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Full text of ""Semmering 1912""

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"semmering igi2 " 

Peter Altenberg 




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DigitizcG by Li(.)o^le 



Werke von Peter Altenberg 



'Wie ich es sehe 

FOnfsehnte vermelirte Auflage. Geh. 6 M. 50 Pf., geb. 9 M. 

Was der Tag mir zuträgt 

Acht« vermehrte Anflege. Geh. 6 M. 50 Pf., geb. 9 M. 

Prodromos 

Ffinfte Auflage. Geh. 3 Mark 50 Pf., geb. 5 Mark 50 Pf. 

Märchen des Lebens 
Sechste vermehrte Auflage. Geh. 5 M. 50 Pf., geb. 8 M. 

Neues Altes 

Dritte Auflage. Geheftet 5 Marie, gebunden 7 Mark 50 Pf. 

,,Semmering 1912'^ 

Sechste vermehrte Auflage. Geh. 5 M., geb. 7 M. 50 Pf. 

Fechsung 

Sechste Auflage. Geheftet 5 Mark 50 Pf., gebunden S Mark 

Nachfechsung 

Fttnfte Auflage. Geheftet 6 Mark 50 Pf., gebunden 9 Mark 

\^ta ipsa 

Zehnte Auflage. Geheftet 6 Mark, gebunden 8 Mark 50 Pf. 

Mein Lebensabend 

Achte Auflage. 'Geheftet 6 Mark 50 Pf., gebunden 9 Mark 



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L>iyij^uj Ly Google 



Semme ring i g 1 2^^ 

von 

Hl 

Peter Allenberg 




S, Fischer y Ferlag ^ Berlin 



I 

» * 



Fünfte und sechste vermehrte Auflage. 

iiAlle Rechte, besonders das der Übersetzung, vorbehaiteu, 
Copyright 1913 S. Fischer, Verlag, Berlin. 



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PT ^ / 

INHALT \^/^ 

Bergeswelt T 15 

Bozen 16 

Gartengedanken . 17 

Modemer Dichter 21 

Die Tänzerin 22 

Zwei Skizzen 27 

Erziehung 29 

Plauderei 31 

Lied ohne Reime 32 

Forellenfang > . . 33 

So wurde ich 35 

Loca Minoris resistentiae 37 

Dolomiten 39 

Mama 41 

Moderne Annonce 43 

Semmering 44 

Winter auf dem Semmering 45 

Vollkommenheit 46 

Nachwinter 47 

Heimliche Liebe 49 

Das Kino 51 

Lebensbild 52 

So sind wir 53 

Mein grauer Hut 55 

Die Kostüme auf dem Semmering in der Silvester- 
nacht 57 

Fortschritt 58 

Abschied 

Besuch 61 

Buchbespreclmng 63 

7 



Ein Brief 65 

Das Hotel-Stubenmädchen 67 

Gespräch 68 

Bobby 6g 

Psychologie 71 

Vorfriihling . » 73 

Das Glück 75 

Das Duell .76 

Stammgäste 77 

Sanatorium für Nervenkranke 78 

Die Romantikerin 1 83 

Erbleichet! Errötet! 85 

Ostermontag auf dem Semmering , 86 

Berghotel-Front 88 

Landpartie 89 

Psychologie ■ » » 9^ 

Vor- Vorfrühling 93 

Gedenkblatt 95 

Oberflächlicher Verkehr 97 

Beaut^ 99 

Die Spielereien der reichen Leute 100 

Richtige, aber eben deshalb wertlose Betrach- 
tungen lOI 

Die Probe 102 

Ereignis 103 

Ende 104 

Nach abwärts 105 

Abschied 106 

Kranken-Toilette 107 

Kusine 109 

Lied HO 

Echt III 



8 



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Gespräch 


. . 112 


Bilanz 


. • 11^ 


Sehr geehrtes Fräulein! 


. . IIS 




. . ii6 


Ewige Erinnerung 


. . 117 


Gesang 


. . ii8 


Souper 


. . IIQ 


Die Wachen fahrt 


. . 120 


Wae^enDartie 


. . 121 


Abschiedsbrief des englischen Offiziers 


. . 124 




. . 12*5 


1 

Vom Rendezvous 


. . 126 


Examen 


. . 127 


Les Lärmes 


128 


Testament 


. . I2Q 


Aconitum Napellus 


. . ISO 




. . 1*^1 


Gift 


. . 1^2 




. . 133 


Ein Nachtrae: 




BuchbesDrechuncr - 


• . 1*^7 


An — 


138 


Nekrolog (Fritz Strauß) 


. . 130 








141 




. . 143 






Fraere 


. • I4S 


Letzte Unterredung 


. . 146 




. . 147 




. . 148 




. . 149 



9 



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Annonce 1*^0 

Plauderei 153 

Richtig 154 • 

Reminiszenzen 155 

Werte 157 

Schlafmittel . 150 

Fahrt 160 

Lied 163 

Abschied 164 

Gespräch mit einer Baronin, Exzellenz-Frau, 

über ihren herrlichen zwölfjährigen Sohn. . 165 

Entzweit 166 

Gespräch mit der sechsjährigen Sonja Dun- 

gyersky 167 

Gleich beim Hotel 168 

Gespräch mit einer wunderschönen Dame von 

30 Jahren i6g 

Plauderei 170 

Gegen 171 

Rompe! 173 

Waschungen 173 

Respekt . 174 

Falzarego-Paß-Höhe 175 

Enterbte des Schicksals 176 

Frühling 177 

Erlebnis 178 

Die Tänzerin 17g 

Meine Ehrungen . . . iSo 

Klara 181 

Berghotel-Terrasse, Semmering 182 

Erkenntnis 183 

Klara 184 



10 



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Ein Komtessen-Brief 185 

• Märchen des Lebens 1S6 

\Vorüber man noch immer weint, und ewig 

weinen wird! 187 

Besuch 188 

Liebesgedicht 189 

Das größte Kompliment igo 

Le monde iqi 

Ein Regentag iq2 

In 24 Stunden iq3 

Hotel-Stubenmädchen IQ4 

Modemer Dichter iqS 

Natur iq6 

Noch nicht einmal Splitter von Gedanken . . 197 

Zyklus: „Venedig" . 215 



« 



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Dieses Buch ist gewidmet den Damen: 



Lüly Steiner 
GreU Engländer 
Kamiüa von Nagy 

Ilci Hanns 
Cäcüia BrandstäUer 

Fneia Frank 
Lioschka MaliniSwich 
MUxi Tknmb 
Frau Machlup 



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BERGESWELT 

Bergesregionen« dott wo ,;aichts mehr gedeiht'* 
als Krummholz, sturmgebogen, ist seit jeher meine 

Märchen weit**! Nach 40 Jahren fand ich das wieder 
auf dem „Falzarego-Passe**, „Tre Croce.", „Pordoi- 
joch-Paß'\ Weißgraue Feistrümmer, schwarze trie- 
fende Erde, Zirbeikieferwälder bis an die Hotels 
herankriechend. Von Felsen träufelt, rieselt es, Nebel- 
ietzen überall. Nichts will gedeihen als die Edel- 
Einsam keit. Vor dem Pordoijoch-Hotel grau-^- 
schwarze Wälder von dichtem Erlengebüsch, dem der 
ßergsturm nichts antut. Es braust nur und er- 
schauert. Daß hier nichts mehr gedeiht, ist die 
D üs t e r - Ro m a n t i k der ßergeswelt . Keine Farbe 
einer Blume, kein Schrei eines Vogels, kein Schmetter- 
ling, kein Käfer. Diese tönende Eintönigkeit! 
Eine schrieb ins Fremdenbuch ein: ,,Ohne Jemanden 
nicht leben können und wollen, selbst wenn man es 
vorher bestinmit g^laubt hatte, es sei unmöglich, 
— hier vergißt man darauf l** 



15 



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BOZEN 



Auf dem Hauptplatze in Bozen steht das Walther 
von der Vogdweide-Denkmal aus Sandstem. Er hat 

die Stellung des Wolfram von Eschenbach, bevor er 
das Lied siogt an die selbstlos Geliebte. Das ist sehr 
gut. Denn auch Vogelweide war so Einer. Er besaß 
die Kraft, zu singen und zu weinen I Nun setzten sich 
gerade auf seine Kappe zwei Tauben, und pflogen 
emsig der Liebe l Vogelweide hielt ganz still dabei, 
in seine Träumereien versunken von Liebesleid, 
g^te den Tauben ihr biUigeSt leicht erreichbares 
Vergnügen. 



L.iyuu^oü L/y Google 



GARTENGEDANKEN 

Ich habe nichts hinzugelernt durch das ausge- 
zeichnete Buch ,,Gartengestaltimg der Neuzeit", und 
dennoch habe ich das Höchste profitiert — die Festi- 
gung meiner Intuitionen! Gärten wirkten seit jeher 
auf mich wie die Natur selbst; so eine eingefangene 
und dennoch freigelassene Natur, ein Extrakt der- 
selben ! Unser Wiener Rathauspark ist mir ein Muster, 
* nur fehlt ihm die romantische Verwendung von Wasser 
in Form von unregelmäßigen Bassins und Wiesen- 
bächlein samt Wasser- und Sumpfpflanzen! Ich 
schrieb schon vor 15 Jahren eine Skizze : „Der Farben- 
garten'*. Zum Beispiel Grauiichfb, Picea pungens 
glauca, graue Bodenbedeckungspflansen, grauer 
Steinbrunnen und Rosen, Rosen, Rosen. Irgendwo 
an einem Baumast ein silberner großer Käfig mit 
einem grauen Papagei, Lori! Zwei-Farben-Gärten! 
Nun einige Anregungen : weite Rasenflächen sind still- 
aristokratisch, werden aber durch alte, knorrige, spär- 
lich unregelmäßig hingesetzte Obstbäume sofort be- 
wegt-romantisch! Es dürfte nie heißen: ein Gart^. 
sondern immer nur: sein Garten. Goethe hat einen 
andern Garten als Victor Hugo. 
' Wasserpflanzen und Steinpflanzen erfordern Bas- 
sins und Mauern. Diese können aber nicht diskret 
bescheiden genug sein. Der Kurpark in Baden bei 
Wien entspringt gleichsam einer dunklen, echten 
Waldquelle, die die Wiesenabhänge herabstürzt, sich 
zerteilend und winzige Tümpel bildend. Hier ist die 
Natur am allerdiskretesten organisiert! Einenragier- 
ter Feind jedoch bin ich seit jeher der Teppichbeete, 



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die mir wie als Smymateppiche mißbrauchte Blumen- 
pracht erscheinen. Man überlasse diese stilisierten 
Farbensymphonien den Webern und Knüpfem. Ich 
bin gegen die Riesenlineale, Riesenzirkel, gespannten 
Stricke der Gartenkunst! Rhabarber erscheint im 
Gemüsegarten als Nutzpflanze, an Teichen jedoch als 
Wildstaude, pittoresk. }eder Platz eine andere Welt! 

Waldrebe, Klematis, ist, an alten Bäumen, unsre 
»JLiane des Urwalds". Der Boden ist so reich, daß 
er auch noch die Schmarotzer in Üppigkeit erhalten 
kann. Immergrün als Bodenbedeckung ist em natür- 
licher Rasen. Rasen braucht doch Schneiden, Spritzen, 
Walzen und Düngen. Rasen will „gepflegt, gehegt" 
werden. Immergrün ist einfach immer grün. Es läßt 
den Wurzeln aller andern Pflanzen das Regenwasser, 
das Gießwasser, das Tauwasser, das Schneewasser, 
während der Rasen sich vollsauft und andre ver- 
dursten läßtl Selbst im Winter gibt Sedum spurium 
noch einen lebendigen braunlichgrünen Bodenüber- 
zug, während unser Rasen dann nur „Winterlieder 
zum Cello*' in der Seele hervorbringt. Sedum spurium 
wirkt körperUcher, plastischer« naturgemäßer, dich- 
ter, verworrener als Rasen, der mir stets den Eindruck 
von geschnittenem Samt und Plüsch hinterläßt. 

Ich bin sehr für Trockenmauerwerk mit schmiede- 
eisernen Geländern und dicht bepflanzt mit Kapu- 
zinerkresse. Wie wenn die überstarke Natur auch da 
noch Stein und Eisen schmücken möchte mit Grün 
und Dunkelgelbu Zur Schlingpflanze gehört ihre 
Stütze. Man st>ll sie sehen, sie ist ein naturgemäßer 
Schmuck. Ihr Holzgitterwerk kann daher sogar aus 
Edelholz sein, oder in diskreten Ölfarben, Ocker, Ruß, 

z8 



steingrau. Ich weiß nicht, weshalb man nicht an 
niedesen Asten von exotischen Bäumen, Tulpen- 
• bäum, Trompetenbaum, herrliche Käfige mit exoti- 
schen Vögeln aufhängt, so als Urwaldstaffage?! 
Brombeere, Himbeere, Kletterrose sind mir ein sym- 
pathisches Dickicht, so Domröschenwald, undurch- 
dringlich einsam. Weshalb sind Villen nicht dicht 
bedeckt mit Bauemgärtengeranke ? 1 Ein Überfluß 
der Reichen und der Armen. 

Steinplattenwege im Garten, in deren Fugen 
Blumen sprießen, sind romantisch. Das Haus ströme 
gleichsam in den Garten aus, erweitere sich, erhöhe 
sich zum Garten, verliere seine Bedachungen, an 
deren Stelle der blaue Himmel, die graue Wolke 
tritt. Ich sah an einem Lindenpark ein dickes rotes 
Backsteinportal mit eichener Hoktür. Da können 
keine Talmimenschen wohnen, sondern nur gediegene. 
Grellrote Holzpforte zwischen Granitmauem. Gelbe 
Eschenholzpforte zwischen weiß-schwarzen Beton- 
mauem. 

Weiße Rankrosen geben Märchenstimmung. Gar- 
tenlaube am Wasser, Nachmittagstraumplatz. Bu- 
chenjungwald, wunderbar im Vorfrühling und im 
Spätherbst. Ein Teppich von raschelnden braunen 
Blättern darunter. „Warte nur, balde ruhest du 
auch!" 

Weshalb bepflanzt man die Bergwiesen in Berg- 
gärten (Semmering) nicht dicht mit Wacholder, 
Rhododendron, Zirbelkiefer, das, was Rax und 
Schneeberg von selbst leisten in ihrem künstlerischen 

Näturgeschmack ? ! Stauden vor Gebüsch, ein ideales 
AuskUngen! Birken, Schlehen, Eriken, und schon 



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ahnst du den Sandboden der „Mark". Mit gewissen 
Pflanzen kannst du ferne Gegenden herzaubern! 
Meine Lieblingsbäume: Lärche, Graufichte, Knieholz, 
Blutbirke, Rotbuche, Weide! Wasser, Wasser, fließend 
oder stehend, du bist der Dichter in dieser Realität : 
Landschaft l Du bringst die Romantik« die Musik 
der Landschaft! 

Des Teiches Stille singt des Lebens Schwermut. 

Des Baches Murmeln klingt wie Wiegenkindes 
Plaudern aus dem Traum. 

Der Wasserfall singt dir von einer Welt« deren 
Getöse auch nicht mehr enthält! 

Springbnmnen's Melodie bei Tag und Nacht» 

die sanften Herzen melancholisch macht. 

Der Sonunerregen trommelt auf hunderttausend 
Blätter, 

dürstenden Blmnen zärtlicher Erretter! 
Ober dem Gartensumpf schwirrt die Libelle« 
Vom Froschsprung klagt ans Ufer eine Welle! 
Gießkannen rieseln sanft auf schwarze Erde, 
damit die Pracht des Sommers baldigst werde! 
Hörst du dem Brünnlein lange« lange zu« 
kommt über dich unmerklich Fried* und Ruh*! 
Oh Mensch, worauf willst du denn ewig warten ? ! ? 
Such' deine kleine große Welt in deinem Garten! 



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MODERNER DICHTER 



In iinserm Leben gibt*s so viel Nuancen 

Die eine sagt: „Aizt meiner kranken Seele I'" 
Die andre sagt: „Wie schrecklich er nur aussieht!** 
Die eine lauscht begierig der Persönlichkeit, 
die andre sieht pikiert den Gegensatz zu den andern ! 
Die eine schreibt: ,fiart ich zu Ihnen konunen?!'' 
Die andre hält's bereits für zynisch, wenn er im Ge- 
spräch sanft-zärtlich ihre Hand berührt. 
Die eine sagt: „Ein Romantiker ohne Herz!" 
Die andre sagt: ,,Ein Herzlicher ohne Romantik!** 

Und eine jede sieht ein „für** und „wider** 

und keine spürt, daß ,,für** und „wider** eins ist 
in einem« in dem „für" und „wider** zugleich sind! 



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DIE TÄNZERIN 



Das Kind, allein in der Garderobe der Tänzerin» 
ordnet liebevollst alles — — . 

Sie setzt sich dann in eine Ecke auf ein niedriges 

Stockerl, kauernd in sich versunken. 

Die Tänzerin kommt, erhitzt, erregt vom Tanzen. 

Sie setzt sich an den Toilettetisch. 

Sie wendet sich um, erblickt das kauernde Kind. 
Immer, Marie, kauerst du da in der Ecke in 
meiner Garderobe, stundenlang. Wird dir denn das 
nicht langweilig?!?" 

„Nie, Fräulein! Nur Menschen» die ich nicht lieb 
habe, langweilen mich. Menschen, die ich lieb habe, 
langweilen mich nie! Wodurch sollten sie es?!? 
Alles an ihnen ist mir wert und teuer. Ich könnte 
ihn^ zuschauen von früh bis abends.** 

Die Garderobiere blickt herein: 

„Was ist das, Mizerl, schon wieder da?! Das 
Fräulein wird sich bedanken. Entschuldigen Sie« 
Fräulein, der Fratz ist gar so romantisch veranlagt. 
Der Vater sagt immer: ,Wie du zu uns ehrsamen 

Bürgersleuten kommst .* Gestern hat sie 

beim Nachtmahl gesagt: Jetzt verbrenn* ich alle 

meine dummen Märchenbücher ich habe eine 

lebendige Fee gefunden!* So ein Fratz, was?! Man 
soUt's nicht für möglich halten. Aber bitt' Sie, lo 
Jahre!? Sie wird's schon billiger geben als mit den 
»lebendigen Feen^ 1 Die Männer tun uns beizeiten die 
Märchen austreiben Ab. 

Das Kind: „Meine Mutter blamiert mich vor Ihnen. 
Sieverstehtgarnichts von meiner Andacht, Ich habe 

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eine Andacht für Sie, obwohl Sie nur eine Tänzerin 
sindl" 

* * 

Es klopft. 

„Blumen abzugeben von einem Herrn von Wil- 

ügsdorf 

Türe ztt. ' I 

Es klopft. 

„Ah, Max 

„Ich bin entzückter von dir als je. Du hast dich, 
gestatte mir die konventionelle Phrase« selbst über« 
troffen. Aber das empfinde ich! Gott, daß diese 
kalten Kerls das mitgenießen dürfen!? Aber Gott 
sei Dank, sie könnens nicht! Nur ich kann es, nur 
ich kaxm es, nur, nur ich! Wenn du mir das wenigstens 
glauben könntest, H^to, nur das wenigstens. Es wäre 
* fast alles I Mehr brauchte man ja eigentlich gar 
nicht!" 

„Ich glaube es dir, Max, sonst könntest du es 
unbedingt nicht so leidenschaftlich überhaupt vor* 

bringen!" 

„Diese schönen Blumen! Irgend jemand versucht 
es mit 50 Kronen niein Lebensglück zu zerstören!'* 
„Jawohl, Max, alle versuchen das, andere wollen 

es sogar noch billiger unternehmen und geschickter. 
Aber alles hängt bei uns Frauen von unserem guten 
Willen ab; und den habe ich nur für dich! Es ist 
vielleicht ein Zufall, aber es ist so, Max!" 

Er führt ihre Hand tief gerührt zum Munde. Das 
Kind steht auf, küßt ihm ehrerbietigst die Hand« 
' „Wer ist dieses Kind?!?'* 

„Es ist das Töchterchen unserer Garderobiere! 
Sie kauert immer in der Ecke meiner Garderobe, hält 



«3 



alle meine Sachen in bester peinlichster Ordnung 

cc 

„WsiSt du die Tänzerin auch so lieb wie ich 

„Das kann ich nicht wissen .** 

„Möchtest du ihr alles, alles verzeihen, sogar wenn 

sie dir ganz ohne Grund eine schreckliche Ohrfeige 

gäbe?!?** 

„Ja, ich möchte es ihr ganz gewiß verzeihen, 
wegen ihres Tanzens, das ich gesehen habe. Ich 
möchte mir nur denken: Weshalb tust du das einem 
Menschen an, der dich so lieb hat ?t Wenn du eine 
Ohrfeige austeilen willst, gib sie doch lieber einem, 
dem du gleichgiltig bist! Der spürt es doch weniger 
schmerzhch 

„Ich glaube, du bist eine gefährlichere Konkur- 
rentin für mich als die Herren, die Blumen schicken * 

cc 

Ab. 

Es klopft. ' 

Der Theatermeister. 

„Herr Theatermeister, Sie haben wieder zu spät 
hell gemacht, wenn die Sonne bei meinem Tanze 
endlich sieghaft durchdringen sollte. Es ist schreck* 
lieh. Ich glaube, Sie machen es absichtlich 

„Fräulein, so etwas lasse ich mir von niemandem 
sagen. Das ist eine Gemeinheit, Sie verzeihen 
schon — — — .** 

Die Tänzerin legt ihren Kopf auf den Toilettetisch, 
beginnt bitterhch zu weinen. Das Kind erhebt sich 
langsam, macht einen Schritt g^en den Theater- 
meister, streckt sich, hebt den Arm, sagt: j^ina^» 
Sie roher Mensch 

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Der Theatenneister geht langsam ab. 

Das Kind kauert wieder in seiner Ecke. Die 

Tänzerin weint wie ein Kind. Dann trocknet sie ihre 
Tränen. 

Sie wendet sich nach dem Kinde tun. 
„Niemand hat mich so lieb wie du, ni^nand 

Das Kind erhebt sich, steht kerzengerade: „Ich 
möchte alle töten, die Ihnen etwas Böses antun» 
Fraulem !" 

Ein Diener bringt eine Karte. 

„Bitte 

Ein älterer Heir tritt ein. 

„Mein Sohn hat sich gestern erschossen, Ihret- 
wegen . Konnten Sie ihm wirklich nicht 

helfen, daß er diese seelische Krankheit besiege?!?" 

,,Nein, ich konnte es nicht, obzwar ich ihm dezi- 
diert sagte, daß er mir völlig uns3anpathisch seif" 

„Vielleicht hätten Sie es ihm eben nicht so dezi- 
diert sagen sollen 

„Pardon, mein Heir, ich mußte es! Ich bin eine 
arnie Tänzerin, ausgesetzt ununterbrochen allen Ge- 
fahren, die es überhaupt für eine Frau gibt! Über- 
lassen Sie mir das heilige Recht, gegen Eindringlinge, 
gegen „Buschklepper der Seele*^ „Rowdys der Seele", 
mich zu wehren I" 

„Ich bitte Sie um Verzeihung, Fräulein. Ich bin 

aber der unglückselige Vater ." 

Ab. 

Das Kind stürzt zu den FüBen der Tänzerin hin: 

„Was haben Sie da angestellt, Fräulein?!?" 

„Kind, das verstehst du nicht, das verstehst du 

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nicht . Das Leben stellt so viel Schreckliches 

mit uns an, und wir, vnr können es nicht hindern — 
«t 

Das Kind kauert weinend in seiner Ecke. 

Der Theatermeister erschemt: 

«»Fräulein, es kommt gleich Ihr Tanz in der 
Krinoline — — — /* 

,,So, ich danke Ihnen. Bringen Sie aber die Be- 
leuchtung richtig diesmal/' 

,,Gewiß Fräulein 

„Und du, Kind, warte auf mich hier. Ich kann 
dich nicht mehr entbehren — — — .** 

Vorhang. 



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ZWEI SKIZZEN 



Das kleine Leben 

Ich sah Arbeiter an einer Telegraphenstange ar- 
beiten, die im Hochwald der Nachtsturm zerbrochen 
hatte, von 7 Uhr morgens bis 6 Uhr abends. Es frap- 
pierte mich, wie sorgenlos sie waren, keine Spur eines 
Gedankens darüber, ob es denn dafürstehe, auf die Welt 
gekommen zu sein, mn abgebrochene Telegraphen- 
stangen im Hochwald, der dem Fürsten gehört, 
wieder praktikabel zu machen. Im Gegenteil, sie 
schienen es für das Wichtigste von der Welt zu halten, 
daß die Telegraphenstange sobald als nur irgend mög- 
licH wieder hergestellt werde. Es waren Telegraphen- 
stangenärzte. Um sie herum waren Gimpel und Eich- 
kätzchen auf Altfichten, Regen kam, Nebel und wie- 
der Sonne; aber immer war alles konzentriert auf die 
Errichtmig der Telegraphenstange. Ihr gehörte ihre 
ganze Sorge, sie war ein Teil des Weltgetriebes. Es 
gab Genies unter diesen Arbeitern, die alles mit einem 
Schlag erfaßten, was zu tun war; dann waren Be- 
dächtige, Vorsichtige; und dann waren Tagarbeiter 
nach vorgeschriebener Pflicht. Die ganze Menschheit 
also war eigentlich um diese Telegraphenstange im 
fürstlichen Hochwald versanmielt. Ich ging vorüber 
und verteilte Trabukos, a la Kaiser Josef, nur billiger. 
Weshalb nicht ? ! Das Prager Tagblatt hatte mir doch 
gerade für Nachdruckhonorare 9 Kr. geschickt. Nach- 
drucken ist doch schon Ehre genug. Das Geld setzte 
ich teilweise in Mäzenatentum und in Menschheits- 
beglückimg um. Die Arbeiter waren ganz verblüfft. 
Einer sagte: „Auf der Liechtensteinstraße hat der 

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Sturm einen halben Meter dicke Bäume abgeschla- 
geal" Diese Mitteilung war eine Art von Revanche 
für meine Liebenswürdigkeit. „Ist es möglich?!** 

sagte ich freundlich erstaunt, und ging befriedigt von 
dannen. 

Liebesgedicht 

Niemand beachtete dich, edle, verschwiegene 
Goldrote, in dienender Stellung 

Ich zog dich hervor aus deinem Versteck und seg- 
nete dich. 

Da wurden die anderen aufmerksam, schickten 
Blumen und Briefe .... 

Da zog ich mich zurück. 
„Sind Sie eifersüchtig?!** sagte sie. 

,,Nein, aber ich hasse die elende Dummheit 
der Männer, die erst einen alten kranken glatzköpfi- 
gen Bettler brauchen • • . • Wer, wer sagte mir, daß 
man«mn Sie sich gräm^ dürfe . . .?!?** 

..Aber um Gotteswillen, irgend jemand muß einen 
doch entdecken, wozu sind denn die Dichter da ? l 



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ERZIEHUNG 

Ich habe einen scharfen Blick für Mütter, die die 

„Persönlichkeit" ihres geliebten Kindchens achten 
und berücksichtigen. Es sind das sogenannte K ü n s t- 
lernaturen des Lebens selbst! Sie betrachten ihr 
Kindchen ab ein von ihnen geschaffenes „lebendiges 
Kunstwerk", apart und vor allem den meisten un- 
verständlich, die mit dem Ausspruche: „ein ganz 
nettes Kind, nichts weiter'', ihre künstlerische Un- 
fähigkeit klar erweisen. Merkwürdigerweise fank* 
tionieren so brutal- verallgemeinernd fast alle Väter, 
die immer nur den Herrn Hoirat wittern, der einst, 
in der Feme, erscheinen soll und za dem Kindchen 
sagen soll: „Da bist mein aUes!** Daß das gar kein 
Kompliment sein wird für das Töchterchen, spüren 
sie nichtl Du bist mein alles, ja, aber wessen alles, 
darauf kommt es an! Viele Mütter hingegen haben 
eine künstlerische melancholische Zärtlichkeit. Sie 
teilen das Leben ihres Kindchens in „interessante, 
spannende, merkwürdige Lebenskapitei'" ein, sind 
selbst äußerst gespannt, wie der Roman enden weide, 
wahrend die^Väter ein biblisches Dogma aufteilen, 
über das das Leben jedoch nin: ein flüchtiges Lächeln 
hat. Mütter wissen, wie ihr Kindchen geht, steht, 
sitart, wann es verl^;en ist oder düster, Väter wissen 
höchstens, ob es „Stuhl'' gehabt habe, und das wissen 
sie nicht einmal. Ein schreckliches Wort leitet sie 
durchs ganze Leben ihres Kindes, das Wort „gedie- 
gen*\ Alles soll „gediquen** sein, die Lehrer, die Gou- 
vernanten, der „Zukünftige'', der „Charsdrter". Das 
ganze kommt mir vor, wie das Wort „gediegenes 

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Gold", das auszusprechen schon eine Art Berau- 
schungsmittel ist! Ich glaube nicht, daß Eleonora 
Duse, Sarah Bernhardt^ Yvette Guilbert» Fanny Eis» 
1er, Ädelina Patti, Bird Millman, Barbarina Cam- 
panini sehr gediegen" waren, jedesfalls war es eine 
höchstnebensächliche Eigenschaft dieser Damen , 
deren Väter jedesfalls auch nut sich ^^Gedi^enheit" 
erwünscht hatten für ihre Töchterchen! Mütter 
„beobachten** das Leben ihrer Kinder, Väter 
schreiben es ihnen vor! Sie sind selbst durch 
Beruf« Sorge« Eitelkeit« Ehrgeiz« Konkurrenz« Rück* 
sichten Geknechtete des Daseins« erwünschen das- 
selbe daher ihren Sprößlingen. Künstlerisch empfind- 
same Mütter hingegen trauern um ihr eigenes Le- 
bensgefängnis« möchten ihren geliebten Töchter- 
chen den weißen Flug gönnen ins »«romantische 
Land'l 



30 



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PLAUDEREI 



Aiissprucfa eines fünfjährigen Mädels: 

,,Wenn man alleweil brav ist, wissen die Leut' 

dann gar nicht, ob man noch auf der Welt ist!'* 

Die Eitern tragen mir ununterbrochen Anekdoten 
über ihre vergötterten Kindchen zu. Sie sind tief 
überzeugt davon, daß es gerade mich interessiere! 
Ich interessiere mich auch wirkUch dafür, daß sie 
alle so tief überzeugt davon sind, daß ich mich 
dafür interessiere! Denn diesen schönen Schein 
zu erwecken, heißt eben ein Dichter sein! Und als 
das möchte man doch gerne gelten, wenn man schon 
weder Beruf noch Geld hat, nicht ? ! ? 

„Mein Knabe sagte mir gestern'*, „mein Mäderl 
sagte mir vorgestern", höre ich alle Tage zehnmal 
Ob eines dieser kleinen Mistviecherl einmal zu der 
reichen Mama den genialen Ausspruch täte: 

„Mama, wenn du mich wirklich lieb hast, dann 
gibst du diesem entzückenden alten kranken Dichter 
eine Monatsrate von fünfzig Kronen !" 

Ausspruch eines sechsjährigen Mäderls beim Ab- 
schied vom Semmering: „Ach, wie werde ich^f ürder . 
. ohne meinen geliebten Pinkenkogel und Sonnwend- 
stein existieren können?!** 

Ich hätte gerne geantwortet: „Sehr gut wirst du 
fürder existieren können, indem ich dir f ürder für 
jeden affektierten, verlogenen, manierierten Aus* 
Spruch deinen Hintern aushauen werde — — — J** 



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LIED OHNE REIME 

Ihr Reichen, 

hab' mein Mädel verlieren müssen ; 

hab' ihr das Nachtmahl nicht bezahlen können 
im kleinen lieben Gasthaus ; 

hab' ihr ein Kleid für den Sonntagausgang nicht 
schenken können 

hab' ihrem Bruder nicht ewig Zigarren kaufen 
können ; 

hab' ihrer Schwester die Krankheit nicht be- 
zahlen können ; 

hab* ihrem Vater seinen Vierteljahrszins nicht 
geben können; 

hab' mein Mädd nicht in den ««Zirkus Schumann" 
führen können ; 

und sie schwärmt doch so für edle Pferde ; 

da hat einer zu ihr gesagt: „Ich gebe dreihundert 
Kronen monatlich und die Kostüme" ; 

Ihr Reichen! 

Hab' mein Mädel veriieren müssen ; 

kann nur mehr Kleinigkeiten schenken, 
zum Namenstag, zum Greburtstag imd zu Weih- 
nachten — — .— . 



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FORELLENFANG 

75 Kilometer lang ist das gesamte Gebirgswasser 
in Naßwald. Es ist flaschengrün, weiß und graugrün; 
es steht mäuschenstill in winzigen Felsbuchten» es 
scfaämnt bösartig weiß, es zieht gemächlich graugrün 
über flachen *Kiesboden. Hinter jedem Stein eine 
Forelle! Kein Stein ohne Forelle dahinter, es wäre 
denn» daß sie gerade weggeangelt wurde. Hinter 
jedem Stein also lauert der heimtückische Insekten* 
mörder. Plötzlich wird er von der Angelrute heraus- 
geschnellt im Bogen. Man sieht etwas herrliches Sil- 
bernes und schon liegt es auf der Wiese. Man schlägt 
es an dem Fußabsatz ab, wenn es ein Regenwurm- 
fang war, setzt es in den Bottich, wenn es ein Kunst- 
fliegenfang war. Es gibt berühmte Kunst fhegen- 
angler. Ihre Kunst besteht darin, die Kunstüiege so 
auf das Wasser hinzuwerfen, daß es wie eine echte 
aussieht. Das ist ja im Leben überhaupt oft so. So 
wird man berühmt. Man wirft den Köder aus, und 

die Forelle ninmit es für eine echte, xmd man 

hat siel Forellenangeln und Naturfreund sein, ist 
einest Denn man muß wandern, wandern von Stein 
zu Stein. Hinter jedem hockt eben eine. Un^ diese 
Wanderung befriedigt nur, wenn man die umgebende 
Natur herzlich lieb hat. Der Hecht verlangt keine 
Naturfreude vom Angler. Er steht irgendwo und man 
hat zu warten. Man wartet, wartet, bis das Ereignis ein- 
tritt. Dann beginnt die Geschicklichkeit. Aber mit 
der Natur hat es nichts zu tun. £s ist nur aufregend. 

Der ForeUenfanger liebt das Gebirgswasser leiden- 
schaftlich, er vergißt darüber Weib und Kind, oft 
« 

» 33 



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sogar das Essen. Er versenkt sich in die Details 
der Umgebung» ein einziges Zeichei^wirklichen 
Genießens! Denn ,,in Bausch tind Bogen** ist es 
brutal und wertlos! Er zieht dahin, von Stein zu 
Stein, er sieht alles« alles. Und wenn er ermüdet heim- 
kehrt mit seiner reichen Beute, glaubt er etwas ge- 
leistet zu haben. Ja, denn er hat sich sogar einen ur- 
gesunden tiefen Schlaf verschafft l 



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so WURDE ICH 



Ich saß im 34. Jahre meines gottlosen Lebens, 
Details kann eine Tageszeitung unmöglich bringen, 
ich saß im Caf6 Central, Wien, Herrengasse, in einem . 
Räume mit gepreßten englischen Goldtapeten. Vor 
mir hatte ich das Extrablatt" mit der Photographie 
eines auf dem Wege zur Klavierstunde für immer ent- 
schwundenen füi^hnjährigen Mädchens. Sie hieß 
Johanna W. Ich schrieb auf Quartpapier infolge- 
dessen, tieferschüttert, meine Skizze „Lokale Chro- 
nik". Da traten Arthtir Schnitzler, Hugo von Hof- 
maxmsthal,* Felix Saiten, Richard Beer-Hofmann» 
Hermann Bahr ein. Arthur Schnitzler sagte zu mir: 
„Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie dichten ! ? Sie 



schreiben da auf Quiartpapier, vor sich ein Porträt, 
das ist verdächtig!" Und er nahm meine Skizze 
„Lokale Chronik" an sich. Richard Beer-Hofmann 
veranstaltete nächsten Sonntag ein „literarisches 
Souper" und las zum Dessert diese Skizze vor. Drei 
Tage später schrieb mir Hermann Bahr: „Habe bei 
Herrn Richard Beer-Hofmann Ihre Skizze vorlesen 
gehört über ein verschwundenes fünfzehnjähriges 
Mädchen. Ersuche Sie daher dringend um Bei- 
träge für meine neugegründete Wochenschrift ,Die 
Zeit!*" Später sandte Karl Kraus, auch der Fackel- 
Kraus genannt, weil er in. die verderbte Welt die 
Fackel seines genial-lustigen Zornes schleudert, um 
sie zu verbrennen oder wenigstens ,4m Feuer zu 
lautem", an meinen jetzigen Verleger S. Fischer, 
Berlin W., Bülowstraße'90, einen Pack meiner „Skiz- 
zen", mit der Empfehlung, ich sei ein Original, ein 




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Genie, Einer, der anders sei, nebbich. S. Fischer 
druckte mich, und so wurde ich! Wenn man bedenkt, 
von welchen Zufälligkeiten das Lebensschicksal eines 
Menschen abhängt! Nicht?! Hätte ich damals, im 
Caf6 Central, gerade eine Rechnung geschrieben, über 
die seit Monaten nicht bezahlten Kaffees, so hätte 
Arthur Schnitzler sich nicht für mich erwärmt, Beer- 
Hofmann hätte keine literarische Soiree gegeben, 
Hermaxm Bahr hätte mir nicht geschrieben. Karl 
Kraus hreilich hätte meinen Pack Skizzen unter allen 
Umständen an S. Fischer abgeschickt, denn er ist ein 
„Eigener", ein „Unbeeinflußbarer". AUe zusammen 
jedoch haben mich „gemacht". Und was bin ich ge- 
worden?! Ein Schnorrerl 



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iOCA MINORIS RESISTENTIAR 

Jeder Organismus hat seine sogenannte »»Ächines- 

ferse", das heißt eine Stelle, an der er besonders leicht 
und empfindlich verwundbar ist! Ich zum Beispiel 
habe meine Achillesferse im Gehirn, aber nicht» wie 
meine boshaften und heimtückischen Fremide (Feinde 
sind viel milder gestimmt, indem sie einen in Bausch 
und Bogen ein für allemal verurteilen) glauben wer- 
den» inmeinenDen]q>artieni sondern in jenermysteiid- 
sen Partie des Gehirns, wo die Eifersucht ihren 
Höllensitz aufgeschlagen hat, und zwar die Eifersucht 
in bezug auf Männer« die mehr Haare» mehr Geld und 
weniger Intelligenz als ich besitasen» also drei den 
Frauen besonders wertvoll erscheinende Eigenschaf- 
ten! Sobald ich nur ein solches Ungetüm irgendwo 
erblicke, das mehr Haare, mehr Geld und weniger 
IntelligensB besitzt als ich» bekomme ich sofort» wie 
der technische Ausdruck lautet» einen sogenannten 
„roten Kopf", und ich denke nur mehr an Browning- 
pistolen» Arsenik oder die Hundspeitsche, natürlich 
für den anderen! Ich betrachte meine mich bisher 
fanatisch vergötternde Geliebte als bereits endgültig 
verloren, und treffe Anstalten, sie grundlos durch- 
zuprügeln! Das sind also meine »»loca minorum resi- 
stentium^^ das heißt zu deutsch» jene Partien unseres 
komplizierten Organismus» die auf Reizungen beson- 
ders empfindlich reagieren, und zwar sofort! Solche 
Partien haben viele Menschen Kelhiem gegenüber 
oder Saseuren» die sie schlecht bedienen; obzwar in 
solchen weniger gefährlichen Fällen ein erhöhtes 
Trinkgeld meistens gute Dienste leistet. 

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Die „loca minorum resistentium" haben in neue- 
ster Zeit einen besonderen Wert gewonnen für die 
Herren Arzte; denn jede Partie des Körpers» über die 
ein Patient sich heutzutage beklagt, wird vom Arzt 
sogleich ernst und verständnisvoll als: „Aha, das sind 

Ihre loca minorum resistentium, mein Lieber ! 

bezeichnet, worauf der Patient sich, zwar nicht ge- 
heilt, aber um ein Bedeutendes, vor allem um das 
ärztliche Honorar erleichtert, entfernt. Viele Damen 
haben solche loca minormn resistentium in ihrem 
Organismus, im Augenblick, wo sie an einer Dame 
einen kostbarem Pelz bemerken, als sie selbst besitzen. 
Aber hier fange ich bereits an banal zu werden, imd 
deshalb schließe ich hiermit rasch ^ese immerhin 
interessante Plauderei. 



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DOLOMITEN 



Ich hatte mein ganzes Leben lang von den Dolo- 

* m i t e n gehört , einem , ,Märchen der Natur". Nim kam 
ich, per Auto, halb 8 Uhr abends, ii. August, in 
Toblach an. Eine riesige ungepflegte, ja verwahrloste 
Bergwiese, die ein feenhafter Berggarten leicht hätte 
sein können. Ich ging ein paar Schritte die Fahr- 
straße entlang, die ins Gebirge, Monte Cristallo, 
führt. Ich sah in die weiße Waldstraße hinein , und war 
ganz ergriffen. Jahrelang im ;,Caf6 Central'', Ecke 
Herrengasse — ^Strauchgasse, imd mm am Eingang in 
die „Dolomiten'*! Ich sah Wälder im Abendschatten ^ 
imd in der Feme einen leuchtenden riesigen Felsen. 
Ich kehrte zurück und dachte mir die riesige schreck- 
lich ungepflegte Bergwiese vor dem Riesenhotel, be- 
wachsen mit Zirbelkiefer, Rhododendron, Speik, so 
ein botanischer Berggarten, mit Murmeltieren und 
Schneehasen. Aber Toblach begnügt sich, ein „Ein- 
gang" zu sein, und selbst die Geschäftsläden erinnern 
an „Praterbuden". Nur irgendwo sah ich in einer 
Ansichtskartenbude eine 14jährige Verkäuferin. Ich 
blickte sie an: „Du, du allein paßt in diesen Dolo- 
miten-Märchen-Eingang!" Da ich den schönen grauen 
Gems-Kaiser-Lodenhut auf hatte und sehr gebräunt 
war, bückte sie mich freudig-erstaunt an. Ich wollte 
etwas sagen, das heißt, ich wollte eben gar nichts 
sagen, aber als die Ansichtskartengeschäfte abge- 
wickelt waren, blickte ich sie noch immer gerührt an. 
Sie sagte auch nichts, aber sie spürte ihre Wirkung 
auf mich. Es war nicht sehr lange, und doch vielleicht 
oder wahrscheinlich eine besondere Welt, die nie nie 

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mehr wiedereistehen wird. Es ging nicht an, sie 

länger anzublicken. Und infolgedessen ging ich. Ich 
lüftete nicht den Hut, damit sie nicht sehe, daß ich 
kahlköpfig sei; denn ich mußte auf ihre Träumereien 
Rücksicht nehmen, daß ein verhältnismäßig apart 
aussehender Herr sie beim Ansichtskartenverkaufe 

liebevollst angeblickt hatte .So wie wenn er 

ihr Glück wünschte zu ihrem künftigen Schicksale 
und sie getreulich segnete mit seinen Augen. Sie hat 
gewiß niemand davon erzählt, was gab' es auch darüber 
zu erzählen?! Und doch blieb es in ihr. Und doch 
wird sie, unmittelbar vor einem ersten Kuß der 
Jugendsinne fühlen: „Nein! Ich sehe nicht auf 
Deinem Antlitz, Mann, den Zug von Rührung, den der 
• fremde Herr mit dem grauen Gemsjagd-Kaiser-Loden- 
hute damals hatte Am nächsten Morgen 

ging es nach Cortina. Rotgraue Beigwelt, sei be- 
dankt, gesegnet! Es türmt sich auf, lichtgrau und 
rosig, es wächst ins Himmelblau hinein und überall 
ist Friede ^ — . 



V 



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MAMA 



Meine Mama wollte „ein großes Hans" führen, um 
ihre wunderschönen Töchter reich zu verheiraten* 
Das nahm ich ihr übel. I>enn, wenn es gelingt^ ist es 
wie ein Haupttreffer anf eine in der Tabaktrafik ge- 
kaufte Promesse. Ich bin gegen das „Spiel" im Leben. 
Man riskiert zu viel. Das ist es. Also, wie gesagt, ich 
war sehr dagegen. Aber in meiner Kindh^t hatte ich 
einen voDkommen krankhaften Fanatismus fßr sie, 
und meine Liebe zu ihr war keine ruhig-selbstver- 
ständliche eines guten anhänglichen Kindes, sondern 
zehrte an mir» wie wenn ich ein unglückUch Liebender 
wäre, der an „inneren ZärtfichkeitsgefOhlen*' zu- 
gnmde geht, während doch Mama mich sehr, sehr,- 
sehr lieb hatte und meinen „kindlichen begeisterten 
Blick" zu würdigen verstand. Oft sagte sie: »Du 
dummer Kerl, was willst du denn, ich haV dich ja so 
wie so riesig gern und außerdem bin ich mit dir sehr 
zufrieden, der Hofmeister, die Gouvernante, der 
Violinlehrer und Mr. Palotta, alle, alle loben und 

lieben dich — Aber meine ZärtHchkeit für 

Mama zehrte an mir. Vor ihr niederknien und den 
Saum ihres Kleides mit den Lippen berühren, daran 
dachte ich nicht. Ich sah sie an und war voll über- 
triebener Zärtlichkeit, als ob ich noch überhaupt be- 
wußtlos in ihrem Schöße läge, von ihren Kräften 
innerhchst behütet, genährt, gepflegt, so vorzeitig 
herausgestellt in eine Welt, in die ich noch nicht 
hineingehdrtel Mama! Mama! Als ich mit zehn 
Jahren, gerade der Primus im Gymnasium, an einer 
Fußbeinbautentzündung schwer erkrankte, hatte sie 



ein Jahr lang ihr Bett neben dem meinen und nahm 
nächtelang meine Seufzer in ihr Herz auf, Nach- 
mittags sang sie im Nebenzimmer Schubertlieder. 
„Ihre Stimme klingt etwas ermüdet!" sagte der liebe- 
volle junge Gesangsmeister. „Mein Sohn hat heute 
Nacht wieder sehr gestöhnt" erwiderte sie. Eines 
Tages sagte Professor Dittel: „Es muß geschnitten 
werden, der Fuß ist ganz in Eiterung.** Da saß sie 
nachmittags an meinem Bette und zupfte aus Lein- 
wandfetzen Chaipiewolle. ,,Was machst du da, 
Mama?!" — „Daß die Zeit vergeht" erwiderte sie. 
Am nächsten Tage sagte Professor Billroth: ,,Ich 
pflege in einem solchen Falle noch nicht zu schneiden« 
es wird sich aufsaugen!*' Da kniete meine Mama vor 
meinem Bette nieder, aber nur für einen Augenblick. 
Dann ging sie ins Nebenzimmer und spielte und sang 
am Klavier die „Forelle** von Schubert. Der Gesangs- 
meister sagte: »»Heute klingt Ihre Stimme frischer» 
Sie dürften gestern eine ruhigere Nacht gehabt 
haben!** — „Nein,** sagte sie, „aber ich werde sie 
heute nacht habenl** 



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MODERNE ANNONCE 



Semmering, looo Meter Höhe. 

Page 69 : ,,C'est ä Saint-Gervais que je devais faire 
ce que les AUemands appellent: ,J)ie Nachkur''» et 
ä laqueDe ils attachent, non sans raison» une grande 
importance.** 

Die Nachkur ist wichtiger als die Kurl 

Eme meiner Thesen, auf die ich mir mehr einbilde 
ab auf alle meine Dichtungen zusammen, obzwar alle 
Arzte sie seit lange, die These nämlich, kennen. 

Die Kur ist der melancholische und mühselige 
Versuch, eine gebrochene Maschinerie zu reparieren. 
Höchstens bringt man sie da mit Müh' und Not wie- 
der auf gleich, kleistert sie zusammen. Aber die 
Nachkur ist bereits eine freudige künstlerische 
Angelegenheit: man ist daran, einer wiederheigerich- 
teten Maschine höchste Energien, Spannkraft, Be- 
wegung, Elastizität, Lebendigkeiten zu verleihen! 
Aus einem Invaliden einen neuen feurigen Kämpfer 
zu machen! 

Die Kur ist eine ernste Notwendigkeit, die Nach« 

kur ist ein heiteres Fest! Gerade der erst kürz- 
lich gesundete Körper bedarf bei seinen zarten Ver- 
narbungen allerzärtüchster Rücksicht. Geld und Zeit 
für die N ach kur sind wichtiger als für die Kur. Keine 
Kur ohne Nachkur! Die Nachkur ist erst die Kur! 
Semmering, 1000 Meter Höhe. 



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SEMMERING 



Es wurde wieder Winter, November 1912. Über- 
flüssig, die Berglandschaft zu schildern. Das können 
Russen, Schweden, Dänen viel, viel besser. Sie ken- 
nen das Gepräge jedes Baumes, und wie der Schnee 
sich ansetzt, je nachdem. Sie kennen die Eintönigkeit 
und ihre Poesien, sie kennen die Melodie der Stille, 
und der Krähen Mißton wird ein schaurig*melancfao- 
lisches Leitmotiv: Winterl Ich liebte den Sommer, 
weil ich gesund war, und seinen Symphonien von 
Farben, Düften lauschen konnte, unbeirrt durch 
etwas, was mich drückt und niederzwingt. Nun ist 
es Winter. Ich sehe aües nur so, wie wenn ein gütiges 
Schicksal den Abschied mir nicht schwer machen 
wollte. Eine einzige Begeisterung ist geblieben und 
ringt sich durch, wie wenn mein Bestes mir erhalten 
bleiben soDte. Ich sah meine Ideine Heilige im roten 
Wintersportkostüm. Der Wintertag leuchtete auf 
ihrem geliebten Antlitz. Ich sah sie rodeln, ich hörte 
ihr geUebtes jauchzendes Gekicher, sie flog davon, 
den scharfen Kurven nach im weißen Fichtenwalde. 
Ich hatte sie gesehen! Ich ging zurück ins Zimmer 
und versank in düsteres Sinnen . • • Und es ward 
Winter 1912I 



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WINTER AUF DEM SEMMERING 

Ich habe zu meinen zahlreichen unglücklichen 
Lieben noch eine neue hinzubekommen — — — den 
Schnee! Er erfüllt mich mit Enthusiasmus, mit 
Melancholie. Ich will ihn zu nichts Praktischem be- 
nützen, wie Scheemgleiten, Rodeln, Bobfahren; ich 
will ihn betrachten, betrachten, betrachten, ihn mit 
meinen Augen stundenlang in meine Seele hinein- 
trinken, mich durch ihn und vermittelst seiner aus 
der dummen, realen Welt hinwegflüchten in das so- 
genannte „weiße und enttäuschungslose Zauber-- 
reich"! Jeder Baum, jeder Strauch wird durch ihn 
zu einer selbständigen Persönlichkeit, wahrend im 
Sommer ein allgemeines Grün entsteht, das die Per- 
sönlichkeiten der Bäume und Sträucher verwischt.. 
Ich liebe den Schnee auf den Spitzen der hölzernen 
Gartenzäune, auf den eisernen StraBengeländem, auf 
den Rauchfängen, kurz überall da am meisten, wo 
er für die Menschen unbrauchbar und gleichgültig 
ist. Ich liebe ihn, wenn die Bäume ihn abschütteln 
wie eine unerträglich gewordene Last, ich liebe ihn, 
wenn der graue Sturm ihn mir ins Gesicht nadelt und 
staubt und spritzt. Ich liebe ihn, wenn er in sonnigen 
Waldlachen zerrinnt, ich liebe ihn, wenn er pulverig 
wild vor Kälte wie Streuzucker. Er befriedigt mich 
nicht, ich will ihn nicht benützen zu Zwecken der 
süßen Ennüdung und Erlösung, ich will nicht krei- 
schen und jauchzen durch ihn, ich will ihn anstarren 
in ewiger Liebe, in Melancholie und Begeisterung. Er 
ist also eine neue letzte „unglückliche Liebe*' meiner 
Seele 1 

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» 



VOLLKOMMENHEIT 



Vollkommenheit ist ein heutzutage ganz mißver- 
standenes Wort. Man sagt: Gustav Klimt, der voll- 
kommene moderne Maler ; Frau Bahr-Mildenburg, die 
vollkommene Wagner-Darstellerin; Oberbaurat Otto 
Wagner, der vollkommene Architekt; Peter Altenberg, 
der vollkommene Skizzenschreiber, Karl Kraus, der 
vollkonmiene «»Angreifer^ Verhöbner, Vernich ter"! 
Aber vollkommen kann ein jeder sein» in jeglicher 
Sache! Ein Orangenverkäuler kann vollkommen sein» 
wenn er den Geschmack, den Saftgehalt, den Zucker- 
gehalt jeder Orange oder Mandarine schon von außen, 
gleichsam durch die Schale hindurch» erkennt mit un- 
fehlbarer Sicherheit! Em Kastanienbrater kann voll- 
kommen sein, wenn er das Gefühl dafür hat, wann und 
unter welchen Umständen seine Kastanien schön 
gleichmäßig goldgelb gebraten sind» ohne bräunliche 
schwarze harte Steilen zu bekommen. Ein Bar-Mixer 
kann vollkommen sein, eine liebende Frau, ein stichel- 
haariger Foxterrier, eine Hemdenputzerin, ein Kom- 
mis» in seiner Art zu bedienen» ein Koch» eine Steno- 
graphin» kurz : alle» alle» alle» insofern sie in ihrer Sache 
das Vollkommenste leisten ! Pereant die protokollier- 
ten Firmen des allgemeinen succ^s; es leben hoch die 
Unbekannten» die göttlich singen beim Waschen und 
Anziehen» ohne an der Hofoper engagiert zu sein! Es 
leben die exzeptionellen Weber und Tuchfabrikanten, 
CS lebe die kroatische, bosnische, ungarische, schotti- 
sche» irländische» dänische» schwedische Hausindu*- 
striel Was vollkommen ist, ist vollkommen» worin 
immer es sich auch betätige! 

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NACHWINTER 

9. März. Mein 53. Geburtstag. Es ist schon wieder 

Schnee gefallen die ganze Nacht, Hochwinter im 
März. Man kann noch nicht „rodeln", denn der 
Schnee ist noch flaumig vrie flaumige Eiderdaunen. 
Aber das Auge weiß davon nichts. Nur die Fußspuren 
sind braungrau. Es hat null Grad im Schatten. Es ist ein 
Winterbild, an das man nicht recht glaubt. So Nach- 
zügler einer Armee »»Winter" 1 Meine Schneeschuhe» ein 
Geschenk des berühmten Architekten Adolf Loos, vor 
fünf Jahren, sind mir gestern abhanden gekommen. 
Der anständige Dieb hat wahrscheinlich nicht mit 
diesem Winter-Rückfall gerechnet, der mich nun in 
Verlegenheiten bringt! Sie waren mir teuer, obzwar 
sie mich nichts gekostet haben. Ich hatte fünf Jahre 
lang den Ehi:|;eiz, sie mir weder vertauschen, noch 
stehlen zu lassen. Der Kellner sagte mir oft: „Lassen 
Sie Ihre Schneeschuhe ruhig irgendwo stehen, es ge- 
schieht ihnen nichts!" Nun, es ist ihnen wirklich 
nichts geschehen, sie haben nur ihren Besitzer ge- 
wechselt. Möge er sie ebenso zärtlich rücksichtsvoll 
behandeln wie ich, und möge ich eine neue Schnee- 
schuh -Würzen baldigst finden! Einer machte 
schon eine leise Anspielung, aber es stellte sich 
heraus, daß. er mir nur mitteilen wollte, dieser Nach« 
Winter könne ja ohnedies nicht mehr von langer 
Dauer sein, und da genügten dann gewöhnliche Ga- 
loschen. Als ich bemerkte, daß ich auch solche nicht 
besitze, erklärte er, Galoschen seien ungesund und 
verhindertendie Hautausdünstung. Also,indieserWin- 
terpracht feiere ich meinen 53. Geburtstag. Es wird 

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kein Geld regnen, da ich keine Danae bin. Aber in die 
schlechte Bilanz des Jahres 1912 muß ich doch den 
Plus-Kontoposten meines Lebens einrechnen: ,»Nach- 
winter im Mars auf dem Semmering, und eine roman* 
tische Petrarca- Liebe!" 

Hier ist es friedvoll, vertauschte Haselnußberg- 
stöcke» vertauschte Schneeschuhe, vertauschte Frauen 
sind das einzige bemerkenswerte Ereignis. Aber man 
findet sich in alles. Eine Dame sagte mir: „Sehen Sie, 
dieser von Ihnen gestern so gepriesene Herr ist doch 
kein Gentleman. £r trägt abends zu Lackpantoffeln, 
pumps, Wollsockenf" — „Pardon/* erwiderte ich, 
„ich habe das im Drang meiner Begeisterung über- 
sehen!" — „Ein so scharfer Beobachter wie gerade 
Sie« Herr Altenberg?!*' — „Ja, auch wir sind eben 
nur irrende Menachenkindarl'' 



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HEIMLICHE LIEBE 

Wir müssen von den Gefühlen unserer eigenen 
Seele leben kdnnenl Das isi die „nene Religion** 

für unsere, sonst zum Leiden verurteilten impressio- 
nablea Nerven. Man kann uns alles wegnehmen^ 
alles rauben, alles verhindern, alles verbieten 

nur nicht unsere Gefühle, die wir für geliebte 

Menschen haben! Hier beginnt unsere unbesieg- 
bare Macht unserer Seele! Man wünscht es, unsere 
Tränen nicht zu sehen, nicht zu spüren, nichts darüber 

in alle Ewigkeit zu vernehmen und sie rinnen 

dennoch auf den Kopfpolster, zum Preise der Ent- 
fernten! Könnt Ihr uns verbieten, in dem Berg- 
kirchlein für ihr Heil zu beten?! Könnt Ihr uns es 
verbieten, im Schnee des „Hochwegs" ihre Fußspuren 
zu ahnen?! Vielleicht sind es fremde, gleichgültige. 
Aber wir, wir träumen sie uns als die ihrigen, ver- 
mittels der Kraft unserer unzähmbare^, unbesieg* 
baren Seele! Kann sie zu uns sprechen: „Knie vor 
meinen Fußspuren nicht in den Schnee hin! ? !" Nein, 
das kann, das darf niemand zu uns sprechen. In 
diesen „Gefilden der entrückten Seele" verliert die 
verbietende Henschenstimme ihre Macht und Gott 
sagt: „Du darfst!** 

Ich habe Dein Glas in mein Zimmer mitgenommen, 
aus dem Du getrunken hast. Ich habe dem KeUner 
gesagt: „Ich habe ein Glas zußLllig zerbrochen, da 
haben Sie zwei Kronen dafür!** Er sagte: „Auf ein 
Glas mehr oder weniger kommt es, bitte, bei xms nicht 

an Also besaß ich das „geheiligte Glas" 

umsonst. Ich UeB ihm ein Postameutchen machen 

* 49 



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aus Zirbelholz, ließ eingravieren: Deine Lippen be- 
rührten es." Kann mir das irgend jemand verbie- 
ten?! Niemand kajm mir meine Leiden ver- 
bieten, er kann sie nm: steigern, und das ist gut 

für meine Seele . Wen, wen wollt Ihr 

schützen vor meinen Tränen, die niemand, nie- 
mand sieht ?1 



SO 



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DAS KINO 



Ich schleudere hiennit meinen Bannfluch gegen 
alle j e ne , die, in „bestgemeinter Absicht" oder aus Ge- 
schäftsinteresse« sich in neuerer Zeit gegendie Kino- 
theaterwenden! Esistdiebeste, einfachste, vomöden 
I chablenkendsteErziehung,besser jedenfalls, tausend- 
mal besser als die bereits als ,,freche Gamierei" ent- 
larvte ,,Kunstdarbietung*^ ausgeheckt in ehrgeizigen, 
verdrehten Gehirnen und präpariert für den „seelischen 
Poker-Bluff"; infame Düpierung einfach-gerader 
Menschenseelen! Im Kino erlebe ich die Welt; und 
selbst dieerfuAdenenSketches sindschon, der Natur der 
Sache nach,auf edel-primitive Wirkung hin gearbei- 
tet, Seelenkonflikte a la , ,3 u n d 2 m ach 1 5", nicht aber 
absichtlich 6 oder 7 1 Das Volk soll sich erheben für 
die Kinotheater und sich nicht neuerdings in klein- 
sten und belanglosesten Angelegenheiten beschwat- 
zen und betören lassen von den „psychologischen 
Clowns" der Literaturl Meine zarte 15jährige Freun- 
din und ich, 52 jähriger, haben bei dem Natursketch: 
„Unter dem SternenhimmePS in dem ein armer 
französischer Schiffzieher seine tote Braut flußaufwärts 
zieht, schwer und langsam, durch blühende Gelände, 
heißgeweinti Wehe euch, deren „trockenen Geist" 
wir „trockenen Herzens" angeblich begeistert ge-% 
nießen müssen! Wir müssen und wollen nicht! 

Ein „berühmter Schriftsteller" sagte zu mir: 
„Wir sind jetzt unter uns, was finden Sie eigentlich 
Besonderes an den Kinovorstellungen?!?" 

,,Nein," sagte ich, „wir sind nicht unter uns, 
sondern Sie sind unter mir!" 



LEBENSBILD 



Wesen der Engländerin: 

„O, mein geliebter Freund, was nützte mir denn 
deine ganze tiefe Liebe, wenn du mir bei der Tür nicht 
den Vortritt ließest?!? 

Wesen der Amerikanerin: 

»«Natürlich zu sein» so wie man eben einfach 
von Natur aus ist!" 

Dies schrieb ich einer jungen, edlen Amerikanenn 
ins Stammbuch. 

„0," sagte sie, ,,sehr, sehr schön; und vor allem 
sehr, sehr wahr! Aber, bitte, was wüi'den Sie denn 
einer jungen Engländerin in ihr Stanunbuch hinein- 
schreiben?!?" 

„Ich? Natürlich gerade das Umgekehrte!" 



52 



\ 



so SIND WIR 

Wir wollen aufrichtig sein, vor allem diesmal ich, 
Sophie B.; vielleicht für alle meine Mitschwestem. 
Nichts ist rätselhafter für uns, als es zu sehen, wie 
jemand uns garnicht mehr lieb hat t Gar nicht mehr 
ein bißchen. Wir machen da sozusagen nachträg- 
lich alle seine Qualen mit, imd alle unsere voll- 
kommen unnötig gewesenen Grausamkeiten, 
Ungezogenheiten» Rücksichtslosigkeiten usw. usw. 
Wie ein schreddiches Bild zieht es an uns vorüber, 
nebelhaft, und dennoch schreckhaft deutlich! Ja, 
wir waren Königinnen, wie Chinas mysteriöse Be- 
henscherin einst, und nun sind wir entthront l Man 
bittet uns nicht mehr um Gottes willen um eine Haar- 
locke, man versucht es nicht mehr, imser Knie unter 
dem Tisch sanft zu berühren! Wir sind entthront, 
entwertet und verstoßen! Wir haben uns „Herzen" 
entfremdet; und Gott will das nicht. Das heißt. Er 
hat nichts dagegen, falls es sein muß, aber es soll 
in Seiner Milde, in göttlicher Milde vor sich 
gehen, so zart behutsam, daß wir alle Tränen trock- 
nen, die seit Monaten um uns geflossen sind! Mit 
Kranken schreit man nicht hemmt Wir haben nie 
seine Briefe verstanden, in denen er uns doch ganz 
verständlich mitteilte, er habe unseret wegen 
die ganze Nacht geweint. Jetzt verstehen wir diese 
Briefe, die wir bereits zerrissen haben! 

Also, da sitzt er mm vor ims, der einst ein Naxr 
in unseren Augen war, und unsere ausgespuckten 
Traubenschalen liebevoUst in seinen Mund nahm! 

Da sitzt er nun vor uns. Wir sind ihm nichts. 

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Er schaut, und ist selbst verständnislos gewor*. 

den! 

Oh oh 1 Wie schade! 

Unser Atem ist ihm nicht mehr süB — — — viel- 
leicht ekelt er ihn sogar — — — I 



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MEIN GRAUER HUT 



Der Märzwind klagt durch die winter-erfrorenen 
rostroten Gebtische. Über die grauen Wiesen burstet 

er grauen Märzstaub auf, zieht in die Wälder hinauf, 
um rotes starres Laub zum Kaschehi zu bringen, zum 
Vorhiihling-Tanze 1 

Neben mir liegt mein geliebter grauer Füzhut, 
Gemsjagd- Kaiser-Hütchen. Er erinnert mich an alles, 
was ich verloren habe, an Alles! Ich habe ihn in 
Mürzzuschlag gekapft, nach langem Suchen, er ist 
mein Ideal-Hut. Nun blicke ich ihn an, in tiefster 
Zärtlichkeit, als ob er noch die hellen scharfen Lüfte 
und Düfte vom Semmering-Paradiese in seinem Filz- 
gewebe berge. Ja, für mich biigt er sie» alle die 
Schätze, die mein Auge dort droben in der lichten 
scharfen Luft in sich hineingetrunken hat, auf der 
Beton-Terrasse, 6 Uhr morgens, mit sonnigem Wiesen- 
nebel und dem Mürz-Nebel-Strom ins Haidbachtal, 
weiß und leuchtend, ein Märchen-Strom! Und abends 
die goldenen Wolken im Mürztal ; und immer, immer 
. war es noch schöner als am Vortage, imd meine Seele 
war reich durch Begeisterung. Nichts entging mir von 
Gottes Pracht. 

Nun denke ich an das Holdeste, Klara und Fran- 
ziska Panhans, Magda Simon, Eva Leopold, Frau 
Machlup, ebenfalls Gebilde der gütigen edel-gestalten- 
den Naturl Für alle hatte ich den Blick famatisch- 
zärtlicher Begeisterung! Nun aber bleibt mir nur 
mein kleiner grauer Filzhut, Gemsjagd-Kaiser-Hut; 
erliegt vor mir, unscheinbar, nichtssagend. Mir aber 
scheint die untergegangene Sonnenwelt „Semmering"* 



55 



^ daraus entgegen, und sagt mir „adieu", adieu für 

immer . Weshalb dieses Schicksal?! Ich weiß 

es nicht 

8. März 1913. Vortag meines 54. Geburtstages. FQr 

Frau Lilly St. 



56 



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DIE KOSTÜME AUF DEM SEMMERING 
IN DER SILVESTERNACHT 

Ich sah ein ockergelbes Musselinkleid-Hemd mit. 
breitem lila Samtband geputzt. An der Brust eine 
große lila^weiße Kamee. Dann sah ich an dem herr- 
lichen Fräulein Schw. • . eme y^Be seidene Wolke, am 
Rande bestickt mit grellem Silberschimmer aus großen 
viereckigen Silberplättchen. Dann sah ich an der 
braunen Frau S« eine sdiwarze Tüllrobe, mit schwar- 
asem Hut, mit einer schwarzen samtenen Tulpe an 
der Brust. Kardinalfarbene Seidenrobe, bestickt mit 
kardinalfarbigen Glasperlen. Eine staubgraue, nebel- 
graue Tüllrobe, mit breiten ockergelben Samtbändern. 
Eine erbsengrüne TüUrobe, mit hechtgrauen Glas- 
perlen bestickt; braimgelbe Orchideen an der Brust. 

Frauenschuh. iDann sah ich eine da wußte 

ich gar nicht, was sie anhatte; denn ich sah nur ihr 
Antlitz, ihr süßes, süßes Antlitz, mit den klaren 

schimmernden Madonnenaugen — . Da sagte 

eine ältere Dame zu mir: „Nicht wahr, das bemerke 
ich sofort, die Toilette dieser jungen Dame ist ganz 
nach Ihrem etwas apartftn und übertriebenen Ge- 
schmack !?! •* — „Jawohl", erwiderte ich, 

„obzwar ich gar nicht sah, was sie anhatte 

— »Ja-, Sie urteilen eben auch nur nach dem Äußeren, 
mein Lieber, sehen Sie wohl?! ? " — „Ja, Idder'S er- 
widerte ich und starrte die Madonnenaugen an ^. 

Sie hieß Kl. P. und dennoch kann niemand ahnen, 
wer es ist — • — — . 



57 



FORTSCHRITT 



Es gibt Leute, die heutzutage nicht mehr auf den 
^ Boden eines Kaffeehauses spucken können, und solche 

die es noch ganz gut können. Diese Zweiteilung 
ist ein Zeichen eines wenn auch geringen allgemeinen 
Fortschrittes. Es gibt Leute, die selbst bei einer auto- 
matisch von selbst schließenden Tür ängstlich hinter 
sich blicken, ob die Maschinerie auch wirklich funk- 
tioniere. Das sind bereits „Gentlemen der Entwick- 
lung''. Beim „Sport*' darf man keiner Dame helfen, 
irgendwie behilflich sein in einer schwierigen Situa- 
tion. Dadurch gewöhnt man sich allmählich auch das 
sklavische „Pakettragen** oder „Schirmaufheben" 
oder „iSgarettenanztinden" ab. Wieder ein kleiner 
Fortsdirittt Jetzt fehlt noch der hohe englische 
Fußschemel beim Friseur, und di^ Ventilatoren in 
jeder Fensterscheibe, wobei niemand rufen darf: 
«,Es zieht!" Preise an Schriftsteller-Millionäre zu 
vergeben, ist noch rückschrittlich. Mit Geld kann 
man nur Künstler ehren, die keines haben! Turbot 
samt seiner dimklen schuppigen Haut essen imd 
noch dabei behaupten, dasf^be dem edlen Fische erst 
den Geschmack, ist eine mittelalterliche Zurückge- 
bhebenheit, die man eventuell einem eisengepanzer- 
ten Recken oder Drachentöter nachsehen könntet 
Eine übertrieben deutliche Schrift haben, ist einer der 
wenigen zu begrüBenden Snobismen. Man schreibt 
für den, der es lesen soll! Eine Frau in der Weise 
bewundem, daß es dem zugute konmit, dem sie 
angehört, und nicht dem, der sie bewundert, 
ist „höchste Kultur"! Mehr als zweimal im Tag mit* 

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teilen, man habe im rechten Knie beim Drücken einen 
Schmerz, ist nicht ««fortschrittlich''. „Tamar Ixidien 
Grilkm** anpreisen« ist höchste Kultur. Aber auch 
hierin gibt es zarte Grenzen. Ich hörte einmal an 
einem herrlichen Herbst morgen einen jungen Grie- 
chen eine junge Serbin fragen: „Oh bonjour« made- 
moiselle« combien de pilules „Fvagbx**^ est-ce-qu'on 
ose prendre k la fois?!" „36" erwiderte die jimge 
Dame schlagfertig, worauf man den Griechen acht 
Tage lang nicht mehr erblickte. Leute ins Gespräch 
ziehen« um ihnen Ansichten herauszulocken« zum 
Zwecke, sie ihnen widerlegen zu wollen, ist un- 
kultivirt. Um „Proselyten" zu machen, gehört 
mindestens die Entschuldigung ein^ „heiligen Fana* 
tismus**. Zwischen Tee und ««kleiner Bäckerei'^ hat 
solches nicht stattzufinden! „Anonyme Briefe" 
sind eine Gemeinheit. „Nicht anonyme Briefe" sind 
eine noch größere Gemeinheit. Man hat zu schreiben : 
««Ich verehre Siel" Im allgemeinen aber zeigt sich 
doch in der „vie quotidienne" ein beträchtlicher Fort- 
schritt. „In der Nase bohren" findet man sogar bei 
Kindern verhältnismäßig nur mehr selten, obzwar es 
noch vor 20 J ahren zu den sogenannten « «billigen Freu- 
den des Daseins" gehörte! Häufiger kommt es vor, daß 
Liebesleute vor Fremden sich gegenseitig zu blamieren, 
zu desavouieren suchen« kurz den Anschein eines 
Täubchenverhältnisses zu bewahren« für Augenblicke 
außer acht lassen. Den „Dritten" dabei als Richter an- 
zurufen, ist aber eine der allergrößten Infamien, be- 
sonders falls er auf die Frau ein oder mehrere Augen 
bereits geworfen hat. £s gibt also noch immer eine An- 
zahl von verbesserungsbedürftigen Dingen ! 



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ABSCHIED 



Herr Altenberg, ich danke Ihnen noch zuletzt für 
alles, für alles!'* 

„Wofür, das verstehe ich nicht 

„Das kann man nicht so sagen» wofür man Ihnen 
meinem wochenlangen Verkehr zu danken hat I Man 
ist gleichsam von sich selbst erst zu sich selbst ge- 
kommen, erblickt das Leben einfacher, selbstver- 
ständlicher und klarer als bisher. Deshalb muß man 
zu Ihnen sagen: „Ich danke Ihnen fiir alles» für alles 
— obzwar man durchaus nicht weiß» worin es be- 
steht!** 

Es war der tiefste Abschied» eigentlich aber ein 
ewiges Zusammenbleiben t 



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BESUCH 



Mein Freund, der Doctor philosophiae aus Heidel- 
berg, schrieb mir, er sei in tief deprimierter Stimmung, 
woJle in den «JF'rieden der Berge flüchten*'* höchst 
moderne Ausdrucksweise, und vor allem beim Dichter 
eine Art von seelisch -geistigem" Reinigungsbad neh- 
men. Als er ankam, begann ich daher von Rax und 
Schneebeig, Pinkenkogel und Sonnwendstein zu 
schwärmen. Er erwiderte: »»Lasse gefilligst diese 
Marlittiaden einer überwundenen Epoche imd zeige 
mir lieber eine Dame, mit der man stundenlang über 
Ibsen» Hofmannsthal» Stephan Geoige und älmliche 
Geschöpfe seine endgültigen Ansichten los werden 
kann." Er war glücklich, als ich ihm mitteilte, daß 
ich zufälligerweise gerade jetzt drei solcher Damen 
auf Lager habe» leider aber eine j ede in einem andren 
Berghotel. Er meinte» er wolle gern den Wagen be- 
zahlen, und wir sollten von einer zur anderen fahren. 
Auf dem Wege könne man ohne weitere Schwierig- 
keiten die Schönheit» den Frieden der Bergwelt» aber 
ohne Exaltationen über jeden einzelnen Baum» son- 
dern in Bausch und Bogen genießen. Dieser annehm- 
bare Plan wurde zu allgemeiner Zufriedenheit aus- 
geführt. Eine vierte Dame» die sich anschloß» konnte 
wegen Zeitmangels nicht ins Gespräch gezogen werden 
über die Philosophie in der Musik des Debussy. Der 
Doktor sagte zu mir: „Ist es also wirklich wahr, daB 
mannurbiszi Uhr aboids hier Getränke bekommt?!' 
— »»Nein,** erwiderte ich» »»das ist eine Verleumdung» 
man erhält bis Mittemacht Limonade und Soda- 
Himbeer!" — »Esel»'' sagte er» »»ich meine schweren 

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Burgunder!** Er schlug nun vor, schon um 7 Uhr 
abends anzufangen» damit man bis zur Schank- 
Sperrstunde das Nötige absolviert haben könne. Ich 
erklärte ihm, daß ich seit anderthalb Jahren Anti- 
alkoholiker sei und daher vor halb 8 Uhr abends nicht 
anfangen köime! Er sagte, er sei einverstanden, da 
er mich von meinen schwer errungenen Grundsätzen 
nicht abbringen wolle. Im Laufe des Abends ge- 
sellten sich einige Herren zu uns, die er in liebens- 
¥nirdigster Weise anstänkerte, indem er sie fragte, ob 
sie sich emstlich von der Bergluft und der Enthalt- 
samkeit eine Heilung ihrer anscheinend doch unheil- 
baren Leiden erwarteten?!? Bald waren wir allein, 
und später erklomm er mit meiner Bergführerhilfe 
die Treppe. Er sagte noch: Rax, Schnee — berg, 
Sonn — wend — stein, Pin — ken — ^ko— -gel . . dann 
verschwand er hinter der gepolsterten Tür. 



* 



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BUCHBESPRECHUNG 



Ich lese jetzt Tolstois „Chadschi Murat", ans dem 

Nachlaß. Es ist immer dieselbe Art, plastisch-histo- 
risch, lebendig gewordene Wachsfigurenkabinette, 
p^chologische Wachsfiguren, z. B. der großartig 
geschilderte wachsbleiche fette Kaiser mit dem nichts- 
sagenden streng-starrenden Antlitz, der weiß, daß er 
nichts weiß, und dennoch die Geschicklichkeit besitzt, 
sich immer, in jeder Situation, es einzureden, daß er 
„zum Heile und zur Ordnung der Welt" unentbehr- 
lich sei. Aber auf Seite i6i fand ich ein besonderes 
und bisher, vor allem mir, unbekanntes Sprichwort : 
,J)er Hund bewirtet den Maulesel mit Fleisch 
und der Maulesel den Hund mit Heu — in- 
folgedessen bleiben beide hungrig!** Ich finde 
das wunderbar; es ist ein Bild unseres ganzen tra- 
gischen Lebens, besonders dessen zwischen Mann 
und Frau! Ein jeder bewirtet uns mit einer Kost, 
die für ihn die beste, für den Bewirteten meistens 
jedoch die allerschlechteste ist! 

Einer meiner sogenannten „Freunde", andere als 
„sogenannte*' gibt es nämlich hienieden nkht, 
würde natürlich sagen, daß dieses Sprichwort einen 
natürlich ganz anderen Sinn habe als den ihm von 
mir willkürlich unterlegten, femer, daß es längst 
allgemeinst, vor allem ihm selbst, bekannt sei; daß 
es schon im ,, Sanskrit** erwähnt werde imd nichts 
anderes bedeuten könne als die ,,Güte des Schöpfers 
allen seinen Kreaturen gegenüber**! DuEsell Trotz- 
dem halte ich das erwähnte Sprichwort für überaus 
wertvoll und sinnvoll und glaube nicht, daß ich bis 

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« 



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Seite 203, Ende, etwas annähernd ebenso Tiefes 
iinden werde. 

Wenn man einmal so weit ist, die Menschen des 
übrigens alltSglichen Lebens ebenso scharf anfe Kom 

zu nehmen, wie Tolstoi es tut in seinen Romange- 
bilden, oder wie Charles Dickens und Thackeray in 
milderer Form» so verringert sich natuigemäß die 
Distanz zwischen Künstler und Leser« Der Leser 

weiß einfach ganz dasselbe, ohne sich die lächer- 
liche Mühe zu nehmen, es niederzuschreiben! 



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EIN BRIEF . 

m 

Sehr geehrte gnädige Frau! 
Sie wollen „glücklich" sein? Das ist schrecklich! 
Beethoven, Schiller» Hugo Wolf, Novalis, Lenau 
waien nicht glücklich. Mit welchem Rechte wollen 
Sie also glücklich sein? Mit dem Rechte der „In- 
feriorität?" Aber darauf haben Sie keinen legitimen 
Anspruch, da Sie es doch nicht sind! Sie erzählen 
mir» daß irgend jemand um Sie bange war, um Sie 
geweint hat? Erzählen Sie mir doch lieber, daß Sie 
um irgend jemand besorgt waren, geweint haben! 
Sie sagen mir, was man von Ihnen halte? Sagen Sie 
mir doch lieber, was Sie von den andern halten! 
Sagen Sie mir, von wem Sie schwärmen, und sagen 
Sie mir nicht, wer von Ihnen schwärmt! Ihre eigene 
Welt ist gerade so wie sie ist, aber die Welt der andern, 
der „Nicbt-Sie-Seienden**, die ist eine Bereicherung 
Ihres Denkens, Ihres Fühlens! Zeugnisse mit aus- 
gezeichneten Referenzen sich von Nichtverst ehern 
ausstellen lassen, ist euie allzu billige Befriedigung! 
Sind Sie die Düse, die Yvette GuUbert , die Else Leh- 
mann! Nun also! Sagen Sie stets: „Ich verehre!^* 
sagen Sie niemals: „Ich werde verehrt!" Ein „labiles 
Selbstbewußtsein" ist an und für sich „unkünstle- 
risch"! Sei, der du bist! Nicht mehr, nicht weniger! 
Wenn Sie vom „Russischen Ballett" schwSrmen, von 
Nidjinsky, von der Karsawina, von der Nieder- 
metzelimg der Haremswächter, von den russischen 
Volksmelodien, vm den Damen in den Logen und 
den Silberreifen um ihre süßen Lockenköpfe, von 
Samthemden in Violett und Grasgrün, die alles ver- 

• 65 



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bergen wie edel-verschwiegene schwere Portieren — 
dann, dann sind Sie Sie selbst ! Eine Aufsaugerin der 
Schönheiten der Welt, eine Bereicherte! Aber 
wenn Sie von sich selbst sprechen, werden Sie arm- 
selig! Eine, die erzählt, man habe ihr ein Almosen 
gegeben ; eine Bettlerin an der Brücke, die hinüber- 
führt ins MVersoigoogshaus des Lebens^*! 



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DAS HOTEL-STUBENMÄDCHEN 



Sie saß nachts, ganz zerpatscht von Stiegensteigen, 
Sorgsamsein für fremde Menschen, Aufmerken auf 
fremde Wünsche, in der Portierslpge, zählte einen 
Haufen Trinkgelder in ihre Schürze. Ich wußte, daß 
sie ein entzückendes dreijähriges Mäderl habe, und 
der Gatte war verschollen. 

Ich sagte: ,,Woher sind Sie, Marie?!" 

„Aus Kärnten/* 

„Sie müssen ja die Dorfschönheit gewesen sein 
,4^as war ich!*' 

„Und alle Jünglinge müssen sich um Sie beworben 

haben .** 

„Das haben sie getan/* 

„Und da haben Sie sich den gerade aussuchen 
müssen?!" 

„Er mich!" 

„Und Sie sind so ruhig, so gesichert 

,J>a kann man ioicht aufbegehren. £s ist das 
Schicksall" 

„Nein, die Dummheit war es, die Borniertheit 
— — ** 

^m^m «i^— »-»^ 

„Das ist ja unser Schicksal!" 

Später sagte sie: „Rühren Sie mich nicht an, es 
passt mir nicht. Weshalb streicheln Sie meine Haare ? ! 
An mir ist nichts mehr zum Streichehi — — — ." 

Ich schenkte ihr eine Krone. 

„Wofür geben Sie mir das?!" 

„Gewesene Dorfschönheit!" erwiderte ich. Da 
begaim sie zu weinen. 

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GESPRACH 



„Sic, sagen Sie, mein lieber Peter Altenberg, wie 

lang sind Sie eigentlich schon da, auf diesem Sem- 
mering?!?*' 

„Elf Wochen?!" 

„So? No, und das können Sie so aushalten, so 
ganz ohne Weiber?!?" 

,,Nur ohne Weiber! Mit Weibern könnt' ich*s 
gar nicht aushalten!" 

„Komischer Mensch, was Sic sind!" 

„Weshalb komisch?!?" 

„No, Sie sind doch der größte Troubadour für die 
Weiber, was wir haben heutzutage?!?" 

„No, könnt' ich denn ihr größter Troubadour sein, 
wenn ich alleweil mit ihnen beisammen wäx'?i?" 



C8 




BOBBY 



Ich habe sowieso nichts mehr zu verlieren, nichts 
mehr zu gewinnen, ich stehe vor der „großen Ab- 
rechnung" meines Lebens. Jetzt erkläre ich, daß ich 
die weiße, hellbraungefleckte echtrassige Foxterrier- 
hündin Bobby, mit ihren acht rosigen Brust- und 
Bauchwarzen (selbst die edelsten Damen haben nur 
deren zwei), für schöner, graziöser, liebenswürdiger, 
herzlicher, menschenfreundlicher halte als die meisten 
Frauen. Sie erregt nie in mir Eifersuchtsqualen und 
Verzweiflung, hat eine unbeschreibliche Freude, wenn 
ich nett zu ihr bin, sagt nie bei einer solchen fein- 
fühligen Gelegenheit: „Zahl' lieber an Kaviar imd 

laß die billigen Faxen Denn erstens 

frißt sie Gott sei Dank gar nicht Kaviar, und 
zweitens „fliegt sie** grad auf meine „billigen 
Faxen", d. h. meine seelische Verehrung, Anerken- 
nung und Liebe! 

Ich ziehe also Bobby allen Frauen vor, freilich 
sage ich das erst öffentlich am Ende meiner soge- 
nannten „LiebeslauflDahn", mit einem Wort: nach 
meiner Schlacht von Sedan. Bobby hat um mich 
geweint, gewinselt, sich gekränkt, den Appetit ver> 
loren. Die übrigen Weibchen hatten gerade in meiner 
Gesellschaft stets einen riesigen Appetit, während 
ich kaum die Absicht hatte, ihnen ein „Kalbsgulasch** 
zu bezahlen. Und dann, Bobby hat noch einen großen 
Vorteil, sie gehört nämlich gar nicht einmal mir, son- 
dern einer reizenden bekannten Dame, der die Für- 
sorge für sie obUegt. Ich selbst schmeichle mich nur 
bei Bobby ein, um ihre zärüiche Freundschaft zu 

«9 



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gemefien. Ich will keine Spesen haben, und »»äußerhi^* 

führe ich auch nicht. Frauen haben immer irgend- 
welche Bedürfnisse! Aber ich bin nicht in der Lage, 

sie zu befriedigen . Das nimmt zu viel Kräfte 

weg und Zeit! Liebe ohne alle Spesen ist meine letzte 
Erkenntnis auf Erden. 



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PSYCHOLOGIE 



Mich interessiert an einer Frau meine Beziehung 
zu ihr, nicht ihre Beziehung zu mirl 

* 

Daß ich ihr eine exzeptionelle Achat brosche 
schenken darf, macht nüch* glücklich, nicht daß sie 
es gerührt annimmt! 

Ich küsse ihre Haarlocke in meinem Zimmer an- 
betend, aber ihre braunroten Haarsträhne mögen im 
Winde flattern für alle Welt! 

♦ 

Sie hat Migräne, und ich renne nachts in die 
Apotheke. Für mich hat sie Kopfweh, da ich be» 

sorgt bin, es ihr zu lindem! 

Wenn sie »»Wintersport** treibt, zittere ich um 

ihre zarten geliebten Gazellenglieder! Für mich 
allein betreibt sie daher „Wintersport"'! 

« 

Ein Hut, der ihr schlecht steht, macht mich 
unglücklich, ein Hut, der ihr zu fesch- kokett steht, 
macht mich ebenfalls unglücklich! Für mich al- 
lein also trägt sie alle, alle ihre Hüte! 

Die Speise, die ihr nicht schmeckt, macht mich 
unglücklich, die Speise» die ihr schmeckt, macht 
mich glücklich. Für mich, für mich allein daher 

ißt sie! 

* 

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Der Blick, mit dem sie einen anderen liebens- 
würdig anschaut, macht mich , mich allein unglück- 
lich! Daher gehört dieser Blick mir, mir, und nicht 
ihm, dem eitlen Laffen! 

Mir, mir allein gehört alles, was von ihr kommt. 
Böses und Gutes, denn ich, ich allein empfinde es! 



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VORFRÜHLING 

Von den braunroten Dachschindeln riesehi grau- 
glänzende Bäche. Man muß diesen harten Winter 
wegschwemmen , auflösen. Die Blumen und Gräser 
wollen auch schon heraus, nicht nur die genialen . 
Sdmeerosen und Eriken, die der Nachwinter nicht 
geniert. Aber es gibt diskretere Kräuter, die erst auf 
den ernsten „Ruf des Frühlings" Folge leisten und 
nicht gewillt sind, mit Schnee und Kälte zu „pak* 
tieren**. Das Berg-Schneeglöckchen zum Beispiel, 
das Leberblümchen und der Frühlings-Enzian. Die 
lassen mit sich kein Geschäft machen; ein paar son- 
nige Tage können sie nicht verführen, ihre Pracht 
zu ent&lten. Sie wollen Numero Sicher gehen, also 
eigentlich , .Philister der Blumenwelt". Nicht vor- 
zeitig verwelken wollen, ist immer eine Art 
von „philiströser Tätigkeit"! Franz Schubert, Hugo 
Wölf usw. usw. hatten sie nicht. Leute, die „Eau 
de Vichy" trinken statt ,, Enzian-Schnaps", sind 
zu verwerfen! Sie legen zuviel Wichtigkeit ihrem 
absolut unwichtigen Organismus bei. Ich bin 
gewiß für Gesundheit. Aber sie muß auch für 
andere wertvoll sein. Die Gesundheit der Wert- 
losen ist wertlos! Der „Hypochonder" hat 
irrige Ideen vom Werte seiner Erhaltung! Wir 
verzichten gerne auf seine Lebenskräfte, die 
uns doch nichts bieten können! Ein „reeller 
Kranker" ist uns lieber als ein ,, falscher Ge-« 
sunder"! Das merkt euch, ihr „Wucherer mit der 
Gesundheit**! Früchte, die fallen wollen, soll man 
abreißen ! Aber statt dessen laßt man sie oben, und 

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sie schreiben fünfaktige Dramen, oder malen« oder 
bildhattem, jedenfalls treiben sie irgendeinen schäd- 
lichen Unfug! 



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DAS GLÜCK 



Ich erwartete das Glück vergeblich Jahre und Jahre 
lang. Endlich kam es und setzte sich zutraulich an 
mein Bett. Es hatte gelbbraunen Teint vne die Java- 
nerinnen, schmale, lange Hände und Finger, Gazellen- 
beine und bewegliche lange Zehen. Ich sagte: „O, 
bist du wirklich, wirklich endlich das Glück, das lang 
ersehnte, tief entbehrte?!?" — „Ich weide es dir 
morgen schreiben, ob ich es wirklich bin oder nicht. 
Du wirst selbst urteüen 

Am nächsten Morgen fand ich einen ZetJ:el, auf 
dem geschrieben stand: „Adieu, auf Nimmerwieder- 
sehen .** Ja, es war also wirkUch und wahr- 
haftig ,,das Glück'' gewesen! 



TS 



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DAS DUELL 



Ich, als Outsider** der Gesellschaft, die sich an* 
maßend und fälschlich die ,,gute** nennt, begreife 
überhaupt naturgemäß nur eine einzige Art, zum 
Duell seine Zuflucht za nehmen« Das ist, wenn man 
in bezug auf eine Frau in seinem Lebensglücke so sehr 
geschädigt wurde, daß man unbedingt zum Mörder 
und nachher zum Selbstmörder werden will! Da hat 
man im „Duell'' die Chance, den Kerl umzubringen 
und nach ««vollendeter Sühne** sogar ganz fröhlich am 
Leben ^u bleiben imd zu sagen: „Sixst* es, Annerl, 
Mauserl» Herzerl» jetzt wirst net so bald wieder didi 
einlassen, einer von die Herren Kavaliere is schon 
kalt geworden trotz deinet heißen Liebe!** 



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STAMMGÄSTE 

Die „Stammgäste" eines Hotels haben eine eigen- 
tümliche Art von Sicherheit, die ein wenig an „Grö- 
ßenwahn'* erinnert. Sie haben die Ansicht, daß alles 
glücklich sei, da0 sie wieder da sind, und daß bisher 
in dem gesamten Hotelbetrieb eine Art von empfind- 
licher Stockung eingetreten sei, die nun glücklicher- 
weise sdiwinden werdet Sie haben eine «»falsche Lie- 
benswürdigkeit^* mit dem Bedienxmgspersonal, erkun- 
digen sich nicht imgem nach Dingen, die sie nichts anr 
gehen. Auch ihre eventuellen „Beschwerden" gegen 
die Hotdusancen bringen sie in einem gütig-väterlich- 
wohlwollenden Tone an, als wollten sie das ganze 
Etablissement vor dem Ruine schützen! In J. war 
ein reicher Stammgast, der jeden ,JEingeborenen" 
mit der Frage beglückte: „Nun, wie war der Winter 
bei Euch heuer?!*' Obzwar ein jeder darauf mit 
Freuden geantwortet hatte: ,,Schmecks!", so sagten 
doch alle, mit Rücksicht auf Trinkgelder, die niemals 
stattfanden: ^»Hei^^ besonders hart, gnä' Herr — .'^ 
Worauf der Stammgast leutselig erwiderte, daß da- 
für der Sommer zur Erholung, nämlich für ihn, diene! 

Trotz aller dieser Eigenheiten möchte dennoch 
keine Gegend ihre Stammgäste missen, denn sie ge- 
hören dazu und machen das Ganze sogar heimlich, 
wie die Schwalben, die Störche und anderes stets 
wiederkehrendes Getier! 



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SANATORIUM FÜR NERVENKRANKE 



(aber nicht die» in denen ich mich befand I) 
Morgenvisite. 

Der Doktor sitzt, wie ein Staatsanwalt ernst 
blickend und forschend» an einem riesigen Schreib- 
tische. 

Der Delinquent (Patient) tritt ein. 

»»Bitte, nehmen Sie Platz .** 

Pause» in derber Staatsanwalt (Arzt) den Ver- 
brecher mustert, ob Paralyse oder Simulation vor- 
handen sei . 

»»Also» mein lieber Peter Altenberg, ich kenne Sie 
nämlich schon seit langem aus Ihren interessanten 
Büchern, und erlaube mir daher den konventionellen 
Titel „Herr** bei einem berühmten Manne wie Sie 
wegzulassen. Ihre Verehrerinnen apropos sollen Sie 
ja direkt mit »P. A/ titulieren!? Diese Ehrenab- 
kürzung wage ich bisher noch nicht — . 

Aber zur Sache! Also, mein lieber Peter Alten- 
berg, was werden wir denn zum Frühstück nehmen ? ! ? * ' 

»,Wir ? I Das weiß ich nicht. Aber idi selbst nehme 
Kaifee, hellen Milchkaffee 

„Kaffee?! So?! Also Kaffee, hellen Milchkaffee 
?!? Also schön» Kaffee !" 

»»Ja» bitte» es ist mein gewöhnliches Getränk» an 
das ich seit dreißig Jahren gewöhnt bin — .** 

„Ganz gut. Aber Sie sind eigentlich hier, um sich 
von Ihrer bisherigen Lebensweise» die Ihnen an- 
scheinend bisher nicht besonders genützt hat» zu 
entwöhnen» vielmehr die nötige Energie zu 

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akquirieren, solche Veränderungen Ihrer gewohn- 
ten, ja vielleicht allzu gewohnten Lebensweise 
allmählich wenigstens vorzunehmen!?! Nun, blei- 
ben wir also vorläufig beim Milchkaffee. Aber wes- 
halb diese dezidierte Aversion gegen Tee?! Man 
kann auch Tee mit Milch verdünnt trinken — 
?!' 

„Ja, aber ich pflege Milchkaffee zu trinken-^ 

„Haben Sie, Herr Altenberg, einen bestimmten 
* Grund, den Genuß von Tee des Morgens für Ihre • 

Nerven für unzukömmlich zu halten 71?** 

„Ja; weil er mir nicht schmeckt .** 

„Aha, das wollte ich eben nur wissen. Also, mein 

lieber Herr, was nehmen Sie denn zu Ihrem so 

geliebten und anscheinend unentbehrlichen 

Müchkaffee dazu?!?" . 
„DazuPl Nichts!" 

,,Nun, iigend etwas Konsistentes müssen Sie 
doch dazu nehmen! Ein leerer Kaffee schmeckt 

einem ja gar nicht 

„Nein, ich nehme nichts dazu; mir schmeckt nur 
ein leerer Milchkaffee — /i* 

„Nun, mein sehr geehrter Herr, bei uns geht das 

eben nicht. Sie werden mir freundlichst die Kon- 
zession machen müssen von zwei Buttersemmeln 

*€ 

„Ich hasse Butter, ich hasse Semmeln, aber noch 
mehr hasse ich Buttersemmeln!" 

„Nun, diesen Haß werden wir schon noch be- 
siegen! Ich habe schon schwierigere Kunst- 
stücke fertiggebracht, meüi Lieber. . So, 

und jetzt begeben Sie sich stillvergnügt zu Ihrem 

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Frühstück in der Veranda. Noch eins: Pflegen Sie 
nach dem Frühstück auszuruhen?!?'' 
, Je nachdem 

„Je nachdem gibt es nicht. Entweder Sie ruhen 
oder Sie machen Bewegung^ — 

,,Also dann werde ich ruhen .** 

„Nein, dann werden Sie eine halbe Stunde lang 
gehen !" 

Der Delinquent verläßt wankend das Amtszim- 
' mer und begibt sich zum Strafantritte auf die ^ 
Veranda zum Frühstücke, verschärft durch zwei 
Buttersemmeln. 

Einige Tage später. Der Staatsanwalt: „Nun, 
sehen Sie, mein lieber berühmter Dichter, Ihr Ge- 
Sichtsausdruck ist schon em viel freierer, ich möchte 
sagen, ein menschlicherer, nicht so präokkupiert von 
fixen Ideen . Haben Ihnen die zwei Butter- 
semmehl geschadet?! Na also!'' 

Nem, sie hatten ihm nicht geschadet, denn er 
hatte sie täglich im Hülinerhofe verteilt — . 

Nach mit tags Visite. 

„Herr Peter Altenbeiig möchten sogleich zum 
Herrn Direktor kommen 

„Setzen Sie sich, bitte. 

Ich habe Ihnen den Aikoholgenuß strengstens 
untersagt — 

„Jawohl, Herr Direktor 

„Kennen Sie diese ganze Batterie von leeren 
Sliwowitz-Flaschen ? ! ? " 

„Jawohl, es sind die meinen — . /* 

„Man hat sie heute unter Ihiem Bette aufgefun- 
den 

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,Ja, wo sollte man sie denn sonst auffinden?! 
Ich habe sie ja dort deponiert 

»,Wie haben Sie sich das Gift in meiner Anstalt 
verschafft?!" 

„Ich bestach jemanden. Sein ehrhches Gewissen 
ließ es bei zwei Kronen nicht zu. Da offerierte ich 
ihm* drei Kronen.^* 

„Sie sind also unschuldig an der ganzen Sache, 
sondern der ungetreue Diener ist der Schuldige! Ich 
werde ihn zur Rechenschaft ziehen» obzwar er bereits 
fünfundzwanzig Jahre im Hanse ist nnd er sich, 
soweit ich es übersehen konnte, stets einer 
tadellosen Konduite erfreut hat 

»,Herr Direktor» Sie haben mir doch noch gestern ' 
gesagt, daß ich in Ihrer Anstalt und durch das regel- 
mäßige solide Leben hier mich um zwanzig Jahre 
. direkt verjüngt hätte und fast gar nicht mehr wieder- 
zuerkennen sei?!?" 

„Das sagte ich aus pädagogischen Gründen, 
um Ihr Selbstbewußtsein zu stärken 

„Herr Direktor, darf ich nur die leeren Sliwowitz- 
Flaschen bei Ihnen später abholen lassen?!? Ich 
bekomme nämlich für jede sechs Heller retour — w-." 

Direktor zu dem unredlichen Angestellten: ,,Sie 
Anton» wie konnten Sie sich unterstehen, nach fünf- 
undzwanzig tadellosen Dienst jahren» einem Patienten» 
und sei es auch ein berühmter Dichter mit Eigen- 
heiten, solche Mengen Branntwein gegen Bestechung 
zu verschaffen ?!? 

»»Aber Herr Direktor» wenn ich das nicht schon 
seit Jahren bei hundert Alkoholikern getan hätte, 
wäre uns ja ein jeder schon am dritten Tag davon- 

f 8i 



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/ 



gegangen, und wir hätten unsere . Anstalt leer stehen 
gehabt!" 

„Hun. gut, Anton« aber sorgen Sie wenigstens 
dafür von nun an, daß die leeren Flaschen nicht ge- 
funden werden 

„Herr Direktor, das hat mir der Diener Franz 
angetan, aus Rache, weil ich mir soviel nebenbei-ver- 
diene — 

Direktor zum Diener Franz: f,Sie, Franz, küm- 
mern Sie sich usa Ihre eigenen Angelegenheiten! Sie 
verdienen genug, indem Sie unsere Alkoholiker mit 
unserem H3^terik6rinnen em wenig »anbandeln* 

lassen . Ein jeder hat sein Ressort, In einer 

Anstalt muß Ordnung herrschen!'" 



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DIE ROMANTIKERIN I. 

Ich hielt diese Fün&ehnjährige wirklich für ein 

Ideal slawischer Schönheit, Stumpfnase natürlich, 
aschblondes Haar, hechtgraue oder taubengraue 
Augen. Alles an ihr geüel mir« und nichts an ihr miß- 
fiel mir. Ihr Schweigen war düster-merkwürdig, ihre 
Interesselosigkeit an den Dingen des Lebens erschien 
mir wie die versteckte Weisheit eines vorausahnenden« 
gleichsam seherischen jungen Geschöpfes« an das 
doch heutzutage, wie die Dinge einmal stehen und 
liegen, sich in jedem AugenbHck irgendeine Nie- 
derträchtigkeit heranschleichen könnte! Aber 
vorläufig war sie geborgen« beschützt« geborgen! 
Nun, trotz alledem war ich nur ein kühler Beobachter« 
den das alles absolut gar nichts anging, und der sich 
höchstens einmal zu einem Veilchensträußehen für 
60 Heller aufschwang. Ich sagte zwar« es habe eine 
Krone gekostet« aber mit gutem Recht« da die Pro- 
zente, die mir die Blumenhändlerin als einem Dichter 
gab, eine Privatangelegenheit bilden für sämtliche 
Beteiligte. Nun« eines Tages bat mich die Süße« ob 
sie für ein Stündchen m memem iSunmerchen aus^ 
ruhen dürfe, während ich auf dem Spaziergang be- 
findhch wäre. Ich erlaubte es ihr. Als ich abends 
mein Zimmer betrat« lagen« nett angeordnet im Kreise« 
sieben Haarnadeln auf der weißen Marmorplatte 
meines Nachtkästchens, als stiller Dank für die Be- 
herbergung. Seitdem bin ich ein anderer Mensch ge- 
worden. Diese kindlich-zarte« spielerisch-nette Ro- 
mantik hat mich gerührt. Diese sieben Haarnadeln 
sind etwas Positives von ihr« sie befanden sich vordem 

«• 83 



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in ihren aschblonden seidenweichen Haaren. Ich 
empfand es als eine kolossale Belohnung, ich bewahrte 
die Haarnadeln in Seidenpapier nnd schrieb das 
Datum darauf. Ich nehme sie oft heraus und be- 
trachte sie. Ich bin kein objektiver Beurteiler mehr 
seitdem. Ich denke immer» wie nett sie diese sieben 
Haarnadeln im Kreise angeordnist hatte, wie eine 
Zeichnimg für Anfänger, strahlender Stern. Ich 
werde mich schon wieder „zur Objektivität** durch- 
ringen, denn es ist das Einzige« was man hat« wenn 
man gar nichts hatl 

t 



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ERBLEICHETI ERRÖTETI 



Ich kann es immer nur wiederholen und wieder- 
holen: t*Suchet Zugluft auf!" £s gibt eine ganz ein« 
fache Art für reiche Leute, 150 Jahre alt zu werden, 
das ist, neben dem Chauffeur, bei jeglichem Wetter, 
mit freiem Halse und ohne Hut durch die Welt zu 
fahren, und nur nachts in ruhigen Zimmern, bd 
weit geöffneten Fenstern, zu rasten. Zugluft ist 
das Heilmittel! Alles daran zu setzen, sie vertra- 
ge n zu können, ist das Wesen des modernen „Höchst- 
kultivierten'M Angst vor Rheumatismus oder Bron- 
chialkatarrh ist das absolut untrügliche Zeichen 
eines tief rückständigen unaristokratischen Or- 
ganismus! Da helfen weder Ahnen, noch sogenannte 
künstlerische Qualitäten! Der betreffende Or* 
ganismus ist in jeglicher Beziehung ,,geschnapst^^ 
Ein Sänger, der seinen Kragen hochstellt, ist kein 
Sänger. Seine Kunst kann ihn in jedem Augenblick 
im Stiche lassen! Regen, Sturm müssen dem echten 
Sänger Labsal, ja Erquickung sein! Er setze sich auf 
dem herrlichen Plateau der Rax tagelang dem Ge- 
brause aus! Was die Legföhre aushält und das Rho- 
dodendron, gerade eben dasselbe muß auch er aus- 
halten! Abgehartete Frauen sind bereits dadurch 
allein schon in einer , »höheren Rangsklasse" ! Ver- 
wöhnte sind Gänse »injedeiBeziehung! Ich kenne 
alle Seelen und Gehirne der nicht absolut abgehärteten 
Menschen. Es ist Talmi und Pofel! Schein- 
Existenzen! 

«5 



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OSTERMONTAG AUF DEM SEMMERING 

Die Larchenbäume haben sich jedenfalls noch 
nicht verändert. Sie sind gelb-grau geblieben wie im 

Winter. . Sie lassen keine Hoffnung zu. Bis alles ge- 
schehen sein wird, der geordnete sichere Frühling, 
dann erst werden sie emstlich ,»ergrünen*'* Sie sind 
,,voraussichtige Genies** unter den Gewachsen, so 
Bismarcks, Moltkes der Pflanzenwelt. Andere sind 
allzu hoffnungsvoll, stecken den Kopf heraus, glau- 
ben, es wird sich schon machen, zum Teufel!, und, 
hast du nicht gesehen, sie verwelken! Aber die Lär- 
chenbäume sagen: ,,Wenn wir einmal anfangen, grün 
zu werden, dann, dann gibt es kein Zurück mehr, 
verstanden ? 1 Und dann bis in den Spätherbst hinein, 
hurra!" Der rote Vogelbcerbaum macht etwas Ähn- 
liches, erhält sich sogar mit weißen Schneehütchen 
seine grellroten Vogelbeeren, die letzte Nahrungs- 
stätte der gedrungenen farbigen Gimpel! 

Ostermontag. Ein Arbeiter spielt auf der Harmo- 
nika, und eine Frau ruft: ,,Zum Essen!" Irgend 
etwas Besonderes gibt es heute, etwas, was die „ge- 
wöhnlichen Ausgaben" übersteigt! Romantik des 
Feiertagsessens! So hatten wfar in unserer Kindheit 
Sonntags stets ,,Juliennesuppe*', Poulard mit Erd- 
äpfelsalat, imd Karamelpudding mit Himbeersaft. 
Der Himbeersaft war nie gewässert, verdünnt, wie 
stets in anderen Bürgerhäusern; denn meine Mama 
hatte die Absicht, eine jede Hausfrau zu demütigen, 
zu blamieren, indem sie erklärte, in ihrem Hause 
wer4e der Himbeersaft, direkt aus der Origmal- 
flasche, unverdünnt serviert ! Viele Damen hielten 



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sie infolgedessen für verschwenderisch, ja sogar in 
gewisser Hinsicht für exzentrisch. Andere aber be- 
wunderten sie als eine Art von zwar unverständlichem, 
aber dennoch höherem Wesen; Himbeersaft direkt 
ans der Originalflasche!? 

Vor meinem Fenster ist ein Reh in einem Holz- 
verschlage. Es ist so ein Plakat für „Wildreichtum 
der umliegenden Waldungen"! £s schnup^fert wie 
. eine Ziege, es denkt : „Die Freiheit habe ich eingebüßt, 
da will ich wenigstens kulinarisch genießen!" 

Im „Kino" schießt ein kleiner Knabe alles aus 
einer Von einem Onkel geschenkten Büchse zusam- 
men. Zuletzt schießt er den schweren Lüster vom 
Plafond herunter. Da sagte ein dreijähriges Mäderl 
neben mir: „Ist der Lüster jetzt gestorben ? !" „Nein," 
erwiderte ich, „er hat sich nur ein bißchen weh 
getan!" 

Es ist Ostermontag. Ein jeder glaubt es zu spüren 
direkt, weil er es nach dem Kalender weiß! Morgen, 
9« April, ist ihr zwölQähriger Geburtstag. Aber ich v 
darf ihr nicht gratulieren; erstens, weil die Herren 
Eltern es nicht erlauben, zweitens, weil ich weder 
ihren Namen noch ihre Adresse weiß! Aber ich habe 
sie gehen gesehen, das genügt für meinen Turm- 
falkenbliclc! Ich würde ihr schreiben: „Dante 
Alighieris Beatrice, 1912"! Aber wozu?! Bin ich 
Dante?! Nach 500 Jahren soll man sie mit mir in 
Beziehung bringen! Siehe, meine Seele hat Zeit, 
über ihren eigenen Tod hinaus zu warten! — 



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BERGHOTEL-FRONT 



Sechs Uhrmorgens. Ein nebeliger Julimoigen. Alles 
duftet nach feuchtigkeitsduichsogenem Waldboden. 

Alle Fenster sind geschlossen, bis auf die der jungen 
Schönheit, die vor den Toren der Lungentuberkulose 
angelangt ist. An diesem Fenster hängt« vom gestri- 
^ gen Abendprunke, ein tiefblau seidenes Gewand, 
bewegt sich im Morgenwinde. Irgendwo singt eine 
Kinderfrau ein Kindchen wieder in den unterbroche- 
nen Moigenschlaf ein. Ein Hund kriecht vorüber, als 
käme er von einer Sündennacht außer Hause. Ich 
denke: „Klara, Franziska, Sonja **, und be- 
lausche ihre geliebten Kinderatemzüge, die ich nicht 
hörel 



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LANDPARTIE 

Ich bin ».radikal** geworden. Ich mache mit einer 

mir sympathischen Dame eine Eisenbahnfahrt von 
2$ Minuten nach M. Wenn sie nicht am Fenster lehnt 
und in die Landschaft hinansstarrt, bin ich bereits 
enttäuscht, nidit mehr ganz mon aise**. Sie er- 
wartet also „anregende Konversation*', pfui! Wenn 
sie sagt: „Es zieht, machen Sie, bitte, das vis-a-vis- 
Feoster zu**, bin ich mit ihr fertig. Rheumatismus 
zieht nicht bei mir, das ist schlechtrassig, so 1870, zur 
Krachzeit. Wenn ich ihr in M. das herzigepbrausende, 
dunkle Flüßchen zeige, muß sie entzückt sein, ja sie 
muß, sie muß, sie muß ! Wenn ich ihr den Frieden der 
langen Dorfstrafie zeige, muB sie selbst „friedevoll** 
werden ! Wenn ich ihr das niedere, schneeweiße Haus 
zeige mit den schwarzen Eisengittem und den vergol- 
deten Schleifen und sage: ,,Hier hatten die Generäle 
Napoleonsdes Ersten Quartier!**, somußesihrwiehei- 
liger Schauer über ihren rosigen Rücken laufen! Bil- 
liger gebe ich es nicht. Es sind schlechte Zeiten ange- 
brochen ffir wirklich zarte Seelen, und daher muß man 
prüfen, ehe man ewig Landpartien macht! Wenn sie 
in dem kleinen, traulichen Dorf-Kaffeehaus ihren Tee 
selbst bezahlt, ist es gut. Wenn nicht, ist es be- 
denklich. Wenn sie den Sonnenunteigang nicht be- 
achtet, sondern lieber von einem erzählt, der sie einst 
sehr, sehr geliebt hat, ist es vollkommen verfehlt. 
Auch der Rauch der Lokomotiven sogar hat sie zu 
interessieren. Wenn sie sagt: „Ich möchte nicht gar 
zu spät nach Hause konmien", so ist es falsch. Mit 
mir kommt man immer zu Irühi und nie zu spät 

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nach Hause. Auf der Rückfahrt hat sie eine andere 
zu^in wie auf der Hinfahrt! Wie sie das macht, ist 
ihre Sache! In dem „langen. Tunnel'' hat nichts zu 
geschehen! Aher sie hat es innerlich zu bedauern» 
daß es so war! Ich bin „radikal** geworden. Eine 
Fahrt von 25 Minuten; Aufenthalt; retour — und ich 
weiß allesl 



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PSYCHOLOGIE 

Ich beurteile schon seit längerer Zeit die Menschen 
nach den Gegenständen, die sie tragen, lieb haben 
und für hübsch finden. Das ist ein ,,biogiafical 
essay" über ihr eigenes Wesen! Zum Beispiel sind 
mir Männer höchst suspekt, die Stöcke tragen mit 
oxydierten Silbergriffen, die irgend etwas vorstellen, 
wie Hundekopf» Schlange oder gar ein reizendes 
Frauenköpfchen mit Lockengewirr. Freilich haben die 
Kerls dann die Ausrede, sie hätten es von einem lieben 
Freund geschenkt erhalten; aber erstens hat man 
keine solchen geschmacklosen Freunde eben nicht zu 
haben (zwei Verneinungen geben leider eine Beja- 
ung), und zweitens kann man das Geschenk einem 
guten Freund auch über den Schädel hauen. Über- 
haupt bin ich unter kultiviertjen Menschen nur 
für „Bons^* in einem bestimmten Geschäft! Suspekt 
ist mir auch rosa, hellblaue und grellrote Seide, 
während Atlas, Samt oder Damast bereits zu den 
»«leichten Vergehen wider die Sittlichkeit"' zu zählen 
sind. Bedruckte, nicht gewebte Krawatten, ierregen 
ziemliches Bedenken, obzwar hier die „Natur-Bauern- 
muster" noch zu pardonnieren sind. In »«einer 
einzigen Farbe'* gekleidet sein« vom Hut bis zu den 
Schuhen, ist „letzte Aristokratie" 1913! Schirme 
haben nur Naturgriffe zu haben. Ein freier 
Hais ist edelrassig. Hohe Kragen sind ein Non- 
sens« außer für Störche. In einem Kleidungsstücke 
nicht sämtliche Bewegungen eines erstklassigen 
Parterreakrobaten im „Apollotheater" machen zu 
können« ist schlechtrassigi Hosen könnien nie 

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breit genug sein, und sind immer noch viel zu eng! 
Letzte Knöpfe am Gilet offen zu lassen, ist eine 
miserable Vergeßlichkeit. Jemandenif der sagt» er 
wolle nicht auffallen, dem erwidere ich, daß auch 
Beethovens Adagios auffallend waren, nämlich auf- 
fallend schön! »»Die Herde ist das, wovon man 
sich in allem zu unterscheiden hat!" »»Man trägt 

jetzt ** ist ein hundsordinärer Blödsinn. 

„Guten Morgen, mein Herr, wie steht Ihr wertes 
Befinden?!'' sagte ich zu einem Fremden, der auf 
dem »»Semmeringer Hochweg** mit Zylinder spa- 
zieren ging. 

„O sehr gut, in dieser herrlichen Gebirgswelt; 
aber woher kennen Sie mich denn?!*' 

»»Ich kenne Sie seit Ihrer Geburt wie meine eigene 
Tasche» da ich sehe» daß Sie hier einen Zylinder 
tragen " 

»»Ich bin 4as meiner Stellung in der Welt schuldig» 
mein Herr 

„Auch das habe ich sogleich bemerkt» daß Sie 
irgend jemandem irgend etwas schuldig sind 1 



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s 



VOR-VORFRÜHLING 

tt. Februar. Semmering. Ich versuchte es, nach 

drei Wochen Krankheit auszugehen. Alles schwamm 
in Nebel und Nässe. Die Rodelwege waren nicht mehr 
vorhanden» ein grauer Schlamm mit ein wenig Glatt« 
eis waren an ihrer Stelle. Alles war schmutzig, un- 
gepflegt, bereitete sich vor für sonnige Frühlingstage, 
die trocknen, fegen und beleben sollten, vor allem 
aber mit der Winterwirtschaft ein Ende machen. 
Denn weshalb noch hinziehen, was ohnedies vergehen 
soll?! Um jedes Gebüsch herum waren tiefe Schnee- 
löcher« die Dächer trieften vor glänzender Nässe, 
ebenso die eisernen Straßengeländer. Schneerosen- 
Imospen wuchsen überall, man stellte sie in GeföSe, 
aber sie erblühten nicht, aus irgendeinem versteckten 
Grund. Man bedauerte die Vögel nicht mehr« Krähen 
und Gimpel, obzwar sie jetzt ebensowenig zu fressen 
hatten wie im starren Winter. Die, die das überstehen 
hatten können, würden auch das noch überstehen. 
„Ein miserables Wetter'^ sagen alle, obzwar es in 
seiner Miserabiität gerade rührend schön ist. Die 
Menschen ziehen sich zurück, wie vor einem Menschen, 
der nicht mehr „sein Bestes** leistet. Es ist nicht 
Fisch, nicht Fleisch, sagen sie.einfach. Nein, aber es 
ist rührendes Patschwetter. Ich finde es nicht, 
daß es weniger anziehend ist als der starre Winter und 
der helle, klingende Frühling. Der zerrinnendß Schnee 
ergreift mich. Er war einst so herrschsüchtig, so un* 
erbittlich, so zäh-fest. Die „Champions** liebten ihn» 
nun sind sie von ihm abgefallen. Sie können ihre 
überschüssigen Lebenskräfte nicht mehr an ihm .er- 

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proben, schwächlich geworden, sucht er, gleichsam 
verlegen, in Bächlein abzurinnen, zu verschwinden. 
Und man hatte ihn doch so sehr geliebt, direkt ver- 
hätschelt, als er noch brauchbar war. Jetzt konnte 
man singen: 

„Schnee, du wirst grau und schmutzig — — — 

was ist mit dir?! 

Zu nichts mehr bist du nütze , 

Willst du vielleicht sogar meinem geüebten Kinde 
einen Schnupfen bringen?!? 

Du Schnee, dann, dami mag ich dich auch nicht 
mehr, verschwindet" 

Und im Gelände werden bald Primeln und Veil- 
chen stehn, ■ 

und ich werde sie pflücken und sie dir nicht geben, 
das heißt äußerlich, vor den Menschen. Aber vor 
Gottl 



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GEDENKBLATT 



Es ist merkwürdig in meinem Leben. Immer das« 

selbe. Als ob ich nicht älter, nicht reifer würde. Und 
ich bin doch schon uralt und todeskrank. In meinem 
35. Lebensjahr» an meinem heißgeliebten Gmundener 
See« schlössen sich zwei Kinder, von 9 und zi Jahren, 
mit ihren zarten Seelen leidenschaftlich an mich an. 
Dadurch entstand meine überhaupt erste Skizze, die 
ich. je geschrieben habe, in der Nacht nach dem Ab- 
schied der Kinder von mir, „9 und 11". Eines Abends 
erklärte die 9 jährige unter Tränen, indem sie das 
Nachtessen verweigerte, sie würde nichts mehr essen, 
bis ich nicht zu ihnen ins Haus 2öge. Daraufhin 
schrieb nur der Vater, er verbitte sich von nun an 
jeglichen mündlichen und brieflichen Verkelir, ja 
sogar den Gruß auf der Straße, da er meinetwegen 
doch nicht auswandern wolle. Und so geschah es, 
strikte nach seinem Befehl. Acht Jahre später er- 
schien nach einer Burgtheaterpremiere der Vater mit 
seinen, zu herrlichen Geschöpfen erblühten Töchtern 
an meinem Stammtisch im „Löwenbräu**. „Ich 
komme zu Ihnen, denn mein Töchterchen A. hat sich 
gerade so, von selbst, entwickelt, als ob Sie wirkhch, 
ihrem heißen Wunsch gemäß, damals zu uns gezogen 
wären; eine weltenferne Träumerin!" 

Drei Tage später traf sie in der Kärntnerstraße, 
bei „Schwarz und Steiner", der Gehirnschlag. Sie 
hatte gerade vorher gesagt: „Da geht mein Loge- 
Sänger „Schmedes**, mit seinem gazellenfüßigen, 
herrlichen Töchterchen . . . !" Sie wankte und war tot. 

Ich fuhr mit den Eltern im Trauerwagen. 

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Da sagte der weinende Vater, der nun auch schon 
tot ist: „Weim ich das hätte ahnen können, hätten 
Sie vor acht Jahren unbedingt za uns ziehen 
müssen !" 

„Nein", erwiderte ich, ,,auch wenn Sie das hätten 
ahnen können, wäre Ihnen eine tote Tochter Ueber 
gewesen als eine, die den Dichter verehrtr 



I«« 



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OBERFLÄCHLICHER VERKEHR 



Ein Herr, den ich zehn^ Jahie lang nicht gesehen 
hatte, kam im Berghotel per Automobil an nnd sagte 

zu mir: „Gut, daß ich gerade Sie hier begrüßen kann. 
Sie kennen sich doch auf dem Semmering gewiß gut 
aus. WoisthierderRaseurPl'' — ^»Gleich im Hause 
daneben", erwiderte ich. — „Ich vnißte es ja," sagte 
er beglückt, ,,daß ich mich an die richtige Adresse 
gewendet habe; adieu 

Ein Herr schreibt mir aus Prag: „Teurer verehrter 
Hebter, in Ihrem Buche „Prodromos" ist ein eng- 
lischer Reibhandschuh angepriesen. Kann ihn in 
ganz Prag nicht finden. Bitte auch ugi genaue Angabe 
des Preises!" Ich schrieb zurück: ,3üisten sind nur 
in Eisenhandlungen zu finden, Preis i Krone und 
IG DOC, je nach der Qualität!" 

Eine Dame, die mir ausnehmend gut gefiel, sagte 
mir: ,Jch habe ein diskretes Anliegen an Sie. Können 
Sie mich nicht mit Ihrem reizenden Fi eundL bekannt 
machen?!" — „Nein!" erwiderte ich schlagfertig. 

Ein Herr aus Berlin schrieb mir: „Wie lange 
wollen Sie noch uns Leser mit Ihren Brocken von 
angeblicher Seelentiefe anöden?!" Ich erwiderte, 
ich sei zwar schon ziemlich abbröckelnd, aber den 
genauen Zeitpunkt des definitiven Endes könne 
ich nicht angeben, er tnbge sich noch ein wenig ge- 
dulden . 

Jemand fragte mich, wo denn eigentlich meine 
Bücher zu haben seien ? ! Worauf ich erwiderte : „Ich 
glaube, der Bäckermeister oder der Schuster dürfte 
noch einige Exemplare auf Lager haben ." 

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Jemand schrieb mir aus Klein-Höflein, wo ich 
nie gewesen war und auch niemanden kenne: 
,,Falls Sie nicht innerhalb acht Tagen Ihre Schuld von 
II Kronen 60 Heller bezahlen, werde ich die Sache 
meinem Advokaten übergeben!" Infolgedessen be- 
zahlte ich II Kronen 60 Heller nach Klein-Höüein. 
Wenn ich nur wüßte, wo dieser Ort liegt?! 

Jemand sagte zu mir: „Ah, Sie sind der berühmte 
Herr Paul Altenberger, über den so viele gute Witze 
kursieren?!" Ich sagte, ich hätte noch andere Quali- 
täten, und entfernte mich hoheitsvoll-gelassen. 

Eine junge Dame sagte zu mir: „Einmal und nicht 
wieder!" Ich hatte sie nämlich ihr Nachtmahl selbst 
bezahlen lassen. Freihch hatte ich die vergebliche 
Hoffnung gehabt, sie würde auch meines gleich mit- 
bezahlen . 

Eine reiche FamiUe, der ich es mitteilte, daß 
heute, 9. März, mein Geburtstag sei, sagte im Chore, 
daß man es mir wirküch gar nicht ansehe, ich schaute 
aus wie ein guterhaltener Fünfziger. Mir wäre es 
lieber gewesen, ich hätte .den „Fünfziger" gut er- 
halten! 

Das sind lauter oberflächliche Bekanntschaften, 
nichts Solides dahinter, kein Gemüt und kern Geld. 

Es ist sehr, sehr schwer, Menschen zu finden, die sich 
wirküch und emsthch an einen anschüeßen . 



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BEAUTE 



So wenig also hältst du von der Schönheit 
deines nackten weißen oder braunen Edelleibes, daß 
du dich verpflichtet fühlest, ihn zu schmücken, sagen 
wir ,, behängen" und „belasten" mit hundert Edel- 
fellchen wertvoller Tierchen?! 

Stolz nennst du die Summe, die es gekostet 
hat — — — • 

Erhöht es deinen Wert, daß man für dich be- 
zahlte?! 

Du weißt, die Besten gehen in geflickten Kit- 
teln, 

ihr Pelz ist Demut und Bescheidenheit. 

Oder sie tragen das heilig-einfache Gewand 
der Pfl^eschwestem. 

Schwarz weiß und eine große Brosche in Email 
mit einem Kreuz, 

zierten euch mehr! 

Von innen strahlt der Wert nach außen aus, 

mit Mardermänteln bleibst du roh und nichtig! 
Ich hasse jene Männer, die euch Heben« 
in eurem stinkenden Prunke l 
Nein, ich hass' sie nicht, 
denn ihre Liebe ist derselbe Schein wie Eure 
Fetzen, 

sie heben nicht sie hassen und ver- 
achten Euch 

vielleicht noch mehr, berechtigter als ich!!! 
Jedoch, sie müssen! 



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DIE SPIELEREIEN DER REICHEN 

LEUTE 

In einem ersten „Cerde^* der Residenz kam man 

auf die Idee, einen Preis von lo Flaschen Champagner 
auszuschreiben für die allerstupideste Frage. Ein 
Graf gewaim den Preis mit der Frage: «»Comment un 
homme de tacte et de goüt doit-il se comporter, 
lorsqu'il rencontre la nuit dans une foret un accent 
circonflexe?!** 



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RICHTIGE, ABER EBEN DESHALB 
WERTLOSE BETRACHTUNGEN 

Es ist eigentlich ganz widersinnig» auf eine Frau 
eifersüchtig zu sein» die einem noch gar keine Kon- 
zessionen gemacht hat. Denn je mehr Konzessionen 
sie den anderen macht, desto größer ist die 
Chance, daß sie einem dieselben mache, und even- 
tuell noch größerei £s ist die falsche ewige Hoff- 
nung, sie für sich allein erlangen zu können! Aber 
das kann man nicht. Denn es hängt nicht von dem 
ab, was sie gewähren, oder nicht gewähren will, 
sondern von der ewigen Reizung ihres Nervensystems, 
daß tausend Männer das und das von ihr sich er- 
sehnen! Das allein läßt sie nicht „zur Treue" 
konmien. Es wäre denn, daß man alle anderen über- 
biete! Aber solche „Coups'* gelingen selten auf der 
Lebensbörse! 



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DIE PROBE 

Es gibt eine sichere Probe für Sjnnpathie. Ich denke 
mir alle schonen Mädchen hier in dem Berghotel» die 
mir gefallen, der Reihe nach quer über eine breite 
weiße Landstraße aufgestellt. Plötzlich rast von einer 
scharfen Kurve her ein riesiges Automobil. Welche 
wirst du instinktiv zurückreißen, erretten?!? Von 
allen nur Klara, Franziska und die blonde zsjährige 
süße Ungarin l 



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EREIGNIS . 

Am 24. Juli haben sie die Bergwiesen ge- 
mäht 

hingeschnitten die diskreten Farben eines alten 
Perserteppichs 

die Duft«Symphonien abgebrochen unserer ,,mu- 
sikalischen Nasen^M Wie ein Kapellmeister ,,ab- 

klopft". 

Frischer einfacher Heuduft wurde sogleich, und 
schon ahnte man feiste Kühe mit den Stampfmühlen 
ihrer feuchten Mäuler für die rosigen Euter es vor- 
bereiten! 

Wie Ur kraftrausch wäret ihr, Bergwiesen, bis 
zum 24. Juli. 

Es dröhnte von Hummeln ; es schimmerte braun- 
wolkig, distellila, schafgarbenweiß, königskerzen- 
gelb, amikagold; es roch wie „Menagerie", ,,Apo- 
theke"; wie Bienenhonig schmeckt, so roch es im 
vorhinein. 

Es betäubte süß und belebte. 

Es vermittelte: sanft einschlummern, frisch er- 
wachen 1 

Nun ist es nicht mehr. 



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ENDE 

Vom 17. September 1911 bis 19. Oktober 1912 
war sie seine kleine Heilige. Sie war geboren 9. AprU 

1900. 

Dann erzählte ihr eine Dame der sogenannten 
f^ten Gesellschaft'^ daß er ein Säufer sei, und schon 
zwei Jahre im Irrenhaus interniert gewesen sei. 

Hatte er sie seitdem weniger lieb?! Das war ja 
unmöglich. 

Aber sie schämte sich seitdem seiner Vereh- 
rung . 

Die Liebe eines besoffenen Tollhäuslers?! Pfui 
Teufel! 

Da wollte er ihr das ersparen, und mied sie von 
nun an. 

Hie und da hörte er in den Korridoren des Hotels 
ihre gehebte jauchzende Kinderstimme. 

Da schloß er denn die beiden Türen seines Zim- 
mers und warf sich, in unmeßlichen körperlichen und 
seelischen Qualen, auf sein Sofa hin. 

So endete eines seiner schönsten, seiner tiefsten 
Lebensgedichte, das viel Leid, viel Begeisterung 
und viel, viel Liebe in sich ein Jahr lang geborgen 
hatte! 



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NACH ABWÄRTS 

Niemand beschrieb noch körperliche Qualen — — 
.•weißt dvL, wie Brandwunden sind am zarten Fin- 
gerballen?! So brennt es dir im ganzen Leibe, 

und keine Linderung durch angelegtes Leinöl; 

es brennt Tag und Nacht. 

\^e eine mittelalterliche Folter, der du unter- 
liegst; die Folterknechte aber sind im Innern; und 
unsichtbar ereignet sich das Schreckliche, 

Scheinbar friedlich sitzest du in deinem 2&nmier- 
chen, 

und draußen ist der braune Bergwald. 

£r kann dir nicht mehr helfen» er, der dir ^st 
half 2U den Begeisterungen» dem besten Mittel» jung - 
und stark zu sein! 

Und nachmittags irr' ich in den langen, schmalen, 
düsteren Korridoren» 

das Antlitz meiner kleinen Heiligen zu sdm. 

Werai ich sie erschaue, ergreift mich der Gram. 

,,Wie geht es Ihnen heute?!" sagt sie sanft, und 
bhckt erstaunt auf diese menschUche Ruine» die ihr 
fast tägUch tiefe Hymnen singt • 



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ABSCHIED 

Mein geliebter Pinkenkogel, hart an meinem 
Fenster aufsteigend, • 

ich sage dir Adieu! 

Ich muß nun wieder ins Exil hinter vier Mauern ; 
die Menschen wollen ,4angsam Sterbende*^ nicht 
sehn. Und diese wieder nicht die Menschen! 

Dazu sind diese ,, Institute" da, daß nur der weite 
Park die Klagen höre. 

Der «»Pfleger'' sieht die Träne ungerührt. Wo 
kam' er hin, wenn er sich rühren ließe?! 

Geliebter Pinkenkogel, lebewohl , 

Und sag' auch ihr 

wie liebt sie deine Bäume und deine Pfade auf- 
wärts zu der Alm 

und sag' auch ihr 

nein, sag' ihr nichts! 

Sie weiß, daß unter allen Abschiedstränen 

(die qualvollste für sie vergossen ist — — — . 



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KRANKEN-TOILETTE 

Wenn die Anverwandten zu Besuch kommen, 
wird der Kranke ,,herausstaffiert". Das geschieht 
nicht etwa aus irgendeinem Versuche» die Verwandten 
über den Zustand des Kranken irrezuführen, sondern 
aus einem ganz einfachen Grunde: Man läßt den 
Kranken eben solange als möglich in seinem ihm not- 
wendigen, ja zuträglichen Zustande von Apathie. 
Man zwingt ihn zu nichts, wartet es geduldig ab, bis 
er von selbst wieder zum gewöhnlichen Leben er- 
wache. Aber gerade den Anverwandten darf man 
diesen Zustand von organischer und infolgedessen 
nützlicher Apathie des Kranken nicht vor Augen füh- 
ren. Denn hierin ersehen sie nur eine traurige Stag- 
nation des Leidens, was ihnen in Anbetracht ihrer 
Sorge und ihrer eventuellen Geldopfer, auch Zeit ist 
Geld, sagt der Engländer, nicht erwünscht sein kann. 
Auch erhofft sich der Pfleger ein größeres Trinkgeld, 
falls der Patient den Eindruck von „rücksichtsvoll- 
ster Pflege'' macht. Das ist doch ganz natürlich und 
selbstverständlich. Es ihm zu verübehi, wäre albern. 
Infolgedessen wird der apathische Kranke aus seiner 
wohltuenden Ruhe plötzlich aufgescheucht, gesäu- 
bert, rasiert und ninunt sich in seinem frisch über- 
zogenen Bette aus, wie' ein krankes Geburtstagskind. 
Alle Besucher sind einig darüber, daß er sich fabel- 
haft erholt habe, und schauen voll Bewmiderung und 
Rührung einmal auf den bescheidenen Arzt, und ein- 
mal auf den stolzen Pfleger. Nach dem Besuchtage 
verfällt der Kranke wieder. Gesundheit, Lebens- 
fähigkeit, Energie hängen leider nicht von Besuchs- 

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tagen ab der Anverwandten. Man schleppt sich hin, 
eine zerbrochene Maschine, und eines Tages steht 

man auf und ist gesund. Oder man steht 

nicht mehr auf. Dann ist auch wieder Besuchstag. 
Man ist gewaschen, rasiert, liegt in einem frisch über- 
zogenen Bette wie ein Geburtstagskind, aber wie ein 
totes.. Nein, das sind Utopien. Bei Nacht wird man 
insgeheim weggeführt, denn niemand in der Anstalt 
soll wissen, daß „etwas sich ereignet" hat, was keine 
Hoiüiung zuläßt . 



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KUSINE 

lüt sa Jahren stünte meine Kusine ab vom See- 
kofel, beim Blumenpflücken. 

Mt i6 erhielt sie ihr erstes Ballkleid von „Maison 
Marisson**« 

,»Sie muß die Schönste sein!'* sagte die Direktrice 
des Ateliers zuversichtlich. 

Zum ersten Male dichte Rüschen in gelbem 
Musselin, Bis dahin trug man nur weiße Ballkleider. 

Sie war die Schönste. Sie err^e Neid. Sie 
C^ubte» ein Prinz werde kommen oder etwas Ahn- 
liches, z. B. ein Bankdirektor. Was hätte sie anderes 
sich erträumen können, in gelben Musselin-Rüschen 
von der ,,Marisson"» und entouriert von allen?! 

Zum Souper meldeten sich 14 Herren. 

„Ich hab' nur eine rechte Seite und eine linke", 
sagte sie glückstrahlend. 

Mit 52 Jahren stürzte sie vom Seekofel ab, beim 
Blumenpflücken. 

Was sie erlebt, von 16 bis 52, ich weiß es nicht. 
Ich kenne nur ihren ersten Jriumph und ihren letzten 
Absturz . Dazwischen diufte so eine Me- 
lange gewesen sein von beiden! 



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LIED 

Was nützt des Herbstes braune Symphonie?! 
Ich bin zu krank. 

Sonst sah ich alles mit dem Blick der Liebe, dem 
Bücke einer namenlosen Zärthchkeit. 

Ich wußte wie die Buche sich verfärbt im frühen 
Froste, 

xmd wie ihre Röte allmählich erbräunt. 

Die Amsel raschelte im dürren Laub« die schwarze 
Schnecke zog über die Wege. 

Du sagtest mir, holdestes Kind, du müßtest nun 
in ein Institut, für 2, 3 Jahre . 

Ja« es ist Herbst geworden« und ich bin zu krank« 



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ECHT 



Ich bin sehr skeptisch in bezug auf Empfin- 
dungen. Festliche Stimmting bei Geburtstagsjausen» 

bedenkliche Gesichter bei schweren Krankheitsfällen 
können mir noch lange nicht imponieren. Ich kenne 
diese «»Rolle" wohlerzogener Leute. Darüber mehr 
za sagen» wäre eine Banalität, obzwar auch dieses 
wenige schon eine beträchtliche ist. Aber eine 
Empfindung gibt es, die nicht unecht ist, das ist 
das klägUche Aufheulen, ähnlich wie Hunde beim 
Klavierspielen, der allernächsten Angehörigen, in 
dem Augenblicke, da der Sarg aus dem Schlafzimmer 
hinausgetragen wird. Da gibt es kein Schluchzen, 
kein adieu, kein Lebewohl, kein oh und kein ach. 
Da gibt es nur ein klägliches erschreckendes Auf- 
heulen, ein Winseln, wie wenn man den liebevollen 
Hund aussperrt, ihm die Türe vor der Nase zuschlägt. 
Freilich „der^gt'' man sich sogleich wieder» von 
den „nicht allernächsten" Verwandten liebevoll ge- 
stützt, und wankt zu Hut, Handschuhen und Schirm. 
Der Leichenwagen wartet nänüich. 

Aber dieser eine kurze Augenblick ist echt, da 
der Tote sein Schlafzimmer verläßt, getragen von 
vier fremden Männern. Da sagt man nämlich wirk- 
lich Adieu und heult auf, und winselt und spürt es 
daß eigentlich alles» alles auf der Welt nicht dafür- 
steht • 



III 



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GESPRÄCH 

„Wie ist das also, Peter, mit dem ^GebenS wie 
Sie immer behaupten, das seliger sein soll als das 

»Nehmen'?! Wie ist das ?!" 

,,Das ist also so : wenn du an einem Bettler vorbei- 
gehest, und du bist nur erfüllt, gehoben, durchwärmt 
von dem Gefühle, eine exzeptionelle Freude jemandem 
bereiten zu wollen, die in deiner Macht steht, sie zu 
spenden, und du schenkst ihm da eine Krone, während 
er dich ansieht, anstarrt, als hättest du dich nur in 
der Münzsorte vezgriffen, du aber gehest, ihm zu- 
nickend, hinweg das ist: Geben ist seliger 

denn nehmen! Wenn du aber denkst: „Pfui, diese 
Belästigung! Dieser alte zerfetzte, demütige Hundl'* 
Und du gibst ihm dennoch 20 Heller, so hochnäsig- 
widerwillig, dann, dann ist: Geben unseliger denn 
nehmen!" 

„Peter, also da hast du 20 Hellerl Nein, 

ich habe nur Spaß gemacht. Ich will dir eine Krone 

schenken, hole sie dir heute nacht von meinem Nacht- 
kastchen ab 



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BILANZ 



Es gibt Dinge, die unvergeßlich sind. Mit 

diesen hat man seine Seele zu beschäftigen und 
alle anderen Dinge zurücktreten, verblassen, ver- 
schwinden, also aUmahlich absterben zu lassen, 
IbiveigeBlich ist das Vdslauer laue Schwimmbas- 
sin mit Lindengenich. .Dann der „Lackaboden**, 
Alm vor dem Schneeberg; die Bodenwiese mit den 
Kolroserln; Austern ä discr6tion, also sechs Dutzend; 
die kleine ,,VeOchenfeld*S die kleine Magda S., 
Evelyn H., Klara imd Frantzi P. und Eva Leo- 
pold und Sonja Dunjersky. Dann Richard Wagner, 
Beethoven, Mozart, Bach, Grieg, Hugo Wolf, Ri- 
chaid Strauß, Johannes Brahms, Puccini, Massenet. 
Dann die „Topfen -Pastete" und „Filet de Sole 
4 la Momy" und „Poires bonne femme" imd 
„pommes conderge". Dann „Hamsun'*, „Strind- 
berg", „Maeterlinck", „Gerhart Hauptmann". Dann 
„Van Dyck" als „Des Grieux" in „Manon", „Ma- 
ria Renard" als „Lotte" in „Werther", „Her- 
mann Winkelmann**, in allen seinen Rollen. Dann 
der „Semmering", zu allen Jahreszeiten. Man 
muß „Buch führen" über „reelle Werte", im sonst 
leicht „passiv werdenden" Dasein! Frauen haben 
eine perfide Geschicklichkeit, „unreelle Werte**, wie 
Schmuck, Pelz, Kleider, in ihr „Plus-Konto** des 
Lebens frech einzutragen. Da müssen sie halt die 
ganze Bilanz plötzlich durch einen „feschen Offi- 
zier** wieder ins Gleichgewicht bringen! Auch „un- 
glückliche Spieler** legen sich plötzlich eine Ge- 
liebte" zu, um sich es in ihrem falschen Buch- 



i 



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Konto zu verrechnen, daß sie „an ihr** zugrunde 
gegangen sind! 

Eine richtige, anständige» ehrliche „BU^^ 
Daseins** führen nur die Selbstmörder. Aber wie 
wenige« h61as, gibt es noch heutzutage?! 



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SEHR GEEHRTES FRÄULEIN I 
Sie lieben also Albert!? 

Sie suchen also eigentlich einen Mann, dem Sie 
„sein Alles" sind; der durch Sie es vergißt, daß die 
Welt erfüllt ist von herrlichen, merkwürdigen, an- 
mutigen und originellen Geschöpfen!? Sie suchen 
also einen Idioten! Einen, dem Sie die Schmach 
antun, ihn in einen Zustand zu versetzen, wie der 
Auerhahn auf der Morgenbalze. Einen, der vor Ge- 
fühl nichts anderes mehr sieht und hört um ihn 
herum! Um ihm etwas bieten zu können, rauben, 
stehlen Sie ihm seine Weltenseele, und für eine Haar- 
nadel aus Ihren Haaren gibt er das Glück von Tau- 
senden eventuell hin! Und diese Scheuklappen- 
politik nennt Ihr dann „Liebe"! Ein verdo p pelter 
Egoismus, dem zum heiligen Dreibund" nur noch 
der miserable Köter „Putz"' fehlt« an den Ihr Euch 
gemeinsam attaschiert 1 



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HERBSTLIED 



Die Ahomblätter sind wieder goldgelb, man kann 
die einzelnen goldenen Bäume zälilen im dunklen 

Forste. Also ist es Herbst. 

Gerade vor einem Jahre sah ich sie, 25. September 
19x1. 

Sie war 11 Jahre alt. 11! Was macht es?!? 

Der Wald bot damals alles, was er heute bietet, 
und immer bieten wird . 

Nur ich bin düsterer geworden, weil ich zuviel 
an ihre Zukunft denke. 

Als ich sie damals sah, da ging ich in den Wald, 
um mir es einfach jauchzend mitzuteilen: „Du hast 
das Herrlichste erschaut!'' 

Jetzt aber, tieferfällt von ihr, seh' ich im düsteren 
Herbst wald dunkle Schatten kommender Eroberer! 

Oh, Gnade, Gnade, Ihr Herren, für mein geüebtes 
Kindchen! 

Tut ihr nichts! 

Die Ahomblätter sind wieder goldgelb geworden, 
man kann die goldenen Bäume einzeln zählen im 
dunklen Forste. Also ist es Herbst* 



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EWIGE ERINNERUNG 



Von Kortina brachen wir auf, Automobil, 9 Uhr 
morgens, und schlängelten uns hinauf, auf den Fal- 
zaregopaB, 2x17 Meter. Hinter dem Hotel pflückte 
ich „Speik", diese y/mße duftende Bergblume, Kind- 
heitserinnening. Der Boden war schwarz, weich und 
und feucht; und überall rieselte Schneewasser. Und 
dann hinab ins Tal. Und von da aus sogleich wieder 
auf den Pordoihjochpaß, Kristomanos-Schutzhaus, 
2250 Meter. Da gab es gar keine Blumen mehr, wie 
herrlich. Der starre Sturm verbat sich alles Blühen. 
Er stöhnte und beherrschte! Wie wenn man als Kind 
eine große Seemuschel ans Ohr dicht anlegt, so 
brauste es. Nur sagt man in jenem Falle, das Tosen 
des Meeres sei in der Muschel eingefangen. Hier aber 
ist nichts einge&ngen; man sieht das Brausen über 
die kahlen gelb-braunen Wiesen; ganz aus erster 
Hand vernimmt man den Sturm. Im wunderbar 
warmen geschützten Speisezimmererker nahm ich 
' ihr Bild heraus (Kl. P.), betrachtete es lange. Ich 
dachte: „Mit dir hier zu sein!** Aber es wird nie, 
nie, nie, nie sein • Wie schade. 



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GESANG 



In allem hatte sie treffsicheres Urteil. 
In allem. Nur sein Gesang gefiel ihr, 
obzwar die Tone wie laues Regenwasser seinem 

geziert ovalen Mund enttropften. 

Er sang mit ihr, sie spielte das Klavier, er sang 
für sie! 

Und deshalb fand sie seine Stimme lieblich, 

obzwar sie selbst das C-moU-Adagio Beethovens 
imaussprechlich zärtüch spielen konnte, 

und für alles sonst aristokratisch-feine Ohren 
hatte. 

Und einmal sagte sie zu mir: 

„Ist es Ihr Ernst, daß Sie seine Stimme für tonlos 
halten, oder steckt da etwas dahinter, Lieber?!" 

„Es steckt etwas dahinter!" sagte ich, „das Vor- 
urteil des dummen Weibchens!" 



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SOUPER 



Es war ein Nichts . 

Immer ist es ein Nichts, aus dem zuletzt ein 
Etwas wird! 

Törichte Frauen« die ihr mit dem Leben tändelt, 
mit uns und mit euch selbst! 

Er sagte einen dummen Scherz, 

so um den Bann zu brechen öder Stimmung. 

Da gössest du aus deinem Glase ein wenig Wasser 
ihm auf sein Gewand . 

„Zur Strafe!" sagtest du lächelnd. 

Koketter Kerkermeister! 

Jede Intimität ist eine perfide Brücke zu einer 
Seele oder m unedleren Teilen. 

Er fühlte sich geehrt durch das Begießen, 

und seine Augen sagten gleichsam: £s kam von 
dir!" 

Es war ein Nichts 

inuner ist es ein Nichts, wie Frauen nämlich 
denken, ein Nichts« das uns tief unglückselig 
macht! 



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DIE WAGENFAHRT 



Alle sagten zu ihm sehr bald ,,Herr Peter" oder 
,»Peter''. Aber sie sagte nach langer Bekanntschaft 
,,Herr Altenberg". Er schrieb ihr das. Sie sagte 
weiter wie bisher: ,,Herr Altenberg", obzwar er eine 
zärtliche Freundschaft für sie hatte. Eines Tages 
fuhren sie im Wagen durch seine geliebte Beiggegend. 
Da erzahlte sie von der Krankheit ihres Kindchens, 
erzählte, weinte, erzählte, weinte, verstummte. Er 
sagte : „Ich liebe hier jeden Strauch, ich kenne jeden 

Acker, jeden Wiesenzaun ." Beim Abschied 

sagte sie: ,,Adiett« Peter •** 



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WAGENPARTIE 



Herr Dr. P. sagte vormittags zu mir: «,Darf ich 
Sie für den Nacbmittag asu einer Wagenpartie ein- 
laden in Ihren geliebten Ort ,Mürzzuschlag'?!'' 

„Bitte sehr/* erwiderte ich. 

Nachmittags sagte der Hotelportier: „Soll ich 
Ihren Jagdhund in den Wagen bringen, Herr Dok- 
tor?!?" 

„Selbstverständlich, wegen dem Hund mach' ich 
ja überhaupt nur den Ausflug 

Ich hatte bisher gedacht, er mache den Ausflug 
„wegen dem anderen Hund**. Im Wagen sagte ich: 
„Sie, Ihr fetter Hund nimmt mir zuviel Platz ein,** 
worauf ich demselben mit der vernickelten Spitze 
meines Bergstockes einen Stich in die Brust gab. Der 
Herr sagte: „Was tim Sie meinem armen Hunde?! 
Es ist ein echter englischer Pointer!" Ich erwiderte, 
daß er zuviel Platz einnehme trotz alledem. Wir 
kamen an einem braunen Felde vorbei, begrenzt von 
kahlen grauen Buchenbäumen. Hier grasten fünf 
herrlich schillernde Fasanhähne. „Willy,** sagte der 
Herr zu seiner Jagdhündin, eine Abkürzung für Wü- 
helmine,„Winy,daschauhin,Fasanel** Willyschaute 
überall hin, nur nicht auf die vor ihm grasenden 
Fasanhähne. Wahrscheinlich sagt man von diesen 
Viechern nicht „grasen'', sondern irgend einen mani- 
rierten Jägerausdruck. „Dieser WiUy ist ein so feu- 
riger Jagdhund,'* sagte sein Herr entschuldigend, „daß 
ihn alles ablenkt. Sehen Sie dort in der Feme die 
Krähe?! Die lenkt seine ganze Aufmerksamkeit auf 
ßich^ von den Fasanen!** Ich dachte: „£r zahlt 



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den Wagen, er zahlt den Wagen, er zahlt den Wa- 
gen - 

Wir fuhren an einsamen Sduniedewerken vorüber, 
in welchen geschmiedet wurde, an Holzsägewerken, 

in denen Holz zersägt wurde, an Mühlen, in denen 
gemühlt, pardon gemahlen wurde. Ich fühlte: „Hier 
sollte ein Landerziehungsheim erstehen für die 
moderne reifere Jugend, Koedukation, wo man 
in der Natur selbst Anschauungsunterricht genießen 
könnte während einer Spazierfahrt. Zum Beispiel 
eine feuchte Wiese mit einem Graben lehrt uns das so 
wichtige „Drainage-System** spielend leicht kennen. 
Denn wenn die Feuchtigkeit der Wiese sich in dem 
Graben ansammelt, so wird die Wiese selbst trocken. 
Eine Art von Wiesen-pot de chambre." 

Ich sagte dem Herrn Doktor, daß er, auch ohne 
ein echter englischer Pointer zu sein, im Wagen mir 
viel zu viel Platz einnehme, und ich ein nächstes Mal 
eine Einladung zu einer Wagenfahrt nur annehmen 
könne, falls er und sein Hund zuhause blieben. Er 
sagte, ich hätte reizende Einfälle und ich sei ein großer 
Künstler und Menschenkenner. Dies bestätigte ich. In 
Märzzuschlag angelangt, fragte uns der alte Kutscher, 
der schon 50 Jahre lang hier fuhr und die Gegend nidit 
kannte, oder sich in Beantwortung nichtiger Fragen 
über Bergnamen usw. usw. nicht einlassen wollte, ob 
er „den Rosserln*^ eine Jause verabreichen dürfe. 
Merkwürdigerweise figurierte die Jause dann bei der 
Verrechnimg im „Caf^ Semmering" als Kaffee mit 
drei Stück Gugelhupf. Abends bei der Rückfahrt war 
es natürlich finsterer als bei der Hinfahrt nachmittags, 
was der Landschaft einen „eigenen, neuartigen, un* 



« 

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definierbaren'' Reiz verlieh, den zu schildern ich aber 
modernen Dichtem überlassen muß. 

Indem alles im Nebel verschwamm, wurde es zu- 

sehends undeutlicher. Wir sprachen nun über das 
Wesen der „Frauenseele", und ich behauptete, daß 
mir eine noch so sehr geliebte und verehrte Frau durch 
die Bezahldng bereits eines Kalbsguliasch mit Reis 
momentan unsympathisch werde. Er nannte mich 
infolgedessen „exzentrisch**, während ich es mehr auf 
,,Lebenskunst'' zurückführen möchte. Beim Anlan- 
gen in unserem heiligen Berghotel sagte ich: „Also, 
es bleibt dabei, morgen einen Wagen ohne Sie und 

Ihren echten enghschen Pointer .** 

,,Neinr' erwiderte er kurz und bündig« 



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ABSCHIEDSBRIEF DES ENGLISCHEN 
OFFIZIERS PAUL AUS LONDON: 

» Jch kann es mir nicht voistellen« daß Du, ge- 
liebteste Frau, irgendwo anders glücklich werden 
könntest als in England und bei englischen Freunden. 
Allein Dein Wunsch ist für mich over alll Du bist 
eine Engländerin. Deine Seele, Dein Denken, ja 
Dein Glück ist englischer Natur. Du begibst 
Dich in eine stränge world. Man wird Dich gut 
behandeln, and but you will bekome iU and newer 
knowingfiromwhat. Wenn Du also einmal eine Stütze 

brauchst nim, du weißt ja übrigens alles. 

Paul. 



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WIE IST ES?I 



Wie ist es?! Soll man ein besonderes schönes 

Mädel, 

in strenger, grauer Häxte halten!? 

»Jnimer zu früh noch wird man sie verwöhnen'^ 
fühlen die Eltern. 

Siehe, eines Tages strömt plötzlich das Licht 
herein der Bewundenmg, 

das ihre migewohnten Augen blendet» schädigt 1 

Wäre sie gewohnt, seit ihrem zehnten Lebensjahr, 
an dieses Licht des Lebens, 

ertrüge sie nun das gesteigerte blendende, 

in edler Fassung und dankbar gerührtl 

So aber?! 



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VOM RENDEZVOUS 

t 

Sie ging den steilen Wiesenpfad hinab« 
mm Rendezvous. 

Ich sah braune Stauden ihre Röcke streifen. Ich 
sah ihr nach. 

Bald kam Himbeergebüsch» das sie begrub« 

Um V4I sollte ich sie erwarten. 

Sie kam zurück, von Küssen ganz bedeckt. 

Wie wenn die rechte Hand geheiligt wäre, 

reichte sie mir die linke, 

die ich an die Lippen hielt, 

solang bis Wehmut kam und übertropfte . 



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• 

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EXAMEN 



Ich unterwarf sie einer strengen Prüfung: 
Die Hände?! Vollkommen 
Die Augen?! 
Die Stime?! 
Die Schultern?! 
Die Füße?! 
Die Zehen?! 
Die Stimme?! 
Die Bewegung?! 
Der Teint?! 
Die Seele?! 
Die Intelligenz?! 

Brüste?! Nicht vorhanden. 
Endresultat: Vollkommen I 



99 
99 
$$ 
99 
99 
99 
99 
99 
99 
99 



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LES LÄRMES 



Also, nach vielen Jahren, habe ich wieder geweint. 

Freilich war es bei dem Liede von Johannes 
Brahms: „Sapphische Ode". 

Aber ich hätte nicht geweint, wenn ich sie nicht 
kennen gelernt hatte . 

Ich wäre entzückt gewesen, gerührt, ergriffen. 

Aber geweint hätte ich nicht . 

Also weinte ich dennoch ihretwegen! 



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TESTAMENT 



Er hatte in sein Testament (der Ertrag seiner 
neun Bücher nach seinem Tode) die 12 jährige Schön- 
heit mit der jauchzenden, klingenden, bezaubernden 
Stimme eingesetzt. Aber da sie Millionärstöchterlein 
war, hatte er bestimmt, daß von dem Gelde soge- 
nannte „Geschenke eines Verstorbenen*' zu kaufen 
seien, außergewöhnliche Dmge, z« B. eine be- 
sondere Bergkristalldruse, oder ein besonderes holz- 
geschnitztes Christuskreuz. Da erfuhr er, daß man 
eine Kollekte gemacht hatte im intimen Kreise für 
einen Winterrock seines Bruders, eines modernen 
Diogenes. Da stieß er das Testament um, bestimmte 
nur, daß der Bruder an jedem 9. April, dem Geburts- 
tage seiner kleinen Heiligen, derselben eine exzep- 
tionelle Sache als „Geschenk eines Verstorbenen** zu 
senden habe! Der Bruder dachte Tag und Nacht 
über solch ein Geschenk nach. Da schrieb die Heilige : 
„Ich will Ihnen Ihre Mission erleichtem. Schenken 
Sie mir nur das Manuskript des „Ein schweres Herz**. 
Er nahm es aus dem Schreine von gelbem Eibenholz, 
küßte es innig, imd schickte es fort. Er fühlte : „Ich bin 
der Vemuttler eines letzten Willens. Sie hat mir 
meine Aufgabe erleichtert, indem sie sie erschwert 
hat! NurOpfer belohnensich! Ich hatte schon eine 
herrliche Bergkristalldruse aus den Tauem erstanden, 
mit Kristallen wiegeschliffenes,gef rorenesBergwasser. 
Aber das ist nun also für den nächsten 9. Aprill** 
Sieschrieb: „Nunhabe ichdasHerz Ihres Bruders!** 
„Nein", fühlte er, „ich habe es, indem ich es 
weggegeben haber* 



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ACONITUM NAPELLUS 



In meiner letzten Verzweiflung körperlicher Qua- 
len nahm ich Aconitum Napellus. Ich hatte ihn 
vor acht Wochen blühen g,esehen» auf dem Wege von 
Schluderbach nach Misurinasee, von dort nach ,,Tre 
croce", von Kortina auf den Falzaregopaß. Überall 
hatte ich diese giftige Bergblüte gesehen, oft in Men- 
gen wie kleme Felder. Und eigentümlich haftete mein 
Auge auf diesen Blüten, als ahnte ich, daß ich sie 
bald in meinem Zimmerchen als winzige durchschei- 
nende Kügelchen, als letzte Hoffnung sterbender 
Nerven schlucken würde! Damals erlebte ich sie als 
Zeichen der Bergflora, neben Rhododendron und 
Legföhre. Wie romantisch kam mir die Blüte vor in 
ihrer mysteriösen Giftigkeit. Nim aber schlucke ich 
zwei Pillen, viertelstündlich. Wird es nützen?! Ich 
gedenke der herrlichen Tage, da ich die Blüte be- 
wundem durfte, in Höhen, wo es karg ist und 4er 
Nachtsturm braust . 



130 



MANÖVERS 



Die Herren „Verehrer", die wie Toreros atissehen 

oder wie kühne Cowboys oder wie französische Ritter 
ans dem i8. Jahrhundert, sei es von des Buges ihrer Nase 
Gnaden oder von Schneiders; die treten selbstsicher- 
nonchalant auf, sitzen oft mit dem Rücken gegen die 
Dame imd sagen sogar, daß dieser oder jener Spazier- 
gang ihnen nicht konveniere und sie es daher vor- 
zögen, sich nicht anzuschüeßen und lieber in Ruhe 
ein gutes Buch zu lesen ! Wenn man eine schöne Nase ' 
hat, kann man das allerdings wagen. Aber die Mißge- 
wachsenen müssen eine andere Taktik einschlagen. Pa- 
kete tragen» Schirme aufheben und zu allem ,,Amen*^ 
sagen, ist ihre kleine, süße Aufgabe. Auch damit kann 
man nette Erfolge einheimsen, und Opfer sind für ,, Op- 
ferfähige'' nicht allzu groß. Im ganzen genommen sind 
die armen Damen von einer wohlberechneten „Rou- 
tine** umgarnt, wie die italienischen Singvögel von den 
feinmaschigen Netzen. Selten schlüpft eines der herzi- 
gen Vögelchen durch, durch die engen Maschen, die 
ihrer Eitelkeit gelegt sind. In dieser Gesellschaft von 
Eroberem sticht besonders hervor der immerhin selte- 
nere ,,Salonplattenbruder", der seelische" Mes- 
serstecher. Er sticht gleich in die Ehre, in den Ruf , in 
das Glück hinein, macht sich nichts aus drei Monaten 
Kerker, wollte sagen, aus Frauenverachtung. Diese 
„Verachtung" sind seine,, Geschäftsspesen'*. Dafürhat 
er sie „gehabt"! Einer drang um i Uhr nachts in das 
Zinmierein: „Ich sage in jedemFalle morgen, Fräulein, 
daß Sie mich bestellt haboil Also ist es schon ganz 
egal für Sie!" 

Das leuchtete ihr ein — — — . 

* 131 



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GIFT 



Es gibt ein Gift, das ewig wirkt, 

ja sich vertausendfacht in seiner Wirkung 

durch unablässiges Erinnern. 

Das sind die deplaziert liebenswürdigen Worte der 
Geliebten zu fremden Männern. 

£s ist ja richtig, sie hat sich nichts Besonderes da- 
bei gedacht. 

Doch weshalb hat sie nicht an das Besondere ge- 

dacht, uns tief zu quälen?! 

Ihre gekränkte Miene bei unserm Vorwurf 
kann. uns nicht eines Besseren belehren« 
so daß wir tief zerknirscht von hinnen schleichen. 
Ein jeder Apotheker ist verpflichtet, das Gift 

zu kennen, das er uns reicht! 
Und so die Frau. 
Will sie uns vergiften?! 

Vielleicht, für Augenblicke, um uns dann, in ihrer 
Gnade, Gegenmittel zu verabreichen! 
Erinnern ist ein Gift, das ewig wirkt, 
und sich vertausendfacht in seiner Wirkung, 

durch unablässige Erinnerung l 



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LUFTVERÄNDERUNG 



Es ist merkwürdig, wie sich Familienangehörige in 
Kurorten begrüßen, die vielleicht kaum acht Tage 
lang getrennt waren voneinander. Als ob sie von 
einer monatelangen Weltreise gekommen wären! 
Ein ganz neuer Ton von zärtlicher Freude, von 
intensivstem Interesse wird angeschlagen. „Findest 
du unser Püppchen besser aussehend, Papa?** — 
,,Na, ich bin noch nicht so ganz zufrieden, sie ist halt 
ein ,Zarterr, was, Minnerl?" — „Kinder, laßt euch 
in euren Gewohnheiten (von acht Tagen) ja nicht 
stören, ich werde mich allem akkommodieren (alter 
Jesuit!)." 

„Baby will hier das zweite Ei zum Frühstück 
nicht essen, ich habe ihr gedroht, ich würde es Papa 
melden (haste wichtige Meldung!), wenn er kommt!'* 
— „Nun, das macht wahrscheinlich die Luftverände- 
rung!" In besserer Luft kann man also kein zweites 
Ei essen? Auch die Bonne wird netter, rücksichts- 
voller behandelt als zu Hause. „Was, Marie, hier ist 

es schön?" — „Bitf, gnä' Herr, ja Eine 

ewige Sorge um Paletots, Jacken, Schals, als ob alle 
plötzUch tuberkulös geworden wären. „Anüoie häkelt 
hier (weshalb plötzlich hier?) schon so nett, sogar 
ohne Aufforderung (sie scheint also hier zu ver- 
blöden!).*' — Schlaft ihr hier nach dem Speisen?** 
Auf einmal weiß er nicht, ob seine Familienmitglieder 
schlafen oder nicht. Die Luftveränderung scheint 
ihm nicht gut zu tun, dem Erhalter und Ernährer. 

Man verkehrt miteinander wie Fremde bei einer 
Jour-Jause. „Angenehme Nachrichten?** fragt man 

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bei der Morgenpost. Der Kassier ist ihm durchge- 
gangen. ,,Al]es in schönster Ordnung zu Hause, mein 

Täubchen!" Der Arzt hat nämlich gesagt: „Zwanzig 
Bäder kosten zweihundert Kronen. Aber vor allem 
keinerlei Aufregung» darauf muß ich strengstens be- 
stehenl" Nämlich auf den zweihundert Kronen. 



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EIN NACHTRAG 



Ich habe letztes Mal, wahrscheinlich vor einigen 
Jahren, etwas geschrieben zur ^^Psychologie der bür» 

gerlichen Liebe**. Es war ein „Torso**. Wenn ich 
nur wüßte, was ein Torso ist. Aber viele einsichts- 
volle Menschen sagten es mir direkt ins Gesicht 
hinein, daß es ein „Torso", wenn auch ein sehr wert- 
voller, gewesen sei. Nun, infolgedessen muß ich die 
Nachtragsbemerkung machen, daß jemanden wirk- 
lich zärtlich lieb haben'S unmöglich eine fort- 
dauernde Sache sein könne, sondern eine durch 
Haß-, Verachtungs- und vor allem Gleichgültig- 
keits-Stadien (Stadien ist gut!) unterbrochene, sagen 
wir, sogar angenehm unterbrochene Angelegenheit der 
Seele und der übrigen verfügbaren Sinne sein müsse! 
Man kann niemanden auf die Dauer gleich- 
mäßig gern haben! Das sollte, in goldenen Lettern 
auf der Fassade eines Venustempels prangen, in 
deutlicher Adolf-Loos-Schrift, so wie von Vorzugs- 
schülerinnen in Schreibheften! Die bürgerliche Ge- 
sellschaft will etwas äußerüch, k tout prix (das ist 
französisch!) erzwmgen, was es in der Welt aber tat- 
sächlich nicht gibt! Nämlich eine anständige 
Stetigkeit und Verläßlichkeit der Gefühls- 
welt, ja sogar der Sinnenwelt, was eine noch ent- 
setzlichere Stupidität ist! Die „Mehrheit*' will 
un$ eben blöde machen! Strindberg ist tot, Ibsen, 
Bjömson, Tolstoi. Ja, da müssen wir Flöhe uns 
halt aufraffen, und stechen und Blut saugen, wo und 
wie wir nur es können! Wir können auch verwun- 
den, ohne Genies zu sein! Wirhabendengesunden 



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Menschenverstand! Das ist auch eine Waffe, 
wenn auch eine zartere, liebenswürdigere als die 
Maximkanonen der Genies, die meistens doch nur 
Idioten waren! Und ich sage euch daher, ihr 
Glücklichen, ihr wart niemals auch nur eine 
Stunde lang wirklich glücklich! Geschäfte habt 
ihr gemacht und Bilanzen berechnet! Ihr ,«Ak- 
tiven** seid ewig „passiv" gewesenl 



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BUCHBESPRECHUNG 

■ 

Ich habe mir das Buch schenken lassen vom Ver- 
lag J. J. Weber, Leipzig: „Rosen und Sommer- 
blumen''. Ich lese es, ich betrachte die i6o Photo- 
graphien, wie ein Werk von Maeterlinck! Jede Rose 
erblüht mir, als wandelte ich in einem Märchengarten. 
Alles wird Wirklichkeit. Ich sehe die Kletterrosen 
überalleMauem, Wände, Gitter sich hinaufechwingen, 
blühend rosigweiSe Pracht verbreitend über kahle, 
harte, notwendige Dinge! Ich sehe das Kletterröschen: 
„Maidens blush, Mädchens Erröten", ich sehe die 
Immeigrünrose: „F^cit6 et perp^tuit^V. Ich sdie 
„soleil d*or", goldgelb mit rosigen Rändern. Ich sehe 
, , Memorialrose * * ,für Grabdenkmäler , , , M innehaha" , die 
mich an Wedekinds herrliches Buch erinnert, das von 
der Nackterziehnng erlesener Geschöpfe handelt, ich 
sehe die Rose ,, Katharina Zeimet", mit Wildrosen- 
charakter, wie manche scheinbar zarte Frauen, die 
Rose „Konrad Ferdinand Meyer", die „Beauty of the 
Praihes", die weiße ^ose „Frau Karl Druschld'', die 
Bourbonrose „Souvenir de laMalmaison" (in der Todes- 
stunde getauft der Kaiserin Josefine). Ich sehe Rank- 
rosen in düsterem Hohlweg glühen ; Crimson Rambler- 
rose in riesigen rostrot lasierten ausgebauchten Töpfen» 
Japan vorzaubemd und seine Gärten; vergeblich 
suche ich eine Rose ,,KronprinzessinCecilie"! Rosen- 
züchter, dichtetmirin der ganzen weiten Welt eine 
Rose, die dieser Herrlichsten wert wäre! „Kron- 
prinzessin Cecilie", du müßtest einen Platz erhalten im 
Garten, daß man schon von weitem deine deutsche 
und dennoch internationale Pracht verspürte! 

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AN - 



Ich liebe dich . 

's ist keine Frage mehr. 

Solange ich dich sah und sah und sah, und sah, 

wüßt' ich es nicht, könnt* ich es nicht wissen! 

Nun, da ich dich den ganzen Vormittag nicht sah^ 
znm ersten Male, 

und ich auch nicht weiß, ob ich des Abends dich 
wiedersehen werde, 

nun ist die Bangigkeit in mir! 

Mit wem bist du?! Wer nützt die Pause aus?! 

Kommst du vielleicht jetzt eben zur Besinnung, 
daß es noch heißere Leidenschaften gibt 

als die meiner Bewunderungsblicke?! 

Oh, wärst du hier, ich sänke dir zu Füßen, 

du würdest spüren, was ich bisher nicht wußte, 

und was doch war, vom ersten Tage an — — — ! 

Und wasidu vielleicht wußtest, eh' es war! 

Was liegt dir dran, vielleicht freut es dich doch! 



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NEKROLOG (FRITZ STRAUSS) 



Siehe, es sind schon Leute gestorben, denen .ich 
hätte nachtrauern sollen, und ich tat es nicht. Andere 
wieder sind noch am Leben und ich wünsche ihnen 

— nur nicht gleich fluchen! Aber um einen mir 

verhältnismäßig ganz Fremden trauere ich jetzt. Er- 
stens sehe ich gar nicht ein, weshalb gerade ein 24 j ähri- 
ger Millionärssohn weggerafft werden soll, der genug 
Kultur hatte, Geld in wirkliche Werte, ohne Pflanz, 
umzuwandeln. Zweitens besaß er Humor, obzwar er 
wußte, daß es mit ihm schief gehen könne bei einer 
zweiten Operation. Er war ein „Gentleman -Musi- 
cal-Clown'", so benannte ich ihn sogleich. Jeden 
Abend nach dem Souper erfreuten er und Herr H., der 
es auch ,, nicht nötig" hatte, das elegante Publikum des 
Sanatoriums „Wolfsbergkogel" mit ihren imübertreff- 
lichen Knock-about-Einfällen, bei Klavier und Violine. 
Sie ersetzten eine ganze Varietövorstellung. Die reichen 
Damen vergaßen ihrer Leiden, was ihnen umso leichter 
fiel, als sie gar keine hatten ; die kranken Herren ver- 
gaßen, den kranken Damen den Hof zu machen. Das 
Lachen war da, das Lachen, in diesen heiligen, ernsten 
Gesundheitsräumen, und die Langeweile der Liege- 
kuren, dieser neuen Art, sich noch mehr auf sein 
armes Ich zu konzentrieren, war vergessen, gelöscht! 
Ich bat den jungen Mann, doch ja als „Gentleman- 
Champion" in großen Varietes, ohne Gage, aufzu- 
treten, und er sagte es mir lächelnd zu. Nun ist er 
tot. Um den trauere ich. 24 Jahre alt, unabhängig, 
mit Humor gesegnet, begnadet, gutmütig, bescheiden. 
Der hätte bleiben dijrfen! Nur der! 

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ERSTER SCHNEE 

12. September 1912. Es regnete und es schneite 

zugleich. Der Sonnwendstein war bedeckt mit 
Schnee. Das war ein Lokalereignis. Jedermann be- 
^rach es eifrig. Die herrliche 14jährige, wie eine 
Venetianerin aus dem 18. Jahrhundert, stellte sich 
an die Fensterscheibe imd sah hinaus. Alles andere 
ward sogleich dagegen lächerlich und gleichgültig. 
Für sie war Schnee gelallen auf dem Sonnwendstein 
denn sie interessierte sidi dafür. Ich hätte ihr zwei 
Meter hohen Schnee gewünscht, ganze weiße Hügel 
tmd Abgründe, damit sie sich besser amüsiere bei dem 
Anblick! Sie sah hinaus, und ich beneidete die Fen- 
sterscheibe um den Hauch ihres unbeschreiblich 
schön modellierten Mimdes. Überall zogen Nebel- 
fetzen dahin, dorthin, zerfetzten, verwischten die 
Landschaft, ertränkten sie in Grau. Das junge Mäd- 
chen begann sich zu langweilen. Es wird ein öder 
Tag werden in diesem Berg-Hotel. Mir erschien er 
licht und wertvoll ! Sie setzte sich hin, um mit einem 
Kinde ein Spiel mit gelben, grünen, lila Würfelchen 
zu spielen. Sie ließ das Kind absichtlich gewinnen. 
Das Kind sagte: ,,Mit dir spiele ich nicht mehr, du 
spielst zu schlecht^ immer -verlierst du, du Unge- 
schickte!** 



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DER MALER 

Die kleine 6jährige Tatarenkönigin Sonja D. 
sagte zu dem Dichter, der sie anbetete: „Mein Bruder 
Bogdan und ich» wir schlafen immer mit einem geöff- 
neten Jagdmesser, einem Kindergewehre für Schrot 
und einer Pistole mit echten Kapseln, unter dem 
Kopfpolster! Aber die Banditen wollen nicht kom- 
men» sich abschlachten za lassen! Die Feiglingel'* 
Der Dichter nahm das vergötterte Königinchen in 
seine zärtlichen Arme . 

Der Maler kam. Da sagten die Damen: 

„Was finden Sie denn so Besonderes an dieser 
6jährigen Sonja Dungyersky, die Sie jetzt malen für 
500 Kronen? Sie ist doch viel unliebenswürdiger, 
eigenwilliger, unsanfter als die meisten anderen rei- 
zenden Kindchen hier?'' 

Der Maler: „Ich male sie von heute an umsonst, 
verstehen Sie mich, umsonst! Für mich imd für 
die Welt! Also ausnahmsweise diesmal nicht um- 
sonst! Ich werde sie malen auf einem niedrigen» 
schmiedeeisernen, schweren Trone, mit ihren braunen 
Gazellenbeinen und ihren braungoldenen Locken! 
Umgeben von gebleichten Tatarenschädeln! Einer 
muß an einer goldenen Kette herabbaumeln und in 
einer Ecke muß ein Jüngling den grünen Giftbecher 
trinken und sie anblicken. Das Ganze heißt : , Kleine 
winzige Tatarenkönigin, Wildkatze, Besiegerin!' 
Wie aus einer entsdiwundenen Zeit von Kraft, 
Trotz, Schönheit, Unbesiegbarkdt stammt sie, und 
dennoch könnte man über ihxe Anmut, über ihre 
Sümme, ja über ihre zarten Handbewegungen aUein 

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schon tagelang weinen und sich momentan hin- 
opfem!" 

So sprach der Maler; und die Mütter der wohl- 
erzogenen, folgsamen Kinder erbleichten und schli- 
chen fast krank von dannen! 

Am nächsten Tage schrieben sie: »«Wollen Sie 
unser Kindchen für 2000 Kronen malen?** 

Und er schrieb zurück: ,,Nein!" 

Aber am dritten Tage schrieb er zurück: „JaT* 

Und er malte die Kindchen und alle Tanten und 
Kusinen, imd die Großeltern waren entzückt!: ,Ja, 
ja, so ist unser Schätzchen, unser liebes, goldiges 
Geschöpf chent Die Sanftmut schaut ihr aus den 
Augen heraus !" 

Ja, es waren sanfte Kälber von dummen 
Kühen, richtig porträtiert ! Und ein j edes Käibchen 
kostete 2000 Kronen» billigst berechnet 1 

Aber, das Tartaren-Königinchen Sonja Dungyer&- 
ky, auf schmiedeeisernem breitem kurzem Throne, 
hatte er , »umsonst** gemalt. Und die Damen sagten: 
„II s'est moqu6 de vous, Madame Dungyersky!" 
Aber die Großmama stand lange lange vor dem Bilde. 
Nie sprach sie ein Urteil aus. Aber oft stand sie vor 
dem Bilde und starrte es an, an, an. Und eines Tages 
sagte sie: ,,Pour les ^trennes, donnez moi l'imagei 
Ce n'est rien pour vous. Vous €tes trop jeunes et 
trop vieux! II faut pouvoir songer tout ä la fois 
dans ie passe et dans Tavenirl" 



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BETRACHTUNGEN 

Der Schlitten war leicht wie eine Nußschale, aus 

braunem Stroh; die Landschaft prangte weiß in weiß, 
die roten Ebereschen und die bunten Gimpel, die 
schwarzen Krähen bemalten sie diskret und vornehm, 
fast nach japanischem Geschmacke. Ich sprach mit 
der edlen Dame über zarte Dinge des Lebens. Die 
edlen rehbraunen gedrungenen Pferde gaben die be- 
kannten Verdauungsgeräusche von sich, schienen 
also nicht nach ,,Prodromos" sich zu ernähren, son- 
dern viel Unnötiges, Beschwerliches zu sich ge- 
nommen zu haben, wie Hafer samt den Spelzen, 
ii donc! 

Wir überhörten gleichsam diese Geräusche, und 

dennoch kam es wie ,, allgemeine Unzulänglich- 
keit" der Lebewesen über uns, eventuell sogar fana- 
tisch geUebter Damen. Ich liebte einst ein wunder- 
bar schönes ißjähri^es Schlosscrgesellentöchterchen,. 
die mir einst sagte: ,,Behalten's Ihre Briefe, es steht 
ja eh immer nur dasselbe drin, ich weiß schon, Sie 
haben wieder wegen mir die ganze Nacht geweint! 
Hab* i Ihnen was angetan?! Na also, nur g'scheit 
sein! Kaufens mir lieber Va Kilo Ringlotten, wann's 
nüch schon so gern haben!" Bei einer solchen Ge- 
legenheit ließ sie dann in der herzlichsten Weise 
kleine kurze fast piepsende Geräusche hören, infolge 
des Ringlottengenusses. Ich sagte: ,,No, no, was sind 
denn das für Liebeserklärungen?!" Sie erwiderte: 
„Ah da schau' her, wär's Ihnen Heber, i sollt's in mein 
Baucherl behalten, daß's mich druckt?! A schöne 
Lieb' is dasl** 

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UR-SEELE 



„Herr Peter**, sagte die herrtiche 5 jährige zu mir, 
weshalb beschenken Sie Stella immer ?l Stella ge- 
hört mir, ich bin eifersüchtig/* 
„Auf wen?!" 

„Auf überhaupt ,** 

,,Du solltest dich doch darüber freuen, wenn Stella 
beschenkt wird?!" sagte ich. 

„Ja, ich sollte. Aber ich freue mich eben nicht» 
sondern ich bin nur eifersüchtig!** 

Würdest du Stella dieselben Geschenke lücht 
geben, wenn du Geld hättest?!'* 

y^ein, Stella soll mich von selbst heb haben. Ich 
habe sie auch von selbst lieb, sie braucht mir gar 
nichts zu schenken!** 

„Aber Kind**, sagte die Großmutter, „du bist sehr 
herzlos und ungezogen!** 

„Aber was braucht der Herr Peter meine Stella 
zu beschenken ? ! Meine Stella gehört mir, sie braucht 
nichts geschenkt, ich habe sie heb!*' 

^J)u solltest dich freuen, wenn 

„Ich sollte mich freuen, ich sollte mich freuen, 
aber ich kränke mich!** 

Sie weint. Worüber?! Niemand weint lun- 
sonst » 



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FRAGE 



Was ist ein Dichter?! 

Einer, der schon weinen kann» 

wenn noch die andern trockenen Herzens sind 

Einer, der die sechsjährige Prinzessin Sonja Dun- 
gyersky 

so zärtlich lieb hat wie die eigene Großmama sie 
lieb hat! 

Einer, der abends im Gebirge den eingefangenen 
Oleanderschwärmer 

auf das einzige Oleanderbäumchen setzt im 
Garten, 

das ihn aus ferner Ebene hierherverlockt hat! 

Einer, der die braune Nacktschnecke behutsam 

vom Waldweg ins Gebüsch tragt . 

Einer, der Rosen schenkt und sie bezahlt mit 
seinem Nachtmahlgelde . 

Einer, der die geliebte Hand berührt und dabei 
Hochzeitnächte spürt von Seligkeiten! 

Einer, der leidet, leidet 

und alle sagen: „Was fehlt ihm denn zu seinem 
Glücke?!" 

Einer, der die Schale kauft, aus der sie Ka^kao 

getrunken hat. 

Einer, der ein innerer Bombenwerfer** ist, 

und dabei doch so sanft, so mild verständnis- 
voll für alles! 

Einer, den alle verlachen, 

und um den sie trauern, wenn er nicht mehr 

ist! 

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LETZTE UNTERREDUNG 

• 



Peter, was ist Ihnen?! Sie schauen so verzwei- 
felt aus, und vor allem so bleich — — — •** 
Ei schweigt. 

,,Peter, ist es wegen des jungen Architekten?!** 

Er schweigt. 

,,Peter, Sie lieben mich seit meinem 12. Lebens- 
jahre. Von Eltern» von Gouvernanten, vernahm ich 
nur: ,,Du mti6t, du sollst! 

In Ihren Augen lag von jeher eine unermeßHche 
Zärtlichkeit, Das darf ich Ihnen nicht vergessen, 
Peter. Es war der Lichtblick meiner düsteren Kind- 
heit. Und oft wenn ich dachte: Wozu bist du?t da 
dachte ich sogleich: Er hat mich lieb! Von Ihrem 
Blicke lebte ich, das sag' ich Ihnen nun." 

Er senkt das Haupt . 

Peter, ich kann erst ganz glücklich sein, bis Sie 
mich wieder anschaun, lichten, liebevollen Antlitzes, 
wie eh imd je 

Da schaute er sie an, an, an, lichten, liebevollsten 
Antlitzes, wie eh und je, so wie sie es brauchte und 

verlangte . Ihr, Ihr zuliebe, damit sie wieder 

schimmere, leuchte, in ihren schlimmen Kokette- ^ 
rienl 



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DIE NIERE 



Zu den wahrhaftigsten und mich auhrichtig rüh- 
renden Opfern, die ein Mann einem geliebten Weibe 

bringt, rechne ich es immer, wenn er beim Nieren- 
braten die Niere ihr überläßt, vorausgesetzt natür- 
lich« daß er sie selbst gjem ifit. Aber wer äße die Niere 
nicht gern ? ! Diese Niere ist überhaupt so ein sicherer 
Thermometer in Liebessachen. Zum Beispiel: ,,Otto, 
weshalb ißt du denn die Niere nicht?!" — „Ich esse 
sie, und noch dazu am liebsten, deshalb lasse ich sie 
mir für zuletzt!** — „Ach so,** erwidert Hermine 
enttäuscht. Oder: ,,Max, du ißt ja die Niere doch 
nicht!", imd hat sie schon in ihr Mündchen gesteckt, 
während Max nichts im Halse stecken bleibt als das 
Wörtchen: „O doch!** Oder: „A schöne Lieb', frißt 
die Niere selber auf, da schau' der an da!" Die- 
jenigen Herren jedoch, die „das Opfer der Niere" 
bringen, tun es auch meist ziemlich geschmacklos, 
indem sie innerlich sich anstellen, als hätten sie jetzt 
Anspruch auf Dankbarkeit und Treue ihr ganzes 
Leben langl Nein, dem ist nicht so. Die Damen 
nehmen gern die Leckerbissen an, die man ihnen 
spendet, aber sie haben die richtige Idee, daß solche 
Selbstlosigkeiten sich durch das Gefühl eines höheren 
Wertes, das man von sich selbst bekommt, reichlich 
belohnenl Wozu also die Sache überzahlen?! 



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KRANKHEIT 

Wenn man körperlich sehr, sehr leidend ist, so 
zerquetscht, ' 

dann wird man erst wie der ,,Nor mal mensch'*! 

Man wird reduziert auf das „allgemeine Maß"! 

Da sieht man erst, wie schrecklich dieses ist! Pfui 
.Teufell • 

Man könnte keiner ideal schönen Frau mehr, 
selbstlos exaltiert, zu Füßen sinken . 

Man erwünscht sich eine „Gefährtin*', „Pflegerin", 
„Teilnehmerin". 

Für „Seelen- Luxus" ist keine Kraft vorhan- 
den * 

Die Vfiesea sind schneefrei und sogenannte „Palm- 
katzerln", wie graue Seidenflocken, blühen an den 
noch blätterlosen • Weidenbäumen. 

Das alles übt keinen Reiz mehr aus. 

Man sagt: „No, schon wieder ein Frühling; die 
30 Lichtbäder im Sanatorium haben mir einen 
Schmarm geholfen." 

Jetzt konmit der Frühling daher, und er geniert 
mich direkt . 

Früher hab ich ihn angedichtet, mit der Kraft 
meiner imendlichen Seele ; 

jetzt kann ich nicht einmal mehr „heurige JRadies- 
chen'' vertragen. 

Was geht mich da der Frühling an?l? 



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Güte 



Jeder Mensch, der irgend etwas begeht, und weiß 

es selbst nicht» daß er es falsch getan hat 

siehe, an ihm geht es dennoch schlimm ans! Er 
kann sich nicht entschuldigen mit seinem ,,guten 
Willen'', denn Gott berücksiditigt diesen nicht, 
sondern nur die ,,edle Weisheit** einer jeglichen 
Betätigung! Der sogenannte ,»gate Wille** ist eine 
schmachvolle feige Entschuldigung, die in dem 
,,Buche Gottes'* in das Minus-Konto eingetragen 
wird! 

,Jch habe es gut gemeint**, ist ein Zeugnis 

für „Selbstverurteilung". Meine es schlecht, mein 
Lieber, aber denke das Richtige! 

„Güte ist Stupidität; es gibt nur eine einzige wahr 
haftige Güte: Weisheit! Rate mir nicht, helfe mir 
nicht aus Güte; da kann ich leicht dein Opfer 
werden. Rate, hilf mir aus eiskalter kristallklarer, 
unerbittlicher, adeliger Weisheit I 

Alle Menschen, die angeblich „zusammengehören**, 
machen es sich gegenseitig leicht, indem sie „gut" 
sind. „Weise sein", in bezug auf einen geliebten 
Menschen, das fällt ihnen zu schwer, das kdnnen, ja, 
das wollen sie nicht. Da könnten sie „in Konflikte 
kommen", ,, mißverstanden" werden; aber die diunme 
alberne leichtfaßliche Güte, die versteht ein jeder, 
erkennt sogar ein jeder Gleichgültige an. Güte ist 
ein feiges Seelenmanöver, um Idioten zu bluf- 
fe n! Die Idylle des Familienlebens, das Ehelebens, 
des Lebens zwischen Geliebten, besteht zu 70 Prozent 
daraus. 

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„Bin ich nicht gut zu dir» du Undankba- 
rer?!?*' ist die Phrase der «.geschickten Kühe*S die 

damit die ungeschickten Ochsen" an sich fessehi! 
Mögen es auch noch so sehr in anderer Beziehung 
„Stiere" sein — — — ^. 



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ANNONCE 



Ich lese im „N. W. T." eine Annonce, die mit dick 
gesperrten Lettern beginnt: Behandlung von 

Herzkrankheiten und dann folgt 

dieAnpreisung des berühmten „Franz Josef -Bitter- , 
wasser*\ vor dem Frühstück (Vs Liter) in kleinen 
Schlucken, ganz langsam, absatzweise, zu 
trinken! Nun meinen natürhch alle Leser, daß diese 
zu Anfang gesperrt gedruckten 4 Worte nur dazu 
dienen, den Leser „einzulangen** und zu „verlocken**. 

Jawohl — nämlich zu seinem eigenen Heile! 

Denn die vitale Nervenkraft des Herzens hängt 
von der minütiösen Sorgfalt, die man dem gesamten 
Verdauungsapparate angedeihen läßt, ab I Überhaupt» 
die Verachtung der „Annonce** in einem großen Tage^ 
blatte, bloß weil der Fabrikant dabei verdienen will, 
ist kindisch ! Man nehme nur diese täglichen Annoncen : 

Menthol-Franzbranntwein, 

Salz-Cakes, 

Tamarinde Grillon, 

Sanatogen, 

Biodthin, 

Vegetabilische Nährsalze, 
Eau de Cologne 471 1, 
Chocolat Suchard, 
CaHfig, 
Pears soap. 

Ewiges Mißtrauen ist schädHcher als ewige Gläu- 
bigkeit. Es muß erst ein Arzt in schwarzem Gehrock 
und funkelnder Brille dir ernst und gemessen sagen: 
„Nun, versuchen wir es emmal mit Sanatogen und 



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Tamarinde," damit du, Ochs, Vertrauen schöpfest 
zu Dingen, die dir doch täglich morgens mit lauter 
Druckerschwärze gepredigt werden! Nur der, der 
nicht annonciert, kann mir nicht nützen, denn ich 
weiß von ihm nichts I 



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PLAUDEREI 



Es kommt der Augenblick trage herangeschlichen, 

da man nichts mehr wird schreiben können. Man hatte 
doch etwas zu sagen, was dem anderen nützte. Und 
wäre es nur: «»Schlafet bei weit geöffneten Fenstern!** 
Man hatte unbedingt eine Mission, eine winzige, eine 
nichtige Mission, aber eine Mission! Das hält einen 
in Zusammenhang mit allen Menschen, die man nicht 
kennt« Den Bekannten gegenüber hat man ja keine 
Mission. Für die ist man ein Narr oder ein Schwindler« 
Manche sagen sogar: ,,Nein, diese Ehre tun wir ihm ja. 
doch nicht anl'' Wofür also halten sie ims? ! Ich könnte 
meine Sachen widerrufen, aber Tausende würden sie als 
Wahrheiten in sich aufnehmen. Ich könnte es verkün- 
den: ,,Nein, die Frauenseele ist doch nicht so, wie ich 
sie sehe!** Aber Tausende würden janmiem: „O, bitte, 
wir sind doch so!'' Mein Talent war klein, aber mein 
Fühlen war groß. Die meisten haben kein Talent und 
kein Gefühl, nämlich für allgemeine Dinge, obzwar sie 
im besonderen, in ihrem trauten Nestchen, beträcht- 
licheGefühleaufbringen, die irgend jemandem nnitVor- 
und Zunamen recht sehr zugute kommen. Jemand 
schwärmte mir immer und immer von seinem Garten 
vor, schilderte ihn mit wirklicher Liebe und Begeiste- 
nmg. „Ja,** sagte ich, „aber auf der Strecke so und so 
der Balm so und so habe ich einen noch viel schöneren 
Garten gesch'n.*' — ,,Und was haben S' davon?!** — 
„Nichts", erwiderte ich. Es gibt Menschen, die schöne 
Gärten lieben, und es gibt solche, die ihre schönen 
Gärten lieben! Das ist der ganze Unterschied. Na, 
und was haben s* davon ?l Nichts! 

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RICHTIG 



Ich verkehrte mit einer sehr intel)igenteii, gebilde- 
ten Dame, die viel mit Aristokraten beisammen war. 

Da sagte mir eine andere Dame, mit der die Aristo- 
kraten nicht verkehrten: Peter, wenn Sie nicht der 
Peter wären, würde die Dame auch Sie nicht so 
oft in ihrer wunderbaren Equipage abholen!" Ich 
erzählte das meiner Freundin. Sie erwiderte: „Sicher- . 
Uch; weshalb sollte ich nicht Heber mit einem feinfüh- 
ligen Dichter als mit einem Kommis beisammen sein 
wollen? Der Kommis kann gewiß ebenso intelligent 
und wertvoll sein, aber ich lerne ihn nur kennen als 
den, der mir Seide anpreist. Den Dichter kenne ich 
im voraus aus seinen Werken. Beide könnten mich 
im Nahverkehre gleichmäßig enttäuschen. Aber 
von dem einen habe ich dann wenigstens seine Werte 
noch in meinem Bücherschranke und kann bei der 
Lektüre vergessen, daß er ein gemeiner Kerl ist!*' 



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REMINISZENZEN 



Eine angenehme Abwechslung während des Ler- 
nens war das Anzünden der Öllampe am VVintemach- 
mittage. Draußen sah man undeutlich graue Häuser 
wie fremde Welten. Da kam das Stubemnädchen und 
zündete die Öllampe an. Vorsichtig nahm sie die 
Milchglaskugel ab, den glänzenden Zylinder aus Glas. 
Sie drehte den bereits vomüttags richtig abgeschnit- 
tenen Docht hoch mit der Messingschraube, legte zwei 
fadendünne harz-imprägnierte Hölzchen (eine ganz 
neue Erfindimg der Technik) im Kreuz über den 
gelben Docht und zündete jene an den Enden an. 
Oft brannte der Docht, oft brannte er nicht. Endlich 
brannte er. Da stülpte das Stubenmädchen vorsieh* 
tig den Glaszylinder auf und dann die Milchglas- 
kugel. Nun wurde noch ein wenig an der Messing- 
schraube, auf welcher der Name , JDitmar" und zwd 
- Herkurflügel waren, hin und her gedreht, damit die 
Lampe nicht rauche. Endlich brannte sie mit einem 
dottergelben matten Schein. Da saß man denn, und 
schrieb die Einleitung zu dem Aufsatze: »«Charakter 
des Wallenstein": „Wenn wir die großen Helden ver- 
gangener Zeiten an xmserem geistigen Auge vorüber- 
ziehen lassen " 

,,Sie, Blarie, der Docht raucht auf der linken 
Seite " 

„Aber junger Herr, das ist eine Sekkatur. Ich 
habe ihn heute vormittags ganz gerade abgeschnit- 
ten.« 

Charakter des Wallenstein: „Auf der Höhe seiner 
Macht angelangt, überfiel ihn wie die meisten Sterb- 

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liehen die Sehnsucht nach noch Höherem, Unerreich- 
barem " 

Die Lampe bramite mit dottergelbem, mattem 

Schein, und richtig, links rauchte sie ein wenig und 
schwärzte sogar den Glaszylinder an. 



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WERTE 



Ich finde, daß die Dichter so ,,ästhetisch-sentimen- 
tale** und übertrieben eingebildete, und von ihrer so- 
genannten Aufgabe, rekte „id^e fixe", besessene ,, Er- 
zieher der Menschheit'* sind, die doch bis heute durch 
sie nicht um ein Stückchen vorwärtsgekommen, 
das heißt, von irgendeinem Leid befreit worden 
ist! Die wirklichen großen Wohltaten jedoch über- 
sieht man» hält sie für nichts und ist vor allem nicht 
dankbar. Als mein geliebter Vater 69 Jahre alt ge- 
worden war, gaben ihn sämtliche Professoren infolge 
von unheilbaren Alterseischeinungen für verloren, 
und meine Bfama, die seit zehn Jahren tot ist, weinte 
sich die Augen aus. Da sandte ich meinem Vater zwei 
Schachteln „Tamar Indien Grillon", mit der Auf- 
forderung, jeden Morgen vor dem Frühstück un- 
bedingt eine Pastille zu nehmen. 

Seitdem ist er ein Jüngling geworden, ist 83 
Jahre alt, hat nicht eine einzige Beschwerde des 
Alters. Verdauung jünglingshaft, ewiger Appetit, 
rosige Laune, Schlaf zehn Stunden ohne Unterbre- 
chung. Er fühlt nicht, daß er alt ist. Sein einziger 
Kummer ist, daß er nicht mittags und abends, aus 
dkononüschen Gründen, besondere Leckerbissen ha- 
ben kann, wie Rebhühner, Rehrücken kalt, kalte 
Poularden, Straßburger Gänseleberpastete, Kaviar, 
Krebse usw. usw. Er liest von morgens bis abends 
französische Romane (deutsche versteht er nicht, sie 
sind ihm zu „vertrackt"), ohne Augenglas, geht nie 
aus seinem Zimmer, und bedarf absolut keiner 
Bewegung. Schmerzen« Melancholie, Schwächege» 

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fühle und Langeweile kennt er nicht. Jetzt schrieb 
er mir kurz: „Du, ich nehme noch immer pünkt- 
lich Dein berühmtes ,,Taniar". Es ist besser als 
Deine Dichtungen; die sind für mich ganz unver- 
daulich. Du hättest doch vielleicht Mediziner werden 
soUenl** 



f 



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SCHLAFMIITEL 



Paraldehyd, 

Dir gilt mein Lied! 
Der Tag ist lang, 
mir ist so bang 
vor'm nächsten! 
Paraldehyd, 
Dir gilt mein Lied! 
Ich glaubte stets» 
mein letztes Lied 

sollt' einem Frauennamen gelten — 
versunken sind nun diese Welten! 
Mit Medinal 

hätf ich die Wahl 

indessen 

Paraldehyd bringt tieferes Glück - 
ein längeres Vergessen! 



* 



FAHRT 

Ich bin nicht gereist, ich weiß bis heute es nicht« 

wie ein Schlafwagen ausschaut, verstehe nichts da- 
von, daß man nachts in seinem Bett, auf einem Kopf- 
polster» unter einer Decke und mit anderen nützlichen 
und bequemen Utensilien, durch die Welt getragen 
wird und morgens, ganz ausgeruht, irgendwo sich 
befindet, wo man, mit Respekt zu melden, noch 
niemals auch nur annähernd gewesen ist. Nun 
brachte man mich an einem frischen Julimorgen, per 
Automobil, 70 Kilometer die Stunde, nach Wiener- 
Neustadt. Alle Wiesen begossen uns fortwährend 
mit ihren Parfüms« Wind und Duft, das allein spürte 
man. Lioschka sagte nur einmal: ,,Wenn etwas ge- 
schieht, gehen die Splitter der Autobrille vorerst in 
die Augen und zerreißen sie!" Dann nahm sie lang- 
sam die Autobrille ab. Dann sagte sie: „Ihre geliebten 
weißen Kartoffelblütenfelder I Früher habe ich mich 
nicht getraut, sie schön zu finden! Es hätte sich 
auch nicht für n\fch geschickt!" Dann sagte sie: 
„Haben Sie auch den roten Mohn in den Wiesen gern» 
obzwar es ein Unkraut ist und schädlich für die armen 
Kühe?!" 

Ich berührte leise ihre Hand in den hellbraunen 
Rehlederhandschuhen. In Wiener-Neustadt setzte 
man mich ab. Gerade fiel einer von einem Gerüste, 
brach sich das Genick. Ich kaufte mir Bergblumen- 
ansichtskarten und fünffarbige Hülsen für Bleistifte. 
Ich ließ mir ein Zimmer aufsperren im Hotel neben 
dem Bahnhof, um su schlafen. Alle Bediensteten 
waren wie besorgte Kindermädchen, obzwar ich nicht 

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nach ^«reichlichem Trinkgeld" aussah. Aber der 

Schein trügt. Das ist vielleicht die letzte Philosophie 
dieser dienenden Menschen. 

Er ist vielleicht doch ein reicher Narr! Das letz- 
tere stimmte. Man brachte mir alles, das heißt zehn 
Flaschen Pilsner Bier. Das ist doch alles! Ja und 
einen Roßhaarpolster. Wenn ich nur wüßte, weshalb 
man noch nicht auf polierten Granitsteinen schläft ? 1 
Diese Eiderdannen aus zusammengedrückter Watte 
sind doch nur für die ,, Prinzessinnen in den Kinder- 
mäxchen'M Wir Erwachsenen wollen hart schlafen, 
wie die Kaiser in ihren einfachen Feldbetten im 
Kriege. Ameii. 

Ich erwachte und fuhr sogleich auf den Semmering 
zurück. Aus dem Dunst ins Gebirge. In Pottschach 
stieg eine ein, in einem braungrün schillernden seide- 
nen Bauemkostüme. Die hatte ein Gesicht wie eine 
14 jährige Eleonora Duse. Aber in Payerbach stieg 
sie wieder aus. Sie sah meinen Blick nicht voll Trauer 
und Verzweiflung. Besser für sie und mich. Vielleicht 
hätte sie gedacht: „Alter Hund!" Die Lokomotive * 
„pustete", wie man zu sagen pflegt, in die Bergwelt- 
kurven hinauf. Man glaubt immer, daß sie es nicht 
überwältigen wird. Aber das ist ein laienhafter Irr- 
tum. Sie ist daasu geschaffen, konstruiert und aus^ 
probiert. Gerade so ist es wie mit der unglücklichen 
*Liebe". Unser Herz ist dazu konstruiert. Manchmal 
zerbricht es. Das sind „unvorllergesehene Fälle'S die 
auch der genialste Maschinentechniker nicht voraus- 
berechnen kann. Die Luft wurde immer frischer, imd 
ich gedachte des genialen Erbauers dieser Bahn, 
Ritter von Ghega, der sie in die Felsen mit Gewalt 

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I 



hineinbohrte, damit der Naturfreund alles genieße, 

Abgründe, Urwälder, Ausblicke, kurz die Dekoration 
der Bergeswelten! Auf dem Semmering dachte ich: 
»In Pottschach ist eine eingestiegen« in einem braun- 
grün schillernden seidenen Bauemkostüme. Weshalb 
hat sie meinen Blick nicht gesehen von namenloser 
Begeisterung?! Vielleicht hätte er sie geschützt vor 
dem Herrn so und so, dem sie jetzt unbefangen die 
Hand reichen wird zum „emgen Bunde**?! Unsere 
Blicke sind nicht da, um zu ,, zünden", sondern um 
zu „schützen", vor Blicken, die .«seelisch stargrau*' 
sind! Wir sind nicht da, um zu ,,erobem'', sondern 
um zu „schützen"! Ein jeder hat seine Aufgabe im 
Leben! £r erfülle sie! 



z6a 



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LIED 



Die 15 jährige Anna war sein Ideal. Strohgelbe 
leuchtende Weizenwogen ihre Haare! 

Franziska hieß die jüngere Schwester. 

Annas Lachen war wie tausend jubilierende Her- 
zen . 

Franziska hieß die jüngere Schwester. 

Immer war Aima vorhanden, in seiner Seele, 
noch mehr, wenn sie abwesend war . 

Franziska hieß die jüngere Schwester. 

Anna bekam den „Scharlach". Er wurde bleich. 

Franziska bekam auch d^n Scharlach« 

Anna genas . 

Doch er blieb bleich« 



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ABSCHIED 



Nun bist du fort 

Nun wirst, nun kannst du mich nicht mehr 
quälen. 

Ich sehe deinen Blick nidit mehr« der ins Leere 
starrt, 

das heißt, auf alle Männer, die sich gerade 
finden! 

Ich sehe nicht mehr, daß du frech ««schachern** 
willst« 

mit dem immerhin geringen Kapitale, das dir 
mitgegeben! 

Und daß du ««Wucherzinsen" beehrst für einen 
annehmbaren Leib! 

Ich bin erlöst, weil ich dich nicht mehr sehe. 

Was du mir bist, kannst du niemandem sein! 

Das aber kannst du erst verstehen« 

bis du allen, allen nichts mehr sein wirst! 

's ist eine Frage, nur der Zeit, der Monate, der 
Stunden . 

Und ich kann warten. 

Ich habe die Tränenkraft, zu warten. 

Und wenn du weinend zu mir flüchten wirst, 

werde ich, trocknen Auges« deine zerstörte Seele 
schützen, schirmen! 

Denn irgend etwas bleibt stets unzeistört — — — ^ 



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GESPRÄCH MIT EINER BARONIN, EX- 
ZELLENZ-FRAU, ÜBER IHREN HERR- 
LICHEN ZWÖLFJÄHRIGEN SOHN 

, Je crains d6jä maintenant nuit et jour ks fem- 

mes qui viendront plus tard !** 

,,£h, madame, craignez donc les hommes qui 
viendront plutötr* 



t6$ 



ENTZWEIT 



Oft sagte ich ihr, was mir an ihr nicht recht 

war 

ganz verzweifelt starrte sie mich mit bösem Blicke 

an. 

Ein Abgrund öffnete sich, meine Liebe und ihre 
Freundschaft aufzunehmen. 

Dunkel ward's mid kalt. 

Hilflos ist die Frau in solchen Augenblicken, 
glaubt stets sich etwas zu vergeben, falls sie milde 
wird, ergeben, 

fällt der bangen Stimde hilflos stimmi anheim. 

Ich sagte: »»Hörst du die Holzfäller, den Schwarz- 
specht, riechst du der feuchten Wurzelstämme brau- 
nen Moder, siehst du die Bläue des letzten Enzians, 
fühlst du meinen Schmerz?" 

Sie sagte: „Hit solchen Reden wollen Sie mich 
versöhnen?!" 

„Mit solchen Reden nicht, doch überhaupt. Und 
irgendetwas muß gesprochen werden, sei's dies, sei's 

jenes. Vielleicht findet sieh ein Wort , Es 

muß ein Wort einfach gefunden werden, das sich 
wie eine Notbrücke von meiner Seele zu der deinen 
spannt!" 

Und sie: „Siehst du, du bereust . 

„Ja, ich bereue, daß meine Liebe größer als 
meine Sehnsucht, dich zu bessern, istl" 



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GESPRÄCH MIT DER SECHSJÄHRIGEN 
SONJA DUNGYERSKY 



,,Das ist ein Pastellstift zum Malen. Oh, ich weiß 
alles, sehen Sie!?** 

Alles, alles weißt du, angebetetes Kindeben, aber 
wie sehr ich dich heb habe, das, das weißt du doch 
nicht !" 

„Und gerade das weiß ich. Sie haben mich sogar 
lieber ak meine GroBmama mich lieb hat 



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GLEICH BEIM HOTEL 



Gleich beim Hotel, links von der weißen Straße 
ist eine abschüssige Wiese, die niemand betritt« 
Im Uxzustande ist das vielfarbige Fleckchen. 
Auf roten Disteln wiegte sich der Distelfink, 
und graue Brennesseln bargen gelbe Schnecken. 
Es war ein Gewirr von braun und grau und weiß, 
mannshoch und dicht. Im Mondlicht lag es düster. 
Hier erschaute ich der holden Jahreszeiten holden 
Wechsel. 

Oberhalb wurde gebaut mit hunderttausend 
weißen Betonwürfeln» 

und unten war das Bahngeleise nach Triest. 

Hier aber, auf dem abschüssigen unzugänglichen 
Wiesenfleckchen» gab ein Monat dem anderen die 
Tür. 

Ein jeder kam in seinem Prachtgewande. 

Und jeden grüßte ich d^inkbaren Blicks. 

Es war mein Kalender. Ich erkannte jeden Monat, 
jede Woche, ja jeden Tag an den Veränderungen. 

Als alles blühen wollte, sah ich es voraus; 
• ich sah voraus, als alles sterben mußtel 

Wer wird dich nun betrachten, da ich fort bin?! 

Es ist, und ist dennoch nicht mehr . 

L*äme, c'est la nature, devenue consciente de 
soi-meme ! 

Et puis: La nature n'existe quelorsqu'on Taimet 



i6S 



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GESPRACH MIT EINER WUNDER- 
SCHÖNEN DAME VON 30 JAHREN 



„Nach kaum 14 Tagen wollen Sie schon wieder 
vom heiligen Semmering abreisen, Sie mit Ihren 
empfindlichen Nerven?'* 

, Ja, ich spüre es, dafi' der Semmering mir nicht 
hüft 

,,£in berühmter Homöopath hat gesagt: „O, 
Mensch, die Heilprozesse deiner Krankheit dauern 
immer gerade so lange, als du Zeit gebraucht hast» 
siedurchdeineSünden zu akquirieren !" 

„Mein lieber Herr Altenberg, 16 Jahre lang kann 
ich nicht auf dem Semmering bleiben! 



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I 



PLAUDEREI 

Ausspruch eines fünQährigen Bläderls: 

,,Wenn man alleweil brav ist, wissen die Leut' 
dann gar nicht mehr, ob man noch auf der Welt ist !" 

Die Eltern tragen mir ununterbrochen Anekdoten 
über ihre vergötterten Kindchen zu. Sie sind tief 
überzeugt davon, daß es gerade mich interessiere! 
Ich interessiere mich auch wirküch dafür, daß sie 
alle so tief überzeugt davon sind, daß ich mich 
dafür interessiere! Denn diesen schönen Schein 
zu erwecken, heißt eben ein Dichter sein! Und als 
das möchte man doch gerne gelten, wenn man schon 
vreder Beruf noch Geld hat, nicht?!? 

„Mein Knabe sagte mir gestem^S „mein Mäderl 
sagte mir vorgestern", höre ich alle Tage zehnmal. 
Ob eines dieser kleinen Mistvi^cherl einmal zu der 
reichen Mama den genialen Ausspruch täte: „Mama, 
wenn du mich wirklich lieb hast, dann gibst du 
diesem entzückenden alten kranken Dichter eine 
Monatsrate von fünfzig Kronen !" 

Ausspruch eines sechsjährigen Mäderls beim Ab- 
schied vom Semmering: „Ach, wie werde ich fürder 
ohne meinen geliebten Pinkenkogel und Sonnwend- 
stein existieren können?!** 

Ich hätte gerne geantwortet: „Sehr gut wirst du 
fürder existieren können, indem ich dir fürder für 
jeden affektierten, verlogenen, manierierten Aus- 
spruch deinen Hintern aushauen werde !" 



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GEGEN 



Es ist eine der infamsten Lügen der Moder- 
nen**, daß es „ewigen Fortschritt" gäbe! Wenn ich 
das schon sage, will es etwas heißen I Die Kremoneser 
Geigen, die Amati, Giiameri, sind nicht zu übertref- 
fen, ja nicht einmal ihr „Spiegel -Lack" und ihre 
„Schnecke**. Der Seiltänzer Blondin, der vor 40 
Jahren über den Niagara tanzte und mitten über dem 
Katarakte auf einem zusammenlegbaren Sparherde 
sich eine Eierspeise kochte und aß, auf einem Klapp- 
sessel sitzend, ist nicht zu übertreffen. Ebenso 
nicht die Koloratur der Adelina Patti, die Lack- 
arbeiten, Seidenstickereien der Japaner und Goethes 
Gedichte. Aber diese Herren, nomina sunt bekannt, 
wollen in Malerei, Musik und Dichtkunst „ewige 
Portschritte**' uns einreden? Und gerade ausgerech- 
net sie? Bei dem nicht zu übertreffenden „Voll- 
kommenen" demütig haltmachen können, ist Fort- 
schritt! Nach Mozart hat man keine Quartette 
mehr zu schreibenl 



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ROMPEI 



Bevor nicht jeder deiner einstigen Kavaliere von 
dir sagt: 

„Was ist an ihr? Sie ist gewöhnlich, dumm \md 
ohne Anmut, ohne Reiz^S 

glaub' ich dir deine absolute innere Treue nicht! 
Zu deinen Feinden mußt du sie erst machen 
wollen, 

um mir zu zeigen, daß du mir gehörst! 

Solange sie siegreich Besiegte sind, 

die Waffe senkend schwärmerischen Blickes» 

bin ich besiegter Sieger! 

Treibe sie zum Hasse, zur Verachtung! 

Dann erst Bebst du mich! 

Und so geschah's. 

Nur einer von den Rittern sagte zu mir, nach 
langem Schweigen, eines Abends: 

,,Und wissen Sie, was ihre größte Tugend ist? 
Daß sie Sie liebgewonnen hat, und uns den Laufpaß 
gab!" 

Ich sagt' ihr das. 

Und sie erwiderte: ,,Der Arme, Gute. Ich hab' 
ihn vorgemerkt. Nach Ihnen kommt er dran!" 



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WASCHUNGEN 



, Jch wasche mich täglich unmittelbar nach dem 
Aufstehen vom Kopfe bis zu den Zehen, zuexst lau 

und dann kalt," sagte das wertvolle moderne Mäd- 
chen zu mir. 

»«Sehr gut/' erwiderte ich, „aber ich glaube nicht, 
daß Jeaime d'Arc dazu immer Zeit hatte, als sie 
in die Schlacht mußte, um Frankreich zu erretten!" 

Als ich sehr krank lag, nahm es mich immer 
,,Wunder", daß meine Geliebte, nach einer durch- 
wachten und durchsorgten Nacht, noch immer die 
Energie fand, sich morgens vom Kopf bis zu den 
Zehen einzuseifen und abzuspülen. 

Sie sagte zwar: „Das tue ich, um mich für dich 
frisch zu erhalten!" ' 

Aber, siehe, ich glaubte ihr das nicht. 

Es war das „gottlose Weibchen" in ihr, das trotz 
allem und unter allen Umständen, sich appetit- 
lich erhalten woUte! Für wen?! Nun für 

allel 



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RESPEKT 



Er war immer, immer gerührt» ergriffen durch ihre 
,»PersQiiUchkeit'% die auch die lange Krankheit nicht 
in ihr vernichten konnte. Er hatte immer die Idee, 

sie würde mit dem letzten Atemzuge noch einen über- 
aus herzigen und aparten Clowntrick machen, imd 
z. B. sagen: „O, Peter, ich werde also, wenn ich 
hinkomme morgen, den Petrus bitten, er soll, wenn 
du ankommst, dir deine vielen Sünden verzeihen, 
schon weil du sein Namensvetter bist!** 

» 

Infolgedessen konnte er sich nicht enthalten, sie 
im Gespräche hie und da zärtlichst bei der Hand, am 

Arme, am Haupte, anzurühren. Wie ein süßes Kind- 
chen. 

Da sagte sie eines Tages: „Frau Lilly rührst du 
nie an, obzwar du sie auch sehr gern hast! Du hast 

aber mehr Respekt vor ihr! Siehst du?" 

Seitdem habe ich die süße kindliche Frau jue 
mehr angerührt. * 

Einmal sagte sie zu mir: „Hast du mich also nicht 
mehr so gern wie früher, Peter? " 

„O ja, aber ich habe Respekt vor dir bekom- 
men!" 

„Du drnnmer Mensch!" sagte sie und lächelte — 



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FALZAREGO-PASS-H OHE 



2250 Meter. Also sum erstenmal seit meiner 
jauchzenden Kindheit wieder auf steinbesäter Berg- 

alm mit dunklen Latschenkiefern, weißem Speik und 
Geruch von Ziegen. 

Irgendein Wässerlein tropfte, sickerte von aus- 
gelaugten Felsenplatten. Meine Hand berührte zärt- 
lich die polierten Nadeln des Zirbeljiolzes. Ich 
lauschte dem Rauschen im Legföhrenwalde. Das. Knie- 
bolz schwankt nicht im Bergföhnstöhnen. Die 
Stämme sind wie Kautschuk. Der schwarze Weg ist 
feucht und klebrig. • 

Ich gedachte des „Ochsenbodens" auf dem Schnee- 
berg, Märchen meiner Kindheit. Wie liebte ich diese 
fahlen blumenlosen Matten mit Geroch von weiden- 
den Tieren! 

Wie wenn der Kreis sich schlösse meines Daseins. 
Auf Bergmattenbegann es mit unbewußtem Jauchzen^ 
auf Bergmatten endet es mit emster Wehmut. Falza- 
rego! 



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ENTERBTE DES SCHICKSALS 



Sie hatte eine kleine reizende Blumenhandlung 
im Beiighotel. Das heißt, sie hatte sie nicht, sondern 

sie war nur Verkäuferin. Die Besitzer waren in Wien, 
reiche Leute. 

Sie liebte die Blumen, die man ihr von den un- 
gangbaren Felsgraten brachte, sie liebte die Blumen, 

die man ihr aus Ziergärten schickte in Watte und 
Holzbamnwolle. Alles, alles mußte sie aber doch ver- 

t 

kaufen« Ihre besten Kunden waren die „Hotel-Don 
Juans'* und die „Neuvennählten*\ Und sogenannte 

notwendige Abschiedsbuketts, von denen man dachte: 
„Ich will nicht, aber ich muß!'' Diese verkaufte sie 
am liebsten, schlug, so weit es ging, mit dem Preise 
auf, unerbittlich. Abschied ohne Abschieds- 
tränen muß teuer bezahlt werden! Einmal kam ein 
Dichter, bestellte für die sechsjährige Sonja Dungyers- 
ky einen Strauß von heUrosigen „Rosa Crimson 
Rambler". Diesen ließ sie sich nicht bezahlen. 
„Weshalb denn nicht?!" fragte der Dichter. „Wir 
wollen doch auch um Gottes willen einmal eine Freude 
haben 1 Etwas miterleben 1" erwiderte die Verkäu- 
ferin. 



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FRÜHLING 



Also jetzt weiB ich alles — — — zuerst kommen 

die Kätzchen der Haselstaude, dann kommt primula 
acaulis, dann gentiana brachyphylla, dann kommt 
ein grüner Schimmer über die Birken, dann kommt 
Leontodon taiaxacum, dann kommt ein weißer 
Schimmer über die Birnbäume, dann erwachen die 
Kastanienbäume, und zuletzt die Lärchen. Jetzt 
weis ich alles, 80 wird es! Hotels werden gebaut ans 
weißen Betondegeln, imd man projektiert ein Ton- 
taubenschießen. Gleichsam ein lebendiger Protest 
gegen das Massakrieren von lebenden Tauben. Frei- 
lich der Turmfalke, der Sperber, der Wanderfalke, 
die Eule?!? Aber die tun es aus Instmkt, den wir 
Gott sei Dank verloren haben. So viele Leute jedoch 
ersehnen sich ihn wieder. Sie haben aber leider noch 
genug davon! 



,177 



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I 



ERLEBNIS 



Ich kaufte mir für eine Krone eine Ponsellan- 
kaffeeschale mit gemalter Ansicht: ,3emmering, 

Hotel Panhans", steckte eine große Rolle Papier 
hinein, auf dem geschrieben stand: ^^Das sind die 
»»Andenken'^ die die reichen Damen ihren mi- 
glücklichen Dienstboten vom Semmering mitzu- 
bringen pflegen! 

Und das Dienstmädchen sagt gerührt: ,,Aber 
gnä* Frau, nein so was !" 

Aber sie meint: „Nein, so was Billiges, Scheuß* 
hchesl'* 

Kaum hatte ich. die Sache auf meinem Tische auf- 
gestellt, besuchte mich ein reicher Gutsbesitzer. 

„Großartig" sagte er, ,,wir fahren heute weg. Meine 
Frau hat drei solcher Kaffeeschalen für unsere Dienst- 
boten gekauft! Und ich sag' Ihnen doch, mein heber 
Altenberg, solche Leut' freut das am meisten I" „Ja, 
Schnecken!** wollte ich sagen, aber ich sagte: „Selbst- 
verständlich, sicherlich.*' Dann sagte er: „Zeigen 
Sie's jedesfalls meiner Frau, vielleicht gift' sie sich/^ 



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DIE TÄNZERIN 



Ja, gut, ich war von meinem achten Jahre an bis 
zu meinem siebzehnten eine englische Tänzerin in 
Varietes. 

Aber icli daxf es nur denen sagen, die es als meine 
* Ehre betrachten, daß ich schön tanzte und mir mein 
Geld verdiente und meiner Mutter davon gab, näm- 
lich Geschenke. Sonst nahm sie nichts. 

Aber den Damen darf man es nicht sagen, 
die kalt und bös im dunuoien Leben stehn! 
Sie wissen nichts von unserer hohen Ehre, 
daß wir der Kunst gedient und dennoch stets 
Herrinnen gebheben sind über uns selbstl 
Sie glauben, man müsse im Kampfe unterliegen, 
denn siehe, sie unteriägen im ersten Vorposten- 
gefechtl 



!»♦ 179 



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MEINE EHRUNGEN 



Die Frau eines berühmten Operettenkomponisten 

sagte zu mir: „Herr Altenberg, Sie wissen doch alles 
von den wichtigen Sachen im Leben, ich bitte, soll 
man Rhabarber in einem Garten anpflanzen?" 

»»Nein, unter keiner Bedingung! Rhabarber ver- 
braucht alle Bodenkraft ringsumher, er ist, gleich 
dem Rasen, der Egoist in der Pflanzenwelt!" 

Die Frau eines berühmten Schriftstellers sagte zu 
mir: „Ich bitte sehr, soll man den Reis schon die 
Nacht vorher einweichen in einem Wasserwandel?" 

„Jedenfalls! Reis bedarf der Vorbereitung, wie 
jede zarte Sache!" 

Eine dritte Dame sagte: „Alles was in Ihren 
Büchern ist, ist längst vorher in unseren Herzen! 
Aber wir sind feig, behalten es bei uns« Es ist gut, 
daß jemand den Mut habe! Und dann: Uns glaubt 
man nicht. Den Dichtem zwar auch nicht. Man 
sagt: Ein Dichter! Uns aber sagt man: Gans!" 



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KLARA 

Es gibt Mädchen, deren ewige Verehrer wir 
bereits sind durch die Art wie sie ihre Haare zurück- 
streichen an den Schläfen. Eine unermeßliche Anmut 
ist es» eine kindlich-lässige, nichts bedeutend un4 
für uns ein Schicksal! 

Hätte ich nicht gesehen, wie sie ihre Haare 

zurückstreicht aber ich habe es gesehn und 

bin verloren! 

Von nun an für sie beten und weinen 

Wie hob sie die Arme, wie hielt sie die Schultern, 
wie waren ihre Hände, ihre Finger, wie stand sie 
da, und wie besiegte sie alle Nixenreigen im Mond- 
lichte am Waldsee der Märchen?! 

* Sie strich die aschblonden Haare zurecht, eine Be- 
wegung, die so natürlich, selbstverständlich ist wie 
Atmen, Gehen, Sprechen. Ich aber beugte mein Knie 
vor Gottes Weltenanmut, die er mich Armseligen 
in seiner unerschöpflichen Gnade, an einem Juli- 
vormittag eischaHen ließt 



iSi 



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9 



BERGHOTEL -TERRASSE, SEMMERING 

Daß ich da bin, ist mir ein ewiges Rätsel . 

Ich war schon in der Gruft» durch Schuld der 
Ärzte! 

Heimtüdpsche Mörder ihr» nein, schrecklidier» 
Idioten! 

Nun hab* ich den Bergwald vor. meinem Fenster, 
und die Stimme der K. P. jauchzt und singt und 
spricht Gesänge; bloß wenn sie nur sagt» was alle 
Menschen sagen; Gewöhnlichstes wird zum ewigen 
Ereignis. Wie man es sagt» ist alles» was» ist 
nichts! 

Und die Komtesse schreitet» fliegt» schwebt» 

schlängelt sich über die Terrasse — . 

Das süße Kindchen Sonja Dungyersky steht da 
in braunen Locken und ihre Beine sind dünn und 
braun wie von Gazellen . 

Daß ich noch bin, ist mir ein ewiges Rätsel. Gott, 
schütze mir die, deren Schönheit .mich berauscht! 
An denen ich krank werde und gesund zugleichl 

Berghotelterraase aus Beton» mit deinen grell- 
roten Tischen, Sesseln, ich war dein erster Morgen- 
gast, imd ich begrüßte dich zärthchst, du feuchte 
noch vom Morgentau! Im äußersten Ecke saß ich» 
oberhalb der Baumwipfel» und starrte in den weißen 
Mürztalnebel ! Ich sah dich erstehen aus grauen 
nassen weichen Betonhaufen; ich wartete 21 Tage 
auf deine Marmorhärte; ich war dein erster Gast! 



182 



L iyiii^uü Oy Google 



ERKENNTNIS 



Alle Frauen rächen sich am Manne für irgendeine 
Unzulänglichkeit» die sie besitzen! Häßliche Finger- 
nägel machen sie bereits boshaft nnd gereizt. Von 
einem „unidealen Busen** gar nicht zu sprechen! Da 
begehren sie Tag und Nacht auf mit dem grausamen 
Schicksalf verzehren sich in Leid« und lassen sich's 
nicht merken! Deshalb muß eigentlich jeder 
Mann milde sein, gerührt, gestimmt zum Ver- 
zeihen! Wenn eine die Genialität hätte, es zu sagen: 
,,Ich bin unglücklich über mich selbst!"' Aber das 
wagen sie nicht, es sich selbst einzugestehen. Sie 
verlassen sich auf die Güte des Mannes, der sich 
„sekkieren, quälen, ungerecht behandeln** läßt! Sie 
haben aber recht, denn seine Liebe ist von Gott 
eingegeben, und ihr Schicksal ist irdisch und ein* 
bißchen vom Teufel! Er hat die göttliche Kraft 
zu leiden mitbekommen, sie die irdische Schwä- 
che, glücklich sein zu wollen! 



t83 



KLARA 



13. Juli, vormittag. Sie ging, in weißem Kleide, 
langsam den Wiesenweg hinauf. Ich sah sie; und sah 
sie wieder nicht. Sie grüßte» und ein Gebüsch ver- 
deckte sie. Dann sah ich sie wieder. Langsam sah ich 
ihr weißes Kleid imd ihre blonden Haare dem Wald 
zuschweben. Ich stand gebannt und grüßte nicht. 
Sie wußte, wie mir zumut war. Sie grüßte noch 
einmal. Wie wenn man sagte: „Du bist der erste, der 
gebannt steht und es vergißt, zu grüßen !** 

Sie wußte dennoch nichts von ihrer heiligen, 
schrecklich-süßen Macht. Ich aber warf mich au& 

Bett und weinte . Dann kam sie zurück. Ich 

sah ihr weißes Kleid und ihre blonden Haare. Ge- 
büsch verbarg sie, mochte sie entschwinden. Dann 
sah ich sie wieder. Ich verneigte mich. Sie ging 
vorüber; und wie eine Regenwolke kam es über die 
lichte Landschaft . » 



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EIN KOMT£SS£N-BRI£F 



Lieber Peter Altenberg, * 

weshalb sagen Sie mir das über die „göttliche 
Vollkommenheit meines Leibes"» den Sie mibedingt 
miter allen Hüllen nackt sehen?! Ich habe doch 
schon alle Untugenden, die unser Stand, unsere 
Sorgenlosigkeit, unsere Verwöhnung von früh bis 
abends, mit sich bringen ohne unser Hinzutun!? 
Jetzt kommt noch die Begeisterung eines Dichters 
hinzu, also eines Menjchen, der nichts will als be- 
geistert, berauscht, gerührt sein ? l So ein Beschenkerl 
Sie weiden mich nicht eitel machen» Edler» ich werde 
nur denken: „Vielleicht verhilft es ihm zu einem Ge- 
dichte, das wieder anderen hilft, wenn sie es lesen! ?*' 
Und dennoch habe ich mich abends in dem Steh- 
spi^ld angeschaut und gedacht: «»Dichter wissen 
doch alles!** 



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Märchen des lebens 

Der größte Beweis von Kultur und Takt einer 
Frau ist es, sich die ihr immerhin ganz angenehme 
Verehrung eines ungeliebten Mannes gefallen zu 
lassen, ohne ihn je zu kränken! Eine Dame Heß sich 
durch sechs Wochen meine schwärmerische Be- 
geisterung sanft lächehid gefallen. Beim Abschied 
bat ich sie, doch den Rehlederhandschuh abzustreifen, 
damit ich zum ersten- \md zum letztenmal ihre ge^ 
liebte Hand küssen könne — ^ , 

,,Schau'ns,Peter, washaben'sdavon, nix. Das hat 
gar keinen Zweck. Hab* ich recht 

„Vollkommen", erwiderte ich. 

»»Leicht sind Sie getröstet, mein Herr!** erwiderte 

sie. 

„Im Gegenteil, ich bin untröstlich darüber, daß 

Sie in Ihrer Kindheit zu wenig französische und eng- 
lische Gouvernanten gehabt habenr* 



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WORÜBER MAN NOCH IMMER WEINT, 

UND EWIG WEINEN WIRDl 



Frau verließ den Haxm . 

Hundert Millionäre lagen ihr zu Füßen. 
Da bekam ihr Kindchen Scharlach. 
Ihr Mann schrieb ihr: ,,Marie schreit auf aus 
tiefem Schlaf, ruft Deinen Namenr^ 
Da kam sie. 
Und büebl 



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BESUCH 



Nun gut, ich bin ewig begeistert, trotz meiner 
53 Jahre und meiner Krankheit, die doch schließUch 
unmerklich die KrSfte wegfrißt wie ein irrsinnige 
Jaguar, der nie genug hat und im Blute wühlt und 
trinkt ganz ohne Durst ! Mir gegenüber, auf Zimmer 
142, 143, wohnt seit gestern ein kleines Mädchen, 
Ungarin» Bulgarin oder Serbin; im Nationalkostüm 
nüt ganz nackten, herrlichsten Beinen geht sie. Als 
ich sie heute auf der Stiege traf, lächelte ihre Mama 
über mein begeistertesGesicht. Ich stand tmd schaute. 
Weshalb reisen, wenn die fremden Linder in ihrer 
Märchenpracht sich zu \ms bemühen?! Das Hotel- 
stubeimiädchen ließ mich in das unaufgeräumte 
Zimmer. Ich kniete an dem Bett des Kindes nieder, 
küßte das Linnen, auf dem ihr.heiliger Leib geruht! 
Das Stubenmädchen sagte: „Wann sollen denn die 
Menschen schön sein als so lang sie klein sindPl 
Später „wachsen sie sich aus**, da wird eine wie die 
andere 

Ich schenkte ihr zwei Kronen, denn sie war meine 
Mitarbeiterin geworden an dieser Skizze, die zwar 
noch nicht . angenommen und bezahlt ist. Aber man 
muß etwas riskieren . 



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LIEBESGEDICHT 

Ich wußte es, sie hatte mich betrogen — * . 

Betrogen ? Nein. Sie hatte nur vergessen, es mir 
zu sagen, es mir mitzuteilen ^. 

Denn ich hätte es ihr gestattet; wie einem Kind* 
chenKugler-Gerbeaud-Bonbons, von denen man nicht 
wissen kann, wie zart sie schmecken . 

Das Stubenmädchen brachte mir ihren, meinen 
armseligen Ring, zehn Kronen, den sie auf Zimmer 
109, im Bett gefunden hatte. 

Dann ging ich in die Bergwiesen, in den Wald, zu 
unserem heiügen Ruheplätzchen. 

Hochgelbe Arnika wuchs, weißer Klee, braune 
Schuppenwurz, hla Orchideen, ein 'Liebesteppich. 

Sie hatte mich betrogen. Nein. 

Dort, siehe, war es ein weißes Bett gewesen wie 
tausend Betten • Ein weißes, weißes, nichts- 
sagendes Bett. 

Hier aber war Bergwiesen-Liebesteppich, in Gottes 
bunter Prachtl Hier blieb sie mir treu! 



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DAS GRÖSSTE KOMPLIMENT 

(Der Komtesse T. W. geweiht.) 
Einige Herren saßen beim Frühstück auf der 

herrlichen Bergterrasse, sprachen über die junge 
Gräfin. 

Der erste: ^,Sie ist so liebreizend, daß man krank 
mid gesund zugleich wird bei ihrem Anblick!'* 

Der Zweite: ,,Ich habe ein Gedicht gemacht, es 
ist das erste in meinem Leben. Puccini will es mir 
in Musik setzen/' 

Der Dritte: „Ich schrieb an meine geliebte alte 
Mutter nur über sie, acht Quartseiten 

Der Vierte: „Sie ist da, und selbst der Bergwald 
ist seitdem schöncHr, melancholischer, äüster-verhäng» 
nisvoll geworden!" 

Der Fünfte: ,,Wenn sie abends 8 Uhr, beim Kon- 
zerte, in den Speisesaal treten würde, splitter- 
nackt, sich hinsetzen, essen, trinken, sprechen 
würde, so würde der ganze Saal es für natürlich, 
selbstverständlich finden, als ob man längst darauf 
gewartet hätte! Man spürte es direkt als etwas Un- 
schickliches, daß sie ^üher angekleidet gekommen 
war!'* 



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LE MONDE 



Die Schaukel war weitausgebaucht und braunrot. 
Im Winter sah sie nach nichts aus, im Sommer 

wurde sie mir eine lichte Welt! Klara, Franziska 
schaukelten darin, vormittags, nachmittags bis zum 
Abend, in weißen Batistgewändern» mit blondgolde- 
nen, wehenden Seidenhaaren. 

Im Winter sah die braunrote Schaukel nach nichts 
aus, im Sonmaer wurde sie mir eine lichte Welt . 

Dann kam der Herbst und dann der erste Schnee. 
Da blickte ich denn oft dankbar hinaus zur Schaukel, 
tief dankbar für das einst Gebotene. 



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EIN REGENTAG 



Es regnet. 9. Juli 1912, nachmittag 5 Uhr. 
Ganz dichte graue Schleier ziehen über den Berg- 
wald vor meinen Fenstern. Alles trieft, ist unter- 
getaucht in Nebel. Die Blumen haben ihre Farbe 
verloren, die Blechdächer glänzen, sind von Staub 
gereinigt, naß-poliert. Die Schaukel, die SchaukeL 
Vormittags schaukelte noch die sonnigste Frau, die 
blondgelichtete, die musiksprechende, in der 
Sonne! Ich sah sie schweben und weinte. Mir ist 
nichts anderes gegeben als zu weinen. Ich känn keine 
Lieder komponieren zum Preise, wie Brahms, Hugo 

Wolf, Grieg. Ich kann nur eine Melodie — 

weinen. Klara, Klara. Es regnet. Graue Schleier 
ziehen über den Bergwald vor meinem Fenster. Es 
duftet nach nassem Wald natürlich. Alles ist wie er- 
tränkt. Klara, Klara, du sitzest in deinem Zimmer, 
lernst wichtige Dinge, fürs nächste Jahr, für die 
Prüfung, für das Leben. Deine blonden Lockenwol- 
ken streifen das weiße Papier, auf dem du schreibst 
. Du sagst: „An einem solchen faden Nach- 
mittag ist's noch am besten zu lernen !** 



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IN 24 STUNDEN . 

,Jch bitte, nehmen Sie mich nm Gotteswillen 

heute nacht in Ihr Zimmer!" 

„Was interessiert Sie an meinem Zimmer?! Sie 
haben es doch schon oft bei 1^ besichtigt?!" 

„Bei Nacht muB es viel schöner sein!** 

„Mein Mann wird Sie erschießen!" 

„Das macht nichts!'* 

,,Mein Mann wird mich erschießen!" 

Infolgedessen sah er nie ihr Zimmer bei Nacht. 

Nun werdet ihr mich fragen: ,,Und bei Tage?!" 

Frauen sind so kindUch, das Tageslicht als neu- 
tralisierend zu betrachten; die Sonne kann mit 
ihrem lichten Strahl die dunklen Sünden bleichen! 
Sie läßt sich erzählen imd beichten! Und verzeiht! 

Nur die Finsternis ist heimtückisch« macht zur 
Verbrecherin und verrät! «^Kommen Sie, mein Herr, 
bei TagesUcht!" 



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HOTEL-STUBENMÄDCHEN 



Ich sagte zu meinem Hotel-Stubemnädchen: , Jo» 
hamia, Sie werden von Tag zu Tag unaufmerksamer 

gegen mich. Gestern waren sogar keine Zündhölzer 
vorhanden." Sie sagte: „Jetzt wird es schon wieder 
besser werden. Ich habe nämlich meine Schwester» 
27 Jahre alt, verloren, man hat ihr zum Schluß das 
ganze linke Bein abgenommen. Sie hat gesagt: „Ich 
möchte auch mit einem Bein leben!** Aber es ist 
doch nicht g^;angen.** Sie brachte mir zehn Pakete 
Zündhölzchen. Sie sagte: ,,Wenn man nur wüßte, 
wofür man so schwer bestraft wird!? Die Dame auf 
Nr. 32 hat sicherlich mehr gesündigt als wir, vuxd wie 
fein lebt siePl*' 

Ich sagte: „Johanna, wenn es auf Erden richtig 
zuginge, brauchten wir ja nicht die Hoffnung aufs 
Himmelreich " 

Sie sagte: „Entschuldigen Sie vielmals die zahl- 
reichen Versäunmisse der letzten Tage. Meine arme 
Schwester hat ausgerungen. Jetzt kann ich wieder 
meine Pflicht eifüllenr' 



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MODERNER DICHTER 

In tinsenn Leben gibt's so viel Nuancen — — — 
Die eine sagt: „Arzt meiner kranken Seele!" 

Die andre sagt: ,,Wie schrecklich ernur aussieht!* 
Die eine lauscht begierig der Persönlichkeit» 
die andre sieht piki^ den Gegensatz zu den 
andern! 

Die eine schreibt : „Darf ich zu Ihnen kommen ? !" 
Die andre hält's für zynisch, wenn er im Gespräch 
sanft-zärtlich ihre Hand berührt. 
Die eine sagt: „Ein Romantiker ohne Herz!" 
Die andre sagt: „Ein Herzlicher ohne Romantik!* 

Und eine jede sieht ein „für **und „wider*' 

und keine spürt, daß „für" und „wider** eins ist 
in einem, in dem „für** und „wider** zugleich, 
sindl 



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NATUR 



Naturempfinden ist wie die Mutterliebe eine 
ewige rastlose Emotion. Man kann nicht sagen : Hier 
ist es schön 1 Man muß erfüllt sein, krank, von allem 
anderen lo^elost, begeistert, gerührt, dankbar und 
erstaunt! Man muß sich sagen: Wie komme ich da- 
zu, das zu erleben, zu erschauen?! Es muß ein 
„Nervenrausch" sein, sonst ist es nichts, nichtsl £s 
darf keinerlei Zweck haben für die werte Gesmidheit, 
es muß von selbst wirken und beglücken, wie das 
Antlitz der jungen Mutter, die sich über die Wiege 
des soeben erwachten Kindchens beugt. Ein Glücks- 
Schimmer ist da über seinem Antlitz, weshalb, das 
weiß niemand. So muß die Natur wirken! Sie ist 
kein hygienisches^Heilmittel, pfui, sie ist ein Myste- 
rium. Nimm gewisse Vögel aus dem Wald, und sie 
sterben vor Gram. Gib sie zurück, imd sie zwit* 
Schern Dankgebete. So ist das Naturempfinden. 
Eine heiße, süße, zehrende Leidenschaft der Seele! 
Sport wid Hygiene sind Börsenmanöver, die die 
modernen Menschen mit dieser Kirche »»Natur" effek- 
tuieren! 



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NOCH NICHT EINMAL SPLITTER VON 

GEDANKEN 



Dialog 

„Sic haben erklärt, ich hätte die feinstmodellier- 
ten Nasenlöcher, die es gäbe?! Das ist nicht sehr 
viel 

„Nein, es ist nur Edelrassigkeit!" 

Extrakt eines Königinnenlebens: 

,,Die Königin fohlte sich am wohlsten, wenn sie 

bei einer edlen Zigarette, mit Gräfin P. A. über 
ihr Lieblingsthema, die Krankenpflege, plaudern 
konnte/* 

Die Philosophie: 

Sie war die Lieblingsschülerin des berühmten alten 
Professors £. in Pr. Und dennoch sagte sie: ,,Zu 
braunem Musselinkleide gehören eben unbedingt 
braune Strümpfe, braune Schuhe, brauner Schirm!" 
Dennoch?! Nein, deshalb! 

« 

Leben des Alternden 

Immer bissiger und innerUch inmier voller 
Tränen! 

Leben des reichen Mädchens 

„Ohne Beschäftigung könnte ich es nicht aus- 
halten. Man muß es sich doch beweisen, daß man 
auch ein Mensch ist!" 

Es gibt Frauen, die von der Natur so luxuriös 
ausgestattet wuideni daß sie sich den Luxus 

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der Luxuslosigkeit eflauben dürfen! (Komtesse 
•••••• W» ^s«^« 

Aus dem „Englischen": 

,,Man sieht» wie wenig Gott von Geld hält, an den 
Leuten, die er damit ausstattet!** 

Aus dem „Wienerischen": 

,,Sö haben gar ka Idee, wie unangenehm i werd'n 
kann, wann i will!** 

„Versuchen Sie es einmal, es nicht zu wollen!** 

Aus dem „Französischen": 

Um ganz Pariserisch zu sprechen, braucht man 
es nur ununterbrochen ganz einfach innezuhaben,- 

daß es vier e gibt, das e muet, das e grave, das 
e ^gu, das e circonflexe, und sich danach zu richten l 
Aber das kann nur der geborene Pariser! 

Als ich dem jungen Offizier mitteilte, ich hielte 

ihn für den Typus des „Eroberers** und beneidete 
ihn um sein Glück bei Frauen, erwiderte er: ,,Schau'ns 
Peter, schau'ns. Glück gibt's nicht! Die, bei denen 
man Glück hat, da ist es doch kein Glück. Die hat 
man von selbst. Dort erst wäre es erst ein Glück, wo 
man kein Glück hat. Und grad' da hat man kein 
Glück!** 

Das Geständnis auf dem Sterbebett« 
2878. 19x2. 

Aus Nyiregyhaza wird gemeldet : Das Mitglied des 
Munizipalrates und Direktor der Volksbank Anton 
F. wurde verhaftet. Seine Frau hat auf ihrem Sterbe- 

198 



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bette gestanden, daß er vor vier Jahren ein Haus in 

Brand gesteckt habe, um die Versicherungssunune 
zu erhalten für ihren Sommeraufenthalt! 

Konklusion: Weihe deine Frau in nichts ein, sie 
könnte aus Rache oder religiösem Bedenken 

oder aus allgemeiner Stupidität dich verraten! 

Moderne Gemäldegalerie der Armen: Farbiger 

Kunstdruck der „Jugend**, 50 — 25 Zentimeter, Emil 
Hoess: Rehe. Text von P. A.: „Es gibt Menschen, 
die sich an der Anmut dieser edlen Tiere berau- 
schen! Es gibt Menschen, die der Leidenschaft 
der Jagd ergeben sind! Es gibt Menschen, die, 
ohne Rausch und Leidenschaft, gern Rehrücken 
mit Sauce Cumberland fressen! Es gibt Dichter» 
Don Juans und normale Männer! 

Nur mit dir, GeUebte, hat das Leben für mich noch 
einen Reiz» aber ohne dich hat es noch mehr Reiz! 

♦ 

Sie bewimderten sich gegenseitig ' — da war 

es ein Mißton! Sie bewunderten gemeinsam einen 

Schildkröt-Schirmgriff da war es ein Akkord! 

»»Haben Sie mich noch gem?!*^ fragt sie immer 

innerlich nach der ersten Umarmung. Weshalb fragt 
der herrliche Idiot nie; „Haben Sie mich noch 
gern?!" 

Schamgefühl ist „ein Schutz für Unzu- 
länglichkeiten**« Man verbirgt» was zu verber- 

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gen ist! Treue ist auch ein Schutz. Weim ich nur 
wüßte, WQgegen?l Ah, ja, gegen die Gefahren der 
Treulosigkeit! 

Essen, um das Vergnügen zu haben, zu essen! 
Hungern, um das Vergnügen zu haben, zu essen! 

Hungern, um das Vergnügen zu haben, zu hun- 
gern! 

Philister, Lebenskünstler, Dichter! 

Es gibt kein laues Bad von 27 Grad und keine gute 
Kernseife, die nicht jede Sünde der Frau hinweg- 
wüschen! 

Eine Frau, der ich ihr Alles bin pfui 

Teufel! 

Sie sagte: „Nie, nie, nie, werde ich Ihnen genug 
dankbar sein können!** 

„Oh ja, Fräulein, wenn Sie mich Ihre Achsel- 
höhlen küssen lassen!** 

Das Schrecklichste ist, irgendeinen pathologischen 
Zustand, wie Rausch oder Eifersucht, nicht ,,aus- 
schlafen'* zu können! Denn dazu ist ja der Schlaf 
da, daß man wieder „zur Besinnung*' komme, daß 
man „ein Vieh war**! 

♦ 

Schlaf ist der Verzeiher aller Sünden, die man 
dem armen Körper antut! Man darf daher nicht 

^ mehr Sünden begehen als man Schlaf hat! Einige 

200 



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Sünden jedoch lassen sich nicht „ausschlafen", z. B. 
zähes Fleisch mit KohL Auch die ,,Sünde der Faul- 
heit** läßt sich schwer ausschlafen. Je mehr man 

begeht, desto schläfriger wird man! 

Es gibt zwei Sorten modemer Musiker — — —die 

Ehrlichen, das sind die, die den Richard Wagner 
bestehlen! Und die Unehrlichen, das sind die, 
die originell sindl 

Es gibt Dinge, die man nicht „modernisieren** 
kann, z. B. den Kuckuckruf. Oh ja, man macht ein 
Sabengekiächze und nennt es „Kuckuckruf"! 

* 

„Der gute alte Richard Wagner**, sagen schon 
manche Vorge-trottelten! 

Mit 82 Jahren ist man mit dem Tode schon so 
befreundet, daß er einem die unangenehmsten 
Wahrheiten ungeniert ins Gesicht sagt! 

' Ein G3mMiasialdirektor sagte zu jedem Abiturien- 
ten beim Abschiede: „Werden Sie Generali'* Er 
meinte, in jedem Berufe könne man es zum General 
bringen! 

Es war direkt interessant, wie völlig unint^iessant 

die Dame war! 

Es gibt keinen größeren Idealismus als den einer 

zärtlich hebevollen Mama. Selbst eine unangenehme 



201 



Erkenntnis hat bei ihr noch die Gloriole von roten 
Herzbluttropfen! 

Millionäre trösten uns immer damit, man könne 
sich auch an Austern »»überessen". Aber in diesen 

Zustand eben einmal zu gelangen» ist ja das Glück! 

« 

Ich fahre Heber in einem gefährlichen Automobil 
als in einem ungefährlichen Omnibus. 

♦ 

Man ist häufig genötigt, in der guten Gesellschaft 
das Wort „entzückend** auszusprechen. Ich habe 
daher im Tonfall dabei bereits so viele Nuancen mir 
zurechtgelegt, daß eine Dame mir einmal, als ich 
etwas „entzückend** fand, sagte: „Sie grober unver- 
schämter Kerl! So ekelhaft ist es ja doch nicht, wie 
Sie es finden!" 

Als der Kutscher uns liebenswürdig die Gegend 
erklärte, notierte ich bei jedem Bergnamen zehn 
Heller Trinkgeld. Als er die „Hohe Veitsch'* nannte, 
waren es bereits theoretisch 3 Kronen 70. Wir run- 
deten es auf I Krone 50 ab! 

Die Art deines Gehens, o Fraue, wenn du eine 

Hoteltreppe langsam hinauf-, langsam heruntersteigst, 
ist bereits dein „Biograf ical essay'', eine Offenbarung 
deiner wirklichen untrüglichen Werte! 

Ich sah sie im Speisesaal eine Zigarette rauchen 
und war entzückt. Ich wußte noch gar nicht, was 

202 



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und wie sie sprechen würde. Sie hätte ewig schweigen 

dürfen, sitzen, rauchen, blicken — — — . 

Das, was die Menschen tms nicht vortäuschen 

können, nicht vortäuschen wollen, das sind sie! 
Ich habe Kinder gesehen,.bei denen das „Nie Ben*' 
sogar entzückend war! 

Man kann auch elegant zanken, elegant verzwei- 
felt sein, man kann elegant langweilig sein, und sogar 
elegant ungezogen! Aber das ist das schweirste! 

* 

Sie bezahlte Champagner und beleidigte mich 
durch die Art, wie sie es tat! 

Ich zahlte Champagner, und sie versöhnte mich 
durch die Art, wie sie es annahm I 

♦ 

Eine Dame sagte: ,,Ich bitte, Herr Peter, welches 
ist das idealste Mundwasser?!*' 

„Ein idealer Zahnarzt! Denn dann braucht man 
gar kein Mundwasser, ja nicht einmal eine Zahn- 
bürste!" 

Der Luxus der Frauen steht theoretisch im um- 
gekehrten Verhältnis zur Vollkommenheit 
ihres Leibes! Dem Leinen kleide für 25 Kronen 
mitspricht der Leib der Pauline Bonaparte! Eine 
Dame sagte zu mir: „Diese blöden teuren Fetzen! 
Mich müssen's nackert sehen! Dö Sachen verschan- 
deln einen ja nur!*' 

m 

203 



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Wenn ein Blumenmädchen in einem Vergnügungs- 
lokale an deinen Tisch tritt, dir für deine Dame eine 
Rose anzubieten, so muß die Dame sofort erklären, 

daß sie keine wünsche. Sonst macht sie sich eben- 
falls einer Erpressung schuldig! 

Wenn in einem Geschäfte eine Kundschaft nach 
einer Ware sich erkundigt, die nicht vorhanden ist, 
so haben die Verkäufer nicht stolz-abweisend zu 

erklären: „Nein, das führen wir nicht 

sondern zerknirscht-reuevoll. 

Weshalb erhält man bei uns hölzerne Fuß* 

Schemel nur in den Spielereihandlungen, wäh- 
rend die Geschäfte für Kücheneinrichtungen 
sich beharrlich sträuben, dieselben zu führen?! Fuß- 
schemel sind keine Spielerei, und in der Küche braucht 

man Schemel . Das sind imergründliche Ge- 
heimnisse der Geschäftswelt! 

♦ 

In Berlin kann man von März bis Oktober die 

riesigen Spiegelscheibenfenster in die Keller hinab- 
lassen, und man sitzt im Lokal gleichsam im Freien 
in guter Luft. Bei mis kann man das nicht. Wundert 
Sie das?! Mich nicht! 

Unsere Auslage-Arrangeure wollen immer so viel 
als möglich vom Lager hinauszwängen, während 

gerade ein einzelnes, besonderes Stück die 
ganze Führung des Geschäftes, seinen Geist be- 
reits dokumentierte! 

204 



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Die Kiosettfrauen sollten gezwiingen werden, lose, 
einzelne Seifenblätter zxl verkaufen. Die gemein- 
same Seife erinnert fast an ein „gemeinsames Zähn- 

bürstchen**! 

Alle Menschen leben „über ihre Verhältnisse**, über 

ihre ökonomischen, sexuellen und vor allem über 
* die ihres Verdauungsapparates! Daher ihre ewige 
Reizbarkeit und Unduldsamkeit. Irgend etwas be- 
drückt sie! 

Ich sagte einst einem befreundeten jungen Restau- 
rateur in G.: „Vor allem nimm jede nicht konvenie- 
rende Speise zurück, selbst im Falle einer krassen 
Ungerechtigkeit. Du machst immer noch das bes- 
sere Geschäft, wenn du dieses eine Mal bei dem 
Hundskerl draufzahlst. Sonst redet er dir noch 
Hunderte ab!" 

In den gutgehenden Geschäften sind die be- 
dienenden nervös, weil zu viel zu tun ist, imd in 
den schlechtgehenden, weil zu wenig zu tun ist! 

♦ 

Wenn ein Z3niiker in der Gesellschaft von Damen 
zynisch ist| soisteresnur, weil alle diese Damen ihm 
keinerlei Hochachtung einflößen. Ich kann mir 

einen jeden Zyniker denken, der vor einer ,,inner- 
üchen Kaiserin des Daseins" verstummte! Tut 
er es aber auch in diesem Falle nicht» dann ist er ein 
Zynikerl 

m 

205 



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„Ich verehre Euch, Meister Altenberg, seit Jahren. 
Aber wozu die Worte?! Ich möchte Euer letztes 
Werk erstehen. Was kostet es?!** 

„Fünf Kronen." 

,,Für drei Kronen würde ich es nehmen . 

Aber eine schöne ««persönliche Widmung" erbitte ich 
mir natürlich!" 

Ich schrieb eine persönliche Widmung : , ,S i e haben 
mir zweiKronen abgehandelt ,i c h habe es mir abhandeln 
lassen ; jetzt wissen Sie« was an I h ne n und an mi r ist !" 

3 jähriger Wahrheitsfanatiker, aus dem noch was 
werden kann: 

««Wen hast du denn besonders lieb« Bubi?! Die 
Mama?!" 

„Nicht besonders — — — 

„Dein Schwesterchen ? l" 

««Nicht besonders 

„Wen also hast du besonders lieb?!" 

„Die Schokolade l'* 

Liebesbrief: 

„Oh, ich habe ein so grenzenloses Vertrauen zu 
Ihnen« daß ich es auch dann nicht verlieren könnte« 
wenn Sie es mißbrauchen würden!" 

Höchstes Lob (Frau Dr. Eugenie Schw.): 
««Mein lieber Peter Altenberg« mit keinem der 
sogenannten ««Modemen" könnten Sie sich ver- 
tragen! Mit Gottfried Keller hätten Sie sich ver- 
trage n, obzwar Ihr von früh bis abend erbittert 
gestritten hätteti" 

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Ausspruch : 

,,Wissen's, bei uns in der Hofoper, ich mein' beim 
Ballet» teilen wir die Künstlerimien, Sängeriimen» 
natürlich nicht ein nach dem, was sie können, das is 
uns Tänzerinnen doch ganz egal, sondern nach dem, 
ob sie „betamt** (liebenswürdig-menschenfreund- 
lich) oder „unbetamt"' sindl Die Jüdinnen also sind 
alle nnbetamt natürlich, aber esgibt sogar unbetamte 
Christinnen bei uns! Und die sind noch ärger!" 

* 

Für 500 Kronen Honorar erklären dir die Arzte, 

du habest ,,eine leichte Blutzirkulationsstörung". Es 
. sei nichts von Bedeutung. Für drei Kronen erklären 
sie^dir, es sei ein leichter Schlaganfall. Die Haupt- 
sache iväre, er solle sich ja nicht wiederholen! ' 

♦ 

Ein genialer Arzt verlor seine Stelle imd erschoß 
sich, weil er sich jungen Patientinnen gegenüber 
schamlos benommen hatte. Sie fragen mich, was ich 
über den Fall dächte?! Ich rechne mir es aus: 
57 Patientinnen in ihrer ,,£hre** gekränkt, 5er Tausend 
durch den Verlust des genialen Arztes ef/ektiv ge- 
schädigt! 

»,0,>Herr von Altenbeig, wie geht es Ihnen?! 
Noch immer nicht verheiratet?! Woran arbeiten Sie 

jetzt momentan?! Schwärmen Sie noch immer für 
schöne schlanke 15-Jährige?! Und überhaupt, was 
gibt es Neues in Ihrem reichbewegten Leben?!** 

„Genehmigt!" erwiderte ich gelassen und ent- 
fernte mich. 

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Jemand sagte zu mir (jeden Tag ist es ein anderer): 
,,Sie sind der glücklichste Mensch! Sie haben keine 
Bedürfoisse!" 

„Nein, ich habe keinerlei Bedürfnis, Bedürfnisse 
zu haben, die ich ja doch nicht befriedigen kann!'* 

* 

Die Forelle, der Hecht sind gefährliche, ewig auf 
der Raublauer liegende Tiere. Aber man fängt sie 
geschickt mit iigendeinein Köder. Bei Frauen 
macht man es aber ungeschickt. Meistens reißen sie 
sich los und verspeisen nur den Köder l 

m 

Die Prinzessin sagte: „Man macht dem Suder- 
mann immer den Vorwurf, daß er theatralisch sei. 
Das ünde ich ungerecht. Wenn man das meinem 
Gmsin» dem Louis Liechtenstein, nachsagen dürfte, 
so wäre es gerecht. Denn der hat*s nicht nötig. Aber 
der arme Sudermann, der ist doch dazu da, theatra- 
lisch zu seinl" ' 

Ich sandte dem herrlichen ii jährigen Kinde Margit 
Kr. einen selbstgebundenen Strauß von hellblauen 
Skabiosen und gelben Teerosen. Die Mama sandte den 
Strauß zurück mit dem Bemerken , ihr Töchterchen sei 
noch minderjährig. Ich schrieb: Gnädige Frau, 
wann erfolgt die Voll jährigkeitserklärimg für Schön- 
heit und Anmut?! Gott, Jesus Christus und die 
Dichter verstehen nichts von Kalenderberechnung!'' 

Das mystisch schöne Kind hatte eine unschöne 
Mama. Alle Damen sagten zu mir: „Sie wird der 

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Mutter nachgeraten I'' Endlich kam der wunderbare 
Vater an, wie ein Sieger-Torero. „Für einen Mann 

ist er viel, viel zu schönt" sagten alle Damen. „Nun 
und das Kind?!** sagte ich. „Weshalb soll es gerade 
ihm nachgeraten ? 1 Weil Sie es sich erwünschen?!?" 
Bestien! 

m 

Je lustiger, je übermütiger die Geliebte, desto ver- 
stimmter der Geliebte. Alles geht auf seine Kosten, 
Unkosten. Aber manche Männer nehmen regen An- 
teil an diesem Diebstahl vor ihren Augen! 

Amüsement ist ,, Ablenkung des Herzens!*' Gut- 
mütigkeit des Mannes verbrecheri- 
scher Idiotismusl 

* 

Was nützt es dir, o Jüngling, daß du mit Sorgfalt 
und Geschmack ein Bukett zusammenstellest aus 

herrlichen Bergblumen und Gartenrosen ? ! Die Dame 
fühlt: „Die Bergblumen kosten nichts, und die sieben 
Rosen je eine Kronel** 

♦ 

Nur Juden haben die Ungezogenheit, mich zu 

fragen, weshalb ich stets an dickem, grünem, seidenem 
Kordon zwei herrliche Automobilpfeifen, Sirenen, 
trage!? Christen fragen das nie. Sie denken gleich: 
„Weil er ein Narr ist!** Die Juden lassen sich durch 

die Frage noch wenigstens die Hoffnimg offen! 



209 



Mein Gehirn hat Wichtigeres zu leisten als darüber 
nachzudenken» was Bemard Shaw mir zu verberge n 
wünscht, indem er nur es mitteiltl 

* 

Die modernen Damen verlängern sich die Finger- 
nägel statt des Gehirnes. Das erstem scheint leichter 
zu sein! 

Die Männer suchen ihre Damen von 8 Uhr mor- 
gens bb II Uhr nachts bei guter Laune zu erhalten! 
Wahrscheinlich wegen der übrigen St\mdenl 

* 

Körperliche Vollkommenheit verpflichtet zu jeder 
anderen, geistig-seelischen Vollkommenheit t Aber 
glücklich die, die zu dieser Verpflichtung verpflich- 
tet sind! 

* 

Ein runder Rücken ist nicht nur ein runder 
Rücken. Es bedeutet auch einen flachen Brust- 
kasten! 

♦ 

Weshalb dieses unintelhgente Sträuben gegen 
Nährmittelpräparate wie „Sanatogen""?! Jedenfalls 
wird es euch mehr nützen als Rostbratl mit Erd« 
äpfelsalat! Ihr fürchtet euch vor zu viel Kräften?! 
Na ipL, ihr müßt es ja wissen, wofür ihr sie dann doch 
nur verwendet I 

m 

210 



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Nährmittel haben zur Voraussetzung ,,eine ganze 
verfeinerte Kultur*^ Sonst bleibe man bei dem a la 
Hunnen auf dem Sattel weichgerittenen Roastbeef! 

Ich habe gelesen: Den Engländern fehlen leider 

zwei Sachen: Sinn für feine zarte Küche" und 
Sinn für „feine zarte Musik". Jetzt weiß ich, weshalb 
sie die Welt unterjocht» viel Geld und viel Ehre 
gemacht haben! 

Ich habe meinen Gatten lieb» weil er mich reich 
ausstattet! Ich habe meinen Geliebten lieb, obwohl 

er mich nicht reich ausstattet ! Wie lieb hätte ich erst 
einen Geliebten, der mich reich ausstattet ! Aber das 
gibt es ja gar nicht; der hat das doch nicht nötig» das 
wäre ja ein idiotischer Verschwender» den man unter 

Kuratel setzen müßte!" 

»,Ich denk' über so viele Sachen nach, Gustav, und 

da werd' ich ganz blöd. Wann ich einmal gar nicht 
nachdenk', und was ganz Biödes sag', daim sagen die 
Leut'» daß es riesig g'scheit is. Aber unbewußt sagen 
sie. Das heißt also, daß es doch blöd is, nicht, Gustav ? 1" 
»»Dmnmerll" sagte Gustav, das heißt: „Gscheidterl!" 

♦ 

Die 5 jährige Edith sagte abends beim Abschiede 
zu mir: „Also wann, wann, wann ?!" 

Da ergänzte die Mutter: „werden Sie morgen 
wiederkommen ? !" 

»»Aber geh'» Mutti» das weiß er ja» was ich gemeint 
hab't" 

14* 211 

) 



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Je tiefer die seelische Liebe der Frau, desto 
geringer ihre „physiologische'* Erregbarkeit. Das 
scheint schauerlich paradox zu sein! Die ,,Liebe** 

verteilt ihre Erregung auf den Gesamtorganismus, 
während minderwertige Gefühle nicht diese Kraft 
haben» sondern sich lokalisieren! 

In jeder schönen Frau, in jeder wohlgestalteten, 
steckt die „Hure'\ Sie kann nicht anders als Tag und 
Nacht von dem Gefühle gereizt, gekitzelt, erregt zu 
werden als dem: ,,Ich könnte jeden Mann selig 
machen, ihn in die letzten Räusche bringen!" Eine 
, Frau von diesem Weltenempfinden weg auf sich 
konzentrieren wollen und können, ist das Wesen der 
glücklichen Liebe! Ich bezweifle, daß es bei einer 
wirklich vollkommen schönen Frau gelinge! 
Aberwie viel solcher gibt es?! Also gibt es doch viele 
„glückliche Liebende". Und dann: die Frau rechnet 
mit ihrem allmählichen „schäbig-werden". Das ver- 
mehrt die Chancen der Idioten! Übrigens 

gibt es noch die sogenannte 9,gute Erziehung". Ja, 
die Idioten haben Chancen! 

„Ich bin gewitzigt", heißt: „Ich bin gewitzigt 
über die Dinge, über die ich gewitzigt bin« Aber 
über die Dinge, über die ich noch nicht gewitzigt 
bin, über die bin ich noch nicht gewitzigt I" 

Kinder rupfen zatten Insekten ihre überzarten 

Flügel aus. So machen es Erwachsene den Dich- 
tern! 

2X2 



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„Sie reizen uns unnötig auf mit Ihren anar- 
chistischen Theorien!" sagte eine junge Dame 
2U mir. 

Wie würde ich es erst tun, wenn ich es für nötig 
hielte 1 

* 

Woher nehmen Sie mimiterbrochen Ihre Be- 
geisterung für Frauen, Kinder» die Natur?!** sagte 
jemand zu mir. 

,,Von Abführmitteln! Tamar Indien Grillonl Von ^ 
meiner »inneren Unbeschwertheit"! 

„Sie scherzen!** 

„Gewiß. Deim Sie würden davon nur Diarrhöen 
kriegen!" 

„Wir sind eben noch keine „chemischen Retor- 
ten! Schauen Sie doch die „Roßknödel'* an auf der 
Straße« woraus das Pferd seine ganze riesige Kraft 
gezogen hat!?" 

„Ja, es ist eine mhre Roßnatur!" 

,,Was verstehen Sie eigentlich unter ,,Kunst"?!" . 
sagte ein Herr \xm Mittemacht, bei Champagner» zu 
mir. 

„Da müssen Sie noch ein bisserl was bar drauf- 
zahlen, wenn ich Ihnen die Frag* jetzt beantworten 
soül" 

213 



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Wenn jemand magenkrank ist, so muß ein moder- 
ner Arzt ihn sogar fragen: „Haben Sie mit Ihrer 
Wäscherin nie so ,4eichte Konflikte'*, oder verkehren 
Sie nicht mit ärmeren Leuten als Sie sind, oder 
schläft Ihre Geliebte nicht gern bei anderen?!** 
Solche Kleinigkeiten schon können einen über- 
empfindlichen Organismus aus dem sogenannten 
physiologischen Gleichgewichte bringen. 

m 

Was du nicht willst« daß man dir tut, 
das tu' geschwind den andern- an, 

denn sie tun dir's jedenfalls an! 

m 

Jeder „Sport" macht aus def romantischen 
Natur eine Zirkusmanegel 

Musik ist: wie wenn die Seele plötzlich in einer 

fremden Sprache ihre eigene spräche! 



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ZYKLUS: „VENEDIG" 



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EINDRÜCKE 



In Triest hatte ich im Hotel Excelsior ganz 
» hoch oben ein Kabinett, das eine kleine eiserne Ba- 
lustrade hatte, von der ans man das Meer sah und 

rechts die braungrünen Hügel. So sah ich also zum 
erstenmal das Meer, in meinem 55. Lebensjahr. Abends 
•trat ich an die eiserne Balustrade und betrachtete die 
weite graue Fläche Wasser. Ich durfte also auch noch 
ein Meer sehen, imd morgen sogar ein Schiff mit 
Frühstückszimmer, . Speisesaal, Kajüten und Deck 
zum Spazierengehen. Das gütige strenge Schicksal 
hatte mir das alles aufgespart, gleichsam als Schlufi- 
belohnung eines ereignislosen Daseins. Diese 
schwebende Stiege an der schneeweißen Wand des 
Schiffes! Man frühstückt:« Teeschale Kaffee, licht, 
gut passiert, mit Schlagsahne, imd fährt zugleich mit 
Turbine auf dem Adriatischen Meer. Dabei hest man 
in Intervallen Zeitung und schreibt Ansichtskarten 
an Annie W. Man zeigt nur freundschaftlich die 
„italienische Küste** im fernen weißen Nebel, und ich 
selbst erblicke braune Segel von Fischerbarken. Das 
alles ist wundervoll. Meine englische Freundin sagt: 
,,Ich habe es gewußt, daß es Ihnen viel Spaß machen 
wird!** Aber es macht mir viel Emst! Venedig . • • 
also das ist dieses Venedig, mit einem Palazzo Ven- 
dramin, in dem mein Gott, Richard Wagner, den 
letzten Seufzer aushauchte. Hier also ist der große 
weite, palastumrankte Platz, auf dem sechs reizende 
Kaffeehäuser sind, mit 1000 Tischen und Stühlen, imd 
wo abends in der Mitte auf eisernem, elektrisch be- 
leuchtetem Gerüste die Banda Municipale spielt. 

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Und gegenüber der Lido, wo die Menschen in Licht, 
Salzluft und Wasser sich verjüngen und die schönen 
Frauen wenigstens ihre herrlichen zarten weißen 
Ftifie, Zehen, Beine» Knie zeigen. Wenn man dann 
abends auf dem Markusplatz so eine viertelnackte 
N5miphe en grande toilette sieht, denkt man: „Bitte 
sehr, die Schneiderinnen wollen auch leben!** Bei 
,»Salviati** sah ich Gläser von der Farbenpracht von* 
exotischen Schmetterlingen, Vögeln und Orchideen. 
Andere wieder waren düster wie der Himmel vor dem 
Gewitter und die Seele eines Eifersüchtigen. Viele 
schienen herausgewachsen zu sein, wie aui Erdreich 
und SonnenUcht und Tau und Regen. Aber dazu 
muß man in den Kanal Grande fahren, in die Aus- 
stellung, da ist die „Glas- Aristokratie**» während sonst 
überall die schreiende Marktware ist. Parmesan und 
Paradeis sind die Lieblingsdinge. Man ißt fast alles 
mit diesen beiden Dingen. Fast zu allem offeriert 
man dir eine Glasbüchse mit Silberdeckel, in der 
geriebener Parmesan sich befindet. Die neue Oper 
von Wolf-Ferrari: „Die neugierigen Frauen" von 
Goldoni, Lustspiel, wurde im Goldoni-Theater, hell- 
blau und gold, unübertrefflich dargestellt; Kapell- 
meister, Orchester, Stimmen, Spiel einfach voll- 
kommen. Wolf-Ferrari ist ein feiner, nobler, ge- 
schickter, diskreter jetzt weiß man alles! 

Gott, daß ihm nichts einfällt, das macht er ab- 
sichtlich, er ist zu nobel, zu kompliziert dazu, er 
will nicht melodiös sein, wie alle Modemen, die es 
nicht könne nl Was die Mode betrifft, bin ich leider 
nur für die englisch-amerikanische, während die 
französische überladen und unnötig ist. „Ich habe 

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Geld, ich habe Geld, es m bezahlen!** schreien äUe 

diese Modelle von Hüten und Kleidern, während die 
englischen und amerikanischen flüstern : „Wir haben 
so viel Geld, daß wir gar nicht brauchen, es erst zu 
zeigen I" Der Meeressand ist wundervoll, ihn durch 
die Finger gleiten lassen ist eine ,, ästhetische Wollust". 
Rührend ist die ärmliche Vegetation der Küste: 
Grasbüschel, Akazien, Birken. Bilder habe ich noch 
keine gesehen. Die Historie versucht es wie ein altes, 
Opfer heischendes Ungeheuer, hier überall uns von 
der einfachen Natur abzulenken. Aber bei mir gelingt 
es ihr nicht, ich bin der „heilige Geoig*', obzwar ich 
Richard heiße, pardon, Peter. Ich weiB, daß man 
Giotto „Dschotto" auszusprechen hat, und damit 
habe ich mich losgekauft. Deckengemälde interessie- 
ren mich nicht, man bekommt einen steifen Hals 
davon. Von Berühmtheiten der modernen Zeiten 
waren hier außer mir: Heinrich Mann, Jakob Wasser- 
mann, Max Oppenheimer, Tilla Durieux, Adolf Loos, 
Eduard Stücken. „No« und ich bin nix?!" sagte die 
Neunzehnjährige, die sich von mir die Hotelrechnimg 
bezahlen ließ. Welche kann das noch von sich be- 
haupten, daß ein solcher Schmutzian wie du für sie 
hat bezahlen müssen?!** 



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VENEDIG 



Und plötzlich fiel es ihm ein, ein trauriges Er- 
schrecken Ja, sie wollte nicht mit ihm ver- 
kehren! 

Es vrurde ihm sogleich snr Gewißheit! 

Mit untrügUcher Klarheit war es in seinem armen 
Gehirn, in seinem armen Herzen, plötzUch, lähmend, 
vernichtend, untergrabend! Ja, er hatte es sogar 
gewußt, gewußt, das heißt geahnt, schon nach den 
ersten Stunden des Beisammenseins. Sie wollte ihn 
gleichsam sogleich beschützen vor seiner Erkrankung 
an ihr, vor seiner Torheit, vor seinen kommenden 
Kränkungen, vor seiner Sehnsucht am lauten Tage 
und in stiller Nacht, ja, vor seiner Selmsucht wollte 
sie ihn beschützen, kurz vor allem und allem und 
allem, und zwar sogleich, prompt, radikal, hilf- 
reich, unerbittlich, wie ein Arzt, wie eine Mama, wie 
eine Schwester, wie eine Heihge. Eine schöne 
Idee, eine Aufgabe, eine Mission! 

Gestern war er um 7 morgens in ihrer Kabane, 
hatte ihr schwarz-weißes noch feuchtes Schwimmkleid 
geküßt, das an einem Haken hing. Und ihre Bast- 
pantoffeln und den Rand ihres Trinkglases. Das 
Meer war schön, ja, das Meer war schön. Er hatte ihr 
dann, mn 11, von seinem Morgengruß erzählt. Aber 
Tie Ute morgens war der Vorhang irgendwie ver- 
schlossen. Auch fragte sie ihn um i nicht, weshalb 
er keinen Kabanenbesuch gemacht habe, weshalb er 
nicht gebadet habe, ob er nicht wohl sei, oder sonst 
irgend etwas Menschenfreundliches. Sie fragte nach 
nichts. Wißt ihr was das heißt?! Nein, das wißt 

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ihr nicht, Gott sei Dank! Todesurteile für die wehr- 
lose Seelei 

Was war los?! 

Ihr Gatte?! 

Ihr Liebhaber?! 
Komplikationen ? ! 

War sie unglücklich verliebt in irgendwen» absor- 
biert, betäubt, angenagelt?! 

War sie krank, körperlich, Magen, Darm oder noch 

heikücher ? ! 

War sie müde?! 

Hatte sie vielleicht überhaupt genug oder zu- 
. viel?! 

Wollte sie sich freihalten für Konvenierenderes ? l 

War er nicht nach ihrer Fasson?! 

War er zu unheimlich ungestüm mit seiner Seele ? ! 

Wollte sie ihn wirkhch schützen vor sich selbst ? I 

Aber das wäre ja schrecklich. 

Denn er hatte die feste unerschütterliche Absicht 
gehabt, an ihr, an ihr zugrunde zu gehen! Aber 
vielleicht war es besser so! Am nächsten Morgen 
sagte sie: „O, Sie haben schon genug von mir, ich 
bitte, antworten Sie nichts, so etwas fühlt man ganz 
genau, schade .** 

Er stand da, und lauschte den Worten, die bereits 
verklungen waren. 

Das Meer war schön, schön, wie niemand es schil- 
dern könnte . 



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VERSCHIEDENES 

Neurasthenie ist so lange eine Krankheit, bis es 
ein Stadium einer neuen Gesundheit wird! 

Warte, bis man von deinem geliebten Kindchen 

dir Anekdoten und Aussprüche zuträgt. Deine eige- 
nen enthalten keine Pointe, sondern nur Mutterliebe 1 

Frauen haben eine kolossale Überschätzung 
ihrer Macht. Man ist nur zu wohlerzogen und mit- 
leidsvoll, es ihnen jedesmal zu beweisen! 

. So lange ich ihr schrieb, was ich durch sie leide» 
verstand sie es nicht. Als ich es nicht mehr schrieb, 

sagte sie: „So gefallen Sie mir viel besser!'^ 

« 

Am besten dran sind die ganz vollkommen 
gebauten Badenden und die ganz Unvollkom- 
menen. Beide sind schicksalergeben. Am schlech- 
testen dran sind die Halbzulänglichen. Die möchten 

es immer durch irgendetwas ausgleichen, und brin- 
gen es nicht zustande! 

Es gibt Frauen, die schlecht schwimmen, und man 
fühlt: „Ungeschickte Gansl" Bei der anderen fühlt 
man nur zartestes Mitleid! 

« 

Es gibt „physiologische Matadore**; das sind die 
Frauen, die Trikot tragen im Meeresbadc^. Die an- 

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deren haben allerlei Ausreden» vor allem das herzige 

Wörtchen „indezent*'! 

* 

Für die meisten ist das Wasser ein „fremdes 
Element*'. Ihre Tempi erinnern an ^^Schwimmlehrer" 
und „I . . . 2, 31" 

Sie sind ein „gefährlicher Beobachter", sagte eine 
Dame schelmisch zu mir. 

„Wieso?!*' erwiderte ich, „ich bin doch weder 
reich noch in angesehener Stellung!?" 

,,Womit habe ich Sie gekrankt, Peter?! Ich tue 

doch mein Möglichstes!" 

,,Tun Sie eiiunal ihr Unmöglichstes!" 

Eine junge Frau sagte zu mir: „O, wenn ich so 
gebildet wäre wie die Frau Sch., dann wäre ich 
noch gebildeter als sie!" 

* 

Die meisten Menschen verstehen die ganz tiefen 
Dinge nicht! Sie suchen sie ganz unten, und sie 
sind ganz oben! Aber sie dort zu ünden, dazu 
muß man ganz tief sein! 

Das größte Kompliment: 

Frau Valli^re, Schauspielerin in Hamburg: „Peter, 
im Mittelalter wären Sie heilig gesprochen worden 1 
Heute hält man Sie für einen perversen Narren!'* 

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,Jch bin zn spät auf die Welt gekommen 1** 

„Nein, zu früh!" 

Märchen des Lebens! In meiner Kindheit las ich 

von den großen, dicken, glasartigen, weißen, durch- 
scheinenden Quallen mit lila durchscheinenden Fü- 
ßen^ die im Meere schwimmen und leuchtenl Nun 
spülte mir das Adriatische Meer eine an den Sand- 
strand. Ich untergrub sie mit einer hölzernen Sand- 
schaufel, warf sie ins Meer zurück, um sie zu retten. 
Aber die Brandung brachte sie wieder. Ein Kind 
sagte: „Kann man sie essen?!** 

„Nein, sie leuchtet nur, nachts, im Meere!" 

„Weshalb also willst du sie retten?!" 

,J£ben deshalb, weil sie zu nichts anderem zu ge- 
brauchen ist» als nachts im Meere zu leuchten!" 

Ein Tintenfisch wurde vormittags an den Strand 

geworfen. Allen grauste vor dieser unkenntlichen 
Masse. Zu Mittag stand er auf der Speisekarte. Eine 
Dame ließ sich ihn servieren, fand ihn recht schmack- 
haft und eigentümlich. 

„Wie können Sie das gut finden?!" sagten alle 
empört-überrascht. 

„Ich habe ihn, Gott sei Dank, nie gesehen, wie er 
wirklich im Leben aussieht !'* sagte die Dame. 

* 

„Sie sammehi schöne Muscheln?!** 

„Ja, es ist das unmodernste imd das modernste 
Kunstgewerbe der Natur!" 

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„Was finden Sie an mir Besonderes, mein Herr?!" 

„Ich liebe Ihren Geist und den Duft Ihrer Achsel- 
böhlen, Ihres Atems, Ihres Schwimmkleides!'* 

„Und wenn ich nur den Geist hätte?!" 

„Dann* wären Sie eine tragische und lächerliche 
Persönlichkeit!" 

„Sie durchschauen uns, mein Herr!" 

„Ja, aber auf der anderen Seite ist es doch 
wieder dasselbe anziehende Mysterium!" 



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DIALOG 

,,Peter, Sie hören das Gras wachsen, Sie er- 
sticken alles im Keime, zerstören die Frucht im 

Mutterleibe, seelisch!" 

,,Ich kenne die Gefahr, ehe sie Gefahr ist! 
Später ist zu spät!" 

„Wenn ich ihn mir aber wünsche, diesen ungesäten 
Keim einer Gefahr?! Weim ich gerade das mir er- 
wünschte?!** 

Er schweigt, wendet den Kopf ab. 

„Peter, ich wünsche es mir nicht, nein, bei Gott, 
ich wünsche es mir nicht!" 

„Lassen Sie Gott aus dem Spiele, Teufeline!'* 

„Peter, ich wünsche mir nichts, nichts als Ihre 
Freundschaft, Ihre milde Stimmung zu mir nicht zu 
verheren!** 

„Sie irren sich! Sie haben gewählt, entschieden, 
und gerichtet!** 

„O, Peter 



22Ö 



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FAUNA UND FLORA 

An dem adriatischen Meeresufer findest' du mor- 
gens um sieben viele kleine Bündel von angeschwemm- 
tem zähen Grase vom Meeresgrund, imd kleine Mu- 
scheln in ganz modernen Farbennuancen, von grau 
in schwarz, von braun in lila, von gelb in braun. Die 
Japaner scheinen von da ihre diskreten, fast myste- 
riösen Farbentöne her zu haben. Die großen teuren 
Muscheln stammen aus dem Indischen Ozean und 
sind wertvoll^ wertlose Prunkstücke. Aber die 
kleinen Muscheln, hier umsonst, sind kleine moderne 
erlesene Kunstwerkchen der Natur! Eine Dame sagte 
zu mir: „Eine ist doch so wie die anderer' — „Für 
mich nicht!" erwiderte ich. Die Meinen, nach seit- 
wärts gehenden Krabben sind entzückend. Sie suchen 
herzig und ungeschickt das Weite, aber wenn sie es 
nicht mehr können, so zwicken sie sanft mit ihren 
Hiniaturscheren. Am Meeresufer ist ein bewegtes 
Leben und Treiben ; aber die Büschel von geheimnis- 
vollen dunkelgrünen zähen Gräsern, die herrlichen 
Muscheln und die Krabben sind wie von tausend 
Jahren her, wo Menschen noch nicht das Strand- 
bad kannten. Auch du wirst einst nicht mehr sein, 
die du mich nun in jugendlich-lächerlichem 
Stolz abweisend mit den Blicken mißt, und deine 
Brüste werden die Spannkraft eingebüßt haben, so 
oder so; und ewig wird das Meer noch Grasbüschel 
auswerfen, Muscheln und Krabben. Und mein Leid 
wird vielleicht leben, denn sterbUch ist das Jauch- 
zen, es verhallt; der Seufzer aber ist unsterblich. 
Er dringt zu Gottes feinem Ohr. Der schenkt ihn 

15* 227- 



I 



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wieder der Welle, die ans Ufer klagend fällt. Gott 
liebt das Leid; wieso es kommt, ich weiß es nicht; es 
muß wohl «göttlich'* sein. Gott liebt das Leid» es 
reinigt! Pie satte Freude Uebt er nicht! 



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QUO VADIS?! 



Du hältst mich für anspruchsvoll und unge- 
zogen 

ich bin es nicht. 

Du hörst einfach das Ächzen meiner Seele nicht 

Das ist es. Du bist taubl 

Wieviel Rücksicht hingegen nimmst du für die alte 
Frau, die einen reichen Mann hat, wohlgeratene Kinder, 

und der du nichts bist, nichts, in alle Ewigkeit! 

Wieviel Rücksicht für Herrn v. G., Frau Z.« und 
den Professor!?! 

Und, siehe, alle sind frei von dir. 

Das heißt, sie schlürfen deine Gnade, 

wie ein Spazieigänger den Duft der Linden und 
des Jasmins! 

Es ist, \md ist nicht mehr. 

Mir aber ist der Duft deiner Bluse, deiner Haare« 
deines Atems, 

ewiges Verhängnis! 

Noch bin ich tapfer, kann in mich hineinweinen. 
Noch! 

Bringe nicht grausam um dein Kind, das du 
in mir erzeugt hast, meine Liebe! 

Oder bring' es um und wandle in Frieden die 
Pfade der Gewöhnlichkeiten! 

Man wird dich haben wollen, oder nicht! 

Jedoch das Mittelding ist nur des Dichters! 
Er will dich haben, und vom Nichthaben lebt er! 

Lass' ihn neben dich setzen im Kaffeehaus, im 
Restaurant« 

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und geh' an seiner Seite! 

Im Dampfechiff lass' ihm Platz, und überall, 

ganz neben dir! 

Lass' ihm seine ewigen Hochzeitstage, 

die dich kaum sehr genieren! 

Du gibst so wenig, 

und er nimmt so viel! 

Das soll dich freuen, Frau! 

Ich sag* es nicht zu meinem Besten« 

sondern zu dem deinen! 

Ein besseres Himmelsgeschäft auf Erden 
kannst du nicht machen als mit mir! 

Einer spendet dir den Reichtum seiner Seele 
für einen Blick auf deine Kinderschultem, 
die noch dazu von einem Stoff bedeckt sind! 
Du gibst ein Nichts, und spendest eine Welt! 

Ich rede dir zum letzten Male zu 

verschütte nicht die Schätze, die du schenkst! 

Bald bist du arm, du weißt es nicht 

Dein müdes erstaunt-verlegenes Lächeln trifft 
dann meine tote Seele, 

um deren Feuergeist du dir nie Mühe gabst! 
Adieu . 



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DREISSIG 

Weißt du, daß du einmal alt wirst?! 

Und daß die Männer sich nicht mehr es vorstellen 
werden können, daß du gefallen hast, ja, begehre ns- , 
wert warst?! 

Diese fatale Umwandlung deiner Person, die 
doch eigentlich dieselbe geblieben istl? 

Das wirst du alles erleben müssen, geliebteste 
Frau, und in Ruhe und in Würde, und in schein- 
barer Selbstverständlichkeit! 

Und siehe, noch ist einer da, 

der dein Kopfkissen beneidet um dein Haupt, 

und alle Düfte dieser schönen Erde 

hergibt für den Duft deiner braunblonden Haare 1 

Noch ist einer da, der die Weintraubenbeere be- 
neidet, in deinem Mund zu seinl 

Und alles, alles, alles ist ihm heilig, was mit 
dir irgendwie zusammenhängt! 

Auch dieser Zauber wird gebrochen werden, so 
oder so! 

Was brauchst du, eigenwillig, eigensinnig, es zu 
beschleunigen ? ! 

Lass' es der Zeitl Sie hilft dir sowiesol 



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LA ROCHE FOUCAULD 

Ich habe in La- Roche-Foucauld einen Satz 
gefunden: ««Man sollte nur jenen Frauen die Ehre 
erweisen, eifersüchtig zu sein, die uns die Gnade 

erweisen, uns nie eifersüchtig zu machen!'* 



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VERSÄUMTES RENDEZVOUS 

Ein dunstiger schwüler Tag — — — 
Ich schhef bis 7 Uhr abends« 
Verschlief das Rendezvous. 
Und dennoch war es mir, 
als ob sie es nicht eingehalten hätte! 
• Wie hat sie mein Versäumnis ausgenützt?! 
Hat sie gekränkt gewartet» neinl? ^ 
Sie absolvierte ihr Programm, 
Was ging sie's an, daß ich verschlief?! 
Sie führte ihr Söhnchen zur Taubenfütterung nach 
Venedig. 

Dann „Cavaletto" tmd ,,Caf^ Lawena". 

Es war meine Schuld, daß ich nicht kam . 

* Und mei ne Schuld war es, daß ich mich kränkte. 
Was konnte sie dafür?! 
Und doch! 

Was immer in ims vorgeht in bezug auf die 
geliebte Frau, an Leid und Bangen 

sie trägt zum Teil die Schuld! 

Weshalb, wieso, das kann ich euch nicht sagen! 
Doch es ist! Wie du es anstellst, Frau, daß wir 
nicht gekränkt sind, 

das sei die Genialität deiner zarten Seele! 



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JALOUSIE 



Eifersucht ? ! 

Fraue, du steckst mir meine Grenzen?! Bis 
dahin und nicht weiter? I Kindische Törin! 

Bin ich nicht eifersüchtig auf die Luft, die du in 
deinen geliebten warmen, feuchten Mund einatmest ? ! 

Wie darf sie, ganz gefühllos, die weichen Innen- 
wände deines Mundes spüren ?1 

Bin ich nicht eifersüchtig auf den Bissen, den du 
mit dem geliebten Speichel sanft umnässest?! 

Von da zum Blick von Sympathie und Freude, zu 
einem lebendigen Mann, ist noch eine Welt! 

Du wunderst dich, daß ich verzweifelt bin, 

da ich dem Löffel doch schon deine Zunge 
nicht gönne! * * 

Ich trauere um alle Schätze, die du so vergeudest ; 
dem Bette deine Ausdünstung, dem Glase deine 
Lippen I 

Aber beim „lebendigen Mann" ergreift naich der 
Irrsinn. 

Weshalb stirbt er nicht momentan vor Glück, der 

feige Hund?! 

An seiner Leiche würde ich weinen, ihn beneidend 
um seinen schönen Tod. 

Jedoch, er geht lebend hinw^, und denkt: „Die 
könnt' ich haben!" 

Fluch ihm, nein, dirl 



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KLAGE 



Du nennst mich einen Komödianten!? 
Weil du die Fassungs krait niclit hast für mein 
Gefühl; 

oder weil du dir selbst zu nichtig vorkommst 

• 

Oder weil Frauen, die eifersüchtig sind auf meine 
Anbetung für dich, dir sagen, ich sei ein Komödiant! 
Oder Männer, die es nicht wünschen, daß du 

meinem Fanatismus menschenfreundlich zart 
begegnest l 

Oder weil dir selbst nichts daran li^, « 
daß ich dich lieb habel 

Ja, das ist es! 

Denn gläubig seid ihr dort, stupiden Ohres 
lauschend, 

wo ihr es hören wolltl 

Dort wird euch der Trug aLs tiefste Wahr- 
heit klingen! 

Uns aber laßt ihr sterben, 

denn wir sind nicht wichtig für euren scham- 
losen Egoismus! 

Ihr wißt, wer euch von Wichtigkeit hieniedenl 

Vertrödelt keine Zeit mit an euch kranken 
Seelen I 

Die Gesunden tun mehr für euch! 
Glaubt, o glaubt denen, die euch für eine Stunde 
nur besitzen wollen I 

Sie meinen*s ernst und gut mit euch! 

. Sie ahnen, daß ihr vielleicht zu anderem nicht 
taugtl 

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Ihr fürchtet euch« uns zu enttäuschen» die wir 
Ideale träumen! 

Wie recht habt ihr, euch da nicht einzulassen! 
Schon bei den Fingernägeln fängt die Tra- 
gödie anl 



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VERHÄNGNIS 



Dein Atem, wenn du sprichst ich saug' 

ihn ein in mich. 

wie durstige Kindchen Milch aus Mutterbrüsten! 

Er duftet auch wie Milch ; und im Theater duftete 
deine seidene weiße Bluse wie süi3e Milch 1 

Willst du der dunklen, düsteren Pinie sagen, was 
sie dir ist?! VergebHchl 

Der weißen Magnolie, dem Jasmin, der Agave, 
der Hortensie ?1 

Und so die Frau! 

Sie glaubt dir nicht . 

Weil es ihr gleichgültig, deshalb glaubt sie 
nicht! 

Sie würde jedem Leeren, Unwerten glauben, 
glauben, glauben, glauben, 
wenn's ihr darum zu tun wäre, ihm zu glau- 
beul 

Das blödeste Wort erhielte seinen Klang und 
seine Süße! Und Macht und Wertl 

Sie läßt sich nur betören, 

wo sie bereits betört ist, ehe er betörte! 

Und dennoch sag' ich dir, dein Atem, wenn du mit 
mir sprichst, 

er duftet mir wie süße Milch, 

wie Milch aus MutterlMTüsten dürstendem Kind- 
ehen! 

Du wirst mir sagen, ich sei ein Narr . 

Gerade diese Narrheit aber nähmest du ernst, 
bei dem, wo es dir paßt, sie ernst zu nehmen! 
Ich bin ein Narr, das nicht zu wissen! 

» 

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I" 



Ich weiß es! Und dennoch ändert's nichts. Ich 

bin also ein tausendfacher Narrl 

Der eine sagt: ,,Wie geht es, gnädige FrauPT 
Sie fühlt: »,Wie lieb, wie zart besorgt er istT 
Der andere kann vor Rührung gar nicht sprechen, 
da sagt sie : „Heute sind Sie nicht sehr amüsant !" 
Ein Kindchen ans der Schwarzwald-Schuie schrieb 

in ihr Heft: 

„Wieso kommt es, daß immer einen gerade die 

am wenigsten mögen, 

die man am meisten lieb hat FT* 



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DIE BROSCHE 



Sie ließ durch eine Freundin nachforschen, wie- 
viel die Amethystbrosche gekostet habe, die ich ihr 
geschenkt hatte. 

,,15 Lirel** sagte sie dann zu mir. ,Jch weifi» was 

das bei Ihnen bedeutet!" 
„Es bedeutet ,Liebe*r' 

»»Hätten Sie es auch noch für mich gekauft, wenn 
es 25 gekostet hätte? I" 

„Auch!" 
„Und bei 40?!* 
„Nichtl" 
„Weshalb?!" 

,,Weil es meine Verhältnisse überstiegen hätte!*' 
„Aber da fängt gerade die echte Liebe erst anl" 
„Bei mir nicht! Bei mir hört sie da aufl" 



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VERSÖHNUNG 



Und etwas bleibt zurück . 

's ist nicht wie nach dem Ungewitter der Natur, 

wo alles wirklich reiner wird und blinkender , 

So ist es nicht! 

Man hat Konzessionen gemacht, beiderseits, um 

der Sache willen des dummen Lebens, 

die wichtiger erschien zuletzt als klare Wahrheit! 
Und dennoch ist die klare Wahrheit das Wich- 
tigste! 

Man kann ihr nicht entrinnen! 
Sie sickert durch, sie gräbt sich durch, und sie be- 
stimmt den Lauf des Lebensstromes 1 
Sie hatten sich versöhnt . 

Das gibt es nicht. 

Versöhnt muß man sein, eh' man sich trifft! 
Gely)ren einer für den anderen! 
Versöhnung heißt : „Ich vrill ein Aug' zudrücken !** 
Wie machst du es, wenn beide offen sehn?!? 



• 



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AÜSEINANDERSET2TOTG 



Sie sah ihn wieder. 

„Wea verehren Sie jetzt^ wen beglücken Sie jetzt 
mit Ihrer exaltierten Anbetung?!" 

„Mitzi Thumb!" 

yyDiese? l Nun, und erwidert sie Ihre Zuneigung? 1" 
»Ja; sie sagt, daß sie meine Schwärmerei ver- 
stehe!'' 

„Das ist aUes?!?" 

„Ja, das ist alles! Unsere Begeisterung gerührt, 
erstaunt, milde, sanftmütig, ein wenig dankbar, an- 
nehmen können! Das ist viel. Das ist alles! Sie 
verstanden das nicht!" 

,,Nein, aufrichtig gesagt, ich verstand es damals 
nicht. Jetzt verstehe ich es — 

„Nein, jetzt ebensowenig! Dichterseelen ver- 
stehen dazu muß man etwas von dieser 

zarten Seele selbst l)esitzenr' 



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LEGENDE * 

« 

Man spricht so viel von Gottes schöner Welt 

und doch ist es mn diese schlecht bestelltl 
Gott und die Künstler erträumen sich die Frau. 

vollkommen, vom Haupt bis zu den Zehen, 
Doch keine ist es. 

Da kam ein Dichter traurig zu Gott und klagte: 
,,Herr, w widmen unser Herz der Frauensdiönheit, 

und keine ist wirklich vollkommen! Zeige uns doch 
einmal eine, wie du dir's gedacht hast!" 

Da hatte Gott Mitleid mit dem enttäuschten 
Dichter» und schuf Mitzi Tbumbl 



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DER ANFANG 

Der Anfang, der Anfang ist immer das Interessan- 
teste, Wahrhaftigste, wirklich Merkwürdigste und 
eigentlich noch niemals Dagewesene, trotz hundert- 
tausend Beispielen derselben Art. Später haspelt sich 
alles ab, wie es muß, und das Ende ist immer, immer 
verlogen und komödiantenhaft. Aber der Anfang, der 
Anfang, da ist noch keinerlei Routine, und da ist der 
schöne merkwürdige Zufall, daß man überhaupt in 
diesem Ozean des Lebens sich kennen lernte! 

Man sagte mir immer: „Gehe doch hin zu ihr 

ins Sekretariat, sie fragt immer nach dir 

Endlich ging ich hin. Sie saß bei der elektrischen 
Lampe und las „Pasqual". Ich dachte: ,,Da du es 
nicht wissen konntest, daß ich kommen würde, ist 
es eine bedeutsame Lektüre für eine Siebzehnjährige." 
Da ich aber nur den Namen des Autors kannte, 
sprach ich wie immer über Verdauungshygiene. 
Plötzhch entstand Kurzschluß und es wurde im 
ganzen kleinen Palais finster. Ich sprach weiter 
und erklärte, daß der „obstipierte" Mensch unmög- 
lich irgendwelche besondere geistige und seelische 
Qualitäten besitzen könne und daß Pasqual, der da 
aufgeschlagen vor ihr läge, jedenfalls und unbedingt, 
seinen Geist, falls er einen besonderen und hervor- 
ragenden gehabt habe, nur durch ,,Tamar Indien 
Grillen" sich habe erwerben können, es wäre denn, 
daß ein gütiges Schicksal ihm von Natur aus unter 
die Arme gegriffen hätte! Der Kurzschluß wurde 
repariert; es wurde wieder ücht, und die junge Dame 
' sagte: 



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„Ich habe schon längst bemerkt gehabt, daß Sie 
tadellose Franenhände besäßen, -so verklärte. Ge- 
statten Sie, daß ich dieselben berühre?!" 

,3itte sehr ** erwiderte ich. 

Das war der Anfang. 



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SANATORIUM FÜR NERVENKRANKE 



Daß die „Nervenärzte" nichts verstehen, wäre eine 
natürliche menschliche Eigenschaft der meisten 
Berufsmenschen, wenige Genies ausgenommen. 
Aber daß sie ihre schändliche Ignoranz ausnützen 
auf „suggestivem Wege* ' , indem sie die selbstverständ- 
lich viel mehr ,,über ihre eigenen Zustände'' verstehen- 
den Kranken durch ihren schmählichen Doktortitel, 
zu ihren folgsamen kuschenden Hundesklaven" ma- 
chen wollen, das ist eine bodenlose feige Gemein- 
heit! Eine Dame z. B. hebt ihre Schwester fanatisch, 
und ihr sich für sie aufopfernder Gatte kann gerade 
diese Schwester und den Fanatismus seiner Frau 
für dieselbe nicht ausstehen! Wenn sie ins Zimmer 
tritt, geht er aus dem Zimmer. Das erzeugt natur- 
gemäß allmählich Nervenzerstörung. Der Hebe- 
volle Gatte schickt sie in ein „erstes'*, d. h. teuerstes 
Sanatorium. Dort sagt man nicht dem Esel von Gat ten 
(gibt esüberhauptandere Tiersorten dieserGattung? 1) : 
„Sie müssen mit der Schwester Ihrer Frau liebens- 
würdiger umgehen!" Sondern man verordnet „Licht- 
bäder" mit nachfolgenden kalten Duschen! 

Die arme junge Frau klagt dem Arzte: „Mein. 
Mann behandelt meine zärtlichst und fanatisch ge- 
liebte Schwester roh, verständnislos, lieblos vor allem 
gegen mich, die angebüch Geheb teste, Verehrteste!? ! 
Ist das seine Opferfähigkeit?!?" 

Der Arzt erwidert: „Nach zwanzig Lichtbädern 
mit nachfolgenden kalten Duschen wird sich das 
alles, alles geben! Sie werden dann die Dinge mit 
ganz anderen Augen anschauen !" 

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„Aber Herr Doktor, die Liebe zu meiner Schwester 

„Auch das sind nur vorübergehende Exal- 
tationszuständel Glauben Sie es mir, meine Gnä* 
dige, Ihr Fall ist »typisch*. Sechs Wochen bei uns, 
und Ihre Schwester wird Ihnen gleichgültig werden 1" 



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LE LIDO 

As-tu vu le sable brun de la mer?I 

Non, je n'ai rien vu 

f ai vu Maria! 

As-tu vu l'eau sans fins et les tounes blanches?! 

Non, je n'ai rien vu 

j'ai vu Marial 

As-tu entendu le bruit de la mer?l 

Non, je n'ai rien entendu 

j'ai entendu la voix de Marial ' 
N'as-tu pas senti venir la sant^ du corps, par 
le soleil?! 

Non, j'ai senti venir la maladie de l'äme, par 
Marial 

* 

Erfüllte Bitte um dn Autogramm» an Herrn 

Piaton de Naxel, Venise: 

„II y a un myst ^re, qui nous fait vivre 

la femme! 

II y a une r^alit^, qui nous fait mourir 

la femme r* 

,,Ich habe kein Herz für Kleider," sagte sie« 
,,Weü Sie ein Heras haben!'* erwiderte er. 
,,Nein, weil ich keine Kleider habe!** 

„Eine Frau kann gar nicht genug Canaille sein!" 
sagte die Schöne. 

oDas halte ich für übertrieben/* erwiderte er. 

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»«Kein, er kommt ja doch jedesfalls eimnal 
darauf, daß wir seiner Liebe unwürdig sindl^ 

„Und wenn er nicht darauf kommt?!" 
,,Dann müssen wir ihn iür diese Stupidität be- 
strafen!" 



Druck der Spamer sehen Bu clidr uckerei in Leipzig 



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LOAN DEPT. 

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Berkeley 



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