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Pädagogische 
Studien 




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Pädagogische Studien. 

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j *^jt~ y , 

Neue Folge. 

Herausgegeben 

■ 

von 

Dr. W. REIN. 

Semtnardircktor in £isenach. 

Jahrgang 1886. 



>-<öds~ 

Dresden. 

Verlag von Bleyl & Kaeramerer. 
1885. 



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Inhaltsverzeichnis 

des fünften Bandes. 

A. Abhandlungen. 

1- H Grabs, Bemerkungen zu dem Aufsätze des Sominarlehrers 

Schneyer in Coburg „Der erste Religionsunterricht 1. H. 8. 1 — 23. 

2. A. GÖpfert, Rechtfertigung einiger pädagogischen Gedanken 

Zillers. Zugleich eine Erwiderung auf die Schrift des 

Herrn Dr. Bartels: Die Anwendbarkeit der Herbart- 

Ziller-Stovseheu didaktischen Grundsätze für den Unter- 

rieht an Volks- und Bürgerschulen 2. „ ,. 1 — 30. 

3. Ferd. LentZ, Die 26. allgemeine deutsche Lehrer-Versamm- 

lung in Darmatadt 3. „ 1 — 10. 

4. K. JllSt, Die Generalversammlung des Vereins für wissen- 

schaftliche Pädagogik in Halle a/S. 3. ,. „ 10 — 25. 

ö. W. Rein, Bemerkungen zu der Schrift des Herrn Dr. E. von 
Salhvürk: Handel und Wandel der pädagogischen Schule 

Herbarts 4. „ „ 1 — 15. 

ti. Th. Vogt, An die Mitglieder des Vereins für Wissenschaft- 

" liehe Pädagogik 4. „ „ 16 — 22. 

7- Dr. ^Schneider, Entgegnung ........... 4. „ „ 22—24. 

8. P. ZHHfl, Zuschrift an den Herausgeber ....... 4. „ „ 25 —29. 

B. Mitteilungen. 

1 Krönlein, Zur Charakterisierung unserer Gegner. Horn, der 
dritte deutsche evangelische Schulkongress. Bergner, 
Herbartvereine. Bliedner. Eine bedeutsame Kundgebung 
aus theologischen Kreisen. Dr. Fr. Otto s pädagogische 
Zcichenlehre. Das erste Schuljahr, 3. Auflage. Von 
ünsem Gegnern. Rheinische Blätter für Erziehung, und 

Unterrieht . . . 1 H. S. 24— 4f> 

2. Zillig, Dr. Wesendonk als Kritiker. Erklärung. Pädago- 

gische Vereine. Herbartiana. Bliedner, Prof. Dr. Stoy f. 
Hoffmann, Zum Andenken an Prof. Dr. W. Nahlowsky. 
Beyer, Selbstanzeige. Bliedner, Die Stoysche Erzieh- 
ungsanstalt zu Jena. Der Verein für wissenschaftliche 
Pädagogik 2. H. S. 30—62. 

3. Perander, Der Herbartianismus in der Pädagogik, Aus. Dr. 

J. Spielmann8 Diagnostik der Geisteskrankheiten. Der 
Herbartverein zu Eisenach. Der achte deutsche Semi - 
narlehrertag. Konkurrenzaufgabe der Diesterweg- 
Stiftung 3. H. S. 25—41. 



IV — 

4. Au 8 Asien, Ansprache bestimmt für die Generalvei sanim - 
luug des Verein« f. w. Pädagogik. Der Leipziger 
Lokalverein für wissenschaftliche Pädagogik. Ein neuer 
Herkules Bliedner, Entgegnung. Rein, Ein neuer 
Baukasten. Aufruf. Uhlfftann, Thesen über den Ge- 
schichtsunterricht Bergmann, Ein neue» Geschieht« - 

werk 4. H. S. 29 - 43. 



C. Rezensionen. 

1. Eyth, Der elementare Freihand-Zeichenunterricht. (Rein) 1. H. S. 45 — 46. 

2. Fjflgel. Das Seelenleben der Tiere. (Grabs) ..... 2. ,. „ 63-64. 

3. Beyer, Die Naturwissenschaften in der Erziehungsschule 

(Conrad) 3. „ » 42—48. 

4. Matthias, Leitfaden f. einen heuristischen Schulunterricht 

in d. allgem. Arithmetik n. niederen Algebra, der Ele - 
mcntargeometrie, ebenen Trigonometrie u. den Apollo - 
nischen Kegelschnitten (Weissenborn) .... 3. „ „ 48 — 50. 

5. Rückert, Stumme Elementar- Wandkarte von Deutschland. 

(Göpfert) , 3. „ „ 50—61. 

6. DieMtz &, Heinrichs, Grundriss der Geographie. (Göpfert) 3. „ „ 51. 

7. Geographischer Leitfaden für die unteren Klassen höherer 

Lehranstalten. (Göpfert) 3. „ „ 51 — 52. 

8. Rüge, Kleine Geographie. (Göpfert) 3. „ „ 52. 

9 Traffipler, AtlaB für sieben- und achtklassige Volks- und 

für Bürgerschulen. (Göpfert) ......... 3. „ „ 52 — 53. 

10. Paparnarkos, ITtQt jov vi>y Jij JiQoarjxoVTOS ijuil 1 rotg 

L^lrjac Jt-daaxuÄn'üi . (Michalopulos) 3. „ „ 63. 

11. Papamarkos, rot u'/.y ttiror rijg HkTjvhVus vfokuiuw 

~ oifiaaxüÄ.ui<. (Michalopulos) . . . 3. „ » 53 — 54. 

12. Peter, Praktische Anweisung zur Erteilung eines elemen- 

taren Geaangunterricht» in der Volksschule. (Böttcher) 4. „ „ 44 — 52. 

13. Göpfert, Rechtfertigung einiger pädagogischen Gedanken 

Herbart«. (Kein) ■ 4. „ „ 52—53. 

14. Baumgartner, Lehrgang der englischen Sprache. I. Teil. 

(Balzer) 4. , „ 53—55. 



D. Anzeigen. 

Werner. Cremer. Calmberg. Das Wissen der Gegenwart. Schul«. Woytt. 
Häusselmann. Häusseluiaun und Kingger. Kademacher. Dreesen. FUnser. Kellner • 
Deutsche Bücherei. Wolf. Stiller. Die Augsburgische Konfession. Junge. 



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Bemerkungen 

zu dem Aufsatze des Seminarlehrers Schneyer in Coburg 
„Der erste Religionsunterricht."*) 

Von 

H. Grabs in Glogau. 

Man sollte meinen, es sei unnötig, über den ersten Religionsunter- 
richt, welcher seit langem zum Gegenstande vielfacher und eingehender 
Erörterungen gemacht worden ist, noch etwas zu schreiben. Werde 
doch allseitig anerkannt, dafs die rcligionskundlichen Stoffe, biblische 
Geschichten und Katechismusabschnitte, für das 6- und 7jährige Kind 
zu schwer seien, und dass daher ein propädeutischer Unterricht dem 
eigentlichen Religionsunterrichte vorausgehen müsse. Wenn zwar in 
der Praxis diese Forderung der Theorie noch nirgends berücksichtigt 
werde, so sei das zu bedauern, aber auch leicht zu erklaren, da dies 
hauptsächlich an der Voreingenommenheit der maßgebenden, besonders 
der kirchlichen, Kreise liege. 

Neuerdings jedoch hat sichs gezeigt, dafs diese Anschauung von 
der Sachlage keineswegs die richtige ist, dafs vielmehr selbst in der 
L'ehrerwelt noch ein grosser Teil der Uberzeugung lebt, die biblischen 
Geschichten seien für den ersten Religionsunterricht recht wohl geeignet 
und ein propädeutischer Unterricht sei gar nicht notwendig. Diese An- 
sicht wird unter andern durch Herrn Seminarlehrer Schneyer in seinem 
Aufsatze „Der erste Religionsunterricht" mit aller Entschiedenheit ver- 
treten. Er thut dies mit vollster Uberzeugung und unverkennbarem 
Geschick, so dafs mancher Leser, der bisher entgegengesetzter Meinung 
gewesen ist, leicht wankend gemacht werden kann. 

Schon aus diesem Grunde ist es notwendig, die Behauptung, die 
biblische Geschichte sei der geeignetste Stoff für den ersten Religions- 

*) Siebe Deutsche Blätter f. erz. Unterricht No. 28, 29. 1884. 
Pädagogische Studien. I. \ 



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— 2 — 



Unterricht, auf ihre Richtigkeit zu prüfen und den von Schneyer vor- 
gebrachten Argumenten auf den Grund zu gehen. 

Schneyer beruft sich für seine Behauptung gleich anfangs auf 
seine lange, 25jährige Erfahrung, auf eine Erfahrung, die deshalb so 
schwerwiegend, weil der Verfasser während dieser langen Zeit ununter- 
brochen den ersten Religionsunterricht erteilt und demselben auch ein 
stetiges warmes Interesse entgegengebracht hat. — Darauf möchte ich 
zunächst nur entgegnen: Der Berufung auf die individuelle Erfahrung 
kann ein entscheidendes Gewicht nicht zuerkannt werden, weil in bez. 
Streitfrage Erfahrung gegen Erfahrung einander schroff gegenüber 
stehen. Von meiner Erfahrung, die ich in meiner ersten Dienstzeit 
gesammelt habe, während 17 Jahren an ein und derselben Dorfschule 
und zwar als alleiniger Lehrer derselben, der in der günstigen Lage 
war, die Wirkungen seines Unterrichtens kontinuierlich vom ersten bis 
zum letzten Schuljahre, bei vielen Schülern noch lange darüber hinaus, 
beobachten zu können, von dieser Erfahrung will ich vorerst schweigen. 
Dafür stelle ich der Schneyer sehen Erfahrung die eines hochgeachteten 
Lehrergreises, meines ersten Lehrers St. in M., Kreis Lauban, entgegen, 
der mehr als 50 Jahre hindurch die 6- und 7jährigen Schüler in der 
Religion unterrichtet hat und welcher bei einem Zusammtreffen im Herbst 
v. J., bezugnehmend auf einen von mir veröffentlichten Aufsatz „Gegen 
die Verwendung der biblischen Geschichten im I. und II. Schuljahre *), 
mir versicherte, dass die tägliche Beobachtung ihn immer wieder in der 
Uberzeugung bestärke, dass die bez. Geschichten für den ersten Reli- 
gionsunterricht viel zu schwer seien. 

Im allgemeinen beweisen und entscheiden, wie schon bemerkt, 
individuelle Erfahrungen wenig. Ein anderer Umstand kommt hinzu. 
Es ist bekannt, wie leicht bei Beobachtungen, selbst in den Natur- 
wissenschaften, die es doch mit sinnenfalligen Dingen und Erscheinungen 
zu thun haben, Beobachtungsfehler unterlaufen, und teilweise sogar 
recht grosse; wie viel leichter und eher ist es jedoch möglich im Ge- 
biet der rein geistigen Vorgänge, wo alles durch die innere Erfahrung 
auf Grund der gewonnenen Resultate der Selbstbeobachtung aufgefasst 
werden mufs und bei welcher Thätigkeit mannigfach verborgene Fak- 
toren oft eine wichtige Rolle spielen. Darum meine ich, dass man die 
individuelle Erfahrung als einen ausschlaggebenden Grund nicht geltend 
machen dürfe, zumal dann nicht, wenn die Beobachtungen nicht lange 
genug ausgedehnt oder nicht ununterbrochen fortgesetzt worden sind, 
denn ,, pädagogische Erfahrungen lassen sich nicht in so kurzen Zeit- 
fristen gewinnen, in denen die Resultate aus physikalischen und chemischen 
Experimenten erlangt werden können. Jene müssen über die Schul- 
und Erziehungszeit hinausreichen."*) Aber auch dann ist die indivi- 
duelle Erfahrung ohne Wert, wenn man nicht nachweisen kann, dafs 



*) Schlea. Schulzeitunp Xo. 39, 38. 1885. 

*) Ziller, Allgem. Pädagogik § G „Verhältnis zwischen Theorie und Praxi»." 

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— 3 — 



<las Handeln, aus Avelchem die Erfahrungen abgeleitet wurden, auf den 
rechten Gründen beruht. Sonst könnte auch der Unwissendste seine 
nach einigen Jahren unüberlegter Geschäftigkeit erworbene Routine für 
Erfahrung ausgeben und darauf hin Postulate stellen. — Erst dann 
sind die selbst gemachten Erfahrungen „wertvoll, wirklich entscheidend 
und beweiskräftig", wenn man darthun kann, dafs das Handeln, welches 
zu ihnen führte, nicht aus unzureichenden Vorstellungen und subjektiven 
Meinungen und resp. Einfällen, sondern aus einem theoretisch durchge- 
bildeten Gedankenkreise hervorgegangen ist. 

Doch mit der einfachen Zurückweisung individueller Erfahrung als 
einer Berufsinstanz in Sachen allgemeiner Principien kann es nicht be- 
wenden. Ich mufs demnach näher auf die Sehne verschen Ausführungen 
eingehen. — Sehne y er berichtet, dafs er bei Beginn seiner Lehrer- 
thätigkeit eine Art propädeutischen Unterrichts erteilt, und dafs derselbe * 
„Moralische Erzählungen und Gedächtnisübungen" zum Gegenstande ge- 
habt habe, jedoch habe ihm weder der Stoff gefallen, noch habe ihn 
•der Unterricht an diesem Stoffe befriedigt. Ganz natürlich! — Für 
das Kind ist nur das Beste, also Klassisches, gut genug. Die moralischen 
■Geschichtchen ermangeln jedoch des Charakters der Classicität meist 
gänzlich. Sie sind wohl lehrreich und leicht verständlich, aber nicht 
wahrhaft kindlich, d. h. nicht einfach und phantasievoll zugleich; sie 
sind auch nicht von bleibendem Wert, viel zu tot und hausbacken, als 
•dafs sie nachhaltig aufs kindliche Gemüt einwirken und zu öfterer Rück- 
kehr einladen könnten. Dafs die unterrichtliche Behandlung solcher 
Stoffe weder Freude noch Befriedigung auf die Dauer schaffen kann, 
ist ebenso leicht einzusehen, wie das andere, dafs die biblischen Go- 
«chichten vor jenen moralischen Erzählungen, selbst dem 6jährigen Kinde 
gegenüber, aufserordentliche Vorzüge voraus haben. 

Wohl von keinem Lehrer wird die mächtige Einwirkung passender 
Inblischer Geschichten auf den Schüler bestritten werden, vielmehr wird 
sich jedem die Wahrnehmung mannigfach aufgedrängt haben, dafs die 
Kleinen bei seinem Vorerzählen mit ihren Augen an seinen Lippen ge- 
hangen haben, dafs ihnen bei ergreifenden Scenen Thräneu in die 
Augen getreten sind. Doch, frage ich, ist auf diese Wahrnehmungen 
hin die Folgerung: die biblischen Geschichten sind der geeignetste Stoff 
für den ersten Religionsunterricht, schon zulässig? Ich mufs dies bestreiten. 
Öder ist dieser Schlufs vielleicht angezeigt, weil Sehn ey er bei der 
«teten Wiederkehr derselben Geschichten im Unterrichte immer neuen 
Geschmack an ihnen gefunden, immer neue Schönheiten entdeckt hat? 
Auch dieses Kriterium kann bei genauerem Zusehen nicht als giltig 
bestehen. 

Wie der Säugling der Muttermilch bedarf, wie unwillkürlich sein 
Mund sich öffnet, um die labende Quelle zu linden, ebenso bedarf der 
•Geist des Kindes, auch des 6jährigen, der Speise, nämlich interessanter, 
«einem Vorstellen und Fühlen adäquater Erzählstoffe. Mau erwidere 
.nicht, dafs der erste Lese- und Schreibunterricht mit seinen Laut- und 

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Sprachvorstellungen, dafs die Zahlvorstellungen des ersten Rechenunter- 
richts solche Speise sei, die dem geistigen Bedürfnisse der Kleinen ent- 
spreche. Das sind kalte, starre und tote Zeichen, denen kein pulsie- 
rendes Leben inne wohnt, denen auch kein unwillkürliches Interesse 
entgegenströmt. Die Kinder wollen Ideen zu ihrem Ideenkreise, Ge- 
danken zu ihrem Gedankeniuhalt, sie wollen Inhalt, den sie erkennen 
als dem eignen Seeleninhalt verwandt, als Leben vom eignen Leben. 
Der erste Unterricht bietet nach Mafsgabe der bestehenden Lehrpläne 
solcher Materien gar sehr wenige; das Kind will aber wahlverwandte 
Geistesnahrung haben, mufs sie haben, wenn es im Wachstum seines 
Geisteslebens nicht zurückbleiben, wenn es nicht hungern und darben 
Poll ! Darf man sich da wundern, wenn es bei einer Erzählung wie der 
,, Sündenfall" oder „Moses Errettung" gespannt dasitzt und horcht wie 
ein Mäuschen? wenn bei der Geschichte „Josef wird verkauft" sein 
sympathetisches und sittliches Gefühl lebhaft erregt und Thränen hervor- 
gerufen werden? Doch diese Wirkung, das Kind in Erwartung zu ver- 
setzen und seine Gcfuhlssaiten zum Schwingen zu bringen, können 
andere Stoffe eben so gut hervorrufen. Ich erinnere nur an die mäch- 
tigen Eindrücke, welche Märchen wie „Stern thaler u , oder „der Tod des 
Hühnchens", „Fundevogel", eine Geschichte wie „Genovefa" oder Ab- 
schnitte aus dem „Robinson 14 auf jedes Kind hervorbringen. Ich könnte 
zahlreiche Beispiele hierfür aus dem Leben meiner Kinderstube und 
deutliche Erinnerungen aus meiner eigenen Kindheit anführen. Dock 
wer könnte das nicht! 

Soviel ist klar, dafs mit der durch Schneycr konstatierten Wir- 
kung auf das Kindesherz noch nicht der Beweis erbracht ist für die 
Behauptung, die biblische Geschichte sei der geeignetste Stoff für den 
ersten Religionsunterricht. 

Sehen wir zu, durch welche weitereu Beweise Schneyer seine 
Behauptung fundamentiert. Er begnügt sich nicht mit der Begründung 
durch die Erfahrung; er unternimmt es, seinen Satz auch psychologisch, 
zu stützen. 

Seine hierauf bezüglichen Ausführungen sind zum Teil zu aeeep- 
tieren. Allgemein wird zugegeben und gelehrt, dafs der Ausgangspunkt 
für die religiösen Vorstellungen das Familienleben ist, dass die Gottes- 
idee durch Idealisierung des Elternverhältnisses zu erzeugen, dafs dieser 
Grundgedanke — nach Herbarts klassischen Worten — schon in 
früher Kindheit hervorschimmern und zu den iiitesten gehören müsse, 
wozu die Erinnerung hinaufreiche, dafs er verschmolzen werden müsse 
mit allern, was das wechselnde Leben im Mittelpunkte der Persönlich- 
keit zurückläfst. Ebenso ist richtig, was im bez. Aufsatze über Maximen- 
bildung gesagt ist, dafs zuerst die Maximen des Genusses, auf einer 
späteren Stufe die der Klugheit und auf einem noch späteren Stadium 
die .sittlichen Maximen entstehen, bez. zu vorwiegender Geltung ge- 
langen: ein Irrtum wäre es jedoch, zu meinen, im ersten Stadium dieser 



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— 5 — 



Entwicklung entstünden im Kinde gar keine Gedanken über die Zweck- 
mäßigkeit des Genusses oder über die Kechtmäfsigkeit seines Thuns. 

Weiter sagt Schneyer, dafs die einzelnen Völker die Stufenleiter 
von den sinnlichen Maximen bis zum Standpunkte der Sittlichkeit in 
ungemessenen Zeiten durchlaufen. Schade nur, dafs er diesen Ge- 
danken mit seinen Konsequenzen nicht zu Ende gedacht und so nicht 
zu dem Resultate gekommen ist, dafs, ähnlich wie bei den Völker- 
individuen, die sittlich religiöse Entwicklung des einzelnen Menschen 
auch eine sehr langsame, nur stufenweis fortschreitende ist und gar 
nicht anders sein kann, dafs zwischen dem Anfangsgliede dieser Ent- 
wicklung und dem Endpunkte derselben ein weiter, weiter Kaum sich 
befindet, dafs dieser Abstand nicht im Fluge, sondern Station für 
Station zurückgelegt werden mufs, dafs, wer zwar das Ziel will, aber 
bei Anstrebung desselben die von der Geistesnatur angezeigte gliedweise 
Enwicklung ignoriert, unzweckmäfsig verfahrt und im Grunde genommen 
nicht weifs, was er thut. Der Verfasser hätte dann konstatieren müssen, 
dafs zwischen der vorwiegenden Geistesthätigkeit des 6jährigen und der 
des lOjä'hrigen Knaben ein gewaltiger Unterschied ist, dafs, während 
beim 10jährigen die verstandesmäfsige Auffassung vorherrscht, bei jenem 
die phantasierende prävaliert; er würde dann auf Grund dieser und 
ähnlicher Thatsachen zn Folgerungen gelangt sein, wie beispielsweise: 
das, was dem 10jährigen Kinde eine zweckentsprechende Geistesspeise 
ist, kann unmöglich dieselbe Bedeutung fur's 6jährige Kind haben. 

Doch brechen wir hiervon zunächst ab. Das Angeführte hat ge- 
zeigt, dafs die psychologische Fundamentierung als hinreichend und 
gründlich nicht betrachtet werden kann. Untersuchen wir Aveiter, welche 
Aufgaben Schneyer für den Religionsunterricht auf Grund seiner eben 
besprochenen Fundamentierungsarbeit aufstellt. 

Dafs die Schule die in den Kindern vorhandenen Keime der 
Gottesidee zu entwickeln habe, ist etwas Selbstverständliches. — Dafs 
<lie Schule die natürliche Liebe zu den Eltern, zur Gottesliebe und zum 
Wohlwollen gegen die Mitgeschöpfe, zur reinen Liebe des Christentums 
überzuleiten habe, ist gewifs eine an sich richtige Aufgabe des Religions- 
unterrichts, in dieser Allgemeinheit jedoch erscheint sie nicht viel mehr 
als ein schöner, viel- und doch nichtssagender Ausdruck. Welch grosser 
Unterschied ist nicht zwischen deu im 6jährigen Kinde vorhandenen 
Anfängen des Mitgefühls und zwischen der Entwicklung desselben zur 
Teilnahme, nun gar erst zwischen der blofsen Sympathie und dem Wohl- 
wollen , dieser reinsten und schönsten Eigenschaft des menschlichen 
Willens, der christlichen Nächstenliebe ! Nach Schneyer's Darstellung 
wird einem die Annahme nahe gelegt, als mache sich das nicht allzu- 
schwer; die natürliche Liebe des Kindes zu den Eltern, — welche Ver- 
fasser als das Resultat der vielen angenehmen Empfindungen betrachtet, 
welche die Eltern im Kinde hervorrufen — , sei eben nur zu verklären, zur 
Gottes- und Nächstenliebe überzuleiten und — doch liegt hierin eins 
der schwersten Probleme der Erziehung, dessen völlige Lösung nur bei 



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— 6 - 



wenigen gelingt, nämlich die Niederkämpfung des von kleinauf in jeden» 
Menschen wohnender Egoismus in seinen so mannigfaltigen Formen und 
die Hinführung zur selbstlosen Hingabe an fremdes Wohl und Wehe, 
was ohne Hebevolle Pflege und glückliche Entfaltung des Gefühlslebens, 
besonders des Mitgefühls, ohne zweckmäfsige Erweiterung des Umgangs, 
namentlich des idealen, ohne Begeisterung für die religiösen und sitt- 
lichen Musterbilder geradezu unmöglich ist. 

Als eine weitere Aufgabe des Religionsunterrichts führt Schneyer 
an, es gelte, dem Gehorsam des Kindes, welchen es im Hause und in 
der Schule übt, die Richtung auf Gott zu geben, ihn zu einer frei- 
willigen und freudigen Unterordnung unter den Willen Gottes zu führen. 

Das ist ganz richtig gesagt und klingt recht schön, doch erlaube 
ich mir zu fragen: Wie geschieht denn das? Hat etwa die Schule genug 
hierfür gethan, wenn sie das Kind von Anfang an an Gehorsam ge- 
wöhnt? Recht dankenswert wäre es gewesen, wenn der Verfasser hierüber 
sich geäufsert hätte. Dann würde offenkundig geworden sein, dafs in 
der schlichten Fassung dieses einen Satzes ein ganzes Meer von Er- 
ziehersorgen enthalten ist. Wie stehen wir denn zu dieser Frage? 

Genau besehen hängt die Forderung, den Schüler zum sittlichen 
Gehorsam zu erziehen, mit jener vorhergenannten, die natürliche Kindes- 
liebe zur Nächsten- und Gottesliebe zu verklären, innig zusammen. Doch 
respektieren wir die vom Verfasser getroffene Sonderung. Der Schüler 
soll also durch den Religionsunterricht zur sittlichen Freiheit oder dahin 
geführt werden, dafs er gern und willig, aus innerster l berzeugung den 
Willen Gottes thue. Diese Geistesbeschaffenheit ist ein Ideal, für dessen 
Realisierung der gereifte Mann noch täglich und stündlich an sich 
arbeiten inufs, und der Weg dahin ist sehr weit und mühevoll und — 
das 6jährige Kind? Es steht oft noch gar nicht am Anfange dieses 
Weges, denn manch' ein Kind hat seine ersten sechs Jahre durchlebt, 
aber eine Anschauung von einem sittlichen Musterbilde und einer natür- 
lichen Autorität noch gar nicht bekommen, auch nicht gelernt, pünkt- 
lich zu gehorchen und schnell seinen Willen zu beugen. Aber auch 
für diese Sphäre des Geisteslebens giebt es ganz bestimmte Stadien der 
Entwicklung, die nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, wenn es nicht 
zum Schaden der Charakterbildung ausschlagen soll. Dieselben lassen 
sich nicht besser und treffender bezeichnen als mit Prof. Th. Vogt'» 
Worten, nämlich a) als blinde Unterwerfung, b) als willige Unter- 
werfung und c) als moralische Unterwerfung. Anfänglich gehorcht 
das Kind blind, ohne alles Reflektieren über W r arum und Wozu, einfach 
aus Achtung der ihm gegenüber stehenden Gewalt; im 2. Stadium hat 
der Gehorsam des Knaben den Charakter des Blindseins verloren, sein 
Gehorsam ist das Resultat von Überlegungen, bestimmter Beweggründe; 
das vorherrschende Motiv bei normaler Entwicklung ist die Achtung 
vor und die Zuneigung zu Eltern und Erziehern. Erst auf einer späteren 
Stufe gelangt der Zögling zur moralischen Unterwerfung oder zur sitt- 
lichen Freiheit, da er nicht mehr gehorcht aus Rücksicht auf Lohn oder 



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- 7 — 



Strafe, auf Beifall oder Mifsbilligung , sondern deshalb, weil er nach 
seiner Überzeugung nicht anders kann, weil die sittlichen Ideen, welche 
bekanntlich mit dem göttlichen Moralgesetze übereinstimmen, in ihm zur 
Herrschaft gelangt und ihre Imperative ihm zu eigenen Directiven 
geworden sind. 

Doch auf diese letzte Stufe kann niemand geführt werden, er habe 
denn erst die zweite erklommen, und die zweite hat zur Voraussetzung:, 
dafs jemand zuvor die blinde Unterwerfung gelernt habe. Es ist dem- 
nach im rechten Lichte betrachtet ein wenig zweekmäfsiges Verfahren, 
das Endglied einer Entwicklungsreihe nennen und als Ziel aufstellen, 
und dabei die Zwischenglieder nicht nennen. Ebenso unzweckmäfsig ist 
es, schon dem ersten Religionsunterrichte jene höchste ideale Forderung 
zur Aufgabe machen, während es doch notorisch ist, dafs viele der 
6jährigen Kinder überhaupt das Gehorchen noch nicht gelernt haben 
und demnach noch nicht auf der untersten Stufe der Sittlichkeit stehen. 

Als 4. und letzter Punkt fordert der Verfasser, dafs der erste 
Religionsunterricht alle Lebensverhältnisse im Lichte des göttlichen Willens 
anschauen lehre. Diese Forderung, welche die Bildung des ästhetisch- 
moralischen Urteils und Gefühls hauptsächlich einbegreift, hätte nicht an 
letzter, sondern an erster Stelle genannt werden sollen, denn wie anders 
will man auf AVillen und Gehorsam einwirken als durch die Erkenntnis 
oder die sittliche Einsicht , welche zur inneren Gesetzgeberin und 
Richterin nach und nach erhöht werden mufs? wie anders will man die 
Liebe zu Gott erzeugen, als dafs man die aller menschlichen Liebe vor- 
ausgehende Liebe Gottes anschauen und kennen lehrt? 

Doch abgesehen von der Zurückstellung der Urteils- und Gewissens- 
bildung auf den letzten Platz unter den Aufgaben des Religionsunter- 
richts, erscheint auch diese letzte Forderung an den ersten Unterricht 
als viel zu hoch gegriffen. Zunächst ist schon dies bedenklieh, dafs der 
Verfasser fordert, bezw. zu fordern scheint, alle Lebensverhältnisse 
sollen angeschaut werden, und ist doch noch so vieles, hinter dessen 
Verschleierung des Kindes Blick nicht dringen darf. — Aufserdem ist 
dies zu leisten gar nicht möglich, weil dem Kinde hierzu die apper- 
eipierenden Hülfen in seinem Erfahrungskieise fehlen. „Das Kind, wenn 
es aus dem elterlichen Hause in die Schule kommt, kennt von allen 
den verschiedenen Lebensverhältnissen aus seiner eigenen Anschauung 
nur eins: das Familienverhältnis"*), — so sagte Schulrat K. Bormann 
in Diesterwegs Wegweiser, und so ist es. 

Weiter soll das Kind die vorgeführten Verhältnisse im Lichte des 
göttlichen Willens anschauen lernen. Das heifst wiederum nichts anderes 
als: etwas Unmögliches fordern. Das Kind kann über die eng be- 
grenzte Sphäre seiner eigentümlichen Anschauungsweise nicht hinaus. 
Zuvor mufs es lernen die Dinge und Verhältnisse im gemeinen Ver- 
stände anschauen, was dem 6jährigen Kinde noch sehr schwer fallt; 
dann erst kann es allmählich zu einer anderen Beurteilung hingeführt 

*) siehe Deutsche Bl. f. e. Unt. 1884, No. 33. S. 265. 



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- b — 



werden. Bekanntlich sieht das 6- und 7jährige Kind mit ganz anderen 
Angen wie der Erwachsene, den toten Dingen legt es Leben, den 
unvernünftigen Wesen legt es Vernunft bei, gerade wie die tolle Phan- 
tasie sie ausstattet. Die Vorstellungen des Kindes sind noch gar nicht 
zu Begriffen verdichtet, sein Denken ist in geringem Grade verstandes- 
mä'fsig. Daher ist das Kind auf dieser Altersstufe noch gar nicht be- 
fähigt, das Thatsächliche, das ihm entgentritt, richtig aufzufassen, das 
mufs es erst lernen. Wie will man von einem Wesen auf solch niedriger 
Stufe geistiger Entwicklung fordern, dafs es die in den bibl. Geschichten 
enthaltenen Verhältnisse im Lichte des göttlichen Willens anschaue?! 
Mufs es nicht zuvor auf die Stufe gehoben werden, dafs es sie so an- 
schauen lernt, wie jeder Mensch mit nüchternem Verstände sie anschaut? 

Man sieht hieraus , zu welchen Übertreibungen es fuhrt , wenn ge- 
läufige und schön gefafste Postulate, die das Ganze der religiösen Bil- 
dung umfassen, zu Zielpunkten für einen Teil des Bildungswegs, hier 
für das erste Schuljahr, aufgestellt werden. Auf diese Weise wird der 
Sache wahrlich nicht gedient, das trägt nur zur Verdunkelung bei, und 
die Folge davon ist: „Wir kommen weiter von dem Ziel." 

Ich kann von Schneyer's Forderungen nicht scheiden, ohne noch 
eins bemerkt zu haben. Gesetzt, diese Forderungen wären richtig, die 
Beschaffenheit des kindlichen Geistes wäre derart, dass er das That- 
sächliche in den biblischen Erzählungen zu fassen vermöchte, — wäre 
damit schon die Zweckmässigkeit dieser Geschichten für den ersten 
Unterricht erwiesen und der beabsichtigte Erfolg verbürgt? 

Die Antwort wird sich bald ergeben. Die sittlich -religiöse Bild- 
ung, welche durch das Anschauen der in den Geschichten enthaltenen 
Willensverhältnisse begründet und weitergeführt werden soll und die 
hauptsächlich das sittliche Urteil, das sittliche, sympathische und reli- 
giöse Gefühl zum Gegenstande hat, ist nur dann denkbar, wenn das 
Kind im Elternhause die Anfange des Mitgefühls, so wie bestimmte 
sittliche Urteile — (eigentlich sinds nur ästhetische Urteile, weil ihnen 
noch die Rückbeziehung auf das eigene Ich fehlt) — ausgebildet, wenn 
es die Grundbegriffe über gut und schlecht, über hässlich und liebens- 
wert, über wahr und unwahr gewonnen hat : wenn es daheim in einem 
recht gearteten Familienverhältnis gelebt, wenn es in demselben Auto- 
rität und Liebe kennen gelernt und eine gewisse Lebensanschauung 
sich angeeignet hat. Der Verfasser hält diese Voraussetzung in der 
Wirklichkeit gegebeu*) und meint, auf dieser Grundlage dürfe nur 
weitergebaut werden. 

Leider kann ich seiner Annahme nicht beipflichten. Das häusliche 
Leben und die Kindererziehung lassen in Stadt und Land den christ- 
lichen Charakter zum grossen Teil vermissen, Familienordnung und 

*) Am Schlüsse moditiciert Sehncyer allerdings sein Urteil, indem er sagt: 
„Unter den Kindern des Volks ist noch ein grosser Teil, dem gar sehr spärlich 
die Strahlen der Liehe ins Leben scheinen und deren Seelen durum zu erkalten, 
zu verhärten drohen" u. s. w. 



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j 



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Kinderzucht sind weit und breit gar sehr verfallen und man möchte 
mit Pestalozzi rufen: Gebt uns Mütter, Mütter für ihre Kinder! Unter 
so beschaffenen Verhältnissen ist zu bestreiten, dass das „Bedürfnis 
religiöser Erkenntnis" in der Brust der 6jährigen Kinder wohne, dass 
das Gefühl für Recht und Unrecht hinreichend entwickelt sei. Darum 
kann in vielen Fällen die „Ordnung des Familienlebens" als „Symbol 
der Weltordnung" nicht verwertet, die Eigenschaften der Eltern können 
durch Idealisirung zu Eigenschaften Gottes nicht erhoben werden. 
Darum ist der erste Religionsunterricht oft nicht in der Lage, an das 
Vorhandene einfach anzuknüpfen, es weiterzuführen, zu vertiefen und zu 
befestigen. 

Soll daher das Ziel des ersten Religionsunterrichts kein utopisches, 
sondern ein erreichbares sein, so inuss es wesentlich heruntergeschraubt 
werden. — Selbstverständlich muss die Idee von Gott, die dereinst 
den „ruhigen Platz in der Tiefe des Herzens" einnehmen soll, schon 
im ersten Unterricht hervorschimmern: im Übrigen müssen sich die dem 
Kinde darzubietenden Gedankenmaterien dem geistigen Horizonte des 
Kindes, also seinem Vorstellungs- und Gemütsleben möglichst nahe 
halten, um einer nachhaltigen Einwirkung gewiss zu sein. Durch sie 
und an ihnen muss die unentbehrliche Grundlage für die Bildung des 
sittlichen Urteils gewonnen und für die Entfaltung des Gefühls, beson- 
ders des Mitgefühls, Sorge getragen werden. 

Doch folgen wir den Ausführungen des Verfassers, der da be- 
hauptet, dass die biblischen Geschichten dem Anschauungskreise 6- und 
7-jähriger Kinder nahe liege, weiter. Derselbe sucht dies an einer 
Auswahl von Erzählungen klar zu legen und nachzuweisen, wie dieselben 
Ausgangspunkt der sittlich-religiösen Entwicklung und gleichzeitig als 
Inhalt des ersten Religionsunterrichts zu verwenden seien. 

Schneyer beginnt seinen Cyklus mit der „Schöpfungsgeschichte", 
die nach seiner Meinung für die Entwicklungsstufe des 6. und 7. Jahres 
ganz geeignet ist. Diese Behauptung stützt er darauf, dass in diesem 
Alter schon ein tiefer Zug nach dem ursächlichen Zusammenhange der 
Erscheinungen sich offenbare. Zum Beleg hierfür führt er die Worte 
eines 6-jährigcn Kindes an; sie lauten: „Mutter, du hast mich getragen, 
als ich klein war, deine Mutter hat dich getragen, als du klein warst: 
wer hat aber das erste Kind getragen?" Schneyer, welcher noch eine 
ganze Reihe von Beispielen ähnlichen Inhalts aus seiner Erfahrung hin- 
zuzufügen vermag, baut hierauf die Folgerung, dass das Fragen des 
Kindes nach Grund und Ursache der Erscheinungen einen tiefen Zug 
des kindlichen Geistes ausmache, und fordert demgemäfs, dass der 
Unterricht diesen Zug nicht unberücksichtigt lasse. 

Zunächst möge ganz ununtersucht bleiben, ob es überhaupt möglich 
ist, dass das normal entwickelte 6-jährige Kind eine Frage wie die 
angegebene zu stellen befähigt ist. Richtig ist jedoch, dass selbst im 
kleinen Kinde bei glücklicher geistiger Entwicklung ein Streben ruht, 
das Woher, Warum, Wozu, Womit für die Dinge und Vorgänge der 




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Aufsenwclt zu erfahren. Es sind dies eben die ersten Anfange des 
spekulativen Interesses. Von Jahr zu Jahr wachsen dieselben, ein 
aufgeweckter 6-jähriger Knabe kommt mit seinen Fragen oft gar nicht 
zu Ende. Über alles macht er sich seine Gedanken, wo der Schnee 
herkommt und wie er entsteht, über die Sonne, ihre Gröfse, ihren 
Lauf und Untergang, über das Scheinen der Sterne, über die Empfind- 
ungen Jim eigenen Körper, über sein Wachsen, sein Schlafen, sein Auf- 
stehen, über das Schlagen dt?r Wanduhr, über die Bewegung der Eisen- 
bahn, über die Bedeutung der Eigenuamen, der Tier-, Pflanzen-, Orts- 
namen u. s. w. Ich könnte hierfür mit einer ansehnlichen Sammlung 
aus meinem Tagebuche dienen. (Erst vor wenigen Wochen fragte ein 
(j-jähriges Söhnchen nach einem heftigen Platzregen seinen Vater: 
„Wo kommt denn das Wasser her?" Und als die Antwort ihm nicht 
genügte, fuhr er selbst antwortend fort: „Spuckt da der liebe Gott?" 
Beim Bewegen der Blätter und Zweige fragte er: „Wer macht denn 
den Wind? Bläst da der liebe Gott?" — Hierbei will ich jedoch be- 
merken, dass der kleine Fragesteller als Kind mit Durchschnittsent- 
wicklung nicht anzusehen ist, da er schon im Alter von l 1 /« Jahren 
zum ersten Male „ich" richtig anwendete ) 

Schneyer wird vielleicht denken, dass ich, der ich ja ähnliche 
Beobachtungen gemacht, die von ihm getroffene Auswahl billigen und 
die Schöpfungsgeschichte für den ersten Unterricht als geeignet be- 
zeichnen werde. Doch das wäre weitgefehlt ! Im Gegenteil bin ich 
der Meinung, dass diese Materie vor dem 4. Schuljahr nicht zur Be- 
handlung kommen sollte. Und zwar aus folgenden Gründen. 

Die Entfaltung des spekulativen Interesses ist nur ausnahmsweise 
im 6. Lebensjahre so weit, wie vom Verfasser angegeben, gediehen; 
die grofse Mehrheit der Kinder ist in dieser Hinsicht weit zurück. 
Wenn auch zuzugeben, dass die bezeichnete Kichtung der Geistes- 
thätigkeit in jedem Kinde vorhanden ist, so ist damit nicht behauptet, 
dass dieselbe die wichtigste und vorherrschende Seite des Geisteslebens 
auf dieser Altersstufe ausmache. Wer dies annähme, verriete dadurch 
eine grofse Uukenntnis der psychischen Entwicklung, denn es ist be- 
kannt, dass das Spekulieren und Philosophieren als überwiegende Thätig- 
keit erst am Ende dieser Entwicklung steht. — Und nun bedenke man 
den kurzen Zeitraum von 6 Jahren, von welchen die drei ersten der 
Periode angehören, da das Kind noch nicht zum vollen Selbstbewusst- 
sein gelangt ist. Erst mit der Erwerbung des Ichbegrins erlangt es 
gewissermafsen das Fundament für seine geistige Bildung, einen festen 
Grund inmitten der mannigfaltigen, schwankenden Gebilde seiner Innen- 
welt. Was hinter diesem Zeitpunkt zurückliegt, ist gleichsam ihm ein 
bunter, schöner, endloser Traum. Zuerst ist ja der kleine Mensch ein 
nur empfindendes Wesen. Allmählig, nachdem es durch unzählige 
psychische Akte gelernt hat, seine Empfindungen auf äufsere Ursachen 
zurückzuführen, wird es ein vorstellendes Wesen, und erst später, 
wenn seine Vorstellungen einen gewissen Grad von Deutlichkeit erlangt, 



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auch die Vorstellungen vom eigenen Körper und dessen Teilen als zu 
ihm gehörig, sich gebildet haben, entsteht der Ichbegriff. Noch lange, 
nachdem es den Gegensatz zwischen dem Ich und den Personen und 
Dingen um sich herum kennen gelernt, nachdem es längst laufen, seine 
Hündchen und seine Zunge gebrauchen gelernt hat, wird sein Geist 
durch die bunte Mannigfaltigkeit der Dinge, an denen es immer Neues 
zu entdecken giebt, in Anspruch genommen, ehe ihm das Forschen 
nach Zusammenhang, Ursache und Notwendigkeit zu einem Bedürfnisse 
wird. Es ist dies das Lebensalter der eigentlichen Reeeptivität und 
die Periode, der vorherrschenden Phantasie, des kindlichen Spiels, da 
die von den Dingen gewonnenen Bilder immer wieder im Bewusstsein 
aufsteigen und da des Kindes liebste Thätigkeit hauptfachlich darin 
besteht, mit den erlangten und liebgewonnenen Vorstellungen souverän 
zu schalten und zu walten, je nachdem es seiner Einbildungskraft mehr 
oder minder die Zügel schieben lässt. 

Eine grofse und schlimme Täuschung ists daher, zu behaupten, 
das kleine Kind habe schon oft gefragt: Wie ist alles entstanden? Der 
tiefe Zug des 6-jährigen Kindes ist nicht das Warum. Darum halte 
ich die Behandlung der bez. Erzählung imersten Schuljahre für eine nicht 
scharf genug zu verurteilende „ Verfrühung"*), wodurch sowohl das 
religiöse als auch das spekulative Interesse des Kindes eine schwere 
oft gar nicht mehr zu reparierende Schädigung erfährt. 

Nicht wesentlich anders lautet das Urteil in Beziehung auf die 
Behandlung des Sündenfalls. Auch diese Geschichte ruht auf einem 
tiefen religions-philosophischen Hintergrunde,**) und es wäre eine dürf- 
tige Ausbeute dieser Materie, wenn das Kind aus ihr nur das Wesen 
der Übertretung, den Ungehorsam nach Entstehung und Folgen kennen 
lernte. Für diesen Zweck würde die Krummmaehersehe Parabel „Die 
Reue" dieselben und bessere Dienste thun. Nach meinem Dafürhalten 
muss, wenn diese Geschichte erst zur unterrichtlichen Behandlung steht, 
tiefer gegraben werden. Ist es denn, so fragt man unwillkürlich, über- 
haupt statthaft, zu dem 6-jährigen Kinde, in welchem weder die Vor- 
stellung des Bösen, noch die Idee von Gott hinreichend deutlich aus- 
gebildet ist, welches den Begriff der „Sünde u noch gar nicht hat, schon 
von einem „Sündenfalle", vom Teufel, dem Urheber des Bösen, zu 
reden, vor dem Kinde, dass noch gar keine Ahnung von der auf der 
Erde existiereudeu Bosheit und Niedertracht hat? Wie soll ihm, das 
so aufserordentlich arm an sittlichen Erfahrungen, so bar aller Selbst- 
beobachtung ist, das Wachsen der bösen Lust, die kurze Lberlegung 
der ersten Menschen vor, die Reue nach der That, wie weiter die Be- 
deutung der Worte: „Ich will Feindschaft setzen" etc., „Im Schweifse 
deines Angesichts" etc. u. a. m. nahe gebracht und verständlich ge- 
macht werden? Dies ist rein unmöglich, denn es fehlen dazu die 



*) Rein, erstes Schuljahr. Einleitung XI. u. s. f. 
**) Rein, drittes Schuljahr, II. Aufl. S. 2 u. s. f. 



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Vorbedingungen im Innern des Kindes. Wohl giebt es Antworten, aber 
seine Worte sind leere Lautverbindungen; wohl zeigt es scheinbar Auf- 
merksamkeit, aber sie ist blofse Gefälligkeit gegen den Lehrer; zwar 
lernt es sogar ganze Abschnitte der Geschichte nacherzählen, doch nur 
vermittelst des rein mechanischen Memorierens; im Innern bleibt es 
unberührt. Denn die Kluft zwischen der Anschauungsweise des 6-jäh- 
rigen Kindes, das ahnungslos ins Leben blickt, und der Situation der 
vor einer grofsen Entscheidung stehenden ersten Menschen ist so 
kolossal, dass die Phantasie, die noch ganz ungeschult ist, sie unmög- 
lich in entsprechender Weise ausfüllen kann. 

Hiernach ist denn auch der Schncyer'sehe Ausspruch: „Eine ver- 
ständlichere, der Natur des Kindes entsprechendere Geschichte für 
dieses Alter kenne ich nicht, als die Geschichte der ersten Menschen 
und die Schöpfungsgeschichte" auf seinen wahren Wert zurückzuführen. 

Der Verfasser schreitet sodann zu Erzählungen aus der Patriarchen- 
zeit, namentlich aus Abraham's und Josefs Leben, weiter und bespricht 
sie, er reiht an dieselben die Geschichte vom Moseskinde, von Eli und 
Samuel und von David. Schliefslieh nennt er einzelne neutestament- 
liehe Erzählungen, hinsichtlich deren er selbst einschränkend bemerkt, 
dass das Kind freilich noch nicht die höchsten Ideen des Christentums 
fassen könne. Von ihnen allen behauptet er, dass sie dem kindlichen 
Anschauungskreise nahe stehen und verspricht sich deshalb von den- 
selben den besten Erfolg. 

Mit Bezug auf die Patriarchengeschichte sagt er: „So sehen wir 
denn, dass das Dortkind ganz in den Vorstellungen lebt, die das Leben 
der Patriarchen ihm bietet, das Stadtkind aber wenigstens die Haupt- 
züge desselben in sich aufgenommen hat; beide aber diese mit dem 
Gefühle der Lust verbundenen Vorstellungen gern hervorrufen, gerne 
in ihren Gedanken im Freien mit jenen Hirten leben , mit ihnen 
empfinden." Wer wüsste nicht, dass Hund und Schaf, dass die Weide- 
und Haustiere zu dem liebsten Umgange des Kindes gehören,*) ferner 
dass in den Geschichten der Patriarchenzeit die einfachsten mensch- 
lichen und gesellschaftlichen Verhältnisse gegeben sind, dass daher diese 
Erzählungen mehr wie alle anderen Erzählungen der heiligen Schrift 
zum ersten Unterrichte geeignet sind. 

Trotzdem empfehlen sie sich als Gegenstand unterrichtlichcr Be- 
handlung des ersten Schuljahres sehr wenig. So sympathisch dem 
Kinde in diesen Erzählungen auch die Staffage ist — die Scenerie ist 
es weniger! — so unverständlich ist ihm die Gemütslage der handeln- 
den Personen, der Patriarchen selbst. Was weifs das 6-jährige Kind 
von der Schwere eines Befehls, wie ihn der 75-jährige Abraham in 
Haran erhielt, was von der Gröfse eines Gehorsams, der alle Bedenk- 
lichkeiten überwindet, was von den Gefahren einer Wüstenreise, was 
von dem Leben und Sorgen eines heerdereichen Nomaden u. s. w. ! 



*) Heinecke, Bildung des Mitgefühls. (Pädag. Studien von Kein 1883, Heft HI.) 




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Das, was die sittliche Sphäre des dargebotenen Erzählstoffes aus- 
macht, muss der sittlichen Entwicklung des Kindes nahe stehen, soll 
der Stoff für den ersten Unterricht geeignet sein. Das ist hier jedoch 
nicht der Fall. Das Kind steht, wie schon oben gesagt, auf einer zu 
niederen Stute sittlicher Bildung, befindet sich oft noch nicht in dem 
Stadium der blinden Unterwerfung, sondern die Maximen des Genusses 
beherrschen es, sein Streben geht neben dem Spiel gröfstenteils auf 
sinnliche Lust, das Wägen und Wählen zwischen verschiedenen Ent- 
schliefsungen hat es noch gar nicht oder selten geübt. Die sittlichen 
Urteile beginnen sich erst zu regen, auch die religiösen Vorstellungen 
und Gefühle, die anfangs sehr dunkel und unrichtig, „luftige Phantasie- 
gebilde 11 , sind erst im Entstehen, ebenso ist die Teilnahme an Leid 
und Freude anderer Menschen noch wenig gefördert, und hat es somit 
noch nicht den allerersten Schritt zur Überwindung der aufgeschossenen 
Selbstsucht thun können. Selbst „das Grundgefühl des religiösen Le- 
bens, das Gefühl allseitiger Abhängigkeit von einer übersinnlichen Welt 
ist kaum vorhanden."*) 

Wenn nun dies die Geistesbeschaffenheit des 6-jährigen Kinde» 
ist, so ist unschwer einzusehen, was sich hieraus bez. der von Schneyer 
getroffenen Auswahl biblischer Erzählungen ergiebt; nämlich dies: 
das Kind ist weder befähigt, das thatsächliche Geschehen der bez. 
Erzählungen richtig zu appereipieren, noch das im Untergrunde liegende 
Religiös-Sittliche zu vernehmen. Das gilt für alle 6-jährigen Kinder, 
ohne Ausnahme. Für die Mehrheit gilt aber auch noch dies, dass hie 
überhaupt noch nicht unterrichtsfahig sind, sondern erst unterrichtsfähig 
gemacht werden müssen. Die Ursache hierfür liegt darin, dass sie 
zu wenig Vorstellungsmaterial besitzen, und dass aufserdem die Vor- 
stellungen der notwendigen Klarheit und Bestimmtheit, ohne welche die 
Appcrceptionsfähigkeit nicht denkbar ist, entbehren.**) 

Notwendig und interessant zugleich ist ein Blick auf die Art, wie 
Schneyer sich mit den Einwendungen der gegnerischen Seite aus- 
einandersetzt. 

Wiedemann hat in seinem Buche „Der Lehrer der Kleinen" unter 
anderen Gründen gegen die biblischen Geschichten im ersten Schuljahre 
auch den mit angegeben, dass, wenn im Anfangsunterrichte eine Ge- 
schichte wie z. B. „Kains Brudermord* 4 behandelt würde, dem Kinde 
zu frühe und zu plötzlich die grofse Entartung der Menschennatur vor 
Augen gestellt werde; die dadurch hervorgerufenen Eindrücke wirkten 
zu mächtig und deshalb nachteilig auf das Kind ein. — Schneyer ant- 
wortet darauf: Werden diese Eindrücke nach 1, 2 oder 3 Jahren ge- 
ringer sein? Die Kinder, die doch nicht Kinder bleiben können, 
müssen auch die mannigfachen und grofsen Verirrungen, z. B. dass 

*) Thrändorf, die Kirche und der Religionsunterricht der Erziehungsschule, 
(l'ädagog. Studien von Kein 1888, 1 ) 

**) H. Wendt. Über Exkursionen, mit besonderer Rücksicht auf die Schul- 
erziehung in grofsen «Städten. S. 4. Dr. K. Lange, über Apperzeption. 



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ein«Mensch den andern ermordet, kennen lernen. Das geschehe sowieso 
durch's Leben. Darum erscheine es als besser, das Kind planmäfsig 
durch den Unterricht in die Wirklichkeit des Lebens einzurühren, als 
es dem Zufalle zu Uberlassen, wie es mit der moralischen Entartung 
des Menschengeschlechts bekannt gemacht werde. 

Sollte mit dieser Entgegnung das erwähnte Bedenken wirklich 
zerstreut sein? Darin sind wohl alle einig, dass der Schüler das 
Leben der Menschen, wie es thatsächlieh ist, kennen lernen muss, dass 
man ihm deshalb nicht blofs Tugendbilder, was bald zu tötlicher 
Langeweile führen würde, vorführen dürfe, sondern auch den Menschen, 
wie er irrt, strauchelt und fallt. Nur vergesse man darüber eins nicht. 
Der Kreis des Umgangs und des sittlichen Urteils war bisher eng, so 
eng begrenzt, wie räumlich das elterliche Haus, der elterliche Hof und 
Garten war. Von hier aus muss der Blick weiter geführt werden, auf- 
wärts und abwärts. „Aufwärts giebt es nur einen Schritt und nichts 
Höheres mehr," zu „Gott, dem reellen Centrum aller praktischen 
Ideen, dem Vater der Menschen, dem Haupt der Welt" — (voraus- 
gesetzt, dass das Kind daheim „die zärtliche Sorge der Mutter, den 
freundlichen Ernst des Vaters, die Verkettung der Familie, die Ordnung 
des Hauses in aller Reinheit und Würde" kennen gelernt hat;) — 
„abwärts eine unendliche Weite und Tiefe. Nach jener Seite muss 
das übersinnliche Reich sich öffnen; denn im Sichtbaren ist der Fami- 
lienkreis selbst das Schönste und Würdigste. Aber auf der entgegen- 
gesetzten Seite liegt die Wirklichkeit, und zeigt teils von selbst mit 
zudringlicher Sinnenklarheit ihre Mängel und ihre Not, teils ist es 
Pflicht der Erziehung, vollends aufzudecken, was der Zögling nicht 
siebt und doch sehen muss, um als Mensch leben zu können." So 
sagt Herbart.*) Wer wollte die Wahrheit seiner Worte anfechten! 
Sollte jedoch es sich empfehlen, das Kind, dessen „Sünden" bisher 
zerbrochenes Spielzeug, zerrissene Kleider, zerstofsene Fensterscheiben 
gewesen, nun gleich mit einem Male zu dem Abgrunde tiefster sitt- 
licher Entartung, wie sie in Kains Geschichte entgegen tritt, hinzuführen? 
Nimmermehr kann das zweckmäfsig, kann das pädagogisch richtig sein! 
Ein solches Verfahren wäre ähnlich dein einer unverständigen und lieb- 
losen Mutter, welche ihren wachen Säugling aus dem hellen Licht des 
sonnigen Wohnzimmers ins tiefe Dunkel des Kellers mitnehmen wollte. 
Vielmehr muss als Gesetz dies gelten: das Kind darf nur allmählich 
fortgehend in die unendliche Weite moralischer Abirrung geführt wer- 
den. Nur dann kann die Bildung des kindlichen Gefühls und Urteils 
gelingen, nur so können sich die sittlichen Unterscheidungen schärfen, 
nur so die Elemente der sittlichen Ideen an „Klarheit und Würde" 
gewinnen. Herbart sagt a. a. O. ■ „Die Welt, wie der Knabe sie be- 
trachtet in den Stunden des Ernstes, dehne sich weiter und weiter; 



*) Über die ästhetische Darstellung der Welt als das Hauptgeschäft der Er- 
ziehung. II. \V. XI. 



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zwar immer gelegen zwischen den gleichen Extremen, dränge sie 
gleichsam dieselben in weite Fernen hinaus, damit Platz werde für die 
Menge der Charaktere, welche am Faden der Geschichte hereintreten." 

Sehliefslich werde noch die Aufmerksamkeit auf die Grundsätze, 
v/elche Schneyer für die unterrichtliclie Behandlung selbst aufstellt, hin- 
gelenkt. 

Schneyer, welcher gleich anfangs seine Behauptungen durch den 
Hinwois auf eine lange Erfahrung begründet, will auf gegnerischer 
Seite den Erfahrungsbeweis nicht gelten lassen. Deshalb sucht er dar- 
zuthun, dass die Erfahrung des Lehrers Förster in Zittau, der a poste- 
riori zur selben Erkenntnis wie Wiedemann und viele andere gelangt 
ist, nv ht beweiskräftig sei. Försters Erfahrungen seien jedenfalls daraus 
zu erklären, dass ihnen ein unzweckmäfsiges Handeln vorhergegangen, 
denn anders können des Verfassers Worte: „Die Ursachen für diese 
Erscheinungen suche ich in dem Umstände, dass von dem „„Wie"" 
der Behandlung Alles abhängt", nicht wohl verstanden werden. 

Doch hören wir, wie nach Schneyer die unterrichtliclie Behandlung 
sich gestalten soll. Das Gelingen des Unterrichtes hängt nach ihm 
davon ab, dass dem Lehrer „von keiner Seite ein Zwang über Aus- 
wahl, Anordnung und Behandlung der Geschichte aufgelegt werde." 
Bei ihm ist also die erste Vorbedingung für den Erfolg die uneinge- 
schränkte Freiheit des Lehrenden, was er im darauffolgenden Satze 
jedoch wieder wesentlich einschränkt durch die Worte: „Freilich der 
Anfänger kann nur nach Vorschrift und Muster erzählen und be- 
handeln." 

Sollte das Gelingen wirklich durch den von allen Fesseln frei- 
gemachten Subjectivismus verbürgt werden? Will der Verfasser die 
Natur und Gesetzmäßigkeit des Geistes, die der Willkür ganz bestimmte 
Schranken steckt, gar nicht m Rücksicht ziehen? Weifs er nichts von 
dem theoretisch anerkannteu Grundsatze: „Das. was der Zögling vor 
aller Erziehung war, muss für diese Ausgangspunkt und Beziehuugs- 
punkt aller Thätigkeit und aller Fürsorge sein?' 1 *) 

Noch seltsamer als diese Vorbedingung charakterisieren sich die 
Normen, die Schneyer für Auswahl und Behandlung aufstellt. Seltsam 
sind sie, denn hätte der Verfasser seine anfangs genannten Forderungen 
darauf bin geprüft, so würde er zu dem Resultate gekommen sein, die 
bibl. Geschichte aus dem ersten Unterrichte zu verpöneu. 

Schneyer verlaugt nämlich von dem Lehrer, dass er in der an- 
schaulichen Weise der Bibel erzähle, aber nicht mit den Worten der- 
selben, in kindlichein Tone, ohne jedoch läppisch zu werden. Dies 
begründet er durch den Satz: Die Kinder haben kaum die Sprache 
des Lerehrs gelernt und sollen schon wieder in die Bibelsprüche ein- 
geführt werden. Unmittelbar vorher fordert er als allererste Bedingung 
fürs Gelingen volle Freiheit fiir den Lehrer; liier jedoch steckt er be- 

*) Ziller, allgemeine Pädagogik, § 10. 



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stimmtes Mafs und Grenze und hebt dadurch die eben verkündete Frei- 
heit der Subjektivität wieder auf. Wo bleibt da die Konsequenz des 
Denkers? 

Aber noch eins ist dem Schneyer'schen Grundsatze gegenüber zu 
bemerken. Verfasser erkennt nämlich klar, dass eine Hauptschwierig- 
keit für den bibl. Geschichtsunterricht auf der Unterstufe in der Dar- 
bietung liegt; denn wenn die Erzählung nach dem Wortlaut der Bibel 
vorgetragen wird, so ist sie den Kleinen geradezu unverständlich und 
ohne allen Erfolg; wird sie jedoch in freier Weise, nach Wiedemann, 
dargeboten, so wird der Text leicht so verkindlicht, dass er alles Andere 
ist, nur keine bibl. Erzählung.*) Dieser Scylla und Charybdis sucht 
er aus dem Wege zu gehen; daher seine oben genannte Vorschrift. 
Nur fragt es sich: Ist Schneyer beiden Extremen wirklich glücklich 
entronnen? Bei genauerem Zusehen muss man antworten: Es ist ihm 
nicht gelungen. In seinen Beispielen, welche Winke für das Vor- 
erzählen enthalten, hat er so verkhidlicht, dass, wenn man seinen Direk- 
tiven folgen wollte, von der bibl. Fassung wenig oder nichts übrig 
bliebe. Ein Mittelweg ist nicht gut möglich. Eben deswegen sagt 
Herr Kein — und ich stimme ihm vollständig zu — »Wir geben den 
Kindern lieber jede andere Geschichte, als eine derartige Verwässerung 
des biblischen Stoffs. 4 ' 

Eine andere Norm Schneyer's für die unterrichtliche Behandlung 
lautet: „In der Auswahl des Stoffs ist lediglich das allgemein Mensch- 
liche hervorzuheben; das den Vorstellungen einer vergangenen Zeit und 
einem bestimmten Glaubensbekenntnisse allein Angehörige muss fern 
bleiben. Ebenso das dem Gedankenkreise des Kindes Fernliegende. 14 
Wie der Verfasser seine dem ersten Keligionsunterricbte gestellten Auf- 
gaben mit diesem Grundsatz in Einklang zu bringen vermag, ist geradezu 
unerfindlich. Hier verkündet er, dass im Unterrichte lediglich das all- 
gemein Menschliche hervorgehoben werde; oben dagegen forderte er 
vom Lehrer, das derselbe alle Lebensverhältnisse im Lichte des gött- 
lichen Willens anschauen lehre. Ist das nicht ein offenbarer Wider- 
spruch? 

An der Hand der Schneyer'schen Auswahl werden die Kleinen 
erst an den Anfang der Welt gestellt, dann werden sie ins Paradies, 
später nach Haran, von da nach Kanaan unter Nomaden , dann nach 
Ägypten unter Pharaonen und Sklaven, dann zurück ins Land Israel, 
in die Zeit der Bekriegung Israels durch die Philister, dann ins Zeit- 
alter Jesu, dessen Zeitgenossen mit der Messiashoffnung sich trugen, 
geführt; ist dies wohl möglich, ohne die Kinder in die Vorstellungen 
der vergangenen Zeiten einzutauchen? Ist's nicht vielmehr der grösste 
Widersinn, bei solcher Auswahl zu verlangen, dass das dem kindlichen 
Gedankenkreise Fernliegende wegbleiben soll?! 

Noch Vieles wäre zurückzuweisen von dem, was Schneyer mit dem 



*) Kein, erste» .Schuljahr S. XI, XII. 



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Brusttone der Überzeugung uns Lehrern als Wahrheit verkündigt hat. 
Doch werde die Untersuchung hier abgebrochen. Wem könnte auch 
mit den unausbleiblichen Wiederholungen gedient sein! Bedauerlich 
ist und bleibt es, dass Herrn Schneyer seine Beobachtungen nicht tief 
genug geführt haben; seine Überlegungen konnten daher, trotz allen 
guten Willens, zu in sich einigen, widerspruchsfreien und eben darum 
wertvollen Resultaten nicht gelangen. 

So viel dürfte klar geworden sein, dass die biblischen Geschichten 
für den Anfangsunterricht sich nicht eignen. Eben deshalb muss ein 
vorbereitender Unterricht, der die Vorbedingungen für die richtige 
Apperception zu schaffen, den Hunger nach geistlicher Speise zu er- 
zeugen und die Empfänglichkeit für die Musterbilder der Sittlichkeit zu 
bereiten hat, vorausgeschickt werden. 

Dies in der neuesten Zeit aufs neue mit aller Entschiedenheit ge- 
fordert und gleichzeitig die Notwendigkeit dieser Forderung mit zwingen- 
den Gründen nachgewiesen zu haben, ist besonders eines der Verdienste 
Ziller's und auch der Verfasser der Schuljahre. Einsichtige Pädagogen 
haben das allerdings schon vor langer Zeit eingesehen, doch ihre Rufe 
waren Johannesstimmen in der Wüste, die spurlos verhallt und in gänz- 
liche Vergessenheit geraten waren. 

Einen von ihnen, dessen Bedeutung für die Pädagogik allseitig 
anerkannt, an welchem mit Recht „eine treffliche Beobachtungsgabe" 
und ein „klarer, scharfer Verstand" gerühmt wird, will ich redend ein- 
führen, nämlich Salzmann; die Säkularfeier seiner Schöpfung „Schnepfen- 
thal" ist ja noch in Aller Erinnerung. 

In seiner vor 104 Jahren herausgegebenen Schrift „Die wirk- 
samsten Mittel, Kindern Religion beizubringen" wendete sich Salzmann 
nachdrücklich gegen die damalige Unterrichtsweise in der Religion. 
Er sagte von ihr S. 35: 

„Man übte ihr Gedächtnis und vernachläfsigte ihren Verstand fast 
gänzlich; man gewöhnte sie blofs zum Glauben, aber nicht zum 
Nachdenken, man führte sie von Ägypten durch die arabische 
Wüste nach Canaan, zeigte ihnen Wunder, die daselbst waren 
verrichtet worden, und vergafs fast gänzlich, sie auf das aufmerk- 
sam zu machen, was um sie her vorging. Daher mag nun wohl 
grofsentheils die Verdrossenheit zum Beobachten und eignen Nach- 
denken, die fast durchgängig bei dem grofsen Haufen herrscht 
und die bejammernswürdige Fühllosigkeit rühren, mit welcher er 
unter Gottes Werken wandelt, sie geniefset und zertritt; daher 
mag es wohl kommen, dafs man immer neunhundert neun und 
neunzig Menschen rechnen kann, die mechanisch ihre Geschäfte 
so fortsetzen, wie sie es von ihren Lehrmeistern gesehen haben, 
gegen einen, der es sich einfallen läfst, durch Beobachtung und 
Nachdenken seinen Vorgänger zu übertreffen." 
In Bezug auf die Schwierigkeit, kleinen Kindern verständlich zu 
sprechen, sagt er: 

Pädagogisch« Studien. I. 2 



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„Kinder haben ihre eigene Sprache. Dies giebt mir gewifs zu, 
der einige Zeit mit beobachtendem Geiste Kinder erzogen hat. 
Sie ist so arm, wie die Sprache der Wilden, die nur für Gegen- 
stände der Empfindung, selten aber für die Ideen, die einige 
Aufklärung des Verstandes voraussetzen, Zeichen haben. Wenn 
wir nun in einer unter Erwachsenen gewöhnlichen (und das ist 
doch die Sprache, in welcher der gewöhnliche lieligionsunterricht 
vorgetragen wird), oder wohl gar wissenschaftlichen, oder auch 
wohl gar in der morgenländischen Sprache, uns mit Kindern 
unterreden, wenn wir ihnen Bufse und Rechtfertigung anpreisen, 
von Gnade und Kreuzigung des Fleisches sprechen, reden wir 
nicht eine fremde Sprache? Und das sollte Kinder nicht verdriefs- 
lich machen?"*) 
Weiter sagt er: 

„Die Denkungsart eines 30 — 40jährigen Mannes ist von der 
Denkungsart eines 10 — 12jährigen Kindes himmelweit unter- 
schieden. Wie werde ich gerührt, wenn ich eine Arie aus der 
Graun'schen Passion, oder Abraham auf Morija auflÜhren höre, 
und wie fuhllos sitzen meine Kinder dabei! Wie hüpfen sie hin- 
gegen, wenn jemand anfangt zu singen: Als jüngst Hänschen in 
dem Gras. Umsonst bemühe ich mich, sie dahin zu bringen, dafs 
sie, bei Anhörung jener Stücke, an meinen Empfindungen Teil 
nehmen. Es ist blofs Gefälligkeit gegen mich, wenn sie sagen: 
Das war eine vortreffliche Arie. Wir dürfen daher das, was 
Kindern Vergnügen machen soll, niemals nach unserer, sondern 
nach der Kinder Empfindung abmessen, sonst lernen wir wohl, 
was uns, nicht aber, was Kindern Vergnügen schaffet."**) 
Über die Erfolglosigkeit eines Unterrichts , der sich zu frühe mit 

Bibel und Katechismus beschäftigt, sagt er: 

„Wenn man nicht annehmen will, dafs die Worte, die man lernt, 
eine magische Kraft haben, vermöge welcher sie, ohne dafs die 
Seele etwas dabei denkt, gleich einer Zauberformel wirken, so 
mufs man zugeben, dafs alles Auswendiglernen der Bibel uud des 
Katechismus gar nichts hilft. So wenig eine Speise, die unver- 
dauet durch den menschlichen Körper gehet, denselben nähren 
kann, so wenig können Worte, die man nicht versteht, deren 
Verstand man nicht überdenken kann, das Herz bessern." 
Solcher Unterricht ist nicht blos erfolglos, sondern auch schädlich, 

denn er erzeugt Langeweile und Abneigung gegen den Inhalt selbst. 

Hierauf bezüglich sagt Salzmann: 

„Wir Erwachsenen gähnen und werden verdriefslich , wenn uns 
ein Gesellschafter stundenlang mit seiner Lieblingswissenschaft, 



*) Salzmann: Die wichtigsten Mittel, Kindern Religion beizubringen. (Pädag. 
Bibliothek von Karl Richter, II. Band.) S. 72. 
•*) a. a. O. S. 72. 



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I 



— 19 — 

in der wir ganz fremd sind, unterhalten will; wir beklagen uns 
wohl über Mangel an Lebensart. Sollen denn unsere Kinder 
nicht gähnen und verdriefslich werden, wenn wir sie mit Dingen 
unterhalten, die gar nicht in ihr Fach gehören?"*) 
So warm Salzmann die Erzählungen als das wirksamste Mittel, 
Kindern Religion beizubringen, empfiehlt, so entschieden erklärt er sich 
gegen die biblischen Geschichten im Anfangsunterricht. Kr sagt: 

„Die bibl. Geschichte halte ich zur ersten Unterweisung der 
Kinder für unbrauchbar. Denn wenn auch der Lehrer Fähigkeit 
genug besäfse, seine lieben Kleinen in das entfernte Morgenland 
und in das graue Altertum so zu versetzen, dafs sie die erzählteu 
Begebenheiten mit anzusehen glaubten, so enthält doch diese Ge- 
schichte nur den Charakter und die Schicksale erwachsener Per- 
sonen, berühmter Gesetzgeber, Helden und .Jesu, des Meisters der 

höchsten für Kinder nicht erreichbaren Vollkommenheit." 

„Wollen wir nun Kinder durch bibl. Geschichten unterrichten, so 
sehen wir uns in der Verlegenheit, entweder die wenigen Ge- 
schichten kleiner Kinder durch Erdichtung zu erweitern, oder sie 
durch Exempel grofser Heldenseelen, eines Moses, Josua, Jesu, 
zu bilden. Beides scheint mir sehr unbequem" u. s. f.**) 
Auch das Urteil Pestalozzis , dieses Reformators des Unterrichts- 
wesens, fällt in die Wagschale derer, welche fordern, dem Religions- 
unterrichte einen vorbereitenden Unterricht vorauszuschicken. Auch er 
lehrt, dafs das Neue, was der Unterricht darbietet, an die Welt, in 
welcher der Zögling lebt, an seine äufseren und inneren Erfahrungen 
und Beobachtungen, angeknüpft werde, weil der Mensch alle Wahrheit 
nur erkenne nach dem Mafse, als die Gegenstände sich dem Mittel- 
punkte nähern, in dem er wallet und webet.***) 

Diese Gesichtspunkte werden im Unterrichte und bei Auswahl der 
Lehrstoffe zumeist nicht berücksichtigt. Schulrat Hempel sagt in „Päda- 
gogische Anregungen aus Pestalozzi": j) Pestalozzi klagt in einer 
späteren Schrift: r Die meisten verstehen die Kunst nicht, im Geist und 
in der Wahrheit fremder Kinder Vater zu sein." Er fahrt dann fort: 
„Wenn das wahr ist, — was er (Pestalozzi) übrigens eine sehr schwere 
Kunst nennt — , so liegt der Grund neben anderen gewifs auch darin, 
dafs man nicht zu dem Kinde hinabsteigt in seine jeweilige Anschauungs- 
weise, , um von da aus es zu gewinnen, zu erfassen und zu 

heben. Das ist der tiefe Sinn von Pestalozzis immer wiederkehrender 
Forderung, naturgemäfs zu verfahren. — Was thut der neue Lehrer 
in dem Dörfchen Bonnal, da er merkt, dafs die Kinder ihn, er die 
Kinder nicht versteht? Er holt sich das Baumwollenmareili, das schlichte 

*) a. a. O. S. 71. 
**) S. 78 a. a. O. 

***) Just, Pestalozzi'» Unterrichtsmethode. Jahrbuch des Vereins f. w. P. 
XIV. S. 6. 

f) Praktischer Schulmann 1883. Heft II. 

2* 



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Mädchen aus dem Volke, zu Hilfe, um von ihm, das täglich mit der» 
Kindern verkehrt, zu lernen, wie und was er mit denselben reden soll. 
Ja, es ist eine vieljährige Erfahrung, dafs wir viel zu sehr von uns 
ausgehen statt von dem Kinde und seiner Art. Was uns interessiert, 
was uns in besonderer Weise beschäftigt, was uns nach unserm Alter 
und Verständnis bedeutungsvoll erscheint, das interessiert darum die 
Kinder noch nicht, ist darum fiir das Kind noch nicht von Bedeutung. 
Wollten wir doch mehr fragen, was frommt dir, du jugendlicher Geist, 
du kindliches Herz, als kategorisch zu sagen, das mul's dir frommen." 

Diese Citate dürften den Nachweis geführt haben, dafs in weiten 
Kreisen, nicht blofs in hcrbartischen, — ja vereinzelt längst vor Her- 
bart — , die Erkenntnis sich Bahn gebrochen, dafs für das (i- und 7jährige 
Kind sich biblische Geschichten als Unterrichtsmatene nicht eignen, 
weil dieser Altersstufe die Empfänglichkeit hierfür mangelt. Die Empfäng- 
lichkeit des Kindes modifiziert sich kontinuierlich mit dem Fortschritt 
des Alters. Pflicht des Erziehers und Lehrers ist es, zu sorgen, dafs 
die darzubietenden Gedankenstoffe mit der Entwicklungsstufe des Kindes 
richtig zusammentreffen. Wer das thut, kann nimmermehr empfehlen, 
dem kleinen Kinde bibl. Geschichten als Lernstoffe anzubieten, während 
ihm doch Milch und leichte Speise, d. i. eine sorgfältige Auswahl ge- 
eigneter Märchen, gehört. 

Es erübrigte nun noch, Schneyer's Bedenken gegen die Verwendung 
der Märchen im ersten Schuljahr zu untersuchen bezw. zu widerlegen. 
Doch möge dies einer anderen Arbeit vorbehalten bleiben. 

Ich schliefse mit einem anderswo gebrauchten Worte. „Vor 25 
Jahren noch, als Bormann's Schulkunde im Zenith ihres Ansehens stand, 
konnte der Lehrer wegen des nicht erzielten Verständnisses (im ersten 
Religionsunterrichte) sich mit der Hoffnung trösten: das Verständnis 
kommt nach und darum ist auch das unverstanden Gelernte nicht ver- 
loren. Heutzutage jedoch, da durch die psychologische Wissenschaft 
evident nachgewiesen ist, dafs der Lernprozefs nur gelingen kann, wenn, 
genügend verwandte Vorstellungen vorhanden sind, ist diese Annahme 
in das Reich des Nichts verwiesen. Mit Seminardirektor Rein ist» 
daher als eine „pädagogische Verirrung" zu betrachten, dafs man den 
ersten die Gesinnung bildenden Unterricht an biblische Geschichten 
anschliefst. " *) 



*) Preuss. Lehrerz. 1884 No. 84, 85. Bemerkungen zu der Frage, ob ia 
den niederen Schulen eine Überbürdung vorhanden sei. 



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- 21 — 



Anhang. 

Da die Beobachtung der beste Prüfstein für die Richtigkeit der von der 
Theorie aufgestellten Sätze, so sei gestattet, aus meiner Erfahrung bez. aus den 
Aufzeichnungen meines Tagebuches Einiges mitzuteilen. 

L 

Ich hatte einen erkrankten Kollegen im Religionsunterricht zu vertreten. Die 
Klasse, in die ich trat, war der zweite Jahrgang, die Kinder gingen l'] 4 Jahr in 
die Schule. Auf meine Frage, welche bibl. Geschichten sie zuletzt gehört hätten, 
antworteten sie: Abraham, der Freund Gottes. — Wissend, mit welchen Schwierig- 
keiten ich bei dieser Erzählung in meiner Klasse — dem IV. Schuljahr — zu 
kämpfen gehabt, untersuchte ich, inwieweit diese Erzählung von den 7jährigen 
Kindern aufgefafst und in das Vorstellungsleben derselben eingedrungen sei — 
vielleicht, dafs ich zu schwarz gesehen oder ungeschickt verfahren, andere Lehrer 
dagegen in diesem Falle keine Schwierigkeiten fänden. — Die Probe jedoch 
zeigte, dafs ich mich nicht getäuscht hatte. 

Ich fragte: Was wifst ihr denn von Abraham? koine Antwort. Wifst ihr gar 
nichts von ihm? Ein Kind: er war fromm. L.: Was heifst denn das? keine Ant- 
wort. L. : Wer ist denn fromm? keine Antwort. L. : Wifst ihr auch nicht, was 
Abraham war? keine Antwort. Lehrer, auf ein Kind zeigend: Was ist denn dein 
Vater? Kind: ein Kaufmann. L. : War Abraham ein Kaufmann? Kind: ja! L. : 
damals hatten die Leute noch kein Geld, da konnte es auch keine Kaufleute, 
wie in unserer Stadt sind, geben. Lehrer, ein anderes Kind anredend: Was ist 
denn dein Vater? Kind: Inspektor. L. : War Abraham ein Inspektor? keino 
Antwort. Um den Schülern auf die richtige Vorstellung zu helfen, sagte ich: 
Denkt nur daran, dafs Abraham viele Schafe, Kühe, Ziegen, Esel hatte. Könnt 
ihr euch nicht denken, was er gewesen sein mag? Eine Stimme: ein Metzger. 
Hierauf eine andere: ein Schäfer. 

Ist dies Ergebnis nicht ein deutlicher Beweis, dafs die Kinder nicht einmal 
von der Beschäftigung Abrahams eine richtige Vorstellung hatten? Ebensowenig, 
verbanden sie mit den Arbeiten eines Viehzüchters, eines Schäfers, eines Nomaden, 
eines Landmanns richtige Vorstellungen. — Nicht anders war es bezüglich des 
Wohnorts Abrahams. 

Auf meine Frage „Wo wohnte denn Abraham?" kam keine Antwort. Ich fragte 
weiter: Wohnte er in Glogau? Ein Kind: ja! L.: Wohnte er in Brostau oder 
Rauschwitz? keine Antwort. Endlich sagte eins: in Haran." Kein Kind hatte 
eine Ahnung, in welcher Gegend, in welcher Entfernung von uns, von Kanaan 
dies Haran möge gelegen habcu, ebensowenig, wio es dort möge ausgesehen haben. 

Sind das irgendwie befriedigende Ergebnisse des Unterrichts? Den Lehrer 
der ein thätiger und pflichttreuer Mann ist, kann kein Vorwurf treffen, er hat, 
wie jedem audereu das auch geht, bei diesem Stoffe mit unüberwindbaren Hinder- 
nissen zu kämpfen gehabt. Wie wollen auch Kinder, die ihre eigene Heimat, die 
weder das Leben eines Landmanns noch eines Schäfers kennen, eine Vorstellung 
von den Verhältnissen der Fremde sich bilden, wie können sie an solchem Stoff 
irgend welchen Gewinn für Urteil, Gefühl und Teilnahme einheimsen? Es ist eben 
rein unmöglich. 

II. 

Beobachtungen bei der Behandlung von „Abrahams Berufung."*) 
(Genau nach den Aufzeichnungen im Tagebuche.) 
Wenn das Kind ein Verständnis für Abrahams Geschichte und ein Interesse 
an derselben erhalten soll, so mufs es in der Vorbereitnng etwas über sein Alter, 



•) IV. CUmo einer 7-kl»Migen Mittelschule, 10-jfthrige Schaler. 



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Beschäftigung, Wohnort, Charakter, Familienverhältnisse erfahren. (Ists nicht bei 
uns in ähnlichem Falle ebenso?) Das Ziel „Abrahams Berufung" ist dem Kinde 
nichts, darum formulierte ich es anders: „Ich will euch eine Geschichte erzählen 
von dem frommen Abraham, der seine Heimat verlassen sollte." In dieser Fassung 
hatte es Anknüpfungspunkte, die Erwartungen wachrufen konnten. Von hier aus 
konnte zur Bekanntschaft mit seinem Charakter, Stellung in der Verwandtschaft etc. 
geführt werden. 

Ich hatte mir vorgenommen, den Kindern nahe zu bringen, wie er sich von 
allen durch seiueu Oottesdicnst unterschied , wie schwierig in Folge davon seine 
Stellung in der Heimat gewesen, anlserdein wie fruchtbar diese Heimat gewesen, 
was ihn alles an der Heimat festgehalten und ihm die Auswanderung schwer ge- 
macht habe — lauter einzelne Vertiefungen Da zeigte sich gleich zu Anfange, 
dafs nur einige Kinder annähernd klare und richtige Vorstellungen über „fromm" 
und „gottlos" hatten. (Die besten Antworten waren : fromm, „wer in die Kirche 
geht", ein anderes: „wer betet"; gottlos: „wer stiehlt, tiueht"). — Die Bemühung, 
den Kindern die Gottlosigkeit der damaligen Menschen, die Weise ihres Götzen- 
dienstes klar zu machen, erforderte mehr Zeit, als ich angenommen hatte. 

Ganz aufmerksam waren sie, als ich Abrahams Wohnort besehrieb. Zwar als 
ich fragte: „Wo haben wir in unserer Nahe ganz ebenes Land, Land ohne irgend 
einen Berg oder Erhöhung?" kam keine Antwort, — ein Beweis, dafs ihnen das 
heimatliche Anschauungsmaterial , mit dessen Hilfe allein fremde Lokalitäten 
phantasiemäfsig vorgestellt werden können, nicht klar zur Verfügung stand. Um 
nicht blos mit Worten zu operieren, führte ich die Kinder im Geiste über die 
Oderbrücken, nach Zerbau und Lerchenberg. Nun war eine Vorstellung der grofsen 
Ebene zwischen Enphrat und Tigris möglich. Anknüpfend hieran wurden die 
wichtigsten Vorstellungen über Lebensweise, Heerdenreichtum der dortigen Be- 
wohner etc. vermittelt. Nun zeichnete ich die Karte vom Mittelmeer bis zum 
Tigris in blofsen Umrissen an die Wandtafel; das diente zur Auffassung der in 
Betracht kommenden Ortsbestimmungen Haran, Wüste und Ausdehnung derselben, 
Damaskus, Hernion, Kanaan, Jordan, Sichein. — Dafs die Aufmerksamkeit dabei 
gewesen, ergab die Kuhe hiuter mir und die Wichtigkeit der Antworten. 

Nun das andere wichtige Stück : Denkt euch, Abraham soll aus seiner Heimat 
fortziehen: weit, weit fort; wie wird er sich da verhalten? 

Um in den Kindern ähnliche Empfindungen und damit die Möglichkeit zu 
geben, sich überhaupt eine Vorstellung von der Gemütslag»; dieses Mannes machen 
zn können, fragte ich: Denkt euch, ihr erhieltet plötzlich von einem vornehmeu, 
hochangesehenen Mann z. B. vom H. Oberbürgermeister den Befehl , ihr solltet 
von euren Eltern fortziehen, weit weg über die preufsische Grenze bis nach Kufs- 
land : Was für Gedanken würden dann in euch entstehen? Anstatt der erwarteten 
lebhaften Antworten kamen mir spärliche. Es war dies ein Beweis, dafs die 
Kinder die Schinerzgefühle, von den Eltern auf lange getrennt zu sein, gar nicht 
kannten. Von diesem Wehegefühl aber mufsten sio eine Vorstellung bekommen, 
denn ohne dies ists geradezu unmöglich, die Gemütslage annähernd zu verstehen. 
Doch dies herbeizuführen, wurde sehr schwer. Nachher kamen auf die Frage: 
Warum ists denn zu schwer, aus der Heimat weit weg zu ziehen? Antworten wie: 
„Wir müssen unter fremde Menschen, die wir nicht kennen", „wir können die 
fremde Sprache nicht - *, „wir können unterwegs beraubt werden" etc. 

Nachdem die Vorbereitung beendet und die Kinder das Durchgenommene 
zusammengefafst hatten, was nur bruchstückweise geschah, folgte 

Stufe II, die Darbietung bis zu den Verhcifsnngs -Worten „in dir sollen ge- 
segnet werden — Erde." 

Die nachfolgende Besprechung, welche sich an das erstmalige Nacherzählen 
— die rohe Totalauflassung — anreihte, zeigte, dafs die Kinder nur schwer in 
Abrahams Lage sich hineinversetzen konnten. Die Erkenntnis, dafs dem Befehl 
Gottes gegenüber zwei Stimmen in ihm laut geworden, von denen eine sprach: 
Ziehe nicht! die andere: Ziehe hin! entstand auch nicht so schnell, als ich er- 
wartet. Auf die Frage: Was würdet ihr wohl unter ähnlichen Verhältnissen ge- 




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than haben, kam: „Wir würden nicht fortgezogen sein." (Natürlich muteten die 
Gründe und Umstände, welche zu den zwei gegenüberstehenden Imperativen führ- 
ten, fortwährend mit in der Bewufstseinsnähe der Kinder sein). Endlich entstand 
doch das Urteil: Abrahams Gehorsam war grofs, gröfser als der unserige und 
der anderer Menschen. 

Das Verständnis der ihm gegebenen Verheifsungen konnte nur annähernd 
herbeigeführt werden u. s. w. 

III. 

Die Geschichte „Abraham und Lot trennen sich" sollte nach allen Formal- 
stufen durchgenommen werden. Leider war diesmal die Teilnahme der Schüler 
trotz sorgfältiger Vorbereitung meinerseits nicht befriedigend. Ich suchte den 
Grund darin, dafs die Schüler zn wenig Sachvorstellungen vom Landleben, Vieh- 
zucht, Hüter etc. haben. 

Lange bemühte ich mich, ihnen ein anschauliches Bild über Leben und Treiben 
der Hirten und Nomaden zu verschaffen, d. h. nicht, es ihnen in Worten zu malen, 
sondern aus ihren einzelnen Vorstellungen zusammenzustellen, alle sollten Bau- 
steine herzubringen. Aber sie hatten keine Ahnung, wie die Herden notwendig 
sich vermehren müssen, wenn an einen Verkauf nicht zu denken ist, keine Ahnung 
von den Verrichtungen der Hirten bei Krankheit, gegen Raubtiere und Räuber, 
keine Ahnung vom Melken und von der Milchbehandlung. Sie hatten keine Vor- 
stellung, dafs grofse Herden sehr viel Weide benötigen, dafs leicht grofse Not und 
Hunger und dann lautes Blöken und Brüllen entstehen müsse; — wie bei knappem 
Futter zwischen den Hirten leicht Streit entstehe, wie in Folge davon die Knechte 
bei ihren Herren sich beschweren. Auch davon hatten sie keine Vorstellung, wie- 
Abraham und Lot sich wohl möchten zu den Meldungen ihres Gesindes verhalten 
haben; — was Lot hätte thun sollen. 

Leichter fanden sie, dafs Abraham friedfertig, uneigennützig, Lot aber selbst- 
süchtig, eigennützig, habgierig u. s. w. 

IV. 

Wiedor hatte ich in einer Klasse in einer Religionsstunde zu vertreten, die 
Kinder waren im Durchschnitt 9 Jahr alt. Meine Absicht war, die zuletzt be- 
handelte bibl. Geschichte zu wiederholen bez. die Kinder nochmals hinein zu ver- 
tiefen, dann erst die Behandlung der folgenden zu beginnen. Dabei machte ich 
folgende Erfahrungen. Die Kinder hatten von der Erzählung „Johannes tritt auf 
und predigt Bufse*' wohl den Wortlaut gemerkt, aber die Vorstellungen fehlten. 
Sie wufsten Johannis Eltern zu nennen, aber hatten keine Vorstellung davon, wie 
er sich kleidete , womit er sich nährte. Die Erinnerung an den Propheten Elias, 
der sich ähnlich gekleidet hatte, war nur noch bei einigen vorhanden. 

Eine ganz ungenügende resp. keine Vorstellung hatten die Kinder von seinem 
plötzlichen Auftreten bald hier, bald da, von der Bedeutung der Worte „Thut 
Bufse!" „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen." „Ihr Otterngezüchte" etc. 

Kollege S., mit welchem ich in der Freiviertelstunde über die bez. Geschichte 
sprach, behauptete auch, dafs dieselbe für die Mittelstufe ungeeignet sei und er- 
zählte, er habe in seiner Klasse (4. Schuljahr) 5 Stunden hindurch sich mit ihr 
beschäftigt und dennoch kein genügendes Verständnis erzielt. 

Mit diesen Mitteilungen möge es bewenden. 



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B. Mitteilungen. 



I. Zur Charakterisierung unserer Gegner. 

* 

Von Fr. Krönlein in Heidelberg. 

„An ihren Früchten werdet ihr 
sie erkennen." 

Durch anonyme Zusendungen wurde der Unterzeichnete auf No. 18 der „Bens- 
heimer'schen Schulzeitung", der sogenannten „Neuen Badischen Schulzeitung" 
aufmerksam gemacht. Die betr. Nummer enthält auf S. 278 und 279 einen Ar- 
tikel, in welchem nach Ausdruck eines Anonymus „den Herbartianern der Pelz 
gründlich gewaschen wird." Sehen wir zu. 

Ein Skribent — r nennt in diesem Artikel alle Herbartianer wegen ihrer „un- 
ziemlichen Angriffe" auf Dr. Dittes „arrogante Herren" ; er heifst sie „rücksichts- 
lose Stürmer, denen die altpädagogischen Schriften ein Greuel sind, was aus ihren 
banalen, selbstherrlichen Kritiken genug hervorgehe" ; er schimpft sie „pädago- 
gische Stroithähne" und „streitbare Pädagogen, welche dem Herrn Schulrat uicht 
das Wasser reichen köuneu" ; er nennt ihr Verhalten nicht „geutlemanlik", sondern 
„anmafsend", indem sie „in ihrem selbstherrlichen Wesen verdienstvolle Männer, 
die nicht in ihr Horn blasen, öffentlich „besudeln". „Jungherbartianische Wissen- 
schaftliche" schlügen die „Lärmtrommel" und wagten es, einen Dr. Dittes zu 
kritisieren. Ein solcher Jungherbartianer , welcher noch durch kein Examen 
nachgewiesen hätte, ob er dazu berechtigt sei, habe einen Artikel uuter der Uber- 
schrift „Zur wissenschaftlichen Pädagogik" in eine badische Fachzeitschrift ge- 
schrieben. Dieser Aufsatz enthalte nichts als „viele Phrasen, Citate und Gemein- 
plätze; Worte, nichts als Worte;" der Artikel lege Zeugnis ab von der „Arroganz 
und Ignoranz" des Verfassers, für solche Jünger würde sich Herbart, wenn er 
noch lebte, sicherlich bedanken; für solche sei die Schrift „Herbart und seine 
Jünger" umsonst geschrieben. 

Was giebt diesem Skribenten auf einmal den Mut, solches zu schreiben? Sein 
Artikel lässt es durchblicken: Der Schulrat Dr. Dittes habe in seinem „Pädago- 
gium" den arroganten Herren „gestützt auf wissenschaftliche Gründlichkeit und 
unanfechtbare Logik, den Star gestochen und werde sie in seinem neuesten Hefte 
aufs neue operieren." Zu dieser „schmerzhaften Operation" trage auch eine in 
nächster Zeit zu erscheinende Schrift von Dr. Bartels bei, und hat unser Skribent 
— r das Lesen der Korrekturbogen dieser Bartels'schen Schrift übernommen. 

Jedermann wird nun fragen, wer ist deun dieser mutige und streitbare, mit 
Kraftausdrücken bewaffnete und den „Mund weit aufthuende Skribent — r? Die 
demokratische „Neue Badische Landeszeitung" erzählt uns von ihm. No. 77 des 
Unterhaltungsblattes v. J. 1880 enthält folgende Besprechung: 

„Vom Biichertisch. 

* Vor einigen Tagen hat ein Werkchen die Presse verlassen, das nicht ver- 
fehlen wird, nicht nur in Fachkreisen, sondern auch im sog. grofsen Publikum 
hohes Interesse zu erregen, weil es eine Frage, die Erziehungsfrage, die alle 
Schichten der Bevölkerung gleichmäfsig berührt, mit fachmännischer Gründlichkeit 
behandelt. Das Werkchen führt den Titel: „Wesen und Einfluss der philantro- 
pischen Schule. Historisch - pädagogische Studie von Adolf Meuser, Genosse 
des Freien deutschen Hochstifts." Verlag von J. Bensheimer hier. Der Verfasser 
hat «ich als Schulmann und Schriftsteller einen guten Namen erworben und be- 



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thätigt in vorliegendem Werkchen seinen bewährten Ruf. Für solche, „die sich 
nach den glaubensvollen Ansichten des Mittelalters zurücksehnen," ist das Büchlein 
nicht geschrieben ; Herr Meuser huldigt dem Fortschritt der Wissenschaft und ist, 
t wie aus seiner Arbeit hervorgeht, ein Anhänger und treuer Jünger der 
Herbartischen Schule. „Die liberalen Ideen", schreibt er in dem Vorwort, 
„verlieren nicht an ihrer Wahrheit, auch nicht an ihrer weltbewegenden Kraft, 
wenn sie von den widerstreitenden Interessen und feierlichen Stimmungen und 
Strömungen des Tages in ihrer Wirksamkeit bedroht werden. Selbstverständlich 
können wir uns in einem politischen Blatte nicht näher auf die höchst schwung- 
voll geschriebene, hochinteressante Broschüre einlassen und sprechen hier nur den 
Wunsch aus, dass sich die Leser dieser Zeilen in den Besitz betr. Lektüre setzen 
möchten, zumal der Preis (M. 1.) Jedem, auch dem Geringbemittelten, die An- 
schaffung ermöglicht. Eins jedoch müssen wir noch kritisieren; es betrifft dieses 
die — — und das soll anerkannt werden — mit .logischer Schärfe und philo- 
sophischer Routine, ausgearbeitete Verthcidiguug der „körperlichen Züchtigung'" 
als Erziehungsmittel. Wir sind der Ansicht, dass der Verfasser hierin den Phi- 
lantropen hätte treu bleiben und ihren Boden nicht hätte verlassen sollen. Wir 
kommen zum Schlüsse : Das Büchelchen verdient die weiteste Verbreitung, da jeder 
Vater und jede Mutter viel Gutes und für die Erziehung ihrer Kinder Erspriefs- 
liches daraus lernen kann. Endlich müssen wir noch aussprechen, dass es der 
erweiterten Volksschule Mannheim zur Ehre gereicht, dass solch' tüchtige, wissen- 
schaftlich höchst achtbare Männer, wie der Verfasser ist und deren sie noch 
Manchen aufweift, zu ihrem Kollegium zählen. Möge sich das Büchlein einen 
weiten Leserkreis erwerben. Dr. P." 

Bald darauf erschien im Inseratenteil derselben Zeitung (später in einigen 
Schulzeitungen) nach vorausgedrucktem Titel des Schrifteheus folgende An- 
preisung: 

„Das Werkchen steht, nach dem Urteil eines bewährten päd. Fachmannes, 
auf der Höhe der modernen Wissenschaft. Mit Klarheit, logischer Schärfe und 
gründlicher Sachkenntnis ist es bearbeitet. Für solche, die sich nach den glau- 
bensvollen Ansichten des Mittesalters zurücksehnen," ist es nicht geschrieben; 
Ursprung und Wesen des Philantropinismus und dessen Einfluss auf die neueren 
päd. Bestrebungen und Versuche sind in ihm m ; t seltener Klarheit behandelt und 
wird die gediegene Arbeit nicht verfehlen, den Einfluss der philantropischen Schule 
auf die heutige Schule im Herbartischen Geiste zu fördern. Der Ver- 
fasser ist ein Herbartianer und hat sich in der päd. Welt einen guten Namen 
erworben. — 

Bei Einsendung des Betrags erfolgt Franko-Zusendung. 
Mannheim. 

J. Bensheimers Verlag." 

Im Inseratenteil der „Allg. Deutschen Lehrerzeitung" wird die Meuser'sche 
Schrift von Bensheimer durch folgende Reklame angepriesen: 

„Das von der Kritik «o äufserst günstig beurteilte Werkchen hat sich eine 
hervorragende Stelle in der pädagogischen Litteratur erobert und ist den Herren 
Lehrern in jeder Beziehung zu empfehlen." 

Nun wissen wir, wer den Herbartianern den Pelz wäscht: Adolf Meuser, Ge- 
nosse des Freien deutschen Hochstiftes, ein tüchtiger, wissenschaftlich höchst 
achtbarer Mann, ein auf der Höhe der modernen Wissenschaft stehender Schrift- 
steller und Schulmann, welcher in der pädagogischen Welt sich einen guten Na- 
men erworben hat, aber auch zugleich ein Anhänger und treuer Jünger der 
Herbartischen Schule ist. Wer lacht da?! Ein Hr. Dr. P. sagt es uns, ein 
Buchhändler Bensheimer bestätigt es, gestützt auf die wissenschaftliche Gründ- 
lichkeit und unanfechtbare Logik des bewährten pädagogischen Fachmannes, und 
ein Doktor und ein Bensheimer müssen das doch wissen. 

Allein dem ist nicht so, und die Kritik hat das Werkchen durchaus nicht 
ünstig beurteilt. So hat Dr. Schilling in dem 2. Heft der „Pädag. Studien" vom 



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Jahre 1882 nachgewiesen, dass der Verfasser sein Thema nicht mit „fachmännischer 
Gründlichkeit nnd mit gründlicher Sachkenntnis behandelt" hat. 

Herbart sagt an irgend einer Stelle seiner „Allg. Pädagogik", dass wir noch 
einer Menge pädagogischer Monographien bedürften, aus denen der Lehrer und 
Erzieher immer wieder aufs neue angeregt würde, im Hinblick auf das schon Vor- 
handene seine Kunst zu vervollkommnen und zu verbessern. 

Welches Verdienst hätte der Verfasser mit seiner Schrift sich erwerben 
können, wenn er sie wirklich mit gründlicher Sachkentnis in der Herbartischen 
Pädagogik und als treuer Jünger Herbarts im Herbartischen Geiste geschrieben 
hätte! Wer weifs, wie viel Früchte sie getragen, wenn er darauf hingewiesen 
hätte, dass die Erziehung nach Herbart (im Gegensatze zu den Philantropen) eine 
absichtliche, planmäfsige Heranbildung des inneren Menschen zu einem sittlichen 
Charakter ist; wenn er don Herbartischen Gedanken, dass ein Reichtum ursprüng- 
licher geistiger Regsamkeit der Boden ist, auf dem die Tugend emporwachsen 
könne, nur mit einem Worte gedacht hätte; dass der wahre erziehende Unterricht 
nach Herbart nicht in der Vermittelung blofsen Wissens, sondern in der Weckung 
des Interesse besteht; dass sittliche Vollkommenheit nicht von der Gröfse des 
Wissens abhängig ist; dass eneyklopädisehes Wissen, welches Basedow in jeder 
Weise beim Unterrichte beförderte, der intellektuellen und moralischen Entwickel- 
ung positiven Schaden zufügt; indem es zur Oberflächlichkeit und Flüchtigkeit ver- 
leitet, Stumpfsinn und Passivität des Geistes erzeugt; kurz: wie lehrreich wäre 
es gewesen, wenn der Verfasser das Gute und Verkehrte der philautrop. Schule 
im Lichte der wissenschaftlichen Pädagogik, im Sinne und Geiste Herbarts und 
seiner Schule, im Lichte der Bestrebungen der neueren Zeit beleuchtet hätte!*) 
In Herbarts Schriften finden sich eine Menge Hinweise zur richtigen Würdigung 
der Philantropen, der feinen Bemerkungen Zillcrs in seiner Grundlegung nicht zu 
gedenken. Und als „treuer Jünger" Herbarts hätte der Verfasser wissen sollen, 
dass die Wissenschaftlichkeit der Pädagogik Herbarts nur dadurch begründet ist, 
dass sie sich auf Philosophie stützt „und seine philosophischen Uberzeugungen 
waren die Seele seines pädagogischen Systems", und gerade in der innigen Durch- 
dringung der Herbartischen Ethik und Psychologie liegt die hohe Bedeutung und 
Hauptstärke der Herbartischen Pädagogik, Wer also die heutige Schule im Her- 
bartischen Geiste fördern will, der muss doch auch den ethischen Standpunkt 
Herbarts teilen und kann nicht Anhänger der eudämoni «tischen Lehre sein, welche 
Herbart als grundlegend für die Pädagogik abgewiesen hat, woil sie dem Er- 
fahrungsbegriff der Erziehung widerstreitet. 

Den Zweck, den Einfluss der philantropischen Schule auf die heutige Schule 
im Herbartischen Geiste zu fördern, hat die Schrift Meusers vollständig verfehlt. 
Könnte Herbart die Schrift lesen, würde er wohl dazu schweigen ? An der em- 
pfindlichsten Stelle seines Systems würde er angegriffen werden: an der grofsen 
Idee des erziehenden Unterrichts, wie er sie „genial konzipiert und sein 
gröfster Schüler Ziller umsichtig und gewissenhaft zum Abschluss gebracht hat." 
Und von „Klarheit", von der „seltenen Klarheit", mit welcher der Verfasser 
sein Thema behandelt haben soll, ist in der Schrift nichts zu finden; die Unklar- 
heit ist Beine gröfste Schwäche. 

Hören wir nun, wie Meuscr, welcher auch zugleich Redakteur der Bensheimer- 
schon Schulzeitung ist, derartigen „Lobhudlern" den „Pelz wäscht". 

„Häufig kommt es auf dem zeitgenössischen litter. Gebiete vor, dass Verlags- 
buchhandlungen ihre Verlagswerke in Beilagen von Zeitschriften und im Inseraten- 
teile derselben in ein solch hochgradiges Lob tauchen, (!) dass mau meiuen könnte, 
es seien die betr. litter. Produkte nicht Menschen-, sondern Götterwerke. Leider 
stimmen oftmals die Rezensenten, sei es aus Rücksichten auf den befreundeten 
Autor, sei es aus anderen Gründen, die vor der Nemefis nicht bestehen würden, 
in dieses Lob ein. Ich nenne diese „rücksichtsvolle" Handlungsweise der Rezen- 
senten — gelinde gesagt — gewissenlos. Diese Rezensenten, dio an Gewissens- 



*) 80 Dr. Schilling in Rein'« „Pädag. Studieu" Jahrg. lb*2, IV. Heft: Die Pädagogik Ba- 
sedows in ihrer ethischen, religiösen und psych jlogischen Bedeutung. 



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- 'ZI — 

erweiterung leiden, sind die Hauptursache davon, dass die weit unter bedauerns- 
werter Mittclmäfsigkeit stehenden litter. Produkte des Büchermarktes Verbreitung 
finden, und viele unberufene Schreiberseelen sich erlauben dürfen, ungestraft 
Bücher in die Welt zu setzen, die besser ungedruckt geblieben wären. Durch 
diese gewissenlose Handlungsweise werden, namentlich auf dem pädag. Gebiete, 
dem gefahrvollen pädag. Dilettantismus die Wege gebahnt, der das Publikum — 
ungeachtet, dass dasselbe um sein „gutes Geld" betrogen wird — verschlechtert, 
indem er demselben den Ernst raubt, die Karakterlosigkeit, Gleichgültigkeit und 
Halbheit aber fördert. Diese Art Autoren, resp. Skriptoren. sind (!) mit ein Krebs- 
schaden in unserem Schulwesen; sie (!) nährt sich vom oberflächlichen Lesen vieler 
Bücher, ohne das» sie dadurch zu einem kritisch gesichteten, wissenschaftlich zu- 
sammenhängenden Wissen gelangt 

Diese „Art" Littcraten gehört ausgerottet, einerlei, oh sie (!) hohe schulbe- 
hördliche Personen oder „Pädagogen niederer Gattung" sind (!), ihre gewissenlosen 
Kritiker sollten schonungslos entlarvt und an den Pranger gestellt werden. Die 
pädag. Presso hat hierin noch vieles nachzuholen. Vor allem aber haben ihre 
Vertreter zunächst darauf zu sehen, dass der Rezensent neben gründlicher Wissen-, 
resp. Fachwissenschaftliehkeit, welche nur imstande ist, die Spreu von dem Weizeu 
zu scheiden, auch streng gerecht sei. — Der Leser verzeihe diese Abschweifung, 
die dem Interesse des Ganzen gewidmet ist." 

Wer lacht da!! Als Meuser seine „hochinteressante, mit seltener Klarheit" 
geschriebene Schrift verfafste, und Dr. P. und Bensheimer die „Lobeshymne" 
darüber anstimmten, schrieb man das Jahr 1880. Der vorstehende „wuchtige", 
an Kraftausdrücken reiche Artikel über „gewissenlose Rezensenten" ist in der 
Bensheimer Schinzeitung vom 15. Januar 1884 enthalten. Würde der Artikel nicht 
an Wuchtigkeit gewonnen haben, wenn demselben die Leutholdschen Verse ein- 
verleiht worden wären, wie wir sie im 4. Heft der „Pädag. Studien" 1884 lesen 
konnten ? 

Warum Meuser diese Schrift verfafst hat, darüber hat man sich s. Z. manches 
zugeflüstert. Die Schrift hatte auch nicht den Erfolg, den Meuser davon er- 
wartete, und welchen er in der Bensheimer'schen Schulzeitung v. 15. Aug. d. J. 
8. 246 — 247 andeutet: die Ernennung solcher Männer zu Schulaufsichtsbeamten, 
die sich in pädag. -litter. Beziehung vorteilhaft auszeichnen. Ganz recht; aber 
Männer von Gewohnheiten eines Meuser würden sich gewifs nicht dazu eignen. 

Den badischen Lehrern ist es ja zur Genüge bekannt, dafs die Polemik des 
Redakteurs der „Beusheimerin" nur im Persönlichen, nicht im Thatsäch liehen 
gipfelt Er entstellt sogar Thatsächliches, um mifsliebigen Personen „eins nauf- 
zuhauen" oder ihnen „einen Fufstritt" zu geben. Er thut das Personen gegen- 
über, welche er früher zu seinen Zwecken gebrauchen wollte. Er beweist dies 
aufs neue, indem er dem Verfasser des Artikels in der „Bad. Schulzeituug" mit 
der Überschrift „Zur wissenschaftlichen Pädagogik" zum Vorwurf macht, der 
Artikel enthalte nichts als „Phrasen, Worte, Citate und Gemeinplätze". Einen 
Beweis für derartige Behauptungen erbringt er nicht. Das Lächerlichste an dem 
Vorwurf ist der Gebrauch der Citate. Der Verfasser jenes Artikels citiert nämlich 
die Worte solcher, welche als Nichthcrbartiancr objektiv und mit Begeisterung 
für das Positive in der Ilerbartischen Lehre eintreten. Als „treuer" Jünger Her- 
barts sollte Meuser die Citate mit Freuden begrüfsen. Oder ist ihm die Fricksche 
Schrift ein Dorn im Auge? Fühlt er, dafs es noch Männer giebt, welche mit einer 
ganz anderen gründlichen Wissenschaft und unanfechtbaren Logik die Person von 
der Sache zu unterscheiden wissen? Und ist es denn ein Verbrechen, Zitate zu 
gebrauchen? Dr. Bartels Schritt besteht ja fast aus lauter Citaten, um den Her- 
bartianern den „Star zu stechen"; Dittes hält sich an Citate aus der Fröhlich- 
scheu Schrift, um als wissenschaftlich gebildeter Mann die Pädagogik eines Herbart 
und Ziller zu verhöhnen, statt auf die Quellen zurückzugehen. Meuser, ein Mann, 
welcher auf der Höhe der modernen Wissenschaft steht, gebraucht selbst in seiner 
hochinteressanten Schrift eine Menge Citate, und in der Benshciuierschon Schul- 
zeitung stolpert man bei jeder Zeile, die ein gewisser — r schreibt, über Gänse- 



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— 28 



füfschen, weil der — r, der Redakteur Meuser, den Ruhm seiner Wissenschaftlich- 
keit darin sucht, jedes Eigenschaftswort, das einer unserer grofsen Geister oder 
der namhaften Pädagogen," welche nach der Versicherung Neusers an der Bens- 
heimerin mit arbeiten sollen, gehraucht hat, wissentich oder unwissentlich, oft 
mit affektierter Vornehmheit in Gänsefüfschen zu setzen. Oder haben nach Meuser 
nur die „geprüften Wesen" das Recht, Citate zu gebrauchen? Oder mufs man nach 
Meuser etwa erst das „Volkssehulkanditatenexameu" bestanden haben, um die 
Wissenschaftlichkeit einer solchen Schreibweise verstehen und beurteilen zu 

können? Wozu also solch' Geschrei! Wozu solche Lächerlichkeiten?! 

Aber auch „Gemeinplätze" soll jener Artikel in der „Badiseheu Scbulzeitung" 
enthalten. 

„Es ist eine allgemein anerkannte Forderung des Austandes und der Billig- 
keit, dafs man zuvörderst vor seiner Thüre aufräumt, ehe man sich daran macht, 
vor fremder Thür zu kehren." 'Ziller gegen Dittes.) Nun ist es badischen Lehrern 
ja zur Genüge bekannt, dafs jede Nummer der „Bensheimerin" von Gemeinplätzen 
strotzt; dafs es darin von Schimpfwörtern nur so wimmelt; dafs diese Zeitung ein 
förmliches Lexikon von Schimpfwörtern bildet, dafs der Redakteur derselben sich 
mit Virtuosität auf dem Gebiete von Gemeinplätzen bewegt und darin seinen Ruhm 
sucht; ja, vielleicht verdankt er seiner dreisten Sprache den „guten" Namen in 
der pädag. Welt. Wie schwindet doch der Nimbus des von einem Dr. P. und 
von einem Bensheimer gepriesenen „höchst achtbaren Mannes", wenn man die 
Schimpfartikel der Bensheimerin liest! Und ein solcher Mann, welcher im Privat- 
leben seiner Kollegen und anderer Personen herumstöbert, um ihnen „einen Fufs- 
tritt versetzen" zu können, um Stoff zu Klatsch- und Skandalartikeln zu haben, 
ein Mann, welcher Kollegen, die mit ihm an einer Anstalt wirken und wirkten, 
fortgesetzt mit Hohn uud Spott übergofs, welcher Männer, die sich um die Hebung 
des Lehrcrstandes in Baden verdient gemacht haben, mit gewissen Spitznamen 
traktierte, ein Mann, der als Redakteur einer Scbulzeitung eine Sprache führt, 
deren sich gebildete Leute schämen würden, — dieser Mann beschimpft wissen- 
schaftlich gebildete Männer, deren Schriften er nicht einmal genau kennt, be- 
schuldigt andere der Gemeinplätze, ohne es beweisen zu können, beschuldigt damit 
zxigleich die Kedaktion der „Bad. Schulzeitung", als nähme «ie Artikel auf, in 
denen sich Phrasen und Gemeinplätze befänden. Und dieser Mann will anderen 
den Vorwurf machen, sie besudelten verdienstvolle Männer „öffentlich" ! 

An eineu „Anhänger und treuen Jünger der Herbartisehen Schule" stellt man 
doch die Forderung oder man erwartet doch von ihm, dafs er eine Scbulzeitung 
auch im Herbart'schen Geiste redigiere, dafs er — um mit Dr. P. und Bens- 
heimer zu sprechen — „die heutige Schule im Herbartischen Geiste zu fördern" 
suche. Würden diese Lobredner jetzt noch so schreiben? Man durchlese die 
Jahrgänge der Bensheimerin und man wird umsonst suchen nach Artikel im Her- 
bartisehen Geiste. Im Gegenteil: Meuser höhnt die Herbartische Psychologie als 
„Kannitvcrstan", als „Rotwälseh". Und wem spricht er dieses nach? dem „Deut- 
scheu Schulwart". Meuser als Herbartiancr reifst einzelne Sätze aus dem Zu- 
sammenhange der Herbartischen Psychologie heraus und höhnt damit die wissen- 
schaftliche Pädagogik! — 

Und ein Zacharias Flunker darf unter der Redaktion Meuser dio Bestrebungen 
der Herbartianer auf dem Gebiete der speziellen Methodik wegwerfend kriti- 
sieren! — — — 

Man mufs doch unwillkürlich fragen; wie kommt ein Dr. P. dazu, Meuser 
als Herbartianer, noch dazu als treuen Herbartianer zu bezeichnen? Sehr einfach. 
Auf S. 23 der Meuscrschen Schrift lesen wir: „Dan Streben, die Bedeutung der 
Physiologie und Psychologio für die Pädagogik zu verwerten, sei durch die Phi- 
lantropisten angeregt worden und dauern heute noch fort. Die Pädagogik 
nennt mit Recht Ilerbart als den Vollender dieser fruchtbaren Idee." 
Dieser Satz veranlafsto einen Dr. P., Meuser als Herbartianer zu bezeichnen. Wir 
fragen aber : Wie kommt es, dafs dann die Ausführungen Meuser* nicht auf Her- 
barts Gruudsätzen basieren ? Wie kommt es aber, dafs nun Meuser nicht nur eine 



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Feindschaft gegen die Herbartianer , sondern auch gegen die Psychologie und 
Ethik Herbarts hat? liier Anerkennung, dort Verhöhnung! — — — Ein solch 
pädagogischer Heros, ein so grofscr Geist wie Meuser, welcher seine pädagog. 
wissenschaftlich gehaltenen Kraftproduktionen, nachdem er den „ Bettel Studenten " 
gesehen hat, mit „Schwamm d'rübcr!" schliefst, sollte der nicht übor den Ein- 
flüssen eines Dittes stehen? Sollte er eich nicht zur Pflicht machen, in der Bens- 
heimerisehen Schulzeitung zur Klarstellung der Sache beizutragen, statt zu ener- 
gischem Widerspruch herauszufordern? Als Herbartianer ist dies für ihn eine 
Leichtigkeit. Wie segensreich könnte die Bensheimer'sche Sehulzeitnng wirken, 
wenn sie zur Förderung der Methodik im Herbartischen Geiste, zum weiteren Aus- 
bau der Herbartischen Pädagogik beitrüge! — — 

Zu spät! denn M. huldigt nun anderen Prinzipien. Er ist Anhänger der 
„Neuschule, der modernen Schule". Er erklärt „der Laxheit, dem Mauteidrehen 
nach dem herrschenden Winde, dem Spionagen- und reaktionären pädag. 
Hallunkcn- und Strebertum den Krieg." Denn „das Prinzip der Neuschule 
huldigt keinem Wandel- und Sehaukelsystcm; es erklärt allem den Krieg, was 
Rückschritt heifst. Die gelährlichsten Träger dieser Rückschritts lull er ei ist (!!) 
das pädag. Pfaffen- und konservativ-pädag. Junkertum;" weshalb M. allen Pfarrern 
und Pfarrvikaren, welche sich „grasgrüne, käs'gc Bemerkungen" über Schule und 
Lehrer erlauben, allen Theologen, welche „nun einmal die Universalbildung mit 
Löf) ein — einige aber mit Seihlöffeln — gegessen haben," den Krieg erklärt. 
Er führt Krieg gegen einen Verein, „in welchem unbegrenzte Willkürherrschaft 
der Präsident, unkollegiale Rücksichtslosigkeit — namentlich gegen die Minorität — , 
konfessionelle Engherzigkeit, hartgesottener Eigensinn, das Verratwittern und 
hinter den Koulissen die Vorstandsmitglieder (!), und das unbedingte „Schwören 
auf des Meisters Worte", Wctterfahncntum und Liebdieuerei nach oben, Härte 
und Unkollegialität nach unten, Aufgeblasenheit und innere Leere, Grofsmaulsucht, 
Wichtigthuerei , vorgebliches Eingeweihtsein in die Absichten der Regierung, 
Sprnchrolirentum des Schulaufsichtspersonais, Spionageutum, Auskramerei des Aus- 
gehorchten über Dienstangelegenheiten der Kollegen, Baserei, Wirtshausheldentum 
und Komplottmacherei, die Mitglieder sind, ein verwerfliches Unding." — Sapienti 
sat! Wo die Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein, nämUch 
ein Schlagwort. Und dieser Mann beschuldigt audere, ihre Artikel enthielten 
„Phrasen, Worte, nichts als Worte, Gemeinplätze". 

Genug! Meuser hat sein Ziel erreicht: „die Welt von Zeit zu Zeit mit dem 
Ruhme seines Namens zu erfüllen und die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu 
lenken." Wie ? „Nicht anders als mit einem gewissen Eklat und womöglich immer 
in Begleitung eines gröfseren oder kleineren Skandals." (Ziller gegen Dittes.) 
Allein: „während rhetorische und deklamatorische Virtuosität für den Moment 
Triumphe feiert und, berauscht von diesem Erfolge, in gewohnter Dreistigkeit wohl 
gar des stillen, aber tieferen Arbeiters spottet, wendet sich, wenn die Zeit erfüllt 
ist, die öffentliche Meinung in der Regel anders, ja wohl zum Entgegengesetzten." 

Auch in Baden nähert sich die Wahrheit dieser Stoy'scheu Worte ihrer Er- 
füllung. 



2. Der dritte deutsche evangelische Schulkongress. 



Der diesjährige deutsche Schulkongress, der in den Tagen vom 30. September 
bis 3. Oktober in Stuttgart tagte, unterschied sich in verschiedener Beziehung 
vorteilhaft von seinen Vorgängern. 

Zunächst ist hier die grofse Freundlichkeit zu erwähnen, mit der die Stadt 
Stuttgart ihre Gäste aufnahm. Der Oberbürgermeister, Dr. v. Hack, begrüfste die 
Versammlung in einer warmen Ansprache, in der er zugleich auf die treue Pflege 
hinwies, die die Stadt ihren Schulen angedeihen läast. — Der schöno Stadtpark stand 




— 30 — 



den Gästen zu unentgeltlichem Besuch während der Kongresatage jederzeit offen. 
— Die Gesellschaft „Liedertafel" hatte ihre prächtigen Känme für die gemein- 
samen Verhandlungen zur Verfügung gestellt und liefs durch den Vorsitzenden 
ihres Ausschusses den Kongress in ihren Räumen willkommen heilsen. — Wohl- 
situierto Bürger hatten Freiquartiere in so grofser Zahl zur Verfügung gestellt, 
dass das hetreffende Komite nur von einem Teil derselben Gebrauch inachen 
konnte. — Auch die Zahl der Besucher war gröfser als in Frankfurt und Kassel 
und belief sich bei einzelnen Verhandlungen auf ca. 1500. 

Nach der Lage des Kongressortes musste das süddeutsche Element vorwiegen; 
Nordileutschland war nur schwach vertreten. Lehrer waren zahlreich anwesend, 
ebenso Laien. 

Leider inachte es die Ausdehnung des Vcrsammlungssaales, — er ist der 
gröfste Deutschlands — nur solchen Rednern, die über ein ungewöhnlich reiches 
Stimmmaterial verfügen, möglich, sich überall verständlich zu machen. Hierunter 
litt besonders der erste Vortrag, der des Herrn Direktor Dr. Frick von Halle 
über „die Einheit der Schule".*) 

Thema und Referent hatten eine grofse Anziehungskraft ausgeübt; der Saal 
war fast bis auf den letzten Platz besetzt. Der Herr Ref. wies zunächst darauf 
hin, weshalb das Thema als ein für den Kongress besonders geeignetes erscheinen 
müsse. Die Forderung: Einheit der Schule setze voraus eine auf diesem Ge- 
biete vorhandene Einheitlosigkeit. 

Diese nachzuweisen war die erste Aufgabe, die der Referent sich stellte. Sie 
finde sich zunächst in Bezug auf die Schulgattungen, so dass selbst Schulmänner 
sich nur schwer über sie zu orientieren vermöchten: im allgemeinen aber gelte 
von unserm Schulwesen, was einmal im besondern von der Volksschule gesagt 
worden ist. es habe von der Schule zu viel und vom Volke zu wenig. — Dann 
finde sie sich in Bezug auf die Lehrergattungen. Ref. sagte: „Wir Lehrer haben 
heutzutage ein sehr ausgeprägtes Standesgefühl, aber wir suchen es allzuoft nicht 
in der Stärkung des Bewußtseins, einem solidarisch durch die gleiche hohe und 
heilige Berufsarbeit verbundenen Lehrerstande anzugehören, sondern in der äufser- 
Jichen Vergleichung mit ganz anderen Berufskategorien, oder auch in dem Gegen- 
satz zu den übrigen Klassen desselbeu Lehrerstaiides, nicht selten sogar in den- 
jenigen Abstufungen, welche durch Titel und äufserlichc Rangordnung innerhalb 
derselben Kategorie von Lehrern geschaffen sind." Die beste Oewähr für die 
edelste und fruchtbarste Ausgestaltung unsers Standesgefühls, das lebendige Be- 
wusstsein von der gleichen Berufsehre, der gleichen nationalen, grofseu und hei- 
ligen Mission an der einen Jugend des einen Volkes, der berechtigte Stolz, 
nichts Höheres zu sein, als ein Lehrer, und nichts Höheres werden zu können, 
als ein Schulmeister, fehlen nur zu viel. 

Weiter zeigte er die Einheitlosigkeit in dem Lehrbetrieb. Die Vertreter der 
Spezialwissenschaften seien in die Schule eingezogen und führen ihr Amt nur zu 
oft, als ob es sich lediglich darum handele, die Schüler möglichst in ihre Fach- 
wissenschaft einzuführen, ihnen recht viele Spezialkenntnisse mitzuteilen. Ihr 
Glaube an die alleinseligmachende Kraft der wissenschaftlichen Objekte hisse sie 
sehr zum Schaden der Schule mit souveräner Geringschätzung auf die Volksschul- 
lehrer und deren Sorge um eine methodische Behandlung des Unterrichts herab- 
sehen. Solcher Anschauung stellte Referent den Satz entgegen: „Ob ich Speckters 
Fabel vom Pferd und Sperling im Anschluss an die bekannten trefflichen An- 
Hchauungsbilder mit der letzten Klasse einer Armeuschule behandle, daran An- 
schauung, begriffliche Auffassung und Gemüt der Schüler zu bilden und ihre 
Sprachkraft zu entfesseln, — oder ob ich in der obersten Klasse eines Gymnasiums 
eine horazische Ode als Mittel zu dem gleichen Zweck benutze, auf Phantasie, 
Urteil und Gemüt der Zöglinge einzuwirken und auch hier die Sprach- und Denk- 
kraft zu entbinden, — das ist kein Unterschied des Wesens, sondern nur des 

•) Separatabdruck. »aukfurt a. M. 




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durch die Art der Objekte und die Entwicklungsstute der betreffenden Schüler 
begründeten Grades. Eine gleich hohe Aufgabe und Arbeit hier wie dort, die 
gleiche pädagogisch-didaktische Wissenschaft und Kunst an den gleichwertigen 
Seelen der einen Jugend unscrs einen teuern deutschen Volkes." 

Weiter wurde auf die Einheitlosigkeit im Schulregiment und der Stellung- 
nahme das Publikums verwiesen. Es sei sehr zu wünschen, dass die Aufsichts- 
und leitenden Behörden nicht nur ihre Sehulgattung gründlich kennen, sondern 
auch eine befruchtende Wechselwirkung stattfinde zwischen den verschiedenen 
Ressorts, damit nicht die an einer Stelle gemachten Erfahrungen für die anderen 
unbenutzt bleiben. — Die wenig einheitliche Behandlung des Unterrichtsbetriebes 
habe beim Publikum dahin geführt, dass dort ganz falsche Unterscheidungen 
zwischen hohem und niedern Schulen zur Geltung gekommen, die in manchem 
Betracht verhängnisvoll geworden, so in der Simultanschulfrage und in der Unter- 
scheidung zwischen dem, was dem Gebildeten und dem sog. Volk not thut. 

2. stellte Ref. die Frage: Wie hat diese, vielleicht verhängnisvolle Einheit- 
losigkeit auf dem Gebiet der Schulen sich bilden können? Prinzipiell gab er die 
Antwort in folgenden Sätzen: „Schulen sind ein Ergebnis der allgemeinen An- 
schauungen und Gedanken über Bildung und Erziehung; diese wiederum eine 
Frucht der Wechselwirkung des gesamten öffentlichen, wie des gesamten geistigen, 
im besondern des wissenschaftlichen Lebens. So lange indessen die Schule nur 
ein Erzeugnis dieser Faktoren bleibt, wird sie von hin und her, oft auch durch 
einander gehenden Strömungen bewegt werden und ein Tummelplatz für Experi- 
mente bleiben. Erst wenn die Erziehungsarbeit selbst Gegenstand 
einer klaren Wissenschaft geworden ist. wird eine Gewähr dafür 
gegeben sein, dafs nicht mehr von aufsen herantretende Anforder- 
ungen, sondern allein aus dem Wesen der Erziehung und des Unter- 
richts hergenommene Prinzipien für die Organisation der Schulen 
znafsgebend sein werden, und erst da n n wi rd ihre Ausgc staltung de r 
Aufgabe und Würde der Schule entsprechen. Dies aber wird vollends 
dann der einzig würdige Zustand, wenn die Volkserhebung Sache des Staates, 
die Schule Staatsschule geworden ist." Die vielgestaltigen Berufsinteressen führten 
zu den verschiedenartigen Fachschulen, das fachwissenschaftliche Spezialistentum 
liefs die Fachbildung in den Unterricht eindringen. Die Pädagogik aber war aus 
verschiedenen Gründen nicht in der Lage, die hier allein mafsgebenden Motive 
und Normen zur Anerkennung zu bringen. Unter diesen Gründen nannte Ref. 
zunächst den, dafs die wissenschaftliche Pädagogik zu sehr auf die allgemeine 
Pädagogik beschränkt und der Ausbau der wissenschaftlichen Didaktik im Rück- 
stand blieb, und dies deshalb, weil sie von Theologen oder Philosophen, denen 
die Praxis fehlte, als Nebenamt betrieben wurde. — Dann würden die Vorlesungen 
über Pädagogik von den Studierenden als ein ziemlich unnützes Inventarstück 
angesehen. — Comenius und Pestalozzi seien in der Volksschule bekannt, letzterer 
besonders seit 1846: „dafs sie auch für die höhern Schulen gelebt haben, darauf 
fangen diese erst in ganz neuester Zeit an, sich zu besinnen. Ebenso fange 
Herbart, den der Herr Referent eine pädagogische Gröfse ersten Ranges, den ge- 
nialen Begründer eiuer wissenschaftlichen Pädagogik und auch einer rationellen 
Didaktik, der der Ausgangspunkt bleiben und werden wird für alle, welche den 
Begriff einer wissenschaftlichen Pädagogik und Didaktik erfafst haben und erfassen 
wollen, nennt, erst in neuerer Zeit an, die gebührende Beachtung zu finden. Dafs 
er sie nicht früher gefunden, dafür sieht Referent den Hauptgrund in dem fast 
gleichzeitigen Auftreten von F. A. Wolf. Dieser habe der philologischen Wissen- 
schaft, ja dem gesamteu wissenschaftlichen Leben so mächtige Impulse gegeben, 
dafs für den Unterricht die Frage nach dem „Was?" das Interesse so völlig in 
Anspruch nahm, dafs die nach dein „Wie?" überhört wurde. — Dem spätem Ge- 
schlecht seien dann die Herbartischen Ideen als einer antiquierten Vergangenheit 
angehörig erschienen; die theologischen Pädagogen hätten bei Herbart für ihr 
religiöses und kirchliches Bewufstsein kein Geniige gefunden ; endlich habe auch 
die exclusive Einseitigkeit einzelner .Jung-Ilerbartiauer der Verbreitung der Her- 



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— 32 - 



bartischen Ideen geschadet. — „Aber Wahrheitsgedanken, welche in die Tiefe 
reichen, gehen niemals verloren, am wenigsten dann, wenn sie die Lebensinteressen 
des Einzelnen, wie eines ganzen Volkes berühren." Der sorgfältigen, auf den 
Zweck der Erziehung der Jugend gerichteten Bearbeitung der unterrichtlichen Stoffe 
verdanke es die Volksschule, dafs sie die Führung in dem Ausbau einer zielbe- 
wußten Didaktik gewonnen hat. „Aber auch in den höhern Schulen hat schliefe - 
lieh der Wahrheitsgehalt der Pestalozzi -Herbartischen Retbrmgedanken Wurzel 
gefafst." Ziller und Stoy gebühre das unverwelkliche Verdienst, hier bahnbrechend 
gewirkt zu haben, und eiue grofse Zahl Männer der verschiedensten Schulkategorien 
sei eifrig beschäftigt, die wissenschaftliche Didaktik auszubauen. 

Ein Zwiefaches stellte Referent als nötig hin, damit die neuen Strömungen 
nicht zu blofsen Experimenten mit dem Ausgang neuer Verwirrung und Zer- 
splitterung führen sollen: „zuerst, dafs das Gemeinsame in allen diesen Bewegun- 
gen, soweit es von Wert ist, zusammengefaßt werde; das Gemeinsame aber ist 
das berechtigte Verlangen, in der Didaktik unsers höhern Unterrichts von dem 
Experimentieren hinweg zu einer festen einheitlichen Basis zu gelangen; — sodann, 
dafs diese einheitliche Basis da gesucht werde, wo überhaupt einigende und 
fruchtbare Bindemittel zu suchen sind, wie für unser gesamtes Volksleben, so auch 
für seine Erziehung und Bildung elementarer wie höherer Art." 

„Um was wird es sich bei dem Ausbau einer wissenschaftlichen Didaktik, 
welche uns in erster Linie not thut, handeln, um in die vorhandene Einheit- 
losigkeit auf dem Gebiet unsers Unterrichtswesens die notwendige innere Einheit- 
lichkeit zu bringen?" So lautete die dritte Frage, die Hef. sich stellte. 

Zunächst forderte er, dafs die Didaktik, wie alle wahre Wissenschaft, sich 
nicht in Widerspruch setze mit dem Evangelium, sondern aus diesem ihre Norm 
und ihre Ziele empfange. Dementsprechend soll auch die Ethik, auf die sich die 
wissenschaftliche Behandlung des erziehenden Unterrichts zu stützen hat, nicht 
eine philosophische sein, sondern die Ethik des Evangeliums. Dies verlange auch 
der Begriff der Bildung, welcho ist: „Verklärung der menschlichen Persönlichkeit 
zur Harmonie des Lebens mit der Welt in uns, um uns und über uns hinein in 
die Wahrheit des ewigen Lebens." „In dieser Richtung haben auch Comenius, 
Pestalozzi sowie Herbart gearbeitet, wenn sie die Bildung des sittlich religiösen 
Charakters als ein Hauptziel und die Pflege des religiösen Interesses als eine Haupt- 
aufgabe des erziehenden Unterrichts hinstellen'," wo aber letzterer in seiner Ethik 
wie Psychologie der christlichen Erfahrung kein Genüge thut, da sei tiefer zu 
graben. 

Das steht dem Ref. fest: „Soll der Unterricht aus den Händen der dunklen 
und nicht zu berechnenden Kraft des Zufalls unter die Botmäfsigkeit einer be- 
sonnenen Kunst gebracht werden, die ihres Zweckes sicher geht, so mufs er auf 
psychologischer Basis sich aufbauen, die Seele des Schülers selbst, nicht nur das 
an sie heranzubringende Objekt zur Norm machen." Sodann: „Es giebt auch jetzt 
schon eine gewisse Summe von elementaren, psychologischen Wahrheiten, welche 
genügende Bausteine darbieten, wenn es darauf ankommt, durch planmäfsige An- 
ordnung, Verteilung und Gruppierung im Geist des Zöglings ein Gedankensystem 
aufzuführen, durch welches sein gesamtes Innenleben ein normales und reiches 
Wachstum vor allem auch in die Tiefen und Höhen erlange." Zu diesem psycho- 
logisch Sichern rechnet Ref., dafs 1. von der Anschauung auszugehen ist, dafs 2. 
die sinnlichen wie innern Anschauungen systematisch zu bilden und in Urteile 
und Begriffe umzusetzen sind, dafs 3. in regelmäfsigem Wechsel von rezeptivem 
und selbstthätigem Verhalten, von Vertiefung und Besinnung alle diese Arbeit 
dienen mufs der Bildung und Festigung des Willens, dafs das letzte Ziel der 
Willensbildung aber die Charakterbildung sein mufs und diese wiederum die Bil- 
dung der Gesamtpersönlichkeit insbesondere seines sittlich-religiösen Lebens zur 
höchsten Aufgabe hat. In der Volksschule seien diese Ergebnisse, wenn auch 
noch nicht zur vollen Durchführung, so doch zur Anerkennung gekommen; der 
Unterrichtsbetrieb der höhern Schule aber habe nicht völlig gleichen Schritt ge- 
halten, und so Bei die Elementarschule die hohe Schule für die höhere. 



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In Bezug auf die Mittel, welche die Unterrichtsarbeit aller Schulgattungen 
thatsächlich verbinden oder verbinden müfsten, sagte dann der Ref. : Es ist immer 
ein dreifaches Verhältnis, in welchem wir uns befinden, zu welchem wir auch die 
Schüler und zwar jeden einzelnen ohne Ausnahme zu erziehen haben: das Ver- 
hältnis zur Natur und Geschichte, sowie das Verhältnis zu Gott dem Herrn, d. h. 
mit andern Worten, das Verhältnis zur Welt um uns und über uns. Aber das, 
was gebildet werden soll, ist doch die Welt in uns. In dem Mafse, als wir jene 
Welten um uns und über uns hineinnehmen in uns, d. h. sie mit ihren Kräften 
und Mächten an uns erfahren, erleben, durchleben, in demselben Mafse gewinnen 
wir eine Bildung." Sinn für Natur oder Naturgefühl, geschichtlicher und religiöser 
Sinn sind ihm das nächste Ziel aller Bildungsarbeit; „diese verschiedenen Sinne 
achliefsen sich zusammen zur Gesinnung, welche eine natürliche Frucht des Er- 
lebens und Durchlebens jener Welten ist und eine notwendige Voraussetzung der 
Charakterbildung. Hiernach forderte Ref. zunächst strengste Auswahl und Sichtung 
der Stofte; auszuscheiden ist alles, was unfruchtbar ist zur Bildung jener Sinne 
und zur Erzeugung jener Gesinnung. Dann forderte er, dafs die ausgewählten 
Stoffe auf alle Weise in innere Beziehung gesetzt, verknüpft, konzentriert werden, 
„eine Forderung, welche nur erfüllt werden kann dadurch, dafs man das Innere 
des Schülers, seine einheitlieh zu bildende Seele zum Zentrum macht, das Vielerlei 
der Objekte aber auf die Trias jener drei Welten: Natur, Geschichte und Gott, 
und diese Trias wiederum auf den einen Mittelpunkt: Gott der Herr und sein 
Reich zurückzuführen bemüht ist." 

Nach einem Wort des Nationalökonomen v. Stein unterscheidet Ref. die Auf- 
gabe des Elementar- und höhern Unterrichts so, dafs ersterer für die Ausbildung 
der Fähigkeit, das geistige Bildungsgut empfangen zu können, zu sorgen hat, 
wogegen der höhere Unterricht das Empfangene weiterzugeben befähigen soll. 

Die Welt des Ewigen kann und inufs schon dem Kinde ganz und voll nach 
Mafsgabe seiner Alters- oder Verstandeskräfte erschlossen werden; doch auch der 
heranreifende Jüngling mufs voll und ganz in ihr heimisch bleiben. „Dabei," 
sagte der Ref., „ist nicht die Zahl der besondern Religionsstundcn das eigentlich 
Wesentliche, so wesentlich das auch ist, sondern dafs aller Unterricht in allen 
Gegenständen indirekt und direkt, apologetisch oder beweisend, stillschweigend 
oder in offenem Bekenntnis der Pflege des religiösen Interesses dient." 

Aus dem Gebiete der Natur sollen in der Elementarschule lebensvolle Typen 
zur Behandlung kommen, „welche das Wesen der Arten und Gattungen durch- 
sichtig erkennen lassen, und in ihrem organischen Zusammenhang nicht nur mit 
diesem gröfsern Ganzen, sondern auch mit der ganzen umgebenden Welt aufzu- 
zeigen sind, also dafs ihre Vorführung gleichsam im Ausschnitt immer zugleich 
auch ein Weltbild giebt." Wie mit der Betrachtung der Fichte, der Roggenpflanze 
die des Fichtenwaldes, des Getreidefeldes zu verbinden sei, so sei überhaupt der 
Schüler anzuleiten , nicht nur das Einzelne mit scharfer Beobachtungsgabe , die 
gemeinsamen Merkmale mit klarem begrifflichen Verständnis, sondern auch die 
Totalität eines Bildes mit der Gesamtheit seiner geistigen Kräfte zu erfassen, das 
Leben der Natur mit seinem Gemüt in liebevoller Teilnahme zu belauschen und in 
sich aufzunehmen. 

Die so gewonnene Bildung hat die höhere Schule fortzuführen und besonders 
darauf zu achten, dafs eine Kontinuität in dem Gedankenkreise der Schüler und 
eine wachsende Vertiefung in den eigentlich bildenden Gehalt des gesamten Natur- 
lebons gewonnen werden. Auch bei dem Auftreten von anscheinend völlig neuen 
Gebieten der Naturwissenschaft, wie Physik und Chemie, ist dafür zu sorgen, dafs 
<lie einheitliche Bildung der gesamten Geisteskräfte der Zöglinge gebührende 
Rücksicht finde. 

Ähnliche Anforderungen wurden an den geschichtlichen Unterricht gestellt. 
Neben den Bildern aus dem Familien- und patriarchalischen Leben, aus dem 
Staatsleben unter den Richtern und Königen, wie sie die biblische Geschichte 
bietet, wurden der Volksschule typische Bilder aus der vaterländischen Geschichte, 
„die als geschichtliche Typen für die Heranbildung eines relativen Verständnisses 



Pädagogische Sludiam. I. 



3 




- 34 - 

für die Erscheinungen des geschichtlichen Lebens ausreichen," zur Behandlung 
zugewiesen. „Aber auch die höhere Schule besitzt in ihnen die beste Vorschule 
für die späterhin mitzuteilende reiche Welt mannigfaltigster und zusammenge- 
setzter Formen, in denen doch immer nur diese Grundformen wiederkehren. Über 
die tiefe Auffassung, welche jedes Blatt der biblischen Geschichte göttlicher 
Gnadenführungen deutlich und nachdrücklich predigt, dafs die Geschichte ein 
Produkt ist menschlicher Freiheit und göttlicher Leitung, kommt auch die höchste 
Auffassung aller weiteren profanen Geschichte nicht hinaus." 

So forderte denn der Herr Kef., dafs die höhere Schule das geschichtliche 
Material der Elementarschule nach seinen propädeutischen Momenten gebührend 
ausnutze, dafs sie weiter in die grofse Fülle ihres historischen Materials dadurch 
Einheitlichkeit bringe, dafs sie es nach den kulturgeschichtlichen Stufen ordne, 
dafs sie endlich auch das Gemüt des Schülers in die richtige Beziehung zu den 
Objekten setze, in dem sie sympathische Teilnahme für die Einzelpersönlichkeit, 
Interesse an den gesellschaftlichen Zuständen und Verständnis für die hinter allen 
geschichtlichen Erscheinungen ruhende und sie einigende Welt der leitenden 
ewigen Gottesgedanken wecke. 

Dann wies Ref. auf die grofse Bedeutung hin, die die Pflege des heimatlichen 
Erfahrungskreises für die Einführung in das Leben von Natur und Geschichte hat, 
und auf die unberechenbare Macht der Jugendeindrücke. Er erinnerte hierbei 
an einen Wunsch B. Auerbachs: es möge für die gesamte deutsche Nation ein 
allgemeines deutsches Schullesebuch hergestellt werden, so dafs überall, soweit 
die deutsche Zunge klinge , jedes deutsche Kinderherz von denselben Jugend- 
eindrücken erfüllt werde; das gebe dann eine Einheit der Jugendeindrückc, die 
von unberechenbaren Folgen seien, ein Anrufen sicher vorbereiteter Stimmungen, 
die in jedem anklingend eine innerste Einheit aller Heimats- uud Vaterlands- 
genossen schaffe. Was die besondere Landschaft erheische . sei besonders hinzu- 
zufügen. — 

Kef. verzichtete darauf, ein Idealbild der nationalen, einheitlichen Zukunfts- 
schule zu entwerfen; um es entwerfen zu können, müfsten noch viele Vorarbeiten 
wissenschaftlicher Pädagogik und Didaktik abgeschlossen sein, wenn auch manche 
Züge sich jetzt schon mit Sicherheit augeben liefsen. Zu diesen rechnete Ref. 
folgende: Als gemeinsamen Untcibau werde die Zukunftsschule die Elementar- 
schule haben, die bis zum vollendeten 10. Lebensjahre einen festen Grund zu 
legen hätte. Ihr würde einerseits, auf demselben Grunde weiterbauend und ver- 
tiefend, die Volksschule folgen, an die Bich nach Bedürfnis Fachschulen für die 
Vorbereitung auf einzelne Berufszweige des praktischen Lebens anschließen 
könnten. Andererseits würde die höhere Schule als Mittelschule auf dem von 
der Elementarschule gelegten Grunde weiterbauen, um sich erst auf den letzten 
Stufen als Realschule und Gymnasium zu teilen. 

Statt langer bei diesem Bilde zu verweilen, wandte Ref. sich der Frage zu: 
Was ist unter den gegebenen Verhältnissen zu thun ? Die alte höhere Schule, die 
in den Sprachen und der Mathematik ihren Mittelpunkt hatte, vermochte die Ein- 
heitlichkeit leichter zu bewahren. Jetzt gilt es zunächst, den scheinbaren Dualis- 
mus zwischen Natur und Geschichte einerseits, Sprachen und Mathematik anderer- 
seits nicht zu einem wirklichen werden zu lassen, ihn zu überwinden dadurch, 
dafs man die zusammengehörigen Kreise, statt sie künstlich auseinanderzureifsen, 
planvoll verknüpft, „Sprach- und Sachunterricht gehören zusammen." Dann sind 
überhaupt die unterrichtlichen Stoffe nach den psychologischen Forderungen durch- 
zuarbeiten. „Da nun diese psychologischen Forderungen dieselben sind einem 
jeden Schüler gegenüber, es auch keinen Unterschied giebt zwischen elementaren 
und höhern Schülerseelen, so giebt es auch keine besondere Gymnasial- nnd 
Elementarpädagogik. Da aber die schwerere Arbeit aus der einfacheren gelernt 
werden kann, so giebt es keine bessere Vorschule für den höhern Unterricht als 
den Elementarunterricht, und es wird auch unter diesem Gesichtspunkte die 
Wahrheit des bereits citierten Satzes deutlich , dafs die Elementarschule die hohe 
Schule sei für die höhere." Der Ref. wies dann auf die mannigfachen günstigen 



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Verhältnisse hin, die die Lehrer der höhern Schulen berufen erscheinen lassen, 
den Auf- und Ausbau einer wissenschaftlichen Didaktik in die Hand zu nehmen. 
„Sie vornehmlich hätten, lange Versäumtes nachholend, darauf hinzuarbeiten, dafs 
die königliche Wissenschaft der Pädagogik, welche an Höhe, Würde und Bedeu- 
tung keiner nachsteht, die sich als angewandte Ethik mit der Theologie, als ange- 
wandte Psychologie mit der Philosophie, als praktische Wissenschaft mit dem 
praktischen Leben, als ideale Kuustübung mit der Kunst berührt, und die um- 
fassendste, tiefreichendste und verantwortlichste Aufgabe hat im Hinblick auf die 
teuersten Schätze der Nation, — aus der bisherigen Aschenbrödelstellung befreit 
und in ihr volles souveränes Recht eingesetzt werde." 

Dann äufserte Ref. zum Schlufs noch die folgenden Wünsche. Der erste be- 
traf die Verbindung von elementaren Vorschulen mit den höhern Schulen. Diese 
würde nicht allein die Möglichkeit einer einheitlichen Verknüpfung des gesamten 
Unterrichts auf seineu verschiedenen Stufen geben, sondern auch den Lehrern 
der höhern Schule durch fortgesetzten Einblick in die Arboit auch des Elementar- 
unterrichts eine praktische Propädeutik für ihre eigene Didaktik verschaffen. 
2. wünschte Ref., dafs jeder Lehrer der höhern Schule vor Eintritt in den Schul- 
dionst einen, wenn auch nur kurzen Kursus an einem Volksschullehrerseminar 
durchzumachen genötigt werde. Der 3. Wunsch bezog sich auf besondere Scmi- 
narien für die künftigen höhern Lehrer, die so eingerichtet sein müfsten, dafs sie 
eine ausreichende pädagogisch-didaktische Bildung zu geben vermöchten. 4. wurde 
als wünschenswert bezeichnet, dafs die technischen Räte für die höhern Schulen 
auch den Elementarunterricht gründlich kennen, dafs die Aufsichtsbehörden sich 
bemühen, die Fühlung zwischen den verschiedenen Gattungen der Schulen neben 
und über einander herzustellen, und die Kollegien solcher Aufsichtbehörden die 
Kreise der Schule nicht als getrennte Welten, sondern als ein einheitliches Ganze 
ansehen und behandeln. Für die Geistlichen, soweit sie zur Schulaufsicht berufen 
sind, wurde dann 5. noch eine gründliche Kenntnis des Elementarschulwesens und 
unausgesetzte Fühlung mit den Zeutralpflegestätten desselben, den Volksschul- 
lchrerseminarien, als notwendig bezeichnet. 

Der Unterzeichnete hatte das Korreferat übernommen, war aber mit dem Herrn 
Referenten dahin übereingekommen, seine Aufgabe mehr als first Speaker zu be- 
handelu. 

Er wies zunächst auf die mannigfachen Beziehungen hin, in denen die Volks- 
schule steht, und die sie vor allen andern Schulgattungen unter der bisherigen 
Einheitlosigkeit haben leiden lassen. Dann deutete er an, wie die vom Ref. ge- 
forderte Einheit der Schule fördernd und bessernd auf alle diese Beziehungen 
wirken und so zur Gesundung des Volksschulweseus beitragen würden. Er zeigte 
zunächst, dafs die Lehrer der Volksschule durchaus der Ilandreichung der Lehrer 
an den höhern Schulen bedürfen und erläuterte dies an dem eigentümlichen Ge- 
schick, unter dem die psychologischen Studien der Volkssehullehrer in den letzten 
Jahrzehnten gestanden haben. Weiter wies er hin auf die mannigfache Schädigung, 
die die von den höhern Schulen in das Volk eingedrungene falsche Unterscheidung 
zwischen elementaren und wissenschaftlichen Fächern für die Volksschule zur 
Folge gehabt hat und noch hat. 3. sprach er über die Bedeutung, die eine gleich- 
mäfsig anerkannte richtige Theorie des Lehrplans für die Lösung der Simultan- 
schulfrage haben würde. 4. wurde die Hoffnung ausgesprochen, dafs die An- 
erkennung der Einheit der Schule die Volksschule aus der Aschenbrödelstellung, 
die sie den höhern Schulen gegenüber manchenorts einnimmt, befreien werde. 
5. erinnerte Korref. an die mannigfachen Verhältnisse, unter denen ein Stand 
dringend einer Vertretung bedarf, und doch nicht selbst für seine Interessen ein- 
zutreten vermag, wenn er sich nicht den Vorwurf zuziehen will, pro domo zu 
reden oder gar zu agitieren. Unter solchen Verhältnissen könnten die Lehrer 
der höheren Schulen den Volksschullehrem gute Dienste leisten , wie dies zur Zeit 
auch von Msiger, Landferraann und Hülsinanu geschehen ist. Schliefslich wurde 
noch auf die Bedeutung verwiesen, die das richtige Verhältnis der Schule zur 
Familie und Kirche für die Einheitlichkeit der ersteren hat. 



3* 




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Eine Diskussion konnte der vorgerückten Zeit wegen nicht stattfinden. 

Um den Lesern ein annäherndes Bild des interessanten und für die weitere 
Ausgestaltung unser» Schulwesens so bedeutsamen Vortrages des Herrn Dir. Frick 
geben zu können, habe ich den Raum d. Blätter schon ungebührlich in Anspruch 
genommen und werde mich deshalb in bezug auf den weitern Verlauf des Kon- 
gresses auf kurze Andeutungen beschränken. 

Am Nachmittag des 1. Kongresstages referierten die Herren Prof. Meyor-Hers- 
feld und Prof. Dr. Kittel- Stuttgart über das Thema: Die Hebung des Sinnes 
für Autorität in der Jugend. Die beiden ersten der 10 Thesen lauteten: 

I. Ihrem Begriffe nach ist Autorität ein auf moralischem Wege d. h. durch frei- 
willige Verpflichtung des andern Teiles erworbener Anspruch auf Unterordnung und 
Gehorsam. Daher gehören zu ihr zwei Faktoren: ein niederbeugender und ein 
anziehender, ein Element der Macht und ein solches der Freiheit und Liebe. 

II. Das Recht der Autorität erhellt dem Christen aus dem geoffenbarten göttlichen 
Gebot; aber auch schon dem natürlichen (aufserchristlichen) Menschen aus der 
Stimme des Gewissens, die selbst eine verpflichtende Autorität 'mit sich führt , so- 
wie aus der Erfahrung, dass geschichtlich nur durch motalische Unterordnung 
höhere Kulturstufen sich bilden. Als Mittel der Hebung der Autorität werden 
Macht und Liebe genannt, und 1. Ausübung der Zucht, d. h. thatsächliche Geltend- 
machung der objectiven Überlegenheit, 2. Unterlassung und Wegräumung dessen, 
was die Autorität gefährden könnte (auch die Kritik des Bestehenden ist von der 
Jtigend zu unterlassen), 3. Anerkennung der göttlichen Autorität gefordert. Der 
Erzieher soll „eine ganze, dem Ideal sittlich-religiöser Vollkommenheit angenäherte 
Persönlichkeit" sein. 

In der folgenden Discussion fanden die Referenten durchweg Zustimmung. 

Am 6. fand ein Festgottesdienst in der Stiftskirche statt. Prof. Kübel vou 
Tübingen hielt eine treffliche Predigt über 1. Kor. 3, 11—15, und der Verein für 
klassische Kirchenmusik trug durch den Vortrag des Chores „Würdig ist das 
Lamm" aus Händeis Messias nicht unwesentlich zur Hebung der Feier bei. 

In der 3. Hauptversammlung am Donnerstag Morgen war das Thema: Was 
kann und soll die Schule thun, Bi bei kenn tu is und Bibclvers tändnis, 
sowie Liebe zur heiligen Schrift unter den Schülern zu pflanzen 
und zu fördern? Ref. waren die Herreu Institutslehrer Dietrich-Stuttgart und 
Mittelschullehrer Gerloff- Wernigerode. 

Die 4. Hauptversammlung nachmittags wurde von der Erledigung eingegange- 
ner Anträge (Sehulaufsichtsfrage, Gcsundhcitslehre in der Volksschule u. a.) in 
Anspruch genommen. Über die Schulaufsichtsfrage war unter Zugrundelegung eines 
Proponendums, welches eine vom vorigen Kongress ernannte Kommission bearbeitet 
hatte , in verschiedenen Sitzungen des Kougrcssausschusses verhandelt worden. 
Das schliefsliche Resultat war, was sich allerdings im voraus ersehen Hess, dass 
infolge der so sehr verschiedenen historischen Entwicklung der nord- und süd- 
deutschen Schulverhältnisse eine Einigung sich nicht erzielen Hefa. Von den 
norddeutschen Mitgliedern des Ausschusses wurde beschlossen, die Fortführung 
der Frage ihren Verhältnissen entsprechend gesondert zu betreiben. So fand 
auch diese Frage eine befriedigende einstweilige Lösung. 

Um 5 Uhr fand im Saale des Stadtgartens ein Festessen statt, welches durch 
ernste und heitere Toaste reiche Würze empfing. 

Der Freitagmorgen vereinigte die Mehrzahl der Kongressmitglieder noch einmal 
zu einer Besichtigung der drei königlichen Schlösser in der Nähe von Stuttgart 
und Cannstadt; am Nachmittag wurde eine gemeinsame Fahrt unternommen auf 
den Hasenberg, der eine prächtige Übersicht über Stuttgart gewährt. 

Von badischen Besuchern des Kongresses ist wohl die Verhandlung der d. 
Hauptversammlung als die wichtigste des diesjährigen Kongresses bezeichnet wor- 
den; ich halte die Ausführungen des Herrn Dir. Frick für die bedeutsamsten. 
Wenn der Kongress dazu beiträgt, auch nur einen Teil der sich darau knüpfenden 
Hoffnungen in Erfüllung gehen zu lassen, so hat er Grobes geleistet 




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Die Verhandlungen werden in nächster Zeit bei Zimmer in Frankfurt in Druck 
erscheinen ; von dem Friekschen Referat wurde eine Sonderausgabe veranstaltet. 

Orsoy, Anfang November 1884. Horn. 



'3. Herbartvereine. 

Seit dem 2. Februar 1884 besteht zu Heidelberg ein Lokalverein für wissen- 
schaftliche Pädagogik in Herbar t-Zillerschem Sinne. Dem Vereine gehören gegen- 
wärtig sieben Mitglieder an und zwar drei Hauptlehrer an der Volksschule, der 
Verwalter des Waisenhauses, welcher zugleich Lehrer an der Volksschule ist, ein 
Privatschuldirektor, ein Privatschullehrer und der Unterzeichnete. Die Grundlage 
der Besprechungen bilden zur Zeit Zillers Vorlesungen über allgemeine Pädagogik ; 
bislang sind die §§ 1 — 15 (Einleitung in die allgemeine Pädagogik und Regierung) 
durchgenommen worden. • Gelegentlich wurden aber auch Fragen aus der Praxis 
des Unterrichts und der Erziehung behandelt. Z. B. : Wer hat recht, diejenigen, 
welche auf der zweiten Stufe das Lesestück erst ganz vorlesen und dann stück- 
weise durch die Kinder lesen lassen wollen, wie die Verfasser der „Sammlung 
aus deutschen Lesebüchern", oder die Anhänger der von Dr. Rein und Andern 
vertretenen Ansicht, welche umgekehrt verfahren? — Wie hätte die letzte Weih- 
nachtsfeier im Waisenhause noch schöner gestaltet werden können? — Wie müssen 
Schulprüfuugen abgehalten werden? — Die Freiheitsstrafe. 

He i d el berg, November 1884. M. Bergner. 



4. Eine bedeutsame Kundgebung aus theologischen 

Kreisen. 

Als eine solche glauben wir die im 10. Heft der „Deutsch - evangelischen 
Blätter" (1884) von Beyschlag veröffentlichte akademische Antrittsrede von Pro f. Dr. 
Gottschick in Glessen „Über den Religionsunterricht in den oberen 
Klassen höherer Schulen" betrachten zu müssen. Sie deckt freimütig die 
Mängel und Schäden des Religionsunterrichts an höheren Schulen auf und giebt 
beachtenswerte Winke, wie ihnen abzuhelfen sei. Ohne auf den reichen Inhalt 
hier näher einzugehen, wollen wir nur bemerken, dass der Verfasser in zwei Um- 
ständen die hauptsächlichsten Gründe für den Missorfolg des Religionsunterrichts 
an höheren Schulen erblickt. „Der erste liegt darin, dass man die Inspiration 
der Bibel als das fundamentale Dogma behandelt und die Bibel wegen ihrer an- 
geblichen Inspiration mit der für die christliche Religion mafsgebenden Offen- 
barung Gottes gleich setzt" ; der zweite liegt in der Gestalt, „in welcher der syste- 
matische Unterricht, mag er sich nun an den Katechismus und die Augsburgische 
Konfession anschlielsen oder mag er sich zu einem Abriss der Dogmatik ausdehnen, 
die eigentliche Glaubenswahrheit darzubieten pflegt." Unter den positiven Sätzen 
sei nur erwähnt, dass der Verf. fordert, dass das Christentum „als eine einheit- 
liche Weltanschauung ins Licht gestellt werden muss, deren sämtliche Momente 
auf den Gedanken eines höchsten Gutes bezogen sind, von welchem der Mensch 
nicht lassen kann und darf, ohne sich selbst zu verlieren, und dass zur Erkenntnis 
gebracht werden muss, wie die geschichtliche Persönlichkeit Jesu durch den er- 
kennbaren Inhalt ihres persönlichen Lebens die Realität jener Weltanschauung 
gegen den Verdacht der Illusion schützt und ihre persönliche Aneignung im reli- 
giösen Glauben hervorbringt", ferner, dass er verlangt, es müsse, „was die Ge- 
schichte der Religionen, was Philosophie und Litteratur, soweit sie den Schülern 



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bekannt sind, an analogen Erscheinungen, also an Lebensidealen und Weltan- 
sichten aufweist, zur Vergleichung herangezogen werden", endlich, dass „das legi- 
time Recht der Naturwissenschaften innerhalb ihres Gebietes anerkannt und die 
in der Sache liegenden Schranken derselben zum Bewusstsein gebracht werden 
müssen." 

Eisenach. Dr. A. Bliedner. 



5. Dr. Fr. Ottos Pädagogische Zeichenlehre .*) 

Aus dem Vorwort zur dritten Auflage : Wenn eine Anleitung zum Zeichen- 
unterricht, welche im Jahre 1837 erschienen ist, fort und fort verlangt wird und 
des Studiums noch heutigen Tages nicht unwert erscheint, nachdem die letzten 10 
Jahre eine Reihe bedeutender Schriften und Anweisungen (F linzer, Stuhl - 
niann, Halfter, Menard, Eyth u. a.) hervorgerufen haben, so ist wohl die 
Stellung des Buches gerechtfertigt, wie sie demselben in der Geschichte des 
Zeichenunterrichtes (Rehrs Geschichte der Methodik, Gotha, Tbienemann) zuge- 
wiesen wurde. Schon Hentschel hat die Bedeutung der Ottoscheu Zeichenlehre 
in seinem Aufsatz über den Zeichenunterricht (Diesterwcgs Wegweiser, 1838) und 
nach ihm Ziller (Jahrbuch des Vereins für wiss. Pädagogik) vollauf gewürdigt. 
Neuere Stimmen schliefsen sich dem an; namentlich spricht sich das Gutachten 
im Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preufsen (Juliheft 1874) 
höchst anerkennend über das Buch aus. 

Dasselbe zerfällt in einen allgemeinen und in einen besonderen Teil. Ersterer 
spricht über den Begriff der Zeichenkunst, über die Aufgabe des pädagog. Zeichen- 
unterrichts, über das Verhältnis der Auffassung und der Darstellung; Zahl und 
Art der Kunstkräfte und Wichtigkeit ihrer Bildung; Notwendigkeit eines Elcmen- 
tar-Zeichenkursus ; Altersreife des Schülers; Auswahl des Unterrichtsstoffes; Allge- 
meine Grundsätze, die Methode im engeren Sinne betr. u. s. w. Der besondere 
Teil umfasst 1) das Elementarzeichnen im engeren Sinn (Netz- und Punktzeichnen), 
2) das Freihandzeichnen. (Zeichnen nach Wandtafeln; das geometr. Zeichnen; 
karakteristische Formen aus der Pflanzenwelt und leichte Flächenornamente; das 
Körperzeichnen; das Zeichnen nach Vorlcgeblättern; die Idealstufe des Zeichnens.) 

Dem allgemeinen Teil, wie den besonderen Abschnitten ist eine reiche, ziem- 
lich erschöpfende Litteraturangabe vorausgeschickt worden zur Orientierung auf 
dem betr. Gebiete und zur Warnung. Letzteres insofern, als Niemand an die Be- 
arbeitung einer neuen Anweisung herangehen möge, ohne sich vorher genau mit 
der geschichtlichen Entwicklung und dem jeweiligen Standpunkt des betr. Gegen- 
standes bekannt gemacht zu haben. 



6. Das erste Schuljahr, 

Dritte Auflage. 
(Selbstanzeige.) 

Während wir mit der Bearbeitung des achten Bandes unserer „Theorie und 
Praxis der Volksschule" beschäftigt sind, welcher den Abschluss unserer Volka- 
■chulmethodik bilden soll, erscheint der erste Band, „das erste Schuljahr", in 
dritter Auflage. 



•) Neu bearbeitet und herausgegeben rou Dr. W. Rein. Dritte Aufl. Weimar, BOhlau 
1886- 1,60 M. 



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Schon ,in den letzten Bänden haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass 
die neuen Auflagen mancherlei Veränderungen — hoffen wir, Verbesserungen — 
Aufzeigen. Auf eine Aufzählung derselben im einzelnen wird füglich verzichtet 
werden können. Bei einer so jungen Wissenschaft, wie es die Pädagogik ist, 
und bei der Notwendigkeit, dafs sich unausgesetzt Theorie und Prnxis gegenseitig 
durchdringen, anregen und korrigieren, ist jeder vorzeitige Abschlufs einer auf 
praktische Bethätigung gerichteten Entwicklung von Übel. Vielmehr mufs der 
stetigen Fortentwickelung auf den gewonnenen sichern Grundlagen aller Vorschub 
geleistet werden. Vielleicht könnte man den Verfassern den Vorwurf machen, 
dafs sie zu frühzeitig ihre Arbeiten aus dem Pulte entlassen, dafs sie noch hätten 
warten sollen, bis sie auch im einzelnen zu unumstöfslichen Resultaten gelangt seien. 
Dem ist freilich zu erwidern, dafs gerade durch die baldige Veröffentlichung der 
an der Praxis geprüften Theorie eine genügende Unterlage geschaffen wurde, an 
deren Verbesserung nun durch gegenseitige Kritik und Hülfeleistung, unter Teil- 
nahme engerer und weiterer Kreise eifrig gearbeitet werden konnte. Aufserdem 
ist noch hinzuzufügen, dafs man in gar manchen Fragen der pädagogischen Praxis 
noch lange nicht auf ganz unumstöfsliche Resultate wird rechnen dürfen, dafs noch 
eine unabsehbare Reihe von Versuchen nötig sein wird, ehe für alle Spezialfälle 
unbedingt giltige Vorschriften gegeben werden können, und dafs demnach — Sollte 
dieser Zeitpunkt abgewartet werden — eine spezielle Methodik Uberhaupt nicht ge- 
schrieben werden dürfte. Unsere Arbeiten bemühen sich nun, den jeweiligen 
Standpunkt der Unterrichtslehre, wie sie auf dem Boden herbartischer Ethik u nd 
Psychologie erwächst, zu fixieren. Wenn auch manche dies für überflüs g ig 
halten mögen, so haben andere hingegen — und keineswegs blofs Herbartianer — 
unsere Arbeiten bei all' ihrer Unvollkommenheit gern aufgenommen, und freudig 
zugestanden, dafs sie einiges daraus gelernt. 

Die dritte Auflage des ersten Schuljahres schliefst sich an die zweite bei 
weitem enger an, als die zweite an die erste. Die zweite Bearbeitung brachte 
verschiedene wesentliche Umarbeitungen, da ihr eine mehrjährige Praxis zugute 
kam, welche die Ueberzeugung von der Kichtigheit und Fruchtbarkeit der Ziller- 
schen Unterrichtstheorie abermals bestätigte. Auf manche noch dunkle und unge- 
wisse Punkte war mittlerweile helles Licht gefallen, das auch unseren Arbeiten 
Hilfe leisten konnte. 

Neuerdings macht sich in der Märchenfragc wieder einige Bewegung geltend. 
Dieselbe wird sobald noch nicht zur Ruhe kommen, da ja auch innerhalb der 
herbartischen Schule hierin, wie in manchen anderen Punkten, verschiedene An- 
sichten herrschen, durch deren regen Austausch das Suchen nach der Wahrheit 
nur gefördert werden kann. 

Endlich möchten wir noch darauf hinweisen, dafs wir uns bemüht haben, alle 
irgendwie bedeutenden Erscheinungen auf pädagogischem Gebiet für unsere Arbeit 
nutzbar zu machen, so wie es auch Ziller gethan und wie es in Herbartischen 
Kreisen Sitte ist — obwohl Gegner oft das Gegenteil behaupten. 

Möge die neue Auflage freundliche Aufnahme finden bei allen, denen der 
Unterricht wirklich eine Kunst, nicht ein blofses Handwerk ist. 

Eisenach. Die Verfasser. 



7. Von unseren Gegnern. 

„Viel Feind, *iel Ehr." 

Von den verschiedensten Seiten her wird Sturm gelaufen gegen die Herbar- 
tische Pädagogik. Und das ist gut so. Werden hierdurch doch weite Kreise der 
Lehrerwelt aufmerksam gemacht und hingewiesen auf pädagogische Bestrebungen, 
die sich sonst vielleicht ihrem Studium entzogen hätten. Allerdings möchten wir 
bei diesen Angriffen zweierlei wünschen : 1. dafs sie sachlich von gröfserem Wert 



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und schwererem Gewicht aeien, auf dafs sie einigermafsen der Gedankenarbeit gleich- 
kämen, die in den Werken Herbarts und Zillers geleistet worden ist, und 2., dafs 
die Angriffe sich von aller persönlichen Gereiztheit und Schmähung fern 
hielten. 

Dieser Wunsch ist gewifs nicht ungerechtfertigt, namentlich Aufsätzen gegen- 
über, bei denen man Bich unwillkürlich bei dem Gedanken ertappt, dieselben 
seien nicht sowohl zur Förderung der Sache, der wissenschaftlichen Erkenntnis, 
geschrieben, als vielmehr dazu, der Eitelkeit der Verfasser zu frönen, welche die 
Herbart-Zillerschen Bestrebungen als willkommenen Anlafs benutzen, sich einen 
Schriftstellernanien zu verschaffen, oder dem schon geschaffenen neue Verbreitung 
zu sichern. 

Wie sehr aber dabei das persönliche Gebiet das sachliche überwuchert, 
möge man namentlich aus den Arbeiton im Pädagogium des Herrn Dittes erkennen. 
Die letzten sind so geschrieben, dafs man kaum darauf antworten kann — sie 
liegen jenseits der Grenzen des litterarischen Anstände». Und warum ereifert 
man sich so, dafs das Sachliche nur als Folie zu den persönlichen Verdächtigungen 
und Schmähungen dienen mufs? Nur deshalb, weil einige Herbartianer sich die 
absprechenden, ganz unbegründeten Urteile des Herrn Dittes, welche derselbe in 
einem vom Zaun gebrochenen Angriffe den Lesern des Pädagogiums aufzutischen 
wagte, nicht gefallen liefsen, sondern zur Ehre der Wahrheit scharf zurückwiesen. 
Sachlich und gründlich gearbeitete Kritik ihrer Arbeiten ist den Herbartianern 
jederzeit willkommen; die Pädagogik kann dabei nur gewinnen und der einzelne 
kann daraus nur lernen. Es wird jeder auch gern eingestehen da, wo er geirrt, 
und sich den besser motivierten Ansichten willig fügen. Wenn aber die Angriffe 
nur erfolgen , um die Anhänger der herbartiseben Pädagogik persönlich zu dis- 
kreditieren in den Augen der Lehrerwelt — dann sollten sie besser unberücksich- 
tigt bleiben. Die Zukunft wird entscheiden, von welcher Seite her inbezug auf 
den Ausbau der Erziohungs- und Unterrichtslehre für unsere Schulen am nach- 
haltigsten und uneigennützigsten gearbeitet worden ist. 

Und auf die positive Arbeit kommt doch alles an. Von ihr lassen wir 
uns durch keinerloi Hetzerei, Spott und Verdächtigung abbringen. Dem Dienste 
der Pädagogik wollen wir uns auch weiterhin nach bestem Wissen und Gewissen 
widmen, so lange unsere Kräfte reichen. 



8. Rheinische Blätter für Erziehung und Unterricht. 

(Frankfurt a. M. Moritz Diester weg.) 

Die Redaktion der von A. Diester weg begründeten, von W. Lange bis 
zu seinem Tode fortgeführten Rhein. P>1. für Erz. u. Unt. geht am 1. Januar 1885 
in die Hände des Herrn Realschuldirigenten Ri chard Köh ler in Idstein über. 

In welchem Geiste derselbe die Rheinischen Blätter fortführen wird, kann 
man aus dem 

„Zur vorläufigen Orientierung" 

überschriebeneu Prospekt des Herrn Köhler erkennen. 

„Mit dem Gefühle inniger Wehmut komme ich der an mich ergangenen Auf- 
forderung nach, mich über die Grundsätze auszusprechen, nach denen ich die 
Redaktion der „Rheinischen Blätter", zu deren Übernahme ich mich auf den von 
mehreren Seiten geäufserten Wunsch entschlossen habe, zu führen gedenke. 

Gehöre ich doch bei den innigen Beziehungen, in welchen ich zu dem bis- 
herigen Leiter dieser Zeitschrift stand, zu denjenigen, welche in dem Tode des 
teueren Mannes nicht blofs einen schmerzlichen Verlust für die ganze deutsche 
Pädagogik beklagen , sondern denen dieser Verlust auch persönlich eine tiefe 
Wunde geschlagen hat. Freilich war die Pietät, die mich an den Lebenden fes- 



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sehe, nicht der geringste Grund, der mich zu dem Entschlüsse veranlasste, für 
den nunmehr Entschlafenen das Werk, an welchem er bis zu seinem Tode mit 
so treuer Hingebung gewirkt hat, in seinem Sinne fortzusetzen, obgleich ich ein 
leicht begreifliches Bedenken trug, mich an dieses Werk zu wagen, das zwei 
Männer, welche zu den schönsten Zierden unserer Pädagogik gehört haben, in so 
rühmlicher Weise geführt haben. Darf ich doch auch wohl die Erwartung hegen, 
dass Freunde und Mitarbeiter dieses Blattes mit mir von dem Wunsche beseelt 
sind, dass dasselbe als ein lebendiges Denkmal zu Ehren der beiden bisherigen 
Leiter erhalten bleibe, und mir deshalb ihre kräftige Unterstützung nicht versagen 
werden. Dass ich dabei eifrig bestrebt sein werde, sowohl im Geiste Diestcrwegs 
als Wichard Langes zu arbeiten, braucht nach dem Gesagten wohl kaum der Ver- 
sicherung. Wo ich in Einzelheiten zu einer von derjenigen beider abweichenden 
Ansicht gelangen sollte, werde ich auch diese unumwunden bekennen. Wollte ich 
anders handeln, so wäre dies weder im Geiste Diesterwegs noch Wichard Langes. 
Zwei Männer, die in ihrem objektiven Streben nach lantercr Wahrheit so mann- 
haft für ihre innerste Überzeugung eingetreten sind, würden mir es nicht ver- 
zeihen, wollte ich, auch ihnen selbst zuliebe, meine eigene Uberzeugung verleug- 
nen. Die Freunde der „Rheinischen Blätter" aber dürfte raeine Erklärung schwer- 
lich zu Befürchtungen veranlassen, wenn ich hinzufüge, dass ich von den Grund- 
prinzipien, welche Diesterweg und Lange verfolgten, so innig durchdrungen bin, 
dass eine etwaige andere Ansicht in einem einzelnen Punkte die Hauptsache nicht 
alterieren würde. Haftet doch auch der wahre Jünger nicht an Wort und Buch- 
staben seines Meisters, sondern an dessen Geiste. 

Der Begründer dieser Zeitschrift hat vor allem der Volksschule sein lebhaftes 
Interesse zugewandt, und es wird auch für die Zukunft zu wünschen sein, dass 
dem Organe namentlich tüchtiges Material über die allgemeinste Bildungsstätte 
des deutschen Volkes zugeführt werde, dio ja die hervorragendste Zierde unseres 
Erziehnngswesens bildet. Allerdings kann, was Deutschland auf den verschiedensten 
Gebieten der besonderen Wissenschaften geleistet hat, den wissenschaftlichen 
Leistungen jeder anderen grossen Nation würdig zur Seite treten. Aber auch 
andere Nationen haben auf dem Gebiete gelehrter Bildung vieles Bedeutende her- 
vorgebracht, was mit den Errungenschaften deutscher Wissenschaft in die Schran- 
ken treten kann, und im ganzen herrscht auf dem Gebiete der Spezialwisscnschaft 
eine gewisse Parität unter den gebildetsten Völkern. Dass dagegen die Bildung 
alle Schichten der Bevölkerung so tief durchdrungen habe, wie es in Deutschland 
durch dessen Volksschulen geschehen ist, lässt sich von keiner anderen der her- 
vorragendsten Nationen behaupten. Es ist daher, namentlich bei dein Interesse, 
das die Volksschule für die Gesamtheit einer Nation hat, besonders dahin zu 
streben, dass für Deutschland der Ruhm, den es sich in dieser Hinsicht erworben 
hat, erhalten bleibe, dass das frische und fröhliche Leben, welches sich in der 
deutschen Volksschule entwickelt hat, nicht verkümmert sondern kräftig geför- 
dert werde. 

Die Stellung eines pädagogischen Organes der Volksschule gegenüber kann 
aber nicht ohne Einnuss auf dessen Stellung zur Philosophie sein. Dass das 
Studium der Psychologie, mag es die Herbarts oder Benekes sein, die ja beide 
keineswegs himmelweit von einander abweichen, im Interesse der Pädagogik zu 
empfehlen sei, darüber war weder Diesterweg noch Lange im Zweifel. Was aber 
von dem Einflüsse des Studiums der genannten philosophischen Disziplin auf die 
Pädagogik gilt, gilt keineswegs von dieser einzelnen Disziplin auschliefslich. Dass 
es aber neben der Pädagogik überhaupt eine besondere wissenschaftliche Päda- 
gogik gebe, wie von anderer Seite angenommen worden ist, ergiebt sich daraus 
keineswegs. Wo sollte wohl auch die unwissenschaftliche Pädagogik aufhören 
und die wissenschaftliche anfangen? Die Wissenschaftlichen freilich werden den 
als einen der ihrigen anerkennen, der sich gründlich mit der Psychologie und 
Pädagogik Herbarts beschäftigt und hierauf seine pädagogische Theorie aufgebaut 
hat „und auf des Meisters Worte schwört". (?Red.) Ein anderer dagegen, der gar 
keine besondere philosophische Schulung durchgemacht, hat sich vorzugsweise durch 



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ernstes und tiefes Selbstdenken sein System der pädagogischen Theorie gebildet; 
— dass dies der Fall sein kann, ist ja gewiss nicht undenkbar. Wo wollen wir 
nun diesen unterbringen? Dürfen wir ihn den Wissenschaftlichen zuweisen oder 
nicht? Wenn nicht, so müssen wir doch mindestens stark zweifln , ob gerade die 
Koryphäen der Wissenschaft wirklich der Wissenschaft angehören. 

Ich habe schon an anderer Stelle auf den fördernden Einfluss hingewiesen, 
welchen die Philosophie auf die Pädagogik haben kann. Wollen aber die Philo- 
sophen die Pädagogik, die ja nicht Eigentnm einer besonderen Kaste sondern 
möglichst Gemeingut sein soll, kräftig fördern, so werden sie Schopenhauers schon 
an sich ueherzigungswertes Wort noch besonders zu berücksichtigen haben : 
„Überall wird der echte Philosoph Helle und Deutlichkeit suchen und stets be- 
strebt sein, nicht einem trüben reissendem Regenbache zu gleichen, sondern viel- 
mehr einem Schweizer See, der, durch seine Kuhe, bei grofser Tiefe grofse Klar- 
heit hat, welche aber erst die Tiefe sichtbar macht." Dem entsprechend werden 
auch diejenigen, welche, ohne gerade Philosophen von Fach zu sein, bestrebt sind, 
einzelne Disziplinen der Philosophie im pädagogischen Interesse einem weiteren 
Publikum zu erschliefsen, sich einer besonderen Klarheit zu befleifsigen haben, 
ohne jedoch dabei ins Oberflächliche zu verfallen. Dass in dieser Hinsicht Fried- 
rich Dittes durch seine Darstellung der Psychologie und Logik ein würdiges Bei- 
spiel von edler Popularität geliefert hat, brauche ich kaum zu erwähnen. Aber 
auch der Philosoph von Fach sollte Einfachheit in der Form keineswegs für 
unter seiner Würde halten. Zeigt sich doch die höchste Kunst öfters gerade 
darin, dass sie eine Sache so einfach und natürlich darzustellen weifs, dass jeder 
denkt, so könne er's auch, und erst, nachdem er sich auf das mühseligste ver- 
geblich abgearbeitet hat, auf die Nachahmung verzichtet. Dahin spricht sich be- 
reits „der alte Kirchenvater Horaz" aus.*) 

So wenig man aber auch die Bedeutung der Philosophie für die Pädagogik 
unterschätzen mag, schwerlich wird man in Abrede stellen, dass die Psychologie 
und Philosophie überhaupt erst dann ihre fruchtbare und belebende Kraft für die 
Pädagogik erhält, wenn sich eine denkende Beobachtung des Lebens dazu ge- 
sellt. Sollten wir aber eines der beiden, philosophische Schulung und unmittelbar 
aus dem Leben geschöpfte Beobachtung, preisgeben müssen, so würden wir im 
Interesse der Pädagogik gewiss lieber auf das erstere verzichten. Worauf beruht 
doch auch vorzugsweise die belebende Wirksamkeit, welche Pädagogen wie Dicster- 
weg und Wichard Lange entfaltet haben? Gewiss verdankten sie doch den leben- 
digen Reiz ihres Einflusses dem Umstände, dass sie namentlich unmittelbar aus 
der Fülle des frischen Lebens schöpften. Wenn ich aber dieser beiden Männer 
gedenke, kann ich nicht unterlassen, auf einen dritten hinzuweisen, der zwar nicht 
unmittelbar für die „Rheinischen Blätter" gewirkt, der aber indirekt einen gewal- 
tigen Anteil daran gehabt hat, auf den Märtyrer von Neuhof und Stanz mit dem 
unschönen Antlitz und dem Herzen von weltumfassender reinster Menschenliebe. 
Auch er stützt sich, wenn ihm auch die Welterfahrung der beiden Vorgenannten 
abging, vorzugsweise auf die Beobachtung des wirklichen Lehens. Und vertiefen 
wir uns in „Lienhard und Gertrud", in die „Abendstunde eines Einsiedlers", in 
„Wie Gertrud ihre Kinder lehrt", oder in andere seiner Werke, so werden wir, 
abgesehen von der Fülle und Tiefe seiner auf Natur beobachtung gestützten Ge- 
danken, noch durch etwas gefesselt, was höher steht als alle philosophische Ge- 
dankenschärfe: 

„Glänzende Eigenschaften des Geistes erwerben Bewunderung aber nicht Zu- 
neigung: diese bleibt den moralischen, den Eigenschaften des Charakters vorbe- 
halten Denn wie Fackeln und Feuerwerk vor der Sonne blass und 

unscheinbar werden, so wird Geist, ja Genie und ebenfalls die Schönheit über- 



*) Brief an die Pisonen, Vers 240 ff. Wieland bemerkt dazu: „Diese Stelle iet sehr 
merkwürdig. Sie enthalt eins von den grossen Mysterien der Kunst, welche Horatius ganz zu- 
versichtlich ausschwatzen durfte, ohne Furcht, dass er den «uvr)TOi£ (den Uneingeweihten) 
etwas verraten habe." 




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strahlt und verdunkelt von der Güte des Herzens. Wo diese im hohen Grade 
hervortritt, kann sie den Mangel jener Eigenschaften so sehr ersetzen, dass man 
solche vermisst zu haben sich schämt. Sogar der beschränkteste Verstand, wie 
auch die groteske Hässlichkeit, werden, sobald die ungemeine Güte des Herzens 
sich in ihrer Begleitung kund gethan, gleichsam verklärt, umstrahlt von einer 
Schönheit höherer Art, indem, jetzt aus ihnen eine Weisheit spricht, vor der jeder 
andere verstummen muss. Denn die Güte des Herzens ist eine transscendente 
Eigenschaft, gehört einer über dieses Leben hinansreichenden Ordnung der Dinge 
an und ist mit jeder anderen Vollkommenheit inkommensurabel. Wo sie im hohen 
Grade vorbanden ist, macht sie das Herz so gross, dass es die Welt unifasst, so 
dass jetzt alles in ihm, nichts mehr ausserhalb liegt, da sie ja alle Wesen mit 
dem eigenen identifiziert. . . . Was ist dagegen Witz und Genie? was Baco von 
Verulam?" 

Wer wollte diesen Worten des Frankfurter Philosophen nicht beipflichten? Sie 
weisen zugleich darauf hin, worauf Pestalozzis Gröfie nicht zum geringsten beruht. 
Gewifs verehren wir in dem einfachen Schweizer einen seltenen Genius. Was ihn 
aber dazu berufen hat, auf die ganze Pädagogik so umgestaltend zu wirken, wie 
kein anderer vor ihm, war die gewaltige treibende und wirkende Glut seiner Be- 
geisterung, die einem Herzen von unendlicher Menschenliebe entsprang. Die Ge- 
schichte der Pädagogik bemerkt, dass seit Luther niemand so entscheidenden 
Einflufs auf die Pädagcgik geübt habe, wie Pestalozzi. Dieses Lob Pestalozzis 
ist jedoch ein zu beschränktes. Man kann Luther, dessen Wirksamkeit vorzugs- 
weise dem kirchlichen Gebiote zufällt, nicht auch auf pädagogischem Gebiete eine 
Stellung zuweisen, die hier der Pestalozzis obenbürtig wäre. Mit dem Worte 
Luthers: „Wenn ich nicht ein Pfarrer wäre, so möchte ich wohl ein Schulmeister 
sein", und dem entsprechenden Worte Pestalozzis ist das Mafs des Verdienstes 
beider um die Schule angedeutet. Ks liegt in Luthers Wort, dass er grofses und 
inniges Interesse für die Schule besafs, und der Einflufs dos gewaltigen Mannes 
ist auch auf die Schule ein sehr bedeutender gewesen. Es liegt aber auch in 
diesem Worte der Sinn: „Wenn ich nicht Alexander wäre, so möchte ich Diogenes 
sein". Pestalozzi dagegen hat mit seinem Worte : „Ich will ein Schulmeister 
werden", das höchste Ideal seines Lebens bezeichnet, und nach diesem Ideale hat 
er mit der ganzen Fülle seines Herzens gerungen. Wenn auch das, was er durch 
die eigene Praxis erreichte , bei der Unbeholfenheit seiner Natur seinem Ideale 
nicht im entferntesten entsprach, so hat er doch durch seine Theorie einen Einflufs 
auf die ganze Pädagogik geübt, dem gegenüber der Einflufs jedes anderen, auch 
der Luthers, zurücktritt. Allerdings ist es leicht für uns, auch die Theorie Pesta- 
lozzis in Einzelheiten zu kritisieren. „Der Zwerg, der auf den Schultern des 
Riesen steht, kann freilich weiter schauen als dieser selbst, besonders wenn er 
eine Brille aufgesetzt; aber zu der erhöhten Anschauung fehlt das hohe Gefühl, 
das Kiosonherz, das wir uns nicht aneignen können." Dieso Worte Heines, die 
sich auf Luther beziehen, können wir auch auf Pestalozzi anwenden. Das hohe 
Gefühl Pestalozzis aber hat ihm auch den tiefen Blick in das Grnndwesen der 
ganzen Pädagogik verschafft, wenn er auch das Kochte nicht sowohl durch philo- 
sophischen Scharfblick als durch den divinatorischen Instinkt des Genius trifft. 
Man wird bei Pestalozzi schwerlich eines der grofsen Grundprinzipien vermissen, 
von denen alle gesunde Pädagogik auszugehen hat. Darum bat er es auch wie 
kein anderer vermocht, Philosophen wie Herbart, Beneke nnd andere anzuregen, 
ihre philosophischen Forschungen für die Pädagogik zu verwerten, und was er 
einem denkenden Praktiker von der Bedeutung eines Diesterwcg gowesen ist, das 
können wir bei diesem selbst lesen, wo er mit hoher Begeisterung und inniger 
Dankbarkeit der Verdienste Pestalozzis gedenkt. Genug, auf Pestalozzis Schultern 
ruht fast alles, was unsere moderne pädagogische Praxis und Theorie Gesundes 
und Vornunftgemäfses bietet. 

Er ist es auch gewesen, der namentlich gezeigt hat, welche hohe Bedeutung 
die Volksschule, welch hohe Bedeutung der Volksschullehrer für das ganze natio- 
nale Leben hat. Wenn trotzdem dem Lehrerstande noch nicht allgemein die 



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soziale Stellung zugestanden ist, die ihm zukommt, wenn er trotzdem noch nicht 
allgemein von der Unmündigkeit losgesprochen ist, wenn gegen Versammlungen 
der Vertreter der Kirche niemand etwas einzuwenden hat, während es gegenüber 
von Versammlungen der Vertreter der Schule schon ganz analog wie bei Unland 

hiefs : 

„Schwert von Leder, Spiefs herbei! 
Lerchen darf ein jeder fangen; 
Kleine Vögel die sind frei!" 

so ist Pestalozzi wahrhaftig nicht schuld daran, und es ist zu hoffen, dass es in 
dieser Hinsicht für die Zukunft anders werde. 

Sind aber Pestalozzis Crundsätze so in unsere pädagogische Praxis einge- 
drungen, wie es der Fall sein sollte? Auf diese Frage läfst sich leider keineswegs 
mit einem frischen fröhlichen Ja antworten. Man denke daran, wie weit das 
reicht, was Wichard Lange mit dem Ausdrucke „Kasernenpädagogik" bezeichnete! 
Und fragen wir weiter : Ist Pestalozzis Theorie so allgemein verbreitet, wie sie es 
verdient? so müssen wir auch hierauf mit Nein antworten. Wie könnte man sonst, 
wie dies geschehen, heutzutage Fragen aufwerfen wie: „Soll die Schule in erster 
Linie Erziehungs- oder Unterrichtsanstalt sein?" Man würde auch darauf nicht, 
wie dies ebenfalls alles geschehen, geantwortet hfben: „Sie soll in erster Linie 
Erziehung»-," oder: „Sie soll in erster Linie Unterrichts-," oder: „Sie soll über- 
haupt nicht Erziehungsanstalt sein." Hat sich über diesen Punkt doch Pestalozzi 
längst scharf und positiv ausgesprochen: „Erziehung und nichts anderes ist das 
Ziel der Schule". In diesem Satze liegt der Kern der ganzen Lehre Pestalozzis. 
Wer freilich meint, Pestalozzi wolle damit sagen, die Schule solle eine nur oder 
doch vorzugsweise moralisierende Anstalt sein, wer nicht weifs, dass nach Pesta- 
lozzi die Erziehung den Unterricht in sich involviert , wem unbekannt ist, dass 
nach Pestalozzi auch in Disciplinen. die mit der moralischen Entwicklung des 
Kindes nichts zu thun haben sondern Sache des Verstandes Bind, die geistige 
Bildung des Zöglings, also ebenfalls Erziehung, und nicht die Aneignung des 
Wissensmaterials die Hauptsache ist, nur der wird die Richtigkeit des aus Pesta- 
lozzi angeführten Satzes anzweifeln. 

Fragen wir ferner: Sind Pestalozzis Werke auch nur annähernd so weit ver- 
breitet, als es pädagogische Quellenschriften von so immenser Bedeutung ver- 
dienen? Sind sie, wenn man von gröfseren Städten absieht, der Mehrzahl der 
Lehrer leicht zugänglich? so wird mau auch hierauf mit einem entschiedenen 
Nein antworten müssen. Es ist aber ein offenbares Mifsverhältnis , wenn man in 
Schulbibliotheken, wie dies der Fall ist, pädagogische Werke vorfindet, die zum 
Teil mit grofsen Kosten beschafft werden mufsten und die trotzdem bald mehr 
oder minder veralten werden, während die Werke Pestalozzis, welche doch wie 
die Werke eines echten Genius überhaupt nimmer antiqnieren und immer eine 
urfrische Wirkung auszuüben vermögen, ganz darin fehlen. 

Grund genug, dass die pädagogische Presse gegenüber dem unverhältnismäfsig 
starkem Hinweise auf die Erzeugnisse der Kathederweisheit von anderer Seite, 
auch entschieden darauf hinzuweisen hat, dafs man es nicht vernachläfsigon soll, 
unmittelbar aus Quellen, wie die erwähnten, zu schöpfen. 

Wenn, wie ich oben bemerkt habe, der Gründer der „Rheinischen Blätter" 
mit besonderer Vorliebe für das Volksschulwesea gewirkt hat, so hat Wichard 
Lange das warme Interesse für die Volksschule mit ihm geteilt. Damit vertrug 
es sich aber sehr wohl, dass beide bestrebt gewesen sind, dass nuch die Be- 
sprechung des gesamten Unterrichtswesens in diesem Organe ihre Stätte finden 
möge. Arbeiten doch alle Lehrer, mögen sie nun an der Volksschule oder an 
gelehrten Schulen wirken, für die gesamte nationale Bildung. Darum war es ein 
Herzenswunsch Wichard Langes, worüber er sich mir gegenüber auch mündlich 
aussprach, dass sich die deutschen Lehrer, einerlei welcher Kategorie sie auch 
angehören, als ein zusammengehöriges Ganze fühlen und gegenseitig von einander ' 
zu lernen bestrebt sein möchten. Auch dürfte es wohl nicht zu bezweifeln sein, 



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dass dadurch, daas Lehrer, welche an den verschiedenartigsten Bildungsanstalten 
gewirkt haben oder noch wirken, dieses Organ durch Beiträge unterstützt haben, 
das gemeinsame Interresse gefördert und wohl auch das Gefühl der Zusammen- 
gehörigkeit der Lehrer bei manchem befestigt worden ist. Es wird daher auch 
fernerhin zu wünschen sein, dass Lehrer verschiedenartiger Schulen die Zeitschrift 
durch gediegene Beiträge unterstützen. Gilt doch auch sc. B. für das Gymnasium 
die Grundlehre Pestalozzis so gut wie für die Volksschule. Nicht das darf das 
Hauptziel des Gymnasiums sein , dass seine Schüler möglichst viel Latein und 
Griechisch lernen; sondern die allseitige harmonische Geistesbildung derselben 
mufs auch ihm als das Höhere gelten. Je mehr man aber erkennt, dass der 
Unterricht das Sekundäre, blofs Mittel zum Zwecke ist, desto mehr wird gerade 
diese Einsicht den Wert des Unterrichts erhöhen und zur Vergeistigung und Be- 
lebung des Unterrichtsstoffes beitragen. Wie dies von Volksschule und Gymnasium 
gilt, so gilt es von jeder Schule, sofern sie nicht Dressur- sondern wirkliche 
Bildungsanstalt sein will: 

„Erziehung und nichts anderes ist das Ziel der Schule." 



C. Rezensionen. 



Heinr. Eyth, Der elementare Frei- 
han d - Z e i c h e n u n te r r i c h t. 1. Teil : 
Das Zeichnen im Linien- und Punkt- 
netz. Leipzig 1884. F. A. Seemann. 

Das vorliegende Werk besticht schon 
durch sein Äufseres. Es ist mir keine 
Anleitung zum Freihandzeichnen be- 
kannt , welche so schön ausgestattet 
wäre, wie die des Herrn Eyth, Zeichen- 
lehrers iu Karlsruhe. Gewöhnlich lassen 
die Opera über den Zeichenunterricht 
schon in'oezug auf das Aufsere sehr viel 
zu wünschen übrig. Inneres und 
Äufseres befinden sich eben in der 
wünschenswertesten Harmonie. Und wie 
es bei vielen Zeichenauweisnngen im 
Schlechten, so ist es bei dem Eythschen 
Werke im Guten der Fall. So schön 
die Ausstattung, so gediegen der Inhalt. 

Allerdings — ich verhehle es nicht 
— besticht mich auch die Thatsache, 
dass der Zeichengang des Herrn Eyth 
im grofsen und ganzen derselbe ist, den 
ich seit Jahren für die Volksschulen zu 
empfehlen nicht müde geworden bin. 
Aber für so blind wird mich doch Nie- 
mand halten, dass ich imstande wäre, 
blofs wogen dieser Übereinstimmung 
eine Arbeit zu loben, auch wenn sie im 
einzelnen nicht viel wert wäre. Im 
Gegenteil. Ich weise das Schlechte un- 
erbittlich zurück, wenn ich überzeugt 
bin, das» es der guten Sache hinderlich 
sei, und sehe genau nach, ob die Ar- 



beit wirklich geeignet ist, den Unterricht 
zu fördern. 

Von dem Eythschen Werk bin ich 
überzeugt, dass es unsere Schulen im 
Zeichenunterricht vorwärts bringen und 
dass es zur Klärung der Ansichten auf 
diesem viel bestrittenen Gebiet wesent- 
lich beitragen wird. Die Darstellung 
ist klar und bestimmt, die Figuren ge- 
schmackvoll, die Aufeinanderfolge eine 
geeignete. In herbartischen Kreisen 
wird das Werk besonders gern aufge- 
nommen werden, da der Herr Verfasser 
von den grundlegenden Ideen der Di- 
daktik die Lehre über die formalen 
Stufen ganz und voll angenommen hat. 
Auch die Erweiterung des Punktsystems, 
wie sie in dem Bauersehen Werke 
durchgeführt worden ist, hat er aeeep- 
tiert, da die Stigmographie hierdurch 
erst lebensfähig wird. Inwieweit freilich 
die Gegner des Netz- und Punktzeich- 
nens durch Herrn Eyth überzeugt wer- 
den, darüber wage ich nichts zu sagen. 
Auf Widerspruch von dieser Seite wird 
er sich gefafst machen müssen. Manche 
werden sich in ihrer Verbissenheit wun- 
dern, dass Herr Eyth so viel Mühe, und 
die Verlagsbuchhandlung so viel Geld 
aufgewendet habe gerade zu einer Zeit, 
wo nach ihrer Meinung das Netz- und 
Punktzeichuen zu Grabe getragen worden 
ist. 

Doch so weit sind wir noch nicht. 
Der elementare Vorkursus zum Frei- 



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— 46 — 



hand zeichnen wird vielmehr durch das 
verliegende Werk neue Stärkung, neue 
Stützen erhalten. Als tüchtigen Bundes- 
genossen heiisen wir es von Herzen will- 



kommen und wünschen, dass es recht 
weite Verbreitung gewinnen möge! 

Eiseuach. W. Rein. 



D. Anzeigen. 



i. 

Werner, K., Prakt. Anleitung zur unter- 
richtlichen Behandlung poetischer und 
prosaischer Lesestücke. Oberstufe. 
2. Bändchen. Berlin, Schulze 1884. 
124 S. Preis 1,40 M. 

Wir glauben gern, dass der Verf. 
grofsen Fleifs auf sein „Bändchen" ver- 
wendet hat. Da es indessen schon eine 
so grofse Anzahl praktischer Anleitungen 
zur Behandlung von Lesestücken giebt, 
so ist ein neuer Versuch in dieser 
Richtung nur dann von Bedeutung, 
wenn er auch wirklich neue Bahnen 
einschlägt. Das läfst sich jedoch von 
diesem Bändchen schwerlich behaupten. 
Die vollständig ausgeführten Lektionen 
können wegen der vielen Einzelfragen 
nicht als Musterlektionen gelten. Zudem 
nehmen sie dem Lehrer ziemlich alles 
vorweg, was Sache seiner eigenen Vor- 
bereitung sein sollte. 

II. 

Cremer, Dr. Herrn., Unterweisung im 
Christentum nach der Anordnung des 
kleinen Katechismus. Gütersloh, Ber- 
telsmann 1883. XX und 120 S. 

Das Buch erhebt nicht den Anspruch, 
das Unterrichtswort zu lehren , sondern 
soll nur „zur Vorbereitung auf das rechte 
Wort" dienen. In der Vorcriniierung 
wird vom Keligionslchrcr vor allem „Be- 
fähigung zur Zeugenschaft" verlangt. In 
dem kurzen Abschnitt über die Methode 
wird gefordert, dass mit der Geschichte 
des Heilandes der Anfang zu machen 
sei. Die Katechismussätze sollen nicht 
als Grundlage, sondern als Abschlufs 
des Unterrichts behandelt" werdsn. Der 
Standpunkt des Verf. ist ein streng kirch- 
licher. 

III. 

Calmberg, Dr. Adolf. Die Kunst der 
Rede. Lehrbuch der Rhetorik, Stili- 
stik, Poetik. Leipzig und Zürich, 
Füfsli u. Co. 1884. VIII und 2iX) S. 



Die Rhetorik umfafst die Wirksam- 
keit, die Stoffgemäfsheit, die Schicklich- 
keit, die Originalität der Rede und die 
Richtigkeit des Vortrags, die Stilistik 
handelt von den Aufsätzen und den 
Reden, die Poetik vom Stil und den 
Arten der Poesie. Bemerkenswert siud 
die scharfe und übersichtliche Glieder- 
ung des Ganzen, sowie der Reichtum 
an Beispielen. 

IV. 

Das Wissen der Gegenwart. Leipzig u. 
Prag, Freitag u. Tempsky 28—30 Bd. 
a 1 M. 

1. Waesmilth, A., Die Elektrizität 
und ihre Anwendungen. In ihren 
Prinzipien für weitere Kreise dar- 
gestellt. 

Das vorliegende Buch behandelt ein 
Gebiet der Naturwissenschaft , das 
gerade in neuester Zeit durch über- 
raschend reiche Ergebnisse theoretischer 
Forschung sowohl, als auch durch höchst 
wichtige dem praktischen Gewerbs- und 
Verkehrleben dienende Erfindungen in 
den Vordergrund des allgemeinen Inter- 
esses gestellt wurde. Und dieses Inter- 
esse ist ein um so lebhafteres und all- 
gemeineres, als jene elektrotechnischen 
Erfindungen mehr und mehr auch für 
das engere häusliche Leben praktische 
Verwendung linden und umgestaltend 
wirken, wie denn wissenschaftliche und 
industrielle Gesellschaften durch Wort 
und Schrift und besondere Ausstellungen 
in dieser Richtung erfolgreich thätig 
sind. Das vorliegende Buch nun ent- 
wickelt in klarer, gemeinverständlicher 
Darstellung die wichtigsten Gesetze der 
Erzeugung und Wirksamkeit der Elek- 
trizität und gieht auf dieser Grundlage 
eine Erklärung aller wichtigeren An- 
wendungen dieser Naturkraft. 

2. Falkenstein, J. Afrikas Westküste. 
I. Abteilung. Vom Ogowe bis zum 
Damara-Laud. 



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_ 47 — 



Der Verfasser behandelt im ersten 
Kapitel seines Buches die Geschichte 
der Entdeckung des darzustellenden 
Gebietes, die, durch viele Jahrhunderte 
sich erstreckend, besonders in neuerer 
und neuester Zeit grofse Erfolge erzielt 
und bleibenden Gewinn gebracht haben. 
Uns mufs es vor allem mit stolzer Freude 
erfüllen, wenn wir aus dioser Geschichte 
entnehmen, dass deutsche Gelehrte in 
erster Reihe auch auf diesem Gebiete 
ein hohes Verdienst beanspruchen dür- 
fen ; und wenn jetzt auf diesem Grund 
und Boden deutsche Kolonien gegründet 
werden sollen, so darf für die innere 
Berechtigung solcher friedlichen Erober- 
ungen gewiss auch der Umstand geltend 
gemacht werden, dass geistig diese Er- 
oberung schon vollzogen ist und jetzt 
nur den notwendigen äufseren Abschluss 
rinden soll. Gerade unter diesem Ge- 
sichtspunkt darf das vorliegende Buch 
einen ganz besonderen Wert bean- 
spruchen und dem Publikum empfohlen 
werden. Im Vollbesitz der Herrschaft 
über die einschlägige Litteratur und auf 
Grund eigener Anschauung zeichnet der 
Verfasser in klaren Linien und hellen 
Farben ein Bild des Landes, seiner 
Pflanzen und Tierwelt, seiner Bewohner 
mit allen Bedingungen ihres physischen 
und geistigen Lebens, die in Wohnungen 
und Gebräuchen, religiösen Anschau- 
ungen und Rechtsverhältnissen gegeben 
sind. 

3. Blümner, H. Das Kunstgewerbe 
im Altertum. I. Abteilung. Das an- 
tike Kunstgewerbe nach seinen ver- 
schiedenen Zweigen. 

Das vorliegende Buch giebt eine 
Darstellung der Technik und Stilistik 
der verschiedenen Zweige des Kunst- 
gewerbes (Textilkunst, Keramik, Glas- 
arbeit, Arbeit in Holz, Elfenbein etc., 
Mctallarbeit, Steinschneidekunst, Mosaik, 
decorative. Wandmalerei) im Altertum. 
Dabei tritt naturgemäfs das griechische 
Kunstgewerbe, das die eigenartigsten 
und vollendetsten Schöpfungen aufzu- 
weisen hat, in den Mittelpunkt, während 
die kunstgewerblichen Erzeugnisse der 
Ägypter, Assyrer, Phönizier, Etrusker 
und Römer hauptsächlich in so weit in 
den Kreis der Betrachtung einbezogen 
werden, als sie auf das griechische 
Kunstgewerbe Eiufluss geübt oder von 



diesem Einfluss erfahren haben. Das 
bewegende und belebende Element aber, 
das wie eine Naturkraft in dem grie- 
chischen Kunstgewerbe wirksam er- 
scheint, ist der alle und alles umfassende 
Schönheitssinn, der unbeirrt von dem 
Gedanken an die etwaige Geringwertig- 
keit des Materials, an die scheinbare 
Unbedeutendheit des Zweckes und die 
Dauerlosigkeit des Werkes auch das 
Kleinste mit ausdauerndem Fleiss, mit 
andächtiger Hingebung erfasst und zu 
den denkbar schönsten Formen empor- 
führt. Für jeden einzelnen Zweig des 
antiken Kunstgewerbes weist nun das 
vorliegende Werk die Mittel und Wege 
nach, durch welche, von den ersten 
Anfängen aufsteigend in der Verwirk- 
lichung jener Gedanken die Höhe der 
Vollendung erreicht oder durch Abirrung 
von jenen Gedanken wieder verloren 
wurde; in Wort und Bild werden die 
uns erhalteneu Zeugnisse und Erzeug- 
nisse der kunstgewerblichen Thätigkeit 
des Altertums anschaulich vorgeführt. 
Das lebhafteste Interesse aller Gebilde- 
ten ist dem Buche schon durch diesen 
seinen Gegenstand gesichert. Es muss 
aber noch besonders betont werden, 
dass das vorliegende Werk auch jedem, 
der künstlerisch oder kunstgewerblich 
lehrend, lernend oder ausübend thätig 
ist, als Quelle reichster Anregung und 
sicherster Führer zu den höchsten Zie- 
len seines Berufes nicht warm genug 
empfohlen werden kann. Durch gründ- 
liche, dabei klare, fesselnde Darstellung 
und durch den reichen Schmuck von 
133 künstlerisch ausgeführten Abbild- 
ungen wird das Buch geistig so leicht 
und angenehm zugänglich als es mate- 
riell durch den überaus billigen Preis 
auch dem mindest bemittelten erreich- 
bar wird. 

V. 

Schulz, Der Volkszeichcnunterricht, 2 
Teile. Wittenberg, Herrose. 

VI. 

Woytt, Das Skizzenbuch des Zeichen- 
lehrers. 1 Teil. Essen, Bädecker. 

VII. 

Häuselmann , Des Lehrers Zeichen- 
Taschenbuch. Zürich, Grell Füssli& Co. 
VIII. 

Häuselmann und Ringger, Taschenbuch 
für das farbige Ornament. Ebendas. 



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— 48 — 



Wir können die unter VI. bis VII. 
gen. Werke nur bedingungsweise em- 
pfehlen; vor dem erstgenannten warnen 
wir ausdrücklich. Die Begründung dieser 
Urteile siehe in den Kehr sehen Blät- 
tern 1884, 4. Heft, Seite 388-394. 

IX. 

Rademacher, Der Zeichenunterricht in 
den Preuss. Lehrerseminaren und Volks- 
schulen etc. Essen, 1883. Bädecker. 

Siehe hierüber Kehrseite Blätter 1882, 
Seite 536. 

X. 

Dreesen, Wegweiser für den Zeichen- 
unterricht in der Volksschule. 2. Aufl. 
Flensburg, Westfalen. 

Ein recht brauchbares Büchlein. Wir 
haben dasselbe in den Kehrschen Blät- 
tern 1882, Seite 537 empfohlen, wenn 
auch mit gewissen Einschränkungen. 

XI. 

Flinzer, Lehrbuch des Zeichenunter- 
richts. 3. Aufl. Bielefeld und Leip- 
zig, 1882. Velhagen & Klasing. 

Das Flinzersche Lehrbuch, das hier 
in 3. Auflage vorliegt, gehört anerkannt 
zu den besten Werkeu, die in den letz- 
ten Jahren über den Zeichenunterricht 
veröffentlicht wurden. Wir können zwar 
seinen Lehrgang nicht gut heifsen, aber 
trotzdem empfehlen wir die Lektüre des 
Buches allen, denen die Pflege des 
Zeichenunterrichts am Herzen liegt, aufs 
wärmste, namentlich wegen der ersten 
Abschnitte, die die Begründung der 
Methode enthalten. 

XII. 

Kellner, Zur Pädagogik der Schule und 
des Hauses. Aphorismen. 11. Aufl. 
Essen 1883, Bädecker 

Die Aphorismen von Kellner sind so 
bekannt, dass sie keiner Empfehlung 
oedürfen. Sie sind in vielen Tausend 
Exemplaren in Deutschland und der 
Schweiz verbreitet (11 Auflagen!), und 
ins Schwedische, Ungarische etc. über- 
tragen worden. Ein alphabetisch geord- 
netes Verzeichnis giebt über den reichen 
Inhalt des Büchleins eine bequeme 
Uebersicht. 



XIII. 

Deutsche Bücherei. Breslau, Schott- 
länder. 

Über die ersten sechs Hefte haben 
wir schon früher berichtet. Jetzt liegen 
uns die Hefte 7 — 12 vor, welche wir 
ebenfalls angelegentlichst empfehlen. Ihr 
Inhalt ist folgender: 

7. Henle, Über das Erröten. 

8. Lamezan, Über menschliche Wil- 
lensfreiheit und strafrechtliche Zu- 
rechnung. 

0. Preyer, Die Konkurrenz in der 
Natur. 

10. Schelle, Richard Wagner. 

11. Schmidt-Rimpler, Über Blindsein. 

12. Schöner, Der Palatin und seine 
Ausgrabungen. 

XIV. 

Wolf 8 philosophisch - pädagogisches Va- 
demekum. Leipzig, Kösslingsche Buch- 
handlung. 

Dasselbe enthält eine alphabetische 
und systematische Zusammenstellung 
der ueneren und besseren Litteratur- 
Erscheinungen auf dem Gebiete der Phi- 
losophie und Pädagogik. 

XV. 

Stiller, Grundzüge der Geschichte und 
der Unterscheidungslehren der evan- 
gel.-protest. und rümisch-kathol. Kirche 
23. Aufl. Hamburg, Kittler 83. 

Das Scbriftchen stellt sich die Auf- 
gabe, klar und bündig und nicht pole- 
misch die Unterscheidungslehren der 
evangcl. Kirche darzustellen und nach- 
zuweisen, dass die evangcl. Kirche nicht 
eine neue, sondern die alte Kirche sei. 
welche nur das im Laufe der Jahrhun- 
derte ihr angezogene Gewand abgelegt 
habe. 

XVI. 

Die Augsburgische Konfession. Güters- 
loh, Bertelsmann 1883. 10 Pf. 
Ein billiger Abdruck der Augsburgi- 
schen Konfession liegt hier vor, den die 
Verlagsbuchhandlung im Lutherjahre ver- 
anstaltete, um den Wortlaut dieser wich- 
tigen Urkunde den weitesten Kreisen 
zugänglich zu machen. 



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Rechtfertigung 
einiger pädagogischer Gedanken Zillers. 

Zugleich eine Erwiderung auf die Schrift des Herrn Dr» Bartels: 

Die Anwendbarkeit der Herbart- Ziller -Sioyschen didaktischen Grund- 
sätze für den Unterricht an Volks- und Bürgerschulen. 

Von 

Dr. A. Göpfert in Eisenach.*) 

Herr Dr. Friedrich Bartels, Direktor sämtlicher Bürgerschulen in 
Gera hat bei K. Herroße Wittenberg ein Buch erscheinen lassen unter 
dem Titel: Die Anwendbarkeit der Herbart - Zi ller-Stoy sehen 
didaktischen Grundsätze für den Unterricht an Volks- und 
Bürgerschulen. Es scheint, dafs dasselbe das Pendant sein soll zu: 
In wieweit sind die Herbart-Ziller- Stoyschcu didaktischen 
Grundsätze für den Unterricht an den höheren Schulen zu 
verwerten? Separatabdruck der Referate des Direktor Dr. Frick 
(Halle) und dos Direktor Dr. Friedel (Stendal) zu den Verhandlungen 
der vierten Direktoren-Konferenz der Provinz Sachsen. Berlin, Weid- 
mannsche Buchhandlung 1883. Aus diesem Grunde hat wold auch 
Herr Bartels einige Absätze (S. 4 f.) aus dem Frieksehen Buche (S. 7 f.) 
— abgesehen von gebotenen Veränderungen — heriibergenommen ; freilich 
hat er dabei Anführungsstriche und Angabe der Quelle vergessen. 

Man mufs im übrigen zugestehen, dafs Titel, Format, Seitenzahl 
ungefähr die gleichen sind. 

Ich habe nun keine Veranlassung, zwischen beiden Büchern einen Ver- 
gleich anzustellen, wohl aber sehe ich mich genötigt, Herrn Bartels 
gegenüber zu treten, und zwar aus drei Gründen. Erstens hat Herr 
Bartels in seinem Buche mich scharf angegriffen, und da ist es meine 
Pflicht, mich zu verteidigen; zweitens sind in dem Buche viele Irr- 

*) Herr Dr. Göpfert hat uns den nachstellenden ersten Teil seiner in dem- 
selben Verlag gleichzeitig erscheinenden Broschüre für die „Studien" gütigst über 
lassen. Die Red. 

PMagoguche Studien. II. 1 



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tum er enthalten, da scheint es geboten, dieselben zu berichtigen; 
drittens aber hat Herr Bartels sich nicht gescheut, einen 
Verstorbenen, unsern allverehrten Herrn Professor Ziller, 
in falschen Verdacht zu bringen. 

Herr Bartels ist mir schon bekannt — ich erinnere auch au sein 
Auftreten in Karlsruhe (vgl. Barths Erziehungsschule I, 91 und II, 15) 
— ans dem 12. Jahrgang (1881) der Allgemeinen Thüringischen Schul- 
zeitung. In Nr. 34 dieses Jahrgangs fallt er über ein Schriftchen her 
(Grundzüge der wissenschaftlichen Pädagogik und das akademische 
Seminar von Oskar Waldeck. Leipzig, Oswald Mutze 1881. Pr. 1 M.) 
dem man die Verkehrtheit auf der ersten Seite ansah. (Vgl. die von 
einem Mitgliede des Zillerschen Seminars in Leipzig geschriebene Rezen- 
sion in No. 3 des ,, Pädagogischen Korrespondenzblattes" 1881.) 

Er mochte dies Schriftchen als ein Dokument der wissenschaftlichen 
Pädagogik ansehen, sonst wäre seine ernstgemeinte Ironie bei einem 
Opus, über welches man nur lachen konnte, nicht zu begreifen. Freilich 
scheint damals Herr Bartels die sogenannte wissenschaftliche Pädagogik 
noch wenig gekannt zu haben, denn sein Artikel beginnt: „Mit Be- 
gierde nahm ich die unten eitierte Broschüre in die Hand: hier findest 
du endlich die Grundzüge einer wissenschaftlichen Pädagogik" . . . 
Allerdings fiel mir schon damals auf, dafs er in demselben Artikel 
sagte: „Ich verdanke dem Herrn Professor Dr. Ziller unendlich viel 41 , 
und doch kannte er die Grundzüge seiner wissenschaftlichen Pädagogik 
noch nicht! — Zillers „Grundlegung" war schon 1865 und seine „Vor- 
lesungen über Allgemeine Pädagogik" waren 1876 erschienen!! Weiter 
fiel mir auf, dafs unbeschadet des dann Ziller gespendeten Lobes der 
Eingang weiter lautete: „einer wissenschaftlichen Pädagogik, die, wie 
es mir seit geraumer Zeit vorkommen will, von einer „Elite von Zög- 
lingen", die am unbedeutenden Astlein (damit kann doch nur Ziller ge- 
meint sein) wieder als ein Zweiglein sich erheben, aber ein Knarren 
und ein Geräusch zu verursachen suchen, als wäre das Zweiglein selbst 
ein mächtiger Stamm , — für sich in Anspruch genommen wird." 
Jedoch berührte ich damals in den Entgegnungen resp. Klarstellungen, 
welche ich in Nr. 46, 49 und 51 desselben Jahrganges der genannten 
Zeitung schrieb, diese Widersprüche nicht, da es mir mehr darauf ankam, 
die Identität Oskar Waldecks mit dem Zillerschen Seminar abzuweisen, 
und da dieselben ja Versehen sein konnten. Heute steht die Sache 
anders. Denn Herr Bartels hat, soweit aus seiuem Buche hervorgeht, 
nicht etwa in den drei Jahren die sog. wissenschaftiche Pädagogik mit 
ihren Konsequenzen studiert, d. h. ohne Voreingenommenheit, sine ira 
et Btudio sich angeeignet und geprüft, — er hat noch nicht einmal erkannt, 
was Ziller unter „Gesinnungsstoff" versteht, dafs nämlich auch die Profange- 
schichtc von ihm dazu'gereehuet wird (S. 75 u. S. 81) — sondern es kommt 
einem bei der Lektüre des Buches gerade so vor, als ob man es zu thun 
habe mit einer von langer Hand vorbereiteten Citaten-Sammlllllg, welche 



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— 3 - 



<ler Verfasser von einem bestimmten Gesichtspunkte aus veranstaltet 
und nun endlich, wie es seinen Zwecken dienlich ist, gruppiert habe. 
Man wird erinnert an einen Kartenspieler, der sein Spiel in der Hand 
zu haben glaubt und die Karten ausspielt je nach Bedarf. Hätte Herr 
Bartels sein Thema „die Anwendbarkeit der Herbart-Ziller-Stoyschcn 
didaktischen Grundsätze für den Unterricht an Volks- und Bürger- 
schulen" erschöpfen wollen, so hätte er doch alle positiven Vorschläge 
— er berührt nicht den zehnten Teil derselben — , die von den ge- 
nannten Grundsätzen ausgehen, genau auf ihre bez. Anwendbarkeit 
prüfen müssen. Er verfährt aber anders: er sucht sich aus dem vor- 
handenen Material, welches die Herbartsche, specieller die Zillersche 
Schule geliefert hat, das heraus, was er nach seiner Meinung — um 
einen vulgären Ausdruck zu gebrauchen — so recht vermöbeln kann. 
Wir suchen vergeblich eine auch nur einjgermafscn genauere Vertiefung 
in einen der grofsen Gedanken Zillers. Über ein oberflächliches Streifen 
kommt der Verfasser nicht hinaus. Das sieht man schon daraus, dafs 
die grundlegenden Wissenschaften der Herbartschen Pädagogik ebenso 
wie die allgemeinen Grundsätze derselben für sich gesondert zur Be- 
handlung kommen — so weit das überhaupt geschieht; dafs weiterhin 
auch der spezielle Ausbau der Methode nicht als Konsequenz der 
Forderungen joner Wissenschaften und der allgemeinen Grundsätze dar- 
gestellt wird, sondern als eine Aufzählung vereinzelter methodischer 
3Iafsnahmen erscheint. Denn wenu auch in II versucht wird , einen 
Zusammenhang herzustellen, so erscheint derselbe doch so wenig ge- 
schlossen, dafs Herr Bartels sich ohne grofse Skrupel glaubt erlauben 
zu können, die erste Hälfte des Systems anzunehmen, die zweite zu 
verwerfen. 

Er billigt die Sätze vom erziehenden Unterricht, vom Interesse, 
die Forderung eines grofsen, in seinen Teilen innigst verknüpften Ge- 
dankenkreises für die jugendliche Seele (S. 19 ff.), verwirft aber die 
Mittel, diesen Forderungen zu genügen. Es gelingt allerdings Herrn 
Bartels hierdurch, von vornherein den wissenschaftlichen Charakter des 
Herbart-Zillerschen Systems zu verwischen: — allerdings weifs ich nicht, 
ob er das mit oder ohne Absicht thut! 

Hätte wissenschaftlich verfahren werden sollen, so hätte doch zu- 
nächst der Zusammenhang genau angegeben werden müssen, in welchen 
die Herbartianer, vor allem Ziller, diese Mittel (Kulturstufen, Konzen- 
tration, Formalstufen) zu jenen allgemeinen Grundsätzen gebracht haben, 
sodann hätte erst an den Nachweis gedacht werden können, wieso dieser 
Zusammenhang nicht zwingend vorhanden sei, sodafs man also wohl 
den ersten Teil des Systems annehmen, den zweiten aber verwerfen 
und ersetzen könne. 

Es ist klar, dafs zu einem solchen Nachweis wissenschaftliche 
Gründe, also psychologische und ethische, erforderlich sind. Es ist 
auch klar, dafs ein solcher Nachweis nicht mit (Zitaten, die aus dem 
Zusammenhang herausgerissen sind und nach Belieben für oder gegen 



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— 4 - 



einander verwendet werden, gegeben werden kann, t berhaupt ein 
wunderbares Unterfangen, ein konsequent angelegtes Gedankengebäude 
— es mag nun gut oder schlecht sein — mit abgerissenen Citaten be- 
kämpfen zu wollen! Herr Bartels gebraucht z. B. Citate aus Zillers 
Schriften und aus Schriften von Schülern desselben und setzt die letz- 
teren gegen die ersteren, um damit die Widersprüche, also die Unnah- 
barkeit des ganzen Systems zu erweisen. Ist denn aber Ziller für das 
verantwortlich zu machen, was Rein schreibt ? — Ebenso wie der letz- 
tere nur mit allgemein gültigen Gründen widerlegt werden kann, und 
nicht mit irgend welchen Citaten etwa aus dem Seminarbuch, ebenso 
kann auch Ziller nur mit Gründen widerlegt werden, deren Allgemein- 
gültigkeit erwiesen ist. 

Ich will nun nicht in den Fehler verfallen, den ich an dem Bartcls- 
schen Buche zu rügen haben werde, in den Fehler „der mangelnden 
Beweise", sondern ich werde alle meine Behauptungen zu begründen 
suchen. 

Auch den anderen Fehler werde ich zu vermeiden trachten: den 
Fehler der Lieblosigkeit; ein Fehler, welchen Herr Bartels sowohl in 
der Thüringischen Schulzeitung, als auch in dein vorliegenden Buche 
bekämpft. Er tadelt an mehreren Stellen die Rücksichtslosigkeit 
der Juilgherbartianer, doch, was soll mau dazu sagen, dafs er gerade in 
diesem seinen Buche Ausdrücke gebraucht wie „Unsinn!" (S. 54) „Plappern", 
„absurd" (S. 58), Citate wie: „Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist 
nur ein Schritt"*); dafs er von „Abscheu und Ekel" erregendem Stoff 
(S. 59), von einer Stoffauswahl, die „jeder gesxinden Logik Hohn 
spricht" (S. 61), von „himmelschreiender Versündigung an der Jugend" 
(S. 68), von „hohlklingenden Phrasen" der Herbartsehen Sehule (S. 53) 
spricht? — 

Ist das etwa die nach jenen unerschrockenen Kämpfen gegen alle 
Anmafsung (S. Thür. Schulz. 12. Jahrg. No. 46) zu erwartende rück- 
sichtsvolle Behandlung einer fremden Meinung? Ist dieses „Aburteilen" 
etwa liebevoll? (vgl. S. 37, Anra. u. S. 91.) Da könnte am Ende Herr 
Bart eis sich selbst sein Kind nicht anvertrauen ! (S. 7). Noch dazu ist 
für diese bescheidenen Ausdrücke auch nicht der Schatten eines Be- 
weises erbracht, es müfste denn sein, dafs Frage- und Ausrufezeichen 
Beweiskraft erlangt hätten. Ich gedenke nun auch auf dieses Gebiet 
ihm nicht zu folgen, nur glaube ich konstatieren zu können, dafs die 
scharfen Ausdrücke des Herrn Zillig im XIII. Jahrbuch, welche in der 



*) Es wird citiert (S. 54): „Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur 
ein Schritt. Vernunft wird Unsinn, "wenn man sie auf die Spitze 
treib t." Glaubt Herr Bartels, Napoleon (vgl. Uüchinann) habe diese zweite 
Hälfte des Citats gelegentlich noch nachgeliefert? Oder hat er an die Worte 
Goethes gedacht: „Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage?" — Oder hat er dem 
Goetheschen Worte eine passende Ergänzung geben zu müssen geglaubt? 



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5 — 



genannten Nummer der Thür. Sehulztg. und hier (S. 7) so energisch 
zurückgewiesen werden, hinlänglich ausgeglichen sind. 

1. 

Meine Ausführungen sollen nun zunächst folgende Behauptung 
begründen: 

Die Arbeit des Herrn Bartels trägt einen unwissenschaft- 
lichen Charakter. 

Das Buch zerfallt in sechs Abschnitte. Der erste Abschnitt 
bringt nach einleitenden Bemerkungen, auf welche ich weiter unten 
eingehen werde , einige Sätze über die Herbartsche Ethik und Psy- 
chologie; der Verfasser kommt zu dem Schluß (S. 17), dafs ihm „ so- 
wohl gegen die Herbartsche Ethik als auch gegen dessen Seelenlehre 
ernste schwerwiegende Bedenken voll und ganz entgegentreten." Trotz- 
dem will er (S. 17 unten) sich „nicht, von der Beschäftigung mit der 
Herbartschen Pädagogik abschrecken lassen," sondern setzt im zweiten 
Abschnitt auseinander zunächst die „drei Ideen" der Herbart-Zillerschen 
Unterrichtslehre: „die Idee der kulturhistorischen Stufen", „die Kon- 
zentrationsidee" und „die Idee der formalen Stufen", und wendet sich 
dann zu dem Ziele, welches die Heibart -Zillerschc Schule für den 
Unterricht aufgestellt hat : „diejenige Bildung des Willens, die ihn (den 
Lernenden) dem göttlichen Ideale der Persönlichkeit annähert", sowie zu 
dem Mittel, welches sie zur Erreichung desselben angiebt: Erzeugung 
des Interesses durch den Unterricht. Soweit erklärt sich Herr Bartels 
einverstanden. In Gegensatz aber stellt er sich zu den Folgerungen, 
welche Ziller aus diesen Sätzen zieht; und zwar bekämpft er im dritten 
und vierten Abschnitt die kulturhistorischen Stufen; indem er an Stelle 
derselben für alle Disciplinen die konzentrischen Kreise empfiehlt; im 
fünften Abschnitt wird die Zillerschc Konzentration verworfen, Herr 
Bartels setzt an ihre Stelle seine eigene: im sechsten endlich spricht er 
von den formalen Stufen in ihren Grundzügen. Er bekennt seine Zu- 
stimmung unter dem fortwährenden Hinweise darauf, dafs man es mit 
alten pädagogischen Forderungen zu thuu habe, wenn er auch S. 110 
sagt: „Hie Frage, ob und wieweit die Ausbildung der Lehre von den 
formalen Stufen eine originale Leistung Zillers sei, bleibe hier uner- 
örtert." 

Das Buch ist sehr schwer zu lesen. Es besteht vorwiegend, 
wie schon oben hervorgehoben wurde, aus Oitaten. Da wird man denn 
aus einem Stil in den andern geworfen, aus einer Auffassung in die 
andere versetzt, ein Gedankengang Avird einige Zeilen verfolgt, dann 
abgebrochen und ein neuer begonnen. Denn wenn auch die Citate 



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dem Sinne nach geordnet sind, so war doch nicht zu vermeiden, dafs 
schon des Zusammenhangs wegen nicht ganz hergehörende Stellen mit 
angeführt wurden. Sich selbst verstattet Herr Bartels äufserst selten 
und nur in geringem Umfang das Wort. Von den 119 Seiten habe 
ich gerade zwei ohne Anführungsstriche gefunden. So hat man bei 
der Lektüre mit steten Hemmungen zu kämpfen und das Unlustgefühl 
des Lesenden wächst mit der Zahl der Seiten. Der Verfasser wird 
jedenfalls sein bescheidenes Zurücktreten und das anscheinend objektive 
Vorführen der Meinungen anderer, vielleicht in Analogie zu der Frick- 
schen Schrift, für einen grofsen Vorzug halten. Aber wenn das sein 
sollte, so würde er nicht bedenken, dafs etwas ganz anderes ist ein 
Referat über Verhandlungen, denen noch dazu Einzel-Referate zu Grunde 
liegen, die von einem Gesichtspunkt aus gefertigt sind, als eine selb- 
ständige Abhandlung, welche „eine zeitgeschichtliche pädagogische Be- 
trachtung und kritische Studie", dem Versprechen auf dem Umschlage 
gemäfs, liefern will. Zuzugestehen ist im übrigen, dafs das Buch in- 
sofern mit grofsem Fleifse gearbeitet ist, als es gewifs unendliche Mühe 
gemacht hat, die verschiedenen Citatc einigermaisen gut unterzubringen. 

Um meine Behauptung zu begründen, will ich Belege dafür bringen, 
dafs erstens unwissenschaftlich ist: 

Die Beweisführung. 

Die vorliegende Schrift verfährt inkonsequent. Sie ist im wesent- 
lichen ein Kampf gegen die Vorschläge Zillers. Stoy wird nur 
selten citiert.*) Von Seite 24 — 109 (es sind im ganzen 119 Seiten) 
soll der Nachweis geliefert werden, dafs die Kulturstufen und die Kon- 
zentration Zillers für die Volksschule unbrauchbar seien. — Dennoch 
werden im ersten (grundlegenden) Teil nicht etwa die Grundsätze Zillers, 
von denen (S. 17) doch die kurze Notiz gegeben wird, dafs sie Her- 
bart wesentlich modifizierten, sondern nur Ausführungen Herbarts ge- 
bracht : so wenig geschlossen ist die ganze Anlage des Buches. Herr 
Bartels bringt also zuerst die Ansichten Herbarts über das Wesen der 
Seele, obgleich er weifs, dafs Ziller seine Kulturstufen und seiue Kon- 
zentration — die er doch nachher bekämpfen will — auf die („wesent- 
lich modifizierte a ) Scclenlehre gründet. Man kann überhaupt nicht ein- 
sehen , in welchem Zusammenhang dieses oberflächliche Streifen der 
Psychologie Herbarts und der ebenso oberflächliche Versuch, sie zu be- 
kämpfen, zum eigentlichen Thema des Buches steht, denn die Anf- 



*) Von seinen „didaktischen Grundsätzen" (s. das Titelblatt) ist gar nicht 
die Rede. Er erscheint nur an zwei oder drei Stellen als Kampfgenosse gegen 
Ziller. — 

Übrigens dürfte Herr Professor Stoy nach seiner neuesten Kundgebung (s. 
Thür. Schulzeitung 1885 No. 2 und anderwärts) sich die Zusamniensttllung mit 
Zillcr wohl selbst verbitten. Freilich ist zu beklagen, dafs er die Begründung 
seiner Behauptungen schuldig geblieben ist. 



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- 7 — 



Stellungen Zillers werden keineswegs als Konsequenzen der psycholo- 
gischen und ethischen Ausführungen Herbarts bezeichnet , während 
andererseits (S. 26) von Herbart gesagt wird: ,,Über die Stoffverteilung 
hat Herbart selbst sich nicht ausgesprochen" - — was übrigens nur in Be- 
zug auf die Stoffe der Volksschule richtig ist. 

Einer konsequenten Durchführung scheint eben Herr Bartels abhold 
zu sein. Wir wundern uns darum auch nicht, wenn er (S. 19 ff.) von 
ganzem Herzen zustimmt dem Prinzip des erziehendeu Unterrichts, den 
Sätzen: man muss einen grossen und in seiuen Teilen innigst verknüpften 
Gedankenkreis in die jugendliche Seele bringen; das Interesse bildet 
überall den notwendigen Übergang zum Wollen; das Interesse muss 
bei aller Vielseitigkeit ein tingeteiltes sein, — um auf S. 90 zu der 
gesperrt gedruckten Überzeugung zu kommen: „die Praxis in der Schule 
lässt sich von philosophischen Sätzen nicht lenken und leiten." 

Was hilft mir die Zustimmung von ganzem Herzen, wenn das 
ernste Streben, einen solchen grossen, in seinen Teilen innigst ver- 
knüpften Gedankenkreis in die jugendliche Seele zu bringen mit einigen 
Redensarten wie „diese versuchte Begründung ist in der That keine 
Begründung" — man könnte dort (S. 90) wegen Beweismangels auch 
sagen: diese versuchte Begründung ist in der That eine Begründung — 
abgethan wird? und wenn beim Vergleich der Stoffauswahl der andern 
Disciplinen die genaunte Uberzeugung herauskommt? 

Es ist freilich eine leichte Sache, seine Zustimmung zu 
allgemein gehaltenen Principien zu geben, in der Ausführung 
aber den altgewohnten Weg, den man mit einigen Behaup- 
tunc n (wie wir weiter unten sehen werden) unter das Dach jener 
Principien zu bringen gedenkt, ruhig fortzu wandeln. Ja, 
wenn der Nachweis, dass jene Konsequenzen unrichtig seien, 
erbracht wäre! 

Zweitens ist die Bartelsscho Beweisrührung eine unwissenschaftliche, 
weil sie eine negative ist. 

Ich will damit sagen , dass der Verfasser vorwiegend das zusammen- 
stellt, was gegen die Zillerschen Ansichten zu sprechen scheint, dass 
er fast nur solche Aussprüche citiert, welche dieselben verdammen. 
Nehmen wir z. B. die Auseinandersetzungen über die. Märchen (S. 38 ff.). 
Da werden Fröhlich, Dittes, Palmer als Autoritäten gegen die Märchen 
ins Feld geführt, aber das Nächstliegende: Zillers Begründung des 
Märchenunterrichts für das erste Schuljahr wird mit keinem Worte 
erwähnt; und doch weiss Herr Bartels (vgl. S. 33), dass eine solche 
Begründung existiert. Bei einem wissenschaftlichen Verfahren hätte er 
— diese Forderung kann nicht erlassen werden — die erste Arbeit 
der Jahrbücher für wissenschaftliche Pädagogik eingehend studieren 
müssen. Vielleicht würde er dann das flache Urteil Fröblichs (S. 38) 
nicht citiert haben. Vielleicht würde er dabei sogar die Gründe, welche 
er selbst gegen die Märchen vorbringt oder durch seine Gewährsleute 



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vorbringen lässt, schon widerlegt gefunden haben. Vielleicht würde 
er sich dann auch gescheut haben, hinsichtlich der Märchen auf S. 
40 den wunderbaren Satz zu schreiben: „Ist das nicht die Geschichte 
von dem Vater, den das Kind um Brot bittet und es empfängt einen 
Stein?" und den andern: „Das Kind will von seinem Lehrer Wahr- 
heiten". 

Fasse ich mein Urteil zusammen, so ist es dies: die deutsche 
Gründlichkeit erleidet einen argen Stoss, wenn solche Worte geschrieben 
werden ohne den nötigen sachlichen Hintergrund. Es kann gar nie- 
mand heutzutage über Verwendung der Märchen im Unterricht schreiben, 
ja nicht einmal ein Urteil fallen, der nicht jene Arbeit Zillers, eine 
der schönsten Gaben aus der Hinterlassenschaft des Meisters, studiert 
hat; und niemand kann die Märchen im Unterricht verwerfen wollen, 
der nicht jene Arbeit widerlegt hat. (Das Sachliche wird unten zur 
Besprechung gelangen.) 

Mein Urteil über die Bartelsschc Gründlichkeit beruht nun nicht 
etwa auf diesem einen Fall : vielmehr wird durch denselben die Beweis- 
führung des ganzen Buches charakterisiert. Der Verfasser hat sich 
nicht etwa die Mühe genommen, das zusammenzustellen, was Ziller in 
der Grundlegung, in den Vorlesungen, in der Zeitschrift für exakte 
Philosophie IV, S. 11 f. zu Gunsten der Robinson-Erzählung, als Ge- 
ßinnungsstoff für das zweite Schuljahr, angiebt, sondern er begnügt sich 
(S. 34) mit einem Citat aus der Fröhlichschen Schrift, welches einige 
Gründe bringt, die bei genauer Betrachtung in sich selbst zusammen- 
fallen. — Den Nachweis s. unten. 

Was soll man weiter sagen zu folgendem Beweisverfahren: Es 
werden auf Seite 33 die Worte Reins angeführt: „Herr Professor Dr. 
Ziller hat selbst nur für das erste Schuljahr in Bezug auf die Märchen 
eine eingehende Begründung geliefert". Es wird hierzu bemerkt: 
„Besser gesagt: , versucht' zu liefern" — Herr Bartels kann ja das 
beurteilen! Aber er kann noch mehr. Nach Anführung eines Aus- 
spruchs von Günther: „Ich glaube, vollständig begründet kann der 
Parallelismus zwischen der psychologischen Entwicklung des Kindes und 
dem Fortschritte des biblischen Geschichtsstoffes erst dann werden, wenn 
wir solche Arbeiten für alle Schuljahre, für alle Lebensalter des Schülers 
haben, wie sie gegenwärtig nur zum Teile vorliegen" — es liegeu also 
welche vor! — , fahrt er fort: ,,Es ist also weder der unumstössliche 
Nachweis, ja noch nicht einmal eine wissenschaftliche Begründung ge- 
liefert, dafs das erste (!), zweite oder dritte Schuljahr etc. gerade für 
den vorgeschlagenen Gesinnungsstoff die geeignete Apperceptionsstufe 
bilde". — Es hält schwer, für dieses Verfahren den rechten Ausdruck 
zu vermeiden. Und wenn für die einzelnen Stufen der Nachweis noch nicht 
erbracht ist, so folgt doch daraus nicht, ,,dafs die Auswahl der kultur- 
historischen Stoffe für einzelne Schuljahre sich gar nicht eigne" (was 



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— 9 



Herr Bartels „ohne viel Mühe sogar nachweisen" könnte, nur schade, 
dafs er es nicht thut!), sondern nur, dafs der Nachweis noch zu er- 
bringen ist. Herr Bartels wird sich wohl bis dahin gedulden müssen, 
wenn er nicht vorzieht, den „leicht zu erbringenden" Nachweis von der 
Unrichtigkeit der Zillerschen Aufstellungen noch vorher zu liefern. 

Mit der negativen Art der Beweisführung hängt zusammen, dafs 
sich der Verfasser den Schein der Unparteilichkeit zu geben sucht. 
Es sieht fast so aus, als ob man darüber getäuscht werden sollte, dafs 
Herr Bartels alles, was irgend wo gegen Ziller geschrieben worden ist, 
zusammengesucht hat, um mit Hülfe dieses Materials den Unsinn der 
Zillerschen Gedanken nachzuweisen. 

Er schreibt (S. 26): „Damit man uns nicht vorwerfen kann, ,die 
alten Lehrmeister lästern gar zu gern, ohne die neue Weise recht zu 
verstehen', sie sind nie tief in die Herbart-Zillersche Pädagogik einge- 
drungen, wollen wir zuerst Stimmen aus jenem Lager hören". Naeh 
dieser Einleitung — es handelt sich um die kulturhistorischen Stufen — 
erwartet man doch eine Ausführung Zillers oder eines seiner Freunde 
zu Gunsten der kulturhistorischen Stufen, und dann etwa deren 
Widerlegung. Statt dessen bringt er ein absprechendes Citat aus dem 
von ihm viel geplünderten Buche des Herrn Fröhlich*), von dem er 
selbst (vgl. S. 9, Anin.) angiebt: „Die Zilleriauer sagen sich jetzt von 
Herrn Fröhlich los 4 ', M as insofern falsch ist, als die Zillerianer noch nie 
Herrn Fröhlich zugejubelt oder auch nur beigestimmt haben (vgl. Er- 
ziehungsschule v. Barth II, No. 10, und III, No. 1, S. 7 ff), sodann 
ein Citat' aus der ersten Arbeit Staudes, dem Resultate seines ersten 
Versuches, in das Zillersche Lehrplansysteni einzudringen. Bei der Er- 
wähnung der Staudeschen Arbeit hätte doch zweierlei an dieser Stelle 
hervorgehoben werden müssen: erstens, dafs Staude im wesentlichen die 
Kulturstufen Zillers schon in dieser ersten Arbeit aeeeptiert**), zweitens, 
dafs er sich veraulafst sah, bedeutendere Abweichungen und Zusätze, 



*) Ks ist interessant, dass es dem Herrn Bartels mit dem Buche des Herrn 
Fröhlich genau so geht, wie mit dem Buche des Herrn Oscar Waldeck (s. oben). 
Herr Fröhlich ist sein Mann: gar vieles in dem Buche ist ihm erstens mundgerecht, 
und zweitens kann er auch noch die Fröhlichschen Citate gegen Ziller als Trumpf 
ausspielen Leider muss nun Herr Bartels erleben, dass auch das Fröhlichsche 
Buch von kompetenter Seite scharf zurückgewiesen wird, so dass es gar nicht als 
Vertreter der Herbartschen Grundsätze angesehen werden kann (vgl. Erläiiterungeu 
zum Jahrbuch 1884, S. (J0 f. und Pädagogische Studien 1884, 2. Heft). 

Es thut einem übrigens um der guten Partien in dem Fröhlichschen Buch 
willen leid, dass dasselbe jetzt das Schicksal hat von den ..Gegnern" der Her- 
bart-Zillerschen Schule verteidigt zu werden, um ein, wie sie glauben, sicheres 
Bollwerk gegen die Ausführung der Herbartschen Ideen nicht zu verlieren. 

**) Denn das Citat: „In der Sache, d. h. in der Forderung eines kulturge- 
schichtlichen Ganges des Unterrichts, auf Grund einer gewissen Prädisposition der 
kindlichen Geistesentwicklung für diesen Gang, stimmen wir mit Ziller überein", 
ist doeh zu allgemein gehalten, und auf diesen Satz wird vielleicht auch Herr 
Bartels seine Stotiäuswahl gründen können. 



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— 10 — 

wie das Auftreten der Odyssee im 3. Schuljahr der Volksschule, selb- 
ständige Bibellekttire u. ä., später (vgl. Reins Studien 1884, 2, S. 54) 
fallen zu lassen. 

Davon, wie in einem Nachtrag Herr Bartels von der letzten Er- 
klärung Standes Notiz genommen hat, wird weiter unten zu sprechen sein. 

Übrigens sieht es so aus, als solle der Schein erweckt werden, Staude 
wolle mit den Worten: „die strenge Zillersche Konzentration halten 
wir fiir eine wohlgemeinte, aber übel angebrachte Übertreibung des 
wahren Verknüpfungsgedankens, für den Superlativ des Herbarf sehen 
Superlativus, für ein Extrem, das durch das herrschende Extrem der 
absoluten Verknüpfungslosigkeit hervorgerufen wurde",*) die „kultur- 
historischen Stufen" verdammen, denn dieses Chat steht (S. 27 f.) 
inmitten der auf letztere bezüglichen Auseinandersetzungen, uud zwar 
völlig unvermittelt, — oder sollte dem Verfasser wirklich entgangen sein, 
dafs „Konzentration" etwas anderes ist als Konzentrations st off (auf 
den sich die übrigen Disciplinen konzentrieren)?! 

Durch die eben erwähnte Hereinziehung eines Citates über Kon- 
zentration in eine Besprechung über die kulturhistorischen Stufen wird 
schon auf einen weiteren Mangel der in dem Buche beliebteu Schreib- 
weise hingedeutet: auf die Ungenauigkeit des Ausdrucks, um nicht zu 
sagen Verwirrung der Begriffe — ob bewufst oder unbewufst, läfst 
sich im einzelnen Falle schwer entscheiden. 

In den oben erwähnten Citaten aus dem Buche Fröhlichs und der 
Arbeit Staudes (S. 27) handelt es sich auch um die Frage der acht 
Apperceptionsstufen, die sich in dem Satze zusammenfassen läfst: „Ob 
nun aber gerade acht Entwicklungsstufen der menschlichen Kultur acht 
Schuljahren entsprechen, ist doch sehr zweifelhaft." Auf diese und ähn- 
liche äufserliche Auffassungen der Zillerschen Stoffverteilung ist nun 
verschiedentlich geantwortet worden, z. B. von Thrändorf, dann von 
Keinerth (S. 30 f.). Der erstere sagt: „Dr. Rein irrt, wenn er meint, 
Ziller wolle auf jede der angeführten Perioden (Richter, Könige, Leben 
.Jesu) gerade ein Schuljahr verwenden, eine solche äufserliche Stoffver- 
teilung ist dem Geiste der Zillerschen Methode fremd. Ziller meint 
blofs, dafs jede dieser Perioden eine in sich geschlossene Stufe der 
kulturgeschichtlichen Entwicklung darstellt, die durchlebt werden mufs, 
bevor man zur folgenden Stufe übergehen kann. Die Praxis der 
Übungsschule in Leipzig hat sich nie in die Zwangsjacke der Schul- 
jahre zwingen lassen"; der andere: „Ob man nun für einen der an- 
geführten Konzentrationsstoffe ein, zwei, drei oder gar vier Semester 
ansetzt, ist irrelevant". 

*) Ein Auaspruch, der sich übrigens mit Standes jetzigen, fortgeschrittenen 
Ansichten ni.ht mehr deckt (vgl. Studien 1884, 2, S. 53). Freilich wird dieser 
Standpunkt, wie Staude (a. a. O. S. 54) sehr richtig bemerkt „als der rein 
Zillersche für Sekundanten- und Citateubediirftige Gegner der Konzen- 
tration kein Interesse mehr" haben. * 



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- 11 - 



Es liegt für jeden die Sache nur mit einigem Wohlwollen beur- 
teilenden, aber auch schon für jeden einigermafsen nachdenkenden 
Schulmann auf der Hand, dafs selbstverständliche, daher nicht erwähnte 
Ergänzung zu jenen Citaten ist: „Da nun unsere Schule gerade acht 
Schuljahre hat, so müssen die betr. Stoffe irgendwie — d. h. so, wie 
es nach bestem Ermessen am richtigsten ist — inuerhalb dieser Schul- 
zeit untergebracht werden, damit der Schüler diese der menschlichen 
Entwicklung analogen Stufen durchlaufe". Denn jene Citate enthalten 
ja keiue Untersuchung über Stoffverteilung, sondern wie gesagt eine 
Antwort. 

Was macht aber Herr Bartels mit diesen Citaten? — Er sagt im 
Anschluss an dieselben: „Diese Herren scheinen in der That keine 
öffentlichen Schulen zu kennen, sonst würden sie nicht solche unsinnige 
Sätze wagen aufzustellen". — Ich wage nicht zu entscheiden, ob Herr 
Bartels in diesem Fallo bewufst oder unbewufst geschrieben hat. 

Aber er macht noch andere zu Mitschuldigen seiner Ansicht. Er 
fahrt mit Befriedigung fort: „Aus demselben Lager erhalten die Herrn 
die rechte Zurechtweisung. 

Dr. Kein antwortet hierauf" etc. Das nun folgende Oitat (Jahrbuch 
1882, S. 249), in welchem Rein für den Lehrplan be?timmte Grenzen 
fordert, kann nun doch nur den Sinn haben, dafs die Leute gerade vor 
dem Irrtum bewahrt bleiben, als ob die Herbartianer in den Schul- 
plänen keine Ordnung gehalten wissen wollten. Dafs Rein jene 
Ansicht Thrändorfs und Reinerths sogar teilt, hätte Herr Bartels selbst 
seinen Lesern klar machen müssen, wenn er das Citat vollständig ge- 
bracht hätte. Die voraufgehenden Worte Reins lauten: „Es ist gewifs 
richtig, dafs eine rein äufserliche Stoffverteilung — jede der angeführten 
Perioden: Richter, Könige, Leben Jesu, solle gerade ein Schuljahr 
füllen — dem Geiste der Zillersehen Methode völlig fremd ist, indem 
es vor allem darauf ankommt, dafs der Zögling eine bestimmte in sich 
abgeschlossene Stufe der kulturgeschichtlichen Entwicklung durchlebe, 
ehe er zur nächstfolgenden geführt wird". — Doch, das hat eben Herr 
Bartels ausgelassen. 

Ja er scheint in der That noch von Ziller zu glauben, dafs dieser 
die aufgestellten Stoffe nur gerade für das bezeichnete Schuljahr als 
passend anerkenne: dafs Ziller also z. B. meine, das Leben Jesu könne 
nur von Kindern des 6. Schuljahres in der rechten Weise appereipiert 
werden, nicht aber von denen des 7. oder 8. Schuljahres. Dafs Herr 
Bartels diesem Wahn trotz aller von ihm selbst angeführten Entgeg- 
nungen und Widerlegungen noch huldigt, erkennt man aus seinen 
Worten (S. 44): „der Stoff also, der für das fünfte Schuljahr vorge- 
schrieben ist (das Davidische Königtum), und hier nur die rechte 
Apperceptionsstufe vorfindet, wird hier im siebenten Schuljahr behandelt'? 1 ' 

Bei Besprechung dieser Frage zieht ferner der Verfasser einen 
einseitigen, also falschen Schlufs. Er sagt (S. 36) mit Schumann: „mir 
eine siebenklassige Schule würde imstande sein, die gebotenen Kouzen- 



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I 



- 12 - 

trationskreise gesondert und reinlich durchzuarbeiten; die bei weitem 
gröfsere Anzahl von Schulen mit weniger Klassen müfste darauf ver- 
zichten, weil sonst „Wirrwarr" in ihnen entstände". Dieses „Verzichten" 
ist gewifs einseitig und deshalb falsch; denn es kann doch auch gesagt 
werden : wie Schulen mit weniger Klassen sich, dem Konzentrationsplan 
entsprechend, einzurichten habeu, erfordert noch genaue Überlegungen. 
Ja es wäre sogar im gegebenen Fall der Schlufs möglich: wenn in 
Schulen mit weniger Klassen der richtige Lehrplan nicht durchgeführt 
werden kann, so müssen diese Schulen in Wegfall kommen. 

Was im übrigen das Wort Wirrwarr" betrifft, so hätte dasselbe 
in dem Buch besser vermieden werden sollen. Es zeigen sich in dem- 
selben mehrfache Spuren eines solchen. So lesen wir auf Seite 42: 
„Einen letzten Punkt müssen wir noch berühren, allerdings mehr äufser- 
licher Natur, aber immerhin wichtig genug für die Auswahl des Lehr- 
stoffes. Die Zillerschen Stufen sind nur bei acht getrennten Jahres- 
kursen durchzuführen ; solche Schulen finden sich aber in der Minderheit, 
bei der Mehrheit der Land und Stadtschulen läfst sich jener Gang gar 
nicht anwenden". — Dieser letzte — also doch ,,neue" — Punkt ist 
aber schon Seite 36 und schon Seite 35 zur Besprechung gelangt. 

Etwas Ähnliches finden wir auf S. 64. Hier sagt Herr Bartels, 
er hätte bereits gezeigt, dafs die Volksschule die Zillersche Auswahl 
des Gesinnungsstoffes ablehnen müsse, „aber noch gröfsere und schwer- 
wiegendere Bedenken", so fährt er fort, „treten uns bei der Stoffaus- 
wahl der , übrigen' Disciplinen entgegen". Und doch handeln die vor 
hergehenden 9 Seiten von der Stoffauswahl bezügl. der Geographie. 

Ein anderes Beispiel. Auf Seite 30 lesen wir: „Die Abänderung 
der Zillerschen Stufen, wie sie die Eisenacher Schuljahre vorschlagen, 
und welche auch Staude (pädag. Studien 1880, 2) sehr befürwortet, 
wird nun von Dr. Thrändorf dargestellt als ein Opfer für den „Baal 
der gewöhnlichen Schulpraxis, genannt Encyklopädismus". — Hat Herr 
Bartels gemeint, auf diesen Witz die „pädagogischen Bauern" des Herrn 
Keinerth (vgl. S. 60 j hereinfallen zu lassen, in der Hoffnung, dafs diese 
ein grofses Gelächter anstimmen würden? — Oder sollte es ihm wirk- 
lich Ernst damit sein? Sollte er in seiner Citaten- Sammlung den Zu- 
sammenhang, in welchem Thrändorf jene Worte meint, nicht mit ver- 
merkt haben*) und nun glauben, Thrändorf bringe unter den Begriff 



*) Zur Orientierung sei er hier angegeben. In No. 2 der Erziehungsschtile 
von 1881 lesen wir (S. 15): „In der „Auswahl" der biblischen Geschichten haben 
die Verl', dem Hanl der gewöhnlichen Schulpraxis, genannt Encyclopädismus, eine 
bedeutende Hekatombe geopfert. Statt dem Schüler Zeit und Gelgenheit zu geben, 
dass er sieh in eine Periode einlebt, wird derselbe gezwungen, mit einer nach 
dem Ende hin immer mehr wachsenden Geschwindigkeit im Zeitraum eines Schul- 
jahres eine Periode von beinahe anderthalb tausend Jahren zu durchlaufen. Die 
gerade für den Unterricht so wichtige epische Breite dor Bibel, ihr Geschichten- 
reichtum fallt der Vollständigkeit zum Opfer, dafür erfahrt dann aber auch der 
Zögling nicht bloss von den schöpferischen Perioden etwas, sondern er nascht auch 
ein wenig von den Zeiten des Verfalls und seinem Gedächtnis verbleiben ab 



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— 13 — 



„Encyklopädismus" auch den Begriff „Abänderung"? — Oder hat Herr 
Bartels selbst etwa diese Meinung gehabt?! Vgl. den Ausspruch des 
Herrn Eeinerth (S. 60). 

Nachdem nun Herr Bartels an» Schlüsse seiner Betrachtung über 
die kulturhistorischen Stufen erklärt hat: da die Begründung derselben 
fehlt, da der Stoffplan bekämpft, ,,von praktischen, erfahrenen Schul- 
männern aber ernstlich verurteilt wird, so mufs die Volksschule diese 
Vorschläge ablehnen", wirft er die Frage auf: „Nach welchen Grund- 
sätzen soll nun aber die Stoffauswahl geschehen?" (S. 45). 

Jedermann wird erwarten, dafs nunmehr die Principien ausein- 
andergesetzt werden, nach denen er selbst die Stoffe für die einzelnen 
Schuljahre auswählt, und dafs diese Stoffe selbst der Reihe nach folgen. 

— Weit gefehlt! Es kommt eine Auseinandersetzung und Anpreisung 
der konzentrischen Kreise. 

Auf der folgenden Seite sind die Worte Schumanns: (die Schule 
mufs die biblische Geschichte) „in konzentrisch sich erweiternden Kreisen 
anordnen" gesperrt gedruckt worden. Jedoch scheint das keine Erin- 
nerung gewesen zu sein, dafs die konzentrischen Kreise es nur mit der 
Anordnung des Stoffes zu thun haben. Und dieser Irrtum zieht sich 
nun als verwirrender Faden durch die dreifsig Seiten des betreffenden 
Abschnittes! Herr Bartels dürfte wohl selbst den Satz, der die Konse- 
quenz seiner Begriffsverwechslung enthält: „Die konzentrischen Kreise 
bieten Ersatz für die kulturhistorischen Stufen" , etwas eigentümlich 
finden. Freilich den Satz: „diese (die Idee der kulturhistorischen 
Stufen) richtet sich gegen die Auswahl des Stoffes nach konzentrischen 
Kreisen", finden wir bei ihm (S. 18). 

Ein anderes Beispiel. 

Auf Seite 36 lesen wir: „Wir haben also gezeigt, selbst unter den 
intimsten Anhängern des Systems allerlei Kampf, Verwirrung und 
Häresien, und dies schon bei der ersten Frage, wo es sich um die 
sicheren Principien, um die wissenschaftliche Begründung der Stoffaus- 
wahl handelt. Fragt man jetzt nicht unwillkürlich, wo ist dann die 
„wissenschaftliche Pädagogik" mit ihren festen SäuleD? Wie aber, wenn 
es erst gilt, das System auch praktisch anzuwenden und auszuführen?" 

— Diese Sätze schreibt Herr Bartels, der von „Verwirrung" bei andern 
redet! — Hält er „die sicheren Principien" und „die wissenschaftliche 
Begründung der Stoffauswahl" für identische Begriffe! denn die „erste 
Frage", welche eben vorgeführt wird, handelt in der That nur von der 
Stoffauswahl. Sollte Herr Bartels übersehen haben, dafs die Stoffauswahl 
allerdings nach Principien zu erfolgen hat, dafs es sich aber bei ihrer Be- 
gründung nicht um diese Principien an und für sich handeln kann! 



Früchte dieses letzten Teils einige Namen uud naktc Thatsachen". — Schon 
hieraus kann Herr Bartels entnehmen, was Thräudorf unter Encyklopädismus ver- 
steht. Von der Abänderung der Eisenacher Schuljahre hinsichtlich der Kichter- 
zeit ist an dieser Stelle nichts zu lesen. 



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— 14 — 



— Und wenn Uber die Stoffauswabl unter den Herbartiauera Streit 
herrscht, sollte das wirklich ein Beweis gegen die Wissenschaftlichkeit 
ihrer Pädagogik sein? Weifs Herr Bartels nicht, dafs der Streit zu den 
Existenz - Bedingungen einer jeden Wissenschaft gehört? (Die weitere 
Ausführung s. unten). 

Vielleicht wird mancher in dem Gesagten nur „ Haarspalterei" etc. 
erkennen. Sollte das der Fall sein, so möge man sich erinnern, dafs bei 
„wissenschaftlichen" Arbeiten nur mit der schärfsten Begriffsbestimmung 
vorgegangen werden darf. — Oder sollte das vorliegende Buch etwa 
keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben wollen? 

Auf Seite 42 werden die Begriffe „repetieren" und ,, immer wieder 
erbaulich nahe bringen" identificiert. Es wird behauptet, wenn die Her- 
bartianer in den Kindergottesdiensten in jedem Jahre dieselben Er- 
zählungen aus dem Leben des Herrn erbaulich behandeln wollten, so 
verfielen sie in den von ihnen bekämpften groben Fehler, „die Kinder 
durch das fortwährende Repetieren zu ermüden". — Ich glaube nicht, 
dafs irgend jemand vor Herrn Bartels daran gedacht hat, die Wieder- 
kehr der Perikopen irgend wie mit dem Begriff des schuimäfsigen Repe- 
tierens zusammenzubringen. — Und dafs es ihm völlig Ernst damit ist, 
sehen wir aus folgenden Worten: „Wenn die Gegner sagen, durch die 
Repetition wird das Interesse ersäuft, die Repetition ist die Mutter der 
Langweile, des Gähnens etc. — so haben sie die Macht des Wortes 
Gottes — an ihrem eigenen Herzen noch nicht erfahren. Die Weih- 
nachtsgeschichte, das Weihnachtslied, die Worte vom Kreuz, die Aus- 
sprüche des Herrn bleiben für ein frommes Gemüt auch im Greisenalter 
bei jedem Hören und Lesen immer neu, es kann diese Geschichten nie 
auslernen, ausdenken und erfassen" (S. 67). Wohl niemand wird diese 
letzten Worte bestreiten, aber auch niemand aufser Herrn Bartels wird 
dabei an das Repetieren denken, welches die Herbartianer bekämpfen. 
An dieses würde man vielleicht denken können, wenn man von einem 
Geistlichen hörte, der jahraus jahrein zu den wiederkehrenden Texten 
dieselben Predigten brächte. 

Auf Seite 69 wird erklärt, „dafs es wahrlich ganz einerlei ist, ob 
die biblischen Geschichten in der Religionsstunde oder in der Erbauungs- 
stunde von den Kindern gelernt werden, sie sind eben im Bcwufstseiu 
beisammen 4 *. Ich kann diesem gegen das Ende hin im Ausdruck etwas 
weniger scharfen Ausspruch nicht zustimmen; denn es ist z. B. etwas 
ganz anderes, wenn ich eine Geschichte aus dem Leben Jesu in der 
Erbauungsstunde dem Kinde erbaulich nahe bringen, oder wenn ich sie 
in der Religionsstunde unterrichtlich behandeln will. Dieselbe Geschichte 
kann in der ersten Weise einem Kinde des ersten Schuljahres ange- 
eignet werden, während sie zur vollen Klarheit durch die zweite Art 
erst viel später gebracht werden kann. Herr Bartels freilich hält „er- 
baulich nahe bringen" und „unterrichtlich behandeln" für identisch (vgl. 
S. 41 u.); er überlegt nicht, dafs durch die Predigt, und ebenso durch 
die Rede in der Erbauungsstunde, ein möglichst hoher und nachhaltiger 



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- 15 — 



Totaleindruck erzeugt werden soll, ohne dafs der Prediger, reap. Lehrer, 
sich überzeugt, ob auch alle seine Worte verstanden sind. Die Unter- 
richtsstunde hingegen soll auch nicht die geringste Unklarheit dulden; 
in ihr handelt es sich um scharfe Auffassung, Darstellung und Wieder 
gäbe des Stoffes seitens der Kinder. 

Das Kind wird also dem Schulgottesdienste den Charakter beilegen, 
welchen der kirchliche Gottesdienst in den Augen der Erwachsenen hat; 
dafs derselbe dem einer Schulstunde fast in nichts gleicht, brauche ich 
wohl kaum auszusprechen. — Näheres über die „Erbauungsstunde" 
s. unten. 

Wie ferner der Verfasser zu der Behauptung gekommen ist (S. 53): 
„Der Unterricht in der Heimatskunde im ersten Schuljahre wird nach 
Bremen verlegt", ist mir undeutlich; ich kenne keinen Herbartianer, 
der solche kühne Vorschläge gemacht hätte, und sollte Herr Bartels 
mich in diesem Verdachte haben, so mufs ich mich ausdrücklich da- 
gegen verwahren; auch lag es mir ferne, ,,den Unterricht in der Hei- 
matskunde im zweiten Schuljahre nach Guinea, Brasilien etc." zu ver- 
legen (S. 54). Ebenso mufs ich Herrn Bartels das Recht bestreiten, 
meine Präparation über Guinea, Portugal etc. „eine Probe aus der 
Heimatskunde für das zweite Schuljahr" zu nennen. Ich treibe nur in 
der Heimat und nur an den Objekten der Heimat Heimatskunde. 

An manchen Stellen steigern sich die Ungenauigkeiten zu Uli- 
Wahrheiten. 

Auf Seite 25 unten wird die Ziller sehe Stoffverteilung so 
dargestellt, als ob ,,tur die Volksschule an Stelle der Odysseestufe die 
Geschichte der jüdischen Heldenzeit, die der Richterzeit; an Stelle der 
Herodot- und der Anabasisstufe die Geschichte des Davidischen König- 
tums; der Liviusstufe die synthetische Geschichte des Lebens Jesu etc. 
treten" solle. Wenn nun auch Herr Bartels die Sache richtig auffafst, 
so mufs doch für jeden, der Ziller und seine Schriften wenig oder nicht 
kennt, der Verdacht entstehen, als ob der letztere für die höheren 
Schulen die Richterzeit, die Geschichte des Davidischen Königstums, die 
Geschichte des Lebens Jesu für überflüssig fände. 

Auf Seite 26 werden die Ge sin nun gs Stoffe zum Teil unrichtig 
angegeben. So wird die Keformationszeit in das achte Schuljahr ver 
wiesen, während Ziller sie im sechsten behandelt wissen will. Die 
profangeschichtliche Reihe ist vollständig verschoben. Und doch stand 
Herrn Bartels das Seminarbuch zu Gebote, wie er selbst S. 81 angiebt. 

Eine andere Unwahrheit liegt in dem Worte ,, Musterlektion" , 
welches mit Vorliebe angewendet wird. 

Seite 54: „In dem letzten Jahrbuche des Vereins für wissenschaft- 
liche Pädagogik 1884 finden wir eine Musterlektion(?)". Die an der 
angegebenen Stelle veröffentlichte Präparation will keine Musterlektion 
sein, ja sie kann gar keine Musterlektion sein! Auf Seite 267 des be- 
treffenden Jahrbuchs ist ausdrücklieb vermerkt : Diese Präparatiouen „sind 



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- 16 — 

nur theoretische Studien und noch nicht in der Praxis erprobt". Eine 
Präparation aber, die diese Bemerkung an der Spitze trügt, kann keine 
Musterlektion genannt werden. Eine solche mufs in der Praxis erprobt 
sein. Ziller war zwar nach dem Ausspruch des Herrn Dittes — und 
der mufs es ja als „Kenner" wissen — kein „fachmännisch durchge- 
bildeter Pädagog", ein Urteil, dem sich Herr Bartels (Seite 44) an- 
schliefst, aber wie eine Musterlektion zu entstehen habe, das wufste 
er doch. 

Ein dreifacher Prozefs war durchzumachen. Zuerst wurde die betr. 
Präparation im sogenannten Theoretikum besprochen, dann wurde sie 
im „Praktikum" geprüft, und dann erst erfolgte in der „Konferenz" 
das endgültige Urteil. Für „Kenner", wie die Herrn Dittes und Bartels, 
vielleicht etwas umstäudlich, — diese können sich natürlich rascher 
entscheiden. 

Leider existiert nun „das Seminar" nicht mehr; deshalb bleibt 
nichts übrig, als den im Jahrbuch betretenen Weg zu befolgen. Es 
handelt sich darum, einen Lehrplan, den Herbart-Zillerschen Grund- 
sätzen entsprechend, aufzustellen. Dazu müssen vor allen Dingen prak- 
tische Vorlagen geschaffen werden. Ob diese angenommen werden oder 
nicht, ist eine andere Frage. Jedenfalls geben sie Veranlassung, den 
betreffenden Gegenstand zu durchdenken, und dienen auf der General- 
versammlung des Vereins als Unterlage für die Debatte. Dafs solche 
rein theoretische Vorlagen vielfach der Verbesserung bedürfen, ist ganz 
selbstverständlich. Ich würde mit einer solchen Präparation nie in einer 
Zeitung vor die Öffentlichkeit treten, aber im Organ des Vereins, welches 
den mündlichen Verhandlungen zu Grunde liegt, nimmt sich die Sache 
ganz anders aus. Übrigens kennt Herr Bartels diese Bedeutung des 
Jahrbuches recht wohl. In No. 51, 12. Jahrgang der Thüringischen 
Schulzeitung ist es ihm klar auseinandergesetzt worden. Um so mehr 
freilich mufs man sich über seine Auslassungen wundern, welche er 
noch dazu in einer Lehrer-Versammlung (S. 4) giebt, vor Leuten, denen 
gewifs nicht so ohne weiteres das Jahrbuch und die Erläuterungen zu 
Gebote standen, so dafs sie selbst die Berichtigung hätten besorgen 
können. 

Wie leicht sich solche Irrtümer fortpflanzen, sieht man aus dem in 
der Einleitung erwähnten Artikel der Badischcn Schulzeitung, welcher 
das Wort „Musterlektion" in der angegebenen Beziehung ohne weiteres 
aeeeptiert und weiter verbreitet. 

Diese Bezeichnung ist auch den anderweitig von Ilerbartianern 
veröffentlichten Präparationen gegenüber um so leichtfertiger, als eine in 
den Pädag. Studien (1882, Heft 1, S. 29), welche dem Herrn Bartels 
vorliegenden Material zugehören, erschienene Präparation Reinerths 
an der Spitze die Bemerkung trügt: „Von sog. Musterpräparationen kann 
dabei nicht die Rede sein". 

Eine weitere Unwahrheit enthält das Wort „Musterschule" (S. 44) 
in seiner Anwendung auf das Zillersche Seminar in Leipzig. 



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— 17 — 



Ich weifs nicht, ob Herr Bartels genauere Kenntnis von dem 
Leipziger Seminar hat, aber er hat es ja immer mit „den jungen 
Kollegen, die kaum das Seminar oder die Universität verlassen haben" 
zu thun; sollte er da nie gehört haben, dafs der officielle Namen der 
Schule ,, Übungsschule" war? So viel mufs er auch schon aus dem 
Seminarbuch, welches er doch gewifs bei Anfertigung einer solchen Arbeit 
nicht blofs nach passenden Citaten durchsucht, sondern durchgelesen 
hat, ersehen haben, dafs die Mitglieder desselben, die „Oberlehrer" des 
Seminars nicht ausgenommen, vorwiegend Studierende an der Leipziger 
Universität waren, deren praktische Ausbildung geförd ert werden 
sollte. Auch die Oberlehrer hatten sich „so viel als möglich selbst 
als Praktikanten, also als Lernende, zu betrachten" (vgl. Jahrbuch 1874, 
S. 101 f.). Di« meisten Praktikanten hatten noch niemals unterrichtet. 
Wie kann man nun eine solche Anstalt eine „Musterschule" nennen, 
also mit der Prätension behaftet, dafs ihre Beschaffenheit nur so ohne 
weiteres für alle Schulen mafsgebend sein müfste! Etwas anderes wäre 
es, wenn nur, oder auch nur vorwiegend, ausgebildete Zillerianer den 
Unterricht erteilt hätten, was nie der Fall war. 

Es war gar nicht anders möglich, als dafs die Seminarschule als 
schulischer Organismus betrachtet, hinter vielen andern Schulen zurück- 
stehen mufstc. Vor allen Dingen fehlte, da die nötigen Geldmittel für 
den betreffenden Gehalt nicht vorbanden waren, ein ständiger Übungs- 
schullehrer, wie ihn jedes Volksschullehrer-Seminar hat, welcher ge- 
wissermafsen die Einheit des äufseren Schulorganismus zu repräsentieren 
und aufrecht zu erhalten gehabt hätte. Denn der wissenschaftliche 
Leiter der Anstalt konnte nicht auch noch dies, wenigstens nicht in der 
nötigen Ausdehnung, besorgen. So konnte es allerdings leicht geschehen, 
dafs, zumal wenn die Oberlehrer rasch wechselten, der Lehrplan ins 
Stocken geriet und sogar sich um Jahre verschob. Dafs dies den 
Zöglingen der Anstalt zum grofsen Schaden gereichte, hat noch niemand 
bestritten. Es wird aber — von der Unzulänglichkeit der vorhandenen 
Geldmittel ganz abgesehen — au ein Universitäts-Institut immer ein 
anderer Mafsstab angelegt werden müssen, da die Wissenschaft stets 
der Versuchsstationen bedarf. Und darin lag die andere grofse Auf- 
gabe des Seminars: dasselbe sollte „der Fortentwicklung der päda- 
gogischen Wissensehaft" dienen. 

Herr Bartels freilich ignoriert das alles. Er verwandelt die „Übungs- 
schule" ohne Bedenken in eine „Musterschule". Er folgert daraus, dafs 
einmal eine Verspätung im Lehrplan des Seminars eingetreten ist, dafs 
bei den Zillerschen Vorschlägen eine Verspätung „leicht eintritt" (S. 68). 
Ja er hält, die Angabe dieser Verspätung für einen Hauptschlag gegen 
das System Zillers, denn dieselbe wird mehreremalc als eclatanter Beweis, 
als ein Todesurteil (vgl. S. 31, 44, 68) vorgeführt. Herr Bartels über- 
legt auch nicht, dafs sich wohl kaum das Seminar — die betreffende 
Angabe stammt aus dem ('orrespondenzblatt des Seminars — das eigne 
Todesurteil mit Verbreitung solcher Nachrichten gesprochen hätte. 

PKdagogitche Studien. II. 2 



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- 18 — 



In einer Hinsicht freilich war das Seminar und sein 
Leiter ,, mustergültig": in der Wahrheitsliebe. Was nicht un- 
bedingt vor dem hohen Forum der Wahrheit bestehen konnte, wurde 
abgewiesen. 

Was soll man weiter dazu sagen, dafs Herr Bartels (S. 64, aus den 
Worten Keinerths (Pädag. Studien 1882, 3, S. 35): „Wir schreiben so, 
wie wir es nun einmal von Ziller gelernt haben", folgern kann: ,,Das 
heifst doch mit andern Worten: ,Wir schreiben, ohne zn prüfen', ohne 
selbst Versuche zu machen ; verurteilen selbst die Anhänger unserer 
Schule, sobald sie es wagen, von den Ansichten und Aussprüchen Zillers 
abzuweichen". — Es wäre zum Lachen, wenn nicht die traurige Er- 
kenntnis von der Verbleudung der Menschen durch Voreingenommen- 
heit sich aufdrängte. Zur völligen Orientierung will ich das vollständige 
Citat geben. Keinerth schreibt a. a. 0. : „nebenbei will ich auch die 
Vorwürfe, die gegen das Lehrplansystem erhoben worden sind, so zu- 
rückweisen, wie wir es nun einmal von Ziller gelernt haben". — Herr 
Bartels würde wohl den als Ausspruch eines Offiziers gedachten Satz: 
„Ich schlage den Feind so, wie ich es nun einmal von meinem Feld- 
herrn gelernt habe", auch mit der Auslegung versehen: „Also ohne 
zu prüfen!" 

Was aber die Sache selbst, den auch an derwärts zu hörenden, 
gegen die Zillerianer gerichteten Vorwurf des iurare in verba magistri 
betrifft, so meine ich: wer auch nur ein einziges Mal einer Konferenz 
des Zillerschen Seminars unter Zillers Vorsitz beigewohnt hat, wird 
diese Beschuldigung für absurd erklären. Und solcher Zeugen giebt es 
viele. Wenn irgendwo, so lernte man bei Ziller, nichts zu schreiben, 
ohne die Sache genau zu prüfen und eingehend zu studieren. Irren ist 
menschlich; nur mufs das Bemühen um die Wahrheit ersichtlich sein. 
Was aber zu dem Vorwurf verleitet und was Herr Bartels nicht unter- 
schieden hat, ist folgendes: 

Wir Zillerianer halten dafür, dafs jeder Gedanke, den unser Lehrer 
niedergeschrieben hat, wert ist, der sorgfaltigsten Prüfung unterzogen 
zu werden, denn wir wissen , mit welcher Sorgfalt er seine Gedanken 
mit Hülfe von Theorie und Praxis erwog, ehe er sie niederschrieb. 
Wir halten es geradezu für eine pädagogische Unterlassungssünde, eine 
Ansicht Zillers ohne weiteres zu ignorieren oder sie kurzweg abzu- 
weisen. Nicht oft werden die Pädagogen gefunden, welche mit solcher 
Schärfe des Verstandes und mit solchem Fleifse an der Durchbildung 
ihrer Wissenschaft arbeiten, welche die Theorie völlig beherrschen und 
ihr ganzes Denken und Thun darauf richten, die Praxis nach ihr zu 
gestalten, welche, um dieses Ziel in voller Reinheit aufstellen und er- 
streben zu können, auf alle äufseren Vorteile des Lebens, auf die Er- 
langung von Glücksgüteru, sei es auch nur in der Form gerechten 
Lohnes, auf das Streben nach Ehrenstellen verzichten. 

Ich sollte meinen, vor einem solchen Manne nicht nur, sondern 
auch vor seinen Vorschlägen — und er greift nur Zillersche Vor- 



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— 19 — 



achläge an — sollte auch ein Herr Bartels zum mindesten eine gewisse 
Pietät , vielleicht auch — eine gewisse ehrfurchtsvolle Scheu fühlen. 
Wer aber das Wort „ISrschleichung" (S. 9) nachsprechen kann, wer 
den blasierten Satz des Herrn Dittes (S. 44) abdrucken kann,*) wer 
<las System Zillers mit Hohn und Spott bewerfen kann, wer sogar 
dessen Ehre direkt angreifen kann, der ist solcher Pietät 
bar. In seinem Munde sind die Worte: Wir haben „nur einen Ziller u 
und „Ich verdanke dem Herrn Professor Dr. Ziller unendlich viel" 
(Thür. Schulztg. 1881, No. 34), eine Beleidigung Zillers. 

Es ist geradezu empörend, dafs derselbe Mann, der die eben an- 
geführten Worte drucken liefs, auf der letzten Seite seines Buches noch 
folgendes nachtragen kann: Er konstatiert (S. 119), dafs Staude im 2. 
Heft der „Pädagogischen Studien" 1884 die Erklärung abgiebt,**) er habe 
in seinem Aufsatz vom Jahre 1880 („die kulturhistorischen Stufen" 
etc.) die Zillersche Konzeutration falsch aufgefafst; und fährt dann 
fort : 

„Nein, so ist die Sachlage: Nachdem die Männer der Zillerschen 
Schule versuchten, Zillers Konzentrationsidee auf Grund seiner Aufserung 
und Darlegung in seinen Schriften, nach dem Seminarbuche in der Praxis 
zu verwirklichen, so mufsten sie sich bald von der Unmöglichkeit 
der Durchführung überzeugen, da kam denn Protest auf Protest, — 
und nun erklärte Ziller: ,Ihr habt die abenteuerlichsten Vorstellungen 
von der Konzentrationsidee; was an Individualität und Heimat sich an- 
schliefst, was dem Zögling von den praktischen Lebensverhältnissen zu- 
gänglich ist, liegt der Konzentrationsidee des Unterrichts immer nahe.' 
(Jahrbuch XIII, 'S. 121.) 

Mit solcher Verdächtigung wagt ein deutscher Lehrer 
-das Andenken und die Ehre Zillers zu verunglimpfen. 

Es kann nicht wundern, dafs gewissen Leuten dieser Angriff" eine 
gefundene Sache ist. Es giebt auch pädagogisch e Klopffechter, und 
diese sind gefährlicher als andere, sie brüsten sich mit ihrer Wahrheits- 
liebe, suchen aber aus der Tageslitteratur nur das Pikante, um es 
kritiklos zu kolportieren, resp. durch eigne Zuthat noch interessanter 
aufzuputzen. Noch unverhülltcr wird anderweitig ausgesprochen, dafs 
Ziller bis zum .fahre 1880 etwa die in Standes Arbeit von 1880 aus- 
gesprochene und bekämpfte Ansicht von der Konzentration wirklich ge- 

*) Vergleicht man diesen von Herrn Härtels aeeeptierten Satz: „Dafs dieses 
Unterrichtsprojekt nicht von einem fachmännisch durchgebildeten Pädagogen her- 
rühren kann, wird jedem Kenner ohne Weiteres einleuchten 1 ', mit den Worten, 
die derselbe Herr im Jahre 1881 in No. 34 der Thür. Schulztg. schrieb : ,, Jeder 
Schulmann, mag er arbeiten in der einfachsten Dorfschule oder an einer höheren 
Lehranstalt, wird stets gern und dankbar die grofsen Verdienste anerkennen, die 
sieh der Herr Professor Ziller in Leipzig um die Schule, um die bedeutende 
Weiterentwicklung der Pädagogik erworben haf. so sinken diese Worte zur päda- 
gogischen Phrase. — Uder sollte Herr Harteis zu Lebzeiten Zillers vielleicht diese 
Meinung gehabt haben'? 

**) S. unten. 

2* 



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— 20 — 



habt, dafs er aber im Jahre 1881 eine Schwenkung vollzogen habe. 
Nur sei er nicht ehrlich genug gewesen, dies zuzugestehen. Deshalb 
wäre unter den Zillerianern die Parole ausgegeben worden, diese Selbst- 
berichtigung zu verschleiern. 

Man dachte nicht au die vielen Schüler Zillers, welche vor dem 
Jahre 1880 das Seminar in Leipzig besuchten und solche Verdäch- 
tigungen in der gebührenden Weise der Wahrheit gemäfs kenn- 
zeichnen könnten : man dachte nicht einmal daran , dafs urteils- 
fähige Leser der Sache auf den Grund gehen und die Schriften 
Zillers aus der Zeit vor dem Jahre 1881 nachlesen würden — denn, 
dafs sie selbst diese Pflicht hätten, das zu denken, kam natürlich den 
Herrn nicht bei. Sie würden sonst in der Grundlegung (1. Aufl.), 
aus dem Jahre 1865, vielleicht die Stelle (S. 451) gefunden haben: 
,,Was dem Individuum von Jugend auf nahe gelegen und zu seinen 
frühesten Eindrücken gehört hat, was ihm so ein theurer Besitz und 
wie nichts anderes bekannt und geläufig geworden ist, das mufs in der 
That fortwährend der Mittelpunkt alles Unterrichts bleiben;" \ind schon 
auf S. 60 würden sie gelesen haben: „denn der Unterricht der Volks- 
schule hat, sich hier wie überall dem nächsten Bedürfnis des prak- 
tischen Lebens auzuschliefsen." Hätten sie aber die „Vorlesungen" 
(1876) aufgeschlagen, so hätten sie linden können (S. 199): „Die Per- 
son ist hier das Centruin, worauf das Viele der Interessen immer zurück- 
bezogen werden mufs, und der Konzentration in diesem Sinne ordnet 
sich die Konzentration in dem ersten Sinne, wonach das Centrum alles 
Unterrichts der Gesinnungsstoft' ist, ganz von selbst unter 44 ; und S. 211: 
es mufs „das begriffliche, systematische Material im Fortschritt der 
kulturgeschichtlichen Entwicklung und des dazu gehörigen theo- 
retischen und heimatlichen, individuellen Lehrstoffes ausge- 
bildet 14 werden; und S. 237: „Die synthetische Betrachtung der Natur- 
kunde darf jedoch nicht dem Faden des Gesinnungsstorl'es selbst .... 
folgen 14 ; und S. 279: „Die rechte Konzentration fordert nur, dafs die 
eine Art des Unterrichts bei einer anderen Art Anknüpfungen sucht 
und findet .... Aber jeder Unterrichtszweig mufs voraussetzen, dafs 
der andere .... seine Schuldigkeit in seiner eigentümlichen Weise 
tliun werde." 

Und solches den Kuf der deutschen Wahrheitsliebe und Gründlich- 
keit tief beschämende Treiben ist noch von niemand gebührend aufge- 
deckt und zurückgewiesen worden, obgleich schon über das vorliegende 
Buch lieferate erschienen sind! 

Stützt sich die Beweisführung mehrfach auf Unwahrheiten, so finden 

wir anderwärts falsche Voraussetzungen. 

Wie kann Herr Bartels (S. 7) wissen, dafs Zillig den Wert und 

die Bedeutung der Praxis nicht anerkenne ! — Zillig ist selbst Lehrer. 

Freilich verwechselt Zillig nicht „Bedeutung der Praxis" mit „Bedeu- 



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1 



— 21 — 



tung der Praktiker" — es gehörte das eigentlich auch in das Kapitel 
von der Begriffsverwirrung. — Man kann die Praxis sehr hoch stellen 
und die Praktiker, wie Zillig, doch sehr tief. Denn unter einem „Prak- 
tiker" versteht Zillig einen Lehrer, welcher sich entweder gar nicht 
oder doch nicht ernstlich um die Theorie kümmert, welchem vielmehr 
seine Praxis, seine Erfahrung, das A und O hei der Erziehung ist. 
Hat Herr Bartels noch nicht solche Leute kennen gelernt? Und hat er 
nicht gefunden, dafs solche Lehrer, zumal wenn sie einige Erfolge er- 
rungen haben, glauben, ihre Methode sei vollkommen, sei keiner Ver- 
besserung fähig? — Bei einem Theoretiker, mag er nun ein guter 
oder schlechter Praktiker sein, ist das geradezu unmöglich, denn die 
Theorie ist ihm für seine Praxis ein fortwährender Spiegel, welcher jeden 
Fehler angiebt. Liegt da nicht im Wesen des Praktikers eine gewisse 
Starrheit und Beschränktheit? (Vgl. § 6 der Allgcm. Pädagogik Zillers). 
Wie kann Herr Bartels, der (S. 5 f.) so energisch für die Theorie ein- 
tritt, der ein Unterrichten ohne Theorie „handwerksmäfsig" nennt, den 
Ausspruch Zilligs „herzlos und lieblos" finden? Wie kann er sagen, 
dafs Zillig, der dasselbe, wie Kehr und Herr Bartels (a. a. O.) nur 
weniger verhüllt und mit schärferen Worten ausspricht, „geradezu un- 
gezogen über seine Kollegen urteilt?" — jedenfalls doch nicht über 
alle, auf keinen Fall über Salzmann, Niemeyer, Campe (S. 6) und diesen 
gleichzustellende Männer in unserer Zeit, sondern nur über die Prak- 
tiker! Herr Bartels sagt allerdings „Vollblut- Praktiker," und ich 
werde das Wort auch Zillig empfehlen. 

Herr Bartels giebt S. 18 selbst zu: „Wenn diese .drei (Ziller- 
schen) Ideen' in der That und Wahrheit wirklich durch die Wissen- 
schaft als unbedingt wahre und richtige nachgewiesen v'crden können, 
und in der Praxis sieh bewähren, und durch die Erfahrung als wahr 
und fest gegründet bestätigt werden, so sind sie von siegender Gewifs- 
heit, so ist unser bisheriges Unterrichtsverfahren ein Schlendrian, ein 
Unding, unsere Pädagogen und Schulmänner Ignoranten und wir dürfen 
eine Umkehr fordern." — Wenn nun Zillig diesen Glauben wirklich 
hat, sind da in seinem Munde genau dieselben Worte Schimpf- 
worte ? 

Oder wenn Herr Bartels (S. 20) von „Stundengeber", von „Ab- 
riehtungsanstalt", von „einpauken", davon „dafs die Schüler bei Prü- 
fungen und Revisionen vor Vorgesetzten durch ihr eingepauktes Wissen 
glänzen sollen" etc. spricht, — worin findet er den wesentlichen Unter- 
schied zwischen diesen und den Worten Zilligs ? Vielleicht sagt Herr 
Bartels: „Ja ich gebrauche diese Worte ohne Hals," — da müfste er 
aber erst den Beweis bringen, dafs sie Zillig mit Ilafs gebraucht. 

Auf Seite 42 finden wir falsche Voraussetzungen in betreff der 
Schulgottesdienste, wie sie sich Ziller dachte. Allerdings ist gerade 
über die „Erbauungsstundc" des Zillcrschen Seminars wenig an die 
Öffentlichkeit gedrungen, aber doch befanden sich in den Händen des 



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_ 22 — 



Verfassers sowohl das Seminarbueh (vgl. S. 265), als auch Barths „Er- 
ziehungsschule" (II, S. 70). 

Für jedes Schuljahr solche Gottesdienste einzurichten, würde nicht 
zweckentsprechend sein, sondern in der „Erbauungsstunde" findet sich 
die ganze Schule, Lehrer und Schiller, zu gemeinsamer Andacht zu- 
sammen. Dafs hierbei nicht etwa mit Herrn Bartels von „Repetieren" 
gesprochen werden kann, ist schon oben nachgewiesen. Es entspricht 
dieser Schulgottesdienst überhaupt dem Gottesdienst in der Kirche, zu 
welchem er die Überleitung bilden soll. Nun entsteht allerdings, wie 
Leutz (S. 42) richtig erkennt, die Forderung, die „Gedanken der 
Schulandachten und Festzeiten mit dem Schulunterricht (zu) vereinigen", 
auch ist nötig, dafs der Lehrer die Wirkung der Erbauungsstunde kon- 
troliere, so weit das möglich ist. Dieser Forderung genügte die Leip- 
ziger Ubungsschule dadurch, dafs der Religionslehrer zu Anfang der 
ersten Religionsstunde in jeder Klasse — am besten natürlich gleich 
Montag morgen — auf die Erbauungsstunde zurückkommen mufste und 
sich „in freundlich herauslockendem Gespräch" zu überzeugen hatte, ob 
die beabsichtigte Einwirkung erreicht sei. Dafs in den verschiedenen 
Klassen ein verschiedener Mafsstab des Verständnisses angelegt wurde, 
ist selbstverständlich. Eine Vereinigung aber der Gedanken der Er- 
bauungsstunden mit dem Schulunterricht hatte jede Religionsstunde her- 
beizuführen, in welcher derselbe Stoff behandelt wurde oder auch nur 
Anklänge vorkamen. Was in den Schulandachten auftrat, wurde als 
analytisches Material für den Unterricht angesehen und verwertet. — 
Nach dem Gesagten erscheint der Weg zwischen Theorie und Praxis 
doch nicht so weit, als Herr Bartels (a. a. O.) glaubt. 

Auf falschen Voraussetzungen beruhen auch die Vorwürfe, welche 
auf S. 30, 32 und 65 gegen Thiendorfs „drastische Beispiele eiuer 
höchst gefährlichen Verfrühung" gerichtet werden: Unterredungen mit 
den Schülern über Entstehung und Vermeidung der Revolutionen, über 
Bedeutung der Volksvertretung, über Vielweiberei etc. im vierten 
Schuljahr. 

Herrn Bartels standen Jahrbücher und Erläuterungen zu Gebote, 
wie seine Citate beweisen. Erläutergg. 1882, S. 57 u. Jahrb. 1883, S. 
69, Anm. scheinen ihm aber bei Anlegung seiner Sammlung entgangen 
zu sein, sonst würde er hier die nachträgliche Erklärung Thrändorfs ge- 
funden haben, dafs er seine Präparationen, also auch jene Besprech- 
ungen zunächst für den Unterricht in der fünften und vierten Klasse 
eines seehsklassigen Seminars ausgearbeitet hat. Davon will ich gar 
nicht sprechen, dafs Herr Bartels den Ausdruck, in welchem Thrändorf 
in das Jahrbuch schrieb, in das Elementare hätte übersetzen müssen; 
denn dann würde er es nicht mehr für verfrüht gefunden haben, auch 
mit zehnjährigen Kindern über die „Folgen des Krieges" (die Richter- 
zeit bietet genug Anhaltepunkte), über „Revolutionen" (die Empörung 
Absaloms ist durchgenommen) zu sprechen. 

Auf Seite 85 wird die Stelle aus Staude „Die kulturhistorischen 



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- 23 — 



Stufen" etc. citiert, in welcher die im Seminarbuche (S. 117) ange- 
gebene Ergänzung der Konzentrationsreihe als ,,ein Auskunftsmittel der 
jEinschiebungen' und der »Heranziehung von Stoffen', welche nicht 
weniger als sieben Mängel des Konzentrationsstoffes ausgleichen sollen", 
als ein ,, Notbehelf, eine Künstelei und ein Zugeständnis der Undurch- 
fuhrbarkeit des starren Prinzips" bezeichnet wird. Herr Bartels erklärt 
nun im „Nachtrag", er hätte den Widerruf Staudes im zweiten Heft 
der Pädagog, Studien (1884), die Zillersche Konzentration betreffend, 
erst nach Beendigung des Druckes seines Buches gelesen, aber — ich 
sehe hier ab davon, dafs der Widerruf schon 1881 erschien (s. unten) 
— wenn er sich einigermafsen mehr vertraut gemacht hätte mit dem 
Geiste dieser Konzentration, wenn er nur die Angaben des Seminar- 
buches (a. a. 0.) etwas genauer angesehen hätte, so würde er gefunden 
haben, dafs die in den sieben Punkten geforderte Heranziehung von 
Stoffen nicht ' ein Notbehelf etc. sein kann, sondern dafs diese Stoffe 
ein integrierender Teil des ganzen Konzentrationsgedankens sind (man 
vergleiche nur dazu in Zillers Pädagogik die bez. Stellen über Kon- 
zentration). 

Schon oben wurde gezeigt, wie nach einer Seite hin die Bedeutung 
von dem Jahrbuch des Vereins ftir wissenschaftliche Pädagogik aufser 
acht gelassen wird, es mufs noch hinzugefügt werden, dafr auch in 
anderer Hinsicht die Voraussetzungen, unter denen dieses Vereinsorgan 
arbeitet, verkannt werden. 

Gewisse Sätze müssen von denjenigen Mitarbeitern, welche sich 
an der Ausbildung eines Lehrplansysteins nach Herbart - Zillerschen 
Grundsätzen beteiligen wollen, als feststehend betrachtet werden, 
sonst ist an ein erspriessliches Weiterarbeiten nicht zu denken. Man 
kommt nicht vorwärts, wenn man immer wieder den Grund aufwühlt und 
nicht endlich einmal die vorhandene Grundlage als sicher annimmt (selbst- 
verständlich bleibt dessenungeachtet der Streit über die Grundlagen er- 
laubt, nur sind dazu ganz spezielle Vorlagen in das Jahrbuch einzu- 
bringen). Einer dieser Grundsätze ist nun die Konzentration im Ziller- 
schen Sinne, ein anderer sind die kulturhistorischen Stufen. Schreibe 
ich also für den Teil des Jahrbuches, welcher den Ausbau des Lehr- 
plansystems betreibt, so mufs ich auf (Heseln Boden stehen. Wenn nicht, 
so ist ein Weiterarbeiten unmöglich. 

Damit ist auch die Ursache angegeben, warum so viele Verhand- 
lungen unfruchtbar sind, — man kommt immer wieder auf die grund- 
legenden Sätze zurück. Eine Arbeit, welche nun einmal auf dem Boden 
dieser Sätze steht, dürfte und kann nur von solchen diskutiert werden, 
welche denselben Standpunkt einnehmen. AVer sich dazu nicht ent- 
schlicfseu kann, dem steht wohl selbstverständlich das Recht zu, Stand- 
punkt und Arbeit zu verwerfen, aber nicht das Hecht, von einem 
anderen Standpunkte aus die Arbeit zu kritisieren. Weiter 
unten wird von den Konsequenzen flieser Ausführung zu sprechen sein. 
Es bleibt natürlich jedermann unbenommen, von irgend einem Stand- 



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— 24 — 



punkte aus ein Lehrplansystem zu entwerfen, wie aber ein Herbart- 
Zillerscher Lehrplan anders zustande gebracht werden soll als in der 
angegebenen Weise, ist mir wenigstens unerfindlich. Alles Reden davon, 
dafs „die Teilnehmer nicht auf ein gewisses Bekenntnis vereidigt werden" 
dürfen, dafs „nicht ,alles Recht der Überzeugung' aufgehoben und die 
Forschung nicht durch von fremden Gewalten gezogene Schranken ein- 
geengt wird" (S. 4), ist, wie das Gesagte ergiebt, nicht am Platz. 

Sollte es im Hinblick auf das Vorstehende zu hart sein, wenn man 
an der „Objektivität*' der Prüfung des Herrn Bartels in der Frage: 
„ob das ,Gute 4 (an der Herbart - Zillersehen Unterrichtslehre) neu, 
und das N eue wirklich g ut , haltbar, wertvoll und in der Praxis 
der Volksschule durchführbar sei" (S. 18), einige gelinde Zweifel 
zu hegen versucht ist ? ■— 

Herr Bartels geht freilich von der Voraussetzung aus, dafs an der ge- 
nannten Unterrichtslehre „neu" eigentlich nur „die Idee der kultur- 
historischen Stufen" und „die Konzentrationsidee" seien, — und diese sind 
seiner Meiuung uach schlecht, unhaltbar, wertlos und in der Praxis der 
Volksschule undurchführbar: dafs hingegen „gut" eigentlich nur „die 
Idee der formalen Stufen" (vgl. VI des Buches) wäre: diese aber sei 
.alt». 

Wie Herr Bartels beweist, haben wir gesehen, und weiden wir 
noch sehen. Hier will ich nur an zweierlei erinnern. 

Ist nicht auch neu und gut die Forderung: „das unmittelbare 
Interesse ist das Ziel des Unterrichts?" — Stimmt nicht Herr Bartels 
diesem Satze selbst (S. 22) von ganzem Herzen zu? — Oder gehört 
die Bestimmung „des' Zieles" nicht zur Unterrichtslehre? 

Ist nicht auch neu und gut das Streben Zillers nach einer scharf 
ausgebildeten Methode, in welcher nichts unbestimmt gelassen wird? — 
Freilich ist gerade dieses Streben Zillers manchem ein Dorn im Auge; 
ich glaube, mit Unrecht. 

Es kann nicht jeder Lehrer ein Lehrer von Gottes Gnaden 
sein. Ich möchte die Schulinspektoren fragen, wieviel sie deren über- 
haupt kennen. Da nun unter allen Umständen mehr Lehrer nötig sind, 
als dazu prädestiniert zu sein scheinen dadurch, dafs ihnen die „ur- 
sprüngliche Gottesgabe" des pädagogischen Talents (S. 8) beschieden 
ist, so mufs eben die Wissenschaft ausgebildet werden, mit deren Hülfe 
durch fleifsiges Studium diesem Mangel abgeholfen werden kann. Nun 
wird ja allerdings an jedem Volksschullehrer-Seminar Methodik getrieben; 
aber über allgemeine Regeln und einige spezielle Anleitungen kommt 
dieselbe wohl in den meisten Fällen selten hinaus. Die Hauptsache 
mufs die Praxis thun, d. h. der junge Lehrer mufs zusehen, wie er in 
der Praxis zurecht kommt. Für die Kandidaten des höheren Schul- 
amts ist das zugestandnermafsen meist sogar die einzige Art, das Unter- 
richten kennen zu lernen. Wie viel Irrwege werden da nicht auf Kosten 
der Schüler gegangen, ehe eine leidliche Routine für den Lehrer sich 
ergiebt! Denn auch jene allgemeinen Regeln versagen, so oft im Wechsel 



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— 25 — 



de9 Unterrichts neue Fälle vorkommen. Da ein allgemeines greif- 
bares Prinzip fehlt, so handelt es sich nur um eine Erfah- 
rung von Fall zu Fall. 

Indem nun Ziller die Pädagogik als eine zu lehrende Kunst auf- 
fäfste, mufste er notwendigerweise auch den Begriff ,,Me thode" schärfer 
als bisher üblich fassen. Hatte man bis jetzt darunter eine Zusammen- 
stellung von allgemeinen pädagogischeu Kegeln und von einzelnen Wei- 
sungen bezüglich der verschiedenen Disciplinen verstanden, so stellte 
Ziller den Grundsatz auf, dafs die Methode von einheitlichen psycho- 
logischen Prinzipien ausgehen müsse. Und um alle methodischen Unter- 
weisungen einem vagen Gerede ins Ungewisse zu entreifsen und einen 
bestimmten sachlichen , den praktischen Verhältnissen entsprechenden 
Hintergrund zu gewinnen, sagte er sich von der üblichen Auffassung 
des Wortes „Methode" (= das Verfahren, wie der Stoff dem Schüler 
zu übermitteln sei) los und ordnete diesem Begriff auch die „Auswahl, 
die Stellung und den inneren Zusammenhang des Stoffes" unter. Indem 
er so die begriffliche Trennung von Form und Stoff aufgab, 
da im wirklichen Unterricht eine solche zu den Unmöglichkeiten gehört, 
so gewannen seine Untersuchungen und Vorschläge einen 
der Wirklichkeit genau angepassten, scharf abgegrenzten 
und darum greifbaren Charakter (vgl. Jahrb. 13, S. 116). Nur auf 
diese Weise konnte er hoffen, die pädagogischen Mafsnahmen dem Ge- 
biete der Willkür zu entreifsen. Denn nunmehr, da nach jeder Hin- 
sicht leitende Gesichtspunkte gewonnen waren, konnte der Lehrer bei 
jeder einzelnen Mafsnahme im Unterricht selbst entscheiden, ob dieselbe 
methodisch richtig oder falsch sei. Freilich ist auch hierzu Übung un- 
erläfslich; darum die Forderung pädagogischer Seminare auf 
den Universitäten! 

Dafs hier ein Notstand vorliegt, lesen wir sogar im „Pädagogium" 
(2. Heft, Nov. 1884, S. 85): „Die gegenwärtige Unklarheit und Unsicher- 
heit in der Pädagogik, das Herumtappen in der Theorie und Experi- 
mentieren in der Praxis mufs ciu Ende nehmen". Freilich giebt Herr 
Dittcs nicht an, wie das zu geschehen habe. In der That existiert 
auch bis jetzt noch kein System, welches die Bürgschaft für klares, 
sicheres Handeln in gleichem Mafse in sich schlösse wie das Herbart- 
Zillerschc. 

Die ganze Anlage der vorliegenden Arbeit läfst schon nach den 
vorstehenden Ausführungen erwarten, dafs die einzelnen Citate nicht 
etwa ihrem Inhalte nach kritisch durchgesprochen sind, d. h., dafs das 
Für und Wider reiflich erwogen und auf solche Weise ein Beweismaterial 
geschaffen worden wäre, sondern wir lesen einfach — Belege sind fast 
auf jeder Seite zu finden — (z. B. S. 34) „Dr. Fröhlich sagt":; „Dr. 
Dittes sagt": (S. 44); zur Abwechslung auch: „Herr Regierungsrat Dr. 
Schumann, ein tüchtiger und erfahrener Schulmann, schrieb schon im 
Jahre 1880" . . (S. 45); dann (S. 60) „(Siehe Bormann, Ziemann, Kehr, 



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— 26 - 



Stöfser, Prange, Lüben etc.) 44 : „Auch Schulrat Dr. von Sallwürk in 
Karlsruhe tadelt diese Konzentration" (S. 80) etc. 

Ein solches Verfahren, welches noch dazu in dieser Ausdehnung 
mit der einfachen Anführung von Namen und Aussprüchen beweisen 
will, nennt man autoritätsglÜubig. Die Berufung auf Autoritäten 
erscheint nur am Platze, wenn man eine eigne Ansicht nicht nur aus- 
gesprochen, sondern auch wirklich begründet hat. 

In dem vorliegenden Buche freilich scheinen „Begründung" und 
„Behauptung" identificiert zu werden. 
Nur einige Beispiele seien gestattet. 

Auf S. 34 ist zu lesen: Robinson „entspricht unter allen Umständen 
folgenden Forderungen und Bedingungen nicht, die an die Gesinuungs- 
stoffe gestellt werden: ,Der Unterricht und sein Stoff hat sich an die 
beim Kinde vorhandene Geistesstufe anzuschliefsen , um es darüber zu 
erheben 4 . 

,Die Entwicklungsstufen des Einzelgeistes müssen genau fixiert 
werden, um darnach den St oft" lür den Unterricht zu bestimmen 4 . 

,Es mufs für jede Altersstufe ein solcher Stoff ausgewählt werden, 
an welchem das Interesse des Kindes dauernd gefesselt wird 4 ; . . . 
die Auswahl des Stoffes ist mit Kücksicht auf die Parallele zwischen der 
Einzelent wicklung und der Entwicklung der Menschheit zu treffen.' 

Hier mufs jeder Schulmann bekennen: die Robinsonsgeschichte kann 
kein Unterrichtsstoff für das zweite Schuljahr bilden (doch wohl „sein"), 
kein Mensch wird jemals den Nachweis liefern können, dafs dieser Stoff 
den eben zitierten Anforderungen genügte. Hier liegt der gröfste Mifs- 
griff vor 4 '. 

Damit schliefst die Beweisführung — die vorhergehenden Worte 
Fröhlichs sind schon oben erwähnt — . Mit durch ihre Logik wuchtigen 
Keulenschlägen ist der Stoff des zweiten Schuljahres niedergeschlagen. 
Zugestehen mufs man, dafs entsprechend den Worten zu Anfang dieser 
Ausführungen (S. 34) „ohne viel Mühe" der Nachweis erbracht worden 
ist. Denn kein Wort desselben hindert mich, auch „ohne viel Mühe" 
zu antworten: 

Robinson entspricht den angegebenen Forderungen: dieser Stoff 
schliefst sich an die Geistesstufe des 7 — -8jährigen Kindes an. 

Die Entwicklungsstufen des Einzelgeistes müssen allerdings genau 
fixiert werden, um darnach den Stoff für den Unterricht zu bestimmen. 
— Nur ist das unter allen Umständen keine Forderung und Bedingung, 
welcher die Robinson-Erzählung nicht entspricht. — Und weiter: 

Das Interesse des Kindes haftet an diesem Stoff, er ist mit Rück- 
sicht auf die Parallele zwischen Einzelentwicklung und der Entwicklung 
der Menschheit von Ziller ausgewählt. 

Hier mufs jeder Schulmann bekennen: die Robinsonsgeschichte ist 
der passende Unterrichtsstoff für das zweite Schuljahr, kein Mensch wird 
jemals den Nachweis liefern können, dafs dieser Stoff den eben zitierten 



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— 27 — 



Anforderungen nicht genügte. Hier liegt „ein genialer Wurf" Zillers 
vor, der den praktischen Bedürfnissen der Schule entspricht. 
Uber die Sache aber siehe unten. 

Eigentümlich klingen die Worte, die wir auf S. 45 lesen: „Wir 
haben also nachgewiesen, dafs diese Auswahl des Unterrichtsstoffes ver- 
urteilt wird . . . von Schulmännern aus dem engsten Kreise 

der Zillerianer". Einmal ist doch nach der einfachsten Logik nur 
der ein Zillerianer, welcher die Stoffauswahl Zillers für richtig halt; 
und dann hat auch, wie sich jedermann überzeugen kann, Herr Bartels 
von keinem einzigen der vorher aufgezählten Anhänger Zillers etwa 
nachgewiesen, dafs sie dessen Stoffreihe verurteilten, — er müfste Herrn 
Fröhlich, den neuerdings Herr Dittes und Genossen unter ihre Flügel 
nehmen, zu den Zillerianern rechnen; denn das wird er doch nicht 
„verurteilen" nennen, wenn ein Anhänger Zillers diese Stoffreihe aus- 
dehnt, resp. zusammendrängt, oder wenn ihm Einzelheiten noch nicht 
feststehen. 

Den folgenden Worten scheint Herr Bartels ganz besondere Be- 
weiskraft zuzutrauen, denn sie waren im Manuskript zweimal, zum Teil 
dreimal unterstrichen (S. 50) : 

„Pädagogische Phrasen zerplatzen wie Seifenblasen, Zeitmeinungen 
wechseln wie die Mode, philosophische Abstraktionen, welche die That- 
sachen dein System anpassen, werden im Leben zu Schanden". 

Diese Worte, denen ein gewisses Pathos nicht abzusprechen ist, 
sind ja selbstverständlich in ihrer Allgemeinheit ganz richtig, aber das 
ist auch alles. Was glaubt aber Herr Bartels mit ihnen bewiesen 
zu haben?: 

„Daraus geht doch zweifellos hervor, dafs die Stoffverteilung 
für die Volksschule nicht ein Ergebnis theoretischer Forschung, sondern 
ein Produkt der Praxis sein mufs". 

Auch mit falschen Behauptungen soll bewiesen werden. So Seite 50 
mit den Worten: „die Männer (innerhalb der Herbart-Zillerschen Schule), 
die wirklich in der Volksschule arbeiten, (sprechen) sich nur für die 
konzentrischen Kreise im Unterricht aus". — Herr Bartels weifs so gut 
als ich, dal's Kein, Staude, Just, welche kurz vorher als Kämpfer gegen 
die konzentrischen Kreise aufgeführt sind, in der Volksschule arbeiten. 

Daun weiter: Den Zillerianern wird gesagt, sie könnten nicht die 
jedem Schuljahre entsprechenden Stoffe finden, das sei unmöglich aber 
bei Verteilung des Stoffes nach konzentrischen Kreisen wird dem Herrn 
Albert Kichter ohne weiteres die Fähigkeit zugestanden (S. 51) dafs er 
,je nach der Kapacität der Schüler" den Stoff auf die verschie- 
denen Unterrichts jähre zu verteilen vermöge. Natürlich versteht Herr 
Bartels selbst diese Kunst, denn er sagt bei Besprechung seiner Methode 
(S. 53): 

„Nur der Stoff, der dem kindlichen Gedankenkreise und dem sitt- 
lich- religiösen Standpunkte des Kindes entspricht, der das volle und 
ganze Interesse des Kindes in Anspruch nimmt, wird ausgewählt". — 



— 28 - 



Diese Behauptung schliefst strenggenommen die Annahme der Ziller- 
schen Vorsehläge in sich. 

Wie eigentümlich es einem mit Behauptungen ergehen kann, sieht 
man aus folgendem. Seite 62 heifst es: 

„Wenn der Lehrer seine Kinder in den ersten beiden Schuljahren 
in solche weite Fernen nnd so ganz fremde Zonen und Ländor führt, 
so kennt er die Kindesnatur nicht". — Der Verfasser hat ganz vergessen, 
dafs er S. 39 Balmer hat sagen lassen: „Gerade das Fremdartige, 
Wunderbare der biblischen Geschichten zieht die Kinder an, und werden 
sie in anschaulicher Weise behandelt, so erfassen die Kleinen dieselben 
schon". Und der geographische Hintergrund der biblischen Geschichten 
ist doch noch etwas komplicierter, als eine einfache Vorführung und 
Übersicht der Erdteile, wie ich sie nach Ziller in dem zweiten Schul- 
jahre anstrebe. 

Bei Besprechung der Zillerschen Konzentration befindet sich Herr 
Bartels in einem Dilemma: 

Der Eindruck, den er nach Präparationen, Seminarbuch und 
anderen Ausführungen von derselben erhalten hatte, entsprach nicht 
den Ausführungen Zillers selbst, wie er sie im XIII. Jahrbuche, 
S. 121 f. gegeben hat. Anstatt aber nun die Möglichkeit, dafs ein 
Einklang hergestellt werden könnte, einfach anzunehmen und von diesem 
Standpunkte aus alle Ausführungen, Beispiele etc., das Wesentliche vom 
Unwesentlichen unterscheidend, noch einmal genau durchzustudieren, 
statt dessen behauptet er (S. 87): „Allein die gebotenen Beispiele 
widersprechen diesen Sätzen", und tröstet sieh (S. 76, Aum.) mit 
„Direktor Ackermann in Eisenach", mit den „Verfassern der Schuljahre" 
etc., die Ziller auch nicht besser verstanden hätten, ohne zu bedenken, 
dafs das vielleicht doch möglich wäre, ja ohne nur die neuesten Arbeiten 
dieser Herrn auf diese Möglichkeit anzusehen (vgl. „Pädagogische 
Fragen" und die zweiten Auflagen der Schuljahre). 

Die Berufung auf die genannten Herrn läfst hoffen, dass Herr 
Bartels die Konsequenz besitzt und sich zu einer richtigen Auffassung 
der Zillerschen Lehren bekehit. 

In dem vorliegenden Buche freilich finden wir noch die „Behauptungs- 
Theorie". Nur noch wenige Beispiele aus der Fülle. 

„Jeder Schulmann S. 82) wird zugeben müssen, dafs 

1. ) die Abhängigkeit der übrigen Stoffe von dem Gesinnungsstoße 
eine künstliche Verknüpfung ist; 

2. ) dafs diese reiu äufserlichen, zufälligen Anknüpfungspunkte nicht 
nur ohne jeglichen Wert für die Konzentration des Unterrichtsstoffes 
sind, sondern der wahren Konzentrationsidee schnurgerade entgegen- 
laufen, da sie die Köpfe der Kinder verwirren" etc. 

Zum Beweise werden noch einige Citate angeführt, aber den einzig 
möglichen Beweis: die Beibringung psychologischer Gründe dafür, dafs 
die Verknüpfung eine künstliche ist und keinen Wert hat, tritt der Ver- 
fasser nicht an. Ja ich glaube, er hat nicht einmal, ehe er die Be- 



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— 29 — 



hauptung von der Verwirrung aussprach, die Sache praktisch zu er- 
proben gesucht, obgleich er sich sonst auf die Praxis und Erfahrung 
ziemlich oft beruft. 

Gegen die Ausführungen Zillers, in denen auf die Einheitlichkeit 
des Gedankenkreises als Ergebnis seiner Konzentration hingewiesen wird, 
setzt Herr Bartels einfach die Behauptung (S. 75): 

„Diese Folgerung ist aber eine falsche, eine Täuschung. Wird 
nämlich diese Forderung konsequent durchgeführt, so erzeugt sie, statt 
Einheit der Persönlichkeit, nur Zersplitterung, sie fuhrt zu einem 
künstlichen, unnatürlichen Zusammentragen der verschiedenen Unterrichts- 
stoffe, zu einer Spielerei, zu einer Künstelei, und die übrigen Dis- 
ciplincn können nie und nimmer zu ihrem vollen Rechte kommen". — 
Woher weifs denn das Herr Bartels? Gründen sich diese Behauptungen 
auf seine genaue Kenntnis der Herbart-Zillerschen Theorie und auf 
genaue Beobachtung resp. eigne Prüfung der auf dieselbe basierten 
Praxis ? 

Seite 81: ,.Die Profangeschichte behandelt die deutsche Sage. 
Es mufs daher der Schauplatz des Nibelungenliedes den Stoff für den 
geographischen Unterricht geben. Dafs auch diese Verbindung eine 
rein äufserliche, eine künstliche ist, wird kein erfahrener Schulmann 
bestreiten". — Also alle Herbartianer, welche diese Verbindung für 
eine innere, für eine natürliche und noch dazu sehr heilsame halten, 
gehören nicht in die Kategorie der erfahrenen Schulmänner, welche 
Herr Bartels so oft zu Gericht sitzen läfst. 

Wem die angeführten Belege noch nicht genügen, kann sich sehr 
leicht selbst überzeugen, dafs ich der vorliegenden Schrift kein Un- 
recht gethan habe; das Gebiet der unerwiesenen, zum Teil sogar falschen 
Behauptungen wird fast nie, und, wenn es geschieht, dann nur in un- 
genügender Weise verlassen. 

Merkwürdig ist, wie bei solcher Art der Beweisführung Herr Bartels 
(S. 76, Anm.) zu folgenden Worten kommt: ,,man sagt jetzt: , studiere 
sorgfältig das Jahrbuch XII 1 und liefere zunächst den Beweis, dafs du 
das, was dort gesagt ist, wirklich verstehst.' In solcher Weise seinen 
Gegner schlagen zu wollen, ist sehr leicht, aber ein Beweis, dafs diese 
Vorwürfe unbegründet sind, wird nicht erbracht." — Selbst bleibt Herr 
Bartels die Beweise schuldig, aber von andern fordert er welche. Und 
wie eigen! es wird ein Vorwurf (Beispiele sind angegeben) erhoben, 
ohne Beweis; man sieht dem Vorwurf auf den ersten Blick an, dafs er 
auf Unkenntnis beruht; man sagt also: „Sieh dir die Sache noch einmal 
an ? du hast sie nicht verstanden." Da wird behauptet, das wäre eine 
leichte Art, den Gegner zu schlagen. Man bedenkt nicht, dafs es sich 
u *u „Schlagen" noch gar nicht handeln kann. Denn so lange noch 
kein klares Verständnis der Sache vorhanden ist, so lange ist die Er- 
bringung eines Beweises ein Unsinn. Denn wie kann der Beweis 
verstanden werden von einer Sache, über die man abenteuerliche Vor- 
stellungen hat? Es ist hier wie in der Mathematik: über die Voraus- 



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- 30 — 



Setzungen mufs man einig sein, ehe ein Beweis möglich ist. Ein Be- 
weis ohne Erfüllung dieser Bedingung bewirkt leicht das Gegenteil der 
beabsichtigten Wirkung, wie man aus dem Buche des Herrn Bartels 
ersieht. Es wird z. B. behauptet : die Abhängigkeit aller Unterrichts- 
disziplinen von dem Gesinnungsunterricht gereicht den ersteren zum 
Schaden. Wir bringen nun Präparationen etc., die das Gegenteil be- 
weisen sollen. Die Gegner finden in ihnen nur Beweise für sich. W T arum? 
Weil sie auf ihrem Standpunkt stehen geblieben sind. Denn dieselbe 
Sache läfst sich in bonam und in malam partcm verstehen, es fragt 
sich ganz, wie man sie ansieht. 

Hieraus ist wiederum ersichtlich, dafs ein nutzbringender Streit nur 
dann möglich ist, wenn die Gegner auf demselben Standpunkte 
stehen. 



Schon aus der vorstehenden Schilderung der hier beliebten Art der 
Beweisführung kann man die Berechtigung ableiten, gegen den Begriff, 
den Herr Bartels von dem Worte „Wissenschaftlichkeit" hat, einiges 
Mifstrauen zu hegen. Eine Bestätigung erfahrt dasselbe durch andere 
Partien seines Buches. (Fortsetzung in der Broschüre.) 



ß. Mitteilungen. 

I. Dr. Wesendonck als Kritiker.*) 

Zugleich ein Beitrag zur Charakteristik der gegenwärtigen Kritik auf 
pädagogischem Gebiet überhaupt. 

„Du bist nicht heiliger, wenn da 
gelobt, noch schlechter, wenn 
du getadelt wirst. Was du bist, 
das biat du." Thomat v. Kernpeu. 

In einem Aufsatz „Uber den W ert und die Mängel der Herbart- 
Zillerschen Pädagogik und die Kampfesweise der Zillersehen lleifssporne" 
(Pädagogium, II. Heft, Nov. 1884, 103 ff) unternimmt ein Herr Dr. 

*) Der Herausgeber wiederholt hier seine Erklärung aus dem 1. Heft 1885 
dieser Zeitschrift, wonach es ihm durch Herrn W. selbst unmöglich gemacht 
worden ist, eine Antwort zu geben. Der betr. Artikel im „Pädagogium" hatte 
es offenbar nur darauf abgesehen, zu reizen und zu schmähen, nicht aber der Er- 
kenntnis der Wahrheit zu dienen. Daher bleiben die Angriffe des Herrn W. 
meinerseits unberücksichtigt. 

Zugleich erlaube ich mir an dieser Stelle noch eine kurze Hemerkung. Ein 
Rezensent in Hiihlmanns Praxis der Schweizer. Volks- und Mittelschule 
1884) beklagt sich darüber, dafs das zweite Heft dieser Zeitschrift 1884 einen so 
streitbaren Charakter an sich getragen habe. Ich bedauere aufrichtig, dafs das 
2. Heft 1885 abermals diesem Schicksal verfallen mufste. Aber in so kampf- 
lustigen Zeiten, wie die gegenwärtige, wo von allen Seiten gegen die herbar- 
tische Richtung Sturm gelaufen wird, läfst es sich wirklich kaum vermeiden, 
dafs eine herbartische Zeitschrift ab und zu auf die gegnerischen Stimmen zu 
reden kommt, sie müfste denn von vornherein ihre Position vollständig verloren 



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— 31 - 



Wesendonck die Rettung der bekannten Schrift Dr. Fröhlichs vor der 
Kritik, welche sie im II. Heft 1884 dieser Studien gefunden hat. Die 
Überschrift des Aufsatzes hätte also passender und anspruchsloser ge- 
wählt werden sollen; von Herbarts Pädagogik wird darin so viel wie 
nicht, von jener Zillers nur so im Vorbeigehen gesprochen. 

Geziemend schenke ich zuerst den thatsächlichen Irrtümern, welche 
Herr Wesendonck in meiner Kritik entdeckt haben will, die Aufmerk- 
samkeit. 

1) Fröhlich behauptet: Jede Vorstellung mufs, bevor sie appcr- 
zipiert werden kann, erst perzipiert werden. Ich sage dagegen: In 
vielen Fällen wird sie sofort angeeignet und in die gehörigen Verbin- 
dungen gebracht, wie wenn ein Botaniker durch eine Frühlingsland- 
schaft, ein Kunstkenner durch eine Gallerie wandert und die gesehenen 
Dinge auf der Stelle auffafst und einordnet. Herr Wesendonck meint 
nun: Auch wenn Perzeption und Apperzeption fast in einen Akt ver- 
schmelzen, mufs die Perzeption (— das Auffassen des Aufsern!) das 
Erste, das Apperzipieren (= Einordnen!) das Zweite sein. Indem ich 
das Auffassen zuerst stelle, sage ich dasselbe wie Fröhlich. Doch nicht 
ganz. Das Charakteristische der Perzeption besteht darin , dafs mir 
dafsjenige, was in mein Bewufstsein getreten , als etwas Fremdes, 
dessen Sinn mir noch nicht aufgegangen ist und dessen Beziehungen 
ich noch nicht erkannt habe, erscheine. Das Charakteristische der 
Apperzeption ist, dafs ich das mir Bewufstgewordene auszulegen und in 
das rechte Vorstellungsgebiet einzuordnen vermag. Wie darf man daher 
behaupten, in den obigen Beispielen finde gleichwohl vor der Apper- 
zeption eine Perzeption statt, das Erschaute sei da doch zuerst ein Neues, 
Unbekanntes, bisher noch nicht Angeeignetes, ein Aufserliehes, blos Be- 
wufstgewordenes ; und es verstreiche eine wirkliche Zeit im Bewufst- 
sein bis zu seiner Ausdeutung, es bestehe ein mefsbarer Abstand 
zwischen dem Sehen und Erkennen. Herr Wesendonck zeigt nicht, dafs 
nieine Ausstellung an Fröhlich gegenstandslos sei, sondern, dafs er sieh 
über Perzeption und Apperzeption in einiger Unwissenheit befindet. 
Daher ist es ihm entgangen, wie ich Aneignen und Auffassen , iu die 
gehörige Verbindung - Bringen und Einordnen als gleichbedeutend 
nehme und darunter die Doppelriehtung der apperzipierenden Thätigkeit 
denke. 

geben. So steht die Sache nber nicht. Ganz im Gegenteil. So lange wir über- 
zeugt sind, dafs die herbartisehen Gedanken für unser gesamtes Krziehungswesen 
äufserst fruchtbringend wirken . sohiuge halten wir sie gegen alle Angriffe auf- 
recht, verpflichtet dazu durch unsere pädagogische Überzeugung. Wir leben noch 
der Hoffnung, es würden einige es doch im Herzen uns danken, wenn wir nicht 
beim ersten besten Angriff die bedrohten Positionen aufgeben, oder in übertriebener 
Friedensliebe alles ganz ruhig über uns ergehen lassen, damit sich die gröbsten 
Irrtümer in der deutschen Lehrerwelt ja recht fest setzen. Wenn also ein Kezen- 
sent auch über das vorliegende Heft den Stab brechen sollte, weil es zu streitbar 
sei, der möge, ehe er es thut . einen Blick in Ziliers Ethik werfen und daselbst 
über die Berechtigung des wissenschaftlichen Streites das Nötige nachlesen. 

Der Herausgeber. 



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— 3:2 - 



2) Fröhlich sagt : Wenn das vierjährige Kind beim ersten Anblick 
eines Esels ruft: Ei, das hübsche kleine Pferd ! so appcrzipiert es. Ich 
sehe darin nur eine unwillkürliche Assimilation des Neuen durch die 
vom äufseren Eindruck geweckte Vorstellung, und bestreite noch heute, 
dafs es derselbe geistige Vorgang wie der Akt der wahren Apper- 
zeption sei, bei dem ich ursprünglich Aufmerksamkeit, Willen im Spiele 
treffe. Dafs auch Dr. Lange in seiner bekannten Schrift ähnliche Bei- 
spiele als Apperzeption ansieht, war mir kein Geheimnis; aber ich konnte 
darin nicht gerade eine Widerlegung meiner Auffassung dieses ein- 
zelnen Falles, sondern nur die Bestätigung datiir erblicken, dafs Sphäre 
und Begriff der Apperzeption auch in seinem sonst so trefflichen Buch 
nicht scharf und genau abgegrenzt sind. Doch gesetzt einmal, diese 
Assimilation sei echte und rechte Apperzeption — wie würde sie dann 
erst Fröhlich« Behauptung, dafs die Perzeption der Apperzeption vor- 
ausgehen müsse, widerlegen ! Denn das Kind besinnt sich dabei nicht, 
denkt nicht nach, sondern mit Eins sagt es: Siehst, Vater, du den Erl- 
könig nicht? Den Erlkönig mit Krön' und Schweif? — 

3j Fröhlich lehrt: Die empirische Psychologie betrachtet zunächst 
die Vorstellungen, Gefühle und Begehrungen , beobachtet diese Er- 
scheinungen, stellt Versuche über sie au und beschreibt sie. Ich be- 
merke dagegen: Sie kann keine Versuche über Vorstellungen, Gefühle 
und Begehrungen anstellen. Auf dem streng iniiern Erfahrungsge- 
biete hat der Versuch überhaupt, wie selbst Vertreter der neuesten 
Kichtung in der Psychologie zugeben, keine Stelle. Da giebt es nur 
Beobachtung, und sogar diese steht an Genauigkeit hinter der auf dem 
äufseren Erfahrungsgebiete weit zurück. Habe ich nun Unrecht, wie 
Herr Wescndonck meint? Um der Psychologie selbst willen würde ich 
mich freuen, im Irrtum zu sein. Leider kann ich aber von meiuen 
Worten nicht Eines zurücknehmen. Wir stellen doch Versuche au, die 
Ursachen einer Erscheinung zu erforschen, oder, wenn uns diese bereits 
bekannt, die Gesetze zu entdecken, welche ihr Wirken regeln. Vor 
allem mufs da die Erscheinung selbst zu vereinzeln, das ist aus ihren 
Beziehungen herauszulösen sein. Sodann müssen wir au dem ersten 
Zwecke die Bedingungen, unter welchen sie sich darstellt, willkürlich 
verändern können, weil wir sonst niemals die Umstände, welche für 
ihren Eintritt als wirkliche Ursachen sich erweisen, von den hierfür 
gleichgiltigen zu unterscheiden vermögen. Zu dem andern müssen wir 
die Veränderungen der Bedingungen zugleich der Messung unterwerfen 
können, weil wir aul'scrdem niemals zu einem Gesetz, das heifst der 
völlig bestimmten Norm für das Wirken der Ursachen, gelangen. End- 
lich müssen wir die als Ursachen erkannten Umstände, die in denGe- 
setzen erforschten Verhältnisse stets von neuem wieder herbeiführen 
können, damit uns so der Versuch jederzeit beglaubige, was er uns zu- 
erst gelehrt. Wir müssen dann imstande sein, mit Freiheit über den 
Erfolg zu verfügen und ihn darum mit Sicherheit vorauszusagen. Die 
Wissenschaft, welche in dieser mehrfachen Kichtung vom Versuch vor- 



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— 33 — 



bildlichen Gebrauch macht, ist die Physik, und bei ihr hat mau sich 
folglich Uber das Wesen des echten Versuchs auch Rat zu erholen. 
Sind wir nun imstande, beim rein inneren Geschehen, wie es Vor- 
stellen, Fühlen und Begehren unzweifelhaft ist, die Erscheinungen aus 
ihren Beziehungen herauszuheben, die Bedingungen dafür beliebig zu 
verändern, oder gar zu messen, endlich jederzeit die nä'mlicheu Fragen 
zu widerholen, und derselben Antworten sicher zu sein? Weislich 
unterlälst es auch Herr Wesendonck, mich zu wiederlegen. Damit 
jedoch sein Schutzbefohlener trotzdem ins Recht und ich ins Unrecht 
komme , so läfst er jenen behaupten, dafs die empirische Psychologie 
auch „Versuche über geistige Erscheinungen anstellen könne"; und 
mich, in der neuern Psychologie habe der Versuch keine Stelle! Ja, er 
verwischt noch den grofsen Unterschied zwischen der äufseren und inneren 
Erfahrung, zwischen Natur- und Geisteswissenschaft, indem er fragt: 
Kann man nicht in jeder Erfahrungswissenschaft (Meteorologie!), also 
auch in der Psychologie, Versuche anstellen? Und er bildet sich über- 
dem für seinen Zweck noch einen eigenen Begriff von Versuch; denn 
nach ihm stellen wir schon psychologische Versuche an, wenn wir ab- 
sichtlich eine geistige Erscheinung, einen psychischen Prozefs hervor- 
rufen und ihn beobachten. Diese Erklärung wirft wiederum ein helles 
Licht darauf, wie weit Herr Wesendonck in psychologische Dinge über- 
haupt eingedrungen ist. Nur ein Mann, der niemals dem inneren 
Leben und den Hilfsmitteln zu seiner Erkenntnis sein Augenmerk zu- 
gewendet, kann so unbefangen sicher sagen , dafs wir ganz nach Ab- 
sicht eine geistige Erscheinung, einen psychischen Prozefs hervorrufen 
und beobachten können. Wäre wirklich die Erzeugung der inneren 
Erscheinungen dermafsen in unsere Hände gegeben, die Erziehung 
anderer und die Selbsterziehung müfsten ein Spiel sein, indes sie er- 
fahrungsmäfsig zu den schwierigsten uud nicht selten, ungeachtet aller 
Bemühungen, zu den undankbarsten menschlichen Geschäften gehören; 
und wäre die innere Beobachtung nicht mit ganz eigenen Hindernissen 
verknüpft, die Psychologie müfste zu weit feinerer Charakteristik der 
inneren Erscheinungen gekommen sein, als dies trotz des tausendjährigen 
Zeitraums von Aristoteles bis heute thatsächlich der Fall ist. Treffend 
wird diese Naivetät auch durch das Beispiel illustriert, welches Herr 
Wesendonck zur Erhärtung der Möglichkeit psychologischer Versuche 
aus Campe's Erfahrungsseelenlehre mitteilt. Was der ja treffliche Campe 
wirklich beobachtete, das war einfach die Bewegung der Kinder, und 
was er zu beobachten wähnte, nichts als eine Fiktion in seinem eigenen 
Kopfe, an welche Herr Wesendonck heute noch ebenso fest zu glauben 
scheint, wie Campe in jener Glanzzeit angeborener Vermögen und Triebe. 
Freilich Herr Wesendonck hat nicht nur unter den Alten nach Zeug- 
nissen gegen mich gesucht, er beruft sich auch auf ein neues Lehrbuch 
der Psychologie, das von Max Jahn: „In diesem heifst es S. 12: Wir 
führen zunächst .... noch einige Versuche aus . . . Just da, wo 
die Beschreibung der Versuche anhebt, bricht Herr Wesendonck ab. 

Pädagogische Studien. 3 



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- 34 



Mit gutem Grund. Denn Jahn bandelt an der Stelle über die Ab- 
hängigkeit der Empfindungen von den Sinnesreizen und das psycho- 
physische Gesetz. Kr erwähnt hierbei der bekannten psychophysischen 
Experimente: dafs man durch Vergröfserung eines Gewicht» auf der 
Hand erfahre, wie nicht etwa schon die geringste Gewichtszulage, son- 
dern erst eine ganz bestimmte von uns als Steigerung der Empfindung 
gemerkt werde; oder dafs man durch Verdoppelung, Verdreifachung 
eines kleinen Gewichts auf der Hand ; durch Anstreichen erst einer 
Saite, dann durch gleichzeitiges Anstreichen noch einer zweiten, dritten 
von der nämlichen Beschaffenheit und Spannung; durch Anzünden eines 
zweiten Lichtes neben einem in gewisser Entfernung aufgestellten her- 
ausbringe, wie die Empfind ungsstärke keineswegs einfach proportional 
der Reizstärke wachse. 

Und gerade auf diese psychophysischen Experimente wollte ich selbst 
hingewiesen haben, indem ich den Versuch nur auf dem streng inneren 
Erfahrungsgebiete bestritt und hier sogar Vertreter der neuesten Rich- 
tung in der Psychologie für mich anrief. Ich durfte auch dessen sicher 
sein, dafs jeder, der nur gerade nicht mehr bei Campe steht, mich 
richtig dahin auslegen werde: selbst Vertreter der physiologischen Psy- 
chologie, welche in die Anwendung des phychophysischen Experiments 
ihr unterscheidendes Merkmal von der gewöhnlichen, vorzüglich auf 
Selbstbeobachtung gegründeten, setzt, räumen ein, dafs jenseits des 
Grenzgebiets zwischen streng äufserer und* streng innerer Erfahrung, 
auf welchem äufsere und innere Welt sich berühren, wodurch eben hier 
das Experiment anwendbar wird, der Versuch keine Stelle mehr habe. 
Ja, selbst das psychophysische Experiment ist im Grunde, wie Volk- 
mann scharfsichtig bemerkt, nur ein psysiologisches , es sind blofs die 
physischen Vorbedingungen der Vorstellung, welche wir dabei in der 
Hand haben; es reicht nur bis zu dem Gebiet des Seelenlebens und 
nicht hinein. Lehrreich ist für unseren Fall auch die Thatsache, dafs 
Dröbisch eine empirische Psychologie nach naturwissenschaftlicher Methode 
verfassen konnte, die er — auf die eigene frische und lebendige innere 
Erfahrung gründete! Doch Herr Wesendonck beruft sich etwa« dunkel 
noch auf Wundt: „Vergleiche auch Wundt. Uber experiinentale Psy- 
chologie.* 1 Leider konnte ich diese Schrift weder auf der hiesigen 
Universitätsbibliothek noch durch den Buchhändler erlangen, womit ich 
mich selbstverständlich nur darüber rechtfertigen will, dafs ich sie nicht 
berücksichtige. Aber um so eher ist es an der Zeit, zu bekennen, dafs 
gerade Wundt in seiner physiologischen Psychologie (6. 6) ausdrücklich 
anerkennt, dafs von einer Anwendung der experimentellen Methode nur 
auf dem psychophysischen Grenzgebiet die Rede sein könne. Übrigens 
hat schon Kant in der Vorrede zu den metaphysischen Anfangsgründen 
der Naturwissensehaft gegen die Erhebung der Psychologie zum Rang 
einer exakten Naturwissensehaft unter anderm geltend gemacht, dafs 
sich kein anderes denkendes -Subjekt unseren Versuchen der Absieht 
angemessen von uns unterwerfen lasse; und in seiner Gesellschaft mag 



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— 35 — 



ich mir den Vorwurf wohl gefallen lassen, dafs ich ^Behauptungen Be- 
mängle, welche ein Mann mit ruhig denkendem, gesundem Verstände 
gar nicht tadeln könne. 

4. Fröhlich giebt von der Aufmerksamkeit die Erklärung, dafs sie in 
einer Konzentration des Bewufstseias beßtehe. Ich vermisse darin 
gerade das wesentliche Moment, wer das Bewufstsein konzentrier«. Ich 
stelle jetzt diese JTrage fiir die beiden Doktoven, Herrn Fröhlich und 
Herrn Wesendonck. .Denn des letzteren Bemerkung, dafs ihre iBe- 
antwortung in die Metaphysik führe, ist ja doch nur eine Verdeekung 
der Verlegenheit, etwas Gehöriges darauf zu erwidern. 

5. Nach Fröhlich müssen wir drei Iviassenoder Kategorien der Psy- 
chologie : die empirische, die rationale und die spekulative unterscheiden. 
Gegen eine solcne Unterscheidung, als ob wir es hier mit dreierlei psy- 
chologischen Disziplinen zuthun hatten, wende ich mich. Und ich raufe noch 
heute daran festhalten, daf« die empirische, rationale und spekulative Psy- 
chologie nur En twickelungs- Stufen in der psychologischen Erkenntnis be- 
deuten können. Da Herr Wesendonck Fröhlich im Kecht erklärt, sei dies 
kurz nachgewiesen. Man unterscheidet von den besonderen Untersuchungs- 
methoden in den einzelnen Wissenschaften einen allgemeinen Erkennt- 
nisweg. Während jene durch die Beschaffenheit des Gegenstandes der 
Forschung bestimmt werden, erscheint dieser durch die Natur des Er- 
kennens selbst vorgezeichnet. Eben darum kann er in keiner Wissen- 
schaft umgangen werden. Und er verläuft nun in den drei Abschnitten, 
welche jene Namen bei der Psychologie ungefähr bezeichnen: 1.) der 
Sammlung und Ordnung der Erfahrungen; 2.) der Erklärung ihres 
Zusammenhanges; 3.) dem einheitlichen Begreifen derselben aus letzten 
Voraussetzungen*). Allerdings mufs man in den Wissenschaften die Idee 
dessen, was sie sein sollten, von ihrem gegenwärtigen und noch mehr 
von ihrem vergangenen Stand wohl unterscheiden. Keine steht, wie die 
göttliche Minerva, mit einem male fertig da; jede hat vielmehr ihre 
Geschichte, da6 heilst sie nähert sich, und .zwar gar oft auf recht un- 
regelmäfsiger Bahn, erst allmählich ihrem ausgebildeten Zustande an. 
So hat natürlich auch die Psychologie als Wissenschaft eine Entwicklung, 
und in dieser begegnen wir neben mancher anderen freilich auch der 
Unterscheidung einer besonderen empirischen und rationalen Psychologie. 
Aber solcher unfertiger Zustand der Wissenschaft, worin bald ein An- 
iiang ohne Ende, bald ein Ende ohne Anfang fiir ein Ganzes gilt, darf 
doch noch nicht fiir die Wissenschaft selbst gehalten, eine, wenn auch 
durch Autoritäten und Alter zwiefach geheiligte, künstliche Sonderung 
doch noch nicht für eine notwendige gehalten werden. Gerade bei 
den hervorragendsten Psychologen der Gegenwart, J. H. Fichte, Volk- 
maam finden wir denn auch die entschiedene Auffassung der .Psycho- 

7 v; v 

logie als Einer Wissenschaft. Ja, 6ogar Drobisch, auf den sich Herr' 

*) Ungefähr dasselbe lehrt Herr Dittes 8. 7 des 1. (Oktober-) Heftes seines 
Pädagogiums ! — 

8* 



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— 36 - 

Wesendonck beruft, obgleich er eine empirische Psychologie verfafste, 
redet nirgends von drei Zweigen, sondern nur von drei Aufgaben der 
Psychologie, von drei Stationen im wissenschaftlichen Aufbau derselben, 
wie er sie auch im achten Paragraphen seiner Vorlesungen als die 
Wissenschaft von den Erscheinungen (-empirische Aufgabe), Gesetzen 
(-rationale) und Ursachen (-spekulative) des Seelenlebens zu erklären 
pflegte. Sollte dieser Paragraph am Ende gar der unschuldige Anlafs 
zu Fröhlichs Dreiteilung gewesen sein? Ob Lotze sie billige, wie Herr 
Wesendonck behauptet, möchte man bei einem so feinen und scharfen 
Geiste fast bezweifeln. In seiner medizinischen Psychologie mufs mir 
solche Billigung wenigstens entgangen sein. Schroff bezeichnet Vogt im 
achten seiner psychologischen Briefe „eine an die Scholle der Erfahrung 
gebundene und darum empirisch genannte Psychologie" als „keine 
Wissenschaft". Und derselbe, sonst konsequente Gelehrte sollte an einem 
anderen Orte gleicher Anschauung wie Fröhlich sein? Ueberraschen 
wird es Vogt auch, bei dieser Gelegenheit durch Herrn Wesendonck 
zum strengen Herbartianer umgewandelt worden zu sein. 

6. Fröhlich nennt das empirische Interesse geradehin Wifsbcgierde, 
das sympathetische Mitleid und Mitfreude. Ich trage gegen diese Be- 
zeichnungen das Bedenken, dafs sie Uber die reine Xatur der betref- 
fenden Interessen irre leiten. Herr Wesendonck sieht in solcher Bean- 
standung unpassender Ausdrücke Mäkelsucht. Da er hiermit leider 
ein Gebiet betritt, wo die sachliche Auseinandersetzung endigt, darf ich 
nur noch feststellen, dafs er mit seinen übrigen Bemerkungen an dieser 
Stelle daneben geschossen hat. 

Das sind die einzigen Punkte, bei welchen Herr Dr. Wesendonck 
wirklich auf meine Kritik einzugehen Miene macht. Da er mich selbst 
darin zum wenigsten nirgends widerlegt, so bleibt also diese Kritik vor- 
läufig in ihrem ganzen Umfang als völlig zutreffend bestehen. Mit 
Sicherstellung dieser Thatsache könnte ich hier abbrechen, — wenn 
Herr Wesendonck meiner Kritik nicht noch von anderer Seite beizu- 
kommen gesucht hätte. In einer Reihe von eingestreuten Bemerkungen 
und vou Ausfuhrungen giebt er sich nämlich die gröfste Mühe, die Auf- 
merksamkeit von der Sache, die er allerdings nicht glücklich führte, 
auf meine Person zu lenken. 

Da mufs schon mein Stil herhalten: er zeige hie und da schwere 
Mängel, wie ich da andere zu meistern wagte. Ein wissenschaftlicher 
ist wohl kein aesthetischer Versuch. Aber die Form ist deswegen noch 
nicht gleiehgiltig bei ihm, und ich bin aufrichtig dankbar, wenn mir 
jemand mein Gewissen dafür noch mehr schärft. Eine Schande kann 
ich darin nicht sehen ; hat sich doch selbst ein Schiller durch Humboldt 
Korrekturen gefallen lassen müssen. Aber wenn mir einmal aus einigen 
äufseren Verstöfsen das Recht, etwa die Fröhlichsche Schrift zu beur- 
teilen, wollte streitig gemacht werden; dann mufste dem Verfasser der- 
selben gerechtermafsen aus Fehlern, wie S. 138 unten f., S. 140 Mitte, 
doch mindestens ebenso entschieden die Befugnis, einen Herbart und 
Ziller zu bemängeln, abgesprochen werden. — 



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I 



— 37 — 

Ich schreibe ausserdem breitspurig , langweilig , ermüdend , ver- 
schwommen. So schon in meinem Aufsatz über den Geschichtsunterricht. 
Hätte Herr Wescndonck von dem gehalten, er sei viel zu wenig aus- 
geführt, so hätte ich daran den Mann von Einsicht erkannt. Dafs 
meine Kritik von Fröhlichs Buch überhaupt so lang ausfallen mufste, 
ist doch nicht meine Schuld. Und dafs ich darin sehr schwierige Dinge, 
wie die Einheit des pädagogischen Ziels, nicht so kurzer Hand recht- 
fertigen konnte, wie sie Herr Fröhlich abgethan, sollte mir doch nicht zum 
Vorwurf gemacht werden. — Aber ich ziehe auch eine Menge gelehrter 
Ansichten, welche absolut nicht zur Sache gehören, mit den Haaren 
herbei. So rede ich von einem Bekenntnis des materialistischen Monis- 
mus durch Herrn Fröhlich. Nun entweder haben noch bei uns die 
Worte einen Sinn, oder nicht. Wenn ja, was kann dann Fröhlichs 
Ausspruch, der Leib bilde als Träger des geistigen Lebens (Herr 

Wesendonck läfst natürlich diese entscheidenden Worte hinweg) mit 
dem Geist eine Einheit, anderes als die Ablehnung eines eigenen, 
vom Leib unterschiedenen Trägers dieses Lebens bedeuten? Dafs 
Fröhlich in demselben Atemzug den Leib auch wieder das dienstbare 
Werkzeug des Geistes nennt und von einer Wechselwirkung beider 
spricht, habe ich dies nicht selbst hervorgehoben? Und habe ich etwa 
die Möglichkeit geleugnet, dafs er vielleicht sich über den Sinn seiner 
Worte gar keine Rechenschaft gebe? Herrn Wesendoncks Beschimpfung 
bei dieser Gelegenheit sehe ich gerne nach; sie entehrt nicht mich. — 

Ich verschwende meine Tinte an pedantischen Wortkram und 
minutiöse Tüfteleien und Spitzfindigkeiten. Schade, dafs Herr Wesen- 
donck es unter seiner Würde fand, den geringsten Beleg dafür beizu- 
bringen. Zum Zwecke, vor meiner Kritik an Fröhlichs Buch gründlichen 
Widerwillen einzuflöfsen, taugen ja wohl auch solche Behauptungen. — 

Ich habe Fröhlichs Buch durch eine dunkle Brille gelesen. Nein, 
durch eine zu helle, viel zu scharfe: wozu sonst all der Lärm gegen 
mich? — Wie fast alle diese Bemerkungen meine Darstellung in ein 
möglichst schiefes Licht zu stellen suchen, beabsichtigen die folgenden, 
das Vertrauen in die Selbständigkeit meiner Auffassung zu untergraben. 

1. Ich schreibe manchmal etwas, wobei ich mir nichts Klares, oder 
gar nichts denke; z. B. die Stelle in meinem Aufsatz über den Ge- 
schichtsunterricht von dem sanften Hinüberleiten der bisherigen Geistes- 
entwicklung in die neue Phase. 2. Es sei geradezu unverständlich oder 
lächerlich, wenn ich sage, dafs Fröhlich die Ethik und Psychologie um 
ihre Würde gebracht habe. 3. Ich sei vom ersten Rausche jugendlicher 
Begeisterung noch nicht zur besonnenen Prüfung der Lehren Zillers 
vorgedrungen, ich habe mich seinem System als ein Gefangener auf 
Gnade und Ungnade ergeben; ich kenne nur ein System, das mir von 
meinem Lehrer vorgetragene; das sei mir das unfehlbare und einzig 
richtige. 4. Den begründeten Ausstellungen Fröhlichs an Zillers Lehren 
habe ich wohl widersprochen, aber ich habe sie nicht widerlegt, ja ich 



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> 



- 38 — 

gehe auf Fröhliche Widerspruch eigentlich gar nicht ein, sondern' zitiere 
dagegen Zilier und wieder Ziller. Darauf sei geantwortet: 

1. Ich kann auch heute den Gedanken nicht als falsch erkennen, 
dafs in der Geistesentwickelung von einer Phase zur andern nicht un- 
vermittelt, nicht mit einem Sprunge fortgeschritten werden solle, date 
vielmehr das Kind von der phantasiemäfsigen Aneignungsstufe zur ge- 
schichtlich ^tatsächlichen nur allmählich zu erheben sei. Darin scheine 
ich allerdings sehr schwer gefehlt zu haben, dafs ich statt eines all- 
mählichen Hinüberleitcns von der einen zur andern ein sanftes gefordert 
habe. Man beachte einmal, mit welch inniger Freude der Mann, der 
mir wortklauberische Kritik vorrückt, bei diesem Funde verweilt. — 

2. Fröhlich verquickt Ethik und Psychologie als solche mit der 
Paedagogik und bietet überdies das Nötigste aus ihnen in konzentrischen 
Kreisen dar. Er beraubt sie also ihrer Selbständigkeit und verstümmelt 
zugleich willkürlich ihren Zusammenhang. Aber gerade in der eigenen 
Geltung und im unverletzten organischen Zusammenhang seiner Teile 
besitzt ein Ged ankenganzes den Rechtstitel auf die Anerkennung als- 
Wissenschaft: folglich sind Ethik und Psychologie bei Fröhlich that- 
sächlich um ihre Würde als Wissenschaften gebracht. Herr Wescn- 
donck läfst freilich in seiner Anfuhrung aus meinem Aufsatz gerade die 
mafsgebenden Worte (S. 3) wieder heraus, und also zugerichtet, mag 
meine Bemerkung unverständlich oder lächerlich genug erscheinen. — 

3. Es möge nicht als unbescheiden gedeutet werden, wenn ich 
hier notgedrungen einer Wendung in meiner Bildung gedenke. Ich 
war einmal wirklich Ansichten und Lehren mit dem ausschliefsenden 
Eifer der Jugend und ihrem unbedingten Vertrauen zugethan: jenen 
Ansichten und Lehren, wie sie auf unseren Versammlungen und in der 
Mehrzahl unserer Zeitschriften, hauptsächlich aber in den Werken von 
Dittes zum Ausdruck kamen. Doch ich erhob mich nach und nach zu 
dem Standpunkt, dafs dem Gefühl in Dingen der Einsicht kein Recht 
gebühre. Und der Mann, dem ich vor andern diese, wie ich schätze, 
gute Wendung verdanke, war Ziller. Er lehrte es nicht blofs, sondern 
lebte es auch vor, dafs nichts anzuerkennen oder zu verwerfen sei, 
weil es irgend eine Autorität gutheifse oder mifsbillige, sondern allein 
darum, weil man es als wahr oder falsch erkenne. Sein Streben war 
ausdrücklich darauf gerichtet, ein selbständiges prüfendes Denken in 
seiner Umgebung zu erwecken, und sie zu gewöhnen, stets nur der 
eigenen Ueberzeugung zu folgen. Meint demnach Herr Wesendoncfc, 
Zillers System sei mir das einzig richtige, weil Ziller es mir vorgetragen, 
so trifft das nicht zu. Nicht um seines Namens willen gilt mir des 
Mannes Lehre; sein Name ist mir teuer um seiner Lehre und noch 
mehr um seines Lebens willen. Nicht ohne Widerspruch und manchen 
inneren Kampf mufste ich mich lediglich der Macht besserer Gründe 
endlich unterwerfen ; so gewann mich seine Lehre selbst für sich. 
Und ich kann keine Schmach darin sehen, offen zu bekennen, dafs ich 



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S9 — 



innerlich gehalten bin, dieselbe unter den vorhandenen pädagogischen 
Lehren als die verhäknismäfsig vollkommenste anzuerkennen. — 

4. Ea gehört mehr als Mut dazu, gegenüber der Thatsache, dafs 
Fröhlich so überaus wichtige Forderungen, wie die des einheitlichen 
Erziehungszieles oder der Erneuerung der Gesamtentwickelung in der 
einzelnen, einfach behauptungsweise bestreitet, von begründeten Aus- 
stellungen desselben an Zillers Lehren zu reden. Hier konnte ich ihn 
allerdings nicht widerlegen, weil bei ihm nichts zu widerlegen war; oder 
vielleicht doch, wenn es mir geglückt sein sollte, die Notwendigkeit der 
Erfüllung jener Forderungen für die Entstehung eines guten Charakters 
überhaupt darzutbun. Wo sonst Fröhlich wirklich eine Art Anlauf zur 
Rechtfertigung seiner Meinungen nimmt, bin ich ihm nirgends aus dem 
Weg gegangen. Dafs ihm und seinen Gönnern die Art meiner Zurück- 
weisung seiner Kritik Zillers am ungelegensten kam, glaube ich gerne. 
Denn in welchem Lichte mufste der angeblich so berufene Beurteiler 
dastehen, wenn von ihm Ziller die Forderung zugeschrieben wird, dafs 
den geschichtlichen Gesinnungsstoffen der ganze übrige Lehrstoff an- 
und einzuzwängeu sei, und ZUIer selbst auf das entschiedenste aller 
Vermischung der Lehrfächer, aller Verletzung ihres eigentümlichen 
Charakters entgegentritt; oder wenn er behauptet, man wisse nicht, wie 
Robinson ins zweite Schuljahr komme, und Ziller wiederholt darüber 
Rechenschaft gibt; oder wenn er den Anschlufs des elementaren Rechnens 
an geschichtliche Stoffe von sciten Zillers als Uebertreibung tadelt, und 
Ziller die vortrefflichsten Grundsätze über die Gestaltung des mathe- 
matischen Unterrichts ausspricht, von welchen nur recht dringend zu 
wünschen wäre, dafs sie in unseren gangbaren Methodenbüchern etwas 
mehr Beachtung fanden; oder wenn er Mager, Stoy, Herbart gegen 
Ziller verwendet, und Ziller mit diesen Männern gerade in ihren wider 
ihn beigebrachten Urteilen völlig Ubereinstimmt! 

Herr Wesendonck hat von mir hinweg an die allgemeine Stimme 
für seinen Klienten appelliert. Auch ich ergreife die Berufung dahin, 
doch unter dem Vorbehalte, dafs mau vor allem Herbart und Ziller — 
aus Herbart und Ziller unbefangen und gründlich kennen lerne. Dann 
möge man immerhin über Fröhlich und mich richten; ich trage vor dem 
Spruch kein Bangen. — Herr Wesendonck begnügt sich aber nicht da- 
mit, meine Darstellung und selbständige Auffassung, und damit Form 
und Bedeutung meiner Kritik von Fröhlich» Buch, möglichst herunter- 
zusetzen, sondern er sucht mir auch Unredlichkeiten dabei nachzuweisen, 
um aulser der Verachtung auch Abscheu vor ihr zu erwecken. 

1. Ich scheue mich nicht, unvollständig oder falsch zu zitieren. 
Fröhlich behauptet von Ziller, dafs er die Gabe einfacher und deutlicher 
Darstellung auch der schwierigsten philosophischen Probleme weniger 
besessen habe, und beruft sich hierbei auf Zillers Biographie von Lange. 

Nach Herrn Wesendonck sollen ihm folgende Stellen derselben vor- 
geschwebt haben : Welch hohe Ansprüche stellte er (Z.) an die Einsicht 
und das selbstverleugnende Wollen des Lehrers! Dazu kam, dafs er 



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- 40 - 



seine Ansichten in einer philosophischen Schulsprache vortrug, die an 
sich zwar klar und durchaus nicht unschön, doch manchem fremd und 
unverständlich blieb, dafs die der Praxis gewidmeten Arbeiten, wie sie 
in den 13 Bänden des Jahrbuches für wissenschaftliche Pädagogik nach 
und nach erschienen, selten den Leser über das ganze System orien- 
tieren, indem sie einzelne wichtige Punkte aufhellen und ausbauen 
sollten, so dafs der Uneingeweihte oft mit den an sich höchst wertvollen 
Aufsätzen nichts anzufangen wufste .... 

So kam es, dafs seine Bestrebungen den bedauerlichsten Mifsver- 
ständnissen und Mifsdeutungen begegneten, dafs vielen solche Schulaus- 
drücke wie Gesinnungsunterricht, Märchen- und Robinsonstufe, methodische 
Einheit, formale Stufen, Analyse, Synthese, Assoziation, System und 
Methode böhmische Dörfer blieben, dafs man für pädagogischen Dilettan- 
tismus und methodische Wunderlichkeit erklärte, was anderen als ein 
wichtiger didaktischer Fortschritt erschien. Ja selbst denen, die in 
Zillers Seminar eintraten, erschlofs sich nicht immer sofort, sondern sehr 
allmählich das Verständnis für seine Ideen. Bedenkt man, dafs ihm 
selbst sein System nicht mit einem male fix und fertig vor der Seele 
stand, sondern dafs laugjähriges, unermüdliches Forschen dasfelbe erst 
zu einem gewissen Abschlüsse brachte, zieht man weiter in Erwägung, 
dafs es Studierende, also fast durchweg Anfanger im Unterrichten waren, 
die zu ihm kamen, so begreift sich jene Thatsache leicht, wenn auch 
nicht anzunehmen ist, dafs es allen so ergangen sei, wie jenem ehe- 
maligen Praktikanten Zillers, der da bekannte : Im ersten Semester hab' 
ich ihn gar nicht, im zweiten mifsverstanden und erst im dritten ihn 
leidlich kapiert. Ich erkannte dagegen Langes Aufserung über Ziller 
als Redner als diejenige, welche Fröhlich vor Augen gehabt: So frisch 
und anregend, so wohl durchdacht Zillers akademischer Vortrag in sach- 
licher Beziehung war, so streng er sich auch in formeller Beziehung der 
gröfsten Korrektheit befleifsigte, so ging ihm doch jeglicher oratorischer 
Schmuck ab ; Ziller war kein glänzender Redner, dem die Worte stets 
im vollen, reichen Strome leicht vom Munde flössen, sondern in lebhafter 
Gedankenarbeit begriffen rang er nach dem rechten Ausdruck, so dafs 
seine Rede mehr einem Gebirgswasser glich, das über unzählige Felsen- 
hindernisse hinunterstürzt ins Thal. Und das legt mir Herr Wesen- 
donck als jesuitisch aus! Fröhlichs all^euieine Verweisung („vergl. 
allgem. deutsche Lehrerzeitung, Jahrgang 1882") nötigte dazu, lediglich 
aus dem Silin seiner Worte auf die etwa gemeinte Stelle bei Lange 
zu schliefsen. Da war es nun durchaus entscheidend, dafs er von dem 
geringeren Besitz einer Gabe, also von etwas Ursprünglichem, sprach. 
Durch den gleichzeitigen Hinweis auf Kuno Fischer schien es aufser 
alJem Zweifel gestellt, dafs er an den geringeren Besitz einer Fähigkeit, 
eines Talentes denke. Wo ist nun in all den Aufserungen Langes, 
die ich absichtlich übergangen haben soll, jemals von einem solchen in- 
dividuellen, persönlichen Mangel die Rede? Aber Lange sagt selbst noch 
ausdrücklich: Gewifs waren es nicht unerhebliche Gründe, die Ziller 



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— 41 



bewogen, gerade so und nicht anders zu verfahren; er durfte sich darauf 
berufen, dafs dem, der psychologische und ethische Studien getrieben, 
auch seine Schulsprache verständlich sei, und dafs der, welcher für seine 
praktischen Arbeiten sich interessiere, billigerweise sich auch mit seiner 
pädagogischen Theorie bekannt machen müsse. Diese Worte, welche 
Herr Wesendonck freilich wieder herausläfst, verbieten es geradezu, 
in jenen, die voranstehen und folgen, die Beanstandung einer Gabe 
Zillers zu einfacher und deutlicher Darstellung schwieriger philosophischer 
Probleme zu erkennen. So erübrigte nur, in Langes Eingeständnis einer 
geringeren Rednergabe Zillcrs dasjenige zu vermuten, was etwa Fröhlich 
vor Augen gehabt; — oder aber anzunehmen, dafs er ohne den ge- 
ringsten Grund sich auf Lange gestützt. In der 3. No. 1884 von 
Manns deutschen Blättern beruft sich Fröhlich trotz dem klaren Sinn 
von Lange's Ausführungen und im Widerspruch zur Bedeutung seiner 
Bemerkung allerdings auf die von Herrn Wesendonck hervorgehobenen 
Stellen, mufs sich aber gefallen lassen, sofort an Ort und Stelle durch 
Lange abgefertigt zu werden. 

Ich habe allen Grund zu bedauern, dafs mir zu dem in Frage 
stehenden Funkt dieser durch Lange selbst geführte Nachweis, wie 
Fröhlich sich auf ihn ganz ohne Hecht berufe, entgangen; aber ich gebe 
dem Scharfsinn Herrn Wesendoncks auf, zu ergrübein, welche Ursache 
mich hätte veranlassen können, ihn absichtlich zu übersehen. Er aller- 
dings mufs wissen, warum er wohl Fröhlichs Aussprüche von Lange, 
nicht aber dessen doch gleichenorts stehende Zurückweisung Fröhlichs 
anführt! — 

2) Ich stelle zur Verteidigung meines Meisters unrichtige Behaup- 
tungen auf. So an dar Stelle meiner Rezension: es sei unrichtig, wenn 
Fröhlich sage, dass Ziller in seinen Vorlesungen über allgemeine Päda- 
gogik die verschiedenen Arten des Interesses nirgends erläutert habe; 
es sei diese Erläuterung von Ziller auf Seite 165 — 175 gegeben. Zu- 
nächst meine wirklichen Worte: Die Behauptung, dass Ziller in den 
erwähnten Vorlesungen die verschiedenen Arten des Interesses nirgends 
erläutert, ist, wie die Ausführungen darüber S. 165 — 175 der Vor- 
lesungen beweisen, eine thatsächlich unrichtige. Man beachte, dass Herr 
Wesendonck das Wörtchen „thatsächlich" überlesen, den Satz: es sei 
diese Erläuterung von Ziller auf Seite 165 — 175 gegeben, hinzugesehen 
hat. Darauf fahrt er fort: Dort (näml. S. 165 — 175) spricht aller- 
dings Ziller bei der Behandlung der Hauptfächer des Unterrichts, also 
gelegentlich (!) auch von den verschiedenen Richtungen des Interesses; 
allein der Fundamentalbegriff der ganzen Zillerschen Pädagogik, das 
Interesse überhaupt, wird nirgends entwickelt, sondern als bekannt vor- 
ausgesetzt, und die verschiedeneu Classen des Interesses werden weder 
klar und fasslich erläutert, noch ihre Erklärungen als Kernpunkte über- 
sichtlich zusammengestellt . . . Bei einer derartigen, beiläufigen, ver- 
schwommenen Darstellung einer Fundamentallelire bekommt nicht einmal 
der wissenschaftlich gebildete Lehrer, viel weniger aber der Elementar- 



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43 — 



1 ehrer offor ein mit Zillers- Ideenkreise Unbekannter etneri klaren 
griff von dem fraglichen Paukt und von der hervorragenden: Stellung, 
welche die Lehre vom Interesse in dem ZiuWsehen Lehrgebäude der 
Pädagogik einnimmt, dweir Hauptstütze sie doch sein soll. Aus diesem 
Grunde hat Fröhlich durchaus nicht unrecht. Mit jener kritischen — 
Freiheit und diesen Auslassungen verschiebt also Herr Wesendonek sehr 
geschickt wieder den ganzen Sinn der Sache: während ich einfach be* 
streite, dftgft die Arten des Interesses nirgends erläutert seien, was Herr 
Wesendonek selbst als thatsächlich unrichtig zugeben mass> wendet er 
die Sache so, als ob es sich dabei um -das Wie? des Erläuterns- handle. 
Wie weit Zillers Ausführungen Uber die Arten des Interesse» unklar, 
unfasstieh, verschwommen seien, möge der LeseT selbst prüfen. Warum 
hat sich nur Fröhlich hier, wie an allen übrigen Punkten seiner Kritik, 
das- Verdienst entgehen lassen, das Tadelnswerte durch Besseres ssu er- 
setzen? Dass Ziller das Interesse überhaupt in seinen Vorlesungen nur 
erklärt, aber nicht umfassend entwickelt, geschieht mit vollem Recht; 
Sollte er wiederholen, was er in seiner Grundlegung so trefflich bereits 
geleistet hatte? Allerdings hat es den Anschein, als ob Herrn Wesen- 
donek der Mittelpunkt wenigstens der zweiten Hälfte dieses Werkes 
gänzlich entgangen wäre. 

Herr Wesendonek zeiht mich indes noch schwererer Unredlichkeiten. 
Mir fehle nicht nur das Wohlwollen gegen einen Mitarbeiter, sondern 
selbst die nackte Gerechtigkeit ; mit Vorsatz verschweige ich das Gute 
am einem vom besten Bestreben getragenen Werke. In hämischer, ab- 
sprechender Weise tadle ich sämtliche Unterrichtsbeispiele Fröhlich»; 
Herr Dr. Karl Lange, welcher auch gern streng kritisiere, lobe sie. 
Sogar der strenge Kritiker Vogt erkenne an, dass Fröhlichs Schrift auch 
glückliche PopulariBationsversuehe enthalte ; und dass der äussere Erfolg, 
den Zweck der Verbreiterung der wissenschaftlichen Pädagogik durch 
populäre Darstellung anlangend, für sie spreche. Ich räume ein, dass 
man von Liebe zu Herrn Fröhlich in meiner Kritik nichts vermerkt; 
hatte ich's doch mit einem Buche und nicht mit einer Person zu tmur; 
ein Buch aber kann man wohl auf die Wahrheit seines Inhalts prüfen, 
aber man kann ihm keine Wohlthat erweisen» Den Vorwurf dagegen, 
dass ich das Gute an dem Werke mit Vorsat« verschwiegen, muss ich 
auf das entschiedenste zurückweisen. Ist es denn Herrn Wesendonek 
so gänzlich undenkbar, dass ich mich von Vorzügen der Schrift nicht 
überzeugen konnte? So gleich bei den Unterrichtsbeispielen. Zwar ist 
es wieder eine der vielen Unwahrheiten Herrn Wesendoncks, dass 
ich sämtliche in hämischer, absprechender Weise getadelt; richtig ist 
jedoch, ich habe kein einziges ausdrücklich gepriesen. Bei der Be- 
handlung des Bergliedes von Schiller habe ich die Gründe dafür an- 
gegeben. Von der des Morgengebetes „Wie fröhlich bin ich aufge- 
wacht" halte ich, dass solche Vorbereitung und solche Auslegrra^ 
eines Gedichtes einem Seminaristen wenig Ehre machen würde. — Bei 
der Behandlung der Geschichte von Davids und Jonathans Freund- 



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43 - 



sehaft fehlt gerade das Wichtigste, die Wertschätzung: diese» Verhält- 
nisse», auf der Stufe der Verknüpfung wie der Anwendung werden Bei- 
spiele von Freundschaft, wie jener von Elia» und Elisa, Luther imd 
Melanchthou , Friedrich d. Schönen und Ludwig dem Bayern, Moros 
(Dämon?) und seinem Freunde, erwähnt, von welchen au bezweifeln 
ist, ob sie dem Schüler wirklich bekannt seien. Die Zusammenfassung 
steuert voreilig auf eine Definition de» Begriffes Freundschaft hin, die 
Anwendung vergisst gerade das Notwendigste, den Rückbezug des an 
fremden Personen Erkannten auf den Zögling selbst, wie schon die Vor- 
bereiung den Ausgang von seinen kameradschaftlichen Beziehungen. — 
Statt dass bei dem Beispiele aus der Naturlehre (,, Versuche mit Magnet- 
steinen") vom Staunen über die gemachten Erfahrungen ausgegangen 
und dem Unterricht die Aufgabe, eben jenes Staunen zu lösen, gestellt 
würde, werden die Erfahrungen im Unterricht erst gesammelt. Statt 
dabei auf wirkliche Erfahrungen hinzusteuern , wird sich mit Schein- 
erfahrungen begnügt; denn solche müssen es werden, wenn vor einer 
Klasse, die doch in der Regel leider nicht unter sechzig, sehr oft aber, 
sogar in Städten, viel mehr Schüler zählt, kleine Gegenstände von Stahl 
oder Eisen z. B. an einen Magnetstein gehalten werden. Statt dass die 
Versuche in spannender Gliederung ausgeführt werden, geschehen sie 
verworren. — Beim ersten Beispiel au» dem Rechnen (die Zahl zehn 
— Multiplikation und Division) wird der Begriff des Darinliegens gegeben 
und die Abstraktion vorausgesetzt, statt dass sie durch unmittelbar 
vergleichendes Rechnen vollzogen worden wäre. Beim zweiten Bespiel 
(Aufsuchen einer Regel zur schnellsten Multiplikation reiner Brüche) 
wird nicht von einer konkreten Aufgabe ausgegangen, sondern bis gegen 
da» Ende nur mit reinen Zahlen verfahren. — Ebenso vermisst man beim 
Beispiel aus der Sprachlehre den Bezug zum Bedürfnis des Schülers; es 
begegnet nichts als ein verwerfliches Grammatisieren. — Dass Herr 
Wesendonck selbst nach Fröhliche Anweisung das Berglied, uud zwar nach 
seiner Aneicht mit erspriesslichen Erfolgen, behandelt hat, ist noch kein 
Beweis etwa für die Mustergültigkeit jener Anweisung, sondern höchstens 
dafür , dass Herr Wesendonck in der Methodik zwar Herbart und Ziller 
meistern will, aber sogar noch bei Herrn Fröhlich in die Schule zu gehen 
hat. Auch dass Herr Lange einige allgemeine Worte über unsere Unter- 
richtsbeispiele geäussert hat, wird niemand als zureichend erkennen, den- 
selben in der That vorbildlichen Charakter beizumessen; sondern in der 
Berufung darauf wird man weit eher ein Zeugnis dafür erblicken, dass 
Herr Wesendonck wohl andern blindes Nachbeten der Urteile von Au- 
toritäten vorzurücken versteht, selbst aber in der Methodik, wie bereits 
in der Psychologie, ängstlich nach Namen ausschaut, auf welche er 
Bich stützen könne. Jedenfalls wäre es gescheiter gewesen, meine be- 
gründeten Ausstellungen an der Behandlung des Bergliedes wiederum 
mit Gründen zu entkräften, statt durch eine Autorität; und männlicher, 
die doch nicht abzuleugnenden Missverhältnisse darin unumwunden an- 
zuerkennen, als ihre Hervorkehrung sogleich hämisch und absprechend 



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zu schelten. Die öffentliche Aufforderung an mich, Fröhliche Unterrichte- 
themen doch einmal besser zu bearbeiten, gemahnt an die verzweifelte 
Ausflucht jenes Schauspielers, der, erbost wegen Gottschalls unver- 
blümter Kritik seines sehlechten Spiels, sich also ausliess : Da ist dei 
Gottschall, der Kerl schreibt einen herunter, und ich wette, wenn ei 
einen Kammerdiener machen sollte, so würde er den Stuhl nicht gehörig 
hinzusetzen wissen. Wäre os nicht vernünftiger gewesen, wenn der 
Schauspieler sich Gottschalls Beurteilung seiner Kunst zu Herzen ge- 
nommen und durch bessere Darstellung dessen Tadel sich in Lob ver- 
wandelt hätte? — 

Auch bei den Popularisationsversuehen konnte ich mich von Vor- 
zügen der Schrift nicht überzeugen. Den himmelweiten Unterschied 
zwischen einer im guten Sinne des Wortes populären, das heisst einer 
trotz wissenschaftlicher Genauigkeit durchaus verständlichen Darstellung 
und der Fröhlichs zeigt ein Vergleich der Abhandlung der praktischen 
Ideen in Nahlowskys Ethik und in unserem Buch. Zur Würdigung der 
Ableitungen aus der Psychologie für die Schulpraxis nach ihrem wirk- 
lichen "Werte habe ich auf die rechten Orte bei Ziller schon hinge- 
wiesen. 

Dass ich endlich in Fröhlichs Schrift kein Mittel zur wahren Ver- 
breitung der Pädagogik Herbarts und Zillers erkennen könne, sollte 
doch der zum Motto gewählte Spruch Pauli von vornherein kundthun. 

Herr Wcsendonck giebt mir aber nicht nur Unredlichkeiten bei 
meiner Kritik schuld; auch die Beweggründe dazu stellt er als ganz 
verwerfliche hin. Fröhlichs Schrift sei wegen ihrer Kritik den Zillerianern 
ein Dorn im Auge. Um anders denkende von ähnlichen Beleuchtungen 
ihres Systems abzuschrecken, hätten sie eine exemplarische Bestrafung 
Fröhlichs ins Werk setzen zu müssen geglaubt und mich zum Exe- 
kutor derselben ausersehen. Das letztere zu erhärten, wendet Herr 
Wesendonck das schlechte kriminalistische Verfahren an, bei welchem 
in Ermangelung von Beweisen für die Schuld des Beklagten dessen 
ganzes Vorleben durchstöbert und aus seinen etwaigen früheren Ver- 
gehen gefolgert wird, dass er auch das ihm jetzt zur Last gelegte be- 
gangen haben müsse. Zu solcher Funktion, heisst es nämlich weiter- 
hin, werde ich auch anderweit von meinen Oberen verwendet, wie ich 
das selbst ohne Scham auf der Generalversammlung meiner Partei in 
Koburg mit den Worten: „Ich hätte diese Abhandlung überhaupt nicht 
geschrieben (nämlich eine Kritik von Sterners Methodik), wenn ich 
nicht von Wien aus dazu gepresst worden wäre" gestehe. Mit der 
schon gerühmten Berechnung erscheint diese Behauptung des Pressens 
an der Spitze und am Schlüsse der eigentlichen Kettuug von Fröhlichs 
Buch, und zwar zuletzt mit solch rohen Ausdrücken, dass ich sie aus 
Anstandsgefühl nicht wiederholen mag. Es wäre eine Beleidigung der 
Männer, welchen Herr Wesendonck die höchst tadelnswerte Handlungs- 
weise, dass sie aus dem unedlen Gefühl der Wiedervergeltung eine 
Nötigung zur Kritik ihnen missliebiger Schriften ausgeübt, öffentlich zum 



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Vorwurf macht, wenn ich Ein Wort zu ihrer Rechtfertigung verlieren 
wollte. Selbst für mich n uss ich auf eine Erklärung meiner, wie ich 
jetzt allerdings sehe, unklug scherzhaft gewendeten Worte in Kohurg 
verzichten. Denn welcher von den zahlreichen Besuchern der dortigen 
Versammlung hätte sie anders als nach ihrem Sinn verstanden, dass ich 
nicht gewagt hätte, in einem so angesehenen Organ, wie das Jahrbuch 
des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik ist, wieder mit einer Arbeit 
hervorzutreten, wenn ich in der Aufforderung dazu nicht den Mut hie- 
fur gewonnen hätte. Im unmittelbaren weiteren Zusammenhange legte 
ich die wirklichen Beweggründe zur Verabfassung gerade dieser Ab- 
handlung dar: warum verschweigt sie der Mann, der doch anderen ab- 
sichtlich falsche oder unvollkommene Anführung so schnell unterschieben 
kann? Fürchtete er, der in der Benennung einer theoretischen Auf- 
fassung mit dem rechten Namen so edelsinnig bereits bösen Willen und 
Verdächtigung wittert, dass dann sein obiger Vorwurf in seiner wahren 
Natur erkannt werde? — Aber hat nicht selbst Herr Helm mich wegen 
meiner übertriebenen Kritik von Sterners Methodik zurechtgewiesen: 
es sei Pflicht, mit solchen Männern mild zu verfahren, aber nicht darauf 
auszugehen, sie durch die Kritik zu vernichten? Nun eben Herrn Hehn 
gegenüber äusserte ich mich über Absicht und Richtschnur bei der Be- 
sprechung jenes Buches, und ersuchte ihn damit, dass er mir an einer 
einzigen Stelle persönlichen Charakter derselben nachweise. In der That 
ist mir bis heute Sterner nichts als ein Name von sieben Buchstaben; Herr 
Wesendonck möge mit der Loupc nach Stellen in meinem Aufsatz suchen, 
welche mich an seine Seite stellen würden; wäre es mir aber gelungen, 
den pädagogischen Empirismus nach seiner theoretischen und praktischen 
Richtung als haltlos darzuthun, so würde ich mich dessen nicht zu 
schämen haben. — 

Doeh in einem Brief über Kefersteins Abhandlung „Historisches 
Wissen und historische Bildung" habe ich „Ungerechtigkeiten' 4 be- 
gangen. Fehler in jenem Briefe könnten nur Fehler der Auffassung 
genannter Abhandlung sein, welche Herr Dr. Göpfert vielleicht nicht 
ganz gerecht Ungerechtigkeiten genannt ; solche offen einzustehen, brauchte 
ich da einen Augenblick zu zögern? Allein nach allem Ueberdenken 
und nach neuem Erwägen der Punkte, an welchen Herr Dr. Göpfert 
Anstoss genommen, konnte und kann ich meine Irrtümer nicht ent- 
decken. Und so erkennen auch ardere (Vogt in d. Erläuterungen z. 
14. Jahrb.), dass Göpferts Einwurf auf einem Missverständuis beruhe. — 

Aber sicherlich habe ich in dem Aufsatz über den pädagogischen 
Dilettantismus in der Staatsschulverwaltung und über die Praktiker, 
alle jene Leiter des Staatsschulwesens, also die Schulräte, die Schul- 
inspektoren und Direktoren, sowie alle die Lehrer (,,dic Praktiker"), 
welche nicht nach der „wissenschaftlichen" d. h. für mich nicht nach 
der Zillerschen Pädagogik verfahren, kurzweg „Dilettanten" geheifsen? 
Leider erkläre ich ausdrücklich selbst, dais der Dilettantismus in der 
Staatsschulverwaltung nur dann hervortrete, wenn die Entscheidung 



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völlig in die Bände van Jurisien gelegt «ei; and die folgenden Aus- 
führungen hätten jeden Zweifel darüber ausschliefen sollen, dafs ick 
blofs von Individuen rede, welche, obwohl ihres Berufs Verwaltungsbe- 
amte und also ohne die geringfite pädagogische Vorbildung, dennoch in 
pädagogischen Dingen arbeiten und ganz natürlich in einer ÄufcerKch- 
keit, wie das Katechisieren ist, den Inbegriff des Unterrichten« sehen. 
Ist dieser Dilettantismus nicht in der That die notwendige Verneinung 
der wissenschaftlichen Pädagogik und eine stete Gefährdung der Frei- 
heit der Überzeugung? 

"Wie hat also Herr Wesendonck meine Gedanken dargestellt! Was 
der frohe Mut mich sprechen liefs, möchte ich fast mit Wallensteins 
Worten sagen, das hat er zu künstlichem Gewebe mir vereint, und eiue 
Klage draus bereitet, dagegen ich verstummen sollte.*) Mit dem 
Accent der Verachtung spricht bei diesem Anlass der Doktor und wahr- 
scheinlich ältere Professor von dem jungen Elementarlehrer an der Volks- 
schule zu Wtirzburg. Der Fufstritt trifft meinen Stand zunächst.**) 
Wie Uberaus rätselhaft es ist, dafs einem im Pädagogium dieser Stand 
mit dem Tone, mit welcliem etwa der hochmütige Brahmane vom armen 
Paria redet, zur Demütigung vorgehalten, wie rätselhaft, dafs darin 
jemand, der die nämlichen Anschauungen kundgegeben, welche Herr 
Dittes in demselben Heft, kaum wenige Blätter zuvor, über die Ein- 
mischung der Staatsbeamten in die Pädagogik äu Isert, in Wesendonck« 
Weise behandelt werden kann! — 

Also der Versuch? aus alten Vergehen meine Schuld an Herrn 
Fröhlich darzuthun, kann als mifsglückt betrachtet werden. Aber ist es 
denn ohne Annahme schlechter Beweggründe nicht gänzlich unerklär- 
lich, wie sein Buch dann eine solche Kritik erfahren konnte? Nun, dafs 
sie wahr, zutreffend sei, vermochte Herr Wesendonck trotz aller Künste 
nirgends abzustreiten. So folgt, die unbemäntelte Darlegung der Wahr- 
heit ist ohne verwerfliche Absichten dabei ein Rätsel! Ich will bei dem 
entsetzlichen Gedanken nicht länger verweilen. Jeder Unbefangene 
findet, dafs Herrn Fröhlichs Buch selbst und allein die Auf- 
forderung zur Kritik daran war. Habe ich doch nicht damit hinter 
dem Berge gehalten, dafs mir seine Anlage und enzyklopädistische 
Tendenz als nachteilig für die Bildung der Lehrer, sein Inhalt als 
Hemmnis für die wirkliche Ausbreitung der segensreichen Lehre vom 
erziehenden Unterricht erschien. Ist es eine Schuld, für eine Bildung 
der Lehrer nicht aus den abgeleiteten seichten Bächlein, sondern den 
frischen tiefen Quellen des Wissens, und für eine Erziehung zum guten 

*) Es ist übrigens gut, dafs ich den Aufsatz geschrieben habe. Herr Bartels 
«. B. wäre wirklich in Verlegenheit, was er zur Unterlage seiner Ausfälle machen 
solle. Aber wenn ich auch das Vergnügen, meine armen Worte zutodezuhetaen, 
nicht stören will, so mufs ich doch dringend bitten, ihren Laut und Zusammen- 
hang zu schonen, und einmal Katechisieren und Fragen, Praktiker und Praxis aus- 
einan der znh alten . 

**) Siehe die nachfolgende „Erklärung." 



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Meuchen nicht aus dem Ungefähr, «ondern aus wohlbedachtem Plane 
pestritten zu haben, -so taage ich eine Schuld. 

Es erscheint fürs erste unbegreiflich, wie die Schrift des Herrn 
Fröhlich mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln zu retten versucht 
wird. Herr Wesendonck gewährt uns Aufschluss darüber: sie ist den 
Nicht-Herbartianern wegen ihrer Kritik an Herbart-Zillers System will- 
kommen. Aber wie armselig müssen deren wirkliche Gründe gegen 
die Lehre Herbarts und Zillers sein, wenn ein zerbrechlicher Stab ihnen 
schon hochwillkommene Stütze dawider dünkt; und wie stark im Ver- 
gleich dazu ihre Abneigung gegen jene Lehre, wenn derjenige, der den 
zerbrechlichen Stab nur als solchen erkennen konnte, dafür an den 
Pranger gestellt wird. Und dafs ich hiermit eine Thatsache ausspreche, 
beweifst nicht nur Herrn Wesendoncks ganze Auslassung .gegen mich, 
sondern sein eigenes unbedachtsames Geständnis. Denn nachdem er 
sein würdiges Geschäft — gewifs aus vollem, freiem Entschhifs — voll- 
bracht, nämlich der um den ßchandpfahl harrenden Menge meine Ter- 
gehen mit weithin -schallender Stimme verkündet hat, schliefst er mit 
innigstem Behagen ob «eines gelungenen Werks: sein über mich ange- 
legtes Sündenregister «ei noch nicht erschöpft, aber man werde genug 
haben. Also ihm kam es wirklich darauf an, mich im eigensten Sinne 
des Wortes schlecht zu machen. Dafs eine Polemik „bissig, verdäch- 
tigend, ungerecht sein, dafs man über andere mit inquisitorischem Ver- 
fahren, mit der Folterbank tüftelnder Buchstabenkritik herfallen, sie mit 
Hafs und Schmähungen überschütten, mit Spott und Hohn verun- 
glimpfen, begeifern und mit Kot bewerfen" könne, weil sie schwarz nicht 
weifs nennen, das alles habe ich erst aus Herrn Wesendoncks kritischer 
Leistung gegen mich erfahren. Und derselbe Mann brüstet sich an 
anderer Stelle mit seiner Liebe zur Wahrheit und seinem Interesse für 
die gute Sache und äugelt der allgemeinen Menschenliebe zu ! Indem 
er das, was er andern zur Last legt, thatsächlich selbst unternimmt, 
nämlich von einer unparteiischen Kritik abzuschrecken, sucht er zu- 
gleich, sie zu verkümmern. Aber gerade aus ihm mufs man die Er- 
kenntnis gewinnen, dafs die pädagogische Kritik zwar ein schlecht 
lohnendes, aber dringend notwendiges Geschäft sei.*) Wolle. er das nicht 
so verstehen, als ob ich etwa bei weiteren Auslassungen seinerseits über 
mich ihm noch einmal zu antworten gedächte. Wer von sich selbst 
bekennt, dafs er nur nach Flecken an fremden Persönlichkeiten forsche 
und förmlich Buch darüber führe, hat das Recht überhaupt verwirkt, 
dafs seinen Kundgebungen anders als mit jenen Gefühlen begegnet 
werde, welche sie notwendig hervorrufen. — 

Am Ende stehen wir noch vor einem neuen grofsen Rätsel. Wesen- 



'•) "Siehe das 4. Heft der padagog. Studien 1884: Kesensentum in der 
Pädagogik. 



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doncks Kritik über mich reiht sich gewifs ebenbürtig der von Dr. Bood- 
ßtein über Dörpfeld in Kehrs Pädagogischen Blättern an. Damals 
wallte Herr Dittes in edler Entrüstung ob solcher Kritik auf — und 
jetzt läfst er die Blätter seiner eigenen Zeitschrift damit bedecken ! — *) 

Würzburg, 11. Januar 1885. P. Zillig. 



2. Erklärung. 

In Dr. Dittes' „Pädagogium", VII. Jahrgang, 3. Heft, Dezember 1884, 
pag. 192, spricht Herr Dr. Wesendonck - Saarbrücken von einer „falschen Wert- 
schätzung der subtilsten Dinge" durch die Vertreter der Herbartschen gchule 
und knüpft hieran folgende Auslassung: 

„Der Elementarlehrer wird bei einer solchen falschen Wertschätzung der 
subtilsten Dinge nur in seinem pädagogischen Sinne beunruhigt; es wird ihm, 
wenn er es redlich meint, angst und bange, zumal er durchschnittlich nicht 
Kenntnisse und Bildung genug besitzt, um aus sich selbst einen Ausweg, 
Beruhigung und Berufsfreudigkeit, die er ob all diesem fast verliert, wiederzu- 
finden. Der akademisch gebildete Lehrer aber, der ob seines Studiums 
nicht einseitig geworden ist, sondern den gesunden Menschenverstand 
und die Fähigkeit einer richtigen Wertschätzung der Dinge dieser 
Welt bewahrt hat, sagt zu solchen Allotrien einfach „Quatsch" und „weg 
damit." 

Diese Gegenüberstellung des akademisch- und seminaristisch-gebildeten Lehrers 
hat mit Kecht in Volksschu llehrerkreisen Unwillen erregt, der sich nicht allein 
gegen den Herrn Verfasser, sondern leider auch gegen das „Pädagogium" und 
Herrn Dr. Dittes wendet. 

Wenn zur Beruhigung des pädagogischen Gewissens und zur Erhaltung der 
Berufsfreudigkeit gegenüber einer etwaigen Beunruhigung durch die sogenannte 
„wissenschaftliche Pädagogik" nichts weiter erforderlich ist, als „gesunder Men- 
schenverstand und die Fähigkeit einer richtigen Wertschätzung der Dinge dieser 
Welt", so werden die Elementarlehrer mindestens ebensogut einen Ausweg aus 
der ihnen etwa bereiteten Beunruhigung, die ja zumeist von Akademikern aus- 
geht, zu finden wissen, als letztere. 

Wir halten die plumpe Auslassung des Herrn Dr. Wesendonck in einem 
Augenblick, wo eine Sammlung der anti-zillerischen Streitkräfte 
sich glücklicherweise anzubahnen scheint, und in einem Organ, 
welchem hierbei die Führung zusteht, für so bedauerlich, dafs wir die- 
selbe nicht mit Stillschweigen übergehen mögen, da hierdurch nur den Gegnern 
des „Pädagogium" in die Hände gearbeitet würde. Wir hegen aber die zuver- 
sichtliche Erwartung, Herr Dr. Wesendonck selbst, bezw. Herr Dr. Dittes werde 
den Elementarlehrern für die angeführten verletzenden Äußerungen durch eine 
befriedigende Erklärung im „Pädagogium" die erforderliche Genugtuung geben» 
um einem sonst unvermeidlichen Zwiespalt rechtzeitig vorzubeugen! 

Berlin, den 19. Januar 1885. 

Die Redaktion der Pädagogischen Zeitung. 



*) Leider hat sich auch der frühere Redakteur der bayr. Lehrerzeitung, Herr 
Pfeiffer, Wesendonck grundsätzlich angeschlossen, indem er dessen auf mich be- 
zügliche Stellen in seinem Aufsatz „Zehn sonderbare Ideen Zillers" ohne den ge- 
ringsten Vorbehalt nachdruckt. Und so mufs ich mit schmerzlicher Empfindung 
erklären, dafs meine obige Antwort auch ihm mit gelten mufs. 



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3. Pädagogische Vereine. 

1. Das Pädagogische Kränzchen in Braunschweig. 

Im Mai v. Js. wurde hier ein gegenwärtig aus 18 Mitgliedern bestehendes 
Kränzchen (1. Vorsitzender Schulinspektor A. Henschel, 2. Vorsitzender Schul- 
inspektor K. Linke, Schriftführer Taubstummenlehrer Anschütz) ins Leeben gorufen 
das sich die Aufgabe gestellt hat, tiefer in das Wesen der wissnsehaftlichen, 
Pädagogik, insonderheit in das Wesen der Hcrbartschen Päd"gogik einzuführen. 
Aller 8 Tage, in der Zeit von abends 8 bis 9 l / ä Uhr, wird eine Sitzung abge- 
halten. Auf einen Sitzungsabend, an welchem regelmäfsig ein wissenschaftlicher 
Vortrag gehalten wird, ptlegt gewöhnlich ein Abend zu folgen, der mehr dem freien 
Gedankenaustausch über pädagogische Tagesfragen gewidmet ist. An den Abenden 
ersterer Art — den sogen. Arbeitsabenden — war es zunächst darauf abgesehen, 
im Anschlufs an Ufers Vorschule der Pädagogik Herbarts und an Fröhlichs Preis- 
schrift: die wissenschaftliche Pädagogik in ihren Grundlehren etc. einen Überblick 
und Einblick in Herbarts Grundlehren zu gewinnen. Diese Aufgabe wird in etwa 
noch zwei abzuhaltenden Sitzungen gelöst sein. Es sollen sodann die einzelnen 
Gebiete der Pädagogik — das Herausgreifen der einen oder anderen Lehre Her- 
barts kann nur zu leicht zu falschen Auffassungen und zu vorschnellem Aburteilen 
fuhren — eingehender durchforscht werden, und zwar soll zunächst unter zu 
Grundelegung des Lehrbuches der empirischen Psychologie von Drbal Psychologie 
getrieben werden. An den sogenannten freien Vereinsabenden wurden Themen 
verschiedenen Inhalts (Frick, das Pädagogium präeept. ; Dörpfelds Enchiridion und 
das Befestigen der bibl. Geschichte, die neue Herbartausgabe ; Fröhlichs Preis- 
schrift und die Recension in den Pädag. Studien; Ufer, Artikel zur Herbartbe- 
wegung etc. etc.) behandelt, häufig auch auf allgemeinen Wunsch die an den 
Arbeitsabenden begonnene lebhafte Debatte fortgesetzt. 

In den Sitzungen, die von sämtlichen Mitgliedern sehr regelmäfsig besucht 
werden, wird gern und ernst gearbeitet. 

„Nur ans der Kräfte schön vereintem Streben 
Erbebt »ich wirkend erst da« wahre Leben.«* 



2. Herbartkränzchen zu Elberfeld. 

Mit dem Jahreswechsel ist das hiesige Herbartkränzchen in das dritte Jahr 
seines Bestehens eingetreten und hat gegenwärtig 17 Mitglieder, eine Zahl, deren 
Vergröfserung zwar vielfach gewünscht, aber im Interesse eines gründlichen Studiums 
noch hinausgeschoben wurde. Die Sitzungen fanden unter der Leitung des Lehrers 
Ufer alle vierzehn Tage statt, und wurden von durchschnittlich 90°/ 0 der Mitglieder 
besucht. Die Grundlage dos Studiums bildete das Lehrbuch der Psychologie von 
Drbal, an welche» gelegentlich einzelne Partieen aus andern Werken angeschlossen 
wurden; besonders fruchtbringend erschien die jedesmalige Anwendung der psycho- 
logischen Ergebnisse auf die Pädagogik. Der Verein hofft, bis zum Frühjahr das 
psychologische Studium zu einem relativen Abschlufs zu bringen, um alsdann zur 
Durcharbeitung von Nahlowskys oder Zillers Ethik fortzuschreiten. Zu Beginn des 
neuen Vereinsjahres wurde beschlossen, künftig alle Monate eine Probelektion zu 
veranstalten und daran eine Kritik anzuschliefsen. Nach aufsen war das Kränzchen 
thätig durch zwei Vorträge in der freien Lehrerkonferenz, von denen der erste 
(Dittes und die sogenannte wissenschaftliche Pädagogik) vom Vorsitzenden*), der 

*) Der Vortrag hat übrigens ein recht charakteristisches Nachspiel gehabt. Tags darauf 
erschien in der Elberfelder Zeitung ein Bericht von dem Vorsitzenden (!;■ der Konferenz, Hrn. 
Reschke, in welchem mit einer sehr deutlich erkennbaren Absichtlichkeit darauf aufmerksam 
gemacht wurde, dass die Uerbartianer an Stelle der biblischen Geschichten „Märchen und 
liobinsonaden" setzen wollten. Ks ist in der That beachtenswert, dass in dem gegenwärtigen 
Streite Leute, die bisher sich auf ihren Freisinn etwas zu gute tbaten und den Straussianeru 
nachliefen, plötzlich ihres Christentums eingedenk werden, was sie aber durchaus nicht hindert, 
ein andermal den Herbartianern Orthodoxie und Pietismus vorzuwerfen. In mehr als einer 

Pädagogische Studien II. 4 



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zweite (die Phantasie und ihre Bedeutung für die Erziehung) vom Lehrer Lemberg 
gehalten wurde. Der Ufersche Vortrag hat unter Abstreifung alle» dessen, was 
auf die spezielle Veranlassung zurückzuführen war, in der Berliner deutschen 
Schulzeitung Aufnahme gefunden; die Arbeit des Herrn Lomberg wird demnächst 
ebenfalls veröffentlicht werden. Der Bestand der Bibliothek beläuft sich auf 
ca. 40 Bände, deren mehrere von der Firma Bleyl und Kämmerer dem Vereine 
als Geschenk überwiesen wurden, wofür hierdurch der herzlichste Danke abge- 
stattet sein soll. Auch in dem begonnenen Jahre wird das Kränzchen seine Arbeit 
ruhig und rüstig fortsetzen, ohne sich durch die neuerdings beliebt gewordenen 
Anfeindungen beirren zu lassen. — 



Gelegenheit finden zu sprechen. 

2. Im ersten Heft des dritten Jahrganges vom „Rheinischen 
Schulmann" empfiehlt der Herausgeber, Herr Schulrat Dr. Schumann in 
Trier, mit warmen Worten, wenn auch unter gewissen Einschränkungen, das 
Studium der Herbartischen Pädagogik, und zwar in der Gestalt welche ihr Ziller 
gegeben hat. *) Für den speziellen Hinweis auf unsere „Schuljahre" sind wir dem 
Verfasser dankbar und gestehen ihm gern zu, dafs wir diese Arbeiten, wie wir 
schon oft hervorgehoben haben — zuletzt im ersten Hett dieser Studien, Jahrg. 
1885, S. 39 — nur als „Versuche" betrachten, dafs wir weit davon entfernt sind, 
zu meinen, es sei mit ihnen „die Frage nach der Behandlung endgültig abge- 
schlossen." 

Auch darin stimmen wir dem Verfasser zu, dafs von einer Einführung des 
Herbart-Zillerschen Systems in unsere Volksschule jetzt noch nicht die Rede sein 
kann. Ein Teil desselben, die Theorie der formalen Stufen, hat allerdings schon 
aufserordentlich weite Verbreitung und praktische Verwertung gewiß nicht zum 
Nachteil der Erziehung in unseren Schulen gefunden, da hier auch von sciten der 
bestehenden ministeriellen Verordnungen kein Hindernis im Weg lag und da dieser 
Teil des Systems zu einem verhältnismäßig sicheren Abschluß und zu einer ge- 
wissen Festigkeit gebracht worden ist. (Siehe die Einleitung zum 1. Schuljahr, 
3. Aufl. XVII.) Hoffentlich gelingt es, auch die noch unsicheren, umstrittenen 
Gebiete unseres Lehrplansystems durch fortgesetzte, unermüdliche Arbeit zu einem 
solchen Grad von Vollendung zu bringen, daß auch sie allmählich sich Freunde 
erwerben und in die Praxis übergeführt werden können. 

3. Über Schulen. Ein Wort zum Frieden. Schlesische Schulzeitung 
No. 1, 1885. Dieser interessante Artikel beschäftigt sich mehrfach mit der Her- 
bartischen Schule. Gleich im Eingang heißt es: „Ja, wären alle Nichtanhänger 



Hinsicht verwandt mit dem Artikel der Elberfelder Ztg. ist das kindlich stümperhafte Geichreibsol 
in der Dezemhemummer den Pädagogiums, über ddusen Autor koin Zweifel obwalten kann. Zur 
Itichtig Stellung nur dies: Ufer kündigte seiuen Vortrag vier Wochen vor dem Termine an mit 
der Bitte, sich doch ja von dem Dittcsscben Artikel genaue Kenntnis zu verschaffen, da es auf 
eine Überrumpelung niebt abgegeben sei. Das Referat wurde mit grossem Beifall aufgenommen. 
Iu der Debatte, welche Herr Rose hko eröffnete, zeigte sich bei den Geguern eine wahrhaft ver- 
blüffende Unkenntnis nicht allein der Herbartscben Bestrebungen, was noch begreiflich ge- 
wesen wäre, sondern sogar der Ansichten des Herrn Dütes , soweit sie nicht gerade in dem 
Artikel des Pädagogiums ausgesprochen waren. Nach vielen drolligeu Scenen sprach endlich 
jemand das erlügende Wort: „Aber Dittes ist doch ein grosser Mannt", wogegen denn freilich 
nicht mehr aufzukommen war. Man hatte den Kindruck, dass diese Leute nichts weiter wissen, 
als datss er F o r t s c h r i tts m u n u ist. Das genügt ihnen aber auch vollkommen. Glücklicherweise 
hat die Elbcrfelder LehrerkoufercDz nicht viele solcher wackeren Streiter aufzuweisen. — Der 
Le»er verzeihe, dass wir so viel Raum zur Berichtigung einer Stilübuug in Anspruch nehmen, 
lu Rücksicht darauf, dass man im Lager der Gegner Beispiele für die Kampfesweise der Her- 
bartianer zusammensucht, glaubten wir vorhemerktes Probchen von der Wahrhaftigkeit Dittes- 
scher Freunde hierhersetzen zu dürfen. 

*) Auch aus dem Königreich Sachsen lasen wir kürzlich in der Erachungsschule (No. 1 
1885 Seite 10) eine. warme Empfehlung der Herbartischen Pädagogik. 





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■von Schalen frische, fröhliche and geniale Gesellen, alle Anhänger einer solchen 
aber pedantische und einseitige Nachbeter, so wäre es angezeigt, eine kritische 
Guillotine zu errichten und diese Nachbeter nicht nur kritisch herunterzuziehen, 
sondern einfach kritisch zu köpfen. Heut spricht man fast nur von der Herbart- 
«chen Schule. Es scheint zuweilen, dafs an ihr diese Totschlägerarbeit im Gange 
sei, freilich nicht ohne ihre Schuld. Doch ist es wohl der Mühe wert, sich zu 
fragen, ob man ihr übel nehmen soll, wenn sie — wie Menschen zu thun pflegen 

— sich ihrer Haut wehrt oder nicht." Weiterhin bringt der Herr Verfasser sehr 
anregende Gedanken über die Berechtigung pädagogischer Schulen und über die 
Art und Weise pädagogischer Kritik, über welche die vorl. Zeitschrift sich ja auch 
schon mehrfach geäufsert hat. Am Schlüsse heifst es: „Was wird aber erst daraus, 
wenn die Kritik wie eine Parteisache behandelt wird, wodurch die Werke würdiger 
und verdienter Männer und diese selbst bis zur Karrikatur heruntergezogen werden 
mit dem Bemühen, sie der Lächerlichkeit preiszugeben! Wieviel besser würde es 

— wenn einmal Kämpfe stattfinden sollen — *) nicht gerade Gegnern zu Gesicht 
stehen, lieber gerecht als geistreich, lieber ritterlich als persönlich und pikant zu 
sein. Erst wenn die Kritik solcher Anforderungen an sich eingedenk ist, wird sie 
ihren Beruf erfüllen, der darin besteht, das Gute zu verbreiten, das Schlechte zu 
verhüten und vereinzelte Kräfte zu sammeln. Und dann erst wird sie das Vertrauen 
verdienen, welches sie zur Zeit noch vielfach mifsbraucht." — 



5. Professor Dr. Stoy t- 

Der 23. Januar dieses Jahres ist für die deutsche Pädagogik zu 
einem Trauertage geworden. An ihm wurde ihr ein Mann entrissen, 
der, wie wenige, Pädagog war mit Leib und Leben. Am Tage vorher 
hatte er das 70. Lebensjahr vollendet, und am 24. sollte sein Geburts- 
tag im Kreise der alten und neuen Mitglieder des pädagogischen Se- 
minars festlich begangen werden, da trat der Tod mit rauher Hand 
dazwischen! Die Blumen, die seinen Geburtstagstisch schmücken soll- 
ten, wurden ihm nun auf den Sarg gelegt Die Begräbnisfeier, Sonn- 
tag den 25., war eine grossartige und erhebende und hat wohl bei 
allen, die ihr beiwohnten, einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen. 

Was Stoy der deutschen Pädagogik gewesen, das wird erst eine 
spätere Zeit voll ermessen. So viel darf aber schon jetzt behauptet 
werden, dass er sich seinen zwei grossen Vorgängern, Pestalozzi und 
Herbart, die er von allen früheren Pädagogen am meisten verehrte, 
würdig anschliesst Sein grösstes Verdienst, das ihm auch keiner seiner 
Gegner streitig macht, ist die Gründung und Leitung des pädagogischen 
Seminars zu Jena und der damit verbundenen Uebungsschule. Freilich 
kann nur der sich einen vollen Begriff von den Schwierigkeiten, die 
sich ihm hierbei von allen Seiten entgegensteramten, und von der 
glänzenden Art, mit der sie überwunden wurden, machen, der einen 
tieferen Einblick in jene beiden Anstalten gethan und an Ort und 
Stelle sich von ihrer Wirksamkeit überzeugt hat. Denn selbst die 
beiden aktenmässigen Darstellungen, die von dieser Wirksamkeit öffent- 
lich Zeugnis ablegen, nämlich ,,Das pädagogische Seminar zu Jena, 

üeber den wissenschaftlichen Streit ßiohc Zille« Ethik, Seite J!)7f. 

4? 



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— 52 - 

Denkschrift zum 300jährigen Jubiläum der Universität Jena. Von dem 
ältesten Mitgliede des Seminars", Leipzig 1858, und „Weilinger, das 
pädagogische Seminar in Jena," Jena 1878, können nur von denen 
voll verstanden und gewürdigt werden, die selbst längere Zeit hindurch 
an der Arbeit des Seminars beteiligt waren. Als Gründungstag des- 
selben muss der 9. Dezember 1844 betrachtet werden. Stoy, geboren 
am 22. Januar 1815 zu Pegau als Sohn des dortigen Archidiakonus, 
hatte sich, nachdem er in Leipzig theologische, philologische und philo- 
sophische Studien gemacht, 1837 die philosophische Doktorwürde er- 
worben, sich dann in Göttingen unter Herbart in Philosophie und Pä- 
dagogik w r eiter ausgebildet, hierauf S 1 ^ Jahr in der Erziehungsanstalt 
der Gebrüder Bender in Weinheim zugebracht hatte, am 22. Februar 
1843 in Jena habilitiert. Noch in demselben Jahre gründete er eine 
pädagogische Gesellschaft, die anfanglich nur aus acht Mitgliedern be- 
stand und aus welcher das pädagogische Seminar erwuchs, nachdem 
auf Stoys Anregen verschiedene Konsistorien versprochen hatten, ein- 
zelne Kandidaten zu ihrer pädagogischen Ausbildung zu unterstützen, 
und von der Jenaischen städtischen Behörde die Mädchenklassen der 
sogenannten Freischule ihm als Ubungsschule übergeben worden waren. 
Am 9. Dezember 1844 fand dann die Einweihung und Eröffnung der- 
selben als Seminarscbule statt. Der 9. Dezember ist daher stets als 
„Geburtstag des Seminars", zuletzt noch im vorigen Jahre, auf das 
feierlichste begangen worden. Die Art, wie diese Geburtstage gefeiert 
wurden, w r ar durch und durch originell. Die Feier bestand regelmässig 
aus einem ernsten und einem heiteren Teil. Beim ersteren (im Univer- 
sitätsgebäude) hielt der Direktor eine Ansprache mit einem „Rückblick" 
und einein „Vorblick" und forderte das Seminar zu einem bestimmten 
Vorsatze auf. Das war das „Geburtstagsgeschenk 4 , welches er seinem 
lieben „Semiuarkinde tt zu bringen pflegte. Dann wurden die einge- 
gangenen Briefe verlesen und vom Oberlehrer die Chronik des Seminars 
vorgetragen. Der heitere Teil fand im Hause Stoys statt, wo eine 
wohlbesetzte Tafel alle Gäste empfing und Männergesänge, Toaste, 
Aufführungen aller Art, witzige Zeitungen, Auetionen (zu Gunsten der 
Reisekasse), Zeichnungen u. s. w. das Mahl würzten. Den Höhepunkt 
aber erreichte die Festlichkeit Schlag zehn Uhr, wo Schulrat Stoy sich 
von der Tafel erhob und seinen „Geistergruss" an alle fernen Getreuen 
richtete, von denen er wusste, dass sie alle in diesem Augenblicke an 
ihn und sein Seminar dachten. Uberhaupt verstand er es meisterhaft, 
den zahlreich veranstalteten Festlichkeiten jenen warmen und idealen 
Anstrich zu verleihen, der da bewirkte, dass sie sich für immer dem 
Geiste aller Teilnehmenden einprägten. Und wenn auch manchem die 
Zahl dieser Festlichkeiten zu gross erschien, eines hat er sicher dadurch 
erreicht, dass unter den Seniinannitgliedcrn eine unverwüstliche Tra- 
dition sich bildete und das Bewusstseiu der Zugehörigkeit zu einer 
grossen Familie ausserordentlich belebt und gestärkt wurde. Das pä- 
dagogische Seminar war eine durchaus freie Institution, durchaus ge- 



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gründet auf die freiwillige Hingabe seiner Mitglieder an die idealen 
Aufgaben der Pädagogik. Sein grösster Vorzug war, dass keinerlei 
Gesetze und Einrichtungen von aussen aufgedrungen wurden, sondern 
dass alles aus ihm selbst mit innerer Notwendigkeit hervorging. Nur 
wenn man dies stets im Auge hat, lässt sich begreifen, wie die in der 
That nicht geringen Anforderungen, welche an jedes Mitglied gestellt 
wurden, in befriedigender Weise gelöst werden konnten, was um so 
mehr Anerkennung verdient, als nur der allergeringste Teil der Mit- 
glieder die Staatsprüfung bereits hinter sich hatte, die bei weitem grosse 
Mehrzahl dagegen durch ihre Collegia und die Vorbereitungen auf das 
Examen gar sehr in Anspruch genommen wurde. Zu jenen Anforde- 
rungen gehörten der regelmässige Besuch der Versammlungen, deren 
wöchentlich zwei bis vier stattfanden, Übernahme mehrerer Stunden in 
der Übungsschule, Halten eines „Praktikums", Selbstkritiken und Ke- 
censioncn, Abfassung von Protokollen, Ausarbeitung von Lehrplänen, 
Aufsätze über pädagogische Themen, Ausfüllung von Monatstabellen, 
Fertigung von „Kinderbildern", Teilnahme am „Seelsorgerverein", 
„Incipientenexamina", „Beaufsichtigung der Kinder bei Garten- und 
Feldarbeiten, Vorbereitung zur Weihnachtsfeier, Begleitung der Schüler 
auf kleineren und grösseren Keisen etc. Es gab wohl einen und den 
anderen, dem das zu viel war, aber die allermeisten hielten doch wacker 
aus, und bereut hat das wohl keiner. Einen schönen Ausdruck fanden 
die gesamten Institutionen des Seminars in der aus der Mitte des- 
selben hervorgegangenen, nach und nach in mehreren Auflagen er- 
schienenen „Schulordnung der Johann-Friedrich-Serainarschule zu Jena" 
mit dem Motto: „Nicht ein toter Buchstabe, den Geist zu töten, son- 
dern ein lebendiger Wegweiser, den Geist zu finden." Sie bildete einen 
Hauptbestandteil des „pädagogischen Seitengewehres", und ihre pünkt- 
liche Befolgung hat fremden und einheimischen Besuchern gar oft ein 
Zeichen aufrichtigster Bewunderung entlockt. Die praktischen Übungen 
der Seminaristen fanden, wie erwähnt, anfangs in Mädchenklas9en der 
Freischule, zum Teil auch in der Erziehungsanstalt, die Stoy seit 1844 
übernommen hatte, statt, später wurde den Seminaristen die zweite 
Knabenschule als Übungsschule übergeben. Die Lokalitäten waren aber 
eng, dumpf und ungesund. Da erwarb Stoj auf eigenes llisiko ein 
schön gelegenes Gartengrundstück am Paradies mit Wohnhaus, üherliess 
es käuflich dem Gemeinderat und fasste den Entschluss, hier bis zum 
Jubeljahre der Jenaischen Hochschule (1858) auch ein „Johann- 
Friedrich-Denkmal" zu errichten, nämlich ein neues schönes Schul- 
gebäude als künftiges „Arbeitsfeld" für das Seminar. Die bedeutenden 
Kosten des Baues wusste Stoy teils durch freiwillige Beiträge aufzu- 
bringen, teils übernahm er sie selbst. Der Grundstein ward am 20. Juni 
1857 gelegt, und das Jahr darauf fand am zweiten Jubeltage der 
Universität die Einweihung statt. Welch reichen Segen die „Johann- 
Friedrich-Schule", welcher Name ihr von Sr. Königl. Hoheit dem 
Grossherzog beigelegt worden war, mit ihren hellen Klassenräumen, 



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freundlichen Lehrerwohnungen, geräumigen Schulsaal nebst Orgel (letz- 
tere ein Geschenk von Seminarmitgliedern), mit dem grossen Spielplatz 
und Garten für alle, die je in ihr ein- und ausgingen, gehabt hat, 
das wissen vor allem die Eltern der armen Kinder zu würdigen, von 
denen sie besucht wurde. Dem körperlichen und geistigen Wohle dieser 
Kinder galt die ganze Schule und alle ihre Einrichtungen, und Stoy 
konnte mit Recht sagen: „Frei rufe ich alle die Seminarmitglieder ver- 
gangener Jahre auf, dass sie Zeugnis geben sollen, ob in unserem 
Kreise wohl je der Gedanke an die eigene Übung unser Thun be- 
herrscht hat, ob nicht vielmehr das Gefühl desjenigen, was wir unsern 
Kindern sein uud werden sollen, unsern Lehrplan, unsere Einrichtungen 
und Sitten, unsere Opfer bestimmt hat." Er war der Ansicht, dass 
nur die Wärme einer persönlichen Teilnahme an dem Schüler die 
pädagogische Kraft und Anlage des jungen Lehrers wecken und stärken 
könne. Freilich hatte das Seminar nach wie vor mit nicht geringen 
Schwierigkeiten zu kämpfen. Unausgesetzt bemühte sich Stoy, ständige 
Lehrer zu gewinnen, es fehlte an Mitteln, sie zu besolden; auch gelang 
es ihm, nur eine ganz geringe Anzahl Stipendien für Kandidaten der 
Theologie, die sich in Pädagogik weiter ausbilden wollten, von den 
thüringischen Regierungen zu erhalten. Trotzdem führte er das Semi- 
nar in alter Weise fort bis zum Jahre 1866, wo er, weil ihm zur 
Fortführung Bedingungen gestellt wurden, auf welche er nicht eingehen 
zu können glaubte, Jena verliess, um einem Rufe als Professor der 
Pädagogik nach Heidelberg zu folgen. Damit gab er auch sein Privat- 
institut, das sich inzwischen einen grossen Ruf erworben, auf. In die 
Heidelberger Zeit fallt die durch Stoy vollzogene Gründung eines Lehrer- 
Seminars in Bielitz, des ersten evangelischen in Österreich. Auch er- 
hielt er 1867 den Titel eines Dr. thcol. und übernahm einige Jahre 
später die Redaktion der damals in Darmstadt erscheinenden „Allge- 
meinen Sckulzcitung", die er bis 1881 fortführte. Aber er sehnte sich 
zurück nach seinem lieben Jena. 

1874 sollte sein Wunsch in Erfüllung gehen ; die beteiligten Re- 
gierungen beriefen ihn wieder zurück. Seine Freude darüber war gross, 
sie drückt sich recht unverhohlen in dem damals von ihm verfassten 
und unter die „Seminarlieder" aufgenommenen hübschen Liede aus, 
das mit den Worten beginnt: „Frisch hab ich den Kompass genommen 
und bin nach Jeua marschiert", und schliesst : „Hier bleib' ich und 
singe und preise Alt-Jena, die junge Stadt." Die durch seinen Weg- 
gang städtisch gewordene Johann - Friedrich - Schule ward ihm 1876 
wieder vollständig übergeben, und nun begann wieder das alte, rege 
Leben mit seinen Versammlungen, Festen, Reisen nach dem Thüringer- 
wald u. s. w. Besondere Sorgfalt wurde dem Garten gewidmet, wo 
jeder Schüler der Oberklasse sein eigenes Beet erhielt. Das Seminar 
ward von Studierenden aus aller Herren Ländern besucht, es befanden 
sich unter ihnen Armenier, Griechen, Serbier, Rumänen, Schweizer u. a. 
1876 nahm Stoy an der bekannten Konferenz in Bonn teil, für welche 



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er eine Reihe von Sätzen aufstellte , die sicli mit der wichtigen Frage 
nach der pädagogischen Vorbildung der Kandidaten des höheren Lehr- 
amtes beschäftigten und in der Allgemeinen Schulzeitung veröffentlicht 
wurden. Besondere Glanzpunkte des Semmarlebens bildeten, wie bis- 
her, das „Grundsteinfest" und der Seminargeburtstag am 9. Dezember 
(vergl. Päd. Stud. 1882, 1. Heft), ausserdem noch manche andere Fest- 
lichkeiten, so am 6. Juni 1883 die Feier des vierzigjährigen Bestehens 
des Seminars. Im Sommersemester 1884 hatte das Seminar in Jena 
nicht weniger als 36 Mitglieder, die Gesamtzahl aller, die ihm bis 
Ende desselben Jahres angehört hatten, betrug 657. Mögen unter 
dieser stattlichen Anzahl auch einige sein, denen der Sturm des Lebens 
die Erinnerung an die im Seminare verlebte Zeit verwischt hat, die 
grosse Mehrzahl — des sind wir sicher, und viele Beweise könnten 
beigebracht werden — denkt an diese Zeit mit jener Dankbarkeit zu- 
rück, welche das Bewusstsein, eine den ganzen Menschen ergreifende 
geistige Umwandlung und Förderung empfangen zu haben, hervor- 
bringt. Und so muss denn die Gründung und Leitung des pädagogi- 
schen Seminars zu Jena als eine pädagogische That ersten Banges und 
als eine gelungene Ausführung Herbartischer Ideen betrachtet werden. 

Stoy hat aber auch, besonders in jüngeren Jahren, sich eifrigst 
bemüht, durch Schriften die Ideeen seines grossen Lehrers Herbart 
auszubauen und für weitere Kreise fruchtbringend zu machen. Sein 
hervorragendstes Werk ist unstreitig seine „Encyklopädie, Methodologie 
und Litteratur der Pädagogik", 2. Aufl. Leipzig 1878, ein Werk, das 
wegen seiner echt philosophischen Anlage und edlen Sprache einen 
Ehrenplatz in der Geschichte der Pädagogik behaupten wird. Freilich 
erfordert seine Durcharbeitung nicht geringe Anstrengung und setzt 
eine ziemliche Bildung und Belesenheit in anderen Wissenschaften 
voraus. Denn Stoy verstand es meisterlich, alle Wissenschaften in den 
Dienst der besonderen Wahrheit zu stellen, mit deren Darlegung er 
sich gerade beschäftigte. An geistvollen Anspielungen ist das Werk 
reich, aber den roten Faden, der sich durch das Ganze hindurchzieht, 
bilden die Fundamente der Herbartischen Pädagogik, die ihm uner- 
schütterlich feststanden. 

Von seinen übrigen Schriften sind besonders folgende zu erwähnen: 

1. „Hauspädagogik in Monologen und Ansprachen. Eine Neujahrs- 
gabe an die Mütter", Leipzig 1855. In dieser Schrift zeigt sich so 
recht die Pestalozzi natur von Stoy, in ihr schildert er die Mutter als 
Genius der ersten Kindheit, legt ihr die grosse Verantwortung den 
Kindern gegenüber an das Herz, weist aber auch mit warmen Worten 
auf den unendlichen Segen hin, der von ihr ausströmen kann. Dabei 
berührt er die wichtigsten pädagogischen Probleme, so die Bedeutung 
der Individualität, der Spiele, das Verhältnis der Familie zur Schule etc., 
alles in durchsichtiger, klassischer Sprache und mit feinem Humor ge- 
würzt. 

2. Eine andere kleine Abhandlung „Schrift und Jugend, Sonst 



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und Jetzt, 1 ' Leipzig 1858, beginnt mit einer Erzählung aus dem Leben 
des jungen Fichte, die Stoy besonders lieb war und die ich mich er- 
innere oftmals aus seinem Munde vernommen zu haben. Sie lautet: 
„Stellen wir uns im Geiste nach dem Dorfe Rammenau in der Ober- 
lausitz. Da steht im Jahre 1771 ein siebenjähriger, uns später wohl- 
bekannter und liebgewordener Knabe an dem Bache, welcher au dem 
kleinen Hause des Vaters vorübertiiesst. Kr hat unter dem Arme ein 
Buch, schaut lange in die dahineilenden Wellen,' erhebt plötzlich sein 
Buch und wirft es in die Strömung. Der Knabe war Johann Gottlieb 
Fichte. Er sagte sich damals, wo er kaum im dritten Schuljahre stand, 
von seinem Lieblingsbuche, der Historie vom gehörnten Siegfried, 
feierlich los, weil dieses ihm zur Zerstreuung und Unfleiss in der Schule 
Versuchung geboten hatte." Die Schrift giebt geistvolle Winke für 
die Auswahl einer echten Jugendlektüre. 

3. Unter den acht Schriften „Pädagogische Bekenntnisse", heben 
wir die 6. hervor „Vaterhaus und Muttersprache", Jena 1860, die 
ebenfalls mit einem Lieblings worte Stoys beginnt, nämlich mit dem 
Ausspruche Pestalozzis: „Das schlimmste Geschenk, welches ein böser 
Genius einem Zeitalter machen kann, sind Kenntnisse ohne Fertig- 
keiten", und in den „Bildern aus dem deutschen Sprachunterricht der 
Quarta" einen interessanten Einblick in die Art bietet, wie in der 
Stoyschen Erziehungsanstalt der deutsche Sprachunterricht betrieben 
wurde. 

4. Eine ausführliche Anleitung über den grammatischen Unterricht 
gab Stoy in dem Buche „Der deutsche Sprachunterricht in den ersten 
6 Schuljahren", 3. Aufl. Wien 1868, ein Buch, das sich zur Aufgabe 
gemacht hat, die Freude der Kleinen an interessanten Sprachstoffen zu 
benutzen, um ihnen die Elemente der Grammatik beizubringen. Dabei 
wird ihnen nichts aufgedrungen, sie müssen alles selbst erarbeiten, 
und das Büchlein darf mit Recht als ein der- analytischen Methode ge- 
setztes Ehrendenkmal bezeichnet werden. Der ihm beigegebene syste- 
matische Teil „Deutsche Grammatik ohne Worte" (4. Aufl. besorgt 
durch Schillinspektor Kögler, Jena 1881) ist ein Muster von Kürze und 
Bestimmheit. 

5. „Organisation des Lehrer-Seminars", Leipzig 1869. Diese Schrift 
ist eine Frucht der durch Stoy vollzogenen, oben cr8ähnten, Gründung 
und Leitung des evangelischen Lehrerseminars zu Bielitz und zeichnet 
sich aus durch grosse Klarheit und Schärfe in der Darlegung der an 
ein Seminar zu stellenden Forderungen. Manche derselben werden 
gegenwärtig bei vielen Seminarien erfüllt, sehr wichtige freilich noch 
ignoriert oder bekämpft. Kundige werden wissen, woran wir beispiels- 
weise denken, wenn wir den in der genannten Schrift vorkommenden 
Satz hierher stellen: „Für die Vorschrift einer verderbten Seminarpäda- 
gogik, dass die Unterriehtsgegenstände womöglich in derselben Form 
und nach derselben Methode vorgetragen werden sollen, von welcher 
die Seminaristen bei ihrer späteren Thätigkeit in der Volksschule Ge- 



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brauch machen werden, ist in Bielitz wie in jedem echten Seminar 
kein Raum." 

6. „Philosophische Propädeutik", Leipzig 1869 und 1870. Diese 
Propädeutik bildet einen Leitfaden, in dem die philosophischen Probleme, 
die Logik und die Psychologie in gedrängter Weise dargestellt sind 
und der Stoys akademischen Vorlesungen zu Grunde gelegt wurde. 

7. Von der „Allgemeinen Schulzeitung" redigirte Stoy die Jahr- 
gänge 1871 — 1881. Sic enthalten eine grosse Anzahl kleinerer und 
grösserer Aufsätze von ihm über alle Gebiete der Pädagogik. Hervor- 
zuheben sind die „Neujahrsbetrachtungen", „Von der Heimatskunde", 
die „Thesen über die pädagogische Bildung für das höhere Lehramt", 
„In dem Vorhof der philosophischen Ethik", „Die allgemeine oder 
philosophische Pädagogik der Gegenwart" u. a. 

In den letzten Jahren war Stoy weniger litterarisch thätig, doch 
ging er damit um, einige seiner Schriften in neuen Auflagen erscheinen 
zu lassen und auch zum „Zillertum", wie er sich ausdrückte, Stellung 
zu nehmen. Was das letztere anlangt, so war es allerdings für alle, 
die ihm näher Stauden, längst kein Geheimnis mehr, dass er sich meh- 
reren Punkten gegenüber, auf die Ziller grosses Gewicht legt, gleich- 
giltig oder ganz ablehnend verhielt. In seinen Vorlesungen pflegte er 
gelegentlich seinem Grolle Luft zu machen. Nur wenige Tage vor 
seinem Tode schrieb er den in den pädagogischen Zeitschriften die 
Runde machenden Brief an Direktor Bartels in Gera, worin er sich in 
scharfen Worten gegen die Zillerschen Bestrebungen aussprach. Zu 
bedauern ist dabei jedenfalls, dass dieser Verurteilung eine nähere Be- 
gründung fehlte, durch welche die Angegriffenen in den Stand gesetzt 
worden wären, sich zu verteidigen. Immerhin dürfte jener Brief, gleich- 
sam Stoys Testament, eine Mahnung sein zu erneuter vorurteilsloser 
Prüfung. So viel ist sicher, dass beide, Stoy und Ziller, jeder in seiner 
Art, Grosses geleistet haben, auch das darf behauptet werden, dass, da 
beide auf einem gemeinsamen Boden, dem Herbartischen, standen und 
beide von der reinsten idealen Begeisterung für die Pädagogik erfüllt 
waren, bei ihnen das Trennende doch im Grunde überwogen wurde 
von dem Gemeinsamen. In unserem Eisenacher Herbart -Kränzchen, 
dessen Mitglieder zum grössten Teile aus unmittelbaren Schülern Stoys 
und Zillers bestehen, ist oftmals ausgesprochen worden, wie sehr es zu 
beklagen sei, dass die Natur aus diesen beiden Männern nicht einen 
gebildet habe. Vielleicht gelingt es doch noch, was zu Lebzeiten der 
beiden nicht gelang, eine Vereinigung zustande zu bringen, ja es muss 
gelingen, wenn anders das alte Wort von den vielerlei Gaben und dem 
Einen Geiste noch immer iu seiner Wahrheit besteht. 

Eisenach. Dr. A. Bliedner. 



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6. Zum Andenken an Prof. Dr. J. W. Nahlowsky 

von S. Hoffman n in Leipzig. 

Am 15. Januar d. J. schied dieser hochverehrte Veteran der Herbartischen 
Philosophie aus dem Lehen. Geboren am 18. März 1812 in Prag trat er nach 
Beendigung des Gymnasiums und des damals vorgeschriebenen philosophischen 
Studienkursus im Jahre 1831 in das Priesterseminar zu Prag ein, um sich dem 
Wunsche seiner Familie gemäss den theologischen Studien zu widmen. Hier ver- 
blieb er während der Jahre 1832 und 1833. Hierauf gab er sich vier Jahre hin- 
durch 1833 — 37 dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften und in den 
Jahren 1837 — 45 fast ausschliesslich dem philosophischen Studium hin. Der Ein- 
fluss Fr. Exnerg machte sich auch auf Nahlowsky geltend. Im Jahre 1845—49 
war er Lehramtsjunct der theoretischen und practischen Philosophie an der Uni- 
versität in Prag und im Jahre 1848 wurde er zum Supplenten Exners ernannt. 
Nach kurzer Wirksamkeit als Prof. der Philosophie am Lyceum zu Przemysl, 
während er gleichzeitig für die erledigte Exnersehe Lehrkanzel in Vorschlag kam 
(Exner wurde ins Ministerium berufen), übernahm er auf ausdrücklichen Wunsch 
des damaligen Unterrichtsministeriums die Direction des Obergymnasiums in 
Czerno witz. 

Im Jahre 1852 wurde er zum ord. Prof. der Philosophie an der Universität 
Olmütz ernannt und nach Aufhebung dieser Hochschule im Jahre 1855 kam er 
in gleicher Eigenschaft nach Budapest. In Folge des Octoberdiploms im Jahre 
18G0 nebst den anderen deutschen Collegen disponibel geworden, begab er sich 
zu seinem Schwager, der in einem böhmischen Dorfe Pfarrer war. Hier im stillen 
Pfarrhause entstand „das Gefühlsleben". (Leipzig 1862, 2. Aufl. 1884. Verl 
Veit & Comp.). 

In den psychologischen Analysen dieses Werkes entfaltet Nahlowsky die 
brillanteste Seite seines Geistes. Tief auf den dunklen Seelengrund ist er hinab- 
getaucht, um die Perle seiner Analysen der Gefühle zu tischen- Die klassischen 
Beispiele aus den Dichterheroen, besonders aus Shakespeare, dem grossen „Herzens- 
kündiger", machen das Buch besonders anziehend. Sehr verdienstvoll ist auch 
seine Untersuchung über die unwissenschaftliche Terminologie in der Lehre vom 
Gefühle, welche bis dahin auch zum Teil in der Herbartischen Schule 
herrschte. 

Das Buch wurde mit grossem Beifall aufgenommen; es erschienen 16 sehr 
günstige Recensionen, nicht nur von D robisch und Volkmann, sondern auch 
von Vertretern anderer Richtungen wie Ulrici, Fortlage etc. und doch bedurfte 
es beinahe eines Vierteljahrhunderts, ehe eine 2. Aufl. erschien. Habcnt sua fata 
libelli! — Im Jahre 1862 erhielt er eine Berufung an die Universität Graz. Hier 
veröffentlichte er die Ast hetis ch -kritis chen Streifzüge (Zschr. f. ex. Phil. 
Bd. III u. IV), durch welche er mit Robert Zimmermann in eine Polemik ver- 
wickelt wurde (Zschr. f. ex. Phil. Bd. IV), deren gründliche Sachlichkeit auch von 
Lotze in seiner „Geschichte der Ästhetik in Deutschland" rühmend hervorgehoben 
wird. Von seinen Beiträgen in der genannten Zschr. inachen wir nur noch die 
meisterhafte Reccnsion von Bonckes Psychologie namhaft (a. a. O. Bd. III). Es 
erschienen ferner mehrere treffliche kleinere Arbeiten ethischen Inhaltes: Das 
Duell, Sein Widersinn und seine moralische Verwerflichkeit Leipzig 1864; 
Grundzüge zur Lehre von der Gesellschaft und dem Staate. Leipzig 
1865. Die ethischen Ideen als die waltenden Mächte im Einzel- wie im 
Staatsleben. Leipzig 1865. Zwei Reden paränetischen Inhaltes. Graz 1866. 

Das Hauptwerk Nahlowsky s, Die allgemeine practische Philosophie 
Leipzig 1870 (die 2. Aufl. Leipzig im Verlage bei Veit & Comp, befindet sich unter 
der Presse), zeichnet sich durch engen Anschluss an die Erfahrung, scharf mar- 
kirte Gliederung des Inhaltes und meisterhafte Diction aus, Die genetische 
Ent Wickelung, welche Horbarts Ethik zuni Range einer exaeten Wissen- 
schaft erhebt (vgl. Th. Wittstein, Die Methode des mathematischen Unterrichtes, 



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Hannover 1879. Verl. Hahn Seite 31) ist von Nahlowsky mit grosser Sorgfalt 
durchgeführt. Wegen dieser Vorzüge ist es ein unübertroffenes Buch zur Ein- 
fühlung in die Ethik. Durchleuchtet von den Sonnenstrahlen des echten, wahren 
und unverwelklichen Idealismus ist es im hohen Grade geeignet eine ideale Lebens- 
anschauung zu begründen, und insofern eine wahre Vorschule zur wissenschaft- 
lichen Pädagogik. Denn wer den Ideengehalt dieses Werkes in sich aufnimmt, 
verarbeitet und innerlich durchlebt, dem giobt es „den leitenden Ariadnefaden an 
die Hand, der ihn aus den dunklen labyrinthischen Irrgängen des vielfach be- 
drängten Lebens den rechten Ausgang finden lässt und ihn aus dem Jaramertbale 
der Alltagssorgen und Alltagsmühen zur sonnig verklärten Taborhöhe des Ideals 
hinangeleitet. " 

Leider war es dem Verfasser nicht gegönnt die speciellen Teile der Ethik, 
die Tugend- und Pflichtenlehre zu bearbeiten, denn schon im Jahre 1870 war er 
leidend. Im Jahre 1878 erhielt er bei seiner Versetzung in den bleibenden Ruhe- 
stand den Titel eines Regierungsrates, auch wurde er nach dem Erscheinen der 
Ethik zum Ritter des preussischeu Kronenordens 4. Klasse ernannt. Diejenigen, 
welche den Verewigten persönlich, kannten, rühmen den Adel und die Lauterkeit 
seiner Gesinnung und die Zartheit seiues Gemütes, er war eine ungemein sym- 
pathische Natur. Von der rief religiösen, und was das andere nicht ausschliesst, 
von der freisinnigen Richtung seines Geistes giebt seine Ethik Zeugnis: 

„Weit leichter, als dem an so viele materielle und mitunter zufällige 
und unberechenbare Bedingungen gebundenen Staate, könnte der Kirche 
und zwar der christlichen, wenn sie sich stets auf der Höhe, auf die sie 
ihr erhabener Stifter gestellt, hielte, und rein ihre eigentliche Mission vor 
den Augen hätte, die Beseelung der Gesellschaft gelingen. In der That 
stellte bereits auch historisch die Kirche eine Art beseelter Gesellschaft 
dar, r.ämlich die von den Aposteln eingerichtete Urkirche, welche nur 
das Reich Gottes vor Augen hatte und von irdischen Machtgeliisten noch 
frei war. Wollte sie doch sich jener ursprünglichen Einfalt wieder nähern, 
welchen Segen vermöchte sie dann über die Menschheit zu verbreiten!" 
und weiter: 

„Die Wissenschaft, die Kunst, die wahre Religion, die lautere Lebens- 
sitte, sie können und sollen ein Gemeingut der Menschheit bilden. Die 
Gelehrten, die Künstler, die Diener des Glaubens, sie alle suchen ihr Denken, 
Fühlen, Schauen mit möglichst Vielen zu teilen und die Hochgebildeten 
aller Zungen und Zonen, ob sie auch Länder und Meere scheiden, betrachten 
sich dennoch als eine grosse Familie." 

Denken wir uns nun diese Familie der Edleren, Besseren immer wachsend, 
so müsste, und wenn vielleicht erst nach Jahrtausenden, eine Periode sittlicher 
Erhebung eintreten, da der demantenc Ring der Beseelung dio ganze Menschheit 
umschlösse. Denn wäre das „goldene Zeitalter" wie es sich der Ethiker denkt, 
angebrochen, es wäre das „Reich Gottes" auf Erden eingekehrt und Jammer 
und Sünde in die engsten Grenzen gebannt (Ethik S. 382 u. 383). Dem Manne, 
der diese Worte niederschrieb, sandten vor 5 Jahren 25 Mitglieder des Zillei- 
schen Seminars, Studierende verschiedener Nationalität und Confession, aber 
alle durch das Ideal der Erziehung wie Freundesseelen verbunden, eine Dank- 
adresse für die reiche Belehrung und Anregung, die sie aus seinem „Gefühlsleben" 
und seiner „Ethik" empfangen haben. Tief gerührt antwortete der edle Greis 
und erinnerte sich noch wenige Monate vor seinem Tode freudig der ihn ehrenden 
Kundgebung. 

Die geistvolle Verfasserin der psychologisch -ästhetischen Essays giebt dem 
Verluste, den die Herbartische Schule durch das Hinscheiden dieses Veteranen 
erlitten hat, beredten Ausdruck: „Und nun ist dieser Geist erloschen, der so scharf 
und klar gedacht hat; die Seele ist verstummt, aus der so schmelzend zarte Töne 
erklangen. Einer der bedeutendsten und feinfühlendsten Priester der Herbartischen 
Philosophie ist den trauernden Jüngern derselben verschwunden, er ist hinter den 



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Vorhang getreten, den man niemals wieder lüftet; aber in seinen Werken wird 
er immer unter uns weilen und noch der Genosse und Lehrer künftiger Ge- 
schlechter sein." 

— — — — — — — tütby vnvov 

JKoutitTia. Ovr^xtiv uij Ityt to<v uyaii-ovs. 



7. Selbstanzeige. 

Beyer, Otto Wilhelm, die Naturwissenschaften in der Erziehungsschule. Nebst 
Vorschlägen für Schulreisen, Tierpflege, Schulgarten, Schulwerkstatt und Schul- 
laboratorium. Leipzig, Georg Reichardt Verlag 1885. 

Die soeben angezeigte Schrift, dem Andenken Zillers gewidmet, stellt sich au 
den Standpunkt der Erziehungsschule. Da nun der Begriff der Erziehung nicht 
blofs Mafsregeln des Unterrichts, sondern auch solche der Zucht fordert, so glie- 
dert sich demgemäfs die Schrift in 2 Teile: Der erste bespricht die Anordnung 
des Unterrichtsmaterials, der andere handelt von den Mafsregeln der Zucht, die 
mit diesem Material in Verbindung zu setzen sind, und zwar nach Rücksichten der 
Konzentration des Gedankenkreises so, dafs sie mit Notwendigkeit denjenigen Ge- 
bieten zugehören, an denen auch der Unterricht sich auferbaut. Dafs hierbei 
durchweg der kulturhistorische Standpunkt festgehalten worden ist, als der höchste, 
von dem überhaupt das Problem der Erziehung betrachtet werden kann, wird von 
Einsichtigen gebilligt werden. Natürlich bedingt aber dieser Umstand eine An- 
ordnung, welche von derjenigen der gewöhnlichen Praxis grundsätzlich verschieden 
ist. Nicht fachwissenschaftliche Gesichtspunkte sind für die Beihcnfolge der Dar- 
bietung mafsgebend, sondern Bilder menschlicher Arbeit, d. h. also menschlichen 
Willens, sind es, von denen ausgegangen wird; und zwar werden sie der Be- 
trachtung in derselben Weise dargeboten, in welcher die Hauptformen der mensch- 
lichen Arbeit in der Kulturgeschichte aufgetreten sind. Es kann sich dabei selbst- 
verständlich nur darum handeln, in idealen Durchschnitten, welche von allen lokalen 
Zufälligkeiten möglichst befreit sind, die menschliche Arbeitsreihe zu treffen. Dafs 
übrigens die fachwisseuschaftlicheu Gesichtspunkte dabei nicht zu kurz kommen 
sollen, das hoffen wir zu beweisen, wenn es uns vergönnt sein wird, die Skizze, 
die wir jetzt darbieten, im einzelnen auszuführen. So ergiebt sich also für den 
Unterricht folgende Reihe : das Jägerleben, das Hirtenleben, der Landbau, das 
Handwerk, das moderne Gewerbe. Für das Gebiet der Zucht aber erhalten wir 
folgende Arbeitsgebiete, von uns nach Scheiberts Vorgange als Formen des 
Schullebcns bezeichnet. Zunächst die Schulwanderungen und Schulreisen als 
eine Einführung in die Arbeit des Wanderns, als eine erziehliche Verwertung des 
Wandertriebes, den wir nach unanfechtbaren Grundsätzen naturwissenschaftlichen 
Denkens, als ein Residuum des Jäger- und Hirtenlebens unserer Vorfahren zu be- 
trachten haben. Die Schulwanderungen und Schulreisen sollen vor allem in eine 
Haupt form menschheitlichen Lebens, nämlich die der Unsefshaftigkcit, oinführen, 
für welche sich aber der Inhalt durch anderweite Rücksichten der Erziehung ganz 
unzweifelhaft ergiebt. Die folgenden Gebiete der Zucht dagegen führen unmittel- 
bar in den Inhalt menschheitlichen Lebens: Tierpflege und Tierschutz in das 
Verständnifs des Hirtenlebens, der Schulgarten in das des Landbaues, die Schul- 
werkstatt in das des Handwerks, das Schullaboratorium in das des modernen 
Gewerbes." 

Es ist also ein Kapitel aus dem gerade jetzt so viel besprochenen Thema der 
„Erziehung zur Arbeit", für welches wir uns bemüht haben, die schulmäfsigen 
Formen aufzufinden. Aber auch wenn uns das cinigermafsen gelungen wäre, so 
sind wir uns doch recht wohl bewufst, dafs damit nur die eine Seite des Prob- 
lems, wie mau die Jugend zur Arbeit erziehen solle, gelöst sein würde: denn für 
denjenigen Teil der Erziehung zur Arbeit, der sich an die Gesinnuugsfächor an- 



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zuscluiefsen hat, müfsten auch dann die entsprechenden Arbeitsgebiete erst noch 
aufgesucht werden. Einzelne von ihnen sind schon allgemein anerkannt, z. B. die 
Schulaudachten, die in die Arbeit des Gebets einführen sollen, die nationalen Schul- 
feste u. s. w. Es giebt ihrer ohne Zweifel noch mehrere. 

Wenn nun die Praxis sich entschliessen könnte, die von uns geforderten 
Formen des Schullebens in die Schule einzuführen, so würde damit gegen die ein- 
seitige geistige Belastung der Jugend ein wirksames Gegengewicht geschaffen und 
somit der gegenwärtig so viel beklagten Überbürdung der Jugend erfolgreich ent- 
gegengearbeitet (im wirklichen Sinne des Wortes gearbeitet) werden. Denn 
die Mafsregeln, welche wir hier empfehlen, bedingen sämtlich entweder (wie Schul- 
wanderungen, Schulreisen, Gartenbescbäftigung) einen Aufenthalt in freier Natur, 
und zwar mit gesundem Kegen der Glieder oder, weun auch in geschlossenen 
Räumen, wenigstens eine der jugendlichen Kraft angemessene körperliche Arbeit, 
wie die Schulwerkstatt und das Schullaboratorium. Und wer sagt, dafs es nicht 
möglich sei, auch einzelne Arbeiten der Werkstatt im Freien, z. B. in einem be- 
sonderen Räume des Schulgartens, betreiben zu lassen? Endlich ist nicht zu über- 
sehen, dafs sich misre Arbeiten auch dem Wechsel der Jahreszeit anpassen: die, 
welche sich im Freien vornehmen lassen, werden der milden, die welche den ge- 
schlossenen Kaum erfordern, der rauhen Jahreszeit zugewiesen. 

Und somit erbitten wir für unsere Schrift, welche unter mannichfachen 
Schwierigkeiten zustande gekommen ist, die wohlwollende Prüfung des pädago- 
gischen Publikums. 

Jena, 18. Februar 1885. Der Verfasser. 

■ 

8. Die Stoysche Erziehungsanstalt zu Jena. 

Es wird den meisten Lesern der „Pädagogischen Studien" bekannt sein, das» 
der Sohu Stoys, Dr. Heinrich Stoy, im Jahre 1880 unter der thätigen Beihilfe 
seines Vaters in Jena eine Erziehungsanstalt als Fortsetzung des alten Stoyschen 
Institutes gründete. Soeben ist nun das erste Programm der neuen Anstalt, von 
deren in jeder Beziehung musterhaften Einrichtung wir vor kurzem durch den 
Augenschein uns überzeugeu konnten, in unsere Hände gelangt. Der Inhalt ist 
folgender: 1) Die Idee der Erziehungsanstalt. Der pädagogischen Bekenntnisse 
9. Stück. Von Dr. K. V. Stoy. 2) Drei Reden bei der Eröffnung der Anstalt. 
3) Lehrverfassung (a. Lehrpläne; b. Lehrmittel). 4) Zur Geschichte der Anstalt. 
5) Lehrer und Schüler. Nummer 1 ist die Festrede, welche der alte Stoy am 
5. April 1880 zur Eröffnung der Anstalt hielt und worin er, ausgehend von dem 
Satze, dass nur da, wo um des Kindes selbst willen auf sein Wissen und Thun 
ein Einflufs ausgeübt werde, von Erziehung die Rede sein könne, die Notwendigkeit, 
die Aufgaben und Veranstaltungen der Erziehungsschule mit seiner bekannten 
Wärme und Begeisterung darlegte. Nummer 2 enthält die Rede des jetzigen 
Direktors, sowie die von Prof. Dr. Schmidt aus Wien im Namen der alten Zög- 
linge und von Dr. Hase aus Leipzig im Namen der alten Schüler des ehemaligen 
Instituts. Aus Nummer 3 entnehmen wir, dass die Anstalt gegenwärtig aus drei 
Klassen der Vorschule und sechs Klassen der höheren Bürgerschule besteht, deren 
Unterricht aufser vom Direktor vou d der Anstalt ausschliesslich angehörenden 
Lehrern und 5 Hilfslehrern besorgt wird. Als Ziel der höheren Bürgerschule wird 
bezeichnet, dass sie den sie besuchenden Schülern eine abschliefsende allgemeine 
Bildung geben solle, denen nämlich, welche gegenüber den Gymnasialabiturienten 
»mehr in der Gegenwart leben werden, daher hier das zunächst anwendbare mehr 
in Betracht kommt, nur mit mehr Ausbreitung im Räume" (Herbart) Die Lehr- 
mittel, namentlich für die naturwissenschaftlichen Fächer, sind schon jetzt sehr 
reiche und werden fortdauernd vormehrt. In Nummer 4 wird unter anderem mit- 
geteilt, dass bereits drei Abiturienten das Einjährigenexamen vor der Prüfuugs- 



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kommission in Weimar bestanden haben und dass auch dieses Ostern mehrere 
dem erwähnten Examen sich unterziehen wollen. Von Interesse sind hier ferner 
die Nachrichten über die Haus- und Schulkonferenzen, die Festlichkeiten, den 
Stundenplan und die Werkstatt. Auch haben wir mit grosser Freude das Ver- 
sprechen begrüfst, dass das nächste Programm ein Lebensbild des alten Stoy unter 
Beschränkung auf seine Institutsthätigkeit bringen soll. Aus Nummer 5 geht her- 
vor, dass, nachdem die Anstalt mit 19 Schülern aus der Stadt und 10 Zöglingen 
eröffnet worden war, sie jetzt von ersteren 46 und von letzteren 41 zählt. Auf 
der ersten Seite des Programms findet sich ein vorzüglich gelungenes Bild des 
Institutes. Letzteres hat, wie allen Besuchern Jenas sattsam bekannt ist, eine 
herrliche Lage und darf wohl als eins der schönsten Gebäude der Musenstadt 
bezeichnet werden. 

Dr. A. Bliedner. 



9. Der Verein für wissenschaftliche Pädagogik. 

1) Die Anmeldung zum Verein für wissenschaftliche Pädagogik (Mitglieder- 
zahl gegenwärtig über 700) kann entweder bei einem Bevollmächtigten oder bei 
dem ersten Schriftführer des Vereins Herrn S. Hoffmann, Inspector des Ziller- 
Stiftes in Leipzig, Elisenstr. 34 I, bewirkt werden. Eintritt 1 Mark, Jahresbeitrag 
4 Mark, welcher nach § 6 der Statuten pränummerando am 1. Juli eines jeden 
Vereinsjahres an den Kassierer des Voreins einzusenden ist. Hierfür erhalten die 
Mitglieder das Jahrbuch, welches im Buchhandel 5 Mark kostet, ferner die Er- 
läuterungen (d. h. die Verhandlungen der zu Pfingsten jedes Jahres stattfindenden 
Generalversammlung, im Buchhandel 1 Mark), Statuten, Mitgliederverzeichnis, Liste 
der Bevollmächtigten etc. Vereinskassierer ist gegenwärtig Herr Lehrer Teupser 
in Leipzig, Inselstr. ld, IV. 

2) Die Generalversammlung des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik 
findet in diesem Jahre in Halle statt. (Pfingsten, den 25 — 27. Mai.) Es kommt 
das 17. Jahrbuch (1885) zur Besprechung. Dasselbe hat folgenden Inhalt: 

Ethik und Religionsphilosophie. Schoel, das Verhältnis von Religion 
und Sittlichkeit. — Freund, Zur christlichen Ethik und Dogmatik von 
Hendewerk. 

Allgemeine Pädagogik. Rein, Zur Synthese im historischen Unterricht. 

Spezielle Pädagogik. Friedrich, Der Philoklet des Sophokles im er- 
ziehenden Unterricht. — Bliedner, Zum litteraturkundlichen Unterricht 
auf höheren Schulen. — Thrändorf, Das Leben Jesu nach Matthäus. — 
Zill ig, Nachträge zum Geschichtsunterricht in der elementaren Erziehungs- 
schule. — Conrad, Der Zweck des naturkundlichen Unterrichts in der 
Volksschule. — Werne bürg, Der Steinpilz, He\enpilz, Feld-, Blätterpüz 
und Knollenblätterpilz, Präparation. 

3) Vorversnmiiihing am Abend des 25. Mai. Die wissenschaftlichen 
Verhandlungen am 2(5. und 27. Mai im Hotel zum Kronprinzen nahe dem 
Markt. Iu Betreff der Wohnungsvcrhältnisse wende man sich an den Bevollmäch- 
tigten des Vereins für Halle, Herrn Lehrer H. Grosse. Da ein Empfang der 
Gäste auf dein Bahnhof unmöglich Ist, wird am 25. Mai ein Bureau für Wohnungs- 
nachweise im Hotel zum Kronprinzen in Thätigkeit sein. 

Möge die Versammlung recht zahlreich besucht werden! 

Der gesehäftsfiiureiide Vorstand 

des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik. 

S. Hoffmann 
in Leipzig, Elisenstr. 34. . 



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C. Rezensionen. 



0. Flügel. Das Seelenleben der Tiere. 
Langensalza bei Hermann Beyer u. 
Söhne. 

Diese Abhandlung hat der Herr Ver- 
fasser zuerst in der Zeitschrift für exakte 
Philosophie (herausgegeben v. Th. Allihn 
u. 0. Flügel) 1884 veröffentlicht. Da- 
durch, daf8 die Verlagsbuchhandlung 
einen Separat- Abdruck derselben besorgt 
hat, hat sich dieselbe unleugbar ein 
Verdienst erworben, weil auf diese Weise 
die hochinteressante und auch für den 
Pädagogen bedeutsame Arbeit weiteren 
Kreisen zugänglich gemacht worden ist. 
Wer in dem Buche eine leichte Lek- 
türe, vielleicht lediglich der Unterhal- 
tung, erwarten wollte, würde sich täuschen, 
denn es will mit ernstem Nachdenken 
wiederholt gelesen sein;. dafür belohnt 
es aber die aufgewendete Mühe in reich- 
lichstem Masse, indem es wirkliche, oft 
ganz unerwartete Aufschlüsse über ein 
Seelenleben giebt, welches bisher als 
ein mit sieben Siegeln verschlossenes 
Buch betrachtet worden ist, ja von den 
meisten betrachtet werden musstc. Auf 
den ersten 15 Seiten behandelt der Ver- 
fasser die tierischen Sinnesempfindungen 
sowie die Leistungsfähigkeit der tierischen 
Sinnesorgane, mit dem Sehvermögen be- 
ginnend und mit der Behandlung der 
Frage, ob nicht einigen Tieren ein 
sechster Sinn zuzuerkennen sei, 
schliefsend. Schon in diesem ersten 
Abschnitte treten dem Leser dieselben 
Eigenschaften entgegen, die alle Ar- 
beiten des Verfassers auszeichnen : volle 
Klarheit in der Sache und berechnete, 
weise Kürze im Ansdruck, daneben volle 
Berücksichtigung der einschlagenden 
Litteratur. Eingehend wird das Sehen 
der Wirbeltiere und hierbei besonders 
die Frage untersucht, wie weit das von 
diesen Tieren fixierte Objekt ein deut- 
liches Xetzhautbild gebe : denn nicht von 
der Weite des Gesichtsfeldes, auch nicht 
von der Schärfe einzelner Wahrnehm- 
ungen, sondern von der Deutlichkeit der 
Kindrücke hängt es ab, welchen Einflufs 
die Gesichtsleistungen auf die Ent- 
wicklung des geistigen Lebens aus- 
üben. Nachdem der Verfasser auch 
über die Untersuchungen betr. den 



Farbensinn sich geäufsert, wendet er sich 
dem. Gehörsinn und seiner Bedeutung 
fürs tierische Seelenleben zu, hierbei 
den Nachweis führend, dafs, obgleich 
der Bau dieses Sinnesorganes, wenig- 
stens bei den meisten Säugetieren, auf 
grosse Schärfe berechnet erscheine, diese 
Sinnesthätigkeit trotzdem eine geringe * 
Ausbeute in geistiger Hinsicht liefere. 
Dasselbe gelte vom Tastsinne der Tiere, 
der, wie Verfasser klar zeigt, nicht so- 
wohl der Deutlichkeit der Empfindung, 
als vielmehr zum Schutze diene. 
Interessant ist die Erklärung für die be- 
kannte Thatsache, warum Geruch und 
Geschmack, diese niedrigsten Sinne, 
geradezu den bedeutendsten Einflufs 
auf das tierische Leben ausüben. Das- 
selbe gilt über die Ausführungen betr. 
die Wetterahnungen. 

Im folgenden Abschnitte wird darge- 
than, dafs die geistige Inferiorität der 
Tiere unter dem Menschen nicht allein 
auf die Einsichtigkeit und Mangelhaf- 
tigkeit der Sinne, sondern noch auf eine 
Reihe anderer Umstände zurückzuführen 
sei. Gegenüber dem von Gerland be- 
haupteten Unterschiede zwischen der 
tierischen und menschlichen Nerven- 
und Gehirnsubstanz macht Verfasser 
geltend, dafs die Differenz wohl ebenso 
gut auf äufserliche Unterschiede bezüg- 
lich der peripherischen Organe zurück- 
zuführen sein dürfte. Sehr lehrreich ist, 
was das Buch über die Mitwirkung des 
Nerven- und Gehirnapparnts beim Zu- 
standekommen der Empfindungen, über 
Hemmung und Förderung der letzteren, 
ausführt, weil nichts für die Deutlich- 
keit der Sinneseindrücke notwendiger ist, 
als dafs dieselben von Seiten der Nerven 
und des Gehirns möglichst wenig Hemm- 
ung oder Förderung erfahren, weil sonst 
die betreffende Empfindung durch gleich- 
zeitig ins Bewufstsein eintretende Neben- 
empfiudungen — die Betonung — sehr 
geschädigt wird. Diese Partie der 
Schrift, in welcher von dem Geineinge- 
fühl, dem dunklen Komplex jener Neben- 
empfindungen handelt, der zu jeder Zeit 
in der Seele vorhanden, jeder neu ein- 
tretenden, distinkteu Empfindung einen 
bestimmten Widerstand entgegen setzt 



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— 64 — 



und ihr gleichzeitig einen Abbruch zu- 
fügt, — ist ebenso überzeugend wie 
dasjenige, was über die Verarbeitung 
des durch die Sinnesthätigkeit erworbeneu 
Materials gesagt ist. „Für das geistige 
Leben ist nicht allein das, was in die 
Seele eintritt, von Bedeutung, sondern 
noch mehr das, was darin haftet und 
sich »u Gruppen verbindet", -- das 
gilt auch vom tierischen Seelenleben. 
Verfasser lenkt die Aufmerksamkeit zu- 
nächst wieder auf die Betonung und 
weist nach, von welchem grofsen Ein- 
flüsse dieselbe auch für die Association 
und Reproduktion sei. Wenn man an- 
nimmt, dafs bei den Tieren die Be- 
tonung den Inhalt überwiegt, so werden 
dadurch die vielen Falle erklärlich, in 
welchen sich die Vorstellungen der Tiere 
als wenig klar, dauerhaft und wider- 
standsfähig zeigen. 

Sodann wird auf den Umstand hinge- 
wiesen, dafs die Tiere der Sprache, des- 
jenigen Mittel», das dem Menschen 
hauptsächlich für die Reproduktion dient, 
ermangeln, und dafs ihnen damit ausser- 
ordentlich viel abgehe. Allerdings lasse 
sich auch bei den höheren Tieren Asso- 
ziation und Reproduktion empirisch kon- 
statieren, aber das beweise noch keine 
hohe geistige Stufe. — In einer Menge 
einzelner Fälle hat Verfasser nachge- 
wiesen, dafs die Reproduktion durch die 
Betonung oder die somatischen Beglei- 
tungszustände auch begünstigt werden 
kann, und dafs gewisse Empfindungen 
vermöge der mit ihnen verbundenen 
Nebenempfindungen in besonderer Stärke 
ins Bewnfstsein treten und in demselben 
sich auch behaupten. 

Im folgenden Abschnitt wird unter- 
sucht, in wieweit den Tieren die Zeit- 
Vorstellung, sei sie nun Gedächtnis des 
Vergangenen oder Gedanke der Zukunft, 
eigen sei. Sodann wird die Untersuchung 
zu der Frage weiter geleitet, ob das Tier 
Phantasie, ob es die Freiheit des Über- 
legens und Wollens besitze und ob ihm 
Selbstbewufstsein könne zugeschrieben 
werden. Allerdings besitze es ein Auo- 
logon für die fehlende Ichvorstellung, 
indem auch beim höher entwickelten 
Tiere ein mehr oder minder fest ge- 
schlossener Gedankenkreis, in dem alle 
häufig gegebenen, von Gefühlen mancher- 
lei Art begleiteten Vorstellungen, Be- 
gehrungen und Befriedigungen gruppiert 



seien, sich ausbilde; dennoch vermöge 
derselbe nur in ganz unzureichender Weise 
das mangelnde Selbstbewufstein zu ver- 
treten, was Verfasser des Näheren aus- 
geführt hat. 

Was darauf über die Gemütsempfin- 
dungen, die Mutterliebe und Jungenliebe 
der Tiere, weiter über die Tierfreund- 
schaften erörtert wird , ist ebenso in- 
struktiv als das, was von einzelnen For- 
schern über das angeblich moralische 
Handeln, über Rechtssinn, Geiz, Übel- 
wollen und sodann über die Verstandes- 
Funktionen gesagt ist. Hier ist auch 
der Ort, wo der Verfasser sich eingehend 
über die Instinkthandlungen äufsert, 
welche mit gewissen Handlungen im 
menschlichen Leben , die thatsächlich 
unbewufst, unbeabsichtigt und doch höchst 
zweckmäfsig vollzogen werden, grosse 
Ähnlichkeit haben und die nächst- 
liegenden Analogieen für die tierischen 
Instinkthandlungen sind. 

Hinsichtlich der Instinkthandlungen 
werden zu deren Erklärung besonders 
zwei Richtung* n unterschieden, eine, 
welche dieselben als verstandesmässige 
Überlegungen betrachtet, ganz so wie 
der Mensch zu seinem Zwecke sich be- 
sonderer Mittel bedient (Büchner, 
Brehm), und eine andere, welche die 
Instinkthandlungen als die notwendigen 
Folgen besonderer körperlicher Präfor- 
mationen (also ohne Reflexion) ansieht. 
Diese letztere Richtung kann dann 
fragen: wie sind die körperlichen Prä- 
formationen entstanden? Hier wird 
ausführlicher, wenn auch nur in diesem 
einen Punkte, die Darwinsche Er- 
klärung besprochen. Mit ihr hat der 
Herbartianismus mehrere Berührungs- 
punkte: 1) die Methode, dass alles, 
auch die höchsten geistigen Produkte, 
entstanden sind; 2) das Resultat der 
Desccudenz, nämlich dass sich das 
Höhere aus dem Niederen entwickeln 
muss. Der Hauptdifferenzpunkt wird 
darin gefunden, dass dieses Sich-Ent- 
wickeln nicht hinreichend durch Dar- 
win erklärt ist und auch nicht erklärt 
werden kann ohne Voraussetzung einer 
schöpferischen Intelligenz. 

Mit einigen Bemerkungen über die 
Beseelung, wie weit sie anzunehmen sei, 
schliefst das Büchlein. 

Glogau. H. Grabs. 



Drnck von W. Schuwardt & Co. (H. Hallberg), Leipzig. 



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Zwei pädagogische Pfingstversammlungen. 

1. Die 26. allgemeine deutsche Lehrerrersammlung in 

Darmstadt. 

Von Ferd. Leutz, Seminardirektor in Karlsrahe. 

Ich entspreche hiermit gerne dem Wunsche des Herausgebers 
dieser Studien , indem ich ein kurzes Bild des Verlaufs und des Ein- 
drucks der 26. allgemeinen deutschen Lehrerversammlung, welche vom 
26. bis 28. Mai in Darmstadt tagte, zu geben versuche. 

Was zunächst den allgemeinen Eindruck betrifft, so war dieser 
entschieden ein günstiger, wie dies denn auch sowohl im Privatgespräch 
als in den Reden zum Ausdruck kam. Derselbe hängt ja weniger von 
den Vorträgen ab, die gehalten werden, als von der mannichfach ge- 
botenen Gelegenheit, alte Freunde wiederzusehen, neue zu gewinnen, 
Männer, die man bisher nur aus ihrer litterarischen Thätigkeit kannte, 
nun auch persönlich kennen zu lernen, eigene Gedanken auszutauschen, 
neue Gesichtspunkte zu gewinnen u. s. w. Dazu war in Darmstadt 
reichlich Gelegenheit geboten, da diese Versammlung wohl zu einer der 
besuchtesten gehört. (2500 ausgegebene Karten.) Dazu kommt die 
äufserst freundliche Aufnahme in der Residenz des Hessenlandes, die 
ganze Bevölkerung feierte in der That die drei Tage mit, viele Häuser 
waren beflaggt, Musik und Gesang wurde reichlich und in vortrefflichen 
Leistungen geboten, und besonders am Mittwochabend bot das von 
der Bevölkerung, zumal von der Damenwelt, sehr besuchte Gartenfest 
im Saalbau ein prächtiges Bild einer bunt bewegten , über das vor- 
treffliche Gelingen des Festes freudig erregten Menge. Der Bevölkerung 
voran ging aber S. königl. Hoheit der Grofshcrzog, welcher durch längeres 
Verweilen bei den Verhandlungen des ersten Tages, sowie durch die 
den Festgästen dargebotene , wegen den bereits eingetretenen Ferien 
mit Schwierigkeit verbundene Aufführung des „Freischütz" am Hof- 

Pädagogiich« Studien. III. X 



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theater sein Wohlwollen und seine freundliche Teilnahme an den Be- 
strebungen der deutschen Lehrerschaft bekundete. 

Wie üblich wurde am Abend eine Vorversammlung abgehalten, 
worin zunächst die Grtifse des Lokalkomittes durch Institutsvorsteher 
Rein eck von Darmstadt, durch den Geschäftsführer Mörle die 
des Ausschusses entgegengebracht wurden. Darauf wurden nach den 
Vorschlägen des Ausschusses, aber mit einiger Schwierigkeit, Direktor 
D ebbe (Bremen) zum ersten, Halben (Hamburg) zum zweiten, Lehrer 
Mörle (Gera) zum dritten Vorsitzenden gewählt. Wahlen vorzunehmen 
bei einer so grossen Menge von Wählern ist stets eine schwierige 
Sache , nicht nur wegen der Verschiedenheit der Ansichten , sondern 
auch wegen der genauen Feststellung des Resultats , wenn Meinungs- 
verschiedenheiten geäufscrt werden. So war es auch hier, indem ein 
Teil der Versammlung zum zweiten Vorsitzenden einen Süddeutschen 
gewählt haben wollte; auch die Feststellung der auszuwählenden Themen 
für den folgenden Tag stiefs auf Schwierigkeiten , und es ging ohne 
herbes Wort nicht ab. Ich mufs gestehen, dafs ich nicht begreife, wie 
die deutsche Lehrerversammlung einen solchen Modus für die Wahl 
der Vorträge festhalten kann. Es mufs doch auf den Mann, welcher, 
zumal wenn es auch noch auf den Wunsch des Ausschusses geschieht, 
einen Vortrag sorgfaltig ausgearbeitet und für die mündliche Wieder- 
gabe vorbereitet hat, einen peinlichen Eindruck machen, wenn eine 
Massenversammlung, die stets hin und her wogt, ermüdet, jedem zu- 
fälligen Eindruck preisgegeben ist, Uber die Zulassung seines Vortrags, 
entscheidet. Ich halte dieses Verfahren der Versammlung nicht würdig 
und abschreckend für manche, denen nicht die nötige Gabe von 
Dreistigkeit und Zudringlichkeit zu Gebote steht. Nach meiner Meinung 
wäre es besser, wenn der Ausschufs zum voraus die Themen feststellte T 
die geeigneten Persönlichkeiten um ihre Ausarbeitung bäte oder auch 
bei eingelieferten Arbeiten die Wahl für sich allein vornähme, so dafs 
der Versammlung ein fertiges Programm geboten werden könnte , wo- 
möglich mit Angabe einiger Thesen. Nur auf solchem Grunde scheint 
mir eine fruchtbare Debatte möglich. 

In der ersten Hauptversammlung begrüfste Herr Geh. Ober- 
schulrat Greim von Darmstadt die Anwesenden im Namen der 
obersten Schulbehörde in Hessen mit äufserst herzlichen Worten, die 
zum Besten gehörten, was uns von der Rednerbühne geboten wurde. 
Er betonte besonders, dafs man in dem kleinen Lande, wo der Wirk- 
samkeit bescheidene Grenzen geboten seien, die Augen nicht verschliefse 
vor den Bildungsanforderungen der Zeit; es läge gewifs eine Wahrheit 
in dem Satze: „Wer die Schule hat, der hat die Zukunft," das zeige 
sich in dem Eifer der Gegner, Einflufs auf die Gestaltung der Schule 
zu gewinnen. An Kämpfen fehle es dem Lohrer nicht, sein ganzer Be- 
ruf sei ein Kampf gegen die alten Feinde des menschlichen Geschlechts, 
Unwissenheit und Verstocktheit, Verblendung und Rohheit, Trägheit 
und Selbstsucht Daraus folge die ernste Verpflichtung für den 



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— a — 

Lehrer, alle Zeit zu wachen, dafs er Rechenschaft vor Gott ablegen 
könne, dafs keines von denen verloren werde, die ihm gegeben worden 
sind. Zu dieser schwierigen Aufgabe gebe aber die Vereinigung mit 
Gleichgesinnten neue Kraft, weil dadurch das Feuer der Liebe und 
Begeisterung neu entzündet werde. Diesen mit grofsem Beifall auf- 
genommenen Worten folgte die Begrüfsung im Namen der Stadt Darm- 
stadt dnrch Oberbürgermeister Ohly, ein Mann, der alle Zweige des 
Schulwesens bis zur Methodik der einzelnen Fächer gründlich kennt 
und rastlos für die Hebung der Schule und das Wohl .der Lehrer in 
Darmstadt arbeitet 5 er gab eine Darstellung der Entwicklung des 
Schulwesens der Stadt, welche in den letzten Jahren grofse Opfer ftir 
dasselbe gebracht hat und stets für begründete Anforderungen einen 
offenen Sinn und offene Hand hat. 

Nach einer kurzen Pause, während welcher S. Königl. Hoheit der 
Grofsherzog , empfangen von einer Deputation des Ausschusses , den 
Saal betreten , und nach Absingen des Liedes „Lobe den Höchsten" 
begann Direktor Debbe seinen Vortrag über „Die Aufgabe und 
Macht der Erziehung." Als Grund ftir die Aufstellung dieses oft 
behandelten Themas bezeichnet der Redner die Erwägung , dafs man 
angesichts der sich oft widersprechenden Ansichten über den Einflufs 
der Erziehung diese Frage nicbt oft genug behandeln könne. Die 
Aufgabe der Schule hinsichtlich der Erziehung sei folgende: 

1. Die Schulerziehung hat die Aufgabe, die Gesundheit und nor- 
male Ausbildung des Körpers zu pflegen, 

2. den Schüler mit wertvollen Kenntnissen auszustatten und seine 
Denkkraft zu fördern, 

3. seinen sittlichen Willen zu kräftigen, 

4. sein Gemüt für das wahrhaft Schöne empfänglich zu machen, und 

5. eine vorurteilsfreie und lebendige Religiosität zu wecken und 
zu befestigen. 

Dafür sind als Mittel zu bezeichnen : 

1. Fernhaltung aller Einflüsse , welche die Gesundheit schädigen 
konnten und Beachtung der Gesundheitsregeln, Belehrung, ge- 
sunde Schulzimmcr, Reinlichkeit, Turnen u. s. w. 

2. Planmäfsiger Unterricht bezüglich der Auswahl des Lehrstoffe 
und der Methode. Entwicklung, Selbsttätigkeit des Schülers, 
gute Lehrmittel. 

3. Unterricht und Zucht müssen zusammenwirken. Das Kind 
werde gewöhnt an Erfüllung seiner Schulpflichten, mäfsigen 
Grad der Freiheit, Charakterbildung ist anzustreben, Fehler 
sollen mehr verhütet als bestraft werden, aber man verlange 
auch vom Kinde nicht zu viel, überschätze seine Kraft nicht. 
Die Gesamtthätigkeit des Lehrers zur Bildung des sittlichen 
Willens besteht in Unterstützung, Behütung und Gegenwirkung. 

1* 



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4. Das Gefühl für das Schöne wird gebildet durch die Anschauung 
des Schönen in Kunst und Litteratur. „Im Physikunterrichte 
müssen einfache Belehrungen über Farbenharmonie gegeben 
werden." (?) 

5. Die Religiosität wird am besten erzeugt und gefördert durch 
einen religiösen Lehrer; wer aus innerstem Herzensgrunde 
sprechen kann : „Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts 
nach Himmel und Erde!" der wird Wärme in seinen Unter- 
richt bringen. Nie aber darf der Lehrer fanatisch sein, der 
jetzige Lehrer mufs tolerant sein. Sein Unterricht bestehe 
nicht in der Mitteilung eines übergrofsen Memorierstoffes, son- 
dern er schliefse sich an die biblischen Geschichten an und 
mache diese für das Leben fruchtbar. 

Wenn auch dieser Vortrag für die meisten Anwesenden keine neuen 
Gesichtspunkte bot, so fafste er doch in klaren, warm aus dem Herzen 
dringenden Worten die wichtigsten Punkte zusammen , so dafs in der 
That kein Anlafs zu einer Debatte vorlag und die Zustimmung ein- 
stimmig erfolgte. 

Weniger war dies der Fall bei dem folgenden Vortrag des Lehrers 
Ries von Frankfurt a. M. über „Die Simultanschule". Der Redner 
suchte nachzuweisen, dafs dieselbe 1. eine kulturgeschichtliche 
2. eine politische und nationale, 3. eine pädagogische Not- 
wendigkeit sei. Dabei kamen allerlei sonderbare Behauptungen zum 
Vorschein. Früher beherrschte die Religion das ganze Schulwesen, alle 
Wissenschaft war religiöskirchlich , jetzt hat letztere sich emanzipiert, 
sie tritt an die Stelle der Religion , welche im Laufe der Zeit kultur- 
feindlich geworden ist, daher wird die Simultanschule eine Notwendig- 
keit. Die politische Notwendigkeit wird nachgewiesen durch die moderne 
Staatsidee, welche den Staat völlig unabhängig macht von der Kirche. 
Wenn auch dieser zweite Grund am meisten noch für sich hat, und 
allerdings unter manchen Verhältnissen eine wirkliche Notwendigkeit be- 
gründet , so war die sonderbarste Behauptung die dritte , dafs die 
Pädagogik diese Schule gebieterisch verlange. Damit trat der Redner 
in scharfen Gegensatz zum ersten Vortrag, welcher die Schule enge 
mit dem Elternhaus verknüpfen wollte, während Herr Ries dieselbe auf 
einem der wichtigsten Erziehungsgcbietc , dem religiösen , von dem 
Elternhaus losmachen wollte mit der Begründung, dafs das konfessionelle 
Leben in den Familien doch gewöhnlich verschwindend klein sei. Die 
Redensart, dafs der Religionsunterricht die Zierde alles Unterrichts sei, 
■sei eine falsche , die aber aus politischen oder praktischen Gründen 
stets festgehalten werde. Das Ziel aller Bildung sei die Erziehung zur 
Humanität, welche mit der konfessionellen Scheidung nicht vereinbar 
sei. Diese Sätze erregten natürlich bei einer grofsen Zahl Zuhörer 
bedenkliches Kopfschütteln, es schlofs sich auch eine unerquickliche 
Debatte daran an und eine noch sonderbarere Abstimmung Uber die 
drei Sätze, bei welcher der Vorsitzende lange Zeit im Unklaren blieb, 



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— 5 — 



ob die Mehrzahl ftir oder gegen die vorgetragenen Sätze stimmte, eine 
unwürdige Behandlung solcher wichtiger Fragen. Wir trauen der 
grofsen Mehrzahl der Versammlung soviel gesunden Sinn zu, dafs sie 
angesichts der vortrefflichen Leistungen unserer Konfessionsschulen in 
alter und neuer Zeit sich nicht zu der Ungeheuerlichkeit bekennt, die 
Pädagogik verlange notwendig Simultanschulen.*) Man merkte auch 
dem Vortrag den gänzlichen Mangel an Erfahrung an, diese beschränkt 
sich blofs auf Frankfurter Schulen. 

General-Schulinspektor Jost aus Paris legte das Verfahren der 
französischen Schule dar, welche die Sittenlehre der Schule, die Glaubens- 
lehre der Kirche zuweist. Die Leser dieser Blätter kennen wohl alle 
die bekannten Proben aus den modernen französischen Schulbüchern. 
Diese können uns kein Vorbild sein. Es berührt mich stets un- 
angenehm, wenn in deutschen Lehrerversammlungen auf Einrichtungen 
in Frankreich oder auch in der Schweiz, wie es auch in Darmstadt 
mehrmals geschah, hingewiesen wird; wir deutsche Lehrer sollten stolzer 
sein, man kann zwar und soll überall etwas lernen, allein auf päda- 
gogischem Gebiete haben wir den Vorrang, hier stehen wir auf höherem 
Standpunkt, und wem die Schweizerische Einrichtung der Secundar- 
scbulen ein Ideal ist, der gehe doch einmal hin und lerne Schweizerische 
Schulzustände kennen. 

Die Sitzung des zweiten Tages begann nach Absingen des Chorals 
„Grofser Gott, wir loben dich" mit Begrüfsungen von verschiedenen 
Seiten, so von Generalinspektor Jost aus Paris, welcher zugleich 
zum Besuch der im September d. J. in Havre tagenden internationalen 
Lehrerversammlung einlud, von Schulrat Petro witsch aus Belgrad u. a. 
Hierauf hielt Direktor Dr. Bartels von Gera seinen Vortrag über die 
Konzentrationsidee im Lichte alter und neuer Pädagogen. Der Redner 
ging zurück auf die Konzentrationsgedanken von Luther, Comenius und 
Pestalozzi, in neuerer Zeit sei der Ruf nach Konzentration von den 
Gymnasien ausgegangen, da diese entsprechend den höheren An- 
forderungen des Lebens neue Unterrichtsdisziplinen aufgenommen hatten. 
Er schilderte sodann die sogen, chirurgische Konzentration, welche 
einfach die Unterrichtsfächer der Schule verkürzen wolle, eine Ansicht, 
die auch heute noch Vertreter finde, gegen die aber die deutsche 
Lehrerschaft protestieren müsse; ferner die gewaltsame, konfuse 
Konzentration, welche alle Fächer auf einen Mittelpunkt, Bibel, Lese- 
buch, beziehen wolle, den Standpunkt der Regulative. Ende der 60er 
Jahre sei die Herbart-Zillersche Schule mit einer neuen Art von Kon- 
zentration aufgetreten. Dr. Bartels gab nun in seinem Vortrage die 
Gedanken wieder, welche er in seiner Schrift „die Anwendbarkeit der 
Herbart-Ziller-Stoyschen didaktischen Grundsätze für den Unterricht an 



*) Welche Pädagogik? Zunächst müfste doch das Gutachten Dorp fei ds 
(Gütersloh, Bertelsmann) zurückgewiesen und gründlich widerlegt werden, ehe man 
in dieser wichtigen Frage auch nur einen Schritt weiter gehen kann. Red. 



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6 — 



Volks- und Bürgerschulen" niedergelegt bat.*) Er will die Konzen- 
tration nicht wörtlich aufgefafst wissen , er findet sie weniger in dem 
Stoffe als in der Persönlichkeit des Schülers , alle Gegenstände sollten 
miteinander in Verbindung gesetzt und dadurch ein einheitlicher Oe- 
dankenkreis erzeugt werden.- Die gegenwärtige Überbürdung der 
Schule habe noch andere Ursachen als die StofffUUe, es seien haupt- 
sächlich auch die Lehrpläne mit ihren Pensen, die Prüfungen, welche 
die letzten Wochen des Schuljahres vollständig absorbierten und die 
Konkurrenz der verschiedenen Anstalten. Diese Sätze fanden reichen 
Beifall. Der Redner fafste den Inhalt seines Vortrags in die vier be- 
reits aus der oben angeführten Schrift bekannten Thesen (S. 91) 
zusammen : 

1. Die Konzentrationsidee mufs mehr und mehr ihre Forderung 
aufgeben, dafs sämtliche Unterrichtsdisciplinen von einem 
konzentrierenden Mittelpunkt, von dem Gesinnungsunterricht, 
abhängig sein sollen. 

2. Jede Disciplin mufs als ein selbständiges Organ in dem Gesamt- 
organismus der Schule auftreten und behandelt werden. 

3. Die Stoffauswahl der verschiedenen Disciplinen , die jede ihre 
besondere Aufgabe zu lösen hat, ist nach der Fassungskraft 
der Schüler , nach der Aufgabe , wie sie die Schule zu lösen 
hat , zu vollziehen und in konzentrischen Kreisen auf die 
einzelnen Altersstufen zu verteilen. 

4. Bei der unterrichtlichen Behandlung des Stoffes hat der Lehrer 
darauf hinzuarbeiten, dafs die sich beim Unterricht ungesucht 
ergebenden Verbindungen mit andern Disciplinen vermehrt 
werden, daher dürfen die einzelnen Lehrgegenstände nicht 
ohne Beziehung zu einander bleiben, sondern sie sind als ein 
einheitlicher Unterrichtsstoff in wechselseitiger Beziehung zu 
einander zu behandeln. 

Herr Direktor Bartels sprach hier sacbgemäfser als seiner <£eit 
auf der Karlsruher Versammlung, mifsverstandene Beispiele zur Er- 
heiterung des Publikums, von welchem jedenfalls der gröfsere Teil die 
tiefere Begründung der Zillerschen Konzentration nicht kannte, kamen 
nicht vor. Nach dem Vorschlage des Präsidenten wurde über die vier 
Thesen zusammen debattiert. Da ich selbst in vielen Punkten be- 



*) S. die Entgegnung auf diese Brochüre von Dr. G opfert (Rechtfertigung 
einiger pädagog. Gedanken Zillers etc. Dresden, Bleyl & Kämmerer 1885.) Ked. 

**) In der Debatte erklärte Herr Dr. Bartels (nach der Allgem. d. Lehrer- 
zeitung Nr. 27, 1886): „Ich bekämpfe speziell nur eine Richtung der Zillerschen 
Schule, bei denen die Theorie alles und die Praxis nichts gilt, die in ihrem Hoch- 
mute den treuen Lehrer gering achten." Herr Bartels macht sich hier einen 
Gegner zurecht , der gar nicht existiert. Er möge doch einmal versuchen , den 
Nachweis für seine Behauptung zu liefern. Da wird er gar bald gewahr werden, 
in welch grofsem Irrtum er befangen gewesen, als er obige Mitteilung der 
Versammlung machte. Redaktion. 



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— 7 — 

züglich der Konzentrationsidee mit dem Redner Übereinstimme , be- 
sonders mich in die Zillersche Stoffverteilung zur Zeit noch nicht finden 
kann , - da überhaupt ein genaues Eingehen auf eine Besprechung der 
Tier Thesen nicht möglich war, so beschränkte ich mich bei der Debatte 
darauf, die Notwendigkeit der auch von Herrn Dr. Bartels hervor- 
gehobenen gegenseitigen Verbindung der Unterrichtsfacher zu betonen, 
an Pestalozzi zu erinnern , der ja auch in seiner Praxis nicht gleich 
den richtigen Weg gefunden habe, und den wir darum nicht weniger 
hochschätzten, besonders aber zu warnen , nicht nach der hier einzeln 
aus dem Zusammenhang herausgerissenen Frage der Konzentration die 
ganze Herbart-Zillersche Pädagogik zu beurteilen, dieselbe enthalte so- 
viele neue Gesichtspunkte , gebe so aufserordentlich reiche Anregung 
auf allen Gebieten der Erziehung und des Unterrichts, dafs ihr Studium 
den Lehrern , besonders den jüngeren , nicht warm genug empfohlen 
werden könne. Da man die Thesen nicht vor sich hatte , so entging 
einem manches, womit man doch nicht ganz übereinstimmte j so könnte 
ich z. B. mit der ersten These durchaus nicht übereinstimmen , denn 
auch meine Meinung ist, dafs der Gesinnungsstoff den konzentrierenden 
Mittelpunkt bilden müsse, der Redner betonte aber die enge Verbindung 
des Sprachunterrichts mit dem Sachunterricht so sehr und gab bei der 
Ausführung der vierten These so praktische hierher bezügliche Beispiele, 
dafs ich erstaunt war über den gedruckten Wortlaut der These. 
Ahnlich erging es noch mehreren Freunden. Auch die zweite These 
verlor ihre Schärfe, wenn man sie im Sinne der Zillerschen Selbständig- 
keit der einzelnen Fächer verstand. Den Schwerpunkt legte der Redner 
auf die vierte These , er illustrierte dieselbe durch vielfache Beispiele 
aus der Praxis, so dafs man mit ihr völlig übereinstimmen konnte. Im 
weiteren Verlauf der Debatte machte Direktor Abrens von Kiel auf- 
merksam, dafs die Konzentration des Unterrichts eine Expansion des 
Wissens voraussetze, nur ein reiches gründliches Wissen ermögliche die 
Konzentration auf das Notwendige , ein Anfänger könne nicht konzen- 
trieren. Wickenhöfe r aus Wiesbaden richtet sich gegen die Er- 
schwerung der Konzentration durch das Fachlehrersystem. Wenn nun 
auch die Bartels'schen Thesen mit grofsem Beifalle aufgenommen wurden, 
so gaben sie doch manchfache Anregung, sich mit den bekämpften 
Grundsätzen näher vertraut zu machen, ja wir glaubten aus Gesprächen 
bemerken zu dürfen, dafs die Herbart-Zillerschen Ideen schon eine viel 
weitere Verbreitung haben, als die Gegner zugeben wollen. 

Nach halbstündiger Pause folgte der Vortrag des Herrn Seminar- 
lehrers und Reichstagsabgeordneten Halben von Hamburg über 
»Fabrikgesetzgebung und Schule." Derselbe verbreitete sich über 
das Recht der Schule, die Heranziehung der Schulkinder zur Fabrik- 
arbeit in den Kreis ihrer Betrachtung zu ziehen, über die enorme Zu- 
nahme dieser Kinderarbeit , über die Nachteile für dieselben in ihrer 
körperlichen, geistigen, aber besonders sittlichen Bildung. Die Fabrik- 
ßchnlen, welche den Ersatz für die Volksschule bilden sollen, sind vom 



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Übel, denn es sind keine Erziehungsschulen, ihre Organisation ist nicht 
dazu geeignet und die Lehrer ebenfalls nicht. Die Verteidigung seitens 
der Fabrikherren, dafs dnrch Entziehung der Kinderarbeit das Fabrikat 
teurer werde , wird schon durch den Umstand wiederlegt , dafe die 
Schweiz die Kinderarbeit verbietet. 

Der Vortrag schlofs mit nachstehenden Thesen: Die 26. allgemeine 
deutsche Lehrerversammlung hält im Interesse der geistigen und körper- 
lichen Erziehung der Jugend, sowie zur Abwehr schwerer sozialer 
Schäden die Berücksichtigung nachfolgender Bestimmungen für dringend 
erforderlich. 1. Kinder, welche das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet 
haben, dürfen in Fabriken, Bergwerken, Steinbrüchen etc. nicht be- 
schäftigt werden. 2. Für verheiratete Frauen ist die Arbeitszeit in 
den Fabriken so zu begrenzen , dafs den Kindern die ihnen nötige 
mütterliche Pflege und Zucht nicht entzogen werde. 3. Die Ver- 
pflichtung zu regelmäßigem Besuch der Fortbildungsschule ist für die 
in Fabriken beschäftigten jugendlichen Arbeiter beiderlei Geschlechts 
bis zum vollendeten 18. Lebensjahre zu erstrecken. Diese Fortbildungs- 
schule soll nicht nur die allgemeine Schulbildung befestigen und er- 
gänzen, sondern sie soll vor allem den erziehlichen Zwecken dienen 
und den weiblichen Zöglingen Anleitung zu hauswirtschaftlicher Aus- 
bildung geben. Auch diese Thesen fanden den Beifall der Versammlung. 

Am dritten Tage hielt Lehrer Weichsel aus Wtirzburg einen 
Vortrag über „Volksschule und Volksbildung.* 1 Redner sprach 
im Eingange über die Überschätzung und Unterschätzung der Wirk- 
samkeit der Schule. Die Schule nehme jetzt noch zu wenig Rücksicht 
auf die Bedürfnisse des Lebens, beschäftige die Schüler mit Arbeiten 
und Aufgaben, die nie im Leben vorkommen, man solle dieselben mehr 
mit den wirklichen Bedürfnissen bekannt machen. Dahin gehöre die 
staatsbürgerliche Ausbildung der Schüler , wenn der moderne Staat 
seinen Bürgern so mancherlei Ämter übertrage, so habe er auch die 
Verpflichtung, die Jugend dazu schon in der Schule vorzubereiten. 
Dazu gebe es vielfach Gelegenheit , z. B. im Religions- oder Rechen- 
unterricht liefsen sich Gesetzesparagraphen anbringen, ebenso in der 
Weltgeschichte. Dann würde das Volk auch sein Wahlrecht vernünftiger 
ausüben, während es jetzt nur Stimmvieh sei. Das Volk habe ein Recht 
darauf, dafs ihm seine Rechte und Pflichten zum Verständnis gebracht 
würden. Es müfsten aber alle Kinder in die gleiche Schule gehen, 
in Norddeutschland scheine man diese allgemeine Volksschule nicht zn 
kennen, Geld und Ahnenstolz mache dort die Volksschule zu Proletarier- 
anstalten, während in Baiern der Sohn des Ministers auf gleicher Schul- 
bank mit dem Sohne des Taglöhners sitze, dadurch würden die Stände 
einander genähert, und der künftige reiche Mann oder Staatsmann be- 
wahre ein Verständnis und ein Herz für die Verhältnisse des Armen. 
Alle Privat- und Vorschulen seien ein Krebsschaden , ihre Vorzüg« 3 
blofs scheinbar, das erzieherische Moment fehle, die Privatschulen seien 
Drillanstalten. (!) Der Staat gestatte auch nicht die Privatausbildung 



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von Rekruten. (!) Der Staat könne zwar die Privatscbule nicht ver- 
bieten, aber den Besuch der Volksschule gebieten. Mit diesem Zwang 
zum Besuch der allgemeinen Volksschule falle dann auch das Schulgeld 
weg, denn entweder habe der Staat in Sachen der Schule kein Recht, 
dann hebe er auch den Schulzwang auf, oder er habe ein Recht und 
die Pflicht für die Bildung seiner Bürger zu sorgen, dann dürfe er 
keine Bezahlung dafür verlangen; das Schulgeld sei die ungerechteste 
Steuer. 

In der hierauf folgenden Debatte wurden viele von diesen Sätzen 
angegriffen, die Gesetzkunde sei in die Fortbildungsschule zu verweisen, 
man wies auch den Vorwurf ab, als ob Norddeutschland keinen Begriff 
von einer Volksschule habe, ebenso energisch die den Privatschulen 
gemachten Vorwürfe, und ganz richtig wurde darauf hingewiesen, dafs 
gerade die Kinder derjenigen Eltern, welche stets laut die Notwendig- 
keit der allgemeinen Volksschule verkündigen , die Privatschulen be- 
suchten. Am meisten Widerspruch fand die Aufhebung des Schul- 
geldes, diese sei eine sozial-politische Frage und gehöre nicht vor das 
Forum der Lehrerversammlung. Auf Andrängen des Ausschusses zog 
der Redner seine These über das Schulgeld zurück, dieselbe wollte von 
einem Mitgliede des Ausschusses wieder aufgenommen werden unter 
dem Beifall der Versammlung , das Machtwort des Präsidenten schnitt 
aber die Abstimmung über diesen Gegenstand ab, während die 2ersten 
Thesen, welche die Errichtung von allgemeinen Volksschulen, wenigstens 
bis zum zehnten Lebensjahre, befürworteten, angenommen wurden. 

Nach diesem Vortrage folgte noch ein Bericht des Direktors Dr. 
Veith von Frankfurt über die Ferienkolonien und verwandte Einrichtungen, 
welchem wir nicht mehr anwohnen konnten. 

Über die gehaltenen Sektionsversammlungen steht mir kein Urteil 
zu, da ich keiner anwohnen konnte. Die Ausstellung von Lehrmitteln 
bot ziemlich das gleiche Bild wie bei den früheren Versammlungen, 
besonders lehrreich war die Ausstellung der Modelle des Zeichenlehrers 
Kumpa und der Zeichnungen von Schülern aus den Stadtschulen und 
Landschulen. Die Mangschen Apparate , Karten , Rechenmaschienen 
fehlten nicht , letztere scheinen in neuster Zeit die Bestimmung zu er- 
halten , die Rechengeschäfte recht kompliziert darzustellen, so dafs der 
Schüler vor lauter Anschaulichkeit und Leichtigkeit schliefslich gar nichts 
mehr begreift. Hierin geht man offenbar zu weit. Eine neue Art 
weifser Blechtafeln war auch aufgestellt als Ersatz für die Schiefertafel, 
auf welcher mit Blei gut zu schreiben , und die Schrift leicht zu 
löschen war. 

Trotz den mancherlei kühnen Behauptungen und wunderlichen 
Zumutungen in den gehaltenen Vorträgen konnte man am Schlüsse doch 
mit Befriedigung auf die Festtage in dem gastfreundlichen Darmstadt 
zurückblicken, und mit Recht wurde diese auch mehrfahr ausgesprochen. 
Der Verkehr mit sovielen Kollegen , und das durch diesen Verkehr 
geweckte Gefühl, dafs man doch mit vielen Berufsgenossen in den 



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* 



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Hauptpunkten übereinstimmt, hebt hinaus über so manches, was an 
diesen grofsen Versammlungen mifsföllt und läfst doch überwiegend 
schöne Erinnerungen zurück. 

2. Die Generalversammlung de» Vereins für wissenschaftliche 

Pädagogik in Halle a. d. S. 

Von Dr. K. Just, Direktor der Bürgerschulen in Altenburg. 

Die Versammlung fand in den Tagen vom 25., 26. und 27. Mai 
statt. Sie war besucht von gegen 200 Lehrern und Erziehern; und 
zwar waren (und dies ist ein Kennzeichen der Versammlungen und 
des Vereins) die Lehrer aller Schularten vertreten, vom Universitäts- 
professor bis herab zum Lehrer der einfachen Volksschule. Von be- 
kannteren Mitgliedern des Vereins waren erschienen Universitätsprofessor 
Theodor Vogt aus Wien, der Verfasser von Kousseaus Leben und 
Herausgeber von Kants und Fichtes Pädagogik Pastor Flügel aus 
Wansleben , der Verfasser der „ Probleme der Philosophie" , der 
Schriften über „ das Wesen der Seele", „das Wunder und die Erkenn- 
barkeit Gottes , " „ die spekulative Theologie der Gegenwart , " der 
Herausgeber der Zeitschrift für exakte Philosophie, Dr. O. Frick, der 
Direktor der Franckeschen Stiftungen , Herausgeber der Zeitschrift 
„Lehrproben und Lehrgänge für Gymnasien und Realschulen", Verfasser 
der Schriften über das Semin arium Praeceptornm an den Franckeschen 
Stiftungen zu Halle und die Verwendbarkeit der Hcrbartschen Didaktik 
an den höheren Schulen, Seminardirektor Dr. Rein und Seminarlehrer 
Pickel aus Eisenach, die Herausgeber der „Schuljahre", Direktor Dr. 
Barth aus Leipzig, der Herausgeber der „Erziehungsschule", Direktor 
Ackermann aus Eisenach, der Verfasser der pädagogischen Fragen, 
Direktor Dr. Hartmann aus Annaberg, der Verfasser des Verbalismus, 
Rektor Wohlrabe aus Halle, der Verfasser der Schrift über Bildung 
des Gewissens, Rektor Beyer aus Jena, der Verfasser der Schrift: 
„Die Naturwissenschaften in der Erziehungsschule", sodann Dr. Thrän- 
dorf aus Auerbach, Dr. Göpfert, Dr. Schneider, Sekundarlehrer 
Werneburg, Sekundarlehrer Kon r ad aus Eisenach, Oberlehrer Israel 
aus Dresden, Pfarrer Freund aus Frauenbreitungen, sämtlich bekannt 
als Mitarbeiter am Jahrbuche des Vereins. Von den Gästen sind zu 
nennen der Provinzialschulrat Todt aus Magdeburg, die Universitäts- 
professoren Uphues und Cornelius aus Halle, die Seminardirektoreu 
SchÖppa aus Delitzsch und Hauff e aus Weifsenfeis, der Rektor 
Dietlein, Verfasser des „Schreibunterrichts" , aufserdem hatte sich 
eine grofse Zahl von Direktoren und Lehrern der Stadt Halle ein- 
gefunden. 

In der Vorvcrsammlung, die am zweiten Pfingstfeiertage Abends 
1 j i 8 Uhr eröffnet wurde, entwarf der Vorsitzende des Vereins, Professor 
Vogt, zunächst ein Bild vom Stande des Vereins und seiner Be- 



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strebungen. Auch in dem vergangenen Jahre ist die Mitglied erzähl 
wiederum über 100 gewachsen, so dafs der Verein jetzt 735 Mitglieder 
zählt. Die Vereinsbestrebungen haben immer mehr Boden gewonnen, 
trotz mannigfacher heftiger Angriffe gegen den Verein und seine Thätig- 
keit, die der Hauptsache nach ausgehen von Männern, deren Ruhmes- 
glanz Allerdings infolge des siegreichen Vordringens der pädagogischen 
Richtung, die der Verein vertritt, mehr und mehr erbleieht, die den 
Boden unter den FüTsen wanken fühlen und in ihrer Not sich an jeden 
Strohhalm klammern; freilich ohne Erfolg — sie sinken und ertrinken. 
Die Angaben des Vorsitzenden wurden auf das deutlichste und an- 
schaulichste illustriert durch die nun folgenden Berichte über die Thätig- 
keit der Lokalvereine, deren in den verschiedensten Teilen von Deutsch- 
land , aber auch in der Schweiz eine ganze Reihe bestehen. Es be- 
richteten die Herren Thibeaut über den Lokal verein in Dresden, 
Friedemann über den in Leipzig, Arnold über den Chemnitzer 
Lokalverein, Dr. Thrändorf berichtete über das pädagogische Leben 
in Auerbach, Dr. Hartmann Über das zu Annaberg. Letzterer hob 
zugleich hervor, wie die sächsiche Regierung, welche seit langem sich 
den Ruhm erworben habe , an der Spitze der pädagogischen Be- 
wegungen in Deutschland zu schreiten, auch jetzt die Initiative ergriffen 
und in einer Verfügung an die Bezirksschulinspektoren den Lehrern das 
Studium der Herbart-ZUlerschen Pädagogik an das Herz gelegt habe, 
auch sei von. derselben für die heurige Konferenz der Bezirksschul- 
inspektoren, die wie alljährlich zu Pfingsten in Dresden stattfinde, als 
Thema „die Bedeutung der Herbart -Zillerschen Pädagogik für die 
Volksschule" gestellt und das Referat zwei Mitgliedern unseres Vereins, 
den Herren Schulrat Grüllich in Dresden und Bezirksschulinspektor 
Rabitz in Löbau übertragen worden. Aufser diesen erfreulichen Mit- 
teilungen aus Sachsen wurden Berichte erstattet von Dr. Rein über 
die Thätigkeit der Eisenacher, von H. Ufer über den Zweigverein 
in Elberfeld, von H. Grofse über den in Halle, von Rektor Prüfer, 
einem der ältesten Mitglieder des Vereins, über die pädagogische Thätig- 
keit im Sinne des Vereins in Glogau in Schlesien, von Kandidat 
Müller über die Vereine in Chur und Rorschach in der Schweiz. 
Besondere Teilnahme erregte der Bericht des Lehrers Kramer in 
Udestedt, der erzählte, wie auch er von den Bestrebungen der neueren 
Pädagogik gehört , wie er alleinstehend und bei schwerer Schularbeit 
nur mit grofser Mühe sich ein wenig habe einarbeiten können , aber 
gar bald den Segen davon in seiner Schule verspürt habe, und wie er 
nun mit einigen Kollegen, so gut es gehen wolle, weiter studiere. 

Hierauf gedachte der Vorsitzende mehrere in diesem Jahre heim- 
gegangener hervorragender Mitglieder des Vereins, nämlich des Professor 
Stoy, des langjährigen verdienstvollen Leiters des pädagogischen 
Seminars an der Universität in Jena, des Professors der Encyklopädie 
der Pädagogik; des Professors Nahlowsky an der Universität in Graz, 
des Verfassers der trefflichen Monographie über das Gefühlsleben und 



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— 12 - 

der allgemeinen philosophischen Ethik, nnd des Pastors All ihn, der 
bis zum Jahre 1870 Docent war an der Universität in Halle und 
bekannt ist als Herausgeber der Zeitschrift für exakte Philosophie und 
Verfasser der Grundlehren der Ethik und des Antibarbarus Logicus. 

Zuletzt wurde noch die Tagesordnung für die wissenschaftlichen 
Verhandlungen an den nächsten Tagen festgestellt Diese Feststellung 
der Tagesordnung konnte sich nicht beziehen auf den Stoff der Ver- 
handlungen, denn dieser ist der Versammlung von vornherein gegeben. 
Der Verein gibt nämlich jedes Jahr zu Ostern ein Jahrbuch heraus, 
und die Abhandlungen desselben bilden den Gegenstand der wissen- 
schaftlichen Verhandlungen auf der folgenden Generalversammlung. 
Das ist offenbar eine treffliche Einrichtung, denn auf diese Weise ge- 
winnen die Verhandlungen den Wert und die Bedeutung wirklicher 
Gendankenarbeit. Von jedwedem, der sich an der Debatte beteiligen 
will , wird vorausgesetzt , dafs er die betreffende Abhandlung studiert 
hat. Allgemeine Ausführungen , ohne Beziehung auf das Jahrbuch, 
ebenso blofse Erregungen des Gefühls und des Affekts der Zuhörer 
sind ausgeschlossen. Die Debatte behält immer bestimmtes Ziel und 
bestimmte Richtung, und die Besprechungen können nicht ausarten in 
leeres Gerede. Die Verhandlungen, wie sie dann unter Redaktion des 
Vorsitzenden in den Protokollen oder Erläuterungen erscheinen, bilden 
solchergestalt eine wertvolle Fortsetzung des Jahrbuches, durch 
welche manches dort Enthaltene berichtigt, manches weiter ausgeführt, 
manches auch erst in die rechte Beziehung zum Ganzen gesetzt wird. — 
Es war also nur die Reihenfolge zu bestimmen, in welcher die Ab- 
handlungen des Jahrbuches durchsprochen werden sollten. Der Verein 
hat nun die Gewohnheit, das eine Jahr die Beratungen zu beginnen 
mit den Abhandlungen aus dem Gebiete der speziellen Pädagogik, zu- 
nächst der untersten, sodann der höheren Stufen, alsdann fortzuschreiten 
zu den Arbeiten, die der allgemeinen Pädagogik angehören und zuletzt 
daran zu nehmen diejenigen Abhandlungen, welche sich auf die grund- 
legenden Wissenschaften: Psychologie, Ethik, Religionsphilosophie be- 
ziehen, das andere Jahr wird dann der umgekehrte Weg eingeschlagen. 
Heuer war der letztere Gang an der Reihe, und da im Inhaltsverzeichnis 
die Abhandlungen enstprechend geordnet waren , so beschlofs die Ver- 
sammlung, die Arbeiten des Jahrbuches in der Reihenfolge, wie sie im 
Inhaltsverzeichnis angegeben sind, zu durchsprechen. 

Damit schlofs die Vorversammlung. — 

Die wissenschaftlichen Verhandlungen begannen Mittwoch 
früh 1 / 2 8 Uhr. Über dieselben kann und will ich nun nicht einen er- 
schöpfenden, den ganzen Verlauf der Debatte reproduzierenden Bericht 
geben, das ist Sache der Protokolle, die wie schon bemerkt im Laufe 
des Jahres , redigiert vom Vorsitzenden , im Drucke erscheinen. Ich 
werde vielmehr mich begnügen, einmal raeine persönliche Stellung zu den 
einzelnen Arbeiten zu kennzeichnen und dann einzelne charakteristische 
Züge aus der Debatte hervorzuheben. 



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- 13 



Zuerst kam der Tagesordnung gemäfs zur Besprechung eine Ab- 
handlung von Dr. Albert Schoel, Professor in St. Gallen über „das 
Verhältnis von Religion und Sittlichkeit • , dargestellt nach 
einem klassischen Denkmal der Religionsgeschichte, nämlich der Berg- 
predigt. Es wurde zunächst erörtert, und zwar von Rektor Glöckner 
in Hundisburg, inwieweit die Ableitung des Resultates der Abhandlung 
aus dem Texte der Bergpredigt eine exegetisch richtige sei, und dann 
vom Referenten dieses Resultat selbst näher beleuchtet. Dabei wurde 
folgendes hervorgehoben: Einverstanden wird man mit dem Verfasser 
sein in dem Hauptsatze oder dem Thema seiner Ausführungen: Religion 
und Sittlichkeit gehören zusammen. 

Aber zweifelhaft erscheint es, ob das Verhältnis zwischen beiden 
sich immer so gestaltet, wie der Verfasser, Professor Schoel, es dar- 
stellt: dafs nämlich Religion der Baum sei, Sittlichkeit die Frucht, die 
auf jenem erwächst. 

Offenbar wird doch auch die Religion gereinigt, geläutert, veredelt 
durch echte Sittlichkeit, wofür gerade die Bergpredigt ein treffliches 
Beispiel darbietet. 

Wollen wir das Verhältnis beider erkennen, so müssen wir von 
ihrem Wesen ausgehen. 

Sittlichkeit ist das Streben, den Idealen des Willens, die wir 
vermöge unserer Vernunft erkannt haben, gemäfs zu leben. 

Religion ist die Gemütsverfassung, in der wir uns eins fühlen 
mit Gott, dem Allmächtigen und Allgütigen und eins sein wollen 
mit ihm, dem Allheiligen, in all' unsern Strebungen und Handlungen. 

Es sind demnach zwei Gemtitsrichtungen, die sich einander wohl 
nähern in ihrem Ziel, aber verschiedenen Quellen entspringen. 

Religion ist aber das umfassendere, weil sie nicht nur die idealen 
praktischen Verhältnisse in sich begreift, sondern zugleich in den wich- 
tigsten metaphysischen Fragen die letzte Beruhigung gewährt. 

Religion wird und mufs deshalb als diejenige Form des 
auf das Ideale gerichteten Willen angesehen werden, welche 
der Lage des Menschen die entsprechendste ist und die natürlichste. 

Sittlichkeit in der oben bestimmten Fassung ist aber hinzu 
zuwünschen als treffliche Ergänzung , die Klarheit schafft in allen 
praktisch idealen Fragen, die sowohl das Ziel als den Weg zum Reiche 
Gottes in bestimmter deutlicher Weise erkennen läfst und so vor 
mancherlei Abwegen schützt, in die religiöses Streben ohne Erleuchtung 
durch die Ethik gerathen kann. 

Für theoretische Untersuchungen über das Gute wird es aber 
immer das richtige sein, wenn man ausgeht von der Ethik und dann 
erst die religiöse Form des sittlichen Strebens hinzutreten läfst, denn 
iu der Ethik haben wir wissenschaftliche Erkenntnis, und um diese 
handelt es sich bei theoretischen Untersuchungen, in der Religion da- 



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^ 14 — 

gegen gläubige Unterwerfung, allerdings unter die höchste und würdigste 
Autorität, mit Autorität, und sei es die höchste und würdigste, darf 
aber die Wissenschaft keineswegs beginnen , sie darf mit derselben 
höchstens schliefsen. 

Die Erziehung sucht Sittlichkeit und Religion gleichermaßen ztt 
wecken und zu pflegen. Die Sittlichkeit wird geweckt durch die 
ästhetisch-ethische Auffassung der Welt, insonderheit des menschlichen 
Lebens, die Keligion durch den idealen Umgang mit Gott, der dem 
Kinde erst erscheinen soll als Vater und Freund, sodann als der heilige 
und gerechte und barmherzige Führer der Völker, endlich als reaks 
Zentrum aller sittlichen Ideen, d. i. als höchstes Ideal und zugleich ab 
Urgrund aller Dinge. 

Auf eine Entgegnung, wohl des Seminardirektor Schopp a-Delitzsch, 
dafs ihm beide, Religion und Sittlichkeit, nicht getrennte Zustände seien, 
sondern in eins zusammenflössen, erwiederte der Referent, auch ihm 
kämen die beiden Quellen, von denen er gesprochen, aus denen Reli- 
gion und Sittlichkeit ihren Ursprung haben, aus einer Ur- oder Grund- 
quelle, denn das sittliche Urteil, das im Menschen sich regt, sei etwas 
allgemeingültiges , notwendiges , a priori gegebenes, für den glaubens- 
vollen Christen sei aber alles a priori gegebene nichts anderes als ein 
göttliches Geschenk, eine göttliche Offenbarung gleich der Offenbarung 
in der Geschichte der Menschheit. — - 

Die nächste Arbeit trägt den Titel: Zur christlichen Ethik 
und Dogmatik. Sie besteht aus einer Reihe kleinerer Abhandlungen, 
die zu verschiedenen Zeiten entstanden sind , mit folgenden Über* 
Schriften: 1. Die biblische Metaphysik. 2. Der Realismus des Christen- 
tums. 3. Zweite Unterhaltung mit Herbart. 4. Naturforschung und 
Christentum. 5. Wunder und Wunderglaube. Ihr Verfasser ist der 
als Pfarrer in Heiligenkreuz in Ostpreufsen verstorbene Karl Ludwig 
Hendewerk, früher Docent an der Universität in Königsberg, der 
Herausgeber Pfarrer Julius Freund in iVauenbreitungen. Diese 
kleinen Abhandlungen bilden wertvolle Bausteine zu einer Religions- 
philosophie im Sinne Herbarts, es wird aber über dieselben, wohl einem 
Wunsche aus der Versammlung entsprechend , rasch hinweggegangen, 
was freilich dem bisherigen Brauche der Vereinsversammlungen zu- 
widerläuft, nach welchem das, was einmal in das Jahrbuch aufgenommen 
worden ist, auch möglichst genau und gründlich durchsprechen werden 
mufs. — 

Die Betrachtung wendet sich nun zur allgemeinen Pädagogik. 
Dazu liegt eine Arbeit vor von Dr. Rein: Zur Synthese im histo- 
rischen Unterrichte. In derselben hebt der Verfasser bezugnehmend 
auf Dörpfeld's neueste Schrift: ,, Denken und Gedächtnis" (2. Auflage 
Gütersloh 1884) zwei Differenzen hervor zwischen Dörpfeld's und Ziller's 
Methodik hinsichtlich der Synthese im historischen Unterrichte. Es sind 
folgende: 1. Dörpfeld will das neue im historischen Unterrichte von 
den untern bis zu den oberen Stufen nur durch die Erzählung de* 



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— 15 — 



Jjehrera an die Kinder heranbringen , Ziller und seine Anhänger be- 
nutzen dazu auf den oberen Stufen einen klassischen Text, wo nicht 
die Erzählung durch darstellenden Unterricht gewonnen wird. 2. Bei 
Dörnfeld beginnt das Einprägen mit Abfragen , bei Ziller mit einer 
Totalauffassung von seiten des Schülers, bei welcher demselben durch 
Einzelfragen von Seite des Lehrers nur Hilfe geleistet wird. 

Nach Ansicht des Referenten hängen beide Differenzen zwischen 
Dörpfeld und Ziller und dessen Anhängern zusammen mit der Ver- 
schiedenheit des Lehr Verfahrens Uberhaupt, das beide fordern, und es 
können deshalb, so wird auch von Dr. Thrändorf hervorgehoben, 
diese Punkte gar nicht besprochen werden, ohne dafs man nicht zu- 
gleich Bezug nähme auf den Unterschied im gesamten Lehrverfahren 
beider. . .i . 

Wie steht es nun hinsichtlich des Lehrverfahrens bei beiden? 

Bei Dörpfeld ist das Lehrverfahren ein einfaches. Es besteht 
(vgl. Rein S. 4 ff.) im Geschichtsunterrichte im Erzählen von seiten 
des Lehrers und im darauf folgenden Einprägen. 

Bei Ziller und seinen Anhängern, die in der Anwendung der psycho- 
logischen Gesetze auf den Unterricht etwas konsequenter sind, folgt nach 
dem Lesen (es ist hier selbstverständlich abgesehen von den unteren 
Stufen) anschauliches Versetzen in die thatsächlichen Verhältnisse durch 
eine sich anschljefsende Unterredung, darauf Vertiefung in die ethisch- 
religiösen Verhältnisse mit Hilfe der sogenannten Konzentrationsfragen, 
endlich Emporhebung zur allgemeingültigen Lehren und Maxime ver- 
mittelst eines regelrecht eingeleiteten Abstraktionsprozesses, woran sich 
noch methodische Übungen anschliefsen, die zur vollständig freien Be- 
herrschung des Stoffes führen sollen. 

Dörpfeld und seine Anhänger, zu denen auch der von Thrändorf 
in seiner Arbeit über das Leben Jesu (S. 28) apostrophierte Herr Schneyer 
in Coburg gehört, können nun nach des Referenten Erachten auf das 
Erzählen von seiten des Lehrers in der That nicht verzichten; ihr 
Unterricht wäre, wenn die Erzählung wegfiele, gar zu ärmlich und 
dürftig, und es fehlte, worauf Dörpfeld doch so grofscs Gewicht legt» 
vollständig an der ethischen Erfassung und Beurteilung. 

Anders ist es bei Ziller und seinen Schülern. Diese sorgen durch 
einen besondern Akt für die ethisch-religiöse Auffassung der Schüler, 
und zwar sind es bei ihnen die Schüler selbst, die angeleitet und an- 
gehalten werden , das sittliche Urteil zu fällen , während bei Dörpfeld 
der Lehrer mit der Erzählung zugleich die sittliche Beurteilung 
und Würdigung gibt, was sich aber mit Forderung der Erzeugung 
des Interesses als Selbsthätigkeit nicht verträgt. 

Dörpfelds Verfahren läfst sich wohl erklären und entschuldigen 
aus der Bedrängnis der Praxis heraus. Da fehlt es z. B in dem 
profanhistorischen Unterrichte noch an den Lesebüchern, die zu Grunde 
zu legen sind, und wenn sie da wären, so würde es vielfach auch an 



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— 16 



den Mitteln gebrechen, sie anzuschaffen. Da fehlt es weiter an Lehrern, 
•die psychologisch genug gebildet sind, um ein so kunstvolles Verfahren, 
wie Ziller es vorschreibt, anwenden zu können. Aber ganz und gar 
verfehlt erscheint es dem Referenten, ein solches Verfahren theo- 
retisch rechtfertigen zu wollen.*) 

Inbezug auf den zweiten Punkt, das Einprägen, wird vom 
Referenten ein Vorwurf zurückgewiesen, den Dörpfeld immer und immer 
wieder gegen Ziller und dessen Nachfolger erhebt. Er behauptet 
nämlich, es fehle bei diesen die Sorge für das rechte Einprägen. Der 
Unterschied zwischen Dörpfeld und Ziller ist nur der, Dörpfeld wieder- 
holt fast immer willkürlich, was auf die Dauer von den Kindern als ein 
geistiger Druck empfunden werden muss, bei Ziller und seinen An- 
hängern wird vorgezogen die immanente Kepetition, d. i. diejenige, die 
sich nötig macht durch den Fortschritt des Unterrichts. Jede Stufe gibt 
zu einer solchen Kepetition Anlafs: auf der Stufe der Klarheit die 
Analyse mit ihren steten Anknüpfungen an das Alte, sodann die 
Association durch ihre mannigfachen Zusammenstellungen und Ver- 
gleichungen, weiter das System durch die Bildung von Begriffsreihen, 
endlich die Methode durch Übungen, die sich nicht blofs auf das jetzt 
ausgebildete System, sondern auch auf die früheren beziehen. 

Dafs bei Ziller und seinen Schülern aber auch die absichtliche, 
willkürliche Kepetition nicht vergessen wird , das beweist schon die 
Einrichtung und Verwendung des Auf gabenbuches (Allgem. Pädagogik, 
2. Aufl. S. 291 u. S. 391). 



*) Damit stimmt überein, was Thrändorf in einem Referate über Rems Ab- 
handlung, das er dem Verfasser freundlichst zur Verfügung stellte, sagt: „Zum 
Sehlufs möchte ich mir noch den Versuch erlauben, die Entstehung der Dörpfeld'schen 
und Ziller'schen Ansichten psychologisch zu erklären Dö r p felds Gedankengang 
ist in der Schule und zwar in einer Schule mit — nach pädagogischen Begriffen — 
überfüllten Klassen entstanden, Zillers Theorie hat ihre Probe in der Übungs- 
schule bestanden, in der die niedrige Schülerzahl die Herstellung idealer Zustände 
ermöglichte. Dörpfeld hat sich gefragt: Was mufs geschehen, wenn bei der 
grofsen Schülerzahl und der Masse der zu behandelnden biblischen Geschichten 
der Schüler nicht blofs auswendig gelernte Stoffmassen, sondern auch einen Ge- 
winn für sein sittlich-religiösos Innenleben davontragen soll? Als Resultat seines 
Nachdenkens ergab sich ihm: Die strenge Forderung der Aneignung des äufser- 
lich ThatsächÜchen mufs gemildert werden, und der Gemütseindruck mufs 
auf leichtere, weniger zeitraubende Weise erzielt werden. Das Verfahren, 
was sich für ihn auf die Weise ergab, gewann er durch lange Gewöhnung so lieb, 
dafs er es für ein Ideal ansah. In Zillers Verfahren mufste er natürlich einen 
Abfall vom Ideal erkennen. 

Ziller, der sich bei Ausbildung seiner Theorie um die unvollkommenen 
Verhältnisse unserer Schule nicht kümmerte, und vor allem den unvollkommenen 
Zuständen keinen Einfltifs auf die Ausgestaltung seiner Theorie gestattete, sagte 
sich: Die wirklichen Verhältnisse müssen nach dem Ideal umge bildet 
werden (nicht umgekehrt); da nuu eine Einwirkung der biblischen Stoffe 
■auf das kindliche Gemüt nur möglich ist, wenn diese Stoffe in voller Anschaulich- 
keit in der Schülerseele leben, so müssen alle Voraussetzungen, die ein solches 
Lebendigwerden bedingen, sorgfältig erfüllt werden, und wo die Verhältnisse das 
i nicht gestatten, müssen sie geändert werden". 



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17 — 



Den Ausführungen des Referenten tritt Ufer -Elberfeld entgegen, 
welcher versichert, „so einfach als dargestellt sei doch die Sache bei 
Dörpfeld nicht," nach Ansicht des Referenten aber nichts vorbringt, was 
seine Versicherung zu einer überzeugenden machte. 

Die Grundlage zur endgültigen Entscheidung wird die von Dörpfeld 
schon angekündigte Monographie über die Bearbeitung der Begriffe 
liefern. Der Verein hat die Pflicht , diese zu prüfen , um wenn es 
notwendig ist, sein Urteil richtig zu stellen. — 

Es kommen nunmehr zur Besprechung die Arbeiten , welche der 
speziellen Methodik angehören, und zwar zuerst die Arbeit des 
Proffessors Gottfried Friedrich in Teschen: Der Philoktet des 
Sophokles im erziehenden Unterrichte. Im vorigen Jahrbuche 
hatte derselbe die psychologische Analyse der Handlungen und 
Charaktere gegeben, in dem diesjährigen bietet er die religiöse sowie 
die ethische Betrachtung und die ästhetische Würdigung. 

In ersterer Beziehung, nämlich hinsichtlich der religiösen An- 
schauung, die im Drama herrscht, wird in der Abhandlung ausgeführt: 
Noch waltet auch im Geschick des Philoktet die Moira, das Schicksal, 
das unabänderliche, unabwendbare, das wie ein dunkles, schweres Ver- 
hängnis auf den Menschen der alten Welt lastet, aber Zeus milder 
Sinn sucht es erträglicher zu gestalten. „Philoktet leidet nicht, um zu 
leiden, auch sind nicht immerwährende Leiden wie über Prometheus 
über ihn verhängt. Eine wenn auch lange und schwere Prüfungszeit 
soll ihn geläutert und gestählt seinem Heldenberufe zurückgeben, und 
diese seine Reinigung und Kräftigung beruht auf sittlicher Hebung." 
Ein wohlwollendes, erbarmenkes Herz also wohnt über den Sternen, 
der Gott greift, getrieben von Liebe, erziehend in die Schicksale der 
Menschen ein und sendet dem Leidenden den Erlöser (der sich Philoktet 
naht in Gestalt des Herakles). Der Philoktet des Sophokles enthält so 
eine Ahnung der christlichen Wahrheit, obgleich seine Menschen noch 
befangen sind in jener düstern Weltanschauung, aus der erst die Religion 
der Liebe die Menschheit rettete. 

Die ethische Würdigung bezieht sich vor allem auf die beiden 
Gesandten der Griechen, die Philoktet bestimmen sollen , von Lemnos 
zum Griechenheer zurückzukehren, auf Odysseus und Philoktet. 

Odysseus ist der Mann des Erfolges; ihm gilt dasjenige Wollen 
und Handeln als gut, was zweckmäfsig ist, und es ist ihm jedes Mittel 
recht , wenn es nur zum Ziele rührt. Das Ziel seines Handels aber 
wird ihm gegeben durch den Allgemeinwillen, ihm hat sich der Einzelne 
zu unterwerfen, selbst mit Verleugnung der eigenen besseren Überzeugung. 

Das verlangt er auch von Philoktet, und diesen blendet anfangs 
auch das glänzende Bild des Ruhms, das Odysseus ihm vorhält als Lohn 
|ur seine, freilich an sich schamlose That. Aber gar bald regt sich 
in ihm das sittliche Urteil, er gewinnt sich selbst wieder und gibt sich 
seiner besseren Überzeugung zurück. Mit der Gewinnung der inneren 

Pädagogische Studien. JH. 2 



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— 18 — 



Freiheit aber werden auch die übrigen Ideen wieder mächtig in ihm: 
das Wohlwollen, die Vergeltung, das Recht. 

Das sind blofs einige Züge aus der ethischen Betrachtung, die der 
Verfasser anstellt; in Wahrheit ist diese viel reicher und eingehender 
und in diesem ihrem Reichtum und zugleich in der Anschaulichkeit ein 
trefflicher Beweis für die Besauptung, dafs es kein besseres Mittel gibt, 
in den Schulen Ethik zu lehren (wie auch Psychologie und Ästhetik) 
als rechte Behandlung der Klassiker , der alten wie der neuern , der 
fremden wie der heimischen. (Ziller, Allgem. Päd. §. 21, S. 215). 

Bei der Besprechung, die sich auf die ästhetische Würdigung 
bezog, substituierte Direktor Dr. Prick der vom Verfasser (S. 235) 
gegebenen Auffassung des Tragischen eine wie es schien tiefere und 
gehaltvollere. 

Zuletzt ward noch die Frage nach der Stellung des Philoktet im 
Lehrplansystem berührt. Dr. Fr ick berichtete, welche Stellung er dem 
Drama in seiner Praxis zugewiesen und aus welchen Gründen (vgl. 
Verwertung der Herbartschen Didaktik an den höheren Schulen S. 43). 
Professor Vogt bestimmte die Stellung im Anschlufs an das von ihm 
in Anlehnung an Ziller im Grofsen entworfene Lehrplansystem (s. Er- 
läuterungen 81, S. 40). Auf diese Frage wird die Versammlung im 
nächsten Jahre zurückkommen müssen, da die Erörterung derselben im 
Schlufsteüe der Abhandlung Friedrichs zu erwarten ist, weshalb wir 
auf eine ausführliche Darstellung für diesmal verzichten. — 

Jetzt wurde besprochen die Abhandlung von Dr. Bliedner- 
Eisenach: «Zum literaturkundlichen Unterrichte auf höheren 
Schulen." 

Mit Bliedner — das wurde besonders von Dr. Wohlrabe- Halle des 
weitern ausgeführt, — werden wir einverstanden sein, dafs der literatur- 
kundliche Unterricht nicht in einer literarischen Ubersicht bestehe, noch 
auf einer Sammlung von Proben fufisen, noch auch einer Anordnung 
nach literarischen Gesichtspunkten folgen darf; wir verlangen vielmehr 
mit ihm , dafs immer etwas Ganzes , Zusammenhängendes behandelt 
werde, und fordern, dafs dieses Ganze etwas Klassisches, d. i. nach In- 
halt und Form Bedeutungvolles sei, unter den nationalen Dichtern aber 
gebührt auch nach unserer Meinung Schiller die erste Stelle (und 
zwar aus den in Ziller' s Ethik S. 70 angegebenen Gründen, die sich 
auch angeführt finden in der Allg. Päd. S. 181). 

Die Auswahl des zu Behandelnden kann aber nach Ansicht des 
Referenten nicht getroffen werden ohne Hinblick auf die kulturgeschicht- 
liche Entwicklung, die den Leitfaden darbietet für den Fortschritt im 
Lehrplan. 

Die Litteratur mufs so ausgewählt werden, dafs durch sie die gleich- 
zeitig in der Geschichte behandelte Periode erhellt, verdeutlicht, indivi- 
dualisiert, erhoben und mit warmem Gefühl durchzogen wird. 



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Nur so werden wir dem Prinzip der Konzentration, das wir 
trotz aller Angriffe der Gegner auch heute noch für ein gül- 
tiges halten und anerkennen,*) gerecht. 

Denken wir unter den höheren Sehulen an das Lehrerseminar 
(das sechsklassige), auf das auch Bliedner vorzugsweise Bücksicht nimmt, 
so würde sich die Sache etwa so gestalten: 

Hier mufs im Gegensatz zur Volksschule, wo es sich ausschliefslich 
um Vertiefung in die nationale Geschichte handelt, die geschichtliche 
Betrachtung erweitert werden üher die nationale hinaus. Es müssen 
sowohl die hervorragenden Kulturvölker der alten Welt als auch die 
der Neuzeit, die letzteren vor allem in ihren Beziehungen zur deutschen 
Geschichte, in den Kreis des geschichtlichen Unterrichts hereingezogen 
werden. 

Zuerst wäre der Zögling einzuführen in die Geschichte des grie- 
chischen Volkes, und dieser parallel würde im deutschen Unterrichte 
zu lesen sein Homer, sei es nach Voss, sei es nach Jordan oder 
Donner (mit Heranziehung passender Gedichte von neueren Dichtern 
z. B. von Schiller). 

Der griechischen Geschichte würde folgen die römische, und hier 
wären Stücke aus Shakespeare: Julius Cäsar, Coriolan, sowie etwa die 
Römeroden von Horaz in der Verdeutschung von Geibel zur Vertiefung 
in das römische Leben daran zu nehmen. 

Es folgte sodann die deutsche Geschichte : Völkerwanderung, Karl 
der Grofse, die sächsichen und salischen Kaiser, die Hohenstaufen und 
Habsburger. Während dieser Zeit würde Referent zur Lektüre vor- 
schlagen das Nibelungenlied, Unland als Sänger der deutschen Vor- 
zeit und Walther von der Vogelweide, den letzten wie auch das 
Nibelungenlied in Übersetzung, mit Darbietung einiger Proben aus der 
alten Sprache, zur Anregung derer, die besondern Sinn und Neigung 
für Sprachstudien haben. Goethes Götz könnte alsdann zuin aus- 
gehenden Mittelalter in Parallele gesetzt werden. 

Sodann kämen wir zur Reformation und zum Jahrhundert des 
30jäbrigen Krieges. Hier müssten vor allem Luther, sonderlich auch 
als Umdichter und Übersetzer der hebräischen Dichtwerke, sowie die 
Übrigen grofsen deutschen religiösen Dichter wie Paul Gerhard und 
Klopp tock in den Mittelpunkt der Betrachtung treten, während Schillers 
Wallenstein das Zeitbild des Jahrhunderts des grofsen Krieges ver- 
vollständigte. 

An die Seite der Periode Friedrichs des Grofsen würde Referent 
vor allem Lessing (Ausgangspunkt Minna von Barnhelm) und an die 



*) Und zwar darum, weil wohl einzelne Anwendungen als mifslungen zurück- 
gewiesen, aber noch niemals die Gründe, durch welche sie gefordert wird, wider- 
legt worden sind, wie das neuerdings wieder an dem Vortrag di*s Herrn Dr. Bartels 
in Darmstadt zu sehen ist, der die Berechtigung des Prinzips sogar anerkennt, aber 
nichts ordentliches, planmäTsiges dafür thun will, sondern nur gelegeutlich dies 
und das, wie das immer gewesen ist. 

2* 



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Seite der Revolutionszeit Goethe (Ausgang Hermann und Dorothea) 
setzen. 

Der Dichter aber, der parallel dem Aufschwünge des deutschen 
Volkes zur Freiheit und Einigkeit uns beschäftigte, würde Schiller sein 
(Ausgangspunkt Teil und die Jungfrau von Orleans). 

Schiller würde so überwiegen; einzelne Balladen wären schon 
am Anfange bei der Griechenzeit (Kraniche des Ibykus) und beim Mittel- 
alter (Rudolf von Habsburg) heranzuziehen. Er stände so am Anfange, 
in der Mitte, am Schlüsse. 

Andere Dichter, die nicht genannt werden, wie Hebel, Claudius, 
Rtickert sind mit einer Anzahl von Dichtungen schon von der Volks- 
schule her bekannt. 

Wieder andere hat schon die Geschichte zu berücksichtigen , wie 
die Freiheitsdichter, die nationalen Dichter der Gegenwart. 

Ebenso sind Stücke der oben genannten (Lessing, Schiller) in 
andern Lehrfächern, in der Pädagogik, Psychologie, Logik und Ethik 
zu verwerten. 

Daneben würden Vorträge, Festtage, schriftliche Arbeiten, auch 
Zusammenfassungen im deutschen Unterrichte immerhin auch für zu- 
sammenhängende Betrachtung eines Dichters oder einer 
Dichtergruppe sorgen. — 

Diese Ausführungen fanden Widerspruch insbesondere bei Seminar- 
direktor Hauffe — Weifsenfeis, der meinte, das Seminar habe 
notwendigeres zu thun als Homer zu treiben, und überhaupt an Ein- 
richtungen und Anordnungen, wie sie für den Litteraturunterricht 
z. B. Kehrs Lesebuch repräsentiert, nicht gerüttelt wissen wollte. 

Die verschiedenen Ansichten über Homer etc. haben jedenfalls 
ihren Grund in der Verschiedenheit der Ansicht über die Art der Er- 
ziehungsschule, auf der das Seminar als pädagogische Fachschule ruht. 
2\ach der Meinung des Referenten ist diese Erziehungsschule oder sollte 
sie sein eine modifizierte Realschule (vgl. Ziller, allgem. Päd. S. 17), 
nach Ansicht des Gegners eine Art von Volksschule. Ist das letztere 
der Eall, so mufs allerdings, wie schon oben hervorgehoben, von aller 
fremden Litteratur abgesehen und ausschliefslich die nationale be- 
rücksichtigt werden. — 

Es kam nun an die Reihe der Betrachtung die Arbeit von Dr. 
Thrändorf: das Leben Jesu nach Matthäus. 

Das ist eine von den Arbeiten, welche die Stetigkeit und Kon- 
tinuität in den Vereinsbestrebungen bezeugen. Thrändorf arbeitet seit 
fast einem Jahrzehnt an der methodischen Ausgestaltung des Religions- 
unterrichts. Die Jahrbücher von 1876 (S. 195 ff.) und 1877 (S. 149 ff.) 
enthielten von ihm das sittlich-religiöse Material der Patriarchenzeit, 
es folgte dann, nachdem Lindner im Jahrbuche von 1878 das ethisch- 
religiöse Material der Königszeit dargeboten hatte, im Jahrbuche von 
1880 die Behandlung der Richterzeit, im Jahrbuche 1882 und 1883 
die der Wirksamkeit des Apostels Paulus, im Jahrbuche von 1884 die 



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21 — 



der Propheten, and als Schlufs und Krone des Ganzen folgt nnn die 
Darstellung des Lebens Jesu für den Unterricht in der Erziehungs- 
schule. 

Thrändorf verlangt, dafs das Leben Jesu (abgesehen von den 
Featge8chichten) auf ein einziges Evangelium gegründet werde , damit 
eine zusammenstimmende Gedankenreihe entstehe und nicht vorzeitig 
Widersprüche, durch welche Zweifel an der Wahrheit der Geschichte 
überhaupt erregt werden können, in die kindliche Seele getragen werden. 

Welches Evangelium soll dies sein? Matthäus, einmal, weil hier 
die Fäden, die das neue Testament mit dem alten (dem Bekannten) 
verknüpfen, am zahlreichsten und klarsten zu Tage liegen, das andere 
Mal um der grofsen Anschaulichkeit willen, die ihm eigen ist. 

Bei der Debatte wurde die Frage aufgeworfen, ob bei dem vor- 
geschlagenen Gange die übrigen Evangelien ausgeschlossen seien, was 
jedenfalls nicht zu billigen wäre. Die Antwort hatte Thrändorf in seiner 
Arbeit schon gegeben (S. 19): «Nur der Fortschritt und die Auswahl 
des Stoffes ist durch MatthÄus bedingt; wo sich dagegen in einem 
andern Evangelium etwas findet, was zur Klärung oder weiteren Aus- 
fuhrung eines Gedankens passend herangezogen werden kann , soll es 
auch wirklich herangezogen werden," und zwar kann es nach unserer 
Meinung auf jeder Unterrichtsstufe geschehen, nicht blofs wie Thrändorf 
will, auf der Stufe der methodischen Übung. 

Zuzustimmen ist sodann jedenfalls Thrändorf, wenn er vom Lehrer 
verlangt, dafs er durchdrungen sein soll von der Überzeugung: das 
Evangelium ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran 
glauben (Köm. 1, 16), und inbezug auf die Methode, „unser ganzes 
Streben mufs dahin gehen, unsere Schüler in einen idealen Umgang 
mit dem Meister zu versetzen, so dafs sie selbst die Wahrheit des 
Petruswortes fühlen : Du bist Christus , des lebendigen Gottes Sohn 
(Matth. 16, 16)". 

Zu den Präparationen (dieses Jahrbuch enthält folgende: 1. Ein 
Bufsprediger zur Zeit Jesu. 2. Jesus bei Johannes. 3. Wird Jesus als 
Messias die nationalen Hoffnungen erfüllen? 4. Jesus tritt sein Lehr- 
amt an. 5. Der Herr wählt sich einen engeren Schülerkreis. 6. Die 
Bergpredigt) , wurden wertvolle Zusätze und Bemerkungen gebracht 
von Rektor Glöckner; an der Debatte darüber beteiligten sich ferner 
die Herren Serainardirektor Schöppa- Delitzsch , Seminarvicedirektor 
Israel-Dresden, sowie die Pastoren Flügel und Rolle- Hoheneiche. — 

Es folgte die Besprechung der Arbeit von Zillig -Würzburg: Die 
Nibelungen. 

Wie Thrändorf, so gehört auch Zillig zu den treuen und konse- 
quenten Arbeitern des Jahrbuches und des Vereins. Er hat sich als 
nächste Aufgabe die methodische Ausbildung des Geschichtsunterrichts 
gesetzt. Jahrbuch XIV enthält zunächst die grundlegende Arbeit: 
Der Geschichtsunterricht in der elementaren Erziehungs- 
schule, in Jahrbuch XVI erörtert sodann Zillig in einem Nachtrage 



in ausführlicher Weise die Stellung der Nibelungensage im Geschichts- 
unterricht, und diesmal bietet er eine Bearbeitung dieser Sage für die 
Erziehungsschule gibt, also den entsprechenden Stoff für das historische 
Lesebuch. 

In der Einleitung zu dieser seiner letzteren Arbeit weist Zillig nach, i 
warum die Schule nicht eine Übersetzung gebrauchen kann wie et*a 
die von Simrock oder eine freie Umbildung wie die von Hinsberg. Er 
zeigt darauf die Mängel , welche die Bearbeitungen von Thrändorf 
(Lesebuch für das 3. Schuljahr) und den Eisenachern (Thüringische 
Sagen und Nibelungen. Historisches Lesebuch für das 3. und 4. Schal- 
jahr. Dresden 1885) haben, dann läfst er seine eigene folgen. Die- 
selbe schreitet fort nach folgenden Überschriften: 

1. Wie Siegfried nach Worms kam. 

2. Wie Siegfried mit den Sachsen stritt. 

3. Wie Gunther und Siegfried nach dem Isenstein fuhren. 

4. Wie Siegfried ermordet wurde. 

5. Wie der Nibelungenschatz nach Worms kam. 

6. Wie Kriemhild Königin der Heunen wurde. 

7. Wie die Könige zu den Heunen fuhren. 

8. Wie Rüdiger die Burgunden empfing. 

9. Wie Dietrich die Burgunden warnte. 

10. Wie Kriemhild Hagen empfing. 

11. Wie Hagen und Volker vor Kriemhilds Saal safsen. 

12. Wie Hagen und Volker Schildwacht standen. 

13. Wie die Burgunden mit den Heunen stritten. 

14. Wie Iring mit Hagen stritt. 

15. Wie die Königin den Saal verbrennen liefs. 

16. Wie Rüdiger erschlagen wurde. 

17. Wie Herrn Dietrichs Recken alle erschlagen wurden. 

18. Wie der Herr Dietrich Günthern und Hagen bezwang. 

Die Auswahl ist gut. Es war der Gesichtspunkt mafsgebend, den 
alten Stoff im Nibelungenliede nach Möglichkeit herauszuheben, dessen 
Richtigkeit und Zweckmässigkeit für eine schulmäfsige Bearbeitung 
allerdings von den Eisenachern (Dr. Rein , Dr. Göpfert) nicht zu- 
gestanden wird , zumal das Christlich-Rittermäfsige , was so zur Aas- 
scheidung kommt, bereits in den Thüringer Sagen ein Element bilde, 
die doch nach dem von Ziller entworfenen und von Zillig acceptiert* D 
Lehrplansystem der Nibelungensage vorhergehen. 

Die Erzählung ist anschaulich, lebendig und einfach im Ausdruck, 
Vorzüge , die der Verfasser durch möglichst engen Anschlufs an das 
Original sich zu eigen gemacht hat. Sie ist nur noch nicht fliefseo^ 
genug , zuweilen noch etwas zerhackt, zerstückelt; durch eine noch- 
malige Überarbeitung würde dieser kleine Übelstand leicht beseitigt and 
der „style coupe" gemildert werden können. — 

Nunmehr ging die Besprechung über zu den beiden letzten Ab- 
handlungen des Jahrbuchs, die dem naturkundlichen Unterricht so- 

I 



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— 33 — 

gehören. Es Bind das die Arbeiten von Sekundarlehrer Konrad - 
Eisenach: der Zweck des naturkundlichen Unterrichts, mit 
Präparationen, und Gymnasiallehrer Worneburg-Eisenach: Eine 
Fräparation über einige bekannte Pilzarten. 

Die Versammlung gab ihrer Freude darüber Ausdruck, dafs 
neuerdings auch die Naturwissenschaften in energischer Weise im 
Sinne des erziehenden Unterrichts bearbeitet werden. Bisher standen 
die naturwissenschaftlichen Fächer den religiösen , historischen und 
sprachlichen Fachern in dieser Beziehung etwas nach. Das darf uns 
auch nicht Wunder nehmen. Die religiösen , historischen und auch 
die sprachlichen Fächer (soweit bei den letzteren wenigstens der Inhalt 
in Betracht kommt) liegen ihrem ganzen Wesen nach dem Erziehung« 
zwecke näher als die naturwissenschaftlichen. Die naturwissenschaftlichen 
Fächer müssen sich deshalb , wenn sie im Sinne des erziehenden 
Unterrichts bearbeitet werden sollen, eine viel gröfsere Umänderung 
gefallen lassen als jene. Sie müssen vor allem den selbständigen 
Zweck , den sie als Fachwissenschaft verfolgen , aufgeben und einen 
anderen, fremden annehmen. Sie müssen aus der selbständigen in eine 
dienende Stellung treten, und das ist immer, mag auch der Dienst ein 
noch so hoher sein, etwas schwieriges und für den Anfang sogar un- 
angenehmes. Um so mehr verdienen die Männer , die auf diesem 
Gebiete eine Änderung im Sinne des erziehenden Unterrichts herbei- 
zuführen suchten, die Herren Beyer, Konrad, Werneburg, Dank und 
Anerkennung. 

Was nun den Inhalt der vorliegenden Arbeit (von Konrad) be- 
trifft, so ist zu erklären, dafs derselbe ganz und voll auf dem Boden 
der Vereinsbestrebungen steht. Sätze wie die : „Die Aufgabe des 
naturkundlichen Unterrichts besteht darin, dafs der Schüler bekannt 
gemacht werde mit den Mitteln und Kräften für die in der Sphäre 
der Gesinnungen liegenden Zwecke des Wollens und Handelns." Oder: 
„Die naturkundliche Betrachtung mufs ausgehen von den Beziehungen, 
in denen die Natur zum Menschen steht, und sie mufs in erster Linie 
solche Gegenstände betrachten, auf welche die menschliche Arbeit sich 
richtet. Ferner : „Die Naturkörper sind in dem Zusammenhange zu 
betrachten , in dem sie in der Natur erscheinen und im praktischen 
Leben zur Verwendung kommen, und deshalb sind auch die einzelnen 
naturwissenschaftlichen Disciplinen nicht gesondert, sondern mit einander 
verbunden zu lehren." Endlich: „Die naturkundlichen Kenntnisse 
werden nicht durch das Wort des Lehrers mitgeteilt , sondern müssen 
durch eigene Beobachtungen der Schüler erworben werden, weshalb 
sich Spaziergänge, Besuch vou Werkstätten, mancherlei Versuche, be- 
sonders auch im Schulgarten nötig machen", — solche Sätze gehören 
zu den Haupt- und Grundsätzen einer Theorie des naturwissenschaft- 
lichen Unterrichts im Sinne des erziehenden Unterrichts. 

Je schwieriger nun die Ausführung dieser Sätze in der Praxis ist, 
besonders des letzten derselben, um so höher ist es zu schätzen, dafs 



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24 — 



der Verfasser der Abhandlung seinen theoretischen Ausführungen eine 
Reihe von Präparationen hinzugefügt hat, aus denen deutlich ersicht- 
bar ist, dafs der Unterricht des Verfassers in der That seinen For- 
derungen entspricht. Diese Präperationen sind eine ehrliche , solide 
Arbeit, eine Arbeit in echt Zillerschem Geiste, es sind nicht blofse theo- 
retische Skizzen, sondern Ergebnisse seiner sauren praktischen Arbeit 
und zwar nicht blofs von Wochen, sondern von Monaten und Jahren. 

Sie zeichnen sich aber nicht blofs durch ihren Stoff aus, der durch 
unermüdliche Beobachtung erworben ist, sondern auch durch ihre 
Form , durch die methodische Verarbeitung , die der Stoff erfahren 
hat. In dieser Beziehung ist besonders ein Punkt hervorzuheben, näm- 
lich das rechte Verhältnis, in dem in den Präparationen die Analyse 
steht zur Synthese. Immer arbeitet nämlich der Verfasser darauf hin, 
dafs sich bei dem analytischen Unterrichte Fragen erheben, die sodann 
auf der Stufe der Synthese ihre Beantwortung finden. So geben bei 
der 2. Präparation (Bestellung des Feldes) die Beobachtungen Anlafs 
zu den Fragen: Warum und in welcher Weise wechselt der Landmann 
mit den Kulturen ab? Und: Welches ist der Zweck des Pflügens und 
Eggens. Die Synthese gibt dann die Antwort. Ebenso ist es bei der 
3. und 4. Präparation. So hätte es auch sein sollen bei der 1. Präpa- 
ration. Auch da hätte beim Backen gefragt werden sollen: Woher 
die Blasen beim Teich und woher der branntweinartige Geruch? und 
beim Brauen : Wozu mufs die Gerste keimen ? Wozu die Maische 
kochen ? Woher der süfse Geschmack der Würze ? Wozu der Hopfen, 
die Hefe? Durch die Versuche, die so in der rechten Weise in den 
Unterricht eingeordnet werden, und durch ihre Erklärung wäre sodann 
die Antwort auf diese Frage gegeben worden. — Hinzuweisen ist so- 
dann auch auf das treffende Beispiel für den darstellenden Unterricht 
in der Naturkunde, welches Konrad gibt, nämlich die Beschreibung der 
Spiritus- und Branntweinfabrikation im Anschlufs an das Bierbrauen (S. 165). 

Es blieben noch die Fragen zu beantworten: In welchem An- 
schlufs soll der Stoff behandelt werden? Und: Auf welchen Stufen? 
Die Beantwortung der ersten Frage lautet: Im Anschlufs an den 
Individualitätskreis , die heimatlichen Vorstellungen (S. 143) , und 
die Beantwortung der zweiten: Im 7.-8. Schuljahre (S. 157 „in den 
obersten Klassen"). 

Ein ausführliches Referat des Herrn Rektor Beyer über die Kon- 
rad'sche Abhandlung kam nicht mehr ganz zum Vortrag (die Mit- 
teilung erfolgt in den Protokollen), und ebensowenig konnte leider die 
Arbeit des Herrn Werneburg besprochen werden, da inzwischen die 
bestimmte Zeit abgelaufen war und die wissenschaftlichen Verhandlungen 
geschlossen werden mufsten. — 

Aus den geschäftlichen Verhandlungen, die nun folgten, ist hervor- 
zuheben die Besprechung über die Erhaltung, resp. Neuschaffung 
pädagogischer Seminare an den Universitäten. Das Zillersche 
Seminar in Leipzig wird wieder ins Leben treten, der Übungsschulverein 



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— 25 — 

hat bereits einen Schüler Zillers gewählt zur Leitung der Übungsschule 
und diesem eine jährliche Unterstützung zugesichert, derselbe bereitet 
sich gegenwärtig vor zur Habilitation an der Universität; ebenso ist 
Aussicht, das Stoy'sche Seminar in Jena zu erhalten. Die weitere Ver- 
folgung der Angelegenheit wurde einem Ausschufs übertragen, der be- 
steht aus den Herren Direktor Dr. Barth-Leipzig, Direktor Beyer-Jena, 
Direktor Ackermann-Eisenach. — 

Zum Ort der nächsten Versammlung (Pfingsten 1886) wurde 
Chemnitz bestimmt. — 

Eine Anzahl von Mitgliedern des Vereins vereinte sich nach der 
Versammlung, einer alten hübschen Gewohnheit folgend, zu einem Äus- 
fluge, und zwar in das 'Bodethal im Harz. Das waren noch ein paar 
herzerquickende Tage , die wir da verlebten. Was die Versammlung 
angeregt und im Herzen zum Tönen gebracht hatte , klang jetzt — 
inmitten der grofsartigen , erfrischenden Natur und unter anregenden 
ernsten und heiteren Gesprächen — gemütlich und befriedigend aus, 
so dafs zuletzt, als die Ffingstbillets abliefen, ein jeder befriedigten und 
frohen Herfens seiner Heimat zueilte. — 

Zum Schlüsse teile ich noch eine Stelle mit aus einem Briefe von 
einem Besucher der Versammlung aus Schlesien, welcher zum ersten 
Male einer Generalversammlung des Vereins beigewohnt hatte: „Die 
Versammlung in Halle ist und bleibt einer der schönsten Lichtpunkte 
meines beruflichen Lebens. Nicht allein dafs die Summe von Gelehr- 
samkeit, die sich in derselben zusammen gefunden, wahrhaft imponieren 
mufste, weit mehr noch wirkte auf mich der Geist der Homogenität, 
der in der überwiegenden Mehrzeit herrschte, und vor allem der Ernst 
und die Begeisterung für die grofse Sache der Erziehung, wodurch in 
mir zeitweise ein Gefühl gleich dem der religiösen Erhebung erweckt 
wurde." 

ß. Mitteilungen. 
I. Perander, Der Herbartianismus in der Pädagogik/) 

Aus dem Schwedischen von Dr. v. Kohden. 

Dafs der Herbartianismus auch im Auslande immer mehr Beachtung findet, 
bezeugt unter anderem auch die unter obigem Titel*) herausgegebene „akademische 
Abhandlung, welche mit Genebmigung der weitberühmten Philosophischen Fakultät 
an der kaiserlichen Alexanders Universität in Finland zur öffentlichen Prüfung 
vorgelegt wird von J. J. F. Perander, a. o. Professor", also die Habilitationsscbrift 
des Professors der Pädagogik. Finland gehört nämlich zu den Staaten, welche an 
ihrer Landesuniversität eine ordentliche Profcssur für Pädagogik unterhalten ; ein 
Antrag des akademischen Senats bei der letzten Vakanz, diese Professur aufzu- 
heben, resp. mit einer anderen zu verbinden, wurde höchsten Orts abgelehnt. 



*) Der Original-Titel lautet: „Herbartianiameu i Pädagogiken. AkademUk afhandling af 
J. J. ¥. Perander." 



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36 — 



Überhaupt aber kann Finland sich rühmen, für sein Unterrichtswesen recht viel 
zu thun ; es will hinter den allerdings nicht immer zweifellosen pädogogischen Er- 
rungenschaften anderer Länder nicht zurückbleiben; in Helsingfors ist z. B. eine 
• Schule für Knaben und Mädchen eingerichtet, welche die Geschlechter gemeinsam 

bis zur Universität führen soll; für Mädchenlyceen, Zulassung der Mädchen zur 
Universität etc. wird mächtig agitiert. Freilich wird die gedeihliche unterrichtliche 
Entwicklung u. a. durch die Zweisprachigkeit des Landes wesentlich gehemmt, 
wozu noch für die meisten höheren Schulen der Druck des Russischen hinzukommt; 
es ist das Gewöhnliche, dafs in 5 Sprachen unterrichtet wird : Schwedisch und Finnisch 
(für alle Schulen obligatorisch), Deutsch, Russisch resp. Englisch oder Griechisch, 
Französisch resp. Latein ; allerdings wird das Russische zum Kummer der obersten 
Machthaber noch weniger eifrig betrieben als auf deutschen Gymnasien das Fran- 
zözische. Auf dem philosophischen Lehrstuhl war bisher meist der Hegelianismus 
vertreten. Der jetzige Repräsentant, Prof. Rein, wurde vor einigen Jahren von 
dem jüngst verstorbenen Direktor des Münzwerks, Soldan. energisch bekämpft, 
welchem bei seinem Tode eine eifrige und überzeugungstreue Anhängerschaft der 
Herbartschen Philosophie nachgesagt wurde; sonst werden sich in Finland kaum 
ausgesprochene Herbartianer finden, wenn auch der in Frage stehenden Habilita- 
tionsschrift von dem Leiter des Helsingforser Privatlyceums, Böök, der sich u. a. 
mit Stoy persönlich bekannt gemacht hat und dem Herbartianismus freundlich 
gesonnen ist, ex officio opponiert wurde. 

Es dürfte sonach vielleicht einiges Interesse haben, was der neu ernannte 
Professor der Pädagogik den Pädagogen Finlands an Einsicht und Verständnis des 
Herbartianismus zu bieten hat, in Kürze kennen zu lernen. 

Auf 146 Seiten handelt Perander seinen Stoff in 6 Kapiteln ab. Der pä- 
dagogische Kriticismus des 18. Jahrhunderts und Herbarts Stelluug zu ihm; der 
psychologische Herbartianismus; Regierung, Unterricht und Zucht; Gleichschwe- 
bendes vielseitiges Interesse'; Abc der Anschauung; Theorie der Charakterbildung. 

Im ersten Kapitel will der Verf. die Wurzeln des Herbartianismus auf- 
weisen oder in seinem Sinne vielmehr nachweiseu, dafs Herbart durchaus nicht ein 
so originaler Pädagoge ist, wie seine Anhänger glauben machen wollen. Herbar- 
tianismus ist der ins 19. Jahrb. übertragene, von Rousseau ausgegangene und im 
Philanthropinismus uud Pestalozzisinus verzweigte päpagogische Kriticismus, mit 
den Veränderungen, welche ein nüchternes Denken an die Hand geben konnte, 
nachdem die Wogen der ersten schwärmerischen Begeisterung sich gelegt. Die 
beiden epochemachenden Forderungen des pädagogischen Kriticismus nämlich der 
allgemeinen Bildung und der Entwicklung der Selbstthätigkeit und des subjektiven 
Interesses, hat sich der Herbartianismus angeeignet und sie weiter entwickelt. „Das 
pädagogische Problem und Bedürfnis, die rechte Beschaffenheit des Kausalverhält- 
nisses zwischen Lehrern und Schülern zu verstehen, war es, was Herbart trieb, das 
Gebiet der psychologischen Forschung zu betreten, wo er seinen Namen so berühmt 
gemacht hat." Herbart hatte für sein System grofsen Vorteil davon, dafs Pesta- 
lozzismus und Philanthropinismus sich schon vor ihm praktisch entwickelt hatten; 
er sucht beide zu vereinigen; mit dem ersteren will er an centralen Partien im 
Lehrprocess festhalten und mit dem andern denselben encyklopädisch sich nach 
mannigfaltigen Seiten verzweigen lassen, also das Centrale und das Peripherische 
im Lehr- und Bildungsprocess vereinigen. „Wir glauben, dafs man in der Ge- 
schichte der Pädagogik diese Stellnng des Herbartianismus zu seinen Vorgängern 
wenig beachtet hat, wodurch doch eine richtige Auffassung desselben bedingt wird. 
Es giebt wenige Systeme, denen mau so schwer recht auf die Spur kommen kann, 
wie das Herbartsche, weil es von so vielen Seiten gesammelt hat. Das gilt nicht 
nur in dem unmittelbar Pädagogischen bei Herbart. Sein philosophischer Stand- 
punkt überhaupt ist der gehäufteste, den wir in der Geschichte der Philosophie 
kennen. Da findet sich ein starker Strom von der englischen Philosophie, besonders 
von Locke und Hume, ein anderer von Leibnitz und Kant, ein dritter von Plato. 
Diese Ströme wollen nicht recht in demselben Flussbett zusammen passen. Die 
Freunde der Herbartschen Philosophie, welche die ungewöhnliche Klarheit preisen, 



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27 



welche dieselbe im Vergleich mit andern Philosophien besitzen soll, haben nach 
unserer Meinung eine blos äußerliche Bekanntschaft damit gemacht. *(!). Der Ein- 
flute des Pestalozzismus zeigt sich besonders in der Betonung der formalen Bildung 
durch Entwicklung des Anschauungsprocesses ; diese hat aber keine organische 
Verknüpfung mit den Sprachstudien der klassischen Gymnasien erhalten. Jean 
Paul hat größere Verdienste um Beachtung der formalen Bildungsmittel von Sprache 
und Schrift, der Logik der Zunge und des Latein. Der dritte Grundzug des Her- 
bartsch en Systems ist der Humanismus, auf Grund seines ästhetischen Bildungs- 
ideals, womit er der von den Traditionen der alten Lateinschule abhängigen päda- 
gogischen Strömung gerecht werden will. „Das zufällige Zusammentreffen in der 
Zeit zwischen dem neuerwachten Interesse für den Hellenismus auf der einen und 
dem Ideal der neuen Pädagogik, nämlich der harmonischen Ausbildung, auf der 
andern Seite leitete zu einer Amalgamation, welche wir in Herbarts Pädagogik, 
in seinem Lehrprogramme finden". „Dies Bemühen, die neue Pädagogik mit den 
Traditionen der Gelehrtenschule auszusöhnen, macht unzweifelhaft eine der wich- 
tigsten Seiten des Herbartianismus aus". „Doch scheint Herbart sich des Ein- 
seitigen in dem blofs psychologischen und subjektiven Standpunkt bei den neuen 
Schulen nicht bewirfst gewesen zu sein(!). Er will nur deren eigener Gesichts- 
punkte sich bedienen und durch geeignete Veränderung derselben Haltepunkte 
für ein Festhalten an den Traditionen der Gelehrtenschule finden". Die sehr in- 
teressante und für den Herbartianismus höchst charakteristische Bevorzugung der 
griechischen Steffe vor den lateinischen weist in ihrer psychologischen Begründung 
auf den Einfluß der Pestalozzischen Betrachtungsweise zurück. 

Es folgt nun im zweiten Kapitel auf 30 Seiten eine Auseinandersetzung mit 
dem „psychologischen Herbartianismus". Es würde zu weit führen, den Gedanken- 
gang, der auf wirkliche Widerlegung der Herbartschen Psychologie wol selbst kaum 
Anspruch machen, sondern nur seine abweichenden Behauptungen aufstellen will, 
im einzelnen zu verfolgen. Wir heben das Bemerkenswerte hervor. 

„Will man recht sehen, wie verschieden der pädagogische Standpunkt sich 
gestaltet, je nachdem die psychologischen Voraussetzungen mehr mit Leibnitz 
oder mehr mit Lockes Auffassung der Seele Ubereinstimmen, so möge man ver- 
gleichen — eine solche Vergleichung würde der pädagogischen Theorie sehr förder- 
lich sein — die zwei vornehmsten pädagogischen Denker, Jean Paul und Herbart". 
Nachdem Verf. einige Hauptzüge der Herbartschen Psychologie angeführt, fährt 
er fort: „Es ist klar, in welchem nahen Znsammenhang die angeführten psycho- 
logischen Gesichtspunkte mit dem von uns genannten pädagogischen Kriticismus 
stehen. Eine Erziehung, welche ihre eigentliche Aufgabe darin findet, in die Vor- 
stellungsmassen einzugreifen, bildet von innen heraus und ist nicht genötigt, mit 
dem Druck der Autorität den jungen Menschen in die Gefühlswelt zu drücken und 
zu drängen, oder durch ein Bestürmen von aufsen das Gute vorwärts zu drängen, 
welches ihr am Herzen liegt und dessen Bild sie bei dem heranwachsenden Ge- 
schlecht verwirklicht sehen will. Wir verstehen nach dem Angeführten, warum 
die Zucht in Herbarts Pädagogik nur eine Gehülfin der Lehre ist, jedes selbstän- 
digen Platzes und jedes selbständigen Wirksamkeitsfeldes in dem Erziehungs- 
procefs beraubt. Wir verstehen, worauf es beruht, dafs der Unterricht nach Herbarts 
Forderung erziehend sein soll . . . ." 

Nun hat aber Perander sehr viel an Herbarts Psychologie auszusetzen. Er 
findet, dass die Vernunft bald als blosse Wirksamkeitsweise der Vorstellungsmassen, 
bald wie eine Kraft dargestellt wird — dass man überhaupt in Herbarts System 
auf jedem Schritt Widersprüchen begegne — dass es nach Herbart ein Zufall sei, 
dass sich Vernunft im Menschengeist und in der Welt überhaupt finde; er vermisst 
eine auf objektivem Prineip beruhende Planmässigkeit in dem Weltganzen. Die 
logischen Kategorien suche Herbart auf eine höchst gezwungene und künstliche 
Weise auf Serienformen zurückzuführen. Er verkenne die Sprache als innere Be- 
dingung des Gedankenprocesses und übertrage daher auch in seinem Lehrplan der 
Mathematik die Rolle der Sprachstudien, die logische Intelligenz zu bilden. Er 
verwechsle ferner die Universalität in der Form oder Universalität in der mensch- 



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- 28 



liehen Anlage mit Formlosigkeit und mache sich des grofsen Fehlers schuldig, 
sich mit einem ganz schwebenden Bild der mannigfaltigen Begriffe: organische 
Anlage, Vermögen, apriorischen Formen zu begnügen, während doch die anderen 
Denker diese Prinzipien durchaus nicht für selbstwirksame und so fertige Mächte 
im Geist erklären, wie Herbart durchscheinen lassen will. Der Mensch würde 
nach Herbart nur in leiblicher Hinsicht von der Natur bestimmt sein, Mensch zu 
sein, nicht in psychischer; es sei darum überhaupt kein Zusammenhang zwischen 
leiblicher und geistiger Erziehung, weil keiuo innere, sondern nur zufällige Verbin- 
dung zwischen Körper und Seele bestehe; die Seele sei Parasit im Körper. Die Seele 
sei nur ein passiver Tummelplatz der Vorstellungen, könne die Zersplitterung des 
Seelenlebens in Vorstellungsmassen nicht hindern ; das einfache Wesen könne nicht für 
mannigfaltige und entgegengesetzte Vorstellungsmassen, für statische und mechanische 
Schwellen, für das Steigen und Sinken der Massen „in sich Platz bereiten", und 
„die Burg der metaphysischen Monade wäre damit gesprengt." — Die Reducierung 
des gesamten Seeleulebens auf Vorstellungen habe etwas auffallend gezwungene»; 
wo die Qualitäten nicht mehr auf Quantitäten reduziert werden können, werde die 
Herbart'sche Philosophie überhaupt ratlos; das Seelenleben werde nur episodisch 
und das Ich habe keinen Platz; es wäre beklagenswert, wenn der Mensch statt 
das Gute zu wollen, sich mit Vorstellungen von dem Guten begnügen sollte (!!!). 

Die Wurzel all dieses Übels findet Perander in der abstrakten und fehler- 
haften metaphysischen Grundlage, welche nicht pädagogisch geeignet sei; Her bau 
achte von seinem metaphysisch- mathematischem Standpunkte die empirische Psycho- 
logie, die positive Bedeutung der natürlichen Rezeptivität der Seele allzu gering. 

So wenig nun auch Perander Herbarts Psychologie verstanden zu haben scheint, 
sucht er doch den grofsen für die Pädagogik in die Augen springenden Vorzügen 
derselben eiiJigennafsen gerecht zu werden. Er meint, dafs Herbartä psycholo- 
gische Analyse trotz der Übertreibung günstig auf die Pädagogik eingewirkt habe; 
stimmt dem Gedanken bei, dafs die Apperception vorbereitet und eingeleitet und 
nicht durch äufsere Mittel herbeigefühlt werden müsse; findet in der Herbartischcu 
Psychologie eine kräftige Aufforderung, für die Keproduktivität in den Vorstellungs- 
massen zu sorgen. Auch für ihn ist das Gedächtnis keine selbständige Kraft, 
sondern Stärke der Vorstellungen, und die SeelenvermÖgen überhaupt keine selb- 
ständigen Organe; er hält eine analytische Auffassung derselben für notwendig. 
Mit dem Hinweis darauf, dafs durch die Einwirkung auf die Vorstellungen das 
richtige pädagogische Streben erst in Bewegung gesetzt werde, habe die Real- 
philosophie wertvoll der idealistischen Philosophie geholfen, welche letztere das 
Ziel hoch und rein für den Erzieher aufstellt. Es sei Herbarts Verdienst, die 
prinzipielle Auffassung geltend gemacht zu haben, dafs die pädagogische Wirksam- 
keit mit psychologischen Gesichtspunkten vereinigt werden müsse; ohne Theorie 
werde die pädagogische Wirksamkeit Routine und Mechanismus der Gewohnheit; 
nur auf Grund der Theorie lerne der Lehrer Fragen stellen etc. 

Auch bei der Besprechung der drei Hauptteile der Erziehung, Regierung, Unter- 
richt und Zucht bat unser finnischer Kritiker mehr zu tadeln als zu loben. Er er- 
kennt es zunächst als eine wirkliche Bereicherung des pädagogischen Denkens an, 
wenn von Herbart Unterricht und Zucht als gemeinsam zur Erziehung gehörig 
aufgestellt werden ; auch in der Loslösung der Regierung von der eigentlichen Er- 
ziehung sieht er einen heilsamen Einflufs auf das pädagogische Denken. Nur 
habe Herbart mit seiner Analyse des Bildungsprozesses durchaus nicht so neue 
Erfindungen gemacht, wie sein scharfer Ton gegen seine Vorgänger vermuten liesfe 
und die Herbartianer „auffallend unrichtig" sich vorstellen. Auch diese Analyse 
ist nur eine Ausführung der Rousseauschen und l'estalozzischen Gesichtspunkte; 
sogar sei Kants Ausdruck für Regierung „Disziplin" schon richtiger gewählt. 
W T eun nun aber Herbart mit seiner Idee vom erziehenden Unterricht und deren 
Konsequenzen den Lehrer zum eigentlichen Erzieher macht und den Eintlufs der 
Eltern, spec. der Mütter so gering schätzt, ja die Aufgabe der Eltern aus der 
Pädagogik fast ausschliefst, so geht Perander mit ihm darüber scharf ins Gericht. 
Es sei eine Verwirrung, dafs Autorität und Liebe nicht eigentlich erziehend sein 



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- 29 — 



(»ollen, da diu» Vertrauen die Sittlichkeit selbst sei; das sei die richtige Konsequenz 
einer Psychologie, welche dem Gemüt keine selbständige Stellung in der Seele 
einräumt; so würden die Vorstellungsmassen zum Flugsand in der Wüste (I). Die 
Katar habe in das Herz der Frauen einen psychologischen Instinkt gelegt, welcher 
die wissenschaftliche Psychologie ergänzen könne. Jean Paul schätzt die Eltern- 
erziehung mehr; der warme Geist, welcher den ursprünglichen Idealmenschen durch 
die Erziehung frei machen will, hat tiefer geblickt, als der kalte Denker. Eine 
nationale Erziehung sei nach Herbarts allgemeiner Pädagogik, wo sich alles um 
die Künstlerschaft des Hauslehrers dreht, nicht denkbar; auf diesen Punkt, den 
Perander nach allen Seiten beleuchtet, legt er viel Gewicht ; bei Herbart sei kein 
Platz für die Erziehungsmacht des Vaterlandes etc. Vor allem aber kann er sich 
in den Zuchtbegriff nicht hineinfinden; „auch nicht durch die gigantischsten An- 
strengungen kann man sich ein klares und gesammeltes Bild von dem verschaffen, 
was Herbart Zucht nennt" (!). Derselbe habe keine plastische Ausbildung gewonnen 
und sei völlig leer, sei nur ein Nebelschleier, der sich zu nichts auflöst. Herbart 
kenne den objektiven Teil der Charakterbildung nicht. Seine Trennung von Re- 
gierung und Zucht sei unklar, fehlerhaft; wo gehörten z. B. die Spiele hin, wenn 
nicht zur Gemütbildung; es sei keine Zusaramenstimmung da zwischen dem Phy- 
sischen und Moralischen. — Jedenfalls erkennt der Verfasser in der Idee des er- 
ziehenden Unterrichts ein höchst bedeutendes pädagogisches Prinzip und glaubt, 
dieser Gedanke habe sich in unsern heutigen Schulen im Gegensatz zu der früheren 
Fachbildung schon verwirklicht (!). „Bei den Modernen stiften Schule und Univer- 
sität einen mehr organischen Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Leben; 
das ist der Triumph des erziehenden Unterrichts." 

In der Aufstellung der Idee des vielseitigen Interesses und der Interesseweckung 
durch den Unterricht findet nun Perander weiter kein geringes Verdienst Herbarts. 
Aber unklar bleibe es, wie es möglich sein soll, die Interessen im Streit mit der 
Individualität gleich stark zu machen. „In diesem Punkt, wie in so manchen 
anderen, Jäfst Herbart handgreifliche Widersprüche in seinem Gedankengang un- 
gelöst." Übrigens findet Perander jene Idee in den heutigen Schulen so ziemlich 
realisiert. Er meint weiter, dafs die Interessen keine organische Gesamtheit aus- 
machen; die Zersplitteiung, welche in Herbarts Weltbetrachtung herrscht, macht 
sich auch in seinem pädagogischen Studienplan bemerkbar; was hier an Zusammen- 
hang gewonnen wird, entsteht durch Abweichung von dem Grundprinzip der gleich- 
schwebenden Beschaffenheit der mannigfachen Interessen" (!). ,Die Liebhaberei für 
alles' müfste bedenklich zur Oberflächlichkeit führen; die mannigfaltigen .Vertie- 
fungen' könnten kaum in einen gemeinsamen festen Stamm von allgemeiner Bil- 
dung zusammengehen. Das Erziebungsideal der ästhetischen Darstellung der 
Welt, welches Herbart in einer besonderen Schrift aufstellt, und die Idee des 
gleichschwebenden vielseitigen Interesses als Aufgabe des Unterrichts seien ganz, 
böse Widersprüche ; die verschiedenen pädagogischen Strömungen des Humanismus 
und des Philanthropinismus, welche sich in den resp. beiden Idealen ausdrücken, 
befänden sich bei Herbart in einer blos äusserlichen aggregatori sehen Zusammen- 
fassung. Eine ausführliche Besprechung wird nun dem Herbartischen Unterrichts- 
stoff als der Ergänzung des Erfahrungs- und Umgangskreises gewidmet. Das 
starke Vorwiegen der Mathematik billigt Perander nicht; Herbart erwarte von 
der Mathematik und der mathematischen Behandlung der Naturwissenschaften zu 
viel; auch überschätze er offenbar die Bedeutung des abstrakten philosophischen 
Studiums. Bei den Griechen sei keine Disproportion der Geistesbildung zu be- 
merken, welche nach Herbart die Folge der mangelhaften Pflege der Mathematik 
sein soll, die logischen Prozesse und das dialektische Vermögen könnten durch 
Mathematik allein nicht zur Klarheit kommen. Bezügl. des zweiten Gebiets er- 
klärt Perander es für „einen unzweifelhaft grofsen, ansprechenden und fruchtbaren 
Gedanken, dafs das Studium der Dichter und Historiker so beschaffen sein soll, 
dafs es den Jungen einen erweiterten Umgangskreis bereitet, dafs es sie in eine 
Welt einführt, welche auf mannigfaltige Weise sie menschliche Teilnahme erfahren 
lafst." Diese Gesichtspunkte seien auch in den letzten Decennien allenthalben 



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— 30 — 



geltend gemacht Dagegen trete das Studium des formalen Sprachorganismus und 
die Bildung der logischen Intelligenz für die Herbart'sche Pädagogik allzusehr in 
den Hintergrund. Die psychologische Motivirung der Studienfolgen sei auch nicht 
in allen Punkten klar und natürlich, z. B. in der frühen Heranziehung des Plato- 
nischen Dialoges ; dagegen das frühe Bekanntmachen mit der homerischen Helden- 
welt sehr zu billigen, wenn auch die Kenntnis derselben durch Übersetzung ver- 
mittelt werden könne. So berechtigt und wichtig der von Herbart geltend gemachte 
Gesichtspunkt für die Behandlung der Klassiker sei, so sei es doch gezwungen, 
diese Studien lediglich auf Grund der Idee der Ergänzung des Umgangs in das 
Lehrprogramm aufzunehmen; denn Klangschönheit der Sprache und die grammatisch- 
logischen Übungen würden z. B. nicht dahineinpassen; umgekehrt gehörten die 
ethischen Stoffe der Dichtwerke und Geschichte auch in das theoretische Er- 
fahrungsstudium und zum spekulativen Interesse. So würden durch diese unrich- 
tige Motivierung Wirkungen hervorgerufen, welche dem Lehrplan wesentlich schaden 
und ihn der nötigen Konzentration und des Zusammenhangs berauben. Die eigent- 
lichen Sprachstudien würden zu einem notwendigen Übel. „Unsere Auffassung 
ist sonach die, dafs das Ideal des gleichschwebenden vielseitigen Interesses, welches 
mit Kraft und Nachdruck geltend gemacht werden soll selbst gegen die Indivi- 
dualität und deren Zufälligkeiten, obgleich dasselbe in gewissen Hinsichten an- 
sprechende Partien hat, denn vielseitig soll die höhere menschliche Bildung sein, 
doch in der Formulierung und Begrenzung, die dieser Begriff in der Herbart'schen 
Pädagogik gefunden, zu einer Organisation des Lehrplans leitet, welche der nötigen 
Zusammenfassung entbehrt, um nicht über Bedürfnis die Wirksamkeit der Jugend 
zu zersplittern; unsere Auffassung ist, dafs dieses Ideal in der Ausführung ent- 
weder unnatürlich hohe Ansprüche an die Jugend stellt oder auch auf allen Seiten 
zur Oberflächlichkeit leitet. Den Naturwissenschaften und der Mathematik den 
Vorzug zu geben, den sie in Herbarts Lehrplan erhalten, während doch der gröfsere 
und arbeitsreichere Teil nach demselben Lehrplan den Sprachen und der Geschichte 
zu widmen ist, das ist, wenigstens mit der Entwicklung, welche die Methoden 
bisher gewonnen, eine unmögliche Aufgabe, wenn sowol Überanstrengung wie Ober- 
flächlichkeit abgewehrt werden sollen." Die nationalen Bildungsstoffe könnten 
dabei gar nicht zur Geltung kommen. Sogar gegen die Antizipationen der Fach- 
bildung sei dieser Lehrplan mit der Grundlage des vielseitigen Interesses nicht 
geschützt; und für diese Behauptung beruft sich Perander auf E. v. Hartmann, 
welcher die Bedeutung der formalen Sprachbildung in ihren umfassenden und tief 
eingreifenden Wirkungen namentlich als Damm gegen die Antizipationen der Fach- 
bildung besser zu schätzen wisse, als Herbart. 

Eine besondere Aufmerksamkeit widmet nun der Verf. im 5. Kapitel Herbarts 
Abc der Anschauung. Auch hier findet er wol wieder die allzu grofse Bevorzugung 
der Mathematik gegenüber der Naturlehre, wodurch z. B. die Farbe nicht zu ihrem 
Recht komme, wofür er sich auf Spencer beruft, sowie dafs die Abstraktion zu 
energisch und frühe gepflegt würde und es eine gezwungene Forderung sei, „den 
Sinn beim Geiste zu fasse", erklärt aber schlicfslich die bezgl Abhandlung Herbarts 
für eine der sinnreichsten didaktischen Schriften, welche unverdient vergessen sei; 
sie sollte von allen mathematischen Lehrern studiert und als vorbereitende Einleitung 
für die Trigonometrie bearbeitet werden ; da würde sie vortreffliche Dienste leisten, 
wenn sie auch nicht für Kinder zweckmäfsig sei, da das Abstraktionsvermögen nicht 
so zeitig eintrete. 

Wenn nun Perander den pädagogischen Ideen Herbarts, soweit sie auf Psycho- 
logie beruhen, einiges Wohlwollen entgegengebracht, so glaubt er nun im letzten 
Kapitel bei der Theorie der Charakterbildung, wo es sich um die ethischen Gesichts- 
punkte handelt, seiner tiefen Abneigung gegen den kalten mathematischen Denker 
ungeschminkten Ausdruck verleihen zu müssen, wobei die Thatsacbe charakteristisch 
illustriert wird, wie doch noch die meisten Köpfe von dem leeren Phantom der 
Einheit und des höchsten Princips bezaubert werden. Wir beschränken uns auf 
Wiedergabe einiger Proben. Die Grundverhältnisse des Willens bei Herbart seien so 
vollkommen selbständig, dafs man sich jedes Versuchs enthalten müsse ein ge- 



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— 31 — 



meinsames höheres Prinzip zu ihnen zu suchen, unter welches sie untergeordnet 
oder ans welchem sie abgeleitet werden können; die ganze sittliche Welt sei so- 
nach vom Standpunkt dieser verwirrten und falschen Auffassung in ihrem Innerston 
zersplittert; in den sittlichen Prinzipien es auf Zufall beruhen zu lassen, ob sie 
mit einer übereinstimmen, sei eine Art Verwirrung, welche kein anderer sich habe 
zu Schulden kommen lassen. „Das rein Positive der Sittlichkeit soll also in for- 
malen Urteilen und Grundsätzen liegen, welche nichts positiv bestimmen über die 
Materie oder den Inhalt des Willens". Zudem brauchte H alles, was in seiner 
Auffassung des Verhältnisses der moralischen Bildung zur ästhetischen von Wert 
ist, nur aus Kants Schriften zu nehmen, besonders der Kritik der Urteilskraft. 
„Der Zufall, der das interessante Prinzip ausmacht, welches H. grade in den Herz- 
punkt seiner philosophischen Weltbetrachtung stellt, breitet von da aus nach allen 
Seiten bin Verwirrung in der Auffassung", so dafs z. B. das Gewissen den zu- 
fälligen Druck ausmacht, welchen die ästhetischen Vorstellungsmassen auf andere 
ausüben ; nur das zufällige Zusammentreffen der Musterbegriffe mit dem wirklichen 
Willen kann event. die Verwirklichung derselben herbeiführen etc. Gegen die 
Ableitung der Selbstzucht aus dem ästhetischen Wohlgefallen an den Verhältnissen 
müsse eingewendet werden, „dafs es nicht leicht einzusehen sei, wie die Überein- 
stimmung der Handlung mit Verhältnisbildern besser Wohlgefallen herrorrufen 
soll als ihre Übereinstimmung mit dem Gesetz, denn dafs das moralische Bewußt- 
sein unmittelbar mit Wohlgefallen verbunden ist, nimmt auch Kant an, so wenig 
auch H. in seiner wenig gerechten Polemik gegen diesen unvergleichlichen Heros 
in der Gedankenwelt diesen Umstand zu beachten scheint". Kants Betrachtungs- 
weise von der Stellung der Charakterbildung zur Religion, spec. die Idee seiner 
moralischen Katechese bestimmt auch Herbarts Auffassung. „H arbeitet in seiner 
praktischen Philosophie an der Lösung einer unmöglichen Aufgabe; er will spe- 
kulative Zeichnungen von Willensverhältnissen geben, in welchen der Wille selbst 
gleichgiltig ist, und das Verhältnis als solches soll das Wesentliche und Wertvolle 
sein, welches ursprüngliche Evidenz besitzt und sich unbedingten Beifall erwirbt", 
was aber nicht der Fall sei, da Evidenz und Beifall von der Beschaffenheit dessen 
(Neutr.) abhängt, bei welchem diese Verhältnisse vorkommen. „Herbarts ethische 
Geschmackslehre leidet an der bedenklichen Verkehrtheit, dafs der Mensch der 
äufsere für die Darstellung der Verhältnisse brauchbare Stoff ist. Diese Geschmacks- 
lehre entbehrt ganz und gar, was man Ideal nennt, denn die Musterbegriffe ab 
blose Beziehungen bezeichnend sind keine solche". Zum Ideal gehört wirksame 
Individualität, aber hiervon findet sich nichts in den Musterbegriffen, welche nicht 
einmal uns ein Bild von etwas Wirklichem und Wirksamen geben." Alles komme 
daher, dafs H. keine organische Anlage des Menschengeistes, wie des objektiven 
Geistes kennt, dafs er den Menschen nicht in einer sittlichen Totalität stehen 
sah etc. Ferner gebe H. der sittlichen Bildung keinen festen historischen Boden, 
die Dichtwerke kämen nicht zu ihrem Recht, da kein Affekt bei der Geschmacks- 
bildung mitwirken solle etc. 

Das Angeführte mag genügen; wir waren bestrebt möglichst objektiv des 
Verfassers Meinungen über den Herbartianismus nach dem schwedischen Original 
wiederzugeben. Ein Urteil wird sich der Leser selbst bilden können. Was den 
deutschen Leser, auch wenn er dem „Herbartianismus" nur von anfsen zusieht, 
wol am eigentümlichsten in dieser Abhandlung anmuten mufs, ist das Unterfangen, 
über den „Herbartianismus in der Pädagogik" zu schreiben, ohne von der bedeu- 
tenden Herbartschen Bewegung und Literatur in Deutschland und Osterreich die 
mindeste Kenntnis zu nehmen. Hätte es dem Verf. gefallen, nur ein wenig Zillers 
Schriften sich anzusehen, ja selbst nur einen Leitfaden wie Kerns zur Hand zu 
nehmen, so würden ihm viele Missverständnisse erspart, auf viele Fragen befrie- 
digende Antwort erteilt, im besondern würde er darüber beruhigt worden sein, dafs 
■ich nationale Erziehung, auf die er so grofsen Wert legt, recht wohl mit Her- 
barts Prinzipien verknüpfen läfst; auch das wäre ihm dann vielleicht klar geworden, 
dafs „das Wertvolle und Verdienstliche" in Herbarts pädagogischen Grundsätzen 
noch recht weit davon entfernt ist, in unseren heutigen Schulen realisiert zu sein! 



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2. Aus Dr. J. Spielmanns*) Diagnostik der Geistes- 
krankheiten. 

Der psychische Mechanismus des Schwachsinnigen. 

1. Das Vorstellen. 

Die Menge beurteilt den Schwachsinnigen nur nach der Leistungsfähigkeit 
seines Vorstellens und nennt ihn beschränkt. Uniäugbar ist es, dass die Zahl 
seiner Vorstellungen absolut geringer ist als die des Vollsinnigen. Aber 
Niemand kann die Vorstellungen des Menschen abzählen und mathematisch die 
Ziffer bestimmen, <iie zu menschlichen Leistungen notwendig ist, noch weniger 
jene, die dem Vollsinnigen zugehört und unter der der Schwachsinn beginnt. 
Überdies liegt der Charakter der letzteren weniger darin, dass er absolut ärmer 
ist an Vorstellungen, als der Vollsinn, sondern in der Verwertung, in der Ver- 
arbeitung dieses geistigen Besitzes. 

Thatsache dagegen ist die relativ geringere Zahl von Einzelwahr- 
iiehmungen, die dem Vorstellen zukommen. 

Vorausgesetzt wird nicht blos, dass die Sinnesorgane des Beschränkten 
durchaus keine Störung ihrer Funktion erlitten haben, sondern dass derselbe sich 
unter gleichen Verhältnissen, in gleichen Sinnesanregungen befinde, wie der Voll- 
sinnige. Auch bei diesem kann das beste Sinnesorgan im besten Falle nur eine 
relativ unendlich kleine Zahl der sich darbietenden Eindrücke von Objekten auf- 
nehmen; aber auch dieses schon beschränkte Mafs wird dem Schwachsinnigen 
nicht zu Teil. Er wird im Allgemeinen nur von starken Eindrücken ergriffen 
und gleicht dem Kinde, das von glänzenden Dingen, lauten grellen Tönen und 
Geräuschen vorzugsweise erregt wird, während ihm andere zwischenliegende Wahr- 
nehmungen verloren gehen. Das Kind ist absolut ärmer im Vorstellen beute, als 
es morgen sein wird. Beim Schwachsinnigen gibt es kein reicheres Morgen ; ihm 
fehlt die allgemeine Aufmerksamkeit des lernenden Kindes auf die Aussenwelt, 
das unbedingte Interesse am Anschauen, um dessen selbst willen, das rein objek- 
tive Interesse; er hat nur ein subjektives, das zudem noch auf gewisse meist 
organische Gefühle, auf Neigungen und Begehren beschränkt ist. Wegen dieses 
Mangels an Aufmerksamkeit scheint er zerstreut, selbst geistesabwesend zu sein. 

Der Schwachsinnige nimmt also im allgemeinen weniger wahr, als der Voll- 
sinnige. Alle Leistungen, die auf der Fülle der Anschauungen, Beobachtungen, 
der Erfahrung beruhen, müssen weit hinter jenen möglichen des Vollsinnigen zu- 
rückbleiben. 

Die nächste Folge der Armut an Wahrnehmungen ist die Thatsache, dass die 
Zahl der Reproductionen des Schwachsinnigen noch weit geringer ausfällt, 
als beim Vollsinnigen, und selbst geringer, als seine Wahrnehmungen waren. Im 
Vorstellen erzeugt sich nichts von selbst, spärliche Wahrnehmungen können im 
besten Falle nur eine gleiche Zahl von Reproduktionen zulassen, wenn sie alle ohne 
Ausnahme treu bewahrt werden. So treu ist aber im allgemeinen kein Gedäcbt 
nis; vielmehr übersteigt die Spärlichkoit der inneren Wahrnehmungen bei weitem 
die der äussern, und sie äussert sich in den Assoziationen derselben sowol unter 
einander als mit Gefühlen und Drängen. 

Da, wie gezeigt werden wird, der innere Verkehr im Vorstellen ein sehr 
langsamer ist, so steht nach der Zahl der Reproduktionen der Schwachsinnige 
jedem Unwissenden aber Vollsinnigen weit nach, dessen Mannigfaltigkeit im Ver- 
kehre eine normale ist. 



•) Nekrolog. Paed. Studien 1884, IV, S. 2t, Z. 6 o. iit zu verbessern: b 
anstatt „besoudoren". 



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33 — 



Die zweite Thatsache betreff der Wahrnehmungen des Schwach- 
sinnigen ist ihre Undeutlichkeit im allgemeinen Sie ist da trotz jedem 
fehlenden Hemmnisse, das bei Vollsinnigen oft eine undeutliche Wahrnehmung ver- 
schuldet, z. B. der Fülle derselben, dem zu raschen Einströmen, der abgewen- 
deten und der inneren Wahrnehmung zugewandten Aufmerksamkeit. Die Undeut- 
lichkeit bedingt ausser der Leichtigkeit des Irrtums das Verschwimmen der Gegen- 
sätze , die Unbestimmtheit der Qualität und dadurch eine Hemmung aller jener 
Vorgänge, welche auf der Qualität und den Gegensätzen beruhen. Dem Schwach- 
sinnigen mangeln jene raschen, unwillkürlichen Verschmelzungen, die mit Lustge- 
fühl verbunden sind, das sich an den betreffenden Gedankengang anschliefst und 
die Verschmelzung desto inniger macht. 

Diese Innigkeit der Verschmelzungen kann er nur teilweise durch desto 
häufigere Wiederholungen ersetzen sowol der Wahrnehmungen selbst als der Repro- 
duktionen. Die Wiederholung ist für alle seine Vorgänge eine Notwendigkeit 
geworden; sie ersetzt ihm die mangelnde Deutlichkeit, die Kontrolle und die selbst- 
thätige Verschmelzung, doch sie ersetzt sie nur notdürftig. 

Er erhält wegen der Undeutlichkeit selten eine so exakte Anschauung beim 
ersten Eindrucke des Gegenstandes, wie der Vollsinnige, weil die Summe der 
Einzeleindrücke geringer ist, sie selbst nicht sogleich in ein Bild zusammentreten. Er 
sieht, aber unterscheidet nicht; der Gesamteindruck, nicht gegliedert in seinen 
eigenen Gegensätzen, nicht eins in seiner Mannigfaltigkeit, wird eben so bald 
vergessen, wie wir einen solchen vergessen, wenn er zur Zeit stattfand, wo wir 
zerstreut waren, mit anderen Interessen und Gedanken beschäftigt oder uns eine 
der Anschauung ungünstige Stimmung erfasst hatte. Wir wissen in solchen Fällen 
höchstens, dass wir etwas sahen oder hörten, wir glauben, es könnte der oder 
jener Gegenstand gewesen, jene Person könnte vorübergegangen sein, wir wissen 
es aber nicht gewifs, weil die exakte Anschauung im einzelnen und den Gegen- 
sätzen desselben fehlte. So ergeht es dem Schwachsinnigen mit allen seinen An- 
schauungen, 

Aus diesem Grunde mufs ihm auch eine gründliche Kontrolle seiner 
Sinne unter einander fehlen, nach welcher ein Sinn für den andern einsteht und 
Alle sich gegenseitig die objektive Wahrheit ihre Anschauungen sichern und ge- 
währleisten. 

Wir haben die Bedeutung und Unentbehrlichkeit einer freien Kontrolle der 
Sinne bei den Sinnesdelirien erfahren. 

Sobald sie nur seltener und beschränkt berichtigen kann, und kein Sinn klare 
Anschauungen liefert, hemmen sich die Gegensätze in dem Inhalte derselben um 
so unvollständiger, je dunkler sie sind. Dieser Akt der Kontrolle, der unwill- 
kürlich selbstthätig wirkt, ist mit seineu unvollständigen Leistungen das bedeu- 
tendste Hemmnis der geistigen Entwicklung des Schwachsinnigen. Er ist dadurch 
sehr leicht Illusionen hingegeben, ohne sie vermeiden zu können, ohne sie zu 
ahnen, ohne ihrer Irrtümlichkeit nachgehen zu können. 

Dies ist im allgemeinen der Stand des Wahrnehmens. 

Armut an Vorstellungen, Dunkelheit des Inhalts und Irrtümer bestehen auch 
in gleicher Zahl vielleicht beim Unwissenden ; aber welcher gewichtige Unterschied 
liegt dennoch vor. Dieser kann bessere Ergebnisse seines Wahrnehmens herbei- 
führen und dazu angeleitet werden, jener nicht, sondern ist schon auf der Höhe 
8einer Leistungen angelangt, und die beste Erziehung kann ihn nicht weiter 
bringen. 

Die Unmöglichkeit, weder durch eigene noch durch fremde Anstrengung 
andere Resultate zu erzielen, liegt im Mechanismus. So lückenhaft das Wahr- 
nehmen ist, eine rege Verarbeitung des Materials würde die Mängel verringern, 
und seine geistige Dürftigkeit verdecken; aber eben im Zusammenwirken der 
einzelnen Vorgänge liegt das gröfsere unabweisliche Hindernis. 

Im allgemeinen ist dieser Mechanismus des Wahrnehmens allen und jedem 
Schwachsinnigen eigen. Man konnte ihn nur als eine gradweise Depotenzierung des 
Normalen ansehon, auf welchen doch die früheren Normen Anwendung finden würden. 

Pädagogische Stadien. III. 3 



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- 34 « 



Das ist keineswegs der Fall, sondern der Mechanismus des einzelnen bleibt 
ein individueller mit seinen eigenen Leistungen. 

Für diese Annahme sprechen folgende Thatsachen, die mit dem früher Ge- 
sagten in auffallendem Widerspruche stehen, wenn man nicht einen individuellen 
Mechanismus gelten lässt. 

1. Es gibt häufig Schwachsinnige mit allen Charakteren dieses Zustandes, 
bei denen einzelne Keinen von Wahrnehmungen oder eine Qualität derselben 
eine so auffällige Schärfe und Deutlichkeit besitzt, dass sie im grellsten Kontraste 
steht zur Unempfindlichkeit gegen alle anderen Reihen. 

Es giebt Individuen, die für Töne das scharfe und unterscheidende Ohr des 
gebildeten Musikers haben, in anderen Qualitäten aber schwachsinnig sind. Dieser 
Akt ist nicht blos treuestes Gedächtnis, sondern vollkommene Sinnesanschauung, 
wie sie ihnen sonst immer und überall entgeht. 

2. Dieselben Vorstellungen können bei Solchen mit der ursprünglichen Klarheit 
und Schärfe reproduciert werden, sobald ein Affect eintritt. 

Diese zwei Thatsachen widerstreiten den früheren und machen die Annahme 
eines individuellen Mechanismus notwendig. 

Der entscheidende Characterzug aber des Beschränkten ist die 
langsamere Bewegung der Vorstellungen im Bewusstsein. Die 
Schnelligkeit derselben lässt sich nicht messen, aber die Bewegung scheint jeden- 
falls so langsam zu sein, dass, träte sie plötzlich im Vollsinnigen auf, eine Störung 
des Mechanismus erfolgen müsste. 

Bei einzelnen tritt Vorstellung auf Vorstellung so langsam ein, dass das 
Erfahrungesetz: „Alle Wahrnehmung eines Gegenstandes geschieht auf 
einmal" — keine Geltung zu haben scheint. Dieselbe Langsamkeit zeigt sich 
im inneren Verkehre. Man meint, dem Schwachsinnigen vom Gesichte ablesen 
zu können, wie eine Wahrnehmung, innere oder äussere, der andern folgt und 
Platz macht, die Gedanken einzeln eintreten und am physiognomischen Apparate 
bewegend vorüberziehen. 

Dieser langsame Fluss der Vorstellungen ist der wichtigste, entscheidende 
Charakterzug des Schwachsinnigen, weil er selbst in dem dürftigen Bestände 
des Wahrgenommenen noch Störungen bewirkt. 

Die ersten 2 Beobachtungen über seinen Mechanismus können übersehen 
werden, und nicht als unterscheidend gelten, die Bewegung im Vorstellen aber 
entscheidet sein ganzes geistiges Leben, alle seine Leistungen und alle Formen 
des Zusammenwirkens geschehen auf dieser Grundlage, Mit jeder Steigerung der 
Bewegung vervielfältigt sich das Znsammenwirken in höherem Grade, und das 
geistige Übergewicht eines Menschen Hegt zumeist in der grösseren Bewegung 
seines Vorstellens. Wie sie schon bei der einfachen Wahrnehmung die Fülle des 
Wahrgenommenen bedingt, so ist sie im ganzen Vorstellen der Mafsstab des Mehr 
und Minder der Leistungen. 

Die Wirkungen dieser Verlangsamung sind unabsehbar und alle Erscheinungen, 
die wir am Schwachsinnigen finden werden, datieren von derselben. Selten oder 
nie fühlt er das Stocken der Bewegung als Laugeweile. Der Schwachsinnige 
kennt sie kaum. 

Beim Melancholischen zeigte die Verlangsamung der Bewegung im Vorstellen 
die wichtigsten Folgen. 

Weil der leichte, rasche und gleichförmige Zufluss fehlt, so geschieht es oft, 
dass in einem Momente nur sehr wenige oder nur eine einzige Vorstellung im 
Bewusstsein ist und sie eben so laugsam ihre Verbindungen an sich zieht, eine 
nach der anderen, anstatt, dass alle mit einemmale einströmen sollten, um sich 
entweder zu fördern, zu verbinden oder bei Gegensätzen, diesen gemäfs zu hemmen. 

Beide Formen des Zusammenwirkens gehen nicht auf diese, sondern auf 
individuell verschiedene Weise vor sich. 

Die Assoziation kommt nur durch einen kleinen Teil der dazu geeigneten 
Vorstellungen zu stände und das Ergebnis kann, wenn der Beschränkte nicht, 



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35 - 



wie es bei ihm allein möglich ist, eine sehr lange Zeit dazu verwendet, d. h. 
abwartet ohne Ungeduld, kein freies sein, sondern mass ein mangelhaftes werden. 

Diese Mangelhaftigkeit besteht darin, dass es ein zufälliges ist. Die Ver- 
bindung der einzelnen Elemente ist nicht wie beim Vollsinnigen auf die Qualität 
des Inhalts gegründet, sondern wie beim Geisteskranken auf den Zufall des gleich- 
zeitigen Zusammenseins im Bewusstsein. 

Die Assoziation kann einen Irrtum enthalten. Gegensätze, die ihn berichtigt 
hätten, treffen ihn nicht wie beim Melancholischen wegen der langsamen Be- 
wegung. Dasselbe Bestehen von Irrtümern, denen die vorhandenen Gegenstände 
nicht entgegentreten, begünstigt dort die Wahnvorstellungen und erzeugt im 
gewöhnlichen Traume dessen unnatürliche Verbindungen, die so ungeheuerlich 
sind, weil sie kontradictorische Gegensätze ungestört enthalten und verarbeiten. 
Der Zertreute schon bezeichnet sich durch solche Irrtümer, solchen Unverstand, 
wenn er nicht recht zuhört und zusieht, oder wenn er die Verhältnisse, unter 
denen er sich im Augenblicke bewegt, nicht beachtet, gegen Sitte und Rücksicht 
verstöfst. Bei ihm sind in diesem Falle ebenfalls Gegensätze, die unbeachtete 
Qualität der Dinge die geselligen Kegeln etc. nicht im Bewusstsein wirksam ge- 
worden oder unvollständig eingetreten. 

Diese Mangelhaftigkeit der Assoziationen beweist, dass im Schwachsinnigen 
das Gesetz des freien Austausches nicht wirksam ist, wie beim Vollsinnigen, und 
dass ihm jene Leistungen, die darauf beruhen, unmöglich werden. 

Ferner hängt die Assoziation vorzugsweise von seiner Stimmung ab, wie 
bei den früheren Störungen. Wir können die Wirkungen einer solchen Ubermacht 
der Stimmung; sie sind hier eben so bedeutend, wenn auch diese nicht so an- 
haltend und wechsellos in einer Qualität beharrt. 

Die Apperzeption ist durch die langsame Bewegung im Vorstellen be- 
schränkt. Eine schwache, unvollständige, dunkle Wahrnehmung, ob äussere oder 
innere, ruft nicht einmal alle ihre Verbindungen ins Vorstellen und der Verkehr 
ist zudem sehr langsam. Er ist doshalb sehr unaufmerksam und gedankenlos, 
brütend, hinstarrend und braucht lange, ehe er auffasst, lernt, sich besinnt, 
antwortet. 

Die Apperzeptionen fehlen oder sind lückenhaft, ungleichartig, irrtümlich oder 
blofse rohe Gruppen kaum gewonnener Vorstellungen und sich selbst überlassen 
unfähig einer weiteren Ausbildung und Verarbeitung. 

Der Schwachsinnige müsste nur verfälschte nnd irrtümliche Vorstellungen und 
keine anderen besitzen, da die Qualität durchaus nicht über deren Verbindung 
entscheidet, wenn nicht die häufige Wiederholung derselben Vorgänge, desselben 
Zusammenwirkens, derselben Vorstellungen allmälig die Gegensätze, die sich lang- 
sam eingefunden hatten, berichtigte und so die Irrtümer im Vorstellen einiger- 
tnafsen beseitigte und weniger grell werden liefse. 

Er braucht deshalb lange, ehe er etwas richtig auffasst. ehe er zum Verständnisse 
kömmt und erst nach langen Reflexionen oder häufigem Anschauen mit Hilfe aller 
Sinne kommt er dahinter, wie sich eine Sache verhält. 

Er fasst auch eine Frage sehr langsam auf und wiederholt sie gerne laut 
oder für sich, ehe er sie versteht, um sich in der Wiederholung seine einzige 
Hilfe zu schaffen. 

Wir finden den Mechanismus des Wahrnehmens, der Reproduktion, Asso- 
ziation und Apperzeption anders wirkend wie beim Vollsinnigen und ähnlich wie 
bei den frühern Störungen, besonders bei der Melancholie und dem Blödsinne. 
Diese Formen des Verkehrs im Verstellen sind die Grundformen, die alle weiteren 
zusammengesetzten bedingen. 

Eine weitere Form und zwar die einfachste besteht darin, dass Vorstellungen 
unverändert in's Bewusstsein wiederkehren. Insofern dies der Fall ist, besteht 
Gedächtnis. 

Der Schwachsinnige besitzt Gedächtnis, aber ein blos mechanisches; er beruht 
mit Ausnahme gewisser Qualitäten bei Einzelnen sehr selten auf der ursprünglichen 
Lebhaftigkeit und Qualität der Anschauung, ausser sie ist mit lebhaften Gefühlen 

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verbunden — wesshalb sie sich Beleidigungen, persönliche Erfahrungen, Ver- 
weigerungen u. s. w. sehr genau merken — sondern nur auf der Häufigkeit des 
Ablaufs, auf der Wiederholung einer und derselben unveränderten Reihe. 

Diese beschränkte Reproduktionsleistung ist in ihren Grenzen sehr fest und 
treu und macht den Beschränkten vorzugsweise geeignet zur Vollführung mecha- 
nischer Arbeiten, bei denen eine gleichmässige Pünktlichkeit und Ausdauer er- 
fordert wird. 

Das Erlernen einer solchen Fertigkeit ist ihm aber schwer; er bringt es nach 
Mafsgabe der früher erwähnten Vorgänge der Auffassung zum Lesen, Schreiben, 
Rechnen, zu gewissen Kenntnissen in konkreten Fächern, sobald ihm der nötige 
Unterricht zu Teil wird. 

Er erlernt ein Handwerk, wenn auch langsam und mit Mühe und kann es 
fleissig und in gleicher Geschicklichkeit treiben, die ihm allgemeines Vertrauen 
seiner Kunden erwirkt. 

Er unterscheidet sich durch alle diese Beweglichkeit, die seine Reihen zu- 
lassen, wesentlich vom sekundär Beschränkten. Aber sein Gedächtnis» bleibt ein 
mechanisches und stützt sich nie auf Urteil und Begriff. Er kennt nur die Dinge 
und Personen in derselben Reihe und Umgebung und in denselben Verhältnissen, 
in denen er sie kennen lernte; ausser denselben verkennt er sie und gerät in 
Verwirrung. 

Dieses mechanische Gedächtnis kann bei Einzelnen eine höchst interessante 
Ausbildung erreichen, und durch Umfang und Treue gegen die soustigen Leistungen 
sehr abstechen. In der hiesigen Anstalt befand sich ein Beschränkter, welcher 
für jeden Tag des Jahres den bezüglichen Heiligen im Kalender weiss. Welchen 
TAg man nenne, sogleich hört man den für denselben verzeichneten Namen aus 
den 365 mit Sicherheit hersagen oder umgekehrt den Tag eines solchen, wenn 
man den Namen nennt. Es sind viele noch merkwürdigere Beispiele von vor- 
trefflichem Gedächtnisse verzeichnet worden. Aber dieser Besitz einer solchen 
Leistungsfähigkeit der ungeänderten Reproduktion entreisst den Besitzer noch nicht 
dem Blödsinne, sondern macht ihn desto greller. So sehr der Mangel des Gedächt- 
nisses Blödsinn beweist, so wenig macht der Umfang und die verlässliche Treue 
desselben den Mechanismus gefüge; je fester die Reihen sind, desto schwerer die 
freie Verfügung über ihre Glieder und Elemente und die Mängel, die jedes blofse 
Reihengedächtnis als solches hat, werden nur durch ein gleich tüchtiges judiciöses 
und ingeniöses verbessert. 

Auch Stumpfsinnige können sich in einzelnen Exemplaren durch ein vor- 
treffliches Gedächtnis bemerkbar machen. Dr. Guggenbühl sagt:*) „Es ist 
eine der psychologisch wichtigen Tatsachen, dass es viele Cretinen gibt, die einzelne 
hervorragende Talente und isolirte Geistesvermögen besitzen. Ich erinnere mich 
eines Kretiuen, Namens Schwarz in Chur, welchen ich 1838 sah, mit einem 
starken Kröpfe, seitlich abgeplatteten und in der Stirngegend zurückweichenden 
Kopfe, sehr ausgeprägter Kretinenphysiognomie und unartikulirter Sprache, welche 
mir ganz unverständlich war, dagegen von seiner nächsten Umgebung verstanden 
wurde. Dieser 30jährige Kretin hatte ein so bewunderungswürdiges Gedächtniss, 
dass er auf ein Jahrzehnt hin die Geburts- und Todestage der Einwohner Chur's 
mit seinem Lallen und Pantomimen exakt zu bezeichnen wusste und ohne Zweifel 
einen sehr tüchtigen Boten abgegeben hätte, wenn seine Ausbildung in früher 
Jugend nicht vernachlässigt worden wäre. 

In Salzburg lebt noch der sogenannte Zahlenfex, ein Kretin der höhern Grade, 
welcher die schwierigsten Kopfrechnungen mit unglaublicher Schnelligkeit löst 
und selbst Mathematiker in Erstaunen setzt." 

Eine zweite Form, wie die Vorstellungen zusammenwirken, besteht darin, 
dass die Reproduktion frei sich selbst und der Einwirkung ihrer 
Assoziationen überlassen werden. Dieser Vorgang ist der der Phantasie. 
Dass sie beim Beschränkten sehr mangelhaft und lahm ist, weiss Jeder, der einen 



*) Dr. Guggenbühl, die Kretinenheilanstalt auf dem Abendberge. 1833. pag. 11. 




37 — 



solchen auch nur oberflächlich prüfte. Sein Vorstellen kennt keinen freien Ver- 
kehr, daher bringt er es fast nie zu einer neuen Schöpfung, und wenn er in 
seinen hosten Stunden sich der Phantasie überlässt, fördert er immer nur die 
Daten unveränderter Reproduktionen und Reihen zu Tage. Sie erzählen die 
Ereignisse gerade, wie sie geschahen, verändern ihre Beobachtungen nie, insofern 
ihr Horizont der Auffassung nicht überschritten wird, und sind die treuesten zu- 
verlässigsten Referenten, denn sie verstehen nicht beizusetzen ; sie zeugen, ob zum 
eigenen Vor- oder Nachteile, unverändert wie es in ihrem Bewusstsein wie ein 
Licht-Bild liegt. 

Denkt der Beschränkte? Er denkt, insofern Denken nur ein bewusstes 
Vorstellen ist. Aber denkt er nach der Qualität des Gedachten? also verstän- 
dig ? Nur nach vielfachen Mühen einer Kontrolle und Berichtigung befreit er sein 
Vorstellen wenigstens in einzelnen Reihen von Irrthümern, die sein Mechanismus 
bei der Apperzeption zugelassen hatte, und in solchen gereinigton Reihen und 
Richtungen kann er verständig denken. Es sind dies meist jene, die am häutig- 
sten bewegt werden, und betreffen Objekte, deren Kenntnis durch die tägliche 
Anschauung berichtigt und das Urteil Anderer festgestellt wurde. 

Ausser diesen Behelfen denkt er sehr irrthümlich, ja unverständig. Er ver- 
wechselt sehr leicht die Gegenstände, weil er ihre wesentlichen Unterschiede nicht 
erfasst hat, er verwechselt Zeit und Ort, Gegenwart mit Vergangenheit, merkt 
sich schwer die Physiognomien, die ihm alle gleich scheinen, verwechselt Personen 
und hält leicht Fremde für Bekannte, wenn einige Äusserlichkeiten ihm dieselben 
scheinen. 

Ist seine Auffassung noch träger und lückenhafter, so kann ihm Verstand 
ganz fehlen. Er giebt sich dann sehr leicht ähnlichen Illusionen hin, wie Kinder, 
die spielen, mit Puppen sprechen und mit ihnen wie mit Ihresgleichen umgehen. 
Er hat den Verstand eines Kindes und behält ihn. 

Urteilt der Beschränkte? Er äussert häufig Urteile, die materiell und 
formell richtig sind. 

Seine Urteile zerfallen in zwei ganz verschiedene Gruppen; sie sind 1. und 
zwar in der Mehrzahl reine Gedächtnisleistungen, einfache Erinnerungen, Urteile 
Anderer, die er sich gemerkt hat und wiederholt. Er hat ein gutes Gedächtnis 
und steht das Urteil eines Anderen mit seinem persönlichen Interesse in Beziehung, 
so merkt er sichs. Dahin gehören auch alle gelernten Urteile, die moralischen, 
kirchlichen, die über gesellige Verhältnisse — er urteilt nie anders als der grosse 
Haufe — über die täglichen Vorkommnisse, die häuslichen Beziehungen, die öko- 
nomischen Objekte und die seiner Beschäftigung, in allen ist er ein Abklatsch 
seiner urteilenden Umgebung, der er unbedingt glaubt. 

Die meisten Beschränkten besitzen kein anderes Urteil als dieses fremde; 
man kann einem Schwachsinnigen alle Bestandteile eines Urteils geben, er kann 
sie sogar genau verstehen, das Prädikat sowol als das Subjekt, man kann ihn sie 
beide erklären lassen, er wird sie genau erklären, aber er kann sie nicht ver- 
binden, nicht das Urteil hinstellen. Er kann sogar dasselbe Urteil über andere 
Gegenstände oder Personen fällen; man verwechsle aber nur die Gegenstände und 
er findet kein Urteil mehr über sie, wenn er auch nur ein Wort am Fremden zu 
verändern hätte. 

Sie haben daher über neue Gegenstände, über ihnen ungewöhnliche Ereignisse 
kein Urteil. 

2. Die Minderzahl aber äussert auch andere Urteile als traditionelle, fremde; 
sie hat auch eigene, aber sie sind eigentlich nur unwillkürliche Assoziationen 
von Vorstellungen, indem allgemeine Schemata, Gesamtvorstellungen ihre Einzel- 
vorstellungen wechselseitig austauschen. 

Solche eigene Urteile entstehen nicht, wie das eigene Urteil entsteht, durch 
Apperzeption rasch und auf einmal, sondern langsam, indem die Vorstellungs- 
massen, die das Prädikat liefern sollen, mehrmals in's Bewusstsein treten, ehe sie 
an der inneren oder äusseren Wahrnehmung die Gegenstände vollständig gehemmt 
haben, um mit ihr als dem Subjekte zu verschmelzen. 



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Dass der Beschränkte kein strenges Urteil bilden kann, sondern sich im 
-besten Falle mit solchen allgemeinen Vorstellungen begnügen muss, verschuldet 
«ein Mangel eines „logischen Begriffes."*) 

Auch der Ungebildete hat wenig oder gar keine klaren, bewussten Begriffe, 
aber sie können sich bilden und bilden sich beim Denkenden. 

Der Beschränkte bringt es niemals zu logischen Begriffen, und hat nur psy- 
chologische d. h. Vorstellungen als solche, ohne Rücksicht ihres Entstehens. 
Vermöge seines individuellen Mechanismus, bei der Unfreiheit seines geistigen Ver- 
kehrs kann er eine Vorstellung von allen ihren nicht zur Qualität des Vor- 
gestellten gehörigen Verbindungen und Elementen nicht frei machen , nicht jeden 
Gegensatz, den die reine Qualität findet, abstreifen, dass sie als ein reiner logischer 
Begriff dastehe. Jede seinor Vorstellungen muss eine bestimmte, individuell ver- 
schiedene Zahl von heterogenen Elementen, die aus ihrer Bildungsgeschichte und 
den zeitherigen Verbindungen stammen, behalten. 

Diese Unmöglichkeit, logische Begriffe zu entwickeln, kenn- 
zeichnet vor allen den Beschränkten. 

Deshalb hat er in allen seineu sogenannten Begriffen immer etwas nicht zu 
reiner objektiver Qualität gehöriges, etwas Originelles an sich, dass seinen Be- 
griffen allein eigen ist. Er hat von allem und jedem, falls er denkt, seine eigene 
Ansicht, die kein anderer hat, seine ganz besondere Meinung, die ihm selbst 
immer die allerbeste dünkt, aber natürlich Gegensätze, objektiv falsches enthalten 
muss; er hat immer seinen eigenen Verstand. Er ist aus demselben Grunde so 
wenig zu belehren, zu überzeugen, wie der Melancholische, der Wahnsinnige etc., 
sobald die Belehrung sich auf Begriffe stützt und nicht auf konkrete Anschauung, 
auf Experimente und den Augenschein. 

Diese Unmöglichkeit einer Belehrung, der besseren Einsicht 
in die abstrakte, begriffliche Welt ist von schlagender Bedeutung 
für den .Schwachsinnigen und charakterisiert sein ganzes Vorstellen, sein Fühlen 
und Streben. 

Entdecken wir an ibm Begriffe, welchen Inhalts sie auch seien, oder Urteüe 
aus Begriffen gebildet, so wissen wir mit Bestimmtheit, sie sind nicht seine eigenen 
Erzeugnisse, sondern fremde, die er als reino Gedächtnisbilder festgehalten hat. 

Er ist daher im gauzen Bereiche der Begriffe und Urteile auf Tradition an- 
gewiesen und muss fremde unbedingt anerkennen und befolgen, seine Uberzeugung 
ihnen hingeben, ohne sie prüfen zu können. Er hängt darin ganz von seiner Um- 
gebung ab, bezieht von ihr ohne Wahl «eine ganze moralische, religiöse, soziale 
und ökonomische Anschauungsweise, seine Lebensregeln, seine gesammte Über- 
zeugung und Wertschätzung. Er bezieht seine ganzen moralischen Urteile aus 
dem genossenen Schulunterrichte und kann sie sehr gut merken; aber er wendet 
sie vorkommenden Falls nur mechanisch ohne Verständniss an, wie man es ihm 
gelehrt hat. 

Diese Unmöglichkeit, Begriffe zu fassen, scheidet den Schwachsinnigen tief 
und für immer, über jede Wirkung des Unterrichts und der besten Belehrung 
hinaus vom Unwissenden aber Vollsinnigen, in dessen dunkelin Vorstellen sich 
unwillkürlich doch mehr oder weniger Begriffe von selbst bilden. 

Wie seine blos psychologischen Begriffe, so haben auch seine eigenen Urteile, 
falls sie diesen Xamen verdienen, viel Originelles, ihm allein Eigenes an sich. 
Ist nun das Subjekt oder Prädikat eines solchen aus jener Reihe und Qualität 
von Wahrnehmungen oder ihren Reproduktionen genommen, die, wie früher er- 
wähnt wurde, eine ungemeine Schärfe und Deutlichkeit besitzen und hat er sie in 
derselben Vortrefflichkeit, wie das meist der Fall ist, einseitig ausgebildet und 
bewahrt, so kann das daraus entstehende Urteil sogar viel überraschend Richtiges, 
Treffendes enthalten, was dem geistreichen Vollsinnigen nicht einfällt. Solche 



*) Über den Unter«chled zwischen psychischen und logischen Begriffon s. Volk- 
mann Psychologie II, 248 und Strümpell, GmndrUs der Logik, R*p. II. 



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- 39 — 



Äusserungen eines Beschränkten, als welcher er sich doch ausserdem unverkenn - 
bar zeigt, scheinen dann unerklärlich. Die Annahme eines individuellen Mecha - 
nismus hebt diese Schwierigkeit. 

Vergleichen wir diese Erscheinungen an der angoborenen Beschränktheit mit 
den früher Erörterten der sekundären, so treten mächtige Unterschiede hervor. 
Beim Sekundären findet sich kein Zeichen bestehender Originalität des Vorstellens 
•und der Inhalt desselben ist bei unter gleichen Verhältnissen Lebenden über- 
raschend der gleiche. Beim angeborenen Schwachsinne zeigt sich nicht blos die 
allgemeine Verschiedenheit der einzelnen Individuen, sondern selbst in den Pro- 
zessen der Auffassung, des Denkens macht sich jeder Einzelne seinen individuellen 
Inhalt znrecht, seine individuelle Weisheit. 

Im allgemeinen ist der Schwachsinnige mit seinen eigenen Leistungen nur 
auf Konkretes angewiesen und in diesem bewegt er sich nur in Einzelanschau- 
ungen und rohen, unverarbeiteten Gesamtvorstellungen. 

Bei tieferem Stande seines Mechannismus bringt er es nicht einmal bis zu 
letzteren, sondern er erwartet höchstens ähnliche Fälle als er schon erlebte und 
erinnert dadurch an die begabteren Tiere, die Gleiches und Ähnliches, Strafe 
■und Genüsse bei ähnlichen Anlässen erwarten. 

Am schlechtesten erfasst der Schwachsinnige psychische Verhältnisse, 
«owohl seine eigenen als fremde. Er hält offenbar Blödsinnige aus seiner Um- 
gebung für sehr gescheidt, und deren Urteile und Aussprüche haben denselben 
Wert bei ihm, wie die von Gesunden. Durch diese Thateache unterscheidet er 
sich charakteristisch von dem Unwissendsten der niedersten Bildungsstufe. Dieser 
richtet snne Gedanken sehr häufig auf die inneren Vorgänge Anderer, mit denen 
er umgeht und lebt; er sucht wenigstens immer über die Gesinnungen derselben 
in laufender Keuntnis zu sein und das Denken, Fühlen und Streben Anderer giebt 
ihm viel mehr Stoff zum Nachdenken, als die Aussenwelt, sei diese auch Objekt 
seiner Arbeit. 

Wie die Urteile, so die Schlüsse. Er ist unfähig zu Schlüssen. Er erinnert 
in einzelnen Exemplaren an jenen secundären Beschränkten (pag. 275) den jedes 
„Warum?" zum Schweigen bringt. Der Schwachsinnige von jeher kann aber eine 
Antwort fertig haben, die wenigstens ihm genügt, ihm alles erklärt und erschöpft. 
Er kennt selten einen Zweifel, ihm ist alles klar und eben. 

Er ist das Prototyp der unbedingten Anerkennung jeder Thatsächlichkeit ; 
vollendete Thatsache, ein fait accompli ist als solches ihm schon berechtigt, und 
er unterwirft sich; es ist so, also muss es auch so sein. 

Hat der Schwachsinige Selbstbewusstsein? 

Ein Selbstbewusstsein fehlt dem Beschränkten durchaus im allgemeinen 
nicht ; er hat ein Ich, das seiner Vorgänge sich bewusst ist, so weit neinlich seine 
Apperception es gestattet. Gewiss ist jedoch, dass die gewaltige Vorstellungs- 
masse des Ich in ihrer Zusammensetzung mangelhaft ist, dass das Bewusstwerden 
der eigenen Vorgängo dunkel, unbestimmt, mehr dem blofsen Selbstgefühle ver- 
wandt und dass es nicht in jedem Augenblicke sich seiner bewusst ist, somit die 
relative Klarheit sogar schwankt. 

Da ihm nur psychologische Begriffe möglich sind, so können sich empirische 
Ichs ausbilden, nie aber diese auf ein ideales Ich hinauslaufen. 

Es ist sogar wahrscheinlich, dass bei seiner Beschränkung auf Konkretes und 
Und seiner blofs mechanischen Leistungsfähigkeit nur ein empirisches Ich gelingt, 
nicht einmal ein zweites. 

Ein solches Ich, gleich einem Bruchstücke des Ich eines Vollsinnigen, ist 
Unfähig, das ganze Vorstellen, Fühlen und Bewegen zu leiten und durch oberste 
Grundsätze, die zu seinem Inhalte gehören sollen, selbstbestimmend den Menschen 
handeln zu lassen. Vielmehr werden unwillkürliche Assoziationen, jene allgemeinen 
Vorstellungsmassen, die fehlenden Begriffe vertreten, alle Gewalt oberster Prin- 
zipien haben. 

Kann der Schwachsinnige eine Persönlichkeit sein, sich als derselbe 
fühlen in jedem Augenblicke des Lebens, vorwärts und rückwärts? 



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— 40 



Betrachten wir seinen physiognomischen Apparat, so tritt er nie als vollwich- 
tige Persönlichkeit auf in all seinem Denken, Fühlen und Handeln. In der Heran- 
bildung einer abgeschlossenen einheitlichen Persönlichkeit finden sich im Mecha- 
nismus des Fühlens und Bewegens noch grössere Hindernisse und es scheint, als 
ob im Gelingen eines solchen die gröfstmögliche Verschiedenheit bei den eingeben 
Individuen vorläge. 

Es giebt nicht selten solche, die von sich mit „Man" anstatt mit „Ich" sprechen. 

Der mangelhafte Mechanismus seines inneren Verkehrs, des Zusammenwirkens 
der Vorstellungen ist es eigentlich, der den Schwachsinnigen so kenntlich macht 
und geistig zurücksetzt. Denn die wesentliche Grundlage aller Ausbildung des 
Menschen beruht in der Thatsache, dass es für ihn nicht blofs eine äufsere, son- 
dern eine innere Welt giebt; eine Welt, die sich allmählich eine gewisse Selbst- 
ständigkeit für ihn gegenüber der äufseren, die ihn anregt, gewinnt und wiebtigere 
Interessen erzeugt, als jene. Von dem Momente an und in demselben Mafse, als 
die blofs objectiven Gefühle an der Aufsenwelt durch die Verarbeitung der Wahr- 
nehmungen, an die sie gebunden sind, zu psychischen werden, und jene zu ge- 
läuterten Vorstellungen und Begriffen aufsteigen, überwiegt das geistige Interesse, 
die Summe der psychischen Gefühle alles Objektive im allgemeinen und im Kon- 
flikte beider Interessen siegt nach dem Stande seiner Bildung das Erstere um so 
gewisser. Der Mensch kann sich in sich zurückziehen, dem eigenen Innenverkehre 
sich ganz hingeben und von der Aufsenwelt abwenden, trotz dem; dass aller 
geistiger Inhalt von ihr ursprünglich ausging. 

Weil der Vollsinnige ein inneres Leben im Verkehre seines Wissens, Fühlens 
und Strebens zu leben vermag, kann er es selbstständig in schrankenlosem Mafse 
ausbilden und umgestalten. 

Anders der Schwachsinnige ohne innere Welt, die selbstständig und sich von 
der Aufsenwelt frei gemacht hat. Sein Vorstellen kann weder die heterogenen 
Elemente, die vom Akte des Wahrnehmens stammen, abstreifen, noch die Summe 
objektiver Gefühle durch lebendiges, freies Zusammenwirken in den Gegensätzen 
zu psychischen machen. 

Sein empirisches Ich stellt nur äufsere Gegenstände vor, sein Interesse ist ein 
äußerliches, sinnliches, sein Leben ein sinnliches, ohne den unendlichen Gewinn 
einer inneren Welt zu haben; sein Blick kennt nur die Gegenwart und die aller- 
nächste, ohne sich einer Zukunft zuwenden zu können. 

Er steht auf der Stufe der Kinder und bedarf, soll er nicht verkümmern, der 
geregelten Erziehung;*) aber nie kömmt er bei der besten und längsten Erziehung 
über seine unabänderlich gestellten Grenzen hinaus. 



3. Der Herbart-Verein zu Eisenach 

hielt im Winter 1884/85 acht Sitzungen ab. In denselben kamen folgende Gegen- 
stände zur Behandlung: Ackermann, über die Pflege des Rechtsgefühls etc. 
(Siehe Erziehungsschule 1885.); Staude, über den Katechismusunterricht. (S. VIIL 
Schuljahr.) Böttcher, Kritik der Peterschen Gesangschule. (S. Pädag. Studien 
1885, 4. Heft.); G opfert, über die Bartelssche Schrift- Anwendbarkeit derHerbart- 
Z.-St. did. Grundsätze etc. (Siehe die Brochüre: Rechtfertigung oiniger pädagog. 
Gedanken Zillers etc. Dresden, Bleyl & Kämmerer.) Werneburg, Präparation 
über einige Pilze. (Siehe XVII. Band des Jahrbuchs.) Pickel, der Geometrie- 
Unterricht in der Volksschule. (Siehe VIII. Schuljahr.) Rein, Dörpfelds Schrift: 
Denken und Gedächtnis. (Siehe XVII. Band des Jahrbuchs.) 

Ein Abend wurde der Besprechung einiger Arbeiten aus dem letzten Jahrbuch 
des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik gewidmet. 



*) „Der Charlatani8mus , welcher aua begreiflichen Gründen besonders gern dieses Ge- 
biete« «ich bemächtigt, kann nur durch die Waffen der Physiologie und Psychologie mit Erfolg 
bekämpft werden." Stoy Encyklopadie, 2. Auflage. 9. 296. 



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— 41 — 



4. Erklärung. 

Auf Wunsch eines Teiles der hiesigen „freien Lehrerkonferenz" erkläre ich 
gern, dafs meine Bemerkungen in No. 2 d. Bl. nicht gegen die Konferenz im all- 
gemeinen, sondern nur gegen einzelne Mitglieder derselben gerichtet sind. 

Eisenach, 30. Juni 1885. Chr. Ufer. 

Berichtigung. 

In der zweitletzten Zeile der Fufsnote Seite 50 im 2. Heft d. Päd. St. 85 mufs 
es statt „Wahrhaftigkeit" „Wehrhaftigkeit" heifsen. 



5. Der achte deutsche Seminarlehrertag 

wird vom 28. Septbr. bis 1. Oktbr. in Karlsruhe abgehalten. Die Vorversamm- 
lung findet 28. September abends, die Hauptversammlung am 29. und der Schlufs 
am 30. September statt. Der 1. Okt. ist zu einem Ausfluge, wahrscheinlich nach 
Baden-Baden bestimmt. — Anmeldungen zu Vorträgen sind an den Seminardirektor, 
den Vorsitzenden des Ortskomitees, Ferdinand Leutz, zu richten. Bis jetzt haben 
freundlich zugesagt: 1. Herr Regierungs- und Schulrat Dr. Schumann von Trier: 
„Worte der Erinnerung an Direktor Dr. Kehr." — 2. Herr Seminardirektor Lar- 
giader von Strafsburg: „Der psychologische Unterricht in den Lehrerseminaren. — 

3. Herr Seminarlehrer Dr. M. Geistbeck von Freising : „Der geographische Unter- 
richt nach seinen ^wissenschaftlichen, methodischen und praktischen Seiten." 

4. Seminardirektor Leutz: „Wie können die Lehrerbildungsanstalten auf die 
Bildung des Volkes einwirken?« — 



6. Konkurrenz-Aufgabe der Diesterweg-Stiftung. 

Die Diesterweg-Stiftung stellt für das Jahr 1885/86 folgende Konkurrenz- 
Aufgabe: „Welche Berührungspunkte bieten hinsichtlich ihrer Erziehungs- und 
Unterrichts- Grundsätze Her bar t- Zill er und Diesterweg?" Für die am meisten 
entsprechende Bearbeitung ist ein Preis von fünfhundert Mark bestimmt; er- 
wünscht ist, dafs der Umfang zehn Druckbogen nicht überschreite. Die mög- 
lichst deutlich geschriebenen Arbeiten sind bis zum 1. Mai 1886 an A. Böhme, 
Seminarlehrer a. D. Berlin SW., Wilhelmstr. 3b, zu senden. Dieselben sind mit 
einem Motto zu versehen, welches zugleich aufsen auf ein versiegelt beizu- 
fügendes, innen die Adresse des Verfassers enthaltendes Couvert zu setzen ist. 
Die Eröffnung des den Namen des Verfassers der zu krönenden Preisschrift ent- 
haltenden Couverts findet in der in den Monat Oktober 1886 fallenden General- 
versammlung der Diesterweg-Stiftung statt 

(§ 7 des Stetutes.) Die gekrönte Preisschrift bleibt Eigentum des Verfassers; 
jedoch wird die Prämie erst nach Veröffentlichung derselben bezahlt. Für den 
Fall, dafs die prämiierte Schrift als Broschüre erscheint, ist eine vom Kuratorium 
bei Veröffentlichung derselben zu bestimmende Anzahl von Exemplaren zu einem 
Drittel des La lenpreises für die Mitglieder der Stiftung zur Verfügung zu stellen. 



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C. Rezensionen. 



i. 

Otto Wilhelm Beyer, Die Naturwissen- 
schaften in der Erziehungs- 
schule. Nebst Vorschlägen für 
Schulreisen, Tierpflege, Schulgarten, 
Schulworkstatt und Schullaboratorium. 
Leipzig, Georg Reichardt Verlag 1885, 
Preis 3 M. 
Auf Herhart - Zillerschein Boden 
stehend, hat der Verfasser zum ersten 
Mal versucht, auch im naturwissenschaft- 
lichen Unterricht dem Fortschritt nach 
kulturhistorischen Stufen die Bahn zu 
ebnen. Im Gesinnungsunterricht ist 
dieser Standpunkt schon lange einge- 
nommen und in weiten Kreisen als der 
pädagogisch richtige anerkannt worden. 
Wenn derselbe Gang auch schon für die 
Naturkunde in der Erziehungsschule ge- 
fordert wurde , so dachte man dabei 
blofs an einen innigen Anschlufs dieses 
Unterrichtszweiges an den im Mittel- 
punkte stehenden Gesinnungsunterricht. 
Naturkundliche Gegenstände und Er- 
scheinungen, auf welche letzterer hin- 
wies , wurden in ersterem behandelt. 
Natürlich kam es hierbei manchmal zu 
künstlichen, gezwungenen Anschlüssen, 
die geeignet waren, den ganzen Kon- 
zentrationsgedanken zu diskreditieren. 
Es ist deshalb gewifs zu begrüfsen, wenn 
Beyer den Versuch gemacht hat, den 
Begriff der kulturhistorischen Stufen auf 
die Naturwissenschaften in einer der 
Natur des Gegenstandes vielleicht mehr 
entsprechenden Weise anzuwenden. 

Der Verfasser gründet seine Be- 
trachtung auf den Satt, dafs es die Auf- 
gabe der Erziehungsschule sei, „eine 
solche Bildung zu bereiten, wie sie ein 
jeder Mensch mit Rücksicht auf den 
allgemein gii'tigen und notwendigen 
Zweck des menschlichen Lebens besitzen 
soll," und dieser sei, „an seinem Teile 
dazu beizutragen, dafs die Gesamtheit 
der sittlichen Ideen als beseelte Gesell- 
schaft in der Welt zur Herrschaft ge- 
langen oder, wie es die Bibel ausdrückt, 
dafs das Reich Gottes auf Erden ver- 
wirklicht werde." Dazu ist einmal nötig, 
dafs ein jeder in ein richtiges Verhältnis 
zu Gott trete und dann, dafs er auch 
ein richtiges Verhältnis zu sich selbst 



und zur Gesellschaft zu gewinnen suche, 
was in den volkstümlichen Imperativ 
gefafst werden könne: bete und arbeite. 
Will nun jeder erfahren, wo er der Ge- 
sellschaft den besten Dienst leisten könne, 
„so mufs er möglichst früh einen Ein- 
blick in die gesellschaftliche Reihe der 
menschlichen Arbeit und in die in der 
Menschheit lebenden Arbeitsideale er- 
halten haben". „Diejenigen Gedanken- 
reihen, die sich auf dem Gebiet der 
geistigen Arbeit vollziehen, hat der Ge- 
sinnungsunterricht in seinen Formen als 
Religious- und Geschichtsunterricht, so- 
wie der Sprach- und Littcratur Unterricht 
zu verfolgen, während das Gebiet der- 
jenigen Arbeit, die sich an den sinnen- 
fälligen Dingen der Körperwelt vollzieht, 
dem sog. naturwissenschaftlichen Unter- 
richte zufällt." Damit wird die land- 
läufige Praxis, welche diesen Unterricht 
nach morphologischer oder entwicklungs- 
geschichtlicher Systematik, nach Jahres- 
zeiten etc. anordnet, ebenso wie der 
Standpunkt, welcher die Natur als Ganzes 
aufgefafst wissen will, für die Erziehungs- 
schule verworfen, wenn auch zugegeben 
wird, dafs, um den geistigen Aneignung»- 
prozefs zu sichern, die naturkundlichen 
Vorstellungen auch nach diesen Gesichts- 
punkten geordnet werden müssen. Aber 
den Grundbegriff für den naturkund- 
lichen Unterricht bildet die mensch- 
liche Arbeit, und danach werden Aus- 
gangspunkt und Fortschritt be- 
stimmt. 

Wie es für den Gesinnungsstoff schon 
geschehen, sucht nun Beyer auch für die 
menschliche Arbeit die Hauptstufen der 
Entwicklung auf und findet sie im Jäger- 
leben , Nomadenleben, Acker- 
bau und in der bürgerlichen Ge- 
sellschaft, welch' letztere wieder in 
zwei Abteilungen, in das Zuchtbürger- 
tum und das Weltbürgertum sich 
gliedert. Die Reihenfolge, in welcher 
diese fünf Stufen zu durchlaufen sind, 
setzt folgende Überlegung fest: Dem 
allgemein anerkannten Grundsatz gemäfs, 
dafs die Schule die Aufgabe habe, den 
Zögling auf die Kulturstufe der Gegen- 
wart zu erheben, mufs der naturkundliche 
Unterricht auch mit dieser Kulturstufe 



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43 — 



abschließen, nicht aber, wozu eine ober- 
flächliche Auffassung des pädagogischen 
Imperativs: Vom Nahen zum Fernen, 
verleiten könnte, auch davon ausgehen. 
Die Arbeit auf den frühern Entwicklungs- 
stufen ist nämlich nicht so zusammen- 
gesetzt, wie die der gegenwärtigen, „je 
weiter man in die Vergangenheit zu- 
rückgeht , um so einfacher , je weiter 
man sich der Gegenwart nähert, desto 
schwieriger wird das Verständnis der 
menschlichen Arbeit." Es kann daher 
auch nicht bezweifelt werden, dafs die 
frühem Entwicklungsstufen dem Zög- 
linge psychologisch näher liegen als die 
späteren und deshalb auch im Unter- 
richte vorausgehen müssen. Dadurch 
stellt sich der Verfasser im Gegensatz 
zu Ziller, der (Grundlegung S. 309) selbst 
für den gelehrten Jugendunterricht eine 
Konstraktion der Urgeschichte der Völker 
und der Anfänge ihrer Kultur , eine 
Zuriickfuhrung derselben auf physische, 
lokale, historische, psychologische und 
ethische Voraussetzungen verworfen. 

Nach dieser grundlegenden Einleitung 
geht der Verfasser ausführlich auf die 
einzelnen Kulturstufen ein und unter- 
sucht, welches Material jede von ihnen 
für den naturkundlichen Unterricht bietet. 
Gestützt auf eine weitgehende Kenntnis 
der Kulturgeschichte beginnt er jede 
Stufe mit einer geistvollen Schilderung 
der Beziehungen, in welche der Mensch 
nach und nach zur Natur trat. Mit 
wenigen Strichen entwirft er einige 
äufserst interessante, lebensvolle Bilder 
von seinem Ringen mit den um ihn und 
in ihm waltenden Kräften und von dem 
eifrigen Bemühen , sie nach und nach 
sich alle dienstbar zu machen. An diese 
mehr allgemeinen Betrachtungen knüpft 
»ich jeweilen eine spezielle, worin die 
Bedürfnisse des Menschen «auf der be- 
treffenden Stufe in die einzelnen Momente 
zerlegt werden. Es ergeben sich dabei 
folgende Gesichtspunkte : 

1. Des Lebens Nahrung und Not- 
durft 

A. Nahrung. 

a. tierische. 

b. pflanzliche. 

c. mineralische. 

B. Kleidung. 

C. Wohnung. 



2. Beschäftigung, Verkehr und Ver- 
kehrsmittel. 

D. Werkzeuge und Waffen (Ma- 
schinen). 

E. Gefäfse (und Geräte). 

F. Fahrzeuge und Verkehrsmittel 
(Verkehrswege). 

G. Orientierung in Raum und Zeit. 

H. Tauschmittel. 

I. Mittel des geistigen Verkehrs 
und der Kunstübung. 

Nach diesen Überschriften hat der 
Verfasser alle fünf Stufen durchlaufen 
und dahei stets die sich für den natur- 
kundlichen Unterricht ergebenden natur- 
kundlichen Stoffe bezeichnet. Es kann 
natürlich die Aufgabe dieser Besprechung 
nicht sein, darauf auch nur auszugsweise 
einzugehen. Blofs das Material des 
1. Teils einer Stufe will ich in Kürze 
anzugeben versuchen, und zwar wähle 
ich der Einfachheit halber die erste, 
an Stoff ärmste, die Stufe des Jäger- 
lebens aus: 

A. Nahrung: 

a. tierische: Reifsende Tiere, efsbare 
Teile derselben, Art ihrer Erlegung (Pfeil 
und Bogen, Speer, Keule, Axt, Wurf- 
pfeil, Wurfbeine, Blase rohr), physikalische 
Gesetze, auf denen die Wirkung der ein- 
zelnen Waffe beruht. Lebensgewohn- 
heiten dieser Tiere, Aufenthaltsort, 
Spuren: Fährte, Losungen, abgeworfene 
Geweihe, verlorene Federn, Gewölle, Töne 
und Geräusche des Wildes, angefressene 
Früchte, aufgewühlte Erde, niederge- 
stampftes Gras, abgeriebene Bäume und 
a. in. Feinde des Wildes , hierbei : 
Falkenbeize, Reiherbeize, Uhu auf der 
Krähenhütte. Nahrung: Eier, Schild- 
kröten, Muscheln (Auster), Schnecken, 
Frösche, Schlangen, Eidechsen, Würmer, 
Engerlinge, Heuschrecken, verschiedene 
Käfer, Honig von wilden Bienen. Fisch- 
fang, ohne Geräte und mit Geräten; 
Nahrung, Lockspeise und Köder der 
Fische, Feinde der Fische: Schwimm- 
vögel, Sumpfvögel, Eisvögel, Fischotter, 
Wasserkäfer , Raubfische, Wasserspitz- 
maus, Wasserratte, See- und Fischadler, 
Molch, Frösche, Krebs, Fischlaus, Kar- 
pfenlaus , Fischegel , Blutegel , Band- 
würmer, Eingeweidewürmer. 

b. pflanzliche : Sträucher und Kräuter, 
von denen irgend ein Teil efsbar oder 
giftig ist. Ferner Schwämme , frische 
Beeren, getrocknete Beeren. 



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- 44 



c. mineralische: Wasser, Salz: 1. als 
Steinsalz, 2. als Pflanzensalz, 3. als Salz- 
wasser. Zubereitung der Nahrung, hier- 
bei Erzeugen von Feuer. 

In ähnlicher Weise ist die Jäger- 
stufe auch nach den andern angegebenen 
Gesichtspunkten behandelt, wie auch 
alle folgenden Kulturepochen. Je höher 
der Mensch gekommen, je mehr Gegen- 
stände und Kräfte er sich dienstbar ge- 
macht, um so reichhaltiger wird das 
Material. Im Ganzen ergibt sich eine 
Bolche Menge von Stoff, dafs es kaum 
möglich sein wird, denselben in irgend 
einer Art von Erziehunsschule ganz zu 
bewältigen; es raufs aus dem Gebotenen 
erst wieder eine den besondern Ver- 
hältnissen entsprechende Auswahl ge- 
troffen werden; es ist dies auch die 
Ansicht des Verfassers, wie er sie auf 
der 1. Seite der Einleitung deutlich aus- 
spricht: „Wenn sie (die Untersuchung) 
nun auch ihren vorläufigen Abschlufs in 
einer nach Stufen geordneten Ubersicht 
von Unterrichtsmaterial findet, so hält 
es Verfasser doch für nötig, im voraus 
zu erklären, dafs damit weder die Auf- 
stellung eines Lehrplans für den natur- 
wissenschaftlichen Unterricht an irgend 
einer der bestehenden Schulkategorien, 
noch auch die Verteilung des Materials 
nach Schuljahren oder Klassenpensen 
beabsichtigt ist, der Verfasser hat viel- 
mehr zunächst nur das Bedürfnis em- 
pfunden, das Naturgebiet des mensch- 
lichen Handels mit Rücksicht auf die 
Zwecke des erziehenden Unterrichts zu 
durchdenken." 

Seinen Abschlufs findet der erste 
Hauptabschnitt in dem Nachweis, dafs 
der naturwissenschaftliche Unterricht, 
welcher die menschliche Arbeit zu 
seinem Ausgangspunkte hat, auch den 
verschiedenen Interessen der Teilnahme 
und Erkenntnis dienstbar gemacht werden 
kann. Bei dem spekulativen Interesse 
vermisse ich jedoch den Hinweis auf 
den Zusammenhang zwischen Organ und 
Funktion bei Tieren und Pflanzen und 
bei dem ästhetischen Interesse das ästhe- 
tische Moment, welches eine gewisse 
Gruppierung der Naturkörper enthält. 
(Vergl. Humboldt, Kosmos, I. Band: 
Einleitende Betrachtungen über die Ver- 
schiedenartigkeit des Naturgenusses). 

Eine längere Betrachtung über die 
Forderung der Zucht, dafs die Kultur- 



stufen in gewissem Sinne auch nach- 
erlebt werden müssen , leitet zu dem 
2. Hauptabschnitt über: Formen des 
Schullebens, welche sich an diese 
Kulturstufen naturgemäfs an- 
schlief sen. Jeder Kulturstufe ent- 
spricht eine besondere Form des Schul- 
lebens, wie folgende Zusammenstellung 
zeigt: 

1. Jäger — Wanderarbeit. 

2. Nomade — Tierpflege und Tier- 
schutz. 

3. Ackerbauer — Schulgarten. 

4. Kleinbürger — Schulwerkstatt 

5. Grofsbürger— Schullaboratorium. 
1. SchulwanderungenundSchul- 

reisen. 

Sehr energisch wendet sich der Ver- 
fasser gegen den naturkundlichen Unter- 
richt, der blofs Bilder, ausgestopfte Bälge 
und getrocknete Pflanzen zu Grunde legt, 
statt sich direkt an die Natur zu wenden, 
und gibt dann eine ausführliche Über- 
sicht über das Material, welches auf 
naturkundlichen Exkursionen hauptsäch- 
lich ins Auge zu fassen ist. Besonders 
wird betont, dafs hier aus den 3 Natur- 
reihen vor allem dasjenige zu beachten 
sei, was zu den Bedürfnissen des Jäger- 
lebens in Beziehung stehe und dafs auch 
alle Sinne systematisch geschult werden 
müssen. Zwar verzichtet Verfasser auf 
eine Aufzählung der einzelnen Sinnes- 
übungen, gibt aber doch für jeden Sinn 
im allgemeinen die Richtung an, nach 
der seine Schulung zu erfolgen hat 
Am ausführlichsten beschäftigt er sich 
mit dem Auge, indem er an zahlreichen 
Beispielen nachweist, wie das Schätzen 
von Linien, Winkelgröfoen, Flächen und 
Körpern geübt werden müsse. Auch 
die menschliche Arbeit ist sorgfältig zu 
beachten und dabei in erster Linie, was 
zu der Landwirtschaft in Beziehung 
steht, weil diese das wichtigste Urge- 
werbe ist. Von den Schulwanderungen 
zu den Schulreisen übergehend , hebt 
Beyer auch erst deren Bedeutung für 
die Erweiterung des Gesichtskreises im 
wörtlichen und im übertragenen Sinne 
hervor. Dann geht er auf den Wert 
der Schulreisen für die unmittelbare 
Charakterbildung näher ein: Zunächst 
mufs die Jugend den Segen einer ver- 
ständigen Lebensordnung schätzenlernen, 
und dazu ist erforderlich, dafs sowohl 
vor als während der Reise alles beseitigt 



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— 45 — 



werde, was gegen die mittelbaren Tugen- 
den der Pünktlichkeit, Ordnungsliebe 
und Sauberkeit verstöfst, dafs auf ein- 
fache und feste Lebensgewohnheiten 
hingearbeitet wird (strenge Regelung der 
Tagesarbeit, Anspruchslosigkeit im Essen 
und Trinken, freigebig für edle Zwecke, 
sparsam für den eigenen Genufs). Damit 
geht Hand in Hand die echte Bescheiden- 
heit, welche sich nicht über fremde 
Sitten lustig macht, aber doch wirkliche 
Vorzüge der Heimat erkennt. Wenn 
die Heise eine ihrer wichtigsten Aufgaben, 
Bildung des Willens, lösen soll, so ist 
streng darauf zu halten, dafs das für 
einen Reisetag gesteckte Ziel auch wirk- 
lich erreicht werde trotz aller Hinder- 
nisse. Zum Schlüsse noch die erzieh- 
lichen Momente betrachtend, welche ge- 
rade in der Gesamtheit der Arbeit 
Hegen, hebt Beyer hervor den Wert 
einer sozialen Gliederung unter der 
Reisegesellschaft, die, wie alle andern 
Reisemafsregeln vom Erzieher gemeinsam 
mit der Jugend festgesetzt wird, die An- 
regung, welche der einzelne gewinnt aus 
der fremden Art zu arbeiten, zu geniefsen 
und zu leiden, die Bedeutung der Unter 
Ordnung des eignen Willens unter einen 
fremden, und damit im Zusammenhang 
stehend das Bewufstsein der Solidarität. 

2. Tierpflege und Tierschutz. 

Schulwanderungen werden fortgesetzt 
in der Richtung, welche das Verständ- 
nis des Hirtenlebens nach der Seite des 
Unterrichts verlangt. Nebst zoologischen, 
botanischen, mineralogischen sind auch 
Beobachtungen des Himmels notwendig. 
Einen intimem Verkehr mit der Tier- 
welt sollen Tierpflege und -schütz ver- 
mitteln. Ein reizendes Bild zeigt uns, 
wie das Kind auf dem Lande schon 
aufserhalb der Schule in ungezwungener, 
naturgemäfser Weise in Verkehr mit 
der Tierwelt tritt, und daran knüpft sich 
die gewiss berechtigte Forderung, dass 
in Städten, wo dieser geistbildende Um- 
ganz fehlt, für Tierpflege und -schütz 
sehr ausgedehnte Einrichtungen zu treffen 
seien. Das wichtigste Feld für Tierpflege 
ist der Schulgarten. Durch Pflanzen 
dichter Hecken, Anlegen von Felspartien 
u. s. w., durch Verfolgung durchstrei- 
chender Räuber werden die meist sehr 
willkommene Gartenpolizei übenden Sing- 
vögel geschützt; denselben Schutz ver- 



dienen die Insektenfresser unter den 
Säugetieren, manche Insekten ; Reptilien 
müssen in den Garten besonders einge- 
setzt werden. Diese eignen sich zum 
Elementarkursus m der Tierpflege am 
besten, weil sie sehr geringe Ansprüche 
machen. Ihre Behandlung wird ausführ- 
lich angegeben. Für die Pflege höherer 
Tiere ist im Schulgarten ein besonderes 
Tiergehege einzurichten. Verfasser zählt 
die Säugetiere und Vögel, deren Pflege 
im Garten aus diesem oder jenem Grunde 
wünschenswert erscheint, auf und gibt 
auch über deren Behandlung im gesun- 
den und kranken Zustande und während 
der Brutzeit schätzenswerte Winke. 

3. Schulgarten. 

Das der ganzen Beyerschen Theorie 
zu Grnnde liegende Princip : „die Gaben 
der Kultur nicht verfrühen und die 
Fingerzeige beachten, die hiefür in der 
Entwicklung der Menschheit liegen," 
muss auch hier Beachtung finden, indem 
erst wildwachsende Pflanzen mit den 
einfachsten Mitteln, dann erst in Töpfen 
gepflegt werden. Eine weitere Vorstufe 
zur Arbeit im Schulgarten ist die Pflanzen- 
zucht im Schulzimmer, die aus mehrfachen 
Gründen empfohlen wird. Der Schul- 
garten enthalte Material aus allen drei 
Reichen; der Schwerpunkt liegt jedoch 
in der Pflanzenwelt Das bezügliche 
Material gliedert sich nach der unter- 
richtlichen Bedeutung in Anschauungs- 
und Versuchsmaterial : die dem ersteren 
Zwecke dienenden Pflanzen resp. Pflan- 
zengruppen werden aufgezählt, ebenso 
die Gesichtspunkte, auf die es bei den 
Versuchen ankommt, bezeichnet. Das 
Anschauungsmaterial für Tierpflege ist 
schon im vorausgehenden Abschnitt auf- 
gezählt, und über dasjenige aus der 
Mineralwelt finden sich an dieser Stelle 
einige orientierende Bemerkungen. Dann 
folgt eine Besprechung über die Anord- 
nung des Materials, wie sie ästhetische 
nnd praktische Rücksichten fordern 
Daraus will ich als besonders wertvoll 
blofs den Vorschlag hervorheben, auch 
die Schulsammlungen im Garten anzu- 
bringen und zwar in naturgemäfser Zu- 
sammenstellung des sachlich Zusammen- 
gehörigen, um sie den Kindern und auch 
dem übrigen Publikum mehr zugänglich 
zu machen. Der letzte Abschnitt befasst 
sich mit dem segensreichen Einfluss der 



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— 46 - 



Arbeit im Schulgarten auf die unmittel- 
bare Charakterbildung. Es werden nach 
dieser Richtung bin besprochen Pflege 
und Beobachtung der Tiere und Pflan- 
zen, weiter wird angegeben, wie dabei 
auf einen gesunden Gemeingeist hinzu- 
arbeiten ist, und nachgewiesen, wie auch 
die Schulfeste ihren naturgemäßen Platz 
am Schlüsse der Arbeit linden, z. B. 
am Schlüsse der Vegetationsperiode. 

4. Schulwerkstatt. 

Verfasser schliefst von vornherein 
alle die Gewerbserzeugnisse aus, welche 
um anderer Eigenschaften willen ge- 
schätzt werden, als wegen der sich darin 
aussprechenden Handgeschicklichkeit, 
sowie auch die Handwerke, welche eine 
reinliche Bearbeitung des Materials 
nicht gestatten. Unter den übrigen 
muss die Auswahl erfolgen nach- den 
Arbeitsrichtungen, welche darin vertreten 
sind. Mit überzeugender Gründlichkeit 
weist Beyer nach, dass es folgende 
Hauptstationen der menschlichen Hand- 
bethätigung gibt: Flechten und Webe- 
arbeit, Strickarbeit, Näharbeit, Form- 
arbeit in Thon, Holz, Stein, Metall, Glas, 
und sucht nun die Zusammenhänge 
zwischen diesen Arbeiten und den Kul- 
turstufen herzustellen. Nachdem der 
Fortschritt innerhalb der verschiedenen 
Abteilungen kurz skizziert ist, wird 
dargelegt, wie die Schularbeit durch die 
Schul Werkstatt nach verschiedenen Rich- 
tungen hin gefördert wird. Bei der 
Betrachtung der Einwirkung der Werk- 
stattsarbeit auf den Charakter kehren 
dieselben Gesichtspunkte wieder, wie 
sie für Schulreisen, Tierpflege und Schul- 
garten schon angedeutet sind, angewandt 
natürlich auf den speziellen Fall. Ich 
beschränke mich deshalb darauf, blofs 
den sehr wichtigen Gedanken hervor- 
zuheben, dass die Schulwerkstatt auch 
an weise Sparsamkeit gewöhnen solle 
und zwar in bezug auf Zeit, Kraft und 
Material und nicht in erster Linie in 
bezug auf Geld. Den Anlass benutzt 
der Verfasser, einen wohlberechtigten 
Feldzug gegen die vielgepriesenen Schul- 
sparkassen zu unternehmen. 

5. Schullaboratorium. 

Der Umstand, dass das Maschinen- 
gewerbe hauptsächlich auf den» enormen 
Fortschritt in Physik und Chemie be- 



ruht, rechtfertigt es, wenn verlangt wird, 
dass auf der 5. Kulturstufe der Schwer- 
punkt des naturkundlichen Unterrichts 
in diesen zwei Fächern liegen müsse. 
Ohne häutiges, zweckmäfsiges Umgehen 
mit allen Hilfsmitteln des physikalischen 
und chemischen Laboratoriums ist aber 
ein Verständnis der bezüglichen That- 
sachen nicht möglich. Vor häufigen 
Fehlern, die sich entweder bei der 
Wahrnehmung des äufsern Vorganges 
oder beim Aufsuchen der innern Ur- 
sachen zeigen, wird gewarnt. Der Ver- 
such im Schullaboratorium findet übrigens 
seine Stelle nicht erst auf der 5. Kultur- 
stufe, schon auf allen früheren da, wo 
es sich um physikalische und chemische 
Vorgänge und Gesetze handelt, in der- 
selben Reihenfolge, wie sie sich im kul- 
turhistorischen Verlauf der menschlichen 
Arbeitsreihe einstellen Das Schullabo- 
ratorium gewinnt aus der Schulwerkstatt 
manche Förderung, kann aber nicht 
durch sie ersetzt werden. Der Abschnitt 
über die Aufgabe der unmittelbaren 
Charakterbildung bietet, der Natur des 
Gegenstandes entsprechend, wieder einige 
neue Punkte: Der Zögling, schon auf 
einer höhern Stufe der Entwicklung 
stehend, muss lernen, sich selber Ziele zu 
stecken und diu passenden Mittel zu 
deren Erreichung ausfindig zu machen. 
Der sich leicht einstellende Egoismus wird 
unterdrückt durch Selbständigkeit und 
Gemeinsamkeit der Arbeit. Was nun 
Beyer im Anschluss an Scheibert über 
die Organisation der Klassen im Labo- 
ratorium sagt, erscheint mir aus mehrern 
Rücksichten bedenklich. Seine Vor- 
schläge involvieren notwendigerweise 
eine Bevorzugung einzelner und zwar 
gerade der bessern Schüler und Hintan- 
setzung der schwächern. Es kann zu- 
nächst nur ein solches Experimentieren 
gebilligt werden, wobei sich gleichzeitig 
die ganze Klasse unter Leitung des 
Lehrers beteiligt, nicht aber ein solches,' 
wo eine Gruppe dieses, die andere jenes 
ausführt und beide nur höchst ober 
flächliche Notiz von einander nehmen 
können, wo ein Schüler sich auf einen 
Versuch besonders vorbereitet und dann 
seinen Mitschülern einen Vortrag darüber 
hält, wo nur die besten Schüler ins 
Kabinet geführt werden, um die Ein- 
richtung von Apparaten und das Experi- 
mentieren damit genau kennen zu lernen. 



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— 47 — 



Offenbar muss alles Nene an der Hand 
der Erfahrungen der Schüler und künst- 
licher Apparate und Versuche in ge- 
meinsamer Thätigkeit erworben werden. 
Dagegen stimme ich dem Wunsche voll- 
ständig bei, dass sich die Schüler auch 
außerhalb der Schulstunden mit physi- 
kalischen und chemischen Versuchen, 
die schon in der Schule ausgeführt wurden, 
beschäftigen. 

Als schönste Frucht des naturkund- 
lichen Unterrichts erscheint dem Ver- 
fasser ein solches Interesse, dass die 
Schüler sich in einem freien Verein 
zusammenfinden, um das Studium der 
Naturwissenschaft™ zu fördern, wobei 
ihnen selbstverständlich vom betreffen- 
den Lehrer mit Rat und That an die 
Hand gegangen werden müsste, offenbar 
eine Ansicht, die volle Beistimmung ver- 
dient* 

Nach dieser kurzen Skizze, die leider 
nur ein dürres Gerippe sein kann im 
Vergleich zu der so lebensvollen Dar- 
stellung Beyers, wird man schon den 
hohen Wert des vorliegenden Werkes 
ahnen und zu der Überzeugung gelangen, 
dass Verfasser uns eine durchaus origi- 
nelle Arbeit bietet, die ihre gründlich 
durchdachten wissenschaftlichen Unter- 
lagen hat, dass es im Fernern sich hier 
um Vorschläge handelt, die tief ein- 
greifen in die gewöhnliche Praxis und die- 
selbe in mehrfacher Hinsicht gänzlich 
negieren. Es wird nicht mehr irgend 
ein naturkundlicher Gegenstand ohne 
allen Zusammenhang zur Besprechung 
vorgelegt, sondern die Auswahl richtet 
sich nach den Bedürfnissen des Menschen. 
Es ist damit auch der systematische 
Fortschritt im Unterricht ein für allemal 
unmöglich gemacht. Es ist nicht mehr 
so, dass in einem oder mehreren Se- 
mestern lediglich eine naturwissenschaft- 
liche Disciplin, Zoologie, Botanik, Mi- 
neralogie, Physik oder Chemie traktiert 
würde, dass man in der Zoologie z. B. mit 
dem Menschen beginnend und mit den 
Schnabeltieren aufhörend, erst alle Säuge- 
tierordnungen, dann die Vögel, Amphi- 
bien und so weiter behandelte und 
ähnlich in den übrigen Zweigen der 
Nat urwissenschnft , sondern in einem 
kurzem Zeitraum schon kommen Gegen- 
stände aus allen Diseiplinen zur Be- 
sprechung, wie es dem handelnden Ein- 
greifen des Menschen in die Natur ent- 



spricht und wie es auch das vielseitig 
gleichschwebende Interesse verlangt. 
Ein Blick auf das Material der 3. Kultur- 
stufe z. B. überzeugt uns schon, dass 
in dem einen Abschnitt „Nahrung" reich- 
haltiges Material aus Zoologie, Botanik, 
Mineralogie, Physik und Chemie zusam- 
menkommt. 

In erster Linie ist die vorliegende 
Schrift für den Lehrer der Naturwissen- 
schaften von hohem Wert. Er findet 
darin nicht nur die weitgehendste, auf 
wissenschaftlich pädagogischer Über- 
legung bemhende Wegleitung über Stoff- 
auswahl und -Anordnung, sondern auch 
zahlreiche methodische Winke über die 
meisten ihn berührenden Fragen, nament- 
lich auch über Spaziergänge, Reisen, 
Schulgarten, Tierpflege, Schulwerkstatt 
und Schullaboratorium. Doch nicht 
allein dem „Nuturwissenschaftler" muss 
sie angelegentlichst empfohlen werden, 
sondern jedem Schulmann, dessen In- 
teresse weiter reicht, als sein spezielles 
Fach. Einmal bietet sie eine solche 
Fülle des interessantesten kulturhistori- 
schen Stoffes, der unbedingt von all- 
gemeinem Interesse ist, dann behandelt 
sie ja auch die so wichtige, grundlegende 
und schon oft ventilierto Frage über 
Bedeutung und Stellung des naturkund- 
lichen Unterrichts in der Erziehungs- 
schule in durchaus wissenschaftlicher, 
überzeugender Weise. 

Freilich bleibt eine bedeutende Lücke 
noch auszufüllen. Wir bekommen nach 
Beyers Vorschlage, wie schon angegeben, 
neben der kulturhistorischen Reihe im 
Gesinnung«-, auch eine solche im natur- 
kundlichen Unterricht. Diese dürfen 
aber nicht ohne Beziehung und 
unverbunden nebeneinander her- 
laufen. Die Einheit der Persönlichkeit 
verlangt vielmehr mit unerbittlicher 
Strenge, dass die eine in innige Be- 
ziehung zu der andern trete, damit nicht 
zwei getrennte Gedankenkreise entstehen. 
Wenn wohl auch die Forderung, dass 
jede naturkundliche Einheit ihren innigen 
Anschluss an einen Gesinnungsstoff finde, 
fallen gelassen werden kann, so muss 
man doch daran streng festhalten, dass 
jede Hauptstufe im naturkundlichen 
Unterricht sich innig anlehnt an eine 
ihr entsprechende im Gesinnungsunter- 
richt, dass beide gleichzeitig genau 
zusammengehörige Gedanken- 



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- 4.8 — 



kreise behandelu. In welcher Weise 
dieser Forderung Rechnung getragen 
werden kann, ist vom Verfasser noch 
nachzuweisen.*) 

Aufserdem ist sehr zu wünschen, 
dass Beyer uns recht bald auch die 
folgende schon in Aussicht gestellte 
Arbeit über die Zerlegung des natur- 
wissenschaftlichen Stoffes in Einheiten 
bieten könne; denn von der vorlie- 
genden Arbeit bis zu der Praxis 
ist noch ein weiter Weg, nm so mehr, 
als eben die Beyerschen Vorschläge an 
den Lehrer sehr hohe Anforderungen 
stellen. Ich zweifle nicht dnran, dass 
das Buch von jedem Lehrer mit dem 
gröfsten Interesse gelesen wird, aber 
eben so sicher bin ich, dass ein grofser 
Procentsatz an eine Durchführung in 
der Schule nicht denken wird, weil 
ihnen 1. durch die Beyerschen Vor- 
schläge die Konzentration zunächst 
in Frage gestellt zu Bein scheint, und 
weil ihnen 2. die sich bietenden Schwie- 
rigkeiten zu grofs vorkommen. Letzteren 
möchte ich aber die von Beyer in Bezug 
auf einen speziellen Fall ausgesprochenen 
Worte recht eindringlich zurufen: „Wir 
wissen recht wohl, dass dies Schwierig- 
keiten machen wird. Nur bitten wir, 
dass man dies nicht zum Vorwande 
nimmt, um unsere Vorschläge für falsch 
zu erklären. Wer sie kritisieren will, 
der gehe auf die theoretischen Voraus- 
setzungen ein und greife diese an. Was 
schwierig auszuführen ist, kann deswegen 
doch höchst notwendig sein.* 

Eisenach. P. Conrad. 

n. 

Matthias, J. A., weil. Konsistorial- und 
Provinzial - Schulrat: Leitfaden für 
einen heuristischen Schulunterricht in 
der allgemeinen Arithmetik und nie- 
deren Algebra, der Elementargeometrie, 
ebenen Trigonometrie und den Appel- 
Ionischen Kegelschnitten. Neu be- 
arbeitet von Prof. Dr. H. Leitz- 
mann, Conventual am Pädagogium 
zum Kloster U. L. Fr. zu Magdeburg. 
Zwölfte Aufl. Mit 9 Figurentafeln. 
Magdeburg, Heinrichshofen. 1883. 8°. 

*) So lange dieser Nachwelt vom Ver- 
fasner nicht erbracht ist, so lange kann die 
Praxis unserer Schulen auf die Beyerschen 
Vorschlage keine Rücksicht nehmen. 

Redaktion. 



Es ist nicht gerade leicht, dem vor 
liegenden Werke nach allen Seiten ge- 
recht zu werden, denn der Leser wird 
über verschiedene Dinge, welche zu 
wissen doch wünschenswert wäre, im 
Dunklen gelassen. Vorgedruckt ist 
aufser einem kurzen von Leitzmann her- 
rührenden Vorwort zur 12. Auflage noch 
das Vorwort zur 11. Aullage vom Jahre 
1866. In demselben ist die Rede von 
den „ersten beiden Herren Verfassern 
dieses Buches", wer dieselben gewesen, 
hat Referent nicht zu ermitteln ver- 
mocht; unterzeichnet ist es: „Die Ver- 
fasser", ob aber unter diesen die auf 
oben angeführten Titel genannten ge- 
meint sind, bleibt ungewiss. Lassen 
wir nun dies auf sich beruhen, so ist 
es offenbar, dass wir eine neue Auflage 
eines Buches vor uns haben, das aus 
einer älteren, etwa 40 Jahre zurück- 
liegenden Zeit stammt, in der man es 
rätlich fand, dem Schüler ein Compen- 
dium des gesamten zur Verwendung 
kommenden mathematischen Lehrstoffes 
in die Hand zu geben, welches in Ver- 
bindung mit einer Aufgabensammlung 
(von Meier Hirsch) ihm ein treuer Be- 
gleiter und Berater auf seinem ganzen 
Wege durch die Schule sein sollte, ein 
Verfahren, welches gegenüber demjeni- 
gen, dass sich derselb * für die einzelnen 
Zweige, Arithmetik, Planimetrie u. s. w., 
je ein besonderes, kleineres und wohl- 
feileres Schriftchen anschafft, allerdings 
manches für sich hat. Fühlen wir uns 
also durch dieses Buch in jene ältere, 
nunmehr entschwundene Zeit zurückver- 
setzt, so soll damit keineswegs gesagt 
sein, dasselbe sei veraltet. Dass dies 
nicht der Fall ist, beweist schon der 
Inhalt. 

Derselbe besteht in: I. Arithmetik: 
1. Die vier Rechnungsarten mit algebrai- 
schen Zahlen und Ausdrücken; 2. Po- 
tenzen und Wurzeln, Ausziehen der 
Quadrat- und Kubik- Wurzel, irrationale 
und imaginäre Zahlen; 3. Logarithmen; 
4. Combinatorik und binomischer Lehr- 
satz ; 5. Verhältnisse, Proportionen, arith- 
metische Reihen erster und höherer Ord- 
nungen, figurierte Zahlen, geometrische 
Reihe; ß. Algebraische Gleichungen, un- 
bestimmte Gleichungen. II. Geometrie. 
A. Planimetrie. 1. Die construetive 
Planimetrie: Gerade Linie und Winkel, 
von den Triangeln, von den Parallelo- 



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— 49 — 



grammen, von der Gleichheit der gerad- 
linigen ebenen Figuren nebst Pythago- 
reischem Lehrsatz, vom Kreise, Propor- 
tionalität und Ähnlichkeit, vierte und 
mittlere Proportionale. 2. Die rech- 
nende Planimetrie : Berechnung von ge- 
raden Linien und ebenen Figuren, nebst 
Rektifikation und Quadratur des Kreises, 
Algebraische Geometrie, Trigonometrie. 
B. Stereometrie. III. Elemente der 
Kegelschnitte, nach analytischer und 
synthetischer Methode. Dies der Inhalt. 
Die Darstellung ist klar und deutlich, 
und beigefügte geschichtliche Bemerk- 
ungen können nur dazu dienen, das In- 
teresse zu erhöhen. Uberall, namentlich 
in den Hauptteilen I. und II., ist das 
Bestreben sichtbar, die einzelnen Ab- 
schnitte in systematischer Ordnung auf 
einander folgen zu lassen, und es wäre 
wohl bezeichnender, wenn auf dem Titel 
„systematisch" statt „heuristisch" stände. 
Die Reihenfolge in der Arithmetik stimmt 
fast ganz genau mit dar von Meyer 
Hirsch eingehaltenen überein, nur hat 
dieser noch die Kettenbrüche, während 
die Proportionen fehlen. Der Verfasser 
hat dieselben an eine auffallend späte 
Stelle gesetzt, und es ist einleuchtend, 
das8 der Schüler die „Proportional" — 
Teile in den Tafeln der Logarithmen, 
deren Lehre vorangeht, nicht verstehen 
kann, wenn er von Proportionen noch 
nichts gehört hat. Offenbar hätten 
letztere besser ihre Stelle hinter der 
Division gefunden. In der Planimetrie 
bezeichnet der Verfasser den wesentlich 
auf Anschauung basierten Teil als „con- 
struetive Planimetrie", eine Benennung, 
unter welcher man leicht die selbstän- 
dige Lösung von Constructions- Aufgaben 
auf rein geometrischem Wege (nicht die 
geometrische Deutung und Darstellung 
algebraischer Ausdrücke) verstehen 
könnte, während doch gerade hierüber 
das Buch nichts enthält. Der Pythago- 
reische Lehrsatz hätte gewiss seinen 
Platz richtiger in der „rechnenden Pla- 
nimetrie" gefunden, denn er vor allen 
ist es (und gerade darin besteht seine 
Wichtigkeit), durch den der Übergang 
aus der anschaulichen Geometrie zur 
Rechnung vermittelt wird. Auch wird 
diearithmeti8cheGestaltAB 2 =AC 2 -j-BC a , 
in welcher derselbe ausgesprochen ist, 
an der Stelle, wo dies geschieht, schwer- 
lich verstanden werden, da von der Be- 
P&d&gogische Studien III. 



rechnung der Fläche eines Quadrates 
vorher noch nicht die Bede gewesen 
ist. In dem rechnenden Abschnitte aber 
wäre gröfsere Ausführlichkeit und eine 
Anzahl von Zahlen- Beispielen wohl zu 
wünschen gewesen, da dem Anfänger 
gerade der Übergang aus der Anschauung 
zur Rechnung, und die Ausführung der 
letzteren , namentlich wegen der Be- 
nennungen, oft ungeahnte Schwierig- 
keiten bietet. Indessen, das sind Dinge, 
welche dem Gebrauche des Werkes an 
Gvmnasien, für welche dasselbe bestimmt 
ist, nicht hinderlich sein können. 

Wichtiger ist die Frage, wie der 
Verfasser das Buch verwendet sehen 
will. Gewiss ist derselbe der Ansicht, 
dass auf der Schule nicht erst Arith- 
metik und sodann die Geometrie be- 
handelt wird, sondern dass beide neben- 
einander hergehen, wie denn nach den 
neuesten Bestimmungen an Gymnasien 
die Geometrie in IV, die Arithmetik in 
Illb beginnen soll. Vom wissenschaft- 
lichen Standpunkte aus ferner ist ja das 
Verlangen nach einer systematischen 
Gliederung völlig berechtigt, allein die 
Schule hat auch pädagogische Rück- 
sichten zu nehmen und diese collidieren 
nicht selten mit ersterem. Denn, und 
Referent, der auf eine vieljährige Lehr- 
tätigkeit zurückblicken kann, hat oft 
genug Gelegenheit gehabt, es zu er- 
fahren, nur dasjenige Wissen hat in den 
Augen des noch nicht gereiften Schülers 
Wert, nur das wird von ihm in succum 
et sanguinem verwandelt, nur dasjenige 
Wissen haftet bei ihm, welches entweder 
von der Anschauung unterstützt wird, 
oder sich alsbald in ein Können und 
eine Fertigkeit umsetzen lässt, für Syste- 
matik aber fehlt bei seinem north auf 
das Einzelne gerichteten Blicke Sinn 
und Verständnis. Dies stellt sich erst 
mit den Jahren ein, und erst in oberen 
Classen und von einem Abiturienten 
kann allerdings Einsicht in die syste- 
matische Gliederung des Lehrstoffes er- 
wartet werden. Da sich nun der Ver- 
fasser über die Art und Weise des 
Gebrauches seines Buches nirgends aus- 
spricht, da ferner in dem Vorworte zur 
11. Auflage gesagt ist, bei Fachmännern 
sei jetzt (1866) ziemlich allgemein die ♦ 
Ansicht vertreten, „dass ein Leitfaden 
in systematisch geordnetem Zusammen- 
hange dem Schüler den Lehrstoff nach 

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Form und Inhalt fertig darzubieten habe", 
und da endlich ebendaselbst Bezug ge- 
nommen wird auf das dem Referent un- 
bekannt gebliebene Prüfungsreglement 
vom 4. Juni 1824, nach welchem Zweck 
und Ziel des mathematischen Unterrichtes 
auf Gymnasien gewesen ist, dass der 
Schüler „eine kleine Einsicht in den 
Zusammenhang sämtlicher Sätze des 
systematisch geordneten Vortrags er- 
lange", so möchte man vermuten, der 
Verfasser habe einen solchen systema- 
tischen Vortrag geben wollen, in der 
Absicht, dass genau nach demselben 
unterrichtet werde. Allein dies würde 
offenbar mit Schwierigkeiten verbunden 
sein. Denn nicht allein bei den kubi- 
schen Gleichungen, sondern bereits bei 
den dem vorliegenden Lehrbuche nach 
frühe zu behandelnden imaginären Zahlen 
wird Trigonometrie als bekannt voraus- 
gesetzt, der Lehre von den Proportionen 
ist, wie erwähnt, ein sehr später Platz 
zu teil geworden, und doch kann ohne 
Kenntnis derselben der Abschnitt über 
die Ähnlichkeit, die vierte und die mitt- 
lere Proportionale nicht verstanden wer- 
den; die Lehre von den Gleichungen 
wird sich kaum so weit hinausschieben 
lassen, als hier geschehen ist, und in 
der „rechnenden Planimetrie" wird sie 
schon als fast vollständig bekannt vor- 
ausgesetzt, es müsste also dann die 
Arithmetik bereits nahezu vollendet sein. 
'Wäre hingegen die Ansicht des Ver- 
fassers die, der Lehrstoff solle oder 
brauche nicht in der hier gebotenen 
Reihenfolge durchgenommen, es könne 
Manches umgestellt, übergangen oder 
auf eine spätere Zeit verschoben werden, 
so möchte zu bedenken sein, dass durch 
" jede Abweichung das System durch- 
löchert und hinfällig werden würde und 
es entstände dann die Frage, ob es nicht 
rätlicher gewesen wäre, den Lehrstoff 
in einzelne Curse, nach den verschie- 
denen Graden der Reife, zu verteilen 
und so zu ordnen, wie er wirklich be- 
handelt werden kann. Um dem weiter 
vorgerückten Schüler eine systematische 
Übersicht über das Gelernte zu ver- 
schaffen, hätte ja eine solche am Ende 
der Arithmetik und der Geometrie auf 
einigen Seiten gegeben werden können ; 
und eine Umarbeitung des Buches in 
diesem Sinne wäre um so unbedenk- 
licher gewesen, als in dem auch vom 



Verfasser im Vorwort zur 12. Auflage 
erwähnten neuen Lehrplan für Gvmna- 
sien vom 81. März 1882, p. 16, 24-25 
von „System" nirgends, wohl aber von 
,', Gewandtheit", „Anschauung", „Wissen 
und Können" die Rede ist. Welches 
aber auch die Ansicht des Verfassers 
sein möge, jedenfalls hätte es nur im 
Interesse des Buches gelegen, wenn sich 
derselbe über die Art und Weise des 
Gebrauches seines Werkes ausgesprochen 
hätte. 

Von Einzelnheiten seien nur er- 
wähnt der ärgerliche Druckfehler „ Appol- 
lonische Kegelschnitte" auf dem Titel, 
während auf p. 265 richtig steht „Apol- 
lonisch", ferner die Anwendung des jetit 
doch nur noch selten angewandten Na- 
mens „der Triangel" statt „das Dreieck", 
und endlich bei Regeln der häufige Ge- 
brauch von „wenn" statt „indem", z.B. 
„Eine Differenz wird addiert, wenn man 
etc.", „Potenzen von gleichem Grund- 
faktor werden multipliciert, wenn man 
etc.", statt „indem man". Im Übrigen 
sei noch bemerkt, dass im Buche die 
neue Orthographie zur Anwendung ge- 
kommen ist. 

Eisenach. 

Prof. H. Weifsenborn. 

III. 

Stumme Elementar • Wandkarte von 
Deutschland , bearbeitet von Kreis- 
schulinspektor Dr. Rückert. Sechs 
Blätter, Mafsstab 1 : 1000000. Berlin 
1885. Verlag von Dietrich Reimer. 
Preis in Umschlag 5 Mark. Auf Lein 
wand in Mappe 11 Mark, mit Stäben 
14 Mark. 
Die vorliegende Karte ist deshalb 
von hohem Werte, weil sie das Princip 
der Vereinfachung nicht nur, wie das 
zu geschehen pflegt, in dem Empfeh- 
lungsschreiben der Verlagsbuchhandlung 
zur Schau trägt, sondern in Wahrheit 
mit anerkennenswerter Energie durch- 
führt. Die Karte bringt wirklich nur 
das, was der elementare Unterricht ver- 
werten kann. Sie ist also den wenigen 
bis jetzt vorhandenen Wandkarten bei- 
zuzählen, die in der That leer er- 
scheinen. Nur insofern muas ich eine 
abweichende Meinung konstatieren, als, 
und dies ist auch meine Ansicht, mit 
Namen versehene Karten den stummen 
vorzuziehen sind, indem die ersteren 



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- 51 — 



eine gesteigerte Selbsttätigkeit des 
Schülers zulassen. Vielleicht hätten 
Städte wie Iglau, Gleiwitz, Rovereto, 
dann eine Reihe von Städten in West- 
falen und der Rheinprovinz, sodann 
einige Flüsse, wie Meurthe, Sauer, Lenne, 
Bartsch, Schwarzwasser, Pilika, San, 
Dunajec, Arva, Hernad, dem genannten 
Princip zum Opfer fallen können; denn 
wenn auch die genannten Flüsse nicht 
eingeprägt werden sollen, so beeinträch- 
tigen sie doch als Abzweigungen die 
scharfe Erfassung der Hauptströme und 
ihrer Richtungen. 

Eine Vereinfachung liegt weiter in- 
sofern vor, als auf unserer Karte die 
physikalischen und politischen Verhält- 
nisse vereinigt zur Darstellung gelangt 
sind. Nun ist ja selbstverständlich eine 
getrennte Behandlung der Klarheit der 
Auffassung dienlicher; aber wie wenig 
Schulen sind doch nur in der glück- 
lichen Lage, allein nach diesem Ge- 
sichtspunkte ihre Ausgaben einzurichten! 
Die Klarheit der Darstellung ist im 
übrigen dadurch möglichst gewahrt, 
dass nur die Grenzen koloriert sind, so 
dass die Färbung des Tieflandes z. B. 
dominiert. 

Eine weitere Vereinfachung finde ich 
auch darin, dass für Darstellung der 
politischen Verhältnisse Deutschlands 
nur sieben verschiedene Farben zur An- 
wendung gelangt sind, indem die Grenzen 
der Grofsherzogtümer, der Herzogtümer 
etc. je mit der gleichen Farbe bezeich- 
net worden sind. Auch einer über- 
sichtlichen Auffassung wird damit ein 
grofser Dienst erwiesen; nur die Klar- 
heit der politischen Verhältnisse Thürin- 
gens dürfte durch diese Behandlung in 
etwas beeinträchtigt sein. 

Es sei noch rühmend hervorgehoben, 
dass die Flüsse in einer Stärke gezeich- 
net sind, welche einen Klassenunterricht 
zulässt. Der Verfasser hat sich nicht an 
das Vorurteil gekehrt, welches leider vor- 
zügliche Fachleute noch immer den für 
den Unterricht, zumal in grofsen Klassen, 
nun einmal unentbehrlichen bedeutenden 
Übertreibungen entgegenbringen. 

Als Unrichtigkeit ist mir aufgefallen 
die Zeichnung des Oberlaufes der Lippe. 

Die Karte sei bestens empfohlen. 



IV. 

6rundri8S der Geographie für höhere 
Lehranstalten vonDielitz & Hein- 
richs. Dritte Auflage, besorgt von 
Dr. J. E. Heinrichs, Professor am 
Königstädtischen Realgymnasium zu 
Berlin. Altenburg, H. A. Pierer. 1885. 
Das Buch hat vor andern einen Vor- 
zug dadurch, dass es den üblichen No- 
tizenkram, z. B. bei Städten, möglichst 
beschränkt; sogenannte „Merkwürdig- 
keiten-' treten nicht auf. Denn entweder 
der Schüler kennt dieselben, dann kann 
er sie aus seinem Wissen hinzuthun, 
oder aber er kennt sie nicht, dann ist 
das geographische Lehrbuch nicht dazu 
da, um solche Einzelheiten zu lehren. 

Bei Aufzählung der Menschenrassen 
sind die Malayen nicht rubriziert (S. 65), 
obschon sie später auftreten. 

Das Buch ist nicht in konzentrischen 
Kreisen geschrieben ; ebenso auch nicht 
desselben Verfassers 

Geographischer Leitfaden für die unteren 
Klassen (Sexta und Quinta) höherer 
Lehranstalten, mit 15 in den Text ge- 
druckten Kartenskizzen. Derselbe Ver- 
lag. 1884. 

Dieser Leitfaden steht zwar, wie die 
Vorrede beweist, insofern auf einem 
falschen Standpunkte , als wohl das 
Zeichnen an der Wandtafel durch den 
Lehrer, nicht aber das Zeichnen des 
Schülers selbst als Forderung auftritt; 
abeT dieser Standpunkt würde leicht 
verbessert werden können durch das 
einfache Fortlassen der für den „zeich- 
nenden" Schüler wertlosen und zum 
Teil (vgl. S. 35) wenig übersichtlichen 
Kartenskizzen. Der Schüler soll die 
Wandkarte benutzen und selbst Skizzen 
zeichnen unter Anleitung des Lehrers; 
die im Text vorgezeichneten dürften etwa 
den Eselsbrücken an Wert gleichstehen. 
Es würden in dem brauchbaren Büch- 
lein nach Streichung dieser Skizzen 
auch die störenden, auf sie bezüglichen 
Buchstaben aus dem Text entfernt wer- 
den können. 

Durch die systemartige übersicht- 
liche Zusammenstellung wird die Brauch- 
barkeit wesentlich erhöht. 

Der vorgenannte Fehler wäre auch 
hier zu verbessern. 

Als besonderer Vorzug des Leit- 

4* 



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fadens sei noch erwähnt, dass die Un- 
art, einzelne Abschnitte, z. B. die die 
Städte enthaltenden, klein zu drucken, 
vermieden ist. Diese Unart — man 
vermutet unwillkürlich die Ansicht: bei 
den Städten darf sich der Schüler die 
Augen verderben — findet sich sowohl 
in dem oben angeführten „Grundriss" 
als auch in 

V. 

Kleine Geographie. Für die untrere 
Lehrstufe in drei Jahreskursen ent- 
worfen von Dr. Sophus Rüge, ord. 
Professor der Geographie und Ethno- 
logie am kgl. Polytechnikum zu Dres- 
den. Zweite verbesserte Aufl. Dres- 
den, G. Schönfeld. 1884. Pr. 2 Mark. 
Dieses Buch läset die Übersichtlich- 
keit des Heinrichsschen Grundrisses 
vermissen, dafür ist es sparsamer mit 
Aufzählung von Städten. 

Unverständlich sind die eingestreuten 
Fragen; z. B. S. 14: „Die Grenzen 
der Mark Brandenburg sind? Wenn 
die Grenzen (vgl. auch bei den andern 
Provinzen) auf der Karte aufgesucht 
werden können, so brauchen z. B. auch 
die Flüsse der Mark nicht genannt zu 
werden. Geradezu unstatthaft aber finde 
ich die Beschreibung geographischer 
Objekte im Lehrbuche, welche durch 
einen Blick auf die Karte erkannt werden 
können; z. B. a. a. O. „Von Süden her, 
von der linken Seite, nimmt die Havel 
die Spree auf und mündet selbst dann 
in die Elbe"; S. 136: „Der Tajo ent- 
springt . . . ., fliefst über die Hochebene 
von Neukastilien, wendet sich nach 
seinem Eintritt in Portugal gegen Süd- 
westen, erweitert sich vor seiner Münd- 
ung zu einem See und ergiefst sich 
unterhalb Lissabon ins Meer." Durch 
solches Vorsagen wird noch etwas 
Schlimmeres erzeugt als Papiergeo- 
graphie: Leitfadengeographie. 

Am unglücklichsten erscheint die 
Behandlung der sogenannten allgemeinen 
Geographie in ihrer Verteilung auf die 
drei Jahreskurse. Im zweiten Jahres- 
kursus wird (S. 74) von den Völkern 
der Erde gesprochen, von Malaien, Mon- 
golen, von Nomaden, Jägern etc., ob- 
gleich Asien , Amerika erst im dritten 
Kursus auftreten, nur Deutschland ist 
vorausgegangen. Was dann die Ver- 
teilung des Stoffes anbelangt in betreff 



der Beziehung der einzelnen Teile zu 
einander, so möge ein Beispiel genügen. 
S. 60 und S. 156 finden wir die gleiche 
Überschrift: „Das Meer und seine Strö- 
mungen" (IL und HI. Kursus). In dem 
ersten Abschnitt heifst es: „Das schwere, 
kalte Wasser zieht auf solche Weise in 
den Tiefen des Meeres von den Polen 
nach dem Äquator, wo infolge der grösse- 
ren Erwärmung an der Oberfläche viel 
mehr Wasser verdunstet und Wolken 
bildet. Das leichte, erwärmte Wasser 
fliefst wiederum nach den Polen ab. So 
entsteht der grofse Kreislauf der Ge- 
wässer im Ocean." Im zweiten ist zu 
lesen: „Das leichte, warme Meerwasser 
fliefst an der Oberfläche, das schwere, 
kalte zieht in die Tiefe. Das kalte 
Wasser strebt von den Polen nach dem 
Äquator, das warme von dem Äquator 
nach den Polen." 

Kann die „Kleine Geographie für die 
untere Lehrstufe" (es wird nicht ange- 
geben, welcher Schulen) nicht ein gutes 
Hilfsbuch genannt werden, so kann auch 
der folgende Altlas nicht als für die 
Hand des Schülers passend bezeichnet 
werden. 

VI. 

Atlas für sieben- und achtklassige Volks- 
und für Bürgerschulen. Bearbeitet 
von Prof. R. Trampler. Approbiert 
vom hohen k. k. Ministerium ' für Cul- 
tus und Unterricht. Ausgabe für 
Kärnten. Wien 1882. Druck und 
Verlag der kaiserlich-königlichen Hof- 
und Staatsdruckerei. 
Dieser Atlas mag einem Bürger des 
Kaisertums Ostreichs, speciell des Her- 
zogtums Kärnten und der Stadt Klagen- 
furt gute Dienste leisten, für die Schule 
passt er nicht. Es fehlen ihm fast alle 
neuerdings geforderten Merkmale eines 
Schulatlasses, als dasind: Beschränk- 
ung des Stoffes, zumal in Volksschulen, 
auf das Notwendigste ; möglichste Über- 
sichtlichkeit und Einfachheit der Dar- 
stellung; wenn irgend möglich, Aus- 
einanderhalten der physikalischen und 
politischen Verhältnisse ; einheitlicher 
oder doch leicht vergleichbarer Mafsstab 
der einzelnen Karten etc. 

Es sind im Ganzen 86 Karten, da- 
von gehören 17 (!) nach Ostreich. 

Gut sind die physikalischen Kar- 
ten von 1. den Ländern der ungarischen 



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— 53 - 



Krone ; 2. der östreichisch - ungarischen 
Monarchie ; 3. dem deutschen Reich und 
4. von Europa. Auf diesen Karten treten 
die physikalischen Verhältnisse in voll- 
kommener Schärfe hervor. Um so auf- 
fallender freilich ist, dass in den neben- 
stehenden politischen Karten doch die 
Darstellung dieser Verhältnisse — das 
Übrige verdunkelnd — wieder auftritt; 
und um so auffallender, dass sowohl die 
übrigen Länder Europas, als auch die 
andern Erdteile solcher klaren Darstell- 
ung völlig entbehren Es ist geradezu 
unmöglich, die vertikale Gliederung 
Spaniens , Amerikas etc. zu erkennen. 

Als unrichtig ist mir aufgefallen die 
dunklere Schraffierung des Südwest-Ab- 
hanges vom Thüringer Wald, während 
doch gerade der entgegengesetzte Abhang 
der steilere ist. 

Eisenach. Dr. Göpfert. 

VII. 

1. IJto) rov vvv öt) 7iooat]xovrog r\atv 
joig "EXi-^ai Jidaoxukt(ov. Rede, ge- 
halten bei Gelegenheit des Einweih- 
nngsfestes des Lehrerseminars in 
Kerkyra vom Direktor Herrn Ch. 
Papamarkos im Jahre 1882. 
Zunächst betont der Verfasser die 
Bedeutung eines Seminars in Kerkyra, 
sodann berührt er die Frage, warum die 
Schulen vor dem hellenischen Freiheits- 
kriege (vom Jahr 1821 — 1827) so herr- 
liche und tüchtige Früchte trugen, ob- 
gleich die damaligen Lehrer nichts von 
Ziller, Stoy u. s. w. wussten? Im wei- 
teren kommt er zu dem Schlüsse, dass 
in den Schulen die Hauptsache die Per- 
sönlichkeit des Lehrers (»} f4o$,diu Hhtc$) 
ist, und dass ohne jene die Methode 
allein keinen Wert hat. Ferner betrachtet 
der Verfasser die Schwierigkeiten, gegen 
die jedes Seminar in Griechenland zu 
kämpfen hat. Als die bedeutendste be- 
zeichnet er die, dass die Vorbildung 
der in das Seminar eintretenden Schüler 
zu dürftig sei, denn sie brächten weder 
aas der Familie, noch aus der Schule, 
noch aus der bürgerlichen Gesellschaft 
was Würdiges mit, was doch bei der 
deutschen und englischen Jugend der 
Fall sei; und doch müsse das Seminar 
alle diese Lehramtskandidaten zu er- 
ziehenden Lehrern bilden. Indem nun 
der Verfasser nach den Mitteln, diesen 
Zweck zu erreichen, sucht, findet er sie 



in einer guten Auswahl sowohl des 
Direktors als auch der übrigen Lehrer; 
dieselben müssten sich nicht nur in 
Worte» , sondern durch die That den 
Schülern beständig als Muster erweisen 
und dürften nicht Wert legen auf den 
trockenen Buchstaben, sondern auf die 
Gesinnungsbildung, nicht auf viele Kennt- 
nisse, sondern auf solche, welche die 
Tugend fördern. 

Ferner weist der Verfasser den Ge- 
danken zurück, welchen manche ausge- 
sprochen haben, die Seminare könnten 
mit den Gymnasien verschmolzen werden. 
Er spricht weiter kurz über Stoff und 
Methode im allgemeinen, über die jedem 
Fach zuzuweisende Stundenanzahl, über 
die Verteilung der Disciplinen auf die 
verschiedenen Klassen des Seminars, über 
die Seminarschule, über die Einrichtung 
der Letzteren in Preufsen, im Königreich 
Sachsen, in Württemberg und in Kothen, 
und er schlägt vor, wie die Seminar- 
schnlen in Griechenland in sich das beste 
vereinigen müssten, was sich in den 
schon erwähnten findet. Er schliefst 
mit einem sehr patriotischen Epiloge 
über die Verfolgungen, denen das Grie- 
chentum besonders von Seiten der Slaven 
ausgesetzt ist, und den schweren Ver- 
pflichtungen, welche infolge dessen die 
Griechen auf sich zu nehmen haben. 

Zu bemerken ist, dass der Verfasser 
sich als sehr bekannt mit den alten 
Schriftstellern zeigt ; er fuhrt oft zur Er- 
gänzung oderUnterstützung seiner Worte 
passende Aussprüche aus denselben an. 

2. IJfol ruv tili' 'hvov rij<; tk).r\viSoq 
Vio).n(aq SiSnaxulov. Rede, gehalten 
bei Gelegenheit der öffentlichen Prüf- 
ungen des Lehrerseminars in Kerkyra 
vom Direktor Ch. Papamarkos im 
Jahre 1883. 
Vor der eigentlichen Rede stehen 
Schulnaclirichten. Aus denselben er- 
fahren wir, dass von den 26, welche die 
zum Eintritt ins Seminar nötige Prüfung 
bestanden hatten, zur Bildung der unter- 
sten Klasse nur 20 angenommen wurden, 
und dass von diesen 12 dem freien 
Griechenland angehörten, die übrigen aus 
Jannina und anderen Orten des gegen- 
über von Kerkyra liegenden unterjochten 
Griechenlands. Es folgt ein Verzeichnis 
der Lehrer und der Lehrplan. Bemer- 
kenswert ist hierbei der reiche Stoff, 



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- 54 - 



welchen die Schüler in der erwähnten 
Klasse aus der griechischen Litte ratur 
durchgearbeitet haben, nämlich: Das I. 
Buch der Anabasis, die erste olyntbische 
Rede des Demosthenes, das I. Buch der 
Cyropädie, von Plato das 28. Kapitel 
des Protagoras, das 18. bis 22. Kapitel 
des Menexenos, das 1. Kapitel des II. 
Buches und die 2 ersten Kapitel des VII. 
Buches der Gesetze, von Aristoteles das 
meiste aus der Schrift TIiqi xoauov 7iQog 
*4).{sarö(>or , Stücke aus Xenophons 
Memorabilien und aus Lucian, und von 
Simonides aus Amorgos die Dichtungen 
nt(tl yvriuxöit'. 

Sodann kommt der Verfasser zur 
Behandlung seines Themas, wie wohl ein 
echter Lehrer der hellenischen Jugend 
beschaffen sein müsse, und daher be- 
kommt er Veranlassung einen solchen 
zu zeichnen und dasjenige auszuführen, 
was die Seminarlehrer bei der Erziehung 
der ihnen von dem Staat anvertrauten 
Zöglinge zu erlangen sich bestrebt haben. 
Die Kichtigkeit seiner Ansichten stützt 
der Verfasser hier auch meistens auf 
die alten Schriftsteller, besonders auf 
Plato. Als Hauptroittel zur Bildung der 
Jugend nach dem vorher vom Verfasser 
gezeichneten Bilde stellt er das ernst- 
haft betriebene Studium der alten Schrift- 
steller hin, was auch von Plutarch in 
den Worten ausgedrückt • worden ist: 

„TO ^U« ( UJ'»JO* OÜ(U Xtti ffttt /ttQOJV ffltlV, 

o>i juuhattt dvvttxöv ioriv, tob; loyovs 

TW»' JllÜMÜV, ßllOlXtXU)TÜ.Tl]V <$LUT(tlßtlV 

Tjyovfttvor. 

Hieraufsetzt der Verfasser die Dienste 
auseinander, welche die hellenischen 
Studien geleistet haben und den meisten 
civilisirten Nationen, sowie auch jeder 
anderen, die eine gewisse Kultur zu er- 



reichen strebt, noch leisten. Für die 
Hellenen selbst müssten diese Studien 
viel tiefere und allgemeinere sein, was 
jetzt nicht der Fall sei. Ferner verur- 
teilt der Verfasser die gebräuchliche 
Art, wie der erwähnte Unterricht be- 
trieben werde; derselbe nehme mehr 
Bücksicht auf die Form als auf den vor- 
züglichen Inhalt. Hierauf tadelt der 
Verfasser, in schöner bilderreicher Bede- 
weise fortfahrend, mutig, obgleich bitter 
und streng, diejenigen Lehrer, welche 
den hellenischen Sprachunterricht nur 
auf die trockene Grammatik beschränken, 
die doch nur als ein Schlüssel betrachtet 
werden darf. Aber diesen Schlüssel 
wollen sie nicht benutzen, um in die 
wundervollen Tempel einzutreten, die 
von Sapphiren und Diamanten glänzen, 
und worin sie den Geist der Zöglinge 
empor bis zu Gott sich erbeben lassen 
und in den Seelen derselben die Tugend 
befestigen könnten. 

Es folgt eine Anrede an die Schüler, 
welche geeignet ist, die Seelen jedes 
Lehrers fortzureissen. Denn wie in einem 
Panorama führt der Verfasser vor den 
Geist desselben die herrlichsten Punkte 
der hellenischen Geschichte von der 
Schlacht bei Marathon an bis zu den 
Kriegsthaten Karaiskaki's und Koloko- 
troni's, und von Themistokles bis Miaulis, 
welcher in dem Freiheitskriege vor etwa 
60 Jahren neuen Ruhm den hellenischen 
Meeren brachte. Dieser Anrede folgt 
eine andere an den Genius des helleni- 
schen Volkes; derselbe möchte immer 
die Seele jedes Hellenen erleuchten und 
erwärmen. — Möge der Wunsch in Er- 
füllung gehen! 

Th. Michalopulos aus Athen. 



Fr. Junge, Gcschichtsrepetitionen für die 
oberen Klassen höherer Lehranstalten. 
Berlin 1885, Franz Vahlen. 
Herr Direktor Junge ist der Heraus- 
geber der deutschen Geschichte von 
David Müller, welche wir eben angezeigt 
haben. Seine „ Geschichtsrepe titionen" 
sind hervorgegangen aus den längeren 
Erfahrungen, welche er als Geschichts- 
lehrer in Prima und Sekunda gemacht 
hat. Sie stehen zwischen dem Lehr- 



D. Anzeigen. 



buch und der Geschichtstabelle und 
wollen den Auszug des Schülers aus 
dem Lehrbuch der Geschichte , wo 
nötig, ersetzen. Es ist nicht zu leugnen, 
dafä die vorliegenden Repetitionen eine 
vortreffliche Stütze gewähren können 
für eingehende Wiederholungen. Die 
Anordnung, Gliederung etc. ist eine sehr 
übersichtliche, durch stärkeren Druck 
und gesperrte Schrift in die Augen 
springende. 



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I. 



Bemerkungen 

zu der Schrift des Herrn Dr. E. von Sallwürk: Handel und 
Wandel der pädagogischen Schule Herbarts. 

Vom Herausgeber. 

Im 4. Heft 1883 d. Z. schrieb der Herausgeber zu der bekannten 
Schrift des Herrn Dr. Frick in Halle Bemerkungen, die als eine Be- 
grüfsung des neuen Bundesgenossen für Verbreitung herbartischer 
Pädagogik betrachtet werden konnten *) ; im heutigen Hefte fühlte der 
Herausgeber sich wiederum veranlafst, Bemerkungen zu schreiben, aber 
diesmal gegen die Abhandlung eines alten Genossen und Mitarbeiters 
an dieser Zeitschrift, und in einem Sinne, welche als Trennung von 
demselben gelten können. Der Herausgeber ist sich bewufst, dafs er nicht 
die Schuld daran trägt; aber ebensowenig wie diese Zeitschrift zu den 
Abhandlungen Fröhlichs, Bartels' u. a. schweigen durfte, ebensowenig 
konnte die vorliegende Brochüre von ihr unberttcksicht bleiben. Mögen 
die nachstehenden Bemerkungen eine, ebenso freundliche Aufnahme 
finden, wie die des 4. Heftes im Jahre 1883! 

1. Was ist der Zweck dieses Schriftchens? Unwillkürlich drängte 
sich nach dem Durchlesen desselben diese Frage auf meine Lippen. 
Ist er etwa in dem Satze des Vorworts ausgesprochen: „Es stünde 
besser mit allen unseren Angelegenheiten, wenn wir Thatsächliches 
genauer erkennen und aufrichtiger bekennen wollten?" Nun gebe ich 
hierin dem Herrn Verfasser vollkommen Recht, sobald wir unter dem 
Thatsächlichen das rein Sachliche begreifen. Da die Schrift aber auch 
einen grofsen Teil persönlicher Angelegenheiten in sich fafst, so sehe 
ich nach dieser Seite hin nicht ein, wie unsere Angelegenheiten dadurch 
könnten gefördert werden. Ich meine vielmehr, dafs sie durch Herein- 
ziehen persönlicher Dinge gehindert werden, indem alle, die sich mit 



*) Ueber die rege Thätigkeit des Hallenser Seminars siehe Dr. Frick und 
Richter, Lehrgänge und Lehrproben. V. Heft 1885, Seite 106 ff. 

Pädagogisch« Studien. IV. 1 



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herbartischen Gedanken befruchten wollen, durch öffentliche Darstellung 
persönlicher Zwietracht unter den Bekennern unmöglich angezogen 
werden können. Für unsere zahlreichen Gegner aber, die gerade jetzt 
den Zeitpunkt flir gekommen erachten, die Verbreitung herbartischer 
Ideen mit allen Mitteln einzudämmen, wird die neueste Schrift des 
Herrn Verf. ein ebenso hoch willkommener Bundesgenosse sein, wie es 
dessen frühere Brochüre „Herbart und seine Jünger" thatsächlich ge- 
worden ist. Man mufs nur gehört und gelesen haben, wie oft dieselbe 
namentlich in neuerer Zeit von den Gegnern der herbartischen Sache 
im Munde geführt ward und welche Pfeile daraus von ihnen geschnitet 
worden sind. Der Herr Verf. beabsichtigte dies gewiss nicht; vielmehr 
wollte er eine Mahnung zum Frieden und einen Vorschlag zur Ver- 
ständigung geben. Er glaubt, dafs er mit ihr mehr Freunde der 
herbartischen Schule gewonnen habe als diejenigen, die gegen ihn 
geeifert haben; er beruft sich dabei auf die Verhandlungen des Berliner 
Seminarlehrertages. Nun zeigte dieser aber dieselbe Thatsache, die 
ich vorhin angedeutet habe, in der auffallendsten Weise: alles das, 
was der Herr Verf. in seiner Brochüre an einzelnen Männern her- 
bartischer Richtung zu tadeln gefunden hatte, wurde ohne weiteres auf 
alle übertragen und somit ein Vorurteil nicht nur gegen diese — was 
ja zu ertragen wäre — sondern vor allem gegen jede gründliche Be- 
schäftigung mit Herbart erzeugt. Eine Blumenlese aus seinen Werken, 
so fand sich die Versammlung mit dem grofsen Pädagogen ab. 

Immerhin konnte man dazu als erster, wenn auch höchst ungewöhn- 
licher Eingangspforte in die herbartische Pädagogik seine Zustimmung 
geben, der Zukunft und der Kraft der Gedanken vertrauend.*) Eine 
Förderung aber derselben können wir nach den Erfahrungen des letzten 
Jahres in der ersten Schrift des Herrn Verf. nicht erblicken; und 
durch die zweite können wir sie kaum erhoffen. Dieselbe soll eine 
„ Ergänzung zu den Erläuterungen" bilden, wie es im Vorwort heifst. 
Wem von uns wäre eine solche nicht hochwillkommen, vorausgesetzt, 
dafs damit eine Bereicherung und Klärung des Sachlichen geboten 
wird. Wem kann aber mit einer Besprechung und Auseinanderlegung 
persönlicher Details gedient sein? Mit Wonne werden die vielen 
Feinde herbartischer Ideen diese Intimitäten aufgreifen, um daran die 
vermeintliche Unfruchtbarkeit, Zerfahrenheit, Kleinlichkeit und Eng- 
herzigkeit der herbartischen Richtung zu zeigen. 

Aber sollen etwa die persönlichen Verhältnisse ganz versehwiegen 
werden, wie sie sich in dem herbartischen Heerlager abspielen? Warum 
den Vorhang nicht in die Höhe ziehen und aller Welt zeigen, was 
hinter den Kulissen vorgeht? Trägt dies nicht viel zu genauer Kennt 



*) „Zwar will ich nicht halbe Mafgregeln empfehlen; aber da ich weife, wie 
schwer es ist, in der öffentlichen Erziehung auch nur das mindeste zu verbessern, 
so ist mir jeder kleinste Fortschritt sehr willkommen, wäre er auch nur das 
nächste Mittel, um das Bedürfnis dessen, was sich eigentlich gebührt, stärker und 
allgemeiner fühlbar zu machen." (Herbart. Pädag. Gutachten.) 



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— 3 



niß des Thataäohlichen bei? Werden die Männer herbartischer Eich- 
tling nicht selbst etwa dadurch zu Aufrichtigem Bekenntnis ihrer Sünden 
und Vergehungen veranla&t? Ich weiss nicht, ob hierzu die Öffent- 
lichkeit unbedingt nötig ist, aber dies steht mir fest, dafs noch lange 
nicht die Zeit gekommen ist, um die Bedeutung der Persönlichkeiten, 
die in herbartischer Richtung gearbeitet haben und noch arbeiten, im 
Lichte objektiver Beurteilung festzustellen. Dafs dies aber oder etwas 
ähnliches der Herr Verf. beabsichtigt, zeigt der Zusatz auf dem Titel- 
blatt: Eine historisch-kritische Studie. Freilich erinnert uns dies sofort 
an die Auseinandersetzungen auf Seite 55 und an die Anmerkung 
daselbst, in welcher A. Schmids Geschichte der Erziehung als eine 
verfrühte Arbeit erklärt wird. Und als eine solche müssen wir auch 
die vorliegende Brochüre bezeichnen. Oder wäre etwa die Zeit schon 
gekommen, die Bedeutung Stoys und Zillers gegen einander abzuwägen, 
ihre Stellung innerhalb der herbartischen .Richtung zu bestimmen und 
ihren Einfluss auf die Entwicklung und Umgestaltung der von Herbart 
ausgehenden pädagogischen Bewegung genau abzugrenzen ?*) Wer 
möchte es ferner jetzt schon unternehmen, das Eingreifen Dörpfeldß in 
die Arbeit des Herbartianismus historisch und kritisch zu beleuchten? 

Von dieser Seite besehen erscheint uns die Sallwürkscke Brochüre 
als entschieden verfrüht, als Vorarbeit aber zu einer später zu schrei- 
benden Geschichte des Herbartianismus in Deutschland viel zu einseitig, 
weil fast durchweg subjektiv gefärbt und zu wenig in die Tiefe gehend. 
Die nachfolgenden Erörterungen werden den Beweis 211 diesem Satze 
liefern. Will aber der Herr Verf. den genannten Zusatz auf dem 
Titel nicht so ernst gemeint haben, so bleibt mir nur übrig ein zwei- 
faches anzunehmen: entweder hat er den hervorragenden Pädagogen 
Frankreichs, die nach Seite 62 von den querelies d'AUemand, welche 
die herbartische Schule in Deutschland bewegen, nichts wufsten, durch 
seine Brochüre eine sichere Kenntnis vermitteln, oder er hat die Erb- 
schaft Stoys antreten wollen, da er ja selbst Seite 53 sagt: „Ich hatte 
lange gehofft, dafs ein andrer als ich es unternehmen würde, aus den 
Beschränktheiten und Willkürlichkeiten der Zillerschen Schule uns zur 
Freiheit zurückzurufen; aber der, auf den ich, freilich mit mannig- 
fachem Zweifel, diese Hoffnung gesetzt hatte, Stoy, ist nach Vollendung 
seines siebzigsten Lebensjahres gestorben. Das bekannte Schreiben, 
welches er kurz vor seinem Tode aus Veranlassnng der Schrift von 
Bartels über die Anwendbarkeit der Herbart-Ziller-Stoyschen didaktischen 
Grundsätze u. s. w. an diesen geschrieben hat, fallt „ Entscheidungen ", 
wie sie Stoy einstens Ziller vorgerückt hat, ohne Mass und ohne Be- 
gründung.*' Durchaus wahr, aber wä*re es nun nicht richtiger und auch 
vornehmer gewesen, die Erbschaft Stoys in dem Sinne anzutreten, einen 
gründlichen, wissenschaftlichen Beweis für die von Herrn Bartels und 
allen Gegnern herbartischer Pädagogik mit Freude verbreiteten Be- 



*) Vergl. Pädag. Studien 1883, Heft 4, Seite 3 f. 

1* 



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Häuptlingen zu liefern, als neue unbegründete und unbewiesene Vor- 
würfe zu den von Stoy gelieferten zu häufen?*) 

2) Zu diesen Vorwürfen, die in reichlicher Anzahl der Zillerschen 
Schule gemacht werden, gehört gleich der erste Satz der Brochure: 
„Stoys Tod hat seinen Freunden eine schmerzliche Lücke zurückge- 
lassen; er wird aber auch für die Interessen, die wir mit Stoy verfolgt 
haben, verhängnisvoll werden: denn die Besorgnis, dafs die pädago- 
gische Schule Herbarts dem engherzigen Scholasticismus, der ihre wert- 
vollsten Gedanken zu ersticken droht, sich aus eigner Kraft nicht werde 
erwehren können, ist seit Stoys Hinscheiden gegründeter als je ge- 
worden." Ferner: „Die Kräfte, welche unterdessen in der Weiter- 
geBtaltung der herbartischen Erziehungsgedanken thätig waren, verfolgte 
er (Stoy) aufs aufmerksamste; da und dort erwartete er Scheidungen 
und Klärungen, den Durchbruch eines zukunftreichen Gedankens durch 
alle Kleinlichkeiten hindurch, in welche die Schule Herbarts sich 
zu verlieren schien." Auf welche Thatsachen sich der Herr Verf. 
hierbei stützt, weiss ich nicht. Warum soll gerade jetzt der pädago- 
gischen Richtung, die Herbart folgt, die Gefahr des Scholasticismus 
drohen, da doch Stoy, so schmerzhaft sein Verlust für seine persön- 
lichen Freunde gewesen ist, der pädagogischen Wissenschaft schon lange 
nichts mehr sein konnte? Die 2. Auflage seiner Encyklopädie, sowie 
auch seine Schulzeitung, beweist das ja aufs schlagendste. Erstere 
stammt aus dem Jahr 1878. Noch im Jahr 1876 hatte der Herausgeber 
d. Bl. das gute Zutrauen zu Stoy, dafs er sich an der Arbeit des 
Vereins lebhaft beteiligen werde. Daher seine Stellungnahme für den 
Antrag Stoys auf der Generalversammlung zu Jena. Ebenso unerklär- 
lich ist es mir, wie Stoy auf den „Durchbruch eines zukunftreichen 
Gedankens" warten konnte, da es ja Gott sei Dank in der herbartischen 
Pädagogik nicht an Gedanken fehlt — vielmehr daran, wie dieselben 
für die Erziehung und den Unterricht wirksam zu machen sind. 

Ziller hatte deshalb vollkommen Recht, wenn er die bestimmte 
Erklärung abgab, dafs es ihm „vor allem auf die Ausbildung einer 
speziellen Methode des Unterrichts ankomme, welche von unten aufge- 
baut werden müfste." Die grofsen, grundlegenden Gedanken für den 
erziehenden Unterricht waren ja von Herbart ausgesprochen und von 
Ziller erläutert worden. Nun handelte es sich darum, dieselben hinein 
zu bilden in die Praxis des Unterrichts, damit sie sich auch in der 



*) Möglich auch, dafs der Herr Verf. all die Unbill, die er von dem Vorsitzenden 
des Vereins für w. P., Herrn Prof. Vogt, erfahren zu haben meint, im Zusammenhang 
mit anderen Erlebnissen, die er unter den Herbartianern, namentlich seit dem 
Erscheinen seiner ersten Brochure „Herbart und seine Jünger", durchgemacht 
hat, der pädagogischen Welt Deutschlands vorlegen zu müssen geglaubt, da er 
den einzig richtigen Weg, persönlich auf den Versammlungen des Vereins au 
erscheinen und persönlich seine Ansichten vorzubringen, nicht wählen wollte. 
Herr Prof. Vogt hat selbst auf die mannigfachen Angriffe und Vorwürfe in dem 
Nachstehenden, S. 16 f, geantwortet. 



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— 5 — 

Erziehung unseres Volkes wirklich fruchtbar erweisen konnten. Das 
ist eine grosse, mühselige Arbeit und ein langer, mühevoller Weg. 

.Freilich ist in den Augen des Herrn Verf. alles das, was die Zil- 
lersche Schule darin geleistet hat — von dem, was die Schüler Stoys 
auf diesem Felde gearbeitet haben, hören wir nichts — „Formalismus" 
(S. 6), „Kleinlichkeiten" (S. 2), mühselige Kleinlichkeit, welche Zillers 
Schule und Schüler auf den Ausbau der Lehre von den formalen Stufen 
verwendet haben, die der Sache, d. i. der gesunden Ausbildung der 
Schulpraxis und der Verbreitung der Herbartschen Lehre wesentlich 
geschadet hat (Seite 12). Seite 13 wird bedauert, dafs „in der Ziller- 
schen Schule fortab alle erdenklichen Materien in die Stampfmühle dieses 
formalen Mechanismus herabgeworfen worden sind, so dafs manchmal der 
Stoff, der also verarbeitet wird, kaum mehr zu erkennen ist" etc. Ahn- 
lich heilst es auf Seite 38: „Aber es ist nun einmal die Verblendung 
der Zillerschen Schule, dafs sie den Dingen, die Natur und Wissenschaft 
zur Erziehung der Menschheit ihr vor Augen stellen, Wesen und Aus- 
sehen nicht lassen kann. Man schneidet nicht aus ganzem Holze und 
baut nicht aus Baum und Stein: alles ist Zurichtung, alles mufs kunst- 
gerecht zerlegt, zerstückelt und zermalmt werden — und so ist der un- 
leugbar grofse Gedanke der Herbartschen Pädagogik, wonach die Ge- 
schichte der Menschheit jeden einzelnen Menschen wieder zu dem bildet, 
was seine Bestimmung ist, schmählich ins Kleine und Kleinliche ge- 
zogen !'* Man vergleiche hierzu noch die Ausführungen auf Seite 42: 
„Das ist das Ende jeder Scholastik" und „diese Pädagogik sinkt zur 
Donquichoterie hinunter". Seite 44 wird wiederum von den „Klein- 
künsten der Methode im Zillerschen Sinne" gesprochen, Seite 48 von 
den „kanonischen Büchern der Zillerschen Schule". Weiterhin (Seite 52) 
hält es der Herr Verf. nicht für angezeigt, „dafs der didaktische Mecha- 
nismus der Zillerschen Schule den pädagogischen Markt so sehr in Be- 
schlag nehme, dafs die Grundgedanken Herbarts dadurch verdunkelt 
werden". Diese Verdunkelung fürchtet der Herr Verf. auch schon auf 
Seite 4, wo es heifst: ,.Aus dem Eifer, mit dem viele Lehrerversamm- 
lungen in letzter Zeit mit Zillers formalen Stufen sich befafst haben, 
sehe ich, wie in der That durch den didaktischen Mechanismus der Ziller- 
schen Schule der wertvollste Gehalt der Herbartschen Pädagogik ver- 
dunkelt worden ist".*) Das sind harte Worte. Sie richten sich im 
wesentlichen gegen die Theorie von den formalen Stufen, also gegen 
das Bestreben, die Durcharbeitung der Lehrstoffe an der Hand der 
Herbartschen Psychologie tiefer zu begründen, die Notwendigkeit 
der Aufeinanderfolge der einzelnen Schritte klarer auseinander zu legen, 
diese selbst aber der Verschiedenheit der Lehrstoffe angemessen zu ge- 
stalten. Von vielen Seiten ist gerade dieser Teil der herbartischen 



*) Stoy selbst und seine Schüler haben niemals Präparationen veröffentlicht, 
— wenigstens kenne ich keine — deshalb sind sie auch wohl von dem Tadel 
der Verdunkelang herbartischer Gedanken verschont geblieben. 



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Arbeit — die Durcharbeitung des Stoffes im einzelnen — aufs freu- 
digste anerkannt, gebilligt und angenommen worden. Von hier aus 
treten viele in das Herbart - Zillärsche System ein. Der Herr Verf. 
freilich lehnet ans dieser Thatsache sofort den Vorwurf ab: es werde 
dadurch der wertvollste Gehalt deT Herbartschen Pädagogik verdunkelt. 
Als ob man bei der Lehre von den formalen Stufen stehen bleiben 
müfste, Und als ob von hier aus der Weg nicht weiter führe zu den 
gehaltvollsten Fartieen der Herbartschen Lehre! Dafs dies der Fall sei, 
haben die Herausgeber der Schuljahre immer und immer wieder betont.*) 
Sie haben darauf hingewiesen, dafs man nicht glauben solle, in diesem 
einen Punkte etwa die Summe der Herbart-Zillerschen Pädagogik er- 
fasst zu haben; sondern man mtifse vielmehr von hier aus immer den 
Bück auf das Ganze richten , von dem die Lehre über die Durch- 
arbeitung des Stoffes doch nur ein Teil sei; nur in Verbindung mit 
den anderen grundlegenden Ideen der Herbartschen Didaktik könne 
dieser zu rechter Wirkung gelangen. (S. Vorrede zum 8: Schuljahr.) 
Aber vielleicht meint es der Herr Verf. auch gar nicht so schlimm, 
wie er schreibt. Hören wir doch, dass er der Arbeit der Gebrüd'er 
Wiget, von denen der eine eine Monographie Uber die formalen Stufen 
veröffentlicht hat, die demnächst in neuer Auflage erscheinen wird, um 
Wahrscheinlich nach der Meinung der Herrn Verf. den gehaltvollsten 
Teil der Herbartschen Pädagogik noch mehr zu verdunkeln, volle An- 
erkennung zu Teil werden läfst; ebenso den Schuljahren, die doch 
durchweg dem Mechanismus der formalen Stufen huldigen. Lobt er 
doch (Seite 6), dafs die Grundlegung schon die vielfältigen Spuren der 
„treuen Kleinarbeit" zeigen, m Welche Ziller mit d«r Gründung seines 
Seminars eingetreten sei; spricht er doch (Seite 10) von der „wert- 
vollsten und treuesten Arbeit im Kleinen"; sagt er doch (Seite 13), 
dafs die ebenso genial entworfenen, als Uberzeugend ausgesprochenen 
Sätze ans der Stoyschen Encyklopädie Seite 69 eine Ausarbeitung ins 
Einzelne und Kleine durchaus fordern; gieht er doch Ziller ausdrück- 
lich Recht und erkennt er es als ein nicht unbedeutendes Verdienst 
an, dafö die Stufen bei allen „Absätzen" des Unterrichts angewandt 
Werden müssen, einer ächt herbartisehen Lehre (S. Herbarts Pädag. 
Schriften v. Willmann, I Seite 404-^406; H., S. 677 ), wie er auch 
die Forderung einer Zielangabe für richtig hält. Schreibt er doch 
Seite 24: „ZiHer mufste durch sein gründliches und sicheres Wesen 
einen gröfsen Bindruck hervorbringen, und wer bei ihm Belehrung 
suchte, durfte sich seiner Führung auch auf einem- so gaqz neuen Ge- 
biet mit vollem Vertrauen hingeben", während er auf der folgenden 
Seite Ziller den Vorwurf macht, derselbe habe sich in diese Arbeiten 
zu- sehr verloren, urri dann Seite 41 zn erklären, dafs Ziflers „Blick 
und seine ganze wertvolle Kraft auf ein gewaltiges Neues, auf höchst 



*) Vergt PMdag. Stud. 1683, Heft 4? Seite 4; die Einfettung zw 
3. Auflage de» 1. Schuljahre* und das Vorwort zum 8. Schuljahr. 



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bedeutsame gegenwärtig« Arbeit gerichtet sein mnfste, 14 dafs sein Werk 
wie ein „genial entworfener Bauplan nun vor aller Augen gestellt ist 
und das Urteil auch solcher erwarten mufs, die Ahnliches oder viel- 
leicht Besseres auch sonstwo schon gesehen oder gar selbst entworfen 
zu haben glauben." (VergL Seite 29 und 36t.) Und. im Anschluss 
hieran fahrt der Herr Verf. fort: „ Jetzt ist die Arbeit, die geschehen 
mufs, die, dafs Einzelheiten gebessert, in besseres Licht gesetzt, viel- 
leicht auch beseitigt und daneben bewiesen werde, warum der Plan 
gerade so und nicht anders entworfen werden mutete, wenn er dem Be- 
dürfnis, welches ihn veranlagst, entsprechen wollte." Sehr einverstanden. 
Und sind alle die, welche in Zillerschem Geiste arbeiten, nicht redlich 
bemüht, mit Ehrfurcht zu hüten, was der Meister geschaffen, aber auch 
unbefangenen Blickes Änderungen vorzunehmen, wenn sie notwendig 
sind, wie es der Meister selbst so oft gezeigt? Der Herr Verf. meint, 
die Ziüersche Schule könne sich nicht enischliefsen, aus ihren engen 
Geleisen herauszutreten und, was der Meister ihr hinterlassen hat, auch 
einmal unbefangenen Blickes von aufsen zu betrachten. Abgesehen 
davon, dafs diese Geleise gar keine engen sind, ist vielmehr zu be- 
fürchten , dafs sie so erweitert werden, dafs man den ursprünglichen 
Weg kaum noch erkennen kann. Wie wenig die Gefahr des Scho- 
lastreismus, Formalismus, Schematismus, Mechanismus denen droht, die 
im Geiste Zillers arbeiten, möge man z. B. aus den neuesten Arbeiten 
von Beyer und Zillig erkennen, von denen der erstere die Zillersche 
Kulturreihe vollständig in Frage stellt, der zweite eine einschneidende 
Änderung an derselben vorhat Auch an die fach wissenschaftlich, wie pä- 
dagogisch bemerkenswerte Schrift des Herrn Matzat in Weilburg möge 
hier erinnert werden: Methodik des geographischen Unterrichts, welche 
eine eigenartige Anwendung der formalen Stufen enthält. Wo aber 
solche frische, fröhliche Arbeit herrscht, wo sich die verschiedensten 
Geister in harter Arbeit abmühen, im Hinblick nach oben, d. h» zu 
den grofsen Gedanken der herbartischen Pädagogik, und im Blicke 
nach unten, d. h. in die mühselige Einzelarbeit für die Praxis der ver- 
schiedenen Schulen Erziehung und Unterricht in gesunde Bahnen zu 
lenken — da ist man von allem toten Schematismus, von aller herz- 
tötenden Scholastik weit entfernt. Der Herr Verf. giebt dies ja auch 
zu. Nachdem er ausgesprochen (S. 63), dafs alles, was für Herbart 
arbeite, nach der Zillerschen Richtung hinneige, föhrt er fort: „Der 
Gewinn, eine gut kodifizierte Pädagogik zu besitzen, die in den Grund- 
ansehauungen richtig ist, kann grofs genug erscheinen, um über einige 
schiefe Folgerungen und bedenkliche Interpretationen hinwegzusehen, 
und das würden wir wenige, die wir außerhalb stehen, gern auch thun." 
„Aber, heifst es weiter, es werden ganz falsche Anschauungen in die 
Pädagogik Herbarts hereingetragen und, was an ihr entwicklungsbe- 
dürftig ist, dadurch, dafs man freie Luft und das klare Licht des Tages 
ausschliefst, gewaltsam verkümmert." Wer sind, so fragen wir, die 
Missethäter? Auf, stellen wir sie an den Pranger — aber erst müssen 



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wir um die Namen bitten, sonst, furchten wir, wird es ein Kampf 
gegen Windmühlen, den der Herr Verf. ja so sehr verabscheut. 
(Seite 42.) 

3. Verfolgen wir nun die Reihe der Vorwürfe weiter, so stöfst 
uns Seite 17 die Behauptung auf, dafs in der Zillerschen Schule eine 
Art Indifferenz gegen sachliches Wissen, insbesondere gegen das philo- 
logische vorhanden sei, welche zu dem unleugbaren sittlichen Ernste 
ein widerliches Gegenbild abgebe. »Den schlimmsten Gegner wird die 
Zillersche Schule in ihrer eignen Mitte finden: ein Protest gegen die 
Wissenschaft ziemt sich nicht für den Vorstand eines Vereins für wissen- 
schaftliche Pädagogik." (Seite 19.) Die angeführte Schwäche sei frei- 
lich zu einem Teile Herbartsches Erbe. Gleich darauf reinigt allerdings 
der Herr Verf. Herbart von solchem Vorwurf und nimmt ihn gegen 
Willmann in Schutz. Ebenso will er Ziller selbst nicht tadeln, obwohl 
derselbe eine Stelle in dem Aufsatz von Ballauff über Grafsmanns 
Wissenschaftslehre ohne alle Bemerkung gelassen habe. (Jahrbuch 1878, 
191 und 192.) Aber es war ein solcher Zusatz auch nicht nötig, da 
Seite 193 ausdrücklich gesagt wird: „Aus den letzten Worten geht 
schon hervor, dafs der Verf. den fremdsprachlichen Unterricht für die 
höheren Schulen keineswegs verwirft etc. Wie könnte man auch einem 
Manne einen derartigen Vorwurf machen, der, wie Herr von Sallwürk 
selbst zugesteht, in seiner Grundlegung ganz vortrefflich von der Philo- 
logie geschrieben hat? Da trifft also nicht die Meister, sondern die 
„Schule" der Vorwurf. Aber wer ist das? Nach Ansicht des Herrn 
Verf. in erster Linie Herr Prof. Vogt. 

4. Dieser ist es auch, welcher Veranlassung zum nächsten Vor- 
wurf bietet: „ Mangel an historischem Sinne ist Uberhaupt eine Eigen- 
tümlichkeit der Zillerschen Schule." (Seite 39 und Seite 54 f.) Herbart 
selbst soll für die Geschichte früherer Zustände im Unterrichts- und 
Erziehungswesen geringes Interesse gehabt haben. Dafs derselbe jedoch 
willig und nachdrücklich anerkannt hat, dafs seine Vorgänger auf dem 
Gebiete der Pädagogik auch schon bedentende Arbeit geleistet haben, 
dafür bürgen seine Aufsätze über Pestalozzi, seine bekannten Aussprüche 
Uber Niemeyer u. a. Ebensowenig kann man Ziller Mangel an histo- 
rischem Sinn vorwerfen. Wie viel Material der Vergangenheit in der 
Grundlegung niedergelegt und verarbeitet worden, möge man beispiels- 
weise aus dem § 7 der Grundlegung erkennen. Wer denselben auf- 
merksam gelesen hat und dann noch von „ einer Abneigung Zillers 
gegen historische Betrachtung der Dinge" sprechen kann, der beweist 
damit, dafs er keinen freien, vorurteilslosen Blick besitzt. Und will 
Jemand den Schülern Zillers einen Vorwurf machen, so verweisen wir 
nur auf Langes Apperzeption, Thrändorfs Methodik des Religionsunter- 
richts, Wigets formale Stufen, Justs Arbeit über Pestalozzi. Auch die 
Verfasser der Schuljahre waren auf Schritt und Tritt bemüht , alles 
das in den Bereich ihrer Bestrebungen zu ziehen, was brauchbares und 
tüchtiges von Nicht-Herbartianern geleistet worden ist. (S. Vorrede 



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zum 8. Schuljahr.) Ferner ist uns unverständlich, wie man die Be- 
hauptung aussprechen kann, die Aufstellung der kulturhistorischen Stufen 
für den Unterricht sei bei Ziller hervorgegangen aus einem Mangel an 
historischem Sinn. Dafs dieselben der eingehenden Begründung noch 
entbehren, das ist richtig und oft ausgesprochen worden. Oft auch 
wurde darauf hingewiesen, dafs gerade in diesem Punkte, der mit der 
Konzentrationsidee Zillers aufs engste zusammenhängt, grofse, weit- 
reichende und tiefgehende Aufgaben für die Nachfolger des Leipziger 
Pädagogen gegeben sind, deren Lösung fleifsiger, umfassender Arbeit 
noch vorbehalten ist. Wie wenig Recht aber der Herr Verf. hat, wenn 
er sagt, dafs „ diese Dogmen (die kulturhistorischen Stufen betr.) urteils- 
los und mit der Forderung, dafs jeder sich diesen nun einmal fest- 
stehenden Satzungen unterwerfe, weiter getragen" würden, zeigen die 
neuesten Arbeiten der Zillerschen Richtung, die ich oben schon erwähnt 
habe. Wenn der Herr Verfasser in seiner früheren Brochure S. 13 
für unsere Vereinsharmonie nicht eben noch ein paar frische Disso- 
nanzen, sondern nur etwas weniger Eintönigkeit wünschte, so ist sein 
Wunsch mehr als hinreichend erfüllt worden. Er braucht ja nur an 
die oben genannten Arbeiten, an die naturwissenschaftliche Diskussion, 
an die Auseinandersetzung mit Dörpfeld und an anderes zu denken. 
Wäre man nicht vielmehr berechtigt zu wünschen, im Interesse der 
Verbreitung herbartischer Ideen, bei aller Verschiedenheit im einzelnen 
gröfsere Einheit in den Grundgedanken? Ebenso hinfällig ist die Be- 
hauptung des Herrn Verf. S. 40 : „ Ganz unhistorisch ist bei ihm (Ziller) 
und seiner Schule auch die Forderung strengster Konfessionalität in 
den Erziehungsanstalten. Wer wünschte denn nicht, dafs unser religiöses 
Bekenntnis in Deutschland unter eine Form zu fassen wäre, und wer 
will denn auf die Errungenschaft christlicher Bildung verzichten? Aber 
nun sind eben die Verhältnisse nicht so gestaltet, nun haben wir es 
eben mit historisch entstandenen Differenzen zu thun, die durch keine 
Schulweisheit zu beseitigen sind." Eine schärfere Kritik der Simultan- 
schulen ist nie in einem Satze gegeben worden. Ja, es ist wahr, keine 
Schulweisheit vermag historisch entstandene Differenzen zu beseitigen, 
am allerwenigsten auf religiösem Gebiet. Die Simultanschule will aber 
doch nichts anderes, indem sie die historisch gewordenen Differenzen 
im religiösen Bekenntnis gänzlich übersieht und in ihrer Ausgleichungs- 
sucht Kinder der verschiedensten Bekenntnisse in einem Schulorganis- 
mus zusammenfafst. Eine einsichtsvolle Pädagogik dagegen knüpft an 
die thatsächlichen historisch gewordenen Verhältnisse an und sucht die 
Einheit des ethisch-religiösen Gedankenkreises durch den einheitlichen 
Geist der Schule herbeizuführen. Wir setzen diese Einheit bei den 
Kindern nicht schon voraus, wie der Herr Verf. meint, sondern wir 
wollen dieselbe durch mannigfache Veranstaltungen des Unterrichts und 
Schullebens erreichen. Allerdings geben wir uns nicht dem Wahne 
hin, dieselbe auf dem Boden zweier so scharf gegenüberstehender 
religiöser Bekenntnisse, wie des Katholizismus und des Protestantismus, 



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herbeiführen zu können — ein so unhistorisches Gebahren — von 
pädagogischen, nationalen und religiösen Gründen ganz abgesehen — 
überlassen wir sehr gerne denen, die in der Simultanschule das Ideal 
der Schuleinrichtung und das Heil der Erziehung in Deutschland sehen. 
Uebrigens ist die Forderung „strengster Konfessionalität", welche der 
Herr Verf. Ziller und seiner Schule unterschiebt, nie erhoben worden. 
Wir halten es mit Dörnfeld, welcher in seinem Gutachten Uber die 
Simultan- und Konfessionsschulen am Schlüsse schreibt: „Nicht die 
simultane Schule, sondern die konfessionelle, d. i. die einheitliehe, ist 
die Normalschule. Aber nicht die Konfessionsschule wollen wir, welche 
unter den bekannten alten Gebrechen und Mifsständen seufzen mufs; 
wir wünschen und erstreben diejenige, welche nach den Forderungen 
der Pädagogik — wie sie im 4. Teil der genannten Brochure (Gütersloh, 
Bertelsmann 1878) angegeben sind — eingerichtet und verwaltet wird.*) 

5. Dafs der Herr Verf. bei aller Anerkennung Ziller doch nicht 
gerecht werden kann, zeigt die Auseinandersetzung über die lateinischen 
Einheiten S. 39 ff. „Um Zillers Brust zogen die lateinischen Einheiten 
dreifaches Erz." Kennt der Herr Verf. nicht die Erläuterungen zum 
Jahrbuch 1882 (XIII. Jahrgang)? Hier erklärt Ziller: „Ich bin sehr 
gern bereit, mein analytisches Material fallen zu lassen, wenn mir 
besseres dafür geboten wird." Ebensowenig berechtigt ist der Vorwurf, 
dafs alles, was in der Zillerschen Schule mbezug auf den ersten Latein- 
Unterricht geschrieben worden, ,, durchaus ein gelungener Versuch" 
hätte sein müssen. In den genannten Erläuterungen wird ausdrücklich 
ausgesprochen, dafs diese Versuche nicht gelungen seien. Die ange- 
führten Erläuterungen beweisen übrigens aufs schlagendste, dafs der 
Herr Verf. unrecht hat, wenn er, wie es an mehreren Stellen seiner 
Brochure hervortritt, die Zillerschen Arbeiten als Dogmen, als kanonische 
Bücher hinstellt, wenn er sagt, dafs der Meister in den letzten Jahren 
seines Lebens auch für seine willkürlichsten Thesen unbedingte Obser- 
vanz verlangt habe. Denn gerade inbezug auf die lateinischen Ein- 
heiten machte sich eine sehr starke Opposition gegen den Meister geltend, 
und nicht etwa von einem Fernstehenden, sondern von einem seiner 
treuesten Schüler, von Günther. Alle diese Punkte, die eingehende 
Kritik der bez. Zillerschen Arbeit etc., hätten doch in einer sachlichen 
Besprechung des ersten Lateinunterrichts nicht fehlen dürfen. **) 

Auch an einer anderen Stelle thut der Herr Verf. Ziller bei aller 
sonstigen Anerkennung sehr unrecht. Seite 48 nennt er den Streit 
gegen Dittes „eine traurige Erbschaft Zillers". Warum nicht Stoys? 
Dies wäre viel richtiger gewesen. Denn Ziller wurde bekanntlich von 



*) Gegen die bekannte Schrift des Professors Gneist, welche zu zeigen 
unternahm, dafs die sogen, konfessionelle Schale, die katholische und die evan- 
gelische, in Preussen nicht zu Recht bestehe, sondern nur auf den Verwaltungs- 
inafsregeln der Behörden beruhe, erschien neuerdings vom Professor Bierling 
in Greifswald „Die konfessionelle Schule in Preufsen und ihr Recht". (Gotha 1885.) 

**) 8. Prick u. Richter, Lehrproben und Lehrgänge, 5. Heft, No. 6. 



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Dittes mit der Drohung herausgefordert , es würde, wenn Ziller seinen 
Angriffen nicht antworte, von dem Jahrbuch im gröfseren Publikum 
keine weitere Notiz genommen werden (Jahrbuch X, 8. 267), während 
Stoy mit seinen Aufsätzen „Ein Schulstreikeprediger" etc. Dittes pro- 
voziert hatte. Und haben etwa in dem neuesten Streite mit Dittes 
die Anhänger der Herbart-Zillerschen Pädagogik den Kampf begonnen? 

Man* möchte beinahe glauben, dafs der Herr Verf. dieser Meinung 
sei. Denn er sagt Seite 41: „Was an kritischer Schärfe keine Ver- 
wendung (in der Zillerschen Schule) findet, wird gegen die Vulgär- 
pädagogen sportweise in Wirkung gesetzt" und Seite 37: „Dafs man 
sich aber Feinde und geborene Widersacher dichtete, um ihnen mit 
den vielschneidigen Waffen Zillerscher Methode zuzusetzen, beweist, 
dafs man in sich einen Überschufs an Schärfe und Kraft fühlte, der- 
nicht gesund sein konnte." Gewöhnlich pflegt man den Überschufs an 
Schärfe und Kraft für ein Zeichen lebhaft pulsierenden Lebens und 
frischer Gesundheit zu halten. Es ist auch zuzugeben, dafs diese 
Schärfe und diese Kraft sich hie und da in etwas ttberschiefsender 
Weise Luft gemacht hat, in keinem Fall aber trifft dies die polemischen 
Arbeiten aus der neueren Zeit, zu denen die Anbänger Zillers genötigt 
wurden. Oder hätte man z. B. auf die Angriffe Kuonis, Rifsmanne, 
Fröhlichs, Bartels' u. a.*) einfach schweigen sollen? Würde man da 
nicht sofort gesagt haben: Seht da die Schwäche der Herbartianer; sie 
geben ihre Sache verloren; sie wagen keine Verteidigung! Wir 
bedauere es aufrichtig, dafs die Herbart-Zillersche Richtung in den 
letzten Jahren so oft zum Schwert greifen mufste und die friedüehe 
Arbeit verlassen. Wer aber aufmerksam und vorurteilsfrei der ganzen 
Bewegung gefolgt ist, kann ihr ehre Schuld dafür nicht beimessen. 
Wünschenswert wäre es nur gewesen, dafs noch mehr Von denjenigen, 
welche die Überzeugung besitzen, <£afe die herbartisehe Pädagogik dem 
durch sie afngeregten Bedürfnis wissenschaftlicher Sicherheit zu genügen 
imstande ist, sieh an der Zurückweisung der Angriffe und an der Ver- 
teidigung der grofsen Gedanken, die von Herbart ausgegangen sind, 
beteiligt hätten, statt die Schwierigkeiten durch Zank und Hader gegen 
die Freunde zu vermehren. 

Die vorliegende Brochure, deren Titel wohl vom Standpunkt des 
Herrn Verf. glücklich gewählt ist, insofern dem „Handel und Wandel" 
von vornherein etwas Verletzendes anhaftet, thut dies in der That. Sie 
wirft, wie Stoy einst Waitz vorgehalten, der Herbartscben Schule, bevor 
sie sich nur recht gebildet, Steine in den Weg, die allerdings nicht so 
schwer sind, als dafs sie nicht beseitigt werden könnten. Wir kommen 
damit auf unser zweites, oben abgegebenes Urteil: Als hastorisch-kritiscbe 
Studie gefafst, wiegt die vorliegende Brochure entschieden zu leicht. 
Auffallend ist schon, dafs der Herr Verf. so viel mit „scheint" operiert, 
wo doch bestimmte Angaben nötig sind. Z. B. Seite IV: Dieser Ge- 

*) Siehe Päd&gog. Stud.: Gegen Herbart. 1880, 2. Heft; 1883, 1. Heft. 
4. Heft efc. 



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fahr scheint mir die Zillersche Schale entgegen zu gehen; Seite 2: 
. . . ,, durch alle Kleinlichkeiten hindurch, in welche die Schule Herbarts 
sich zu verlieren schien"; Seite 6: „das Buch, das uns Zillers wert- 
vollste Schöpfung zu sein scheint" ; Seite 7 : „Die vielbesprochenen 
Regulative Stiehls, denen wir heute pädagogischen Wert nicht absprechen 
können, schienen damals — 1854 — wie ein Reif auf die hoffnungs- 
reiche Saat der deutschen Volksschule gefallen zu sein"; Seite 20: 
„Die erste litterarische Kundgebung dieses Kreises scheinen die Monats- 
blätter für wissenschaftliche Pädagogik, herausgegeben von Ziller und 
Ballauff, gewesen zu sein"; S. 23: „das Bedürfnis .... scheint dem 
sächsischen Schulmanne von je nahe gelegen zu haben"; Seite 30: 
„Zu vollem Rechte schienen und scheinen mir die sogen, klassischen 
Sprachen bei Ziller nie gekommen zu sein"; S. 35: „Typischen Aus- 
druck schien mir diese Art, den Außenstehenden zu begegnen, in der 
Schrift gefunden zu haben" etc.; S. 43: „Welches seine erste Schul- 
schrift gewesen ist, vermag ich nicht anzugeben; doch scheint er am 
frühesten allgemeineres Aufsehen erregt zu haben" etc. etc. 

Eine historisch-kritische Studie verträgt sich nicht mit solcher Un- 
bestimmtheit, aber ebensowenig auch mit Urteilen, welche nicht hin- 
reichend begründet sind. Das ist aufserdem absolut unherb artiseb. 
Schon die Schrift „Herbart und seine Jünger" leidet an dem genannten 
Fehler. So heifst es Seite 4: „Neuerdings ist jedoch an Stelle dieses 
Eiters ein Eifern getreten, ein unruhiger streitbarer Geist, ein kampf- 
fertiges Zusammenscharen in kleinere Heerlager." Der konkreten Unter- 
lagen, aus denen solch wegwerfendes Urteil abstrahirt wird, sind es 
nur zwei: Die Schrift Hartmanns über den Verbalismus und der Artikel 
Wigets über den Weimarischen Seminarlehrertag. In der vorliegenden 
Schrift leitet der Herr Verf. aus einer Erfahrung sehr unangenehmer 
Art, die er an einem seminaristisch gebildeten Lehrer aus der Ziller- 
sehen Schule machen mufste, abfallige Urteile her, deren Hinfälligkeit 
augenscheinlich ist. Man braucht nur auf die stattliche Reihe tüchtiger 
Leute zu bücken, die denselben Bildungsgang durchgemacht, eifrige 
Schüler Zillers waren und vorzügliche Arbeiter auf pädagogischem Felde 
wurden, um die Haltlosigkeit der aus einem einzigen konkreten Fall 
abstrahierten Urteile einzusehen. (S. auch die Urteile über die säch- 
sischen Schulen, Seite 22 f.) 

Noch ein anderer Punkt mufs hier berührt werden. Seite 33 fragt 
der Herr Verf.: „Was gehört denn dazu, um endlich einmal als Her- 
bartianer zu gelten? Etwa alles unterschreiben, was man im Leipziger 
Lokalverein für wissenschaftliche Pädagogik gut findet?" Diese Fragen, 
aus denen offenbar eine starke persönliche Gereiztheit spricht, die in 
einer historisch-kritischen Studie nicht am Platze sein dürfte, möchte ich in 
ein ruhigeres, objektiveres Fahrwasser lenken und so umformen: „Was 
gehört denn dazu, um als Glied der Zillerschen Schule, von welcher 
in der Brochure so viel die Rede ist, zu gelten? Aber was ist denn 
eigentlich diese Zillersche Schule? Nach dem Satz Seite 53: „Zur 



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Zeit gravitiert alles, was für Herbart arbeitet, nach der .Zillerscben 
Schule", wäre man vielleicht berechtigt, alle dahin zu rechnen, die 
gegenwärtig in der herbartischen Richtung arbeiten, also auch Schüler 
Stoy8, sowie Dörpfeld, Frick, Leutz u. a. Aber daran kann der Herr 
Verf. nicht denken, sonst würde ja der Satz Seite 53 ganz unbegreif- 
lich sein, wo er sagt, er habe lange gehofft, dafs ein anderer als er 
selbst aus den Beschränktheiten und Willktirlichkeiten der Zillerscben 
Schule zur Freiheit zurückrufen würde. Der Herr Verf. denkt sich 
offenbar einen kleinen engen Kreis, dem z. B. die Verfasser der Schul- 
jahre nicht zugerechnet werden, da sonst die über dies litterarisehe 
Unternehmen gefüllten Urteile (S. 48) auch nicht recht begreiflich wären. 
Aber wo ist denn die Grenze, wo die Zillersche Schule aufhört und 
der Kreis für die Proselyten des Thores beginnt? Diese Grenze möchte 
schwer zu bestimmen sein. Hat man doch schon gesagt, dafs die 
Zillersche Schule viel zu wenig Schule sei, um mit Nachdruck ihre 
Ideen verbreiten zu können, dafs zu viel Selbständigkeit, eigene An- 
sichten, zu viel Leben und Freiheit unter den Anhängern Zillers 
herrsche. Dem gegenüber macht sich der Herr Verf. ein ganz anderes 
Bild ; er denkt sich eine Art Koterie oder Klique , was aus dem ' Satz 
Seite 44: „dafs Dörpfeld sich an die Zillersche Schule nicht bedingungslos 
ausliefern würde , war vorauszusehen", hervorgeht. Davon kann ja 
überhaupt gar keine Rede sein. Eine Zillersche geschlossene Partei, 
an welche eine „Auslieferung" möglich wäre, existiert überhaupt nicht. 
Es giebt eine Reihe von Männern, die bemüht sind, nach bestem 
Wissen und Gewissen in Herbart-Zülerschem Geiste zu arbeiten, und 
die grofsen erzieherischen Gedanken dieses Systems zu verbreiten je 
nach Geist und Gaben, die dem einzelnen geworden, in individueller 
Freiheit, nicht gefesselt durch Dogmen der Schule, nicht beschränkt durch 
äufsere Vorschriften, allein gebunden durch die Forderungen der Wissen- 
schaft. Etwas anderes wollen wir nicht; uns ists nicht um Personen, 
sondern allein um die Sache zu thun:*) Die fruchtbaren Gedanken der 
herbartischen Pädagogik nun endlich hineinzubringen in die Praxis 
unserer Schulen, damit die Nation auch etwas davon habe, nachdem 
seit dem ersten Aussprechen derselben nahezu 80 Jahre vorübergegangen 
sind. In solchem Sinne warten wir auf den „Durchbruch" der grofsen 
Ideen, welche von Herbart ausgingen. 

Aber ist es nicht eigentümlich, dafs eine historisch-kritische Studie 
fortwährend mit einem Begriffe operiert, der gar nicht zu fassen ist, 
der also im voraus hätte umgrenzt werden müssen, damit nicht 
fortwährend Unklarheiten und Widersprüche sich ergeben? Aber auch 
da, wo es nicht an Klarheit der Begriffe fehlt, mangelt die Tiefe der 

*) In der Biographie Jessens über Dittes (s. nachstehende Mitteilungen) be- 
gegnen wir der entgegengesetzten Ansicht, wie sie eben unter den Feinden der 
herbartischen Pädagogik allgemein üblich ist. Es hat aber niemals eine solche 
Koterie bestanden, wie sie Herr Jessen sich erfindet. Eine authentische Geschichte 
des Pädagogiums wird dereinst Licht in diese Dinge bringen. 



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Auffassung. 80 giebt der Herr Verf. z. B. eine Charakteristik Stoys 
und Zillers in scharfer Gegenüberstellung (Seite 10) — aber den 
Hauptunterschied beider Naturen bat er nicht getroffen*), so wenig er 
die Bedeutung der beiden Hauptwerke, der Encyklopädie und der 
Grundlegung, in richtigem Mafse erkannt hat. Denn selbst zugegeben, 
dafs die Urteile inbezug auf die Form richtig sind, so kann doch hierin 
unmöglich der Unterschied beider Werke gesehen werden. Es dürfte 
überhaupt wegen der gänzlichen Verschiedenheit im Zweck und in der 
Anlage nicht leicht eine Parallele zwischen den genannten Büchern zu 
ziehen sein. Während die Encyklopädie ein Buch voller Fragen, ist 
die Grundlegung ein Werk voller Antworten. Ein vortreffliches Bei- 
spiel giebt ja der Herr Verf. selbst Seite 11 und 12: „Möge nun die 
didaktische Statik das Nebeneinander und die Propädeutik das Nach- 
einander der Unterrichtsstoffe, gleichsam die beiden Dimensionen des 
Unterrichts bestimmt haben; immer noch liegt in dem Verhältnis der 
ungeheueren Ausdehnung des möglichen und notwendigen Stoffes zu 
den engen Grenzen der Zeit und der Kraft eine Nötigung eigentüm- 
licher Art zunächst negativen Inhalts. Es erhebt sich die gebieterische 
Forderung, alles, was nur irgend die Aufnahme oder die Wieder- 
erweckung, kurz die Regsamkeit und Verdichtung der Vorstellungs- 
reihen hindern könnte, um jeden Preis entfernt zu halten, woraus dann 
konsequent die Aufgabe hervorgeht, es mögen alle nur denkbaren Ver- 
anstaltungen getroffen werden, damit durch Einheit in den Grundlagen, 
Anschlufs des Verwandten, Vereinigung des sich Ergänzenden Zeit und 
Kraft erspart, Intensität des Unterrichtsresultats erstrebt werde. Das 
zu erörtern ist die Aufgabe von der didaktischen Lehre von der Kon- 
zentration." Weiter geht Stoy nicht, fügt der Herr Verf. hinzu, und 
wir geben ihm gern hierin Recht. Auch darin, dafs Stoys bekannte 
Sätze von der Konzentration als einer Symphonie, in welcher zwar zu 
verschiedenen Zeiten einzelne Stimmen tonangebend voranschreiten, 
dann aber zurücktretend andern Platz machen, endlich aber doch alle 
insgesamt zu einem grofsen Strome sich vereinigen", eine Ausarbeitung 
ins einzelne und kleine durchaus erfordern, wenn die Praxis des Unter- 
richts Nutzen daraus ziehen soll. Eine solche Ausarbeitung darf man 
freilich nicht von einem erwarten, der die Ansicht äufsert: „Wir 
meinen, es wäre dem Gesänge wohler in der Erziehungsschule, 
wenn er ganz und gar ohne alle methodische Kette nebenher gehen 
könnte." Das ist allerdings die einfachste Art von Didaktik, die es 
geben kann — herbartisch ist sie aber nicht. 

Noch manches andere könnte Stoff zu kritischer Bemerkung bieten, 
z. B. das, was über Magers Stellung zu Herbart gesagt worden ist, 
über Dörpfelds didaktischen Materialismus, eine Schrift, die nicht, wie 



*) Eine ganz schiefe Auffassung von Zillers Wesen zeigt sich z. B. in der 
Behauptung Seite 11, dafs Ziller eine nicht unbegründete Angst vor Stoys leb- 
hafter Art, so lange dieser im Verein f. w. P. noch erschienen sei, gehabt habe! 



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es Seite 44 heifst, vom „ersten Schuljahr" ausgeht, sondern von einer 
zeitgeschichtlichen Betrachtung. Biese soll zunächst ein arges Schulübel 
vor Augen fuhren, einen Kulturfeind ersten Ranges. Der zweite Teil 
der genannten Schrift bringt dann die Besprechung des „ersten Schul- 
jahres* 1 , welche nach Dörnfeld Gelegenheit bieten soll, die zur Aus- 
treibung dieses Feindes erforderlichen Mittel genau kennen zu lernen. 
Mancherlei auch hätte ich zu dem zu sagen, was der Herr Verf. über 
meinen früheren Standpunkt, über die Schuljahre und die Studien an- 
gegeben hat. Aber es widerstreitet mir, hier so persönliche Dinge 
zu besprechen, da ich nicht einsehen kann wozu. Ebenso ist es auch 
gut, von anderem zu schweigen, da eine Verständigung bei der Ver- 
schiedenheit der Auffassung doch nicht möglich ist, wie z. B. darüber, 
ob der Vereinsvorstand nicht die Pflicht gehabt habe, eines schmäh- 
lich angegriffenen, hochverdienten Mitgliedes und Freundes sich an- 
zunehmen. (Seite 60.) 

Der Herr Verf. ist, ehe er die vorliegende Schrift veröffentlichte, 
zum zweiten Mal aus dem Verein ausgetreten. So sehr ich dies vor 
dem Bekanntwerden derselben bedauerte, so sehr erklärlich finde ich 
diese zweite Trennung, nachdem ich das Büchlein gelesen. Denn dies 
zeigte mir mit gröfster Klarheit, dafs ein längeres Zusammengehen bei 
so grundverschiedenen Ansichten doch nicht möglich sei. Wer die 
durch Ziller und seine Schüler angebahnte Fortbildung der herbartischen 
Lehre für eine Verdunkelung derselben hält, wer so viel an seinen 
Freunden zu tadeln findet, ohne dafs diese sich daraufhin bessern 
wollen, wer wiederum selbst durch das Zusammensein mit ihnen so viel 
erleiden mufs, was ihm nie zur Freude, sondern nur zum Ärgernis 
gereicht, der scheidet sich besser von denselben und überläfst sie ihrem 
Schicksal. 

Die Feinde der herbartischen Unterrichtsreform aber mögen nach 
Herzenslust nun Pfeile aus dem Material, das ihnen in so reichem Mafse 
geboten, schnitzen — die stille und emsige Thätigkeit aller derer, 
welche Einzelheiten, vielleicht auch Kleinlichkeiten des genial entworfe- 
nen Bauplanes bessern und in günstigeres Licht setzen, Änderungen 
vornehmen, wo sie notwendig sind, und ihre Kraft an die Verwertung 
der hohen Ideen, die von Herbart ausgingen, für die Praxis unserer 
Schulen einsetzen, wird ruhig und unbeirrt weitergehen. Hoffen wir, 
zum Segen unseres Volkes! 



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n. 

An die Mitglieder des Vereins für wissenschaftliche 

Pädagogik. 

Herr v. Sallwtirk hat in der eben erschienenen Brochure „Handel 
und Wandel der pädagogischen Schule Herbarts. Eine historisch-kritische 
Studie" auf Grund unrichtiger Thatsachen und Voraussetzungen gegen 
mich inbezug auf meine Pflichten als Vorsitzender des Vereins für 
wissenschaftliche Pädagogik Vorwürfe erhoben, welche mich zu einer 
Berichtigung nötigen. Ich habe im Juli, spätestens August 1882, indem 
ich das trüb gewordene persönliche Verhältnis zwischen Zill er und 
Herrn v. S. ignorierte, letzteren ersucht, am Jahrbuch wieder als Mit- 
arbeiter teilzunehmen. Herrn v. S. war diese Einladung sehr will- 
kommen. Er sandte mir im Januar 1883, d. h. in 5 oder 6 Monaten, 
nicht „in einigen Tagen", wie Herr v. & sagt, eine Abhandlung, nicht 
„einige Zeilen", wie er bemerkt, denn der Titel „Lockes Stellung in 
der Geschichte der Pädagogik" ist kein Titel für eine Notiz. Diese 
Abhandlung gelangte im 15. Jahrbuch zum Abdruck. Gleichzeitig mit 
dieser Abhandlung sandte mir Herr v. S. eine Berichtigung gegen die 
Bemerkungen Zillers in den Erläuterungen zum 13. Jahrbuch S. 65, 
welche ich entweder in das Jahrbuch oder in die Erläuterungen auf- 
nehmen sollte. Für die Veröffentlichung dieser, ungefähr anderthalb 
Druckseiten langen Berichtigung, welche den Anlafs des ganzen Dis- 
senses bildet, glaubte ich die Verantwortung nicht übernehmen zu 
können, weil sie eine Wendung zu persönlicher Kritik nahm. Denn 
für persönliche Kritik, welche ich übrigens vom litterarischen Streit 
unterscheide (vgl. Zillers Ethik S. 197), ist wohl das Jahrbuch über- 
haupt ein unpassender Ort; den Erläuterungen aber für das 14. Jahr- 
buch, deren letzter Teil im Mai 1883 erschien, dieselben einzuverleiben, 
erschien mir, da dasselbe Heft einen ehrenden Nachruf an Ziller ent- 
hielt, unschicklich, und für ebenso unschicklich hielt ich es, dies Herrn 
y. S., da er häufig über den „Ton" spricht, erst auseinanderzusetzen. 
Übrigens habe ich in der Vorstandssitzung vom 14. Mai 1883 in Coburg 
jene Berichtigung und meine Antwort zur Verlesung gebracht, und es 
ist mir weder damals noch die ganze Zeit hindurch ein Wunsch bekannt 
geworden, dafs ich die Berichtigung veröffentlichen solle. Herr v. S. 
aber glaubt, mir Eigenmächtigkeit vorwerfen zu können. In meinem 
Briefe vom 19. Juni d. J. deutete ich, da ich mich dazu genötigt sah, 
auf den Grund der NichtVeröffentlichung jener Berichtigung hin, indem 
ich von persönlicher Empfindlichkeit sprach, die ich mit dem Tode Zillers 
begraben glaubte, aber diesen Teil des Briefes hat Herr v. S., nachdem 
er schon so weit gegangen war, seine Privatsache zu einer öffentlichen 
zu machen und Briefe zu veröffentlichen, verschwiegen. 

Statt nun der Erwägung dieser einfachen Sachlage sich hinzugeben, 
leitete und leitet noch jetzt H. v. S. die NichtVeröffentlichung jener Be- 
richtigung auf dem Wege der Interpretation aus einer veränderten und 



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— 17 - 



dem Wortlaute widersprechenden Auffassung des § 2 der Vereins- 
statnten meinerseits ab, weil ich ihn nämlich darauf aufmerksam ge- 
macht hatte, dafs aus dem Hereinspielen eines in seiner Betrachtung 
enthaltenen jind der ganzen Zillerschen Pädagogik völlig entgegen- 
gesetzten Prinzips Mißverständnisse entstehen können. Eine seltsamere 
Interpretation kenne ich nicht. Sogar das Wort „Hereinspielen" soll 
im anzüglichen Sinne gebraucht worden sein! Ist denn das, was ich 
für geboten hielt, nach Herrn v. S. verboten, nämlich jemanden zu 
verstehn zu geben, dafs er infolge seiner Auffassung möglicher Weise 
in eine unangenehme Lage komme? Vom § 2 der Statuten war gar 
keine Rede und an eine Änderung dieses Paragraphs, habe ich 
nie gedacht; ich habe seiner Zeit an dem Zustandekommen desselben 
seihst mitgewirkt und an einer Beratung teilgenommen, welche zwischen 
Ziller, Stoy und mir im Februar 1871 in Wien in Beziehung darauf 
stattfand. Zur Sache möchte ich übrigens hinzufügen, dafs die Zillersche 
und Herbartsche Pädagogik prinzipiell — dies Wort im strengen 
Sinne genommen — nach meiner Auffassung identisch sind, sofern die 
zahlreichen auf das Lehrplansystem sich beziehenden Zusätze Zillers 
mit den Prinzipien der Herbartschen Philosophie nicht im Widerspruch 
stehen. Auf den prinzipiellen Gegensatz, in welchem Herr v. S. sowohl 
zu Zill er als zu Herbart zu stehen scheint, komme ich zurück. 

Nun behauptet Herr v. S., im Januar 1883 einen zweiten Brief 
mit der Bitte um Aufklärung über meine Auffassung jenes § 2 ge- 
schrieben zu haben. Ich will annehmen, dafs dies weder ein Irrtum 
noch eine Selbsttäuschung, entstanden im Jahre 1884, sei, obschon es 
auffallig ist, in einer für Herrn v. S. persönlich wichtigen Sache eine 
dritthalbjährige Reklamationsfrist vorübergehen zu lassen. Hätte ich 
einen solchen erhalten, so würde ich ihn gewifs sofort beantwortet 
haben. Eine so sinnlose Handlungsweise Jemanden zuzumuten, der 
ihn um die Mitarbeiterschaft ersucht und nach kurzer Zeit in einem 
handgreiflichen Mifsverständnisse ohne Aufklärung läfst, das hätte Herr 
v. S. denn doch unterlassen sollen! Er that es dennoch und glaubt 
jetzt noch überdies berechtigt zu sein, mir eine Vernachlässigung meiner 
Pflichten vorwerfen zu können. 

Zu Pfingsten d. J., da ich die Angelegenheit längst für eine ab- 
gethane Sache hielt, sandte Herr v. S. ein neues Schreiben an den 
ersten Vereinssekretär nach Halle, um endlich den Brief vom Januar 
1883 zu reklamieren und in Form einer Anfrage an die Generalver- 
sammlung eine neue Beschuldigung auf mich zu wälzen wegen meines 
Vorgehens gegen Dittes. Das Schreiben langte in Abwesenheit des 
Herrn Hoffmann, der des Nachts in Leipzig weilen mufste, in Halle 
an und wurde am letzten Verhandlungstage umsomehr übersehen, als 
die Tagesordnung in diesem Jahre nicht erschöpft worden ist. Meine 
Antwort vom 19. Juni, in welcher ich jene Beschuldigung überging- 
und welche selbstverständlich anders beschaffen gewesen wäre, wenn 

Pädagogliche Stadien. IV. 2 



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— 18 - 



ich die nach meiner Meinung seit Längerem als seit Pfingsten geplante 
Veröffentlichung obiger Schrift geahnt hätte, lautet wörtlich wie folgt: 

,,Inbetreff Ihres Schreibens vom Pfingstsonntage 1885 an den 
Sekretär des Vereins f. w. P. habe ich zunächst zu bemerken, dafs ich 
es war, der die Empfindlichkeit, welche zwischen Ihnen und Ziller sich 
entwickelt hatte, ignorierte und Sie zur Teilnahme am Jahrbuch einlud. 
Sie schrieben mir damals (1882), ich baue Ihnen goldene Brücken und 
ich war der Hoffnung, dafs mit Zillers Tod auch jene Empfindlichkeit 
begraben sei und Sie wie früher am Jahrbuch als Mitarbeiter teil- 
nehmen würden. Statt dessen sandten Sie mir mit dem Artikel über 
Locke, der kein Originalartikel im strengen Sinne des Wortes genannt 
werden kann und trotzdem von mir veröffentlicht wurde, eine auf das 
13. Jahrbuch bezügliche Erklärung, aus welcher Ihre persönliche Em- 
pfindlichkeit noch immer hervorleuchtete. Die Verantwortung für die 
Veröffentlichung solcher Dinge mochte ich nicht auf mich nehmen und 
in der zu Coburg abgehaltenen Vorstandssitzung stimmten mir sämtliche 
Herren zu. Dafs ich in der Antwort an Sie gesagt haben sollte, „im 
Verein nichts zuzulassen, was der durch Zillcr ausgebildeten Richtung 
zuwiderlaufe," kann ich nicht recht glauben. Ist ja, abgesehen von 
philosophischen Differenzen, schon der durch mich veranlafste Aufsatz 
von Arendt über Chemie eine Abweichung von Ziller. Im Übrigen 
scheint Ihr Brief dem Ton nach in der Erregung geschrieben zu sein 
und ich weifs nicht, wo ich Anknüpfungspunkte für sachliche Erörte- 
rungen suchen soll. Denn sachlich betrachtet stimmen sie entweder mit 
den im Jahrbuch vertretenen Anschauungen überein, oder sie stimmen 
damit nicht überein; im letzteren Falle treten Sic aus, im ersteren Falle 
bleiben Sie im Verein, aber in keinemFalle sind Rekriminationsbriefe nötig." 

Die in Rede stehende Beschuldigung, welche ich als in der Er- 
regung geschrieben annahm, und welche sich auf mein Vorgehen gegen 
Dittes bezog, wird in der vorliegenden Brochure wiederholt, indem er 
mir geradezu die unehrenhafte Handlung einer Denunziation zuschreibt 
und mich beschuldigt, ich hätte den preussischen Staat aufgefordert, 
er solle gegen Dittes Mafsregeln ergreifen. Aber daran habe ich nicht 
im Entferntesten gedacht. Dafs das Pädagogium in Preufsen verpönt 
ist, ist eine Thatsache, die von mir auch als solche hingestellt und 
von Dittes nicht bestritten worden ist. (Denn wenn er darauf erwidert 
oder erwidern läfst, dafs hervorragende Pädagogen in Preufsen das 
Pädagogium für die gediegenste Zeitschrift „ansehen", so ist eben von 
etwas anderem die Rede.) Aber Jemanden zu einer Handlung aufzu- 
fordern, der sie bereits ausführt, ist eine sinnlose Handlungsweise, die 
mir Herr v. S. abermals zuschreibt. Nicht einmal genötigt wäre ich 
nach Herrn v. S. zum Streit mit Dittes gewesen, obwohl er doch wissen 
mufs, dafs das Jahrbuch die einzige Zeitschrift ist, welche den Ausdruck 
„ wissenschaftliche Pädagogik" auf dem Titel trägt und dafs Dittes den 
Ausdruck „ Wissenschaftlichkeit " eine „ Geschäftsfirma M und ihre Ver- 
treter ein „Gremium" gescholten hat. 



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— 19 — 



Doch ich komme zur Hauptsache. Herr v. S. erzählt selbst in 
der vorliegenden Schrift, dafs er sehr bereitwillig war mit einem Manne 
zusammenzuarbeiten, dessen Schriften ihm wohl bekannt waren, und er 
dokumentirt gleichzeitig, indem von einem Irrtum im Jahre 1882 nicht 
die Rede ist, unter Berufung auf dieselben Schriften eine grofse Ab- 
neigung gegen diesen Mann, d. h. er dokumentirt, dafs er entgegen- 
gesetzter Meinung über mich ist. Diese Thatsache, gegen welche alles 
bisher Gesagte in den Hintergrund tritt, ist in meinen Augen der Be- 
weis dafür, dafs diese historisch-kritische Studie weder eine historische 
noch eine kritische Studie ist, sondern ein Stimmungsbild, welches 
Herr v. S. in drei Jahren möglicherweise selbst ungeschrieben wünscht. 
Die Ursache aber der Verstimmung scheint darin zu liegen, dafs Herr 
v. S. durch den Widerspruch, den Ziller in den Erläuterungen zum 
13. Jahrbuch und ich in den Erläuterungen zum 15. Jahrbuch gegen 
seine Ausstellungen erhoben, sich persönlich verletzt fühlte. Aus dieser 
Ursache erkläre ich mir wenigstens die ganze Handlungsweise des 
Herrn v. S. Ich wttfste aber nicht, wie die Verhandlungen in der 
Generalversammlung, in welcher die Gegensätze oft sehr lebhaft auf- 
einanderstofsen, gedeihlich sein könnten, wenn jede sachliche Discussion 
in eine persönliche verkehrt und der Grundsatz nicht anerkannt würde: 
Der Mensch soll sich nicht von der Stimmung beherrschen lassen! Ich 
gebe Herrn v. S. zu, dafs das gedruckte Wort härter erscheinen mag 
als das geschriebene, und dafs, worauf er hindeutet, der gemütliche 
Sprechton in Sachsen, welches auch mein altes Heimatsland ist, Vieles 
im milderen Lichte erscheinen lasse; aber jene Härte ist so häufig 
individueller Zusatz des Lesers und den Unterschied des Tons in dem 
gesprochenen und geschriebenen Wort habe ich auch in andern Ländern 
beobachtet. 

Da nun die Schrift des Herrn v. S. ein Stimmungsbild ist, so ist 
sie nach meinem Dafürhalten nicht auf die scharfe kritische Wage zu 
legen, sondern in schonender Weise zu behandeln (und sollte von den 
Gegnern auch in schonender Weise gelobt werden). Anderseis ist ihren 
einzelnen Sätzen, zumal viele von auffallender Art sind, auch kein 
grofses Gewicht beizulegen. So glaubt Herr v. S. z. B., ich bekämpfe 
die Staatsschulverwaltung als solche und bemerkt übertreibend, dafs 
ich einen „wütenden" Kampf gegen die „böswillige" Staatsverwaltung 
eröffnet habe, während doch der Zusammenhang des im 12. Jahrbuch 
Gesagten das Gegenteil lehrt und auch die nächsten Erläuterungen das 
Gegenteil lehren werden. So giebt er von einer in Universitätskreisen 
sehr bekannten Erscheinung, welche ich mit Wissenschaftsatomistik 
bezeichnete und bezüglich welcher ich auf Zillcrs Ethik S. 384, auf 
eine liede des Kultusministers v. Gerber aus dem Jahre 1882 und 
auf den 1. Satz des 4. Heftes der Frickschen Lehrproben verweise, 
eine Darstellung, welche nicht nur dem Gesagten, sondern auch den 
Thatsachen widerspricht. So gerät er gegenüber der Zillerschen Schule 
und Ziller selbst, seiner Grundlegung und der Idee der Kulturstufen, 

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welche nach meiner Überzeugung ein grofser and gewifs nicht wohlfeil 
zurückzuweisender Gedanke ist, bisweilen in einen nörgelnden Feuilleton- 
stil, während es doch sicherlich zu billigen ist, wenn vom Standpunkte der 
Herbartschen Ide'e der Vollkommenheit gefordert wird, man solle nicht 
in Kleinlichkeiten versinken. Viele Sätze entziehen sich übrigens •> der 
Diskussion, da sie unmotiviert auftreten; auf alle diejenigen aber ein- 
zugehen, welche motivirt werden, bin ich jetzt aufser Stande; ich be- 
gnüge mich, zwei Punkte von prinzipieller Art hervorzuheben, obwohl 
die Motivirung des Herrn v. S. mehr eine Andeutung als eine Aus- 
führung ist. 

Nach Herbart und Ziller bezieht sich der Zweck des Unterrichtes 
in letzter Linie auf das Wollen der Person, nicht auf das Wissen. 
Nur in diesem Falle wird, auf die Realisierung des Wertes der Person 
hingearbeitet. Die Gründe für die Richtigkeit jener Beziehung liegen 
in dem absoluten Werte ethischer Ideen und in einer deterministischen 
Psychologie, in entfernterer Weise in methodologischen Voraussetzungen 
(z. B. dafs nicht blofse Allgemeingültigkeit und induktorische Gewiss- 
heit den Wert des Sittlichen verbürge) und in metaphysischen. Das 
Wissen hat nach Herbart und Ziller nur einen mittelbaren Wert, 
daher die übrigen (Fach-) Wissenschaften in den Dienst der Pädagogik 
treten. Diese Wissenschaften verlieren aber nichts von ihrer Würde, 
wenn sie neben dem unmittelbaren Werte, den sie an sich aus logi- 
schen Gründen haben, noch einen mittelbaren aus ethischen Gründen 
erlangen. Nach Herrn v. S. gewinnt es nun immer den Anschein, 
weswegen eben ein der ganzen Zillerschen Pädagogik völlig entgegen- 
gesetztes Prinzip hereinzuspielen scheint, als ob der Zweck des Unter- 
richtes auf das Wissen sich beziehe und nicht auf das Wollen, oder 
als ob wenigstens der Beziehung auf das Wollen die auf das Wissen 
coordiniert sei. Dies ist nach Herbart und Ziller ein falscher 
Standpunkt, da Wissen, ja grofse Gelehrsamkeit mit Unmoralität 
vereinbar ist (vgl. die Brochure des Tübinger Professor Flach) und 
die Sorge für den Wert der Person keinen sekundären Rang 
einnehmen darf. Herr v. S. drückt das in der vorliegenden Brochure 
einmal in Form der Verstimmung so aus: er sehe es Scheller sehr 
gern nach, dafs er zu viel Wissenschaft (aus der Naturwissenschaft 
nämlich) habe in die Zillersche Schule bringen wollen; das zweite mal 
in Form eines Vorwurfes, dafs Zillig in seiner Methodik der Geschichte 
eine Neigung zu ethischen und psychologischen Konstruktionen und 
eine Unfähigkeit (!) verrate, nach Niebuhrs Wort Geschichte zu erzäh- 
len, wie sie geschehen ist, ferner dafs in Zill er s Augen fisch wissen- 
schaftliche Erwägungen angeblich immer mehr an Gewicht verloren hätten 
und die grofsen eigentlich wissenschaftlichen Aufgaben der Pädagogik 
dabei unberührt geblieben seien. Wenn die Naturgeschichte in den Dienst 
des erziehenden Unterrichtes gestellt wird , wie in der Zillerschen 
Schule, so befürchtet Herr v. S. die Beförderung des schlauen Eigen- 
nutzes, d. h. nur eines schlechten, nicht eines guten Wollens, obwohl 



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vom nat arge Schichthöhen Standpunkte aus beides möglich ist. Diese 
Sätze in iiirer ganzen Tragweite überdacht, besagen, dafs das Wissen 
letzter Zweck des Unterrichtes sei. Ist aber Wissen letzter Zweck des 
Unterrichtes, v!ann ist die eigentümliche Aufgabe der Pädagogik, welche 
in der Ethik ihre Begründung hat, und damit auch die Selbständigkeit 
der Pädagogik als Wissenschaft aufgegeben. Dann enthält die Päda- 
gogik nur so viel Wissenschaftlichkeit, als ihr von den Fachwissen- 
schaften geliehen wird, dann ist sie selbst nur das fünfte. Rad am 
fachw/issenschaftlichen Wagen. Wenn also Herr v. S. über diese Frage 
in zusammenhängender Weise und mit philosophischer Begründung, 
nicht blos fragmentarisch und gelegentlich sich äufsern wollte und wenn 
er dies mit Beziehung auf Herbarts Allgemeine Pädagogik und Zillers 
Grundlegung thun würde, dann wäre des Mifsverstehens ein Ende. 
Angenommen, seine Wege führen ihn ins Pädagogium, so wird ihn 
niemand aufhalten; überzeugt er sich von der Richtigkeit desjenigen 
Oedankenzusammenhanges, der am weitläufigsten und ausführlichsten in 
Zillers Grundlegung niedergelegt ist, so werden wir uns freuen; das 
schlimmste freilich wäre, wenn das Resultat Eklekticismus wäre. Das 
mufs ich jedoch offen hinzuragen, dafs die blofse persönliche Versiche- 
rung, ein Herhartianer zu sein, noch kein Beweis ist. 

Der zweite Punkt betrifft die Methode. Herr v. S. spottet über 
die „Stampfnnihle" der Formalstufen und fürchtet eine Mechanisierung 
des Unterrichtsbetriebs. Das prinzipielle in dieser Frage ist nicht in 
der Ausführung der Formalstufen zu suchen, welche ja mangelhaft sein 
kann; auch nicht in den Modifikationen, denen sie in der Anwendung 
zugänglich sind, oder in den Grenzen ihrer Anwendbarkeit, sondern in 
der Frage, ob der Gang des Unterrichtes von der Psychologie reguliert 
und an psychische Gesetze gebunden sein soll oder ob er von der 
Willkür abhängig und frei sei. Auf die letztere Abhängigkeit' läuft 
der Ausdruck „ liberal" des Herrn v. S. hinaus. Es ist aber ein 
bitterer und trostloser Gedanke, wenn der Lehrer sich sagen mufs: 
die Methode, das ist der Inspektor! An die Stelle der Wissenschaft' 
liehen Gebundenheit ist die persönliche getreten. Indessen die wahre 
Freiheit bedeutet im gegenwärtigen Falle wissenschaftlich-psychologische 
Gebundenheit und darum haben Herbart und Ziller ein solches wissen- 
schaftlich geregeltes Verfahren gefordert. Das spezielle Verdienst 
Zillers aber besteht hier darin, dafs er das methodische Begriffslabyrinth 
Herbarts in eine überschauliche und regelrecht zu befahrende Strafse 
verwandelte. Und dabei blieb er nicht stehen. Die Formalstufen bil- 
den innerhalb des Lehrplansystems einen zwar schwer auszuführenden, 
aber sehr fruchtbaren Gedanken; aufserhalb derselben oder ohne Be- 
ziehung auf ein solches können sie, um mit Göthe zu reden, zu einem 
methodischen Räuspern und Spucken herabsinken, das den Spott ver- 
dient. Darum das ernste Streben Zillers, die Formalstufen niemals 
isoliert und abgetrennt vom Lehrplan system in Anwendung zu bringen. 
Wenn also die Meinung des Herrn v. S. dahin geht, der psychologisch 



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geregelte Gang könne in „liberaler" Webe durch einen willkürlichen 
ersetzt werden, dann müTste er entweder beweisen, dafs die Bildsam- 
keit und ursächliche Bestimmbarkeit des Menschen eine falsche päda- 
gogische Voraussetzung sei, die etwa durch Kants Lehre von der 
transzendentalen Freiheit und der Annahme eines intelhgiblen Charak- 
ters zu ersetzen sei, oder er müfste, falls er diese Meinung nicht teilte 
und erkennen würde, dafs Herbart in dieser Frage zu viel, Stoy zu wenig 
darbietet, zu den positiven Vorschlägen Zillers und neuerdings auch 
Dörpfelds einen Dritten hinzufügen. Denn es ist ein heutzutage im Par- 
lament oft gehörter Satz, dafs derjenige nicht das Recht hat zu tadeln, 
der nicht im Besitze eines Verbesserungsvorschlages ist. Dafs aber ein 
solcher Vorschlag im Verein für wissenschaftliche Pädagogik in Erwägung 
gezogen werden würde, darauf kann sich Herr v. S. verlassen. 
Wien. Theodor Vogt 



III. Entgegnung. 

Auf die Bemerkungen des Herrn von Sallwürk zu meiner Arbeit 
über den Gesangunterricht („Handel und Wandel" etc., S. 14 — 1?) er- 
laube ich mir Folgendes zu erwidern: 

Ich habe mich durch das, was der Herr Verf. Uber mein Ziel 
sagt, nicht Uberzeugen können, dafs dasselbe falsch ist. — Die Schüler 
sollen doch bei der Lektüre von Hermann und Dorothea die Sehnsucht 
der Vertriebenen nach ihrer Heimat nachempfinden, wenn auch natür- 
ihre Gefühle dabei nicht so stark sein können, als wenn sie selbst eine 
Vertreibung aus der Heimat erlebt hätten. (Der „Drang der wirklichen 
Verhältnisse" kann in seiner Lebendigkeit auch vom besten Unterricht 
nicht vollständig wiedererzeugt werden.) Diese Gefühle müssen durch 
die Angabe des Ziels wieder wachgerufen werden. Warum ist nun 
mein Ziel „unwahr"? Scheint es dem Herrn Verf. unmöglich, dafs 
diese Gefühle an der Hand so unübertrefflicher Schilderung im Herzen 
des Zöglings lebendig werden, wenn der deutsche Unterricht ein guter 
ist und der Zögling auch an ähnliche Erlebnisse aus dem eigenen Leben 
erinnert wurde ? Dann wäre das ganze Lied zu verwerfen. — Meint 
es der Herr Verf. aber nicht so, dann hätte er, da er die Forderung 
einer Zielangabe für richtig hält, ein besser formuliertes Ziel vorschlagen 
sollen. — Dafs er rein formalen Zielen, wie sie von Ziller (Vorl. 2. Aufl. 
S. 164) zurückgewiesen werdeu, das Wort reden will (ein neues Lied, ein 
neuer Abschnitt etc.), kann ich mir kaum denken; ich kann aus meiner 
Erfahrung nur sagen, dafs mir stets das lebendige Interesse einer Klasse 
entgegenkam, wenn ich im Gesangunterrichte an einen Stoff anknüpfen 
konnte, für den sie sich schon in einem andern Fach interessiert hatte. 
Will freilich der Herr Verf. den Gesang vom konzentrierten Lehrplan- 
system „ganz und gar" lostrennen, dann wUrde er vielfach gezwungen 
sein, solche nach meinem Dafürhalten langweilige Ziele aufzustellen, 
oder er müfste, was auch undenkbar ist, blos Natur- und Festlieder 



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singen lassen, weil für diese die innere Stimmung der Schüler leichter 
zn erzeugen ist. — 

Ich kann ferner nicht zugeben, dafs es ein „kühner Seitensprung" 
sei oder ein Abfallen von unserer Methode, wenn ich die sachliche Be- 
handlung eines Textes, welcher im Gesangunterricht gebraucht wird, 
der Religion oder der Geschichte oder dem Deutschen überlasse. Es 
wird ja vielfach so sein, dafs die zu lernenden Texte schon im Sach- 
unterricht aufgetreten sind (z. B. bei Gesangbuchsliedern, bei Volks- 
liedern, welche zur Belebung des Geschichtsunterrichts benutzt werden 
müssen etc.); dann ist die sachliche Behandlung schon abgeschlossen, 
ehe der Stoff an den Gesangunterricht abgegeben wird. Aber auch, 
wenn dies nicht der Fall ist, so entspricht es doch der Konzentrations- 
idee vollkommen, wenn bei einem längeren und schwierigeren Text die 
Besprechung des Inhalts und das Memorieren nicht in der Gesangs- 
stunde vorgenommen wird, weil es eben derselben ihren Charakter neh- 
men würde. Bei einfachen Liedern wird man natürlich nicht erst die 
Hilfe eines anderen Fachs in Anspruch nehmen. — Inwiefern aber, fragt 
man erstaunt, „bricht hier die methodische Kunst ganz zusammen"? 

Bezüglich des Folgenden, über den „Anschlufs der musikalischen 
Analyse an das sachliche Ziel", möchte ich den Herrn Verf. daran er- 
innern, dafs bei klassischen Stoßen ein gleicher oder ähnlicher Inhalt 
sich auch eine ähnliche Form sucht, dafs also i. B. die Melodien der 
Heimatslieder, in denen sich die Sehnsucht ausspricht, ein bestimmtes 
musikalisches Gepräge haben, wodurch sie sich von anderen Arten von 
Liedern , z. B. von Frühlings- und Wanderliedern, unterscheiden. — 
Auch ist schon das ein analytischer Gedanke, der die Erwartung auf 
das neue Lied spannt, wenn der Schüler auf Grund der ihm bekannten 
Heimatslieder die Vermutung ausspricht, dafs das neue ebenfalls im 
langsamen Rhythmus gesungen werden wird. — Kommen aber in den 
schon gelernten inhaltlich entsprechenden Liedern keine ähnlichen Stellen 
vor, mit Hilfe deren ich dem Schüler die Aneigung der Schwierigkeiten 
des neuen Liedes erleichtern kann, dann werde ich die anderen Lieder 
zu Hilfe nehmen müssen. Wie ich es mir gedacht, habe ich bei der 
Präparation (S. 100) des Näheren ausgeführt; dagegen hätte sich der 
Herr Verf. wenden sollen. — Das aber hann ich versichern, dafs diese 
analytischen Übungen weder vom Schüler noch von mir als „Fessel" 
empfunden worden sind; sie bringen im Gegenteil in den Unterricht 
eine wünschenswerte und angenehme Abwechslung, die dem Gesang- 
unterricht fehlt, in welchem weiter nichts geschieht, als das Einpauken 
der Lieder. 

Dafs der Herr Verf. die Systeme des 1. Schuljahres noch einmal 
an den Pranger zu stellen beliebt, war gewifs nicht recht. Einmal 
hatte ich dieselben schon in der Anmerkung als willkürliche Systeme 
bezeichnet (cf. S. 108 u.), und dann sind sie auch in Plauen von Prof. 
Ziller strikte zurückgewiesen worden und gewifs mit vollem Rechte (cf. 
8. 39 der Erläuterungen 1881). Ich weifs nicht, warum der Kerv 



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- 24 - 



Verf. sie nochmals auftischt, da es mir widerstrebt, anzunehmen, er 
habe es nur gethan, um die Lacher auf seine Seite zu bekommen; 
nach meinem Dafürhalten sollte das, was auf der Generalversammlung 
ohne Widerspruch zurückgewiesen worden ist, ohne besonderen Grund 
nicht wieder zum Gegenstand der Diskussion gemacht werden. — 

Das Eintragen besonders charakteristischer Stellen eines Liedes 
ins Systemheft , was nach der Meinung des Herrn Verf. einer vorzei- 
tigen Geschmackskrittelei dient, beugt nach meinem Dafürhalten einem 
gedankenlosen Singen vor und ist geeignet, den Schüler zum klaren 
Bewufstsein der Schönheiten eines Liedes zu erheben. Sollte dies nicht 
wünschenswert sein? — — — 

S. 16 f. spricht der Herr Verf. dem Gesangunterricht die abge- 
sonderte Stellung ah eigenes Fach ab; es soll der Gesang nur „zu dem 
verstandenen Texte ohne alles Weitere wie eine Art von Verklärung 
hinzutreten 11 , „er erträgt nicht die künstliche Prozedur lang ausgespon- 
nener Methoden". Gegenwärtig wird ja allerdings der Gesangunterricht 
meist so gegeben, wie der Herr Verf. es wünscht. Darf man aber 
wirklich das Singen in methodischer Beziehung neben das Turnen und 
die technischen Beschäftigungen stellen? — Turnen und technische 
Beschäftigung sollen äufsere körperliche Gewandtheit und Fertigkeit 
erzeugen; sie stehen also mit dem eigentlichen Unterricht, der doch 
den Geist bilden soll, nur in loser Verbindung. Der Gesang aber soll 
das Gefühlsleben des Zöglings kultivieren; hier mufs also ein Ab- 
straktionsprozefs stattfinden; es müssen Systeme erarbeitet, es müssen 
klare Tonvorstellungen erzeugt werden, was beim blofsen Singen nicht 
geschieht. 

Wird nicht das ganze Lehrplansystem durchbrochen, wenn ein 
einzelnes Fach „ganz und gar ohne alle methodische Kette nebenher 
gehen" soll? 

Und was die „künstliche Prozedur lang ausgesponnener Methoden 44 
betrifft, so möchte ich bemerken, dafs theoretische Betrachtungen häufig 
den Eindruck machen, als ob die darnach angelegte Praxis sich ge- 
künstelt gestalten müfste. Ähnliche Vorwürfe hat man dem Seminar- 
buch, den Formalstufen etc. gemacht. In der Praxis bekommt aber 
die Sache ein anderes Aussehen. — Das kann ich wenigstens dem 
Herrn Verf. versichern, dafs im Zillerschen Seminar trotz der „Stampf- 
mühle unseres formalen Mechanismus u und trotz „unserer kränklichen 
Schulweisheit'* ein frisches, fröhliches Schul- und Gesangsleben herrschte. — 

Dafs meine Präparation, welche aus der Praxis des Seminars heraus- 
gewachsen ist, methodische Mängel haben mag, gebe ich dem Herrn 
Verf. gern zu. Für Belehrungen und Verbesserungen, von welcher 
Seite sie auch kommen mögen, würde ich um so dankbarer sein, als 
ich seit meinem Austritt aus dem Seminar nicht mehr Gelegenheit ge- 
habt habe, in bezug auf Methodik des Gesangunterrichts neue Erfah- 
rungen zu sammeln. 

Eisenach. Dr. Schneider. 



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— 25 — 



IV. Zuschrift an den Herausgeber. 

Hochgeehrter Herr! 

In der Schrift „Handel und Wandel der Pädagogischen Schule 
Herbarts" von Dr. E. von Sallwilrk wird an mehreren Stellen auch meiner 
solcherart gedacht, dafs ich mich zur öffentlichen Richtigstellung der 
dort berührten Dinge verpflichtet halte. Verzeihen Sie daher die Bitte, 
den folgenden paar Worten in Ihren Studien freundlich eine Stätte ein- 
räumen zu wollen. 

1) S. 58 wird bemerkt: „Auch kleinere Feinde bleiben nicht unbe- 
achtet, wenn man sie kunstgerecht zu Boden strecken kann. Wen von 
uns hätte denn Matthäus Sterner's Methodik der Volksschule je um 
seine Ruhe gebracht? Aber P, Zillig mufs auf Geheifs Voigt's auch 
diese Position stürmen." 

Es wird hier also der bekannte Vorwurf im Pädagogium erneuert, 
obwohl inzwischen (Studien, 1885, n, 45) über den Sinn jener Worte, 
welche ihm zur Stütze dienen sollten, unzweideutige Auskuuft gegeben 
worden ist. Ich will die Äusserung berechtigter Gefühle darüber unter- 
drücken; aber die Erklärung kostet mich doch einige Üeberwindung 
und ich hätte mich der Stimme im Pädagogium gegenüber nie dazu ver- 
stehen können, dass die Abhandlung über bewufste Methodik einzig 
und allein aus meinem Entschlufs dazu hervorgegangen ist. Herr Prof. 
Vogt hatte nicht einmal Kenntnis davon, dafs ich für das betreffende 
Jahrbuch überhaupt noch einen Beitrag liefern würde, geschweige vom 
Inhalt desselben. Zur Erhärtung dessen stelle ich die Briefe Vogts an 
mich aus jener Zeit zur Verfügung. Doch, dafs mich Bescheidenheit 
heute nicht am völligen Lüften des Schleiers hindere! Die Beschäftigung 
mit Sterners Methodik wurde mir zuerst in der That von aufsen nahe 
gebracht — durch die Aufforderung der kgl. Regierung von Unterfranken 
zu einer gutachtlichen Äusserung darüber. Von da an habe ich mich 
lange damit befafst. Erschien sie doch eine der neuesten Darlegungen 
jener Ansichten und Forderungen, welche sich seit Diesterweg in der 
Volksschul-Pädagogik breiteste Geltung erworben haben. Unter diesem 
Gesichtspunkte verdiente ihr Inhalt eingehendste Erwägung, und eine 
kritische Untersuchung desselben verhiefs einen Beitrag zur Lösung der 
Frage, ob die waltenden pädagogischen Anschauungen durchaus ge- 
gründet und wohl gefügt, der gegenwärtige Unterrichtsbetrieb vollendet, 
oder das eine wie das andere der Verbesserung noch bedürftig sei. 
Dafs es mir wirklich nicht um eine Prüfung des Buches an und für 
sich, am allerwenigsten um Befehdung des Verfassers, sondern um eine 
Kritik der theoretischen Grundlagen und Praxis der geltenden päda- 
gogischen Richtung zu thun war, darauf sollte schon der Zusatz zur 
Ueberschrift jenes Aufsatzes ,,Ein zweiter Beitrag zur Kritik des päda- 
gogischen Empirismus" und noch entschiedener die Schlufsbemerkung, 
dass „zweifelsohne unsere Methodik als Vertreterin einer ganzen und 
zwar der zahlreichsten Gattung von Pädagogen anzusehen", hinweisen. 



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— 26 - 



Über den Werth [der Arbeit habe ich nicht zu befinden. Aber vom 
Anfang bis zum Enae schwebte mir dabei die Absicht, dem erziehenden 
Unterricht zu dienen, und das Muster wissenschaftlicher Betrachtung 
vor, und ich habe mich wohl der Hoffnung getröstet, dafs auch die 
schärfste Beurteilung meiner Ausführungen wenigstens diesen doppelten 
redlichen Willen anerkennen werde. Wer mir damals voraus verkündet 
hätte, dafs man einst nicht etwa den Inhalt dieser Ausführungen, sondern 
eine Entschuldigung, wie sie befangene Schüchternheit aufdrängt und 
weltunerfahrene Vertrauensseligkeit ausspricht, monatelang, sogar nach 
erfolgter Auslegung der betreffenden Worte, noch zum Gegenstand öffent- 
licher Erörterung erwählen werde, den hätte ich für einen Ankläger 
der pädagogischen Publizistik erklärt. — 

2) S. 42 findet sich die Stelle: .... „Er (Zillig) billigt nicht, 
dass die Entscheidung in Schulsachen völlig in die Hände von Juristen 
gelegt werde, und das geschieht in der That ja auch fast nirgends mehr. 
Es ist eben auch hier wieder ein Kampf gegen Windmühlen; diese Pä- 
dagogik sinkt zur Donquichoterie herunter." 

Diese Auslassung hat mich besonders schmerzlich berührt. Sie 
liefert einen neuen Beweis für die Thatsache, dafs die Bestrebungen, 
die Schule auf ihre eigenen Füsse zu stellen, gerade von oben herab 
die allerwenigste Förderung zu erwarten haben. In dieser Beziehung 
erscheint es bemerkenswert, dafs dem Vorkämpfer für eine sachgemäfsc 
Organisation der Schule wohl wegen seiner anderweitigen pädagogischen 
Verdienste in unserer Schrift ein Denkmal gesetzt, aber gerade über 
seine Bemühungen um eine vernünftige Schulverfassung jedes Urteil 
zurückgehalten wird (vergl. S. 43 f.). In Bayern z. B. liegt die Ent- 
scheidung in Schulsachen in den Händen des Regierungs-Präsidenten 
oder vielmehr des Kreisschulreferenten, das ist eines Regierungsrats, 
vereinzelt sogar eines Regierungsassessors. Das Kreisscholarchat scheint 
überhaupt nur noch ein Namendasein zu fristen, die Kreisschulinspektoren 
üben genau so viel Einfluss aus, als ihnen je und je einzuräumen be- 
liebt wird. Wie schroff der Kreisschulreferent zuweilen seine Meinungen 
in inneren Schulangelegenheiteu zur Geltung bringt, darüber wüfste 
gewifs mancher bayerische Schulmann ein Liedlein anzuheben. Wie 
in Preufsen die Schule in ihrem Leben durch den jeweils leitenden 
Minister beeinflufst wird, haben leider die letzten Zeiten gerade ein- 
dringlich genug gelehrt. Nach aufsen will ich gar nicht blicken. An- 
gesichts solcher Sachlage kann Spott nicht davon abbringen, auch fernerbin 
der Erlösung der Schule von einem alten Erbübel die schwache Kraft 
zu widmen. — 

3) S. 37 f. wird ausgeführt: ,, Ziller hat ihn (Zillig) zu einem 
Referat über einen Aufsatz von Keferstein über historisches Wissen und 

historische Bildung veranlasst Keferstein spricht vom Wesen 

historischer Bildung überhaupt, abgesehen von den unterrichtlichen Mafs- 
nahmen, welche zur Übermittelung derselben ergriffen werden müssen. 
Zillig spricht von dem Beitrag, den der historische Unterricht für die 



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ethischen Ziele der Herbartschen Schule zu leisten habe, und beschuldigt 
an jedem Punkte, wo seine Ausführungen mit den nach ganz anderen 
Zielen gerichteten von Keferstein sich nicht decken, den letztern schweren 

Irrtums Man hatte wieder einmal gegen Windmühlen gefochten, 

Feinde sich in der Einbildung geschaffen, um sie mit Geprassel nieder- 
zuwerfen." 

Schon bei der Stelle über Sterner schwebt das edle Bild des Stier- 
fechters, hier das des Steinigers vor! Doch zu Zillers wirklicher Auf- 
forderung an mich: „Ein Mitglied des Vereins will eine Abhandlung 
über historisches Wissen und historische Bildung im Jahrbuch veröffent- 
lichen. Ich werde sie Ihnen vor dem Abdruck schicken. Vielleicht 
giebt sie Ihnen Veranlassung zu einigen Zusatzbemerkungen (Brief v. 
19. Sept. 1880). Ich befand mich jedoch in zu vielen Punkten mit 
den Ausfuhrungen im Widerspruch, um sie weiterspinnen zu können. 
Daher mufste ich die Aufforderung dazu ablehnen, und wie konnte ich 
das anders thun, als durch die Darlegung eben meiner abweichenden 
Auffassung? 

Nun zur Sache selbst! In der fraglichen Abhandlung wird, ent- 
gegen der Behauptung unserer Schrift, allerdings auch von den unter- 
richtlichen Mafsnahmen zur Übermittelung historischer Bildung geredet. 
Denn das Eifern gegen die Bewältigung eines auffallend in die Länge 
und Breite gezogenen Lehrpensums, die vorwiegend kompendiöse Be- 
handlung des Materials, das Zurückdrängen des Kulturgeschichtlichen, 
Mängel in der Anordnung des Stoffes (XIII. Jahrb. 131), ein ausschliefs- 
lich chronologisches Vorgehen (139), die falsche Prtifungsweise (131 f.) 
— alles dies sind doch indirekte Andeutungen ftir die Gestaltung des 
Geschichtsunterrichts nach des Verfassers Forderungen, freilich auch 
nichts weiter als vage Andeutungen. Die Untersuchung sodann über 
das Wesen der historischen Bildung soll zugleich eine solche über das 
Ziel des Geschichtsunterrichts sein. Ausdrücklich wird es gleich anfangs 
nicht für überflüssig erklärt, auf den möglichen pädagogischen Ertrag 
des Geschichtsunterrichts aufs neue einzugehen (131). Und nach der 
geschichtlichen Bildung wird gefragt, um sie mit Hecht als die schönste 
und reichste Frucht des Geschichtsunterrichts zu bezeichnen (132). Der 
Vielheit der Zwecke gegenüber, welche dem Geschichtsunterricht mit 
einer historischen Bildung vorgetragener Auffassung gesetzt würde, be- 
tonte ich ganz kurz sein einheitliches Ziel (143), versuchte dann weiter- 
hin (144 f.) eine Prüfung der angegebenen Momente historischer Bildung 
wie der Konsequenzen daraus (146 f.) und fand in beiderlei Hinsicht 
den vertretenen Begriff von historischer Bildung als nicht zu halten. 
Möglich, dass es eine richtigere Weise kritischer Betrachtung als diese, 
die betreffenden Ausfuhrungen Schritt für Schritt einfach zu prüfen und 
sich so das Urteil über die Sache aus ihrer Beschaffenheit förmlich 
diktieren zu lassen, giebt, nur ist sie mir bis heute nicht offenbart 
worden. Sehr leicht möglich auch, dass ich recht geirrt hätte, nur ist 
mir eine begründete Nachweisung fehlerhafter Auffassung unbekannt 



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geblieben. Das Hecht zu denken, was sich unwillkürlich aufdrängt, 
und solchermafsen Aufgenötigtes auch auszusprechen, wird billig niemand 
verwehrt werden können. Freilich hat es mich ein wenig überrascht, 
dass der Autor in Rede stehender Ausführungen deren freie Prüfung 
nicht vertragen konnte, und noch etwas rätselhafter ist mir erschienen, 
dafs bei deutlich bekundeter Absicht, für das gute Recht auf eigene 
Überzeugung einzustehen, einem anderen die Bethätigung eben dieses 
Rechtes doch fast zur Sünde gerechnet ward. — 

4) S. 38 finde ich: Aus den späteren Ausführungen Zilligs über 
den Geschichtsunterricht in der elementaren Erziohungsschule „geht eine 
bedeutende Neigung des Verfassers zu psychologischen und ethischen 
Konstruktionen hervor, eine Unfähigkeit, Geschichte zu erzählen, wie sie 
geschehen ist — nach Niebuhrs Wort. Besonders wird nicht beachtet, 
wie ethische Forderungen im Lauf der Geschichte sich da und dort 
herausbilden. Das ist auch für den Elementarunterricht schon zu berück- 
sichtigen, wenn man nicht ungerecht und falsch urteilen will." 

Für's erste ist mir hier aufgefallen, wie meines geringen Versuchs 
über den elementaren Geschichtsunterricht gedacht und es gleichwohl 
oben zu Keferstein ausgesprochen werden konnte, dafs das, was man 
an dem Aufsatz von jenem vermifst habe, nämlich etwas über die eigent- 
liche Methode des Geschichtsunterrichts, auch in meiner Entgegnung 
nicht enthalten gewesen sei. Denn gerade beregter Versuch durfte 
wenigstens als Zeugnis meines Ernstes um den Betrieb des Geschichts- 
unterrichts gelten. — Für's zweite muss ich bedauern, dafs jeder Be- 
weis für die angeführten Behauptungen zurückgehalten und so eine 
Gegenaussprache unmöglich gemacht wurde. Sollte ich, mir ganz unbe- 
wufst, Geschichte geschrieben haben, wo ich über den Unterricht darin 
handeln wollte? Sollte ich versäumt haben, als die aUererste Eigen- 
schaft der geschichtlichen Erkenntnis Objektivität hinzustellen? Sollte 
ich linterlassen haben, es dem Geschichtslehrer ans Herz zu legen, dafs 
er nur auf das Thatsächliche sein Urteil gründe, und zu fordern, dafs 
aller ethischen und psychologischen Durcharbeitung die thatsächliche 
Auffassung der Geschichte voraufgeschickt werde? Sollte ich mich nicht 
gegen eine Konstruktion von Geschichte im Sinne Hegels und die unter 
seinem Einflüsse entstandenen Fiktionen erklärt haben? Mir ist, wie 
wenn ich dieser Dinge doch nicht gänzlich vergessen hätte. Oder sollte 
es Neigung zu psychologischen und ethischen Konstruktionen verraten, 
wenn in der Bibel die Entwickelungsreihe zum Einzel- und Gesellschafts- 
ideal vorgezeichnet gesehen wird? Sollte ich einer unbarmherzigen 
Starrheit des ethischen Urteils das Wort geredet haben, oder sollte für 
die Beurteilung der geschichtlichen Personen Spinozas Standpunkt als 
Richtschnur gelten? Ich darf mich nicht länger in solchen Vermutungen 
ergehen, sondern mufs hier enden. 

Unsere Schrift betont in ihrem Vorwort; dafs es ihr um strenge 
Richtigkeit der vorgebrachten Thatsachen zu thun gewesen. Wer wollte 
daran auch nur im leisesten zweifeln! Wenn ich trotzdem darthun 



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mufste, dafs sie das Thatsächliche über mich nicht zutreffend berichtet 
habe, so kann an solcher Unrichtigkeit natürlich nur ganz unwillkürliche 
Irrung die Schuld tragen. — 

Empfangen Sie, hochgeehrter Herr, noch meinen allerbesten Dank 
für die gütige Aufnahme vorstehender Zeilen in Ihre Studien und die 
Versicherung ausgezeichneter Hochachtung. 

Ihr 

ganz ergebener 

Peter Zillig. 

Würzburg, 4. Oktober 1885. 



B. Mitteilungen. 
I. Aus Asien. 

Ansprache, bestimmt für die Generalversammlung des Vereins f. w. 

Pädagogik. 

Hochgeehrte Anwesende! In eigentümlicher Stimmung trete ich vor Sie. Als 
ein Ausländer, als ein Asiate, will ich die 17. Versammlung des Vereins für 
wissenschaftliche Pädagogik begrüssen. Gar wehmütige Gefühle durchziehen 
meine Brust, wenn meine Gedanken nach Asien eilen, nach der Urheimat der 
Menschheit, nach einem Lande, wo vor Jahrtausenden die Kultur schon blühte. 

Welch eine grosse Kluft sehe ich zwischen Deutschland, wo die menschliche 
Kultur und die Wissenschaften in hoher Blüte stehen, wo die Sorge für die zu- 
künftige Generation als eine hochwichtige Angelegenheit betrachtet wird und wo 
augenblicklich unter demselben Dache, wo ich stehe, eine Anzahl Gelehrte, hoch- 
würdige Herren und Kinderfreunde versammelt sind, um das Wohl der jungen 
Generation zu beraten, ja, zwischen dem glücklichen Deutschland und meinem 
lieben unglücklichen Vaterlande, wo erst jetzt, seit einigen Decennien, das Licht 
der europäischen Zivilisation anfangt in die tiefe Dämmerung einzudringen und 
das Volk von seinem Schlafe zu erwecken, wo in diesem Augenblicke Tausende 
von Kindern, Mädchen und Knaben, anstatt die Schulen zu besuchen, auf den 
Strassen herumgehen müssen. Daraus aber solleu Sie, geehrte Herrn, nicht 
schliessen, dafs wir gar keine Schulen haben, oder dafs die Kinder nicht die 
Schule besuchen wollen. Nein, die Schulen sind da, und die Kinder wollen sehr 
gern hingehen. Aber sie finden die Thüren der Schulen verschlossen. Niemand 
hört die weinenden Stimmen, Niemand will die Thüren den unschuldigen Kindern 
aufmachen. 

In dieser Stimmung begrüsst ein Sohn des Orients, ein Sohn des für deutsche 
Wissenschaft und Bildung begeisterten Armenischen Volkes, die 17. Versammlung 
des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik. Um Sie einigermassen mit unseren 
Verhältnissen vertraut zu machen, erlaube ich mir Ihre Geduld einen Augenblick 
in Anspruch zu nehmen und mit einigen Worten die Geschichte unserer kleinen 
Nation darzustellen. 

Von den Resten der alten, kleinasiatischen Völker in jetziger Zeit nehmen 
die Armenier die erste Stelle ein. Mehrere andere alte Nationen sind schon 
lange verschwunden , weil sie die verschiedenen Umgestaltungen der Zeit nicht 
aushalten konnten. Von den mächtigen Völkern der Alarodier, Chaldäer u. a, m. 
giebt eB jetzt jetzt keine Spur mehr, nur die Armenier haben bisher ihre Natio- 



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nalität erhalten. Armenien ist eins der höchstgelegenen Länder Westasiens, mit 
Hochebenen bis über 7000 Fuss. Nach der Bibel und Sage war Armenien das 
Zentrum der alten Welt, von dem vier grofse Ströme: Euphrat, Tigris, Kur und 
Araxes ihren Ursprung nehmen. Es wurde nach der Sündflut zum zweiten Mal 
die Wiege des Menschengeschlechts. Als Stammvater unserei Nation wird Haik 
genannt, nach dem wir uns selbst Hai und unser Land Haiastan nennen. Haik 
soll zur Zeit des Turmbaus von Babel gelebt haben. Einer der Nachkommen 
Haiks war Aram (ein Zeitgenosse des Ninos) der sein Reich, im 18. Jahrhundert 
vor Christo, durch Eroberungen vergrössert hat, und im Auslande bekannt wurde; 
nach diesem Namen nennen uns die Ausländer Armenier. Nach mehreren 
Jahrhunderten wurde Armenien mit der Persischen Monarchie von Alexander dem 
Grossen erobert. Im Kampfe gegen Alexander, im Jahre 330 vor Christus starb 
Wahe, der letzte Abkömmling Haiks. 

In der Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Christus herrschte in Armenien 
eine neue Dynastie. Diese zweite Dynastie war ein Zweig der parthischen 
Arschakuni oder Arsaciden. Der berühmteste Fürst dieses Königsgeschlechts 
war Tigran oder Tigranes der Zweite, der auch der Orosse genannt wird, weil er 
zu den von seinen Vorfahren gemachten Eroberungen in Kleinasien und den 
Kaukasusländern auch noch Syrien, Kappadocien und Kleinarmenien 'fügte, die 
Parther schlug und diesen Mesopotamien und Atrpatakan oder Atropatene abnahm. 
Tigran II. kämpfte in Gemeinschaft mit Mithridates von Pontus mit wechselndem 
Glück römischen Feldherren Lucullus, Pompejus, Crassus, und starb im Jahre 
36 v. Chr. Die Herrschaft dieser Dynastie dauerte ungefähr sechs Jahrhunderte 
lang; denn Armenien wurde 428 n. Chr. von den Sassaniden erobert. Die 
Sassaniden-Dynastie, deren Herrschaft über Armenien vorzüglich durch die blutigen 
und doch erfolglosen Versuche der Perser, das Christentum in diesem Lande aus- 
zurotten, denkwürdig ist, fiel »ebon im Jahre 632, und an ihre Stelle traten als 
Eroberer die arabischen Khalifen, welche das ganze Land verwüsteten und 
mit christlichem Blut bedeckten. Aber der freie armenische Geist duldete diese 
Knechtschaft wieder nicht lange. Im 9. Jahrhundert kam aus der armenischen 
alten und mächtigen Familie der Bagratunie oder Bugratiden eine neue 
Dynastie hervor. Im Jahre 885 wurde Archot der Erste von den arabischen 
Khalifen als König von Armenien anerkannt. Aber das durch die mahomedani- 
schen Völker: Seldschuken, Araber, Türken u. s. w. verwüstete Land konnte der 
Byzantinischen Herrschsucht nicht lange widerstehen. Der letzte König dieser 
Dynastie, Gagik der Zweite, wurde von den Griechen ermordet, und im Jahre 
1Ö50 wurde Armonieu von den Griechen und Seldschuken erobert. In dieser 
Zeit hat zwar Armenien seine Königskrone verloren, aber der Geist der Selb- 
ständigkeit des armeuischen Volkes wurde nicht ausgelöscht. 

Ein Verwandter des ermordeten Königs, Kuben, sammelte um sich die 
tapfere Jugend des Volkes und befestigte auf dem Taurusgebirge in Cilicien seine 
Herrschaft im Jahre 1080 Damit wurde wieder eine neue, vierte und letzte 
armenische Dynastie der Rubinjan oder Rubeniden begründet. 

Die Nachfolger von Ruhen dehnten ihrs Herrschaft allmählich über ganz 
Cilicien aus, die Griechen und mohamedanischen Völker besiegend. Die Fürsten 
dieser Dynastie spielten eine bedeutende Rolle in den Krcuzzügeu. Das arme- 
nische Volk, welches Jahrhunderte lang von den Mohamedanern verfolgt war, um 
der christlichen Religion willen, sah mit giosser Freude die christlich-europäischen 
Kreuzfahrer, half ihnen mit Truppen, und was damals die Hauptsache war, mit 
Lebensmitteln. 

Konstantin Rubinjan (Rubenide) erhielt für seine Hülfeleistung von Gottfried 
von Bouillon den Titel eines Grafen. Levon oder Leo der Zweite hat dem grofsen 
deutschen Kaiser Friedrich Barbarossa mit Truppen und Lebensmitteln geholfen, 
und der Kaiser versprach ihm die Königskrone dafür. Nachdem aber Barbarossa 
unglücklicherweise im Kalykadnos ertrank, erfüllte sein Nachfolger. Kaiser Hein- 
rich der VIII., das Versprechen seines Vaters. Im Jahre 1138 erhielt Leo der II., 
durch den dazu abgeordneten Mainzer Erzbischof Konrad von Wittels'>ach, die 




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Königskrone. In solcher Weise erhielt also ein armenischer Fürst, um der Dienste 
seines Volkes für das Christentum willen, die Königswürde von dem mächtigen 
deutschen Kaiser.*) Damit sehen wir, geehrte Herren, dass die Sympathie des 
jetzigen armenischen Volkes für die deutsche Nation auch ihre geschichtlichen 
Gründe hat, obgleich die Hände der Päpste auch in oieser Sache im Spiele waren, 
und wie in Deutschland Innocenz der IV. Kaiser Friedrich den Zweiten in den 
Bann legte, so that Innocenz der HI. unseren Leo in kirchlichen Bann; aber die 
Macht des Papsttums war nicht so gross, dafs sie auch in Asien direkte Wirkung, 
wie in Europa, haben konnte. 

Lange Zeit blühte das armenische Reich unter der Dvuastie der Rubeniden, 
die sich geschickt mit den Mongolen abzufinden und den Moslems zu wider- 
stehen wussten. Endlich brachen auch hier innere Unruhen, sowie das Einmischen 
der Päpste in unsere kirchlichen Angelegenheiten, die Macht des Reiches, sodafs 
es 1375 dem Angriff des ägyptischen Sultans Schaban unterlag. Der letzte König 
von Armenien, Leo der VI., ist in Paris 1393 gestorben und dort in Saint-Denis 
auf dem königlichen Gottesacker begraben. Leo der VI. wollte den damaligen 
Streit, welcher zwischen Franzosen und Engländern entstanden war, mit Frieden 
beseitigen, damit er mit Hülfe ihrer Macht gegen die Mamelucken kämpfen und 
sein Reich gegen die Einfälle derselben schützen könnte. Aber unglücklicher- 
weise konnte er seinen Zweck nicht erreichen, sondern starb in der Fremde, und 
sein Königreich Cilicien wurde von den Mamelueken besetzt. Seitdem hat die 
vom Islam mit Blut befleckte armenische Krone kein königliches Haupt geschmückt 
und seitdem ist die für das christliche Ideal gequälte Nation in der ganzen Welt 
zerstreut. Ja, das christliche Ideal belebte den Geist des armenischen Volkes, 
welcher Jahrhunderte lang den Arabern, Mamelucken, Seldschukeu, Mongolen, 
Persern, Türken und auch den griechischen Unions-Bestrebungen entgegen stand. 

Die Einführung des Christentums bei den Armeniern fällt bereits in die 
ersten Zeiten des apostolischen Wirkens; es scheint aber, dafs damals das Volk 
dazu noch nicht bereit war, und darum konnte das Christentum keinen festen 
Fuss fassen. Festen Bestand erhielt die neue Lehre erst seit Anfang des vierten 
Jahrhunderts durch Gregor Lussaworisch, d. h. Gregor der Erleuchter, der im 
Jahre 301 den König Trdat oder Tiridotes für dasselbe gewann. 

Von da herrschte ein reger Geist in der armenischen Kirche, und die jungen 
Armenier besuchten häufig die Schulen zu Athen, Alexandria und Byzanz. Uns 
Streben nach Wissenschaft und Kultur erreichte im 5. Jahrhundert den Höhe- 
punkt. 

Eine Menge von jungen Leuten ging ins Ausland, dort zu studieren, um 
nachher zurückzukehren und ihr eigenes Land zu erleuchten. In dieser Zeit 
lebten hochwürdige Geistliche: Mesroph, der Urheber unserer Litteratur, der 
Erfinder des armenischen Alphabets, Moses von Choren, der berühmte Ge- 
schichtsschreiber, David Philosoph, welcher wegen seiner philosophischen 
Tüchtigkeit in Byzanz David Anhagth, d. h. der Unbesiegbare, genannt 
wurde, unter dessen Schriften die „Philosophiachen Definitionen" bekannt sind, 
und mehrere andere Sterne der altarmenischen Litteratur. Da« 5. Jahrhundert 
wird daher mit Recht das goldene Jahrhundert unserer Litteratur ge- 
nannt.**) Eine grosse That des 5. Jahrhunderts war auch die vollständige Bibel- 




*) . . . „Aber endlich erblickte inan das trostliche Zeichen des Kreuzes an den Wegen ; 
Uber Pyrgos and Laranda hatte man die Besitzungen des christlich-armenischen Fürsten Leo 
erreicht, welcher für Lebensmittel sorgt« und dessen Abgeordnete den Kaiser bis Seleucia am 
Kftiykadnns oder Selepb begleiteten." Raumer: Geschichte der Hohenstaufen, II. Band, 
8eite 295, 1857, dritte Aufl. 

**) . . , „So verworfen auch die katholischen Schriftsteller aus Sektenhass den armenischen 
Klerus schildern, so läset sich demselben doch hohe wissenschaftliche Bildung nicht absprechen. 
Die Wartabiete , eine eigene , in mehrere (?) Abteilungen zerfallende Klasse von Lehrern, 
wurden selbst den Bischöfen vorgezogen und entschieden in allen dogmatischen Streitigkeiten. 
Die meisten armenischen Werke , von denen wenige näher bekannt sind , sind theologischen 
Inhalts; doch giebt es auch geschichtliche und poetische darunter. Der berühmteste Dichter 
st der Patriarch (Katholikos) Nierses (Nerses) IV., mit dem Beinamen Sinorbeli (soll helssen 



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Ich will mich, geehrte Herren, mit dieser knappen Darstellung der armeni- 
schen Geschichte begnügen. Wie Sie ans meiner ganzen Darstellung sehen, haben 
die Armenier trotz vieler ungünstiger Umstände dennoch alle Qualen und Barbarei 
blutdürstiger Feinde ausgehalten, obgleich ihre Zahl von 30 Millionen auf 4 Mil- 
lionen herabgesunken ist. Wir hatteu eben eine allgemeine Zentripetalkraft, 
welche die einzelnen Glieder des Volkes mit einander verband und ihnen die 
Macht gab, mit vereinten Kräften gegen den Feind zu kämpfen. Diese Zentripetal- 
kraft war — und ist noch heute — unsere nationale Kirche. Wir ver- 
danken es dieser Kirche, dem Christentum überhaupt, dafs die Armenier noch 
existieren. 

Der jetzige Zustand von Armenien ist nicht erfreulich; drei verschiedene 
Mächte beherrschen es. Einst ein selbständiges Reich ist es die Beute des Löwen, 
des Halbmondes und des Adlers geworden. Die zwei erstgenannten herrschten 
schon seit Jahrhunderten über Armenieu; der Adler hat erst seit 1821 einen Teil 
von Armenien unter seine gewaltigen Flügel genommen. Man würde Unrecht 
thun , wenn man diesen Schutz von seiten Russlands von vornherein für uns als 
nutzlos oder schädlich bezeichnete. Das arme Volk ist dadurch endlich frei ge- 
worden von der Barbarei fanatisch gesinnter Muhamedaner. Es warf sich mit 
Freude unter die christliche Herrschaft Russlands, welches ihm anfangs in mancher 
Beziehnng volle Freiheit gab. Nikolaus versprach sogar, Armenien wieder zu einem 
selbständigen Fürstentum zu erheben. 

Obgleich dieses Versprechen selbstverständlich nur Versprechen blieb, so fand 
doch unser Volk Ruhe und konnte seine beinahe erschöpften Kräfte wieder sam- 
meln. Und diese Erholungszeit dauerte nicht lange, — es gingen kaum 30 Jahr e 
vorüber — so zeigte das armenische Volk, dass selbst eine so lange Knechtscha t 
unter der Barbarei seine geistigen Fähigkeiten nicht ganz erschöpft hatte. Der 
armenische Geist wollte nicht mehr im Dunkeln bleiben, sondern Fortsehnte 
machen und strebte mit sichern Schritten nach höherer Kultur. Man hört auf von 
Gläubigen und Ungläubigen zu sprechen und fängt an, von Gebildeten und Un- 
gebildeten zu reden. Das Volk erinnert sich daran, wie seine Söhne vor 14 Jahr- 
hunderten nach Byzanz, Athen und Alexandria strömten, dort Studien zu machen 
und man will diesen Strom wieder erneuern. Allein man sieht, dafs diese Kultur- 
Mittelpunkte der alten Welt zurückgeblieben sind. Ja man siebt, dafs die Rollen 
getauscht sind: anstatt nach Südwesten muss man sich nach Nordwesten richten, 
um wissenschaftliche Bildung zu erlangen. Die Armenier scheuen nicht vor diesem 
Wechsel zurück. Seit 1860 strömen viele junge Leute nach Deutschland, Frank- 
reich, Itatien und Russland. Es tritt eine neue Literatursprache ins Leben, weil 
die altarmenische nicht mehr so verständlich war. Die ersten Bahnbrecher unsrer 
neuarmenischen Litteratur: Nasarjan, Aboojau, Barchudarjan — der die meisten 
Werke eines unsterblichen deutschen Dichters, ich meine Schiller, übersetzt hat 
— und andere haben, wenn nicht in Deutschland, so doch auf einer deutschen 
Universität ihre Bildung genossen. Diese Universität, wo unsre ersten akademisch 
gebildeten Leute deutsche Kultur und Wissenschaft kennen gelernt haben, war die 
damals sehr hochgeschätzte Universität zu Dorpat. In Folge der sehr rühmlichen 
Thätigkeit der genannten Männer machte die Sympathie des armenischen Volkes 
zur deutschen Kultur und Wissenschaft solche Fortschritte, dafs gegenwärtig jeder 
junge, strebsame Armenier, welcher nach den Studien seine Kräfte der Nation 
widmen will, nach Deutschland kommt. So sind z. B. allo unsere Publizisten, 
welche, wie überall bei den kleinen Nationen, so auch bei uns, eine sehr wichtige 
Rolle in den nationalen Verhältnissen spielen, auf deutschen Universitäten ge- 
wesen — ich spreche hier nur von den russischen Armeniern. — 

Trotzdem die Schwierigkeiten wegen des weiten Weges und der Sprache grofs 
sind, so giebt es wohl kaum eine Universität in Deutschland, auf der in den letzten 



Schnorhali), d.i. der Anmutigo (starb im IS. Jahrhundert), der Verfasser des berühmten Ge- 
dichts: Der Sohn Jesus. Dass manche griechische Bücher in das Armenische übertragen 
wurden, beweist unter andoren die vor wenigen Jahren wieder aufgefundene Uebersetzuag der 
Chronik des Eusebius. ' Rehm: Geschichte des Mittelalters, III. Band, 8eite 206. 1681. 




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Dezennien kein Armenier studiert hat. Die Hauptsammelpunkte sind und waren 
von jeher Leipzig, München, Jena, Halle, Heidelberg, Berlin und Tübingen. Ja, 
ich kann offen gestehen, dafs von meinem vierzehnten Altersjahre mein höchstes 
Ideel war, nach Deutschland zu kommen, um deutsche Bildung zu erlangen. 

Aber nicht auschliefslich durch die Litteratur konnte die in Europa studie- 
rende Jugend unser Volk aus der geistigen Dämmerung erheben. Nein, nicht 
umsonst haben unsere jungen Leute in Deutschland studiert. Sie beherzigten die 
Worte des grofsen deutschen Dichters Goethe: „Mit einer erwachsenen Generation 
ist nicht viel anzufangen, in körperlichen Dingen wie in geistigen, in Dingen des 
Geschmacks, wie des Charakters. Seid aber klug und fangt es mit der Jugend 
an, und es wird gehen." 

In der üppigen Fülle von neuen Lebensanschauungen, welche auf dem Boden 
Anneniens mit dem Anfang des 19. Jahrhunderts emporspriefsen, macht sich auch 
der erste zarte Keim unsres Schulwesens bemerkbar, aber die allgemeinen Ver- 
hältnisse sind seinem Gedeihen noch wenig günstig. 

Wie überall, so war auch bei uns das Volksschulwesen anfangs sehr fehler- 
haft. Bis in die sechziger Jahre war (Ins Ziel unsrer Volksschulbildung nur ge- 
wisse Fertigkeiten: Schreiben, Lesen, kirchliche Lieder und Gesänge zu lehren 
und zum Allgemeingut aller zu machen. Wenn dieses erreicht war, so gab man 
sich zufrieden. Erst nach den sechziger Jahren, als ein Teil unsrer Jugend aus 
Deutschland zurückkam, wo sie sich mit der Herbart-Zillerischen, auf wissenschaft- 
liche Basis gegründeten Pädagogik bekannt gemacht hatte, that sich das Streben 
kund, die Volksschule in eine mehr ideale Richtung zu bringen. Ja, Dank der 
Herbart-Zillerischen Pädagogik, wurde auch bei uns die Erziehung der Kinder 
mehr und mehr zur Lebensaufgabe gemacht. Man will nicht nur Schreiben und 
Lesen als Zweck des Volksschulunterrichts betrachten. Die Volksschule soll 
im Gegenteil ein Institut für Volksbildung sein, einer der mächtigsten Faktoren 
derselben. Erziehungszweck soll sittlich-religiöse Charakterbildung des Zöglings 
sein; man soll durch den Unterricht erziehen; der Unterricht, welcher nicht er- 
zieht, hat keinen Wert. Durch diese humanen und hohen Prinzipien begeistert, 
kam unsere Jugend aus Deutschland in die Heimat zurück und begeisterte auch 
das armenische, nach höherer Kultur strebende Volk. Die Frucht dieser Begeiste- 
rung war, dafs in den letzten Dezennien unser Volk mit seinen nicht sehr grofsen 
Mitteln mit Hülfe der Geistlichkeit überall Schulen eingerichtet hat. Die russische 
Regierung bat keine Kopeke dazu gegeben. Die Zahl unserer nationalen Schulen 
wurde so sehr vermehrt, dafs auf 3000 Seelen eine Schule kam. Diese Zahl wird 
Ihnen vielleicht als sehr grofs erscheinen, aber Sie müssen bedenken, dafs in 
Russland durchschnittlich auf 10,000 Seelen kaum eine Schule kommt. Diese 
erfreulichen Zustände versprachen uns eine glückliche Zukunft. Aber das Schicksal 
wollte es nicht und unser Schulwesen wurde in seiner gedeihlichen Entwicklung 
Wie dieses kam, will ich Ihnen, geehrte Herreu, durch eine Mitteilung aus dem 
Leipziger Tageblatt erklären. (L. T. 1885. 29. IV) 

„Die russische Regierung hat ohne besondere Veranlassung kraft der Macht- 
mittel, die ihr zu Gebote stehen, am 19. März dieses Jahres 340 armenische 
Schulen aufgelöst und somit Tausende von Knaben und Mädchen ihrer Bildungs- 
mittel beraubt Der in Konstantinopel erscheinende „Arewelk" enthält darüber 
einen tiefen Eindruck machenden Bericht: Traurig ist es, dafs Russland die das 
armenische Schulwesen betreffenden Gesetze aufgehoben und sein Ziel, die Schule 
zu russinzieren, mit Gewalt zu erreichen sucht. Die Auftritte in den Schulen 
waren esschütternd. Als die Polizei in der höhern Töchterschule zu Tiflis erschien, 
um die Schule aufzuheben, fingen die Schülerinnen laut zu weinen an, einige von 
ihnen wurden ohnmächtig ; die Lehrerinnen waren in der ängstlichsten Aufregung, 
eine starb vor Aufregung, mehrere andre und auch Schülerinnen müssen das Bett 
hüten. Kleine ^ehulmädchen küssten die Schulbänke und die Thören. Sie wollten 
die Schulo nicht verlassen, wo ihnen die Erkenntnis ihrer Nationalität zu Teil 
wurde. Die Eltern standen vor dem Schulgebäude, weinten bittere Thränen und 
PKchigogriache Studien IV. H 



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jammerten laut, dafs nun ihre Kinder in Zukunft einer besseren, gediegeneren 
Bildung nicht mehr teilhaftig würden. In TiHis sind mehr als 15 Schulen auf- 
gehoben worden, ebenso wurden letztere aufgelöst in Eriwan, Sehuscha, Sehe- 
machi, Baku. Gori, Batum und anderen Orten. In Eriwan verkündete der 
Gouverneur einen Ukas des Zaren, welcher anordnete, dafs die Armenier die 
Schulen in die Häude der Regierung geben sollten und jeden mit der Strafe 
eines politischen Verbrechers bedrohte, der diesem Befehle nicht gehorchte. Was 
es heilst, in Kufsland ein politischer Verbrecher zu sein, ist allgemein bekannt. 
Doch das Volk blieb standhaft. In seiner Antwort betonte es, dafs die Armenier 
gehorsame und treue Unterthanen des russischen Reiches seien, dafs dagegen die 
Schulen nicht das Eigentum des Volkes seien, sie dieselben folglich auch nicht 
übergeben könnten. Als der Gouverneur ob dieser Antwort stutzte und nach dem 
Besitzer der Schulen fragte, erwiderte ihm das Volk, dafs die Schulen der Geistlich- 
keit gehörten Nach dieser trefflichen Antwort verlangte die russische Regierung 
von der Geistlichkeit die Herausgabe der Schulen, allein auch die Geistlichkeit 
erklärte sich dazu nicht kompetent und antwortete, wie schon 1884, dafs sie 
nicht imstande sei, sich in Sachen zu mischen, die sie nichts angingen, denn die 
Verfügung über die Schulen habe der Katholikos und dessen Wahl stehe nun 
schon zwei Jahre aus. Es ist aus dem Artikel des „Arewelk" nicht ersichtlich, 
welche Mafsregelu hierauf die russische Regierung ergriffen hat, doch scheint sie 
es nicht bis zum Aussersten halten kommen lassen, denn die Frage der definitiven 
Auflösung der Schulen bleibt in der Schwebe, bis der neue Katholikos installiert ist." 

Uber diese Mitteilung gelten vollkommen die Worte Shakespeares: „Wahr 
dafs es traurig, und traurig, dass es wahr ist." Allein wir haben unsere Hoff- 
nung nicht ganz verloren. Ks ist ein neuer Katholikos gewählt, aber noch nicht 
vom Zaren bestätigt. Wenn es auch ein unglückliches Schicksal wollte, dass wir 
nicht mehr vom Ararat bis zum Fusse des schneebedeckten Kaukasus durch 
unsere Nationalschuleu und durch die Hcrbart-Zillerisehc Pädagogik die für 
uns ideale deutsche Kultur verbreiten könnten , dann bleibt uns nichts anderes 
übrig, als unsere Wirkungsstätte zu ändern. Die Gebiete des Wan- und Urmia- 
See's, das Hochland Erzerums und andere Gegenden unseres heiligen Vaterlandes 
- das türkische und persische Armenien — sind uns dann als das Feld unserer 
Kulturbestrebuugen angewiesen 

Ein letztes Wort. Ich wünsche, dafs die Herbart-Zillerischen pädagogischen 
Grundsätze, wie in Armenien, so auch in anderen Ländern günstige Aufnahmt 
und Erfolg haben. Ich wünsche ferner, dafs im Bcwufstsein des mächtigen 
deutschen Volkes auch ein kleiner Platz für den Armenier wäre: dafs das deutsche 
Volk wüfste. es gäbe im fernen Asien ein kleines Volk, dessen höchstes Ideal die 
deutsche Kultur ist.*) 

1885. 2». Mai. janz. 



2. Leipziger Lokalverein für wissenschaftliche 

Pädagogik.*) 

Leipzig, Ui. September. Der Verein nahm am 8. d. M. seine Thätigkeit 
wieder auf und soll von jetzt an am ersten Dienstage eines jeden Monats eine 
Versammlung stattfinden. Herr Direktor Dr Barth spraeh über die An- 
wendbarkeit der Herbart-Zill erscheu Pädagogik, ein Thema, welches 
in der Fachpresse jetzt vielfach verhandelt wird. Redner präzisierte zunächst die 
Stellung der Herbartschen und Zillerscheu Pädagogik dahin, dass erste re als 
eine rein philosophische Disziplin. letztere als eine mehr ange- 
wandte, auf unsere nationalen und religiösen Interessen berech- 

*» Vergl. hierzu den Artikel im AuilaJid'' >o. .0, 1885: Pro populo Anneniaco. 
**y Beilage zum Leipziger T.tgetilatt Ko. 201. 



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— 35 — 



nute Lehre zu betrachten sei. Es »ei daher auch nicht zu verwundern, dafs 
nie Zillersche Pädagogik, weil sie der Schulpraxis näher träte, heftigeren An- 
griffen ausgesetzt sei, als die Herbartsche Pädagogik, aus der sie heraus- 
gewachsen. Die Kritik der Zillerschen Pädagogik habe sich bis jetzt fast aus- 
schliesslich nur dem Unterrichte zugewandt und würden hier drei Punkte heraus- 
gegriffen: 1) die sog. formalen Stufe». 2) die Konzentration und 3) die kultur- 
historischen Stufen des Unterrichts. Über Punkt 1 zu sprechen sei nicht nötig, 
da die betreffende stufenmässige Behandlung mehr und mehr Anerkennung finde, 
ja von Gegnern behauptet werde, dafs die Schule längst schon, und zwar ohne 
Rücksicht auf Herbart, darnach miterrichte. Betrachte man sie aber, wie es 
eigentlich sein müsste, als Ausflul's der Herbartschen Lehre vom Interesse, so 
würde man bald finden, dafs die Gegenwart noch sehr weit von der richtigen 
Anwendung der „formalen Stufen" und der durch sie geforderten Artikulation des 
Unterrichts entfernt sei. 

Was nun aber die Konzen trationsidee anlangt, so sei die pädagogische 
Presse fast einstimmig der Ansicht, dafs sie bei den jetzt herrschenden Schul- 
verhältnissen unausführbar sei. Redner legt das Bekenntnis ab, dafs er derselben 
Ansicht sei. Der Mittelpunkt, um welchen sich der übrige Unterricht zu kon- 
zentrieren habe, sei der Gesinnungsunterricht und hier an erster Stelle die bib- 
lische Geschichte. Es liege nun auf der Hand, dafs konfessionslose Schulen, 
nach welchen jetzt vielfach gestrebt werde, ein solches Zentrum nicht zur An- 
wendung bringen könnten. Aber auch Simultanschulen, für welche die 26. All- 
gemeine Deutsche Leserversammlung sich ausgesprochen habe, könnten die bib- 
lische Geschichte als Konzentrationsstoff nicht gebrauchen, denn dieselbe könnte 
doch des konfessionellen Charakters nicht entbehren, und darum würden 
bei den notwendigerweise auftretenden Beziehungen zu anderen Disziplinen 
religiöse Kollisionen eintreten. Die städtischen Leipziger Volksschulen seien zwar, 
obgleich sie auch von Katholiken und Juden besucht würden, keine Simultan- 
sehulon, da ihnen der evangelische Charakter gewahrt sei. Würde aber die bib- 
lische Geschichte zu den anderen Disziplinen, an denen auch Andersgläubige 
teilnehmen, in konzentrisclie Beziehung gesetzt, so würden diese in ihrem Glanben 
leicht irritiert werden können. Die Zillersche Konzontrationsidee sei nur in 
streng durchgeführten Konfessionsschulen zu verwirklichen. Wo diese fehlen, 
könne sie daher auch nur unvollkommen zur Anwendung kommen. Die Kon- 
zentration des Unterrichts verlangt ferner eine Durcharbeitung der Lehrfächer bis 
in die Einzelheiten hinein, also ein Lehrplansystem gegenüber dem jetzt gebräuch- 
lichen Lehrplanaggregat. Es müssten, was man Ziller als Künstelei auslege, in 
jeder Schulwoche die verschiedenen Stoffe so ineinandergreifen, dass im Kinde 
der einheitliche Gedankenkreis stets gewahrt bleibe. Es müsste insbesondere für 
jedes Schuljahr genau untersucht werden, ob die Vielseitigkeit des Interesses ge- 
wahrt sei und ob nicht ein Interesse, etwa das empirische, auf Kosten eines 
anderen, etwa des spekulativen oder ästhetischen, besonders gepflegt oder anderer- 
seits das sympathetische unter Vernachlässigung des gesellschaftlichen oder 
religiösen Interesses bevorzugt werde. Sind hierfür schon entsprechende Aus- 
arbeitungen vorhanden? Diese Frage muls verneint werden, und so ist auch vor- 
erst an eine Anwendung der Herbart-Zillersehen Pädagogik nicht zu denken. 
Hierzu kommt der weitere Punkt, dafs es, auch wenn die Theorie vollständig 
ausgebaut wäre, doch an Lehrern fehlen würde, sie anzuwenden, und wenn das, 
so würde es an dem Mangel von Zusammenwirken scheitern, da bei so grofsen 
Lehrkörpern, wie unsere Volksschulen sind, eine Übereinstimmung in den päda- 
gogischen Ansichten kaum zu erwarten sei. Es müfsten also erst kleine Schulen 
und kleine Lehrerkollegien hervorgerufen werden, wenn sich die Zillersche Lehre 
verwirklichen lassen sollte. Aber auch kleine Lehrkörper könnten nur dann etwas 
Erspriefslkhes leisten, wenn sie auf Einen Geist gestimmt seien. Diese Überein- 
stimmung wird nur in seltenen Fällen gefunden werden. Warum? Weil die 
pädagogische Vorbildung der Lehrer, namentlich der von der Universität kommen- 
den, eine so überaus dürftige sei. Die von den Seminaren kommenden Lehrer 



3* 




- 36 



•eien hierin etwas besser bestellt, gleichwohl werde doch niemand behaupten 
wollen, dafs sie ein einheitlicher pädagogischer Geist beseele, ja es wird zugegeben 
werden müssen, dafs dies bei dein gänzlichen Mangel von akademisch-pädagogi- 
schen, mit Übungsschule verbundenen Seminaren, aus denen sich die Lehrkörper 
der Vulksschullehrersemiuare zu rekrutieren hätten, geradezu unmöglich sei. Die 
Zillersche Thätigkeit an der Leipziger Universität sei iu einer Korrespondenz aus 
Leipzig an das Dittessche Pädagogium in gehässiger Weise verkleinert worden. 
Aber sicher sei, dafs Ziller, ganz abgesehen von Beinen eminenten theoretischen 
Arbeiten, während der Zeit seiner akademischen Wirksamkeit in der Erziehung 
tüchtiger Lehrer mehr geleistet habe, als alle die zusammen genommen, welche 
in jener Korrespondenz genannt werden. Solche Seminare, wie die von Ziller 
und Stoy, müfsten erst wieder aufleben, wenn es in unseren Schulen besser werden 
solle. 

Aber auch die Idee der kulturhistorischen Stufen sei unter den ge- 
gebenen Verhältnissen nicht ausführbar. Dieselben setzen die innigste Anlehnung 
au den kindlichen Geist uud an seine der Menschheit adäquate Entwicklung 
voraus. Eine Pflege der Individualität sei jedoch im Massenunterrichte, unter dem 
die meisten unsrer Volksschulen noch sehr zu leiden haben, nicht zu erwarten. 
Sollen aber kleine Schulklassen eingerichtet werden, so koste dies viel Geld, das 
zu diesem Zwecke schwer zu beschaffen sei. Schon jetzt klagten die Gemeinden 
über ihre Schullasten und mit Recht, denn die Schule sei nicht bloss Gemeinde- 
sache, sondern Familie, Kirche und Staat seien ebenfalls daran beteiligt. Nehmen 
Kirche und Staat Rechte in Anspruch, so hätten sie auch Pflichten zu erfüllen. 
Der Familie hätte man nur mehr Rechte einzuräumen, als sie gegenwärtig 
besitzt, so würde sie dann auch bereit sein, grössere Pflichten zu übernehmen. 
Dies weise auf eine Reorganisation der Schulverfassung hin, woran auf lange Zeit 
hinaus nicht zu denken sei. Jetzt würden die Familien geradezu daran gewöhut, 
möglichst wenig für ihre Kinder zu thun, und wenn Berlin das Schulgeld auf- 
gehoben habe und Frankfurt a/M. nahe daran gewesen sei. dies zu thun, so 
könnten sie sich nur gleich unter die Fahne der Sozialdemokraten stellen, die be- 
kanntlich auf gleichem Staudpunkte stehen. Bebels Buch „Uber die Frauen" 
lehre dies. Was wird nun aber mit den notorisch Armen, sollen diese auch 
Schulgeld bezahlen? Redner meint hier: allerdings, aber es sollte in einem 
wohlgeordneten Staate solche Arme gar nicht geben, die für ihre Kinder so gut 
wie gar nichts thun können. Wenn inau dies als eine Utopie bezeichne, so habe 
er nichts dagegen, aber so viel sei für ihn sicher, dass in den gegenwärtigen 
abnormen Zuständen an eine nachhaltige Fortbildung des Schulwesens nicht zu 
denken sei. 

Aber auch kleine Schulklassen verlangen, wenn sie pädagogisch wirksam 
sein Bollen, eine annähernde Homogenität, eine möglichst gleiche Apperzeptious- 
fähigkeit der zu unterrichtenden Kinder. In betreff der Religion ist dies schon 
verlangt worden, indem sich Redner ganz auf den Standpunkt der evangelischen 
Konfessionsschule stellt Wenn aber z. B. der Seminardirektor Bürgel in einer 
katholischen Schulzeitung sage, die Zillerschen Kulturstufen seien darum falsch, 
weil sie die Reformationsgeschichte in sich einschliefsen, diese aber in katholischen 
Schulen nicht behandelt werden könnton, so sei dies entschieden unrichtig. Viel- 
mehr sei es so: die Wissenschaft der Pädagogik verlange ganz notwendig die 
Kulturstufen und damit auch die Geschichte der Reformation. Gäbe es nun 
Schulen , wie die der Katholiken , welche dieser Forderung nicht entsprechen 
könnten, so sei diese Forderung nicht falsch, sondern es zeige dies nur, dafs die 
betreffende Konfession auf falschen Wegen wandle. Bei den Evaugelischen sei dies 
anders. Hier stimme die Lehre mit der Pädagogik zusammen, was, nebenbei ge- 
sagt, zngleich eiu Beweis »lafür sei, dafs die evangelische Lehre die richtige sei. 
Aber die Übereinstimmung der kindlichen Seelen beziehe sich auf annähernd 
gleiche örtliche Erfahrungen. In kleinen Städten und in Dorfschaften sei dies 
zu bewerkstelligen, wie aber in Grofsstridten ? In Leipzig sei, mit Ausnahme einer 
Schule, die Bevölkerung an bestimmte, ihr zunächst gelegene Schulen gewiesen. 



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Das sei ein Vorzug, den wir dem Umstände verdanken, dafs ein Mann mit psycho- 
logischar Einsicht, ein früherer Schulmann, an der Spitze des Volksschulwesens 
steht. Wie sei es aber mit der fluktuierenden Bevölkerung unserer Tage und mit 
dem Freizügigkeitsgesetze, das schon .so manche andere bedenkliche Folge herbei- 
geführt habe? Hier müsse erst in der Gesetzgebung vieles geändert werden, 
sollte an eine Reform der Schule gedacht, ja sollte auch nur eine einzige pädagog. 
Idee realisiert werden. Bekanntlich bringen aber auch arme und reiche Kinder 
verschiedene Vorstellungskreise mit. Indem man dies empfindet, hat man Standes- 
schulen vorgeschlagen und in der That könnten dieselben vom rein psychologischen 
Standpunkte aus erwünscht sein, niemals aber vom ethisch-christlichen, denn sie 
widersprächen dem Prinzip der Nächstenliebe. So liege also auch hiar ein Dilemna 
vor, dessen Lösung erst abgewartet werden müsse, bovor an einen normalen er- 
ziehenden Unterricht zu denken sei. 

Die kulturhistorischen Stufen verlangen schliefslich, dafs jedes Schuljahr einen 
besonderen Gesinnungsstoff zum Mittelpunkt habe, welcher der Apperzeptiousfähig- 
keit des Kindes entspreche, daher ein auf acht Jahre verteilter Stufengang. Wie 
verhält sich dazu die Dorfschule, z. Ii. die ein- und zwciklassige Schule? Diese 
könue damit doch offetibar nichts anfangen. In solchen unvollkommen entwickelten 
Schulen lassen sich die besagten Stufen nicht einführen. Da dies schon längst 
gefühlt worden sei, habe man sich' mit den sogenannten konzentrischen Kreisen 
geholfen. Redner bezeichnet dieselben als eine pädagogische Sünde. Wenn aber 
das Dorf aus der Not eine Tugend mache, so sei es doch nicht gerechtfertigt, 
wenn sich, wie in Leipzig, achtklassige Schulen mit diesem Notbehelfe begnügten, 
indem sie in der biblischen Geschichte, welche als Heilsgeschichte die strengste 
Kontinuität verlangt, in einem einzigen Schuljahr aus allen Perioden Bruchstücke 
darbieten! Ja anstatt diese Afterpädagogik fallen zu lassen, überträgt man sie 
auch auf andere Gebiete, auf Deutsch. Geographie und dergleichen. Man könne 
aber deswegen weder den Lehrern noch den Direktoren, noch der nächsten Schul- 
behördo einen Vorwurf machen, denn diese Behandlungswcise erfolge auf Anord- 
nung der obersten Schulbehörde, und diese hänge wieder vom Landtage ab, bei 
dessen Zusammensetzung auf alles andere , nur nicht auf ein hohes Interesse für 
das Schulwesen gesehen werde. Sie hänge ferner von dem Konsistorium und 
dieses von der Kirchensynode ab, in der das pädagogische Element nur schwach 
vertreten sei. Dafür zeuge, nebenbei gesagt, das neue Gesangbuch. Es fehle hier 
aller Orten die Schulsynode, welche Dörpfeld u. a. seit mehr als 20 Jahren 
vergeblich verlangten, in welcher alle Schulinteressenten vertreten seien und aus 
welcher heraus die Anstösse zur Fortentwickelung der Schule zu erfolgen hätten. 

Es läfst sich also weder die Konzentrationsidee noch die der Kulturstufen 
unter den obwaltenden Verhältnissen verwirklichen, wie das Kapitel von der Zucht. 
Ja man würde finden, dafs hierin von Seiten der Schule noch woniger geschehe 
als in betreff des Unterrichts. Doch hierauf einzugehen, sei jetzt die Zeit zu 
kurz. 

Haben also manche Bedenken gegen die Anwendbarkeit der Herbart-Zillerschen 
Pädagogik ihre Berechtigung, so folge daraus doch nicht, dafs sich die Lehrer 
«nthätig verhielten, vielmehr solle jeder sich darum bemühen, dafs die Theorie dos 
erziehenden Unterrichts weiter ausgebildet werde. Am allerwenigsten solle man 
sich der Herbart-Zillerschen Pädagogik gegenüberstellen, sondern sich der grofs- 
artigen Anregungen erfreuen, welche aus derselben hervorgehen, auch wenn sie 
uns unbequem seien. Wie zu Campes Zeiten, vor hundert Jahren, müsse eine 
neue Revision des gesamten Unterrichts vorgenommen werden, und da gäbe es 
viele Detailarbeiten, wobei jede Kraft willkommen sei. Auch was wir sonst in 
der Praxis dem harten Boden abgewinnen könnten, solle nnsererseits geschehen. 
Es Heise sich immerhin schon Manches erreichen. Nur möge ohne jede Illusion 
vorgegangen werden. Beteiligen wir uns aber auch ernsthaft an der sozialen 
Reform. Mit ihr hängt das Besserwerden unserer Schnlzustände auf das Engste 
zusammen. 



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Der Vortrag wurde beifällig aufgenommen. Die daran sich anschließende 
Diskussion bezog sich besonders auf die Stellung Zillers zu Herbart, auf den 
konfessionellen Unterricht und auf die Standessehule etc. 8cliliefslieh kamen die 
Thesen über den Geschichtsunterricht zum Vortrag, welche auf 
der nächsten Bezi rks - Lehre rve rsa mm 1 un g zu Borna vorgelegt 
werden sollen. Dieselben stimmten auffallend überein mit den Ausführungen 
des Vortragenden und fanden deshalb auch eine sehr beifällige Aufnahme. 

3. Ein neuer Herkules.*) 

Gestützt auf seine Keule 
Am blauen Donaustraud, 
Blickt Herkules begierig 
Mach Kampf und Streit ins Land. 

Auf einmal hört ers krabbeln 
An seiner Keule laut — 
Noch zuckt ihm keine Wimper, 
Noch wird nicht hingeschaut. 

Und wieder hört ers krabbeln. 
Es krabbelt in die Höh — 
Noch hält er still die Keule, 
Noch thut es ihm nicht weh. 

Doch wies genug gekrabbelt 
Herunter und herauf. • 
Da schüttelt er die Keule: 
„Das Krabbeln hört jetzt auf!" 

Nun sagt gewifs ein jeder, 
Der etwa» menschlich fühlt: 
„Die Keule mufst' er schütteln, 
S'wär sonst ja zu tiund. 

Und krabbeln auf der Keule 
Die Katten erst umher, 
Da nützt sie keinem Streiter, 
Wenns Herkules auch wär\" 



*) In Kuhneri Httlfs- und 8chreibkalender für Lehrer auf das Jahr 18S6 «teilt Seite 341 
bis 264 eine Biographie des Herrn Dr. Fr. Dittes tob Herrn A Chr. Jessen in Wien. 
In derselben sind folgende Angriffe auf die Herbartianer enthalten : 

Nachdem auseinandergenetst worden ist, dass die Berufung Willmanns ans Pädagogium 
sich als ein nicht ganz glücklicher Griff erwiesen habe — obwohl von ihm gesagt ist, dass er 
„eine hochbegabte und in gewissem Sinne klassisch gebildete Kraft sei, dass in seinen Vor- 
trägen eine Fülle wahrer und edler Gedanken flute , dass seine 8p räche berückend schön 
sei u. s. w. — fahrt der Herr Verfasser fort: „Es mag au dieser Stelle im Interesse der 
Wahrheit denn auch gesagt werden, dass ein grosser Teil jener Kränkungen, welche Dr. 
Dittes als Direktor des Pädagogiums in Wien erduldet hat, gerade von Herbartianern aus- 
gegangen ist." Diese Angriffe seien aus rein persönlichen Motiven entstanden. Ks hatte unter 
den Herbartianern bittern Unmut gesetzt, dass an die Spitse des Pädagogiums ein Mann be- 
rufen worden sei, der auf kein Magisterwort geschworen. Im Wiener „Wanderer 14 habe zuerst 
ein bekannter Vertreter Herbartscher Ideen an der Wiener Universität die Informationsreise 
der Herren Ficker und Kolatschek mit dem Zuge der Weisen au« dem Morgenlande und Dittes 
mit dem Heiland verglichen. Dann, als H. Deinhardt, gedrängt von dem aufwallenden Gefühle- 
des Unmuts Uber einen Schüler Dr. Stoys, in einem österreichischen Schulblatte eineu Artikel 
über die Pädagogik der Stoyker gesehrieben habe, hätte ein süddeutscher Schulmann das r*e- 
schwörende Wort nach Wien gerichtet: Um Gottes willen, Ihr wollt Stoy doch nicht den Boden 
untergraben, Bielitc ist ja doch nur eine Etappe nach Wien. ,,Der Herbartianer Stoy, der dae 
Seminar in Bielitc leitet«, sollte also au die Spitze des Pädagogiums treten. Ich frage jeden 
menschlich fühlenden Mann: Nachdem die Batten dergestalt und durch lange Zeit 
auf der Keule des Herkules herumgekrabbelt sind, ist es da ein Wunder, dass 
der Herkules endlich begonnen hat, seine Keule au schütteln und dass Dittes 
jetzt, wo er Zeit und Müsse hat, sich Buhe su schaffen suHit-" — 



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Nachdem sie der geschüttelt, 
Trägt er sie stolz nach Haus. 
Von solcher harten Arbeit 
Die Beiden rnhn nun aus. — 

O hütet euch, ihr Ratten, 
Der Keule je zu nahn, 
Wenn Herkules sie schüttelt. 
Erschlägt sie Zahn auf Zahn 

Lafst ruhen den Gewalt'gen, 
Wagt ihn zu stören nicht! 
Gar furchtbar geht er sonsten 
Mit euch in das Gericht! — 



4. Entgegnung. 

In .. Kutaner s Hülfs und Sehreibkalender für Lehrer auf das Jahr 1886" be- 
findet sich ein von einem gewissen Herrn Jessen in Wien verfafster Aufsatz über 
Dittes, in welchem mehrere Pädagogen Herbartischer Richtung, teils mit teils ohne 
Nennung der Namen, arg mitgenommen werden. Ich fühle mich nicht berufen, 
für die Angegriffenen, soweit sie noch am Leben sind, einzutreten. Sie mögen, 
wenn sie wollen, ihre Verteidigung oder Rechtfertigung selbst übernehmen. Einer 
aber ist unter ihnen, der sich nicht mehr verteidigen kann, das ist mein hoch- 
verehrter Lehrer und Freund, der verstorbene .Schulrat Stoy. Seiner wird an 
mehreren Stellen de* Aufsatzes in nicht gerade ehrenvoller Weise gedacht. Ich 
will aber nur die eine hervorheben, in welcher von dem „unwürdigen Vorgange 
der von Stoy redigierten Allgemeinen Schulzeitung" gesprochen wird. Es ist um 
so mehr geboten, der Sache, um die es sich hier handelt, auf den Grund zu 
gehen , als jedenfalls die wenigsten Leser des betreffenden Aufsatzes in der Lage 
sein werden, selbständig zu untersuchen, worin eigentlich der „unwürdige Vor- 
gang" der Allgemeinen Schulzeitung bestanden hat. Dittes hatte auf dem kroati- 
schen Lehrortage zu Agram eine Rede gehalten, welche von der „Allgemeinen 
Lehrerzeitung" veröffentlicht wurde. Darauf erschien in No. 4 des .lahrganges 
1872 der Stoyschen Zeitung ein Artikel, welcher nach dem erwähnten Berichte die 
Rede (ob ganz oder nur teilweise, weils ich nicht), und zwar begleitet von Ausruf- 
und Fragezeichen und einem Schlufswortc ebenfalls brachte. Nach der Dar- 
stellung des Herrn Jessen gewinnt es nun den Anschein, als ob alles, was der 
Stoysche Artikel durch seine Frage- und Ausrufezeichen und durch sein Schlufs- 
wort an der Dittessthen Rede getadelt, auf den Vorwurf zurückzuführen sei, 
Dittes verstehe kein Deutsch. Und da nun Herr Jessen behauptet, der Bericht- 
erstatter der Allgemeinen Lehrerzeitung sei ein Kroat gewesen, der der deutschen 
Sprache nicht mächtig wsr, so mufs freilich Stoys Vorgang unwürdig erscheinen, 
wenn er auf Grund eines solchen Berichtes den Vorwurf mangelnder Sprach- 
kenntnis erhebt. Aber gegen die ganze Auseinandersetzung des Herrn Jessen ist 
zu bemerken : 1) dafs er nicht den Nachweis geliefert hat , Stoy habe von der 
behaupteten Mangelhaftigkeit des Berichtes in der Allgemeinen Lehrerzeitung 
Kenntnis gehabt, und 2) dafs der Stoysche Artikel aufser an den sprachlichen 
Schwächen auch an Dingen ganz anderer Art Anstofs nimmt, die ich hier nicht 
wiederholen will, die aber jeder in der betreffenden Nummer der Allgemeinen 
Schulzeitung selbst nachlesen kann. Ein Mann von der Bedeutung Stoys steht 
viel zu hoch, als dafs er aus etwaigen sprachlichen Schwächen eines Gegners 
Kapital geschlagen hätte. W T enn er zur Polemik schritt, so war es ganz allein 
die Begeisterung für die heilige Sache der Erziehung, die ihm die Feder führte, 
und nichts anderes. Wenn sich Herr Jessen berufen fühlte, Dittes gegen die 
Angriffe Stoys in Schutz zu nehmen , so mulste er auch auf das Sachliche dieser 
Angriffe eingehen, dann hätte er auch andere Artikei der Allgemeinen Schul- 



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zeitung nicht mit .Stillschweigen übergehen dürfen, z. B. den in N'o. 50 des Jahr- 
ganges 1875, der von Dittes, dem Sebulstrikeprediger, handelt. 

Eisenach. Dr. A. Bliedner, Seminarlehrer. 

5. Ein neuer Baukasten. 

Seit Jean Paul in seiner Levana schrieb: „Kein Spielzeug komme schon 
durch Anschauen vollendet an. sondern jedes tauge zu einem Arbeitszeuge. 
Z. B. wenn ein fertiges kleines Bergwerk nach wenigen Stunden vor den Augen 
des Kiudes befahren ist und jede Erzgrube erschöpft: so wird es hingegen durch 
einen Baukasten, eine Sammlung von losen Häuserehen, Bögen, Bäumchen, hu 
ewigen Umgestalten so glücklich und reich wie ein Erbprinz, welcher seine 
geistigen Anlagen durch das Umbauen der väterlichen im Parke kund thut" — 
seitdem ist der pädagogische Wert des Baukastens überall anerkannt und das 
Spielzeug selbst in vielfachen Gestaltungen den Familien dargeboten worden — 
ein Beweis, dafs man auch hierin nicht blinden Zufall und blosse Willkür 
herrschen lausen, sondern psychologischen Weisungen folgen will. 

Unter den vorhandenen Baukästen nun ist der neue „Spiel- und Bildung^- 
Baukasten für Kinder jedes Alters", erfunden und ausgeführt von Herrn Major 
v. Nostitz auf Klausberg bei Eisenach, unstreitig der beste Es ist eine ebenso 
originelle, als verdienstvolle Leistung des genannten Herrn, welcher weiterbauend 
auf den vorhandenen Grundlagen durch feine Beobachtung der Kindesnatur und 
durch praktischen Blick für die Umgebung ein Spiel geschaffen hat, das dem 
Kind bis ins spätere Knabenalter hinein ein lieber Begleiter sein wird. Leisteten 
die bisherigen Baukästen der Phantasiethätigkeit oft in einseitigster Weise Vor- 
schub und wirkten sie durch ihre oft sehr sonderbaren Vorlagen den Geschmack 
verbildend ein , so ist durch den Baukasten des Herrn von Nostitz ein gewisses 
System ins Spiel gebracht worden, ohne dafs dieses dadurch etwa langweilig und 
trocken geworden wäre. Im Gegenteil. Der nene Baukasten zeichnet sich durch 
grofse Mannigfaltigkeit aus, ohne doch dem Prinzip der Einfachheit untreu zu 
werden; er geht in seinen Vorlagen von leichteren zu schwereren Bauwerken 
über; er regelt die Phantasiethätigkeit so, dafs sie nicht allzusehr ausschweife und 
dan Boden der Wirklichkeit nicht verliere; er ist geeignet den Geschmack zu 
bilden, indem er charakteristische Stilarten vorführt und die Kinder anregt, ihre 
Hauthätigkeit auch zeichnerisch zu verwerten, sowie das Auge in dem Abschätzen 
und Abmessen von Formen und Gest/ilten mannigfach zu üben. Ferner mufs als 
ein grofscr Vorzug des Nostitzschen Baukastens dies betrachtet werden, dafs er 
eine ausgezeichnete Ergänzung zum Schulunterricht bildet, /.. B. inbezug auf den 
ersten Hcchcnunterricht — hier kann er Hand in Hand mit dem Tillichscben 
Kechenkasten gehen — ferner mit Küeksicht auf den geometrischen Unterricht, 
worüber sich ein Abschnitt im 2. Teile der Vorlagen findet. 

Alle diese Vorzüge, zu denen sich eine Reihe technischer Verbesserungen 
gesellt, wie z. B. das Verklammern der einzelnen Bauteile mittelst kleiner Blech- 
streifchen, die Anwendung der in Deutschland gebräuchlichen Holzarten u. s. w„ 
rechtfertigen das oben abgegebene Urteil, dafs der neue Baukasten des Herrn 
von Nostitz unter den vorhandenen entschieden der beste und empfehlens- 
werteste ist. 

Eisenach, im September 1885. Dr. W. Rein. 

6. Aufruf. 

Diesterweg schreibt in seinem Jahrbuche von 1851: 

„Alljährlich, oft tagtäglich tauchen, nicht bloss am Horizonte der Menschheit, 
sondern auch im Gebiete der Pädagogik bemerkenswerte Erscheinungen auf, teils 
vorüberziehende, aber dämm nicht unmerkwürdige Meteore, teils neu entdeckte 
Weltkörper und Welten. Wer weist uns dort znrecht, wer macht uns auf diese 



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41 - 



aufmerksam und deutet sie uns? Das ist die Bedeutung und der Wert der 
pädagogischen Journale 

Dieselben sagen ausserdem dem Lehrer, was es jetzt an der Zeit sei, woran 
man jetzt arbeite , was von dem Lehrer dieser Zeit zu hoffen oder zu fürchten 
oder zu thun sei." 

Seit dein Bestellen der pädagogischen Presse haben sich in derselben die je- 
weiligen pädagogischen Bestrebungen niedergeschlagen. Für den Geschichts- 
schreiber der Pädagogik ist darum jetzt schon das Studium dieser Presse mehr 
und mehr zur Notwendigkeit geworden; in noch grösserem Mafsc wird dieses aber 
in Zukunft der Fall werden. Hierzu ist wohl eine wohlgeordnete Sammlung 
der pädagogischen Zeitschriften unerläfslich. 

Die pädagogische Zeutral-Bibliothek (Comenius-Stiftung) zu Leipzig hat sich 
seit ihrom Bestehen unter anderem auch die Ansammlung derartiger Zeitschriften 
besonders angelegen sein lassen. Um nun diesen Teil unserer Bibliothek, für 
welchen der Katalog in nächster Zeit neu gedruckt werden soll, vor dieser Druek- 
leguug möglichst zu vervollständigen, wenden wir uns au die geehrten Verleger 
und Redakteure pädagogischer Zeitschriften, sowie an pädagogische Lesezirkel, 
Leserkonferenzen und Lehrervereiue mit der ergebensten Bitte: 

der pädagogischen Zentral -Bibliothek (Comenius-Stiftung) 
zu Leipzig verfügbare Exemplare von Schulzeitungen oder 
pädagogischen Zeitschriften wohlwollend zu überlassen. 

Insbesondere wolle man bei dieser Sammlung sein Augenmerk auf die ältesten 
Erscheinungen auf dem Gebiete der pädagogischen Journalistik richten. Vieles 
davon, was in den nächsten Jahrzehnten unrettbar verloren geht, läfst sich viel- 
leicht gegenwärtig noch erhalten. Eine ergiebige Fundgrube bilden jedenfalls 
alte Lehrer-, Schul- uud Kirchenbibliotheken, welche nur wenigen zugänglich 
sind und daher oft unbenutzt gelassen werden. Am leichtesten dürfte die Samm- 
lung zu bewerkstelligen sein, wenn sie von den Lehrervereinen der verschiedensten 
Gegenden Deutschlands in die Hand Hand genommen würde. 

Die günstigen Erfahrungen , die wir mit der Sammlung von Schul- 
programmen gemacht haben, lassen erwarten, dafs auch diese Sammlung einen 
recht reichlichen Ertrag ergeben wird. Gefällige Zusendungen erbitten wir uns 
unter der Adresse: „Comenius-Stiftung, Leipzig, Kramerstr. -I." Für die geneigte 
Gewährung unserer Bitte sprechen wir schon im voraus unseren ergebensten 
Dank aus. 

Der Vorstand 
der pädagog. Zeutral-Bibliothek (Comenius-Stiftung) 

zu Leipzig. 

7. Thesen über den Geschichtsunterricht. 

(Hauptkonfereuz der Direktoren und Lehrer des Schulinspektionsbezirks Borna.) 

L 

Die unverkennbaren Vorzüge einer Lösung der erzieherischen Aufgabe des 
Geschichtsunterrichtes in der Volksschule nach Herbart-Zillersch en Unter- 
richtsgrundsätzen liegen — gegenüber der biographisch- chronologi- 
schen Methode — a) in der Beschränkung des Stoffes zu Gunsten einer gröfseren 
Vertiefung in denselben und einer damit verbundenen eingehenderen Betrachtung 
der Kulturgeschichte, b) in der Verbindung der Geschichte mit der Poesie und 
c) in der nicht gelegentlichen, sondern absichtlichen Hervorhebung des sittlich- 
religiösen Elementes an ganz bestimmter Stelle im Unterrichtsakte. 

Auf eine allznpeinliche Verfolgung des ursächlichen Zusammenhanges der 
im Unterrichte vorgeführten historischen Thatsachen mufs jedoch die Volksschule 
ihrem elementaren Charakter gemäfs verzichten. 

II. 

Trotz der Vorzüge des in Bede stehenden Unterrichtsverfahrens ist gegen- 
wärtig eine konsequente Durchführung desselben 1. aus schulorganisatori- 



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42 - 



sehen Gründen weder in der einfachen, noch mittlereu Volksschule möglich, und 
2. weil überhaupt die Volksschule den Vorschlägen der Herbart-Zillerschen Schule 
gegenüber vorläufig zum Teil keine andere, als eine abwartende Stellung ein- 
nehmen kann. 

III 

Doch es wird der Lösung der erzieherischen Aufgabe des Geschichtsunter- 
richtes i. d. V. bei den jetzt obwaltenden Verhältnissen gewifs vortreffliche 
Dienste leisten, a) wenn die Durcharbeitung der einzelnen Pensen im Geiste 
der formalen Unterrichtsstufen erfolgt, b) wenn die in den Lesebüchern gebotenen 
historischen und sagenhaften Poesien möglichst in der „darstellenden Form des 
Unterrichts" dem Geschichtsunterrichte nutzbar gemacht werden, r) wenn mit der 
politischen Geschichte gleichzeitig die Kulturgeschichte eine ihr gebührende Be- 
achtung findet. 

Borna. H. Uhlmann. 



8. Ein neues Geschichtswerk. 

Deutsche Volks- und Kulturgeschichte für Schule und Hans. Von 
Dr. Karl Biedermann, ordentl. Honorarprofessor an der Universität Leipzig. 

I. Teil. — Die Urzeit. — Das Frankenreich unter den Merovingern und 
Karolingern. Preis: M. 1,40. 

(Dieses Werk wird in 3 Teilen vollständig sein ; der III. Teil (Schluss), die 
Zeit von 1519 bis 1871 enthaltend, soll noch vor Jahresschluss erscheinen: das 
Ganze wird, in solider Ausstattung auf holzfreiem Papier, in einem den wohl- 
berechtigten hygieinischen Anforderungen an eine deutliche, dem Auge nicht nach- 
teilige Schrift streng entsprechenden Druck, nicht über 5 bis 6 Mark kosten.) 

Biedermanns Deutsche Volks- und Kulturgeschichte gründet die Berechti- 
gung ihres Erscheinens neben den schon zahlreich vorhandenen Lehr- und Lese- 
büchern deutscher Geschichte vorzugsweise auf folgende drei Momente, die das 
Buch von allen seinen Vorgängern ganz wesentlich unterscheiden werden : 1) um- 
fassende Darstellung auch der Kulturgeschichte in ihrem Zusammen- 
hange mit der politischen Geschichte — 2) sorgfältigste Auswahl des 
Wichtigsten, um Schule und Haus vor Lberbürdung zu wahren und ein leicht 
fafs- und behaltbares Bild der vaterländischen Geschichte zu geben — 3) eine 
solche Anordnung des Stoffes, welche die grofsen geschichtlichen Begeben- 
heiten und Personen nicht vereinzelt, nach der Zeitfolge in ihrem inneren 
organischen Zusammenhang vorführt, so dass die Geschichte nicht ein 
blofses Gedächtuiswerk, sondern ein Gegenstand wirklichen selbsteignen Verständ- 
nisses für den Leser wird. 

Eine grössere Berücksichtigung des kulturgeschichtlichen Elements im Schul- 
unterricht ist bereits in vielen deutschen Ländern den Gcschichtslehrer» von den 
obersten Schulverwaltungen zur PHicht gemacht. In einer königl. preufs Ver- 
fügung des Unterrichtsministers von Bethmaun- Holl weg vom 31. August 18ö9 ward 
gesagt: „In den beiden oberen Klassen der Gymnasien und Realschulen tritt eine 
Erweiterung des Geschichtsunterrichts ein durch Aufnahme des Kulturgeschicht- 
lichen, der Litteratur, der Kunst und solcher Mitteilungen aus den Gebieten der 
Wissenschaft, Religion, der Erfindungen, des Verkehrs, der Sitten und Einricli 
tungen, die geeignet sind, ein auschauliches Bild von der Individualität de» Volkes 
und den Fortschritten der gesamten Menschheit zu erzeugen." 

Ebenso heifst es in den Lehr- und Prüfungsordnungen für Realschulen und 
Seminaren im Königreich Sachsen vom Jahre 1877: „Lehrziel ist: Kenntnis und 
Verständnis der wichtigsten, insbesondere der kulturgeschichtlichen, Begebenheiten 
und Personen." 

Im Jahre 1860 schrieb dem Verfasser der Deutschen Volks- und Kultur- 
geschichte auf Zusendung einer Brochüre, worin er bereits den Plan einer solchen 
entwickelte, der damalige Dezernent für das Gymnasial- und Realschulwcsen im 



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— 43 — 



preußischen Kultusministerium, Geh. Regierungsrat Wiese: „Sehr erwünscht würde 
mir für unsere Realschulen ein Lehrbuch der Geschichte sein, welches nach der 
von Ihnen gegebenen trefflichen Probe ausgearbeitet wäre. Bei den Gymnasien 
würde es jedenfalls zum Privatstudium, dem in der Geschichte Vieles überlassen 
werden mufs, zu empfehlen sein." 

Wenn sonach für die Schule die besondere Hervorhebung der Kulturgeschichte, 
wie Prof. Biedermann sie in diesem Buch anstrebt und in der gleichzeitig erschie- 
nenen Brochüre: ,.Der Geschichtsunterricht auf Schulen nach kulturgeschichtlicher 
Methode." Preis: 80 Pfennige, näher begründet, sachgemäß erscheinen wird, so 
dürfte auch für die Familie, und namentlich solchen Lesern, welche bei der Arbeit 
des täglichen Berufs nur in karg bemessener Muse dem Streben nach Erweiterung 
und Vertiefung früher erworbenen Wissens nachzugehen vermögen, Kaufleuten, 
Oew erbtreibenden, Fabrikanten, Landwirten u. s. w., eine Darstellung der vater- 
ländischen Geschichte willkommen sein, welche kurz und übersichtlich das Wesent- 
liche dieser Geschichte darbietet und zwar sowohl der äufseren oder politischen — 
der Kriege, Schlachten, diplomatischen Verhandlungen — als auch der inneren 
Volks- und Kulturgeschichte — die Verfassungsgeschichte des alten 
deutschen Reichs und der Einzelstaaten, die Stellung der verschie- 
denen Stände untereinander, die Geschichte der deutschen Städte 
und deutschen Bürgertums, deutscher Volkswirtschaft in Ackerbau, 
Handel, Gewerbe, deuscher Erfindungen, deutschen Familienlebens, 
deutscher Kunst und Wissenschaft u. s. w. 

Der Verfasser äufsert sich darüber in der Vorrede u. a. wie folgt: „Unsere 
Zeit und ganz besonders der Geist unseres Volkes ist vorzugsweise den friedlichen 
Bestrebungen auf den verschiedenen Gebieten das innern Staats- und Volkslebens 
zugewendet — trotz der gewaltigen Erfolge, die wir nach aufsen in diesen letzten 
Jahrzehnten errungen haben. Hat doch auch unser ehrwürdiger Kaiser Wilhelm 
in dem Momente höchsten Ruhmesglanzes die goldenen, ewig denkwürdigen Worte 
gesprochen: „Ich will allzeit Mehrer des Reichs sein nicht an kriegerischen Er- 
oberungen, sondern an Gütern und Gaben des Friedens, auf dem Gebiete nationaler 
Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung." Sollte es da nicht angezeigt sein, auch bei 
Betrachtung der Vergangenheit diesen friedlichen Seiten unseres deutschen Volks- 
lebens mehr Aufmerksamkeit zu schenken ? — Wir Deutsche sind jetzt in der 
glücklichen Lage (was wir jahrhundertelang nicht waren), selbst „Geschichte zu 
machen", d. h. entscheidend, in die allgemeinen Völkergeschicke einzugreifen: das 
niufs uns eine Mahnung sein, auch unsere Vergangenheit immer eifriger zu studieren, 
durch das Grofse, was sie bietet, unsere eigne Thatkraft zu stählen und anzu- 
feuern, aus dem mancherlei Verfehlten und Unerfreulichen aber, was sie leider 
daneben auch enthält, zu lernen, was wir zu vermeiden haben." 

Der Verfasser beruft sich auf die vortrefflichen Worte des alten wackern 
Justus Moser: „Die Geschichte, insbesondere die vaterländische, verdient den 
Namen einer solchen erst dann, wenn sie Volksgeschichte im vollen Sinne des 
Wortes ist. Sie soll vorzüglich die Rechte, Gewohnheiten, Sitten des Volkes ent- 
wickeln, soll den EinHufs schildern, welchen die Mafsregeln der Regierungen, 
welchen Handel, Geld, Städte, der Adel. Kriege und Verbindungen mit anderen 
Staaten auf den Volkskörper gehabt haben." 

Eine solche Volksgeschichte im besten Sinne des Wortes hat der Verfasser 
in dieser „Deutschen Volks- und Kulturgeschichte" geben wollen; dafs es ihm 
gelungen, dafür werden seine früheren, so allgemein günstig aufgenommenen Werke : 
..Deutschland im 18 Jahrhundert" und „Dreifsig Jahre deutscher Geschichte 
1840—1870" die beste Gewähr bieten. 

J. F. Bergmann, Verlagsbuchhandlung, Wiesbaden. 



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— 44 — 

C. Rezensionen. 



Hermann Peter , Praktische Anweisung 
mir Erteilung des elementarenGesang- 
unterrichtes in der Volksschule. 
Im Verlage von Friedrich Lautli in 
Apolda erscheinen „Beiträge zur Metho- 
dik des Unterrichtes in der Volksschule", 
herausgegeben von Herrn Bezirks-Schul- 
iuspektor Dr. Jakobi. Die Keilte dieser 
Beiträge wird durch die „Praktische An- 
weisung zur Erteilung des elementaren 
Gesangunterrichtes in der Volksschule" 
eröffnet. Der Umstand, dal» diese Ge- 
sangscliule in einem Bezirke unseres 
Grofsherzogtums eingeführt ist. ist Ver- 
anlassung genug, dieselbe einer Prüfung 
zu unterziehen. 

Die „Praktische Anweisung" er- 
scheint in 3 Heften. Das 1. Heft (Preis 
1 Mark) enthält Stoff und Plan für die 
Unterstufe, das 2. Heft (Preis 1.50 M.) 
Stoff und Plan für die Mittelstufe, das 
3. Heft (Preis 2 M ! ist für die Ober- 
stufe bestimmt. 

Uber die Grundsätze, nach denen 
diese Gesangschule zusammengestellt ist. 
erfuhren wir im Vorwort des 1. Heftes 
folgendes: „Der Gesangunterrieht in der 
Volksschule darf es sich nicht zur 
alleinigen Aufgabe machen, den Kindern 
einige Melodien beizubringen, damit 
diese dann in mehr oder minder passen- 
der Weise zum Vortrag gebracht werden 
können: das Kind nmfs vielmehr, wie 
es bei jedem anderen Unterrichte ein 
volles Verständnis dessen bekommen 
mufs, was es durch ihn lernt, auch 
beim Gesänge verstehen, was es singen 
soll und gesungen hat. Um das zu er- 
reichen, ist es notwendig, dafs der Ge- 
sang nach sichtbaren Tonzeichen geübt 
wird." Die Aufgabe des Gesangunter- 
richtes ist nach den angeführten Sätzen 
eine doppelte: 1) den Kindern sollen 
einige Melodien beigebracht werden, 
und 2) das Kind soll beim Gesänge 
verstehen, was es singen soll und ge- 
sungen hat. Die 2. Aufgabe ist nicht 
ganz deutlich ausgedrückt „Bei jedem 
Unterrichte mufs das Kind ein volles 
Verständnis dessen bekommen , was es 
durch ihn lernt," Das, was das Kind 
durch den Unterricht lernt, oder sagen 
wir lieber: lernen soll, das sagt uns 
der Zweck des Unterrichtes. Nun kann 
doch nicht gemeint sein, dafs das Kind 



ein volles Verständnis vom Uuterrichts- 
zwecke erhalten müfste. „Das Kind soll 
beim Gesänge verstehen, was es singen 
soll und gesungen hat. 14 Sämtliche metho- 
dischen Werke beantworten die Frage : 
Was soll das Kind singen? mit: Volks-, 
volkstümliche und Kirchenlieder, und 
das „Verstehen" derselben bezieht man 
nach der gewöhnlichen Auffassung auf 
den Text. Dies kann die „Praktische 
Anweisung" nicht meinen, sonst brauchte 
sie nicht hinzuzufügen: „Um das zu 
erreichen, ist es notwendig, dafs der 
Gesang nach sichtbaren Tonzeichen ge- 
übt wird." Was stellen die sichtbaren 
Tonzeichen dar? Sie bezeichnen die 
Dauer, die Höhe oder Tiefe und die 
Stärke oder Schwäche der Töne, oder, 
um mit den technischen Ausdrücken zu 
antworten: den Rhythmus, die Melodie 
und das Dynamische. Rhythmik, Melodik 
und Dynamik sind musikalische Elemente, 
und wer in ihnen heimisch ist. dem 
schreiben wir musikalische Erkenntnis 
zu Musikalische Erkenntnis zu pflegen 
ist demnach die Haupt- oder richtiger, 
da die Melodie auch zu den musikali- 
schen Elementen gehört, die alleinige 
Aufgabe des Gesangunterrichtes. Zu 
musikalischer Erkenntnis kommt mau 
auch durch Klavier- und Geigenspiel 
und zwar in kürzerer Zeit als durch 
den Gesang. Trotz dieses Vorteils hat 
noch niemand den Vorschlag gemacht, 
an Stelle des Gesangunterrichtes den 
Klavierunterricht in den Lehrplan der 
Volksschule zu setzen. Der Gesang- 
unterrieht mufs wohl wegen etwas an- 
deren getrieben werden als der musi- 
kalischen Erkenntnis. Gefühle auszu- 
drücken, das ist nach allen musikalischen 
Werken die Aufgabe der Musik, und 
der Gesang ist es, der diese Aufgabe 
am besten löst. Aufser den ästhetischen 
Gefühlen pflegt die Instrumentalmusik 
vorwiegend die formellen, der Gesang 
aber die kräftigeren, qualitativen Ge- 
fühle. Dioser Unterschied im Gefühls- 
ausdruck hat seinen Grund doch nur 
darin, dafs das Lied aufser der musika- 
lischen noch eine textliche Seite hat. 
Durch den Text des Liedes werden die 
von der Musik und der musikalischen 
Erkenntnis gar nicht berührten , aber 
für die Erziehung doch so wichtigen 



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- 45 — 



moralischen und religiösen Gefühle ge- 
pflegt. Deswegen kann die unmittel- 
bare Aufgabe des Gesanffunterrichtes 
nicht die Gewinnung de« musikalischen 
Systems, sondern sie mufs das Ein- 
studieren von Liedern sein. Man wird 
uns entgegenhalten, dalsdas musikalische 
System das Einstudieren von Liedern 
sehr erleichtere. Gewifs ist das richtig, 
wir können sogar noch hinzufügen: es 
sichert den Besitz von Liedern , es 
kann denselben auch vorgröfsern. trotz- 
dem wird es nicht Zweck, sondern nur 
Mittel zum Zweck. Mittel zum Einüben 
von Liedern. Aus der verschiedenen 
Auffassung der Aufgabe des Gesang« 
Unterrichtes resultiert auch verschiedene 
Stellung des Liedes im Unterricht. Die 
„Praktische Anweisung" sieht in dem 
Liede die Anwendung des Systems, wir 
tinden in demselben das Material zur 
Gewinnung des Systems, dort würde 
das Lied seine Stellung auf der 5., 
hier auf der 2. der formalen Stnfcu er- 
halten. 

Auf die Frage: Welche Grundsätze 
hat die „Praktische Anweisung" bei 
Auswahl der Lieder befolgt? giebt das 
Vorwort des 1. Heftes folgende Aus- 
kunft: „Jeder Stufe ist ein bestimmtes 
Feld zugewiesen , auf welcher die 
Übungen Schritt für Schritt die Lieder 
vorbereiten, und auf welchem vom 2. 
Schuljahr ab sämtliche Lieder mit Ver- 
meidung alles dem Kinde noch Fromden 
die jedesmalige Anwendung des bereits 
Gelernten zeigen. Mit Rücksicht hier- 
auf kann die Neubildung einer Anzahl 
von Melodien für die unteren Stufen 
nicht auffällig erscheinen, denen als 
Texte der Konzentration wegen Lieder 
aus dem Lesebuchc zu Grunde gelegt 
wurden." Das Vorwort des 2. Heftes 
sagt hierüber: „Keins der Lieder wird 
gebracht, das nicht durch die ihm voraus- 
gegangene Vorbereitung von den Kindern 
in allen Teilen verstanden werden könnte. 
Auch in diesem Hefte sind Gedichte 
des Lesebuches ueugebildeten Melodien 
und einigen anderen untergelegt. Die 
Lieder sind meist so gewählt, dafs ihr 
Inhalt zu dem betreffenden Monate in 
möglichster Beziehung steht und sowohl 
für Knaben- als Mädchenschulen passend 
ist. Ein peinliches Auseinanderhalten 
der Stoffe für beide Geschlechter ist 
umsoweniger am Platze, als ja fast jedes 



Lied — nicht nur die für das jedes- 
malige andere Geschlecht besonders ge- 
eigneten — ein Versetzen in eine be- 
stimmte Lage erfordert und der Gesang- 
nnterricht auch das Verständnis für die 
Stimmungeu anderer erschließen soll. 
Auf keinen Fall dürfen den Mädchen die 
Vaterlandalieder «Mitzogen werden." Und 
im Vorwort des 3 Heftes lesen wir: 
„Die Reihenfolge der Lieder im letzten 
Schuljahre wird, wie in den beiden vor- 
hergehenden, durch Rücksicht auf die 
Tonarten bestimmt." Nach 4 Gesichts- 
punkten ist demnach die Auswahl der 
Lieder getroffen worden: 1) nach den 
Übungen, 2) nach dem Lesebnehe, 3) nach 
den Monaten und 4) auf der < »berstnfe 
nach den Tonarten, und zwar bezieht 
sich Punkt 1 und 4 auf die musikalische 
und Punkt 2 und 3 auf die textliche 
8eite der Lieder. Betrachten wir die 
ausgewählten Lieder nach ihrem Rhyth- 
mus, so finden wir, dafs sämtliche 
Lieder des 1. Schuljahres 2teiligen 
Takt haben, dafs im 2. Schuljahre der 
3-, im 3. der 4- und im 4. der titeilige 
Takt ztir Behandlung kommt. Mit 
dieser Auswahl der Lieder können wir 
uns nicht einverstanden erklären. Singt 
doch das Kind vor seiner Schulzeit 
Lieder im 2-, 3-. 4- und 6teiligen Takt 
und zwar die letzteren mit ebensoviel 
Lust als die ersteren, und ist die Ein- 
übung dieser nicht leichter und nicht 
schwerer als jener. Warum sollte sich 
nun die Schule einen solchen unnötigen 
Zwang bei Auswahl der Lieder auf- 
erlegen? EinR können wir aber lernen, 
wenn wir den Rhythmus der von den 
Kindern zur Schule mitgebrachten Lieder 
betrachten. Wie scharf ausgeprägt ist 
doch derselbe z. B. bei den Liedern: 
,,AlIes neu" und „Ihr Kinderlein, kom- 
met". Da fühlen wir, wie richtig Dorn- 
stedt hat, wenn er im „4. Jahrbuch" 
sagt: „Der Rhythmus der Lieder birgt 
das Geheimnis ihrer zündenden und 
durchschlagenden Wirkung. " Diesen 
scharf ausgeprägten Rhythmus haben 
die Lieder der „Praktischen Anweisung" 
nicht, die nicht Volksmelodien zu eigen 
haben. Man sehe nur No. 3, 4, 5, (>, 
7 etc. an! 

Sehen wir auf die Melodie der 
ausgewählten Lieder, so finden wir. dafs 
die weltlichen Lieder im 1. Schuljahr 
einen Umfang von 3 — ö Tönen, in der 



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— 46 - 



ersten Hälfte des 2. Schuljahres von 4. 
in der zweiten Hälfte desselben von 5, 
im 3. Schuljahre von 6 resp. 7 und im 
4. von 8 Tönen haben, während die 
Choräle vom 1. Schuljahr an den Um- 
fang einer Oktave haben. Aber das ist 
doch klar: wenn eine Klasse einen Choral 
von einer Oktave Umfang singen kann, 
so kann sie auch weltliche Lieder von 
gleicher Eigenschaft singen. Allerdings 
meiden wir in der 1. Hälfte des 1. Schul- 
jahres, aus Rücksicht auf die Schüler 
mit wenig musikalischem Gehör, gern 
Lieder, die über eine Quinte hinaus- 
gehen. Nach dieser Zeit ist es uns 
gleich, ob das Lied 5, 6, 7 oder 8 Töne 
Umfang hat In den Liedersammlungen 
treten nun Lieder von 3 und 4 Tönen 
Umfang nirgends auf; die „Praktische 
Anweisung" weifs sich zu helfen : einige 
entnimmt sie verwandten Gesangschulen, 
andere macht sie selbst und noch andere 
werden frei bearbeitet. Solcher von 
Hermann Peter neugebildeten Melodien 
finden wir in den ersten beiden Heften 
25, aufserdem noch mehrere freie Bearbei- 
tungen, nicht gedacht ist der gemachten 
Lieder aus verwandten Gesangschulon. 
Im 3. Hefte treten neugebildete Melodien 
erfreulicherweise ganz zurück. Vor neu 
erfundenen Liedern wird in den metho- 
dischen Werken sehr gewarnt. Hentschel 
sagt im „Pädagog. Jahresbericht" von 
Lüben, Band 12 S. 422: „Ich beharre 
bei dem Satze , dafs von der Zeit an, 
wo der Mensch überhaupt singt, er in 
den Kreis unserer wahren, nicht ge- 
machten, sondern gewordenen Lieder 
eingeführt werden müsse." Dornstedt 
schreibt im „4. Jahrbuch" : „Von jenen 
und anderen nüchternen , gemachten 
Liedern finden »ich in unsern Schul- 
liederheften noch überaus viele, obwohl 
die tranrige Liederarmut unserer Zeit 
laut genug dafür zeugt, dafs sie nur 
innerhalb der Schulwände ein kümmer- 
liches Dasein tristen, nach der Schul- 
zeit aber sofort vergessen, also niemals 
volkstümlich werden." An einer anderen 
Stelle sagt derselbe: „Wenn die Schule 
jene Melodien, die sogar oft nur einem 
musikalisch-theoretischen Paragraphen 
zu Liebe entstanden, ihres undankbaren 
Dienstes enthebt und statt ihrer jene 
freundlichen Liedgestalten in ihren Kreis 
winkt, die in unsers Volkes Lust und 
Leid bereits ein wirkliches Leben führen 



. . . . , so hat sie den gröfsten und nach 
meiner Erfahrung von den segensreichsten 
Folgen unausbleiblich begleiteten Schritt 
dazu gethau, ein neues liederreiches 
und sangbereites Geschlecht zu erziehen." 
Wir nehmen nicht den geringsten An- 
stand, diese Worte ganz und voll 
auf die neu erfundenen Melodien der 
„Praktischen Anweisung" anzuwenden. 
Man sehe sich nur die Lieder No. 16, 
17, 18. 19, 20 des 1. Schuljahres an. 
Noch mehr sind aber die freien Be- 
arbeitungen zu verwerfen. Die schöne 
Melodie des Liedes: „Am Brunnen vor 
dem Thore" ist so bearbeitet worden, 
dafs darauf das Lied von dem ins Eis 
eingebrochenen Büblein gesungen werden 
kann. Was ist durch die freie Be- 
arbeitung gewonnen ? Gewonnen ni'-hts, 
aber viel verloren. , Das sehr prosaische 
Lied von dem ins Eis eingebrochenen 
Büblein wird dadurch nicht poetischer 
gemacht, wohl aber das Lied vom Linden- 
baume prosaischer, denn zufolge der 
Apperzeption bleibt es nicht aus, dafs 
die Gefühle der Erinnerung und des 
Schmerzes, die durch die Worte: „Und 
immer hör ich's rauschen, du fändest 
Kuhe dort" hervorgerufen werden, sich 
mit dem Gefühle des Spottes vermischen 
müssen, das aus den Worten heraus- 
klingt: „Das Büblein hat getropfet, der 
Vater hat geklopfet es aus zu Haus." 

Mit der Auswahl der Lieder auf 
der Oberstufe nach den Tonarten können 
wir uns auch nicht befreunden. Wir 
werden an anderer Stelle hierauf zurück- 
kommen. 

Der Text der Lieder ist, wie wir 
gesehen haben, nach dem Lesebuche 
und den Monaten ausgewählt worden, 
der Konzentration wegen. Wir können 
uns damit einverstanden erklären, wenn 
unter Auswahl nach dem Lesebuche 
Anschlufs an den Sachunterricht und 
unter Auswahl nach den Monaten An- 
schlufs an den Verkehr mit der Natur 
und an das häusliche, Schul- und ge- 
sellschaftliche Leben gemeint ist. Wie 
das Lied vom Krähwinkler Landsturm 
in die Sammlung gekommen ist — es 
wird im 2. Monat des 4. Schuljahres 
gesungen — wissen wir nicht. Es ent- 
hält einen gewissen Humor, aber die 
Handlung und Ansdrncksweise sind 
trivial. Auch das „verdriefsliche Häns- 
chen" und das „Büblein auf dem Eise" 



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47 — 



sind nicht wert, besungen zu werden, 
denn das Mißgeschick der beideu Knaben 
kann ein ästhetisches Wohlgefallen nicht 
hervorrufen. „Es darf nichts gesungen 
werden, was nicht verdient, in dauern- 
den Besitz überzugehen und bleibend 
festgehalten zu werden." Grofse Bo- 
denken liegen wir auch gegen die Auf- 
nahme des Hobelliedes im 3. Heft: 
„Da streiten sich die Leut' herum." 

Dafs die „Praktische Anweisung" 
die Gewinnung musikalischer Erkennt- 
nis als Aufgabe des Gesanguntorrichtes 
hinstellt, haben wir im Anfange unserer 
Arbeit nachgewiesen. Dieses Ziel sucht 
sie durch die eingereihten Übungen zu 
erreichen, über welche sie folgendes 
sagt: „Jeder Stufe ist ein bestimmtes 
Feld zugewiesen, auf welcher die Übungen 
Schritt für Schritt die Lieder vorbereiten, 
und auf welchem vom 2. Schuljahre ab 
sämtliche Lieder mit Vermeidung alles 
dem Kinde noch Fremden die jedes- 
malige Anwendung des bereits Gelernten 
zeigen." Diese Übungen werden im 
1. Schuljahre an den 3 ersten, im 2. 
an den 5 ersten, im 3. an den 6 ersten 
Durtonleitertönen und an der in den 
Grundton führenden Septime vorgenom- 
men, während das 4. Schuljahr die 
Leiter durch Hinzunahmc des 7 und 
8. Tones ergänzt und die 4 übereinander 
liegenden Töne des Dreiklangs sucht. Das 
5 Schuljahr schreitet zunächst 4 Töne 
nach oben, wodurch es den Dominantsep- 
tiinenakkord in seiner ersten Lage erhält, 
und erweitert später das Gebiet um 2 Töne 
nach unten und 1 nach oben , ohne 
neue Intervalle zu berücksichtigen. Die 
Oberstufe bringt die Töne in ihrer ab- 
soluten Geltung, weist den Bau der C- 
dnrtonleiter nach und bildet ihr. analog 
die Durtonlcitern bis zu 3 Erhöhungs- 
nnd 3 Erniedrigungszeichen. An die 
Durtonleitern schliefst sich die Mollreihe 
uu. Die Verteilung der Übungen auf 
bestimmte Monate erschien nicht rat- 
sam, weil bestimmte Übungen in ver- 
schiedenen Monaten mit verschiedener 
Deutung vorgenommen werden können. 
Es folgen daher in diesem Hefte sämt- 
liche Übungen aufeinander, und die Zu- 
gehörigkeit zu bestimmten Monaten mufs 
aus der Anordnung und Verteilung der 
Lieder erkannt werden. Auf der Unter- 
stufe wird auf joden einzelnen Ton 



1) die Zahl der betreffenden Stufe 
gesungen ; 

2) nacheinander Vokale in folgender 
Reihenfolge : 

i, e, a, o, u, ä, ö, ü, ei (ai), au, 
eu (äu); 

3) diese Vokale in Verbindung mit 
Konsonanten, letztere 

a) am Ende, 

b) am Anfange, 

c) am Anfange und Ende (Wörter). 

Bei den einfachen Verbindungen 
dieser Töne wird 

1) auf jeden Ton die Zahl der be- 
treffenden Stufe gesungen; 

2) auf jeden Ton ein besonderer 
Vokal und zwar 

a) auf jeden folgenden Ton der- 
selbe 

«) ohne [ Konsonanten, 
ß) mit \ 

b) auf jeden folgenden Ton ein 
anderer, 

«) ohne \ Konsonanten (Wörter 
ß) mit / und Sätze); 

3) wird in geeigneten Fällen auf die 
ganze Verbindung oder Teile der- 
selben nur ein Ton gesungen, erst 
ohne, dann mit Konsonanten. 

Das musikalische System und eine 
gute Aussprache sollen durch die Übungen 
erreicht werden. Gehen wir darauf 
näher ein. 

Die Vorschriften zur Erzielung einer 
guten Aussprache sind sehr peinlich, 
erinnern aber doch gar zu sehr an alte 
Gesangschulen, die genau dieselben 
Übungen anstellen. Da wird gesungen: 
ba, da, ga, ha; kla, kra, zwa, pfla; 
apst, afst, ampfst ; Angstschweifs, Volks- 
stamm, Kraftwort, Waldnacht etc. (siehe 
Praktische Anweisung von Wachsmannn. 
Magdeburg 1822) Wir sind zwar über- 
zeugt, dafs die „Praktische Anweisung" 
diese Silben und Wörter gleich uns 
verwerfen wird, aber — entsprechen sie 
nicht ihren Vorschriften? Werden solche 
Übungen für notwendig gehalten, warum 
benutzt man da nicht die Solmisations- 
silben? Wir meinen: mufs der Lehrer 
wegen schlechter Aussprache eingreifen, 
so kann er dieselbe an dem schlecht 
gesprochenen Worte und Satze ver- 
bessern. 

Die Tonleiter wird von der ,. Prakti- 
schen Anweisung" auf folgende Weise 



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48 - 



gefunden : In der ersten Singstunde wird 
dem Kinde ein Ton vorgesungen und 
vorgegeigt, welcher der erste genannt 
wird. Nach einem Monate wird ein 
anderer diesem hinzugefügt, der der 2. 
heifst, und im 5. Monate tritt der 3. 
hinzu. Nachdem auf diese Weise 6 
Time gewonnen sind, tritt die in den 
Grnndton führende Septime auf, obwohl 
die Septime noch gar nicht bekannt ist; 
darnach wird die Tonleiter durch Hin- 
zunahme des 7. und 8. Tones vollendet, 
was nach 4 langen Jahren erreicht wird. 
Von einer Erarbeitung dieses musika- 
lischen Systems kann aber keine Rede 
sein, alles wird gegeben auf synthetische 
Weise gerade so wie bei der Buch- 
stabiermethode im deutschen Unterrichte, 
welche mit einem Buchstaben anfing, im- 
mer einen neuen hinzufügte, dabei jedes- 
mal alle möglichen Verbindungen zusam- 
menstellte, bis nach Kenntnis aller Buch- 
staben das Lesen beginnen konnte. Diese 
veraltete Methode hat der Normalwörter- 
und Schreiblesemethode weichen müssen. 
Die erstere läfst das Ganze in seine 
Teile zerlegen, während die letztere 
einzelne Laute vom Ganzen nimmt. 
Können wir im Gesangunterricht nicht 
analog verfahren wie der deutsche Unter- 
richt? fragen wir mit Wiget, dem wir 
hierin folgen. „Dem Alphabet im Lese- 
unterrichte entspricht die Tonleiter im 
Gesangunterrichte, sie ist das ABC, sie 
enthält das ganze Baumaterial der Musik. 
In jedem Liede kehren die Töne in 
wechselnden Kombinationen und Folgen, 
in abgeänderter Bewegung und absoluter 
Höhe wieder, wie in der Sprache die 
verhältnismäßig geringe Zahl ihrer Laut- 
eleraeute." Wiget gewinnt die Tonleiter 
aus Liedern und zwar so, dafs er zu- 
erst die Stufen 13 5 8 nnd dann die 
übrigen finden läfst. Dornstedt berück- 
sichtigt, dafs die beiden Stützpunkte 
der Tonleiter die Prime und Quinte 
sind, und dafs die Tonleiter aus 2 gleichen 
Tetrachorden besteht Wiget und Dorn- 
stedt benutzen die Solmisationssilben ; 
da diese bei uns nicht gebräuchlich 
sind, wir sie auch entbehren können, 
können wir keins dieser beiden Ver- 
fahren annehmen , denn wir dürfen die 
Prime, Terz, Quinte und Oktave doch 
nicht mit 1 3 5 8 bezeichnen, so lange 
die dazwischenliegenden Stufen nicht 
bekannt sind. Der Anfang des Liedes: 




„Fuchs, du hast die Gans gestohlen'* 
giebt uns die Stufen 1 2 3 4 5, der 
Anfang des Adventliedes: ..Wie soll ich 
dich empfangen" die Stufen 5 6 7 8. 
Am allerleichtesten würde die Tonleiter 
gewonnen, wenn sie in einem Liedeganz 
aufträte, und wirklich giebt es ein 
solches, es ist der Choral: „Wie schön 
leucht't uns der Morgenstern", von wel- 
chem der letzte Vers die vollständige 
Tonleiter, wenn auch in umgekehrter 
Reihenfolge, enthält. Wir heben diesen 
Vers heraus, hissen ihn mehrmals wieder- 
holen, ihn auf la oder eine andere Silbe 
singen, dann umkehren, und wir haben in 
einer Stunde gefunden, wozu die „Prak- 
tische Anweisung" vier Jahre braucht. 

Unsere Art der Gewinnung der 
Tonleiter hat vor der der „Praktischen 
Anweisung'* viele bedeutende Vorzüge: 
der Lehrer braucht sie nicht zu geben, 
sie wird vom Schüler gefunden; 
sie wird sicheres Eigentum; im Not- 
falle kann sie sofort wieder neu ge- 
funden werden: 
ihre rasche Gewinnung ermüdet die 

Schüler nicht; 
das 1. und 2. Schuljahr braucht sich 

noch nicht mit ihr zu befassen; 
die ersparte Zeit kann dazu ver- 
wendet werden, den Liedervorrat zu 
vergröfsern ; 
man braucht keine neuen Melodien 

zu erfinden ; 
man ist nicht genötigt, falsche Zitieru 
anwenden zu müssen wie die „Prak- 
tische Anweisung", die in den Liedern 
No. 4, 5, 12 des 2. Schuljahrs« die 
Quinte, also den 5. Ton mit 1 und 
in den Liedern der 2. Hälfte des 3. 
Schuljahres die Unterquarte statt 
mit 5 mit 1 bezeichnet; 
man kann auch den Kindern klar 
machen, warum die am Eude des 3. 
Schuljahresauftretende, in den Grund- 
ton führende Septime mit 7 geschrie- 
ben wird, was der „Praktischen An- 
weisung" unmöglich ist, da bei ihr 
die Septime erst im 4. Schuljahre 
auftritt. 

Wie werden die Intervalle gefunden? 
Die „Praktische Anweisung" läfst, um 
die grofse Terz 1 3 kennen zu lernen, 
die ersten 3 Töne der Durton leite r so 
singen, dafs die Sekunde ganz leise 
klingt, dann wird dieselbe weggelassen, 
und die grofse Terz ist gefunden. Das- 



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- 49 - 



selb« Verfahren wird angewandt, um 
nacheinander die Quarte 1 4, die kleine 
Terz 2 4, die Quinte 1 5, die Quarte 
2 5 und die übrigen Intervalle zu ge- 
winnen. Unser Verfahren ist ein anderes. 
Es sei das Lied : „Alle Vögel sind schon 
da" geübt worden. Wir fragen: Wie 
fängt das Lied an? Die Kinder singen 
im Chor, bankweise und einzeln: „Alle 
Vögel". Wie Tiel Töne sind es? 4 Töne, 
die verschiedene Länge haben. Singt 
sie auf la, singt sie gleich lang! Sind 
das die ersten 4 Töne der Tonleiter? 
Leicht finden die Kinder, dafs wir „al" 
auf den 1., „gel" auf den 8. Ton, „le" 
auf den 3. und „Vö" auf den 5. Ton 
der Tonleiter singen. „Alle Vögel" 
singen wir also auf den 1., 3., 5. und 
8. Ton. Nun vergleichen wir die Töne 
unter sich. Der 8. Ton klingt wie der 
1., nur höher; 13 5 gleichzeitig ge- 
sungen, klingen sehr schön, 8 mit dazu 
genommen, macht noch voller, 15 8 
klingen nicht so schön, es fehlt etwas etc. 
Jetzt wird der Akkord vorwärts und 
rückwärts und aufser der Reihe gesun- 
gen. Zuletzt sagen die Kinder: das 
Lied: „Noch läfst der Herr mich leben" 
fängt an mit 1 3, „Wie soll ich dich 
empfangen" mit 1 5, „Ich bring euch 
gute neue Mär" wird auf 8 8 5 5 3 
gesungen. Diese Art der Einprägung 
hat auch der „Praktischen Anweisung" 
vorgeschwebt, wenn sie schreibt: „Die 
Kinder sind auf bestimmte geeignete 
Wendungen des einen oder anderen 
Liedes, namentlich auf geeignete Lieder- 
anfänge ganz besonders aufmerksam zu 
machen , als auf etwas , woran sie sich 
dae Intervall leicht merken können." 
Die Stufe der Anwendung finden wir bei 
ihr nur im 2. Schuljahr. Nach dem Drei- 
klang der 1. Stufe behandeln wir die 
Dreiklänge der 4. und 5. Stufe. Bei der 
Vergleichung derselben mit ersterem er- 
halten wir folgende Sätze: 

1 3 6 i - 4 6 1 4 - 5 7 2 5; 

1 1 = 4 4 = 5 6; 

15=41=52; 
13. =46 =57 ; 

X 3 5 = 6 i — 7 2; 

3 i=* 6 4= 7 5. 

An die Behandlung der harten Drei- 
klänge schliefst sich die der weichen 
Dreiklänge, also der Akkorde der 2., 
3. und 6. Stufe an, nach deren Ge- 

PudaffoipriHche Studien. IV. 



winnung wir eine ähnliehe Zusammen- 
stellung der Intervalle unter sich und 
mit denen der harten Dreiklänge vor- 
nehmen. Haben wir dann den Domi- 
nantseptimenakkord berücksichtigt, so 
brauchen wir nur noch die Begriffe 
Ganz- und Halbton zu gewinnen. Das 
Verfahren der „Praktischen Anweisung" 
ist bei hierbei folgendes: „Achtet ihr 
genau auf die Finger meiner linken 
Hand, wenn ich die 8 Töne der Ton- 
leiter spiele, so werdet ihr bemerken, 
dafs ich sie bisweilen nebeneinander, 
bisweilen voneinander entfernt auf die 
Saiten setze (vormachen!). Deshalb 
sagt man : M an c h e (auf ei nande rf olgende) 
Töne (der Tonleiter) liegen weit von- 
einander, manche liegen eng aneinander. 
Wir wollen jetzt untersuchen, wie die 
einzelnen Töne liegen: 

c — d weit, d — e weit, e— f eng etc." 

Wir bemerken dazu: wenn die 
Kinder nicht vorher die nahe Beziehung 
des 7. Tones zn dem 8. Tone und des 
3. Tones zu dem 4. Tone kennen ge- 
lernt haben; wenn nicht nachher ein 
bleibendes Mittel diese Vorstellungen 
versinnlicht — wir benutzen an unserer 
Karolinenschule die von dem früheren 
Leiter des Salzunger Kirchenchors ge- 
brauchte Tafel — : so wird der Erfolg 
des Unterrichts nicht den Erwartungen 
entsprechen. 

Das nächste musikalische Element, 
der Rhythmus, wird von der „Prakti- 
schen Anweisung" ebenfalls an den 
Übungen deutlich gemacht. „Nach einem 
allgemeingültigen Grundsatz soll aber 
alles Neue an einem charakteristischen 
Beispiele auftreten. Solche sind aber 
die Übungen auf keinen Fall, denn an 
ihnen wird ebenso der Zwei- als auch 
der Dreischlag gelernt, wohl aber sind 
es die Lieder, in welchen die rhythmische 
Form um so leichter eingeprägt wird, 
als der sprachliche Rhythmus unter- 
stützend mitwirkt." Weil der Rhythmus 
von allen musikalischen Elementen am 
frühesten empfunden wird — lebhafte 
Kinder begleiten den Gesang mit Fufs- 
und Handbewegungen — so kann die 
Unterstufe mit der Ausbildung des Takt- 
gefühles beginnen. Wir bemerken, dafs 
wir den */* «"d 6 / 8 TaB; t zuerst als 2tei- 
ligen Takt auffassen. Unser Lehr- 
verfahren ist folgendes: Es sei das 
Lied: „Summ, summ, summ, Bienchen, 

4 



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- 50 — 



ramm herum" gelernt worden. So oft 
wir einmal (d. i. eine Silbe) Bingen, 
wollen wir in die Hand klatschen. Was 
habt ihr gemerkt? Bei „Summ, summ, 
summ" haben wir langsam, bei „Ei, wir 
thun dir — Wald und Heide" aber 
schnell geschlagen. Bei dem letzteren 
Stücke wird jetzt verweilt Die Kinder 
geben an, dafs die Schlage gleichmäTsig 
wie bei einer Uhr fallen. Bei „Summ, 
summ, summ" sind die Schläge auch 
gleichlang, aber sie folgen nicht so 
schnell, man könnte in der Zeit zwei- 
mal schlagen wie auch dann, wenn wir 
nicht gesungen haben (in den Pausen). 
Die weitere Behandlung des Liedes wird 
ergeben : manchmal singen wir langsam, 
manchmal schnell, manchmal gar nicht 
(Pausen); auf einen Schlag singen wir 
einmal oder zweimal; bei dem einen 
Schlag Hingen wir stärker als bei dem 
darauffolgenden. 

Über die Tonschrift sagt die „Prak- 
tische Anweisung" folgendes: „Wir be- 
ginnen mit dem Singen nach Ziffern 
und gehen nach und nach zur Note und 
dem 'Singen nach Noten über, dieses 
immer auf jenes basierend. Als Ver- 
anschaulichungsmittel wird gewählt im 
1. und 2. Schuljahre: 

1) für den Ton das rechtwinkelige 
Parallelogramm, da mit demselben 
sehr bequem Höhe und Dauer dar- 
gestellt werden können. Ks wird 
dabei für den Ton, welcher einen 
Taktschlag erfordert, das Quadrat 
genommen und für den Ton, 
welcher zwei Taktschläge ver- 
langt, ein Rechteck, welches sich 
in zwei nebeneinanderliegende 
Quadrate zerlegen läfst. Höhe und 
Tiefe eines Tones wird durch ent- 
sprechende Stellung des Parallelo- 
gramms zum Ausdruck gebracht 
und außerdem durch eine einge- 
schriebene Ziffer augedeutet; 

2) für die Pause der Punkt; 

3) der Taktstrich; 

4) der Bindebogen; 

5) das Atmungszeichen." 

Im 2. Hefte heifst es: „Von jetzt 
ab kann von der Darstellung der Tone 
durch Quadrate abgesehen werden und 
genügt die Darstellung durch Ziffern, 
die man in den ersten Stunden je nach 
Höhe oder Tiefe der durch sie bezeich- 
neten Töne höher oder tiefersetzen kann, 



die aber im weiteren in eine Keine ge- 
schrieben werden. Die Taktteile werden, 
wenn es sich um mehr oder weniger 
als einen Taktschlag handelt, unter der 
Ziffer durch Striche angegeben; im 
übrigen bleibt die Behandlung wie 
früher; also, z. B. im 3 / 4 Takte : 

• A » - ' - # ä — ' 

>-l 1" 
#. 4 - - 

Eine Notenschrift hat eine doppelte 
Aufgabe, sie mufs die Höhe und die 
Länge eines Tones bezeichnen. Die 
„Praktische Anweisung" drückt die 
Höhe eines Tones durch eine Ziffer 
aus, die, wenn der Ton in der einge- 
strichenen Oktave liegt, keine weitere 
Auszeichnung erhält, während die Töne 
der kleinen Oktave durch Ziffern mit 
darunter gesetztem und die der zwei- 
gestrichenen Oktave durch Ziffern mit 
darübergesetztem Pünktchen dargestellt 
werden Diese Bezeichnung hat grofse 
Verbreitung gefunden, wenn auch Helm 
im „XV. (Jahrbuche " sie für psycho- 
logisch falsch erklärt. Gewifs bezeich 
uet die Ziffer keinen absoluten To»; 
gewifs ist die durch Ziffern dargestellte 
Reihe eine Intervallenreihe, die begriff 
licher Art ist. Da aber das Gedächtnis 
für absolute Tonvorstellungen schlecht 
bestellt ist — denn nur wenige Menscheu 
können das a ohne Stimmgabel angeben 
— undweil wir durch diese Intervallen- 
reihe statt der 13 Durtonleitern nur 
eine einzige zu behandeln haben, so 
halten wir, so lange leiterfremdeTöne nicht 
auftreten, an dieser Tonschrift fest. Die 
Länge eines Tones wird auf der Unter- 
stufe durch Parallelogramme dargestellt 
Diese Bezeichnung aeeeptieren wir nicht, 
weil wir auf der Unterstufe melodische 
Übungen überhaupt nicht anstellen. Auf 
der Mittelstufe wird die Dauer eines 
Tones durch Striche , die unter die 
Ziffern gesetzt werden, ausgedrückt, und 
zwar ist die einfache Ziffer das Zeichen 
für den Taktteil oder den einzeitigen 
Ton, während unter die Ziffer, die einen 
zweizeitigen Ton darstellen soll, 2 Striche 
gesetzt werden. Die „Praktische An- 
weisung" kennt, wie auch dir Galin- 
Cheve'sche Methode des Gesangunter- 
richtes, die eine ähnliche Bezeichnung 
der Tondauer hat, keine ganzen, viertel 
und achtel, sondern nur ein-, zwei- nnd 



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- 51 - 



mehrzeitige Tone. Auch hierin gefällt 
uns die eingeführte Tonschrift, sie ist 
einfach und leicht verständlich, und 
wenn jemand Anstofs daran nehmen 
wollte, dafs das Viertel im 3 / 4 Takte 
ebenso geschrieben wird wie die halbe 
Note im 3 /a Takte und das Achtel im 
a / ö Takte , so brauchen wir ihn nur 
daran zu erinnern, dafs kein Ton eine 
absolute Dauer hat, dafs z. B. das Achtel 
im Larghissimo länger gehalten wird 
als die halbe Note im Prestissimo. Auf 
eins wollen wir noch hinweisen. In den 
Nummern 17, 22 und 23 des 3. Schul- 
jahres — es, sind dies Lieder im sechs- 
teiligen Takt — kommen Ziffern vor, 
denen 4 und sogar 5 Striche unter- 
gesetzt sind, wodurch die Leserlichkeit 
sehr erschwert ist. Dies hätte leicht 
vermieden werden können, wenn man 
z. B. den fünfzeitigeu in einen drei- 
und einen zweizeitigen Ton zerlegt und 
beide mit einem Bindebogen versehen 
hätte, wie dies auch die gewöhnliche 
Notenschrift macht, die für den fünf- 
fachen Wert eines Tones keine einfache 
Bezeichnung kennt. Im 5. Schuljahre 
werden die Kinder nach der „Praktischen 
Airweisung" in die gewöhnliche Noten- 
schrift eingeführt, sämtliche Lieder sind 
in Cdur geschrieben, Wenn wir uns 
damit einverstanden erklären, so können 
wir dies aber nicht damit thnn, dafs 
zur Einführung in die am häufigsten 
auftretenden Tonarten, vom 6. Schuljahr 
beginnend, eine Zeit von 1 Jahr und 
4 Monaten gebraucht wird. Ist die 
Cdurtonleiter den Kindern klar geworden, 
können wir da nicht "sofort fragen: 
Welche Veränderungen müssen wir an 
der Keihu vornehmen, je nachdem wir d, 
e, es. t*. g, a oder b als l. Ton der 
Leiter ansehen ? Können wir nicht die 
Selbsttätigkeit der Kinder noch mehr 
heranziehen, indem wir die Aufgabe 
stellen: Übertragt das Lied in eine 
andere Tonart! In der 2. Hälfte des 
7. Schuljahres treten b Molltonarten 
auf. Das Vorwort des 3. Heftes sagt: 
„Eigentümlicherweise ist das deutsche 
Volkslied dieser Reihe nicht besonders 
zugethan ; das meiste entfällt für sie aus 
dem Bereiche der Choralmelodien und 
des Kunstliedes ; und auch diese bewegen 
sich zumeist nur in einzelnen Teilen in 
derselben." Wir finden unter Moll 
einige Choräle und das Lied: „Der 



Blumen Tod" von Abt aufgeführt, außer- 
dem noch mehrere Lieder in Dur mit 
Übergängen nach Moll. Diese Aus- 
wahl drängt uns die Frage auf : ob die 
Mollreihen für die einfache Volksschule 
nicht unentbehrlich sind? Das deutsche 
Volk ist der Mollreihe nicht besonders zu- 
gethan , wir wollen und können dies 
auch nicht ändern. Das obenerwähnte 
Lied von Abt ist kein Volkslied, gehört 
also nicht in die Volksschule. Die 
Lieder mit Übergängen von Dur nach 
Moll können ohne die Mollreihen ge- 
lernt werden, was auch von den ange- 
führten Chorälen umsomehr gilt, wenn 
wir sie einstimmig singen lassen Die 
„Praktische Anweisung" schreibt zwar 
über die Choräle: „Wenn man auch 
vielleicht nicht sämtliche mehrstimmig 
einüben wird, so liegt doch kein Grund 
vor, sie durchweg einstimmig zu bieten." 
Wir kennen mehrere Gründe für das 
einstimmige Singen der Choräle : Bei 
dem mehrstimmigen Gesänge kommt es 
sehr häufig vor, dafs die begleitenden 
Stimmen die Melodie nur vom blofsen 
Mitanhören kennen, uns ist bei allen 
Liedern und besonders bei den Chorälen 
wichtig, dafs alle Schüler die Melodie 
fest inne haben. Wirkt der einstimmige 
Gesang von den Liedern: „Sollt ich 
meinen Gott nicht singen" und „Wer 
nur den lieben Gott läfst walten" nicht 
ergreifender als der mehrstimmige V Tritt 
nicht bei ersterem das Gefühl der Ein- 
mütigkeit mehr hervor als bei letzterem? 
Wie störend wirkt es beim Gottesdienst, 
wenn einzelne Kirchengänger ihre alt- 
gewohnte Begleitung singen, obgleich 
die Orgel ganz andere Harmoniengänge 
macht! 

Am Schlüsse unserer Arbeit stellen 
wir die Frage auf: Wie wird ein Lied 
behandelt auf der Stufe des Gehör- und 
auf der des Notensingens? Nach der 
„Praktischen Anweisung" wird das Ge- 
hörsingen im 1. Schuljahre und im 2. 
Schuljahre nur bei den Chorälen geübt, 
sonst werden alle Lieder nach Ziffern und 
Noten gesungen. Die Behandlung eines 
Liedes auf der Stute des Gehörsingens 
zerfällt in folgende Stücke: 
l) der Text wird zsm Verständnis ge- 
bracht und bei sorgfältiger Berück- 
sichtigung der rechten Aussprache 
und Betonung unter Bildung kurzer 
Abschnitte eingeprägt; 

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- 52 - 



2) die beim Hersagen zu betonenden 
Wörter werden unterstrichen; 

3) der Rhythmus wird durch Parallelo- 
gramme, die in eine Reihe gesetzt 
werden, veranschaulicht ; 

4) hierauf sprechen die Kinder den 
Text bei entsprechender Angabe 
des Textes nach diesem Rhythmus; 

6) die Atmungszeichen werden ein- 
getragen ; 

6) die Kinder singen den Text nach 
dem Veranschaulichungsmittel auf 
einen Ton; 

7) der Lehrer spielt die ganze Melodie 
vor; 

8) Einübung des Liedes unter Bildung 
kurzer Abschnitte, wobei schwierige 
Stellen besonders geübtwerden. Der 
Lehrer singt und geigt mehreremale 
vor, es folgt Mitdingen seitens der 
Schüler, dann Nachsingen chor-, 
bankweise und endlich im einzelnen, 
wobei die befähigten Schüler zuerst 
berücksichtigt wereen, 

9) selbständiger Gesang, durch Geigen» 
spiel des Lehrers begleitet. 

Die Besprechung und Einprägung 
des Textes ist bei uns auch das 

1. Geschäft, am liebsten nehmen wir 
es in den sachunterrichtlichen Stun- 
den vor. Darnach sollen die zu be- 
tonenden Wörter unterstrichen werden. 
Das Lied wird demnach an die Wand- 
tafel geschrieben, dann gelesen und zu- 
letzt unterstriehen. Wir sehen davon 
ab , denn die Kinder lernen auf dieser 
Stufe erst das Lesen, haben auch im 

2. Schuljahre noch keine solche Fertig- 
keit, dafs es schnell und fehlerlos er- 
folgt. Von der Veranschaulichung des 
Rhythmus, von dem Eintragen der At- 
mungszeichen und von dem Singen des 
Textes nach dem Veranschaulichungs- 
mittel auf einen Ton sehen wir ab, 
wir gehen sofort zur stückweisen 
Einübung der Melodie über, wobei wir 
den umgekehrten Weg einschlagen: erst 
Einzel-, dann Chorgesang. Hierauf folgt 
Zusammensetzen der Stücke, Vorsingen 
seitens des Lehrers und zuletzt selb- 
ständiger Gesang der Kinder, durch die 
Geige begleitet. Diesen Stücken schliefseu 
sich bei uns 3 , 4 und ö. der tormalen 
Stufen an , welche auf Gewinnung und 
Anwendung des systematischen Materials 
gerichtet sind. 

Das Schema für die Behandlung eines 



Liedes auf der Stufe des Notensingens 
ist nach dem 2. Hefte folgendes: 

Der Besprechung und Einprägung 
des Textes folgt: 

1) Lesen der Zahlen, 

2) Einsetzung der Notennanien, 

3) Singen der Zahlen ) ohne 

4) Singen der Notennamen/Rhythmus. 
6) Bestimmung des Wertes der Zahlen 

und Pausen, 

a\ _n- • u t 1 der Zahlen, der 

0) rythnusehes Lesen U r ,, 
r.; "\, . , o- #iN amen und des 

1 ) rythmisches Singen J Textes 

8) rythmisch-melodisches Singen der 
Zahlen, der Namen, auf la und des 
Textes. 

Im 3 Hefte ist dies Schema im An- 
fange etwas verändert Wir nehmen es 
an, bemerken aber dabei, dafs die Be- 
handlung eines Liedes damit nicht be- 
endet ist, es folgt noch die Behandlung 
desselben auf den Stufen der Association, 
des Systems und der Methode. 

Fassen wir unsere Resultate zu- 
sammen : 

1) Die unmittelbare Aufgabe des Ge- 
sangunterrichtes ist die Einübung 
von Liedern. 

2) Die Lieder müssen wahrhaft poetisch 
inbezug auf Form und Inhalt sein, 
Rhythmus und Melodie müssen den 
Gesetzen der Ästhetik genügen. 

3) Diese Eigenschaften besitzen aufser 
den Chorälen die Volks- und volks- 
tümlichen Lieder, nie aber die ge- 
machten. 

4) Das systematische Material wird 
an den Liedern gefunden. 

5) Im ersten Schuljahre wird von Ge- 
winnung systematischen Materials 
vollständig abgesehen. 

Eisenach. K. Böttcher. 

U. 

Rechtfertigung einiger pädagogischen 
Gedanken Zillers. Zugleich eine Er- 
widerung auf die Schrift des Herrn 
Bartels: „Die Anwendung der Herbart- 
Ziller- Stoy sehen didaktischen Grund- 
sätze für den Unterricht an Volks- 
und Bürgerschulen." Von Dr. A. 
GÖpfert Dresden, Bleyl und Käm- 
merer. 8. Preis: 1 Mk. 50 Pf. 
Es ist den Herbartianem neuerdings 
wieder der Vorwurf gemacht worden, 
als seien sie zu streitbar und kampf- 
süchtig. Man vergisst eben nur zu leicht, 
dasa sie fortwährend zur Verteidigung 



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- 53 — 



ihrer Lehren durch Angriffe von den 
verschiedensten Seiten her gezwungen 
werden. Oder sollte Jemand ihnen 
zumuten wollen, zu allen thörichten 
und unmotivirten Verunstaltungen ihrer 
Lehren den Mund zu halten, damit sich 
die gröbsten Irrtümer und Unwahrheiten 
in der deutschen Lehrerwelt ja recht 
fest setzen *? So unverständig wird wohl 
niemand sein. Deshalb hat auch Herr 
Göpfert durchaus recht, wenn er es ver- 
sucht, nachzuweisen, inwieweit Herr 
Bartels mit seiner Kritik der Herbar- 
tischen Lehren das Richtige getroffen 
oder nicht. Der erste Teil dieser Bro- 
cbüre ist den Lesern der Studien nicht 
unbekannt. Er erschien im zweiten 
JJeft dieses Jahres. Wer sich für den 
genannten Artikel interessiert und die 
einzelnen Streitpunkte verfolgt hat. wird 
die vorliegende Brochüre als Fortsetzung 
und Schlufs der Göpfertschen Arbeit 
gern in die Hand nehmen. Sie ist geeig- 
net, manche Mifsverständnisse zu klären 
und falsche Behauptungen in ihre rechte 
Beleuchtung zu rücken. In der Vorrede 
spricht sich der Verfasser dahin aus: 
„In neuerer Zeit sind mit einer an 
das Triviale grenzenden Leichtfertigkeit 
Angriffe gegen Ziller und seine Schule 
veröffentlicht worden. Diesen Angriffen 
gegenüber halte ich es für ein Unrecht, 
sich auf den Standpunkt zu stellen, es 
sei besser, solche Dinge zu ignorieren 
und lieber Positives zu schaffen : für ein 
Unrecht gegen die Wahrheit, für ein 
Unrecht gegen den Teil der Lehrer- 
schaft, welcher mit den einschlagenden 
Verhältnissen nicht so vertraut ist, um 
ohne weiteres das Gewirr von Mifs- 
verständnissen , falschen Behauptungen, 
Trugschlüssen und Verdächtigungen zu 
durchschauen. Dazn kommt, dafs wohl 
die Tageslitteratur gelesen und auf- 
genommen wird, ein wissenschaftliches 
Studium, z. B. der Schriften Zillers und 
seiner Anhänger, aber leider noch nicht 
jedermanns Sache ist. 

Darum habe ich es unternommen, 
jene Art des Schriftstellens zu charak- 
terisieren unter Anlehnung an das auf 
dem Titel genannte Buch, und zugleich 
gegen das Ende hin in selbständiger 
Form, eine Verteidigung der ange- 
griffenen ZiUerschen Vorschläge zu 
geben. 

Dafs ich gerade das Buch des Herrn 



Bartels als Unterlage benutze, findet 
seine allgemeinere Erklärung — die 
spezielleren Gründe folgen unten — ein- 
mal in der Form, in welcher dieser An- 
griff erfolgt ist, dann darin, dafs dieselbe 
einiges Aufsehen gemacht zu haben 
scheint. Auch möchte gerade durch 
diese Schrift mancher irre geführt wer- 
den, wenn er der Anzeige Glauben 
schenkt: „Dieses Buch .... dient als 
kritische Studie gleichsam zur Einfüh- 
rung in die Herbartsche Schule 41 ; und 
wenn er der Meinung begegnet, das 
Büchlein enthalte eine, .gründliche Wider- 
legung" der Herbart-Zillerschen Grund- 
sätze (vgl. Badische Schulztg. 1884 
No. 44.) und wenn er sogar von Herbart 
freundlicher Seite dasselbe loben und 
den Verfasser selbst als „Herbartianer" 
bezeichnen hört. Auch eine captatio 
benevolentiae scheint mir einer solchen 
"Schrift gegenüber nicht am Platze. 

Ich konnte mich nun nicht ent- 
schliefsen, Seite für Seite, Satz für Satz 
zu verfolgen und zu widerlegen, sondern 
ich stellte das Zusammengehörige zu- 
sammen. Eine scharfe Disposition frei- 
lich wurde durch die Verworrenheit 
des Buches aufserordentlich erschwert, 
Wiederholungen waren unvermeidlich. 

Der oben angedeutete Artikel schliefst 
ein warmes, süddeutsches Herz be- 
kundend : 

„In allem aber aufrichtige Liebe, 
Liebe zur Wahrheit und Liebe zu denen, 
die mit uns nach ihr streben.' 4 Diesen 
Worten möchte ich die in ihnen liegende 
Ergänzung hinzufügen: 

Aber energischer Kampf gegen 
alle Unwahrheit! 44 

Dies ist auch unser Standpunkt. 

Eisenach. W. Rein. 

HI. 

Andreas Baumgartner, Lehrer an 
den höheren Schulen der Stadt Winter- 
thur, hat in Zürich bei Orell Füfcli u. 
Co. den ersten Teil eines Lehrgangs 
der englischen Sprache erscheinen lassen 
Er ist, wie Verfasser sagt, für das 13. 
oder 14. Altersjahr bestimmt. In dem 
Buche wird der grammatische Unter- 
richt sehr beschränkt und methodisch 
an die Lektüre angeknüpft, die den 
Hauptinhalt desselben ausmacht Der 
Plan ist an sich nur zu loben und zu 
empfehlen. Viel Lesen in der fremden 
Sprache mnfg dem Gebrauch derselben. 



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- 54 - 



also dem Übersetzen aus dem Deutschen 
vorausgehen ; auch die in der Einleitung 
gegebene Anweisung, wie das Buch zu 
verwenden wäre, können wir nur an- 
erkennen. Den englischen Sprachstoff 
hat Verfasser aus Originalquellen ge- 
nommen, aus Schulbüchern und Kinder- 
schriften. Aber da möchte ich ihm 
doch zu bedenken geben, ob es bei 
einer Umarbeitung, die ich dem Buche 
bald wünsche, sich nicht empfehlen 
dürfte, die Lesestücke nicht in ihrer 
Mehrzahl aus den Büchern für die früheste 
Kindheit zu entnehmen, sondern dem 
Alter der Schüler angemessen, kräftigere 
Kost zu bieten, die in leichter Sprache 
und mit der Stufe entsprechendem In- 
halt auch mit wenig Mühe gefunden 
werden kann. Wir sind begierig die 
Fortsetzung des Lehrgangs zu sehen. 

Ein anderes im Verlage von Pierer,. 
Altenburg erschienenes „Englisches Lese- 
und Übungsbuch für Tertia von Dr.J. 
Schneider, Professor an der herzogl. 
Realschule zu Altenburg" vermeidet 
den eben gerügten Fehler ; der Lehrstoff 
ist mit Rücksicht auf das Alter und die 
Reife der Schüler gewählt und ist so 
ziemlich ausreichend für das erste und 
zweite Jahr des englischen Unterrichts 
auf Realanstalten. Die ersten 34 Seiten 
beschäftigen sich mit der Aussprache, 
und geben einen Wortschatz in den der 
Jugend zunächst liegenden Gebieten, 
dazu die Verbalflexion und die Personal- 
und Possessiv-Pronomina. Eine Ele- 
mentargrammatik ist nebenbei zu ge- 
brauchen. Unter den vielen Lesebüchern 
zeichnet es sich durch geschickte Wahl 
des Stoffes aus und ersetzt insofern 
ganze Bücher, als es für die zweite 
Stufe grössere zusammenhängende Stücke 
bringt, die davon zeugen, dafs Heraue- 
geber die Jugend m fesseln wünscht 
und versteht. In den beiden Teilen 
finden sich einige Stücke zum Über- 
setzen aus dem Deutschen; den Schluf» 
machen einige poetische Abschnitte. 

In demselben Verlage ist die dritte 
Auflage von Karl Gräsers englischer 
Chrestomathie erschienen. Der Um- 
stand, das 3 schon eine dritte Auflage 
nötig geworden ist, beweist, daia das 
Buch seine Freunde hat Es kann schon 
vom zweiten Jahr des englischen Unter- 
richts an gebraucht werden und enthält 
ausreichenden prosaischen und poeti- 



schen Stoff für drei Jahre, also für Ober- 
tertia und die beiden Secunden Die 
Auswahl ist im Ganzen gut. Den grössten 
Kaum nehmen novellistische Abschnitte 
ein, von S. 52 bis S. 136. 55 Seiten 
sind der Poesie gewidmet. Für Freunde 
von Chrestomathieu kann das Buch 
empfohlen werden. 

Viele Schulmänner sind Gegner von 
solchen Sammelwerken und ziehen ganze 
Bücher vor. Ausserdem ist eine An- 
regung unter den Fachmännern im 
Gange, welche einen Canon, der in 
jeder Schule zu lesenden Autoren für 
wünschenswert hält. In diesen Canon 
würden nicht alle Stücke unseres Buches 
aufgenommen werden. Einen Haupt- 
gesichtspunkt hat es aber festzuhalten, 
versucht; es will das Interesse der 
Schüler wecken, und so ihren Lerneifer. 

Ebenfalls bei Pierer hat Professor 
Dr. Sievers seine Üebersetzung von Nie- 
bohrs Heroengeschichten als Tales of 
Greek Heroes in zweiter Auflage er- 
seheinen lassen. Das kleine Buch, das 
in guter Sprache diese allgemein be- 
kannten Geschichten wiedererzählt, eignet 
sich vorzugsweise zur Privatlektüre, da 
es, weil dem Inhalte nach bekannt, auch 
dem wenig fortgeschrittenen Schüler ge- 
ringe Schwierigkeiten macht. Von 
einem Wörterverzeichnis ist deshalb 
auch abgesehen worden, und die Redens- 
arten und Anglicismen sind in einem 
Anhang gesammelt. So kann dieses 
Werkchen als passendes Geschenk für 
angehende Lerner des Englischen warm 
empfohlen werden, und ist besonders 
auch geeignet zur Einverleibung in 
Schülerbibliotheken. 

Professor Sievers hat eine Aussprache- 
bezeichnung ganz vermieden, und wir 
glauben mit Recht. Die drei vorher 
genannten Bücher haben Aussprache - 
zeichen — aber jedes nach eigenem 
System. Ein allgemein anerkanntes ist 
nicht vorhanden. Die Lautphysiologie 
ist in ihren Resultaten neuerdings auf 
diese Zeichen angewandt worden, und 
hat zu compKcierten Systemen geführt, 
von denen vielleicht einmal eins eine 
Zukunft haben wird. Jedenfalls ist auch 
in England selbst eine Einheit und 
Einigkeit über die Lautbezeichnung 
nicht vorhanden; ein halbes Dutzend 
neue Wörterbücher, neben einander ge- 
stellt, werden das jedem beweisen. Für 



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- 55 - 



praktische, nicht für gelehrte Zwecke, 
halte ich trotz Professor Schneider, 
Vorrede , 8. VIII, das alte Walker'ache 
Zifl'ersystein . das vielleicht ein wenig 
su erweitorn wäre, für das beste. 

Oberlehrer Dr. Knöricb hat bei 
Leiner in Leipzig eine Auswahl engli- 
scher Gedichte aus Thomas Moore und 
Lord Byron erscheinen lassen. 

Einleidend giebt Verfasser eine 
knappe Biographie der beiden Dichter, 
und dann eine auch knappe Auswahl 



Er bestimmt die Mooreschen Gedichte 
für Oberoecunda, die B/rous für Prima. 
Und das ist jedenfalls richtig. Er 
läuterungen finden sich teils unter dem 
Text, teils auf vier ßeiten eines Anhangs. 
Für die bezeichneten Classen kann das 
kleine Buch zur Lektüre empfohlen 
werden; es wird manchem Collegen will- 
kommen sein. 

Eisenach, Januar 188ö. 

Prof. Balzcr. 



D. Inserate. 

»erlog von JUft<6 J»öfb<r, f. !. $of. unb Uuberfttate^©u<bbäubUr, Sien, 
föotfrentburnifirajje 15. 

39*r IRinforgarten- 

€fyeoretifd? = praf tifcfyes fjanbbud) 

von 

Dinctor brt erftft« Silbungianftalt für SKnbergartnerinnen in Wien. 

ÄM 2 ^olifrijinmen unti 25 Ittfpjxrapiiirrfrn <EafeIn* 

Smeite, uoOflänbig umgearbeitete Auflage. 
?rei« 3R. b.20. 



8on bemfelben »erfoffer: 

dfbtt^te unb £ieber für fjans, f inbergarien unb B^nle. 

9iebft einer Einleitung üon 

§eCer. 

Sirector be* 0Iinben*3aftitutf« auf ber beben Garte bei fflien. 
3meite, oerme^rte aufläge. Elegant gebunben. ^rei« üDJ. 3. 



SRetfyofcif bcö ©cograp^it*Untcrricbtcö. 

Stoff, lefyrgang, Cefjrform unb Cerjrton auf 6er geograpfytfcfjen 
Hnter= un6 ZtTtttclftufe 6er Volts- unb Bürgerfdjule. 

«Jon 

ÜbunflSirtiuaebrer in St. $&tte«. 
I. $betl: Jpeimat unb ü3aterlanb. 3roeite Auflage. 2Rit 18 Original -flbbilbungen. 

i<rei« SR. 1 — 

II. 2$etl: OfUmta>Uugaru. SRit 5 DrigiMaI«2lübilöungen. $r«i« SW. —.72. 



Sprudjuwtter unb Sprühe 

all ftbungsfloff für beit Unterriebt in ber beutfdjen fted)ridntibung nad) 91eid)bett nnb 
nad) äbnl«bfeit bt« ffiortflange metbobijd) georbnet unb mit einem Snbange erjäbtaifcer 
unb befdueibenber ÜRnfterflürfe für @$ule unb $au«. 

»on 3 Stttncr, 
QJt)mnafial* k J$rofefiot in fBien. 
^Jrei« SR. 1.32. 



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- 56 - 
Perlag r?on tftarl 3. Zvtäxrn, Strafburg. 

tyatutwiffentfialtlitie £femeitttttßürfjer. 

(fbciitif »on ß. fto«coe, 1*rofeffor ber Sbemie in 3)iancbefter. 2>eutfd)e 3lu«gabe, 
beforgt »on Wofe, s J$rofeffor ber $l>emie an ber Unioerfität Straßburg. 3JMt 2lb> 
bilbungen unb mit einem Hn^ang »on fragen unb Aufgaben. 3. Hufl geb. 80 $Jf. 

Wofil »onS3alfour (Stewart, Sßrofeffor ber s Jtyöf*tf in flRancbefter. 2)eutfd]e Ausgabe, 
beforgt »on (5. Sarburg, ^rofeffcr ber ^b»ftf an ber Uniöerfttät ftretburg i. ©. 
Sföit Abbilbungen. 3. »erbefferte unb mit einem Snfyang »on fragen ttllb Aufgaben 
terfebene Auflage, geb. 80 $f. 

XM ürnnomtc von Norman i'ocföer Deutfdje SuSgabe, beforgt »on 21. Sinnerfe, 
^ßrofeffor ber Slflronomie an ber Uni»erfttät Strasburg. SJtit abbilbungen. 3. »er- 
befferte Auflage. geb. 80 <ßf. 

i<lmfifaltf(t)C («eograjlbje »on 8. (4>eifie, ^rofeffor ber ©eologie an ber Unioerfität 
Cbtnburg. 2>eutfcbe 2lu«gabe, beforgt »on D«tar @a>mibt. SWit Abbilbungen, 
einem ?lnbang »on fragen unb Aufgaben. 3. wrbefferte aufläge. geb. 80 ^Jf. 

(Geologie »on S. ©eifte. £eutfrbc Ausgabe, beforgt »on Dfifar Scbmibt. 2Jlit 2lb* 
bilbungen unb mit einem 3tnb.ang »on fragen unb aufgaben. 2. aufläge, geb. 80 ^f. 

£hierfnnbe »on SD«far @d)mibt, $rofeffor ber 3oologie an ber Uni»erfttät ©träfe» 
bürg. «Kit abbilbungen. geb. 80 $f. 

öoianit »on ©. 2t. be SSarp, ^rofeffer ber «otanif an ber Uni»erfttät Straßburg. 
ÜRit abbilbungen. 2. terbefferte aufläge. geb. 80 <Pf. 

3m \ibre 1882 erfd)ienen: 

Mineralogie »on Marl %. Veter«, ^rofeffor ber Mineralogie an ber Un»erfttät (Braj. 
2flit abbilbungen. geb. 80 ^Jf. 

s £uijfiOlOflie »on ü)f. ftofler, ^rofeffor in (Sambribge. Eeutfrbe ausgäbe »on D«far 
äebmibt, ^rofeffor an ber Uni»crfität Straßburg. SJiit abbilbungen geb. 80 $f. 

Vlllflcmeiitc CEiiifnorunn in bic MatnrroiiTenfdmften »on X. 2W. #urle». $eutfd)e 
ausgäbe t?on 0«tar Scbmibt, ^rofeffer an ber Unitjerfttät ©trajjburg. geb. 80 ^f. 

3Kit ben 3 legten »anbauen ift bie Sammlung abgefdjlofTen. 

3n biefer »on bebeuteuben ©elefcrtcn »erfaßten @d)ulbüd)er ' ©erie i|l jum erfteu 
SDiale bie Sßiffenfdjaft burd) ibre beften Vertreter bem Unter riepte bireft bienftbar gemaebt. 
£ie pierbureb erhielten 3>or}üge all<n bisherigen fpftematifdjen , fa>n?er ju bewältigenben 
Überfielen gegenüber finb: flacc unb fafjlidic DarftcUuug ber oauprinabrUcttcrt ber 
einzelnen 2ßiffcnfd)afteu, Wusftfceibnng alles Unwejcntüdjen, Anleitung ber ^ugenb 
311m ^eobadjten unb jum Wadjbcnfen Uber bie aUtäglidjen (Srfdjeinungen ber Ütatur. 

Sem gegenwärtig fo bringenb embfunbenen SBebürfni« naep sßereinfaepung be« Unter- 
riebtsftefie« entfbreepen biefe ©änbdjen in »oüfommenfler SBeife; fte haben bereit« in einer 
großen ilnjabl ©cpulen £cutfd)lanb« unb ber ©<fe»eij Eingang gefunben unb ftnb bi« 
legt in einer (^efammtauflage »on ungefähr 100000 Sremplaren »erbreitet. 

Xic für ©djulbücper ungemöbnlid^ gute au«ftattung — weißes ftaife« Rapier, flarer 
Sfrittf, fct>öne .^oljfa^nitte — ift »on ber gefamten Äritit rüpmenb bertoorgepoben worben. 

3n bem ^rei^ mm 80 Pfennig für jebe« $änbajen ift ein foliber v>atblctn= 
toaubbanb inbegriffen. Die naturwiffenfaiaftndKn (Slementatbüd^er bürfeu baper 
mopl mit üicrtii p ben biütgften Sdjnlbütpern gejäplt toerben, mcirtic bi* iciu bem 
beutfdjen JMlifunt bargeboten tpu rben. 

Soeben erschien und durch alle Buchhandlungen ist zu beziehen: 

Grundzüge der Geographie für Mittelschulen 

von Dr. M. Geistbeck, kgl. Seminurlehrer in Preising. 
Preis gebunden M. 2.80. 
In Keiner Durchführung den Anforderungen der neueren Unterrichtamethodik in jeder Weite 
gerecht werdend, ichenkt dieses Lehrbuch ausserdem den Partien der Geographie besondere Kflck- 
■icht, in welchen «ich dieselbe mit dem praktischen Leben berührt. Es finden somit die Roh- 
produktion der Industrie, der Handel, das Verkehrswesen u. s.w. eingehende Behandlung, aus 
welchem Grunde das Werk vorallem Real-u. Handelsschulen als Unterrichtsmittel su empfehlen ist. 

Ansichtsexemplare werden gerne portofrei ubersandt und kostenfrei Überlassen, wenn das 
Buch an der betr. Lehranstalt sur Einführung gelaugt. 

R. Oldenbourg's Schulbücherverlag in Mönohen. 



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