or. Kleine Staatalebie für btthci« Ldinnlallen. Halle 1909L Mbc
handlnng d«t WaiaeDhauc«. Fi, 50 Pf.
Dnak f«B A. Btota 4 8«ha in Vaaabuf a.8.
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PreiH des Jaliiganges (sechs Hefte) Ü Mark
MOV 17
Padagodiscbe Studien
Ueraosgegeben
von
Sehulrat Dr. M. Schilling,
UnlgL BmbtaMliallnHrtorto BoeUitt.
Settitei Ben.
A. AMuuldlflate«.
I. L. Kftbler: Um
II. Pctcr Zmig: Über die Axifnahmo In dl»
Stellung der Q«gcbeuh«it des Kindes.
m. O.Kob1tter«riDMiUolo(liiteFMM»taB
B. Kteiaere Beltrlfe und MUteUanf«ii.
Fr. Frank«: Bcricbi aberdle4l.
Betal» and lUw dto
J. F. Berlmri» »ImilUhe Werk«.
Dr. K)i r t G • iister: Modme ▼«rifroBiM wf yblkMplilMlMa«UMMMHMkni
Gebieten.
Pr{«drleb Bmnteh: llla«ri d«r AaMknaafiMId«» oud «e StaCtohmUteL
W. Hf.nc k: Wo leb mit iDeinen Kleinen icclinc.
Hermann llasae; Zur MelUodik dw ersten IWobenunlörrichts.
Dretden-BIftMwitz.
Veftag TOD BIfljl ft Kaeiiunerer (Inb, 0. SdamlMudi),
1909.
PrelB des einzelneu HeftM
MO Mftrk.
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Der Beaehtung UBsrer geehrten Leser empfehlen wir die
inliegenden i'rospekte ibigeuder i^kmeu;
1. T. Trautweiir»«»»« Pianoförte-FÄbriJk 6. O.
b. a Berlin W. 6d, Uipzigerstram 6.
Ii. Mruut Wunderlieli , Pädagogischer Verlag,
Iieipsis, Rossplatz 14.
Bfe nächsten Hefte der ,,PüdAgo^8clien
Studien^ werden u. a. folgende Beiträge
fi bringen: Ä
' ' Dr. M. SchiHlng, Die Foilbüdungsschule und die Volks- ' ^
schale in ihren gegenseitigen Beraehnngen. £in Bei-
trag snr Orgamsation der FortbUdangsschnle.
B— Frau von Kostitz -Wiilhvitz, Über Ziel und Entwickiiuig
dfis haoswirtschaftlicheii Unterrichts. ( |
Dr. A. Zieeliaer, Äathetisch-Efhisches nnd Pädagogisdieft
bei Herbart.
Dr. Fr. Schulze, Frauen im OeschicbtaunterhchL
ST SelmldirelLtor Hartmano» E^bfldnngnchnle nnd tt
1 1 Jugenderziehung. \ |
Schaldirektor Czerwenka, Die Beurteilung einer IJuter-
riditsstonde im Lichte der modernen pftdagoglscbeii
Wissenschaft
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^ Anzeigen. ^
Preis der 2-^e8p. Petitzeile 30 Pfg.
Bei 2-mahs:er Aufnahme lö*/o,'
bei 4 X 250/0 ""«1 bei ßx 40 »/o.
(Auflage z. Zt. 1500 Ex.)
Beilatrej^ebühr M. 15.—. Für das Bei-
heften M. 3.76 extra. Garantie «lafilr,
(ia88 jedes Heft höchstens 5 Pro.-pikt-
betlagen entb<, und da.sa die Prosjtekte
sorgfältig auf das Heft verteilt werden!
Nachweift von Stoffen zu jeg-
licher Art pldagogisoher
Arbeiten vermittelt der Lehrer
R. Materne in 'Snhl-Neundorf
gegen M. 0.60 In Briefmarken.
Wir bitten unsere geehrten Leser
um freundliche Beachtung des
:: Anzeigenteils.
Bei Bestellungen wolle man sich
stets auf die „Pädagogischen
: : - Studien" beziehen. : :
Seltenes Angebot
Es ist uns der Verkauf eines vollständigen
Exemplars des „Jahrbuchs des Vereins für
wissenschaftliche Pädagogik" übertragen worden
und zwar isämtlicher bisher erschienenen 41 ßande
mit Erläuterungen.
Hierzu die Bemerkung, dass wir schon mehrfach
von Bibliotheken beauftragt worden sind, Tollständige
Exemplare des genannten Werkes aufzutreiben, — es ist
uns das bisher nie gelungen. In der Regel fehlen einige
Bände der ersten Jahrgange, die einzeln auch zu
höchsten Preisen nicht mehr aufzukaufen sind.
Anfragen werden unter der Chiffre St, B. an den
unterzeichneten Verlag erbeten.
Dresden-Blasewitz.
Bleyl & Kaemmerer
Iiih.: 0. Schambach.
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Der Scborscbl und seine Sireicbe
2$ beitere iuerii$te€r2lMiiNgeii fir aiejNgeid
von £. Ceicbmann, Cebrer; illvifrierf vei 60. IDiblberd
157 Seiten Preis sd)ön gebunden IT}. 1.60
erschien soeben in zweiter verbesserter und vermebrler üutldfle.
Schorschls Streiche finden pioh»'r viel Anklang we^n -It
anmutigen Erzählunt^weise, dea origineileu Inhalts uml der warmen
Anteilnahme des Erzählen. Das Buch ist Kindern wie Erwachsaua
sehr zu empfehlen, zumal auch das Äaesere ausprechrnd ist
(Kritik über die erste Auflage in der Allg. Deutschen Lehrerze itung. 1905 Ho. 5t.)
Das Bücbtoin eignet sich besonders aucji sebr als WeihnafibtagescbeolL
Durch jede Bnchhaiidlaiig zu besielien.
NOrnberg. FHedr. Ksrn'wh« BichlMlIg.
Kürzlid) ersd)ien:
illifgaben %\ das gewerblicbe KccDneii
in de» f «d^kiirieii der f ortblldHNgsuDMe
von ]• eckardt, KaNrtleHrtr.
6. f>ett. für die IDctallarbeiferhurse — 1. Kur? Preis 40 Pfg.
7. 5(tt« Für die mecbaniker- und n2asd)inenbauerkiir<e t. Kues —
Preis 40 Ptg. ttmfaiia je 48 DrudiseiUii.
Enthaltend: Vermischte Angaben, Proswiitarechnuug, Längen-
and Flächeiiberechnung, (j^wichtstäbellen und EinkaafskalkiilatioiieiL
M» fte für dif> R;irkfikur.«5e, Fleischer-, Kellner-, Holzarbeiter-,
Sclilosscirkurse in ähnlichen i'roislag'en wie üben, sind bereits früher
erycbieneu, während das letzte Heft (ö) für die Flaschner- und
Installateure im Dezember zur Ausgabe gelang
Die 2. und 3. Kurse diestr Bewerbe erscheinen 1909.
J >tü\ h jt^de Buchliaudlun;^ — aucli auf kurze Zeit zur Ansicht —
zu beziehen.
uurr.berg
Friedr. Komische Bucbhdig.
I
"l
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l(ir(li(«9i!(liiclitli(li(S tcsttucli
für Ohei klassen höherer Schulen von Dr. E, Thrändorf
und Dr. H. Meitzer. I. Teil: Alte und mittelalterliche
Kfrchengeschichte von Dr. H. Meitzer. 2. Aufl.
Dresden, Bleyl & Kaemmorer. 167 8., 1,80 M., geti. 1,00 H.
Wir freuen iuih, dass das mit viel Floiss und Saclikenntui»
gearbeitete Buch atkou nach 3 Jabren seine, sweite Aofloge erlebt
Bt. Es ist eine Tonftgliehd Ersiiutiuig zu jeder Kireheiig«echichte,
sofern es von allen Hauptpersonen, kircbllcbeu Einrichtungen, Lebren
nnd Gcacbehntssen ttberbanpt cbaiakteristiscbe anthentisohe literarische
S Proben Torfilhrt. Toa Clemei»* ym Bern Berieht Aber das Bude des
Petras und Paulus bis zu Pabst Sixtus' IV. Ablasabulle von 1476.
Ea ist erstaunlich, welche Belütienbcit in der kirchiiehen
Literatur dem Bfichlein zugrunde liegt, und wie durch diese zeit-
irendssischen Worte die GMteltea der Kirehengesctaiehte Leben nad
Farbe bekommen.
-Wir gehen einer Zeit entgegen, in der man die Kirchen-
ijf'sohif iitp zur alli^femeinon Bildnnc: rechnen wird", so schrieb vor einem
hiilbeu Jahrhundert der kla^sisiche Kirchenhistoriker des 19. Jahr-
hunderts, Karl von Hase. Sein prophetisches Wort wird mehr und
mehr wahr : wer auf Bildung Anspruch macht, mus.<< mehr von ihr wissen
als Leitfaaenweisheit, mnss zurück zu den Quellen; hier in diesem
Bnclie htfren wir sie naschen. (Nmw biiuw «w aaddeatHhiaiid. Jauison.)
^u===^ " "
Der Katecliismusunterriclil
PrSparationen von Sfsimlrat Dr. R. Stande, Seminar*
direkter in Coburg. Dresden, Bleyl & Kaemmerer.
I. Teil: I. Hauptstöck, 3. und 4. Aufl., 2.50 frob. 3 M.;
3. Teil: 3.—^. Hauptstück, 2. und a Aufl., i,äU M.,
geb. 2j.)it M.
Bas sweite HanptstSck (Glaube) dieser treflUeben, edlen und
fr in -innigen PrÄparationen haben wir rJ08. S. annezeit^ : hier lili^c-n
nuu Uebote, Vatenuuer, Taufe und Abendmahl nach. Es ist bekannt,
dass der Verfasser den Herbart'schen Gmndsfttsen baldigt; er bat sie
auch hier ansrf wendet, ni hr scbablonenni;l«!?iir, sondern frei und
geistvoll, mit packender Auächiiulichkeit, gemütlicher Wärme und
erbaulicher Kraft. Fragen und Aufgaben dienen ttberaU xinr Be-
feskignr^r nml Verknüpfung des Lebrstoffs*.
Die chriatozentrische Tendenz, die wir früher schon hervor-
gehoben, findet sich auch hier unverkürzt ; selbst die Behandlung der
eb(-te ist crestimmt auf den Ton: Dmch f'hristus zu (rottl^ In
jedem ilauj^'tstück erscheint das ganze Evangelium, nur je von einem
andern Gesichtspunkt betrachtet.
Das Werk ist eine bedeutsame Bereicherung der Katechismos-
literatur, ja es bedeutet einen Einschnitt in der Gescfiicbte der
Methodik des cv. Keli£ri,)nsunt« riirlits rilierlniiipt. Wir empfehlen es
den Theologen unter ousem Lesern eindringlich zu ernstem ätudiom ;
es wird jedem nene Erkenntnisse, nene Antriebe bringen.
(Mcii» BtSttBr IM ättddcttUAUad. Jvtt ISOS.)
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Soeben erschien
W. Fick: Erdkunde
Band 1U.*> Europa.
\ >Xit ?*^a ^bbilcluni^en im Text,
KBUBS \ Auf feinstem lUustratioiisdruckpapier. Umfang
I .L.l....l\ ("^^^ Seiten).
LCRl ttUfil \ ^ *^ l^nwandjpOuMdeH M. 4JS0.
Riebt
dpr Chßinifi \ *^ iw»1ter, ▼emehrter
Uul UllunilB« \ verbesserter Auflat^e vinlicijentl - / „ • i«
Ein Lehrgang anf \ V.\ \ ontlililt: ^Oie Alpen und Süd / UrOUlMlilli
muderuer Grüiidlogt- v j»..»^ — .u o.ia — nr q , / 3
nach modenfln Gnmd' enuiait: „miiiei- uaa /j^., CM»fKllflnM«
Aiisgalie B
Lehrerbiiduugsanstalten :
Systematische anorganisohe
rhrniir ml( Eirtscfilagg der
Elemente der Minermlogie
(mit teo in d«it Text ge-
druckten Figuren).
NerMMtMUMd** (M. 8.-
g«b. M. 8.60).
schule u. Lehrplan.
Eint Denkschrffl
TOB
vlitih ; Vt. M. SchUlInf
UuchUts i. 8.
P?-,;.w M. 1.50.
Seminare.
Hi ll- L_-..-i,',4jon rnn
Lio. Or. fieblianlt, ev, i^eiu
in DreBden-Friedrielietadt
Oskar Müller, c?. Sera, zu
Zäcjiopau. Or.F. Neubner,
kath. Bern, au Bautaen.
Dr H Togei, v s n> / Beiträge zur Mettaoilik
Fritz Lehmensick:
Bis Priiiip
des SelitiiaiiBBS.
I.
Prof.Dr.E.Thrändorf:
zu i^iriiA.
II. Teil:
iPiidagogiscIi
Lateinisches
Lesebuch.
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*) NI5. a Urft 1 rntld 'lt: ..DleSoziflle Frage In Prima** (M. 1.25).
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