"semmering igi2 "
Peter Altenberg
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Werke von Peter Altenberg
'Wie ich es sehe
FOnfsehnte vermelirte Auflage. Geh. 6 M. 50 Pf., geb. 9 M.
Was der Tag mir zuträgt
Acht« vermehrte Anflege. Geh. 6 M. 50 Pf., geb. 9 M.
Prodromos
Ffinfte Auflage. Geh. 3 Mark 50 Pf., geb. 5 Mark 50 Pf.
Märchen des Lebens
Sechste vermehrte Auflage. Geh. 5 M. 50 Pf., geb. 8 M.
Neues Altes
Dritte Auflage. Geheftet 5 Marie, gebunden 7 Mark 50 Pf.
,,Semmering 1912'^
Sechste vermehrte Auflage. Geh. 5 M., geb. 7 M. 50 Pf.
Fechsung
Sechste Auflage. Geheftet 5 Mark 50 Pf., gebunden S Mark
Nachfechsung
Fttnfte Auflage. Geheftet 6 Mark 50 Pf., gebunden 9 Mark
\^ta ipsa
Zehnte Auflage. Geheftet 6 Mark, gebunden 8 Mark 50 Pf.
Mein Lebensabend
Achte Auflage. 'Geheftet 6 Mark 50 Pf., gebunden 9 Mark
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Semme ring i g 1 2^^
von
Hl
Peter Allenberg
S, Fischer y Ferlag ^ Berlin
I
» *
Fünfte und sechste vermehrte Auflage.
iiAlle Rechte, besonders das der Übersetzung, vorbehaiteu,
Copyright 1913 S. Fischer, Verlag, Berlin.
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PT ^ /
INHALT \^/^
Bergeswelt T 15
Bozen 16
Gartengedanken . 17
Modemer Dichter 21
Die Tänzerin 22
Zwei Skizzen 27
Erziehung 29
Plauderei 31
Lied ohne Reime 32
Forellenfang > . . 33
So wurde ich 35
Loca Minoris resistentiae 37
Dolomiten 39
Mama 41
Moderne Annonce 43
Semmering 44
Winter auf dem Semmering 45
Vollkommenheit 46
Nachwinter 47
Heimliche Liebe 49
Das Kino 51
Lebensbild 52
So sind wir 53
Mein grauer Hut 55
Die Kostüme auf dem Semmering in der Silvester-
nacht 57
Fortschritt 58
Abschied
Besuch 61
Buchbespreclmng 63
7
Ein Brief 65
Das Hotel-Stubenmädchen 67
Gespräch 68
Bobby 6g
Psychologie 71
Vorfriihling . » 73
Das Glück 75
Das Duell .76
Stammgäste 77
Sanatorium für Nervenkranke 78
Die Romantikerin 1 83
Erbleichet! Errötet! 85
Ostermontag auf dem Semmering , 86
Berghotel-Front 88
Landpartie 89
Psychologie ■ » » 9^
Vor- Vorfrühling 93
Gedenkblatt 95
Oberflächlicher Verkehr 97
Beaut^ 99
Die Spielereien der reichen Leute 100
Richtige, aber eben deshalb wertlose Betrach-
tungen lOI
Die Probe 102
Ereignis 103
Ende 104
Nach abwärts 105
Abschied 106
Kranken-Toilette 107
Kusine 109
Lied HO
Echt III
8
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Gespräch
. . 112
Bilanz
. • 11^
Sehr geehrtes Fräulein!
. . IIS
. . ii6
Ewige Erinnerung
. . 117
Gesang
. . ii8
Souper
. . IIQ
Die Wachen fahrt
. . 120
Wae^enDartie
. . 121
Abschiedsbrief des englischen Offiziers
. . 124
. . 12*5
1
Vom Rendezvous
. . 126
Examen
. . 127
Les Lärmes
128
Testament
. . I2Q
Aconitum Napellus
. . ISO
. . 1*^1
Gift
. . 1^2
. . 133
Ein Nachtrae:
BuchbesDrechuncr -
• . 1*^7
An —
138
Nekrolog (Fritz Strauß)
. . 130
141
. . 143
Fraere
. • I4S
Letzte Unterredung
. . 146
. . 147
. . 148
. . 149
9
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Annonce 1*^0
Plauderei 153
Richtig 154 •
Reminiszenzen 155
Werte 157
Schlafmittel . 150
Fahrt 160
Lied 163
Abschied 164
Gespräch mit einer Baronin, Exzellenz-Frau,
über ihren herrlichen zwölfjährigen Sohn. . 165
Entzweit 166
Gespräch mit der sechsjährigen Sonja Dun-
gyersky 167
Gleich beim Hotel 168
Gespräch mit einer wunderschönen Dame von
30 Jahren i6g
Plauderei 170
Gegen 171
Rompe! 173
Waschungen 173
Respekt . 174
Falzarego-Paß-Höhe 175
Enterbte des Schicksals 176
Frühling 177
Erlebnis 178
Die Tänzerin 17g
Meine Ehrungen . . . iSo
Klara 181
Berghotel-Terrasse, Semmering 182
Erkenntnis 183
Klara 184
10
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Ein Komtessen-Brief 185
• Märchen des Lebens 1S6
\Vorüber man noch immer weint, und ewig
weinen wird! 187
Besuch 188
Liebesgedicht 189
Das größte Kompliment igo
Le monde iqi
Ein Regentag iq2
In 24 Stunden iq3
Hotel-Stubenmädchen IQ4
Modemer Dichter iqS
Natur iq6
Noch nicht einmal Splitter von Gedanken . . 197
Zyklus: „Venedig" . 215
«
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Dieses Buch ist gewidmet den Damen:
Lüly Steiner
GreU Engländer
Kamiüa von Nagy
Ilci Hanns
Cäcüia BrandstäUer
Fneia Frank
Lioschka MaliniSwich
MUxi Tknmb
Frau Machlup
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BERGESWELT
Bergesregionen« dott wo ,;aichts mehr gedeiht'*
als Krummholz, sturmgebogen, ist seit jeher meine
Märchen weit**! Nach 40 Jahren fand ich das wieder
auf dem „Falzarego-Passe**, „Tre Croce.", „Pordoi-
joch-Paß'\ Weißgraue Feistrümmer, schwarze trie-
fende Erde, Zirbeikieferwälder bis an die Hotels
herankriechend. Von Felsen träufelt, rieselt es, Nebel-
ietzen überall. Nichts will gedeihen als die Edel-
Einsam keit. Vor dem Pordoijoch-Hotel grau-^-
schwarze Wälder von dichtem Erlengebüsch, dem der
ßergsturm nichts antut. Es braust nur und er-
schauert. Daß hier nichts mehr gedeiht, ist die
D üs t e r - Ro m a n t i k der ßergeswelt . Keine Farbe
einer Blume, kein Schrei eines Vogels, kein Schmetter-
ling, kein Käfer. Diese tönende Eintönigkeit!
Eine schrieb ins Fremdenbuch ein: ,,Ohne Jemanden
nicht leben können und wollen, selbst wenn man es
vorher bestinmit g^laubt hatte, es sei unmöglich,
— hier vergißt man darauf l**
15
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BOZEN
Auf dem Hauptplatze in Bozen steht das Walther
von der Vogdweide-Denkmal aus Sandstem. Er hat
die Stellung des Wolfram von Eschenbach, bevor er
das Lied siogt an die selbstlos Geliebte. Das ist sehr
gut. Denn auch Vogelweide war so Einer. Er besaß
die Kraft, zu singen und zu weinen I Nun setzten sich
gerade auf seine Kappe zwei Tauben, und pflogen
emsig der Liebe l Vogelweide hielt ganz still dabei,
in seine Träumereien versunken von Liebesleid,
g^te den Tauben ihr biUigeSt leicht erreichbares
Vergnügen.
L.iyuu^oü L/y Google
GARTENGEDANKEN
Ich habe nichts hinzugelernt durch das ausge-
zeichnete Buch ,,Gartengestaltimg der Neuzeit", und
dennoch habe ich das Höchste profitiert — die Festi-
gung meiner Intuitionen! Gärten wirkten seit jeher
auf mich wie die Natur selbst; so eine eingefangene
und dennoch freigelassene Natur, ein Extrakt der-
selben ! Unser Wiener Rathauspark ist mir ein Muster,
* nur fehlt ihm die romantische Verwendung von Wasser
in Form von unregelmäßigen Bassins und Wiesen-
bächlein samt Wasser- und Sumpfpflanzen! Ich
schrieb schon vor 15 Jahren eine Skizze : „Der Farben-
garten'*. Zum Beispiel Grauiichfb, Picea pungens
glauca, graue Bodenbedeckungspflansen, grauer
Steinbrunnen und Rosen, Rosen, Rosen. Irgendwo
an einem Baumast ein silberner großer Käfig mit
einem grauen Papagei, Lori! Zwei-Farben-Gärten!
Nun einige Anregungen : weite Rasenflächen sind still-
aristokratisch, werden aber durch alte, knorrige, spär-
lich unregelmäßig hingesetzte Obstbäume sofort be-
wegt-romantisch! Es dürfte nie heißen: ein Gart^.
sondern immer nur: sein Garten. Goethe hat einen
andern Garten als Victor Hugo.
' Wasserpflanzen und Steinpflanzen erfordern Bas-
sins und Mauern. Diese können aber nicht diskret
bescheiden genug sein. Der Kurpark in Baden bei
Wien entspringt gleichsam einer dunklen, echten
Waldquelle, die die Wiesenabhänge herabstürzt, sich
zerteilend und winzige Tümpel bildend. Hier ist die
Natur am allerdiskretesten organisiert! Einenragier-
ter Feind jedoch bin ich seit jeher der Teppichbeete,
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die mir wie als Smymateppiche mißbrauchte Blumen-
pracht erscheinen. Man überlasse diese stilisierten
Farbensymphonien den Webern und Knüpfem. Ich
bin gegen die Riesenlineale, Riesenzirkel, gespannten
Stricke der Gartenkunst! Rhabarber erscheint im
Gemüsegarten als Nutzpflanze, an Teichen jedoch als
Wildstaude, pittoresk. }eder Platz eine andere Welt!
Waldrebe, Klematis, ist, an alten Bäumen, unsre
»JLiane des Urwalds". Der Boden ist so reich, daß
er auch noch die Schmarotzer in Üppigkeit erhalten
kann. Immergrün als Bodenbedeckung ist em natür-
licher Rasen. Rasen braucht doch Schneiden, Spritzen,
Walzen und Düngen. Rasen will „gepflegt, gehegt"
werden. Immergrün ist einfach immer grün. Es läßt
den Wurzeln aller andern Pflanzen das Regenwasser,
das Gießwasser, das Tauwasser, das Schneewasser,
während der Rasen sich vollsauft und andre ver-
dursten läßtl Selbst im Winter gibt Sedum spurium
noch einen lebendigen braunlichgrünen Bodenüber-
zug, während unser Rasen dann nur „Winterlieder
zum Cello*' in der Seele hervorbringt. Sedum spurium
wirkt körperUcher, plastischer« naturgemäßer, dich-
ter, verworrener als Rasen, der mir stets den Eindruck
von geschnittenem Samt und Plüsch hinterläßt.
Ich bin sehr für Trockenmauerwerk mit schmiede-
eisernen Geländern und dicht bepflanzt mit Kapu-
zinerkresse. Wie wenn die überstarke Natur auch da
noch Stein und Eisen schmücken möchte mit Grün
und Dunkelgelbu Zur Schlingpflanze gehört ihre
Stütze. Man st>ll sie sehen, sie ist ein naturgemäßer
Schmuck. Ihr Holzgitterwerk kann daher sogar aus
Edelholz sein, oder in diskreten Ölfarben, Ocker, Ruß,
z8
steingrau. Ich weiß nicht, weshalb man nicht an
niedesen Asten von exotischen Bäumen, Tulpen-
• bäum, Trompetenbaum, herrliche Käfige mit exoti-
schen Vögeln aufhängt, so als Urwaldstaffage?!
Brombeere, Himbeere, Kletterrose sind mir ein sym-
pathisches Dickicht, so Domröschenwald, undurch-
dringlich einsam. Weshalb sind Villen nicht dicht
bedeckt mit Bauemgärtengeranke ? 1 Ein Überfluß
der Reichen und der Armen.
Steinplattenwege im Garten, in deren Fugen
Blumen sprießen, sind romantisch. Das Haus ströme
gleichsam in den Garten aus, erweitere sich, erhöhe
sich zum Garten, verliere seine Bedachungen, an
deren Stelle der blaue Himmel, die graue Wolke
tritt. Ich sah an einem Lindenpark ein dickes rotes
Backsteinportal mit eichener Hoktür. Da können
keine Talmimenschen wohnen, sondern nur gediegene.
Grellrote Holzpforte zwischen Granitmauem. Gelbe
Eschenholzpforte zwischen weiß-schwarzen Beton-
mauem.
Weiße Rankrosen geben Märchenstimmung. Gar-
tenlaube am Wasser, Nachmittagstraumplatz. Bu-
chenjungwald, wunderbar im Vorfrühling und im
Spätherbst. Ein Teppich von raschelnden braunen
Blättern darunter. „Warte nur, balde ruhest du
auch!"
Weshalb bepflanzt man die Bergwiesen in Berg-
gärten (Semmering) nicht dicht mit Wacholder,
Rhododendron, Zirbelkiefer, das, was Rax und
Schneeberg von selbst leisten in ihrem künstlerischen
Näturgeschmack ? ! Stauden vor Gebüsch, ein ideales
AuskUngen! Birken, Schlehen, Eriken, und schon
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ahnst du den Sandboden der „Mark". Mit gewissen
Pflanzen kannst du ferne Gegenden herzaubern!
Meine Lieblingsbäume: Lärche, Graufichte, Knieholz,
Blutbirke, Rotbuche, Weide! Wasser, Wasser, fließend
oder stehend, du bist der Dichter in dieser Realität :
Landschaft l Du bringst die Romantik« die Musik
der Landschaft!
Des Teiches Stille singt des Lebens Schwermut.
Des Baches Murmeln klingt wie Wiegenkindes
Plaudern aus dem Traum.
Der Wasserfall singt dir von einer Welt« deren
Getöse auch nicht mehr enthält!
Springbnmnen's Melodie bei Tag und Nacht»
die sanften Herzen melancholisch macht.
Der Sonunerregen trommelt auf hunderttausend
Blätter,
dürstenden Blmnen zärtlicher Erretter!
Ober dem Gartensumpf schwirrt die Libelle«
Vom Froschsprung klagt ans Ufer eine Welle!
Gießkannen rieseln sanft auf schwarze Erde,
damit die Pracht des Sommers baldigst werde!
Hörst du dem Brünnlein lange« lange zu«
kommt über dich unmerklich Fried* und Ruh*!
Oh Mensch, worauf willst du denn ewig warten ? ! ?
Such' deine kleine große Welt in deinem Garten!
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MODERNER DICHTER
In iinserm Leben gibt*s so viel Nuancen
Die eine sagt: „Aizt meiner kranken Seele I'"
Die andre sagt: „Wie schrecklich er nur aussieht!**
Die eine lauscht begierig der Persönlichkeit,
die andre sieht pikiert den Gegensatz zu den andern !
Die eine schreibt: ,fiart ich zu Ihnen konunen?!''
Die andre hält's bereits für zynisch, wenn er im Ge-
spräch sanft-zärtlich ihre Hand berührt.
Die eine sagt: „Ein Romantiker ohne Herz!"
Die andre sagt: ,,Ein Herzlicher ohne Romantik!**
Und eine jede sieht ein „für** und „wider**
und keine spürt, daß ,,für** und „wider** eins ist
in einem« in dem „für" und „wider** zugleich sind!
21
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DIE TÄNZERIN
Das Kind, allein in der Garderobe der Tänzerin»
ordnet liebevollst alles — — .
Sie setzt sich dann in eine Ecke auf ein niedriges
Stockerl, kauernd in sich versunken.
Die Tänzerin kommt, erhitzt, erregt vom Tanzen.
Sie setzt sich an den Toilettetisch.
Sie wendet sich um, erblickt das kauernde Kind.
Immer, Marie, kauerst du da in der Ecke in
meiner Garderobe, stundenlang. Wird dir denn das
nicht langweilig?!?"
„Nie, Fräulein! Nur Menschen» die ich nicht lieb
habe, langweilen mich. Menschen, die ich lieb habe,
langweilen mich nie! Wodurch sollten sie es?!?
Alles an ihnen ist mir wert und teuer. Ich könnte
ihn^ zuschauen von früh bis abends.**
Die Garderobiere blickt herein:
„Was ist das, Mizerl, schon wieder da?! Das
Fräulein wird sich bedanken. Entschuldigen Sie«
Fräulein, der Fratz ist gar so romantisch veranlagt.
Der Vater sagt immer: ,Wie du zu uns ehrsamen
Bürgersleuten kommst .* Gestern hat sie
beim Nachtmahl gesagt: Jetzt verbrenn* ich alle
meine dummen Märchenbücher ich habe eine
lebendige Fee gefunden!* So ein Fratz, was?! Man
soUt's nicht für möglich halten. Aber bitt' Sie, lo
Jahre!? Sie wird's schon billiger geben als mit den
»lebendigen Feen^ 1 Die Männer tun uns beizeiten die
Märchen austreiben Ab.
Das Kind: „Meine Mutter blamiert mich vor Ihnen.
Sieverstehtgarnichts von meiner Andacht, Ich habe
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Digltized by
eine Andacht für Sie, obwohl Sie nur eine Tänzerin
sindl"
* *
Es klopft.
„Blumen abzugeben von einem Herrn von Wil-
ügsdorf
Türe ztt. ' I
Es klopft.
„Ah, Max
„Ich bin entzückter von dir als je. Du hast dich,
gestatte mir die konventionelle Phrase« selbst über«
troffen. Aber das empfinde ich! Gott, daß diese
kalten Kerls das mitgenießen dürfen!? Aber Gott
sei Dank, sie könnens nicht! Nur ich kann es, nur
ich kaxm es, nur, nur ich! Wenn du mir das wenigstens
glauben könntest, H^to, nur das wenigstens. Es wäre
* fast alles I Mehr brauchte man ja eigentlich gar
nicht!"
„Ich glaube es dir, Max, sonst könntest du es
unbedingt nicht so leidenschaftlich überhaupt vor*
bringen!"
„Diese schönen Blumen! Irgend jemand versucht
es mit 50 Kronen niein Lebensglück zu zerstören!'*
„Jawohl, Max, alle versuchen das, andere wollen
es sogar noch billiger unternehmen und geschickter.
Aber alles hängt bei uns Frauen von unserem guten
Willen ab; und den habe ich nur für dich! Es ist
vielleicht ein Zufall, aber es ist so, Max!"
Er führt ihre Hand tief gerührt zum Munde. Das
Kind steht auf, küßt ihm ehrerbietigst die Hand«
' „Wer ist dieses Kind?!?'*
„Es ist das Töchterchen unserer Garderobiere!
Sie kauert immer in der Ecke meiner Garderobe, hält
«3
alle meine Sachen in bester peinlichster Ordnung
cc
„WsiSt du die Tänzerin auch so lieb wie ich
„Das kann ich nicht wissen .**
„Möchtest du ihr alles, alles verzeihen, sogar wenn
sie dir ganz ohne Grund eine schreckliche Ohrfeige
gäbe?!?**
„Ja, ich möchte es ihr ganz gewiß verzeihen,
wegen ihres Tanzens, das ich gesehen habe. Ich
möchte mir nur denken: Weshalb tust du das einem
Menschen an, der dich so lieb hat ?t Wenn du eine
Ohrfeige austeilen willst, gib sie doch lieber einem,
dem du gleichgiltig bist! Der spürt es doch weniger
schmerzhch
„Ich glaube, du bist eine gefährlichere Konkur-
rentin für mich als die Herren, die Blumen schicken *
cc
Ab.
Es klopft. '
Der Theatermeister.
„Herr Theatermeister, Sie haben wieder zu spät
hell gemacht, wenn die Sonne bei meinem Tanze
endlich sieghaft durchdringen sollte. Es ist schreck*
lieh. Ich glaube, Sie machen es absichtlich
„Fräulein, so etwas lasse ich mir von niemandem
sagen. Das ist eine Gemeinheit, Sie verzeihen
schon — — — .**
Die Tänzerin legt ihren Kopf auf den Toilettetisch,
beginnt bitterhch zu weinen. Das Kind erhebt sich
langsam, macht einen Schritt g^en den Theater-
meister, streckt sich, hebt den Arm, sagt: j^ina^»
Sie roher Mensch
24
Digitized by Google
Der Theatenneister geht langsam ab.
Das Kind kauert wieder in seiner Ecke. Die
Tänzerin weint wie ein Kind. Dann trocknet sie ihre
Tränen.
Sie wendet sich nach dem Kinde tun.
„Niemand hat mich so lieb wie du, ni^nand
Das Kind erhebt sich, steht kerzengerade: „Ich
möchte alle töten, die Ihnen etwas Böses antun»
Fraulem !"
Ein Diener bringt eine Karte.
„Bitte
Ein älterer Heir tritt ein.
„Mein Sohn hat sich gestern erschossen, Ihret-
wegen . Konnten Sie ihm wirklich nicht
helfen, daß er diese seelische Krankheit besiege?!?"
,,Nein, ich konnte es nicht, obzwar ich ihm dezi-
diert sagte, daß er mir völlig uns3anpathisch seif"
„Vielleicht hätten Sie es ihm eben nicht so dezi-
diert sagen sollen
„Pardon, mein Heir, ich mußte es! Ich bin eine
arnie Tänzerin, ausgesetzt ununterbrochen allen Ge-
fahren, die es überhaupt für eine Frau gibt! Über-
lassen Sie mir das heilige Recht, gegen Eindringlinge,
gegen „Buschklepper der Seele*^ „Rowdys der Seele",
mich zu wehren I"
„Ich bitte Sie um Verzeihung, Fräulein. Ich bin
aber der unglückselige Vater ."
Ab.
Das Kind stürzt zu den FüBen der Tänzerin hin:
„Was haben Sie da angestellt, Fräulein?!?"
„Kind, das verstehst du nicht, das verstehst du
25
Digitized by Google
nicht . Das Leben stellt so viel Schreckliches
mit uns an, und wir, vnr können es nicht hindern —
«t
Das Kind kauert weinend in seiner Ecke.
Der Theatermeister erschemt:
«»Fräulein, es kommt gleich Ihr Tanz in der
Krinoline — — — /*
,,So, ich danke Ihnen. Bringen Sie aber die Be-
leuchtung richtig diesmal/'
,,Gewiß Fräulein
„Und du, Kind, warte auf mich hier. Ich kann
dich nicht mehr entbehren — — — .**
Vorhang.
26
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ZWEI SKIZZEN
Das kleine Leben
Ich sah Arbeiter an einer Telegraphenstange ar-
beiten, die im Hochwald der Nachtsturm zerbrochen
hatte, von 7 Uhr morgens bis 6 Uhr abends. Es frap-
pierte mich, wie sorgenlos sie waren, keine Spur eines
Gedankens darüber, ob es denn dafürstehe, auf die Welt
gekommen zu sein, mn abgebrochene Telegraphen-
stangen im Hochwald, der dem Fürsten gehört,
wieder praktikabel zu machen. Im Gegenteil, sie
schienen es für das Wichtigste von der Welt zu halten,
daß die Telegraphenstange sobald als nur irgend mög-
licH wieder hergestellt werde. Es waren Telegraphen-
stangenärzte. Um sie herum waren Gimpel und Eich-
kätzchen auf Altfichten, Regen kam, Nebel und wie-
der Sonne; aber immer war alles konzentriert auf die
Errichtmig der Telegraphenstange. Ihr gehörte ihre
ganze Sorge, sie war ein Teil des Weltgetriebes. Es
gab Genies unter diesen Arbeitern, die alles mit einem
Schlag erfaßten, was zu tun war; dann waren Be-
dächtige, Vorsichtige; und dann waren Tagarbeiter
nach vorgeschriebener Pflicht. Die ganze Menschheit
also war eigentlich um diese Telegraphenstange im
fürstlichen Hochwald versanmielt. Ich ging vorüber
und verteilte Trabukos, a la Kaiser Josef, nur billiger.
Weshalb nicht ? ! Das Prager Tagblatt hatte mir doch
gerade für Nachdruckhonorare 9 Kr. geschickt. Nach-
drucken ist doch schon Ehre genug. Das Geld setzte
ich teilweise in Mäzenatentum und in Menschheits-
beglückimg um. Die Arbeiter waren ganz verblüfft.
Einer sagte: „Auf der Liechtensteinstraße hat der
27
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Sturm einen halben Meter dicke Bäume abgeschla-
geal" Diese Mitteilung war eine Art von Revanche
für meine Liebenswürdigkeit. „Ist es möglich?!**
sagte ich freundlich erstaunt, und ging befriedigt von
dannen.
Liebesgedicht
Niemand beachtete dich, edle, verschwiegene
Goldrote, in dienender Stellung
Ich zog dich hervor aus deinem Versteck und seg-
nete dich.
Da wurden die anderen aufmerksam, schickten
Blumen und Briefe ....
Da zog ich mich zurück.
„Sind Sie eifersüchtig?!** sagte sie.
,,Nein, aber ich hasse die elende Dummheit
der Männer, die erst einen alten kranken glatzköpfi-
gen Bettler brauchen • • . • Wer, wer sagte mir, daß
man«mn Sie sich gräm^ dürfe . . .?!?**
..Aber um Gotteswillen, irgend jemand muß einen
doch entdecken, wozu sind denn die Dichter da ? l
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ERZIEHUNG
Ich habe einen scharfen Blick für Mütter, die die
„Persönlichkeit" ihres geliebten Kindchens achten
und berücksichtigen. Es sind das sogenannte K ü n s t-
lernaturen des Lebens selbst! Sie betrachten ihr
Kindchen ab ein von ihnen geschaffenes „lebendiges
Kunstwerk", apart und vor allem den meisten un-
verständlich, die mit dem Ausspruche: „ein ganz
nettes Kind, nichts weiter'', ihre künstlerische Un-
fähigkeit klar erweisen. Merkwürdigerweise fank*
tionieren so brutal- verallgemeinernd fast alle Väter,
die immer nur den Herrn Hoirat wittern, der einst,
in der Feme, erscheinen soll und za dem Kindchen
sagen soll: „Da bist mein aUes!** Daß das gar kein
Kompliment sein wird für das Töchterchen, spüren
sie nichtl Du bist mein alles, ja, aber wessen alles,
darauf kommt es an! Viele Mütter hingegen haben
eine künstlerische melancholische Zärtlichkeit. Sie
teilen das Leben ihres Kindchens in „interessante,
spannende, merkwürdige Lebenskapitei'" ein, sind
selbst äußerst gespannt, wie der Roman enden weide,
wahrend die^Väter ein biblisches Dogma aufteilen,
über das das Leben jedoch nin: ein flüchtiges Lächeln
hat. Mütter wissen, wie ihr Kindchen geht, steht,
sitart, wann es verl^;en ist oder düster, Väter wissen
höchstens, ob es „Stuhl'' gehabt habe, und das wissen
sie nicht einmal. Ein schreckliches Wort leitet sie
durchs ganze Leben ihres Kindes, das Wort „gedie-
gen*\ Alles soll „gediquen** sein, die Lehrer, die Gou-
vernanten, der „Zukünftige'', der „Charsdrter". Das
ganze kommt mir vor, wie das Wort „gediegenes
29
Gold", das auszusprechen schon eine Art Berau-
schungsmittel ist! Ich glaube nicht, daß Eleonora
Duse, Sarah Bernhardt^ Yvette Guilbert» Fanny Eis»
1er, Ädelina Patti, Bird Millman, Barbarina Cam-
panini sehr gediegen" waren, jedesfalls war es eine
höchstnebensächliche Eigenschaft dieser Damen ,
deren Väter jedesfalls auch nut sich ^^Gedi^enheit"
erwünscht hatten für ihre Töchterchen! Mütter
„beobachten** das Leben ihrer Kinder, Väter
schreiben es ihnen vor! Sie sind selbst durch
Beruf« Sorge« Eitelkeit« Ehrgeiz« Konkurrenz« Rück*
sichten Geknechtete des Daseins« erwünschen das-
selbe daher ihren Sprößlingen. Künstlerisch empfind-
same Mütter hingegen trauern um ihr eigenes Le-
bensgefängnis« möchten ihren geliebten Töchter-
chen den weißen Flug gönnen ins »«romantische
Land'l
30
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PLAUDEREI
Aiissprucfa eines fünfjährigen Mädels:
,,Wenn man alleweil brav ist, wissen die Leut'
dann gar nicht, ob man noch auf der Welt ist!'*
Die Eitern tragen mir ununterbrochen Anekdoten
über ihre vergötterten Kindchen zu. Sie sind tief
überzeugt davon, daß es gerade mich interessiere!
Ich interessiere mich auch wirkUch dafür, daß sie
alle so tief überzeugt davon sind, daß ich mich
dafür interessiere! Denn diesen schönen Schein
zu erwecken, heißt eben ein Dichter sein! Und als
das möchte man doch gerne gelten, wenn man schon
weder Beruf noch Geld hat, nicht ? ! ?
„Mein Knabe sagte mir gestern'*, „mein Mäderl
sagte mir vorgestern", höre ich alle Tage zehnmal
Ob eines dieser kleinen Mistviecherl einmal zu der
reichen Mama den genialen Ausspruch täte:
„Mama, wenn du mich wirklich lieb hast, dann
gibst du diesem entzückenden alten kranken Dichter
eine Monatsrate von fünfzig Kronen !"
Ausspruch eines sechsjährigen Mäderls beim Ab-
schied vom Semmering: „Ach, wie werde ich^f ürder .
. ohne meinen geliebten Pinkenkogel und Sonnwend-
stein existieren können?!**
Ich hätte gerne geantwortet: „Sehr gut wirst du
fürder existieren können, indem ich dir f ürder für
jeden affektierten, verlogenen, manierierten Aus*
Spruch deinen Hintern aushauen werde — — — J**
31
LIED OHNE REIME
Ihr Reichen,
hab' mein Mädel verlieren müssen ;
hab' ihr das Nachtmahl nicht bezahlen können
im kleinen lieben Gasthaus ;
hab' ihr ein Kleid für den Sonntagausgang nicht
schenken können
hab' ihrem Bruder nicht ewig Zigarren kaufen
können ;
hab' ihrer Schwester die Krankheit nicht be-
zahlen können ;
hab* ihrem Vater seinen Vierteljahrszins nicht
geben können;
hab' mein Mädd nicht in den ««Zirkus Schumann"
führen können ;
und sie schwärmt doch so für edle Pferde ;
da hat einer zu ihr gesagt: „Ich gebe dreihundert
Kronen monatlich und die Kostüme" ;
Ihr Reichen!
Hab' mein Mädel veriieren müssen ;
kann nur mehr Kleinigkeiten schenken,
zum Namenstag, zum Greburtstag imd zu Weih-
nachten — — .— .
32
FORELLENFANG
75 Kilometer lang ist das gesamte Gebirgswasser
in Naßwald. Es ist flaschengrün, weiß und graugrün;
es steht mäuschenstill in winzigen Felsbuchten» es
scfaämnt bösartig weiß, es zieht gemächlich graugrün
über flachen *Kiesboden. Hinter jedem Stein eine
Forelle! Kein Stein ohne Forelle dahinter, es wäre
denn» daß sie gerade weggeangelt wurde. Hinter
jedem Stein also lauert der heimtückische Insekten*
mörder. Plötzlich wird er von der Angelrute heraus-
geschnellt im Bogen. Man sieht etwas herrliches Sil-
bernes und schon liegt es auf der Wiese. Man schlägt
es an dem Fußabsatz ab, wenn es ein Regenwurm-
fang war, setzt es in den Bottich, wenn es ein Kunst-
fliegenfang war. Es gibt berühmte Kunst fhegen-
angler. Ihre Kunst besteht darin, die Kunstüiege so
auf das Wasser hinzuwerfen, daß es wie eine echte
aussieht. Das ist ja im Leben überhaupt oft so. So
wird man berühmt. Man wirft den Köder aus, und
die Forelle ninmit es für eine echte, xmd man
hat siel Forellenangeln und Naturfreund sein, ist
einest Denn man muß wandern, wandern von Stein
zu Stein. Hinter jedem hockt eben eine. Un^ diese
Wanderung befriedigt nur, wenn man die umgebende
Natur herzlich lieb hat. Der Hecht verlangt keine
Naturfreude vom Angler. Er steht irgendwo und man
hat zu warten. Man wartet, wartet, bis das Ereignis ein-
tritt. Dann beginnt die Geschicklichkeit. Aber mit
der Natur hat es nichts zu tun. £s ist nur aufregend.
Der ForeUenfanger liebt das Gebirgswasser leiden-
schaftlich, er vergißt darüber Weib und Kind, oft
«
» 33
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sogar das Essen. Er versenkt sich in die Details
der Umgebung» ein einziges Zeichei^wirklichen
Genießens! Denn ,,in Bausch tind Bogen** ist es
brutal und wertlos! Er zieht dahin, von Stein zu
Stein, er sieht alles« alles. Und wenn er ermüdet heim-
kehrt mit seiner reichen Beute, glaubt er etwas ge-
leistet zu haben. Ja, denn er hat sich sogar einen ur-
gesunden tiefen Schlaf verschafft l
34
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so WURDE ICH
Ich saß im 34. Jahre meines gottlosen Lebens,
Details kann eine Tageszeitung unmöglich bringen,
ich saß im Caf6 Central, Wien, Herrengasse, in einem .
Räume mit gepreßten englischen Goldtapeten. Vor
mir hatte ich das Extrablatt" mit der Photographie
eines auf dem Wege zur Klavierstunde für immer ent-
schwundenen füi^hnjährigen Mädchens. Sie hieß
Johanna W. Ich schrieb auf Quartpapier infolge-
dessen, tieferschüttert, meine Skizze „Lokale Chro-
nik". Da traten Arthtir Schnitzler, Hugo von Hof-
maxmsthal,* Felix Saiten, Richard Beer-Hofmann»
Hermann Bahr ein. Arthur Schnitzler sagte zu mir:
„Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie dichten ! ? Sie
schreiben da auf Quiartpapier, vor sich ein Porträt,
das ist verdächtig!" Und er nahm meine Skizze
„Lokale Chronik" an sich. Richard Beer-Hofmann
veranstaltete nächsten Sonntag ein „literarisches
Souper" und las zum Dessert diese Skizze vor. Drei
Tage später schrieb mir Hermann Bahr: „Habe bei
Herrn Richard Beer-Hofmann Ihre Skizze vorlesen
gehört über ein verschwundenes fünfzehnjähriges
Mädchen. Ersuche Sie daher dringend um Bei-
träge für meine neugegründete Wochenschrift ,Die
Zeit!*" Später sandte Karl Kraus, auch der Fackel-
Kraus genannt, weil er in. die verderbte Welt die
Fackel seines genial-lustigen Zornes schleudert, um
sie zu verbrennen oder wenigstens ,4m Feuer zu
lautem", an meinen jetzigen Verleger S. Fischer,
Berlin W., Bülowstraße'90, einen Pack meiner „Skiz-
zen", mit der Empfehlung, ich sei ein Original, ein
35
Genie, Einer, der anders sei, nebbich. S. Fischer
druckte mich, und so wurde ich! Wenn man bedenkt,
von welchen Zufälligkeiten das Lebensschicksal eines
Menschen abhängt! Nicht?! Hätte ich damals, im
Caf6 Central, gerade eine Rechnung geschrieben, über
die seit Monaten nicht bezahlten Kaffees, so hätte
Arthur Schnitzler sich nicht für mich erwärmt, Beer-
Hofmann hätte keine literarische Soiree gegeben,
Hermaxm Bahr hätte mir nicht geschrieben. Karl
Kraus hreilich hätte meinen Pack Skizzen unter allen
Umständen an S. Fischer abgeschickt, denn er ist ein
„Eigener", ein „Unbeeinflußbarer". AUe zusammen
jedoch haben mich „gemacht". Und was bin ich ge-
worden?! Ein Schnorrerl
36
. j — i. y Google
iOCA MINORIS RESISTENTIAR
Jeder Organismus hat seine sogenannte »»Ächines-
ferse", das heißt eine Stelle, an der er besonders leicht
und empfindlich verwundbar ist! Ich zum Beispiel
habe meine Achillesferse im Gehirn, aber nicht» wie
meine boshaften und heimtückischen Fremide (Feinde
sind viel milder gestimmt, indem sie einen in Bausch
und Bogen ein für allemal verurteilen) glauben wer-
den» inmeinenDen]q>artieni sondern in jenermysteiid-
sen Partie des Gehirns, wo die Eifersucht ihren
Höllensitz aufgeschlagen hat, und zwar die Eifersucht
in bezug auf Männer« die mehr Haare» mehr Geld und
weniger Intelligenz als ich besitasen» also drei den
Frauen besonders wertvoll erscheinende Eigenschaf-
ten! Sobald ich nur ein solches Ungetüm irgendwo
erblicke, das mehr Haare, mehr Geld und weniger
IntelligensB besitzt als ich» bekomme ich sofort» wie
der technische Ausdruck lautet» einen sogenannten
„roten Kopf", und ich denke nur mehr an Browning-
pistolen» Arsenik oder die Hundspeitsche, natürlich
für den anderen! Ich betrachte meine mich bisher
fanatisch vergötternde Geliebte als bereits endgültig
verloren, und treffe Anstalten, sie grundlos durch-
zuprügeln! Das sind also meine »»loca minorum resi-
stentium^^ das heißt zu deutsch» jene Partien unseres
komplizierten Organismus» die auf Reizungen beson-
ders empfindlich reagieren, und zwar sofort! Solche
Partien haben viele Menschen Kelhiem gegenüber
oder Saseuren» die sie schlecht bedienen; obzwar in
solchen weniger gefährlichen Fällen ein erhöhtes
Trinkgeld meistens gute Dienste leistet.
37
. j — i. y Google
Die „loca minorum resistentium" haben in neue-
ster Zeit einen besonderen Wert gewonnen für die
Herren Arzte; denn jede Partie des Körpers» über die
ein Patient sich heutzutage beklagt, wird vom Arzt
sogleich ernst und verständnisvoll als: „Aha, das sind
Ihre loca minorum resistentium, mein Lieber !
bezeichnet, worauf der Patient sich, zwar nicht ge-
heilt, aber um ein Bedeutendes, vor allem um das
ärztliche Honorar erleichtert, entfernt. Viele Damen
haben solche loca minormn resistentium in ihrem
Organismus, im Augenblick, wo sie an einer Dame
einen kostbarem Pelz bemerken, als sie selbst besitzen.
Aber hier fange ich bereits an banal zu werden, imd
deshalb schließe ich hiermit rasch ^ese immerhin
interessante Plauderei.
38
DOLOMITEN
Ich hatte mein ganzes Leben lang von den Dolo-
* m i t e n gehört , einem , ,Märchen der Natur". Nim kam
ich, per Auto, halb 8 Uhr abends, ii. August, in
Toblach an. Eine riesige ungepflegte, ja verwahrloste
Bergwiese, die ein feenhafter Berggarten leicht hätte
sein können. Ich ging ein paar Schritte die Fahr-
straße entlang, die ins Gebirge, Monte Cristallo,
führt. Ich sah in die weiße Waldstraße hinein , und war
ganz ergriffen. Jahrelang im ;,Caf6 Central'', Ecke
Herrengasse — ^Strauchgasse, imd mm am Eingang in
die „Dolomiten'*! Ich sah Wälder im Abendschatten ^
imd in der Feme einen leuchtenden riesigen Felsen.
Ich kehrte zurück und dachte mir die riesige schreck-
lich ungepflegte Bergwiese vor dem Riesenhotel, be-
wachsen mit Zirbelkiefer, Rhododendron, Speik, so
ein botanischer Berggarten, mit Murmeltieren und
Schneehasen. Aber Toblach begnügt sich, ein „Ein-
gang" zu sein, und selbst die Geschäftsläden erinnern
an „Praterbuden". Nur irgendwo sah ich in einer
Ansichtskartenbude eine 14jährige Verkäuferin. Ich
blickte sie an: „Du, du allein paßt in diesen Dolo-
miten-Märchen-Eingang!" Da ich den schönen grauen
Gems-Kaiser-Lodenhut auf hatte und sehr gebräunt
war, bückte sie mich freudig-erstaunt an. Ich wollte
etwas sagen, das heißt, ich wollte eben gar nichts
sagen, aber als die Ansichtskartengeschäfte abge-
wickelt waren, blickte ich sie noch immer gerührt an.
Sie sagte auch nichts, aber sie spürte ihre Wirkung
auf mich. Es war nicht sehr lange, und doch vielleicht
oder wahrscheinlich eine besondere Welt, die nie nie
39
Digiti
V
mehr wiedereistehen wird. Es ging nicht an, sie
länger anzublicken. Und infolgedessen ging ich. Ich
lüftete nicht den Hut, damit sie nicht sehe, daß ich
kahlköpfig sei; denn ich mußte auf ihre Träumereien
Rücksicht nehmen, daß ein verhältnismäßig apart
aussehender Herr sie beim Ansichtskartenverkaufe
liebevollst angeblickt hatte .So wie wenn er
ihr Glück wünschte zu ihrem künftigen Schicksale
und sie getreulich segnete mit seinen Augen. Sie hat
gewiß niemand davon erzählt, was gab' es auch darüber
zu erzählen?! Und doch blieb es in ihr. Und doch
wird sie, unmittelbar vor einem ersten Kuß der
Jugendsinne fühlen: „Nein! Ich sehe nicht auf
Deinem Antlitz, Mann, den Zug von Rührung, den der
• fremde Herr mit dem grauen Gemsjagd-Kaiser-Loden-
hute damals hatte Am nächsten Morgen
ging es nach Cortina. Rotgraue Beigwelt, sei be-
dankt, gesegnet! Es türmt sich auf, lichtgrau und
rosig, es wächst ins Himmelblau hinein und überall
ist Friede ^ — .
V
Diyiiized by Google
MAMA
Meine Mama wollte „ein großes Hans" führen, um
ihre wunderschönen Töchter reich zu verheiraten*
Das nahm ich ihr übel. I>enn, wenn es gelingt^ ist es
wie ein Haupttreffer anf eine in der Tabaktrafik ge-
kaufte Promesse. Ich bin gegen das „Spiel" im Leben.
Man riskiert zu viel. Das ist es. Also, wie gesagt, ich
war sehr dagegen. Aber in meiner Kindh^t hatte ich
einen voDkommen krankhaften Fanatismus fßr sie,
und meine Liebe zu ihr war keine ruhig-selbstver-
ständliche eines guten anhänglichen Kindes, sondern
zehrte an mir» wie wenn ich ein unglückUch Liebender
wäre, der an „inneren ZärtfichkeitsgefOhlen*' zu-
gnmde geht, während doch Mama mich sehr, sehr,-
sehr lieb hatte und meinen „kindlichen begeisterten
Blick" zu würdigen verstand. Oft sagte sie: »Du
dummer Kerl, was willst du denn, ich haV dich ja so
wie so riesig gern und außerdem bin ich mit dir sehr
zufrieden, der Hofmeister, die Gouvernante, der
Violinlehrer und Mr. Palotta, alle, alle loben und
lieben dich — Aber meine ZärtHchkeit für
Mama zehrte an mir. Vor ihr niederknien und den
Saum ihres Kleides mit den Lippen berühren, daran
dachte ich nicht. Ich sah sie an und war voll über-
triebener Zärtlichkeit, als ob ich noch überhaupt be-
wußtlos in ihrem Schöße läge, von ihren Kräften
innerhchst behütet, genährt, gepflegt, so vorzeitig
herausgestellt in eine Welt, in die ich noch nicht
hineingehdrtel Mama! Mama! Als ich mit zehn
Jahren, gerade der Primus im Gymnasium, an einer
Fußbeinbautentzündung schwer erkrankte, hatte sie
ein Jahr lang ihr Bett neben dem meinen und nahm
nächtelang meine Seufzer in ihr Herz auf, Nach-
mittags sang sie im Nebenzimmer Schubertlieder.
„Ihre Stimme klingt etwas ermüdet!" sagte der liebe-
volle junge Gesangsmeister. „Mein Sohn hat heute
Nacht wieder sehr gestöhnt" erwiderte sie. Eines
Tages sagte Professor Dittel: „Es muß geschnitten
werden, der Fuß ist ganz in Eiterung.** Da saß sie
nachmittags an meinem Bette und zupfte aus Lein-
wandfetzen Chaipiewolle. ,,Was machst du da,
Mama?!" — „Daß die Zeit vergeht" erwiderte sie.
Am nächsten Tage sagte Professor Billroth: ,,Ich
pflege in einem solchen Falle noch nicht zu schneiden«
es wird sich aufsaugen!*' Da kniete meine Mama vor
meinem Bette nieder, aber nur für einen Augenblick.
Dann ging sie ins Nebenzimmer und spielte und sang
am Klavier die „Forelle** von Schubert. Der Gesangs-
meister sagte: »»Heute klingt Ihre Stimme frischer»
Sie dürften gestern eine ruhigere Nacht gehabt
haben!** — „Nein,** sagte sie, „aber ich werde sie
heute nacht habenl**
42
MODERNE ANNONCE
Semmering, looo Meter Höhe.
Page 69 : ,,C'est ä Saint-Gervais que je devais faire
ce que les AUemands appellent: ,J)ie Nachkur''» et
ä laqueDe ils attachent, non sans raison» une grande
importance.**
Die Nachkur ist wichtiger als die Kurl
Eme meiner Thesen, auf die ich mir mehr einbilde
ab auf alle meine Dichtungen zusammen, obzwar alle
Arzte sie seit lange, die These nämlich, kennen.
Die Kur ist der melancholische und mühselige
Versuch, eine gebrochene Maschinerie zu reparieren.
Höchstens bringt man sie da mit Müh' und Not wie-
der auf gleich, kleistert sie zusammen. Aber die
Nachkur ist bereits eine freudige künstlerische
Angelegenheit: man ist daran, einer wiederheigerich-
teten Maschine höchste Energien, Spannkraft, Be-
wegung, Elastizität, Lebendigkeiten zu verleihen!
Aus einem Invaliden einen neuen feurigen Kämpfer
zu machen!
Die Kur ist eine ernste Notwendigkeit, die Nach«
kur ist ein heiteres Fest! Gerade der erst kürz-
lich gesundete Körper bedarf bei seinen zarten Ver-
narbungen allerzärtüchster Rücksicht. Geld und Zeit
für die N ach kur sind wichtiger als für die Kur. Keine
Kur ohne Nachkur! Die Nachkur ist erst die Kur!
Semmering, 1000 Meter Höhe.
43
SEMMERING
Es wurde wieder Winter, November 1912. Über-
flüssig, die Berglandschaft zu schildern. Das können
Russen, Schweden, Dänen viel, viel besser. Sie ken-
nen das Gepräge jedes Baumes, und wie der Schnee
sich ansetzt, je nachdem. Sie kennen die Eintönigkeit
und ihre Poesien, sie kennen die Melodie der Stille,
und der Krähen Mißton wird ein schaurig*melancfao-
lisches Leitmotiv: Winterl Ich liebte den Sommer,
weil ich gesund war, und seinen Symphonien von
Farben, Düften lauschen konnte, unbeirrt durch
etwas, was mich drückt und niederzwingt. Nun ist
es Winter. Ich sehe aües nur so, wie wenn ein gütiges
Schicksal den Abschied mir nicht schwer machen
wollte. Eine einzige Begeisterung ist geblieben und
ringt sich durch, wie wenn mein Bestes mir erhalten
bleiben soDte. Ich sah meine Ideine Heilige im roten
Wintersportkostüm. Der Wintertag leuchtete auf
ihrem geliebten Antlitz. Ich sah sie rodeln, ich hörte
ihr geUebtes jauchzendes Gekicher, sie flog davon,
den scharfen Kurven nach im weißen Fichtenwalde.
Ich hatte sie gesehen! Ich ging zurück ins Zimmer
und versank in düsteres Sinnen . • • Und es ward
Winter 1912I
44
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WINTER AUF DEM SEMMERING
Ich habe zu meinen zahlreichen unglücklichen
Lieben noch eine neue hinzubekommen — — — den
Schnee! Er erfüllt mich mit Enthusiasmus, mit
Melancholie. Ich will ihn zu nichts Praktischem be-
nützen, wie Scheemgleiten, Rodeln, Bobfahren; ich
will ihn betrachten, betrachten, betrachten, ihn mit
meinen Augen stundenlang in meine Seele hinein-
trinken, mich durch ihn und vermittelst seiner aus
der dummen, realen Welt hinwegflüchten in das so-
genannte „weiße und enttäuschungslose Zauber--
reich"! Jeder Baum, jeder Strauch wird durch ihn
zu einer selbständigen Persönlichkeit, wahrend im
Sommer ein allgemeines Grün entsteht, das die Per-
sönlichkeiten der Bäume und Sträucher verwischt..
Ich liebe den Schnee auf den Spitzen der hölzernen
Gartenzäune, auf den eisernen StraBengeländem, auf
den Rauchfängen, kurz überall da am meisten, wo
er für die Menschen unbrauchbar und gleichgültig
ist. Ich liebe ihn, wenn die Bäume ihn abschütteln
wie eine unerträglich gewordene Last, ich liebe ihn,
wenn der graue Sturm ihn mir ins Gesicht nadelt und
staubt und spritzt. Ich liebe ihn, wenn er in sonnigen
Waldlachen zerrinnt, ich liebe ihn, wenn er pulverig
wild vor Kälte wie Streuzucker. Er befriedigt mich
nicht, ich will ihn nicht benützen zu Zwecken der
süßen Ennüdung und Erlösung, ich will nicht krei-
schen und jauchzen durch ihn, ich will ihn anstarren
in ewiger Liebe, in Melancholie und Begeisterung. Er
ist also eine neue letzte „unglückliche Liebe*' meiner
Seele 1
45
»
VOLLKOMMENHEIT
Vollkommenheit ist ein heutzutage ganz mißver-
standenes Wort. Man sagt: Gustav Klimt, der voll-
kommene moderne Maler ; Frau Bahr-Mildenburg, die
vollkommene Wagner-Darstellerin; Oberbaurat Otto
Wagner, der vollkommene Architekt; Peter Altenberg,
der vollkommene Skizzenschreiber, Karl Kraus, der
vollkonmiene «»Angreifer^ Verhöbner, Vernich ter"!
Aber vollkommen kann ein jeder sein» in jeglicher
Sache! Ein Orangenverkäuler kann vollkommen sein»
wenn er den Geschmack, den Saftgehalt, den Zucker-
gehalt jeder Orange oder Mandarine schon von außen,
gleichsam durch die Schale hindurch» erkennt mit un-
fehlbarer Sicherheit! Em Kastanienbrater kann voll-
kommen sein, wenn er das Gefühl dafür hat, wann und
unter welchen Umständen seine Kastanien schön
gleichmäßig goldgelb gebraten sind» ohne bräunliche
schwarze harte Steilen zu bekommen. Ein Bar-Mixer
kann vollkommen sein, eine liebende Frau, ein stichel-
haariger Foxterrier, eine Hemdenputzerin, ein Kom-
mis» in seiner Art zu bedienen» ein Koch» eine Steno-
graphin» kurz : alle» alle» alle» insofern sie in ihrer Sache
das Vollkommenste leisten ! Pereant die protokollier-
ten Firmen des allgemeinen succ^s; es leben hoch die
Unbekannten» die göttlich singen beim Waschen und
Anziehen» ohne an der Hofoper engagiert zu sein! Es
leben die exzeptionellen Weber und Tuchfabrikanten,
CS lebe die kroatische, bosnische, ungarische, schotti-
sche» irländische» dänische» schwedische Hausindu*-
striel Was vollkommen ist, ist vollkommen» worin
immer es sich auch betätige!
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NACHWINTER
9. März. Mein 53. Geburtstag. Es ist schon wieder
Schnee gefallen die ganze Nacht, Hochwinter im
März. Man kann noch nicht „rodeln", denn der
Schnee ist noch flaumig vrie flaumige Eiderdaunen.
Aber das Auge weiß davon nichts. Nur die Fußspuren
sind braungrau. Es hat null Grad im Schatten. Es ist ein
Winterbild, an das man nicht recht glaubt. So Nach-
zügler einer Armee »»Winter" 1 Meine Schneeschuhe» ein
Geschenk des berühmten Architekten Adolf Loos, vor
fünf Jahren, sind mir gestern abhanden gekommen.
Der anständige Dieb hat wahrscheinlich nicht mit
diesem Winter-Rückfall gerechnet, der mich nun in
Verlegenheiten bringt! Sie waren mir teuer, obzwar
sie mich nichts gekostet haben. Ich hatte fünf Jahre
lang den Ehi:|;eiz, sie mir weder vertauschen, noch
stehlen zu lassen. Der Kellner sagte mir oft: „Lassen
Sie Ihre Schneeschuhe ruhig irgendwo stehen, es ge-
schieht ihnen nichts!" Nun, es ist ihnen wirklich
nichts geschehen, sie haben nur ihren Besitzer ge-
wechselt. Möge er sie ebenso zärtlich rücksichtsvoll
behandeln wie ich, und möge ich eine neue Schnee-
schuh -Würzen baldigst finden! Einer machte
schon eine leise Anspielung, aber es stellte sich
heraus, daß. er mir nur mitteilen wollte, dieser Nach«
Winter könne ja ohnedies nicht mehr von langer
Dauer sein, und da genügten dann gewöhnliche Ga-
loschen. Als ich bemerkte, daß ich auch solche nicht
besitze, erklärte er, Galoschen seien ungesund und
verhindertendie Hautausdünstung. Also,indieserWin-
terpracht feiere ich meinen 53. Geburtstag. Es wird
47
Digitiz
kein Geld regnen, da ich keine Danae bin. Aber in die
schlechte Bilanz des Jahres 1912 muß ich doch den
Plus-Kontoposten meines Lebens einrechnen: ,»Nach-
winter im Mars auf dem Semmering, und eine roman*
tische Petrarca- Liebe!"
Hier ist es friedvoll, vertauschte Haselnußberg-
stöcke» vertauschte Schneeschuhe, vertauschte Frauen
sind das einzige bemerkenswerte Ereignis. Aber man
findet sich in alles. Eine Dame sagte mir: „Sehen Sie,
dieser von Ihnen gestern so gepriesene Herr ist doch
kein Gentleman. £r trägt abends zu Lackpantoffeln,
pumps, Wollsockenf" — „Pardon/* erwiderte ich,
„ich habe das im Drang meiner Begeisterung über-
sehen!" — „Ein so scharfer Beobachter wie gerade
Sie« Herr Altenberg?!*' — „Ja, auch wir sind eben
nur irrende Menachenkindarl''
48
\
HEIMLICHE LIEBE
Wir müssen von den Gefühlen unserer eigenen
Seele leben kdnnenl Das isi die „nene Religion**
für unsere, sonst zum Leiden verurteilten impressio-
nablea Nerven. Man kann uns alles wegnehmen^
alles rauben, alles verhindern, alles verbieten
nur nicht unsere Gefühle, die wir für geliebte
Menschen haben! Hier beginnt unsere unbesieg-
bare Macht unserer Seele! Man wünscht es, unsere
Tränen nicht zu sehen, nicht zu spüren, nichts darüber
in alle Ewigkeit zu vernehmen und sie rinnen
dennoch auf den Kopfpolster, zum Preise der Ent-
fernten! Könnt Ihr uns verbieten, in dem Berg-
kirchlein für ihr Heil zu beten?! Könnt Ihr uns es
verbieten, im Schnee des „Hochwegs" ihre Fußspuren
zu ahnen?! Vielleicht sind es fremde, gleichgültige.
Aber wir, wir träumen sie uns als die ihrigen, ver-
mittels der Kraft unserer unzähmbare^, unbesieg*
baren Seele! Kann sie zu uns sprechen: „Knie vor
meinen Fußspuren nicht in den Schnee hin! ? !" Nein,
das kann, das darf niemand zu uns sprechen. In
diesen „Gefilden der entrückten Seele" verliert die
verbietende Henschenstimme ihre Macht und Gott
sagt: „Du darfst!**
Ich habe Dein Glas in mein Zimmer mitgenommen,
aus dem Du getrunken hast. Ich habe dem KeUner
gesagt: „Ich habe ein Glas zußLllig zerbrochen, da
haben Sie zwei Kronen dafür!** Er sagte: „Auf ein
Glas mehr oder weniger kommt es, bitte, bei xms nicht
an Also besaß ich das „geheiligte Glas"
umsonst. Ich UeB ihm ein Postameutchen machen
* 49
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aus Zirbelholz, ließ eingravieren: Deine Lippen be-
rührten es." Kann mir das irgend jemand verbie-
ten?! Niemand kajm mir meine Leiden ver-
bieten, er kann sie nm: steigern, und das ist gut
für meine Seele . Wen, wen wollt Ihr
schützen vor meinen Tränen, die niemand, nie-
mand sieht ?1
SO
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DAS KINO
Ich schleudere hiennit meinen Bannfluch gegen
alle j e ne , die, in „bestgemeinter Absicht" oder aus Ge-
schäftsinteresse« sich in neuerer Zeit gegendie Kino-
theaterwenden! Esistdiebeste, einfachste, vomöden
I chablenkendsteErziehung,besser jedenfalls, tausend-
mal besser als die bereits als ,,freche Gamierei" ent-
larvte ,,Kunstdarbietung*^ ausgeheckt in ehrgeizigen,
verdrehten Gehirnen und präpariert für den „seelischen
Poker-Bluff"; infame Düpierung einfach-gerader
Menschenseelen! Im Kino erlebe ich die Welt; und
selbst dieerfuAdenenSketches sindschon, der Natur der
Sache nach,auf edel-primitive Wirkung hin gearbei-
tet, Seelenkonflikte a la , ,3 u n d 2 m ach 1 5", nicht aber
absichtlich 6 oder 7 1 Das Volk soll sich erheben für
die Kinotheater und sich nicht neuerdings in klein-
sten und belanglosesten Angelegenheiten beschwat-
zen und betören lassen von den „psychologischen
Clowns" der Literaturl Meine zarte 15jährige Freun-
din und ich, 52 jähriger, haben bei dem Natursketch:
„Unter dem SternenhimmePS in dem ein armer
französischer Schiffzieher seine tote Braut flußaufwärts
zieht, schwer und langsam, durch blühende Gelände,
heißgeweinti Wehe euch, deren „trockenen Geist"
wir „trockenen Herzens" angeblich begeistert ge-%
nießen müssen! Wir müssen und wollen nicht!
Ein „berühmter Schriftsteller" sagte zu mir:
„Wir sind jetzt unter uns, was finden Sie eigentlich
Besonderes an den Kinovorstellungen?!?"
,,Nein," sagte ich, „wir sind nicht unter uns,
sondern Sie sind unter mir!"
LEBENSBILD
Wesen der Engländerin:
„O, mein geliebter Freund, was nützte mir denn
deine ganze tiefe Liebe, wenn du mir bei der Tür nicht
den Vortritt ließest?!?
Wesen der Amerikanerin:
»«Natürlich zu sein» so wie man eben einfach
von Natur aus ist!"
Dies schrieb ich einer jungen, edlen Amerikanenn
ins Stammbuch.
„0," sagte sie, ,,sehr, sehr schön; und vor allem
sehr, sehr wahr! Aber, bitte, was wüi'den Sie denn
einer jungen Engländerin in ihr Stanunbuch hinein-
schreiben?!?"
„Ich? Natürlich gerade das Umgekehrte!"
52
\
so SIND WIR
Wir wollen aufrichtig sein, vor allem diesmal ich,
Sophie B.; vielleicht für alle meine Mitschwestem.
Nichts ist rätselhafter für uns, als es zu sehen, wie
jemand uns garnicht mehr lieb hat t Gar nicht mehr
ein bißchen. Wir machen da sozusagen nachträg-
lich alle seine Qualen mit, imd alle unsere voll-
kommen unnötig gewesenen Grausamkeiten,
Ungezogenheiten» Rücksichtslosigkeiten usw. usw.
Wie ein schreddiches Bild zieht es an uns vorüber,
nebelhaft, und dennoch schreckhaft deutlich! Ja,
wir waren Königinnen, wie Chinas mysteriöse Be-
henscherin einst, und nun sind wir entthront l Man
bittet uns nicht mehr um Gottes willen um eine Haar-
locke, man versucht es nicht mehr, imser Knie unter
dem Tisch sanft zu berühren! Wir sind entthront,
entwertet und verstoßen! Wir haben uns „Herzen"
entfremdet; und Gott will das nicht. Das heißt. Er
hat nichts dagegen, falls es sein muß, aber es soll
in Seiner Milde, in göttlicher Milde vor sich
gehen, so zart behutsam, daß wir alle Tränen trock-
nen, die seit Monaten um uns geflossen sind! Mit
Kranken schreit man nicht hemmt Wir haben nie
seine Briefe verstanden, in denen er uns doch ganz
verständlich mitteilte, er habe unseret wegen
die ganze Nacht geweint. Jetzt verstehen wir diese
Briefe, die wir bereits zerrissen haben!
Also, da sitzt er mm vor ims, der einst ein Naxr
in unseren Augen war, und unsere ausgespuckten
Traubenschalen liebevoUst in seinen Mund nahm!
Da sitzt er nun vor uns. Wir sind ihm nichts.
53
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Er schaut, und ist selbst verständnislos gewor*.
den!
Oh oh 1 Wie schade!
Unser Atem ist ihm nicht mehr süB — — — viel-
leicht ekelt er ihn sogar — — — I
34
kju,^ cd by Google
MEIN GRAUER HUT
Der Märzwind klagt durch die winter-erfrorenen
rostroten Gebtische. Über die grauen Wiesen burstet
er grauen Märzstaub auf, zieht in die Wälder hinauf,
um rotes starres Laub zum Kaschehi zu bringen, zum
Vorhiihling-Tanze 1
Neben mir liegt mein geliebter grauer Füzhut,
Gemsjagd- Kaiser-Hütchen. Er erinnert mich an alles,
was ich verloren habe, an Alles! Ich habe ihn in
Mürzzuschlag gekapft, nach langem Suchen, er ist
mein Ideal-Hut. Nun blicke ich ihn an, in tiefster
Zärtlichkeit, als ob er noch die hellen scharfen Lüfte
und Düfte vom Semmering-Paradiese in seinem Filz-
gewebe berge. Ja, für mich biigt er sie» alle die
Schätze, die mein Auge dort droben in der lichten
scharfen Luft in sich hineingetrunken hat, auf der
Beton-Terrasse, 6 Uhr morgens, mit sonnigem Wiesen-
nebel und dem Mürz-Nebel-Strom ins Haidbachtal,
weiß und leuchtend, ein Märchen-Strom! Und abends
die goldenen Wolken im Mürztal ; und immer, immer
. war es noch schöner als am Vortage, imd meine Seele
war reich durch Begeisterung. Nichts entging mir von
Gottes Pracht.
Nun denke ich an das Holdeste, Klara und Fran-
ziska Panhans, Magda Simon, Eva Leopold, Frau
Machlup, ebenfalls Gebilde der gütigen edel-gestalten-
den Naturl Für alle hatte ich den Blick famatisch-
zärtlicher Begeisterung! Nun aber bleibt mir nur
mein kleiner grauer Filzhut, Gemsjagd-Kaiser-Hut;
erliegt vor mir, unscheinbar, nichtssagend. Mir aber
scheint die untergegangene Sonnenwelt „Semmering"*
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^ daraus entgegen, und sagt mir „adieu", adieu für
immer . Weshalb dieses Schicksal?! Ich weiß
es nicht
8. März 1913. Vortag meines 54. Geburtstages. FQr
Frau Lilly St.
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DIE KOSTÜME AUF DEM SEMMERING
IN DER SILVESTERNACHT
Ich sah ein ockergelbes Musselinkleid-Hemd mit.
breitem lila Samtband geputzt. An der Brust eine
große lila^weiße Kamee. Dann sah ich an dem herr-
lichen Fräulein Schw. • . eme y^Be seidene Wolke, am
Rande bestickt mit grellem Silberschimmer aus großen
viereckigen Silberplättchen. Dann sah ich an der
braunen Frau S« eine sdiwarze Tüllrobe, mit schwar-
asem Hut, mit einer schwarzen samtenen Tulpe an
der Brust. Kardinalfarbene Seidenrobe, bestickt mit
kardinalfarbigen Glasperlen. Eine staubgraue, nebel-
graue Tüllrobe, mit breiten ockergelben Samtbändern.
Eine erbsengrüne TüUrobe, mit hechtgrauen Glas-
perlen bestickt; braimgelbe Orchideen an der Brust.
Frauenschuh. iDann sah ich eine da wußte
ich gar nicht, was sie anhatte; denn ich sah nur ihr
Antlitz, ihr süßes, süßes Antlitz, mit den klaren
schimmernden Madonnenaugen — . Da sagte
eine ältere Dame zu mir: „Nicht wahr, das bemerke
ich sofort, die Toilette dieser jungen Dame ist ganz
nach Ihrem etwas apartftn und übertriebenen Ge-
schmack !?! •* — „Jawohl", erwiderte ich,
„obzwar ich gar nicht sah, was sie anhatte
— »Ja-, Sie urteilen eben auch nur nach dem Äußeren,
mein Lieber, sehen Sie wohl?! ? " — „Ja, Idder'S er-
widerte ich und starrte die Madonnenaugen an ^.
Sie hieß Kl. P. und dennoch kann niemand ahnen,
wer es ist — • — — .
57
FORTSCHRITT
Es gibt Leute, die heutzutage nicht mehr auf den
^ Boden eines Kaffeehauses spucken können, und solche
die es noch ganz gut können. Diese Zweiteilung
ist ein Zeichen eines wenn auch geringen allgemeinen
Fortschrittes. Es gibt Leute, die selbst bei einer auto-
matisch von selbst schließenden Tür ängstlich hinter
sich blicken, ob die Maschinerie auch wirklich funk-
tioniere. Das sind bereits „Gentlemen der Entwick-
lung''. Beim „Sport*' darf man keiner Dame helfen,
irgendwie behilflich sein in einer schwierigen Situa-
tion. Dadurch gewöhnt man sich allmählich auch das
sklavische „Pakettragen** oder „Schirmaufheben"
oder „iSgarettenanztinden" ab. Wieder ein kleiner
Fortsdirittt Jetzt fehlt noch der hohe englische
Fußschemel beim Friseur, und di^ Ventilatoren in
jeder Fensterscheibe, wobei niemand rufen darf:
«,Es zieht!" Preise an Schriftsteller-Millionäre zu
vergeben, ist noch rückschrittlich. Mit Geld kann
man nur Künstler ehren, die keines haben! Turbot
samt seiner dimklen schuppigen Haut essen imd
noch dabei behaupten, dasf^be dem edlen Fische erst
den Geschmack, ist eine mittelalterliche Zurückge-
bhebenheit, die man eventuell einem eisengepanzer-
ten Recken oder Drachentöter nachsehen könntet
Eine übertrieben deutliche Schrift haben, ist einer der
wenigen zu begrüBenden Snobismen. Man schreibt
für den, der es lesen soll! Eine Frau in der Weise
bewundem, daß es dem zugute konmit, dem sie
angehört, und nicht dem, der sie bewundert,
ist „höchste Kultur"! Mehr als zweimal im Tag mit*
38
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teilen, man habe im rechten Knie beim Drücken einen
Schmerz, ist nicht ««fortschrittlich''. „Tamar Ixidien
Grilkm** anpreisen« ist höchste Kultur. Aber auch
hierin gibt es zarte Grenzen. Ich hörte einmal an
einem herrlichen Herbst morgen einen jungen Grie-
chen eine junge Serbin fragen: „Oh bonjour« made-
moiselle« combien de pilules „Fvagbx**^ est-ce-qu'on
ose prendre k la fois?!" „36" erwiderte die jimge
Dame schlagfertig, worauf man den Griechen acht
Tage lang nicht mehr erblickte. Leute ins Gespräch
ziehen« um ihnen Ansichten herauszulocken« zum
Zwecke, sie ihnen widerlegen zu wollen, ist un-
kultivirt. Um „Proselyten" zu machen, gehört
mindestens die Entschuldigung ein^ „heiligen Fana*
tismus**. Zwischen Tee und ««kleiner Bäckerei'^ hat
solches nicht stattzufinden! „Anonyme Briefe"
sind eine Gemeinheit. „Nicht anonyme Briefe" sind
eine noch größere Gemeinheit. Man hat zu schreiben :
««Ich verehre Siel" Im allgemeinen aber zeigt sich
doch in der „vie quotidienne" ein beträchtlicher Fort-
schritt. „In der Nase bohren" findet man sogar bei
Kindern verhältnismäßig nur mehr selten, obzwar es
noch vor 20 J ahren zu den sogenannten « «billigen Freu-
den des Daseins" gehörte! Häufiger kommt es vor, daß
Liebesleute vor Fremden sich gegenseitig zu blamieren,
zu desavouieren suchen« kurz den Anschein eines
Täubchenverhältnisses zu bewahren« für Augenblicke
außer acht lassen. Den „Dritten" dabei als Richter an-
zurufen, ist aber eine der allergrößten Infamien, be-
sonders falls er auf die Frau ein oder mehrere Augen
bereits geworfen hat. £s gibt also noch immer eine An-
zahl von verbesserungsbedürftigen Dingen !
59
ABSCHIED
Herr Altenberg, ich danke Ihnen noch zuletzt für
alles, für alles!'*
„Wofür, das verstehe ich nicht
„Das kann man nicht so sagen» wofür man Ihnen
meinem wochenlangen Verkehr zu danken hat I Man
ist gleichsam von sich selbst erst zu sich selbst ge-
kommen, erblickt das Leben einfacher, selbstver-
ständlicher und klarer als bisher. Deshalb muß man
zu Ihnen sagen: „Ich danke Ihnen fiir alles» für alles
— obzwar man durchaus nicht weiß» worin es be-
steht!**
Es war der tiefste Abschied» eigentlich aber ein
ewiges Zusammenbleiben t
60
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BESUCH
Mein Freund, der Doctor philosophiae aus Heidel-
berg, schrieb mir, er sei in tief deprimierter Stimmung,
woJle in den «JF'rieden der Berge flüchten*'* höchst
moderne Ausdrucksweise, und vor allem beim Dichter
eine Art von seelisch -geistigem" Reinigungsbad neh-
men. Als er ankam, begann ich daher von Rax und
Schneebeig, Pinkenkogel und Sonnwendstein zu
schwärmen. Er erwiderte: »»Lasse gefilligst diese
Marlittiaden einer überwundenen Epoche imd zeige
mir lieber eine Dame, mit der man stundenlang über
Ibsen» Hofmannsthal» Stephan Geoige und älmliche
Geschöpfe seine endgültigen Ansichten los werden
kann." Er war glücklich, als ich ihm mitteilte, daß
ich zufälligerweise gerade jetzt drei solcher Damen
auf Lager habe» leider aber eine j ede in einem andren
Berghotel. Er meinte» er wolle gern den Wagen be-
zahlen, und wir sollten von einer zur anderen fahren.
Auf dem Wege könne man ohne weitere Schwierig-
keiten die Schönheit» den Frieden der Bergwelt» aber
ohne Exaltationen über jeden einzelnen Baum» son-
dern in Bausch und Bogen genießen. Dieser annehm-
bare Plan wurde zu allgemeiner Zufriedenheit aus-
geführt. Eine vierte Dame» die sich anschloß» konnte
wegen Zeitmangels nicht ins Gespräch gezogen werden
über die Philosophie in der Musik des Debussy. Der
Doktor sagte zu mir: „Ist es also wirklich wahr, daB
mannurbiszi Uhr aboids hier Getränke bekommt?!'
— »»Nein,** erwiderte ich» »»das ist eine Verleumdung»
man erhält bis Mittemacht Limonade und Soda-
Himbeer!" — »Esel»'' sagte er» »»ich meine schweren
6i
Diyiiized by Google
Burgunder!** Er schlug nun vor, schon um 7 Uhr
abends anzufangen» damit man bis zur Schank-
Sperrstunde das Nötige absolviert haben könne. Ich
erklärte ihm, daß ich seit anderthalb Jahren Anti-
alkoholiker sei und daher vor halb 8 Uhr abends nicht
anfangen köime! Er sagte, er sei einverstanden, da
er mich von meinen schwer errungenen Grundsätzen
nicht abbringen wolle. Im Laufe des Abends ge-
sellten sich einige Herren zu uns, die er in liebens-
¥nirdigster Weise anstänkerte, indem er sie fragte, ob
sie sich emstlich von der Bergluft und der Enthalt-
samkeit eine Heilung ihrer anscheinend doch unheil-
baren Leiden erwarteten?!? Bald waren wir allein,
und später erklomm er mit meiner Bergführerhilfe
die Treppe. Er sagte noch: Rax, Schnee — berg,
Sonn — wend — stein, Pin — ken — ^ko— -gel . . dann
verschwand er hinter der gepolsterten Tür.
*
62
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BUCHBESPRECHUNG
Ich lese jetzt Tolstois „Chadschi Murat", ans dem
Nachlaß. Es ist immer dieselbe Art, plastisch-histo-
risch, lebendig gewordene Wachsfigurenkabinette,
p^chologische Wachsfiguren, z. B. der großartig
geschilderte wachsbleiche fette Kaiser mit dem nichts-
sagenden streng-starrenden Antlitz, der weiß, daß er
nichts weiß, und dennoch die Geschicklichkeit besitzt,
sich immer, in jeder Situation, es einzureden, daß er
„zum Heile und zur Ordnung der Welt" unentbehr-
lich sei. Aber auf Seite i6i fand ich ein besonderes
und bisher, vor allem mir, unbekanntes Sprichwort :
,J)er Hund bewirtet den Maulesel mit Fleisch
und der Maulesel den Hund mit Heu — in-
folgedessen bleiben beide hungrig!** Ich finde
das wunderbar; es ist ein Bild unseres ganzen tra-
gischen Lebens, besonders dessen zwischen Mann
und Frau! Ein jeder bewirtet uns mit einer Kost,
die für ihn die beste, für den Bewirteten meistens
jedoch die allerschlechteste ist!
Einer meiner sogenannten „Freunde", andere als
„sogenannte*' gibt es nämlich hienieden nkht,
würde natürlich sagen, daß dieses Sprichwort einen
natürlich ganz anderen Sinn habe als den ihm von
mir willkürlich unterlegten, femer, daß es längst
allgemeinst, vor allem ihm selbst, bekannt sei; daß
es schon im ,, Sanskrit** erwähnt werde imd nichts
anderes bedeuten könne als die ,,Güte des Schöpfers
allen seinen Kreaturen gegenüber**! DuEsell Trotz-
dem halte ich das erwähnte Sprichwort für überaus
wertvoll und sinnvoll und glaube nicht, daß ich bis
63
«
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Seite 203, Ende, etwas annähernd ebenso Tiefes
iinden werde.
Wenn man einmal so weit ist, die Menschen des
übrigens alltSglichen Lebens ebenso scharf anfe Kom
zu nehmen, wie Tolstoi es tut in seinen Romange-
bilden, oder wie Charles Dickens und Thackeray in
milderer Form» so verringert sich natuigemäß die
Distanz zwischen Künstler und Leser« Der Leser
weiß einfach ganz dasselbe, ohne sich die lächer-
liche Mühe zu nehmen, es niederzuschreiben!
64
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EIN BRIEF .
m
Sehr geehrte gnädige Frau!
Sie wollen „glücklich" sein? Das ist schrecklich!
Beethoven, Schiller» Hugo Wolf, Novalis, Lenau
waien nicht glücklich. Mit welchem Rechte wollen
Sie also glücklich sein? Mit dem Rechte der „In-
feriorität?" Aber darauf haben Sie keinen legitimen
Anspruch, da Sie es doch nicht sind! Sie erzählen
mir» daß irgend jemand um Sie bange war, um Sie
geweint hat? Erzählen Sie mir doch lieber, daß Sie
um irgend jemand besorgt waren, geweint haben!
Sie sagen mir, was man von Ihnen halte? Sagen Sie
mir doch lieber, was Sie von den andern halten!
Sagen Sie mir, von wem Sie schwärmen, und sagen
Sie mir nicht, wer von Ihnen schwärmt! Ihre eigene
Welt ist gerade so wie sie ist, aber die Welt der andern,
der „Nicbt-Sie-Seienden**, die ist eine Bereicherung
Ihres Denkens, Ihres Fühlens! Zeugnisse mit aus-
gezeichneten Referenzen sich von Nichtverst ehern
ausstellen lassen, ist euie allzu billige Befriedigung!
Sind Sie die Düse, die Yvette GuUbert , die Else Leh-
mann! Nun also! Sagen Sie stets: „Ich verehre!^*
sagen Sie niemals: „Ich werde verehrt!" Ein „labiles
Selbstbewußtsein" ist an und für sich „unkünstle-
risch"! Sei, der du bist! Nicht mehr, nicht weniger!
Wenn Sie vom „Russischen Ballett" schwSrmen, von
Nidjinsky, von der Karsawina, von der Nieder-
metzelimg der Haremswächter, von den russischen
Volksmelodien, vm den Damen in den Logen und
den Silberreifen um ihre süßen Lockenköpfe, von
Samthemden in Violett und Grasgrün, die alles ver-
• 65
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bergen wie edel-verschwiegene schwere Portieren —
dann, dann sind Sie Sie selbst ! Eine Aufsaugerin der
Schönheiten der Welt, eine Bereicherte! Aber
wenn Sie von sich selbst sprechen, werden Sie arm-
selig! Eine, die erzählt, man habe ihr ein Almosen
gegeben ; eine Bettlerin an der Brücke, die hinüber-
führt ins MVersoigoogshaus des Lebens^*!
66
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DAS HOTEL-STUBENMÄDCHEN
Sie saß nachts, ganz zerpatscht von Stiegensteigen,
Sorgsamsein für fremde Menschen, Aufmerken auf
fremde Wünsche, in der Portierslpge, zählte einen
Haufen Trinkgelder in ihre Schürze. Ich wußte, daß
sie ein entzückendes dreijähriges Mäderl habe, und
der Gatte war verschollen.
Ich sagte: ,,Woher sind Sie, Marie?!"
„Aus Kärnten/*
„Sie müssen ja die Dorfschönheit gewesen sein
,4^as war ich!*'
„Und alle Jünglinge müssen sich um Sie beworben
haben .**
„Das haben sie getan/*
„Und da haben Sie sich den gerade aussuchen
müssen?!"
„Er mich!"
„Und Sie sind so ruhig, so gesichert
,J>a kann man ioicht aufbegehren. £s ist das
Schicksall"
„Nein, die Dummheit war es, die Borniertheit
— — **
^m^m «i^— »-»^
„Das ist ja unser Schicksal!"
Später sagte sie: „Rühren Sie mich nicht an, es
passt mir nicht. Weshalb streicheln Sie meine Haare ? !
An mir ist nichts mehr zum Streichehi — — — ."
Ich schenkte ihr eine Krone.
„Wofür geben Sie mir das?!"
„Gewesene Dorfschönheit!" erwiderte ich. Da
begaim sie zu weinen.
67
GESPRACH
„Sic, sagen Sie, mein lieber Peter Altenberg, wie
lang sind Sie eigentlich schon da, auf diesem Sem-
mering?!?*'
„Elf Wochen?!"
„So? No, und das können Sie so aushalten, so
ganz ohne Weiber?!?"
,,Nur ohne Weiber! Mit Weibern könnt' ich*s
gar nicht aushalten!"
„Komischer Mensch, was Sic sind!"
„Weshalb komisch?!?"
„No, Sie sind doch der größte Troubadour für die
Weiber, was wir haben heutzutage?!?"
„No, könnt' ich denn ihr größter Troubadour sein,
wenn ich alleweil mit ihnen beisammen wäx'?i?"
C8
BOBBY
Ich habe sowieso nichts mehr zu verlieren, nichts
mehr zu gewinnen, ich stehe vor der „großen Ab-
rechnung" meines Lebens. Jetzt erkläre ich, daß ich
die weiße, hellbraungefleckte echtrassige Foxterrier-
hündin Bobby, mit ihren acht rosigen Brust- und
Bauchwarzen (selbst die edelsten Damen haben nur
deren zwei), für schöner, graziöser, liebenswürdiger,
herzlicher, menschenfreundlicher halte als die meisten
Frauen. Sie erregt nie in mir Eifersuchtsqualen und
Verzweiflung, hat eine unbeschreibliche Freude, wenn
ich nett zu ihr bin, sagt nie bei einer solchen fein-
fühligen Gelegenheit: „Zahl' lieber an Kaviar imd
laß die billigen Faxen Denn erstens
frißt sie Gott sei Dank gar nicht Kaviar, und
zweitens „fliegt sie** grad auf meine „billigen
Faxen", d. h. meine seelische Verehrung, Anerken-
nung und Liebe!
Ich ziehe also Bobby allen Frauen vor, freilich
sage ich das erst öffentlich am Ende meiner soge-
nannten „LiebeslauflDahn", mit einem Wort: nach
meiner Schlacht von Sedan. Bobby hat um mich
geweint, gewinselt, sich gekränkt, den Appetit ver>
loren. Die übrigen Weibchen hatten gerade in meiner
Gesellschaft stets einen riesigen Appetit, während
ich kaum die Absicht hatte, ihnen ein „Kalbsgulasch**
zu bezahlen. Und dann, Bobby hat noch einen großen
Vorteil, sie gehört nämlich gar nicht einmal mir, son-
dern einer reizenden bekannten Dame, der die Für-
sorge für sie obUegt. Ich selbst schmeichle mich nur
bei Bobby ein, um ihre zärüiche Freundschaft zu
«9
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gemefien. Ich will keine Spesen haben, und »»äußerhi^*
führe ich auch nicht. Frauen haben immer irgend-
welche Bedürfnisse! Aber ich bin nicht in der Lage,
sie zu befriedigen . Das nimmt zu viel Kräfte
weg und Zeit! Liebe ohne alle Spesen ist meine letzte
Erkenntnis auf Erden.
70
Digitized by Google
PSYCHOLOGIE
Mich interessiert an einer Frau meine Beziehung
zu ihr, nicht ihre Beziehung zu mirl
*
Daß ich ihr eine exzeptionelle Achat brosche
schenken darf, macht nüch* glücklich, nicht daß sie
es gerührt annimmt!
Ich küsse ihre Haarlocke in meinem Zimmer an-
betend, aber ihre braunroten Haarsträhne mögen im
Winde flattern für alle Welt!
♦
Sie hat Migräne, und ich renne nachts in die
Apotheke. Für mich hat sie Kopfweh, da ich be»
sorgt bin, es ihr zu lindem!
Wenn sie »»Wintersport** treibt, zittere ich um
ihre zarten geliebten Gazellenglieder! Für mich
allein betreibt sie daher „Wintersport"'!
«
Ein Hut, der ihr schlecht steht, macht mich
unglücklich, ein Hut, der ihr zu fesch- kokett steht,
macht mich ebenfalls unglücklich! Für mich al-
lein also trägt sie alle, alle ihre Hüte!
Die Speise, die ihr nicht schmeckt, macht mich
unglücklich, die Speise» die ihr schmeckt, macht
mich glücklich. Für mich, für mich allein daher
ißt sie!
*
71
Der Blick, mit dem sie einen anderen liebens-
würdig anschaut, macht mich , mich allein unglück-
lich! Daher gehört dieser Blick mir, mir, und nicht
ihm, dem eitlen Laffen!
Mir, mir allein gehört alles, was von ihr kommt.
Böses und Gutes, denn ich, ich allein empfinde es!
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VORFRÜHLING
Von den braunroten Dachschindeln riesehi grau-
glänzende Bäche. Man muß diesen harten Winter
wegschwemmen , auflösen. Die Blumen und Gräser
wollen auch schon heraus, nicht nur die genialen .
Sdmeerosen und Eriken, die der Nachwinter nicht
geniert. Aber es gibt diskretere Kräuter, die erst auf
den ernsten „Ruf des Frühlings" Folge leisten und
nicht gewillt sind, mit Schnee und Kälte zu „pak*
tieren**. Das Berg-Schneeglöckchen zum Beispiel,
das Leberblümchen und der Frühlings-Enzian. Die
lassen mit sich kein Geschäft machen; ein paar son-
nige Tage können sie nicht verführen, ihre Pracht
zu ent<en. Sie wollen Numero Sicher gehen, also
eigentlich , .Philister der Blumenwelt". Nicht vor-
zeitig verwelken wollen, ist immer eine Art
von „philiströser Tätigkeit"! Franz Schubert, Hugo
Wölf usw. usw. hatten sie nicht. Leute, die „Eau
de Vichy" trinken statt ,, Enzian-Schnaps", sind
zu verwerfen! Sie legen zuviel Wichtigkeit ihrem
absolut unwichtigen Organismus bei. Ich bin
gewiß für Gesundheit. Aber sie muß auch für
andere wertvoll sein. Die Gesundheit der Wert-
losen ist wertlos! Der „Hypochonder" hat
irrige Ideen vom Werte seiner Erhaltung! Wir
verzichten gerne auf seine Lebenskräfte, die
uns doch nichts bieten können! Ein „reeller
Kranker" ist uns lieber als ein ,, falscher Ge-«
sunder"! Das merkt euch, ihr „Wucherer mit der
Gesundheit**! Früchte, die fallen wollen, soll man
abreißen ! Aber statt dessen laßt man sie oben, und
73
Diyilizeü by GoOgle
sie schreiben fünfaktige Dramen, oder malen« oder
bildhattem, jedenfalls treiben sie irgendeinen schäd-
lichen Unfug!
74
Oigitized by
DAS GLÜCK
Ich erwartete das Glück vergeblich Jahre und Jahre
lang. Endlich kam es und setzte sich zutraulich an
mein Bett. Es hatte gelbbraunen Teint vne die Java-
nerinnen, schmale, lange Hände und Finger, Gazellen-
beine und bewegliche lange Zehen. Ich sagte: „O,
bist du wirklich, wirklich endlich das Glück, das lang
ersehnte, tief entbehrte?!?" — „Ich weide es dir
morgen schreiben, ob ich es wirklich bin oder nicht.
Du wirst selbst urteüen
Am nächsten Morgen fand ich einen ZetJ:el, auf
dem geschrieben stand: „Adieu, auf Nimmerwieder-
sehen .** Ja, es war also wirkUch und wahr-
haftig ,,das Glück'' gewesen!
TS
Digitized by Google
DAS DUELL
Ich, als Outsider** der Gesellschaft, die sich an*
maßend und fälschlich die ,,gute** nennt, begreife
überhaupt naturgemäß nur eine einzige Art, zum
Duell seine Zuflucht za nehmen« Das ist, wenn man
in bezug auf eine Frau in seinem Lebensglücke so sehr
geschädigt wurde, daß man unbedingt zum Mörder
und nachher zum Selbstmörder werden will! Da hat
man im „Duell'' die Chance, den Kerl umzubringen
und nach ««vollendeter Sühne** sogar ganz fröhlich am
Leben ^u bleiben imd zu sagen: „Sixst* es, Annerl,
Mauserl» Herzerl» jetzt wirst net so bald wieder didi
einlassen, einer von die Herren Kavaliere is schon
kalt geworden trotz deinet heißen Liebe!**
76
■ Digitized by
STAMMGÄSTE
Die „Stammgäste" eines Hotels haben eine eigen-
tümliche Art von Sicherheit, die ein wenig an „Grö-
ßenwahn'* erinnert. Sie haben die Ansicht, daß alles
glücklich sei, da0 sie wieder da sind, und daß bisher
in dem gesamten Hotelbetrieb eine Art von empfind-
licher Stockung eingetreten sei, die nun glücklicher-
weise sdiwinden werdet Sie haben eine «»falsche Lie-
benswürdigkeit^* mit dem Bedienxmgspersonal, erkun-
digen sich nicht imgem nach Dingen, die sie nichts anr
gehen. Auch ihre eventuellen „Beschwerden" gegen
die Hotdusancen bringen sie in einem gütig-väterlich-
wohlwollenden Tone an, als wollten sie das ganze
Etablissement vor dem Ruine schützen! In J. war
ein reicher Stammgast, der jeden ,JEingeborenen"
mit der Frage beglückte: „Nun, wie war der Winter
bei Euch heuer?!*' Obzwar ein jeder darauf mit
Freuden geantwortet hatte: ,,Schmecks!", so sagten
doch alle, mit Rücksicht auf Trinkgelder, die niemals
stattfanden: ^»Hei^^ besonders hart, gnä' Herr — .'^
Worauf der Stammgast leutselig erwiderte, daß da-
für der Sommer zur Erholung, nämlich für ihn, diene!
Trotz aller dieser Eigenheiten möchte dennoch
keine Gegend ihre Stammgäste missen, denn sie ge-
hören dazu und machen das Ganze sogar heimlich,
wie die Schwalben, die Störche und anderes stets
wiederkehrendes Getier!
77
Digitized by Google
SANATORIUM FÜR NERVENKRANKE
(aber nicht die» in denen ich mich befand I)
Morgenvisite.
Der Doktor sitzt, wie ein Staatsanwalt ernst
blickend und forschend» an einem riesigen Schreib-
tische.
Der Delinquent (Patient) tritt ein.
»»Bitte, nehmen Sie Platz .**
Pause» in derber Staatsanwalt (Arzt) den Ver-
brecher mustert, ob Paralyse oder Simulation vor-
handen sei .
»»Also» mein lieber Peter Altenberg, ich kenne Sie
nämlich schon seit langem aus Ihren interessanten
Büchern, und erlaube mir daher den konventionellen
Titel „Herr** bei einem berühmten Manne wie Sie
wegzulassen. Ihre Verehrerinnen apropos sollen Sie
ja direkt mit »P. A/ titulieren!? Diese Ehrenab-
kürzung wage ich bisher noch nicht — .
Aber zur Sache! Also, mein lieber Peter Alten-
berg, was werden wir denn zum Frühstück nehmen ? ! ? * '
»,Wir ? I Das weiß ich nicht. Aber idi selbst nehme
Kaifee, hellen Milchkaffee
„Kaffee?! So?! Also Kaffee, hellen Milchkaffee
?!? Also schön» Kaffee !"
»»Ja» bitte» es ist mein gewöhnliches Getränk» an
das ich seit dreißig Jahren gewöhnt bin — .**
„Ganz gut. Aber Sie sind eigentlich hier, um sich
von Ihrer bisherigen Lebensweise» die Ihnen an-
scheinend bisher nicht besonders genützt hat» zu
entwöhnen» vielmehr die nötige Energie zu
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Digitized by Google
akquirieren, solche Veränderungen Ihrer gewohn-
ten, ja vielleicht allzu gewohnten Lebensweise
allmählich wenigstens vorzunehmen!?! Nun, blei-
ben wir also vorläufig beim Milchkaffee. Aber wes-
halb diese dezidierte Aversion gegen Tee?! Man
kann auch Tee mit Milch verdünnt trinken —
?!'
„Ja, aber ich pflege Milchkaffee zu trinken-^
„Haben Sie, Herr Altenberg, einen bestimmten
* Grund, den Genuß von Tee des Morgens für Ihre •
Nerven für unzukömmlich zu halten 71?**
„Ja; weil er mir nicht schmeckt .**
„Aha, das wollte ich eben nur wissen. Also, mein
lieber Herr, was nehmen Sie denn zu Ihrem so
geliebten und anscheinend unentbehrlichen
Müchkaffee dazu?!?" .
„DazuPl Nichts!"
,,Nun, iigend etwas Konsistentes müssen Sie
doch dazu nehmen! Ein leerer Kaffee schmeckt
einem ja gar nicht
„Nein, ich nehme nichts dazu; mir schmeckt nur
ein leerer Milchkaffee — /i*
„Nun, mein sehr geehrter Herr, bei uns geht das
eben nicht. Sie werden mir freundlichst die Kon-
zession machen müssen von zwei Buttersemmeln
*€
„Ich hasse Butter, ich hasse Semmeln, aber noch
mehr hasse ich Buttersemmeln!"
„Nun, diesen Haß werden wir schon noch be-
siegen! Ich habe schon schwierigere Kunst-
stücke fertiggebracht, meüi Lieber. . So,
und jetzt begeben Sie sich stillvergnügt zu Ihrem
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Digitized by Google
Frühstück in der Veranda. Noch eins: Pflegen Sie
nach dem Frühstück auszuruhen?!?''
, Je nachdem
„Je nachdem gibt es nicht. Entweder Sie ruhen
oder Sie machen Bewegung^ —
,,Also dann werde ich ruhen .**
„Nein, dann werden Sie eine halbe Stunde lang
gehen !"
Der Delinquent verläßt wankend das Amtszim-
' mer und begibt sich zum Strafantritte auf die ^
Veranda zum Frühstücke, verschärft durch zwei
Buttersemmeln.
Einige Tage später. Der Staatsanwalt: „Nun,
sehen Sie, mein lieber berühmter Dichter, Ihr Ge-
Sichtsausdruck ist schon em viel freierer, ich möchte
sagen, ein menschlicherer, nicht so präokkupiert von
fixen Ideen . Haben Ihnen die zwei Butter-
semmehl geschadet?! Na also!''
Nem, sie hatten ihm nicht geschadet, denn er
hatte sie täglich im Hülinerhofe verteilt — .
Nach mit tags Visite.
„Herr Peter Altenbeiig möchten sogleich zum
Herrn Direktor kommen
„Setzen Sie sich, bitte.
Ich habe Ihnen den Aikoholgenuß strengstens
untersagt —
„Jawohl, Herr Direktor
„Kennen Sie diese ganze Batterie von leeren
Sliwowitz-Flaschen ? ! ? "
„Jawohl, es sind die meinen — . /*
„Man hat sie heute unter Ihiem Bette aufgefun-
den
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,Ja, wo sollte man sie denn sonst auffinden?!
Ich habe sie ja dort deponiert
»,Wie haben Sie sich das Gift in meiner Anstalt
verschafft?!"
„Ich bestach jemanden. Sein ehrhches Gewissen
ließ es bei zwei Kronen nicht zu. Da offerierte ich
ihm* drei Kronen.^*
„Sie sind also unschuldig an der ganzen Sache,
sondern der ungetreue Diener ist der Schuldige! Ich
werde ihn zur Rechenschaft ziehen» obzwar er bereits
fünfundzwanzig Jahre im Hanse ist nnd er sich,
soweit ich es übersehen konnte, stets einer
tadellosen Konduite erfreut hat
»,Herr Direktor» Sie haben mir doch noch gestern '
gesagt, daß ich in Ihrer Anstalt und durch das regel-
mäßige solide Leben hier mich um zwanzig Jahre
. direkt verjüngt hätte und fast gar nicht mehr wieder-
zuerkennen sei?!?"
„Das sagte ich aus pädagogischen Gründen,
um Ihr Selbstbewußtsein zu stärken
„Herr Direktor, darf ich nur die leeren Sliwowitz-
Flaschen bei Ihnen später abholen lassen?!? Ich
bekomme nämlich für jede sechs Heller retour — w-."
Direktor zu dem unredlichen Angestellten: ,,Sie
Anton» wie konnten Sie sich unterstehen, nach fünf-
undzwanzig tadellosen Dienst jahren» einem Patienten»
und sei es auch ein berühmter Dichter mit Eigen-
heiten, solche Mengen Branntwein gegen Bestechung
zu verschaffen ?!?
»»Aber Herr Direktor» wenn ich das nicht schon
seit Jahren bei hundert Alkoholikern getan hätte,
wäre uns ja ein jeder schon am dritten Tag davon-
f 8i
Digitized by Google
/
gegangen, und wir hätten unsere . Anstalt leer stehen
gehabt!"
„Hun. gut, Anton« aber sorgen Sie wenigstens
dafür von nun an, daß die leeren Flaschen nicht ge-
funden werden
„Herr Direktor, das hat mir der Diener Franz
angetan, aus Rache, weil ich mir soviel nebenbei-ver-
diene —
Direktor zum Diener Franz: f,Sie, Franz, küm-
mern Sie sich usa Ihre eigenen Angelegenheiten! Sie
verdienen genug, indem Sie unsere Alkoholiker mit
unserem H3^terik6rinnen em wenig »anbandeln*
lassen . Ein jeder hat sein Ressort, In einer
Anstalt muß Ordnung herrschen!'"
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DIE ROMANTIKERIN I.
Ich hielt diese Fün&ehnjährige wirklich für ein
Ideal slawischer Schönheit, Stumpfnase natürlich,
aschblondes Haar, hechtgraue oder taubengraue
Augen. Alles an ihr geüel mir« und nichts an ihr miß-
fiel mir. Ihr Schweigen war düster-merkwürdig, ihre
Interesselosigkeit an den Dingen des Lebens erschien
mir wie die versteckte Weisheit eines vorausahnenden«
gleichsam seherischen jungen Geschöpfes« an das
doch heutzutage, wie die Dinge einmal stehen und
liegen, sich in jedem AugenbHck irgendeine Nie-
derträchtigkeit heranschleichen könnte! Aber
vorläufig war sie geborgen« beschützt« geborgen!
Nun, trotz alledem war ich nur ein kühler Beobachter«
den das alles absolut gar nichts anging, und der sich
höchstens einmal zu einem Veilchensträußehen für
60 Heller aufschwang. Ich sagte zwar« es habe eine
Krone gekostet« aber mit gutem Recht« da die Pro-
zente, die mir die Blumenhändlerin als einem Dichter
gab, eine Privatangelegenheit bilden für sämtliche
Beteiligte. Nun« eines Tages bat mich die Süße« ob
sie für ein Stündchen m memem iSunmerchen aus^
ruhen dürfe, während ich auf dem Spaziergang be-
findhch wäre. Ich erlaubte es ihr. Als ich abends
mein Zimmer betrat« lagen« nett angeordnet im Kreise«
sieben Haarnadeln auf der weißen Marmorplatte
meines Nachtkästchens, als stiller Dank für die Be-
herbergung. Seitdem bin ich ein anderer Mensch ge-
worden. Diese kindlich-zarte« spielerisch-nette Ro-
mantik hat mich gerührt. Diese sieben Haarnadeln
sind etwas Positives von ihr« sie befanden sich vordem
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in ihren aschblonden seidenweichen Haaren. Ich
empfand es als eine kolossale Belohnung, ich bewahrte
die Haarnadeln in Seidenpapier nnd schrieb das
Datum darauf. Ich nehme sie oft heraus und be-
trachte sie. Ich bin kein objektiver Beurteiler mehr
seitdem. Ich denke immer» wie nett sie diese sieben
Haarnadeln im Kreise angeordnist hatte, wie eine
Zeichnimg für Anfänger, strahlender Stern. Ich
werde mich schon wieder „zur Objektivität** durch-
ringen, denn es ist das Einzige« was man hat« wenn
man gar nichts hatl
t
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ERBLEICHETI ERRÖTETI
Ich kann es immer nur wiederholen und wieder-
holen: t*Suchet Zugluft auf!" £s gibt eine ganz ein«
fache Art für reiche Leute, 150 Jahre alt zu werden,
das ist, neben dem Chauffeur, bei jeglichem Wetter,
mit freiem Halse und ohne Hut durch die Welt zu
fahren, und nur nachts in ruhigen Zimmern, bd
weit geöffneten Fenstern, zu rasten. Zugluft ist
das Heilmittel! Alles daran zu setzen, sie vertra-
ge n zu können, ist das Wesen des modernen „Höchst-
kultivierten'M Angst vor Rheumatismus oder Bron-
chialkatarrh ist das absolut untrügliche Zeichen
eines tief rückständigen unaristokratischen Or-
ganismus! Da helfen weder Ahnen, noch sogenannte
künstlerische Qualitäten! Der betreffende Or*
ganismus ist in jeglicher Beziehung ,,geschnapst^^
Ein Sänger, der seinen Kragen hochstellt, ist kein
Sänger. Seine Kunst kann ihn in jedem Augenblick
im Stiche lassen! Regen, Sturm müssen dem echten
Sänger Labsal, ja Erquickung sein! Er setze sich auf
dem herrlichen Plateau der Rax tagelang dem Ge-
brause aus! Was die Legföhre aushält und das Rho-
dodendron, gerade eben dasselbe muß auch er aus-
halten! Abgehartete Frauen sind bereits dadurch
allein schon in einer , »höheren Rangsklasse" ! Ver-
wöhnte sind Gänse »injedeiBeziehung! Ich kenne
alle Seelen und Gehirne der nicht absolut abgehärteten
Menschen. Es ist Talmi und Pofel! Schein-
Existenzen!
«5
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OSTERMONTAG AUF DEM SEMMERING
Die Larchenbäume haben sich jedenfalls noch
nicht verändert. Sie sind gelb-grau geblieben wie im
Winter. . Sie lassen keine Hoffnung zu. Bis alles ge-
schehen sein wird, der geordnete sichere Frühling,
dann erst werden sie emstlich ,»ergrünen*'* Sie sind
,,voraussichtige Genies** unter den Gewachsen, so
Bismarcks, Moltkes der Pflanzenwelt. Andere sind
allzu hoffnungsvoll, stecken den Kopf heraus, glau-
ben, es wird sich schon machen, zum Teufel!, und,
hast du nicht gesehen, sie verwelken! Aber die Lär-
chenbäume sagen: ,,Wenn wir einmal anfangen, grün
zu werden, dann, dann gibt es kein Zurück mehr,
verstanden ? 1 Und dann bis in den Spätherbst hinein,
hurra!" Der rote Vogelbcerbaum macht etwas Ähn-
liches, erhält sich sogar mit weißen Schneehütchen
seine grellroten Vogelbeeren, die letzte Nahrungs-
stätte der gedrungenen farbigen Gimpel!
Ostermontag. Ein Arbeiter spielt auf der Harmo-
nika, und eine Frau ruft: ,,Zum Essen!" Irgend
etwas Besonderes gibt es heute, etwas, was die „ge-
wöhnlichen Ausgaben" übersteigt! Romantik des
Feiertagsessens! So hatten wfar in unserer Kindheit
Sonntags stets ,,Juliennesuppe*', Poulard mit Erd-
äpfelsalat, imd Karamelpudding mit Himbeersaft.
Der Himbeersaft war nie gewässert, verdünnt, wie
stets in anderen Bürgerhäusern; denn meine Mama
hatte die Absicht, eine jede Hausfrau zu demütigen,
zu blamieren, indem sie erklärte, in ihrem Hause
wer4e der Himbeersaft, direkt aus der Origmal-
flasche, unverdünnt serviert ! Viele Damen hielten
Digltized by
sie infolgedessen für verschwenderisch, ja sogar in
gewisser Hinsicht für exzentrisch. Andere aber be-
wunderten sie als eine Art von zwar unverständlichem,
aber dennoch höherem Wesen; Himbeersaft direkt
ans der Originalflasche!?
Vor meinem Fenster ist ein Reh in einem Holz-
verschlage. Es ist so ein Plakat für „Wildreichtum
der umliegenden Waldungen"! £s schnup^fert wie
. eine Ziege, es denkt : „Die Freiheit habe ich eingebüßt,
da will ich wenigstens kulinarisch genießen!"
Im „Kino" schießt ein kleiner Knabe alles aus
einer Von einem Onkel geschenkten Büchse zusam-
men. Zuletzt schießt er den schweren Lüster vom
Plafond herunter. Da sagte ein dreijähriges Mäderl
neben mir: „Ist der Lüster jetzt gestorben ? !" „Nein,"
erwiderte ich, „er hat sich nur ein bißchen weh
getan!"
Es ist Ostermontag. Ein jeder glaubt es zu spüren
direkt, weil er es nach dem Kalender weiß! Morgen,
9« April, ist ihr zwölQähriger Geburtstag. Aber ich v
darf ihr nicht gratulieren; erstens, weil die Herren
Eltern es nicht erlauben, zweitens, weil ich weder
ihren Namen noch ihre Adresse weiß! Aber ich habe
sie gehen gesehen, das genügt für meinen Turm-
falkenbliclc! Ich würde ihr schreiben: „Dante
Alighieris Beatrice, 1912"! Aber wozu?! Bin ich
Dante?! Nach 500 Jahren soll man sie mit mir in
Beziehung bringen! Siehe, meine Seele hat Zeit,
über ihren eigenen Tod hinaus zu warten! —
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BERGHOTEL-FRONT
Sechs Uhrmorgens. Ein nebeliger Julimoigen. Alles
duftet nach feuchtigkeitsduichsogenem Waldboden.
Alle Fenster sind geschlossen, bis auf die der jungen
Schönheit, die vor den Toren der Lungentuberkulose
angelangt ist. An diesem Fenster hängt« vom gestri-
^ gen Abendprunke, ein tiefblau seidenes Gewand,
bewegt sich im Morgenwinde. Irgendwo singt eine
Kinderfrau ein Kindchen wieder in den unterbroche-
nen Moigenschlaf ein. Ein Hund kriecht vorüber, als
käme er von einer Sündennacht außer Hause. Ich
denke: „Klara, Franziska, Sonja **, und be-
lausche ihre geliebten Kinderatemzüge, die ich nicht
hörel
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LANDPARTIE
Ich bin ».radikal** geworden. Ich mache mit einer
mir sympathischen Dame eine Eisenbahnfahrt von
2$ Minuten nach M. Wenn sie nicht am Fenster lehnt
und in die Landschaft hinansstarrt, bin ich bereits
enttäuscht, nidit mehr ganz mon aise**. Sie er-
wartet also „anregende Konversation*', pfui! Wenn
sie sagt: „Es zieht, machen Sie, bitte, das vis-a-vis-
Feoster zu**, bin ich mit ihr fertig. Rheumatismus
zieht nicht bei mir, das ist schlechtrassig, so 1870, zur
Krachzeit. Wenn ich ihr in M. das herzigepbrausende,
dunkle Flüßchen zeige, muß sie entzückt sein, ja sie
muß, sie muß, sie muß ! Wenn ich ihr den Frieden der
langen Dorfstrafie zeige, muB sie selbst „friedevoll**
werden ! Wenn ich ihr das niedere, schneeweiße Haus
zeige mit den schwarzen Eisengittem und den vergol-
deten Schleifen und sage: ,,Hier hatten die Generäle
Napoleonsdes Ersten Quartier!**, somußesihrwiehei-
liger Schauer über ihren rosigen Rücken laufen! Bil-
liger gebe ich es nicht. Es sind schlechte Zeiten ange-
brochen ffir wirklich zarte Seelen, und daher muß man
prüfen, ehe man ewig Landpartien macht! Wenn sie
in dem kleinen, traulichen Dorf-Kaffeehaus ihren Tee
selbst bezahlt, ist es gut. Wenn nicht, ist es be-
denklich. Wenn sie den Sonnenunteigang nicht be-
achtet, sondern lieber von einem erzählt, der sie einst
sehr, sehr geliebt hat, ist es vollkommen verfehlt.
Auch der Rauch der Lokomotiven sogar hat sie zu
interessieren. Wenn sie sagt: „Ich möchte nicht gar
zu spät nach Hause konmien", so ist es falsch. Mit
mir kommt man immer zu Irühi und nie zu spät
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nach Hause. Auf der Rückfahrt hat sie eine andere
zu^in wie auf der Hinfahrt! Wie sie das macht, ist
ihre Sache! In dem „langen. Tunnel'' hat nichts zu
geschehen! Aher sie hat es innerlich zu bedauern»
daß es so war! Ich bin „radikal** geworden. Eine
Fahrt von 25 Minuten; Aufenthalt; retour — und ich
weiß allesl
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PSYCHOLOGIE
Ich beurteile schon seit längerer Zeit die Menschen
nach den Gegenständen, die sie tragen, lieb haben
und für hübsch finden. Das ist ein ,,biogiafical
essay" über ihr eigenes Wesen! Zum Beispiel sind
mir Männer höchst suspekt, die Stöcke tragen mit
oxydierten Silbergriffen, die irgend etwas vorstellen,
wie Hundekopf» Schlange oder gar ein reizendes
Frauenköpfchen mit Lockengewirr. Freilich haben die
Kerls dann die Ausrede, sie hätten es von einem lieben
Freund geschenkt erhalten; aber erstens hat man
keine solchen geschmacklosen Freunde eben nicht zu
haben (zwei Verneinungen geben leider eine Beja-
ung), und zweitens kann man das Geschenk einem
guten Freund auch über den Schädel hauen. Über-
haupt bin ich unter kultiviertjen Menschen nur
für „Bons^* in einem bestimmten Geschäft! Suspekt
ist mir auch rosa, hellblaue und grellrote Seide,
während Atlas, Samt oder Damast bereits zu den
»«leichten Vergehen wider die Sittlichkeit"' zu zählen
sind. Bedruckte, nicht gewebte Krawatten, ierregen
ziemliches Bedenken, obzwar hier die „Natur-Bauern-
muster" noch zu pardonnieren sind. In »«einer
einzigen Farbe'* gekleidet sein« vom Hut bis zu den
Schuhen, ist „letzte Aristokratie" 1913! Schirme
haben nur Naturgriffe zu haben. Ein freier
Hais ist edelrassig. Hohe Kragen sind ein Non-
sens« außer für Störche. In einem Kleidungsstücke
nicht sämtliche Bewegungen eines erstklassigen
Parterreakrobaten im „Apollotheater" machen zu
können« ist schlechtrassigi Hosen könnien nie
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breit genug sein, und sind immer noch viel zu eng!
Letzte Knöpfe am Gilet offen zu lassen, ist eine
miserable Vergeßlichkeit. Jemandenif der sagt» er
wolle nicht auffallen, dem erwidere ich, daß auch
Beethovens Adagios auffallend waren, nämlich auf-
fallend schön! »»Die Herde ist das, wovon man
sich in allem zu unterscheiden hat!" »»Man trägt
jetzt ** ist ein hundsordinärer Blödsinn.
„Guten Morgen, mein Herr, wie steht Ihr wertes
Befinden?!'' sagte ich zu einem Fremden, der auf
dem »»Semmeringer Hochweg** mit Zylinder spa-
zieren ging.
„O sehr gut, in dieser herrlichen Gebirgswelt;
aber woher kennen Sie mich denn?!*'
»»Ich kenne Sie seit Ihrer Geburt wie meine eigene
Tasche» da ich sehe» daß Sie hier einen Zylinder
tragen "
»»Ich bin 4as meiner Stellung in der Welt schuldig»
mein Herr
„Auch das habe ich sogleich bemerkt» daß Sie
irgend jemandem irgend etwas schuldig sind 1
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s
VOR-VORFRÜHLING
tt. Februar. Semmering. Ich versuchte es, nach
drei Wochen Krankheit auszugehen. Alles schwamm
in Nebel und Nässe. Die Rodelwege waren nicht mehr
vorhanden» ein grauer Schlamm mit ein wenig Glatt«
eis waren an ihrer Stelle. Alles war schmutzig, un-
gepflegt, bereitete sich vor für sonnige Frühlingstage,
die trocknen, fegen und beleben sollten, vor allem
aber mit der Winterwirtschaft ein Ende machen.
Denn weshalb noch hinziehen, was ohnedies vergehen
soll?! Um jedes Gebüsch herum waren tiefe Schnee-
löcher« die Dächer trieften vor glänzender Nässe,
ebenso die eisernen Straßengeländer. Schneerosen-
Imospen wuchsen überall, man stellte sie in GeföSe,
aber sie erblühten nicht, aus irgendeinem versteckten
Grund. Man bedauerte die Vögel nicht mehr« Krähen
und Gimpel, obzwar sie jetzt ebensowenig zu fressen
hatten wie im starren Winter. Die, die das überstehen
hatten können, würden auch das noch überstehen.
„Ein miserables Wetter'^ sagen alle, obzwar es in
seiner Miserabiität gerade rührend schön ist. Die
Menschen ziehen sich zurück, wie vor einem Menschen,
der nicht mehr „sein Bestes** leistet. Es ist nicht
Fisch, nicht Fleisch, sagen sie.einfach. Nein, aber es
ist rührendes Patschwetter. Ich finde es nicht,
daß es weniger anziehend ist als der starre Winter und
der helle, klingende Frühling. Der zerrinnendß Schnee
ergreift mich. Er war einst so herrschsüchtig, so un*
erbittlich, so zäh-fest. Die „Champions** liebten ihn»
nun sind sie von ihm abgefallen. Sie können ihre
überschüssigen Lebenskräfte nicht mehr an ihm .er-
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proben, schwächlich geworden, sucht er, gleichsam
verlegen, in Bächlein abzurinnen, zu verschwinden.
Und man hatte ihn doch so sehr geliebt, direkt ver-
hätschelt, als er noch brauchbar war. Jetzt konnte
man singen:
„Schnee, du wirst grau und schmutzig — — —
was ist mit dir?!
Zu nichts mehr bist du nütze ,
Willst du vielleicht sogar meinem geüebten Kinde
einen Schnupfen bringen?!?
Du Schnee, dann, dami mag ich dich auch nicht
mehr, verschwindet"
Und im Gelände werden bald Primeln und Veil-
chen stehn, ■
und ich werde sie pflücken und sie dir nicht geben,
das heißt äußerlich, vor den Menschen. Aber vor
Gottl
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GEDENKBLATT
Es ist merkwürdig in meinem Leben. Immer das«
selbe. Als ob ich nicht älter, nicht reifer würde. Und
ich bin doch schon uralt und todeskrank. In meinem
35. Lebensjahr» an meinem heißgeliebten Gmundener
See« schlössen sich zwei Kinder, von 9 und zi Jahren,
mit ihren zarten Seelen leidenschaftlich an mich an.
Dadurch entstand meine überhaupt erste Skizze, die
ich. je geschrieben habe, in der Nacht nach dem Ab-
schied der Kinder von mir, „9 und 11". Eines Abends
erklärte die 9 jährige unter Tränen, indem sie das
Nachtessen verweigerte, sie würde nichts mehr essen,
bis ich nicht zu ihnen ins Haus 2öge. Daraufhin
schrieb nur der Vater, er verbitte sich von nun an
jeglichen mündlichen und brieflichen Verkelir, ja
sogar den Gruß auf der Straße, da er meinetwegen
doch nicht auswandern wolle. Und so geschah es,
strikte nach seinem Befehl. Acht Jahre später er-
schien nach einer Burgtheaterpremiere der Vater mit
seinen, zu herrlichen Geschöpfen erblühten Töchtern
an meinem Stammtisch im „Löwenbräu**. „Ich
komme zu Ihnen, denn mein Töchterchen A. hat sich
gerade so, von selbst, entwickelt, als ob Sie wirkhch,
ihrem heißen Wunsch gemäß, damals zu uns gezogen
wären; eine weltenferne Träumerin!"
Drei Tage später traf sie in der Kärntnerstraße,
bei „Schwarz und Steiner", der Gehirnschlag. Sie
hatte gerade vorher gesagt: „Da geht mein Loge-
Sänger „Schmedes**, mit seinem gazellenfüßigen,
herrlichen Töchterchen . . . !" Sie wankte und war tot.
Ich fuhr mit den Eltern im Trauerwagen.
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Da sagte der weinende Vater, der nun auch schon
tot ist: „Weim ich das hätte ahnen können, hätten
Sie vor acht Jahren unbedingt za uns ziehen
müssen !"
„Nein", erwiderte ich, ,,auch wenn Sie das hätten
ahnen können, wäre Ihnen eine tote Tochter Ueber
gewesen als eine, die den Dichter verehrtr
I««
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OBERFLÄCHLICHER VERKEHR
Ein Herr, den ich zehn^ Jahie lang nicht gesehen
hatte, kam im Berghotel per Automobil an nnd sagte
zu mir: „Gut, daß ich gerade Sie hier begrüßen kann.
Sie kennen sich doch auf dem Semmering gewiß gut
aus. WoisthierderRaseurPl'' — ^»Gleich im Hause
daneben", erwiderte ich. — „Ich vnißte es ja," sagte
er beglückt, ,,daß ich mich an die richtige Adresse
gewendet habe; adieu
Ein Herr schreibt mir aus Prag: „Teurer verehrter
Hebter, in Ihrem Buche „Prodromos" ist ein eng-
lischer Reibhandschuh angepriesen. Kann ihn in
ganz Prag nicht finden. Bitte auch ugi genaue Angabe
des Preises!" Ich schrieb zurück: ,3üisten sind nur
in Eisenhandlungen zu finden, Preis i Krone und
IG DOC, je nach der Qualität!"
Eine Dame, die mir ausnehmend gut gefiel, sagte
mir: ,Jch habe ein diskretes Anliegen an Sie. Können
Sie mich nicht mit Ihrem reizenden Fi eundL bekannt
machen?!" — „Nein!" erwiderte ich schlagfertig.
Ein Herr aus Berlin schrieb mir: „Wie lange
wollen Sie noch uns Leser mit Ihren Brocken von
angeblicher Seelentiefe anöden?!" Ich erwiderte,
ich sei zwar schon ziemlich abbröckelnd, aber den
genauen Zeitpunkt des definitiven Endes könne
ich nicht angeben, er tnbge sich noch ein wenig ge-
dulden .
Jemand fragte mich, wo denn eigentlich meine
Bücher zu haben seien ? ! Worauf ich erwiderte : „Ich
glaube, der Bäckermeister oder der Schuster dürfte
noch einige Exemplare auf Lager haben ."
r 97
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Jemand schrieb mir aus Klein-Höflein, wo ich
nie gewesen war und auch niemanden kenne:
,,Falls Sie nicht innerhalb acht Tagen Ihre Schuld von
II Kronen 60 Heller bezahlen, werde ich die Sache
meinem Advokaten übergeben!" Infolgedessen be-
zahlte ich II Kronen 60 Heller nach Klein-Höüein.
Wenn ich nur wüßte, wo dieser Ort liegt?!
Jemand sagte zu mir: „Ah, Sie sind der berühmte
Herr Paul Altenberger, über den so viele gute Witze
kursieren?!" Ich sagte, ich hätte noch andere Quali-
täten, und entfernte mich hoheitsvoll-gelassen.
Eine junge Dame sagte zu mir: „Einmal und nicht
wieder!" Ich hatte sie nämlich ihr Nachtmahl selbst
bezahlen lassen. Freihch hatte ich die vergebliche
Hoffnung gehabt, sie würde auch meines gleich mit-
bezahlen .
Eine reiche FamiUe, der ich es mitteilte, daß
heute, 9. März, mein Geburtstag sei, sagte im Chore,
daß man es mir wirküch gar nicht ansehe, ich schaute
aus wie ein guterhaltener Fünfziger. Mir wäre es
lieber gewesen, ich hätte .den „Fünfziger" gut er-
halten!
Das sind lauter oberflächliche Bekanntschaften,
nichts Solides dahinter, kein Gemüt und kern Geld.
Es ist sehr, sehr schwer, Menschen zu finden, die sich
wirküch und emsthch an einen anschüeßen .
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BEAUTE
So wenig also hältst du von der Schönheit
deines nackten weißen oder braunen Edelleibes, daß
du dich verpflichtet fühlest, ihn zu schmücken, sagen
wir ,, behängen" und „belasten" mit hundert Edel-
fellchen wertvoller Tierchen?!
Stolz nennst du die Summe, die es gekostet
hat — — — •
Erhöht es deinen Wert, daß man für dich be-
zahlte?!
Du weißt, die Besten gehen in geflickten Kit-
teln,
ihr Pelz ist Demut und Bescheidenheit.
Oder sie tragen das heilig-einfache Gewand
der Pfl^eschwestem.
Schwarz weiß und eine große Brosche in Email
mit einem Kreuz,
zierten euch mehr!
Von innen strahlt der Wert nach außen aus,
mit Mardermänteln bleibst du roh und nichtig!
Ich hasse jene Männer, die euch Heben«
in eurem stinkenden Prunke l
Nein, ich hass' sie nicht,
denn ihre Liebe ist derselbe Schein wie Eure
Fetzen,
sie heben nicht sie hassen und ver-
achten Euch
vielleicht noch mehr, berechtigter als ich!!!
Jedoch, sie müssen!
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DIE SPIELEREIEN DER REICHEN
LEUTE
In einem ersten „Cerde^* der Residenz kam man
auf die Idee, einen Preis von lo Flaschen Champagner
auszuschreiben für die allerstupideste Frage. Ein
Graf gewaim den Preis mit der Frage: «»Comment un
homme de tacte et de goüt doit-il se comporter,
lorsqu'il rencontre la nuit dans une foret un accent
circonflexe?!**
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RICHTIGE, ABER EBEN DESHALB
WERTLOSE BETRACHTUNGEN
Es ist eigentlich ganz widersinnig» auf eine Frau
eifersüchtig zu sein» die einem noch gar keine Kon-
zessionen gemacht hat. Denn je mehr Konzessionen
sie den anderen macht, desto größer ist die
Chance, daß sie einem dieselben mache, und even-
tuell noch größerei £s ist die falsche ewige Hoff-
nung, sie für sich allein erlangen zu können! Aber
das kann man nicht. Denn es hängt nicht von dem
ab, was sie gewähren, oder nicht gewähren will,
sondern von der ewigen Reizung ihres Nervensystems,
daß tausend Männer das und das von ihr sich er-
sehnen! Das allein läßt sie nicht „zur Treue"
konmien. Es wäre denn, daß man alle anderen über-
biete! Aber solche „Coups'* gelingen selten auf der
Lebensbörse!
t
«
zox
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DIE PROBE
Es gibt eine sichere Probe für Sjnnpathie. Ich denke
mir alle schonen Mädchen hier in dem Berghotel» die
mir gefallen, der Reihe nach quer über eine breite
weiße Landstraße aufgestellt. Plötzlich rast von einer
scharfen Kurve her ein riesiges Automobil. Welche
wirst du instinktiv zurückreißen, erretten?!? Von
allen nur Klara, Franziska und die blonde zsjährige
süße Ungarin l
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EREIGNIS .
Am 24. Juli haben sie die Bergwiesen ge-
mäht
hingeschnitten die diskreten Farben eines alten
Perserteppichs
die Duft«Symphonien abgebrochen unserer ,,mu-
sikalischen Nasen^M Wie ein Kapellmeister ,,ab-
klopft".
Frischer einfacher Heuduft wurde sogleich, und
schon ahnte man feiste Kühe mit den Stampfmühlen
ihrer feuchten Mäuler für die rosigen Euter es vor-
bereiten!
Wie Ur kraftrausch wäret ihr, Bergwiesen, bis
zum 24. Juli.
Es dröhnte von Hummeln ; es schimmerte braun-
wolkig, distellila, schafgarbenweiß, königskerzen-
gelb, amikagold; es roch wie „Menagerie", ,,Apo-
theke"; wie Bienenhonig schmeckt, so roch es im
vorhinein.
Es betäubte süß und belebte.
Es vermittelte: sanft einschlummern, frisch er-
wachen 1
Nun ist es nicht mehr.
Z03
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ENDE
Vom 17. September 1911 bis 19. Oktober 1912
war sie seine kleine Heilige. Sie war geboren 9. AprU
1900.
Dann erzählte ihr eine Dame der sogenannten
f^ten Gesellschaft'^ daß er ein Säufer sei, und schon
zwei Jahre im Irrenhaus interniert gewesen sei.
Hatte er sie seitdem weniger lieb?! Das war ja
unmöglich.
Aber sie schämte sich seitdem seiner Vereh-
rung .
Die Liebe eines besoffenen Tollhäuslers?! Pfui
Teufel!
Da wollte er ihr das ersparen, und mied sie von
nun an.
Hie und da hörte er in den Korridoren des Hotels
ihre gehebte jauchzende Kinderstimme.
Da schloß er denn die beiden Türen seines Zim-
mers und warf sich, in unmeßlichen körperlichen und
seelischen Qualen, auf sein Sofa hin.
So endete eines seiner schönsten, seiner tiefsten
Lebensgedichte, das viel Leid, viel Begeisterung
und viel, viel Liebe in sich ein Jahr lang geborgen
hatte!
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NACH ABWÄRTS
Niemand beschrieb noch körperliche Qualen — —
.•weißt dvL, wie Brandwunden sind am zarten Fin-
gerballen?! So brennt es dir im ganzen Leibe,
und keine Linderung durch angelegtes Leinöl;
es brennt Tag und Nacht.
\^e eine mittelalterliche Folter, der du unter-
liegst; die Folterknechte aber sind im Innern; und
unsichtbar ereignet sich das Schreckliche,
Scheinbar friedlich sitzest du in deinem 2&nmier-
chen,
und draußen ist der braune Bergwald.
£r kann dir nicht mehr helfen» er, der dir ^st
half 2U den Begeisterungen» dem besten Mittel» jung -
und stark zu sein!
Und nachmittags irr' ich in den langen, schmalen,
düsteren Korridoren»
das Antlitz meiner kleinen Heiligen zu sdm.
Werai ich sie erschaue, ergreift mich der Gram.
,,Wie geht es Ihnen heute?!" sagt sie sanft, und
bhckt erstaunt auf diese menschUche Ruine» die ihr
fast tägUch tiefe Hymnen singt •
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ABSCHIED
Mein geliebter Pinkenkogel, hart an meinem
Fenster aufsteigend, •
ich sage dir Adieu!
Ich muß nun wieder ins Exil hinter vier Mauern ;
die Menschen wollen ,4angsam Sterbende*^ nicht
sehn. Und diese wieder nicht die Menschen!
Dazu sind diese ,, Institute" da, daß nur der weite
Park die Klagen höre.
Der «»Pfleger'' sieht die Träne ungerührt. Wo
kam' er hin, wenn er sich rühren ließe?!
Geliebter Pinkenkogel, lebewohl ,
Und sag' auch ihr
wie liebt sie deine Bäume und deine Pfade auf-
wärts zu der Alm
und sag' auch ihr
nein, sag' ihr nichts!
Sie weiß, daß unter allen Abschiedstränen
(die qualvollste für sie vergossen ist — — — .
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KRANKEN-TOILETTE
Wenn die Anverwandten zu Besuch kommen,
wird der Kranke ,,herausstaffiert". Das geschieht
nicht etwa aus irgendeinem Versuche» die Verwandten
über den Zustand des Kranken irrezuführen, sondern
aus einem ganz einfachen Grunde: Man läßt den
Kranken eben solange als möglich in seinem ihm not-
wendigen, ja zuträglichen Zustande von Apathie.
Man zwingt ihn zu nichts, wartet es geduldig ab, bis
er von selbst wieder zum gewöhnlichen Leben er-
wache. Aber gerade den Anverwandten darf man
diesen Zustand von organischer und infolgedessen
nützlicher Apathie des Kranken nicht vor Augen füh-
ren. Denn hierin ersehen sie nur eine traurige Stag-
nation des Leidens, was ihnen in Anbetracht ihrer
Sorge und ihrer eventuellen Geldopfer, auch Zeit ist
Geld, sagt der Engländer, nicht erwünscht sein kann.
Auch erhofft sich der Pfleger ein größeres Trinkgeld,
falls der Patient den Eindruck von „rücksichtsvoll-
ster Pflege'' macht. Das ist doch ganz natürlich und
selbstverständlich. Es ihm zu verübehi, wäre albern.
Infolgedessen wird der apathische Kranke aus seiner
wohltuenden Ruhe plötzlich aufgescheucht, gesäu-
bert, rasiert und ninunt sich in seinem frisch über-
zogenen Bette aus, wie' ein krankes Geburtstagskind.
Alle Besucher sind einig darüber, daß er sich fabel-
haft erholt habe, und schauen voll Bewmiderung und
Rührung einmal auf den bescheidenen Arzt, und ein-
mal auf den stolzen Pfleger. Nach dem Besuchtage
verfällt der Kranke wieder. Gesundheit, Lebens-
fähigkeit, Energie hängen leider nicht von Besuchs-
J07
Digitized
tagen ab der Anverwandten. Man schleppt sich hin,
eine zerbrochene Maschine, und eines Tages steht
man auf und ist gesund. Oder man steht
nicht mehr auf. Dann ist auch wieder Besuchstag.
Man ist gewaschen, rasiert, liegt in einem frisch über-
zogenen Bette wie ein Geburtstagskind, aber wie ein
totes.. Nein, das sind Utopien. Bei Nacht wird man
insgeheim weggeführt, denn niemand in der Anstalt
soll wissen, daß „etwas sich ereignet" hat, was keine
Hoiüiung zuläßt .
jq5
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KUSINE
lüt sa Jahren stünte meine Kusine ab vom See-
kofel, beim Blumenpflücken.
Mt i6 erhielt sie ihr erstes Ballkleid von „Maison
Marisson**«
,»Sie muß die Schönste sein!'* sagte die Direktrice
des Ateliers zuversichtlich.
Zum ersten Male dichte Rüschen in gelbem
Musselin, Bis dahin trug man nur weiße Ballkleider.
Sie war die Schönste. Sie err^e Neid. Sie
C^ubte» ein Prinz werde kommen oder etwas Ahn-
liches, z. B. ein Bankdirektor. Was hätte sie anderes
sich erträumen können, in gelben Musselin-Rüschen
von der ,,Marisson"» und entouriert von allen?!
Zum Souper meldeten sich 14 Herren.
„Ich hab' nur eine rechte Seite und eine linke",
sagte sie glückstrahlend.
Mit 52 Jahren stürzte sie vom Seekofel ab, beim
Blumenpflücken.
Was sie erlebt, von 16 bis 52, ich weiß es nicht.
Ich kenne nur ihren ersten Jriumph und ihren letzten
Absturz . Dazwischen diufte so eine Me-
lange gewesen sein von beiden!
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LIED
Was nützt des Herbstes braune Symphonie?!
Ich bin zu krank.
Sonst sah ich alles mit dem Blick der Liebe, dem
Bücke einer namenlosen Zärthchkeit.
Ich wußte wie die Buche sich verfärbt im frühen
Froste,
xmd wie ihre Röte allmählich erbräunt.
Die Amsel raschelte im dürren Laub« die schwarze
Schnecke zog über die Wege.
Du sagtest mir, holdestes Kind, du müßtest nun
in ein Institut, für 2, 3 Jahre .
Ja« es ist Herbst geworden« und ich bin zu krank«
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ECHT
Ich bin sehr skeptisch in bezug auf Empfin-
dungen. Festliche Stimmting bei Geburtstagsjausen»
bedenkliche Gesichter bei schweren Krankheitsfällen
können mir noch lange nicht imponieren. Ich kenne
diese «»Rolle" wohlerzogener Leute. Darüber mehr
za sagen» wäre eine Banalität, obzwar auch dieses
wenige schon eine beträchtliche ist. Aber eine
Empfindung gibt es, die nicht unecht ist, das ist
das klägUche Aufheulen, ähnlich wie Hunde beim
Klavierspielen, der allernächsten Angehörigen, in
dem Augenblicke, da der Sarg aus dem Schlafzimmer
hinausgetragen wird. Da gibt es kein Schluchzen,
kein adieu, kein Lebewohl, kein oh und kein ach.
Da gibt es nur ein klägliches erschreckendes Auf-
heulen, ein Winseln, wie wenn man den liebevollen
Hund aussperrt, ihm die Türe vor der Nase zuschlägt.
Freilich „der^gt'' man sich sogleich wieder» von
den „nicht allernächsten" Verwandten liebevoll ge-
stützt, und wankt zu Hut, Handschuhen und Schirm.
Der Leichenwagen wartet nänüich.
Aber dieser eine kurze Augenblick ist echt, da
der Tote sein Schlafzimmer verläßt, getragen von
vier fremden Männern. Da sagt man nämlich wirk-
lich Adieu und heult auf, und winselt und spürt es
daß eigentlich alles» alles auf der Welt nicht dafür-
steht •
III
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GESPRÄCH
„Wie ist das also, Peter, mit dem ^GebenS wie
Sie immer behaupten, das seliger sein soll als das
»Nehmen'?! Wie ist das ?!"
,,Das ist also so : wenn du an einem Bettler vorbei-
gehest, und du bist nur erfüllt, gehoben, durchwärmt
von dem Gefühle, eine exzeptionelle Freude jemandem
bereiten zu wollen, die in deiner Macht steht, sie zu
spenden, und du schenkst ihm da eine Krone, während
er dich ansieht, anstarrt, als hättest du dich nur in
der Münzsorte vezgriffen, du aber gehest, ihm zu-
nickend, hinweg das ist: Geben ist seliger
denn nehmen! Wenn du aber denkst: „Pfui, diese
Belästigung! Dieser alte zerfetzte, demütige Hundl'*
Und du gibst ihm dennoch 20 Heller, so hochnäsig-
widerwillig, dann, dann ist: Geben unseliger denn
nehmen!"
„Peter, also da hast du 20 Hellerl Nein,
ich habe nur Spaß gemacht. Ich will dir eine Krone
schenken, hole sie dir heute nacht von meinem Nacht-
kastchen ab
zia
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BILANZ
Es gibt Dinge, die unvergeßlich sind. Mit
diesen hat man seine Seele zu beschäftigen und
alle anderen Dinge zurücktreten, verblassen, ver-
schwinden, also aUmahlich absterben zu lassen,
IbiveigeBlich ist das Vdslauer laue Schwimmbas-
sin mit Lindengenich. .Dann der „Lackaboden**,
Alm vor dem Schneeberg; die Bodenwiese mit den
Kolroserln; Austern ä discr6tion, also sechs Dutzend;
die kleine ,,VeOchenfeld*S die kleine Magda S.,
Evelyn H., Klara imd Frantzi P. und Eva Leo-
pold und Sonja Dunjersky. Dann Richard Wagner,
Beethoven, Mozart, Bach, Grieg, Hugo Wolf, Ri-
chaid Strauß, Johannes Brahms, Puccini, Massenet.
Dann die „Topfen -Pastete" und „Filet de Sole
4 la Momy" und „Poires bonne femme" imd
„pommes conderge". Dann „Hamsun'*, „Strind-
berg", „Maeterlinck", „Gerhart Hauptmann". Dann
„Van Dyck" als „Des Grieux" in „Manon", „Ma-
ria Renard" als „Lotte" in „Werther", „Her-
mann Winkelmann**, in allen seinen Rollen. Dann
der „Semmering", zu allen Jahreszeiten. Man
muß „Buch führen" über „reelle Werte", im sonst
leicht „passiv werdenden" Dasein! Frauen haben
eine perfide Geschicklichkeit, „unreelle Werte**, wie
Schmuck, Pelz, Kleider, in ihr „Plus-Konto** des
Lebens frech einzutragen. Da müssen sie halt die
ganze Bilanz plötzlich durch einen „feschen Offi-
zier** wieder ins Gleichgewicht bringen! Auch „un-
glückliche Spieler** legen sich plötzlich eine Ge-
liebte" zu, um sich es in ihrem falschen Buch-
i
113
Konto zu verrechnen, daß sie „an ihr** zugrunde
gegangen sind!
Eine richtige, anständige» ehrliche „BU^^
Daseins** führen nur die Selbstmörder. Aber wie
wenige« h61as, gibt es noch heutzutage?!
114
SEHR GEEHRTES FRÄULEIN I
Sie lieben also Albert!?
Sie suchen also eigentlich einen Mann, dem Sie
„sein Alles" sind; der durch Sie es vergißt, daß die
Welt erfüllt ist von herrlichen, merkwürdigen, an-
mutigen und originellen Geschöpfen!? Sie suchen
also einen Idioten! Einen, dem Sie die Schmach
antun, ihn in einen Zustand zu versetzen, wie der
Auerhahn auf der Morgenbalze. Einen, der vor Ge-
fühl nichts anderes mehr sieht und hört um ihn
herum! Um ihm etwas bieten zu können, rauben,
stehlen Sie ihm seine Weltenseele, und für eine Haar-
nadel aus Ihren Haaren gibt er das Glück von Tau-
senden eventuell hin! Und diese Scheuklappen-
politik nennt Ihr dann „Liebe"! Ein verdo p pelter
Egoismus, dem zum heiligen Dreibund" nur noch
der miserable Köter „Putz"' fehlt« an den Ihr Euch
gemeinsam attaschiert 1
«5
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HERBSTLIED
Die Ahomblätter sind wieder goldgelb, man kann
die einzelnen goldenen Bäume zälilen im dunklen
Forste. Also ist es Herbst.
Gerade vor einem Jahre sah ich sie, 25. September
19x1.
Sie war 11 Jahre alt. 11! Was macht es?!?
Der Wald bot damals alles, was er heute bietet,
und immer bieten wird .
Nur ich bin düsterer geworden, weil ich zuviel
an ihre Zukunft denke.
Als ich sie damals sah, da ging ich in den Wald,
um mir es einfach jauchzend mitzuteilen: „Du hast
das Herrlichste erschaut!''
Jetzt aber, tieferfällt von ihr, seh' ich im düsteren
Herbst wald dunkle Schatten kommender Eroberer!
Oh, Gnade, Gnade, Ihr Herren, für mein geüebtes
Kindchen!
Tut ihr nichts!
Die Ahomblätter sind wieder goldgelb geworden,
man kann die goldenen Bäume einzeln zählen im
dunklen Forste. Also ist es Herbst*
116
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EWIGE ERINNERUNG
Von Kortina brachen wir auf, Automobil, 9 Uhr
morgens, und schlängelten uns hinauf, auf den Fal-
zaregopaB, 2x17 Meter. Hinter dem Hotel pflückte
ich „Speik", diese y/mße duftende Bergblume, Kind-
heitserinnening. Der Boden war schwarz, weich und
und feucht; und überall rieselte Schneewasser. Und
dann hinab ins Tal. Und von da aus sogleich wieder
auf den Pordoihjochpaß, Kristomanos-Schutzhaus,
2250 Meter. Da gab es gar keine Blumen mehr, wie
herrlich. Der starre Sturm verbat sich alles Blühen.
Er stöhnte und beherrschte! Wie wenn man als Kind
eine große Seemuschel ans Ohr dicht anlegt, so
brauste es. Nur sagt man in jenem Falle, das Tosen
des Meeres sei in der Muschel eingefangen. Hier aber
ist nichts einge&ngen; man sieht das Brausen über
die kahlen gelb-braunen Wiesen; ganz aus erster
Hand vernimmt man den Sturm. Im wunderbar
warmen geschützten Speisezimmererker nahm ich
' ihr Bild heraus (Kl. P.), betrachtete es lange. Ich
dachte: „Mit dir hier zu sein!** Aber es wird nie,
nie, nie, nie sein • Wie schade.
"7
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GESANG
In allem hatte sie treffsicheres Urteil.
In allem. Nur sein Gesang gefiel ihr,
obzwar die Tone wie laues Regenwasser seinem
geziert ovalen Mund enttropften.
Er sang mit ihr, sie spielte das Klavier, er sang
für sie!
Und deshalb fand sie seine Stimme lieblich,
obzwar sie selbst das C-moU-Adagio Beethovens
imaussprechlich zärtüch spielen konnte,
und für alles sonst aristokratisch-feine Ohren
hatte.
Und einmal sagte sie zu mir:
„Ist es Ihr Ernst, daß Sie seine Stimme für tonlos
halten, oder steckt da etwas dahinter, Lieber?!"
„Es steckt etwas dahinter!" sagte ich, „das Vor-
urteil des dummen Weibchens!"
Ii8
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SOUPER
Es war ein Nichts .
Immer ist es ein Nichts, aus dem zuletzt ein
Etwas wird!
Törichte Frauen« die ihr mit dem Leben tändelt,
mit uns und mit euch selbst!
Er sagte einen dummen Scherz,
so um den Bann zu brechen öder Stimmung.
Da gössest du aus deinem Glase ein wenig Wasser
ihm auf sein Gewand .
„Zur Strafe!" sagtest du lächelnd.
Koketter Kerkermeister!
Jede Intimität ist eine perfide Brücke zu einer
Seele oder m unedleren Teilen.
Er fühlte sich geehrt durch das Begießen,
und seine Augen sagten gleichsam: £s kam von
dir!"
Es war ein Nichts
inuner ist es ein Nichts, wie Frauen nämlich
denken, ein Nichts« das uns tief unglückselig
macht!
119
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DIE WAGENFAHRT
Alle sagten zu ihm sehr bald ,,Herr Peter" oder
,»Peter''. Aber sie sagte nach langer Bekanntschaft
,,Herr Altenberg". Er schrieb ihr das. Sie sagte
weiter wie bisher: ,,Herr Altenberg", obzwar er eine
zärtliche Freundschaft für sie hatte. Eines Tages
fuhren sie im Wagen durch seine geliebte Beiggegend.
Da erzahlte sie von der Krankheit ihres Kindchens,
erzählte, weinte, erzählte, weinte, verstummte. Er
sagte : „Ich liebe hier jeden Strauch, ich kenne jeden
Acker, jeden Wiesenzaun ." Beim Abschied
sagte sie: ,,Adiett« Peter •**
J2Q
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WAGENPARTIE
Herr Dr. P. sagte vormittags zu mir: «,Darf ich
Sie für den Nacbmittag asu einer Wagenpartie ein-
laden in Ihren geliebten Ort ,Mürzzuschlag'?!''
„Bitte sehr/* erwiderte ich.
Nachmittags sagte der Hotelportier: „Soll ich
Ihren Jagdhund in den Wagen bringen, Herr Dok-
tor?!?"
„Selbstverständlich, wegen dem Hund mach' ich
ja überhaupt nur den Ausflug
Ich hatte bisher gedacht, er mache den Ausflug
„wegen dem anderen Hund**. Im Wagen sagte ich:
„Sie, Ihr fetter Hund nimmt mir zuviel Platz ein,**
worauf ich demselben mit der vernickelten Spitze
meines Bergstockes einen Stich in die Brust gab. Der
Herr sagte: „Was tim Sie meinem armen Hunde?!
Es ist ein echter englischer Pointer!" Ich erwiderte,
daß er zuviel Platz einnehme trotz alledem. Wir
kamen an einem braunen Felde vorbei, begrenzt von
kahlen grauen Buchenbäumen. Hier grasten fünf
herrlich schillernde Fasanhähne. „Willy,** sagte der
Herr zu seiner Jagdhündin, eine Abkürzung für Wü-
helmine,„Winy,daschauhin,Fasanel** Willyschaute
überall hin, nur nicht auf die vor ihm grasenden
Fasanhähne. Wahrscheinlich sagt man von diesen
Viechern nicht „grasen'', sondern irgend einen mani-
rierten Jägerausdruck. „Dieser WiUy ist ein so feu-
riger Jagdhund,'* sagte sein Herr entschuldigend, „daß
ihn alles ablenkt. Sehen Sie dort in der Feme die
Krähe?! Die lenkt seine ganze Aufmerksamkeit auf
ßich^ von den Fasanen!** Ich dachte: „£r zahlt
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den Wagen, er zahlt den Wagen, er zahlt den Wa-
gen -
Wir fuhren an einsamen Sduniedewerken vorüber,
in welchen geschmiedet wurde, an Holzsägewerken,
in denen Holz zersägt wurde, an Mühlen, in denen
gemühlt, pardon gemahlen wurde. Ich fühlte: „Hier
sollte ein Landerziehungsheim erstehen für die
moderne reifere Jugend, Koedukation, wo man
in der Natur selbst Anschauungsunterricht genießen
könnte während einer Spazierfahrt. Zum Beispiel
eine feuchte Wiese mit einem Graben lehrt uns das so
wichtige „Drainage-System** spielend leicht kennen.
Denn wenn die Feuchtigkeit der Wiese sich in dem
Graben ansammelt, so wird die Wiese selbst trocken.
Eine Art von Wiesen-pot de chambre."
Ich sagte dem Herrn Doktor, daß er, auch ohne
ein echter englischer Pointer zu sein, im Wagen mir
viel zu viel Platz einnehme, und ich ein nächstes Mal
eine Einladung zu einer Wagenfahrt nur annehmen
könne, falls er und sein Hund zuhause blieben. Er
sagte, ich hätte reizende Einfälle und ich sei ein großer
Künstler und Menschenkenner. Dies bestätigte ich. In
Märzzuschlag angelangt, fragte uns der alte Kutscher,
der schon 50 Jahre lang hier fuhr und die Gegend nidit
kannte, oder sich in Beantwortung nichtiger Fragen
über Bergnamen usw. usw. nicht einlassen wollte, ob
er „den Rosserln*^ eine Jause verabreichen dürfe.
Merkwürdigerweise figurierte die Jause dann bei der
Verrechnimg im „Caf^ Semmering" als Kaffee mit
drei Stück Gugelhupf. Abends bei der Rückfahrt war
es natürlich finsterer als bei der Hinfahrt nachmittags,
was der Landschaft einen „eigenen, neuartigen, un*
«
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definierbaren'' Reiz verlieh, den zu schildern ich aber
modernen Dichtem überlassen muß.
Indem alles im Nebel verschwamm, wurde es zu-
sehends undeutlicher. Wir sprachen nun über das
Wesen der „Frauenseele", und ich behauptete, daß
mir eine noch so sehr geliebte und verehrte Frau durch
die Bezahldng bereits eines Kalbsguliasch mit Reis
momentan unsympathisch werde. Er nannte mich
infolgedessen „exzentrisch**, während ich es mehr auf
,,Lebenskunst'' zurückführen möchte. Beim Anlan-
gen in unserem heiligen Berghotel sagte ich: „Also,
es bleibt dabei, morgen einen Wagen ohne Sie und
Ihren echten enghschen Pointer .**
,,Neinr' erwiderte er kurz und bündig«
X23
Oigitized
ABSCHIEDSBRIEF DES ENGLISCHEN
OFFIZIERS PAUL AUS LONDON:
» Jch kann es mir nicht voistellen« daß Du, ge-
liebteste Frau, irgendwo anders glücklich werden
könntest als in England und bei englischen Freunden.
Allein Dein Wunsch ist für mich over alll Du bist
eine Engländerin. Deine Seele, Dein Denken, ja
Dein Glück ist englischer Natur. Du begibst
Dich in eine stränge world. Man wird Dich gut
behandeln, and but you will bekome iU and newer
knowingfiromwhat. Wenn Du also einmal eine Stütze
brauchst nim, du weißt ja übrigens alles.
Paul.
124
L kju,^ cd by Google
WIE IST ES?I
Wie ist es?! Soll man ein besonderes schönes
Mädel,
in strenger, grauer Häxte halten!?
»Jnimer zu früh noch wird man sie verwöhnen'^
fühlen die Eltern.
Siehe, eines Tages strömt plötzlich das Licht
herein der Bewundenmg,
das ihre migewohnten Augen blendet» schädigt 1
Wäre sie gewohnt, seit ihrem zehnten Lebensjahr,
an dieses Licht des Lebens,
ertrüge sie nun das gesteigerte blendende,
in edler Fassung und dankbar gerührtl
So aber?!
123
Digitized by Google
VOM RENDEZVOUS
t
Sie ging den steilen Wiesenpfad hinab«
mm Rendezvous.
Ich sah braune Stauden ihre Röcke streifen. Ich
sah ihr nach.
Bald kam Himbeergebüsch» das sie begrub«
Um V4I sollte ich sie erwarten.
Sie kam zurück, von Küssen ganz bedeckt.
Wie wenn die rechte Hand geheiligt wäre,
reichte sie mir die linke,
die ich an die Lippen hielt,
solang bis Wehmut kam und übertropfte .
125
•
Digitized by
EXAMEN
Ich unterwarf sie einer strengen Prüfung:
Die Hände?! Vollkommen
Die Augen?!
Die Stime?!
Die Schultern?!
Die Füße?!
Die Zehen?!
Die Stimme?!
Die Bewegung?!
Der Teint?!
Die Seele?!
Die Intelligenz?!
Brüste?! Nicht vorhanden.
Endresultat: Vollkommen I
99
99
$$
99
99
99
99
99
99
99
ta7
LES LÄRMES
Also, nach vielen Jahren, habe ich wieder geweint.
Freilich war es bei dem Liede von Johannes
Brahms: „Sapphische Ode".
Aber ich hätte nicht geweint, wenn ich sie nicht
kennen gelernt hatte .
Ich wäre entzückt gewesen, gerührt, ergriffen.
Aber geweint hätte ich nicht .
Also weinte ich dennoch ihretwegen!
128
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TESTAMENT
Er hatte in sein Testament (der Ertrag seiner
neun Bücher nach seinem Tode) die 12 jährige Schön-
heit mit der jauchzenden, klingenden, bezaubernden
Stimme eingesetzt. Aber da sie Millionärstöchterlein
war, hatte er bestimmt, daß von dem Gelde soge-
nannte „Geschenke eines Verstorbenen*' zu kaufen
seien, außergewöhnliche Dmge, z« B. eine be-
sondere Bergkristalldruse, oder ein besonderes holz-
geschnitztes Christuskreuz. Da erfuhr er, daß man
eine Kollekte gemacht hatte im intimen Kreise für
einen Winterrock seines Bruders, eines modernen
Diogenes. Da stieß er das Testament um, bestimmte
nur, daß der Bruder an jedem 9. April, dem Geburts-
tage seiner kleinen Heiligen, derselben eine exzep-
tionelle Sache als „Geschenk eines Verstorbenen** zu
senden habe! Der Bruder dachte Tag und Nacht
über solch ein Geschenk nach. Da schrieb die Heilige :
„Ich will Ihnen Ihre Mission erleichtem. Schenken
Sie mir nur das Manuskript des „Ein schweres Herz**.
Er nahm es aus dem Schreine von gelbem Eibenholz,
küßte es innig, imd schickte es fort. Er fühlte : „Ich bin
der Vemuttler eines letzten Willens. Sie hat mir
meine Aufgabe erleichtert, indem sie sie erschwert
hat! NurOpfer belohnensich! Ich hatte schon eine
herrliche Bergkristalldruse aus den Tauem erstanden,
mit Kristallen wiegeschliffenes,gef rorenesBergwasser.
Aber das ist nun also für den nächsten 9. Aprill**
Sieschrieb: „Nunhabe ichdasHerz Ihres Bruders!**
„Nein", fühlte er, „ich habe es, indem ich es
weggegeben haber*
9
129
ACONITUM NAPELLUS
In meiner letzten Verzweiflung körperlicher Qua-
len nahm ich Aconitum Napellus. Ich hatte ihn
vor acht Wochen blühen g,esehen» auf dem Wege von
Schluderbach nach Misurinasee, von dort nach ,,Tre
croce", von Kortina auf den Falzaregopaß. Überall
hatte ich diese giftige Bergblüte gesehen, oft in Men-
gen wie kleme Felder. Und eigentümlich haftete mein
Auge auf diesen Blüten, als ahnte ich, daß ich sie
bald in meinem Zimmerchen als winzige durchschei-
nende Kügelchen, als letzte Hoffnung sterbender
Nerven schlucken würde! Damals erlebte ich sie als
Zeichen der Bergflora, neben Rhododendron und
Legföhre. Wie romantisch kam mir die Blüte vor in
ihrer mysteriösen Giftigkeit. Nim aber schlucke ich
zwei Pillen, viertelstündlich. Wird es nützen?! Ich
gedenke der herrlichen Tage, da ich die Blüte be-
wundem durfte, in Höhen, wo es karg ist und 4er
Nachtsturm braust .
130
MANÖVERS
Die Herren „Verehrer", die wie Toreros atissehen
oder wie kühne Cowboys oder wie französische Ritter
ans dem i8. Jahrhundert, sei es von des Buges ihrer Nase
Gnaden oder von Schneiders; die treten selbstsicher-
nonchalant auf, sitzen oft mit dem Rücken gegen die
Dame imd sagen sogar, daß dieser oder jener Spazier-
gang ihnen nicht konveniere und sie es daher vor-
zögen, sich nicht anzuschüeßen und lieber in Ruhe
ein gutes Buch zu lesen ! Wenn man eine schöne Nase '
hat, kann man das allerdings wagen. Aber die Mißge-
wachsenen müssen eine andere Taktik einschlagen. Pa-
kete tragen» Schirme aufheben und zu allem ,,Amen*^
sagen, ist ihre kleine, süße Aufgabe. Auch damit kann
man nette Erfolge einheimsen, und Opfer sind für ,, Op-
ferfähige'' nicht allzu groß. Im ganzen genommen sind
die armen Damen von einer wohlberechneten „Rou-
tine** umgarnt, wie die italienischen Singvögel von den
feinmaschigen Netzen. Selten schlüpft eines der herzi-
gen Vögelchen durch, durch die engen Maschen, die
ihrer Eitelkeit gelegt sind. In dieser Gesellschaft von
Eroberem sticht besonders hervor der immerhin selte-
nere ,,Salonplattenbruder", der seelische" Mes-
serstecher. Er sticht gleich in die Ehre, in den Ruf , in
das Glück hinein, macht sich nichts aus drei Monaten
Kerker, wollte sagen, aus Frauenverachtung. Diese
„Verachtung" sind seine,, Geschäftsspesen'*. Dafürhat
er sie „gehabt"! Einer drang um i Uhr nachts in das
Zinmierein: „Ich sage in jedemFalle morgen, Fräulein,
daß Sie mich bestellt haboil Also ist es schon ganz
egal für Sie!"
Das leuchtete ihr ein — — — .
* 131
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GIFT
Es gibt ein Gift, das ewig wirkt,
ja sich vertausendfacht in seiner Wirkung
durch unablässiges Erinnern.
Das sind die deplaziert liebenswürdigen Worte der
Geliebten zu fremden Männern.
£s ist ja richtig, sie hat sich nichts Besonderes da-
bei gedacht.
Doch weshalb hat sie nicht an das Besondere ge-
dacht, uns tief zu quälen?!
Ihre gekränkte Miene bei unserm Vorwurf
kann. uns nicht eines Besseren belehren«
so daß wir tief zerknirscht von hinnen schleichen.
Ein jeder Apotheker ist verpflichtet, das Gift
zu kennen, das er uns reicht!
Und so die Frau.
Will sie uns vergiften?!
Vielleicht, für Augenblicke, um uns dann, in ihrer
Gnade, Gegenmittel zu verabreichen!
Erinnern ist ein Gift, das ewig wirkt,
und sich vertausendfacht in seiner Wirkung,
durch unablässige Erinnerung l
132
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LUFTVERÄNDERUNG
Es ist merkwürdig, wie sich Familienangehörige in
Kurorten begrüßen, die vielleicht kaum acht Tage
lang getrennt waren voneinander. Als ob sie von
einer monatelangen Weltreise gekommen wären!
Ein ganz neuer Ton von zärtlicher Freude, von
intensivstem Interesse wird angeschlagen. „Findest
du unser Püppchen besser aussehend, Papa?** —
,,Na, ich bin noch nicht so ganz zufrieden, sie ist halt
ein ,Zarterr, was, Minnerl?" — „Kinder, laßt euch
in euren Gewohnheiten (von acht Tagen) ja nicht
stören, ich werde mich allem akkommodieren (alter
Jesuit!)."
„Baby will hier das zweite Ei zum Frühstück
nicht essen, ich habe ihr gedroht, ich würde es Papa
melden (haste wichtige Meldung!), wenn er kommt!'*
— „Nun, das macht wahrscheinlich die Luftverände-
rung!" In besserer Luft kann man also kein zweites
Ei essen? Auch die Bonne wird netter, rücksichts-
voller behandelt als zu Hause. „Was, Marie, hier ist
es schön?" — „Bitf, gnä' Herr, ja Eine
ewige Sorge um Paletots, Jacken, Schals, als ob alle
plötzUch tuberkulös geworden wären. „Anüoie häkelt
hier (weshalb plötzlich hier?) schon so nett, sogar
ohne Aufforderung (sie scheint also hier zu ver-
blöden!).*' — Schlaft ihr hier nach dem Speisen?**
Auf einmal weiß er nicht, ob seine Familienmitglieder
schlafen oder nicht. Die Luftveränderung scheint
ihm nicht gut zu tun, dem Erhalter und Ernährer.
Man verkehrt miteinander wie Fremde bei einer
Jour-Jause. „Angenehme Nachrichten?** fragt man
133
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bei der Morgenpost. Der Kassier ist ihm durchge-
gangen. ,,Al]es in schönster Ordnung zu Hause, mein
Täubchen!" Der Arzt hat nämlich gesagt: „Zwanzig
Bäder kosten zweihundert Kronen. Aber vor allem
keinerlei Aufregung» darauf muß ich strengstens be-
stehenl" Nämlich auf den zweihundert Kronen.
134
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EIN NACHTRAG
Ich habe letztes Mal, wahrscheinlich vor einigen
Jahren, etwas geschrieben zur ^^Psychologie der bür»
gerlichen Liebe**. Es war ein „Torso**. Wenn ich
nur wüßte, was ein Torso ist. Aber viele einsichts-
volle Menschen sagten es mir direkt ins Gesicht
hinein, daß es ein „Torso", wenn auch ein sehr wert-
voller, gewesen sei. Nun, infolgedessen muß ich die
Nachtragsbemerkung machen, daß jemanden wirk-
lich zärtlich lieb haben'S unmöglich eine fort-
dauernde Sache sein könne, sondern eine durch
Haß-, Verachtungs- und vor allem Gleichgültig-
keits-Stadien (Stadien ist gut!) unterbrochene, sagen
wir, sogar angenehm unterbrochene Angelegenheit der
Seele und der übrigen verfügbaren Sinne sein müsse!
Man kann niemanden auf die Dauer gleich-
mäßig gern haben! Das sollte, in goldenen Lettern
auf der Fassade eines Venustempels prangen, in
deutlicher Adolf-Loos-Schrift, so wie von Vorzugs-
schülerinnen in Schreibheften! Die bürgerliche Ge-
sellschaft will etwas äußerüch, k tout prix (das ist
französisch!) erzwmgen, was es in der Welt aber tat-
sächlich nicht gibt! Nämlich eine anständige
Stetigkeit und Verläßlichkeit der Gefühls-
welt, ja sogar der Sinnenwelt, was eine noch ent-
setzlichere Stupidität ist! Die „Mehrheit*' will
un$ eben blöde machen! Strindberg ist tot, Ibsen,
Bjömson, Tolstoi. Ja, da müssen wir Flöhe uns
halt aufraffen, und stechen und Blut saugen, wo und
wie wir nur es können! Wir können auch verwun-
den, ohne Genies zu sein! Wirhabendengesunden
135
Menschenverstand! Das ist auch eine Waffe,
wenn auch eine zartere, liebenswürdigere als die
Maximkanonen der Genies, die meistens doch nur
Idioten waren! Und ich sage euch daher, ihr
Glücklichen, ihr wart niemals auch nur eine
Stunde lang wirklich glücklich! Geschäfte habt
ihr gemacht und Bilanzen berechnet! Ihr ,«Ak-
tiven** seid ewig „passiv" gewesenl
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BUCHBESPRECHUNG
■
Ich habe mir das Buch schenken lassen vom Ver-
lag J. J. Weber, Leipzig: „Rosen und Sommer-
blumen''. Ich lese es, ich betrachte die i6o Photo-
graphien, wie ein Werk von Maeterlinck! Jede Rose
erblüht mir, als wandelte ich in einem Märchengarten.
Alles wird Wirklichkeit. Ich sehe die Kletterrosen
überalleMauem, Wände, Gitter sich hinaufechwingen,
blühend rosigweiSe Pracht verbreitend über kahle,
harte, notwendige Dinge! Ich sehe das Kletterröschen:
„Maidens blush, Mädchens Erröten", ich sehe die
Immeigrünrose: „F^cit6 et perp^tuit^V. Ich sdie
„soleil d*or", goldgelb mit rosigen Rändern. Ich sehe
, , Memorialrose * * ,für Grabdenkmäler , , , M innehaha" , die
mich an Wedekinds herrliches Buch erinnert, das von
der Nackterziehnng erlesener Geschöpfe handelt, ich
sehe die Rose ,, Katharina Zeimet", mit Wildrosen-
charakter, wie manche scheinbar zarte Frauen, die
Rose „Konrad Ferdinand Meyer", die „Beauty of the
Praihes", die weiße ^ose „Frau Karl Druschld'', die
Bourbonrose „Souvenir de laMalmaison" (in der Todes-
stunde getauft der Kaiserin Josefine). Ich sehe Rank-
rosen in düsterem Hohlweg glühen ; Crimson Rambler-
rose in riesigen rostrot lasierten ausgebauchten Töpfen»
Japan vorzaubemd und seine Gärten; vergeblich
suche ich eine Rose ,,KronprinzessinCecilie"! Rosen-
züchter, dichtetmirin der ganzen weiten Welt eine
Rose, die dieser Herrlichsten wert wäre! „Kron-
prinzessin Cecilie", du müßtest einen Platz erhalten im
Garten, daß man schon von weitem deine deutsche
und dennoch internationale Pracht verspürte!
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AN -
Ich liebe dich .
's ist keine Frage mehr.
Solange ich dich sah und sah und sah, und sah,
wüßt' ich es nicht, könnt* ich es nicht wissen!
Nun, da ich dich den ganzen Vormittag nicht sah^
znm ersten Male,
und ich auch nicht weiß, ob ich des Abends dich
wiedersehen werde,
nun ist die Bangigkeit in mir!
Mit wem bist du?! Wer nützt die Pause aus?!
Kommst du vielleicht jetzt eben zur Besinnung,
daß es noch heißere Leidenschaften gibt
als die meiner Bewunderungsblicke?!
Oh, wärst du hier, ich sänke dir zu Füßen,
du würdest spüren, was ich bisher nicht wußte,
und was doch war, vom ersten Tage an — — — !
Und wasidu vielleicht wußtest, eh' es war!
Was liegt dir dran, vielleicht freut es dich doch!
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NEKROLOG (FRITZ STRAUSS)
Siehe, es sind schon Leute gestorben, denen .ich
hätte nachtrauern sollen, und ich tat es nicht. Andere
wieder sind noch am Leben und ich wünsche ihnen
— nur nicht gleich fluchen! Aber um einen mir
verhältnismäßig ganz Fremden trauere ich jetzt. Er-
stens sehe ich gar nicht ein, weshalb gerade ein 24 j ähri-
ger Millionärssohn weggerafft werden soll, der genug
Kultur hatte, Geld in wirkliche Werte, ohne Pflanz,
umzuwandeln. Zweitens besaß er Humor, obzwar er
wußte, daß es mit ihm schief gehen könne bei einer
zweiten Operation. Er war ein „Gentleman -Musi-
cal-Clown'", so benannte ich ihn sogleich. Jeden
Abend nach dem Souper erfreuten er und Herr H., der
es auch ,, nicht nötig" hatte, das elegante Publikum des
Sanatoriums „Wolfsbergkogel" mit ihren imübertreff-
lichen Knock-about-Einfällen, bei Klavier und Violine.
Sie ersetzten eine ganze Varietövorstellung. Die reichen
Damen vergaßen ihrer Leiden, was ihnen umso leichter
fiel, als sie gar keine hatten ; die kranken Herren ver-
gaßen, den kranken Damen den Hof zu machen. Das
Lachen war da, das Lachen, in diesen heiligen, ernsten
Gesundheitsräumen, und die Langeweile der Liege-
kuren, dieser neuen Art, sich noch mehr auf sein
armes Ich zu konzentrieren, war vergessen, gelöscht!
Ich bat den jungen Mann, doch ja als „Gentleman-
Champion" in großen Varietes, ohne Gage, aufzu-
treten, und er sagte es mir lächelnd zu. Nun ist er
tot. Um den trauere ich. 24 Jahre alt, unabhängig,
mit Humor gesegnet, begnadet, gutmütig, bescheiden.
Der hätte bleiben dijrfen! Nur der!
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ERSTER SCHNEE
12. September 1912. Es regnete und es schneite
zugleich. Der Sonnwendstein war bedeckt mit
Schnee. Das war ein Lokalereignis. Jedermann be-
^rach es eifrig. Die herrliche 14jährige, wie eine
Venetianerin aus dem 18. Jahrhundert, stellte sich
an die Fensterscheibe imd sah hinaus. Alles andere
ward sogleich dagegen lächerlich und gleichgültig.
Für sie war Schnee gelallen auf dem Sonnwendstein
denn sie interessierte sidi dafür. Ich hätte ihr zwei
Meter hohen Schnee gewünscht, ganze weiße Hügel
tmd Abgründe, damit sie sich besser amüsiere bei dem
Anblick! Sie sah hinaus, und ich beneidete die Fen-
sterscheibe um den Hauch ihres unbeschreiblich
schön modellierten Mimdes. Überall zogen Nebel-
fetzen dahin, dorthin, zerfetzten, verwischten die
Landschaft, ertränkten sie in Grau. Das junge Mäd-
chen begann sich zu langweilen. Es wird ein öder
Tag werden in diesem Berg-Hotel. Mir erschien er
licht und wertvoll ! Sie setzte sich hin, um mit einem
Kinde ein Spiel mit gelben, grünen, lila Würfelchen
zu spielen. Sie ließ das Kind absichtlich gewinnen.
Das Kind sagte: ,,Mit dir spiele ich nicht mehr, du
spielst zu schlecht^ immer -verlierst du, du Unge-
schickte!**
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DER MALER
Die kleine 6jährige Tatarenkönigin Sonja D.
sagte zu dem Dichter, der sie anbetete: „Mein Bruder
Bogdan und ich» wir schlafen immer mit einem geöff-
neten Jagdmesser, einem Kindergewehre für Schrot
und einer Pistole mit echten Kapseln, unter dem
Kopfpolster! Aber die Banditen wollen nicht kom-
men» sich abschlachten za lassen! Die Feiglingel'*
Der Dichter nahm das vergötterte Königinchen in
seine zärtlichen Arme .
Der Maler kam. Da sagten die Damen:
„Was finden Sie denn so Besonderes an dieser
6jährigen Sonja Dungyersky, die Sie jetzt malen für
500 Kronen? Sie ist doch viel unliebenswürdiger,
eigenwilliger, unsanfter als die meisten anderen rei-
zenden Kindchen hier?''
Der Maler: „Ich male sie von heute an umsonst,
verstehen Sie mich, umsonst! Für mich imd für
die Welt! Also ausnahmsweise diesmal nicht um-
sonst! Ich werde sie malen auf einem niedrigen»
schmiedeeisernen, schweren Trone, mit ihren braunen
Gazellenbeinen und ihren braungoldenen Locken!
Umgeben von gebleichten Tatarenschädeln! Einer
muß an einer goldenen Kette herabbaumeln und in
einer Ecke muß ein Jüngling den grünen Giftbecher
trinken und sie anblicken. Das Ganze heißt : , Kleine
winzige Tatarenkönigin, Wildkatze, Besiegerin!'
Wie aus einer entsdiwundenen Zeit von Kraft,
Trotz, Schönheit, Unbesiegbarkdt stammt sie, und
dennoch könnte man über ihxe Anmut, über ihre
Sümme, ja über ihre zarten Handbewegungen aUein
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schon tagelang weinen und sich momentan hin-
opfem!"
So sprach der Maler; und die Mütter der wohl-
erzogenen, folgsamen Kinder erbleichten und schli-
chen fast krank von dannen!
Am nächsten Tage schrieben sie: »«Wollen Sie
unser Kindchen für 2000 Kronen malen?**
Und er schrieb zurück: ,,Nein!"
Aber am dritten Tage schrieb er zurück: „JaT*
Und er malte die Kindchen und alle Tanten und
Kusinen, imd die Großeltern waren entzückt!: ,Ja,
ja, so ist unser Schätzchen, unser liebes, goldiges
Geschöpf chent Die Sanftmut schaut ihr aus den
Augen heraus !"
Ja, es waren sanfte Kälber von dummen
Kühen, richtig porträtiert ! Und ein j edes Käibchen
kostete 2000 Kronen» billigst berechnet 1
Aber, das Tartaren-Königinchen Sonja Dungyer&-
ky, auf schmiedeeisernem breitem kurzem Throne,
hatte er , »umsonst** gemalt. Und die Damen sagten:
„II s'est moqu6 de vous, Madame Dungyersky!"
Aber die Großmama stand lange lange vor dem Bilde.
Nie sprach sie ein Urteil aus. Aber oft stand sie vor
dem Bilde und starrte es an, an, an. Und eines Tages
sagte sie: ,,Pour les ^trennes, donnez moi l'imagei
Ce n'est rien pour vous. Vous €tes trop jeunes et
trop vieux! II faut pouvoir songer tout ä la fois
dans ie passe et dans Tavenirl"
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BETRACHTUNGEN
Der Schlitten war leicht wie eine Nußschale, aus
braunem Stroh; die Landschaft prangte weiß in weiß,
die roten Ebereschen und die bunten Gimpel, die
schwarzen Krähen bemalten sie diskret und vornehm,
fast nach japanischem Geschmacke. Ich sprach mit
der edlen Dame über zarte Dinge des Lebens. Die
edlen rehbraunen gedrungenen Pferde gaben die be-
kannten Verdauungsgeräusche von sich, schienen
also nicht nach ,,Prodromos" sich zu ernähren, son-
dern viel Unnötiges, Beschwerliches zu sich ge-
nommen zu haben, wie Hafer samt den Spelzen,
ii donc!
Wir überhörten gleichsam diese Geräusche, und
dennoch kam es wie ,, allgemeine Unzulänglich-
keit" der Lebewesen über uns, eventuell sogar fana-
tisch geUebter Damen. Ich liebte einst ein wunder-
bar schönes ißjähri^es Schlosscrgesellentöchterchen,.
die mir einst sagte: ,,Behalten's Ihre Briefe, es steht
ja eh immer nur dasselbe drin, ich weiß schon, Sie
haben wieder wegen mir die ganze Nacht geweint!
Hab* i Ihnen was angetan?! Na also, nur g'scheit
sein! Kaufens mir lieber Va Kilo Ringlotten, wann's
nüch schon so gern haben!" Bei einer solchen Ge-
legenheit ließ sie dann in der herzlichsten Weise
kleine kurze fast piepsende Geräusche hören, infolge
des Ringlottengenusses. Ich sagte: ,,No, no, was sind
denn das für Liebeserklärungen?!" Sie erwiderte:
„Ah da schau' her, wär's Ihnen Heber, i sollt's in mein
Baucherl behalten, daß's mich druckt?! A schöne
Lieb' is dasl**
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UR-SEELE
„Herr Peter**, sagte die herrtiche 5 jährige zu mir,
weshalb beschenken Sie Stella immer ?l Stella ge-
hört mir, ich bin eifersüchtig/*
„Auf wen?!"
„Auf überhaupt ,**
,,Du solltest dich doch darüber freuen, wenn Stella
beschenkt wird?!" sagte ich.
„Ja, ich sollte. Aber ich freue mich eben nicht»
sondern ich bin nur eifersüchtig!**
Würdest du Stella dieselben Geschenke lücht
geben, wenn du Geld hättest?!'*
y^ein, Stella soll mich von selbst heb haben. Ich
habe sie auch von selbst lieb, sie braucht mir gar
nichts zu schenken!**
„Aber Kind**, sagte die Großmutter, „du bist sehr
herzlos und ungezogen!**
„Aber was braucht der Herr Peter meine Stella
zu beschenken ? ! Meine Stella gehört mir, sie braucht
nichts geschenkt, ich habe sie heb!*'
^J)u solltest dich freuen, wenn
„Ich sollte mich freuen, ich sollte mich freuen,
aber ich kränke mich!**
Sie weint. Worüber?! Niemand weint lun-
sonst »
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FRAGE
Was ist ein Dichter?!
Einer, der schon weinen kann»
wenn noch die andern trockenen Herzens sind
Einer, der die sechsjährige Prinzessin Sonja Dun-
gyersky
so zärtlich lieb hat wie die eigene Großmama sie
lieb hat!
Einer, der abends im Gebirge den eingefangenen
Oleanderschwärmer
auf das einzige Oleanderbäumchen setzt im
Garten,
das ihn aus ferner Ebene hierherverlockt hat!
Einer, der die braune Nacktschnecke behutsam
vom Waldweg ins Gebüsch tragt .
Einer, der Rosen schenkt und sie bezahlt mit
seinem Nachtmahlgelde .
Einer, der die geliebte Hand berührt und dabei
Hochzeitnächte spürt von Seligkeiten!
Einer, der leidet, leidet
und alle sagen: „Was fehlt ihm denn zu seinem
Glücke?!"
Einer, der die Schale kauft, aus der sie Ka^kao
getrunken hat.
Einer, der ein innerer Bombenwerfer** ist,
und dabei doch so sanft, so mild verständnis-
voll für alles!
Einer, den alle verlachen,
und um den sie trauern, wenn er nicht mehr
ist!
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LETZTE UNTERREDUNG
•
Peter, was ist Ihnen?! Sie schauen so verzwei-
felt aus, und vor allem so bleich — — — •**
Ei schweigt.
,,Peter, ist es wegen des jungen Architekten?!**
Er schweigt.
,,Peter, Sie lieben mich seit meinem 12. Lebens-
jahre. Von Eltern» von Gouvernanten, vernahm ich
nur: ,,Du mti6t, du sollst!
In Ihren Augen lag von jeher eine unermeßHche
Zärtlichkeit, Das darf ich Ihnen nicht vergessen,
Peter. Es war der Lichtblick meiner düsteren Kind-
heit. Und oft wenn ich dachte: Wozu bist du?t da
dachte ich sogleich: Er hat mich lieb! Von Ihrem
Blicke lebte ich, das sag' ich Ihnen nun."
Er senkt das Haupt .
Peter, ich kann erst ganz glücklich sein, bis Sie
mich wieder anschaun, lichten, liebevollen Antlitzes,
wie eh imd je
Da schaute er sie an, an, an, lichten, liebevollsten
Antlitzes, wie eh und je, so wie sie es brauchte und
verlangte . Ihr, Ihr zuliebe, damit sie wieder
schimmere, leuchte, in ihren schlimmen Kokette- ^
rienl
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DIE NIERE
Zu den wahrhaftigsten und mich auhrichtig rüh-
renden Opfern, die ein Mann einem geliebten Weibe
bringt, rechne ich es immer, wenn er beim Nieren-
braten die Niere ihr überläßt, vorausgesetzt natür-
lich« daß er sie selbst gjem ifit. Aber wer äße die Niere
nicht gern ? ! Diese Niere ist überhaupt so ein sicherer
Thermometer in Liebessachen. Zum Beispiel: ,,Otto,
weshalb ißt du denn die Niere nicht?!" — „Ich esse
sie, und noch dazu am liebsten, deshalb lasse ich sie
mir für zuletzt!** — „Ach so,** erwidert Hermine
enttäuscht. Oder: ,,Max, du ißt ja die Niere doch
nicht!", imd hat sie schon in ihr Mündchen gesteckt,
während Max nichts im Halse stecken bleibt als das
Wörtchen: „O doch!** Oder: „A schöne Lieb', frißt
die Niere selber auf, da schau' der an da!" Die-
jenigen Herren jedoch, die „das Opfer der Niere"
bringen, tun es auch meist ziemlich geschmacklos,
indem sie innerlich sich anstellen, als hätten sie jetzt
Anspruch auf Dankbarkeit und Treue ihr ganzes
Leben langl Nein, dem ist nicht so. Die Damen
nehmen gern die Leckerbissen an, die man ihnen
spendet, aber sie haben die richtige Idee, daß solche
Selbstlosigkeiten sich durch das Gefühl eines höheren
Wertes, das man von sich selbst bekommt, reichlich
belohnenl Wozu also die Sache überzahlen?!
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KRANKHEIT
Wenn man körperlich sehr, sehr leidend ist, so
zerquetscht, '
dann wird man erst wie der ,,Nor mal mensch'*!
Man wird reduziert auf das „allgemeine Maß"!
Da sieht man erst, wie schrecklich dieses ist! Pfui
.Teufell •
Man könnte keiner ideal schönen Frau mehr,
selbstlos exaltiert, zu Füßen sinken .
Man erwünscht sich eine „Gefährtin*', „Pflegerin",
„Teilnehmerin".
Für „Seelen- Luxus" ist keine Kraft vorhan-
den *
Die Vfiesea sind schneefrei und sogenannte „Palm-
katzerln", wie graue Seidenflocken, blühen an den
noch blätterlosen • Weidenbäumen.
Das alles übt keinen Reiz mehr aus.
Man sagt: „No, schon wieder ein Frühling; die
30 Lichtbäder im Sanatorium haben mir einen
Schmarm geholfen."
Jetzt konmit der Frühling daher, und er geniert
mich direkt .
Früher hab ich ihn angedichtet, mit der Kraft
meiner imendlichen Seele ;
jetzt kann ich nicht einmal mehr „heurige JRadies-
chen'' vertragen.
Was geht mich da der Frühling an?l?
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Güte
Jeder Mensch, der irgend etwas begeht, und weiß
es selbst nicht» daß er es falsch getan hat
siehe, an ihm geht es dennoch schlimm ans! Er
kann sich nicht entschuldigen mit seinem ,,guten
Willen'', denn Gott berücksiditigt diesen nicht,
sondern nur die ,,edle Weisheit** einer jeglichen
Betätigung! Der sogenannte ,»gate Wille** ist eine
schmachvolle feige Entschuldigung, die in dem
,,Buche Gottes'* in das Minus-Konto eingetragen
wird!
,Jch habe es gut gemeint**, ist ein Zeugnis
für „Selbstverurteilung". Meine es schlecht, mein
Lieber, aber denke das Richtige!
„Güte ist Stupidität; es gibt nur eine einzige wahr
haftige Güte: Weisheit! Rate mir nicht, helfe mir
nicht aus Güte; da kann ich leicht dein Opfer
werden. Rate, hilf mir aus eiskalter kristallklarer,
unerbittlicher, adeliger Weisheit I
Alle Menschen, die angeblich „zusammengehören**,
machen es sich gegenseitig leicht, indem sie „gut"
sind. „Weise sein", in bezug auf einen geliebten
Menschen, das fällt ihnen zu schwer, das kdnnen, ja,
das wollen sie nicht. Da könnten sie „in Konflikte
kommen", ,, mißverstanden" werden; aber die diunme
alberne leichtfaßliche Güte, die versteht ein jeder,
erkennt sogar ein jeder Gleichgültige an. Güte ist
ein feiges Seelenmanöver, um Idioten zu bluf-
fe n! Die Idylle des Familienlebens, das Ehelebens,
des Lebens zwischen Geliebten, besteht zu 70 Prozent
daraus.
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„Bin ich nicht gut zu dir» du Undankba-
rer?!?*' ist die Phrase der «.geschickten Kühe*S die
damit die ungeschickten Ochsen" an sich fessehi!
Mögen es auch noch so sehr in anderer Beziehung
„Stiere" sein — — — ^.
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ANNONCE
Ich lese im „N. W. T." eine Annonce, die mit dick
gesperrten Lettern beginnt: Behandlung von
Herzkrankheiten und dann folgt
dieAnpreisung des berühmten „Franz Josef -Bitter- ,
wasser*\ vor dem Frühstück (Vs Liter) in kleinen
Schlucken, ganz langsam, absatzweise, zu
trinken! Nun meinen natürhch alle Leser, daß diese
zu Anfang gesperrt gedruckten 4 Worte nur dazu
dienen, den Leser „einzulangen** und zu „verlocken**.
Jawohl — nämlich zu seinem eigenen Heile!
Denn die vitale Nervenkraft des Herzens hängt
von der minütiösen Sorgfalt, die man dem gesamten
Verdauungsapparate angedeihen läßt, ab I Überhaupt»
die Verachtung der „Annonce** in einem großen Tage^
blatte, bloß weil der Fabrikant dabei verdienen will,
ist kindisch ! Man nehme nur diese täglichen Annoncen :
Menthol-Franzbranntwein,
Salz-Cakes,
Tamarinde Grillon,
Sanatogen,
Biodthin,
Vegetabilische Nährsalze,
Eau de Cologne 471 1,
Chocolat Suchard,
CaHfig,
Pears soap.
Ewiges Mißtrauen ist schädHcher als ewige Gläu-
bigkeit. Es muß erst ein Arzt in schwarzem Gehrock
und funkelnder Brille dir ernst und gemessen sagen:
„Nun, versuchen wir es emmal mit Sanatogen und
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Tamarinde," damit du, Ochs, Vertrauen schöpfest
zu Dingen, die dir doch täglich morgens mit lauter
Druckerschwärze gepredigt werden! Nur der, der
nicht annonciert, kann mir nicht nützen, denn ich
weiß von ihm nichts I
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PLAUDEREI
Es kommt der Augenblick trage herangeschlichen,
da man nichts mehr wird schreiben können. Man hatte
doch etwas zu sagen, was dem anderen nützte. Und
wäre es nur: «»Schlafet bei weit geöffneten Fenstern!**
Man hatte unbedingt eine Mission, eine winzige, eine
nichtige Mission, aber eine Mission! Das hält einen
in Zusammenhang mit allen Menschen, die man nicht
kennt« Den Bekannten gegenüber hat man ja keine
Mission. Für die ist man ein Narr oder ein Schwindler«
Manche sagen sogar: ,,Nein, diese Ehre tun wir ihm ja.
doch nicht anl'' Wofür also halten sie ims? ! Ich könnte
meine Sachen widerrufen, aber Tausende würden sie als
Wahrheiten in sich aufnehmen. Ich könnte es verkün-
den: ,,Nein, die Frauenseele ist doch nicht so, wie ich
sie sehe!** Aber Tausende würden janmiem: „O, bitte,
wir sind doch so!'' Mein Talent war klein, aber mein
Fühlen war groß. Die meisten haben kein Talent und
kein Gefühl, nämlich für allgemeine Dinge, obzwar sie
im besonderen, in ihrem trauten Nestchen, beträcht-
licheGefühleaufbringen, die irgend jemandem nnitVor-
und Zunamen recht sehr zugute kommen. Jemand
schwärmte mir immer und immer von seinem Garten
vor, schilderte ihn mit wirklicher Liebe und Begeiste-
nmg. „Ja,** sagte ich, „aber auf der Strecke so und so
der Balm so und so habe ich einen noch viel schöneren
Garten gesch'n.*' — ,,Und was haben S' davon?!** —
„Nichts", erwiderte ich. Es gibt Menschen, die schöne
Gärten lieben, und es gibt solche, die ihre schönen
Gärten lieben! Das ist der ganze Unterschied. Na,
und was haben s* davon ?l Nichts!
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RICHTIG
Ich verkehrte mit einer sehr intel)igenteii, gebilde-
ten Dame, die viel mit Aristokraten beisammen war.
Da sagte mir eine andere Dame, mit der die Aristo-
kraten nicht verkehrten: Peter, wenn Sie nicht der
Peter wären, würde die Dame auch Sie nicht so
oft in ihrer wunderbaren Equipage abholen!" Ich
erzählte das meiner Freundin. Sie erwiderte: „Sicher- .
Uch; weshalb sollte ich nicht Heber mit einem feinfüh-
ligen Dichter als mit einem Kommis beisammen sein
wollen? Der Kommis kann gewiß ebenso intelligent
und wertvoll sein, aber ich lerne ihn nur kennen als
den, der mir Seide anpreist. Den Dichter kenne ich
im voraus aus seinen Werken. Beide könnten mich
im Nahverkehre gleichmäßig enttäuschen. Aber
von dem einen habe ich dann wenigstens seine Werte
noch in meinem Bücherschranke und kann bei der
Lektüre vergessen, daß er ein gemeiner Kerl ist!*'
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REMINISZENZEN
Eine angenehme Abwechslung während des Ler-
nens war das Anzünden der Öllampe am VVintemach-
mittage. Draußen sah man undeutlich graue Häuser
wie fremde Welten. Da kam das Stubemnädchen und
zündete die Öllampe an. Vorsichtig nahm sie die
Milchglaskugel ab, den glänzenden Zylinder aus Glas.
Sie drehte den bereits vomüttags richtig abgeschnit-
tenen Docht hoch mit der Messingschraube, legte zwei
fadendünne harz-imprägnierte Hölzchen (eine ganz
neue Erfindimg der Technik) im Kreuz über den
gelben Docht und zündete jene an den Enden an.
Oft brannte der Docht, oft brannte er nicht. Endlich
brannte er. Da stülpte das Stubenmädchen vorsieh*
tig den Glaszylinder auf und dann die Milchglas-
kugel. Nun wurde noch ein wenig an der Messing-
schraube, auf welcher der Name , JDitmar" und zwd
- Herkurflügel waren, hin und her gedreht, damit die
Lampe nicht rauche. Endlich brannte sie mit einem
dottergelben matten Schein. Da saß man denn, und
schrieb die Einleitung zu dem Aufsatze: »«Charakter
des Wallenstein": „Wenn wir die großen Helden ver-
gangener Zeiten an xmserem geistigen Auge vorüber-
ziehen lassen "
,,Sie, Blarie, der Docht raucht auf der linken
Seite "
„Aber junger Herr, das ist eine Sekkatur. Ich
habe ihn heute vormittags ganz gerade abgeschnit-
ten.«
Charakter des Wallenstein: „Auf der Höhe seiner
Macht angelangt, überfiel ihn wie die meisten Sterb-
155
Oigitized
liehen die Sehnsucht nach noch Höherem, Unerreich-
barem "
Die Lampe bramite mit dottergelbem, mattem
Schein, und richtig, links rauchte sie ein wenig und
schwärzte sogar den Glaszylinder an.
156
Digltized by
WERTE
Ich finde, daß die Dichter so ,,ästhetisch-sentimen-
tale** und übertrieben eingebildete, und von ihrer so-
genannten Aufgabe, rekte „id^e fixe", besessene ,, Er-
zieher der Menschheit'* sind, die doch bis heute durch
sie nicht um ein Stückchen vorwärtsgekommen,
das heißt, von irgendeinem Leid befreit worden
ist! Die wirklichen großen Wohltaten jedoch über-
sieht man» hält sie für nichts und ist vor allem nicht
dankbar. Als mein geliebter Vater 69 Jahre alt ge-
worden war, gaben ihn sämtliche Professoren infolge
von unheilbaren Alterseischeinungen für verloren,
und meine Bfama, die seit zehn Jahren tot ist, weinte
sich die Augen aus. Da sandte ich meinem Vater zwei
Schachteln „Tamar Indien Grillon", mit der Auf-
forderung, jeden Morgen vor dem Frühstück un-
bedingt eine Pastille zu nehmen.
Seitdem ist er ein Jüngling geworden, ist 83
Jahre alt, hat nicht eine einzige Beschwerde des
Alters. Verdauung jünglingshaft, ewiger Appetit,
rosige Laune, Schlaf zehn Stunden ohne Unterbre-
chung. Er fühlt nicht, daß er alt ist. Sein einziger
Kummer ist, daß er nicht mittags und abends, aus
dkononüschen Gründen, besondere Leckerbissen ha-
ben kann, wie Rebhühner, Rehrücken kalt, kalte
Poularden, Straßburger Gänseleberpastete, Kaviar,
Krebse usw. usw. Er liest von morgens bis abends
französische Romane (deutsche versteht er nicht, sie
sind ihm zu „vertrackt"), ohne Augenglas, geht nie
aus seinem Zimmer, und bedarf absolut keiner
Bewegung. Schmerzen« Melancholie, Schwächege»
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Digilized
fühle und Langeweile kennt er nicht. Jetzt schrieb
er mir kurz: „Du, ich nehme noch immer pünkt-
lich Dein berühmtes ,,Taniar". Es ist besser als
Deine Dichtungen; die sind für mich ganz unver-
daulich. Du hättest doch vielleicht Mediziner werden
soUenl**
f
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SCHLAFMIITEL
Paraldehyd,
Dir gilt mein Lied!
Der Tag ist lang,
mir ist so bang
vor'm nächsten!
Paraldehyd,
Dir gilt mein Lied!
Ich glaubte stets»
mein letztes Lied
sollt' einem Frauennamen gelten —
versunken sind nun diese Welten!
Mit Medinal
hätf ich die Wahl
indessen
Paraldehyd bringt tieferes Glück -
ein längeres Vergessen!
*
FAHRT
Ich bin nicht gereist, ich weiß bis heute es nicht«
wie ein Schlafwagen ausschaut, verstehe nichts da-
von, daß man nachts in seinem Bett, auf einem Kopf-
polster» unter einer Decke und mit anderen nützlichen
und bequemen Utensilien, durch die Welt getragen
wird und morgens, ganz ausgeruht, irgendwo sich
befindet, wo man, mit Respekt zu melden, noch
niemals auch nur annähernd gewesen ist. Nun
brachte man mich an einem frischen Julimorgen, per
Automobil, 70 Kilometer die Stunde, nach Wiener-
Neustadt. Alle Wiesen begossen uns fortwährend
mit ihren Parfüms« Wind und Duft, das allein spürte
man. Lioschka sagte nur einmal: ,,Wenn etwas ge-
schieht, gehen die Splitter der Autobrille vorerst in
die Augen und zerreißen sie!" Dann nahm sie lang-
sam die Autobrille ab. Dann sagte sie: „Ihre geliebten
weißen Kartoffelblütenfelder I Früher habe ich mich
nicht getraut, sie schön zu finden! Es hätte sich
auch nicht für n\fch geschickt!" Dann sagte sie:
„Haben Sie auch den roten Mohn in den Wiesen gern»
obzwar es ein Unkraut ist und schädlich für die armen
Kühe?!"
Ich berührte leise ihre Hand in den hellbraunen
Rehlederhandschuhen. In Wiener-Neustadt setzte
man mich ab. Gerade fiel einer von einem Gerüste,
brach sich das Genick. Ich kaufte mir Bergblumen-
ansichtskarten und fünffarbige Hülsen für Bleistifte.
Ich ließ mir ein Zimmer aufsperren im Hotel neben
dem Bahnhof, um su schlafen. Alle Bediensteten
waren wie besorgte Kindermädchen, obzwar ich nicht
160
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nach ^«reichlichem Trinkgeld" aussah. Aber der
Schein trügt. Das ist vielleicht die letzte Philosophie
dieser dienenden Menschen.
Er ist vielleicht doch ein reicher Narr! Das letz-
tere stimmte. Man brachte mir alles, das heißt zehn
Flaschen Pilsner Bier. Das ist doch alles! Ja und
einen Roßhaarpolster. Wenn ich nur wüßte, weshalb
man noch nicht auf polierten Granitsteinen schläft ? 1
Diese Eiderdannen aus zusammengedrückter Watte
sind doch nur für die ,, Prinzessinnen in den Kinder-
mäxchen'M Wir Erwachsenen wollen hart schlafen,
wie die Kaiser in ihren einfachen Feldbetten im
Kriege. Ameii.
Ich erwachte und fuhr sogleich auf den Semmering
zurück. Aus dem Dunst ins Gebirge. In Pottschach
stieg eine ein, in einem braungrün schillernden seide-
nen Bauemkostüme. Die hatte ein Gesicht wie eine
14 jährige Eleonora Duse. Aber in Payerbach stieg
sie wieder aus. Sie sah meinen Blick nicht voll Trauer
und Verzweiflung. Besser für sie und mich. Vielleicht
hätte sie gedacht: „Alter Hund!" Die Lokomotive *
„pustete", wie man zu sagen pflegt, in die Bergwelt-
kurven hinauf. Man glaubt immer, daß sie es nicht
überwältigen wird. Aber das ist ein laienhafter Irr-
tum. Sie ist daasu geschaffen, konstruiert und aus^
probiert. Gerade so ist es wie mit der unglücklichen
*Liebe". Unser Herz ist dazu konstruiert. Manchmal
zerbricht es. Das sind „unvorllergesehene Fälle'S die
auch der genialste Maschinentechniker nicht voraus-
berechnen kann. Die Luft wurde immer frischer, imd
ich gedachte des genialen Erbauers dieser Bahn,
Ritter von Ghega, der sie in die Felsen mit Gewalt
161
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I
hineinbohrte, damit der Naturfreund alles genieße,
Abgründe, Urwälder, Ausblicke, kurz die Dekoration
der Bergeswelten! Auf dem Semmering dachte ich:
»In Pottschach ist eine eingestiegen« in einem braun-
grün schillernden seidenen Bauemkostüme. Weshalb
hat sie meinen Blick nicht gesehen von namenloser
Begeisterung?! Vielleicht hätte er sie geschützt vor
dem Herrn so und so, dem sie jetzt unbefangen die
Hand reichen wird zum „emgen Bunde**?! Unsere
Blicke sind nicht da, um zu ,, zünden", sondern um
zu „schützen", vor Blicken, die .«seelisch stargrau*'
sind! Wir sind nicht da, um zu ,,erobem'', sondern
um zu „schützen"! Ein jeder hat seine Aufgabe im
Leben! £r erfülle sie!
z6a
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LIED
Die 15 jährige Anna war sein Ideal. Strohgelbe
leuchtende Weizenwogen ihre Haare!
Franziska hieß die jüngere Schwester.
Annas Lachen war wie tausend jubilierende Her-
zen .
Franziska hieß die jüngere Schwester.
Immer war Aima vorhanden, in seiner Seele,
noch mehr, wenn sie abwesend war .
Franziska hieß die jüngere Schwester.
Anna bekam den „Scharlach". Er wurde bleich.
Franziska bekam auch d^n Scharlach«
Anna genas .
Doch er blieb bleich«
163
ABSCHIED
Nun bist du fort
Nun wirst, nun kannst du mich nicht mehr
quälen.
Ich sehe deinen Blick nidit mehr« der ins Leere
starrt,
das heißt, auf alle Männer, die sich gerade
finden!
Ich sehe nicht mehr, daß du frech ««schachern**
willst«
mit dem immerhin geringen Kapitale, das dir
mitgegeben!
Und daß du ««Wucherzinsen" beehrst für einen
annehmbaren Leib!
Ich bin erlöst, weil ich dich nicht mehr sehe.
Was du mir bist, kannst du niemandem sein!
Das aber kannst du erst verstehen«
bis du allen, allen nichts mehr sein wirst!
's ist eine Frage, nur der Zeit, der Monate, der
Stunden .
Und ich kann warten.
Ich habe die Tränenkraft, zu warten.
Und wenn du weinend zu mir flüchten wirst,
werde ich, trocknen Auges« deine zerstörte Seele
schützen, schirmen!
Denn irgend etwas bleibt stets unzeistört — — — ^
164
Digitized by
GESPRÄCH MIT EINER BARONIN, EX-
ZELLENZ-FRAU, ÜBER IHREN HERR-
LICHEN ZWÖLFJÄHRIGEN SOHN
, Je crains d6jä maintenant nuit et jour ks fem-
mes qui viendront plus tard !**
,,£h, madame, craignez donc les hommes qui
viendront plutötr*
t6$
ENTZWEIT
Oft sagte ich ihr, was mir an ihr nicht recht
war
ganz verzweifelt starrte sie mich mit bösem Blicke
an.
Ein Abgrund öffnete sich, meine Liebe und ihre
Freundschaft aufzunehmen.
Dunkel ward's mid kalt.
Hilflos ist die Frau in solchen Augenblicken,
glaubt stets sich etwas zu vergeben, falls sie milde
wird, ergeben,
fällt der bangen Stimde hilflos stimmi anheim.
Ich sagte: »»Hörst du die Holzfäller, den Schwarz-
specht, riechst du der feuchten Wurzelstämme brau-
nen Moder, siehst du die Bläue des letzten Enzians,
fühlst du meinen Schmerz?"
Sie sagte: „Hit solchen Reden wollen Sie mich
versöhnen?!"
„Mit solchen Reden nicht, doch überhaupt. Und
irgendetwas muß gesprochen werden, sei's dies, sei's
jenes. Vielleicht findet sieh ein Wort , Es
muß ein Wort einfach gefunden werden, das sich
wie eine Notbrücke von meiner Seele zu der deinen
spannt!"
Und sie: „Siehst du, du bereust .
„Ja, ich bereue, daß meine Liebe größer als
meine Sehnsucht, dich zu bessern, istl"
z66
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GESPRÄCH MIT DER SECHSJÄHRIGEN
SONJA DUNGYERSKY
,,Das ist ein Pastellstift zum Malen. Oh, ich weiß
alles, sehen Sie!?**
Alles, alles weißt du, angebetetes Kindeben, aber
wie sehr ich dich heb habe, das, das weißt du doch
nicht !"
„Und gerade das weiß ich. Sie haben mich sogar
lieber ak meine GroBmama mich lieb hat
167
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GLEICH BEIM HOTEL
Gleich beim Hotel, links von der weißen Straße
ist eine abschüssige Wiese, die niemand betritt«
Im Uxzustande ist das vielfarbige Fleckchen.
Auf roten Disteln wiegte sich der Distelfink,
und graue Brennesseln bargen gelbe Schnecken.
Es war ein Gewirr von braun und grau und weiß,
mannshoch und dicht. Im Mondlicht lag es düster.
Hier erschaute ich der holden Jahreszeiten holden
Wechsel.
Oberhalb wurde gebaut mit hunderttausend
weißen Betonwürfeln»
und unten war das Bahngeleise nach Triest.
Hier aber, auf dem abschüssigen unzugänglichen
Wiesenfleckchen» gab ein Monat dem anderen die
Tür.
Ein jeder kam in seinem Prachtgewande.
Und jeden grüßte ich d^inkbaren Blicks.
Es war mein Kalender. Ich erkannte jeden Monat,
jede Woche, ja jeden Tag an den Veränderungen.
Als alles blühen wollte, sah ich es voraus;
• ich sah voraus, als alles sterben mußtel
Wer wird dich nun betrachten, da ich fort bin?!
Es ist, und ist dennoch nicht mehr .
L*äme, c'est la nature, devenue consciente de
soi-meme !
Et puis: La nature n'existe quelorsqu'on Taimet
i6S
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GESPRACH MIT EINER WUNDER-
SCHÖNEN DAME VON 30 JAHREN
„Nach kaum 14 Tagen wollen Sie schon wieder
vom heiligen Semmering abreisen, Sie mit Ihren
empfindlichen Nerven?'*
, Ja, ich spüre es, dafi' der Semmering mir nicht
hüft
,,£in berühmter Homöopath hat gesagt: „O,
Mensch, die Heilprozesse deiner Krankheit dauern
immer gerade so lange, als du Zeit gebraucht hast»
siedurchdeineSünden zu akquirieren !"
„Mein lieber Herr Altenberg, 16 Jahre lang kann
ich nicht auf dem Semmering bleiben!
169
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I
PLAUDEREI
Ausspruch eines fünQährigen Bläderls:
,,Wenn man alleweil brav ist, wissen die Leut'
dann gar nicht mehr, ob man noch auf der Welt ist !"
Die Eltern tragen mir ununterbrochen Anekdoten
über ihre vergötterten Kindchen zu. Sie sind tief
überzeugt davon, daß es gerade mich interessiere!
Ich interessiere mich auch wirküch dafür, daß sie
alle so tief überzeugt davon sind, daß ich mich
dafür interessiere! Denn diesen schönen Schein
zu erwecken, heißt eben ein Dichter sein! Und als
das möchte man doch gerne gelten, wenn man schon
vreder Beruf noch Geld hat, nicht?!?
„Mein Knabe sagte mir gestem^S „mein Mäderl
sagte mir vorgestern", höre ich alle Tage zehnmal.
Ob eines dieser kleinen Mistvi^cherl einmal zu der
reichen Mama den genialen Ausspruch täte: „Mama,
wenn du mich wirklich lieb hast, dann gibst du
diesem entzückenden alten kranken Dichter eine
Monatsrate von fünfzig Kronen !"
Ausspruch eines sechsjährigen Mäderls beim Ab-
schied vom Semmering: „Ach, wie werde ich fürder
ohne meinen geliebten Pinkenkogel und Sonnwend-
stein existieren können?!**
Ich hätte gerne geantwortet: „Sehr gut wirst du
fürder existieren können, indem ich dir fürder für
jeden affektierten, verlogenen, manierierten Aus-
spruch deinen Hintern aushauen werde !"
170
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GEGEN
Es ist eine der infamsten Lügen der Moder-
nen**, daß es „ewigen Fortschritt" gäbe! Wenn ich
das schon sage, will es etwas heißen I Die Kremoneser
Geigen, die Amati, Giiameri, sind nicht zu übertref-
fen, ja nicht einmal ihr „Spiegel -Lack" und ihre
„Schnecke**. Der Seiltänzer Blondin, der vor 40
Jahren über den Niagara tanzte und mitten über dem
Katarakte auf einem zusammenlegbaren Sparherde
sich eine Eierspeise kochte und aß, auf einem Klapp-
sessel sitzend, ist nicht zu übertreffen. Ebenso
nicht die Koloratur der Adelina Patti, die Lack-
arbeiten, Seidenstickereien der Japaner und Goethes
Gedichte. Aber diese Herren, nomina sunt bekannt,
wollen in Malerei, Musik und Dichtkunst „ewige
Portschritte**' uns einreden? Und gerade ausgerech-
net sie? Bei dem nicht zu übertreffenden „Voll-
kommenen" demütig haltmachen können, ist Fort-
schritt! Nach Mozart hat man keine Quartette
mehr zu schreibenl
171
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ROMPEI
Bevor nicht jeder deiner einstigen Kavaliere von
dir sagt:
„Was ist an ihr? Sie ist gewöhnlich, dumm \md
ohne Anmut, ohne Reiz^S
glaub' ich dir deine absolute innere Treue nicht!
Zu deinen Feinden mußt du sie erst machen
wollen,
um mir zu zeigen, daß du mir gehörst!
Solange sie siegreich Besiegte sind,
die Waffe senkend schwärmerischen Blickes»
bin ich besiegter Sieger!
Treibe sie zum Hasse, zur Verachtung!
Dann erst Bebst du mich!
Und so geschah's.
Nur einer von den Rittern sagte zu mir, nach
langem Schweigen, eines Abends:
,,Und wissen Sie, was ihre größte Tugend ist?
Daß sie Sie liebgewonnen hat, und uns den Laufpaß
gab!"
Ich sagt' ihr das.
Und sie erwiderte: ,,Der Arme, Gute. Ich hab'
ihn vorgemerkt. Nach Ihnen kommt er dran!"
172
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WASCHUNGEN
, Jch wasche mich täglich unmittelbar nach dem
Aufstehen vom Kopfe bis zu den Zehen, zuexst lau
und dann kalt," sagte das wertvolle moderne Mäd-
chen zu mir.
»«Sehr gut/' erwiderte ich, „aber ich glaube nicht,
daß Jeaime d'Arc dazu immer Zeit hatte, als sie
in die Schlacht mußte, um Frankreich zu erretten!"
Als ich sehr krank lag, nahm es mich immer
,,Wunder", daß meine Geliebte, nach einer durch-
wachten und durchsorgten Nacht, noch immer die
Energie fand, sich morgens vom Kopf bis zu den
Zehen einzuseifen und abzuspülen.
Sie sagte zwar: „Das tue ich, um mich für dich
frisch zu erhalten!" '
Aber, siehe, ich glaubte ihr das nicht.
Es war das „gottlose Weibchen" in ihr, das trotz
allem und unter allen Umständen, sich appetit-
lich erhalten woUte! Für wen?! Nun für
allel
173
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RESPEKT
Er war immer, immer gerührt» ergriffen durch ihre
,»PersQiiUchkeit'% die auch die lange Krankheit nicht
in ihr vernichten konnte. Er hatte immer die Idee,
sie würde mit dem letzten Atemzuge noch einen über-
aus herzigen und aparten Clowntrick machen, imd
z. B. sagen: „O, Peter, ich werde also, wenn ich
hinkomme morgen, den Petrus bitten, er soll, wenn
du ankommst, dir deine vielen Sünden verzeihen,
schon weil du sein Namensvetter bist!**
»
Infolgedessen konnte er sich nicht enthalten, sie
im Gespräche hie und da zärtlichst bei der Hand, am
Arme, am Haupte, anzurühren. Wie ein süßes Kind-
chen.
Da sagte sie eines Tages: „Frau Lilly rührst du
nie an, obzwar du sie auch sehr gern hast! Du hast
aber mehr Respekt vor ihr! Siehst du?"
Seitdem habe ich die süße kindliche Frau jue
mehr angerührt. *
Einmal sagte sie zu mir: „Hast du mich also nicht
mehr so gern wie früher, Peter? "
„O ja, aber ich habe Respekt vor dir bekom-
men!"
„Du drnnmer Mensch!" sagte sie und lächelte —
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FALZAREGO-PASS-H OHE
2250 Meter. Also sum erstenmal seit meiner
jauchzenden Kindheit wieder auf steinbesäter Berg-
alm mit dunklen Latschenkiefern, weißem Speik und
Geruch von Ziegen.
Irgendein Wässerlein tropfte, sickerte von aus-
gelaugten Felsenplatten. Meine Hand berührte zärt-
lich die polierten Nadeln des Zirbeljiolzes. Ich
lauschte dem Rauschen im Legföhrenwalde. Das. Knie-
bolz schwankt nicht im Bergföhnstöhnen. Die
Stämme sind wie Kautschuk. Der schwarze Weg ist
feucht und klebrig. •
Ich gedachte des „Ochsenbodens" auf dem Schnee-
berg, Märchen meiner Kindheit. Wie liebte ich diese
fahlen blumenlosen Matten mit Geroch von weiden-
den Tieren!
Wie wenn der Kreis sich schlösse meines Daseins.
Auf Bergmattenbegann es mit unbewußtem Jauchzen^
auf Bergmatten endet es mit emster Wehmut. Falza-
rego!
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ENTERBTE DES SCHICKSALS
Sie hatte eine kleine reizende Blumenhandlung
im Beiighotel. Das heißt, sie hatte sie nicht, sondern
sie war nur Verkäuferin. Die Besitzer waren in Wien,
reiche Leute.
Sie liebte die Blumen, die man ihr von den un-
gangbaren Felsgraten brachte, sie liebte die Blumen,
die man ihr aus Ziergärten schickte in Watte und
Holzbamnwolle. Alles, alles mußte sie aber doch ver-
t
kaufen« Ihre besten Kunden waren die „Hotel-Don
Juans'* und die „Neuvennählten*\ Und sogenannte
notwendige Abschiedsbuketts, von denen man dachte:
„Ich will nicht, aber ich muß!'' Diese verkaufte sie
am liebsten, schlug, so weit es ging, mit dem Preise
auf, unerbittlich. Abschied ohne Abschieds-
tränen muß teuer bezahlt werden! Einmal kam ein
Dichter, bestellte für die sechsjährige Sonja Dungyers-
ky einen Strauß von heUrosigen „Rosa Crimson
Rambler". Diesen ließ sie sich nicht bezahlen.
„Weshalb denn nicht?!" fragte der Dichter. „Wir
wollen doch auch um Gottes willen einmal eine Freude
haben 1 Etwas miterleben 1" erwiderte die Verkäu-
ferin.
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FRÜHLING
Also jetzt weiB ich alles — — — zuerst kommen
die Kätzchen der Haselstaude, dann kommt primula
acaulis, dann gentiana brachyphylla, dann kommt
ein grüner Schimmer über die Birken, dann kommt
Leontodon taiaxacum, dann kommt ein weißer
Schimmer über die Birnbäume, dann erwachen die
Kastanienbäume, und zuletzt die Lärchen. Jetzt
weis ich alles, 80 wird es! Hotels werden gebaut ans
weißen Betondegeln, imd man projektiert ein Ton-
taubenschießen. Gleichsam ein lebendiger Protest
gegen das Massakrieren von lebenden Tauben. Frei-
lich der Turmfalke, der Sperber, der Wanderfalke,
die Eule?!? Aber die tun es aus Instmkt, den wir
Gott sei Dank verloren haben. So viele Leute jedoch
ersehnen sich ihn wieder. Sie haben aber leider noch
genug davon!
,177
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I
ERLEBNIS
Ich kaufte mir für eine Krone eine Ponsellan-
kaffeeschale mit gemalter Ansicht: ,3emmering,
Hotel Panhans", steckte eine große Rolle Papier
hinein, auf dem geschrieben stand: ^^Das sind die
»»Andenken'^ die die reichen Damen ihren mi-
glücklichen Dienstboten vom Semmering mitzu-
bringen pflegen!
Und das Dienstmädchen sagt gerührt: ,,Aber
gnä* Frau, nein so was !"
Aber sie meint: „Nein, so was Billiges, Scheuß*
hchesl'*
Kaum hatte ich. die Sache auf meinem Tische auf-
gestellt, besuchte mich ein reicher Gutsbesitzer.
„Großartig" sagte er, ,,wir fahren heute weg. Meine
Frau hat drei solcher Kaffeeschalen für unsere Dienst-
boten gekauft! Und ich sag' Ihnen doch, mein heber
Altenberg, solche Leut' freut das am meisten I" „Ja,
Schnecken!** wollte ich sagen, aber ich sagte: „Selbst-
verständlich, sicherlich.*' Dann sagte er: „Zeigen
Sie's jedesfalls meiner Frau, vielleicht gift' sie sich/^
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DIE TÄNZERIN
Ja, gut, ich war von meinem achten Jahre an bis
zu meinem siebzehnten eine englische Tänzerin in
Varietes.
Aber icli daxf es nur denen sagen, die es als meine
* Ehre betrachten, daß ich schön tanzte und mir mein
Geld verdiente und meiner Mutter davon gab, näm-
lich Geschenke. Sonst nahm sie nichts.
Aber den Damen darf man es nicht sagen,
die kalt und bös im dunuoien Leben stehn!
Sie wissen nichts von unserer hohen Ehre,
daß wir der Kunst gedient und dennoch stets
Herrinnen gebheben sind über uns selbstl
Sie glauben, man müsse im Kampfe unterliegen,
denn siehe, sie unteriägen im ersten Vorposten-
gefechtl
!»♦ 179
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MEINE EHRUNGEN
Die Frau eines berühmten Operettenkomponisten
sagte zu mir: „Herr Altenberg, Sie wissen doch alles
von den wichtigen Sachen im Leben, ich bitte, soll
man Rhabarber in einem Garten anpflanzen?"
»»Nein, unter keiner Bedingung! Rhabarber ver-
braucht alle Bodenkraft ringsumher, er ist, gleich
dem Rasen, der Egoist in der Pflanzenwelt!"
Die Frau eines berühmten Schriftstellers sagte zu
mir: „Ich bitte sehr, soll man den Reis schon die
Nacht vorher einweichen in einem Wasserwandel?"
„Jedenfalls! Reis bedarf der Vorbereitung, wie
jede zarte Sache!"
Eine dritte Dame sagte: „Alles was in Ihren
Büchern ist, ist längst vorher in unseren Herzen!
Aber wir sind feig, behalten es bei uns« Es ist gut,
daß jemand den Mut habe! Und dann: Uns glaubt
man nicht. Den Dichtem zwar auch nicht. Man
sagt: Ein Dichter! Uns aber sagt man: Gans!"
i8o
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KLARA
Es gibt Mädchen, deren ewige Verehrer wir
bereits sind durch die Art wie sie ihre Haare zurück-
streichen an den Schläfen. Eine unermeßliche Anmut
ist es» eine kindlich-lässige, nichts bedeutend un4
für uns ein Schicksal!
Hätte ich nicht gesehen, wie sie ihre Haare
zurückstreicht aber ich habe es gesehn und
bin verloren!
Von nun an für sie beten und weinen
Wie hob sie die Arme, wie hielt sie die Schultern,
wie waren ihre Hände, ihre Finger, wie stand sie
da, und wie besiegte sie alle Nixenreigen im Mond-
lichte am Waldsee der Märchen?!
* Sie strich die aschblonden Haare zurecht, eine Be-
wegung, die so natürlich, selbstverständlich ist wie
Atmen, Gehen, Sprechen. Ich aber beugte mein Knie
vor Gottes Weltenanmut, die er mich Armseligen
in seiner unerschöpflichen Gnade, an einem Juli-
vormittag eischaHen ließt
iSi
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9
BERGHOTEL -TERRASSE, SEMMERING
Daß ich da bin, ist mir ein ewiges Rätsel .
Ich war schon in der Gruft» durch Schuld der
Ärzte!
Heimtüdpsche Mörder ihr» nein, schrecklidier»
Idioten!
Nun hab* ich den Bergwald vor. meinem Fenster,
und die Stimme der K. P. jauchzt und singt und
spricht Gesänge; bloß wenn sie nur sagt» was alle
Menschen sagen; Gewöhnlichstes wird zum ewigen
Ereignis. Wie man es sagt» ist alles» was» ist
nichts!
Und die Komtesse schreitet» fliegt» schwebt»
schlängelt sich über die Terrasse — .
Das süße Kindchen Sonja Dungyersky steht da
in braunen Locken und ihre Beine sind dünn und
braun wie von Gazellen .
Daß ich noch bin, ist mir ein ewiges Rätsel. Gott,
schütze mir die, deren Schönheit .mich berauscht!
An denen ich krank werde und gesund zugleichl
Berghotelterraase aus Beton» mit deinen grell-
roten Tischen, Sesseln, ich war dein erster Morgen-
gast, imd ich begrüßte dich zärthchst, du feuchte
noch vom Morgentau! Im äußersten Ecke saß ich»
oberhalb der Baumwipfel» und starrte in den weißen
Mürztalnebel ! Ich sah dich erstehen aus grauen
nassen weichen Betonhaufen; ich wartete 21 Tage
auf deine Marmorhärte; ich war dein erster Gast!
182
L iyiii^uü Oy Google
ERKENNTNIS
Alle Frauen rächen sich am Manne für irgendeine
Unzulänglichkeit» die sie besitzen! Häßliche Finger-
nägel machen sie bereits boshaft nnd gereizt. Von
einem „unidealen Busen** gar nicht zu sprechen! Da
begehren sie Tag und Nacht auf mit dem grausamen
Schicksalf verzehren sich in Leid« und lassen sich's
nicht merken! Deshalb muß eigentlich jeder
Mann milde sein, gerührt, gestimmt zum Ver-
zeihen! Wenn eine die Genialität hätte, es zu sagen:
,,Ich bin unglücklich über mich selbst!"' Aber das
wagen sie nicht, es sich selbst einzugestehen. Sie
verlassen sich auf die Güte des Mannes, der sich
„sekkieren, quälen, ungerecht behandeln** läßt! Sie
haben aber recht, denn seine Liebe ist von Gott
eingegeben, und ihr Schicksal ist irdisch und ein*
bißchen vom Teufel! Er hat die göttliche Kraft
zu leiden mitbekommen, sie die irdische Schwä-
che, glücklich sein zu wollen!
t83
KLARA
13. Juli, vormittag. Sie ging, in weißem Kleide,
langsam den Wiesenweg hinauf. Ich sah sie; und sah
sie wieder nicht. Sie grüßte» und ein Gebüsch ver-
deckte sie. Dann sah ich sie wieder. Langsam sah ich
ihr weißes Kleid imd ihre blonden Haare dem Wald
zuschweben. Ich stand gebannt und grüßte nicht.
Sie wußte, wie mir zumut war. Sie grüßte noch
einmal. Wie wenn man sagte: „Du bist der erste, der
gebannt steht und es vergißt, zu grüßen !**
Sie wußte dennoch nichts von ihrer heiligen,
schrecklich-süßen Macht. Ich aber warf mich au&
Bett und weinte . Dann kam sie zurück. Ich
sah ihr weißes Kleid und ihre blonden Haare. Ge-
büsch verbarg sie, mochte sie entschwinden. Dann
sah ich sie wieder. Ich verneigte mich. Sie ging
vorüber; und wie eine Regenwolke kam es über die
lichte Landschaft . »
184
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EIN KOMT£SS£N-BRI£F
Lieber Peter Altenberg, *
weshalb sagen Sie mir das über die „göttliche
Vollkommenheit meines Leibes"» den Sie mibedingt
miter allen Hüllen nackt sehen?! Ich habe doch
schon alle Untugenden, die unser Stand, unsere
Sorgenlosigkeit, unsere Verwöhnung von früh bis
abends, mit sich bringen ohne unser Hinzutun!?
Jetzt kommt noch die Begeisterung eines Dichters
hinzu, also eines Menjchen, der nichts will als be-
geistert, berauscht, gerührt sein ? l So ein Beschenkerl
Sie weiden mich nicht eitel machen» Edler» ich werde
nur denken: „Vielleicht verhilft es ihm zu einem Ge-
dichte, das wieder anderen hilft, wenn sie es lesen! ?*'
Und dennoch habe ich mich abends in dem Steh-
spi^ld angeschaut und gedacht: «»Dichter wissen
doch alles!**
x85
Märchen des lebens
Der größte Beweis von Kultur und Takt einer
Frau ist es, sich die ihr immerhin ganz angenehme
Verehrung eines ungeliebten Mannes gefallen zu
lassen, ohne ihn je zu kränken! Eine Dame Heß sich
durch sechs Wochen meine schwärmerische Be-
geisterung sanft lächehid gefallen. Beim Abschied
bat ich sie, doch den Rehlederhandschuh abzustreifen,
damit ich zum ersten- \md zum letztenmal ihre ge^
liebte Hand küssen könne — ^ ,
,,Schau'ns,Peter, washaben'sdavon, nix. Das hat
gar keinen Zweck. Hab* ich recht
„Vollkommen", erwiderte ich.
»»Leicht sind Sie getröstet, mein Herr!** erwiderte
sie.
„Im Gegenteil, ich bin untröstlich darüber, daß
Sie in Ihrer Kindheit zu wenig französische und eng-
lische Gouvernanten gehabt habenr*
x86
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WORÜBER MAN NOCH IMMER WEINT,
UND EWIG WEINEN WIRDl
Frau verließ den Haxm .
Hundert Millionäre lagen ihr zu Füßen.
Da bekam ihr Kindchen Scharlach.
Ihr Mann schrieb ihr: ,,Marie schreit auf aus
tiefem Schlaf, ruft Deinen Namenr^
Da kam sie.
Und büebl
187
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BESUCH
Nun gut, ich bin ewig begeistert, trotz meiner
53 Jahre und meiner Krankheit, die doch schließUch
unmerklich die KrSfte wegfrißt wie ein irrsinnige
Jaguar, der nie genug hat und im Blute wühlt und
trinkt ganz ohne Durst ! Mir gegenüber, auf Zimmer
142, 143, wohnt seit gestern ein kleines Mädchen,
Ungarin» Bulgarin oder Serbin; im Nationalkostüm
nüt ganz nackten, herrlichsten Beinen geht sie. Als
ich sie heute auf der Stiege traf, lächelte ihre Mama
über mein begeistertesGesicht. Ich stand tmd schaute.
Weshalb reisen, wenn die fremden Linder in ihrer
Märchenpracht sich zu \ms bemühen?! Das Hotel-
stubeimiädchen ließ mich in das unaufgeräumte
Zimmer. Ich kniete an dem Bett des Kindes nieder,
küßte das Linnen, auf dem ihr.heiliger Leib geruht!
Das Stubenmädchen sagte: „Wann sollen denn die
Menschen schön sein als so lang sie klein sindPl
Später „wachsen sie sich aus**, da wird eine wie die
andere
Ich schenkte ihr zwei Kronen, denn sie war meine
Mitarbeiterin geworden an dieser Skizze, die zwar
noch nicht . angenommen und bezahlt ist. Aber man
muß etwas riskieren .
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LIEBESGEDICHT
Ich wußte es, sie hatte mich betrogen — * .
Betrogen ? Nein. Sie hatte nur vergessen, es mir
zu sagen, es mir mitzuteilen ^.
Denn ich hätte es ihr gestattet; wie einem Kind*
chenKugler-Gerbeaud-Bonbons, von denen man nicht
wissen kann, wie zart sie schmecken .
Das Stubenmädchen brachte mir ihren, meinen
armseligen Ring, zehn Kronen, den sie auf Zimmer
109, im Bett gefunden hatte.
Dann ging ich in die Bergwiesen, in den Wald, zu
unserem heiügen Ruheplätzchen.
Hochgelbe Arnika wuchs, weißer Klee, braune
Schuppenwurz, hla Orchideen, ein 'Liebesteppich.
Sie hatte mich betrogen. Nein.
Dort, siehe, war es ein weißes Bett gewesen wie
tausend Betten • Ein weißes, weißes, nichts-
sagendes Bett.
Hier aber war Bergwiesen-Liebesteppich, in Gottes
bunter Prachtl Hier blieb sie mir treu!
189
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DAS GRÖSSTE KOMPLIMENT
(Der Komtesse T. W. geweiht.)
Einige Herren saßen beim Frühstück auf der
herrlichen Bergterrasse, sprachen über die junge
Gräfin.
Der erste: ^,Sie ist so liebreizend, daß man krank
mid gesund zugleich wird bei ihrem Anblick!'*
Der Zweite: ,,Ich habe ein Gedicht gemacht, es
ist das erste in meinem Leben. Puccini will es mir
in Musik setzen/'
Der Dritte: „Ich schrieb an meine geliebte alte
Mutter nur über sie, acht Quartseiten
Der Vierte: „Sie ist da, und selbst der Bergwald
ist seitdem schöncHr, melancholischer, äüster-verhäng»
nisvoll geworden!"
Der Fünfte: ,,Wenn sie abends 8 Uhr, beim Kon-
zerte, in den Speisesaal treten würde, splitter-
nackt, sich hinsetzen, essen, trinken, sprechen
würde, so würde der ganze Saal es für natürlich,
selbstverständlich finden, als ob man längst darauf
gewartet hätte! Man spürte es direkt als etwas Un-
schickliches, daß sie ^üher angekleidet gekommen
war!'*
X90
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LE MONDE
Die Schaukel war weitausgebaucht und braunrot.
Im Winter sah sie nach nichts aus, im Sommer
wurde sie mir eine lichte Welt! Klara, Franziska
schaukelten darin, vormittags, nachmittags bis zum
Abend, in weißen Batistgewändern» mit blondgolde-
nen, wehenden Seidenhaaren.
Im Winter sah die braunrote Schaukel nach nichts
aus, im Sonmaer wurde sie mir eine lichte Welt .
Dann kam der Herbst und dann der erste Schnee.
Da blickte ich denn oft dankbar hinaus zur Schaukel,
tief dankbar für das einst Gebotene.
f
191
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EIN REGENTAG
Es regnet. 9. Juli 1912, nachmittag 5 Uhr.
Ganz dichte graue Schleier ziehen über den Berg-
wald vor meinen Fenstern. Alles trieft, ist unter-
getaucht in Nebel. Die Blumen haben ihre Farbe
verloren, die Blechdächer glänzen, sind von Staub
gereinigt, naß-poliert. Die Schaukel, die SchaukeL
Vormittags schaukelte noch die sonnigste Frau, die
blondgelichtete, die musiksprechende, in der
Sonne! Ich sah sie schweben und weinte. Mir ist
nichts anderes gegeben als zu weinen. Ich känn keine
Lieder komponieren zum Preise, wie Brahms, Hugo
Wolf, Grieg. Ich kann nur eine Melodie —
weinen. Klara, Klara. Es regnet. Graue Schleier
ziehen über den Bergwald vor meinem Fenster. Es
duftet nach nassem Wald natürlich. Alles ist wie er-
tränkt. Klara, Klara, du sitzest in deinem Zimmer,
lernst wichtige Dinge, fürs nächste Jahr, für die
Prüfung, für das Leben. Deine blonden Lockenwol-
ken streifen das weiße Papier, auf dem du schreibst
. Du sagst: „An einem solchen faden Nach-
mittag ist's noch am besten zu lernen !**
Oigitized by
IN 24 STUNDEN .
,Jch bitte, nehmen Sie mich nm Gotteswillen
heute nacht in Ihr Zimmer!"
„Was interessiert Sie an meinem Zimmer?! Sie
haben es doch schon oft bei 1^ besichtigt?!"
„Bei Nacht muB es viel schöner sein!**
„Mein Mann wird Sie erschießen!"
„Das macht nichts!'*
,,Mein Mann wird mich erschießen!"
Infolgedessen sah er nie ihr Zimmer bei Nacht.
Nun werdet ihr mich fragen: ,,Und bei Tage?!"
Frauen sind so kindUch, das Tageslicht als neu-
tralisierend zu betrachten; die Sonne kann mit
ihrem lichten Strahl die dunklen Sünden bleichen!
Sie läßt sich erzählen imd beichten! Und verzeiht!
Nur die Finsternis ist heimtückisch« macht zur
Verbrecherin und verrät! «^Kommen Sie, mein Herr,
bei TagesUcht!"
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HOTEL-STUBENMÄDCHEN
Ich sagte zu meinem Hotel-Stubemnädchen: , Jo»
hamia, Sie werden von Tag zu Tag unaufmerksamer
gegen mich. Gestern waren sogar keine Zündhölzer
vorhanden." Sie sagte: „Jetzt wird es schon wieder
besser werden. Ich habe nämlich meine Schwester»
27 Jahre alt, verloren, man hat ihr zum Schluß das
ganze linke Bein abgenommen. Sie hat gesagt: „Ich
möchte auch mit einem Bein leben!** Aber es ist
doch nicht g^;angen.** Sie brachte mir zehn Pakete
Zündhölzchen. Sie sagte: ,,Wenn man nur wüßte,
wofür man so schwer bestraft wird!? Die Dame auf
Nr. 32 hat sicherlich mehr gesündigt als wir, vuxd wie
fein lebt siePl*'
Ich sagte: „Johanna, wenn es auf Erden richtig
zuginge, brauchten wir ja nicht die Hoffnung aufs
Himmelreich "
Sie sagte: „Entschuldigen Sie vielmals die zahl-
reichen Versäunmisse der letzten Tage. Meine arme
Schwester hat ausgerungen. Jetzt kann ich wieder
meine Pflicht eifüllenr'
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MODERNER DICHTER
In tinsenn Leben gibt's so viel Nuancen — — —
Die eine sagt: „Arzt meiner kranken Seele!"
Die andre sagt: ,,Wie schrecklich ernur aussieht!*
Die eine lauscht begierig der Persönlichkeit»
die andre sieht piki^ den Gegensatz zu den
andern!
Die eine schreibt : „Darf ich zu Ihnen kommen ? !"
Die andre hält's für zynisch, wenn er im Gespräch
sanft-zärtlich ihre Hand berührt.
Die eine sagt: „Ein Romantiker ohne Herz!"
Die andre sagt: „Ein Herzlicher ohne Romantik!*
Und eine jede sieht ein „für **und „wider*'
und keine spürt, daß „für" und „wider** eins ist
in einem, in dem „für** und „wider** zugleich,
sindl
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NATUR
Naturempfinden ist wie die Mutterliebe eine
ewige rastlose Emotion. Man kann nicht sagen : Hier
ist es schön 1 Man muß erfüllt sein, krank, von allem
anderen lo^elost, begeistert, gerührt, dankbar und
erstaunt! Man muß sich sagen: Wie komme ich da-
zu, das zu erleben, zu erschauen?! Es muß ein
„Nervenrausch" sein, sonst ist es nichts, nichtsl £s
darf keinerlei Zweck haben für die werte Gesmidheit,
es muß von selbst wirken und beglücken, wie das
Antlitz der jungen Mutter, die sich über die Wiege
des soeben erwachten Kindchens beugt. Ein Glücks-
Schimmer ist da über seinem Antlitz, weshalb, das
weiß niemand. So muß die Natur wirken! Sie ist
kein hygienisches^Heilmittel, pfui, sie ist ein Myste-
rium. Nimm gewisse Vögel aus dem Wald, und sie
sterben vor Gram. Gib sie zurück, imd sie zwit*
Schern Dankgebete. So ist das Naturempfinden.
Eine heiße, süße, zehrende Leidenschaft der Seele!
Sport wid Hygiene sind Börsenmanöver, die die
modernen Menschen mit dieser Kirche »»Natur" effek-
tuieren!
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NOCH NICHT EINMAL SPLITTER VON
GEDANKEN
Dialog
„Sic haben erklärt, ich hätte die feinstmodellier-
ten Nasenlöcher, die es gäbe?! Das ist nicht sehr
viel
„Nein, es ist nur Edelrassigkeit!"
Extrakt eines Königinnenlebens:
,,Die Königin fohlte sich am wohlsten, wenn sie
bei einer edlen Zigarette, mit Gräfin P. A. über
ihr Lieblingsthema, die Krankenpflege, plaudern
konnte/*
Die Philosophie:
Sie war die Lieblingsschülerin des berühmten alten
Professors £. in Pr. Und dennoch sagte sie: ,,Zu
braunem Musselinkleide gehören eben unbedingt
braune Strümpfe, braune Schuhe, brauner Schirm!"
Dennoch?! Nein, deshalb!
«
Leben des Alternden
Immer bissiger und innerUch inmier voller
Tränen!
Leben des reichen Mädchens
„Ohne Beschäftigung könnte ich es nicht aus-
halten. Man muß es sich doch beweisen, daß man
auch ein Mensch ist!"
Es gibt Frauen, die von der Natur so luxuriös
ausgestattet wuideni daß sie sich den Luxus
197
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der Luxuslosigkeit eflauben dürfen! (Komtesse
•••••• W» ^s«^«
Aus dem „Englischen":
,,Man sieht» wie wenig Gott von Geld hält, an den
Leuten, die er damit ausstattet!**
Aus dem „Wienerischen":
,,Sö haben gar ka Idee, wie unangenehm i werd'n
kann, wann i will!**
„Versuchen Sie es einmal, es nicht zu wollen!**
Aus dem „Französischen":
Um ganz Pariserisch zu sprechen, braucht man
es nur ununterbrochen ganz einfach innezuhaben,-
daß es vier e gibt, das e muet, das e grave, das
e ^gu, das e circonflexe, und sich danach zu richten l
Aber das kann nur der geborene Pariser!
Als ich dem jungen Offizier mitteilte, ich hielte
ihn für den Typus des „Eroberers** und beneidete
ihn um sein Glück bei Frauen, erwiderte er: ,,Schau'ns
Peter, schau'ns. Glück gibt's nicht! Die, bei denen
man Glück hat, da ist es doch kein Glück. Die hat
man von selbst. Dort erst wäre es erst ein Glück, wo
man kein Glück hat. Und grad' da hat man kein
Glück!**
Das Geständnis auf dem Sterbebett«
2878. 19x2.
Aus Nyiregyhaza wird gemeldet : Das Mitglied des
Munizipalrates und Direktor der Volksbank Anton
F. wurde verhaftet. Seine Frau hat auf ihrem Sterbe-
198
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bette gestanden, daß er vor vier Jahren ein Haus in
Brand gesteckt habe, um die Versicherungssunune
zu erhalten für ihren Sommeraufenthalt!
Konklusion: Weihe deine Frau in nichts ein, sie
könnte aus Rache oder religiösem Bedenken
oder aus allgemeiner Stupidität dich verraten!
Moderne Gemäldegalerie der Armen: Farbiger
Kunstdruck der „Jugend**, 50 — 25 Zentimeter, Emil
Hoess: Rehe. Text von P. A.: „Es gibt Menschen,
die sich an der Anmut dieser edlen Tiere berau-
schen! Es gibt Menschen, die der Leidenschaft
der Jagd ergeben sind! Es gibt Menschen, die,
ohne Rausch und Leidenschaft, gern Rehrücken
mit Sauce Cumberland fressen! Es gibt Dichter»
Don Juans und normale Männer!
Nur mit dir, GeUebte, hat das Leben für mich noch
einen Reiz» aber ohne dich hat es noch mehr Reiz!
♦
Sie bewimderten sich gegenseitig ' — da war
es ein Mißton! Sie bewunderten gemeinsam einen
Schildkröt-Schirmgriff da war es ein Akkord!
»»Haben Sie mich noch gem?!*^ fragt sie immer
innerlich nach der ersten Umarmung. Weshalb fragt
der herrliche Idiot nie; „Haben Sie mich noch
gern?!"
Schamgefühl ist „ein Schutz für Unzu-
länglichkeiten**« Man verbirgt» was zu verber-
199
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gen ist! Treue ist auch ein Schutz. Weim ich nur
wüßte, WQgegen?l Ah, ja, gegen die Gefahren der
Treulosigkeit!
Essen, um das Vergnügen zu haben, zu essen!
Hungern, um das Vergnügen zu haben, zu essen!
Hungern, um das Vergnügen zu haben, zu hun-
gern!
Philister, Lebenskünstler, Dichter!
Es gibt kein laues Bad von 27 Grad und keine gute
Kernseife, die nicht jede Sünde der Frau hinweg-
wüschen!
Eine Frau, der ich ihr Alles bin pfui
Teufel!
Sie sagte: „Nie, nie, nie, werde ich Ihnen genug
dankbar sein können!**
„Oh ja, Fräulein, wenn Sie mich Ihre Achsel-
höhlen küssen lassen!**
Das Schrecklichste ist, irgendeinen pathologischen
Zustand, wie Rausch oder Eifersucht, nicht ,,aus-
schlafen'* zu können! Denn dazu ist ja der Schlaf
da, daß man wieder „zur Besinnung*' komme, daß
man „ein Vieh war**!
♦
Schlaf ist der Verzeiher aller Sünden, die man
dem armen Körper antut! Man darf daher nicht
^ mehr Sünden begehen als man Schlaf hat! Einige
200
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Sünden jedoch lassen sich nicht „ausschlafen", z. B.
zähes Fleisch mit KohL Auch die ,,Sünde der Faul-
heit** läßt sich schwer ausschlafen. Je mehr man
begeht, desto schläfriger wird man!
Es gibt zwei Sorten modemer Musiker — — —die
Ehrlichen, das sind die, die den Richard Wagner
bestehlen! Und die Unehrlichen, das sind die,
die originell sindl
Es gibt Dinge, die man nicht „modernisieren**
kann, z. B. den Kuckuckruf. Oh ja, man macht ein
Sabengekiächze und nennt es „Kuckuckruf"!
*
„Der gute alte Richard Wagner**, sagen schon
manche Vorge-trottelten!
Mit 82 Jahren ist man mit dem Tode schon so
befreundet, daß er einem die unangenehmsten
Wahrheiten ungeniert ins Gesicht sagt!
' Ein G3mMiasialdirektor sagte zu jedem Abiturien-
ten beim Abschiede: „Werden Sie Generali'* Er
meinte, in jedem Berufe könne man es zum General
bringen!
Es war direkt interessant, wie völlig unint^iessant
die Dame war!
Es gibt keinen größeren Idealismus als den einer
zärtlich hebevollen Mama. Selbst eine unangenehme
201
Erkenntnis hat bei ihr noch die Gloriole von roten
Herzbluttropfen!
Millionäre trösten uns immer damit, man könne
sich auch an Austern »»überessen". Aber in diesen
Zustand eben einmal zu gelangen» ist ja das Glück!
«
Ich fahre Heber in einem gefährlichen Automobil
als in einem ungefährlichen Omnibus.
♦
Man ist häufig genötigt, in der guten Gesellschaft
das Wort „entzückend** auszusprechen. Ich habe
daher im Tonfall dabei bereits so viele Nuancen mir
zurechtgelegt, daß eine Dame mir einmal, als ich
etwas „entzückend** fand, sagte: „Sie grober unver-
schämter Kerl! So ekelhaft ist es ja doch nicht, wie
Sie es finden!"
Als der Kutscher uns liebenswürdig die Gegend
erklärte, notierte ich bei jedem Bergnamen zehn
Heller Trinkgeld. Als er die „Hohe Veitsch'* nannte,
waren es bereits theoretisch 3 Kronen 70. Wir run-
deten es auf I Krone 50 ab!
Die Art deines Gehens, o Fraue, wenn du eine
Hoteltreppe langsam hinauf-, langsam heruntersteigst,
ist bereits dein „Biograf ical essay'', eine Offenbarung
deiner wirklichen untrüglichen Werte!
Ich sah sie im Speisesaal eine Zigarette rauchen
und war entzückt. Ich wußte noch gar nicht, was
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und wie sie sprechen würde. Sie hätte ewig schweigen
dürfen, sitzen, rauchen, blicken — — — .
Das, was die Menschen tms nicht vortäuschen
können, nicht vortäuschen wollen, das sind sie!
Ich habe Kinder gesehen,.bei denen das „Nie Ben*'
sogar entzückend war!
Man kann auch elegant zanken, elegant verzwei-
felt sein, man kann elegant langweilig sein, und sogar
elegant ungezogen! Aber das ist das schweirste!
*
Sie bezahlte Champagner und beleidigte mich
durch die Art, wie sie es tat!
Ich zahlte Champagner, und sie versöhnte mich
durch die Art, wie sie es annahm I
♦
Eine Dame sagte: ,,Ich bitte, Herr Peter, welches
ist das idealste Mundwasser?!*'
„Ein idealer Zahnarzt! Denn dann braucht man
gar kein Mundwasser, ja nicht einmal eine Zahn-
bürste!"
Der Luxus der Frauen steht theoretisch im um-
gekehrten Verhältnis zur Vollkommenheit
ihres Leibes! Dem Leinen kleide für 25 Kronen
mitspricht der Leib der Pauline Bonaparte! Eine
Dame sagte zu mir: „Diese blöden teuren Fetzen!
Mich müssen's nackert sehen! Dö Sachen verschan-
deln einen ja nur!*'
m
203
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Wenn ein Blumenmädchen in einem Vergnügungs-
lokale an deinen Tisch tritt, dir für deine Dame eine
Rose anzubieten, so muß die Dame sofort erklären,
daß sie keine wünsche. Sonst macht sie sich eben-
falls einer Erpressung schuldig!
Wenn in einem Geschäfte eine Kundschaft nach
einer Ware sich erkundigt, die nicht vorhanden ist,
so haben die Verkäufer nicht stolz-abweisend zu
erklären: „Nein, das führen wir nicht
sondern zerknirscht-reuevoll.
Weshalb erhält man bei uns hölzerne Fuß*
Schemel nur in den Spielereihandlungen, wäh-
rend die Geschäfte für Kücheneinrichtungen
sich beharrlich sträuben, dieselben zu führen?! Fuß-
schemel sind keine Spielerei, und in der Küche braucht
man Schemel . Das sind imergründliche Ge-
heimnisse der Geschäftswelt!
♦
In Berlin kann man von März bis Oktober die
riesigen Spiegelscheibenfenster in die Keller hinab-
lassen, und man sitzt im Lokal gleichsam im Freien
in guter Luft. Bei mis kann man das nicht. Wundert
Sie das?! Mich nicht!
Unsere Auslage-Arrangeure wollen immer so viel
als möglich vom Lager hinauszwängen, während
gerade ein einzelnes, besonderes Stück die
ganze Führung des Geschäftes, seinen Geist be-
reits dokumentierte!
204
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Die Kiosettfrauen sollten gezwiingen werden, lose,
einzelne Seifenblätter zxl verkaufen. Die gemein-
same Seife erinnert fast an ein „gemeinsames Zähn-
bürstchen**!
Alle Menschen leben „über ihre Verhältnisse**, über
ihre ökonomischen, sexuellen und vor allem über
* die ihres Verdauungsapparates! Daher ihre ewige
Reizbarkeit und Unduldsamkeit. Irgend etwas be-
drückt sie!
Ich sagte einst einem befreundeten jungen Restau-
rateur in G.: „Vor allem nimm jede nicht konvenie-
rende Speise zurück, selbst im Falle einer krassen
Ungerechtigkeit. Du machst immer noch das bes-
sere Geschäft, wenn du dieses eine Mal bei dem
Hundskerl draufzahlst. Sonst redet er dir noch
Hunderte ab!"
In den gutgehenden Geschäften sind die be-
dienenden nervös, weil zu viel zu tun ist, imd in
den schlechtgehenden, weil zu wenig zu tun ist!
♦
Wenn ein Z3niiker in der Gesellschaft von Damen
zynisch ist| soisteresnur, weil alle diese Damen ihm
keinerlei Hochachtung einflößen. Ich kann mir
einen jeden Zyniker denken, der vor einer ,,inner-
üchen Kaiserin des Daseins" verstummte! Tut
er es aber auch in diesem Falle nicht» dann ist er ein
Zynikerl
m
205
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„Ich verehre Euch, Meister Altenberg, seit Jahren.
Aber wozu die Worte?! Ich möchte Euer letztes
Werk erstehen. Was kostet es?!**
„Fünf Kronen."
,,Für drei Kronen würde ich es nehmen .
Aber eine schöne ««persönliche Widmung" erbitte ich
mir natürlich!"
Ich schrieb eine persönliche Widmung : , ,S i e haben
mir zweiKronen abgehandelt ,i c h habe es mir abhandeln
lassen ; jetzt wissen Sie« was an I h ne n und an mi r ist !"
3 jähriger Wahrheitsfanatiker, aus dem noch was
werden kann:
««Wen hast du denn besonders lieb« Bubi?! Die
Mama?!"
„Nicht besonders — — —
„Dein Schwesterchen ? l"
««Nicht besonders
„Wen also hast du besonders lieb?!"
„Die Schokolade l'*
Liebesbrief:
„Oh, ich habe ein so grenzenloses Vertrauen zu
Ihnen« daß ich es auch dann nicht verlieren könnte«
wenn Sie es mißbrauchen würden!"
Höchstes Lob (Frau Dr. Eugenie Schw.):
««Mein lieber Peter Altenberg« mit keinem der
sogenannten ««Modemen" könnten Sie sich ver-
tragen! Mit Gottfried Keller hätten Sie sich ver-
trage n, obzwar Ihr von früh bis abend erbittert
gestritten hätteti"
ao6
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Ausspruch :
,,Wissen's, bei uns in der Hofoper, ich mein' beim
Ballet» teilen wir die Künstlerimien, Sängeriimen»
natürlich nicht ein nach dem, was sie können, das is
uns Tänzerinnen doch ganz egal, sondern nach dem,
ob sie „betamt** (liebenswürdig-menschenfreund-
lich) oder „unbetamt"' sindl Die Jüdinnen also sind
alle nnbetamt natürlich, aber esgibt sogar unbetamte
Christinnen bei uns! Und die sind noch ärger!"
*
Für 500 Kronen Honorar erklären dir die Arzte,
du habest ,,eine leichte Blutzirkulationsstörung". Es
. sei nichts von Bedeutung. Für drei Kronen erklären
sie^dir, es sei ein leichter Schlaganfall. Die Haupt-
sache iväre, er solle sich ja nicht wiederholen! '
♦
Ein genialer Arzt verlor seine Stelle imd erschoß
sich, weil er sich jungen Patientinnen gegenüber
schamlos benommen hatte. Sie fragen mich, was ich
über den Fall dächte?! Ich rechne mir es aus:
57 Patientinnen in ihrer ,,£hre** gekränkt, 5er Tausend
durch den Verlust des genialen Arztes ef/ektiv ge-
schädigt!
»,0,>Herr von Altenbeig, wie geht es Ihnen?!
Noch immer nicht verheiratet?! Woran arbeiten Sie
jetzt momentan?! Schwärmen Sie noch immer für
schöne schlanke 15-Jährige?! Und überhaupt, was
gibt es Neues in Ihrem reichbewegten Leben?!**
„Genehmigt!" erwiderte ich gelassen und ent-
fernte mich.
ao7
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Jemand sagte zu mir (jeden Tag ist es ein anderer):
,,Sie sind der glücklichste Mensch! Sie haben keine
Bedürfoisse!"
„Nein, ich habe keinerlei Bedürfnis, Bedürfnisse
zu haben, die ich ja doch nicht befriedigen kann!'*
*
Die Forelle, der Hecht sind gefährliche, ewig auf
der Raublauer liegende Tiere. Aber man fängt sie
geschickt mit iigendeinein Köder. Bei Frauen
macht man es aber ungeschickt. Meistens reißen sie
sich los und verspeisen nur den Köder l
m
Die Prinzessin sagte: „Man macht dem Suder-
mann immer den Vorwurf, daß er theatralisch sei.
Das ünde ich ungerecht. Wenn man das meinem
Gmsin» dem Louis Liechtenstein, nachsagen dürfte,
so wäre es gerecht. Denn der hat*s nicht nötig. Aber
der arme Sudermann, der ist doch dazu da, theatra-
lisch zu seinl" '
Ich sandte dem herrlichen ii jährigen Kinde Margit
Kr. einen selbstgebundenen Strauß von hellblauen
Skabiosen und gelben Teerosen. Die Mama sandte den
Strauß zurück mit dem Bemerken , ihr Töchterchen sei
noch minderjährig. Ich schrieb: Gnädige Frau,
wann erfolgt die Voll jährigkeitserklärimg für Schön-
heit und Anmut?! Gott, Jesus Christus und die
Dichter verstehen nichts von Kalenderberechnung!''
Das mystisch schöne Kind hatte eine unschöne
Mama. Alle Damen sagten zu mir: „Sie wird der
208
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Mutter nachgeraten I'' Endlich kam der wunderbare
Vater an, wie ein Sieger-Torero. „Für einen Mann
ist er viel, viel zu schönt" sagten alle Damen. „Nun
und das Kind?!** sagte ich. „Weshalb soll es gerade
ihm nachgeraten ? 1 Weil Sie es sich erwünschen?!?"
Bestien!
m
Je lustiger, je übermütiger die Geliebte, desto ver-
stimmter der Geliebte. Alles geht auf seine Kosten,
Unkosten. Aber manche Männer nehmen regen An-
teil an diesem Diebstahl vor ihren Augen!
Amüsement ist ,, Ablenkung des Herzens!*' Gut-
mütigkeit des Mannes verbrecheri-
scher Idiotismusl
*
Was nützt es dir, o Jüngling, daß du mit Sorgfalt
und Geschmack ein Bukett zusammenstellest aus
herrlichen Bergblumen und Gartenrosen ? ! Die Dame
fühlt: „Die Bergblumen kosten nichts, und die sieben
Rosen je eine Kronel**
♦
Nur Juden haben die Ungezogenheit, mich zu
fragen, weshalb ich stets an dickem, grünem, seidenem
Kordon zwei herrliche Automobilpfeifen, Sirenen,
trage!? Christen fragen das nie. Sie denken gleich:
„Weil er ein Narr ist!** Die Juden lassen sich durch
die Frage noch wenigstens die Hoffnimg offen!
209
Mein Gehirn hat Wichtigeres zu leisten als darüber
nachzudenken» was Bemard Shaw mir zu verberge n
wünscht, indem er nur es mitteiltl
*
Die modernen Damen verlängern sich die Finger-
nägel statt des Gehirnes. Das erstem scheint leichter
zu sein!
Die Männer suchen ihre Damen von 8 Uhr mor-
gens bb II Uhr nachts bei guter Laune zu erhalten!
Wahrscheinlich wegen der übrigen St\mdenl
*
Körperliche Vollkommenheit verpflichtet zu jeder
anderen, geistig-seelischen Vollkommenheit t Aber
glücklich die, die zu dieser Verpflichtung verpflich-
tet sind!
*
Ein runder Rücken ist nicht nur ein runder
Rücken. Es bedeutet auch einen flachen Brust-
kasten!
♦
Weshalb dieses unintelhgente Sträuben gegen
Nährmittelpräparate wie „Sanatogen""?! Jedenfalls
wird es euch mehr nützen als Rostbratl mit Erd«
äpfelsalat! Ihr fürchtet euch vor zu viel Kräften?!
Na ipL, ihr müßt es ja wissen, wofür ihr sie dann doch
nur verwendet I
m
210
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Nährmittel haben zur Voraussetzung ,,eine ganze
verfeinerte Kultur*^ Sonst bleibe man bei dem a la
Hunnen auf dem Sattel weichgerittenen Roastbeef!
Ich habe gelesen: Den Engländern fehlen leider
zwei Sachen: Sinn für feine zarte Küche" und
Sinn für „feine zarte Musik". Jetzt weiß ich, weshalb
sie die Welt unterjocht» viel Geld und viel Ehre
gemacht haben!
Ich habe meinen Gatten lieb» weil er mich reich
ausstattet! Ich habe meinen Geliebten lieb, obwohl
er mich nicht reich ausstattet ! Wie lieb hätte ich erst
einen Geliebten, der mich reich ausstattet ! Aber das
gibt es ja gar nicht; der hat das doch nicht nötig» das
wäre ja ein idiotischer Verschwender» den man unter
Kuratel setzen müßte!"
»,Ich denk' über so viele Sachen nach, Gustav, und
da werd' ich ganz blöd. Wann ich einmal gar nicht
nachdenk', und was ganz Biödes sag', daim sagen die
Leut'» daß es riesig g'scheit is. Aber unbewußt sagen
sie. Das heißt also, daß es doch blöd is, nicht, Gustav ? 1"
»»Dmnmerll" sagte Gustav, das heißt: „Gscheidterl!"
♦
Die 5 jährige Edith sagte abends beim Abschiede
zu mir: „Also wann, wann, wann ?!"
Da ergänzte die Mutter: „werden Sie morgen
wiederkommen ? !"
»»Aber geh'» Mutti» das weiß er ja» was ich gemeint
hab't"
14* 211
)
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Je tiefer die seelische Liebe der Frau, desto
geringer ihre „physiologische'* Erregbarkeit. Das
scheint schauerlich paradox zu sein! Die ,,Liebe**
verteilt ihre Erregung auf den Gesamtorganismus,
während minderwertige Gefühle nicht diese Kraft
haben» sondern sich lokalisieren!
In jeder schönen Frau, in jeder wohlgestalteten,
steckt die „Hure'\ Sie kann nicht anders als Tag und
Nacht von dem Gefühle gereizt, gekitzelt, erregt zu
werden als dem: ,,Ich könnte jeden Mann selig
machen, ihn in die letzten Räusche bringen!" Eine
, Frau von diesem Weltenempfinden weg auf sich
konzentrieren wollen und können, ist das Wesen der
glücklichen Liebe! Ich bezweifle, daß es bei einer
wirklich vollkommen schönen Frau gelinge!
Aberwie viel solcher gibt es?! Also gibt es doch viele
„glückliche Liebende". Und dann: die Frau rechnet
mit ihrem allmählichen „schäbig-werden". Das ver-
mehrt die Chancen der Idioten! Übrigens
gibt es noch die sogenannte 9,gute Erziehung". Ja,
die Idioten haben Chancen!
„Ich bin gewitzigt", heißt: „Ich bin gewitzigt
über die Dinge, über die ich gewitzigt bin« Aber
über die Dinge, über die ich noch nicht gewitzigt
bin, über die bin ich noch nicht gewitzigt I"
Kinder rupfen zatten Insekten ihre überzarten
Flügel aus. So machen es Erwachsene den Dich-
tern!
2X2
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„Sie reizen uns unnötig auf mit Ihren anar-
chistischen Theorien!" sagte eine junge Dame
2U mir.
Wie würde ich es erst tun, wenn ich es für nötig
hielte 1
*
Woher nehmen Sie mimiterbrochen Ihre Be-
geisterung für Frauen, Kinder» die Natur?!** sagte
jemand zu mir.
,,Von Abführmitteln! Tamar Indien Grillonl Von ^
meiner »inneren Unbeschwertheit"!
„Sie scherzen!**
„Gewiß. Deim Sie würden davon nur Diarrhöen
kriegen!"
„Wir sind eben noch keine „chemischen Retor-
ten! Schauen Sie doch die „Roßknödel'* an auf der
Straße« woraus das Pferd seine ganze riesige Kraft
gezogen hat!?"
„Ja, es ist eine mhre Roßnatur!"
,,Was verstehen Sie eigentlich unter ,,Kunst"?!" .
sagte ein Herr \xm Mittemacht, bei Champagner» zu
mir.
„Da müssen Sie noch ein bisserl was bar drauf-
zahlen, wenn ich Ihnen die Frag* jetzt beantworten
soül"
213
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Wenn jemand magenkrank ist, so muß ein moder-
ner Arzt ihn sogar fragen: „Haben Sie mit Ihrer
Wäscherin nie so ,4eichte Konflikte'*, oder verkehren
Sie nicht mit ärmeren Leuten als Sie sind, oder
schläft Ihre Geliebte nicht gern bei anderen?!**
Solche Kleinigkeiten schon können einen über-
empfindlichen Organismus aus dem sogenannten
physiologischen Gleichgewichte bringen.
m
Was du nicht willst« daß man dir tut,
das tu' geschwind den andern- an,
denn sie tun dir's jedenfalls an!
m
Jeder „Sport" macht aus def romantischen
Natur eine Zirkusmanegel
Musik ist: wie wenn die Seele plötzlich in einer
fremden Sprache ihre eigene spräche!
3x4
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ZYKLUS: „VENEDIG"
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EINDRÜCKE
In Triest hatte ich im Hotel Excelsior ganz
» hoch oben ein Kabinett, das eine kleine eiserne Ba-
lustrade hatte, von der ans man das Meer sah und
rechts die braungrünen Hügel. So sah ich also zum
erstenmal das Meer, in meinem 55. Lebensjahr. Abends
•trat ich an die eiserne Balustrade und betrachtete die
weite graue Fläche Wasser. Ich durfte also auch noch
ein Meer sehen, imd morgen sogar ein Schiff mit
Frühstückszimmer, . Speisesaal, Kajüten und Deck
zum Spazierengehen. Das gütige strenge Schicksal
hatte mir das alles aufgespart, gleichsam als Schlufi-
belohnung eines ereignislosen Daseins. Diese
schwebende Stiege an der schneeweißen Wand des
Schiffes! Man frühstückt:« Teeschale Kaffee, licht,
gut passiert, mit Schlagsahne, imd fährt zugleich mit
Turbine auf dem Adriatischen Meer. Dabei hest man
in Intervallen Zeitung und schreibt Ansichtskarten
an Annie W. Man zeigt nur freundschaftlich die
„italienische Küste** im fernen weißen Nebel, und ich
selbst erblicke braune Segel von Fischerbarken. Das
alles ist wundervoll. Meine englische Freundin sagt:
,,Ich habe es gewußt, daß es Ihnen viel Spaß machen
wird!** Aber es macht mir viel Emst! Venedig . • •
also das ist dieses Venedig, mit einem Palazzo Ven-
dramin, in dem mein Gott, Richard Wagner, den
letzten Seufzer aushauchte. Hier also ist der große
weite, palastumrankte Platz, auf dem sechs reizende
Kaffeehäuser sind, mit 1000 Tischen und Stühlen, imd
wo abends in der Mitte auf eisernem, elektrisch be-
leuchtetem Gerüste die Banda Municipale spielt.
ai7
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Und gegenüber der Lido, wo die Menschen in Licht,
Salzluft und Wasser sich verjüngen und die schönen
Frauen wenigstens ihre herrlichen zarten weißen
Ftifie, Zehen, Beine» Knie zeigen. Wenn man dann
abends auf dem Markusplatz so eine viertelnackte
N5miphe en grande toilette sieht, denkt man: „Bitte
sehr, die Schneiderinnen wollen auch leben!** Bei
,»Salviati** sah ich Gläser von der Farbenpracht von*
exotischen Schmetterlingen, Vögeln und Orchideen.
Andere wieder waren düster wie der Himmel vor dem
Gewitter und die Seele eines Eifersüchtigen. Viele
schienen herausgewachsen zu sein, wie aui Erdreich
und SonnenUcht und Tau und Regen. Aber dazu
muß man in den Kanal Grande fahren, in die Aus-
stellung, da ist die „Glas- Aristokratie**» während sonst
überall die schreiende Marktware ist. Parmesan und
Paradeis sind die Lieblingsdinge. Man ißt fast alles
mit diesen beiden Dingen. Fast zu allem offeriert
man dir eine Glasbüchse mit Silberdeckel, in der
geriebener Parmesan sich befindet. Die neue Oper
von Wolf-Ferrari: „Die neugierigen Frauen" von
Goldoni, Lustspiel, wurde im Goldoni-Theater, hell-
blau und gold, unübertrefflich dargestellt; Kapell-
meister, Orchester, Stimmen, Spiel einfach voll-
kommen. Wolf-Ferrari ist ein feiner, nobler, ge-
schickter, diskreter jetzt weiß man alles!
Gott, daß ihm nichts einfällt, das macht er ab-
sichtlich, er ist zu nobel, zu kompliziert dazu, er
will nicht melodiös sein, wie alle Modemen, die es
nicht könne nl Was die Mode betrifft, bin ich leider
nur für die englisch-amerikanische, während die
französische überladen und unnötig ist. „Ich habe
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Geld, ich habe Geld, es m bezahlen!** schreien äUe
diese Modelle von Hüten und Kleidern, während die
englischen und amerikanischen flüstern : „Wir haben
so viel Geld, daß wir gar nicht brauchen, es erst zu
zeigen I" Der Meeressand ist wundervoll, ihn durch
die Finger gleiten lassen ist eine ,, ästhetische Wollust".
Rührend ist die ärmliche Vegetation der Küste:
Grasbüschel, Akazien, Birken. Bilder habe ich noch
keine gesehen. Die Historie versucht es wie ein altes,
Opfer heischendes Ungeheuer, hier überall uns von
der einfachen Natur abzulenken. Aber bei mir gelingt
es ihr nicht, ich bin der „heilige Geoig*', obzwar ich
Richard heiße, pardon, Peter. Ich weiB, daß man
Giotto „Dschotto" auszusprechen hat, und damit
habe ich mich losgekauft. Deckengemälde interessie-
ren mich nicht, man bekommt einen steifen Hals
davon. Von Berühmtheiten der modernen Zeiten
waren hier außer mir: Heinrich Mann, Jakob Wasser-
mann, Max Oppenheimer, Tilla Durieux, Adolf Loos,
Eduard Stücken. „No« und ich bin nix?!" sagte die
Neunzehnjährige, die sich von mir die Hotelrechnimg
bezahlen ließ. Welche kann das noch von sich be-
haupten, daß ein solcher Schmutzian wie du für sie
hat bezahlen müssen?!**
219
VENEDIG
Und plötzlich fiel es ihm ein, ein trauriges Er-
schrecken Ja, sie wollte nicht mit ihm ver-
kehren!
Es vrurde ihm sogleich snr Gewißheit!
Mit untrügUcher Klarheit war es in seinem armen
Gehirn, in seinem armen Herzen, plötzUch, lähmend,
vernichtend, untergrabend! Ja, er hatte es sogar
gewußt, gewußt, das heißt geahnt, schon nach den
ersten Stunden des Beisammenseins. Sie wollte ihn
gleichsam sogleich beschützen vor seiner Erkrankung
an ihr, vor seiner Torheit, vor seinen kommenden
Kränkungen, vor seiner Sehnsucht am lauten Tage
und in stiller Nacht, ja, vor seiner Selmsucht wollte
sie ihn beschützen, kurz vor allem und allem und
allem, und zwar sogleich, prompt, radikal, hilf-
reich, unerbittlich, wie ein Arzt, wie eine Mama, wie
eine Schwester, wie eine Heihge. Eine schöne
Idee, eine Aufgabe, eine Mission!
Gestern war er um 7 morgens in ihrer Kabane,
hatte ihr schwarz-weißes noch feuchtes Schwimmkleid
geküßt, das an einem Haken hing. Und ihre Bast-
pantoffeln und den Rand ihres Trinkglases. Das
Meer war schön, ja, das Meer war schön. Er hatte ihr
dann, mn 11, von seinem Morgengruß erzählt. Aber
Tie Ute morgens war der Vorhang irgendwie ver-
schlossen. Auch fragte sie ihn um i nicht, weshalb
er keinen Kabanenbesuch gemacht habe, weshalb er
nicht gebadet habe, ob er nicht wohl sei, oder sonst
irgend etwas Menschenfreundliches. Sie fragte nach
nichts. Wißt ihr was das heißt?! Nein, das wißt
2ao
Oigitized by
ihr nicht, Gott sei Dank! Todesurteile für die wehr-
lose Seelei
Was war los?!
Ihr Gatte?!
Ihr Liebhaber?!
Komplikationen ? !
War sie unglücklich verliebt in irgendwen» absor-
biert, betäubt, angenagelt?!
War sie krank, körperlich, Magen, Darm oder noch
heikücher ? !
War sie müde?!
Hatte sie vielleicht überhaupt genug oder zu-
. viel?!
Wollte sie sich freihalten für Konvenierenderes ? l
War er nicht nach ihrer Fasson?!
War er zu unheimlich ungestüm mit seiner Seele ? !
Wollte sie ihn wirkhch schützen vor sich selbst ? I
Aber das wäre ja schrecklich.
Denn er hatte die feste unerschütterliche Absicht
gehabt, an ihr, an ihr zugrunde zu gehen! Aber
vielleicht war es besser so! Am nächsten Morgen
sagte sie: „O, Sie haben schon genug von mir, ich
bitte, antworten Sie nichts, so etwas fühlt man ganz
genau, schade .**
Er stand da, und lauschte den Worten, die bereits
verklungen waren.
Das Meer war schön, schön, wie niemand es schil-
dern könnte .
221
VERSCHIEDENES
Neurasthenie ist so lange eine Krankheit, bis es
ein Stadium einer neuen Gesundheit wird!
Warte, bis man von deinem geliebten Kindchen
dir Anekdoten und Aussprüche zuträgt. Deine eige-
nen enthalten keine Pointe, sondern nur Mutterliebe 1
Frauen haben eine kolossale Überschätzung
ihrer Macht. Man ist nur zu wohlerzogen und mit-
leidsvoll, es ihnen jedesmal zu beweisen!
. So lange ich ihr schrieb, was ich durch sie leide»
verstand sie es nicht. Als ich es nicht mehr schrieb,
sagte sie: „So gefallen Sie mir viel besser!'^
«
Am besten dran sind die ganz vollkommen
gebauten Badenden und die ganz Unvollkom-
menen. Beide sind schicksalergeben. Am schlech-
testen dran sind die Halbzulänglichen. Die möchten
es immer durch irgendetwas ausgleichen, und brin-
gen es nicht zustande!
Es gibt Frauen, die schlecht schwimmen, und man
fühlt: „Ungeschickte Gansl" Bei der anderen fühlt
man nur zartestes Mitleid!
«
Es gibt „physiologische Matadore**; das sind die
Frauen, die Trikot tragen im Meeresbadc^. Die an-
222
Oigitized by
deren haben allerlei Ausreden» vor allem das herzige
Wörtchen „indezent*'!
*
Für die meisten ist das Wasser ein „fremdes
Element*'. Ihre Tempi erinnern an ^^Schwimmlehrer"
und „I . . . 2, 31"
Sie sind ein „gefährlicher Beobachter", sagte eine
Dame schelmisch zu mir.
„Wieso?!*' erwiderte ich, „ich bin doch weder
reich noch in angesehener Stellung!?"
,,Womit habe ich Sie gekrankt, Peter?! Ich tue
doch mein Möglichstes!"
,,Tun Sie eiiunal ihr Unmöglichstes!"
Eine junge Frau sagte zu mir: „O, wenn ich so
gebildet wäre wie die Frau Sch., dann wäre ich
noch gebildeter als sie!"
*
Die meisten Menschen verstehen die ganz tiefen
Dinge nicht! Sie suchen sie ganz unten, und sie
sind ganz oben! Aber sie dort zu ünden, dazu
muß man ganz tief sein!
Das größte Kompliment:
Frau Valli^re, Schauspielerin in Hamburg: „Peter,
im Mittelalter wären Sie heilig gesprochen worden 1
Heute hält man Sie für einen perversen Narren!'*
223
Oigitized
,Jch bin zn spät auf die Welt gekommen 1**
„Nein, zu früh!"
Märchen des Lebens! In meiner Kindheit las ich
von den großen, dicken, glasartigen, weißen, durch-
scheinenden Quallen mit lila durchscheinenden Fü-
ßen^ die im Meere schwimmen und leuchtenl Nun
spülte mir das Adriatische Meer eine an den Sand-
strand. Ich untergrub sie mit einer hölzernen Sand-
schaufel, warf sie ins Meer zurück, um sie zu retten.
Aber die Brandung brachte sie wieder. Ein Kind
sagte: „Kann man sie essen?!**
„Nein, sie leuchtet nur, nachts, im Meere!"
„Weshalb also willst du sie retten?!"
,J£ben deshalb, weil sie zu nichts anderem zu ge-
brauchen ist» als nachts im Meere zu leuchten!"
Ein Tintenfisch wurde vormittags an den Strand
geworfen. Allen grauste vor dieser unkenntlichen
Masse. Zu Mittag stand er auf der Speisekarte. Eine
Dame ließ sich ihn servieren, fand ihn recht schmack-
haft und eigentümlich.
„Wie können Sie das gut finden?!" sagten alle
empört-überrascht.
„Ich habe ihn, Gott sei Dank, nie gesehen, wie er
wirklich im Leben aussieht !'* sagte die Dame.
*
„Sie sammehi schöne Muscheln?!**
„Ja, es ist das unmodernste imd das modernste
Kunstgewerbe der Natur!"
224
Digitized by Google
„Was finden Sie an mir Besonderes, mein Herr?!"
„Ich liebe Ihren Geist und den Duft Ihrer Achsel-
böhlen, Ihres Atems, Ihres Schwimmkleides!'*
„Und wenn ich nur den Geist hätte?!"
„Dann* wären Sie eine tragische und lächerliche
Persönlichkeit!"
„Sie durchschauen uns, mein Herr!"
„Ja, aber auf der anderen Seite ist es doch
wieder dasselbe anziehende Mysterium!"
ts 225
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DIALOG
,,Peter, Sie hören das Gras wachsen, Sie er-
sticken alles im Keime, zerstören die Frucht im
Mutterleibe, seelisch!"
,,Ich kenne die Gefahr, ehe sie Gefahr ist!
Später ist zu spät!"
„Wenn ich ihn mir aber wünsche, diesen ungesäten
Keim einer Gefahr?! Weim ich gerade das mir er-
wünschte?!**
Er schweigt, wendet den Kopf ab.
„Peter, ich wünsche es mir nicht, nein, bei Gott,
ich wünsche es mir nicht!"
„Lassen Sie Gott aus dem Spiele, Teufeline!'*
„Peter, ich wünsche mir nichts, nichts als Ihre
Freundschaft, Ihre milde Stimmung zu mir nicht zu
verheren!**
„Sie irren sich! Sie haben gewählt, entschieden,
und gerichtet!**
„O, Peter
22Ö
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FAUNA UND FLORA
An dem adriatischen Meeresufer findest' du mor-
gens um sieben viele kleine Bündel von angeschwemm-
tem zähen Grase vom Meeresgrund, imd kleine Mu-
scheln in ganz modernen Farbennuancen, von grau
in schwarz, von braun in lila, von gelb in braun. Die
Japaner scheinen von da ihre diskreten, fast myste-
riösen Farbentöne her zu haben. Die großen teuren
Muscheln stammen aus dem Indischen Ozean und
sind wertvoll^ wertlose Prunkstücke. Aber die
kleinen Muscheln, hier umsonst, sind kleine moderne
erlesene Kunstwerkchen der Natur! Eine Dame sagte
zu mir: „Eine ist doch so wie die anderer' — „Für
mich nicht!" erwiderte ich. Die Meinen, nach seit-
wärts gehenden Krabben sind entzückend. Sie suchen
herzig und ungeschickt das Weite, aber wenn sie es
nicht mehr können, so zwicken sie sanft mit ihren
Hiniaturscheren. Am Meeresufer ist ein bewegtes
Leben und Treiben ; aber die Büschel von geheimnis-
vollen dunkelgrünen zähen Gräsern, die herrlichen
Muscheln und die Krabben sind wie von tausend
Jahren her, wo Menschen noch nicht das Strand-
bad kannten. Auch du wirst einst nicht mehr sein,
die du mich nun in jugendlich-lächerlichem
Stolz abweisend mit den Blicken mißt, und deine
Brüste werden die Spannkraft eingebüßt haben, so
oder so; und ewig wird das Meer noch Grasbüschel
auswerfen, Muscheln und Krabben. Und mein Leid
wird vielleicht leben, denn sterbUch ist das Jauch-
zen, es verhallt; der Seufzer aber ist unsterblich.
Er dringt zu Gottes feinem Ohr. Der schenkt ihn
15* 227-
I
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wieder der Welle, die ans Ufer klagend fällt. Gott
liebt das Leid; wieso es kommt, ich weiß es nicht; es
muß wohl «göttlich'* sein. Gott liebt das Leid» es
reinigt! Pie satte Freude Uebt er nicht!
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QUO VADIS?!
Du hältst mich für anspruchsvoll und unge-
zogen
ich bin es nicht.
Du hörst einfach das Ächzen meiner Seele nicht
Das ist es. Du bist taubl
Wieviel Rücksicht hingegen nimmst du für die alte
Frau, die einen reichen Mann hat, wohlgeratene Kinder,
und der du nichts bist, nichts, in alle Ewigkeit!
Wieviel Rücksicht für Herrn v. G., Frau Z.« und
den Professor!?!
Und, siehe, alle sind frei von dir.
Das heißt, sie schlürfen deine Gnade,
wie ein Spazieigänger den Duft der Linden und
des Jasmins!
Es ist, \md ist nicht mehr.
Mir aber ist der Duft deiner Bluse, deiner Haare«
deines Atems,
ewiges Verhängnis!
Noch bin ich tapfer, kann in mich hineinweinen.
Noch!
Bringe nicht grausam um dein Kind, das du
in mir erzeugt hast, meine Liebe!
Oder bring' es um und wandle in Frieden die
Pfade der Gewöhnlichkeiten!
Man wird dich haben wollen, oder nicht!
Jedoch das Mittelding ist nur des Dichters!
Er will dich haben, und vom Nichthaben lebt er!
Lass' ihn neben dich setzen im Kaffeehaus, im
Restaurant«
229
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und geh' an seiner Seite!
Im Dampfechiff lass' ihm Platz, und überall,
ganz neben dir!
Lass' ihm seine ewigen Hochzeitstage,
die dich kaum sehr genieren!
Du gibst so wenig,
und er nimmt so viel!
Das soll dich freuen, Frau!
Ich sag* es nicht zu meinem Besten«
sondern zu dem deinen!
Ein besseres Himmelsgeschäft auf Erden
kannst du nicht machen als mit mir!
Einer spendet dir den Reichtum seiner Seele
für einen Blick auf deine Kinderschultem,
die noch dazu von einem Stoff bedeckt sind!
Du gibst ein Nichts, und spendest eine Welt!
Ich rede dir zum letzten Male zu
verschütte nicht die Schätze, die du schenkst!
Bald bist du arm, du weißt es nicht
Dein müdes erstaunt-verlegenes Lächeln trifft
dann meine tote Seele,
um deren Feuergeist du dir nie Mühe gabst!
Adieu .
230
DREISSIG
Weißt du, daß du einmal alt wirst?!
Und daß die Männer sich nicht mehr es vorstellen
werden können, daß du gefallen hast, ja, begehre ns- ,
wert warst?!
Diese fatale Umwandlung deiner Person, die
doch eigentlich dieselbe geblieben istl?
Das wirst du alles erleben müssen, geliebteste
Frau, und in Ruhe und in Würde, und in schein-
barer Selbstverständlichkeit!
Und siehe, noch ist einer da,
der dein Kopfkissen beneidet um dein Haupt,
und alle Düfte dieser schönen Erde
hergibt für den Duft deiner braunblonden Haare 1
Noch ist einer da, der die Weintraubenbeere be-
neidet, in deinem Mund zu seinl
Und alles, alles, alles ist ihm heilig, was mit
dir irgendwie zusammenhängt!
Auch dieser Zauber wird gebrochen werden, so
oder so!
Was brauchst du, eigenwillig, eigensinnig, es zu
beschleunigen ? !
Lass' es der Zeitl Sie hilft dir sowiesol
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LA ROCHE FOUCAULD
Ich habe in La- Roche-Foucauld einen Satz
gefunden: ««Man sollte nur jenen Frauen die Ehre
erweisen, eifersüchtig zu sein, die uns die Gnade
erweisen, uns nie eifersüchtig zu machen!'*
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VERSÄUMTES RENDEZVOUS
Ein dunstiger schwüler Tag — — —
Ich schhef bis 7 Uhr abends«
Verschlief das Rendezvous.
Und dennoch war es mir,
als ob sie es nicht eingehalten hätte!
• Wie hat sie mein Versäumnis ausgenützt?!
Hat sie gekränkt gewartet» neinl? ^
Sie absolvierte ihr Programm,
Was ging sie's an, daß ich verschlief?!
Sie führte ihr Söhnchen zur Taubenfütterung nach
Venedig.
Dann „Cavaletto" tmd ,,Caf^ Lawena".
Es war meine Schuld, daß ich nicht kam .
* Und mei ne Schuld war es, daß ich mich kränkte.
Was konnte sie dafür?!
Und doch!
Was immer in ims vorgeht in bezug auf die
geliebte Frau, an Leid und Bangen
sie trägt zum Teil die Schuld!
Weshalb, wieso, das kann ich euch nicht sagen!
Doch es ist! Wie du es anstellst, Frau, daß wir
nicht gekränkt sind,
das sei die Genialität deiner zarten Seele!
^33
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JALOUSIE
Eifersucht ? !
Fraue, du steckst mir meine Grenzen?! Bis
dahin und nicht weiter? I Kindische Törin!
Bin ich nicht eifersüchtig auf die Luft, die du in
deinen geliebten warmen, feuchten Mund einatmest ? !
Wie darf sie, ganz gefühllos, die weichen Innen-
wände deines Mundes spüren ?1
Bin ich nicht eifersüchtig auf den Bissen, den du
mit dem geliebten Speichel sanft umnässest?!
Von da zum Blick von Sympathie und Freude, zu
einem lebendigen Mann, ist noch eine Welt!
Du wunderst dich, daß ich verzweifelt bin,
da ich dem Löffel doch schon deine Zunge
nicht gönne! * *
Ich trauere um alle Schätze, die du so vergeudest ;
dem Bette deine Ausdünstung, dem Glase deine
Lippen I
Aber beim „lebendigen Mann" ergreift naich der
Irrsinn.
Weshalb stirbt er nicht momentan vor Glück, der
feige Hund?!
An seiner Leiche würde ich weinen, ihn beneidend
um seinen schönen Tod.
Jedoch, er geht lebend hinw^, und denkt: „Die
könnt' ich haben!"
Fluch ihm, nein, dirl
234
KLAGE
Du nennst mich einen Komödianten!?
Weil du die Fassungs krait niclit hast für mein
Gefühl;
oder weil du dir selbst zu nichtig vorkommst
•
Oder weil Frauen, die eifersüchtig sind auf meine
Anbetung für dich, dir sagen, ich sei ein Komödiant!
Oder Männer, die es nicht wünschen, daß du
meinem Fanatismus menschenfreundlich zart
begegnest l
Oder weil dir selbst nichts daran li^, «
daß ich dich lieb habel
Ja, das ist es!
Denn gläubig seid ihr dort, stupiden Ohres
lauschend,
wo ihr es hören wolltl
Dort wird euch der Trug aLs tiefste Wahr-
heit klingen!
Uns aber laßt ihr sterben,
denn wir sind nicht wichtig für euren scham-
losen Egoismus!
Ihr wißt, wer euch von Wichtigkeit hieniedenl
Vertrödelt keine Zeit mit an euch kranken
Seelen I
Die Gesunden tun mehr für euch!
Glaubt, o glaubt denen, die euch für eine Stunde
nur besitzen wollen I
Sie meinen*s ernst und gut mit euch!
. Sie ahnen, daß ihr vielleicht zu anderem nicht
taugtl
235
Digitized by Google
Ihr fürchtet euch« uns zu enttäuschen» die wir
Ideale träumen!
Wie recht habt ihr, euch da nicht einzulassen!
Schon bei den Fingernägeln fängt die Tra-
gödie anl
^36
Digilized by Google
VERHÄNGNIS
Dein Atem, wenn du sprichst ich saug'
ihn ein in mich.
wie durstige Kindchen Milch aus Mutterbrüsten!
Er duftet auch wie Milch ; und im Theater duftete
deine seidene weiße Bluse wie süi3e Milch 1
Willst du der dunklen, düsteren Pinie sagen, was
sie dir ist?! VergebHchl
Der weißen Magnolie, dem Jasmin, der Agave,
der Hortensie ?1
Und so die Frau!
Sie glaubt dir nicht .
Weil es ihr gleichgültig, deshalb glaubt sie
nicht!
Sie würde jedem Leeren, Unwerten glauben,
glauben, glauben, glauben,
wenn's ihr darum zu tun wäre, ihm zu glau-
beul
Das blödeste Wort erhielte seinen Klang und
seine Süße! Und Macht und Wertl
Sie läßt sich nur betören,
wo sie bereits betört ist, ehe er betörte!
Und dennoch sag' ich dir, dein Atem, wenn du mit
mir sprichst,
er duftet mir wie süße Milch,
wie Milch aus MutterlMTüsten dürstendem Kind-
ehen!
Du wirst mir sagen, ich sei ein Narr .
Gerade diese Narrheit aber nähmest du ernst,
bei dem, wo es dir paßt, sie ernst zu nehmen!
Ich bin ein Narr, das nicht zu wissen!
»
237
0
Digitized by Google
I"
Ich weiß es! Und dennoch ändert's nichts. Ich
bin also ein tausendfacher Narrl
Der eine sagt: ,,Wie geht es, gnädige FrauPT
Sie fühlt: »,Wie lieb, wie zart besorgt er istT
Der andere kann vor Rührung gar nicht sprechen,
da sagt sie : „Heute sind Sie nicht sehr amüsant !"
Ein Kindchen ans der Schwarzwald-Schuie schrieb
in ihr Heft:
„Wieso kommt es, daß immer einen gerade die
am wenigsten mögen,
die man am meisten lieb hat FT*
238
j ^ cd by Googl
DIE BROSCHE
Sie ließ durch eine Freundin nachforschen, wie-
viel die Amethystbrosche gekostet habe, die ich ihr
geschenkt hatte.
,,15 Lirel** sagte sie dann zu mir. ,Jch weifi» was
das bei Ihnen bedeutet!"
„Es bedeutet ,Liebe*r'
»»Hätten Sie es auch noch für mich gekauft, wenn
es 25 gekostet hätte? I"
„Auch!"
„Und bei 40?!*
„Nichtl"
„Weshalb?!"
,,Weil es meine Verhältnisse überstiegen hätte!*'
„Aber da fängt gerade die echte Liebe erst anl"
„Bei mir nicht! Bei mir hört sie da aufl"
339
VERSÖHNUNG
Und etwas bleibt zurück .
's ist nicht wie nach dem Ungewitter der Natur,
wo alles wirklich reiner wird und blinkender ,
So ist es nicht!
Man hat Konzessionen gemacht, beiderseits, um
der Sache willen des dummen Lebens,
die wichtiger erschien zuletzt als klare Wahrheit!
Und dennoch ist die klare Wahrheit das Wich-
tigste!
Man kann ihr nicht entrinnen!
Sie sickert durch, sie gräbt sich durch, und sie be-
stimmt den Lauf des Lebensstromes 1
Sie hatten sich versöhnt .
Das gibt es nicht.
Versöhnt muß man sein, eh' man sich trifft!
Gely)ren einer für den anderen!
Versöhnung heißt : „Ich vrill ein Aug' zudrücken !**
Wie machst du es, wenn beide offen sehn?!?
•
240
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AÜSEINANDERSET2TOTG
Sie sah ihn wieder.
„Wea verehren Sie jetzt^ wen beglücken Sie jetzt
mit Ihrer exaltierten Anbetung?!"
„Mitzi Thumb!"
yyDiese? l Nun, und erwidert sie Ihre Zuneigung? 1"
»Ja; sie sagt, daß sie meine Schwärmerei ver-
stehe!''
„Das ist aUes?!?"
„Ja, das ist alles! Unsere Begeisterung gerührt,
erstaunt, milde, sanftmütig, ein wenig dankbar, an-
nehmen können! Das ist viel. Das ist alles! Sie
verstanden das nicht!"
,,Nein, aufrichtig gesagt, ich verstand es damals
nicht. Jetzt verstehe ich es —
„Nein, jetzt ebensowenig! Dichterseelen ver-
stehen dazu muß man etwas von dieser
zarten Seele selbst l)esitzenr'
241
Digitized by Google
LEGENDE *
«
Man spricht so viel von Gottes schöner Welt
und doch ist es mn diese schlecht bestelltl
Gott und die Künstler erträumen sich die Frau.
vollkommen, vom Haupt bis zu den Zehen,
Doch keine ist es.
Da kam ein Dichter traurig zu Gott und klagte:
,,Herr, w widmen unser Herz der Frauensdiönheit,
und keine ist wirklich vollkommen! Zeige uns doch
einmal eine, wie du dir's gedacht hast!"
Da hatte Gott Mitleid mit dem enttäuschten
Dichter» und schuf Mitzi Tbumbl
242
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DER ANFANG
Der Anfang, der Anfang ist immer das Interessan-
teste, Wahrhaftigste, wirklich Merkwürdigste und
eigentlich noch niemals Dagewesene, trotz hundert-
tausend Beispielen derselben Art. Später haspelt sich
alles ab, wie es muß, und das Ende ist immer, immer
verlogen und komödiantenhaft. Aber der Anfang, der
Anfang, da ist noch keinerlei Routine, und da ist der
schöne merkwürdige Zufall, daß man überhaupt in
diesem Ozean des Lebens sich kennen lernte!
Man sagte mir immer: „Gehe doch hin zu ihr
ins Sekretariat, sie fragt immer nach dir
Endlich ging ich hin. Sie saß bei der elektrischen
Lampe und las „Pasqual". Ich dachte: ,,Da du es
nicht wissen konntest, daß ich kommen würde, ist
es eine bedeutsame Lektüre für eine Siebzehnjährige."
Da ich aber nur den Namen des Autors kannte,
sprach ich wie immer über Verdauungshygiene.
Plötzhch entstand Kurzschluß und es wurde im
ganzen kleinen Palais finster. Ich sprach weiter
und erklärte, daß der „obstipierte" Mensch unmög-
lich irgendwelche besondere geistige und seelische
Qualitäten besitzen könne und daß Pasqual, der da
aufgeschlagen vor ihr läge, jedenfalls und unbedingt,
seinen Geist, falls er einen besonderen und hervor-
ragenden gehabt habe, nur durch ,,Tamar Indien
Grillen" sich habe erwerben können, es wäre denn,
daß ein gütiges Schicksal ihm von Natur aus unter
die Arme gegriffen hätte! Der Kurzschluß wurde
repariert; es wurde wieder ücht, und die junge Dame
' sagte:
0»
843
„Ich habe schon längst bemerkt gehabt, daß Sie
tadellose Franenhände besäßen, -so verklärte. Ge-
statten Sie, daß ich dieselben berühre?!"
,3itte sehr ** erwiderte ich.
Das war der Anfang.
244
Digitized by
SANATORIUM FÜR NERVENKRANKE
Daß die „Nervenärzte" nichts verstehen, wäre eine
natürliche menschliche Eigenschaft der meisten
Berufsmenschen, wenige Genies ausgenommen.
Aber daß sie ihre schändliche Ignoranz ausnützen
auf „suggestivem Wege* ' , indem sie die selbstverständ-
lich viel mehr ,,über ihre eigenen Zustände'' verstehen-
den Kranken durch ihren schmählichen Doktortitel,
zu ihren folgsamen kuschenden Hundesklaven" ma-
chen wollen, das ist eine bodenlose feige Gemein-
heit! Eine Dame z. B. hebt ihre Schwester fanatisch,
und ihr sich für sie aufopfernder Gatte kann gerade
diese Schwester und den Fanatismus seiner Frau
für dieselbe nicht ausstehen! Wenn sie ins Zimmer
tritt, geht er aus dem Zimmer. Das erzeugt natur-
gemäß allmählich Nervenzerstörung. Der Hebe-
volle Gatte schickt sie in ein „erstes'*, d. h. teuerstes
Sanatorium. Dort sagt man nicht dem Esel von Gat ten
(gibt esüberhauptandere Tiersorten dieserGattung? 1) :
„Sie müssen mit der Schwester Ihrer Frau liebens-
würdiger umgehen!" Sondern man verordnet „Licht-
bäder" mit nachfolgenden kalten Duschen!
Die arme junge Frau klagt dem Arzte: „Mein.
Mann behandelt meine zärtlichst und fanatisch ge-
liebte Schwester roh, verständnislos, lieblos vor allem
gegen mich, die angebüch Geheb teste, Verehrteste!? !
Ist das seine Opferfähigkeit?!?"
Der Arzt erwidert: „Nach zwanzig Lichtbädern
mit nachfolgenden kalten Duschen wird sich das
alles, alles geben! Sie werden dann die Dinge mit
ganz anderen Augen anschauen !"
245
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„Aber Herr Doktor, die Liebe zu meiner Schwester
„Auch das sind nur vorübergehende Exal-
tationszuständel Glauben Sie es mir, meine Gnä*
dige, Ihr Fall ist »typisch*. Sechs Wochen bei uns,
und Ihre Schwester wird Ihnen gleichgültig werden 1"
246
4
Digitized by
LE LIDO
As-tu vu le sable brun de la mer?I
Non, je n'ai rien vu
f ai vu Maria!
As-tu vu l'eau sans fins et les tounes blanches?!
Non, je n'ai rien vu
j'ai vu Marial
As-tu entendu le bruit de la mer?l
Non, je n'ai rien entendu
j'ai entendu la voix de Marial '
N'as-tu pas senti venir la sant^ du corps, par
le soleil?!
Non, j'ai senti venir la maladie de l'äme, par
Marial
*
Erfüllte Bitte um dn Autogramm» an Herrn
Piaton de Naxel, Venise:
„II y a un myst ^re, qui nous fait vivre
la femme!
II y a une r^alit^, qui nous fait mourir
la femme r*
,,Ich habe kein Herz für Kleider," sagte sie«
,,Weü Sie ein Heras haben!'* erwiderte er.
,,Nein, weil ich keine Kleider habe!**
„Eine Frau kann gar nicht genug Canaille sein!"
sagte die Schöne.
oDas halte ich für übertrieben/* erwiderte er.
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»«Kein, er kommt ja doch jedesfalls eimnal
darauf, daß wir seiner Liebe unwürdig sindl^
„Und wenn er nicht darauf kommt?!"
,,Dann müssen wir ihn iür diese Stupidität be-
strafen!"
Druck der Spamer sehen Bu clidr uckerei in Leipzig
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/f. ..4.
14 DAY USE
RETimN TO DESK FROM WHICH BORROWED
LOAN DEPT.
This book is dae oo the last date stamped below, or
on the date to which renewed.
Renewed books are subject to immediate recalL
mAY 3 1 i36o
LD 21A-50m ll,'62
(D3279sl0)476B
General Library
University of California
Berkeley
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