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Paeda
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1
Paedagogium.
Monatsschrift
rar
Erziehung und Unterricht
HezauBgegeben
X>i". X^"Vie<ii"icli I>itte».
17. Jahrgang, 1882.
Leipzig and Wien
Verlag von Julius Kliukhardt
1882.
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Mitarbeiter des vierten Jahrganges.
Friedrich Aacher, Ui^or i. P. in Leohen. S. 288b
K. Bluhm in Leipzig. S. 635.
J. Bruns. Lehrer in Varel. S. 72(5.
Dr. Friedrieh Dittes. 8. 1. 59. 121. 183. 195. 19«. 819. 247. 294. 824. 361. 372.
424. 499. 563. ÖW. 643. 713. 786. 788.
Dr. 0. Dreader, prakfe. Ant in Breaden. S. fö.
Dr. Vietor Emerici^, Senünaidirector in Iglft. 8. 630;
Joh. FreiberuM'r, L. hrc r in Weitcrsfold. S. 234. 62&.
A. Friesicke, Rector in Freieuwalde. S. h')H.
Ä. Goerth, Schuldinctor in Innterburg. S. 17. 151.
A. W. Grube in Bregenz. S. 483.
Dr. 0. Haufe. 8. 316.
J. Hnftchmidt, Lehrer in Unna. S. 306.
Fraa 8. Sioh, SproeUefarerm in Bzealaii. 8. 774.
Fard. Kubiena, Lehrer in MötUing. S. 110.
Th. Lanilmann, Rector in Schwetz. S. 450.
J. Lapajne, Schuldirector in Gurkfeld, S. 12.
F. Mähr, Prof. in Triest. S. 573.
Andzena Xayer, Lehrer in Wien. S. 783.
Hdnridi Morf, Seminordhreetor in Winterthnr. 8. 2. 76. 180. 404. 466.
WüUbald Nairl iu Wien, a 44. 95. 639.
Dr. H. Preiß iu Kiiniersberg. S. 335.
Dr. Job. R« linik<-. Pmf. in St.-(iallen. S. 38!>. 453. 517. 685. 673. 737.
Dr. E. Schatzmayer, l'rof. in Triest. S. IM. 207.
Frm Schlinkert iu Wien. S. 37ö. 438. 779.
J, A. 8ehnaii; Tnt in Wien. 8. 191.
236892
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IV
Dr. Emil Scherfig in Leipzig. S. 696.
Ediianl Teilt r, Lt lircr in Naumbvirg. S. 577.
Dietrich The<ien in Hamburg. S. 261.
Franz Tirak. Srluilinspector in Oirnlin. S. 513.
Theod. Vernalekeu, Seuiinardirector i. P. in Graz. S. 325. 621.
Dr. Georg Voiyt in Aunaberg. S. 229.
().<kar WaMrck. S. lt)7. 281.
Dr. J. Wyrli^Tam in Leipzig. S. 355.
Überdies mehrere auoujme aiitarbeiter und die Fachreferentcn des „Literatur-
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Inhalt.
a. Vach der Reihenfolge verzeichnet
Seite
Ein nothgedrungenes Vorwort. Dütes 1
Ul)«.-rsie<lluni,' der Postalozzischeii Anstalt von Biir^'doil:' nacli lliinclienlnK lisee.
76
Die Pflege der deutschen Sprache an den sloyenischeu Volksschulen. Lapajue.
12
17
Uttsere Bauernwelt und die Studien über Sprache uud Weseu des Volkes. Xagl 44. 95
Wiener Geschicliten. Dittes .... 59. 121. 183. 219. 294. 3C1. 424. 499.
ÖÖ3
65
HO
130
183
Die Prilfuni^ und Ausbildung der Lehrerinnen in Ostpreuften. Goerth . . .
151
180
191
Püliti;sche Erziehung
195
i9r.
Friedrich EUckerts GeUankeuljTik als Bildungäiuittel fOr höhere Lehranstalten.
229
Wie wir uns ein Elementarlehrbnch der Geosfraphie denken. Freiberger . .
234
238
Erziehunq- zur Arbeit
247
252
Griiiidsutzo zur Beurtheilunu: der deutsthen .Tugcndliteratur. Theden . . .
261
(iedanken über religiös-sittliche Bildung durch die Volksschule. Hut'schuiidt .
mi
316
324
Nieman kan heberten kindes zuht mit gerteu. Ein pädag. Bedenken. PreiÜ
335
Die praktische Vorbildung: zum höheren Schulamte auf der Universität. Wychgram
355
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VI
Soitc
Stroitsätze zur (Tynmasialfraye 372
Vulksbilduuysmittel. Sthlinkert 375
Der Pessimismus nnd dift Sittenlehre. Rphmkft . . 389. 453. 517. 585. fi73. 737
Alis deiii SriiiiUflicii ilcv Scliwfi/. M ut 404. 4f>fi
Eine Baueriisliiiiiiic über ilit' ScluiU'. Schliukcrt 438
Ein Wiirt über dia Rf>aaortvn liältnisafi der höheren Mäilplienschiilpii in Preiififtn.
^ Landmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . iäö
Über die Blasirtheit. Grube . . . . ■ ■ ■ : : : . . .. ÜJÜ
Die Gymna.stik iu der Volksschule. Ti<*ak 513
Über die Gesundheitspflege in der Schule. Friesicke 533
ApliKrisiiiL'ii ülx-r ilcii Lehrer. ^Iäl>r •")73
Cultiir und .Scliiile im Kample mit der rotheii Ka.^se. Tfller 577
Erziehung zur Selhstthätigkeit 584
Znr Friihel-T.iteratnr 584
Eine gemeinsame Mittelschule. Vernaleken 621
Wie wir uiiserft Srlmlkiiider y.iiin T.ejüen der Landkarten anleitan nnk-hti»n.
Freiberger 625
Das Pädayoyium zu Budapest. Emericzy 630
Lehrerprüfungen in Fraukreich. Bluhm 635
Ehre, dem Ehre gebttlirt. Nagl 639
Zur Überhürdnngsfrage 643
Zur Psyi liuloi^ie der Geschlechtsdifferenz. Seherflg 696
L1)er den (ü-hriuich von Lehrbui lieru in V"lk--i ljiiie!i. L'illc' . . .. . LIÜ
Dt.T jiuiiTC Volksseiuillelirer. Bruns 726
Zur Lehrerforthilduüg. Player 733
Ein Wort über die RessortverlKtItiiisse der höheren MäiMu nschulen in Preußen 762
Antwortsclireiben an eine junge Lehrerin. Kroh 773
Volksthiinilichor Stil. S. hlinkert 778
Volkswirtsrhatt iiu«! Sucialpliilusophie 782
Eine alte Ciiltiirkraiikheit , 786
I'it- beste deutsche Ciraiiimatik .. , . . .. .. . . . . , . , . , , liiB
Snhliisswort - - - 7H8
b. Logisch geordnet.
l. Zur anthropologischen Grundlegung.
Zur Psj'chologie der Geschlechtsdifferenz 696
Der Pessimismus und die Sittenlehre 389. 453. 517, 585. 673. 737
Über die Blasirtheit 483
Modenie Lichtstrahlen 65
Über den Gottesbegriff . . " 325
Gedanken über den Idealismus der Arbeit 197. 281
Volkswirtschaft und Socialphilosophie 782
Unsere Bauemwelt und die Studien Uber Sprache und Wesen des Volkes . 44. 95
Cultur und Schule im Kampfe mit der rothen Rasse 577
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VII
8citc
II. Zur Geschichte der Erziehung Uüd dea Unterrichtes.
Überaiedluii:: der Pestalozzischen Anstalt von Bunydorf nach Mttnchenbuehsee. 2. 76
Fröht'l-Jul.iläiiiü 1M(>
Zur Friil)^|.Lir<^mtiir . . . . . . . . . . , . , , . . . . . . äJÜ
Eine alte Cultnrkrankheit . 786
Wiener Geschichten 59. 121. 183. 219. 294. 361. 424. 499.
Die Pflege der deutschen Sprache an den sloveuischen Volk-sschulen ... 12
III. Zar allgemeinen Pädagogik.
Nieman kan beherten kindes zuht mit gerten 535
Über den Wert der Jugondspide 316
Politische Erziehung 195
Erziehung v.nr Solbstthätigkeit 584
Erziehuui? zur ArWit 247
Über weiblicheu Erwerb und weibliche Thätigkeit 238
Über Jugendlectüre fllr Mädchen 17
Grundsätze zur Beurtheilung der deutschen Jugendliteratur 261
Volksbildungsmittel 375
Ehre, dem Ehre gebührt 639
IV. Über Unterricht, ünterrichtsaustalteu und Schulerziehung.
Kindergarten und Volksschule .... 324
AiitwortschrL-iben an eine juuge Lehreriu 773
Gnlanken flher religiös-sittliche Bildung durch die Volk.'tschule .306
i'l»r >lie (usiindheitsi)tlfye iu der Vidk^.sclnil>' ."j^H
Die Gymnastik in der Volksschule 513
Wie wir uns ein ElcniontarU Iirbuch der Geographie denken '2'M
Über den Gebrauch von Lehrbüchern iu den Volk.HM hulen 713
Wie wir unsere Schulkinder zum Lesen der Landkarten anleiten möchten . 625
Ana der .Schiilsfiihe . , , ^ , . . , . . , . . . 180
Allniählich. Eine orthoirraphi^^ehe Geschichte 252
Das gei.>tii,^e Eli iileUt de.'^ S.itztüues 110
Die beKte deutsche Grainiimtik , . . . , , ^ . , . . , . . . . , Ifift
Friedrich Rttckerts Gedankenlyrik als Bildungsmittel fttr höhere Lehranstalten 229
Eiiip 'Raiionisfininie über die Schule ._ ._ , , , , . , , .. . iM
Zur Behei'zigung 130
VnlksthihnhVliPr Stil 778
Der junge VolksschuUehrer 726
Zur Lehri-rturtbiMuiii^r 733
Aphorismen ttber den Lehrer 573
Die praktische Vorbildung zum höheren Schulamte auf der Universität . . . 355
Eine gemeinsame Mittelschule 621
Streitsätze zur Gynmasialfrage 372
Gj-mna-sium und Nationalität 164. 207
Zur itberbardungsfrage 643
vm
V. Zur Charakteristik des treffen wärtifren Schulwesens; Zeitgesefaichtliches.
Die Res.sort Verhältnisse der lirdii rcn MäiUhenschulen in Preußen . , . 4ö0. 762
Die Prüfuiiir und Ausbildung der Lehrerinnen in Uätpreußen löl
Aus dem Schuilebeu der Schweiz -104. ■4(5<>
Dm P&dagogiam sa BadA|^ 630
PSdAgogisehe Tätigkeit in Fhuiknieh 133
Lehrerprüfungen in Franbreieh 686
Das La&yette-Gollege in Baiton 191
]Liitei*a.tiii*l>la/tt.
AlpklbetiiDlieB Vcrzoiehois der Aatoran (mp. Hernnagebcr oder Titel) deijenigen Werke, welche ist
Vorliegeoden Jahrgtsp receanrt siad. Die Zißem beseichnen die NiuuDern dei Literatublattee.
Arendt 12. Ballauf 9. Bechtel 4. Berj^old 11. Bernhardt 5. Born 7. Busch-
mann 8. Czekala 11. Ditt. s 8. Dr.rpfeld 6. Durmayer 12. EffH 10. Ehlers 8.
Embiicher 10. Filek v. Wittiiighauseu 4. Frisch 4. G<a.sser 1. Uflbe 8. Götzinger 11.
Gude 2. Gureke 2. Hartiuger 4, 12. Uchu 11. Helmes 12. Herbst 2. Her-
mann 13. Herzog ö. Hirt 8. Hofinann 4. Huil^ 10. JSger 7. Jonas 2. Kehr 2.
KiTdimann 3. Knaver 6. Kopp 5. Kosenn 6. Krause-Neiger 1. Krones 1.
Kunz 12. Lazarus 2. Lederer 8. Leypold 0. Liudner 9. Ueinhold 12, Molden-
hauer 7. Morse 10. Neurath 4. Pädagogisches Jahrbuch 9. Peter 12. Plinius 12.
Plötz 5. Reinecko 3. Reinheimer 10. Rieniann 8. Romenthal 10. Rümmer 2.
Sauders 7. Schlitzberger 8. Schreiter 1. Schrüer 10. Schnitze ö. Seyffardt 4.
Siebeck 10. Simmler 8. Singer 9. Spencer ö. Sydow 3. Tempsky 11. Thilo 1.
ünger 6. Vieter 9. Vogel 2. Voigt 8. Walther 5. WeUenhofer 8. Wichmann 10.
Wilbrand 8. Wittstein 12. Woenig 6. WoUfiuth 3. Wolff 11. Worpitsky 7.
Wttnsch ö. T. Zenchwitz 7.
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Ein iiotligedrimgenes Vorwort.
Das erste Heft des neuen Jahrganges unserer Zeitschrift war zur
Versendung fertig. Ich hatte es mit einem Artikel unter folgendem
Titel eröffnet: „Wo stehen vir? Ein Blick auf die Gegenwart."
Es war kt iiie Lobrede auf unsere Zeit und die sie heherrsrlu-iKipn
Factoren, das ist wahr; vielmehr hatte ich unverblümt die Gebrechen
im Cnltnrleben und Bildungswesen unserer Tage geschildert. Aber
ich war uberzeugt, der Wahrlieit ^^edient zu hal)en und lioütc auf den
Beifall aller Freunde derselben. Da vnirda von der k. k. 8taatjjan-
waltschaft in ^\'ien die ganze iiü' Österreich betjtimmte Auflage mit
Beschlag belegt. Sofort bereiteten wir ftir dieses Gebiet eine neue
Ausgabe ohne den genannten Artikel vor. Aber nun kam ein weiteres
Hindernis: die Nachricht von massgebender Seite, dass auch in
Dentschland die unverkürzte Ausgabe des Heftes nicht gewagt werden
Unter diesen Verhältnissen entschloss ich mich, den inhibirten
Artikel einstweilen ganz zurückzuhalten und statt seiner einen anderen
aufzunehmen, überdies die Disposition der ganzen Nummer theilweise
zu ändern.
Im Hinblick auf den gebliebenen werthvollen Inhalt des Heftes
hoffe ich noch immer auf eine günstige Anftiahme desselben, und im
Übrigen erwarte ich wol nicht vergeblich, dass die geneigten Leser
unsere schwierige Situation zu würdigen wissen werden. Wo möglich
werde ich den einstweilen gebundenen Artikel nachliefern, jedenfalls
aber alles aufbieten, nm unsere Abonnenten zufrieden zn stellen.
WMen, 21. October 1881.
BIttcs.
P«dafr'>Kiam. i- Jahrg. Heft 1.
1
Obersiedlmig der pestalozzischen Anstalt von Burgdorf nack
Hflnelieiibiielisee.
Von H. Marf-WinUrthur.
Die helvetische Gentnüregiening sandte bis zu Ihrer Beseitigang,
trotz mehtfiMsheii Wechsels von Personen nnd Systemen, der pestalozzir
sehen Anstalt in Bnrgdorf stets besondere Anfinerksamkeit, ja Sorg-
Mt zn. Getren den in der ersten Emheitsverfinssimg vom Jahre 1798
niedergelegten Grundsätzen: „Die Anfklämng ist dem Wolstand vor-
zuziehen; der Bfiiger will die moralische Veredlung des Menschenge-'
schlechts," beschränkte sie sich nicht auf die blos moralische Unter-
stfltzuDg des IhstitatS) sondern liess demselben di^enigen Vergünsti-
guDgen und Geldmittel zukommen', die das BedQiftais zu erheischen
schien. Die unentgeltliche Überlassung des ins Nationaleigenthum'
aufgenommenen Schlosses Burgdorf mit den dazu gehörenden Gärten
an die Anstalt, die Lieferung von 20 Klaftern Brennholz, die Aus-
setzung einer Jahresbesoldung von Francs 1600 für Pestalozzi selbst,
und von je Francs 400 für zwei seiner Gehilfen, die Gewähninp: eines
successiv zu erhebenden Yorschusses von Francs 8000 für den Druck
der pestalozzischen Elementarbücber (bis zur Aufliebung des Einheits-
staates waren P^rancs 40(X) wirklicli bezogen und verabfolgt, worden),
die Zusicliei ung von Francs öO an Rihlunprskosten lür je einen Zög-
ling des zu errichtenden Lehrerseminariunis in Burgdorf etc. waren
bei dt^i" finuuzlelleu Xothhige des Staates sprechende Zeuc^iisse für den
Ernst, mit dem die oberste Laudesl)eliörde eine ihrer Hauptauljgaben:
Förderung der Volksbildung, aulfasste.
Diese Handreichung- war freilicli fiir die pestalozzische Anstalt
eine Lebensbedingung. Sie zählte wol UH) und mehr Zöß-linqfe. aber
darunter viele mit keiner oder nur einer ungenügenden (Gegenleistung.
Pestalozzi musste immer nocdi persönliche Opfer bringen, um sein
Werk im Gange zu erhalten.
Die durch Napoleon bewirkte politische Umgestaltung der Schweiz
bedrohte nun die Fortezistenz des Institutes in hohem Grade. Die
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— 3 —
^ Vermittelungsacte des Ersten Consuls der Friiiikischen Re-
publik vom 19. Februar IHOli" wandelte den Einheitsstaat in
einen 19gliedrigen Staatenbund um. Die Verbimlung war eine ziem-
lich lockere. Die einzelnen (Tlieder, Oantone geheissen, ordneten
ihre Verhältnisse selbstständig. Die Kauptaufgabe des Rundes be-
stand darin, die neu eingesetzten Gewalten gegen jeden Angrift' „eines
Cantons oder einer Partei'' zu schützen. Die Centralbehr>rde, Tag-
satzang, eine zeitweilige Vereinigung von Cantonsabgeordneten, hatte
fast nur Befugnis zur Gewährung dieses Schutzes, im übriiren war
sie ziemlich machtlos, insbesondere entbelirte sie des gesetzlichen
Rechts und der Mittel zur Unterstützung von p]rzieliungs- und Unter-
richtsbestrebungen. Das NatioTuileigenthum: Schlösser, Domänen, Wal-
dungen etc. fiel an die Cantone zurück, So kam aucli das Schloss
Burgdorf wieder an den Oanton Bern, das VerfügungsrecUt darüber
an die Berner Regierung.
Die durch diese Xapoleonische Verfassung neu geschaffenen poli-
tischen Verhältnisse traten am 10. März 1803 ins Leben. Aal die.
sen Tag masste die Centralregienmg ihre Schriften und Archive dem
Laadamniann der Schweiz^ zukünftigen Präsidenten der Tagsatznng —
der erste (von Napoleon ernannte) Landammann war Ludwig von
Affry ans Freibnrg — einhändigen und sich dann auflösen. Zur
Ordnnng der nenen Verhältnisse in den Cantonen fing ebenfalls an
diesem Tage eine von Paris ans ernannte 7 gliedrige Commission in
jedem der 19 souveränen Staaten an zu amten. Die bisherigen Re-
gierungsstatthalter in den verschiedenen Bezirken hatten ihre Geschäfte
nnd Schriften in die Hand dieser Interimsbehörden zn legen. Auf den
15. April waren alle Behörden und Beamten definitiv zn wählen. Auf
diesen Tag um trat der ganze Begierungsapparat in Function. Die
erste Versammlung der Tagsatzung war auf den 1. Juli von Napoleon
befohlen.
Dass diese Ckstaltnng der Dinge f&r die pestalozzische Anstalt
in Bnrgdorf von weittragenden Folgen sein werde, konnten Pesta-
lozzi und seine Fremde sich nicht verhehlen. Nicht nur stand der
Wegfiül der Besoldung f&r Pestalozzi und seine Gehilfen in sicherer
Aussicht, man musste sich auch auf die Kttndigung der bei der. Cen-
tralregiemng contrahirten Schuld von Francs 4000 gefiisst machen.
Im Fernem war zu hesorgent dass das Schloss Burgdorf, welches bis
1798 Sitz efaies bemischen Landvogles war, dem neuen Stellvertreter
der Kegierung, Oberamtmann geheissen, wieder als Wohnung ange-
wiesen und so die Anstalt um ein anderes Obdach sich umzusehei^
1*
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genOthigt werde. Auch war die Befürclitung, der eifrige Patriot
Pestalozzi dürfte bei der durch Napoleon zur IltiTscliaft g^elangten
politischen Richtung nicht gerade viel kSympatliie finden, nicht ohne
Grund. Dennoch glaubte man nicht, sich des Ausseiften versehen zu
müssen. Man hoffte, dass Verhandlungen mit den neuen Maclithabera
zu Ergebnissen führen würden, welche die Fortexistenz der Anstalt
sicherten, wenn auch auf die Anerkennung^ der von der abgetretenen
Ccntralregierung Pestalozzi gegenüber eingeganß:enen Verpflichtungen
über die Fortdauer der ßegimstigungen nicht sicher geiechnet wer-
den durfte.
Pestalozzi suchte zuerst in mündlichen Unterredungen mit dem
Amtsschultheissen von Bern und einzelnen Mitgliedern der Regierung
die Ansiclitcn zu veniehmen, die in den massgebenden Kreisen von
Bern ihm und der Anstalt gegenüber herrschen mfkhten, ohne jedoch
ins Klare zu kommen. Am 10. August 180H wandte er sich in einer
„ehrerbietigen Petition an Meine Hochgeachteten, Hochgeehrtesten
Herren des Kleinen Rathes Bern," der er folgendes Begleitscbreibeu
an den Amtsschnltheiflaen von Wattenwyl beilegte:
»Insonders hochgeachteter Herr Amtsschnltheiss!
Seitdem ich mir die Freiheit nahm, mit Ihnen und dnig^ aiuleni
Gliedern der Eegierung mit derjenig-rn ^Yt■}^muth nnd Beklemmung über m» iiie
Lage zn reden, die die Möglichkeit, das "Wohnhaus meines jetzigen Unterneh-
mens Yträndeni zu müssen, in mir hervorbrachte, habe ich schon mehr als
7 Mal versucht, eiu Memorial über diese Lage an M. Hochgeachteten, Hoch-
geehrtesten Herren des Kleinen Bathes zu yerfertigeu, aber zwischen Ver-
trauen nnd Besorgnissen sehwankend, £uid idi die Worte nicht, die beides
ßowol d( r Ausdruck meines Herzens sind — als meine Lage mir selber be-
friedigend daistcllrii. Bald fiirohte ich nicht, was ich möglich denke, bald
denkt' ieh nicht möglich, was ich fürchte. Ich konnte über nichts zu Worten
kommen, als über die Daiieguug meines Hechts und über die Thatsacheu,
auf denen dieses Becht rnht.
„Ich kenne keine Fonnen in Qlfentlichen Schritten. Verzeihen Sie, wenn
darin gefehlt ist und genehmigen Sic die Versichernng meiner Ehrfurcht, sowie
meine ehrerbietige Bitte um dero holies WolwoUen für meine Untemehmong.^
Die ^Petition'* lautet:
„Hochgeachtete, Hochgeehrteste Herren!
„Ich habe anf das Fundament gesetzIichei-BegierangsbeschlfisBe nnd unter
Begünstigung gesetzlicher Begiemngsmassregeln seit 4 Jahren meine Zeit,
mein Vennögen, ich möchte sagen meine Existenz zur Verbesserung eines der
wesentlichsten Gegenstände des öflegtlichen Wols hingegeben. Es ist offen-
kundig: ich musste meine Versuche unter allen Hemmungen der Armuth, der
Verachtung nnd Hintansetzung anfangen und zum Theil fortsetzen.
Dabei gestatteten weder mein Alter noch die Katar meiner üntemehmimg bei
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— 6 —
meinen. Venmchen langsam und sparsam zu Worke zu geboL Ich war ge-
nSthigt, entweder deiiVei-such in meiner Hand wie eine Seifenblase verschwin-
den zn sehen, oder für denselben alles aufs Spiel zu setzen. Ich that das letz-
tere. Mein kleines Eigentliuni und der Wert eines Credits, der grösser ist
als mein Eigenthnm, stecken in diesem Versuch, und mit dem Stehen oder Fullen
tetelben stebt oder flllt dann die Möglichkeit de« Ersatzes eines im Dienste
der Heoschheit Terloreiieii Lebens, den ich einer bis jetst um meinetwillen ge-
hemmten und leidenden Hansbaltang schuldig bin.
^Ich sehe mich also ans Gründen, die meinem Herzen heilig sein mfissen^
genöthigt. in Rücksicht auf den Fortgenuss der meiner Unternehmung gesetz-
lich zugesicherten Vortheile dif Gerechtigkeit Meiner Hocligeachteteu,
Hochgeehi'testen Herren elirerbietigst anzusprechen, und nehme bei diesem An*
Ufls die Frdheit, diese ünternehmong Dmen, Hoehgeachtete, Hochgeehrteste
Herren, in dero landesvftteiliches Wdlwollen zn empfahlen, womit ich die Ehre
Imhe sn eclOf
Hochgesehtete» Hochgeehrteste Heuen
Dero
Burgdorf, 10. Aug. . ergebenster Diener
1803. Pestalozzi,"
Der Kleine Rath wies diese Petition an das Kirchen- und Schiü-
departement mit der Einladung, ein Gutachten darüber abzugeben, „in
wie fem diese Anstalt nützlich and ob und in urie weit einzutreten
flei.*" £ine rasche Erledigang war also nicht zn erwarten. Unterdessen
richtete Pestalozzi auch eine Elingabe an die in Freibarg yersam-
melte eidgenössische Tagsatzang, um zn yemehmen, wessen er
ach von Seite der obersten Landesbehdrde za yersehen habe:
„Hochgeachtete, Hochgeehrte Herren!
„Indessen ich mit Rülirnng und Dank gegen Gottes Vorsehung meine Be-
mflhnngen für den Etemeotanuttefiicht anf einem Pmikt sehe, der auf der einen
Seite über die entschiedensten Besoltate desselben keinen Zweifel fibrig Usst,
snd auf der andern Seite mir die nöthigen Mittel, das Werk meines Lebens in
je<lem Lande, dem icli meine "Dienste anbieten wollte, unbedingt sieher stellt,
finde ich mich verpflichtet, Ihnen, luciiie hocligeachteten Herren, mit Offenheit
zn gestehen, dass die Bedürfnisse, die noch erforderlicii sipd, um in denselben
mit Sicherheit za meinem endlichen Ziel za gelangen, nicht klein sind, sondern
im Gegentheil die Kiftfte meiner Privatlage weit übersteigen. Es ist nnom-
gänglieh: ich mnss an dem Orte, an dem ich für diese Endzwecice meine letzten
Kräfte verzehre, des Willens und der Mitwirkung der Regierang zor all-
mäligeu Einführung meiner ^fetliode, und ilirer Sorgfalt, mich die gerechten
Vortheile meiner theuer erkauften Erfindung geniessen zu lajisen, versichert
sein. Ich kann und darf mich nicht in die Lage versetzen, zu gefahren, den
Ueinen Überrest meiner Tage anter onnöthigem Drnck nnd anter Hemmungen,
denen ich mich zn entzielien weiss, mir selbst, den Heinigen, dem Vaterlande
nnd — ich darf es ohne Unbescheidenheit sagen — auch der Welt zu ver-
lieren. Ich soll und da^ mich nicht in die Lage setseni durch nnndthige Mflh«
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Belig-keitpii erdrückt zn werden zum Lohn der Aufopfernngren. mit welchen ich
meine Xer.suchc dnrcliir»"<t'tzt habe, noch tief verschuldet zu sterben und am
I^aud eines solchen (.irabe« noch für die XichtvoUeudung ausgehöhnt zu werden,
während die Vollendung in der Hand meines Muthes ist, wenn ich nur will.
„Hochgeehrte Herreiil Ich habe die Maherigen, die kostspieligen und ge-
f ahrvollen Massregeb, mdner Unternehmung unter geeetssUcher Begtlnstigimg
der abgetretenen helvetischen Eegierung, weldie mir fiir die Zukunft wesent-
licht' KntscliUdigungen fiir nK iiic Aufopferungen zugesichert hUttc gfewaprt. und
valulich aus Liebe zum \'aterland und im hohen Fühlen seiner allgemeinen
diestalligen Zurücksetzung and des dai'aus entsprungenen allgemeinen Bedürf-
nisses gewagt.
„Ich genoes von dieser Begiemng:
1) eine Pension von Frcs. 1600 nnd zwei von meinen Lehrern jeder eine
solche von Frcs. 400;
2) ein mir gesetzlich zugesichertes Loc^l, auf dessen Einnchtnng mehrere
100 Louisd'ors verwendet wurden, nebst anderen \ ortheilen. wie Holz etc. ;
3) sie gab mir ein Privilegiuni für den Alleinverkauf meiner Schriften,
bis auf 10 Jahre nach meinem Tode, im ganzen Umfange der Kepublik;
4) fsmer die Znsichening ihrer Hltwirkmig für den Verkauf nnd die Ans-
breitnng meiner Bücher in diesem Umfimge;
5) sie vereinigte mit meiner Anstalt die Organisation eines allgemeinen
schweizerischen Lehrerseminai-iunis. um die Vortheile meiner Thätigkeit
meinem \'aterlande allgemein sicher zu stellen;
6) und endlich erkannte sie noch ein Darlehen von Fics. 8000 fiir den
Druck meiner Elementarbücher, wofür ich wiiklich die Hälfte em-
pfangen habe.
„Unter diesen ümstBndenf hochgeachtete Herren I worden mir auf der einen
Seite Aussichten eröffnet, meinem Vaterlande in dem wichtigsten aller seiner
Bedürfnisse wolthätig und wirksam Handbietung leisten zu können, auf der
andern Seite konnte ich unter diesen Umständen ohne (Gewissenlosigkeit gegen
die Jleinigen und mit Walirscheinlichkeit, wenigstens nach meinem Tode eine
Art von Ersatz für die Aufopferung meines Lebens zu linden, in meiner Unter-
nebmong handeln, wie ich bisher in derselben gehandelt habe.
* ,,8ollten mir ab^ jetit die Pensionsgelder wegfhllen, das Frivileginm
dni'ch den Hangel anTheilnahme derBegiernng an der Einführung der Methode
vortheillos gemacht, die Wirksamkeit memer ThJltigkeit durch das Stillstellen
eines alliremeinen Scluilnieisterseniinariums geUihmt nnd die Frcs. 4(K)U ohne
L'ii( k>iclit sowoi auf berührte Umstände als auf den Nichtempfang der ganzen
Summe von Frcs. 8000 zurückgefordert werden, so würden alle Beschlüsse, die
die abgetretene Begierung zur Sicherstellnng meiner üntemehmnng anagefer-
tigt, zn meinem entschiedenen Rain nnd dahin wirken, einen nng^ficklicfaen
Mann, der bis an sein nahendes Grab unter allen Leiden der Armnth nnd der
Verachtung sich seinem Vaterlande aufopferte, aus demselben zu verbannen.
..Hochgeachtete Ilen'en, es wäre njrlit andeis möglidi! Wenn ich die Vor-
theile alle verlieren sollte, unter d« leii Zusicherung ich die Vorschüsse und
Aufopferungen allein macheu konnte, die ich gemacht habe, so müsste ich, so
weh es mir thnn wttrde, sowol nm der Sache selber willen, der ich lebe» als
nm des Rechts wülen, das dieUeinigen an mich nnd an denOennss der Folgen
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raeiuer Lebensarbeit haben, notliwendip iiRiiirn Autmtlialt in einem Lamle
Sachen, wo der Genuas dieser Arbeit durch die Theünalime der Regierung au
aeineii Endzwecken nnd durch Masnegeln nnd Handlnngen gedeheit wflrde»
die denen wenigstens g^eleh sind, nnter denen ich meinUnteraehmen in meinem
Yaterlande angefangen.
,^it warmer Vorliebe zn meinem Vaterlande bitte ich Sie, hochgeachtete
HeiTen, mit Wolwollen ein Auge auf die J/,\s:*' zu werfen, in der ich mich be-
finde und mit Aulnu rksamkeit auf die \Ortlieih', die dem Vaterlande durch die
Volieudang meiner Versuche zntiiessen müssen nnd denselben auch nur einen
.Theil derjenigen Handbietnng nndünterstHtKong augedeihen zo lassen, die ich
für dieselben aUenthalben mit der grOssten Leichtigkeit finden wHide, aber
nirgends als in meinem Yaterlande anzunehmen wünsche nnd nnr im traurigen
Nethfall in irgend einem andern Lande annehmen werde.
Bargdorf, den 12. Aug. 1803. H. Pestalozzi."
Die Tagsatznng nahm PestalozzTs Zuschrift nicht nnfreimdUch
auf, 'trat ungesäumt in deren Berathnng ein, deren Resultat frdlich
nicht auf einen Beschlnss zu directer Unterstützung Pestalozzi's
hinauslaufen konnte. Es wurde unterm 23. Auj^ust 180H erkannt:
1) „T)a nach den Grundlagen unserer Verfassung keine allgemeine Staats-
haushaltung existirt, so können Beiträge zu Unterstützung dieser Lehr-
anstalt nnr dnrdi die Cantone adbtten, sei es durch directe Geldnnter-
statznngen oder dnreh Hinsendnng von ZSglingen, die zn Schnlmeistem
gebildet werden sollen, geschehen.
„Diesem zufolge wird der Laudammann der Schweiz ersucht, den ver-
schiedenen Cantonsregiernngen hiervon Kenntnis zu ertheilen, damit selbe
mit mög-lielister Beförderung ihren daherigen Kntscliluss deui Herrn
L;mdammann mittheilen mit dem Wansche, dass das Bedürfnis besserer
Sdinlanstalten In verschiedenen Gegenden der Schweiz, der Wert der
Lehranstalt in Bnigdorf nnd die Achtung, die das Ausland der Lehr-
methode des Herrn Pestalozzi trSgt, von den Cantonsregiehmgen in be-
hörende Betrachtung gezogen werden möchten."
2) ..In Betreff der ferneren Bewolmung des Schlosses Pnrtrdorf hat sich
HeTT Pestalozzi an die Regierung des Löblichen ( antons Bern zu
wenden, und, gleich wie die von gedachter Regierung ertheilte lle-
günstigung den ToUsten Dank verdient, so berechtigt selbe zngleli^ zn
der angenehmen Hoffnung, dass die Begiernng des Cantons
Bern noch ferneres dieser Lehranstalt das bewohnende Local
fiberlassen werde."
3) „Der ausschliessende Verkauf seiner Sclmften ist Herrn Pestalozzi
von der alijretirtenen Kegierung zugesagt worden, und auf diese He-
günstiguug liiu hat er deren Herausgabe veranstaltet, welche des nahen
auch bestens gegen nneilanbten Nachdruck sieher gestellt werden soll,
welchem zufolge die Gaatonsregiemngen ansschliessend den Verkauf der
von Herrn Pestalozzi veranstalteten Herausgabe gestatten nnd jeden
Nachdruck strenge unterdrücken und bestrafen werden,''
4) „In Betreff der von der helvetischen Kegieroug der Lehranstalt ange-
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liehenan Samme von 4000 Frcs. wird der LiqnidationacommiHioa toeh
Mittheilnng gegenwftrtigenBeschlüineB bestens empfohlen, bei der Gene-
ralliquidation der Nationalsclmld deivjenigen Cantonen, welche freiwillig
znr Tilgung der Pestalozzi'schen Schnld lieitragen wollen, verhältnis-
mässige Anweisungen auf diese 4000 Frcs. zu erthoileii."
5) „Der Herr Landammann der Schweiz ist ersucht, dem Heirn Pestalozzi
Bowol von diesem, dem Abschied einzuverleibenden Beschluss, als auch
von den erhaltenden Entschlüfiseu der Cantonsregierungen fiber fernere
. BeitrSge Kenntnis zn ertheflen.**
Die Worte, mit denen der Landammanu der Schweiz die Mit-
theilung dieses Beschlusses au Pestalozzi begleitete, wareu tVeundlicli
und anerkennend:
„Ihre Denksclirift, wodurch »Sie der Tagsatzung die Frage vorgelegt haben,
oh und wie weit die jetzig« schweizerische Regierung geneig:t sei, dem neuen
Eiemeutaronterricht, dessen Ertinder Sie sind, Unterstätznng angedeihen zu
lassen, wurde von den LSbL Ehrengesandtwshaften mit jener lebluiften EmpAn*
dang behersigt, welche dieselben jedem gemefamfitEigen und wiehtigea Unter-
nehmen K^en. Es gereicht mir zu besonderem Vergnügen, Ihnen, mein Herr,
anzeigen zu können, dass hei der hierüber gepflogenen Berathnng llirer Ver-
dienste um unsere Jugend, um das X'aterland und um die Menschlieit volle Ge-
rechtigkeit widerfahren, und dass demnach der einstimmige Wunsch geäussert
worden ist: es möchten die schweizerischen Cantonsregienmgen durch billige
Beitrflge die neue Methode und ihren Erlinder in iuuenn Vuteilande festiu-
halten Sachen. Der beiliegende Beschluss, welcher den bemeldeten Begiemngen
circulariter mitgetheilt werden soll, wird Ihnen, mein Herr, ein angenehmer
Beweis dieser liberalen Gesinnung sein.
Meine Wünsche und meine vorzii;rliclie Achtung hegleiten Sie auf der
mühsamen, aber eluenvollen Bahn, welche Sie sich ausersehen liaben."
Durch Oircular vom 81. August 1803 ladet der Landammann
unter Beifügung des Tagsatzungsbeschlusses die kantonalen Regie-
rungen „zur Würdigung und Beherzigung der Talente des Lehrers
aowol als seiner Erziehungsanstalt'' ein und bittet um beförderiiohe
Bflckäusserungen. Die angesprochoien Antorit&ten .beeilten sich nicht
sehr. Solothurn z. B. fi«gte zuerst yertranlich die übrigen Begie-
mngen, was sie zu thun gesonnen seien; es wolle das Seine beitragen,
wenn es sich aus den erbetenen Mittheüungen überzeuge, dass nicht
durch einen „einseitigen Beitrag der Zweck der vorhabenden Unter-
stützung yerfahlet werde."
Noch am 1. Februar 1804 musste die Mehrzahl der Regierungen
von Freiburg aus zur Vernehmlassung aufgefordert werden.
Von der Pestalozzi^schen Schuld von Fres. 4000 übernahmen:
Zürich Frcs. 1000, Waadt Frcs. 483, Aargau Frcs. 400, St Gallen .
Frcs. 320, Thurgau Frcs. 200, Schaffhausen Frcs. 160, Zug Frca 20,
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die übrigen 12 Cantone betheiiigtoa sich nicht Der Best von Frcs.
1417 blieb ungetil^.
Da die Tagsatzung Pestalozzi wegen des Burgdorfer Schlosses
an die Regierung von Bern wies und „die angenehme Hoffnung aus-
brach, diese werde femer der Lehranstalt das bewohnende Locale
überlassen", säumte der also Aufgeforderte und Ermimterte nicht lange,
eine spedell auf diesen Punkt zielende Anfrage an die Gantonsregie-
rang zu richten, obgleich anf die mehr allgemein gehaltene, ziemlich
dner Verwahmng gldchende „V^iitiitm^ vom 10* August noch keüie
Antwort eingegangen irar. Diese Eingabe sandte Pestalozzi an den
in einem Privathanse in Bnrgdoif wohnenden Oberamtmann von
Stftrler mit der Bitte, dieselbe an die Begiernng zn Ikbermitteln. Sie
ist Ton einer frischeren, freieren, fröhlicheren Stfmmnng getragen, als
jene „Petition" nnd die Zosehiift an die Taj^aatEong. Pestalozzi lebt
wieder anf in festem Glanbfia an sehie Mission und „in der Holfirang
anf wenigstens theOwose Fortdauer bisher genossener Haadbietuig".
Er irrt nur in der Yoraiissetiiuig, dass die Adressaten yoii eben der
Begeistenmg fttr Volksbfldnng beseelt seien, wie er. Diesen lagen
frdüch ganz andere Dinge am Herzen. Wenn auch das etwas ein-
gehende Schriftstfick nicht gerade Neues Uber die Lage des Institutes
bringt, so lUsst es dodi einen Blick thun üi das Innere des edlen
Hannes, der nur von Gedanken an das Wol der Menschheit, der
Jagend, der Annen lebt und beglückt ist. Es soll darum dem Leser
in seinem ganzen Um&nge vorgelegt werden:
Hochgeaehtete und Hochgeehrteste Herrenl
i^Da der Erfolg meiner Versnche, vorzüglich in RQcksicht auf die Mittel,
das Wissen, Wollen und Thun der Menschen in grössere i'ljereinstininiung
zu bringen, und dadurch der Volksbildung allgemein sichere und allgemein be-
mliigende Fundamente zu ertlieilen, immer wichtiger wird, und jetzt wirklich
bei den sorgfältigsten und einsichtsvollsten Kegierangen und Particularen, ick
daif es wol sagen, eine betaiahe aUgemeine AnfinerkBamkeit nnd Theilnahme
erregt hat, so wird mebie Lage ebenso mit jedem Tage wichtiger und
cdiwieriger, indem ich, ohne dass ich es gesucht habe, in der bestimmtesten
Pflichtstellung mich befinde, nichts zn vei-sänmen, was noch in meinem
Leben zur Erheitening dieser der Welt alljreniein wichtigen Gesichtspunkte
etwas beitragen kann. Da nun aber ohne ökonomische un<l häusliche Beruhi-
gung auch das Äusaerste meines Strebens nach diesem Ziele mir keinen be-
nüiigenden Erfolg versprechen kann, so fordert die Wichtigkeit beides meiner
Zwecke ond metaierSteUiuig mich dringlich auf, diesfalls alle Schritte an meiner
^dkerheit zu thun.
„Ich habe auch in dieser Rücksiclit schon vor einigen Wochen Ihnen,
Bctneo hochgeacbten und hochgeehrten Herren und später der lüblicUen eidge-
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nössischf^n Tatrsatznne: in Fniluirg das Selnvit- 1 ii^e und Bedenkliche meiner
gegeü wärt igen Liige darzustclleu gesucht. Das Antwortschreiben, das ich von
Sdner Ezcellena, dem Herrn Landammann der Schweiz, empfangen habe, er-
regt auf der einen Seite in mir die Hd&uingr, die löbliclien Gantone der Eid-
genossenschaft werden mein Unternehmen, das iiunmelir bei den edelsten Men-
schen 60 viele Uoitiiangen r^ gemacht hat, nicht ohne ihre Theilnahme und
nicht oline ihre Handbietuniar in ihrer Glitte einem tranrijsren Schicksalo über-
lassen, auf der andern Seite erimieit mich die von jenem Schreiben begleitete
Besolutiou der helvetischen Tagsatzung an die l'tlicht, Ihnen, meine hochgc-
aditeten nnd hochgeehrtesten Herren, ehrerbietigst fOr die Vetgttnstigungeu,
welche ich in RttckBicht anf mein Unternehmen bis jetct Ton Hochdenselben
genossen, m danken nnd dabei ehrerbietigst nnd bittlich bei Hochdenselben
anzufragen:
1) Ob ich mich tur meine Lebensjahre oder wenigstens fiir eine gewisse
bestimmte Anzald Jahre des unentgeltlichen Aufenthaltes in hiesigem
Schlosse versichert halten dürfe?
2) Ob meine hochgeachteten, liochgeehrtesten Herren gendien wollen, die
nothdtritige Unteihaltnng 'des Schlosses wie vorher anf dero Beohnung
geschehen zu lassen?
3) Ob Hochdieselben ebenso geruhen wollen, mir das Ueneficium der Be-
h(dznng und der Pünten (Gürten und Püauzplätze), die ich benatze,
forthin unentgeltlich angedciiien zn lassen?
„Hochgeachte, hochgeehrte Herren! Meine Lage ist theils in Rücksicht auf
meinen Zweck, theils in Rilcksicht anf mehie Wirtschaft von einer Natnr, dass
ich ohne Veiletzang meiner heiligsten Pflichten nicht weiter in einer schwanken-
den Ungewisdieit über die Fundamente derselben, meine Zeit, mein Vermögen,
mein Zutrauen, meine Ehre nnd selbst mehne Endzwecke auf ein unsicheres
Spiel gesetzt sehen darf.
„Noch ist der ^n(i;?sere Theil meines Vrtlkseizieliungsphines ]jei weitem
nicht einmal tlieoretisch vollendet, und dann wartet meiner noch ein
grösseres Tagewerk. Ich nfthre den unauslöschlichen Wnnsch, den
Abend meines Lebens in einem Versnche, Tanner- (Kleinbauern-)
nnd Banernkinder aus der bedürftigsten Volksclasse auf meinem
Gute ganz in der einfachen und beschränkten Arbeitssphäre ihres
Standes, aber ziiirleich im Genuss des ganzen Einflusses meiner
Methode auf ihren (ieist und auf ihr Herz erziehen zu lassen, und\on
diesen Kindern umgeben, meine Augen au dem Orte zu schliessen, an welchem
ich ehi halbes MenscheniUter, wahrlich um eb^ dieser Zwecke iMUen, in namen-
losem Elend lebte. Es ist mir durch meine jetzigen Versnche gdungen, mir
die wesentlichen Mittel dieses für die Menschheit so wichtigen Zweckes und
selber das Personale sicher zu stellen, das mir mit Freuden bis an mein Grab
dazu die Hand bietet und nach demselben diesen Zweck nicht aus den Aug«&
lassen wird.
„Ich traue zu Gott, er werde mich nicht sterben lassen, bis ich duich
unwidersprechllcfae Thatsachen bis zur VoUendung bewiesen, dass riditige Bil-
dung des Geistes nnd hohe Eriiebnng des Herzens mit einer wahrhaft christ-
lichen, gottergebenen Deakr und Handlungsweise, eome mit allen bescheidenen
Tugenden, die man mit Becht Ton dem armen nnd niedern Manne im Lande
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zu erwarten hat, vereinbar ist. Ich trnne os (iott. er werde mich nicht sterben
lassen, bis mein Glaiibe an die Müplichkeit. dem Armen im Land an
Leib und Seele mehr Haudbietnng leisten zu küuueu, al» mau bis-
her geglaubt, ausser allen Zweifel gresetztJst!
sfHoebgeaditete, hoehgeehrtesteHerreii! Man hat sieh in demllmfangr
meiner Zwecke ganz goirret, indem man ohne Ursache angenom- •
men, sie beschrilnken sicli anf eine mechanische Erleichternng der
Ii lossen Element arfertigkeiten des Lesens. Schreibens und Rechnens,
NeinI Meine Versuche beschrilnken sich nicht liierauf, sie greifen
tief in das Wesen der höheren iutellectuelleu und sittlichen Bil-
dung nnd in die tiefsten Untersnehnngen Uber die Hensehennatnr
8 elber. Das Ausland erkennt dieses Eingreifen nnd wlU das Wesen meiner
Unternehmung mit fester Hinsicht auf dieses Eingreifen untersucht wissou
Wenn aber diese so wichtige Untersuchung ein befriedigendes Resultat hervor-
brineren soll, so ist es unumgänglich, dass die Regierung des Landes, in
welchem dieselbe geschehen muss, diese Versuche mit ihrem Wolwollen beehre
nnd begünstige. Und da das Schicksal meines Lebenszweckes und mit ihm
auch das Schicksal der geliebten Heinigen von diesen Untersnehnngen und von
den Handbietungen, die sie zur Folge haben werden, abhftngt, so hAngt offen-
bar auch die Möglichkeit meines ferneren Bleibens in meinem Vaterlande von
dem WolwoUen und der Handbietnnpr der Regieiung des löblichen Cantons
Bern ab. in welchem meine Uutemehmaug angefangen und bis auf diesen Punkt
fortgeiulirt worden.
tfMehi Herz, das bis zur Wehmath daran hängt, mein theuree Vaterland
mit dieser Unternehmung nicht yerlassen zn m&ssen, stärkt und beruhigt sich
in der Hofihnng, eine Regierung, deren Vorfahren seit Grändnng der Eidge-
nossenschaft in allen Hauptepochen des Vaterlandes so vieles für die Erleuch-
tung, Beruhigung und Beglückung der Landeseinwohner frethau hat, werde
nicht zugeben, dass ich, ehe der Wert oder Unwert meines Thuns dem weisen
prüfenden Manne zur Überzeugung heiter geworden, blos nm die lichtige and
vollendete' Untersuchung dieses Thuns m(fglich zu machen, ein Land verlassen
mllsse, dem ich meine Versuche so vorzUglich und mit so vieler AnhSogliclikeit
immer geweiht habe, und um dessentwillen ich auch die äusseren Beschweilieh-
keiten meiner drückenden Lanfbalm bis jetzt mit 8tandhaftigkeit immer ge-
lingen und noch ferner so lanj^e zu tra^-en bereit bin, als es ohne Gefahr des
völligen Scheiterns meiner Zwecke müy-lich i.st.
Genehiiiij^en Sie etc.
Burgdorf, den 9. September 1803. H. Pestalozzi.*
(SehloM folgt.)
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Die Pflege der deutschen Sprache an den slorenisehen
Volksschulen.*)
Von SckMireäor Joh, Lapajne'Qurkfdä,
Unter dan vielan Ostenpeiehisoheii V9Uuni imd YSlkchen gibt es kaum •
ein einziges, weldies mit gi^BoBeter IMe vnd Sympathie die dentsdie Sprache
gepflegft hätte, als das circa l*/., Millionen zUhlende slovenische, welches
soit dem f). Jahrhunderte Krain, Steiermark (jetzt blos den südlichen Theil).
Kärnten tSüdkärnten) und Küstenland bewohnt. Diese anfreV)orene Kin-
neig^ung zur deutschen Sprache, die von Vielen sogar der Muttersprache vor-
gezogen wird, erkläi*t sich im allgemeinen schon aus der angestammten Natur
der Slawen ttberfaanpt, welche eine gresse Achtung fremdmi Sprachen, Sitten
and Oebränchen seit Alters her sollen. Es hatte aber anch die deutsche ^nushe
bei den Slovenen inebeeondere einen historisc hon Wert, indem alle Fürsten,
Grafen und Gutslierren, denen jene seit Karls des Crrossen Zeiten Fntei-tlians-
und Froudienste leisten mussten, deutscher Abstammung' waren. Somit war
die deutsche Sprache die Sprache, der HeiTschaft, und dadurch gewann sie an
' Ansehen bei Klein und Grofls, bei Jnng nnd Alt Trotzdem konnte Mi der
sloTenisohe Laadmann — das war der einzige Stand der slo venischen BevQlkening
&8t bis in das jetzige Jahrhundert — die deutsche Sprache lange Zeit nicht
aneignen, denn viele Gegenden in Obei^steierraark und OberkUnit^n behielten
bis in das 12. und 13. Jahrhundert ihren slovenischen Charakter; ei^st ^ej^en
das Ende des Mittelalters und im Anfange der Neuzeit nahmen die .slovenischen
Landlcute, die aber in diesen nördlichen und gebirgigen Landestheilen nui'
spftrlieh angesiedelt waren, die Spiache der deutschen (baierisehen, fränkischen
und fharingischen) Golonisten uk, uriUirend die in dichteren Massen sasamm«i-
wohnenden slovenischen. Bauern der südlichen innerösterreichischen Lftnder
ihre slovenische Sprache bis zum heutigen Tage fast unbeeinflusst von der
deutschen beibehielten. So stiinden die SprachenverhUltnisse in diesen LRnder-
• gebieten fast bis zum Ausgange des 18. Jahrhunderts, während die Cultur-
verhältnisse bei beiden Nachbarvölkern einen ziemlich gleichen Stand hatten.
Die allgemeine Bfldong des deutschen wie des slovenischen Banem in Kftmten
oder Krain war nämUch beinahe gleich NulL Schreiben und lesen, Volks-
schulen und Volksbttcher waren dazumal in unseren Gegenden spanische Dörfer.
*) Indum wir diesen Artikel Uber eine neuerdings viel besprochene Streitfrage
znm Abdmek bringen, halten wir selbstTentftndlich einer etwa nöthigen Gegeniede
die Spalten im'^erer Zeitschrift offen. Wir wollen nicht einem Parteünteresse, sondern
der Wahrheit förderlich sein. D. H.
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— 13 -~
Was die deutschen Colouisten für die Verbreitung der deutsehen Spraclie
in allen südlichen Ländern Österreichs vor 1000 Jahren thaten, das und noch
mehr thaten Josef II. imd seine Nacbfolger auf dem (fstenreiehisehen Eaiaei^
throne durch Einffihmng von VolkBschiilen, die alle wegen flures deutschen
Charakters kurzweg den Namen „deutsche Schulen" im Gegensatze zu den
lateinischen Schulen trugen. Diese ersten deutschen Jlnster-. Normal-, Stadt-
und Marktscliulen thaten nun vieles für die Einbürgerung der deutschen Si)i aclie
in allen Städten und Mäikteu des südlichen Steiermaik, Uuterkärnteus und
zum Tbeile auch des Us avf den Bezirk Gottschee rein alovenischen Erains.
Der wisabegierige Stadt« nnd Uarktbewohner, der als Handels- und Gewerbe-
mann namentlich auf den Verkehr mit den benachbarten Dentsdben nnd mit
dem deutsch sprechenden HeiTscliaftsbesitzer und dessen Beamten angewiesen
war, benutzte nun recht flfissig diese ihm dargebotene Gelegenlieit und erh'i-iite
in kurzer Zeit die deutsche Schrittspraclie, die in der Schule V( »iget ragen
wui"de, mehr oder weniger geiäulig, mitunter aber so gut, diiss sich geborene *
Deitsche tob BUdnng nnd Bang nicht genug darüber wnndem konnten. lob glanfte
nichts Neues za erzählen, wenn ich anführe, dass Wiener und Orazer noch
Tor wenigen Jahren zu sagen pflc^;ten, dass die Laibacher das schönste Deutsch
sprächen. Laibach ist aber bekanntlich eine Stadt mit überwiefreiul sinv(Miischer
Bevölkerung, da sich bei der letzten Volkszählung von 24Ü0Ü jbUnwohnexn
circa 19000 zur sloveniselien Umgangssprache >)ekannten.
Die unter Kaiser Josef II., Leopold II., Franz I. und Ferdinand 1. ge-
gründeten Schulen in den doventochen Städten und Mttriiten hatten einen fiber-
wiegend dentsehen Charakter und beliielten denselben bis in die ffinfidger
und sechziger Jahre, während die wenigen Landschulen, die vor dem neu be-
lebenden Jahre 1848 ins Leben gerufen wurden, weder in der einen noch in
• der andern Si)rache etwas Bedeutendes leisten konnten: für den sloveniselien
Unterricht fehlte es an Schulbüchern, für den deutscheu (an passenden Büchern
war zwar auch in dieser Sprache Maugel) war die sloveniscbe Bauemjugend
duichaus unempftnglich.
Besser gestaltete sich das dovenische Schulwesen in Bezug auf den allge-
meinen Fortsidiritt und in Bezug auf die Pflege der deutschen Sprache, seit-
dem die sloveniscbe Nation in politisclier nnd sprachlicher Hinsicht einen
grösseren Aufschwung genommen hatte. Wilhrend früher deutsche Sprache
aof eine rein mechanische Weise vorgetragen wurde und die Kinder aus rein
deutschen Bfiehern sowol deren Inhalt als auch die Sprache lernen mussten^
führte man um das Jahr 1865 neue, sweispradiige und auf Grund der sloy^
nisclien Kuttei-sprache ausgeaibeitete deutsche Sprachbücher ein, womit man
viel bessere Erfolge erzielte.
Nun gehe ich über auf die Schildening des sloveniselien Volksschulwesens
in Bezug auf die Ptlcgc der deutschen Sprache in der allerneuesten Periode,
d. i. in der Ära der neuen Schulgesetzgebung und der neuen Schulbehördeu,
deren Wirksamkeit bekann^eh in österreidi in den Jahren 1868 und 1869
begann. In Bezug auf die UnterrichtsspnMdie in den slovenisdien Volkssehulen
nehmen die neuen Schulbehörden anftlnglich keine wesentlichen Änderungen
vor. Die besondere Ptlege der einen oder der andern Sprache ordneten weder
die Reichs- noch die Landesschulgesetze an, sondern sie überliesseu dies der
freien Wahl der autonomen Landes-^ Bezirks- und Ortsschulriithe. Diese
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— 14 —
echeukteu alsbald der Sprachentrage bedeuteude Aufmerksamkeit, imd da be-
merkte man hier eine grössere VorlielM f&r die denlaehe, dort ftr die alore-
niaehe Sprache. In Folge der Verordnung yom 14. September 1870 des Landes-
schulrathes von Graz mu^te in alle slovenische Schalen der Stdermark auch
die deutsche Sprache &ls Unterrichtsgegenstand eingeführt werden, sobald sicli
dio (licsbeziijrlirh coinpetoiiten Orts- und Bezirk^sclmlrilthe dafür entsclüeden.
Die dt'Utsclu' Spraclu^ nmsste auf den oberen Schulstufen nach der bereits ge-
naimteu \ erurdnuug selbst als UuteiTichtssprache verwendet werden, mindestens
bei der dentodMi Spiaehlelire seBttt» was man vom pttdagogischea Standpunkte
ans nur bedingongswelse billigen kann.
Der LandesBchsIrath in Laibach wahrte awar den Yolksscholen in Erain
mit Ausnahme von Gottschee iliren slovenisehen Charakter, ordnete aber mit
der Verordnung- vom 10. Oktober 1870 die Pflege der deutschen Sprache in
allen 4 dassi^i-en \'(»lksschuleu als obligaten, in den übrigen Schulen als nnob-
' ligaten Lehrgegeustand an, für letztere i^Lategurie der Schulen nur dann, wenn
der nach dem Getetae dasn berafene Ortsschnlrath die FJnfmirang beantragt
Viel SB weit ist meiner Ansieht nach der Landesschnlrath von Kärnten
gegangen. Er hat in einem Erlasse aas dem Jahre 1S72 die vollkommene
Kenntnis der deutschen Sprache als Ziel und Endzweck in den wenigen slove-
nisehen Volksschulen dieses Landes hingestellt, indem er den Gebrauch der
Muttersprache nur als Mittel zur Erlernung der «b iit sehen Sprache gestattet,
und dies blos auf der Unter- und Mittelstufe, während sich der slovenische
Lebrer auf der Obetstafe iiir der deatsehen Sprache bedienen soll, ohne B&ek-
sieht darauf, ob die Kinder das nSthige Verständnis für dieselbe haben oder nicht
Bei diesen Verordnungen, die gleich in den ersten Jahren der Wirksam«
keit der neuen Landesschnlbehörden zum Vortheile der deutschen Sprache
erlassen wurden, bliel» man aber nicht stehen. Im Sinne des steiermilrkischen
Erlasses vom 14. September 1870. nach welchem der Unterricht in der
deutscheu Sprache das Sprachvei-stüudnis und die Sprachfertigkeit anstreben
sollte, beantragte mau in der im Jahre 1874 tagenden steiermärkischen Lan-
deslehreroooferenz die EinfOIimng der deutschen Sprache als Unterrichtssprache
in alle höheren Classen und Abtheünngen der slovenisehen Scholen. Obwol
dieser Antrag des Landesschnlinspectors in Folge eines entgegengesetzten, von
der Leinerschaft aiisf^egfangenen. welcher die deutsche Sprache nur als Lehr-
gegeustand betrieln'u wissen wollte, nicht dnrclidrang, so waren die vielfachen
Bemühungen der niederen .Scbulbehörden, namentlicli der Bexii-ksschulinspectoreu
nnd der Bwrirkshanptlente, von dem Erfolge gekrönt, dass bereits jede slove-.
nische Volksschnle des steierischea Unterlandes den Unterricht in der dentschen
Sprache betreibt, und zwar in den unteren Classen nnd in den min4er organl-
sirten Schulen als Lehrfach, in den oberen Classen der höher organisirten
Schulen als alternative oder ausschliessliche V(»rtras^sprache. Nicht mindere
Sniirfalt erwies dicsei' Sprache die Landessclmlbt-hörde v(in Krain durch die
im Jahre 1875 verüüeutlichten und den Lehn rn zur Befolgung anenipfuhleneu
Lehrpläne. Obwol das Prindp, die Hntter.>prache als Vortragssprache zn
gebranchen, beibehalten nnd die Rinfühning der dentschen Sprache in die ein-
dassigen Volksschulen nicht gestattet wurde, so wies man doch der letxteren
eine grössere wöchentliche Stundenzahl zu als der slovenisehen Muttersprache
z. B. an vierclassigen Schalen der Muttersprache nur 19, der deutschen
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— 15 —
Sprache 24; an dreidassigen sind der dentocheu 19, der sloveiuschen 18
Stunden begtimnit.
Als Ziel des deatscken Sprachunterrichtes an den nicht deutschen \'olks-
Msbitleii Endns fixirte dar LandfiMdiiilroflt dnroli den Im Jabre 1879 rw^ '
^UBBiitliditen Lehigang die Befihigimg der Sohfller, die deotedie Spraehe als
Umganps spräche in Wort und Schrift zn gebrauchen, beziehungsweise den-
selben den Eintritt in eine Mittelschule mit deutscher Unterrichtssprache zu
eiTnög-lichen — eine Anfsrabe. der die Lehrer Krains nicht ausreichend p:e-
Nvachsen sind. Bei dpni d*^tailliitcii Lflirjranere für die deutsche Sprache hat
aber der genannte Laudeäschulrath nicht melir au dem (.Grundsätze festgehalten,
da» nur die Untterspraehe der Kinder als Yortragssprache gelten aoUe^ sondem
er hat die dentsdie Spraehe mr heeseren ElnBhiing anch heim ünterridite in
anderen Gegenständen, wie beim Bechnen, 'empfolilen. In Eftrnten vmräe
durch eine Verordnung: 'l^^n Talire 1877 den Lehrem an slovenischen
Schulen die Pflege der deutschen Sprache zur besonderen Pflicht gemacht
und die Verleihung von Dienstalt ei-szulagen von der genauen Beobachtung dieser
speciellen Verordnung abhängig gemacht, zn deren leichteren Elrfullnng der
Landesschnirath in Klagenftirt ein Sehriftehen unter dem Titel: „Anweisung
snr geaprftciuweiflen Einflihnmg dovenischer SehnlUnder in die dentaehe
Sprache" herausgegeben, gegen deren padagogiaeben Wert sich gar Tieles
einwenden Hesse. Im Küstenland vergnss man bei der Zusamnienstellnng
dor Lehi-pUine, welche man in vier Sprachen (deutsch, italieniseli, slovcnisrh.
kroatisch) im Jahre 1878 veröfi'ent lichte, auch die Pflege der zweiten Landes-
spradie nicht, worunter hauptsächlich die. deutsche Sprache verstanden wird.
Per in diesem Lehrplane empfolilene Lehrgang fOr eine aweite Landesspraclie
ist wol durchdacht und entspriobt den pädagogisch-didaktischen Grundsätzen
deijenigen Schulmänner der Jetztzelt, die sich in ihren Ansichten nicht durch
politische Beeinflnssungen beirren lassen. Auf Gmnd dieses Lehrplanes wurde
auch im Jahre 1879 80 in einigt" Volksschulen des Küstenlandes, hauptsäch-
lich in der Grafschaft Göi*z, und zwar selbst in einclassige Schulen, der Unter-
ridit in der deutschen Sprache als obligater Lelirgegenstand' eingeführt; er
bfldete daselbst schon in den Mheren Jahren einen nndbligaten Oegenstand,
da die in diesem Fache den üntenicht ertheilenden Lehrer Remunerationen
ans den vom Reichsrathe bewilligten Staatsuntei-stützungen erhielten. Nach
den vorgt'srliriebenen Lehrpliiiien ( v. J. 1875) und nach dem im Jahre 1879
verüftent lichten Lehrgange wurde in Krain an allen fünf-, vier-, drei- und
zweiclassigen Schulen der deutsche Unterricht in einer bedeuteuden wöchent-
lichen Standenzahl als obligat ertheilt, sobald sich der Ortsschnlrath mit
BUUgimg der LandesscfanlbehOrde dalBr ausgesprochen hatte. Und so blieben
nnr noch einige wenige höher organisirte slovenische Volksschulen in Krain,
welehe den deutschen Sprachunterricht entbehrten. Durch den Erlass des
Landesschulrathes von Krain d. d. 17. Juni 1881 wurde aber auch diesen auf-
getragen, die deutsche Sprache als unobligaten Lehrgegenstand zu pflegen,
sobald sich nur 10 Schüler dafür melden.
Wenn man nnn alle Anordnungen und Bemühungen der Landesschnlbe-
hfirden von Oias, Klagenfnrt, Laibach und Triest fiberblickt und würdigt, so
muss man gestehen, dass für die Pflege der deutschen Sprache durch die
sloTenischen Volksschulen viel geschehen ist und noch geschieht Ich möchte
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ßelbst die Beliaiiptiiug aufstellen, (la8s mau vuni pädajtroKisch-didaktischtii Stand-
punkte aus zu weit gegriüeu hat, was sich uur durch den grosseu praktischen
Werty den die deatacSie Spraehe fOr die Slovaun hat, theUweise nohtfertigen
iHatt. Nach dem heutigen Stande des doTeniichen VeOoBchvlwesens mit
Eücksicht auf die deutsche Sprache gibt es nämlich in Steiermark, aUwo drca
220 Schulen von slovenischen Kindern besucht werden, und in Kärnten mit
circa 100 slovenisolien. keine einzigre Volksschnle, in der man die deutsche
Spraclie f^ar nicht Vjeriicksichtigen würde: in Krain wird blos an den ein-
dassigen Vulks^chuleu die deutsche Sprache nicht gepflegt, und iiu Küäteulaude
konnte «um auch kaam 60 itoveniMhe Schulen anfisKUen, in welchen man diese
Spirache nnberllcksichtlc^ VBmL Die Efympathie für die dentsehe lynche, welche
die Slovenen thefls qMntan, theils auf Anregung der Schulbehörden an den
Tag legen, vermissen wir sowol bei den Italienern und Kroaten des Küsten-
landes, als anch bei anderen slavischen und romanischen Stämmen der Monarchie.
Aus dieser wahrheitsgemässeu Schilderiuig^ der slovenischen Sprachenangelegeu-
heit werden die verehrten Leser des Psedagogiums ersehen, w elcher Wert den
Beriditen pdlitisdier und pädagogischer Bl&tter beizulegen ist, wenn dieselben
▼on Abneigung: des sloTeiiischen VoUnstammes gegen den deatschen Spraeh-
nnteiTicht sprechen.
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thev Ju^endlectfire für Mädchen.
I • • . .
Ton JHrector Am Qo^rth-Jnatetinirf» • . •
Die Ansiditeii Ober den Zweck, sowie Qbtor den - Nntzen oder
Sehaden der Jngendlectttre:süid noch nicht so geklflrt, daes man die Acten
dnraber als 'gesohiosaear ansehen dOrfte. Die* pädagogischen Schrift-
steller, welche dies Thema erirbert haben, und anter ibüen nanieiitliäi
dkgemgea, w«lehe:die JoseiiAecMbn» ftae Hftdehen hespreeheOj g^Aen
meiBer Ansicht nadi darin fehl, dass sie den Wert der Besdiftftigung ität
Lesen fiberschfttaen. Sie spredien gar schon darüber, wie die Deetftre
wirkan sott und «nter Umstfinden anch wlrken kann;- aber «ie sdheihen
niebt genügt beobachtet m haben, wie die Sadie sich fn '^klich-
kdt gestaltet Ich helfe darum dnrdi mehie Worte, welche sich auf
Nachdenken nnd 18jährige Beobachtung der mir anTertrauten Juj^end
stützen, ein wenig zur Klärung dieser Angelegenheit beitmgen zu können.
Es "wird behauptet: „Die Jngeudlectttre Lst eines der \\irk.<anisteii
Bilduu^smittel, vortrefFlich dazu irpeijrnet. Haus und Srlmlp heim
Unterrichte und Plrzirhungsweike zu unterstützen; Ja schon mancher
Mensch hui ihr vurzugsweise seine Tüchti^-keit im Leben, oder gar
st'inc Berühmtheit verdankt, so dass man wol behaupten darf, die
Privatlectüre könne unter l nist^üiden den Unterricht ersetzen. Sie
ist nämlich ein allseitigi^s Bildunf^sniittt l, denn abgesehen davnii. dass
sie viel niitzhche Kenntnisse zuführt, vei inair sie den |]fanzeu ^^lenschen
zu erfassen: seine Sj>raclie zu bilden, seinen Verstund zn scliärfen,
seine Phantasie zu beleben, wie auch wieder zu züirehi, seinen (rc-
ßchmack zu veredeln, sein Gefühl zu erwärmen nnd zu läutern, seinen
Willen auf das Sittlicligute zu richten. Was die Kinwirknnir auf
Gefühl und Willen betrifft, hat die Privatlectüre sogar einen miver-
kenubareu \'oi-teil vor dem minullirhen UnterHchte; indem nämlich
der .iun<re Mensch sich still mit seinem Buche Viesehäfti<j:t und sich
darin wie in eiuem S|iieirel un*rest(irt beschauet, kann er die G'edankeu,
welche in ihm anL:ere<:t worden sind, nach f belieben fortspiunen. die
goten Lehren im Herz« n erwägen, edlere Gefühle -tieto Wurzel schlagen
TmiMgitgimm. 4. Jahrg. Ueft L 2
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and zu löblichen Vorsätzen heranreifen lassen, wälu*eiid er beim
mflndlichen Unterrichte oft da vom Strome mit fortgerissen wird,
wo gerade für ihn ein Ifiogeree VerweileB beim Gegenstände heilMm
sein würde."
In ähnlicher Weise sprechen sich, soweit meine Kenntnis reicht,
auch die andern SchrifitsteUer aus. Manche wollen von Jogendlectüre
nichts wissen, aber nur aas dem Grande, weil die Gefahr, welche
dem Kinde ans der „Lesewuth'' erwächst, ihnen sn bedenklich erscheint.
Dass die Leetlkre, ftlls es gelingt, die Lesewnlh zn verhAten, die oben
angefikhrten Tortiieile bringen könne, acheint niemand zn bezweiüdn.
Ifsk bin anderer Ansicht
Man hatte zinAehst Eine &8t: wahrhaft bildend können nnr
solche Bflcher wirken, deren Inhalt wisaenselinftlleker oder
kttnafleriadier Art ist Zu diesen gehören nur die Werke echter
BiiAtkinist; n jenen darf man ausser streiur wiffff'*>'*^J><tftii^hftn Wffflfffl
noch wissenschflftliohe DarsteUnngen in popottrer Form nnd tokhe
Werke rechnen, die anregend wirken, z. R gute Joanahurtikel,
Kritiken, Anftfttae Itter Streitfragen, Sammlnngen geistvoUer Anasprache
nnd encUieh die der -sageoannten schönen literator, wie Goethe'a
„Dkhtong nnd Wahrheil^, Heiners ,iHmnmf*i Senme's ,ySpazier-
gang nach Syrakus".
Ausser diesen Werken existirt noch die sogenannte Unter-
haltung:sliteratur. Es sind Erzeugnisse dilettantischer Ptusilierei,
Novellen, Reiseabenteuer in novellistischer Form und endlich miitano:-
reichere Erzählungen, denen frischweg der Name Roman beigelegt
wird. Sie dienen als .,Lesefutter'' für dius weniger gebildete Publicum
und werden benutzt, um ,.die Zeit zu vertreiben". Diese ganze Literatur
bringt gai- ktiuen Nutzen und erregt einem gebildeten Menschen nur
Widerwillen, ja Ekel. Ich will lieber 10 Stunden lang Hefte comgireu,
als eine Stunde lang solch Zeug leisen. Alwr noch mehr: diese Literatur
bringt grossen Schaden, denn sie verdirbt den Geschmack, macht das
Denken unklar und erfüllt die Kopfe mit leeren Phantastereien. Sie
hat dai'um giu* keine sittliche Berechtigung und muss als ein bedenk-
liches i'bel bezeichnet werden, von dem sich die Menschheit im Interesse
des Fortschiitts zum Ideal befreien sollte.
Fragen wir uns: Auf welche Weise können wir durch
wirklich gute Bücher in unserer Bildung gefördert werden?
Mit der Leetüre künstlerischer Art, mit den Werken der
Dichtkunst, pflegen selbst gebildete Leute es gar leicht ra nehmen.
Man meint, es genttge, dieselben mit wenigen Ausnahmen wie Unter*
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haltungsstoff zu behandeln und sich auf flüchtigen Genuss zu be.schi'änken.
Ich biB der ^leinung, dlchteriBche Kunstwerke jeglicher Art, selbst
kleine lyrische Gedichte, legen uns die Verpflichtung ernsten Sta^mns
anf^ nnd erlaube Inir, den geneigten Leser auf den Aufsatz hinzuweisen,
ik welchem ich diese Ansicht erOrtert und begrttndet habe«*)
In Bentg auf 4ie Behandlung der wisaensohafiliohen Leetflre
hoffe ich nkht Mf Widen^meb sa «tossen. Alle solche Wake mtesen
stndirt werden. Man mnsa sie „mit der Feder in der Hand
lesen**; wir mftssen einen je naek den Werte des Buches kftrzeren
oder längeren Aismg, aoftrt^ien, naeh Bedfiifhia diesen Anssag dem
Gedächtnis gut einprftgen und so den Inhalt ea unsenai geistigen
BigentiMini machen. Nor anf diese Welse ist es mOgüoh, yon den
eiazebken ThisÜeB - des Werkea und deren YerfaAltniB zam Ganzen
die rechte Ansohaumig za gewimken und die neuen Begrüe und. Er-
kenntnisse unaenn Begiiflb?orrath so au.* assimflirai, dsas wir damit
geistig arbeiten, deuloen kAnnen, dass- wir sie Aar Qewah unsors
Geistes su wiUkflittcher Beproduction habsn.^ Diese Forderung güt
ilr aKe wlraeosehaftlidiin BOdier ohne ünterseUed. War sich
anf einmaliges Lesen heachränkt, hat Yon der Lectftra nicht
nur keinen Gewinn, sondern den erheblichsten Nachtheil.
Man erhfilt halbe oder obefflftefaliche Anschauungen, halhwahi« Uräieile»
sdiiefe Ansiebten, unklare Begriffe und gerftth dadurch in den Zustand»
den der Schfilmr im „Fauste dnrcb die Worte kenmeichnet:
Es wird mir von alledem ao domm,
Geht ifiir wie *n imUnid hn Kopfe honun.
^yer diese Art von Leserei fortsetzt, f^eräth naturg-emäss in Halb-
"wisserei, in geistige Zeifahrenheit, in jene Oberflächlichkeit, die alles
wissen, überall mitsprechen will und sich oft genus: gerade aus diesem
Grunde mit widerlichem geistij^eni Hochmuth paart. Mangelhaftes
Wissen und Können bläht; tüchtii^es macht den Menschen Ijescheiden!
Gute Bücher sind unsere Lehrer. Wer von einem Lehrei- mit
Erfolp: unterrichtet wird, ist im Stande, dessen Vorträge klar zu ver-
stehen und zusammenfassend zu wiederholen und wird sich die «ge-
wonnenen neuen Begriffe und Erkenntnisse zuj^leicli so fest einpräofen,
dass er Neues mit Hilfe des Erlernten leicht versteht und am Ende
der Unterrlchtazeit über sänuntliche Vorträge klar und verständig
•t S. Pa'dac'otrinm III. Band. Januar- nnd Pehruarheft: Weiche Ant'orderuiiireii
stellt die wi!$.seiu»cUattIiche Piedagogik au den liühereu Unterricht in äpiaciieu und>
Liieratureu?
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■Reclicnscliaft abzuletren vermag. Dasselbe Resultat mnss derjeiiig'e
aufweisen köuueii, der ein gutes Buch mit Erfolg studiit hat. Die
Beliauptung: Ich weiss, was der Scliriftstellei* sagt, vermag es nur
nicht aoszuspreclien, ist ein thöhchtes Geschwätz. Wer über den
Inhalt eines WenJceB, »emer wissenschaftlichen Abliandlungf sich nicht
klar aiiszasprecben Termag, besitzt darüber kein rechtes Wissen, sondern
höchstens eine dunkle Bückerinnemng, so dass er bei klarer Dar^
Stellung durch Andere sagen kann: Ja, ich entsinne mich, so ist es
richtig. Um durch Leetüre zu rechtem Wissen zu gelangen, wird es
daher gar oft nOthig sein, grossere Werke wiederholt zu stndiren, zum
besseren Verständnis derselben andere dnrchzQaarbeiten, die Gedanken
verschiedener Schriftsteller mit einander zn vergleichen nnd dabei
seine eigenoi Anschauungen nnd Ideen mitarbeiten zu lassen. Das
beste Mittel zum rechtoi Stadium, sagt man mit Beeht, ist Ftodudren.*)
Wir bilden nns im Leben ferner auch dadurch, dass wir klagen
Mäonem zahdren, wenn sie uns durch geistvolle Beden, schSne Vor*
tiSge erfreuen oder beim eorosten Gesprftch in zwangloser Weise den
reichen Schatz ihres Wissens entfiüten. Aber auch in diesen FfiUsn
werden wir rechten Gewinn nur dann haben, wenn es uns gelingt,
das Empfangene unserm Geiste so zu assimiliren, dass es uns Jeder
Zeit zur freien Verfügung steht. Darum müssen wir auch solche
Schriften, die ich oben als anregende Lectüre bezeichnet habe, sobald
wir den Inhalt bei einmaligem Lesen nicht behalten können, in ähn-
licher Weise wie gute Bücher studiren. Man kann dadurch sehr
viel lernen und namentlich zu klarem X'erständnis schwerer Scliriften
gelangen. I)a;;u ist es »rut, sich von Zeit zu Zeit für sein Studium
ein bestimmtes Ziel zu setzen und alle dazu passenden (bedanken zu
sammeln. Oft wird durch ein geistvolles Wort, das man in einem
j;uten Journalartikel, in einer kleineren Abhandlung findet, iilützlieh
blitzartig über das, was uns noch unklar war, eine solche Helle ver-
breitet, dass wir schnell und leicht zur Klarheit gelangen.
Endlich bildet man sieh im Leben auch noch durch erlVi-dituden
< icdaukenaustausch mit »Solchen, denen man an Wissen und i\ünnen
ebenbürti«: ist. S.» wird der wissenschaftlich (icbildete manche gute
lUicher finden, die solclien ebenbürtigen Freunden gleichen. Das ist
lur ihn Unter haltungslectüre. Bei solchen Büchern wii'd man
*) Scbenhaft hdnt es: Ich bin avf diesem Gebiete nicht bewandert; deshalb will
ich ein Buch darttber schreiben. Solch ein Buch kann wenigstens dem Verfiuser
unter UnistSnden recht viel nützen.
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sidi ohne Scbadeii mit blossem Lesen begnügen können. Man wird
dabei, 'wie durch jene Gesprftcbe, Anregung und Eifriscbnng gewinnen.*)
Dabei ist nodi Eins henrorzoheben. Das Stndinm der wisQensebaft-
fieben und anregenden LectOre gewftbrt nie C^emiss, sondern eine
edle Freude, die man Denkerfrende, Arbeitsfreude nennen
konnte. Oenuss gewähren nnr Wwke der Knnst Wenn dieser Gennss
der rechte sein soll, so mnss er der echt ästhetische sehi und nicht
der stoffliche des Ungebildeten. Der wahrhaft Gebildete wfard also
ausser der wissenschaftlichen Lectfire nnr noch zn der echt k&nst*
leriachoi, zn den Werken echter Dichter greifen; jedoch. nicht eher
rohen, als bis er seinen Gennss durch Stadium zu einem äeht ästhe-
tischen yerfein^ hat
tV^enn Lectfire überhaupt för die Jugend wahrhaft bildend wirken
soll, so muss sie in der oben ja^eschilderten Weise pehandhabt
werden. Wenn Erwachsene durch flüchtige Vielleserei in ilirer Bildung
>ve^iiiträchtigt werden, so muss diese Gefahr in noch höherem Masse
K in dem und halbreüen Menschen drohen. Es ist richtijr, dass ..mancher
3Iensch .seine Tüchtigkeit im Leben oder gar seine Berülimtheit der
Jugendlectüi*e verdankt"; aber siclierlicli nur dann, wenn er so ge-
lesen hat, dass ihm daraus der oben geschilderte (rewinn envachsen
ist. den die über\viegende Mehrzahl der Menschen nur durch ernstes
Stadium zn erzielen vermag. Wir müssen die Kinder also frühe
anleiten, solche Bücher, die ihnen nützliche Kenntnisse zu-
führen können, „mit der Feder in der Hand" zu lesen. Bei
flüchtiger Leetüre können gut begabten K/ipfen immerhin zerstreute
Kenntnisse im Gedächtnis bleiben; aber daraus erwächst ihnen eher
Schaden als Gewinn. Werke der Dichtkunst mögen sie nach Gefallen
lesen. Die feineren, an denen nur ein gebildeter Mensch Gennss zu
finden yermag, werden sie von selber bei Seite legen; an den ein- -
lächeren mögen sie sich ergötzen, soviel sie wollen. Nur Novellen und
Bomane hat man unter sorgfältige Controle zu stellen. Daneben hat
man jedoch die Aufgabe zn yerfolgen, sie schon firUhe darauf aufmerksam
m machen, dass ihr Gennss an dieser Lectüi'e nur stoffUchei' Art ist,
and durch soigfiUtige Belehrung und Hinweis auf spätere Stadien
Es eribr Menschen von so ausgezeiclineter Begabung-, dass sie nicht nOthig
haben, sich Ex< erpte zu inaf-hen. Dies wird von dem l)eriilmiton Savii^iy und anderen
Gelelirten er/älilt. Aber suklie Manner sind sehr dünn i^esiiet ; llir die überwiegende
JdelirzahJ sk.lb.st derjenigen, fdr welche die Beschäftigung mit der Wi.'^sensfhaft die
Ukea»iägiLhe Uldet, wixd die oben geediflderte Benntznng der Lectttre noth-
ynalßg eein.
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die richtige Ausbildung ihres GeschmackB anzubahnen. Der Genuss
der sogenannten Unterhaltungslectnre (für Erwachsene)
sollte ihnen ganz untersagt werden, weil sie ihnen wie jedem
andern Menschen nnr Schaden bringen kann.
Unter der zahllosen Menge von Jugendschriften linden wir
zunächst reiche Sammlungen von Märchen, Fabeln, Sagen and Legenden.
Als Erzen frnisse echter Kunst eignen sie sich vorzüglich zur Lectttro.
Sie eririschen Geist und Gemfith, geben der Phantasie gute Nahrung
nnd leiten sie auf die rechten Bahnen. Das Lesen solcher Bücher
gewährt dem Kinde Gennss.
Neben ihnen finden wir Bteher, wetehe dm Zweck verfolgen,
der Jngend ans den Terschiedenen Gebieten der Wissenschaft nfttslidie
Kenntnisse znznftthren. Man meint, sie werde dieselben leichter' anf-
nehmen, ▼eim man sie in der gefUligeren Form der Erzfthlnngen
bringt nnd dnrch gnte Bilder rechlich für Ansduurangen aller Art sorgt
Die Idee» die Belehmngen dnrdi Bilder zn nntei'stfitzen, hat steh
in der That hOchst segensreich erwiesen, nnd es werden viele nfttaUche
Kenntnisse dadurch hat mflhelos nnd dcher dngeprftgt Aber wenn
man meint, die blosse LeetBre solcher Bücher bringe dem Kinde einen
ahnlichen Gewinn wie ein gnt geordneter Unterricht, so ist das nach
meiner Er&hmng dnrchans unrichtig. Ich habe ih meiner Knaben-
zeit eine grosse Menge solcher Bftcher durchgelesen, habe aber nie
gemerkt, dass mefai Wissen nnd KOnnen dadnrch wesentlich bereichert
worden wftre. Dieselbe Beobaehtong habe ich an meinen eigenen
Kindern nnd an meinen Schttlem nnd SchtQerinnen gemacht Durch
blosses Lesen geht der Gewinn bis auf wenige serstreute Kenntnisse
verloren. Auf Fragen nach dem Inhalte erhält man entweder keine
oder ganz nngenflgende Antworten. Mädchen woUen von solchen Büchern
überhaupt nichts wissen. Sie blättern dieselben durcli, besehen die
Bilder und lesen allenfalls soviel, um zu wissen, was das Bild vor-
stellen soll, aber von wirklichem Interesse zeigt sich dabei keine Spur.
Ist (las Buch in der Weise geschrieben, dass die Belelirnnp:, wie z. B.
in den neueren Robinsonaden — Robinson Hurtig, der schweizerische
Robinson — an eine fortlaufende Erzählung geknüpft werden, so
suchen sie sich von dem Fortgange der Handlung zu unterricliten;
aber alle Belehrungen werden so tapfer überschlagen, wie die bekannten
belehrenden ( bespräche in dem Robinson von Campe.
Bei geweckten Knaben k(»mmt es zuweilen vor, dass dies oder
jenes so für die Jugend verfasste Buch in der That mit Nutzen gelesen
wird, ^^'eun sich früh in ii'gend einer Richtung ein lebhattes Interesse
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zeiirt, sei es, dass dasselbe (IuitIi tüclitige Lehrer erregt ist, oder dass
»larin das „unbewusste Scliaueii des Gt'iiius*' hervortritt: so komnit es
vor. dass solche Kinder einzelne Bücher mit wahrer Lust durcliai beiten.
Dana bleibfs aber nie bei einuuili^^em Lesen. Im Gegentlieil
wird (las Buch dann gar oft vorgenoniuieu. Einzelne Abschnitte werden
so oft gelesen, dass man dem verehrten Lelirer den Inhalt erzälden
kann; andere werden mit Kameraden besprochen, ,um diese in das
Interesse mit hineinzuziehen; ttber nnglaublicha oder anklare Dinge
wird das Urtheü des Lehrers aufgeholt, oder man macht Versuche
imd Experimente, um selber zu erproben, was da so interessant dar-
gestellt ist. Solch ein Lesen kommt in der Tbat vor; aber man trifft
es sehr selten. Bei Mädchen habe ich es noch nie gefunden.
Ich BieiBer solche £r£edinmgen berechtigen voUstfiadig zn der Be-
hrapUmg» dass alls solche Bttcher, welche der Jagend in anmntJilger
FoTB nfttadiohe Kenntnisse zollUiren imd den wissenschalUichen Unter-
riebt unterstützen sollen, den Kindern nie zn einmaligem
fltkehtii^en Lesen gegeben verden dürfen. Entweder gebe man
sie gar nicht, oder man halte darauf dass das Kind das Bneh in der
Weise dorcharbelte, wie der Erwachsene ein wissenschaftliches Werk
stidirt, d. h, sich einen Anszog mache. Wo sich gar kein Interesse
zeigt und aach dnrch den Unterricht nicht erweckt werden kann, da
mfige man die Kinder mit solchen Auszügen nicht quälen; wo aber
geistige Regsamkeit rorhaaden ist, da möge man sich nicht daran
Stessen, dass sich anfiings Unlust zeigt. Die Lost wächst mit der
zmelimeiiden Erkenntnis, dass der Schatz von Wissen und KOnnen
dnrdi solche Excerpte wesentlich vermehrt wird. Es genügt auch
schon, wenn nur dann und wann ein Bucli gut durchgearbeitet wird.
Wer studirt hat, wird wissen, dass man sich oft Wochen und .Monate
lang nur mit einem g-rösseren Werke beschäftigen muss. Wenn mau
während dei' Zeit andere Studien aussetzen oder nur nebensächlich
betreiben kann, so bringt das immerhin keinen Scluideu, weil der durch
jene ernste Aibeit erzielte Gewinn die Bildung so llirdert, dass man
später bei anderen Studien leichter und sicherer zum Ziele o^elangt.
Es wird dem Kinde also schon erheblich nützen, wenn man nur von
Zeit zu Zeit einen grösseren Auszug verlangt und von anderen Bücliern
nur einzelne Stellen excerpiien lässt. Auf Gymnasien i)lletrt man von
den SchüleiTi der Oberclassen zu verlangen, dass sie durch Kxcerjtte
über ihie Privatlectüre Rechenschaft ablegen. Ich meine, man darf
schon früher darauf halten. In meinem vierzehnten Lebensjahie
begann ich, aas. der bekannten Beckerschen Weltgeschichte einen Aas-
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zug äu schroil)en. Ich hesiize denselben noch jetzt; er zählt 488 eng
geschriebene (|>iiartseiteu. Ans.serdeni besitze i<'h ans jener Zeit
kleinere Auszüge aus der alten, mittleren, neueren, der preussischen.
französischen und enirlisclien (-Jeschichte. In diesen letzteren stehen
nur kurze Daten und am Rande Jahreszahlen, wie in den Gcschichts-
tabellen. die man Kindern zum Lernen in die Hand gibt. Ich weiss
fienau, dass mir jene Arbeiten selu* viel genützt haben, denn ich
galt in Gei^c.hichte und deut«chera Aulsatz .Jahre lang als der best^
Schüler und glaube, dass das spätere Streben. <lurch Kxeerpiren von
guten Büchern zu sicherem Wissen zu gelangen, im wesentlichen auf
jene Jugendai'beiten zurückzuführen ist. Irh meine auch, dass nur
duich solche Arbeiten, durch selbstthätige Versuche, seine
eigenen oder die eben gelesenen Oedanken in eine gute Form
zu bringen, Gewandtheit far sprachliehe und schriftliche
Darstellung gewoDBen werden kann. Die Behauptung, dass
dieselbe dnrch blosses Lesen erzielt werde, halte ich für durchaus un-
richtig. Bei Mädchen habe- ich stets gefunden, dass die Vielleserei
auch in dieser Hinsicht gar sehr sciiädlich wirkt. Der mündliche
und sehnt tliche Auacbruck wird unklar, gesucht, geziert; das Mädohui
hascht nach Pliraaen, gefallt sich in hodiklingeftden und nichtssagen-
den Worten nnd sucht den einfiMshBten Stoff, der dnrchanft nsr eine
nliohteme, klare -Behandlmiy veriangt^ durch lialb oder gar xneht Ter-
stasdene dichterische Wendungen aussusdimttdien.*) Alle dkjfloifen,
wekhe meiniii, dass jene halb wissenaeluiftiUdi gehaltene Jugendleetttre
bei oberflaohficken Lesen Nutsen bringen kdnne, vergessen das alte
Wort, dass vor alles Gute die Gttter den Sehweiss und die mlttievoUe
Arbeit gesetzt haben. Der Begriff „ari»eiten* seUiesst den Begriff
^Behaglichkeit" ganz aus. Anoh das freudigste Arbeiten ist mit MOhe
und Selbstbeherrschung vetbuiden» Daher möge man bei der Jugend-
lectüre soigftltig das Lesen als Arbeit v«n dem Lesen als
Geiwss tremm mid dabei erwftgen, dass jeg^iohes Tänddn mit der
Arbeit den Menschen sittlich entnerven mnss.
Es bkibt endlich noch die Unterhaltungslectttre su be>
trachten, welche eigens für Kinder geschrieben wird.
Das „Leseftitter'' fttr Erwachsene, wie wir es in der ,,GarteB^
lanbe** und ähnlichen Jonmalen, in den Zeitungen und als gern gelesene
*) Ähnlich vrie Herr Masins in seinen Schildeningen aus dem Xaturleben. „Der
Teich ist die Wici^e des jungen Fro-nhos; gell)e Ilahnenfnssljlüthen seine bunte
Decke'* etc. Wie oft habe ich Iiiiren miis-?en, da«^ Frauen nnd halb gebildete
Mäuuer solche Schilderungeu „reifend, eutzäckeud, poetisch" finden.
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Bochfir in den Leihbibliotlieken finden, ist unbedingt schädlich, selbst
dtim, wenn es blosse Phantasterei ist nnd keine absolut unsittlichen
Grundsätze nnd Ideen verbreitet. Mit der Untcrlialtunirslectflre fär
Kinder steht die Sache zum Theil anders. Wer die Unmasse von
iadm und oft geföhrlicbem Geschwätz kennt, das in der Form von
Jogendleetttre Jahr aas Jahr ein erschemtf gekaoft and gelesen wird,
iBiisB freilich oft in Yenachmig gefthrt werden, Uber diese ganze Art
von Uteratar den Stab zn brechen. Aber man darf nicht „das Kind
mit dem Bade anssehütten''. Es gibt in der That MiiilLer nnd auch
Fraoen, die für Jogendsdiriften soldier Ali; kfinstlerisehe Begabung
bemtM, oder besessen haben. Sie unterscheiden sich von dem Tross
der andern dadurch, dass sie echten Dichtern gleich den Stoff
idealisiren nnd dabei in eine Form bringen, die besonders
fär Kinder verständlich und interessant ist Aber die Zahl
dieser Scäriftstdler ist nicht gross; auch ist nicht Jedes ihrer Bftcher
SB Wert dem andern gleich. Einige unter diesen Jugendschriftstellern
sind Vielschreiber geworden, haben Bftcher auf Aecord geliefert und
m diesem Zwecke Novellen und Bomane geplfindert Es ist also sehr
nothwendig. die Unterhaltungsliteratnr für Kinder sehr sorgsam zu
sichten. Aber die wirklich guten Sachen darf man den Kindern geben,
da sie wie leichte dichterische Kunstwerke wirken. l)as Lesen solcher
BÄcher gewährt der Jugend einen reinen Genuss. Dagegen miisseu
alle schlecht ge^schriebenen Bücher dieser Art den (reschmack ver-
derben, die Phantasie venvildeni, die gesunde geistig»' und köri>tnliehe
Entwicklung des Kindes schwer beeinträchtigen. Am meisten werden
von GefahniU dieser Art die Mädchen bedroht; denn in den letzten
Jahrzehnten, seitdem die „Frauenfracre" zu einer ..breinienden" ge-
worden, hat .sich eine übergrosse Menge von Weibern auf Jugend-
>chriftstellerei geworfen und hat mit Hilfe von schlauen Verleirern die
Lesewut h der weiblichen Jugend und die 'i'horheit und Sorglosigkeit
der KlteiTi in so schamloser Weise ausgebeutet, dass man in der That
versucht wäre, gegen dieses Treiben die Hilfe der Polizei anzurufen.
Solche Bücher werden fein ausgestattet, mit hübschen Fildern geziert,
erhalten als Beigabe zum Titel die Bemerkung „für reitere Mädchen''
fÄT „Mädchen von 13—16 Jahren", für „meine jungen Freundinnen",
für „Töchter der höhem Stände", werden fast sSmmtlich auf den Weih-
nachtsmarkt gebracht und von den Eltern so eifrig gekauft, dass die
Verleger gute Gteschäfte machen und die Schriftstellerin selbstver-
ständlich za nenen Leistungen auffordern. Die unschuldigsten Sachen
enthalten fades, silssliches nnd frömmelndes Gheschwätz, einzehie sind
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aber so gefithrlichen Inhalts, dass man in der That oft erschrickt.
Für den Culturliistoriker und den Mädchenschullehrer sind sie insofern
interessant, als sie „Einblick in die P>ziehung der Mädchen in den
liöheren Ständen", in den ..yuten Familien'' gewälu'en. Abei* dieser
Einblick ist wahrlich kein erlreulicher. In den oft mit photographischer
Treue gezeichneten Bildern zeigt die dort gesdiilderte weibliclie
Jugend nirgends sittlichen Ernst, nirgends eine ideale Lebensanschauun^r,
sondern überall das widerlichste Tändeln mit der Arbeit, ein frivoles
Spielen mit den edelsten und heiligsten Gefühlen des Menschenherzens
und ein übermässiges Haschen und Jagen nach (renuss. Nirgends
zeigt sich eine Spnr von Interesse an geistigem Leben: es ist, als ob
das gesammte Denken und Streben sich in seinem Kern um die Frage
drehe: Wie kriege ich einen Mann, wie mache ich recht bald eine
„gute Pai'tie'S damit ich mich hübsch putzen, viele Vergnäguugeii mit-
machen und recht behaglich leben kann? Überall leichtahmige nnd
gedankenlose Sinnlichkeit; es ist, als ob für diese, hier geschilderte
Welt der kategorische Imperativ der Pflicht überhaapt gai* nicht
ezistire. Hat diese Gesellschaft recht viel genossen und ist sie in
ihrem Streben, eine gnte Partie zu machen, gescheitert, so wird sie
fromm und ergeht tküOL in schwungvollen Schildemngen, wie sie in dem
Leben in Jesu nun endlich „Buhe gefunden". Nach Art der Blau-
strümpfe haben simmtiiche Schriftstellerinnen in den geschilderten
Mädchen sich selbst contotftit oder Scenfin nnd Handlangen geschildert,
an denen sie selbst als Backfische nnd Jnngfinanen im blflkhenden Alter
inniges Behagen gefUUt haben; denn sonst vfirden sie .nicht so natnr^
wahr enihlen und durch die Erzählungen jungen Mädchen Genuas
b^ten vollen. Nnn sollte mtm. mehien, dass solche Darstettangen
wenigstens der Mehrzahl von Mädchen, die eine höhere Töchterschule
besacht haben, widerlich, ja abscheulich sein mttssten. Das ist aber
durchaus nicht der Fall Im Gegentheil findet die Mehrzahl gerade
an sdohem SpOiwasser sit venia verbo — den grQssten Gennss.
Warum? well diese Mädchen aus der sogenannten guten
Gesellschaft, die Töchter gut situirter Eauflente nnd der
höheren Beamten, darin eine treue Schilderung ihres eigenen
Denken» und Treibens finden und infolge ihrer mangel-
haften Erziehung dies, alles als „reizend, entzflckend*' be-
trachten. Ich spreche aus Erfiiüirung. Als ich vor fünf Jahren mein
jetziges Amt Übernahm, wurde mir zugleich die AuMoht Aber die
ziemlich umfemgreiche Schfllerinnenbibliothek Übertragen. Am Ende
des ersten Jahres, als ich Zeit gewonnen hatte, mich eingehender um
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die Privatlectüre der Schüleriimen meiner Oberclasse zu bekümmern,
bemerkte ich, dasB die Mädchen besonders eifrig^ die von Frauen Ter-
U/asUrn Schriften verlangten. Ich hatte bis dahin diesen Zweig der
.Tugendliteratur noch nicht kennen gelernt. Die Leselast meiner
l3esten SchOlerinuen veranlasste mich, zunäclist einige der gelesensten
Bacher dnrchzaarbeiten. Zu rndnem irahren Entsetzen monto ioh finden,
dasB sie ein Zeng enthielten, ^raiehee nur einen ganz verdorbenen Qe-
sehniack imdeinbedeiddiehTeiaogmeBQemttthi^^ Ich
forsoiite meine Vfidehen ans. In ihrar mtianliahen Weise erklilrtMi sie
mir fiust ohne Ausnahme, dass sie diese BBeher „tekmdf entzUckend"
fsnden. Die zwei besten Sdittleorinnen, Töchter eines Beehtsanwattes,
ganz vorzaglioh begabte, Msrige and für ihr Alter kenntnisreidie
Midchen, fSuiden ,,hesonderB kOstUch*^ ein gans widerlich vnd frivol
geechziebeneB Booh: ,3M]disehidiens Leideii und Fkwiden'^ von Clemen-
tine Heifan.*) Sie erzfiUten mir, ihre in Snglaiid lebende Schwester,
eiae Lehrerin, aiMte daran, dies Bnch ins Engüsche zn fübersetseii.
Faeta loqnnntar! Ich .wlU meinem Vorgänger damit keinen Vorwnif
machen. Möglich, dass «r die Sicher nicht selbst gelesen, sondern
nnr anf Empfehlung hin augeschafit hat. Das kann einem vielbe-
schfiltigten IHrjgenten einer grossen Anstalt schon passhren. Die
Sache liegt tiefer; sie fällt der Erziehung des Elternhauses
zur Last und nicht der Schule. Die Leute, welche das zerfah-
rene und frivole Leben und Denken so vieler in Tochterschulen ge-
bildeter Mädchen diesen Anstalten zur Last legen, urteilen zu ein-
seitig und teilweise ganz unrichtig. Freilich wird in vielen von Frauen
geleiteten Piivat-Töchterschulen und Pensionaten dies Tändeln mit
der Arbeit, dies Haschen nach äus.^ereni Schein, die Lust zu Putz
und Tandi, und die gefährliche Frauenkrankheit, der Kigensinn, eher
begriinstigt , als energisch unterdrückt: aber die Ausbildung dieser
Fehler lallt allein den Familien zur Last. Wenn die eitle, hoch-
muthige und gedankenlose Mutter schon die kleinen Mädclien wie Zier-
äflfchen putzt, auf „reizende Kinderbälle" führt, sie sorgfältig vor dem
Umgänge mit Kindern ..subalterner Menschen'' zurückhält, weil der
.*^tand ihres Mannes solclie Rücksichten fordert; wenn sie selbst den
Mädchen mit Eigensinn, mit Putz, Haschen und Jagen nach Ver-
gnügungen, Tändelei mit der Arbeit, Coquettiren mit der Männenvelt, «
herber Bekrittelung ihrer Mitmenschen und lägenhaftei* Höflichkeit
und nKatzenfreundlichkeit" Tag ans Tag ein als Muster vorangeht:
*) Der Inhalt dieses Bnehes wird wdtarfain besprochen werden.
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— 28 —
wie soll da in dem zum sinnlichen Geniessen «?('neif>"ten G-emttth des
Kindes der katei?orische Imperativ der Pflicht ausi^ehildet, wie soll da
das Gute g-etordert, die Seele für ideales Streben erwärmt, auch nur
interessirt werden k(3imen? Die Mädchenschule, welche wie jede andere
sich diese Aulgabe stellt, hat unter diesen Umständen eine wahre
Sisyphusarbeit, und es gehört wahrlich die ganze Begeisterung und
Hingabe an den Lehrerberuf dazu, um bei solcher Erkenntnis nicht
zu verzagen und ohne Aussicht auf tüchtigen Erfolg ..das Gute schwei-
gend in die unendliche Welt zu werfen und zu hotten, dass der ruhige
Khythnuis der Zeiten endlich die EntAsickelung bringen werde". Viel-
leicht werden einige meiner Herren CoUegen behaupten, in ilii'en Schu-
len zeigen die Mädchen einen liesser gebildeten (Geschmack, so dass
sie an dein von Frauenhand geschriebenen Lesefutter keinen (xefallen
finden. Ich miiss dies entschieden bezweifeln. Seitdem ich meine
Mädchen über die innere Hohlheit und Gemeinheit jener Jugendschrif-
ten aufgeklärt habe, verlangen alle nach besserer Leetüre und die
mehr als 100 Bände dieses Geschreibsels liegen unberührt abgeson-
dert in einem nur mir zagäogliclu u Winkel der Bibliothek; aber ich
Inn weit davon entfernt zu glauben» nun habe sich der Geschmack
meiner Schülerinnen im wesentlichen verändert. ^lein Wort gilt ihnen
als wahr; aber von der auf Autoritiit gegi-ündeten Annahme bis znm
wahren Interesse an besseren Geisteswerken und vollends bis zur
echten Freude an dem Genus derselben ist noi h ein sehr weiter Weg.
Da dieser Weg durch die oben geschilderte Erziehung der meisten
Mädchen erschwert wird und das Familienleben der „besseren Stände**
überall das gleiehe ist: so muss ich annehmen, dass die höheren
Hädchensehulen in dieser Hinsicht Überall dieselben wenig
trostreichen Erfolge erzielen werden. Man m9ge mich nicht
tadeln, dass ich so offen spreche. Die Jugendlectttre ist gerade für
die weibliche Jugend eine Sache, die nicht sorgfältig genug erwogen
^und beachtet werden kann. Da hilft nicht Schönförberei, sondern
klare Erkenntnis. Ich will darum hier noch in der Kürze aus der
Fülle der von mir ausgemerzten Schriften diejenigen be^rechen, welche
damals von meinen Mädchen am begierigsten gelesen wurden.
Aus der Pension, Briefe einer 15jährigen an eine 17jährige,
• frei nach dem Englischen von Sophie Verena.
Unser Buch ist bereits die 4 Auflage. Der Inhalt ist fblgender.*)
*) Ich gebe nur abgerisseue Xutizeu, um deu Leser zu orieutireu. Sie werdeu
genügen, um mdne obigen Behauptungen cu rechtfatigen.
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Kätclien wird vou ilirer „bösen'' Mama in die Pension jresiliickt.
Scliilderuiig der Lelirerin in der Weise eines verzogenen t'reclien Back-
fisches, der keine ^Spur von feinem Gefühl besitzt. Kätrhen „verhei-
ratet' sich, d. h. sie spielt mit einem andern Backfisch Mann nnd
Frau. Ihr „Manu", Fanny, ist im Stillen mit einem Seecadetten ver-
lobt, hat eine Locke seines Haares im Busen verborgen. Kfitchen muss
ihr als dem Manne alles geben, sicli beherrschen lassen. Boshafte
Schilderung ihrer Mitschülerinnen. Alle weiblicben Untagendcn kom-
men dabei zum Vorscliein, bekritteln des Anzuges, der Familienver*
hältnisse u. s. -w. Alle Backfische erhalten geheime Briefe von Ca-
detten, Apothekern etc., sie seihst einen von ihrem Anbeter, im Ärmel
des neuen Kleides versteckt ,^a, wir werden doch noch einmal Mann
und Fran werden, wenngleich es noch lange dauern wird, denn Arthnr
ist erst Chdett^ Gemeine Streidie, nm die Lehrerinnen zi ärgern«
Berichte nher die Lehrer. «Arno, ich liebe, das mögen wir Alle gern
coigngiren nnd ich denke dabei an Ihn, wenn ich lerne. Herr Lnciaa
Sflberblidc, der Mnsiklehrer. Schwärmerei für den httbscheii Geck,
der seine feinen Hände bewundern lässt, duftiges Haar, feine Wäsche
trägt tf&DSt, als ich beim Spiel einen zu grossen Lärm machte, er-
griff er meine Hand und sagte mit sflsser Stimme: Jch kann diesen
kleinen weichen Händen nicht gestatten, so alle Harmonie zu morden,^
und — ich glaube, ich fiUilte emen ganz leisen, sanften Druck, aber
so zart und leise, wie von einem Kinderhändcheo. Ich trug gerade
den httbechen Bing, und seitdem soll ich ihn jedem der Mädchen zm*
Cla vierstunde borgen. Als ob es blos der Ring wäre, der
„Gestern war Freitag und Vollmond. Wir entkleideten uns, stell-
ten uns im Halbkreise auf und sprachen langsam:
In der stillen Stunde der Ifittomacht,
Wo der Vollmond Idar am Himmel atraMt,
Sei schüchtern die Bitte daigebiacht,
Dass der Tniuni nns dcsson Bildnis iiialt,
Per einst bestimmt ist, liier auf Krdcn
Unser treuer, liebender Gatte zn werden."
Den Traiun will sie nicht erzählen, denn tlit' Strafe, unverheiratet
zn bleiben, tindet sie zu enlspt/lidi. Sie vcrlaii^^t vom ihrer Freundin,
sie solle Arthur als ihren veriieiratelen Kruder juitbrint^en . damit er
Zutritt zn dem Pensionate erhalte. Ich ^-laube, diese Proben werden
geniigen, um das Buch zu kennzeichnen. I^s ist in der „(Gartenlaube^*
and in fler „Nationalzeit nn<r" sehr g-elobt worden!
Backlisc heben s Leiden und Freuden von Clementine Helm.
Ein Backfisch von 15 Jahren, auf dem Lande erzogen, kommt zur
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woUiabenden Tante Ulrike nach der Stadt, Tim liier feine Lebeusiirt
zu lenien. Ihre Leiden bestehen darin, dass sie gewöhnt wii-d. sich
«auber zu waschen, zu kämmen, die Ziüiue zu putzen, allerlei Unarten
und Dummheiten abzulegen. Ausserdem wird sie angehalten, feine
Knixe zu macheu und sich den Regeln der „Geheimrats weit" gemäss
zu betragen. Das Leben dieser Kreise wird dabei in der ti-ivialsten
Weise, ohne eine Spur von Idealisirung gezeichnet Wenn das gute
Ding ihren natürlichen Gefühlen freien Lauf lässt, wird sie sofort ^n
die ,.Jitikette" gemalmt, dabei oft in einer Weise, dass man die Tante
Ulrike als Erzieherin geni ins TfefFerland schicken möchte. lu einer
der ..feinen'* Gesellschaften jener Kreiste lernt sie einen jungen unge-
lenken Baron kennen, nimmt sich freundlich seiner Verlegenheit an,
und es bildet sich bald ein Liebesverhältnis. Der junge Baron will
sie, das 16 jährige Ding heiraten. Sie gibt ihm mit Bedaum eineii
Korb. ,^ch ich wünschte von Herzen, er fände bald« was er sacbte
und was ich Ihm nicht bieten kann!" Tante Ulrike nimmt nadi einiger
Zdt ein anderes junges Hidcben, £agenie, bei sich aufw Qegentheü
von Gfetohen. Ganz Teraogeor herrisch, eigensinnig, faul, gennssttch-
tig, will nur die voniehme Dame spielen. Die Erziehung der Mädchen
in den Hänseni der Eeichen, die dem höheren Adel nachäffen, wird
duooh ihi* Benehmen mit widerlicher Treue dargestellt Das einfach
erzogene „Gänseblümchen", erhält nan die Aufgabe» durch sein Bei-
Ufigü und seine Ermahnungen das verzogene Mädchen zu bessern! Dabei
entpuppt sich dies widerliche Ding plötzlich als i»«Mfdi«H W<^thAterin
der Armen, als fiBine Kennerin der Werke nnseier grossen Diohter.
Sie, das junge Dingi das bisher jeden Untsmcht ^ langweilig^ ge-
tmBim iiat» tot VMe.mlt fefaifiniYflratindiKfol SehiÜeraag edaies BaUes
nrit ail 4kn ThoKheiten und .ftden L&elteleieii, 'die dabei so oft ebe
HauptroHe spielen. Man eurlge: sedoehiglUiiige Backfische auf solch
einem Balle. Dabei stellt die Yerfltfserin Tante Ulrike als das Küster
einer Erzieherin auf! Ausflug auf das Land. Baron Senft, der abge-
wiesene Liebhaber, rettet die Mädchen von dem Angriff eines wild
gewovdenen Stiens. E^genie will mit ihm euie Liebelei anknftp&n,
schreibt an ihn. «»YorsteUung zu wolthfttigem Zweck", die bekannte
Lieblingtbeschäftignng der JMiersn Stande", um die Zeit zu tttdten,
den Ji)eadigftigten Mitesiggange** sn.MhMnL Die ganse:Frivfklität
der Lebensanschauung dieser Kreise tritt dabei ekelhaft deutlich zu
Tage. Der schflchteme Baron hat sich seit Jener Stier-Aifoire sterb-
lich in Eogenie verliebt Da er seine Liebe nicht zu gestehen wagt,
schreibt sie an ihn und führt damit die Verlobung herbei Die Yer-
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fasserin begleitet diesen Schritt mit den Worten: „Konnte man sie (h's-
hilb tadeln? Da er dies Wort nicht auszusprechen wagte, .warum sollte
sie es nicht thun und dadurch die Pforten ihres Glückes öffnen?*'
Sie wird nun mit einem Male ^old und sittig"*, später eine vortretf-
liehe Gattin. Nun folgen eine Menge Reimetiidrttcke, erhakea auf
eiMr Bäfie, die Gretchen mit der Tante macht Im Gebirge wird
m von bösen Kerlen bedroht, von einem der jmigei Doctoren» die
aaf dem Balle uid in den Gesellschaften sich ihr genaht hatten, aus
dieser Gefahr gerettet und dieser Edle wird BU Hags t4er Geliebte
ikrer Seele^ and sehHeeilich ihr Gatte.*)
Das Kr&nselieii vm Clementiiie Helm, «hmge WMm, mm
grossen IMl nodi Backfisehe, imd tmreife jm^fe Leute bildeB ein
KrSiiMlieiL (Ort der Handlmig Berlin.) Der Zweck ist, die ZeitMin
TerMdeln, skih sn amOsiren und junge Leite sa aagehi. Das Game
endigt denn auoh ndt allgemeiner Terlobnng md Hochzeit Doroh
das siemU«^ nnfimgreiche Boeh zielt eioli eine Brafthfamg, die an das
SehidDBal einer vertianntiBn pofauschen Familie geknüpft wird; aber
8te ist nirgends mit den einzelnen Versammtmkgen des KrSnscheiis
rngtsBOMch verbmden, sondern dient rar daau, das ganm Ilde nnd
ftirole GesobwfltE in die Lftnge zu ziehen. Die geselligen Abende
des wKrinachens" sind trea nach dem Lehen gezeichnet Man glaubt
die albernen, unreifen, halbgebildeten und venogenen Dinger w mk
tu sehen, wie sie durcheinander schnattern, klatschen, sdimähen, sich
eieren, mit Blicken nm sich werfen und mit den jungen Leuten coquet-
tiren. Diese Schilderung soll aber nicht als abschreckendes Beispiel
dienen, sondern sie wird im Gegentheil /ur Niichahmung tVir „Töchter
höherer .Stände" empfohlen. Nachdem alle Mitglieder de^s Kränzchens
eine „giite Partie" gemacht haben, lässt die Verfasserin eine der Da-
men sagen: „Wenn wir alles recht überdenken, hat den Grundstein
zu unserm jetzigen Lebensglück einst unser , Kränzchen'
gelegt"
Die Besprechung der beiden letzten Bücher dürfte genügen, um
die ^'e^fasserin Clementine Helm zu charakterisiren. Ihre Schriften
sind ohne Ausnahme aus Schülerbibliotheken auszumerzen. Die Mäd-
chen lasen von ihr noch: ,J*rinzesschen Eva", „Frau Theodore" und
,»Lilly's Jugend", Schriften, die an &deffl Geschwätz, an alberner
*) Dasä jene beiden Uiddieii dJeeesBoch lo leisend fandeo, hatte eehienOriuid
darin, da« ihr Vater „ein aehr grosses Hans maehte" and die Kmder das ganze
tkdis albene^ theOs frirole Treiben, wie es imBaehe geeohfldert wird, ans dgenerBr*
fidinag kflOBen getemt hatten.
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•
pliantastischer Eiliiulung und frivolem Geist die oben geschildeiten
wouiöglicli noch überbieten.
Blüthen leben von Lina Morg-enstem. Wirr durcheinander ßfe-
worfene Ereignisse werden ohne Geist und Leben, oft olme Sinn und
Verstand in der widerliclien ^^'eise schwatzender Blaustrümpfe ei-zälilt.
Laura, eine der Hauptpersonen des Buches, beginnt am Voiabende
iiires 10. Geburt staj^es ein Tagebuch zu schreiben. „Zu dichten und
zu siniren-, zu studiren und zu sclireiben, mich in die AVunder der
Natur zu versenken, stundenlang den bestiraten Hiumiel zu beobachten,
über die Gesetze naclizudenken, welclie das Weltall zusammenhalten,
das war meine innere Lust; aber Strümpfe stopfen " „Confir-
niation! Nicht ohne iunei'en Kampf und Selbsti)rüfiing ging jene Zeit
der Weihe au mir vorübei . Meine Religion sei Menschenliebe und
nichts so sehr mein Feind als Heuchelei und Glaubenshass ....,.**
,4)och ein anderes Bild tritt mir vor die Seele. Als ich ihn zum
ersten Mal im Kreise der Frohen gesehen, erbebte mein Herz.*) Der
Tanz vereinigte uns, ab^ wir sprachen wenig mit einander, denn er
ist unserer Sprache nicht mächtig und ich nicht der seinigen. Seine
Zurückhaltung hält man fttr Stolz und nennt ihn den pohlischen Adiei*.
Aber es ist nichts als Traurigkeit ^
Die Liebelei mit diesem Polen zieht sich durchs gajute Buch.
Daneben alle möglichen anderen Liebesgeschichten. Keine Spur von
höheren Ideen, von Idealisirung des Stoffes. Laura's Tagebuch hat
nur insofern Wert, als es jedem nur halbwegs gesunden M&dchen
diese Manie gründlich verleiden muss.
Weihnachtsmärchen von Louise Büchner. Die Ver&sserin hat
das liebliche deutsche Märchen von I<>au Holle zur moralischen Be-
lehrung für unordentliche Kinder und — „schmutzige Mamas" ein-
gerichtet. Dies wird genügen, damit sich jeder dies Zeug ausmalen
könne. In ähnlicher Weise wird die Erzählung vom „Knecht Rup-
rechts, vom „Kräntlein Eigensinn", vom „Tannenbaum" behandeli Unter
anderem sollen die Vögel Feuer von der Sonne holen. Der Zaun-
könig bringt einen Sonnenstrahl im Schnabel!
Frau Lina Morgenstern und Frau Louise Büchner sind als Füli-
reniiiK'U in den Bestrebungen der i^'rauenvereine wol bekannt. Wenn
ich nicht irre, sind ihre Porträts sogar durch die „Gartenhiube'* aller
Welt vor Augen geführt worden. Sie mögen in mancher Hinsiclit
segensreich wirken j aber zum J^chriltstelleru haben beide keinen Be-
*) Damals war iie 16 Jahre alt, Backfiüch, vielleicht noch Schulkind.
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iQ^ und am allerwenigsten soUten sie fttr die weibliche Jugend schrei«
ben. Ihre Schriften sind gldchiSüls anf den index libromm prohibi-
tonuH zn setzen.
In fthnlicher Weise schreibt Rosalie Koch. Ihre Schriften ent-
haitea durchweg Mes, langweiliges Geschwätz und phantastische Er-
fiBdong und können danim nur verbildend wirken, wenngleich ihre
Ansichten nicht wie die von Clementine Helm als firivol, sondern nur
alsscfawftcUich, sentimental, oft als albern zu bezeichnen sind. Sie mnss
mit ihrem Geschreibsel ein gntes Geschäft machen, denn unsere Biblio-
thek sählt allein 16 Bände von ihrer fland und darunter recht um-
fiuigreiche Sachen. Viel gelesen wurden in meiner Schule ihre Bilcher
„Gedenke mein.**, „Veilchenmoos" und „Maiblumen'*. Alle drei
enthalten bald kärzere, bald längere Erzählungen. Überall eine phan-
tastteche Welt, wie sie sich in der Phantasie einer halbgebildeten
alten Jungfer malt, die Personen überall Masken, durch deren Mund
die Verfasserin ihi-e nichts weniger als klaren und vernünftigen An-
sichten aussprechen lässt; tiberall grelle und unwahre Darstellung der
guten Armen und der bösen Reichen. In Nr. 3 der Sammhing-
blnmen" werden 2 Familien geschihha-t. Tu der Dachkammer ilie ent-
si'tzlicli arme Schlosserfamilie, im JSalun die des geheimen Domainen-
raths. Hier Betrug, Unterschlagung von Geldern, um den gi'ossen
Aufwand zu bestreiten; dort unverscliuldetes Elend. Die Tochter des
Geheimraths kriegt Lust, die schönen weissen Zähne der Tochter des
Scblossei*s zu besitzen und bietet ihr für jeden Zahn 1 Goldstück.
Das Mädchen lässt sich 2 Zähne ausreissen, um tur den Erlös iliren
Eltern eine \\'eihnachtsfreude zu maclien! Die Goldstücke bringen dann
die Familie in ungerechten Verdacht, und in grosses Leid. In ,,Ge-
deidve mein" knüpft sich die Entscheidung einer Erzählung an ein
goldt-ncs Kn*uz, das von dem frr»nnnehideu Mädchen „aus Liebe für
die armen blinden Heiden geoplert wird". Diese Liebe bringt ihr eine
recht LMite Partie ein. In eim-i- andern i^rzählung lässt die V<'r-
fasserin eijien Oberturster, der grossen Abscheu gegen Hhuistrumpferei
zeigt, durch die Frzälilung curiren, dass Agnes Franz mit dem Er-
lös aus solchem Geschreibsel 4 Waisen erzieht. In einem andern
Stück werden uns die Leiden eines jungen Mannes geschildert, der
als vorgeblich reicher Erbe von einem Mädchen unter Vorspiegelung
wahrer Liebe geangelt wird. Das enttäuschte Weib und deren Mutter
behandeln den Ungldcklichen so entsetzlich, dass er am gebrochenen
Herzen stirbt.
Das soll Leetüre für Mädchen sein! Dadurch sollen sie für Schöna«^
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und edles iiKMisclilk'hes 'I'liuu begeistert werden! Wie ist es nur nir>g--
lich, dass eine Dame Jahr aus Jahr ein solcli ein Zenir zusammen-
sehreibeu kauu! In all den 16 Bänden ist genau dieselbe Mache zu
linden.
Ganz älinlich, nur noch fader und liässlicher sind die Schriften
von Thekla von (rumpert. Auch sie ist eine Vielschreibenn. In
unserer Bibliothek tragen 15 Bändchen ihren Namen. Ausserdem ist
von ihr eine ganze Werkstatt eingerichtet worden, in der sie im Ver-
ein mit anderen Schriftstellerinnen Jahr aus Jahr ein dicke Bände,
benannt ,.Töchter- Album" und „Herzblättchens Zeitvertreib",
iabriüirt. All die^ Zeug ist aus Jugeudbibliotheken zu entfernen,
wenngleich die Mädchen darauf ^vie versessen sind. Wer da meint,
ich schfltte das Kind mit dem Bade aus, der quäle sich wie ich es
gethan nnd lese die Bände durch. Er wird mir schnell genug Recht
gehen.
Erzählungen von Emmy von Roskowska. Die Verfasserin
wurde in der Conflictszeit vor 1866 angeklagt, für eine demokratische
Zeitong Novellen von aufrührerischer Tendenz geschrieben zu
haben. %ftter scheint sie von der politischen Schriftst^erei $xs£ das
Abfhssen von Jugendschriften gekommen zu sein. Leider ist der
Jugend daraus kein Heil erwachsen. Ihre Erzfihlungen zeigen genau
dieselben Mängel wie die von Bosalie Eodi; nur schildert sie noch
in viel grelleren und flbertriebeneren Farben. Obgleich die Ehrzählongen
überall eine Art von moralischer Tendenz zeigen, wird man von den-
selben doch geradezu angeekelt; denn alles ist Aberkannt und unwahr
und man ftthlt nur zu leicht heraus, dass die Verfiisserin auf den
treuen Schüdenmgen der ganz verzogenen Jugend der hOhmn
Stände mit grosserer Vorliebe, als auf den phantastisch gemalten
BUdem aus dem Leben der ärmeren Classen verweilt
Erzählungen von Marie Nathusius. Die Yer&sserin hat zum
Erzählen Talent Znweil^ interessirte mich der Anfang emes Stockes
so, dass ich glaubte, eme echte Dichterin vor mr zu haben. Aber
es ist doch nur eine recht gute dilettantisdie Begabung vorhanden,
und leider wird alles durch eine widerliche tendenziöse ErOmraelei
entstellt und dadurch ganz verdorben. Die kleineren Erzählungen,
wie „Tante Sophie", „das Rectorat", „David Blume*', „der Weg zum
Glücksbaum", könnte man noch gelten lassen; aber die gi-össeren, wie
,.l)er Vormund" und „Die alte Jungfer" sind auszumerzen. Im
„Vormund" ist ein junges Mädchen durch ihre franzr>sische Erzieherin
mit Hass gegen die Pietisten erfüllt worden, so dass sie vuu ihrem
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Vormofid, einem überaus frommen, der pietistisclien Ricbtung ergebenen
Manne, anfangs durcliaus nichts wissen will Sie wird schliesslich so
bekehrt, dass sie sich wie eine Erweckte aus dem Wupperthale ge>
berdet In der „alten Jnngfer" hat die Verfasserin iluen eigenen
Lebensgang geschildert ' Wenigstens beginnt sie mit den Worten:
JSkJXMßn ans meinem Leben will ich niederschreiben^ und gibt nirgtmds
dne Andeatang, dass das Ganze nur Fiction seL Der Zweck des
Baches ist, Jonge Mädchen mit dem Stande einer alten Jungfer ans-
zosOhnoL nnd ihnen die th^richte Heiratslnst zu verleiden.**
Der zuletzt genannte Theil ihrer Absicht ist thöricht; der erste wäre
verdienstvoll, wenn sie es verstände, die Mädchen fftr ernste sittliche
Arbdt, für aufopfernde Liebe zur Menschheit zu begeistern. Aber
kider zeichnet sie uns ein ganz widerliches Lebensbild, und wenn
dies wirklich das ihres eigenen Lebau9ganges ist, so sind wir voll-
kommen berechtigt, ihre Schrifiben der weiblichen Jugend zu ver-
bieten. Als junges Mädchen im Pfiurrhanse erzogen, wird sie in die
Familie eines Barons, des Patronatsherm der Pfiurre, eingeführt Ihr
ganzes Sinnen und Denken dreht sich in dieser Jugendzeit um Ter-
gnügungen. Putz, Liebeleien, um das Angeto nach dem jungen Baron.
Später kommt sie in die gi-osse Stadt und dort in vornehme Kreise,
glänzende Gesellschaften, prächtige Bälle. Ihr Wesen wird dadurch
nicht gebessert Das Angeln nach einer gut^ Partie wird fortge-
setzt, von irgend einem dtüicfaen Streben, von irgend einer Lust zu
emster Arbeit ist keine Rede. Aber das Angeln glückt nicht Endlich
bietet ihr, als sie schon passee, schon 26 Jahre alt ist, ein tüchtiger
Kaiitniaiiu seine Hand an. Der Mann ist wolhabend, ja reich zu
neuueu, ist ordentlich, reclit.scliaüen; aber er ist ein Biirf^erliclier,
stammt aus einer ganz oidiiiäreii b anülie, und sie, obschou die l'ochter
eines bürgerlichen Planers, hat doch zur Mutter eine Adlige aus
vornehmem Hause! Sie weist den Kaufmann ab. Nach einem Jahre
tritt ein alter, verlebter, ziemlich roher Major als ihr Bewerber auf.
Sie ist anfangs geneigt, ihn zu lieiraten, um «rnädige Frau zu werden
und später womöglich den reichen Mann beerben zu können. Da wird
sie ^vom Herrn erweckt*'. Sie wird mit einmal überlromm, schlägt
aus „relitri^isen Rücksichten" die gute Partie aus, widmet sich der
Pflege der Ihrigen und erzälilt uns nun, wie glücklicli sie seitdem
durch das Leben in Jesu geworden ist. Alb' Tlieile der Erzählung,
namentlich Anfaufr und Ende, sind so reichlich mit Citaten aus der
Bibel und mit Gesangbucliversen geschmückt, dass man merkt, die
Verlassei'in ist eine frümmelude pietisüsche ^hwärmerin geworden*
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Vor solch einem Treiben wollen wir unsere Mädchen denn doch emst-
lich zu behüten snclien.
Älmlich Avie Marie Nathusius sclireibt eine Dame, die sich die
„Verfasserin von: Wie Gott will" nennt. In ihrem Bache ,J)a8
glückliche Loos" führt sie uns in die vonielimen Kreise der Resi-
denz, in das Haas eines Oberst Martens. Die Schilderung des Lebens
in diesen Familien ist tren, aber nichts weniger als erfriscliend. Der
Oberst ste(;kt bis zum Halse in Schulden, erfüllt trotzdem seinem
Liebling Flora alle thörichten Launen, wälirend er den armen hungern-
den Schuster mit seiner Rechnung hochmüthig abweist. Flora figorirt
in der Erzihlmig als heiteres Weltkind, ihre Schwester Margarethe —
vielleicht das Selbstportrftt der Verfiisserin — als die frOhreife tugend-
hafte Frömmigkeit. Sie erkennt die „Sündensdinld ihres Vaters",
betet für ihn, dass ihm seme Sflnde vergeben werden mOge! Nach
dem jähen Tode des Vaters beginnt fttr beide Mädchen eine Zeit
glänzender Bienstbarkeit bei vornehmen Leuten. Die tugendhafte
Fromme, deren Mund bei jeder Gelegenheit von salbungsvollen Phrasen
überströmt, mrirbt sich die Liebe eines frommen, sehr frommen Oan-
didaten und wird schliesslich „Frau Pastorin**, — das höchste Glück,
das sich frömmelnde alte Jungfern erträumen — das Weltkind scheitert
in seinen Liebesaffairen und wird barmherzige Schwester.
Die Lectflre erregt durchweg WiderwiUen, der sich an vielen
Stellen bis zum Ekel steigert.
Die Besprechung der vorliegenden Bücher dürfte genügen, um
die Sclireibweise der schriftstclleinden Damen zu cliarakterisiren.
Gelesen liabe ich ausserdem noch Schriften von Louise ThalhfiiH,
^larie v. Olfers, A. Stein, Julie Hirsclimann, Henriette Hohenfeld,
Kathi Dietz, Mary Osten, E. Ebeling, Elise Püttner, Louise Alt,
Marie Hutbcror, A<(n<*s Franz. Elise Polko, L. I). (der kleine Hausirer,
die Fistherstochten, Emma Laddey, Johanne Siedler, Hedwig Prohl,
Marie W'illkonuii. Marie Berger, J. Ruhkopf. Die ffenannten Damen
haben sännntlich zur Jugendschriftstellerei keinen He ruf, denn ihre
Erfindun*ren sind durcli we<^r- phantastisch und zeugen von
einem bedenklichen ManL'^el an soliden Kenntnissen, ihre
Schreibweise ist iibers]»annt, geziert, oder lanj^weiüg und schwatz-
haft, ihie LebensanschauunL'' beschränkt, ohne idealen Schwung,
oft angefressen von widerlicher Frömmelei, oft frivol.
Ihre Schriften habe ich aus unserer Bibliothek entfernt. Einaelne,
wie „Die beiden Burgen" und „Strassburg" von E. Ebeling und
ein Schriftchen von K. Dietz wollte ich anfangs noch behalten, habe
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flje aber nach reiflicher Überlognng doch ausgemerzt, weil sie trotz
mancher gelimgeaen Erfindung nnd Schilderung doch va viel phan-
tastisches Zeng darbieten. Als Jagendschriftstellerinnen von
Beruf kann ich, soweit meine Kenntnis reicht, nur (^Ue
WiMermutli und Louise PleUer bezeichnen.
Nachdem daigdegt worden ist, welche Jngeadlectttre den Kindern
zur Arbeit und welche ihnen zum Genuas gereicht werden soll;
nachdem gezeigt worden, dass man bei Auswahl der zum Genuss
dienenden Unterhaltungslect&re alle Ursache hat, sehr yorsichtig zu
sein, bleibt noch die Frage zu erörtern, in welchem Masse man
den Kindern, namentlich den Mädchen diesen Genuss zu ge-
währen hat
Jeder Genuss wirkt erst aufregend und dann ei^chlaffend.
Beide Zustände stehen zu einander in proportionalem Verhältnisse.
Dalum soll der Griiuss. welcher Art er auch sei, im Leben nicht als
Speise, sondern nur als Gewürz betrachtet werden. Daraus erjribt
sich für Eltern und Erzieher die ernste Malinunir. das Lesen, welches
grossen Genuss bereitet, sehr sor^altijj: zu üljei waclien. Als Grund-
satz möi::e gelten, dass das ilädchen sich au rnterliailungslectiire nie
vor der Arbeit, namentlich nie während der Arbeit, sondern nur
nach derselben er<j:ötzen dürfe.
Dabei ist iiocli Folgendes zu beachten: Mäddien sind der Melir-
zahl nacli auf solche Bücher „wie versessen"; sie haschen namentlich
gern nach Erzählungen; welche recht grosse Spannung hei-vorbringen.
Während des Lesens sitzen sie nach vorn übergebeugt, meistentheils
die Fti.sse übereinander geschlagen, aufgestützt fest auf einer Stelle
and fliegen die Erzählung duich. Infolge dessen steigt das Blut
übennisag nach dem Gehirn, ihr Gesicht wird hochroth, das Herz
Un^ an nnregelmässig zu klopfen, und damit gerathen sie in einen
Zustand, der nur zu sehr geeignet ist, Störungen im Blutumlauf
namentlich im Pfortadersystem zu erzengen und die Nenrenthätigkeit •
zu stören. In Memel litten drei meiner Schülerinnen an kramp&rtigen
ZniUlen. Ich erftihr, dass sie mit Erlaubnis der thörichten Mütter
Jahrelang bis Mittemadit Jugendschriften, Bomane, Novellen und die
Erzählungen ans Zeitschriften wie die „Gartenbube" gelesen hatten.
Unter meinen hiesigen Schülerinnen sind bisher alle, welche in der
Zeit der Entwickelung an Bleidisucht litten, in Folge mangelhafter
Erziehung tou der ,Jie0ewnth** beaessen gewesen. Ich habe privatim
und Öffentlich die Eltern vieliSu^ ermahnt, diese Vielleserei nicht zu,
dulden; aber die Mütter sind meistentheils zu schwach, den Bitten
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der MSdchoi zu widerstehen, namentlich, wenn sie abends sdhst gerne
lesen. Daher ist es unsere Angabe, die Beschäftigung mit der Unter-
haltungslectflre nie m^ als eine, höchstens zwei Stunden t&glich
zu dulden. So lange das MSdchen die Schule besucht, darf die Erlaubnis
nur an Sonn- und Feiertagen auf 2 Stunden ausgedehnt werden. Sobald
man dem Gesichte die Erregung ansieht, wird das Buch ohne Wider-
rede zugeklappt Wenn dabei auch Thrftnen fliessen, so hat das nichts
zu sagen. Niemals dulde man, dass „nur noch ein paar Seiten", nur
noch „diese eine schOne Stelle'* gelesen werde. Dadurch gewöhnt man
das Midchen an Gehorsam und Selbstbeherrschung, Eigenschaf-
ten, die dem weiblichen Geschlecht in bedenklicher Weise mangehL
In dieser Art habe ich meine eigenen Kinder erzogen und darf
(Jottloh sagen, dass memo feste und strenge Erziehung bei den sehr
zur Lesewuth neigenden Mädchen gut eingeschlagen ist. Wenn die
Schulmidchen an den Nachmittagen im Winter ihre Schuhirbeiten
angefertigt, Clavierspielen geübt, vielleicht noch eine Zeitlang sich mit
Handarbeiten beschäftigt haben, so muss bei naturgemässer Erziehung
um 8 Uhr nach dem Abendbrot „der Sandmann" kommen. Diesen
Fingerzeig der Natur soll man wol beachten und nicht dulden, dass
durch aufregende Leetüre der Schlaf vertrieben, das Gehim künstlich
gereizt und überreizt werde. Bis zum 14. Lebensjahre sollen Kinder
im Winter um 8' ., aV»e]uls schon rnliip: schlafen: dann werden sie
später, wenn es gilt, iiacli dem Abendbrut noch zu arbeiten, im
Stande sein, rüstig ihrer Pflicht zu frenügen.
Wir liabiii noch Folgendes zu erwägen; Die Leetüre beschäftigt
die Seele vorwiegend in der Richtung, welche die Psychologie als
Phantasiethätigkeit bezeichnet. Das ist ein freies Spiel mit Bildeni.
Sind diese Bilder klar, rein, auf rechte Anschauung ge<rründet, so
wird die Phantasictliätigkeit auf reclite Bahnen gelenkt, sie wird ti<'f
und wahr. Sind die Bilder verworren, unklar, phantastis(di d. h. auf
leeren Einbildungen beruhend, so muss die «ranze Phantasiethätigkeit
mindestens eine fals<he Kichtung erhalten, sie muss Phantasterei
werden. Nehmen wir den besten Fall an, dass das Mädchen vor
unreiner Lectüre bewahrt bleibt, und dass ihm nur wirklich gute
Unterhaltungslectüre geboten werde, so kann es bei flüchtiger Viel-
leserei doch nui' unklare, verworrene Bilder, unklare Ideen, schiefe
Frtheile in sich aufiiehmen. Wird das Mädchen älter, so beginnt es
mit diesen phantastischen Bildern selbständig zu spielen und baut sich
. eine Traumwelt auf, die der Wirklichkeit in keiner Weise entspricht
£s wird, wie die tägliche Erfahrung nur zu oft zeigt» überspannt.
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Die Gefahr ist Danientlich für das \vfil)liclie Gesrhleclit so sehr gross,
weil dasselbe vcrmtige seiner Org-aiiisation zu solcher Phantasiethätig-
keit viel mehr neigt als das niännliclie.*) Die lii'spreeliung der
schlechten Jugendschriften hat znr Genüge bewiesen, wie gross diese
Ge£Ekhr gerade für die begabteren Mädchen ist.
Wer von irg^d einer Leetüre mehr als den ganz flüchtigen Ge-
wiss da\T»ntragen "will, muss im Stande sein, den Inhalt des Grelesenen
in den Hauptzügen zu wiederholen. AA'ir sollen daher bei unseren
Kindern soviel wie möglich darauf Ii alten, dass sie uns den Inhalt
des Lesebuchs, welches sie so eben beendet haben, frei erzählen.
Der vielbeschäftigte Vater wird dazu selten Zeit haben; aber die
ICntter kann es thun. Damit sie den Inhalt selbst kennen lernen,
empfiehlt sich's, die Mädchen anzuhalten, das Buch laut and mit
guter Betonung vorzulesen. Dadurch "wird schon wesentlich
flfieiitiges Lesen verhindert, und eine rechte Mutter erhält zugleich
Gelegenheit^ manch ein verständiges Wort einzulegen und das Gemüth
ihres Kindes in der rechten Weise zu bilden.
So weit meine Erfahrungen reichen, hat man. bisher gerade bei
der Erziehung des weiblichen Gesdilechts viel zu wenig Gewicht
darauf gelegt, das Lesen als Genuss von dem Lesen als Arbeit zu
trennen und die flüchtige Vielleserei in ganz gefilhrlicher Weise be-
gOnstigt Die reich ausgestatteten Schülerinnen-Bibliotheken haben das
Übel nur zu sehr fördern helfen. Freilich soll jedes Kind nur wöchent-
lich ein Lesebuch erhalten und im Laufe der Woche kein zweites
Buch lesen. Wer kann aber verhindern, dass die auf Leetüre erpichte
Mädchen dies Gtebot übertareten? Wer vermag, wenn Bitten und War-
nungen nichts helfen, die Kinder zu Hause zu controliren? Die Ver-
lockung ist gar zu gross; das Sündigen gar zu angenehm! Wo finden
wir in den gebildeten- und besser situirten Ständen Mütter, die geneigt
sind, in stfller häuslicher Weise zu leben und ihre Töchter sorgsam
zu erziehen? Mindestens drei Abende in der Woche muss man doch
*) Kant tagt m seiner Anthropologie: ..Weil bei dioatr LeMKi die Absicht nur
ist, sich für den Augenblick zu nntcrbalten. indem man weiss, dasa es blosse Er-
dichtungt'n sind, die Leserin also hier volle Freiheit Imt, im Lesen nach dem Laute
ihrer Einbüdung.skraft zu dichten, welches niitürlicher\vci.sc zerstreut und die Geistes-
abwesenheit (Mangel an Aufmerksamkeit auf das Gegenwärtige) habituell macht:
8o mufls das GedftchtiuB dadurch uoTenneidUch geschwächt werden. Diese Übung
hl* der Kunst, die Zelt su todten und sich Ar die Wdt unnäts m machen« hinter*
her aber über die Kflrze des Lebens zu klagen, ist abgesehen von der phantastischen
(rem ii t h>8timmung, wekhe sie hervorbringt, einer der feindseligsten Angriffe auf das
Gedächtnis."
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GeseUschaften, Concerten^ dem Theater, den Bftllen "widiDea nnd da-
neben gibt es noch so reizende VorbereLtungen zu liebhaberthealm,
Verlosungen zu -wolthfltigem Zweck nnd ähnliche Zerstrennngen.
Mnss man zn Hanse bleiben, so liegt der vergangene Tag in den
Gefiedern; man f&hlt sidi abgespannt nnd ist froh, durch ein wenig
leichte Handarbeit oder Lesen die überreizten Nerven bemhigen zu
können. Ach da sind die Fragen, die Bitten, die raschen Bewegungen
der munteren Kinder gar sor listig! Wie bequem, sie an ein httbsches
Lesebuch zu verweisen, mit dem sie sich stundenlang still be-
schäftigen.
Das Lesen als Arbeit können wir durch die Schulerziehung zwar
anbahnen, aber immerhin nicht so weit fördern, dass man sicher sein
könnte, ein guter Theil der Mädchen werde später selbständig diesen
Weg- weiter verfolgen. Ich gebe den Mädclien meiner Oberclasse zum
Excerpiren die nüthige Anleitung" und controlire die Excerptenhefte;
aber ich weiss nur zu genau, dass diese ernste, die reclite l^ilduiig so
selii' fiii'dernde Arbeit nach dem Austritt aus der Schule nur sehr
selten fortgesetzt wird. ^lan vergesse nielit, dass die 3Iädchen täglich
mindestens 2' Stunden auf Anfei-tigung <ler Scliularbeiten zu ver-
wenden haben. ^Fau daif also tür das Excerpiren wiiclientlich nur
eine ganz beschränkte Zeit lordern, um die Kinder nicht zu über-
bürden.
Nach dem Austritt aus der Schule beginnt gerade für die Mädchen
gutsituirter Kitern der g«duldeten Stünde eine Art von beschäftigtem
Müssiggang. Vielleicht tühlen einige noch die Neigung, sich um
die Wirtschaft zu bekümmern. Pa sie aber von der ^Futter, welche
diese Sorge der tüchtigen Köchin oder Wirtschafterin überlässt, nicht
im mindesten dazu angeleitet werden: so begnügen sie sich damit,
ein Tändelscliürzcluii vorzubinden, zuweilen in Küche und Speise-
kammer zu laufen und nach Behagen kleine angenehme Verrichtungen
auszuführen, oder der Köchin zuzusehen, wie sie den bereits fertigen
Kuchen aus dem Ofen zieht. Wird diese Beschäftigung allmählich
langweilig, so fallen sie auf die Kunst. Da wird ein wenig gemalt,
ein wenig Ciavier gespielt, ein wenig gesungen und im Sommer recht
viel — flanirt. Im \\'iuter denkt man wol mck an's Arbeiten.
Bann wenden hübsche Stickereien gemacht und man nimmt theil an
„reizenden, amüsanten^* t'bungen in englischer und französischer
Conversation und au reizenden Lesekränzcheu. An ernste sittliche
Arbeit denkt niemand. Da k<>inmt denn die Komanlectiire wie
gerufen, um die Abende auszufüllen, die man nicht Vergnfigungen und
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jener tfindelndeQ Beschäftigung widmen kann. Wenn die Unter-
ludtnngen am TheeÜsch in feineren Cirkeln auf Werke, wie Schleiden:
Die PHaaze und ihr Leben, oder hewis aber Goethe, PalleäKe aber
SehiUer hinweisen, so liest man wol anch solche Schriften; aber
70B Lesen mit der Feder in der Hand ist nirgends die Bede.
So bdudten die Mädchen davon gerade nur soviel, um sagen zu kOnnen,
dass sie das Werk kennen nnd dasselbe „reizend, entzttckend" finden.
Da thnt man sidi wol auch zu „wissenschaftliclien Lesezirketat^ (!)
zasammen, in denen ernste wissenschaftliche Werke vorgelesen
werden. In Danzig rOhmte mir eine Lehrerin sehr den Girkel, an dem
sie tbeflnahm und erzählte, sie haben im vergangenen Winter in dem*
selben Kaglers Ennstgeschichte gelesenl Das war eine Lehrerin.
Solch ein Treiben ftthrtr natnrgemäss zum BlanslnimpfeB-
thm. Besnlagte, mit reger Phantasie begabte Mädchen fangen an
zn dichten, Novellen und schliesslich Romane zu schreiben. Ist es
gelungen, eine solche Novelle oder ein ])aar Verse drucken zu lassen;
hat das Mädchen erst einmal die 8üssigkeit gekostet, „sieh gedi*uekt
zu sehen", so ist der Blaustrumpf fertig. Ernstes, tüclitiges Studium
krmute sie noch retten; da ilir al)er (hts 'I'ändehi mit der Arbeit bt-reits
zur zweiten Natur geworden ist: so wird es ilir unmöglich, den t*iu-
gescblagenen tliöric-liten Weg zu verlassen. Ist mittlf^rwt'ik' die fröli-
liche Jugendzeit vergangen; ist die Hoffnung aut eine gut»' Heirat
ETeschwunden, so gewährt es eiiu'u walireu Uenuss, sicli in diese
{•hantastiselie Traumwelt zu stiirziii. Dass dies Scliriftstellern keine
Arbeit ist, dass es ^vie jede elende Pfuscherei den Mensclien entelirt,
fallt niemand ein. Gibt es doch derer genug, die solch eine Be-
schäftigung, weil sie Geld einbringt, sogar verth(Mdigen wollen.
Zum Schlüsse noch ein Wort darüber, in welchem Masse man
dem jungen Mädchen den Genuss an Werken echter Dicht-
kunst zu gewähren habe. Ich sagte oben, sie werden erhabene
Dichterwerke, falls man ilinen dieselben zur Leetüre gibt» von selbst
bei Seite legen. Wenn einzelne meiner Herren Collegen behaupten,
Schülerinnen lesen mit Genuss eine „Iphigenie," einen „Ta.sso^' .uier
die Dramen nnsers Schiller, so muss ich unwillkürlich lächeln. Ich
habe alle diese Werke als junger Mensch von drca 20 Jahren gelesen
und mich dabei herzlich gelangweilt Erst yiel später, nachdem
ich der Dichtkunst Jahre lang ein eingehendes Studium gewidmet
hatte, wurde mir die Schönheit erschlossen. Wie soll ich annehmen
dfirfien, dass irgendwo in der Welt 16Jährige Backfische dies Schöne
mit Genuss lesen! Der Irrthum liegt auf der Hand. Aber es gibt in
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der Kunst Werke, die man wol anr Unterhaltungslectüre zu rechnen
pflegt. Dies sind Romane. Novellen und erzählende Gedichte,
wie „Otto der Schtttz*' von Kinkel, „Der wilde Jäger** von J. Wolff.
Manche Pädagogen wollen Romane und Novellen ans der Leetüre
junger MSdchen ganz streichen. Ich bin anderer Ansieht In Bezog
auf Novellen stimme ich bei Denn die echte Novelle behandelt in
geistvoller nnd pikanter Weise die LOsong eines psychologischen
Bäthsels nnd ergeht sich in erster Linie Aber Herzensverirrangen im
G^ebiete der geschlechtlichen Liebe. Das ist nur LectOre für reifere
Menschen. Ich war ganz entsetzt, als ich hören mnsste, dass zwei
meiner Schfilerinnent Mädchen im Alter von 15 — 16 Jahren, von ihrer
Mntter die Novellen von Paul Heyae zum Lesen erhalten hatten. Ich
verehre Panl Heyse nnd halte ihn f&r den Novellendichter par excellence;
aber unreifen Backfischen dürfen seine Schöpfungen nicht in die Hand .
gegeben werden. Jetzt sind die Mädchen 18 resp. 19 Jahre alt nnd
man erzählte mir neulich, dass beide Novellen strampfen.
In Bezug auf Romane kann ich jenen Ansichten nicht beipflichten.
Selbstverständlich denke ich nur an echte Dichterwerke. Unter
diesen gibt's ja viele, die sich nicht zur Juf^endlectüre eiirnen; aber
einzelne dürften vorziiglicli dazu ])assen, echte Mensclicnkenntnis und
Selbstcikeiintuis zu tordern, die Seele mit guten Gedanken und Ideen
zu bereichern und ihr einen idealen Schwung zu geben. Konuine wie
die von W. Scott, Dickens, W. Alexis, einzelne Dorfgeschichten von
Auerbach, mehrere ^^ erke von G. Freytag, Vater und Tochter'' von
Friederike Bremer u. a. m. darf man der Jugend ruhig in die Hand
geben. Man soige nur dafür, dass massvoll gelesen weide, verhüte
das gedankenlose, flüchtige Durchjafren und halte die ^lädchen an, den
Roman Vater oder ^Mutter v(nzulesen. Hat sie einzelne Stellen allein
irenossen, so werde sie genöthigt den Inhalt des Gelesenen kurz vor-
zutragen. \\'interabende, an denen die Tochter solche Romane oder
erzählende Gedichte den Poltern vorliest, können für die Familie zu
wahren Weihestunden werden.
Ich will schliessen. Wenngleich viele meiner Herren Collegen
mir nicht überall beistimmen werden, so bin ich doch überzeugt, dass
sie die Schüdemng der walirlialt trostlosen Erziehung der Mädchen
in den besser situirten gebildeten Familien für richtig erklären. Da
die Erziehung durch die höhei*en Töchterschulen fast das einzige
Mittel ist» durch das eine Verbesserung jener Zustände angebahnt
werden kann: so wird man mir wenigstens darin recht geben, dass
wir in unseren Schulen die Mädchen besonders sorgfiUtig zu ernster
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sittliclier Arbeit zn erziehen und namentlich die überall hervor-
tretende Neigung zu tändelnder Beschäftigunjß: als den geiähr^
üchsten Feind des weiblichen Geschlechts zu bekämpfen haben. Darum
mOge endlich der Grundsatz Geltung finden: Bei Behandlang der
Jagendlectüre hat die höhere Mftdehenschnle Jede Viel-
leserei überhaupt nnd • namentlich die Gennss bringende
sorgfftltig zn bekämpfen und dagegen aus allen Krftften das
Lesen „mit der Feder in der Hand,** das Lesen als ArMt m
^firdera.
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Unsere Bauernwelt und die Stndien über Sprache oud Wesen
des Volks.
Von WUUbaid Nagl- Wien.
I.
Die geistigen und sittlichen Zustände unserer Bauernwelt.
ist unlängst in dieser Zeitschrift die Frage aufgeworfen nnd
behandelt worden, ob alle Menschen gleich bildungsfähig seien.
Wenn man diese Frage auf jedes einsetaie Individnnm bezieht, so be-
darf es zu ihrer Bejahung gewichtigerer Gründe, als bis jetzt vorge-
bracht werden konnten; man wird sich möglichst lange gegen die Au-
nalime sträuben, dass z. B. das Kind eines chiuesischen Parkträgers,
welclieiii schon jii stnuein Baue und in seiner kürperliclien Anlaj^e die
Folgen vielliuudertjähriger Verkonimnis anhängen, scliliesslich ganz
auf dieselbe Stufe der Intelligenz, der körperlichen und geistigen
VoUkonnnenlieit gebracht werden könne wie ein gesundes europäisches
Kind, das von der Natur selber besser ausgerüstet ist und bei welchem
eine gleich grosse erzieherische Sorgfalt und Mühe gewiss ungleich
grossere Fortschritte erzielen wird!
Bezielit man aber die Frage nach der gleichen Bildungsfähigkeit
der Mensclien auf das Geschlecht als die genetische Aufeinander-
folge einzelner Individuen, --- dann, L-laube ich, kann die; Bejahung
nichts Bedenkliches haben, wenn man überhaupt an die ^lögliclikeit
eines stetigen Fortschrittes glaubt. Jener Grad der Bildung — Bil-
dung in allgemeiner, echter und wahrer Auffassung — , den der Vater
eiTungen, der ihn durchdringt und leitet durch sein ganzes Leben,
der schliesslich auch auf sein körperliches Gedeilien den grössten Ein-
fluss übt und somit sein ganzes Wesen modificiit und bedingt: dieser
Bildungsgrad wird sich, soweit er aucli im kr)rperlichen Wesen des
Vaters fix geworden ist, nothwendig auf den Erzengten, den Sohn,
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vererb^^n. Und was im Vater versäumt wurde, das kann im Sohne
und im Enkel nachgeholt werden, — und selbst wenn dieses Nach-
holen bei einer Kasse langsamer ginge als bei einer andeni, so kann
dieser Unterschied nur in äusserlichen Bedingungen (Klima, Standes-
verhältnissen etc.) liegen; man darf ja annehmen, daas, nachdem die
ealtarell nachhinkende Baase jenen Bildungsgrad erstiegen, auf welchem
die Tiirgesclizittenere in nachweisbarer Zeit einmal gestanden hatte,
die erstere nun in gleichem Masse weiter gedeihen müsste, wie
jener höher gebildete Menschenschlag Ten dem betreffenden Zeit|>unkte .
an gediehen ist, yoransgesetzt, dass die sorftckgebliebene Rasse jetzt
auch in die nftnlichen äusseren VetWtnisBe yersetet wflrde, in velchmi
die Torgeschrittenere damals gestanden. Freilich ist eben der Wechsel
der YerhAltnisse nicht so leicht mOglich, nnd gerade diese yemr-
tlMÜen <Hft einen Stand oder eine Nation thatsftchlich za eineni ge-
ringeren Mdnngsgrade, ohne dass darob anch schon die gleiche Bil-
dongsf&higkeit aller mensdilldien Geschlechter in Frage gestellt
werden dfirfte.
Biese gleiche Bildungsfähigkeit aller Henschai dient uns nicht
nur zur Anfinnntemng, sondern sie legt uns sogar die Pflicht au(
fiberaU dort» wo wir unsere Mitmenschen unter dem Drucke der Un-
wissenheit, des Aberglaubens, des sittlichen nnd — was damit meist
verbunden ist — des physischen Elendes schmachten sehen, zu helfen,
so viel an uns liegt Und weit brauchen wir da gar nicht zu
greifen.
Man hat in den letzten Monaten viel über die deutsch-österreichi-
schen Bauern ge-spidchen. Ks wurde vom politischen Standpunkte
aus in den Blättern erörtert, woher denn eigentlich die jiiugste Bauern-
beweorunßr ihren Ursprunt^ nehme, warum es s(i wenig bäurische Ab-
genrdnete träbe, warum die Bauern in ihren Versamndun;»:en eine solche
Antipathie gegen die intelligenten Stände — Advocaten. Geistliche,
Aristokraten — bekundet hätten u. s. w. Wir können hier auf das
politische nicht eingehen, sondern nehmen nur von den oöenkundigen
Thatsachen Aulass, um vom volkspädagogischeu Standpunkte
aus einen tieferen Blick in die geistigen und sittlichen Zu-
stände unserer Hauernwelt zu werfen und so die innersten Be-
weggründe ihres Thuns und Treibens zu erkeniu-n und zugleich die
wunden Stellen zu linden, an denen dieselbe zu allernächst der hilie-
bringenden Hand des geistigen Arztes bedarf.
Als der Verfasser dieser Zeilen im Juni des Jalires 1880 über
die beUagenswerte Kluft zwischen der Intelligenz und dem Volk,
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Ix'souders dem Landvolk, schrieb*), waren die l'l)elstände, auf welelie
er aufmerksam machte, nocli unter dem Niveau des (»rt'entliclien Lebens
verborfjen. Ks nalim ilin Wunder, dass noch niemand diesen gefähr-
lichen Spalt in der (Gesellschaft betont hatte, den man doch täglicli
wahrzunehmen Gele^enlieit hat.**) Aber man hält sich eben viel zu
fern vom Volke, um dessen Zustände wahrnehmen zu können, oder man
hat sich schon zu sehr daran gewöhnt, das gemeine Volk in diesem
yernaclüässigten Zustande zu sehen, um noch emstlich glauben zu
■ könneo, es gebühre ihm naturgemäss etwas Besseres» und um zu furch-
ten, dass anf eine solche Vernachlässigung- eine gewaltsame Gegen-
wirkung von unten herauf erfolgen könne. Mau scheint veroressen zu
haben, dass die Menschennatur, gleichgiltig ob sie als Fürst oder Bauer
nach aussen sich concretisirt, ihre gewissen unveräusserlichen Bechte
besitzt, welche sie schliesslich sich zu erkämpfen genfithigt ist, wenn
sie ihr nicht freiwillig zugestanden werden.
•Werfen wir einen ganz kurzen Rückblick auf die geistige und
sittliche Entwickdirog derBanem^elt — Im Natnizostande dier Völker
gibt es keinen eigentlichen Unterschied der Stände, und auch nicht der
Bildung. Die Naturmenschen sind gleich empAnglich fttr neue Ein-
drücke, gleich lernbegierig, munter und ffihig, — gleidi unwissend
auch, aber deswegen nicht dumm. Nun werden die ersten Elemente
der Cultur in das Volk gepflanzt: anfangs sind es nur einzelne Fertig-
keiten und Kenntnisse, die erlernt werden, und nur emzehie Personal,
die sie erlernen. Diese Junge Cultur ist noch ganz Nutzen, ganz
Wolthat, ein Ausarten derselben nach irgend einer schädlichen Bich-
tnng hin noch nicht abzusehen. Man denke an die ersten, vereinzel-
ten christlichen Glaubensboten, wdche die ganze Kraft ihres heroischen
*) Der Anüntts enehieii im IIL Jahigaog des „Piedagogiiim**, 8. n. 8. Heft
**) Inde« föUt mir soeben eine Stelle auf in einem Briefe, welchen Graf Zin-
zendorf, Präsident des Reichsrechnungshofe» unter Josef IL, am 26. April 1784,
also vor faxt Iiundcrt Jahren, an Pestalfizzi schnob: ..Die Lasten nnd Bedürfnisse
der niederen Cla.ssen der Menschheit den lniheren Classen bekannt zu machen. Ist
ein heilsamem Verfahren und es wird ein unleugbarer Beweis der verbesserteu allge-
memen Eniehong seyif, wenn in kflnftigen Mensdien-Altem die TeiaehietaMD hOherai
und ndtttott Glaaien der Henaehen mit der dasse des Landmannt hi dner innigen
Veriundung stehen werden. Gegenwärtig haben die ersteren die letzteren
so sehr von sich entfernt und isolirt, dass man darüber beynahe ganz
vergessen, welcher ('lasse der Einwohner alle übriire ihren T^ntorhalt
zu danken haben.' (IVdaf?. 3. Jahrg. S. 47fi.'i Und doch war gerade Zinzendorf
dem Kaiger Josef in Bezng auf das Landvolk noch zu wenig liberal!
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Geistes srlbstthätig dem Volke widmeten, ohne jeden ej^oistisclien Vor-
l>ehalt; nicht Herrschsucht, nielit Ivuhmgier, niclit Streben nacli kirch-
licher Auszeichnun«^ fand Hauni in ihrer Seele. Man denke an die
ersten Familien- und Stamraeshäupter, welche, gleich unter Gleichen,
blos durch grössere Weisheit und Umsicht vor ihrer Umgebung aus-
geiseichnet, nur dann und nur dort als Höhere, als Befelilgeber er-
schienen, wo die Ordnung nach Innen, die Sicherheit nach Aussen es
erforderte; grösseren Eeichthum, ein bequemeres, schöneres Leben auf
Kosten der ihnen Anvertrauten hatten und suchten sie nicht. — Die
Cnltur kann aber auf diesem patriarchalischen Standpunkte nicht stehen
bleiben. Sie wächst und nimmt immer auffälligere Formen an: es ent-
wickeln sich Unterschiede der Stände, es lösen sich bald einzelne
G]i8seD TOD der Gesammtheit ab und ^scheinen als die eigentlichen
und — oft auch einzigen Träger der erhöhten Cultur, und die
kirdiliche wie die politische Gewalt ruht in ihren Händen. Und nun
ist es TOB entscheidender 'Wichtigkeit, ob diese herrschenden Stände
das Bewosstsdn eoner einheitlichen Gesammtgesellschaft der Mensehen
aufrecht erhalten und die ans diesem Bewnsstsein resultirenden Pflich-
ten gegen den gemeinen Arbeiter* ond NShrstand erfttllen, oder ob
sie sich als Sdbstzweck, die Untergebenen sIs Mittel zu demselben
betrachten, die Bildung für sieh allein behalten und so das gemeine
Volk degeneriren und ihm nur die Schattenseiten der Cnltur empfin-
den laasen. Leider ist die Versuchung zum Bosen nur zu stark, und
die Geschichte lehrt uns, dass die bevorzugten Stände durch unzufrie-
dene Begnügen des Volkes an ihre Pflichten gegen dieses immer wie-
der gemahnt werden mussten. Freilich war die Antwort auf solche
Mahnungen nicht selten eine noch grössere Bedrückung.
Sehen wir uns emmal den Bauemstand in seiner Vergewaltigung
durch die SchlossheiTen, wie sie eben auch die deutsche Geschidite
aufweist, näher an. Der Bauer ist ohne Geldmittel, er kann sich kehie
Schule baufiD, kein Buch kaufen, — man würde ihm auch nidit ein
Jedes unter den Händen lassen. Der Schlossherr verfügt über das
nöthige Geld, denn er bezieht den Zehnten von der ganzen Gegend,
gearbeitet wird ihm auf seinen Grundstücken von den Bauern um-
sonst, aber er denkt nur an seine ehrgeizigen Pläne, an seinen Ge-
nuss oder an Vergrössenmg seines Hasitzes. In den Bauern den Sinn
für Kenntnisse, für (his Schöne und Gute zu heben, fällt ihm nicht ein:
nur Angst und Respect vor ihm sollen sie haben. So lebt denn eine
arme Menschenclasse unter dem 1 )rucke kaum zu bezwin<,'ender physi-
scher Arbeit, ohne Gefühl für das Kdle und Schöne, olme belebende
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reiue Freude ein düsteres Dasein dahin. Ihre einzige Stütze ist die
Religion, aber aucli sie ist zersetzt von wüstem Aberglauben, von falsch-
asketischer Selbstpeinignngssiicht, wie sie auch im heutigen religiösen
Geliilil des Baueni noch fortlebt, — und kein menschenfreundlicher
Priester versteht es, auf alle diese tristen Schwächen einzugehen und
sie durch Worte sonniger, klärender Wahrheit zu beheben. Nur mit
Widerwillen liest man geistliche Reden aus den Zeiten der clerical-
feudalen Weltherrscliaft, wie die Predigtliterat iir des 16., 17. und noch"
des 18. Jahrhunderts dergleichen aufweist. Ein übertriebener Wunder-
und ein grässlicher Aberglaube, ein fortwährendes Eintrichtern des
Oehoi*sams gegen geistliche und weltliche Obere, ein beständiges Lob
der Selbsti)einigung, das sind, neben einer ganz oberflächlichen, das
Denken gar nicht anregenden Moral, die Factoren. aus denen sich
solche Predigten zugamroensetzen; von der Bohheit der Darstellung
ganz zu geschweigen. Und das war die geistige Nahrung, welche
man Jahrhunderte hindurch dem Bauernstande reichte! —
Die rohe Ausgelassenheit, in der die gedrückte Landbevölkerung
hei Spielen, T&ozen etc. ihrem Freiheitstriebe in bischer Weise Luft
machte, spannte mehr ab, als sie erquidite.
Wo der Oeist so unTerontworilich bevormundet und alle seine
freieren, edleren Regungen erstickt werden, dort geht von selber der
materielle Wolstand aufs ftusserste Minimum zur&ck. Ist die Rührig-
keit des Geistes, die Freude am Versuchen, die Unternehmungslust
und Umsicht dem Menschen benommen, so ist er noch viel äimer, als
er es gemäss seinem Besitz zu sdn brauchte. Er greift zum Mflhe-
losesten, also zum Schlechtesten. Die Spdsen werden ohne alle Kunst
bereitet, so dass sie der körperlichen Entwickelung unmöglich zuträg-
lich sein können; Unordnung in der Wohnung, Unreinlichkeit und ent-
stellende Hässlichkdt der Eileidung, Vernachlässigung aller äusserlichen
Selbstcultnr gehen mit der Gteistesarmuth Hand in Hand, und alle
diese materiellen Übelstände wirken wieder tOdtend auf das ohnehin
damiederliegende Geistesleben zurück. So weit ist es gekommen, dass
jedes Aufraffen aus dieser eklen Versnnkenheit als ein unerlaubtes,
vorwitziges und eitles Hinaustrachten über das dem Bauemstande
Gebührende interpretirt wiid, und dass sich der Bauer schliesslich ge-
wühnl. Jedes Verlangen und jede Kegung zum Schöneren und Besseren
als frevelhalt zu unterdrücken — auch einAusÜuss der unverstandenen
asketischen „Selbstbezähmung". In den Kindern und jungen Leuten
überhau]»t wird die Mensclifimatiir noch zuerst gegen eine solche Miss-
handlung laut; aber in ihnen wird sie durch die Grausamkeit der iin
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Elend verkommenen Alten niedeiL'^elialten. Für <l«*n Baiu'r ist die
Gruiflanikeit j^egen die freien nnd natürlichen Kef^nniren der .lu^'-end
charakteristisch; daher die Verheimlichungssucht und Muckerei bei der
letzteren. — Mit Kecht sagt Donai: „Wir gehen so weit, zu bt^haupten,
dass die Dummheit, ^'• Stumpfsinnigkeit und Geistesträgheit küngt-
lirh durcli . die menschliche Gesellscliaft ei-zengt sind. Diese Eigen-
schaften kommen unter den. Wilden und NatnnnenscIieTi kaum vor.
Gfsnnder Menschenverstand, Lembegierde, Aufmerksamkeit und Denk-
trieb sind bei diesen unverkfinstelten Leuten selbstverstfindlich und
allgemeiB. Wir haben daf&r schon das Zeugnis George Forster'St
Seume's, Humboldt's und anderer Gewährsmänner. TJnter den „von der
Cnltur noch unbelecktoi** Völkern, -wie z. B. bei den Bussen, Letten,
Esthen, Finnen, gibt es. keine eigentlichen Dummköpfe, wie unter
den deutschen, französischen und anderen Bauern hoch-
cnltivirter Rationen. Die Dummheit bei diesen ist durch die Be-
vormondung geschaffien, welche weltliches und geistliches Beamtenthum
aber das Landvolk zu yerhängen pflegen, ist der Grewöhnung der
Eltern geschuldet, oder der Ungunst der Lebenslage, welche eine
erweckende Beschäftigung der Eltern mit den Kindern unmöglich
machen.***)
Dieser Zustand dei' Banemwelt entwickelte sich ungestört fort
bis in die Mitte unsers Jahrhunderts. Zwar hat Kaiser Josef IL
eine Zeit lang Gegenanstrengungen gemacht, aber auf seine Reformen
folgte eine rücksichtslose Reaction, nnd bei der Schilderung, welche
ich von dem bäu<Tlichen licben oben entwarf, schwebten mir diu'ch-
Wfirs noch lebende oder erst jüngst verstorbene Pei-s<>nlichkeiten aus
meinem Fleiniatsorte vor, also Leute, die in unsenu .) ah i hundert
;/ebort'n und verzogen worden sind, - ein Beweis, dass obige Klagen
auch in diesem noch ihre berechtiirte Anwendung tinden.
Da kam auf einmal . haui)tsächlich durch die J^eniühinigen des
Biirgertliuuis, das Jahr des Heils lH-48, und einige .laluv danach
die Constitution. Die Grundliei rschaften hörten auf, der Hauer
^iirde unmittelbarer Unterthan des Kaisers, erhielt das volle, freie
StaatsbürgeiTeclit. Er darf sich nun wie jeder andere Staatsbürger
im Reichsrathe um seinen 'i'heil wehren. Zahlreiche Schulen wurden
allenthalben, auch auf dem Laude, gebaut, neue Sclmlgesetze wurden
gegeben, — kurz alles wurde gethan, um den Bauer mit den übrigen
Ständen auf gleiche 8tnfe zu stellen. Eine mächtige, freisinnige Partei
*) m. Jahigmig des ,^aediigoginni*S 4. Heft (S. 211).
FlBJftR«;iDm. 4. Mag. tieft I. 4
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— 50 —
war ans Staatsnider gelangt und sdiien alle Wunden auf einmal
heilen zu wollen, welche die „Intelligenz" seit lauger langer Zeit dem
Landvolke gesclilagen.
Aber so wolgemeint diese neuen Kinriclitungen für die Bauern
auch waren, sie wurden von letzteren doch blutwenig verstanden, und
der aus der neuen Ordnung erwachsende Nutzen ist auf dtMii Lande
kaum wahrnehml)ar. Durch die vielhundertjährige Bevormundung ist
dem Bauer das Verständnis für den Staat abhanden gekommen; ^er
bleibt in seiner Abgeschiedenheit gleichgiltig gegen die Interessen der
Gesammtheit, und es fehlt ihm das Gefühl der Zusammengt lKirigkeit
mit der übrigen Menschengesellschaft/'*» Wie sollte ihm da die Con-
stitution nützlich werden? Alle Stände treten für ihre Sache ein. nur
der Bauer bleibt zurück — za seinem grössten Schaden. An den
Wahlen betheiligt er sich kaum; und wen wählen diejengen Banem,
welche doch an die Urne herantreten? Irgend einen Advocaten, der
ihnen den schönsten Sermon vorgesprochen hat, und der die Banem-
weit sammt ihren Bedürfhissen vidieicbt gar nicht kennte der sich
anch ausser aUer Ck>ntrole fthlt, weil die Banem seine Haltung im
Ahgeordnetadianse gar nicht erfhhren oder verstehen. Woher solloi
sie das auch? Die Zeitungen können sie nicht lesen, so tief hat
das Hochdeutsche in ihnen nicht Wurzel gescfikgen: zudem wftren sie
nicht im Stande, von dem Parteistandpnnkte der ihnen gerade in die
Hände ildlenden Zeitung sich unahhängig zn erhalten. Öfters wird
nun freilich ein wirklicher nnd leibhaftiger Baner in den Beichsrath
gewählt: aber der kann allein nicht gegen den Strom schwimmen; es
fehlt ihm die Macht der Rede, — er kann ja im Parlamente gar
nicht sprechen, wenn er auch wollte, er würde sich nur lächer-
lich machen, überzeugen würde er niemand. Und überdies werden
diese bänerlichen Abgeordneten bei ihrer gntmüthigen Schwäche nnd
Nachgiebigkeit, bei ihrer geringen Einsicht in die politischen Verhält-
nisse des Reiches bald von guten Kameraden, meist den (Mericalen,
iiniorestimmt, werden Schleppträger ihrer natürliclien Gegner. Und
nun werden wir es auch begreifen, warum gerade im Parlamente vor
Kurzem eine der ersten wissenschaftlichen Grössen unseres Vaterlandes,
Professor Süss, in so bitteren, eindringlichen Worten die Zurück-
gebliehenheit unsers Alpenvolkes l)ejammert hat!
Wenden wii- unsern Blick vom Parlamente hinaus aufs Land,
und sehen wir einmal, welche Ansichten der Bauer in Folge seiner
*) Scblinkert, UL Jahigang des „Piedagogiam", 6. Heft (S. 3ä3).
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Unwissenheit und Kurzsichtigkeit über die Zeitverhältnisse hat. „Ja
ja," heisst es überall, „das ist unser Unglück, dass die Herren drinn
in der Stadt den Kaiser nimmer reo^ioren lassen; da sitzt eine Menge
Überflüssiger beisaamien und zehrt das Land auf." Damit wird also
dw Absolutismus zurückgewüBScht. Freilich, der chnstliclie Schloss*
herr hat für seine l'nterUuuien „gesorgt," er hat ihnen nicht das
letzte Hemd Tom Leibe gezogen, und zu denken haben. die Bauern
damals gar nidit gebraucht. Ältere Leute erzählen jetzt wahre Feen-
mftreben, wie gut es dazumal den Leuten ging, als sie sich „mit
Banknoten die Tabakpfeife anzünden konnten.***) Nur die Dienst-
boten wollen nidifB bOren Y<m diesen ngoten** alten Zeitoi, denn in
ihren Kreisen erzShlt man sich, dass Knechte und Mftgde damals nichts
als „geratene KnOdel^ und „MUchmehlsuppe" zu essoi bekamen, dabei
jedoch noch viel härter arbeiten mussten als heutzutage. Aber die
Missstimmung gegen die leitenden intelligenten Stände von
heute besteht, deren wohneinende Absichten werden nicht erkannt
und geachtet, weil dem Bauer nur formelle Hechte zuerkannt, ihm
aber die materielle Ausführung und Behauptung derselben reell nicht
möglich gemacht wurde. Diese intdligenten Stände regieren nun ohne
den Bauer, &c bekommt nur die Lasten zu fühlen, aber eine Aufklärung,
eine Einsicht in die verschiedenen Begierungsmassregeln bekommt er
nicht. Dass hierbei die alte Kluft zwischen Intelligenz und Volk
noch immer gähnender, das Misstranen des letzteren gegen die erstere
noch drohender wird, und der Bauer schliesslich mit Bewusstsein
jedem Einfluss der von der Intelligenz getragenen hoch-
deutschen Bildung widerstrebt, wird und kann wol niemand
Wunder nehmen.
Wie wenig die Schule unter solchen Verhältnissen wirken kann,
um die bestehenden Gegensätze auf dem Wege der Aufklänmg zu
beheben, leuchtet ein; erscheint ja dem Bauer die heutige Schule selber
schon als eine Last, welche ilim „die Herren drinn in Wien ' aufge-
bürdet haben. Und selb.st wenn die Scluüe an un<l für sich ein em-
pfänglicheres Tublicum im Bami uvolke fände, so ist sie den eben
entwickelten Übelständen gegenüber lahm, denn sie steht im Dienste
der heutigen hochdeutschen Bildung, welche unseriu V(dke nie und
niimner behagt. Der Bauer wii'd lesen lernen, aber was ihm die
„hochdeutsche Bildung" zum Lesen geben kann, winl er entweder
*) Indem dieselben TiiiiiiHrh durch den im Jahre 1811 und später ia den
dieissiger Jahren nochmals erfolgten „GeldsCuni" wertlos geworden waren!
4»
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nicht verstehen oder nicht mögen. Icli habe l^ereits im letzten Decem-
berhefte flieser Zeitschrift (8. 165 — 171) ausführlicher hierüber ge-
handelt» und glaube daher, hier einlach darauf verweisen zu dürfen.
Was hat man von Seiten der Intelligenz gethan, um speciell die-
ser Noth zu begegnen? Nichts. Man hat sich nicht bemfiht, zum
Volke herabzusteigen, es zuerst in desseb eigener Art lebendig und
rührig zu machen, um es allmftlig zu sich emporzuheben, — man hätte
ja dabei auch einigen hergebrachten Grülen entsagen müssen. Wa&
hat der Bauer gethan, um eine Besserung herbeizuiuhren? Natürlich
ebenfalls nichts. Dass er jedes edlen, geistigen Lebensgenusses»
wie sie der Städter am Theater, an Musikaufführungen, an der
Lectflre etc. findet, entbehren muss, darein hat er sich schon lange
gefügt; denn den „Kirchtag" mit seinen Baufhändeln, das „Gassein-
gehn'*, die langweilige Dorfschenke kann man ja doch nicht recht als
gütigen Ersatz für jene reineren und geläuterten Genüsse des Städters
hinnehmen. Woher sollte aber plötzlich der Bauer so viel Einsicht
und Energie nehmen, um von der gebOdeten Welt jene edleren, reineren
Labniigeu des Geistes zu fordern, deren realen Wert und Wichtig-
keit für das Gedeihen eines Volkes doch nur ein tiefer blickender
Verstand zu erlassen vermag? Und gibt es denn niclit aiu li unter den
hocligebildeten Herren, welche das arosse ^Vort in der Gesellsc liulL
tiiliren, nocli ^z(*nu<r solclie, dii' die N<»tli\vendi«?keit autfrisclicnder, er-
heiternder und anre;4en(lt'r Bililunjisniillt-l üir die Uauei-nscliafr nicht
beirreifen, — nadi deren Meinung der ßauer lediglich beten und ar-
beiten soll, wenn er auch nur betet wie ein Kalniük, und arbeitet
wie t'in Zni:tliier. Man nniss von Un^^(Mlnld verzelii't werden, wenn
man sieht, wie ein braver, wackt-ivi- M^-nscliensclilaL'". der aiicli in der
irriissten (Tcistesarinulli n<uh ]\tMlliclikpit und Elirliclikeit . Mässigung-
und Nüchtci iilieit, Achtung tiii- das Iliiiiere und Öinn fdi" sittliche Echt-
heit bewahrt liat, hilflos verküinniein soll.
Diese geistige Verödung und das an sie geknüpfte moralische
Elend hat der Bauer Jahrhunderte lang zu ertragen vermocht; sein
Verständnis für das Geistige ist eben zu wenig entwickelt, als dass
er demselben einen reellen Wert zuschreiben und sich ohne dasselbe
verkürzt und beeinträchtigt tUhlen könnte. Er sagt sich, dass nur
gewisse bevorzn<rt(i Personen und Stände fUr da^ Geistige und zwar
ausschliesslich berufen seien. Und wenn er auch manchmal eine
gewisse Sehnsucht danach fühlt, — die bäuerliche Asketik, von der
ich schon oben gesprochen, lässt ihm dieses Gefühl sofort als eitel,
unberechtigt und frevelhaft** erscheinen. Doch diese asketische Denk*
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art ist mir eine äusserliche, der Natur aufj[;:ez\mnf^ene und wird leider
durch fanatisch-unbesonnene Prediger, die fortwährend die heatig<d
•freiamiiige", n^i^i^^^f nttl>e™üthige" Welt verdammen und ihr gegen-
über die „EinfisJt*', ,,Demath^, „Verachtmig: der Welt mit ihrer Weis-
heit" anpreisen, fleissig genährt Der natürliche Sinn fibr das Wahre
imd 6nte lässt sich aber durch solch änsserlichen DenkzWang nicht
so weit ^^eg^, dass der Baner nicht wenigstens mit yerhohlenem
Neid auf jene Stände hinblicken sollte, deren ungehemmter Geistes»
schwang ihm von seihst imponirt, da derselbe in tausend concreten
Gestalte — Einrichtangen, Erfindungen etc. — der bäuerlichen Oeistes-
sdave^ gegenttbertritt und sie beschämt
Aber diese Znr&ckgebliebenheit, diese Verkürzung auf geistigem
Gebiete, schliesslich auch der unangenehm kitzelnde Vergleich des
eigenen Niedergauges mit dem Aufschwünge anderer, intelligenterer
Menschendassmi ist es nicht, was die Bauernschaft jüngst veran-
lasst hat, sich zur Wahrung ihrer Interessen aufenraifen. Der Bauer
bt-^lurfte noch einer concreteren Anregung: und diese wurde ihm nun
durch den erhöhten ^Steuerguhlen". Schon seit länjrerer Z<Mt hatte
das tieferen, nioralisclien Gründen »'ntstaniint;nde Misstraueu jregen
die gebildete Welt in den wachsenden Steuern — die ja von obenher
dictirt werden — einen zähen Anhalt sjjiuikt gefunden. Der Bauer
ni..-rsehät zt das (Teld, weil er es nicht zu erwerben versteht; wenn
er einen Gulden zahlt, so glaubt er (iott weiss was «geleistet zu haben.
Es ist vor;irek(nnnien. da.ss ein Hauei-ssohn ans meiner Heimat, der als
Dragoner in Italien krank darnied.Mla<r und um eine Unterst ützuntj:
l>ei .«seinem Vater, einem w(d])eL'"iitrjten Uauer. ansuchte, von diesem
mit eint in einziiren Guldenzettel hcdicnt wurde. Der Arme iiat müssen
buchstäblich vtMschmacliten und verderben. .Afan wird uut»'r stdclien
rraständen bef^reifen, dass eine Steuererhöhunir von 2.")",, auf die ■
Bauernschaft eine eranz ausserordentliche Wirkunp^ ausüben musste.
Erst diese melir als moralische Ohrfei<re hat es ihr ins Bewnsstsein
genif«*n. dass sie in einem freien Staate lebt, und rlass sie sich mit
gesetzlichen Mitteln selber Recht verschatfen dürfe. Nachdem aber
der Bauer durch diesen empfindlichen Handstreich einmal zur Action
aufgeschreckt worden, so treten sofort in seinem Gebahren
alle übrigen Ursachen zu Tage, welche schon seit L.niirem
nnd ignorirt von der Öffentlichkeit die Bauembewegung vorbereitet
hatten. Die Kluft zwischen Intelligenz und Landvolk, das
Misstraoen des letzteren gegen die erstere, spricht sich in der con-
sequent durch alle Bauemtage sich hindurchziehenden Erscheinung aus
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dass Advocaten, Geistliche, Aristpkraten prindpiell von der Yersamm-
lang ansgescblossen sind, dass nur Banem das Wort gegeben werden
soll etc. Es steht dabei freilich kaum zn erwarten, dass die Bauern
auf diese Art erkleckliche Besultate eraielen werden; sie selbei- haben
zu wenig Einaicht in unsere öffentlichen Verhältnisse und sind daher
ganz den wenigen Journalisten und gebildeten Parteigängern in die
Hand gegeben, welche den Banem die Nothwendigkeit ihi;ier Mitwir-
kung begreiflieh zu machen verstanden haben. Wei-den diese Dema-
gogen auf das Volk jenen heilsamen Einfluas ftben, dessen es bedarf,
oder werden sie dasselbe^ nach Art der Demagogen des Alterthnms,
nur als Stimmenmaschine yerwenden, ohne es sonst zu heben und zn
büden?
Es ist Widerspruchs genug in der Art, wie sich die Baumi da
hejfm sollen. Erst wird em „Bauern-" tag einberufen, es erscheinen
thatsächlich Tausende von Bauern, und nun wird ihnen von diesen
etlichen Demagogen ein Langes und Breites in weitschweifigen parla-
mentarischen Phrasen voller Fremdwörter und termini technid vor-
dedamirt, und der Bauer geht von solchen Reden dflmmer- hinw^,
als er gekommen. Die wiederholten Bnfe, welche z. B. auf dem am
Ostermontage dieses Jahres abgehaltenen Parteitage gehört wurden»
sind ek Beleg fbr unsere Behauptung: „Nur kurz**, riefen da die
Bauern, „nur kurz und laut!'' „Mir branchn koan lange Wurscht nitl"
„Nur grod aussa sogu!" etc. Die von den Bauern selbst gehaltenen
sehlichten Ansprachen treten gegen den blühenden Unsinn ihrer ge-
lehrten Mitredner zurttck, bei Abfassung von Resolutionen gibt lediglich
letzterer den Ausschlag, — und massgebenden Ortes weiss man dann
auch, was man solclien Resolutionen widerfahren lassen darf, da ja
eigentlich gar keine Bauern mit Überzeno-nnff hinter ilmen stehen.
Eraieleu aber di»' Hiiucni durch ilir lieiitig't's Aultreten keinen
Erfolg — wie sehr zu befürcliteu stellt — , dann M'erden sie ihre
Sache ganz aufgehen, sie werden lieber alles ertragen, selbst wenii
sie einzeln und nacli einander ihi-e Guter veräussern miissten, bevor
sie wieder eine neue, gemeinsame Bewegung insceniren. Nur der Er-
lolg kann den Trägen und Scheuen eimuthi'jen: wird aber der
Bauer in einem Kam]»l'e geschlagen, den er nach geduldigem,
Jahrhunderte langem Ertragen einer Beihe von Ungeiechtig-
keiten endlieh geL^-n ein neu auftauchendes, ihn am empfind-
lichsten treffendes L'bel unterni'inmen hat, — dann sinkt
er in die alte, ihm durdi her^fbiaclit e Bevormundung aner-
zogene Indolenz zurück, und es wird sich kein Anlass mehr
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f&r ihii ergeben, sich selber aus seiner Verkommenheit, sei-
ner geistigen Öde, seiner Armuth aufzuraffen. Welches Bild
geistiger, sittlicher und materieller Noth böte wol ein sol-
cher Bauernstand?
n.
Günstiger £influss der Dialect- und Volksstudieu auf die
Bauernwelt.
Im obigen, einleitenden Capitel haben vir die geistige und mate-
rielle Lage des Bauernyolkes — letztere insoweit sie auf die erstere
zurückwirkt — daiznstellen versucht. Wii* haben seine jOngsten An-
strengungen, seine schwachen Aussichten auf Erfolg, sowie die yer-
derUichen Folgen sdner yoraussichtlichen neuerlichen Niederlagen
angedeutet, — und fragen nun:
Von welcher Seite steht allein eine befriedigende Beilegung dieser
Übelstände zu erwarten? Und ich antworte: Von der Wissen-
schaft und der Bildung.
Aber diese Wissenschaft und Bildung mnss eine volksthümliche
sein. Ihre Orcrane müssen entschlossen handeln und ohne Zaudern
hinaustreten untei" das Volk, und ihm noch zur rechten Zeit den lang-
entbehrten Labetrank darreichen, den Labetrank der Erkenntnis, der
geistigen Freude und Erlie.bung', der Zärtlichkeit, des edlen, feinen
Witzes — imd was alles neben den notlnvendiffen \\'issensz\vei«fen
und Fertigkeiten zum Kej^riÖe eines wahren ^lenschen «gehört, was ihn
l»-l>fn(lig, riUiri^ und tauglich macht fürs Leben, für die Familie und
den Staat. Was fehlt doch dem P.aiier alles I l'lx'rall, wohin der
Kenner unsei-s heutigen \'olkslebens blickt, findet er die Gelegenheit,
ja die Pflicht, wenn er gewissenhaft sein will, zu ermahnen, zn be-
lehren, zu verbessern, auf Neuschöpfungen zu dringen. Der Verkehr
der etwas erwachseneren Kinder und der Eltern ohne Zartgctühl.
Mann und A\'eib blos der W irtschaft halber nebeneinander, Dienst-
boten unverantwortlich schlecht gehalten, die Ordnung und Jleinlich-
keit vergessen, der Zusammenhang mit der übrigen menschlichen Ge-
sellschaft abhanden gekommen, im Auftreten Scheu. Stumpfheit, oft
Blödheit, ein fürchterlicher herzbeklemmender Aberglaube, eine noch
nicht mit der einfachsten Idee des Christenthums vertraute Bigotterie,
kurz ein Zustand der Zerrüttung und Verwahrlosung aller edleren
menschlichen AnUigen, — das ist das Bild, welches einem in armen
GehirgsdOrfem oft entgegenstarrt!
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Es herrscht lango niclit überall diese näniliche Armseligkeit, es
jnbt auch bedeutende Unterschiede unter dvn liauern. Doch darf nur
ein Theil der genannten Dämonen sich irgendwo eingenistet haben,
so ist das Elend schon gross genug.
#
Diese Zustände soll der patriotische Gelehrte zum Gegenstande
seiner Studien machen, und er wird dann um ein Thema für eine
schriftlidie Arbeit nicht in Verlegenheit sein, wie so oft bisher. Nicht
der Volksschule allein, die mit ihrem yerhältnismässig geringen
geistigen Capitale solchen Zuständen rathlos und unvermögend gegen-
übersteht, soll man die Bekämpfung der letzteren fiberlassen.
Es niuss uns, iiiiiiitteii dieser traurigen Thatsaclien, zur (4eiiug-
tluiunir irereiclieii. dass man in unserer Zeit selmn Hand angeh\irt liat.
das Volk, seine Sitten, Zustände Sju-aclir ftr. gründlicher zu studiren.
Es wird sich aus diesen Studien vnn sellier das Bestreben ergeben,
den erkannten ( bt Utändt-n audi abzuhelfen.
Das Leben des Landvolkes kann eben von den verschiedensten
Seiten her aufgefasst werden; es bietet nach allen Seiten hin des In-
teressanten genug. Man verlegt sich ja nicht auf das Gebiet des
Volksleb^ um lediglich das Fehlende wahrzunehmen, man fasst ja
zunädist und vor allem das Positive ins Auge. Ob ich nun als
Sprachforscher den Dialect, als Jurist die alten Bechtsgewohnheiten
und Anschauungen, als Psycholog die geistige und sittliche Artung,
als Beligionsforscher den Aberglauben, die Märchen und alten „Fabeln^,
als Musikolog die Lieder und Jodler der Bauern zum (xegenstande
meiner Untersuchungen und Nachfragen mache, immer kann ich dabei
meinem Forschungstriebe und dem öffentlichen Nutzen zu gleicher
Zeit Genfige leisten. Ein Studium des Elendes an und tfir sich hätte
allerdings nicht Aussicht, besonders viel Schäler und Theilnehmer za
finden.
Die Volks- und Dialectstudien liaben also eine dojjpelte Seit*-,
eine ideale, icin w isM'nx'liat'tliclie. und eine i»raktisclie. sociale. Xarh
einer Seite hin ei weitorn sie den Jiereich un^ei-er Kenntnisse in emi-
nenter Weise, indem sie unmittelbar aus dem Leljen eine MeiiL-'e bis-
li«'r unbeaditeter. obirleicli naheliegender, interessanter Erschoiniin-on
uiiserm Ver.ständnisse zuiuhren; anderseits befahijien sie die uebildt te
riasse, das Volksleben endlich einmal wahr und «rrinidlicli aulzufassen,
mit dem Volke zu verkehren, und betahijien dieselbe lur die grosse
und edle Autgabe, an dem Bauemvolke die vielseitifre Correctur. He-
bung und Veredlung vorzunehmen, deren dieses bedaif, die ihm aber
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aus seiner eigenen Mitte, ohne Einwirkung der Intelligenz, nicht zu
Tlieil werden kann.
• Die Art, vne eine in diesem Sinne gebildete Intelligenz auf die
Bauernschaft einwirken wird, wird eine ganz andere sein, als die
unserer heutigen „Volksroftnner". . Da hat honte fiist Jeder ein be-
stimmtes politisches Programm, für das er Stimmen braucht, ein an-
derer wiU überhaupt die Aufinerksamkeit auf sich lenken, und hierzu
ist ihm Torderhand die Sache der Bauern gut genug» — ein dritter
macht l&r sein Journal Propaganda etc. Dem Bauer stehen sie an
Geist und Herz ebenso fem, wie irgend ein anderer, — sie wissen
ihm nichts zu intuniren, können ihm nichts erklären, und auf die
Dauer wird sich der Bauer durchaus nicht an sie binden. Aber so
lange er ihnen noch folgt» wird er von ihnen in politischer Aufregung
erhalten, — natürlich, wenn dadurch auch ftlr den Bauer nichts zu
«zielen ist, so macht das nichts.
Ich mnss gestehen, dass ich unangenehm überrascht war, als ich
plötzlich von der Bauernbewegung: hörte, obwol ich schon längst vor-
. her die (Quellen derselben erkannt hatte. Der Katzen jaiiinier nach
derselben kann, wie jresatrt, für <lie Bauern weit nur allzu verhäng-
nisvoll werden. Nun können wir, vom wissensehall liehen Standpunkte
aus. nielits anderes tliun, als uns aufs Höchste beeilen, uui die
Bauern von innen heraus «reistig und nutralisch zu stärken, sie auch
tür den Fall, dass die Bewegnnp: .><cheitert. noch sittlich aufrecht zu
»-rhalten. ihre heuti2:en Fiilirer wo ni<i<:li(li zu bewegen, eine populä-
rere HaltuUL^ anzunehmen und das Volk besser zu stiidiren. endlich
können die Kenner des Volkswesens öitfentlich solche ^länner den
Bauern zu Führern enipfelden. von denen wii-klich erwartet werden
darf, dass sie frei von Selbstsucht nur das Wol des Staates und
der (Tes( llschaft. 1iesondei*s des vernachlässigten iiauerustaudes, im
Auge haben werden.
Die Volks- und Dialectwissensehaft wird und kann an
sich allerdings nicht in das Politische eingreifen; es wäre
ganz falsch, wenn man sie, wie heute so gern alles Volks-
thümliche, vom aristokratischen Standpunkte aus mit schee-
len Augen ansehen wollte, in der Befürchtung, dass etwa
hieraus eine neue Gefahr für unsere jetzige Ordnung er-
wüchse. Und doch bringt die junge Wissenschaft auch dem
Staate den grössten Nutzen: wird nämlich die Bauernschaft
durch populär gebildete Männer — und die Aufgabe unserer
jungen Wissenschaft ist es ja yor allem, intelligente Kräfte tief
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populär zu bilden — ji^elioben. vennlelt und orescliult, dann
wird der Bauer türlitij^^er, seinen Pflicbten j^egen den Staat
und die moderne Gesellschaft gewachsener; er wird, bei
besserem Einblick in die politischen Verhältnisse, einsehen,
was er leisten nuiss und was er auf parlamentarischem
Wege, in gesetzmässiger ^^'eise von sich weisen darf, er
wird ein einsichtsvoller, leistungsfähiger und, den alten
Traditionen seines Standes gemäss, ein ruhiger Weltbürger,
aber keineswegs eiu Spielball in der Hand von Parteigängern sein.
Nur die Dummheit kann gefährlich werden.
(Sebliin folgt)
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Wieaer tieschichteii.
Van Dr, Friedrieh Dittee,
L
Wien, den 8. October 1881.
Im zweiten Jahrgange dieser Zeitsehrift (S. 570 IT.) habe ich die
Entstehungsgeschichte de« Wiener Lehrer^Pädagogiums erzählt und
Kachrichten Uber die Lebensgeschichte desselben in Aussiebt gestellt.
Im letzten Augustlieft« berichtete ich in Kürze über die Wendung,
▼eiche im Bestände dieser Anstalt eintretreten ist und nuichtc die
Zusaire, weitere Mittheilungen in diesen Blättern folgen zu lassen.
Es wird mir schwer, schon heute die Feder zn ergreifen, um mit
der Erfüllung meines Versiuecheiis zu beginnen. Als ich mich den
13. Juli dieses .lahres von dem l.elirkörper und der Hörerschaft des
Pädagogiums verabschiedete, glaubte ich, mit dem Wiener (lemeinde-
rathe im Keinen zu sein und endlicli einmal die dringend not h wendi-
gen Massregeln zur W'iederherstellnnjr meiner Gesuiulheit ergreifen zu
können. Aber noch gab man mir keine Kuhe; die Weiterungen zogen
äch umiiiteibrochen fort bis in den September hinein. Hierzu kamen
die Mühen eines W'ohnungsweclisels, doppelt beschwerlich in ausser-
gewöhnlicher Zeit und im heissen Sonmier. (Meine Adresse ist nun:
Wien, 1. Bezirk, Lothringer Str. ö.) Dabei nahmen mich unabweis-
bare häusliche und Familien- Augelegenheiten in Anspruch; Correspon-
denzen und literarische Arbeiten, wenn auch auf das Dringendste ein-
geschränkt, Messen sich ebenfalls nicht abweisen. Und so ist der
Sommer vergangen, ohne dass ich etwas Erhebliches für meine Ge-
snndheit thun and zu voller häuslicher Ordnung gelangen konnte.
Noch liegt ein grosser Theil meiner B6cher und Sdirift^ bunt durch*
euuuider, und insbesondere habe ich das reiche Material zu den an-
gdLllndigten Mittheflung^ noch nicht vollständig sammeto und ord-
nen können.
Doch, meine Freunde mögen sich keine Sorge um mich machen.
Ich bin guten Muthes, und bald vird alles im Gange sein. Zagen
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und Scliw aiikeu soll mir lern bleiben. Ich bitte iiui\ den kleinen An-
fanfj:, welchen icli heute mit den Wiener Geschichten mache, nacli-
sichti«i- aufzunehmen als ein Zeichen des <?uten A\'illens. meinem Ver-
sprechen nachzukommen, wobei icli irelej?entlich bemerke, dass ich
auch der anderen Schulden, welche icli iu diesen Blättern noch abzu-
tragen habe, nicht vergessen werde.
Doch zur Sache. Womit soll ich meine Erzählung beginnen? —
'Ich darf wol annehmen, dass meine geneigten T.eser vor allem über
die von ' mir bereits signalisirte und von vielen Blättern bereit« be-
sprochene Wendung in der (Teschichte des Wienei* Pädagogiiuns Näheres
zu erfahren wünschen. Und diesem Verlangen will ich in erster Linie
Kechnniig tragen. Dann mag Anderes an die Reihe kommen, um zu
erg&nzon, wo es noth thut. Aus früherer Zeit muss ich aber so viel
voranschicken, als zum Verständnis der neuesten Vorgänge unent-
behrlich ist'
Vor allem bitte ich meine Leser, den oben erwähnten Anfsatz
über die Entstehung des Wiener Pädagogiums nochmals zu lesen. Er
orientirt über die allgemeine Sitnation, in welche das Institut gesetzt
war. Dieselben mächtigen Factoren, welche die Eirichtnng desselben
Jahre lang verhindert hatten, haben auch seinen Bestand fortwährend
erschwert; und es ist keui blos zufälliges Zusammentreffen, dass Graf
Belcredi, welcher als Minister „die Rechte der Kirche und des
Staates" gegen die gephmte Anstalt ins Feld geführt hatte, jetzt,
da die geplante Reorganisation*' des Pädagogiums in Scene geht»
seine .politische Auferstehung geniesst, wie einst das Pädagogium,
nachdem Graf Belcredi gestürzt war, ins Leben treten konnte.
Die consenrative Partei, an ihrer Spitze die Begierung und der
Olerus, hatte in ihrem Kampfe gegen das Pädagogium das formelle
Becht für sich, indem nach den bestehenden Gesetzen, unter welchen
das Concordat von 1855 eine Hauptrolle spielte, die neue Anstalt mit
der vom Gemeinderath gewollten Einrichtung allerdings unzulässig
war. Diese Anschauung theilte auch Burgermeister Dr. Zelinka, wie
er mir gleich bei dem ersten Besuche, den ich ihm machte, ganz offen
auseinandersetzte, worauf er ausrief: „0, dieses Pädagogium wird uns
noch viel Schmerzen machen!'* — Nun vei-stand. ich auch, warum
Zelinka das Statut des P;idaiii>giunis nicht unterzeichnet, sondeni dies
dem Vicebürgernieister Dr. Felder übt'rlassen liatte. Als Zdinka merkte,
dnss icii von seinem \\'illkonini niclit st-hr t'rbaut Avar. fuhr er gut-
niüiliig und in W iener Mundart tbrt: ,.Aber iiiaclim's iiinei- nix diaus.
s'ist nun einmal geschelin; ich werde loyal durchliüiren, was der Ge-
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■winderath beschlossen und die Begierong genehmigt liat und dem
neuen Institat meine ehrliche Fürsorge widmen.** — Ich bin fiber-
zeogt, dass dies sein anfrichtiger WiUe, nnd dass er flberhanpt ein
Ehrenmann war. Er würde dem Pftdagogium ein besserer Freund
gewesen sem, als viele Andere, die, als der Liberalismus Mode war,
an der Vaterschaft des Instituts theilnahmen, sich aber, als ein anderer
Wind zu wehen begann, zu unseren Gegnern schlugen, wenn auch
nur heimlich. Zelinka wurde wenige Monate nach Eröffiaung des Pft*
dagoginms vom Tode ereilt, und das war das erste Unglück für die Anstalt.
Ich erwähnte das Concordat von 1855. Da dasselbe oft genannt
wird, aber trotzdem seinem Inhalte nach wenig bekannt ist, so will
ich doch die Hauptsätze desselben hier anführen:
„Der ganze Unterricht der katholischen Jugend wird in allen sowol öüent-
Uehen als aiditUffeiitlichea Sdudra der Lehre der katholischen Religion ange-
meeeen sein; die BischSfe aber werden kraft des ihnen eigenen Hirtenamtee
die religiöse Erziehung der Jugend in allen Sffentlichen and nichtöffentliohen
I.Hliraiixt^iltt'ii leiten und soi^sam darüber waclit ii. dass hei keinem Lehrgegen-
stand^- etwas voikoniine. was dojii katlutlisdit ii Glauben nnd der sittlielien
Reinheit ziiwidtTläuft. Nifinaiid wird die Kelitrionslelire in was iniincr für
einer üffeutlichen oder nichtlitientlichen Anstalt vortrugen, wenn er dazu nicht
▼om Bischof dee betreffenden Kirchensprengels die Sendung und Ermächtigung
evlialten hat, welche denelbe, wenn er es fBr zweckmässig hält» zn wider-
rafen berechtigt ist. Alle Lehrer der für Katholiken bestimmten Schalen
werden df^r kirchlichen Beanf^lehtigung nnterstehen. Der Glaube nnd die
Sittlichkeit drs zum Srhullehrer zn Bestellenden mnss makellos sein. Wer vom
rechten Ftadi' abirrt, wird von seiner Stelle entsetzt werden."
Da haben wir denn ein Hauptstück des Conflictes, in welchen
das Pädaf.'-d'rinm pleich am Anfange gestellt war, und zujrleich ein
Hanptstück der Aufgabe, die es lösen sollte. Der grosse und mächtige
Anhang des Concordates hat es dem Pädagogium nie verziehen, dass
es den ersten und einen sehr starken Biss in diesen Vertrag zwischen
Kaiser und Papst machte, und dass es, bevor noch das Reichsschul-
gesetz ezistirte (dasselbe kam erst im Jahre 1869 zu Stande), und
während noch das Concordat zu Recht bestand (es wurde erst 1871
ai%ehoben), als Vorposten der freien Schule auf den Phui trat,' um
derselben den Boden zu bereiten. Übrigens hatte anfiuigs das Pä-
dagogium selbst dem Diiick der bestehenden Verhältnisse nicht ganz
entgehen können, sondern in sein Statut die Bestimmung auihehmen
mfissen:
Jta. Bezug auf die Religion ist jeder Züglijig verpflichtet, sich alljilhr-
hch nüt ehiem Zengnisse über den Gennas ehies seinem Glaubensbekenntnisse
isd dem Zwedce der Anstalt entsprechenden Unterrichtes aaszuweisen.**
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— 62 —
Aber nicht blos die natürliche Gegnerschalt der katholischen
Hierarchie erscliwerte dem Pädagogium das Dasein; aucli im Gemeinde-
rathe und der Beamtenschaft Wiens waren von Anfimg an nicht Alle
der neuen Anstalt von Herzen zugethan. Sclion im ersten Lebens«
jähre derselben erliielt ich hierüber einen deutlichen Wink. Es er-
schienen in üilentUchen Blättern über das Pädag^ogium allerlei ge-
hässige Notizen, die keineswejars sämmtlicli (dericalen Charakters waren.
Als ich deshalb einmal in das Bureau der „Neuen freien Presse" ging
und den Heraosgebem dieser Zeitung, den Herren Friedländer und
Etienne, meine Beeehwerden vorbrachte, entgegneten sie: ,^a, wir
haben ohnehin nicht geglaubt, was in diesem Artikel steht und haben
deshalb die verietzendsten Stellen gestrichen (dies war richtig, wie
sich ans der Yergleichung der „N. fr. Fr." mit anderen Blättern er-
gab); aber was sollen wir denn thun? Es kommt ja vom Rath-
hause." — Ich habe mich nachher überzeugt, dass von dort aus unter
dem Titel von „Correspondenzen" allerlei Nachrichten über städtische
Angelegenheiten den Zeitungen übersendet werden, aber niemals mit
Sicherheit er&hren können, wer eigentlich das Bessert bezüglich der
Notizen über das Pädagogium hatte. Ich werde noch Öfter auf die
verschiedenen Stimmungen und Motive, welche im Wiener Rathhause
dem Pädagogium gegenüber gewaltet haben, zu sprechen kommen;
hier will ich nur constatiren, dass dem jungen Institute auch ans den
Beziehungen zu dem hnndertundzwanzigköpfigen Gemeinderathe nnd
zur städtischen Beamtenschaft bedeutende Schwierigkeiten. erwuchsen.
Zu diesen äusseren Verhältnissen kamen nun die inneren, welche
für sich allein hinreichend gewesen wären, das ganze Pädagogium
als ein h(Sch8t dornenvolles und zweifelhaftes üntemäunen zu cha-
rakterisiren. Als eine auf allseitige Fortbildung der Wiener Lehrer-
schaft angelegte Anstalt muthete es seinen Hörem, die ihre Haupt-
kratt iiuf die Füliniiifj;- ötfentlicher Schulämter zu verwenden hatten,
überdies noch meist auf Nt beiiurwerb aiiire wiesen waren und bei alle-
dem nur eine kümmerliche Existenz hatten, «^n'osse physische und
geistig:e Anstrengungen und ausserdem pecuniäre Opfer zu. Es ist
daher nicht zu verwundern, dass in den Kreisen der Wiener Lehrer
eine entschiedene Abneigung gegen die neue Anstalt herrschte, in der
viele nur einen Ort der Plage erblickten, wo den von des Tages Last
Ermüdeten geistiire iSpeis»' in Überflnss L-'pJ'eicht werden solle, wäh-
rend sie von »Sorgen um das leibliciie Hrot gebeuct waren, l'nd doch
war der Bestand des Pädagogiums auf das freiwillige Krscheinen
der Lehierschatt basiill — Überdies stand noch ein erheblichei* Theil
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der Wiener Lehrer im clericalen Lager, und nicht wenige hielten es
mindestens für gerathen, vorerst abzuwarten , wie die Dinge sich ge-
stalten würden; denn käme ia dem schwebenden Kampfe schliesslich
die alte Riclitung wieder zur Macht, so würde man durch den Be-
SDch des Pädagogiums nicht nnr keinen Vortheil erlangen, sondern
sogar compromittirt sein. — Femer fiel der weitaus grösste Theil
der Unterrichtszeit, den gegebenen Umständen entsprechend, auf die
Abendstanden von 5 — 8 Uhr; und was die räumlichen Bedürfnisse
betrifft, so war das Pädagogium während der drei ersten Jahre nur
notfadttrftag in einigen, drei Stockwerke von einaader entfernten Zim-
mern emer städtischen Volksschnle nntergebracht» Verhältnisse, welche
nicht nnr fBr die eigentlichen Zwecke des Pädagogiums, sondern auch
ia sanitärer Hinsicht sehr ungi&stig waren, namentlich dem Director
der Anstalt sehr beschwerlich fielen. — Endlich waren im Anfismg
bei der Wahl der Lehrkräfte grosse, dem Gedeihen der Anstalt höchst
nachtheOige Missgriffe geschehen.
Alle diese Umstände, deren genauere Darlegung ich mir f&r eine
q^ätere Zeit vorbehalte, in Verbindung mit der Ydlligen Schntzlosig-
ke&t des Pädagogiums gegenüber öffentlichen Schmähungen erschwer-
ten der Anstalt in ihren ersten Lebensjahren das Dasein in der pein-
lichsten und gefiUirlichsten Weise. "Die Frequenz nahm denn auch
stetiff ab bis in die Mitte des vierten Jahres. Erst Ton da an trat
ia dieser rückgängigen Bewegung ein Stillstand ein, dem vom fünften
Jahre an ein kräftiger Aufschwung folgte. Die mit dem Pädagogium
verbnadene Übungsschule theflte das Loos desselben. In den drei
ersten Jahren fdstete sie ein kümmerliches und sieches Dasein. Wäh-
rend alle anderen Wiener Schulen überfüllt waren, konnte sie nnr
mühsam und durch ganz seltsame Mittel eine kleine Schaar von Schü-
lern zusammenbringen, Es fehlte ihr das Vertrauen des Publicums,
und nicht ohne Grund. Auch Hessen sich die bestehenden Verhält-
nisse nicht soi^deich ändern; man imisste warten, bis sie zur Ihno-e-
8taltun<jf reif waren. Die Wendung zum iksseren kam auch für die
Übunfrsschule im vierten Jahre. In Folge dessen wurden ilir bei
B*'giun des fünften .Talires so viele Kinder zugetuhrt, dass wegen
Mangels an Kaum circa 200 abgewiesen werden mussten.
Meine Gesundheit hatte unter der Arbeitslast, den Sorgen und
Quälereien der ersten drei Jahre und unter den sanitären Übelstän-
d»'U in der Einriclituui^ der Anstalt scliwer irelitten. Ich hielt aus, so
lange ich mich leidlich Ibrtschleppen konnte. Endlich ging es nicht
weiter. Im November 1871 wurde ich, nachdem ich mich schon
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Wochen Jauj^ krank jretühlt liatte, im Pädafrofrium von einem heftigen
Fieber und Scliiittelfrost ergriffen. Mit Mühe erreichte ich meine
Wolinnng. Der Arzt constatii'te eine Lnngenentzündun^»*, die sich bald
über beide Flügel ausbreitete, emen äusserst hohen Grad erreichte,
mehrmals einen tödtlichen Ausgan«? erwarten Hess und im Ganzen
Tier Monate dauerte. Im ^Färz 1872 konnte ich, obwol noch sehr
schwach, meine Thätigkeit wieder aufnehmen, was um so nothwendiger
war, als zn dieser Zelt eine Vacanz im Lehrkörper des Pädagogiums
eintrat, welche momentan nnr durch mich seihst ausgefällt werden
konnte. Ich finde unter meinen Papieren aus Jener Zeit ein Blatt dei*
Wiener „Presse** mit folgendem Berichte:
,yDer Director des Wifener Fftdagogiams, Hot Dittos, wnrde gestern
Abends von einer gT08.sen Zahl seiner Bernfegenossen und Schüler des Pild.i-
fr'>iriinns mit der feierlichen ('lierreichung seines Porträts überrascht. Der
T-cint i' Franz Schindler hob in einer Ansprache die Freude der Lehrri-schaft
hervor, den allverehrten Pädagogen, die krilftigste Stütze des itädag( irischen
Fortschritts, dessen Leben durch eine schwere Krankheit in Ciei'ahr gebracht
wurde, seinem wichtigen Berufe wiedergegeben zu wissen. Der Moment der
Besorgnis habe den Wunsch angeregt, das Porträt eineB theuren Freundes
und Kathgebei-s zu besitzen, und dasselbe niö^e denn ein Zeichen der allge-
meinen Aclitiintr und \'erehrung sein, di»' drm Originale gezollt uerde. Leb-
liat'tfr Jkit'all und Hochrufe folirtcn diest-n Wollen. IMrectoi- Dittfs dankte
mit bewegter Stimme für diest s woitliuendc Zeiciien der Anerkrnnung seines
redlichen Strebens. Anstrengungen, Sorgen und schlaflose Nächte warfen ihn
auf das gefinhrrolle Krankenlager. Doch die Überzengang, dass die Mehr>
heit Beiner BemfegenoBsen mit ihm Eines Herzens nnd Sinnes sei, habe flm
aufgerichtet. Er habe entbehren gelernt, Orden, Titel und Schätze gehören
nicht zu seinem Glücke; allein die Anerkennung und Billiunii? seines Sti'ehens
durch die Mchrludt der Berufsg('n<tssr'ii krtun»^ or nicht entlu hnii. Fehh- ilnii
einmal dii-se, dann werde er den Wandt-rstab zur Hand nehmen; aber um die
Ritter der Finsternis, ihre Gehilfen und alle Intriganten, deren e« nicht
Wenige gebe, kümmere er sich nicht, weil sie nicht berufen seien, ihn zu
richten; ihr Spruch Bei ungiltig. So lange er aber unter Beinen Bernfsgenosgen
feststehe, so lange werde er sich nbei- illrs Andere beruhigen und treu ZUT
Sacht* d« s K(»rrsrliiitts stehen. Unter Ibtchrufen wurde .schliesslich das mit
Guirlandeu und Blumen beki'änzte Bild dem Gefeierten überreicht.
VmotwortHoher Redaeteor: BL Stelo. Bacluliiickenii Jnlins Klinhh»rilt, Lripsig.
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Moderne Liehtotrahlen.
Von Dr, O, J>re9i^er' Dresden,
Sine Sammlung dei* besten Gedanken, ein geistiger Auszug aus
einem mnfltaglichen Werke, welches bereits in zweiter Auflage er-
schienen, wen sollte (lies nicht zum Iiesen veranlassen? Schnell giiffen
wir daher zu den „Lichtstrahlen aus Fr. v. Hellwald's Cultur-
geschichte in ihrer natürlichen Entwickelun^", und unsere
Erwartung wurde noch gesteigert durch das Vorwort, in welchem der
ungenannte Herausgeber versichert, dass niemand das Buch aus der
Hand legen werde, ohne sich befriedigt und dem Ver£Busser fUr das
Gebotene dankbar verpflichtet zu fühlen.
Ihrem Inhalt nach sind die „Lichtstrahlen" in 5 Abthdlongen
zusammengestellt; von diesen behandelt die erste „Natur und Natur-
forschnng*S die zweite „die Menschen und die menschliche Gfesellschafb",
die dritte „Wissenschaft und Ennst^ die vierte „Idealismus und Bell-
gion** und die fünfte „die Cnltnr". Das Ganze bezweckt, „an der
Hand der Darwin*schen Entwickelungalehre ein Verständnis für die
mannigfachen Erscheinungen des geistigen (!) Culturlebens im Laufe
der tfenschheitsgeschichte zu gewinnen." Und zwar ist dies nach des
Verfassers Ansicht lediglich an der Hand der Entwickelungslehre möglich.
Alle Insher erschienenen Cultorgeschiditen lege man also ruhig bei Seite.
Wenn die Aufschlüsse, welche der Verfasser Aber Kraft, Stoff,
Geist, Seele und Seelenleben gibt, als „Lichtstrahlen" bezeichnet
werden, so erinnert dies an das bekannte Incus a non lucendo, denn
wol selten ist unter einem so hochklingenden Namen ein derartiges
Gemengsei dunkler, unverständlicher „Wahrheiten** veröffentlicht worden.
Man sieht hier wieder einmal, was sich das Publicum bieten lässt,
wenn man ihm nur mit der nöthigen „Unverfrorenheit'* entgegen tritt
Ans den zahlreichen Beweisen hierfür greifen wir nur die schlagendsten
heraus.
Auf S. 2 sagt der Verfasser: „Die sanze unendliche Welt ist aus
denselben nicht geschaffenen und nicht vertilgbaren Stötten zut^aninien-
tmi»gopnm, 4, Jahrg. Heft IL 5
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gesetzt und wird von denselben unvcitiliiliaitn Kiättiii jretrag'en.
welche von den einzelnen Atomen Ms zu der uneiiiiessliclit^u Menge
von ungeheuren Weltkörpei-n nach denselben Gesetzen wirksam
sind etc. etc. Stott" und Kraft sind ewig. Aus Nichts kann keine
Kraft entstehen; allein (!) sie ist an den JStolf gebiiiidtn, wenn man
will eine Ki^renschatt des Stoffes, Eine Kraft, die frei über dem
Stoffe scliwel)te, wäi-e eine ganz leere VorsteUumr" etc. Vielleiclit
wird es mandiem Leser so vorkommen, als dl) er diese Lichtstrahlen
sclum bei Büchner oder anderswo gesehen liabe; indess kommt es dem
Verfasser hier ja nur darauf au, seinen Anschluss an den materieHeii
Monismus zu documentiren, und da sind wr»i tliclie Anfiihruuiren gewiss
das Beste. Man glaube übrigens ja nicht, dass sich dei- Verfasser mit
solchen Autorität-sanssprüchen begnügt; er modilicirt vielmehr die An-
sicht über die Kraft in seilest ständiger Weise auf S. S8, wo er sagt:
^Die Kraft ist jenes Wort, welches der Materialismus dahin setzen
muss, wo die Wissenschaft vorläutig noch nichts weiter weiss." Nun
verstehen mv erst die Bemerkung auf S. 11: „l)er (Teist, der an-
geblich (!) den Menschen über die gesamnite Natur stellt, ist im Gegen-
sätze zur ^faterie gar nicht zu denken; Geist und Materie sind ebenso
nnlöslicli mit einander verbanden, wie Kraft und StoE"
Mit welcher Schärfe die mechanischen Vorgänge in den Organis-
men aufgefasst werden, zeigt S. ö. Nachdem nämlich der Veifasser
einige Sätze des Darwinismus als Kvangelien der „neuen" Welt-
ansdiaming und als unerschütterliche Grundlagen einer modernen
Colturgeschichte hingestellt, sagt er: Die Vorfahrenkette des Menschen
wie alier anderen Organismen geht wahrscheinlich von den sogenannten
Honeren, albuminösen Elttmpchen ohne Organe, aus, denen die Kraft
des Wachsthnms und gelogentlich auch des Auseinanderbrechens inne-
wohnt** Also die Theilnng der Moneren beruht auf ihrer gelegent-
lichen Kraft des Auseinanderbrechens. Das ist doch einmal
ein klares Wort in einer so dunklen Sache; die Grundursache, der
Uran&ng aller organischen Entwickelung ist hiermit endlich und f&r
immer geoffenbart!
Rührend ist die Bescheidenheit, welche zuweilen den Verfksser im
Gegensatze zu seinen sonstigen Aussprüchen beföllt Leute, welche
nicht mit ihm und seinen Gesinnungsgenossen übereinstimmen, bilden
zwar „eine Meute** und sind „moderne Phrasenhelden**, madien „läppische**
Einwände, sind „wissenschaftlich nicht fortgeschritten", ja „gehören
dem MittcMter an**, während die „parteflose Forschung (natürlich zu-
nächst des Ver&ssers) sich zu condoi'gleichem Fluge erhebt**; — trotz-
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dtiii iiilit <^r abir im Xamender Entwickeluii'^slt^liiv und ..in iM-lit wiss«Mi-
N'liattlicber Bt^sclieidenlieit" zu, „dass di<* Suniiiie nnsers heiitif^en
\\i>sfiis niclit ausreiche, die Rätli.*<el der g-esaninitcn Welt mit ihren
Urjrauisnieii, dem Menschen und seinem Denken in allen Punkten zu
löien (8. 5). Selbst das Unmöfifliche macht er möglich; seine Wissen-
schaft ..weist mit Erfol^^ Jene zurück, welche dem Naturerkennen •
bestimmte unübei^schreitbare Grenzen zu ziehen wagen; aber sie
dringt Niemandem die Meinung auf, dass es solche Grenzen
nicht gebe." .Ta, der Verfas.^er ^^ird zuweilen ydUig elegisch, wie
auf S. 6 und 7 : „Wie hoch auch in unsn-en eigenen Augen (!) die
erklommene Geistes- und Wissensstufe, wir haben lanj?e noch nicht
die Berechtigung zu dem Stolze, womit wii* mit überhebendem Bewusst-
sein unser Herz schwellen (vergl. den condorgleiehen Fingt). Wir
and und bleiben jetzt und flirderhin (doppelt hält besser!) nicht mehr
und nicht weniger (nur immer genau!) denn einzelne Organe des*
grossen Naturorganismus, einzelne Theile des Natnrganzen, dessen All
m durchschauen uns schon in unserer Eigenschaft als blosse Theile
versagt ist** Und doch „hofft die Wis8en8chaft^ wie der Verfasser
froher bemerkt, n^on der Zukunft, dass die Grenzen des Naturerkennens
muner weitere werden**, doch „hat die Wissenschaft den Schleier der
Zukunft zerrissen und das Ende der Menschheit erschaut** (S. 12).
Dieses Dilemma betrftbt den Verfosser sichtlich; denn er fährt un-
mittelbar weiter fort: ,Jm Übrigen (prächtig!) aber kreist sie unbe-
kümmert fort und foi-t die Erde, in unberechenbarem Zeitlaufe (das
ist neu!) um der Sonne Licht und Glanz, die gleichmütig niederschant
anf der Menschen Glück und Wehe, Mensch und Thier (muss heissen:
auf Mensch und Thier), Strauch und Baum, Strahlen und Wärme
spendend, nicht weil sie ^nll, soudeni weil sie muss." Dieser ])oeti-
sirende Stoss>eufzer wäre, wie gesagt, giw nicht erklärlich, wenn der
Verfasser nicht momentan wissenschaftlichen Katzeiijaiiuner hätte; denn
derartig-e hereingeschneite Tiraden findet man sunst nur in den Heften
schwärmenrler Jünglinge und selinsiirlitii,^er 'Pensionsjnnj^frauen, die
selbst die Sonne anklagen, dass sie nicht ihnen zu Liebe leuchtet.
Doch vielleicht glaubt der Verfasser selbst nicht an die ,f»-n*-
miade und fügt sie nur ein, um Abwe(disehuig in die Lcctiii-c zu
bringen; ob's geradf passt. das merkt ja bekanntlich der tausendste
Leser erst: ja. wenn man vielleicht irgendwo eine solche hübsche
Stelle gelesen hat, warum soll man sie nicht gelegentlich anbi ingen?
Und gelesen hat der Verfasser sicherlich viel, das sehen wir anf
jeder Seite. So belehrt er uns auf S. 6 über die bisherigen philo-
5»
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sopliischcn Systeme: Soweit wir in der Geschichte zurückblicken
können, liat iiocli jedes itliilosopliische System, jede auf Grund der
jeweilif;-en Keiintiiisst' aiif^(;baute AVeltaiiscluiuung- zur (!) Erklärung
der Gesamintheit der P2rselieinuiig:en einen unauflösbaren, irrationalen
Rest hinterlassen (muss lieissen: g'e lassen!). un<l tür die vollendetste
Weltanseliauung wenlen wir vorliiutig jene lialtt'U müssen, welche nur
einen einzigen Rest, das nnserni Verständnisse unzu*;äntjliche Absolute,
zuriieklässt (nuiss heissen: lässt). Welche Weltanschauung- sollen wii-
nun wählen? Alle lassen einen, die beste aber nur einen einzif^en
Rest! In solche Kleiunu n kommt man, wenn man soweit wie möglich
in die Geschichte zuiiickltlickt!
Wozu — so dachten wir beim Weiteih sen — halten sich doch
die Philosophen und ähidiche, irrationale K'ott hinterhissende Leute
abgeniiiht, das Wesen der Seele zu ergründen! Schaum, eitel 'l'rug
'und Kirngespinst; leere Worte, hinter welchen der irrationale Rest
steckt! Wie anders doch die Erklärungen des Veifassers, welcher
endlich das „erlösende Wort'' siu'icht. Man höre (S. 7 und 8): „Die
Seele des Menschen ist das Resultat der Integi*irung aller im mensch-
lichen Organismus wirkenden Kräfte bis hinauf (!) zum menschlichen
Gehirn, in welchem sie in ihrer h<"»chsten Potenz auftreten." Das
sind goldene Worte, bei denen sich doch endlich etwas denken lässt.
„Diese Definition (!) passt auch auf die Thierseele, denn diese ist ebea
auch nichts weiter (!) als das Resultat der im thierischen Körper zur
Integrinmg gelangenden Kräfte." Wem hierbei zutallig ein&llen sollte,
dass die Kraft ja nur Jenes Wort ist, welches dalün gesetzt wird,
wo die Wissenschatt \'oriäufig noch nichts weiter weiss", non, der
kann ja euie zweite Erkläxnng acceptiren. Denn „man kann auch
sagen, die Seele sei der innere Ausdruck einer bestimmten Anordnung
der Theile/* Wir gestehen, dass wir diese letztere Erklärung vor-
ziehen; denn was sollen wir uns mit Integrirungen und Potenzirungen
„Us hinauf zum Gehirn" martern, wenn wir den klaren Begriff ,4nnerer
Ausdruck der Anordnuifg der Theile" besitzen? Simplex veri sigilluml
— Worin besteht nun das Denken? Nichts einfacher als das! „Das
Denken ist eine verdichtete Bewegung.*' Wir machen namentlich die
Herren Physiker auf diese Verdichtung der Bewegung aufinerksam;
wie fein ist hiermit nicht angedeutet, dass auch sie noch etwas von
der Seelenkunde lernen kOnnen! Und wie glänzend bewährt sich hier
wieder einmal die alte Wahrheit, dass der Yolksmund stets das Bich-
tige trifft oder doch ahnt: sagen wir doch, dass wir von vielem Denken
einen dicken Kopf bekommen. Es lässt sich „an der Hand der ezacten
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Wisseiiseliaft'* durcli eine „gründliche und vorurtheilslosc riitcrsiK liunf» '
jedenfalls „unwiderleclifh und für alle einzelnen Fälle'' nachweisen,
dass dieses Gefühl von der Bewe^fungsverdichtuug innerhalb des Kopfes
henfihrt. — Was ist endlich der menschliche Körper (der Verfasser
sagt: der Mensch selbst)? ,,Eine durch i'apitalisation und 8peciali-
sation der Kr;i ft-' ircstpi^erte Stoffentwiekelung." Man sieht: diese
Seelen- und .Menschenkunde ,.hinterlässt" keinen iiTationalen Rest! —
Wie der Haunieister, nachdem ein solider Grund für seinen beab-
sichtigten Prachtbau gelegt, mit froher Zuversicht den Aufbau beginnt,
so kann auch der Verfasser nach solcher (irundlegung getrost weiter
schreiten. Begleiten wir ihn noch eine Strecke!
S. 13 lieisst es: JDas ganze Nervensystem des Mensehen ist ein
ml hoher entwickeltes, als das des höchstentwickelten Thieres, und
dieser Unterschied gerade ist das Resultat der geschichtlichen Ent*
Wickelung des Menschen, einer Entwickelung, in deren Yerhiufe Reli-
gion, Wissenschalt, Kunst, Sitte, Sittlichkeit, Recht, Moral di^enigen
Kräfte hervorriefen, welche das Thier aUmSlig und durch schwere
Kämpfe nnd Prüfungen zum Menschen erhoben.^ Wir wollen nicht
besonders betonen, dass der Verfasser Sitte, Sittlichkeit, Moral in einer
Weise anführt, als seien sie verschiedene Dinge; an solche oft geradezu
sinnlose Anhäufungen sind wir bei ihm schon gewGhnt Nur auf die so
ausserordentlich klare Darstellung der Entwickelung des Thieres zum
Menschen möchten wir aufmerksam machen. Der Verfasser föhrt
nämlich unmittelbar fort: „Die höheren intellectuellen Anlagen des
Umsehen, sein im Gewissen begründetes ethisches Gefähl, sein höherer
Kunstsinn, sein klares Selbstbewusstsein, sein religiöser Sinn, alles
das sind Krafifcverdichtungen (uns schon bekannt!), welche der Mensch
der socialen Entwickelung zu verdanken hat. Dass alle diese Anlagen,
Gefühle und Sinne (welch treffliche Eintheilung) im Keime bereits
im Thiere vorhanden sind, ist durch unzählige Beobachtungen bewiesen
worden." Also: Alle diese im 'J'hiere schon keimenden „Dinare** haben
aus dem Thiere dadurch einen ^lenschen g-eniacht, dass sie ..diejenigen
Kräfte hervorriefen, welche das Thier allniälig zum ^lensclHMi empor-
hoben". Uniibei'trelilicli gcdarlit. nicht waiir? Doch es kommt noch
besser: „-Ta, man kann die allmälige Entwickelung einer je<len dieser
Anlagen und Sinne auf embi-yologiscln^ni Wege, vom Kinde bis
zum reilcii Alter in einzelnen Individuen Sdiritt lür Scliritt ver-
folgen." Vom Kimb* l)is zum reifen Alter auf emhryologischem Wege!
Hier luirt denn doch das Denken auf, denn <lie THeweLrunusverdielitung
der Kralt ^dius h>i ja das Denken; erreicht einen bulcheu Grad, dass
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die Bt'Wcf^iiiiof selbrr still stellt, das lieisst in «rewöliuliclu'r Sj)iacliM:
wer hierbei niclit den Verstand verliert, der hat kein<'n zu verlieren.
AVeiterhin werden wir belehrt iS. 1,')): ...leder ^lenseh stellt die
Abkürznnfr der «ranzen Welt^'^eseliirhte in der t'ol^^erielitip:en Entwicke-
luug vom Säiifjrlinge und vom Kindt; an bis zur vollen Reife real (!)
dar, und man braiiclit nur ein Kind zu beobachten, um auf die Spur
zu kommen, wie der l>mensch gedacht, gesprochen, ofefnhlt hat, wie
sein Nervensystem gebildet war und wie es fungirt hatte." Hiergegen
ist zn eonstatiren: noch Niemand in- und ausserhalb der „Wissenschaft"
hat behauptet, dass die menschliche Kntwickelung eine Abkürzung
der ganzen Weltgeschichte sei, und noch keinem Menschen ist es
möglich gewesen, ans d^r Beobachtnng eines Kindes anf die Spur zu
kommen, wie das Nervensystem des Urmenschen gebildet war. Solche
Anfschneidereien und Benommistereien sind nur geeignet, die Besnl-
täte, Voraussetzungen und Annahmen der wirklichen Wissenschaft
beim Publicum in Misscredit zu hringen.
Auf S. 18 und 19 erörtert der Verfasser die Entwicklung der
Sprache. Zunächst erwähnt er, dass die Sprache nichts Angeborenes
ist; „wir sehen den Beweis daf&r tfiglich in (an) unseren Kindern, in
denen die Psyche allmälig erwacht** Zwar nach S. 62 „gibt es eine
Seele nicht, und wer eine solche annimmt, ist in wissenschaftlichem
Sinne nicht fortgeschritten**, und nach S. 161 „hat ein Kind noch (ü)
keine Seele** — indess das sind ja Kleinigkeiten. Historisch „ent-
wickelt sich die Sprache im Vereine und gleichzeitig mit der grösseren
Ausbildung des Gehirns und der Sprachorgane"; zugleich „hat sie sich
aus unscheinbaren Anföngen aus der Tiefe des Geistes entwickelt";
endlich, „wie sie körperliche Anlagen voraussetzte, wirkte die Sprache
auch auf den Körper zurück, sie veranlasste im (lehiin das Waclis-
thuni eines neuen Orf^anes. welches den Alien nnd den sitraclilosen
Urmenschen fehlte." Also die Sjirache entstand 1. mit der g^rösseren
Ansbildnnj!: des Gehiiiis im all^M*nieinen; 2, mit der gfrösseren Aus-
bildnnj^ (ler Si)rachoi-{rane (also wol dei' Zun^iv. des Kehlk(ti»fes etc.);
3. aus der Tiefe des (leistes. Als sie V»is zn einem irewissen Grade
ausgebildet wai\ wirkte sie auch auf den Kr.iprr zurück und ver-
anlasste -1. im < Jehii-n das Wachst lunn eines neuen Oriianes. Das ist
ja ein^ verzwickte Or^anisiiiiny^. Die einfache Thatsache lautet: Das
Gehirn des Menschen besitzt an einer gewissen Stelle der Hirnrinde
solche Nervenzellen, von welchen die Sprachbewe«runtren beeinflus.st
werden; Zerstfirung dieser Zellen (z. B. durch Bluterfifüsse in's Gehirn
bei Schlagfluss) hebt das Sprachvermögen aut Die Thiere besitzen
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solrlic Zellen nicht, und das Sprachvenii(»<jen des .Mt nsclu'n kuuii also
nur dadurch entstanden sein, dass sich im thieriüclieu Gehkn solche
Zellen allniäli<r ent\vick(dt haben.
I ber die menschliche Gesellscbaft und ihr Wesen erhalten wir
tretlliehe Aufschlüsse. Was ist dieselbe zunächst? Antwort (S. 21):
..niehts melir (!) als eine Fortsetzun^r der Natur mu- ein hölieiei-
Ausdruck ili derselben Kräfte, iVut allen Naturerscheinungen zu Grunde
liej^en." Kine Naturfortsetzung: — wie klai- und bündig'! ^.In der
Tliat (Ii ist eine (irenze zwischen dem Menschen und der Zelle, dem
Elemente der organischen ^^'elt, nicht vorhanden, kann aucli schon
deshalb nicht vorhanden sein, weil Ailes in der Natur in untrennbarem
Zusammenhange steht." Wir glaubten bisher deshalb an diesen Zu-
sammenhang, weil der Mensch aus Zellen und deren Umwandlougs-*
producten besteht.
Wer sich endlich einmal klar werden will über das Verliältnis
zwischen den geistigen Thätigkeiten und den Functionen des Nerven-
systems, der lese den Absclmitt auf 8. 22. Hier heisst es: .,Xach den
Ergebnissen der antliropologischen Physiologie unterliegt es wol
keinem Zweifel, dass den geistigen, sittlichen und ästhetischen Stre-
bungen. Bedürfiiissen, Fähigkeiten und Neigungen eines jeden einzelnen
Menschen und ganzer Familien, Völkerstämme und Kassen eine be-
stimmte Organisation, Beschaffenheit, Spannung, bestunmte rhythmische
Vibrationen und Schwingungen des Nervensystems entsprechen." Man
eiliilt hier einen unmittelbaren, durch Tautologien noch wesentlich
erleichterten Einblick in das geistig-körperliche Getriebe, man sieht
die Bäder ineinandergreifen, ja man bekommt gar das deutliche Qe-
ftihl des MOhhrades, welches sich im Kopfe bewegt Nach S. 55 sind
AUngens „die physiologischen Vorgänge des Denkprocesses noch lange
nicht ermittelt^*.
t^eder Mensch (S. 28) stellt nicht nur den ganzen physischen, •
sondern auch den socialen Kosmos yor; und das gilt sowol vom
ganzen Menschen, als auch spedell von seinem Nervensysteme/* Wie
wird dir, lieber Leser? Etwa unheimlich? Aber erinnere dich nur
gefölligst: In der Entwickelung hast du ja schon die ganze Welt-
geschichte recapitulirt; wie kann es dich da wundem, wenn du in
deinem Kopfe das Weltall in nuce trägst? Im G^ntheil, die „That-
sache" ist äusserst erfreulich, „denn dies fährt zu der hochwichtigen (!)
EIrkenntnis: in dem ehizelnen TheUe eines Organismus spiegeln sich
die Vorgänge, wdche in jedem andern Theile desselben Organismus
stattfinden, mehr oder weniger wieder." Gewiss, gewiss! In den
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ZeUen der Sehprovinz z. B. spiegeln sich ja die Eindrücke „mehr oder
weniger** wieder, welche z. B. die Milzzellen, die Darmzellen nnd die
LeberzeUen während der Verdanong erfahren, nnd die ZeUen der Hdi^
proyinz sind „mehr oder weniger** der Spiegel f&r die ZeUeneindrttcke
der grossen Zehe etc. Ton dem Gesetz der isolirten Leitung in den
Nen'enbahnen sowie davon, dass die Leitung von Zellengebiet zu
Zellengebiet nur auf ganz bestimmten Wegen und in ganz bestinnnten
Richtungen stattfindet, weiss der Verfasser offenbar nichts. Nach
seiner Idee construirte Mmschrn wäri'U verrückt. ..Daraus geht
aber mit Xotliwendigkeit nocli die zweitt- W'alu'lieit (!) hervor: da.ss
eine jede Zelle im Kinzelorganismus, sowie ein jedes Zellenindividuuni
in der menschlichen Ge.sellschaft den Eiitwickelungsgang des ganzen
Organismus latent durchläuft." Also jede ^luskelzelle, Knochenzelle,
Fettzelle durchläuft den Kutwickidmii^sganii- unsers ganzen Oi ganismus?
Wunderbare Kntdeckungl Nur schade, dass das alles latent vor sich
geht! Natürlich gelit es den Zellen liieibei wie den Menschen selbst;
ihren HestrehnuL^eu stellen sich vielfache Ilindeinisse entgegen. ...Tede
Zelle in einem ( )rganismns hat das mehr oder weniger (natürlich,
anders geht's nicht!) ausgesi)rochene liestreben, sich mit allen anderen
Zellen desselben Organismus gleichmässig zu entwickeln; das ist das
Princip der Oleichheit." Kein ^lensch hat zwar bis jetzt von
diesem Streben etwas gewnsst — doch tel est mon plaisi]-, denkt der
Verfasser. „Aber jede (man merke wol: jede) Zelle ist zugleich
durch ihre Lage, Entstellung, Umgebung (wie präcisli. durdi die
gTössere oder geringere (natürlich!) ilir angeborene oder durch die
Verhältnisse erworbene Specialisation der Kräfte mehr oder weniger
(immer genau!) auf einen besonderen, den einzelnen Theilen eines
Organismus eigenen Entwickelnngsgang angewiesen, oder gezwungen,
sich nur bis zu einer gewissen Stufe zu entwickeln, wogegen andere
(siehe oben: jede), in gfinstigere Verh<nisse gestellte Zellen sich
auf höhere Entwickelnngsstufen emporschwingen. Dies ist das
Princip der Hierarchie. Diesem Principe verdankt auch das Ge-
hirn sein Entstehen.*' Woher nur der Verfasser das alles weiss?
Welch' imponirender Gedanke übrigens für jeden gemeinen Sterblichen:
deni Gehirn entstand durch das Princip der Hierarchie! Und was
sind denn die Principien der Gleichheit nnd Hierarchie? Sind sie
Naturgesetze? Der Verfasser beantwortet das sofort auf der folgenden
Seite: „In der menschlichen Gesellschaft wie in der Natur sind alle
Erscheinungen Resultate nicht irgend welcher absoluten Principe,
sondern Ergebnisse manuigfacher Beziehungen, Relationen auf einander
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wirkender Kraft*'." Unrl ^vas ist das alles? das ist Schreiberei nach
dem Principe der ronscfiutMiz.
„Zwischen der Gehiriitliätio-keit und den Vöriranfren in der mensch-
lichen Gesellschaft lassen sich eine Iii ihc von Analofrien entdecken.
In dem Gehinu* tritt das in der Natur oliwaitcndc Gesetz der Inte-
grirung' und Ditferenzirunsr, der Capitalisation und Sppcialisation der
Kräfte in seiner vollen Bedeutung: hervor. A\'as al)er im Inneren des
GeliÜTis vor sich geht, stellt uns auch die menschliche Gesellscdiaft
dar, welche nichts Anderes ist als ein Komplex von Nervenzellen (In-
dividuen ».'• Also findet in der menschlichen Gesellschaft auch eine
Capitalisation und Specialisation, eine Integrirang und Differenzirunf?
der Kräfte statt — eine Entdeckung* von immenser Tragweite! Und
zwar sind es „dlrecte nder indirecte Reflexe (Erregunj^en wäre zwar
das Riclititfe, doch das klingt nicht gelehrt genug-), durch welche sich
die Individuen gegenseitig anregen und entwickeln, ganz nadi den-
selben Grundgesetzen, wie es die einzelnen Zellen thun nnd wie das-
jielhe in jedem Zellencomplexe der Einzelorganismen vor sich geht."
Will der Verfasser nicht einmal die Grundgesetze, nach welchen die ein-
zelnen Zellen nnd Zellencomplexe des menschlichen Organismus durch
dhecte oder indirecte „Befleze" sich gegenseitig anregen und entwickeln,
Ter5ffentlichen? Der Physiologie fehlt bisher ein deraitiges Werk; es
mfiasen aber, wolgemerkt, wissenschaftliche Beobachtungen sein. Jeden-
ialls ist das Material schon vorhanden, sonst könnte der Verfasser doch
nicht behaupten, dass es in der menschlichen Gesellschaft eben so zu-
ginge, wie im Zellenleben. — Man hofft nun, der Verfasser werde im Fol-
genden die concreten Beweise semer Behauptungen bringen. Statt
dessen fährt er fort: „Verfolgen wir diese Wechselwirkung weiter, so
Stessen wir zum Schlüsse wiederum (!) nur (!) auf die das ganze
Weltall umfassenden, sich gegenseitig differenzirenden und auf einander
idrkenden mechanischen Kräfte.** Parturiunt montes» nascetur ridi-
colus mns! Nach dieser Äusserung des Verf. sind es also „schliess-
lich** mechanische Kräfte, welche die Wechselwirkung zwischen den
Individnen der Oesellschaft yermitteln. Auf S. 27 sagte er aber: „Je
mehr die socialen (!) Kräfte den Charakter der Wirkung unorganischer
Kräfte aimehmen, desto niedriger die Stufe der Vervollkommnung und
desto offenbarer legt- eine Gesellschaft die Merkmale dnei* rttckschrei-
tenden Be^veguIlg an den Tag/' Hiernach sind also die „socialen
Kräfte** nicht mechanische, d. h. nicht unorganische. Bas kommt
alles von den .Kräften", denn Kraft ist ja jenes Wort, welches etc.
Auf S. 30 kommt der Verfasser auf schon Gesagtes noch einmal zurück.
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,,.Tt'f;liclu' oriianisehe und sociale Entwickelung- berulit auf der getreu-
seitijyr»'n Keflexwirkuii*;- dei- Zellen, lui niensciilielien wie im tliierischeii
X(M'vensystenie und ili (Tehinie besitzt nämlich jede Zelle die Fähip:-
kt'it iiu'lir (»dtn- weni^^er, in geringerem oder höherem (irade (nur nicht
zu kurz, und hei dei" Wiederholung nur ja hübsch umgedreht I), von
allen aniitu n aiiL^eregt und folglich weiter entwickelt zu werden und
ihrerst'its diiselbe Wirkung auf alle anderen, direct oder indirect Ium-
vorzubringen/' Das ist das schon auf S. '2H berührte Princi|» der
Verrücktheit. „Dies geschieht auf Grundlage desselben Gesetzes, nach
welchem in der menschlichen (Tesellschaft ein jedes Individuum alle
anderen durch directen EiaÜuss anregen und entwickeln kann (ich
„entwickele dich!"). Ans dem Gesagten folgt noth wendig, dass die
Gesetze des Denkens und Empfindens mit den socialen und also auch
mit den Naturgesetzen im "Wesentlichen zusammenfallen müssen." Das
heisst doch wol: die Denkgesetze, die socialen Gesetze und die Natur-
gesetze sind identisch oder nahezu identisch, oder, anders ausgedrückt:
die geistigen wie die socialen Processe verlaufen gleicherweise nach
den allgemein gütigen Xatorgesetzen. Weit gefehlt! Denn nach
S. 126 „wissen w nnr das Eine, dass der innere Zwiespalt zwi-
schen dem Walten der Naturgesetze und jenem der Menschheit ein ^
unaufhörlicher sein wird.**
So wären wir denn glücklich auf S. 30 der „Lichtstrahlen**,
welche mehr als 200 Seiten einnehmen, angelangt Wie es auf den
übrigen Seiten in Bezug auf wissenschaftliche Grundlegung und daran
sich anschliessende Folgerungen zugeht, das wird der freundliche Leser
wol schon aus dem bisher Angeführten vermuthen. Nur ein Beispiel
sei noch angeführt, welches die diesbezügliche Gewissenhaftigkeit des
Verfossers deutlich illustrirt (S. 107): „Keine Philosoplüe der Welt
vermag für die Unsterblichkeit auch nur den leisesten Schein eines
Beweises vorzubringen, und wenn auch das Gegentheil sich nicht
streng beweisen lÄsst, so springt dessen Wahrscheinlichkeit, die
sich überdies mit aDen sonstigen Erscheinungen in der organischen
Natur allein im Einklänge findet, doch sofort ins Auge. Stehen
wir also nicht an, die l'nsterblic likeit für einen offenbaren
Irrt Ii um zu erkeuneu." Das ist keine wissenschaftliche Beweis-
führung!
Wie der Mensch, so sein Stil. Dieser bietet so zahlreiche Perlen,
dass wir nicht schliessen dürfen, ohne wenigstens einige aufgezeigt zu
haben. ,,Sehr leicht mr>glieh wiid die Erkenntnis gewisser Dinge
dem meusclüichen ij'assuugsvermögeu ewig veischlossen bleiben (^S. Ij.'*
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..Dt-r Aiiirritf des Wassers ffejren den festen Enlkr>rper fS. 12\" ,.Der
l'iiterscbied zwisclien dem Meusclieii. dann dem Tliieie und der Pflanze
(S. 21)." „Der J^iirg-er schmäht die Pri^^legien des Adels und ist da-
bei bedächtig, sicli selbst zu privilegiren (S. 371" ..Der Druck
einer Mehrheit aber ist noch unerträglicher (S. 46)." „Poesie und
Kunst sind dem später reifenden Wissen, was die Blüte zur Frucht,
d. h. sie schliessen einander streng aus, denn was Blüte, kann un-
möglich zugleich Frucht sein (S. 51)." Hier geht das „sie" auf Poesie
undEnnst, während es der Verfasser auf Poesie nnd Kunst einerseits und
Wissen anderseits bezogen haben will. ,.Der Kampf wird mit desto
grrisserer HeftiL'-keit entbrennen, als das positive Wissen die Axt an
den Baum des Glaubens legt (8. 63)." „Die Götter sind im Kben-
bilde der Menschen geschaffen (S. 68)." «Entwurzeln der Religion
ist eitles Beginnen (S. 73)." „Diese die gesammte KntTvickelungs-
geschicbte sich hindurch windende Wandelbarkeit der Ideen (8. 76)."
„Niemand glaubt, was er positiv unwahr zu sein weiss (S. 79)." „Das
Gef&ngms ist desto unentrinnbarer (S. 102).'* „Dass der Mensch
minatflrlich erachtet, was sehr natOrlich (8. 159).** „Steifer als je-
mals hSlt die Kirche der Gegenwart an ihren Lehren fest (S. 62)."
^tets grinsten aus dem Wandel und Treiben der Priesterschalt die
eigenen Laster entgegen (8. llby —
Wenn der Verfesser einmal sagt (8. 57), es sei hoch an der Zeit,
dass man erkenne, wie die Theorien modemer Phrasenhelden bei der
modernen Natnrforschnng keine Unterstfttzung finden, so hegen wir
unsererseits die Hoffiiung, dass die wirkliche Wissenschaft und eine
emste Kritik sich endlich einmal aufraffen werden, um den Haupt-
schreiem im Kampf um's literarische Dasein das Handwerk zu legen.
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Obersiedlung der pestalozzisclu n Anstalt von Bargdorf nach
Munekenbuchisee.
Von JET. Marf-Winterthwr,
(Schluss.)
Pestalozzi täuschte sich, wenn er annahm, der Oberamtmann
werde anf seine Gesichtspunkte eingehen und das Gesuch der Regie-
rung zur Berücksichtigung empfehlen. In dem Begleitschreiben, d. d.
12. Septbr., äussert sich derselbe, es sei ^nicht anzurathen, das Schloss
auf eine bestimmte Anzahl Jahre, viel weniger auf Lebenszeit hinzu-
geben. Als ich hieher kam, glaubte ich, es werde ein Leichtes sein,
in oder ausser der Stadt eine Wohnung für mich und meine Haus-
haltung zu finden, habe aber seither in Erfahrung gebracht, dass es
nicht möglich ist, sich auf diese Manier einzurichten, und bin daher
gezwungen, bei M. Hochgeachten Herren anzuhalten, dass sie mir auf
künftiges Frühjahr das Schloss für meine Wohnung einräumen
möchten.**
Die zwei einander widersprechenden Begehren Pestalozzi's und
Stürler's setzten die Regierung in nicht geringe Verlegenheit. Dem
Oberamtmann war man eine seiner Stellung angemessene Wolinung
schuldig und doch ging es auch iiidit wol an, Pestalozzi glcidisaui
unter den Augen von ganz Kuruita ans dem Schlosse wegzuweiseu.
SchultliPiss von Watteuwyl, der das pestalozzisrhe Institut aus
eigener Anschauung kannte (er war am 8. Juli 1<S0;{ auf liesuch dort;,
äussert sich in seint^m (Gutachten muh -2. Oktober 1803 u. a. also:
..i btr tlfii zu «'iwarteiKlon Nutzen »lirser rA'liiaii.stalt sollt»- es schwor
sein, etwas liestiuiiiites für die Zukunft zu t-nt.scliei«leii. Indessen ist das wirk-
liclie Resultat dieses Elementarunterrichtes so auffallend für Fremde undKin-
heimischet die die pestalozzische Anstalt besuchen, dass die Regierung aller*
dings abwarten soll, ob die Folgen der Erwartung entsprechen, und mittler-
weile nicht nur derselben nicht Hindernisse in den Weg legen, sondern noch
einige Untfrstützung' gehen.
..Hetraehtet man fenn-r das jranz ansserordentlielit' Aufseh. ii. so diese
Anstalt in gauz Europa gemacht hat, die wahre Schwilriuerei, mit welclier die
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s-plfhrte Anneo. Deutsclilamls dit^ N'oi-tlieile dieses P'leniciitai-untt'i riditrs in
uiitu üfleutliclien Blättern und Schritten ausposaunt, und die (ii*liihr, mit
diesem intoleranten Heere öffentlich in eine Fehde zn treten; er-
wigt man, das anch aagar die fr&nkischen Gelehrten nnd Halbg^elehr-
ten, Generiile, Minister etc. sich haben einnehmen lassen, 80 sdireibt
auch Staatskluirheit vor, der Fortdauer dieser Anstalt nicht entgegen ZU sein."
Er räth, den Begeliren Pestalozzis theihveise zu entsprechen: „Fort-
daaer der nnentgeltlicben Bewohnang des Schlosses auf unl)estimmte
Zeit; Übernahme der Unterhaitun? der Dachungen; Überlassung der
Nutzniessung der Gärten und Pünten.^
Filr den Oberamtmann könne man iSchnelTs Sommerhaus ankau-
fen, welches nebst dem dazu gehörigen Land ein Gegenstand von un-
gefilhr 26000 Ü. (Convenienzpreis) sein mag. Auf diese Weise wäre
allem entqprodien; der Stand wflrde Herrn Pestalozzi und seiner An-
stalt eine beträchtlicbe Unterstützung gewähren, mittelst welcher,
wenn sie mit Ordnung eingerichtet ist und wahren Nutzen bringt,
selbige sehr wol gedeihen kann; nnd Herr Oberamtmann wäre ange-
nehm und wolfefl logirt Sollten dann späterhin die Umstände an-
gemessen machen, denselben in das Schloss zu versetzen, so könnte
diese kleine Besitzung immer ohne grossen Yerlnst verkauft werden.
Kurze Zeit nachher, am 11. October ging auch das am 10. Au-
gust verlangte Gutachten des Kirchen- und Schuldepartements ein.
Diese Behörde hatte sich angelegen sein lassen, die Sache an Ort und
Stelle za prOfen, auch sonst Nachfrage zu halten und berichtete also:
„Infolge des erhaltenen Auftrages begab sich eine Commission aus dem
Ifittel des Departements selbst nach Bugdorf, nm dort von der Einrichtang
md Beschaffenheit dieses Instituts die nöthigen Berichte einzuziehen nnd von
den Zöglingen selbst sich Proben ihrer Kenntnisse abstatten zu lassen, weli h»-
:ill» r<li u g-s znr Zu fi i' dtMiheit der Commission nnsfielen. Da jedoch
die Kürze derZ^'it dit scs blo.^sen. nocli dazu uneru artrtru Hesnclis keine p-ründ-
liche Prüfung und Untersuchung gestattete, so bemühte sich das Depaitenient
sonst anf alle Weise, eeine Kenntnis dieser Anstalt zu vervollständigen nnd
hat nnn die Ehre, Ihnen, hochgeachte Herren, seine Oedanken dar&ber vorzn-
tngen.
^i berrtüssig scheint es dem Departement, hier in eine weitUlufige Dar-
stelluncr und Bfurtheiluiifr der jx^istalozzischen iletliode iiiid dei- etwanijjen
Mäiii^t'l dieser Anstalt einzutreten. Zu leu<,nien ist es freilicli nicht, dass der
positive Unterricht allda noch sehr vieler Vervidlkomninung und Ausdcliuung
fiüiig wäre nnd in sehiem jetzigen Znstande voiziiglich nur als erster Elemen-
tanmterrieht för Kinder nen ist Als solcher aber hat er unstreitig wichtige
und sehrwesentlichi' \'orzüge vor allen bisher )m kannten Lehrmethoden. Noth-
wendi^ ninss derselbe durch bt <t'nidi«j:e t'l)uni;- dt r Fassuuf^skrilfte und des An-
s( hauungsvenuöirens den \'er.staiui der Zögliiii^i' liildcn. ordnen und autliellen,
und besonders ihre Aufmerksamkeit in vurkonnueudeu Füllen erhöheu und
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schärten, hauptsäclUicü iu Mathematik und Becbuuugswisseaschal'teo. Auch
die Anstalt selbst hat schon wirklich in anderer Rtteksicht wolthfttigeu
Einflnss auf das gesammte Land gehabt, indem sie als eine Schale für
Schnllehrer, auch ab dem Lande, angesehen werden kann und bereits sehr viele
mit Erfolg allda ilire pädagogischen Kenntnisse zu erweitem und auszubilden
angefangen halten, wodurch gewiss den Landschulen und mit ihnen
der Cultur unsers Volkes ein nicht gerinfrer ^'oI•thoil erwächst.
Kurz, weder dem Staat noch der Religion kann diese Anstalt und
diese Methode an sich je die mindeste Gefahr drohen und ist in
jeder Hinsicht also eher nfitzlich als schftdlich.
^ Nicht weniger verdienen aneh die Empfehlung des Herrn Landammanns
und der schweizerischen Taprsatzung in Betrachtung zu kommen, vorzüglich
aber das Aufsehen und die Achtung, welche diese Methode, dies Institut und
sein Voi-steher Pestalozzi last in g-anz Europa erworben haben, wobei denn
die sicher nicht ganz angegründete Besorgnis entsteht, wenn diese Anstalt aus
Hangel an Unterstttteong von der Begiemng ans in Yer&il gerathen oder gar
zu Grande gehen sollte, so mOehte der onangeneiune Verdacht and Vorwarf
auf die hiesige Regierung fMlen, dieselbe habe aas individuellem Wider-
willen gegen die Person oder die Grundsätze des Unternehmers den
W'vrt dieser Anstalt nicht zu schützen pewusst und durch Verwei^erong VOn
Unterst iit zu iiir zur Aullösung oder zum \'erfall derselhfii bei«retra^en.
„Aus all diesen Betrachtangen glaubt das Departement einmüthig, diese
Anstalt sei als eine nützliche Erziehungsanstalt allerdings zu begünstigen und
zn anterst&tzen. Da aber weit die metirsten Kinder in diesem Institut nicht
ans dem Canton Bern, sondern ans anderen Gegenden der Schweiz, vorzflglich
in grosser Anzahl aus dem Canton Leman, thefls aus dem Ausland dahin ge-
st nd*'t werden, so sei hiesiger Regierung nicht zuzuniuthen. dass sie die Er-
haltung- (lieser Anstalt j^auz übernehme, sondern es sei hinreichend, wenn mau
von liier aus ein Local zu deiwlben anzeige und zwar, wenn es möglich wäre,
ihr das Schloss Bnrgdurf ferner überliesse. Sollte dies nicht thunlich
sein, so könnte man ihm sonst ein Öffentliches Gebftnde anweisen, indem
das zahlreiche, dermalen anf mehr denn 130 Köpfe sich belanfmde Penonal
einen Raum erfordert, der in einem Privathause schwerlich möchte angetroffen
werden, wobei dann auch die Hefrierunjr die beträchtlichen, dem Herrn Pesta-
lozzi zu ^rr<i.sster Beschwerde irereichenden 'rraiisiim tkosten übernehmen und
endlich guttindenden Falls noch pro rata der Beischüsse von den übrigen Cau-
tonen ihm einen Beitrag bewilligen könnte."
Das Deitarleiiu'iit rätli, falls das Scliluss Hurgdorf geräumt wer-
den müsse, dem Institut. ..v<azüglicli aus pülitiöchen Rücksichten,'' das
Schlos.s Küniz^ i anzuweisen.
Die Ansicht, man solle Pestalozzi anruthen, auf dem WVjre rler
Silbscription tlir seine Anstalt, da sie Ja ein blosses Privatunternelimeii
sei, zu sorgen; eine öUeniiiche Unterstützung würde eiu Präjudiz
*i Die Bewohner von Müncheubuchsee galten tVn n volutionfir gesinnt, der horr-
sdienden poiitiflchen Bicbtuug abhold, die von Köaiz dagegen für lojaL
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isdialieii. das für den Staat fatale Fnl^^eii haben ktiimte. wur>lr zwar
ausgesprocbeu und vertlieidigt, uuterlag aber sümtsklügereu Rück-
sichten.
In \\'ürdi<run^ dieser Gutaeliten besrliloss die Reirienmir. Abtliei-
luiig Finanzratli. dem die Antrag^stellunir in Fi-at'en des Staatshans-
lialtes znkani, den Stadtiatli von Burgdorf aufzufordern, „einen seliiek-
lichen Wolmsitz tur den Oberamtmanu ausfindig zu machen." Die
Vors«>hläge dieser Behörde (vom B. November lb03) lauten:
„1. Wäre das hies. Pfarrhans so greräuuliii und in einer so angenehmen
Lasre. dass man es mit einiu:t ii Reparat innen zur Wohnuno: eines Öber-
anituiiinns bequem einrichtt n krinntf. Tn diesem Falb- würde dann die
Stadt, auch nahe bei der Kii-che, dem Henii i'tarrherru ein Haus au-
m^sm, daa firdlieh weniger Zimmer hfttte ab das Pfarrhaus.
2. KSnnte die ehemalige Schmiedengesellschaft angekauft werden, ein
Hans, das atif einem freien Platze steht und Jede n^thige Erwdtemng
"der Verhöhung znlRsst, um die Zahl dei- Zimmer zu vennehren.
3. Würde eine änsserst anerenelmie kleine Campainie. eine halbe ^'ierttd-
.stundr vor der Stadt g^ekautt weiilcii können: sie irehört Jetzt dem Alt-
statthalter Schnell, der vor einigen Jahren das iiaun im Innern fast
ganz neu bauen liess. Es enthUt bereits eine hinlängliche Anzahl wol-
eingerichteter Zimmer zur Wohnung eines Oberamtmanns."
Dieser Vorschlag stimmt also mit dem des Amtsschultheissen yoii
Wattenwyl.
Im Weiteren fügt der Stadtrath hei:
„Wir erkennen die Aufmerksamkeit, die Sie der pestalozzischen Erzie-
himgsanstalt gOnnen, mit grösstem Dank. Wirklich wäre es für die Stadt
Bu^orf ein grosser Nachtheil, wenn dieser verdienstvolle Mann sein Institut
anderswohin v^^rleireii niiisste. J[ancher arme I^Urjrer hatte in den letztvertlosse-
nen luifrlücklirlieii .Jaln- n ib-n Unterhalt seiner Familie fast eiii/.i;jr «lern \'er-
dienst zu verdanken, der ihm von daher zutloss, und mancher l'ubemittelte hat
dsdorch sich auf einen gewiBsen Grad von Wolstand bringen k9nnen. Aller-
dings ist es schon deswegen unsere Pflicht, fttr die Beibehaltung dieser Binde-
hongaanstalt alles Mögliche beizutragen."
Dem Oheramtmaim gefiel keiner dieser Auswege. Er konnte wahr-
scheinlich mit dem Gedanken sich nicht aussöhnen, dass er unten in
der Stadt in einem bescheidenen Landgate wohnen und . Bttrger
Pestalozzi oben im stolzen Schlosse thronen solle.
„Keines der drei vorgeschlagenen Hänser," schreibt er unterm 5. Novbr.
an die Behörde, „könnte ich der Regierung anrathen, zu diesem Oebrauche
einrichten zu lassen, indem es sehr betrilchtliche Summen brauchen würde, um
rie nur verträirlich zu machen. Das Schloss ist und Ideibt «Ii«' einzicre
schickliche Wolmunj^ für den Amtsmann, weil ilurten die (Tcfanir.n-
schafteu, die Archive, die Scheune, Stallunjj, Gärten etc. sämmtlich beieinjuider
smd. Hingegen sollte mau ein Haus in der Stadt bewohnen, alles entleg^en
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— öü —
und ans diesem Oronde sehr vielen ünannelunlichkeitea ausgesetzt sein, der
Kosten nicht eingedenk, die es z. B. in Criminalproeeesen nach sich ziehet,
indem icli jedesmal, wenn ein Gefangener von Wichtigkeit in mein Haas zum
Verhör la^ebraclit wird, zwei Mann znr Siclierlieit niitg-eben mass, um ihn den
Schlossrain hinab und durch die iranze .'^tadt zu t'ülirm und 8o wicdt-r zurück.
So wäre es noch wenij^er möglich, die (ieliingeueu gai" iiw ^Skshnell'schej bomiuer-
haus liiuans zu trauspurtiren.
„Endlich, Hochgeachte Heiren, mnss ich Ihnen bemerken, dass der Heir
Pestalozzi, ohne seinem Institut im geringsten NachUieil zubringen, in einem
der noch leer stehenden Schlösser, wie Buchsee. Landshut oder Frienisberg
sich einriditen kann, der Qberamtmann von Bargdorf aber nicht wol anders
als daselljst wohnen kann.
„Schliesslich möchte ich M. Hg. Herreu noch hr»flich ersuchen, die Deci-
sion dieses Gegenstandes womöglich zu befördern, damit ich einmal
wissen könne, wo ich zu Hanse sei."
IUI Mdcher Sachlage konnte der Eutscheid nicht mehr lauge aul-
gescholx'U werden.
Im Schosse des FinanziaTho wurde die An^ele«ienlH'it am 7. De-
cenilier 18Ü3 wieder ausführlich besprucheu. Uas Keäultat war fol-
gendes:
„Das Begehren Pestalozzi's um Überlassung des Schlosses ßurgdorf kiuin
iiui* insofern Berücksichtigung finden, als der Oberamtmann sich in der Stadt
ein Haus zur Wohnung finden kann und will. Da derselbe sieh aber wirklich
um die Wohnung im Schlosse angemeldet und wünscht, solches kiinftiges Früh-
jahr beziehen zu können, so ist in das Begehren Pestalozzi*» nicht ehizu-
rreten. sondern er ist ledii;lieli damit abzuweisen. Sollte aber Herr I^esta-
lozzi ein anderes Locale, das dem Staat {reliört und keine andere Bestimmung
hiit, aui'tinden und sich um Uberlassuug desselben bewerben, so kann dann ein
solches Nachweiben auf ein Neues untersucht und vielleicht in Mehrerem oder
Uinderem eingetreten werden.**
Der Kleine Rath leistete einer annehmbaren Lösuuf^: der Frage
insofern besonderen Vorschub, als er das Bauamt einlud, mit Zuzicliun«,^
Pestalozzi'» das Scliloss Münchenbuchsee in Augeusrhein zu neh-
men. Diese Inspcctiun l'aiul am 9. Januar 1804 statt. i)er Bericht
über den Zustand desselben lautet niclit <xi\v tröstlich:
„Man kann sich leicht vor.stellen, duss ein beinisches Sehloss, welches
zum Spital krfttziger und venerischer Soldaten frSnkisdier und helve-
tischer Nation preisg^eben wurde und in welchem meistens die Wache, welche
für Or liiiing dahingestellt sein sollte, den grOssten Uuftig anzurichten sich die
Freude jnaehte, ganz ärgerlich mitgenommen wfu den sein mnss. Wenn man dabei
bedenkt, dass. nm die so bewohnten (u bäude tni- Manschen wieder gesund und
nützlieh zu niaelicn, eine surgtliltige Hi-inigung, Abbrnhung. AbseliabunL'' und
Anstreichung alles Holz- und Mauerwerks auf alle Falle rilieht und unaus-
weichbar ist, und dass alle Scblosserarbeit losgestohlen, mehrere Fenster und
Thüren eingeschnüssen, wie auch mehrere Läden und Ziegelplatten der BOden
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Ifr^jcft-rissen sind: doi- 7Af}j:c\\ii"h-n des Estrichs zum Tlicil ubiiedcckt \vurd<'ii ist
uiid die Ziegel als Maieiiiilien zu täglichen Keparatioueii der Gänge luid KUche
dienen mnasten, so wird man gewiss auf eine ziemliche Somme sich gefasst
machen. Die Kosten belaufen sieh anf nngefllhr Frcs. 4000. Bei EiTichtnng
diepes Übei-schlags ist nicht der j^eringste Luxith, nicht Anstand, nur
nriijufe Keinlichkeit tÜr die darin aufzunehmende Jn^end und der wolfeilsfe
Weg in Anschlag gekommen. \V(dlte man dieses Scliloss zur Wohnung
eines Amtmanns oder einer andern Anstalt machen, so müssten die
Kosten gewiss stark vermehret, wo nicht verdoppelt werden.
,3«iT Pestalozsi ist damit zufrieden, hatBanm nnd Icann nach Bedürf-
nis denselben noch mit vier Zimmon im Bodengeschoss des nenm Kornhanses
vennehren. Kr omptielilt sich inständig um diese Wohnung, bittet, dass man
ihn nicht auf dii' GaKse stellen und nnglürklich machen wolle. Die Auflösung
seint-s jetzigen Hauses wäre ein unwiederbringlicher Schaden, es würde in die-
ser Gegend Verdienst. Arbeit und Geld austheilen*' etc.
Am 14. Jänner 1804 ..erkennt nun der Kleine Rath, dass das
8chIoss zu Bnrgdorf. seiner eigentlichen Bestimmung gemäss, sobald
als möglich dem dortigen ( )lteramtmann eingeräumt werden solle."
Ein bestimmter Zeitpunkt wurde nicht festgesetzt, auch einer ander-
weitigen I^nt Erbringung der pestahizzischen Anstalt nicht gedacht.
Man wollte einen Anti-ag des Finanziatlies abwarten.
Dieser Beschlu^s erregte bei der Bürgerschaft Burgdorfs
..Wehklagen", bei Pestalozzi grosse Besorgnis. Der Stadti-ath von
Burgdorf beeilte sich, der Regierung die Kolgen voi-zustellen, welche
die Entfernung der pestalozzischen Anstalt für die Stadt nach sich
zöge.
„In der That", wiederholt er in einer Eingabe vom 19. Jänner, ,,muss
man gestehen, dass diese Anstalt einen vielseitigen Nntasen für uiisern kleinen
Ort haty also das WebUagen der Bürgerschaft Aber deren Abgang begründet
iat. Dieselbe fasset, die Menge der zu- nnd abgehenden Fremden abgereehnet»
bovits in die 130 Personen und ist einer steten Erweitemng fllhig. Beinahe
jeder Handwerker, die Handelsleute, die Wiite und wer sich mit dem Verkauf
von Landeserzt^ugnissen abgibt, weiss sich da einen mehreren oder minderen
üewinn zu vei-sciiaffeu. Die Schule bietet überdies sowol iu Hinsicht der
Mit ftaslielieii Lehrart nnd der sehneUm FortBchritte der Zöglinge als der
massigen Forderangen (in Sachen des Pendonsgddes) des Unternehmers die
betrtditliclisren Vertheile dar. Anch sind die Früchte des gesellschaftlichen
Umganges der Lehrer, ihres Geschmackes für Musik und übrige schöne Eftnste,
das Beispiel der mit freudiger Freiheit an Zucht uud r)i (lnung gewöhnten Kmx-
hen iuid andere gleichartige Vorzüge dieser wiclitigen Anstalt nicht zu über-
sehen,"
Die Behörde erinnert daran, dass bei einer andern Bestim-
mung des Schlosses die nandiaften Summen, welche auf den inneren
Umbau zur Unterbringung der Anstalt verwendet worden, unnütz aus-
gelegt wären und walirscheinlicb noch verdoppelt werden müssten,
PicdagogiuD. 4. Jahrg. lieft Ii. 6
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wenn die getroffenen Einrichtunpfen wieder deiiiolii t nnd die Räume
zu einer Wohnung; tür den Oberanitinann eingerichtet werden müssten.
Sollte diesem aber ..j^ar selir daran lief^Hi'', ins Schloss zu kommen,
so sei Burj?dort" nicht ungeneigt, Pestalozzi eine andere, seinen Be-
dürfnissen entspre(;hende Unterkunft zu verschaffen, seihst zu einem
Neubau zu sclireiten in der Voraussetzung, dass ihm unterdessen der
Aufenthalt im iSchlosse gestattet sei.
,.Da wir diese Anffelesreiilieii uml (ii«' A1).si( hten dtT holu-n l't'üierungr
nicht von allen Seiten kennen, so bertntlen wiv uns aucli niclit im Stande,
diizu diejenigen Vorschübe bestimmt anzubieten, welche iu luisern Kiät'icu sein
dfirften. Wir nehmen aber die Freilieit, Sie zu verdchem» daas nns Icein mit
dieten Krttften im VertilltniB itehendes Opfer zu gross wize, am der nnserm
Orte so wolthätigen Anstalt ihr Dasein zu fHsten, wenigstens d^ liberalen
FnteiTiehmer, diesem um das Unterric hts- nnd Erziehunprswesen so verdienten
Greisen, seinen Aufenthalt unter uns auf seine Lebenstage zu sieheni."
Diese allzu vorsichtige Zuschiift mit ihren .. untassbaren Vor-
schlägen" machte weder bei der Regierung besonderen Eindruck, noch
wollte sie bei ihrem späteren Bekanntwerden Pestalozzi und den
Bnrgdorfer Bürgern gefallen. Sie sei weder kalt noch warm.
In den massgebenden Kreisen Berns schien sich immer mehr die
Ansicht geltend machen zu wollen, die pestalozzische Anstalt sei eine
reine Privatsache nnd habe als solche keinerlei Ansprach auf Staats-
hüfe. Gegen diese Anffiissung glaubte sich Pestalozzi energisch
wehren zu müssen.
,,Da der Beschlnse/I so beginnt sein Memorial an den Kleinen Rath, d. d.
30 Jänner 1804, „das Schloss Burgdoif zu einem Hegierunjun;sitz einzurichten,
von M. G. Herren ausser aller Verbindung mit irgend einer Massregel zur Eir-
haltnng des auf diesem Schlosse betindliehen Krziehnngsinstitutii genommen wor-
den nnd daraus zti «ilielleii sdieint. da.s.s Hotlidieselltcii dieses l'>tablis,seiuciif
in doi' gleichen Kategorie mit allen übrigen l'rivatanstalten ins Auge zu fassen
gemheUf so finde ich mich genSthigt, Hochdenselben ehrerbietig vorzosftell«!:
1. dass ich dieses Etablissement auf die difentUefae Aufforderung der Be»
giernng und unter dem beständigen ununterbrochenen Foitgennss ihres
Schutzes und ihrer Unterstützung angefangen und betrieben;
2. dass dasselbe sich auch <ladnrch als eine riflcntliclie rnternehinung qnaliti-
cirt, weil es wesentlich eine Experinit ntal»chule ist und nur auf eine
diesem Gesichtspunkt untergeordnete Art als eine Pensionsanstalt ins
Auge gefoast werden kann;
3. dass ich niemals in der Qualität efaies Vorstehers efaier Pensionsanstalt,
sondern bestimmt als Unternehmer von Versuchen, welche die Orgaai-
sinmg eines neuen Elenientamnterrichtes bezwecken, UnterstäUvng nnd
Handbietung genoss;
4. dass ich in der ersten (Qualität so wenig jetzt als damals euie solche an-
spreche, sondern im Gegentheil jede öffentliche Handbietong nur als
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rntornolimer diesor Vorsuche, und in jedoni Falle nur auf die wenigfAn
Jahre, die zur BtMMuliü^ung: dieser wesentlichen Theile dei'seiben noch
erforderlich sein mügeu, suche und wUusclie;
■5. dm, weim et ftnoh die abgetretene Regierung ven&nmte, mir diese
dnrdi einen f5miliciien Aooord fftr jeden Fall sicher zn stellen, sie
dennoch dorch ihre Massregeln die \'erpfliehtung: auf sich genommen
nnd als auf sich habend eikannt. mir den Genuas der zu meinem Ver-
such an die Hiuid ^eg^ebenen Mittel und die Vortheile bis ZOT Voll-
enduuf^ dei-selbeii in Händen zu lassen:
6. dasä, indem diese Regierung mit einer Experimentalschule noch ein
SchidmeiBterseminariiiin Terlninden und alljährlich die Kotten einer
betiftchtlichen Anzahl in diesem Hanse zu bildender Schnlmeister anf
sich genommen, sie auch dadurch offenkundig gezeigt, dass sie ihre
Verpflichtung gegen mich nicht blos auf die Zeit, welche die Beendigung
der zu meinen Zwecken wesentlichen imd nothwendigen Vei-auche er-
fordern möchte, sondern seibat auf die Erfoi^demisse der Anwendung
dieser Versuche und auf die Zeit, in welcher diese eintreten würden,
aasgedehnt wissen wollte;
7. dass selbst die Verwaltong des Ldbl. Cantous Bern mehrere tausend
Gulden für meine Anstalt im Schloss Burgdorf verbaut und dadurch
au* Ii ihrerseits durch Massregeln der Hetrierung zur dauerhaften Er-
haltung meiner Anstalt auf eine ausgezeiclmet wolthätige Art bei-
getreten.'^
Dann weist Pestalozzi nach, dass und wie er auf Grund dieser
Resrierun^sniassreireln sich eingerichtet, unter Mühsal. Selbstverleug-
nimer sich diirchjjfckämpft, „nie mit sich selbst gerechnet, nur seinen
Zweck gesellen und für denselben gelebt habe mit einmi Wolw'ollen,
niit einer Liberalität und Unbefanfrenheit. die ihn jeden Tai^- und jede
Stunde weiter jjefiihrt, als er nach seinen Privatkrätten hätte fehen
sollen; er habe arme Kinder ausser dem Verhältnis der genos-
senen Unterstützung in sein Haus aufgenommen; ja dieses habe
dem Armen, der seine Zwecke gesucht, bald in jedem i^'alle otten ge-
standen, und selber dem Halbai'men. der mit ihm gegessen, liabe er
nur schüchtern und nur halb gefordert, was er schuldig geworden und
wessen er, Pestalozzi, wahrsclieinlicii melir und dringender bedurft
habe, als jener selber; aber er habe bei allem dem Vaterlande und
der Obrigkeit in dieser Angelegenheit unbedingt vertraut, habe ge-
glaubt, jenes sei als Staat für sein Unternehmen unsterblich.**
^ sei es geschehen, dass er mit dem Selbstgefühl des Bechtthuns
<la8 untemommen, zu dessen Durchsetzung seine Ki'äfte nicht hin-
reichten, dabei habe er sich selber über beides, über das Gefähi'liche
nnd Beschämende ökonomischer Hemmungen und Verlegenheiten er-
haben gefühlt. Er habe seinem Ziele entgegengestrebt, „als ob es
gewiss für ihn wäre**.
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l)ann fälirt er mit bercclitigtein >Se]V»stgefühl also lort:
..Es war es freilich iiiclit! aber es pelang-. — es ist ein Wunder, dass
es gelungen ist. Gottes Vorsehung kam jeder meiner Schwächen zu Hüte, und
tausend Gefahren, die ich nicht ahnete, venchwanden ohne mein Znthnn, al»
ob sie nicht dagewesen wären. Meine Schule ist die erste Elementar-
schnle Europens, ihre Uoternehmnng ist jedes Fürsten würdig,
ihre Kesultate stehen nnerschütterlich da-, meine gereiften Zög'
linp-e leisten, was vor meinen VerRuehen nirgends geleistet worden
ist und was olnie sie nirgends geleistet werden kann. Die Zeit, in
der ich mit Thräneu säele, wilre nun vorüber, ich könnte jetzt mit
Fronden ernten. Die Zalü meiner Schüler, mein Zutrauen und alles ver-
einigt sich, mich jetst hoffen zu lassen, ich sei am Ziel meiner Aufopferungen
und meiner Sorgen. Aber der Beschluss, das Schloss Bnrgdorf zu einem Be-
gienmgssitz einznriditen, wie er genommen ward, setzt diese Hoffiinng fBr
mich wieder in eine imgewis^e und unbestimmte Feme.**
..Indessen'', so endet die Eingabe. ..tüusflie ich mich über meine Lntre
gar nicht und will ancli durchaus keinen Schritt tliun. der meiner rechtlidien
Stellung nicht angenu^ssen ist. Ich weiss, dass ich es versäumt habe, von der
helvetischen Regierung einen mein hiesiges Bleiben versichernden Accord zu
begehren und ftthle mich durch diesen Fehler in die Lage gesetzt, durchaus
nicht die Gerechtigkeit M. G. HH. ansprechen zu dürfen. Aber wenn auch
meine rechtliche Stellung mir es gftnzlich verbietet, anch nur einen Wunsch
gegen diesen Beschluss zw wagen, so erlaubt mir liingegen dieselbe vollkommen,
ja sie macht es mir sogar zur i 'flicht, niit eben dem Vertrauen, mit dem ich
unter der helvetischen Regierung an das Menschenherz meiner Obrigkeit
und meines Vaterlandes glaubte, zweifellos zu erwarten, dass meine Hoch-
geachten, Hochgeehrtesten Herren geruhen werden, berührten hohen Beschluss
mit Massnahmen zu yerbinden, welche die wolthätigen Folgen meines Unter-
nelimens sowol für mein Vaterland als auch für mich selbst auf eine Ihnen
beliebige Art sicher stellen werden.*^
Das Gutachten des Finanzrathes vom 16. Febrnar an den Kleinen
Bath fiber die Doppelfrage: „Ist die hiesige Caatonsregiening im FaD«
der pestalozzischen Lehranstalt eine Wohnnng in hiesigem Ganton
und in einem öiTentlichen Gebäude anzuweisen nnd zn verschaffen?
In bejahendem Fall, wo kamn dieselbe hinverlegt werden, nnd was
eifordert solches für Anstalten?" zengt weder von grosser Wärme
für eine allgemeine Volksbildung, noch von grosser Sympathie für
Pestalozzi.
In (lieser vorbei atheiuleii "Reliörde standen .sich in Bezug auf die
erste Frage zwei Ansicliteii gegenüber. Nach der einen ,.tiiKlet sich
nicht der geringste (rrund. warum das pestaluzzische Institut dem
hiesigen ( anton ansschliesslich zur Last fallen soll. Der Unternehmer
ist kein Cantonsangehöriger. so wenig als der grösste Theil
seiner Zöglinge. Nicht nur hat derselbe schon seit mehreren Jahren
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<!ie W'ohiiiinGf im Schloss Bnrtr(l)rf, welches von der liit'sigHii Ver-
valtnnj^skammer zu seiner Autiiahine eingerichtet werden niusste,
nebst zugehörigen Gärten und Ptlanzplätzen ganz unentgeltlich benutzt,
sondeiTi es musste ihm noch eine jährliche beträchtliche Holzsteuer
aus den Cantonswaldungen gertdcht werden. Und jetzt, da das Schloss
Bargdorf zom Dienste der Kegiemng zur&ckgenommen wird, sollte
man ihm mit einem Aufwände von mehreren tausend Franken eine
andere Wohnung einrichten, eine Summe, die in wenig Jahren, die
Bestimmung des anzuweisenden Gebäudes mag sein, welche sie will,
als ganz verloren angesehen werden muss, und das zu einer Zeit, wo
der Finanzznstand des Oantons die grdsstmSgliche Ökonomie zur
heiligen Pflicht macht, zu einer Zeit, wo aus diesem Grunde dringen-
dere und fOr die Begierung und deren Beamten nützlichere und an-
geoehmere Banausgaben unterbleiben mfissen. Hat selbst die Tag-
satzung blos mit Wünschen und Empfehlungen als die wolfeilste
ÜBterstatzungsart sich begnfigt und von aller thfttigen HUfe abstrahirt,
mit wachem Becht kann dann von dem Canton Bern gefordert werden,
«eh ausschliesslich der pestalozzischen Lehranstalt anzunehmen? Wie
geneigt die übrigen eidgenössischen Stände sind, etwas zu
dessen Beförderung oder Erhaltung beizutragen, beweist auch noch
das letzthin von der Liquidationscommission in Freibnrg eingelangte
Sehreiben (s. o. S. 8), laut welchem sich, ausgenommen Zürich, dessen
Csntonsbürger der Pestalozzi ist, keiner der 19 Stände sich bis
dahin dazu hat verstehen wollen, einigen Antheil an jenen Frcs. 40(X)
zu ül)ernehraeu. welche die helvetische Regierung dein Pestalozzi
vorgeschossen und um deren Wiedereinschnss in die helvetische Ver-
raögensraassa es dermalen zu thun ist. Ohiu* endlich die Frage, in-
wiefern es der hiesigen Regierung con venire, die pestalozzisf-he
Lehranstalt zu unterstützen, in politischer Rücksicht zu unttM -
suchen. wo dann nocli Vieles angeführt werden konnte, das
nicht zu deren Vortheil gereicht, wird in volh-r Ülterzeugung
dahin geschlossen, den Pestalozzi in seiiiein Begehren lediglich
anzuweisen und ihm zu überlassen, sich eine \\'(dinung zu verschalten,
um so da mehr, als der hiesige C'antou die Fol [reu der helvetischen
Begünstigungen ohnedem schon schwer genug emptinden wird. • •
Die andere Ansicht war Pestalozzi günstiger: „Man fühlt zwar
wol. dass die Regierung des Cantons Bern keine positive Verptticb-
tung auf sich liabe, für das fernere Unterbringen der pestalozzischen
Lehranstalt zu sorgen. Wenn man aber erwägt, dass diese Anstalt
non dnmal im Canton Bern sich befindet, dass sie in demselben nicht
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nnr von <ler helvetisclu^n Centralregfienrnpr, suiult^in selbst auch von
der VenvaltungrskaiiiiiH^r des ("antons in iiielir oder wenifrerem be-
pünstigrt worden ist, dass HeiT Pestalozzi selbst Zusielieruniren auf
die Zukunft erhalten hat oder docli auf eine fortjjesetzte Begunstig:ung
zählen konnte, dass er jetzt aber auf Hoclidero Befehl das ingehabte
Schloss Bui'gdorf in kurzer Frist verlassen und von daher, wenn nicht
gar die ganze Anstalt darüber zn Gninde gebt, sehr beträchtlichen
Schaden erleiden muss, so findet man, dass es der Billigkeit allerdinga
angemessen sei, in etwas wenigstens für dieses Institut zn sorgen»
Dazu kommt denn billig noch in Anschlag der grosse Bof , den diese
Anstalt erlangt hat and den sie, wenn nicht im Ganzen, doch
zum Theil verdienen mag. Sollte nun dieselbe durch deren Auf-
hebung in Bnrgdorf wirklich ganz eingehen, was ohne fernere Für-
sorge wol der Fall sein dflifte, so steht zu besorgen, dass dies ein
sehr widriges Licht auf die Begierung verbreiten und zu den schie-
festen Urtheilen Anlass geben würde, dahingegen eine etwelche Be-
günstigung dieses Modeinstitnts dei*selben zur grössten Ehre wird
angerechnet werden. Es ist auch zu erwarten, dass einige andere
Cantone, die eben erst aufgefordert worden sind, jjrleirli dem von
Zürich, der sich zuerst geäussert hat, etwas zum I^esteii jener Lehr-
anstalt beitrairen, wo es denn wieder selir abstechen würde, wenn
Bern bei seinen nocli immer nicht zu verkennenden Vorzü^ani vor so
vielen anderen Cantonen gar nichts leisten, sondern vielmehr die Fort-
dauer der Anstalt behindern würde. Endlich dann kann noch die
Betrachtung gemacht werden, dass die Lehranstalt des Herm
Pestalozzi eine beträchtliche Menge Fremder ins Land zieht, was
doch immer als vortheilhaft angesehen werden muss.
Für den Fall, dass der Kleine Rath die letztere Ansicht theilen
nnd zu dem Schlüsse gelangen sollte, ein uideres dft'entliches Gebäude
im Canton Pestalozzi zur Unterbringung seiner Anstalt anzuweisen,
geht der einstimmige Antrag des Füianzrathes dahin, „das Schloss
Mttnchenbuchsee anzurathen, mdem dasselbe ohnedem in seinem
dermaligen Zustande nicht bewohnt nnd schwerlich verkauft
oder verliehen werden könnte, ausschliesslich aber das Schloss,.
d. K Haus und Hof, sammt dem Garten, aber ohne Pflanzplfttze
noch Holz.
Diese Überlassung soUte auch nur auf ein Jahr bestimmt und
dem Pestalozzi zugesichert sein, da er sich dann alljährlich um
Verlängerung dieser Gunst anzumelden haben würde. Zur
iSüuberung und der allernuihwendigsten Herstellung dieses-
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Schlosses erlurdert es jedocli eine Summe vou Frcs. 3000 (das Bau-
amt glaubt Frcs. 4000 nöihig, wenn man aueli von allem ,. Luxus und
Anstand" absehe, welche Summe zu verdrtijpehi wäre, wenn das Schloss
zu einer Wolniunfr füi- einen Amtmann oder l'ür eine andere Anstalt
eingerichtet werden nuisste i und deren Bewilligung möchte man Meinen
Hochgeacliten Herren anrathen mit dem ausdrücklichen Beding
jedoch, dass ein Mehreres nicht gebraucht werde und man unter
keinem Vor wand in einigen Excedent einwilligen werde.'
Den Antrag, „einen billigen Miethzins'^ von Pestalozzi zu
fordern, Hess man wieder fallen, .,um so da mehi*, als zu verhoffen ist,
dass das dem Staat zugehürende Wü-tshaus zu M.-Buchsee, welches
ehemals sammt zngehörendem Land jähi*lich Frcs. 540, jetzt aber nicht
mehr als Frcs. 400 abträgt, dui'ch den Aufenthalt des pestalozzischen
InstitDtes und die dasselbe besuchenden Fremden wieder in An&ahme
gebracht werden könnte und dem Staat dadurch ein VortheU zu-
wachsen wttrde."
„Den Temdn des Abzugs der pestalozzischen Anstalt^ von Bui s-
dorf räth der Finanzrath an „auf den 1. JuU zu besthnmen, da dann
noch Zeit genug übrig bleibt, das Scjiloss vor dem Winter zur Woh-
nung des Heirn Oberamtmanns in Stand zu stellen.'*
Ehe der Kleine Rath von Bern t iuen Entscheid fasste. gelangte
an Pestalozzi eine Einladung von der Stadt Iferten im Canton Waadt,
dd. 14. Februar, mit seiner Anstalt dorthin zu konnnen mit der Zu-
sicherung, man werde alles Ihun, seinen Aufenthalt daselbst angenehm
zu machen und sicherzustellen. Wenn auch vor der Hand, schon um
der weiten Entfernung willen, auf einen Umzug in die genannte Stadt
verzichtet werd^ musste» so mochte doch Pestalozzi ans so freund-
lichem Entgegenkommen mit Kecht schliessen, dass seine Ideen im
Vaterlande Wurzel gefasst, sein Thun Anerkennung und Verständnis
gefiinden habe und sem Werk nicht mehr untergehen, sondern durch
och selber forterhalten werde. Er durfte des Glanbens leben, dass
die Sache, der er mit so viel Hingebung und Aufopferung gedient,
nicht dauernd Schaden nehmen werde, mOge nun der Beschluss der
Hemer günstig oder ungflnstig fttr ihn aus&llen.
In dieser Zuversicht sehrieb er am 21. Februar an Torlitz:
„Hier geht es im Weseniliciien lernt: es ist Alles gesund. Aber d;is
Schloss Burgdorf hat keiueu Gefallen mehr au uuserm Dasein. Es war das
Hans des Herren und soll wieder das Hans des Herren werden.
Ob man uns etaie andere Hütte geben werde, das wissen wir noch nicht, aber
wir glaahen es. Mir liegt im Emst nicht viel daran. Ich holEB, mein Ei ed
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bald ausgebrütet. Dann achtet es auch der schlechteste Vogel nicht mehr so
viel, wenn ihm bOse Buben sein Nest am Baum hinabwerfen. Ich hoffe im
Ernst, meine Versuche seien anf einem Punkt, wo es nidit mehr darauf an-
kommt) ob man midi an einem einzelnen Orr.- stiire oder ruhig lasse. In weni^
Tagen werde ich sehen, was mein Sciiicksal ist. ^'iele Berner denken mässig
dai'über; ich hotte, die, so leidenschaftlich darüberdenken, seien die wenigem."
Am 22. Februar 1804 fiisste die Hemer Begierang endiidi fol-
genden Beschluss:
1. Pestalozzi hat mit seiner Anstalt das Schloss Burgdorf anf 1. Juli 1804
zu rftnmen, damit dasselbe zur Amtswohnung zngerfistet werden kann;
2. dagegen wird das Schloss Münchenhuchsee sammt Hof und Garten,
jedoch ohne Pflanzplätze und ohne Zuschuss von Bu niiliolz. Pesta-
lozzi zur Unterbrins^ung seiner Anstalt unentgeltlich ül)erla8>tMi:
3. diese Begünstigung wird jeiloch niu- auf 1 Jahr gewiilirt, von Jacobi
1804 bis Jacobi 1805. Wünscht Pestalozzi Fortsetzung derselben,
80 hat er vor Ablauf dieses Termins darum sich immer wieder nen
zu bewerben;
4. zur Bewf>linbarniaehung des Schlosses Buchsee wird die Summe von
Fres. 3000 hewilligt und das Bauamt zu Veranstaltung der nSthigen
Tieparationen ])eauftraüt ;
5. der Oltrianitniann Fraubrunnen ist zu irsuc^lien. einen Projeet
dabei igen Accords auszufertigen und selbigen dem Finanzrath zur
Genehmigung einzusenden.
Die BestiinniunG:, dass dus Srhloss in MiinchenbiK'lisce nur auf
ein Jahr )»ewillin^t sei, dass jedes Jahr um diese Begiinstiguu«: wieder
neu geworben wt-rden müsse, erregte Pestal(»zzi's T^nwillen und
weckte in ihm die Besorgnis, tliese prekäre Stellung ,,greile auf der
einen Seite dem Credit, den die Anstalt um sicli her habe benutzen
müssen, ans Herz, und stehe auf der andern Seite jedem wirtbchait-
lichen Zutrauen, das angebahnt werden sollte, entgegen".
Nochmals, wenn auch ungern, griff er zur Feder, um durch kunse
Darlegung seiner Verhältnisse eine Ändening zu bewirken und zu
erreidien, dass die Begiemng ihm „den Sitz in Buchsee fUr einige
Jahre zuzusichern geruhen mOge".
„Mitten in meiner Laufbahn" , sagt er u. a. in der letzten Eingabe an
die Behörde in dieser Sache, w^^rli^i*^ i^'^^ jetzt eine Pension von
Frcs. 1600; ich verliere eine von Eres. 800 für meine Lehrer. Der
mir zugesichert \"ortheil von Seite der Regierung zur Organi-
sation <lt'.s schweizerischen Schullelirerseniinariunis geht mir ver-
loren. Die Hoffnuug, durch Regierungsmassregeln eiuen grossen
Theil meiner Elementarbücher verschleissen zu können, ist dahin
und selber das Privilegium für meine Schulbtteher, wenn sie nir-
gends eingeführt werden, ist nur ein scheinbarer Vortheü, und ich sehe
mich mitten in der schönsten Laufbahn, die vielleicht je ein Mensch fiir seine
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Mitbiü-ger betivt»^n, von meinen A'orsr'liüs^en und Anfopft^run^en nieilt-ruedrückt
und aller Vortlieile g-au/c ])eianbt. die ich von meiner Unterneiiniun^- habe
hüffeu diii-teii. Ich weis« ja wol, dass ich die Fortsetzung- von Massregehi,
w«ldie die helvetiBehe Regierang für das allgemeine Vaterland er-
neuert hStte, nieht von dem Canton Bern erwarten darf. Aber bei dem
ganz allgemeinen StUlstellen aller von der hetvellBcben Begiernng za meiner
BegSnatlgiuig genommenen Massi-eg^eln, bei dem Verlort so vieler und so grosser
fikonomischer Vortheile. bei der benimenden Verwirrung, wodurch nothwendig
der Credit, den mein Haus unt*>r den vorisfen Umständen jrehabt hat und jetzt
noch mehr haben sollte, srefjihrdet wird, glaube ich J[. Hh. Cr. H. werden es
nicht liir Unbescheidenlieit lialteu, wenn ich Hochdieselben eluerbietig bitte,
die OeCuhren, denen ich ausgesetzt bin, dadurch zu müdem, dann Sie mir das
Schloss Bnchsee fftr einige Jahre flberlassen, damit meine Unternehmung
wenigstens von dieser Seite nicht als ganz unznverlfisslg das ndthige Zntranen
Yerlierc.*'
Dieses Gesuch blieb jedoch nnberflcksichtigt, "wie auch die nach-
trSgliche Bitte mn Zntheüiiiig einiger Fflanz^tze fttr Gtemüse. Als
der Regiemngsbeschliiss Yom 22. Februar, allerdings erst nach Mitte
Ittrz und mehr gerftchtweise, unter den Einwohnern Burgdorfs be-
kannt wurde, erzeugte er Niedergeschlagenheit und Missstunmung
g^gen den Stadtrath, der aus Furcht, der Greis Pestalozzi (er zählte
damals 58 Jahre) könnte bald sterben, dann wären die flir seine An-
stalt gebrachten Opfer verloren, eine sehr reservirte Haltiin^j biü dahin
eingenommen hatte.
Eine Znschrift vom 21. März, du^ \on 50 der angeselieiisten
Büij^er, darunter Altstatthalter Schnell nnd Dr. Grimm, unter-
zeichnet war. forderte den Stadtrath zu eueririschereiu Vorgfehen auf.
„Man habe zwar gehört, dass derselbe vor verschiedenen AN'ochen be-
schlossen habe, einen Versuch zu machen, ob ni(*ht dem Herrn Pesta-
lozzi die Bewolmung des Schlosses noch für so lange gestattet werden
möchte, bis in der Stadt ein für dieses Institut schickliches Gebäude
eingerichtet sein werde. Seither seien Wochen verstrichen, aber man
habe keine Anstalten vermerkt, die anf diesen Zweck abzielen könnten.
Man glaube im Gegentheil Ursache zu haben zu yermuthen, dafs seit-
her keine dahin zielenden Schritte gethan worden seien, und doch
rücke die Zeit Immer näher heran, die dem Herrn Pestalozzi zur
Räumung des Schlosses anberaumt sein soll"
Dann madien die Petenten auf die Folgen aufmerksam, die ein-
träten, „wenn anf einmal von einem kleinen Örtlein wie Burgdorf bei
150 Personen ausziehen und der daherige Verdienst und Nahrungs-
erwerb verloren ginge^ Sie sind überzeugt, „dass es möglich wäre,
äne passende Wohnung für den Oberamtmann zu finden. Miyor Dfirig
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oder Ratbsherr Faukhauser, der eine oder der andere, düifte leicht
zii bestimmeu sein, sein Haus fiir diesen Zweck zu überlassen. Die
Stadt würde einen genuji^sanieu Hauszins bezahlen nnd unterdessen
für die pestalozzisclie Anstalt eine ^^eräumige bequem gelegene Woli-
nung zurecht machen und so einrichten, dass, wemi im Verfolg diese
Anstalt eingehen sollte, solche nichtsdestoweniger zu einem andern
gemeinnützigen Endzweck ohne Veräudening verwendet werden könnte.
„Die Bürg-erschatY", so schliefst die Petition, „ist Einen, wolgeehrte
Herren, sehr (lankbnr fiir die Autmcrksainkeit. die Sio auf Verbefsscru ii <r
der Strasse von hier über Lang-eiir lial verwenden, wodurch Si»- .-iiicji
stiirkeren Fuss nach liiesigem Ort und also aucli mehrei*en Verdienst tür die
Bürger zu erzielen hoffen, wozu Sie denn aiteh keinen Kostenaufwand
sn Bcheaen scheinen. Allein diese Absicht mSchte auch so gat ansfoUen,
wie sie immer erwartet werden könnte, so wflrde es bei weitem nicht den
Verlost ersetzen, den Bnrgdorf durch die Verlegung der pestalozzischen An-
stalt an einen andern Ort erlitte.
„Es p-ehet also, wolgeehrte Herren, der alle-enieine Wnnf^ch und Bitte
Ihrer Mitbürger dahin, dass Sie Tlireni im Eingantr anjr('Z<>i,M iH n Heschluss ^n»-
mUfis sowol hei der Regierung als bei dem ilerru Obeninitmann durch dringende
Vorstellungen der Lage nnd Armnth, in welche die Bürgerschaft sonst noth-
wendig gerathen mfissfee, trachten, es dahin zu bringcB, dass dem HeiTn
Pestalozzi die Bewohnnng des Schlosses noch für Ifingere Zeit gestattet»
indessen aber dem Herin Amtmann eine gerftumige und bequeme Wohnung
verschaffet und dem Herrn Pestalozzi ungesäumt ein bequemes und an-
ständiges (iebiln für sein In>^titnt eingerichtet werde und die Bürgerschaft noch
länger den von daher tliessenden Verdienst ireniesseu kimne."
Dureh Schnell Hess der Stadtrath Pestalozzi fragen, ub
er in Burgdort zu bleiben geneigt sei, wenn die vini der Bürgei*schaft
verlangten Schritte zum Ziele führten und ihm in nicht gar langer
Frist ein zweckmässiges Unterkommen angeboten werden konnte.
Die Antwoit Pestalozzi's lautet:
„Insonders hochgeehrter Herr!
Theuerster Freund!
Es ist mit Wehmutli, dass ich — nein — und unbedingt nein sagen
muss. Ich weiss es, die Stadt Burgfdoj f ))edart' Erziehun^r nnd \'ridit nst. Es
sind nur die \'urznfre der besseren Einriclituniicen tlir Cultui- und was für sie
Wert hat, was die Stadtbewohner über die Landbewohner wirklich erheben
kann. Aber mdstens sind die Einflnss habenden Stadtbewohner uDBers Vater-
landes iiber diese wesentUehen Fundamente des städtischen Wohrtandee ganz
gleichgültig nnd bekiimmem sich nicht dämm, den Bürgerstaad in Rficksicht
auf I'iMiin^- uud Selbstständigkeit, noch im Allgemeinen, unter den Land-
bewolinei Iiinabsinken zu lassen. "Was wollen wir sagen, der Geist eines ere-
sunden und redlichen Emporstrebens tnid eines vaterlilndischen gegenseitigen
Handbietens in diesem gesunden und redli(hen Emporstreben ist in unserer
Mitte verschw luiden. Jeder will in seiner Selbstsucht lülein sein und täglich
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b<^küumieni sich weiiiprer Menschcii um das Ganze. — Es war mir wo] in
Burgdorf. und ich freute mich oft. zu hoffen, dass mein Dasein der
Stadt nicht uur eineu vorübergehendeu Xutzeu gewälireu, soüderu
auch für die Zakanft wesentlich Tortli eilhaft sein kSnnte. Aber
diese Traume sind verschvmnden. Man mnss das Eisen schmieden, weil
es warm ist. Man hätte sicli beeifem sollen^ der oberkeiüiehen Anfforderang,
dem Herrn Obtramtmann eine AVohnung in Burg^dorf zti verschaffimy eilends
einGenütre zii leist.n: ii h hätte dann sicher hier bleiben können. Aber
jetzt, da <ler .Sitz des Obcranitnianns bestimmt und in Buclisee das Nöthi^rc.
mich daselbst aufzunehmen, veranstaltet worden, und Hebendem unbedingt un-
möglich ist, das meinem Hans nothweudige Lucul uustiudig zn machen, so Ist
es beinahe nnbegreillieh, dass man jetzt noch an mich gelangen lasse, dennoch
hier ta bleiben. Ich kann nicht! Es ist mir nicht mdglich zn machen,
dass ich kann — und man hatte so lange, als man es hätte möglich
machen können, es nicht einmal wollen. Was die Stadt thun kann und
wa« sie, wenn sie für ihre Xachkonimen Krziehungs- und Erwerbslialber \or-
^rhn]\<s thnn will, nocli thun kann, ist. dieses nnabhaiigmd von meinem Wes:-
zielun, ein Haus, das für eine gro-sse Pension brauchbar ist, zn erbauen, und
.wann dieses geachehen, dann einem jungen Mann, der diesem Geschäft gewachsen,
Antrttge znr Errichtung einer von der Stadt begfinstigten Pension zu machen,
leh versichere Urnen smn Voraus, dass ich dieses Project mit allem, was in
meiner Hand ist, onterstiitzen werde.
„Bezeigen Sie indessen jedem Ihier Mitbüiercr meinen warmen T)ank für
den ^iten Willen, den sie für die Erhaltung meines Instituts in ihrer Mitte
zeigen.*'
Damit war nun die Frago flher den kiinftigen Sitz der pe.sta-
lozzisclien An.stalt deriuitiv erledigt. Die drei folgenden .Monate bis
zum Umzug zählten nicht zu den augenelnneren des Burgdorfer Aufent-
halts. Das Bewusstsein. dass Burgdorf niclit melir die Heimat .sei,
der künftige Wohnsitz, weil nur auf ein Jahr zugesichert, kaum eine
solche in beruhigendem Sinne werde, unter allen Umständen aber bei
veränderten ftiÜJBeren Verhältnissen sich gar Vieles anders gestalten
d&rfte, als man es da, wo die Anstalt geboren und herangewachsen
war and sich ihre Grewandung, ihren inneren und äusseren Haushalt
selbst geschaffen, gewohnt gewesen war und sich gleichsam angelebt
hatte, machte sich überall geltend, erzeugte Unmhe and Besorgnis,
erweckte das Gef&hl des Fremdseins nnd lockerte die bisher so in-
timen Beadehnngen zn den Bewohnern Burgdorfs. Bei dieser Stimmung
ist es begreiflich, daTs man die Tage der Übersiedelung gerne rasch
herannahoi sah, da diese wieder wenigstens fftr die nächste Zeit das
GefUd einer gesicherten Existenz znrttckgeben konnte.
Da Pestalozzi die definitive Zusichming des Schlosses Bnchsee
auf eine Beihe von Jahren nicht hatte erlangen kOnnen, so hielt er
die Ten Iferten mit ihm angeknüpfte Verbindung aufrecht, reiste am
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2l\ Mai hin und erliit^lt das Versprechen, die Stadr wi>lle das dem
r.-iiiton zustehende Schlnss zu Tt'erten zu Kiirentliuni erwerlMMi. um es
iliin unentg^eltlit li zur Benutzung zu übedassen, soteni er eine Er-
/ieliungsanstalt darin zu etabliren sieh entschliesse. Aut die Aussicht
hin, di«' er dem Stadtrath in dieser Sache eröÖ'nete, erwarb die Stadt-
gemeinde am o. Juni 1804 das Schloss mit nächster Umgebung um
44,870 frcs. und Hess am 22. Juni Pestalozzi einladen, das angekaufte
Gebäude in Augenschein zu nehmen und ailfallige Wünsche &ber die
innere Einrichtung desselben kund zu geben.
In eben dieser Zeit begann der Umzug nach Miinchenbuchsee,
der begreiflich mehrere Tage dauerte. Am 22. Juni fnhr der letzte
Hdbelwagen dahin ab; ihm folgten die Zöglinge nnter derFtthmng von
Tobler nnd Erttsi. Pestalozzi war schon in Bnchsee, kehrte aber
an diesem Tage zum letzten Mal nach Burgdorf zurQck. Von Türk
aus Mecklenburg, der an eben diesem Tage in Burgdorf eintraf, sah
die Anstalt abziehen und folgte in Begleitung Niedereres gleich nach.
Unterwegs traf er mit dem zurflckkehrenden Pestalozzi zusammen.
Über diese Begegnung berichtet er also:
„Knrz vor Hüidelbauk sahen wir einen \\'ageii koiuiueii. Weun das
Pestalozzi wäre! säurte ich zu meiuem Begleiter. Er ist's, erwiderte er.
Der Wagen war bei ans; er hielt an, Pestalozzi sprang heraus; er nmarmte
mich — es war, als hatten wir uns schon Jahre lang gekannt. Ich inusste
mit ihm in den Wagen steigen, sowie mein Reisegeftlhrte . nm nach Bnrgdorf
zurückzukehren. Er w;ii- heiter und sehr verirnügt darüber, dass er mit den
Seinen von Burgdorf nach Ihu hsee wandeni konnte, ohne Jemandem etwa.s
.*:cliuldig- zu sein. Freund, es (^eht, es y-eiitl — sayte er zu mir. mit einem
Ausdruck — nun, man muss dieses lebhafte Auge, diese Züge einer unei'schütter-
lieh^ Gntmüthigkeit, welche allen Stfirmen des Schicksals widerstand, gesehen
haben, nm diesen Ausdruck sich vorstellen zu können. Noch sah ich In keinem
menschlichen Gesidit etwas Ähnfiches."
Alle drei blieben in Burgdoif über Nacht; KrUsi kam auch noch
von Bnchsee her. Am 23. Juni machten sie am Vormittag einen
grösseren Spaziergang nach Kirchberg, Nachmittags „besuchten sie
das Schloss noch einmal, um von ihm Abschied zu nehmen.**
„Heute Mhe, d. h. den 24. Jnni'^, so erzfthlt v. Tflrk weiter, „brach
die letzte Caravane von hier nach Bnchsee anf. Da ich mich nnn
schon als ein Glied des freundschaftlichen Zirkels betrachten durfte, den
Pestalozzi nnd die. so mit ihm arbeiten, bilden, fso schloss ich mich an. Meine
Bag-age war hingst voraus. T'estalozzi. Krüsi und Niederer, die jetzt
Burgdorf, das ihre .sLhönsren Hortnung-ou hatte entstehen, wachsen und heran-
reifen sehen, auf immer verlassen sollten, hatten nicht ihre gewöhnliche Heiter-
keit — der Abschied war ihrem Henen schwer. Gegen fOnf Uhr zogen wir
ans. Es war ein schSner Sommermorgen und unter traulichen Oesprftchen
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wTirdon uns die 8 Stiimleii, welclie wir zu machen hatien. m kurz, dass wir
iiocli weit v<»n Buchsee zu sein wähnten, als es sich unsenn Au^re sclion dar-
stellte. Der Empfang war herzlich, und die Knaben hingen an Pestalozzi
mit einer Zärtlichkeit, mit einem Zutrauen, wie SQlme an einem guten Vater.
Von den Lehrern fanden wir keinen als Tobler. Bnss nnd Barrand waren
mit einem Theil der Zöglinge, grQsstenthefls ans dem Canton Leman (Waadt),
in die Gegenden am Genfw- nnd Nenenbnrgei-see gereist, von Knralt mit
einigen anderen nach Lausanne. Pestalozzi selbst wollte ins Aargau
Ich hatte srewünscht. im Institut zu woliuen, und die wuckere Hausfrau.
Pe!«talozzi's S<hwiegertocliter (sf-ln Sülm starl» in der Blüte (1<t .lahre . ver-
siaitete es mir gerne. Ohne den Beistand dieser seltenen Frau würde l'esta-
lozzi das Institat in Bnrgdorf nicht haben erhalten können. Sie war allen
ZBglingen zftrtUehellntter, lie pflegte die Kranken nnd sorgte für die Gesunden.
Dabei besorgte sie die ganse grosse Wirtschaft mit POnktlichkeit, mit strenger
Sparsamkeit und doch dabei mit einer so liebevollen GntmUthigkeit, dass
L<^hrer und Ziiirling-e sie iiinic: liebten und achteten und ihre Anordnungen
penie lief(djrten. Auch in den trüben Stunden, wenn Pestalozzi nicht wus.ste.
woher Brot nehmen für seine zahlreiche Familie auf den kommenden Tag. die
kommende Woche, auch dann verlor sie den Muth nicht; sie bot vielmehr
sSes aaf, es zn Yerhindem, dass jene Verlegenheit nicht sichtbar oder eigent-
M fühlbar werde."
Am Nachmittag dieses 24. Juni 1804 ging Pestalozzi, erhaltener
Rililaitiing gemäss, nach Franbrannen, dem Hanptorte des Amts-
bezirks, wo er anf der Amtsstube des Oberamtmanns folgenden V er-
trag imitrzeichnete:
jjPacht-Accord um das Schloss München-Buchsee.
„Zn wissen sei hiemit, dass M. Hg. Herren des Finansrathes gütigst ge-
ruht haben, dem Herrn Pestalozzi, Lehrer an dem bisher im Schloss Bnrg-
dorf etablirt gewesenen Institut, zur Verlegung desselben, das Schloss München-
bnchsee. sammt dem zur Wohnung eingerichteten neuen Komhaiise und dem
Schlosshof unentgeltlich anzuweisen. Die Zeit dieser Benutzung haben Hoeh-
dieselben bestimmt tür ein Jahr, von Jacobi 1804 bis j^leiche Zeit 1805.
<i.i denn es dem Herrn Pestalozzi überlassen sein soll, vor Auslauf dieses
Jalires um Fortsetzung dieser Vergünstigung sich wieder zu bewerben.
•Zn der Bewohnnng dieser Oebftnden werden ihm, Herrn Pestalozzi,
asBoeh ebenfalls zn nnengeltlicher Benntznng ftberlassen die Schlossgttrten,
Büt Aosnahme des zur Pfnind (d. h. zum Pfarrgarten) geschlagenen Capuziner-
gartens, nnd ohne fernere Pflanzplätze, auch ohne Znschuss von Brennholz. —
Hinjregpn verpflichtet sich Herr PestaU.'/zi. zu diesen ihm anvertrauten Ge-
l'äaden nnd Zu^ehörden KUte Sorce zu trairen und s(dche in reinlichem und
gutem Zustand zu unterhalten. Bim liegt litsuiiders die FuterlialtunL-- der
Dadiongeu wählend dei' Dauer der vergünstigten Aceord-Zeit ob und nach
Ablanf derselben hat er sowol die Dachnngen als die übrigen verpachteten
Qebünde, Gärten nnd Effecten in gleich gutem Znstand wie empfangen zn
fibergeben. Die zn den verlehnten Gebäuden gegebenen Effecten sind folgende:
ein tannener doppelter Schaft (Kasten, Schrein) mit Schubladen;
eine Glocke, wiegt 37 Pfd.;
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ein frrosser kul»f^*rnol• Hauclikessel (d. h. Waschkessol ):
eine Kaclielbank ( Kadiel-Küchenia^e.schiiT, Scliüssel) sammt Scliäfti ^^Kästclieu);
ein Schaft im Erdgeschoss, in No. 1.
Za ürknnd ist dieser Acoord von Mm. H. Herren Oberamtmaon Kirch-
berger anf Franbnumen Namens Mr. Hg. Herren des Finanzrathes Tom Canton
Bern — nnd dem Herrn Pestalozzi eigenhändig nnterschrieben und mit
beidseitigen Siegeln vei"selien worden.
So beschehen im Scliloss Fraubronnen am 24. Juni 18()4.
Der Oberauitmann:
Kirchberger v. Mont.
Pestalozzi."
Nach 3 \\'ochen kelirten die obengenannten Lelirer von iliivn
Ausflügen zurück und der Uiitemcht nahm wieder seiueu georduelea
Jj'ortgang.
Auf die nun abgeschlossene Bui'gdorfer Periode dwfte Pestalozzi
mit Befriedigung zurückblicken.
^.Tahre lang", so sclirieb er einem Freunde, „h<3ite das peinigende Ge-
(Irilng irdischer Sorge, durch das wir unser Lehen fristeten, nicht auf. Ahor
ich überwand da.s peiiiisfondi' (iedräng, und die Liehe unserer ^'erei^i^^u ng
blieb rein und unser Werk blüiite. Bnufren Sie sich die Stufen dt\s
Holms und der Verachtung, die ich diese Jahre durchwandern niusste, ins
Gedächtnis znrttck, denken Sie sfcdi die Wetten, die von Vierteljahr zu Viertel-
jahr gemacht wurden, dass es also nnmSglich gehen kOnne, dass. ich, wenn ich
auch noch einmal mehr Ressourcen hätte, bei der Art, wie icli lebe, dennoch
zu Grunde gehen mfisse. Aber dennoch ging es, dennoch ging ich nicht
zu Grunde. Indessen musste ich jetzt von Bur^rdorf weg, AVas das ist. aus
einem noch neuen Etablissement ausgestossen, alle Liaison.s und Localressourcen,
die angebahnt waren, zu verlieren, gleichsam wie eine plötzlich autliürende
Handlung unvorbereitet auf einmal mit Jedermann saldii'en und Jedermann
zahlen zu mfissen — wer weiss, was das ist, wird dieHoifiinng meiner Feinde,
dass ich bei diesem Ehrenanlass glflcklich noch zu Grunde gehen müsse, selir
natiirlich finden. Doch ist nichts von allem dem geschehen: ich hin nicht zu
Grunde gegangen: ich habe meinen Geschilfteu allgemeine Ehre an-
gethan und habe mich in der Lage gefunden, Fonds in£ Etablissement in
Budisee zu bringen."
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Unsere Baaernwelt und die Studien über Sprache and Wesen
des Volks.
FoN WmiMd Xagl'Wiin.
in.
Ein Proi^ramiii für die tliat sächliche ] nan<rriffnalime und
praktische Verwertung der Dialect- und Volksstudien in
näclister Zukunft.
Unter specieller Bücksiclituahme auf unsere Lehrerschaft
nun der Bauernstand in seinen lieuti^^cn Kämpfen um eine
vollere öft'entliclie (Geltung:, um ein mensclienwürdiges Dasein unter-
liegt oder sich behauptet, in jedem Falle bedaif er der s^eistigen und
sittlichen Ausl)ildunir. der Verv(dlk()mmnung und Ent Wickelung seiner
immanenten Anlagen, der Hebung und Kräftigung des echt bäuer-
lichen Elementes. Denn unterliegt er in seinem Kampfe nach aussen
hin, so kann er nur durch inneie Kräftigung, durch Läuterung
seines ethischen und intellectuellen Zustandes vor jener zum Verderben
prädesünirenden Stumptheit und Abspannung gei-ettet werden, welche
einer vereitelten, letzten und verzweifelten Anstrengung zu folgen
pflegt. Er würde dann ohne diese innere Stütze die Freude am Da-
sein, den Mut zur Arbeit, die Neigung zum Landleben, die aus geistigi*r
Rührigkeit und Frische resnltirende Umsicht in Führung der Wirt-
schaftBangelegenheiten ganz und gar veriieren, was mit Verftnsserung
da* Landgfkter an einzelne Capitalisten, mit der Depossedimng des
heutigen Banernstammes enden mflsste. — Erringt sich aber der
Bauer eme bessere öffentliche Stellung, dann bedarf er nicht mindei*
der Schulung und Ausbildung seiner KrSfte, um richtig und niach-
drOckUch vorgehen zu kOnnen, um seine neue Lage zum Besten des
Gflsammtstaates auszunfitzen und nicht verführerischen Einflüssen zum
Opfer zu fallen.
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Schnelle Hilfe ist daln r » in tlri n «^endes Bedürfnis. Wie
Süll sie in nächster Zukunft schon dem i^auernstande weiden?
Schon oben habe ich benieikt, dass die Dialect- und Volksstudien
neben der thenreiisclien auch eine eminent praktische Bedeutung haben.
Hier wollen wir sehen, wie diese praktische Bedeutung auf die geeig-
netste Weise lealisii-t werden kann.
Ks ist bereits eine ganz beträchtliche Literatur vorhanden, welche
die über das Volksleben bisher gemachten Beobachtungen in populärer,
den Bauern nützlicher Weise verwertet. Vor allem vervreise ich auf
die Schriften Koseggei*s, welcher durchaus den Zweck verfolgt, die
sittlichen und geistigen Zustände seiner bäuerlichen Landsleute auf-
zudecken und zu bessern, respective die gebildete Welt zur Abhilfe
aufEufordem. Sein „Heimgarten" darf in dieser Hinsicht als ein
wahrer Schatz bezeichnet werden.
Aber diese Literatur ist dem Bauer nicht erschlossen. In d^
Schule wird Sun an Literatur nur „Olassisches^ in der Kirche nur
Frommes ttbeiinittelt, und was erst eine eigentiich und wirklich be-
lebende Wirkung auf seinen Geist ausQben wOrde, das Heimische,
Nationale, — das wird von ihm fem gehalten.
Übrigens ist der Bauer kein Freund vom Lesen; ich ärgere
mich immer, so oft ich von Broschüren h5re, welche zur Aufklärung
des Bauemrolkes diesem in die Hand gegeben werden sollen. Glaubt
man denn, der Bauer soll sechs Tage arbeiten und sich am siebenten
mit einem Büchel in einen Winkel setzen und sich dort mit dem ihm
ungeläufigen Lesen maltraitiren?
Ich glaube eine andere, bessere Art. als das Zuschicken gut-
gemeinter Druckschriften ist, anrathen zu sollen, um die immer mäcli-
tiger heranwachsende Volkslitei-atur in ihren besten .Kepräsentiuiteu
dem Volke vertraut zu machen.
Der Bauer hat Sonntags keine öft'entliche Unterhaltung. Der
Wiltshaustisch ist alles, was ihm diesbezüglich geboten wird.
Man sollte in jedem ;jrösseren Dorfe wenigstens einmal
des Monats — im Winter öfter — für die Bauern eine Unter-
haltung veranstalten.
Diese Unterhaltung mttsste im Vorsingen und Vorlesen volks-
thümlicher Piecen bestehen. Ich «lenke mir die Sache so: eine Er-
zählung mit entsprechender Tendenz oder ein populärer Vortrag
mtisste den Kern der ganzen Unterhaltung bilden. Zur Einleitung
und als Schluss wäi'en diabetische Gedichte, Schwänke, auch Liedei*
vorzutragen, um den amüsanten Charakter einer solchen Zusammen-
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kauft ^'egtuübt^r dem — aUei'diugü wichtigeren — belehrenden
mehr zu betonen.
Ich werde unten begründen, warum ich mir gerade die Lehrer
als Veranstalter solcher Unterhaltungen denke. Hier weise ich nur
dannf hin, dass die Lehrer meist rnnsikaUscli sind, sicli daher leicht
ner oder fünf stimmt&chtige Knaben CNler Mädclien ans ihrer Schüler-
schaft abrichten könncDt mn mit ilmen die nationalen Ö8terreichis(*hen
Volkslieder — vom Jäger, vom Wildschfltzen, von dem einrückenden
Soldaten, von dem Bettelmann, der gerne auf den Kirchtag ginge etc
— mdmtimmig an&oliihren, selbst anf die Gefohr hin, dass das alte
mSmdt» Lied eist zu einem Tensette oder Quartette überarbeitet
weiden mfisste. Soldie Lieder finden sich theilweise sogar mit Noten*
adnift in verschiedenen Liedersammlungen, so bei Tsehischka und
Schottkj (1819), bei Schosser, bei Pogatschnlgg und Herr-
nann etc, und ein fleissiger Sammler wird im Volksmunde noch
innwr neue und bisher unbekannte Stfieke entdecken kiSonen.
Ich weiss ans Erfahrung, welch' riesiger BeifaU solchen Auf-
führungen und Vorträgen in der Bauerastube entgegenschallt. Es ist
ein ungemein erliebendes Gefüld, sich dort plötzlich inmitten froher,
Iai:hender Gesichter zu sehen, wo sonst nui* Sorge und siuniple Ein-
tönigkeit zu Hause ist.
Diese Lieder, welche gesungen, die Schwanke und Gcdiclite,
welche vorgetragen werden, und welclie insgesammt den amüsanten
Charakter der hier besprochenen ZnsammenkUnite zu bethätigen haben,
können und sollen sogar dialeetisch sein. Der Bauer ist ja geneigt,
alles Diaiectische als „Dummheiten", d. L Spässe aofzufiissen, — und
Spfisse amasiren ja.
Aber jener Vortrag, der den Kern der ganzen Unterliaitang
bildet — eine Erzäldung mit lehrreicher Tendenz, eine anziehend
dorchgeiohrte Abhandlung über irgend ein moralisches oder wirt-
schaftliches Capitel soll im Allgemeinen nicht in der Mundart ge-
halten sein. Einerseits ist es der Bauer gewohnt, ttberaU dort, wo es
„mm Emst gibf, d. i wo etwas Höheres gebieterisch und ernst
SB ihn herantritt, hochdeutsch reden zu IAt&i; so in der Schule,
ii der Kirche, bei Gericht etc. Das Hochdeutsche ist also an sich
schon eine pädagogische Macht- Andererseits mOssen wir stets den
Endzweck im Auge behalten, den Bauer zur hochdeutschen Bildung,
soweit sich diese dafür eignet, herbehsul&hren, ihn für das Gemein-
deutsche und durch dieses für die Nation zn erziehen.
Es fragt sich aber, ob das Hochdeutsche schon eine eutsprechen(!e
rmiwffiginnu 4. Jahrf. Hill IL 7
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Stilart ausgebildet hat, welche den Bauer derart anspricht, dass sie
auf ilm ganz oder fast so unmittelbar wirkt, wit' sein Dialect, —
eine Stilart, die sich nicht mit ungewohnten Wendungen oft durch
mehrere Sätze liindurcli seinem Verständnisse entzieht, die nlclit die
mundartlichen Feinheiten des Ausdnicks ignorirt und aussrhliesst,
sondern gerade in der Vereinigung populärer (redankeuentwickelung
mit hochdeutschem W'ortklange ihre Stärke suclit.
Das sich abschliessende (Telehrtentlium hat eine Sprache für sich
ausgebildet, die den Gelehrten vollkonimen genügt und mehr als
genügt; die deutschen Dichter habt^n die Sprache gelenkig und ge-
schmeidig gemacht, eine Fülle hoher Ideen vei*standen sie in schöne
Formen zu giessen, — und wer sich nur in der Sphäre dieser Ge-
lehrten- nnd Dichterwelt bewegt, wird gar nicht begreifen, wie man
denn an der allseitigen Vollkommenheit und Ausbildung der hoch-
deutschen Sprache noch zweifeln könne.
Aber schon der aofinerksame Prediger auf dem Lande, der seine
• Zohdrer begeistern, rOhren oder strafen wiU, ftthlt die Nothwendigkeit,
auf Kosten seines scfanlgerechten Hochdeutsch dne gute Anzahl bfta-
rischer Bedeweisen in seüie Fredigt mit unterlaufen zu lassen. Der
junge Student, der semen bäuerlichen Eltern etwas aus seinen Studien
erzählen will, sieht sich gendthigt, alle die Dinge in einer ganz andere
fV>rm zu geben, als er es seinem städtischen StndiencoUegen gegen-
über thvn würde, ünd wer es etwa gar yersudit hätte, mit Papier
und Feder in der Hand ein hochdeutsches Lesestflck, sei es auch nur
aus der so einfach geschriebenen Bibel, in den Dialect zu übersetzen,
und zwar in einen echten, kernigen, stilgerechten Dialect — dem
. wird sich auf einmal der Gedanke aufdrängen:
,,.Ia, ist denn der Dialect, in welchem ich mit Bauern sonst so
gewandt und tliessend nh^v die verschiedensten Dinge sprechen, in
welchem ich sonst witzig, reich an Kintanen, derl), herzlich sein kann,
ist dieser Dialect mir phitzlich abhanden gekommen, oder ist dieses
einfache Lesestück unübersetzbai-?
Nun, der gelehrte ('bersetzer lässt, wenn er dieDifterenz zwisclien
hochdeutscher und bäuiiseher Ausdrncksweise nicht überwinden und
Überbrücken kann, ganz einfach die l'bersetzung stehen, — er braucht
sie ja nicht; auch der Bauer thut desgleichen: wenn das Hoch-
deutsche sich von seiner Stilart zu viel entfernt, so übersetzt er sicVs
nicht, es wirkt nicht auf ihn, ja, er versteht es vielfach nicht.
Während aber dem gelehrten Übersetzer aus diesem Mangel kein
Schaden erwächst, da für ihn der Dialect zunächst doch nur Luxus
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ist und er sich in dem eigentliclieu Medium der Intelligenz, im Hoch-
deutschen, bewegt, — so leidet das Geistesleben des Bauern schon
Mit vielen Jahrzehenten unter dieser Differenz zwischen Culturapr»ch6
ind Volkssprache. Überall starrt ihm die Bildung in fremder, unza-
ginglicher Einkieidong entgegen, denn es ist hente eine Ansnahme,
weaa ein besonders hierzu talentirter OeistUcber, Lehrer oder Be-
jmter im Verkehre mit dem Volke im Ganzen den richtigen Ton trifft
Und doch ist es gerade ffir jene Stnfe der Entwickeinng, anf
welcher der Bauer hente steht, dringend nothwendig, dass nicht
nur dem Geiste durchwegs Verständliches zugeführt wird, sondern
dass diese Geistesnahrung zugleich das Gemftth berfihre und die
Saiten des Herzens anstimme, — mit anderen Worten: jeder
Gegenstand des Wissens soll in ansprechender Yolksthümlicher Form
geboten werden.
Aber jetzt drängt sich uns die Frage auf: Wie ist denn diese
Tolksthümliche Stilart beschaffen? Wo findet man dieselbe, um sie
sich anzuei^en?
Die ersto Frage ist liente, wo die Stilart erst ihrer KinführuiiG:
in die Schriftsprache harrt und daher eben beginnt, (^ef^enstand
ernster Beobachtung zu werden, scliwerlicli vollständig und allseitig
richtig zu beantworten. Beachtenswerte Versuche sind jedoch in dieser
Hinsicht schon gemacht worden, — ich verweise z. B. auf die inter-
essanten Abhandlungen, welche mein Freund Schlinkert in diesen
Bl&ttem wiederholt yerüffentlicht, und ich wüsste aus Eigenem kaum
etwas hinzuzufftgen.
Die andere Frage ist mit dem Hinwds auf den Dialect beant-
wortet Ich schlage daher vor: Volksschriftsteller sollen die zur Vor-
lesung in den Banemstuben bestimmten Aufs&tze zuerst ganz im
Dialect schreiben, hierauf mit grosser Genauigkeit, fast Wort für
Wort, ins Hochdeutsche übersetzen; für den Anfang ist es gewiss
besser, zu ängstlich und wörtlich, als zu frei zu übersetzen. Dieses,
ich mochte sagen, dialectgedachte Hochdeutsch wird anftnglich
Uttserm schulmässig gebildeten Sinne für Sprache und Stil ziemlich
herbe ei-scheinen. Hat aber ein Schriftsteller viele solche tn)ersetzungen
durchgeführt, dann entwickelt sich in ilim ein gewisses, der Stütze
dialektischer Spracliformcu nicht mehr bedürfemles (Tpfiilil für die
Anffassnngs- und Ausdrucksweise des Volkes. ^ denn diese iniiss ja
in sidi ebenso psychologiscli rielitig anirelegt sein wie die hoclideutsehe.
Dieses (Teluiil wird uni so kräftigei'. ItestimnUer und richtiger werden,
je mehr Schriftsteller in gleichem Sinne zusanmienwirken, sich gegen*
7*
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seitig corrij^ireiid , ratheiid und ermimteriul. Mit einem solclien Ge-
fiihle ausgestattet, wird ein Autor dann im Stande sein, zu unter-
scheiden, was allenfalls aus der ganz volksmässigen Stilart als unschön
oder zu Gunsten einer giösaeren Gleichheit mit den bisherigen
hochdentsehen Stilarten ausgeschieden werden kann, was er
vielleicht aus den letzteren ohne Beirning und Störung des volka-
thümlichen Stües in seineArbeiten einfliessen lassen darf, anderer»
seits, inwieweit er anf der dem Dialect abgelaaschten Stilisinmgsweise
nothwendig — selbst wo dieselbe ganz Neues» dem bisherigen Schrift»
geschmacke Zuwiderlaufendes fordert — beharren und sie in ihrer
unverfftlschten Originalität mit aller Ausdauer aufrecht
erhalten mnss, bis die Uterarische Welt selber die Schönheit, Rich-
tigkeit und Zwedontaigkdt der fraglichen Wendungen, Ausdrucks-
weisen etc. zu begreifen beginnt. Derjenige übrigens, für welchen die
einzuführende Stilart berechnet ist, — der Mann aus dem Volke, der
Bauer auf dem Lande, — der wird sich sofort von derselben in hohem
Grade angemnthet fühlen und schon von Antaug an nichts gegen sie
einzuwenden haben.
Es ist selbstverständlich, dass diese Stilart zniiädist nur in den
Volksschriften angewendet werden soll. Ob eine diesem Stile an-
gehörende, umitogreidiere Volksliteratur in späterer Zeit auch anf
andere Gebiete des Hochdeutschen, etwa auf die BeUetristik überhaupt»
auf die dramatische Sprache etc. eine Bückwirkung ausübt, lassen wir,
als vorderhand ganz nebensächlich, unerörtert
Hier gedenke ich in Kürze eines Einwandos, an dessen Möglich-
keit ich iiiclit geglaubt hätte, wäre er mir niclit in That von
einer gmiiaiiistisclien Autorität gemaclit worden. „Sogar die deutsche
Gemeinsi»rache soll Vortheil von diesen dialectologischen .Studieu
ziehen? Das ist schwer zu vei*stehen und wii-d dem Leser um so
weniger einleuchten, als Ihr eigenes Deutsch durchaus nicht empfehlens-
wert ist.'' Ich habe in meinen bisherigen Aufsätzen zwar eine Stilart
für die Volksschriften vorgeschlagen, kann aber unmöglich, — da
ich nur für ein wissenschaftliches Publicum berechnete, also für
den Volkston ganz nnzugSngliche Themen behandelte, — dabei auch
schon diese Stüart versucht, geschweige denn ein Muster der-
selben angestellt haben wollen!
Nicht jeder, der sicli mit Dialectstudien abgibt, wird eo ipso
auch schon volksthiinilich schreiben können: im Gegentheil:
mancher wii*d sich gerade durch die Darstellung und Besprechung
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subtiler trrainmatischer Erscheinongeu in ein j?anz ungemiitUriclies
Gelehrt eudeiiUcli hineinarbeiten. Aber die Dialectstudien werden
einen kräftigen Impuls al>^!:eben zu ansgiebigerem Verkehr der
Intelligenz mit dem Volke; gebildete und zugleich edle Geister werden
nicht nur auf das Volk hören, wie es spricht, sondern auch zu ihm
reden, es aufklären, wo es der Aufklärung bedarf; sie werden, um
dies mit Erfolg zu thun, auf seine Eigenart eingehen und werden,
indem sie so lehren, selber sich in eine Aufßissnngsweise, in eine
Denkmethode hinemlernen, welche der des Bauern homogen ist und
Als deren literarische Bethätigung man den von mir oben vorgescMage-
nen volksthfimliclien Stil aufisofassen hat Es hängt jedoch ganz von
dem Belieben und der Eigenart des Dialectologen ab, ob er sich blos
unter das Volk mischen will, um dessen Sprache zu studiren. und so
Theoretiker bleibt, oder ob er die Sprache und Aii d{^> Volkes
bfi.hachtet, um mit diesem zu verkehren und es der IJiMunu: zuzu-
luinen, also auf das Praktische sich verleg-t. licide IxiclituuLreu er-
^nnzfu. corrig^iren und liedinfren sicli, und wenn die ])raktiscli wirken-
dt'ii \''»lksschritlsrcllci- je eine riclitige volksmassiue Stilart zu Stande
bringen, :50 hat sicher auch der stilungewandte Theoretiker hieran
erhebliche Verdienste, — So viel über die erwälnite Kinwendimg.
Von den ziemlich zahlreichen Volksschritien, welche bis heute
erschienen sind, hat zwar die Melusahl inhaltlich das Kichtige ofe-
troffen; aber die Durchführung ist meist eine so uiivolksthtimliche
oder eigentlich in ihrer beabsichtigten Volksthümlichkeit se uii;i:lück-
liebe, dass sie dem Geschmacke und der Auffassung des Volkes, —
besonders des Landvolke», — widerstrebt und daher jene Schriften
ihr Ziel verfehlen. Besonders Kalender und Flugschriften fallen unter
diese Rubrik. Am besten hat den volksthtlmlichen Stil bisher
Sosegger getroffen; er hat ihn zuerst in der reinen Mundart gefibt
(,.Tannenliarz und Fichtennadehi^) und sich denselben so auch fttr
seine hochdeutschen Arbeiten zu eigen gemacht Aber auch Bosegger
beaBdehnet erst den Anfang und noch nicht die Blttte dei* be-
sprochenen Stilart. Er schreibt ja vor allem fttr die gebildete Welt,
der er sich mit einem neuen Genre der Literatur präsentirt, und
vendet damit einem secundären Zweck sein Hauptaugenmerk zu.
Er tritt vor sein hochdeutsches Lesepublicum mit neuen, von ihm
Jselbst g-escliatienen Worten und Wendungen hin. welche jenes für
munflartliches Sprachgut hinnehmen muss, — während der Bauer die-
5*lben als fremd zurückweisen würde. So konnte Rosegger tlieil weise
einer gewissen, unwahren Manie rirtheit verfallen, vor welcher ich
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— 'obwbr selbst ein eifriger Verehrer des steirischen Dichters — doch
gewarnt haben will.
Wir haben nun über den Stil, die Form jener Vortragsstücke,
welche in den oben vorofesclilagenen Bauerncirkeln den Kem der
ganzen Unterhaltung zu bilden hätten, unsere Meinung gesagt. Über
den Inhalt dieser Vorlesungen dürfte unter jenen, die nur einigen
Einblick in die bäuerlichen Verhaltnisse haben, wol kaum ein Zweifel
sein. Es mflssen Erzählungen und Abhandlungen vorgebracht werden,
welche geeignet sind, die falsche Bigotterie zu bekämpfen und eine
gesunde Religiosität zu nähren, die Herzlosigkeit oder Kälte zwischen
Eltern und Kindern, zwischen Mann und Weib in Liebe zu ändern^
den Schlendrian in der Wirtschaft, in der Dienstbotenpflege, in Nah-
rung und Kleidung zu brandmarken, die elende Quacksalberei, welche
yon unqualiflcirbaren Bauersleuten mit Wurzeln und Kräutern und
anderem Humbug getriebai wird, zu entlarven, den TerderbUchen
Hexenglauhen und sonstigen Aberwahn kräftig zu bekämpfen, den
Sinn der Zusammengehörigkeit mit der übrigen menschlichen Gesell-
schaft zu belel)en, die Manierensncht der Bauern im Verkehr mit einem
Höhergestellten, ihre Unge-schicklichkeit. ihre Stumpfheit zu beseitieren
u. s. \y. Auch die Organisation des Staates, in welchem der Bauer
auf parlamentarischem Wege sein Recht zu wahren berufen ist. soll
erörtert werden; aber Politik zu treiben vor den Bauern wurde
ich mit Rücksicht auf die sehr erregbare Leidenscliaftlichkeit der-
selben und auf die Leiclitigkeit, sie in eine unriclitige Parteistellung
zu drängen, durchaus noch nicht empfehlen können.
Man darf aber nicht glauben, dass dnr< h ein allzu apodiktisches
Vorgehen gegen bestehende Irrthümer und Missbräuche dem Bauer za
imponiren ist Iin Gegentheil. £s vfinl nothwendig sein, dieselben
eher genau zu durchforschen und das, was an ihnen doch
Gutes oder Wahres ist, vorerst zu constatiren, um das Yer*
trauen der Zuhörer zu gewüinen, — und erst dann die Schattenseiteik
solcher Übelstände kräftig zu betonen. Man wird also, wenn man
z. B. gegen die falsche Bigotterie auftritt, zuerst der berechtigten
Heligiosität das Wort reden, und dann erst die Verwüstung, welche
Bigotterie und Fanatismus im Herzen und (Mste des Einzelnen, in
der Familie und Hanswirtschaft, endlich in der Gesellschaft anrichtet^
darstellen. Wenn man gegen den Hexenglauben sich auslassen will,,
wird man fruht^r die Concession machen müssen, dass es allerdings
neidische Menschen gibt, welche anderen au Hab und Gut .schaden
möchten, auch so verblendete Leute, welche vielleicht selber glauben,
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sie könnten wirjkUch durch geheiumisvolle Mittel Schaden stiften,
und so fort.
Öbwol es schon im allgemeinen bei solchen Vorträgen gerathen
ist. flu- alle wichtigeren Behauptungen kurze Beispiele (pointirte Ge-
schichten, lustig oder traurig"! einzuschalten, so miiss doch die Er-
a&hlungsform noch besonders empfohlen werden zur Einkleidung
Jener Wahrheiten, welche, unverhüllt ausgesprochen, dem Bauer
als eine direete und empfindliche Rfige erscheinen mflssten. Der
Bauer Ifisst sich nicht gerne meistern und hat nicht so unrecht dabei.
Wenn aber in der Erzählung ein ganz bestimmter Baner X aus irgend
efaier unbekannten Qegend mit den betreffenden Fehlem behaftet auf-
tritt, dann hat keiner der Anwesenden Grund, sich gegen die Wahr-
heit des Gesagten aufzulehnen, und doch wird jeder auf indirectem
Wege wieder so nahe berOhrt, dass er sich „eme Nase voll" nehmen
kann. Ich weise hier beispielshalber auf die Tortrefflich gelungenen
Piecen Boseggers „Da Gleichgüldi (Zither und Hackbrett, 2. Aufl.)
und „Da Bauem-Orz" (Tannenharz und Fichtennadeln, 3, AufL) hin,
welche ZAvar zu kurz sind, um allein einen ganzen Leseabend aus-
znftUlen, deren sich aber jedt s als tonanschlagendes Präludium für
eine längere ähnlich durchgelührte (populäi*- hochdeutsche) Erzälüuug
vortretflich eignet.
Nach den bisherigen Andeutiniiren wären nun die Grenzen ziem-
lich genau angegeben, innerhalb deren sich der Volksschriftsteller zu
bewegen hätte, anderersc its auch dem Vorleser in der Bauernstube
ein Massstab an die Hand gegeben, nach welchem er sich in der Aus-
waiil der Lesestücke — von denen in Roseggers Heimgarten bereits
ein bedeutender Vorrath aufgespeichert ist — zu richten hätte.
Wir haben jetzt nur noch eine letzte Frage zu beantworten,
nämlich die Frage, wen wir uns denn als die vorlesenden Organe
denken, welche überall in den zahlreichen Ortschaften jene Untere
haltungen und Zusammenkünfte der Bauern veranstalten sollen?
Volksschriftsteller und Dialectdichter, auch einzelne Stu-
dirende vom Lande, welche an mundartlichen Dichtungen und
volksthflmlichen Werken Interesse fanden, haben bisher schon zu
Öfteren Malen und an verschiedenen Orten die Bauern mit solchen
YoileBongen amüsirt. Allein die Zahl dieser Krfifte ist doch für ein
anlassendes, einen ernsteren Zweck verfolgendes Unternehmen nicht
zureichend. Es muss vielmehr ein ganzer Stand herbeigezogen
werden, dessen Glieder ttber das ganze Land verbreitet
sind, und dessen Aufgabe es schon an sich ist, mit dem
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Volke in iiälierem Verkehr zu stehen und auf dasselbe bil-
dend einzuwirken.
Diesen Anforderungen entsprechen nur der geistliclie und der
Lehr er st and. Der Geistliche ist aber durch die Principien seüies
8t;indps ^^ebanden, eine gewisse heilige Ehrfui'cht gegen seine Person
im Volke zu wahren, — er kann sich nicht so ohne Rückhalt mit
dem Volke identifieiren, wie es ein Civilist bei dergleichen Anlässen
thon darf. Man würde Im Hände des Pfarrers so manches tibel be-
nrtheilen, was an sich und fOr einen Ciyilisten gar nichts Anstössiges
hat, — nnd was schliesslich vorgebracht werden mnss^ soll die Unter-
haltung nicht m eine fade Anstandsncherei aasarten. Allerdings wAre
es andererseits wieder schünmi, wenn man sich verleiten liesse» Zoten
und Unanständigkeiten, zn welchen nncnltivirtere Gemttther ohne-
hin nur allznviel hinneigen, zu pflegen: die Unterhaltung soll vielmehr
80 geartet sein, dass ein gemtithlicher Ortspfarrer immerhin, ohne sei-
nem Respert Abbruch zu tluiii, zubiegen sein und fröhlich mit lachen
kann, wenn iliin audi weitergehende IxUcksicliteu eine iu iive P>etlieili-
gung nicht erlauheu. Ist der Pfarrer in (U'r Gemeinde beliebt, so ge-
winnt die l'nterhaltuüg durch seine Anwesenheit um einen Anziehungs-
punkt mehr.
Die eigentlich berufenen Arrangeure der "Bauernabende
sind die Lehrer, selbstverständlich die Lehrer auf dem Ti!iude. Sie
haben die Kinder zu bilden und zu erziehen: und so gewiss, als zwi-
schen dem Geistesleben der Kinder und dem elterlichen Hause, zwi-
schen der £ntwickelung der .Tuireud und dem moralischen Zustande
der Erwachsenen eine innige Wechselbeziehung best^^ht, ebenso gewiss
darf' der Lehrer seine Aufmerksamkeit nicht lediglich auf das ihm
anvertraute Kind beschränk^ sondern mnss bestrebt sein, das Sinnen
nnd Treiben des ganzen ihn umgebenden Volkes zu erfassen nnd zu
verstehen. Diese letztere «Pflicht ist an den Lehrer herangetreten,
seitdem man aufgehört hat, blos in Beibringung jener mechanischen
Fertigkeiten, welche sämmtUch auf dem Abc und auf dem Einmaleins
beruhen, den Zweck der Schule zn ^blicken. Diese Pflicht ist aber
für den Lehrer, als den Vertreter unserer edleren Bildung und
sittung in den von grösseren Bildungsstätten fernab liegenden Land-
gemeinden, nur die (Quelle einer weiteren, noch erhabeneren Pflicht:
es wird in ihm, bei Krtorschung der Zustände der Bauemwelt, auch
der Gedanke, ja der Wunsch auftauchen, diese Zustände, soweit sie
schadhaft sind, nach Ki'äften zu verhessern. Die alte Schule hat viele
Lücken gelassen, welche uubtreitig auch aul die Neuschule zum Theil
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abergegangen sind; aber die letztere ist wenigstens im Princip con-ec-
ter und vom Bewusstsein des ganzen Urafanges ihrer volksveredeln-
den Aufgabe sretragen. Um das Princip der X«'uscliule ]>rakti8ch
aii8ziif&]iren, soll die Lelirerschaft die Bedürfnisse des Volkes genau
studiren; um die Lftckeu der alten Schule anszufttllen, soll
dieselbe Lehrerschaft auch auf die Erwachsenen ihren Ein-
fluss fortznbethätigen suchen. Ein ebenso leichtes, wie angeneh-
mes Mittel hierzu sind eben die Bauemabende, und die Bauern-
abende werden, ohne Je nutzlos sein zu können, so lange eine
unbestreitbare Noth wendigkeit bleiben, bis die Schule ganz
den Volksbedfirfnissen entspricht und keine merklichen
Lficken in der Volksbildung mehr lassen wird, — wie es
scheint, noch eine sehr lange Zeit, denn wann werden Themen, wie
die oben empfohlenen, in der Schule behandelt werden?!
Und die Lehrerschaft ist diesem weiteren Wirkuno-skreise auch
vollends grewachsen. Die meisten Lehrer <?eliören schon von Geburt
Jeiiein Kronlande an, in welcliem sie wirken, llire StudiiMi sind nicht
darnach angelegt, sie dem Volke zu entfremden, wie etwa die Gym-
nasialstndien. Der Lehrer wird also am ehesten unter allen Gebilde-
ten ein wahres Verständnis tur das Volksh^ben besitzm. er wird letz-
teres lieber studiren und leichter beeindusseu. als andere. Er wird
in seineu rnterhaltungsarrauoements den \'olkston crlib klicher tr«'tfen
und wahren, und am ehesten das nothwendige Vertrauen der Tjand-
bevölkerung sich erringen. Es wäre daher höchst unrichtig und
ein Schlag, welchen die Lehrerschaft gegen sich selber füh-
ren würde, wollte sie sich nach Art der übrigen „intelligen-
ten" Stände hochnäsig über das Volk erheben, und, einem
dünkelhaften Kastengeiste huldigend, das Volk von sich in -
einer gewissen, ihren Respect angeblich erhöhenden Ferne
halten. Vemünftige Professoren sollten in den Seminarien die
Zöglinge eindringlich vor solchen Verirrungen warnen und sie auf-
merksam machen, dass nur der Respect des Freundes, welcher
mich auch hinter meinem Bücken lobt, wahren Wert ' für mich hat,
nicht aber der Bespect eines tou mir tyrannisirten oder yer^
achteten Sklaven, welcher Über mich spottet, wenn er aus meinen
Augen ist.
Dem Lehrer wird mit dieser Erweiterung seines Wirkungskreises
ein anziehendes, zu fortwfthrender geistiger Thätigkeit aufmunterndes
Gebiet eröffnet, anf welchem er Gelegenheit findet, über die beschei-
denen Grenzen seines Standes hinaus sich ein entsprechen-
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des Anseilen und (Ttwiilit iiucb in der liölieren literarischen
Welt zu erring:en. ■ ohne andererseits befürcliten zu müssen, dass
er dabei für seinen eigentlichen Beruf keine P^ortschritte maclie. Der
Lelirer, welcher volksthünilich wirken will, wird überall das Leben, die
Sitten, die Anschauungen, die Einriclitungen, besonders aber die Sprache
der Landleute l)e()bachten, er wird den Fleck Erde, wo er seine TM-
tigkeit zu entlalten berufen wurde, lieb gewinnen und der Vergangen-
heit des Völkchens, in welches er hineingestellt worden, nachibrschen:
er wird Chroniken von Ortschaften und Gegenden zusammenstellen etc.,
— kurz, er wird nach allen Bichtnngen hin fortwährend sein Wissen
bereichem und für seine geistige Thätigkeit stets nene Zielpankte
finden können. Schröer betont es in semen „Untemchtsfragen'*
S. 75, dass während des Bestandes der nl^iuularten Deutschlands**
von Frommann „nicht nur Oymnasiallehrer und Professoren,
sondern auch SehullehTer mit höchst wertvollen mundart-
lichen Beiträgen zur Zeitschrift sich einfanden, so z.B. Schnl-
lehrer Friedrich Wilhelm Pfeiffer in Stadeln bei Nttrnberg,
Schullehrer Josef Bichter in Deutsch-Praban in Ungarn und
vor allen nennenswert Schullehrer Josef Wurth In Minken-
dorf bei Laxenburg. — Diese Männer haben gezeigt, dass man,
ohne Anspruch auf Gelehrsamkeit, es daliin bringen kann, die Mund-
art gegenständlich zu uiaclieii und richtig darzustellen. Dies
ist nicht leiclit." ('brigens hat Wurtli das allerwenigste von seinen
Arbeiten zum Diucke betr»rdert, eine grosse Anzalil wei-tvollei- Manu-
scripte ist in liie Hände gelelirter Männer übergegangen, wo selbe
noch heute ihrer Verwertung harren. Professor Land st einer hat
dem wackeren österreichischen Sciiuluieistei' in einer Programmarbeit
vom Jahre 1872 ein wolverdientes Denkmal gesetzt.
Dui'ch die Eröilnung eines soldien W issensgebietes, einer solchen
auch für den eigentlichen Schulberuf höchst erspriesslichen Thätigkeits-
q;»häre wird ganz gewiss einem Herzensbedüröiisse aller ernsten, den-
kenden, strebsamen Lehrer begegnet. Schröer sagt hierübei* S. lOÜ
des obigen Werkes: „Glaubt irgend Jemand, dass jenes Wissensqnan-
tum, das vom Lehrer verlangt wird (so unendlich, erdrückend gross
es vielleicht für den Akt der Lehramtsprüfung ist), das Leben eines
Menschen ausfülle, dass es ihn beMedlgen k&nne? Das kann es
gewiss nicht, und nicht zu wundem ist, wenn der Lehrer, der
was er für die Schule braucht,"*' inne zu haben glaubt, wie der Leh-
rer, der ndt 18—20 Jahren sich für einen „,/ertigen*"* Lehrer hält,
sich im Verlaufe des Lebens auf alle möglichen Privatpassionen
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und Industrien wirft, denn sein Unterriclit ist ja schlecliterdint^s
keiner Steigerung, seia Wissen keiner Zunahme fällig, er ist heute so
wie morgen und wie er nach Jahren sein wird. Wozu brauclit er
mehr, besonders wenn er in einem „ngnten vSeminar"" gelernt hat!
— Der Bauer sammelt täglich Erfahrungen und Iei*nt nie aus in sei-
nem Berufe; nnd der Lehrer wäre mit 20 Jahren „fertig'''*?! Jeder
aadere Beruf soll einer Entwickelung der Einsicht und Übung fihig
and beddifUg sein; ist es denn der Lehrerberuf nicht auch?*'
Wie ganz anders steht es mit einem Lehrer, welcher, ttber die
paar Bttcher, die er zur LehramtsprüAmg hatte lernen mttssen, hinaus-
schauend, im Leben die eigentlichste Schulung für seinen Stand er-
kennt; der mit allen Leuten verkehrt, der pupulär und als heiterer,
„unterhaltlicher", aber auch tüchtiger und verständiger Keusch be-
kannt Ist; von welchem die Eltern nicht mehr, wie bisher so oft, den
Kindern Angst einjagen werden: „wartet nnr, his ilir in die Schule
kommt, der Lehrer wii-d euch schon carniittVln," — es winl ja tien
Bauersleuten ganz gewiss widerstreben, einen ..s(» raren Herrn '• ab?
Popanz hinzustellen: wie erfolgreich wird ein solclier Lchivr in der
S< !uiif wirken, welchem die Kinder mit Freuden entj^e^'-eiikoinnien,
Welcher sie genau kennt wie Kinder des eigenen Hauses, ihren L-'ei-
stigen Zustand aus den Anfangen ihrer Kntwickelung zu beurtheilen
und zu beeinflussen veretelit, mit ihnen verkehren kann wie ein Ange-
hüiiger der Familie! Welch' ungleich höhere Stellung nimmt der
Lehrer im Vergleich zu heute ein, wenn er, die Volksliteratur be-
nfitzend, auch die Erwachsenen geistig zu laben, zu wecken,
zu bessern und zu leiten im Stande ist! Wie anregend, erhebend
nnd veredelnd muss es nicht auf die Lehrerschaft selber wirken, wenn
sie — mehr wie jeder andere Stand — in all' den verschiedenen
Bichtungen des Volksstudiums mitwirken kann! Und welcher
Sporn zu immer eifHgerer Arbeit wird es erst sein, wenn einmal ein*
seine Lehrer, durch andauernde Beschäftigung mit der Volks- und
Dialectliteratur hinlänglich geschult, selber im Stande sein wer-
den, fftr das Volk zu schreiben, wenn einzehie andere wieder
sdtotstfindig forschen und selbstst&ndig auch ihre Forschungen
▼eröffentlichen werden!
Man hat meine Hoffnungen, welche ich in dieser Hinsicht hege,
durch den Einwand luederzuschlasen «jesuclit: „Ja, unsere Lehrer
können das Hochdeutsche noch zu wenig, — wozu sie überdies
mit der Mundart behelli(ren und l»eirren?" Ich kr>iinte diesen Ein-
wand gauz kurz in folgender Art abfertigen: „Gut, kann der Lelirer
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nicht riclititr li(>L*li(leut.s('li. so wird er Nicli \nA wissenscliaft liehen,
gramiiiatikaliselien etc. Arbeiten wenifrsteus keinen Stil vcr«lerl>en,
und schreibt er für das Volk, so kann er, hei Anwendung des
volksthümliclien Stils, die hochdeutsche Classicität entbehren." Aber,
win de icli so reden, so sähe es aus, als ob mir an der hochdeatschen
Stilfertigkeit der Lehrer niclits läge.
Nehmen wir an, die Lehrer seien im hochdeatschen Ausdruck
's\irklich zu wenig geschult, — eine Behauptung, welche namentlich
mit Hinsicht auf die nachwachsende Lehrerschaft gewiss eine sehr
gewagte ist, — woher Iftsst sich denn dieser Übelstand erklären?
Ganz gewiss daraus, dass ihre Studienzeit einerseits hingereicht hat,
um das im Bialect bereits erworbene Sprachgefühl« die schon erlangte
Sprachfertigkeit durch Eindrillen des heterogenen hochdeutschen Stües
zu zerstören, andererseits aber zu kurz war, um zugleich die gewisse
Classicität, welche die Schriftsprache bei ihren Sängammen, der
lateinischen, griechischen, englischen und firanzOsischen Literatur ein-
gesogen, den jungen Lehramtscandidaten beizubringen. Hat aber
der Lehrer auf diese Art seine Sprachgewandtheit einge-
büsst — ein Mangel, der sich dann nicht blos in seinem hoch-
deutschen Schulstile kundgibt, wo man strenger darauf achtet,
sondern auch im gewöhnlichen Verkehre, wo man es allerdings minder
genau nimmt — dann mag er noch so ängstli<'h von der Mundart
abgeschlossen werden, er wird darum docii um kein Haar besser hoch-
deutsch schreiben odei" sprechen. Gerade der Lehrer, welcliem
getnäss seines Bildungsganges der reine Classicismns weniirer
zugänglich ist. wird die ihm etwa abhanden geknnmiene
Sjirachfert igkeit nur durch Beachtung, ich mTiclite beinahe
sauen din-cli die Pflegt' der Mundart zurückirewinnen. Kr soll die
Mundart ptiegen, nidit ihrem Phonetismus nach. s(mdern ihrem (i eiste
nach, er soll ihre kräftigen und doch wieder nüchtern ausgeme.ssenen
Tropen, ihre Wrgleiche, ihre Kürze, ihre Einfachheit nachahmen, —
und man wird das schwülstige, unnat in liehe Hochdeutsch aus den
Jahresberichten der Schulen sicher bald verschwinden sehen. Ich
brauche mich hier nicht weiter darauf einzulassen, den Wert der
Mundart auch für das Erlemen des Hochdeutschen zu erOrtem; dies
ist bereits von einer gewandteren Feder geschehen, als die meine ist
(SchrOer, Unterrichtsfragen.)
Man hat femer an mich die Frage gerichtet, wie ich den
Lehrem auch exdnsiv wissenschaftliche Arbeiten zumuthen kOnne, da
sie doch durchaus „Praktiker** sden? Die Erfahrang hat diese
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Frage "bereits beantw(;rtet durch Nameu wie W iii lh. Richter, Kraiiiz,
Vernaleken. Es ist walu . dass die Betheiligung dw Lt lirer an der
wissenschaftlichen Arbeit abhängt von dem Ausmasse der theoretischen
Kenntnisse, welche sie besitzen. Aber gibt nicht gerade die prak-
tische Beschäftigung des Lehrers die meiste AniTpfung,. seine
Beobachtnngen, seine theoretischen Kenntnisse ttber Mundart und
Volksthnm za erweitem nnd zu vervollständigen? Und mit noch
grosserem Bechte wird dieses behauptet werden dürfen , wenn die
^yPraktiker" noch praktischer werden, wenn sie nach den in dieser
Abhandlung dargelegten Ideen auch die Erwachsenen in ihre
praktische Wirknngssphäre mit einbeziehen.
Damit ist natürlich nicht gesagt, dass das ganze Gebiet der
„Volksrtudien" ansschliesslich den Lehrern Aberlassen bleiben soll Es
■Efisaen- und werden sich auch Gelehrte und Schriftsteller von Beruf
der Lehrerschaft beigesellen, um die schwierigeren, höheren Themen
auiizuführen, um Einheit und Klarlieit in das ^i^esainmte ünternehmen
zu bringen etc. Hiervon vielleicht ein anderes Mal.
Wenn unsere Lehrerschaft diese ihre Aufgabe begreift, dann haben
wir einen grossen Schritt nacli vorwärts gethan. Ein neues, fruclit-
bares Wissensfrebiet zu erötfnen, die tlieoretischen Früchte desselben
in ausgiebigster W eise praktisch zu verwerten und hinwiederum aus
und mittelst dieser praktischen Verwertun«.»- den Kreis der theoretischen
Kenntnisse zu erweitern, — kurz ein durch die Adern des Volkes
nnd der Intelligenz als eines einheitlichen Körpers circu-
lirendes Wissenselement auf deutschem Boden zu gewinnen, das
ist sicherlich eine Aufgabe, welche diejenigen ehrt, denen man sie zu-
mnthen dar! Mögen daher unsere Lelu*er bei Zeiten sich zu derselben
Torbereit^, sich mit den Volksschrift^n nnd dem Volke selbst mög-
lichst Tertrant machen, anf Ausilfigen oder Besuchen die Anlagen und
Annchannngen der Lente beobachten etc^ — damit sie vorbereitet
sind, sobald der erste thatsächUche Anstoss zur Verwirklichung der
hier ansgeqiroehen^ Ideen erfolgt. Lange wird derselbe nicht mehr
auf mck warten lassen.
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Das geistige Element des Satztones.
ie articulirte Sprache ^vir^l allgemein als da^enige Merkmal
der Menschenspecies bezeichnet, welches diese von den ihr duich die
Abstainnumj^stheorie so sehr genäherten Thierspecies wesentlich unter-
scheidet. Nicht in einzelnen, gleichförmig wiederholten Schreien, nicht
in periodisch wiederkehrenden, wenngleich tonreichen und knnstvoU
erscheinenden Cadenzen, sondern in gegliedert«! Lantverbindangen
spricht der Mensch zom Menschen.
Soll aber men8chli<^e Spradie ihren Zweck erreichen: eines
Menschen Gedanken und GkDIlile in der Seele des andern zn erregen,
80 mnss sie in der Mdiraahl ihrer nnztthligra Arten namentlich fol-
gende Eigenschaften besitzen:
1. die gesprochenen Lantrerbfaidangenmfissen so gewählt sein, daas
sie wirklich der adftqvate Ansdmek der eigenen Gedanken sind;
2. müssen dieselben vereint und wiederum getrennt als Wörter und
Sätze, und ausserdem diese in geregelter Reihenfolge erscheinen ;
8. müssen pfewisse Silben (und zwar die richtigen) in den einzelnen
Wöit* III und ebenso gewisse Wörter im Satze mit verstärkter
StimiTip ofesproclien werden.*)
Die let/.tt^i wähnte Eigentliüniliclikeit, ohne welclie die mensch-
liche Rede entweder sdiwer oder gar nicht verständlich wird, nennen
wir die Betouuiio- oder den Accent.
Die Betonung steht aber nicht nur in inniirer Korrelation mit der
Verständliclikeit, sondern auch mit dem Verständnisse des (re-
sprochenen; iiir richtiger (rebraucli ist das siclierste Kriteriiun dafür,
dass der Sprecliende sowol den Inhalt der Worte versteht, als auch,
dass er den letzteien denkt, oder psychologisch gesprochen, dass in
*) Die 3Iuilulatiou der Stimme srheint mit Ausualime jeuer &>tUcke, welche mit
Kum Aufldnifike der Oemfttfasbewegungen gehOrai (Verstäiknog oder Abschwicbaiig
denelben, Klangfiurbe v. s. w.), vom Prhieipe der Yerstilndliehkeit wenigstens nicht
dueot abhingig zn sein.
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— III —
der SHf^le des Sprechenden gleichzeitig die Reprodiictioii jener Vor-
steliimgen stattfindet, deren Ausdruck eben die gesprochenen Worte
sind; ihre umichtige Anwendung oder ihr gänzliches Fehlen verräth
eben so sicher, dass dem Sprechenden oder Lesenden der Inhalt der
Wörter entweder fem oder fremd ist.
Die Intensität der Betonung in den einzelnen Redeabschnitten ist
eine sehr yerschiedene, nnd zwar sowoi die absolute (inbezng auf
den ganzen Satz), als auch die relative (der einzelnen WOrter des-
sdben im Verbilltnis zn einander).
Die absolute Intensität wird immer dann alterirt, und zwar in
g^diem Sinne, wenn die Xntensitftt der Stimme sich verändeit, so,
wenn Affecte die mensehliche Bede beeinflussen. (Wie sanft betont
klingen die Wechselgesprftche kosender Liebe, wie grimmig scharf und
i^Mrk die Accente der Wuth oder des Hasses!) Aber auch ohne Affect
oder bei nur geringem AflFecte wird die Intensität der Betonung in
solchen Fällen bedeutend verstärkt, wo es dem Sprecher darum zu
thun ist, besonders deutlich zu sein. (Sprechen in decidirteni Tone.)*)
Bei der Beiirthcilun? der relativen Intensität der Betonung unter-
scheiden wir bekanntlicli Wortt^n (SilbentDUi und Satzton.
Den ersteren betretfend lehrt die deutsche Rhythmik drei Stufen
der Inten>ität auseinander halten, den Hoch-, Mittel- und Tietton;
was aber den Satzton betriftt, der uns hier ferner ausschliesslich be-
schäftigen soll, so unterscheiden wir zwar zunächst betonte und nicht
b* tonte Wörter; es lassen sich aber innerhalb der ersteren bei feinerer
Auffassung durchs Gehör mindestens noch zwei Stufen der Intensität
auseinander halten.
In Bezug auf relative Intensität sind auch die Sätze untereinander
oft sehr verschieden; in manchen Sprachstficken ragt namentlich einer,
der etwa den Hauptgedanken, die Auflösung oder ein Resultat enthält,
doreh besonders kräftige Betonung hervor.
Den Satzton richtig und in gehöriger Stärke zu setzen, ist nament-
lieh bei der Bedtation poetischer Stücke fftr Jedermann, der nicht
Meister der Sprache ist, mitunter recht schwierig.
Seinen richtigen Gebrauch zu lehren, sind von gewiegten Kennern
der deutschen Sprache viele Regeln angestellt worden, wobei zumeist
*) So hört maa gelegoitlieh emen Hmtor, der wegen geiitiger Beschränktheit
oder UDaufmerkf»mkeit »eines Zöglings za einer Wiederhoinng seinee Vortrages ge>
zwimtjen ist. bei massiger Erhebung des Sprechtones, die einigen verhalteneu Ärger
vtrrätb, mit tn'snnderen! Nai:hflru«jk die ht tunten Silben hervorheben und sieht ihn
wol auch jeden Accent mit ckarakteristiäcliem Kopfnicken begleiten.
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die Kücksicht auf den ^laiuinatiselieii Wert dei- Worte im Satze und
ebenso der Sätze selbst als iiiH.^sfreliend an},^esehen wurde. Sollten
diese Reqfeln aber tür alle erdeiikliclien Kombinationen und Falle aus-
reiclitn. und sollten sie ferner genau sein, d. Ii. auch die iuuerlialb
dei' lu'louleu Worte nierklicli verschiedene relative Tonstärke angeben,
so würde ihre Anzahl Le^^ion. während ihr praktischer Wert tür den
Anfänger im Vorlesen und Kecitiren auf Null herabsänke. — Manche
der Autoren dieser Regeln widersprechen einander obendi-ein in ein-
zelnen nicht unwichtigf>n Fällen, besonders da» wo eine Verwechselung
zwischen dem Accent und der Erhebung der modulirenden Stünme»
wel«^' letztere in der .Regel auch mit einer Verstärkung des StimnH
tones verbunden ist, möglich ist, oder wo ein Accent wegen seines
Zusammen&llens mit der Stimmerhebimg leiclit Überhört werden kann.
Alle aber constatiren nur, dass, nnd ob schwer oder minder schwer
der Accent auf dieses oder jenes Wort fiülen mfisse, erldSren aber
nicht das Warum.
Woher diese Schwierigkeiten beun Satztone, da doch bei der
Setzung des Wort- oder Silbentones Niemand im ZweüM ist?
Der Sflbenaccent hängt lediglich Ton der Stellung der Sübe im
Worte, von ihrer logischen nnd etymologischen Bedeutung ab; durch
wenige, aber erschöpfende grammatisGhe Regeln ist seine jeweilige
Stärke geregelt, sein Platz ihm angewiesen. Der Satzton hingegen
hängt nicht ausschliesslich von dem gi ammatischen und logischen
Werte des Wortes ab, er ist vielmehr in gewissem Sinne der Willkür
des Sprechenden, nämlich seiner Absicht anheim gestellt.
Dass es aber die Absicht des Sprechenden allein ist, die den
Wortton uiibedinuT l)elierrscht, ist uns ein Fingerzeig, seinem Ursprung
auf psyciiologisclieiii Boden nachzuspüren.
Um dies mit einiger Aussicht auf ein positives Resultat zu be-
giun^n. erscheint es mir am geeignetsten, an das Verhältnis zwischen
Denken und Sprechen, zwischen Vorstellung und Wort anzuknüpten
und an einem Beispiele einfachster Art zu erörtern, wie der psycho-
logische Process beiläufig beschaffen ist, der dem Vortrage einer ge-
ordneten >lehrheit von Sätzen vorhergeht und denselben begleitet.
Nelunen wir an, es wolle Jemand eine selbsterlebte Begebenheit
erzählen.
Er besinnt sich; und dnrch die Kraft des Gedächtnisses ihrer
Hemmung befreit, steigen nun aus der dunkeln Tiefe des Unbewussten
Vorstellnngen auf, bald einzehi, bald miteinander und wol auch mit
fremdartigen, nicht zur Sache gehörigen assocürt, um in raschem
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darin wieder in stockendem Klussf. mit einer Intensität oder Klarli» it,
^^e sie der jeweilige Grad nn willkürlicher Aufmerksamkeit bei der
ersten Wahrnehmung schuf, und in einer Keilienfolge, die keineswegs
dem Verlaufe des erlebten Ereignisses entspricht.
Würde nun den Vorstellungen so, wie sie durch die Erinnerung
in der Seele des Individuums auftauchen, von diesem sofort durch die
Sprache Ausdruck gegeben, so wfirde eine derartige Erzählung, auch
wenn die Vorstellungen hierbei in einer derBegebenlieit entsprechenden
Reihenfolge r^rodadrt irorden wftren, nur nnvollkommen, oder gar
nicht vmtandoi "Verden. Denn erstens würden Ton dem Hörer viele
yontellnngen vermisst, deren B^rodnction znm YerstiUidniisse unnm-
gingüdi nothwendig sind, dagegen wftren zweitens andere dnrch zu-
fiffiige Association da, die in keiner nftheren Beziehmig za dem ge-
dachten Ereignisse stehen, die also znm Verständnisse nicht nothw^dig
ihid, nnd drittens würden von den yorhandenen VorsteUnngen viele
sabjectiv gdäürbt nnd daher in ihrem Ausdrucke ungenau und nicht
allgemein verständlich erscheinen.
In dieser primitiven und subjectiven Weise geben in der That
beispielsweise Kinder dem Selbsterlebten Ausdruck, nnd unzählige
Prägen miissen alsdann ihren Redefluss unterbrechen, um sie zur Re-
production und zum Ausdrucke solcher Vorstellungen zu bewegen, die
zwar nicht ihuni, aber dem Uubetheiligten zum Verständnisse unerlässlich
sind; in s(»lclier Weise werden noch, wie jeder schon eifahren hat,
der sich in ninem fremden Orte befand und der Orientirung l)edurtie,
Von ungebildftpii Leuten unverständliche Auskünfte crtlieilt, da diese
Wegen ilires bescliränkten (resichtskreises aus der iSubjectivität sowol
im Denken als im Si»rechen nicht herauszutreten vermögen.
Der Gebildete wird daher, um in der iSeele des Hörers in der
That die eigenen Gedanken zu erregen, zunächst viele andere Vor-
stellungen, die zum Yerstlndnisse unerlässlich sind, zu den vorhandenen
absichtlich reproduciren; wenige, wenn er zu jemand spricht, der ihm
hinsichtlich des geistigen Horizonts und der speciellen Lebenserfalirungen
nSher steht, mehrere und andere jenem gegenüber, dessen empirisches
Ich von dem seinigen bedeutend verschieden ist, und die meisten,
wean er zur Allgemeinheit spricht, wie der Erzähler vor der grossen
Kenge, wie der Autor einer Erzählung im Buche.
Dagegen wird er zweitens gewisse Vorstellungen aus dem ur^
sprBnglichen Vorrathe ausscheiden müssen, die sich bei dem ersten
Au&teigen derselben nur in zufälliger Association aufgedrängt hatten,
die aber für das Verständnis wenig oder gar nicht von Belang sind,
Padagogivn. i. Mttg. H«ft IL 8
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— lU —
und drittens vielleicht an Stelle mancher snbjectiv gefjb'bter objectivere,
an Stelle ungenauer g^enauere einfügen müssen. (So mttsste z. B. allzu
subjectiv gefärbt in der einer Ei-zählun^^ entsprochenden Gedanken-
rt'ihe eines einHiltigen Döiflers; dw Zeitbegritt" ei-sclieinen, ausgedrückt
durch die Phrase: „im Jahre nach dem grossen Brande"; — auch
noch subjectiv, aber schon einem grösseren Iirirerkreis verständlich
sind Zeitangaben ^vie: „zur Zeit des dreissigjährigen Krieges"; nocli
mehr objectiv erscheint der allgemein gebrauchte Ausdruck des Zeit-
begriftes durch die Jahreszahl; die objectivste wäre etwa eine astro-
nomische Bestimmung auf Gnmd allgemein wahrnehmbarer Ei-schei-
nungen.) Sonach wird das Inventar der zu einer klaren, allgemein
verständlichen Erzählung zu verwendenden Vorstellungen aus zwei in
Bezug auf die Reproductionsart verschiedenen Theilen bestehen: 1. aas
primären Vorstellungen, d. i. solchen, die nach der Sichtung der ur-
sprünglich anfgetaachten Vorstellungen von diesen Übrig blieben, und
2. ans secnndAien, nämlich solchen, die am der Verständlichkeit willen
erst mit Absicht zu jenen reprodncirt vorden.
Nun geht es an ein Schlichten and Ordnen des Vorstellangs-
materials in der Weise, dass zunächst in Ansehung der Beihenfolge
und Gmppirang der Yorstellnngsreihen ein gewisser ParaUelismos
zwischen diesen und den Elementen ihres lautlichen Ausdruckes, den
Wdrtem und Sätzen hergestellt wird.
Dass dieser Parallelismus kein süieter sein kann, yielmehr mit-
unter recht lose erscheint, ist evident. Denn einerseits enthält, um
nur einige Fälle zu beriibreu, der Gedankenausdruck manche Wörter,
die in ihrer gegenwärtigen Fassung niclit vorstellbar und lediglich
grammatisches Beiwerk sind, anderseits sind manche Vorstellungen,
namentlich die ansclianlichen, in Bezug auf iiiren Inlialt so reichhaltig,
dass zu ihrem adä(iuaten Ausdi-uck melirere Wfirter gebraucht werden
müssen. Auch hinsichtlicli des Verhältnisses zwischen Satz und Ge-
danken (resp. Urtheil) wissen wir, dass es uns die Vielseitigkeit des
Ausdruckes ermöglicht, nach grammatischen und stilistischen Regeln
den Inhalt eines Gedankens sowol durch einen, als auch durch zwei
oder gar mehrere Sätze ohne Störung des Sinnes auszudrücken. Was
aber am meisten das Übereinanderfallen von Gedanken und Satz
alterirt, ist eine Thatsache, die schon bei einem geringen Mass von
Selbstbeobachtung erkannt wird, dass wir nämlich mehrere Glieder
einer Yorstellungsreihe, sofern dieselben anschaulicher Natur sind,
selbst dann zu einem emzigen Bilde vereinigt gleichzeitig vorstellen,
wenn dies der Natur der Sache nach eigentlich nicht möglich ist.
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wenn z. B. der Inlialt des Vorgestellten nicht ein Gleidizeitij^es und
Ruhendes, sondern ein in der Zeit Aufeinanderfolgendes und Wer-
dendes ist. So fassen wir nicht nur bei Anhörung des Satzes: „Ihm
glänzte die Locke silberweiss" die in denselben ausgedrückten Vor-
stellnngen im Geiste in einem Bilde zusammen, sondern wir stellen
ans auch den Gedankeninhalt der Verszeile: „Der Kaiser ergreift den
gold'nen Pokal** wie ein Glemälde mit schablonenhaft aosgeffthrten
Details yor» allerdings mit dem kleinen Fehler der Anpassung, dass
wir nns das „ergreift^ welches sich in der Zeit vollzieht, symbolisch
dorch den aosgestreckten Arm des Kaisers darstellen.
Solche Vereinigung von Vorstellungen zu Bildern oder Omppen
höherer Kategorie ist aber nur in dem FaUe möglich, wenn erstere
beim Zusammentreten im Bewusstsein sich in Bezug auf Intensität
oder Helligkeit ausgleichen kOnnen. Erfahren eine oder mehrere der-
fielben ans irgend einem Grunde eine wesentlich bedeutendere Fm-
derung vor den anderen, so kann eine soldie \'ereini^-unfr nicht leicht
stattrtnden. Dies ist z. B. der Fall bei der Auttassnnu: des Satzes:
-Von un<^efälii' mu.ss einen Blinden ein Lahmer auf der Strasse findeu."
Hier siossen die coutrastirenden Merkmale der \'orstellune:en des
Blinden und des Lahmen mit allzuorrosser Hellitrkeit aut-inaiulei-. wes-
weijen wir nicht so ;^n*neiirt sind, den Inhalt dieser Verszeüen zu
einem Gemälde zusammenzufassen, wie in obigem Falle.
Das Mass der Helligkeit aber, das irgend einer Vorstellung zu-
kommt, steht in geradem Verhältnisse zu dem Grade der Aufmerk-
samkeit und des Interesses, die man selbst darauf wendet, weil man
wünscht, dass es in der Seele des Hörers ebenso ei-scheine. Nun ist
leicht einzusehen, dass das Mass der Aufmerksamkeit^ welches auf die
einzelnen Theile eines solchen Vorstellungsbüdes (resp. auf die ein-
zelnen Vorstellungen) entfiUlt, ehi um so geringeres sein kann, je mehr
solcher Vorstellungen in jenem vereinigt erscheinen, und dass somit
auch die Helligkeit der einzelnen Vorstellungen in indirectem Ver-
hältnis zu der Anzahl derselben stehen muss. Je mehr Vorstellungen
also zu einem Bilde vereinigt erscheinen, desto geringer ist die (ab-
solute) Intensität der einzelnen. Es kann aber keinem Zweifel unter-
liegen, dass bei der Regulirung des für eine besondere Reihe gesam-
melten Vorstellungsmaterials gleich der ursprünsrlichen Summe und
Reihenfolge der Vorstellungen auch der urspriinirl ielie Klarheits-
LTad dei*selben Veränderimgen erfahren wird. Durch die Kinwiikuug
fler willkürlichen und objectiven Aufmerksamkeit des geliildeten Kr-
zählen» erhält jede der vorhandeueu Voi*steiiuugen ein endgiltiges
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coiistuutes ^[ass von Hellicrkeit, das von der „Wicliti;j:keit'' derselben
abliän}rt, niiinlich von ihrer Bedeutung- in der Ökonomie des Vorstel-
lun^'-s})ro('esses, und mit welchem sie jedesmal erscheint, so oft sie in
derselben Vorstellungsreibe rei)roducirt wird.
Durch diese Thätigkeit der objectiven und willkürlichen Aufmerk-
samkeit erhalten insbesondere die secundären Vorstellnngen die ihnen
gebührende Intensität und ebenso die durch Auswechselung an Stelle
unbrauchbarer ursprünglicher gelangten den Helligkeitfigrad der letz-
teren, sofern er der objectiv richtige ist
Wie gross und bedeutend die Unterschiede sind, die sich bei der
Begulirung des Ehtilieitsgntdes zwischen den ursprünglichen und den
endgiltigen Intensitätsvethältnissen ergeben, das hängt yomehmlich
von der Intelligenz des Erzählers ab, deren Ausfluss eben die Objec-
üvitÄt ist.
Wir wissen nun also im voraus, dass von den beim Sprechen zu
reproducirenden Vorstellungen einige mit grösserer, andere mit gerin-
gerer Stärke oder Klarheit ins Bewusstsein treten, anderseits aber
auch, dass von den ^^^■■trtern. welche jene ausdrücken werden, gleicher-
weise einige mit griisserer, andere mit geringerer Starke dei- Stimme
werden gesprochen werden. Sollte hier nicht eine coustantc Beziehung,
ein ursächliches Verhältnis obwalten?
So will es in der That scheinen.
Intensität der Vorstellungen gehört zur Form des Vorstellnngs-
lebens. Dass aber nicht nur die Materie des letzteren (die Vorstel-
lungen selbst), sondern auch das Formale desselben durch die Sprach-
organe Ausdruck finden kann, sehen daran, dass die G^Ühle sowol
durch quantitative, als auch durch qualitative Modification der Er-
regung derselben in der That mit gi'osser Genauigkeit zum Ausdruck
gebracht werden.
Halten wir uns nun gegenwärtig, dass der Hauptzweck der
Sprache doch Verständigung, ihre wichtigste Eigenscliatt also Ver-
ständlichkeit ist, so wird wol die Frage gestattet sein: Wenn das
Bewusstwerden der Hemmung und Förderung des Vorstellungsablautes
in der Sprache seinen Ausdruck findet, sollte diese über kein Mittel
verfügen, das Verhältnis der Intensität der Vorstellungen auszudrücken,
das doch in Plinsicht auf die Absicht, die eigenen Vorstellungen in
der fremden Seele zu err^^en, ofifenbar in der Ökonomie des Vor^
stellungsprocesses eine weit vichtigere Bolle spielt?
Wenn aber die relative Intensität der Vorstellungen in der That i
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l&Dtlichen Aufidruck ünden sollte, wo und in welcher Form dui'feu
wir denselben erwarten?
Vorhandene Gretulile erzeugen, gegen den Zustand des Gefühls-
mangels gehalten, eine bisweilen bis zum Aussersten g-esteigerte £r^
regnng des gesanunten Gehirns. Dieser entspricht eine bis znm
Aussersten sich steigernde Erregung nicht nur der Sprachorgane, son-
deni auch jener Glieder Überhaupt, welche an dem Ausdruck der
muthsbewegungen sich betheiligen. Wir können also wol in schwacher
Analogie annehmen, dass intensivere Vorstellungen, welche in einer
intensiyeren momentanen (bisweilen auch andauernden) Erregung der
VorsteDung bildenden Elemente des Gehirns bestehen, oder an eine
aMie geknüpft sind, auch eine intensivere Erregung jenes Organes
bewirken werden, welches dem Ausdrucke der Vorstellungen dient;
letzteres aber ist die Definition des Satztones oder Acoentes. Wir können
nun wol mit einiger Berechtigung <len Satz aulstelhii:
Der Satzton (lledeton, logisclier Accent) ist der laut-
liche Ausdruck der relativen Intensität oder Klarheit der
beim Sprechen reproducirteu Vorstellungen; die Intensität
der Betonung eines Wortes steht in directem Verhältnis zu
der Intensität der jeweiligen Vorstellung.
Wenden wir diesen Satz aut den oben erwähnten Fall einer
VorsteUungsreihe mit theilweise anschaulichen Elementen (Ei-zählung)
an, so erhalten wir folgende Zus;itzt- Je geringer die Anzahl der
Worte ist, welche eine einzeln im Bewusstsein stehende Vor-
stellung oder ein Vorstellungsbild ausdrücken, um so stärker
wird der Accent sein, den jedes derselben gleichmässig er-
hSlt; je grösser die Anzahl der Worte, um so schwächer ist
derselbe. Am stärksten betont wird also eui Wort sein, welches
emer Vorstellung entspricht, die einzeln mit grosser Helligkeit im
Bewusstsein steht Ein solcheis Wort ist z. B. der Ausdruck der Ich-
Verstellung, welche entweder dnrch den wichtigen Impuls des Egoismus
oder durch andere Kräfte bisweilen mit grosser Intensität ins Bewusst-
sem tritt Man denke nur daran, mit welch' kräftigem Accent Kinder,
an die etwas vertheilt werden soll, das: ,,Mir, mir!" ausrufen, oder
auch in Möros' Ausruf, da, wo er, in der Absicht, in der Seele des
Henkers die VorstcUiiUi,'- st incs h rtniudes, als des von ihm zu hängen-
den, völlig zu verdunkeln, die Vorstellung seiner selbst möglichst
intensiv erngen will: „Mich. Henker, erwiirgetl" — oder an den
miichtiu'en Accent in dem dnrcli die französische Geschichte berühmt
gewordenen Köuigswortel „letal c'est moi!"
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Sehr srliwacli betont liingejjreii wird eines von mehreren Wörtern
sein, weh'lie zn^imnien der Ansdnick einer Voisrellung sind, die als
Tlieil ein('s Bildes oder aus anderen Gründen nur ein geringes Mass
von Helligkeit besitzt.
Nach diesen Regeln erhalten, um die oben angeführten Beispiele
nochmals zu berühren, die drei nicht eingeklammerten Worte der
Verszeile: „(Ihm) glänzte (die) Lovkc silbt rweiss", weil sie einwertige
Ausdrücke massig heller (weil zu einem Bilde vereinigter) Vorstellungen
sind, jedes einen gleichen mässig starken Accent; dagegen werden in
dem Satze: »(Der) Kaiser ergreift (den) goldenen Pokal" zwar „Kaiser"
und „ergreift" ans denselben GrQnden jedes einen gleichen, eben&Us
mässig starken, „gold'nen" und „Pokal" aber, als zweiwertiger Aas-
druck eines Bildelementes, jedes nur einen halb so starken Accent
erhalten; denn, gleichwie das Mass der Helligkeit sich gleichförmig
auf alle Theile des Bildes ausbreitet, so muss sich auch das Mass der
Betonung gleichförmig auf alle Wörter vertheilen, die der Anadrack
einer Vorstellung sind.
Als weitere Folgernng aus Obigem ergeben sieh die nachfolgenden
Siitze, deren erster einen principiellen Widerspruch mit den bisher
aufgestellten Systemen von Betonungsregeln enthält:
1. Der Satzton fällt niclit auf die einzelnen Wörter als
solche, sondern auf Wörter oder Wortgruppen, gleichmässig
vertheilt, insofern sie der Ausdruck mehr oder minder heiler
Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen sind.
2. Der Satzton wird instinctiv gebraucht; und man kann
daher eigentlich nicht sagen, dass er in der Absicht des Bedenden
liege. Was in der Absicht des Kedenden liegt und allerdings von ihm
regulirt werden kann und muss, ist hier das relative Verhältnis
der Intensität der Vorstellungen.
Doch genug der Theorie. £s sei nnnmehr noch gestattet, einige
hierher gehörige, zwanglos aneinander gereihte Thatsachen der Er-
fahrung ans den aufgestellten Sätzen zu erkliiren.
Die erste Sprache der Kinder besteht ausschliesslich aus gleich-
förmig kräftig betonten Wörtern; diese Erscheinung hat zwei Ursachen:
1. sind diese Wörter in der B^el der einwortige Ausdruck einzetaier
Voratellungen, die meist unmittelbar auf äussere oder innere Beize
mit grosser Intensität ins Bewnsstseln treten; 2. entbehrt die kind-
liche Sprache der Ausdrücke für jene im allgemeinen mit schwächerer
ursprünglicher Intensität reprochicirbaren Vorstellungen, deren Er-
regung zur Verständlichkeit erfurderlich ist. — Je grösser aber die
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Intelligenz sowol bei dem Individuum, als bei der Gesammtlieit einer
Gesellschaftsstnfe oder eines Volkes ist, mn so grösser ist auch die
Einsicht) dass und welche Yorstellnngen zu den spontan aufgestiegenen
jedesmal reprodocirt werden mttssen, am yoUes Verstfindnis der Rede
za erzielen, nm so grösser ist also anch die Anzahl minder betonter
WOrttf . Von diesem Standpunkte aus stellt sich ans insbesondere
der Glegensatz zwischen der Sprache des Volkes and der Sprache
Höhergebfldeter recht dentlich dar. Erstere ist weit accentreicher,
d. i entiiSlt eine vergleichsweise weit grössere Zahl betonter Wörter
als die letztere; denn der gemeine Mann hat mit Seinesgleichen einen
und denselben beschränkten G^ichtskreis, nahezu dieselbe Summe und
Färbung der Vorstellungen, daher er jedesmal nur seine spontan re-
produciiteu Vorstellungen auszudrücken braucht, um verstanden zu
werden. — So ist auch bei einem und demselben IndiNiduum die
Spmehe des Verstandes von der des Gefühles erlieblich verschieden.
Letzttiv erscheint als die bei weitem accentreicliere; denn im Atiecte
ist es dem ^lensclien nicht darum zu thun, sein Inneres Anderen niit-
zutlieilen. sondern demselben zur Entlastung der bedi-ängten Sinde
überhaupt Ausdruck zu leihen. Bei gesteigertem Affecte wird die
Sprache immer ärmer an schwach betonten Worten, und auf der
höchsten Stufe der Gefühlserregnng bleiben nur die betonten allein^
übrig, als der Ausdruck einzelner ausschliesslich dominirender, überaas
intensiver Vorstellungen, die alle. anderen völlig verdunkeln (so im
Zustande der Wuth die Scheltworte nnd Ausrufe in Befehlsform).
Den grössten Gegensatz in Bezug auf relative Anzahl der Satz-
accente stellen ans die Sprache des Kindes nnd die Sprache der ge-
lehrten Prosa dar; dort nur stark betonte Wörter, hier die grösste
Anzahl mindest betonter, da der Gelehrte der höchsten Objectivität
und Deutlichkeit bedarf, seine subtilen Gedanken Anderen verständlich
zu machen and zu diesem Behofe genöthigt ist, eine Unmasse von
Vorstellungen absichtlich zu reproduciren, um durch den (schwach
betonten) sprachlichen Ausdruck derselben jene in der Seele des zu
Belehrenden iji derselben Intensitätsabstufung zu erregen.
Eine eigenthümliche Beobachtung kann man an Personen machen,
die einem Gedanken, den sie mitzutheilen wünschen, in nachlässiger
Weise Ausdruck geben: sie sprechen das wichtigste, meist betonte
W'ovi zuci'st aus, als Ausdinick der einzig intensiven, weil unmiltelbar
durch kräftigen Reiz ins Bewusstsein getretenen Vorstellung und
lügen dann andere schwächer betonte Wörter (behufs dei* Verständ-
lichkeit) in grammatisch ungeordneter Eeihent'ulge dazu, in jener
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näiiilich, in der die entspreclieudeii, absichtlicli, aber ohne sonderliche
Überlegung reproducirten Vorstellungen etwa in ihr Bewusstsein treten.
Eine in dieser Hinsicht recht interessante Erschemong ist der
Monolojn^ im Drama. Hier ist es dem Sprechenden mehr nm den
Ausdruck seiner Qedanken und Gefühle zu thon, weniger um ver-
ständliche Mittheilung, wie beim Dialoge. Den grammatischen Aus-
dmck daf&r bilden die sehr hAufigen EUipsen und abgerissenen Worte
und die h&ufigen Pausen, wie denn anch die vielen Ruf- und Frage- •
zeichen dafür zeugen, dass vorwiegend intensive Vorstellungen erregt
werden. —
Sollten die ausgesprochenen Sätze in der That ein Körnchen
Wahrheit enthalten, und sollte es wirklich zum Verständnis der Bede
unumgänglich nothwendig sein, dass nicht nur die Vorstellungen aber-
haupt und insbesondere das Bewnsstwerden der Hemmung und Förderun^^
ihres Ablaufes ausgedrückt werden, sondern auch die relative Starke
oder Helli<rkeit, mit der sie bei der Keproduction einer fixirten \'or-
stellung-sweise ins Bewusstsein treten, durch die Spracliorirane Aus-
dnick rinden inUsste, dann drängt sich uns soofleich wieder die ent-
tenitere Fragfe auf: „Warum müssen die Glieder einer durch die
^ijruche auszudrückenden Vorstellunjrsrcilie in Bezu«r auf ihre Inten-
sität in einejn bestinnnten Verliältnisse der Abstufuii<r stellen, wenn
sich durch das Mittel der Sprache unser Denken in der Seele des
Andern getreu wicilerspiegeln soUV" - Eine Frage, die ein bisher
ungelöstes, aber hotientlich lösbares ßäthsel wichtigen Inhalts in sich
birgt, eine Frage, die uns anregt, nach der geheimnisvollen Tiefe zu
schärfen, \yo die feinsten Wurzebi des menschlichen Denkens und der
menschlichen Sprache sich wunderbar ineinander verschlingen.
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Wiener (iescMchteiL
Von Dr. Friedrieh Bitte»,
n.
Wie ich in der vorigen Nnmmer dieser Blätter angedeutet habe,
trat fSat das Wiener Pftdagogiom in der Mitte seines vierten Lebens-
jahres (im Frühling 1872) eine Wendung znm Besseren ein. Fftr das
vacant grewordene Lehrfach der deutschen Sprache und Literatur
wanneu wir iu Prof. Dr. Andreas Tliurnwald einen ausnft-zeiclineten
iM-enteu. Als derselbe nacli drei .lalir<'n sieh vollständi<i: in das Pä-
'lairDsrinm eine^elebt und sicli besonders aucli mit dem Volkssehnhvesen
Vertraut iremaeht hatte, trat er {jfanz in unsere Anstalt über, indem
er noch die Direetion der Knal)en-t'hnngssehule sowi»» das Lehrtaeh
der Methodik und Schulpraxis übernahm. — Ich selbst hatte im ]\Iärz
1872, naeh der früher erwähnten Krankheit, nicht nur die Directions-
«reschäfte und die Lehrthätigkeit in Psychologie, Logik, Pädagogik
und deren Geschichte wieder angetreten, sondern auch provisorisch
die ilethodik und Schulpraxis übemomraen. Tn den Sommoiferien des-
selben Jahres vollendete ich mein Lehrbnch der Psychohi-ie. wodurch
ich eine neue Unterstützung meiner mUndlichen Lehrthätigkeit gewann.
Noch vor Ablauf des vierten Stndieigahres unserer Anstalt (der
Jahressdilnas fiel in den Monat Juli) kam femer eine erspriessliche
Bevision des Statuts derselben zu Stande, bei welcher namentlich Dr.
Adolf Ficker, der sich überhaupt grosse Verdienste um das öster-
leiciiische Schulwesen erworben hat, in der förderlichsten Weise mit-
vhkte (ein kurzer Nekrolog über ihn findet sich im zweiten Jahr-
gange dieser Zeitschrift S. 466). Diese Bevision hatte den Zweck, die
Nonnen des Pftdagogiums mit den durch die neue österreichische
Schulgesetzgebung geschaffenen Verhältnissen in Einklang zu bringen
ond zugleich die im Pädagocnum gemachten l-hlahninj^cn /u verwer-
ten. Der erwähnten Gesetzixebuinr jjemäss war bereits ein Theil der
Lehrstellen an den Wiener Volksschulen mit weiblichen Kräften besetzt,
und nachdem die Lehrerinnen den Lehrern gleicligestellt waren, wui-de
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jenen aueli der Eintritt in das rä(lag:ogiuin eröli'net und zwar unter
(lenselVten Bedinfruiiffen wie den Lelirern, mit denen sit- au<-h dureli-
aus •remeinsamen Unterricht erhielten. Von den sonstigt n Anderuufren
uusers Statuts sei hier nur nocli die Aufhebung der iriilier erwähn-
ten Bestimmung in Betretf des Ii e Ii gions Unterrichtes angeführt.
Diese Bestimmung hatte niemals eine praktisclie Wirkung gehabt, da
die Zöglinge des Pädagogiums sich vergeblich bemüht hatten, dt-n
präsumirten Privatunterricht in der Religion zn erhalten, weshalb anch
keiner das geforderte Zeugnis beibringen konnte. Weil nun überdies
bei den inzwischen angeordneten staatlichen Lehramtsprüfungen auch
die Religion berQcksichtigt war, so fiel fiir das Pftdagogiom mit der
Möglichkeit zugleich die Nothwendigkeit einer Controle in dieser Hin-
sicht weg. Bezüglich dieser Verhältnisse bemerkte ich in der im Jahre
1873 über das Pädagogium herausgegebenen Schrift Folgendes: „Das
Pädagogium hat mit der Beligion nichts zn thun, was auch ein Glück
ist; denn es ist hiermit eine grosse Gefohr für den Frieden und das
Gedeihen der Anstalt ferngehalten. Und so wei'den im Pädagogium
die Wissenschaften rein objectiv, ohne confessionelle Färbung, sondern
lediglich nach Massgabe ihrer eigenen Grundlagen und Gesetze be-
handelt. Ob das irgend einer kirchlichen Partei gefällt oder misstallt.
künnnert uns nicht. Für uns gelten blos die Normen der Wissenschaft;
unser Ziel ist Erkenntnis und N'erbreitung der Wahrheit. Glauben
kann iil)rii^ens Jeder, was ei* will."
Die iin Vorstehenden angeführten Umstände wan n es, welche im
vierten Jahre dem Niederganire des PädagoLnums ein Ende machten
und vom fünften Jahre an einen kraftvollen Autsch wun^^ desstjheii
herbeiführten. Ein freudi^rei- Eifer belebte Eelu-er und Hörer und
steigerte die Erfolire der Arbeit. Die Ere(juenz nahm bedeutend zu;
unter der Hörerschaft erschienen auch eine Anzahl Lehrer und Leh-
rerinnto von auswärts, aus vei'schiedenen I^rovinzen Österreichs, aus
mehreren Ländern des deutschen Reiches, aus Kusslaud und anderen
europäischen Staaten, abgesehen von solclien JSchulmännern und Schul-
freunden, welche nur kürzere Zeit im Pädagogium hospitirten, um die
gesammten Einrichtungen oder einzelne Lehrgänge desselben kennen
zn lernen. Auch beide Übungsschulen (eine achtclassige Knaben- und
eine achtclassige Mädchenschule) gelangten mit der Mutteranstalt zu
voller Entwickelung und Bifite.
l^atflrlich kam dieser gedeihliche Zustand des Instituts den Geg-
nern desselben nnerwartet und unerwünscht Seit Errichtung desselr
ben hatten sie in öffentlichen Blättern, namentlich in clericalen, fort-
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wäluend auf das l)estimmt€ste propliezeit, das rädagogiuin werde „nicht
drei Jabre'' besteben, und es gab wichtige Momente, aui' welclie sie
diese Prophezeiung stützten. Aucb war der Verlauf jener ominösea
«drei Jahre" eher dm Widersachern als den Freunden des Pädago-
giiims erfreulich. Um so schmerzlicher sahen sich die ersteren her-
nach getftascht Nun mosste natürlich wieder etwas geschehen, um
die gesonkenen Hoffimngen auf den Fall der Anstalt neu zu beleben.
Der Wiener „Volksfretind**, das damalige Hanptorgan der deri-
calen Partei, mit einem Motto von Papst Pins IX. an der Spitze, das
Leibblatt des TTawiiiMiift Ranscher, redigirt von Consistorlalrath Albert
Wiesinger, brachte am 23. Januar 1873 unter dem Titel: „Bemer-
bmgen Aber ein Lehrbuch der Psychologie von Dr. Friedrich Dittes"
eine Strafrede, deren erster Theil also lautet:
„FQnf Jahre Bind verflossen, seitdem der Qemeinderath Wiens die Stime
hatte, vor den Stufen des Thrones die sftnimtlichen Bischöfe Cisldtbaniens der
Vt ilenmdnng zu beschuldigen, weil sie in ihrer au S(\ ^rnjestilt ^berichteten
IJesthwerdesehnft erklilrt liattt;n, es sei mit der KvnN litunj,-- des beabsichtig't'en
Piulai^ojriuHis auf ZcrstiirunL'' der Relifdositiit un«l Sittlichkeit in den Herzen
der heranwaclist iKlt ii i n-nfiatinn ab|i?ej>;eheu. Wir wei'den uäclisteus ein wiili-
rend dieser lunf Jalue gesammeltes reiches Material von l'hatsacheu verüiient-
lichen, nm die Verlemndimgsfrage znr endgiltigen Entscheidung zn bringen,
mid wollen hiermit zugleich das frenndliche Ansuchen an unsere Leser gestellt
baben, derlei pro ond contra sprechende, jedenfalls aber nur wol verbürgte
Thatsachen ans demSchoUeben in Stadt nndLand an dieBedaction des Volks-
freniid" f^elanj^-en zu lassen.
Es war eine lusti^a- Zeit, als die abtresandten diei Weisen des Wiener
Geraeimleratbes sieb mit guten l>iäten auf die Keise maebten, um den Stern
zu suchen, der Österreich erleuchten sollte. Ein durch alle deutscheu liliitter
gehendes zwerch- nnd banehf^Uersdifittemdes Hohngelilchter begleitete die zur
Demüthigong des Österreichischen Namens in Scene gesetzte KrähwinkUade.
Bald war er gefhnden, der grosse Liebt! riiiirer, denn er Hess sich nicht lange
bitten. Er kam nnd schrieb sein erstes Manifest, und die durch ihn zu bilden-
den Lehrer Wiens hinw iedei-um manifestirten ibre UiMunfrsunflUiigkeit dadurch,
dass sie in den wriiiirt-n von ilfin t;rnss»-n ^lann erlas>tnen Zeilen ein Dutzend
grammatischer Fehler entdeckt lialjcn wollten und sogar sich erfrechten. dieseHu n
in der „Schnlzdtnng'* der öffentlichen Bennrnderong preiszugeben; ja einige
der KalitiSeesten sollen sogar das Docmnent den Schi4jnngen mit bestem Er-
folg zun Corrigiren vorgelegt haben."
Ob gesammelte reiche Material von Thatsachen" nachtrSg-
Uch das Licht der Welt erblickt hat, weiss ich nicht, da ich nicht
Zeit hatte, den „Volksfirennd" regelmässig zu lesen; gehört habe ich
niehts davon, und vielleicht hat die erbetene Mitwirkung nicht die
erwünschte Ansbente geliefert Dass ich mich mit dem Urheber obiger
Stilprobe nicht in einen Streit etnliess, am allerwenigsten über an-
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gebliclip „ 'iTuniniatische Fehler", wird der p:eneio;te Leser begreiflich
finden: ^velHt(er vielleicht die Thatsache, dass ein .X'oujsistorlHlrath"
solche Publicationen leisten und an den von ihm erzahlten oder er-
dichteten Heldenthateu seine Freude haben konnte. Auch mir war bLs
dahin eine so elegante und noble Diction bei einem ( 'onsistorialrathe
noch nicht begegnet. Indes überzeugte ich mich bald, dass Pater W'ie-
singer selbst auf der Kanzel eine gleiche Sprache führte. Ich hörte
ihn nämlich eine halbe Stunde lang predigen „von einem amerika-
nischen Schtthwichsfabrikanten und seiner Schuhwichs",
indem er den amerikauischen Schuhwichsfabrikanten und seine Schuh-
wichs mit der liberalen Partei nnd ihren Leistungen verglich und
sein Auditorium mit allerlei politischen Anspielungen nnd possirlichen
Schnurren amttsirte. Und dies geschah mitten in Wien, in der Kirche
zu St Peter. Yermuthlicb wollte der ehrwürdige Pater Wiesinger den
Abraham a Sancta Clara imitiren. Jedenfalls zeigen die angef&hrten
Proben seines Genies, von was fttr Gegnern und mit was für Mittehi
das Pädagogium und was zu ihm gehörte bearbeitet wurde.
Was nun meine Psychologie betrifft, so verdriesst den Hem
Consistorialrath insbesondere die dort entwickelte Lehre von der
Willensfreiheit, wobei er sich auf keinen Gerinpferen als Kant beruft,
um mich zu widerlegen, indem er wörtlich schreibt:
..Wie sich doch ilicse rationalistipcht'n Plattköpf»' verwund^ni mid alh^lei
un$rlüuV)i':»' ( JriiiKi.s^cn zu sclincidcn lirjrinnrii. wmn man ihni'H bei diesem An-
lafiS auseinaiuKTsetzt, dass Kant damit nidits (Ti i iiiL'"t'ros als die Erbsünde im
Auge gehabt liabe. j;i von derselben ^anz enistlic Ii iiV)ei-zeugt gewesen sei."
Armer Kant, dir geht es noch übler, als dem guten Abraham a
Sancta Clara! — Sehr begreiflich ist es, dass sich Leute wie Heir
Wiesinger über das Pädagogium ärgern, denn allerdings vertreibt es
den „Glauben**, nämlich den Glanben an die sonderbaren Offenbarungen
des Herrn Wiesinger und seines Gleichen. — Schliesslich kommt der
Herr Consistorialrath zu dem Hauptanliegen seines Herzens, dessen er
sich durch folgenden Ergnss entledigt:
.^Keiner weiteren Erörtei-ung bedarf es auch für den Unbefangenen , dass
hiermit das Fundament aller Sittlichkeit in Trammer geht Einem Staat,
der solche Grundsätze seinen Jngendbildnern nnd durch diese der
heranwachsenden Jugend seihst einimpfen lässt, ist bestens zn
gratnliren!
"Mö^-e uns iraiiierhin eine Presse, die in Denunciationen 2:e2:on die ..cleri-
cale l'artei" das deiikbai Miiirlieliste zu leisten nicht müde wird, der Denun-
ciation beschuldig^en; das darf uns nicht abhalten, bei diesem Anlas.s ein lautos,
aus tiefistem Herzeusgrunde kommendes Videaut consules zu rufen, und wir
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fordern nicht nur alle katholisciifn. sondern die ehrlichen Journale und Vei'-
eine jeder Partei and Färbung auf, iu diesen Ruf mit einzu&timmeiL"
So ganz vergeblicli hatte Pater Wiesinger sein Videant consiües
nicht genifen, und die an „jede Partei und Färbung" pferichtete Bitte,
in seinen Ruf „mit einzustimmen*', bat jedenfalls eine Anzahl williger
Ohren gefunden. Die consules waren keineswegs alle Qnzagftnglich
ftr gebfliche Zospracbe. Manche gingen in sich, wurden bedenklich,
ob sie nicbt mit der Gründung des Pädagogiums „za weit gegangen'*
seien , oder f&rcbteten missliebig zu werden, wenn sie für den als
staatsgefiUirlicb dennndrten Director desselben Partei nfibmen, oder
spähten nmber, wohin sieb die Majorität neigen werde, oder suchten
um jeden Preis Bundesgenossen zur Errdcbang persönlicher Zwecke.
Jn diese dubiöse Situation fiel ein ikelgnls, welches wider Er-
warten auf meine SteUnng bedeutenden Einfiuss ansttbte. Im Herbste
1873 sollten nämlich die Wahlen fftr den österreichischen Reichsrath
stattfinden. Zu meiner lebhaften Überraschung erschien nun im Sommer
vorher unter der Führung des Genieinderath Dr. Schrank eine De-
putation angesehener liiirger des dritten Wiener Wahlbezirkes bei
mir mit der Mittheilung, eine grosse Anzahl von Wählern des Bezirkes
habe beschlossen, mich als Caiididaten aufzustellen, und sie, die De-
putation, sei beauftni<jrt , mich um Annahme der ('andidatnr zu er-
.suehen. Der Antrair traf micli völliir unvorbereitet: ich si)ra('h die
Bedenken ans. Avelche mir genub' Iteitielen. Nach län*rerer Discussion
gab ich, in Vohjui^ der lebhaften Zuspräche Sclirank's und der Deputation,
die gewünschte Zustimmung-. Nun begann der Wahlkamj)f. Ausser mir
wurden im Bezirke noch drei Candidaten aufgestellt: erstens Dr. Eduard
Kopp (zum Unterschiede von Dr. Josef Kopp der „Schfitzenkopp" ge-
nannt), der ( andidat jener zahlreichen Partei, welche sich vor dem
n Volke** die „Uberale", vor den oberen Schichten die „conservative",
vor den mittleren die „Bflrgerpartei" nannte, sonst auch als die
„pseudo-liberale'* bezeichnet worden ist (für Kopp wami alle grossen
Wiener Zeitungen und die Mehrheit der Mitglieder des Gfememde-
rathes); zweitens Dr. Krttckl, ünivendtätsprofessor, Candidat der
dericalen; drittens Dr. Mandl, Candidat einer Wählelgruppe, in
welcher neben Mandl der jetzige Gemdnderath Dr. Lueger die
Hauptrolle spielte, und die sidi damals „demokratisch" nannte, deren
Programm jedoch, abgesehen von Personalangelegenheiten , bis heute
noch nicht klar geworden ist — Wie es bei Wahlkämpfen üblich ist,
wurde ich von den Gegenparteien heftig angegriffen; ich genoss das
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besondere Yerguiigcii. xon drei Seiten bonibardirt zu Averden, die zwar
unter sich nicht gfhdclien Sinnes, gegen mich aber einig waren. Die
wesentlichsten \'orwrirfe, weh-he gegen inicli in Versannnlungen und
Zeitungen erh(»ben wurden, waren: icli sei doch eifientlich ..nur ein
Schulmeister", der übrigens niclit viel tauge, da er das Pädairc^iuiu
von Jahr zu .Tahr mehr hi'iabbringe, aucli als Mitglied des Landes-
schulrathes sich missliebig gemacht habe; überdies wurde mir die An-
erkennung, weiche ich dem im Jahre 1853 verstorbenen Ensbischof
Milde erwiesen hatte, von den Einen als clericale Anwandlung, von
den Anderen als Verherrlichung eines „Josefiners" gleich sehr ver-
übelt. Die Vertheidigungsmittel meiner Partei waren sehr beschränkt,
da die Journalistik grösstentheils gegen mich war, die Wählerver-
samminngen aber meistens durch ungeheuren Tumult absichtlich ge-
sprengt wurden. Um so mehr mnss ich hier die Freimttthigkeit, mit
weldier damals Dr. Kail Hoffer fftr mich eintrat, dankbar hervor-
heben. Indem dieser als Mitglied des Gemeinderathes, des Landes-
schulrathes und der AuMchtscommission des Pftdagogioms die im
Wahlkampfe berflhrten Verhftltnisse genau darzustellen vermochte,
war sein Expose, welches er am 19. October den Wfthtem gedruckt
in die Hänser senden liess, jedenfiüls von erheblicher Wirkung. Da
dasselbe ebenso zur Beleuchtung der damaligen Situation wie der
späteren Vorgänge selir geeignet ist, so möge es in seinen Haupt-
stellen hier Platz tinden.
Ditte.s wurde nach der sorf^fjUtif^ston Auswahl unter den liedeutendsten
pUdagog'ischeii Fachniilniu'rn Deutschlands, (»line selbst darum conipetirt zu
haben, vom Gemeinderathe von Wien als Leiter des neugegrüiideten Päda-
gogiums berofen (G«iiieinderathsbfi8cbliUB vom 10. Uflix 1868) und redit-
fertigte in dieser Stellong das wolbegrttndete Vertraaen, indem er das am
12. October 1868 eröffnete Wiener Pädagogium trotz zahlreicher änsserer und
innerer Hemmnisse zu einer Anstalt entwickelte, welclie festbegründet und an-
erkannt dasteht, von Jahr zn Jahr an Frequenz zunimmt und binnen der kurzen
Zeit ihres Bestandes bereits wesentlich ffirdernd auf die faeiiliche Ausbildung"
und den Geist dei' Lehrerschaft Wiens eing-ewirkt hat. Im vorif,'-en Schuljahr«»
nuhmeu KiO, im eben begonueuen nehmen 232 Lehrer und Lelu'erinnen an den
Vorlesungen des Fttdagogiums Theil und mossten bereits viele wegen Banm-
maogels abgewiesen werden.
Zum ^fitglied des niederösterreichischen Landesschulrathes wurde er im
Jalire 1870 vom Wiener Gremeinderathe als der einzige Nicht-Gemeinderath
gewählt, nachdem die T?e£rierun£r es abgelehnt hatte, ihn als Fachmann in diese
Körperschaft zu wiihlni. und ei- «rdiört (h-iselltm bis heutr als cint-s der dun-h
seine Fachkenntnisse bedeutendsten, durch seine unbeugsame Charakterfestig-
keit geachtetsten Mitglieder an.
Wenn Dittes die Verdienste des Eftbischoft Hflde von Wien als pttda-
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— 127 —
(logischen Scliriftstellers und eines der hodeutondsten Püda<fop ii nstmt ichs
üi Fa< hki-ei8eu liervoihub und in der neuesten (dritten) Auflage seiner liescliichte
der Erziehung and des Unterrichts dem Wirken desselben ein ehrendes Denk-
mal setzte, 80 beweist dies nur, wie eifHg Dittee bemllht ist, einem bisher
nicht genügend giewflrdigten Ssterreichisehen Schriftsteller zn seiner Geltung
in da Geiehiehte der Pildagog^ik zn verhelfen und ^vie das Verdienst des
Fachmannes von Dittes in dmi hohen Wiirdentrttger der katholischen Kirche
ebenso jirewürdigrt wird wie in jedem andfrn.
Zum Schlüsse j^ci hit-r noch «-ine Stelle ans dem anitlichen Bericht der
Pädagügium-Aufsichts-Comniission 1870 aus der Feder des Obmannes demlbeu,
Begienmgsrath Dr. Weiser, w9rtlich angeführt:
„Die YortrSge des Herrn Dr. Dittes über Pädagogik, ihre Hilfewissen-
sebften nnd Geschkhte der ersteren möchten wir aber geradt /u mustergiltig
Be&nen. So wird nnr gelehrt, wenn lang-f ortgesetzte, tiefeimrelit nde F'achstudien
mit reichhaltiiron sen)stp:ewonnenen Krtahruniren frttn'ulieh iland in Hand
gehen und frlühendf Liebe zum Fache j,^epaart i.st mit der vollständitrsten
Klarheit in und mit sich selbst und init einem fest ausgeprUgten Charakter im
be«tea Sinne des Wortes,"
Was nnn die Wahl selbst betrifft, so entnehme ich fiber sie ans
aufbewahrten Zeitungsblättem folgende Data: Am 20.0ctober erhielten
Dr. Dittes 745, Dr. Kopp o05, Dr. Mandl 237, Dr. Krückl 87 Stimmen.
Es musste demnach eine engere Wahl auf den folgenden Tag angesetzt
M'erden, in welcher auf mich H46, auf Dr. Kopp 400 Stimmen Helen,
So ^iel hier über diese Atfaire; ich gedenke dersel)>i'n und nament-
Heh mtiiner Stellung und ThntiL'keit im IiVichsratlie und den dort
gemachten Erfahrungen spater ein besonderes und ausfiihrliches Capitel
zu widmen. Hier habe ich nur noch vorzulühren, was auf die Wahl-
geschiclite zunächst folirte.
Im Herbst lö7() war icli vom niederösteiTeiehisrhen Landes-
ausschuss dem Untemchtsminister Dr. v. Stremajn- zur Wahl in den
Landesschiürath vorgeschlagen worden nnd zwar primo loco. Der
Minister lehnte es ab, mich zu ernennen. Da wurde ich vom Wiener
Gemeinderath mit grosser Majorität in die genannte Corporation ge-
wählt. Im Herbste 1873, kurz nach der Beichsrathswahl, war auch
für den Landesschuli'ath wieder zu wählen. Diesmal erhielt ich im
Crememderath nur 42 Stimmen, während auf den Candidaten der Con-
serratiyen 46 Men. (Auch Dr. Holfer war bei dieser Gelegenheit
uihe daran durehzuüeülen, er erhielt 47 Stimmen gegen 41.) Dass nun
der n. 0. Landesausschnss mich abermals primo loco vorschlug, war
wie frfther erfolglos. Auch ttber diese Angelegenheit möge ein mit
derselben genau vertrauter Mann gehört werden. Der oben bereits
genannte Dr. Schrank, Mitglied des Wiener Gemeinderathes und des
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n. ö. Landesausschiisses, braclite am VI December 1873 in seiner
„Demokrutij;c-lu'U Zeitung-' folgenden Artikel:
Dittps 1111(1 der Wiener Geiiieinderatli.
Mit schwerer Mülie wurde die Idee, in AVien ein Pildag-og-ium zur höheren
wissenschaftlichen Ausbildung unserer Volks- und Hiirg^erschullehrer zu errichten,
durchgeführt. Die tinanziellen iiedenkeu über die grossen Kosten, die Angst
vor einem nenerlichen Präjudiz, daas die Gemeinde Anstalten erridite, welche
eigentlich dem Staate softllen, das Widerstreben vieler bereits lange Jahre
im Schaldienste stehender Lehrer, sieh selbst noch einmal anf die Schulbank
711 setzen und manche Ähnliche Hindemisse wurden endlich überwunden. Allein
die beabsichtig-te Confessionslosisrkeit einer Lelirerfortbildungs-AnstAlt war für
Viele ein Greuel. Die Rejjfierung selbst wollte laii^'-e davon nichts wis.sen.
Dem rastlosen Heiuiiheii der Majoritüt des dainali/,^en Gemeinderathes £relaiig:
es, auch dieses Hindernis zu bewältigen. Da kam eine neue Verlegenheit,
nSmlich die BesteUnng des Directors.
In Österreich war das Wiener Pftdagoginm die erste Schöpfting dieser
Art. Ein Seminardirector konnte also kanm za Hanse gefunden wttden. So
kam der Gemeinderath in die Lage, einen Director aus dem Reiche am berofen.
Die Gemeinderütlie. welche mit dei- schwierijren Mission betraut waren, einen
geeifi-neten Director aufzusuchen, schlugen dem Gemeinderathe den Director
und Landesschul-Inspector in Gotha Dr. Dittes vor. Man bezeii hnete damals
mit Kücksicht auf den ausserordentlichen Ruf, den Dittes unter den deutschen
Pädagogen geniesst, diese Wahl, obwol Dittes Aaslftnder nnd noch daen Pro-
testant war, im allgemeinen als eine sehr glflcklicfae. Dittes wurde mit allen
gegen zwei Stimmen (Pater (Matscher und Severinns Katholicns Fnchs) znm
Director erimnnt.
Jetzt begann der kleine Kriesr ire^rcn die Anstalt und ihren Director. In
diesem zähen Kampfe erjtrobte sich die Tiichtiirkeit des Dr. Dittes im vollsten
Masse. Vielfach angeir rillen, wenig unterstützt Inachte Dittes das PAdagogituu
auf eine Höhe, dass es heute achtunggebietend dasteht.
Noch vor drei Jahren war der Wiener Gemeinderath in seinem günstigen
Urtheile ilber Dittes vollkommen einig nnd wählte ihn in den n. 9. Landes*
schnlrath.
Die Zeiten lindem sich und mit iliiien auch — der Wiener Gemeinderath.
Dittes ifinfr nicht zmück, Dittes blieb nicht stehen, Dittes eilte vorwärts mit
der Schaar der ihm anvertrauten Jünger auf der Bahn für Wahrheit. Reclit
und Freiheit. Zu einem verstand sich Dittes nicht — zum Mamelukendienst«'
für die communaleu Pascha. Dass Dittes im Kreise der Demokraten eischieu,
dass Dittes einen Liebling der conservativen Partei im Wahlkampfe besiegte,
dass er endlich seine Gegner geistig weit fiberragt, das alles sollte som Ostra*
cismos gegen üm fähren. Nicht offen, sondern heimlich zog ihn die Majorität
des Gemeiderathes von einem Gebiete pädagogischer Tbätigkeit znrfick, anf
welchem er durch drei Jahre ernst und würdig die Tnteressen der Schule und
d»'r Lehrer vertreten. Wir wollen dem V(»iii ( remeinderathe iL'ewälilten Director
Walser nicht ent}<egentreten. wir haben ihn in seinem Wirkungskreise kennen
und achteu gelernt, wenn aber Walser und Dittes in Frage stehen, stimmt auch
Walser für Dittes and mit ihm alle, denen die finde Schule am Herzen liegt.
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rVr n. ö. r>an«lesaiissrlniss, der schon vor drei .laliren den IMrector Dittes
primu loco zum Milirliede des Landesscliulr.athet» vorstlilu^, blieb nach viel-
ftündigein Kumple auch diesmal bei demselben Voi-^cliluge. Was i8t aber die
Folge dieses Voischlages? Keine andere als dass die commanalen „Henig^tter*'
ihre Donnerkeiüe gegen die liberalen Mitglieder des Landesansschnsses schwingen,
dass sie es gewiss nicht unterlassen, die Ernennung des von ihnen undankbar
jrariick^ewiesenen Schulmannes durch die Re«!rierung soviel als möglich zu
hintertreiben. Thatsache ist, dass bis heute der n. <"». Tiande.ssciiulratli iincli
nicht neu iniistituirt ist, Thatsache ist es, dass dei- Statthalter die an ihn ge-
richtet** Intel idllation über die übermilssig liMf^a Sistirung der Landesschül-
behörde bis heute nicht beantwortet hat.
Ein Beitriig zu dieser Intrigne gegen Dittes scheint die Anfrage des
6. B. Schnfirer in der Sitzong des Gemdnderathes am 10. December gewesen
zn sein. Er frug, ob man dem Dittes nicht seinen Gehalt sperren sollte, da er
jetzt Reiclisrath ist Soll damit nicht der Regierung ein Wink gegeben werden,
dass Dittes keine Zeit für den Landehschulnith hat? Penn an dem (^elde
k;mn ja Herni Schnürer nicht so viel gelegen sein, da er gesch\viei:en hat. als
die Post mit 17,(K.H) (iniden tni- den Hürgerniejstcr (r)r. Felder), der ja auch
Keichsrath und noch manches andere dazu ist, vorkam.
Übrigens mfisseu wir twr Ehrenrettung des Dr. Dittes nodi beifügen,
dass derselbe weder als Landesscfanlrath, noch als Abgeordneter auch nur eine
Stuide in seinem Iteliramte versftnmte, Im Gegentheile cum Nutzen der Com>
innne fortwährend snpplirte, dass er wie hlshet die Kanideigeschftfte, die
Bibliotheksarl>eiten n. dgl, persönlich austührt.
Wir hoffen nocli immer, dass die l?e«riernn^- auf den kleinlichen Tratsch
einer (^emeinderathsjKirfei nicht mehr Ciewicht legen wird, als auf das L'rtheil
der deutschen Lehrerwt lt.
Das Ende der Gej^chicdite war, da.ss die Ucfjiening aucli diesmal
mich nicht ernannte. Es wurde mir von einem glaubwürdigen Manne
erzählt, Minister v. Stremayr liabe geäussert, es sei nicht recht thon-*
lieh, dass die Regierung den Genieinderath desavouire. — Aus allem
bisher Erzählten wird ersichtlich sein, wie bereits vor langen Jahren
der Knoten entstand, dessen Losung erst unlängst erfolgte. Und nun
werden wir mit schnellen Schritten zum Stadium dieser Lösung kommen
PMlaXDKiuui. 4. Jahrg. Heft U.
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Zur Bekeragung,
Tn dem fVtthen Auseinandergehen der Jngendbildani; des Volkes, in jener
scharfen SclM'idun fr. wvIcIh' -^rliliesslich doch nnr zn Hildiingrs'jregfensUtzen fiihren
muss. die social ^^ich luisziulriicken suchen werden, zu (rcj^ensiltzen zwischen
dem Volk mit nctthdürt'tis;eni Eleinentarunleiricjit, und der lnihcr f^ehildeten
Classe und in letzterer wieder zwisclien den „classiscb" Gebildeten und den
„real'* Gebfldetra, da liegt der Angelpunkt, den jeder politisdie Maim kenoeii
sollte, nnd welchen ein Reformator nnsers gesanmiten Unterrichts heaefaten
mnss, wenn er nieht anslgliehes Unheil anrichten wiU. So lange nicht mit der
allgemeinen Volksschule für alle Sttade Ernst gemacht wird, nnd so lang-e
unsere höheren Lehranstalten, anstatt auf die alJgeineine \'olksschnle sieh auf-
zubauen, immer tiefer mit Unter- nnd Vniclas.seu in die £lementarschale sich
eiiiscbiebeu, it>t an keine Beiiserung zu denken.
Moritz Müller.
Wer in der Volk.sschule ^ich Alles um die Keliü-ion drehen lassen will,
wie sieh im (iymnasium Alles um Latein nml (Triechiscli drehen soll, dei- wird
in beiden FitlU ii i<-leiehe Fnlifeu eintreten sehen: der (.Tyninasiast nimmt spiittM"
keinen alten Ciaäsikei- mehr zur Hand, und für den Volksüchüler sind später
Bibel, Katechismus nnd Gesaogbnch nicht mehr vorhanden. Hit dem Obennasa
hat man die Sache selbst verdorben. Mit einer kurzen Schnlandacht nnd mass-
voll beschränktem historischen ReligionsunteiTicht in der Schule würde man
für wahrhafY religiöse Bildung des \'<dkes nacli meiner Übenseugnng mehr
ertlichen als heut zu Tage durch das Zuviel.
J. B. Meyer.
Wer seine Mitmenschen in dieser Zeit wahrhaft nnd dau^haft glücklieh
zu machen sucht, der versichert sich weit grösseres Recht auf ihre Dankbar*
keit, als wer ihnen von den unbekannten Gefilden jenseits des Grabes viel
vormalt.
Karl Graf v. Zinzeudorf.
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Dannii iimss ein .Staatsinaiiu , weklu'Ui Maclit und Mchruiif;- dos Ivcit lips
frelimtfen ist, darauf sinnen, dass die folgende lieneiatinn die (Trr>s8e nidit nur
zu erhalten und zu befestigen weiss, sondern sie in ilaeui walu'en Weite zu
begreifen, ja sie sn demselbefi «i erkeben; sonst hat er iudbe Arbeit geUum.
In einem Henschen und In allem UenecUiehen moss mit des Leibes Eralt aach
die Macht des Geistes wachsen, sonst ist es kein gesunder Organismus, oder
ein niedrig stehender. Das nachfolgende Geschlecht aber würde unföhig sein,
die Frücht^ der Staatsweisheit und der opfermuthio^en Kilnipfe seiner \'oi'-
faliren zu ernten, es würde die (rrösse und ilen Ghinz d.s Vaterlandes nicht
zu erhalten vermögen, wenn es nicht ganz von der lelu niügen l'berzengnng
dorchdruugen wird: Es sei denn, dass ein Volk reich ist au Uedanken, sonst
ilt es kein reiches Volk; es sei denn, dass es gross ist an Gesinnung, sonst ist
es kein grosses Volk; es sei denn, dass es herrsche in nnd mit dem (leiste,
sonst wird es im Bathe nnd Reiche der VSlker nicht herrschen, sondern dienen.
Lazarus.
Die HeHenen, auf welche die Vertreter des Alterthums mit Recht so gern
sich berufen, die Hellenen pflegten zunftchst das Nationale.... DasCentrnin,
das Herz unserer geistigen Bildung muss in den liidieren und niederen, in
den Knaben- nnd in den Mäddienschulen — der deutsche Unterricht sein
Im deutschen Unterriclite liaben wir den richtigen, (hu alisohiten Massstab tTir
die Beortheiluiig der geistigen Keife eines Schülers, nameutlich am deutschen
Ailtots. . . . Zum IDttelpunkt des deutsehen ünterrichts ist unsere National-
hterstur zu nehmen. Eine gründliche Kenntnis der Literatur, welche sich
wenigstens in den Blttteperioden auf die Quellen selbst, nicht nur auf die
Compendien der Literaturgeschichte zn stutzen hat, mnss der Brennpunkt, die
Centraisonne der gesammten Unterricditsfilcher sein. Sie ist es hauptsUchlich.
welche uns in das geistige T.eben unsei-s \'olkes eintTihrt, welche das Natioiial-
bewusstaein belebt nnd stärkt und jenen idealen Zug der Seele verleiht, welcher
den Menschen vom Gewöhnlichen luid Gemeinen fortzieht, und weichen unsere
Schulen den Zöglingen als köstlichstes Gut einzupflanzen haben. Die Literatur
Idrt den Pulssehlag eines Volkes nachempfinden; ihre Geschichte ist die ideale
Geschichte der Menschheit. . . . Wir Deutschen haben nachgerade alle Ur-
sache, das Nationale in allen Sphären in den Vordergrund zu stellen, wir, die
wir bisher auf Kosten des Einheimischen allzuselii- in dei- Nachahmung des
Fremden befangen waren. Die neuei e deutsche Literatur aber ist vornehmlich
dazu angethan, das Nationale unsers \'olkes zn lurdern. . . . Das Erlernen
der alten Sprachen in dem jetzigen pliiiologischeu Sinne erreicht nicht das Ziel,
die Schfiler in die Antike einzuführen; es hat bei denselben nicht selten das
Gegentheil einer Zuneigung zu den alten Schriflstellem zur Folge gehabt Ja
wir dfirfen sogar behaupten, dass in der Behandlung der fiemden Spraclien,
wie sie auf unseren höheren Lehranstalten gehandhabt wird, in der Ausdeh-
nung der gi-annnatisclien Übungen der wunde Punkt unsers gesammten T.ehr-
planes, da:^ fleinmnis für eine gedeihliche Entwickelung liegt und das (iynina-
MQui insbesoudere zu einer Verbalschule stempelt. . . . Auf allen Gebieten
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nnsers geistigen Lebens gewiihrcii wir fin» ii stctiK'en Foitscliiiit : es wilre
thöncht, weim unsere liöiieieji Lelüani>taJten, sulcin sie Anspruch auf eine
Pflanzstätte und Trttgerin unserer Cnltnr erheben, dem in immer weitere Femen
und expansivere Bahnen einlenkoiden menschlichen Genins sich verschlSesen.
. . . Das Eingen des modemen Cnltnrelementes nacli gerechter Anerlcenunng
hat einen tiefernsten Grnnd in der gan;{en Entwiclcelang nnsers geistigen
Lebens: liier waltet eine Xotliwentlifj-koit voi\ tlie mit dem ^eistigren Process
der Mt nschlu'it in X'erbindini^i: steht. Es hiesse die Axt an uiLsere jreistii^'e
Entwickelun^^ leg:en, wollte man gewaltsam die Entfaltung des modernen Cultnr-
elementes zurückdräni^en.
(Die nationale Kelurm uiisei-er höheren Lehraustalteiuj
N'eruiilwurtliciiir Heduitcui: M. Stein. llui LdruckcrLi Juliuü Kiiiikliarilt, l^iyi'tff.
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I
Pädagiigigehe Thitigkeit in FraBkreieh.
Mit geiegeutliclieu Blicken aal' Deatschland.*)
Die Ansicht ist iiocli ziemlich allgemein verbi'eitet in Deiitsch-
liiiul, das8 wir aul dem Gebiete des Unterrichts- und Krziehuugswesens
von anderen Völkeni nichts lernen können, dass die allgemeine Volks-
bildung nirgends giösser sei als bei uns, den glücklichen Besitzern
des allgemeinen Schulzwanges, dass wir daher kaum ans anderem als
lustorischem Interesse ans um das zu künunem brauchen, was bei
anderen Völkern auf diesem Gebiete vorgeht. Am wenigsten aber um
Frankreich. Hält doch der Procmtsatz der Lese- und Schreibkondigen
in diesem Lande auch nicht annähernd einen Vergleich aus mit dem
QDsrigen! Und soll nicht b^anntlich der dentsche Schulmeister die
Schlachten des letzten Krieges gewonnen haben?!
Manchem Tieferblick^den mögen freilich schon bisweilen schwere
Bedoiken ob dieser Selbstgenfigsamkeit gekommen sein, und mit sorgen-
vollem Ange mag er der besonders seit dem letzten Kriege mehr und
nehr wachsenden, dnrch Nationalstolz genftbrten Oberhebnng seiner
Landsleate gefolgt sein. Vielleicht hat er sich erinnert» dass es doch
dasselbe „ungebUdete" Frankreich mit seinem niedi igen Procentsatz
war, welches in der französischen Bevolution die grösste Colturthat
der Neuzeit vollbrachte, dasselbe „ungebildete" Frankreich, welches
zn den bedeutenden Männern, die die Welt vorwärts gebracht haben,
nicht das geringste und nicht das schlechteste Contingent gestellt hat,
«Iasspll)e .umgebildete" Frankreicli, welches auf fast allen Gebieten des
geistigen wie des materiellen Lebens vielfach das Vorbild füi* die
*) Verftaaer dieser yortrefllich»! Abhandlmig ist ein horvoms^eiider devtwher
Schalmaim, welcher hob echreibt: „In einer Zeit, wie der jetsigen, kann es nur Trost
und ßcruhigong gewähren, das gute 6ei.spiel, welches nns andere Natinneii ^ben,
zu verfolL'^pti. auch wenn es von unserem iiolitisclien „Erbfeind" ausgeht. Auf dem
Gebiete dt-r i'ultur haben wir nur einen Fein<l, das ist der Kilckscliritt. — Dass ich
als Verfa-sser nicht genannt zu werden wUnsclie, wird lliuen bei meiner amtlicben
Stellnng begreiflich eracheineu." — Auch ein Zeichen der Zeit! — D. H.
Pndago^uflt. i. 3üms, Heft IIL 10
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auderen Nationen gewesen ist und noch ist. Und er fragt sich dann
vielleicht: Ist der Piocentsatz der Lese- und Schreibkundigen in Wirk-
lichkeit ein so zuverlässigtT (Tradmesser der Intelligenz und tles Bil-
dungsstandes eines Volkes? Ist nicht die Schule des Lebens und zwar
des wirklichen Lebens in einem gi'ossen, kräftigen (.xcnieinwesen.
dessen packendes Interesse den Eiuzehien zur Mitthätigkeit lieranzieht,
nicht des politisch unmündigen \V£;etirens, ist diese Scliule nicht auch
etwas wert? und ist der Proceutsatz der diese Schule Besuchenden in
Frankieich so gering? verleiht sie niclit auch Intelligenz und Bildung
und vielleicht noch etwas mehr als das blosse Lesen und Sclireibeii,
als das blosse verständnislose Herplappein religiösen Memonrstoffes?
Diesen Gesichtspunkt weiterm verfolgen, wäre gewiss nicht uninteressant
and wfirde vielleicht zu ganz üben-aschenden Ergebnissen führen. Doch
soll es uns fUr heute genügen, ihn angedeutet und dadurch zum Nach-
denken über das Dogma von unserer Superiorit&t und der französischen
Inferiorität, ich sage nicht im Unterrichtsweeen, sondern in der Bil-
dung überhaupt, angeregt zu haben. Vielleicht wird dann die Auf-
forderung, sich doch einmal etwas genauer auf dem pädagogischen
Gebiete unsers Nachbarlandes umzusehen, nicht mehr so paradox er-
seheinen und als nutdose Zeitverschwendung angesehen werden.
Zwei Momente sind es, die in der Gegenwart noch ganz besonders
dazu auffordern: einmal die Rührigkeit, ja fast fieberhafte Thätigkeit>
mit der man in Frankreich augenblicklich daran ist. das gesammtt»
Schulwesen vom höhereu Unterrichtsrath an bis herab zur einlachen
Volksschule einer vollständigen Umgestaltung zu unterwerfen, einer
Umgestaltung, die in einzelnen Punkten, wie z. B. in der Loslösune:
der Schule von der Kirche, bis zur directen Umkehrung des früheren
Verhältnisses geht. Zweitens die wenig erfreuliche Lag»- dei Dinge
bei uns daheim: immer droliender zieht sicli an allen Ecken und Enden
unsers deutschen \'aterlandes das schwarze Gewölk der Reactiou
zusammen, und ihre finsteren Vorboten, die von dem Herausgeber dieser
Zeitschrift bei früherer Gelegenheit so w ahr geschüdeiiien krankhaften
Erscheinungen, treten immer rücksichtsloser und in immer grösserer
Zahl vor die Öffentlichkeit. Man braucht kein Schwarzseher zu sein
und muss doch sorgenvoll in die Zukunft blicken; man braucht noch
die Hoffiiung auf ein Besserwerden nicht an&ugeben, noch nicht aa
dem Glanben zu verzweifeln, dass das Bad der Culturgeschicfate sich
dauernd nicht zurückdrehen läset, und muss doch tiefen Schmerz em-
pfinden, wenn man sieht, wie die geistigen Errungenschaften der letzten
Jahre, eme nach der andern, wieder geopfert werden. Ein Gefühl
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des Neides fast möchte uns beschleichen beim Anblick der freier denn
je \m unseren Nachbarn sich eatMtenden Thätigkeit auf dem Gebiete
der y Olkserziehung, der Summe von jngendfrischer Kraft, von hoher
Begeisterung, die diesem einen Ziele in immer neuen Formen und Ge-
stalten entgegengetragen wird, m&g sie auch bisweilen von jugend-
lichem Ungestflm und Übermuth nicht ganz frei sein. Ein O^Uü des
Neides, sage ich, könnte uns beschleieben, wenn es nicht zugleich
ineh ein G^tthl des Trostes wäre, dass der Kampf für die Wahrheit
und gegen die Lfige, in dem wir zu so mächtigen und bedeutenden
fltreiteni berufen zu sein schienen, in dem Augenblick, da wir die
Waifen ans der Hand legen, yon einem andern Volke wieder auf-
genommen und, wie wir holfon, nachhaltiger und andauernder weiter
gefilhrt wird. Eommen doch die Resultate schliesslich andi uns zu gut
Diese Gründe und Erwägungen sind es, die mich ftlr die nach-
stehenden Betrachtungen auf Interesse und wolwoUende Aufnahme von
Seiten der Leser hoifen lassen. Icli möclite ilmen ein anschauliches
nnd lebensvolles BiUl entrollen von der Emsii^keit, dem Eifer und der
Riibrigkeit unserer Naclibarn aut pädagogischem (iebiet, von ihren
Zielen und Absichten, von den erreichten Resultaten wie von den noch
unerfüllten H'»ti'niin2:en. Es liegt mir weniger daran, eine Summe von
Thatsaciien in cliroiiologischer Reihenfolge aufzuzählen, wie sie z. B.
die Neuurgaiiisation der verscliiedenen Unterrichtsbehörden und Schulen
darbieten idas ist bereits in früheren Aufsätzen dieser Zeitschrift von
berufenerer Feder geschehen), als vielmehr daran, in allgemeinen Zügen
unter Berücksichtigung der in den Versammlungeu und Reden der
betreffenden Kreise geäusserten Ansichten, wie der in der Tagespresse
zam Ausdinick kommenden öffentlichen Meinung den Charakter, den
43eist und die Richtung jener Thätigkeit zu kennzeichnen.
Unter allen Staatsformen, die in Frankreich auf einander gefolgt
flod, hat keine — man kann das mit vollem Becht behaupten — das
eigentliche Wesen und die wahre Bedeutung der Schule als wichtigste
BQdnngsanstalt, als wichtigsten Gultur&ctor in dem Masse erkannt,
anerkannt nnd gefördert, als die Bepublik: Eönigthum wie Kaiser-
thnm in ihren verschiedenen Schattirungen haben sich entweder um
sie so gut wie gar nicht gekfimmert und sie der Kirche an Händen
und Fflssen gebunden ausgellefei-t, oder aber, wo sie ihren Wert besser
«■kannten, sie zur Ehreichung herrschsttchtiger und ehrgeiziger Pläne
benutzt In beiden Fällen ist sie ein willenloses Werkzeug gewesen
und ihrem eigentlichen Ziel, der Verbreitung wahrer Bildung, fremd
und fem geblieben: denn diese ist zugleich die Feindin des Despoten,
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wie des hensc'lisuchtigt'ii i*iii'slers. Erst die Republik hat sich der
Schule um ihrer selbst wiHen aii<renoiiimeii, die erste v<iii 1 789, wie die
zweite in unserer Zeit, mid wenn jene in ihren mannigfaltigen, oft
freilich excentrischen und unreifen Reformen nicht über die gute Ab-
sicht, über den Versuch hinausgekommen ist und hauptsächlich der
inneren wie äusseren Wirren wegen nicht wol darüber hinauskommen
konnte, so scheint die zweite berufen zu sein, in ungestörterer Buhe
das damals unterbrochene Werk mit neuen Krilften fortanzsetzen. Viele»
ist bereits erreicht: die Trennung der Schule von der Kirche, wie sie
ih den Gesetzen flbw den höheren Unterrichtsrath und über die Fror
hdt des höheren Unterrichts für diesen letzteren bereits zur That
geworden ist und für das Elementarschnlwesen durch die in diesem
Jahre freilich noch unerledigt gebliebene Vorlage über den niederen
Unterricht im nächsten Jahre bestimmt ebenfiüls zur That werden wird*
Biese Errungenschaft ist das Fundament des ganzen Gebftudes, die
conditio sme qua non, an die sich dann der 8kdiulzwang und die Un-
entgeltlichkeit des Unterrichts als weitere, von der letzten Kammer
bereits angenommene Gesetze anschliessen, L'enseignement laique,,
gi-atuit et obligat oire, wie die Franzosen kurz sagen, ist unzweifelhaft
der giüsste Schritt, den Frankreich auf der Bahn der Cultur in jüngster
Zeit tinin konnte. Ks hat sit li dadnrrh aul dvin (iel)iete des Schul-
wesens in (»inigen Punkten bereits luii ein gutes Stück über die anderen
Cuiturstaaten emporgelioben.
Mit diesen, aus der Initiative der Kegierung hervorgegangene»
grundlegenden Reformen ist der Bann gebi itchen. der bisher auf der
Schule lag, und zugleicli der Boden geebnet tür Veränderungen und
Verbesserungen, die mehr die inneren Fragen des Unterrichts betretfeu.
Diese wachsen denn auch in der Form von Vorschlägen, von Vereins-
beschlüssen und Resolutionen fiisch aus dem bish^ 80 stei'ilen Boden
hervor. Die Schulfrage steht mit auf der 'i'agesordnung in Frank-
reich, und wie sich die Bedeutung, die derselben von oben beigelegt
wird, schon durch die angesehene Stellung des Unterrichtsministers-
kund gibt, so zeigt sie sich auch sonst in dem regen Interesse, welche»
die an der Spitze stehenden Männer den Schuleinrichtnngen und den
Vorgängen in anderen L&ndem, besonders in Deutschland, zuwenden.
Wie Frankreich auf dem internationalen Unterrichtscongress in Brüssel
vertreten war, so fehlte es auch nicht auf der diesjährigen allgemeinen
deutschen Lehrerversammlung in Kai'lsmhe. Noch kürzlich las man
femer. von emer Commission, die im Auftrage der Regienmg Deutsch-
land bereist, um die physikalischen und anatomischen Sammlungen in
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Augeascheiii zu nehmen. Dass auch Lehrern, die das Deiitstlie erlernen
wollen, durch regierungsseitige FTirderung es ermöglicht wird, einen
Theü ihrer Studien in Deutschland zu absolviren, ist ebenfalls hier
n erwähnen. Überall tritt deutlich und unverkennbar das Bestreben
henror, früher Versäumtes dmch doppelten Eifer nachzuholen. So ist
denn die Schnlfrage . dne der Hauptfrag^en der inneren Politik des
heutigen Fraiikreieh geworden, und damit ist das Literesse an ihr bei
iDen Parteien und durch diese bei der grossen Masse des Volks rege
gemacht Sie alle stimmen darin fiberein, die kleine, clericalen Ein-
flössen am meisten zugängliche monarchische Partei freilich nur ungeiii,
«dem Zwang gehorchend, nicht dem eignen Trieb", dass die Volks-
Hldang auf eine höhere Stufe gehoben werden mnss. Oft allerdings
feittndet sieh mit diesem aneigennützigen und humanen Streben eine
nehr eigennützige und von beschränktem Geiste zeui^:ende AV)sicht,
die die Bildunfr nur als ein Mittel ansieht, die iialriotisehen Kevanclie-
gelöste, die bei (b-n Franzosen bekanntlicli stark gfrassiren, um so
eher befriedit^eii zu können. Tn beiden Fällen Jedoch ist das erstiv1)te
Ziel und <las schliessliehe Resultat dasst^lbe: mehr Schulen und bessi-re
Schulen. Wie allgemein dieser Ruf erhoben wird und weleht'n W idi-i -
hall er aller Orten tindet. zei2:t schon ein Blick in dir französi.sclieu
Zeitungen und periodischen Schriften. Fast wöchentlicli tindet man
darin lange Reden, die bald von einem Deputirten, bald von einem
Senator, bald von einem Minister, bald von dem Kammerpiäsidenten
selbst in dieser oder jener Versammlung gehalten sind, und die, wenn
sie nicht, was ebenfalls sehr häufig, geradezu die Schule zum Gegen-
stande haben, doch häufig von ihrem eigentlichen Thema abschweifend
sich grtaere oder kleinere Ezcnrse auf ihr Gebiet gestatten. Allein
die Beden Gambetta's, Jules Fen^s oder Paul Bert's darauf hin zu
betrachten, wäre interessant Nach ihren Worten gibt es nichts zweites,
das von solcher Wichtigkeit ist für den Staat, wie die Schule. Da
bdsst es z. B. „Der allgemeine Unterricht ist der wahrhafte Hilter der
sodalen Ordnung und des socialen Friedens, die fruchtbare und nie
fersiegende Quelle aller Fortschritte auf dem Wege zur Wol&hrt und
not Freiheit.'' kvf einer aus Laien bestehenden grösseren Versamro-
Jmg in Lille wies der Deputirte Floquet unter ungeheuerem Beifall
der Versammlung auf Luther hin und seine Worte: „Die l'uwi.ssenheit
ist gefahrlicher fiir ein Volk als die Waffen des Feindes", und Jules
Kerry satrt bei einer andern (Gelegenheit: ,.Untei' allen Zeugnissen
thatkriiftigen, lebensvollen Handelns, die seit zehn .laliivn von der
irauzö^hen Nation gegeben sind, ist keines, das glänzender und
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entsclieidender wäre als, man kann wol sfigen, die wirkliche Leiden-
schaft, mit welcher die Vertreter des Volkes die geisti|2:e und sittliclie
Erneuerung: Frankreichs sich zur Ant^^aln^ «reinacht haben; die einzig
möglidie Basis einei' ]^et>r*:auisati<jn ih-v wirtschaftlichen und mate-
riellen Kräfte, von der die «riosse Masse des Volkes Vortheil zu ziehen
berufen ist, ))esteht in ihrer endlichen und voUständig-en intellectuellen
und moralischen Beireiuiig vermittelst der Schule und der Wissen-
schaft/'
Solche Beden aus solchem Munde wecken ein allseitiges Echo:
alte Vereine, deren Hotlhnngen und Pläne die Schwere der Zeiten zu
Grabe getrag^ hatte, gewinnen 'wiedei* neues Leben nnd neuen Muth;
die Fachmänner thnn sich zusammen und behandeln mit frischem Eifer
die verschiedensten Fragen des Unterrichts von der wissenschaftlichen
wie Ton der pädagogischen Seite; da« Geftthl der ZnsammengehOrig-
keit, das Standesbewnsstsem, das bisher so gut wie gar nicht vor^
handtti war, beginnt ancfa unter den Lehrern aUmälig sich zn regen
und findet in diesen Vereinen nnd Znsammenktlniten nene Nahrung.
Sehr viel hat dazu besonders der in diesem Sommer nach Paris ein»
bemfene congrös pedagogique beigetragen (anch eme Nenemng), zu
dem die Lehrerschaft ganz Frankreichs ihre Depntirten gesandt hatte
und anf dem wichtige Kesolntionen gefosst wurden, die die Begiemng
jedoch nicht, wie so oft bei uns, einfach ad acta legt Aber anch die
Laien sind nicht müssifr, sondern suchen auf dem Wege der Privat-
wolthätigkeit, der öffentlichen Sanindungen etc. für die Hebung des Volks-
scliuluntenichts zu wirken. Namentlich zeichnen sich in dieser He-
ziehunjr die schon in früherer Zeit nach bel<j:ischem Muster gegi ündeteii
Vereine „deuier des «H^oles'* und ..sou des ecoles'^, deren Zweck schon
ihr Name bezeichnet, durch rastlose Tliätigkeit und Opferwilligkeit
aus. Im Vei'ein mit dem jjesprochenen Wort wirkt das geschriebene.
Zeitschriften, allfiemein pädagoirisclier wie facliwissenschaftliclier Art,
treten ans Tageslicht und unter ilmen solche, die sich bewährter Mit-
arbeiterschaft erireuen; so z. B. die Revue de l'enseignement secondaire
special für das Realschulwesen, die erst im Januar 1881 entstandene
Revue internationale de Fenseignement, die die interessantesten Fragen
behandelt, auch vielfach auf deutsche Verhältnisse Bezug nimmt, wie
denn auch Aufsätze von deutschen Mitarbeitern darin nicht selten
sind. Da begegnen wir z. B. einem Artikel über die Reform des
Secundärunterrichts in Frankreich, fiber die höheren Töchterschnlen
in ]>eutschland, fiber die TheQung der philosophischen Facultät, Aber
Lehrerprilfiingen n. dergl. Anch grfindlieh geschriebene Broschfiren
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über fliesen oder jenen (Gegenstand bekunden das allgemeiner werdende
Interesse an dem Schulwesen und die Überzeugung, dass Versäumtes
schleunigst naclizuholen sei. Manche der Vorschläge erscheinen uns
trivial, wie wenn in dem Bericht eines Senators die Aufnahme des
Zeichnens in den Lehrplan der Volksschule gefordert und die Noth-
wendigkeit desselben für das Leben eingehend begründet wird, oder
weim ein anderer mit nicht minder beredten Worten dasselbe für daa
Süigen mtrebt Andere wieder können uns nur zur Nachahmnng
anspornen. So wird in einem Bericht über die Organisation von
Scholwerkstätten (ateliers dans les tolee) auf die Wichtigkeit nnd
Nothwendigkeit der kCrperUchen Ausbildung hingewiesen, auf einen
Punkt also, der auch bei uns noch nicht im entferntesten die ge-
tehrende Berücksichtigung erfilhrt, und der Vorschlag gemacht, In-
stitate zu schaffen, in welche die Kinder mit dem 13. Jahre nach
Abeolvining des Primftmnterrichts eintreten und unterwiesen werden
m »ezercices mannelsc, „jenen Tollstftndig elementaren Arbeiten,
die jeder Mensch verstehen mnss, welches andi seine gesellschaftliche
SteBung seL** ÄhnHehes scjhdnt ja in Preussen angestrebt zu werden
durch die beabsichtigte Einführung des sogenannten Handfertigkeits-
unterrichts.
Es sind übc^rhaupt die pädagogischen Fragen vieliacli dieselben,
die auch bei uns die allgemeine Aufmerksamkeit in Ansprucli nehmen;
vor allem lassen die Überbürdungsfrage und die sogenannte Rt^lschul-
h'age die Gemütlier dort wie liier zu lieftigem Streit entbrennen. Nur
der Unterscliied ist sclion jetzt nicht zu verkennen, dass die Wahr-
scheinlichkeit, auf legislatorischeiii oder administrativem Wege in nicht
zu ferner Zeit zu bestimmten Resultaten zu kommen, in Frankreich
grösser ist als bei uns, wo über diese Dinge nun schon jahrelang in
\nel intensiverer Weise hin und her verhandelt wird, ohne dass sich
bis jetzt erkennen liesse, wie sich denn eigentlich die Regierungen
dazu stellen, auf die es doch schliesslich ankommt.
Was die Uberbürdung anbetrifft, die merkwürdiger Weise in
Deutschland noch immer von der Mehrzahl der Lelirer bestritten wird,
^0 ist dieselbe in Frankreich auf den höheren Schulen ebenfalls Tor-
haoden, wenn sie sich auch in anderer Weise und nicht in dem Grade
äussert Dies konnte flbenraschend erscheinen, wenn man bedenkt,
dass die franzdsischen Gymnasien und Realschulen ihren Zöglinge
bei weiton nicht J^ien Grad von Kenntnissen und allgemeiner Durch-
büdnng des Geistes vermittehi, wie die deutschen entsprechende An*
stalten. Aber man darf nicht vergessen, dass in Frankreich ganz
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entsetzlich viel auswendig «,^elernt, dass das Gedäclitnis über die Gre-
bühr angestrenpft wird, dass also auf diese Weise die Scliule ganz
bedtMitciidt' Anforthnimgen. ja Ubeifonb^rungen an die Schiiler stellt.
Auf das glänzende Können Irgt man namentlich in den Spiuchen und
^anz l)es()nders in der lateinis(•ll^^n. die dort nocli fast in inittelalterlieh-
sciiolastischer W'rise getiielien wird, allzuviel (iewicht und vernacli-
lässigt dadurch «lic Anshildung des Verstandes. Die franz«isischen
Nationaluntugenden, die Kilrlkcit und der falsche, weil übertriebene
Ehrgeiz spielen dabei eine bedeutende Rolle: durch das unglückselige,
iju franz(tsischen Schulwesen aufs vollkommenste ausgebildete System
der StimulatioDsmittel, jener Belobigungen, öffentlichen Aoszeichnungen,
Preisvertheilnngen etc. werden die Lehrer geradezu gez\\Tingen, ihre
Zöglinge zu dressiren und abzurichten, um bei den jährlichen Con-
currenzprüfungen mit ihnen zu glänzen. Doch beginnt in massgebenden
Kreisen der Satz: non scholae, sed vitae discimns immer mehr An-
erkennung zu finden, und gewichtige Stimmen werden laut, die energisch
die Beseitigong jener concours nnd ihren Ersatz dorch regeh«chte
£xamina fordern, indem sie mit Recht darauf hinweisen, dass bei jenen
sehr oft nicht der ausdauernde, ernste Fleiss und die allmälige Durch-
bildung des Geistes belobt, sondern viel häufiger der glückliche Ein-
faU, der esprit, die Gewandtheit und Schlagfertigkeit, das auf ge-
dächtnismässige Welse eingepaukte, glänzende Können die Palme
erringt. Wie man nun einerseits also durch Verbesserung der Unter-
richtsmethode dem in Rede stehenden llbelstande abzuhelfen sucht,
so andererseits durch \'ereinfachung des Lehri)lans. Denn wenn man
die lateinische Verseinacherei, die ,.vei's latins", wie sie in den Lehi--
plänen aller franzKsisdien lycecs uml Colleges tiguriren, sowie das
Lateinsj)rechen abzuschatten im Hegritf steht, wenn man sogar den
Weg l)etreten hat, den lateinischen Unterricht später anzufangen und
ihm eine lebende Sprache vorangeljen zu lassen, so hat man, abgesehen
von sonstigen Vortheilen, damit die der Jugend auleriegte Last schon
um ein WesentlichjBS erleichtert.
Die andere vorhin erwähnte Frage, die unter dem Namen Gym-
nasial- oder Realschulfrage bei uns immer aufs neue Berufene wie-
Unberufene beschäftigt, trägt in Frankreich ein wesentlich anderes
Gepräge schon darum, weil das gesammte Berei^tigungswesen dort
ganz anders geregelt ist, nnd Gymnasium und Bealschule nicht wie
zwei Bivalen einander gegenüberstehen. Finden doch Abgangsexamina,
die zu diesem oder jenem Studium berechtigen, dort auf den höheren
Schulen flberall nicht statt. Aus diesem Grunde nimmt die Frage dort
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auch nicht jenen acuten Charakter an, der bei - uns nicht nur die
Schulmänner geilen einander erregt, sondern fast alle (Gebildeten in
zwei feindliche Lager zu trennen di'oht. Dass sie aber trotzdem in
der einen oder in der andern Form vorhanden ist und nicht nur jetzt
wieder lebhaft discntilrt wird, sondern schon Jahi^e lang in den be-
treifenden Ereisen als Problem behandelt ist, beweisen die vielen Ver-
Sache, die man angestellt hat nnd die theils, wie die mittelst Bifur-
eadon von Tertia aufwärts eingerichtete Einheitsschule des Ministers
Fourtonl (1852) wieder au%^ben, theils noch in anders organisirten
Formen an dieser oder jener Anstalt bei Bestand geblieben sind. Die
Frage tritt dort noch mehr in ihrei* eigentlichen und reinen, von per-
sdnlichen Motiven wie von der Parteien Hass und Gunst noch niclit
Terzerrten und verdnnkdten Gestalt auf; und in dieser Gestalt ist sie
eben keine andere als die Frage: Soll die moderne Welt die Quellen
öirer Bildung noch immeH'ort vorwiegend in den Sprachen, Sitten,
Kinriclitungen und Anschaiiuns^en der beiden alten Völker suchen,
oder tühlt sie sich stark frenug. auf eigenen Füssen zu stehen und in
den modernen Wissensdiatten nebst den literarischen Krzeugnissen der
neueren (*ultur\ (dker einen laehr als genüjrendeu Krsatz tTir die alten
Hildunirsniittel zu erblicken? Kurz: soll die «grosse Masse der (re-
l'ildeten der Xation nicht V(»rwieir<^nd aus der K»'alsrliule liervnruelien
imd das (Gymnasium reservirt bleiben nur und ausschliesslich für di^-
jeui/j^en, die specitisch gelehrte Studien treii»en wollen? da. man kann
noch weiter gehen und geradezu frairen: ist es die liberale oder die
conservative W'eltanscliauuuir. in der die Jugend erzogen werden soll?
Denn darauf kommt im letzten (Trunde die ^rnnze Sache hinaus, und
wenn man in Deutschland l)ei dem zwischen Gymnasium und Real-
schule entbrannten Kampfe die streitigen Fragen noch ni« lit auf diese
Alternative znruckgefttlirt hat, so mag man das vermieden haben aus
Furcht, dadurch die ganze Sache, die bereits bedeutende Fortschritte
gemacht hat, zu geföhrden oder ganz in Frage zu stellen, eine Besorgnis,
die bei dem aogenblicUichen Charakter unserer inneren Politik nicht
ubegrilndet ist In Franlureich nun denkt man freilich nicht im ent-
ferntesten und ebenso wenig wie in DeutscUand daran, schon jetzt
die Brücke, die von der antiken zur modernen Cultur Itihrt, abzu-
Inechen, d. h. das Gymnasium in der oben angegebenen Sinne zu
raformiren und zur blossen Gelehrtem>chule zu machen. Man trügt
den Forderungen, die die moderne Bildung immer gebieterischer stellt,
vor der Hand durch Compromisse Reclmung, indem man den lateimschen
Unterricht beschränkt, den in den exacten Wissenschaften ausdehnt.
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Auf welcher Seite aber im (gründe die Re^ierun«? wie das Gros der
Bevtilkerimg steht, lässt sich iiiisclivvt^r aus der Aiitnierksanikeit und
dem W'ülwollen erkennen, mit welclieni beide das (iedeihen der }\eal-
schulen nnd das immer weitere l'nisicligreil'en des durcli dieselben
vertretenen Pi'incipes verfolgen. So schreibt z. B. der Hei ausgeVier
der Revue internationale de renseignement, dass die Idolatrie, die mit
dem Latein und Griechisch in Frankreich getrit'ben wird, seiner An-
sicht nach ihrem Ende nahe sei, und auf dem internationalen l'uter-
richtscongress in Brüssel konnte unter dem Beifall der Vei-sammhing
gesagt werden, da.s.s der Aberglaube an die Zauber- und Wnnderkraft
des Gymnasiums im Schwinden sei. Recht interessant und lelnreich
in dieser Beziehung ist auch das Beispiel, das in Frankreich von
höchster Stelle, von dem Unterrichtsminister selbst, gegeben wurde
und das fttr so wichtig gehalten wurde, dass man Überallhin tele-
graphisch das Factum berichtete, dass bei der die^sjahrigen grossen
Ck>ncurrenzpriifnng in Paris znm ersten Mal Jules Ferry die Festrede
in französischer Sprache hielt nnd nicht, wie bisher üblich, in lateinischer.
So kann man denn wol bei dem Geist, der augenblicklich das fran-
zösische ünterrichtswesen besedt, der Zukunft der Bealschulen das
beste Prognostikon stellen. Überall bricht sich die Ericenntms Bahn,
dass die Bealschnle die Schule der Zukunft ist, weil sie, aus den Be-
dürfiiissen der Nation hervorgegangen, in denselben wurzelnd und
ihnen Rechnung tragend, in Wahrheit die nationale Schule ist
Um das Bild, das wir in Vorstehendem an der Hand der Iwrich-
teten Thatsachen unsern Leseni von dem i)ädagogischeii Kraiikreicli
von heute in allgemeinen Züpren zu geben vei*sucht haben, zu ver-
vollständigen, kann nichts geeigneter erscheinen als die Leetüre einiger
einschlägiger Reden, wie sie im Veidauf dieses .1 aInes von Franzosen
in grosser Anzahl gehalten worden sind. Tutei' ihnen scheinen mir
besonders zwei mehr als die übrigen dazu angetliau, eine Voixtellung
zu geben von dem vollständig veränderten (jJeist, in dem pädagogische
Fragen jetzt dort behandelt werden, wie von den Zielen, denen man
zusti'ebt. Sie dürften hierzu um so mehr geeignet sein, als die Redner
massgebende und auf die Entwickclunir drs französischen Schulwesens
den bestimmendsten Einfluss ausübende Persönlichkeiten sind, der eine
der französische Unterrichtsminister Jules Ferry selbst, der andere
der in Cultussachen oftgenannte, äusserst rührige Abgeordnete Paul Bert,
der Anhänger und Freond Gambetta's nnd muthmassliche Nachfolger
Feny's.*) Während die Bede Jenes» gerichtet an die VolksschuUehrer
*) Das ist er in der Thftt am lo. November geworden. D. H.
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und -lehrerinnen, mehr allgemeine Grundsätze aufsteUt, geht die von
P. Bert, die sich mit dem höheren Schulwesen beschäftigt, mehr auf
ioneFe Schulfragen ein, wie z. B. auf den Lehr plan, die Biscipliu etc.,
ohne dämm allgemeine Gesichtspunkte ausser Acht zn lassen.
Der erste pädagogische Congress (wir haben vorhin yon demselben
gesprochen) hielt seine Schlnsssitznng am Montag den 25. April 1881
in der Sorbonne, and der Ministerpräsident Ferry yerabechiedete die
Mitglieder mit fblgenden Worten:
^Der gegenwärtige Gongrau hat alle unsere Erwartungen ttbertrofliui; er
■t frei gewählt and die Freiheit ist in demselben oabeschrankt gewesen. Die
Resolationen, die Sie gefasst hahen, gehen theile die Gesetzgebung, thefls die
Verwaltung an. Sie fordern den Schnlzwang: er wird, wie ich zuverdehtUch
hoff»», beschlossen werden. Sie fordern die Unentgeltlichkeit; sie ist. was man
auch da^e^en wiederholt beluiuptet hat. das wesentlichste und iinfehlbai-ste
Mittel, einen bestUndigeu Schulbesuch zu sichern. Was die Seluilcassen an-
bettüR, so werden sie durch einen Aitikel des Gesetzes über den .Scliukwatig
im Lctoi gemflsn. Sie wünschen die absoluta UaeotgelUiehlLeit der Schnl-
stosOicD: damit haben Sie eine ernste finaudelle Frage an%eworflai, die zu
ÜMB noch nicht möglich ist, denn 4,700,000 Kinder besuchen unsere Schulen.
Unser besonderes Streben wird ferner darauf gerichtet seiUi die Zahl der Schüler
jeder Classe auf 40 — 50 zu beschränken. •
Sie haben die Mittel studirt, die Schule angenehm und die Arbeit au-
ziehend zn machen. Wir streben demselben Ziele zu: der Einführnng der
Erziehung in der Schule. Schon auf dem letzten Congress der Volksschul-
' iiupedoren safl^te ich: Der Lehrer muss Erzieher werden. • So wird man dem
VtrutheO ein £nde madieut zu glauben, dass, um Lelirer zn sein, es genüge,
dne besondere Tracht zn tragen, einem bestimmten Stand anzugehören, eine
bMtimmte Religion zu haben. Die Gesellschaft, der wir angehören, kann nidit
da$.s sie nnHlhig sei. Erzieher zu bilden. Dies hiesse alles verleugnen,
was seit der französischen Eevolution geschehen ist.
Sie haben die Forderungen gestellt, dass der Unterricht in der Moral
lebarf abgesondert und getrennt sei von jedem andeiii Fachunterricht. Der
von mir den Eammeni unterbreitete Gesetzentwurf will verhindern, dass man
9m zu Kateehlsmusdeelamataren macht Man wird Sie also keineswegs ab-
halten, Unterricht in der Moral zu ertheilen. Der Grund, dass dieser Unter-
richt nicht das Erbtheil, das ausschliessliche Piivilegium dieses oder jenes
Standes oder dieser oder jener Religion ist. lley^t darin, dass di»- Moral eine
alleremeinp und » ine ist, in welcher Gesellsehatt man sie auch schöydV'. auf
welches Dogma man sie auch basire. Deshalb muss der Unterricht in der
Xoral Laien, nicht den Priestern anvertraut werden.
Die Umwälzung, die wir auf dem Gebiete des Unterrichts hervorzurufen
daran sind, wird das fernere wichtige Resultat zeitigen, dass die Stellung der
Ldver gegenüber den Behörden und ganz besonders gegenüber der Geistlich-
k«»it modificirt wird. Wir wollen nicht langer, dass der katholische oder
pnitrstantische Geistliche als Inspector die Schule betrete, sondern ledis'lich <lie
weltlichen Behörden. So wird der modus vivendi zwischen deu Lehrern und
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der Geistliclikeit fesler sein iiiul beiden Theileii aiineliiiibaicr erschtiucu. Das
beste Ifittdf den Frieden zwisclien zwei Nachbarn lierzastellen, ist, Ümtti
scharf gesogene Grenzen zu geben. Überdies ist man ehrerbietiger^ wenn mAn
anabh&ngig ist. Man glaube nur ja nicht, dass Unabhängigkeit Widerstand
bedeutet. Es gibt einen relig-ifisen Fanatismus! niul es fjfibt einen in-elif^iösen
Kanatisuius. Der zweito ist eh.Mi so schlimm wie dn- erste. Der Glaube
anderer ist a( litun;^swert aiifli für diejeni^ren. dio Ilm nicht theilen. Ks hiesse
dfii Ki(o]<^ der Ivt'tonin'U, die wii' im .Sinnf liabcn, in Fraffe stellen, wollten
wir nur dem erlauben Xahruui^ geben oder ihn gar wecken, dass dieselben eine
Drohung sein Icönnten fttr das Gewissen der Etaizelnen.
Das Gebiet, auf dem Sie nnerschfttterlich sein mässen, aof dem Sie sich
▼erbarrilcadiren mfissen, ist das Gebiet der Politik. Man darf Sie nicht zn
politischen Ajrenten machen. Frülier empfahl man ihnen, keine Politik zu
treibt n; aber keine Politik treiben sollte bedeuten: heimlich gegen die Kepublik
agitiren.
Ich will diesen Riith jetzt nicht zum Vtirtheil d»'r K''publik umkehren:
ich siige llmen, Sie müssen die Politik leluvn, weil das Gesetz Sie anweist,
über die bttrgerlichen Pflichten Unterricht zu ertheflen und auch, weil Sie sieii
erinnern mfissen, dass Sie die Söhne von 1789 sind. Jenes Jahres, welches Ihre
Vftter frei gemacht hat, und dass Sie unter der Republik von 1870 leben,
welche Sie selbst frei gemacht hat. Sie haben also die Pflicht, di. T'epublik
und die erste Revolution lieben zu lehren. Wjis ich nicht will. ist. dass Sie
die Schule zui- Schule einer I'arfei oil,-r • iiier C'oterie machen, wo Sie dieLehi*er
des \'aterlaiides und t'raiikrrielis s»'iii snilen.
Bidd werden wir die allgemeinen Wahlen haben. Die Fragen des ünttr-
richts haben den Hinister des öffentlichen Unteirichts zum Präsidenten des
Conseils gemacht Ich sage Ihnen also als Präsident des Conseils: Wenn die
Regiemng die Schule benutzte, um der Politik der Republik zu dienen, so wfirde
sie die Schule und die Republik compromittiren. Wir wollen nicht, dass man
sage, die Republik mache die Wahlen mittelst der Lehrer, wie die frühere
Reijierung sie maclite mittelst der Pfarrer. Wiim sich zu eifrige Bewerber
zeigen sollten, so antw(»rti'n Sie ihnen mit l'^ntschieil. iili. it : Unser Ministerium
will es nicht. Uleiben Sie in den hohen uud hehren Regionen, in welche das
Gesetz Sie gewiesen hat: eine würdige, verständige Gemeinschaft, welche über
den doppelten Schatz wacht, der ihr anvertraut ist: fiber die WoliÜEihrt der
Nation und die Seele des Kindes.**
Fordern diese Worte, fordert das ganze Auftreten des französischen
Unterrichtsministers nnd die Art nnd Weise, wie derselbe zu seinen
Untergebenen spricht, nicht unwülkOrlich zu emer Vergleichnng heraus
mit dem — milde ausgedrückt — kleinlichen Vorgehen des preussischen
Cultusministers bei Gelegenheit der Karlsruher Lehrerversammlung?
Ein grösserer Contrast ist kaum denkbar.
Die nun folgende Rede Paul Bert's wurde gelialten aus Anlass
der Einweihung der neuen Schulgebäude der „elsflssischen Schule** in
Paris am 9. Juni 1881 in Gegenwart einer zahlreichen nnd auserlesenen
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Zulirirerj^elial't. Xai lidtMn di r Kediier von der Veranlassung^ ß«'sj)i oclnm,
die die Ver:?animliing liier zusunimengetVihrt habe, wirft er einen km zen
Rückblick auf die frülieren Jahre und schüdei't in wannen ^^'()rten,
wie die nach dem letzten Kriege entstandene „elsässische Schule"
aus kleinen Anföngen schnell zn einer so bedeutenden und angesehenen
Anstalt emporgewachsen sei, dass selbst die Univei-sität von Frank-
reich ihre Reformen und Nenenmgen vielfach zum Master genommen
habe. Näher anf diese letzteren eingehend, föhrt er folgender-
massen fort:
„Üie wichtigste Ihrer lAdagogischeii Beformen ist Bicherlich die Hlnans-
Mhiebong des Anfiugstenmiis für das Stadium der alten Sprachen. Bei Ihnen
sehen die neni^&hrigen Kinder nicht ^leirli höhn ersten Eintritt in die Schule
das Gespenst von rosa, rosao und die abschrockenden Conjnpratiouen vor sich.
Ehe Sie an Ihre Schüler die Antordfrunj^ sttdlcii. eint' Spi-arlic zu erlernen, die
nicht mehr existirt, ein Act der Wiedererweckung:, der von ihrer Seite ent-
weder die autiserordeutlichstea Austiengungeu oder das tügsaiuste Opfer des
Geistes fordert, ehe Sie dies verlangen, wollen Sie den Geist gesdückt nnd
reif werden lassen durch das Alter, dnrch vorausgehende Stadien nnd hesonders
dnreh den Unterricht in einer gesprochenen Sprache. Denn die Sprachen sind
daca da. um g-e»prochen zn werden; und ein Kind gleich von Anfang an in^
tere«8iren zu wollen für den Untenicht in einer Sprache, die es niemals sprechen
vvinl. die es niemals sprechen hören wird, von der es nirnials andei*' Zeugen
kennen lenien wird als <lie vergrilbten liüciier auf den Regalen der Bibliotheken,
wäre dasselbe, wie wemi man in der Natui'wissenschaft es interessireu wollte
fir die Skelette nnd die Yersteinomgen, die die Glasschrftnke der Hnseen
fülka, bevor man es fiber die lebenden Wesen nnterrichtet hat Fängt man
dagegen, wie Sie es thun, damit an, iluu n die Eigenschaften der lebenden
Tliiere zu beschreiben, gibt num ihnen eine Idee von ihrer Lebensweise, 80
werden alle jene fonulosen ( berreste vor ihren Augeu mit Leichtigkeit gleich-
sam eine neue Gestalt annehmen.
Sie haben also wol hieran gethau, und die UniversitUt') hat woi getlian,
Omen anf diesen Wege zu folgen. Eins aber gef^t mir besonders bei dieser
Beform. Es zeigt sich hier, dass, indem Sie als Pädagogen gehandelt haben,
Sie zogleich als Patrioten, das will sagen als Freunde des Volkes gehandelt
haben. Ja, Sie haben ein demokratisches AVerk gethau. Denn, wissen Sie,
was ini Olieruntenichtsrath**) das entscheidende und den Ausschhig gebende
Argmiieni irewesen ist hei der rms'estaltung des öftentlichen Unterrichte vom
?KK;ialen und gou vernementalen Gesichtspunkt aus? Es ist diese Erwägung:
die Einführang des Latein üi die unterste Classe des Gymnasiums schaftt eine
*) Unter nünlTenitfi de Frauoe", bekanntlich von Nspol^n I. eingerichtet und
organisirt. vorsteht man die ganze «j^ossc Ocsammtheit der staatlichen l^nterrii hts-
osstalten nebst ihren Behürdeuj die^e staatliche Uuterrichtscorporatiou umtasst also
dte gesammte Offentliehe Schulwesen vm der efaifachsten Volksschnle an bis hinauf
zu den Akademien.
•*) Der ("ouseil sui)t:'rieur de riustruction publique ist die oberste Unterrichts-
and Schnlbehördc deä ganzen Landes.
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tiefe Klutt zwischen dem Secundär- und dem Priiiiiiiunteiricht * j, zwischen den
Kindern des N'olkes luid denen des Bürgertiuuus. Wie soll der begabte Schüler
anflerer Volksschiile, wenn er dieselbe aMvirt hat, eintretea kOnnen in das
Gymnarinm und sich so einer höheren g^eseHschaftlichen SteUnngr emporsehwiDgen?
Er ist 12 oder 13 Jahre alt. Sein Alter weist ihn nach VI. nnd dort trifft er
Kameraden, die seit zwei Jahren Latein treiben und selbst Griechisch. Kaan
er sie wieder einholen und dann g-leichen Schritt mit ilrnen halten? Nein:
muss wieder hinabsteigen, der bereits ein grosser Unrsche ist, zu den Kindern
von neun Jaliren und mit Recht .schreckt er davor zurück.**)
So muss in unserer demokratischen Gesellschaft die Kekrutiruug der
mittleten irad hVherea CSassen aal jenes Contingent verzichten, welches die
ongehenere Uehiheit der Nation stellt: ein Gontingentt das gewaltig ist an
Zahl wie an Kraft nnd dessen Starke man fiber ein Kleines Gelegenheit haben
wird, schätzen zu lenien. Denn dank der Reform, deren Vorläufer Sie sind,
wird der tüchtige Elfinciitarunterrieht es die.^en besseren Schillern möglich
machen, sofort in eine Reihe zu treten mit Schülern ihres Altei^s. und zusammen
können sie dann den Unterriclit in den todten Sjiraclien beginnen. Sie werden
die Kluft überbrückt und die wahi'en Bedingungen der gesellschaftlichen Gleich<*
heit wiederhergestellt hahen, die nicht darin besteht, dass man jedem Bürger
den ihm nach sdnen Ftthigkelten snkommenden Rang in der Oesellschaft bloss
verspricht, sondern darin, dass man ihm anch die Mittel, denselben einan-
nehmen, in wirksamer Weise an die Hand gibt
In Ueznsr auf eine andere Reform stimniP ich ebenfalls mit Ihnen über-
ein, wie denn auch die Universität diesellic von Ihnen entlehnt hat: niimlicli
in dem grossen Räume, der dem naturwissenschaftlichen Unterricht sdion von
den unteraten Classen an zugewiesen ist. Sie haben vorhin, Herr Director***),
nnd das mit vollem Becht, die ntitsliehe ond praktische Seite des Untenicbts
in den ezacten Wissenschaften hervorgehoben. Wenn jedoch der üntenidit
in diesen Wissenschaften keinen andern Nutzen hätte als den, dem jnngen
Abiturienten die Möglichkeit zu ^ewMhren, früher den Forderungen des prak-
tischen Lebens zn genügen nnd sich nicht von vom herein auf dem Gebiet des
Handels, der Iiidustiic und des grossen Verkehres von seinem nicht classisch
gebildeten Concurrenten aus dem Felde schlagen zu lassen, so würde das freilich
schon etwas Bedeuteudes sein, aber der \'ortheil wäi'e doch nur ein milssiger;
auf jeden Fall ist es nicht dieser Gedchtspmikt gewesen, der den Vertheidigeni
des exactwissenschaftlichen Unterrichts Kraft nnd Ansdaner veriiehen hat, ftlr
ihre gute Sache zu kämpfen. Indem wir die Natur- nnd Experimentalwissen-
schaften in den Anfang des Secundäiuntenichts hinabrückten, indem wir for-
derten, dass der jngendliclie Vei-stand schon bei seinem ersten Erwachen das
herrliche Sclianspiel der wissenschaftlichen ii^tdeckuugen vor Augen hätte, haben
*) Die ITranzoseu unterscheiden ren.«»eignement priniaire, secondaire und »uperieur
entspreehend nnsenn deutschen: Volks^ohule. iiittelschnle (im sfiddeutsehen Sinne)
nnd hohe Schule.
**t Pas französische Gymnaxiura besteht aus H Cla.'»sen. von denen die beiden
letzten \'in und Y II die divisivui eleiuentaire bilden, jedodi nicht uusern Vorschulen
entsprechen. In ViU beginnt das Latein, in VI da«< (iriechi.Hche.
***) »lirecteur, weil Leiter einer Privatanstalt. Der Name fUr die Directoren
der ätaats-schiUen ist proviseur, für die städtischen principal.
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— 147 —
wir als Hauptziel nicht erstrebt, ihnen den s( liwierijj-en AN cg d«s praktischen
Lebens zn ebnen. Nein, wii' haben ihren tiinn ausbilden, ihren Ueist in Zucht
oetunen, ihren Ventond üben wollen, wir linlien sie lehren wollen, gut und
Mtigm beobachten, nur das zn sehen, was ist; nnd alles zn sehen, was ist,
ist kein leichtes IHng. Gerade dies aber lehren im höchsten Masse die ex-
perimentellen Wissenschaften. Seine Gedanken zn ordnen, jedes Ding^ seinem
Werte nach an seine richtige Stelle zn setzen, ist ebenfalls kein leichtes Ding,
(rerade hieran aber wird das Kind durch die Methode der Naturwissenschaften
gewiilint. Den Anderen beweisen, was man selber behauptet, selber wissen,
was ein Beweis ist, ist noch schwerer. Erwarten Sie alles von einem tüchtigen
Uatenicht in der Physik nnd Chemie nnd fürchten Sie nichts von ihm: demi
darin besteht seine GrOsse nnd seine Kraft, dass er das Nichterlanben lehrt,
ohne doch den Zweifel zu lehren, durch den die Vemnnft sich selbst mordet.
Dies .<ind die Gründe, weshalb wir gewollt haben, dass der Unterricht in den
exa/teii Wissenschaften nnsern Mittelseliulunterrieht in allen seinen .Stufen
tlun hdring-e. Es handelt sich nicht danini. schiudler oder früher (iewerb-
tieibeude oder Ackerbauer zu bilden, es liandelt sich auch nicht einmal darum,
Bttore Kinder zu Zählmaachinen von Staubfäden, von Insectenfüssen, von Fühl«
hSrnera, von chemischen Reactionen zn machen; es handelt sich dämm, ihnen
einen besonderen geistigen Instinct zn Terleihen, von dem sie in allen Lebens-
lagen Gebrauch machen kihwien nnd der Widerstand leisten kann der bethörenden
T.tirhtgliinbigkeit wie den plötzlichen Anfwallnngen des Geftthls nnd der
Leidenschaft.
Und dies alles, (dme das Gefühl und die Leidenschaft anf'znheben. ja
selbst (dine sie auch nur zu schwiichen. Welch traurig-e Bildung müsste das
feeio, ilie einen Menschen hervorbringt, dessen Herz nicht mehr schlilgt. Des-
halb wflrde das Stndinm der exacten WissMuchaften allein ungenügend und
gdhhrtnringend sein. Hier setzt das Stndinm der Sprachen, der Literaturen
nnd der Geschichte ein und macht seinen gewaltigen Einfluss in erster Linie
geltend. Die exacten Wissenschaften sind nnr die Former nnd Bildner des
Geistes, die Humaniora veredeln nnd vertiefen ihn ~ jene lehren das Wahre,
diese das (tute and Schöne. Beide haben sich einander nöthig und ergänzen
sich ji^egen>eitii?-.
Als Pliysiologe sa^e ich: Die Naturwissenschaften sind irleichsam das
Skelett, dessen solides Gebäude Festigkeit und Geschmeidigkeit zugleich ver-
leiht Die Sprachen und Literaturen sind die Muskeln und die Haut, welche
die Kraft, die Gestalt, die Schönheit und die EmpAngUehkeit hinzubringen.
Ohne die Muskeln nnd die Haut ist das Skelett nnr ein trockener und trflger
Bau; ohne das Skelett haben die Muskeln keine Kraft und die Formen werden
jichlaff. Knofdien. Muskeln und Haut bilden das höchste Lebewesen, das da
kräftig ist, geschmeiditr und zart. Die exacten Wisseuschat'reii nnd die hnnia-
iiistischen FHcher discii»liniren den (n'ist, ertlillen die Phantasie mit Kühnlieit
und trewalt, das Herz mit f'delmuth und Vei"stand.
Aber es fehlt mir an Zeil, um vou Ihren anderen Reformen auf dem Ge-
biete des XJnterrichtswesens zu sprechen. Die LOeuug eines Problems jedoch
ist Ihnen zn gut gelungen, als dass ich Dmen nicht von ganzem Herzen dazu
Glttck wünschen sollte. Ich meine Ihr YerhUtnis zn Ihren SohtUem, Ihre
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Discipliu, Ihre Beluhiiungeii und llue Strafen. Hier sind .Sie der Uuivei'bität
weit voraus.
Und doch, was haben Sie denn anders gethan als die wissenschaftliche
Methode angewandt anf die Disciplin. An SteUe des dogmatischtti Empirisams,
an Stelle des Absointeii, welches dem »Schftler an^peawungen wird dnrch die
AiitoritUr, vor welcher tr sich oft nur mit «'''heimcni Widei-streben henq-t,
haben Sie das Kclativc urgctzT, welches daduirii. dass es eine Eiklärun]^ zu-
lässt. leichter von der W-rnunft angenommen wird. Ihi-e Disciplin g:ründet
sich niclit auf die Furcht vur dem Lehrer oder auf deu passiven Gehorsam
gegen die Schnlregel, sondern aof den Coltos der Pflieht» anf die Achtung vor
sich selbst, anf das GefOhl der Verantwortlichkeit nnd Solidaritftt; and Sie
haben Recht daran gethan: denn der Lehrer kouinit und geht, die eine Vor-
schrift wird durch eine andere ersetzt, aber die Soi^ am die persönliche
Wurde verschwindet nie.
Sie haben ferner keine barbarisi hen und lilcherlichen Strat« ii mehr, kein
Nachsitzen, keine Strafai'beiteu, kein Thürstelien. Das Unterdi ücken der guteji
Noten, der Tadel des Birectors, die zeitweise Ausschliessung, zuletzt die Rele-
gation für die Unverbesserlichen, das sind Ihre Strafen. Und die Erfahrung
hat bewiesen, wie wirksam sie sind, denn Sie haben nur selten nöthig gehabt,
zu der letzten Eventualität Ihre Zuflucht zu nehine?!. Was ich aber bei allem
dit sein am meisten bewundere, das sind Thiv Beloimungen. Sie haben keine
Concurrenzprüfunisfen. keine Preisvertheilungen mehr! In diesem Frankreidi.
in dem die üftentliche Erziehung ein \'ergnii{ien daran zu Huden sclu-iiit. unsere
Erbfchiei zu entwickelu uud zu cuitiviren. liaben Sie zuei-st deu Muth gehabt,
diesen ganzen Iflcherlldieii und nichtigen Apparat abznschata. Sie geben sich
nicht mehr dazu her, Jene kleinen Schnlnngehener zn dressiren, die es verstehen,
- den Preis in den lateinischen Versen und in der griechischen Übersetzung za
gewinnen, in jedem andern Gegenstande aber unbrauchbar sind. Bei Ihnen
ist der lield an» Tajre der Preisvei-tlieilung nicht dei-jenige, den glänzende
Fähigkeiten oder ein glücklicher Zufall begünstigt haben: die freiwilligen (laben
der Natur genügen nicht, es bedarf noch der Au.sdauer und des nie ermüdenden
Fleisses in den tilglicheu Arbeiten. Und so erreichen Sie ein doppeltes Resul-
tat: erstens verleiten Sie das Kind nicht zn dem Glanben, dass ein glfiddichea
Zusammentreffen, eine vorfibergehende Anstrengung, ein einmaliger Erfolg ge-
nügt, um vor allen anderen ausgezeichnet zu werden, sondern Sie zeigen ihm,
dass es der nnaufliörlichen. ausdauernden Thiltigkeit und des guten Willens in
jedem .\ugenblirk bed:irf. \Vi'' interessant würde es sein, nachzuweisen , wie
und weshalb Ihre Methode diejenige der pi-ote.stantischon Liinder ist, während
die Concurrenzprufungen uud die i'reisvertheilungen wie auch die blinde Unter-
werfung unter die Schulzacht wesentlich dem Eatholidsmus angehören. Bei
Ihnen weiss das fieissige Kind, dass es beurtheilt wird nach der Mühe, die es
sich gibt £s fühlt, dass es gerecht behandelt wird; es kommt sich nidkt mehr
verlassen vor; es strengt sich an, es emdcht sein Ziel. Daraus — wie anch
ohne Zweifel aus Ihrer auf die Vernunft sich gründenden Disciplin — daraus
entsprinjrt. glaube ich. jenes frohe AVesen. jene Miene der Heitel keif nnd <Je-
sundheit der Seele, die ich oft bei Ihien kleineu Schülern bemerkt und be-
wundert habe. Ach, ich habe soviele Schulen gesehen, in denen man sich
langweilt! Die Ihrige aber ist da, um zu zeigen, dass das Glflck seinen
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ri>jiniug liat in dem UetiUil dei" Würde, welches sidi entwickelt iimiitteu der
Freiheit und uuier dem Schatze der Gerechtigkeit
Wie viele Dinge h&tte ich Ihnen noch zn sagen! Besonders hfttte ich
gno verweilt het jenein grossen Faetom, dass Sie, nnter denen es, wie ich
weitt, so viele tief religiöse, ja fromme Gemnther gibt, dass Sie die erston
gtnvesen sind, die mit Entschlossenheit dfn Relio"ionsuuten"icht ans Ihrer S( hule
futfenit haben. Sic liabeu jedem seine Kollo nnd seine Verantw(»! tli( likeit ge-
lassen: dem weltlichen Lehrer die wiHsenschaftlichen und beweisbaren Wahr-
heiten; dem Priester diejenigen, zu denen der Glaube noth wendig wird. Und
in dieier YerweltUchung, nm mich so anszndrttcken, die wir fOr die Staats-
schnlen beanspruchen, haben Sie, wie wir, nnr einen Beweis der Achtung vor
der Grewissensfireiheit nnd vor der Anfrichtigkeit des Glanbens gesehen. Ich
iBSdlte, dass di** wackeren lOhiner. die einig-e Schi-itte von hier entfernt in dem
goldenen Saale des Luxemburp angstvoll zög-ern, das l)ereits von der Kammer
iiiiirt'iioiiiiiient' (lesetz zu bcschlicssen, llire Schule besuclitcii. iln e Srliiilci- fVatrten
uiitl WsoiuU'i s deren Eltern. Ich niöciite, dass meine Stiniuit! stark getiut; wäre,
am zu ihnen zu dringen nnd sie zu beschwören; nicht auf lännende JJetheue-
rnngen an hSren, bei denen die religiUsen Überzeugnngen gar keine Bolle
ipiden, nnd die von der „Elslssischen Schule" gemachte Erfiüinmg nach ihrem
vollen Werte zu schfttzen.^ —
So denkt, so handelt, so spricht man in Frankreleh! Wenn man
nun aach sagen mnas, dass die Franzosen, "wie das ttberhaupt ja ihre
schwaGhe Seite ist, hie nnd da den Mmid etwas zn voU nehmen, nnd
ach nicht verhehlen darf, dass vieles von dem, was sie schon als halb-
erreicht hinstellen, einstweilen noch in das grosse Gebiet dei Iromnien
Wünsche gehört, wenn es namentlich noch viel Zeit und viel Kampf
kosten wird, mit der alten überlieferten Lehrmethode vollständi«r und
alliremein zu brechen und an die Stelle des professorarti«^ vortragenden
den unteiTiclit enden Lelirer zu setzen, wenn fenier auch die matenelle
Lage der Tiehrer und ihre sociale Stellung noch zu \ielen gegründet<^n
Klagen Anlass gibt, so können wir doch eingedenk des Satzes: „Gut
Diug will Weile haben ^ das Beste hoffen und dürfen nnseni Beifall
den hochherzigen und edlen Bestrebungen nicht vorenthalten, mit
denen man in Fi ankreich die Schule zu lordern trachtet Pflege der
Schale in ü*eiheitlichem Sinne ist der Gmndzug, von dem die ganze
neuere Pädagogilc Frankreichs durchdrungen ist Unter diesei* Devise
vereinigen sich alle jene Bestrebungen, von denen wir in Vorstehendem
ein Bild zn geben versucht haben. Was bei uns, wo der freisinnige,
nacli Wahrheit und Offenheit strebende Theil des Lehrerstandes gemäss-
regelt wird, hent zn Tage leider nur schfichtem nnd verstohlen gesagt,
gewflnsGht nnd gehofft werden darf, das verkünden in Frankreich die
Begierong seihst nnd der Begienmg nahestehende Männer als erstrehens-
und nachahmenswert Seltsames Schauspiel, dass die beiden Länder
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— 150 -
iimerhalb weniger Jahre so die Rollen getauscht haben! Betrül)enil
freilich, dass wii* die l^iiluuuff ab<2:egeben haben, erfreulich jedoch,
dass Frankreich sie Ubernommeü, jenes Frankreich, das sicli seligst und
seine grosse Revolution verleugnet hätte, wenn es nicht endlich sich
frei machte von der Herrschaft der Ignoranz, der Indifferenz und der
Lüge; erfreulich femer, dass es in seinem edlen Streben Unterstützung
findet in anderen freieren Ländern, deren Regiemngen erleuchtet genug
sind, das vahre Interesse der Schale nicht als ihrem eigenen entgegen-
gesetzt zu erkennen, in Belgien, in der Schweiz nnd nenerdings auch
in Amerika, das durch seines wackem Präsidenten leider jetzt für
immer geschlossenen Mund so schOne und yerheissungsvoUe Worte
zum Lobe dei* Bildung und des Unterrichts sprach. Freudigen und
hoffirangsvoUen Herzens können wir daher dem Worte beistimmen, das
der Herausgeber dieser Blätter bei einer Mheren Gelegenheit uns
aus der Seele schrieb: Es ist doch gut, dass, wenn es in einem Lande
Nacht wird, in anderen der Tag anbricht Mag daher in unserm engeren
Vaterlande die Fahne des Fortschritts nach kurzem, fröhlichem Flattern
augenblicklich wieder verhüllt sein, mag die Reaction mit ihrem
tinstern Gefolge, dem Streberthuni, der Heuchelei, der Corruption und
dem charakterlosen Servilisnius ihr trauriges Werk verrichten, wir
verzagen nicht : auf dem grossen Felde der Cultur sind viele Arbeiter,
und das Ziel, das ihnen winkt und dem die Arbeit gilt, ist nicht allen
verborgen. Iiinner gibt es Bahnbrecher, die den Weg. den die Anderen
verloren haben, wiederfinden und diese zurückrufen zu erneuter Thätig-
keit. Auch uns wird, des sind wir überzeugt, ein neuer Morgen tagen!
«
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Me Prufang and Ansbildnng der Lehrerinnen in Ostpreussen.
Von Director A, Ooerth-Iitsterburg.
Durch den lÜmsteiiAlerlafls vom S4. April 1B74 sind in Prenssen
Gommisdonen gebfldet worden, welohe nnter dem Vorsitze des Pro-
vinzial-Schnhaths JShrlieh zweimal die Prflfimg von Lehrerinnen nnd
Sefanlvorsteherinnen abzuhalten haben. Die Examinatoren sind Begie-
rungsräthe, Seminar-Directoren und Lehrer an Seminarien oder höheren
Lehranstalten. Da hier in Ostpreussen eine vollständige, zur Ab-
haltung- von Entlassungsprüfungen berechtigte Lelirerinnen-Bildungs-
anstalt noch nicht existirt, so sind bisher säuimtliclie Bewerberinnen
genöthigt gewesen, sicli von p]xaminatoren prüfen zu lassen, die ihnen
in jeder Hinsicht fremd waren. Jetzt ist das Recht der Entlassungs-
prüfung dem Hilfsseminar in Tilsit verliehen worden, so dass dort die
Prüfung von nun an unter dem Vorsitze des Provinzial-vSchulrathes
von dem Lehrercolleginm abgehalten wird; aber die Zöglinge aller
anderen Seminarien sind nach wie vor genöthigt, sich in Königsberg^
von den ^fitgliedeni der oben erwähnten Commission prüfen zu lassen.
Da in Königsberg allein schon vier grössere Hilfsseminare existiren
und fast jede Vorsteherin der vielen Privat-Töchterschulen sich bemüht,
ihre „Selectanerinnen'* znm Examen vorzubereiten: so ist zu den beiden
Terminen der Andrang so stark, dass bereits seit einer Reihe von
Jabren zn Ostern nnd zu Michaelis 60—70, ja 80 Bewerberinnen
geprttft werden mussten. Diese Arbeit haben 5 Männer aoszn-
f&hrenl In der schriftlichen PrüAing am ersten Tage haben die
mdehen nnter Olansnr ein^ deutschen Anftatz anzufertigen, einige
Bechenanj^hen zn lösen, ein französisches nnd ein englisches Exer*
dllnm zn machen. Dann werden die Lehrproben abgehalten, nnd
sdüiessUch beginnt in Gegenwart der gesammten Commission die
iBfindliche Prflftmg. Die Mädchen erhalten Zettel mit verschiedenen
Fragen, über die sie sich auszusprechen haben. Wenn die Frage ein
Gebiet betrifft, mit dem die Bewerberin nicht recht vertraut ist, sucht
der Ezaminatinr sie durch dnige Fragen zurechtzufOhren, resp. zu er>
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forsclieii, ob sit aul' aiideitui Gebieten der betreftendeii Wisseiiscliaft
besser bewandert ist. Jeducli kfinnen zu diesen Fragren bei der grossen
Menge der Bewerberinnen für jede Einzelne nur wenige Minuten
verwendet werden. Eine einfache Berechnung wird dies zeigen. £a
wird geprüft in Pädagogik, Religion, deutscher Grammatik, deutscher
Literatur, in Französisch, Englisch, Geographie, Gescliichte, Rechnen
mit Raumlehre, Naturgeselüchte, Physik, also in 11, mindestens in
10 FAchem. Bechnen wir für jede Bewerberin k Fach 10 Minuten,
80 beansprucht sie 1 Stunde 40 Minuten, 70 Bewerberinnen t)raa<^en
also bei der oben angenommenen sehr geringen Zeit schon drca
130 Stunden. Nehmen wir an, die Heiren hielten tSglich 10 Stunden
solcher Arbeit ans, so wflrden immertiin zur mündlichen Pr&fung allein
schon 13 Tage oforderiich sein. In Wirklichkeit dauert aber da»
ganze Examen nur 7 Tage, von denen 3 auf die mfindlidie Prüfung
Terwendet werden. Damadi wird Jeder ermessen kihuien, in welcher
Weise die Prtifung gehan^abt wird. Nach den Erzählungen der Be-
werberinnen liat man in der letzten Zelt in 3 Zimmern zu gleicher
Zeit geprüft; trotzdem ist jede in di'U meisten Fächern nui- ö bis
ß Minuten und nur dann, wenn sie bedenklich stockte, etwa 10 Minuten
lang gefragt worden. Je nach dem Ausfall dieses kurzen Examens
werden Zeugnisse ausgestellt, durch die man den Mädchen amtlich
bescheinigt, dass sie für ein Lehramt an höheren Töcliteischulen oder
Volksschulen in den einzelnen Wissenschaften sehr gute, gute,
genügende oder nicht genügende Kenntnisse besitzen. Da eine
zweite Prüfung nicht gefordeit wird, eine Nachprüfung iiir diejenigen^
wekhe für reif erkläit werden, nicht zulässig ist: so muss das einmal
erworbene Zeugnis tür die ganze Lebenszeit genügen. Während des
Examens wird eine Nachprüfung nicht veranstaltet. Zu Ostern d. J.
hatten einige unter den jungen Mädchen, die ich nach Königsbergs
schickte, in Religion wenig Glftck gehabt Die später an Andere ge-
richteten Fragen konnte sie mit Leichtigkeit beantworten und mel-
deten sich wie gebräuchlich durch Aufheben der Hände. Der Examinator
sagte: „Sie entwickeln Jetzt Kenntnisse, die ich bei Ihnen nicht er^
wartet hätte^; trotzdem wurden sie nach den zuerst gegebenen Ant*
Worten censirt Eine Andere wurde während der Prüfhng ohnmächtig;
trotzdem erhielt sie ein Zeugnis auf Grund der wenigen Antworten,
die sie vorher zu geben im Stande gewesen war. Eine Dritte war
zuletzt so angegriften, dass sie dem Examinator in Pliysik erklärte,
sie sei nicht im Stande, eine Antwort zu geben. Trotzdem wurde ihr
Wissen in Physik ohne eine Nachprüfung mit „nicht genügend**
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eeiudrt. Zum Beweise, welch kurze Zeit auf die Prüfung in den ein-
zelnen Fächern verwendet wird, teile icli liier die Pr&fangsfragen mit,
welche zu Ostern d. .T. an einige meiner SchlÜeriniuMi iri^stcUt worden
sind. Sie mnssten nur dieselben unmittelbar nach dem Examen auf-
sdireiben, so dass man annehmen darf, sie werden nicht geirrt,
höchstens hie nnd da ehie ansgehissen haben.
Li Religion: (Fragen an A.) Eme heilige allgemeine chilstllehe
Kirehe; Leb> nnd Lernmittel fftr die Katechismnslehre. (an B.) Einige
Bosspsalmen; ZergUedemng des 23. Psahns vor Kindern; Adyents-
nad Weihnachtsiieder. (an 0.) St^en ans Jesauis, Johannis Botschaft;
Wdhnachtslieder aufsagen nnd den Verfiisser nennen; Ort der Hanpt-
wurksamkeit Thilo's; Stellen aus den B9merbriefen nebst Angaben, wo
sie stehra.
In Pädagogik: (A.) Arnos Comenius, das .Erklären; die Sinne,
die Tliore der Seele; Pflege der Sinne. (B.) Sokrates; die häuslichen
Arbeiten; I rteile nach den vier Kant'scheu Kategorien. (C.) Eberh.
V. Rochow; Schulzucht; der ('harakter.
In Deutsch: (A.) Die Kraniche des Ibikus; der Meinorirstotl" wie
ii^t derselbe zu behandeln; Res^eln tür die Interpunctiou. iB.j Die
Meistersänt^er. Hans Saclis: Inlialt einiger Sdiwänke; eine Ballade von
St'Mller; eine Legende; die starke und schwache ( 'onjuf^ation. ((\)
Henler's Bioo-rapiiie, seine Werke; Inhalt von: Der «gerettete Jimglinf?;
Lessing's Fabeln, Volkslieder, Balladen von Goethe und Schiller; ein
Satzgefüge zergliedeni.
In Französisch: (A.) C'onjunctionen, die den subjonctif regieren;
die Plejade, Entstehung des französischen Theaters. (B.) Unterschied
Ton c'est und il est; einige unregelmässige Verben; Pascal, Boileau,
Lafontaine. (C.) Montesquieu und seine Werke; was heisst: mitten in,
de plos am An&nge eines Satzes; Unterschied zwischen dans la Tille,
€11 TÜle, ä la ville.
Ja Englisch: (A.) Wie wird das deutsche „man^ ftbersetzt?
BQdung eines Satzes mit ehern Gerundium; Philosophen nndG^eschichts-
«ehreiber des 17. Jahrhunderts. (B.) to carry, to bear, to wear;
Ohatterton, Percy. (C.) Thomas Moore; Inhalt aus Lalla Bhook
Paradies und Peri; ehien Satz übersetzen; wie wird das Eigensehafts*
wort English geschrieben?
In Geschichte: (A.) Hehrere Fragen CUodewig's Taufe betref-
fend; die Thätigkeit Friedrich Wilhelms, des grossen Kurfürsten.
(B.) Friedrich Wilhelm I.; die griechischen Spiele; die sächsischen
Kaiser. (C.) Muhamed und seine Religion; wann wurde Brandenburg
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mit Preussen vereinigt? Die Kua-fürsten bis zum Jalne 1701. Das
wichtigste Ereignis aus der Kegierungszeit des Hochmeisters Albrecht
von Brandenburg, ^'el•trage zu W'eldau, Labiau, Friede zu Oliva.
In (ieograpliie: [A.) Städte und Handelsverbindungen in .Sch\vedeii;
Städte auf Seekmd, Jütland; FUisse in Süd-Amerika; die Städte in
Ostpreussen. ilirer Grös.se nach. (B.) Die pyrenäische Halbinsel; Neben-
flüsse der Weichsel, der Alle; Eisenbalinen der Provinz Preussen;
Städte an der Insterburg-Thorner Bahn. (C.) Italien; Regierung»-
bezirke in OstpreuBsen; Kreise im Regierungsbezirke Gumbumen;
welche Kreise haben nur zwei Städte? der unfruchtbarste Kreis; die
Stationen an der Tilsiter Bahn; die Hauptstationen an der Bahn von
Fischhausen naeh Prostken.
In Naturkunde: (A.) Verkannte Thiere unter den Säugern, Am*
pMbien, VÖgehi. Warum erscheint uns der Regenbogen in einem Bogen?
(B.) Thiere und Pflanzen der Polarzone; Mikroskop und Teleskop.
(C.) Die Biene, die Ameise, der Fuchs; communicirende Röhren;
Nivellir-Instrument; artesische Brunnen, Springbrunnen. —
Ich frage jeden echten Lehrer, ob er es vor seinem Gewissen ver-
antworten könnte, einer ihm ganz fremden jungen Dame, die diese
Fragen sicher und gewandt beantwortet, das Zeugnis auszustellen, sie
sei für ein Lehramt an einer höheren Töchterschule sehr gwt befthigt;
oder einei- andern, selbst wenn sie die meisten Fragen verfehlt, das
Prädicat uugeniig-end zu ertheilen? Ich will damit den Examinatoren
nicht zu nahe treten. Sie erhalten den Befehl, die Prüfuntf zu voll-
ziehen: und da ihnen nur eine so kurze Zeit t^ejreben wird: so bleibt
nichts Anderes iibri^^, als in der oben p:eschilderten Weise zu handeln,
h h will nur die Einrichtung selbst angreifen. Da die Herrea
Examinatoren bisher ihre Stimme nicht erhoben haben, so ist es die
Pflicht jedes Lehrers und namentlich jedes Dii*igenten einer höheren
Töchterschule, jene Übelstände nebst ihren Folgen zu beleuchten und
auf Abhilfe zu dringen. Die Kürze der ftir die Prüfung bewilligten
Zeit ist nicht der einzige Cbelstand« Unter den anderen ist ein sehr
emster die gerade mit diesem Examen verbundene seelische
Aufregung. Sie bemächtigt sich der Mädchen oft in einer
solchen Stärke, dass sie die Gesundheit auf lange Zeit ge-
fährdet, ja zuweilen ganz untergräbt. Ich spreche aus viel-
jähriger Erfahrung, denn ich habe bereits 11 Jahre hindurch Mädchen
zum Examen vorbereitet.
Die Aufregung beginnt schon 5 — 6 Monate vor der Prüfung,
sobald der Termin dmch die Zeitungen und das Amtsblatt bekannt
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L'einarht wird. Nun wird der Lerueiter tieberhaft. Die Mädchen
<,Wtuiien sicli mu* wenige Stunden Schlaf und berauben sicli jeder f^e-
smitlen Bewegung. Der Appetit zum Essen schwindet dermassen, dass
einzelne nur von Kattee, Chocolade und Süssigkeiten leben. Das Wort
des Lehrers erweist ,sich als machtlos. Man kann bitten, ermahnen,
zornig werden — sie weichen nur der Gewalt. Der strenge und ver-
nünftige Vatei* mnss die Lampe wegnehmen und die Tochter trotz
ihrer Bitten und Thränen zn Bette schicken. Leider gescliieht dies
nar sehr selten, dagegen kommt es mu: zn oft vor, dass die Ange-
hörigen dieses Leben und Arbeiten als unbedingt nothwendig betrachten.
Die flbeltt Folgen zeigra sich gar bald. Die Mädchen erscheinen hohl-
iogig, mit bWcher, ja gelblicher Gesichtsfarbe in der Schule. Sie
schrecken beim geringsten Geräusch zusammen, sind ttbermässig reizbar,
beginnen bei ganz geringAgiger Veranlassung zu weinen, bekommen
Wefaikrftmpfe und zeigen sich in ihren Antworten unklar und zerfiihren.
Das Xenrens^stem ist so ttberreizt, dass man sich hflten mnss^ irgend
eitte YorsteiUung zu erwecken, mit der etwas Grausiges verbunden ist
Wie ich in dieser Zeit vor dem Examen Aber den Ausdruck „in
>panisclie Stiefel schnüren** sprechen niusste und damit begann, das
bekannte Folterinstnmient zu beschreiben, wurden drei Mädchen ffist
"liniiKichtig, so dass sie die Classe verlassen mussten. In diesem
krankliat'ten Zustande arbeiten die Miidclieii 5 (3 Monate lang bis
zum Examen. Zuweilen werden sie wirklicli krank, so dass sie nicht
mehr arbeiten können; zuweilen muss der Lehrer sie durch einen
Muchtspi'uch nach Hause schicken, weil sii' durch das beständige
Weinen, Hinausgehen, üereinkoinnien und wieder Weinen div. Stunden
zu sehr stören. Aber kaum haben sie sich ein wenig erholt, so wird
das frühere Arbeiten in noch stärkerem Masse fortgesetzt. Krank
und fieberhaft erregt reisen sie zur Prüfung und müssen in der tVeraden
Stadt sich bei fremden Leuten einquartiren, den fremden hochmdgenden
Herren ihre Visite machen und sich von Fremden prüfen lassen. Ist
es unter solchen Umständen zu verwundem, dass sie verwirrte Ant-
worten geben, dass sie sich oft unbegreiflich unwissend zeigen? Ist
es zn verwundem, dass sie in diesem Zustande muthloe werden, dass
sie bei dem Gedanken, ihr Schicksal hänge von 6 — 6 Ant-
worten ab, selbst in ihren Lieblingsfächern den Kopf ver*
Heren? Wie kann der Staat es verantworten, dass auf Grund einer
solchen Prttfting ein amtUches Zeugnis ausgestellt wird!
In jedem Jahre wird beim Examen eine Anzahl Uädchen ohn-
mächtig; Thränen kOnnen nur wenige zurückhalten. In Königsberg iPr.
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1
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isind nach dem Kxanien. xtviel ich genau weiss, im Laute der letzten
Jahre zwei Mädclien, welche nicht bestanden, wahn sinnig' geworden.
Der erste Kall ereignete sich vor circa (i Jahren, als man den
Bewerberinnen das Resultat der Prüfung unmittelbar nach Beendigung
derselben mitteilte. Sie hatten fast 8 Stunden, bis iregen 9 Uhr
Abends, warten mUsseu. Alle hatten wie gewöhnlich den Tag über
nichts gegessen. Als man der Unglücklichen sagte, sie habe nicht
bestanden, tiel sie in Oht^macht. Wie sie in einer Droschke nach
Hanse geschafft ¥rurde, begann sie zu rasen, zerschlug die Scheiben
im Wagen — der Wahnsinn war aasgebrochen. Jetzt erbalten die
Mfidchen das Resultat am nächsten Tage durch die Post Es wird
ihnen ein Zettel geschickt, auf dem Je nach dem Ausfall der Prttfting^
mitgetheilt wird, dass sie das Examen fUr höhere Töchterschulen, f&r
Volksschulen oder gar nicht bestanden haben. Diese Emrichtang ist
besser als die frühere; aber sie kann die unseligen Folgen der ent-
setzlichen Aufregung nicht beseitigen. Man kann d^ Mädchen Ta»:
ans Tag ein sagen, dass ein nicht l)efriedigender Ausfall der Prüfung-
nui* den Trägen, aber nie den Fleissigen entehrt; dass die Lücken,
welche sich beim eisten Examen gezeigt haben, beim naciisten ei-giinzt
werden können. Die Aufregung ist zu gross, als dass die Stimme der
Vernunft Gehöi* finden könnte. Mir hat bis jetzt jede Schülerin bei
solchen Trostworten ki )>fschiittelnd erklärt, dass sie den (Tedankeii,
,,durchzutallen", gar nicht ertragen ktinne. Viele erklärten geradezu,
dass sie solch ein Schicksal nicht überleben werden. Nun, sie über-
leben es; aber nur wenige bleiben von den unheilvollen Folgen der
Autregung und der krankhaften Anstrengungen verschont. Nur
wenige sehr kräftige Mädchen erhalten später die frühere
blühende Gesundheit wieder; gar viele verfallen bald nach bestan-
denem Examen in Nervenfieber: andere bleiben Jahre lang bleich,
siech und elend. Wer mir nicht gUiuben will, der frage die Ante,
welche die Mädchen in ihrer Stndiensseit behandelt haben.
Aber, dibrfte man fragen, warum gebt Ihr Lehrer den Mfidchen
so uttvemfinftig schwere Angaben; warum zwingt Ihr sie, so viel zu
lernen? Ich kann mich, Gottlob, diesem Vorwurf gegenflber freisprechen.
Ich habe Jalir aus Jahr ein memen Schfilerinnen erkUrt, dass sie bei
mir nur für das Lehramt und nicht für die Prüfhng vorbereitet
werden und diesem Plane gemäss meine Aufgaben gei*egelt. Da meine
Collegt u mit mir Hand in Hand gehen, so darf ich sagen, dass wir
die Mädchen nie überbürdet haben. Die Schuld liegt nicht an uns
Lehrern, sondern fällt der oben geschilderten Kiurichtung
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zur Last. Infolge der vagen Bestimmungen des Priifungs-Rff^leaients
weiss Niemand genau, welches Pensum dun-lizuarbeiten ist. und die
Examinatoren wissen ebensowenig genau, was sie zu foidern haben,
£8 ist ferner nui' zu erklärlich, dass ein Examinator, der 70 Mädchen
a prüfen hat, zuweilen auch zu schwere Fragen stellen wd. Wenn
er äch nicht wiederholen will, niiiss ihm der Stoff zu den leichteren
Fragen bald ausgehen. Ist's zu verwundem, dass Männer, die sich
Jahizehnte lang mit einer Wissenschaft beschäftigt haben, sich
tcUiesslidi vergessen and zn eingehend prüfen? Das wäre immerhin
kän Unglück, wenn's nur nidit bekannt wttrde. Aber gerade diese
Fhigen and Anfordernngen werden am eifrigsten verbreitet, and es
ist leieht erklftriich, dass darch solche Mittheilangen and Besprechungen
die Angst vor dem Examen bedenklich gesteigert werden mnss. In-
folge dieser Angst prägen sich die Hftdchen neben den Auf-
gaben, die ihnen von den Lehrern gestellt werden, eine
Menge von Kenntnissen in den Kopf, die kein vernünftiger
Mensch von ihnen fordern wird. Ich habe vergebens Alles aul-
geboten, dieser getliiirlichen Thorheit zu steuern. Ich habe vergebens
darauf liijige wiesen, dass dies unvernünftige Lernen (Pauken) den Kopf
Terwirrt und ihnen bei der Prüfung keinen Nutzen bringt; dass sie
Hell darauf beschranken sollen, das von uns Lehrern Vorgetragene
and sornfsam Erklärte gut einzuprägen. Das thöiiclite Geschwätz von
Bekannten und Verwandten war stets mächtiger, als meine ernsten
Worte. In der letzten Zeit ists ganz arg geworden. Seitdem der
Minister Herr v. Puttkamer befohlen hat, die Priifung strenger zu
liandhaben, scheint die Angst vor dem Examen die Köpfe ganz ver-
wirrt zu haben. Meine Mädchen hatten eH'ahren, dass man in einem
fon einer Dame geleiteten Hil£Bseminar in K. seit einer Beihe von
Mren die Prfifiingsfragen der Examinatoren gesaauielt und den
Lehistoff diesen Fragen gemäss eingerichtet habe. Da in dieser
Anstalt genau so wie auf der Universität docirt wird, so war es
OuMn gehmgen, sich einige „GoUegienhefte*' zu verschaffen. Die
Ifiiddiea haben diese Hefte fiist wörtlich auswendig gelernt! Da die
Torsteherin jener Anstalt Jedes Jahr durch die Zeitungen ausposaunen
ttsBt, welch glänzende Resultate durch ihr Seminar erzielt werden,
n meinten die Mädchen, sie seien gegen alles Ungliu'k gesichert, sobald
aie uui- den Inhalt jener Hefte auswendig wüssteu. j
*) Ib jener Anstalt mfisgen diese Hefte in der That auswendig gelernt worileu.
SabiUl ein Ittdchen eintritt , die bereits längere Zeit ein anderes Seminar bestioht
lit, wue sie jene abschreiben and Alles nachlemen.
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Ich komme nun zu den freföhrlichsten Folgen jener Eimichtung.
Der berühmte Professor Max Miiller sagt in einem seinei* geistreichen
Aufsätze (ilber individuelle Freilieit): „Die Piiifungeii ganz in die
Hände von F'reinden geben, heisst dieselben in T>otterieu ver-
wandeln und erzieht eine Art von S«_']ilauheit, Gewitztlieit bei Lehrern
und Schillern, wel<'li<' der Unredlichkeit nahe verwandt ist. VAii Exa-
minator kann ausfindig nmchen, was ein Schüler nicht weiss; aber es
wird ilim schwer fallen, Alles herauszutinden, was er wirklich weiss.
Und sollte es ihm auch gelingen, zu ergründen, wieviel der Schüler
weiss, so wird er doch niemals erfahren, wie er es weiss. Über
diesen letzten Punkt ist die Ansicht des Lehrers, welcher den
Schüler Jahre lang beobachtet hat, anumgänglich nothwendig
im Interesse des Examinators, im Interesse der Schäler und im In-
teresse ihrer Ldirer.^ „Durch allaaihänfige Examina," föhrt er fort,
„wird eine Art von anredlichem Wissen genährt und grossgezogen.
Es gibt zwei Arten von Wissen: Das eine, welches wirklich in Fleisch
and Blnt fibergeht, and das andere, das wir in nnseren Taschen hemm-
tragen. Die ffir die Examinatoren arbeiten, haben gewöhnlich aOe
Taschen vollgepfropft; die rnhig and still und mit ganzem Herzen
fortarbeiten, fittilen sich oft entmathigt dnrch den kleinen Bestand
ilires Wissens; durch das wenige Lebensblut, das sie aufgenommen
haben. Aber Alles, was sie gelenit haben, ist wahrhaft ilir Eigen-
tlnuii geworden, liat ihren geistigen Wuchs gekräftigt, und schliesslicli
liaben sie sich im Kampfe des Lebens stets als die Stärksten und
Tupfers t en erwiesen. *'
Dass die grossen Prüfungen in Königsberg eine Art von Lotterie
geworden sind ireben die Examinatoren selbst zu. P's ist dämm die
humane Einriclituiiir getroüen worden. <Iass ^rädchen, welche in Haupt-
föcheni - Religion, Kecimen, Deutsch und fremden Sprachen — Un-
glück hatten, nach einem halben Jahre die Prüfung nui* in den Fächeni
naclizumachen brauchen, in denen ihnen kein genügendes Prädicat
ertheilt werden konnte. Alles Übrige wird als vollgiltig angenommen.
Zweien von meinen Schfilerinnen wurde sogar mit Erlaubnis des Herrn
Ministers gestattet, diese Nachprüfung 5 Wochen ^ter in Tilsit
abzulegen. Sie bestanden dort beide zur vollen Zufriedenheit. Die
eine hatte in Königsberg in einer fremden Sprache, in Französisch,
Unglftck gehabt Li Tilsit bestand sie die Prfifiing. Diese Hnmaait ftt
ist anzuerkennen; aber sie kann immerhin nicht die fibeln Folgen der
ganzen ^nriditung aufheben. Im G^egentheil ist die allgemein ver-
breitete Überzeugung, dass das Examen eine Art Hasardspiel sei, da-
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(lui'ch nur noch melir betestigt worden. Diese Überzeufrunf,'- ist aber
leider für dsm ganze. .Schulwesen verhängrnisvoll ; sie hat sich l)ereits
als hödist nachtheilig erwiesen: denn sie hat bei den in den
Seminarien studirenden Mädchen die Freude an der Vor-
bereitung fär ihren späteren Beruf ganz erstickt. Sie arbeiten
alle nur im Hinblick auf die Prüfung; eine würdigere Vorbe-
reitung für den späteren Beruf wird ganz bei Seite geschoben.
Ich bin Lehrei* mit Leib und Seele. Und wenn man mich plötzlich
mit Beichthnm flberhänfte, so wtlrde ich mich keinen Augenblick be-
denken, sondern auch als reicher Mann Lehrer bleiben; denn ich
fShle zu meiner Ai-beit inneren Beruf. Darum ist mir's aUmälig zu
schwer geworden, diese von Jahr zu Jahr wachsende Gleichgiltigkeit
gegen das, was mir als heilig gilt, länger zu ertragen. Ich habe die
Ldtmig des Lehrerinnen-Seminars seit Ostern d. J. niedergd^ und
▼erde sie nur dann wieder ttbemehmen, wenn mir das Becht ertheilt
wird, die Entlassungsprüfung unter Vorsitz eüies Egl. Ck)mmissarius
mit meinen CoU^fen selbst abzuhalten. Andere Directoren wollen,
obgleich Sie mir in allen Punkten Recht geben, noch geduldig aus-
han-en, bis ihnen jenes Recht «rewährt wird. Ich kann's nicht mehr;
mir ist die Arbeit im Seminar durch jene oben ^'■escliildeiti n Zustände
zu sehr verleidet. Mit welcher Freude haben die Madchen früher
meinen Probelectioncn «relauscht! Wie ß:espannt war Alles zu erfahren,
ob die Praxis der Theorie eut sprechen werde. Und wenn sich's dann
zeiprte. rlass ich die seelischen Kegungen der Kinder richtig voraus-
gesagt, dass der vorher erkUlile und genau psychologisch berechnete
Erfolg wirklich zu Tage trat, wie froh wurde dann die Stunde ge-
schlossen, wie eifrig war man bemüht, die erhaltenen Lehren nun
durch eigenes Probii'en zu befestigen! Ich weiss wol, dass diese
Freude bei vielen nicht tief ging. Es war etwas ganz Neues, es
machte Vergnügen, „war ganz reizend, entzückend, hinunlisch!'' Aber
bei mehreren ernsten Naturen hat's gezündet, hat bis zur Stunde einen
80 hingebenden Eifer gewirkt, dass ich nur mit Rührung und innerem
Glftck daran denke. Da mir dies Glüclc seit den letzten Jahren ge-
nubt ist, mnss ich znrftcktreten: ein blosgeschäftsmässiges Unterrichten
ist mir als Dirigent nicht mdglich.*)
Es ist leicht zu ermessen, dass man in Priyat-Seminarien, welche
von Damen geleitet werden, unter solchen Verhältnissen halb und
•) Mich haben zu diesem Schritte inwh aiulen' l'iu-t;iiulc Lrctriclieii. L'a obif^er
Gruüd aber der baii])tääcblichBte ist und mit der Einrichmug der Prüluug in Küoig»-
ivMiiimeiihängt : ao habe ich hier «ffientUch tther mehiea Entechluss gesprodieu.
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halb gezwungen im. die V('il)ercitiiugeii zu der Prüfunjo: iii>> <lii> Wich-
tigste, die fiir das .si)ätere Lehramt als Nebeiisäcldiches anziiM-heii.
Dabei maclit sich zug-leich wieder das Haiii»tgebreclieii <les Lehrer-
standes geltend. Die Herreu Doctoren, welche dort docireu, weisen
auf sich selbst hin und sagen: Wir hal)en auf der Univeisität zum
Lehramte auch keine Vorbereitung erhalten und sind jetzt dennoch,
wolbeätalite Grymnasiallehrer. Zu solcher Vorbereitung habt Ihr später
Zeit, wenn Ihr in eine Stelle tretet. Jetzt lernt nur tüchtig. So
werden dann, wie Max Müller sagt, alle Taschen mit Wissen voll-
gepfropft, nm nur für den Examinator zu arbeiten. Dadurch wird
der Segen, den die Seminarien leisten kennen und leisten sollten, ge-
radezu in Unsegen verkehrt Statt Fachschulen zu sein, statt An-
leitung zu einem sachgemissen correcten Unterricht zu geben, ver-
leihen sie nur dn höheres Mass von Wissen und befestigen den fftr
das ganze Schulwesen nnd die Erziehung der Kinder so nnheflvoUeii
Irrthum, dass das Unterrichten keine Kunst sei, sondern in
das Belieben eines Jeden gestellt werden dürfe, sobald er
nur die nöthigen Kenntnisse besitzt, welche er beibringen
soll. So werden die theuern Errungenschatten eines Kousseau. eines
Basedow, eines Pestalozzi und Diesterweg als ilbertiüssig gjinz ver-
gessen. Sie werden zwar beim Examen in gewumlter Rede hergeplappert,
aber in Wirkliclikeit bleiben sie «^anz unbeaclitet, ja nur zu oft werden
sie jreradt'zu verächtlich behandelt nnd eiü:ensinnigem dilettantischen
Behagen nachgestellt. Daher die nur zu natürliche Eolge, dass sich
Hunderte von jungen Mädchen in diese Anstalten drängen, nur um
darin höhere Studien zu machen und sich durch das Zeugnis
die Bescheinigung darUber zu erwerben. So wird die Aus-
bildung und Pflege der so ndthigen Liebe und Hingabe an den Beruf
dem Zufaä überlassen, und um uns das Lelion vollends schwer zu
machen, wird eine Menge von Schwätzerinnen erzogen, die
später, falls sie nicht Lehrerinnen werden, auf ihr Zeugnis
pochend in den ernstesten Fragen des Schnllebens mit-
sprechen wollen. Ich bin Überzeugt, dass alle meine Collegen,
namentlich die in den kleineren und mittleren Städten, in diesem
Punkte bereits sehr unangenehme, vielleicht, wie ich, bereits traurige
Erfiihrungen gemacht haben werden.*)
*) Man nehme an. die Frau des Blirgermeisters oder eines viel anß:eselienen
RathHljemi habe einst das Lehrerinnenexamen (gemacht nnd «^ebe den Aihs< hlau bei
Be^etzuu^^ von SehulstoUen. bei Einrichtungen, welciie durch die ächuideputaiioa (fe-
truffen werden, und ^chliesde dami weiter.
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— 161 —
Aber nicht nur die Einriclitunpr dieser Masseni)rüfung, auch die
Prüfungsordnung selbst bringt grosse Übelstände mit sich.
Das Zeugnis gibt den Mädchen die Bereclitigung, ein Lehramt
an höheren Tdchterschnlen za verralten. Bei der Frflfting müssen
sie Pn>helectionen vor Hftdchen ans den obersten, den mittleren nnd
den nnteren dassen einer solchen Anstalt abhalten. Es ist kein
Wander, wenn sich die Gq»rllften später einbilden, sie seien reif nnd
berechtig^ anch in der obersten Chisse zn onterricht^. Bis jetzt ist
trotz der dringenden Forderungen, die bei so vielen Lehrerversamm-
hmgen ausgesprochen worden sind, die Einrichtung eüier zweiten
höheren PrQftmg fllr Lehrerinnen noch nicht ins Werk gesetzt worden.
So mnss es fort und fort dem Ermessen des Dirigenten anheimgestellt
werden, die Lehrerinnen auf den oberen Classen zn beschäftigen oder
auf die untere zu verweisen. Bei solchen, die er durch Jahre lange
Beobachtung genau kennt, liat die Sache keine Scliwierigkeit. Aber
die Verlegenheit Avird sehr gross, wenn es sich darum liandelt, eine
Stelle für eine Ijelirerin an Oberclassen zu besetzen. Der
Magistmt ist gewöhnlich rasch bei der Hand, eine Dame zu wählen,
die nach dem hier absolvirten Lehrerinnenexamen sich längere Zeit
im Auslande autgelialten hat. P'ür uns Lelirer Avill das wenig sagen.
Wer im Auslande nur die Umgangsspi-ache gelernt und allenfalls viel
Romane in der betretfenden »Sprache gelesen hat, ist dadui'ch noch
kein besserer Lehrer geworden. Wir \\issen wol, dass die meisten
Damen sich im Auslände in Pensionaten und Privatschnlen mit Kindern
fremder Nationen herumquälen nnd unzählige Hefte comgiren müssen
mid zn wirklichen Studien keine Zeit übrig behalten. Einige mögen
ja anch wirklich dort studiren; aber wer gibt uns dafür die nöthige
Garantie? Wer gibt uns Sicherheit dafür, dass die Dame sich während
der Zeit geftbt hat, Classe nun ter rieht zn ertheüen, eine Classe
zu beherrschen, correct zu unterrichten und alle anderen An-
fordenmgen zu erüUlen, die man an einen kunstgerechten Schul-
unterricht zu stellen hat?
Man sieht, es fehlt die Einrichtung einer zweiten höheren
Prüfung, durch welche Lehrerinnen die Berechtigung zum Unter-
riciiteii in den Oberclassen liöherer Töchterschulen erhalten können.
Die gegenwärtige Prüfungsordnung sollte mindestens statt der Berech-
tigung zu einem Lehramt an liöheren und mittleren Tiichterscliulen
nur die für Mittelschulen und die mittleren Classen höherer
Töchterschulen gewähren. Andere Übelstände lassen sich durch
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die Einsicht der f^xaminatoren leicht beseitigen, sobald nui* diese
Haiiptforderimj? erfüllt wird.
Zum Sclilusse will icli meine Forderungen hier kurz präcisiren:
1. Die bisherigen Massenprüfun^en. in denen dir auf verscliiedenen
Senünarien vorbereiteten Mädchen durch fremde Examinatoren f^eprül't
werden, sind bis zu einem bestimmten Zeitpunkte abzuschaffen.
2. Die Prüfungen sind an einzelnen Anstalten in die Hände des
Directors und der am Seminar arbeitenden Lehrer zu legen. Den
Vorsitz führt dabei ein yom Staate ei*nannter Conunissarius.
3. Die Berechtigong za solchen EntlassongsprOfangen wird vor-
Iflnflg in Ennangelang von Staatsseminarien i^en Anstalten erthettt,
die in Yerbindmig mit einer mindestens Sclassigen höheren TOditer-
schnle ein vollstSndig eingerichtetes mindestens 2clas8iges Hüfsseminar
haben.*)
4 Hauptgewicht ist anf die theoretische und praktische
Ausbildung fftr den Lehrerberuf zu legen. Die Prüfungsordnung
ist demgemass abzuftndem, resp. zu erweitem.
5. Städte, die mit einer gut organisirten höheren Töchterschule
(von mindestens 8 Classen) ein Lclirerinnenseminar verbinden wollen,
erhalten das Recht der Entlassungsprüfung, sobald die oben näher
bezeichnete, für eine gute Ausbildung erforderliche Einrichtung eines
2classigen Seminars ins Leben gerufen ist und das erste Abiturienten-
Examen bevorsteht.
6. Jede Bewerberin muss vor Ablegiing der Lehrerinuenprüiung
mindestens ihr 19. Lebensjahr vollendet haben.
7. Sobald eine genügende Anzahl von Lehrerinnensem inarien durch
den Staat ins Leben gerufen sind, gehen die Hilfsseminare ein. Der
Staat verpflichtet sich jedoch, bei Gründung seiner Anstalten die be-
stehenden und bewährten Hilisseminare zu benutzen.
8. Diejenigen Lelirerinnen, welche ein gutes Examen abgelegt haben,
werden 4 Jahre später zu einem höheren Examen zugelassen. In dem-
selben haben sie nachzuweisen, dass sie a) in bestimmten F&chem ihre
*) Ala MuHter dtelle ich, ohne audereu Aiidtalt«u zu uahe treten zu wollen, das
mit der itldtMan hOlierai TSehUcsehale verlniiideiie SentBar in Duung .auf, das
«ich unter Leitung des Herrn Dixeetor Dr. Neunuinn befindet. 2 dasBen wh je
84 Untezrichtaetiinden; 22 Stunden werden durch dnen eigene Ar daa Sendnar
angestellten akademiach g^ebildeten pro facultate docendi geprüften Lehrer ertheüt.
Ein Elt nientarlehrer gibt .3 Stunden Rechnen und 1 Stunde Gcfang. Die Übrigen
Stunden sind in den Händen des Directors und anderer akademisch gebildeter Lehrer
der höliereii Tiichtersehule und anderer Anstalten. Die Stadt gibt jährlich einen Zu-
echuds von ca. 4150 Mark.
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Kenntnisse wissenschaftlich vertieft, b) sich eine genügende Umsicht
und Sicherheit im Unterrichten an Scholen erworl)en haben.
Ich wünsclic von Herzen, dass meine Worte an massgebender
Stelle Gehör finden möchten. 80 ^^ ic es jetzt geht, darf es nicht
länger gehen; denn die Zahl deijenigen, die sich ganz unberufener
Weise in die Seminarien drftngen, um ein PrUfiingszengnis za erhalten,
ist nahezu Legion geworden. Es ist endlich an der Zeit, dass eine
Eänricbtong getroffen werde, durch die es ernsten, ihren Beruf walir-
haft lid)6nden Mlnnem mO^ch wird, die Spreu von dem Weizen zu
sondern, tflchtige Ifftdchen tttchtig auszubilden und die unfiOugen,
flatterhaften, nur der Mode huldigenden Wesen aus dem Lehrerstande
ganz auszuscheiden.
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tiymiutöittiii imd Nationalität
Von Fnf, Dr, Sehatamutß^r - Trktt
Mottoi Tbe pioper itady of the ma b Bftn!
lljs dürfte, besonders in unserem so bunten Nationalitälenstaate
Österreich, wol niu* wenige Gymnasien und Schulen überhaupt giben,
in welchen alle Schüler und Lehrei- einer und derselben Nationalität
an«r»*liören, und wo die ..Nationalitätenfrage", das ..Nationalitätsprin-
dp" und „Nationalitatsideen'^ nicht iu irgend einer mehi* oder minder
brennenden Form existii*en.
In den meisten öffentlichen und privaten (besonders in den so-
genannten „inteiTiationalen") Unterrichts- und Erziehungsanstalten
finden w zwei, drei und mehrere Nationalitäten bei Schülern und
Lehrern vertreten.
Was ist Nationalitat? Wie entstehen Nationalitäten, und welche
Bedentang haben dieselben Ar GymnaBlen und Sdinlen ftberhaupt und
ftlr die Gymnasien Östetieichs insbesondere?
Nationalität finden wir definirt als die „Zugehörigkeit zu einer
Nation", und Nation (vom lat natio, nascere, natns, natura etc.) als
„ein nach Abstammung und Geburt sich unterscheidender TheO der
Menschheit^
Bei dieser Definition jedoch vermissen wir sofort ein paar f&r die
Begriffe Nation und NationaÜtftt wesentliche und unentbelirliche Merk-
male, nämlich die Sprache und Ciiltur.
Eine (^ruppe von ^^'il(len, ein blosses Conglonierat von Einzelnt-ii
und Familien ohne iiiciiscliliclie Sprache und Cultur, olme ein gesell-
schaftlicli und staatlicli geordnetes und orgunisirtes ZusaiimienlelM-ii,
ist keine Nation und keine Nationalität, sondern eine Horde, eine
Schaar, ein Haufe, liöchstens ein Stamm (tribus).
Nacii I). Sanders ist Nation „ein Volk als staatliches Indivi-
duum in seiner alle Glieder desselben zu einer grossen (4esammtheit
veibiudendeu und zugleich von audeieu sulchen (iesammUieiten schei-
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deiiden Eigeiititiiinlit likeir- — imd Nationalität „die chanürteristische
Eigentbümlichkeit einer Nation**.
Im gewöhnlichen Sprachgebrauclie sind „Nation", „Nationalität"
und „Volk"' niclit selten gleichbedeutend.
Nation, Nationalität, Volk u. s. w. sind in erster Linie ethno-
graphisch e, in zweiter Linie politische Begriffe.
Nationalitäten sind grössere Yolkschaften (Völkerschaften) und
Volksstämme, d. i. natürliche Gruppen von E^inzelnen, Familien nnd
Familienverbänden (Geschlechtem, Sippen), deren Zusammengehörig-
keit und Znaammenhalt vorzugsweise auf der Gemeinsamkeit gewisser
pbjsischer mid psychischer Bigenschafteii (Basseneigenschaften) beruht,
wdche durch eine Tidhundertjährige Gmeinschaft des Lebens und
Stirebens entstanden sind. Nationalität ist vorzugsweise ein ethno-
graphischer Begriir.
Nation und Volk hingegen sind mehr politische Begriffe. Unter
J^ationen** und Völkern verstehen wir staatlich geordnete Gemein- '
Wesen, wdche ans emer oder aus mehreren Nationalitäten bestehen,
die durch Ehie Staatsform miteinander verbunden shid.
Nach Bluntschli, dem deutschen Staatsrechtslehrer, bezeichnet das
Wort „Nationalität** einen Cultuibegriff, das Wort „Volk ' einen Staats-
begritf.
So spricht man von Regiernng und Volk eines Landes, von den
verscliiedenen Volksclassen, von Volksthnm nnd Volkstliiimlichkeit
(Po|iularität), von Yolksbanken. Volksküclien. von niederem und hölie-
reiu .,Volk-' u. s. w. Ks o^bt einen Volksgeist und einen National-
geist, aber nni- eine .A'olksseele".
Nationalitäten mit vernachlässigter Mnttersiir.iclie. mit einer auf-
genöthi^ten Spraclie oder Mundart sind unirliickliclie Zwitter nnd
Krüppel, welche in Unfreiheit hinsiechend sich nicht voll entwickeln
können.
Die Seele und das Wesen jeder jresnnden Nationalität ist deren
Muttei-sprache (Mundart) und Literatur (Nationalliteratur). Spraclie
und Literatur sind das innere <ieistige Band, welches die Angehörigen
einer Nationalität oder eines Volksstammes am stärksten miteinander
verbindet
Die unterscheidenden am Körper sichtbaren Kennzeichen der National
htäten sind hauptsächlich: Kopf und Schädelform, das Gesicht oder die
Physiognomie, die Farbe der Haut, Farbe und Form der Augen, Farbe,
Gestalt und Pflege des Haupthaares (Haartracht), Form der Hände
und Fasse, die Kopfbedeckung, lüeidung und Kleidertracht, der
PBdHaglui. «.Jikrg. H«ft IIL 12
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— m —
Schmuck der einzeliieii Körpertheile, die gesammte Grestalt, Haltung
und Erscheinungr in Bnhe und Bewegimg.
Die bedeutendsten Ethnographen und Ethnologen, Anthropologen,
Völkerphysiologen und Völkei-psychologen wie die Engländer J. C. Pri-
chard, Lyell, Darwin. Huxley. (t. Morton ii. A. — die Deutschen J.
F. Blumenbach, C. Vogt, A'irchow, E. Häckel, Waitz. 0. Pescbel,
Fr. Müller, C. G. Carus, ('. v. Czoernig, W. Wachsmuth, Eduaid
Reich u. A. — der Schwede A. Pftzius — der Italiener \\ Mantecrjizza
— di(' Franzosen Tuvier. Quatertap:es. Topinard. Gobineau ii. A. —
die Vülkerpsycliolugen und Sprachforscher A. u. W. v. Humboldt, die
Brüder Grimm, Diez, Lazarus und Steinthal. \V. H. Riehl, Bopp,
Pott, Benfey, Max Müller, Aug. Schleicher, L. (4eiger u. A. — die
Statistiker Qu^telet, Kolb, Engel» Ficker, Haushofer u. s. w. stimmen
mehr oder weniger darin ttberein, dass unter ..Nationalität" zunächst
nur die natär liehe Seite des Begriffes, nämlich die Abstammung^
eines oder mehrerer Menschen, sodann aber auch eine grössere Men-
sch^igruppe zu verstehen sei, deren Individuen alle gewisse gemein-
same durch allmälige Anpassung und Vererbung im Laufe yon Jahr-
hunderten und Jahrtausenden entstandene körperliche und geistige
Eigenschaften besitzen.
Im politischen Sinne bedeutet „Nation'* und „Volk** die unter
einer gemeinsamen Regierung yeremt lebenden und durch gemeinsame
Cultur, gemeinsame Sprache, Genrohnheiten und Sitten, gemeinsame
Gesetze, Bechte und Pflichten, gemeinsames Unterrichts-, Wehr- und
Finanzwesen u. s. w. verbundenen Angehörigen eines Staates.
„Nationalität" bedeutet die Zugehörigkeit eines oder mehrerer
Menschen zu einer Nation, zu einem Staate oder auch nur zu einem
Volksstamme, das persiin liehe Verhältnis zu Vaterland und Heimat,
— das Staatsbürger- und Uutertliauenthum, den Staats- und Gemeinde-
verband, die Zuständigkeit und Heiniatsberecliriguuir.
Ich möchte die Nationalität im ethnographischen Sinne definiren
als das einer grösseren Menschengruppe eigene körperlich -geistige Ge-
präge (National-Typus) in Constitution, Complexion, Habitus und Phy-
siognomie; in Denkart und Sprache, in mehr oder minder nnwillkürlichen
und unbewnssten Gebärden und Ausrufungen (Tut erjectionen), in gewissen
Au^iK'ken des täglichen Lebens, in Wunsch und Verwünschungs-
formeln, Betheuerungen, Flüchen, Ansprachen und Fragen nach dem Be-
finden (Wie geht*s? ital Come sta? franz. Oomment yous portez-
Tous? engl How do you? oder How are yon? tschechisch: Jak se
mate? pohlisch: Jak siQ masz, pan? sftcbilayisch: Eako ste? oder
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Kako je? u. s. w.X in Tenipfianu^nt und Charakter, in (Tewnlinheiten,
bitten und Uebräuchen bei Arbeit und Spiel, bei (»rtentliclien Verg^iQ-
gungen und Volksfesten, bei Geburten, Verlobungen, Heiraten und,
Begrälmiflsen, bei allen gewohnheitsmässipf sich wiederholenden Ver-
richtungen; in Freude und Trauer, £mst und Scherz, in Religion,
Bedit Wissenschaft und Kunst (besonders in Poesie, Musik und Ge-
sang); in Kleidung, Kleider- nnd Haartracht; in Essen, Trinken, Woh-
nung und Bauart; in Beschaffenheit und Gebrauch von Gefitesen, Ge-
iftthen, Waffen und Werkzeugen; in der Behandlung der Familien-
l^eder, Gflste und Fremden, der Freunde und Feinde, der Dienstboten
und Hansthiere; im gesammten inneren und äusseren Seelenleben —
kon: als die Summe deijenigen physischen und psychischen Anlagen,
Thätigkeiten und Eigenschaften, welche allen Individuen einer Men-
schenart oder Menschenabart (Spielart, Varietät) mehr oder minder
gemeinsam sind.
Was die Entstehung der Arten und Ab- oder Spielarten fVarie-
täten bei Ptianzen. 'I'hieren und Menschen betriti't, so sagt hierüber
schon der bekannte Naturforscher und Naturphilosoph Lamark fgeb.
1744, gest. 1824): ..Die systematischen Eintlieilungen, die ('lassen.
Ordnungen. Familien, (rattungen und Arten, sowie deren Bent*nnung
sind \villkiirliche Kunsterzeugnisse dt s .Mrnsclien. Die Arten oder
Species der Organismen sind von ungleichem Alter, nach einander
entwickelt und zeigen nur eine relative, zeitweilige Beständigkeit;
aus Varietäten gehen Arten hervor. Die Verschiedenheit in
den Lebensbedingungen wirkt verändernd auf die Organisation, die
allgemeine Form und die Theiie der Tbiere ein, ebenso der (rebrauch
oder Nichtgebranch der Organe. Im ersten Anfange sind nur die
aUereinfachsten und niedrigsten Pflanzen und Thiere entstanden, zu-
letzt diejenige Ton der höchst zusammengesetzten Organisation.
Der Entwickelungsgang der Erde und ihrer organischen BevOl-
Icornng war continuirlich und nicht durch gewaltsame Bevolutionen
unterbrochen. Die dn&chsten Pflanzen und Thiere, welche auf der
tieften Stufe der Wesenleiter stehen, sind entstanden und entstehen
noch heute durch Urzeugung. Alle lebenden Körper oder Organismen
sfaid denselben Naturgesetzen unterworfen wie die leblosen oder an-
organischen Körper. Das Zellgewebe ist die allgemeine Mutter
alles Organischen."
Und einer der eifrigsten Anhänger und Bekenner Durwin's, des
Xopemikus unter den modernen Naturtorschern und Philosophen,
Karl August Specht sagt in seiner „Entwickelungsireschichte des
12*
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— 16B —
Weltalls"* und in „Alte und neue Weltanscliauung'' Uber die Kut.steliuiig
der Arien uiul die Vererbung der Ki<i:enseliatten und Artenuierkniale:
,,Die bdden (Trundei^enschafteu der ()r<,'-anisuien. die individuelle Va-
natiou ( Veräiulerlichkeit der Kinzelwe.seu ) und die Vererbung oder
Erbliclikeit derselben dui-ch die Fortpflanzung auf die Nacbkonimen-
schat't, sind die bauptsächlicbsten Factoren, welche die Bildung von
Varietäten odei* Spielarten bewiikeu. Diese Bildung ist der eigent-
liche Ausgangspunkt liir die Entstehung neuer Arten in der Natur*
Denn Varietäten sind, wie Darwin auf das schlagendste und über*
zeugendste dargethan hat, nichtig anderes als beginnende oder neuent-
stehende Allen. Durch die erbliche Übertragung einer indivi»
duellen Variation und durch stete Häufung oder Steigerung
derselben im Laufe vieler Generationen und sehr langer
Zeiträume kann eine neue Art entstehen und sind neue Ar-
ten entstanden. Arten sind nichts anderes als streng ausgeprägte,
constant gewordene Spielarten. Eine strengere Definition des Begriffes
der Species ist nicht möglich.**
Bassen afaid Arten, Nationalitäten sind Spiel- oder Abarten des
Ifensehen, welche auf die eben beschriebene natttrüche Weise entstan-
den sind.
Nationalitäten, Nationaltypen, Nationaleharakter u. s. w. entstehen,
abei- nicht blos auf dem Wege der einfachen Fortpflanzung (durch
Selection oder Auswahl), sondern auoh in Folge höchst mannigfaltiger
und zusammeng-esetzter geschichtlicher und allgemein cultureller Ein-
flüsse. Durcli einen Jahrhunderte und Jahrtausende andauei'udeii
niedlichen und freundschaftlichen Verkehr, durch ..freie" Wahl, durch
VerschM'ägerunoei) und Yerschwisterungen, durch die Ähnlichkeit der
Natur und der Daseinsbediniinn^en, durch die t'bereinstimmung der
meisten Lebensverhältnisse erzen «reu sich bei Be Völkeningen, welche
auf Yerhältuismässig kleinem Räume beisammenwohnen, allmälig
gewisse Ähnlichkeiten und Gleichheiten der körperlichen und geisti-
gen Organisation, die wir mit Einem Worte Nationalität nennen.
Die Entstehung von Nationalitäten ist aber auch auf gewalt-
samem Wege, durch Krieg und Zwang, durch Raub, Eroberung und
Unteijochung, sowie durch siegreiche Befreiungskämpfe, nam^tHch im
Alterthnme und Hittelalter, vor sich gegangen. So haben m der Zeit
d«r Völkerwanderungen und Völkermischungen und später neue Staa-
ten, Nationen und Nationalitäten sich gebildet, z. R die der Eng-
länder, Franzosen, Italiener, Schweizer u. s. w.
Das NationalgefUhl lebenskräftiger Nationen, wie der Schweizer,
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— 169 —
Franzosen, Gogländer, Italifiiei* und anderer beruht mehr auf der iiornm-
len Gestaltung und G^esundheit üires staatlichen Lehens, mehr auf der
Oemeinsamkeit der Geschichte und der politischen Wünsche, Bestrebungen
nnd Errungenschaften, auf gemeinsamem Thun und Leiden, mehr anf
der Gemeinsamkeit der materiellen and moralischen Interessen und
mehr auf dem allgemeinen GeflUile der Zufriedenheit und des Be-
hagens (dessen BlfithenKationalehre,Nationalbewnsstsein, Nationalstolz),
ab auf Gleichheit der Abstammung nnd der .Sprache, die bekanntlich
bei diesen nnd bei vielen anderen staatlich geeinten Nationen nnd
„Nati^^ichen** durchaus nicht vorhanden ist
Nationalit&t ist Landsmannschaft, Blnts^ nnd Sinnesrerwandt-
schait» Brüder- nnd Schwesterschaft in weiterem Smne (nicht im wei-
testen, denn in diesem sind alle Menschen „Gfeschwister^). Nationa-
litftt ist Familienleben und Familiengeist zugleich, ein esprit du
Corps, nicht unähnlich dem studentiscli-militärischen Corps- und Kasten-
geiste. Gesteigertes Xationalitäts- und Natioiialgefiihl ist Vaterlands-
liebe oder Patriotismus, gesteigerter (oder vielmehr übersteigerter,
übergeschnappter) Patriotismus ist — „Cliauviuismus'S ein Ding, fUr
welches unsere edle deutsche Sprache kein Wort liat.
Nationalität ist Religion, die einzige Religion vieler (Tchildeten
nnd Ungebildeten, während die Religion weniger Höchstgebüdeten der
wissenschaftliche Kosmopolitismus. die Humanität ist.
Statt der Religionskriege werden lieute Xationalitätskriege gefuhi't.
Nach dem goldenen Kalbe, nach den „rein" materiellen Interessen
des Einzelnen, der Familie und der Vetter- Gevatter- nnd Genossen-
schaften (clubs, cli([ues, consorterie) ist für die meisten unserer Zeit-
genossen National itüt dasjenige Wort und Ding, welches alle höheren,
idealen Gedanken, Gefühle und Bestrebungen in sich begreift.
Das Nationalgef&hl und die Nationalitätsideen sind in nnserm
Jabrtmnderte Factoren, Lehensmächte geworden, welche noch viel za
wenig erforscht nnd gewürdigt, in Staat nnd Gesellschaft, in Schule
und Erziehung, in die moralische nnd intdlectneüe Entwickelnng
emee jeden Menschen, in unser gesammtes Sein nnd Werden von Gto-
bort an mehr oder weniger hestmunend nnd ^tscheidend ehigreifen.
Physisches nnd moralisches Klima, Nahrung und Lebensart, an-
haltend hdtere .oder anhaltend trübe Gemfttiisstimmnng etc. ändern
nicht blos Charakter, Haltmig und Gang, sondern auch die Farbe der
Haut und der Haare, die Physiognomie und sogar die Schädelform.
Es gibt National-, Stammes- und Familiencharaktere, wie es Ras-
^ncUarnktere gibt, welche sicli Jahrhunderte und Jahrtausende lang
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— 170 —
in allen Ländern und Zonen des Erdballes gleich bleiben. Beispiele:
die Juden, die Zigeuner.
Der österreichische Ethnograph Dr. Friedrich MüUer sagt in
seinem Werke „Allgemeine Ethnographie^ (2. Auflage, Wien 1879),
Seite 50 nnd 60: „In Betreff des Rassencharaktm hat man durch
wiederholte Beobaditnng^ die Erfahrung gemacht, dass er keineswegs
so schwankend ist, als man nach den zwischen den einzelnen Bassen
eodstirenden Übergängen glanhen könnte. Im Gegentheüe ist der
Bassencharakter so fest und beständig, dass weder der Einflnss der
Zeit, noch auch eine Veränderung des Aufenthaltes denselben bedeutend
zu modifldren veimag. Ein eclatantes Beispiel fUr die Zähigkeit des
Rassencharakters bieten die Juden. Auf den Gemälden der italienischen
und niederländischen Meister finden wir denselben Tyims, dem wir bei
diesem Volke heutzutage bej.'-rguen. ja selbst auf den alten egyptisclieii,
assyrisoh-babvlonischen und -altpersischen Denkmälern, die nun min-
dest t-ns 4(KKJ .lalnv alt sind, lässt sich der Rasseneharakter, der den
Juden ganz besonders auszeichnet, keinen Augenblick verkennen."
Vergl. C. G. Carus über ..die ungleiche Hofähigung der verschiedenen
Menschenstämme für die höhere geistige Kiitwickeiung*^.
In Betreff der leiblichen Abstammung bieten, nach Dr. Fr. Müller,,
die gegenwärtigen Deutschen „keinen einheitlichen Typus, da in den
meisten Gegenden starke Mischungen vor sich gegangen sind und
manche Stämme, welche frfiher slawisch waren, erst im Laufe der
historischen Zeit germanisirt worden sind. Dies ist besonders im Osten
der Fall, wo auch der Typus sich stark dem slavischen nähert. Im
Westen und Sttden ist Mischung mit Kelten und Bomanen vor*
herrschend.**
Der Charakter gewisser Hcvölkerungen, Nationalitäten und Nationen
ist leichter zu erkennen und zu beschreiben, als dei- anderer Vrdker-
schaften. So zeichnen z. B. viele Flachlandsbewohner, Preusseii. Küssen,
Nieder- oder ..Plattfhniisclie*' ii. A., durch eine gewisse moralische
und intellectuelle ..Platt- und Glattheit", die in ihrem Bereiche nichts
Unebenes, nichts Ungewöhnliches und Ausserordentliches duldet, durch
eine gewisse äussere und innere Uniformirtheit, ähnlich der ihre»
Landes, sich aus.
Dagegen sind die meisten Oberländer, Sftddeutsche, Schweiler,
Österreicher, Franzosen, Italiener u. s. w. ungleich schwerer zu er-
forschen und zu schildern, und zwar hauptsächlich wegen des grosseren
Reichthumes an Formen, TOnen und Farben, wegen der grosseren
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— 171 —
)[aiini^faltigkeit and Beweglichkeit der Typen in Natur- und
Mensi'henwelt.
Im Süden mehr Individualismus und Particularismus, iiielir Origi-
nalität und Genialität, aber znm Theile auch mehr Zersplitterung,
mehr Lässigkeit, Nachlässigkeit und Unzuverlässigkeit (Schlendrian,
«.Bummelei*' und „Schlappheit'') — im Norden mehr Gemeinsamkeit
imd Gemeinsiiui, melir cnltiirelles Ebenmass und schnlmässiges Mittel-
masa, aber auch mehr Zusammenhalt (Totalität, Centralisation, Oompact-
heitX Beständigkeit, Festigkeit, Straffheit („Strammheit**), kurz mehr
Thatkraft (Eneigie). Im Norden stofliurmer Formalismus, im Süden
fonnloser Snbstanzialwmns u. s. w.
Wie verschieden sind die einzelnen Theile, Provinzen, Gegenden
und Landschaften Deutschlands — wie verschieden in Mundart, Gha-
nkter und Sitten die einzehoen deutschen Volksstftmme, die elnzehien
Volk-, Gau- und Dorfschaften besonders im Süden! Wie verschieden
ist der Alemanne, der Schwabe, der Altbaier, der Franke, der Thüringer,
der Hesse vom Schlesier, Pommer, l^randenburger, West- und Ost-
preussen, Meckleubmger, Ober- und Niedersachsen! Wie verscliiedeu
der Ober- und Unterrlieinländer vom Westfalen, Oldenburger, Hol-
>teiner. Friesen! Wie verschieden der Künigsberifcer, Breslauer etc.
vom Kolner, Frankfurter, Strassburger. Nümberger und Augsbnrger —
der Berliner vom Dresdener, Münchener, Stuttgarter, und diese wieder
Tom Hannoveraner, Hamburgei- und Bremer!*)
Wie verschieden sind Venezianer, Lombarden, Piemontesen, 1^'loreii-
tiner n. s. w. unter einander und gegenüber dem Bdmer, Neapolitaner,
Sicilianer und Sarden!
Wie verschieden ist der Südfranzose vom Nordfranzosen — der
Engländer vom Schotten und Iren! Von den VOlkermosaiken Öster-
leiehs und Ungarns ganz zu schweigen!
Die grossen Nationen Europas haben Jede ihr eigenes National-
gepiSge, das man in grossen Hafen- und Ändelsstädten, wie Triest,
Görna, MarsdUe, Hamburg u. a. hftnfig Gelegenheit hat zu heobachteu.
Audi alle dvilisirten EuropAer haben etwas Oememsames und
Cberemstimmendes in ihrem Wesen gegenftber dem nndviUsirten Bauer
imd HalbwOden.
Es gibt Rassenphysiognomienl, Nationalphysignomien und C'ultnr-
physiognomien, wie es Rassentypen, Nationaltypen und Culturtypen,
*; Aosfalirlicheres hierüber in meiner Schrill: nDeutscUanda Norden und Süden",
i* AuiL, Braunächweig 1870.
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— 172 —
fiassenverwandtschaften, NationalTerwaiiidtschafteii und Culturver-
vandtschaften gibt
In cultiireller, socialer und moralisch-sanitärer Hinsicht gibt es
folgende Menschencla.s.sen (Kategorien): Civilisirte, theils Civilisiile
(,.Halbcivilisirte") und Uncivilisirte (Barbaren); Gebildete, theilweis
Gebildete („Halbsrebildeto"), Ungel)ildete und Verbildete; Geschulte,
Ungeschulte und \'t i .scluilte; Gereifte und Ungereifte; Selbständige
und Unselbständige; Freie undUnfreie: Envaclisene und Unerwachsene;
Arme und Reiche; Arbeitende und (ieiiiessciid« •. Schlechte und Gute;
ganze und Theil-Menschen, wahre und Öcheiu-Menscheu (^ehrliche und
falsche Menschen ) u. s. w.
Muhainmedaner, ^chiistliche" Mucker und Ähnliche kennen nni*
„Gläubige" und „Ungläubige", Katholiken und „Akatholiken", ..Christen"
und „Nicbtcbristen", ,,Semiteii" und „Antisemiten" — die ..Semiten"
hingegen kennen nur Gl&ubiger und Schuldner, Gescheite (Kluge ) und
Dumme — Andere unterscheiden nur „Beichsfreunde'' und „Beichs-
feinde" u. s. w.
Geographen, Ethnographen und Statistiker unterscheiden neben
Kenschenrassen I Volks- und Sprachstämmen, Nationalitäten etc. auch
noch: Nord- und Sfidländer, Hochland- und Tiefland-, Binnenland-,
Kttsten- und Inselr, Gehirgs-, Thal- und Ebenenbewohner, Stadt- und
Dorf-, Land- und Seeleute („-Ratten^) u. s. w.
Die Natur scheint nui- diejenigen NationalitSten, welche Eine
Sprache sprechen, oder wenigstens verstehen, Einen Charakter haben
und durch Meere, Siuni)fe, A\'üsten oder hohe Gebirg.sketten von ein-
ander getrennt sind — d.i. nur Nationalitäten in Ländern mit natür-
lichen Grenzen dazu bestimmt zu haben, Nationen zu werden.
Wie die Familie das vermelirfadite menschliche Einzelwesen, die
potenzirte Persönlichkeit, so die Nation die vermehrtachte, potenzirte
Familie. Oder: die Einzelperson in ihrer Potenziiung (Liebe) wird
zur Familie, die Familie in höherer Potenz zur Nation. Der Staat
ist nui' die äussere Form, das Gewand einer Nation. Echte und rechte,
auf Grund physischer und ps5xhischer Zusammengehörigkeit und durch
die Stimmen der Natur nnd der Vernunft gestiftete Familien und
Nationalstaaten sind Individualitäten höherer Art.
Solche Familien nnd Nationalstaaten sind etwas natorgesetalicli
und nothwendig Gewordenes, sind Organismen, NaturschOpfimgen,
Gotteswerk, — während dü» meisten, ja alle bisherigen Staaten mehr
oder minder nur etwa« wiUkfirlich oder zufiUlig Gemachtes und Er-
künsteltes, nur Mechanismen, Maschinen, nur Menschenmache, d.i Stück-
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— 173 —
werk und Flickw<^rk sind. Nationalstaaten (Freistaaten) sind Natur-,
Zwangstaateu (Militär- und Polizeistaateii) sind Kimstproducte.
Nationalstaaten und Nationalstaatenbünde sind langlebig, sind
oDsterblich wie die Natur, die siegeschaifen; nations- und nationalitäten-
widrige Zwangstaaten hingegen sind, wie alle von ]\rensrhen zusammen-
gekänstelten Mechanismen nnd Bauwerke , gebrechlich, hin&llig, von
kurzer Dauer.
Was Seele nnd Geist der Nationen nnd Nationalitäten, das so-
genannte Nationalgefühl nnd Nationalbewusstsein, betrifft, so
sind es neben den physiologischen nnd ethnologischen Gmndeiementen
nnd neben den angedeuteten geographischen nnd politisch-historischen
Einllfissen auch die Formen nnd Zustünde (namentlich die wirtschaft-
Hdien, die intdlectndlen und moralischen) der GeseUschalt und des
Moalen Lebens, welche fi^rdemd oder hemmend, stärkend oder
schwächend, erhebend oder niederdrückend nnd zerstörend auf jeue
emwirken.
Beispiele einerseits: Frankreich, die Schweiz, Belgien, Holland,
Norwegen, Schweden, Dänemark, Italien, die Vereinigten Staaten Noi d-
anierikaü — anderei-seits: Knssland, die Türkei. Ungarn n. s, w. Ein
durch allg-emeinen Wolstand, dureli Sicherheit der Person und des
Eigentlinnies, durch gute Schulen, durch Bildung und Freiheit, durch
Gerechtigkeit und unparteiische, energische Reditspilege. sowie durch
stetigen materiellen und geistigen Fortschritt die Mehrheit seiner An-
geliürigen befriedigendes und beglückendes gesunde^s Staatswesen kann
und wird die verschiedenartigsten V/Uker und Nationalitäten, deren
natürliche Gienzen mit denen des betretienden Staates durcliaus niclit
imiiiei- zusammenfallen müssen, unschwer und in verhaltnissmässig
kurzer Zeit zu Kiner starken Nation verschmelzen.
Andemtheils muss in Ländern, deren innere Zustände und äusseren
Verhältnisse unter ihren Bewohnern nur allgemeines Missbehagen und
laute UnzoMedenheit, nur Unwillen nnd Entrüstung, Hass und Ver-
achtung erregen, die Erkrankung nnd ZerrQttung des Staatskörpei-s
hnmer mehr zunehmen und bis znr Gefährdung seiner Unabhängigkeit
und bis zu seiner Auflösung nnd Zerstörung sich steigern, namentlich
in den Zeiten and Fällen, wo Jahrhunderte lang unterdrückte Natio-
nalitäten ihre Fesseln zu sprengen oder gewaltsam getrennte Glieder
Einer Nation skh wieder zu vereinigen streben. „Es ist ein Fort-
schritt der Nation**, sagt der berOhmte Staatsrechtlehrer Bluntschli,
«daflB. wir anikngen von nationalen Bediten zu sprechen und Achtung
ftr dieselben zu fordern. Da die Nationen Theüe der Menschheit und
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— 174 —
(las Prodiict eines ^nis.sen weltlii:?tonsclieu Knt^vit■kelun^spl•()ce^ses siiul,
so sollen sie auch in ihrem Bestände p^eachtei und geschützt werden."
Das friedliche und norninle Verhältnis zwischen Nachbarnationen
kann oft erst nach langwierigen und furchtbaren Kriegen hergestellt
werden. Mit dem steigenden Verkehre und dem wachsenden VVol-
stande, durch Verbreitung derColtnr und besserer Schulbildung, nament-
licli besserer geographischer und ethnogra])hiscliei' Kenntnisse, sowie
durch Verbreitung der CTesittung und der Grundsätze der Hnmanit&t^
verlieren sich allmälig die nationalen Vorurtheüe, die gegenseitigeiL
GehfisaigkeLteu, Beibangen und Feindseligkdteii, und es tagt, erst im
[BÜnzelnen, dann. mehr und mehr auch in den Massen die Einsicht, dass
gewisse natflrlich und geschichtlich berechtigte nationale Eigenthttmlich-
keiten, ja selbst thatsftchüche Mängel und Gebrechen, Emseitig^eit«[i
und Beschränktheiten fiamerhin kein Hindernis sein sollen f&r eine
gegenseitige wolwoUende Anerkennung des wahren Wertes und der
wirklich vorhandenen gnten Seiten und der Yorzfige einer jeden Nation
und Nationalität
Das Endziel aller nationalen Kämpfe und Kriege aber ist der
friedliche Wetteifer in Gütererzeugung und Güteraustausch, in Ge^
werben, Künsten und Wissenschaften zur Förderung des eigenen und
tillgeiiu'incu Woles!
\\'ährend des Mittelalters im „civilisirten" P^uropa und heute noch
in der Türkei und den angrenzenden Ländern waltet der Gegensatz
der Religion an Stelle der Nationalitäten, im „civilisirten"* Europa
wirkt heutzutao:e hauptsächlich der Unterschied der Sprache, an den
sich der Unterschied der Literatur und gesammten Cultiu" anschliesst,
Nationalitäten bildend und ti ennend. Ausserdem wirkt der Unterschied
der Länder und Kliraate und — the last not the least — mit be-
sonderer Stärke der Gegensatz der mateheUeu Interessen und des
politischen Lebens.
So hat sich die ursprünglich Eine Nation der Kngländei', vor-
nehmlich aus matei-iellen und politischen Gründen, ini vorigen Jahr-
hunderte in zwei Nationen gespalten, welche mehr und mehr auch in
zwei verschiedene Nationalitäten sich auswnchsen, nämlich die englisctie
(01d-£ngland) und die nordamerikanische. In ähnlicher Weise ge-
hörte und gehören die deutschen Schweizer durch Sprache und Coltiir
der deutsdien, die französischen Schweizer der französischen und die
wälschen Schweizer zum Theile der italienischen NationaJität (nicht
aber der deutschen, französischeD, italienischen Nation!) an. In ethno-
graphischer Hinsicht zerfallen die Schweizer in drei, ja vier Natio-
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»•Ii
— 175 —
n&litäten; in politischer Hinsicht bflden sämmtliche Schweizer Eine Nation
und haben sich als solche yon allen stammverwaiidten Nachbarnationen
streng geschieden« Ähnlich die Belgier, welche, obwol sie zur Hälfte
der wallonisch-romanischen (französischen), zur HUfte der yUbnisch-
gennaaischen (niederiflndischen) Nationalität gehören, gegenfiber ihren
Nachbarn, den Franzosen, Holländern nnd Deutschen, entschieden als
wfß eigene Nation sich Ahlen.
So föhlen sich anch die Basken, Bretonen etc. in Frankreich nur
als Franzosen — n. s. w.
In unserer Zeit wirkt das Gefühl nnd das Bewnsstsein nationaler
Gemeinschaft nnd nationaler Verschiedenheit stärker als in allen früheren
Epochen der Weltgreschichte. Unserm Zeitalter eigen ist die nationale
Staatenbildimg , d. h. eine solche Ntaatsforni, welche die Natiun als
selbstbewusste politische Person zur (4iinidla^-e und zur Voraussetzung
hat. Die Gründung des Köuigreiclies Italien und des Deutschen Reiches
sind ans dieseui uiächtigen national-persiinlichen Bewsstsein, dem so-
genannten ..Nationalitätsprincip''. zu erklären, t^bertrieben wird das
Nationalitätsprincip dnrcli die t'oiderung, dass jede Nationalität, nnd
sei sie noch so klein und schwach, «iine Nation werde, d. h. für sich
einen besonderen Staat bilde.
Die Verbindung einer grossen Nationalität nüt kleineren oder
Bruchstücken firemdstaatlicher Nationalitäten zn Einem Staate wirkt
meiBt fordernd und heilsam anf jede der so Y^reinigten Nationalitäten,
indem jene Verbindung die Einseitigkeiten und Mängel derselben aus-
gleicht und ergänzt Beispiele: Das russische Reich mit den deutschen
Ostseeprovinzen; Ungarn mit seinen magyarisirten deutschen nnd sla-
wischen Adelsfiunilien, mit den Millionen von tüchtigen deutschen und
shvischen Bauern und Handwerkern; Böhmen mit seiner fortgeschritte-
neren deutschen Greuzbevölkerung und mit seiner an deutschen
Kittel- und Hochschulen herangebildeten tschechischoi InteUig w und
Oelehrsamkeit (SsiSaiik, Bieger n. A.) u. s. w.
Für jeden Staat ist es eine Hauptaulgabe und Lebensfirage, dass
er auf Einer mächtigen und gebildeten Nationalität beruhe. Das Pro-
blem, mdrere. gi osse Nationalitäten friedlich durch Gesetz und Frei-
heit zu einigen, ist in Europa durch die Schweiz, in Amerika durch
die Vereinigten Staaten glücklich gelöst worden.
Hinsichtlich des in- und ausserhalb Österreichs neuestens so viel
ventilirten und lu-girten Nationalitätsprincipes meinen wir mit ('. v.
Ozoemig: Das Princip der Nationalität, innerhalb der .Sdiranken seiner
natürlichen Berechtigung eine Grundlage der Coltur, eine Triebfeder
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üeistijrer Kntwickeliini;, eine <j>iu-lle Lreisti^^eii und niateriellen Fort-
schrittes, iiat sich in und ausser Österreich aller Bande entlediL'"! und
eine (Tährung hervorg:eriilen, welche das liistorisclie Kecht zu unter-
drücken und den Bestand des Staates zu veiiiicliten drolit. Gleichwie
in den Religionskriegen der Glanbe, wird nun die Nationalität zum
Panier des Haders, des Streites und Aufrulu-s erhoben, welcher die
Anarchie zur Folge haben musste, wenn nicht der übei-fiuthende Strom
bald in feste Ufer gebannt wd. Während in anderen Staaten, wo
Eine Nationalität vorherrscht, die Bewegung eine rein politische oder
sodal-politische war und ist, wurde und wird in Österreich von oben
nnd unten ein Bassenkampf entflanunt, welcher nicht nur gegen die
einheitliche Staatsform und die Begienmg, sondern auch auf Unter-
drückung der fibrigen Volksstände desselben Landes gerichtet ist. Wie
oft hat nicht schon die Geschichte mit blutigen Zttgen yerzeichnet,
wohin die Ifissleitong der an und fOr sieh durehans berechtigten, wefl
natflrlichen und vernünftigen NationalitÄtsgefühle, der Missbrauch des
so oinseitis: und masslos gein-edigten „Nationalitätsprincipes" fiihren
kann! Sollen die Lehren der Gescliichte, wie z. B. die der Jahre
1H48 und 184i) und der naclitolirenden tur OsteiTeich verloren sein?
Hätten wir wirklich „niclits jieh'i-nt'- und .,Alles verfressen?"
Gewisse ( )ifranisnien sind schon so oft und viel or^anisirt und
„reorganisirt*\ coustruirt und ,,reconstruirt-. centralisirt und decentrali-
sirt., degenerirt und ..rejrenerirt", decapitalisirt, discreditirt und demo-
ralisirt und wieder „eurirf und „reconstmirt" worden, dass sie — schon
lange todt sind und nur noch ein reui äusserliches Scheinleben führen
wie galvanisirte Leichname. Ich kenne — in Hinterasien natürlich! —
einen „Staatsküi-per", der, ohne Gemeinsinn und öemeingefühl (natio-
nale Ehre), ohne Geist und Seele, ohne anderen Zusammenhalt als den
blossen Zwang der Verhältnisse und der rohen Gewalt, schon lange
innerlichst verfault und abgestorben immer noch Jebt", „lebt** wie ein
Cadaver von den Maden, die unter ihm wimmeln und wfthlen und an
ihm sich mästen.
Ja, es gibt irgendwo ein Aas, auf dem die Geier sitzen nnd sich
um die Fleischfetzen streiten, die sie ans ihm hacken ....
Es ist wahrlich die höchste Zeit, dass unsere Unterrichts- und
Erziehungsanstalten, insbesondere unsere Mittel- ond Hochschulen,
neben ihren meist einseitig theoretischen und mehr oder minder ver-
alteten Lehrweisen (Methoden), neben ihren nicht selten geistlosen,
nur gewohnheits- und handwerksmässigen Lehri)raktiken. hei den ein-
seitig be- und übertriebenen „blos fachlichen*" Studien und bei dem
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nach uöidlicheii N'urbildeni imniermelir übt^iliuinliu liinendfn altklugen
,,Positivisnius", Materialisniiis und tlieils bequemen, tbeils turchtsaraeu
Inditfereiitiismus, endlich daran denken, auch der Erfüllung gewisser
erziehlicher (pädagogischer) Pflichten sich zu widmen. Unter diesen
steht üi ei*ster Reilie die Lösung ilirer national- und staatspädagogisclien
Aufgaben, besonders eine Lebens- und Existenzfrage unsers Reiches,
nämlich: Die Verständigung und Versöhnung der Nationali-
täten, wenigstens in der nächstfolgenden Generation, da die gegen-
wärtige für diese praktische Idee schon verdorben nnd verloren zn sein
sebeiiit!
Es mnss der systematisch mitemiinirenden nnd zersetzenden centri-
ftigakn Tbäti^eit unserer Jugend- nnd Reichsfeinde rechtzeitig vor-
gebeugt werden!
Neben ihrer fiichwissenschaftlichen und allgemein pädagogischen
Thätigkeit sollten xamre Lehrer nnd Professoren fernerhin nicht ver-
säomen, bei jeder geeigneten Gelegmiheit, so namentlich im geographisch-
ethnographischen, im historischen und statistischen, sowie im sprach-
lichen Unt^mchte und in den Gesangstunden und Turnfesten, bei
Schulfeierlichkeiten, bei Beginn und Schluss des Schuljahres oder des
Semesters, bei öffentlichen Prüfungen, vaterländischen (Tpdenktageii u.s. w.
— ähnlicli wie in Preussen und in der Schweiz — dahin zu wirken,
dass statt der bisherigen, im Geheimen und offen betriebenen Natio-
nalitätshetzereien untei* unserer Schul- nnd Universitätsjii*reiid. statt
jener desti-uctiven Ideen und 'IViidenzcn die constrncti\ eii. ;iiin)auenden
Bestrebungen, statt der bisher ausschliesslich ueiiHegten Analysis mehr
und mehr auch die Synthesis, die Gefühle der Zusammengehörigkeit,
4as Bewusstsein der Gemeinsamkeit der materiellen und moralischen
Interessen, der Natumothwendigkeit des Zusammenlebens und Zusamm^-
wiikens, über dem Egoismus der einzelnen Nationalitäten, Parteien,
Cliquen, Landsmannschaften u. s.w. der Gesammtpatriotismns gepflegt
und belebt, der einheitliche Staats- und Reichsgedanke geweckt und
gestai'kt werde!
Schon in der Schule und in der Familie muss unsere Jugend an-
geleitet und gewöhnt werden, den einseitig beschränkten Egoismus
des !bidividunms tmd der Familie oder der Vetter^ und Gevatterschaft,
die kleinlichen Interessen und VortheOe der Sippe und Clique einer
höheren Idee, dem' Wole einer grosseren Gemeinschaft, der nationalen
Gesammtheit und den Interessen des Staates und Vaterlandes unter-
zuordnen.
Es muss bei uns in Österreich endlich aufgehört werden, den
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— 17Ö —
Staat blos für ein corims vile, d. i. für ein Object anzusehen und zu
beliuiidelii, nur dazu da und ..gut genug'*, von den eigenen Landes-
kindem (Beamten etc.) wie von Ausländern „venvaltet", d. h. zu rein
egoistisclien Zwecken ausgebeutet und vei-scblungen zu werden.
In anderen bik'listcivilisirten ..Reclits-" und ..( "iiltur'-Staaten wird
der Kleine und Schwache vom Grossen und Starken, werden die ein-
zelnen Länder und Provinzen vom Reiche, die Theile vom Ganzen auf-
gezehrt — bei uns hingegen wird das Ganze von seinen Theilen, das
Reich von den vielen Nationalitäten, Provinzen, Parteien und von Ein-
zelnen zerrissen und verschlungen.
Bei uns wird Alles auf Kosten, nichts zum Besten des Staates ge-
ihan — oder vielmehr: es wird Alles gethan, um den Staat aoszn-
benten, zu spalten, zu schädigen, zu schwächen und zn Omnde zu
richten. Denn: der Österreicher hat kein Vaterland — nur der
Tscheche, der Pole, der Slovene u. s. w. hat eins . . . Zur Heilung
so üeSet Schäden bedarf es vor Allem der Verständigung und Ver-
söhnung unserer Nationalitätoi auf Grundlage einer besseren Er-
kenntnis des Wesens und der natürlichen körperlichen und
geistigen Befähigung jeder einzehien Nationalität Nach dem auf
ethnograpluschem, statistischem und historischem Wege constatirten
Masse dieser Beföhignng werden die aus dieser sich ergebenden Rechte
und Pflichten jeder einzelnen Nationalität sodann zu bemessen sein.
Die soviel besprochene und versprochene ,,Gleichberechtiguug der
Nationalitäten"' muss auch wirklich ins Werk »rcsetzt werden.
„Die (rleicldjerechtigung der Nationalitäten" — sagte treö'end ein Mit-
glied des (österreichischen Keicli>rathes, Graf Mannsfeld, in der Sitznnnr
<les Ab^-eordnetenhauses vom 2H. April d. J. — ..bedeutet die Gleich-
berecliligung der Staatsbürger, nicht die Bevorzugung des einen
oder anderen. Wohin soll es führen, wenn alle lieneficien des ^)taat^s,
alle Unterricht4s-, alle Bildungsmittel u. s. w. nach Nationalitüten ver-
theüt werden?" (Unsere Antwort: zur Auflösung Österreichs in seine
Nationalitäten und Nationalitätchen!) . . „Ich kenne nur Eine Pflicht
der Nationalitäten, und diese ist, sich freudig dem österreictuschen
Staatsgefähle hinzugeben. In der Bekräftigung dieses Gefühles stan-
den die Deutschen immer in Erster Linie; das vef langt aber auch
die Grossmachtstellung Österreichs. Ich betrachte den österreichi»
sehen Staatsgedanken als die Coalition unserer Nationalitäten. Coar
liren heisst Zusammenfassen" — vemOnitiges Zusammenhalten zum
Zwecke der Befriedigung unserer nationalen (idealen und materiellen)
Bedttrfiiisse und Wftnsche, fögen wir hinzu. „Regierung und Parteien
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sollen l•^^llt'ukHn, d;iss der Staat einen li<»lu'n'ii Zweck hat als den.
nur da> ( ompensaticubobject zui* Betriedigim^ uationaler Leidenschaften
zu bilden."
L'nd t'in anderes Reielisratlisuiitfi^licd. Dr. v. Plener, in derselben
Sitziin? dt's österreichischen Abgeordnetenhauses: „Was die „(Tieich-
berechtigung der Nationalitäten" betrifft, so befinden sich die nicht-
deutschen Nationalitäten Österreichs in einer unvergleichlich besseren
Lage, als z. B. die Polen in Kussland und Prenssen. die Deutschen
in Ungarn n. s. w. In keinem Lande geniessen jene Nationalitäten
«ne soldie SteUnng und einen solchen freien Spielranm ^e in Öster-
reieh. Die M&bsolnte Gleichberechtignng'* aber zn yerlangen bemht
lof Sdbstt&uschnng, denn es gibt im menscblichen Leben and im
Leben der Völker ttberhaupt keine absolute Gleichheit, und die öster-
raebischen nicbtdeatschen Nationalitäten müssen, im Interesse ihrer
eigenen Erhaltmig, ein gewisses Mass von Anerkeminng der histo-
rischen Thatsachen und damit ein gewisses Mass der Unterordnung
hl sieb aafbehmen. Es geht dn&eh in Österreieh nicht, die Gleich-
berechtigung der Nationalitäten auf die äusserste logische Spitze zu
treiben, denn dann würden wir zu einem polyglott regierten, in gi-ös-
sere und kleinere Nationalitäts^rriipjicn aufgelösten Staate gelangen,
womit notliwendiger Weise die sprarhliclif \"erwirruug und Aufhebung
iUer praktischen Verwaltungstli;iligkeit verbunden wäre. Eben>o-
weniL^ wie man die Armee Österreichs zerschlagen kann in nationale
Regimenter, ebensowenig kann man einen Staat polygluttisch regie-
ren" . . „Solche Anschauimgen und Forderungen können nur l^nzu-
Medenheit und Erbitterung in der Bevölkerung hervorrulen, ohne
(hirchfuhrbar zu sein.''
Der Minister furCultus und Unterricht, Freiherr v. C'onrad-Ey-
besield äusserte sich in dei* 146. Sitzung des österreichischen Abge-
ordnetenhauses vom 4. Mai d. J. wie folgt: „Es handelt sich um die
aufrichtige und ehrlich gemeinte Verständigung auf dem Gebiete
der Ver&ssung, da* Gesetzgebung und der Nationalität, zn aller-
erst auf dem Gebiete der Schule, denn die Schule ist das-
jenige Gebiet, auf welchem die aufrichtige Verständigung
aller im Staate nebeneinander lebenden Nationalitäten er-
reicht werden kann.**
(Fortaetsnng folgt.)
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Ans der Sehnlstnlie.
Von einem alten. Sihttlnuinne*
JVLachte gestern eineB Schidbesach; trafs nicht gut; habe mich
gefiigert; nicht über den Lehrer, ei* machte seine Sache brav; nicht
flher die Schfiler, sie waren aufinerksam, dauerten mich aber, da sie
Windeier als Nahrung erhielten. Ich ärgerte mich Aber die Lesehncfa-
üftbrikanten, welche der Jugend, deren kostbare, unwiederbringliche
Bildungszeit mit grösster Gewiasenhaftigkeit auszunutzen ist, oft so
unpassende Nahrung vorsetzen.
^ kamen zwei Gedichte zur Verhandlung, das eine wurde Tor^
getragen, das andere besprochen und zum Memoriren aufgegeben.
Beide koninien in den meisten unserer Lesebücher vor, keines aber
tordert, mit einem neuesten pädagojrisclieii Schriftsteller zu reden, die
Etliisinmg weder des Schülers noch des rnterrichts. Ich bin avoI
nicht der erste Schulmann, der schon Anstoss an ihnen genommen liat*
Das erste Gedicht führt die Übersclu'il't: „Lied eines Arm eil"*
und ist von U bland. Ks beginnt:
,,Ich bin SU gar eiu aruier Mauu
Und g^ehe ganz allein.''
Was fehlt nur diesem amen Manne? Ist er krank, elend, blind,
lahm, einarmi<r, arbeitsunfähig? (Tanz imd jrar nicht. Er spaziert
durch Feld und (-rarten, weilt gei'u in frolier Menschen Schwärm,
besucht auch die Kirchen. Ist er etwa mit einer schw'ereu Haus-
haltung belastet, deivn (xlieder dnrcli Kranklieit heiuigesucht sind?
Er steht ganz allein, er hat nur für sicli zu sorgen. Was klagt er
denn? Warum sollen wir Mitleid mit ihm liaben? Er deutet au, er
sei eine Waise. Der Schreiber dieser Zeilen ist auch eine Waise,
freilich eine sechszigjälirige. Oli dieser arme Mann M) oder 4(».Iahre
zählt, ist dem Gedicht nicht mit Sicherheit zu entnehmen. Für eine
Waise hat er jedentalls ein anständiges Alter. \\'as leistet er der
Menschheit? In welcher Weise hilft er an der Arb^t, die der Menscli-
lieit obliegt, seinen Theil mittragen und so seine eigene befriedigende
Existenz gewinnen? Er aibeitet nichts, lässt andere für sich ein-
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tieieii. er läuft miissic: iiniliei'. Ei- ist ein l'aiileiizendei- ,.Bi'ii(ler im
Hemi". Er hätte sclioii in dieser WWi j^em, was er in jener er-
wartet: „Einen Freudensaal, in dem er sich im Feierkleid ans Mahl
setzen kann."
Soll nun soldi ein Müssig^änger der Jngend zur Tlieilnalime oder
gar als Vorbild hingestellt werden? Soll das in der Sdinle geschehen,
welche vom Schüler anstrengenden Fleiss verlangt nnd die Arbeitr
samkeit als eine der ersten Tugenden des Menschen preist?
Da leistet des gottlosen Heine Gedicht ganz andere Dienste:
Gabeu mir Bath uud gute Lehreu,
Obenehtttteten mich mit Ehren,
Sagtai, dass ich nnriwarteii sollt,
Haben mieh pivtegiren gewollt.
Aber bei all ihrem Fkotegiren
* Hitte ich kfinnen vor Hanger krepiren,
Wär nicht gekommen em braver Xaim:
Wacker nahm er sich meinor an.
Braver Mann! Er achallt mir zn easenl
Will es ihm nie \m\ nimmer vergessen!
Schade. <la.ss ich ihn nicht küssen kann!
Deuu ich bin selbst dieser brave Mann.
Das zweite Gedicht: „Fran Hitt** ist von E. E. Ebert
Am Bande emes Bergweges in Tirol sitzt eine BetÜerin. Bin
nacktes Kindkdn schlnnnnert in ihrem Arme. Bald kommt, von einem
ziUreielien Gefolge begleitet, die reichste Frau im Lande, Fran Hitt,
ZQ Pferde heran. Von der Bettlerin um ein Almosen angegangen,
h$hnt sie diese in grausamer, herzloser Weise. Die Bettlerin schreit,
i1hs.< die Felswand «Iröhnt: „0 ^vü^dest dn selber zu hartem Erz, die
den .lainnier des Annen höhnt." Da wird Krau Hitt allsogieich in ein
Bild von Stein verwandelt und sitzt nun für ewige Zeiten hoch oben
im Donnergero 11 als todtei- Fels.
Uud jetzt? Frau Hitt ist sicher eine herzlose, boshafte Frau.
.Strafe hat sie verdient. Aber ist die Verwandlung in Stein eine ver-
ständliche, für Herzlose zu erwartende, oder auch nur eine wirkliche
iStnife? Nach weiii? Sncunden spürt ja das Steinbild von allem nichts
mehi*. — Eine verständliche, ernst mahnende Strafe wäre allein die,
dass Frau Hitt, sei's in Folge eigener Verarmung oder auf andere
Weise, znr Einsicht in die Verwerflichkeit ihres Betragens, so zn
schmerzlicher Bene und dadurch zur Umänderung ihrer Geshomung
kAme.
PMda««^«. 4. Jahr;. Haft I1L ' 13
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Die Art, wie Frau Hitt die Bettlerin abgewiesen, die Gesinnung,
die sie dabei kund gibt, ist allein strafl)ar. Dass sie kein Almosen
gereicht, kann ihr niclit als Fehler nngerechnet werden.
Das führt uns auf die Pei'sou der Bettlerin. Ist diese alt, lahm,
gebrechlich, krank, arbeit^^unfaliig? Durchaus nicht. Sie ist jung,
frisch, munter, hat auch ein sehr gutes Mundstück. Sie sei eine
„zärtliche Mutter", sagt das Lied. Womit beweist sie ihre mütterliche
Zärtlichkeit und Triebe?
„Wenn Jemand lalso nicht die Mutter) dem Kindlein ein Apfelein
Iwt, so war es sein bester Tag." ,.Seine Speise ist hartes verscliinimeltes
Brot, das andere wegwerfen." Und die „zärtliche Mutter"? Die ist
zu faul, nur so viel zu arbeiten, nm dem Kinde ein Äpfelein oder ein
Stftck Brot verschaffen zu können, oder gar, nach ihrer Pflicht, dem-
selben das Nöthige angedeihen zn lassen. Die Inngert lieber mfissig
an den Strassen hemm. Solche Oesinnnng mnas man mit aller Macht
Terfhlgen und anszntOgen streben. Es ist die dnreh die KlOster einst
ao^genährte und grosQgeeogene Faulenzerei und Betteid. Diesem
Unwesen gegenüber ist Almosengeben geradezn dne Sünde! Es erhielte
Mutter nnd Kind anf dem Wege, der zu* gänzlichen Verkommenheit
nnd Entmenschung f&hrt
Hitt würde richtig gehandelt haben, wenn sie der armen
Fran Arbeit angewiesen oder dafür gesorgt hätte, dass das Kind bei
braven Leuten und die Mutter in einer Zwangsarbeitsanstalt fiir so
lange untergebracht worden wäre, bis sie zu einer bessern Einsicht
in ihre Mutterpflichten gekommen. — Bei dieser faulen Bettleiiu hört,
weiss Gott, alle Poesie auf.
Welche ethische Wiikung soll nun das Bild enier solchen „zärt-
lichen Mutter" auf unsere. hif^end, auf unsere heranwachsenden Mädchen
thun? Da lese man doch lieber mit ihnen „Die alte Wasclil'rau''
von Chamisso:
Sie hat den kranktMi Hann ijepflegt,
Sie hat drei Kimlt r ihm geboren;
8fe hat ihn in (la.s Urab gelegt
ünd Olanb und HoAning MA Tecicnen.
Dft galf 8 die Ehider m enilinD.
Sie griff es aü mit heitern Hutb;
Sie zog sie auf in Zucht nnd Ehren;
Der Fleiss, die Ordnung flind ihr Gut.
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Wiener Oesehiekteii.
Von Dr, Friedrieh Dittee.
III.
Die Jahre 1874 — 1879 verliefen ziemlich ruhig. Das Pädagogium
hatte die eroten Stflrme glücklich ftberstaiidmi, es hatte sich im Inne-
na eonsoUdirt und nach ansäen hin Achtung erworben; der Lehiv
kfirper dessdben war im Ganzen glttcklich zusammengesetzt und bil*
dete ein fest' gefügtes, einträchtiges OoUegLum, das dem lanemden
Fdnde Iceine Bresche darbot.
Hätten diese günstigen Verhältnisse nicht bestanden, so würde
ich aadi das Mandat für den Reichsrath nicht angenommen haben,
trotzdem ich die Hoffiinng hegte, in dieser Körperschaft der Schule
nfltzen zu können. Dem Pädagogium erwuchs aus meiner Theilnahme
an den Verhandlungen des Reichsrathes keinerlei Nachtheil, da die-
selben mich nicht hinderten, meine Amtspflicliten in vollem Masse zu
erfüllen. Dagegen trug raeine Stellung im Parlamente ohne Zweifel
dazu bei, die Oegner des Pädagogiums für etliche Jahre von offenen
Angritfen zurückzuhalten. Denn Muth war niemals ihre starke Seite,
and so mochten sie Bedenken tragen, eine Feste zu berennen, die
nicht nur von innen in gutem Stand gehalten wurde, sondern nöthi-
genfalls auch von aussen durch parlamentarische Waffen und Verbin-
dungen vertheidigt werden konnte.
Um so eifriger scheinen unsere Gegner im Geheimen ihr Ziel ver-
folgt zu haben. Wo sich nur allenfalls eine Gelegenheit bot, suchten
sie uns durch hämische Zeitungsnotizen zu ärgern und vor der Öffent-
iiehkeit herabzusetzen. Gegen diese unter dem Deckmantel <ler
Anonymität einherschleichende Bosheit stand uns kein anderes Ver-
theidigungsmittel zu Gebote, als die ruhige und standhafte ErfiUlung
unserer Pflicht, und dieses Mittel bewährte sich insofern vollständig,
als die ^ener Lehrerschaft^ trotz aller Verletzung, don Pädagogium
fortwährend die lebhafteste Sympathie und standhafteste Treue be-
wahrte, weü sie sich durch den Besuch desselben täglich Überzeugen
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könnt«, dass es redlich und erfolgreich an der L(^ng seiner Aufgabe
arbeitete. Und so konnten wir, gestiltzt anf unser srutes Ge\iissen,
.die Ulis beschiedenen Srhniähnngeii mit Gleichmutli ertrairpii.
Weit bedenklicher waren andere Vorgänge. >>dmi um die Mitte
der siebziL^er .lalire wurde im Geheimen an der formlidien Aiitliebung
des Pädagogiums geai'beitet. Der Plan dazu wai- klu^ an<rele£rt und
wurde mit grosser Ansdauer verfolgt. Da jedocli ein wichtiirer Fac-
tor, dem die initiative und damit ein gut Tlieil Verantwnrtliclikeit
zugeschoben werden sollte, mit aller Mühe nicht zur Cbernalime der
ihm zugedachten Kolle bewog^en werden konnte, so uuisste die Aus-
tülirung des Planes vertagt werden. Es ist daher auch nicht nöthig,
hier auf denselben näher einzugehen, wogegen ohnehin sehr delikate
Eücksichten sprechen. — - Verschweigen kann ich aber nicht, dass
Pädagogium niemals die Gunst eines .^tadtoberhauptes zu Theil ge-
worden ist Zwar wurden wii* öfters damit vertrcistet, dass ein Bftr-
germeisterwechsel eine Wendung zum Besseren bringen werde, die sich
durch eine sichtbare Kundgebung, einen persönlichen Besuch der An-
stalt yon Seiten des höchsten Oommunalbeamten, manifestiren solle.
Aber yergebens. Seit Eröffiinng des Pädagogiums (12. October 1868)
hat nie ein Wiener Bflrgermeister die Bäume de88ett>en betreten; und
doch wäre es sehr erwünscht gewesen, wenn die jeweiligen Ghefe der
Verwaltung sich das Tiel angefochtene Institut ein wenig mit eigenen
Augen besehen hätten, wie sie ja auch Wasserleitungen, Versorgnngs-
anstalten und andere städtische Etablissements zu besichtigen pflegen.
Femer änderte in den siebgdger Jahren der Wiener Gemeinderath
selbst seine Stellung zum Pädagoginm bezüglich eines wichtigen Punk-
tes. T^m diesen Vorganjr deutlich zu maclien, nniss ich ein Stiick
zui'ückp:rt'iteii. Am Irl. März erliielt ich in (iotha aus Wien
vom Kürgermeister Dr. Zelinka <lie Mittheilung, dass mich der Wiener
(•remeinderath zum Direct(tr des Pädagogiums L^ewälilt habe; beigetTigt
waren die Hauptbedingungen, unter welclicii die Herutun«r beschlossen
wai". ferner die Anfrage, ob i<'h geneigt sei, diese Berufung anzu-
nehmen, und wie ich ..das ganze Vertragsverhältnis vollständig ge-
ordnet zu seilen M'ünschte." Dieses Schreiben beantwortete ich am
16. Mäi'z mit dei* Erklärung, dass ich zur Annahme der Berufung
principiell beieit .sei, und mit der Angabe meiner Bedingungen. Es
waren deren neun; acht von ihnen wurden ohne Weiteres acceptirt;
eine, es war die erste, wurde zwar mateiiell als zntreüend, formell
aber als unannehmbar bezeichnet. 8ie lautete: „Jede Beeinflussung
des Pädagogiums durch Geistliche, gleichviel, welcher Confession oder
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welchen Ranges dieselben sein mögen, ist vollständig und unbedingt
«iszQSchliessen. Die verschiedenen Aufsichtsbehörden werden also nie-
mats und unter keinerlei Form irgend eine Inspection oder sonst einen
amtlichen Act duixih eine Persönlichkeit geistlichen Standes in der
Anstalt vornehmen lassen.** — Zur Motivimn^ hatte ich beigefügt:
„GemSss den Bestimmungen des Statuts in Betreff des Beligionsunter-
richtes ist jede geistliche Concurrenz bei der Anstalt überflüssig; be-
züglich der Gleichberechtigung der Confessionen, sowie des Friedens
und Oedeifaens der Anstalt aber kann die Einwirkung kirchlicher Oi*gane
nur störend sein." — Am 18. M<^rz erhielt ich nun von Dr. Kolat-
schek, dem damaligeu Obmann der Pädagogiunis-Commission, folgen-
des Telegramm:
..Punkt eins Ilirer Voraussetzung: wird tuctiscli zutrotten, aber in dieser
Form nicht aut'nehnibar, weil er das Recht der Genieinderäthe, in ( •ommissionen
gewählt zu werden, beschränken würde. Bitte sofort an Büi-genneister tele-
gnphiren, dasa Sie diesen Punkt znrnck ziehen, damit nicht VerOffentUchnng
zan Schaden der Sache eintritt'*
Im Vertrauen auf diese Kuiidjrebuni»" va^^^ ich den uiitjfeführten
Punkt zurück. Hätte ich noch Hedenkeii ♦jcliabt, so würden sie durch
die Briete, welche ich in dieser Sache erhielt. Ix'hoben worden sein.
Unter dem Datum 18.,8. 1868 schrieb mir (iemeinderath Dr. Ficker:
..Sehr verehrter Herr Schulrath! Obwol Dr. Kolatachek bereits schrieb
(er hatte teleq^raphirt). kann ich mich nicht enthalten, den ersten freien Augen-
blick zu einigfu Zeih'u zu benutzen, um bezüp:licli des wichtigsten Punktes in
Ihrer Erklärung ein paar Worte zu sagen. Dass Sie irgendwie unter die
Aofsicht einer geistlichen Behörde gerathen sollten, ist absolut undenkbar.
Schoa gegenwärtig Ist nur die eigentliche Volkflscbnle unter derartiger Aaf-
sicht mid das neue Sehalgeseta, welches ja ans den Zeitoagen hinUoglich be-
kannt ist and lUngstens bis Ostern das Herrenhaus passirt haben nndinsLehoi
getreten sein wird (es dauerte weit Ulnger), hebt auch diese Unterordnung g^lll»-
Mch auf. Gar keine Schule kann dann irgendwie uiittn- (M'ner g-eistlichen Be-
hörde .stehen. Bezüglich des Pildagog-iuins bietet übrigens sehon jetzt auch
da.s Statut die vollkommenste Sicherheit gegen eine derartige Einmischung.
Bessenongeachtet kann der Gemeinderatk die gewitaisohte Büigsehaft nicht
flbenehmen; denn er kann sehie zwei gelstUchen Mitglieder durch einen Ver-
trag nicht vfm der möglichen Wahl In die AnMchts-Commisalon aosschlieasen
- von einer wirklichen Wahl ist ja ohnehin keine Rede, nicht
der leiseste Gedanke daran — , weil da.<^ Gemeindestatut ausdrück-
lich jedem Gemeinderathe gleiche Rechte zuerkennt. Eben so wenig- kann er
sich iliinh einen Vertrag verpflichten, dass die Regierung nicht in irgend
einer Zukunft einmal einen geistlichen Referenten bei der Statthalterei bestellt,
welcher dann noch das Becht hättCi hi die Anstalt an kommen — von der
Wüldichkeit Ist wieder nicht eine Spur. — In der Zaversicht, dass die Sache
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sich noch ordnen lässt, ehe die VorleRunjEr Ihres ^^chrei^tenn in «iffentlicher Sitzung-
unseren Gegneni einen gewiss nicht gewollten Triumpli bereitet, zeichne ich u. s. w.
Am 19. März ferner schrieb mir Dr. Kolatschek:
nlhr gestriges Telegramm an den BiigemeiBter, für da« iidi ▼ielmaJs
danke . hat iin^ von einem grossen Schreck befreit. Sie kannten ohne Zweifel
nicht die Tragweite Ihrer Forderung, die. da sie unerflUllMr war, den Verdacht
hervorriet. da8P es ein Vorwand zum Rücktritt sei."
Und ein Brief Dr. Hoff er 's vom 21. März lautet' folgendermassen:
^Hochgeehrter Herr Schnlrath! Ihre frenndlichen Zeilen vom !& d. M.
haben mir grosse Frende bereitet. Dieselben sind, sowie jedes Wort, das iih
roch von Ihnen gelesen, so ganz der Ausdruck eines tüchtigen, ernst strebenden
und jifliclittreiieii ( liaiakters. eines echten deutschen Mannes, dass ich nicht
müde werde sie wieder und wieder zu lesen. Es ist ein bedeutsamer Moment,
in dem Sie unsere Wahl annehmen, uusenn Rufe folgen. Wie dröhnende Axt-
hiebe am Thor.... hallen die wuchtigen Beden im Hetrenhaose gegen das
Goneordat nnd was mit ihm sosammenhlngt» nnd sehen- Qffliet sich die Bresche
Ar Ehe- nnd Schulgesetz. Da gilt es, rasch den eroberten Boden zu besetzen
nnd zu behaupten, und eines der wichtigsten unserer Vorwerke in dem Kampfe
für religiöse Freiheit. Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der geistigen Ent-
wickelung von jeder cnnli >.sionelleu Beeinflussung ist eben unser Pädagogium.
Wie man in Kiiegszeiten einen festen Platz von entscheidender Wichtigkeit
uui' einem erprobten Kämpfer anvertraut, so gilt uns, dem Gemeinderathe
"Wiens, der in dem Kampf gegen Concordat nnd Jesoiten nnd für seine flnele
Lehrerbildongsanstalt die immense Minorität der BeySlkerang Wiens hinter
sich hat nnd allen Communen der dentechen Theile Österreichs hif Hn als Vor-
bild dient, das Commando unserer ersten Angriffslinie als ein Ehrenposten,
auf dem der charakterfesteste Streiter commandiren muss. So lange es . inen
freigewählten Gemeinderath Wiens gibt — und solchen könnte nur eine euro-
päische Reaction beseitigen — wird derselbe anticoncordatlich, auiiptatrisch,
antjyesnitisch sein nnd sein P&dagoginm zn schätzen wissen, wenn eine klerikale
BeeinUnssnng desselben versncht werden sollte. Die Stimmen der zwei Priester,
welche Hitglieder des Oemeinderathes sind, Terhallem wie der Rnf in der
Wüste, oder wecken erst recht den vollen, kräftigen Widerspruch der ^lajoritftk,
nnd Sie können daher ganz unbesorgt darüber sein, dass Ihre un-
mittelbare .Aufsichtsbehörde, die Pädagogiuniscomniission, nicht confessionel]
gefärbt sein werde. Was den Staat betrifft , so können wir denselben den be-
stehenden Gesetzen nach allerdings nicht hindeni, in der Statthalterei einen
katholischen Priester als Beamten aazostellen nnd als solchen mit der AnsBbuug
des staailicfaen Anfidehtsrechtes xn betrauen; es ist dies aber im hfelisten Grade
anwahrscheinlich und kann keinesfalls soweit au^edehnt werden, dass anf
Grand dieses Anfsichtsrechtes eine directe Ingerenz in die Tbätigkeitssphäre
des Pädagf»giums-Directors geübt werde, widrigenfalls sich die ganze Gemeinde-
vertretung ge^en solch eine Vergewaltigung erheben würde. Sie haben tele-
graphisch den Punkt eins Ilirer Voraussetzungen auch bereits zurückgezogen,
and es ist meine innige Überzeugung, dass Sie hiermit nichts
geopfert oder preisgegeben haben.**
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Nach aU' diesen Monnatioiien gUmlite ich ohne jedes Bedenken
eonfessknieiler Art in das proponirte Vortraggyerh<nis eintreten zn
l^Ameo, and am 8. April 1868 wnrde daasetbe definitiv ahgeschloBsen.
Was geschah nun in Betreff des fraglichen Punktes? — Besfifl^ich
der Staataregiening haben sich die mir gemachten Yersicherongen
ToDstibidig hewShrt: dieselbe hat niemals einen Geistlichen ins Pida-
goghm delegirt, obwal sie farmell dazu berechtigt g&wmea wSre, wie
sie denn überhaupt unserer Anstalt, nachdem dieselbe gegründet war,
niemals eine Schwierigkeit bereitet hat. Anders hat sich der Wiener
Geineinderath verhalten. Nur in den ersten Jahren des Pädagogiums
wählte er in die Coramission desselben ausschliesslich weltliche
Mitglieder, dann aber auch die beiden in der Gemeindevertretung be-
findlichen Priester. Mehr konute er in dieser Hinsicht nicht thun,
da unter den 120 Mitgliedern des Oremeinderathes überhaupt nur zwei
Geistliche waren und noch heute sind. Wenn etwa bemerkt werden
>ollte, jene geistlichen Herren hätten die fraglichen Posten deswegen
erhalten, weil sie zugleich Schalmänner seien (sie wirken an den
Scholen ihrer Orden), so ist zu entgegnen, dass dem Gemeinderathe
genug Schulmänner weltlichen Standes zn Gebote standen, und dass
überdies die Commissiou des Pädagogiums mit der ausdrücklichen
Motivimng errichtet worden ist: „deren Thätigkeit rein admini«
strativ sein wird und dahin wiricen soll, dass sich die Anstalt dem
Prindp gemäss entwickele." (S. Ftedag. II. Jahrg., S. 573.) Daza
bnnchte man doch nicht gerade die beiden geistlichen Herren! Und
wo Uieben denn die oben angeftthrten znyersichtUchen Yersicherangai? —
Da es im Wiener Gemeinderathe, wie in allen parlamentarischeii
Körperschaften, Usns ist, vor Conunisslonswahlen die Anschannngen
der Gandidaten klarznsteDen, nnd da Aber die Grundsätze der frag-
lichen geistlichen Herren gar kein Zweifel bestehen konnte: so Hess
die Wahl derselben nur die eine Deutung zu, dass mit dersellien der
<Teuieinderath dem Pädagogium eine principielle Gegnerschaft bereiten
wollte. Der weitere Verlauf unserer Geschichte wü*d diese Deutung
bestätigen.
iJie clencale Partei konnte sich duich die Haltung des Wiener
(Teraeinderathes nur ermuthigt fühlen. Die zahlreichen Angi'itte ihrei*
Organe hatten keinen durchschlagenden Erfolg gehabt: nun war datur
ein Trost geboten.
Femer muss ich hier über eine Kundgebung belichten, die von
Rom selbst ausging. Am 26. Februar 1879 bi achte der „Osservatore
Romano", das officielle Organ des Vaticans, die amtliche Nachricht,
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daas die vom Papst Leo XIH. für den Index eingesetzte Cardinals-
Gongregation mein Lehrbuch der Psychologie verdammt und proscrilnrt,
und dass Sanctitas Sua dieses Urtel best&laget habe. (8. das Nähere
Psdag. I, S. 412 und 483.) Die erste Mittheflung von diesem Ereignis
erhielt ich am 2. ICftrz durch folgendes Briefchen (Posistempel Wien):
„18^8 79. Im Vertrauen. Ich biu der stabile Gorrespondeut des 0. B.
nnd habe ODUieiioneii in Born. Wenn Ihnen sehr daran gelegen ist, die Gründe
zn erfehren, welche die Setzung auf den Index besonders veranlassten, so
dürfte es meinen Bemühungen vielleicht gelingen, dieselben aus authentischer
Quelle zu erhalten, um sie Ihnen mittheilen zu krmnen. ^^'ie aus dem Decrete
zu orsf-hen. heisst es hei drin Werke des Prof. l'U-co Modesto: Auetor lauda-
biliter sc snbiecit et H|ius( iijiiiu reprobavit. Vüv den Fall, dass Sie es als eine
Gewisscnspdiclit erachten sollten, diesem Ueispiele zu folpni, würde ich mit
Verg:nüß:en bereit sein, das hierzu Xiithigc zu vermitteln. F. A. K. •
Bald daniuf stellte sich mir der Verfasser dieser ZuscliriM i>er-
ßönlicb vor, indem er mir ein Kxemplar der betreftenden Nummer des
O, R. überreichte. Es war ein alter eleganter Herr, dem eine ge-
wandte Sprache und feine Manieren zu Gebote standen. Ich sag^
ihm höflich, aber ohne Umschweife, dass ich keineswegs wünsche, das
Laudabiliter 86 subjecit zu verdienen, dass es mir überhaupt gleich-
giltig sei, was der Papst und seine Gardinäle von mir und meiner
Psychologie denken, und dass ich demnach das mir gemachte freund-
liche Anerbieten dankend ablehnen müsse. Damit war die Erörterung"
zu Ende. — Ich traf nachher auf deutliche Sparen einer yon Wien
aus nach Rom ergangenen Ani-egung, als deren Folge das angeführt«
yerdammungsurtheil zu betrachten sein dürfte. — Yon den freisinnigen
Phrasen, welche vormals in so breiten Strömen geflossen waren, hat
bei dieser Gelegenheit weder ein W iener Gemeiiiderath, noch die
W iener Journalistik ein Würtlein hören lassen.
Ob das mit den üblichen Strafandroliunii-en versehene päpstliche
Verlxit auf die Hörerschaft des Wiener l*äda.ij;(jgiums einen Eindruck
gemacht habe, ist mir nicht bekannt geworden. Doch mehrten sich
die Klagen, dass der Besuch des Pädagogiums immer schwieriger
werde und mancherlei Nacbtheile zur Folge habe. Nicht selten musste
ich hören, dass manche Schulleiter, Schulinspectoren und sonstige
ofiäcielle Pei-sönlichkeiten es sehr ungern sähen, wenn ihi*e Unter-
gebenen ins P&dagogium gehen; ebenso, dass in der staatlichen Prft-
füngscommission gegen Besucher des Pädagogiums eine aufBülende
Strenge an den Tag träte, was selbst yon einem IGtgliede dieser Com-
mission behauptet wurde; endlich, dass der Wiener Oemeinderath bei
Besetzung Ton Lehrstellen die Besucher des Pädagogiums ungünst ig
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behandle mid die von geistliclieii Herren Empi'olüenen bevorzuge.
Hierüber worden mir selbst brietli(^li, und zwar von gut iiifonnirten
und achtbaren Personen, mehrere Fälle ausführlich nütgetheilt Ich
habe nicht ausreichende G^egenheit gehabt^ mich vcm der Triftigkeit
aller dieser Klagen zu überzeugen, weiss aber mit Sicherheit, dass sie
oft von persSnlich ganz Unbetiieiligten ausgesprochen worden sind.
£|n sehr deutlidies Anzeichen der im Wiener (^emeinderath herr-
schenden Strömung erhielt ich im FrOl^jahr 1879, nicht lange nach
dem erwähnten Acte der römischen Curie. Aus der Commission des
Pädagogiums trat mitten im Schuljahre ein Mitglied, Dr, Gunesch. aus,
ohne, soweit mir bekannt, einen Gmnd anzuführen; allem Anscheine
nach erfolgte dieser Austritt nur, um dem Nachfolger Platz zu machen.
Dieser Naclifolger war ein Heir Dr. Kiiliii. Derselbe stellte sich mii*
im Pädagogium mit der Krklärung vor: er sei zu dem Zwecke gewählt
wonlen und habe die Wahl zu dem Zwecke angenommen, die Auf-
lösung des Pädagogiums zu betreiben. Das war doch endlich
ein offenes Wort, und es gefiel mir, weil ich einen directen Angriff
fiir weit anständiger hielt und viel weniger fürchtete, als geheime
Umtriebe. Ich sagte dem Herrn Dr. Ktthn: „Wenn Sie überzeugt
smd, dass das Pädagogium eine nutzlose oder gar schädliche Anstalt
sei, 80 sind Sie vollkommen berechtigt, ja verpflichtet, die Aufhebung
dessdben zu beantragen.** Er meinte, er wolle sidi nur erst um-
sduiuen und informiren. Uber die weitere Haltung des genannten
Herrn später.
Uanz unzweifelhaft war jedenfalls bereits im Jahre 1879 die
iSitiiation des Pädagogiums so, dass es viele, sehr viele, zudem äusserst
zähe und liüchst einllussreiche Gegner hatte. Am bedenkliclisten war
es. dass gerade von der für die Anstalt entscheidenden Stelle, vom
f^enieinderath, kein Schutz zu erwarten stand. Schon zehn Jahre
iruher hatte eines der besten österreichischen Schulblätter geäussert:
Nun ward das Pildagogium errichtet, den Einen zur Lust, den
Andern zum Leid. Damit iluderte sich Vieles. Jfanclier ward kalt, der kurz
vorher im Schweisse seines Ani^esiclites gesti'itteu. T»ii und dort rostete die
alte Liebe. Ja Einer, der im Kampfe für die junge Anstalt Bedeutendes ge-
leistet, spraeh es cifen ans, dass er auf dasPftdagogimu eigentlich „pfiBife''. . . .
die Zukonft der Anstalt sei glelehgfltig. Stand der Hann, der sich so ver*
nehmen Hess, allein? Nach Ereignissen, die seitdem eingetreten sind, scheint
der Eine Vielen ans der Seele gesprochen zu haben. Und diesmal wird der
Sriiein nicht trügen. Wer hätte ein solches Spiel früher geahnt! Stijbt
das Pädagogium, wie vorauszusehen, so triftt der \'orwurf, diese mit so pi-rossen
Hotfnnng-en begrüsste Anstalt eingesargt zu haben, nicht Dittes, sondern den
Oemeiuderath. Der hat dem Kinde, so er gemacht, den Rücken gewendet/
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Doch so schnell und leicht ging die Einsaigung des Pädagogiums
nicht von statten. Es war freilich die äusserste Ausdauer nöthig,
imd es mnsste Alles gewagt werden, was der Mensch auf Erden über-
haupt zn wagen hat, nm die erste Krisis zu überwinden und das
walkende Haas zn halten. Aber es gelang fOx eine Beihe von Jahren.
Allein anch das festeste Oebände kann endlich zn Falle gebracht
werden, wenn es nnabUsag nnteigraben und erschflttert wird. Wie
die Dinge im Jahre 1879 standen, konnte man nur mit Besorgnis in
die Znknnft bücken. Jeder UniSidl mnsste unseren Gegnern dienen nnd
die Quelle einer neuen Krisis werden. Und nur zu bald, noch ehe
das Jahr zu Ende ging, wurde das Pädagogium von einem schweren
Schlage getroffen.
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Das Lafayetto-CoOe^e ii Eastra.
Von Prof. A, St'hmirf -Wien.
Das Laftiyette- College wurde im Jahre 18B2 in Easton, einer Stadt
Pennsylvaniens , gegründet; bescheiden und klein in seinem Anfange, war e«
«pilter durch reiche Dotationen in den Stand ffesetzt. nicht nur seine Baulich-
keiten nnszudehuen, sondern aucli den Lehrkörper wie den Umfang: der tradir-
tfii Lt'lii jrct^cnsiiinde zu erweitern und so einem grösseren Zuzug von Studenten
Aafuahme zu gewähren. Den grüssten Aufschwang aber nahm es im Anfange
des leisten DeoenninmB trotz der Ifissgunst des Schicksals. Das GebSnde war
iliiiUch im Jahre 1873 anf Kosten eines reichen Bilrgers von Hadeton, Arco
Pardee, aa^efilhrt worden; noch in diesem Jahre wurden die Schlüssel der
„Pardee Hall", so wurde das Gebäude nach seinem Stifter genannt, dem Leiter
der Anstalt, Prof. William Cattell. übergeben. Dnch nicht lange sollte der
Wissenschaft eine ruhi^^e Stätte in diesem GebHude gegi'innt sein, es wurde am
4. Juni 1S79 ein Raub der Flammen, und Mr. Pardee hatte (Telegcnheit. .seine
republicanisehe Bürgertugend, den Sinn tVu- das Gemeinwol, ein zweite« Mal
§;läDzend zu bethätigen; Pardee liesfi das Gebäude nach demselben Plane auf
doem fk«islehenden HQgel in der Nfthe von Easton wieder anffllhren nnd ver-
fehlte nicht, jetet Mh genug ^r seine Versicherong Sorge za tragen.
Die Wiedereröflüinng der Halle war nun nicht allein ein Fest für die An-
stalt und die Stadt Easton, sondern aUe näher liegenden Anstalten und Städte
entsandten zu derselben ihre ^'ertreter. An ihrer Spitze erscheint der Pril^i-
dent der Vereinigten Staaten, Hayes, aus Washinsrton, welclipi". von Prof.
Catre]] begrüsst, eine Ansprache hält, der wir nur Folgendes entnehmen: T)ie
Regierung sorgt zwar für die elementare Bildung und Erziehung, nicht aber
tat die höhere Bildung und Endehnng, die dnreh die Colleges und Universi-
titen Tennittelt wird; diese BUdnng ist bis anf wenige Ansnahmen (West
Point nnd NavalAcademy) aof die ünterst&traing nnd Mwillige Beiträge der
reichen Bürger angewiesen, die anf diese Weise sich den schönsten Denkstein
fBr zokfinftige Generationen setzen. Am Schlüsse seiner Bede dankt Hayes
hn Namm des Vaterlandes dem hochherzigen Bürger.
Die weiter folgenden Reden dienen zur näheren Charakteristik der An-
stalt; es ist im Ganzen ein heiteres Bild, das sich dem Leser entrollt, ein Bild,
in dem besonders eine Gestalt, die des würdigen, schlichten Pardee, uns an-
muthet; von Allen gefeiert, zieht er sich stets in den Hintergrund zurttck, er
hat haisdeln nnd wolthnn, nicht aber reden gelernt, nnd es bedarf eines
langen, hstraiufordeniden BeifUls, bis er, von Cattell vorgestellt, einige knnse
Worte d^ Dankes stammelt.
In der eigentlichen Festrede des Professor March ist besonders ein Punkt
hervorgehoben: der Redner führt seine Zuhörer durch das ganze Gebäude und
erklärt ihnen die Hedeutunti:. Pjpstimmung und Wichtigkeit von all f>m nnd jedem.
Auf diesem Gange müsse es dem Beschauer besonders auffallen, wie reich die
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i,'auze Hallt', (lic einzelnen Zwci^^e dei- Wi.-sensfliat'tcn mit Hilfsmitifln aller
Art ausgestattet seien. Was jiins"Kt in dieser Zeitscliriti ^flehentlich der Be-
sprechung der Arbeiterscliule von einem andern Amerikaner gefordert wurde,
nftralieb weniger Theorie und mehr piaktiflche Aasbfldnng, das wird auch hier
mit beredten und flberzengnngBTollen Worten als wichtigstes Erfordernis hin-
gestellt — Etwas Neues bringt also dar Redner damit nicht vor, er stimmt
nur in den gnossen Chor mit ein; dass die Klarheit der Ideen und die Stärkung
des Ged.'lehtnis.ses durch praktische Übungen gefordert wird, dass vennöge der-
selben der 'Mann schon aus dei- Seluüe verwendbar heraus tritt ins praktische
Leben, das alles ist iiielit nur dem praktischen Amerikaner, sundern auch dem
mehr theoretischen eiir('i»;iisclien l'iidafj-o-^rn klar geworden. Auch die IJeluiup-
tung, aus dem Manipulator werde eher ein Ertiiider mid Entdecker werden
ans dem Themretiker, mMte wol wenig angefochten werden.
Wichtiger und interessanter seheint uns die Besprechung der gewöhnlich
angefahrten Ge&hren, die in einer solchen Art nnd Welse der Bildung liegen
sollen. Man behaupte, sagt der Redner, dass dieses Arbeiten in Labo-
ratorien, das Studium einzelner Facten nnd secundärer zerstreu-
ter rrsachen den Geist beschränke, die Menschen vielleicht tüch-
tig mache für ihren engeren Lebensberuf, aber unfiihig für inu-
fassendere Pläne und weiterreichende (resichtspunkte der \Vir%st>n-
schaft. Ferner würden liier die Worte Bacon's ins Feld gefühlt: „Ein
bisschen Philosophie führt des Menschen Geist zum Atheismus.^
Der Bedner gibt die Existenz dieser Oefohren za, die Beseitigiing de^
selben sei schwer nnd mit vielen Opfern von Zeit und Geld rerbuiden» beson-
ders mit Rücksicht anf die technischen Fächer. Hier sucht die Anstalt einen
vermittelnden Weg dadurch zu finden, dass sie einen gemischten Stundenplan
bietet; die technischen Studien werden von Anfang an betrieben und erleiden
keine Unterbrechung, es wird aber damit auch das Studium anderer Fächer
(Religion, Bibel, wie wir weiter unten noch hören werden i verbunden. — Die
Gefahr bezüglich des Atheismus fertigt Hedner zusammenfassend so ab: „Ein
bisechen Philosophie fOhrt des Uensehen Geist znm Atheismus, aber Tiefe in
derselben bringt ihn wieder zn Gott zurttcfc; denn solange als des Mannes
Geist auf zerstreute, secundare Ursachen schaut, mag er wol UsweQen bei den-
selben beharren nnd nicht weiter gehen; aber wenn er die sie vereinigende
Kette betrachtet, so muss er (der Geist) sich nothwendigerweise zur Vorsehung
und Gottheit aufschwingen.'^ —
Der uns voi lieireiide Catalogue of Lafayette College 1880 81 macht uns
weiter mit der inneren Organisation der Anstalt vertraut. Wie schon aus den
Worten des Präsidenten Hayes zu entnehmen war, überlässt der Staat den
höheren Unterricht privaten Unternehmungen, dem Wolthfttigkeitssinne der
BQrger, den Gemeinden und theilweise auch den Beligionsgenossenschaflen.
Aus allem erhdlt, wenn es auch nicht offtciell ausgesprochen wird, dass das
letztere Element gerade bei dieser Anstalt den bedeutendsten Eintluss aosfibt.
Um nicht vorzugreifen sei nur bemerkt, da.ss bei der ganzen En'irtnnnir ein
streng religiöses Ceremoniell vorherrscht: so wird beispielsweise nicht unter-
lassen vor und nach dem Festessen das Segen- und Dankgebel zu sprechen, es
wird das nicht vei^chwiegen, sondern im Gegentheil möchte man sagen, osten-
tativ hervorgehoben.
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Die Anstalt steht unter einem Cnratorinni von 24 Mitgliedern : die Facultät
bestellt ans 16 (ordentl.) Professoren, 6 Adjnii< t-I'rofessoren. je ciiK in Assisten-
ten, Bibliothekar nnd Seelsorger. Pas College kommt im Hangt' einer Hoch-
sclinle gleich. Die Hörer, welche, soviel ans dem (ianzen /n ei-sehen ist,
bammiiicii inierue sind und demnach Wohnung, Kost etc. an der Anstalt haben,
UmOoi dch in zwei Groppen: 1. Postgradnates oder solche, welclie auf der
Schule noeh ▼erblelbeai, nachdem sie ihre ordentiichen Stadien abeolvirt haben, nnd
sich nnn aneh noch dem Stadinm anderer FScher zu widmen oder Grade zn
erlangen ^\imschen (gegenwärtig drei); 2. Undergrarlnates od» ordentliche
Hörer (gegenwärtig 287); diese zerfallen wieder in 4 JahrgUnge: a i Soniors
(57) oder vierter (letzttT) Jahrgang; h) Junioi's = dritter Jahrgaiij^ Mi]):
c) .'^ophomores = zw»'iter .lahrgang (67): d) Freshnien (Neulinge) = t-rster
Jahrgang (102). Jeder Jalirgang oder Cnr.s zerfällt nicht wie hei uns in zwei
Semester, sondern in drei Ahschuitte (Terms) und zwar für das Schuljahr
1880/81 Tom 2. September bis 22. December, vom 6. Jftnner bis 23. Mftrz
ud vom 7. April bis 30. Juni; die übrige Zeit des Jahres sind Ferien.
Was nun die tradirten Fächer nnd ihre EintheUun«: in Gruppen betrifft,
60 unterscheidet man an dieser Anstalt gegenwärtig drei Hauptgruppen: l.Die
elassische Ahtheilnng, am meisten an unsere philosophisch-hnmanist Ische
Gruppe sich anlehnend, es wird aher aneli der T'nterrieht in realistisehen Fächern
damit verbunden, wie z. B. Mathematik. Astrononiie, Natiirphilosojihic. Chemie,
Bülanik, Zoologie, Mineralogie und Geologie; 2. seit 1867 durch die Schenkungen
Pardee's auch eine wissenschaftliche Ahtheilnng, sich anlehnend an
onsere phfloaophisch-WMUistiscJie Gmppe, es wird hier das SchweiigewiGhtanf die
NatorwisMnschaften nnd Mathematik gelegt; es werden aber femer anch noeh
■odeme Sprachen (dafUr auch nach Wahl Latein), Geschichte, Rhetorik, Logik
nnd Philoso|diie tradirt; 3. eine technische Ahtheilnng. welche sich aber
nach dem zweiten Jahre in einen Civilingenieiuv nnd Beiigbaningenienreors
scheidet.
Weiter auf die Vei-theilung dieser i-eichen Stoffe, auf die einzelnen Jahr-
gänge und Absclinitte (terms) einzugehen, w lude uns zu weit führen, wii* ver-
weisen hier nnr noch anf die Bemerkung des Prof. March, dass diese Anstalt
einen gonischten Stndienplan bietet nnd demgemftss einen Gegenstand dnrch
all« oder mehrere Jahrgflbige neben mehreren anderen Gegenständen lehrt So
werden in der philosophisch-hnmanlstischen Gmppe, eroter Jahrgang, im ersten
Abschnitte 10 Fächer, im zweiten 8 Fächer, im dritten 9 Fächer gelehrt
Ähnlich verhillt es sich bei allen andern Gruppen nnd Jahrgängen.
Um in das College aufgenommen zu werden, hat sich dt i- ( aiulidat an der
Anstalt selbst einer Prüfung zu unterziehen, die ungefähr den T-chi-stoft" der
ersten sechs Classeu unserer Mittelschule umfa4isen wird. Das College ver-
leiht auch Grad«, und zwar den Grad eines Baccalaorens der Künste denen,
welche alle Jahrgänge der dassischen Gmppe, eines Baecalanrens der Wissen-
sehaft denen, welche alle Jahigänge der wiBsenschalQichenGmppe absolvirt haben.
Hat ein«HOrer der letzteren Abtheilnng anch Latein gehört, so wird er
znm Baecalanrens der Philosophie ernannt.
Ebenso ertheilt es auch den Grad eines Civilingenieurs. t^ber andere
treqnenrii te iTcgcnsriinde werden Zeugnisse ausgestellt. •- Hat ein liaccalauivus
of art« t>eiiie Studien weitere drei Jaiire Reissig an der Anstalt alt» Postgraduale
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betrieben und kann er weiter ein gates Sitteozeugiiiä (!) aufweisen, dann kann
er Magister werden; daesellie ist der Fall bei der wieeeaeeliaftUelieii Gruppe.
Solche noch drei Jahre nach «Vollendiinir der ordenflidieii Studien an der
Anstalt verbliebene HSrer können mit Zostimmnngr der FacoltSt zor Gandi-
datur eines Doctora der Philo8oi)hi(' zugelassen werden.
Im Lelir})lan ist bisher von Religion noch keine Rede gewesen, und doch
ist nach liom früher Gesagten von vornhei-ein zu v*M-niuthen , dass sie eine
grosse Rolle sjiielen werde. Und in der That giVjt e.s keinen Ciirs, in welchem
nicht Kt'li'^ion und was damit in \'erbindung steht, gelehrt würde. Ausser den
Declamationen, .Themen und Debatten in den verschiedenen Cai-sen wiid Bibel*
lectüre, Katechismus, Geographie der Bibel Beligionspliilosophie etc. etc. be-
trieben; es genüge hier den Schlusssatz, den ünterricht in der Bibel betreffend,
anzuführen: „'S» wird beabsichtigt, die Bibel, zum Centraigegenstand des
Studiums im gesammten Unterrichte zu machen." Das Beste an der Sache
mag das sein, dass diese Bibelstudien zum gewesen Theil in fremden Sprachen
betrieben werden. Sowie unsei-e Kleinen von 6 — 14 Jahrt ii zur Kirche ge-
führt werden, so haben hier die grossen Studenten tiiglich den (rebeteu in der
Kapelle des CoUegiums und jeden Sonntag der Predigt anzuwohnen.
Wenn wir unsere Ansicht frei aussprechen sollen, wie uns ein solcher Unter-
richt und besonders eine solche Endeliung zusage, so kann sie nun und nimmer
gftnstig sein. Das Opfer, das man da bringt, den f nngen Hann vor dem Atheismus
zu bewahren, scheint uns ein hSchst bedenkliches. Man denke sich, dass der
Student durchschnittlich nenn Gegenstände als Fachstudium nebeneinander zu
betreiben hat! Wie kann da die Tiefe erreicht werden, mit welcher Prof. March
die gefürchtete Klippe vermeiden will? Wemi auch die Freiheiten imsei-er
Hochschulen für manchen jnnR:en Mann M'rderblicli sein können, .so können wir
uns doch nicht mit dieser strengen, knabenhaften Erzieliungsmethode befreunden,
und es bleibt geradezu unerklärlich, wie Professoren, die selbst so energisch
die praktische Ausbildung fttr das Leben verlangen, einer solchen engherzigen
Erziehungsweise, die jede selbständige, eigenartige Entwicfcelung hindert and
den Jfingling zum kurzsichtigen Mucker erzieht, ihren Dienst leihen können.
Man mag sich nach Coquettenut auch noch so fleissig mit den schönste
Urund-sätzen unserer grössten neueren Pildagogen aufputzen, den hartnäckigen
Puritanertrotz kann man docli nicht verbergen. Uni Jene Klippe zu vermeiden,
wird Tatr für Tag, ja fast Stunde für Stunde von allen Seiten mit der Bibel
auf den jungen Mami eingewirkt. Aber fieilich nur auf solche Art wird es
erklftilich, wie in nnserm Jahrhundert Muckerthiun-Sectirerei in dem gelobten
Lande der politischen Freiheit noch eine so grosse, den allgemeinen Fortschritt
gewiss schädigende Bolle spielen können. Interessant wäre es noch zu erfthren,
wie sich diese Herren Professoren ihren Herren Hörem gegenüber mit den
neueren Forschungen und Entdeckungen in den Naturwissenschaften abfinden,
die doch mit der Bibel, so viel man hört, ein wenig collidiren sollen. Eine
Uberzeugung hat sich bei Betrachtung des Lafayette-College neuerdings in
uns befestigt, nilmlich die. daas, um solchen Auswüchsen vorzubepgen. es nicht
weniger Sache des Staates .sei für die Hochschulen zu sorgen, als tür den
unteren Untenicht.
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Politische Erziehung.
lo der „Wiener päda^g^iBchen Gesellschaft" hat letzthin ein Mitg^lied
deraelben. Herr A. Bruhns, einen Vortrag über das Thema gehalten: ^Wie
hl dip .Tn?end für das politische Leben vorzuhpreitenV** DerRedn»'r
entwickelt»^ und befi^ründete folg:ende Hauptg-edanken : Durch di»' Eintuhniii}^
des ronstitutionalismns tritt das politisch*^ T.cbeu mit einer Fülle von Forde-
nmgeii an den Einzelnen heran, zu deren Ertullung die .]uy:end bis jetzt wenig
«der gar nicht vorbereitet wird; diese Vemachlässigung schädigt die Ent-
«ickeliiog des Stoafcss. Das politisehe Leben fordert vom Staatsbürger im
Allgemeinen werkthfttige Liebe mm Vaterlande^ im Besonderen: Theilnahme
u der zur Erhaltan|[r desselben nöthigen Steuerlei»tung und militärischen Ver-
tiwidigang. feraer an der Gesetzgebung und \'erwaltung (Wahlen für politische
Körperschaft f'n . eventuell Übernahme von ^fandaten), endlich an der Rechts-
pflege. Zur Erreichung dieser Ziele ist für jt-nen ^■r().sst'n Theil der Bevfilkerung,
welch» r in der Volksschule und in den gewerbliclicn. coniniei-ziellen (Ml«'r land-
wirtschaftlichen Fortbildungsschulen seine Ausbildung erhalt, im Ganzen nur
iimerst d&rftig, in mancher Beziehung gar nicht gesorgt. Die Volksschale
kaaa den betreifenden Anibrderongen nicht vollständig genügen, weil es ihr
tt Zeit maogelt, und wefl die Intelligenz ihrer Schüler za wenig entwickelt
ht Deshalb ist ein strenger Anschlnss d«r Foitbildungsscbnle an die Volks-
Kfanle and die gesetzliche Verpflichtang znm Besache der ersteren nothig, üi
welcher der grösste Theil jener Vorbeivituns: für das jK)litische Leben statt-
finden niuss. Es ist zu bedaueni, dass bei Errichtung von Fortbildnng^scliulen
ffpgt'iiwärtiGr nur industrielle, merkantile und landwirtschaftliche Interessen
m Auge gefasdt, diejenigen Disciplinen aber, welche den jungen Mann für
dm öffentliche Leben befthigen künnen, veniachlässigt werden. Die Schule
■ms jedoch anch veisnehen, das Gemfith der Kinder .für das Vaterland zn
cnrlrmen; dies kann geschehen einerseits durch den Unterricht^ andererseits
durch Veranstaltung patriotischer Feste, an welchen die Kinder dnreh Gesang,
Declamation. Turuspiele a. s. w. activ theilnehmen sollen.
Ohne Zweifel ist in dem Vorstehenden eine wicht i,!<t' Erziehungsanfgabe
hervorgehoben und zu frachtbaren Erürterun^en in Lehrerkreisen eine be-
acLtt-nswert^ Anre^unji: gegeben. Wir bemerken hierzu, dass in Belgien auf
Gnmd eines köDiglicheu Decretes die Lehrerbildungsanstalten auch das \ er-
bttongs- and Verwaltongsrecht nebst den Gnindbegriffen der Volkswirtschafts-
Übe, sowie des Handels- und des bürgerlichen Rechtes fai den Lehrplan auf-
(Mommen haben. Den bezüglichen Unterricht soll ein Bechtsgelehrter ertheilen,
HU m hSheren Scholen jedenfalls räthlich sein düi-fte , w älirend in Volks- und
FatUldmigsBehiilen die Lehrer selbsti eine genügende Vorbildung vorausgesetzt,
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den pupuläreii politischen riiteriiclit g-ebeii köniieii. Auch in Deiitichiaud ist
die hier berührte Uutemchtsaufgabe schon melirfach erörtert und bearbeitet
worden. Wir verweisen z, B. auf den „Katechismus des deutschen Reiches**
von Dr. Wilhelm Zeller (Leipzig bei J. J. Weber). Die praktische USsang
der Ao^be ist schwierig, aber sie mnss versncht werden. Denn die modernen
Staaten können unmöglich g-edeihen , wenn niclit in weitere Kreise jenes Mass
politischer und volkswirtschaftlicher Einsicht dringt, welches den Einzelnen
über seine Existenzl>edin»-ung-en. ülter seine Stellung: im gesellschaftlichen (ie-
ti'iebe, über seine Rechte und l^ilichteu im Staate aufklärt.
Fröbel-Jubiläam.
Am 21. April 1882 werden 100 Jahre verflossen sdn, seitdem Friedrieh
Fröbel das Licht der Welt erblickt hat. Der „Allgemeine Erziehnngsverein'^
in Dresden, welcher sich vor 10 Jahrra gebildet hat, um im Geiste Fröbel's
zn wirken, und welcher zn seinen hervorragendsten Mitj^-liedern die bedeutendste
Vertreterin der Fröbel'schen PJldagogik. die Freifi aii von Maren holt z-Bülow
zählt, hat den Beschluss g-efasst, seine nächste Hauptversammlung am Ceutral-
sitze abzuhalten und mit der Feier des Fröbel-Jubiläums zu verbinden. Er
ladet nicht nur seine Mitglieder und Zweigvereine, sondern alle Gesinnungs-
genossen nnd Verehrer FrOhels m der beabsichtigten Festfeier in Dresden ein.
Man kann derselben mit den besten Erwartungen entgegensehen, um so mehr,
als einer der vorzSglichsten Kenner nnd Anhänger FröbeFs, überhaupt ein ans-
gezeichneter PUdagog nnd zugleich ein Meister des Wortes, Dr. Wichard
Lange in Hamburg, die Festrede übernommen hat. Also ein Gläclcanf zum
21. April in Dresden!
Venmtwortiicher Bedaetear: M. 8t«in. Baobdrnckerei Jaliui KUiikh*rilt, Leipn^.
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Gedanken über den Idealismns der Arbeit
Von Ogkar Waldeck,
L
Als icli jüngst den Satz — : „Soweit der Mensch zu einer Hand-
lung dadurch bestimmt \\ird, dass er unzureichende Vorstelluno^en hat,
kann man nicht unbedinc^t sMoreii, dass er aus Tugend liandlf, soudeni
nur, soweit er durch etwas bestimmt wird, Avas er erkennt'* — in
Spinoza's Etliik (IV. Th. C. 2B) las, merkte ich sofort, dass w hier
eine ergiebige Quelle wichtiger pädagogischer Gedanken haben.
Wenn wir nicht jede gute Fertigkeit im allgemeinen Tugend
nennen, sondern nnr jene edle Fertigkeit, die durch natnrgemfisse
Ausbildung einer bestimmten Anlage entwickelt wird, dann werden
wir den Bestimmnngsgrand zu einer Handlung von der Handlung
selbst trennen mttssen, nm uns den Inhalt des Begriffes „Tugend** zn
venehaffen. Der Besttmmnngsgmnd einer Handlung ist bdm Menschen
der Oedanke. Dieser ist gleichzeitig das gesetzgebende Moment des
Lebens, das im Sinne des Gedankens wirkt und schafft.
Denken und Handeln sind Lebenserscheinnngen und f&llen ein-
hdtlieh eine Existenz ans. Inwiefern wir diesen beiden Arten von
Erscheinungen eine Ursache beilegen, erhalten wir die latente Lebens-
kraft als gemeinsame Quelle, als die gemeinsame Ursache beider
Gattungen von Erscheinungen. Denk- und Arbeitskraft sind dem-
g:emäss die beiden Componenten der Lebenskraft und begleiten sich
regelmässig in «'iner solchen V\ eise, dass sii' wie Ui sache und W irkung
auf einander f(»lfjen. Greifen diese beiden verschiedenartigen Er-
scheinungen harmonisch in einander, dann haben wir an ihnen die
Kennzeichen eines bestinmiten Charaktei's. In der Ülx^reinstimmung
'It'r ])eiden spedüsch vei*schiedenen Erscheinungen, der Gedanken und
der Handinngen, liegt das Wesen eines natürlichen Charakters. Wol
kann auch künstlich durch rücksichtslose Erziehung eine Überein-
stiimnnng erzwungen werden: dann ist das Wesen des Charakters er-
PMdafogfa». 4. Jahig; Haft IV. U
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künstelt uud niclit frei. Frei ist ein Wesen, dessen Ged;uiken Lebens-
erscheinunj^en, dessen Handlun<^en die Foltren jener (Tt'danken sind.
Wie können wii' uns überhaupt freie Erselieinung:en denken, wenn wir
niclit an ihnen das Cliarakteristische des Wesens voi*finden? Das
Natürliche ist, das Unnatürliche ist nicht. Sein ist Einheit, Nichtsein
ist Vielheit in unsem Falle. Wir Terstehen unter Charakter eine
gewisse Übereinstinimang, ein gewisses Gemeinsames specifisch ver-
schiedener Erscheinungen; viele Eigenschaften, von denen Jede einen
nothwendigen Bestandtheil der Einheit, des Wesens bildet, so dass jeder
einzelne Fall einen Schlnss auf das Ganze gestattet Wir sind auch
gewohnt zu sagen: „Wir haben von diesem Manne es nicht anders er-
wartet." Dass dieses Charakteristische eines Wesens mit dem Triebe
zugleich gegeben ist und durch diesen zum Ausdrucke kommt, lässt sich
nicht leugnen, da der Trieb der Selbsterhaltung bei jedeni einzelneu
Menschen mittelbar durch die Lebenskratt in einer andern \\'eise die
Existenzfrage zu bisen trachtet. Gerade dieses Eigenthüniliche ist es.
wodurch die Natur dem Individuum die schwierige Aufgrabe: die
Existenz zu behaupten, zu erleichtern beabsichtigt. Dieses Eipentliüni-
liche macht das Individuum zu einem nothwendigen Bestandt heile der
Gesellschaft, innerhalb deren es oliue bedeutende Concurrenz durch
seine individuelle Befähigung in seiner Weise seine Existenzfrage
beantworten soll, ohne dass andere Existenzen dadurch geschädigt
werden. Wird diese individuelle Persönlichkeit richtig auQgebildet, so
veri> das Individuum über einen Kraftbestand, der an der Seite
vieler ebenbürtiger Anlagen anderer Existenzen das Individuum der
Naturabsicht gemäss zum Ziele föhrt und zum Nutzen und Heile der
Gesellsdialt sich ent<en lässt.
In dieser Weise will auch der spinozistische Satz autgefasst sein:
„Unbedingt ans Tugend handehi ist dasselbe, wie nach Gesetzen der
eigenen Natur handeln. Aber wir handeln nur soweit wir erkennen,
deshalb ist aus Tugend handeln nichts anderes in uns, als nach
Leitun<> der Vernunlt handeln, leben und sein Sein bewalii'en und
zwar auf (Grundlage des Strebens nacli seinem eigenen Nutzen." f(\ 24.)
Im Begeliren überhaupt zeigt sidi der Trieb, und der individuelle
Trieb im bestimmten Begehren. Selbst das Kind hat seine Eigen-
heiten, die Eltern und Erzieher oft falsch beurtheilen. Sie verstopfen
gewaltsam die kleinsten Quellen der Natur uud verdrängen das Eigen*
thümliche, indem sie das Allerem eine an die Stelle setzen.
Der Trieb fordeii;, und der Gedanke zeigt an, was der Trieb
fordert So erscheint in der Seele, was im Wesen latent gelegen, und
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aus Gedanken baut sich auf das ideale Abbild der gelieimnisvoUen
Innenwelt und sammelt sich zum reinen, geistigen Ich. In diesem Ich
Terdichtet sich das Charakteristische des Wesens. Der Trieb theilt
alsdann die Lebenskraft und sendet einen Zweig in die geistige
%iliSr8, 4er in den Gedanken leibt und liebt, und diese ideale 1^
sekeinimgswelt organisirt» nm im Bewegangsgnmd die Willenstftrke sich
n TerechaiTen, das autonome Gesetz, das die Arbeitskraft richtig
verwertet Diese Ansicht dürfte so Manchem nicht zusagen, weü
der Gedanke als ein&che Naturerscheinung am wenigsten zu wÜIktbv
liehen Denkoperationen sich eignet und als einleitendes Moment des
Denkprocesses predacht allen überirdischen Schmuck und Aufputz von
sich weist mid als einfaches seelisches Element Kraft des ihni immanenten
Verwandtschaftsgefühles wirkt und schaift.
Aus dem bisher Ges;ie:ten ergibt sich von selbst, dass Erkennt-
nisse nm- dann für das geistige Leben Wert und Bedeutung liaben,
wenn ihi* Schwerpunkt in jenem Theile der (it^d<inkensi)häre liegt, in
welchem die Kraft des Naturtriebes sich conceiitrirt. 8onst träg:t das
Seelenleben ein Gedankenconglomerat, das immer wieder zerfällt und
neuen, anderen Gedankenmassen den Platz räumt Gerade innerhalb
jenes Schwerpunktes liegen die präponderirenden Gedankenorgane zu
einem GedankenkOrper. Wie jede organische Zelle ihre Nahrung ana-
lynrt, die nöthigen Elemente sich herausholt, die andern wieder ab-
gibt, in dersdben Weise wirken die G^edankenorgane vertheilend auf
die ihnen dargebotenen Gedanken und gliedern dieselben nach dem
Grade der Verwandtschaft im Verhältnis zum Gedankenkdrper selbst '
In einem derartigen Gedankenbau wechseln die seelischen Elemente
fortwähi-end, um dm ch andere, die dem Lebenszwecke besser entsprechen,
ersetzt zu werden. Nennen wir das individuelle Verwandtschaft s-
geföhl, das durch die Gedankenkreise zieht, Bande löst und andere
knüpft, Phantasie, Verstand, Vernunft, <lasselbe ist den Gedanken
immanent und gehört als Bestandtheil zur Lebensstimmung.
Eine ideale Entfaltung der Triebkraft kann demgemäss nur durch
die Befreiung der Innenwelt eines Individuums durch den Gedanken
möglich sein. Indem wir das Gefühlssystem des Kindes mit den
Nstorerscheinungen in Verbindung setzen, werden die Elemente der
inneren Spannung nach nnd nach frei, jede Reizemplindung wird ein
entwickdungsf&higer Gedankenkeim in der Seele, der gut gepflegt
gedeiht und bald im Schosse des Lebens als Bewegungsgrund sich ent-
puppt, den Lebenszweck näher zu bestimmen» der Lebenskraft die
Bkhtung anzuweisen.
14*
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Von diesem Gesiclitsininkte müssen wii- den Gedanken Spinoza'»
\vürdig:en, wenn wir seiner idealen Aiiifassung der menschlichen Frei-
lieit nicht den Stempel des rohen Egoismus — wie dies von Seite der
Gegner Spinoza's so gerne gescliieht — aufdrücken wollen. Der Mann,
der die Aussprüche gethan: „Nichts Einzelnes gibt es in der Nator^
was dem Menschen nfttzlicher wftre als der Mensch, der nach der
Vernunft lebt; Je mehr eui Mensch nnr seinen Nutzen sucht, desto-
mehr sind die Menschen einander gegenseitig nützlich; Der Mensch
ist dem Menschen ein Gott** u. s. w^ kann wahrlich am wenigsten
des Egoismus beschuldigt werden. Können wir das Ideal der vollendeten
Ihdividualit&t das des Egoismus nennen? Ist der vollendete Trieb ein
Gespenst, das wir fürchten müssen, dann muss alles Natüi'liche den
Keim zum Gespenst in sich tragen; aber:
,,Aii aich gibt es weder Gutea noch Büses,
Bas Denken maebt es erst dazn/' (Hamlet.)
Glauben die (legner dieser Idee durcli ihr Moralgesetz — das am
Ende niclits Anderes als ein abstracter (ledanke ist — ohne die Natur
nm ihre Freiheit zu verkürzen, oline den Trieb gerade durch diesen
ihren Gedanken zu beeinträchtigen, die Lebensmaxime zum objectiven
Princip erheben zu können? Niemals! Sie unterwerfen gewalt^sam das
„subjective Princip" dem ^objectiven", das Individuum dem Glauben, die
Natur dem fremden Gedanken, und verdunkeln die Naturabsicht, das.
m
I
nTm
Kinde ezperimentiren, alle möglichen Gedanken herbeiholen, die irgend
einem Zwecke dienen könnten. Solche nlmperative der Geschicklich-
keit" enn&den die natOrliche Anlage und zerstören die besten Ffthig*
keiten. „Weil man in der frühen Jugend nicht weiss, welche Zwecke
uns im Leben anfstossen dürften, so suchen Eltern vornehmlich ihre
Kinder recht vielerlei lernen zn lassen, und sorgen für die Geschick-
lichkeit im Gebrauch der Nüttel zu aHerlei beliebigen Zwecken, von
deren keinem sie bestimmen können, ob er nicht etwa wirklicli kiuittiir
eine Absiebt ihres Zlmhuij;^ werden kcinne, wovon es indessen docli niüg-
licli ist; dass er sie eiiiiiial liaben möchte, und diese Sorgfalt ist so gross,
dass sie darübei- gemeiniglich verabsäumen, ihnen das Urtbeil über den
Wert der Dinge, die sie sich etwa zu Zwecken machen möchten,
zu bilden und zu berichtigen." (Kant, Met. d. Sitten IV^ Aufl. IL Ab-
schnitt S. 41.) Moralsätze wie jene Imperative der Geschicklichkeit
verschwenden die Naturkraft, indem sie der Individualität den Weg^
zum rechten Ziele verrammeln. Ohne ein Entgegenkommen von Gedanken
aus dem Innern ist überhaupt kein Unterricht möglich. Wozu hätte
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die ^iator auch jedem einzelnen Menschen einen bestimmten Trieb
gegeben, wozu hätte sie jeden mit andern Fähigkeiten versehen, wenn
der Mensch mit Hilfe seiner Imperative der Geschicklichkeit ein be-
liebiges Ziel dem angehenden Menschen zur Lebensaufgabe setzen
Uimte? Wo gfthe es eine persönliche Freiheit flheihaapt, wenn vrir
dnreh jeden Gedanken das Leben näher bestimmen, den Charakter
liditig entwickehi konnten?
Jn der harmonischen Übereinstimmnng der Denk- nnd Arbeits-
kraft Hegt das Ifaximmn der LeistongsfiUugkeit des Individnoms, in
der Erkenntnis der Naturabsicht das ideale Ziel der Erziehung. Vom
spinozistischen Standpunkte aus inuss der Pädagoge den Menschen als
Gegenstand der Erziehung behandeln, wenn er natur<?eniäss erziehen
«ill. Die so lan^^e verkannte Individualität niuss in den vollen Besitz
ihrer Rechte gesetzt werden, wenn die individuellen Anlaj^en mit der
gesammten Triebkraft frei im Sinne der Naturabsicht dem Ziele der
SelbstbestimmuDg zustreben sollen.
n.
„Der Begriff der Selbstbestimmung entzweit das Sichselbstbestim-
nende mit sich selbst, eben in dem Acte der Selbstbestimmung durch den
Oegensatz der Activit&t und Passivität (des Bestimmens und Bestimmt-
wodeüs).** (JBerbart, EinL in die Philos. 4 AufL S. 17a) Ist der
Hensch ein Zvitterding, dass an eineo G^egensatz zwischen Activität
ud Passhritftt gedacht werden darf? Der Mensch selbst hat diesen
Gegensatz der Natur auibctroyirt, indem er das beste erziehende Moment,
den freien Gedanken zu einem höheren, übernatürlichen Grebilde erhoben.
S-) ist zum T>Tanuen geworden, was zum idealen Fluge bestimmt
gewesen. Der g-esetzmässige Gang der Natur protestirt gegen eine
derartige ungerechtfertigte Behauptung, gegen die Anmassuni; des
%oismus Kiuzelner, die in einer unnahbaren Welt verklärt zu thronen
gruben. Der Mensch ist eine harmonische, freie Welt, in der jede
Begnng des leidenden Zustandes ein Element der Existenz bildet.
Diese Elemente gedacht werden Bestimmungsgrund des Selbstzweckes,
der mit dem Triebe gegeben ist und durch die Triebki-aft befreit wird.
Frei ist der Mensch, wenn ihn sein Gedanke zur WMiHlnng bestimmt.
Und sein eigen ist degenige Gedanke, der als Element seiner inneren
Spannung frei geworden.
Ein Gegensatz, der Activität und Passivität sondert, trennt ür-
iMhe nnd 'Wirkung von einander und hebt den Selbstzweck auf. Er
setzt an die Stelle des Selbstzweckes einen beliebigen Zwe<±, an die
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Stelle der Selbstbestimmung einen beliebigen Bestimmungsgrund und
ist unnatürlich.
Diesen Gegensatz zwischen Activität und Passivität hat die ver-
fehlte Erziehung in das Herz der Menschheit getragen und durch
die CTedankencoltur soweit ausgebildet^ dass ms das Unnatürliche zur
Gewohnheit geworden. Wir tragen ein schweres Joch, wir sind an
eherne Bande geschmiedet, ohne dass wir es wissen; wir opfern einem
Götzen, weil unsere Yorfiediren in knechtischer Ergehong zn ihm sich
bekannt haben; wir lieben den schlhmnsten Tyrannen unserer persön-
lichen Freiheit, drücken selbst ihm das Schwert in die Hand, ver-
teidigen sem Gesetz, das nns zn Knediten macht, zn gemeinen
Sklaven.
Nicht die transcendcntale Freiheit — wie Herbart raeint —
verwickelt bei einer freien Wahl zwischen dem Guten und Bösen den
Willen in Widei-sprüche, sondern das falsche, unnatürliche Beharren:
der alten Tradition treu zu bleiben, die mit Gewalt unsere persönliche
Freiheit niederhält und als objectives Gesetz die Natur aus ihrer
autonomen Stellung drängt. So versiegt der Trieb, so verküiiimeni
unsere Anlagen und Fähigkeiten, so wird die Lebenskraft decimirt
und die Arbeitski-aft durch den fremden Bestimmung-sgrund , durch
den despotischen Gedanken gegängelt. In dieser Weise hat Herbart
recht, wenn er die Selbstbestimmung eine Veränderung nennt Der
Wechsel der Gedankenreihen ist freilich eine Verfindemng, aber eine
Verftnderong, inwiefern sich Glieder emer onanfliOrlichen Kette fort-
während ablösen, nm dem sicheren Ziele, anf das das gesammte Streben
des Indiyidamns gerichtet ist, sich immer mehr zu nähern. Da gibt
es aber nnr eine Fortsetzung, und keinen Gegensatz; da gibt es nnr
ein Ineinandergreifen der Ursachen und Wirkungen. Da ist alles
Existenz und kein Fremdartiges, alles Ich und kein Nicht-Ich, Ein-
heit und keine Vielheit, da ist alles, was es ist und nicht, was es
mögliclierweise sein könnte.
Bei einer oberflächliclien Betraditung des Xatiirganges scheint es,
als ob die Natur ilire Triebe der Hand des Zufalls überlassen winde,
allein ein Blick in das innere Getriebe dieser Werkstätte zeigt uns,
dass, wohin die Natur selbst einen Keim gelegt, dort gedeilit er, dort
entwickelt und veredelt er sich immer mehr in der Kette von Gene*
rationen, ohne im wesentlichen seine Existenzfrage zn verändern.
Von seiner Existenzfrage ist das Wesen abhängig. Eine derartige
Abhängigkeit zieht zwar dem Triebe eine Grenze, schränkt die Frei-
heit jedoch in keinerlei Weise ein. Das Wesen strebt innerhalb
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sdner Existenzfrage zu verharren und begehrt nichts Fremdartiges.
Die Existenzfrage will beantwortet sein und der Trieb analysirt die
Natur und eignet sich an, was er bedarf. Wenn ein Keim seinen Be-
daif nicht decken kann nnd abstirbt, dann war er dem Zn&li preis-
gegeben. Die Natur selbst hat ihren Wesen den Himmelsstrich ange*
wiesen, wo alles fllr ihre Ent<nng vorbereitet liegt Kann, wenn
uiter solchen Umständen die Wesen gedeihen, dies das Werk des
ZnfiiDs genannt werden? Da, wo alles, was ineinander anfgrehen soll,
neben einander besteht, da gibt es keinen ZniUL Znüill ma^ es sein,
ob diese oder jene Existenz unterlien:t, ob dieser oder jener Trieb
analysirt wird. Die Natur ist l)oiiiiiht, die Gattung zu erhalten, und
kann das Individuum niclit berücksichtigen. Um die kosmopolitische
Idee consequent durchzuführen, muss sie noth wendigerweise den luiliei eu
Trieben die niederen Triebe unterordnen. Nahrung und Sichernähren-
des nuiss es geben. Dies ist aber nicht anders möglich, als wenn
Existenz in Existenz aufgeht, höhere Triebe auf Kosten der niederen
sich behaupten. Nur so ist es möglich, dass das latente WelUdeal
frei wird. Das Emporstreben der Triebe, das Zusammentreten zu
höheren Gebilden, dieses Anssichheranstreten der latenten Welt
mani&stirt sich klar in d^ gesammten organischen Natur im Triebe
des ICmamlnAn^ wie im Dichten nnd Trachten des grossen Ganzen.
Alles will werden, weil es nnr scheinbar ist, noch nicht ist, was es
sein will, was es sehi solL Der Mensch pflanzt am Grabe noch seine
Hoflhnng au£ Das nie zn befriedigende Gef&hl, dass er noch nicht
aDes ans sich herausgetragen, dass er noch einen besseren, edleren
Theil unter dem Herzen trage, den er nicht aus sicli herausschaffen
kann, verleidet ihm oft das Dasein. Er ist nie mit sicli zufrieden.
Wie anders wollen wir uns diesen Gemüthszustand erklären, als eben
(UuUirch, dass der Trieb nach einem Ziele strebt, wozu ihm die Natur
die Anlagen gegeben, das er jedoch trotzdem niclit erreichen kann,
weil die Triebkraft eine imafrinäre Grösse, die die Erziehuno: nicht
zur idealen Vollen<lung zu bringen im Stande ist. Ein Kraftquantum
bleibt latent und wird nicht frei. Dieses Gefühl der Ohnmacht be-
unruhigt den gebildeten Menschen am meisten, wenn ihn niclit der
GrOssenwahn ansterblich macht Der individuelle Trieb ist dei* Boden,
uf welchem die geistigen Elemente der Selbstbestünmung aufgehen
nnd anter dem Rinflnss der Erziehung bis zn ehiem gewissen Grade
der VoHendnng verwachsea Was kann ein Gedanke, der mit dem
Triebe innig verwachsen ist, yon der Lebenskraft fordern, was diese
schädigt, gewaltsam unterdrückt? Was der Naturtrieb fordert, das
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fördert die Lebenskraft. Keine Pflanze geht vor Überfluss an Nali-
r\mg zu Grunde, kein Thier Msst sich übersatt. Zügellos ist nur der
Mensch, masslos ist er im Begehren, aber nicht, weil ihn seine trans-
cendentale Freiheit in Widersprüche verwickelt, sondern weil das
Onitorleben durch Flitterglanz den Trieb zu begehren flbennSssig
reizt, die Sinnesorgane entwickelt tind das innere Wesen kalt ISsst;
weil dann die kaleidoskoi^ische Thfttigkeit des Geistes die Beizempifai-
dnngen vendelfiUtigt, die der Lust schmeicheln. Solche Beize gleichen
Schmarotzergewfichsen, die das Leben zerstören.
IIL
Die dem individuellen Triebe immanente moralische Kraft, das
Leben natui-gemäss und richtig dem idealen Ziele zuzuführen, hat
Sokrates geahnt, ohne dass er die gelieimnisvollen tief verboi-o^enen
Gründe sicli [)sycliologisch erklären konnte. (Tefragt, warum er nicht
ütfentlich auftrete, antwortete er: on fioi ^h6v tl xal dcu^oviov yi/vf-
rat. (Plat. Apol. p. 81 d.) Nach Xenophon (Memor, IV. 8, 5) warnte
ihn dieses Daimonion, füi* seine Vertheidigungsrede sich voraubereiten,
gebot ihm vielmehr, sich vom Ernst des Momentes allein leiten zu
lassen, da sonst die rhetorische Kraft viel einbüssen würde. Das
Daimonion nannte er eine innere Stimme, die von der Macht Gottes
aasgehe (Mem. IV. 8, 6) und ihm anzeige, was er Üam könne und
was er lassen müsse (Mem. L 4, 15: a te rrote^ miü a/i^; es
sei dieselbe Stimme der Götter, welche durch Orakel zu den Menschen
rede. Klarer noch suchte er diese seine Idee in seinen theologischen
Betrachtungen durehzuftthren, die in dem Gedanken gipfiBln:
TtQinet nk» if^ a(f t).ti\i yiyvoneva yvw.aijg €Qya slvtu* (Mem. I. 4, 4.1
Er beruft sich auf den Bau der Organismen, deren Organe den Be-
dürfnissen entsprechend eingerichtet sind, und nimmt eine den welt-
ordnenden Ursachen innewohnende Vernunft an. ^^'ie dunkel und
einseitig diese seine tehndogische Ansicht sein mag, sie zeigt uns. wif^
richtig der grosse Philosoph das geahnt, was einer Zukunft auflje-
walirt bleibt, klar zu legen. Nennen wii' den A\'eltentrieb, der im
geistigen Leben nach dem Ideale strebt, Demiui'gos, den Trieb der
organischen Xatur Daimonion, dann sehen wir im Stufengange die
niederen Triebe zu höheren aufsteigen, diese in seelische Gebilde sich
verwandeln nnd im Demiurgos gleichsam sich verdichten, der mit
seinem riesigen Ersltaufwande das Biesengefolge der organischen
Natur im Gang erhält, so dass jenes GefQhl, das Daimonion, wie es
Sokrates nennt, — das Jedem Triebe innewohnt, jedes einzebie Wesen
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ia seinem Scliwerpunkte festhält und innerhalb der sicheren Bahn
semem Ziele zuführt.
Die seelischen Gebilde sind in der That die edelsten Erschei-
nungen, dnich die einlndiyidnnm als oberstes Natnrorgan sichlegitimirt.
Ein solches oberstes Natnrorgaa hat die höchste Stufe in der orga-
nischen Natur erreicht, und der Trieb nach physischer Vollendung,
nach einer höheren Bangstnfe, findet keine Rdze mehr und concentrirt
sich deshalb mehr im Denkakt, um im geistigen Leben das Ideal
seiner inneren Vollendung zu suchen. Dieses Ideal baut sich aus
Gedanken auf, aus Gedanken, welche als Erscheinungen das Wesen
charakterisireii. Solche seelische Elemente sind selbst freigewordene
Bestaudtlieile des latenten Zustandes, die das gemeinsame Gefühl mit
dämonisclier Kraft in ähnlicher Weise verleiben, wie die Zellen einer
organischen Einheit zu einem Ganzen sicli sammehi. Und haben die
seelischen (Gebilde nicht eine ähnliclie Function wie die Organe selbst?
Freilich haben wir hier nicht mit greifbaren Atoragebilden zu thun.
Die geistigen Erscheuiungen sind mit der Individualität eng yerwach&en,
hangen mit unserm gesammten inneren Zustande zusammen und warten
des erziehenden Einflusses, um nach innen das Wesen zu befreien,
nach aussen den Wirkungskreis zu erweitem und die Organe werk-
tiiätig zu beschäftigen. Durch dieses wunderbare Getriebe zieht ein
i&Üiselhaftes, geheimnisvolles OemeingefOhl, ein Daimonion. Wir sehen,
wie dies alles sich zusammenfügt, wie es leibt und lebt, und wissen
trotzdem nicht, was es sei.
Instinctiv, sagen wir, gebrancht das Thier seine Organe. Und
handelt es nicht so, als ob ihm die Natur Vorschriften mit ins Leben
gegeben hätte? Mit den Hörnern verteidigt sich der Stier, weil in
diesem Punktre seine Lebenskraft sich sammelt, und mit Bewusstsein
It'iestigt au diesem Punkte der Mensch ihm das Joch. Die Katze
gebraucht ihre Krallen, weil diese wie zur Verteidigung geschatlen.
Wer sah noch niclit, wie kunstvoll eine Schwalbe ihr Nest sich baut?
Und wie planmässig genau den Bedüifnisseu entsprechend richten die
Bienen ihr Wohnhaus sich ein? Ein Bad schlägt die Spinne, nachdem
sie den entsprechenden Punkt sich ansersehen. Sie lauert schlau im
Vearsteck, bis ein armes Insect im feuien Gewebe sich verstrickt
Oberall stossen wir in der Natur auf den Bestimmungsgrund, der
in dem entwickeltsten Organe liegt Die Spinne mflsste, wenn ihre
Beine nicht zu einem Spinnapparat gestaltet wilren, für den Saft
ihrer Warzen eine andere Verwendung suchen. Liegt nicht in diesem
von der Natur ftof em Organ vererbten Bestimmungsgrunde der
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Causalnexus der mannigfiushsteii Veränderungen und Bewegungren. die.
wie versclüedenartig- sie aucli sein mögen, dem Lebenszwecke dienen
und unter Leitung desselben Triebes stehen? Wo anders als im
Naturtriebe können wir jenes dämonische Gefühl, das uns immer am
richtigsten h'itet, tindenV „Die Ketlexion - sagt Sokrates — geht
auf das Allgemeine und bedarf eines gewissen praktischen Grittes.
eines gewissen Taktes, um in einzelnen Fällen dasBichtige zu trettea'*
Dieser richtige Griff in einzelnen Fällen kann nur vom individuellen
Bestimmtmgsgmnde gethan werden; dieser allein wird vom Naturtriebe
vnterstttt^ und trifft am besten das, was stimmt, nnd was nicht
stimmt
Sollte der Pfidagoge, weil die Natur den Meosclien so herrlieh
aasgestattet, somannigfiich ihn begabt hat, dass Jeder Einzelne seinen
Trieb, sein Ziel, seinen Bestimmungsgrund innerhalb der Prftponderanz
seines organischen Systemes besitzt, sollte der Pädagoge das Beeht
sich herausnehmen dürfen, den Menschen nach ehiem beliebigen Muster
zu bilden, ein Chaos zu schaffen, in welcliem die persönlichen Frei-
heiten bunt durcli einander gemengt werden, bis die Individualität
entartet, das Genie verloren geht? Alle organischen Wesen stehen uii
Dienste ilires eigenen Bestimmungsgrundes, und nur der Mensdi. der
zum Bewusstsein seines Bestinimungsgrundes kommen srdlte, irrt bahn-
los im Wendelgange fremdartiger Gedankenkreise umher und behauptet
am Ende, „eine freie Wahl verwickle den Willen in Widersprüche.''
Wie ist es möglich, fragen yiele^ unserer Pädagogen, dass ein
einziges Vorbild, ein einziges Muster so viele Charaktere, so viele ganz
versdüedene Naturen heranbilde, richtig erziehe? Wie? Haben wir
ans bereits so weit von der Natur entfernt, dass sie uns zun Kerker
geworden? Hat diese unabsehbar weite Werkstätte dieser Erscheinnngs-
welt nichts i&r die kindliche Seele, nichts für das Gtemttth, um es zu
beleben? Ist das thatenreiche Leben dieser Weltenbfihne so ungestaltet,
dass es an bildenden Momenten fehlt?
Seid ft-ei von allen Fesseln der Wort- und Gredankenciiltur, gebt
dem Kinde Gedankentreiheit, gebt ihm die Natur zurück, und es wird
sein Inneres selbst befreien. Crescit liceutia spiritus, Servitute com-
miuuitui'. (Seueca de ii-a IL c. 21.) (iScliluss folgt.)
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Oyanad» und NationaMi
Vm Frof, Dr, JK, Schatzmayer - Triest,
(Fortsetmng und Sdüius.)
Das Studium der Xationalitcäten ist im eig-entlichen und streneen
Sinne des AVortesi ein Studium an Erwachsenen für Erwachsene.
Nicht für Knaben und Jünfrlinge, denn diese sind nocli zu sehr in
Subjectivität befangen und von der eigenen Nationalität, von nationalen
Wahnideen, Voinirtheilen und Leidenschaften beheri*scht nnd mehr
oder minder geblendet, als dass sie im Stande wären, sicli und andere
Personen oder gar Oesammtheiten von Personen (Nationalitäten) ruhig
ttnd objectiT zu beobachten, za beortheilen.
Über den Dialect nnd andere provinzieUe nnd Stammes-Eigen-
thfimliehkeiten im Knaben- nnd JQnglingsalter sagt ein Meister in der
Beobachtong des Menschen, kein geringerer als Wolfgang Qoethe,
in »Ans meinem Leben. Wahrheit nnd Dichtung" (Cotta'sche Ausgabe
in 40 Bänden, Stuttgart nnd Tübingen 1855, 21. Band, Seite 42 ff.)
über sich selbst, wie folgt: „Nach dieser überstandenen Prüfung sollte
'in Leipzig I abermals eine neue auftreten, welche mir weit unangeneh-
mer aufliel. weil sie eine Sache betraf die man nicht so leicht ablegt
und umtausclit. Icli war nämlich in dem oberdeutschen Dialect pfeboren
nnd erzogen, und ob«rleich mein \'ater sich stets einer gewissen Keiiilieit
der Sprache befiiss und uns Kinder auf das, was man wirklich Mängel
jenes Idioms nennen kann, von Jugend an aufmerksam gemacht und
za einem besseren Sprechen vorbereitet hatte, so blieben mir doch
gar manche tiefer liegende Eigenheiten, die ich, weil sie mir ihrer
Naivetät wegen gefielen, mit Behagen hervorhob, und mir dadurch
von meinen neuen Mitbürgern jedesmal einen strengen Verweis zuzog.
Der Oberdeutsche nämlich drttckt sich viel in Gleichnissen
nnd Anspielungen aus, und bei einer inneren, menschenverstän-
digen Tüchtigkeit bedient er sich sprichwörtlicher Redensarten. In
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beiden l^'iilleii ist er öfters derb, doch, wenn man auf den Zweck
des Ausdruckes sieht, immer g-ehörig; nur ma^ freilicli manchmal
etwas mit unteilaufen, was gegen ein zarteres Ohr sicli anstössig
erweist. Jede Provinz liebt ihren Dialeet: denn er ist doch
eigentlich das Klement, in welchem die Seele ihren Athem
schöpft. Mit welchem Eigensinn aber die Meissnische Mundart die
übrigen zu beherrschen, ja eine Zeit lang aoszuschliessen gewnsst hat,
ist jedermann bekannt. Wir haben viele Jahre unter diesem
pedantischen Regimente gelitten, und nur durch vielfachen
Widerstreit haben sich die sämmtlichen Provinzen in ihre alten Bechte
wieder eingesetzt Was ein junger, lebhafter Mensch nnter
diesem beständigen Hofmeistern ausgestanden habe, wird
derjenige leicht ermessen, welcher bedenkt; dass mit der
Aussprache, in deren Verftndemng man sich endlich wol ergäbe,
zugleich Denkweise, Einbildungskraft, Gefflhl, vaterlftn-
discher Charakter geopfert werden. Und diese unerträgliche
Forderung wurde von gebildeten Männern und Frauen gemacht" u. s. w.
Vor allem haben Schüler und Lehrer davor sich zu hüten, ihre
ausländischen ^fitschüler und CoUegen oder Angehörige eines andercD
Volksstammes einer und derselben Nationalität (z. B. Ober- und Nieder-,
oder Süd- und Norddeutsche. Preussen, Sachsen, Baieru, Schwaben, ( )ster-
reicher, Rhein- und Mainfranken, Alemannen, Schweizer u. s. w.)
oder Mitglieder einer anderen Beligionsgenossenschaft (Confession)
wegen einzelner nicht immer unberechtigter Eigenthümlichkeiten in
Sprache, Glauben, Denk- und Lebensweise sofort und bei jeder Ge-
legenheit mit verletzendem Spott- und Hohn zu misshandeln, zu ve^
folgen, öffentlich zu beschämen und niederzudrücken, zu necken, zu
ärgern und zu reizen, zu „hänsehi*', „aufEumutzen", „auikuziehen''
(in Preossen auch „vexiren**, Mkohnigehi*', „triezen^, „uzen** u. & w.
in Österreich „herunterreissen'', „foppen**, „tratzen**, „sekiren" u. s. w.
genannt) — ein Reiehthum an Synonymen, der den betreffenden Be-
sitzern wahrlich nicht zum Ruhme gereicht!
Wie nun bei jedem Schüler dessen Kiiizel- Individualität, d. i. die
Summe der ihm eingeborenen und anerzctgenen, ihm eigentümlichen
und ihn von allen übri^^en menschliclien Wesen untei'scheidenden
physischen und psychischen Eigenschaften und Naturanlagen nicht
missachtet, nicht ertödtet und ausgerottet werden darf, sondern viel-
mehr sorgfältig studirt und zum Theil methodisch gepflegt werden
muss, wenn der junge Mensch geistig und köi'perlich nicht verkümmern
und verkrUppeUi, sondern normal sich entwickek und gedeihen soll — :
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80 auch dessen Familien-, Stammes- nad Staats-Individualität» kurz
seine Nationalität!
Das Nationalit&tsgeföhi und Nationalitätsbewnsstsein erwacht bei
vielen Personen weibliclien und mfinnlichen Geschlechtes niemals,
namoitlich in den unteren dienenden Yolksklassen, denen infblge ihrer
Armnt und Unfreiheit, ihrer geistigen Unentwickeltheit, Yerkfimme*
rang und VerkrAppelong, der ftnsseren nnd inneren Yerknechtung und
lebenslang za erduldenden Slissachtung durch die hsheren Stande
ond durch Ihresgleiehenf meist auch das klare Bewusstsein der eigenen
Menschenwiii'de und damit das nöthige Selbstgefühl, die natürliche Grund-
lage und Vorbe(liu;^^ung des Nationalitüts- und Natiunalgefiihles, fehlt.
Bei Gymnasialschülern erwacht, je nach Abstammung, individu-
eller Anlage, zeitlichen und örtlichen Verhältnissen und Ereignissen,
das Nationalgefülil im allgemeinen um das 14. Lehensjahr und früher.
Wer von meinen Lesern des „Volkerfrühlings'' der Jahre 1848 und
1849 sich eriimert, wird auch noch mit einiger Rührung der bunt-
farbigen „nationalen" Mützen und Brustbänder gedenken, welche
damals nicht blos von bärtigen Universitätsstudenten und Akademi-
keni, sondern auch von Ober- und üntergymnasiasten mit Begeiste-
rung in- und ausserhalb der Schulräume, wenigstens bei uns in Öster^
reich, getragen wurden. An dem Gymnasium, das der Ver&sser dieser
Zeilen damals frequentirte, standen sich hauptsächlich zwei nationale
Parteien fehdelustig gegenüber, nämlich „Deutsche** und nSlaven**.
Erstere prunkten mit schwarzrothgoldenen, letztere mit bhiuweissrothen
Nationalfarben, welche sie bei jeder geeigneten und ungeeigneten Ge-
legenheit als Wahrzeichen und Symbole ihrer innersten nationalen
Gefühle, ,. Gesinnungen'' und Bestrebungen hervorkehrten und dem
Philistervolke der ^.Spatzen'* und „Finken*', d. i. dem Volke der
farl)-, nationalitäts- und ,,gesinnungslosea" Mitschüler, Lehrlinge u.s. w.
gegenüber mit Stolz zur Schau trugen.
Hinsichtlich der eigenthümlicheii Begabung der Jugend der ein-
zelnen europäischen Nationalitäten iür gewisse Fächer des Gymnasial-
Btadiums kann ich aus eigener Eifahrung hier bestätigen, dass z. B.
mdne slavischen Mitschüler und Zöglinge, namentlich den Romanen
gegenftber, meist durch auffallend richtige Aussprache und schnelle
Aneignung des Deutschen sich auszeichneten. Die Deutschen hin-
gegen interessirte das Studium aller anderen Sprachen, selbst das der
lateinischen und griechischen Sprache, regehnässig mehr als das Stu-
dium des im betreffenden Orte herrschenden oder irgend emes anderen
slavischen Idiomes.
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Was mm die sogeaannte „Nationalbildung" und „Nationalerziehung**,
namentlicli an den preussischen Gymnasien, betrifft, so sagt der ehe-
malige Director des „Pädagoginms" der Francke'schen Stiftungen nnd
Professor der Pädagogik an der königL prenss. üniTersitat Halle a/S.,
etc. Dr. Krämer, hierüber sehr charakteristisch: „Die beiden Wurzeln, ans
denen alles, was im Gymnasium geschieht, hervorwachsen muss, wenn
es sein Ziel erreichen soll, sind: lebendiger Glanbe und lebendiges
Nationalgefühl oder Patriotismus.** — In unmittelbarer Beziehung
zu diesem obersten Ziele und Endzwecke prensslscher Gymnasialbildung
steht der Unterricht in der Relijrion, dem Deutschen nnd der vater-
ländisclien (preussischen) Geschichte, welclie Lehrgegenstände nebst
anderen bekanntlich fast nur als „Mittel zum Zweck'* betrachtet und
behandelt wurden.
Oder, wie Kram er an einem andern Orte sagt: ,,Die Wurzeln
aller Bil(liui<i- ruhen in der Keliij:ion und der Nationalität, so dass die
wahre, tiefe und energische Bildung vor allem von der Pflege des
religiösen und nationalen Lebens und Bewusstseins in dem Zöglinge
abhängt." —
£s ist aber ein verhängnisvoller Irrthum, wenn man glaubt,
dieses Ziel durch den blossen Unterricht in den genannten Lehrgegen-
stAnden erreichen zu kdnnen. Ist der im Lande, in der Schule und
in der Familie des Schillers herrschende 6^t kein religiöser nnd na-
tionaler, so wird der auf die Erweckung religiösen und patriotischen
Sinnes gerichtete Unterricht entweder ohne Wirkung bleiben oder das
gerade Gegentheil des Beabsichtigten henrorrufen.
Was die Verwendung der einzelnen Gymnasialfächer zur Jugend-
bildnng Uberhaupt und besonders zur Weckuno: des Nationalsinnes und
Patriotismus im engeren und weiteren Sinne anbelangt, so haben wir
hier zunächst zu bemerken, dass das classische Alterthum als eine
Vorhalle zu betrachten ist, durch welche die Gymnasialjugend in
das Vei-ständnis der Gegenwart und Zukunft eingeführt werden soll.
In Bezug auf deu Unterricht in der Deutschen National-
Literatur sagte schon Herder in einer im Jahre 1796 im Gymna-
sium zu AVeimar gehaltenen Bede sehr nchtig und für heute noch
mnstergiltig: „Das laute Lesen der besten Schriften in jeder Art
des Vortrages, Erzählung, Fabeln, Geschichte, Gespräche, Selbstge-
spräche, Lehrgedichte, EpopOen, Oden, Hymnen, Lust- und Trauer-
spiele in Gegenwart Anderer oder mit Anderen, ohne Zwang, in der
natttrlichsten Art, gibt der Bede sowol als der Seele selbst eine
grosse Vielförmigkeit und Gewandtheit. Von der Fabel, vom Härchen
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— 211 —
an, durch alle Gattnngen deä Vortrages sollte das Beste, was vir in
unserer Sprache sowol in eigenen Producten als in Übersetzungen
haben, in jeder woleingerichteten Schule durch alle Classen laut ge-
lesen und erklftrt werden. Kein classiseher Dichter nnd Prosaist
sollte sein, an dessm besten Stellen sieh nicht das Ohr, die Znnge,
das Gedächtnis, die Einbildongakraft, der Verstand nnd Witz lemr
begier^fer Schüler gefiht hätte: denn nnr anf diesem Wege sind Grie-
ehen, BOmer, ItaM^ier, Franzosen nnd Briten ihrem edelsten Theü
nach zn gebildeten Nationen geworden. Alkibiades gab einem Sehnl«
meister zn Athen eine Maulschelle, da dieser den ersten classischen
Dichter seiner .Sprache, den Homer, nicht in der Schule hatte; und vne
fleissig die Griechen ihre besten Schriftsteller lasen, klingt für unsere
barbarische Zeit beinahe wie ein altes Män lu^n. In Italien weiss der
gebildete Theil der Nation ilii e classischen Dichter fast auswendig. Wir
Deutliche hingegen sind hierin sehr nachgeblieben. In den Schulen
sollte das Edelste und Beste laut gelesen, auswendig gelernt und
in Herz und Seele befestigt werden. Wer unter euch, ihr Jünglinge,
kennt Uz nnd Haller, Kleist und Klopstock, Lessing und WinkeUnann
(und, fügen wir im Jahi*e 1881 hinzu, Herder, Goethe, Schiller nnd
die Dichter des 19. Jahrhunderts!), wie die Italiener ihren Ariost und
Tasso, die Briten ihren Milton und Shakespeare, die Franzosen so
viele ihrer Schriftsteller kennen und ehren?**
Das immer selbstständiger werdende häusliche Studium und die
FiiyaÜectttre der deutschen dassiker, welches den Schfilem der ober-
sten Classen der Gymnasien und Bealschulen das angemessenste sprach-
liche Studium ist, fühi-t den Jüngling auf freundliche Weise tief und
tiefer in den Schatz vaterländischer Dichtung und Wissenschalt ein,
wie er in den Meisterwerken unserer Literatur aufbewahrt liegt und
als ein lieiliges Krbe der Nation von Geschlecht zu Geschlecht über-
liefert M'erden soll. ,.Es war*', sagt Stockmayer, „einer der gluck-
lichsten Gedanken von Philipp Wackernagel, in dem 8. Theile seines
Lesebuches hauptsächlich die Epoche der Freiheitskriege in Poesie
and Prosa zur Jugend reden zu lassen. Auf diesen geweihten Boden
unserer grossartigsten nationalen Erinnerungen unsere Jugend zu
f&hren, ist schon die mittlere Stufe der höheren Schulen der geeignete
Ort Es ist in der That eine Schande, wenn die classischen Dar-
stelimigen jener Nationalepoche in der Bildung der Vaterländischen
Jugend nicht euien ebenbfirtigen Platz neben den Mustern altdassi-
seher G^eschichtschreibung einnehmen.*' Dabei dürfen aber unsere mittel-
hochdentsdien und modernen dassiker (das Nibelungen- nnd Eudmn-
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— 212 —
lied, Walther von der Vogehveide. Freidank, Grillparzer u. s. w.) und
au(di die l'lassiker anderer üs;terreii-liischer Nationalitäten nicht vei*-
nachlässigt oder gar geflissentlich todt geschwiegen werden!
Was die Verwendung der Geschichte zum Zwecke vaterländisch-
nationaler Bildung der Gymnasialjugend und zur Weckung vatei'län-
dischen Sinnes anbelangt, so äussert sich hiei*über das öfter citirte
Gesetzbuch der Gymnasien nnd Realschulen in Österreich vom Jahre
1849 in fast allzu bescheidener Weise so: „Die neuere Geschichte im
TJntergymnasinm wesentlich als Geschichte des österreidiischen Staates
zu behandehi und die bedeutendsten Ereignisse anderer Staatm nur
einzureihen, wo sie mit Österreich in Beziehung treten, oder sie als
Episoden der Geschichte einzuflechten, wird zur Nothwendigkeit durch
die Bildungsstufe der Schttler, welchen diese Geschichte vorgetragen
werden soll. VV'ol lässt sich die neue Geschichte eines Hauptstaates
in ihren Grundzügen auch schon diesem Alter zugänglich machen
und dadurch für eine spätere Behandlung der allgemeinen neueren
Geschichte weniirstens ein Faden des chronologischen Zusammenhanges
gewinnen." — Dass dieser ..eine Hauptstaat" für österreichi-
sche Gymnasien kein anderer als der österreichische sein
kann, versteht sich wol von selbst, ist aber gewissen in Öster-
reich selbst unter Schülern herrschenden antiösterreichischen Tendenzen
gegenüber durchaus nicht überflüssig, besonders zu betonen nnd hen or-
zuheben. „Das letzte Semester . der vierten Olasse (Tertia) hat die
Ergebnisse des historisch-geographischen Unterrichtes zu einer Über-
sicht des gegenwärtigen Zustandes zu vereinigen. Dies geschieht
am ausführlichsten für das Vaterland (sit venia verbot) durch die
p opuläre Vaterlandskunde, welche nicht eine Menge von statisti-
schen Zahlen häufen, sondern die Schüler im Vaterlande nach
seinem gegenwärtigen Zustande in allen diesem Alter rer-
ständlicheu Beziehungen orientiren soll."
Die Geschichte der neueren Zeit ist an den österreichischen Ober-
gvmnasien „nicht als vaterländische, sondern als allgemeine Ge-
scliichte zu behandeln" u. s. w. Vergl. hierzu „Protokolle der im Oc-
tober 187B im Kr»niglich Preussischen Unterrichts-^Iinistrrium über
verschiedene Fragen des höheren Schulwesens abgehaltenen Conferenz"
(Berlin 1874) fcieite 122 u. ff.: „Man hat den ööeutlicheu (preussischen i
Schulen neuerdings den Vorwurf gemacht, dass sie sich die Pflege des
Bewusstseins deutscher Nationälität zu wenig angelegen sein lassen."
Oymnasialdirector Dr. Jäger von Köln glaubte nun in seinem
Beferate über diese Frage Nr. 7 der Vorlage sich dahin ausbrechen
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— 213 —
zu müssen, dass durch die Ereignisse der Jahre 1866 und 1870 der
deitsche Nationalstaat geschaffen worden, und dass nun „der Dualis-
mits zwischen preosaischem Staatsgeffthl und dentschem National-
tewnsBtsdn beseitigte* sei Bei der Nothwradigkeit einer energischen
uid ngewissennassen egoistischen^ prenssischen Politik, webhe in
imfiBrtigen Znstftnden Deotsddands ihre Veranlassung gehabt habe,
sei vor den Jahren 1866 und 1870 auch in der Schnle von Schnl-
rSthen, Directoren und Lehrern die Betonung deutschen National-
bewusstseins mit einem gewissen Misstrauen betrachtet worden.
Jetzt dagegen sei man in der glücklichen Lage, preussisches
Staatsgefühl und deutsches Nationalbewusstsein zusammen
in der Jugend zu pflegen, und zwar so, dass man in den alten
Provinzen von dem preussischen Staatsgefühl ausgehend das deutsche
Xationalgefühl stärken könne und in den neuen Landestheilen sich an
das deutsche Nationalbewusstsein wenden müsse, um dadurch das
preussische Staatsgefühl zu wecken.
Zu diesem Zwecke sei nun neben der Ausschmückung der
Classenzimmer und der Aula mit Bildern aus der vaterländischen Ge-
sddchie, Au&tellung^ von Gedenktafeln mit den Namen der im Kampfe
ftr das Vaterland gefieülenen Schaler der Anstalt n. dgl. mehr, neben
den Schulfeeten (Geburtstag des Königs, die feierliche Ignthwsnng der
Abitarienten, die Feier des Sedaatages u. s. w.), neben Einübung und
Abshigong patriotisdier Lieder auf Spaziergängen, bei Tum- und an-
deren Seelen, neb^ dem Unterricht im Gesang, im Dentschooi und in
anderen Lehrgegenständen vorzüglich der Unterricht in der
Geschichte geeignet.
Hinsichtlich der Prima (in Östen-eich die VIII. Classe) hielt es
der Referent für „unmöglich, an der seitherigen Ausschliessung der
Geschichte von 1815 bis 1870 festzulialteu." Wenn man früher l)eim
.lahie 1810 als an der Schwelle eines „unbefriedigenden Geschichts-
abschnittes^ Halt gemacht habe, so sei jetzt der Grund füi' das bis-
herige Verfahren beseitigt
Diese Auseinandersetzung und Befürwortung fand mit Ausnahme
der Ultramontanen (Beichensperger u. Genossen) die allgemeine Zu-
stimmimg der versammelten Oonferenzmitglieder. Und auch Dr. W.
Schräder, Geh. Begiemngs- und Provinzialschulrath eto, und viele
Andere empfehlen auf» wftrmste znr Hebung der „so rasch gesunkenen
Idealität** der deutschen GymnasiaQngend, die sich auf den Schlacht-
feldem von 1866 und 1870 so herrlich bewährt habe, „die positive
An%abe, die Liebe zu König und Vaterland in den Herzen der
PtodufogiinB. 4. Jakcf. Haft IV. 15
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— 214 -
Schüler zu nähren", sie zur ,.bes( lifci{lenen und warmen Anhänf^lichkeit"
an ilire Heimat zu leiten, und, wo es das Alter der Zöglinge ge-
stattet und die Natur des Unterriclitsg^enstandes mit sich bringt,
„mit entschiedener Klarheit der Auffassung und mit Festigkeit der Über*
zengnng gegen die unruhige und vergängliche Tagesthorheit zu warnen.'^
Der weise Lehrer wird bei aller Bewondenmg und Verehning
der grieebischen dassiker „nicht vergessen, den Primanern fllblbar za
machen, dass die ungebundene Yolkskraft in raschem Anilodem anch
sieb rasch Terzehrte", dass die Hellenen „im Glänze der Kunst
und in der BlUte der Freiheit unglücklicher waren, als die meisten
glauben^ dass sie „den Keim des Unterganges in sidi selbst trugen'S
und dass „d^ Baum umgehauen werden mnsste, als er faul geworden.*'
Dagegen sei die Vaterlandsliebe, die Hingabe an das Allgemeine, die
„strafte Rechtsordnung" in dem römischen Leben so grossartig ausge-
bildet und in so zahlreichen Mustern vorhanden, dass sie auf das
jugendliche (4eniUth mit fesselnder und zugleich erhebender Gewalt
einwii'ken und zur „idealen Gesittung" der Jugend eigenthümliche,
diU'cb nichts zu ersetzende Hilfe leisten.
Kehren wir nun zu den Bestimmungen und Vorschi ilten des öster-
reichischen „Organisationsentwurfes'' für Gymnasien und Kealschalen
zurück. Demgemäss darf im Geschichtsunterrichte am Obergymnasium
der Blick „nicht einseitig beschränkt^, „das Verhältnis von Ui^sache
und Wirkung nicht verschoben^ werden; es mnss „die Freiheit
bewahrt werden, den Schwerpunkt der Darstellung wechselnd auf
den Staat zu legen, von weldiem eine neue, weltgreifende Bewegung
ausging.** Gibt es wol eine selbstlosere Auffassung der Behandbmg
des Oesdiichtsunterricbtes an Gymnasien und Beslsdiulen, als diese
österreichiscbe? —
„Nur in dieser Weise kann jede Entwickelung üirem eigen-
thümlichen Wesen nach verstanden" werden; „eine Behandlung der
gesamniten neueren Geschichte am Faden der Geschichte
Eines iStaates*', also speciell des österreichischen, würde auf
viele der wichtigsten Ereignisse nur ein halbes, unsicheres
Licht fallen lassen.''
„üa für die Geschichte Österreichs, welche in der obereten
Gymnasialchisse zu behandeln ist, bereits die Kenntnis der allge-
meinen Geschichte der mittleren und neueren Zeit vorausgesetzt
werden muss, so ist als der eigentlich neue Gegenstand des Unter*
richtes die zusammenhängende innere Entwickelung des Österreichischen
Staates zu betraditen, während seine Beziehungen zu den ttbrigen, in
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freosdliche und feindliche Berührung mit ihm tretenden Staaten nur
eimn Anlass za "wiederholender Erinnemng an das bereits Grelemte
bilden." Wenn an österreichiachen Gymnasien auch Vaterlands-
knnde ond die Statistik des Osterreichischen Staates gelehrt
wird, 80 ist hierbei so wenig wie beim gesammten historisehoi nnd
geographischen Unterrichte die Absicht» vages politisches Baisonnement
in die Schnle etnznffihren» vielmehr soll „ttber die wesentlichsten
factischen Verhältnisse der Gegenwart Belehrung gegeben
werden.** Über die einzelnen Theile nnd die Angehörigen seines
Staates und Vaterlandes geographisch und ethnographisch, nach Abstam-
mnng, Sprache und Religion, über die Landesproduction, über Gewerbe
und Handel nach ihren Hauptbezielmnoren zu den einzelnen Theilen
df^ Staates und zu auswärtigen Ländern, über die Verfassung des
e^^-animten Reiches, über die Organisation der Verwaltung und der
Rechtspflege, über diese und damit zusammenhängende Punkte genaue
Kenntnis zu besitzen, ist doch wol gegenwärtig ein unleugbares Be-
dürfnis jedes Gebildeten und also auch eines Schülers der obersten
Classe eines Gymnasiums nnd des angehenden Gelehrten und Staats-
beamten.
10t Becht sagt Thilo: „Die Schulen sind die Organe, durch
welehe die staatlich geordnete Nation das Interesse ihrer Bildung
aach allen 'Stufen und Seiten hin wahrgenommen sehen wüL Es darf
keinen Unterschied machen, ob die Schule eine Privatschule oder ob
se gegründet und erhalten 'werä» von einer besonderen kirchlichen
Gememschaft oder von der bürgerlichen Commune: sie dürfen alle-
sammt zu keiner Bildunp: Veranlassung geben, welche anti-
national ist, sondern sie haben für ihr Bestehen nur Siun und Recht,
wenn sie zur Förderung des in der Nation pulsirenden eigenthümiichen
Lebens wolgeeignete Organe sind. Eine jede (Gattung von Schulen,
eine jede Schulclasse, wie sie selbst in ihren Einriditungen das Ge-
präge ihrer Nation aufweisen niuss, hat von ihrer Stelle aus die
Forterhidtung des nationalen Lebens zum wesentlichen Gegenstande
ihrer so wichtigen Thätigkeit. Gymnasium und Bealschule haben
■icht weniger die Angabe, Anstalten zur Bildnng der nationalen
Sitten im Leben ihrer Zöglinge zu sein, als die Volksschulen. Die
Zwecke der Gelehrsamkeit und der allgemeinen Bildung dttrfen den
Angaben der Nationalerziehung keinen Eintrag thun.** Ein» latini-
atreode, ftberhanpt entnationalisirende Jesnitenschule ist, wie eine
frsnaOsbvnde Anstalt ftr die sogenannte Noblesse unter uns, „em die
Kation so sehr sdiindendes und ihr widersprechendes Institut, wie
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wenn man in einer edle Kosse erzeugenden Landschaft Gestüte zur
Züchtung krüppelhafter Bassen anlegen wollte.'^
Das erste und vollkommenste Bildongsmittel zur Wecknng vater-
ländischen Sinnes In der SchnJijuj^end ist die Muttersprache. Nach
der Art und dem Grade, wie jemand seiner Stammes- und Volksge-
nossen Kede und Schriftwerke verstehen, lieben und üben gelenit liat,
werden wir ilin für nationalgebildet oder natioualungebildet ansehen.
Zur Muttersprarhe gfelnirt das Lied, das geistliclie und das weltliche,
und vaterländische Musik überliaupt. Wer musikalisches Gehör imd
. musikalischen Sinn besitzt, der weiss, welche Kräfte aus dem wunder-
baren Quell der Musik sprudeln. Und wenn es wahr ist, dass, wie
der Vater der wissenschaftlichen Erdkunde, C. Ritter, bemerkt hat»
zwischen der Bodenbeschaffenheit und gesammten Physiognomie einer
Landschaft und der Natur und Sinnesart ihrer Bewohner eun tief-
innerer cansaler Znsammenhang besteht, so wäre damit die Thatsache
hinlänglieh erklärt, dass gelungene Zeichnungen und Gemälde von
einzelnen Personal und OegenstSnden sowol, wie von ganzen Land-
schaften unserer Heimat emen tief^, nicht selten unauslöschlichen
Eindruck auf uns machen.
Die heimische Mundart und die vaterländische Musik sind die
rührendste und mächtigste Vaterlandskunde in Wort und Ton; daran
fügen sich landschaftliche und geschichtliche Darstellungen in Malerei,
Bau- und Bildhauerkunst. Wie könnte eine gebildete Jugend nicht
vernehmen wollen, was die Väter gethan und gedacht, wie sie lebten»
wie sie wohnten, sich kleideten in Freude und Trauer, wie sie
arbeiteten und sich ergOtzten in Spiel und Sdierz. Vor allem
kommt es darauf an, die wahrhaft grossen Männer des Volkes, seine
Helden, der Jugend in anschaulidien Bildem Yorzuffihrea. Der Ge-
schichtsunterricht am Gymnasium hat es weniger mit den Yolks-
massen zu thun, als vielmehr mit den Fflhrem derselben, mit den
hervorragenden Persönlichkeiten, in welchen sowol einzelne Eichtungen
wie diis gesammte geistige Leben eines Volkes zum Aus<lrucke
gelangt.
Man kann die Verfiassung und Institutionen seines Vaterlandes
aufs genaueste kennen und doch dabei ein herzlich schlechter Patriot
sein, und umgekehrt! Das Herz und Gemftth der Jugend vateriändisch
zu stimmen und zu begeistern vettnag nicht der blos tlieoretisdi ge-
bildete und gelehrte, sondern vor allem der vaterlandsliebende
Lehrer, üm das Taterland handelt es sich in allen Perioden unserer
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Geschichte, dem Vaterlande dienten und opferten sich unsere Helden,
die Vorbilder unserer Gymnasial- und Universitätsjugendl
Aach der Unterridit in der Geographie kann der nationalen
Bfldnng za gate kommen. Schon die Betrachtnng der Grenzen des
Vaterlandes, me viele Gedanken über des Vaterlandes wechsehide
Grosse mnss sie anregenl Die Besdireibang unserer Berge, Ebenen,
FMsse, Stftdte, Seen, Meere, — der Burgen unserer Herrscher-
geschlechter, der Natur- und Knnstsehfttze unserer.Bergwerke, unserer
Residenzen und Universitätsstftdte: wie viele nationale Erinnerungen
bergen sie in ilireni Schosse! Noch ist der geographische Unterriclit
("besonders iii den (i}inna8ien Deutschlands) nicht in die Rechte ein-
gesetzt, die ihm auch von Seiten der nationalen Bildung gebühren.
Der Weg zur wahren Freiheit fiihrt durch das Gesetz. Die mit
Ausnahme der Sklaven-Majoritäten freien Staaten des Alterthums hatten
die strengste Jugenderziehung, und das stolze Bewusstsein ( civis roma-
nu.s sum! etc.), welches sie schon ihren Jünglingen anbildeten und
welches sie nährten und stärkten in ihren Ringschulen (Gymnasien)
durch Übung in körperlicher Tüchtigkeit und Gewandtheit, war in
ihren besten Zelten unzertrennlich von Scheu vor den Göttern und
Ehrfurcht yor der Obrigkeit Der Gehorsam gegen die Gesetze des
Staates galt, besonders bei den Spartanern, so hoch, dass ein Tadel
dieser Gesetze in Gegenwart jüngerer Leute nicht eriaubt war, weil
man die Wol&hrt der Staaten nicht sowol in der Vortrefflichkeit der
Gesetze suchte, als in der sittlichen Scheu vor ihrem elirwürdigeu
Ursprünge und in ihrer gewissenhaften Befolgung.
Die Schule ist nicht das einzige Institut, das in nationaler Hin-
*iicht erziehend und bildend zu wii'ken vermag. Auch hier hat vor
allem die Familie des Schülers mit der Schule zusammenzu\\ irken.
Hau.< und Schule müssen stets eins au dem andern Fühlung bclialteu.
Jeder bedeutende Staat hat überdies in seinen Anstalten tui* die
Pflege des Gemeinwesens, fUr die öffentliche Bechtsverwaltung, in
seiner Heeresverfassung, wie z. B. Preussen, in seiner Presse, wie
z. B. England, Belgien, Frankreich, die Schweiz, Österreich etc., in
aDea Zwägen der bürgerlichen Thfttigkeit und des Vereinswesens, in
Gewerbfleiss» Kunst und Wissenschaft, in seinen Theatern, Volksfesten,
Denkoiftleni, Museen und Bauwerken, in den Höfen, den bäuerlichen
so gut wie den ffirstächen, ebenso yiele Mittel, massgebend und
Ordernd auf die Entwickelung nationalen Lebens einzuwirken.
VorBchriften allein ohne Beispiel und Vorbüd helfen wenig, wenn
in eiuem Staate kein Sinn für staatliches und nationales Leben, vor-
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züglicli in den oberen, tonangebenden Scbicliten, vorhanden ist. Eine
durcli die Schule zu schattende Nationalbildung rauss eine Nation zur
Grundlage haben, die sich selbst als ein lebendiges und eigenartiges
Ganzes, als Organismus fühlt, und die der Schule etwas diesen Gef ühlen
fintsprechendes mittheilt Von aussen anstfirmende Feinde und IteToli>
üonen finden an einem so festgef>en National- oder aneh Nationalit&te&-
Staate den sichersten Widerstand.
„Das letzte Ziel nationaler Bfldung und Erziehung*^, sagt Hei*
land treffend, „kann f&r die Schule nur darin hestehen, den Buhn
unsers Volkes und die] Tugenden der Vftter auf die Söhne zu bringen
als ein heiliges Erbe, welches zu wahren und zu mehren sie bentfen
sind." Schulen, die dazu die Jugend heranbilden, wirken wahrhaft
national. Je mehr das öfientliche Leben getragen wird von nationaler
Gesinnung, je mehr die Sitten und Tugenden der Väter iu den
Familien gewahrt und gepflegt werden, desto kräftiger und reicher
werden sie auch in den iSclmlen aufsprossen, und die Schulen werden,
wie sie in dieser Hinsicht Anregung von aussen empfingen, so auch
ihrei-seits Anregung nach aussen geben köimen. Dann wird die Feier
vatei'ländischer Festtage in unseren Schalen keine blosse Bedeübung
mehr sein. Mit den Herzen unserer Jugend werden dann auch die
Feuer auf unseren Bergen wieder aufSamnien und Lehrer und Schfiler
werden ihrer staatlichen, d. i ihrer wahrhaft nationalen Aufgaben
sich wieder erinnern. Die Schule wird keine Zwangsanstalt mehr
sein und unsere Gymnasial- und üniversitätsjugend wird lieber die
Turnplätze als die Lustorte der Verweichlichung und Entartung auf-
suchen. Unsere Knaben und Jfinglinge werden eine Ehre darein
setzen, frisch, froh und frei zu werden und zu bleiben, um neben
einem gebildeten Geist einen starken, gewandten und wehrhaften
Körper zur Selbstvertheidigung und zum Schutze des Vaterlandes
zu haben.''
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Wiener Geschichten.
Fo» Ih-, Friedrich Dittea.
IV.
Schuljahr 1878 — 1879 war unter schweren Sorgten, aber ohne
Unfall zii Ende gegangen, und die Ferien hatten begonnen. Während
•lersiflhen. es war <iin 5. September 1879, erhielt ich ans Innichen in
Tirol einen i^rief von Frau Dr. Tliurnwald. des Inhaltes, dass ihr
Gatte schwer erkrankt sei. Der in der Blüte der Jahre stehende,
mit einer äusserst günstigen C!onstitution ausgestattete und in den
glacküchsten Familienverhältnissen lebende Mann war plötzlich von
emem Schlaganfalle betroffen worden; dieser geföhrlirlie Vorgang
ktte deh in kurzen Intervallen viennal wiederholt» und die Ärzte
Itttten eine sehwere Zerrttttnng des Nervensystems constatirt
Ohne Zweifel waren die Schicksale des Pädagogiums eine Haupt-
nsache der Krankheit Thnmwald's. Ohwol mit einem heiteren, jeder
machnldigen Lebensfreude offenen Temperamente begabt, wurde er
doch, vermöge seiner streng sittlichen Gesinnung und seiner Begeiste-
rung für Wahrheit und Becht, durch alles unlautere Wesen in hohem
Grade empört, nnd die Umtriebe gegen das Pädagoeiuni , in die er
genau eingeweiht war, hatten ihn, obgleich sie nidit ilirect und über-
wiegend iiin selbst trafen, seit Jahren tief verletzt und aufger»'frt-
Kr war nicht der Erste, dem dies widerfahren war .... Der Dienst
au dieser Anstalt setzte eben eine aussei-gewöhnliche Widerstands-
fähigkeit voraus. Wer dem l'ädagogium nicht blos einige Plücht-
standen, sondern seine ganze persönliche Hingebung widmen wollte,
der hatte sich von Anfang an sagen mögen: „Lasst die Hoffnung
draossen!" Nicht Jeder kann die Wunden ertragen, welche der Con-
lliet zwischen Ideal und Wirklichkeit edleren G^müthem sdü>
Auch ich habe in dreisehn langen Jahren die Tragödie des Kampfes
m die höchsten Güter der Menschheit zur Genttge empfunden und
ndek gar oft aus den engen Mauern der Berufestätte hinauagewfinscht
iD eine offene Feldsehlacht Auch ich habe bisweilen die Grenzen
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meiner Widerstau dskraft gefühlt .... Aber nicht Jeder hat das Recht
zu sterben .... Ich sagte mir: dn hast die Pliicht zu leben, auch
wenn dein Tod Manchem erwünscht wäre .... Die Nächstenliebe
braucht ja nicht gerade so w^eit zu gehen, dass man Jedemanu jede
beliebige Gefölligkeit erweist ....
Man verzeihe diese Abschweifung. Ich konnte die Bewegung
nicht ganz unterdrücken, welche das Andenken an den wackem
Thnmwald stets in mir hervorruft Ich hatt' einen Kameraden, einen
bessern find'st du nit . . . . Er starb am 22. October 1879. Im
zweiten Jahrgänge dieser Zeitschrift S. 136 habe ich ihm ein kleines
Denkmal gesetzt
Die Nachricht von seiner Krankheit konnte nnr die schwersten
Besorgnisse in mir hervormfen. Zuerst die, dass Genesung nicht zu
hoften, baldiger Tod zu fürchten seL ünd dann? . . . Thumwald's
Hinsdieiden musste die Katastrophe in der Geschichte des Pftdagogiams
einleiten. Denn es stand mit Sicherheit zu erwarten, dass die Gegner
desselben den druhi^nden Todestall nicht unbenutzt lassen würden . . . .
Thurnwald war neben mir die einzige ständige und interne Lehrkraft
der Anstalt, ihr ausschliesslich angehörend. Ein sehr bedeutender
Theil unserer Arbeit lag in seiner Hand, und gegebenen Falles war
er mein präsumtiver Stellvertreter oder Nachfolger. Daher musste
durcli seinen Tod im Organismus imserer Anstalt eine äusserst itilii-
bare Lücke entstehen, die nicht nur bei der Sorge für das momentane
Bedürfnis, sondern anch im Hinblick auf die Zukunft zu grossen
Schwierigkeiten führen konnte. Stand nun bei der bestehenden Sitoa*
tion eine ungesftomte und zweckmässige Wiederbesetzung der vorans-
sichtJichen Vacanz zu hoffen? War nidit vielmehr zu besorgen, dass
eine Verzögerung, eine Sistirung dieser nothwendigen Massregel und
in Folge dessen ein sehr bedenklicher- Zustand eintreten wOrde? —
Und so geschah es. Thumwald starb, die interne Lehrstelle wurde
nicht wieder besetzt, und die Krisis kam zum Ausbruch.
Gleich bei Beginn des Schuljahres 1879 — 1880 übernahm ich
auf Wunsch der Aufsichtsconimission de>s Pädagogiums zu meiner
regelmässigen Lehrtliätigkeit noch die ^lethodik und Schulpraxis,
das Fach der deutschen Sprache und Titeratur wurde interimistisch
Herrn Dr. Pommer, Professor am städtischen Realgj^mnasium im
VI. Bezirke, übeiiragen und die interimistische Leitung der Knaben-
Übungsschule erliielt ein Lehrer dcraelben, Herr Adalbert Mayer.
Dieses dreitheilige Provisorium entsprach einstweilen den Ver-
hältnissen und konnte, so lange Thnmwiüd lebte, als eme genügende,
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jedenfalls diu-cli ilie Unistände gebotene Stellvertretung' betrachtet
werden. Der Todesfall vom 22. October nöthigte aber zu Verhand-
lungen über ein neues Definitivnm, und die Aufisichtscommission trat
a einer Beratbung zusammen. In derselben wurde sofort der Gedanke
angeregt^ ob nicht die interne Lehrstelle (dieselbe war gleich bei der
Grftndnng des Fidagoginms errichtet und mit Becht als eine höchst
inchtige, ja fimdamentale Institation betrachtet worden) ganz auf-
gehoben und das bestehende Proyisorium, etwa mit einigen Modifica-
tionen, in ein Definitivurn yerwandelt werden kdnne. Ich bemerkte
liiagegen, dass es sehr bedenklich sei, die Organisation der Anstalt
in 80 eingreifender Weise zu alteriren. Das Pädago^um mtisse neben
dem Dii'ector wenij^stens eine interne Lehrkraft haben, auf welche
es sicher rechnen könne, eine Lehrkraft, die ein festes Glied im Ge-
fuge des Lehrköii)ers und der Tjehrthätigkeit sei, die auf die Hörer-
schaft eint n mogflichst intensiven und zusammenhaltenden Einfluss
ausübe; wegen der grossen Wichtigkeit der Schulpraxis sei es auch
höchst wünschenswert, dass dieser internen Lehrki'aft die Tjeitung
einer Ubungsschule und einiger üntenicht in derselben übertragen
werde; ich füi* meine Person sei z^'ar, wie jederzeit, gern bereit, die
übernommene Thätigkeit bis zur Schaffung eines neuen Definitivurns
fortzufahren, mfisse aber zu bedenken geben, was denn werden solle,
Venn meine angegriffene Gesundheit noch weiteren Schaden leiden
vQrde; auch im gOnstigen Falle könne ich neben Psychologie, Logik,
Etzl^ungs- und ünterrichtslehre und Geschichte der Pädagogik die
Hethodik und Schulpraxis in dem erforderlichen Umflinge auf die
Dsner nur dann Tertreten, wenn in der gesammten Anlage des Pflda-
gogioms eine Vereinikchung getroffen werde, so dass sich einerseits
die Gesammtzahl der Lehrstunden, andererseits die Directionsgeschäfte
vt^ininderten, was meines Erachtens ausgeführt werden könne, ohne den
Geist und den Zwt'ck der Anstalt zu schädigen, überdies wünschens-
wert sei, um den Gegnern dersell)en einen Vorwand zum Angritt" zu
entziehen, da durch die angedeutete ^^^rei^fachung einige Ersparnisse
zu erzielen seien; die interne Lehrstelle aber liaV)e nodi den wichtigen
Zweck, dass sie für den Fall einer Erki-ankimg des Directors eine
Stellvertretung desselben ermögliche. Aus all diesen Gründen sei
nach meiner Ansiclit die Aufrechterhaltung der internen und definiti-
Ten Lehi*stelle am Pädagogium zum gedeihlichen Bestände desselben
Qnerltalich, die Zersplitterung derseU)en aber eine sehr gefUirliche
MassregeL leh miksse demnach beantragen, dass der bewfthrte Status
Qio eriialten, und dass zur Wiederbesetzung der erledigten Lehrstelie
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— 222 —
ein Concurs mit den bis dahin giltig gewesenen Modalitäten ausge-
schrieben werde. — Meine Ani-egungen bezüglich einer Vereinfachung
der Organisation des Pädagogiums fanden von keiner Seite Anklang;
die Freunde der Anstalt fürchteten, die Aufwerfung der Reorganisa-
tionsfrage könne üble Folgen haben, die Gegner färcliteten jedenfalls
das Gtogentheil. Meinen übrigen Auseinandersetziingen stimmte der
Obmann und noch ein Mitglied der Commission aiisdrficklich und ohne
Zweifel bona fide zn; die Anderen schwiegen und — mein Antrag
wnrde Afagrimmig angenonunen. Ein Mitglied der Gonuniasion ricbtete
noch die Frage an mich, ob mir ein Mann bekannt ad, dem die
yacante Stelle mit vollem Vertranen ttbertragen werden könne. Ich
bejahte diese fVage und nannte den Mann, der anch allerseits als
vertranenswtbrdig anerkannt wurde. SehUesslieh sprach Ich noch die
Bitte aus, die Commission möge diese wichtige Angelegenheit mit
Nachdruck betreiben und Sorge tragen, dass die nach dem Statut
erforderliche Concursausschreibung möglichst bald gescliehe, da sonst
zu befürchten stelie, dass wir am Anfjinge des nächsten JSclmljalires
an derselben Stelle ständen, wie damals. Die Herren machten die
besten Zusicherungen, und Dr. Hoffer wurde beauftragt, im Namen
der Commission vor dem Plenum des Gemeiuderathes zu referiren und
obigen Antrag zu stellen.
Aus guten Gründen hatte ich die angeführte Bitte an^gesprocheiL
Leider hat dieselbe nicht vermocht, den Lauf der Dinge zu wenden:
die von mir geftnsserte Bef&rchtong erfüllte sich bnchstäblich. Nach der
soeben besprochenen Commisaionssitasang war von der Besetzung der
vacanten Lehrstelle lange Zeit nichts mehr zu hören; was in der
Stille vorgegangen, und was die Schuld an der Verzögerung gewesen
sei, bleibe hier unerörtert Eist hn Februar 4880 brachte Hoffer die
Sache vor das Plenum des G^einderathes. Nun würde der Veilnst
eines Vierteljahres noch immer zu verschmerzen gewesen sein, wenn
man wenigstens jetzt gethan hätte, was noth that, was als das Beste
klar vor Augen lag und, den guten Willen vorausgesetzt, leicht aus-
führbar war.
Es kam anders. Als Hoffer sicli seines Geschäftes entledigt hatte,
stellte ein nicht zur Commission des Pädagoginms gehörendes Mitglied
des Gemeinderathes, Herr Gugler, den Gegenantrag: Die durch
Thurnwald's Tod erledigte Stelle sei zu theilen, indem das Fach der
deutschen Sprache und Literatur abgetrennt werde, und es sei zunächst
ein Concurs für Methodik und Schulpraxis in Verbindung mit der
IMrection der Knabenttbungsschule auszuschreiben. Das war nun an
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sieh kerne ftble, tibrigeiis anch keine nene Idee. Aber der Sohalk
stand binter ibr, nflmlicb die geringe Besoldung, weldie anf die nnn
redadrte SteUe entfiel, nnd welche, wie yomnsznsdien war, das Ge-
lingen des Projectes verhindern mnsste. Doch, der Antrag des Herrn
Gngler wurde ohne weiteres angenommen, nnd der Concors mit der
flbliehen Bewerbongsfrist aosgeschrieben. Etliche Candidaten reichten
ihre Gesuche ein und machten ihre Visiten. Schliesslich tod der
Gemeinderath, dass keiner von ihnen für die ausgeschriebene Stelle
geeignet sei. Die ganze Procednr hatte nur den einen, natürlichen
Erfolg, dass Zeit verloren, oder nacli anderer Auffassung gewonnen
war. — Nun eine neue Pause, dann eine neue Combinatidu und ein
neuer Concurs. Man sagte: Unser allverelirter Herr Director kann ja
die Metliodik und Schulpraxis, die ohnehin in keine besseren Hände
gelegt werden können, definitiv übernehmen; für die theoretischen
Fächer: Psychologie, Logik und allgemeine Pädagogik in Verbindung
mit der deutschen Sprache und Literatur werden wir, namentlich
unter unseren Gymnasialprofessoren, leicht eine tQchtige Kraft finden,
und die Directorstelle an der Übungsscfaule können wir separat be-
setsen (natftrlich wiedei* unter Bepartirung der Besoldung). Ich sagte,
es sei mir auch recht, wenn wir nur endlich zur Ordnung kämen.
Nun wurde also ein neuer Concurs fOr die bezeichnete Gruppe von
Lehrftchem ansgescbrieben, aber das Schuljahr 1879 — 1880 ging zu
Ende, als er noch schwebte, nnd auch die Ferien verliefen, ohne dass
die Walil einer Lelirkraft für das Pädagogiuni zu Stande kam, ja
ohne dass die Comniission auch nui* eine Berathiuig über diese drin-
gende Angelegenheit liielt. Doeli von dem weiteren Verlaufe dei*selbeu
später. Jetzt noch Einiges aus dem Schuljalir 1H79— 1880.
Herr Dr. Kühn, welcher früher die Autliebung des Pädagogiums
intendirt hatte, war inzwischen, wenigstens provisoiiscli, von seinem
Vorhaben abgekommen. Nachdem er längere Zeit im Pädagogium
hospitirt und besonders meinem eigenen Unten-ichte, auch den Lehr-
proben in der Obungsschule, fleissig beigewohnt hatte, erklärte er mir
eines Tages ansdrttcidich: er habe sich fiberzeugt, dass das Pftdago-
gium ehi sehr gutes und ntttzliches Institut sei, und habe daher den
Plan, die Aufhebung desselben zu beantragen, aufgegeben. Da ich
schon frfiher eine gute Meinung von seiner AuMchtigkeit gewonnen
hatte, so traute ich auch diesmal seinen Worten. Später bin ich aber
zweifelhaft geworden. Denn Herr Kühn hat nie etwas gethan, um
die durcli 'i'hurnwaUrs Tod entstandenen Scliwierigkeiten und Wirren
schlichtt'u zu helfen, auch dann nicht, als gerade sein Name als. Träger
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einer durcliaus imgdeelitfertigten und sehr büsarti;^en Agitation ööeut-
lich genannt wurde. Ja, Herr Külin war es, welcher si)äter. unter
Hinweis auf diese Wirren, im (remeindcrathe den Antrag stellte, es
sei zu untersuchen, ob das Pädagügiuni aufgelöst oder reorganisirt
werden solle, ~ obwol sich am Wesen der Anstalt gar nichts geän-
dert hatte, und die eingetretenen StGrongen nicht inneren, sondera
äusseren Ursprunges waren.
Thumvald's Tod und was ihm folgte, gab übrigens den Gegnern
des Pädsi^ginnis hinlilngliche Hoffiiung, dass dasselbe anch ohne emen
directen Angriff der Anflösmig yerfiUlen kOnne. Nicht nur nadi
meiner eigenen Mnthmassnng, sondern auch nach der bestunmten Ab-
sicht eines mit den Verhältnissen vollkommen yertrauten Mannes ging^
der Plan unserer Qegner, seitdem sie den directen Weg m ihrem
Ziele hatten aufgeben müssen, dahin: durch alle erdenklichen Mittel
der Wiener Lehrerschaft den Besuch des Pädagogiums zu verleiden
und hierdurch die Frequenz der Anstalt möglichst herabzudrücken,
damit diese schliesslich wegen Mangels an Theilnahme gespeiTt wer-
den könne, natürlich mit dem lebhaften Bedauern, dass- ein so gut
gemeintes Institut so wenig Anklang finde. Jetzt hatten wii' nun
eine Situation, welche sich für solche Aussichten recht günstig anliess.
Überdies konnte der dii'ecte Auflösungsantrag nötliigenfalls noch
immer gestellt werden« Und in der That war hierauf I^edacht ge*
nonimen. Der Obmann der Aufeichtscommission des Pädagogiums,
Dr. Weiser, hat mit Bestimmtheit und wiederholt den Namen des
Gemeinderathes genannt^ welcher, nachdem Br. Sühn von seinem Vor-
haben abgegangen war, es übernommen hatte, die Aufhebung der An-
stalt zu beantragen. Dieser neue Träger der AuflOsungsidee gehörte
unserer Gommission nicht an und hatte das Pädagogium meines Wis^
sens niemals ges^en. ünd so mnsste es sein. Denn wer dasselbe
wirklieh kannte, konnte coram populo oder coram senata es nicht
herabsetzen, ohne sich selbst ins Angesicht zu schlagen, was denn
doch Anstands halber niclit gut anging, während der Ihikiindige alles
Mögliche V(trbringen und sich nötliigenfalls damit entschuhligen konnte,
er habe nur bericlitet. was iiim mitgetlnalt worden sei, er selbst wolle
niclits gesagt haben, es seien „Missverständnisse ' u. s. w,
Dass übrigens seit Thurnwalds Tod die Auflösung des Päda-
gogiums weit und breit discutiit wurde, war aus vielen Anzeichen
ei*sichtlich. So enthielt ein imter dem 21. December 1879 an mich
gerichteter Brief von A. W. Grube in Bregenz die Anfrage: „Ist es
denn wahr, dass Ihr Wiener Magistrat (wol eine Verwechselung mit
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dem GTememderath) damit umgeht, das Pftdagogium wieder an&a-
beten?" — Und äliiiliche Anfragen kamen von anderen Seiten. —
Feraer ftnsserte zur Pfingstzeit 1880 ein hochgestellter Prälat in einer
öelerreichischen Provinz (derselbe hat nnlSngst auch die Sffenthche
politische Arena betreten) ganz nnumwunden, die Auftiebung des Pä-
dagosriiims sei eine be;^chlosseiie Sache und stelie binnen Kurzem mit
•Sicherlieit zu erwarten; er wisse das aus seineu Verltindnn^en mit
dem Wiener Gemeinderathe. — Auch in öffentliclien Hlättern kauK'u
Andeiitnno^en desselben Jnlialtes vor. Insbesondere muss icli liier
einen Zeituuf^sartikel anführen, der auf den Gang der Ereignisse
einen starken Kinfluss ausgeübt hat und daher wörtlich reproducirt
zn werden verdient. Die Wiener „Neue freie Presse" nämlich brachte
am 1. Juli 1880 folgenden Aufsatz:
Auflassung des städtischen PUdagogiums in Wien.
Die Frage der Nothweudigkeit und Existenz-Berechtigung dieser in der
5thul-I>ran^r- und Sturmi)oj i(»(lo f^ntstandenen Scliöpfnng ist seit längerer Zeit in
Disou^sion: in Scliulkreison war man 8chon lange darüber eini^. dass das Be-
dürfnis nicht mehr vorhanden und das Pädagogium seine Mission längst ertüUt
haL Eine gewisse Scheu oder, besser gesagt, Furcht vor den Feinden der
Xeiuciiiile war ea, dass die Frage nicht zur endgiltigen Berathnng gelangte ;
wuM getraate sieh nicht, die Wahrheit einsiigestehen, and so liess man das
loatltat ans einer gewissen Zagliaftigkeit und quasi Ehrftircht für die Ver-
gangenheit fortbestehen. Das ist nun andeis geworden! Wie wir aus zuver»
lässigen Q uellen entnehmen, besteht in massgebenden gemeinderäthlichen Kreisen
die ernste Absicht, das städtische Pädagogium aufzulassen. Das I'rincip des
.Sparens- ist also die Triebfedei , \v<'lrlie den lauere im Stillen freliej,'ten Plan
vor die Öffentlichkeit bringt. Ein diesbezüglicher Antrag dürfte bereits in
nächster Zeit im Gemeinderatlie eingebracht werden, und bei der Stimmung,
Sit welcher die genannte, seit dem Jahre 1868 bestehende Anstalt seit
längerer Zeit aoch von der Uehrheit des Gemeinderathes betrachtet wird,
feheint es lus wahrscheinlichi dass ein solcher Antrag zum Beschlüsse erhoben
werden wird. Es ist ausser allem Zweifel, dass das städtische Pädagogium
die hochfliegenden Pläne, die an dessen Errichtung geknüpft wurden, nicht
erllillt hat. und in Schulkreisen konnte man es sdion seit längerer Zeit aus-
«pre^hen hören, das.s die Heran])ildunfr , beziehungsweise iiiUiere Fortbildung
der Lehrer durch das Pädagogium, welches eine quasi Lehrerhochschule sein
sollte, nicht in der gewünschten Weise gefördert und geptiegt wurde. Sollte es
die ihm gesetzte Mission erfOllen, so hfttte es von voniherein ganz anders or-
ganisirt werden müssen. Die ZOglinge (bereits absol\rirte Lehrer) hätten aus-
reichende Stipendien erhalten müssen, cbmut sie sorgenfrei nnd ruhig rein nnr
ihren Vorträgen nnd Studien obliegen kannten, nicht aber, wie es der Fall ist»
daas sie Schulstellt ii bekleiden müssen nnd nur so nebenbei an den Abenden,
wo fde bereits «Im * Ii die Tacresarbeit ersch<")pft und abgestumpft sind, dem
Unterrichte beiwohnen können, und selbst daran, wenigstens au dem regei-
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mUssig-eii Besudle, dnrcli Zwischeiirülle g-ehindert 'sind, ja für die Examina,
welche dudi der Probilstein und zugleidi der Beweis für den Erfolg der Studien
sind, nicht die nöthige Zeit uud die rechte Masse finden. Viele nahmen daher
auch Bur partiell als H9rar thefl, ohne daas sie regelmässig das ganze Jalir
kommen konnten. Viele blieben in Folge des Zeitmangels oder der StraiMueen
bald gaas ans, Andere Mdeder machten kein Examen; nnr ein geringer Peroeut-
theil erschien beim Examen, und wie armselig war nicht selten da noch der
Erfolg, der zu dem Ganzen in keinem Verhältnisse stand. Andererseits hätte
man dem Leiter der Anstalt. Dr. Dittes. der sich dazu vorzüirlieh eignete und
der seine Stelle sowol als DirectX »r wie als Lehrer, was Anregung, Wissen-
sdiult und methodisch -didaktische Anleitung betrifft, vollkommen ausfüllte,
mehrere tüchtige, durch geistvolle Vortiäge wie durch erzieherische Wirksam-
keit hervorragende FrofesBorea, die zngleicb praktisehe SchnlmSnner sind, zur
Seite stellen mfissen, Schnlmftnner von idealem Schwnng nnd Begeistemng,
welche durch gediegene, nach allen Seiten hin tiefer anregende VortrSge die
Lehrer zu nachhaltigem Selbststudium und tieferem Eindringen drängen und
sie mit höherem Geiste ausrüsten. Leider legte man den ganzen Wert in
die rechte Wahl des Direetors allein und ver^ja^s. dass dieser auch wieder
die rechten Kräfte neben sich braucht, die iim in seiner Weise unterstützen
und nach demselben Geiste mit ihm zusammenarbeiten. In der Wahl der
Letzteren war man unglücklich! Man wählte Leute, denen selbst eine tiefere
wissenschaftliche philosophische Bildung (Wissensansammenhang) fehlte, vor
allem der rechte, interessante, lebenerweckende Vortrag; blosses Lesen ans
Manosoript kann selbst den strebsamsten Lehrer nicht interessiren, noch
weniger für ein tiefes Eindringen begeistern und zu einem lebendigen Selbat-
studium anregen. Und doch sollte das Pildagogium dem jungen Lehrer g-e-
wlssermassen eine Hochscliulr sein; dann abei* mussten solche Lehrer ihi-en
Zöglingen auch etw;is Tüchtiges bieten, nicht aber blos aus einem Hefte vor-
lesen, was nöthigenfalls der Zögling im ei-sten besten Werke in der Bibliothek
auch ünden kann. Dazu bedurfte es keines Pädagogiums. Die Folge war
anch eine vielseitige Enttftnsehnng unter den strebsameren Lehrern, welche
etwas Gediegenes zu h9ren verlangten, an dem blossen Vorlesen ans einem
Hefte aber keinen Geschmack finden konnten. Viele wendeten sich bald ab
und blieben aus — der Nutzen und die geringe Anregung waren nicht die
Zeit, die Last des Hin- uud Herfahrens oft ans weiter F^me der >[ülie wert.
So recrutirten sidi die Zöglinge mein- aus Vei-sorgungs-Speculation. als aus
tiefem Interesse; die Mehrzahl derselben bildeten die Ijehrerinnen, und für
diese hat man doch das Pädagogium am allerwenigsten gegründet. Der geringe
Erfolg oder besser der Misserfolg ist also lediglich auf die unglückliche Wahl
der Lehrkrttfte, die den Director hi seiner hohen Angabe hfttten nnterstlitaai
sollen, znrfickznffihren. Wir kommen auf diese nicht unwichtige Angelegenheit
wol noch zu sprechen ; heute wollen wir nur noch auf den Einen Umstand hin-
weisen, dass sich die gut« Frequenz des Pildago^ums (zumeist Lehrerinnen)
selir leicht damit erklilrt, dass eben die Zöglinge — und nicht mit Unrecht —
in dem Besuche des städtischen Pädagogiums eine Art Garantie tlafiir er-
blickten, an Wiener Connnunalschulen, wohin sich ohnehin die Lehrerwelt
drängt, um so eher eine Anstellung zu erhalteu. Der Lehremaugel ist vor-
nber, man hat Überall Auswahl, wozu ein Privilegium aehalfen? IHe freie
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ConnirTvnz wirkt 1)ele1)t'iul und treibend; man wähle sich die besten Lehrer.
\v(i man sie tindet, und binde sich an keine I^flanzschule. Nur auf diese Weise
kann man Sporn. Trieb und Leben ins Schuhvt'sen und in di»' Lehrerwelt
biingeiL Die Auslagen für das Pädagogium wurden im Hauptvorausclüage
pro 1880 mit 47 700 fl. eingestellt, und man glaubt, dass diese — wenn man
iberlunpt achon sparen mnss — liereingebracht weiden könnten. Statt eines
PSdagoginms mit soleher Einriclitnng tiiftte man besser, wenn man jedes Jahr
einige tüchtige, h;>]it r strebende jüngere Lelirer mit Stipendien auf ein bis
zwei Jahre an eine Hochschule schickte nnd sie dort eine Art Prüfung ablegen
liesse. Auf diese Weise kiinnte man leicht tUcbtige Oberlehrer, Directoren
oud luspectoren heranziehen.
Die in diesem Artikel vorkommenden nnriebtigen Angaben, Wider-
spruche, falschen nnd schiefen Behauptnngen können hier übergangen
werden. Der Vei-fasser, der mir nacliträglich von zuverlässiger Seite
genannt wurde, kannte das Pädagogium nicht aus eigener Anscliauung,
und stellte nur zusammen, was ihm zugetragen und inspirirt wurde.
Ich erfuhr auch, dass er, als ihm von befi-eundeter Seite nach Durch-
sicht seines Manuscriptes die Publicatiou widen*athen wurde, entgeg-
nete, er könne von derselben nicht abstehen, da er „beauftragt" sei
— Ich meines Theils hielt es für das Klügste, diese Zeitungshetze,
wie vieles Andere, za ignoriren. Allein die in dem Artikel york<»n-
menden Beleidigongen des LehrkCipers machten dies unmöglich, da
«e von den Betroffenen sehr ernst genommen worden. Es erediien
hä mir eme Deputation des Lehrkörpers, welche mir mittheilte, einige
Mitglieder desselben seien der Ansicht gewesen, eine solche mit Be-
mfang auf den Gemeinderath ToDfllhrte öffentliche Schmähung müsse
mit einer gemeinsamen Demission beantwortet werden; die Mehrheit
sei aber der Ansicht, dass vorerst eine den Verhältnissen entsprechende
Eingabe an den Gemeinderatli gerichtet werden solle, und die Depu-
tation sei beauftragt, mich um Theilnahnie an diesem abwehrenden
^>chritte zu ersuchen. Ich konnte, abgeseht-n von den Pflichten der
Collegialität , sclion aus dem Grunde nicht ablehnen, weil der ange-
tiilirte Artikel, welcher meine Collegen in so ungerechter Weise
O&atlich herabsetzte, mir selbst Weihrauch streute. Es stand zu
besorgen, dass, wenn ich mich in diesem Falle von meinen Collegen
trennte, man denselben vorspiegehi würde, ich sei wol selbst nicht
ohne Antheil an der Entstehung dieses Zeitungsartikels, und damit
hätten unsere lieben Freunde etwas sehr Erwünschtes erreicht: IGss-
tranen und Zerwürfiiis zwischen dem Lehrkörper und dem Director.
Nach mebrfochen vertraulichen Berathungen wurde folgende Vorstel-
lung sn den Gemeinderath gerichtet:
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All den bibliclien Gemeinderatli der Stadt Wien.
Seit dem zwölfjährifren Bestände des Wiener Lebrer-Pädafroj^iums
sind auf dasselbe in hiesigen Zeitungen zalilreiclie walirheitswidi'ige
und böswillige Angrift'e gemacht worden. So lauge dieselben lediglich
dem Unverstände und der Schmähsacht einzelner Personen zu ent>
^ringen schienen, glaubten wir in eigener Sache jede Yertheidigong
unterlassen zu sollen, znmal selbst von berufener Seite zur Wahmng
der Ehre des Pädagoginms niemals eine Kundgebung erfolgte.
Seit einiger Zdt aber werden Angriffe auf das Pftdagogiom und
den Lehrkörpw desselben mit geflissentlicher Bemfang auf „die
massgebenden Kreise des Gtoneinderathes'* gemadit, als ob der E^m
oder die Mehrheit des städtischen Vertretungskörpers das Fftdagogium
ftr ein schädliches oder doch tberflflssiges Institut hielte und den
Anfeindungen desselben nicht fem stünde. Überdies ist es eine be-
kannte Thatsache, dass einzelne Mitglieder des Gemeinderathes die
Absicht kundgegeben haben, auf die Auflösung des Pädagogiums hin-
wirken zu wollen.
Olme nun auf die Tntentionen des loblichen Gemeinderathes ii*gen<l
wie einwirken zu wollen, müssen wir doch dringend wünschen,
dass die Situation des Pädagogiums in dem einen oder an-
deren Sinne klar gestellt werde,
indem dasselbe nicht femer die Zit lsclieibe jeder beliebigen Feindselig:-
laeii bleiben kann, wenn es nicht desorganisirt werden soll. Auch
sind wir keineswegs gewillt, unsere Ehre jeder beliebigen Venm-
glimpfimg zn Überlassen.
Wir ersuchen daher den löblichen Gtemeinderath, dieser xamerer
Vorstellung eine ernste Würdigung widmen zn wollen, indem wir mit
gebührender Hochachtung verharren.
Wien den 10. Juli 1880.
Director und Lehrkörper des Pädagogiums.
Dittes. Beiling. Doublier. Haberl. Kauer.
Pommer. Pöuuiüger. Kieck. Umlauft.
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Friedrieh Rfiekerf 8 Credaakenlyrik
als Bildungssinittel für höhere Lehranstalten.
Von Dr, Georg Voigt - Annaberg,
Im FrOblmge unsere Lebens, da alle Geisteskräfte noch in der
Wärme des Gemflts verehugt sind, da aller doch schon eine reichliche
Mt^uge aufsprossender Keime und jugendfrischer Triebe Zeugnis ab-
legt von seliger Werdelust und von lebhaftem Thatendrange des
jnngen Menschen, in diesem Lebensfrühliuge ist es auch, wo sich in
ans das Bediüfnis regt nach einer das Gemüth ganz erfüllenden und
beft-iedigenden , so weit als möglich von uns selbstthätig erbauten
ethischästhetischen Idealwelt auf religiöser (Trundlage. Gern und
mit Begeisterung schwingt sich darum der Jüngling zu Gedanken
über die Menschheit, über Gott und die übersinnliche Welt empor.
Dagegra kann ihm eine philisterhafte, mateiialistische Richtung, die
nicht seinein auf erhabene Ziele gerichteten Willen für die Zukunft
Aa^aben stellt, und die nicht seine Phantasie beschäftigt, sondern
geflissentlich yeniaehlftssigt, nicht genügen; er Ifisst sie mit Ent-
rüstung beiseite Uegen, besondere wenn er bemerkt, dass sie, deren
höchstes Ziel nur Erwerben und Gteniessen ist, durch egoistische Be-
sdufinkfheit zu Konsequenzen kommt, welche don Gemeinwesen
schädlich sind. Nur das Streben nach dem, was sein soll, nach dem
ewigen Guten, Wahren, Schönen erscheint ihm als wahrhaft segen-
bringend für die Menscliheit im Ganzen, wie für den Einzelmenschen.
In seinem dunklen Drange hat so auch der Jüngling den richti^ren
Weg gefunden; denn wie die ideale Richtung auch selbst in ihren
Veriminjren iimiur noch achtungswert blieb, so hat aucli sie allein
sich als wahi'haft schöpferisch und zeugungsfähig gezeigt, imd allein
der Idealismus hat sich im Verlaufe der Geschichte als Triebkraft
aDer grossen Bewegungen und Erscheinungen bewiesen. Damm kann
dem Jänglinge, ihm, dessen Herzenswunsch es ist, in seinem späteren
BeraflMen der Welt euimal mehr als ein blosser Lohnarb^ter zu
werden, dämm kann ihm (besondere wenn er einst in weiteren
Kreisen wirken soll) nichts Besseres auf seine Lebensreise mitgegeben
werden, als eine Stärkung der ursinllnglich schon von selber sich in
^dagpchim. 4. Jabif . Hdt IV. 16
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ihm re^t'iiden idealen Kiclituiif^. damit er auf den Weg gelani^e. auf
welchem er sicli später selbst zu einer edlen Persönlichkeit vollends
heranbilden könne, zu einer Perstinlichkeit. in dei' eine heilifre Gluth
für alles Vortreöliche lodere, die gegen alle Angiiffe und Verführungs-
künste von Gemeinheit, Gottlosigkeit und Frevel sich schützen könne,
and die den wahren Wert des Menschendaseins erkenne.
Gleichwie ein Stern im Norden bei allen Ändenmgen nnd allem
Umschwünge der übrigen irdischen und himmlischen Dinge nnyer-
änderlich immer vom gleichen Standpunkte ans in den Wechsel nnd
Wandel der ganzen Erscheinmigswelt hereinschaut, nnd wie er so
Verkünder und Abbild der unveränderlichen und ewigen Gottheit Ist,
also auch muss uns der Idealismus einen unverrückbaren Standpunkt
ausserhalb des Weltgetriebes verleihen, er niuss \ erkünder des Gött-
lichen und Wegweiser zur Gottheit für uns sein. Wer das erreicht
hat, der kaim dann mit Schiller ausruteu:
,^etzt hab' ich eine Strasse nur m wandeln;
Das unstet schwanke Sehnen ist gebunden,
Dem Leben ist nein Inhalt ausi^cfniulen.
lJn<I wie (Ut Pilyer Nich nach ( »stcn wendet,
Wo ilmi die Sonne der Verheiü-sung glänzt,
So kduret sich mein Hoffen und mein Sehnen
Dem einen hellen Himmeliipnnkt« xn."
Wird aber einer derartigen Kichtunii iiiclit schon in den .Tujifend- i
jähren im Menschen zur Herrschaft verliolten, aus seinem späteren
alltä<>:licheu Berut'älebeu wii'd i^ie ihm noch viel weniger kommen
können!
Es fehlt nun anch nicht an Factoren, welche abzielen auf eine
ideale Bildung. Da ist zunächst der Religionsunterricht, welcher eine
solche anstrebt Das Ghristenthum ist ja stets darauf gerichtet ge-
wesen, das Höchste zu verwirklichen und zu diesem Zwecke Herz
nnd Leben umzugestalten. Auch der Greschichtsunterricht soll und
kann den idealen Sinn mächtig fördern, und gerade die Geschichte
ansei'S Volkes zeig t an so vielen Stellen ein Einstehen für die höchsten
Güter des Lebens, dass ihr Studiuni herzerhebend wirkt.
Dass die Idealität wirklich ein echt nationaler Zug der T>eutschen
ist, das beweist namentlich auch der Entwickelungsgang der
deutschen Plülosophie. di» . obschon dem SohulunteiTichte ferner stehend, '
doch so manchen fruchtbaren (Tedanken hervorbrachte, der auch dem
Schulwesen förderlich wui*de, besonders seit durch Kant und Fichte
eine sti^eng ethische Bichtnng in ihr aufkam.
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In engeFem Zosammenbaiige, als man gemeinhin anzunehmen
pflegtf steht aber mit der Philosophie die deutsche Poesie, diese'
fianptverkilndfirin des Idealismus. Unsere grossen Dichter, bei ihrem
Streben, edle Menschlichkeit zu verkttnden, haben, genfthrt und ge-
t6rdevt durch eine geistige Aulfassung der Religion und durch
philosophische Studien, das Hohe luul Heilige in seiner lebendiyfen
Ei-scheinung in ihren Schöpfungen ei)isch, lyriscli, dramatisch und
didaktisch gefasst und dargestellt und so das Tlirifi:e zur Wiirdis-ung
und Verehrung des (TÖttlichen reichlich beigetragen. So ersclieint
die ideale Kichtung als ein uraltes Erbtheil aller rilicder unsers
Volkes, das w nicht vernachlässigen dürfen. Unsere grossen Denker
nnd Dichter haben ihi'em Volke im Reiche der Idee eine Wohnstätte
bereitet, und immer ist man in Deutschland bemüht gewesen, den
Segen ihrer Arbeit, so weit dies möglich, alsbald auch der Jugend
nkommen zu lassen.
Wenn schon ein Elopstoek, ein Sfchiller, ein Gk>ethe die Poesie
als ein ernstes Geschfift betrieben, welches, wie aUes, was in die
H9he und Tiefe fährt, auf einer Art rdigiasen Sinnes beruhte, nnd
vem sie gerade deshalb der Sdiule so lieb und wert sind, so ist
unter unseren späteren Poeten d^r Dichterphfiosoph Friedrich
Rückert, was leider bis jetzt noch gar nicht genug zur (Geltung
gekommen ist, wie in gar mancher, so aucli in dieser lliusiclit Fort-
setzer des gros.sen Werkes unserer Philosophen und classischen
I>ichter in bewusstester Weise. Er hatte sich ein klares Urtlicil <>t*-
bildet über das, was seine Vororänger erstrebten, er hatte iliren
Gedankenreichthum in sich aufirenomnieii und zielt nanientlicli in seiner
Gedankenlyrik mit Aufwendung all seiner bedeutenden Geisteskraft
darauf hin, die Erkenntnis der Welt mit der des Göttlichen zd ver-
knüpfen. So bringt er neben vielen anderen namentlich die erhabenen
Gedanken znm Ausdrucke, dass das Göttliche in der Menschheit liegt
lud auf der Erde wächst, dass die Gottheit in uns wirkt, wenn wir
es ihr nur zulassen, und dass das GiJtÜiche nicht vom 3f ^schlichen
zn trennen seL Dies Bewusstsein und Sdbstgeflihl verleiht ihm Mnth
ad Begeisterung, das Ziel der Menschheit ins Vollkommene zu setzen
OBd selber schon beharrlich nach dessen Erreichung zn ringen, sowie
Ändere dazu anzuhalten. Dabei erweist er slcli als einen selbst-
ständigen Denker, der sich seinen eigenen Standpunkt wahrt. Wenn
Dichten ..sinnliches Reden"* ist, so ist Rückert ein Meister der Dicht-
knnst. (U^nn die Abstractionen seines religiös-philosopliischen Ideeu-
gaogeä hat er in poetischer Form, iu Bildern und Gleichnissen gar
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deutlich und klar und doch zugleich auch dichteriscli schön dargestellt.
Beligion, Philosophie, Poesie vereinigt er aufs innigste mit einander,
indem er seine Lehren vom Erkenntnis-, vom Heils- und vom Willens-
ideale einkleidet in Bilder der göttlichen Herrlichkeit und Seligkeit,
die alle Welt durchdringt. In so umfänglicher Weise gibt er sich der
Ltenng jener selbstgesteUten Aufgabe hin, das Denken ftber wdtliche,
naWriiche Dinge ntft dem ftber das 65tt]iche zn yersOfanen, dass man
fSMt . sagen möchte, er habe hier die Ergebnisse vom Entwicklungs-
gänge des Denkois der Welt dichterisch schön dargestellt .Wer vftre
im Stande, alle von ihm beigebrachten Gedanken bis zn ihren zeitlich
und räunüich oft so fern yon einander liegenden Ursprüngen zu ▼e^
folgen! Darum können auch gerade seine Dichtungen, wie fast keine
anderen, wenn man sie nur recht auf sicli wirken la.s.st, neben der
Freude an der Poesie als solcher noch einen sittlich-religiösen Kern
sicliem. Sie leliren uns. wie wir können uns genügen lassen an dem.
was da ist; sie zeigen uns an des Dichters eigenem schönen Vorbild^
wie wir bei den manniglaclien Enttäuschungen, welclie das Leben
bringt, in den unvergänglichen Gütern des Geistes Ersatz lür Ver-
lorenes und Erhebung über alle Gemeinheit des Erdenlebeus finden
können, damit wir ein wahrhaft glückliches, geistig gesundes Dasein
ftthren mögen. Soldi höheres Leben aber, ein Leben im Geiste und
in der Wahrheit kann allein aus dear lebendigsten Liebe zum Höchsten
stammen, und yon solcher Liebe, die da Mutter aller Ideale ist, zeigt
sich unser Dichterheros beseelt. Yon dem Sehen mit sinnlichen Angen
ausgehend und auihteigend zum intellectudlen Schauen, von der „guten
Mutter Natur" anfimgend und auf ihrer Stufenleiter emporklimmend
zur Welt des Geisteslebens, gehingt er zum Thema und Princip sdner
Gedankenlyrik, der heiligen, schöpferischen Liebe. Durch solche Liebe
erhebt und läutert der Dichter unsere Phantasie, die er zu V)ilden weiss
zur tl)enTiittlerin einer übersinnliclien Welt, von solcher Liebe mächtig
ei^^i itleii. fordert er naclidrücklich zu strenger Thätigkeit, zum Wirken
und Handeln in ilnvm Dienste auf. Er w^eist uns darauf liin. dass
nur das Gute wahrhaft Bestand hat, und dass alles ihm Entgeg^n-
strebende doch endlich überwunden werden muss, er luhrt und mahnt
zur SelbstbeheiTschung und Selbsterziehung; imd dies alles tr> er
mit solchem Nachdrucke vor, dass man erkennt: hier kommen seine
innenten Überzeugungen zur Sprache.
Die reifere Jugend (und auch die darauf folgende Altersstufe, weldier
ja immer auch noch die Fortbildung erwünscht ist) wird keiner anderen
Führung sich williger unterordnen als der durch solche Poesie, wie
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wir sie bei Rückert finden^ in welcher Gemüth und firkenntnis gttneiii-
«ain walten und welche sowol dnith ihren Inhalt als snch durch die
in ihr herrsdiende Schönheit eine Harmonie unsere geistigen Seins
herheifOhrt, durch welche der Wille unmerklich auf das HOchste hin*
gelenkt wird. Wie unser Dichter selbst ein erhabener Erzieher nnsers
Volkes ist, so ist auch die LectOre und das Studium seiner Dichtungen
besonders für den gesammten Lehrstand segenbringend und herzerhebend
denn hiermit wird eine überaus reiche Fundgrube tiefster Ideen er-
schlossen. Damm darf man wol auch kühn behaupten, dass die Schule
als ein den idealen Interessen gewidmetes Institut zunächst die Ver-
pflichtung habe, die in Riickert's Werken nihenden und für die Schule
noch so gut wie gar nicht nutzbar gemachten Büdungssckätze der
Jugend zu ihrem Heile zu iil)ermitteln.
Ist es zwar nicht abzuleugnen (und Rückert erweist sich eben
darin, dass er diese Erkenntnis an die Spitze seiner Lebensauifassung
stellt, als zeitgemässester IMcliter), dass so manche Blüten der phan-
tasieroUen Vorzeit» welche den Baum der Menschheit schmückten, von
der reiferen Erkenntnis unserer Zeit abgestreift worden sind, dass die
Nenzeit nicht trftumerisdie Stimmungsmenschen hratt<diea kann, dass
wir yiefanehr im Zeitalter der ernsten und hewussten Arbeit stehen,
die in wechselvoller Gestalt unser Dasein, Denken, Handeln und Em-
pfinden beherrscht: so ruht doch unserm Dichter sowol als auch Aesa
Erziehern der Gegenwart noch ToHere Wahrheit und noch grösseres
Recht in der Fordening, die auch ein Goethe und ein Fichte aus-
sprachen, dass der ganze Mensch nach all seinen Kräften zu bilden
sei. Wenn demnach der überwiegenden Verstandestliätigkeit unserer
Zeit mit ihren Abstractionen, wenn der fiebernden Hast dieser Zeit
Ziel und Mass gesetzt werden muss, so könnte das hauptsächlich
'ladurch geschehen, wodurch es Fr. Rückert anstrebt: durch Hinweis
aal die Henlichkeit Gottes, wie sie sich offenbart in Natur und
Mfinachenleben . überhaupt durch fieissigere Einführung der Schönheit
in unsere Bildungskreise; fenier dadurch, dass wir die ältere ideale
£nft» wie sie hervortritt in der phantasievollen Weisheit der Yoraseit,
benntsen, unsere moderne Nflchtemheit mit ihr zu beseelen; end-
lich dadurch, dass wir einen guten und starken Wüloi zu bilden
lachen nicht durch fortwährenden Hinweis auf die Strenge des 6e-
aeties, sondern durch Anleitung zur Selbstbesinnung, durch Anregung
des Strel)ens, das von ferne geschaute Vollkommene auch so viel als
nfiglich zu verwirklichen und dadurch, dass wir solche Hinlenkung
d«« Willens auf das Höchste immer im Bande der Liebe halten.
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l)ies alles und nru-h s<» niHiiclics andere ist der Segen, welchen
ein LeJirer ei'wacliseiier .Tuiü:en(l zu erwai'teii hat , der sich bemüht,
seine Schüler einzuiiihren in die reichen, vieUältigen, edlen AnscliauungH»
und (iedankeii Fr. Kückert's. Je mehr aber in den hr»lieren Schulen
diesem grossen Dichter zu seinem Rechte verhoUen wird, desto mehr
wird auch bezüglich unserer ganzen Nation in Erfüllung gehen, was
er in der „Weisheit des Brahmanen'* gesprochen:
Icli bin der Leib nicht» der evoh vor den Augen ateht^
Ich bin des Liede;< Tm, der ench zu Heuen geht.
Und wenn das Lied ergreift und heiligt euren Sinn,
So danket Gott datUr, dass ich's geworden bin.
Wie wir ms ein filementurlehrbnch der GeograpUe deskei.
Von tFohann F^efberger'Weitmfdd»
In den (tsterreicliisclien Volks- und Büi*gerschulen beginnt der
geographische Unterricht nach den gesetzlichen Lehrplänen auf der
Mittelstufe mit dem bestimmten Schulorte. Von hier aus bewegt sich
derselbe zur nächsten Umgebung, zum Schulbezirke imd Heimatlande.
Daran schliesst sich eine Betrachtung der Nachbarländer an, bis die
Schüler eine übersichtliche Kenntnis der österreichisch- ungarischen
Monarchie besitzen. Gleichzeitig sind die wichtigsten geograpluschea
Gnmdbegriffe zu entwickehh
Hieran reiht sich auf der Oberstufe eine Betrachtung der Nachr
harstaaten, Europas, der Nachbarmeere und Continente, und den
natOrliehen Schlussstein des geographischen Unterrichtes bildet eine
Behandlung der Erde in ihrer Totalitat und in ihren wichtigsten Be-
ziehungen zu anderen Weltkörpem.
Dieser Lehrplan abstrahirt von jeder fiir das kindliche Lebens-
alter unpassenden Systematik, kennt auch nicht mehr die alte Schei-
dung des LeFirstofles in einen mathematischen, physikalischen und
politischen Theil, sondern ist rein psychologisch-didaktischer Natur.
Der Lehrer, welcher nach ihm verfährt, fragt sich jeden Augenblick:
Was haben meine bestimmten Schüler tur Vorkenntnisse, woran kann
ich meinen neuen Lehrstoti" anknüpfen, um das (-Jeistes- und Gemüths-
leben der Schüler ÜTichtbringend anzuregen? Soll doch nicht blos
das Gedächtnis, sondern auch die Phantasie, der Verstand und das
(Temüth durch den geographischen l'nterricht geweckt und so der
Wille indirect auf das ethisch Wertvolle hingeloikt werden. £s gilt
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auch hier, dass der Lehrer nach den geheimen Krälteii und Fäden
im Seelenleben seiner Kinder forsche und danach seine Thätigkeit
eflirichte. Ans der grossen geographischen Wissenschaft ist der Stoff
doirt anssnwahlen, zn ordnen nud in solche Formen m kleiden, dass
er diese gebeimen Fftden und Erftfte der Kindesseele milchtlg eigreife
and mit sich emporziehe zu emer höheren Stnfe des Geisteslebens.
Der Lehrer vermag hier viel zn wirken, besonders wenn ihm gnte
Lehrmittel und Handbücher zur Verfligung stehen.
Es gibt heute in Österreich bereits ausgezeichnete wissenschaft-
liche Werke Uber Geographie, vorzügliche Atlanten, Bilder- Alben und
dgl. Für den Mittelschuiunterricht fehlt es auch nicht mehr an guten
LehrbücheiTi der Erdkunde. Dagegen sind der wirklich guten Hilfs-
bücber tlir den geogra])liischen Unterricht an Volks- und Bürgerschulen
noch wenige. Es ist nicht unsere Absicht, hiei- im fremden Ueistes-
lei&tungeu Kritik zu üben, wir wollen nur die Forderungen entwickeln,
welche wir an ein Lehrbuch der Geographie für Volks- und Bürger-
aohnlen stellen, und die wir demnächst auch in einem entsprechenden
fiiche praktisch verwirklichen wollen. „Nur die Lumpe sind be-
wheiden*', sagt Goethe.
Der elementarste geographische Unterricht soll mit dem Schul-
orte heginnen, so yeiiangt es die Methode und das Gesetz. Die
ilteren Lehrbücher der Geographie beginnen alle mit der Erde als
Weltkörper, mit dem Universum. Welcher Weg ist der richtige? Denken
wir uns in die Seele eines Kindes von 8—10 Jahren. Was wird
ihm leichter vei-ständlich sein, der grosse Krdkörper in seiner Totalität,
•Hier der kleine tiaute Winkel auf der Erde, wo es seine fröhliche
Kinderzeit verlebt, wo \'ater- und Mutterliebe täglich es umgeben, wo
•-Tesch\^ister und "Mitschüler es gelegentlich hinaus fiihren in Feld
und Wald, Berg und Thal? Woher hat ein Kind vor und während
dia* bisherigen Schulzeit seine ersten geographischen Anschauungen
gewonnen, aus dem grossen Universum, aus den astronomischen Ver-
hältnissen der Himmelskörper zu einander, oder ans dem kleinen
8tickchen Erde, das seinen Geburtsort bildet und umgibt? Wenn die
Antwort anf diese Fragen selbstverstfindlich ist, so darf auch
Lehrbuch nicht mit der astronomischen Geographie, sondern nur mit
dem Schulorte und seiner nächsten Umgehung beginnen. Nun hat
aber jedor Schnlort eine andere Umgebung. Es kann sidi daher Dir
ein Lehrbuch auch nur darum handeln, tflr diesen ersten Abschnitt
«Ugemeiiie Normen zn geben darüber, wie die zu^ligen, dusch das
I^ben selbst gewonnenen geographischen Erkenntnisse eines Kindes
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durch entsprechende Betrachtung der Heimat erweitert werden sollen.
Es können in diesem Theile eines Lehrbuches einzelne Lesestücke
sich finden mit Belehnmgen über £ltem und Familie, Gemeinde, Be-
zirk, Land. Sie soQen mOgMchst concret gehatten sein, eingiestreole
Gedichtchen, Spiftchlein n. dgl. mögen die Liebe und Frende der
Kinder am (}eg6iistande f5rdem.
Je mehr sich die Kenntnisse des Kindes im fortschreitenden
Unterrichte erweitem, desto mehr geographische Hauptformen treten
in seinen Gesichtskreis. Was ein Berg, ein Thal, ein Bach oder
Fluss sei, kann ein Kind aus der geographischen Betrachtuug der
Unij^ebun? des »Schulortes lenien. Viele andere geographische AUge-
nieinbegntte muss es sich im Laufe der Schulzeit noch aneignen.
Wie soll dies geschehen? Die älteren Lelubüclier der Geogi*aphie
für Volksschulen haben ofemeint. man müsse derlei Allgemeinl)eo:iitt*^
in bündigen Definitionen schön geordnet als Einleitung vorausscliickeu.
Ks wurde z. B. definirt, was eine Insel oder Halbinsel sei, und erst
viel später lernte das Kind gelegentlich wirklich eine Insel odar
Halbinsel kennen. Was war hier?on die Folge? die DifinitionspaFa-
graphe lernte das arme Kind unter schwerem Angstsdiweiss ana-
wendig — wozu? Um am nfichsten Tage das Memte vergessen zu
haben und das Nene mit nm so grosserem Ekel za lernen. Ist der
Allgemeinbegriff das Ergebnis einer Abstraction von Einzelbegriffim
re^. Einzeldingen, so mnss man anch dem Kinde zuerst diese Ein-
zeldinge nahe legen, daraus mag es sich concrete Begriffe Mden,
ans denen wieder die Allgemeinbegriffe erwachsen. Zu dieser Denk-
tliiitigkeit aber muss der Unterricht amegen. In einem Lelirbuche
werden demnach derlei Allgemeinbegriffe nur am Schlüsse des ein-
sclüägigen Lehrstoffes behandelt werden dürfen, nicht am Anfange.
Niemand lernt eine Spraclie dadurch, dass er sich hinsetzt und die
Grammatik oder ein Wörterbuch von A — Z auswendig lernt, nein,
der lebendige Gebrauch der Sprache wirkt entscheidend. Ähnlich
wird ein Elementarlehrbüch der Erdkunde nicht ganze Abschnitte
mit Begriffserklftrungen geben dürfen, sondern die Erklärungen sind
einzeln über den ganzen Ijehrstoff zu vertheüen und dort zn geben,
wo sich unmittelbar eine G^egenheit dazu bietet.
Damit nahe yerwandt ist eine andere wichtige Frage des geo-
graphischen Unterrichtes. Die älteren Löhrbach«* der Geognq^
beschreiben beispielsweise zumt das Alpengebirge in seiner TotaMtftti
dann die einzehien Theile desselben, ja oft beschreiben sie nieht ein>
mal, sie geben nur Namen und Zahlen. Ähnlich machen sie es mit
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der geaunmten Oro- und Hydrographie: znerst kommt der Contment,
dami das Laad in diesem Oontinente, erst das allgemeine Gaaize, dann
das besondere Einzelolject Ist dies richtig? Fragen wir wieder die
Kindesseele: was liegt seiner Vorstellung näher, ein einzehier Berg
oder ein Qebirgsland Ton mehr als 4000 □ Meilen? Lernt es im
Leben selbst znerst weite Gebirgsländer oder einzelne Berge kennen?
Wenn die Antwort klar ist, so wird ein Lehrbuch wieder zuerst den
concreten Theil, dann das Uanze beli;indt'ln müssen.
In manchen älteren Handbücheni der (Teo^rai>hie konnte man
seitenlang^e Znsanimenstellungen von Fluss- und Ber^namen mit vielen
Zahlen tinden. Das arme (-redächtnis des Kindes! Ist denn der Name
die Hauptsache und nicht das geographische Object selbst? Wenn
man nicht alles beschreiben kann, warum müssen die sibirischen
Fttksse und die chinesischen Berge in der Volks- oder Bürgerschule
ach so breit machen? Liesse sich nicht im usuellen Lehrstoffe ane
bessere Auswahl treffen nadi radicalen Gesichtspunkten?
ESnige Lehibficher der Geographie bringen geographische An-
sdiasongstafl^ LandschaftsbQder, Uenschentypen n. dgL Dieser
Vorgang ist ein sehr fruchtbarer ; soll doch der geographische Unter-
richt zum TheÜ ein Ersatz sein f&r die nicht überall mögliche Be-
tnushtnng der wiridichen Welt in ihrer Grösse. Allein das Format
eines Schulbuches und auch das von An schau ungsbildem ist ein kleines,
der Kostenpreis soll ein billiger sein; es empfiehlt sicli daher mehr,
geographische Bilderatlanten für die Schule herzustellen, derlei Zeieh-
nungen aus dem «chulbuche selbst aber wegzulassen. Sie stören auch
manchmal die Disciplin.
Dies wären im wesentlichen die Hauptgesiclitspunkte, nach denen
wii* glauben, dass ein Elementarlehrbuch der Erdkunde abgefasst
sein könnte. Vielleicht kommt es noch dahin, dass auch der erste
GeschichtsunteiTicht eine methodische Beform erfährt und mit dem
geographischen Unterrichte innig verschmolzen wii*d. Die Schule
bitte damit viel gewoimen. Das „Wie" dieser Befonn und Yer-
sehmelzang ist fireüich noch kaum embiyonisch vorhanden.
AniiM ikung des Herausgebers. In Betreff des Gebraudies von Lehr-
bfichera in den Händen der SchUler verweise ich auf Jahrg. II. S. 601 ff. dieser
Zeittduifl, sowie auf mebie Methodik. Wenn es sieh aber um einen Leitftulen Ar
in Lehrer, ndt tndenn Worten m «inen amgefllfarten Lehrgang handelt,
so stnmne ieh bollgüch des geographischen ünteniohtes den im yoiatehmden Anf*
Sitae entwickelten Qnmdsfttssen an. D.
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über weiblielien Erwerb und weibliche Thätigkeit.
Von Friedrich Avcker'Leoben,
enn noch vor hundert Jahren ein Mann wie Jnstas HSeer, d^
man Deatsdihinds patriotischen Franklin nannte» in seinen 1774 er-
schienenen „patriotischen Phantasien" allen Ehistes aussprechen konnte:
„er würde als Hann des Volkes kdn Ifftddien heiraten, das lesen nnd
schreibe könne**; und wenn ein gewiegter Schulmann der damaligen
Zeit soßrar meinen konnte, dass sich mit dem Lesen wol noch ein Zweck
verbinden lasse, nämlicli das Lesen im (Tesang- nnd Gebetbuche, dass
aber das Schreiben bei den „virginibus geradezu ein vehicul ziir
Lüderlichkeit sei,*' und wenn man dagegen die Menge von Mädclieii
und Krauen betraclitet. die heutzutage in den Amtsstuben herumsitzen
und die Feder füliren, oder «:ar jene Auserwälilten, die von einigen
Universitäten zu Doctoren juris odei* medicinae ernannt werden, — 80
muss man ob des gänzlichen Umschwungs staunen, den die Frauen»
frage in diesem Einen Jalirhundert genommen hat.
In der neuesten Zeit ist die Frage der Frauen-Emancipation sogar
zur brennenden Tagesfrage geworden, und die edelsten Geister mfihen
sich ab, ihr gerecht zu werden und sie auf dem einzig richtigen —
weil einzig möglichen — Wege der Mittelstrasse ihrer Lösung entgegen
zu ffthren.
Die Emancipation der Frau soll nach dreifacher BichtUng ge-
sdiehen; sie fordert:
1. Gleichheit der Bildung und freie Wahl des Berufes,
2. Gleichheit der politischen Rechte,
3. Gleichheit in der Ehe.
Die folgende Abhandlung soll sich nur mit der ersten diej^r
Forderungen bescliäftigen.
Dass die (-rleichberechtigung zur Edaugung jeder Bildung und zur
ungehinderten Wahl des Berufes nui" „im Principe gefordert werden
kann, in Wirklichkeit sich aber nicht auf alle Berufsarten ausdehnen
lässt, vei-steht sich von selbst Denn da es Berufsarten gibt, welche
eine männliche Kürperkraft nnd Körper -Constitution erfordern, so
müssen diese yon yorn herein dem weiblichen Geschlechte verschlossen
bleiben. HierfBr die Grenze zu bestimmen ist schwer, und nur die
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Praxis wird da von selbst sondeiii und die Linie des Möglichen er-
halten. Aber so ubeitrieben scheint es anch gar nicht mit dieser
Gleichberechtigimg zum Bei'ofe gemeint zu sein. Es ist mehr der
weibliche Stolz (mitunter wol aach die weibliche Eitelkeit), der so
rigoros auftritt und besonders auf dem Felde geistiger Thätigkeit sich
nicht zurückgesetzt wissen* wllL Anderseits legen die Vorkftmpferinnen
dar Frauenfrage ihre Lanzen em f&r all die Tansende ihres Gesdilech-
tes, die den Erwerb durch diriiche Arbeit zu ihrem Unterhalte zu
suchen gezwungen sind, oder die ihn aus Trieb zur Thätigkeit und
ans Vergnügen suchen, und sie kämpfen dafttr — man kann es nicht
ttdei-s sagen — mit vollkommener Bereclitigimg".
In den niederen Schichten der Gesellschaft hat es die Noth ja
iiiiiner mit ?;i<"h gebracht, dass das Weib nebst seiner Bestimmung
ttir die 8oi-ge des Hauswesens aucli P^rwerb und Verdienst nach aussen
suchen niusste. Tm Arbeiterstande ist dies eine tägliche Ersclieiiiung.
Anders in den mittleren Schichten der Gesellschaft. Hier kannte man
bis in die Neuzeit nur wenig das Wort „Erwerb**. Nur wenn die
Noth allzusehr drängte, gritfen Mädchen und Frauen zu Erwerbs-
zweigen, und dies oft nur heimlich, yerschämt Arbeit suoliend. Meist
war es der dürftige Erwerb mit der Nadel, der wegen Mangels wissen-
sehaftlicher Bildung gewählt wurde, oder es waren niedere Dienste
als Kinder- oder Stubenmädchen oder Ladendienerinnen, zn denen man
sich herbeilassen musste. Nur wenigen gehing es, weil eben die
n5thige Bildung fehlte, sich dem Erziehungs&che mit Erfolg zn widmen.
In der Begel beschränkte sich auch dies auf ein v^einzeltes und oft
sehr mangelhaftes Unterrichtgeben in der Musik oder in dner Üremden
Sprache, die man kaum selbst erst erlernt hatte. In den weiblichen
Erziehungs- Instituten, welche einzelne mit „obrigkeitlicher Bewilli-
gung*' errichten durften, war kein einziges rjehifach, die Handarbeit
ausgenommen, von weiblichen Lehrkräften vertreten.
Da nun solcher Weise eine Versorgung der Töchter durch Arbeit
uud durch Ergreifen eines Berufes eine so geringe war, war es nur
natürlich, dass man dafür eifriger an eine Versorgung durch Heirat
denk^ musste. Daher die unerquickliche Hast von Seite der Eltern
sowol wie der Töchter, frühzeitig und um jeden Preis auf eine solche
Versorgung auszugehen, und daher auch die vielen ohne Neigung und
ans niedrigen Motiven geschlossenen, oft unglflcklidien Ehen mit all
dem Unheil, das sie in ihrem Gefolge führen und ttber die G^esell-
schaft bringen.
Und bei dieser Betrachtung ist noch nicht der Schaar Jener
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Mädchen und Fl auen iredacht, die durch Noth oder auch dui'ch Küssig-
gang dem Laster in die Arme creführt werden.
Wahrlich, die Frauenfrage wurde immer dringender. Sie wui*de
es in dem Masse, als einerseits unter dem männlichen Theile der Ge-
sellschaft die Bildung sich in immer weitere Kreise wbreitete und
den Gontrast mit der zurückbleibenden Bildung des weiblichen Ge-
schlechtes immer anfßUliger machte, anderseits aber Mmxh, tes das
verfeinerte Galtarleben die Lebensbedfirftüsae e^MHe und vwvielftlr
tigte, daher das materielle Leben rathoterte, ynß es iftariyuipt dte
socialen Verhältnisse umgestaltete. Die Yersorgong der TOcbber m-
wol inneriudb der FamiHe als dnrch EhesdJiiMPang' nadi aaowa
wnrde immer erschwerter und somit das Bedfirftiis nach seIhBtaMiidigen
Erwerb für dieselben immer ausgedehnter.
80 verband sich die materielle Notlnv endigkeit mit der geistigen
Forderung der Zeit, nm den gerechten f^ilteruf des weiblichen (Ge-
schlechtes nach Gleichberechtignfr zur Bildung und. den gesellschaft-
lichen Missverhältnisseu zufolge, auch nacli einem grösseren Räume zu
ötfentlicher Thätigkeit und Erwerb laut werden zu lassen. Wie aber
namentlich letzteres zu vereinen sei mit der Beschränkung, die das
Geschlecht gebietet, dass die Frau dabei nicht des Tjpus edler Weib-
lichkeit verlustig gehe, darin besteht die eigenthümliche Schwierigkeit
bei Lösung der Frauenfrage. Weibliche Sinnesart und weibliche An-
muth düifen nicht nntergeh«i, wie gross und weit dem Weibe «och
der Baum za öffentlichem Wirken gebissen wird.
Die weibliche Erziehong hat demnach in der Jetztieit ihre Auf-
gabe im allgemeinen nach zwei Bichtangen hin zu lösen. Einerseits,
und zwar in erster Linie, hat sie das junge Mädchen fttr sme Be-
stimmung als Gattin, Mutter und Hausfrau zu bilden, in zweiter Linie
aber auch zu befUiigen, im NotbüEtlle selbstständig bestehen und hierzu
irgend einen Zweig der Thätigkeit und des Erwerbens ergieifen zu
können, der es nach Massgabe seiner Stellung in der Ge.sellschaft
nicht nur vor Mangel schützt, sondern auch sonst seinen Öchatl'ens-
di'ang und seinen Ehrgeiz betriedigt.
Diese Doppelrichtung der Mädchenerziehung ist während des
Kindesalters leicht einzuhalten. Der Unterricht in der Volks- und
Bürgerschule lässt Zeit genug für die Erziehung des Mädchens zu
}läuslichkeit und weiblicher Beschäftigung. Es >\ird nur an der Ge-
schicklichkeit der Elteni liegen, in dem jungen Mädchen den Sinn und
die Liebe zu Häuslichkeit und weiblichem Wesen schon während der
Schulljahre zu entwickeln. Kritischer und schwieriger wird dies wer-
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deOt wenn das Mädchen — dem JnBgfraaenaJter eatgegeoieifend — eine
Aoslnldiiitg erlialten soll, die mehr Zeit und Mühe heasBpniciit, a«di ehi
stirkeres Interesse fessdt, und so die Freude an hioalichem Schaffsn
ond Wirken leicht heeintiftchtigen k(fiiiate, sei es, dass diese weitere
Büdong gleich waf einen praktisdien Erwerb abmelt, sei es, dass sie
den Stofengang höherer Anshttdimg ans blosser Uehe nur Wissen-
schaft einschlagen soll. Da muss um so sorglicher der Sinn für häns-
liche Thätigkeit und weibliches Schaffen bewahrt werden: dieser Sinn
soll wie ein helljrlänzender Faden sichtbar bleiben, an welchem sich
die Kennt nisst' nur als edle Krvstalle ansetzen. Häusliche Thäti^rkeit
iiud weibliches Wirken düi-fen nie ganz ausser t'bung kommen, der
Sinn (latür. die Freude daran dürfen nie ganz ersterben. Besonders
bei wissenschaftlichem streben, wo Geist und Kraft drängen, einen
höhei-en wissenschaftlichen Standpunkt zu erringen, wo es gilt, ein
regelmässiges Stadium zu diesem Ziele einzuschlagen, wo also Gefahr
vorhanden, dass der weibliche Sinn p:anz in dem Eifer tiir das Stu-
diimi ai]i|;ehen, TielleiGht gar das Zerrbild eines weiblichen Studenten
mit mftnnlichen Manieren und emancipirter Denkungsweise entstehen
konnte, da muss diese Gefidir um jeden Preis yermieden, lieber das
Studium als das Wdb geopfert werden.
Aus all dem Iblgt, dass den MKddien wol jede geistige Ausbil«
dung zugänglich sein soll (wer könnte denen, die dazu befähigt sind,
die ToDe Berechtigung dasa bestreiten?), dass aber auch diese Ansbil-
dung schon an und für sich — aberesehen von Erwerb und Beruf —
durch die überwiegende Anforderung an die Erlialtung des Sinnes für
Häuslichkeit und häusliches tSehaffeu in natürlicher Weise sich selbst
l>esrhi-änkt. Dies der Unterschied im Wesen der Ausbildung zwischen
Mädt hen und Jüngling. Beim Mädchen existirt dies zweite Element,
das beim Jüngling nicht vorhanden ist, daher die scientifische Bildung
för diesen eine uneingeschränktere und weitergehende sein kann.
Ebenso natürlich, nur noch prägnanter, tritt dieser Unterschied in
der noch grösseren Beschränkung des weiblichen Geschlechtes bei der
Wahl einee Berufes, eines Erwerbes, oder sonst einer öffentlichen Wirk-
samkeit an£ Hier kommt zu der emschränkenden moralischen Forde-
mng: dem Geschlecht den Typus der Weiblichkeit, Anmuth und Sitte
zu bewahren, noch das eingangs erwähnte Hindernis: dass die weib-
liehe Köiper-Gonstitntion für viele Beruflmrten gar nicht geeignet ist
Somit redneirt aidi die erste der Forderungen im Capitel der
I^raaen-Emancipatlon: ^.Gleichberechtigung zur Bildung und ireie Wahl
des Berufes** in der Praxis auf viel engere Grenzen, als es sich in
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der Theorie dem Principe iiacli ausspricht. Diese Grenzen zu finden
und einzuhalten ist Sache der Fürsorge des Staates sowol, als Sache
der elterlichen Erziehung in der Familie.
Der Staat, indem er einerseits die Bildung des weiblichen Ge-
schlechtes durch Unterrichtsanstalten aller Art fordert, und dabei im
Principe snsspricht, dass der Fran jedvede geistige Ansbüdimg mög-
lich gemacht werden soll, wird anderseits die erwfthnte Grenze doch
da ziehen, wo sie zum allgemeinen Wole zu ziehen nofhwendig er-
scheint Eine Umschau auf dem Felde der Bemfethätigkeit der Frauen
wird diesen Punkt leicht finden lassen.
Die Biehtung, in welcher die Fran in Bezug auf Erwerb thätig sein
kann, ist eine dreifache: die gewerbliche, die künstlerische, die wissen-
schaftliche. Für die gewerbliche sorgt der Staat durch niedere und höhere
Töcliterschulen, namentlich aber durch gediegene Fi aiienerwerbschulen.
Tietztere »lualiliciren speciell zum gewerbliclien Beruf, zur Thätigkeit
im Handel und iti der Industrie. Die Fäclier. die sie zu lehren haben,
sind: kaufmännisches Reclmen. Münz-, Mass- und Gewichtskimde, Buch-
haltung, moderne Sprachen. Verkelu*s-, Handels- und Waarenkunde,
Chemie, Technologie, Zeichnen (Ornament- und Musterzeiclinen), Hand*
arbeiten jeglicher Art, Zuschneiden, Anfertigung von Kleidungsstücken,
Ton Patzsaclien u. s. w. In diesen Fächern bewandert, hat das Mftdchen
volle Freiheit, jede einschlägige Thätigkeit zu eigrdfen. Der Staat
Betet derselben keine Grenzen, erweitert sogar die Sphäre des Erwerbens
durch Verwendung yon weiblichen Individuen in Post- und TelegrapheD-
Ämtem, bei Eisenbahnen, zur Krankenpflege in Heilanstalten u. s. w.
Noch weniger eingeengt ist die Thätigkeit der Frau in Bezug auf
künstlerisches Streben. Hier kann sie frei um den höchsten Preis
verl>en wie der Mann. Die Mittel zur Ausbildnng für die Kunst, die
Kiuistschulen , die Konservatorien und Akademien der darstellenden
\ne bildenden Künste, sind beiden (Teschlechtei-n zugänglieh. Wo etwa
nocli vereinzelt ein Vorurtlieil gegen uneingescliränkte Zulassung von
Frauen zu den Maler- und Bildhauer-Akademien besteht, wird das-
selbe der Forderung der Zeit bald weichen müssen. Und so wie die
Mittel zum Studium frei und uneingesclu'änkt gegeben sind, so ist es
im vollkommensten Masse auch die Verwertung der Kunst und der
Erwerb, der damit zu gewinnen ist.
Anders ist es mit der Thätigkeit der Frau in wissenschaftlicher
Richtung. Hier können die Mittel zur Ausbildung nur bedingungs-
weise frei gegeben werden, weil die Verwertung der Wissenschaft
für die Fran niur eine viel beschränktere als f&r den Mann sein kann.
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Zwar bis zu einem gewisjsen Grade wissenschaftlicher Ausibildung,
wie de die höheren Töcliterschiilen, dann die sonrenannten Fortbil-
dmgsscbiilen and die weiblichen Seminarien zur Bildung Ton Leh-
rainnen und Ei-zieherinnen bieten, kann der Staat vollkommen Für-
floige tapeffen und damit der Frau den Bemf als Erzieherin und Leh-
retiB der weiblichen Jngend sowol in privater Ansttbnng wie an Öffent-
lichen Lehranstalten sichern. Bei gediegener Ansbüdnng hätten hier
die Fraara das weitere Ziel zn erreiehen, die Beihilfe männlicher Pro-
fomren an den weiblichen Lehranstalten mit der Zdt ganz entbehrlich
a machen, üidem sie selbst anch für die höheren Fächer als Leh-
rerinnen eintreten. Diese Emancipation wäre wol das Erste, das sich
der Khrg^eiz der Frauen nicht nelimen lassen sollte. Hierzu bedaif es
aber niclit der Errichtung weiblicher Gymnasien (analog den männ-
lichen), da die formelle Bildung durcli die alten Sprachen nicht absolut
nothwendig ist, wie aueli nicht weiblicher Universitäten, sondern Mos
der Errichtung höherer Seminarien (neben den niederen), von tiu liiigen
Mäiijiem der Wissenschalt so lange geleitet, bis aus den Anstalten
seihst Professorinnen heiTorgehen können, welche die Stelle ihrer Leh-
rer einzunehmen vermögen. Ans der Zahl der sodann vom Staate
angestellten Professorinnen oder Directorinnen könnten einzelne im
EiziehungsfiMshe besonders bewährte Franen sogar als Beii'äthe fOr
wdhUche Erziehnng im Unterrichtsministerinm und bei den politischen
Behörden der Provinzen mit der Leitung der weiblichen Erziehung
a emem grösseren Wirkungskreis verwendet werden.
Danüt ist dem wissenschaftlichen Streben der Frau ja ein bedeuten-
des Feld eröffiiet, und bis hieriier kann der Staat die Concurrenz auch
nbeschränkt freigeben, da Zweck und Ziel praktisch und möglich sind,
ind der Beruf, zu deui das Studium fiihrt, ein dem Geschlecht mit Recht
zukommender, die staatliche Ordnung nicht beeinträchtigender ist.
Würde der Staat abei- weibliche (Tymnasien und weibliche l'jii-
\>i>itäten emchten. so müsste er sicli iierbeilasseii, nebst dem männ-
lichen Beamtentum des Staates, das namentlich aus den Hr)rsälen der
Rechtswissenschaft hervorgelit, auch ein weibliches Beamtentum zu
»cbatfen, wollte er nicht die Menge, die sich an die geödeten Thikreu
<l£r Gymnasien und Universitäten mit der fioffiiung auf einstige An-
ateUmgen herandrängen würden, in ihren gerechten Erwartungen
tloschen. Hier ist also die Grenze, sowol tSar das Studium als auch
ftr den Beruft die der Masse des weiblichen Geschlechtes zu dessen
eigenem Wole wie zu dem des Staates gezogen werden muss. Ein
weibliches Beamtentum zu schaffen, kann dem Staate wol nicht bei-
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kommen. Dagegen mag es einzelnen Mädchen und l'rauen, die bei be-
sonderer Begabung den Drang nacli den Universitäts-Studien in sich
fühlen, nicht versagt bleiben, diesem Drange folgen zu können. Sie
sollen selbst von Seite des Staates Unterstützung datür finden. Für
solche, wenn sie durch strenge abgelegte Prüfungen die nüthigen Vor-
kenntnisse erwiesen haben, können immei'hin abgesonderte Vortxä^
an Universitäten eingerichtet werden.
In England haben seit einem Jahrzehnt die Universitäten v«m
Cambridge, Oxford und London Studiencnrse für Damen (Ladies Col-
leges) erQflhet, die den Universltftts-Oiirsen Ar Mämer gm gleich ge-
halten sind, nnd wofftr Cambridge nnd Oxford den Damen Certificate,
London sogar (^cielle Diplome ausstellt*)
Mit der allgemeinen Frage über die Zulassung der flauen zn
den Universitäten steht die specieüe ttber das Studium der Medidn
und Chirurgie von Seite der Frauen in engem Zusammenhang. Hier
winkt den Frauen ein Beruf, nnd zwar ein eben so schöner und hu-
maner als auch verlockender und den Ehrgeiz befriedigender üeriü'.
Die Heranbildung weil)licher Arzte mit der Bestimmung als Frauen-
und Kinderärzte hat eine nicht zu verleugnende i)raktische Seite. Das
weibliche Geschlecht plaidirt dafür auf Ginind der Schonung seiner
sittlichen Gefühle, indem es der liäutiir vorkommenden Fälle gedenkt,
wo die Anwesenheit eines männlichen Ai-ztes am Krankenbette der
Frau bei dieser die peinlichsten Empfindungen hervorzurufen yermag.
Auch am Krankenbette des Kindes sei der weibliche Arzt» weil inniger
vertraut mit der Natur, dem Wesen nnd der Äusserungsart des Kin-
des, bei sonst gleichem Wissen, besser am Platze als der mftunlidie.
Daher ertönt das Verlangen: den Srztlichen Beruf auch der Frau
freizugeben, als eine der lautesten Forderungen von den Lippen der
Vorkämpferinnen der Frauen-Emandpation.
Die Frage hat, seit sie aufgetaucht, zu vielfochen gegnerischen
Erörterungen geführt,**) wurde aber auch an vielen UniversitAteu
praktisch zu lösen begonnen. Ob die Beispiele der bisher mitunter
mit ausgezeichnetem Erfolge promovirten weiblichen Äi-zte die Frage
schon Uber den Standpunkt des Experiments zu erheben im Stande
waren, vermögen wii- nicht zu entscheiden. That^ache ist, dass in
*) Siebe Päd.: Jahrgang II. 6. (März-) Heft.
**) Wir erwlhnea hier mir die beiden gegueriacben Sduiften sweierFachmliiBer
ans dem Jahre 1872: ^Das Stndiom der Mediehi durch Vtwm** von FrotaorDr. m
Biachoff in Mfladieo, md „Daa Itewa StQdiiun und die Intereoocn der Hochaehile
Zürich" von Prnfeamr Dr. Heimaun in Zürich.
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den v^rwinlgton Staaten Nordamerikas die meisten UniTersitäten die
Fnaen zum Stadimn der Medicin zulassen,- und dass daselbst fast
keioe grossere Stadt existirt» in der nicht weibliche Ärzte thätig wftren.
In fioropa gestatten Bng^d und Schweden das Stadium nnd die Exa-
mina ftr die Praxis. In Holland ist das Stndimn ides Apotheker-
wesens den Franen frei gegeben. In Petersborg ist ihnen an der
medo-chiruroischen Akademie ein vierjähriger C'ursus eröflftiet. In
Deutschland nehmen einige Universitäten Frauen als Hospitantinnen
auf, raachen aber diese Begünstigung von dem freien Willen der
Professoren abliängig. Eine Ansnalime macht die Hoclischule in Zü-
rich, wo die weibliehen nnd männlichen Studenten gleiche Rechte zur
Erlanguntr des Doctorgrades Ix'sitzen, und aUjälirlich eine ziemliche
Anzahl Krauen das Diplom erhalten.
Freilich ist die junge Studentin, wenn man sich dieselbe am Secir-
tische denkt, kein angenehmes Bild. Aber bis sie dahin kommt, haben
die Vorstudien schon eine Reihe von Jahren gedauert und ihr Zeit
gdassen, dass der Emst ihres Strebens nnd der unwiderstehliche
Drang nach der Wissenschaft sich hinlänglich bewfthren konnten, so
dass die Erscheinung eine die zarte Wdbtichkeit minder beleidigende
Fbtnmg gewinnen kann, besonders wenn letztere auch wurkUdi nicht
danmter leidet, was immerhin ganz gut gedacht werden kann. Dass
es e^n nur ehie Sache ftr einzefaie Anserwthlte sein kann, nicht für
die Menge taugt, liegt auf der Hand. Uberhaupt wird die praktische
Thätigkeit der Frm auf wissenschaftlichem Felde der Mühen und
Schwierigkeiten wegen, die einerseits durch die doppelte Aufgabe der
weiblichen Erziehung, anderseits durch die erwähnte „Grenze" ge-
schahen werden, immer nur eine sporadische Erscheinung bleiben. Ein-
zelnen aber wii*d sie vom St<iate nicht verwehrt werden können.
Der Staat kann ja überhaupt nur in gi'ossen Zügen Fürsorge
treffen, dass das weibliche Geschlecht in Bezug auf öffentliche Thätig-
keit und Erwerb nicht in Bahnen gelenkt werde, die den Charakter
der Weiblichkeit gefiihrden. Die eigentliche Sorge in dieser Beziehung
kommt der Familie zu nnd liegt in der Erziehung, die dem jungen
weiblichen Wesen als Erstes dem Sinn und den Geschmack fQr edle
Weiblichkeit efaiimpft und bewahrt, so dass das junge Mftdchen von
selbst sieh von allem abgestossen ffthlt, das ihm diesen Typus der
Weiblkiikeit gefthrden kdnnte. Bas dem weiblichen Geechlechte offen
gelassene Feld des Erwerbes und des öffentlichen Wirkens ist so gross,
•lacss es keines excentrischen und ungeheuerlichen ( 'bergreifens in die
Thätigkeitsspliäre des Mannes bedarf, um der Frau genugsam K«um
Piodafogiam. 4. Jahrg. H«ft IV. 17
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zur Entfaltung? ilirer Fähigkeiten und zur befriedigenden Au.^nützun^
und Verwertung derselben zu la.sseu. Es wird Sorge der Faiuilie
sein, dass dieser Raum ihrem Streben und ihrem Ehrgeize auch \\irk-
lich genüge. Es geschieht el)en durch Erhaltung des Sinnes für Häus-
lichkeit, wodurch ein (Teuvn^-cwicht gegen jedes excentrische Sti-eben
geschaft'en wird. Dieser Grundsatz soll aufrecht erhalten werden, in
welcher Richtung aucli (sei es in gewerblicher, künstlerischer oder
wissenschaftlicher) das junge Mädchen seine £rwerbsthätigkeit beginnt)
und wie sehr auch sein ganzes Wesen davon in Anspruch genommen
sein mag. Immer soll es sich den Sinn für häusliches Leben und
Wirken, mid die Eigenschaften, die es als Gattin, Matter und Haus-
frau braucht, ungeschmälert als einen Schatz bewahren, der ihm den
reichsten Segen für die Zeit verspricht, wo das Geschick es an die
Seite eines Gatten ruft. Die Franenfrage hat eben heutzutage diese
doppelte Seite, daher die Erziehung der Madchen die oberwihiite
doppelte Aufgabe. Befindet sich doch die Mehrzahl der Familien in
Veihältnissen , die es entweder gebieterisch fordeni, dass sich die
heranwachsende Tochter alsbald ii-gend einer Erwerlisthätigkeit zu-
wende, oder die es wenifjstens wünschen lassen, dass sie darauf v<jr-
bereitet sei für den l^all, dass sie niclit heiratet; selbst als verheira-
tete Frau können die Verhältnisse zum Miterwerben an der Seite des
Gatten auffordern, können endlich, wenn ihr das Unglück den Gatten
wieder entreisst, die Witwe ganz auf die Erhaltung der Familie an-
weisen. Aber auch für die reich bemittelten Töchter des Landes for-
dert es der Geist der Zeit und die B'ranenwiirde, dass sie kein nnt«-
loses Leben in eitlem Nichtsthnn Twbringen, sondern sich irgend einer
Thätigkeit, und w^ui sie nicht heiraten, irgend einem edlen, sie
beschäftigenden Lebenszwecke hingeben.
Das eben ist der grosse Umschwung, den die Franenbildnng seit
den letzten hundert Jahren erfahren hat> dass ein Justus MOser heut-
zutage nicht mehr sagen konnte: er wfirde „als Mann des VolkeB**
kein Mädchen heiraten, das lesen und schi*eiben könne. Die BOdcuig
der Frauen strebt von den höheren Volksclassen nacli abwärts immer
allgemeiner zu werden, — das Bedüifnis des Erwerbens für die
Frau ^^e\vinnt von den unteren Volksclassen nach aufwärts eine ininit^r
::rris>ere Ausdehnung. Bildung und Ei'werb sind das Ertordeniis (ie>
Tages auch für die Frau ueworden; Talent und Fleiss können nun
auch bei ihr Befriedigung nach jeder Richtung finden. Weiss sie dazu
aucli noch sich den Reiz edler Weiblichkeit zu bewaliren, SO ist das
Bild der Frau, wie es die Jetztzeit fordert, ein Tolikommenes. —
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Erziehung zur Arbeit
Unter den pädagogischen AuiSgaben der Gegenwart macht sich
mit steigendem Naehdmck die Erziehung znr Arbeit geltend, nnd
eine Zeitschrift wie die unserige darf diese Erscheinung nicht igno-
riren, hat \ielmehr ihre Leser über den Stand und die Entwickehmg
der Sache in Kenntnis zu erhalten. Demgemäss liaben wir unlänsfst
P*dag. III. Jahrg. S. 621 ftV) ein Stück amerikanischer Pädagogik
als eoncreter (Testaltung der Idee und Praxis der Arbeitsschule vor-
getahrt, und wollen wir heute auf zwei uns näher liegende ebenfalls
höchst beachtenswerte Versuche gleicher Art hinweisen.
Wir schicken zur Orientirong über die ganze Angelegenheit einige
allsremeine Bemerkungen voraus. Die Nothwendigkeit physischer Arbeit
ab eines wichtigen Mittels der Erziehung findet immer mehr Aner*
kennnng, nicht nnr da, wo es sich um die Hebung der untersten Volks*
sehieht handelt, sondern selbst im Hinblick auf die Ausbildung der
hSheren Classen. So Äussert ein ausgezeichneter SodalphOosoph: „Ich
kann mich nicht des Gedankens erwehren, wie kräftigend, beglückend es
fSr die Jugend werden mftsste, wenn der wissenschaftliche Unterricht,
von den ersten Jahren der Kindheit an bis zum Mannesalter empor,
immer von Körper- nnd Geistesübung durch Arbeit im Freien und in
ländlichen Werkstätten begleitet würde. Der Idealismus sollte von
friihe an innigst mit dem Realismus des wirtschaftlichen Arheitslebens
verknüpft sein. Wir würden dann weit mehr physisch und moralisch
t'esunde, dabei ganze Menschen erziehen. Die Bildung würde einer-
seits allgemeiner werden, und die problematischen Naturen eines
geistigen Proletariates anderseits w- ürden leichter vom Schauplatz ver-
schwinden." (Dr. Wilhelm Neurath, der Socialphilosoph Franz
Qnesnay.) Für ganz nnerlässiich aber wird von einsichtigen Mäunem
die Arbeit in der JBrziehung solcher Kinder gehalten, welche ohne
genügende häusliche Zucht, Überwachung und praktische Anleitung
aufvracbs^a und daher der Gefiihr ausgesetzt sind, dem niedersten Pro-
letariat anheimzufollen. Hier soll die Arbeitsschule dem Paiq^erismus
nnd der ans ihm entspringenden Demoralisation vorbeugen. Um aber
diesen Zweck nachhaltig zu f5rdem, sollen die Arbeitssdiulen nicht
m erster Linie Stätten des Erwerbes, sondern Bfldungsanstalten für
die sie besuchenden Kinder sein. Die Arbeitstüchtigkeit und die mo-
raliiichen Eigenschaften, welche in ilinen die Kinder erlangen sollen,
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(reiten weit mehr als der momentane Verdienst, welcher sich allenfalls
erzielen Hesse. Um aber den Zöglingen eine wirklich praktische, im
Leben verwertbare Ansbildung zu bieten, will man den Arbeitsunterricht
nicht nach abstracten Theorien, sondern gemäss den örtlichea Ver-
hältnissen, also im Anschlüsse an das Nächstliegende gestalten,
von dem aua man nnr behutsam und aUm&hUch zn ferner Hegenden
Arbeitsformen übergehen wilL Dies sind die Grundsätze, welche der-
zeit von den einsichtsvollsten Vertretern des Arbeitsunterrichtes über-
einstimmend als massgebend betrachtet werden, und welchen auch die
Männer huldigen, von deren Leistungen wir im Folgenden Kenntnis
nehmen wollen.
Vor uns Hegt eine kleine, kaum 6 Bogen umfassende Drnckschrift
unter dem iTitel: „Die Lehr- und Arbeitsschule zu Alfeld. Eine
Antwort auf die Frage: Wie nimmt die Schule Theil am Kami)fe
gegen den Pauperisnuisy Von w^il. Dr. Konrad Miclielsen. Zweite
mit einem einleitenden Vorworte versehene Ausgabe. Hildesheim.
Gerstenberfr, 188L** Die Schrift unterrichtet uns über die im Jalu^e
1852 von Dr. K. Michelsen, weil. Seminardirector in Alfeld, daselbst
als Lehr- und Arbeitsschule begründete Seminarfreischule und zwar
über den Ursprung und das Regulativ, über den täp^lichen Fortgang
und"! über die bisherigen Resultate dei*selben. Es wird uns da ein
Stack Erziehungs^raxis vorgefhhrt, welches f&r jeden PAdagogen und
insbesondere f&r Fachmänner der Arbeitsschule von hohem Interesse
ist Das einleitende Vorwort zum Berichte, verfosst von Eduard
Michelsen, dem Sohne des GrOnders der Alfeldeir Arbeitsschule, setzt
die Zwecke und Grundsätze auseinander, nach welchen die Anstalt
ins Leben gerufen und eingerichtet wurde. In welchem Geiste dieses
Vorwort und die Alfelder Arbeitsschule geschaffen ist, möge durch
folgendes Ciuit t^ezeigt werden, .jf^rundsätzlicli ist nicht das Fabrikat
der Kinderhände die Hauptsache, sondern die erziehende Arbeitsübnng
und die sittliche Arbeitssrewrdinunj?. Die Weckung de« sittlichen
Bewusstseins, dass Recht und Ptlicht sich jreirenseitig bedingen, und
dass daliei- auch derjeniüe. welcher auf das Recht Anspruch machen will,
gekleidet und genährt zu werden, sich unter die Ptlicht beugen mus.s
nach seinen Kräften mit seinen Händen zu schaffen und zu wirken
— das ist ein eminent wichtiger Punkt für die Zeit unserer socialen
Bewegung, in der man vielfach die Bettlerlumpen für das wirksamste
Mittel hält zur Aufstellung von Foitlerungen und Bechten. Die Ar-
beitsschule von Dr. Michelsen will keine Arbeiterschnle vorstellen,
vrill keine Vorbereitungs- oder Abrichtnngs-Anstalt auf industrielle
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Fertigkeit sein; sondern sie will zeigen, dass für die künftigen Arbeits-
geber und Arbeitsnehmer gerade nnserer Taire und bei unserer weit-
gefiihrten Arbeitstheilimg in dem mit der Hand Arbeitenkönnen and
ArbeitenmOgen ein erziebliclier Sdiwerpunkt för G^Uth, Thatkrait
«nd Körper des ZOgÜngs liegt**
Femer liegt uns yor: „Dritter Jahresbericht der Hansindnstiie-
Sehnte za ödenbnrg Uber das SchuQahr 1880 — 1881, im Anfkrage des
Yereins-Ansschnsses erstattet vom Director H. Schranz.** — Den Ort-
lichen Verhältnissen entsprechend fasst die Ödenbnrger Arbeitschule,
wie der Bericht an erster Stelle liervorliebt , den Begrilf der ,.Haus-
indiistrie" nicht im allgemeinsten Sinne des Wortes, sondern nui- als
einen „ergänzenden Bestandtheil des Acker- und Weinbaues" und be-
i^cliränkt sich auf diejenigen B-;schäftigun?eu, welche dem Volke
..wahrend der Wintermonate einen Nebenerwerb verschaffen." Dann
üUu't der Bericht turt:
Zweitens besteht unserer Erfahrung zufolge da^ g-rösste HiM<l^»rnis,
da.« sirh der Einbürgerung' der Hau.sindu.'itrie eutg'ei^enstellt, darin, diuss der
|rro.>5sen Masse des Volkes mcli der Sinn, die Lust und Liebe für iu-
dastrielle Beschäftigungen überhaupt fehlt, dass die erforderliche
technische Bildnng, sowie der nOthige Geschmack mangelt. Das
Tertain, auf dem wir die Hansindnstrie Terbreiten sollen, gleicht zum grOssten
TheOe einem oncoltiTirten Lande; die lationeUe Gidtor einzuleiten, rnnss nnsere
erste Aufgabe sein, indem wir schon in dem noch emi)ranglichen Kinde die Arbeits-
last auf diesem Gebiete wecken, Auge und Hand desselben bilden und die
praktische Ge.schicklichkeit entwifkoln. Drittens: um Missorfolge auf diesem
Cfebiete zu vermeiden, soll stivnge darauf geiifhtct wenL ii. dass alle Mass-
nahmen und alle Einrichtungen mit den Fähigkeiten und der technischen
bildang des Volkes im Einklänge stehen; dass nur das und nur soviel zu ver-
«irkUcfaeii Tersncdit werde, als Aussicht anf sicheren Erfolg hat. Ans diesem
Oraade verzichteten wir auf momentane glänzende Erfolge, schlössen ans
strenge an die gegebenen Verhftltnisse an nnd schritten nur langsam vorwärts.
Viertens halten wir es für ganz verfehlt, das Volk beim Beginne der Tlültig-
k*it einer Hausindustrieschule (Lehrwerkstätte) ausschliesslich durch Hinweis
aaf den materiellen Gewinn der Hausindiistrie tÜr die Sache gewinnen zu
wollen, indem man auf ähnliche Institutionen des Auslandes hinweist und die
dort möglichen materiellen Erfolge in unmittelbare Aussieht stellt. Dieses
Lockmittel mag wol für den Moment verfangen, aber nicht fär die Dauer,
md genau betrachtet bringt es der Sache mehr Schaden als Nutzen. An
vielen Orten konnten wir die Erfiihrnng madien, dass za Beginn der Hans-
iadostriebestrehnngen auf die angedeutete Weise ein helles Feuer der Be-
geisterung angefacht ^Mirde, das sich jedoch bald als Strohfeuer erwies und
ebf-nso rasch erloseh. als es anflolerte. AViesoV Iti Folge der mangelnden
und unentwickeldteu technischen Fertigkeit konnte nur wenig producirt werden:
an<l das wa*i mit vieler Mühe er/eugt wurde, war entweder durch die darauf
verwendete Arbeitszeit zu theuer geworden, oder aber entsprach hinsichtlich
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des Geßcliüiackes den Anfordeiuiigen nicht, bo das» dadurch der Absatz dieser
Prodacte ersehwert, nnd bescliränkt, und der erhoffte materielle Gewinn iUnsoriscb
gemacht wurde. Die gew&hnlicfae Folge davon war, dass man der Sache den
Rücken kehrte ond diesdhe filr eitel Schwindel erU&rte. Wir meinen daher,
im ersten Stadium der Hausindustriebestrebungen soll die moralische Seite
der Saclie, die sittlich bildende Wirkung der Arbeit mehr betont mid
dw materielle Gewinn erst nach nnd nach, Hand in Hand mir d» r Eni-
wickelung der technischen Geschicklichkeit in den Vordergrund tictcn. Es
möge darum dei- junge Landmann erst für sich und das Haus di\ ei*sc (.ie^rcn-
btände erzeugen und erst später damit das Gebiet der Concurrenz betreteu. Die
Förderer nnd Leiter der Hansindostriebestrebungen aber mögen sldi In diesem
ersten Stadium damit begnfigenr dass die jungen Leute überhaupt
w&hrend der rauheren Jahreszeit arbeiten und anstatt die Wein-
schenken zu besuchen oder herumzulungern sich angenehm und nütz-
lich beschäftigen. Dieser moralische Gewinn Iftsst sich wol nicht in Zifiem
ausdrücken, ist aber gewiss beachtenswert, wenn man erwUgt, wie viele seciale
UbelstUnde und Schnden aus dem MUssiirirang-e entspringen. Überall, wo heute
eine blühende Hausindustrie besteht, hat sie ditsen Entwickelungsgani,^ ein-
geschlagen, und eine Haußindustrie-Werkstätte, die ilu-e Zöglinge wie gewühn-
liche TaglOhner entlohnen muss, entbehrt der gesunden, entwickelungsfähigen
Basis und entspricht Üirer Auljs^be nicht. Auf Omnd der hier sUssirton Grond-
sfttae hat der Ausschuss im Herbste 1678 die Hausindustrieschule als Vereins-
institut eröffnet und mit diesem Frühjahre eine grössere "Weidencultur angelegt
Schon im ersten Schuljalire betrug die Schülerzahl 60; in diesem Jalire stieg
sie bis gegen 80 und noch immer musste eine jrrosse Anzahl zurückgewiesen
werden. Die Ha usindustrieschule besteht gegenwärtig aus zwei l lassen,
nämlich aus einer Yorbereitungsclasse und aus einem Curse zur Heran-
bildung von Lehrern tiir den Hausindustrie-Unterricht im Kähmen der VoUo*
schule. Die yorbereitungsclasse ist für 10 — 14-jährige Knaben der hiesigen
acker- nnd weinbantreibenden Bevölkerung bestimmt und soll die betreASaDden
Knaben nicht nur für den spiteren eigentlichen HauaiBdustrieuntericht, sondern
überhaupt für die praktischen Bedürftiisse des täglichen Lebens, sowie für das
etwa zu erlernende Handwerk vorbereiten, indem durch die Arbeiten in dem Kinde
Sinn. Lust und Liebe für industrielle Beschäftigungen geweckt, die praktische
Geschicklichkeit und der Geschmack entwickelt und der Grund zur Arbeit-
samkeit und Sparsamkeit gelegt wird. Mit dieser Classe ist nämlich die
Schulsparcasse in folgender Weise verbunden. Jeder Knabe ejhält ein
Sparbücfalein, in welches alle Betrüge eingeü-agen werden, die er für die an-
gefertigten Arbeiten erhftlt Die Schule löst den grösstentheils ganz armen
Knaben die fertlggesteUten Arbeiten ab nnd sucht sie qoiter zu Tcrtusaem;
die dafür entfallenden und im Sparbächel gntgeschriebenen Beträge w^^en
den betreffenden Zöglingen am Schlüsse des Scliuljahres ausgefolgt. Die aut
diese Weise in der ^'orbereitungsclas8e erzielten Resultate sind freilich nur
bescheidener Art; es sind nur Keime im Kindesherzen, die noch einer liebe-
vollen Pflege bedürfen. Aufgabe der Gesellschaft muss es daher sein, diese-
Keime zur Entwickelung und Entfaltung zu bringen. Schulgeld wird von diesen
Knaben selbetrerstlodUcfa nicht eingehoben: gearbeitet wird wOcheatlieh zwei
bis dreimal in je 2 Stunden. Der Ours zur Heranbildung von Lehrern
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für Hausindustrieniiterriclit ist in fi-st^r Linie für die letztjilhrigren Zöi^.
liiiiTt^ ilt r beiden hiesifren Lehrerbildnng'sanstAlten bestiiiinit, die im Lauf'»- eines
Jaiires befähigt werden, einen oder zwei llansindustriezweige im Rahiin n der
Volksschule zu lehren. Der Unterricht ist liier ein praktisch-tlieoretischer. Der
pnktiMhe TheQ untote Udier: 1. Korih, Stroh- und Scliillflechteii; 2. haus-
indnstrielleB Holzschnitceii in YerliliuLiiiig mit LanteSgen und Tischlerei;
annerdem erhielten einige ZOglinge Anleitung im Drechseln. Daneben wnrde
nedi jedem ordmtlichen ZOglinge Gelegenheit geboten, sich diejenigen Formen-
arbeiten aigneigTien, die geeignet sind, den Himsindustrieunterricht in der ^'olks-
scbule voi*ZTibereiten. wie das Flechten mit Papierstreifen. das Falten. Ausstechen,
Ausnähen und Aui^schueiden. Für jeden der genaimtt'n Industriezweijje war
♦■in eigener Cui"« organisirt und jedei- ordentliche Zögling konnte sich zwei
CüTse ü'ei wählen, musste sich aber mindestens ein halbes Jahr lang den Ar-
beiten eines Conee widmen; fBr jeden Con waren ohne theoretischen Unter-
richt wöchentlich 4 Standen hestimmt. In Znkonft mnss jeder ordentliche
Zi^ling ein ganzes Jahr lang einen Indnstrieswelg treiben. Der theoretische
üntoricht bestand bisher in einer Anzahl von Yortrilgen und Besprechungen
aber Material, Werkzeuge, Weidencultur, Zweck, Ziel und Methode des Hans-
indastrieunterrichtes in der Volksschule. Jeder ordentliche Zögling, der das
vorgeschi-irViLiit' Ziel erreichte, erhielt ein staatsgiltiges Diplom als Lehrer fiir
den Hausindustriemiterricht im liereiche der Volksschule. Bisher musste jeder
Zögling dieses Curses — die unbemittelten ausgenommen — pro Schuljahr 5 fl.
fBr Abnützong der Werkzeuge nnd Verbranch des Materials entrichten; dieser
Betrag wnrde fBr die Zuknnft anf 3 fl. herabgesetzt Neben den Seminar-
iSglingen fhnden aneh noch solche Sdhne bemittelter Eltem nnd Erwachsene
Anfioahme, die einen der oben angefiihi-ten Industriezweige zum Privatver-
fni9gen erlernen wollten; auch diese zahlten bislier nur für Abnützung der
Werkzeuge ö t1.: in Zukunft müssen sie jedoch nebst den 3 fl. für Werkzeuge
noch 5 11, an Schulgeld entrichten.
Die Lehrwerkstätte füi- Korbflechterei soll das KorbH^chteii als Haus-
industrie in doppelter Richtung verbreiten j erstens, indem sie der acker- nnd
weinbantreibenden Bevölkerung Gelegenheit bietet, im Korbflechten eine Neben*
beschftftignng nnd einen Nebenerwerb wBhrend der Wintermonate zu
eriaagen, zweitens, indem sie befähigte jnnge Leute dnrch praktischen und
theoretischen Unterricht zu Werkmeistern und Lehrein an Korbflechtschulen
heranbildet und ihnen anf diese Weise zu einem selbstständigen Erwerb
verhüft.
Um den Besuch der Werkstiltte in jedmrtglicher Weisi- zu rrleichtem,
verzichtet die Schule nicht nur auf die ?^inschreibegebühr und das Schulgeld,
sondern gestattet anch, dass jeder Zögling die von ihm angefertigten Gegen-
stiode als sein Eigenthnm betrachte. Die Anstalt vermittelt anch den Ver-
kanf dar marktfiUiigcn Artikel nnd folgt den Erlte daraus dem betreffenden
Zögling nach Abzog der Materialkosten baar aus. Dafür muss sich aber jeder
Theilnehmer verpflichten, die Anstalt während der Daner des Curses nnd bis
zur Beendigung desselben ununterbrochen zu besuchen.
Der Ausschußs war bisher fortwilhrend bestrebt, di»- Existenz unserer
8chnle nicht nur in pädagogischer, untenichtlicher Hinsicht durch ge-
diegene, solide Leistungen, sondern auch in materieller Beziehung dmch Kröff-
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nuiig ueuer Einnahinsquelleii zu siclieru. Un8ei*e diesbezüglichen Bestrebungeo
blieben nicht erfolgloe; die höbe Begierouff steuerte im eisten Jahre fl. 500
mr Erhaltung unserer Schale bei, welcher Betracr hn vorigen Jahre nm fl. 700
erhöht ^urde, so dass gegenwärtig das hohe Ministerinm für Cnltus und Un-
terricht fi. 500, das hohe Handelsministerium fl. 700 beitiftgt Aach die Stadt
Ödenborg benilügte für dieses Jahr fl. 300.
Allmählich.
Eine orthographische Geschichte.
Von Ben Quülan,
„Bcngler, komm heraus, schreib „allmählich" an die Tafel", sprach
Dr. Dächsei, als er, einen BOndel Aoftätze onterm Arm, das Glassenzimmer be-
treten hatte. DoctorDftchsel machte bei diesen Worten ein Gesicht, dass wir
alle sofort merkten, er hatte sich wieder einmal schwer geäi^ert. ünd er
konnte sich so ärgern, so gnt er sonst war, der gute Doctor DächseL Nicht
dass wir's etwa darnach angelegt hätten ; wir hatten ihn ja alle g:eni, trotz,
vielleiclit auch gerade ^vegen der Eigenheiten, die er liatte. und die ihn zum
Helden so mancher unt^r den Woogrstildter iTymnusiasten cureirenden Ge-
schichte machten. Wir lachten freilich alle, wenn ein böser Mitpennal den
Doctor nachmachte, wie er zum Exempel in der Literaturstaude die poetischen
Figuren mit plastischer Anschanlichkeit dannistellen pflegte. Wie ihm bei der
Hyperbel: „Jeder Zoll ein ESnig!" die Brost schwoll, nnd die ganse Ge-
stalt vom Scheitel bis zur Zehe Hoheit und Würde atlunete. Und besonders
wie er das bekannte Beispiel des poetischen Contrastes dramatisch belebt vor*
tnig. „Er zog den Deg:en ans der Scheide", begann da der Doctor. nnd mit
grimmigem (xesichte iiacktr er tirn eigenen, an der Linken baumelnden. — die
Woogstädter Lehrer waren niiinlicli früher eehalten, dem Werke der Jugend-
erziehung in feldmässiger Au.srü.stung obzuliegen, in doppeltem Sinne Diener
der PallM Athene. „Besah die Spitze und die Schneide.* Dlchsel's knii-
sichtige Änglein sprühten Mnth nnd Blntdarst, aber der ganze Eifect seiner
anschanlichen Darstellnng ging wieder verloren, wenn er nnn das blanke
ScUaditschwert dicht anter die Nase braelite nnd zi^inkemd beängte: „Und
— steckt ihn langsam wieder ein.'' Mit allen Zeichen der Verzagtheit ver-
smkte er die WatFe in die Lederscheide, niclit ohne ein paar Mal daneben ge-
stossen zu habm. - unter schallendem Lacht'ii der ('lasse, ein Lachen, das
immer auf's w\w lier\ niznrutVn der muthwillige Nachahmer des dramatischen
Lehrers stets »icher sein konnte.
Aber wenn wir anch über ihn lachten, wir hatten doch alle nnsem Doctor
Dflchsel gern nnd httteten nns, ihn leichtsinnigerweise zn irgem. Denn
ärgern konnte er sich, wie gesagt, nnd manchmal scheinbar fl.ber ganz unbe-
deutende Dinge. Was heute seinen Zorn erregt hatte, wu-s-sten wir nach seinen
ersten Worten, denn sobald er ein Wort an die Tafel schreiben liess, war im
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Aiiisatz ein orthographischer Schnitzor (gemacht worilpii. und ortliog-raphisfthe
»Schnitzer in der Secimda brachteu Dächsei alleiuai in die heftigste Aufregung.
Nur der anglüddiche Bengier wnnte nJchts, da er als Neneingetretener
den Doctor imd aeine Gepilogeidielteii noch nicht kannte. Aber gelioraam eQte
er aaf das Gebot des Lehrers zur Schvltafbl and begann zu schreiben:
,.A— 1— 1— m— ä— 1— i— g."
..Falsch!" sagte Doctor Dächsei mit geranselter Stirn, and: ,,Fal8ch!" rief
die Secnnda trimiipiiirend nach.
..Aber Pron ssor Knrzmann in Mainbach hat uns imuiPr gesagt, so niüs.ste
das Wort gescluiebt^n werden", entschuldigte sich der ortliograjibische Sündi»r.
Doch mit blosser Berufung auf Autoritäten Hess sich Dächsei nicht kom-
nen. ^ wird nicht so geschrieben, mag es gesagt haben, wer will'S sprach
er odt Naehdmck, and mit krttftigem WlBche ISeehte er das omlnQaeWort yen
der Tafel am.
Beagler wollte seine Sache besser machen and begann ohne Oehelss aoih
aeoe za schreiben.
„A— 1— 1— m— ä— h- -1— i— g."
Der Erfolg war ein neues, noch zornigeres Stimrunzeln von Seiten des
Lehrers; neues, noch triumphirenderes: „Falsch!" von den Bänken her.
,,Lass sein, lass sein, du hast offenbar keine Ahnung von der richtigen
Sehrelbang des Wortes. Geh, hole doch das Bach, welches ich mitgebradit
habe. Kennst dn es?*'
Wir kannten es alle, denn schon manchmal war ans orthographische
Weisheit daraus verkündigt worden. Dem Nenling Bengier war es anbekaimt.
,.Lie8 den Titel!"
..Deutsclies Wörterbuch von Doctor Friedrich Ludwig Karl Weigaad
Jääster Band. A— L. Gipss
„Gut schon! Vor allen Dingen will icii dir jetzt etwas über dieses Buch
sagen. Den andern habe ich es schon öfters gesagt; thut nichts, sie kSnnen es
noch eüunal hiBren. In dieaem W9rterbnciie findest da die sicherste Angabe Uber
die Abstammong and damit aoch über die Schreibang der deotschen WQrCer. Es
ist f8r jeden, der unsem Wortschatz kennen lernen will, ein unentbehrlicher
Rathgeber. Nicht, als ob es nicht noch andere gute deutsche Wörterbücher gäbe.
Das Handwörterbuch der deutschen Sprache von Daniel Sanders ist ebenfalls aus-
gezeichnet. Von dem grossen Sanders'schen Wörterbuch in zwei Quart bänden
rede ich euch nicht, obwol es bis jetzt meines Erachtens das grossartigste Er-
zeugnis auf dem Gebiete der deutschen Lexikographie ist und auch nach Voll-
endong des Grimm'sehen WQrteibaches — wenn dieses überhaupt je vollendet
wfad! — seine ehraiTolIe SteUnng neben diesem behalten wird. Aber für each
iit es nichts; es ist sa teaer. Zwei BAnde 72 Mark, das ist kein Essig! Ich
selbst bin noch nicht in der Lage gewesen, es mir anzuschaffen nnd mnss mich
&it dem kleinen behelfen. Auch das ist vorzüglich. Was die Vollständigkeit
in der Angabe der verschiedenen Bedeutungen, sowie der grammatischen Be-
ziehungen eines Wortes anlangt, reiclit ihm Weigand das Wa.nser nicht. Da-
gegen was diesen so schätzenswert macht, die Gesciiichte jedes einzelnen
Wortes und die Zuiückführuug desselben auf Stamm und \Vui*zel, das fehlt
wieder bei Saadfirs. Beide Bücher ergfinsen sidL Aof meinem Schreibtisch
stehen beide neben einander. Ich wollte, die Personen yertriigen sich so gnt.
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¥de ihre BQcher es bei mir tinm. — So, jetzt wdlen wir naeh der AbBeliwei<-
twag, — die aber nur tigttrlich eine AlndiwelAuig genannt werden kann, in
Wirklichkeit war de eine sehr sachgemftsse einleitende Bemerkung, — kotz-
am, wir wollen wieder zum Ausgangspunkte kommen. Schlag Seite 34 auf
und suche unser Wort. Wie ist es da geschriebenV
„A— 1— 1— m— ä-^-h— l-i— c— h.'*
„Siehgt du! Und nun liess den ganzen AbaatB."
„^Allinälilich, Adverb und dann auch wol A^jectiv: hOehst bequemlieh,
„ohne alle (jcsthwiniliirkt'ir.
„Weniger gut uUmalich; aber uurichtig, wenn auch oft allmälig ge-
„sduiebeB. Denn mitteldentsch: afanedich (Jerosehin 6788--*"'
, Jeroschin hat eine Deutsdiordenschronik verüstsst Diese ist auch für
die Sprachwissenschaft ein sehr wichtiges Docnment, weil sie in der mittel-
deutschen Sprache, dem Übergange vomlfittelhodideutsehen znmNeuhodident-
schen, geschrieben ist. Weiter!"
„n Jeroschin 6783) d. i. mittelhochdeutsch: almechiich, und mählich ist
„eigentlich mSh-lich statt mächlich bei Schmeller —
„FrofiBssor Sehmeiler inlfilnchen war einer der bedeutendsten Germanisten
unsers Jahrhunderts. Hier ist sein BaieriscfaesWOrterbuch gemeint Vorwärts!^
^^Sehmeller U 54S michleich aus einem Voeabolaiiam vüol Jahre
„1445) zusammeiigt\setzt mit mach in gemach, wie denn aiuh ^pmähli* h
„statt gemächlich steht, z. B. „Gemach! Gemählich! verziehe noch ein
„wenig «"^ (Philaader Ton Sittewald I. 225)
„Was ist das?"
„Ein satirischer Boman aus der Zeit des dreissigjfthrigen Krieges. Der
Verfesser desselben war Moscherosch."
„Crnt! Lies den Artikel zu Ende."
— und so aurli allgeniählicli — allffemächli« h.""
„Und so ist es!^ bekräftigte Dächsei. „Gemach, allgemach, allgemädilich,
allgemUhlieh, aUmlUich. „Allmählieh'« heisst das Wort, allmBhlidi wird*s
geschrieben!''
Aber Bengier wollte sich so knner Hand nicht gefhngen geben. „Pro-
fessor Kurzmann hat es uns ganz anders erklärt. Er sagte, das Wort kflnune
von allemal und dcsweg-en müsse es ,,nlliii:i]ip:" «reschrieben werden. Das h
hinter dem ;i spi altfrllnkisch. denn heutzutage sclirfibe man nur noch das
Mahl = Malilzeit mit h. nicht ahvv das die VVrviellachung^ anzt"ij2:ende Mal.
Ganz falsch sei das eh am Schlüsse, denn die Nachsilbe sei nicht „lieh", son-
dern „ig'*, und „ig" schreibe man mit einem g."
„So—o — 0 — o!" erwiederte der Doctor, und heller Hohn lag auf dem Cte-
sichte und klang im Ton der Stimme. „Von allemal soU allmühlich komoaen.
Eine schöne Etymologie. Wie vorzüglich sie ist, will ich dir gleich beweisen,
und zw ar durch ein argumentum ad hominem. Du weisst doch , was das ist?**
Bengier bejahte, wich aber dabei ein paiU' Schritte zurück.
^Du gehst wol zuweilen zum Schlossappel, nicht wahr'/ Na, leufrue nur
niclit: icli woiss es, und ihr habt ja auch die Erlaubnis, hie und da ein Ulas
Bier zu trinken. — Trinkst du nun dort das Bier, das dir die Frau Wirtin
bringt, allmälig oder allmählich? Trinkst du es allmälig, also allemal, w enn
es vor dich gesetzt wird, was bist du da? Ein Trunkenbold, ein Lump, ein
Niehtsnuta, der Über kurz oder langrdegirt werden wird. Und ebenso nielita-
nutdg als das „allmälige" Trinken ist das „AUmftlig'sehreiben. — Trinkst
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— 265 —
du dagejEren dein Bier allmählich, das heisst. g-anz j^nnarh oder, nach
Weipand, „höchst hoqneinlicli. oliin- alle GeschwinditrkHit" und jrchst. nachdem
du zwei Glas getrunken hast, still wit dci lu ini, dann bist dn auf dem lediten
Wege. Also, Freund, alluiählich und nicht alliaiüig, beim Triiikeu wie beim
Schreiben, das ist mein Rath. Setsse dkäi!**
Bas Dftebsd'sche argomentiiBi ad hominem war unleugbar trivial, und
das bomerische GelSditer, das sieb nach den letsten Worten des Lebrers er-
hob, mochte weniger der Scliärfe seiner Beweisfttbrong' gelten, als der Sonder-
barkeit der Exemplification und wol auch dem persönlichen Momente darin,
denn der gute Bentrler hatte von Mainbach den Knf eines „allmalijren" Bier-
trinkers mitg^ebia« ht. - — Pocii das Gute hatte die Demonstration, dass sie
wirkte. AVer unter uns bis dahin noch unsicher war. der wusste von jetzt ab
lür alle Zeiten, dass „allmählich" in der Mitte ein h und hinten ein ch haben
niiisste, und hindchtUeh dieses Punktes brauchte sich Doctor DSchsel Uber
keinen von vns mehr m ftrgein. So viel vennag bei einem deutschen Jfing-
ling ein Glas Bier, selbst wenn es nicht in natnra, sondern blos gleichsam
and als Simile verabreicht wird!
Aber jedes Ding hat seine zwei Seiten, selbst die Sicherheit in der
Orthog-rapliie. Die Schreibung-: allmählich ist seit jener Zeit für mich so
zum nnverletzliehen Prinei|i<^ {geworden, dass mir all» mal ein Stich duirlis
Herz geht, wenn ich irgendwct auf eine andere Schn-ibart stosse. Mittt-n in
der fesselndsten Leetüre wüd mir duicii das unglückselige Wort der Zusam-
menhang zerrissen; vergebens yeranche ich, den Faden wieder anzuknapfeu;
rneni Ange haftet wie yerzanbert an den Cedsohen Bachstaben; vor den Geist
tritt, ich mag mich wehren, wie ich wül, das Woogstftdter Gymnasinm, der
Do( tor Dachsei, Bengier an der Schultafel, das Bier im Schlossappel, Trunken-
bolde und solide Trinker, relegirte Gymnasiasten und delirii'ende Lumpra,
Scharen von h, ch und g, die auf der Nasenspitze des Professors Kurzmann
Cancan tanzen, und Gott weiss, was alles tiü- Teufelszeug. Eine halbe Stunde
und länger habe ich manelimal zu thun, bis ich meine Gedanken glücklich
'Viieder zu Zucht und Ordiiung zurückgefüliit habe. — Ach, der Leser glaubt
gar nicht, was das Ar eine elende, peinigende Geschichte ist! — Ludwig
l^oirt hat in seinem PidagogiSGhen Skizzenbuch yon der Noth erzahlt, die ihm
der ftlsche Gebrauch des Conditionalis Futurum „würde" schon gemacht hat;
aber das ist gar nichts gegen die Qnalen, die mir die illegitimen Briider All-
niählichs t'urtgesetzt bereiten, denn „tttglich werde ich von ihnen angelaufen'*,
kknn ich mit Sanct Paulus sagen.
Da bekftmme ich eine Lesemappe ins Haus irebracht. Ich blättere in den
illustrii-teu Heften und finde in Nr. 29 von ..Über Land und Meer" eimii
neuen Boman von (negor Samarow. Der Name des Verfassers zieht mich
an, ich beginne sein: „Garde du Corps'^ ,J)ie Sonne eines heissen Julitages
des Jahres 1850 senkte sich allmftlig ** Fort ist die Lust, die
Blfttter fliegen bei Seite.
In der Mainnmroer von Westennanns Monatsheften, die daneben liegt,
steht die eigenthüralich schöne NovcIIh ..EUernklipp*' von 'J h. Fontane. Mit
regem Interesse verfolge ich den Fortgang der Frzählung. ich begleite den
Pfanvr und den Förster zu dem einsamen Haus in der Höhe, ich sehe sie
später von einander gehen, ich höre, wie dieser zu dem Geistlichen spricht:
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— 25b —
„Klu'wüi'den sehen den Haselbusch, und wenn Sie den haben, bchläugelt sich's
alimftlig . . . HeillgeB Bierglas! idioii wieto! Aiieh mit „Elleniklipp''
ist'8 hente vorbei.
Die Glocke schlag^ ich eüe cur Schule. Bei der Leetüre von „Ilaria
Stnart'S bei der ergreifenden Darstellanii^ nnsen SchiQer verg^esse ich meine
orthographischen Schmerzen. Wie weiss doch der grosse Dichter für die un-
glückliche Königin zn Fotheringhai unser Herz zu gewinnen! Wie empört
uns die rohe Behandlung, die die ariiie (iefangene t-rdulden niussl Wie gerne
vergeben wir mit Hanna der Reumüthigen ihre früiieren Fehltiitte! Wie
hoffen wir, dass J^Iortimers Befreiungsplan gelingen werde! Wie freuen wir
uns der nenen Freiheit, die de anf einmal nach der strengen Haft genieesen
darf! Von Theilnahme nnd Begeistenmg hingerissen , lese ich die heRüchen
Strophen am Eingänge des dritten Actes, vro die Gefiuigene, von Fanlet ans
den düsteren l^Fauern entlassen, freudig die Luft der vermeinten Freiheit trinkt»
Ich glaube es für einen Augenblick selbst, was sie an Kennedy spricht:
„ (flaub' mir. nicht umsonst
itt nidnes üLerkers Thor geöffnet worden.
Die kleine Gnnst ist mir des giOssem Qiaeks
Verknnderin. Ich irro inVht. Es ist
Der Liebe thät'ge Hand, der ich sie danke,
liord Lesters mächtigen Arm erkenn' ich drin.
Allmfthlig . .
Ei, in drei Tevfels Namen, was ist denn nur das wieder! Wahrhaftig,
da hab* ich in der Eile die Gotta'sche Ansgabe mitgenommen, vor der ich
mich sonst wolweislich hüte, denn sie druckt beharrlich „anmfthlig" statt
„allmählich''. So ist auch diese reine Freude durch das entsetsliche „all-
mählig" um ein gut Stück getrübt worden.
So geht es nun fast jeden Tag. Wo ich's am wenigsten vennuthe. stol-
l)ere ich über diesen gai-stigeii Stein. Bei den Classikern liabe ich mir darum
ganz genau gemerkt, welche Ausgaben ich für meine Lectüi*e brauche. Demi
soll ich mir etwa das schOne „Testament des Johannes** dadurch verimnieii
lassen, dass ich in der Lessingansgabe von GOschen lesen muss: „So zaudernd
eUig, als ein Freund sich aus den Armen eines Freundes windet, um in die
Umarmungen seiner Freundin zn eflen, — trennte sich allmählig sichtbar
Johannis reine Seele von dem eben so reinen, aber verfallenen Körper"? Da
nehme ich doch lieber Grote's Lessing, denn abgesehen von der vortrefflichen
Ausstattung tinde ich doch stets, wie n'cht und hillig ist. ,.allmählich". Oder
kann mich eine erste Ausgabe des Mattliias Claudius trotz der Chodowiecki'schen
Stiche erfreuen, wenn icli darin auf Stellen stosse, wie:
„Und hättest Wandsbeck Lust zu sehn
UikI bist nicht etwa Reiter,
So musst du an^ dfin Tliore gehn
Und so all müh Hl,' weiter"'?
Darum lese icli Claudius immer in der neuesten, von Redlich l)esorgten
All nage, denn diese hat zwar schlechte Holzschnitte, aber ein regelrechtes
^.allmählich".
Und. doch ist die unrichtige Schreibweise an sich noch das kleinere ÜbeL
Schlimmer, viel schlimmer ist es, wenn sö ein oder gar ein paar Bastarde mit
dem rechtmftssigen Kinde in einem nnd demselben Schriftwerk um den Sitx
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— 257 —
in Hause streiten. Das scheint unglaublich und doch wie hliiitip- kommt es
vor! Kan macht sich gar keinen Begriff von der Frechheit jener Missgeborenen
oder. jta»en wir's ohne Bild, von der Conseqnenzlosigkeit und Saloperie mancher
Schriftsteiler. Wie » in Proteus tritt da ..allmählich** hi allen möglichen, Jiein
unmöglichen Gestallen aus demselben TintenfaKse heraus ans Tagrslicht.
Haarsträubende Dinge könnte ich darüber berichten, wenu ich nicht fürchten
■Me, den, der davon hOrt, dadurch znm ToDkommeaen ortbographiichen
Pemlidtten an madien and an ingend einer dnhUen That an treiben. Ein
pur Eiempel rnnse ich doeh bringen, damit man tieht, waa ich leide, and mein
geqnältes« Herz an der Gewissheit der Theilnalime fUilender Menschen sich
wenigstens ein klein bisschen anfrichten kann.
Am übelsten steht es mit den Zeitniitreü! — Aus alter Gewohnheit halte
ich mir das „Frankfurter J(tunial**. W ährend icii nun aber an dem einen
Tage darin den Satz linde: „Wenu ujan hierzu noch den Umstand in Betracht
liebt, dasB unsere Laudleute mit ihi'en Vertreteru iu der Grundsteuercommis-
iion nichts weniger als zoftieden sind, so wird der Umschwnng vOllig begreif-
fich, der sich in ihren Kreisen allmählich an Gunsten der Liberalen voll-
zieht,'* — heisst es an einem andern: „Ans kleinen Anfängen werde diese
deitsehe Ausgleichspartei allmählig mächtig werden und die Stelle der Ver-
ikasBBgspartei vertreten, welche sich selber ins x^i liente Verderben treibe,**
— und an einem dritten: „Aus persönlicher Erfahrung weiss ich. dass Antrüge,
wv!<he anfangs mit lebhatlem Widerstande aufgenommen werden, alliniilig
aiijiehmbar erscheinen.** Und in der belletristischen Beihige der genannten
Zeitmig, der „Didaskalia^ , steht heate: „Die Anordnung der Planeten weist
mit Bsrtfaimtheit auf eine allmäh lige ^tstehnng derselben hin/ — und
■Algen: „Allmälig wurde sein Oedcht immer heiterer, und schliesslich hatte
der Zar an sich zn halten, um nicht in lustiges Lachen aasznbrechen.'*
Als mir's einmal zu arg wurde, wollte ich mir statt des „Journals** die
-Frankfurter Zeitung" halten, aber in ihn- Nummer, die ich zur Probe in die
Hand nahm, fand ich auf der einen Seite: ..So rückt denn allmählich auch
der aufrichtige und verständige Nationalliberalismus, wie <lie Prov.-Korr.
jüngst da« Beunigsen'sche Gefolge bezeichnete, in die Schusslinie der Kegierung,**
und auf der andern: „Allmftlich werden die Ausstellungsgegenstände ihrer
Hillen enUedlgt»** — und ich hatte genug. — Seitdem habe ich mich in mein
SeUeksal ergeben, die Zeitung mit Hindeinissen zn leeen und ndr mitten in
üe bunten Bflder von Wahlen und Parlamentsverhandlungen, Kaiserreisen und
Prinzenhoclizeiten , Attentaten und Kriegen durch das Wörtchen „allmählich'*
auch noch den Doct/)r Däcbsel und Bengier und daa Bierglas hineinzaubem zu
IsSKn. 'Huit nicht viel!
Eine viel verzweifeltere Geschichte ist es, datss derselbe Hexensabbatii auch
lü Büchern, belletristischen und wissenschaftlichen, wiederkelirt, wo doch nicht
wie bei den Zeitungen die hastige Herstellung zur Entschuldigung dienen kami.
Znm Exempd!
„Wie allmählich Stille eintraf, heisst es an einer SteUe des Romans:
Die letzten Humanisten von A. Stern, „und alle am Tische nach den gewaltig
erhobenen Stimmen hinlaoschten , rief der Amtmann Möller ** dagegen
m^-hrere Blätter vorher: ..^liUler stand noch immer vor ihrem \'ater und sah
den lütter mit erwartendei' und allmählig mit ungeduldiger Miene an.*^
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1
— 258 —
„Mochten sich auch die Aiihiinger des verstorbenen Jesus- , schreibt
Eduard Zeller über die £nt8tehan]? der ersten Christengremeinde in seinem
kritisdieii Werke: Die Apostelgeachichte, „nar allm&hlig zu etnem ÜMten
geschloflsenen Vereia snaammeiigeftniden habeiit . . bo miuste es doch der Über-
1i( fernng nahe liegen, diesen ErfoIg^ als einen momentanen darznstellen", eben-
daselbst aber Jinch über die Kämpfe zwischei) Tiulenchristenthuin und Heiden-
christenthnni : ..Das ist wenigstens auch sonst der Ganp: solcher Partei vorhand-
Inn-irii. dass zurrst doi- Geg-ensatz der Eichtungen am stärksten betoni. das.
worin man übereinstimmt, am moi.sten zurückgestellt wird, und dass erst im
weiteren Verlaufe die Gegensätze sich allmUlig abstumpfen, die gemeinsamen
Zweeke und Voranssetzangen dentllcher henrortreten."
Hefnridi Kurts in Dorpat hat einen ^^briss'' und ein yjjehrbnch*' der
Eirehengeediielite geschrieben. In diesem steht: „Diese yon Tonherein sicki
geltend nmchende Not h wendigkeit (fester C^emeindeämter) steigerte sich noch
durch das allmälige Erlöschen der ansserordentlichen chansmatischen Befillii-
gung". in jenem: ..Die drei sittlichen Krobsschflden der alten Welt, die Vei--
achtnnjr tVemder Nationalität, die Herabwürdigunp- des Weibes und die Skia-
veiei wurden . . . durch allmUhli^e Welterueuerung- von innen hei'ans ohne
gewaltsames AnkämptVn gegen bestehende Rechte überwunden.'' •
In der zehnten Anfinge seines Lehrbnchs d^ Weltgeschichte hatte Geoi-^
Weber die Worte: „Die deotschenKriegalente aber drangen allmählich über
die Enns, setzten sidi in dem schönen Landstriche diesseit nnd jenseit dieses
Flnsses fest und fügten densiMben als baierische Ostmark dem Reiche bei*-,
daneben aber wieder: „Drei Mittel schienen ihm (Conrad II.) besondei-s geeig-
net, die flacht der Kaiserkrone zu erhöhen: die allmiilige Aufliebung der
herzoglichen Gewalten und ihre l'bertragunfi: auf den Kaiser, die Verleihung-
dei- einflussreielisten Kirclieiiiimter an Glieder des Heri'scherhauses und die Erb-
lichkeit der kleineien L.ehen."
Von den Komödien des Aiistophanes gibt es von Seeger eine gute deut-
sche Übersetzung mit lehrreichen Ehileitnngen. Wenn aber Seeger glaubte,
die komische Kraft des Onginals dadurch zn verstärken, dass er allein im
zweiten Bande folgende drei Sätze drucken liess: ^Die ]^dlosopIiiscbe und die
komische Kritik sind einander näher gekommen, sie kennen und achten sich,
die Einseitigkeiten, die scharfen Ecken haben sich allmählig im Laufe der
Zeit aneinander abgerieben**, und: „Sie haben die \'olk8religion, die allmü-
lig in den Köpfen der Leute ein Chaos von halber Weisheit und ganzem Un-
sinn geworden war, mit den Pfeilen der Dialektik und der Komik von alleu
Seiten beschossen, weil ihre Zeit vorttber, ihre Blflte nnd Fracht abgefalleii,
weil sie nnr noch dn gefährliches SpiebEeng grosser Kinder, eine tSdtiiidie
Waife im Kampfe der Finsternis gegen das Licht war^S mid: „Es war ein
Staat, der noch nie in der Welt dagewesen, aber schon oft geahnt worden ist,
ein Ideal, für dessen allmähliche Realisining jetzt endlich die Zeit gekom-
men .sein könnte" — wenn er. wie sesag-t. dieses Kunterbunt von ..allmalia:"
und ..allmilhlis:" und ..alliiiälilich" für aristophanische Komik hielt, so liaben. auf
mich weniirsteiis, im Gej^eiitheil seine .s<»nst so geistvollen Einleitungen aus diesem
Grande stellenweise die Wirkung einer herzzerfleischenden Tragödie gehabt.
Und wenn ich dann nach derartigen, in einem fort erdnldeten Peinigiia-
gen mich einmal erholen will, wenn ich durch Versenken in des edlen Feucb-
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;. ' -
— 259 —
fiefdeben M^Ktttetik der Seele" das verlorene (Tieichgewicht des inneren Menschen
mir wieder zu erringen 8trel)e. aber auch hit r dasselbe entsetzliche Geschick
ittir widtTtaliit: denn: ..Nach einer halben Stunde kehlte etwas Beweirnnür
zurück, l'uls und Herzschlag hoben sich alhnilhlich'', erzlihlt der Arzt-Phiio-
sopii zwar an einer Stelle, das verhindert ilin aber nicht, anderswo zu schreiben:
Partien der menschlichen Organisation, welche einen lebendigen Kreis
dsntellt, greiiea wechselwirksam in einander; was das bleiche, ftltenvolle
Antlitz cor Sohan trügt, werden die leise Stinune, der schwankende Schritt,
die unsicheren Schriftzüge, die nnschlüssige Stimmong. die EmpAlnglichkeit für
den Wechsel der Witterung, die sich allmälig, aber grfindlich einschleichende
Krnnkiieit auf andere Weise verrathen". und: ..Die ganze Natur ist ja nur
Echo des (.ieistes, und es ist das höchste Gesetz, welches sich in ihr auftinden
lässt: dass aus dem Idealen das Reale werde. djiss die Idee all niä lieh die
Welt nach sich gestalte", — wer wollte dann nidit meiner \ ersicheruiig
S^ben, dass ich Gefahr laufe, durch das „allm&hlich" noch allmählich den
Veiitand za Terlieren.
„Ja, den Verstand zu yerlierenl*' betheoerte ich mit der Heftigkeit eines
leidenschafttioh erregten Herzens dem Freunde, dem ich einst schmersbewegt
memen Kummer klagte, wobei ich ihm nicht verhehlen iconnte, dass er selbst
in seinem neuesten Werke miTi ohne es zu Überlegen, gleiche Qualen verur-
sacht hatte.
Er lachte laut auf.
„Toller Ben Quiilan!" sagte er dann, „wie kann man Kleinigkeiten so
tragisch nehmen!"
Ich wollte gegen die „Kleinigkeiten^' energisch protestiren.
„Sei stiU", führ er fört, ,4b b»t nun lang genug geredet Statt den
Verstand zu verlieren, hfir' midi nur einen Augenblick ruhig an und lass dir
erklären, woher das ganze Durcheinander kommt. Die Drucker haben, Grott
weiss! warum, fast sämmtlich die Rchreibting ..allmHlig'* sich angewöhnt. Fin-
det nun auch einer von ihnen in einem Manuscripte ..allmählich'', so behält er
dennoch aus »-intrewurzelter Gewohnheit seine Orthographie ])ei. Bei der
Con-ectur wird dann freilich das Wort in seiner ursprünglichen Gestalt wieder
hergestellt, wo der Goneetor die Abwelckung bonerkt. Abor da er ehiHensch
ist, übersieht er sie manchmal, und so bleibt dann neben dem „allmählich" hie
und da auch ein „aUmMig** stehen. Und bei der Verbesserung des Dmcksatzes
wird auch nur ein Theil des corrigirten „allmälig^' wirklich in ..alhnühlich"
ungewandelt. Denn der Drucker ist auch ein Mensch, der etwas übersehen
kann. Er setzt hier nur ein h liinter das ä und l.lsst das g am Ende stehen,
dort verbessert er das g in eh. vergisst aber das h einzuschalten. So gesellen
sich zu den ..allmählich ' und ..allnüllig" auch noch die ..allmählig" und ..all-
mälich". — - Das Einfachste wäre, die Schriftsteller bequemten sich dazu, der
Sehteibweise der Drucker zu folgen. Dann wftre doch wenigstens die Schwan-
kimg beseitigt, wenn wir freilich das „allmftllg" in denEanf nehmen müssten.**
..Ntin, nein mid abermals neinl^ rief ich aus. „AllmMig** ist durch und
durch falsch, und die Unwahrheit billigen, w issend, dass es die Unwahrheit ist,
ift Sünde wider den heiligen Geist. Nein, nein! — Aber Dank dir. dass du
mir di, Wurzel des Übels enthüllt hast. Die Ursache der Krankheit ei-kannt
haben, heisst ja, wie ihr Meüiciner sagt, die UeiiuDg begonnen haben. Und
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verlass dich drauf, nun werde ich nicht rohen, bis ich das Mittel geAmden
habe, diese Heilonj^ gftQzlich za vollbiingen.'*
Und ich habe es gefanden.
Es besteht einfach darin, daäs ich mich offen und vertrauensvoll an alles,
was Drveker heisst, «9 weit die deutaehe Zunge klingt, mit meinem Anliegen
wende.
,Jhr lieben, goten Drneker, ihr braven, Terstftndigen Leote, ihr hoch-
angesehenen, wackeren Kriegslente der sechsten Grossmacht Europas!
Lest alle meine Geschichte, die Geschichte vom tüchtigeü Doctor l>aclisel.
Lest dazu, was ich von den Leiden erzählt habe, die ich alle um euretwillen
erdulden muss, und die ihr so leicht heben könnt. Bedenkt dabei — nein es
ist nichts mehr nöthig; wenn ihr lest, was ich, für euch zumeist, geschrieben
habe, dann legt gewiss jeder von euch die Hand auf den Setzkasten und gelobt
hei der heiligen Beehtachrefbang, vmi nnn an sich abzawenden von den schlech-
ten, nichtanntsigenPrlltendenten, m9gen sie „allmttlig" heiaeen oder „aDmlhllg"
oder „allnüUidi*', nnd hinfort aUeceit treu und gewärtig sn sein dem allein
rechtndssigai Herrn
„Allmählich!**"
' Und das ist der Zweck meiner orthographischen Geschichte.
VwnDtwortUehcr BdUeteart M. 8i«I».
Biehdraekani Julius Klinkliardt, LtiftSg.
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(irniubätoe zur Beurtheilni^ der deatechen Jngendliteratar.
Von Dietrich Theden-Hambxoy,
L
Kein Zweig der deutschen Literatur dürfte, was den Umfang
^trifft, in den letzten Decennien einen solchen Aufschwung genommen
Jiaben, wie die Jugend- und Volksliteratur. Aber das Wort: „FOr die
Jagend ist nur das Beste gut genug*', das nngeschmäleirt auch anf
die Ar das Volk bestimmten Sdmftai Anwendung findet, ist leider
immer mehr ausser Acht gehissen worden, und der durch Überproduction
herbeigefilhrte zeitweilige UmfiKng der Jugend- bezw. Volkslitenitur
ist kemer der schlechtesten Beweise für den geringen inneren Gehalt
derselben.
Wie viele Unberufene, sowol Verleger als Autoren, wenden sich
gegenwärtig lüclit «lein Krziehungsfelde zu. auf dem sich wahrlicli nur
selten noch, und dann aUein bei holier Begabung, goldene Ähren ge-
\dnnen lassen. Ks ist fieilich richtig, dass nicht allein die bt iufs-
mässisr Hiatigen und nicht nur die Männer der Wissenschaft erziehend
und veredelnd die Fortent\vickeluna- nnsers (Teschlechtes sich ansre-
legen sein lassen sollen, sondern alle, welche zu diesem wichtigen
<Teschäftc inneren Beruf und äussere Veranlassung liaben. Aber wie
oft ist leider der letztei'e Umstand allein der Grund, sich hinauszu-
wagen auf die schwere und gefahi-volle Bahn der Jugend- und Volks-
eiziehung!
Eine grosse Anzahl von Autoren greift lediglich zur Feder, um
stich Taschengeld zu erwerben, nicht wenige auch, um nur den Buhm
ZQ haben, ebenflsdls „em Schriftoteller*' zu sein. Aber was nützt es
«ich, wenn ein Sduriftsteller wirklich den guten Willen hat, etwas
Tüchtiges zu leisten, und doch über das, was eine erziehende und ver-
edelnde Einwirkung anf die bildsamen Seelen von Jung und Alt aus-
znüben \ennag. sich nicht klar ist? Und \vas nützt es, wenn ein
Alltor sowol pädagogisch gebildet als hoclibtigabt ist. wenn ei- nicht
mit Besonnenheit und stetem Hinblick aiü den hohen Zweck seiner
Pfttlxgo^um. 4. Jahrg. Heft V. 18
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Arbeit etwas Keelles und daui ind AVertvolles zu leisten alle Kraft ein-
setzt, sdudeni Einsicht und Begabung iu Mastieuproductioii sich zer-
splittern und verlieren lässt?
Die Zahl derjenigen Volks- und Juofendschrittsteller, welche wirk-
lich zur gedeihlichen Fortentwickeluug unseiti Volkes beitragen,
Schi'iftsteller von Beruf sind, ist klein.
Und nnbeträchtlich ist in unserer Zeit auch die Zahl derjenigen
Verleger, welche ihre Manuscripte nach dem inneren Wert derselben
wählen, und welchen bei Herau$gabe ihrer Artikel Aber dem eigenen
Wol noch das der Leser steht Die meisten Verlagsbnchhändler
sehen bei Auswalü ihrer Werke nur darauf, ob dieselben auch ver-
käuflich sind; ob sie aber Wert haben, oder ob sie geradezu schäd-
lich sind, das wird absichtlich ausser Acht gelassen. Der zu erzie-
lende materielle Gewinn ist allein die Triebfeder alles Handelns die-
ser Interessen-Heroen, deren Tliätigkeit um so weniger zu unter-
schätzen ist, als ihnen genieinliin eine »n'osse Geschäftssrewandtlieit
eignen ist. und sie im Publicum wie in der ^lehi'zalil der Sortiiiieuter
kräfti^-e Stiitzen «.'■♦'winuen. indem es ilinen durch die zu zahlenden nie-
dri^ren Honorare einer- und den ziemlich sicheren Erfolg andei^eits
ermöglicht wird, ihren Artikeln eine reiche äussere Ausstattung mit-
zugeben und sie trotzdem dann noch billig an den Sortimenter abzulassen,
so dass durch die Ausstattung das Publicum und durcli ..den Junten
Verdienst'' der Sortimenter gewonnen wird. Die Herstellung der
schworen Belefarungsschriften dagegen ist kostspieliger; es müssen so-
wol höhere Honorare bezahlt, als auch die Hlustrationen sorgfiUtiger
und meist in grösserer Anzahl hergestellt werden. Um aber das kau-
fende Publicum nicht a priori durch den Preis abzuschrecken, darf
dieser nicht nur kein höherer sein, als der sensationeller und eflfoct-
voller Unterhaltungslectflre, sondern muss thunlichst noch niedriger
gestellt werden. Dann jedoch kommt der Verleger wieder mit dem
iSortiiiieiitei- in Streit, der mit einigen Procenten weniger sich begnü-
gen soll, das aber übel nimmt und lieber dem Publicum ..die theureu
Sachen, bei denen niclits zu vrrdieiifu ist", gar nicht ei*st vorlegt.
Die kräftigste I nterstiitzung aber findet die Ausschussliteratur
im lesenden Publicum seilest. Nicht das, was wertvoll ist, will es
haben, sondern das, was unterhält, spannt, reizt. Pikante Oolportage-
romane, die sprechen das Volk an! Auch die Stuttgarter Sensation^-
romane und ludianergeschichten für diedugend mit ihrem verlockenden
bimten Bilderkram, ihren in die Augen fallenden Titeln und Umschlägen,
haben nicht erst in den letzten Jahren begonnen, selbst die bessere
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Belehmngsltteratur in den Hintergrand zu drängen. Aber üii-e Ver*
bratang hat in den letzten Jahren emen solchen Umfang angenommen,
dass es bald keinen Winkel im weiten deutschen Yaterlande mehr geben
mti, in dem man nicht wenigstous einige Exemplare dieser mitgraaen-
haften Scenen angeflUlten, jeder Moral spottenden Gargotagen finden
kSimte. Habe ich sie doch selbst in einem bedentenden, nnter staat-
licher Controle stehenden Waisenhause*) gesehen! iSo geht es über-
haupt: wo man nicht mit Fleiss nach dem Trivialen greift, da o-e-
schieht's aus Gleichgültigkeit. Kitern und Krzielier, beide vei-siindigeu
sich in gleichem Grade.
Wohin aber fiihren dergh'iclien Machwerke den Leser? Wenn
wir aufrichtig sein wollen: zu ('(»ntusion, Haltlosigkeit und Verdor-
benheit in der Sitte, im Denken und Handeln — zu Obertiächlichkeit,
Dünkel und frülueüer Keflexion — zu Romauhaftigkeit) Verschroben-
lieit and Blasirtheit!
IL
Eine gate Jagendschrift festigt den Charakter, anstatt ihn zu
zerrütten, f5rdert die Entwickelang« anstatt sie zu hemmen. Sie macht
den Leser auf Fehler nnd Unlauterkeiten des eigenen Ich, anf Vor-
züge and Verdienste Anderer aufmerksam — sie lehrt ihn Demnth
und Bescheidenheit; sie spornt ihn znr Nachahmung des Edlen und
Wahren und zur Überwindung und Vermeidung von Schein und Lüge
an — heisst ihn naclidenkeu und erwägen. Sie gewährt dem Zög-
liui((- in mftssigen Stunden eine geistige Krfriscliung und bewahrt vor
whädlicher Zerstreuung; sie bietet ihm eiiin willkommene Erholung
von der Schularbeit und bildrt doch zujj^leich eine Ergänzung des
•Schulunterrichts. Mit einem Wort: sie ist als annmthende l'mschrei-
bung ethischer Kernsätze, als Verstand und Gemiitli anregende Detail-
Dialerei pädagogischen Lehr- und Übungsstoffes ein Fin-derungsm Ittel
far Gesinnung und Wissen, und Manches, was durch das trockene
Wort de8 Erziehers im Herzen oder Kopfe des Kindes nicht haften
wollte, findet durch die ungestörtere and mehr concentrirte Einwir-
kung des Baches willig Ao&ahme und Beherzigung.**)
*) Dem Hftmbiiiger. Die Titel der Werke siiid mir nidit mehr erinnerlich; ich
habe jedoch ehuge derselben gelesen, und der Eindruck, den icli enipfins;. war der,
dem Otto Sutermeister in den Worten Ausdruck jj^bt: ,.Pift" pafti tiberlall. Kampf,
M*'i"I und Todtsrhlag und alle die Herrlirlikeiten, die druiu und dran bäugeu, schit«
dem diese Bin her von Anfang: bis zu Ende — in Text und Bildern!"
**) „tierade die heiligsten Gedanken sträuben siel» oft, laut Uber die Lippen zu
18*
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•
— sei-
lst nun ancli nnspiv Jugendliteratui* mit wertlosen Elementen
legirt, und sind aucli die besseren Erzeugnisse von der erdi'ückendeii
flnt des Schalen und Verwerflichen bedauerlich in den Hintergnuid
gedrängt und nicht ohne Mühe hervorzusnchen — das darf behauptet
werden: bei aller Armut an guter LectQre in der üm&ngs- und
Zahlenvergleichung dieser mit derrecusabeln reprflsentirt doch auch die
erstere, der breiten Masse entsondert und fttr sich allein flbersehen,
einen Schatz, der den weitestgehenden Anforderungen gerecht zu wer-
den geeignet ist und das Leben der Natur wie der Menschheit um-
Sie kuiniiit ziii- (-ieltiuig, wenn unbegabte und speculirende Au-
toren und \'t'rl(^frer verdrängt, Talent und redliches iStreben bervor-
gesuclit und iierausgeboben werden.
m.
W as bei Heurtlieilung der Jugend- und Volksschriften in Betracht
kommt, ist dreierlei: Der Inlialt, die Form, die Ausstattung.
Der Bihalt
Die Jugend- und Volksschrift muss sittlich-rein gehalten sein. —
Sciirifteii. welche ihren Lesern lauter Tugend-Heklen und Heldinnen
V'trtuhieu. die von ihi'eu Verwandten mit Zuckerbrot, von ihren V(ir-
gesotzten nnt Amt und Ehren und von Gott mit allem erdenklichen
Glück ptiichtgeuiass beloliut werden , sind zu verwerten. Eine
Jugend- und A'olksschrift nuiss, sofern sie niclit geradezu beleh-
renden Inhalts ist, sittliche Gegensätze enthalten. Der sittliche Con-
trast dai'f kein zu greller sein; der Lesei* neigt sich sonst sehr bald
und so entschieden nach der ihm zusagenden Seite liin, dass er der
entgegengesetzten nicht mehr die erforderliche Beachtung schenkt und
daher die Lehren und Oonsequenzen dieser verloren gehen Iftsst Das
Wahre und Gute werde gern in seiner höchsten Potenz geschildert; doch
lasse man dann den Leser das ihm vorgeführte denkbar Höchste und
Vollkommenste nicht blos begaffen und bewundem, sondern man zeige
ihm auch den Pfad bergan und stELtze und begleite ihn. Die Schil-
denmg des Falschen und Bösen in seiner ganzen Entartung werde
rieten, oder wenlen. wenn sie Auge in Ango horvortreton. nicht ganz mbefan^n
hiugenoninicn. Das Buch dagegen mit seiner lieimlichen Sprache kann, auch ohne
<lie tromnif Sehen zu verletzen. >Ianches auf^sprechen. wa-< flf-r Erzieher nicht iiuiiier
zu sagen verniair, und kann «laiuit uutfe>ir»rt die heiliirsten Eniptindungcn \veoken
und uälireu.'" Kühner iSehniidV Kncycloitüdie des gcsaiuinten £rziehiuigr<- und Un-
terrichts Wesens, 2. Aullage, B<1. III. pag. 881).
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TT— -•• •
— 265 —
Termiedei). Denn dadurciii dass man dem Leser das Laster lasterhaft er-
scheinen lässt, kelirt man seinen Sinn noch nicht dem Guten zu. Und
wer dem Gnten nicht nm seiner selbst willen zngethan ist, den wird
keine Furcht und kern Abschen vor dem Entgegengesetzten dazu be-
wegen. Nie trete das Böse in glatter und bestechender HQlle auf;
Die werde ein Fehlw bemäntelt*) Das Gute werde nicht besonders
belohnt, das Böse nicht besonders bestraft Der Leser soll erkennen,
wie das Gute den Lohn in sich selber trägt; wie sich das Böse in
and dnrch sich selber rftcht Gr soll zniHeden sein, wenn das Oute
gelingt, und Freude empfinden, wenn das Böse vereitelt wird. „Noch
jp.iir] muss er sich be^niij^eu mit dem ^juteii Willen, auch wenn die
Austulirunp: nicht orelin^rt, und darf als Belohnung und Strafe nichts
aiiilt THs vei'lan<;en, als das Hewusstsein."' (Oi»pel a. a. 0. 8, 124.) —
M;m hWw sich, bei der Auswahl auf vorwiegend rt'li.u:iösen Inhalt zu
sollen. Schriften dagegen, in denen diese Richtung minder hervortritt,
zu verwerten. Fromme ßegeln, Seufzer und Aussprüche nützen gar
aichts; sie dienen auch zumeist nur dazu, eine vertlachte und verfehlte
Darstellung mit Schick zu Ende zu bringen und es dem Verfasser zu
ermöglichen, in einem nenen Capitel seinen Baritätenkarren aufs
neue festzn&hren. Das Beligiöse soU dem Leser in den Handlangen
der ihm yorgeföhrten Personen entgegentreten, nnd je kenscher auch
m dieser Beziehung die Schüdenmgen sind, desto gesunder nnd ker-
niger ist meist die ganze Schrift Sehr bezeichnend nnd charakteri-
stisch ist ein Ausspruch Jeremias Gotthelf s in „Jacobs Wanderungen".
,tJacob*S sagt der Meister in seiner derben Weise zn seinem Gesellen,
als dieser sich wundert, wie wenig Geistliches mau während der gan-
*) „EtE&hle deiueu Kinderu kerne Beispiele vou Schlechtigkeit, an die sie gar
■ieht denken, die ihnen so ferne liegt, dass sie ihre Existenz gar .nicht ahnen. £in
Lelirer endUdte in Religiiosstnnde die Geschichte emes missrathenai Sohnes, der
Ton Stufe XV Stofe sank and eodliidi dahin kam, den ebenen Vater au enMwden,
um ihn zu berauben. So etwas lialte ich f&r einen höchst ungeschickten MissgriflT;
nicht durch Abschreckung er/ielt liic Pädasrofjfik ihre Triumphe, sondern durch An-
ziehiiHü^. „So will ich juicli werden I"' soll das Kiml lehcnditr im Herzen fühlen; da-
•iiinli kommt es weiter voran, als dnrch die P^uiiitindiing: „Ptiii. wie hässlichl'" Das
möchte ich nicht sein" kommt in der Regel gar nicht zum wirküchen Ent-
■dihisse. — Nichts Schlechtes erzählen, was nicht bereits in dem Anschannngskreiäe
desKmdes liegt; mit dem Guten aber immer wdter gehen, immer hoher hinauf, das
sd deuie Losung. — Es ist eine Versttndignng im der Unschuld, Bilder vor dem
Auge des Kindes zu entrollen, Thatea nnd Gesinnungen an schildern, an deren Nied-
rifßuit es noch nicht sredaclit hat» die also gar nicht ans seiner Anschannng ge-
nommen sind, die das Kind nörhi2:cn. unter sich 7.n sehen, statt dass es immer ZU
Edlerem empor blicken »oUte." (Oppel, „Buch der Eltern," pag. 124 iL)
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— 266 —
zen Woche im Hause seines Meisters höre und niclits von alledem,
was Soiintasrs in der Kirclu" gepredigt: „Jacob, wenn Ihr ein Stuck
Speck esset, lasst Ihr den Zipfel eine ganze Woche zum Maul herans-
hHn«ren? l'nd wenn Ilir ein Glas Wein getrunken habt, hisst Ihrs
über Kinn und Halstuch laufen, dass Ihr den ganzen Tag nach Wein
stinkt? Bringt Ihr nicht beides s&nberlich in den Leib? Wer nicht
dnnim ist, wird ans Eurem Schalten merken, ob Ihr was Rechtes oder
was Schlechtes Im Leibe habt, oder gar nichts!** — Fehlen darf die
Beligiosität nicht; aber sie soll nicht in blossen Bedensarten oben
auf treiben, gleich den glftnzenden Fettaugen, die mit dem Schöpf-
löffel abgefüllt werden und nun eine um so wässerigere Kost zurück-
lassen. Der confessionelle Standpunkt trete nicht in den Vorder-
grund. Es ist niclit mithig. dass er ganz verwischt wird: (h»ch skII
ihm das Verletzende gegen Ander.sglaubende genommen werden. Die
Jugend- und Volksschritt sei Mittel zur Fiirderung von AutT^läruug
und Duldung. — Das erotische Element werde in der dugendschrift
möglichst vermieden; eine gänzliche Exclusion desselben ist jedoch
nicht zu fordern.'^) Nicht statthaft ist, die Erotik zum Object der
Darstellung zu machen, und durchaus ausgeschlossen ist auch die Ero-
tomanie. Liebeserklärungen oder Treubruchscenen, zweideutige Hand-
lungen nnd Redewendungen, yersteckte Anspielungen etc dürfen in
einer Jngendschrift nicht zu finden sein. In allen demjenigen Fällen
aber, in denen die geschlechtliche Liebe nebenher benutzt wird, euk
Bindemittel zwischen Menschen abzugeben, die wir lieben und achten
gelernt, ist gegen ihre Heranziehung nicht das Geringste einzu-
wenden.**)
*) Zn verlangen ist, „dass in der Jogendschi^ die thierisdie Katar des Ifen«
sehen, die eben beklmpft and niedergehalten werden soll, nieht hervortrete. Und
nicht allem sachlich, aoch hinsiclitlich der Aiudracksweise ist eine eatapnAeoiM
Vnr^iicht zu empfehlen. Denn es i^bt Dinge, die an sich keineswegs unsittlicli sind,
aber doch von dem natürlichen Schamjfefiilil verschwiegen wler von dem civili.«irten
in Conventionelle Eiiplioniisnion irehüllt zn werden ])f1p[ren; nnd An>-(lrü< ke. die ilieser
conventi'inf'lh^n Dcecnz widt i'^trt'itt'n. knuiifn dt in Kiiulc in ühulicli«.'r Weise an^tr.>Mg
werden, wie ein nnsclmldii^t r Wilder, wenn wir ihn in seiner Nacktheit in nnsere
GeselUchaft einfuhren wollteu. Doch auch eine zu ängstliche Nachgiebigkeit gegtu
ehie ttbeiilsinerte sprachliche Decena kann schaden, nnd ea mitssen daher solche
menschliche Dinge nnd namentlich die Oeschichte der Liebe, wenn sie emmal dar-
gestdlt worden, zwar mit keuschem Sinne, aber mit festen, nicht dnrch Halbdunkel
zn Arg^volm verleitenden Zflgen geaeichnet werden." (Kühner, a.a.O. pag. 888ff.>
**) ,.Kinder bis zum Alter von 12 — 14 Jahren — eine bestimmtere Grenze lässt
sich hei der unirleichniüssijjen Entwickelune: der Kinder nidit /ieli. ii pfleiren
Stelleu, die von geschlechtlicher Liebe handeln, mit einer £kulcheu Lubelaugeuheit zn
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— 267 —
Der Inhalt muss der Walirlieit entsprechen. — Es ist nicht nö-
thig, dass die Pei'sonen, welche uns in einer Jn^endschrift vorgeführt
werden, wirklich ezistirt, oder die heschriebenen BegebeuheiteE sich
so nnd nicht anders zugetragen haben, als angegeben wird. Sie sol-
len der Wahrheit entsprechen, das heisst: der Charakter der vorge-
ifihrten Personen und die Einzelheiten der beschriebenen Begeben-
heiten sollen dergestalt dem Leben nachgebildet sem, dass sie nicht
nnr die Möglichkeit der Wahrheit» sondern auch die Wahrschenilich«
kdt ftSr sieh haben.*) — Was Uber Länder nnd Volker, sowie Pflan-
zen nnd Thiere nnd Überhaupt über die Natar gesagt wird, hat voll
imd sranz der Wirklichkeit zu entsprechen. — Übertreibungen sind
streng zu vermeiden, besonders auch in der l liaiakteristik der Per-
suneu, da nichts für das jugendliche (-reniüth schädlicher sein kann,
als fortwährend sich zwischen Extremen zu bewetren und den ^len-
schen entwtMler zum VA\u;i^] crliüben oder zum TeulVl erniedrigt zu
Sehen. Den ersteren bewundert es, ohne zum Nachstreben angeregt
zu werden, und den zweiten bedauert oder vembscheut es, ohne an
die Möglichkeit eines gleichen Falles zu denken. — Auch diejenigen
Dichtungen, welche lediglich Producte der Phantasie sind (Sagen,
Märchen, Fabehi), müssen denjenigen Stempel der Wahrheit und Natür-
lidikeit tragen, den anch das Kind sofort herausfindet**) Begel- nnd
gesetzlos hingeworfene, nur durch Farbenpracht fesselnde Bilder sind
mit Entsdiiedenheit zn verwerfen.
lesen, dui der Erwichsene dadmeh oft mit Wehmnth an die Unschnld der eigenen
gtaddioh verlebtem Jugendzeit erinnert wird." — „Es Ueat sich nicht bestrdten,
diu» der geschlechtlichen Liebe, wofeni sie nicht zu einer grob-sinnlichen ausartet,
eine starke sittli(:h»Mi(lc Kraft innewohnt, die schon manchen Ji\ui?ling, manche Jung-
tran vor Irrwegen bewahrt und zu edlem Thun begeistert hat. Schriften, in wel-
chen eine solche reine Liebe gcsclnldtTt wird. /.. B. Schnitze's .'Bezauberte Rose'*
KinkeFs „Otto der Schütz ', .lulius Sturm s „Stilles Leben'', G. Döring's „Bildhciniitzer
Tön Tirol'' und manche Homane von Walter Scott, müssen darum auch weit eher
iun beitragen, des jugendlichen Lesers GefUile m läutern und som Ideale au er-
heben, als dazu, ihn znin Bohen nnd Gtemein^ herabzuziehen.** (Kaiser, „Jugend-
leetare nnd Sehttleibibiotheken"« pag. 18 ff.)
*) ,,ünter dieser Wahrheit ist nicht eine Beschränkung auf die nackte Wirk«
lif hkeit zti verstehen, sondern jene innere Wahrheit, welche aucli dem ideelh n . jtoe-
tist h ^^estalteten Leben das Überzeugende Qepxflge der Wirklichkeit gibt." (K.Uh-
iier, a. a. O.)
**i ..Der Schriftsteller muss sein»' iibenmtiirlielien. wunderbaren Personen, seine
mit mens* blieben Leidenscbaften nnd menschlielier Rede beirabten vemunffloson Wesen
»> reden und handeln lassen, wie es der ihnen beigelegten Natur oder den au iiiuen
b der Wirklichkeit wahigeDommenen Eigenschaften gemSss ist." (Kaiser, a. a. 0.)
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— 268 —
Die Ju|2^eii<l^cliritt iiiuss bildemle Kiemente entlialieii. Sie kann
den dreifaclieii Zw»'ck halten: zu unterhalten , zu veredeln, oder da.s
W issen drs Lesers zu l)ereichern. Schriften, welche nur unterhalten
wollen, sind aust^eschlossen. Mit der rntei-haltunu- ist niin(lesteii> <\w
Veredelung des Lesers zu verbinden, nicht nnnder alier auch mir dei'
Belehrung- eine entsprechende Lhiterhaltung. — Soll durch Schiiften
ein veredelnder Einfluss auf das Gemüth des Lesei*s ausgeübt werdeiit
So hat denselben eine Indiere Idee ZU Grunde zu liegen. £s müssen
durch die Erzählungen Wahrheiten veranschaulicht werden, von deren
Erkenntnis ein heilsamer Einfluss auf den Leser zu erwarten ist. Die
Erkenntnis einer Wahrheit darf jedoch nicht ans willkfirHch oder zn-
fUlig herbeigeführten Glttcks- und Unglöcksföllen hergeleitet werden.
Geschichten, in denen Menschen unverschuldet in allerlei Noth und
Unglück gerathen und dann auch wieder ohne eigenes Thon und
Streben dnrch zufällige Erbschaften, zufälliges WblwoUen hochstehen*
der Mitmenschen, durch Auffinden verborgener Schätze, Lotteriespiel
u. s. w. aus aller Angst und Verlegenheit herauskommen, sind tür dt-ii
Leser eher gefiihrlich als nützlich. Auch die beliebten Amerikareisen,
durch welche arme Teufel meist als geldstrotzende Wellmänuer in
di«' staunt'nde Heimat zurückkehren, sind ein grosses Übel. Nicht
nui-. (lass sie dem (rekle einen zu grossen \\'ert beilegen; sie führen
auch zu gänzlich falschen Vorstellungen iiber die Erlangung desselben
und lassen uns die Geiahren und MiUiseligkeiten, mit denen der Mensch
in fernen Erdtheilen zu kämpfen hat, nur selten miterleben und noch
viel weniger nrtheilsfirei und unbefangen schätzen. — Werke beleh-
renden Inhalts (Biographie, Völkerkunde, Naturkunde, Kunst und Tech-
nik etc.) sollen auf der Höhe der Wissenschaft stehen. Den Stoff be-
treffend, darf nur das allgemein Wissenswttrdige und Bildende gewählt
werden, „nicht Details einer Fachwissenschaft^ auch wenn sie an sieb
noch so interessant und amüsant dnd; nur das wahrhaft Grosse, aidit
das Curiose, allein durch Ausserordentlichkeit Fesselnde; nur die be-
wähi'te \\'ahrheit, nicht das Problematische und Hypothetische."
(Kühner.)
Di'V Inhalt sei f>paun*Mid. Die rein didaktische Jugend^rlnitt
fessele durch Hcstimmflieit, Scharfe und Prägnanz im Ausdruck ini'l
Stil; sie vermeide aniKithige Hedm^tion. folge einem bestimmten Plane
und gehe in der Ausführung desselben nie über die gesteckten (ireii-
zen hinaus. Sie schildere lebendig und mit Wärme, wo es angebt
selbst mit Humor, trage aber auch ein nnverkennbares Gepräge sti-en-
ger Authenticität und wahre ihrem Urtlieil Ruhe und Besonnenheit
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— 269 —
Die erzählend didaktische Jngendschrift sei so gehalten, dass weder
das Erzählende noch das Belehrende besonders in den Vordergrund
tritt; doch trage das Ganze einen mehr unterhaltenden Charakter.
Die Handlung der Erzählung sei bewegt; das Belehrende stehe mit
der Erzählung in engster Verbindung und sei in der Fassung knapp
nnd anschaulich. Die erzählend veredehide Jugendschrift darf den
Leser nicht unnatürlich aufregen; doch soll sie seine Gedanken voll
uud jranz sammehi und sein Gemiitli aus dem Grunde bewegen.*)
Der Inhalt muss der Alters- und Kntwickelunofsstufe des Lesei-s
angemessen sein. Man glaube nicht, die .Tugendschrift habe sicli in
Stoffwahl und Sprache lediglich oder aucli nur vorzugsweise in der
engen Sphäre des Kindes zu bewegen, duicli Geschichten von Kin-
dern das Kind zu unterhalten, und es zu behdiren durch Beispiele
von Kindern.**) Nein! die Welt der .Tugendschrift sei dem Gesiclits-
kreise und dem Verständnis des kindlichen Lesers zwar erreichbar,
greife und weise aber gleichzeitig darüber hinaus.***) Jede Jugend-
schrift lasse daher einen bestimmten Leserkreis ins Auge und suche
diesen zu sich onporzuziehen. Alles aber, was für den in Betracht
gezogenen Leser ungeeignet — was zu hoch oder auch zu niedrig
ist, sei weggelassen. Juristische Spitzfindigkeiten, Wortklaubereien und
Eonstschlttsse gehören in keine Jugendschrift, kirchliche Streitigkeiten
wie sociale und politische Missstftnde eben so wenig. — Didaktische
Jngeneschriften rein religiösen Inhalts und solche, in denen die tief-
sinnigen Heilswahrheiten der christliclien i-Jeligion nebenher zu mehr
oder minder logischer resj). tht (»logischer Krörterung kommen, iUjer-
sTeigen die Fassungskraft dei- -fugend entschieden und sind dalier
durchaus zu verbauueQ.tj Und auch diejenigen iSciuüten, in denen
♦) „Wenn die Zuhörer mit weit g:eöftneten Aueren dir .-«tarr ins Gesiclit l>li( kt-n ;
wenn ilkneu bei ergreifenileii Sceueti die Thräuen in die Augen treten; wtnn Me \m
heiteren Büdem lachend und jubilirend vom Stuhle aufspringen; wenn nie oft niit
kmein reden, jetet nnwfllkttrUch rofen: t^Ach wie gntV und dann wieder: ,^ch
Gott! Ach Gott^* — dann ist*« das Rechte, dann hist da un Stande, sie durch deine
Ecäüünngen immer weiser, hesser nndglttckhcherzumadieii.** (OppeL)
**) ..Der Knabe fühlt .sich ungern klein, er möchte ein Mann sein; der ganze
Blick de» wolaugelegten Knaben ist tlber sich gerichtet, und wenn er acht Jahre
hat, geht .sein (Jesiditskreis Uber alle KinderliLstoricn hinweir." (Herbart.)
***) „Da.s Küiderburh nins.s, statt den Kindeni nachzukriechen, neben dem Ver-
ständlichen einen atacheluden Zusatz von noch nicht verständlichen JDingeu geben. '
(Dahlmann.)
t) «Bs ist lOnrahr nicht schwer, ein Kind durch Voistellnngen von dem natOr-
liehen Verderben, vom Gericht, vom Einflösse des bOsen Feindes in Anfregung und
Aagst 2a TersetKen, es mit Zweifeln an seiner Seligkeit anzufüllen nnd es dadurch
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— 270 —
die Ki kenntnis orewisser Walirlu ir^n den Kindern „in kindlij-lier WeL>;e",
oder „ilii'^i* Anscliaiuiii«:- und Denkart anjreniessen" , also <re\vij>ser-
massen spielend bei^jcebracht werdt^u soll, sind niclit zu dulden. Sie
arten entweder in wertlose langweilende Moraliiredigten aus und wer-
den als solche überschlagen, oder geben dem Kinde von dem Ernste
der Religion einen Begriff*), der sich im späteren Leben bitter rächen
wird.
Die i? orm.
Der Wert einer Jagendschrift wird durch die Form fast nicht
minder bedingt, als durch den Lihalt. Die Jngendscfarift hat zwar zu-
nächst die Kenntnisse nnÜ das Wissen des Lesers zu bereichem, sei-
nen Verstand zu schärfen und sein Gemfith zu veredeln; sie soU aber
auch das Sprachgefölü desselben bilden, seinen Geschmack verfeinein
nnd seine Phantasie beleben nnd leiten. Das Grosse nnd\\'alire uiacht
keinen oder einen nur geringen Kindrnck, wenn es niclit auch in einer
dem Stotte entsprechenden HüIIh geboten wird; nnd auf das Getiihl
des T.esei-s insbesondere wiikt eher die Form, ah der i:>toft'. Man
beachte:
Die Jugendschrift sei correct im Ausdruck, damit nicht nach
Bräsig'scher Ai-t etwas ganz anderes gesagt wird, als was gesagt
werden soll. Veraltete Ausdrücke sind zu vermeiden. Sie geben zu
Missvei*ständnissen Anlass oder verleihen dem (xanzen das Gepräge der
SchwerfiUÜgkeit und Affectaüon.*'^) Von Provinzialismen werde ein
zu allem zu bewegm, was man will .... Es) kaun sein, dass dadurch firttbzeitige
tiefe Erfahrungen vom Verkehre der Seele mit Christo hervorgebracht worden »ind.
Alter diese Erfolge waren Krftdtr^^, vor denen man sich eher fürchten sollte. al>
•lariilier frenen. Kenn hifr stt-llr sirli die schlinimste aller < Gefahren ein: frühe Ab-
nutzun::; aller .solcher Kintlriii kc nnd Krlebui.s.se, und einschleiehen'ie L'nwahrheit. in-
dem die Kraft schwindet und die Kedensarten bleiben." (H. Thierse
Christi. Familieoleben", pag. 114.)
*) „Nur mit Schmerz und Unwillen kann man die HMse der Kinderbttcher be-
trachten, in denen Posse mit Andacht Tcrmischt iritd. Was kann aus scddien BQ-
dungsmitteln entstehen, als ein (reschlecht. (la.s seine ästhetische Spielerei tVir Reli-
ffion und am Ende den furchtbaren Emst derKeligion .selbst fiü* eine Spielerei hiiltl '
(Thiersch. a. a. O.) — ..Wer e- irnr mit seinen Kindern meint, irehf ihnen -tart
jener tVuinnielndi ii S. hiiften anmuTlu iiile Sthilderuni^en des wirkliclR-n Lehens in 'lie
Hand, nnd wenn er ein Weiteres thnn will, s<^ .schlage er ihnen zn passender Stuiule
ein geei^ietes Capitel der heiligen Schrift auf, welche sich zu jener Älischlingsüte«
ratur Tertiftlt, wie die unerschöpflich sprudelnde lautore QueUe su dem schnell T«r-
dunstenden trOben Pfuhle." (Kaiser, a. a.0.)
**) Kan veigteiche z.B. Ebeling: „Das GelSute", pag. 3 ff., wo es u. a. hdsst:
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i^Mursamer Gebrauch gemacht. Sie beschränken die Verbreitong des
Baches aof za kleine Kreise. Wortverrenkimgen sind entsdfieden zu
miasbfllig^
Stil imd Ansdracksweise seien nidit nnr grammatikalisch, son-
dern auch logisch richtig.*) Die DarsteUung sei yolksthflndich, ohne
m anstössige Derbheit nnd Trivialität auszuarten; glatt, ohne geleckt
zu sein. Die Darstelluno- sei klar nnd diircbsichtig, nicht seicht; wo
es nöthig ist: kindlich, niiht kindisch; sie sei einfach**), aber kratt-
voll und lebendig; ruhig, nicht matt; wai-m, nicht seutiineuaL***)
Die Ausstattung.
Da die Ausstattung im Ganzen nebensächlich ist, sei ihre Be-
handlung auf einige wenige Winke beschränkt. Hauptsache ist, dass
man sich nicht verleiten iässt, von dem Ausseren eines Werkes auf den
Inhalt desselben zu schliessen. — Der Druck sei ein reiner und leser-
licher; zu feiner Druck schädigt das Auge. Das Papier* sei fest^ glatt
und von entsprechender Stärke. Die gebotenen Illustrationen seien
treu und lebenswahr in Auf&ssung und Darstellnng, sorgftltig und
n. Eon Hansfirau ist eine treffliche Qattin, eine gate eoigsame Matter, nnd
wem ae nicht in Küche und Xeller schaltet nnd waltet, nicht den Mfigden gebie-
tet, wie Ihr, se liegt die Schuld nicht an ihr, alldieweil und sintemal sie hftufigTon
Gehresten nnd Krankheiten heimgesucht ist, auch würdet Ihr es Übel vermerken,
wenn sie f^tatt Eurer das Regiment ftthren wollte, alldieweil nnd sintemal Ihr ge
wöhnt seid, allein zu rflifieren. '
*; Es Lst gleichmütig, wer den Fehler macht, oh Autor odcrSct/er: t )bertlii< hli« h-
keiten, wie z.B.: „Er sollte nicht fest und nicht zuverlünsig sein, er sollte gern alier
.«ehr veränderlich jungen Damen den Hof machen etc." (C-ruu, „Der Weg zum GlUck
pag. III), sind nkht m dulden — ich sehe hier davon ah, dass derartige Berichte
iberhanpt nicht in die Jngendsehrift gehSrNi — ; nnd ebenso wenig dürfen gramma-
tikaiische Schnitzer vorkonmien, wie dieselbe Verftmserin an demselben Orte sich ihrer
wiederholt schuldig macht, braucht me (pag. 186) die Präposition „wegen" doch sogar
mit dem Dativ: „Es ist nicht wegen dem. was die Leute sagen" etc. — Richtigkeit
der Form i.<t auch für die gebundene Rede zu verlangen; der Knittelvers taugt für
die Jugend .so wenig, wie fllr di n F-rwachsenen.
**) Nicht schwierige Satzconstructionen, nicht Perioden, auch nicht weithergehidte
Worte, Bilder, Bed^guren machen den Stil schön; was ihn ansprechen lääst, ist die
ihm innewohnende Wahrheit nnd Natürlichkeit, ist die Klarheit und Deutlichkeit
mit welcher er seinen Gegenstand aar Anschauung bringt.
***) Die ,^ch" und »0" kommen bei manchen Schriftstellern, und nicht allein
bei Damen, dutzendweise vor; aber auch die stetige Wiederholung jgewisser Schlag-
wörter ist nicht zw rechtfertigen. Beispiel: nnd nun galt es noch eine bange.
entsetzHch hanirc ^'iertelstunde zu bestehen, während das schwere, schwere Werk vor
sich ging" etc. (Filse's, „Elisabeth", pag. 272.)
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— 272 —
sauber in der Ausführung:. Carieaturen nach Art des Struwelpeter
sind nicht zu dulden; ebensowenig Farbenklexereien nach Art der
meisten Bilderbücher. Scenea von Verbrechen und blutigen Kämpfen,
die nur dazu beitragen können, schauerlichen Eindrücken und schäd-
lichen VorsteUungen eine feste Gestalt zn geben, werden aasgeschlos-
sen. Ber Einband sei solid. Ein pompOser Einband steigert in schfid-
licher Weise die Anspräche der Jugend; dagegen ist ein geschmack-
volles Äussere wol im Stande, den Schönheitssinn zu bilden und zur
Ordnungsliebe anzuhalten. Umschläge mit derart greUen Bildern, wie
sie durch speculirende Buchhändler in letzter Zeit aufgekommen sind,
verleiten zur Obei-flächlichkeit und Trivialität.
IV.
„Dem guten Leuiimiid laugst vergangener Zeiten, \ielleicht auch
einigen irrünen Oasen in der immer breiter sich ausdehnenden l'her-
setzungs Wüstems sagt Eduard Engel („Die Übersetzungsseuclie in
Deutschland", pag. 4j, „verdanken wir Deutsche den zweifelhafte ii
Kuliui: das ilbersetzungsvolk par exoellence zu sein. Es ist das eigent-
lich für kein Volk, welches von solcher literarischen Nachrede be-
betroffen wird, ein beneidenswerter Voi-zug, denn die literarhistorisclie
Erfahrung wie der oberflächlichste Blick auf die zeitgenössische Biblio-
graphie lehren, dass die „tiberBetiery61ker*', im Allgemeinen nicht
gerade die ersten SteUen in der literarischen Welthierarchie einnehmen.
Nnr Völker, deren eigene nationale Literatui' noch wenig entwickelt
oder im Niedergange begriffen ist, treiben das Übersetzen gewisser-
massen professionsmässig, mit einer Art von Methode, die sidi kein
halbwe^ bedeutendes, geschweige denn ein Aufsehen machendes Werk
entgehen lässt. Die (rriechen liahen niclits Namhaftes von den Konieru
übersetzt, wol aljcr diese vieles von jenen. Die P'rauzosen bekümmern
sich bekanntlii^h biutwenii:- nni die Literatur ihrer nalien und fer-
nen Nachbarn; dagegen übersei /en die Spanier, Italiener. Holländer,
und nun gar die Deutschen, nahezu jedes IJucli. weldies mein- als eine
Auflage erlebt ; — wir Deutschen sind beiluutig so erpicht darauf, dass
wir die zweite Auf läge eines ausländischen Buches kaum mehr abwarten."
Diese mit Recht gerügte t 'bersetzungswuth macht sich auch in
der Jugendliteratur in der bedauerlichsten Weise geltend. Wir sind
zwar keineswegs dagegen, dass wirklich bedeutende Werkender aus-
ländischen Literatur in guten Übersetzungen auch dem Deutschen zu-
gSngig gemacht werden; wir meinen aber: die Jugend müsse man
möglichst damit verschonen. Denn wo es sich nicht gerade um Werke
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bandelt, deren Gegenstand der Dentsche nicht ans eigener Anscbaanng
kennen oder doch nicht so gründlich kennen kann, wie der an Ort
imd Stelle lebende Aasländer, da ist aach die denteche Literatur
reichhaltig genug, um der Jugend alles zu bieten, was ihr nur eu*
trSglich sein kann. Die Jugend lerne vor allen Dingen die Schätze
der eigenen Literatur kennen, und erst der Erwachsene mö^e seinen
Blick, nachdem er das Eigene würdio^on jrelernt. auch aiU das
lenken, l'nd dann — was uns noch meiir in der Ahneig-uns" gegren
l'bersetzungt'n bestärkt — : was für (4arp:(»tagen sind es doch zumeist,
die uns nach dem Recept ir^^'nd eiiu's ausländischen (-Genies geboten
werden! Da bleibt auch niclits un\ prbraiint und nnverbrüht — alles
vrinl verquickt! Uns^Te <leutsclie Sprache wii-d oft derart verkauder-
welscht und verstümmelt, dass sie nicht wieder zu erkennen ist»
„Selbst bezüglich der Übersetzungen, die in das Gebiet der Kunst zu
weisen sind, also Umdichtuniren fremder Poesien, kann sich der wahr-
haft literarisch Gebildete, ja der künstlerische Übersetzer selber —
and gerade der — nicht yerhehlen, dass alle Übersetzung Stückwerk
bleibt, bleiben muss.*) Der heimliche Beiz aller Poede ist ein so
unnahbarer, feiner Schmetterlingsflftgelstattb, dass auch die zarteste
Behandlung, das feinfühlendste Eingehen auf seine verbotgenen SdiOn-
heiten nie mehr als annfthemd den Eindruck des Originals hervorrufen
kann." (Engel, a. a. 0. pag. 15.)
Auch die ..Bearbeitung" fremdsprachlicher und ausländischer AVerke
ist nicht zu billigen. Heisst doch nach den heute landläutigen Begritteu
ein derarti jres Buch ITir die .lügend bearbeiten nichts weiter, als das-
selbe übersetzen und die anstössigen oder über das Verständnis der ins
Atige getässten Leser hinausgehenden Stellen desselben auszumerzen,
oder auch zu verfeinern und zu verstecken — zu verobertlächlichen.
„Es ist dem Verfasser oft hart angekommen,*' schreibt Hücker im
Vorwort seiner Bearbeitung des „Oliver Twist" von Charles Dickens,
.die herrlichen Reflexionen des Dichters, in denen sich Gemüth und
Satire in so wunderbarer Vereinigung finden, ansscheideii zu mfissen**
— und wir glauben es ihm um so mehr, als in' seiner „Bearbeitung^
auch von der gerühmten „Wahrheit und Lebenstrene** der Dickens'schen
Schilderungen, der „Gemüthstiefe, sittlichen Hoheit und echten Bell-
giositftt" derselben nichts flbrig geblieben ist, was ftlr jene Ausschei-
*) lÜMi veigieiclie x. B. audi, was Schiller in th n Vorerinnenuigeii sur Über-
*pt/nn£r »les zweiten nnd vierten Buche» der Acneide Werke I, pajr. ß6 ff."^ sagt. —
ihi rein wisüenschaftlichen Werken, von denen wir hier abstrahiren, m ea natürlich
ein Anderes.
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— 274
<liing hätte eiitscliädigeii köunen. — Nur die von einijren wenigfen
Schriftstellern beliebte freie Keproductioii Iremdsprachlicher Werke
dürfte zulässig aeia; aber aucli diese nur, soweit sie von rein dichteri-
schen Erzeugnissen absieht und sich den erzählend beschreibenden Wer-
ken (aus der Länder-, Völker- und Naturkunde) zuwendet. Das Vortheil-
hafte einer solchen Reproduction liegt besonders in dem Umstände,
dass der Schriftsteller seinen Stoff dergestalt zu verarbeiten und sich
geistig zu eigen zu machen hat, dass derselbe gewissermassen als ein
Product eigener Phantasie und Erfahrung erscheint und dem aus dem
Vollen heraus Niederschreibenden gestattet, dieses wegzulassen und
jenes zu mildern oder in seinem Effekte zu erhöhen, ohne dem einheit^
liehen Charakter des Ganzen etwas zu vergeben, oder die 'l'reue und
Frische der Darstellung in irgend welcher Beziehung zu gefährden.
V.
Wir halten Indianergeschichten, Scliilderunüren «refalirvoller .Tagdea
und Reisen etc., wie sie die neuere Zeit hervorgebracht hat, im all-
gemeinen für eine berechtigte und nutzbringende Lecture. „Denn ab-
gesehen von der in solchen Werken liegenden realistischen Belehrung,
wirkt auch das sozusagen epische Moment solcher modernen Odysseen
befruchtend und belebend auf den Geist des Knaben ein und feuert
ihn an, gewisse männliche Tugenden: Muth, Ausdauer, Festigkeit in
Ausführung eines idealen Zieles hochzuhalten.^ (Widmann, „Ifit-
theilungen etc." VI, pag. 10.) Zu fordern ist jedoch:
Die in Betracht kommenden Schilderungen beruhen mdglidist auf
Autopsie.'*') Nur dadurch wird die Wiedergabe der realen Wirklich-
keit möglich, und allein diese, nicht philosophische Betrachtung und
Kritik, hat für die Jugend Wert. Die Pliaiitasie des Autoi-s sei eine
geregelte. Sie darf weder in das «Tebiet des Unmöglichen, noch auch
nur in das des rnwahrscheinliclien sich verirren. Der Charakter
<les (lewaltt hat igen lässt sich oline (Tpfälirdung der Walirheit i)ei
Heist'-, .lagd- und Indianerireschichten nicht vermeiden. Niemals aber
äoll ihnen jeuer Blutgeiuch anhaften, wie ihn durchweg die lranzösi>
*) Schilderung auf «uiiml eiirencr Anschiuninö: ist *hm Werken Friedrich
<i erstäcker's naclizuriilmitn. V^l. .sdnniiit: ..In der Ansiedelung'', nPampas*
Indianer'" und ..Geortr. d<M- kleine (ii-ldirrinnT in < ';ilit'unnen".
**) ,.I>ie .Sciiritteii vf.ii Julius V'einc halten wir nicht für .Tugendscliritren.
wie sehr sie den Erwatluseneii, der schon .schärfer zu trennen vennag, unterhalten
mögen. Diese Mischung echten realen Wissens mit utopischen Tr&umereicn müäste
junge Leute arg verwirr«!.** (Widmann, a. 0., pag. 10.)
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-~ 275 —
*
sdieD Schriftsteller ihren Werken zn geben wissen, und nie darf anch
das Gfemüth des Lesers durch Handlungen der Bohheit verletzt wer-
den.*) Botanische, zoologisdie, mineralogische, gec^praphische, etbno-
gnphttcfae und, wo in ältere Zeiten zurttckgegrilfen wird, mythologi-
sche SchOdenmgen etc. seien, ohne gerade die zu Grunde liegende
Ainichtlichkeit auffällig zu verrathen, fleissig eingefiiprt. Strenge Zu-
TeilSssigkeit solcher Schilderungen ist imbedingt zu verlangen. Wün-
schenswert wäre auch, dass die Verfasser von Schriften der berührten
Art sich nicht nur an Werke ül)er die von ihnen ins Auge gefassten
Völker hielten, sondeni aucli die Literatur jener Völker selbst studir-
ten und lieranzfigen; stellen doch, wo sie der betreffenden Sprache
mcht kundig sind, last immer Übei'setzungen zu Gebote.
VI.
Der Lebensweg des Knaben ist von dem des Mädchens zu ver-
Dchieden, als dass beide durch ein und dasselbe Mittel zweckentspre-
chend auf den ihrigen yorbereitet und auf demselben fortgeleitet wer-
den sollten. Jener muss im Kampfe ausserhalb des Hauses seinen
Witkungskreis suchen und finden; dieses aber soll dem Lärmen und
femdlichen Streiten und Bingen des handelnden Lebens fem bleiben,
soll im Reiche der Ruhe und StiUe, im Hanse schaffen und im fried-
lichen Glück Friede und Glück verbreitend, thätig sein. So verschie-
(Un daher der Ijebensgaiig und Lebensberuf des Einen von dem des
Andern ist, so verschiedene Resultate müssen durcli die Leetüre erzielt
wtrden. und so verscliiedene Mittel sind anzuwenden, uiu jeden ent-
sprechen«! in seinen Beruf einzutiihren.
IHe Noth wendigkeit einei- speciell für Mädchen berechneten Lite-
ratur ist nicht wegzuleugnen. Anders verhält es sich mit der Frage,
iib die zur Zeit für Mädchenliteratnr ausgegebenen Ei-zeugnisse ihren
Namen verdienen und als zweckentsprechend bezeichnet werden dür-
ieot und da gkuben wir uns weder berechtigt, kurzweg mit Nein,
nocb allgemein mit Ja zu antworten. £s gibt unter den für die weib-
liche Jugend bestimmten Schriften viele, die als durchaus recusabel
zn bezeichnen sind, manche aber auch, von denen sich ein recht er-
spriesslicher Erfolg fftr den weiblichen Leser wol erwarten Ifisst
Ffir Mädchen bis zum Alter von 15 Jahren soUte in der Leetüre
*) ..Ganz verwerflich .sind Darstellungen sc liifckliclier, imnatürhcher Tode.sarten,
.Ii» ih^m Knaben jf^nes wdllüsfifre (irausen erreu-en. wek-lies. >tiiff den frischen Jn^end-
luuTh aii/usporntn, erachlaftend wirkt und vielleicht AusbrUcliun leiger Graiisamkeit
Vorsthub lebtet. ' (Widmann, u. a.().)
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21b —
kaum eine besondere Kielitimjr hei vortreten. Das ^Mäddien in die.seiii
Alter hat mit dem Knaben das IJcdürlViis nacli Ausbihhinir des Geistes
und nacli Anei<rnunfr crediegenen Wissensstolb'S gemein, und \venn auch
der Knabe auf beides in umfangreicherer Weise bedacht sein und
manches treiben und lernen muss, was dem Mädchen entbehrlich ist,
so ist es doch gut, auch dem Mädchen einen weiteren GesichUki*eis
zu erööiien und ihm nicht nur die Möcrli' hkeit, sondeni auch die ver-
anlassende Gelegenheit zu bieten, sich ebenso Allseitigkeit des Ver-
standes wie Klarheit des Gtouthes anzueignen. ^Man mag sich mit
Recht darüber yerwundem, dass, wfihrend in die speciell für Knaben
besthnmteii Bttcher in neuerer Zeit so reicher Wiaaensstoff ans ver-
schiedenen Gebieten hineingezogen wird, dies bei der Mädchenliteratnr
yiel weniger geschieht Und doch hätten es gerade die Mädchen sehr
nOthig, dass ihnen in den Jahren, in welchen ihr Geist und ihr Ge-
mttth so leicht unklarer Phantasterei und nngesmiden Träumen zur
Beut« wird, eine gediegene und gesunde Kost geboten werde, eine
solche, die positiven W'issensgehalt in sich schliesst, und die zugleicli
durch \V)rftihrung von concreten, dem wirklichen Leben und der (-ie-
schichte entnommenen fharakterbildeiii stählend und läuternd auf ihivii
Willen einzuwirken vermag." (Zeheuder, „K. Übers, d. Entw. d, d.
Jugendl.-', pag. 24 ff.)
Nach der Confirmation weiche die Leetüre des Mädchens von der-
jenigen des Knaben ab. Das Mädchen werde anf seinen Beruf als
Hansfrau vorbereitet, doch nicht dadurch, dass man demselben vor-
zugsweise Erzählungen ans dem Leben selbst noch junger Mädchen
bietet Das Messe einen Brunnen fhUen mit dem, was man zuvor aus
ihm geschöpft hat Ihre Umgebung lernen die Mädchen zur Genüge
ans der täglichen Anschauung kennen, und'die Offenbarungen und Fol-
gen ihres Denkens und ihrer Gesinnung sind nicht bedeutend genug,
um zu einer Quelle anregender und geistig vertiefender Belehrung zu
werden. Ihr geistiger Horizont werde erweitert durch die Vorflkhrung
und das Heispiel tüclitiirer Frauen, an denen sie erkennen können,
wozu ein AVeib sich emporzuschwingen vermag, und wozu sie selber
bich emporzuarbeiten liaben.
vn.
Die Zahl der für die Jugend bestimmten Bildungs- und Unter-
haltnngsbücher ist ziu* Zeit eine so grosse, dass auch dem Bestorien-
tirten eine Übei'sicht kaum möglich ist; die Zahl der der Jugend zu-
geeigneten „Blätter" nnd „Zeitungen^ ist auf dem besten Wege, eine
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solche i bei*siclitslosigkeit ebeulall?* aiizubHlineii. Und sie alle wollen
lediglich das „Beste'* unserer kleinen Staatsbürger im Ange haben;
sie alle suchen unter der %iel versprechenden Parole, ..die heiligsten
Güter nnsers Volkes anf das sorglMtigste hegen und pflegen zu wol-
]mf*t möglichsten Eingang — sie alle wollen das Beste fttr die Jugend,
das Beste auch zugleich ffir das Haus bieten! Versprechungen sind
leicht gegeben; gehalten werden die obigen nicht Es ist freilich nicht
zn leugnen, dass einige derartige Jugendzeitungen recht Erfreuliches
bieten und durch Beichhaltagkeit des Inhalts auch selbst den schärfer
Prüfenden zu täuschen im Stande sind. Aber gerade diese Reich-
haltigkeit sollte den Stein des Anstosses bilden, gerade ihr gegenüber
sollte man stutzig \verden und sicli IraiL^eii, für wen (liesclbe wol be-
rechnet sein niöofe. Da gibt es Gedichtclien und Erzählungen für die
Zarteste Juuend; Schilderungen aus Natur und (Tesdiichte für reifere
Knaben und Mädchen; Jagd- und Reiseabenteuer für Knaben — sen-
timentab' Sitazierganirschilderungeii. Kalmtahrten, W'aldpartien, Rheiu-
wanderungen mit Kuinenromantik für Mädchen; wissenschattliclic Ski3&-
zen für ilie reilste Jugend; Novellen für Erwachsene .... Es ist un-
erfindlich, wem mit diesem Sannnelsurium gedient sein soll.
Es liegt uns fem, die Zeitscbrüten fttr die Jugend gänzlich zu
verwerfen; sie können ebensowol &aeü wolthätigen Einfluss auf den
Leser ftben wie Bücher. Aber wir yerlangen unbedmgt, dass auch
eme Zeitschrift ein bestimmtes Alter ins Auge fasse und ausschliess-
Heh für dieses sorge. Ein. Kind, das eine Jugendzeitschrift liest, will
alles lesen, soll alles verstehen.
Am gefjlhrlichsten sind die Zeitschriften für Kinder und Er-
wachsene zutrleich. Für Jusrend und Haus kann nur der sclirei-
hen, der seine Feder gairz in den Dienst der Jugend stellt und
iinbeabsi<']itigt durch künstlerische ISchönheit und \'ollendung des Aus-
flrucks nnd dei' iJarstellunL'' aucli das Interesse des Ei-wacbsentMi zn
fesseln weiss. Die Arbeiten dessen abci-. der bei seiner Darsiellung
beide Parteien ins Auge fasst und Vieiden zugleich ihrem Bedürfnis
und ihrer Anschauung Entsprechendes bieten will, werden weder für
die eine, noch tiir die andere Partei von Nutzen sein. Kindlidies Be-
dürfnis nnd kindliche Anschaiidug sind von dem Bedüifnis und der
AnfEassung des Erwachsenen grundverschieden, und die den letzteren
ansprechende kräftige und in ihren Begründungen und Folgerungen,
wie in ihrer ganzen Combination logische Darstellung stösst den kind-
lichen Leser, der mit dem Gemüthe aufßvsst und urteilt, entweder
FMag^fta». 4. J«ltrs. Heft V. 19
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— 278 —
geradezu al), oder aiu li ist ihm (luiikt^l und unverständlich uiid be-
nimmt ihm aus diesem Grunde ilas nötlüge luteresse.
vin.
„Iii unserer Zeit kann niclits so sehi* bilden und verderben, me
gut oder schiecht gewählte Leetüre, — ein Buch hat oft auf eine
ganze Lebenszeit einen Menschen gebildet oder verdorben." (Herder.)
Das ist ein Urtheil, scharf; vielleicht auf die Spitze getrieben; aber es
enthält sicher so viel Wahrheit, „tun an die nnabweisliche Pflicht
zu mahnra, dass der Erzieher die Lectfire seines Zöglings nicht nnr
abwehrend überwache, sondern ihre tie%ehende Wirkung in einen
stets fördernden Zusammenhang mit seinem Erziehungsplane bringet
(Ktthner.)
Die Auswahl der LectOre sei euie sor^altige und treffe nnr das
wirklich Wertvolle*), lasse aber Mittelmässig:es und Zweifelhaftes ganz
ausser Acht.*') Man lialtc uut iiiässiiro Verwendung der Lecttire. Da?;
Kind soll freilich ein Buch ^wn Ivscii: aber es soll nicht so an das-
selbe ofefesselt werden, dass es Scherz und Spiel meidet, nni hei sei-
nem Hiielu* zu hocken, dass seine Leselust in T.escwuth ausartet.
Man halte lUe bestehende Ordnung streng aufrecht, lasse das Khid
svm&r gewolmten Beschäftigung nach wie vor nachgehen, sehe aut
unveiTiachlässigte Anfertigung dei- Schularbeiten, und halte überhaupt
auf das bestinnnteste darauf, dass der Leser das Buch ohne Unmutli
und ohne Bedenken und Zaudern aus der Hand legt, sobald dne Pflicht
dies erfordert.***)
„Wir müssen den Zögliiig lesen lehren, indem wir ihm das Gute undSclu'ne
/.uführen, damit ihn klUiftig das Geschmacklose und UnaittJiche dxvxk sich selbst ab*
Stusse/' (Herbart.)
**) Manch artiges Bikldeiu lässt sich einmal lesen.
Zu dem der Leser nie dann A>iederkehrt : "
Doch was nicht xweimal lesouwert gewesen.
Das war nicht einmal lesenswert." (Rfickert.)
Nichts veideibt die Jugend mehr, als die Beschäftigung mit dem Hlttel-
iiiä<sisen, oder dem, wa.« noch darunter steht; in seiner (iden, dumpfen, bcächrinkten
Weise yerOdet, ▼eidurapft und beschrftnkt es auch das jugendUche (lemiith.''
(R t.snikra nz.>
***) Küliner äussert sich t'oli^eudeniiassen : ..Der TA'setrii'l) nniss mit den Uhric' n
Fähigkeiten des (iei.stes in ein angemessenem Gleicligewicht gesetzt, zu be-i>nueucr
^ielbstthätigkeit gebildet, und der Lesewuth, dieser schlimmen LeideuäcUatt, uiuss mit
Entschiedenheit mtgegengearbeitet werden. Die Schularbeit darf nicht durch Lesen
zurOckgesetat, der ernste Arbeitssinn nicht durch Hingabe an den Bds leichter Lectüre
geschwächt werden. Ebenso ist dahin an sehen, dass die IVeiheit der Bewegung in
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Man sehe darauf, dass das Kind mit Besinminj? lese.*) Es soll
sich in das Baoh hineindenken, liincinarbeiten; das Gelesene soll es
im Zusammenhange bewegen, soll ihm Veranlassung geben, die emp&n-
genen Mndrttcke seiner eigenen Anschauung anzupassen oder als die-
ser widersprechend zu verwerfen.**) Man komme den Fragen des
Kindes um AufUfirnng flbei* ihm undeutliche Stellen nicht zu ba«it-
wiUig entgegen, sondern heisse es nachdenken und das Buch noch
emmal lesen. Gerade darin, dass das Kind sich selbst zurechtfindet,
liegt ein eigenthümlicher Reiz zur Energie und zum ernsten Er-
wägen,***) und je verständiger man es in diesei- Beziehung auf sich
selbst anzuweisen versteht, um so bedeutender werden auch die Früchte
der genossenen Leetüre sein.
Der Altersstufe des I^esers wende mau die grösste Sorgfalt zu.
Dem Kinde bis zu acht Jahren sollte nur erzählt werden, denn wirk-
lich gediegene Leetüre hat man für dieses Alter doch nicht. Die
Leetüre des späteren Alters stehe mit dem Schulunterrichte in an-
gemessener Connexion. Auch die Lebenslage des Lesers ist in Betracht
zu ziehen und auf Erweiterung seines Gesichtskreises Bedacht zu neh-
men. Aus dem Überfluss soll der Leser in einfachere Verhältnisse, in
beschrfinkte Lagen hineingef&hrt, aus der Stadt auf das Land geldtet
werden und vice yersa der in der Einförmigkeit des Landlebens sich
der Katnr, in der Geselligkeit und in seNtttschafliBiider nnd erfinderiaclm Thitigkeit,
(Ue durch Schularbeit und Civilisation schon genngsam eingeengt ist, nicht anch noch
dorch LectUre mehr als billig besdiräiikt werde. Unter den gegebenen Verhältnissen
i^it es weit häutiger niUhig. den Letfctrieb der Jugend au dämpfen, als ihn zn befur-
dem." (A. a. 0. pag. 893 ff.)
*) ,,Niclit viel le''» 11, sondern gut Ding viel und oft lesen, macht fromm und
Uog dazu.** (Luther.)
*♦) Goethe erzählt a\is seiner Jugend: : ahtr die grosse Foliobihel, mit
Kupfern von Meriau. ward häutiir vnu uns (lurclihliittprt ; (iottfried's Clirouik, mir
Knpteni desselben Meisters, belehrte uns von den merkwürdigsten Fällen der Welt-
geschichte; die Acerra phiIol(^ca that noch allerlei Fabeln, Mythologien und Seit-
sunkeiten hinzu: und da ich gur hald die Ovidisehen Verwandlungen gewahr verde,
und besonders die enten Bflcher fleissig studhrte, so war mein junges Gehirn schnell
genug ndt einer Masse von Bildern und Begebenheiten, von bedeutenden und wunder-
baren Ge*4talten und Ereignissen angeffUit, nnd ich konnte niemals Langeweile
haben, indem ich mich immerfort besehäftigte, diesen Erwerb zu ver-
arbeiten, zu wiederholen, wieder hervorzubringen. (Aus meinem Leben, LI.)
***) ..Allf's V<»rtr*'fniche beschränkt uns für einen Augenblick, indem wir uns
dem"5elheii niclir gt-warhscn tiihlen; nur insoteni wir es nachher in unserer Xiitur
anfnehniHu. es uiisern (^eiste.s- und Gemilthskräfteu aneig^ien, wird es uns lieb und
wert.'" (Goethe.)
19*
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bewegende Leser aus seiner trägen Ruhe in raseljeiv. geschäftigere
Kreise. In Kticksicht auf die Individualität des Kindes ist zu erwägen,
wie die Leetüre zur richtigen Entwickelimg des Charakters fördernd,
hemmend oder umschaffend einzugreifen hat „Die LectQre^ sagt
Ktthner, „als ein wichtiges Glied in der Entwidkelong der Gesanunt-
büdung, idrd die übrigen Factoren derselben unter sich zu assocüren,
sie zu verstfirken, zu heben oder auch zu dämpfen, den Pedanten zu
erfrischen und der SchuUurbeit geschmeidig zu machen, den Wider-
willigen und Trftgen durch annehmliehe Form des Lernstoffes zur
Arbeit zu locken haben. Eine entschiedene Vorliebe flir ein bestimmtes
Studium wil d, wenn sie an sich berechtigt erselioint, durch gleicliartige
Leitiire gefördert, der Einseitigkeit durdi angemessene Vielseitigkeit,
der Nei<rnng zur Zersiilitteniii^'- durcli stren^-e Kinlieitlichkeit der
Lectüre entgegengewirkt, das leicht erregbare ^remiierament durch
beruliigende Lectüre, die Leseleidenschaft durch praktische Beschäfti-
gung und äusserste Beschränkung der Lesefreiheit gedämpft, dagegen
die Gleichgütigkeit und träge Abneigung gegen T.ectiire, die sich
ebenfalls, wenn auch weit sdtenei*, findet, durch stärkere Heize imd
mit Hilfe anregender Besprechung aus ihrer Indolenz geweckt, oder
aneh, wenn sie aus Übersättigung entspringt, durch lang andauernde
Entbehrung geheilt werden müssen.** AJso auch in dieser Beziehung:
Quidquid agis, prudenter agas, et respice finem! —
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Gedanken über den Idealismus der Arbeit.
Von Otkar Waidt€k,
(Fortsetzung und Schlu^i.)
IV.
„Nicht (ÜP Triebe, \vt4(he nach lUot lulen zciijen sich
nus als die eigentlichen (Quellen des socialen und menschlichen Fnit-
»chi'ittes Das innerste latente Leben der Seele sehen wir
herauf in das Licht des Bewusstseins drängen, und anregende Reize,
von der Aussenwelt kommend, und anregende T?eize, welche von
Seele anf Seele wirken, sind die wichtigsten Beförderungsmittel filr
neue^ höhere Seelengebnrten nnd Steigenmg des socialen Lebens.^ (Neu-
rath, Volkswirtschaftliche und Socialphilosophische Essays. 8. 222.)
Wir sind gewohnt nach dem alltäglichen Leb«i unser Dichten
and Denken einzurichten und mit diesem Treiben und Weben so innig
in verwachsen, dass selbst dei* ideale Zug unserer grossen Denker, die
fem diesem Marktgewimmel stehen und weniger vom Strudel dieses
geschäftigen Treibens bespült werden, darunter leidet. Sollte der
Trieb nach Brot, di(^ser reinste Naturtrieb, der, indem er die F2xistenz-
fras/e aufwirft und im Bestimnnins2:s<rruii(le die einheitliche Lösunir der-
st^lbtii fordert, nicht ..der Hani»thebcl bei dem Werke menschlirju-r
VVrvollkoininuug'' sein dürfen? ^\'ie unfiirmijr erscheint uns das Wesen
der menschlichen Natur, wenn wir das V)unte (Gemisch von Krätteu
im Brotneid entarten und chaotisch in einem Knäuel sich verwickeln
sehen, in welchem die spedfisch verschiedenen Anlagen in Nichts ver-
sclmielzen? \\'ie ganz andere aber erscheint uns dieses Wesen, wenn
wii- in die Werkstätte der Natnr treten und dort die transcendentale
Freiheit suchen! Dann finden wir, dass im Triebe der Selbsterhaltung
das gesammte Leben eines Individuums znsammenfliesst, dass von
diesem Brennpunkte aus der pr&ponderirende Theil des Lebens am
besten erhellt nnd beleuchtet wird. „Die eigentliche Quelle des Fort-
sehrittes — sagt Neurath selbst — ist das Leben, welches in den Wesen
schlummert und unter äusserer Influenz Anregung für das Ei*wachen
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— 282 —
tiiidet." Kann etwas in uns erwarlien, was nirlit im Triebp jrele<»en?
Ebensoweni<r als wir erwarten können, dass das zahme Schaf den
Mutli eines Raubthieres anneinnen werde, ebenso weni^^^ können wir
erwai-ten, dass ein Mensch ohne die entsprechende individuelle Be-
föhi^ng ein Genie "werden könnte. Was würden wol „anregende Reize,
welche von Seele auf Seele wirken." der individuellen Anlage nützen,
wenn nicht der prApondem-ende Theil unsers Lebens, in dem der
BestimmQngsgnmd der Naturabdcht lieg^ dnrch den wachsenden Trieb
zum Schwerpunkt der Existenz gemacht wird? Die anregenden Beize,
welche von Seele auf Seele wirken, erzeugen allzugeme die Nach-
ahmnngssucht und den yerderblichen Mechanismus, an dem unser ganzes
Erziehungswesen krankt. Eben weil die Erziehnng nnbekfimmert um
den Bestimmunfrstrnind der einzelnen Individuen den Unterricht foi-dert,
schaftt sie das cliaotische (lemisch von Krälteu, dem wir im Kampfe
uni Brot so häntij»- bejregnen.
Gewiss ist der Kampf nm die Existenz, ,,in welchem der Geist den
Sie«» errino^t, mehr ein Kesnltat des Anfwärtsstrebens unserer irdisrlien
Welt, als die Quelle dieses (ianges nach oben zu hr»heren Lebenslonnen
hin.*' Der Mensch ist das formvollendetste Geschöpf und kann nur
seine ganze Krait dahin aufwenden, seine inneren latenten Erscheinungen
-frei zu machen, sie vom latenten Zustande loszulösen, um dem Ideale
seiner wahren Vollendung sich zu nähern. Wie ist es aber möglich,
dass dieses Anfwärtsstreben zum Ideale der Vollendung ohne den rich-
tigen Bestimmnngsgmnd stattfinde, dass die latenten ErscheinuDgen,
die wir, wenn sie frei geworden ins Bewnsstsein gelangt sind, seelische
Gebilde nennen, ohne ihren Bestimmungsgrund sich einheitlich sammefai?
Wie der Hund in seine SpQmase, der Adler in seine Augen den
Schwei-punkt seiner Lebensrichtung verlegt, weü die Natnr ihnen* diese
Organe zum Haui)tsitz des Bestimnumpfscrrundes gegeben, so hat der
Menscli in irgend einem präponderii'enden '1 lieüe des Organismus, der
am emi)fänglichsten ist, den Hauptsitz seines iJestimmungsgrundes. dt-r
gleichsam zum Daimnnion des Lebens wird und nach allen Riclitung:en
liiii das innere Wesen entfesselt, damit alle Xi'äfte vei'eint nach dem
bestimmten Ziele streben.
Gewiss ist es ein mächtiger Drang, der die gesamrate organische
Natur zu dem obersten, foinnvollendetsten Wesen, zum Menschen empoi^
treibt; gewiss ist es ein Naturdrang, wodurch der geistig begabte
Mensch dieses Besü-eben der organischen und anorganischen Natur,
soweit es in seiner Macht steht« zu untersttttzen sich bemüht: dabei
ist jedoch noch immer nicht zu befftrchten, dass die gesammte Natur
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— 283 —
in den Seelengebarten, also in ihren eigenen Erscheinungen sich ver-
lieren werde. Denn wenn auch der Qedanke eine odiose £r8cheunmg
bldbt, so bleibt das Wesen, za dem der Gedanke als Ersdieurang
gehört« doch nicbt „Was aas Stanb geboren, muss zu Staabe w^en."
Die zerfiülenen höheren Gebilde mttssen von neuem die Lanfbahn be-
ginnen nnd von Stufe zu Stufe durchmachen, den Gipfel des Zieles zu
errachen. Im ewigen Werden, im ewigen Auf- und Niedersteigen ver-
jüngt und veredelt fdch die Natur, krystallisiren sich immer mehr und
mehr die Formen, läutern sich die Krscheinungen.
Der Mensch hat lange mit seiner Kindheit zu kämpfen, um selbst-
ständig zu werden, weil er in seinem innert^n WVsen eine Welt ver-
schlossen hält, in der die jranze anorganische und organische Natur
latent liegt, die autgehen will und sich in das Bewnsstsein drängt.
Hat docli jeder einzelne Mensch seine Welt, die er unter seinem
Herzen trägt, die von der seines Nebenmenschen mehr oder weniger
verschieden ist, durch die er sich von allen anderen Individuen unter-
scheidet und um so besser seinen Selbstzweck charakterisirt, je mehr
and je klarer sich sein latentes Wesen innerhalb seines geistigen
Lebens abspiegelt Wie ein fruchtbarer Keim greifb mit ihren Fang-
amen die natOrliche Bähung in den geheimnisvollen dunklen Schoss
der Beiche unserer latentod Erscheinungen, nimmt sie in sich auf und
strebt alsdann mit vereinter Triebkraft empor in die geistige Welt,
in der er sieb frei entiUtet und neue Gedankenkeime liefert, die in
einer besseren Zukunft im Schosse einer edleren Generation einen neuen
Lebenslenz feiern sollen.
Den Umstand, dass Jeder Mensch ausser seiner individuellen Be-
tahigiing noch die allgemeine des ganzen Mensclu-iiiieschlechtes besitzt
hat der Mensch selbst benützt, die Individualität durcli die allgemeine
Befähigung zu verdunkeln, den Bestimmungsgiund gewaltsam in das
Leben hinein zu tragen und die persönliche Freiheit zu unterdrücken.
Allein die Schatzkammern unsers Wissens füllen sich, und die
veredelte Natur drängt sich mit allen ihren Organen empor zur „see-
lisch lebendigen Existenz^, in der ihre Gesanmitkraft unter einem ge-
memsamen Bestimmungsgrund sich sammelt und um so allgewaltiger
auf das Ganze ' znrfickwirkt. Dadurch sprengt der Mensch die feste
Hfllle semer allgemeinen Befiibigung, die Individualität, befruchtet, be-
ginnt sich zu entfUten, und die latenten G^en tauchen auf aus dem
dunklen geheuauiisvollen Grunde.
Sollte die Natur, indem sie die Menschheit so mannigfach beflibigt
gebildet, jedem Menschen einen bestimmten l'rieb gegeben, diesen Trieb
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I
^ 284 —
mit bestimmten, seinem Wesen entsprechenden Anlagen versehen hat,
nicht die Absiebt gehabt babeu, den einzelnen Menschen so frei und
unabhängig- wie möglich von den anderen za machon, und so in dei-
entwickelten Individualität ihr Ideal zu erstreben? Gibt es aber auch
für die GeseUschaft ein schöneres Ziel, als das der vollendeten Indi-
vidualität? Die Individualität ist eine Blüte des yielverzweigten Men-
schenstammes, die leider nnr an einzelnen Endpunkten zum Vorscheine
kommt, weil die Erziehung^ nicht tief genug in die untersten Volkse
schichten dringt, und überdies allzu unnatürlich ist Zwar hat der
Aufschwung nnserer Erkenntnisse einen Theil der Menschheit edler und
besser gestimmt. Dabei zeigt sich stets: was der Mensch an geistiger
Kralt gewonnen, das hat er an roher Arbeitskraft verlort u. Das ist
ein schönes Zeichen, ein Zeichen des Anfschwnnges. Das ( 'lüturleben
bat dabei mit Naturkräften gearlteitet und (irosses geleistet.
Al)er zahllose edlere und bessere (lenien schlummern im Schosse
unsere]- Vr»lker und kiiunen nicht auttauchen, weil ihre allgemeine Be-
fähigung wie ein eherner Panzer sie umscliliesst. Diese Menschen
haben keinen selbstständigen Bestimmungsgrund, keine pers("»nliche Frei-
heit. Sie arbeiten ohne Beihilfe ihrer Anlagen, oline Ziel, ohne Be-
geisterung. Da wirkt der Znfall, da beglückt die Gunst des Augen-
blickes, macht Emen zu Knechten, Knechte zu Herren, Freigeborene
zu Sdaven und die Gesellschaft zu einem Wellenmeer, das von der
Laune des Windes getragen wird.
V.
Innerhalb der allgemeinen menschliehen Befähigung — sagten
wir — liegt die Individualität latent und kann nicht zum Vorsclieine
kommen, weil die Erziehung nicht krättijr genug in die Speiche der
Aulagen tallt und das innere Wesen befreit. Früh wird der Mensch
gewöhnt, mit Hammer und AniVioss die Natur zu lit /wingen. anstatt, dass
nuni ihn zuvor lehre, sich die Naturkriitte >ell»st dit-ustbar zu niacht u.
Dalier versteht der Mensch noch nicht mit Hüte der schlummernden
Naturkräfte sich wider die hartnäckigen Naturkräfte zu rüsten.
Die Arbeiterclasse steht deshalb ganz im Dienste des Mechanis-
nuis und opfert diesem Tyrannen den besten Theil des Lebens, weil
die Erziehung verabsäumt hat, die latenten geistigen (Gebilde heraus-
zulocken und den präponderirenden Theil des Lebens, den Bestimmunga-
grund, zu organisiren.
„Woher sollen wir emen kräftigen Bauemstand nehmen, woher
eine gesunde Arbeiterclasse, wenn wir nnsere physischen Kräfte in
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l>enkkraft unisetzen?" fragt der Politiker, oliiie zu bedenken, dass
gerade dadurch, dass w der Individualität die iiir gebührende aiitr»-
noine Stellnng im Staatshaushalte anweisen, die Arbeitskraft veredelt
wird mid durch den G^ist der Eirfindung mehr gewinnt^ als an Arbeits-
kraft verloren geht. Bedmiil nicht der harte Kampf wider die Natur
unsere Arbeiterclasse? Wird nicht überdies der Wolstand den schäd-
lichen Elementen i)reisgegeben, die nur der Geist durch richtige
Gt^mnittel entfernen kann? Irrig ist die Ansicht, dass der gebildete
Mensch niclit Arbeiter sein könne. Sie wird von den modenien Ari-
stokraten vertheidigt. die erst jün^rst arbeitsscheu «icworden. weil sie
sieh nicht salontiihiir halten, wenn ihre emsiLren Kitern das Feld ire-
dfinirt haben, oder irar n(»c]i düngen. .Manner. die erst Jünirst gelernt
haljeii. Handschuhe zu tragen, sind Verächter der edlen Arbeiterclas.se
jrewurden. Das moderne Kastenwesen ist wahrlich nicht viel be.sser
als jenes uralte, das die (rlieder der Menschheit auseinandergeriasen
and die Naturabsicht vereitelt hat.
Die Natur kennt kein Kastenwesen; sie hat Menschen gebildet,
T«m denen sie jedem seinen Tiieb, seine Anlagen, seinen Bestimmungs-
gnmd gegeben. Wollten wir ein Kastenwesen gelten lassen, so mttsste
jeder Mensch für sich eine Kaste bilden. Jedes künstliche Kasten-
wesen hemmt die Natur in ihrem Entwickelungi^^ange, im Streben nach
idealer Vollendung, die sie im steten TJmwandelnngs- und Umbildungs-
prticesse mit dem Einzehnenschen zu erreichen wünscht
Das Vorurtheil hat Vei-wirrung unter den menschlichen Anlagren
geschaffen. Während eiuer.seits die Fertigkeit die Arbeitskraft im
Mechanismus ennüdet. durch die allgemeine Leistungsfähigkeit die
individuelle verdunkelt hat. zerstoite anderseits die ^\'ort- und (-Je-
dankenrultiir alle freien geistigen (Tebildf und das allgemeine Wissen,
di** <Tedankenu!assen verdrängten jenes Daimonion, jene geistige Stinnne
iu uns, die in unseru eigenen Gedanken frei und selbstständig wkt
und den Bestimmungsgrund dui'ch selbsterzeugte seelische Grebiide
naher bestimmt
Daher kommt es, dass selbst unser Jahrhundert, mit \'orurtheilen
gesättigt, sich von den rosigen, alten Zeiten, da die allgemeine Unter-
wttrfig^eit so riele dienstbare Geister gezeugt, nicht trennen kann.
Die reactionftren Elemente treten immer wieder zusammen, um dem
m<idem6n Gedanken der persönlichen Freiheit, der sich gewaltsam
ans dem Schosse der schlummernden Natur empordrängt, kräftig zu
begegnen.
In der Hand des Pädagogen liegt das Heil der künftigen Gene-
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ratiüii. Wii- sagen in der Hand des Pädagogen, da er dazu beruttu
ist, Denk- und Arbeitskitift in UbereinstimmoDg zu biingen. wie Ur-
sache und Wirkung richtig zu stimmexL Die Wirkung daif die Ur-
sache nicht gewaltsam herausfordern, wenn nicht das Wesen im In>
gang umtttz Kraft verlieren und die Gewohnheit den geistigen Fort-
schritt hemmen soll. Darin eben ist der Mensch dem Thlere weit
voraus, dass immer neue Gedanken ans seinem latenten Znstande auf-
tauchen, ihn dem Zustande des Beharrens entreissen und zum Fort-
schritt drängen.
VI.
Kin dreifaches Wissen untersclieidet Aristoteles: ,.l)as Wi^.«^^u
des Allgemeinen, das Wissen des Besonderen, endlich die wirkliche
thätige Ausübung des Wissens." (Ei*ste Analytika IT. B. 21 c i Diej>e
Eintheilnnjr ist recht «^ntach und iranz der Anscliauunu entlehnt.
Zu dem allgemeinen Wissen gelniren die abstracteii (icdanken-
reihen, die in ihrem Umfange die concreten Vorstellungskieise trageiL
Vorstellungen sind die Grundlage, von der aus der Geist immer mehr
in die abstracto Spiiärc sich erhebt. Wie das Wasser zuvor in Dunst
sich verwandeln, iu den Wolken sich verdichten muss, um rein, unge-
trübt, destillirt wieder zur Erde zu sinken, um die organische Natur
zu laben und zu tränken, so muss die Erscheinungswelt in der Form
von Vorstellungen in der Seele zusammenfliessen, sich ansammein, um
ihr Gemeinsames aus sich herauszutragen, im Abstracten zu destilliren
und von Iirthttmem gereinigt zur Seele zurflckzukehren.
Innerhalb der concreten Vorstellnngskreise liegt demgemäss die
Erkenntnis des Allgemeinen, das sich in der Folge als das Gremein-
same einzelner verschiedener Erscheinungen aus den Verbindimgeu
ausscheidet, sich vom mütterlichen Boden lossagt und zum freien selbst-
ständigen Gedanken sicli erhebt. Yorstelhingen und abstracte (ie-
danken verhalten sich demgemäss zu »'iiiander wie Grund und Folge.
Wir nennen die A'orstellungen concret, welclie unmittelbar aus
der Verbindung der Xatunorlage — also der Erscheinungen der
Aussenwelt überhaupt mit der Innenwelt des Individuums hervorgehen.
Die latente Innenwelt ist der mütterliche Boden für Vorstellungen
der durch den steten Contact mit den Erscheinungen der Aussenwelt
neu befruchtet wird und neue Erscheinungen aus sich heransgelNlert«
Jede solche Erscheinung — sei sie Empfindung oder (Jefllhl — durch
ein Wort isoUrt, gehört zur concreten Grundlage unserer Gedanken-
kreise. Dadurch aber, dass wir gewohnt sind, nicht unsere eigenen
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Empfindnngeii zn benennen, sondern dieselben als Eigenschaften den-
jmgWL Gegenstlinden beizulegen, wetehe die Empfindongen in nns
wacbgerofen haben, nimmt der Gedanke einen objectiven Charakter an
ond die Sutjectiirität wird dnrch die Allgemeinheit des Gedankens
Terdmikelt, denn: die Eigenschaften eines Objectes haben allgemeine
Giltigkeit nnd die Benenirang, die die Empfindung zum Gedanken er-
hebt, liefert nicht da.s Individuum, sondern der A\'ortscliatz einer
Nation. Wenn das g-anze Volk saül: der Katfee ist l)itter, muss das
Individuum, wenn es sich vcrstandlirh niaclien will, dasselbe sagen.
Trotzdem bleibt die Emptindun^i' an und tür sich subjectiv und
der (bedanke, der die Kmjdindung waciirutt, loncret; denn das Indivi-
duum weiss genau, w^elche Empfindung der Kaff'ee an seinem Gaumen
wachruft Der Gedanke isolirt daher eine bestimmte Empfindung, und
urenn auch das Wort, das die Empfindung gegen jede ähnliche ab-
grenzt, zum Wortschatze der Nation gehüi-t, der einzelne Mensch,
wemi er nicht seine Individualität dem Gedanken geopfert, kann den
Gedanken als seine eigene Lebenserscheinung anerkennen. Jedenfells
gehört das Wort der ganzen Nation nnd drttckt den Gefühlen der
Emzelnen den nationalen Stempel auf. Im Worte verleibt sich das
nationale Gef&hl zu einer Einheit, in der Sprache die ästhetisch natio-
nale Substanz. In Beziehung auf das Individuum bleibt demgemäss
jedes Gefiihl subjectiv-concret in Beziehung auf die Sprache snbjectiv-
allgemein. in Heziehung auf das Object, von welchem der Reiz ausge-
übt wild, oV)jectiv-concret. Im l^mgange hat das Wort einen natio-
nalen Charakter und durcli den häufigen (lebiauch verliert selbst der
«•oncrete Gedanke den individueUen (Telialt. indem er in dem allge-
meinen nati(malen sich allmählich verliert. IMe LebenstVische. die
lebendige Kiatt der Neuheit als Lebenserscheinung wirkt nicht nielir
und der kräftige Kern verschwindet, je mehr sich im Umgange der
nationale (ledanke entwickelt. Die Individualität büsst ZAvar, da sie
dnrch die Allgemeinheit des nationalen Gedankens verdunkelt wird,
grOsstenteite die Klarheit des Selbstbewnsstseins ein, erhält jedoch
in dem nationalen Gedanken Ersatz, indem durch einen solchen Ge-
danken die Empfindung am besten isolirt wird und so in das Be-
wusstsein tritt
Lassen w gut gewählte Beize spielen, dann cultiviren wir das
GefUhlssystem des Kindes, und aus dem geheimnisvollen Grunde seines
Lmem tauchen wie von selbst auf die verschiedenartigsten Erschei-
nungen, die durch iln t^ .specifischen Unterschiede sich gegenseitig ab-
grenzen und ins Bewusstsein drängen. Je leblialter der Verkehr
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zwischen liiiuMi- und Aiisseuwelt ist. um so deutlicher .sondern sich
die Erscheinungen, um so klarer treten die specifischen l'nterschiede
in das Bewusstsein, indivldualisireu den Gehalt, um so innig-er ver-
wächst aber auch das Gemeinsame zu einem Ganzen. In dieser Weise
behauptet sich das Clmrakteristische der Individualität und der Verlust,
den die persönliche Freiheit durch die Allgemeinheit des Wortschatzes
erleidet, ist unbedeutend. Aristoteles bezieht das Wissen auf das Ob-
ject der Erkenntnis und nicht auf das denkende Subject, ohne zn
bedenken, dass die Naturrorlage, als der erziehende Factor, wol ob-
jectiv giltig: anerkannt werden muss, dass diese objective GUtigkeit
aber durch den Denki)n)cess des zu erzieh«id^ Factors näher bestimmt
individualisirt werden muss. Der Gedanke muss als Lebensersclieinung
hervorgehen, wenn er rein conrect und nicht allgenu'in sein soll.
Dieses eigt iitliiimliche Wissen des Individuums, welches sich durch
eine bestimmte Kiclitung des Kraftgefühls von dem anderer Individuen
unterscheidet, ist ein wichtiger Hestandtlieil des allgemeinen, subjectiveu
XationalgetUlils. In diesem Wissen lierrt der Ausdruck des Lebens.
Weil dasselbe aber eng mit unserm Wesen verwachsen ist, entzieht
es sich gerne dem Bewusstsein, da der Mensch seine Innenwelt nicht
als 'J'eil der Natui vorlage anzusehen gewohnt ist und nur jene als
das Object der iilrkenntnls studirt. Durch die Ausbildung unserer
Erkentnisse kam auch dieses subjective Wissen zum Vorschein und
dürfte in der Folge Gegenstand eines eingehenden Studiums werden.
Ganz anders verhlllt es sich mit der rein objeetiven Erkenntnis.
Damit wir uns gegenseitig verständigen kdnnen, beziehen wir die in
uns freigewordenen Erscheinungen auf das Object, von welchem die
Beize ausgehen. In diesem Falle ist ein Gedanke nur dann concret,
wenn wir die Erscheinung auf ein bestimmtes Object beziehen. Die
Natur schaltet mit ihren Krscheinungen in gleicher Weise, wie wir
mit unseni f}uchsial>en. Hine und dieselbe Erscheinung finden wii' an
verschiedenen ()l)jecien. s(» dass wii- «iezwungen sind, derartige Erscliei-
nungen selbstständig und unabhängig von den betretfenden Objecteii zu
denken. Ein solcher (M'duiike, den wir auf kein bestinnntes (Jbject
beziehen, ist absti*act. Immerhin leiuditet ein, dass subjectives imd
objectives Wissen so innig verschmelzen, dass sie sich gegenseitig re-
prodttciren. Der objective Gedanke k iiui mittelbar durch die ästhetische
Substanz die Lebenskraft in Ai'beitskralt, wie umgekehrt der subjective
Gedanke mittelbar durch den objeetiven Arbeitskraft in Denkkraft um-
wandeb. „Die Seele — sagt Spinoza (III. Th. von d. Äff. L. 54) —
strebt nur das vorzustellen, was ihre Macht zu handeln setzt. — Denn,
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fügt er hinzu — ,,das i^treben oder die Macht der Seele ist ihi- Wesen.
Das Wesen der Seele bejaht aber nur das, was die Seele ist nnd ver-
mag, mid nicht das, was sie nicht ist nnd nicht rermag.'' Wie die
Dampfkraffc nach allen Bichtangen hin den Druck ttbt, bis sie den
liehtigen Ängrif&pnnkt findet, so wirkt der objective Gedanke auf die
sabjective Gefählsstimmnng ein, die dann den Druck auf die Anlagen
fortsetzt, und mittelbar durch diese ÄngrifGspunkte Lebenskrfiite in
Denk- oder Arbeitskraft umwandelt
Die Au.sbildiinjr der ästhetischen Substanz ist dalier der wiclitif>:ste
Piiukt liir flie ])ä(hitro2:isfhe Kikciintnis. Wenn nicht die Anlaufen zu
Ansnittsiiuiikteu aus<rtibildet werden, so wird die Kraft des Naturtriebes
getheilt, zers|»littert.
A\'ie weni^ versteht die liäusliclie Erzielniii<r nach dieser Eichtuns'
hin zu wirken und den Schwerpunkt der Existenztrage auszubilden!
Jede Mutter raeint, ihr Kind sei von Natur aus besonders günstig be-
gabt und VM fliirfe einer ganz eigenthümlichen, recht nachsiclitigen Be-
handlung. Von ihren Romanen irregeführt, wollen sie Romanhelden
erziehen und erziehen bunt&rbige Pilze auf dem weichen Boden des
Cnlturstanbes. Ihre lächerlichen Figuren, denen von den herrlichen
Anlagen nichts als* der Schatten geblieben, gebaren sich wie grosse
Genien, lassen sich wie Aristokraten im Triumphwagen einherführen,
weQ sie zwei Bosse bezahlen können. Wenn dann die Mond auf dem
Markte im Preise sinkt, weil das Volk vom Glänze solcher Genien
sdch nicht überwunden, sondern zurückgedrängt sieht, will man nattir-
liili die Volksbihlung verurtheilcii. die Reartion auf die Fahne setzen,
Bildimgsanstalt^n in Klöster umwandeln, den Zeitgeist aus seiner festen
und sichern Stellung drängen, weil nur in der allgemeinen Dunkelheit
selbst Scheinlielden glänzen können. Aber die freie Schule, die schönste
Erningenschaft unsers Jahrhunderts, wird bestehen: getragen von der
pädagogischen Idee, die sich mit ihren Gedankennetzen um das ge-
rammte Wissen schlingt, wird die Schule eine neue (Teiieration schaffen,
die jenen Beactionsgeist^rn einen schwarzen Denkstein setzen wird,
einen schwarzen Stein mit goldenen Lettern beschrieben: „Gott sei
Dank! sie sind gewesen!"*
m
„Unter Imperativ überhaupt ist jeder Satz zu verstehen, der eine
mögliche freie Handlung aussagt, wodurch ein gewisser Zweck wirk-
lich gemacht werden soU." (Kant, Einl. zur Logik, Anhang.) Somit
ist für Kant — wie er selbst gesteht — eine jede Erkenntnis, „die
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Imperative oder Gründe zu möji^lielieii Tinperativeu" enthält, eine prak-
tisclie. Nachdem am Ende — wie M ir gezeigt haben — alle Erkennt- j
nisse, wenn sie nicht ein Gedankenconglomerat in der Seele bilden
sollen, durch ein Endglied mit der ästhetischen Substanz yei-wachsen
sein mfisaen, so muss jede Erkenntnis einen praktischen Wert haben.
Unsere Moralphilosophen sind gewohnt, die Sittlichkeit als den
Endzweck nnsei's Dichtens nnd Schaffens selbstständig zn bdiandeln
und trennen dadurch die Ursache von der Wirkung, den Qedankea
von der Handlung, erheben den Gedanken zum Imperatav, zum Sitten-
gesetz. Was derartige Gesetze für eine Bdhe möglicher Handlungen
dem Leben nützen, weiss am besten der PSdagoge, der mit der kind-
lichen Seele vertraut ist. Wie lange lassen sich Kinder von Vor-
schriften gänj^eln? Und widersetzt sich nicht die junge Natur unseru
Vorschriften ?
Sittliclikeitsgesetze sind nur eine Sanindung von Lebenserschei-
nuugen, v<tn Gedanken, die von selbst im Leben zum Vorscheine kom-
men müssen. Solche Erscheinungen, als Ei-ziehungsmittel verwendet,
gängeln die freie Natur und erzwingen sich die Wirkung.
Jede gute Erziehung ist an und für sich sittlich, in ihr liegt der
moralische Wert. Der Erzieher muss selbst frei sein, ohne Vorschrift»
ohne Imperativ, ohne Gesetz. Alles Wissen muss im Bestimmungsgrnnfl
ansehen; was nicht darin aufgeht, ttbt Zwang und schädigt die MoraL
Wie soll ein Gedanke, der nicht einen Thefl nnsers Bestimmungsgnuides
ausmacht, eine freie Handlung erzeugen können? Jeder Imperativ
fordert unbedingte Unterwerfhng. Die Natur jedoch übt keinen Zwang.
Sie gibt und das Individuum nimmt, was es braucht Du musst
nehmen, wenn du werden sollst, was du sein sollst — dieser Imperativ
lieg^ im Natnrtrieb selbst.
Welch lieniiclie Träume gel)ieit nicht die Phantasie gebildeter
junirer Leute, weklie Erwartungen umgaukeln nicht den angehenden
.Mann? Shid das leere Träume, falsche Erwartungen? Das sind die i
schönsten (iedanken, die lautersten pjscheinungen, die in uns frei j
^verden k(»nnen. Sie kehren niclit mehr wieder, wenn des Lebens [
innerster Kern unentwickelt bleibt und wir auf Abwegen, nach fremden i
Zielen lossteuernd, vom wahren Ziele uns mehr entfernen. Da sehen
wir, was der edle Trieb der Menschennatur fordert, was er begehrt.
Leben will das Kind, es will sich frei entwickeln, und wir
treten mit Vorschriften ihm in den Weg und zerknicken im Werden
gleich das freie Selbstbewusstsein. Wie soll es spielen können, wie
soll es seine Anlagen ftben, denen in der Zukunft die schwierige Anf-
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gHbe zoMt, die Existenzfrage richtig zu lösen, wenn wir mit Ge.
(lankenmassen die junge Seele überladen und zur Thätigkeit zwingen?
Wir messen uns an die Natur zu meistern, wenn wir gransam durch
Furcht vor Strafen den jungen Muthwillen einschüchtern.
Die Beligions^ und Moralphilosophie hat die Natur mit einem
Panzer von Vorschiiften und Imperativen umgeben, sie hat aus den
edelsten Schätzen unsers moralischen Gehaltes Perlenschnflre uns ge-
woben und darin uns verstrickt Dieses Farbenspiel unserer idealen
Natur hat mSehtig gewirkt und viele Fanatiker geschaffen. Dieses
fühUose Wortideal, das nach aussen hin so herrlich geglänzt, füllte
sich im Inin'in mit eiskalten Schauem, die in den Reactionsgelüsten
unserer W'ortlielden in unsern Tagen nocli immer wiederkehren, uni
den neuen Lenz unserer Freiheit zu versclieuclieii.
Selbst so manclie unserer besten Pädagogen, die allül)era]l die
(Ttdanken- und die Wortcultur bekänipien und mit allen Watten der
Überzeugung für ei*ziehenden Unten-icht einstehen, huldigen ihrer
eigenen Ansicht rein zum Hohne dem kategorischen Imperative, diesem
pTunmigen Feinde des erziehenden Unterrichtes, mühen sich ab, in ihrer
Weise Moralsätze der Seele aufzuladen. Diese Männer treten dann
TOT die Welt hin mit ihren Zöglingen und wollen bewundert sein.
Wh- geben ihnen nur dieselbe Antwort, welche Demonax jenem rö-
misdien Senator gab, der ihm in Athen seinen sehr hObschen, aber
mMchenhalten und verweichlichten Sohn mit den Worten vorstellte:
,^ein Sohn will dir ein Compliment machen, Demonax.** „Ei** — er-
widert der Philosoph — „schön ist er, deiner windig und seiner
Mutter ähnlicli." (Lncian.) Wälirend die Moralpilosophie durch ihre
Imperative der (4edankencultui' in der Schule den Scepter in die
Hand Liedriiekt, greift die Sociali>liil()sojiliie, die nach eiii^r uesnndt'U
Aibeitei-classe strebt, in das entgegengesetzte Extrem. \ Du der Ar-
beitsschule erwartet diese das Heil und Wol der Gesellscliaft.
Soll etwa die Arbeitsschule durch die Fertigkeit den Beweggrund
in die Seele tragen?
Xaturgemäss nuiss sich die Ursache zu einer Wirkung entwickelt
haben, wenn die Wirkung zum Vorscheine kommen soll Haben wir
gezeigt, wie die Gedankencultur &lsche BeweggrOnde in die Seele
pflanzt und den Mechanismus erzieht, so wird es jetzt wol einleuchten,
daas wir durch unrichtige Beschäftigung die Arbeitskraft dem Mecha-
nismus der Fertigkeit preisgeben und den Menschen zum Sclaven eines
Handwerks machen.
,.Soweit ein Mensch zu einer Handlung dadurch bestimmt wird,
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dass er unziiieifheiule Yorstellunjjeii hat, kann man nicht unbedingt
saji:en, da.ss er aus Tufrend liandle, sondern nur, soweit er durch et^vas
b( stimmt wird, was er ei'keunt." Das ist wol klar genug gesagt und
bedarf keines Zusatzes.
Fertigkeit allein ist keine Tugend; der lichtige Gredanke, der als
Beweggrand die Fertigkeit begleitet, den Trieb des Beharrens nnter-
bricht und vorwärts treibt, muss werkthätig eingreifen nnd nach
innerer Vollendung hinstreb^
Der Mensch hat kein Bedit, der Natur vorzugreifen und dem
Menschen den Platz in der Gesellschaft anzuweisen. Jeder Mensch
hat seinen Platz bestimmt in der Gesellschaft; um ihn ansfüllon zu
können, jifab ihm die Natui- Aiilaüeii und l^'ahic)^keiten. Im geisti-vii
Leben zeij^en sicli die ersten Ki scheinun^en, die jene AnlajGfen n;iiit'r
bestimmen, und im geisti^ren Leben müssen wir die An<iritlsiiiiukrt'
suchen, wir die Existenzfrage eines Individuums mit Hille der
Individualität im Sinne der Natural)sicht lösen helfen sollen.
Keine Imjjerative, keine (j-edanken- und Worteultur, aber auch
keine Arbeitsschule brauchen wir. Dagegen fordeit die Zeit Päda-
jungen, tüchtige, Männer, die den Funken Begeisterung unter ihrem
Herzen tragen, die sich bewusst sind, dass sie berufen seien, eine neue
Generation heranzubilden, eine Greneration echter Männer, Staatsbürger,
die nicht ans dressirten Gedankenrittem und Worthelden besteht.
Wir sehen die beiden Extreme vor uns, hier die Imperative der
Geschicklichkeit, die Feinde des erziehenden Unterrichtes, da die
Arbeitsschnle, die ohne geistige Vorlage maschinenmässig das Lehes
in Gang bringen will.
Klier kr>niien \\\y von einem Gedanken erwarten, dass er auf ganz
verscliiedeiie Anhigeii gleiclizeitig verschiedenartig wirken könne, ^la
er in seintMü Umfange \ erscliiedene Gedankengelülde hält, von weKlieii
jede Anlage die ihr verwandten J^^lemente sich heransliolen kann, als
von einer bestimmten Beschäftigung, dass sie einen Künstler schatten
werde. Niemals wird ein angeliendt^r Virtuose beim Hobelgang auf
das Reich der Töne Stessen, niemals der, der den Hammer führt, am
Webstuhl sich zurecht finden. Lassen ivir das nichtige Spiel, das
unsere Volkskraft nicht veredelt, das den Kreis der Vorstellungen
nicht erweitert, sondern an den mechanischen Gang der Ausbildung
der Fertigkeit festschmiedet.
Führen wir ein das Kind in die Werkstätte der Natur und er*
öffnen wir ihm die Schleusen der Erkenntnisse, dass es fühle, bewun-
dere und denke. Dann werden die Angritfspunkte der Arbeitskraft
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von selbst anftancheii, und was für die Werkstätte bestimmt» da« wird
ein Heister am bestoi .za l)eschftftigen wissen.
Keinen Handwerker, keinen Heister, keinen Efinstler fordert das
Volk von der Sdraie, aber es fordert eine gesunde Grundlage geistiger
Vorbfldnng fOr das Leben, es fordert, dass in dw Schnle jene Erschei-
nnngen frei werden, durch die der Bestimmungsgnmd des Lebensti iebes
schärfer ausgeprägt ^vird.
In diesem Bestiramiingsgrund , in dem das ideale Icli zusammen-
fliesst, liegt die ganze Lösung der Existenz trage, mit ihm ist das Ziel
•1er Lebenskraft, auf das der !^[ensch mit wahrer Begeisterung und
mit vereinten Kräften lossteuert, gegeben.
\\'ie fest und sicher ein solches Ziel den Jüngling nach sich zieht,
zeigt das Leben selbst uns tüglich. Nicht Noth, nicht Gewalt, nicht
die schönsten Versprechungen können Jünglinge, deren Qeast mit ihrem
Lebensziele v^knüpft ist, yon ihrem Vorhaben abbringen.
PiMi>«;ogiam. 4. Jahrg. Ucft V.
20
Wiener (leschiehten.
Vm Dr. Ki-iedrich DiHeiu
V.
Am 14. Juli 1880 ging ilas zwölfte 8tudieiijalir des Pädagogiums
zu Ende. Im Schlussactus warf ich einen Rückblick auf die Lebens-
und Ticidensgeschiclite der Anstalt, wies nach, wie sich dieselbe unter
luitwährenden Anfechtungen erhalten und bewährt hatte, und zeigte
besonders die Ungerechtigkeit und Haltlosigkeit der neuesten Angrifi'e.
Das Pädagogium aber, fügte ich hinzu, müsse, allen Umtrieben and
allen reactionären Zeitströmungen zum Trotz, unwandelbar seiiie ur-
sprüngliche An^be und seinen ursprünglichen Geist festhalten, wenn
es mit Ehren stehen oder — mit Ehren fidlen wolle, und so lange
ich an der Spitze der Anstalt stehe, kOnne ein Wandel derselben Ini-
nesfiUls erfolgen. — Der Zweck dieser Anbräche konnte natürlich
nur ein interner sein: es galt die bestehenden Verhältnisse klar zu
stellen, die Luft der Anstalt rein zu erhalten, ihren inneren Zusam-
menhalt zu wahren und Allen, die ein- und ausgingen, den Emst der
Situation zum Bewusstsein zu bringen. Mein oft'enes Wort hatte einen
«rünstigen Eifolg; als die Fei-ien verp'aneren waren, strömte die Wie-
ner Lehrerscliaft zalilreirher denn Je in's Pädagogium, und so erreichte
bei Beginn des dreizelinteii Schuljahres die Freqiuenz desselben mit dei"
Ziffer 230 die liöchste Höhe.
Keinen Erfolg hatte dagegen die an den Gemeinderath gerich-
tete Vorstellung Vom 10. Juli 1880. Zwar hiess es in einer Zeitungs-
notiz, der Gemeinderath werde diese „fulminant«'' Kundgebung mit
einem Verweis gegen deren Urheber beantworten. Allein das wollte
wenig bedeuten; denn mit einem Verweise konnte man dem Ldukör-
per nicht konunen, das mnsste der Gemeinderath selbst einsehen.
Zur Gewährung einer Satisfaction aber konnte er es auch nicht brin-
gen. Einem solchen Acte hätte nothw^dig eine Discnssion, eme
Selbstschau, euie Darlegtmg der Beziehungen zwischen dem Rath-
hause und der Journalistik vorausgehen müssen, und solche Beleoch-
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tang war nielit opportun. Das Decomm, so viel daToa noch existirte,
konnte nnr durch Schweigen gewahrt werden, und so blieb der Ge-
meihderath jede Antwort schnldig. Es war eben bereits dahin ge-
kommen, dass eine Bemednr der dem Pftdagogiiim zugefügten Unbilden
vom Rathhause ans nicht mehr erfolgen konnte.
Dies zeigte sich auch, und zwar recht drastisch, als bald darauf
die Commission des Pädagogiums einen Versuch machte, die Ehre
<ler Anstalt und ihres Lehrkörpers im Gemeiuderathe wieder herzu-
stellen. Dieser Versuch kam zu spät, wurde auch niclit mit beson-
derem Ueschicke ausgeführt , verfehlte daher nicht nur sein Ziel,
sondeiTi machte das Übel noch ärger. Doch bevor ich die angedeutete
Aaion und deren seltsamen Verlauf erzähle, mnss ich meinen Lesern
die genannte Commission selbst vorftthren.
Gemäss dem Statut bestand sie aus sieben vom Gemeinderath aus
fiduer Mitte ernannten Mitgliedem. Der Director des Pädagogiums
hatte das Recht, allen Verhandlungen der Commission, die nicht ihn
selbst betrafen, mit berathender Stimme beizuwohnen. Die Commission
sollte sich regelmftssig einmal im Monate versammeln, femer am
Schlüsse des Schuljahres und ausserdem so oft es das Bedfirfhis er-
forderte. Die ihr zugewiesenen Functionen waren folgende: alljälir-
hche Bestimmung der Zahl der Zöglinge, Prüfung und Genehmigung
des Verzeichnisses und Frequentationsplans der Hörer, Einschreiten bei
>cliwereren Disciplinailallen. Antiägc zur Besetzung erledigter Lehr-
stellen auf Grund der Vorschläge des Directors, Mitwirkung bei Auf-
stellung des Lehiplans. Bestätigung des Stundenplans, Assistenz bei
den Wiederholungen, Nachprüfungen imd Schlusscensuren, IJberwachung
der genauen Vollziehung aller auf die Anstalt sich beziehenden Nor-
men, Aufeicht über die Pflichterfüllung des Directors und der Lehrer,
Erhaltung der Eintracht zwischen ihnen, Vertheilung der innerhalb
des bewilligten Prftliminars Ittr die einzelnen Wanderungen enteilen-
den Anslagen, ürlaubsertheflung an den Director und Vorkehrungen
m Krankheitgailen desselben, Aufhahme des Inventars Uber das Ge-
sammteigenthom der Anstalt am Schlüsse eines jeden Schobahres,
Jahresbericht fiber den Zustand der Anstalt unter Beilage des Direc-
torialberichtes, Erstattnng der Jahresrechnnng über sämmtliche Ein-
nahmen und Ausgaben der Anstalt nebst Voranschlag für das folgende
Jahr. Sorge tür das allgemeine Gedeihen der Anstalt, den Fortschritt
und die Kntwickelung derselben. Dies die statutarischen Bestimmungen.
Was nmi die Männer betrifft, welche während der kritischen Zeit
dei' Commi:!^iou angehörten, so waren tu folgende:
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V) Dr. Josef Weiser, I)irector der Staats- lieaisclmle im 8. Be-
zii'ke, einer der tüclitijrsten. thätifrsten und verdientesten Schulmänner
ÖsteiTeichs, speciell Physiker und Mathematiker, aber aucli mit leb-
haftem Interesse fUi* das Gesammtgebiet des JB^rziehungs- und Unte^
richtswesens und mit einer umfänglichen allgemeiiieii Bildung ans-
gestattet, schmucklos und nicht selten rauh im Äusseren, aber redlichen
Willens and soliden Charakters, in kirchlicher Hinsicht gut katholisch.
In politischer conservatiy, dennoch ein entschiedener und standhafter
Freund des P&dagogiums, seit 1867 Mitglied, seit 1869 Ohmann der
CommiBsion, in derselben an Einsicht, Eifer, Ge^nssenhaftigkeit und
Thätigkeit ^ wahres Muster;
2) Dr. Karl Hoff er, Advocat, ein guter Mensch, dem Fort-
schritte zugethan, ein stets bereitwilliger und vielfach verdienter
Freund der J^clmle und des Lehrerstandes, wie Weiser vom Ursprünge
des Pädagogiums an Mitoflied der Commission und meist an do^en
Seite, niclit karg an synipatliisdieu Zusprachen, aber oline Wachsam-
keit und Voraussicht, in wiclitigeii Momenten öfters abwesend;
3) Dr. Leopold Kompert, Schriftsteller, ein fein gebildeter Geist
lind makelloser Charakter, dem Pädagogium sympathisch und forder-
lich, so lange er konnte, aber in den letzten Jahren kränklich und
deshalb zurückgezogen lebend;
4) A. Riss, vormals ein eifriger Wortfflhrer der Badikalen, ein
sogenannter Bezirksdemokrat und im Gemeinderathe Mitglied der
„aussersten** Linken, seit etlichen Jahren den Umstanden Bechnong
tiagend, in Sachen des Pädagogiums, so weit nicht seme Person he-
rfihrt wurde, ziemlich apathisch;
5) JosefKfihn, Dr. jiu*., problematisch, nach Einigen eifrig
klerikal, nach Anderen nur beschränkt;
6) Bernhard Frieb, Priestei- des l^euedictiner-Stiftes der Schot-
ten und Director des Gymnasiuius daselbst ;
7) Karl Land st einer, lu-sprünglicli Mönch und Priester des
Piaristeii-Ordens und Professor am (ivinnasium desselben, dann Welt-
priester, Consistorialrath, Yertieter der katholischen iurche im n. ö.
Landesschulrath.
Was die zuletzt genannten beiden Geistlichen betriflt^ so hat der
eine, Ken* Fiieb, in emer öffentlichen Sitzung des Gemeinderathes,
auf welche ich später zu sprechen komme, ausdrucklich erklärt, dass
er n&ls Saulns" ins Pädagogium eingetreten sei Nun ist zwar die-
ses Bekenntnis ohne Zweifel eine Hyperbel; denn yon den geHUirlichen
Eigenschalten, durch welche nach der Apostelgeschichte der biblische
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Paulus sich hervorthat, war an Herrn Frieb nie etwas zu bemerken.
Derselbe bat sich vielmehr stets als ein g^thei'ziger und biederer
Mann gezeigt; ja er Hess sieh schliesslich, ebenfiills nach eigenem
Bekenntnis, zn dnem „Paulns* des Pädagogiums bekehren, nnd zwar
nieht erst dorch ein Wander, sondern durch die ganz natOrlichen
Wahrnehmungen, welche er in der Anstalt machte. Als sidier darf
aber angenommen werden, dass er als principieller Gegner des Pftdago-
gioms in die Commission eingetreten war. Und dies konnte auch nach
Massgabe der Haltung, welche der gaiizt' hohe Klems gegen das P<ä-
(lagutrium von Anfang an und fortwälirend eingenommen hat, nnd
gemäss der iJisciplin, welche in der katlmlischen Hierarchie herrscht,
gar nicht anders sein. Auch ist es für jeden rechtschaffenen Mann
selbstverständlich, dass er eine Anstalt bekämpft, die nacli seiner
Meinung zerstört, was ihm als das heiligste Erbtheil und hücliste Gut
der Menschheit gilt Ich habe daher auch die Gegnerschaft des Glems,
sofimi sie aus innerer Überzeugung entsprang, stets zn würdigen ge*
wusst und gar oft gewünscht, dass conseqaente l berzeugungstreue
auch in anderen Kreisen herrschen mOge. Nor Lanheit» Gesinnungs-
losigkeit, selbstsüchtige Tendenzen und unredliche Eampfesmethoden
sind mir stets zuwider gewesen, die letzteren deshalb, weil ich mich,
trotz der keineswegs blos in irgoid einem Orden übUehen Praxis,
nicht davon überzeugen kann, dass der Zweck die Mittel heilige, am
allerwenigsten, wenn der Zweck selbst ein unheiliger ist.
Was Herni Landsteiner betrifft, so liat derselbe nie erklärt,
dass er aus ciiRiu Saulus ein Pauhis geworden sei. Dazu ist der
Mann viel zu klug. Was brauchen die Leute zu wissen, ob er Saulus
oder Pauhis ist? Dem Einen inissfällt Saulus, dem Andern Paulus,
l'nd warum sollte Herr Landsteiner irgend einem 3Iensehen miss-
lallen? Er hat es von jeher verstanden, Allen zu gefallen: wer nur
immer seines Anblickes genoss, hatte seine Freude an ihm. So be-
richtet er selbst in seiner Autobiographie: ,.Das Leben eines Paria.^
Und so hat er, der sich in seiner Demuth mitCaideron, Corneille, Hum-
boldt und anderen geistig Armen yergleicht, nachdem ein blindes Schick-
sal ihn lange Zeit für einen „ Paria ^ gehalten hatte, endlich auch
denen gefhUoii, die ans dem strebsamen Manne — denn strebsam ist
er — zu machen wnssten, wozu sein Gtesde ihn präformirt hatte. Er
wurde persona gratissima, und man fand ihn vorzüglich, geeignet für
allerlei Ehrenstellen, namentlich auch für die Commission des Pädago-
giums, welcher die Sorge für das allgemeine Gedeihen der Anstalt^
oblag. Und gewiss, er hat seine Sache gut gemacht.
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Im Pädagogium wurden die letzten vierWuclien jedes Schuljahres
einer allgemeinen Wiederholung gewidmet, welche einerseits das Ge-
lehrte befestigen, anderseits die Fortschritte der Horei-schaft klarstellen
sollte. Das Statut bestimmte überdies: „Die Mitglieder der Aut'sichts-
commissioii sind verpflichtet, der Wiederholung in allen Gregenständen,
nach einem anter ihnen festgesetzten Modus, heiznwohnen.^ — Der
^jModns", d. h. die Tabelle, nach welcher die Mitglieder der Ck>nimis-
^on den Wiederholungen beiwohnen soUten, wurde auch im Sommer
1880 in herkömmlicher Weise angestellt und im Conferenzzimmer des
Ffidagoginms aufgelegt. Von Kompert musste abgesehen werden, da
er einen Curort aufznsuchen genöthigt war. W^eiser erfüllte mit ge>
wohntem Eifer seine PHicht; auch Hoffer und Frieb tliaten, was ihnen
oldajr. Dagegen erschienen die HeiTen Landsteinei-, Kiiliii und Riss
niemals zur Ausübung ihrer Function; vielleicht haben sie inzwischen
anderswo der „Sorge für das allgemeine (gedeihen der Anstalt" ob-
gelegen, da sie es nicht für nöthig hielten, ihi- Ausbleiben zu eiit-
scliuldigen. Zum Schlussactus erschien ^rar Weiser allein. Frieb war
dui'ch Amtsgeschäfte an seine eigene Berufsstätte gebunden und Horter
mochte es seit der Kundgebung vom 10. Juli nicht mehr geheuer
finden, das Pädagogium zu betreten.
Nun hatte die Commission ihren Jaliresbericht zu erstatten. £bd
ich aber den wesentlichen Inhalt desselben reprodndre, nross ich eine
kleine Berichtigung vornehmen, die wegen der vorstehenden Notmen
nOthig ist Auf S. 13 des erwähnten Jahresberichtes heisst es näm-
lich: „Die Inventarien sämmtlicher Lehrmittel wurden, wie seit meli-
reren Jahren, von dem Mitgliede der AuMchtscommission, Hem
Gemeinderath A. Riss, in Evidenz erhalten.*^ Weiser, der Verfasser
des Beliebtes, mochte «ilauben, dass HeiT Riss wenigstens in diesem
Punkte seine Pflicht gerhan habe, oder dass im Falle eines Irrthnms
Herr Riss die nöthige ('(»rrectur anbringen werde, da ja der Bericht
auch in seinem Namen veifasst und mit seiner Zustiunnunpr fre<huckt
wurde. Abi^- Weiser liatte sich geiiTt und Riss licss sicli's get'allHi.
Damit nun nicht der Schein entstehe, als seien meine obigen Benici-
knngen über die Unthätigkeit des Hen-n Riss durch ein officielles
Uocument widerlegt, bemerke ich ausdrücklich, dass Herr Riss üd
ganzen Schuljahre 1879—1880 das Pädagogium niemals betreten hat.
Der Bericht selbst hatte ein sonderbares Schicksal Es war schon
eine Abnormität, dass er im Namen einer siebengliedei'igen GomiDi8sio&
abgeÜBtsst werden mnsste, von der nur drei Mann genfigend infomiirt
waren, wozn noch das Gmndttbel kam, dass die Commission keines-
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Wegs harmouiscli nach einem Ziele 8ti*ebte. Der Beridit, wie er ge-
druckt vorliegt, trägt das Datum: „Wien im September 1880." Ich
lernte Um erst im Deceiiiber kennen, wo mir ein Exemplar zugestellt
wurde. Einigen meiner CoUegen hatte ihn Weiser theUweise schon
Ende September oder Anfang October yorgelesen, nm ihnen die Be-
ndugnng za geben, dass sie durch dieses offidelle Docmnent die bis
dahin yergeblidi erwartete Satisfaetion erhalten würden.
Zunächst zeigt der Bericht statistisch, dass das Pftdagogium seit
emer Beihe von Jahren sich gedeihlich entwickelt habe, und dass die
ihm gewidmeten Mittel „nicht vergeudet, sondern dem edlen Ziele
»Mner zeitgemässeu Heranbildung unserer Jugend zu gute gekommen"
seien. Bezüglich des letzten Julires constatirt er, dass dasselbe einen
ungestörten Verlaut' genommen, und dass der Unterricht ordnungs-
massig stattge^deu habe. Daim heisst es wörtlich:
Unter allen Mitgliedern des Lehrkörpers bestand wfthrend s u:anzen
Schaljahres ein collegialisches freundliches Entgegenkommen und die schönste
Haniionie, so dass ein vermittelndes P^inschreiten von Seiten der Pftdagogioms*
Aufsiclitscomniission als unnöthig entfiel.
Audi der Zustand der Disciplin war seitens der sifanzen H<lre]-s( haft bei
allnii Unterri(:htszweig:en dem reiferen Altej- der Tlieilnclniu lulen, dem Krnste
ünd der Würde der Anstalt vollkommen aug-emessen, daher auch hier jedes
Eingreifen von Seite der Aufsichtscommission überflüssig wurde.
Ebenso war in Hiübicht der Leistungen, d. i. bezüglich der Früchte der
BemChnngen aller Lehrenden, welche sich in den erworbenen Kenntnissen mid
Fertigkeiten offenbarten, ein Rficksehritt gegen die Voijahre duishans nieht
n verzeichnen y eher konnte man in nicht wenigen Eimeelftllen ehien erfreu-
lichen Fortachritt nicht verkemran.
Weiter wird die en'osse Bedeutung des Pädagogiums für die städti-
schen Schulen hervorgehuben und hieran folgende Auseinandersetzung
geknüpft :
Man sollte sich ing-lich zu der Erwartung- bereehtigt halten, dass die.se
Erwägung allein ausreichend erscheinen müsste. auch Jene von derWiciitigkeit
des Bestandes unseres Pädagogiums zu überzeugen, die sich bisher noch gai*
keine Hflhe gegeben haben, sich von der Emrichtong und Wirksamkeit dieser
Fortbadnngsanstalt fOr die Lehrer mraerer Volksscholen efaie eingehendere An-
•chammg ond gründlichere Überzengong 2B versehafifen.
Die Commune Wien hat in den letzten fünfzehn Jahren schöne, zweck-
milssige Schulhäuser gebaut und mit der ert'orderlichen , dem Geiste der fort-
whreit**ndeii Zeit entsprechenden Einrichtungen versehen, mit einem Kosten-
anfwandn von über sechs Millionen Gulden. Das ist sicher eine Opferwilligkeit,
der sich keine andere Gemeinde rülimen kann. Grosse, he(ineme und pracht-
volle Scholhänser mit schöner, zweckmässiger Einrichtung sind aber doch nur
efaie leere Sehale ohne fruchtbringenden Kern. Diesen bildet allein em ge-
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diegener, guter VnterrMit, der aber nur tod einem auf der Höhe der Zeit
stellenden, gat und anareieliend vorgebildeten Lelirer erwartet werden kann.
Die Commune liat femer mit grossen Kosten ihre Schalen mit Biblio-
theken nnd ansreichenden Lehiiiiitteln versehen; aber alle die8e Bibliotheken
nnd noch so znlil- und sinnreichen Lelirmittel sind todte Buchstaben. Kur der
Geist nia( ht svW'j:. und dieser beseligende Geist kann wieder nnr von guten
Lehrern aus^'-chtn.
Sollten dci-artise ErwUj^unfren uns nicht zur vollen Eikeuntnis bring-en.
wie einsichtsvoll , w olmeinend und weise jene Männer , welche gegenwärtig
dem GFemetnderathe nicht mehr angehören, gedacht nnd im schönsten Sinne
des Wortes patriotisch gehandelt haben, welche mit Fenereifer, der ihre Bnist
durchglühte, die Väter der Goromnne bewogen haben, eine Ansialt zn grfinden,
ilirt- Lehrer selbst weiter forüsnbilden . sie auf die Höhe der gegenwärtigen
Zeit zu stellen nnd bei ihrem unaufhaltsam raschen Fortschreiten auf derselben
zu erhalten, jene ^länner, welche mit Geduld nnd eiserner Ausdauer die Sehwif^-
rigkeiten und lüiideniisse {il>er\viindeii haben, welche der Activirung tinsei'eä
Pädagogiums riesemrrnss und centnerschwer entgegengestellt wurden?
Nun haben wir das schöne \ ermächtnis einer wannen. schul£i*euudlicheu.
erhebend»! Zeit. Sollen wir dasselbe nicht mit aller Sorgfalt, väterlicher Zn-
ndgnng nnd Liebe hegen nnd pflegen? Sollen wir uns, wenn wir es nicht thnn
wollten, dem hohnischen, schadenfrohen nnd verächtlichen Spotte desAnsbuides
preisgeben? Nein, wir werden eine Anstalt erhalten, um welche uns das ausser-
österreichische Deutschland beneidet, deren Huf nach allen vier Winden weit
über die Grenzen unseres herrlichen geliebten Vaterlandes vorgedrungen istl
Wir werden die ()i)ft i'. welche unsere verjüngte herrlic he Vaterstadt in schwe-
ren, drüekeiulcn Ztiteii freigebig dargebracht hat. auch in der kommenden,
hüttentlich besseren Zeit nicht verweigern! Es handelt sich ja um das Liebste
nndThenerste, was wir besitzen, um die Hoilhnngen der kommenden Generation,
um die Blttte unserer Jugend, um unsere Khider.
Auf die gegen das Pädagogium gerichteteu Anfeiuduugeu übtr-
geUeiid. bemerkt der liericlit:
Eine nicht unheilcutende Menge heult ^edaiikt iilos mit. ohne sieh jemals
um die innere Einrichtung des Pädagogiums, um die Ziele, denen es uacli-
strebt, um die Hittel, welche dabei fai Anwendung gebracht, und um die
Frflchte, welche erzielt werden, zu kttmmein, Mos der lieben EäteEkdt willen,
um zu zeigen, dass man an den Tageehiteressen auch lebhaften Antheü nimmt,
und dass man sich befähigt und berufen fühlt . auch in dieser Sichtung sein
massgebendes Urtheil zu sprechen, sein Veratänduis für alles zu zeigen. Andere
verschanzen sich hinter das Pflichtgetlihl, die wirtschaftlichen \'erhältnisse der
Commune im Auge l>ehalten zu müssen, und weisen aus diesem Versteck auf
die schwer drückenden Verhliltnissc dt i- üetrenwiirtigcn ükoimmischen Lage lun.
indem sie sich beuuihen, khir dai'zuthun, dass die nandiaften Kosten, welche
die Erhaltung des Pädagogiums verursacht, ganz ohne genügende Gnnd ver-
geudet werden, indem sie anderweitig viel wolthätiger nnd fruchtbringeoder
verwendet werden konnten. Ja sie begniigen sich mit den Hinweiznngen auf
den herrschenden Nothstand nicht, auf deren wüMge und freudige Attfkiahme
sie bei der Menge rechnen kOnnen. Grobe Lttge muss zum Hithelfer genonunn
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\v^rden. iuilfiii man mit Enn)hase hinauszuschreit'ii sich nicht eutbliidet : Sieben-
uiitiviei-zigt;uust'n(l (xaldeii kostet das Piidagogfium Jahrlich, williiend factisch
daüiselbe im Jahre niemals Uber zwauzigtausend (jruldeu in Anspruch genommen
hat, die an 4ie Zöglinge za gewftiireiideiiUiitendltmngeii mit eingei-edinet Die
nit dem Pidagogiom yerbandeae DoppelÜbangsschnle wird ja so stark besneht,
dass sie wid Bieht minder nnterlialteii werden mflaste, wenn aneh das erstere
niemals ins Leben gemfen worden wftre.
Am meisten betrübend muss jedoch die bittere Erfobrong wirlcen, daas
selbst hin and wieder ans den Lehrerkreisen sich Stimmen Yemehmen lassen,
das Pädaorosium sei entbehrlich, unnütz. Solclu' Äusserniiiren. wenn auch van
dieser Seite nur seltener zn vernt'lmien. müssen wahrhaftig? in \'ei>;uchuns
faliren. sie aus der Besorg-nis zu erklären, die jüng-ere Lehrerwelt könnte
am Ende gar gesclieidter werden, als sich die Urheber solcher Stimmen selbst
liihlen.
Schliesslich sajrt der Bericht:
Concm-se zur Wiederbesetzun^ der trt'ii*^ewordenen 1 )irectorstellt» für die
Kiiaheuübungsschule, sowie fiir die Besetzuuf? der internen Lehrerstelle sind
aiisgMclirieben worden, i'ür beide Stellen haben sich tüchtige, vertrauens-
wilrdige Beweiber in nicbt nnbedentender Anzahl eingeftinden. So können
vir denn mit gntem Grunde erwarten, diese Lfidcen baldigst ansgeffillt zn
sehen. Der Lehrkörper wird dann mit frisch gestähltem Hnthe fortfahren, die
höchst wichtige Aufgabe weiter zn verfolgen, unserer Volksschale einsiditSToUe,
tüchtig gebildete und mit festem Willen ihrem erhabenen Berufe treu ergebene
Lehrer zuzuführen.
Dann werden liottcntlich die ('belwollenden endlich einsehen, dass die
n>tf Commune des Kelches nicht j^ewillt ist. eine mit so viel Anstrengung
ennngene Schöpfung von solcher Wiclitigkeit ohne zwiageadeu, ja nur stich-
haltigen Gfnttd einfach fidlen zu lassen, und auf das schöne Vorrecht za ver-
zichten, an ihren Schulen höher gebildete, intelligentere LehrkrSlte zur Heran-
Idldnng ihrer Jugend zu besitzen als jede beliebige Ideine Landgemeinde.
Dann werden aber auch jene tflchtigen, ansgezeichneten Männer, aus denen
der Lelii k<irper des Pädagogiums zusamnienyf setzt ist. und welche demselben
schon seit Jahren mit inni^-er Liebe und dem treuesten Prtichtu:etTihle an-
hängen und ihre besten Kiiifte dem erhabenen Ziele <»i)ferwillig darbringeu,
wieder neuen Mut Ii schöpfeu und sich in ihrem hochherzigeu Streben nicht
wankend macheu lassen.
Bei den schon seit Jahren andauernden unverständigen, nidit selten ein-
iUtigen, in der neuesten Zeit aber schon wahrhaft böswillig hervortretenden
AnMidungen thnt eine solche Kundgebung aber auch wirklich noth. Es ist
ftr Männer, welche das Bewnsstsein haben, infoli^o ilirer ausgebreiteten, ans-
gezeichneten Bemfskenntnisse die ehrenvollste An« rkennung zu verdienen, und
infolge langjälu*iger, mit gewissenhafter Berutsti cne n;ich jeder Kichtuufi: streng
ertullter Dienst})tlichten auf allo-emeine Achtung; und ^'rechte Anerkennung
VtillbesTÜndetcii Anspruch zu besitzen, keine geriny^fü^iire Ivleinigkeit. seit ge-
raumer Zeit fortwährend angegriüeu und böswillig verletzt zu werden. Solclie
Mfianer aind berechtigt, efaie feste, nicht misszuverstehende Eikl&rang zu er-
warten, dass sie ihre besten Krilfte nicht einem Instltate zu widmen haben, auf
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welches 8ein Schöpfer selbst keinen Wert melu* le^e, von dem er vielleicht die
MdniiDgr liege, es sei yortheilhafter, wenn dasselbe je eher desto lieber anfjgfe-
lassen wflrde. Diese Erklüning' Gemeiuderath bflndig damit geben,
dass er den Lehrkörper desselben wieder vollstlndig erglnz»i wird.
Bevor ich das Scliicksal dieses Berichtes erzähle, imiss ich, dem
chronologischen Leitfaden folgend, andere Vorgänge darstellen.
Der lö. September, der Eröffiinngstermin des Schuyahres, war
gekommen, und die Einschreibimgen für den nenen Cnrsus erfolgten.
Die Wiener Lehrerschaft zeigte noch immer ein lebhaftes und stei*
gendes Interesse für das Fftdagogimn, irie dieselbe Überhaupt, yon
sehr vereinselten Ausnahmen abgesehen, in der ganzen Geschichte des
Institates eine hOchst rOhmliche Haltung an den Tag gelegt hat. Das
Auditorium war also vorhanden, aber es verging ein Tag am den an-
dern, ohne dass der Unterricht beginnen konnte, da über eine ganze
Reihe der wichtigsten l.chrfitcher noch keine Verfügung getrottVn war.
Ich erwartete stimdli< li die Kiiiladung zu einer Sitzung der Commission.
Da kam Weiser insPiidatroofiuni, um mit mir Rücksprache über dieSituatiou
zu nehmen. Er sagte, dass esilnn trotz mclirwüchentlicher Bemühungen
bis dahin nicht prelungen sei, eine Sitzung zu Staude zu bringen, da
er die Commissiousmitglieder nicht habe auflinden können. Es wiü*e
unter diesen Umständen das Beste, wir fingen wieder in derselben
provisorischen Verfassung an, unter der das letzte Schuljahi- verlaufen
war. Ich entgegnete, dass ich in Rücksicht auf meine Gesundheits-
verhältnisse die im* vorigen Jahre geführte Supplirung nicht au6 heue
Übernehmen kOnne, zumal dies nur eine weitere Verschl^pung der
erforderlichen und langst eingeleiteten Besetzungsmassregeln zur Folge
haben würde. Weiser meinte aber, ich möge die Sache doch noch
einmal versuchen und bemerkte, dass ich für die Supplinmg auch eine
Entschädigung erhalten solle. Ich entgegnete, darauf sei es nicht ab-
gesehen und das komme niclit in Betracht; aber in Rücksicht auf
meine ungünstigen (4esnii(llieits\ ( rliältnisse könne icli eine weitere
Stellvertretung ttberliau})! nicht iilieiiiehiuen und müsse dringend bit-
ten, endlich einmal Ernst zu machen mit der Besetzung der internen
Lehrstelle. Etliclie Tage darauf fand eine ^Sitzung der Commission
statt. Eünf Mitglieder hatten sich eingefunden; ausser dem noch
ki-anken Kompert fehlte Hoffer.
Um die ausgeschriebene Stelle hatten sich zwölf Herren bewor-
ben. Für die zu treffende Wahl war § 13 des Statuts massgäiend,
welcher lautete: „Jede Lehrstelle wird vom Gemeinderathe nach Aus»
Schreibung eines Concnrses auf Grund eines Vorschlages des Directors
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über Antrag der Aufsi< litscommission besetzt. Als Lelirer am Päda-
gogiam sind nur solche Männer zulässig, die ilire volle BefiUügiing,
den betreffenden Gegenstand in einer fttr die Forttnldmig von Lebrem
geeigneten Weise yonratragen, dargetban haben.** — Nach den Moti-
Ten, anter "welchen seiner Zeit diese Bestünmnngen beschlossen worden
varen, soUte über das Vorhandaraein der geforderten Befithignng der
Dheetor entscheiden (vgl. Faedag. IL Jahrg. S. 573). — Unter den
zwölf Competenten waren mehrere junge Männer, denen ebenso die
uöthige Vorbildung, wie praktische Übung und Erialining fehlt«. Von
ihnen musste also ohne weiteres abgeselicn werden. Unter den übri-
j^eu Bewerbern waren zwar mehrere recht tüchtige Lehrkräfte, aber
nur zwei besassen die den Erfordernissen des Concurses und der in
Betraclit kommenden Stelle entsprechende Befähigung. Einer von die-
sen stand aber bereits in einem Alter, in welchem der Wiener Ge-
meinderath grundsätzlich niemand mehr anzustellen pflegte. Blieb
also nur ein Mann* übrig, den ich voi*schlagen konnte. Dies war
Dr. Hermann Wolff, Docent an der Univeisität Leipzig. Derselbe
hatte sich ftber den Besitz einer gründlichen Bildung in den betr^en-
den Fächern sowol dnrch seine Studien- und PrOfungszeugnisse, als
auch durch bedentaide literarische Werke bestens auegewiesen. Daza
kam eine Empfehlung von Seiten dnes Mannes^ dessen yoDste Compe-
tenz und Zuverlässigkeit Jeder, der in der Gelehrtenwelt bekannt ist,
anerkennen wird. Diese Empfehlung lautete:
Herr Dr. phil. Heriiuum Wulft', Privaidocent der Philosophie an <ler hie-
bigen Universität, hat mii- uiitgetheilt, duää er sich um eine Lehrstelle au dem
Stidtiseheii Pädagogium in Wien beworben hat, und mieh enncht, seine Be-
werbiuig mit einigen empfehlenden Worten zn nnterstfttzen. Ich kann dies in
der That mit Übwsengnng thnn, da ich schon ehemals Herrn Dr. Wollt; als
er mein Zuhörer war, als einen überaus strebsamen und sittlich ehrenwerten
jungren Mann kennen lernte, er sich aber seitdem durch philosophische Schriften
>M kaniit jreniacht hat, die zwar eine andere EiphtniiH: als di^^ von mir vertretene ver-
ImIl'hii, jedenfalls aber ihn als einen selbstständi^: denkenden kritischen Kupf
k'tdtiiuii'en. An unserer Universität hat er mit nnerniüdlichem Eifer nnd aner-
kennenswertem Erfolg Vorlesungen gehalten und durch Leitung von Übungs-
gesellschaftea Ml am die Stadirenden Terdieat gemaeht nnd rieh der«ii Hoch-
•ehtoBg mid Dank erworben. Bedegewandt wie er ist, mOchte ich ihn insbe-
Mndtte m Uaiea tiualichen Vortragen ftber Logik, F^chologie, Uethodologie
für wolbef^lhigt halten, wobei ihm ohne Zweifel die Erftdirnngen, die er, bevor
er die akademische Laufbahn betrat, als Hanslebrer gemacht hat, zu statten
kommen würden.
Leipzig, den 29. Juli 1880. Dr. M. W. DrobiM h.
Professor und Geh. Hath.
Fenier hatte Dr. Wollt schon längere Zeit mit bestem Krlblge in
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denselben l'äclieru, für weldie -wir eine Lelirkraft suchten, am Leli-
reriimensemiuar zu Leipzig Untemcht ertheilt, was durch die Direc-
tion in der anerkennendsten Weise bezeugt war. Endlicli hatte der-
selbe im Leipziger Lehren^erein und in anderen pädagogischen Krei-
sen mit ausgezeichnetem Erfolge Vorträge gehalten, worfiber ebenfalls
die gOnstigsten Berichte vorlagen. — Bei diesem Sachverhalte wfirde
ich geradezu gegen mein Gewissen und gegen das Literesse der meiner
Leitung anvertrauten Anstalt gehandelt haben, wenn ich nidit Herrn
Dr. Wolff für die vacante Stelle vorgeschlagen hätte. Noch heute bin
ich überzeug, dass er dem Pädagogium die erspriesslichsten Dienste
geleistet liaben würde. Nur wenn ich die Absicht gehabt hätte, dem
Institute Schaden zuzufügen, würde ich einen Anderen vorge.'^chlagen
liaben. Allerdings hatte Dr. Woltl" zwei Fehler, die neuerdings in
Wien wieder schwer in die Wagscliale fielen: er war, wie ich selbst,
Protestant und Ausländer. Es wäre mir lieb jjewesen, wenn ihm
diese Makel nicht angehaftet hätten. Aber ich konnte sie nicht be-
seitigen und, was die Hauptsache war, unser Statut erkannte in ihnen
n i c h t ein Hindernis der Anstellung am Pädagogium. — Zu dieser
Darlegung des Sachverhaltes füge ich (wegen einer später zu erwäh-
nenden Verdächtigung) die Bemerkung, dass mir Dr. Wolif bis zn
seiner Bewerbung ganz unbekannt war, und dass ich niemals in einer
personlichen Beziehung zu ihm gestanden habe.
Als nun die der Besetzungsangelegenheit gewidmete Commissions-
sitzung eröffnet war, bemerkte Herr Landsteiner, der als R^ßrent
fungirte, dass er meinem Vorschlag (der schriftlich den Acten beilag-)
71 i cht zustimmen könne. Manches, was er auf dem Herzen hatte,
deutete er nur tiüclitig an, dagegen betimte er mit Nachdruck, dass
Dr. Wolff ein Ausländer sei, dass dessen Walil den ganzen österrei-
chischen Lehrerstand beleidiiren müsse und h<u'hst unpatriotisch sein
würde. Jetzt wusste ich genuy. Solche Argumente waren allmächtig;
ich hatte schon zur Genüge erfahren, dass ihnen selten Jemand ent-
gegenzutreten wagt, weil das in der That gefährlich ist, während
mit der Berufung auf den. „echt österreichischen Patriotismus" gar
viel ausgerichtet und erreicht werden kann. Herr Landsteiner brachte
dann seinen Gegenantrag: es sei Herr Dr. Pommer zn wählen, der-
selbe, welcher im vorigen Jahre Supplent der deutschen Sprache und
Literatur gewesen war. Er hatte sich nun auch um die interne
Lehrstelle beworben, aber dabei eine Reihe von Propositionen aufge-
stellt, welche mit dem ausgeschriebenen Ooncurs unvereinbar waren,
weshalb der Wiener Magistrat, wie mir zuerst Herr Pommer selbst
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enihite und später auch die Zeitungen berichteten^ dessen Bewerbung
Ar imznljtasig erklärt hatte. Dazu kam, dass Dr. Ponunefi seine son-
stige TOsenschafUiche Büdmng* in Ehren, für einen sehr wichtigeii '
Theil der in Betracht konunenden Lehrthfttigkeit die statntenmfissig
erforderUche Befilhignng entschieden nicht besass, was evident war.
Und wenn man auch hoffen wollte, dass er sich aUmfihlich „einarbei-
ten'* werde, so stand dem das Bedenken entgegen, dass er nach seinen
eigenen ErklSnmgen nicht gewillt war, seine volle Kraft der neuen
Stelle zu widmen, sondern dass er daneben sein (Tymnasiallehr-
amt beibehalten wollte, "wo möglich mit verminderter Stundenzahl.
Herr Landsteiuer suclite natürlich seinen Candida! en in das
g^nstigfste Licht zu setzen, wobei er unter Andei-em die wes:en
ihrer Plumpheit geradezu lächerliche Beliauptun^^- aufstellte , dass
i'ommer über alle seine Mitbewerber auch durch grosse literarische
Werke hervorrage; in Rücksicht auf die mangelhafte Befähigung: des-
selben beantragte Landsteiner zunächst nur pro\isorische Anstellung
lof ein Semester; dass eine Äusserung des Hagistrats fiber Henn
Vmmer den Acten beiliege, erwähnte Herr Landsteiner nur flüchtig
und dme den Inhalt dieser Äusserung mitzutheilen. Hinsichtlich der
n besorgenden Oberbfirdung Pommers bemerkte Herr Landsteiner,
sein Candidat werde zur Erleichterung am Gymnasium einen Supplen-
ten erhalten, wovon aber hernach, als das Landsteinei'sche Arrange-
ment zur Ausführung kam, nicht mehr die Rede war. — Ich bemerkte,
dass zu einem halbjährigen Provisonum, wenn man recht behutsaui
vorgehen widle, wol auch Dr. WulW bereit sein Wierde, und Weiser
schlug vor, an denselben eine hierauf bezügliche Anfra<re zu rirliten.
Aber Landsteiner und Genossen wollten davon nichts wissen, lür sie
war Dr. Wolff überhaupt unmöglich. Ich hob nun das Bedenkliche
der Landsteiner-Pommer'schen Combinatioa nochmals hervor, worauf
HeiT Kühn bemerkte: Nachdem uns der Herr Director seine Ein-
wände gründlich auseinandergesetzt hat, beantrage ich Schluss der
Deliatte und stimme f&r Pommer. Herr Riss liess sein „Kinverstan-
den" erschallen, und das Geschält war erledigt
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(iedanken über reli^iös-.sittliche Bildang durch die
Volkfisehale.
Von <r. HufMutUdi' Unna.
Uaaptaufgabe der VoUuschiile ist die Entwlekeliuigr mid Sttrkiing der
Geistes- und Gemfitliskrtlfte ihrer Zßg^nge. Sie bedarf dazn eines Steifes und
soll diesen aus dem Cultnrleben dos Volkes entlehnen. Auch die religiöse Ent-
wickelunpfBRtufe des Volkes hat ein Becht auf BerUcksiclitigiingp. Wie aber
dioses T\»'('lit in koinfwi Gegenstandi' so wt'it roichon kann, dass man fordern
dürl'tt'. die N'olkssdiuli' solle densellit'ii \ uml u-;iiiz iHlircii. weil das eine Un-
niöiflichkeit ist, so k;iim auch den Ueli^iousgesfllsrhaften nicht gestattet wei"*
den, zu verlangen. da«s die Volksschule die Religionslehre in ihrem ganzen
Umfange den Schülern übermittele. Wenn aber schon wegen Mangels an Zeit
die Volksschule zu einer Auswahl genSthigt ist, so wird man ihr auch er-
lauben müssen, dai^enige ausznwfthlen, was ihren Zweclcen am meisten dienen
kann.
Was der Entwickelung und Stärkung der Geistes- und Gemfithskräfle am
erfolgreichsten zu dienen fähig: ist. kann nur von der Erziehnngs- und Unter-
rirhtswissenschat't btstiiiniit werden: was für das Leben am meisten notlitlint.
liJlngt vom jcwrili^^i n ( iilturznstande ab. PUda^o^ik und Culturznstand .sollen
ulso zusammen über die Auswahl des Stotles aus jedem Unterrichtsgegenstande
entscheiden. Die Art und Weise, wie der ausgewählte Untenichtsstoff zu be>
handeln, ist lediglich Sache der Pftdagogik. Diese moas also im Gebiete der
Volksbildung yollstftndig Herrin sein mit der einzigen Einschrftnknng, dass sie
bei der Auswahl des Stoffes für den UnteiTicht auf den Cultnrzustand Bfick-
sieht nehme. Man gesteht ihr dieses Recht ancli in fast allen Gegenständen
W^illig zu, nur im Relig-ionsunternchte wird es ilir streitig gemacht: in diesem
gilt tiiatsilclilidi noch imint>r die 'IMieolo^-ie einzig und allein als bestimmende
Gewalt. Woht-r diese auffallende ThatsaelieV
"Wenn man das Bestehende vollständig begreifen will, so muss man seinem
Entstellen nachforschen; die Geschichte ist eine gro.sse, in manchen Dingen die
einzige Lehrmeisterin. In den Jahrhunderten vor der Refbrmation war bei
den christlichen Vdlkem die Theologie die KOnigin aller Wissenschaften. Es
durfte nichts gelehrt werden, was die Kirche nicht gnthiess. Tausende wurdfo
verfol- t. I ingekerkert, verbrannt, weil sie etwa.s gelehrt hatten oder glaubten,
was der Kirche und ihren Dienern, den Priestern, nicht genehm war. Xocli
heute wird in K'om das \'eizeichnis derjenjö-en Bücher fortgeführt, welche von
dei' römisciien Curie der darin enthaltenen Irrlelu'en wegen verboten sind.
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— 307 —
Auch Schriften Lessüiff's, Qoethe'8, Schiller'.s. unserer deutschen Geisteslielden,
8t«hen in demselben. Der grosse Galiläi kam in den Kerker der TrKinisition,
veil pr die Rewp<rnnfr der Erde gelelut hatte, und norli heute darf nach dem
AVilU n der römischen Kirche die Lehre des Cupernicus nur ala Hyi>othose vor-
getragen werden. Der Papst schleudei-te ehedem seine Bannstrahlen auf ganze
VSIker, wenn diese nicht nach seinem Willen glaubten und handelten; glück-
liekerweiae zBuden und tOdten dieselben heute nicht mehr. 0ie Einibeiirelbr-
aation des 16. Jahrhimderts sehlnur der ICacht der Thedogie und der Prie-
ster eine unheilbare Wunde. Seitdem rafften sich die mei$;ten Wissenschaftea
empor und ent\\ickelten sich, ohne nach den Leliren der Theologie zq fragen,
— • und von da an datirt ihi- AufldiUien.
Im Reformatictiiszeiralter und noch lanp' nachher gab es keine Wissen-
whaft der Erziehung';- und des Unterriciits. Die luotestantisch«- Kirclie stiftete
Schulen für das \'olk. damit ihre Anhänger lesen lernten und den Katechismus.
Ibre Leiter nnd Aufseher waren natüi-lich die Geistlichen. Sie konnten lesen
ind kannten den EatechiBmna nnd verstanden so zn lehren, wie es eben da-'
luÜB an der Zeit war. An der Methode etwas beesem za wollen, fiel selten
einem ein. Die Theologen sind überhaupt im allgemeinen von jeher conserva-
tiv nnd allen Neuerungen feind ^rewesen. Die berechtigte Herrschaft der Geist-
lichen über die Schulen und die unpildajroofischen Lehrer dauerte fort bis in das
Zeitalter der AufklUrunp-. Da fanden in Deutschland Rousseau's Ideen Uber
natniiremilsse Ei-ziehuufc einen fruciitbai'en Boden, Auch auftreklärte Theolo-
^'eii schlössen sich den Philanthropinisten an. Endlich trat in der Schweiz Pesta-
lozzi auf nnd ward der Schöpfer eines methodischen, auf die Gesetze der Geistes-
entwiekelnng gegründeten Unterrichts. Auch manche Theologen, protestantische
wie kathoUsdie, huldigten seinen Lehren, verbreiteten sie nnd büdeten sie
weiter uns. Innige zogen aus den handwerkelnden Schnlmeistem allmählich
einen Lehrerstand heran, der in Unterricht und Erziehung nach pädagogischen
(rrnndsUtzen verfuhr. Audi in der Theolog-ie hnldioften hervorragende Geist-
liche vernünftig-en Grundsätzen und wirkten diesen gemäss für Schule und
Kirche. Wir erinnern nur an Sailer. Wessenberfj:. Chr. Schmid auf katholischer,
au Natorp, Schleiermacher, Dinter auf ])rote8tanti8cher Seite. Prior Hoogen
and andere Geistliche strebten schon damals nach einer Reformation des Reli-
gionnmterrichta in der .Schule. Jener sehrieb in „Beitrüge zur Beförderung
der Hnmanitüt*' (Basen, Büdeker, 1805) seinen noch für unsere Zeit wichtigen
Aatuta: „Die g:nten Aussichten, welche die Verbesserung der Schulen für Auf-
klärnng, oder eine moralische und staatsf,'edeihliche Bildnnjr des Volkes gewäh-
ren kann, wenn die.se Schulen blos als staatsbürg-eiiiche Institute. unabhUng'is:
vom kirchlichen Relig-ionswesen behandelt werden." Bis zu dieser Zeit waren
die Pfarrer meüst immer noch die natiulichen Autoritäten der Lehrer. Kur/.
lUichher brach das Unglück Uber Preussen herein. Gemahnt durch Fichte, dei-
in einer besseren Erziehung des Volkes die Möglichkeit einer Wiedergeburt deb
Staates erkannte, wurden junge Mftnner zu Pestalozzi gesandt, Senünare fttr
Lehrer gegründet, und es entwickelte sich auf pKdagogischem G«l^ete ein Stre-
ben für die Hebung der Volksbildung, welches in kurzer Zeit die herrlichsten
Früchte zeitigte. In wenigen Jahren wurde der Stand der Volksschullehrer
em wesentlich anderer, ein »Stand, dei- sieh sairen durfte, dass er eine beson-
dere Kunst verstände, die Kunst eines uatiugemässen Klemeutaruiiterrichts.
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— 308 —
l)er glürreicheii Erhebung- des deutschen Volkes im Jahre 1813 und der
Befreiung' vom fi'anzösischen Joehe folgte, wie jeder grossen politischen Anf-
reg^ig, eine tiefe Abspannung, und politische wie kirchliche Absolatisten be-
imteten diese Zeit, um wieder 211 gewinnen, was sie in der Zeit der AnfUlning
und der geistigen Erlielnuig verloren iiatten. Die Begiemngen Terliessen die
Bahnen, welche Stein ihnen vorgezeichnet hatte, und die Geistlichen saehtea
ihre Macht zu stärken durch Zuriickfühnin^ der Zustände, welche vor der Auf-
klftmngsperiode in der Kirche bestanden. Die Schule blieb trotz ihrer vöUiisren
Umgestaltnuir und trotz der piidas-oirischen Bildung- der Lehrer, denen die Geist-
lichen in der Schularbeit meist nicht mehr ebenbürtig: waren, unter der Herr-
schaft der Theologen und steht noch immer unter derselben. Nicht nur der
Stoff, sondern zum grossen Theil auch die Methode des Keligionsunterrichtes
wird durch die Geistlichkeit oder doch nach ihren Wünschen festgestellt, und
mdst sind es Geistliche, welche die ganse Scfanlarbeit des VolksschnUehras n
benrtheilen haben.
Anf die Yerderblichkeit dos letzteren Zostandes wollen wir liier nicht
naher eingehen, sondeni nur die Übel naclizuweisen suchen, welche daraus ent*
sjii in^-en. dass nur die ReiigionsgesellBchaften, also die Theologen es sind, welche
über den Keligionsuntemcht in der Volksschule bestimmen.
Wenn man auf die Frage nach dem Zwecke des Relig^ionsunterrichtes
antwortet: Der Religionsunterricht soll religiös -sittliche Menschen bilden; so
darf man anf fast allgemeine Znsthnmnng rechnen. Aher werden die ZnstiBh
inenden anch wirklich einig sein? Gewiss nicht; denn hei dem Worte „reli-
güfe'' denken die verschiedenea Beligionsparteien nnd nicht selten sogar die
verschiedenen Mitglieder derselben Confession an ganz Verschiedenes. Diese
Verschiedenlieit geht so weit, dass eine Partei der jindem alle Religion ab-
spricht, sie irreligiös, religionshis nennt. Dem Ultramontanen ist nur derjenige
wahrhaft religiös, welcher aji die l 'nfehlbarkeit des römischen Rischofs, fifiii
Allhänger Calvins nur derjenige, welcher an die unbedingte Guadejiwahl glaubt
Q. 8. w. Sie alle verwechseln Confession mit Religion, sie alle fordern daher
von der Sehlde, dass diese vor allem diejenigen Dogmen lehre, welche ihre
Confession von anderen Confessionen unterscheiden, Qyd in dieeerFordemng sind
die Übel eingeschlossen, welche aus der Bestimmung der BeligionagesellschafteB,
d. i. der Priester, tther den Inhalt des Lehrstoffes im Beligionsnnterrichte ent-
springen.
Relig-ion ist ihrem allgemeinsten Wesen nach das Gefühl der Abliäniiii:-
keit von einer überirdischen, nur in ihren Wirkungen erkennbaren flacht. Ihis
Meinen der Menschen über diese Macht schon hat mit dem Wesen der Reügion
nichts zu schaffen; nach ihm gestalten sich die verschiedenen Coufessioneu,
deren es so viele gibt, als selbststftndig denkende Menschen vorhanden sind.
„Hein Gott, dein Gott, sein Gott sind drei verschiedene Götter." Niemand
hrancht zu fürchten, dass dem denkenden Menschen das Wesen der Reliirion
jemals abhanden komme ; die Confessirmen aber werden sich mit dem Cnltnr-
zustande nothwendig im Laufe dei* Zeit ilndem. Sind diese sich stetig ändeni-
dern Leliniit iiiungen von besonders liuliem Werte? Welchen Ma.ssstab sollen
wir an sie anlej^en.-' Wir ai ( cittii-eii gern denjenigen, welchen der Stifter der
christliciien Religion gegeben hat: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkeniieiL"
Was er unter diesen Früchten versUnd, haben seine Apostel Paulos und
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— 309 —
Johannes am schönsten gesagt. l.Cor. 18: „Wenn ich mit Menschen- und nüt
Eng:elznngen redete und hätte der Liebe nicht, so wÄre ich ein tiinendes Erz
oder eine kling-ende Schelle, und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle
(iebeiniTiisse und hiltte allen Glauben, also dass ich Berge versetzen könnte,
luid hätte der Liebe nicht, so wäre ich niclits." l. .Toh. 4, IH: ..Gott ist die
Liebe. Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.*'
Kit diesen AnsqirBcheii Jesu und seiner Apostel werden wir wol sagen
dOiü^n, dass der Zweck des BeUgionannterrichts die Weeknng nnd Bdelrang
der Henscbenfiebe, also des sittlichen Lebens sei. Dann aber bat keine der
confessionellen "Religionslehren Anspruch auf allgemeine Hochschätanng nnd
anf besondere Beiücksichtigung im Unterrichte der Volksschule, Ton welcher
nicht nachjrewiesen werden kann, dass sie die Erziehung der Menschen zur
Sittlichkeit zu tfii^dem im Stande sei. Solcher (ilaubenslehren aber gibt es nur
z\\ei, die Lehre von Gott und die von der Vergeltung im .Jenseits: alle andeni
sind in diesen zweien mit enthalten. Dies wii"d auch die Hauptui-sache sein,
dasB wir diese beiden in fiist allen Confessionen finden.
Die mdagogik soll bd der Auswahl desüntenichtestoffies fiberhaapt, also
aoeh des religi5sen, anf das Leben Bflcksieht nehmen. Da nnn für das Leben
anf Erden es nichts Wichtigeres gibt, als die Sittlichkeit der ifenschen, so liegt
es anf der Hand, dass aus der Religionslehre vor allem der Glaube an Gott und
an Vergeltung nach <h'm Tode, also diejeniiren GlauhenssUtzc gewählt werden
müssen, welche auf unsert-r heutig-en Culturstute allen unter uns bestehenden
Tontessionen gemein sind, und femer, dass die Lehre von (rott in dem Satze
giljfelu muss: „Gott ist die Liebe." Im übrigen wird es hauptsächlich dai-auf
ankommen, der Jagend die Sittenlehre in möglichst klarer nnd eindringlicher
Weise an fibermittebi nnd sie zur Beobachtung derselben geneigt zn machen.
Sehen wir nns den ttbrigen religiösen Lehrstoff der verschiedenen Beligions-
Parteien mit Bficksicht anf seine Wirksamkeit für die Hebang der Sittlichkeit
genauer an. so werden wir finden, dass er fiii* dieselbe nichts enthält, was nicht
»chon in den beiden genannten, allen Omfessionen geraeinsamen Lehren ent-
halten ist. Die Wahrheit oder Unwahrheit derselben also völlig dahinerestellt
sein lassend, behaupten wii*. dass die Schule, um durch den Religionsiinteiricht
für das Leben, für die Versittlichung der Menschheit zu wii'ken, der specilisch
eooAessionellen Beligionslehren nicht bedarf. Wir nnterschreiben also auch
heite noch die Forderung, welche im Jahre 1848 bedeutende llBnner so gern
in die prenssiscbe Verfassungsnrknnde gebracht hfttten: ,|Der allgemeine Reli-
gionsuntenicht yerbleibe der Sdiule, der confesslonene werde der Kirche ftber-
lassen."
Über die An und Weise, wie in Kelijtrions- und Sittenlelnv unterriciiet
wei-den soll, steht allein der Pädagogik die Entscheidung zu. Eine Hauptregel
der Methodik, welche namentlich auch bei der Auswahl des Stoßes beachtet
Verden muss, lautet: „Lehre nie etwa«, was der Schüler noch nicht fassen
kaanP Die f&r das Leben wichtigsten Glaubenssatae siüd zugleich die fass-
bsisten. Ob sie aber von dem, was fiberhaupt zur Erzielung dnes reUgiSs-
»ittlichen Lebens yerwendet weiden kann, das Fassbarste seien, ob also mit
ihnen der Religionsunterricht zu beginnen habe, wird wol einer genaueren
Überlegung bedürfen.
Dem sechsjährigen Kinde ist manches nicht fassbar, was von einem zehn-
Psdagofiwa. 4. Jahrg. Heft V. 21
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— 310 —
jährigreii, welches schon vier Jaiue naturgemäs.s unterrichtet worden ist. sehr
bald begriffeu wird. Der Unterricht moss sich dem Standpunkte des Schülers
anflchlieeBen. Alle erste Bfldnng geht von der Aaecbanung aus. WasderSchfUer
nicht durch die Sinne wahniehmea kanif das rnoBB er dmch Vergleichen mit
Angeachantem erkennen leinen. Vorstellungen von Dingen, Tliätigkeiten und
Eigenschaften, die nicht sinnlich wahm^mbar sind, können doch nur durek
sinnli<'h Angeschautes zur Klarlieit kommen. Von der Geburt eines Menschen
an sorgt die Natur für die Ansammlung sinnlicher Anschauungen. Der Schüler
besitzt davon beim Eintritte in die Schule raeist schon eine nicht unbedeutende
Menge, unter diesen auch solche, welche als Grundlage für den ersten Reli-
gionsmiterricht benatzt werden können. Die Mutter hat ihm Nahrung gegeben,
hat ihn warm gebetteti hat seine Schmerzen gemildert, hat ihm Freade gemacht
Das sind Anschanonfen ond Erfohrangen, ans welchen der Begriff „Liebe^ nr
Klarheit gebracht werden kann. Die Klarheit kann ond soll erhSht werden
dnrch die Erzählung von Liebesthaten , welche von Mensfdien in besonderen
Verhältnissen sind geübt worden nnd die Lie})e in besonders ergreifender Weise
vor Augen stellen. AVas im Menschenleben das Höchste ist, das soll im Unter-
riclite in der Religion das erste sein.
Wenn der Begriff „Liebe** dnrch Anschauung und Vergleichuug der Liebe*-
tiiaten von Menschen zur Klarheit gekommen ist, dann mag der Blick des Kin-
des auf den Vater aller Kenschen hingelenkt werden. Natur nnd Qeeehichte
bieten an dieser Betrachtang' ansehanliches Material. Das Wesen Gottes im
allgemeinen ist die Liebe. Er handelt nach Gesetzen. Nur bei Beacfatong der
Naturgesetze ist das Wol der Menschen gesichert. Sie kennen zu lernen nnd
zum Wole der Menschen zu verwerten, oder andererseits sie möglichst unschäd-
lich zu machen, ist eine der höchsten Auttrabcii des Menschengeschlechts. In
(lott. der die Liebe selber ist, hat der Menseii sein sittliches und intelleetuel-
les Ideal. Schon in den Sagen und Mythen der Alten wird ei- als solches hin-
gestellt.
Die Lehre von der Vergeltung im Jenseits, also von der Unsterblichkeit
der Seele und der Belohnung nnd Bestraftmgr nach dem Tode des Leibes, llnlet,
was die Vergeltung anbetrifft, im Leben des Schülers genägende Anknüpfungs-
punkte. Befolgnng der Gebote von Eltern und Lehrern findet ihren Lohn, Zu-
widerhandlungen weiden bestraft. Beachtung der Naturgesetze hat gute Folgen.
Übertretung dei seli)cn führt Unglück und Schmerzen herbei, l)it^se nicht selten
offen zutagetretende Veigeltung für da.^ Thun und Lassen der Menschen al>
Erziehungsmittel zu l>enutzen, wii-d niemand unangemessen finden. Die Wirk-
samkeit dieses Erziehungsmittels aber wird leider sehr geschwächt dadorch,
dass die Folgen nicht nnansbleibliche sind , nnd dass sie oft nicht als Folgen
erkannt werden. Nicht alle Handlungen werden denen, die sie hiemeden
bestrafen oder belohnen würden, bekannt; andere haben nicht unter allen Um-
standen die gewöhnlichen Folgen. Durch beide Umstände wird die Wirkung
der Vergeltung als eines Erziehungsmittels abgeschwächt. Sie würde für die
Übung im sittlichen Handeln und dadurch für die Stärkimg der sittlichen Ki-att
Grosses bewirken kiinnen, wenn sie nach jeder That ausnahmslos und dem
Thäter erkennbar eintrllte.
Für manche Menschen gibt es schon hienieden eine solche Vergeltung;
aber nur für di^'enigen, deren Gewissen so zart besaitet ist, dass nach jeder
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'S?:?. ■
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durcli Leidenschaft oder Übereilnnj? herbeigetührten CbertretnDg eine Dishar-
monie einti'itt, welche Scham und inneren Schmei*z erzpufft. Dom Gemüthe
de« Schülei-s diese empfindliche Besaitung anzueignen, ist eine schwierige, aber
schöne Aut^jahe für den Erzieher. Um sie zu »«rfüllen . muss er auf alle mög-
hciie Weiße den Bück schärfen für das Sittliche und Schöne, und das Wol-
giefidkn to Sehilen an demselben zn erMeii sneiheii. Ist es gelungen, den
ZBgling zn gewSfanen, nicht ohne ürthefl, nioht ohne miigonif dee Onten ond
SdiSnen, nieht ohne IQa&bUlignn; des BSeen nnd HMadiehen die Dinge nnd
Hiätigkeiten annschauen, so leite ihn der Erriieher weiter an, nach jeder eige-
nen Handlung anch diese vor sein Gewissen zn stellen^ und er hat ihm dazu
geholfen, dass er sich selber richtet, und also eines :indern Richters nicht
mehr bedaif. Ein Mensch, welcher diese Stute des sittlichen Lebens erreicht
hat. wird deshalb noch nicht aufhören, in seinen Handlunf^en zn irren, aber er
<l«rf mit Geliert sagen: „Und ob ich auch aus Schwachheit telüe, hen-scht doch
In mir die Sünde niebl.'*
Efai Henadi, weleher sich nach jeder Ü1)ertretang selber richtet, welcher
m also andi btlsst, wird des Hinbliekes auf das Jenseito fHr sein Strdien nach
«ttlir lier Vervollkommnung nicht bedürfen; auf niedrigerer Stufe der Sittlich-
keit aber kann der Gedanke an das ewige Leben zur Zügelung selbstsüchtiger
Begierden das Ihris-e beitragen, namentlich bei solchen Menschen, die durch
Sinnengenuss die Stimme des Gewissens zu betllnljen .snchen. Ihnen mag der
Gedanke, dass der Sinnengenuss mit dem leiblichen Tode sein l^jide en-eichen
wird, und dass dann Jeder seinem Gewissen wii*d zuhören müssen, einen heil-
samen Schrecken ^aflOssen.
Hier scheint mir die geeignete Stelle zn sein, einem Einwurfe zn beg^
Ben, der in manchem Leser schon fHlher mag geweckt worden sein, dem Ein-
wurfe nämlich: Ist denn ein Mensch, welcher aus Furcht oder Hoffnung das
Böse nnterhlsst oder das Gute thut. ein sittlidier Mensch? Wir antworten mit
dein Frager: Nein! Aber es wird Jedermann zugeben, dsiss wir der Furcht
und Hoffnung als Erziehungsmittel zur Sittlichkeit heute und wol für
alle Zeit nicht entbehren können.
Vielleidit kann man auch dasjenige Eraiehungsmittel zur Sittlichkeit,
welches wir jetzt noch andeiten wollen, unter diejenigen der „Furcht und Hoff-
VMBg'^ zihlen; aber man wiid es dann jedenfiills zn den reinsten dieser Art
rechnen. Dieses Endehnngsmittel ist die Wecknng des Nachdenkens Uber die
Fdgen unserer Thaten, nicht über diejenigen Folgen, welche sie für uns. son-
dern ül>er diejenigen, welche sie für die Menschheit haben kr»nnen, welches mit
dem Bewusstsein unser« Fortlebens in der Menschheit, unserer Unsterblichkeit
im IMesseits zusammenfallt. .Jede un.serer Thaten hat ihre Fidgen. nicht nur
für uns, sondern auch tür unsere Umgebung. Die gute wie die böse That wird
auf unsere Mitmenschen und anf die menschlichen Zustände der Gegenwart und
der ^onft fluen Einflnss ansflben. Unsere Thaten sind nicht ein Abgeschlos-
snes, sie leben fort in der Menschheit „Das eben ist der Finch der bSsen
That, dass sie fortzengend Böses mnss g^ftren.*' Ebenso; Das ist der Segen
jeder guten That. dass sie fortwirkend Gutes mnss erzeugen- Das B9se an
sich und für sich liebt kein Mensch, kein Mensch hat Gefallen an dem8ell)en.
Weil e« böse ist, sondern nur, weil es im Augenblicke der Ausübung desselben
der selbstsüchtigen Begierde Befiiediguug verspricht. W enn in dem Augen-
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■blicke, in wclcluiii «'in Monscli (luicii die Heg^ierd«' zu einer bösen That g-e-
reizt wild, der Ciedanke klar vor seine Seele träte: „Deine Tliat wird fort-
leben und fortlebend immer wieder Böses erzeugen,'* er würde sie vielleicht
nnteriasseii.
Aber mag auch dieaes EittehnngBiiiittel der „Furcht nnd Hoibiiniir'' «Hiea
der edebten sefner Art sein, solche, welche in diese Kategorie gar aidit ge-
hören. Bind immerhin die besseren.
Alle Erziehung beruht in der richtigren Entwickelung der Anlagen des
Zöglings und in der zwerkniiissicf^n T.eitung und Benutzung seiner Triebe.
Einer der stürkt^ten und wiclitigsten dieser letzteren ist der Thätigkeitstrieb.
Sorgt der Erzieher dafür, dass diesei- Trieb seines Zöglings sich auf Nützliches
und Gutes richtet, so gewinnt er ihn für das Thun des Nützlichen und Guten.
Soll diese Sorge gelingen, so mnss man es Tersteheni dem Kinde die Thlltig-
keit anziehend, lieb zu machen. Ein Kind ahmt gern nach, aber die bloese
Nachahmung ist nicht im Stande, es dauernd sn ftsseln; es ermüdet bei d«r^
selben. Eine Tbatigkeit, welche dauernd fesseln soll . nmss eine schöpferische,
muBs Selbstthätigkeit sein. Deshalb ist die Bildung der Phantasie von so hohem
Werte, Ist diese so weit entwickelt, das« j^ie dem Zöglinge bei einer nach-
ahmenden Thätigkeit über diese hinaus ein Ziel zeigt, so wird das Streben
nach deinsel])cn rege und treibt zu sellistilnditrem schöpferisch, n liandeln. wel-
ches alles um uns her vergessen macht. Darin berulit auch der hohe Wert des
entwickelnden Unterrichte. Er zeigt dem Schfiler in Jedem Angenblieke ein
nenes Ziel nnd fesselt ihn dadurch voll nnd ganz.
Eines der bedanerlichsteA Hindemisse, welches sich der Weckmig und
Anreizung zur Selbstthätigkeit im Denken und Handeln entgegenstellt, ist der
Umstand, dass die Schnle so wenig im Stande ist, der Individnalität der ein-
zelnen Schüler Eeclinung zn tragen. Wo die natürliche Beanlagnng fehlt, da
ist es sehr scliwierig, Interesse für einen (Tee-enstand. Lust nnd Liebe fiir eine
Thätigkeit zu wecken; zu .schöpferisclier ThätiL^keit anzuregen, ist da jraiiz
unmöglich. Könnten wir jedem Zöglinge immer eine seinem Ingenium ent-
sprechende Ari)eit geben, so würde jeder diese Thätigkeit mit Frenden ergr^«
fen, zn hohen Zielen gelangen nnd im Thnn des Rechten taglich mehr erstarken.
Wie sehr es daher geboten ist, der Ihdividnalit&t der ZSglingc betreflb ihres
Bildungsganges möglichst Rechnung zu tragen, liegt auf der Hand.
Nach unserer Darstellung liegen die reinsten und wichtigsten Erziehungs-
mittel zur Sittlichkeit nicht auf dem (lebiete der lieligion. Wer uns darin nicht
isnstinnnen sollte, der ist vielleicht in dem Irrtlmme befans-en. dass alles, was?
wir in dem Buche lesen, welches die Christen als die Quelle ihrer C'onfessioii
betrachten, zur Religionslehre gehöre, dass sie also auch die Sittenlehren, weiche-
in grosser Zahl in der Bibel enthalten sind, zur Keligiou rechnen. Die heutigen
Christen shid dnrch ihren Bildungsgang onwillkttrlieh dazn gekommen, das
Gebiet der Beligion als ein Gebiet zn betrachten, welchee dasjenige der Sitt>
lichkeit einsehlicBse. Sie denken bei dem Ansdmcke „religiöser Mensch" ge-
wöhnlich zugleich an einen sittlichen ^lensehen. Weit eher aber dürfte man
berechtigt sein, in jedem sittlichen ]Menschen zugleich eine religiöse Person zu.
erblicken, l'nser Ih'ldnngrsfrang wenifrstens spricht dafür. Wir alle sind von
.lugend an daran gewidint. <las (nite zu thun. um (lott wol zu gefallen, nnd in
ihm das Ideal der Sittlichkeit zu erblicken. Es dürfte daher nur sehr selten
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vorkommen, dass ein sittlicher Mensch nicht an Gott, nicht an eine überirdi-
sche Macht glaube, von welcher er sich ablüingfis: fühlt. Daprearen kommt es
iiiclit e:ar selten vor. dass reliariöse Menschen, also Menschen, welche die ei;»;eiit-
lif;li reli^^iiiseu PHicliten aufs strengste ertüUen, doch unsittlich sind, sich nicht
sdieaeu, heimlich ihren Lüsten zu früliuen und gegen das Woi ihi'er Mit-
■enschen za intrigoiren, namentlkb wesn dieselben einen andern Eatechismtts
gdemt haben. Freilich erschrickt der einfache Hensdh, wenn er erfthrt, dass
eine Pereon, welche im Beten, in händieher Andaeht, in ftommen, salbungs-
vollen Eeden. im Kirchengehen, Beichten, Abendiiialilsgenoss etc. ein Übriges
thnt, .«lieh nebenbei nicht gescheut hat, Witwen und Waisen zn berauben, aus
d^r Xoth der Unglücklichen \'ortheil zu ziehen u. s. w. Man begreift nicht,
wie das möglich sei. ]>ieses Niclitbe^i-reifeu geht aus dem vorhin berührten
Irrtliume hervor. Sieht mau ein. dass die l^tlichten, welche dem religiösen Ge-
fühle entspringen, von den laichten der Sittlichkeit veiiächieden sind, so hat
dieEradidnnng, dass streng kirehllehe Hauchen Dicht selten zugleich onsittlidi
M, dmrehans nichts Aofftdlendes. Einen andern Irrthnm, der leider anch ein
«eitvertoeitflter ist, hinsnnehmend, stellt sich diese Thatsache sogar als leicht
begreiflich dar. so da.ss man geneigt werden kannte, hinter jeder anssergewöhn-
li< lieu äosseriichen Frömmigkeit Unsittlichkeit zu vermnthen. Dieser zweite Irr-
thum besteht darin. d:i!^s man irlaubt, durch die vorhin genannten religiösen
Handlungen (rott witliretUllig werden zu können, ihm gleichsam einen Dienst
damit zu erweisen, weh her dazu bereciitige, auf sein Wolgefallen rechnen zn
dürfen. Dass dieser lirthum vorhanden, beweist hinlänglich die Thatsache,
da» man jene Handlungen vorzugsweise „Gottesdienst" nennt Liegt es nun
bei dem kirchlich Frommen, der in diesem Irrthome befangen ist, nicht nahe,
den er, nidit Im Stande, seine selbstsüchtige Begierde m zOgelii, nach Be-
gehung einer unsittlichen That seinen Eifer in der Erfüllung ftnsserlicher reli-
giö^ier Pflichten verdoppelt und nnn sich der Hoft'nung hingibt, dass sein
erhöhter Eifer auf der einen Seite die VersäumnLs auf der andeni wett machen
werde? Diese Hoftnnng wird bei dem (ililubigen noch beMUiders vei-stärkl durch
die Lehre von <ier \'erdorbenheit der Menseliennatur und von der stellvertre-
tenden Genngthuung durch Christum. Wenn nicht die Sittlichkeit diuch die
Beligiositüt geradem soll geschädigt werden, so mnss man namentlich fttr die
Besftitigong des zweiten Iirthnms thfttig sein; es mnss jedermann einsehen
lernen, dass die genannten ftosserlichen reUgiCsen Handlungen an und fOr sich
dorchaus nichts Verdienstliches sind, sondern nur dann einen Wert haben, wenn
Mittel zur Wecknng imd Stärkung eines sittlichen Lebens sind.
(ribt uns aber auch die Relitrion als solche wenige !\Iittel zur \ ersitt-
li' liinii; der Menschheit an die Hand, so stellt sie uns doch in dem riehtig ver-
Ätaiidenen Begrifte ..Gott - das Ziel nioralisehen Strel»ens. da.s Ideal der Sitt-
lichkeit vor Angen, dessen tiefste Erklärung wir in dem Woite des Apostels
Johannes besitzen: „Qott ist die Liebe''; und wir werden wolthnn, die Erziehnng
Sur Sittlichkeit in der Yolksschnle stets mit diesem Begriffe zn verknfipfen.
Vergegenwärtigen wir uns sefaiesdich noch einmal den Stoff, welchen die
Volksschule zur Weekung und Belebung sittlicher Gesinnung ZU behandeln hat,
niul die Art und \\ eise dieser Behandlung nach den Fordeningen der Pädago-
gik, mid vergleichen wir diese in wenigen Worten mit den Forderungen der
kirchlichen Theologie l
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Im Oleiclnüsse vom bannherzigen Saiuarit^T ist der Stoit kiii z und bündig-
bezeiclmet mit den Worten: „Du sollst Gott helfen von g^anzem Herzen und
deineu Nächsten wie dich sdbst.*^ Diese zwei Gebote dem Sehitler mfig^lielist
klar nnd nnvergesslieh zu machen, das ist in reUgilto-sitÜicher Beziehung die
Aufgabe der Yolksschnle. Dabei darf aber nicht veigessen werden, dase die
Liebe zn Gott sich nur in der Liebe zn den Menschen en%'eisen lässt. ,.So
jemand spricht: Ith liebe Gottl und hasset seinen Bruder, der ist ein Lügner."
Um ilif'Bf Aufg-abo dor reliiriös-sittliclion Erziohnnjr mög:lichst vollständig zu
lösen, niuss der .Schüler luitreleitet werden, in seinen Lebenskreisrn das sitt-
liche nnd unsittliche "Wrlialten zu beobachten, und sein (iemüth niuss diinli
Unterriclit und Erzicliuufi so gebildet werden, dass der Anblick des Ciuten
Frende in demselben erregt, der Anblick des Schiebten dagegen es mit Uias-
faUen erfUUt. Dazu kSnnen schOne Darstellnngen guter Handlnngen, sowie
knrze schSne Anssprflehe ftber onsere Pflichten wesentlich beitragen, nnd sie
sind deshalb dem Gedttchtnisse nnd Gemüthe tief einzuprägen. Bei der Aus-
wahl derselben soll man auf unser«* Iveligionsorknnden Rücksicht nehmen, aber
sie sollen ebensowenig wie die Darstellungen über Gott allein aus ihnen fire-
noninien werden. Die Wichtigkeit der Sache nnd die Gediegenheit der Foiui
müssen bei dei- Auswahl entscheiden. Vor {'berladunp dos GedUchtnisses hüte
man sich und strebe lieber nacii immer tieferer Durclidjingung des Gelenitenl
Was verlangen dagegen die Kirchen von der VoUEHchBle? Schon a«f der
Unterstufe, welche SchfUer von 6 — 8 Jahren enthält, sollen etwa 20 UbUsde
Geschichten eingepfftgt werden. Diese Geschichten fBhren dem Sdiffler Zi-
stände vor, für die er in seiner Erfahrung gar keine Analogien findet, in
welche er sich also gar nicht hineindenken kann. Manche derselben, z. B. die
Traumdeutungen .Toset's. Moses Flucht etc. sind für das sittliche Leiten gar
nicht fruchtbar zu machen bei den Kleinen, andere, z. B. die Uiit'erung Isaaks,
der Brudermord Kains. der Veikauf Josefs, stellen Handlungen dar, dereo
iScheusslichkeit abhalten würde, sie einem Kinde zu erzählen, wenn sie uiclit
in der Bibel stünden. Ansserdem soUmi diese Kinder mehrere Kirehealiede^
Strophen, Psalmenverse, Katechismnsstficke nnd Sprüche answendi; lemsn, die
dem Kinde gar nicht Uar gemacht werden kSnnen. Der Lehrer denke nnr an
Stellen wie: „Unser Wissen nnd Verstand ist mit Finsternis umhüllet,** .Xicht
vom nngebomen Liclite,'' etc. Was soll das Kind mit solchen WortschSUen?
Kimnen sie einen förderlichen Einflnss auf sein Gemüth liabenV Es ist nicht
niöß-iich. aber sie werden seinen (ieist und sein Gemüth abstumpfen. Hei man-
chen biblischen Gescliichten, Liederstro])hen und Katechismusstücken wird der
Lehrer sogar wünschen, dass die Schüler sich bei einzelnen Steilen derselben
nichts denken möchten. Warum denn gerade solche Stoffe für den Beligioni»
Unterricht wühlen? Der Pfairer nnd Püdagoge Ch. B, L. Natoip sagte im
Jahre 1804: „Der Weg zun Tempel der Wahrheit nnd Tugend, der lings
Sinai und Horeb führt, ist, aufs gelindeste gesagt, ein Umweg, nnd in Deutsch-
land braucht man nicht durch den Vorhof Jndäas dahin einzugehen."
Widmen wii- scliliesslich der Art und Weise, wie im KeligionsuntemVlite
nach den Foi-derungen der Pädagogik verfaliren werden soll, nocli einige Woite.
Sie fordert, dass der Lehrer Uberall, wo es möglicli ist, entwickele. Der Pä-
dagoge lässt die Schüler sehen, hüien, fühlen, walimebnien, so weit iluu das
müglich ist; er weckt die Erinnernng an frühere ühnlicfae Wahmehmungcn
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nnd theilt ihnen Eifabrung'en andortT mit. veranlasst sie. sicii über da.s Wahr-
iE-enoniniene nnd Eniptnndene auszusiirechen. stellt alles zusaninien. Hlsstt ver-
gleichen nnd verhilft durch Scheiden imd Verbinden den Schülern zu Begriffen,
Segehi, Gesetzen, zur Walurheit Die Schüler werden dadurch in steter Selbst*
tUUlgkeit erhalten und die Kraft im Denken und Wollen wachst dnich die
Übung. Dabei kann es nicht ansbleiben, dass sich ihrem Gedächtnisse die
Stoffe, die Gegenstände, wie die Thateachen nnd Walirheiten, welche dem Un-
terrichte zu Grunde lagen oder als Ref^nltat desselben ausgesprochen werden,
lebendig: und fest einprHg:en. Sn erfüllt der Unterricht seine höchste Autj^abe,
er weckt und stärkt die mensciiliche Kraft. Was Anlage und Möglichkeit war,
wird zu Kraft und Wirklichkeit.
Die orthodoxen und ultrumoutaneu Theologen nennen ein solche Art und
Weise des Religionsnntenidits nicht selten geradezu „Teofelswerk'*. Sie
ssgeii: Der Xenseh ist nur zum Bteen geneigt» seine Anlagen sind Yerdorben,
er geht aitHieh in Ghronde, wenn nicht dnrch den Oebrandi der kircbUchen
Gnadenmittel das Erbarmen Gottes ihm zngelenkt wird. Nicht aus »einem
Innern kann dem Menschen das Heil kommen, nur von der Kirche. Nur das
.\ufnehiuen der Heils Wahrheiten der Kirche, das o^lunbi^e Annehmen der con-
fessionellen Lehren und der phlubifre (iehranrh der von der Kirche verwalteten
Heüs^ter kann ihn Gott wol^efiillig machen. Er braucht die Wahrheit nicht
zu suchen, er kann sie aus sich auch nicht tinden ; sie ist da, die Kirche besitzt
sie. Der Ooeliie'sidie Sats: nWas Tai den Vitem du ererbt, erwirb es, um
es n beattaea*', ist den OUnbigea eine Thmrbeit. Der Mensch kann ond soll
nach ürai Wüten nichts thnn als aufhehmen, glauben und gehurchen. Die
entwickelnde Methode bildet nach ihrer l^Ieinnng hochmUthi^e, unlenksamei
z^eifelsüchtige Menschen, welche schliesslich nicht einmal die Autorität der
Kirche anerkennen. Die Heils Wahrheiten also müssen frefreben und in die har-
ten Köpfe und Herzen hineingezwnnpen werden; zu verstehen braucht man sie
nicht, begriffen können sie nicht wcnU n. Das ist für Lelirer und Schüli i . mei-
nen sie, eine leichte Arbeit und gewöhnt den Menschen au Gehoi-sam und Un-
terwfirfigkeit.
Wo die Wahrheit liegt» ob in der kirchlichen Theologie» oder in der Päda-
gogik» ist fttr den, welcher das Fortschreiten der Menschheit in Bildung und
Gesittung beobachtet hat nnd w&nscht, keine Frage mehr. Vernunft und Er-
fahrung entscheiden für die Pädagogik. Die Wissenschaften blühen erst, seit-
dem die kirchliche Theologie nicht mehr die freie Forschung: hemmt. Wie
weit, oder vielmehr wie wenig- weit wii- mit dt-n Lehren und mit der Methode
der Kirche in Betretf der Sittlichkeit gekomiiD ii sind, das bezeup:en die Straf-
predigten der kirchlichen Theologen selbst. Hat die kirclüiche Theologie in
15 Jahrhfuderten die Christenheit auf sittiichan Gebiete nicht weiter fthren
können, so hat man doch wol ein Recht, an der Unfehlbarkeit ihrer Mittel za
iMeifetn and die HoAiong zu hegen, dass der Weg, welcher zu der heutigen
Stufe geistiger Bildung geführt hat» anch wol auf sittlichem Gebiete zu höhe-
ren Stufen leiten werde.
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Ober den Wert der Jugendspieie.
Von Dr. Ewald jääitfe- Baris.
m
Das vegetative System ist die bleibende Qmidhige auch fnr dieMoskel-
uud NervenbeÜiätigung, und von seiner Gesundheit hängt zum grossen Theile
die Krilftig-keit und Munterkeit der letztei*en ab. Diese Muskel- und Nerven-
bethätigung- regt sich bekanntlirli bald mit einer gewissen ^bstständigkeit und
das geschieht zuei-st in der h'oriu de.s S})ieh's.
Der Bej^-ritV Spiel ist ein ziemlich elastischer. Wir nennen tkst jedwede
Beschäftigung der Kleinen Spiel, wie wir auch die planvollen, willkürliclieii
Bethfttiguugen nnserer reiferen Jugend, za «denen bereite eine gewisse Muskel-
kraft vorhanden nnd geübte Sinnesth&tigkeit yoransgegangen sein mnss, mit
dem Namen Spiel beseiehnen, sobald dies der Jagend Lust TerDrsacht Wir
konnten Spiel defiiüren als jene sneirst nnwfllkOriichen Bethätignngen, die aieh
dann zu willkürlichen erheben und von denen jeder Act Lust ist.
Gewölmlich denkt man bei dem Xamen .Tiis'pndspiel nur an eine be-
schränkte Anzahl von Spielen; auch ist man sich im aligemt-iiifii irar nicht des
Wertes derselben be\vu.s.st . wie dies deutlicli <lie arge \'ernaciiliissie:unir der
gemeinsamen Jugeudspiele in Deutsclüand zeigt. Und doch wird sich jeder
unserer Leser, dem ehemals das Gltiek dieser heiteren Unterhaltongen geboten
wurde, mit Vergnttgen der Standen erinnern, während weleher er sieh den
unschuldigen und köstlichen Amusemento des Spieles hingab. Soweit unser Ge-
dächtnis zurückreicht, vielleicht bis zu der Zeit der ei-sten Kinderschuhe —
sehen wir uns in den anschuldigen, harmlosen Freuden der Jugend. Oder wo
gäbe es jemanden, der an der spielenden, jauchzenden Kindermenge vorüber-
g-inge. ohne dass er sie mit wärmstem Interesse betrachtete und bei sich selbst
sagte: ,,Wie glücklich seid ihr noch! 0. könntet ihr es immer bleiben!" Poch
die wenigen Jugendjahre rauschen schnell dahin, bald gehören sie nur nm-h
den vergangenen besseren Tagen an. Bei dem heutigen schnellen, sich förmlich
jagenden Cnlturleben Ueibt unserer Jugend su wenig Zeit; wir mfissen daher
Sorge tragen, diese zu vertängem oderr was besser ist, sie den Kindern wert-
voller zu machen. Und wir können das um so leichter, als sich mit demWert-
yoUen das dem Kinde Angenehme verbindet. Die Jugend fragt nicht nach
einer Definition von Spiel: doch fragen wir sie: ^Wollen wir ein wenig spie-
len so lu'iren wii- sie aus einem j^lunde: ..(), ja. ja. bitte!" Da ist kein
Zwang, sondern treiester Wille: da ist kein mürrisches Gesicht, sondern heiter-
stes Kinderantlitz! Jeder Act des Spieles ist der Jugend eben Lust, und unter
steter Lust wird sie zui* Bethätiguug und somit ziu* Arbeit geführt. Wo köuu-
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T» ii wil- für heuW I'heile, Erzieher wie Zügüüif, einen besseren, uaturliclieren
and bequemeren Weg linden?
Das Spiel setzt voraas, dass die Nerven- und Moskelbewegung bereita
eine gewiaae Selbatsttodigteit erreicht habe, nnd dasu war eine sweckmassie^
■nd für das Wachsthimi ansreioliende EnOhmg lOadg.
Wie schon gesagt ist der Wert der Jngendspiele nicht hinreichend be-
kannt; die weitaus grOsste Zalü der Eltern nnd anch der Lehrer sieht dieselben
mit wenig: Wertschätziino: an. Die einen sagen, dass sie ganz überflüssig
seien: die andern, daas sit- zu weiter nichts dienen, als die Jugend ein wenig
zu l/e.<5cliiit"tiiren; nocli andere halten sie ans.«('hlies8lich für f^rholungsniittel.
N'aiueutlich in Deutschland ist inan peinlich daiaut bedacht, die für das Spiel
aif dem Stundenpläne etwa angesetzte Zeit von zehn oder fünfzehn Miuuten
ja nicht nm eine Ifinnte zn verlängern. Dies wird mathematisch genau nach
der denteehen üntereffidersahr abgewogen. Ich bin anch ein Freund der Pfinkt-
fiehkeit, wfinsche aber nicht, daes in dieser Weise gegeizt nnd der Jugend so
gar fielten das Vergnügen des gemeinschaftlichen Spieles geboten werde.
In den deutsclien Stildten ist das ^esellijie Kinder- und Jugendleben sehr
beschränkt. Die besseren Familien halten si( Ii tlii' die Kleineu Kindermädchen;
die reifere Jugend muss entweder Bänke drucken oder treibt sich wild umher.
Die Kindermädchen frequentiren mit den Ptlegebefohlenen entweder langweilige
Wege, oder sie nehmen anf irgend welcher Bank Platz, um eine ihnen uütz-
Ikdie Arbeit sn beginnen oder fortansetzen. Man nimmt keine Rüekii^At auf
Whid nnd Sonne; das Eindennftdchen strickt, die Pfleglinge beschftftigen sich
nach ihrer Weise; sie spielen, aber es fehlt die Geselligkeit nnd die verstSnd-
uisT«^ Leitung, daher der vollkommene Nntzen. Man könnte es so einfach
haben; es erforderte niclits als einen günstigen, öffentlichen Platz, geschützt
V'ir Wind und Wetter, und — — vor Kastengeist. Donh oline diesen letzte-
ren ueht e.s in Deutschland nicht. Der Herr Bürgermei.ster kann doch niclit
mit dein Expedienten und der Herr Mediciualrath nicht mit dem Chiruisren
Sprechen: wie kann man da verlangen, dass die Kinder zusauuuen spielen V
Durch sokhea kleSnlichen Sinui der die Fran X. mehr wert aehi isast als die
Frau T., wird das patriarebaiische Familienleben wie anch das gemeinschaft-
liche Kinder- und Jugendleben ganz und gar verhindert nnd der Kastengeist
mit seinen anekelnden und zerfressenden Eigenschaften der kleinen Wdt un-
bewosst eingeimpft, um! — das alte Lied bleibt ewig neu.
In den D<>rfern fehlt nun zwar nicht das gesellis"e Kinder- und Jugentl-
leben. dafür alx'r jede I^eitung und Beaufsichtigung, und dabei gibt es S(t wenig
zweckmässige «lugendspiele , dass die Jugend nur geringen Nutzen aus ihrer
freien Beschäftigung zieht. Überdies liält das Landvolk die Jugendspiele im
gibistigaten Falle für völlig ttberflfissig, und weiss nicht, dass sie eine Kette
TOB pädagogisch wichtigen Beschäftigungen sind.
In den Städten hat man zwar Me nnd da angefangen, die Kleinen in Klein-
kmderschulen nnd Kindergärten ein wenig zn beschäftigen und das allerdings
meist in spielender Weise. Was ist das aber für so viele? Dort wie anf dem
Lande wSre auf einfachem Wege dem Manirel y.n begegnen, wenn sieh Personen
landen, die für Verbreitung und weitere Ausbildung: zweckmässiger Jugend-
spiele Sorge tragen möchten. Das würde besser sein, als unsere Jugend in
fromme Jönglingsvereine und Nachmittags- und Abendgottesdienste zu treiben.
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Es ist iiiclit der Zweck dieser Zeilen, die zwcckniiLssigsten Jiigeiidspiele als
sololif liier namhaft zn machen, oder von ihnen eine Beschrt ihnng^ zn gi-eben.
Zu diesem Zwecke findet der Leser das Material in verschiedenen Schriften.
Der Wert der Jngendspiele, und von dfeeemvdll ich sprechen, besteht zu-
nftchtt darin, das« de der Jugend EriMdnng bieten, die bo noth thttt Seien vir
doch offen. So sehr anch die Leiatuigen dentsdier Schulen über die anderer
Nationen hervorragen — nnd davon tiberzengte ich mich allenthalben — , sie
leiden doeh fast alle an ZU grosser Überbttrdnn^ und Überfuttemng, die die
Materie nicht verdanen lÄsst nnd die Schnle und das Schullehen hassen macht.
Dieses ewige. Einpauken und Eintriehteni von allen niü<^lichen nutzlosen I)in-
g-en, die nach wenigen Jahren federleicht dem jntrendlichen Gehinie entfliehen l
Dieses steife. i)einliche, die Kinderwelt marternde Schulleben! Welch' hohle
Snperklugheit wiid da gepflegt und grossgezogen! Was onserer Jugend noth
thnt, das ist Erholung, und wie konnte sie dieselbe besser Bnden, als in den
Spielen, die ihr efai Bedttrfius sind? Gtobt der Jugend gemeinsanie Spiele! Gebt
ihr Zeit, in welcher der angestrengte Geist ausruhen, wahre Freude und wahre
Erholung finden kann! (lebt ihr Stunden, während welcher sie nicht an alle
die Themen, Kegeln und Formeln denkt, die ihr immer nnd immer durch den
Kopf gehen! (rebt ihr heitere Spiele, die sie vergessen lassen die Chikanen,
denen sie von „unpädagogischen Pädagogen" ausgesetzt ist! Gebt ihr Jene
hannlose Müsse, die allein im Stande ist, die Schüler- und Jugendzeit als die
goldene Zeit in der Erinnerung zu erhalten. Denn das gezwängte, Soldaten-
mässige, ewig eintrillende, homer strafende und gute Lehren ettheOeodeSehiil-
leben halt unsere Jugend nur in Fureht, macht die Sehule verhasst und ver-
bitteit die sehAnste Lebensieit. ünsere Jugend bedarf mehr Erholung. Gehe
man nach England und überzeuge sich; frage man die dortige Schölerwelt —
sie ist immer lustig und in fröhlichster Stimmung und kehrt mit Freuden in
ihre SchulwerkstUtte zurück, nicht weil sie in ihr weniger Arbeit findet, son-
dern weil sie die freie Zeit mit herrlichen Jugendspielen verbringt; diese und
nicht der Cicero sind ihr die Würze des Schullebens. Wo findet man das in
Deutschland? Wie viele gehen mit Seufzen anstatt mit Freuden zur Schule I
Wie wenige freundliche Sterne zeigt in dieser Besiehung die Lehrerweit! Ja,
viele sind bemüBn, aber wenige sind auserwShlt
Die Jugendspiele sfaid f^er der Gesundheit sehr dienlich, und auch diese
thut unserer Jugend noth. Wie viele Treibhauspflanzen werden erzogen! Die
lange Schulzeit nnd die riesige Privatarbeit — sie absorbiren einen Tag um
d4n andern und die J. gend verkümmert in der dumpfen T.nft der Schul- und
Wohnzimmer. Das gemeinsame Spiel und die frische Luft sind der Jugend ho
niithig. wie d»-m Fische das Wasser. Ich stehe nicht an, die Jugendspiele in
dieser Beziehung zum mindesten an die Seite der Crjumastik zu setzen. Denke
man nar an Ringen nnd WettUnfen, Haschen und Klettern, Renn-, Ball- und
Reifenspiele, Schtttzen- und Soldatenspiele, Ringelspiele mit Gesang, Schwim-
men und Gricketspiel*), Faustkampf nnd Schneebällen u. s.w., u. s. w. Alles
*) Dieses Spiel, das auf einem grossen Rawnplut/e (dem cricketfrritiind) ans-
gdlihrt wird, ist ein höchst feines 6piel und nur dem Geübten verritäudiich. Es
fltrdert KOrperkraft und Gewandtheit, gibt aber auch Oelegoiheit, erwoiboie Fer*
tigkeit zu zeigen und geltend zu. madn ii. Tu EnirlaiHl ist es selbstverständlich, dajss
jedes Alter um jeder Stand es zu spielen verstehe. Es ist ein eigentlich englisches
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BfWfgniif^ in frisclier Lutt, M:l<'iclivi<'l , ob die Sonne brennt oder ein scharfer
Wind durch das ju<<endliche Haar i)t'eift — das lässt din junge Brust tief
athmeu und röthet die Wangen, da& gibt neue Krälte und schafft Blut
ind Leben.
Z« gkieher Zeit wird dar E&rper aber auch gewandt imd geschickt Es
ist wakr, das Tamen wirkt auch nadi dieser Seite hin, jedoch gibt es mt^
rohe Kraft, als Geschicklichkeit und Gewandtheit. Unsere Gymnastik leidet
sa dem fibergrossen Streben, hervorragende Muskelbildnng and Mnskelleistiui*
pen zu erzielen; Gewandtheit, Geübtlieit und Weganz der vielfachen Körper-
bewegungen wird erst in zweiter oder dritter Linie berücksichtigt. Zu diesem
Zwecke sind besonders vortheilhaft die Kenn- oder lieifenspiele. Schützencorps-
and Soldiitenöpiele, die Ballspiele, das Tanzen und das Cricketspiel. Und wenn
dss Commando ertSnt: „Jetzt drauf los!'' — da müssen die Sinnesorgane ge-
übt nnd der EOrper gewandt sein, der Geist berechnend and fiberlegend, wenn
der Feind gesddagen oder nmaingelt and gefiiagen werden soll, wenn über-
hanpt die Partei den Sieg erringen wilL* Hier gelten keine rohen Kräfte, nnr
Idoge Gedanken, geschickte Beine and Hände und geübte Angen nnd Ohren.
In wie hohem Maasse sinnreiche Jugendspiele den Körper üben, ilin kräftig-
und gewandt machen, kann man an der englischen Jngend sehen. Die eng-
lische Jugenderziehung ist in dieser Bezieliuug jeder andern voraus und ver-
dient die lebhafteste Nachahmung. Durch vieles Baden und Schwimmen, Ru-
dern and Fassballen, darch Schwert- nnd Fanstkampf, Wettlauf nnd Gricket-
ipid wird die englische Jagend kififtig, geschickt, zähe o^d ansdanemd. Je
giSsser die Hindemisse, desto grosser die Anziehongskraft: kein Flnss ist ihr
zu breit, kein Berg zu hoch, kein Weg zn lang« kein Wetter zu schlecht. In
iN ntschland, besonders in den Internaten, erzieht man nichts als fröstelnde,
bleiche und leicht ermüdende Gestalten, eckige nnd einseitige Charaktere, em-
ptindsame Naturen, Tj'pen von Stubenhf>ckern und Bücherwürmern.
Dass die Jngendspiele eine Erholung sind, dass sie der Gesundlieit dienen,
den Körper kräftigen, gewandt und geschickt machen, wird niemand in Ab-
rede steUen wollen, eben so wenig, dass dies für unsere Jugend heilsam sei.
Doch betrachten wbr den Wert der gemeinsamen Jagendspiele auch noch nach
snderen Ge&iditspankten.
Sie sind aach fttr die Bildung des Willens von hober Bedeutung. Die
ersten Muskelbewegnngen des Kindes sind völlig planlos; Aufgabe der Erzie-
hung ist es. dieselben möglichst bald und möglicht zweckmässig in planvolle zii
verwandeln. Sehen wir z. B. das noch ganz junge Kind an. das eben erst
antllngt zu .spielen. Es sucht einen Gegenstand, der in seinem Bereiche ist,
an sich zn ziehen; ist ihm das gelungen, so wirft es ihn weg, nm ilin abermals
la ergreifen. Sein Wille hat einen Gegenstand erfasst; das Kind ist in das
Stsdiom getreten, wo der Wille sich zn bethätigen sacht. Hier moss die Er-
dehong zaHUfe kommen, am solche Bethtttigang zn Ittrdem. Der natürlichste
Weg ist das Spiel. Man wird in der ersten Zeit dem Idndlichen Triebe am
zweckmissigsten dadurch zu Hilfe kommen, dass man Objecte wählt, die
besonders intensiv anf die äinnesoigane, namentlich aaf das Auge wirlcen;
Nationalspiel; überall finden rieh Cricketchibfl. Anf rine Besdu^ribnng dieses feinen
Spieles mu.s.s ich hier verzichten. Icli einpfelile das interessante Buch ..Tom Brown's
School Days, hy an old boy" von Th. Hughes (deutsch vonDr.E. Wagner, Gotita).
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beüoii(l»^rs »-eeignet sind buiitt^ Cie}i:t' iistände, auf welchen das Auge mit \ orliebe
Iiaftet und die das Kiud reizen, das Spiel fortzusetzen und somit seinen Willen
Immer von neuem za beth&tigeiL Die anfangs ganz minimale Vontellnng ond
WertwMtKon^ entwickelt sich za immer weiterer wülkfirlicher BethStisaacr} die
im 80 intennver geschehen wird. Je mehr man den jngendlichen Willen dorch zweck*
mäsaige Spiele n&hrt Ea miua nadi ond nach zu immer planvolleren Uns-
kelbewegniigen kommen und das um so mehr, je mehr sich seine Sinne zu ent-
wickeln und zu schilrfen in dem Spiele Gelegenheit hatten. Es ist einleuch-
tend, (lass die Spiele ein zweckniilssitres Bethätigungsniittel des Willens sind,
und weil das Kind mit wachsender Kraft vom Xichtsthuu und von planlosen
Bewegungen zu planvollen Sinnes- und MuskelbethUtigungeu, d. i. zui* Arbeil
geflihrt wird, so sind die Spiele die Br&cke, welche das Kind in natOrlicher
ond daher heqnemer ond angenehmer Weise znr Arbeit leiten.
Wir wünschen, dass die gemeinsamen Jugendspiele nicht, wie oft in
Bentschland nnr aller Uonate i^dcht einmal sich wiederholen sollen, son-
dern, wie in England, alle Tage vielmaL Dann wird das Spiel anch eine gute
Willensbildung sein. Die Jngend mnss sich dem Leiter des Spieles nnd dem
Principe desselben unterordnen. Freilich könnte man saj^en, dass, wenn der
Wille nur nach dieser Seite hin durch Spiele jE^ebildet würde, man in Dentseh-
land JiiiTt'ndspielo nicht niithi«- lüitte. da es l)ei der dortigen Subordination und
dem « wijreu Drillen nicht g'erade daran It hlt. Doch wissen wir, dass die Wil-
lensbildung frühzeitig: beg-innen muss. und dass der Wille immerwälirender
Übung bedarf. Der Wille ist abhängig von zäher Übung; nicht genug Mo-
mente kdnnen wir an&nchen, die den Willen üben nnd stählen. Strengste Con-
seqnenz nnd eiserne Zfthigkdt mflssen voihanden sein, sollen doch dorch Vor-
stellnngen nnd Wertschfttznngen entweder Mnskelgmppen oder Oedankenver-
bindun^'en angeregt w» i d. n. Durch immer fortgesetzte Spiele, wie sie in Eng-
land stattfinden, also durch Wiederholunfr. trdu n wir der Jugend (Mjuner. welche
nöthig- ist, um willkürliche Bethlltiffunffen fest zu machen. Dass daneben auch
Erholung- niUliiq: sei, die auf Conservirung von Muskel- und Nervenki*aft ab-
zweckt, wird niemand in Abrede stellen w(dlen.
Zugleich werden im Spiele verkehrte Kegungen unterdrückt, oder » s wird
denselben voi*gebeugt, welch' letzteres das Bessixi-e ist. eben.so- wie es lei< lircr
ist Krankheiten zu verhüten, als sie zu heilen. Familien- und Schulleben sind
oft die Ursache nervöser Übeneizung. Da bewähren sich fortgesetzte Jugeud-
spiele als treffliclie Gegenmittel. Sie Terhttten Jene VerUtterang und Heftig-
keit, welche wie ein dnnkler Schatten so manches Henschenleben tr&bt Jede
etwaige körperliche oder geistige Überfütterung, welche Hnskel- nnd Nenreo-
th&tigkeit beeinträchtigt, das Kind an pas.sives Geniess^ n gewöhnt und ein An-
knüpfungspunkt für Faulheit nnd Lüsternheit ist, wird durch fortgesetztes
Spiel paralysirt.
Die gemeinsamen Jugendspiele l)i-i!mon allerdings auch unvermeidhche
Leiden mit sich. I)as ist jedoch sehr erwiinsdit : denn die Juirend muss lernen,
Leiden zu ertragen und sich über unerllillbare Li*'liliny:.>wünsehe hinwegzu-
setzen. Auch wir wollen, dass man dem Kinde schweren küii)erlichen oder
geistigen Sclunei-z möglichst ei-spare : ist doch die Widerstandskraft seines o^
ganischen nnd psychischen Lebens noch eine geringe. Allein e« mnss sehos
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frühzeitig ;?e\snhnt ^vpnlpn, tuitürlichen und onyenneidlicheu Leiden Gedifld
und Entsaininff >'iit^e?»'nzustellrii.
Bei der AVillensübung imiss auch die riiabhaii^^ifrkeir dt r Willensactf von
Ort lind Zeit, Stiinninng' und Unijirebun^ aiifrestrcbt weiden, und die Jusfend-
»piele kommen auch in dieser Beziehung uns zu Hille. Wir wissen, daüs der
Meaadroft aieh Mlbet ungleich ist und sieh verschieden zeigt Je nach den Ter-
leUedeaen Umgelrangen, Besiehnngen und Stimmungen. Da ist der eine Knabe
«gmogen im elterlichen Hanse, aller hrav in der Schule; ein anderer daheim
stiÜ and demfithig, im {^entliehen Leben dagegen lelihaft undstok; die Mehr-
zahl ißt nur arbeitsam unter Anregung Anderer, in Abwesenheit derselben da-
refpn arbeit«8chen. Alle diese Unregelmilssigkeiten in unserer Bethatiguuf!:
THrbVren wir nur durch Zucht, die immer und überall jreübt werden niuss. und
weil die Ju^rendspiele su ujanuiyfacher Art sind und auch viele vnn ihnen von
Ort. Zeit, Stimmung u. s. w. abhängen, so werden sie unter verständnisvoller
Ldttug nidit Teifäil^ wfUkUriiche fielhitigungen fest und leicht nnd nnab-
kiagig an machen. Wir wissen, je ungebildeter jemand ist, desto mehr besitat
er eine gewisse Steiflfl^dt nnd Festgefshrenheit, so dass er nur in einer ge-
winen Art und von gewissen Punkten ans seine Kräfte willkürlich in 6e-
w^Dg setasen kann und dass ihn jede Abweichung von dem Gewohnten stdrt.
Freilich erfordert die Beseitifrung- dieses Manjrels besondere Bedingungen und
för die Jugendspiele besondci-s vorstllndnisvolle Leitunjr. Dass manche Betliü-
liffunisren ihrer N.itur nach vcui «rewissen körperlichen und jreistigen oft selir
coQiplicirten Dispositionen abhängig sind, lässt sich nicht leugnen.
Hier wollen wir auch der Forderung gedenken, wegen der Macht des Bei-
qsds seUeehte Umgebung zu meiden. Während der Schnlstnnden wissen wir
ji unsere Jugend ziemlich gnt geborgen; doch ansserhalb derselben, besonders
won sie die freie Zeit im öffentlichen Leben verbringt, sieht und hört sie ent-
fietzliche Dinge. Die Forderuntr. die Jugend während dieser Z> ir so viel als
möglich spielen zu lassen, ist auch nach dieser Seite hin bedeutsam. Ist die
.Tasfend wiShrend derselben unter verständiger Leitun^r. so uuteiiietrt sie nicht
Am whiidlichen Einflüsse schlechter TJm^ebunfi:. Der Nachahmull^^>^trieb ist be-
8»mders der Jugend eigen, und man kann deutlich sehen, wie sie dasjenige,
wag ihre Sinne auffassen, durch verschiedene Bewegungen wieder geben.
Allerdings ist es gnt, wenn die Jugend von Zeit an Zeit sich selbst
flberiassen ist, am Oeistessammlnng und Gemütshmhe zu finden. Dennoch aber
snd obgleich anch Goethe, Kant und Schopenhauer behaupten, dass gemein-
sames Leben nur zu oft den Strom- dar Gedanken störe, so darf man doch diese
Wahrheit nicht zu weit ausdehnen und sie nicht in dem blasse auf die Jug-f^nd
anwenden wie auf die Erwachsenen. Unsere Jufrend hat wenicei- das Bedürf-
nis, sich sri Mssen (iedanken hinzusri ben. noch in den Mussestunden und im
.Alleinsein Herzensfrieden und Gemüthsrulie zu suchen. Durcli die Abgeschlos-
senheit unserer Jugend unter sich, durch das Getrenntsein von gleichartigen
Kkmenten, kommt es dahin, dass man so viele Personen trifft, die sich nicht
▼ostefaen. Es hat ihnen eben genügende Gelegenheit gefehlt^ mit Anderen zn
votehren« die auf gleicher geistiger Stufe standen, und daher die Crelegenheit
rie verstehen zu lernen, d. h. die Art des Andern nachzufühlen; dieses Ver-
SKigen, die Denk- und Anschauungsweise des iVlitmenschen nachzufühlen, wird
Bur durch gemeinsames Zusammenleben gelernt. Die Erfahrungen Anderer
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itfitzen uns weiiig, weiui sie nicht iu iiii»ereQ eigeneu Erlebnissen Anknüp-
fungspunkte finden.
Fllr dieBUdnng des Willens ist aach von grossem Voitlieile dieSiehemiig
des Gelingens und die Verhtttiing des Ifisslingens. In nnseren Selinlien fioUt
msn hierin nur zu oft. Man stellt Anforderungen, die der Schüler nicht er-
füllen kann, and die Schuld lio^t uicht am Schüler, sondeni meist am Lehrer.
Man kann an die Jugend dnch nur Anforderungen stellen, zu dei*en Erfüllung
ilire Kraft nusi-t icht: andernfalls tiirt die Gefalir ein, diiss wir Misstrauen im
Scliiiler erztiiiit ii. dass er beginnt Ketiexionen zu machen, durch welche der
Trieb zur Bethätigiuig gehemmt wird. Selbst Leute von Talent haben nach
irgend welcher Seite bin mit Misstranen in ihre Kräfte zu kämpfen. Nmi
gibt es sahireiche Jngendspide, die ▼onügUch geeignet sind, der Jugend die
Znversidit des Gelingens an verleihen, weil Ihre Aosführong im Bereiche der
Möglichkeit liegt nnd eine Kette yon Zwischengliedern zu gutem Ende führt.
Hierzu kommt ein weiteres Moment. In unserer Zeit ist es wahrlich
nöthig, das WolwoUen zu wecken und zu üben. Auch die Jugend soll schon
angeleitet werden mit den Mitmenschen in allen wesentlichen Punkten sjmpn-
thisch zu fühlen und das „Ich'* nicht andei-s als Eines unter vielen Cileichen
zu betrachten. Dazu gehriren jedoch viele Factoren, in eistei- Linie ein wol-
georduetes Familienleben, das in dem Kinde Liebe zu den Seinen püauzt, die
hentantage hei der ToUendetsten Ausprägung desMaterialismos wahrlich drin-
gend noth thnt. Wenn bo der Familiensinn begründet ist, dann werden ÜMrt-
gesetate gemeinsame Jugendspiele auch nach ^ner andern Seite Früchte
tragen. Sie werden Je lAnger je mehr den Familiensinn erweitem helfen zu
dem Menscliheitssinn.
Zuletzt wollen wir noch erwähnen, dass die gemeinsamen .Jugendspiele
auch den Ordnungs- und Wahrheitssinn pflegen, wie sie auch den Greist der
Kameradschaft fördeni. Die Jujjfcndspiele, so wie sin in England gepflegt wer-
den, bieten oft Gelegenheit, iiecUt zu sprechen und Wiüirheit zu üben. Streitig-
keiten, henrorgemfen dundi das Spid sind oft so erbittert, dass sie nur durch
einen Schiedsspruch geschliditet werden kOnnen, dem sich dann die jugendliche
Schaar unterordnet; denn es gilt Wahrheit nnd Recht aasnerkennen, seihst
wenn es noch so hart für den Einzelnen ist, ja selbst wenn es den besten Freund
des Schiedsrichters trifft. Jeder tUngrifT in die alten Bräuche gilt als Frevel
am Heiligen. Oft jreschieht fs. dass zwei jugendliche Helden, die sich nie
..ausstehen" und die nie Syni|»athif' zu einandt-r i^rwinnen konnten; dui-ch einen
W ettkampf teste und dauenide Freundschaft kniiiden. dass sie zu ihnn über-
raschenden Beweise kommen, dass die Antipathie auf Nichts geginindet war.
.dass sie sich wahrhaft lieb gewinnen. Und am Ende sagt sich die junge Schaar:
„Es war nicht so hSs gemeint, das Ganze ist ja nur ein Sinei." So wird Wahr-
heit nnd Beeht geflht, so wird der Geist der Kameradschaft genAhrt, so wird
Interesse für menschliche Art überhaupt gezeigt und bethAtigt und so geschieht
es, dass der Einzelne gern Opfer bringt, falls ein Anderer davon übrrliaupt
einen Gebrauch oder unter Umständen einen besseren Gebrauch machen kann.
Unsere l eitVre .Tujtrend sollte einen Anfaufi: machen mit der Einsicht, dass
auf die Natur nicht anders mit Erfohj;- yewiikt werden kann, als nach ihren
Gesetzen, uiul auf Menschen nicht anders, als auf Grund von Kenntnis wirk-
licher Gesetze der menschlichen Natur. Das muss man aber praktisch lernen,
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di'iin srinst fiihren auch Thätigkeit und Wolwollen. selbst in ihrei- Dnrchdrin-
jnm^, aus Mangel an Erfolg leicht zu ^'erstimnmiig uiid Miäsmuth gegenüber
der Weit, der Natur sowol als der Menscliheit.
Wir siiid am Ende. Wir haben versucht anzudeuten, in welcher Weise
die gem^nttmeii Jogeudspiele auf Gesanclheit und Wülen wirken, wie sie dea
KOrper üben, das Vertrauen auf eigene Kraft nfthren, den Gebt der Kamerad-
•ehalt und des Wcdwollens fördern, den Ordnnngs- imdWahrheltsaimi pflegen.
Wir können nnr noch den lebhaften Wunsch aussprechen, dass der dent-
sehen Jugend gemeinsame und sinnreiche Spiele recht bald und recht oft unter
verständnisvoller F.eitung gegeben werden mögen. Enirlaiid sei in dieser Be-
ziehung unstM- \'orbild ! Dann wird unsere Jugend nicht blos gesünder sein,
sondern auch geschickter und wilien^tärkeF; und Schule und Jugendzeit wer-
den ihr lieb und t heuer bleiben.
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1
Kindergarten nnd Volksschnle.
Gegenüber den Freunden dee Eindergartens, welche denselben als eine
fiberail wünschenswert« Vorstufe der Volksschnle betrachtoi, steht noch immer
eine nicht ^nz unbt^tleutende Anzahl von Schulmännern , welche behaupten,
dass ;ui den ans Kinder^ilrten ( und Kinderbewahranstalten) in die \'olksschulen
eintretenden Kiiidei ii im Vorj^leiche mit ihren direct aus dem f^lternhanse kom-
menden Alter8g:en(»ssen mehr Fehler als Vorzüge wahrnehmbar seien. IVr
Streit kann offenbar am besten geschlichtet werden dui'ch eine möglichtji viel-
seitige Beobachtung der Kinder in solchen Elementardassen, welche ihre Scha-
ler theik direct ans den Familien, theils ans Erziehnngsanstalten für das vor-
sehnlpflichtige Alter erhalten. Es ist aber nSthig, dass diese Beobachtong:ea
nicht nur völlig unparteiisch, sondeni auch planmässig angestellt werden. Der
Wiener Lehrerverein „Volksschule'* hat diese Angelegenheit eingehend erörtert
nnd als Leitfaden für die anzustellendt u l^eobaclitiui^en eine Reihe von Fra-
gen aufgestellt, welche auch iu weitereu Kreisen Interesse erregen dürften.
Sie lauten:
1) Zeigen sich die Zöglinge der Kinderbewalu austiüt und des Kinder-
gartens im allgemeinen anstelliger nnd geschickter, sowie besser {8r die Schule
vorbereitet?
2. Lässt sieh ein wesentlicher Einflnss der Kindergarten-Erziehnng auf
die Sprachfertigkeit nnd die Gedllchtnisstärke der Kleinen beobachten?
3. Sind sie im Stande, Fomen schneller au&ufassen, und zeigen sie sieb
in manuellen Fertiprkeiten e-esrhiikfer?
4. Lilsst sich ein tiinlernder Kintinss des Kindergartens auf die (iehrir-
und .Stimmbildung des Kindes in Kiicksiclit auf den Gesangsuntenicht walir-
nehmeu?
5. Sind etwa auch an sonst schwach beimlagten Zöglingen im Zusammen*
halte mit anderen gleichbegabten Schülern Einfliisse wahrzunehmen?
6. Welche Bemerkungen ergeben sich in Rfickdcht anf die Einordnung^
der Kleinen in die geselligen Verhftltnlsse des Schnllebeus? t
7. Ist das Auge derselben etwa durch die Kindergarten-Arbeiten gre-
schwUcht worden V
8. ZeiiTt n die Z<«glinge in der Schule eine auffallende Uuruiie uud her-
vortretende Spiel- nnd 'ITmdel sucht?
9. In welcher KiclHung sind bezüglich des Unterrichtes zwischen den Zög-
lingen der Kinderbewahraubtalt und jenen des Kindergartens auffiUlige Unter-
schiede wahrzunehmen?
VeiBDtwortticber RMUctonr; M. Stein. Bnebdracknei Jnlim Klinkbardt, Ltipiig.
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Über den (iottesbegriff.
I.
w ie vid die rdigiösen VorsteUnng^ zur Erziehung der Vl^Iker
beigetragen haben, das lehrt die Cultiir^eschichte. In erster Linie
stehen hier die Begriile von der Gottheit und was sich ihnen an-
schliesst. W enn wir, angerep^t durch die neuere Religions- und Natnr-
forschung, diei>em Gej^enstande eine kurze Betraclitun;? widmen, so
lassen \sir die theoloo^ischen und streng^ philosophischen Auffassungen
ganz bei Seite und halten uns hauptsäclilich an die Vorstellungen be-
deutender Völker, wie sie in der Culturgeschichte sicli gezeigt haben.
>ioch fernei liegen uns die kirchlichen Dogmen über den Gegenstand
der folgenden Eröi-terungen.
Die Fragen über Religion, Gottheit, Oftenbamng etc. sind heut
ni Tage auf einen ganz andern, mehr historischen Boden gestellt
Süd an der Beantwortung hetheüigen sich die vergleidiende Sprach-
wisseoBchaft nnd Mythologie ebenso wie die nenere Natorforschnng.
Durch die Kenntnis der heiligen Urkunden der Inder, Perser und an-
derer Volker ist neben der Bibel ein neues Feld eröffnet, so dass
nir sagen können: die Übellieferungen der Völker sind cuHnrhisto-
rische Urkunden, aber keine Dogmen, und keine tJberlioferung be-
weist etNvas lur oder gegen die andere. Im G^.gensatze zu Fischers
rHeidenthum und Offenbarung" (Mainz 1878 1 muss man behaupten:
Alle Überlieferungen i Urkunden) zeigen nni". dass gewisse N'orstel-
lunsren den Völkern gemeinsam sind, oder dass Übertragungen statt-
gefunden haben.
Viele Jahrhunderte aber, bevor Urkunden niedergeschrieben wui*-
den, bestand Religion bei den Völkern, herv<»rgegangen ans einer
kindlichen Naturbetrachtung.
Die Beligion hat das mit der Sprache gemein, dass Eindrücke
auf Sinn, Oeftthl und Verstand die ersten Anregungen gegeben haben,
und Religion und Siurache haben sich je nach der VolksindiTidualitftt
verschieden entwickelt. In dem menschlidien Geiste liegt die ge-
meinschaftliche» Quelle ftr Sprache und Poesie, für Offenbarang und
M^ofian. 4. Muts. H«tt VL 22
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— 826 —
Relicioii. Für die Kichtuii^ dei- letzteren waren aber hervoiTagende
Gfeister (Buddha, Moses u. a.i massgebend.
Der Sprache und Poesie ist die Personilication ei^^en, die dann
auf Gottlieiten übertragen wird. Das Wesen ist einerlei, der Name
vei*schieden. Diesen 'Vorgana- zeichnet J. Grimm in meisterhafter Dar-
stellung in seiner akademischen Abhandlung „Über die Nauien des
Donners", indem er sagt; „Wie alle ürwörter der Sprache aus sinn-
liclier Anschauung entsprangen, sind aucli die ersten Götter des Hei-
denthums yon dem Eindruck herzuleiten, den mächtige Natnrkräfle in
der weichen, empfiUiglidien Seele des Menschen hinteiüeBfl^. Ihm,
der alle irdischen Dinge za heherrschen den Mnth nnd das Vermögen
bei sich fthlte, stand die höhere, seinem Willen ungehorsame Gewalt
jener Erscheinungen helfend oder schädigend gegenflber, und er beugte
sich Tor ihnen in Ehrfiircht oder Schauer. Die unnahbare Wölbong
des Himmels, an welchem Sonne und Mond nach geordnetem Wechsel
leuchteten, das laute Gekrach des Donners, der einen blitzenden Boten
voraus entsandte, alles musste des Menschen entzücktes, erschüttertes
Herz zu frommen Empfindungen aufregen und ihn seine Abhängigkeit
von ihm überlejrenen \\'esen gewahren lassen, um deren Gunst er zu
werben, deren Zorn er zu türchten hatte. Sie selbst aber dachte er
sich lange in keiner andern Gestalt als in der sie ihm sichtbar
wurden. So nahe es auch lag, bildlich zu vergleichen, die Sonne als
das allsehende Auge des Tages, den Mond als das der Nacht zu nen-
nen, dem Flnss Arme, Haupt und Mund, dem Feuer Zunge beizulegen,
im Donner die Stimme Gottes zu hören: war es doch ein viel stär-
kerer Sprung von der Wahrheit des baren Anblicks, dass die Fantasie
allmählich diesen Naturereignissen volle menschlidie Bildung aneig-
nete und leiblich gestaltete GrOtter der Sonne, des Mondes, Wassers,
Feuers und Donners zu schaffen begann. Um soldier Gestalt willen
rückten sie dem Menschengeschlecht näher, handelten und vediielteD
sich nun auch in menschlicher Weise, zugleich aber wichen sie v<a
ihrer ursprünjrlichen, einfachen Bedeutung ab."
Da wir liiej- den (lOttesbegrirt' besprechen, so tassen wir
Hauptvertreter desselben für die indogerinanischen \'ölker nur die .ilten
Inder, für dieS»*miteii die alten Israeliten ins Auge. *^ Für die Erfor-
schung der lieli^ion der Inder ist in liervorragender Weise der
deutsche Gelehrte Max Müller iu Oxturd thätig, besonders durch sein
♦) Eine ausftlhrliche Darstellung der relig:iösen Eutwickflnmrs^tufen amtotr
Völker findet man in der „Völkerkunde" von 0. PeacheL ö. Aofi. mi.
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— 327 —
ktetes Werk: „Vorlesungen über den Ursprung und die Ent Wickelung
der Beligion" (Strassborg 1880). Um den Ursprung der Beligion
nachzuweisen, beginnt Müller mit der Wahrnehmung des „Unend-
lichen'', d. i. der allgemeinste Ausdruck ßir alle Gegenstände des
Glaiibens, die Jenseit des SmiüieheD liegen. Andere Ansdrfkcke wie
dis ÜBsichtbaie, das Übersmnliche, das Ubematflrliche, das GNttttiche,
das Absolute etc. sind ibm nicht scharf und mnftssend genug. Es ist
Thatsaehe, dass alle Menschen an etwas gkuben, was jenseit der
smnliehen Wahrnehmung liegt „Obgleich die Griechen sich viele
ihrer Gottheiten als sinnlich wahrnehmbar vorstellten, so galt doch
auch ihnen der liöcliste Gott, der schon in den alten arischen Spra-
chen Dvaus-pita, Himmel-Vater, im (iriechischen ZfTs ;f im La-
t^inis< lien Ju-pit^r hiess, fiir fast ebenso unsichtbar wie Er, den wir
nocli immer unseni Vater im Himmel nennen." M. Müller verfolgt
in^ibesondere die religiöse Entwickelung der alten Inder, unserer ari-
schen Almen. Ihr Suchen nacli dem Unendlichen, Unsichtbaren nahm
nicht den Ausgang etwa vom Fetisch-Dienst, d. k von der abergläu-
Mschen Verehrung unbedeutender Gegenstände, sondern Sinn und Ver-
stand gab ihnen die Offenbarung. Sie bekamen eine Ahnung von einem
Etwas, das ist, das aber die Sinne nicht erreichen, das unsere Sprache
oder unser Verstand nicht nennen, nicht begreifen kann; sie wurden
inne, dass es etwas jenseit des Endlichen geben mfisse: lebendige,
unsterbliche Mächte, wie sie auch von Griechen, Römern und den
alten Deutschen benannt wurden.
Die bedeutendste Urkunde der alten indischen Literatur ist der
Bigveda.*) Aus diesem erfahren wir, dass der Glaube an einzelne
Gotter wechselnd hervortrat, je nach dem Gebiete, in dem sie herr-
schend gedacht wurden. Die Hymnen des Veda weisen drei Reiche
auf: das der Erde, des Luftraumes und des Hellten Himmels. Die
Hauptgestalt des Mittelreichs der Lüfte wai' ludra, der gefeiertste
Gott der vedischen Zeit. Unter den Gottheiten des lichten Himmels
galt als der höchste Varuna (Uranos der Griechen), ursprünglich die
Personification des allumfassenden Himmels. In den Hymnen feiert
naa ihn als den herrschenden Friedenskönig gegenüber dem streit-
bttren Eriegshelden Indra. Sie schildern den Gott als den allweisen
äcMpfer, Erhalter und Eegenten der Welten, den allwissenden Be-
flehützer des Guten und Bächer des Bösen, und die Lieder erinnem
an den Ton der Psalmen und die Sprache der Bibel überhaupt. An
Moflterhaft bearbeitet Ton Adolf Kaegi. Leipzig 1881.
22*
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Variiiia srliliesst sich audi der Glaube an persüuliche Unsterblich-
keit, an das Leben der Seele nach dem l'ode.
Weder von den indem noch von den Indoeuropäern kann mau
sagen, dass der Monotheismus die ui'sprüngliche Form der Reli^on
gewesen sd. Hei den Indern entstand auf natürliche Weise der
Glaube an einzelne höchste Wesen (Devas), die dann in verschiedeDea
Entwickelmigsstiifen and selbst (wie in Griechenland) in venchiedenea
Gegenden als allerhöchste Terefart wurden. Man nennt die jlldlsche
Beligion monotheistisch und spricht von einer urweltlichenOffenhanuig,
Ton wdcher dann die andern Völker abtrOnnig geworden nnd in Viel-
götterei verfallen seien. Die nenei-e Sprach- nnd Religionawisseiiachaft
hat dies gründlich widerlegt. Weder die Sprache noch die Beligion
verdankt ihren Urspnmg einer urzeitlichen Offenbarung, sondern beide
haben sich auf natürlichem Wege entwickelt, und zwar auf (inuulla^a^
der Wurzeln in der jeweiliß-cn Völkert'amilie. Hinsichtlich der Reli-
gionen ist nur zu bemerken, dass erleuciitete I'ersonen (Propheten,
iielit'ionsstitrer ) den vom Yolksf^reiste vorbereiteten oft neue Bahnen
angewiesen haben. Ich sHjre „vom Volkscfeiste vorbereitet", denn
plötzlich „vom Himmel (Telallenes" wäre nutzlos gewesen tiir Menschen,
die nicht selbst ihre sinnlichen Eindrücke zu Begriffen verarbeitet
hätten. Und eben so verhält es sich mit den Religionsbegritfen ; denn
kein Missionär kann einem Wilden, der absolut keine Idee von Religion
hat, den christlichen Katechismns lehren. So wird anch kein Mann,
der sich mit vergleichender Religionswissenschaft emstiich beschältigfc»
von einer Inspiration der sogenannten heiligen ürkimden der Völker
sprechen. Rigveda, Avesta und die hebräischen Urkunden stehen in
dieser Hinsicht auf derselben Stnfe, wenigstens für den Gnltnihisto-
riker. Die Mehrzahl der zünftigen Theologen aller Confessionen wo^
den wol noch lange nicht zu dieser Erkenntnis kommen. Ihre Jjehr-
meinungen (Dogmen) nennen sie positive Religion, ^^'ir nerriren das
('bei'lieferte auch nicht, aber wir jreben ihm den richtigen historischeu
Wert und bewahren uns die Fi eiiieit der Ausleerung.
Nicht alle ^'ölker liaben für die Kntwickelung ihrer Keligi(tns-
und Gottesbegi'itfe denselben Weg eingeschlagen, sondern auf ver-
schiedenen Wegen ist dieses Ziel en-eicht worden. Dies sehen wir
namentlich an der Eigenthümlichkeit ihrer heiligen Urkunden. Han
brancht nur den Xexia nnd das alte Testament zu vergleichen, h&
denen beiden die Phantasie des betreifenden Volkes eine bedeutende
Rolle spielt Bei den Indem ward anfiings mehr als ein verehrtes
Wesen als oberste Gottheit gepriesen, während im Alten Testamente
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dieselben Attribute nur Einem Xainen zngetheilt wurden*), weil der
Name Eines höchsten götUichen Wesens schon gefunden war, als die
Bttcher des Alten Testaments au^ezeichnet wurden. Diese Vorstufe
zum Monotheismus» wie er am deutlichsten im alten Indien ersdieint,
nennt M. Hüller Henotheismus und yergleicht diese Entwi<^nngs-
stufe mit den Dialekten, die einer Gesammtspraehe vorausgehen.
Henotheismus nennt er den Glauben an einzelne ahwechsehid als
b^hste hervortretende Götter, ganz verschieden von Monotheismus,
dem Glauben an nur einen Gott, mit entschiedener Leu^nung der
M'irlichkeit anderer Götter, und Polytheismus, dem Glauben an
viele (TÖtter, die zusammen eine Art von geordnetem Götterstaat
bilden. Wahrend des Bestandes der (unten genannten) Einzelgütter
zeigte sich mit <ler Zeit die Neigung bei den vedischen Ariern, eine
Art von Oberhoheit in das Güttersystem zu bringen, aber mit weniger
glücklichem Erfolge als in Griechenland, wo zuletzt Zeus als Haupt
ier Welt und der Götter galt, als der allerhöchste, als Gott (&€6g)
schlechthin.
Allmählich, als das religiöse Bewusstsein der Inder stfirker wurde,
w8hrtti4 08 nach dem Unendlichen, dem ewig Unhekannten suchte,
begann der Zweifel, und dieser ist f&r Vieles der Anfang der Er^
keuntnis des Wahren. Man bezweifelte das Dasein des Hauptgottes
ludra und mit der Verneinung aller Devas (Götter) gelangte man zu
emer Art Atheismus, der aber zu etwas Besserem f&hrte. Sie ve]>
Hessen die lichten Devas, weil sie mehr suchten und an etwas Höhe-
res glaubten. Ohne solchen Atheismus wäre jede neue Religion, jede
ßefonnation unmöglich. Solcher Personen, die von den überlieferten
Ansichten über die Gottheit abwichen, hat es mehrere gegeben, z. B.
in den Augen der Brahmanen war Huddha ein Atheist; in den Augen
seiner Athenischen Richter war Sokrates ein (Gottesleugner, weil er
an etwas Höheres glaubte als an Aphrodite u. a. Auch bei deu
Juden galt jeder, der sich als Sohn Gottes fühlte, als ein Gottes-
lästerer (Matth. 9, 3). Alle Christen hiessen bei Griechen nnd Kö-
rnern Gottesleugner oder Atheisten (Apostelgesch. 24, 141 In den
Augen des Athanasius waren die Arianer Antichristen, Atheisten;
noch im 16. Jahrhundert nannte Servet den Calvin einen Atheisten,
•) Nicht 80 in Indien. Hier war Dyaua, der Hhnmel, uls der stets Leuchtende,
Vamna war der Himmel als <Ier alles I'infassende, Savitri die Sonne als Licht und
Leben Itrintfcnd. Vishnu war die Sonne als durch »len llimniel schreitend. Indra er-
schien am Himmel als Kegen bringend (Jupiter ;i)luviu.sy, Agni war Feuer und Licht
fiberbaupt.
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während Calvin den Servet des SclieiterhanfenB fiu* würdig erachtete,
weil dessen Ansicht von der Gottheit der seinigen widersprach. l>i>-
selbe Undaldsamkeit kehrt in anderer Form immer wieder und wir
erleben sie noch heut zu Tage.
Als die vedischen Inder gewahrten, dass ihre GOtter nichts als
Namen sei^ kam ihnen kein Ghristenthnm als Erlösung, wie bei den
heidnischen Griechen, Römern nnd Dentschen, bei denen dann ihre
Gottheiten in Dftmonen und bOse Geister (Teufel) verwandelt wurden.
In Indien war keine andere Religion da, um die Bedürfnisse des
menschlichen Herzens zu befriedigen, als die der Brahmanen,*) Man
Hess die alten Namen fallen, aber der Glaube an daj^, was sie nennen
wollten, blieb, „\ielleitlit das stille, sanfte Sausen, das einst Elia
hörte", und die Weisen mögen wo] manchmal in der Stimmung ge-
wesen sein, die in Uhlands „verloi-ner Kirche" ihren schönen poetischen
Ausdruck findet.
Die folgenden religiösen Zustände und gesellschaftlichen Verhält-
nisse Indiens können wir hier nicht weiter verfolgen und wenden uns
dem fSar ans als Christen näher stehenden Volke, den Israeliten so,
nm von einer anderen Seite den Gottesbegriff kennen zn lernen.
n.
Auch die semitischen Stämme in Palästma haben viele Wande-
lungen yensdt des Stromes nnd in Ägypten** Jos. 24, 14) durchge-
macht, bevor Jahveh, J^ova zu entschiedener Herrschaft gelangte.
Die monotheistische Idee des Mosaisrons kam nur sehr allmählich zur
Reife, und um den reinen .Tahvehdienst aufrecht zu erhalt t n, war das
Prophetenthum \on grosser i^edeutung; denn in 1. Sam. 9, 9 \esen
wir: ,,Vor Zeiten in Israel, wenn man <rin*r <^ott zu fragen, sprach
man: Kommt, lasst uns gehen zu deinSelier; denn die man jetzt Pro-
pheten heisst, die hiess man vor Zeiten Seher." Propheten erscheinen
im Alten Testamente als Vertraute der (rottheit, als Mund der Götter;
schon bei den Ägyptern hiessen so die Obersten ihrer Priester. Dass
Jehova ein ansserweltlicher Gott ist, nicht etwa aus dem Na-
tnrdienst entsprungen, nnd als übersinnliche Macht bildlich nicht
darstellbar, das verleiht der nationalen Überliefening der Hebräer
ihren vornehmsten Wert Jehova erscheint dem Propheten im Feuer,
ist aber nicht das Feuer, er ist in dem Worte, das ans dem Feuer
d. h. Oberpriester. BrAhmana bilden eine Abtheilung derVeden nnd bendMn
sich anf Oebet nnd Opferfaioidlnng; der Hanptinhalt ist (naeh IL HflUer) theolo-
gisches Gefasel. Rfickert's «»Weisheit des Brahmanen" hat jedenfalls grösseren Wert.
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gehört wird. Der Gedanke des ausserweltlichen und. intellectuellen
Gottes ist von Mose ge&sst und in dem Volke, das er führte, gleich-
nm verkörpert worden, und dazu haben des Volkes Schicksale viel
mü^irirkt Wie die Inder dem Gette Opf ergaben (Somaopfer)*)
brachten, um seine Gnnst za geigrinnen, so geschah es auch bei den
Hetarftem. Übrigens werden schon Samuel die Worte in den Mnnd
gelegt, dass Jahveh am G^orsam mehr Wolgefallen habe als am
Opfer (ygL Psalm 51, 18 fg.). An mehreren Stellen in den Bttchem
Mose geschieht der Braado^er Erwähnung, z. B. 2 Hos. 18, 12; in
20, 24 heisst es: „Einen Altar von Erde mache mir, darauf du deine
Brandopfer und Dankopfer, deine Schafe und Rinder opferst." Im
Kapitel 21 werden sogar Verordnungen über den Brandoptejaltar ge-
geben; das Gesetz über die verschiedenen Opfer finden wir im 3.
Buche Mose.
Durch die mosaisch-monotheistische Lehre war der neutestanient-
üche, christliche Gottesbegriff vorbereitet. Im Gegensatze zur
Heidenwelt, die Gott als eine Verkörperung der Naturkräfte auf-
fasste, wie sie sich noch im Alten Testamente findet (Job, Kap. 87
und 38), faast die christliche Lehre Gott als etwas Geistiges auf. Im
Evangelimn nach Job. 4 TerkQndet Jesus dne Uber Samariterthum und
Jadenthnm erhabene Gottesverehrung, fügt aber auch hinzu, dass die
Samariter den Gott oder die Götter, die sie anbeten, gar nicht ein-
mal redit kennen. Das sei bei den Juden besser: sie kennen den
wahren Gh>tt und deswegen komme auch von ihnen das Heil, vne ja
Jesus seinen Zusammenhang mit seinem Volke und dessen heiligem
Gesetz nie verleugnet hat. Aber es komme doch als etwas weit VoU-
kommneres, als eine „Anbetung (Tottes in (reist und in W ahrheit."
Bei Joh. 4. 24 sagt er deutlich: .,(-iott ist Geist (jtvsvfta o ,'><-oc). und
die da anbeten, müssen im (reist und in der Wahrheit anbeten." Als
Menschen werden wir nun aber immer gez^^^m^ren sein, das (rtittliche
in Menschenform uns vorzustellen, daher gebrauchen die Evangelien
vorzugsweise das Wort „Vater'S und damit iiäogt die Annahme einer
^tigen Vorsehung zusammen, die in keiner andern Beligion zu find^
ist. £ine spätere Verirrunn: ist es, dass, um zum Vater zu gehin-
gen, eine Anzahl polytheistischer Mittelwesen zu FQrbittem ersonnen
wurden.
Alle Völker ftthlten das Bedfirfhis, dem Unendlichen, welches sich
^ Es ist dies das bdiebteste Opfer der Tediseheii Zeit» bei welcheni der ndt
MOeh oder Qerste gemisefate Seit der Soma|illeaiie dugebredit wurde.
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hinter dem Schleier de>j P^ndlicben verbirgt, einen Namen zu geben.
tkkon die alten Arier wui-den geführt zur Anerkennung eines Vatei*s,
der im Hisunel ist. Im ersten Hymnns des Veda lesen wir: ,.8ei gü-
tig gegen nns, wie ein \'ater gegen seinen Sohn/' Im Rigveda heisst
es: „Höre uns, Indra, wie ein Vater.** „Vater im Himmel** oder „himm-
lischer Vatei^* ist nun auch die gewöhnliche Benennung im Neuen
Testament Christas selbst hat es im Vaterunser (Matth. 6, 9
so vorgeschrieben. Was er unter dem Himmelreiche versteht» geht
hervor aus den Glekhnissen der Schiffpredigt (Matth. 13).
Das persönliche Erseheinen eines Gottes gehört in das Grebiet
der Poesie. Wir finden es niclit blos im Alten Testament, sondern auch
im indischen Epos (Brahma und Vischnu), in der llias des Homer, in der
germanisclien Edda u. s. ^\\ Mit dem Eingi'eifen der Gottheit in die
Gescliicke der Menschen Illingen auch die Wanderungen der Götter
zusammen, l'nsere Legenden und \'olkssagen sind voll von Erzäh-
lungen über Wandelungen göttlicher Personen, aber auch Yon Christus,
Petrus u. a.
Indem wir mit der alten Zeit abschliessen, erinnern wir an einen
Ausspruch Goetbe's in Riemers Briefen (1806). Dort schreibt er: JiH»
Phantasie wirkte in früheren Jahrhunderten ausschliessend und vor,
und die flbrigen Seelenkr&fte dienten ihr; jetast ist es umgekdurt, sie
dient den andern und erlahmt in diesem Dienst Die früheren Jahr-
hunderte hatten ihre Ideen in Anschauungen der Phantasie; unseres
bringt sie in Begriffe. Die grossen Ansichten des Lebens waren da>
mals in Gestalten, in Götter gebracht, heutzutage bringt man sie
in Begriffe."
III.
Wir betrachten liier die Gottesidee nur historisch und ganz ob-
jectiv, ohne Kücksicht auf die Glaubenssatzungen der aus dem Christea-
tlium hervorgegangenen Kirchengesellscljaften. Diese hatten das Be-
düifnis, feste (positive) Normen aufzustellen. Uns war es liier darum
zu thnn, mit Übergehung der bekannten Mythologien der beiden s. g.
dassischen Völker und der in ihrer £ntwickelung gestörten germani-
schen Religion, den Gang der Gottesidee an swei Hauptgrundlagen in
der Weltgeschichte zu besprechen, um den Gang zu ertdidLsn, nn^
welchem sich diese Idee entwickelt hat Das Weitere gehört der
vergleichenden Religionsgeschichte an, die eine der schönsten wissen-
schaftlichen Angaben für die Zukunft ist. Die religiöse Erziehung
des Mensehen wird von diesem Gesichtspunkte aus auch fttr die Pä-
dagogik von Nutzen sein, wie schon Lessing in dem Schriftchen über
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„die £rziehang des Menschengeschlechts*" (§ 3) angedeutet hat Die
^Eaementarbttehei^ — wie Lessingr sie nennt — behalten ihren Wert
ftr die ColtorgeBehiofate und seihet fSac die Jagend, die einen fthnlichen
Oaag ehischU^ wie die Völker; nnr emen ähnlichen, nicht den glei-
chen Gang. In der religiösen Entwickelung der Menschheit kann es
80 wenig einen Stillstand geben wie in andern Gebieten. Man brancht
nicht gerade mit Lessing (§ 86) ein neues Evangelium in Aussicht zu
stellen, aber Notiz müssen wir nehmen von den Ideen, welche bedeu-
tende Männer besonders auf deui (Tebiete der neueren Naturfoi-sclinng
aiilirestellt haben. Gegenüber der Xaturndigiun <ler Völker, die dureh
dira'te Kinwirkung einzelner \\ eisen oder g^ottertüllter Männer geläu-
tert wurden, sucht in neut^rer Zeit eine andere Art Naturreligion sich
(reltüng zu vei-schatfen, namentlich in Bezug auf den Gottesbegrilf, der
ein Ergebnis der Naturbetrachtnng ist, bei einigen auch das Resultat
flirer philosophisch-religiösen Weltanschauung. Wir meinen die Aus-
iprüche und Hypothesen eines Spinoza, Goethe, Darwin, HAckel, Car-
neri n. a. Die Acten dar&ber sind aber noch lange nicht geschlossen
tnd wir machen auch im voraus vom pädagogischen Standpunkte ans
«He Bemerkung, dass solche Weltansdiauungen einstweilen noch nicht
Gegenstand des Jugendunterrichtes sein können, und darum schliesse
ixk mich der im letzten Septemberhefte des «J'aedagoginms" mitge-
theilten Ansicht Picks im Wesentlichen an, nur hätte die vielseitige
liel»ens- und Weltansc]uiuun<r ("arneri's dabei einige Rücksicht verdient;
denn durch die Schriften dieses Mannes haben die Forschungen der
Darwinisten auch eine ethische Seite bekommen, namentlich durch die
beiden Werke „Sittlichkeit und l)ar^vinismus'^ drei Büclier Ethik
(Wien 1871) und „Grundlegun- der Ethik" (Wien 1881).
Nach der herkömmlichen Erziehung im Kirchenglauben fällt es
sdbfit dem Unterrichteten ausserordentlich schwer, einen andern Stand-
punkt einzunehmen als den bisherigen. Selbst Naturibrscher haben
1» jetzt Bedenken getragmi, die Aufstellungen Darwin's und seiner
Anhänger anzuerkennen; sie geben nicht zu, dass die Naturforschung
nr wirklidien Erkenntnis Oottes fittire. Wie könnte der Mensch,
sagen sie, den geistigen Grund der Welt ermessen, da er keinen an-
dern Haesstab ndtbringt als sein eigenes Selbst? Sie f&hlen sich nn-
wOIkfirlich gedrängt, die Gottheit als persönlich sich vorzustellen, ohne
dieses gerade auszusprechen. Andere nennen die ,,Naturgesetze die
permanenten Willensäusserungen eines schaHi^ndt n Princips."
Dieses Suchen nach dem Begritte des Uiiendliclien, wie wir es schon
Ufi den Indem wahrgenommen haben, hat bis auf den iieutigen Tag die
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Philosophen beschäftigt. Von allen Gelehrten abei*, welche sich mit der
neueren Naturforschnng befreundet haben, scheinen mii* wenige mit sich
so im Klaren zu sein wie ('arneri. Er hat in den genannten Schritten
die Brücke geschlafen zwischen Darwinismus und Christenthum oder
vielmehr walirer Religion. Es würde liier zu weit tüliren. seine An-
sichten über die Enwickehingslehre, deren Grimdgesetz die Causalität
ist, über den Monismus etc. hier vorzubringen. Wir verweisen einfach
auf sein letztes Werk „Grundlegung der Ethik'\ Spinoza und Kant
nennt er seine Lehrer. Auch Goethe, der frühzeitig mit den Schiiflten
Spinoza's bekannt wurde und immer wieder zu ihm zurückkehrte, sagt
gleich im Beginn des 16. Buches von ^Dichtung und Wahrhett;'': »Jfehi
Vertrauen auf Spinoza ruhte auf der Medlichen Wirkung, die er in
mir hervorbrachte." In einem Briefe an Jacob! (1785) sagt er: ^^Spinoza
beweist nicht das Dasein Gottes, das Dasein ist Gtott Und wenn
ihn andere deshalb Atheum schelten, so mOchte ich ihn theissimum
nnd christianissimum nennen und preisen."
Goethe's Auffassung der Natur und wie er sidi mit den religiösen
Fragen abfand, gelit aus seinen Schriften hervor. Aus vielen spricht
deutlich ein gewisser Pantheismus;*) er sieht das Göttliche in dem
immerfort W^achsenden und Lebenden. (Goethe will sicli nicht ver-
messen, Gott /u erkennen, doch beglückt es ilni, seine Spur wahrzu
nehmen in den erhaltenden Gesetzen der Natur. „Ihm — sagt er —
ziäntls, die Welt im Innern zu bewegen, Natur in sich, Sich in Natur
zu hegen, so dass was in Ihm lebt und webt und ist, nie Seine Kraft-
nie Seinen Geist vermisst'* Nicht auf die Erkenntnis, sondern anf die
Empfindung legt er den Nachdruck, wenn er im Faust sagt: „Wer
darf ihn nennen? Und wer bekennen: Ich glaub' ihn. Wer empfinden
und sich unterwinden zu sagen: Ich glaub' ihn nicht? — Also alle
Beflexion hat ihre G-renzen, und wer hier angelangt ist, sollte
mit Goethe sagen: „Wenn der uralte heilige Vater mit gebissener
Hand aus rollenden Wolken segnende Blitze Uber die Erde 8ft% kfiss»
ich den letzten Saum seines Kleides, kindliche Schauer treu in der
Brust." — Das stimmt auch zu der Religion unserer gennanischen Vi»r-
fahren: deorum nominibus appellant secretmn illud, (lUDd sohl reve-
rentia videut (Tacitus Germ. IX.)
*) 1813 schrieb er an Jaoobi: ,Jeh fUr mich kann, bei den mansigfaltigeii
mchtongeii meines Wesens, nicht an ehier Denkweise genog haben; als Didkter nnd
Künstler bin ich Polytheist, Pantheist hingen als Natiirforscher, und eins ><- onf
schieden als das andere. Bedarf ich eines Gottes fttr meine Pendnlichkeit, als sitt-
licher Mensch, so ist dafür auch schon gesoigt."
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Nleman kan beherten
kindes zuht mit gerten.
Ein pä(lajr<>£:isrhes Bedenken
VOM Dr, H, JPreUuhKönigtberg i. Fr,
„Niemau kau behertcu
„kmdes raht mit gottti:
„den man i*irea bringen mac,
Jism ist ein wort «Is ein sUm:/
ruft uns ein Dichter zu, dei- ein ganzer Mann war vom vSclieitel bis
zur Sölde und ein Deutscher dazu, wie wir ihm aus seinen Zeitge-
nossen kaum einen zweiten an die Seite zu stellen vermögen. —
-Scliade um jeden Schlag, der vorbei fällt," ruft heute der eratirnte
Vater, der eben seinen hofihnngs vollen Sprössling durchgebleut hat
md, nach Luft ring^d, das Böhrchen bei Seite legt Aber ruft denn
Bor der Vater so, dem gewöhnlich die angebome liebe allein die
Nonn seiner Pädagogik sein mnss? Ach nein; gar mancher „gesdknlte**
PSdagoge hat vidleicht eben jene Waltherschen Verse mit seinen Zög-
KiigeD tractirt nnd fthrt plOtdich mit hoch erhobenem Stdckehen auf
änen unanfmerksamen SehtÜer ein, — um Theorie nnd Praxis wOrdig
za veibinden. Jene Verse stammen aus der sonnenhellen besseren
Hallte des deutschen Mittelalters; jene väterliclicn Worte, die jeder
von uns wol sclion zu hören bekommen hat, sind ein Motto der Zeit,
^\^: mit der Erziehung zui- Humanität sicli brüstet. Unsere wenig
liivoreti sehen Ahnen, denen ihre Ehre ihr Leben war, hätten sicherlich
über eine Praxis, die diuch Prügel zur Humanität erziehen will, ebenso
gestaont wie über ein Verfahren, welches die Moralität durch das
Zuchthaus beleben wollte. Und wir Humanitätsritter schrecken vor
dieser Praxis nicht zurück? Nun, hier nnd da, aber im ganzen doch
recht selten. Dem Verfosser dieses „pädagogischen Bedenkens** ist, nm
an Bdspiel zu geben, ans einer kleinen Stadt der Msrk ein Fall be*
luumt, wo ein im Dienst ergrauter Lehrer einer höheren Unterrichts-
«astah, von dem Dirigenten aufgefordert, den Stock seltener zu benatzen.
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«Miitucli antwortete: ,..Ia, dann kann icli das in Zukunft nicht leisten,
was icli bisher o^ek-istet habe"; — freilich ein stolzes Selbstbewusst-
sein, — aber die jüngeren Schüler spielten auf der Strasse „X "
— so hiess der Lehrer, und das Spiel bestand darin, das» sie sich
gegenseitig bei den Haaren rauften. Glücklicherweise ist das kind-
liche Vergnfigen, so viel ich weiss, nur local geblieben, dass es aber
nicht auch anderwärts geübt wird, daran hat vielleicht nur die geringere
Erfindnngskonst der Jugend schnld; denn geprftgelt wird &st allent-
halben, in Gymnasien und in Bealschulen mit geringen Ansnahm^
Eine Berliner Anstalt war vor einigen Jahren so glttdcUch, im Pro-
gramm anzeigen zu kdnnen, dass der Stock im Verianf des Schuljahres
nicht in Kraft getreten sei, und aus dem Munde eines hochangeseheneii
Berliner Pädaf^rjo^en, der einer stark besui hten Lehranstalt als Director
vorsteht, hiirte der Verfasser die an einen jungen Collegen. welcher
sich zu Tliätliclikeiten hatte hinreissen lassen, o:erichteten Worte:
..Wenn Sie Kneclitf ii ziehen woUeu, ist eine höhere ünterrichtsanstalt
nicht der Ort dazu!"
Scheint man nun in unseren Tagen trotz solcher vereinzelten
Stimmen an den Schalen die Prii£r(^lstrafe nicht entbehren zu können,
die bereits Walther von der Vogelweide principiell verwirft, so dürfte
vielleicht nicht uninteressant sem, m betrachten, wie man sich in on-
serer Heimat in den verschiedenen Jahrhunderten zu diesem Zncht-
mittel gestellt hat
Wie J. Grimm in den Rechtsalterthflmem nachgewiesen hat, konnte
der freie Germane nur an Vermögen, d. h. an Vieh und Waifengerftth,
gestraft werden; denn im Vermögen beruhte die Macht des Einzelnen,
Minderung des Besitzes war also Machtbeschränkung, und selbst der
Mord wurde mir durch diese gebüsst.'t Niemand duifte den freien
Mann schhigen ausser dt^n Priestern, die im Namen der erzürnten
Gottheit handelten:-) denn der Freie, mit der Ruthenstrafe belegt,
verlor eben Freiheit und Khre, und bereits ein ungerächt hingenom-
mener Backenstreich machte ihn leibeigen. Wer einen Freien y-ider
seinen Willen nur an der Locke berührte, musste diesen Frevel Schwei-
büssen, und wer sich mit der Schere drohen oder das Haar wol gar
abschneiden liess, der war vor seinen Stammesgenossen geschändet. Nor
der Unfreie, welcher eigenes Vermögen nicht besass, bfisste mit oder
an seinem Leibe, aber selten wurden selbst Sdaven nur geschlagen.*)
Weib und Kind standen nun in des Hausherrn Gewalt, aber sie
') Vgl. Tacit. Gem. 21. — •) das. 7. — «) 25.
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waren ihm nicht leibeigen, sondern ni^^ng"» und allgemeine Kecht
zog sie daher in diesem Sinne in sein Bereich; es hob, was das Kind
anlangt, aucli das jugendlicliste Wesen durch bestimmte Satzung Uber
das SebickBal des Knechtes hinaus, und wir erfohren z. B., dass nach
westgoihlBdiem Bechte der gerichtliche Wert eines wunttndigen Kindes
60 Solidi, deijenige des redenden Kindes von 3 Jahren 70 nnd der
eines sechsjährigen 80 Solidi hetmg. Hatte so lange die Mutter die *
Erziehung in Händen, so trat jetzt der Knabe mit sieben Jahren ans
der Kemnate unter die Regierung des Täters, und mit acht Jahren
büsste er bereits, während bisher der Vater fftr die Handlung^en seines
Sohnes verantwortlicli gewesen war, halbes Reclit. Mit neun .Taliren
betruo: das Wergeid des Knaben KD Solidi. mit dem zehnten .lalire,
wo die Miindit(keit, nicht aber bereits die Grossjährigkeit eintrat. lOi),
und nnn jährlich 10 S<t]iili mehr bis znni 15. Jahre, wo di*^ volle Mün-
digkeit ausgesprochen Avurde. die aber nach fränkiscliem, lanp^obardi-
schem und angelsächsischem Hecht wie nach dem Sachsen- und Schwa-
benspiegel schon auf das 12. Jahr festgesetzt wird; auch nach der
Havarar-saga tritt mit diesem Alter der Knabe für den Dienst zu Fuss
iu den Heerbann. War der Jüngling nun durch den Act der Schwert-
leite wehrbar gemacht, so lernte er, der bisher unter Leitung des
Vaters Sehnen gewunden, den Bogen gespannt, sich mit der Lanze
wsueht nnd seine Kraft gestfthlt hatte, die Septem piobitates, nSm-
iich eqidtare, natare, eestibus certare, aucupare, scacis ludere, sagittare,
versiilcari, und so war also die gesammte Erziehung des Kindes, das
durch feststehendes Oesetz in jedem Alter gegen körperliche Verletzung
oder Schädigung gesichert war, auf Ehre und \\'ehrhaftigkeit gerichtet.
Dass nun in der Kemnate zur Vertreibung kleiner Unarten die
RuTlie als drohendes Instrument vorhanden war, lässt sich nicht be-
zweileln; aber sie befand sich in der llaud der Mutter und war lür
das jugendliche Alter bestimmt. Konnte der Vater, der selbst gegen
seine Sclaven die Zuchtruthe nur selten gebrauchte, sein Kind, eines
freien Mannes Kind, körperlich ziuditigeu und damit dem Knechte
gleich stellen? Nein, mit dem siebenten Jahre war das Kind sicherlich
an Haut und Haar geschützt; ein Vater, der <icli in seiner Ehre
gekränkt fUüte, wenn ihm nur eine Locke seines Hauptes berührt
wurde, konnte sein Kind, das, zur Ehre bestimmt, durch alle Gesetze
der Ehre in Schutz genommen wurde, nicht bei den Haaren raufen oder
mit Rathen streichen.
Allerdings ist das kein directer Beweis, dass die Prügelstrafe bei
der Erziehung des fi^en Deutschen ausgeschlossen gewesen sei, wie
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das ganze Volk aber über solch ein Zuchtniittel dachte, geht daraus
deutlich genug lieiTor, dass das Gudruulied z. B. der wöüischen Gei-
liud nur die Drohung in den ^fund legt, sie wolle die ihrem Verlobteu
unwandelbar tieue Jungfrau mit „besemen'' peitschen lassen; denn
der ungefttegen dlhte wolte dft ftou OAilfait niht orwiDden.
Aber auch hier bleibt es bei der Drohung der Teufelin; der Dichter
venneidet es wuhveislioh, die wStrate vollziehen zu lassen. Und deiii
asiatischen Despoten Darius, welcher den Alexander schriftlich hrdint.
er wertle ilin „mit beseiiien villen" lassen, aut wollet dieser, derlei sei
das Gebelle eines schäbigen Hofliundes. er aber werde ihm mit dem
blanken Eisen kommen. Konrad von Wüi-zburg erzählt uns in seinem
„Otto mit dem Barte", wie einen Schlag, welchen der Tmchsess zu
Bamberg dem naschliaften Sohn des Schwabenherzogs yersetzte, der
Hofmeister des Kindes, Bitter Heinrich Bitzner von Kempten, damit
vergolten habe, dass er den jähzornigen Mann sofort und vor den
Angen des Kaisers mit einem Stock erschlug; denn
deu mau z ereu briiigeu luac,
dem ist ein woit als ein slac;
nnd der Dichter, der diese Worte schrieb, ist nicht blos Theoretiker,
ja sein Erzieheramt an der Seite Engelberts von Berg, des Ei-zbischofs
von Cöln, konnte ihn wol gelegentlich in Hämisch bringen, da Hein-
rich (VIL), Friedrichs IL Sohn, schon früh sehr hAsstiehe Seiten in
seinem Charakter zeigte und schon sehr Mh selhststfindig wurde. So
straft Walther denn den jungen Prinzen auch in dem Sprach:
Selbwahfcen kiut. du bist ze krump:
Bit nieman dich gerillten mac
(dft bist dem beiemai leidar alze gros,
den «werten alse kleine),
nü sinf imde bnbe gemach.
Seine Kunst blieb freilich dem unlenksanien und ausgearteten, in der
ersten Jugend verdorbenen Königssohne gegenüber erfolglos, und mit
nninutlivollen Worten riukl er ihm daher seine ünverbesserlichkeii
vor, indem er erklärt, dass er nicht länger bei ihm Schulmeister bleiben
wolle. Das geschah, da VValther am 2'^. Juni 1224 bei Gelegenheit
des Nüniberger Hoftages noch in Heinrichs Umgebung war, kurz vor
oder nach der am 7. November 1225 erfolgten Ermordung Engelberts;
da aber war Heinrich zwölf oder dreizehn Jahre alt, — dem Schwert
zu lüein, aber der Ruthe entwachsen, und unser Sftnger ist prindpieU
gegen PrOgel; denn
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tk'ii man z'ereii luiii^rcii mar.
dem ist ein Wort als ein slac.
Was Waltlier hier dem dreizehnten Jahrhundert sagt, das ruft
6eikr von Kaiaeraberg, einer der YorUnfer Luthers und ein gewal-
4ger fiedner, dem fttnfEehnten Jahrhundert fast mit denselben Worten
m: wen ein wort nit ist als ein streich, da wirt auch niemer gnots
iä.^) • Hatte nnn schon Berthold von Begensborg'), der grOsste Volks-
Prediger des Mttehüters, in seinen oft vor Tausenden im Freien ge-
haltenen Reden die Altern zn Milde und Schonung gegen die Kinder
enuahnen müssen: „Als ez ein unziiht oder ein boesez wort sprichet,
^ü sult ii" im ein smitzelin tiion an bloze hfit; ir sult ez aber an bloz
houbt nilit slahen mit der hant, wan ir möhtet ez wol ze einem toren
machen, ninr ein kleinez riselin, daz vohtet ez und wirt wol gezogen." =M
setzt «Teiler. M wie er den Spruch des Dichters enieuerte, diese
Mahnung fort. In einer Predigt aus dem Jahre 150S sa^rt er: „Da
hoet du dich, da£z du nit thuest als vil menschen, die grimmzornig
seind und lauD'ent umb als ein wüetender hundt wenn ein kind etwas
thaot, so schlahen sie es an backen, daz es zuo der erden feit und
also verderbt der teufel den, der straffen wil, daz die straff mer gät
i& eine räch, denn ufz liebe,'* — und drei Jahre spftter, in der dritten
Fredigt „von den siben schayden**, bittet er: „Tuo ains, halt an dich,
Bit Schlags kind, hüz dir der zom vergät; denn straff mit einem hai-
tem hertzen nach yemunfit. alle die weil dirs hertzklopffet, kere zuo
dir selber, daz tuo zehen, zwaintzigmal, so dick der zom die mot in
die hand nimpt, so dick halt an dich " — denn: ,.es bedörfft grözer
kuust, wissen wie man sich recht solt halten in stratfen, weder in der
hohen schul die heilig gesclirittt zu lesen." '^') Dass er femer die Ruthe
ütti- fiii" die .lahre angewandt mssen will, die das Kind ehedem im
Fmuengemacii zu^rebracht hatt^. geht ziemlich deutlich aus einem eigen-
tiiüiiüichen Gebrauch hervor, den er erwähnt; er sagt nämlich gele-
gentlich: „Wenn man ein kind houwt, so muoz es dann die ruoten
koBsen und spredien:
liebe mot, trfitc r\iot,
were-stu, ich thet niemer guot.
ae küssent die mot und springen darüber, io sie hupten darüber*'*),
ud in „der Seelen Paradies" schreibt er ähnlich: „Wenn im (sc. dem
') Brösamlin. Bl. (52. — Geb. zw. 1210 u. 1220 zn R^gensburg, «eit 122(i
FVanzi'^kaner; gest. 13. Dec. 1272 zu Rogen.sbnre:. — ^) Predicrten. herauspes!'. von
Klin^. Berlin 1824. 21fi. — ') (.eh. Ki. März 1445 in Schaffliawaen, gest. 10. März
lolU. — Brösamlin BI. 63. — ") C'kriatl. Büg. ßl. «8«i.
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^ 340 —
Mensclieni leiden znofallet. so sagt er danck dariimb «(eleicli als ein
veriiiniÜtif,^es kind: darum küsset es cttwenn die ruot, wenn es echter
meinet, daz der vatter ein j^^efallen daran habe."') Dieser Fauiilitu- .
brauch, dass das Kind zu Zeiten die Zuchtrutlie küssen musste, weist
an sich aiü' ein sehr jug^endliclies Altei' des Kindes, und durch Joliann
Fiscliart erfaln-en wir sogar, für welche Lebensjahre er berechnet war;
diesei* üagt nämlich von des Gargantua adeUcher jugend und jugend-
gem&feer tilgend: „Von dreien jaren bis zu fünfen war'er fromm, bis
niman im schlaf machet der laus stelzen, kfisset die rut," und so haben
wir denn in dem erwähnten Braach offenbar einen Überrest der sanftes,
in weiblichen Händen b^dlichen Eemnatenerziehang. Dass die hins*
liehe Erziehung aber im allgemeinen tief gesunken war, beweisen die
Tiel£Budien Mahnungen Geilers und seiner Gesinnungsgenossen, die das
Wol des Vaterlandes, das Heil der Zukunft yon der Besserung der
Kinderzucht abhängen sahen. Und auch die Reformatoren, denen ja
daran gelegen sein musste, von» Hause und von der Schule aus die
Kirche zu reforniiren , wenden der Jugenderziehung ihre ganze AiU-
merksanikeit, aber auch ihre ganze Milde zu; sie lordern Huniauirät
und brechen mit dem Stock. „Die Krlkliruug lehre uns,*' sagt selbst der
streng erzogene Lutlier in der Auslegung von I. Joh. 2, 14, „dass durch
Liebe weit mehr ausgerichtet werden könne, als durch knechtische
Furcht und Zwang, und solle der Cliristenheit wieder geholfen werden,
so müsse man fürwahr an den Kindern anheben, wie es vor Zeiteo
geschah." Erzählt doch Luther selber, er sei an einem einzigen Moigeii
fünfeehnmal wacker gestrickt worden, klagt er doch darmn noch m
späteren Jahren, „wie vor dieser Zeit die Schulmeister gewesen smd,
da die Schulen rechte Kerker und Höllen, die Schulmeister aber Tyraanea
und 'Stockmeister waren; denn da wurden die armen Kmder ohne Ka»
und ohn' alles Aufhören gestäupet, lemeten mit grosser Arbeit nad
nnmässigem Fleiss, doch mit wenigem Nutzen;** — ,,aber,'^ sagt er
dann anch, „solche Lehrer und Meister haben wir müssen allenthalben
haben, die selbst nichts gekonnt und nichts Guts noch Rechtis hahfU
nnigen lehren." Aus solchen Erfahrungen aber floss ihm eben sfiu
Kif'er für Kr»rderung <les Krziehungswesens und seine brünsti<re Liebe
für die Ju^rnd. und seine grösste Freude und Stärkuns: war es iliiii,
als er die Krüchtt^ st iiiei- \ilieir in deui jungen Geschlechte reifen sali:
,.Es wüchset daher die zarte Jugend an Knäblin und Maidlin, mit dem
Katechismo und Schrift so wol zugericht, dass mir's in meinem Herzea
>) Stmsbuig lölO, Bl. 23 b.
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sanft thut, dass ich sehen ma^, wie jetzt jnnge Knäblin und Maidlin
mehr beten, glauben und reden können von Gott, von Christo, denn
vorhin nnd noch alle Stift, Klöster und Schulen gekonnt haben. — Es
ist ftrwahr solches jrnig Volk ein schönes Paradies, dess^eichen auch
in der Welt nicht ist Und solches alles bauet Gott, als sollt er
sagen: Wohlan, lieber Herzog Hans, da befehl ich dir meinen edelsten
Schatz, ein lustiges Paradies; du sollst Vater Aber sie. sein, als mein
Gärtner und Pfleger." Keine GMegenheit liess er unbenutzt, auf diesen
kostbaren Schatz nnd seine trene Hut hinzuweisen; so erwiderte er
einst seinem Freunde Jonas, der an einem schönen, über dem Tische
hänj^enden Kirschenast seine Freude hatte: „Warum bedenkt ihr das
nicht vi(^hnehr an euren Kindern, eures Lt'ibes Früchten, welche scliü-
nere. herrlichere ('reaturen Gottes sind denn aller Bäume Früchte?"
Wie aber die so freudig begonnene Reformation gar bald in scho-
lastische Schulgezänke sich auflöste, aus denen mit Xoth und Mühe
der evangelische Kern gerettet wurde, so vergass man auch alles, was
die Kirchenbesserung Grossartiges in ihrem Gefolge gehabt hatte, nnd
wenn auch noch Fischart dem Hausyater zuruft:
O^iriiiii ddm Weib den Math, und spar den Emdem die Bath!
80 verfiel man trotz alledem sehr schnell wieder in die frohere Praxis,
Wissenschaft und Tugend in die Kinder hinein-, Dummheit und Fehler
herausprügeln zu wollen, und selbst Rousseau^s Emil vermochte den
Stock nicht zu verbannen.
Wie in aller Welt war man denn aber in uiiserm deutschen Va.
leriande zu diesem Dreinschlagen gelanirt?
Schon im 13. Jahrhundert ist der Marner für Schläge und fürchtet
sogar, — ganz im (T^^gensatz zu den altdeutsclien Anschauungen über
Erziehung, — den Vei lust der Elubarkeit aus dem Mangel au Euthen-
streichen; deshalb belehrt er seine Zuhörer:
„liebem küid ist gnot ein lis;
uwer äne vorhte wahset,
der muoz »under ere werden grid,*'
und wir wissen, dass seine Lieder bei dem Glems grossen Beifalls sich
erfrenten. Auch Geiler sagt in der Predigt „von den Sünden des
Hundes"^) wiederholentlich: „Wenn deine kind geschleckt haben und
denn anfthen sich entschuldigen mit lugen, und brechen also bletter
und machen queeten von fsigenblettem, so solt du bircldnqaesten
machen von birkinreisz^ und mit denselbigen jnen das weren, das
•) Bl. Iß, 25.
PaiagoghuB. 4. J«lug. Heft VL 23
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h^i liinten und fernen blitzen und uÖ'springeii: es ist ein ofuote luoteii-
latwerg, wenn sie lieiL^en; also dick es lügt, so dick gib jm ein scldeckliu
mit der nioten: das ist ein birckinlatwergen; es ist nit peszers dafiü-
uff ertricb weder eben daz/' und Sebastian Bitint s> im Narrenschiff
„von ler der kind**:
„die ruet der «ucht vertribt on amerts
die narrheit nsz <lt's kindes Herta,
on straffung selten veniens lert."
Wie aber er niu* Proverb. XXII, 15 in diesen Verseu varürt, so
schwebt dieselbe biblische Stelle auch dem Hans Sachs vor, wenn er
empfiehlt, „dasz ihr solt ewere kinder halten unter der ruthen, die
mit schmertzen des kinds thorheit treibt aosz dem hertzen,** and Agri-
cola, welcher ans aus dem Jahre 1619 meldet, dass Tienmdzwanzig*
jährig]^ Schüler vom Prftceptor mit Rathen gestrichen wurden, lisst
sich darch Sirach XXX, 1 zn dem Hexameter verleiten:
Non amat hic pnemm, qni raro castigat illum.
Ulrich Megerle, der Liebliiigspi ediger seiner Zeit, ein Barftisser, der
vor den Fürstenhöfen, dem Heerlager und zahllosen Volkshaiiteu mit
gleichem Beifall seine Kanzel aufschlug, behauptet, Judas sei nur des-
halb zum Yerräther des Heilands gewoixlen, weil er als Kind die
Ruthe zu selten bekommen habe, ja ein verzogenes Muttersöhnchen,
das mit acht Jahren die Ruthe noch nicht einmal gesehen hatte, sei
ein Wüstling und Verschwender, dann ein unnütze Klösterling, endlich
aber gar ein Lutheraner geworden und habe am Galgen sein Rüde
gefunden. Armes Mnttersöhnchen, da wosstost gewiss nicht, als da
die Religion wechseltest, dass Megerles streng lutherischer Landsmami
Johann Jakob Hftherle das Prügeln am aUersystematischsten betrieb;
während einer 51jährigen Lehr-, richtiger wol Strafthätigkeit, hat
dieser Schaltyrann ausser 24010 im laufenden verthdlten Buthenhieben
noch 86000 Rathenhiebe nur für nicht gelernte Liederverse ,,gebncht^t
der zahlreichen Maulschellen, PfÖtchen, Kopfnüsse und Notabenes mit
Bibel und Gesaiitrbuch gai nicht zu gedenken.') Erasmus von Kotter- .
dam erzählt, dass man im Collegio Montagü die Ziijrlinge mit der
Peitsche bis auts Blut gezüchtigt habe mit solcher Henkerstrenge, dass
er nichts dav(»n sagen mag. und M ir werden den Schmerz des Junireii
Sweiuis zu würdigen verstehen, in welchem er, als ihn Königin Elisa-
beth einst bei einer Schulinspection fragt«, ob er auch schon Schläge
erhalten habe, sofort mit Vergü antwortete:
ÜDfiuidnni, regiiuit inhet renovare doloreni.
0 Vgl A. G. Langes „Venn. Schrift", 1838, S. 187.
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Gehen wir nun aber auf die (Quelle all der Lobreden auf die
Küthe zui ück, so finden wir dieselbe in der Kiosterschule. Diese An-
stalten hatten bei ihrer Entstehimg im 5. Jahrhundert zunftchst nur die
JKldung von Klostergeistlichen zum Zweck, und diesen verfolgten sie
mach in Deutschknd. War nnn der MOnch und nicht minder der
Neophyt schon oftmals dorch die Klosterr^geln nir Selbstpeinigong ge-
BOtlügt, dorch die Disciplin aber stets yerbnnden, seinen eigenen WiUen
ToUends zn brechen, jede Strafe stillschweigend hinzonehmen, so kam
hmza, dass die Hierarchie, um ein vOUig nnterwQrfiges nnd ihren
Fiftnen blind ergebenes Personal heranzubilden, mit Vorliebe den nie-
deren Clerus aus dem Kneclitsstande sidi recrutiren Hess, dem die
Unverlet^liehkeit seinev Person eben nichts c^alt. Mit der Sclaven-
peitsclie erzogen, sah dann selbst der in höhere Ämter beffh'derte
Klostergreistliche unfreier Abkunft stets das drohende Zuchtmittel ü))er
sich schweben, stand er zeitlebens in ( Yiniinalfällen juridisch mit dem
Knecht auf gleicher 8tufe; denn wenn auch nach der Lehre der Kirche
die ansterbliche Seele des Unfreien gleichen Wert mit derjenigen eines
freien Mannes hatte, so blieb doch an seuier Person nach dem deut<
seilen Recht — nnd die Kirche acceptirte dasselbe in diesem Falle
bereitwilligst — fort nnd fort der Makel unfreier Qebnrt haften.
Allgemein war bei dieser misslichen, aber von den Bischöfen begftn-
sfcigtai Sachlage bereits im 9. Jahrhundert die laut erhobene Klage,
dass es den zn kirchlichen Wfirden beförderten Unfreien an wahrer
Liebe zu ilirem Beruf und zu den Wissenschaften fehle, dass ihr an-
gebomer — und freilich durch eigennützige Erziehung gepflegter —
Knec'htssinn gewöhnlich in Hiirte gegen die Untergebenen, in Streit-
sucht mit den Brüdern, in Trotz gegen die Voi-gesetzten ausarte.')
Es war also vorwiegend (Us für den Sclaven bemessene Straf-
mass, welches in der Klosterschule (Teltuntr liatte, zunächst freilich
nur in der schola interior, dann aber aucli in den unter ivarl dem
(4n>ssen organisii ten scholae exteriores, welche auch solche aufnahmen,
die Laien bleiben wollten; so aber fand jenes Strafmass Eingang in
die Kirche, und von dieser ging es allmählich auf den christlichen
Staat fiber, bis es, durch die schola exterior gleichsam erst recht hei«
niscb gemacht, endHeh selbst den freien Mann traf, und um so em-
pEfiadlicher wusste die zur Herrschaft gehingte Ruthe diesen gerade zu
treffen, je ausschliesslicher sie bei der stets steigenden Zunahme des
Eintritts Unfreier in die Klöster nun von Leuten gehandhabt wurde,
') Vgl. F. W. Rettberg, ..KircheugescU. DeutscUlaiidÄ", Oüttiug. 1846—48, II. (i48.
23«
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die oft genug unter ilir geseufzt hatten. Strafbestimmungen in be!^te^
Form fanden sich bald und Hessen sicli macheu. Während wir wissen,
dass Karl der Grosse den Geistlichen schon 789 deutsche Predigt, d. U.
deutsche Erklärung lateinischer Homilien, befahl, beschliessen im Novem-
ber 801 electi sacerdotes, dass jeder gehalten sein sollte, Glaabenshe-
kenntnis und Vatertmser lateinisch auswendig zu lernen. Diese Veroidnimg
vrvtd in das mit der MÜmerwunmlnng von 802 festgestellte kirchliclie
Gesetz anfgenonuben« und die Mainzer Synode von 803 wiederholt sie»
ebenso der Kaiser in einem dreularschreiben an die Bischdfe und infi>]ge
dess^ die BischOfe in Gapitulaiien f&r die ihnen untergebenen Fziester.
Schon im December 805 verordnet Karl auf Betrieb des MOndistliums:
Ut laici symbolnm et orationem dominicam pleniter discant .... Qui
autem neglegens inde fuerit, talem disciplinam percipiat, qualem talis
sit contt'iiiptor percipere dignus, ita ut ceteri metnm habeant amplius;
und als sei das noch nicht deutlich genug, heisst es dann spater:
Symbolnm vel sif2;nacuhim et orat. dom. oranes discere constringautui".
Et si (Ulis ea nunc iion tcm^at, aut vapulet aut ieiunet .... femiuae
vero flagellis aut ieiuniis constringantiu*. Erst 818 liess man von dieser
Hecht, Empfindung und Vernunft Hohn sprechenden Grausamkeit auf
dem Concil zu Mainz ab und (restattete das Auswendiglernen in deut-
scher Sprache.^) In die Lex Btguwar. aber wai* gar schon um 622
von Seiten der Mönche eine Strafbestimmnng eingeschmuggelt woideii,
wdche den Sonntagsentiiefliger mit 60 Stockstreiehen bedrohte, knn,
wir begegnen der FtrOgelstrafe, abgesehen von anderen emiedrigeodea
Ehrenstrafen, die man dem bürgerlichen Strafoodez entlehnte,^) sobald
wir die Erziehung des Volkes in den HSnden der Geüstlichkeit sehen,
und den Reihen des Oleras gehören denn auch direct oder indirect
-all jene Lobredner auf die Ruthe an; „Thorheit steckt dem Knaben
im Herzen, aber die Ruthe der Zucht wird sie fenie von ilim treiben",")
ist das Tliema. welches sie variiren, und andere dem alttestamentlicheh
Geiste entspi'ossene Krziehungsrailiscldäge wurden eingesclialtet: ^Wer
seineu Solm lieb hat, der züchtigt ihn".'') „Züchtige deinen Sohn, so
wild er dich ergötzen",'^) „Lass nicht ab den Knaben zu züchtigen!**)
denn „Wo ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtiget?" ') „Wer seiner
Ruthe schonet, der hasset seinen Sohn",**) „Wer sein Kind lieb hat,
der h< es stets unter der Ruthe*^;^) denn „Ruthe und Strafe gibt
'I Vgl. Miillcnlioff n. Sdierer, ..DenViniiler' Exc. 7\\ LTV: R«ttberjr a. a. 0. L,
456. — -) PetmrcLae „Trostspiegel", iiauki. 1572, Bl. 72 u. 142. - Proverb.
Xm, 16, — *) das. Xni, 24b. — ») das. XXIX, 17. — •) das. XXDI, la -
Hehr. XII« 7, 10. — ») Prov. XHI, •) Sur. XXX, 1.
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Weisheit!"^) Kein Wunder, dass nun auch die mit PrOgeln gross ge-
mdenen EHem auf ihre Kinder einsehlug^, dass selbst der Voiks-
DQDd den Stock in Schutz nehmen konnte mit ,3^^' macht böse Kin*
der gut** und Jfrische Ruthen, fromme Kinder** oder ,4fts ist die rechte
StMinutter, die einen grM&k Rock anhat, und auf der die gelben
Katzen weiden " aber das Sprichwort wandte sich doch auch }?egen
die Prüofelmeister, indem es ihnen zurief: „Zorn wirft blinde Junge",
und „Der Platte vergisst, dass er Schüler gewesen",*-*) oder
„Zwansr — währt nit lang,
Hat mir bei »einem Eid ,
Ein alter Eidi^'noss ir'seit.'-"')
Namentlich aber rächt sich der Volkswitz an der prüofelnden Greist-
lichkeit, indem er nun seinerseits den crroben Lelirpfatfen anf alle
mögliche Weise variirt und parodirt und ihn zum tertium compara-
tionis macht, wo nur von Rohheit und Stockschlägen die Rede ist
„Ein eichin PfiiffB, das ist wAr,
ein bileclün messe singet;
der antliit?; im äJreffebiMi wirt.
daz in der rücke ir;ir «j^eswirt;
der setjen was ein koUienslac."
beisst es in dem mittelhochdeutschen Lügenmärchen von den achtzeliu
Wachtehi^) und „rudis ut papa salignus^ schon im Reinardus.
So war denn von der Klosterschule aus der deutsche Lehrer zum
hligelmeister geworden; Schule und Stock waren Begrilfe, die noth-
wendig zusammenzugehören schienen, und wie gegen die Strafe selbst,
so hatte sich mit der Zeit auch gogen ihre Bedeutung die Empfindung
abgestumpft Im Hause wurde nicht weniger geprflgelt als in der
Schidstube, und schon bei Fischart spielen die Kinder unter anderm
nder ernste Schulmeister **;*) das Beispiel, welches ich zu Anfang dieses
Aufsatzes aus einer märkischen Stadt gab, illustrirt uns vielleicht
eiuii|:ennassen, wie dieses Spiel in Scene gesetzt worden sein mag. In
Bild und Wort kann der Schulmeister nicht anders dargestellt werden
aL> mit s«'inem Standesattribut, der Rutlie; zahlreiche alte Holzscliuitte
und Stiche verewigen ihn in dieser Weise, und
„Magister nohm de Birkeroot
nn schloß dat Drilckche baul half tud:
de Kinderche krempden de T^')(■llelger zo
uu iefen glich all zur Schulleu erus"
') Pn>Terb.XXIX,U.— «) VgL Ftozer, ,3eitr. s. M^ythoL'' I, S66, No. 156. —
'J H. R. Grimm« „Poet LnstwSldldn", Bern 1703. — *) Oiimm, ,.Kmderm.*' 8. No. 138.
- *) Garguitiia c 25.
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lieisst es im Yolksreini vom kleiueii Katlirinclien, das zum ersten Mal
in die ABC -Schule (jeht.') .la an dem Eingang des Schulgebäudes
zu Burgdorf bei Bern trug sogai' der obrigkeitliclie Wappenbär das
..allbeliebte" Zuchtmittelchen in der Tatze ;'^) denn auch die Staats-
behörden nahmen sich der fleissigen Handhabung körperlicher Schnk
strafen an. Li Bern z. B. wnrde durch die Scholerdnimg vom Jahr
1616 die Bnthenstrafe nicht nor an den nied^ron Schulen genehmigt»
sondern auch an den Studenten der Philosophie solle sie eyentueU
vollzogen werden, und nur die Beflissenen der Gottesgelahrtheit ihr
fiberhoben sein,^) und em WohUöblicher Magistrat zn Winterthur ver*
fügte im Jahr 1771 gegen den Stadtschullehrer Anton Reinhardt, der
damals zehn Jahre lang erfolp'reich in seinem Amte wiikte, sofem er
sich weigere, den Schüler Knuss öüentlicli selbst zu züchtijren, anstatt
ihn blos durch den Stadtknecht auf der Schullaube aushauen zu lassen
und morgen der Erkanntnuss MGHlierren noch nicht nachgekommen
sei, so sei er vor Rath gestellt.*) Indessen darf nicht übersehen wer-
den, dass die Behörden auch frühzeitig schon ihre ganze Aufmerk-
samkeit der Behandlung der Schuljugend zuwandten; so fordert die
Schulordnung der Reichsstadt Esslingen aus dem Jahr 1548 z. B., der
Lehrer soUe die Schüler nicht an den Kopf schlagen, sie weder ndt
Tatz^, Sdüappen, Maultäschen und Haarrupfen, noch mit Ohrum-
drehen, Nasenschnellen und Himbatzen strafen, keine Stöcke und
Kolben zur Zttchtignng brauchen, sondern — allein ihnen das Hinter-
theil mit Buthen streichen.')
Endlich aber werden wieder humanere Stimmen laut. John Locke
(gest. 1704), dessen Worte in Deutschland nicht ungehört verhallten,
empfiehlt bereits in seinen ..( bedanken von der P'rziehung der Kinder"
zwar Abhärtung und einlache Lei eusweise und will jegliche Verweich-
lichung und Verhätschelung von der .Tugend abgehalten wissen, aber
ebenso entschieden tritt er gegen die körijerliche Züchtigung auf. In
die Volksschule indessen, welclie durch die Pflege einsichtiger Fürsten
nach dem Westfälischen Flieden in manchen deutschen Gebietstheiien
einen erfreulichen, kräftigen Aufschwung nahm, drang noch immer nur
hier und da ein dürftiger Strahl der neuen pädagogischen Erkenntnis,
dass Liebe sicherer zum Ziele führe als Zwang, und dass Sanftmnth
dauerndere Früchte zeitige als aufbrausender Jähzorn. Von Rousseau
't Woydcn, ..( olns Vor/oit", 22f>. — - ' Rurlilu.lz in der f^crmania, 1856, S. IbO.—
"•) M. Scliulor. ..Sitteu uud Thateu der Kidgenos-seu'". 8. IVM. •) Troll, ..(jeschicbie
vfin Willtort liiir". 2. 126; vgl. Kochhok a. a. 0. S. 154. — '') Pfaff, „Geschichte der
Kcic'hsjitadt Erssliugeii", 236.
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> <• V .
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ansgelieiid, Iiielten auch die Philanthropen die Buthe fiir entbehrlichj
denn da ihre Methode naturgemäss sei, sairten sie, so lernten die Kin-
der freiwillig, mit Lust und Liebe, und jede Strafe fiele Yon selbst
fort Es kann hier nicht der Ort seJn, über die Fehler zu handebi,
welehe Basedow und seine Jünger begingen, nidit der Ort, an&a-
zählen, welche pftdagogische Bichtnng. die Bnthe empfohlen, welche
sie verworfen habe, — sie hat noch hente ihre Cortmanne, und die
Mahnmigen eines Pestalozzi und Lavater, eines Schleiermacher und
Fichte sind noch immer nicht nach ihrem Werte beherzigt. Prakti<«ch
sind wir auch jetzt noch nicht viel weiter gelangt als zu einem Stand-
punkte, auf welchem Bruder Berthold bereits im 18. Jahrhundert, der
Esslinger Magistrat sclion 1.548 stand: die körj»erliche Züclitigung
wird so beschränkt, dass man sieht, sie i.st im Princip verwoilen, aber
— sie wird als ultima ratio doch beibelialten; es wird vor blindem
Dreinsclilagen, vor leidenschaftlirlien Zornausbrüchen seitens der Be-
hörden gewarnt, — aber das 8töckchen doch in der Hand des Lehrers
belassen.
So sagt die Disciplinarordnung für die lir>heren Schulen der Pro-
vinz Westfalen vom 24. Apiil 1833 unter No. 14: „Allen Strafen,
welche die Schule nach sorgfältiger und gewissenhafter Erwägung
aller Umstfinde auszuüben sich genOthigt sieht, liegt die reine und
Täterliche Absicht der Lehrer zum Grunde, den strafbaren Schiller zur
Besserung und Smnesänderung zu ftkhren. Jeder Schüler mOge denn
auch durch ein untadeliges Verhalten, durch Gehorsam und Fleiss die
Anstalt der traurigen Nothwendigkeit überheben, zu eigentlichen Strafen
zu schreiten. Bedeutsam mag jedem Schüler, auf dessen Einsiclit,
Gefühl und Willen täglich eingewirkt wird, schon die leiseste Rrin-
nerunff seines Lelirers sein. Reichen Winke und Erinnerungen nicht
mehr liiii, so folgen V erweise, und sie werden entweder abgesondert
oder öttentlich, gelegentlich oder feierlicli, in Gegenwart der T'lasse
oder vor der Lehrerconferenz, endlich vor Schülern und Lehreiii zu-
gleich gegeben. Hieran schliessen sich Bemerkungen im Tagebucke
der Classe und auf der Censnr oder — nöthigenfalls, besonders bei
jüngeren Schülern, körperliche Strafen ausser oder in der Classe oder
▼or der Lehrerconferenz." Ähnlich heisst es in einer Verfügung des
Provinzial-SchulcoUegiums von Berlin vom 9. März 1843 mit Bezug-
nahme auf § 12 der Instruction für die Directoren der gelduien Schulen
der Provinz Brandenburg vom 10. Juni 1824, es müsse das Streben
der I^rectoren und Lehrw der Gymnasien sein, durch eine ernste
Disciplin und eine zweckmässige Benutzung der übrigen Straiinittel
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die körperKclien Züchtigung-en in den Gymnasien möglichst entbehrlich
zu machen, und es müsse bei Anwt'ndung- dieses Strafmittt'ls als Grund-
satz prelten, dass melir der moralische Eindruck der Strafe als der
körperliche Sclinu»i*z die I^esserung des Bestraften bewiike. „Um dies
zu erreichen, wird den Directoren empfolilen, dass sie nur denjenigen
Lehrern, auf deren pädajrosrisclic Einsicht und Besonnenheit überhaupt
und auf deren Mäösig^g beim Strafen im besonderen sie sich ver-
lassen 2sa können glauben, jene Stra^walt anvertrauen, and die mit
derselben verselienen Lehrer anweisen, im allgemeinen nur in den sel-
tensten Fällen gleich nach dem Vergehen des Schülers und auch nur
dann eine körperliche Züchtigung zu ToUziehen, wenn die Beschämmig,
welche er dadurch vor seinen MitschOlem erleidet, als nöthig Ar seine
Besserung erscheint, oder überhaupt ein Auftchub der Strafe die irol-
thätige Wirkung derselben Termindem würde, und die kürperlidie
Züchtigung so auszuführen, dass in keiner Weise ans derselbe ein
Nachtheü (Ür die Gesundheit des Knaben erwachsen könne. In Rück-
sicht hierauf," heisst es dann weiter, „kann es nicht gestattet werden,
dass bei solchen Bestrafunj^en andere Straf Werkzeuge als em dünne>
Rohrstöckchen oder eine Ruthe in Anwendung kommen," und: „In
hohem (Trade ist es in dieser Hiusiclit zu niissbilligen, dass eine der-
artige Züclitigung, wie es an einigen (-ryinnasien gescliehen ist, als
Folge einer Anzahl tadelnder Noten im Classen-Tagebuclie eintritt.
Überhaupt wird es zweckmässig sein, eine solche Bestrafung nur mit
Vorwissen und Zustimmung der Eltern vollziehen zu lassen."
Dass die körperliche Züchtigung als eines der gewöhnlichen Strafmittel
nicht angesehen werden dürfe, besagt auch die Verfligung des K
-Prov.-SchukolL zu Magdeburg yom 2. Mai 1867, „yiehnehr ist es Auf-
gabe der Erziehung, dieselbe in den höheren Schulen gänzlich ent-
behrlich zu machen. Jedoch," wird dann aber hinzugefügt, „wollen
wir gestatten, dass diese Stra&rt an Schülern der drei unteren dassen
bei Ausbrüchen yon Rohheit, die dne sofortige ernste Zurückweisung
erfordern, zur Anwendung gebracht werden darf. So oft ein Lehrer
sich hat bestimmen lassen, irgend eine körperliche Züclitigung vorzu-
nehmen. Iiat er jedesnuil an demselben Taßfe dem Director darüber
Anzeio-e zu machen." Für jüngere Schüler allein will Körperstrafe
aucii die Instnictiun fiu' die Directoren der Gymnasien und Realschulen
1. 0. in der Provinz Preussen vom Jahr 1KH7 in Kraft treten sehen.
Da heisst es unter Nr. 02: „Wenn für gröbere Vergehen eine massige
und zweckentsprechende Körperstrafe nicht entbehrt werden kann, so
ist dieselbe doch möglichst selten anzuwenden. Dieselbe ist in der
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Eej^el nur in den 3 unteren Classen, in der HL nur nach vorgftiigigem
Conferenzbeschluss zu verhängen und stets von dem Lehrer zn voll-
neben.'' Fast wörtlich so heisst es in der Instruction fftr die Direc-
tomi der Gymnasien etc. der Provinz Pommern vom 17. Mai 1867:
Eörperiiche Strafen dürfen nur da, wo die ftbrigm pftdagogischen
Strsfinittel nidit ausreichen und, nur hei jflngeren Schfilem bis IV.
hinauf mit Missigung und Vorsicht in Anwendung kommen; in ausser-
ordentlichen Fällen, jedoch immer nur auf Beschlnss der Lehrercon-
leit^nz auch in III. „Die Schnlzncht darf niemals bis zu Misshand-
Iniiiren. welche der Gesundheit der Kiuder auch uur auf entfernte Art
s< ljii(lli( ]i werden könnten, ausgedehnt werden," und allein iiber jüUjQ^ere
Schüler verhängt Priisrelstrafe auch die Instruction tur die Directoren
der Gymnasien etc. der Provinz Schlesien vom 1. tJctober IHOT. Hatte
die Magdeburjrer Vertüf^ung vom 2. Mai 1867 schon durch die An-
zeigepflicht seitens des Lehrers dem Director eine scharfe Controle
an die Hand gegeben, so erhöht diese noch die Instruction für die
Directoren der Gymnasien etc. der Provinz Posen vom 30. Januar 1868:
«Zncht und Ordnung hat er (sc. der Director) mit Festigkeit, Emst
und Wflrde aufrecht zu erhalten und darauf zu sehen, dass dies auch
y<m alloi Lehrern d^ Anstalt gesehdie, namentUch aber Tor leiden-
sduiftlichen Ausbrüche des Zornes sie auf das nachdrücklichste zu
warnen. Sollten Lehrer wido* Erwarten in dieser Beziehung fehlen
oder gewohnheitsmässig körperliche Zfichtigung als Strafe anwenden,
«0 ist er befugt, ihnen jede körperliche Züchti^uufj: auf eine gewisse
Zeit zu untersagen.'* Dieselbe Befuj^nis räumt den Directoren in der
Provinz Preussen die Instruction vom .Fahre 1867 ein. Recht eigent-
lich zusammenfassend behandelt den (Tegenstand aber endlich eine
Verfüjj^mg des K. Provinzial-SchulcoUegiums zu Kiel vom 8. Mai 1872,
welche zunächst von den Freiheitsstrafen handelt und dann unter Nr. 8
sagt: „Von körperlicher Zücliti^^uuf^ darf in den oberen ( lassen kein
Gelmulch gemacht werden, auch in den unteren Clausen ist sie mit
grosser Vorsicht, in der Regel nur, wenn andere Mittel sich ^\^rkungs-
los erwiesen haben, bei Veranlassungen ausserordentlicher Strafbai'keit,
wie Bohheit, Lug mid Trug, Trotz und Widersetzlichkeit anzuwenden.
Sie steht nur den ordentlichen Mitgliedern zu, doch kann auch diesen
die Befiignis dazu zeitweise durch den Director entzogen werden,
wenn die Strafe zn häufig ausgettbt wird oder gar in Misshandlung
ausartet Schlftge an den Kopf sind unstatthaft Zfichtigung durch
den Schuldiener ist nicht zulässig.'' Daran knflpft an die Verfügung
dei'selben Behörde vom 12. Januar 1875: „Wenn In der vorerwähnten
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Ordnimiür unter Nr. 8 die Bestininmiig getroffen ist, dass körperliche
Züchtigung nur den ordentlichen Mitgliedern des Schulcollerrium» zu-
stehen soll, so werden damit auch diejeni^ren Schulamtscaudidaten und
Hilfslehrer von diesem Eechte ausgeschlossen, welche etwa mit der
Verwaltnng eiaer ordentlichen Lehrerstelle oder eines Classenordinariats
betraut sind* 2. Am Schinss von Nr. 8 heisst es: Schlüge an den
Kopf sind unstatthaft Diese Bestimmung ist dahin m yerstehen, dass
keinerlei körperliche Züchtigong oder änsserliche Admonition ertholt
werden darf, bei welcher der Kopf des betreffenden Schillers be-
rührt wird«**
In der Erkenntnis, dass gerade jüngere Lehrer, welche naturge-
mäss mit ihrer pädagogischeu Krlkhrung zuerst zu Ende sind, am liiiu- *
figsten zu körperliclicr Züchtigung ihre Zuflucht zu nelimen geneigt
sind, windet diese Verfügung den Scliulamtscandidaten und Hilfsleh-
rern den stock aus dei- Hand; denn mit dem ?j-gi*eifen des Stöcktes
gesteht der Lehrer jedesmal ein, dass er am Knde seiner Kunst au-
gelangt sei, die pädagogische Kunst zu übeu aber soll seine Lebens-
aufgabe sein; er soll an der Hand von B&thschlägen und DirectiTen
und durch eigene Gewöhnung, denn so müssen wir es nennen, den
Stock entbehren lernen. Wie wenige Lehrer aber diese Selbstbeherr-
schung gewinnen, da der Stock einmal in der Classe ist, geht deutlich
genug daraus hervor, dass auch ältere Schulmeister dies Strafinittel
nicht immer in gebOhrender Weise schonen, und wo ist d«m ftber-
haupt eme feste Grenze in seiner Benutzung zu ziehen? Je nadi der
Verschiedenheit des Temperamentes wird dieser eine häufige Anwendung
körperlicher Züchtigung sehen, wo jener sie noch äusserst selten findet.
Von dem Temperament aber dai-f doch die so hohe pädafro^ische
Kunst nicht abhängig gemacht wei'den. Und soll diese »Stratait nur
für jüngere Schüler der drei unteren ('lassen in Anwendung l)leibeu,
so schwankt auch hier die (irenze; denn es fragt sich, welcher Schüler
jung sei; jung an Jahren und fortirescliritten in der Entwickelung,
würde er doch wol dem Stock enthoben sein müssen. Ja not; Ii mehr.
Soll der alte Quartaner von Prügeln befreit bleiben, blos weil er älter
ist als seine Älitschüler? In der Kegel werden oben die ältesten Quar-
taner nicht die besten sein, und so trifft die Prügelstrafe den besseren
Theil der Classe, in welcher zudem junge Schüler, die der Ruthe un-
terworfen shid, und junge Lehrer, weldie sie oftmals uoch nicht ent*
behren gelernt haben, gewöhnlich gemeinsam arbeiten, ein neuer
Übelstand!
Es soll femer dem Schüler kein Nachtheil au seiner Gesundheit
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— 351 —
ans der Strafe entstehen. Wenn non der eventuelle Schaden auch
sofort immer constatirt werden kann, wer hüi-^ denn dem züchtigenden
Lehrer daf&Tt dass der zn bestrafende Knabe nicht durch eine rasche
Wendung, mit der er vielleicht dem Schlage ausweichen inll, sich den
Kopf an der Bank, am Tisch oder Katheder beschftdigt? Sdbstirer-
stSndlich werden derartige „eigene** Y^letzungen bei den ganz yer-
werflichen Ohrfeigen oder Manlschellen, gegen die schon Berthold
eifert, am häufigsten yorkommen, aber wer hat denn auch den Stock
so in seiner Gewalt, dass jeder Schlag, selbst wenn der Knabe still
hält, stets da triÖ't, wo er treöeu soll? Oder soll das etwa die Übung
inacheu?
Nun soll der Stock — deim die liiiüiv ist ja kaum noch im
Schidgebrauch — nur äusserst selten, nur bei den pn'össten Vei'gelieii
sregen die Schuldisciplin gebraucht werden, so selten, dass der mora-
lische Eindruck, die Beschämung, mehr wirkt als der Schmerz. Ab-
gesehen davon, dass Beschämung, auch ohne dass man von Empfind-
lichkeit reden könnte, in Deprimirung übergehen kann, ist eine alte
Eriahrung, dass da, wo einmal der Stock geschwungen wird, seine
Anw^ung gar leicht ausartet; wo aber soll wolthätige Beechftmung
herkommen, wenn auch heute noch trotz aller Verordnungen nicht
selten fllnf oder sechs Schiller hintereinander mit dem Bdhrchen ab-
gefertigt werden, vielleicht, wie nicht selten geschieht, weil sie ihre
Vocabeln nicht gelernt haben und deshalb — bereits — ins Tagebuch
geschrieben sind! — Die Kinder werden gegen das härteste aller
Straftnittel vielmehr abgestunii)tt und bleiben gegen die übriKen erst
recht <i-leicligiltig. oder bitten wol o-ar: „Sperren Sie mich doch nicht
ein; hauen Sie mich lieber durch!" Wo fernei' der Stock gehandhabt
wii-d, es ist ebenfalls Erfahrung, da schleichen sidi auch alle jene un-
erlaubten Stratmittel nebenher ein. ja werden wul gar als ein gerin-
gerer Grad der Züchtigung betrachtet und um so freigebiger ausge-
theüt, weil man, allerdings in pädagogischer Verblendung, die Prügel-
strafe für das — bequemste Erziehungsmittel hält; aber alle, denen
es Schemen mag, als sei es so, mögen doch zunftchst bedenken, dass
sie gewiss nicht zu ihrer Beqemlidikeit den schwierigsten Beruf er-
wShlt haben, sodann aber überlegen, wie sehr sie sich durch wülkflr-
liches Überspringen milderer Strafartoi den Unterricht auf die Dauer
erschweren.
Ist es daher Aufgabe der Erziehung, den Stock entbehrlich zu
machen, so mache man mit seiner Entfernung doch einmal vollen
Emst, beseitige mau ihu doch endlich gänzlich und eisetze ihu duich
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die liebevolle, (•(niseqiiente, oft vielleirlit allenliiifrs unbequeme Anwen-
dung anderer Zuclitiiiittel; denn er schadet mehr als er finichtet, da
er dem Lehrer gar leicht das hingebende kindliche Vertrauen seiner
Zöglinge entzieht Sie sacheu durcli Täuschung der üblichen Züch-
tigung zu entrinnen, denn — mehr als dnrchgeblent können sie ja im
Falle der Entdeckung anch nidit werden. Aber auch sonst gute
Schüler, und gerade sie, wenn sie einmal gefehlt haben — und wer
ist fehlerfrei? — wagen es nicht, die Wahrheit einzugestehen, da sie
den Stock f&rchten, und so verführt gerade er zu Log und Trog,
wogegen er hauptsächlich angewandt werden solL Und dass anch die
Eltern ans Besorgnis, ihre Kleinen geprttgelt zn sehen, oft den grossen,
folgeschweren Fehler begehen, den Schulsünden ihrer Sprösslinge ein
Mäntclclieu umzuhängen, das beweisen uns niclit nur oft genug die
von ihnen ansjrestellten Entscliuldigungszettel, das sagt schon Fischart:
,.Seht ilir, wie sie die kinder lehren beten, schicken sie zur kirchen
und schulen, vereliren dem Schulmeister etwas, dass er sie nicht
streicl). j^eben für, sie seyen kranck, könnten nit zui* schulen kommen!*")
Drum fort mit dem Stock! Zeichneten sich denn die bestgeprü-
gelten Jahrhunderte durch die besten Menschen aus? Liebe und ^reode
ist die Hauptsumme aller Erziehungsweisheit, Liebe und Freude nn»
zertrennlich mit Religion und Tugend. „Wenn mich jemand fragen
warde,** schreibt Layater einmal, »sage mir, was ist Religion? so
würde ich antworten: Beligion ist Freude an Oott und allem, was
€tottes ist Traurig sein, inuner sen&en und zittern, gehM nicht zur
Beligiosit&t Eyangelium, Freudenbotschaft! wie wenig kennt dich
der, der dich eine FreudenstOrerin nennt! Freuen sollst du dich, o
Mensch, das ist deine ganze Pflicht!" Freilich wird dann die Schale,
sobald sie den Stock beseitigt, auch an das Haus die Forderuug stellen
müssen, sich unbesonnenen Dreinschlafrens zu enthalten und zu der
deutschen Krziehungsmetliode zuriickznkeliren, die das Elnyefülil. so-
bald es erwaclit war un<l erwacht sein nuisste, schonte und pflegte.
Es wird zu dem Zweck >siederum der Kikenntnis Bahn gemacht wer-
<len müssen, dass die Erziehung eines Menschen nicht ei*st mit den
Scho^jahren beginnt, dass vielmehr gerade die Behandlung des Kindes
in den ersten Jahren fiir sein ganzes zakänftiges Leben von grösster
Wichtigkeit ist, und dass eigentlich schon in seinem 4* — 6. Lebensjalire
die Grundlage der Moral für das ganze Leben gelegt sein sollte. Diflse
h&usliche Erziehung, die der schulmfissigen Bildung des Geistes und
^) Guguitna c. 6.
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Charaktei-s notbwendig voi aulK^ehen muss, lieget nun hauptsächlich der
Mutter ob; soll sie aber auf ihrem Schoss den grüssten Theil ihrer
Vollendung finden, damit Unterricht und Belehnmg einen festen Punkt
kaben, wo sie ihren Hebel ansetzen können, so wird es eine Haapt-
anhabe sein, ms wieder Hausfrauen nnd Mfltter zn erziehen, damit
wir beasere Maischen haben. Das ab^ ist dann eben die Aniiifabe
der modernen Tdcihterschale, die leider noch allzu oft verkaimt wird»
Jede EnabeDschnle, heisse sie, wie sie wolle, sieht mehr oder weniger
ihren Bemf darin, ihren Zögling für sem gesammtes späteres Leben
Torzubilden; namentlich aber die höhere Töchterschule unserer TtLf^e
hat iliren Beruf nocli nicht erfasst, wofern nicht ein bisschen Gesang,
ein bisschen Malen, ein bisschen Kn^^liscli und Französisch, ein bisschen
Literaturkenntnis die Aufgabe des Weibes sein soll, ( berall dringen
wir darauf, für das Leben zu erziehen, die Töchtei-schulen erziehen
ztini grössten Theil noch für die Schule! ^lan folge doeli unseni Ver-
la lireii, die durchaus nicht zimperlich waren; nuiu lege ungescheut
üand au und belehre die Mädchen iu den letzten Jahren ihrer Schul-
zeit, dass Fehler der Kinder nicht geboren, sondern anerzogen wei*den,
und man unterweise sie vor allem darin, was eine gewissenhafte Er-
zieherin nnd Matter, will sie anders ihrer heiligen Pflicht nachkommen,
thnn muss, nm Trotz und Eigensinn, Lng und Trog, Herrschsncht,
Eigennutz nnd Unselbststfindigkeit nicht aofkommen zn lassen, Wil-
lensstärke, Bescheidenheit, Selbstständigkeit, Wahrheitsliebe, Anf-
opfemngsfiUiigkeit nnd Sinn ftbr Olrdnnng abw anzuerziehen. Man
lehre sie Tor aDem die Macht des Beispiels, ohne das man es bei Kin-
dern zu nichts bringt. Warum soll denn das Kind nicht „graulich"
sein, wenn Maina sich scheut, in ein ünsteres Zinimer zu gehen? Muth
und Selbstbeherrschung lehrt das lieLspiel, wie es Eitelkeit, Vorniäu-
lichkeit und Dfinkelhaftigkeit erzieht! Von den Töchterschulen und
duich sie von den Müttern also hängt es mit ab. dass das Kind in
dem 4 — 6. Jahre seine letzte Züchtigung empfängt und dann möglichst
augeschlagen durchs Leben kommt. Eine später vollzogene körperliche
Strafe aber bringt selten Frucht, während sie oft grossen Schaden
anrichten kann. Und darum noch einmal: Fort ans unseren Schulen
mit dem Stock, der sich in alle Kinderfreuden drängt! Wenn es auch
anüuigs schwer erscheinen mag, ohne ihn zu Endehungsresultaten zu
geüaiigen, ein Anfang muss gemacht werden; Je länger je mehr, nnd
vor allem je entschiedener alle erziehenden Factoren auf dies des
Schweisses der Edlen w&rdige Ziel hinarbeiten, wird sich seine Ent-
behrlichkeit herausstellen. Natürlich genügt es nicht, ja es geht kaum
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an, dass hier uud da einer ihn bei Seite legt; aUiiiählich wieder die
Familie, vor allem aber die Gesammtheit in den Collegieu moss seine
JlntbehrUchkeit erkennen; denn wo einer prügelt, da erschwert er dem
anderen den Unterricht» da nöthigen yieUeicht abgestnmpfte Gtoüther
auch den anderen, zn so hartem Mittel am greifen, obgleich er es Te^
wirft Alle, denen die Erziehnng der Jngend zn wahrer HnnumitSt
am Herzen liegt, mOgen daher beständig der Worte Walthers einge-
denk sein:
^ianan kan behertoi
khidfls «iht mit gerten;
den hmh i^ftren bringen mnc,
dem ist eb wort ab ehi shM^**
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Die praktische Verbildmis zum Ukeren Seholamte «of der
Universität.*)
Voa Dr. t/. Wycl*gram'Leipnff,
Die Versuche, eine Reform uiisers liöheren XJntemcht^wesens
herbeizoflUiren, ond einerseits solche, die ihr Augenmerk auf die Ma-
terie des zu Lernenden, auf Inhalt und Vertheilang des Stotfes rich-
ten, anderseits solche, deren Vertreteri überzeugt von der hohen
Bedeutung der Beschaff<Niheit des Lehrerpersonals, diesem letzteren
iliie Aufionerksamkeit ^dmen und insbesondere eine pädagogische Be-
ni&?orbfldung desselben, fär welche bisher noch so gut wie gar nichts
gethan ist, ins Lebmi rufen möchten. Was die ersteren betrifft, so
hat sieh sdt einer Bdhe von Jahren ein solcher Wust yon Yorschlft-
gen, die nicht immer aus dem Munde berufener Männer kamen, an-
«.^esHinraelt, und mit solcher Hast und t berstürzung ist von Welen
Seiten ^e«^en das Bestellende angekämpft worden, dass einstweilen
noch grosse Controversen bestehen. Anders verhält es sich mit den
Vei-suchen der zweiten Art; dahin zielende Vorscliläi^e sind in ijeriu-
irerer Zaiil, datiir aber fast durdiofänofifi: von Avirklichen Autoritäten
gemacht worden, und ihrer Verwirklichung stehen nicht nur wenigei*
ftossere Schwierigkeiten im \\'ege. sondern es lässt sich Ton ihr auch
mit weitaus gi'össerer (iewissheit Nutzen voraussagen. Die unlängst
erschienene Leipziger Dekanatsschrifb des Herrn Prof. Dr. Hofioumn
erweist von neuem, welch dringende Bedürfhisse der Abhilfe harren.
Für die pädagogische Aushfldung der Aspiranten des höheren
Sehulamtes ist, wie gesagt, seitens der Universitäten &st gar nichts
gethan. Fftr gewöhnlich besucht ein Phflolog, Historiker, Mathema-
tiker etc. 6 — 8 Semester lang die Vorlesungen und Übungen einer
Hochschule, lernt dadurch das kennen, was man akademische Wissen-
scliaft nennt und was nicht in allen Fällen, sich über ein Conglomerat
♦) ct. Leipziger Dekanatssclirift «les Herrn Prof. Dr. Ii, Hofmann zum Recto-
ntflwediMl där üniTenHit.
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von Details erhebend, einer philosophischen Vertiefuni? der elementa-
reren Ding:e dient, welclie zu lehren das spätere Amt erheischt. Ins-
besondere für den Philologen und Historiker steht das, was die Vor-
lesnnjren iliin bieten, nacli Umfang und Ort oft in gar keiner Beziehung
zu dem Endzweck, den doch für ihn als künftigen Lehrer der Aufent-
halt auf der Universität haben soll. Indessen ist das nicht das
Schlimmste. Hat der junge Mann die Universitätsjalire lilnter sich,
so tritt er in das Lefarercollegium irgend einer iK'iheren Sclnile ein,
um sein „Probejahr** zn machen, d. h. um womöglich für 500 Thaler
Gehalt sogleich eine wissenschaftliche Hilfslehrerstelle zn bekleiden,
die ihm neben 24 Unterrichtsstonden wöchentlich noch die Verpflich-
tung zn zahlreichen zeitraubenden Correctnren auferlegt Der Zwe(^
des Flrobejahres ist, den Neuling mit dem Organismus der Schule be-
kannt zu machen und seiner ünterrichtsfiUiigkeit seitens des Directors
und der Collegen, welche in seinen Stunden zn hospitiren haben, Be-
urtheilung und Kathschläge zu Theü werden zu lassen. Brinprt man
nun in Anschlag, wie sehr sowol die Directoren als die Lehrkralte
unserer höheren Schulen mit Arbeiten überladen sind, und wie wenig
Zeit sie selbst b(;im besten Willen für die Förderung eines jüngeren
Genossen behalten, lässt man ferner nicht ausser acht, dass der Can-
didat, dank der grossen Stundenzahl, die ihm obliegt, doch für den
weitaus grössten Theil seiner Arbeit sich selbst überlassen bleibt und
allen Gefahren des Experimentirens anheim jQLUt, so wird man über
die Einrichtung des Probejahres nicht mehr so günstig denken, als
man auf den ersten Blick zu thun geneigt war. Immerhin aber mag
noch das Probejahr als ein in gewissen Beziehungen berechtigter und *
auch nützlicher Versucli gelten, dem Übelstande Rechnung zu tragen,
dass der Gandidat während seiner Studienzeit nicht im geringsten auf
die Praxis vorbereitet wird.
Herr Prof. Hofmann nun tritt diesem schmerzlich empfundenen
Mangel unserer l'niversitätseinriclitungen mit einer Reihe von Vor-
schlägen nahe, die zwar grosse Veränderungen der bisherigen Zustände
fordern, aber sehr besonnen gestellt sind und besonders dadurch Zu-
trauen erwecken, dass sie in Leipzig bereits seit mehreren Jahren
zum Theü in die Praxis übertragen sind und anerkannt günstige Er-
folge erzielt haben. In Kurzem gesagt bezwecken diese Vorschläge
die Gründung von pädagogischen Seminarien mit Cbungsschulen für
Candidaten des höheren Schulamtes. Ansätze zn solchen Seminarien
flnden sich hie und da in den preussischen Anstalten dieser Art
(Göttingen, Stettin u. A.). Aber diese Ansätze sind so unentwickelt
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und >:ewähreii in ihrer Uuvollkorameiiheit auch nur einer so ver-
schwindend kleinen Zahl von Studenten Zutritt, dass man sie füglich
üisser Acht lassen kann.
Das vollkommenste, was an solchen Seminarien bisher geschaften
ist» hat der ungarische Minister von Trefort für Budapest und Klan-
flenhnig geleistet Der amtliche Bericht desselben über seine SchOpihng
(Tom Jahre 1877/78) gibt folgende Daten. Das Mittelschol- (Gynma-
Sil- und Beal-) Lehrerseminar za Budapest gewährt den Gandidaten
drei Jahre hindurch ordentliche Fachvorträge , zn deren Besuch jene
verpflichtet sind. Ausser dem vorgeschriebenen Minunnm kdnnen be-
sonders befähigte Gandidaten nach Gutheissung^ des Professoren-Colle-
dams noch andere Collegien frequentireii. Die Lelirkiäfte bestehen
zum Theil aus Professoren der Universität, zum Tlieil aus solchen des
Pulytechnicums. Das Seminar gliedert sicli in eine philologisch-histo-
rist'he. eine inatliematisch-natnrwissenseliaft liehe und eine j)äda«?of^ische
Abtlieilung, letztere in Verbindung mit der i'bungsschule. In den
zwei ersten Abtheilungen dauert der Lehrcui-s drei, in der dritten ein
Jahr. Im Jahre 1877/78 wirkten in der philologisch-historischen Ab^
theflung neun Professoren, in der mathematisch-naturwissenschaftlichen
elf (einer dayon Ahrt das Directorat), an der Übungsschule sechs
ordentliche Professoren, zwei provisorische und ein Zeichen-Lehrer.
Die Zahl der Seminaristen betrug 78. Dem Seminar steht kein be-
sonderes GebAnde zur Verfügung. Die Übungsschule zihlt vier Claasen,
welche stuflenweise alle acht Jahrgänge des Gymnasiums absolviren;
die Schülerzahl betrug znletzt 99. An der pädagogischen Abtheilung
und zusrleich an der Ubungsschule waren 39 Tandidaten betheiligt
'nämlich 10 ordentliche Hörer mit je ;UK) (nilden .lahresstiptiidium
lind 29 ausserordentliche Mitglieder des Seminars). Zur Anschafliing
von Lehrmitteln und zu Experimenten des Seminars sind 2000 Gulden
bestimmt.
Diese Bndapester Einrichtung mm ist von allen Versuchen, die
nach dieser Seite gemacht sind, derjenige, welcher den Intentionen
fi<^nann'a am nAchsten kommt Indessen gehen die letzteren doch
Boch weiter oder sind in manchen Punkten von denen Treforts diver-
girend. Hofinann berechnet sein Seminar auf di^enigen Studenten,
die sieh in dem letzten Halbjahre ihrer akademischen Zeit befinden,
•nd'zwar will er statt der Üblichen 3 V« Jahre eine 4 jährige Studien-
daner gesetzt wissen. Das Seminar soll den iUteren Studenten Ge-
legenheit geben, die Obliegenheiten des späteren Amtes in vollem
UnAage kennen zn lernen und einzusehen, wie sich dieselben als ein
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Glied dem sce.saiiiiiiteu Unterrichts- imd Erzit^hungswesen emfög-en.
Drei Aufg-abeii hat nacli H. eine solche jjraktisclie VoibiliUius::
1. Weitei'tiilininR- in den wisseiiscliaftlichcn Discijiliueii mit Hiiiweisiinj;
auf die praktischen AnlordiTung^eu des I ntei lichtes. 2. Hospitiren
bei musteroriltiofeii Lehrern nnd pi-aktische Kinlührnno: in die Kennt-
nis der verschiedenen 8chuhn'<>anisationeu. 8. Praktische Übung üu
Unterrichten und in alle dem, was damit zusammenhängt Was den
ersten Pnnkt betrifft, so ist damit nicht die rein irissen schaftliche
Arbeit gemeint, wie sie. losgelöst von jeder Beziehung zur Lehrpmxis,
an nnsem Hochschulen betrieben wii*d, sondern es soll an den viaseih
schaftlicben Gegenstand eine Methode gelegt werden, die seine didak-
tische Yerwertbarkeit erfordert Es würde daher an der jetzigen
Gestalt der auf fiist allen deutschen Hochschnl^ befindlichen wissen-
schaftlichen Seminarien eine erhebliche Änderung vollzogen werden
mttssen. #
Das Schwergewicht des Hofinann'schen Seminars liegt indessen
aut der zweiten und dritten Aufgabe der praktischen Vorbildung. Um
das Hospitiren bei guten Lelirern und das eigene Unterrichten dt-r
Candidaten zu ei-müfrliclien. hat sich H. an die Schulbehörden Leipzigs
gewendet, und es sind ilnn sanmitliclie Schulen dieser Stadt zur Ver-
fügung gestellt. Er hospitirt mit seinen Zuhöreni bei anerkanureu
Lehrern und lässt sie dann und wann selbst vor einei" gehöiig im
Zuge beündlichen Ulasse ihre Lectionen abhalten, denen er seine
corrigirenden Bemei'kungen anfügt. Indessen ist das alles nur ein
Nothbehelf, und wenn derselbe vielleicht für Leipzig mit grossem Er-
folge verbunden ist, so muss dieser Erfolg nothwendig fehlen in einer
kleüien Universitätsstadt, in welcher weder der Zahl noch der Quali-
tät nach ähnliche Schulen vorhanden sind. Um dem abzuhdfen und
allen Studenten des Reiches in gleicher Weise die Möglichkeit zu
verschaffen, sich zum Lehrerberufe praktisch vorzubereiten, verlangt
H. von den deutschen Regienmgen, dass in Jeder Universitätsstadt
ein solches pädagogisches Seminar errichtet und demselben eine Xor-
inalschule beigegeben werde. An dersell)en sollen nur tüchtige, aner-
kannte Lehrer angestellt werden , und an dem Vorbilde derselben
sollen die S»-niinaristen lernen. Ausserdem aber müssen an die>er
Schule den Jungen Leuten Stunden zur eiiitiien ('bung zui" Verfügung
gestellt weiden, und zwar will H. hier einen eigenthümlichen Moiiiis.
Kr ist der Ansicht, dass eine blos einmal gehaltene Lectiun nicht im
Stande ist, grossen Nutzen für den Candidaten zu haben, und will
infolge dessen sämmtliche Classen der Seminarschule verdoppehi; hat
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nun z. B. ein Candidat eine Lection pfelialteu in Quinta I, so soll er,
naclideiii die Kritik .statt^^efmideii bat, dieselbe unter Vermeidung der
genügten Fehler in der Parallelklasse Quinta 11 wiederholen. Erst
dadurch, meint Hofniann, gestützt auf reiche eigene Ertahrungen, wird
der mrldicbe Nutzen einer Probelection erreicht.
Aber wie sollen diese Semiuai'scbulen beschattt werden? Bevor
diese Frage ihre zweckmässige Lösung gefunden hat, ist natürlich
nicht im entfei-ntesten an eine Verwirklicliung der H.'schen Pläne zu
denken. Die Schale muss, um Zusprach za erhalten, den Gynniasien
gleichberechtigt gegenüberstehen; wenn es sich aber empfiehlt, ihr die
Vordassen zur Kenntnisnahme des Elementarunterrichts anzufügen, so
stehen hingegen der Errichtung einer Prima und Obersecunda Be-
denken discipHnarer Natur gegenüber. H. will die hdhere Normal-
schule bis zur Untersecunda inclusive reichen lassen und durch die Be-
reditigung zum Eiig&hrig-Freiwilligendienste, die mit der Absolrirung
dieser Olasse verbanden ist, zugleich für die erforderliche Freqnenz
sorgen. Rechnet man nun auf eine Classe 30 Schüler und niuimt mau
an , dass nach dem Massstabe gleichstehender Schulanstalten jeder
Schiller 150 Mark Honorar zahlt, so würde eine ('lasse 4000 Mark
aufl)rinL'-Hn , d. h. in der Hauptsache die erforderlichi* Lehrkraft be-
zahlt niachen.*) Dem Staate würden somit nur die Ausgaben für
Errichtung des Gebäudes und für Erhaltung desselben zur Last fallen,
and mit demselben Rechte, mit welchem dieMediciner ilu'e Kliniken etc.
beanspruchen, kann die philosophische Facultät eine solche höhere
Normalschale verlangen, deren Segnungen anderer, aber nicht gerin-
gerer Art für die Gesammtheit unsers Volkes sind. Auch füi* den
emzelnen Studenten würden, obgleich H. die Studienzeit um ein halbes
Jahr verengert -wissen wiU, keine erheblichen Mehrkosten erwachsen,
da die Mitgliedschaft des pädagogischen Seminars ermöglichen soll,
dass die Dauer des eigentlichen Probejahrs auf ein halbes Jahr redu-
drt werde.
Überblicken wir diesen nur in aller Kürze wiedergegebenen Be-
fonnplan, so werden wir uns der Überzeugung, dass alles bis ins ein-
zelne wolüberlegt und streng innerhalb der Grenzen des Austührbai-en
gehalten ist , nicht verschliesseu können. Kür die Erfolge der neiuMi
Seminarien kann uns die segensreiche \\ irksamkeit dcö Prof. H. selbst
*) In d«r Sttekricht auf den FreiwiUigendienst und auf das Schulgeld ist wol
nv eine Aeoomoiodation an die bestehenden VerhXltnisDe zu erblicken; die hier auf-
tretenden pädagogischai Bedenken wird Herr Prof. Hoflnann jedenfiüls auch nicht
Abeneben haben. D. H.
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eine g;ewisse (Turaiitie frel»eii, die überall da Geltimp- haben wird, wo
man an die Nj)itze der Anstalt tüclitige, bewälirte Pädao;ogen ruft, die
durchaus niclit immer Universitätsprofessoren zu sein })]-auehen. Aber
in der ganzen Anirelegenlieit kann kein Schritt gethan werden ohne
die Hilfe des Staates, und wie bei uns die Regierungen sich zu einem
Projecte stellen werden, dessen kostspielige Eigenschaften dem Laien
stets eher in die Augen fallen, als seine Bedeutung filr das geistige
und moralische Leben nnsers Volkes, ist eine Frage von sehr zweifel-
hafter Antwort*)
*) Es wäre tranrig, wenn diese wichtige Angelflgeilheit ad calendas graecas ver.
ta^rt werden sollte; hoffentlicii erleben wir bald eiDen neven AnfBchwuiig der cnlta-
relleu Entwickelung der deutschen Nation. D. H.
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Wiener GeschieliteiL
Von Dr, Friedrich Ditiea,
VL
Nachdem fOr das erste Semester des 13. Schuljahres Herr Dr.
Pommer zum Supplenten der deutsche Sprache und Llteratar, der
Psychologie imd Logik, der Pädagogik nnd ihrer G^eschichte emamit
TO, femer ich, anstatt der an Dr. Pommer übergegangenen Fächer,
auf Wunsch der Commission die Methodik nnd Schulpraxis übernom-
men, in den übrigen Disciplinen aber eine Vacanz sich nicht ereignet
hatte, beprann der neue Cursiis, zwar nicht rechtzeitig, aber docli für
die Erledigung unserer Aufgabe nodi nicht allzu spät. Wenn nur
vim jetzt an alles <^ut gegangen wäre! - Allein wir hatten eben
keine interne Lehrkraft erhalten, und Dr. r(Hnnier, auch in sanitärer
Hinsiclit nicht j^anz fest, war eben übeibiirdet: er konnte sich neben
seiner vollen Professur am (Gymnasium der umfänglichen und schwie-
ligen Aufgabe am Pädagogium nicht mit der erforderlichen Kraft und
Sammlung hingeben nnd wurde oft am Erscheinen in der Anstalt ver-
hiudert, was natürlich sehr störend war, da ja eine ganze Gruppe von
Fächern in seiner Hand lag, und die entstehenden grossen Lücken im
Lehrbetrieb selbst auf den Fortgang anderer Fächer nachtheilig wirken
mussten. Es geschah eben, was man mit Bestimmtheit hatte voraus-
sdien können, mochte man ein Schulmann sein oder nicht
Hierzu kamen andere Fatalitäten, zunächst dne persönliche Diffe-
renz zwischen dem Qemeinderath und mir. Qm wUrde ich dieselbe
mit discretem Schweigen übergangen haben, wenn sie nicht, als sie
bereits veraltet war, von anderer Seite in gehässiger Weise vor die
Öffentlichkeit gebracht worden wäre. Der Sachverhalt ist folgender.
Am 25. October 1880 wuide ich mit folgender Zuschrift überrascht:
„Hemi Dr. Friedrich Dittea, Direct^r des städt. Lehrer-Pädagog-inms. Der
(remeinderath der Stadt Wien hat in seiner Plenarsitzung vom 19. 1. M. Ihnen
tiii' die vurjülirig-e SiipplLning: wälirend des ganzen Schuljalires in acht wöchent-
lichen riitorrichtsstunden die dem Director der lU)ungsschule als T.chrer der
Methodik und Leiter der praiitiüchen übuageu nach (iemeiuderathsbeschluss
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vom November v. J. zug^pdaclite Keiiiuneration per Bechshnndert Gulden bewil>
ligt. Die städtische Hauptcasse wird demnach angewiesen. Ihnen den ober-
wiUinton Betrasf aus der stildtischen Casse zu erfolg-en. Hiervon wt'rdoii der
Herr Director hieiinit in die Kenntnis gesetzt, Wien am 24. October 1880.
Der Magistrats-Vicediiector. Spätlu"
Mit Beginn des 12. Schuljahres, d.i. Mitte September 1879, batte ich
auf W unsch der Conimissioii die berülirte Suppliruug überuommeu, wäh-
rend gleichzeitig Dr. Pommer mit der Sui)i)lirung der deutscheu Sjjrache
und Literatur betraut worden war. Das natürlichste und einfachste
wäre nun oline Zweifel gewiesen, dass der Gemeinderath, wenn er mir
eine Kemuneraiiou bewilligen w'ollte, dies zu derselben Zeit gt tban
hätte, zu der er Herrn Dr. Pommer seine Remuneration anwies, nämlich
am Anfange des 12. Schuljahres. Warum der mir mitgetheilte Be-
schluss um mehr als ein Jahr, nämlich bis ^sum 19. October 1880 ver-
schoben werden mnsste, wflsste ich nicht zu sagen. Ebenso räthsel-
hait war und ist es mir noch heute, warum der Gtemeinderath mir
f&r jede wöchentliche Lehrstunde nur 75 Fl. jährlich anwies, wihrend
seit dem Bestehen des Pädagogiums jeder andere Supplent und auch
Dr. Pommer für jede wöchentliche Lehrstunde 100 FL jährlich erhalten
hatte. Nicht minder räthselhaft war und ist mir noch heute die Mo-
tivirung mit einem angeblichen Gemeinderathsbeschluss ^vom November
V. .T.". Schon das unbestimmte Datum ist auffällig. Jedermann weiss,
dass der Monat November HO Tage hat. dass abei* eine (Korporation
einen bestimmten P>esr]duss nur an «;inem bestimmten Tage fassen
kann, und dass in ofticielleu Schriftstücken ein so vages Datimi, wie
,.vom Novendjer v. J.'' nicht recht am Platze ist, wenn es sich um
einen concreten Act handelt. An welcliem Tage ist nun jeuer angeb-
liche Besclduss gefasst worden? Ich habe in den gedruckten officiellen
Protokollen über die Gemeinderathssitzungen liierüber nichts gefunden
und glaube noch heute, dass ein solcher Beschluss überhaupt gar nicht
gefosst worden ist, zumal mir später, wie ich bald berichten werde,
eine competente Persönlichkeit eine ganz andere Angabe in dieser
Sache gemacht hat Femer bin ich nie im Stande gewesen, mir äesa
dunkeln Sinn dieses angeblichen Beschlusses und dessen Znsammenhang
mit meiner Supplirung zu erschliessen. Gewiss ist so viel, dass die
beiden internen Lehrkräfte, welchen vormals die Methodik und Schul-
praxis anvertraut war, hierfür ein höheres Honorar erhalten haben,
als den externen lielirkrätten und Supplentt ii nach ^lassgabe der Stun-
denzahl bewilligt wurde, und dass, wenn mau mir, wie jedem andein
Docenteu, für 8 wöchentliche Lehrstunden 800 Fl. jährlich zuerkannt
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hätte, der Stadtcasse ans der bestehenden Vacanz nocli immer eine
Ersparnis erwachsen wäre, obwol ich den fraglichen Unterriclit in sei-
nem vollen UmÜEtnge und, wie mir in den schmeichelliattesten Aus-
dräcken öfters versichert worden war, mit (1<mti besten Erfolge ertheilt
batle. Hierza kam ein anderer wichtiger Umstand. Wie ich nämlich
in Nr. n meiner „Wiener Geschichten** berichtet habe, hatte ich be-
reits froher einmal, nftmlich mit Beginn des zweiten Semesters des
vierten SchnQahres, die Supplirung der Methodik und Schulpraxis
flbemommen. Mit Beziehung hierauf hatte ich dann folgendes Schreiben
erhalten.
,fAn Herrn Dr. Friedrich Dittes, Director des städt. PUdaf^og-jinus. l>»'r
Gemeinderath der Stadt Wien hat iu seiner gesti-igen Pleiiai'sitzuug Ihueii,
Herr Birector, anlttsslich der Übernahme von wSchentlieh acht Lehrttonden in
der Methodik imd Lehrpraiis nach dem Austritte des Oberlehren Dr. Willmann
ane Bemoneratioii im Betrage von fOnfhondert (50ü) Golden österr. Whrg.
Itewilliget und für die Bereitwilligkeit, mit welcher Sie diese Snpplentm iil>er-
nommen haben, seine Anerkennung ausgesprochen. Ich weise demnach dos
städtische Oberkammeramt an. Ihnen diesen Betrag" g-e^-en cintiu lie Enipfaiijrsbe-
ütäti^ung auszufolgen. Wien am IH.December 1872. Der Bürf^eniicister. Feldpr.*'
Gemäss dieser Zuschrift erhielt ich damals für die halbjährige
Sapplirong der genannten Fächer 500 FL, während man mir jetzt fftr
die ganze Jahresleistung nur 600 FL bot, obwol keinerlei Vermin-
demng, sondern, wegen der bedeutend erhöhten Frequenz des Päda-
gogiums, eine Vermehrung der Arbeit eingetreten war. Was endlich
die äussere Form der beiden citirten Schreiben betrifft, so war die des
titeren ansprechend und der Repräsentanz einest anselinlichen Gemein-
vesens würdig, die des spätinea, gelinde gesagt, höchst diirftig. —
R'i diesem Sachverhalte miisste das gemeinderäthliche Angebot selbst,
iii'lit minder die versuclite MotiviniiiL:- desselben und überhaupt das
iTaii^e .Schriftstück einen iin<iinistitzen Kindriick auf mich machen. Ks
ham^dte sicli da nicht sowol um (ield, als um Khre. Um jefiocli meine
!" i>">iliclie Kmptindung einer objectiven Controle zu unterziehen, legte
icii d;i uneifreuliche Document, ohne meine eigene Ansicht zu äussern,
einigen befreundeten, mit den einschlagenden Verhältnissen vertrauten
nnd volkommen unbe&ngenen Herren mit der Bitte vor, mir offen ihre
Meinung zu sagen. Sie äusserten entschiedene Missbilligung, ja Ent-
rtstung Iber das Schreiben und erblickten in demselben eine directe
Bdeidiguor gegen mich. Und als ich noch eine andere, in Sachen
des guten ?ones competente Instanz consultirte, lautete der ruhige,
aber sichere Ausspruch : „Das kannst Du nicht annehmen." Nunmehr
sendete idi Ugende Antwort auf das Rathhaus:
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.,An Herrn Magistrats- Vicedirector Spätli in Wien. Mittels Zn-
sclirift vom 24. d. M. theilen Sie mir mit. <ler Gemeinderatli von \\ ieu
habe mir für die vorjährige Suppliruiig von acht wöchentlichen Unter-
richtsstunden am Pädagogium sechshundert Gulden bewillijoret. Da es
gegen allen Usus ist, dass am Pädagogium acht wöchenüiclie Unter-
richtsstunden mit nur 600 FL jährlich hononrt werden: so kann ich mir
die erwähnte spontane „Bewilligung" nnr entwed^ ans Geringschätzung
meiner Lehrthätigkeit, oder ans Bttcksichten anf die bedrifcngte FinaiUE-
lage der Stadt erkläi'en. Im ersteren Falle gebietet mir die Ehre,
jene „Bewilligung" znrfickzuweisen; im anderen verzichte ich auf die
fraglichen 600 Fl., wie ich seit zwölf Jahren anf weit grössere Be-
träge, welche mir gebührt hätten, verzichtet habe. Hiervon wollen
der Herr Vicedirector dem Gemeinderath Kenntnis geben. Wien den
26. October 1880. Dr. Friedricli Dittes, Director dc.^ Pä(h\üot;iums."
Diesem Schriftstücke füii-e ich für meine den Verliältnissen fem
stehenden Leser einige Erläuterunp^en bei. Was die bedrängte Finanz-
lage der Stadt betritFt, so war dieselbe seit dem Ablauf jener Zeit, in
welcher man leichten Herzens mit Millionen ge wirtschaftet hatte, im
Gemeinderathe selbst oft genug zur Motivimng beantragter Ersparungen
angefiihrt worden, und im Kampfe gegen das angeblich sehr kostspie-
lige Pädagogium hatte sie eine hervorragende Bolle gespielt Bezüg-
lich der angedeuteten Verzichtleistnng folgende Bemerkungen. Nach
strengem Rechte, d. h. auf Grand des zwischen der Gemeinde Wien
und mir bestehenden Vertrages, hätte ich von Anfang an überhaupt
jede unentgeltliche Lehrthätigkeit verweigern können. Selbstverstand-*
lieh habe ich von diesem Bechte, so lange meine Gesundheit anshiel^
niemals Gebrauch gemacht: dies wäre nicht nur unbillig, sondeH .
gegen meine eigene Nei^runs: ^»^ewcsen, da ich nie Gewinn gesucht ind
gerade in der freien Lehi-thätigkeit stets meine grösste Freude geUu-
deu habe. Allein dass ich gleicli in den ersten Jaliren micli breit
finden Hess, nebst jenen pädagouist lien Disciplinen, deren UbenHlinie
man von mii* erwarten konnte, nocli eine Keihe von anderen F .Hullern
zu suppliren, wodurdi ich der Gemeinde mehrere Lehrkräfte \iiu damit
beträchtliche Geldsummen ersparte, meine Gesundheit aber ;usetzte,
das konnte billiger Weise niemand unentgeltlich erwarten. Dennoch
habe ich für diese ausserordentlichen Leistungen nie eine Entshädigung
oder ein Wort des Dankes empfangen. Femer habe ich drel^bn Jahre
lang unentgeltlich die Bibliotheksgeschäfte besorgt nnd d» Schulgeld
eingenommen, auch zehn Jahre lang den KanzleianfwandätiB eigenen
Mitteln bestritten, ohne dazu irgendwie verpflichtet ge^en zu seiOf
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luid uhiie dass etwa ein Usus dattir g:esprocbeii liätte, da in allen
hölieren Lehi'anst alten Wiens für diese Zwecke besondere Mittel zur
VerftigODg gestellt sind. Was aber meine Besoldung betrilt'tf so ist
dieselbe niemals erhöht wordea. Es ist wahr, dass sie bei meiner
Anstellong eine völlig ausreichende und im Vergleich mit den im
Schuldienste gewöhnlichen Verhältnissen bedentende war. Doch ent-
sprach sie nnr dem Hinkommen, waches mir meine frühere Stellung
gebot«! hatte, und bei meinen Verhandlangen mit dem Wiener 6e-
meinderath hatte ich den Umstand, dass derselbe gerade anf mich die
Wahl zn richten gesonnen war, keineswegs ausgebentet. Bios die
Erwartnnie: hatte ich ausgesprochen, dass, falls die Entwickelung der
wirtschaftlichen Verhältnisse eine Vcrnunderung des Geldwertes zur
Fol^e haben sollte, eine entsprechende Krhöhung meiner Hesohlunp:
eintreten würde. Das wurde denn auch bereitwilligst in Aussicht ge-
stellt. So schrieb mir z. B. Dr. Kolatschek, der den grössten Theil
der Unterhandlungen mit mii- tÜhrte: „Ks wurde in der Discussion her-
vorgehoben, dass eine Erhöhung des Gehaltes nach Zeit und Verdienst
wol bewüUgt werden sollte. Im allgemeinen werden Sie Sich in Ihrer
£rwsrtiing nidit enttäuscht finden, dass der Gemeinderath von selbst
thnn wird, was ndthig ist, um Ihre Stellnng zu verbessern. Im be-
Moderai werden wir schon sorgen, dass es zur rechten Zeit und in
da* rechten Weise geschieht** — AUein diese Versprechungen sind
ebensowenig, wie die frtther angeführten, erflUlt worden, obwoi der
Fall, flir den sie gegeben waren, in sehr fühlbarer Weise eintrat, und
obwo! man eben deshalb nicht nnr allen Lehrpersonen, sondern allen
ütfentlichen Functionären ohne Ausnahme, vom ersten bis zum letzten,
auch ohne dass man ihnen bei ihrer Anstellung Versprechungen ge-
niacht hatte, sehr bedeutende (Tehaltserliriliungeu zu bewilligen veran-
la>>t war und zwar zu wiederholten Fialen und unter verschiedenen
Titeln. Nur ich ganz allein blieb jederzeit viUlig ausgeschlossen, mochte
es sich um Tlienerungsbeiträge, Fersonalzulagen, Gehaltserhöhungen
oder ähnliches handehd. Ich habe das alles ruhig hingehen lassen,
weil es mir von jeher zuwider gewesen ist, micli um materielle Vor-
theile zu bemühen, und weil ich es für meine Pflicht hielt, alles zu
vermeiden, was zn einer missliebigen Erörterung ttber die „Opfer^,
welche das Pftdagc^um der Stadt auferlege, und damit zu Agitationen
gegen die Anstalt Anlass geben konnte. Überdies wdrde ein von mir
ausgegangener Hinweis auf die angeführten Momente überflüssig ge-
wesen sein, da dieselben ja notorisch waren und der Commission des
Pädagogiums bei ihrer Geschäftsfülirung jährlich wenigstens einmal in
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Ei'inueiiiiig kommen mussteii. Kurz, um meine Existenz hat sich iiit'-
mand gekümmert, und ich kann sagen, dass icli micli im Dienste dti
Stadt Wien keineswegs bereichert habe. Ich könnte mehi- sa^en, wenn
es hier schicklich wäre, über Privat Verhältnisse zu sprechen. Nur mit
Widerstreben habe ich vorstehende Thatsachen angetlihrt. Aber nie-
mand kann es mir verargen, wenn ich schliesslich, nachdem ich wäh-
rend einer langen Beihe von Jahren ein in seiner Art seltenes Beispiel
von Uneigenntttzigkeit im öffentlichen Dienst gegeben hatte, zn allen
anonymen Yerdächtigimgen nicht anch noch Beleidignngen von offi-
cieUer Stelle mhig hinnehmen wollte.
Ich dachte non, die leidige Afi^re sei mit meinem Antwortsdireiben
abgeschlossen. Es war auch etliche Wochen Ruhe. Da bekam ich
vom Bürgermeister einen Brief folgenden Inhaltes: „Ew. Wolgeboreu!
leh ei snche Sie, mich morgen, Fi'eitag den 3. December d. .1., zwischen
11 Uhr Vomiittags und 1 Ulir Mittags in meinem Bureau zn liesnclif-u.
Mit dem Ausdrucke der besonderen Hochachtung Newald, Bürger-
meister. Wien am 2. December 1K80." — Als ich nun bei dem Herrn
Bürgermeister erschien, äusserte er den \\'unsch. ich möge, damit die
Sache ihren Abschluss lande, die fraglichen (UX) Fl. annehmen. Ich
antwortete, dass ich dies Ehren halber nicht könnet übrigens al>er
dringend wünsche, dass die Sache auf sich beruhen möge. Der Bür-
germeister antwortete, dass seines Wissens die Absicht einer Beleidigung
nicht bestanden habe, und dass sicherlich ihm selbst eine solche Ab-
sicht fremd gewes^ sei (was ich gern glaube); der Gemeinderath
würde anch einen höheren Betrag bewilligt haben, wenn der Beferent
einen solchen proponirt hätte. Aber der Beferent habe seinen Tor-
schlag mit dem Hinweis auf einen Gemeinderathsbeschluss aus dem
Jahre 1874 motivirt, und da habe der Gemeinderath zugestimmt. Ich
äusserte, diese Motiviiung stehe mit der mir schriftlich bekannt ge-
gebenen im \\'i(l('rsi»ruc]i. und ich müsse überhaupt entsciiieden bezwei-
feln, dass im Jalire 1><74 ein Beschhiss gefasst worden sei, der deiii
von IJSHU hätte als Basis «lieneii können. Darauf beiuei-kte der HeiT
Bürgermeister, er verlasse sicli auf die Aiilühruug des Refercnreii.
und er werde sofort Auftrag geben, dass der citirte Beschluss aus den
Acten extrahirt und mir zugestellt werde. Ich sagte, das wüi^de mir
ganz recht sein, ich tin chte aber sehr, dass ich einen solchen Extract
nicht erhalten würde. Damit war das Gespräch, ohne Ergebnis, xa
Ende. Ich habe von jenem angeblichen Beschlüsse nie etwas zu sehen
bekommen, auch den Namen des „Beferenten** nie er&hren.
Wenden wir uns nnn wieder zu den Angelegenheiten des FSda-
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— a<57 —
goginms selbst Die Wiener „Presse" brachte am 9. November 1880
einige HDttheilungen ans dem meinen Lesern bereits bekannten Com-
missionsberichte (s. Nr. V der „Wiener Geschichten"). Vollständig
reprodiicirte sie den Passus, wcldier mit den Worten bpofinnt: ,.P3ine
nicht unbedeutende Menge lunUt f^edankenlos mit.-' Diese Publicati(tn
der Presse war schon an sicli iiiclit gerade eine 3hister])robe discreter
BehandhmfT amtlirher An,uele*;entieiten. da der fragliclie Hericlit nuch
niclit vor da,s Plenum des Genieinderathes gelangt war (ich selbst be-
kam Ilm erst drei Wochen später); sie zeigte aber auch in ihrer gan-
zen Fassung eine gewisse Animosität und schloss mit der Bemerkung:
„Die Commission mnss wol wissen, ob es nothwendig war, gerade
jetzt die schwersten G^hfttze auffohren zu lassen. Die Budgetver-
handlongen stehen vor der Thflr. Da wird freilich manch hartes Wort
faUen." Also wieder der Stachel des Kostenpunktes. Den vorher be-
zeichneten Passus hatte die Presse mir zugeschrieben: er sollte der
Ton mir am 14. Juli gehaltenen Bede entnommen sein. Die stellen-
weise unklare Composition des Gommissionsberichtes liess allenfalls
dne solche Auffassung zu, obwol sie unrichtig war. Dem Satze: „Eine
nicht unbedeutende Menge heult gedankenlos mit" — hatt« die „Presse"
die Bemerkung beigefügt: .,eine eigenthümliche Ansdrucksweise für den
Director des Pädagogiunis." Da nun der fragliche Passus nicht von
mir herrührte und die an ihn geknüi»fte Bemerkung im Hinblick auf
die seit dem Kl. .Juli eingetretene Sachlage nicht i<rnorirt werden
konnte, so sandte ich an die Redaction der ..Pi esse'- eine entsprechende
Berichtigung, welche jedoch erst in Folge wiederholter und nachdrück-
licher Aufforderung abgedruckt wurde, und zwar unter Beifügung einer
Erläuterung des Inhaltes, dass die Berichtigung nicht der „Presse",
sondern dem Berichte der Commission gelte. Die letztere schwieg;
natttriieh wurde durch diese kleine Zeitungsaffaire die Stimmung an
keiner Stelle verbessert
Auch eine lebhaftere Geschäftsführung der Commission trat nicht
ein. Aus ^ dem Yoijahre war noch die ordnungsmässige Nachprüfung
im Efickstande. Weiser klagte, dass er kein Commissionsmitglied zur
Assistenz aufzubringen vermöge. Endlich wurde das Geschäft auf
den 23. November angesetzt. Aber von der Coniniission erscliien
Weiser allein, obwol alle scliriftlich eingeladen waren. Wir hatten
selion einen permanenten Strike. Das Statut bestinuiite in 87:
„Bei der Xaclipi'üfung niuss die Aufsicht sconimission durch wenigstens
zwei ihrer Mitglieder vertreten sein." Icli maclite den Commissions-
obmann auf diese Bestimmung aufmei'ksam. £r meinte aber, da nun
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i'iiiiiiiil niemand komme, miU»se das Gescliält eudlicli erledigt werden;
und «0 n^escliali es.
Antangs December wurde der inzwischeu gedruckte Cominissions-
bericht über das Voijahr vom ßathhause aus versendet Nach etlichen
Tagen aber wurden die ausgegebenen Exemplare wieder eingefordert,
weü, wie aus den Äusserungen der Diener hervorging, der Bericht
noch nicht approbirt war. Am 10. December kam derselbe im Plenum
des Gtemeinderathes zur Verhandlung. Das Elaborat wurde heftig an-
gegriffen und kaum vertheidigt Weiser, ohnehin durch Alter (er
zählte siebzig Jahre), bittere ErfiEÜirungen und Kränklichkeit gebeugt^
war nun ein Hauptmann ohne Compagnie. Die Afaire schloss damit,
dass auf den Titel des Commissionsberichtes folgende Benierkuujr
di'uckt wurde: „t'ber PlenarbeschliLss; vom 10. December 1880 nur bis
Seite 10 alinea 2 zur Kenntnis genommen." Mit dieser ( lausel ver-
sehen, in allem t'briiren aber unverändert und unverkürzt, gelan^^te
der Bericht anfangs .Januar 1881 wiedei' ins Publicum. Hemerkung'en
über diese Procediu' halte ich für unnöthig. Die nicht approbirteii
fünf Seiten des Berichtes entlialten unter anderem auch alle früher
(s. Xr. V) mitgetlieilten Stellen von den Worten an: „Eline nicht im-
bedeutende Menge.** Selbstverständlich hatte mit dem angeführten
Beschlüsse der Gemeinderath auch dem Lehrkörper jene Satisfaction
verweigert, welche Weiser — ob sonst noch jemand, weiss ich nicht —
durch den Commissionsbericht erzielen wollte.
Nicht lange nach diesem Vorgänge scheint die Neuwahl der Gom-
mission stattgefunden zu haben. Es muss dabei recht still oder, wie
der offidelle Ausdruck lautet, „vertraulich** zugegangen sein, da ich
von diesem Wahlacte nichts hörte und von der Existenz der neuen
Commission erst im Febi-uar 1881 Kunde erhielt. Diese neue Commis-
sion bestand aus den Mitgliedern der alten, 'l'rotz allem Vorausge-
ganixeiHii waren diese wieder gewählt worden, und hatten sie die
Wieilerwahl angenommen. Auch hierüber bedarf es keiner Bemerkung.
Nur Dr. Kompert hatte nicht wieder gewählt werden können, da er
aus Gesundheitsrücksichten aus dem Gemeinderath ausgetreten war.
Seitdem soll er sich w^oler betinden. An seine Stelle wählte der Ge-
meinderath Herrn Josef Gugier, der schon früher in Sachen des
Pädagogiums gewirkt und neuerdings durch die Bekämpfung des Com-
missionsberichtes sich hervorgethan hatte. Herr Gugier war f&r diesen
Posten recht brauchbar; er ist ein intimer Freund und spedeller Col-
lege des Herrn Landsteiner und wie dieser sehr strebsam; seine
eifrige Geschäftigkeit machte es möglich, dass der mit Ämtern flber-
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häufte Heil- Landsteiner sich schonen konnte; dieser trat aun mehr
in den Hintergr^md und beschränkte sich auf Ertheilung* weiser Rath-
schlÄge und stilles Wirken. Auch gewann die Commission durcli Herrn
Gngier'a Beitritt an Verständnisinnig^keit: die Herren Landsteiner»
Gngler nnd Kfihn harmonirten vortrefflich, Weiser war krank, Hoffer
imd Bisa sind harmlose Seelen, die niemandes Kreise stören.
Noch im Decemher 1880 machte ich eine Erfahrong, welche nicht
ohne Einfluss anf meine späteren Entschliessnngen geblieben ist Ich
hatte, in Gegenwart eines Dritten, ein Gespräch mit einem wichtigen
{Staatsbeamten. Derselbe änsserte sich unter anderem höchst ungünstig
über die jiingere Lehrerschaft .... Ich bemerkte, (hiss ich von den
namhaft gemachten und beklafften Erscheinungen sehr wenig gehört,
in den mir bekannten Kreisen aber gar niclits wahrgenommen habe.
Er meinte jedoch, seine Schihlernng beruhe auf unbestreitbaren Tliat-
sachen uud gab mir dann selir deutlich zu verstellen, (hiss die Scliuld
an den berührten traurigen Erscheinungen zu einem guten Tlieile auf
mich falle. Bestimmt wurde mir gesagt, dass meine litei'ariäche Thä-
tigkeit den Glaaben nnd damit die Sittlichkeit der Lehrer untergrabe;
Terstflndlich angespielt wurde, in gleichem Sinne auf meine amtliche
Wiiksamkdt Es ist selbstverständlich, dass ich mich hiergegen mit
Entschiedenheit verwahrte. Eine genauere Wiedergabe des ganzen
Gespräches moss ich an dieser SteUe unterlassen .... Aber einige
Bemerkungen durften noch am Platze sein.
Was meine literarische Thätigkeit betrifft, so mögen meine Leser
beurtheilen, in wie fem dieselbe den Glanben nnd die Sittlichkeit des
Lehrerstandes untergraben habe oder untergi*abeu könne. Bezüglich
memer amtlichen Wirksamkeit w ur mir von Seiten unterrichteter Per-
sonen, insbesondere der Aufsichtscommission des Pädagogiums, niemals
eine Andeutung in dem bczeiclinnten Sinne gemacht worden. Und was
die Lebensfühning derjenigen Lehrer und Lehrerinnen betrifft, welche
ihre Fortbildung im Pädagogium gefunden, so hat dieselbe niemals
schlechte Früchte gezeigt. Ich besitze ein genaues Verzeichnis Aller,
den Bildungscursus des Institutes durchlaufen haben, und bin
dem Wandel und den Schicksalen derselben mit Theilnahme und Auf-
merksamkeit gefolgt Niemals habe ich etwas Übles erüfthren, vielmehr
ist es notorisch, dass aus dem P&dagogium eine tflchtige, pflichttreue,
achtbare nnd geachtete Lehrerschaft hervorgegangen ist Erhebliche
Disc^linarfiUle smd in der Anstalt äusserst seltmi, Verletzungen der
Bdigion und Sittlichkeit, oder der Staatsgesetze niemals vorgekommen.
£s herrschte jederzeit ein edler Geist, ideales Streben und gute Sitte
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in unserem Hause. Und was insbesondere den Umstand betrifft, dass
in demselben Lehrer und Lehrerinnen zu gemeinsamer und gleich-
mässiger Fortbildung vereinigt waren, so hat derselbe zwar gelegent^
lieh eben£ftll9 einem böswilligren Geschwätz zum Anknüpftm^punkte
<li«'nen müssen, in Wirklichkeit aber niemals einen anstössigen Vur-
fall zur Folge gehabt. Nebenbei bemerke ich, dass die Lehrerinnen
.sowol an Talent wie an Charakter den Lelirem ebenbüitig zui* Seite
standen.
Wie ist es nun zu erklären, dass in Kreisen, denen das i*äda<!;o-
giura fem lag, eine höchst ungünstige Meinung über dasselbe und spe-
dell über meine Wirksamkeit entstehen konnte? — Wenn Männer, an
deren Intelligenz und (terechtigkeitsgefühl nicht gezweifelt werden
kann (und um solche handelte es sich), über eine Anstalt und deren
Leiter den Stab brechen, so kann dies meines firachtens nur geschehen
auf Grund von Aussagen solcher Personen, welche der Anstalt nahe
stehen und gestützt auf diese ihre Stellung die Meinung zu erwecken
vermögen, dass ihre Angaben auf Wahrheit beruhen ....
Doch' genug. Das Mass des Erträglichen war überschritten. Die
Oommission rührte sich nicht. Schon längst hatte sie eine auffallende
Fahrlässigkeit an den Tag gelegt. Seit Beginn des 13. Schuljahres
gab sie kein Lebenszeichen. Sitzungen scheint sie nicht gelialteii zu
haben; Avenigstens habe ich Aveder von einer l^inladung noch von einer
Beschlussfassung etwas gesellen oder geliört. Alle am Anfanire des
Seiiuljalii-es eingereichten (lescliättssiücke blieben trotz ihrer Dring-
lichkeit unerledigt. Der Stundeni»lan erhielt niclit die erforderliche
(ienehmigung, über die festzustellende Zahl der Zöglinge, über das
Verzeichnis und den Fre(iuentationsi)lan der Hörer kam keine Äusse-
rung, nachträgliche Aufnahmsgesuche blieben unbeantwortet, ebenso
eine Eingabe der Zöglinge bezüglich der Turnübungen. Kurz, ein
wichtiges Kad unserer Anstalt stand still, wenigstens insofern es sich
um dessen ordungsmässige Thätigkeit handelte; so verloren wir d^
Boden des Statutes, und alle Verhältnisse wurden unsicher. Überdies
war, wie ich genau wusste, in sehr wichtigen Kreisen eine hOchst
bedenkliche Stimmung gegen das Pädagogium erzeugt worden. Dazu
kam, dass meine Gesundheitsverhältnisse sich von Tag zu Tag an-
günstiger gestalteten und allmählich jenen bedrohlichen Zustand annah-
men, auf ih-n schon einmal eine Icbensgetalii licht- Kiaukht^it gefolgt
^var. woneben noch ein Itesonderes, sehr schmerzhaftes Leiden innner
stärker aufti-at. und eines erquickenden Scldafes liatte ich mich selten
zu erfreuen. Auf einen Urlaub konnte ich, aus Gründen, die ick
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später aiitiiliivii werde, in keiiieiu Falle Indreii. Es iiiusste als(t ein
energischer Schritt ireschehen, um in tlie dunkle und versuniptte Situation
Licht und Bewegung zu bringen. Sachliche wie pei*sönliche Verhält-
nisse, die in diesem Falle ohnehin nicht getrennt werden konnten,
forderten mit gleichem Naclidruck eine Entscheidung. Und so sen-
dete ich folgende zwei Schreiben auf das ßathhaus:
1. AnSe. HochwolgeboreaHermDr.BitterTonNewaldfBürgermeister
der Stadt Wien. Da mir im gegenwärtigen Schoyahre, dessen erste Hälfte
demnächst zn Ende geH Ton der Existenz einer AnMchtsconunission
des Pädagoginms noch nichts bekannt geworden ist, sehe ich mich
genöthigt, an Ew.Hochwolgeboren als Chef der Wiener Oemeinderer-
waUnng die ergebene Bitte zn richten: Ew. Hochwolgeboren wollen
die Gewogenheit haben, das anliegende Schreiben der fraglichen Com-
mission zuzuweisen, oder eventuell zu weiterer Verfügung Selbst zur
Kenntnis zn nehmen. Mit dem Ausdruck besonderer Hochachtung
Ew. H(»cliW(ilgeboren er^^el)enpj' Wien, 1. Feliruar ISSl.
2. An die löbliche Autsichtsconiniission des Wiener Lehrer-Pädago-
giums. Meine unbefriedigenden (.Tesundheitsverhältnisse , welche mir
insbe^iondere möglichste Einschränkung des Sprechens und Vermeidung
von Erkältungen dui ch starken Temperaturwechsel gebieten, veranlassen
mich zn meinem Bedauern, meine Lehrthätigkeit am Pädagogium, die
jederzat eine Freiwillige war, bis auf weiteres einzostellen und mich
auf meinen vertragsmässigen Wirknngskreis als Direetor zn beschrän-
ken. Indem ich dies der löblichen Oommission hiermit anzeige, muss
ich derselben anheimstdlen, Aber das bisher von mir yertretene Lehr-
fi^ vom zweiten Semester des laufenden Schuljahres an anderweit
zn disponiren. Hodiachtungsoll etc. Wien, 1. Februar 1881.
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Streitoätoe cor Gymnasialfrage.
haben nnllliigst in nnseran Idteratorblatte (Jahtg. m, Heft 12)
eine anonyme Broschäre, betitelt „Betrachtungen fiber nneer daatiachee Schul-
wt st'ir', ang-ezoi^. welche eine so eniste nnd entschiedene Kritik gegen die hea-
tigfe griechisch-lateinischi' d'ynmasialbildung enthält, dass wir nicht unterlassen
können, anseren T^oscm etliche Hauptsätze des Wrfassers zur Prüfung vonra-
legen. AVir ver.^eheii dieselhe. beimts Erleichterung einer etwa au siezukuitp-
lenden Kritik, mit fortlaufeiuleii Xmiiniern,
1. „Es ist traurig zu sehen, wie auf die Kinder, welche von gramnia-
tiechen Begriffen noch keine blasse Abnnng haben, mit lateinischen Formen
hineingewirtsehaftety nnd schliesslich noch die bildende Erafti die der Gram-
matik als solcher eigen ist» der lateinischen Sprache nachgerflUimt idrd.
Hundertmal gesünder und für die Denkentwickelnng erspriesslicher ist ein
guter deutscher Unterricht, der die einfachsten grammatischen Begriffe an der
Muttersprache nachweist."
2. ..Der Götzendienst, der mit der lateinischen Grammatik getrieben \\ ird.
entstammt einer Zeit, in welcher von einer andern Grammatik als der lateini-
schen keine Rede war und an eine vergleichende Giammatik nicht gedacht
wurde und erst in neuerer Zeit hat man eingesehen, dass die neueren
SiKrachen eben so gut wie die alten wissenschaftlich behandelt werden ktenen.
Es liegt daher auf der Hand, daas, wenn der grammatischen Schulung
au Liebe neben der ^futtei-sprache noch eine andere gelehrt werden soll, eine
solche zu wi&hlen i.st. welche sprechen und lesen zu können anch abgesehen Ton
ihrem grammatischen Nutzen heutzutage förderlieh ist/'
H. ..Dass eine zeitrauVtende l'bung im lateinischen Aufsätze unserer Zeil
gwadezu ins Gesicht schlägt, braucht nicht erst von mir behauptet zu werden.
Diese Übung wird sich von selbst verlieren, denn nur noch wenige Lehrer
gibt es, die nach alter Art lateinisch schreiben und spredien können ... Die
meisten jfingeren Lehrer ftthlen nicht mehr, ob man diese oder jene Wendung
gebrauchen kann und darf, sondern sie schlagen im WSrterbuche nach, ob sich
die betreffende W^dnng angefülirt findet: darnach bekommt derSchtler einen
Strich oder keinen. Eine solche alberne Zusammenstellung anders woher ge-
holter Phrasen — officiell lateinischer Aufsatz genannt — führt natürlich zur
fnUilichsten G«>dankenlnsigkeit. Das ( Gepräge einer edlen Bildung, d. h. die
Fähigkeit sich eigeniutig auszudrücken, kann unter solchen Wortspielereien
nicht aulkomnieii. Deshalb ist auch oft an jenen Lateinlehrem ebensowenija:
Eigenartiges, als an iliren lateinischen Exercitien: wie diese Exercitieu, wenn
man sie iibersetzt, gewöhnlich keinen Sinn geben, so kommt man auch bei
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Jenen Schulmeistern, wenn man ihre lano:on Reden sich znrerlit l^g^t. auf kei-
nen neuen — nicht einmal überhaupt auf einen wirklichen Ucdankeu. Auch
auf der Universitilt ist es mit dem so^'^enannten Lateinsprecheu in den philolo-
gischeu Seminarien barer Humbug. Einige abgebrauchte l'hrascu werden
immer hin und her gewechselt, and wenn Dinge znr Besprechung kommen,
wo eine tiefer gehende ErOrterong nOthIg wird, taucht sicluBrlieh bei Lehrern
und Sehfilem daa «^geliebte Deutsch*' anf."
4. „Die lateinische Sprache ist auch keine internationale Sprache der Ge-
kfarten mehr. Für jeden Gelehrten, der den Fortschritten seiner Wissenschaft
in anderen Lllndem zu fnl<*-en und zugleich seinen eig-enen Arbeiten im Aus-
lande Beachtung zu veisch;iftVii wünscht, ist es viel nützlicher, des Franzö-
sischen und Englischen H»'ir zu w. rden, als des Lateinischen, und es dürfte
auch in der That den meisteu heutigen Gelehrten — einige Philologen aus-
genommen — schwer fallen, die Resnltate ihrer wiasenechaftlichen Arbeit in
Iddliehem Latein dansostellen.''
5. „Die NatnrwiBsensehaftea werden heutzutage erfolgreich von Mftnnem
getrieben, denen man keinen schweren lateinischen Sclmbeaok vorwerfen kann,
Tind es ist anch für den Veratilndigen nicht ersichtlich, was die lateinischen
Vocabeln mit der Secirnng eines todten oder lebendigen Hundes, mit der Ana-
lyse chemischer Stoffe, mit dt i- Zellentheorie oder mit dem Gesetz von der
Erhaltung der Kraft denn eigentlidi zu thun haben. Es ist grausam, von
einem Cliemiker, der sein Fach versteht, zu verlangen, dass er im Ductor-
examen ein Capitel Cäsar übersetzen kOnne .... Wie viel >^ichtiger wäre
es, den Titel eines Doctors der Philosophie nur an solche zn verldhen, die eine
gediegene allgemeine Büdnng genossen haben, und bei denen daher wahre Bil-
dung vorauszusetzen ist, d. h. eine das Leben durchdringende Liebe zur Weis-
heit Statt dessen laufen Doctoren der Philosophie herum, die von d^Uizelle
und dem rrschleini. dem Batliybius und dem Gesetze der Anpassung gar
viel zn sagen haben, für die alM-r eine Menge Fragen nicht vorhanden sind,
denen das Nachsinnen aller (Gebildeten aller Zeiten gewidmet war und ist.*'
6. „Für die Mediciner wird auch uuch das Lateinische für noth wendig
^erachtet, obgleich fast keiner bei der Lectttre römischer Ärzte eitappt werden
dürfte, und was die lateinischen Namen derMedlcin betrifft, so kann sich leicht
Jeder Uedidner durch ein Fachw<$rtert»nch über dieselben unterrichten, ja er
muhs es, auch in dem Falle, dass er den ganzen Cicero stndirt h&tte, da die
medicinischen Namen theils seltene Wörter sind, thells aas späterer Zeit stam-
men oder gebildet sind .... fHtrigens hat man neuerdings nachgewiesen,
dass sehr viele medicinische Ausdrücke ans dem Arabischen stammen ; da
müRsten ja nach der Ansicht gewisser Leute die Mediciner auch arabisch
trtibeu."
7. „Wenn der angehende Jurist auch noch so bewandert in Cicero undTa-
dtus yitin, so wilrde er das corpus juris doch schwerer verstehen, als wenn
er nach Erlenrang der em&chen lateinischen Gh-ammatik und, nachdem er von
einem Juristen in die römische Eechtssprache eingeführt worden, mit einem
Specialwörterbuch an das corpus Juris geht. Wie aber die Sachen jetzt stehen,
hat der Jurist am Ende seiner Studienzeit sein Cicero-Latein verschwitzt, und
das Juristen-Latein nicht gelernt.''
8. „W'enn man meint, dass das Lateinische des \'erstäudnisses derFreiud-
P^T^Agoginnu 4. Jahrg. lieft VI. 25
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wiater wegen getrieben werden sollte, so ist einmal zu ervsi(l»'ni, lias.s danu
noch gar viele Sprachen in der Schule getrieben werden müsfiteu, ans dtiuu
W&rter in unsere Sprache herttbeifpekommen Bind, und zweitens mnss es ab
eine verkehrte Meinung hingestellt werden, wenn man glaubt, dass der GeUI*
dete, nm ein Fremdwort gebranchen zn dürfen, sich des ürspnings desselben
bewusst sein niiisse,"
9. .,Ks ist t'iiio ebenso liochmUtliige als unwaliri* Brlianptime-. dass die
höheren Bildiiiie-sanstalten berufen seien, uns die Cnltur alter und fremder Völ-
ker aus erster Hand zu g:<'lien, das« im Ue^ensatz zu Bürger- und Ke;il-
schulen die im Gymnasium erlangte Bildiuig eben deswegen allein eine walu-e
Bildung sei, weil sie ans den Quellen schöpfe. Wie viel Jahre müsst«
die Jugend auf den Schulbänken sitzen, wenn man ihr das, was sie ab gebil-
dete Jugend wissen muss, aus erster Hand geben wollte! Keine Sgyptisehe
Geschichte ohne Hieroglyphen, keine persische ohne Keilschrift Keine grie-
chische und römische Geschichte ohne genaues Lesen aller griechischen nnd
römischen Histoi-ikei-. Welches mühsame Studium wäre erforderlich, um einen
einfachen Leitfaden der deutschen Literatur aus den Quellen zu belefr» iil-
10. „Was soll unserer Jugend die Hofpoesie ans den Zeiten des Kais^is
Augustus? Wie kann ein Jüngling, der kaum im stände ist, die dcutwhen
Oden eines Klopstock zu verstehen, die halb blasirteu, halb sentimentalen
Verse jener römischen Poeten nachempfinden, welche in dem verderbten Hof-
und StadÜeben die Sehnsucht nach Natur und Einfolt fiberkommt? .... Über
Horaz bin ich der Meinung JeanPaul's und Lichtenberg's, dass ihn die Schaler
nicht verstehen . . . Xenophon's prosaische Geschichte Icann doch gewiss eben
so gut, wenn nicht besser, in deutscher Überseteung genossen werden, nnd die
eine demosthenische Kede, die etwa in Oberprima exponirt wird. «ribt. weuu
sie mit vieler Mühe überwunden ist. viel weniü:er eineji He^i it^" von der Bede-
kraft des Demosthenes, als wenn der Lehier nach einer eingehenden Schilde-
rung von des Demosthenes Leben und Wirken einige Reden in passender
Übmetzung lesen, disponiren und von einigen Schfilem vortragen iSsst ....
Wenn man immer bei der Vertheidigung der Gymnasialbildung die ,4desle
Lebensauf&ssung^ betont, welche durch die Lecttire der alten Qassiker ge-
wonnen werde, so ist entgegenzuhalten, dass gerade dj^enigen Schriftsteller,
durcdi welche entweder in philosophischer Darstellung, oder in Schildernng:
grossartiger Charaktere auf Gemüth und Cliarakter veredelnd eingewirkt wer-
den könnte, von der SchuUectüre entweder gar nicht, oder nur zom kleinsten
Theil berücksichtigt werden."
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Volksbildnngsmittel.
Öffentliche Vorträge. — Yolkskalender. — Yolksbibliotheken,
Vou I 'i'iuiz ScMinkert - Wien.
^Sjtum im Getriebe des öffentUehen Lebens, im Brennpniikte des geisti*
gen Verkehres steht der Bewohner der Stadt*, ihm sind die reichsten Bfldnngs-
itStten in mradtteUiarer Nfthe erOffiiet, alle denkbaren BUdnngsmittel sind ihm
an die Hand gegeben. Der weitans grösste Theil unserer Staatsbfirg^er, die
Provinzbe\vohner, die Angehörigen des Bauernstandes, sind hingegen nicht von
dem g'leicheu (tliu ke Iteirünstigt. In entlegenen Orten, wo nur l»ei spiessbUr-
i:'rli(hen Stamintiscliziisanimenkünften die allernächsten Angelegenheiten in
kleinlichster Weise besprochen und bekrittelt werden, verbringen sie ihre Tage
ohne die nöthige geistige Anregung; auf einschichtigen Gehöften, in Gegenden,
wo die Welt mit Bietern verschlagen ist, oder gar hinter dieser Holzwand,
„auf der enterbeün Seiten, wo ma d'Nttgel nmniat,^ wie sieh mir gegenüber
dn Gebirgsbaner ansdrflckte, leben sie abgeschieden von jedem Verkehr. Und
doch Ist nnser deutsches Volk — namentlich die Bewohnerschaft der Berg-
fegenden— mit den besten Anlagen des Herzens und des Geistes ausgestattet.
Welch' kostbare Scliätze des Gemüthes sind nicht in den Ausserunfrcn der
Volkspoesie aufgespeichert! VAn genauer Kenner des Volkscharakters, der
steirische Dichter P. K. Rosegger, sagt in einer kleinen Mahnrede zu seinen
I^andsleaten : „Ös seids gscheita, wia immer aGstudirter in daStodt, oba findn
thnali engan Vastond nit — valegt hobts'n und hiaat topts nmer in Finstan
nnd snachts'n — aof d'Lesst sitat's eppa dranf!" In einem Gedichte „Grfiass
Gott** erzählt er: „A Gmttat hobn deLent as wia d'VBgerl in Lüftn, und anf-
richti gSl^, a Worms HerzMl hobns a.'' Sorge zu tragen , dass diese Eigen-
schatten zum Heile des Volkes verwertet werden, dass ein braver und tüchtiger
Menschenschlag nicht veikümniere in geistiger Nacht, — das ist die unabweis-
bare Pflicht der Intelligenz. ^lan ist .stets bereit, die Kraft des Volkes
auszunützen: es ist mit Abgaben und Lasten überbürdet; es nuiss zur Erhal-
tung des Wehrstandes den grössten Theil beitragen; aus ihm regenerii-t sich,
was im geistigen Bingen an Kraft verloren geht Und was macht die Gegen-
leistang ans? Mit Worten war man immerdar sehr freigebig; aber man hat
es nicht einmal sonderlieh der Htthe wert erachtet, so wie es die veränderten
VerhiltniSBe erhdsdien, dem Volke die einfachsten Kunstgriffe zu lehren oder
die noth wendigen Fingerzeige zu geben, damit der Wii-t Schafts- iind Gewerbe-
betrieb einen höheren Ertrag abwerfe. Allein ir^'setzr auch, es wären in dieser
Beziehung die nütbigeu Massualuueu getruüeu worden, so wäie damit noch nicht
25*
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alles, noch laiipfc nicht alles geschehen. Es niuss tiefer gefi;:ritten und die all-
gemeine Bildung gehoben werden, damit der Möglichkeit Kaum gegeben sei.
dass zu jeder Zeit, auch wenn die gängelnde Hand fehlt, vuui „gemeinen'' Maüoe
die geeignetsten Mittel gewflUt und die gfinstigen Faetorea in yoUatfindigstOD
Hasse ansgenfitst werden, nm seine Lage m verbesseni tind sich selbst n
Terrollkommnen. Haben wir denn nicht dieNenschnle, die achtjährige Schal-
pflicht? wird man verwundert fragen. Abgesehen davon, dass mandie Sebnle
in unseren Gebirgsgegenden den Namen ..Neuschule'' nur insofern einigennassen
in Anspruch nehmen darf, als sie etwa in einem renovirten (iebHude unter-
gebracht ist. besteht thatsächlich die achtjährige Schulpflicht nui- in den aller-
wenigsten Gemeinden; man darf sich nicht durch da.s Geschrei derjenigen tüu-
seilen lassen, welche in verachtungswürdigem Egoismus oder in erbarmungir
würdiger BescfarSnhtheit gegen jede Volksbildung eifern. Und selbst wens
auch hierin nichts mehr zu wünsehenfibrigbliebe, w&retrotademdeniBildiuigs-
bedOrfiiisBe des Volkes noch nicht vollkommen Genüge gethan. Dörth dBeo
ach^ährigen Schnlbesnch kann nicht all das erreicht werden, was man zn tat-
dem berechtigt ist: sehr schlau, aber auch sehr sophistiscli ist es daher, wenn
nnsere Gegner auf mangelhafte Erfolge der Neuschule hinweisen, nm daraas
abzuleiten, dass sie — ganz unnöthig .sei. Nach zurückgelegtem \ierzehnten
Lebensjahre tritt der junge Mensch in Verhältnisse, welche einen erzieheuden
Eiuflnss ei-st reeht wünschenswert macheu. Über verschiedene Fragen wird er
sich in diesem Alter erst klar; sittlichen, socialen, wirtschaftlichen Belehrungen
yermag er erst jetzt das richtige VerstSndnis entgegenzubringen nnd dieselben
werden nnnmehr anch am erfolgreichsten angebracht Was geschieht aber in
dieser wichtigen Lebensperiode, am dem jungen Landmann — gleichviel ob er
Bauer oder Marktler ist — geistige Anregung zu Meten, um einen erhebenden,
iordernden Einfluss anf die Bildung seines Charakters zunehmen'? Einzig und
allein von der Kanzel hei'ab hört er belehrende Woi-te. Ich bin sehr weit d.i-
von entfernt, den Wert und die Bedeutung des religiösen Zuspruches leugnen
oder auch nur schmälern zu wollen; aber nicht immer wird das Wort Gottee
in würdiger Form verkfindigt, nicht immer erfüllt es seinen veredelnden, e^
hebenden Zweck. Gewöhnlich wird mit zu grosser Beharrlichkeit und Aus-
schliesslichkeit anf das Jenseits hingewiesen, faidessen wir Menschen braochen,
die anf die W^elt taugen; man belehrt die GliUibigen nur allzagem darüber,
wie es im Himmel aussieht und wie es in der Hölle zugeht, dabei vergessend —
vielleicht absichtlich — , dass es den JiCiiten mitunter doch auch zu wissen
noth thut, wie sie sich hier auf JCrden zurecht tiuden können, nnd wohin die
Wege tühren, die sich auf derselben ki'euzen. Ich brauche nur an die Missions-
predigten zu erinnern, durch welche man unser Volk stärken will im Guten,
aber statt dessen die eddsten religiösen Begriffe verdirbt and entstellt»*) In
gehobener Stimmung tritt der Bauer in tUe Kirche. Hier ist der Ort» wo sdo
*) Über die Wirkungen derartiger geistlicher EmahnuDgen belehrt em Zeitvng»*
bericht vom 30. Ocrnber 1881 auch das grössere Publicuni . dem »ilclie DinL'e
wöhuUch unbekannt bleiben. In diesem Berichte wird nämlich mitgetheilt , daae ia
einer Pfane bei Knittelfeld in Stefermark, wo eine „Misdon'' abhalten wnrde.
fünf Fälle von religiösem Wahnsinne vorgekommen sind. Gar nichts Foge-
M'öhnliciies! Ich k5onte da noch allerlei Vorkommnisse ans meinem EriahrangdEreiie
hinzufügen.
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Denken ausruht von den Sorgen nnis tägliche Brot; hier ist der Ort. wo sich
sein Geist emporschwingt über die Alltiljrliolikeit mit ilirem selbstsüchtigt'n,
materiellen Hasten und Treiben. Der Laim der Arbeit ßcliweigl; ernste, wür-
dige Mdodiea ransdieii an Mbi Ohr; der BUdc kann nidit liinaimfliiweUiBii in
die Uane Ferne, er iit eingeengt von mfldemLiehtgUuuB nnd aelilichtemPnuik.
AU du bewirkt eine gewine Sammhmg; Dar lebeturfhihe, selten leflectirende
Naturmensch fühlt sich in der Nähe eines hohficn Wesens, einer besseren,
idealeren Welt: er sitzt still und überlegt. Und wie viele solcher weihevollen
Augenblicke der Erhebung and Empfänglichkeit verstreichen nnbenützt —
miasbraucht.
Überall, wohin wir auch uiuseni Blick auf dt^iii «n liirtt- dt i \ olkshildung
wenden mögen, bietet sich aus ein unbefriedigt luU .s Bild. Die Behebung dieser
traurigen Znatinde ist eine der wichtigsten Aufgaben; denn sonst dürfen wir
nie anf eine Besserung vnserer Iftndlichen VerliUtnisse lioffen. DerBsner kann
niditehersn einer politischen Selhststftndigkeit gelangen, als hisseine Kenntnisse
bereichert sind und sein UrÜieilsverm5gen durch logischen Unterricht geschürft
nnd gestärkt worden ist; nur wenn die Geisteskraft gestählt, ein edleres Selbst-
gefiihl wachgerufen worden ist, wird er sich aufraffen können, um mit morschen
Vonirtheilen, altersschwachen Überlit tViungen zu brechtMi. Es wilrc argeTäu-
M'hung, wollte man sich bei dem gegenwilrtigen Bildunghistande des grössten
Theiles der Landbevölkerung der Hoft'nung hingeben, dieselbe werde durch
eigenen Kntsdilnss dahinkommen, dass sie sich eine bessere Bfldung aneigne;
etwa indem die Kinder Iftager in die Schnle geschickt werden oder für eine
bessere Forthildnng der jnngen Leute gesorgt wird; indem Bfteher gekauft und
gelesoi werden u. s. f. Der Bauer Uesse seine Kinder am liebsten so auf-
wachsen, wie die Weidennithen, die er in den Zaun steckt und welche von
<Ah»t, olme Pflege, ohne Schutz, zu treiben und zu spriessen V)eginnf>n. Es ist
auch gar nicht zu erwarten, dass diejenigen, welche erst erzogen werden sollen,
selber die ricliri^'-cn Mittel und Wege wählen, um auf eine h<»here Piildungsstufe
zu gelangen; deshalb ist auch auf Petitionen von Landgemeinden um Herab-
setsnng der Schidpflicht n. s. w. — ganz abgesehen yon der Art und Wdse,
wie dieselben zu Stande kommen — gar kein Wert an l^gen. Wir müssen
das Volk anfsnchen, mttssen ihm die geistigen Güter, die wir durch
nnser Denken und Forschen ennufren haben, en t gegen tragen. Aber wir
dürfen nicht ausschliesslich auf die Verbreitung von positiven
Kenntnissen unser Augenmerk wenden: auch auf die sorgsame
Pflege einer idealeren Eichtung miissen wir in unserni Streben,
das Volk zu bilden, Bedacht nehmen. Wenn die Seele die hemmenden
Bande abwirft, sich in eine reinere Sphäre erhebt und hier das Edle, Vollkom-
nene in klarster und dentUehster Gtostalt erschaut, dann geht sie auf bi dem
Gefühle, dass ihr die Kraft innewohne, das Hohe, dem sie plOtsIich so nahe
gerückt ist, au eneiehen; das bessere Wollen regt sich fketer und müehtiger.
Der beengende Bann d« r Selbstsudit ist gebrochen, allgemeinere, höhere Pflich-
ten treten mit zwingender Gewalt vor das Bewusstsein. — Das ist jene er-
habene Stimmung, in der wir unsere edelsten Entschlüsse fassen, die mit solcher
Macht anf unser Seelenleben wirken, dass wii- uns der Ausführung derselben
mit nie erlahmendem Kifer hingeben. K» in Menschenherz ist derselben gänz-
lich versclilossen, solange dessen Fühlen nocii nicht erstorben ist in der Öde
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eloinkr W^rkoiiimcniicit. Audi die Herzon jener veniiaa: sie zu rinden und zn
erwärmen, die fernab \uni rpjre pulsirenden ^'erkehl•sleben der sprossen Gesell-
sehaft iu armseligen Gehotten wohnen. Die Erweckung: und die Pflege
dieser erhebenden Kegung, durch welche die Willenskraft ge-
festigt, die Aufopferungsfähigkeit f&r gesteckte Ziele gestftrkt
wird — soll die Aufgabe jener idealeren Seite der Volksblldnag
sein. Man iirt, wenn man nicht über die Beibringnng positiver, theoretischer
Kenntnisse hinausgeht nnd dabei wähnt, das Beste gethan za haben; es müssen
weitere Zielpunkte eröftnet und dei- feste Wille wachgerufen werd^Mi. dit^se Ziel"'
zn erstreben, die erworbenen Kenntnisse thatsilchlicli zu vt i werten. I'ann t-nsr
kann man mit unerschütterlichem Vertrauen auf eine Hebunir der \'erh.iltui»e
sowol in geistiger, als auch in wirtschaftlicher Beziehung iu die Zukunft
blicken. — Da predigt der Wanderlehrer im Wirtshaus Uber einen rationelle-
ren Betrieb der Bienenznehtt der Obstenltiur, eine gweckmlUwige Bereitung und
Verwendung des Dfingers u. s. f. — unawdfelhaft durchaus heilsame Lehren.
Sind nun seine bäuerlichen Zuhörer doch schon so weit vorgeschritten, um die
Berechtigung seiner Ausführungen anzuerkennen, dann w erden sie ihn nicht als
^Stodleut, df^s sn wos nöd verstellt, dös nixi dreinzreden bot'*, beti-achten. vie
es leider nurzunft vui'komnit. w erden ihn auch nicht auf dem kürzesten Wege
zur Thür hinausltefördern. welche Proeedur ebenfalls hiiutig v<»rgen<tnmien wii"d.
sondern werden ihn anhören, wul auch vei-stehen, darauf heimkehren, um den
alten Schlendiian — weiterzupflegen. Es fehlt ihnen eben ein weiterer Aus-
blick, das Verständnis für die eigentliche Bedeutung jener Lehren, die ihnen
gegeben werden, und endlich auch die nOthige Willenskraft und Ausdauer, um
sich mit Erfolg der Erstrebung eines höheren Zieles — ihrer Venrollkomninung
hinzngeben.
Wir dürfen also auf ein Vorschreiten niemals mit Zuversicht liofFen, so
lansre die Beseitiguiis" <lieser Klüngel nicht dadurch möglich gemacht wird, das«
man dem Landvolke eine idealere Bildunir zu Theil werden lässt. die sich nicht
an den kalten \'erstaud, sundern an das CJemüth wendet. Die Seele mn&s be-
freit werden, damit sie fähig wird, sich in einer erhabeneren Stimmung zu be-
wegen. Dies kann nur durch die VorfBhmng des Schönen, Edlen und Guten
erreicht werden. Dieselbe muss aber in einer Art geschehen, die den Land«
be wohner anzieht; seiner Eigenheit muss Rechnung getragen werden, sonst wird
der Zweck verfehlt. Und da bieten uns namentlich drei Eigenschaften eine
sichere Stütze: die rege, heitere Phantiisie. die Lust zu hören und zn
schauen, die naive Leljensfreude. Mit festem Vertrauen können wir auf
dieselben bauen ; di iui wt-nn auch diese \ orziige bei den Üewohnern einzelner
Gegenden durch Jahrliunderte lange Knechtung und geistige Bedrückung zu-
rückgedämmt und niedergehalten worden sind — keiner Macht ist es gelungen,
sie in der Volksseele gfinzlich zu venrichten, und es bedarf nur der geringsten
Anregung, um sie wieder zur IHschen, freien Äusserung zu bringen. Oll^nt-
llehe Yeniiistaltnniren: belehrende nnd unterhaltende Vortrfige, Belästi-
gungen, dramatis< he Aufführungen von erhebenden Ereiirnissen aus dem Volks-
leben n. 8. f. werden allgemeinen Beifall linden, und durch dieselben wird nn.«.er
gedachter Zweck am b-ichtesten und sichersten ei reicht. "Mein Freund Willi-
bald Nagl bat ni>er diesen (rcgenstünd sehr ausfiihrlicli im 1. niul '2. Hefte
des gegenwartigen Jahrganges dieiser Zeitsclirift gehandelt, und icli kann mich
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«iahcr tiir diesmal bes<;liränkt'iu auf den Aufsatz dfsscllu'n /^..I'usero Baueriiwi'lt
und die Studien über Spraehe und Wtsen des \ olkes" j zu verweisen, am viel-
leicht später wieder hierauf zurückzukommen.
Aber wenn auch dem gesprochenen Worte infolge der Unmittelbarkeit und
frischen Lebandigkeit eine Torstttrkte WiriEung zukommt, tmd daher auf den
mfindUeben, direeten Vericehr ein besonders grosses Gewicht zn legen ist, dfirfen
wir doch nicht ausser acht lassen, dass uns noch ein bedeutsames Mittel an die
Hand g^egeben ist, um unser 2Qel zu erreichen, dass noch ein zweiter Weg
iiiösrlich ist. um eine Verbindung zwischen der Intellig:enz und dem ^'olke her-
zn>t»'llen: es kann auch der literarische W'euf eint^esehlao^en und durch di»'
Wrbrt'ituns" von Schriftwerken die X'olksbildun^ y:eh(>beu und gelV.rdert
werd» n. Während die ^Vil■kuug der Rede auf einen engeren Kaum beschränkt
bleibt, ssieht jene des Druckwerkes weitere Kreise — aber leider wird viel von
d«r Tiefe und Nachhaltigkeit eingebfisst Es muss andi ein gewisser Fortschritt
vorausgesetzt werden, der nicht flberall anzutreffen ist, nämlich dass Bficher
gelesen nnd verstanden werden. Solange der Lehrer in der Schule mit ,.der
Linir** hinter dem Schüler steht, geht es noch leidlich mit dem Lesen: aber
wenn derselbe einmal der Jfachrsph.'lre des ersteren entrückt ist, dann klaj)])!
er das Buch zu und ist bestr«'bt. die erlernte Knust lerhr schnell wieder zu
vergessen, sodass man von juiiuen Leuten, die einig-e .laiire aus der Schule sind,
nicht selten die Antwort bekununt : ,,J<tmein. «'Druckte kunnt i hasen uo lesen,
ober mit'n Schreibn derhobts ml hold immerzna a wenk, nnd s'Gschriebane von
wen oiuiem,dlte se konn i mr nnmigli n8d ausdeutschen— is so viel an Inter-
sehiad, wia d'Leut d'Bnagstabn mochant!'* Wenn das Lesen Sdiwierigkelten
bereitet, wird natärlich das Verständnis beeintrdchtigt und so der Wert der
Lectftre geschmälert. Das Landvolk kauft daher auch nicht gern Bücher:
aber ausser dem Gebetbuche ist doch noch eines, das sich ihm unentbehrlich
eremacht hat. und zwar ein rftht weltlich nn£relc«rtes. Ks hilft die tlüchtii*'e.
iiiilialrbare Zeit messen und muss Trost und Aufschhiss t,o'l)en. wenn der Bauer
in banger Sorge für die reifenden Feldfrüchte na* Ii dem Wetter lugt. Dieses
Buch ist der Kalender. In jeder Bauerastnbe finden wir an einem sicheren
Orte — etwa im „Bankladel", auf der „GsdiirrsteUn'* oder gar an einem Nagel
an der Wand — irgend efaien „Volkskalender". Derselbe enthttlt ausser dem
fiblichen Calendarinm und einigen sachlichen Notizen verscMedene unterhaltende
imd belehrende Beigaben. Die Beigaben bilden fdr uns den wichtigsten Thell
df^s ganzen Kalenders, nnd es stellt lebhaft zu wünschen, dass demselben von
Volksfreundlichen Schriftstellern die ihm gebiilirende Aufmerksamkeit ireschenkt
werde. Die Kalendergeschichten werden an den lauiren Winterabenden gelesen
und wieder gelesen, bis sie gründlich verstanden werden und sich sogar dem
Oedächtnisse eingeprägt haben. Der Nutzen, weldier auf diese Weise durch
ehien gediegenen Kalenderinhalt erzielt werden kann, liegt auf der Hand,
und welcher Schaden durch einen schlechten gestiftet wird, ist eben&lls leicht
abzunehmen. AVenn der Bauer wirtschaftliche Dinge in einer Druckschrift
behandelt findet, gibt er gewIHmlich nicht viel darauf; aber wenn in politischen,
socialen Fragen seinen verborgenen Meinungen geschmeichelt wird, dann hat
auf einmal das „Druckte" AVert. ..Do steht's jo sclnvorz auf weiss — no . -
isasu!" Eine gewisse. ;^erade nicht vulksfreundlich zu nennende Partei, welche
aber, was die Kenntnis des Volkscharakters und die zweckmässige Wahl der
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Mittel zur Erreicliiiiip: ihier Ziele anbetrifft, alle anderen in Scliatt^n stallt, hat
sich uuu mit kluger Beredmuug der Kaleuderliteratur bemächtigt, um uiitu*
dem Volke AnhSogeir Ar Ihre Sache — die olericale — m. weriien. Diese
deiicale Ealenderwirtschaft hat namentlich in letster Zeit bedenhHchere Di-
mensionen angenommen, nnd es «mag mir daher gestattet sein, dieselbe etwas
nfther zn belenchten. Es handelt sich für die Veranstalter der Herausgabe
eines solchen Kalenders dämm, das Landvolk aus der Stagnation nicht aofzn-
rütteln und j^deii Kückscliritt (die Stagniation tuhrt zu demselben) zu l)eeün-
stigreii. damit ilire l'artei nicht entbehrlich fifuiadit und ihre kindische Freude,
zu ht rischen und zu bevonuunden, nicht ^-l ündlich zu Wasser \\eide. Alles,
was die Wüienssch w ache beheben und einen trischemi, belbstständigen Eut-
schliis herbfitfUhfen hSnnte, wird daher gewissenliaft vmiied«i nnd vor jeder
Massnahme, welche darauf ahsielty Arsoiglichst gewarnt. DieNothwendigfceit
jeder Neoerong wird geleugnet; im alten Jammer nnd Elend weiterleben and
Hich mit den faulen Zuständen nach Thnnllchkeit abfinden, das wird als schönste
Tugend hingestellt; Ergebung und Demuth ist des Christen Pflicht Es wird
über ein ..sittlich-ökonomisches Experiment" gepredigt; danmter ist die Be-
schränkung aut das, was man hat. zu verstellen: jede Besserung, jedes \ot-
wärtsstreben ist damit aufgehoben; alle Einrichtungen zur Förderung des Bil-
dungsgrades, volkswirtschal'tliche Neuerungen u. s. f. werden von vomhereiu
für ttberflttssig erklärt, was die bftnerlidien Leeer ungemein anspricht, da sie
in ihrer Neigung zur Schlaffheit bestäriit nnd die Vorwflrfe, die sie sUdi denn
doch im geheimen manchmal darüber machen, beschwichtigt werden. „Esmnasi
oans jo auf sein Sö\ a denga, n5d nar grod anf dSs, woe auf dHVSld tangt'
heisst es allemal, nnd dabei wird vergessen, dass gar niemand ein ausschliess-
lich weltliches Streben verlangt, und jeder Fortschritt dem Heile der Seele zu
Gute kommt. Die Tendenz allei- Belehnnifr, die in diesen „ Volkskalendem"
enthalten ist. gipfelt in dem Hinweise auf Keligiosität nnd (rlaubenstieue: Po-
sitives hndet daneben natürlich keinen Kaum mehi*. ,.lietet, fastet und arbeitet**
— and yeriiarrt nur um himmelswillen in enrer geistigen Trägheit; damit Ist
das Latein dieser Heiren zn Ende. Am liebsten be&ssen sie sich mit jenen
Gegnern, die am leichtesten zn widerlegen sind: mit unbesonnenen» radicalen
Qnerköpfen. Alle stimmen in einer Eigenschaft überein: im gemeinsten Hasse
gegen die Schule. Sehr leicht erklärlich: in der Schule lernt man rechnen,
lesen nnd sogar — schreiben, was am Ende die Leute befähigen könnte, ilire
Stimmzettel bei den Wahlen selber auszufertigen! Leiirer, Professoren weiden
in zahllosen Lügenanekdoteii als verkajjpte Spitzbuben und .luy^endx eni» i Iht
hingestellt; Studenten, insofern sie von moderner Wissenschaft genossen und
etwa aufklärend im Kreise ihrer Verwandten auf dem Lande wirken könnten,
werden als Musterbilder sittlidier Verkommenheit geaeichnet. Die liberale
weltliche Obrigkeit kommt ebenürils schlecht genug davon. Die gewissen
Lanmifrommen, die gemnthlich Gleichgiltigen und die Geistliclikeit werden im
Lichte verblendender VerklUning gezeigt; da ist alles eitel G<dd und Spiegel-
glanz; alles selbstloseste Hingabe, Aufopferung, Duldung. Mit besonderer Vor-
liebe werden zu diesem Zwecke gescliichtliche Ereignisse beniitzt, bei welchen
das karholivrlie Volk und des.sen \'ertreter eine MllrtyrerroHe spielen; etwa
Scenen aus Keligiouskriegen u. dgl. ImUanzen undüros.sen können wir iumr-
halb dieser Gattung von „Volkskalendem'* zwei Gruppen unterscheiden. Eine
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derselben verlieht ihre Saclie roh, plunii», oline Geselimaek. Einige Proben
«ollen hier Platz tiudeu. ^Unsere Schnlen g-leichen dem Schmucke eines Gra-
bes, von auj'sen Glanz, Pracht und Autwand, inwendig nichts als Fäulnis und
Verwesung/ — „Bauer, da klagst, dass die Schulkosten deine Geldcasse aus-
iSomeiL (So ist* s.) Sei still und bedenke (wie fein), dass in wenigen Jahren
die Bildimg deine Geldeaase voUkenimen ersetzt." ^atholiecber Heimats-
kalender für Stadt- nnd Dorflente 1879.) — „Je mehr sich die Uenschen
der Confessionslosigkeit nflhem, desto mehr fühlen sie sich bewogen, möglichst
wenig zu arbeiten, dagegen aber möglichst viel zu gemessen." ( „Über die
Pienstbotennoth.") ^Der Liberalismus hat es darauf abgesehen, durch seine
Einrichtungen den unabhilngigen Bauemstand zu ruiniren.-^ — ,.Uber das
AV asser. Lieber Leser! Wäre das Wiisser nicht, wäre schon mancher auf Erden
Terbrannt und würde noch mehr drüben in der Ewigkeit brennen. Nun hat aber
Oett gerade an daa Wasser wunderbar grosse Gnaden geknüpft. Es wischt nns
dasTanfwasser von Sünden rein nnd schlitzt nns so gegen dasHöUenfever, nnd
damit nns diese Gnade der Taufe der Tenfel nicht wieder so leicht raubt, waff-
net sich der gute Christ dnrch Weihwasser gegen die höllischen Versuchungen.
Selbst die Pein des Fegfeuers mildert dieses Weihwasser, deshalb gehört's auch
zu einem christlichen Grab. Lt-rne also, lieber Leser" u.s.w. (Jalernel) (Kremser
Volkskalendel- für das katholische Volk.) Der Haupteflect liegt aber
in der ganzen Anlage von Novellen, Geschichten. Anekdoten, und es würde zu
weit führen, wenn ich mich hierüber des näheren verbreiten wollte. Die äussere
AntBtattnng (Papier, Druck, lUnstrationen) dieser Kalender lAsst viel zu wün-
schen übrig. Die zweite Omppe ist in jeder Beziehung der ersteren ftbeiiegen.
Es wird raffinirter vorgegangen. Wir finden Novellen mit clericaler Tendenz,
die nicht ikbel geschrieben sind. Legenden sind sehr zahlreich. Im Ganzen trifft
man weniger auf abstossende Gehässigkeit, sondern mehr auf den Ausdruck
siis.<:Hch<'r P'römmelei. Die Illustrationen sind hüb.sch, der Preis billifj:. Ich
nenn»' als Beispiel für dieses Genre; „Illu.strirter katholi.s» hei- l'nterhaltungs-
kalender'', „Tiroler Marienkalender", „Regensburger Marienkaleuder'', „Öster-
reichischer Volkskalender mit Abbildungen"^. Dieser letztere enthielt im vori-
gen Jahrgange die Geschichte: „Alte Gebräuche. Eine zeitgemftsse Eizahlnng
ffir das Volk von JoB.ZapIetaL" In derselben ist einem Lehrer eme entehrende
Solle zugedacht; sie ist voll von boshaften AusftUen gegen Fortschritt, Bil-
dm1jL^ Schttlerziehung und Liberalismus, so dass ein Lehrer in einer öst^errdchi-
gchen Lehrerzeitung auf die Gefährlichkeit dieser Schandnovelle aufmerksam zu
machen .sich bewogen fühlte. Auch dei- „Kathol. Si^verinuskalender'' gehört zu
dieser Gruppe. Derselbe enthält unter anderem folgenden Passus: „Die Pefol-
gung anscheinend harter oder kleinlicher Kirchengebote ist wertvoller und Gott
wolgefälliger, als die Übung vieler, vermeintlich grosser und verdienstvoller
gster Werke.** Als ich das las, sah ich unwilllittrlich nach, ob nicht auf irgend
einem Dmckbogen die I^ipierfabrik bezeichnet sei, welche — so geduldiges
Papier ansengt Zu allem Glücke ist unser Volk zum grOssten Theile noch zu
saiv, um von diesen halbversteckten Dornen verletzt zu werden, und weil ich
schon jener „zeitgemässen Erzählung" Erwähnung gethan habe, will ich hier
noch bemerken, dass ich auf dieselbe von einer «Kloanhäuslen'n" aufmerksam
Ik'eiiiacht wurde, niclit etwa, weil in derselben ,,d'neu Zeit" so gottserbärmlich
verlästerti sondern weil daiin eine Bäuerin vorgeführt wird, die gar so „mor-
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(liaiiificli schöldeir* kann. Eines ji'dm^l» ist nnzwoifelliaft : dt-ni \"<ilke wird dnnh
diese Kalender ein sdileeliter Dienst erwiesen, und zur liilduni;- und Veredelung
vermög-en sie nichtig linizutra^en. l)er beste unter ihnen war noch der ..Ilhistrirte
katholische Volkskalender' von .Tarisch; in letzterer Zeit hat sich aber auch
diewr Im Sampfe der übrigen verirrt.
Neben diesen clericalen„VoUc8kalendem'' gibt es auch eine weit geringere
Anzahl von solehent welche eine „liherale" Richtung einhalten, wie z. B. der
„Constitntionelle österreichische Kalender" (angeblich eine Auflage von 300 000
Stiick), der ., Politische Volkskalender'' im Verlage des liberalen politischen
Vereins für Oberlisterreich, nnd der henerznm ersten Male eischienene ..Dentch-
ÖBterreiciiiscIie liauernkalender*'. heraussregeben von Leopold Krrnnmyr. Vor-
stand des ol)erösterreieliisi lien Huuei iiven ins. Diese Kab-iuier stehen dt-n znei-st
behandelten, von welchen alle Kramläden der Provinz geradezu überschwemmt
sind, nicht nnr in numerischer Schwäche gegenüber, sondern sie können auch,
was die ftnssere Ausstattung, den Kostenpunkt betrifft, die €!onenrrenz sehwer
auftiehmen. Zudem ist der Inhalt nicht immer glücklich gewfthlt Politischen
nnd landwirtschaltlichen Au6fttxen wird ein zu grosser Raum gelassen; wie
sich das Volk diesen gegenüber verhalt, habe ich schon früher angedeutet. Viele
von sogenannten ..Volkskalendern" finden endlich gar nicht den Weg. den sie
nehmen sollten, und bleiben auf ein feineres Stadtjmblicum beschränkt.
Der Volkskalender soll jene Leute, die weil au>serhal)) des Bereiches der
Bücherwelt stehen, des t(»rdernden. bildenden Einflusses der Literatur theihaftig
machen. Er soll ihnen tür das ganze Jahr mit seinen Wechselfällen ein beleh-
render, unterhaltender und aufinuntemder Begleiter, ein lieber, tretender
Freund sein. Von diesem Gesichtspunkte aus wühle und ordne man den Inhalt:
kleinliche Parteirücksit^ten dürfen nicht massgebend s^, weil dadnich das
allgemeine Geltungsgebiet des Xab ndei-s beschränkt werden würde. Die wich-
tigsten politischen Vorgänge sind klar und verständlich darzustellen, damit der
Leser im Stande ist. sich ein niö^rüchst selbstständiges rrtlieil zu bilden. Be-
lelirungen nnd Aufklärungen übei" Volks- und Landwirt.schaft sind ]iicht zu
vergessen. Man tadle die Fehlei- in ernster, eindringlicher Weise, nicht im
rauhen, gehässigen Tone, den unsere heutige Kritik nui* zu gern anschlägt
und der niemanden so sehr verletzt und einschüchtert, als den Leser aus dem
Volke, welcher sehr geneigt ist, allsogldch auf Missgunst zu scfaliessen. Lob
soll in einer Art gespendet werden, dass nicht die Gefahr damit verbunden ist.
schfidtiche SelbstgefJllligkeit gross zu ziehen. Auch auf zweckmässige Anlei-
tnncren. Rathschläge sei man bedacht, ebenso dürfen natnr-. weit- und cultnr-
geschichtliclie Mittheilungen nicht überseben werden. Was das rein P-eHetristische
betrirt't. wähle man ausPeini nnd Prosa unserer besten Scliriftsteller und l>ichter
das passendste aus; es wird sieli genug finden. Namentlich solche (lescliichteu
oder Gedichte sind empfehlenswert, welche eine scharfe Pointe gegen SchwÄchett
und Fehler des Volkes haben, die also gegen Aberglauben, OleichgUtigkeit,
Pessimismus u. s. w. ihren Stachel richten. Bas Osterreichische Volk ist unge-
mein spottsüchtig, und ein witziges Wort über ehi Gebrechen wirkt daher oft
mehr, als eine lange nnd breite Demonstration; der östeneicher ist eher dem
zugänglich, was seine Phanta.sie oder seinGemüth anspricht, als Inirischen. ver-
standesgemässen Auseinandersetzungen. Es ist dies jene KiL'-enscliatt. die uns von
Seiten der Niederdeutschen den Ruf der „Gemüthlicheu'* eingebracht hat l ud
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in der Thnt: wer mit einem Oberdeutschen gut an sein will, ninss vor allem
dessen Gefühlsleben kennen \um\ w iinligfen; was ilmi liehonswürdig- scheint, das
planbt er, nnd wer sein Hovz bt sitzt. der besitzt ilni (^-.inz. Es wäre dies eine
luv htlieiliire Scliwäeh«'. und vielleicht sug-ar unklug, ött'entlich davon zn sprechen,
wenn nicht das Gefühlsleben auf ganz bestimmten, richtig^en Associati(»ni be-
ruhen würde, so dass ihn sein Gefühl oft sicherer auf das Hechte leitet, als
dies dnrch Bationalistik möglich wftre, nnd zndem glanbte ich anf diesen Cha-
raktensog schon deshalb verweisen zn mflssen, nm den Wert nnd die Bedeu-
tung der schönen literatnr für die Volksbildung ins gehörige Licht zu setzen.
Wie jt^ne Geschichten, welche sich för die Aufftissungsweise des Volkes eignen
sollen, beschalTen sein müssen, und welcher Stil tiberliaupt in populären Schriften
zu beachten ist, habe ich in meinen Aufsiitzen ..IMjer Bauernyeschichten"
(III. Jahrg-ang- 6. lieftl und ..Der volksthüniliche Stil in iiopulilren Be-
lehrnngs- und Unterhaltungsschriften"' (III. Jahrgang 12, Heft) näher
zn erörtern versucht. Weil es darauf ankommt, auch den Gesichtskreis des
Landvolkes zn erweitem, thntnian gut, nicht ausschliesslich Dorfgeschichten
zn wfthlen, wiewol durch dieselben, indem sie anf gewisse verborgene Eigen-
heilen des Volkslebens eingehen, das Zutrauen geweckt und ein gewisser Reiz
auf den bäuerlichen Leser ausgeübt wird. Es ist nÄmlich eine irrige Annahme,
dass den Bauer das nicht interessire. was von Verhältnissen und Zuständen
handelt, die ihm ohnedies bekannt sind: es freut ihn, wenn er sieht, wie auch
andere sich mit seiner Lage und Eigenart beschäftigen und dies wichtig genug
finden, um öffentlich darüber zu sprechen oder zu sclireiben. Sein Selbstbewusst-
seiu wird hierdurch in edler Weise gehoben, und das ist sehr nothweudig, wenn
er bewogen werden soD, endlich einmal ans seiner Znrfickgezogenheit heraus-
zutreten. Uan darf den gewissen ,3ftneni8tolz'* nicht mit Jenem Selbstbewnsst-
Sehl verwechseln. Es stellt sich freilich wol mancher „schwere" Bauer weit-
spurig vor ein Häuflein seiner Berafsgenoisen hin, rttckt den Hut über die
Augen, so dass er den Kopf in den Nacken werfen muss, um auf die Umstellen-
den unter der Krämpe herabzusehen, kreuzt die Hände auf dem Rücken und
erzählt recht wegwerfend, dass er so und so viel Kindel ' dioben auf seiner
Alm habe. ..eh nöd wert, da.ss nia davon redt," aber er sähe sich schon hinaus,
denn sie „zügeln" so viel gut auf seiner Alm und schuldig sei er auch nichts
darauf — „wos eh nöd der Ufla wert is, dass ma s sock*,*' der macht sich
patzig — das ist der richtige „Bauernstolz", der nicht weiter reicht, als bis
dorthin, wo die Alm und das Bindvieh aufhört. Derselbe äunert sich auch
noch in einer etwas allgemeineren Weise dadnrcli, dass d. i- Bauer mit Vorliebe
darauf hinweist, dass er jenem Stande angehrii-t. welcher das Land erhält;
..v^"nn mir ins nöd schinten und plofrn tuten, liiitteu d" Heirischen nixi z' fressen. ••
Aber auch mit dieser otien ausges]»roclienen Ansicht, welche viel Bitterkeit und
Groll enthält, tritt er noch nicht aus seiner scheuen Zurückhaltung und Ab-
geschiedenheit heraus. — Wenn Bauernkinder von Fremden beim Spiel über-
rascht werden, dann lassen sie alles liegen und stehen und verstecken sich
Unter irgend eine bergende Wand oder einen Zann, um von dort ans verstohlen
die Vorübergehenden zu mustern nnd mit spöttischem Gekicher allerlei Aus-
stellungen einander zuznflOstem; aber hervor wagen sie sich doch nicht mit ihrer
Kritik, es fehlt ihnen hierzu das Vertrauen in die Bichtigkeit derselben und
iu die Kraft, sie zu vertreten. So wie die Jnugeu sind auch die Alten. Das
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BewTis8t.seiii vom Werte und der Bedentniig- des Bauernstandes im Staate muss
vf-redelt nnd vertieft werden, damit sich hieran auch die ÜberzeujEmng kiiüpte,
diubs es der Würde desselben entspricht, ja dass er sogar veqjfliehtet ist, von
der Gtesammfbdt naclidrftelclieliat m wlangen, was iltm gebührt; diese feste
ÜbenseiigDiig wird dann zn einem heUbringenden WiUensentsehloss, m einem
energjsdien Hervortreten führen.
Die äussere Ausstattung des Volkskalenders soll solid und geschmackvoll
sein. Ein billiger, aber dauerhafter Einband, gutes Papier und deutlicher Druck
sind nothwendige Eigensdiaften. lllustratiftnen dürfen nicht felilen. Der Leser
lilsst gern seine Phantasie diu eh sie unterstützen, und er liebt es auch, die
Richtigkeit seiner Pliantasievorstellungen an ihnen zu prüfen. Endlich — das
darf mau niclit übersehen — muss ja auch was für die Jungen Leutel", für
die Kinder da sein. Die dericalen Kalender sind alle illnstrirt, und sehen
deshalb werden sie lieber gekauft als die anderen, welche gewöhnlich nicht
mit Büdem gestert sind. Der binerliche Käufer prüft wol nicht lange nnd
gibt sich auch mit schlechten Illustrationen leicht zufrieden; aber im Interesse
der Bildung des Geschmackes und Hchönheitssinnes sollen eher weniger, aber
bessere Zeichnungen gewühlt werden. — Mit diesen Eröi-terungen habe ich das
Gebiet des \>rlegers berührt und ich kann es nieiit unterlassen, hier auf einige
IiTthünier und ( beistünde hinzuweisen. Dass so unendlich viele clerieale. bil-
dungsfeiudliche Kalender und so vei-schMrindend wenige volksfreuudliche im
Umlaufe sind, findet com Tbeil seine BridSning in der allgemein verineiteten
Ansicht, mit dem Landvolke liesse sich nor mit dericaler Ware ein Geschlft
machen. Betraditen wir uns dodi den „Clericalismas** unserer Landlente nnd
das Fraternisii en mit der Geistlichkeit etwas näher. Von der ganzen srrossen
Schar, welche die intelligenten Stände repräsentiren. sind es fast ausschliesslich
die Geistliclien. die sich mit dem Volke näher abgeben, die ihm zusprechen,
ihm eine gewisse Theilnahme bezeigen, sich in die Intimitäten desselben, in
Fiunilieii Verhältnisse vertiefen, die sich mit volksthümlichen .Studien ])efasseu
(MisBOu, Strobl, Mareta, Landsteiner, Kerschbaumer u. a.j. Hierzu kommt noch,
dass die Geistlichen meist ans bänerlichen Kreisen stammen. Ss hat sich daher
über dieselben ein popnlJIrer Heiligenschein gebreitet, nnd das Vdk wBMt sie
häufig auch dort zu Fflrsprechem, wo andere seine Interessen besser vertreten
würden. Unsere liberalen „Volksmänner" findra hingegen mit ihrer (bei stock-
hohen Intelligenz in eine niedere Bauernstube gar nicht hinein: sie kömien den
Leuten nichts mundgereclit machen. \'ergegenw iirtigen wir uns einmal eine
Wahlcampagne. Bei diesen \'oi-gängen soll sich ja die (lesinnung. in luiserm
Falle also der Clericalismus. äussern, und die Politiker in der Stadt tallen nach
denselben ilu- Urtheil. — Der liberale Candidat, irgend ein Advocat, Pi-ofetsor,
Grossgrandbesitzer oder Fabrihsherr, der sonst gar nicht viel mit den Leotsn
verkehrt» hält in ehiem grosseren Wirtshause seine Gandidatenrede. Er meint* s
nnstr^% ehrlich; aber er will auch imponiren, will dem Abdruck seiner Bede
im Localblättlein ein niö^^liehst geldirtes, gewandtes, nobles Äu.sseres versehaifen,
daher wirft er mit Fremdworten, parlamentarischen Ausdrücken hemm, TtT'
liert sich in intime Pai-teizwistiy^keiten und Clubverhältnisse, meint sr hliessbVh
das Beste geleistet zu lial/cn. und — seine Zuhörer sind so klug gewurden, wie
d<*r Hofmarscliall v. K:ill>. Dei- Candidat der Clericalen — wer ist denn der,
und was thut denn er, um günstige Chancen zu erringen? Er ist ein Land-
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— 385 —
pfarrer, oder ein Allei-^Äeltskerl. \\W doren g^ennof anf dem Lande ^ibt, oder
ein Bänerlein, von dem man eiNvaitt t, dass es sich leicht herumkriegen lässt.
Er verschniiUit es gewöhnlich ganz, sich in einen Wortkanipf einzulassen, und
zieht sich zurück, wie Reineke auf seine Burg; aber jedenfalls macht der
Pfarrer der betreffenden Wahlgemeinde mit einigen Gesinnungsgenonen einen
kleinen Rundgang so den Walilmftnnem — lanter guten Bekannten. Der eine
derselben UM seineD Sohn stodiren, und der Herr Pfttner hat ihm m einem
Stipendium verhelfen; der andere führte einen Process, und es wurde ihm ein
lielfender Einschlag" gegeben; dem dritten geht der Cooperator bei der Bie-
nenzucht an die Hand; der vierte ist ebon damit boschütti<rt. steine Wirtschaft
tiberzugeben, und es wurde ihm dabei mit einem guten Ruthe g-enützt, so dass
weder er, noch sein Lieblingskind zu kurz kommt; der fünfte hat eine alte
Mutter, die in der Versorgung gut untergebracht wurde u. s. f. Man kommt
nnn auf die Wahl zn sprechen; der Bauer fragt, „der welchi dann oft der
Gschddter war." „ „No — do is jo gor koan Frog nOd: der N. hold" *\ meint
dannif der Clericale, nnd diese wenigen Worte wiegen mehr als eine ganze
Rede — der N. wird gewählt. Der allerwinzigste Brachtheil wfthlt
ans Überzen?nng clerical, d. h. weil er so glaubensstark ist, am
die clericale Partei als solche in jedem Falle für die unfelilbare
zu halten, sondern die Wahlen fallen deshalb clerical aus, weil
die Clericalen die einzigen sind, welche richtig agitiren, welche
sich mit dem Volke abgeben und es verstehen, mit demselben zu
reden. Was der Gew&hlte in der Stadt drinnen macht, wie er sogar den
Interessen seiner WiUer zuwider handelt, davon erfahren dieselbea nichts;
denn Zeitungen lesen sie nicht» und würden dieselben, falls sie es thftten, nicht
verstehen; wenn ein Liberaler etwa in einer Versammlung das Wirken des
eftwicalen Abgeordnete beleuchtet, gelingt es ihm doch nicht, die Köpfe der
Bauern zu erhellen, gerade so, wio es dem Caiididateii. von welchem ich bei-
sjnelsweise gesprochen, nicht gelunjren ist. sich vei-stilndlich zu maclien. Ich
könnte hier historische Voif.Ule erziihlen. aber die Tendenz dieser Bllltter vei--
bietet mir es. tiefer in das Gebiet der Politik einzudiingen. Es lag mii* auch
nur daran, darzuthun, auf welcher Seite der Fehler zu suchen ist: nicht anf
Seite des Landvolkes, ttber welches man so sehr klagt, sondern anf jener der
liberalen, welche es nicht verstehen, dem Volke zum Herzen zn sprechen, ihre
nntzbringenden Ideen populär zu machen. Ist es denn gar so sehr der Wilrde
eines intelligenten Hannes zuwider, hinabzusteigen unter die Geringsten seiner
Mitbürger, um ihnen die Hand zn bieten und sie hinauf zu weisen die be-
schwerlich zu erklimmenden Stuten der Bildung, welche zur erhöhten Platt-
form der Intelligenz führen? Freilich wol. wenn man \'er\valtungsrath. oder
Baruu, oder am Ende gar noch mehr ist, dann .schickt sich so was nicht.
Aber sollte es denn in den liberalen Reihen nicht edle und geistvolle Hftnner
geben, die klar erkennen, dass diese Aufgabe bedeutsam genug ist, um sein
liestes KBonen daf&r einsnisetzen? Der Verkehr mit dem Volke entwürdigt
niehty es beweist vielmehr einen wahren Adel der Gesinnung, wenn man sich
fiber eoglierzige, althergebrachte Vornrtheile und gesellschaftliche Hindernisse
hinwegsetzt, um den Armen von den Schätzen darzubieten, welche hohe ( n ister
mit rastlo.seni Eiter zusammengetnigen. Es liecrt nitdits Kleinliches und Herab-
minderndes in diesem Beginnen; es ist ein gründlicheres Wissen, ein reicheres
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3«6 —
Gemütlislebeu, eine ausgebreitetere Erfahiuiij^, eine krältigere Ausdauer ndtbig.
um sich dem lebfrischen Empfinden und dem Kinderveratande des Volkes ao-
zoschmiegen. Und wenn solche Bestrebungen ernstlich anftanchen, dann vM
das Volk alsogleicli erkennen, nach welcher Bichtang es sich zu halten hat.
dam nicht wahllose Ergebenheit, sondern Beschränktheit der Wahl
ist eSy was dasselbe in einem gefährlichen Garne gefangen hiilt. Schon heute,
da doch von einem innigeren, eingehenderen \'erkeln-e zwischen der Intelligenz
und dei- Banernwelt eigentlich niclit die Kede sein kann, indem ja nur ein
Gewaltstreich (oder Missgriff?) eine etwas rej^ere Theilnahme der ersttnii für
die letztere wachgerufen hat, sieht man, wie sich das Landvolk von seinen bis-
herig«! Bathgebem emandpirt. Es finden sich eben heute PersSnlichkeitea,
die nnn endlich durch den allgemeinen Bof der Entrüstong bewogen wurden,
ihre I%higkeiten den Misshandelten za leihen; ehedem waren — oder schienen —
sie nnznganglich. Der Bauer weiss ganz gut, wo er hin zn langen hat, wenn
er zwischen Sj^reu und Korn steht. Bei einer Baueni Versammlung, welche von
Clericalen veranstaltet wurde, rief ein Bauer: ,.A wos - wnnn mir an Adv(»katen
brauchen, gehn mir zan Advokaten; und wann mir an Ptorrer brauchen, gehn
mir zan Pforrci-I" Im Waldviertel ei-suchte unlilngst ein T'farrer einen bäuer-
lichen Bürgermeister, er möge seine Untei*scluift unter eine i^etitiou au das
Kerrenhans nm Herabsetzung der Schnlpfiicht anf sechs Jahre setzen; der Biir-
genneister holte sich Bath bei volksfrenndlichen Personen und wies den Pfiurer
ab. Dies nor als einige Beispiele.
Es ist also vollständig falsch, wenn man meint, das Landvolk sei luut i-
besserlich und verharre in einer unbezwingbaren Abneigung gegen alles Liberahi.
Ih n \'erlegem ist dringend ans Herz zu legen, der liberalen Volksschriften-
literatur überhaupt und den Volkskalendern insbesondere eine liebevolle Auf-
merksamkeit zu schenken. Sie werden nirht nur ein gutes GeschUft machen,
sondern sich auch ein unleugbares Verdienst um di»; Förderung der heiligen
Sadie der Büdnng md des Fortschrittes erwerben.
Bei meinen bisherigen Betrachtongen ilber die USglichkeit, anf dieLand-
bevSlkemng einen erhebenden, bildenden Einfloss ansznflben, habe ich jenen
bei weitem zahlreichsten Tbeil derselben im Auge gehabt, welcher noch nicht
so weit vorgeschritten ist, um aus eigenem Antriebe nach Bildungsmittelu zu
greifen, oder in Folsje seiner Abgeschiedenheit von den Bildungsstätten überhauj-t
nicht in der Lage ist. dies zu thnn. Ein geringerer Bruelitlieil ist jed-H-h
schon genügend vorgebildet, um selVist die Wege aufzusuchen, die zur Bildung
fuhren, und nach jenen Mitteln zu langen, welche zur \'ervollkomiuuung die-
nen; derselbe besteht ans den Jftarktlem (Bewohner der Provinzorte) und den
reicheren, von vom herein gebildeteren Banem, wie wir sie meistens anf dem
Flachlande antr^n, wo ein regeres Verkehrsleben, bessere Bewirtschaftung
und liiilieres Erträgnis des Bodens diese günstigeren Verhältui-sse hervorge-
rufen Iiaben. Dem Bildung8bedürfni8.se dieser Leute kann durch die Einridi-
tniiir der VolksbiblfotlK'ken Reebnnng getragen werden. Man ist nun auch
alleiuhalbeii mit der Aufstellung derartiger Bibliotheken beschäftigt, und für
die Xiitzlirhkeit deisellu n spricht schon der Umstand, di\ss sie von elericalef
Seite als „Gift für das Volk" bezeichnet werden, wobei wol an kein anderes
Gift gedadit werden kann, als an dn Gegengift gegen „Missionen*' und der^
gleichen silsse Tollkirschenlabungen, welche dem Volke mit frommer
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Miene dargereicht wt idt n. Dei- (niinduiig' von V<>lksl)ibliotlu'ken wird aiu li
höheren Ortes einige Aufmerksamkeit gesclieukt; so hat auch heuer der nieder-
üstorreicliische Landtag eine kleine Summe für diesen Zweck bewilligt, und
der LandeBaoBBohius liethdlt ans derselben jene Gemeinden, welche nm Sab-
ventionen zor Enrichtmi^ von VollLsbibliotheken ansochen. Überdies leihen
Private, Vereine, ö/TenTliclip Anstalten (Sparcassen n. s. w.) solchen ünter-
nehmnngen sehr oft in lobenswerter Weiwe ihi-e Unterstützung. So hat sich
namentlich der Reiclisrathsabgeordnete Ritter von Schitnerer für die Aufstellung
von Tolksbiblif»tlit'ken im Waldviertel sehr verdient gemacht. Ebenso hat der
..coiistitutioiielle Fi'rtschrittsvert'in in Krems" in dieser Hinsicht eine sehr an-
erkeunensweite Rührigkeit entfaltet. Derselbe hat in den Jahren 1873 — 1877
Velksbibliotheken aufgestellt in: Weissenkirchen, PöggsUll, Bninn a. Reh-
berg, Eirchberg a. Wagram, Lengenfeld, Of5hl, Plank, Strass, Furt, Senften-
berg, Gr.'Weikersdorf; Gedersdorf, Wagram a. d. Traisen, Bossatz, Stein nnd
Mlihldorf. Für die Benützung solcher Volksbibliotlieken ist kein Entgelt zu
entrichten, auch ist kein Einsatz für das entliehene Buch zu erlegen. Die
Bibliothek ist entweder bei einem Lehrer, ein»*m Wirte oder bei irgend einer
andrrn Persimlichkeit auffj:eijtellt, die der Sache g'enii^ende« Interesse entge;ü:en-
brini^t, um einiire Mühe nicht zu scheuen. Die Bücher können entweder jeder-
zeit entlehnt und /ui ückges teilt werden, oder es ist ein bestimmter Bibliotheks«
tag festgesetst. IndenWintennonaten iirt die Frequenz natOrlich am stärksten.
Ist der B&cherwart ein Wirt» so erfirent dchdieBibli<»thekgewöiinlich einer aus-
giebigeren Beniltznng, als wenn derselbe ein Lehrer ist; die Erwachsenen glauben
sich etwas zu vergeben, vreoü sie noch zu dem Lehrer gehen, und überdies
finden sich im Wirtshause ausser den literarischen auch noch andere Genüsse.
Im Gebirge werden Bibliotheken fast ausschliesslich von Marktleni benützt;
in meiner Genend kenne ich zum Beisjjiel nur einen einzig-en alten IHauern-
knecht. der .-ich ans der Bibliothek lüicher entlehnt. Sehnlkiiider. nu'isttMitlieils
Kinder der iUuktier, nehmen auch selu" eifrig die Bibliothek in Aiisijruch; wo
keine besondere SehQlerbibliothek besteht, ist es daher geboten, in der Auswahl der
Bftcher auch auf diese kleine Kundschaft Rficksicht zu nehmen. Bein land-
wirtschaftliche Bücher werden im allgemeinen von den Bauern nicht mit be-
sonderer Vorliebe gelesen; sie entlehnen zuei*st Werke andeien TnhaUes (belle-
tristische, ethnographische, historische) und dann, wenn sie einmal am Lesen
Geschmack finden nnd Zutranen zu den Büchern gewonnen haben, solche aus
deia landwirtschaftlichen Faclie. Dies i.st sehr h-iclit erkliUiich. Die Bücher,
«lenkt sich der Bauer, werden drinnen in der Stadt gemacht — was versteht
denn ein Städter von der Bauernwirtschaft! Auf papierene Beweise gibt der
Bauer in solchen Dingen ftberhaupt nicht viel, da will er sehen, sich selber
tberzeugen. Die ÜbelstBnde in derBewirtsdmftung des Bodens können daher
nv durch die Errichtung von Musterwirtschaften wirksam bekfimpft
werden. Ethnogi aphische Bücher werden T<»rwiegend von Bauern gelesen-, be-
sonders das Land jenseits des grossen Wassers, auf welchem in g^rossen iSchitten
das Unlieil der deutschen Ackerbauer, das amerikanische Getreide", herüber-
schwimmt, fesselt ilir Interesse. Beliebt sind ausser benetristis<hen auch bio-
graphische, historische, naturjüreschichtliclie Werke. DcrMarkth r liest weniger
ethnographische Bücher; Landwirtschaftliches hat lür ihn nutüriich einen sehi*
geringen Wert; er verlegt sich mehr auf die Naturkunde und Belletristik.
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Was die belletn>stiisclieii Schrifti n anbelangt, kann man die Bedbachtunji: machen,
dass dio Werke GeistilcktM 's sehr gern gelesen \verden; namentlich unter den
Bauern tiuden sie Anklang. GeratUcker bietet eben eine Fülle ethnographischer
Belehntngefi in der ansprechenden Form einer Erzählung. Classiker werden
nur von Uarktlem gelesen. Im Ganzen ondGroeaen iBast Bich in derAnswahl
der LectSre erkennen, dass der.Baner von dem Wunsche geleitet wird, za
lernen, sich weiter za bilden, das Versäumte einzuholen; der Karktler aber,
der von Hans ans eine etwas sorg:fältigere Erziehong genossen hat, legt anf
Unterhaltung einen grösseren Wert.
Die Erfahrungen, welche man machen kann, indem man die Benützung
der bestehenden Bibliotheken beobachtet, müssen bei der Einrichtung von neuen
verwertet werden. Man hat sich iaerbei im allgemeinen an jene Cresiehtspunkte
zn halten, welche icli Eingangs entwickelte: Bereicherung der Kenntnisse neben
dner erhebenden, veredelnden Einwirknng anf das Oemftt, den Charakter.
Bein landwirtschaftlichen Fachschriften soll kein allzagrosser Banm ges^Nuit
werden. Mir liegt unter anderen das Bttcherverzeichnis einer Volksbibliotfaek
vor, welche 118 Bücher umfasst. darunter 40 landwirtschaftlichen Inhalts;
dieses Verhältnis ist entschieden ein unrichtiges. Ethnogaphische, historische,
naturgesohiciitliche Bücher müssen in richtiger Würdigung ihrer Bedeutung in
jede Volksbibliüthek eingereiht werden. Die Vorführung edler Charaktere
der Geschichte wirkt befeuernd und aneifemd; an den Zuständen und Verhält-
nissen fernerer Zeiten und Länder lernt man die gegenwärtigen im eigenen
Lande benrtheilen, nnd wenn der Landmann die Nator genauer kennt, wird er
ihr freier nnd selbstbewnsster gegenüber stehen, wodurch der beengende, ver-
dflsternde Aberglauben, der erschlaffende Pessimismus am ehesten behoben wirl
Auf belletristischem Gebiete lassen sich nur allgemeine Fingerzeige geben,
nach welchen bei der Wahl der Bücher vorzugehen ist. Seichte Fabrikate,
phantastiscli angelegte Werke, odei- solche, zu deren richtigem Vei-stündnis ein-
gehende Ketiexionen nöthig sind: solche, die eine höhere Bildung, ausgebreite-
teres Wissen voraussetzen, übergehe man. Gediegenes werde gewilhlt • — was
klärt, versöhnt, befriedigt. Übrigens verweise ich auf das, was ich über die
Kalendergeschichten gesagt habe; hier mOchte ich nur noch auf zwei Novellen
aufmerksam machen, die in keiner Volksbibliothek fehlen soUten: Auerbach
„Der Lauterbacher'* und Zschokke „Das Goldmacherdorf'. — Was endlich das
P.edüiihis der Kinder an solchen Orten, wo keine Schfilerbibliotheken bestehen,
betrifft, so kann demselben um so leichter Rechnung getragen werden, ab
Schriften, die eigentlich für die .Tugend bestimmt sind, auch von den erwach-
senen Landleuten, denen ja eine naive Autfassungsweise eigen ist, mit Nutzen
und ^'el•gnügen gelesen weiden können. Schriften v«»n F. Hoffmann, Louise
Pichler, Wildermuth sind für diesen Zweck zu emjjfehlen.
Meine Stimme ist schwach, und der £uf des Einzelnen verhallt leicht in
unseren buntbewegten Tagen ; allein mir kann auch ein geringerer Erfolg Ge-
nfige bieten, und selbst wenn es mir nur gelungen sein sollte, zum Nac hdeo-
ken anger^ zu haben, wie dem Bildungsbedfirfhisse des Volkes durch prak-
tische Massregeln nachzukommen i.st, will ich mich zufrieden geben. So
gehe man denn endlich daran, das Versäumte nachzutragen. Wissen und Bil-
dung dort zu verbreiten, wo noch öde Leere herrscht.
V«nntwortKeber Beda«tmur: IL Stein. Bnehivwkw«! Jnlla* Kliiikh«rdt, Leipiif.
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Der Pessimismus und die ^ittenlelire.*)
Von Prof. Dr, Joh, JBMmke^.'QaXUn,
An dem Kntwickeluno-s- und Läuterungsprocesi?, au dein wisseu-
scliaftliclien Schicksale der Sittenlehre darf der Pädagoge nicht theil-
nahmlos vorbeigehen; ^^ein Interesse daran muss sich vielmehr in dem
Masse steigern, in welchem dem Pädagogen, ich meine dem Lehrer,
seine Erziehungsaufgabe zu klarerer Erkenntnis kommt nnd tiefer em-
pfondene Pflicht wird. Ähnelt die Arbeit der Schule in ihrem Ghuige
einer in sich zoriicklaiifenden Linie, so ist die Schale selbst eine Ellipse,
deren zwei gleichwichtige Brennpunkte Wissen nnd Sittlichkeit heissen;
eben deshalb aber gilt das Interesse des Pädagogen nicht einseitig dem
Fortsehritt der rem theoretischen Wissenschaften, sondern diesem nnd
zugleich nicht weniger dem Fortschritt in der Sittenlehre. Dass aber
in dieser letzteren, d. h. in der theoretischen Gnmdlegung der Sitt-
lichkeit, ebenfalls das menschliche Wissen eine Weiterentwickelung
erlalire, darf nicht bezweifelt werden; dieser üfeschichtlichen Ent-
wickeliiniJ- in einer bestinnnten Kichtunu- naclizujjehen und das an-
geblich Gewonnene einer «ri'i'ndliclien und möglichst ruhigen Prüfung
zu unterziehen, dihfte t'in Vorhaben sein, welclies sich der besonderen
Theünabme der Jugenderzieher zu eiireuen hat.
Wie manches erscheint dem praktisch sich bethätigenden Menschen
als sittlicher Lebensgnmdsatz so ein&ch, angemessen und gnt, was
dem Theoretiker ein unbewiesener Satz bis auf lange Zeit geblieben
ist, nnd worüber vielleicht sogar die widersprechendsten ürthefle in
den yersdiiedenen Sittenlehren zu finden sind; nicht zu reden von
grundlegenden G^egensfttzen, in denen sich oft Sittenlehren einander
*) Hiirmit heginneu wir <lit» [•uhlication »-inor AMiaiidlung, die wir tr;ir/ ihres
bedeutenden Uinfunges uiü^ereu Lesern vorkgeii uud ernster WlmUgung enii)telilen,
weil )de eine wichtige Zeit- und Streitfrage mit musterhafter GrttudUchkeit be-
handelt D. H.
Fadagogliuii. 4. Jahig. Befk VIL 26
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gegc.iiiilx'rgestanden sind. Aber trotz solcher Gegensätze oder vielleicht
eben in Folge derselben ist die Wissenseutwickelung auch, was die
Sittenlehre anlangt, vorwärts gekommen.
In Gegensätzen bewegt sich ja dwchweg die theoretische Bahn
des menschlichen Geistes; denn begrenzt ist das Gesichtsfeld des ein-
zelnen Forschers, nnd nicht yoll nnd ganz tritt auf einmal das Object
des menschlichen Ströhens vor das Ange; nnr allmählich gelangt Stack
um Stück ans Tageslicht der Erkenntnis und sinken hinwiederom
Phantasieconstructionen in die Nacht dei* Vergessenheit zurück. Aber
immerhin fügt sich, wenn auch nur langsam nnd unter grosser Arbeit,
ein Stein solider Erkenntnis an den andern nnd belohnt die nie
rastende Forschung der Menschheit mit sicherer Gabe.
Wer jedoch selbst diese ^\'ahrhei^ zu bezweifeln wagt, für den-
jenigen muss nicht nui- das eigene Streben, sondern auch jede Kriiik
dessen, was andeie ^lensclien als Resultat ihres Foi'schens verkiniden.
eine Illusion mid eine nutzlose Arbeit sein. Mich aber lässt die UbiM-
zeugung von dem freilich langsamen, aber doch stetigen Fortschreiten
der Erkenntnis den Math gewinnen, mit einzustehen in die Reihe
derer, welche den Versuch maclien, an den Antworten, die anf eine
grosse Frage, vor allem in der Neuzeit, gegeben sind, eine die Er-
kennUiis föinlemde Kritik zu üben und vielleicht auch einen Schritt
vorwärts zu machen.
Die grosse Frage ist die Sittenlehre.
Die Wissenschaft kann sich begi'eiflicher Weise nicht beruhigen
mit der Annahme einer Sittenlehre, welche ihr von anderswoher em-
fach angeboten würde und deren Princip sie nun ohne Kritik zu dem
ihrigen machen sollte; unter ihren Anspielen selbst vielmehr will sie
die Grundsteinleirung vor sich »rehen sehen. Schon mancherlei Funda-
mente sind im Laufe der Zeiten von der AVissenschaft gelegt wurden,
aber immer noch ist die Sittenlehre eine irrosse Frage geblieV)en.
Unter den Männern des lU. .Tahi'liuuderts nun haben an der
Lösung derselben sich hervorrairend versucht : Arthur Schopenhauer
und Eduard von Hartmann, welche Beide nicht nui* durch den Geist,
der aus ihi-en Versuchen spricht, sondern auch durch den von den
Übrigen durchaus abweichenden Weg, anf welchem sie bis scum Ziele
gelangen zu können meinen, ein sorgföltiges Interesse beanspruchen
dürfen.
Diese beiden Philosophen sind zugleich der heutigen Zeit bekannt
als die Vertreter jener eigenthfimlichen Beurtheilung dei* Welt und
des menschlichen Lebens, welche den Namen „Pessimismus'' trägt;
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und man liai wul (Tiund anzunehmen, dass deren pessiniij^tisclie Be-
urtheilimg der Welt in bestioimtem logischen Znsaminenliange mit der
Constniction ihrer Sittenlehre stehe. Dem Bewusstsein unseres christ-
hchen Europas aber erscheint durchweg eme derartige pessimistisclie
Weltbeurtheilung so fremd und so widersprechend der ganzen Grund*
läge des überlieferten sittlichen Bewosstseins, dass es kaum jemanden
Wunder nehmen wird zu hören, wie von allen Seiten die Unmöglich-
keit, mit dem Pesaimismns eine Sittenlehre zn vereinigen, aufs Leb-
hafteste yerkfindet worden ist.
Die Bereitwilligkeit, ttber den Pessimismus und eine aus ihm und
semer metaphysischen Grundlegung heraus entwickelte Sittenlehre
kurzer Hand den Stab 211 brechen, erhielt ihre Nahrung von ver-
schie^lenen Seiten her. Viele schon verletzte die ungewohnte Art,
Frairen dieser Gattung zu behandeln und die delicatesten Saclien in
uii_'-fnii'ter Sprache darzustellen. Andere widerte das (luälerisclie
Markten mit Lust und Unlust an, das ihnen wie eine Zangengeburt
der Selbsttuusclaing vorkam; noch andere sahen in dem Pessimismus
nur das Selbstbekenntnis eines bankerotten Charakters oder das
raftinirte Testament eines Blasirten; und vielleicht die m( isten ei*-
achteten den Kampf gegen eine solche Lehre überhaupt für einen
heiUgen ICiieg zum Schutze und zur Erhaltung ihrer eigenen Welt-
anschauung. So kam es, dass manch ein ürtheü im Affect gedacht
und auch ausgesprochen wurde, welches auf Wahrnehmungen beruhte,
die mit getrübten Augen gewonnen und yon der Euträstung mit un-
richtigem Begriff versehen worden waren: eine unwahre Auffassung
des Pessimismus war es dann, gegen welche man den Kampf anhob.
Zur Bichtigstellnng der Sachlage hat das Buch von A. Tanbert:
„Der Pessimismus und seine Gegner** nun wo! das Meiste beigetragen,
und heutzutage wird in der wissenschaftlichen Welt kaum Einer nielir
die unter den Bildungsphilistern allerdings noch umlaufenden barocken
L'rtheile über einen Pessimismus, wie ilin ^-esrhlossen und correct
E. V. Hartmann vertritt, zu den seinigen maclieu wollen.
Das allmählich somit gewonnene correcte Bild vom Pessimismus
hindert aber iu keiner Weise, dennoch die Bedenken gegen eine mit
demselben verbundene Sittenlehre in gleicher Stärke laut werden zu
lassen, ohne den Vorwurf der rasch fertigen Absprecherei auf sich zu
laden; und wenn diese Bedenken auch keineswegs in den Trumpf
aasklingen kOnnen, eine derartige Sittenlehre sei unmöglich, so stützen
sie sich doch um so energischer auf die Behauptung, eine pessimistische
Sittenlehre halte die wissenschaftliche Kritik nicht ans.
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Nach (liest-)' iiMciitunf^ liin hat sich mm heute, wie es scheint, die
bis in die (Ti-undvesteii der Weltanschauungen sich einwühlende Pessi-
mismus-('oiitroverse gewandt, so dass es angezeigt ist, der Streitfrage
in dieser ihrer neuesten Gestalt nachzugehen and zu erforschen, ol>>
und welchen Zusammenhang denn der Pessunismns nnd die Sittenlelue
überhaupt haha Man wird sofort erkennen, dass, wenn der Gegen-
stand der Untersacbnng in dieser Weise formnlirt ist, unter der
„Sittenlehre^ nicht eine bestimmte geschichtliche, sondern nnr das
Ideal derselben, welches alle wissenschaftlich berechtigten Forde-
rangen in sich erfUlt hat, verstanden sein kann. Denn die ganze
Frage hätte, wenn die „Sittenlehre^ eine bestimmte, geschichtUdi
gegebene bedenten sollte, entweder gar keinen Sinn oder keine
wissenschaftliche, principielle Bedentnng; nnd zwar erst eres,
wenn die „Sittenlehre" nur irgend eine möofliche bezeichnete: denn
mehr als ein Heispiel gibt uns die (Teschichte seit dt^n Zeiten des
Brahmanismns. dass der Pessimisnuis in Wirklichkeit mit einer Sitten-
lehre verbunden war; und letzteres, wenn die „Sittenlelirc" die
christliche Sittenlelire heissen sollte: denn was auch immer aui^ der
Confrontation derselben mit dem Pessimismus resaltiren würde, sei es
ein Sieg, sei es ein Fiasco des Pessimismus, so wäre damit in der
Lösung des wissenschaftlichen Problems der Sittenlehre noch
kein Schritt vorwärts 'gethan. Dieses Problem ist es aber, welches
an diesem Orte sein Anrecht anf volles Interesse geltend machen wül
nnd wenn es etwa anch nnr in irgend einem Theile gelGst würde, so-
fiele damit wol anch, wie za hoffen ist, ein volles erhellwdes Schlag-
licht anf die wissenschaftliche Wahrheit der christlichen Sittenlehre.
Es wird aber für die Lösnng der Hauptfrage dienlich sein, deo
Pessimismus zunächst in seinen historischen Erscheinungen aufira-
suchen und dieselben vorncliiiilicli darauf hin anzuseilen, ob, insolern
sie auch eine Sittenlehre aufweisen, diese sich widerspruchslos mit
dem Pessimismus vereinigt und auf ihm aufgebaut ist. Erst an diese
historisch-kritische Arbeit soll sich dann die principielle Untersuchung
anschliessen, und <xanz passend bietet sich als hervorragendes Binde-
glied beider Theile E. v. Hartmanns neuestes Werk: „Phänomenologie
des sittlichen Bewusstseins."
Die arische Völkerfamilie nimmt für sich den Kahm in Anspruch,
pessimistische Weltanscbanangen am schärften ansgeprlgt za haben,,
nnd zwar finden sich dieselben in jenen zwei Völkern, die, wenn anch
nicht zn gleicher Zeit, so doch aus gleichem Stammsitz Mittelasiens,
das eine nach Süden, das andere nach Westen answandemd, Indien nnd
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Europa zu ihren Wohnsitzen gewählt haben. Indogermanischer Scharf-
blick soll es nach Schopenhauer sein, welcher aliein das Wesen der
Welt als Übel klar und rein zu erfiissen vermöge, und welchei* die
Wahrheit des Pessimismiis deshalb dort, wo jener ungetr&bt und ange-
hemmt gewesen sei, nämlich bei den Aija Indiens, von Anfang an habe
hervortreten lassen, während diese Walurheit in Europa bei den stamm-
verwandten Vdlkem vor allem durch Einfluss des semitischen Geistes
tns ins neunzehnte Jahrhundert nach Christi (Geburt hintangehalten
worden sei.
In der That sieht man die pessimistische Beurtheihuig- der Welt
schon seit dem letzten Jalirtauseiid vor Christi Geburt unter dem
Arjavolke des Gane:eslandes den lioden tur sich allein in Anspruch
nehmen, währen<l in liiuropa Schopenhauer (1788 — 1860) als der P>ste
die principielie Betonung des Pessimismus an die Hand genommen hat.
Eigenthümlicher Weise zeigt nun der indische Pessimismus mit
seiner an ihn sich knüpfenden Sittenlehre selbst in der äusseren
■ Eutwickelung die Ähnlichkeit mit dem europäischen Pessimismus
muera Jahrhunderts, dass sowol jener wie dieser je zwei Ausgestaltungen
sogt, die zeitlich auf einander folgen und von denen die zweite hikben
wie drüben aus der ersten, freiUch mit selbsteigener Kraft, heraus-
gewachsen ist; die beid^ .Formen des indischen Pessimismus treten
uns im Brahmanismus und Buddhismus, die beiden europäischen in
dem philosophischen System Schopenhauers und demjenigen E. v. Hart-
manns vor Augen.
Der zeitliche Zwischenraum, welcher zwischen diesen heiden Paaren
pessimistisclier Weltanschauung liec^t und die damit verbundene grosse
Verschiedenheit der äusseren VerliäUnisse, in denen sie ins Leben
traten, mau schon den hinreichenden Krkliirnnjifsgrund liefern, dass
die indische Species des Pessimismus das Gemeiugut eines ganzen
Volkes war und im religiösen Gewände auftrat, während die euro-
päische auf einen j^eringen Bruchtheil der Gebildeten Europas sich
beschränkt sieht und als philosophisches Axiom auftritt. Dort ist das
Oemdnwesen in seiner Gesammtheit und insbesondere die gesammte
Priesterschaft Vertreter der pessimistischen Anschauung, hier aber
wnrd diese bis jetzt nur von einzelnen Personen getragen.
Nichtsdestoweniger ist es die europäische Spielart des Pessimismus,
wdche für uns in Anbetracht der Theorie und der Praxis das bei
weitem grössere Interesse in Anspruch nimmt, weil sie sowol im
modernen wissenschaftlichen Kleide auftritt, als auch mit unsem
europäischen Verhältnissen des socialen Lebens reciiuet. Die indische
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1
Art wird ein eiireiitliclies luterosse, wenn man von denijeninren des
Historikers absieht, niu* insofern erregen, als besonders Schopenhauer
anf sie Rücksicht nimmt und sie zum Belege herbeizieht Den weit- '
greifenden inneren Unterschied aber dieser zwei Formen pessimistischer
Weltanschaanng, wie sie Indien nnd Europa aufweisen, werde ich im
Verlauf dieser Untersuchung zur Darstellung bringen.
I. Der FessimismuB und die Sittenlehre in Indien.
A. Im Brahmanismus.
,,Unter dem lachendsten Himmel inmitten einer üppig blühenden
Natnr schlug eine trübe, finstere, mönchische Anschauung von dt-r
absoluten Vcrderbtlicit des Fleisches, von dem Elend des P^rdenlebens
ihren Tlirou auf." (Ouncker, Geschichte des Alterthunis, ITT. 419.
4. Auflage.) Dieser ßralimanismus erklärte, dass die Welt voll wäre
von Übeln, das Treben eine Kette von lieideii und die Krde ein Jamin»*r-
thal. Wenn nun mit dem Wort I^essimisnms bezeichnet werden soll
„die Behauptung von der Negativität der Lustbilance in der Welt"
(v. Hartmann: Geschichte und Begründung des Pessimismus, s. i\7\
so lässt sieh nicht bestreiten, dass der Brahmanismus zu den Ver-
übtem des Pessimismus zu zäMen ist. Indessen nimmt derselbe doch
gegenüber den drei andern Vertretern eine ganz eigenartige SteQimg'
zu dem pessimistischen Theorem ein: während nämlich die übrigen
drei dasselbe zu ihrem Ausgangspunkt wählen, nnd, von ihm aus
rückwärts schauend, eine theoretische B^*ündung und Erklärung der
„Thatsache" des Allübels gewinnen wollen, sowie, vorwärts schauend,
eine Sittenleliie auf <lie.^e Tliatsache mit Hilfe der gewonnenen tht^)-
retisclien Unterlage aui bauen, ist die 'i'liatsaclie, welcliei" der brah-
manische Pessimismus Ausdruck gibt, für den Hrahmanismus erst
vorhanden in Folüc der vorausgehenden Lehre vom Bralimaii
und zum Theil wenigstens auch der an diese letztere sich anschliessea-
den und in die Praxis schon eingegangenen Sittenlelirc Mau darf hier
nicht einwenden, dass mit dem letzteren in Wirklichkeit keine l >ifferenz
angezeigt sei, indem vom Brahmanismus nur systematisch dargestellt
werde, was bei den übrigen Drei zunächst empirisch gewonnen worden
sei; kennzeichnet es doch gerade den Brahmanismus, dass er mit
seinen theoretischen Speculationen fiber das Brahman direct um-
gestaltend eingegriffen hat in die Auffassung und Beurtbeilung der
Welt und die Gestaltung des socialen Lebens der Inder. Und wenn
es auch richtig ist, was Doncker (IIL 425) sagt, dass nämlich die
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Keli<^ion der Brahiiianeii, welclie das Leben der Inder t^inofreifender,
als kanm eine andere Religion « in anderes Volk, belierrsrht. nicht
• dieses Eri^ebnis erreicht hätte, wenn ihr nicht Sinn und Herz des
Volkes auf halbem Wege entgegengekommen wäre: so war es doch
in keiner Weise etwa ein pessimistisch geübtes Bewasstsein des
Volkes, welches zu diesem Entgegenkommen schon veranlasst hätte.
Ein solches Bewosstsein wurde vielmehr erst lebendig, nachdem der
Sieg des Brahman Uber den Indra vollzogen nnd damit das Geschick
der Inder pessimistisch entschieden war. Mit der brahmanischen Brille
anf der Nase nnd der brahmanischen Sittengeissel anf dem Bücken
konnte dem Inder das Theorem des Pessimismus nicht ausUdben nnd
mnsste die Thatsache des Jammerthals ihm von jedem neuen Tage
unentrinnbar ad homineni demonstrirt nnd zum Bewnsstsein gebracht
werden. Um midi kurz auszudrücken: die Jiraliinaiilelire ist nicht
aus dem Pessimismus, sondern der Pessimismus der ßrahmanen ist
aus der Hrahmaiilehre «geboren.
Für die Untersuchunii-. in welcliem Zusanuueuluiugc die Sjttenlelire
und der Pessimismus im Brahmanisnuis stehen, ist diese eigenthümliche
Genesis des brahmanischen Pessimismus von grosser Bedeutung. Bei
der Au&tellang der brahmanischen Sittenlehre ist der Pessimismus
durchans nicht von einem norm- nnd directiongebenden Einiiass: dieser
Umstand muss, um nicht eine schiefe Auffassung herein zu lassen, wie
sich bald zeigen wird, mit aller Kraft betont werden.
Die brahmanische Sittenlehre forderte „mit Vernichtung des be-
sonderen Seins auch das Aufgeben des Sichempfindens, des Bewusst-
seins des Selbst, des Ich, um in die Substanz Brahman einströmen zu
können; so wurde die Zerbrechung des Körpers durch eine unbarm-
herzige Askese, die Zerstömng der Seele durch Meditation ohne
Object das liöcliste Gebot, das ctliisclic I<leal der Inder, so wurde die
Hingebuni^ ihres Naturells zu selbstvernichtender Vei*seiikung in eine
seelenlose Weltseele" ( Duncker III. -U9i. Asketik und (^uietik bil-
deten also den Inhalt dieser Sittenlehre: der Zweck, welchen dieselbe
•labei ins Au<rc. «^etasst hatte, war fiir den Kinzelnen das Aufgellen
und Eiiiswerden mit Brahman. und die Veranlassung zu diesem Motiv
des Brahraanenlebens bildete die Thatsache von der erkannten Un-
reinheit der sinnlichen Welt, die als unreine aber eben erst entdeckt
wurde anf Grund der durch Specnlation gewonnenen Erkenntnis vom
unsinnlichen und unpersönlichen Brahman.
Als unreine wurde nun die Welt des Brahmanen zu einem Jammer-
thal gemacht, und nicht die Thatsache des Leids, sondern die der
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Unreinheit der Welt war der empirische Untergrund der brahma-
nischen Sittenlehre. Aus dem Dogma von der Unreinheit hatte
sich die ganze Breite des Cerenioniells, der Reinheits- und Speise-
vorsoliriften tut wickelt und war die Etliik der Bralimanen zui- Aj>ketik
und (,>iiietik geworden.
Als Gebot des Gottes Biahinuii wurde diese Sitteulelnv vei-
kiindet, uud uirirends tiudet nuui, djiss sie irj^endwie durcli den Hinweis
auf das l.eid der Welt noch unterstützt worden wäre und dui'ch das-
selbe etwa einen menschlichen Passirschein zu erhalten gesucht li;itt»\
Ist es doch vielmehr bekannt genug, dass die Brahmanen nicht das
gegenwärtige, sondern vielmehr nur das künftige Leid bei Ein-
führung ihrer Sittenlehre heranzogen, und zwar in dem Sinne, dass
dieses als schreckhafte Folge der Nichtbeachtung der Sittenlehre vor
Augen gemalt wurde in der Seelenwanderung. War för den
Brahmanen selbst vielleicht schon die specnlative Erkenntnis vom Gott
Brahman der bestimmende Grund, nm diese Welt und sich sdbst
schliesslich verneinen zu wollen, so wurde das übrige Volk zur Annahme
der Sittenlehre durch die Furcht vor dem künftigen Leid gebracht,
nnd mochte auch der Quietik des Brahmanismns ein dem Arjavolk im
Gangeslande allmählich eingebomer quietistischer Hang entgegen-
kommen, so li(;ss sich die Asketik dem ^'olke doch nur durch die
Schre('ki)ilder der Seelenwanderung aufzwingen.
Das künftige Leid hat aber als solclies nichts /u xlialten mit
dem Pes.simismiis. der sich auf die gegenwärtige Welt Itezieht, uud
wenn es den Brahmanen nnthwendig erschien, jenes Leid hereinzu-
nehmen in ilire Predigt, so kann dies als Beweis dienen, dass wenig-
stens beim Aufkommen des Brahmanismns das Bewusstsein des ^'olkes
nidit vom Pessimismus erfiiilt war, da nämlich in solchem Fall die
Lehre von der Unreinheit der Welt und die Sittenlehre von der Ver-
neinung dieses Lebens direct an das Bewusstsein des Volkes vom
Elend dieses Daseins angeknüpft hätte, nm den aus demselben sich
noth wendig entwickehden Trieb, aus diesem Elend sich zu befireien,
als subjecdve Basis zu benutzen.
Ist nun der Pessimismus im Aijavolke überhaupt durchaus nicht
die schon vorgetundene Basis, auf welcher sich das brahmanisch-sittliche
Leben des Einzelnen erhob, so hat derselbe demnach auch nicht die
theoretische Grundlage für die von den Brahmanen construirte
Sittenlehre gebildet. Ich habe schon oben behaui)tet, dass die brah-
manische Sittenlehre als Eiiüsuugszwt'i k die Vernichtung des Brahman-
widrigen, das ist des ^Siunlicheu, zur Grundlage hat, dass ah>o dieser
Üiyitizcü by GoOglc
' — 397 —
Rein igungsz weck das Treibende des brahmaniseli-sittliclieii Stiebens
L<t; der Brahmane will nicht deshalb aus der Welt und aus seiner
eigenen Existenz heraus ins Brahman zurück, weil diese Welt und
diese seine Existenz nichts als Leid bieten, sondern weil sie
brahman widrig, unrein sind. Wenn nun die brahmanische Sitten-
lehre durch die Qualen der Asketik und die Lehre von den Büssungen
in einer Reihe von künftigen sinnlichen Existenzformen die Seele des
Inders mit Leid und Schrecken erftkllte, wenn die Fein nnd die Ent^
behnmgen der SlUmmigen in diesem Leben ihm dieses letztere als
eine Kette von Leiden zeigten, so wird freflich ein jeder den daraus
nothwendig sieb entwickelnden Fessimismns dieses Inders begreifen.
Aber es wftre doch ein fifttales vtfTegov ngoitgov, das sich der-
jenige zn Schulden kommen liessot welcher behauptete, dass dieser
Pessimismns, welcher auf Grund der durch die Sittenlehre der Brah-
manen hervorgerufenen socialen Zustände erst gewonnen war, diese
Sittenlehre selbst hervorgerufen hätte.
Es ist daher falsch gegritiVn, wenn Sclioitenhauer zur Bestätitiung
Seines ]^\^siniisnuis auf die Brahniaueu zurlkkgreitt als seine angeb-
lichen Bundesgriiossen: denn er vergisst, dass gerade die Qualen der
Asketik diesen Indern die W elt erst qualvoll und die endlosi'U Seelen-
wanderungen mit ihrem endlosen Gefolge von neuen Qualen die
Existenz erst voll Leid machten. Dieser brahmanische Pessimismus
hatte nicht nur eine theoretischet sondern auch eine vom Brahmanismus
zuvor geschaffene praktische Voraussetzung, und auf ihn könnte sich
der Gegner des Schopenhauerschen Pessimismus mit ebenso gutem
Grunde berufen, indem er behauptete, dass der brahmanische Pessi-
mismus gleichsam eine künstliche Frucht des auf die natOiliche
Existenz des Volkes und des Einzelnen umgestaltend wirkenden
Brahmanismus sei
Gäbe man aber auch einmal zu, dass wenigstens der Brahmane,
der Priester, ancli abgesehen von dem selbstgeschaifenen asketischen
Leid, die Welt für ein .lammerthal erklärt haben könnte, so würde
dieser sein Pessiniisnuis sich dennoch nicht decken mit denijeiiiiren des
Buddha und der Europäer; ich möchte jenen, im (legensatz zu diesem
als dem unbedingten, den bedingten Pessimismus nennen, und
einen solchen sogar dem Brahnumismns. insofern er eine r<'ligir>st^
Weltanschauung ist, direct zuschrei))en als eine noth wendige ( on-
sequenz. Wenn der Brahmanismus nämlich Gott und Welt in Wider-
spruch stellte als Unendliches und Endliches, so dass das „in Gott
Sein" das „in der Welt Sein'*, und umgekehrt, ausschloss, so musste
Üiyitizcü by GoOglc
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der Braliinain' notliweiuliij: diese seiue Existenz in dt!r Welt als eine
elende erkennen; denn ilini war ja das ,.in Gott Stiir' der einzig
mögliche Seligkeitszustand. Jeder andere Zustand also erscliien damit
eo ipso als ein elender und die Welt demnach, welche ihm einen
solchen bereitete und ihn durch ihr Dasein an dem ,,in Gott Sein**
hinderte, als em .Tammerthal. Was daher diese ihm bot, konnte ihn
nicht in seinem religiösen Streben fördern, mnsste ihm als ein Hindernis
zur Seligkeit und in Folge dessen als eine unaufhörlich fliessende
Quelle des Leids erscheinen. Diesen Pessindsmos aber nenne ich einen
bedingten, bedingt nämlich dorch den religiös bestimmten Widei^
spmch von Gott nnd Welt, welcher demgemäss zugleich mit der
Streichung dieser religiösen theoretischen Toraussetzung sich auch
gestrichen sähe.*)
*) Ich mache liier eine im weitereu Simie auch zu der geäteiit^u Auigabe ge«
hörige, wichtige Anmorkung. Bdcanntlich hat Schopenhauer nichts ao sehr am
Christenthum zu rttbmen f ewusst als dessen Pessinusmus; es ist ihm hierbei ergangen
wie bei dem Brahmanismns, denn er hat auch im Chiistenthum nur einen Termeint-
liehen Bandesgenossen gefanden. Schon der Brahmane eridtrt nicht, das^s I' i Mensch
überhaupt kein fröhliches Da.«eiii auf der Welt führen könne, ^londem er Ijt liatipttrt
nur, das.s die Wt^It vom Standpunkt eine- Aiili;in«jers des BraliniMiiismus v'\n Jammer-
tlial Hci. Als i)iaktisc!ii'r Beles,'' tVir tlirst-n lieding'ten I'e.^<iuiisiiius kann /uirleich
dieueu jener Wechsel von Askese und Genusj«, der das Leben 'dieser luder keim,
zeichnet, die Thatsache also, sie sich für die l'ein der SQhnungen und die
Qualen dar Aslcese im ttppigen Genuss entscbidigten. Wenn nun anderseits das
Mstorische Ghristenthum von dm elenden Dasein nnd dem Jammerthal der Welt
weiss, so ist auch dieses pessimistische Bewnsstsein gegründet auf dem Widerspruch
▼on Gott und Welt und aus diesem entsprungen. Ein solches wird stets da aaf-
treten. wo immer eine Religion auf dem Widerspruch von Gott und Welt, mag der-
selbe nun grobsinnlich oder geistig-sittlich gedacht sein, siili erhebt. Als religiöser
strebt der Mensch zu Gott, er will bei (Jott sein, daher wird ihm die im Wi-it-r-
spruch zu Gott stehende Welt eiu L'bel und sein eigenes Dasein in derselben eine
Quelle des Leids und der Trttbsal sem. Unter diesem religiSsen Gesichtspunkt be-
trachtet auch das historische Christenthnm allein die Weit nnd das mensofaliche
irdische Dasem als eüi Elend. Es wird keineswegs von ihm erkürt: „In itat Welt
hat ftberhaupt der Mensch Leid." somb rn: „In der „Welt" habt ihr (Christen)
Leid"; der Christ leugnet nicht die Freuden dieser Welt Überhaupt, sondern nur fUr
die Chris teil; die Christen werden leiden und wcrdtii in der ..Welt- nur Trübsal
haben, d» nn als Kindt c Gottes sind si»' nichr von der ^W'elf und isr die-^e ihnen
ein Fremdes und Feindseliges. Dieser bedingte Pessimismus darf in keiner
Weise zusammengeworfen werden mit dem uubediugteu eines Schopenhauer und
T. Hartmann, und hier wäre das Wort am Platze: si dno dicnnt {dem, non est idem.
Die beiden genannten Philosophen ziehen idlerdings mit Vorliebe die vermeintliche
Verwandtschaft mit dem historischen Christenthum an. Vom bedingten Pessimismus
zum unbedingten ist nicht nur, wie vielleicht jene Mfinner meinen, ein Schritt, sondm
Üiyitizcü by GoOglc
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Obwol nun der bedingte Pessimismus, wie ihn der Brahmanismus
zeigt, in der Speculadon der Brahmanen recht wol der Aufstellung der
Sittenlehre hätte voransgehen und demgemäss von bestimmendem Ein-
fliiss auf die letztere hätte sein kOnnen, so lässt sich doch meines
Erachtens aus der brahmanischen Sittenlehre selbst nachweisen, dass
dieser Einflass nicht stattgefunden habe. Die Ethik der Brahmanen
ist Asketik, und weil sie dieses ist, kann der Pessimismus
ihre Grundlage nicht sein; diese Behauptung mag paradox klingen,
da man Pessimismus und Asket& fast als Zwillungspaar anzusehen
gewohnt ist.
Asketik ist diejenige Sittenlelire, welche an den Mensehen die
Forderung stellt, sich körperliclie Schmerzen und (^uahn zu bereiten;
der Pessimismus ist die [Behauptung von der Negativität der Lustbihiuce
in der Welt. Wird nun je auf Grund des Pessimismus von einem
Menschen Askese gefordert werden können? Jcli behaupte: Xieniiils!
Die „Tliatsache"', welclie im Pessimismus nusLn'sprochen ist, ist freilich
dazu angethan, den Menschen zum Handeln zu veranlassen, aber immer-
hin, das liegt auf der Hand, allein zu solchem Handeln, welches die
erfahrene Negativität der Lustbllance nicht vermehrt, sondern
im schlimmsten Falle gleich erhält, im besseren Falle vermindert;
der Pessimismus als solcher wird also nicht auf Mittel sinnen, durch
welche sich die Fein des Daseins vermehren würde.
Man wird nun vielleicht zugehen, dass dies, auf den nicht weiter
refiectirenden Pessimisten angewandt, seine volle Richtigkeit habe,
jedoch dabei bemerken, dass der reflectbende Pessimist doch gar wol
zur Adcese seine Zuflucht nehmen könne; indem der letztere nämlich
etwa die eigentliche Quelle seines Elends in seiner eigenen Sinn-
lichkeit entdeckt habe, werde €^ naturgemäss diese Quelle zu ver-
eine unaii8tVillit:ire Kluft delint sich /wischen ilmt ii aus. ilan könnte liier freilich
eUiwendeu: der Pe.s.sin)ismuä ist ein theoretischer Satz und desfien Wahrheit ist eiu
und dieselbe, mag nmi der eine auf diesem, der andere auf jenem Wege ihn ge-
Amden haboi, nnd demnach sind der christliche nnd der schopenhaaoische Peasi-
ninnns verwandt, ja ein und derselbe. Diesem ist aber eben mit Omnd entgegen-
zuhalten, dass der Pessimismus, obwol er eine Behauptung, also ein theoretischer
Satz ist. dennoch gegenüber den sonstiy^en theoretischen Sätzen die Eigenthiuulic likeit
zei^t, dass er ein Wertschüt/ungsurtheil i.st, das,s also sein eitrentlicher Inhalt
erst er*a,-st \vtrr<len kann, wenn man zuj^leich den Massstab weiss, nach welchem
das Urtheil abgemessen ist, und indem mau .sich nun dieses Massslabes erinnert, wird
sofort die totale Differenz zwischen christlichem und schopenhauerischem
Pessimismus, trotzdem sie in ihrer kurzen Wortfusung gleich lauten, in die Augen
s|ringen: in jenem beisst der Hassstab Gott, in diesem aber Individnalwille.
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— 400 — 1
nicliten streben. Ich c:ebe letzteres zu. fii<re aber bei. dass ein ."^olclier
Pessimist, nachdem er einmal so viel Verstand in dei* Entdeckung der
Elendsquelle bewiesen hat, doch nicht so durchaus unverständig sein
wird zu glauben, dass er seine Sinnlichkeit am besten, wenn er
dies überhaupt fiir möglich hält, auf dem Wege der Asketik vernichte.
Der erste Yersach schon müsste ihn yon solchem Irrthnm zurück-
bringen: Hanger z. B. ist eine Qual; unser Pessimist 1^ sich nan die
Askese eines dreitägigen Hungers auf; die Negativität der Lustbüanoe
vermindert sich nicht, sondern sie vermehrt sich in dieser Zeit, und
nachdem er dann zu ifasten au^sfehOrt hat» ist seine Sinnlichkeit nicht
geschwächt, wenn er nur erst wieder ordentlich gegessen hat Er
sieht also ein, dass diese dreitägige Askese ihn nicht dem Ziele näher
gebracht hat, dass er es aber vielleicht hätte erreichen könnon, wenn
er bis zum Hungertode mit Fasten fortgefahren liiitte. 3fit dieser
Überle^ng erst wäre er dann wieder zu Verstand gekommen, indem
er nun einsieht, dass die Askese ihn, anstatt aus der Sinnlichkeit
herauszuheben. JtMleM Augenblick in verschärfter \\'eise an dieselbe
maline und zu den gewöhnlichen noch aussergewühnliclie (Qualen füge,
dass hingegen das einzige Mittel, seinen Zweck, Befreiung von seiner
Sinnlichkeit, zu erreichen, der Selbstmord sei. Er würde uunmelu*
jeden bemitleiden, welcher, einerlei theoretischer Meinung mit ihm, in
unverständiger Verirrung die Askese als Mittel, um die Sinnlichkeit
und damit die Lebensqnal zu vernichten, wählte.
Der Askese liegt ein Streben zu Grunde, das vielleicht mit dem-
jenigen, welches aus dem Pessimismus entspringt, einige äussere Ähn-
lichkeit zeigt) aber inhaltlich von demselben durchaus sich unterscheidet,
da es einen positiven Zustand des Individuums bezweckt Es ist
das Streben, vom „Weltlichen**, Sinnlichen frei, d. h. bei Gott zu
sein, oder mit anderen Worten, schon in diesem Leben die Sinnlich-
keit als den gottwidrigen Theil des Menschen zu überwinden und
sich über dieselbe zu erheben. Hieraus resultirt dann begreiflicher-
weise, dass der ^Mensch gleichsam sicli selbst herausfordert, die von
Gott verliehene Kraft an seiner eigenen Sinnliclikeit eiprobt und in
der freiwilligen l'bernaliine körperlicher Leiden eine Virtuosität aus-
bildet, die ihn als leidenden und docli über die Leiden, also auch über
die gott widrige Sinnlichkeit, sich erhebenden Menschen darstellt. Er-
haben zu sein über die Lebenstinal während des Lebens: darin soll
die Askese üben, und dies ist ihr einziger Zweck; in ihr soU der
Mensch der Sinnlichkeit absterben, d. b. über sie sich positiv er-
heben, aber keineswegs selber aus dem irdischen Leben scheiden,
d. h. sterben.
Üiyitizcü by GoOglc
— 401 —
Daraus ^celit, wie mir sclieint, mit voller Evidenz hervor, dass
Askese niemals aus dem Pessimismus als solchem herauswachsen kann.
Das Streben des Asketen und dasjenige des Pessimisten begegnen sich
allerdings in dem Object, um das es sich handelt, nämlicli in der Sinn-
lichkeit; jener will ihr absterben, dieser mit ihr zugleich sich
sterben lassen. Diesen gnmdsätzlichen Unterschied bestätigt die
Tbatsache, dass ein Asket, so viel er auch reden mag in zweideutigen
Ausdrücken, wie «das Fleisch tOdten^ oder „den Körper kreuzigen**,
niemals als solcher den Selbstmord in seine Aufgaben hineinnehmen
wud, den Selbstmord, welcher vom blossen Standpnnkt des empirischen
Pessimismiis ans das einzige verständige Badicahnittel genannt
werden mnss.
Diese zwei Extreme berühren sich aber doch, und zwar nicht nur
in dem iSinne, dass sie beide das Freisein vom Sinnlichen zum
Ziele haben, sondern auch in der Bezielning, dass der ^fensch leicht
vnn der Askese zum Selbstmord überzusehen i^eneigt ist. Vom Hun-
g^riiwollen zum Verhungernwollen ist kvin grosser Schritt; , das
erstere ist asketisch, das letztere pessimistisch.*)
Die Forderung der Askese also auf der einen Seite, und die
Abweisung des Selbstmordes auf der andern Seite; beides und schon
jedes für sich bildet einen durchaus sichern Beleg dafür, dass die
Sittenlehre des firahmanismus keineswegs ans dem Pessi-
mismus desselben herausgewachsen ist und daher auch durch-
aus nicht in demselben sich gründet Die Asketik mit ihrem
Wunsche, den KOrper zerbrochen zu sehen, entsprang ja aus der „Er-
kenntnis*' von der UngOttlichkeit des Sinnlichen und der damit
gegebenen Unreinheit desselben, nicht aber ans dem Bewusstsem, dass
das sinnliche Dasein eine Kette von Leiden sei.
Wenngleich nun weder beim Brahmanismus, noch überhaupt je,
Pessimismus und Asketik in dem Verhältnis von Grund und Folge
zu einander stehen und stehen können, so liegt doch nichts vor, was
* Zur P'rläuterung iuotiut Hehatiptuucr. «'•V"'"^ l\>ii"ze Sittenlchrf. welche aus
«iera enntirischen Pess imisinus allein herausgebildet vvi\r<le. lauten iiiUsste: ..iMi
foilsi <li('h inordcn," hemerke ich, um einem 3Ii.ssver.stän<lui.s vorziilietiiren. hier UfH'h
aasdrückhch , dass diese meine Jkhauptunjj nicht so zu verstehen ist, als ob jede
Weltanschauimg, welche den Pessunismns, das ist: die Behauptung von der Nega-
tivitftt der Lnstbilance in der .Welt, ugendvie vertritt, in ihrer Sittenlehre
den Selbstmord fordern mOsste, sondern daas ich nur behaupte: deijenige, welcher
sein Handeln allein na< Ii d- m empirischen Pessimismus, also allein nach der
empirischen „ThaUmche'S einrichtet, wird, als verständiger ICensch, sich tOdten wollen.
Üiyitizcü by GoOglc
sie hinderte, in einer Weltanschaiinnur widerspruchslos neben
einander aufzutreten. T>er asketisclie IJralnnan*' mit seinem Pessi-
niisnuis mag" dafür als J^eispiel dienen und zufrleicli in sicli die W ahr-
heit darstellen, wie leicht der pessimistische Asket zum asketischen
Pessimisten wird, d. h. wie leicht die in den Dienst Brahmans gestellt ,*
Askese in den Dienst des leidenden Individualwillens übertritt and
aus dem der „Sinnlichkeit Absterben" ein „mit der Sinnlichkeit zu-
gleich sich selbst Tödten** wird.
Das neben dem praktischen Grundsatz der Askese herlaofende
theoretische Wissen von dem Jammerthal konnte nun, wie ersichtlich
' ist, unter den Anhftng;em des Brahmanismns in zweierlei Art anf-
kommen, nnd man darf wol zwischen einem dogmatischen und einem
empirischen Pessimismus der brahmanischen Inder unterscheiden.
^Jener, den ich oben den bedingten Pessimismus nannte, reichte mit
seiner Wurzel in das Dogma des Wesensgegensatzes von Gott und
Welt hinein, er war der nothwendige Schlusssiitz aus den P^rämisseu.
dass ausser Gott kein Heil nnd dass das weltliche Dasein ausser
Gott sei. Mit diesem Pessimismus verbunden, oder auch, was w<>l
ausserhalb der ei^rentlic heu Bi-ahmanenkaste die Ecgel s< in mochte,
allein fiir sich trat der emi)irisc]ie Pessimismus auf, welciier aus der
Erfahrnuir von (h-n vor allem durch die brahmanische Asketik geschaf-
fenen Zuständen hervorging. Je energischer dieser letztere sich dem
Bewusstsein des Inders aufdrängte, desto bestimmter musste von den
Brahmanen auf das Brahman, auf die Unreinheit der Welt und besonders
die Leidfolgen des Ungehorsams gegen die vom Braliman bestellte
Sittenlehre hingewiesen werden, damit dem ausser der mystischen
Specuiation stehenden gemeinen Inder, welcher nur vom empirischen
Pessimismus erfüllt war, nicht die Askese in den Selbstmord
umschlüge. Wie stark aber der Hang zu einem solchen Umschlagen
ist, zeigt der Brahmanismns selbst in jenen freiwilligen Sdbstmorden,
sei es nnter den Rädern des heiligen Wagens, sei es in dem Bachen
der gottgeweihten Flussnngehener; unwiderstehlich sieht er sich zu
solclien praktischen Ersclieinnngen fort geschoben, in welchen die Fäden
asketischer und iicssimistischei- Motive kraus durcliciuander laufen.
Um nun in einem Satze das Kesultat dieser l'ntersu<-lnuii: ülit-r
den Brahmanismus anzuueben. so ist zu .sagen: Der l'rssiniisuuis
(auch der iloguiatischei steht hier nicht in solchem inneini Zusam-
menlianire mit der Sittenhdire des Brahmanismus, dass jener als (Trund
und diese als seine Folge anzusehen wäre; sie gehen aber wider-
sprucli&ios nebeneinander her, und wenn zwischen ihnen ein Verhältnis
Üiyitizcü by GoOglc
— 403 —
von Grund nnd Folge doch ent4eckt werden will, so ist die Sitten-
lehi'e vielraelir als der Grund des empirischen Pessimismus jener Inder
anzoselieii, insofern eben der letztere auf Grand der durch die befolgte
Sittenlehre gemfenen realen VerhAltnisBe sich einstellen mnsste. Unter
allen Umstanden aber ist hier der Pessimismus ohne bestimmenden
Einflnss anf die Gestaltung der brahmanischen Sittenlehre geblieben
Dass dies uneingeschränkt wahr ist, liesse sich evident durch die Probe
bestätigen, dass man anstatt des Pessimismus die Ansicht von der
Positiyitftt der Lnstbilanee in der Welt einschöbe In doi Brah-
manismus; weil man doch dann erkennen würde, dass die brahmanische
Sittenlehre, also die Asketik. von dieser Veränderung ganz iinbe-
eiiiflusst bliel)e, sofeni nur nicht etwa auch das Dogma von der
Unreinheit der Welt dem Dogma von ihrer Reinheit Platz
gemacht hätte.
(Fortsetzung Iblgt.)
Üiyilizco by v^üOgle
!
I
Ans den Sclmlleben der Schweiz.
Van U, Morf- WinUrihur.
Die Schul Verhältnisse der Schweiz bieten in mancher Be-
ziehung so viel EigenUiümliches, dass ein detaillirtes Bild derselben
ans einem der 25 Kantone und Halbkantone den Lesern des Pädar
gogiums nicht nn\nllkommen sein dürfte. Ich wähle zn diesem Zwecke
den Kanton Zftrich.
I.
Derselbe zälilt ca. 317000 Einwohner, also ungefähr soviel wie
das Herzogthum Sachsen- Weimar. Die Staatsgewalt beruht alh in aui
der (xesammtheit dos Volkes. Dieses ist der absolute Souverän, bei
ilim ruht die ^lajestät Alle Bürger sind vor dem Gesetze deioh uml
geuiessen dieselben staatsbürgerliclieu Hechte. Jeder hmdesaugt-liriricre
mänulielie ] juwuhner von 20 Jaluen ist stimmberechtigt und zu alleu
Ämtern \välil1)ar.
Das Volk übt nun seine Souveränität theils unmittelbar durch
die Stinmiberecbtigten aus, theils mittelbar durch seine Behörden und
Beamten, denen es das Mandat dazu überträgt. Die Amtsdauor dfT
Gerichtsbehörden beträgt 6 Jahre, aller übrigen Behörden 3 Jahre.
Nach Ablauf dieser Frist findet fOr alle Behörden GesammtemeneroBg
statt Deijenige, in dessen Händen das Volk seine Interessen am
sichersten geschätzt glaubt, wird wieder gewählt, wer sein Zntranen
verscherzt hat, wird ersetzt Der also Entlassene tritt wieder in den
Privatstand znrflck, ohne irgend welche Ansprüche erheben zu können.
Der gesetzgebende Rath heisst Kantonsrath. Behnfe seiner Er-
nennung wird der Kanton in Wahlkreise abgetheilt; auf 1200 Seelen
wird je ein Mitglied gewählt. Kr zälilt also gegenwärtig über 200
Mitglieder. Er versammelt sich jährlich 4 ^lal auf je 3 — 4 Tage,
je nach iiedürtuis. Die Mitglieder beziehen ein massiges Tagegeld und
eine angemessene IJeiseentschädigung.
Die oberste Adiniuisti-ativbehörde, der Kegieruugsratb. zahlt
7 Mitglieder, tür deren Krwälilung der ganze Kanton nur einen
Wahlkreis bildet
Üiyitizcü by GoOglc
— 405 —
IMe ^litfrlieder der liörlisten richteiiicheu Instanz, des Oberge-
rich res, wählt der Kaiitonsrath.
Der Kanton ist in elf Verwaltungs- und Gerichtsbezirke
abgetheilt. Die Mitgliedei* der i^ezirksgerichte werden wie alle anderen
Behörden unmittelbar vom Volke gewählt. Die Gemeinden sind in
ihren Yerwaltimgen und in der Bestellung ihrer Behörden — inner-
halb der Schranken der Gesetze — vOllig autonom und selbstherrlich.
Alle G^tze, die der Kantonsrath entwirft und redactionell fest-
stellt, hetreffen sie das Finanz- , das Gerichts-, das Schulwesen oder
urgend eine andere Materie, müssen dem Volke zur Annahme oder
Verwerfung vorgelegt werden. Sie treten erst in Kraft, wenn dieser
Souverftn sie gutgeheissen hat. Jeder einzelne Stfanmberechtigte kann
überdies den Erlass eines neuen oder die Abänderung und Beseitig^un^
eines bestehenden Gesetzes bewirken. Wenn dieser Initiant von einem
Drittheil der Mitoflieder des Kantonsrathes oder von bO(M) Stiininl)e-
rechtigen unterstützt wird, so ist der Volksentsclieid über den frag-
lichen Vorschlag anzurufen. Diese Volksinitiative bewährt sich als
ein rechter Edelstein im zürcherischen Staatsor^anismus; sie ist das
beste Sicherheitsventil gegen jeden Putsch und Umsturz.
Steuern und Abgaben können nur insoweit erhoben werden, als
das Volk sie bewilligt und sich selber auflegt. Es ist darin weder
karg noch ängstlich. Es gewährt reichlich, was die Wolfahrt des
Landes erheischt. Alle Ausgaben* geschehen zum Nutzen und kn In-
teresse des Allgemeinen; nnprodnctiye finden sich nicht: es gibt
keine stehenden Truppen, keinen Beamtenstand mit Pendonirung,
kernen Hof halt
n.
Die oberste Leitung des Schulwesens steht beim Regierungs-
rath. Dasjenige Mitglied, dessen specieUer Obsorge dieses Departement
zugewiesen wird, heisst Erziehungsdirector. Diesem wird ein Er-
ziehungsrath von ß Mitgliedern beigeordnet, von dent*n 4 vom Kuii-
t<»nsrath und 2 von der Gesammtlehrerschaft des Kantons zu
wählen sind. Von diesen letzteren iniiss das eine aus der Mitte der
Lelirer an )i(iiieren Ltliranstalteu, das andere aus den Volksschul-
lehrern genommen werden.
Dieser kantonalen Erziehungsbehörde liegt ob die Förderung der
Volksbildung, die Oberaufsicht über alle Schulanstalten, die Handha-
bung der zu Kraft bestehenden Gesetze, Verordnimgen, Beschlüsse und
Keglements. Zu diesem Behuf ^tzt sie sich mit den unteren Behör-
den in die ndthtge Verbindung.
Pcdagrgiiim. 4. Jahif . Butt YIL 27
üiymzao by v^üOglc
— 406 —
Zu diesen gehören zunächst die Bezirksschnlpflegen, deren
der Kanton oremäss der Anzahl der Verwaltuncrsbezirke elf hat mit
9 — 20 Mitgliedern, je nach der Zahl der Sclmlen eines Bezirkes.
Drei dieser Mitglieder werden v(»n doi- Tjehrerschaft des Be-
zirkes gewählt, die übrigen von den Stiiiiinbereclitigten des Volkes,
aus den nicht dem Lehrerstande angehörenden Bezirkseinwohuem.
Diese Bezirksschulpfleger vertheilen nun die Schulen des Bezirkes
unter sich. Jeder besucht im Laufe des Schuljahres die ihm zuge-
theilten 2 oder auch mehrere Male, leitet im Frühjahr die Schluss-
piUiiiiig und gibt einen schriftlichen Befünd fiber Schule and Lehrer
ab, der sowohl dem kantonalen Erziehungsrath wie der Gemeinde-
schnlbehdrde mitgethellt wird. Eine andere Inspection der Sehiden
dnrch obere Behörden findet nieht statt; weitere SchuUnspeetoreD
gibt's nicht
Jeder 8chnlkreis wfthlt sich eine Gemeindeschnlpflege, deren
Mitgliederzahl die Gemeinde selbst festsetzt, doch darf sie nicht nnter
5 hinabgehen. Ihren Sitzungen wohnen die Lehrer mit berathender
Stimme bei, können auch von der Gemeinde zu Mitgliedeiii gewählt
werden. W enn in einem Schulkreis die Zahl der Lehrer gai- gross
ist. wie in den Städten Zürich und Winterthur, so lassen sie sich dunii
Abgeordnete in (ier Beliörde vertreten. In diesem Falle bilden die
Lehrer unter sich einen ("onvent zur Vorberathung und Besprechung
verschiedener Schulfragen behufs Antragstellung an ihre Schulbehörden
etc. Sie wählen sich aus ihrer Mitte einen Vorsitzenden, Conventvor-
steher, dem aber ausser diesem Vorsitz keine weiteren Befugnisse zu-
stehen. Alle diese Lehrer sind gleichgestellt in Rechten,
Pflichten und Besoldung; fär seine Mtthewaltang als Organ der
Lehrer bei der Pflege hat der Conventvorsteher eine kleine Zulage.
Die Gemeindeschnlpflege führt die nächste Aufsicht fiber
die Schulen der Gemehide nnd vollzieht das Schulgesetz, sowie die
Verordnungen und Beschlüsse der oberen Schulbehörden. Sie trifit
die nöthigen Einleitungen für Besetzung der Lehrstellen in FSllen
von Erledigung und sorgt fUr die Aufnahme, den fleissigen Schulbesuch
nnd die Entlassung der Schulkinder. Sie wacht darüber, dass der
Lehrer alle in seiner Stellung liegenden Ptiichten getreu eifülle. Bei
Dieustunfähigkeit oder schwerer Verletzung seiner Herufspflicliten hat
sie der Bezirksschuli)t1ege zu weiteivr Verfügung Anzeige zu machen.
Hin\vit'(ler hat die (lenicindesclnilptiege den Lehrer in allen zweck-
nuissiL'«'!! Bestiebungen zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass ihm
die gesetzliche und vertragsmääsige Besoldung regehuässig und voll-
Üiyitizcü by GoOglc
— 407 —
^tändi^^ eiuüeliändigt werde. Die Mittjlieder der Pflege besuchen nach
einer von ihnen selbst zu bestiniuienden Kehrordnung die ächaleu
ihrer Gemeinde, um den Unterricht zu beobachten, die Absenzenver-
zeichnisse zu durchgehen etc. Sie verzeichnen jedes Mai den Tag des
Schulbesachs mit Namensuntei^chrift im Schulvisitationsbach. Ihre
Bemerkungen über die bei dem Besuche gemachten Wahrnehmungen
theilen sie in der Sitzung der Pflege mit. In (Gegenwart der Schüler
darf kein Visitator den Lehrer tadebi oder ihm Mahnungen etc. er-
theilen. Oeschähe es, so ist der Lehrer berechtigt, bei der Schulbe-
hftrde Klage zu erheben. Eine andere Localinspection gibt es nicht
Die Gemeindeschulpflege gibt Jährlich der Bezirksschulpflege
«inen tabellarischen Bericht über den Stand der ihrer Aufsieht
unterstellten Schalen, womit sie allföllige Wünsche und Anträge ver-
binclt'U kann. Von drei zu drei Jahren eibtaiu t sie einen umfassen-
den Bericht über den Zustand der Schulen, der Lehrinittel, Gel)äude etc.
Die Uezirksschiilpflege ihrerseits leitet das Wesentliche dieser Be-
richte und iiirtn eigenen an den Erziehungsrath, der seinerseits
ebeiit'ails alljährlicli dem Rey:ierungsrath zu Händen des Kantons-
rathes und der Lehrersynode vom Stand und Gang des Schulwesens
im ganzen Kanton Kentnis gibt. Diese Berichterstattung ist nicht
das einzis^e Bindeglied zwischen den unteren und oberen Behörden.
Alljährlich beruft der Erziehungsdirector Abgeordnete der elf Bezirks-
achulpflegen zu einer Berathung mit dem Erziehungsrath über allge-
meine Schulfragen, zu welcher auch der Seminardirector beizuziehen
ist Die Abgeordneten haben ihren resp. Behörden Uber die Ergebnisse
der Berathung Bericht zu erstatten.
Aus diesen Darlegungen geht hervor, dass die Geistlichen als
solche keinerlei Antheil an der Schnlaufsicht haben. Sie
stehen in gleichem Verhältnis zur Schule wie jeder andere
Bürger; sie sind nur dann Mitglied einer Schulbehörde, wenn
sie vom Volke hineingewählt werden, was gar oft gesehielir,
wenn der Pfarrer schulfreundlicli gesinnt ist, wie auch umgekelirt
Volksschullehrer eben so häufiir in die kirchlichen Aufsichtsbe-
hörden vom Volke berufen werden. Diese vollständige Trennung
und Nebeneinanderstellung von Kirche und Schule trägt ihre
schönsten Früchte, schlägt zum Gedeihen bei<ler Institute
<aas und bewirkt, dass sie in Frieden und Eintracht ohne
gegenseitige Störung an der Wolfahrt des Volkes arbeiten.
Am Münster der Bundeshauptstadt Bern ist zu lesen: Mach'»
nach!
27* •
Üiyitizcü by GoOgle
— 406 —
III.
Eine weitere Instanz im Schlllo^gaIÜ^^ums des Kantons Zürich ist
die Schulsynode. Sie besteht aus sämmtlichen Lehrern des Kantons
vom letzten Dorfschulmeister an bis zum Rector der Hoch-
schule hinauf. Die Mitj^-lieder der Schulbehörden sind berechtigt, der
Synode mit berathender Stimme beizuwohnen. Der Emehungsral^ Ifest
sich durch eine Abordnung von zwei Mitgliedern in der Synode vertreten.
Die Synode wfthlt zur Leitung ihrer Verhandlungen und zurYollziehnng
ihrer Beschlüsse auf die Dauer von zwei Jahren einen Vorstand, bestehend
aus einem Präsidenten, einem Vicepräsidenten und einem Äctuar. (Gegen-
wärtig ist Präsident Herr Arn. Hug, I^ehrer an der Primarschtde Win-
terthur.) Ordentlicher Weise versammelt sie sich einmal jährlich, ansser-
ordent lieber Weise auf den Ruf des Erziehungsrathes, oder auf eigenen
Besehluss, oder auf das Verlangen der Lehrer in 4 Bezirken. 1 >eii Ort
der Versammlung bezeielinet die Synode selbst. Der Synode gellt
immer eine Prosynode voraus. Mitp:lieder der Prosynode sind die
V<»i Steher der Synode, je ein Ab<reoi diieter der elf Bezirke, der höhereu
Schulen von Zürich und Wiuterthur und der kantonalen Lehi'anstalteu
(Hochschule und Kantonsschule). Die Abgeordneten des Erzieliungs-
rathes wohnen der Prosynode mit blos berathender Stimme bei. Sie
beräth die Verhandlungsgegenstände der Synode vor und setzt das
Tractandencirculai' fest. Alle der Synode zur fierathung vorzulegenden
Gegenstände sind vorher von der Prosynode zu begutachten.
Der Synode steht, wie oben berichtet, die Wahl von zwei Mit-
gliedern des Erziehungsrathes zu, sie empföngt den Jahresbericht, den
der Erziehungsrath dem Begierungsrath flher den Zustand des zfir-
cherischen Schulwesens erstattet, sowie den Generalbericht über die
Thätigkeit der Lehrer in ihren Bezirksversammlungen. Sie beräth im
allpremeinen die Mittel zur Förderunfr des Schulwesens, forinulirt ihi^e
Wiinx'he und Aul rage zu I landen der Behörden, hört einen womö<:lirli
freien N ortrup: an über ein* ii im Einladunirsschreiben zu bezeiclmt'udeu
Gegenstand aus dem (ii'biiMt- des Schulwesens, läs^r twic I »iscussiou
darüber walten und Beschlüsse fassen, verninunt aus dem Munde (k>
Präsidenten das l'rtheil des Erziehungsratlies über die Arbeiten tür die
(von der Behörde alljährlich j^estellteni Preisaufgaben und die Namen
der mit einem Preise bedachten Veiiasser. Die Verhandlungen der
Synode sind ötfentlich. Dieselben Averden auf Staatskosten gedruckt,
den Mitgliedein der Synode und aller Schuibehörden zugestellt.
Die in einem Bezirk wohnenden Yolksschullehrer und Lehrerionen
hilden das Schulcapitel des Bezirks. Der Besuch der Oapitd»-
Üiyitizcü by GoOglc
— 409 —
v<'i->^amnilimf,'en ist obligatorisch. Ordentlicher Weise vei samnieln sich
die Capitel viermal des Jahres, ausserordentlicher Weise in dring-
liilien Fällen. Sie ernennen sich ihren Vorstand selber, ihnen steht
die Wahl von drei Mitgliedern der Bezirksschulpflege zn, ebenso haben
sie dem Erziehnngsrath ihr Gutachten abzngeben ttber den Lehrplan,
aber EinfiUimng neaer oder wesentliche Abftndemng bestehender Lehr-
Bittd sowie über Gesetze nnd Verordnungen, die der Erziehnngsrath
den CapiteLi im Entwurf m geeigneter Form zur Berathung mittheilt
Hat diese in den einzehien Versammlungen stattgefunden, so wird von
jelem Capitel ein Abgeordneter zu einer Oonferenz bezeichnet, durch
welche das definitive Gutachten abzufassen ist. Von der Wahl seines
Abireonlneten hat das Capitel .sofort dem Präsidenten der Synode
Kenntnis zu geben, welcher unter Mittlieiiiiui; an den Erziehnngsrath
•lie Konferenz bei'uft nnd leitet. Ein Abgeordneter des Erziehungs-
rathes wohnt der Versammlung mit beratln'uder Stimme bei. Im
Femeren suchen die Capitel die Fortbildung ihrer Mitglieder zu er-
zielen durch:
a. Lehriibungen;
b. durch Vorträge und Besprechung Aber Gegenstände des
Schulwesens und verwandte Gebiete;
c durch allf. Emgaben an die Staatsbehörden oder;Antrftge an
die Synode;
d. durch Verbreitung guter Schnlschriften.
Der Vorstand eines Kapitels ver&sst alljährlich fiber dessen Gang
emen Bericht» welcher bis spätestens Ende Jannar dem Erziehungsrath
emunreichen ist Aus den sämmtlichen elf Berichten yerflust der
Vorstand der Synode einen kurzen Generalbericht zu Händen des
Erziehungsrathes und der Schulsynode.
Jedes Jabr vor Ende März versammeln sich auf Einladnnsf und
unter dem Vorsitz des Synodal Präsidenten die Capitelspräsideuleu
zu einer Conferenz, in welcher zur Behandlung kitnimeu:
a. alüallige Erötfnungen des Erzieliungsratlies;
b. gegenseitige Mittheilungen über den Gang der Capitelsver-
handlangen im verflossenen Jahre;
c gemeinschaftliche Beratliung über besonders geeignete Ver-
handlungsgegenstände für das bevorstehende Schuljahr;
d. gutachtlicher Antrag an den Erziehungsrath rücksichtlich
der Stellung der Preisaufgabe fUr Volksschullehrer;
e. allfällige Vorschläge nnd Aufschlttsse an den Erziehnngsrath.
Bas Protokoll dieser Verhandlungen ist dem Erziehungsrath zuzu-
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stellen. Nadi Heliandiuiig der ausg-esproclieiien Vorscliläg-e macljl der
Kizicliiuifisiatli beim Beginn des neuen Schuljahres den Capiteln die
Uütliigen Mittheiliiiigen.
Jedes Capitel hat eine Bibliothek und erhält zur Anschaffung von.
Büchern in dieselbe alljährlich einen Staatsbeitrag von 60 Franken.
Aus dem Gesairten f-rp-ibt gich, dass die Volksschullehrer de»
Kantons Zürich sich eines schönen Stücks Selfgovernnient
erfreuen; Massregelun^n von oben haben da keinen Platz. Die Schule
marschirt dabei vortrefiflich, wie vir gleich sehen werden. Auch da
gelte: Maeh's nach!
IV.
Der Kanton Zürich hat folgende Schulanstalten:
1. Die allgemeine Volksschule: Primär- und Secundar-
schule; Fortbildungsschule;
2. das Gymnasium und die Industrieschule in Zürich;
3. eine Hochschule in Zürich;
4. ein Lehrerseminar in Eflssnacbt;
5. eine Thierarzneischule in Zürich;
6. eine landwirtschaftliche Schule bei Zürich;
7. ein Technicum in Winterthnr.
8. Die Stadt Winterthnr unterhält, subyentionirt vom Staate
ein Gymnasium, eine Industrieschule und eine obere
Mädchen schule; die Stadt Zürich, ebenfalls mit Staats-
nnterstützunof, eine höhere Mädchenschule und ein Leh»
rerinnenscininar.
Für diese Anstalten, d. Ii. tiir das gesainiiitt* Ki zit'lninsfswesen des Kan-
tons sind im Jahre 1880 ans Staatsmitteln - die Opfer von Ge-
meiiiden und Privaten nielit inbegrifleu - - Fi k. 1 1)(K>0C)0 aufgewendet
worden, was aller Staatsausgaben ausmacht*) Weitaus der
grösste Theil fällt auf die Volksschule.
Bedächten die andem Staaten die Schule, d. Ii. vorzugsweise die
Volksschule, in gleichem Yeihältnisse, so müssten dafür aufwenden:
1. Das Königreich Preussen 162 Hill. Frk. = 130 MilLMark.
2. Das Eaiserthum Österreich 224 „ „ =179 „ „
3. Frankreich 180 „ „ =144 „ „
4. Italien 168 „ „ = 134 „
5. Spanien 97 „ „ = 77 „
*) Die flSmmtlichen StaataauBgabeii Zttriehs besUfem sich anf Frk. 5700000^
di^enigen Sachsen-Weimars (310000 Emwohoer) betrageD Frk. 8412fi00.
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411 —
6. Sachsen- Weimar 1,85 MüL Frk. = 1,48 MÜL Mark.
7. Das Grossherzof,''thum Baden 9,42 „ „ = 6,62 „ „
8. Das Königreich Württemberg 11,82 „ „ =9,4 „ „
Was nicht ist, kaim werden. „Einstens wird die Zeit kommen,^
meint Diesterweg, „in der man die Schwerter in Sicheln verwan-
deln wird, d. h. eine Zeit, welche allen den Millionen, die jetzt
auf Krieg nnd Kriegsmaterial verwandt werden, die Be-
stimmung geben wird, die Bildung des Menscken znm Men-
schen zn befördern, nnd wo die Ersten der Nationen, statt die
Casernen vorzugsweise zu lieben, es ihre höchste Sorge werden sein
lassen, dass die Menschen aufliören, mit Worten ihre Nächsttin zu
lieben, um es dann mit der That zu thun."
V.
Die Primarschule des Kantons' Zürich zerfällt in zwei Stufen,
in die Alltagsschnle für die Kinder vom 6. bis 12. Jahre, und in
die Ergänzungsschule für die vom 12. bis 15. Jahre.
Der Besuch der Alltagsschule ist obligatorisch und unentgeltlich.
Ein Kind wird schulpflichtig im Frühling des Jahres, in dem es bis
30. April das secliste Lebensjahr zurückgelegt hat. Es findet im Jahre
nur eine einmalige Anfhahme, im Frühjahr, als dem Beginn des Schul-
jahres, statt
Von den 34000 Kindern des Kantons im Alter von 6 bis 12
Jahren haben im Jahre 1880: 33410 die obligatorische öffentliche
Alltagsprimarscliule besucht, d. L alle Kinder von Beich nnd Arm,
Vornehm nnd G^ering, mit verschwindend kleiner Ansnahme.*)
Es gibt eben keine Vorschulen für Gymnasien etc. Alle diese
höheren Anstalten dürfen die Schüler erst nach dem Anstritt aus
der Alltagsprimarscliule, also erst nach zurückgelegtem 1:^. Lebens-
jahre aufnehmen. Seit ön Jahren fiihrt der Kanton Züricli dabei vor-
trefflich, zum siclitliclien Gewinn der gesannnten Erziehung wie der
unteren und oberen Schulen. Darin liegt die Erfüllung der Eorderung,
die Comeuius schon vor mehr als 200 Jahi-en aufgestellt: „Ziel und
*j I»ie weiiii^eii Privatsc Imkii . die ihr«' P'xistenz auf eine von Staatsschule und
Staatskirche abweicliemle rt'lii^ii>.<e Lehensansclianunf? zurückführen i in Zürich, Winter-
thur, Unterstrasä, Horgeu, Wädeusweil und Uster), zählen nur 503 alltagsschulptlich-
tige Kfaider nnter 12 Lebmn. Ihnen dioit tm Lehrerseminar in Unterstrass bei
ZBrieh. Diese Piiyatschulen stehen unter der nftmlichen staatlichen Aufticht wie die
MmtKcben, und es smd ihnen die nftmlichen Lehiziele voijg^hrieben. Einige eigent-
Me nivatüistitnte beherbergen 854 Kinder dieses Alters.
Üiyitizcü by GoOglc
Umfang- der Volksscliulo wird sein, dass die o:esaminte Jugend vom
sech-steii bis zwüll'teu Jahre in dem unterrichtet wird, dessen Ver-
wendung sich auf das ganze Leben erstreckt. Nicht die Kinder der
Reichen allein oder die der Vornehmen, sondern alle in gleicher
Weise, Adlige nnd Bürgerliche, Reiche und Anne, Knaben und Mäd-
chen, in grossen nnd kleinen Städten, in Flecken und Dörfern sind
zur Sdinle heranznzieben. Ich füge hinzn, dass die gesammte
Jagend zuerst der Volksschule zu Überweisen ist Denn ich be-
absichtige eine allgemeine Bildung aUer, welche als Menschen geboren
sind, zu allem, was menschlich ist Sie mfissen daher zusammen ge-
bildet werden, soweit sie zusammen gebildet werden kOnnen, damit
sich alle gegenseitig anregen, beleben, anstacheln. Ich will, dass alle
zn allen Tugenden gebildet werden, auch zur Bescheidenheit, Ein-
tracht und gegenseitiger Dienstfertigkeit. Daher dürfen sie nicht so
fi*üh von rillander getrennt werden, auch darf man einer trewisseii
Anzahl nicht (i deji-enheit geben, vor den andern wolgefällijr
auf sich zu sehen und jene veräclitlich zu betrachten. Audi
sind nicht ausscliHcsslicli die Kinder der Reichen, des Adels, der hohen
Beamten zu ähnliclien A\'ürden geboren. Der Wind weht, wohin er
will, und nicht immer beginnt er ziu* bostimmten Zeit zu wehen."
Wie fleissig die 33410 Kinder diese AUtagsschule im Jahr
1880/81 besncht hab^, ergibt sich daraus, dass auf den einzebken
Schiller nur zwölf Absenzen, d. h. Halbtagsabwesenheiten kommen. Ab-
haltnngen durch Krankheiten inbegriffen. Nicht genügend gerecht-
fertigte Abwesenheiten kommen auf den einzelnen Schüler nur
0,7 Halbtage.
Die Ergänznngsschule ist keine Alltagsschule; es sind ihr
blos acht wöchentliche Unterrichtsstunden, auf zwei Halbtage Terthdlt,
eingeräumt
Bir Besuch ist ebenfalls obligatorisch fllr diejenigen, die nicht
eine ihr parallel gehende Schule frequentiren. Ungefähr 70** aller
Schüler gehen in die Krgänzungsschule über. Für beide Stufen
der Pnmarschule besteht ein sehr detaillirter staatlicher Lehrplau.
Sämmtliche Lehrmittel s.iud obligatorisch vorgeschrieben und werden
im ÖtaatsN erlag erstellt.
Die gesammte Jugend des Kantons ist vom 15. bis IH. Jaluv
zum Besuche der Singschule mit wöchentlich 1 Stunde verpHichtet.
Dieses Institut ist zur Förderung des Volks- und Kirchengesanges ein-
geführt worden, gilt aber vielfach fiii' das fünfte Rad am Wagen.
Der of&cielle Bericht stimmt fiir dieses Institut so ziemlich den
Üiyitizcü by GoOglc
413 —
Gnbgesang an: ,J>ie Singschule ist immer ein in seiner Existenz-
berechtigimg angefochtenes Institut. Bei einer Beorganisation der
Primarsehole sollte die8ell>e als besondere Sclinlstnfe aufgehoben und
der betr^ende Unterricht den obersten Classen der Volksschule zu-
gewiesen werden. Die Schwierigkeiten in der Führung der von den
Steigen Schulabtheilungen abgetrennten Singschnle häufen sich. Immer-
Mn gibt es Stimmen, die ihr immer noch ihre Anerkennung zollen.**
Die amtlichen Berichte über den Stand der Primarschule, so-
eben vom Erziehungsratli aiisgcm'lx'ii, luiitt'ii im allgemeinen sehr
günstig: „Die Zahl der als unoeniifrend bezeichneten Alltagsschu-
len nimmt stetig ab. 1H80 18S1 lictru^r sie nur noch 0,5" Nicht
in dem Masse befriedigend ist das Resultat der Ergänzungsschule
mit ilireii aclit wöchentlichen Stunden.
Der amtliche Bericht sagt: ,.Die Ergäuzungsscliule leidet au
denselben Mängeln, die ihr schon bisher anhafteten, und das Klagelied
fiber ungenügende Unterrichtszeit und voluminöse Lehrmittel, über
schwaches oder durch das Leben bereits hart mitgenommenes Schttler-
mstenal und dne zu grosse Zahl von Unterrichtsfächern ertönt in
alten und neuen YariationaL"
„Der Stand der Ergftnzungsschule kann gleichwol in 'Anbetracht
der Umstände im Ganzen nicht als unbefriedigend bezeichnet
wo^en, da die Lehrer mehr und mehr sich zu helfen und den Untere
richtsstoff den Verhältnissen gemäss zu beschränken, beziehungsweise
dem Fassungsvermögen der Schüler anzupassen wissen. Die einzige
Abhilfe könne die Erweiterung der obligatorischen Schulzeit,
beziehungsweise die Ausdehnung des täglichen Unterrichts auf
ein gereilteres Altei- bringen. iSämnitliclie Berichte tretfen sicli in
(luseni Punkte mit seltener rbereinstimmung. Die Xothweuili-keit
einer Verlängerung des Primarschulobligatoriuins bildet das
(irundthema der Berichte aus allen Landesgegenden/'
Gemäss dieser Initiative der unteren und oberen Schulbehörden ist
bereits ein Gesetzentwurf ausgearbeitet für die Erweiterung der obli-
gatorischen Alltagsschule um ein siebentes und achtes Scbu^ahr. £g
wird derselbe bald der Volksabstimmung unterbreitet werden.
Folgende Stellen aus dem Berichte mögen hier noch Platz finden:
»Der Gebrauch der Schiefertafel ist in einigen Schulen, auch
in den Elementarschulclassen, bereits preisgegeben und ausschliess-
licher Gebrauch von Bleistift, Feder und Tinte durchgeführt, in der
Mehrzahl der andern ist derselbe auf das erste bis dritte Schu^ahr
eingeschränkt'*
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„Die Zahl der Gemeinden, welche ihren Primarscliiiiern die Lt-lir-
niittel oder weniiirstens die Schreilmiaterialien unent «reltlich veiab-
reichen und die liezii-rlichen Ausgaben ans der Schulcasse Itestniien.
ist in den nieisrcn l^ezirkeii im lanusanieii W achsen begritien. Im
weiteren werden als freiwillige Leistunyfeii !_M>nannt: Eröttnung »ler
Separatfonds für Schulzwecke, der Jugeudbibliotheken und natiu-
geschichtlichen Sammlungen, Unterstützung von Bewahranstalten. Kin-
dergärten und Fortbildungsschulen, einzelne Legate und Schenkimgen,
freiwillige Stenern zur Erleichtemng eines bevoi'stehenden Schsl-
hansbanes.^
Die von den Gemeinden seit 4 — 5 Decennien zusammengelegten
Primarschulfonds betragen ca. 6V9 MiUionen Franken.
Die höhere Stufe der Volksschule ist die Secundar schule.
Sie ist eine Alltagsschule für die Jugend vom 12. bis 15. Jahre. Der
Kanton zählt deren 85. Etwa 30*^/o der Alltagsprimarschfiler gehen
in die Secnndarschule ttber. Knaben und Mädchen sitzen auf densel-
ben Banken, mit Ausnahme der Schulen von Zürich und Winterthur
mit ihrer grossen Schülerzahl. Von Unzuküunnliehkeiten um dieser
Mischung willen hat man nie etwas gehört. Ihr Besuch ist unentgelt-
lich. Ärnieien Schülern werden nicht nur die Lehrmittel gratis ver-
abfolgt, sondern überdies noch Geldbeiträge zur Erleichterung des
Besuchs ertheilt; 1880 \ om Staat Frk. 14ÜÜÜ; von den Gemeinden
wol auch eine schöne Summe.
In der Secundar seh nie tritt neben den gewöhnlichen Unter-
richtsfächern der fremdsprachliche Ilntt riicht auf. Derjenige in der
französischen Sprache ist obligatorisch, der in der englischen, welcher
in den meisten Schulen vorkommt, facultativ. In einer kleineren Zahl
wird auch die italienische und lateinische Sprache gelehrt
Auch für diese Schule sind die Lehrmittel obligatorisch und der
Unterrichtsgang ist durch einen staatlichen Lehrplan von Classe zu
Classe geordnet. Die amtlichen Zeugnisse vom Jahre 1880 über diese
Schulstufe kuten n. a.:
,,Die Belichte der Bezirksschulpflegen geben auch f&r das
abgelaufene Triennium ihrer unget heilten Freude Ausdruck
über die Opferwilligkeit des Volkes, welche trotz der l'ugunst
der Zeitverhältnisse dem freiwilligen Institut der Secundarschuleu mit
immer steigender Theilnaliine entgegenkommt."
„Die gesanimte Lehrerschaft erhält ein durchaus gün stires
Zeugnis, und es ist keine Secnndarschule in ihi*er Totaileistung aU
ungenügend bezeichnet worden."
Üiyitizcü by GoOglc
— 415 —
Die in kurzen Jahren für diese Schulen dui'ch frei\nllige Lei-
stungen zusiimmengelegten Schulfonds betragen ca. 650000 Fr.
Die Fortbildungsschulen für junge Leute über 15 Jahre alt,
die keinen andern Untmiclit gemessen, sind ganz freiwillige Institute,
meist TOD den Yolksschnliehrem in's Leben gerufen, von den Gemein-
den und dem Staate snbventionirt. Im Jahre 1880 hatte der Kanton
deren 93 mit 2114 Schfilem, darunter 51 Mädchen. Es handelt sich
danuD, den Besuch dieser Schulen f&r die Jugend genannter Katego-
rie obligatorisch zu erklären. Die oben erwähnte Gonferenz von
Abgeordneten der Bezirksschulpflegen, welcher die FortbÜ-
dnngsschulfrage zur Discussion unterbreitet wurde, hat in ihrer Ver-
sammlung vom 28.. Februar 1881 naclüblgende Resolutionen ange-
nommen:
1. Das Obligatorium der Fortbildung'sscluile für die reifere Ju^^end
kann zweckniässiii^er W eise nur in Verbindung mit der Krweiterung
der Primai'schule, bezw. nach Erreichung der letzteren angestrebt
werden.
2. Es ist wünschbar. dass die staatliche Aufsicht über das Insti-
tut der freiwilligen Fortbildungsschule verscliärft werde und dass die
Erziehungsbehörde durch das Mittel der Bezirksschulpflegen eine ein-
heitlichere Organisation dieser Schulen zu erreichen suche, immerhin
unter Berücksichtigung der verschiedenen Bedürfnisse der einzehien
Landesgegenden.
3. Für die Gründung und Unterhaltung von freiwilligen Fortbil-
dungsschulen sollen jeweilen die Gemeinden in erster Linie ihre finan-
zielle Mttheflung zusichern.
4. In den leicht erreichbaren Mittelpunkten einzelner Bezirke ist
auf die Eröttrmn<z: ei<rentlicher Handwerks- oder Berufsschulen für das
reifere Jugendalter liiiizuwirkeii, und es sind diese Institute mit nam-
haften Staatsbeiträgen zu unterstützen und zu teirdein.
5. Bei der Kinrielitnnir freiwilliger Eurtbildungsschulen ist auch
auf die Madcht 11 I? iieksiclit zu nelimen.
Die Eizit'liiinü.-direction und der Krzieliun.irsrath werden nicht
unterlassen, dem (Gegenstände in dem angereihten Sinne bei rler bevor-
stehenden Deratiiung über die Revision des l'iittn ichtsgesetzes weiter
ihre Aufmerksamkeit zu schenken und den obeien Instanzen zu geeig-
neter Zeit ihre Anträge zu hinterbringen.
Die Staatsbeitrfige an die Fortbildungs-, Handwerks- und Ge-
werbeschulen haben in den letzten di-ei Jahren je 15000—16500
Fnnken betragen.
Üiyitizcü by GoOglc
— 416 — '
Anstalten für Kinder unter sechs Jahren: Kindergärten etc.
gab es im Jahre 1880: 48 mit 2450 Kindeni unter 58 Führeriuuen.
An der internationahiu Unterriclitsliga in Brüssel wurde der
Kinderfrarteii von Winterthur mit s»'in(Mii schönen Gebäude und dem
36 Ar grossen Garten als ein Ideal solehei- Anstalten bezeiehnet.
Das staatliche Lehrerseminar (in Küssnacht) schliesst an di«-
Secundarschule an. Es umfasst vier Jahrescurse und zählte 1880:
181 Zöglini^e, daninter 18 weibliche. Es ist kein Convict mit der
Anstalt verbanden. Die ZögUnge wohnen bei Privaten. Im genannten
Jalire wurden an dieselben vom Staate 47 625 Franken an Stipen-
dien vertheüt Die Leistungen der Anstalt werden als vorzüglich an-
erkannt.
Die Gymnasien und Industrieschulen in Zflrich und Winter
thnr hatten 1880 392 Schüler im Alter von 12—15 Jahren, iwiallel
mit der Secundarschule; im Ganzen aber ca. 1500.
Die Hochschale zählte bei 90 Docenten 392 Hörer, die weib-
lichen inbc^iffen.
Das Technicum, an die Secundarschule sich anschliessend,
wij'd von 350 - 4(X) Zöglinacn besuclit.
Die oberen 'I'öchterschuh'n in Zürich und Winterthur.
ebenfalls im Anschluss an die Secunda rscliule. also nur für ^fäd-
chen von iiber lö Jahren, ziililen ca. KH) Zöglinge; (las Lehi'erinueu-
serainar in Zürich weist .ol Schülerinnen auf.
Die Arbeitsschulen für Mädchen, bis zum 12.JaUre obligato-
risch, weitei' hinauf facultativ, entwickeln sich immer besser. Der
amtliche Hericht pro 1880 lässt sich also vernehmen: ^Aus sämmt-
liehen Berichten spricht freudige Anerkennung der allseitigen Be-
mühungen zur Hebung des Arbeitsschulwesens; ebenso einstimmig
-wird der Erwartung Ausdruck verliehen, dass der Arbeitsnnterricht
der Mädchen auch für das Erg&nzungsschulalter durch Gesetz obliga-
torisch erklärt werde. Die Arbeitsschulen in einzelnen Bezirken,
namentlich in Zürich und Winterthur, zeigen bereits ein vom früheren
Znstand wesentlich verschiedenes Bild. An die Stelle der individaellen
Beschftftif^ung der Mädchen in Handarbeiten, wobei der Unterricht in
mehr oder weniger geregelter Weise im Vormachen und Xarhhelfe.u
aufgeht, ist in den meisten Schulen ein stufenweise geordneter L'nter-
richt getreten, der die ganze Classe gleichzeitig in anregende Bethä-
tigung zu setzen weiss.-'
„Das Arbeitslclirerinnenpersonal bringt der Neuerung im allgemei-
nen guten Wülen entgegen und auch ältere Lehrerinnen bestreben
Üiyitizcü by GoOgl(
— 417 —
skh, den gesteigerten Anforderungen gerecht zu werden. Gleich wol
wird es f&r die allgemeine Durchführung der nen^ Methode noth-
vendig werden, dass die Arbeitsachnle künftig nicht mehr in die
Hind der NShterin im Dorfe, sondern unter die Leitung einer wirk-
fiehen Arbeitslehrerin gelegt werde, die ja wol auf dem Lande meh-
rere Schalen zusammen oder getrennt besorgen könnte. Nicht ohne
Schwierigkeiten werden sich die Mütter und Hausfrauen Ton der bis-
lier fast allgemein üblichen Anschauung trennen, dass die Arbeits-
schule in ei"Ster Linie im Dienste des Hauses stelle und etwa auch
die Flickereieii für die Familie zu besorgen habe. Es erhebt sich in
di^se-r Beziehiinir bereits eine warnende Stimme: „Wenn der Arbeits-
scimlunterricht einseitig in den Dienst der Schule gestellt und vom
Hause ab<relüst wird, dann entreisst man Ihuiderten von Fraueu einen
Zweig des Schullebens, an dem sie sich freudig betheiligten. Tausen-
den von armen Müttern ein Mittel, das, der Schule unbeschadet, den
Pamüienbedürfnissen vielfach diente." In der weiteren Entwickelung
des Arbeitsschulunterrichtes ist wol kaam eine gänzliche Missachtung
Ati praktischen Bedürfiiisses zu gewärtigen, so dass die geäusserten
Bedenken einstweilen als unbegründet erscheinen mfissen. Die rich-
tigste Methode wird zwar auch hierin noch nicht gefunden sein, aber
es wäre schon ein grosser Fortschritt erzielt, wenn der Classen-
QDterricht endlich alle sogenannten Luzusarbeiten aus der Arbeits-
schule zu verdrängen vermöchte. Allerdings werden auch etwelche
Opfer, insbesondere die Beschaffung von Hilfe- und Lehrmitteln, noth-
vendig werden, um den Unterricht in der Arbeitsschule gedeihlicher
zu i^estalten; aber da von Staats wegen alljährlich niclit unerheb-
liche Summen für die Bildung von Arbeitslehrerinnen aus-
gegeben werden, ist auch von dm (^cincindcu ein entfregenkomiiien-
(les Verhalten in dieser Kiehtung zu erwarten. Die unmittelbare Auf-
Mfbt der Arbeitsschule liegt in der Hand von Frauen vereinen, die
iiireu freiNviliig übeniommenen l'tlichten im allgemeinen in geeigneter
Weise nachkommen. Ausnahmen von dieser Kegel gibt es indessen
ebenfalls und zwar nach der Richtung hin, dass diese Aufsichtsorgane
etwa des Guten zu viel thun, indem sie der Arbeitslehrerin überall
glauben helfen zu mfissen, oder dann in der Kiehtung, dass sie das
Insdtat allzu sehr sich selbst überlassen. — Die Beschaffhng des
Aibdtsmaterials geschieht in vielen Gemeinden gemeinschaftlich auf
Kosten der Eltern oder der Gemeinde oder unter theilweiser Mitwir-
Itung der Schulcasse für die ärmeren Schülerinnen.
nBine Anzahl Gemeinden (Zürich, Niederster, Töss u. a.) haben
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— 418 —
freiwillige Arbeitsscliulen liir die Erfränziiii^rsschfllerinnen eniclitet und
der Besucli ist einstwcileu als ein belriedii^'-ender zu bezeichnen."
„Die Arbeit sscliu 11 iaf,'-e bildete im Berichtsjahre Gegenstand mehr-
facher Beschlüsse und Berathungen im Schosse der Schulbehörden.
Einmal wurden die Bezirksschulpflegen Zürich und Winterthur, welche
die Inspection ihrer Arbeitsschulen vorübergehend in die Hand weib-
licher Experten zu legen wünschten, mit den nöthigen Competenzen
hierfür ansgerOstet. Ferner legte die Erziehnngsdirection dem Ende-
hnngsrathe einen Plan vor für einheitlichere methodische Gestaltung
desArbeitsschnlunterrichts und successive Instmetion der Lehrerinnen,
dessen Ansfühmng nunmehr bereits im Gange ist Endlieh fand auch
eine einlässMche Besprechung übw die Frage der Erweiterung des
Obligatorioms in der Oonferenz des Erziehnngsrathes mit Abgeordne-
ten der Bezirksschulpflegeu statt, welche zu nachfolgenden Resolntio-
uen tu Inte:
a. Die Ausdehnung des Obligatoriums der Arbeitsschule für die
ergänzungsschulpflichtigen Mädchen wird als allgemein ge-
fühltes Bedürfnis bezeiclmet.
b. Bei Anliaiidnalime der gesetzlichen Kegulinmg dieser Frage
ist mit Rücksicht auf die projectirte achtclassige Primarschale
die Erweiterung um zwei Jahrescurse mit reducirter Stunden-
zahl in den untersten CUssen anzustreben."
„Die Erziehnngsdirection gedenkt nach Beendigung der diesjähri-
gen Arbeitslehrerinnencnrse in den Bezirken einzelne Yerfaältnisse der
Arbeitsschulen auf einheitliche Art unter Genehmi^ng des Regiemngs-
rathes zu ordnen und namentlich auch durch Einrichtung besonderer
Curse Vorsorge zu tretfen, dass das Arbeitslehrerinnenpersonal sich
immer mehr aus besonders hiei-fiir vorbereiteten Personen erneuere.
Ebenso werden die vorberatlieiiden Behörden zu iiinen geeiüiiet schei-
nender Zeit den oberen Instanzen eine Gesetzesvorlage über dasAi'beits-
schul Wesen unterbreiten."
Diese Anstalten, '^35 an der Zahl mit 391 Lehrerinnen, sind im
Jahre 1880 von lOöO.'i Mädchen besucht worden.
Die Besoldung der Arbeitslehrerinnen ist in den Städten aus-
reichend, 1200—1300 Mark, Frk, 1000—1700, auf der Landschaft per
Stunde jährlich ca. Frs. 50.
VI.
Die Besoldung der Primarlehrer ist durch Volksbeschluss
also festgesetzt:
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— 419 —
„Das Minimum derselben beträgt Frk. 120(.) iliGO Mark) nebst
Wohnnnir, zwei Klafter oder sechs Ster Holz und ^/a Jiichart
(18 Ar) Gemüseland. Wo diese Naturalleistungen von der Gemeinde
ans irgend einem Grunde nicht verabreicht werden können, sind die-
fldben durch eine Baarsumnie anszogleichen. Die Höhe derselben setzt
die Bezirksschnipflege fest Von der Baarhesoldnng von Frk. 1200
flbemimmt der Staat zuerst die eine Hälfte, an die andere Hälfte
trftgt er nach Uassgabe des Steuerfnsses der Gemeinde und der fOr
diese Ausgabe verwendbaren Zinse des Schnlfonds bei. Keine Ge-
meinde soll dabei leer ausgehen, aber auch keine soll den vollen Be-
trag der zweiten Hälfte erhalten.
Der Staat gewährt überdies den Lehrern für das sechste bis
zelmte Dienstjalir Frk. 100, tiir das elfte bis fruilzihnte Frk. 200,
für das sechszehnte bis zwanzi(>-ste Frk. 300 und für mehr als zwan-
zig Dienstjahre Frk. 400 jährliclie Yaüivj:*^- >^om\t erliält der Lehrer
an der kleinsten Dorfschule als AnfangsbesDldunsj: mindestens Frk. 1 500
(12( jO Mark), die Naturalleist untren inbegritfen ; nach 20 Jahren Dienst
mindestens Frk. 1900 oder 1520 ^Mark. Ja, der ßefrierun.c:.srath ist
befugt, um öfterem Lehrerwechsel vorzubeugen, die Besoldung der Leh-
rer an einzelnen abgelegenen Schulen aus Staatsmitteln um Frk. 300
fiber den Nonnalsatz zu erhöhen.
Nur eine kleine Zahl von Gemeinden lässt die Lehrer bei
der durch das Ge^tz vorgeschriebenen Minimalbesoldung stehen. Die
ttberwiegende Zahl zu Stadt und Land fügt aus eigenen Mittehi nam-
hafte Zulagen hinzu, Frk. 100 bis 1000. Wenn die Oemeinde das
thut, so betheiligt sich der Staat auch an dieser Mehrausgabe. So
betrügt die Durchschnittsbesoldung der zfircherischen Primarlehrer
Frk. 2000 oder 1600 Mark; in äm grosseren Ortschaften bedeutend
mehr. Winterthur bezahlt als Anfangsbesoldnng Frk. 2700, legt von
fünf zu fünf Jahren wie der Staat je Frk. 100 hinzu, so dass nach
20 Dienstjahren das Salair Frk. 85(M) oder 28CK) Mark beträ-rt. So
auch in Ziiricli und andern Orten, ('berdies ist wol zu beach-
ten, dass in einer (Teincindc die Besoldung aller Primar-
lehrer dieselbe ist, stelle ein solelier an einer unteren oder
an einer oberen Classe. Alle sind in Besoldung, üaug, ^Stellung,
Ansehen, in Rechten und Pflichten gleich. Da sucht man umsonst
Unter-, Mittel- und Oberlehrer mit einer diesen Titeln entsprechenden
Besoldungsscala. In Gemeinden mit vielgetheilten Schulen, wo die
Lehrerschaft das Recht der Stellvertretung in der Pflege durch Dele-
girte ansftbt, bei Besetzung amtlicher Stellen kennt man keine Oberen
Üiyitizcü by GoOglc
— -^20 —
und Unteren, keine besser und minder Bezahlten. Daher bleibt unserer
Schule ein Heer von Übelstiinden fern, sammt der ewigen
Jaj?d von unteren Classen nach oberen, die anderswo die Schule
coiitinuirlich schädigen. Jeder T.ehrei- kann unbeschadet seiner äusseren
Existenz an der Stelle bleiben, die seiner Neigun^^ und Be-
fähigung am besten zusagt. Es kann auch nicht die gewiss ver-
kehrte Meinung aufkommen, der Unterricht an den Elementar-
classen sei minder wichtig and schwierig als derjenige an den oberen,
wShrend gerade der Lehrer der Kleinsten, den weniger der Lehrstoff
mehr etwa die Methode geistig anregt, der aber ein tiefes Verstftod-
nis für die Eindesnator und deren Entwickeliing besitzen und warmes
Interesse daran nehmen mnss, eines nicht geringen geistigen Fonds
bedarf, wenn er immer frisch, heiter, Jnng, lebendig, mit einem Wort
ein guter Lehrer f&r die Jttngsten bleiben wül, was yon allererster
Wichtigkeit ist, da von der Omndlage der Fortban abhängt.
Diese Organisation erweist sich fort und fort als eine sehr
segensreiche.
Die Stellung der Primarlelirerinnen im Kanton Zürich ist wol
ein Unicum, aber kein schlimmes. Zunächst machen sie denselben Bil-
dungsgang und zum Theil auf denselben Schul])änken durch wie die
Lehrer; bestehen mit und unter ihnen gemeinsam die nämliclie Staats-
prüfung und immer mit Ehren. Dass die Anforderungen nicht gering
sind, beweist der Unterrichtsplan der Bildungsanstalt lür Lehrer und
Lehrerinnen. Auch die letzteren haben z. B. im mathematischeD
Unterricht als Stoff
im 3. Jahre: a. Exponential- und logarithmische Reihen znr theore-
tischen nnd praktischen Kenntnis der Logarithmen.
b. Die trigonometrischen Reihen und complexen Zahlen.
c. Die Stereometrie nnd Ranmtiigonometrie.
d. Die Anfänge der darsteUenden G^metrie. Bech-
nungsan^ben aus der physischen und mathemati-
schen Geographie.
im 4, Jahre: a. Die hauptsächlichsten Eigenschaften der höheren
Gleichungen. Speciell die Auflösung der cubisclien
(■rleichun^en.
b. ('ix'niinatengeometrie der Linien des ersten und
zweiten Grades.
c. Fortsetzung der llbungen aus der dai^stelleiidea
Geometrie. Anwendung auf mathematische Geogra-
phie und Himmelskunde. Praktische Geometrie,
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— 421 —
Plan-Aofiaahme und Zeichnung. Solche Übungen
können auch schon vor der 4 Classe yorgenom-
men werden.
Überdies sind In jeder Glasse theoretische und praktische An-
wendongen mit dem ünterricht zu verbinden. In den flbrigen Disdplir
BSD wird dieselbe Ausdehnung und Vertiefung gehandhabt. Ausser
den sdbstverständlichen Unterrichtsftchem werden drei fremde Spra-
ehen gelehrt: die französische durch alle viei* Jahresclassen, die eng-
Bsche durch die drei ersten, die lateinische durch die zwei ersten.
L'^r Besuch des französlsclien Unten'ichts ist obligatorLscli, der der
beiden andern Sprachen facultativ.
Das alles haben die weiblichen Zöj^linge mitzumachen wie
die männlichen. Und was sagen dazu diejenijüfen, die in der Ijiigi^
waren, ilen Gang der Dinge beobachten zu können, die Seminarlehrer
and die Mitglieder der Aufsichtscommission?
Im amtlichen Bericht über das Seminar vom Jahre 1876 lesen wir:
„Weibliche Zöglinge waren am Ende des Cursus 20. Das Zusam-
mensein von Zöglingen beiderlei Geschlechter in der Anstalt zeigte
keinerlei Nachtheile; der Emst der Arbeit und die Prosa des tftg-
liehen Verkehrs boten das Gogttigewicht gegen Trftumerdoi oder Aus-
sehreitangen und hatten eine dttigende Wirkung, so dass die Direction
bedauern würde, wenn die Errichtung der weiblichen Semi*
aarien die Folge hfttte, dass das Seminar inKfissnacht seine weib-
lichen Zöglinge verlöre.
Im Bericht von 1877 heisst es: „Die Absenzen berechtigen nicht
dazu, die Widerstandskraft der weiblichen Zöglinge gegen schädliche
Eiullüs^e als geringer zu taxiren, als diejenige der männlichen."
In demjenigen von 1878 findet sich folgende Stelle: ,,ln der
Mathematik wurde nunmelir zum «Tstennial der neue Lehrphm durch-
geführt. Es ist damit der Beweis geleistet, dass den Anforderungen
tlesselben in allen Filchern ein Genüge geliefert werden kann, und es
ist dieser Beweis wol ein vollgiitiger, da die erstmalige Durch-
fiihruug eines Lehrplanes je weilen die grössten Schwierigkeiten bietet
and in diesem Falle noch erschwert worden war durch eine stark bevöl-
kerte Classe (40 Zöglinge), die im ersten Ours in zwei Parallelabthei-
loagea getheilt gewesen und hierauf zosammengezogen worden waren."
Also auch da sind die weiblichen Zöglinge nicht zurück und
stecken geblieben. Ja wir haben von Seminaristen und Seminaristin-
nen gehört, dass die letzteren sich gar nicht neben den ersteren zu
sehimen hatten, was auch die Resultate der Patentpräfiing bestätigten«
Padagsgioia. «. Jalttf . H«ft VIL 28
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— 422 —
In der Verwendung der Lehrerinnen für die verschiedenen Schiü-
stufea besteht nicht die geringste Beschränkung. Sie unterrichten an
Classen mit 6jährigen, "wie an Classen mit 14- und löjährigen
Knaben nnd Mädchen. Überall haben sie sich ihrer Aufgabe voll-
kommen gewachsen nnd den Lehrern ebenbürtig gezeigt Unter Um*
ständen leiten sie gemischte SingchGre Erwachsener, wie anch Fort-
büdnngsschnlen fDr die Jngend vom 15. Alter^^'^ ^ amtlichen
Zeugnisse Ober ihre Wirksamkeit lauten dnrdiwegs sehr gfinstig. „Sie
zeichneten sich bei der Staatsprfiftmg*', heisst es in einem soldien,
„ganz besonders dnrch tflchtige Leistungen ans nnd legten anfb nene
den Beweis ab, dass sie, was Leistungsfähigkeit nnd Wissen betrifft,
ihren männlichen Collegen vollständig ebenbürtig sind. Dass dies auch
in der Schuh; der >'all ist, haben die gemachten Erfahrungen dar-
gethan." Uns ist daher jener Eifer, der sich seiner Zeit in einer
Lehrerversammlung zu Hamburg gegen die Verwendung von weib-
lichen Lehrkräften so laut kundgetban hat, völlig unverständlich und
unbegreiflich.
Da man den Lehrerinnen ganz die gleichen Lasten auflegt wie
den Lehrern, werden sie anch ganz gleich wie diese bezahlt. Die frei-
willigen Besoldungszulagen von Seite der Gemeinden werden den Lehr
rerinnen mit gleicher Bereitwilligkeit gewährt wie d^ Lehrern. Man
bezahlt eben die Leistung^ Gleiche Pflichten , gieiehe Rechte. In
unserer Demokratie ist die Ansicht, als ob das weihliche G^eschlecht
fOr wissenschaftliche Bem&arten im Wesentlichen nunder hefiOugt sei
als das männliche, so ziemlich abgethan. Im Jahre 1873 sanetio*
nirte das Volk mit grosser Hehrheit die Gesetzesbestim-
mung, welche dem weiblichen Geschlecht den Zugang znm
Hochschulstudium ebnete. Die regierungsräthliche Weisung, die
dem Gesetzentwurf beigegeben war, sagt :
„In der demokratischen Republik wird niemals aus dem Auge zu
verlieren sein, dass eine der Grundbedingungen des Gedeihens auf der
allmählichen Ausgleichung der geistigen und moralischen Besitzthünier
beruht, so zwar, dass die Wege zur höheren Stufe der Erkenntnis
jedem Talent leicht zugänglich sein sollen. Vom Standpunkt einer
humanen und w ahrhaft liberalen Zeitanschaunng ans ist gegen das
Studium der Frauen an sich nichts einzuwenden; es ist ntfr darauf
Bedacht zu nehmen, dass weibliche Studirende weder zu jung, noch
zn wenig yorbereitet erscheinen, am mit rechtem Nntzen dem Hoch-
schulnnterricht folgen zn können.**
Auch die Docenten an der Universität halten eine andere Art
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— 423 —
Ansbildang nicht Ar nöthig, selbst nicht bei Disciplinen, die eine
«tehe am ehesten rechtfertigen konnten. £in vor mir liegendes Zeng-
ais des akademischen Senates von Zflrieh lantet: „Die Anwesenheit
Ast weibUchen Stndirenden in den theoretischen nnd praktischen Cor-
m gab m keinerlei Störungen Veranlassung. Die Vortrftge und
Demonstrationen werden ohne BQcksicht anf die anwesenden Damen
gehalten nnd auch bei den anatomischen Übangen nnd den klinlsehen
Torweisimgen wird der Lehrstoff so behandelt, wie wenn nnr mflnn-
Uche Zahörer anwesend wären. Trotzdem hat sich nie ein Austaud
«geben."
(Sehhut fSDigt.)
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«
Wiener Geschieliteii.
Von Dr, J?yiedrich Dittea,
m
^ och elie ich auf meine Erklärungen vom 1. Februar irgend
eine Antwort erhielt, ereijjnete sich ein Zwischenfall, welcher die
ohnehin verwickelte Situation noch mehr verwirrte. Am 14. Februar
zur Mittagszeit bekam ich eine Zusclirift folgenden Wortlautes:
„Ew. HodnvolgeboronI Aus ganz verUls^Hcher Quelle wird mir die Kunde,
dass im Kivi.se der Zü^liDge des stiidt. Lelirer-Padagogiuius Unt^'rscliriften fiir
eine Petition gesammelt werden, in welcher den von mir an der genannten
Anstalt gehaltenen Vorträgen aus Deutsch, Logik, Psychologie und Pädagogik
»jene Tiefe und wineneehaflliehe OribidiicUceit" aberkannt ^d, „die der
wurde einer Hochadrale entspricht*'. — Schfller atoo sitEen fiber den wiseen-
eehafUichen Wert der Leistungen ihres Lehrers zu Gericht, — gewiss ein
Ünicum! In Folge dieses Schrittes, welchen ich in gebührender W^eise
zu beleuchten mir erspare, bin ich fest entschlossen, den Unterricht am stiidt.
T.ehrpr-Püdarrogium sofoit abzubrechen und denselben nur dann wiedp!- aiifzn-
nehnien, wenn mir völlige iTcnugthunng tür die ])er8önliche Beleidigung ge-
worden, welche in dieser anniassenden Haltung eines Theiles der Hörerschaft
für mich liegt. Hiervon habe ich die löbliche Aufsichts-Commission bereits
TerttKndigt Indem ich Ew. Hochwdgeboren von diesem Schritte Hittheüimg
mache, bin ich Ihr gehorsamer Diener Prof Dr. J. Pommer. Wien 13/2. 81.'^
Das war mir eine seltsame Botschaft, und icli wnsste nicht, was
ich von ihr denken sollte. Ich hidt die Ennde, aof welche sich
Dr. Pommer berief, fftr ein Iklsches G«rücht nnd machte mich sofort
auf den Weg, mn ihn aufzusuchen, über den Sachverhalt zu befragten
und wo möglich von der Ausführung seines Vorhabens abzuhalten.
In seiner Wohnung erfuhr ich von einem Dienstboten, der Herr Pro-
fessor sei sammt Frau ausgegangen. Ich gab meine Visitkarte ab,
trug der Maird Knipfehlungen auf und fügte bei, sie möge dem Herrn
Pr(tf»'ssor sagen, dass ich ihn gern recht bald sprechen möchte. Aber
Dr. Pommer Hess sich nicht sehen, obgleich er recht wol die Zeit zu
einem dringenden Gange hätte finden können. An seinem (Tymnasium
waren gerade Ferien, nnd bezüglich des Pädagogiums hatte er sich
in den letzten Tagen wegen Erkrankung eines Kindes entschoidigt.
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— 425 . —
Als ich ins Pädagogimn zurückgekehrt war, erfahr ich bald, dass
Herr Dr. Pommer einer ordnungsmässigen Schlichtung der Sache
bereits vorgegriffen hatte. Wie gewöhnlich (es war ein Montag) er-
schienen gegen 5 Uhr die ersten Zöglinge nnd Hörer, nnd als ich
^iesdben ins Directionazimmer kommen liesSi wnssten sie bereits, um
was es sich handle. Dr. Pommer hatte nämlidi nicht nur der Com-
nission, sondern aach der Hörerschaft in m^eren gleichlautenden
Briefen wörtlich dasselbe geschrieben wie mir, nnd so war der Vor&U
bald in allen Chissen bekannt. Als ich nun der Sache nachforschte,
erfuhr ich, dass allerdings ein grosser Theil der Zöglinge and Hörer,
namentlich diejenigen, welche an den von Dr. Pommer supplirten
Fächern ein besonderes Interesse hatten, im Hinblick auf das mit dem
ersten Semester zu Ende gehende Provisuriimi übereingekommen waren,
eine Petition an die Aufsichtscomiiiission zu richten, damit endlich die
vaciinte Lehrerstelle, deren bisheri^^c Supplirung mangelhaft gewesen
sei, definitiv, und zwar mit einer tüchtigen Lehrkraft besetzt werde.
Die Befragten versicherten, es habe den Gesuchstelleni lediglich der
Fortbestand und das Gedeihen der Anstalt am Herzen gelegen, sie
hätten aber keineswegs beabsichtigt, Herrn Dr. Pommer (dessen Namen
sie äbrigens nicht genannt) zu beleidigen. Die Anführungen desselben
seien auch nicht der wahre Wortlaut der Petition, in welcher z. 6.
von der „Wfirde einer Hochschule" nichts vorkomme. Aber die Sup-
idirong sd thatsächlieh eine sehr mangelhafte gewesen) so dass in
den beti«ffenden F&chem kein planmässiger und befriedigender Fort-
sebritt stattgefunden, und in Folge dessen auch die Frequenz gelitten
habe. Wenn auch im zweiten Semester keine Änderung ehitreten
sollte, so wttrde die ganze Anstalt grossen Schaden leiden, und dies
zu verhüten, sei der einzige Zweck der Petition, deren Inhalt, sofern
«r sich auf Herrn Prof. Pommer beziehe, die Unterzeichner durch zahl-
reiche und triftige Belege vor jedermann zu vertreten bereit seien.
Das Schriftstück selbst konnten mir die Befragten nicht vorlegen, da
es ausser dem Hause zur Unterschrift circulirte.' (Den Woi'tlaut des-
selben lernte icli einige Tage später kennen, als es in einer Comraissions-
sitzung auf dem ßathhause verlesen wurde.) Ich sagte ilinen, da sich
Dr. Pommer, wie aus seinem Briefe hervorgehe, durch die Petition
beleidigt fähle, und da die fragliche Angelegenheit wol ohnehin dem-
nichst znr Verhandlung kommen werde, so dürfte es am besten sein,
den beabsichtigten Schritt ganz zu unterlassen; wollten sie sich aber
dennoch an die C!ommis8ion wenden, so möge wenigstens alles weg-
bleiben, was Dr. Pommer als eine persönliche Verletzung auffiissen
Üiyitizcü by GoOglc
— 426 —
könne. Sie versprachen mir, in dieser Richtung die Sache noch einmal
mit ihren Collegen zu besprechen. Wie ich später erfahren habe, ist
dies auch geschehen, aber vergeblich. Das Schriftstück war schon
mit \ielen Unterschriften bedeckt und die Unterzeichner wollten es
nunmehr wcdt r abändern, noch zurückhalten, nachdem es Dr. Pommer
bereits der Commission signalisirt hatte.
Das Vorgehen und Verhalten desselben war überhaupt die Ursache,
dass die ganze Angelegenheit zu einem offenen Conflicte anwuchs. Sie
hätte recht wol im ersten Stadium geschlichtet werden können, wenn
Dr. Pommer, wie es loyal und schicklich gewesen wäre, die erste
Kunde, welche er von der Bewegung seiner Hörer erhalten, sofort
mir nnd mir aUein mitgetheilt hätte. „Sämmtliche Lehrer haben den
Director in der Anfredithaltong der Disdplin sowie in allen flbrigai
Richtungen seines Amtes kräftigst zu nnterstfltsen** — lautete § 17
unsers Statutes, und da Herr Pommer in dem Schritte seiner HSrer
ein grobes Disciplinarvergehen erblickte, so hätte er mir doch wenig-
stens Mittheilung von demselben machen sollen, ehe er in eigen-
mächtiger Weise und ohne mein Vorwissen Lärm schlug. Femer be-
stimmte § 14 des Statutes: „Ohne Erlaubnis des Directors darf
keine Unterrichtsstunde eingestellt werden** — und § 20: „Kein Lehrer
kann eigenmächtig und vor Ablauf eines Semesters von der Anstalt
ausscheiden." Das Vorgclien Pommers war also ein durchaus ord-
nungswidriges, und eben deshalb konnte es nur üble Folgen haben.
Zwar hat dei* Herr Professor nachträglich (in der Conferenz am
3. März) vor dem ganzen Lehrkörper erklärt, er habe nicht eigen-
mächtig, sondern mit Vorwissen mehrerer Commissionsmitglieder
gehandelt; allein durch diese Erklärung wurden wol Andere beschul-
digt, er selbst aber nicht entschuldigt
Manchem meiner Leser dflrfte es aufgefallen sein, dass Herr
Pommer in dem angefthrten Briefe seine Hörer mit besonderem Nach-
drucke ,J3ch1Uer^ nennt Dieser Ausdruck erfordert einige Eiläute-
rungen. § 1 unsers Statutes lautete: ,J)as Pädagogium ist eine vom
Gemeinderathe f&r Volksschullehrer (Lehrerinnen) der Commnoe
Wien errichtete Fortbildnngsanstalt" Nach einer weiteren Bestim-
mung des Statutes zerfielen die Besucher der Anstalt in „Zöglinge",
welche an dem ganzen theoretischen und praktischen Cursus theil-
nahmen niiid meist Stipeiiditii genossen), und in ,. Hörer'', welche nur
dem thcorriischen Unterrichte und zwar, nach freier Wahl, entweder
in allen Gegenständen, oder nur in einer P\ichgruppe, oder 'endlich
nui* in einzelnen Fächern beiwohnten. Bezüglich der gefordeiten
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— 427 —
Vorbildung war kein Unterschied. Unser ganzes Auditorium bestand
als*;» aus ordnungsmässig in den Staatsseminai-ien vorgebildeten und
approbirten Lehrern und Lehrerinnen, von denen viele bereits alle
Lehramtsexamina (die keineswegs ein Kinderspiel sind) und überdies
eine neljährige Thätigkeit im öfientlichen Schuldienst hinter sich hatten.
Blosse Aspiranten konnten überhaupt nicht ins Pädagogium aufge-
Dommen werden. Es war hiemach nicht gerade tactvoll, dass Ken*
Pommer seine Hörer nnd Hörerinnen so nachdrücklich „Schüler''
nannte, zmnal er selbst weder an Alter, noch an Er&hmng and Reife
Iber aUe imponirend emporragte. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat
er dnreh diesen Ansdmck in seinem durch eigene Bemflhong viel yer-
breiteten Briefe ein sehr störendes Missverstftndnis veranlasst. Es
wurde nämlich in Gemeinderathskreisen mit besonderer JSntrflstnng"
Ton einer angeblich im Pädagogium eingerissenen „Disciplinlosigkeit''
gesprochen, die nnter anderem darin bestehen sollte, dass sich „d' Buom**
/die Buben I gegen ihren Lehrer empört hätten. Ich dachte zuerst,
dii^ sei nur eine der vielen Artigkeiten, mit welchen man den Lehrer-
stand zu beeliren pflegt. Allein bei genauerer Nachfrage merkte ich,
dass viele Geineinderäthe wirklich glaubten, Herr Pommer habe es im
Pädagogium mit Schulknaben zu thun gehabt. Freilich war ein
solcher Irrthum leicht möglich, da viele Stadtväter vom Pädagogium
absolut gar keine wii'kliche Kenntnis hatten und nicht einmal vom
ersten § des Statutes etwas wussten. Habe ich es doch erlebt, dass
mir verschiedene Eltern, darunter auch Gemeinderäthe, vierzehnjährige
Sühne nnd Töchter mit dem Verlangen znfuhrten, ich möge sie ins
Pidagogiom aofhehmen, und dass sie empindUch wurden, wenn ich
Ümen auseinandersetzte, dass dies nicht angehe. Da es nun aberdies
Leute gab, welche mit ihren Intentionen um so besser reussirten, je
mehr Unsinn und Verwimmg herrschte, so leistete auch das Märchen
TOD den sdiümmen ,3uom'' eine Zeit lang gute Dienste; zur Ent-
Strang desselben haben aber allem Anscheine nach, wenn auch un-
absichtlich, die „Sdiüler*' des Herrn Pommer Veranlassung und Stoff
geÜefert.
i'ber meine Eingabe vom 1. Februar hatten wenige Tage später
»•inigc Wiener Journale Notizen gebracht, die zwar, wie gewrdmlich.
mit Eutsütel hingen versetzt waren, aber doch den Hauptpunkt meiner
Erklärungen erkennen Hessen. Hierdurch wurde die Wiener Lehrer-
st haft alarmii-t, und es begann in allen Kreisen derselben eine leb-
hafte Discnssion, aus welcher eine kleine Denluchrift über die Situation
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~ 428 ~
des Pfldagogiums hervorj^inj^. Diese Kirndj^ebung wurde in Druck
gelegt, damit sie einerseits unter der Lehrerschaft verbreitet, ander-
seits jedem einzelnen Mitgliede des Gemeinderathes zugestellt werden
könnte. Sie lautete wie folgt:
„MEMORANDUM
an den löblichen Clemeiii.derat]i der Beichshaapt- and Residenzstadt Wien.
Loblicher Gemeinderath der Beiehshanpt- ond Beeidenzstadt Wien!
Von jenem Geiste geleitet, ans welchem anf dem Gebiete des BildongS'
Wesens die oberste staatliche Leistung Österreichs, das Reichsvolksschulgeseti,
hervorgegangen ist, hat die Commnne Wien bei Xnaagriffhahme der verdienst-
vollen NpTijrostaltnng- des stUdtischrn T'nterrichtswesens das Lehrer-PSdagoorinm
als eine Schöpfung ins Leben gernfen. durch welche sie sich den besonden-n
Dank der Lehrerschaft Wiens für alle Zeiten erworben hat. Die fortschritt-
liche Mehiheit der LehrtTScliaft war auch stets eifrig' bemüht, sich die dieser
Anstalt entfliessenden Segnungen zn Nutze zu maeben.
Bie al^fthrlieh von der Anftichtscompission des Pädagogiums veröffent-
lichten Berichte sind das beste Zeugnis dafür, da diese die stattliche Durch-
Schnittsziffer von 217 jährlichen Frequentanten für die letztverflossenen acht
Jahre nachweisen lassen. Auch die ührige Lehrerschaft ÖsteiTeichs hat jeder-
zeit in Wort und Th.it ihr lebhaftes Interesse für die £r<^deihliche Existenz
dieser An8t4ilt bekundet. T'etiren doch jährlich Hunderte von Individuen der
jüngeren Lehrergeneration aus der Provinz um Lehrstellen in Wien; nicht der
verm^ntlichen materiellen Besserstellung, sondern lediglich der Gelegenheit
zur Mgenen geistigen und &cblichen Vervollkommnung halber, welche zu ve^
raitteln das Pädagogium berufBU ist. Von Seite des Staates ist bte heute nicht
Sorge getragen für die von der strebsamen Lehrerschaft sehnlichst erwünschte
Gelegenheit znr akademischen und möglichst hohen fachlichen Ausbildung des
Lehrers: eben deswegen steht das stUdtische Pildagoginra. welches beide ge-
nannte L'ichtiin^^en verfolgt, einzig in seiner Art da. Nicht allein die Deutschen
Österreichs und die andeni Nationalitiiten des Keiclu s. sondern au<'h das Aus-
land zollen dem Institute hohe Anerkennung. Frecjuentiren doch jährlich,
meist subventionirt von der heimatlichen Begienmg, den Provinzen Erain,
Kroatien, der Grenze Entsendete , dem deutschen Beiche Angehörige, Lehrer
russischer und hulgariseher Nation das Pädagogium, ein selbstredendes Zeugufs,
welch' grossen und makellosen Bufes das Pftdagoginm sich erfreut.
Eine betrübende, den gegenwärtig obwaltenden reaction^lren Strömungen
leider entsprechende Erscheinung ist es. wenn von verschiedener Seit*" nicht
nur an dem Bestände des PUdagogiunis gerüttelt, sondern geradezu dessen Ver-
fall angestrebt wird. \'on meist anon3'mer Seite wird das Pildagogium zum
Gegenstände von Angriffen gemacht, welche von den zahlreichen Anhängern
dieses Institutes mit Bflcksicht anf den inneren Wert desselben bis jetzt kaum
heachtet und Ar machtlos gehalten wurden. Doch scheint es, als wilrden soldie
Angriffe auch massgebenden Ortes ffir gerechtfertigt angesehen, als hätten
solche Anfeindungen selV)st bei den edlen Grfindem des Pädagogiums bereits
Zweifel an dem Werte der eigenen Schöpftang erregt.
Üiyitizcü by GoOglc
Vorkommnisse verschiedenster Art müssen es g-ewesen sein, die den Director
dieses lustitntcs, Hpd h Dr. PYiedr. Dit t es. bewogen haben, seine LehrthUtig-keit
daselbst gänzlich einzustellen und sich blos auf die vertragsmässige Leitung
der Anstalt zu beschränken.
Allerdings motivirt Herr Dr. Dütes diesen EntseUnss mit dem Hinweise
aof seine angegriffene Gesondheitf doeh glauben die ergebenst Unterzeichneten
die Vermuthang aussprechen zu können, dass es weniger die Anstrengnngen
der Lehrthiitigkeit sind, wekshe die Gesundheit des Directors beeinflusst haben,
als vielmehr die ^rissstimraung, welche die Angriffe pre^-en die von ihm preleitete
Anstalt in ihm envirtt^n. Herr Dr. Dittes war zur Orfranisation des TJida-
goffinnis berufen woiden. er war dessen belebende)- Gei-st. die Geschici^e des
Pädagogiums sind innig an seine Person geknüpft. Zudem lässt sein Rücktritt
SQcli den Rfifiktritt jenor ansgeieifduieteB Kinner fürchten, welche bis jetzt
erfUgreich an seiner Seite gewirkt haben.
Kann es daher Wnnder nehmen, wenn diese. Thatsaehe die Qemttther der
Lehrarsdiaft Wiens und ausserhalb Wiens tief erregt hat. wenn man die Be-
ftrchtnng hegt, der Bestand des Pildagogiums sei gefährdet?
Das Volksschulwesen Wiens würde durch die Auflassunfr dieses Institutes
einen grossen Verlust erleiden, wie bereits die derzeitigen Zöglinge und Hüier
des Pädagogiums durch den Rücktritt seines Directoi-s von der Lehrkanzel
ihren Meister verloren haben. Nachhaltig sind die Einwirkungen, welche
Dr. Dittes dnreh das Pftdagoginm insbesondere anf die Lehrerschaft Wiens
ansfibte. Wenn seine bahnbreehenden Gedanken auf dem Gebiete des Erziehongs-
und Unterrichtswesens dnrch seine Schriften in die gesammte pädagogische
Welt getragen wurden, so wirkte sein überzengungskräftiges Wort nm so
zündender auf jede Individualitüt seiner Hörer. Und aus dem Hörsaale ver-
ptlanzte sieh der empfundene Eindruck in das Stillleben der Schulstube, segens-
reich wirkend auf Gemüth und Verstand der Kinder. Die Lehrer fühlten sieh
erfasst von jenem Geiste erziehlicher Liebe, es duichglühte sie jene Hoheit der
Gesinnung, welche allein den Lehrer zor idealen AnfEassang seines Beraües
filhrt Die Volksschnle ist eben keine Werkstätte mechanischer Arbeit» bei
welcher schon bei Anwendung von Kunstgriffen ein gedeihlicher Erfolg in Aus-
sicht 8t«ht
Die ergebenst Gefertigten richten an den löblichen Gemeinderath die Hitte.
dorn aus eigener Initiative gegründeten, durch die prdssli erziere Munificenz dei'
Commune erlialtenen Pädagogium unter den obwaltenden triilifu Vorliilltnisseii
jenes Interesse zu widmen, welches dem Verfalle desselben Einhalt thun kann,
welches demselben frisches Dasein zu geben vermag. Die ergebenst ünt^rzeich-
netsn bitten, denPftdagoginms-Angelegenheiten eüi objectivesTJrtheil angedeihen
lassen zn wollen, weil sie llbeneugt sind, dass bei Prflfting der Verhältnisse
der Bestand der Anstalt nicht weiter gefährdet erscheinen wird. Dieselben
bitten weiters, nnter Beiziehong des Directors Hen'n Dr. Dittes eine Revision
des Statutes nnd des Lehrplanes vornehmen zu wollen, nnnhdoiu sich eine solche
in Folge der seit dem Bestände tjpr Anstalt scmachten Ki i'alirungcn als noth-
wendig herausgestellt hat. Endlich bitten dit st lhen, der löbliche Oemeinderath
wolle die Ermöglichung der Wiedergewinnung des Herrn Dr. Dittes für die
Lefarkaozel der pädagogisehen RUsher in Betraeht ziehen.
Nur wenn die YeriiHltniBse sich in dieser Weise veijfingen, halten die
Üiyitizcü by GoOglc
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1
Gefertigten das Wol des PtdagoginiiiB fOr gesichert, eines Institntes, dessen
die Lehrersdialt in Wien im Interesse ihrer jungen Glieder nicht mehr sn ent-
behren vennag. Kan beansprucht vom Lehrer Intelligenz und fachliche Tüch-
tigkeit, darum haben die Lehrer die ernste Pflicht, auf Mittel snr Eriangnng
beider Eigenschaften nicht zn verzichten.
Wien, am 13. Februar 1881.**
In wenigen Tagen war dieses Memorandum von 1059 W iener
Lehreni und Lehrerinnen unterzeichnet, und so wurde es, da man
keine Zeit verlieren wollte, schon am 17. Februar von einer Deputation
dem Bürgermeister Dr. voE Newald überreicht Gleichzeitig übergaben
einige Zöglinge des Pädagogiums die oben besprochene Petition be-
zfiglich der vacanten Lehrstelle. Auf den Abend desselben Tages
war anch eine Sitzung der O>nuni88ion des PAdagoginms angesetzt,
wodorch ich denn nach langer Zeit wieder ein Lebenszeichen von der-
selben erüielt
Die Gommission hattd sich, ihrer Gewohnheit gemftss, im Verh<>
nis zor Dringlichkeit der Sache, nicht gerade beeilt Als ich am
1. Febmar meine Erklänmgen anfs Rathhans sendete, waren bis znm
Beginn des zweiten Semesters noch nahezu fünf Wochen, ein Zeitraum,
welcher zui Ikrathung und Feststellung der erforderliclien Dispo-
sitionen hinreicliend j^ewesen wäre, wenn man ungesäumt und geraden
Weges die Ordnuu«: der Verbältnisse angestrebt bätte. Formelle
Scbwierigkeiten lagen nicht vor, da die Commission ausreichende Voll-
machten besass, und der Gemeinderath als autonome Körperschaft von
keiner höheren Instanz abliängig war. Audi die materiellen Schwierig-
keiten waren nicht gross, da ich gleich anfangs auf ein provisorisches
Arrangement Bedacht genommen hatte, welches sich leicht bewerk-
stelligen liess und schliesslicli . obwol spät, auch von der Commission
adoptirt wurde. Aber die officielle Arbeit nahm eben wieder einen
sehr schleppenden Verkuf. Hinter den Coulissen ging es jeden&lls
viel lebhafter zu.
Ich für mein TheQ konnte zwar, nach aUem, was Toraasgegaag^
war, nicht gerade mit grossem Vertrauen den bevorstehenden Verband-
Inngen entgegen sehen. Allein noch hielt ich es für möglich, wenn
auch nicht für sehr wahrscheinlich, dass der Gemeinderath sich seiner
Haltung in vergangenen Zeiten wieder erinnern, dass er den obvs-al-
tenden Schwierigkeiten eine objective Prüfung und die erforderliche
Abliilfe niclit versagen werde. Tch dachte mir, dass vor allem eine
befriedigende rompletirung des Lelirkrtrpers stattfinden, dass demselben
durch eine Kundgebung des (iemeiuderathes die gebührende Satisfaction
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zu Theil werden müsse, dass ferner durch authentische Antlclärungen
von berufener Seite die ausgestreuten Verdächtigungen über den Geist
des Pädagogiums zerstreut, zugleich aber di<* nnmdlinien zu der von
mir längst vorgeschlagenen Vereinfachung iKeorganisation) gezogen
werden sollten, damit das nächste Schuljahr wieder in geordneten
Verhältnissen beginnen könne. Ich glaubte, dass diese Angelegenheiten
während der Frübjahrsmonate zur Erledigung kommen könnten, dass
ich hierbei als Director Arbeit genug haben \irfirde, dass es mir aber
während des Sommers möglich sein dfirfte, meine Oesnndheit wieder-
herzastellen, um dann anch die Lefarthätigkeit wieder aufoehmen ra
können. Hit diesen Gedanken hatte ich meine Erklärungen abge&sst,
und mit ihnen sah ich den nnn beginnenden Verhandlungen entgegen.
Dieselben erfolgten, soweit ich persönlich betheiligt war, in zwei
Conferenzen der Anfsichtscommission, nämlich am 17. Febroar nnd
1. März. Hier will ich gleich bemerken, dass ich seitdem m keiner
Sitzung (weder der Commission des Pädagogiunis noch einer andern
geineinderäthliclien Commission) wieder eingeladen worden und daher
aoch bei keiner mehr zugegen gewesen bin. Die erste der bezeich-
neten Conferenzen war sehr stürmisch und blieb olme Resultat, die
andere verlief ruhiger und endete mit einem positiven, scheinbar gün-
stigen Bescliluss. Abwesend war Weiser; er lag krank und kam
nicht wieder. (Wenige Tage nach meinem Kücktritte, nämlich am
18. Juli 1881, schied er aus dem Leben.) Den Vorsitz fiihrte nun
Frieb, das Protokoll Landsteiner. Als Referent über meine Ein-
gabe fimgirte Hoffe r. Er begann mit dem auffallenden Fehler, dass
er die in meiner Erklärung enthaltene Motivirnng: „Meine unbe-
friedigenden GesnndheitsTerhältnisse" u. s. w., sowie die Worte*, „bis
anf Weiteres,'' die doch nach dem Zusammenhange nur bedeuten
konnten: bis zur Wiederherstellung meiner Gesundheit — ganz igno-
rirte, als ob ich aas blossem Belieben und überdies für alle Zeit
neiiie Lehrthätigkeit einstellen wolle. Dies brachte sogleich einen
gereizten Ton in die Verhandlungen. Als Hoffer mit der Frage schloss,
ob ich meinem Schreiben keine Ki lauterungen beizufügen habe, be-
merkte ich, dass dasselbe meines Erachtens klar und genügend motivirt
sei. Nun trat Herr Gugler, der sich überhaupt höchst geschäftig
zeigte, mit der verfänglichen Frage hervor: ob icli meinen Unti^niclit
flnocli für erspriesslich halte." Ich entgegnete, dass diese Frage der
7Ai auf sich beruhen könnte, da, wie man dieselbe auch beantworten
möchte, meine Gesundheitsverliältnisse mich zur Unterbrechung meiner
Lehrthätigkeit zwängen. Da die Frage aber einmal aufgeworfen
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Bei, so müsse ich sie in interner Hinsicht, d. h. bezüglich des Erfolges
bei der Hörerschalb, nach wie vor bejahen, in externer Hinsicht
aber für jetzt yerneinen, da die feindseligen Angriffe auf das Päda-
goginm zu einem guten Theüe sich gerade gegen meine eigene Lehr-
thätigkeit richten; die zdtweilige Unterbrechung derselben, während
welcher die nothwendige Aufklärung erfolgen könnte, dflrfte daher
auch dem Frieden und Bestand der Anstalt dienlich sein. Hoffentr
lieh würden in dieser Zwischenzeit auch die sonstigen Schwierig-
keiten, unter denen die Anstalt leide, behoben werden. Da fhtgte
Hoff er, welches denn diese Schwierigkeiten seien, indem er, nicht
ohne Pathos, beifügte, ich möge mich ganz unumwunden aussprechen,
wie es sich „unter Männern'" gezieme. Obwol es nun der Commission offen-
bar sclion sehr unangenehm war, dass ich sie durch meine Kingabe in
ihrem Stillleben gestört hatte, und idi gern alles vermeiden wollte, was
die Stimmung noch verbittern konnte, so durfte icli doch diesem Appell
an meine Offenheit nicht ausweichen. Ich machte also zunächst darauf
aufmerksam, dass der Concurs bezüglich der vacanten internen Lehr-
stelle noch immer nicht erledigt sei, und dass, obwol das erste Seme-
ster demnächst zu Ende gehe, noch niemand wisse, was weiter ge-
schehen solle. Hierauf hob ich hervor, was die Commission seit langer
Zeit verabsäumt hatte (s. Nr. V u. VI dieser Mittheüungen) und fügte
hinzu, es handele sich da um Geschäfte, die keineswegs beliebig ge-
than oder unterlassen werden konnten, sondern um strenge Pfliehteii,
die als solche im Statute ausdrücklich vorgeschrieben seien, und durch
deren Vemachlassignng die Commission eine grosse Schuld auf sich
geladen habe. Die Unthätigkeit derselben müsse den Glauben hervor-
rufen, dass das Pädagogium von massgebender Seite verlassen und
aufgegeben sei, unct Überdies liege es auf der Hand, dass die An-
stalt desorganisirt werden müsse, wenn ein so wichtiges Organ, wie
die Commission, nicht mehr fiiiutiouire. — Darauf erwiderte Herr
Gugler, welcher iibcrliaupt Ausserordentliches leistete, die Unthätig-
keit der Commission sei meine Schuld, denn meine Pflicht wäre e^
gewesen, die Commission zur Thätigkeit anzulialteii , und icli liätte
dies ja eben so leicht thun können, wie ich den Weg zum Bürger-
meister gefunden hätte. — Ich entgegnete, dass ich bis dahin nicht
gewusst habe, dass ich der Aufseher über die Aufsichtscommission
sei; meine Sache sei es gewesen, derselben die nöthigen Anzeigen,
Berichte und Vorlagen zu machen, was ich auch nie unterlassen habe,
aber die Commission zur Erledigung ihrer Geschftfte zu zwingen, sei
mir unmöglich. Was die Anspielung auf den „Weg zum Bllrgermei-
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ster"' betreffe, so müsse ich bemerkea, dass ich Aberhaupt nur ein eiu-
ziiresinal beim Bürgermeister gewesen sei and zwar auf briefliche
^nladiing von demselben; auch habe es sich dabei gar nicht um die
Geschftfte der Commissioii gehandelt (Herr Gngler sphien m glau-
ben, ich sei beim Bürgermeister gewesen, um midi über die Commis-
9ion za beklagen; meine Leser aber wissen, waa ich am 3. December
1380 mit dem Bürgermeister zn schaffen hatten etwas anderes aber ist
zwischen ihm und mir niemals vorgekommen.)
Andi die Affiiire Pommer wurde vorgebracht, und mehrere der
Herren von der Commlssion (besonders Gugler und Kühn) wollten auch
hier die Schuld auf mich laden. Sie meinten, dass ich von der Agi-
tation*' (hv Hörerscliaft gegen Pommer gewusst haben müsse, und
dass ich dieselbe hätte unterdrücken sollen. Es scheine, dass sich die
Zöglinge im Directionszinimer mit mir über die Saclie besprochen hät-
ten; denn es seien Stimmen „herausgedrungen" und vernoinnien wor-
den, aus denen so et^s•as geschlossen werden kCiinie. Ein Coinniissions-
mitglied Hess auch die Äusserung fallen, Dr. Pommer habe bei der
Commission vorgebracht, dass ich ihm auf seine Anzeige bezugüch
einer wider ihn im Hörsaale vorgekommenen Disciplinlosigkeit keinen
Beistand geleistet hätte. — Diesen Anschuldigungen gegenüber er-
zählte ich den oben berichteten Sachverhalt» constatirte, dass mir erst
durch Pommers Brief der Vorgang bekannt geworden war, und fügte,
bei, dass ich mich gegen dunkle Insinuationen mit aller Entschieden-
heit verwahren müsse. Wol sei mir bekannti dass eine gewisse Spio-
nage geübt werde ; aber zu dem; was angeblich zu derselben „heraus-
gedrungen" sei, kdnne ich so langfe nichts sagen, als es mir nicht von.
dem, der es gehört, näher bezeichnet werde. Mir aber sei es wahr-
scheinlich, dass Herr Pommer den Director nicht in so anfßllligec
Weise übergangen haben würde, wenn er nicht andt rswo einen Rück-
halt gefunden hätte (eine Vermuthung, die, wie oben berichtet, sich
dann völlig bestätigte). Von der angeblich von P(jnHner mir ge-
raachten Anzeige sei mir nichts bekannt. ( Als ich später Herrn Pom-
mer wegen dieses Punktes befragte, äusserte er nach einigem Zögern:
er habe sich geirrt, es sei ein (Tedächtnisfehler, er habe den Discipli-
narfall einem Andern erzählt. Und als ich ihn fragte, warum er-
.ihn nicht mir ei-zählt habe, bemerkte er, das sei nicht nötliig gewesen,
«r habe sich selber geholfen, wozu er nach dem Statut berechtigt ge-
wesen seL Ob Pommer bei der CTommission noch andere Beschwerden
gegen mich vorgebracht hat, ist mir nicht bekannt geworden.)
Der Pommeresche Disciplinarfall war in einer Lehrstunde über
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Klopstock's Messias TorgdcommeiL Diesen Umstand benutzte Herr
Eflhn noch zu einem andern Vorwurf gegen mich. Es kam nflmlich
in den Conferenzen, ftber welche ich eben berichte, auch die Rede auf
die von den TTltramontanen Aber mich erhobenen Klagen wegen Un-
glaubens, Atheismus n. s. w. Nun meinte Herr Kühn, diese Kla^n
seien nicht ungegr&ndet, da ich es yerabsftume, sie durch die That zu
widerlegen: ich hätte z. B. bei dem fraglichen Disciplinarfalle. der sich
bei einem so eminent relij^iösen Werke, wie es der Messias sei, er-
eignet habe, in den betreft'enden Hörsaal gehen und dort vor dem Audi-
torium meinen Glauben kundgeben sollen. Aber erstens wurde mir der
Vorfall für eine solclie Action nicht zeitig genug bekannt, und zwei-
tens hatte derselbe keineswegs einen religiösen, sondern einen rein
persönlichen ('harakter, und da wäre es denn doch mehr als sonderbar
gewesen, wenn ich bei solchem Aolass eine Art Glaubensbekenntnis
abgelegt hätte.
Bezüglich der schon berührten äusseren Schwierigkeiten, welche
dem PAdagogium und insbesondere meiner Lehrthfttigkeit entgegen-
standen, machte ich der Oommission auf Verlangen ebenfSills Mitthei-
Inngen. Diese bezogen sich auf die meinen Lesern schon bekannten
Yerdftchtigmigen, Anfeindungen und AnschlSge gegen das P&dagogiom.
Die Mitglieder der Ck»mmission nahmen diese Er5ffiiungen im Ganzen
sehr gleichgiltig auf, als ob ich ihnen nur/ unbedeutende und bekannte
Dinge sage ....
Allmählich lenkten die Verhandlungen in eine geordnete Discus-
sion über meine Erklärungen vom I.Februar ein. Es wurde die Frasre
aufgeworfen, ob ich berechtigt, sei, aus eigenem Entschlüsse meine
Lehrthiitigkeit zu unterbrechen. Ich meines Tlieils war meiner Sache
siclier, da mein Vertrag hierüber völliof klar und endgiltig entschied,
wie denn auch schliesslich mein Recht.sstandpunkt nicht mehr bestrit-
ten werden konnte. Dass ich densen)en in meiner Eingabe geltend
gemacht und die Freiwilligkeit meiner Lebrthätigkeit betont hatte,
war geschehen, weil mir meine ungünstigen Gesundheitsverhältnisse
dringend geboten, meine Tb&tigkeit dnzaschränken. Hätte ich noch
einiges Wolwollen gegen mich Toranssetzen können, so wttrde ich midi
nicht auf den reinen Bechtsstandpnnkt gestellt haben. Wie aber die
Verhältnisse standen, konnte ich die mir unentbehrliche Schonung nicht •
von dem guten Willen des Gemeinderathes, beziehentUch von einem
Urlaub abhängig machen. Da hätte ich warten können, bis mich der
Tod beurlaubte, was mir aber nur so lange conveniren konnte, als es,
um mit Herrn Gngler zu reden, ffir das Pädagogium „erspriessUch"
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WMT, Schon im Jabre 1878 hatte ich um einen Urlaub nachgesucht,
welchen ich zur Wiederherstellung meiner Gesundheit und, soweit es
nebenbei miSglich sein würde, zum Besuche in- und anslflndisdier Schu-
len benutzen wollte, weO ich gianbte, es werde dem Wiener Pädap
gogium von Nutzen sein, wenn sein Director sich yor bleibendem
Siechthnm bflte und statt desselben eine mf^grlichst genaue Kenntnis
der neuesten Fortechritte im Schulwesen eintausche. Der Wiener Ge-
meinderath scheint anderer Ansicht gewesen zu sein. Mein Urlaubs-
gesuch wurde ohne Weiteres abgelehnt, obgleich damals der Lehr-
körper des Pädagogiums complet und die ganze Anstalt in l)ester
Ordnung war. Wie hätte ich also unter den de^^olaten Verhältnissen
von 1880 und 1881 einen Urlaub erwarten oder verlangen können? —
Dasä ich aber anter allen Umständen auch den letzten Rest meiner
Gesundheit aufs Spiel setzen müsse, konnte mir unter den bestehenden
Verhfiltnissen nicht mehr ais richtig erscheinen. Ich hatte ausgeharrt,
so lange es möglich gewesen war. Die dringend nothwendige Erholung,
die ebenso nothwendige Auffrischung im Bero&leben durch persönliche
Wahrnehmung der Bem&thfttigkeit Anderer, die Theihiahme an päda-
gogischen G(»igressen, an den allgemeinen deutschen Lehrerversamm-
longen, an den Jubüften von Bildungsanstalten, denen ich vermöge
memer Mheren Berufisstellung nahe stand — das alles war mir
unmöglich; zahlreiche pädagogische Vemne in Österreich-Ungarn, ün
dentsehen Reiche und in andern Staaten hatten mich zum Ehren-
mitgliede ernannt, aber niemals konnte ich mit einem derselben, wenn
er einige Meilen von Wien entfernt seinen Sitz hatte, in persönlichen
Verkehr treten. Die Aussenwelt, sofern sie mein pädagogisches Inter-
esse in Anspruch nahm, war meinen Augen verschlossen, und meine
ganze Situation hatte einen Beigeschmack von Leibeigenschaft. Und
dabei keine Aussicht, dass die Anstalt, der ich allein lebte, von mei-
nem ferneren mhigen Ausharren einen Gewinn haben werde. So
blieb mir nur übrig, auch einmal von meiner Autonomie Gebrauch zu
machen, ohne jedoch Autonomie mit Willkür zu verwechseln. Es war
eb Act der Nothwehr, einer unumgänglichen, mir in der rücksichts-
loBesten Weise aufgedrungenen, aber mit ToUkommen legalen Mitteln
gcAhrten Nothwehr.
Herr Gugler freilich glaubte, dass sich auch hier noch etwas
thnn lasse. Er hatte archivalische Forschungen gemacht ' und den
Concors entdeckt, welchen der Gemeinderath im Jahre 1867 zur Ge-
vinnmig eines Directors für das Pädagogium ausgeschrieben hatte.
Ds waren denn nach seinem Bedüuken meine Verpfliclitungen tixirt.
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Allein Herr Giigler liatte sich in dein Fnnde getänselit. Er war ein
Neuling in Saclien des Pädagogiums und liatte in seinem Eifer für
das Wol der Stadt vergessen, die Beweiskraft seines Documentes zu
prüfen. Und so musste ich ihm erklären, dass der citirte ronrurs
sammt allen neunundfünfzig Bew^erbungen, welche auf denselben ein-
gegangen waren, mich gar nickts angehe, weil ich mich niemals be-
worben, weil überhaupt der ganze Concurs keinen Ei'fölg gehabt, in-
folge dessen der Gemeinderath selbstständige Verhandlungen mit mir
angeknüpft und dann einen Separatrortrag mit mir abgeschlosaen hatte,
welcher ganz allein ittr meine Stellang massgebend war. Hiergegen
konnte nnn ein für allemal nichts eingewendet werden. Aber euea
kleinen Erfolg wollte Hot Gngler doch haben. Nnn wnrden mit
Hilfe eines alten Herrn, dem flbrigens das Schweigen besser gestandea
hätte, als das Reden, nnd mit dem Ich mich vielleicht noch eimnal
speciell beschäftigen werde, mündliche Besprechungen vorgebracht,
mit denen meine „moralische" Verpflichtung zur Lehrthätigkeit be-
wiesen werden sollte. Abgesehen jedoch von dem gebrechlichen Wesen
dieser angeblichen mündlichen Besprecliungen, von denen keine offi-
cielle Spur gefunden werden konnte, war es mehr als überflüssig, mü*
ge^icnüber von „moralischen" Verptiiclitungen zu sprechen, nachdem
ich eine lange Beihe von Jalirt*n durch die That bewiesen hatte, dass
ich in dieser Beziehung einer Belehrung nicht bedürfe. Aber jetzt
handelte es sich um rechtliche Verpflichtungen und um den Grund-
satz: Ultra posse nemo obligatur. Die Herren, welche das Bedürfnis
fühlten, Yon Moral und moralischen Verpflichtungen zu sprechen, hät-
ten zn ihren erbaulichen Betrachtungen näher liegende und passendere
Änknttpihngspnnkte finden können.
Als die HeiTon Gngler nnd Genossen sich erschöpft hatteo,
meinte Hoffer, noch das einzige Mitglied der Commission, wdehes
die einschlagenden Verhältnisse von Grand ans kannte, dass dem
Pädagogium am besten gedient wäre, wenn dem Director die Mögiidt-
keit geboten würde, seine Gesundheit wiederherzustellen, damit er m
nächsten Schuljahre auch die Lehrthätigkeit wieder aufnehmen könne.
Zu diesem Beliufe beantrage er. dass dem Director ein sechMiionat-
licher Urlaub ertheilt werde, vor dessen Antritt derselbe noch seine
Vorschläge bezüfrlich der künftigen Gestaltung des Pädagogiums inaclit ii
krumf^^. Geg«*u diesen Antrag wurde von keiner Seite \\'ider>i>rucli
erliolicn. und auf BefraLioii erklärte auch ich micli mit demselben ein-
verstanden. Hierauf wurde mir nahe gelegt, ich mi>ge. den übUilien
Formen entsprechend, ein ärztliches, vom Stadtpbysikat bestätigtes
Üiyitizcü by GoOglc
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Zeagnis beibrinfren. ()l)W()l ich mm überzeugt war, dass aus dem
Urlaub niclitä werden würde, wollte ich doch meinerseits nichts unter-
lassen, was der Initiative der Kommission dienlich sein konnte, und
80 war dieselbe, weil sie die Dringlichkeit der Sache betonte, binnen
zwei Tagen im Besitze des verlangten Zengnim. Ton meiner früher
erwShnten schweren Krankheit war ein chronischer Katarrh nnd eine
grosse Reizbarkeit der Lnngen, überdies eme Thrombose im linken
Schenkel znrftckgebliehen, und da ich im ersten Fruhünge des Jahres
1872, kanm genesen und keineswegs völlig erholt, sogleich wieder
nicht nur meine eigene Arbeit, sondern auch noch eine Stellvertretung
Qbefnehmen mnsste, niemals aber zu einer gründlichen Cur die Zeit
finden konnte, so hatten sich beide Übel von Jahr zu Jahr gesteis^ert.
Mein Hausarzt, Dr. v. Gunz sen., neben welchem ich übrig^eus noch
tü'ei andere medicinisclie ( apacitäten zu Katiie «gezogen hatte, bezeugte
nun den angelalii'ten Sacli verhalt mit dem Beifügen, dass ein minde-
stens sechsmonatliclier Urlaub notliwendig sei. Auf dem Stadtphj'si-
kate nahm Dr. Kämmerer eine eingehende Untersut-liuiig vor, infolge
deren er dem Zeugnisse von Dr. Gunz die Bemerkung beifügte, dass
er dasselbe vollinhaltlich bestätigen müsse, und dass ein mindestens
aechsmonatlicher Urlaub dringend geboten sei. (Den Wortlaut des
ganzen Zeugnisses kann ich nicht mittheilen, weil mir die Rückgabe
desselben verweigert worden ist Den nachher auch in dieser Sache
Torgehrachten Entstellungen gegenüber kann ich aber die Bichtigkeit
Toistehender Angaben verbärgen.)
Als der AnsgAg der Commissionssitznng vom I.März in Lehrer-
krasen bekannt wurde, beruhigte sich die Stimmung derselben, weil
man hoffte, dass die Angelegenheit im Smne des emgereichten Memo-
randmns zur Entscheidung kommen werde; und ein Schulblatt brachte
die Notiz, dass ich einen sechsmonatlichen Urlaub erliaUen werde, und
dass die Krisis erledigt sei. Es war eine Täuschung.
i^Kogn«. 4. Jabig. Hea VII.
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Ein6 Banernstiwne Aber die Schule.
MitgtthnU von JVan« SehHnkert-Wien,
Diejenigeiii welche im Solde finsterer Mächte gegen die Volksbildang n
Felde ziehen, berufen sich gewöhnlich auf den „Willen des Volkes" ; und wenn
sie auf dem Gebiete der Srhnle barbarische Brandschat zung-en verüben, dann
schützen sie vor, dass tür die Erfüllung der „gerechten Wünsche des
V olkes*' kämpfen. Mit \'erhuib zu fragen: was lassen denn die^e Kiimpen als
„Volkswillen" gelten, und von welcher Seite wurden ihnen denn die „Wünsche
desVolkee'' ftberbneht? — Ich denke, wenn ee sich nm solche Fragen handelt,
hat man sich nur an die Besten ans dem Volke za halten, welche einen weiterai
GesichtskreiB bedtsen vnd zu einem richtigen Verständnisse des Wertes der
Geistesbildung gekommen sind. Die sind aber ganz anderer Ansieht, als Jene
Ritter, welche in schwarzer Rüstung kämpfen und mit ihren Speeren das Lieht
der Sonne verdunkeln. Zam Beweise hierfür erlaube ich mir nachstehende
Mittheilungen zu machen.
In dem mir zugesandten Bericht über die Generalversammlung de-s „Ober-
Osterreichischen BanernYereines" in Linz, abgehalten am 27. Dezember i
1881, fhnd ich folgenden Passns: i
„Von Seite Herrn Hoppichl er's lag dem Ausschusse ein weiterer
Antrag vor: „Es sei eine Petition an den Landtag um gesetzliche
Bestimmiuig eines obligatorischen Fortbildungsunterriehtes
in den Volksschulen für die den Schulen entwachsenen Jüng-
linge aus dem Bauernstände bis zu ilu'em IS. Lebensjahre zu
richten." Herr Hoppichler beofründete diesen Antra^r, diMi er in fünf
Einzelpunkte gliederte, in ganz sachgemässer, überzeugender Weise,
wies auf die Verhältnisse und das allgemeine Wissen vor 1848 hin,
zog Vergleiche zwischen den jetzigen und früheren Schulzuständen,
konnte jedoch, obwol die einzelnen Punkte von der ganzen Yer-
sammlang als richtig und zutreffend anerkannt wurden, den
Gesammtantrag nicht durchbringen, da der Ausschnss nnd insbesondere
auch die Mitglieder Mallinger nnd Schamberger heftig dagegen
opponirten. Nachdem auch der Vorsitzende (Krenmayr) gegen diesen
Antrag das Wort ergriffen, und Ausschnss Jungreithmayr in wenigen
Worten den wichtigen (Jeldpnnkt dieser Frage zu bedenken gegeben
hatte, wurde in Folge Antrages Schamberger's über den Antrag Hop-
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picliler's mit allen gegen eine Stimme (die des AntragsteUers) zur
Tagesordnung übergegangen.**
Da dieser Antrag eine Frage bertthrt, mit welcher ich mich schon seit
lingerer Zeit .beschäftiget konnte ich es nicht nnterlassen, mich brieflich an
Herrn H. Hopp ichler, Wirtschaftsbesitzer und HolsUbidler in der Klingeraa
bei Redl ia Oberösterreich, mit der Bitte zn wenden, mir Näheres bezüglich
seines Antrages mitzntheilen. Herr Hoppichler hatte ntm die Frenndlichkeit.
mir das Coiiccpt .seiner bei Einbringung des Antrages vor den vei-saiiniiolten
Bauern gehaltfaen Rede zur Verfügung zu stellen, und ich glaube von dieser
Liebenswürdigkeit keinen be-sseren Gebrauch machen zu können , als indem ich
die wichtigsten Stellen dieser Bede znr Kenntnis nnsers geehrten Leserkr^aes
bringe. Einige stiliatlsche Unebenheiten mSgen Entsdinldigong finden, da es
ja nicht auf die Form, sondern anf den Inhalt ankommt Es ist ein schlichter,
verständiger Mann aus dem Volke, dem wir das Wort ertheilen; er wurde an
keiner Hochschule in die geheimen Regeln der Rhetorik eingeweiht, und hat
(Gott sei Dank) niemals seine Zeit in gpnnani^^tisohen Seminaren mit gramma«
tikalischen und syntaktischen Sprt'uklaubereien vergeudet.
Herr Hoppichler wendet sich nach einigen begrüssenden Worten fol-
gendennassen an die versammelten oberösterreichischen Bauern:
„Hundert Jahre sind es bereits, dass der grosse Kaiser Josef II.
fSobn Marin Theresia's, der grossen Kaiserin) die Ketten der Leib-
eigenschaft zerbroc.lien hat, w.'Iche die [dauern damals an die Herr-
schafttm und Kbister, an Adel und Priesterätand gleich Kettenhunden
gefesselt hielten.
Uber dreissig Jalire sind es her, dass über Antrag des Bauem-
sohnes und Studenten Hans Kudlich (gegenwärtig Doctor der Medicin
in Amerika) im 1848er Reichsrathe Robot und Zehent, an die
Ad^herrsehaften und Pfarrböfe zu leisten, gesetzlich aufgehoben
wurden anter der Regierung Kaiser Franz Josef I.
Und Tierzebn Jahre sind es seit der Ergänzung der Yer&ssungs-
gesetze, dass unser gnädigster Kaiser Franz Josef 1. durch die von
ihm yerliehenen „Staatsgrundgesetze** die Bauern zu ordentlichen
Staatsbürgern machte, ohne Unterschied von den anderen Ständen, mit
gleichen Rechten vor den Gesetzen.
Wir sind also freie Männer geworden durch die Staatsgmnd-
gesetze, und in keinem Baiieriihaiise sollten diese Gesetze fehlen; in
jeder BiichhaTidlung kann man sie kaufen, und als zweites Evangelium
sollten die Staatsgrundgesetze bcaclifrt und geschätzt werden — so
ziemt es sich füi" jeden braven Staatsbürger, der weiss, was er vor-
zustellen hat!"
Der Redner führt hierauf eingehender ans. wie es nnn hoch an der Zeit
i?ei, dass der Bauer zum Verstiindnisse seinei- Üedeutung im Staate komme und
seine Angelegenheiten selber vertreten lerne. Der „Oberösterreichische
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Banern verein" habe die Mittel hierzu za bieten, iind er (Redner) steUe alft
eifriges Mitglied dieses Vereines, imi die Baoemschaft flircni Zielen nSher a
bringen, folgenden Antrag:
„Es sei eine Petition an den Landta«^ m ncliten uni Herstellnng
eines gesetzlich obligatorischen Fortbildungsunterrichtes ffir
die der Volksschule entwachsenen Jünglinge des Baaern-
Standes, bis zum zurückgelegten achtzehnten Lebensjahre
dauernd.
Im Anschlüsse an die Volksschule soll der Fortbüdnngsunterricht
in den Volksschulen an Sonn- und Feiertagen von den Lehrern
ertheilt werden, und zwar nachmittags von 1 — 3 Uhr, wobei auf die
kirchliche Christenlehre Bttcksicht zu nehmen wäre.
Der Unterricht soll vorzüglich die Bildung der Jünglinge für das
wirtscliaftlich-praktische Berufslelx'ii und tVir das staatsbürgerliche Be-
dürliiis zum Gegenstande haben, wozu tüclitige Leiner bestimmt
werden sollen.
Die (4enieindevertietungen sind zu verlialten, dass die n'ltliigen
^Mittel dem T^elirer zur Verfiigimg gestellt werden, besonders Grund-
stücke zu Versuchszwecken.
Die Vereinsleitimg wird ersucht und aufg^ordert, die Petition in
der nächsten Landtagssession dem Landtage einzubringen."
Herr Hoppichle r cinptielilt mit warmen Worten die Annahme seines
Antrages, indem er zuerloich dem hOdiaften Wnnsrlir- Ansdnick ^n])t. da>s „der
Wert der Bildung und des Wissens von den Bauern erluumt werden möge**,
und fährt dann toj t:
„Wenn unsere Kitern und Voreltern stienge und mit Ver-
ständnis auf iriiten Scliulunterricht und auf Verbreitung nütz-
licher Kenntnisse im Lande von jeher einen Wert gelegt
hätten, glauben Sie nicht, dass die Mehrzahl der 85000 Bauern und
Pointler (Häusler) in Oberösterreich heute eine ganz andere, unab-
hängige Stellung im Lande, verbunden nnt einem tüchtigen WirtschafU-
betrieb behaupten könnten, als es d^ Fall ist? — Ja oder nein?
Halten Sie es für recht gethan, wenn der Bauernstand, der Land-
mann, immer nur auf den lieben Gott im Himmel verwiesen wird, ftr
seine geisdge und berufsgemässe Ausbildung aber nichts gesdiieht, —
wfthrend er sich im Schweisse seines Angesichts bekümmert plagen
muss nm sein Bestehen, um Rekruten und Steuern, um den Anfofde-
rungen des Staates, Landes und der Gemeinde nachkommen zu
können? — Ja oder nein?
( berall muss der Landmann, der Bauer dazu zahlen. Aber ausser
der SubveutiüU des Ackerbauministeriums und des Landtages au die
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Landwirtschaftsgesellschaft tind die Landesackerbauschiile in Rietzel-
liof, welche aber der Kosten halber nicht besucht werden kann —
wird tur den Bauenistand nicht gesorgt. „Bete und arbeite für Regi-
men tsbedürfnisse — in deiner EinfKltigkeit bleiV)»« dumm" — das ist
der Leitfaden, der uns zum grossen Theile (leider auch unsere Führer)
blind macht."
Der Redner schildert mit einigen Worten das lichtsdieue, volksfeindliche
Vorteilen des „katholischen Volksvereins'* in Linz and setzt dann seine Aas-
führuagen fort:
„Wanim entziehen sich die Priester zum grossen Theile ihrer
Pdicht als ordentliche Staatsbürger nnd wollen nicht mitwirken mit
4en Ortsschidräthen zum Heile mid Wole unserer Kinder, ftkr ^ten
Sehuliinterridht? Kam man das voDcstlittmlich, menschenfiremidlich
nennen? — Ja oder nein?'*
Hierauf weist Happiehler auf das Vorgehen des OberOsteneichischen
BaneniTereines hin, der dnrdi die Annahme des eingebrachten Antrages nener-
diigs beweisen werde, dass er „in der Dommheit kein Glflek finden kann'*.
„Ein jnnger Obstbaum, wenn er auch gesetzt ist richtig, aber
nicht gepflegt wird, tler wird verkümmern und daher wenig und keine
guten Früchte bringen; so geht's auch uns mit unsern vSöhnen, wenn
wir uns nicht um sie bekümmern und als Wildlinge selbe aufwachsen
lassen! Die Werktagsschule kann nicht für das Leben hin-
reichen, sie leoft nur eine Grundmauer an, mit der Grundmauer ist
aber noch kein Ifaus fertig. Und dennoch hat die Priester- und
Adelspartei zu Wien im Volkshaus, wobei sich auch unsere oberöster-
reichischen „Bauern"- Abgeordneten befinden, anf Antrag des Salz-
burger „Bauern"-Verti'eters Hofrath Lienbacher — eines Beamten! —
die Grundmauer als zu fest fürs Haus abreissen wollen; die Voiks-
9chnle passt diesen Leuten nieht in ihren Kram. — Den Bauern aber
aagen sie nieht warum; sie sind ihnen zu dumm, nur als Wahlkameeie
kSnnem Bauern etwas leisten, und wenn s' genug dumm sind — auch
fiobot und Zehent Die Steuern aber bleiben, der Staat mnss bestehen,
wenn Priester und Adel und was alles daran hängt, nur zuerst was
haben; — die Bauern nnd Gewerbslente sollen halt Üelssig arbeiten
md — zahlen!
Kommt nun ein unsrij^^er Bub in die Fremde, in die witzige und
findige Welt hinaus, so steht bald der P^sel am Berge an. Was er
in der Werktagsschule gelernt hat, ist halb vergessen, und dumme
Leut bringen sich nicht leicht fort — und Anstünde gibt's bald. Es
kommt die Zeit zur 6oldaterei — und das Get'rett geht erst recht an.
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Bleibt er ein Knecht* oder Tagwerker, na so kann er nicht viel machen
nnd brechen, aber ein findiger Knecht ist mir auch lieber, als ein
dummer Kerl. Übrigens soll jeder ^[('uscli j;emäss seiner Geistesanlage
ein nützliches Glied der Menschheit vorstellen können.
Nehmen wir auch den Fall an, dass ein Sohn von uns zu einem
Bauernhof gelangt und dadurch Wahlberechtigter wird in der Ge-
meinde: was kommt ihm da nicht alles vor, und wie noth wendig ist
es, dass sich der Mensch zu hellen weiss, also in seinem Fach was
gelernt hat und auch sonst Kenntnisse besitzt! Der Mann wird in den
Gtemeindeansschuss odei* in den Ortsschulrath gewählt, er soll etwas
Terstehen und reden können, denn es handelt sich um das Wol der
Gemeinde, nnd vernünftige Männer brauchen wir. Es gibt viel zu
thnn beim Hans, nnd wenn wir nicht wollen die Meikkftbe ftr andere
Interessen sein, so müssen wir auch nnsere Öffentlichen Angelegen*
heiten in der Gemeinde, im Landtage nnd im Beichsrathe zn Wien
▼ersteben nnd begreifen leinen. Und das soll ein gnter Sonntags*
schnlnnterricht för unsere SOhne bezwecken.
Man sage mir nicht blödsinniger Weise, wie es so oft gesagt
wird: „Wir Bauern müssen halt gute Arbeiter sein, unsere Wirtschaft
recht führen können, auf unsern Herrtrott j^läubig hotten, und sonst
braucht sich der Bauer zu nix anderm einzulassen." Diejenigen, die
so seliwachsinnig daherreden, sind die Ersten, welche das Lehrgeld
zahlen müssen, und bald da bald dort ums Geld kommen und w^enu
nicht durch „Doctoren"*), so durch andere gute Freunde zu ihrem
Schaden aufs Eis geführt werden! Wenn sich der Bauer weiter iu
nichts einlassen will, als nur in das, was unsem Stand und nnsere
nächsten Angelegenheiten betritft, also wenn er sich um die allge-
meine, öffentliche Wolfahrt in der Gemeinde, im Lande und im
Staate gar nicht kflmmert, so beweist er damit nicht nur, dass er gar
nichts versteht und gelernt bat, sondern er gleicht einem Ochsen,
der auch nichts versteht nnd vom Metzger sich geduldig zur Schlacht*
bank f&hren Iftsst, wo er zusammengeschlagen wird — mehr kann
ihm nicht geschehen, allerdings!
Da hilft dann der Bauer nicht dem Bauern, sondern solche ein-
ßlltige Leute bringen die Bauern um, in eigennützi^^er, dummer
Weise, und in gefühlloser, roher Art. Solche Zustände, solcher
Mangel an Gemeinsinn und Bildung uiuss den Bauernstand
♦) Unter „Doctoren" venteht der Österreicher die Advocaten, während mit
diesem Titel in Deutschland tonugsweiae die Ärzte bezeichnet werden. D. U.
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erbftrmlich machen und als ein Eamed erscheinen hissen, auf dem
znm Entsetzen der einsichtigen Wenigen nach Belieben herumgeritten
werden kann/'
Fttr diese offeueu, mäunlichea Worte gebührt dem wackeren Uoppichler
der wftnnste Dank eiuM jeden wahren Volksfreimdes. üneradiroekeii und er-
bamongiloe hat er vor den Bauern, die in aolchen Dhigen aehr empfindlich
rind, daa Übel ani^pedeckt, daa an ihrem Körper frisst; ea gehOrt die Innigste
Überzengung, die edelste Selbstverleu^ung: und Willenskraft dazu, um den
Leuten in dieser Weise frank und frei, „frisch von der Leber weg die Wahr-
heit unter die Nase zn saften" — wie wir Österreicher uns auszudrücken
pflegen. Und sie haben still gehalten, — sie sind niciit aufgefalireu und haben
nicht in wildem Lärme die Stimme des Redners erstickt; denn sie fühlten die
Gerechtigkeit der Anklage — der Hieb ist festgesessen. Es wäre nur zu
wQnsdien, daaa auch der AvsBcbiua des „OberteterreicblBchen BanemTereinea''
mit gleicher Offenheit and Entschlossenheit für die wahren Intereaaen dea
Banernstandes einträte. Aber die Mitglieder dieses Ausschusses getrauen sieh
nicht recht, dem eigentlichen, versteckten Feinde an den Leib zu rücken;
sie lassen sich von allerlei Rücksichten für die Empfindlichkeit der büuerlichen
VereinsniltLrlieder binden, und der Vorsitzende Krenmayr. Gutsbesitzer in
G<-rrt>il()rf in ( )berösterreicli, dessen Verdienste übrig-ens alle Anerkennung ver-
dienen, wird selbst nicht müde, die oberösterreichische Bauernschaft „mündig'*
an erklären — eine Schmeichelei, welche nnr erachlaifande Selbstgefälligkeit
erregt und ganz und gar nicht der Wirklichkeit entspricht IGr persönlich
gereicht ea aar beaondem (Jenngthnnng, nnaem geadhätetoi Leaarn daa ürtheil
eines Mannes fibermitteln zu können, der sich zum Stande d« r Banern zählt
und dieselben aus dem täglichen Verkehre kennt, dem man also nicht den Vor-
wurf machen kann, dass sich sein Blick in der Entfernung getrübt babo.
Seine Ansichten decken sich vollstilndig mit dem, was Nagi und ich in diesen
Blättern wiederholt auszusprechen iJelegenheit fanden.
Doch lassen wir nunmehr Herrn Hoppichler seine Rede zu Ende führen.
„Lassen wir uns daher durch nichts von dem (rnindsatze ab-
bringen: „Wissen ist Macht, und Bilduno- macht frei" — und
arbeiten wir so lange darauf liin, bis die Regierung sich endlich ent-
schliesst, mit dem Landtage ein Gesetz zn Wege zu bringen, wdclies
misem Söhnen fachliche und allgemeine Bildung fiir den Lebensberuf
in zweckmässiger Weise im Anschlüsse an die Werktagsschule bis
znm achtzehnten Lebensjahre schafft, und den Besuch der Sonntags-
schule, wdche diesen Erziehungsnntenicht durch die Volksschullehrer
bieten soll, gesetzlidi zur Pflidit macht Vergraben wir nicht die
Ffiinde, fiber welche wir bezQglich unserer Söhne dereinst Bechen*
Schaft werden geben mfissenl
. Der grOsste Steuerzahler rücksichtlidi der directen Steuern ist
der Bauernstand, dessen Kopfzahl 40 ^/o der Bevölkerung ausmacht
Und von dieser uugeheuern Steuercontribution will auch die Bauem-
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scliat't in ihrer treuen, deutschen Aiili;iii,?lirhkeit an den Kaiser und
an (las Kaiserreich — und zwar der einsichtigere Theil dei- Bauern
Überösterreichs einen Genuas lial)en. Wenig ist's, was sie begehren!
Eine sorgsame Staatsregiening soll das berechtigte Verlangen
gerne erfüllen; eine gute Landesadministration aber soll die Nothwen-
digkeit begieifen, wenn dem Lande ei-spriessliche Dienste geleistet
werden wollen; und dem Landtage sei es anheimgestellt, dem Bauem-
stande eine wahrhafte Pflege zu verschaffen. Zu hochherzigen Thaten
für die geistige Entwickelung der Söhne der Bauernschaft des Landes
wfinschen wir, dass die Abgeordneten des Volkes in der nächsten
Landtagssession sich aufschwingen, nnbekflnunert nm das Bnfen denk-
fauler, schlechtgeföhrter, mangelhaft gebildeter Bäumt Über dem
Parteitreiben erhaben herrsche das Walten fOr die Verbesserung der
Cultur und des ünterrichtswesens, zum Heile und Segen des Landes
und insbesondere des oberdstenreiduschen Bauernstandes. Bas walte
Gott!"
Mit einigen formellen Bemerkungen schliesät hierauf lieiT Hoppich 1er
seine Bede. Das bedaaemswerte Schicksal sdnes Antrages habe ich bereits
efaigaogs mitgetfaeUt Durch die heftige Oj^Msition hat der Ansschnas bewiesen,
dass er entweder nicht genug Ehisicht besitst, am die letzte ürsaehe aller miss-
lichen Verhältnisse des Bauernstandes klar zu erkennen, oder nicht über die
nöthig-e Kraft verfüg't und nicht niiabhilng'ig' fft'nug' ist, um rücksichtfälos für
die Wahrlieit in die .Schranken zu treten und die ÜbelstUnde zu beseitigen,
welche an den Bauern selber haften. Man wende nur nicht ein, dass fs
„unpolitisch" gewesen wäre, wenn der Ausschuss des Bauernvereines dieseu
Antrag, der allerdings in materieller Beziehung eine kleine Belastung des
Banemstandes in sich schliesst, angenommen und auf diese Weise dem Gegner
efaie Waffe in die Hand gedruckt hStte. Ja, wenn die Sache des Volkse nicht
energisch vertreten wird, dann haben die Volksfeinde freilich ein leichtesMachen!
Was ist denn gegen sie gewonnen, wenn einige wirtschaftli^ and politische
Vortheile erzielt werden, so lange nicht das Wissen vermehrt, die
Indolenz, die Abgestumpftheit für Staatsintt-ressen, die Willens-
schwäche durch eine allgemeine Bildung behoben werdeuV — Das
Volk bleibt seinen \Vidersachern ausgeliefert tili* alle Ewigkeit „und noch drei
Stand' drSber!" Vorsichtig, sogar sehr vorsichtig ist es freilich, wenn man
die Waffen vor der Schlacht streckt; die Siebe bleiben dann gewöhnlich ge-
schenkt. Was taogt es, wenn man von der redlichsten Absieht erlBUt ist, die-
selbe aber nicht vertritt? Hätte Luther seine Thesen nicht öffentlich an die Sdllose-
kirche angeschlagen, wSre er freilich nicht mit dem Papst in Conflict gekommen,
aber im Übrigen wäre es eben auch — beim Alten geblieben. Die „politische
Vorsicht" ist in diesem Falle ganz zwe( klos. (Iciiii dem Gegner gebi-icht es nie
an Waffen, da er nicht sorgfältig und gewissenhaft in der Wahl derselben ist:
sollte er aber doch eiuuial in Verlegenheit kuuimen, danu braucht er nicht erst
anf den „OberOsterreidiisdien Baneravereln" zn warten — er versdiafft sich
dieselben auf wolfeilere Weise.
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Die Bauern aber haben durch ihre Abstimmung' gezeigt, dass sie nach wie
vor den jeweilig-en Führern mit Leib und Seelp überliefert sind, dass sie die
Mittel zu ihrer l^i'freiung: nicht zu erfassen vermög-en und dass ihnen die Sonne
der Selbstt*rk»'niitnis n<»ch iinincr nicht aufgeg'angen ist. Darüber wird sicli
allerdings nituiaud verwundern. Uder sollte der unerzogene Schulbube seinem
Lehrer vorschreiben, welche Aofgaben er ihm za stellen hat? Eine eigeathiim-
liehe» bezddmendelllnstnning erflUirt das Verhalten derBaaem dnrch folgende
Thatoache. Bei der Wanderversammlmisr des „Oberdsterreichiachen Banem-
vereines'^ zu St. Georgen im Attergau am 12. Juni 1881 worde von den Bauern
eine von HeiTu Hoppichler vorgeschlagene itesolation anfrenommen, vrelche
folgenden Passus enthält:
»11. Öftere Wanderversammlungea des „Oberösteneichischen
Banemvereines" femer diircli Lesen gruter Bücher und der Baaem-
Vereinszeitung und durch guten Fortbildungsunterricht unserer
Sohne an Sonn- und Feiertagen durch alle dieseMittel werden
vir Torwiürts schreiten können nnd mttesen. Dann werden wir uns
meht mehr als eine willenlose Herde, die blos zum Steuerzahlen und
Bekrutenstellen auf der Welt ist, behandeln zu lassen brauchen.
Bildung macht firei — Wissen ist eine Macht; diese Macht aber
üben bislang andere Leute ttber uns aus, weil sie mehr wissen, und
die Unwissenheit muss der Bauemstand thener bezahlen ; das soll und
muss durch unser Streben nnd verständiges, ernstes Zusaninienlialten
anders werden, denn wir würden soii.st zu Grunde gehen, obgleich,
und eben deshalb, weil der J^auernsUind die meisten Steuern und Ab-
gaben zu leisten Iiat und Rücksicht dalier beanspruchen kann.
12. Ein guter Schulunterricht, den praktischen Lebensberlürf-
nissen liesdurlers an<4eiiie.ssen; gute, fleissiire Volksscliullehrer; strengere
Disciplinar-Kiuders trafen ; Abstellung des Organisteudienstes im
Lehrerstande, der mit dem Schuldienst vollauf beschäftigt ist und
sein Aaskommen findet, muss uns die Volksschule lieb und wert machen.
Sie ist die einzige Bildungsstätte für den grössten Theil des
Baaernstandes, nnd darauf hat die Begierong strenge zu sehen
alle Ursache, — aber auch wir selbst
Der AaafBhnmg des Antrages Hoppichler stellen sich nur zwei Hin-
denüsse entgegen, die aber keineswegs nnfiberwindlich sind: die notorische
Abneigung des Landvolkes gegen Schnlnntenicht und die Auslagen, welche
ein Fortbildangsnnterricht an Sonn- nnd Feiertagen erheischen würde. Be-
trachten wir diese Hindernisse ein wenig.
Wollte man sich an di^ \oi<>-nn{r des Volkes halten, dann müsste man
entweder alle Schulen speiren, oder docli statt des sechs- oder achtjährigen
Schulunterrichtes einen zwei- oder vierjähi'igen einführen. Die Leute haben in
ihrer BeschriUdctbeit keine blasse Idee von dem Werte des Wissens nnd der
Bfldnng. Wir kSnnen nicht verlangeii, dass sie sich selber übertreffen, aber
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wir können Mittel anwenden, nm sie auf den liehtigen Weg zn bringen, der
allein znm Heile nnd znm Glftcke fBhrt. Ist es erlaubt, das Volk za Abgaben
an den Staat zu zwingen , mnss es aoch gestattet sein , dasselbe strenge anxa-
halten, dass es die Nüttel nütze, welche ihm den Erwerb und die Steuer-
leistun2:on orleicht<^rn. Deshalb legt Hoppichler einen so grossen Nachdmck
auf das Wort „obligatorisch". Er schreibt mir hierüber folgendes:
„Die Volksschule als Werktagsschule allein genügt nicht für die
Landbeyölkening, und weil schon -wir Alten nicht mehr viel gescheidter
werden, sollen doch unsere Söhne besser unterrichtet werden. Der
Bauer braucht mehr Bildung — abgesehen davon, ob er es will
oder nicht; dafür sprechen Staatsinteressen und Erwerbszustände.
Die Sonn- und Feiertagsschule für Jünglinge erscheint als das einzige
und zweckmässigste Mittel für den Bauernstand, um eine bessere Zu-
kunft anzubahnen. Und an Sonn- und Feiertagen versäumt der JOn^-
liii^- iiiii- (las \\'irtshaus und üblen Umgang; es gibt also keine begrün-
dete Ausrede wegen Arbeitsvei säumnis, die gegen die Werktagsschule
eingewendet wird. — Dem Lienbacher und seinen Stierfangern kann
aber die schlaue Absicht durchkreuzt werden: sechs Jahre Werktags-
schule ! „8echs Jahre Feiertagsschule obligatorisch!" sage ich
darauf.'*
Dabei iiiiiss man aber, um dem Unterrichte eine tiefe, nachhaltige Wir-
kung zu sichern, bedacht sein, die Abncij^ung gegen denselben an der Wurzel
zu fassen und vollstündig- ans dem Herzen des Volkes zu reissen. Das wird
gelingen, wenn die Belehrung in ansprechender Form dargeboten wird, wenn
man das Volk daran gewöhnt, sich zu sammeln nnd aofimmerken, wenn man es
aosDsagen ffir den Sehnlnnterricht erzieht Diesen Zweck sollen jene
Unterhaltnngsabende, wie Nagl nnd ich sie im Sinne haben, erf&Uen.
Durch dieselben soll auch ein gesunder Idealismus genährt werden; denn ohne
das \'olk auf das Schöne und Edle hinzuweisen, ohne ihm höhere Zielpunkte
klar zu machen — wird man es nie aus der Tiefe emporzuheben vt niiö<ren.
Durch die Werktagsschule allein kann das natürlich schon gar nicht erreicht
werden. Hoppichler schreibt mir:
„Die Krziehung, w^elche die Volksschule nur als Grund-
lesrerin betreibt, und gemäss den dermaligen, gesetzlichen Bestim-
mungen nur bis zur r>enk- und Verständnisreife, bis zur Auffassungs-
tahigkeit beti'eiben kann, muss der wahrhafte, ehrliche Volks-
freund als ungenügend für den bäuerlichen, staatsbürger-
lichen Beruf erachten.^
Wolgemerkt, das schreibt ein Hann, der nicht Pftdagoge, also über den
Anwurf, für seine Sache Propaganda zu machen, erhaben ist! — Wenn die
„Geistesthätigkeit der Kinder entwickelt**, w^enn ihr Auffassungsvermögen halb-
wegs gebildet ist — weiui sie also in den Stand gesetzt sind, die Worte des
Lehrers zu veräteheu, und der Unterricht eigentlich erst recht erfolgreich an-
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gebraclit werden könnte - - müssen die Kinder die Schule verlassen. Bank
und erbaimnngslos werden sie vor die Thür gesetzt, weil es herzlose Menschen
gibt, welche die geistige imd materielle Noth des Volkes nicht rfihrt Ee ist
jt nicht genug, wenn der Schuler das Einmaleins auswendig weiss und Buch-
staben malen kann; es muss ihm Gelegenheit geboten werden, sich im logischen
Denken zu ttben. Und an dieser Übung fehlt es; am besten zeig:t sich dieses
Gehrfclipn. wenn die Leute in die Lag^e konimi^i, ihre Gedanken schriftlich,
also in priiriser Form und geordneter, übersichtlicher Rcihenfolp:»'. wieder geben
zu sollen. Sic purzeln dabei herum, wie die Katze im Sack; die dadurch be-
dingte Unsicherheit und \'erzagtheit wird noch dadurch erhöht, dass sie in der
Schriftsprache nicht recht gelenkig sind. Ich könnte als Belege hierfür Stellen
aas Brielien anflihren, weldie mir Freunde aus dem Gebiige, die in femer
Waldeinsamkeit aufgewachsen sind und nur knappe sechs Jahre die Schule be*
sucht halben, von Zeit zu Zeit schreiben; so eine Cknrrespondenc bedeutet fibrigens
an nnd f^ sich schon einen Aufschwung.
Kann die Bildung, welche die V<dky:pchule bieten soll, selbst dann nicht
genügen, wenn sie an das ihr vorgesteckte Ziel gelangt — wie, wenn .^ie das-
selbe nicht einmal erreicht? Und letzteres ist nicht der seltenste Fall! ■ — -
Für den Fortbildungsunterricht kann das Volk auch dadurch gewonnen
werden, dass er einen directen, praktlsdien Kutsen bietet, indem er ja auch
landwirtschaftliche Belehrungen elnschliesst. Hoppichler skizziert den Lehr-
plan einer Fortbildungsschule in folgender, ganz zutrefTender Weise:
„Der Sonn- und Feiertagsnnterricht f&r die Jünglinge lediglich,
welche die Werktagsschale hinter sich haben, hat bis znm 19. Lebens-
jahre zn danem, streng obligatorisch. Er hat besonders aof landwirt-
schaftliche Bemfebildung (Versndisarbeiten) Bficksicht zu nehmen; wei-
ter aof wahrhafte Pflege patriotischer Geistesrichtung und Kenntnis
der wiclitigsteii politischen und volkswirtschaftlichen Gesetze, der
Pflichten und Rechte der Staatsbürger und ihrer Bedeutung im Staate,
im Lande, in der Gemeinde, im Administrationswesen zur Förderung
der Gemeinde-Wolfahrt ganz besonders.
Der wahre religiöse Sinn zum Wolthun in wahrer Nächstenliebe
und Gottesfurcht, im christliclien Lebenswandel soll von den Orts-
pfarrem zweckmässig^ rege gehalten werden; die Pfarrer müssen regel-
mässig in den Ortsschnlrath zu kommen bei Strafe verhalten sein —
in Oberösterreich ganz besonders, nnd der Bischof von Linz entweder
versetzt nach der Bocche di Cattaro werden, oder seine kirchlichen
Gewohnheiten ablegen; denn der Mann stiftet viel Unfrieden nnd Un-
heil mit seinen Domherren nnd Anhang.**
Was die Geldfrage anbelangt, so muss ich vor allem bemerken, dass Er-
^arungen auf dem Gebiete der Volkslnldnng stets fibel ausschlagen. Das
Capital, welches man hier anlegt, wird ja mit Zinses -Zinsen znrttckbczahlt.
übrigens würden die Gemeinden durch dieCreirung eines obligatorischen Fort-
bUdnngsnnterrichtes nicht einmal merklich belastet. Die Beschafitang der nOthigen
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Versuchsfelder käme den Gemeinden nicht so schwer an. Für Anstellung vi»u
Wanderlehrern, für Beteilung mit Geräthschaften könnten Landwirtschafts-
vereine, patriotische ünternehmimgeii ein Übriges thnn. Sctmllocalitäten stehen
in hinreichendem Hasse zor Verfiignngr. HOren wir, was Hoppiehler ttbor
diesen Pnnkt sagt:
^Nicht die Geldkostenfrage allein ist es, welclie von Fortbildungs-
schulen absclirt'ckt. Wir liaben ja schon in Oberösterreich freiwil-
lige landwirtschaftliclie und fj:e werbliche Fortbildungsschulen in vie-
len Bezirken von Schullelirern geleitet, subventionirt vom Staate; aber,
lieber Gott, sie können nur zum Gemeingut gemacht werden, wenn
zum Besuche gesetzlich gezwungen wird. Gerade die Bauern hal-
ten sich ferne zumeist, und das Pfaffenunwesen ist nicht die letzte
Ursache — anstatt einzutreiben, treiben sie die Kinder aus der
Schale in ihre Bildnngsfeindseligkeit — und Furcht um ihre Exi-
stenz in der Folge. — Das unglückselige Parteigezänke im Landtage,
die Mattherzigkeit der B^emng, die Verbissenheit der Liberalen
sind nicht minder der ünterrichtssache schftdlich; hauptsächlich auch
die Beunruhigung des Volkes mit Halbheiten und anderen schlimmen
Bfteksichtslosigkeiten. Der Sonn- und Feiertagsschule wäre am Ende
weniger Renitenz bevorstehend von der Volksmasse, selbst bei Schul-
zwang, als die Werktagsschule Anstände findet; besonders dann nicht,
wenn Tüchtiges geleistet wird; ich glaube sogar, dass ein geringes
Schulgeld nicht allseits verworfen würde.
Was hat man für den Bauernstand zu seiner Geistesbildung bis-
her gethan? — Die Pfatten sagen: „Die christliche Glaubensgrundlage
genügt — bete und arbeite!" Und die Liberalen sagen: „Die Wissen-
schaft verbreiten die Hochschulen und (lelelirten — der Bauer muss
sich anüschwingen! Wie? das ist seine Sache!'*
Es ist in der That schwer, sich die Volksmasse zuzuziehen in
Dingen, die der Geistesbildung gelten — und wfirde nicht den Leuten
im Beichtstuhle und allerwegs die Hölle und leibliche Brandmarkung
von den Kirchenkanzeln öffentlich und unendlich gepredigt — wer
weiss, ob andernfalls die Menschen zu haben wären zur Belehrung ttir
die Priesterschaft. Der Volksmasse wird das, Macht- und Kechts-
bewusstsein absichtlich, böswillig verkümmert. Wir haben es nur
mit sporadischen Erscheinungen zu thun, was aus Bauern vereinen
wir sehen und hören. Ja, Schlinkert, das Verständnis der ^fensrhen-
würde, des edleren Selbstbewusstseins und der ernsten Willenskraft,
diese drei Dinge, welche den Menschen vom Vieh eigentlich unter-
scheiden, muss vor allem andern der Volksmasse beizubringen gesucht
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werdeo. Die Volksschole am Lande (and am L uide ist die Volks-
oasBe baaptsächlich zu sncben mid zu findeuj genügt nicht dazu. —
Es werden nur immer die Tages- und Notstandsfragen, der rein mate-
rielle Theil, beleuchtet; die Wurzel des Übels, den Mangel an Wissen
md Büdong, legt man nicht blos. — Grflndlich gebildete Män-
ner, nicht vernagelte Intelligenz vom hohen Stahle herab, vermögen
dfese Aufgaben zu lösen; Bauern allein werden sie nicht zu iGsen
fennögen ....
Ein besserer Geist mnss eingreifen, der einem verlotterten,
miserablen Parteiwesen die Wege weiset, und mit eisenfestem
Willen zum Nutzen und Heile des herabgekommenen Volkes sowol für
die geistige Bildunj? als materielle Wollart seine Macht zw Geltung
n bringen versteht."
Ich habe hier die Gedanken eines Mannes niitgetheilt, der nicht unter
dem verpönten Einflüsse von Siluilineistern steht, «ler durch eigene, selbststiin-
dige Überlegung zu seiner Überzeugung gekoinnien ist, und, mitten im Volke
stehend, den Ruf nach Geistesbildung erhebt. Er fülüt sich bislang noch als
»Bnfer in der WOste**. Bald aber wird , er Helfer finden, und wenn sieh diese
Stimmen mehren, wenn der Ruf immer lauter erschallt — ob dann unsere
frommen, adeligen „Volks" Vertreter demselben noch länger zn widerstehen ge-
willt 8em werden? — Wir glauben nicht, sondern hoffen den Anbruch einer
lieaerea Zukunft.
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/
ISn Wort fiber die Remrtrerlintiiisse der hokereH Üdckei-
schulen in Preussen.
Vm Bector Xh, JAtndmannrSdiwetx,
£Siiie bekannte Thatsache ist es, dass die höheren Mädchenschulen sich
2war das Attribut „hShere" vindidren, dämm aber gesetdich dnrchans noch
keine „hdheren Lehnuutalten" im wahren Sinne des Wortes sindt sondeni, mit
Ausnahme von dreien, die neuerdings in die Reihe der ..höheren Lehranstalten'*
erhohen worden sind, noch sämmtlich in der Kategorie der „Elementar-
schulen" st'^lien und demnarli von den kg\. Reofienin^en rpssortiren. DaHpi
finden aher nocli g:anz willkürliche Verschiedenheiten statt. Wilhrend die eine
Schule (z. B. Elhiniri direct der Regierunt:: untergeordnet ist und nnr dnrch
den Magistrat mit dieser zu verhandeln hat, stehen die allermeisten unter dea
Stadtschnldepntationen, als den zonftchst vorgesetzten Behörden. In den
kleinem Stttdten ist der höheren Hidchenschole aneh noch ein Ereisschnl-
inspector als ständiger Commissarios der Begierang, ja sogar ein Loeal-
seh ulin.s pect or übergeordnet, wfthmnd die Dirigenten grösserer Schulen sidi
allerdings schon der Unterstellung unter die beiden letztgenannten Beamten
entledigt haben. — Das, .sage ich, sind bekannte und. füge ich hinzu, tranri?**
Th;»tsaclien. Nicht als ob ich die ., Elementarschulen'' geringschätzte und »^s
tlir eineScliandc hielte, mit ihnen in einer Linie zu stehen; denn die Kleuientar-
schnlen sind diejenigen Institute, denen gerade die Bildung der niederen, so
sehr der geistigen Hebnng bedOrftigen Volksdasse obliegt, es shid diejenigen
Institute, die dem Gros des Volkes die unentbehrlichsten Kenntnisse bei-
bringen, die Elemente der Wissenschaften, auf denen die höheren Schulen mit
geringerer Mühe weiterbauen können. Niemand kann längnen, dass -j'V.'.fh
den Volks.schullehrem der schwerere Theil des Unterrichts znfllllt. und das«
sie heutzutage noch lange nicht die geachtete Stellung einnehmen, die ihnen
gebührt.
Indess — danim handelt es sich hier nicht. Iramei liin muss jeder Uobe«
fimgene einrAnmen, dass die Beesortstellnng der höheren Mädchenschulen in
Yergleidi su den höheren Knabenschulen eme durchaus ungeredite und nach-
theilige ist. VerhaitnismSsdg stehen doch die höheren Mädchenschulen ihre^
seit> i^enau so hoch über dem Niveau der Elementarschule, wie die Gymnasien
und Realschulen ihrerseits. Die Gymnasien und Realschulen werden frequentiii
von den Kindern der wolhabenderen Classen; dasiselbe ist aber bei den litiii» ron
Mädchenschulen der Fall. Erslere bilden ihre Zöglinge in formaler und realer
Hinsicht zur Universitilt oder zu praktischen Berufsarten vor: analoges thun
die letzteren. Was dort die Universität, ist hier das Seminar; dazu kommt die
Üiyitizcü by GoOglc
— 451
VorbOdmier nm Beruf der Hausfrau, der doch wahrlich wichtig genngr ist,
insofern der Hansfrau die erste Erziehung der Kinder fast allein obliegt, sie
also diesen die geistige und moralische Richtung fürs ganze Leben zu
geben hat. Dabei kann der quantitative nnd qualitative Unterschied in dem
Unterricht der beiden Geschlechter wol nicht in Betracht kommen, der darin
besteht, dass allerdiiif^s bei den Knaben mehr die Bildung- des Verstandes
und das positive Wissen in den Vordergrund tritt, bei den Mädchen dagegen
mehr die Büdnng des Gemttbs und Henens tos Auge m tuatm ist Immeriiiii
streben beide Institate dasselbe Ziel an, ihre Zöglinge in der Weise heran-
snbflden, dass sie später im Leben sich als wahrhaft „Gebildete'' bewShren.
AVenn nun aber diese Gleichheit der Zusammensetzung und diese Gleichlioit
der Ziele und Bestrebungen der höheren Knaben- und MUdchenschulen vorhanden
ist. und wenn zu^epben werden muss. dass die Mädchen denselben Anspruch
auf eine tüchtige Durchbildung fiii-s Leben haben wie die Knaben, so ist wahr-
lich nicht abzusehen, weshalb die einen Anstalten „höhere" Schulen, die
anderen „Elementarschulen*' sein sollen. Noch weniger scheint es mit der
Billigkeit Tereinbary dass einige höhere IfSdchensdinlen „höhere Lehranstalten"
sein, andere ea nidht sein sollen. Da ist nnn bereits lAngere Zeit geplant
worden, dass diejenigen Hftdchenschulen, an welchen eine gewisse Anzahl
„Literaten" unterrichten nnd die dann noch mit einem Lehrerinnen-
Seminar versehen sind, den Vorzug gemessen sollen, „höhere Lehranstalten"
zn werden. In dieser Bestimmung würde doch aber siclierlich keine Gererhtig-
krit Herren. Denn wenn eine .Alädchensciiule ohne Literaten, oder mit wenigeren
genau dasselbe Ziel erreicht, wie eine solche mit einer bestimmten Zahl von
Literaten, — nnd das ist thatsächlich der Fall, — so ist es doch ungereimt,
sie deshalb geringer zn schätzen nnd etoer niedrigeren Kategorie von Schulen
einzaTerleiben. Anderseits sollte doch das Seminar nicht als integrirender Be-
standtheil einer Mädchenschule angesehen werden; das Seminar vermittelt nicht,
wie die Schule selbst, allgemeine Bildung, sondern ist seiner Natur nach
wesentlich „f'aclisehule". gehört also ebensowenig in den Dr^'anismas einer
Mädchenscliule. als etwa eine P'acnltät in den eines (iymnasinnis. Jedenfalls
ist der qualitative Unterschied zwischen den höheren Miidchensehulen einerseits
und den Elementarschnlen anderseits ein bei weitem grösserer als der Unter-
schied xwisehen den einzelnen Uftdchenschnlen, je nachdem dieselben mit
oder ohne Literaten, mit oder ohne Seminar ihr Werk betreiben. Wenn
aber — was mir doch noch sehr disputabel erscheint — wirklich der
Unterricht seitens akademisch gebildeter Lehrer an den Mädchenschulen so
sehr wünschenswert erscheint, so erhebe man doch zuerst diese Sehulen
zu höheren Lehranstalten, und man wird mit leicliter Mühe Literaten lierbei-
ziehen können; aber unter den jetzigen Verhältnissen niuss jedein Literaten
die Lust vergehen, sich au einer Mädchenschule zu melden und damit die durch
akademisches Stadinm Iraner erworbenen BeiAte wieder anfzugeben. Denn in
der That kann die Stellang eines Literaten, gleichviel ob er Dirigent oder
Lehrer an der lüftdchenschnle ist, nnr als eine »nnwfirdige'* bezeichnet werden,
insofern er vermöge der für die Elementarschnlen geltenden Bessortverhältnisse
häufig Männern unterstellt ist. denen er seinem Bildungsgrade nach bei
weitem überle'jren ist. Man bedenke nur. dass nach den für „Elfmentar-
8chulen** bestehenden Bestimmungen jedes Mitglied der Stadtschaldeputation,
Üiyitizcü by GoOglc
I
— 452 —
sowie auch der Kreis- und Localinspt^ctor das Recht hat, jederzeit und unan-
gemeldet dem Unterricht in den einzelnen Classen beizuwohnen; dass ferner
der Localflchalinspector, der in der Ree^el dodi ein Geistlicher ist, demnach
also meist keine besonderen Erfiüirangen anf dem Gebiete des If ftdchenschnl wesens
aufzuweisen hat, dass dieser Loculschalinspector mit der speciellen Aufsicht
fÜber die Mttdchenschale bo tränt nnd ihm das Kecht gegeben wird, etwaige
Anordnuns^en im Einverstilndiiis mit der Schuldepiitation zu treffen. Man bedenke
fenier, dass der Kreisschulinspector, der im Anftrag-e der Ref^ierung die höhere
Mädchenschule zu bestimmten Zeiten zu revidii eu hat, also bei dieser Gelegen-
heit als Vorgesetzter des betreflfenden Dii'igenten lungirt, hUutig ein jüngerer,
im HSdchenBcholwes^ yQlIig nnbewanderter, dem Gymnasinm oder der Besl-
schale entnommener Lehrer ist; anch ist es nicht aosgeschloBsen, dass er von
Hanse ans Volksschnllehrer, also lUiterat ist. Der Dirigent der Anstalt, der
seine Ki'äfte dem ICttdchenscholwesen gewidmet hat, ist dann als Literat einem
Illiteraten untergeordnet. Dass dieses ein bedenkliches Missverhilltuis
uml wenis" geeignet ist. die Berufsfreudigkeit des Dirigenten zu erhöhen, ii^t
selli.stredend. Mail möge nicht glauben, dass ich pei*sönlich mich durch diese
Veriiältuii^se erheblich beliLstigrt tühle und deshalb diesem Klagelied anstimme.
Zwar ist mein Verhältnis auch das zuletzt besprochene ; indes fühle ich mich
dnrch mehie Vorgesetzten in hehier Weise genirt oder chicanirt; aber —
immerhin sind solche YerhlUtnisBe doch im Princip verwerflich nnd bedürfai
einer grfindlichen Remednr.
Dass diese Remednr durch vorstellende Zeilen nicht bewirkt wird, dessen
bin ich mir sehr wol bewusst: icli beabsichtigte anch weiter nichts, als eine
für die segensreiche Kntvvickeluug der höheren ]\I;Ulchenschule sehr wichtige
Frage nach meiner Autlasbung zu besi)rechen, in der Hoffnung, dass sich ge-
wiegtere Kräfte dadurch veranlagst fühlen möchten, diese Frage, sei es in za-
stimmendem, sei es in widerlegendem Sinne zu belenchten. Anch weiss ich
sehr wol, welche Schritte seit Jahren üi Betreif derBessortfrage bereits gethaa
sind, bin indes der Meinung, dass wir unsere Ansichten nnd Antrftge immer
und immer wieder der Behörde unterbreiten nnd die Sache nicht kalt werden
lassen sollen, eingedenk des alten, wahren Wortes: „Steter Tropfen höhlt
den Stein.
YenuitwiortUclifr Redaetmir: M. Stein. Baebdrackeni Jüliii« KUnkhardtr Lrijwtf.
Üiyitizcü by GoOglc
Der Pessimismns and die Sittenlehre.
Von Frof. Dr. Jok. Mehntk0-^.-GaUm,
(ForlMtxiuig.)
B. Im Buddhismiis.
So lange der bedingte oder dogmatische Pessimisimis unter den
Indem die ofticielle Grundlage des empirischen bildete, blieb es
unmöglich, dass der letztere selbst den theoretischen Ausgangspunkt
einer Sittenlehre abgab; die Möglichkeit, in solcher Weise vom Pessi-
fflismos auszugehen, wui'de einer Sittenlehre nur dann gegeben, wenn
er znn&cbst nur als empirischer auftrat Im niederen Indervolk
mochten nmi solche Voranssetznngen schon lange vor Buddha an-
getroffen werden, aber keiner vor ihm hat mit der brahmanischen
Sittenlehre zu brechen und eine andere an ihre Stelle zu setzen ver-
Doeht; hieiza bedurfte es einer sowol in theoretischer als aneh in
praktischer Hinsicht k&hneni titanenartigen That, nfimlich des Stonses
der Brahmanlehre, ans welcher Jene Sittenlehre organisch hervor«^
gewachsen war. Mit der QotÜelüe mnsste dann natürlich auch die
Inrabmanische Sittenlehre fhllen.
Buddha fand den empirischen Pessimismus, wie er unter den
Indem bei jenen qualvollen socialen Zuständen nothwendig sich ent-
wickelte, in der That vor. Mit innerer Walirheit erzählt die buddhi-
stische Legende, dass er hinaus auf die Landstrasse, d. i. unter das
Volk gekommen und hier zuerst der ..'i'hatsache'' des Weltleids sich
bewnsst geworden sei. Kr selbst mochte ausserdem als Nicht- Brah-
mane von jenem aus der Brahmanenlehre consequent sich ergebenden
dogmatischen Pessimismus wenig berührt sein, so dass er nun
mit seiner Speculation nicht bei dem Brahman, sondern bei dem
menschlichen Leid einsetzte: und dies ist fiii* die Auffassung des
buddhistischen Pessimismus ein höchst wichtiger Umstand.
Wflre das Brahmanbewnsstsem heil im Mittelpunkte seines Denkens
gestanden, so würde Buddha die LOsnng des WelÜeidsräthsels ohne
Migagtaa. 4. Jakif . Heft Vm. 90
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Schwierigkeit brahmanisch, d. h. in dem Wider8i)ru(!he der Welt zum
Brahman gefunden haben; wir wissen aber zur Genüge, selbst wenn
seine Lösung es uns nicht lelirte, dass Buddha von der religiösen
Brahniananschauung durchaus abstraliirt hat.
T"^nter keinem religiös -dogmatischen Einfluss stehend, sah sich
Buddlia dem Leben gegenübergestellt, und fand sicli bald mitten in
das ßewusstseiü des indischen Volkes, in den empirischen Pessimismus,
hineingestellt. Er nahm diesen (und hierin bewies er sich ab; der
ächte Sohn des schon lange in seiner stolzen Willenskraft gelälimten
und auf duldenden Gehorsam eindressirten Volkes im Gangeslande)
nicht etwa nur als eine zufftllige Geschiehtswahrheit, sondern als
nothwendige Yernunftwahrheit an, welche demzufolge, mochten
auch die gegffliwfirtigen Yolkszustände andern Platz machen, bestehen
bliebe. Statt des Brahmanbewusstseins trat jetzt ihm das Wissen
vom Leid in den Mittelpunkt der Weltanschauung, und so wurde
Buddha, indem er mit seiner Aufß&ssung in schroffen Gegensatz zur
brahmanischen trat, der erste Apostel des unbedingten Pes*
simism us.
Von dem empirischen Pessiniismns des braiimanisch geleiteten
unteren Indervolkes aber unterscljied sidi derjenige Buddlia's dadurch,
dass er nicht niu' die „Tliatsache'' des Leids einfach hinnahm, sondern
ihrem Ursprung nacliforschte; und dieser Unterschied liatte seinen
Grund darin, dass jener empirische Pessimismus der Inder, neben dem
eben das Brahmanbewusstsein mit seiner den Menschen prak-
tisch völlig bestimmenden Macht stand, nicht, wie der baddlii-
stische Pessimismus, auf den Menschen yon sich aus eine antreibende
Kraft, aus dem Elend zu gelangen, ausübte. Diese Kraft, welche der
unbedingte Pessimismus seiner Zeit entwickelt, begreift sich leicht
b« ihm: es ist die Kraft des Selbsterhaltungstriebes, die sich ün
Streben, das Leid abzuwehren und zu yemichten, äussert.
Buddha ging systematisch vor und fragte sich zunächst, was demi
des Übels letzte Ursache sei Aus seiner Antwort ist ersichtlich, dass
er, wie die Legende sagt, durch die Schule der Brahmanen gegangen
ist; er findet die Ursache des den Menschen heimsuchenden Übels in
der individuellen Existenz, dem Ich. in welchem der Kralmiane
den Grund der (lOttwidrigkeit und d ein zu folge auch des i'lxds,
das der Mensch ertährt, crkennl. Jn dieser Hinsicht lasst sich dem-
nach der brah manische und buddhistische Pessimismus zu.samnieu-
stelleii. da beide die ,.'rhatsache"' des Leids auf die individuelle
Existenz zurückführen, und in diesem Punkte steht, wie man
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gehen wird, der iudische Pessimismus in vollem Gegensatz zum euro-
päischen der Gegrenwart
Mit der Entdeckung der Ursache des Übels in der Existenz des
Ich war Buddba an der Stelle angekommen, wo nunmehr die Sitten*
lehre von ihm zu formuliren war. Die Parole hiess: „Erlösung vom
Übel**, oder bestimmter: „Erlösung von der indiiridnellen Existenz,
der Seele.** Auch die Brahmanen hfttten diese Parole anfoehmen
kOunen, aber im Munde Bnddha's hatte sie doch einen anderen Sinn;
ihr fehlte nämlich bei ihm die positive Kehrseite: „bei Gott sein*";
«.Eriösung des Ich** hiess in Bnddha's Sinn nur: Eingehen in die Er-
löschung (Nirwana), Nichtsein dessen, was Ich war.
Sehen wir nun kurz die Sittenlehre Buddha's an. Drei Dog-
men legte er seiner Sittenlehre unter: 1. die Vorstellung von Kinper
und Seele als zweiei- mit einander verbundenen selbststandigen (ranzen,
so dass nach ihm die Existenz der Seele nicht mit derjenio^en des
Körpers stand und fiel. 2. Die Vorstellung von den Wledei^cebiirten
der Seele, und 8. die Vorstelhniji;^, dass das Geschick des jedesmaligen
Lebens die Folge eines früheren Lebens der Seele sei. Diesem füge
ich nun kurz auch den Gedankengang an, welcher Buddha auf die
Seele als Quelle alles Übels führte: ,.Was ist die Ui-sache aller
Schmerzen? Die Geburt. Was ist die LTrsache der Geburt? Das Da-
sein. Was ist die Ursache des Daseins? Die AnhftngUehkdt an das
Dasein. Was ist die Ursache dieser Anhänglichkeit? Das Verlangen.
Was ist die Ursache des Verlangens? Die Empfindung. Was ist die
Ursache der Empfindung? Die Bertthmng des Menschen mit den Dingen
bringt diese oder jene Empfindung, die Empfindung überhaupt in ihm
hervor. Was ist die Ursache der Berührung? Die Sinne. Was ist
die Ursache der Sinne? Name und Gestalt, d. h. die individuelle
Existenz. Was ist die Ursache dieser Existenz? Das Bewusstsein
Was ist die Ursache des Bewusstseins? Das existirende Nicht- Wissen,
d. h. die intellectuelle Anlage; dies erst ist die Seele selbst."
(Duncker ITT. 265.)
Auf (lieser hier nur skizzirten theoretischen Grunfilaofe erhob sich
die Sittenlehre Buddha's. welche sich zusammenfassen lässt in die
drei Grundsätze des massigen und leidenschaftslosen Lebens,
des widerstandslosen willigen Ertragens aller T'nl)ill und
aller unvermeidlichen t'bel. und des Mitleids für die Lei-
densgenossen, seien dies Menschen oder Thiere.
Die Forderung eines stillen und friedlichen Lebens ist der erste
Grundsatz; „Knhe soll der Mensch in seine Sinne bringen*", seine
30*
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Triebe und lieidenschaften, seine Wünsche und Begierden massigen,
wenn er sie niclit vernicliten kann; er soll „dem Gewinn, dem Ehr-
geiz und dem Vergnügen den Rücken kelu'en." Nui* so befreit sich
der Menscli von der Berührung mit der Welt, welche die Haupt-
Ursache des Verlangens und damit der Schmerzea und der Noth ist^
welche den >ren sehen treffen.
Die Übel aber, die trotz einer einiachen, mässigeo, leidenschaftslosen
tiebensweise miTermeidlich sind, muss man (und dies ist der zweite
Grundsatz der Sittenlehre) mit Geduld tragen, denn dann sind sie am
ertrftglichsten. In gleicher Weise hat man das Unrecht, welches von
anderen zngeifllgt wird, in Geduld hinzunehmen und Misshandlungen inhig
und ohne Hass gegen die Verfolgs zu ertragen: „die Verstfimmelnng be-
freit den Menschen von Gliedern, die doch yergäuglich sind, und die
Hinrichtung von diesem schmutzigen Körper, der doch stirbt" Hass darf
man denen, die uns misshandeln, aber deshalb nicht entgegentragen,
weil 'alles, was uns so widorfahrt, Strafe ist für Handlungen,
welche wir in diesem, oder in einem früheren Leben begantren haben.
Wie nun jeder tiir sich selbst die Schmerzen des Daseins zu ver-
mindern suchen soll, so soll er auch (und dies ist der dritte (Grund-
satz der Sittenlehre) die Leiden seiner Mitmenschen vermindern. Alle
Menschen ohne Rücksicht auf Stand und Geburt und Volk bilden nach
Buddha^s Anschauung eine grosse Leidensgenossenschaft; es ist ihre
Aufgabe, dass sie sich gegenseitig nicht noch andere Leiden zu deneOt
welche schon dmch ihre Existenz über sie verhangt sind, zufügen,
dass sie sich viehnehr gegenseitig das Ertragen der unvermeidlichen
Übel erlekhtem. Demnach gebietet Buddha, allen hMeoageoom».
gegenüber ohne Selbstsucht zu sein und nichts filr sich zo verwen-
den, was f&r andere bestimmt ist; harte Worte zu ihnen zu sprechen,
ist eine Stlnde; was zur Ehleichterung des Looses der Mitmenschen
und zur Beförderung ihi*er Schmerzlosigkeit geschehen kann, soll ge-
schehen; keinem lebenden Wesen soll Schmerz bereitet werden, und
man soll auch Mitgefühl mit den Schmerzen der Thiere haben, alte
und kranke Thiere pflegen.
Ausser diesen allgemeinen sittlichen Forderungen legte Buddlia
seinen Schülern im engeren Sinne, welche „zur hiichsten Befreiung"
gelangen wollten, noch weiter auf, dass sie „der Welt entsagen",
d. h. in Keiiscliheit und Arimifh lebten, ,.Bikschu" wären. —
Enthaltsamkeit, (Teduld und Barmherzigkeit sind die drei
Cardinal fugenden des Buddhisten. Es ist nun zu erwarten, dass diese
Sittenlehre Bnddha's sich als im engen Zusammenhang stehend erweisen.
Üiyitizcü by GoOglc
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werde mit seinem Pessimismus, so dass dieser sich als die theore-
tische Grandlage der praktischen Fordenmgeii ergeben werde und
ab die Anschmnuig, welche allein den praktischen Lebens-
xweek fikr Buddha bestimmt
Diese Vermnthnng wird wenigstens dadurch schon nnterstfitst»
dasB man in der buddhistischen Sittenlehre nichts von Askese findet^
dass im Gegentheil Buddha gerade der brahmanischen Askese völlig
den Abschied gab. Dieser Umstand ist in der Tbat, nm mich des
Ausdrucks zn bedienen, eine ne<2fative BestMi^inor für jene Vermuthung,
urnl ich lege auf denselben ein niclit uubedeAitendes Gewiclit. Wie
ich schon beim Brahmanismus hervorhob, ist die Askese die frei-
willige ( beniahme von Schmerz, die llbung in dieser Übernahme,
sei es durch positives Hervorrufen von Schmerz, sei es diiicli das
negative Verhalten gegenüber positiver Freude, d. i. durch Euthalt-
MDdieit. Da nun aber auch Buddha als erstes Gebot die Enthaitsamr
leit predigt, so wird ja doch der Seheui erweckt, dass er, wenn auch
nicht die brahmanische, so doch seinerseits auch eine Art der Askese
gefordert habe.
Wenn man hier nicht um Wortstreit stecken bleiben will, so ist
es nftthig, den Begriff der Adceee nfiher zu bestimmen, wie wir ihn
auf Grund der historischen Srscheinungen, welche den Namen aske-
tische trafen, gewonnen haben, indem hierbei vorerst der Buddhismus
uatlilich nicht in Frage kommt. Da ergibt sich denn, dass die As-
kese bei den Brahmanen, bei den Juden, bei den Ägyptern und bei
den Christen die übungsgeraässe Übernahme von Schmerz ist zu dem
positiven Zweck, das, was am Menschen ewig ist, durch solche
Schmerzübungen von dem, was am Menschen vergänglich und ungütt-
hch ist, zu befreien, d. h. jenes Ewige ausser und über das Veigäng-
hche zu stellen schon in diesem Leben. Diesen Zweck sielit man
stets mit jener Schmerzübunir der Askese verbunden, ja diese erhält
durch denselben erst ihre rationale Begründung, ohne ihn stände
m unverstanden da. Die Askese tritt bei allen diesen Völkern dem-
nach als der positive Zweck auf, das Göttliche im Endlichen im
iCe&schen auf sich selbst zu stellen.
Will man nun die buddhistische Enthaltsamkeit eine Askese
nennen, so fehlt ihr vor Allem der positive Zweck; denn die Ent»
haltsamkeit der Buddhisten ging auf die Vernichtung dessen, was
tberhanpt Seele ist, aus. Wenn Duncker meint (EDL 269): „Im Grunde
kam es doch auf dasselbe hinaus, ob man die Seele tOdtete, indem
aan sie ins Brahman versenkte, oder sie durch das Nirvana vernichtete^
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ob man von den zui' Erlösunjr Emporstrebenden verlangte, HeiTen
ihier Sinne za sein, wie die Brahmanen, oder sich von der Empfin-
dung und vom Körper, vom Dasein loszubinden, wie Buddha": 90
kann ich diesem nnr in Hinsicht auf das factische Resultat des Stre-
bens beistimmen, indem nfimlich in beiden FflUen das Individunm aJs
solches TBiniehtet und zwar dorch Enthaltsamkeit vernichtet
wurde. Ein emschneidender Unterschied bestand aber, insofern der
Brahmane diese Enthaltsamkeit ftbte, nm das, im an ihm als Seele
Brahman war, ans seiner Verbindung mit dem Nicht-Brahman zu er-
lösen nnd als reines Brahman in seinem ewigen Sein anf sich zu
stellen, wfthrend der Buddhist enthaltsam war. nm das, was Seele
ist (die ..Form" sowol als auch die „Materie" derselben) zu ..erlösen**,
d. i. zu vernichten. Diesem negativen Zweck der buddhistischen
Ethik gegenüber hätte aber ihre Enthaltsamkeit, als Askese auf-
gefasst, gar keinen Sinn, da nicht einzuselien ist, warum man i\k
Seele, welche verniclitet werden muss, sicli nocli ülten lassen öoll in
Ertragung des Schmerzes, sich also in ihrer Kraft noch stäh-
len, in ilirem eigenen Sein kräftigen lassen soll.
In der eigentlichen Askese femer wird der Schmei'z gesucht,
man will mit ihm kämpfen, an demselben in seiner Kraft sich übeD.
Nichts von diesem Kampfesmuth findet sich in der buddhistischen
Enthaltsamkeit, nichts von diesm positiven Streben, mit dem Schmelze
handgemein zn werden, sondern das Gegentheü liegt ihr zn Gnade:
die Sehen vor dem Schmerze, das Streben, ihn zu vermeideiL
Diese Gründe sind es, welche mich bestimmen, in dem ersten
Grundsatz der buddhistischen Sittenlehre nichts von dem, was in alkn
anderen Ersdiehiungen das Wesen der Askese ausmacht, anzQe^
kennen, und daher auch der Enthaltsamkeit Bnddha^s das Prft*
dicat „asketisch" dnrchans vorzuenthalten. Dabei soll freilich nicht
geleugnet werden, dass in praxi die asketischen äusseren Thateu
der Brahmaneu. sofern sie im Versagen von sinnlidien Freuden l>e-
stÄuden, durchaus denjenigen der Buddhisten, welche Äussenmgen des
Grundsatzes der Enthaltsamkeit waren, glichen. Ja diese äussere
Gleichlieit mag dazu beigetragen haben, dass sich in den Buddhismus
später wirklich asketische Übungen einschlichen, Übungen, die aber
dem sittlichen Zwecke, wie ihn wenigstens Buddha fornmlirt hatte,
zuwiderliefen. Dieses Überspringen von der buddhistischen Enthaltsam-
keit zum Extrem derselben, zur brahmanisch- asketischen Enthalt*
samkeit, war aber eben erst dann möglich, als das Nirvana Mine
nrsprttnglich rein negative eines Nichts mit einer positiven Bedentoog
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einer biiiimlisclieii Existenz vertausclit liatte, und als in den Buddhis-
BUS das (jottesbewusstsein hereingenommen war.
Dass der Sittenlehre Buddha's die asketische Tendenz fehlt, ist
ein „ne,?atives" Moment zur Bestätigung der Annahme, dass in der
Tbat für Buddha der Pessimismos die theoretische Grund-
lage seiner praktischen Forderungen gewesen sei. Gesetzt den
nun, diese Annahme hätte sich bewahrheitet, so liesse sich
wiedomn ans ihr unschwer deduciren, dass Askese in der pessimisti-
tthen Sittenlehre Bnddha's keinen Platz gefhnden haben könnte, weil
eben Askese wol Pessimismus (wie bei den brahmaaischen Indem)
henromfen , nicht aber Pessimismus Askese erzeugen kann. Der
Pessimismus wird nie das Leid suchen, nie das Leid zu steigern
sich bestreben, sondern vielmehr allein auf Verminderung des
Leids bedacht sein; alle Forderungen daher, welche eben als aske-
tisdiH leidschaflfende sind, werden vom Standpunkt des Pessimismus
aus als dein praktischen Lebenszweck der Leidverminderung zuwider-
iaultfud erscheinen müssen.
Ich habe oben den Selbstmord die praktische Consequenz des
reinen Pessimismus genannt; nun könnte es dem gegenüber inconse-
qoent erscheinen, wenn ich die Askese ausser jedem Causalzusammen-
hang zum Pessimismus als angeblichem Grunde desselben stelle. Man
wird hierin jedoch solche Inconsequenz nur dann finden, wenn man
die Askese fälschlich als einen langsamen Selbstmord anfifasst;
denn, mag auch die Askese sich factiseh herausstellen als ein lang-
samer Selbstmord, so ist dieselbe von Seiten des Asketen selbst doch
keineswegs so anfii^efiust und durchaus nicht in solchem Sinne von
ihm praktisch übernommen worden, sondern nur als ein „Absterben
dem Sinnlichen und Irdischen**.
Nach Erledigung dieser Vorfrage, betreffend das Verhältnis des
Buddhismus und speziell des buddhistischen Pessimismus zur Askese.
p\i es nunnjehr, da der Pessimismus als tlieorctische Voraussetzung
und Grundlage der Sittenlehre Buddlia's noch bestehen geblieben ist,
die Untersuchiinir anzustellen, ob die Sittenlehre in der That als eine
einfache Consequenz ans Buddha's Pessimismus sich ergebe.
Buddlia's Pessimismus ist zunächst ein rein empirischer, er
ist eine „Ertah rangst hat suche*', die von ihm dann auf das Ich, die
äeele, als ihren „physischen'' Grund zorückgefUhrt wird; dieser sein
Pessimismus iiat demnach in keiner Weise einen „metaphysi-
schen'' Hintergrund, sei es einen religiösen, sei es einen abstract
pbüosophiechen. Um so mehr mttsste es nun uA Grunde Wunder
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nehmen, dass Buddha, um den im pessimistischen Sinn <reda(:}iteu
Lebenszweck des Menschen, nämlich die Befreiung von dem Übel, zu
erreichen, nicht zum Selbstmord als erster und einzig radical erlösen-
der Maxime i^^ritf. Was ihn aber hieran hinderte, waren jene obenan-
geführten, neben seinem Pessimismus herlaiitenden , aber in keinem
logischen Connex zu demselben stehenden Vorstellungen von der Sub-
stanz Seele und von deren Wiedergeburten. Indem diese Voi*st«llun-
gen sich geltend machten, ergab sich der Selbstmord als zwecklose
und daher nicht als eine „sittliche" Handlung, denn mit der Ver-
nichtung des Körpers erschien dem Buddha die Seele in ihrer Existenz
in keiner Weise vermindert, ihr stand vielmehr nach derselben wieder
in einer neuen Incamation ganz derselbe Znstand» als wie sie ihn vor
derselben innegehabt hatte, in sicherster Aussicht, also sie wSre durch
den Selbstmord auch nicht um den kleinsten Schritt dem Nirvana
näher gekonunen.
Das Übel des Daseins hat nun nach Bnddha seinen Grund in
dem der Seele anhaftenden Triebe nach Dasein; dieser aber wird
vom Menschen erstickt werden müssen. Das beständige Verlangen
nach Dasein zieht die Seele, nach dem Absterben üires Leibes, immer
wieder in das Dasein zurück, treibt sie immer wieder in die Koi-per-
welt, bekleidet sie immer wieder mit einem neuen Körper: ,.aUe Ein-
kleidungen sind vergänglich, alle Einkleidungen sind schmerzvoll.''
Hört das Verlangen nach Dasein auf, so ist das Nirvana, das
Nichtsein von der Seele erreicht: jenes Verlangen zu tilgen, ist
daher die Aufgabe des Menschen, und diejenige Handlung, welche
dieser Aufgabe entspricht, ist sittlich, diejenige aber, welche ihr nicht
entspricht, ist unsittlich.
Dieser Anschauung gemäss sind Enthaltsamkeit und Geduld
sittliche Grundforderungen des Pessimismus, die ihm ebenso zweifellos
allgemeine und noth wendige Grundsätze sind, als das dem Verlangen
nach Dasein entspringende Obel des Daseins allgemehi ist Sie er-
geben sich aas dem von den Vorstellungen der Substanz Seele and
ihrer Wiedeiigebarten begleiteten Pessimismos» da der Selbstmordsweg
eben durch jene Vorstellungen verbaut worden ist Denn wenn es
wahr ist, dass die Befriedigung eines jeden Begehrens die Quelle
nur noch grösseren Leides ist und der sich so befriedigende Mensch
Jenem gleicht, welcher seinen quälenden Durst mit Salzwasser zu
löschen sucht: so kann die Befreiung vom Leid nur auf dem entgegen-
gesetzten Wej^ gesucht werden, nämlich in der Enthaltsamkeit, welche
den an den Menschen herankommenden Beizen der Willenäbelriediguag
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nicht Folge gibt, und in der Geduld, welche dem an den Menschen
nothwendig herankommenden Übel sich nicht \sidersetzt; da in beiden
Fällen sonst nur noch eine VennehruDg des Übels einträte. Enthalt-
samkeit und Geduld erscheinen unter diesen Umständen als diejenigen
sitUichen Forderungen, die, selbst noch abgesehen vom letzten
Lebenszweck, venigstens das Übel des Daseins am erträglichsten
BMchen und insoftni dem ursprikngMchsten Streben des Pessimisten,
Aufhebung seines Leids zu erreicben, so weit es möglich ist, gerecht
werden können als Klugheitsmassregeln. Dieselben gewinnen
dsan fireüich eine Tertiefhng dadurch, dass der empirische Pessimismus
specnlatiy begrflndet wird durch seine Ableitung aus dem Wesen
der Seele, in welcher ,.der Trieb nach Dasein unveräusserlich hafte".
In Folge davon erhalten Eutli;ilt,samkeit und Geduld in Hetreti'
des Leids nicht nur eine relative sittliche Bedeutung, insofern sie
dasselbe im Leben des Menschen vermindern, sondern auch eine ab-
solute, da sie durch praktische Verhinderung des Triebes nach
Dasein diesen Trieb selbst d. h. mit anderen Worten die Seele und
damit das Leid des Menschen endigen können. In dieser letzteren
Tendenz werden sie nun noch gestützt durch die speculative Er-
kemitnis, dass das Dasein eben das Übel selbst ist; denn diese Er-
kenntnis schwächt schon an und für sich das Verlangen nach Dasein,
so dass man um so leichter zu der Entsagung geUingt, „kerne Vor-
stellung, keinen Eindruck mehr empfangen und somit nichts mehr
verlangen zu weUen**. Mit dieser Vernichtung des Verlangens Ist
dann nach Buddha die Fessel des Daseins yOlüg gebrodien.
Was demnach der empirische Pessimismus schon sls Elugheits-
massregel ^pfcdden würde, das bestätigt und yertieft der speculative
buddhistische Pessimismus zu absolut zwedientspreehenden Grundsätzen,
nämlich die Forderung der Enthaltsamkeit und der Geduld. Man
darf hier aber die Anmerkung nicht vergessen, dass diese Forderungen
gleichsam an die Stelle des Selbstmordes treten, beim empiiischen
Pessimisten, weil er seinen Pessimismus für das eigene ljel)en doch
noch immer als eine „zufällige Geschichtswahrheit" anzusehen geneigt
ist und noch an ein mögliches Ende des lUjersrhusses der Un-
lust im eigenen Leben glaubt, bei Buddha aber, weil er an die
Wiedergeburt der Seele glaubt.
Der absolute Zweck, welchen Buddha in Gemässheit der specu-
lativen Grundlegung seines Pessimismus aufstellen musste, war für
jeden Menschen nun freilich ein und derselbe, aber dennoch kein ge-
meinsamer; denn ein jeder hatte seinen eigenen, besonderen Lebens^
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zweck, nämlich speziell die VemichtUDg seiner Existenz. Da nun
dieser Zweck nach Buddha's eig:ener Reflexion durch Enthaltsamkeit
und Geduld zu erreichen sein sollte, so könnte man anzunehmen be-
rechtiget sein, eben jene beiden Forderuno:en hätten die Sittenlehie
desselben schon völli*-- ausofemacht, wenn anders die Sittenlelire über-
haupt die Aufgabe erfüllen soll, dem Menschen dei^emgen Weg zu
zeigen, auf welchem er den erkanntea Selbstzweck seines Lebens er-
reichen wird.
Ansrn zwei beregten Forderungen jedoch verkündete Buddha
noch die Bannherzigkeit gegenfiber den flbiigen Leidensgenossen, den
Menschen und den Thieren; es fragt sich nun, ob auch diese dritte
Forderung mit dem buddhistischen Pessimismus und dem ans ihm
resultirenden ^^ttüchen** Lebenszweck organisch zusammenhängt
Gestützt durch die Erkenntnis von der absoluten Nichtigkeit des
Daseins hatte die Enthaltsamkeit einen doppelten Zweck, indem sie
einmal, mit der Geduld zusammen, das Leid der diese Tugenden Üben-
den in diesem Leben möglichst vermindeni und dann nocli iiu- sich
allein die gänzliche Vernichtung der tugentlhatten Seele einleiten soll.
Das erstere war gleiclisam der, unwillkürlich aus dem pessimistisch
erfahrenen Leben hervorspringende, nähere Zwei-k. das letztere der
gleichsam willkürlich, nämlich aus dem durch eigenes Nachdenken
speculativ ergründeten Pessimismus construirte, entferntere Emi-
zweck. In Collision konnten aber diese beiden Zwecke im buddhi-
stischen I'essimismus deshalb nicht kommen, weil für ihn niemals das
Leid des Lebens so yerringert wurde, dass das Dasein ihm nicht mehr
ein Übel gewesen wSre. Jener erstere Zweck konnte also nie eine
solche Verminderung des Leids realisirbar yorsteUen, so dass eine
etwa aus seiner Bealisirung resultirende Positivität der Lustbüance
das Dasein nicht mehr als Übel erwiesen und damit den bnddhistiflcfaeii
Endzweck des sittlichen Handebs, Vernichtung des Dasehu, auf-
gehoben hätte. Sobald ein derartiger Gedanke sich Bahn brach, muaste
der buddhistische Pessimismus selbst geknickt sowie aus dem Mittel-
pnnkt der buddhistischen Weltanschauung gerückt werden, und muss-
ten die bisher dem Zwecke der Leidvermindening dienenden Tugen-
den der Enthaltsamkeit und Geduld, wenn sie beibehalten wurden,
dann auf ein für die Seele positives Resultat zielen und somit
dann allerdings asketischen Charakter erlialten.
Ich erwähne dies letztere deshalb, weil im Blick auf den dritten
Grundsatz der buddliistischen Sittenlehre die beiden ei steren vielleicht
eine asketische Jb'ärbung erhalten haben, und wenn sich dies best&ü-
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gen sollte, so würde dann zugleich schon ein Beweis dessen liegen,
<Uss der Grundsatz der Barmherzigkeit wenigstens nicht in or-
ganischem Zusammenhange mit der pessimistischen Weltanschammg
Boddha's steht, weil dei'selbe eben in das Handeln des Bnddhistai ein
asketisch es Moment einführt
Es bedarf nun in der That, nm dies za zeigen, nur des ein&chen
Hinweises, dass in der Forderung der Barmherzigkeit in vielai Fftllen
die Togenden der Enthaltsamkeit nnd Geduld gleichsam als Kehr-
seiten derselben sdion mitgefordert werden, nicht aber etwa umgekehrt,
VDd dass sie im Verein mit jener dritten selbst ein ganz anderes
Aussehen bekommen. Für sich allein können sie freilich, wie ich
ffczeisrt habe, pessimistische Tagenden sein, welche durch die
Zweckvoi"stellung der Leidverminderung und Leidveruichtung gerufen
sind, in der engen Verbindung mit der Rarmherzigkeitstbrderung aber
erscheinen sie als asketische Tugenden, in denen nunmehr nicht
das Motiv, das eigene Leid zu vermindern oder zu vernich-
ten, sondern vielmehr dasjenige, Mühe und Leid zu Gunsten eines
Andern freiwillig auf sich zu nehmen, eintritt; der Zweck ist also
bier ein positiver: die dem Andern zugefügte Wolthat. Man wird
Ineraos begreiflich finden, dass auch im Buddhismus schon von vom-
herem Askese gefimden werden wollte; jemehr nftmlich grade das
Gesetz der Barmherzigkeit in den Vordergrund trat, destomehr Asketi-
adies kam in die Forderung^ der Enthaltsamkeit und der Geduld hinein.
Aber auch abgesehen von diesem indirecten Beweis des Einflusses
auf die zwei ersten Grundsätze, lässt sich aus der Forderung der
Barmherzigkeit selbst der Beweis tiefem, dass sie nicht ans dem
buddhistischen Pessimismus erwachsen sein kann. Ein Anderes
nämlich ist es, der Grund einer sittlichen Forderung sein, und ein
Anderes, auf ein und dieselbe Tliatsaclie, wie sie, zurückweisen. Die
-Thatsache" des allgemeinen Leids nun lag als empirischer Ausgangs-
punkt dem speculativen Pessimismus Buddha's zu Grunde, dieselbe
Thatsache. insofeni sie an den Anderen, den „Leidensgenossen'', auf-
trat, war die Ursache jenes Mitleids, aus dem heraus Buddha seine
Barmherzigkeitsforderung formulirt hatte. Zu dieser war er aber nicht
gelangt auf Grund seines Pessimismus und dem sich daraus
entwickelnden Streben, das eigene Leid zu heben, und er
konnte auf diesem Wege auch gar nicht dazu gelangen, weil die
Barmherzigkeitsforderung dundiweg zu Jenem Streben in di-
recte Opposition tritt. Die QneUe einer solchen Forderung war
viehnehr allein das durch das Leid der Nebenmenschen und Thiere
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im Menschen unmittelbar hervorgerufene Mitleid, wek;lies in Buddha's
Wesen offenbar besonders günstige Beactionsbedingüngen gegenüber
dem fremden Leid vorfand.
Nicht das eigene Leid also, aber auch niclit das Leid der an-
deren Wesen ist der Grund, sondern nur die Veranlassung zur
Au&teilung Jenes Grundsatzes; der theoretische Grund des letzteren
ist vielmehr die Behauptung von der Leidensgenossenschaft der
lebenden Wesen. Nicht weil alle Wesen leiden, soll Barmherzigkeit
vom Einzehien gettbt werden (dieses „wett^ wftre schlechterdings niefat
zu begreifen), sondern, weil alle Wesen Leidensgenossen sind. Diese
Behauptung aber ist derjenigen des Pessimismus nicht etwa unter-
geordnet und aus ihr abgeleitet , sondern steht ihr im buddhistischen
System nur nebengeordnet zur Seite, und die auf ilir gegiündete sitt-
liche Furdei-untr der Barmlierzig-keit hat zum buddhit^tischen Pessimis-
mus als Sülcliem kein organisches Verhältnis. Dieser wollte die Ver-
nich tunjr der eigenen Seele; aus der Tugend der liarmhei-zigkeil
aber resultii'te eine glücklichere Lage der Seele des Anderen,
oder, wenn man lieber will, eine Verminderung ihres Leids; diese letz-
tere aber stand als solche in keinem Zusammenbang mit der Ver-
nichtung der eigenen Seele.
Es ist vom ausschliesslichen Standpunkt des Pessimismus
Buddha's aus in keiner Weise einzusehen, wie die Barmherzigkeit, d. L
die Linderung der Leiden Anderer zur Aufhebung der eigenen Lebens-
ezistenz beitragen kOnnte, und daher vermochte auch von ihm aus
diese „Tugend", welche aus dem Mitleid entsprang und dann theore-
tisch auf die Lehre von der Leidensgenossenschaft der Wesen
gegrOudet ward, durchaus nicht als Tugend begiiifen zu werden, weil
sie ihm zwecklos dttnken rousste.
Überdies steht das Gebot der Barmherzigkeit, wenn auch psy-
chologisch im Mitleid gegründet, im Buddhismus nicht speculutiv be-
gründet; Buddha erklärt einfach: ,,Den Leidensgenossen sollen die
Leiden gemindert werden." Diese Forderung tritt völlig unvermittelt
auf und ist auf keine metaphysische Basis gen^riiiidet. was eben frei-
lich deshalb nicht geschehen konnte, weil Buddha überhaupt keine
Metaphysik in seine Anschauung aufgenonuuen hatte. Sie ist ein
Macht gebot Buddha's, das allerdings am menschlichen Mitleid einen
Anknüpfungspunkt und an der (iemeinsamkeit des Leids, an der
Leidensgenossenschaft der Wesen einen t hat sächlichen Rück-
halt besass, das abei* als solches sich nicht mit dem buddhistisch-
pessimistischen Streben organisch verknüpfen Iftsst
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Indes ward doch daföi*. dass das Machtgebot einen allgemeinen
und zwingenden Charakter erhielt, Ratli geschafft vermittelst jener
Voi-stellung von der Belohnung and Bestrafung in den Wieder-
gebarten. Barmherzigkeit erweisen, hiess es n&mlich, hilft der Seele,
dem Nirvana nfiher zu kommen, da die Belohnung in einer „besseren*',
d. i die gänzliche Yemichtnng mehr ennOglichenden, Wiedergeburt
vom Schicksal anogezahlt wird. Dadorch war die Forderung nun zn
einer baddhistisch-sittlichen gestempelt, sowol in dem Sinne, dass sie
allgemein und nothwendig erschien, als auch in dem andern, dass sie
wenigstens auf ümwegen dem buddhistischen Lebenszweck diente; und
hatte sie auch ihren ürspning nicht ans dem Pessimismus genommen,
so liess sie sieh mm mit Hilfe jener Verpfeltungslehre widci*spruchslos
unter den buddhistisch-pessimistischen Lebenszweck stellen, wenn nur
einmal erst peremptorisch von Buddha erkläit war, dass sie in das
Vergeltungsressort hineingehöre.
Uber das Verhältnis des Pessiiiiismus Buddha's zu seiner Sitten-
lehre lässt sich nun das Urtheil kurz so zusammenfassen: Ans dem in
den Mittelpunkt seiner Weltanschauung gestellten Pessimismus heraus
ist Buddha mit Zuhilfenahnie der Vorstellung von den Wiedergeburten
der Seele zu seinen zwei sittlichen Forderungen der Enthaltsam-
keit and Geduld gekommen, während er die dritte Forderung der .
Barmherzigkeit aof die „Thatsache" der Genossenschaft der leidenden
Wesen stützte, und dieselbe zum sittlichen Gebot erhob, indem er sie
mit seinem pessimistischen Lebensziel in Einklang brachte vermittetst
der Vorstellung der Belohnung (Annäherung ans Nirvana) und Bestra-
ftmg (Entfernung vom Nirvana) an die Erf&llung respective Nicht-
etfftUnug jener Forderung geknüpft wäre. Es lässt sich nicht leugnen,
dass besonders die drei theoretischen Httlfssätze von der Substanz Seele,
von den Wiedergeburten und von der Vergeltung in denselben der
pessimistischen Sittenlehre Buddlias erst ihr bestimmtes Gepräge
gegeben, und dass der Grundsutz der Barmherzigkeit seine theore-
tische Grundlage nicht im Pessimismus habe. Immerhin muss
aber zugleich zugestanden werden, dass die Sittenlehre Buddha's,
wie sie nun einmal vorliegt, im vollsten Sinne eine pessimistische
genannt zu werden verdient, da in der That alle ihre sittlichen For-
derangen, sei es direct (Enthaltsamkeit und Geduld), sei es indirect
(Barmherzigkeit), dem pessimistischen Lebenszweck, der Ver-
nichtung der Seele, unterstellt sind.
(Fortaetxuag folgt.)
Üiyitizcü by GoOglc
1
Ans dem Sclmllelieii der Sehweiz.
Von H, Morf-Winterthur.
(Schlnss.)
vn.
Bis 1869 var die AnsteUimg der Primariebrer und der Geist-
lichen eine lebenslSngliche. Die vom Volke am 31. M&rz 1869 got-
geheissene Landesyerfassimgf hob die Lebenslftnglichkeit für beide
Stände auf und setzte fest: „Es unterlieg^en die Lehrer an der
Volksschule (ebenso die Geistlichen) alle sechs Jahre einer Be-
stätigungswahl. Wenn bei der diesfälligen Abstimmung die ab-
solute Mehrheit der stimmberechtigten (4emeindegenossen (männliolie
, Einwolmer vom 20. Jahre an) die Bestätigung ablelint, so ist die
Stelle erledigt und neu zu besetzen." Also ergeht jedes sechste
Jahr ein grosses Volksgericht über die Lehrerschaft. Das
letzte hat im Frülgahr 1880 stattgefunden. Und wie lautet der
Spruch?
Der Kanton Zürich zählt zur Stunde 577 Primarlehrer und 47
Prlmarlehrerinnen. Von den sftmmtlichen Lehrern und Lehrerinnen sind
16 nicht wieder bestfttigt worden. Von diesen 16 sind 3 in einer
zweiten erneuerten Abstimmung von ihren eigenen Gemeinden wieder
gewählt worden. Die Bestätigungen erfolgten zu einem guten Thefl
einstimmig. Wol ein glänzendes Zeugnis. Eine Öffentliche Stimme
aus dem Volke Hess sich nach den Wahlen also vernehmen:
„Die grundsätzliche Beseitigung det Lebenslänglichkeit ist T<m
der zürcherischen Demokratie 1868 gefordert und vollzogen, von den
Betroffenen mit grossen Besorgnissen eiiiptaiiui n worden, ^"erhehlen
wir uns das letztere nicht: Manche Lehrer, die sonst tapfer mit dem
deuiokratischen Programm marschii'ten, hatten in diesem Capitel, laut
oder leise, ihre Scrupcl."
..Das heutige Facit lautet unzweifelhaft dahin, dass die geheju^teii
Besorgnisse sich gar nicht oder nur zum kleinen Theil realisirten, und
Üiyitizcü by GoOglc
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•
dass, umgekehrt, die Träger des Amtes nunmelir auch die Lichtseit^en
der demokratischen Eiurichtuug zu würdigen wissen."
„Das hat Tor kurzem ein geaclitetes Mitglied der Lehrerschaft
bezengt, und zwar in bündigen und deutlichen Worten: die Lehrer-
schaft sei zufrieden und bernhigt; beruhigt über die Furcht, dass das
Volk allzu hart, leiehtf6rt% und nrtheillos mit seinem Wahlrecht um-
gehe; zofdeden mit der Er&hrong, dass im Grossen imd Ganzen Bil-
ligkeit nnd Anerkennnng redlidier PflichterfiUlnng waltet und dass in
dieser Anerkennung ein mächtiger Hebel nnd Impuls fOr unabhängiges
treues Arbdten, ü&r geistige Frische und Freudigkeit liegt; zufrieden
auch damit» dass da und dort unhaltbare Vevliältnisse ohne viel Feder-
lesens gelöst, unwürdige Träger des Amtes in aller Buhe bei Seite
gestellt werden."
„Es ist noch nicht gar lange her, so wurde ein kleiner Sturm
ani^blasen gegen das Seminar, gegen die destructiven, materia-
listisclien und irreligiösen Tendenzen eines grossen Tlieils
unserer Lehrers c h a f t . und wen n dergleichen Anklagen zum z w ö 1 f -
ten Mal repetirt werden, so glaubt schliesslich da und dort einer an
deren Triftigkeit, auch wenn er selber darüber nichts Genaues weiss,
nichts davon gespürt und erfahren hat Das Bestätigungsvotum durch
das Volk hat in dieser Kichtung eine deutliche und ernste
Lection zu Gunsten der Lehrerschaft ertheilt. Möge die letz-
tere das Factum nicht unterschätzen und aof die gute Seite der perio-
discben Wahlen buchen. Das Volk ist Ton all den NOrgeleien und
Zänkereien Aber die Freigeisterei der Lehrer wenig afficirt worden.
Es taxirt die Leistungen der Schule, die Lebenshaltung und die Ehren-
haftigkeit seüier Sclmllehrer und trifft darnach seine Wahl Die
Anklagen gegen die ganze Corporation zerfallen vor diesem
Yotani in Staub und Asche, und die Träger des Lehramts wissen,
woi an sie mit ihrem Volk und mit der Behauptung einer freien, un-
abhängigen ÜberzeULTung sind."
„Die 16 Fälle von Niclitbestätigung lassen sich in ihrer Mehrzahl
80 erklären und begreifen, dass man sagen muss: Es war richtig und
begründet, das Verhältnis zu lösen. Einige wenige Eälle mögen es
sein, wo von Härte und Unbill zu reden ist, und gerade von diesen
Fällen haben drei (zwei in Ratz, einer in Xeubrunn-Tui'beathai) sofort
üire Correctur und Rehabilitation gefunden."
„Das Volk ist mit der periodisclien Wahl zuMeden, hält sehn
Becht in Ehren nnd macht sorgfaltigen Gebranch davon. Die Lehrer
bezeugen, dass sie in der Ausübung dieses Volksrechtes bis jetzt wenig
Üiyitizcü by GoOglc
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Gtefahr für unabhängiges Wirken, wol aber vielfach die innere Kräfti*
guug zum Beruf und eine berechtigte Controle gefunden liaben."
Der staatliche Amtsbeiicht pro 1880 lautet für die Lehrer ebenso
ehrenvoll :
„In der Anerkennung des Pflichteifers und des sittlichen
Verhaltens der Lehrerschaft herrscht in allen Berichten erfrea-
liche Übereinstimmnng. Die Erneuenmgswahlen im Frühjahr 1880,
velche im Ganzen von über 500 W ahlen 16 Nichtbestätlgongeii er-
gaben, haben den Primarlehrem ein ehrendes Zengnis ansgestellt
Wenn auch einzelne Ansnahmen nicht nnerwfthnt bleiben dMen, so
sind doch die meisten Bezirksschnlpflegen in der angenehmen Lage,
ansdrüddich sämmtliche Lehrer nnd Lehrerinnen in ihrer Pflicht-
erfüllung als nnklagbar zu bezeichnen."
Diese Ansnahmen specialisirt der Amtsbericht also: „Bei Ge-
legenheit der Verabscheidung der Jahresberichte der untern Schul-
behürden wurde gegenüber fünf Priniarlehrern die Erwartung aus-
gesprochen, dass ihre Leistungen von der Bezirksschulpflege nicht
mehr als ungenügend bezeichnet werden müssen."
„Ein Priniarlehrer musste seiner Stelle als verlustig erklärt wer-
den, weil er sich eigenmächtig von derselben entfernt hatte."
„Auf die Meldung der Staatsanwaltschaft, dass ein Lehrer durch
bezirksgerichtliches Urtheil der Amtspflichtverletzung durch Fahrläs-
sigkeit (körperliche Züchtigung von Schülern) schuldig befunden und
demselben eine Geldbusse auferlegt worden sei, wurde die betreflende
Bezirksschulpflege eingeladen, der Amtsführung dieses Lehrers ihre
besondere Aufinerksamkeit zuzuwenden.'*
„Einem andern Lehrer musste wegen mangelhafter PflichterfttUnng
eine Rflge ertheüt werden.**
Der ehrenvolle Ausgang der Emeuerungswahlen stellt auch die
yon orthodoxer Seite so oft erhobene KUge aber die Religionsloeig-
keit der zarcherischen Lehrer, ins richtige Lieht In ihrer Hand liegt
der Religionsunterricht bis zum Abscfaluss der Alltagsprimarschule,
also bis zum 12. Jahre (von da an besorgt denselben der Geistlichel
Nun nimmt das Volk diese Sache überall sehr enist. Dass es den
Lehrern auch darin seine volle Anerkennung gezollt, ist ein Zeugnis,
\ das höher steht, als einige Hetzartikel. Die Herbart'sche Zeitschrift:
„Erziehungssclnile" enthält in ihrer Nummer vom 1. üctober 18Ö1
folgende Mittlieilung:
„Aus der Schweiz bringt das conservative Flugblatt für Sachsen
in der Beilage zu Nr. 8 folgende, die Simultanschule femerweit ch»-
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nktouireiicle Nachricht: In dem staatlichen Seminar zu Kflssnaeht
in Kanton Zflrich haben 56 Seminaristen anf den Unterricht in der
„Beligionsgeschichte" verzichtet. Ein eigentlicher Religionsuntemcht
wird überhaupt im Seminar nicht ertheilt. Mehrere der Seminaristen
trugen sich in der letzten Volkszählung als Atheisten in die Liste
ein. — In Bern konnte es ungeahndet geschehen, dass der Lehrer im
Eiamen fragt, ob das Beten etwas nütze? und die Kinder aus einem
Munde antworten: „Nein." Lehrer: ,,Wem ist denn ein Mensch zu
vergleichen, welcher betet?" Schüler (dreist und ohne Zaudeni): „Einem
Hnnde, welcher den Mond anbellt." Schuldirector: (dergleichen gibt's
aoch im Kanton Bern nicht) „Sie können jetzt zur Naturgeschichte
fibergehen."
Nnn ist zonftchst richtig, dass bei uns Niemand, also auch der
SeniBarist nicht, zur Theihiahme am Beligionsonterrichte gezwungen
Herden kann. Auch da „muss die Liebe ein freies Opfer sein**. Nun
sagt der Amtsbericht: »Von der Gesammtzahl der ZOglingci
denen der betreffende Unterricht offen steht, Ton 106, haben
87 den Religionsunterricht besucht;** 21 nur haben sich Yon demseDben
nicht angezogen gefühlt Femer fugt derselbe bei: „Wegen einiger
unüberlegter Bemerkungen auf dem Volkszählungsformular, deren
sich vier Zöglinge schuldig gemacht hatten und welche unnöthiger-
weise an die Öffentlichkeit gezogen wurden, kann die Leitung der
Anstalt kein Vorwurf treften." Dem Fleiss und dem Betragen der
Zöglinge gibt der Bericht gutes Lob. Das ist der Sachverhalt, der von
j^ten Christen" in edler Absicht so hübsch verarbeitet worden ist.
Die zweite Mittheüung der „Erziehungs schule" aus dem Kan-
ton Bern ist selbstverständlich bis auf den letzten Buchstaben eine
fromme — Erfindung.
Die zürcherischen Lehrer halten sozusagen ohne Ausnahme zur
entschiedenen Demokratie, betheUigen sich an politischen Vereinen
und Discussionen vie alle andern Bürger. Niemand denkt daran, das
unrecht oder ungehörig zu finden.
VIII.
Die Besoldung der Seenndarlehrer steht hdher, als die der
Primarlelirer. Der Hauptgrund liegt darin, dass man an ihre Vorbil-
dung grössere Anforderungen stellt. Wer zur Secundarlehrerprüfung
zugelassen werden will, muss sich darüber ausweisen, dass er
1. das zürcherische Primarlelirerexamen mit Erfolg bestanden,
2. mindestens ein Jahi* als Phmarlehrer gewii*kt und
Padacoginm. 4. Jkhig. Heft VIII. 81
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3. zur weitern Fortbildung mindestens ein zweijähriges Hocii-
schulstudium diu'cligemacht hat.
Die Besoldung beträgt Frk. 1800 nebst freier Wohnung, 6 Ster
Holz und 18 Ar Gemüseland. Auch an diese Besoldung trägt der
Staat die erste Hälfte und an die zweite einen Theil bei Er be-
theiligt sieb ancb bei freiwilligen Besoldangszidagen nnd riditet die-
selben Alterszolagen ans» wie an Primarlehrer.
Diese fieiwilligen Besoldungszulagen von Seite der Schulkreise
stellen sich tür jede Secuudarlehrerstelle — es sind deren an den 85
Schulen 141 — im Durchschnitt auf Frk. 400. Die jälirliche Durch-
schnittsbesoldung beziffert sich Frk. 8000 oder 2400 Mark. In
Winterthur, Zürich und andern grössem Ortschaften steigt sie bis auf
Frk. 4000.
Weiter sagt der Amtsbericht:
• „Im Femeren eiTeichen die Unterstützungen an ärmere Schüler
f&r die Mehrzahl der Scholen nicht unerhebliche Beiträge. Dieselben
werden in Form von Stipendien verabreicht, oder die betr^enden
Scbttler erhalten die Lehrmittel und Schreibmaterialien unentgeltlich,
oder es wird ihnen, namentlich im Wmter, der Mittagstisch an
Schnlort gedeckt, oder endlich die Freude eines Jngendfestes oder
eines grosseren Avsflnges bereitet Endlich werden anch allerlei Schen-
kungen von Privaten zur Vermehrung: der Sammlungen (Pinakoskop,
Telegraphenapparat), ssnr Anscha£fung von Lehrmitteln, Vergabungen
zu Gunsten des Schulfonds und freiwillige Beiträge tiir Untemchts-
z wecke verschiedener Art in den Berichten namhaft gemacht."
„Das Desiderienbuch für die Verbesserung der Secundarschulver-
hältnisse ist in der Regel weniger reichhaltig als dasjenige der obli-
gatorischen Sehnlabtheilnngen. Gleichwol ist es noch nie leer geblie-
ben, nnd es sind diesmal, von geäusserten Wfinschen etwa zu notiren:
BeschaÜing einer entsprechenden Sammlung von Modellen fikr das
technische Zeichnen, sowie passender Instrumente für Vermessungen
und Planaufiialimen nebst Abgabe zum Kostenpreise; Einführung der
Gesnndheitslehre als ünterrichts&ch in Secundar- und Fortbildnngs-
sehulen; intacte Erhaltung der Secnndarschule bei der Reorganisation
der obligatorischen Schulstufe."
Die Secun dar 1 ehrer unt/erliegen ebenfalls jedes sechste Jahr
der EiTieuerunf^swalil; sie stehen beim Volke in p^leiclier Gunst wie
die Primarlehrer und haben das Volksgericht nicht zu fürchten.
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Über die Pensianirung derVolkflsehallehrer enthalt das G^esetz
folgende Bestunmnogen: „Lehrer, welche nach wenigstens dreissigjfth-
rigem Schuldienst ans ilters- oder Oesondheitsrackslchten mit Zn-
stimmnng des Eiziehnngmthes in den Bnhestand treten, haben
Aiisitrach anf einen lebenslänglichen, vom Staat zu verabreichenden
Rahegelialt, der wenigstens die Hälfte ihrer bisherigen Besoldung be-
tragen soll und im einzelnen Falle vom Eiziehimgsrath mit Berück-
sichtigung der besondern Umstände, z. B. der Zahl der Dienstjahre,
der Vermögonsverhältnisse des Lehrers, der Art seiner Leistungen etc.,
festzustellen ist."
Die Pensionirung kann jedoch auch vor Erfüllung der di*eissig
Dienstjahre stattfinden, wenn ein Lehrer wegen dauernd gestörter
Gesundheit oder andern unverschuldeten Ursachen ausser Stand ge-
setzt ist, seine Stelle weiter zu versehen.
Ans der Staatscasse sind im Jahre 1880 an Lelirer-Pensionen aus-
bezahlt worden Frk. 94 985. Manche Gemeinden geben von sich aus
noch Zulagen zu den Staatapensionen; so erhöhte Winterthur in den
letzten Jahren solche bis anf Frk. 2200 und 2500, Je nach den Ver-
mOgensrerhältnissen der Pensionirten.
X.
Die Frage der Einführung von Schulsparcassen, die auch im
Kanton Zürich vielÜEich yentilirt worden, ist durch einen Vorgang in
der Stadt Zftrlch wol für immer und zwar in ablehnendem Sinne
«riedigt. Der Bechenschaftsbericht über die Ghemeindeyerwaltung die-
ser Stadt pro 1880 theQt mit: „Anlässlich seines 70. Geburtstages im
Jahre 1878 steQte Herr Professor Bluntschli in Heid^berg dem Stadt-
rathe 600 Frk. zur Verfügung, um damit Schulkindern ans der Arbeiter-
bevölkerung Sparbücher auzuschaifen, damit dieselben lernen, sich sel-
ber durch regelmässiges Einlegen kleiner Ersparnisse allmählich ein
<'apitälchen anzusammeln. Er wollte hiermit anregen, dass die in Gent
und andern belgischen Städten bewährte Einrichtung auch bei uns
nachgebildet werde."
„Die Sparbücher sollten anf den Namen der Kinder lauten und
diese monatlich wenigstens 20 Rpn. einlegen; jedoch sollten über
Bücher und Einlagen weder Kinder noch Eltern verfügen können bis
zur Volljährigkeit der erstem. Doch sollten sie alljährlich vom Gassen-
bestand zur Aufmunterung Kenntnis erhalten. Stürben die Kinder vor
der Vomährigkeit» so erhalten deren Erben ihre Ersparnisse.**
81*
Üiyitizcü by GoOglc
— 472 —
„Die Durchführung des Werkes ist jedoch nur möglich, wenn
gemeinnützige und gescliäftskundige Persönlichkeiten, vor allem die
Lehrei-, sich der Sache annehmen. Eine Prüfung der anderwärts über
die Schulsparcassen gemacliten Erfahningen ergab nun, dass die Frage
an sidi eine sehr bestrittene und noch keineswegs abgekläi*te ist und
dass das Institut eifrige Gönner und Freunde, wie principielle und
consequente Gegner hat. Während die Einführung desselben beispiels-
weise in Wien und Berlin und in der Schweiz in Genf und in Thür»
gan abgelehnt wnrde, feuid es vor allem und zumeist in BelgieD, dami
in Frankreich und in einzelnen deutschen Städten, so in Earlsmha
mid Ludwigsbnrg, gfinstige Aufiialime und gedeihliche Entwickelnng»
Es schien also nicht nnzeitgemäss, auch in Zfltich einen Yersnch zu
machen. Hiezn war vor allem die Hitwirkong der SchnlbehCrden und
Lehrer erforderlich. Gestutzt auf das einmfithige Gutachten des ge>
sammten Lehrerconvents , dahin lantend: „dass die Grflbidang Ton
Scliulsparcassen für die Stadt ZtHch weder ein Bedürfnis, noch im
Interesse der durch dieselbe zu erzielenden Tugend der Sparsamkeit
liege", erklärte die Stadtschulpflege in einlässlicher Moti\Trung, sie
könne sicli aus praktischen und princii)iellen Bedenken zu einer Ver-
wendung des Geschenkes im angedeuteten Sinne nicht verstehen, son-
dern müsse dem StadtraUie anheimstelleu, welcher Weg hiefüi* ein-
zuschlagen sei/*
nBei dieser entschiedenen Ablehnung seitens der Schule, die doch
zunächst und hauptsächlichst zur Mitwirkung in der fraglichen An-
gelegenheit bemfen ist, erschien die Ausflihmng unthunlich."
,,In der Antwort auf die bezügliche Mittheilung des Stadt ratlies
spracli Herr Bluntschli sein Bedauern aus, dass seine Anregung zur
Einführung von Schulsparcassen, die gleiclizeitig in Heidelberg freu-
digen Anklang gefiinden habe, in seiner Vaterstadt, welche nach sei-
nem Wunsche den andern Schweizerstädten mit ihrem Beispiel hätte
vorangehen sollen, erfolglos geblieben sei Im Sinne sdner Bestün-
mung wurde dann sdn Geschenk zu Spareinlagen für 134 Bealsehfllier
und 76 Ergänznngsschttler verwendet"
„Wenn übrigens die Kintührung von Schulsparcassen in unseren
Schulen an besonderen praktisclien Schwierigkeiten gescheitert ist.
so wird hinwieder mit Reclit daran erinnert, dass für die Ein-
lage von Spargeldern in allen, auch ganz kleinen Beträgen, Itei
uns vielleicht reichlicher als an anderen Orten Gelegenheit ge-
boten ist"
Üiyitizcü by GoOglc
— 473 —
XI.
In der Volksschule des Kantons Ziiricli sind nachfolgende all-
gemeine Lehrmittel und Apparate obligatorisch; sie müssen also in
jeder Schule, sei sie klein oder gross, vorhaudeu sein:
In der Alltagsschnle: 7. bis 12. Altersjahr.
J. H. Ziegler, Karte des Kantons ZOrich, in 1 : 50 000.
J. IL Ziegler, Wandkarte der Schweiz, in 1:250000.
Wonter, Bandegger & Co., Karte dar Sehweis ftr Brglnsiings- nnd Seeandar-
admlen. Massstab 1:760000. Winterthur, 1870.
Keller, Wandkarte der östlichen und westlichen Halbkugel.
Ausserdem sind obligatorisch eine Wandkarte von Europa: für den Zeich-
nungsunterricht: 25 Stück Flachmodelle in präparirtem Carton, 85 Wand-
tabellen, 12 Blättermodelle in präparirtem Gips.
In der Ergftnzungsschnle: 13. bis 15. Altenjahr.
Obligatorischer, physikalisch-chemischer Apparat für die
Ergänzungsschule. Derselbe enthält folgende Stücke:
1. Hebelgestell.
2. Schalenwage bis auf 0,1 Gramm
genan, nebst GrammgewichtaBats
1000 bis 0,1 Gramm.
3. Gestell mit fester und beweglicher
Rolle und mit Seconden- nnd Halb-
secundenpendel.
4. CJoramunicirende Gefässe von Glas.
5. Apparat zur Demonstration des
ai'chimedischen Princips.
d. AiSometer Arleiehte nndtdnrare
Flfissigkeiten.
7. Eingetheiltes Barometergestell
sammt Gefäss und ElUire.
8. Ebener Spiegel und Hohlspiegel
9. Glasprisma.
10. Zwei Sammellinsen mit Fassong.
11. Eine Zerstreuungslinse.
12. Thermometer, die Scala in Glas
eingeschloesen.
13. Apparat für den F^pin^sehenVerw
such.
14. Hufeisenmagnet.
15. Magnetnadel, auch als Galvano-
meter dienlich, mit Drahtbügel
und Klemmschrauben auf einem
wegnehmbaren Klötzchen.
16. Eleteoskop.
17. Elektrophor, bestehend aus einer
Ebonitplatte nnd einem Deckel
ans Zinkblech.
18. Leidnerflasche.
10. Auslader.
20. Zwei Zinkkohlenelemente in Ge-
stell.
21. Dünner Platindraht zu GlUhver-
suchen.
22. Elektromagnet,derAnker an einem
eisernen Hebel, aneh als Hoden des
Telegraphen branebbar.
23. Knpferdraht
24. LitergefÄSB von Weissblech.
25. Stehglas von 100 Kubikeenti-
metern mit eingeätzter Eintheilung.
26. Meterstab.
27. Gestell mit 13 Probirgläschen.
28. BShren von Glas, '/^ Kilogramm.
29. B5hre vonKantsehnk, 1 Met lang.
30. Weingeistlampe von Glas.
31. Betortenhalter.
32. Gasentbindungsflasehe mit Trich-
tereingussrohr.
33. 20 Korkstöpsel.
34. Runde Korkfeile.
35. Dreikantige Feile.
36. Vier EochflSsehcfaen.
üiyiiized by Google
— 474 —
1
37. Dreifass mit Dralituetz. 39. Gläserner Trichter.
38. Retorte. 40. Drei Flaschen mit (ilasstöpseLo
41. Lackmnspapier.
Diese Apparate werden von folgenden Fabrikanten verfertigt:
Nr. 2, 5, 15, 16, 22 von Mechaniker Fr. Meyer in Zürich; Nr. 3, 10,
11, 17, 18, lü, 20 von Mechaniker Zuberbühler in Zürich; 2sr. 4, 6,
7, 8, 9, 12, 13, 25—41 von Glaskünstler Kramer in Zürich.
Obligatorisch für die Ergänznngsschule sind ausserdem ein
Globus, eine Wandkarte von Europa, die Planigloben, das natnrkond-
Mche Wandtabellenwerk der Secondarschnle.
In der Secundarschule: 13. bis 1.5. Altersjahr.
Wettstein, Wandtafeln für den Unterricht in der Naturkunde.
104 Tafeln (von 60 cm Breite und 85 cm Hühei in H Tlieilen: Bota-
nik, Zoologie, Physik. Zihich, Verlag der Erziehuugsdiiection.
Botanische Sammlung,
a. NnUhOker.
Kirschbanra.
Esche.
Buchsbauui.
Birnbaum.
Eiche.
Wei88tanne.
Apleibaum.
Rothbuche.
Rothtanne.
Bergahorn.
Weissbache.
Kiefer.
Linde.
WalnuBsbaonu
Leiche.
Habagoniebaam*
Sobwarserle.
Eibe.
Ebenhola.
Pappel.
b. Samen und andere Pflansenprodncte.
Gartenbohnen.
Maadeln.
Kwt-'Wfhflk»
Erbsen.
Samen von Eeniobet.
Zimml
AckeibolmaL
Gewürznelicen.
Kampfer.
Linse.
Flach«;saTiien.
Opinm.
Kleesamt'ii.
Ahorn iVüclite.
Mnskatnnss.
Esparbt'tle.samen.
Rosskastanien.
Rübensamen.
Lozeruesameu.
Lindenblüten.
Kümmelsamen.
Kakaolxdinen.
BanatwdlkDkapseln.
Aaiaaamea.
GhinesiMher Tiiee.
EamUlenbUlteii.
Weinbeeren.
Kflibidronie.
SminettbtaBieanmeD.
Beainen.
I,o\vatsam«IL
Früchte der Stiddehe.
Gnttaperdia.
Koptltohlsamen.
GaUäpfel
Oliven.
Senfsamen.
Kork.
EschenfrUchte.
Mohnkapseln.
Früchte der Rothbnche.
Krapp.
SUssholz.
Früchte der Weissbuche,
Tfirkischroth gefdrbL
Indigo.
Haselnüsse.
Zeug.
SennesUfttter.
Walnilne.
Kaflbebobnen.
Femambnkbolz.
TTmI-jmiIaii,
Fiebeninde.
Blaoholz.
ErtoDsapfdieD.
Fr&chte der Heibet-
Samen von Steinobst
Feigen.
seiüoie.
Üiyitizcü by GoOglc
476 —
Weizen.
Dinkel.
Roggen.
Gerste.
Hafer.
Mais.
Reis.
Hirse.
Ruchgras.
Englisches Raygras,
Französisches Ha^gras.
Bisptugras.
Zittergras.
Weisstanne.
Hanfsamen.
Hanffasem auf verscb.
Stufen der Bearb.
Hopfen.
Buchweizen.
Brnikftlmwmen.
Schwarzer Pfeffer.
Weisser Pfeffer.
DatteLn,
Sago.
Seegras.
Rothtanne.
Lerche.
Kiefer.
Arve (Zirbelnllne).
Wachholderbeeren.
Terpentin.
Barlappmehl.
Isländische Flechte.
Rennthierflechte.
Brandige AUien.
Hefe.
Schädel der Hauskatze.
Schädel des Haushuhus.
Skelet des FmehM.
Sketotstfleke eines Fisches.
Bienenwabe.
Flosskrebs.
Weinbergschnecke.
Schädel einer Fledermaus.
Schädel des Maulwurfs.
Schädel eines Nagers.
Schädel eines Wieder-
kauen.
Geweih des Behs.
Horn der Enh.
Moschus.
Elfenbein.
Fischbein.
Zoologische Sammlung.
Walrath.
Karton mit 9 Pelzmuiätei-n
von abnehmendor Fein-
heit: Zobel, Chinchilla,
Petitgris, Bisamratte,
Kaninchen, Hase,Hvnd,
Schwein, Igel.
Karton mit Vogelfüssen;
Sitzfuss, Gangfuss,
Schreitfuss, Kletterfuss,
Klammerfoss, Lappen-
ftiss und Schwimmfliss.
Karton mit einem Vogel-
flfigeL
Bettfedem.
Schildkrötenschale und
Schüdpat
Haiflschhant.
Sepiaknochen.
Sepiafarbe.
HalermnscheL
Korallenstock.
W^isch schwamm.
Schafwolle in verschiede-
nen Zuständen der Be-
arbeitung. »
Austern schalen.
Perlmutter.
Seestem oder Seeigel.
Cooons des Seidenspinners
und Seide in verschie-
denen ZustSnd«n der
Bearbeitung.
Mineralogische Sammlung.
Graphit.
Meerscliaom.
Kieselzink.
Schwefel.
Serpentin.
Zinnstein.
BergkrystalL
Glimmer.
Bleiglanz.
Gemeiner Quarz.
Hornblende.
Kupferkies.
Asbest
Steinkohle.
FsQfliiteln.
Feldspath.
SehieüBikohle.
Stemsalz.
Bimstein.
Asphalt
Ealkspath.
Granat
Benist ein.
Gypsspath.
Eisenglanz.
Granit.
Alabaster.
Rothe isenstein.
Gneis.
Gemeiner Gyps.
Spateisenstein.
Glimmerschiefer.
FlQMspath.
Bohnerz.
Porphyr.
Sduniigel.
Hagneteisenstein.
GrOnstein.
m
Eisenkies.
Lava.
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— 476 —
Basalt.
Thonschiefer.
Mergel
Kreide.
AlpeakaUnteiD.
Jurakalksteia.
Tn&teiii.
Tropfstein.
Weisser Marmor,
lithograpblesteiii.
Nagdflnh.
Eine Sammlnng von Ci.
35 Verateinerangen
als Repräsentanten
der wichtigsten geo>
logischen Sdrichten,
▼on der aUiriMlie&
bis rar gUcialenFor-
m&tion.
Sammlniig mikroskopischer Präparate,
a. Bot
HokseUen.
Hanfbaer*
Bamnwoille.!.
Sternförmiges Zellgewebe.
Poröse Zellen.
Netzfaserzellen.
Spiralfaserzellen.
Stärkemehl des Weizens.
Stärkemehl des Hafers.
Starkemehl der Bohne.
Hob der Stieleiche, Qner-
schnitt.
Holz der Stieleiche, radi-
caler Lüng-sschnitt.
Holz der Stielfirlic tan-
gentialer Längsschnitt.
Krautstengel.
Knochen, QoerBchnitt.
Knochen, Lingsachnitt
Muskel.
Gehirn.
Damizütte.
Blutkörperchen v. Mensch
und Frosch.
Lungengewehe.
Ihaectenaige.
Tracheen eines Insects.
Eii\|lhriger Eichenzweig,
Qnerscbnitt
Kaisstengel, Querschnitt.
Stärkemehl der Kartoffel,
ölhaltige Zellen.
Trepp engefässe.
Ricinnsstengel im Quer-
schnitt.
Ricinnsstengel im Längs-
schnitt.
Holz der Kiefer, Qaer-
srhnitt.
Holz der Kiefer, radicaier
Längsschnitt.
Holz der Kiefer, tangen-
tialer Schnitt.
b. Zoolggisehe.
Fliegenflias.
Schmetteriingssohnppen.
Floh.
Fliegenflüßfel.
Hinterbein der Biene.
Ameisenlöwe oder Bücher-
scorpion.
ttObe.
Spinnenftiss.
TUchine.
SpaltOfltanngen, Oberiumt
einer TJHa^MMi^
Blatt im Qnerschnitt
Brennhaare der NesseL
Blnmenstanb.
Sporang-ium des Adlerfarn.
Aitdthecinni der Wand-
sehildflechte.
Stengel von Eqnisetniiu
Maisstengel, Längsschnitt.
SpaltSflhnngen, Oberhaut
des Holondsr.
Algenfaden.
Lebende Diatamaoeoi.
Polirschiefer.
Schimmelpilz.
BaadwnrragUed.
Schneckenzange.
Kalkkörper von Symapta.
Lebende Foraininiferen.
Fossile Foraminiferen.
Tertiäre Erde.
Polycystinen,
Nunmnlit
WoUe.
Seide.
Physikalisehe Apparate.
1. HebelgesteU.
2. Wage mit Amtimng.
3. Gewichtssatz von 1000—0,01 g.
4. Feste nnd bewegliche Bolle.
5. Flaschenziig mit Tier Bollen.
6. Schraube, Entstehung derselben,
von Holz nnd von KairtsshBk.
7. SchaiiSsingige Schranke m Hols
mit zerlegbarer Matter.
8. Gestell mit vier Fendetai.
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— 477 —
9l SebwnngrmaschiBe.
Dazn gehören:
Ab|)lattung8modell.
Gefilss für Fliissißrkeiten.
Reibangsapparat uach Tyndall,
am dnrdi mechaniseh« Arbeit
Wasser znm Sieden zaerfaitseiL
Halter IBr Siiene und Failieii-
scheiben.
10. Zurnckwerfang:8apparat.
11. Modell der hydraulischen Presse
mit Anfzügen. zur Domonstration
des hydrostatischen Paradoxons.
12. Communicirende Röhren.
13. Apparat zur Demonstratioii dea
uchimediflclien Principe.
Ii. Aiiometer Ar leichte und acUwere
Flüssigkeiten.
15. Pneumatisches Feuerzeug.
16. Gestell mit Barometer u. Mariotto'-
scher Röhre nebst dem nöthigen
Quecksilber.
17. Loftpompe mit comschen Ventilen
uid B.MOtvmgüBg nebit Bed-
pient und Bammeterprobe.
18. Fallröhre zun Anftchraiilien.
19. Magdebmger HalUnigeb.
20. Ring zum BlasensprengeiL
21. Einfaches Läutwerk.
22. Luttballon von Collodium.
23. Sirene.
ChemiiGlie
Wdngeistlampe von Glas.
Betortenbalter.
G«steU mit 13 Probirglftschen.
GasentUndiuigaflaaehe.
20 KorkstSpsel.
Hunde Korkfeile and dreikantige Feile.
Bohren von Glas. '/^ Kilogramm.
R<)hre von Kautschuk, 1 Meter lang.
Vinr Kochfläschehen.
Dreifoss mit Drahtnetz,
fietorte.
24.
25.
26.
27.
28.
29.
30.
31.
32.
33.
34.
35.
36.
37.
38.
39.
40.
41.
42.
43.
44.
45.
Ebener Spiegel und Hohlspiegel.
Prisma von Flints:las auf Stativ.
Zwei Samniellinson mit Fassong.
Eine Zerstreuungslinse.
Achromatisches Mikroskop.
LoigiuMiatereoikop.
Thermometer, die Scala auf die
Röhre eingeitrt.
Wasserhammer.
Hufeisenmagnet.
Magnetnadel, auch als Galvano-
meter dienlich, mit Drahtbügel u.
Klemmschrauben auf einem weg-
nebmbaren Klötzchen.
Elektroskop.
Elektrieche Pistole.
Elektrophor. Ebonitplatte mit
Deckel ans Zinkblech.
Leidnerflaache.
Ausladcr.
Vier Ziuk-Kohienelemeute in Ge-
stell.
Wasserzersetzungsapparat.
Elektromagnet) der Anker an einem
eisernem Hebel, ancfa als Modell des
Telegraphen brauchbar.
Elektrischer Motor.
Inductionsapparat .
Themioelektrisrlies Element.
Klemnisnluuubin, Draht proben,
galvanoplastisches Glicht.
Apparate.
Keibschale von Porzellan.
Abdampfechale von Porzellan.
Zwei Glaitrichter.
GradnirterGlascylinderTon 500 Kubik-
meter.
LitergefUss.
Meterstah.
Sech.s Flaschen mit Glasstöpseln.
Lackmuspapier.
Löthrohr.
Platindraht.
Ausser diesen obligatorischen Veranschaulichungsmitteln sind von der
Eniehungädirection noch folgende zur allmählichen Einführung in die Secundar-
sdnlen en^fohlen:
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— 478 -
Physikalische Apparate.
MasBstab mit Nonius.
Modell der Decimalwage.
Zeigerwage.
Bad an der Welle.
Zwei koidsehe Bider.
Schiefe Ebene.
Schraube ohne Ende.
Modell der Schiffsschraube.
Gyroskop mit Gefi^enfj-ewiflit.
Parallelogramm der Krätte.
Stossapparat.
BöhrenlibeUe.
Interferenzapparat nach Quinke.
Optische Bank mit Linsen.
Dunkle Kammer.
TenrestriBdiei Fernrohr.
Änsdehniuigtappamt
Haaihygrometer.
Dnrchschnittemodell der Dampf-
maschine, nach Frick.
Corapass.
Elektrisirmaschine.
Vertheilungsapparat.
Goldblattelektroskop mit Gondensatnr.
Kartesfaniseher Taucher mit C^inder. Eine zweite Lddnerflasohe.
Monochord.
Die Einführung der Sammlungen und Apparate in die Schnkn wurde seit
1870 in folgender Art dnrchgefOhrt: Dieselboi worden auf Grundlage d«
obligatorisch individaellen Lehrmittels ansgewfihlt nnd vom Erdehnngsrath Ar
obligatorisch erklärt Die Schnlpflegen hatten sodann innerhalb einer festgesetzten
Frist ihre Bestellungen bei der Erziehungsdirection einzureichen, und darauf
wurden von dieser den T.ieferanten bindende Aufträge jresreben. Die Arbeiten
mussten nach einer Mustersammlung ansge^hrt werden, die allen bei der Sache
Betheilifften zugänglich war.
Um den richtigen Gebrauch der Lehrmittel zu sichern, wurde ein Instmc-
tionscors mit Abgeordneten ans allen Schnlcaplteln in Zürich abgebalten and
ibiden fbrtwBhrend in Capitehi und Gapitelssectionen Besprechnngen md Vo^
trilge statt»
Karte des Kantons Zürich in 32 Blättern, im Massstab 1 : 25 000. Nach
den 184B — 51 ^r^niachten Aufnahmen von 1862 — 65 auf Stein grairirt im
topograp bischen Ii u r e a u .
(Wird den Secundarschulen in einzelueu Blüttern zu ermässigtem Preis
abgegeben.)
Femer wird empfohlen die Anschaffung'^ eines Reliets des Wohnortes, alle
Dimensionen im gleichen Massstab, nebst den nüthigen Karten zur Demoustra-
tion der Heimalshimde nnd zur EänfBlmmg In das Verstftndnis der KaiteiL
Als Muster mOgen dienen:
WM, ÜBgenienr, Belief von Zürich vnd ümgebnng, in 1:25000, Hmun-
sehichten nicht «nsgegUehen.
Nicholson'sche Senkwage.
Oohsli'sche Mostprobe von Silber.
Sep^ner'sches Wasserrad.
Getiissbaronicter.
Sangpumpe von Glas.
Inhalationsapparat.
Apparat für Klangfiguren.
Ein Daniell'scfaes Element
Ein Bunsen'sches Element
Ein Grove'sches Element
Galvanoplastischer Apparat
Ürsted'scher Apparat,
Elektrischer Telegraph.
Magnetelektrisirmaschine.
Empfohlen:
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— 479 —
Das nämliche, die Höhenschichten aaBgegUchen, ohne Colorit, von Geoplasti-
ker Schöll in St. Gallen.
Das nämliche mit Colorit und Zeichnung.
Der entsprechende Ausschnitt aus der topographischen Karte des Kaiitous
Zarich.
Baodegfer, da« nftmUche, unter Annahme BehieÜBr Bdenchtong.
TenvriiUB von Hecha&iker ZnberblUiler in Zilrieh.
Ferner sind zur Antdiaffiiing empfohlen von den Modellen zur mensch-
liehen Anatomie von ZeQler in Hiindien: Oehlni, Otur, Ange, Eehlkopfi Herz.
Als aUgemeioe obUgatorische Ldmaittel afaid ferner in Annicht genom-
men und in Vorbereitung: ein Schulglobu8 und ein geographiBchesWandtabellen-
irerk, das sich zum Schulatlas verhält wie das naturkundliche WandtabeUen-
werk zu den f ignren des individuellen obligatorischen Lehrmittels.
xn.
Der ziirciierischen Volksschule klebt noch ein wesentlicher
Mangel an: Die Kürze der obligatorischen AUtagsschule.
Wenn diese um ein 7. und 8. Jahr erweitert sein wird — was kaum
mehr lange auf sich warten lässt, da der Anstoss dazu nun auch von
UDten kommt — , dann darf sie sich sehen lassen. Aber auch so
schon, wie sie ist — und ihre ordentlichen Anfilnge liegen kaum mn
fünf Decennien zurück — , bat sie wahrhaft Grosses gewirkt. Wenn
sie 100 Jahre und mehr in ausgebauter Organisation ihre Arbeit ge-
tium, wird manches Übel, das unsere Gesellschaft noch drttckt, ver-
sdiwinden. „Es ist noch nicht erschienen, was wir sehn werden."
Aber «ndi heute schon erfreuen wir uns solcher Zustünde, die man
Mk vor 40 bis 50 Jahren nicht hätte träumen lassen. In jedem
Dorfe findet man IDbmer soviel man will, Sehfiler der neuen Schule,
welche die Sprache in Rede und Schrift gewandt handhaben, im
Rechnungswesen von Gemeinde und Staat vollständig daheim sind,
Protocolle, Bericlite, Gutachten untadelhaft abfassen. In den zahl-
reichen Vereinen sehen wir sie mit Gewandtheit sich bewegen, sie
ordnen landwirtschaftliche und andere Ausstellungen mit Geschick und
Geschmack an, sie bekleiden Ämter in Gemeinde-, Bezirks- und Kan-
tonsbehörden mit Einsicht, Kenntnis und Hingebung. W^er mit Land-
gemeinden schriftlich zu verkehren hat, kann täglich der Früchte
unserer Schulbildung sich erfreuen. Ein reiches Gesangesleben pulsirt
im ganzen Lande, zeitigt schöne Früchte. Selbst in den abgelegen-
BteR CFegenden finden sich Gesangvereine, die den Sinn fhr Schönes
und Edles nähren und pflegen. In DoifUrchen werden von den Ge-
meindeangehörigen Concerte veranstaltet, die sich auch für ein ge-
ftbteres Ohr hören hissen. Die Pflege des Formsdiönen bleibt nicht
Digitized by GoÖgle
— 480 —
zurück. ^Der Zeichnungsuiiterricht hat schöne Erfolge aufzuweisen
und liaben die Schulpnifungen dieses Frülijahr den Beweis geleistet,
dass der rationelle Unterricht in diesem Fache, wie er durch die all-
gpemein pädagogischeu Ziele der Volksschule und darch die Anforde-
nmg der Gewerbe vorgezeichnet wird, an den meisten Primär- und
Secnndarschalen zum Durchbrach gekommen ist*' („Bund" pro 1880.)
Dass die fortschreitende Volksbildiing nidit nur geistige, sonden
auch ökonomische Hebung bedeutet, beweisen folgende Thatsachen:
Vor 60 Jahren betrog das steuerbare PrivatrermOgiai auf der Land-
schaft (ohne die Stftdte) kaum 100 Millionen Franken, 1872 schon
400 Millionen, 1880 — immer ohne ZMdi und Winterthur — 519
Millionen, also stetige Zunahme, trotz den Krisen der letzten Jahre-,
dabei ist nicht zu übersehen, dass diese Ziffeni auf der Selbsttaxa-
tion der Bürger beruhen. Das Einkommen aus Handel, Gewerbe etc.,
auf dieselbe Weise eruirt, ergab für die Landschaft im Jahre 1880
56 Millionen Franken. Nimmt man die Städte Zürich und Winterthur
hinzu, so zählt das Vemiögen 815 Millionen und das Einkommen
77 Millionen. Dass die Selbst t.ixation hinter dem wirklichen Be-
stand namhaft zurückbleibt, ist wol nicht zu bezweifeln. Pestalozzi
hat solche Hebung des Wolsitandes als Folge durchgreifen-
der Volksbildung vorausgesagt. Freilich erlebte er die Früchte
seiner Bestrebungen nicht mehr in diesem Umfange. Als SOjäliriger
Greis Uagt er: „Meine Ansichten und Grundsätze sind die eimdgs
Frucht meiner Lebensbestrebungen, sie sind der einzige Trost und die
einzige Freude meines dahinschwindenden Erdenlebens, sie sind das
Euizige, was meine ermattete Thatkraft auf Erden noch wie in md*
nem Jünglingsalter mit Feuer und Flamme ergreift, wenn und wo ich
die Möglichkeit, darin einen Schritt weiter zu kommen, vor Augen
sehe. Dieses Feuer, diese Flamme wird auch nicht in mir erlöschen,
bis ich meine Augen schliesse " — „^fnine Hoifhnngen sind ge-
wiss nicht in dem Grade aus der Luft gegriöen, als man es allgemein
wähnte und allgemein wähnen mu.ss, so lange man nicht dahin kommt,
einzusehen, dass die Veredlung der sittlichen und intellectuellen
Kuiistkräfte unserer Natur unser Geschlecht in wirtschaftlicher,
und dadurch in häusliclier und bürgerlicher, folglich auch in
fitaatswirtschaftlicher Hinsicht unendlieh weiter führen würde
und fähren müsste, als auch die grösstmöglich dankbaren Resultate
der vercd,elten Schafzucht oder irgend eines anderen Geschöpfes
der Erde, das nicht Mensch ist, je führen können und führen werden."
Zu dem schönen Besultat hat allerdings auch der Umstand ganz
Digitized by Google
— 481 —
wesentlich mitgewirkt, dass das Volk von allem Druck, aller
Bevormandung von oben vollständig frei gemacht nnd die
Ordnung aller seiner Angelegenheiten in die eigene Hand
genommen hat „Freiheit vervollkommnet alles'', sagt der Geeehichts-
schrdber Johannes Müller. Das stimmt freilich nidit zu Schiller's
Aussprach:
„Wo sich die Völker selbst befreien,
Da kann die WolfeOirt nicht gedeihU**
Aach Pestalozzi theQt nicht die Ansicht Schillers.
„DieTtSker,** sagt er, „die das Joch ihrer Tyrannei abgeworfen,
haben sich allgemein, sobald ihre Unabhängigkeit anerkannt worden,
gar nicht als die gesetzlosen räuberischen und miithwillii^en
Bösewichter gezeigt, für welche sie Avähreiid ihrer Freiheitsfehde
erklärt worden, sondeni vielmehr als Menschen, die ihr Glück mit vie-
ler Mässio-uniGr brauchten und sich mit aller Gutmüthigkeit selber
wieder Obrij^keiteii und Reß:ierungeu wählten . . . .; sie haben ihren
neuen, sichern, ehrenhaftem, bürgerlichen Stand vorzüglich
zur Verbesserung ihres häuslichen Wolstandes und ihres
Familien gl ücks, zu vielseitiger Vervollständigung ihrer Gewerbsam-
keit gebraucht und dadurch dieselbe zu einer beneidenswürdigen
Höhe gebracht Die Geschichte sagt laut: Die Freiheit und die Bil-
dung hat der Menschheit allenthalhen Gutes gethan."
Bei dieser freien Selbstbestimmung des Volkes können auch jene
Krankheiten nicht aufkommen, deren nothwendige Symptome der
eigentliche Socialismus ist, der uns, obgleich dessen Bekenner
völlig ungehemmte Bewegung haben, in keiner Art stört Was daran
gesund nnd zeitgemSss ist, wird vom Volk selber successive in die
öffentlichen Institutionen aufgenommen; das Übrige bleibt unbeachtet»
Parteien ^^abt's freilich auch iiu Kanton Zürich. Es gibt noch viele,
die nach den Fleischtöpfen Egyptens sich zurücksehnen, welche die
Herrlichkeit ihrer früheren Herrschaft nicht vergessen können. JSie
machen Front gegen die Vertiefung der allgemeinen Volksbildung, wie
gegen die Ausdehnung der Volksrechte. Sie prophezeihen alle
Jahre einige Male eine schreckliche Zukunft. Aber die Zahl
ihrer Gläubigen wird von Jahr zu Jalir geringer. Sie treiben's frei-
lich auch darnach. Es fielen z. B. die eidgenössischen Wahlen Ende
Octobtf zu Gunsten des Fortschrittes und der entschiedenen Demo-
kratie aus, da stinmite Pestalozzi, Pfarrhelfer am Grossmünster in
Zikiich, im „Evangelischen Wochenblatt" folgendes Klagelied an: „Die
Fremide einer rückhaltlosen Parteihenschaft, die Demagogen, die
Üiyitizcü by GoOglc
t
— 482 —
1
Culturkämpfer, haben wieder eiumal p:esiegt. Weit entfernt, dass vAr
einen Fortschritt auf dem Wege der Mässigung, der freuiuleidgenössi-
schen Bruderliebe, der wirtschaftlichen Solidität und der christlichen
Gesittung zu verzeiclmeu hätten, sind die Meister geworden, denen
alle unsere sittlichen und rechtlichen Ideale zuwider sind, und was
wir gut. böse, die die Finsternis zum Licht und Licht zur Finsteniis
machen, die das Bittere süss und das Süsse bitter nennen, die es
Fortschritt heissen, wenn wieder einmal ein gesundes Leben erstirbf
Ungefähr dieselbe Sprache fUhrte man vor 70 Jahren von der
nämlichen Stadt Zürich aus gegen ihren andern Mitbfiiger, gegen
Heinrich Pestalozzi. Seine Sache lebt doch, je länger, je frischer
und yoUkräftiger. Und anch der Geist wird forüeben, befreien nud
beglücken, den Pfarrhelfer Pestalozzi seinen Lesern als den Geist
der Finsteniis signalisirL Die Zeit marschirt nnerbittlieh vorwärts»
wenn auch zeitweise Stillstand oder gar Bflckgang eintritt Die neuen
Anläufe fähren weit über die letzten Etappen hinaus. Die erste
Grossmacht der Welt ist der freie Gedanke, fttr den gibt es
keine Zollschranken und keine Polizeiverbote, seine Herrschaft
dehnt sich von Tag zu Tag mehr aus.
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über die Blasirtheit
Ton Am W, Qrube~ Bregenz.
Wir haben das Wort „blasirt'' ans dem FranzOsiscben herüber»
genommen. Gerdeht es ans sonst nicht gerade zum Böhme, dass wir
imsere so reiche nnd bildungsfähige Mattersprache mit so viel Fremd-
wörtern beladen haben, so möchte man sich dennoch freoen, dass die-
selbe sich spröde erwies, ein Wort för das zu bieten, was wir unter
rblasirt" vei;steheTi, — wie uns denn auch ein völlig entsprecliendes
Wort für das begrifflich verwandte ^frivol" fehlt, das den Sinn von
leer, nichtig, leichtfertig und sogar schlüpfrig zusammenfasst.
Die lateinische Herkunft des Wortes „frivol" ist bekannt genug;
frivolus (vielleicht vom alten frio, ich zerreibe) nannten die Römer das
Unnütze, Gehaltlose (z. B. einer Rede), aber auch das Unbeständige
(z. B. die Luftströmung). Für das französische Zeitwort blaser, Paiü-
eip blase, finden wir aber weder im Lateinischen noch Griecliischen
das Wurzel- oder Stammwort; die Etymologie desselben ist in Dunkel
gehallt Verwandt scheint mir, obwol der Stammvocal kein a, sondern
ein ae (gr. a») ist, doch das lateinische blaesus (blteus) zu sein —
Imgua blaesa, ehie stammefaide (gelfihmte) Zunge, Tom griechischen
ßhMog, gelfihmt Ein Nerv, durch ftbermkssigen Beiz gekitzelt, oder
auch Torzeitig und zu lange in Schwingung versetzt, wird vor der
Zeit abgestumpft, gelfthmt, der Empfindungsstftrke beraubt Die Ver-
frflhung und Überfalle von Genüssen wirkt schwächend auf die Em-
pfindungsorgane der Seele, zerrüttet dieselbe.
Nehmen wir ein französisches Wörterbuch zur Hand, so finden
wir als Grundbedeutung von Maser angegeben: „Verderben" von
blase, ee fParticip und Adjectiv) ..verd()rV)pn''. II a le gout blase (er
hat keinen ordentlichen gesunden (lescliniack nit'liiM. Uvan de vie a
bkse ce jeune honinie (der Branntwein liat diesen .Jüngling zu Gninde
gerichtet, d. h. eniptiudungsschwach und kraftlos gemacht). Hat einer
durch allzu reichen Genuss des Vergnügens sich stumpf dagegen ge-
macht, so sagt man: U s'est blase sur les plaisirs. £r ist in einen
Zustand der Abspannung und Stumpfheit gerathen, in welchem ihn
Üiyitizcü by GoOglc
... 1
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das, was ihn sonst reizte, zum Genuss erreg^te und mächtig anzog-,
völlig gleichgültig lässt, ja vielleicht abstösst und anwidert, da er
desselben überdrüssig geworden ist.
Wie überhaupt leibliche und seelische Processe zusammenwirkeD,
sich in und mit einander vollziehen, so ist auch die Blasirtheit
immer zugleich eine sinnliche und geistige. Denn aucli ftir die
Acte unseres Erkenntnis- und Willensvermögens sind die Empfin-
duDgs- und Bewegungsnerven als die organischen yermitüer voihan-
den, die, wenn sie lahm geworden sind, auch die geistigen Func-
tionen Ifthmen und wenn auch nicht aufheben, doch sie vermindem,
verstimmen, yerwiiren. Hat sich der Ünmfissige mit Speise und Trank
den Hagen überladen, so tritt ein GeAhl des Ekels und Brechreiaes
ein, auf das der sonst so einladende Bratengeruch' oder der liebliche
Duft einer Frucht wie ein Brechpulver wirkt. Die Anssenwelt ver-
liert ihren Reiz, ihren Glaiiz und Duft; dem angeekelten Subjecte
wird auch das sonst zum Genuss reizende Object ekelhaft. In der
Seekmnkheit , die vom Gehirn auf den Magen sich wiift und den
Nervencomplex desselben krankhaft erregt, wird der theilnahmsvoUste
Mensch zum Kiroisten, der alle Symi)athie mit den Leiden des Näch-
sten verliert, den^auch das grossartigste Naturschauspiel nicht zu rei-
zen und zu ertreuen vermag. Auf ein ruhiges Anschauen und rich-
tiges Denken, auf jene Thätigkeit, die wir die geistige nennen, muss
in solchen pathologischen Zuständen ganz verzichtet werden.
f Wir nennen aber weder den Unmässigen, der sich bei einem
Gastmahle flbemommen und den Magen verdorben hat, so dass er sich
am andern Morgen in einer sehr „katzeojämmerlichen** Stimmung be-
findet, einen Blasirten; — noch sprechen wir bei ehiem Seekranken
yon der Blasirtheit desselben, weil wir es da mit yorübergehenden
Störungen des Empfindungslebens zu thun haben, die bald wieder nor«
malen Zustanden Baum geben oder doch geben kennen. Die Bhisnrt-
heit dagegen ist eine Gemüthsverfassnng, die lange andauern kann,
mitunter eine tranze Lebeushälfte beherrscht und die, weil sie habi-
tuell, zur Gewohnheit geworden, sehr schwer zu beseitigen ist.
Indem ich sie eine „Gemüthsverfassunof" nenne, habe ich bereits
das Ideelle, das ihr innewohnt und sie kennzeichnet, angedeutet. Wol
kommt ihr in gewissem Grade auch der Ekel und Überdruss. die
Interessen- und Thatenlosigkeit zu, wie ich sie in oben angetülirten
pathologischen Zuständen gescliildert habe. Allein diese sind aus dem
vorübergehenden sinnlichen Aflfect in eine Vorstellungsart, aus dem
Patiiologischen in die Beflezion, gewissermassen ins Philosophische
Üiyitizcü by GoOgle
- — 48Ö —
erhoben, haben nicli in eine W'eltauscbaunng umgesetzt, die, naclulem
sie in den erstrebten Geniisj^en keinen rechten Genuss, an der Frende
keine rechte Freude mehr jrefunden liat. nun aucli die Objecte, denen
sie ent.springen, ja die Welt überhaupt für etwas Nichtiges und Wert-
loses und schliesslich alle Ideale, weil sie der Eealität ermangelu, für
Trugbilder erklärt.
Dass diese Richtung des Geistes- und Gtefilhlslebens gleichfalls auf
doer krankhaften Stimmimg und Verändemiig des Nervenlebens be^
rnht imd mit ihr in genauem Zusammenhange steht, ist unschwer zu
eikennen. Der Blasirte hat sidi, sei es physisch in den sinnlichen
Oeattssen, sei es psychisch in einseitigem I^antasielehen, im Schwel-
gen in einzeben Ideabrorstellnngen irgendwie ftbernommen nnd damit
aeln Nervensystem ttberreizt Die gesunde Frisdie desselben ist ge-
schwnnden, das Feuer der Leidenschaft gedämpft, nicht durch mora-
lische Energie, durch Kampf und Arbeit, sondern durch Verminderung
der Lebenswiirnie und Lebenskraft.
Der Blasirte fühlt diesen Mangel, wenn er ihn auch nicht ein-
gestochen mag, und dieses Gefühl der Disharmonie zwischen seiner
sregenständliclien und zuständlichen (objttctivcTi und subjectiven) Welt
erfüllt sein Gemüth mit Bitterkeit und Verdruss, die wie eine Last
auf dasselbe drücken. Von dem Drucke sucht er sicli dadurch zu be-
freien, dass er nicht da.s eigene Ich und seine Fähigkeit, sondern —
die Welt für unzulänglich, für eine nur scheinbare Grösse, die innere
lieh wertlos sei, erklärt. Dies ist der erste Act in der Entwickelung
der in Bede stehenden (^emttthsstimmung, der aber schnell genug in
den zweiten ttberftfart Da Beales und Ideales so zusammen gehOren,
dass sie wie zwei Pole einander bedingen, so yerUert, wenn die Bea-
litftt ihres idealen Gehaltes verlustig geht, auch das Ideale semen
Halt, es bricht zusammen, erweist sich gleich&lls als nichtig, als
blosse ScheingrOsse und so wird denn auch die Idealwelt als Lug und
Trug herabgesetzt und der Vernichtung preisgegeben. Der Blasirte
raerkt nicht oder will sich's nicht eingestehen, dass er damit sich
selber schmäht und verachtet. Er klagt nicht seine Uberreizungen,
sein Schwelgen in Phantasiebildern an, sondern die Ideale als Irr-
lichter, die ihn vei-führt haben. Dafür möclite er sie strafen, sich an
ihnen rächen, und so tritt die Xcij^ung hervor, die Ideale als solche
zu verspotten und ins Gemeine herabzuziehen, die Idealisten als arme
Verirrte, wo nicht als Narren und Schwindler, die sich und Andere
betrügen wollen, zu verhöhnen, die geschichtlichen Grössen zu be-
m&kehi un l die Schatten in ihrem Charakterbilde so schwarz auszn-
IMagogiaiD. 4. JAhrg. Heft VUL 32
Üiyitizcü by GoOglc
• — 486 —
maleu, dass die Lichtseite völlig verdunkelt wird und schwändet. Ist
eine sittliche Hoheit und Reinheit so eindringlich, dass der Blasirte
ihr nichts anhaben kann, so behandelt ei* sie ironisch und sucht sie
dui'ch den Witz, der nichts Hervorragendes duldet, ins GleichmaSB
aller Dinge herabzuziehen. BeligiÖse Andacht und religiöses Herzens-
bedfirfiiis ist ihm völlig onTerstftndlich und die Kirchengeschichte
lediglich eine Geschichte des menschlichen Wahns. Fast üi die gleiche
Kategorie fiült ihm das Streben der Philosophen, ans der sinnlichea
Welt in eine übersinnliche Gedankenwelt vorzudringen und den nn-
ei^dlichen „Stein der Weisen** zn finden. Nimmt er einmal ans reiner
LangeweDe ehien Baad von Fichte oder Hegel oder Sdielling zur
Hand, so geschieht es um der Komik willen, mit welcher der philo-
sopliische Jargon auf ihn wirkt. So eiTegen auch die politischen
Kämpfe in den Redeschlachten der Parlamente nur insofern seine
Theiliialniie, als man wie in einem Drama auf den Ausirang gespannt
wird. Aber es fallt ihm nicht ein, sich selber am staatlichen Leben
zu betheiligen, auch wenn man ihn zum Abgeordneten wählen möchtf,
da er allen politischen Idealen als blossen "rnio-bildern den Ab^hied
gegeben hat und ihm jede Staatsverfassung gleichgütig ist.
Das Handeln macht einseitig, nöthigt den Willen, sich in eine be-
stimmte Bahn zu werfen, auf der man vordringen muss, ohne nach
rechts und links auszuschauen. Wer einen Beruf zu erfüllen hat, der
seine volle Kraft in Anspruch nimmt, wer thätig ins Leben eingreift
und Pflichten zu erf&llen hat, die ihn zur SelhstQherwindnng auffor-
dern, zum Absehen von seinem eigenen Ich, zum Wirken fSr das
Ganze: der kommt nicht leicht in den Fall, blasirten Stimmungen an-
heimzufallen, so wenig wie der Baner, Handwerker und Tagelöhner,
dw im Schweisse seines AngesiditeB arbeiten muss und sich dabei
guter Esslnst und eines gesunden Schlafes erfreut. Damm treffen wir
die ßlasirtheit vorzugsweise bei solchen, die leben können, ohne
arbeiten zu müssen, oder deren Berufsarbeit noch Zeit genug übrisr
lässt, um an die Stelle der That die blosse Betrachtung zu setzen
und sich so in einer gewissen gleiehs<-]iwebenden Temperatur zu er-
halten, die alles Aufregende, Leidenschaftliche, Aus-Sich-Herausgehen
ablehnt.
Diese Gemüthsverfassung, welche eine wesentlich ästlietische ist —
im Anschauen eines Kunstwerkes nehmen wir wol Antheil an der
Handlung, die der Maler oder Dramatiker vor uns liinstellt, oder an
der Empfindung des lyrischen Dichters, doch ohne selbst zu handeln
und in Aufregung zu kommen — , ist um so verführerischer, als sie
Üiyitizcü by GoOglc
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den ToUen Beiz der Betrachtung hat, die das Lebcoi und Treiben der
Welt wie ein Schauspiel an sich Torftbergeh^ lässt, ohne nöthig zn
haben, mh in die Floth zn stürzen und selber mitznschwimmen und
mit den Wellen zu kämpfen. Damm ist der Blasirte ein Freund der
schonen KItaistei welche mit dem Emst des Lebens spielen und so yom
Zwange desselben erlösen, welche das Subject mitVorstellnngsobjecten
bereichern, ohne Opfer des l^lens und der Denkarbeit zn fordem.
Er hat somit von dieser ästhetischen Richtung und Grundstimmung
einen dreifachen Gewinn: vorzügliche Unterhaltung, Bereicherung des
Ideenkreises und jene vornehme selbstbewusste Haltung, die, von allem
Ubermass in den sinnlichen, wie geistigen Trioben und Genüssen sich
fernhaltend, auch eine gleichmässige sittliche Haltung bewahrt.
Der Blasirte weiss die t'reuden der Tafel zu schätzen, allein er
übernimmt sich nicht darin ; ist durchaus kein Trunkenbold; er ist
auch dem Geschlechtsgenoss nicht abhold, aber von allem Excess zu-
rückgekommen, nnd da er auf sein leibliches Selbst grosse Rücksicht
zu nehmen genöthigt ist, auch zur Mässigkeit geneigt Aber das ideale
Moment der Liebe ist ihm yOllig abhanden gekommen und so vermag
ihn anch keine Neigung mehr zu fessehL Ebenso fehlt auf geistigem
and schOnwissensehaftlichem Gebiete jede begeisterte und warme Hin-
gahe an einen Denker oder Dichter; er kann das Geistige nicht ge-
messen ohne den Senf seiner Ironie und Skepsis. Darum ist ihm alle
GefUilsseligkeit nicht nur fremd, sondem widerwärtig geworden, den
naiven Zug des Gefähls, den er vielleicht selber noch hatte, als er
jung war und frischerer Nerven sich erfreute, versteht er nicht mehr,
imd wenn er sich seiner aus dem eigenen Leben erinnert, nennt er
ihn mit Heinrich Heine, seinem Lieblingsdichter, eine „blöde Jugend-
eselei". —
'Ich glaube, im Vorstehendt'ii mit möglichster Kürze die Züge
zum psj^chologischen Bilde der Blasirtheit gezeichnet zu haben, wie
wir Deutsche sie verstehen. Wir fassen den Begritf tiefer und weiter
als unsere französischen Nachbarn, weil wir subjectiver und idealistischer
sind als die Romanen. Die Ubersättigung, die Unlust am Vergnügen
nnd Abstumpfung des Gefühls nennen wir noch nicht „blasirt", wofent
nicht das betreffende Subject irgend eine Bildung und £ntwickelung
nach dem Idealen hin durchgemacht, dann aber mit diesem seinem
edleren Selbst sich entzweit und gebrochen hat Die ideale Sdte des
Menschenlebens kann nur der verachten nnd schmähen, der sie kennen
gelernt hat; ja der fortdanemde Hohn nnd Spott beweist gerade, dass
das Ideale seinem V^ftchter noch immer zu schaffen macht und der
3«»
Üiyitizcü by GoOglc
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Zwiespalt im Grunde (U's (icmüths enipfuiulen wird. Eine obeiHiicli-
liche, von Hans aus genieine, rohe, geistig unentwickelte Natur bleibt
vor der Blasirtheit bewahrt. Diesen idealen Zug und geistigen Gehalt
dürfen wir nicht übei-seheu, wenn wir den Blasirten recht verstehen
und pi^chologisch würdigen wollen.
Es mnss schon ein hoch entwickeltes Culturleben mit einer Man-
nig<igkeit und Fülle geistiger Interessen yorhand^ sein, wenn die-
jenige psychologische Erscheinang hervortreten soll, die wir Bladrtheit
nennen. Sie hat die Verfeinera'jg der Sitten nnd ein his zor Üppig-
keit gesteigertes Gennsslehen znr Voraossetznng, ist also in der heroi-
schen Zeit der VMker, in den ersten und nuttleren Epochen ihres
Ooltnrlehens unmöglich. Wer mOchte unter unseren gennanischen Alt-
vordern oder in der Völkerwanderung, oder unt^ den Zeitgenossen
Karls des Grossen nnd selbst der Hohenstaufen einen Blasirten suchen
wollen! Oder bei den Römern in den Zeiten der Republik? Erst unter
den C'äsaren. als an die Stelle republikanischer Tugend eine schwel-
gerische I ppigkeit trat, regten sich wol Anwandelungeu von Blasirt-
heit, aber im allgemeinen müssen wii* sagen, dass sie den Alten»
Griechen wie Römern, fremd war.
Die antike Welt Hess ein Überwuchern des Individualgefiihls nicht
aufkommen, w^eü das ganze Leben aus einem Gusse und der Idealis-
mus immer realistisch gesättigt war. Die objectiven Mächte der Familie
und des Staates boten die sittliche Norm, der sich das Einzelwesen
unterwarf, in denen es allein seine ethische Bedeutung hatte. Ein
Gegensatz zwischen geistlich nnd weltlich, zwischen Staat und Kirche,
die um die Oberherrschaft kämpften, war nicht vorhanden.
Doch auf die Dauer konnte sich der heidnische Staat nicht be-
haupten, er artete in schmfihlichen Despotismus aus, der die mensch-
heitliche Entwickelnng hemmte, weil er alle zarteren Blüten * des
Geistes- und Gemüthslebens knickte nnd verdorren liess. Ein Höheres
musste kommen, das die Allgewalt des Staates brechend der Mensch-
heit würdigere Ziele ilires Strebens zeigte und demselben einen neuen
Aufschwung gab. Im Gegensatz zum länderumfasseuden Römerreich
verkündete die neue frolie Botschaft ein Gottesreich, das, inwendig im
Herzen der Menschheit sicli aufbauend, ewig, weil überräumlicli und
überzeitlich, die nationalen Schranken und Unterschiede <ler (Geburt
durchbrechend und ausgleichend, alle Menschen omiassen und zu gleich-
berechtigten Bürgern machen wollte.
Damit wurde die Sclaverei im Princip aufgehoben, die Bedeutung
der menschlichen Persönlichkeit als solcher erkannt, die Ethik von
üiyitizcü by GoOglc
J
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der nationalen Enorlierzigkeit befreit und, an die Gottesliebe geknüpft
die sich in der Näclistenliebe zu bewähren hatte, ebenso wol der stoi-
schen H&rte, wie der pharisäischen Selbstgerechtigkeit enthoben. Es
TO ein grossartiger IdeaUsmus, der die GemUther erfasste und die
Volker des grossen BAmerstaats ans der materialistischen Versnnken-
heH und geistigen Knechtschaft aoMttelte, die naturfirischeren, wenn
anch rohen germanischen Stämme mit nenen BÜdnngskeimen befruch-
tend nnd mit ihnen auch nene politische Entwicklungen anbahnend.
Wo ein energischer Idealismus waltet, kann keine Blasirtheit auf-
kommen. Die ersten christlichen Sendboten innren einfache schlichte,
von keiner Übercultur angekränkelte Männer, Fischer und Handwerker,
die mit ihrer Hände Arbeit sich ihren Lebensunterhalt zu verschaifen
wussten. Der Idealismus des Glaubens hinderte die Bekenner Christi
nicht am realistischen Streben, am praktischen Eingreifen in die welt-
lichen Angelegenheiten des vStaates und der (xesellschaft, nach dem
Gebote, Gott zu geben, was Gottes und dem Kaiser, was des Kaisers
ist. Die christlichen Soldaten kämpften nicht minder tapfer unter den
Fahnen des heidnischen Imperators, wie die Märtyrer mit höchster
Ki'aft ausharrender (Geduld ihr Blut für ihren Glauben geopfert hat-
ten. Das christliche Gemeindeleben nahm die Willkür des Einzelnen
in Zucht, nnd als der grossere Organismus der „Kirche** sich aus-
bildete, musste auch da der Einzelne dem Gfanzen sich ftgen und in
der Selbstflberwindung sich üben. Selbst die Extreme der Weltent-
sagnng und WeMucht, welche die ElOster ins Dasein riefen, Hessen
ftr Ausfaildnng der Blasirtheit keinen Baum, weQ die strenge Bogel
sowol die Ausschreitungen des geistigen, wie des sittlichen Lebens im
Zanme hielt
Aber es liegt in der Beschränktheit alles Menschlichen, dass Knt-
wickelung nicht möglich ist ohne Gegensätze und Übertreibuugeu, die
von einem Äusserst^n in das Entgegengesetze fallen. Der Subjectivis-
niiis war tlie unausbleibliche Kehrseite des zwar in die Tiefe des
Gemüthslebens führenden, das Recht der Persünliclikeit sichernden
und es doch durch dogmatischen Zwang wieder aufhebenden und ver-
kümmernden, des in den Hochmutli der Rechtgläubigkeit verfallenden,
in Herrschsucht und Weltsinn, der da herrsclien wollte „gleich den
Fürsten dieser Welt", ausartenden Chrißtenglaul)ens. Der christliche
Spiritnalismas, der den Geist von der stofflichen Bftumliclikeit, der
sogenannten Materie, trennte und ihn nur im abstracten Gegensatz zu
derselben er&ssen nnd festhalten zu kOnnen yerm^te, schlug um in
den widerchristlichen Materialismus, der die Materie Tergötterte und
üiyitizcü by GoOgle
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den Geist verachtete. Beide Richtungen schwächten die 'rimtkraft>
thaten einem gesunden Etlios Abbruch, weil sie das sittliche Gleich-
gewicht störten. Hingegen steigerten sie die Anspriu^he des über-
spannten Subjects und leisteten der Blasirtheit Vorschub.
Der moderne Mensch ist in dem Masse ansprachsvoUer geworden,,
als er in seiner subjectiven Bildung freier geworden ist und grösseren
Banm gewonnen hat. Eine Beihe von politischen, kirchlichen, ja auch
idssenschaftlichen Umwälzungen hat das Selbstgefühl des Einzelnen si>
gesteigert, dass dieser die Lebenskreise, denen er angehört, nur noch
kritisch betrachtet und dem Gkmzen Opposition macht» wie und wo er
kann. Durfte der absolute K5nig des vorigen Jahrhunderts noch sagen:
Der Staat, das bin Ich! so sind wii* jetzt schon so weit gdcommen»'
dass der Besitadose aUen Besitzenden den Fehdehandschuh hinwirft,
und der Arbeiter spricht: Der Staat und die Oesellschalt bin Ich!
Die parlamentarischen Kämpfe werden nm* zum kleineren Theil im
objectiven Sinne um die Bedürfnisse des Staats, zum grösseren Theil
aber in subjectiver Eitelkeit, Herrschsucht und Rechthaberei talent-
voller 8treber geführt, die das vorhandene Ministerium um jeden Preis
verdrängen möchten, um sich sell)st di<^ Heri*scliaft zu erringen. Die
Opposition, je kecker und rücksichtsloser sie geführt wird, macht Auf-
aßen und erhöht das Ansehen Dessen, der sich darauf versteht. Je
mehr sich aber die Wortkämpfe in den Reichstagen verschärfen, je
mehr die Parteisucht sich einfrisst und die Gemüther verbittert, desto
mehr wird das constitutionelle Leben und die wahre Vaterlandsliebe
gefthrdet, desto mehr wird das politische Interesse al^gestumpft Dom
allzu scharf macht schartig! Der Vaterlandsfrennd wird von solchem
sogenannten parlamentarischen Treiben nicht selten angeekelt und hat
dann MiUie, sich einer blasirten Stimmung zn erwehren. Je mehr aber
dass Interesse am Allgemeinen geschwftdit wird, desto mehr wird das
Subject auf sich selbst zurflckgeworfen, desto üppiger wuchern egoi-
stische Triebe und Uberspannungen.
Das kirchliche Interesse wiid gegenwärtig allerdings in hoher
Spannung erhalten, da es für das politische Parteitreiben, vor allem
aber für die Herrschaftsgelüste des römischen Papstthums aufgestachelt
wird. Dass aber das wahrhaft religi{")se Leben dabei geschädigt und
abgestumpft wird, ganz so, wie auch die hierarchischen Strebun^en
des Altlutherthums in der protestantischen Kirche dem evangelischen
Ohristenthnm der Gemeinde durchaus keinen Segen bringen, liegt o£fen
genug zu Tage.
Nehmen wir dazu die Überhebung einer ihre Schranken verken-
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nenden Naturwissenschaft, die geflissentlich in nicht wenigen ihrer
Veitreter den Materialismus zu fördern bestrebt ist, eines sich schnell
genus: bis zum Nihilismus steigernden Materialismus, der allem, was
Re]igi(jn und Glauben heisst, den Krie^ erklärt und die Kluft zwi-
schen der Verstandes- und Gemüthsbildung des Volkes erweitert: so
düilen wir uns nicht wundern, wenn die Unbotmässigkeit und Genuss-
sucht, die mit verfeinerter Cultur unausbleiblich wächst, schrankenlos
wird und bis in die untersten Schichten der Gesellschaft vordringt,
aich dort, wo man es am wenigsten erwarten sollte, blasirte Menschen
hervormft, die, zur Arbeit antüchtig, mit sich, mit Gott und der Ge-
sellschaft zerfallen, nur noch zmn Verbrechen den Best ihrer Kraft
rerwenden nnd dem Staate zur Last fidlen, indem sie die Gef&ngnlfr
Zellen ftülen.
Andi d^ Ärmste und Niedrigstgeborene hat noch seine Ideale;
sdn Idealismus ist in erster Linie ein religiöser. Bricht dieser zn-
sammeB-, wird auch der bescheidene und gottergebene Arbeiter und
Handwerker so weit gebracht, dass er schmftht nnd wachtet, was
er früher verehrt und angebetet hatte, dass er seine Armuth und
Niedrigkeit nicht mehr als Gottes Ordnung, sondern als mi von der
Gesellschaft ilini angethanes Unrecht betrachtet; werden Ansprüche
auf ein Genussleben in ihm erweckt, die nimmer befriedigt werden
können und ihm die Arbeit verleiden: dann ^vird auch in der arbeiten-
den ( lasse und selbst im Tagelöhner die Blasirtheit des Prole-
tariats grossgezogen, das in stumpfer Gleichgiltigkeit und starrer
Verbissenheit nicht mehr im Schweisse des Angesichts sein Brod
essen mag und vom allgemeinen Umsturz alles Bestehenden das Heil
erwartet
Wenn Staat und Kirche, Familie nnd Schule immer einmüthig
zusammenwirkten, dann könnte manches Unkraut des sittlidi-sodalen
Lebens schon im Keime erstickt werden, wfthrend es im andern Falle
ftppig emporwnchert. Gewisse Erscheinungen, wie die Blasirtheit, sind
freilich nuyermeidlich ndt gewissen Cultnrepochen, mit der Freiheit
und Ifamiig&itigkeit individueller Entwickelung des EinzeSnen yer-
knttpft. Deshalb dürfen die genannten LebensmSchte aber doch nicht
unthätig znschanen, auch da nicht, wo ihnen direct kein Mittel zu
Gebote steht, einem Übel zu stetiern, ohne die Freiheit des Einzelnen
anzutasten. Hänoft doch von ihrem Wirken und noch mehr von ihrem
Zusanunen wirken die Atmosphäre des gesaramten Volkslehens ab, die
je nach ihrer Spannung und Mischung pathologische Erscheinungen
begünstigt oder niederhält.
üiyitizcü by GoOglc
— 492 —
4
So tritt an uns die Frage heran, was kann die Eraiehnng, be-
sondere die Schnlerziehnng thun, um der Blasirthelt entgegenzutreten
und sie zu yeiiittt^?
Vorweg ist zu bemerken, dass (was übrigens schon ans unserer
psychologischen Anseinandersetzung sich ergeben hat) eine ausgebildete,
TOlle Blasirtheit in der Jugend noch nicht hervortreten kann, weil
diese das Leben noch vor sich hat, an das sie ihre Wünsche und
Hoffnungen knüpft. Der Lebensniorgen hat als solcher eine Thau-
fiische, die erst der lieisse, schwüle Mittag aufzehren kann. Das
Knaben- und Mädchen-, das Jünfrlinsrs- und .Tungfrauenalter hat die-
sen Vorzug vor dem Mannes- und Frauenalter voraus, es hat die noch
unverbrauchte Kraft, welche die Lebensknospe schwellt; die ahnungs-
volle Spannung auf ihre Entfaltung beflügelt den Lebensschritt und
lässt auch das W'iderwärtige, den Schmerz und Kummer, der früh
genug in jedes Menschenleben hinemgreift, leicht ertragen und über-
winden. Die ganze Anssenwelt erscheint, der politischen Stimmnng
der Innenweilt entsprechend, im Gknz der Schönheit, im Beiz der
Neuheit und des Zanbera, der auf allem Ersten und Unbekannten
ruht Das SInnenyermGgen ist noch unverbraucht. Sehen und HOren
eine Lust Die kindliche Phantasie ist so gesdiäftig und zugleich so
federkräftig, dass sie aus dn paar HolzklStzehen einen KIrditlitirra
oder ein Schloss, aus einem Stöckchen im Nu ein Reitpferd, eine Flinte,
ein Schwert zu schaffen weiss.
Die deutschen Elementarschulen haben in ihrer überwiegenden
Mehrzald den <4ni(l methodischer Entwickelung erreicht, dass sie dem
AnschauunjrssTriehe des Kindes, der äusseren und inneren Anschauung
ebenso Kechnung trajren. wie der sc]iöi)ferischen und wiedererzeugen-
den Einbildungskraft desselben: dass Erzählungen und Märchen, Fabeln
und Lieder den poetischen Sinn nähren und sittliche Hochbilder den
Sinn auf das edle Menschenthum lenken, das mit seiner idealen Trieb-
kraft die jungen Seelen erMlt
Unter normalen Verhältnissen geht das Kind gern zur Schule, das
arme zumal, das dort den Staub und Schmutz — den physischen wie
moralischen — der Wohnstube abschütteln und den Blick in dne
schönere und reinero Welt des Geistes- und Gemftthslebens .werfen
kann. Freilich nimmt der Unterricht die Aufhierksamkett und den
WXÜisDL in Zucht, die Willkür des planlosen Umherschweifens hat ein
Ende, der Emst geistiger Arbeit macht sieh fBhlbar und fordwt
Selbstüberwindung, die als ein oft harter Druck empftmden wiri.
Das gemeinsame Lernen, der Verkehr mit Alters- und iSpielgenossen,
üiyitizcü by GoOglc
— 493 —
die Ü])ung der Kraft und das Gefüld ihrer fortschrittlichen Eiitwicke-
hing bieten jedocli reichen Ersatz für das Unangenehme — wofern
uur im Lehren und Lernen Masi>^ gehalten, nichts übereilt und über-
trieben vnrd.
Dies gilt auch für alle lniheren Schulen.
Wii'd der Lectionsplan mit Unterrichtsfächern überladen, die ein
bantes Allerlei bieten, deren innerer Zusammenhang völlig geschwun-
den ist: so bleibt das Wissen ein änsserliches, mit welchem vielleicht
für die Prüfong geprunkt werden kann, das aber im Gemüth keine
Wurzel schlügt und der Entwickelong des Qeistes nach dem Idealen
hfai keine feste Grundlage bereitet Alles oberflächliche Wissen, alles
lilos gedflchtnismftssig angeeignete, nicht mit ToUer Selbstthätigkeit
oad Theünahme des inneren Menschen erwoibene leistet der Blasirt-
hett, welche jede gründliche Geistesarbeit hasst» Vorschnb. Das bunte
AUerM reizt wtA angenblicklich die Neu- nnd Wissbegier, erzeugt
aber kein nachhaltiges Interesse, sondern nui' die Lust am Naseben
und vorübergehender Unterhaltung.
In dieser Hinsicht sind auch die im letzten dahrzehnt sehr in
Aufnahme gekommenen Prüfungen für die einjährig Freiwilligen nicht
unbedenklich, da sie zu jenem treibhausartigen Erwerb von Kennt-
nissen und Fertigkeiten verfidireii, die, wenn der Zweck erreicht isti
nicht weiter gepüegt und entwickelt» sondern wie ein unnützes Haus-
geräüi lortgeschoben werden.
Aber auch übergrosse Gründlichkeit, die Erklärungssucht, die an
jedes Wort lange nnd breite Erörterungen knüpft, die ein poetisches
Sfcftck derartig zergliedert und mit gelehrtem Ballast ftberschütteti
dasB die schdne Form zerstört wird nnd der Gesammteindmck fOr die
Phantasie y öUig verloren geht — : kann abstnmpf end wirken nnd die
Lost an der Sache verleiden.
Woher mag es wol kommen, dass bei unseren Gebildeten, die ihre
Gynmasialstndien durchgemacht haben, die alten dassischen Autoren
fast durchweg bei Seite geschoben und so schnell vergessen werden?
I>ie Berutspflichten und vielfachen Tagesinteressen erklären das wol
zum Theil. aber doch nicht ganz; denn bei den ^praktischen" Eng-
läüdera z. B. soll, wie deutsche Reisende wiederholt hervorgehoben
haben, die Liebe zu den dassischen Autoren der Griechen und Römer
länger vorhalten.
Wie ertödtend für die Theilnahme und somit fiir nachhaltige
Freudigkeit das Vielerlei wirkt, sehen wir schon an den »Spielsachen
onsarer Kinder. Werden dieselben damit überschüttet, so entsteht bald
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— 494 —
ein wählerisclies ünbeliapren, die Tiit^be wird getlieilt und die Kritik
herausfifefordert, es entwickelt sich leicht eine anspruchsvolle üngenüg-
samkeit, die, wenn sie auch nicht sich äussert, doch die kindliche
Spielfreudigkeit herabstimmt und den prodoctiven Spieltrieb, der ans
Wenigem Viel zu machen weiss, lähmt.
Dasselbe Zuviel und somit dieselbe Ubersättigung auch in der
LectOrel Seitdem die Jugendliteratur ein Indastriea^weig geworden ist,
wird die liehe Jngend ndt Bfichem ond Zeitschiiften völlig fiher-
schttttet Wenn der Mann nach anstrengender Bemi^arbeit zor Zeitung
greift, nm sich za erholen und mit dem Lauf der Welt „auf dem Lan-
fenden** zn erhalten, so hat das einen Sinn. Wenn aber Zeitschriften,
gleichviel ob für ABG-Schützen oder für G3nnna8ial- nnd Bealschüler
geschrieben und gedruckt werden, „zur Erholung nach der Schule**,
wo das Sicbtummelii in Gottes freier Natur die rechte und wahre
Krholung sein sollte; — wenn, anstatt des kurzen, einfachen, kind-
lichen und doch den reichsten Poesiegehalt bersrenden Volksniün'heiis,
romanhaft ausgefiilirte und pikant gemachte Erzählungen, ja auch
wirkliche Romane den Kindern übergeben werden, die auf solche Weisp,
die Genüsse eines späteren Alters vorweg nehmen: so ist das eine
pädagogische Sände, die nicht so selten, ads Viele meinen, Blasirtheit
ZOT Folge hat
Als hätte es unsere Zeit geflissentlich darauf abgesehen, die Lost
nnd Freude am Leben vor der Zeit abzostompfen, werden, wie man
die Unterschiede des Standes nnd Vermögens verwischen nnd dem
unteren nnd firmeren Volksdassen auch die geistigen Bedflrfidsse der
vermöglicheren, höheren aufiEwingen möchte, so auch die Schranken,
welche die Lebeosalter trennen, niedergerissen, die Kinder der nur
einigermassen Wolhabenden in Sammet nnd Seide und nach dem Mode-
Journal der Art „ fein " nnd „ elegant " gekleidet, als wären sie für das
Salon-Leben bestimmt. Das eiTeicht man schon, dass solche „Toilette'*
wie ein Hemmschuh auf die Bewegungsspiele wirkt. Das kleine Mäd-
chen muss sich schon als Dame, der dumme Junge als HeiT fühlen,
redet man sie doch — was zum guten Ton gehört — schon lange vor
ihrer Confirmation mit Herr und Fräulein und statt des traulichen
„Du" mit dem vornehmen „Sie" an.
Selbst der Einband der für die Jugend bestimmten Bücher hat es
zu einer „fürstlichen" Pracht — das Beiwort „fürstlich" passt auch
schon nicht mehr, da die Fürsten im Lnxos nichts mehr voraus
haben — gebracht Früher unterschied man noch: Ganz- und Halb-
franz, lederne Ecken nnd Bftcken und Pappband. Diese Unterschiede
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— 495 —
sind längst liiiitallig: geworden, seitdem der Goldtitel auf dem Rücken
nicht mehr genügt und selbst die Deckel Goldpressung verlangen.
Dazu muss das Buch, wenn es beachtet werden soll, noch reich mit
Bildern versehen sein! Wenn es der lUostxationen ermangelt, schiebt
man es flugs zur Seite.
So wichtig die lUustration für unsei*e naturkundlichen, physika-
Uschen, astronomischen, geographischen und geschichtlichen Werke ist:
80 fiberflftsaig ist sie für unsere poetischen, insbesondere für die
Härchen nnd Alles, was die prodnctive Phantasie anregen solL Diese
hat ein Feuer und Licht, einen Glanz und Schmelz, eine ideale Bein-
heit und Schönheit, die durch jedes Bild nur TerkOmmert und ab-
geschwächt wird und deren Begrenzthdt und ÜnznlfiagUchkeit den
Dreien Flug der Phantasie lahmt.
Aber auch in den Illustrationen unserer realistischen Lehrbücher
geschieht des Guten fast zu \iel, wenn sie den Text überwuchern und
die Vertiefung in den Text dadurch hemmen, dass das Auge abge-
zogen und zerstrt^ut wird. Wie bei den geometrisclien Figureutafeln
unserer alten Lelirbiiclier, die an den Schluss geheftet wurden, sollten
die Illustrationen zum Tlieil auf den Tafeln des Anhanges vereinigt
werden, um die Druckseiten nicht allzusehr zu zerreissen. Ks gehört
schon ein starkes Abstractionsvermögen dazu und man kann sich doch
nicht eines unangenehmen Eindrucks erwehren, wenn man etwa in
der Leipziger Illastrirten Zeitung biographische Züge aus dem Leben
eines berühmten Mannes liest, in der Mitte aber grinsende Affen und
schiftfrjge Faulthiere vor sich hat, zu deren Bahmen nun der Text
dient Kommen in einem Buche Bilder auf die frühere Seite, deren
Erläuterung erst die folgende bringen kann: so wird die Aufinerksam-
kdt getheilt und darunter leidet das Sichversenken in den Fluss der
textlichen DarsteUnng und Entwickelung.
Die Fülle von Illustrationen, die überwiegend die Neugier der
Knaben und Mädchen reizen, wirkt zerstreuend, und kommen dazu
noch die Witzblätter mit ihren Cai-icaturen , die so viel Ehrenhaftes
und Grosses in den Staub der (lemeinheit ziehen und dem Gelächter
preisgeben — alle diese Blätter, von den Alten gelesen und glossirt,
liegen meistens aucli den Jungen zur Hand — : so entsteht einerseits
die Neigung zur Näscherei, zum schnellen Vorwegkosten, zum Pikan-
ten, das die Gesclimacksnerven kitzelt^ und andererseits die vertrühte
Kritik, die mit allen Grössen schnell fertig wird.
Blätter wie der Kladderadatsch, Ulk, Kikeriki etc. etc. nähren
ihren Witz durch die Travestie und Parodie, für welche vorzugsweise
Üiyitizcü by GoOglc
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Goethe's, Schillers, Uhlands Lieder, Romanzen und Balladen heran-
gezon^en werden. Da werden gewissermassen auf classiscbe Weise be-
kannte, berühmte oder berttcbtigte Grössen zu Falle gebracht, durch-
gehechelt und lächerlich gemacht; Alt und Jung ergötzt sich danui,
der Ck>iitra8t wirkt reizend und prickelnd. Die wahrhaft grossen Män-
ner bleiben dabei — sagt man wol — doch, was sie sind und die
schönen Gedichte unserer Classiker auch. Es gehört aber auch da em
starkes Abstractionsvermögen dazu, wie es weder das Volk, noch xaam
Jngend besitzt, nm das mit Sdmiutz beworfene Bild herromgrader
MSnner in der Vorstellnng rein zu erhalten. Und wenn das Pathos
■einer Romanze, die Tragik einer Ballade, die Innigkeit eines Liedes
ins Lächerliche i^tzofren wird, so leidet darunter auch die Unbefangen-
heit und Innigkeit des jugendliclien Gemüths, das die betrefiende Dich-
tung rein in uniretrübter Schüiilieit empfangen hatte. Es wird da ein
erster Schritt zur ßlasirtheit hin jrethan. der mtiglicher Weise FolLreii
haben und zu jener Abstuniptung liilireu kann, wo die Leetüre uuaie-
rer Classiker ungeniessbar geworden ist.
Man sollte es nicht glauben, es ist aber Tliatsache (sie wurde mir vor
Jahren von einem Zögling des betreffenden Instituts selber erzählt — ),
dass pädagogischer iSeits absichtlich auf diese GemüthsTerfassung der
l^hisiilheit, unseren Classikern gegenüber, hingearbeitet wird. In einem
bekannten und besonders bei dem katholischen ultramontan gesinnten
Adel Westfalens nnd des Bheinlandes beliebten Jesoiten-QymnssiiiB
worden die Bomanzen Schillers derart Iftdierlich gemacht, dass man
z. B. die Bürgschaft fUr eine Faschingsposse dramatisch aniAihrte, aber
carikirt: Möros mit einem Hackemesser in borlesker Weise anf den
Tyrannen einspringend etc., so dass dieZnschaaer nicht ans dem Ladien
herauskamen. Dem jesnitischen Katholicismns sind freill«di die deiit^
sehen Classiker ein Dom im Ange, fast ebenso wie der Dr. Martii
Luther. Um der deutschen Jugend auch die geschichtlichen Grössen
des protestantisclieii Nordens, vor allem Friedrich den Grossen, zu ver-
k'ideu, werden diese in eigens zu diesem Zwecke vertassteu Romiuieu
und Geschic'litsbiiehern angeschwäi-zt und verächtlich gemacht.
Die strenge Zucht des Familienlebens, wie sie noch das yorki-
Jahrhundert kannte, ist dem unserigen abhanden gekommen; es treten
mitunter auch schon bei uns amerikanische Verhältnisse hervor, wo
die liebe Jugend ganz ungesclieut raisonnii-en und ihren Willen dem
elterlichen entgegensetzen darf. Bei solcher Weichheit und Schlaffheit,
die sich fürchtet, dem Söhnchen wehe zu thun, wird es auch den Leh-
rern, schwerer gemacht, die Disdplin in den Schalen stramm aofrecht
Üiyitizcü by GoOglc
zu erhalten. Der Freiheits- und (Tleichheitsscbwindel, der auch die
Unterschiede der Altersstufen aufheben möchte, hat sich bier und da
auch in die GymnasieiL und Bealsdinlen eingeschlichen nnd dort bnrschen-
schaltlicfae Verl^nngen, Clnbs und Vereine, die das Studenten- und
Bttiigerleben vorweg kosten wollen, zu grOnden yersucht Als ob der
ünbotmtaigkeit der lernenden Jugend noch künstlich durch litera*
fische Mittel nachgeholfen werden mflsste, hat sich ein begabter Dich-
ter*), der dem Sehefferschen Studentenhnmor nachstrebte (Initium
Fidelitatis, Exercitium Salamandris) und im humoristischen Epos
Rühmliches leistete (Schach der Könij^in — Venus Urania), aurh in
einen, oft recht schalen Gymnasial- und Pensions -Huiiior verirrt, der
darauf ausgeht, den Lehn-rstand systematisch lächerlich zu machen.
Nocli ist unser Leben in Staat, Scluile und Familie zu gesund, um
solche Machwerke nicht bald unschädlich maclien zu können. Würden
sie wie ein Ansteckuugsstoff sich weiter verbreiten, dann liefe unsere
Jugend allerdings Gefahr, nicht im Studium, wol aber in der Zucht-
losigkeit und Blasirtheit grosse Fortschiitte zu machen.
Mit übergrosser Sentimentalität, die spftterhin auch leicht in
Blasirtheit umschlagen kann, hat es bei unserer überwiegend kritisch
gestimmten Jugend keine Qe£fthr. Eher ist zu fOrditen, dass in Folge
Auer Theüni^e an den Genflssen von Bier, Wein und Tabak der
Geschlechtstrieb zu frOh gereizt werde. Geschlechtliche Veriirungen
haben den allemaditheiligsten Einfluss auf den ganzen Organismus,
tthmen die geistige Energie, ertödten die Arbeitslust wie die Arbeits-
kraft und sind Brutstätten der Blasirtheit Lassen es aber Eiltem,
Lehrer und Erzieher nicht an der nöthigen Aufmerksamkeit fehlen,
80 haben sie in der Schülerarbeit selb«*, die den ^j^anzen Menschen in
Anspruch nimmt, im Turnen, des Sommers im Schwimmen, des Winters
im P^islauf und sonstiger Beweguugf im Freien, die nöthigenfalls bis
zur Ermüdung: p^etrieben werden kann, ein wirksames Vorbeugungs-
inittel, das seine Dienste nicht versagt.
Versteckter und von manchen wolmeinenden Lehrern nicht nur
übersehen, sondern selbst herbeigeführt, liegt die Gefahr einer Ver-
Mhung der geistigen Production, wenn Knaben und Mädchen schon
aus sich heraus AuMtze bringen sollen, für welche ihnen die anschau-
liche Unterlage, der concrete Stoff fehlt, oder wenn schon Gym-
nasiasten in die Feinheiten kritischer Philosophie eingeweiht, wenn sie
m der ErlAuterung unserer Dichter mehr zum Urtheü über dieselben als
zur Vertiefong in dieselben angeleitet werden und dann über hervor-
*) Emst Eckstein.
ß
Üiyitizea by GoOglc
— 498 —
ragende Dichterwerke Kritiken schreiben müssen, wie solche sich wol
dem gereiften Manne geziemen, nicht aber dem angehenden Jüngling.
Die Jugend ist dankbar für die Belehimg, die ihr das Verständnis
alter und neuer Dichtwerke erleichtert und klärt. In der Mittheilung-
historisclier, archäologischer, sprachlicher und technischer Bemerkun-
gen ist aber Mass zu halten, damit ihre Fülle nicht die Anschauung
des Gedichts trttbe^ den freien Qennss desselhen stOre, das im Gemüth
aoflodemde Feuer der Begeisterung mit dem kalten Wasserhade des
kritischen Verständnisses auslösche.
Das spätere Leben bringt Abkflhlung genug; auch f&r den wärm-
sten Idealisten kommen, wie ich das bereits angedeutet habe, Momente
blasirter Abspannung. Solche Momente gehen aber vorttber und wer-
den um so leichter fiberwnnden, als wir den Schatz jugendlicher Be-
geisterung als ein in den Tiefen unseres Gemüthslebens brennendes
Feuer gerettet und auf Zinsen angelegt haben.
Man hat, und nicht mit Unrecht, als das Hauptheil- und Vorbeugungs-
mittel wider die Blasirtheit die Arbeit, angestrengte Arbeit empfoh-
len. Aber die Arbeit allein thut's doch nicht, wenn es an der ersten
Hälfte des Gebots: ora et labora! felilt. Beides muss allezeit zusammen-
wirken, wenn es Eifolg haben soll. Nur verstehe man unter dem
„Beten'' nicht das blosse Herr-Herr-Sagen, sondern die ideale Rich-
tung des innern Menschen, der es gelernt hat, ans den lYübungen
des Erdenlebens den Blick emporzurichten auf jene alles umfassende
und alles klärende Macht, die Uber den Wolken thront und doch nicht
fem ist einem Jeglichen unter uns, sintemal wir in ihr leben, weben
und sind. Dieses GottesgefQhl im Herzen fest zu gründen, dass es den
sterblichen Menschen trOste und stärke, wenn er kleinmflthig verzagen
mochte, aber auch demttthig und bescheiden mache, wenn er in eitler
Überhebung und Myoler Willkür sich gegen das Gesetz des Allgemei-
nen aufbäumen möchte: dafßr hat ein christlicher Religionsunterricht
zu sorgen, der jedoch sein Ziel nur dann erreichen wird, wenn er sich
ebenso fern hält von unzeitigem und vorzeitigem Vernüntteln, wie von
unverstandenem Herbeten der Katechismnsformeln, die nur im Gedächt-
nis hatten, das Gemüth aber nicht erwärmen und erbauen.
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Wiener Cfeschichten.
Vm Dr. ITriedrich Dütes,
vm.
Die Oommission beeilte sich keineswegs mit der Ausfahrung ihrer
am 1. M&rz geschöpften Sentenz. Meine Leser müssen sich also ein
▼enig gednlden, bevor sie von dem weiteren Fortgang der (schichte
hAreiL Inzwischen will ich ihnen einige »Kundgebungen Torffthren,
weldie wfthrend der Krisis ausserhalb der gemeinderithlichen Kreise
erfolgten.
Das „Vaterland**, der Zeit das Journalistische Hauptorgan der
UsrikalrreactionAren Partei in Östendch, entwidcelte in den Tagen
der besprochenen Gommissionssitzangen eine eiftige Thätigkeit Es
definirte das Pädagogium als
,genes seltsame Institut, welches die Stadt väter Wiens in der Sturui-
«nd Drangperiode des himmelBtfirmenden FortsdiritteB «im Zwedra der Ent-
diilitliehimg unserer Volkasohallehrer and damit auch onserer Jugend nnd
toZekonft miseres Volkes geachaüm haben!'*
An dieses Urtheil knüpfte das Vaterland folgende Fragen:
„Hat die Stadtyerwaltiuig das fiecht, ihren VolksMdmllehrentoiid durch
Henn Dittes in schroffen Widersprach mit christlichen Übenengnngen
unseres Volkes zu bringen? Hat diese Stadtverwaltung das Recht, die
Kinder des katholischen Volkes kraft des Schalzwanges in solche Scholen
zn pressen, die von dem Dittes'schen Geiste iiificirt sind? Verträgt sich
di*'s»'r Zwang zur Irreligiosität unserer Kinder mit dem Rechte der Eltern
auf ihre Kinder, mit dem Rechte der Kirche auf ihre getauften Mitglieder,
mit dem Rechte des Staates auf religiös-sittlich gebildete Angehörige?"
Zur Begründung seiner Anklagen brachte das „Vaterland" spalten-
lange Citate aus dem sechsten Abschnitt meines ,,Grundriss der Hr-
ziehungs-und Unterrichtslehre", woran es noch folgende Fragen kniii)f te:
,,Glaubt die Verwaltung der Stadt Wien wirklich, dass sie das Kechi
hat. die Kinder katholischer Eltern in Schulen zu zwingen, die von solchem
Geiste durchdrungen sind ? Glaubt sie das Recht zu haben, für den Unter-
bit dnea solchen Pftdagogiamsdhrectors von katholiBcfaen Chiisten Steuern
m erheben?'
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— 500 —
Ich muss es Jedermann überlassen, den citirten Abschnitt im
Originale nachzulesen und sich ein Urtheil über denselben und ül>er
die Ergüsse des „Vaterland" zu bilden. Als Thatsaclien erwähne ich:
dass erstens, wie ich aus authentischer Quelle weiss, das österreichische
Ministerium des Cultus und öftentlichen Untemchtes vor meiner An-
stellung in Wien meinen „Grundiiss'' geprüft und in demselben keinen
Anlass zur Einsprache gegen meine Berufung gefunden hatte ( woraus
meines Erachtens folgt, dass alle von meinem religiösen Standpunkt
hergeleiteten Angriffe auf meine Stellung illoyale Recrirainationeii
waren); dass zweitens der Religionsunterricht in den katholiscfaea
Schulen Österreichs gesetzlich der „Kirche'', nicht aber den weltlichen
Lehrern überwiesen ist; dass drittens von meiner Seite bezüglich des
Religionsunterrichtes, wie aller anderen streitigen Angelegenheiten, der
Hörerschaft stets der Grundsatz dngeprägt worden ist, dass gesetx-
Uche Bestimmimgeii, audi wenn man sie gnmdsätdieh nicht büligen
kann, in der Praxis, unbeschadet der persOnUchen Oherzeugung, so
lange geachtet werden mflssen, als nicht anfgehoben oder abgeändert
sind; und dass viertens die aus dem Pädagogium hervorgegangene
Lehrerschaft sich niemals stOrender Eingriffe in den Beligionsunter^
rieht schuldig gemacht hat (aus welchen drei letzten Punkten meines
Erachtens folgt, dass alle mit Hinweis auf meine Lehrthätigkeit unter-
nommenen Aufreizungen der katholischen Eltern und katholischen
Christen ungerechtfertigt waren).
Dennoch folgte den Weckrufen des „yaterland** ein vielftelies
Echo. Alle in Wien und in den österreichischen Provinzen erschei-
nenden klerikalen Blättchen, ja auch die in verschiedenen Ländern des
deutschen Reiches bestehenden Pressorgane gleicher Farbe stinmiteu
in den Ton des „Vaterland'* ein, indem sie noch aus eigenen Mitteln
etliche Schmiiliungen liinzuthaten. In ultramontanen Ver<nnsvei-samm-
lungen und selbst von Kanzeln herab wurde «.^'i^tMi midi und das Pä-
datrogium in der heftigsten Weise declamirt, und all dit-st-n lauten
Agitationen gingen, wie ich mich sattsam überzeuL'-cn konnte, die ge-
hässigsten Einflüsterungen in stillen Kreisen zur Se.iU'.
Nieraals hat die Tagespresse, oder die Kommission des Pädag-o-
giums, oder dei- ( ienicinderath irgend eine Aufklänmg gegeben, welche
diesem dunklen Treiben hatte Einhalt thun können. Ja gera^le in
derselben Zeit, da das „Vaterland'' sammt Heerbann diesen neuesten
Feldzno: fuisfühi-te, trat auch ein Theil der ,.libei ;ilen" Presse mit den
ärgsten Invectiven hervor, und zu derselben Zeit ¥nirde im Genieinde-
rath das Schlagwort verbreitet, das Pädagogium sei ein „Herd des
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*
— ÖOI —
Atheismus". Ausgegeben wurde dieses Schlagwort von einem als rela-
tiv sehr freisinnig geltenden, dabei persrtnlich beliebten und wegen
seiner socialen Stellung in gewisser Hinsicht tonangebenden Mitgliede
des Gemeinderathes, und so musste der bedenkliche Ausspruch schwer
ins Gewicht fallen. Der schliessliche Erfolg alles dessen konnte im
Hinblick auf die wieder zur Macht gelangte kircliliche und politische
Reaction nicht zweifelhaft sein. Denn wenn auch der Wiener Gemeinde-
ratb, welcher ja noch immer „liberal" war, sich nicht entschliessen
konnte, mir direct zu sagen, dass ich nicht mehr in die Zeit passe,
so hätte ich doch unter den gegebenen Verhältnissen aus eigenem
Entschlüsse zurücktreten mQssen — nm des öffentlichen Friedens willen.
Alles Andere war Nebensache, wie stark es anch in den Vordergrand
gestellt werden mochte. Wie viele Schwierigkeiten und persönliche
Spannungen man aach geflissentlich erzengt hatte, wie mannig&che
Nebenactlonen anch gelegentlich der Hanptaction in Scene gesetzt
wurden, welch zahlreiche verhaltrae* Anliegen nnd Bittemisse sich
anch zn guter Stunde Luft zu machen suchten — alles diente letzt-
lich der einen, unter allen Wendungeu und Wandlungen bestflndig
gediehenen StrGmung und war nnr geeignet, den Kernpunkt des Con-
flictes schwachen Augen zu verhfiUen. Es wäre sicherlidi ein Irrüinm,
wenn Jemand meinte, der Wiener Gememderath habe üi seiner Majo-
rität wissentlich nnd absichtlich der clericalen Partei gedient.
Eme nnlengbare Thatsache aber ist es, dass er dieselbe hat ungestört
gewähren lassen, und dass er ihr in seinem eigenen Schosse eine wiik-
same Action ermöglicht hat.
Inzwischen dauerte auch in Lehrerkreisen die Bewegung fort,
welche in dem Memorandum vom 13. Februar Ausdruck gefunden
hatte. Durch zahlreiche Briefe, Adressen und persönliche Ansprachen
wurden mir die lebhaftesten Syinpathieen ausgedrückt; kleinere und
grössere Vereine fassten Resolutionen im Sinne jener ersten Kund-
gebung; die pädagogische Presse ging in gleicher Richtung voi-. Ks
ist mir zweifelhaft gewesen, ob es schicklich sei. von den zahlreiclien
Artikeln, (hucli welche die Scliulzeituugen mit der wäi-mst^n An-
erkennung tür mich eintraten, einige in diese Mittheilnne:en aufzu-
nehmen. Nach langem Zögern habe ich mich im bejalienden JSinue
entschieden, weil ich glaubt«, meine Geschichte müsse dem Grundsatze
Rechnung tragen: audiatur et altera pars, und zugleich für die Za-
knnft constatiren, wie sich in einer für die österreichische Lehrer-
schaft so wichtigen Sache die österreichischen Lehrerzeitnngen ver-
halten haben; auch wollte ich mehien zahlreichen Freunden in der
FadagDgiiiBi. i. Jtiug. Haft VIU. 83
Digitizod by Goüßlc
— 502 —
Feme zeigen, dass icli in schweren Zeiten keines we^fs verlassen ge-
wesen V)in. Was meine personlielie Stellung' zu allen aus Lehrerkreisen
lit'ivurgegangenen Kun(lgel)ungen betrittt, so habe ich dieselben .so
wenig veranlasst oder beeintlusst, wie jene aus dem feindlichen Lager;
insbesondere habe ich mich stets jeder Inspiration der pädagogischen
(wie aller anderen) Blätter stnnirstens enthalten, weil mir immer
daran gelegen war, aus der unveitalsehten öffentlichen Meinung Be-
lehrung zu sch()pfen. Und so mögen denn einige Artikel aus öffent*
liehen Blättern hier Platz tinden.
Bas Wiener Pädairosriiim.
Wer die Kiitsteluiiijjsgeschichte des Wiener Pädag-og^iunis könnt, der weisg,
dass diese Anstalt als eine Trutzbarg betrachtet werden kann, die der Geist
einer neuen Zeit den reaktionären Gewalten im alten Donanreiche sozosagen
vor die Nase hingebant hat Was geschehen konnte, um die Verwiridiehiiag
der Wiener Lehrerbochsdiiile sa hliitertrdben, das ist seiner Zeit geschehen.
Aber alle Anstrengungen waren vergebens; die gewaltigen weltgeschichtlichen
Ereignisse, die sich im Jahre 1866 anf den Gefilden Böhmens ahg-espielt hat-
ten, wirkten zn niilchtis: nach, um jenen Elementen, die ihr Ideal in der Ver-
gangenheit haben, den Triumph über ein freisinniges Begiimen der ^\'ienpr
Bürgerschaft zu ermöglichen. Dass mit dem unabwendbaren Ent« und Dastehen
des Pftdagoginms die Oef&hle bitteren Hasses gegen die Anstalt oieht beiwu-
gen und getilgt sein werden, war voraBsrosehen. IMeae GefUile haben sieh
denn auch bei jedem Anlass kundgegeben, bald in Iiämischen, bald in brutalen
formen, und die Agitation prepren das schöne Denkmal eintf durch ihre geistige
Bewegung i2Tt>sseii Zeit hat keinen Augenblick g'eruht.
Wer wollte behaupten, dass das Pädagog^ium von den vielseitigen und
vielartigen Anfechtungen, denen es seit seinem Bestehen ausgesetzt gewesen
ist, gar nicht berOhrt worden sei? Wer wollte sich zu einer solchen Behaop-
tnng etwa durch die bis heute noch günaende Frequenz der Anstalt verieites
lassen? Die stillen Wasser haben gewQhlt und gespült und das Werk de^
p:est;ilt untergraben, da?? es stürzen kann über Nacht. Das Pjlda^;-o^uni ist pf-
fahrdet, ernstlich fj-enUmli t, es stellt vor einem Wendepunkte seines Geschiek*?.
Diese Lage ist in jenem Aii.icenblieke eingetivten, da der Directnr l)r. Pittos
erklärt liat, auf seine Lein t iiätigkeit verzichten und nur noch die Leitung der
Anstalt behalten zn wollen. Denn das Fttdagogium ist, was es ist, nicht dnrdi
den Leiter, sondern durch den Lehrer Dittes. Ein hervomgender GfoA
ttussert seine volle Kraft, einen tief- und dnrchirreitenden Einflnss nur im
unmittelbaren Verkehre mit seinen Sehnlein: wo diest- Unmittelbarkeit des Ver-
kehrs durch das Eintreten von Substituten l)est itigt oder dü< li aut kui7.e Mo-
mente und ziitallii^e (ieleg-enheiten besehriiiikt w ird, wie dit s bei der Ver>vand-
lung eines Lehrers in einen Institutsleiter immer der iall ist, da wird die ao
einer Leuchte für die Schüler prSdestinirte geistige Potenz mehr oder minder
kalt gestellt
AVie es gekommen ist, dass Dittes, dieser von allen seinen Schülern »•
hoch verehrte Mann, sich seiner gewohnten nnd segensreichen Thfttigkeit est*
Digitizcü by Cjcjo^Ic
— 503 —
ziehen will? Wir können uns diese Frage unschwer beantworten. Fast alle
Au£^iffe gegen das PSdagogiam yerbargen und verbergen sich in Innüten
gegen den Director der Anstatt Man weiss, dass in demselben Angenblicke, da
der Direotor von seinem Posten weicht, an* h Ii ' Anstalt ihren Glanz und ihre
Bedeutung verliert, denn es g-ilbe tlir den Weichenden keinen vollwichtigen
Ersatz. Zweifellos spriln^^en auch in diesem Falle hundert Kleiste aus den
Büschen, aber den Kleist filude man nicht mehr. Drum muss dem Dittes. dieser
ff exotischen Pflanze'', die so schlecht in den Kram unserer Reactionäre passt,
das Leben saner, das Wandern Ideht gemacht werden. Nnn ist der Sobn des
vogtlandischen Bauers wol eine sfthe Natur, die den einmal betretenen Platz
nicht leicht wechselt, aber schliesslich hat doch jeder Mensch das Verlangen
nach ruhii^en Augenblicken, und zumal ein ^lann, der seine Aufgabe in der
Arbeit auf dem friedlichen Felde der Pädagogik sucht, mus.s es am Ende pein-
lich empfinden, ohne Unterlass verd.tclitigt, geschmäht und verhöhnt zu werden.
Wie soll er sich in einer solchen Lage Ruhe, Sammlung und Freudigkeit für
sein Lehramt bewahren?
Ja, wenn nodi wenigstens Di^nigen, die ihn auf seinen Posten gestellt
haben» die seine Arbeit kennen und die vor allem bemfiBn sind, ihm gerecht zu
werden, entschieden für ihn einträten! Aber auch daran scheint leider viel zu
fehlen. Durch eine Reihe von Jaliren hat er aus freiem Entschlüsse, ohne da-
für die geringste Eiitscliiiditrnng zu fnidern oder zu erhalten, im Pädagogium
den Unterricht in den pädagogischeu Disciplinen ertheilt. In seiner Berufung
M von der ErlfUlnng dieser An^be Iceine Bede, seine Lehrthätigkeit war
Ton allem An&ng an eine durchans fretwfllige, sie wurde ihm lediglich Tmi
seinem lauteren Intetesse f&r die Ausbildnng seiner Zöglinge dictirt. Der Ge-
meinde Wien ersparte er dadurch bis zar Stande die Besoldung einer Lehrkraft.
Trotzdem wurde er, als er, unter den Narh Wirkungen einer schweren Krank-
heit leidend, um einen Urlaub zur Ausfiihrung einer Erholungs- und Studien-
reise ansuchte, mit dieser billigen Bitte abgewiesen. Solche Erfahrungen mögen
ilm gekränkt und wesentlich dazu beigetragen haben, ihm seine Lehrthätigkeit
zu verleiden.
Es fragt sieh nnn, was der Gemeinderath thnn wird. Dass Dittes wirklich
entschlossen ist, sich in den Kreis seiner geschriebenen Pflicht zurückzuziehen,
und dass die von ihm abgegebene Erklärung kein blosser Sehrecksehuss ist,
kauu gar nicht in Zweifel gezogen werden. Dass aber ein Päd:igogiuiii. in wel-
chem er als Lehrer die belebende Kraft, die eigentliche Seele nicht mehr ist,
keine Bedeutung mehr hat, sondern anf das Niveau einer ganz alltägliclien
ForthOdnngsanstalt herabehiken mnss, kann ebensowenig in Frage stehen. Die
BesBdier des Pftdagoginms, ZOglinge wie H9rer, geniessen im Gehalte oder bei
Vorrückungen gar keine Von echte ; wenn sie die Anstalt trotzdem frequentiren,
und damit unbestreitbar materielle Opfer bringen, so geschieht dies einzig und
allein, weil sie dort den T.ehrer Dittes tinden. Unter diesen Umständen ist es
denn vi'Ulig gerechtfertigt, wenn wir sagen, dass es sich jetzt um Sein oder
Nichtsein unsei-er pädagogischen Hochschule handelt. So fasst auch die Wiener
Lehrersdiaft die Frage auf, und daher ist in Lehrericreisen eine gewisse Be-
unrohigung eingetreten, die sich in einem Appel an die Stadtvertretung Wiens
dentlich genug kundgibt.
Dass der Gemeinderath noch Mittel und Wege finden werde, seine eigene
33»
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Schöpfung vor dem Niedergange zu lj<'\valireii, möchte man wünschen und kann
es doch kaum hoffen. Es ist ein seltsam Spiel des Zufalls, dass das Pädago-
gium, welches unter reactionären StrOmnngen in Hegieningskreiäen ins Leben
trat, bei dem V<irliuideiueiii eben solcber Strömungen anoh vor seinem End»
angelangt aeheint WSre nicht die Gegenwart dazn angethan, den Gemeinde-
rath fUr den Fortbestand und die Neubelebung der Anstalt zu erwärmea?
Spriclit au*i der ang'ebrochenen Nacht der Reaction nicht die eniste Mahnung,
durch eine zeitjremiisse Reorganisation des Püdaijoiriums den iibennütliigen .Schnl-
stürmem zu beweisen, dass ihr sinnloses Wüthen ge^en das Licht der Bildung
an dem Willen des Volkes zu Schanden werden muss? Gewiss; aber die Zer-
trfimmerer der Nenschnle liaben groeees Glfidc, das Siegen wird ihnen auch in
dem Torliegenden Falle wol nnr an leicht werden. J.
(Freie pftdag. Blfttter von Jessen. Wien, 19. Febroar 1881.)
Zur FIdftgogiiimsfhige.
Wer hätte das gedaehtl DasPftdagogium, eine Anstalt, wie sie nicht bald
wieder geschaffen werden dürfte, ein Institut, das die Wiener Stadtrertretong
der Eegierung abringen musste, diese Veste, welche, von allen Seiten iim>
stürmt und umbrandet, unerschütterlich feststand, den zahlreichen Feinden zu
Trotz sich entwickelte, blühte und herrliche Früchte trug. — dieses Institut
« soll nun mit einem Male in Nichts zerfallen, soll autliören zu bestelu-n, zu
sein, — denn die Seele dieser LehrerhochBchule, Dr. Friedrich Dittes, hat
erkUrt, er wolle die ganze, volle, ihm rücksichtslos anfgebfirdete Last, wie sie
flieh im Lanfe der Jahre gestaltete, nicht iSnger tragen.
Die Lehrerschaft Wiens berShrte dies 'wie ein Blits; sie znckte znsanh
men, wie man erbebt, wenn man plötslich vor einem grossen Ereignisse, vor
einer drohenden (Gefahr steht.
Die Taye. in denen der ^Vienel• (Temeindt ratli die Errichtung de.«; l'uda-
gogiums berieth, werden wol allen Denen in iubhulter Lriunemug bleiben, die
sie miterlebt Unsere Stadtvertretong war damals von einem hobea Geiste be>
seelt, es fielen Worte, ertSnten Beden, die tausendfachen Wiedeihall Auidea in
den Herzen deijenigen, welche ein Verständnis für die Schule nnd die Sache
des Volkes hatten. Die Leetüre des Sitzungsberichtes aus jener sehr bewegten
Zeit müsste viele der gegenwilrtigon Gemeinderätlie, <lie dem Piidagrocrinm feind-
lich gegenüberstehen, vollstiindig umstimmen: sie müssten einsehen, das^ rs < in*-
unabweisbare Pflicht der gegenwärtigen Stadtvertretung ist, diese Aiiitait, iiir
die sich seineraeit die Besten bemfihten, die einen der Glanzponkte bildet fai
der Beihe der Sch9pftmgen der Wiener Commune nnter allen Umstlnden sa
halten und zu stützen.
Mahnt denn die jetzige Zeit nicht an jene, in welcher der Keim gelegt
wurde zu dem Werke, dem jetzt das Ende bereitet werden soll? Wie damal:?
fUhlt man auch lieute den Druck auf die iTeister; schwül ist's überall, unheim-
lich, Niemand weiss, was werden soll, was kommen kann, und Jeder tlirdiiet
das Schlimmste. In solcher Zeit braucht der Mensch einen Hort, eine ftsls
Borg, anf die er vertraut, die den StIInnen an trotaen vermag! Wird ans diese
in Zukunft bleiben? Werden die Lehrer in kfinftigen Tagen eine Stätte haben,
wo ihnen das Evangelium der Freiheit gepredigt werden, der nnverfiUachie
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— öOö —
Born der \Vissen>icliaft quellen wird? Werden sie eine Sültte haben, wo sie
Erholung und Trost linden nach des Tages Mühen und bitteren Lasten?
Wer kann die Frage beantworten? Das Pädagogium ist Dr. Dittes —
md wenn Dittes gellt, so ist das Pädagogium nloht mebrl Atier Dittes wird
nicht gehen, kann und daif es nicht. Dittes ist krank; er hat seine Kzftfte
dnreb Überanstrengung aufgerieben, er bedarf der Buhe» Erhdnng, Sammlung.
Man war im Outen nicht zn bewegen, dem Manne, der sich vollständig' hin-
geopfert, Zeit zu gönnen, seine Gesundheit wiederherzustellen; er musste den
Schritt thun, seiner selbst und seiner Anstalt willen.
Die Lehrer Wiens, die durch ihr Memorandum an den Gemeinderath be-
wiesen, dass sie wissen, was sie an dem Pftdagogiom und an Dittes haben,
BilSgen die yer8iclierang> hinnehmen, dass ein Mann wie Dittes, der an Leib
snd Seele Lehrer ist, es auf die Daner nMt verMe^t, seinem Bemfe zu ent-
sagen, und es ist mit Bestiniintliejt anzunehmen, dass Dittes, wenn die Ver-
hältnisse geregelt, seine (Tosundheit wieder hergestellt und dem Piidfig-oginm
eine gesunde Basis geschalten sein wird, auch seine Lehithätigkeit wiedei- auf-
nehmen werde.
Hoffen wir, dass im Qemefaiderathe noch ein Funke jenes Geistes glimmt,
dar das PSdagoginm ins Leben gemfen; hoffen wir, dass die Stadtyertretnncr
Wiens den Hnth haben werde^ der gegenwärtigen Zeitströmnng energisch ent-
gegenzutreten und zn sorgen, dass eine der grossartigsten Schöpfungen nicht
ein Opfer der Keactiou werde. F. W.
(Österreichs Nenschnle von J. Umlaoft Wien, 26. Februar 1881.)
In Sachen des Pädagog:iums.
Zu denkbar ungünstigster Zeit haben sich die stetigen Disharmonien zwi-
schen dem Leiter des Pildagoginms und dem Gemeinderathe zu einem offenen
Confliete zugespitzt; in ungünstigster Zeit, denn heute ist die (iefilhrdung des
in Zeiten freieren Dranges Geschaffenen ein Unglück für die Sache der Schule
ftberhanpt, und mehr wie je stehen die Feinde des Fortschiittes bereit, jeden
Hingiiff oosanniltsen nnd jeder Schüdignng des modernen Schnlwesens sich zn
erfrenen, wenn hierzu von sogenannten liberalen Männern Hand angelegt wird.
Dass der Rücktritt Dittes' vom Pädagogium oder gar die Auflassung
dieses Institutes soiilimmer wilre als Manches, was die letzten Jahre an blossen
Cnaniiilinilirlikeiten oder wirklirhem Nachtheile gebracht haben, steht ausser
Zweitel. Nur unverzeihlicher Selbstdüukel kann Lehrer — und es gibt deren
— gegen die Notfawendigkelt des Pldagogiums sprechen lassen. Für Nieman-
den besteht die Wahrheit der Sentena: „Stillstand ist Bfickschritt" mehr an
Becht, als für den Lelirer und, wenn man von einem allgemein gebildeten Men-
schen verhingt, dass er mit den Fortschritten auf allen Gebieten menschlichen
Wissens und Leistens wenigstens insofeni Schritt halten müsse, dass ihm die
bahnbrechenden Nt iierungen nicht unbekannt bleiben, so treten wir mit dieser
Anforderung gewiss au den Lehrer in erster Linie heran. Er hat aber überdies
noch speciell den amtthrlich bei dem Bisneiifleisse viel tansender Arbeiter auf
äussern Gebiete sich mehrenden HUÜmpiwrat der Schnle kennen an lernen, die
Fcrtachritte derllethodik prüfend zu verfolgen nnd sich eigen zn machen, was
ihm von Nntcen dfinkt. Noch geht aber in nnweiser Forderung voigeeetster
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Behörden viel zu viel Zeit in nutzloser Schreilierei. Ausifiillunf^- von Rubriken
u. s. w. verloren, noch sind die Lehrer- und Schulbibüothekeu viel zu am dotirt^
noch gestattet das knapp bemessene Einkommen dem Lehrer nicht, einiger-
masBen aennenawerte Antdiaffangm tob Bfiehern, noch zwingt ilm der Kampf
vm die Existenz zn zeitraubendem Nebenerwerb — so fehlen der U ehrzaJil der
Lehrer Zeit nnd Mittel zu gredeihlichar Fortbildung. Da ist es denn Sache
einer Stätte, wie das Pädagogium, auf die wirksamste Weise diese
Fortbildung des Lehrers zu vermitteln und in diesem Sinne ist die
Existenz dieser Anstalt eine Noth wt ndifrkeit.
Ein solches Institut vermag aber nur zu gedeilieu unter der Leitung eines
aelbttbewimten llannes, der weiss, was er wiU, was er soll and darf. Kebr
als anf jedem anderen Gebiete ist es anf dem des Unteniehts bedaneniswerty
wenn die leitenden Hftnner je nach Gunst und Wind System und Richtung
ftndern. Muss es heute noch als erst in ferner Zukunft erreichbares Ideal gel-
ten, dass die obei-ste Unterrichtsbehörde über den Parteien stehend, von jedem
Wechsel unberührt, einerlei, ob die oder jene Partei ans Ruder kommt, stets
nnr als unverändertes Ziel die geistige Bildung des Volkes vor Augen habe, so
sollte dies Princip doch für die dnzdnen grossen Lehranstalten seine Giltigkeit
haben. In solchem Sinne zn wirken, halte ich nnr Dittes fBr bemfen. Seheint
es mir schon ein anfechtbares Zugeständnis, wenn ich zugebe, es dflrfte in
Österreich ein oder der andere Schulmann aufzufinden sein, der in i^agogi-
sclier Hinsirlit Dittes nahe kSrae. so ist es doch ausg-emacht. dass wir Nie-
manden lialx 11. der ebenso selbstlos, unabhängig, unbefangen, in reiner Hin-
gebung tür seinen Beruf zu wirken vermöchte. Und darum wäre der
Abgang Dittes' vom Pädagogium ein schwerer Verlust.
Dr. Friedrich Enaner.
(Die Volkssehnle von Katschinka. Wien, l.MSrz 1881.)
Nehmen wir niiu den i^aden un.serer (jeschichte wieder auf. Der
geneigte Leser erinnert sich, dass mir die Commission am 1. März aus
eigenem Entschluss einen sechsmonatliclien Urlaub angeboten, und dass
icli derselben kurze Zeit darauf das verlangte Kranklieitszeugnis über-
reicht hatte. iJie Anüvltirenlieit hätte nun sofort erledi<2rt werden
können, denn nach unserem Statut gehörte die „Urlanbsertlieilung an
den Director und Vorkehrung in Krankheitsfällen dessell)en" unein-
geschränkt und bedinguuglos in den Geschäftskreis der Uommission.
Über die Competenz derselben konnte also kein Zweifel sein, und die
fragliche Massnahme selbst war nach dem ärztlichen Zeugnisse, wel-
ches jeden £inwand ansschloss, in der That auch niemals angefochten
worden ist, yollkommen gerechtfertigt. Dennoch trat ein dreiwöchent-
licher Stillstand ein, und ^ter diente die ganze Angelegenheit nur
'wiederholt als Stoff zu nnerquicklichen Verhandlungen, ohne jemals
erledigt zu werden. Warum die Commission iluv Sache nicht durch-
geführt, und was sie wilhrend der erwähnten drei Wochen gethaa
hat, weiss ich nidit zn sagen.
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Am 23. März braclite die Wiener „Presse" uiitei- der Überschrift:
„Debatte über das P;idagogiuiir' einen lan<^(Mi, selbstverständlich ano-
nymen Artikel, welcher sich als Bericht über eine Tag-s zuvor abge-
lialtene „vertrauliche'* Sitzung des (Tcmeinderaths ausgab. (Die übiigen
Zeitungen enthielten nichts, was dem Inhalt dieses Artikels ähnlich
gewesen wäre.) Nach den Angaben der Presse hätte Dr. Hoff er als
Referent ein Schreiben von mir vorgelesen, in welchem ich erklärt
liabe, dass ich meine Lehrthätigkeit einstelle und wegea Krankheit
um einen Urlaub .nachsuche. Diese, durch das Zeugnifl zweier Ärzte
bestätigte, Krankheit sei eine hochgradige Nervenerregung. Die Majo-
rität der Commission beantrage nun einen sechsmonatlichen Urlaub. —
Die Leser kennen den Inhalt der hier citirten Schriftstücke und sehen
sofort» dass sowol meine Eingabe vom 1. Februar (eine andere konnte
nicht gemeint sein), als auch das ftntUche Zeugnis entstellt war. Das
diese Ffllschungen, wie man nach der Presse hfttte glauben mflssen,
Ton HoiFer herrühren soUtoi, kann kelnes&Us angenommen werden.
Sie mfissen also da» Werk eines anderen „Beferenten^ gewesei sein.
— Nach Hoffer habe, wie die Presse ai^iab, Dr. Efihn, wol der Mino-
litfttsreferent, das Wort ergriffen nnd Folgendes gesprochen. Die
Commisgion sei Ton mir der Vemachlftssigung ihrer Pfdcfaten beschnl-
digt worden, hätte dieselben aber stets getreulich erfttllt; erst seit
S^tember sei sie nidit mehr im Pfidagogium erschienen, wefl sie ge-
Archlet hätte, mit dem Director in Gonflicte zu gerathen. Die eigent-
liche Ursache des Zerwfirfhisses sei die Berufung Pommers gewesen,
dem ich selbst anfangs das grösste Lob gezollt, an dessen Stelle ich
aber dann einen meiner Freunde empfohlen hätte. Seit der Entschei-
dung zu Gunsten Pommers hätten die Conflicte zNvisehen der Commis-
sion und dem Director begonnen. Dieser hätte in einer Versamiiilung
von Zöglingen erklärt, dass ihm der Gemeinderatii ein Provistjrium
aufgedrängt habe. Auch sei es nun zu Reibungen zwischen Pommer
und seinen Colles^en (den Professoren des Pädagogiums) gekommen,
ebenso zwischen Pommer und den ..Schülern", die ffejren ihn gehetzt
worden seien; Pommer habe viele Unaniieliiiiliclikeiteu und Intriguen
eitraijen müssen, ich aber, der Director, habe von der Hetze L'-egen
ihn Kenntnis gehabt, und dieselbe sei nicht gegen meinen A\ illt ii in
Scene gesetzt worden. Nachdem dies in Foljre der einireleiteten Unter-
suchung (hiermit konnten nur die Conlerenzen vom 17. Februar und
1. März gemeint sein) ronstatii-t gewesen wäre, hätte ich plötzlich
erklärt, ich sei nicht verpflichtet, Vorträge zu halten und stelle raeine
Lehrthätigkeit ein. Anch hätte ich erklärt, das Pädagogium sei des-
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organisirt und unhaltbar, hätte fenier die Professoren des „Schwänzt iis -
beschuldigt, dann aber, als ich liätte auf Urlaub gehen wollen, in einem
Briefe erklärt, dass ich midi auf die Professoren vollständig verlassen
könne. Dies alles bestätige in derThat die hochgradige Xervenen-egung
des Directors, und er (Dr. Kühn) beantrage daher: 1) der Directoi' sei
in Ruhestand zu versetzen; 2) es sei zu untersuchen, ob das Pädago-
gium aufzuheben <Mler zu reoruanisiren sei. — Kndlich sollte nach dem
citirten Artikel der ..Presse" ein drittes. ni<'ht zur Kommission des Päda-
gogiums geh(iriges, Mitglied des (Temeinderathes geäussert haben, der
Director habe im vorigen Jahre in einer Zuschrift an den Gemeinde-
rath (bezüglich der Remunerationsangelegenheit) erklärt: „Entweder
wolle man seine Lehrthätigkeit belohnen, dann gebühren ihm 800 Fl.,
oder die Gemeinde sei schon so tief herabgekommen, dass sie nicht
mehr die 2()<) Fi. besitze, dann habe er Mitleid mit der Gemeinde und
schenke ihr den ganzen Betrag.** —
So viel böswillige Entstellungen und Erfindungen hatte ich kaum
Je auf ttnem Blatte vereinigt gefünden. Dies konnte unmöglich die
momentane Leistimg eines Einzelnen, es konnte nnr die Fracht mehr-
wOchentlfeher Th&tigkeit eines ganzen Gonsortiums sein. Die Frage
war nnr, wie man diese Leute ansfindig mach^ nnd zor Yerantwor-
tnng ziehen kOnne. Zu diesem Behufe legte ich die Angelegenheit in
die Hände eines Bechtsanwalta, des Herrn Dr. Ennwald in Wim, mit
dem Auftrage! clen Sachverhalt zu erforschen und die eribrderiiclieD
Sehritte einzuleiten.
Inzwischen herrschte im Lehrkörper nnd in der Hörerschaft des
PAdagogiums wegen jener öffientlidi anfgesteUten SdunShungeu grosse
Entrüstung nnd Aufregung. Der Lehricdrper hatte schon am 3. Ifibm
unter Anwesenheit Pommers bezüglich des Ck)nflictes zwischen diesem
und der Hörerschaft eine Gonferenz abgehalten und trat auf Anlass
der angeführten Publication wiederholt zu neuen Berathungen zu-
sammen. Es gingen auch Deputationen desselben zu den einzelnen
Mitgliedern der Aufsichtscommission, um Aufklärungen zu verlangen
und zu geben. Insbesondere suchte man von Dr. Kühn bestimmte Er-
klänmgen, eventuell eine öftentliche Berichtigung zu erhalten, welcher
aber ausweichend antwortete. Dr. Pommer gab zwar völlig zu, dass
ihm keine Heibungen und überhaupt keine l'nannehmlichkeiten vom
Lehrkörper bereitet worden seien, war aber ebenfalls nicht zu bewegen,
der „Presse'' eine Berichtigung zuzustellen. Schliesslich reichte der
Lehrkörper, indem er sich auf die ilin berührenden und ihm bekannten
Punkte bescluänkte, folgende Erklärung bei dem Gemeinderathe ein.
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„PKOMEMORIA.
Das Morgenblatt der „Presse" vom 23. d. M. bringt einen Bericht über
die vertranliclie Sitzung des Gemeinderathes vom 22. d. M.. in welchem fol-
gende, dem Gemeinderathe Dr. Kühn in den Mund gelegte Aussernngen den
unterzeichneten Lehrköi-per veranlassen, nachstehende Aufklärungen zu geben:
1) -Reibungen zwischen Dr. Pommer und seinen Collegen'* haben niemals
stattgeifmiden, wie sich aas den eigenen Änsserungen des Dr. Pommer ergibt,
üe in mehreren im Bedtxe der löblichen Anfttehtsoommiedon beflndlichen amt-
liehen Protokollen niedergelegt eind.
2) Von „Intrignen" nnd „Verbetsongen'' der Zl^linge gegen Dr. Pommer
iit ons nichts bekannt.
3) Dirortor Dr. Dittes hat niemals die Behauptung aufgestellt, dass die
Professoren schwänzen '* , und hat auch uiemalf? einen Brief, der die gegen-
theilige Behauptung enthielte, geschrieben, weil ein solcher Brief gegenstands-
los gewesen wäre.
4) Bezüglich der angeblichen „Desorganisation des Pftdagogiums " haben
die ünteneichneten ra bemerken, dase in der Diadplln, der Frequenz nnd den
Lelitimgen der Zöglinge nnd Hörer ihnen eine nngflnstlge Vetflndemng nicht
bemerkbar geworden ist. Zngleidi erklären sie, dass zwiacben dem Director
vnd dem nntenekdineten Lehrkörper stets das vollste Vertrauen nnd das beste
Einyemehmen bestanden hat und noch besteht
Wien, am 27. März 1881.
Beiling, Doablier, Haberl, Kaaer, Pünuinger,
Bieck, Umlauft.
Ans der Hörerschaft des Pädagogiums trat am 25. März ein
Comite zn einer Berathung zusammen. Erst viel später, im December
1881, habe ich hierüber Näheres erfahren, indem ich Einsicht in das
Protokoll, über diese Berathung erhielt. Dieselbe war, wie ans dem
Ptotokoli ersiclifUch ist, gründlich nnd streng objectiT mid führte in
inen Ponkten, welche überhaupt in d^ Gesichtskreis der Hörersdiaft
fietea, za dem Besnltate, dass die dem Herrn Kühn zugeschriebenen
Behauptungen „ unwahr ^ „den ganzen Sachverhalt entstellend^'eme
»gftozUch unbegründete Verleumdung** seien. Bezüglich des Herrn
Pommer wurde auch hier constatirt, dass er selbst, obwol zn spät,
die angeblichen Beibungen in Abrede gestellt habe. In den nächsten
Tagen gingen denn auch aus der jHörerscliaft Deputationen zu den
Mit:,diediirn der Coramission und zu mehreren anderen Gemeinderäthen
am die ausgestreuten Unwalirheiten zu widerlegen.
Während dem hatte sich Dr. Kunwald bemüht, über den Ursprung
des fraglichem Artikels in der „Presse'' Klarheit zu gewinnen. In
der That war am 22. März in einer vertraulichen Sitzung des Ge-
meinderaths die bewusste Urlaubsangelegenheit auf der Tagesordnung
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gewesen, und es hatte eine längere, schliesslich Vfitagte Debatte statt-
geftinden. auch liatten die genannten Herren, namentlich Herr Kühn,
thatsächlicli g('si)rtjchen; aber der Wortlaut ihrer Reden konnte nicht
festgestellt werden, da über „vertrauliche" Sitzungen keine steno-
gi'aphischen Protokolle aufgenonnneii, geschweige denn verütfenilicht
werden. Es konnte daher auch niclit mit der für eine gerichtliche
Verfolgung noth wendigen Siclierlieit constatirt werden, ob die in der
„Presse" verötlentlichten Reden ihrem Worlaute nach wirklich gehal-
ten worden waren, oder ob die fragliche Publication auf Entstellun-
gen bei*uhe, fiU" die die Redaction der „Presse" verantwortlich sei.
Diese Schwierigkeit der Constatirung des Sachverhaltes in derartigen
Fällen macht es auch erkl^irlich, dass, während allerdings schon Ge-
meinderäthe gerichtlich verurtheüt worden sind, weil sie m öffent*
liehen Sitzungen Verleumdungen vorgebracht hatten, Processe auf
Grund von Zeitungsnachrichten über „vertrauliche" Sitzungen des G^€-
meinderathes den Klägern niemals eine Genugthnung brachten. Wenn
in solchen FftUen die als Zeugen aufgerufenen Mitglieder des Gemeinde-
rathes, wie es als Grundsatz empfohlen wird und thatsftdüich vor-
gekommen ist, jede Aussage verweigeni, so Ist der Richter ausser
Stande, den Beleidigten eine Satisfaction m gewähren. Unter solchen
Verhältnissen rieth mir Dr. Ennwald, gerichtliche Sehritte Yorlinfig
zu unterlassen, dagegen eine Eingahe an d^ Gemeinderath zu richten,
um, unter energischer Verwahrung gegen die in der fraglichen Ver-
öffentlichung an sich liegende ebenso unanständige als unzulässige
Indiscretion, die in dem „Pressen-Artikel enthaltenen, dem Dr. Eflhn
in den Mund gelegten, ganz unwahren Beschuldigungen zu wideri^pen
und eine uni»arteüsche Untersuchung zu yerlangen. Ich stimmte zn,
und Dr. Kunwald fiberreichte die Eingabe am 28. März 1881 dem
BUi'germeister mit einem besonderen Schreiben, in welchem derselbe
ersucht wurde, fftr die eingehende Prüfung und Verlesung meiner Ein-
gabe im Gemein<lerathe Sorge zu tragen.
Am 80. März erfolgte im Gemeinderathe die Fortsetzung der
- vertraulichen Sitzung vom 22. .Marz. Diesmal brachten sämmtliclie
Wiener Zeitungen Berichte, und zwar lauteten dieselben in allem
Weseiitliclien übcreinstiniinend, so dass man sie wul als ziemlich zu-
treffend betrachten "kann. Subjective Zuthaten lieferte, soweit ich mich
erinnere, iini- die ..Presse", indem sie ihre früheren Auslassungen
einigeruiassen zu bt^srlirniigen suchte, ihren neuen Notizen Interpreta-
tionen und (ilossen beifügte, im Ganzen aber zurückhaltender war, als
früher. Aus den übrigen Blättern ergab sich, dass Dr. Hof er seinen
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Antrag auf sechsmonatlichen Urlaub wiederholt und auf die oben er-
irSbnten Eingaben (vom Lebrkörper und yon mir) hingewicfioi hatte.
Zur Verlesung ednd dieselben aber nicht gekommen. (Ein Mitglied des
Gemeinderathes hat mir später erzählt, von weicher Seite die Ver-
lesung hintertrieben worden sei ... .) Als Hauptredner trat diesmal
Frieb au( weldier nach übereinstimmenden Zeitungsberichten äusserte:
Er wolle von der Person des Dr. Dittes absehen und nur die Sache
selbst erörtern. Er (Frieb) mfisse als ehrlicher Mann offen gestehen,
dass er als Saulus in das Pädagogium getreten sd, dass er es aber
als Paulus, nämlich bekehrt, yerlassen habe. Es müsse anerkannt wer-
den, dass die Stadt Wien dem Pädagogium ihre besten Lehrkräfte
▼erdanke. Dagegen leugne er nicht, dass das Pädagogium, wie es sich
gegenwärtig darstelle, nicht weiter fortbestehen könne. Die Anstalt
müsse von Grund und Boden aus reformirt werden. Der Vertrag
mit dem Leiter dürfe kein einseitiger sein, der dem Director alle Vor-
theile, der Commune aber alle Nachtheile zuweise. Auch müsse in Zu-
kuutt dem Gemeinderath und dem ^lagistrat einc^ j^rössere Ingerenz
bezüglich des Pädagogiums zukommen. Deshall» beantrage er: der Ge-
meinderath bescliliesse, dass das Pädagogium fortbestehen, aber rtoi^a-
nisirt werden solle. — Diese Präpositionen wurden von keiner Seite
bekämpft und einstimmig angenommen. Der Antrag auf Urlaub aber
fand keine Annahme, sondern wurde der Rechtssection des (lenu-inde-
rathes ziu' Begutachtunir überwiesen, welche zugkieli die übrigen
schwebenden Angelegenheiten prüfen und erörtern solle, ob nicht eine
Disciplinaruntersuchung einzuleiten sei.
Ich meinestheils konnte, abgesehen von meinen Gesundheitsver-
Lältnissen, alles Weitere ruliig abwarten, insbesondere eine gründliche
Untersuchung, um welche ich ja selbst gebeten hatte, nur wünschen.
Die Bede des Herrn Frieb und die einstimmige Annahme seiner An-
träge war zwar überraschend, konnte mir aber nur zur Genugthuung
gereichen. Niemand wird durch logisches Denken begreifen, warum
eine Anstalt, welche mit dem rühmlichsten Erfolge gewirkt nnd sogar
ihre Gegner bekehrt hat, nicht etwa von schwierigen Verhältnissen
befreit, sondern Ton Grund aus reformirt oder reorganisirt werden
milsse, ebensowenig, warum der Wiener Gemeinderath jetzt auf einmal
die fernere Erhaltung des- Pädagogiums votirte. Die unvermittelt yor-
gebradite Kritik des zwischen dem Gemeinderath und dem Director
bestehenden Vertrages konnte um so weniger diesen Stimmungsumschlag
erklären, als sie kemeswegs zutreffend war. Es bedarf hier also noch
einiger Aniklärungen, die ich demnächst geben werde. Völlig erident
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ist aber bereits, dass Frieb v(»inials entschiedener (^egner des Päda-
g-o^-iunis gewesen war und trciTzdem eine Stellung erhalten und an-
genonnnen hatte, welche ihm ausdriieklich (laut Statut) die ,,Sorge für
das allgemeine Gedeihen der Anstalt, den Fortschritt und die Ent-
wickelung derselben" zur Pflicht machte, und evident ist auch, dass die
nunmehr von Frieb gehaltene Rede an inneren Widersprüchen litt
Natürlich; denn gerade ein von Natur biederer Charakter ist aus^. r
Stande» onTereinbare Gegensätze in sich zu einer Einheit za verschmel-
zen, so dass er etwa zugleich ein treuer Priester der römischen Kirche
und ein liberaler Gemeinderath yon Wien sein könnte. Bei einem solr
chen Versuche wird immer etwas Unmögliches herauskommen, etwa ein
liberaler Priester oder ein panlinischer Saulna. ,,Zwei Seelen wohnen,
ach, in meiner Brost!'* —
Beseitigt war nun aber TorlAufig JedeniiftUs die Gefthr der Auf-
hebung des Pädagogiums, und damit hatte, wie ich glaube, meine Aus-
dauer einen gewichtigen Erfolg erreicht. Ein SYeond schöner Worte
hatte einst das Pädagogium mit einer Festung und den Director mit
einem Commandanten verglichen. Nun wol: wo dieAltenrntive gegeben
ist, ob die Festung oder der Commandaat fUlen soll, da kann flElr den
letzteren, wenn er ein rechtschaffener Mann ist, kein Zweifel bestehen.
Genug, wenn er seine Pflicht gethan hat; die Zukunft muss er Ande-
ren überlassen.
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Die Gymnastik in der Volksschule.
Von Sckulitupector Franz TUak-Oguiin»
L
(»Iksbildiini? int Volksbefreinngr und Volksbe^lückiing:, so heisst die
Parole mistTfi* Tairc, und ein intelliirentps V(dk ist auch ein starkes \'olk.
Regrieruugen und (Temeinden haben die tiefe W'ulu'heit dieser Aussprüche erkannt
and deshalb für eine tüchtige Bildung der Jugend beiderlei Geschlechtes durch
obligatorischen TJnterricht gesorgt. Die Schule, diese Pflanzst&tte alles Guten,
soU aber nicht in einseitiger Weise anf den Qeist wirken nnd darlber den
K5rper veraachlässig-en, sondern Geistes- und Kilrperbildnng sollen Hand In
Hand gehen. Beiderlei KrUfte, geistige und körperliche, sind im harmonischen
Einklänge zu entwickeln und zu fördern. Schon die alten Griechen stellten
den Crrundsatz auf: „Nur in einem gesunden Leibe kann ein gesunder (nist
walten" und betrieben demgemttss nebst der Bildung des Geistes aucli die BU-
dang des Leibes. Die Vortheile, welche ans einer harmonischen Entwlckelnng
des Geistes nnd des KSrpeis erwachsen, sind handgreiflich. Der Geist des
heranwachsenden Jünglings, berolchwt mit nützlichen tmd schönen Kenntnissen,
soll auch über einen frischen und gewandten Körper nach Willkür vertagen
können: dadurch werden dem Staate Bürger erzogen, die in d' n Zeiten des
Friedens als ganze Männer ihre Stellung im beruflichen Lf^lun austlillen. und
die in den Zeiten der Noth mit Freuden herbeieilen, um dem Vaterlande ein
anTerzagtes Herz nnd einen rüstigen Arm zor Verfügung zn stdlen.
Um nnserem pädagogischen Ghrnndsatae: „Bilde das Kind znm Henschen**
(rerecht zu werden, mlBsen wir uns angelegen sein lass^, die harmonische
Eniwickelung des jungen Staatsbürgers nach Kräften zu fördern. Ich bin fest
überzeugt, dass die Mehrzahl der Lelirer diesem Ziele nachstrebt. Leider gibt
es auch noch solche, von denen der T'nterricht in der Schule l)los handwcrks-
mässig betlieben wird. Aus meinen Jugendjahren erinnere ich mich noch leb-
haft, dass ich Tom Lehrer eine harte Strafe zu erwarten hatte, wenn ich mich
mit meinen MitschiUem anf der grttnen Wiese oder anf einem Weideplatze an
einem der nnscbiüdigsten Kinderspiele (Ballspiel) ergdtzte. Anf die entlegensten
Orte begaben wir uns, um dieses harmlose Vergnügen ungestört gemessen zu
können. Wehe aber einem, wenn er dabei ertnpi»t \\nrde. Wi.- berpits gesagt,
gibt es leider noch heutigen Tages Lclin-r. \v« l( he vidmelii' den Namen „Schul-
tyrannen'* verdienen, vor denen die anuen Schulkinder, wenn sie seiner ansichtig
werden, wieWSde daTonkttÜ», Thon das die Kinder yielleicht aus EhrAircht?
0 gewiss nicht, sondern ans Furcht vor der Strafe, oft der entehrendsten nnd
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— 514 r-
empfindlichsten I dnrch deren Anwendnng jedes edle GeftUil abgestumpft and
vernichtet wird.
II.
Die Vortheile der grymiiastisrhen tlinngren sind unberechenbar und V'in
grosser Träg-weite für dir culturelle Entwickelun^ eines Volkes. Nun könnte
jemand tragen, warum wir nebst der Bildung des (ieistes auch die Büduug
des Leibes in der Schule pflegen sollen. Anf diese Frage antwortet uns die
Physiologie: »Wefl wir dadurch das Leben unseres Organismus begfinstigea,
die Muskeln kräftigen, die Verrichtungen der Haut und der inneren Organe
regelmässig gestalten, Heiterkeit des Geniüthes, Frische der Nerven, Thatkraft
und eine bessere Lebens- und Weltanschauung gewinnen." Wer die regel-
miissige T'hiinir des Körpei^s nnt^'rlässt. verlang^anjt die Ausscheidung der im
orgauisclien Haushalte verbrauchten ^Stoffe, begründet dadui'ch zahllose Leiden,
Terdfistert das Gemfith, ttbenelit und sdiivieht das Kervensystem. Hiermit ist
der edatanteste Beweis geliefert, dass die Gymnastik eine unumstiSssUcheNoth-
wendigkeit für die Entwickelung des Menschen ist. Vor allem bedarf der
Mensch leiblicher Gesundheit, einer festen, starken, widerstandsfähigen Consti-
tution, eines glücklichen, lieiteren Temperamentes. Ohne diese Güter fb'icht
sein Dasein jenem einer Pflanze, die im Biumentuple und abseits von frischer
Luft und Sonnenschein dahinsiecht.
Wii' sehen auch bei den Thieren, dass sie in ihrer Jugendzeit gern qne-
len. Da hüpfen und springen die LSnuner und FfilleOi üben sich im Lanfio,
um ihre Erftfte su stftrken. Und der Mensch, das vollkommenste Wesen der
SchapAing, sollte in Trägheit verkflmmem? Das wSre Versfindigung an der
Natur.
Die Wolthat harmoniscliei- Erziehung an Leib und Geist ist aber nicht
ein Privilegium des milnnlichen Geschlechts, sie muss auch der weiblichen
Jugend in gleichem Masse zu Theil werden. Oder sollten unsere Mädchen, be-
sonders die Bewohnerinnen der Städte, nicht auch unter dem Einflüsse einseiti-
ger Geistesbildung zu leiden haben? Gewiss! Wer kennt nicht die gesteigerten
Anforderungen, welche, hervorgerufen durch den gegenwJlrtigen Culturzustand,
heutzntasre an die Au.sbildung der Mädchen gestellt werden? Bald sind es
Sprachen, bald schöne Künste, welche neben den gesetzlichen Schulfilclieni die
geistigen Kiätte der Mädchen in nicht geringem Masse in Anspruch nehmen.
Zu all' dem kommt noch die irrige Ansicht, als ob ein frisches, frohes Herum-
tummeln und Spielen der weiblichen Jugend den Begriflisn you Sittsamkeit md
Anstand diametral entgegengesetzt wSre. — Auf meiner im Jahre 1872 untei^
nommenen Studienreise durch Deutschland und die Schweiz besuchte ich nebst
anderen Anstalten auch überall die Turnschulen, um mich von dem praktischen
Werte dieser erst in neuerer Zeit ins Leben getretenen Hihluiifrsstätten zn
überzeugen. Überall tratf'n mir die Wolthaten entgegen, welche die Gym-
na.sLik aU> Erziehungsnüttel darbietet. Ich wohnte z. 13. in Basel dem Turn-
unterrichte fOr Mädchen bei, welchen der ausgezeichnete Turnlehrer Herr
Jenny leitete. Hier konnte ich deutlich sehen, welchen wolthfttigen Einfluss
dieses Erziehungsmittel auf die Kinder verschiedener Altersdassen übt. In der
Schweiz ist das Turnen des weiblichen Geschlechtes schon längst in Blüte, und
das Herz lacht einem, wenn man die jungen Mädchen sieht, wie sie alle
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— 516 —
Übungen flink, froh und sicher ausführen. In (lersolVion Anstalt sah ich auch
eine Negerin, welche als Sclavin verkauft und von einer wolhabenden Frau in
Basel an Kindeastatt angenommen worden war. Diesem Kinde sah mau an,
mit wdehttr Freude ee die Frei- und Gerftthfibnngea ansflihrte. Ee war ge-
wIm nicht in gUleklicheii VerliaitiiiaBeii anfgewacheeii, londem als SclaTln aller
Freude beraubt gewesen, and doch fand es Freade an gymnastischen Übungen,
weil ^ie Natur nach ihnen verlangt.
m.
Hier drängt sich die Frage auf: „Wie soll die Gynrnastik in der N'olks-
idnle betrieben werden?" Nicht das handwerksmtoige Turnen, sondern die
wahre und eigentliche GymnastÜL, wie die alten Griechen sie auffassten, diese
TOD aUen Seiltänzer- und AthleteDstüeken freie, den Gesetzen der Natur und
Kunst folgend»' Leibesbewegung veredelt, verschrmort den ^lenschen, macht ihn
gesund und sittenrein, riliobt den Geist und liintoit das Hei-z. macht kräftig
und zu besonnenem Handeln fähig-. Üie Athletik ist vorwerflich; in die
Nationalerziehung sie aufzuuehmeu, wäre nicht nur bedenklich, sondern schäd-
lich. Die alten griechiiehen Athleten waren Biesen anKuskelhraft und Gestalt,
aber Zweige am Geiste.
Die wichtigste Voraussetzung einer jed«i bestimmten gymnastischen Aus-
bildung ist ausser der Art der Muskelbewegung selbst eine bestimmte Diät.
Diese besteht darin, jede übermässige Anhiüifunjr von Stoften. insbesondere von
Fett, im Organismus zu verhüten, den Leil) an Strapazen zu gewöhnen und
einen hohen Gi-ad physischer Widerstandskraft zu entwickeln. Die gymnasti-
sche Endebung der Jugend darf nicht auf das eigentliche Turnen sieh be-
schranken, sondern mnss alle gymnastischen Übungen umfassen und darauf
hinauslaufen, alle Kräfte des Menschen harmonisch zu entwickehn. Das Tmnen
an den Tomgeräthen, das Marschiren, Schwimmen, Fechten, Hingen, Laufen,
Tanzen. Springen, Reden, Rinern. ^Insik. — dies alles {jehört zur Gj'mnastik
und macht erst in seiner (iesaiunithfit die walnv (Gymnastik aus. Aber alle
diese Übungen bleiben olme entsprechende allgemeine Leibespflege, ohne einen
wehrhaft vergeistigten und praktischen Unterricht, endlich ohne Cultur des
Gemfithslebens durch den Elnfluss der Moral — ein Bruchstttck. Wenn äe
Jugend tftglich die schwierigsten Tnm&bungen vollzieht, aber dabei keinen
Gebrauch maebt von erfrischenden und reinigenden Bädeni; wenn sie in ihren
Wohnnns'en vei-pe.stfte Lnfr athmet und unter dem Einflnsse der Feuchtigkeit
wie des I^ichtmangels dahin veg-etirt; wenn sie einem trnrkenen. Ln'isitödtenden
Unterrichte preisgegeben wird und unter der HeiTschaft einer .sc hlechten Moral
aufwächst: dann nützt ihr auch die beste Gymnastik wenig; dann kann nicht
die Rede davon sein, dass durch systematische Muskelbildung die Bace ver-
bessert, verschönert, veredelt werde.
IV.
Hier dürfte vielleiclit jemand die Frage aufwerf» ii: ..Wie soll man e.s an-
stellen, um dem oben Gesagten (Genüge zu leisten?" Darüber sind schon ganze
Btlcher geschrieben und die Ansichten verschiedener Pädagogen in verschiede-
nen Abhandlungen kundgegeben worden. Meiner nnmassgeblichen Ansicht nach
>oIlte der Tumplatz alle jene Oeriithschaften enthalten und der Raum des-
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I
— 516 —
selben so beschaflen sein, dass alle obangetuhrU'ii ^^yninastisiheii iJbuugeu auf
demselben stattüuden köimen. Die verschiedenen Turugeräthe sollten so viel
wie mOglieh anf freloi Plftteen mit trockenem Sandboden und in freier, friseher
Loft anf^peeehla^ werden. AUe Übungen aind gut, wenn de in yenillnftiger
und systematischer Weise v<n^geno!mnien werden , nicht übermässig ennttden,
nicht heftig aufregen nnd erhitzen. Auch auf die Bekleidung beim Turnen
muss Rücksicht genoininen werden: je leichter, desto besser. Turnen mit vol-
lem Magen ist höchst schädlich, weil es die Function der Verdannng Ii« innit,
also den Ersatz des verbrauchten Körperuiaterials hindert. Auch das Wasser-
trinken nach vorgenommenen Tomfibongen ist schädlich, nnd das Essen ist
erst dann einsronefamen, wenn sich der EQrper dnreh Robe erquickt hat Nach
GttrSthflbvngen ist es am besten, eine kleine Promenade mit den jungen Tur-
nen zu machen. Marschiren nach dem Tact der Musik und dem Sclila^i:'- der
Trommel ist eine der vorzüerlichsten Bewegungen, ein herrlicher .'Spaziergang
bei klingendem Spiel! Er erfri.scht den Geist und macht das Gemüth heiter,
der Schritt wird leicht, das Herz wann. Und wenn wii* uns leicht und heiter,
frisch and gehoben fthlen, setzen wir aoeh Aber* manches Widerwärtige ms
hinweg nnd besiegen krankhafte Geffthle. Dazu komme Gesang nnd Dedsaa-
tion. Sie sind die beste Gymnastik der Sprachwerkseoge nnd tttrdienen aaeh
in dieser Beeiehnng alles Lob.
Vornntwortlifibar RedMtsw: M. Stein. Baohdraekeni Jnlia« KU«kh«rdt, Laiprig^
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Der Pesslmismns und die »Sittenlehre.
Von, Prof. Dr. Joh. lieh mke-St.- Gallen.
(FortsetBimg.)
n. Der Fesflimlgmus und die nttenlehre in Biiropa.
Vom indischen Pessimismus scheidet sich scharf der euro-
päiisehe. Jener Hesse sich der mikrokosmische, dieser der ma-
krokosmische Pessimismus nennen. Der erstere, so verschieden
er sich auch wieder im Brahmanismus und Buddhismus zeig^t, ist in
beiden Fällen auf den Mikrokosmos, d. i. das menschliche Indivi*
dnnm gegründet, das Ich ist da der letzte Grand des Leids^
und mit ihm verschwindet auch dieses Leid.
Was den Brahmanismns, dessen pantheistischer Charakter sonst dasm
gewiss allen Vorschnb geleistet hätte, nicht zn dem makrokosmischen,
d. l zu dem Pessimismns kommen Uess, welcher anf das Wesen der
Welt, des Seienden Oberhaupt, seine specolatiye Begründung anfbant,
das war seine reUgiOse Form, die G-ottesanschannng, also eben das,
WEB den brahmanischen Pessimismus als solchen keinen massgeben-
den EinHuss anf die Sittenlehre des Brahmanismus gewinnen liess.
Der raakrokosmische Pessimismus blieb unserem Zeitalter
vorbehalten; wir haben in Schopenhauei* und E. v. Hartmann seine
Vertreter vor uns.
A. Arthur Schopenhauer (1788—1800).
Die Behauptung von der Negativität der Lustbilance, d. i. also
der Pessimismus ist zum ersten Mal von Schopenhauer auf eine ma-
krokosmische Basis gestellt worden, indem er das Übel des Daseins
nicht auf die Individualität des seelischen Wesens, sondern auf das
Wesen der Welt, d. i. auf das Welt dasein iiberhaupt zurückführt.
Ich habe der Gnindlegung des bedino^ten Pessimismus der Brah-
nianen, sowie derjenigen des unbedingten Pessimismus Buddhas keine
besondere Kritik gewidmet; dieselbe wäre für die zur Behandlung
stehende Frage ohne Interesse und ist daher überflüssig. Bei den
Brahmanen bestimmt ja der Pessimismus überhaupt nicht die Sittenlehre,
Padagofiaa. 4. Jdng. Heft UL 34
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— 518 —
und bei Buddha zeij^t sicli Nvcuigsteus die Grundleg'Tiiig' seines Pes-
simismus ohne irgend welchen besonderen Einfluss auf die Sitten-
lehre, so dass man demnach, wenn man auch von jener (Trundlt'üfung
al)sieht, die pessimistische Sitteiilelire Buddhas aus dessen em[(irischem
Pessimismus und flen drei von mir iiervorfi-ehobenen Hülfsvorstellunaren
ohne Rest ableiten kann. Bei Schopenhauer ist es anders, und dies hat t^ben
seinen Grund in dessen Versuch einer makrokosmischen Grundlegung
des empirischen Pessimismus. Sehen wir diesen Versuch näher an.
Das Leid oder die Unlust ist, sagt Schopenhauer, Hemmung des
Willens, Nichtbefriedigung des Strebens; alles Streben, so lange es
nicht befriedigt ist, ist Leiden; keine Befriedigung ist dauenid, sie ist
stets nur der Anfangspunkt eines neuen Strebens, es gibt kein letztes
Ziel des Strebens und daher auch kein Mass und Ziel des
Leidens. Wo Wille ist, da ist Leid, und zwar mcht nur aus dem
Grunde, weil wir überall das Streben vielfskch gehemmt und uns übei'-
all kämpfend antrolfen, sondern auch deshalb, weil alles Streben aus
Mangel, aus LTnzufriedenheit mit seinem Zustande entspringt
[Schopenhauers Werke U, 8. 365.]
Der Wille nnn, erU&rt Schopenhauer, ist das eigentliche
Wesen des Menschen, und derselbe ist nur eine individneile Er-
scheinungsform des allgememen Willens, welcher eben den Kern
und das Wesen aller Dinge ausmacht: die Welt in ihrem Ansich
repr&sentirt sich als Wille. In Folge dessen ist das Leid,
welches der Einzelne erf&hrt, auf das allgemeine Wesen der Weh,
auf die Welt als Wille, und nicht auf die Individualität des
Menschen und den menschlichen Willen — als letzten Grund
zurflckzufÜhren.
„Die Welt in ihrem Ansich ist Wille!*" Wol keine Bdi-
gionsanschanung und kein philosophisches System hat Ton seineD An-
hängern in so hohem Grade das Opfer des Intellects gefordert, wie
dieser grundlegende Satz Schopenliauers es uns zumuthet; ärger hat
wol Keiner je die denkende Menschheit zu m.ystiliciren gesucht, als
Schopeuluiuer es in diesem Satzi' versucht hat, und unglücklicher als
Schopenhauer hat wol Niemand mit Kants Gedanken von der -Er-
scheinung" und dem „Ansich" der Welt weiter gearbeitet. Sei dies
hier in Kürze nachzuweisen unternommen.
Kants Erkenntniswelt mIs Erscheinuugswelt nahm Schopenhauer
auf unter dem Titel: „die Welt als Vorstellung"; Zeit und Kaum
als die piincipia indi^iduationis sowie die Causalität sind ihm ebenfall>
die Formen des auächauenden und denkenden iSubjects. Anstatt aber
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— 519 —
nun mit Kant bei der Vorstellungswelt als Krsclieinimgswelt sreheii zu
bleiben, behauptet Schoi)enhauer, wenigstens sich selbst auch noch in
einer anderen Weise, „unmittelbai-", zu erkennen, und zwar eben als
Wille; er als Vorstellung sei der Leib, er als Ansich sei
der W^ille. Was kann aber dies: ,Jch bin Wille" heissen? Man
sollte denken, doch nur: „Ich bin wollend", oder mit anderen Worten,
^ch bin bewusst thätig!" Schopenhauer fasste jedoch das Wort
^W^ille" in einem anderen Sinnei nämlich nicht als Thätigkeit des
bewussten Individuums, sondeni als Ding an sich, als den
„innern Kern" des Individuums. Hätte er nicht dieses Taschen-
spielerkonststück sofort im Anfang ausgeführt» so würde er sehi* bald
gesehen haben, dass er sich selbst als den bewnsst thfttigen, äm wol-
lenden, ebenfalls nni' als „Vorstellang" unter dem principium indi-
Tndnatioms der Zeit vor sich haba
Der erste Fehler, den Schopenbaner beging, ynx also die Yerob-
jeetlTinmg des Thfttigkeitsbegrilb „mensdilicher WUle^ nnd dessen
Versetzung als Ding in das „Ansicht An diesen schliesst sich der
zweite Fehler, nflmlich eine Mystification; sein Lehrer Eant gab ihm
hierzu freilich die Anleitung. Eant hatte das Ding an sich als das
den Menschen als erkennendes Individuum Afficirende ange-
sehen, demselben also eine mystische Wirksamkeit zugeschrieben; ja
das Einzige, was Eant yom Dmg an sich ausgesagt hatte, war eben
cKeses mystische Wirken. Das schien nun mit dem vom Schtiler
Sdiopenhauer entdeckte Ding an sich „Wille" genau fibereinzustimmen,
denn das „Wesen** dieses nDiog an sich** konnte allein und aus-
sehllessUeh Wirksamkeit, Thfttigkelt sein, wie ^en unser Begriff
„Wille** es besagt. —
Aber Schopenhauer ging und musste noch weiter gehen, nachdem
er zunächst das, was er von sich selbst als sein „Ansich" erkannt
hatte, per analogiam auf die Welt überhaupt übertragen und demnach
erklärt hatte, das Ansich der ganzen Welt ist Wille. Er ging weiter,
80 dass er nun nicht etwa bloss erklärte, diese Welt an sich, die „Wille"
ist. wirkt auf uns als Erkennende so ein, dass wir Voi*stellungen er- .
lialten, indem wii- unsere Empfindungen in Raum und Zeit ordnen
und in der Kategorie der Causalität denken, sondern er behauptete,
die Welt als „Vorstellung", welche wir erkennen, ist die Objec-
tivatiun jener Welt als „Wille". Diese „Objectivation" bedeutet
aber durchaus etwas anderes als blosse Vorstellung- etwa im Sinne
der Kantschen Erscheinung, was eben daraus hervorgeht, dass die
Welt als Wille sich ja nach Schopenhauer schon vor unserem £r-
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— 520 —
kennen objectivirt und in den individuellen Objectivationen selbst
tliätig erweist, also bevor überhaupt der mit Intellect begabte Mensch
da ist, welcher doch eigentlich allein vermöge seiner ihm eigeiithimi-
liclien priücipia individuationis die Welt als Vorstellung nur sollte
haben köniieu.
Somit ist Schopenhauer aber ganz aus Kants Schule ausgetreten,
da er nunmehr die imch ilim unabhängig vom erkennenden
Menschen daseienden Objectivationen des Weltwillens als .solche, und
nicht etwa wiederum nur ihre „Erscheinungen", in seiner „Welt als
Vorstellung" vor sich haben will.
Der dritte Fehler endlich, welchen Schopenhauer begangen hat,
ist die Bezeichnung selbst: diese mystische Welt an sich sei ,,Wille".
Wie im Menschen, so sei der Wille in allen „Objectivationen", d. i,
Dingen unserer Welt, zu erkennen, nämlich als Streben: „weil Streben
des Willens alleiniges Wesen ist". Begreiflicher Weise haben wir es
hier aber nur wieder, mit derselben falschen VerdinglichoDg der Thä-
tigkeit der Dinge zn thun, und so müssen wir denn auch hören;
„die Schwere, welche nicht aufliört za streben" etc. Es war in
der That verliängnisvoll, dass Schopenliaiier dieses sich allerdings in
aJlem offenbarende Streben Wille nannte, denn dadurch anthropo-
morphosirte er seine Welt an sich, weil trotz alledem auch
Schopenhaaer davor nioht sieh httten konnte, dass der ttbertrageae
Sinn [= Streben] nnd der eigentliche Sinn b'ewnsstes Streben]
des Wortes Wille ihm in einander flössen. Zn gleicher Zeit vorde
dadurch dem Willen eines seiner integrirenden Merkmale zu einem
zuiimigen gemacht, nämlich das Merkmal nbewnsst**, da doch die Vor-
stellung stets den Inhalt des WiUens bildet Diese Verschiebmig
der wirklichen Sadüage hat aber wiederum ihren Grund in der Ver-
dinglichung des Thfttigkeitsbegriffs „Wille**, welche es erst er-
möglichte, „WiUe** als ein Ding an sich gegenflberzusteUen der Vor-
stellung, d. i. demjenigen, was gewollt wird, in Analogie der Gegen-
ttberstellung des Subjects des Wollens und des Objects als Vor-
gestellten.
Näher besehen mflsste auch das angebliche „Ansich" des mensch-
lichen Individuiuns, welches Schopenhauer entdeckt zu haben frlaubte.
richtiger bezeichnet werden als „wollendes Ich", dieses aber freilich
nicht als das im einzelnen Willensact erscheinende Ich, sondeni
als der ins Ansich verobjectivirte empiiische Begriff des in den ein-
zelnen W'illensacteu als Thätiges auftretenden Ich. Schopenhauer that
aber der Sache noch weitere Gewalt an, wenn er anstatt „woUeudeä
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Ich" das "Wort ^ Wille" setzte, indem damit der Ichbegritf, auf dem
doch der Be«rriflf' der Willenstliütigkeit , d. 1. des-; Willens allein,
ruht, einfach escaniotirt und der Willensthätigkeit ein phantastisches
Etwas [in welchem sich freilich unbewusst dennoch das Ich durchrang],
^Wille" genannt, untergeschoben wurde. Diese Escamotage ist der
höchsten Beachtung werth, weil durch Beseitigimg des individuellen
Ichbegiiffis sowol das „Wollen^ des Dinges an sich, als auch damit
das Ding an sich selbst allgemeiner gefasst werden konnte.
Nun ging scheinbar alles glatt yorwärts: Wollen zeigt sich in
allen Menschen, also ist, wie für mich, so auch für die anderen Men-
schen der „Wille'' ihr Ding an sich. Dieser Wille" sei nun, heisst
68, wenn man ihn an sich anschaue, in Allen em und dasselbe, was
ms sehr verständlich vorkommt» wenn wir sehen, dass Jenes mystische
Dmg an sich „Wille** nichts anderes als der verdinglichte ThAtigkeits-
begriff „Wollen*" ist. Denn freilich, dieser Thätigkeitsbegriff zeigt
sich als solcher in allen Menschen, und wenn er auf einem Ding
an sich, des Menschen „Wille** genannt, beruht, so muss ja allerdings
dieses Ding an sich aller Menschen ein und dasselbe sein.
Doch hier h&tte Schopenhauer sdion stutzig werden sollen; wenn
das Ansich der Menschen ein und dasselbe ist, woraus ist dann das
verschiedene Wollen der Menschen abzuleiten; wie kann dieses An-
sich, der Wille, sich in so verschiedenen Lebern zur Erscheinung
bringen? Es ist hier nicht der Ort, auf diese Frage einzugehen, aber
bekanntlich konnte sich Schopenhauer aus den drohenden Widei-sprüchen
nur retten dadurch, dass er factisch die Welt als Vorstellung duch als
eine wirkliche Welt neben der Welt an sich betrachtete iiud zu-
nächst, ohne das Räthsel zu lösen, einfach behauptete, der Wille"
liabe sich eben in verschiedenen Individuationen ,,objectivirt", ver-
wirklicht. Man könnte nun einwenden, hier liege doch gewiss kein
Räthsel vor, denn ja schon der „Wille" des Menschen bethätige sich
m verschiedener Weise, also dürfe Schopenhauer dies auch von
seinem metaphysischen „Willen" annehmen! Indes es wiid vergessen,
dass Schopenliauer grade das, auf Grund dessen der AVille des
Menschen als verschiedener auftritt, nämlich dass dei*selbe die
Thatigkeit eines bewussten, d. i. mit verschiedenen, durch die Thätig-
keit ..Wille" realisirbaren Vorstellungen begabten Ich ist, gestrichen
Latte. Sein „Wille" ist hier ja in der That nur die Verdinglichung des
allgemeinen blassen Begriffs „Thätigkeit" überhaupt; weil er
aber dieses ist, so konnte Schopenhauer ihn nun ungezwungen noch
weiter anwenden, nicht nur auf die menschliche bewusste, sondern
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auf jede Thätigkeit überhaupt, der er, wo er sie in der
Vorstelluiigöwelt antraf, sofort sein Monstrum „Wille" als metaphysi-
sches Ansich unterlegte. Da es ihm aber niclit schwer fallen konnte,
überall in der „Welt als Vorstellung" Thätigkeit, „Streben", zu
entdecken, so war ihm damit als ausgemacht gegeben, dass Allen der
„Wille'' als Ansich, als Kern, zu Grunde läge. Dies könnte man
nim etwa als eine bildlicli- anschauliche Auffassang schon lungehei
lassen, aber Schopenlianer beanspmcht für seine Darstellmig mdir,
nnd so yerfUlt er nur in noch grösseren Irrthmn.
Dass alles in der Welt, dass jedes Ding eine Thätigkeit zeige,
ist gewiss lichtag; sollte aber das der Satz: „die Welt ist Wille" be-
deuten? Ich bin überzeugt, dass die meisten Schopenhanerianer in
unseren gebildeten Standen es so aufitoen und die Frage bcfjahen.
Schopenhauer selbst aber versteht darunter dieses: Unserer Welt liegt
als eigentliche Welt, als Ansich, zu Grunde der Wille'', dessen
Äusserung die Thätigkeit „Streben" ist. Warum aber wird wol
dieses Schopenhauei-^sche Monstrum „Wille" so vielen plausibel er-
scheinen? Weil sie sich bewusst sind, dass ihrer eigenen Thätigkeit
ein ,,Wille", d. i. ein wollendes Ich, zu Gninde liegt, und weil
sie nun einfach dieses wollende Ich auch jedem anderen Dinge im-
putiren, dabei jedoch nicht merken, dass Schopenhauer grade das, was
sie bereits zum Verständnis des Schopenhauer'schen Satzes durcbaus
nöthig brauchen, nämlich die Annahme eines dem bewussten Ich ana-
logen Etwas, aus seinem mystischoi „Willen" officiell ausweist, wenn-
gleich ihm selbst hiebei die tollsten Widersprüche passiren. Der
Schopenhauer'sche „Wille^ ist Oberhaupt bis jetzt wol die höchste
Leistung metaphysische Seiltftnzerei, und man muss sieh nicht
wundem, wenn der metaphysische Schopenhauer lllr das Auge der
Wissenschalt in seiner gifiizen Hohlheit erscheint und abgewiesen
wird, dagegen bd dem Bildungsphilister als Meister in hohem An-
sehen steht
Diese Abschwenkung auf das theoretisch-philosophische Grebiet
war nöthig, um die theoretische Begründung des Schopenhauer'schen
Pessimismus in das rechte Licht stellen zu 'können. Das Leid vdrd
also von Schopenhauer zurückgefühi't auf den Willen. Ist es mm
dieses Ansich der Welt, der „Wille", welcher leidet? Die Frage ist
nicht so sinnlos, als man auf den ersten Blick meinen: könnte. Frei-
lich wäre sie gegenüber dem buddhistischen Pessimismus, welcher ja
auch das Leid auf das Verlangen zurückführt, ohne irgend welchen
Sinn, denn da ist es natürlich nicht das Verlangen, sondern das Ver-
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langende, die .Seele, welclie leidet. Bei Schopenhauer aber steht
die Sache, wie ieli zAgU\ anders, und liier ist es wenigstens berech-
tijtrt, zn frag'pn. ub der „Wille", dieses Ding an sich, „dessen Wesen
Sü'eben ist", oder wer denn überhaupt, leide!
Wenn das Leiden im Ansich der Welt anzutreffen sein sollte, so
könnte es allerdings nur am „Willen", dem einzigen Ding an sich,
als Zustand angetroffen werden; es fragt sich aber noch, gesetzt
auch, ein solches Ansich „Wille" wäre ebenso unbestrittene Wii-klich-
keit, als es unleugbares Hirngespiimst ist, ob dieser Wille wirklich
Leiden erfahren könne.
Vher das, was das Leiden sei, spricht sich Schopenhauer so ans;
„Wir haben längst dieses den Kern nnd das Ansich jedes Dinges aus-
machende Streben als dasselbe und nämliche erkannt, was in uns,
wo es sich am dentlichsten, am Lichte des vollsten Bewnsstseins ma-
nifestirt, Wille heisst'*'); wir nennen dann -seine Hemmung durch ein
Hindernis, welches sich zwischen ihn und sein einstweiliges Ziel stellt,
' Leiden, hingegen sein Erreichen des Zieles Befriedigung, Wolsein,
Glflck. Wir können diese Bezeichnungen auch auf Jene, dem Grade nach
schwächeren, dem Wesen nach identischen Erscheinungen der er-
kenntnislosen Welt übertragen, diese sehen wir alsdann in stetem
Leiden begiüfen und ohne bleibendes Glflck'* [II, 365]. Leiden ist
hier also Hemmung des „Willens^, und Schopenhauer ^tdeckt dies
zunächst durch Beobachtung des menschlichen li^ens.
Geboi wir ihm einmal zu, di^ alles menschliche Leiden Hem-
mung des menschlichen Willens* sei Worin aber zeigt sich die
Hemmung? Doch in der Nichterreichung des Zieles seitens des
Willens, d. i. des wollenden Menschen, der als bewusster
das Ziel seines Willens vor sich hat. Schopenhauer überträgt nun
das, was nur im Hinblick aul den zielbewussten thätigen Menschen
erst einen Sinn erhalten hat, auf den auch im Menschen als sein An-
sich angenommenen „Kem", den mystischen „Willen". Bei Licht
betrachtet kann aber doch von Hemmung der Thätigkeit als sol-
cher, deren Pei'sonihcation eben nur jener „Schopenhauer-Wille" ist,
niemals die Rede sein. Wie immei* wir nämlich Thätigkeit beti^achten.
♦) Hier ist recht deutlich zu erkennen , wie oberflächlich der Wille des Meu-
tchen von Schopenhauer aufgefasst wird, so dass er diese Th&tigkeit von dem Stre-
ben der mnjgai Dinge nicht wesentlicli nntefBeb^det, sondenniurdenUntencliied
duin rieht, deas der menaehliche Wille ,,amLidite des vollrten Bewnastseins aieh
manifestire", -während doch der wesentUehe Unters« liied darauf beruht , dass der
Wille äberhaopt nur die Thätigkeit eines Torstelleudea bewussteu Wesens ist
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80 können wir im Allgemeinen uns uiir Zweierlei denken und vuu ikr
aussagen, entweder: sie ist, oder: sie ist nicht. Von einer Hem-
mung der Tliiiiig-keit als solcher kann bei gesundem Deukeii
nicht die Rede sein. Wenn wir zu sagen pflegen: „Er ist in seiner
Thätigkeit gehemmt," oder auch gar: „seine Thätigkeit ist gehemmt**,
so soll tlies nicht sagen, die Thätigkeit, als solche betrachtet . ist ge-
hemmt: (las wäre baarer Unsinn, sondeni \ielmehr soll daruiiinr ver-
standen werden: der tliätige Mensch sieht sich in der Erreichiuig-
seines Ziels, das er sich gesetzt hat, gehemmt; nicht der Wille,
diese Thätigkeit, sondern der wollende, das Ziel ei-strebende
Menscli ist gehemmt. Dabei kann der Mensch als gehemmter weiter-
hin ebenfalls thätig sein, in gleicher Weise also meder „Willen"
zeigen [dieser ist dann also nicht gehemmt, sondern er ist einfach da],
er kann aber auch als gehemmter unthätig sein, keinen Willen mehr
zeigen [dieser also ist dann iviedenini nicht gehemmt» sondern er ist
nicht mehr daj. Wir sprechen nun wol kurzweg von „Hemmung'
des Willens" und können dieses thun, solange wir nui* stillschweigend
anstatt ..Wille'' den „wollenden Menschen" denken. Diese Redens-
art aber machte sich Schopenhauer zu Nutze und sprach von Hem-
mung des Willens, ohne den wollenden Menschen zu substitniren, und
die F<dge dayon war, dass, da das menschliche Denken nnn einmal
den ünsinn, Hemmung der Thfttigkeit als solcher, nicht ertragen kann,
anstatt des „wollenden Menschen** das mystische Monstrom „WUle^,
das „Ansi«sh" des Menschen, als Sulject des WbUens sahstitoirt wurde.
Fttr nns wäre es nnn kUur, dass, wenn Leiden Hemmong ist, eine
Hemmung aber nur der Thätige, ni«^t die Thätigkeit, erfthren
kann, der Zustand „Leiden" nur ein Zustand des Thfttigen, des Wol-
lenden sein kann; Ar Schopenhauer ftbertrflgt sich dieses auf das an
die Stelle des wollenden Menschen gesetzte und sich als woll^des
bethfttigende Ding an sich „Wüle**.
Mit diesem Fehler beginnt Schopenhauer und nun folgt demselhea
Fehler auf Fehler. Beim Menschen konnte noch mit einigem Recht
« kurzweg der Wille als „gehemmter" bezeichnet werden; man war es
gewohnt, den bewusst Wollenden kurzweg „Wille" zu nennen, und
hier dachte man sich doch stets das Thätige als ein bewusst es Ziel
erstrebendes. Als nun aber Schopenhauer diese engste Verbinduna:
des „Willens" mit dem „Bewusstsein von einem Ziel" lr»ste umi
im „Willen" das mystische Ansich sah, welches sich überhaui)t t hat ig
erweist [er nannte diese Thätigkeit, indem er stets fort noch mit
dem bewussten Ziel liebäugelte, allerdings lieber Streben]; da konnte
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man doch die Hemmung des „Willens" in der Natur nur ver-
stehen, wenn man unwillkürlich der Thätigkeit auch hier ein mit ihr
engverbundeues Ziel zulegte, in dessen Erreichung sich dann das
mystische Ding „Wille'', nicht aber etwa die Thätigkeit, gehemmt sehen
konnte.
So wui'de es Schoi)enlmuer möglich, zu erklären: überall, wo der
„Wille", wo also das thätige Ding an sich gehemmt wird, ist Leiden,
denn Leiden heisst Hemmung des „Willens", dieses Dinges an sich,
dessen alleiniges Wesen Streben ist; Leiden ist also auch, schliesst
Schopenhauer, „in der erkenntnislosen Welt", deren Wesen „Wille" ist.
Ich will, weil es zu weit führen wttrde, dieses Nest von Wider-
sprachen nnd wiUkfirlichen Übertragungen bei Schopenhauer nicht
weiter aufrühren, und wende mich wieder der Frage zu: Leidet der
„Wäle**, kann derselbe leiden? Wenn das gehemmte Subject es ist^
was da Oberhaupt leidet, so ist die Frage von dieser Seite her ent-
schieden zu bejahen. Nnn aber erhebt sich von der anderen Seite
grosses Bedenken; ich will dieses nicht yon psychologischer Seite za
begrfinden snchen, da sich das JLnsich**, der mystische „Wllb" wol
Aberhanpt der psychologischen üntersnchnng nicht fügen mOchte, weil
er ja nicht zor Vorstellimgswelt, dem alleinigen Object der psycholo-
gischen Forschnng, gehört; aber der logischen Erdrtenmg mnss er
wenigstens zagänglidi sein, wenn er anders ins Gebiet der Wissen-
schaft gehören will
Damit der „Wille" leide, mnss er gehemmt werden. Für das
Ansich, welches eben Wüle ist, gelten aber nicht Raum nnd Zeit,
gelten nicht die Formen der Vorstellimgswelt überhaupt, nicht die
Individuationsformen. Alles ist Wille ohne irgend welche Differenzi-
nmg, welche ja nur der Vorstellungswelt angehört; Alles ist Eins.
Die \\'alirheit, welche in diesem mystischen Helldunkel sich versteckt,
ist einfiich diese: Alle Dinge sind thätig, und ins(ifern wir nur ihre
Thätigkeit unter dem allgemeinen Begrilf der Thätigkeit betrachten,
smd sie gleich , zeigen sie ein und dasselbe , nämlich das Thätigsein.
Doch Schopenhauer hatte ja diesen Begriff Thätigkeit verdinglicht und
als Ding ins Ansich verpflanzt. In Folge dessen sehen wir den
Schopenhauerianismus n\in völlig ohne Mittel, wie er die Hemmung
dieses Dinges an sich erkläre, während wii- dagegen von ihm selbst
das Xöthige entlehnen können, um ihm naelizuweiseu , dass sein Ding
au sich, will man nicht die Logik ans Kreuz schlagen, wenigstens als
gehemmtes nicht zu denken wäre. Denn gesetzt auch den Fall,
dieses Ding an sich „Wille"' könnte als ein nach eüiem Ziel streben-
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des gedacht werden; was soll ihm denn hindeiTid in den Weg treten,
ilin hemmen können, sein Ziel zu erreichen? Sicherlich Niclits, er ist ja
allein da. Aber es ist auch nicht einmal ein Ziel für diesen „Willen"
denkbar, denn jedes Ziel bezeichnet eine Begrenzung, und Raum und
Zeit, ohne welche letztere nicht denkbar ist, sind ja nicht im ..An-
sich". So könnte also der „Wille" weder leiden noch glücklich
sein, weil er weder, wenn er anck ein Ziel hätte, in dessen Erreichung
dnrch ein Anderes gehemmt werden, d. h. leiden, noch seinem Begriff
nach überhaupt ein Ziel haben, also auch kein Ziel erreichen, d. h.
glücklich sein konnte.
Hier zeigt sich wieder deutlich, dass Schopenhaners „ Wille*^ nichts
anderes ist, als der verdingUchte blosse Begriff Thätigkeit In
diesem Begriff als solchem liegt in der That weder das Merkmal des
Nichtthätigseins, noch da^enige des Zielstrebens enthalten, and
so erkennen wir den wahren Grand, der Schopenhauer sagen lassen
konnte: „es gibt kein letztes Ziel des Strebens"; er hätte deutlicher
sagen sollen: „es gibt überhaupt kein Ziel des Strebens. d. i. des
Willens", und hätte dann die anscliliessenden Worte: „also kein Mass
und Ziel des Leidens" gleiclifalls richtig stellen sollen . indem er er-
klärte: ,.also auch überhaupt kein Leiden und kein (ilückliclisein für
den Willen, d. i. die Thätigkeit."
Wenn nun Hemmung nur in der Welt der VorsteUung denkbar
und möglich ist, so muss auch Leiden, welches nach Schopenhauer
Hemmung ist, nur in der Welt als Vorstellung angetroffen werden
können, und zwar dies aus zweifachem Grunde, einmal weil das Hem-
mende als solche und dann weil das Gehemmte, das Leidende als
solches nur der Welt als VorsteUung angehören kann. Dieser Sdüuss
geht evident hervor aus Schopenhauers eigenen Au&tellungea; dadnrdi
aber wird die metaphysische Verknflpfimg des Leidens mit dem
„Willen^ Schopenhauers in ihrer logischen Unhaltbarkeit
blossgelegt Nicht in diesem Ding an sich kann also der letzte
Grund des Leidens der Welt gefunden werden, denn das Sein dieses
„Willens" bedingt, wie gezeigt, noch keineswegs das Leiden.
Der makrokosmische Pessimismus ist demnach in Schopen-
hauers Weltanschauung nur ein leeres Aushängeschild und ein
misshmgener theoretischer Versuch; es ist auch nicht schwer, zu
beweisen, dass Schopenhauer in Wirklichkeit nur einen mikrokos-
mischen Pessimismus vertritt.
Wii- haben gesehen, dass Schopenhauer in ähnlicher Weise, wie
den Bezirk des Wortes „Wille", denjenigen des. Wortes „Leiden" er-
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weitert; letzteres muss ich noch besondei-s bervorhebeu , um daran zu
coDstatiren, dass die ungebührliche Erweiterung des W'ortumfanges
-Leideir' das fatale Kunststück gewesen ist, vermittelst dessen
der Inhalt des Begriffi» Leiden, welcher doch identisch ist mit
Schmerzempfinden, nngestOrt auf ßrscheinimgen der „erkenntnis-
kfien Natnr" flbertragen wurde, die doch ohne Vororthefl Derartiges nicht
u sich erkennen lassen. Aber wenn wir uns auch einmal mit diesem
Sebopenhaner'sdien Analogie&natismus einverstanden erklttrten, so
würde damit nichts iron der Behauptung, dass Schopenhaner in Wahr-
heit einem mikrokosmisehen Pessimismus huldigt^ wegfallen. Denn
stets findet sich in all den zahlreichen Beispielen, welche Schopen-
hauer zum Beleg seines Pessimismus anfiUirt, ein ^wollendes", d. i.
bewusst thätiges Individuum, welches das Leidende ist, und nie erklärt
er dabei, dass das Diug an sich „Wille", welches den ,.Kern" des
Imlinduums bilden soll, das eigentliche Leidende sei. Dies zu
coustatiren, ist aber tür die vorliegende Aufgabe von höchster Wich-
tigkeit, denn nun darf mit Grund behauptet werden, dass Schopen-
iuwer die „Thatsache" des Pessimismus, die wir ja zunächst einmal
unbeanstandet zugeben , in ilUschlicher Weise anf sein Ding an sich
„Wille'' gründete, und dass er sie, wollte er wirklich Wolkenkukuks-
heun vermeiden, anf das seelische Individuum, insofern es wollendes
ist, hAtte aufbauen milssen.
Dann aber h&tte er eben den Grund nicht in seinem nWillen^
sondern, wie schon Buddha, in der seelischen Individualität des
Wollenden vor sich gehabt, also er hätte dem mikrokosmischen
Pessiinismus so etwa zageschworen: Nicht das Streben flberhaupt,
sondern der individuell Strebende ist der Hemmung, d. i. dem
Leidtii, ausgesetzt, das will sagen: in der seelischen, bewussten Indi-
vidualität steckt der Grund des Leidens.
Die soeben gezeichnete Verworrenheit Sch()i>enhauers in der
Gnmdlegung des Pessimismus zeigt sicli begreilliclier Weise auch in
ihren Folgen bei seiner Sittenlehre. Ich wüsste nicht, welches das
grössere Opfer des Intellects wäre, ob die Annahme des Schopen-
haaer'schen Satzes: „die Welt an sich ist Wille oder die Annahme
seines Sittengrundsatzes: „Verneinung des Willens". Man muss auch
letzteren erst in seiner ganzen Schopenhauerischen Eigenthümüchkeit
auffassen, nm zu verstehen, was derselbe dem Denken zumuthet Es
geht demselben nämlich bei den sogenannten Gebildeten gar nicht
sehlecht, und wie diese in dem Satze: „die Welt an sich ist Wille«*
etwas sehr Wahres zu haben glauben, indem sie ihn so verstehen:
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jyAJle Ding-e sind in steter Thätigkeit", so meinen sie auch den Sitten-
«rnindsatz Schopenhaaers als waliren begrüssen zu müsseu, da sie irr-
thümlich in ihm ausgesprochen finden die Verneinang des das In-
dividuelle erstrebenden Willens des Individuums.
Schopenhauer selbst wollte mit der Verneinung des Willens
etwas ganz anderes sagen. Es ist bezeidinend für den logisch ver^
worrenen Standpunkt Schopenhaaers» dass er Brahmani'smns und Bnd-
dhismns, diese beiden so grundverschiedenen Formen des Pessimismns,
auf gleicher Stufe behandelte und sie beide als nächste Verwandte
seines Standpunktes betrachtete. Schon dies kann die Vermuthung
nahe legen, dass Schopenhauer selbst zwei einander widersprechende
Anscliauungen in sich vereinigt. Dies bestätigt sich in der That.
Gleich Buddlia war er Vertreter des unbedingten Pessimismus,
sah aber diesen nicht l)('<rriindet im wollenden Individuum als sol-
chem, sondern im allgemeinen „^^'illen'^ dessen Entdeckung unge-
schmälert Schopenhauers „Ruhm" bleiben mag; brahnianisclier Pan-
theismus und buddhistischer Individualismus waren gleichsam von ihm
zu einem monströsen Pantheletismus zusammengebraut.
Als unbedingtem Pessimisten mnsste ihm natürlich das sittliche
Streben darauf sich richten, die Quelle des Leidens zu vernichten,
weil nur dadurch SrlSsong möglich gedacht werden konnte. Wfth-
rend nun Bnddha diese Erlösung in der Vernichtung der Seele
erblickte, musste Schopenhauer ebenso consequent seinem panthele-
tistischen Standpunkt gemfiss die Vernichtung des „Willens fiber*
haupt*' als Ziel des sittlichen Strebens hinstellen, musste er also
die „Vemehinng des Willens", der Welt an sich, fordern. Diese
Forderung anszusprecben hat sich Schopenhauer nun auch ebenso
wenig gescheut, als jenen Satz: „die Welt an .sicli ist Wille*' aufzu-
stellen, indes, gleich wie dieser bei Licht besehen sich nur auf in-
dividuelles Wollen stützt, so bezieht sich auch Jene Forderung
factisch nur auf Verneinung des wollenden Individuums.
Dieser Individualismus ist nun wenigstens die richtige Consequeiiz
in der praktischen Angelegenheit. Denn wie sich der Pessimismus als
in \\'ahrheit auf die Individualität des Wollenden gegiündet erwies,
der Grrund der Hemmung also in der Individnation der Vorstellungs-
welt lag, so könnte die richtige Abhülfe und Erlösung yom Leiden
auch nur in der Vernichtung dieser Individualität gesehen werden;
das Leiden ist ja eben, wenn auch allgemein verbreitet, dennoch etwas
durchaus individuelles.
Die Vernichtung dieser Vorstellungsindividnalität, d.h. also
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der Selbstmord, ist daher die Consequenz des Scliopenliauersclien Pes-
simismus; und so sehr sich Schopenhauer dai^eg-eii sträubt, es direct
auszusprechen, und so viel er von seinem Monstrum „Wille" redet,
welcher in seiner Allgemeinheit vernichtet werden müsse, so weiss er
(lern menschlichen Selbstmord doch nichts Stichhaltiges entgegenzu-
halteu, ja er weiss denselben sogar unter dem Namen „Askese" zu
preisen, und, sofern er sich wieder seines pantheletistischen Stand-
punktes erinnert, an seine Stelle nnr den Weltmord zn setzen. In
dieser Thatsache bestätigt sich, was ich weiter oben von der Conse-
qaenz des empirischen Pessimismus überhaupt» die ich im Selbstmord
ausgesprochen finde, sagte: Schopenhauer ist daftr ein Beleg; und
wie sich in der Grundlegung seines Systems IndiTiduelles und Allge-
meines noch stielten, so ist auch noch der Selbstmord neben dem Welt-
mord in seiner Sittenlehre da. Es war freilich dem officiellen Stand-
punkt des makrokosmischen Pessimismus entsprechend, wenn er officiell
vor Allem den Weltmord hervorhob als das Ziel des intelligenten
Strebens des Menschen, wtthr^d dem gegenüber der mikrokosmische
Pessimismus Buddha's den Selbstmord als Ziel aufstellte, Selbstmord
freilich nicht gedacht als Yemichtung des £5rpers, wie wir gesehen
haben, 'sondern der Seele. Aber im Grunde ist auch der Weltmord
des pantheletistisch denkenden Schopenhauer ein Selbstmord, da
doch unser Wesen eben der Wille, der Wille aber die Welt, und
die Vernichtung des W^illens unser praktisches Ziel sein soll: d. h. die
Vemiclitung uns res Wesens ist gleichbedeutend mit derjenigen der
Welt an sich.
•
Bemüht man sich nun, dieses Hauptstück Schopenhauer-
scher Sittenlehre, dieses Programm des Selbstmordes, zu er-
fassen, so sieht man sich, um dasselbe durchzudenken, vor etwas Un-
mögliches gestellt Die Welt als Wille soll vernichtet werden: wie
kann dies auch nur möglich gedacht werden!?
Der „Wille" ist „Streben", Thätigkeit; in seinem Ansich findet
dieses tliätige Ding an sich keine Hemmung, liier ist daher auch eine
Vernichtung,^ unmüoflich; der „Wille" ausser Raum und Zeit ist ewig,
es müsste ja, da „Wille"* nichts als Thätigkeit ist, nocli etwas anderes
da sein, was denselben vernichtete, dieses aber fehlt im Ansich: also
ist der Weltmord unmöglieli! So könnte man etwa raisonniren.
Schopenhauer meint aber doch einen Ausweg entdeckt zu hab^:
warum sollte der Wille sich nicht seil »st verneinen, d. i. vemicliten
können? Kann doch der menschliche Wille sich verneinen! Damit
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sclieint in der Tliat unser l^edenken niedergescUlageu zu werden; doch
GS sei der Fall näher besichtigt.
Wo wir sagen: der menschliche Wille vei-neiiit sich selbst, da
will dies heissen: der wollende Mensch venieint sein Wollen, der
Mensch will nicht wollend, will hi bestimmter Weise unthätig sein;
das Nic'htwollen, das bestimmte Unthätigsein, ist Inhalt seines
Willens, ist das Ziel des wollenden Menschen. Dieses Ziel stellt er
sich vor, indem er seine Thätigkeit an reale Bedingungen geknüpft
weiss, durch deren Vernichtung auch die Thätigkeit „Wollen" selber
aufhören muss. Wenn er also nun das Nichtwollen überhaupt will,
80 kann er diesen Zweck nur durch Vernichtung der Bedingnn*
gen des Wollens erreichen; erkennt er diese in der körperlichen
Existenz, so wird er diuch Selbstmord [in des Wortes gewöhnlicher
Bedeatong] das Ziel erreichen zu können meinen. Diesen Weg befür-
wortet andi Schopenbaner in seiner „Askese*, welche die „sdbstge»
wühlte bflssende Lebensart, die Selbstkasteiang znr anhaltenden Hor-
tification des Willens" pl, 48S] sei Die TOdtimg des Leibes wird
hier offenbar als die Bedingung fOr das Aufhören des Willens an-
gesdien; daher ist auch. Schopenhaners „Askese" keineswegs identisch
mit der brahmanischen und christlichen Askese, also ftberhanpt nicht
eigentliche Askese, sondern in Wahrheit bewnsster langsamer
Selbstmord.
Eine Thätigkeit nun, dies erkennen wir, schwebt nicht so für
sich in der Lnft, sondern ist die Thätigkeit eines Etwas, welches als
Snbject demnach ani^^ehoben werden mnss, wenn man du Tliätigkeit
desselben überhaupt vernichten wilL Eine bestimmte Thätigkeit,' ein
bestimmtes Wollen kann nnn aufgehoben, vernichtet werden durch
ein andres Wollen desselben Subjects, das Wollen überhaupt aber.
welches ja das Wesen des Subjects ansmachen soll, natürlich nur
durch Autliebung des Subjects selbst. Daher scheinen für Schopen-
hauer, welcher aus dem \\'ollen das Leiden resultiren lässt, nur z^vei
Möglichkeiten, das Wollen aufgehoben zu sehen, vorailiegen: entweder
diu-ch Vernichtung der körperlichen Existenz des Menschen , oder
durch diejeni<^e des unabhängig vom KTaper existirenden Ich, je nach-
dem er eben jenen oder dieses für das reale Subject des Wollens ansieht.
Schopenhauer erklärt aber bekanntlich von diesen beiden mögliclien
Subjecten keines für das reale Subject, dieses soll vielmehr der ..Wille" sein.
Nun habe ich schon oben entwickelt, dass da.sjenige, was wenig-
stens in uns als „Wille"* thätig ist, nichts anderes ist, als das wol-
lende Ich oder der wollende Keusch, und dass Schopenhauers Be-
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haoptong eines „Willens^ der da als Sabject will im Ich, ein reines
Phantasma ist; also käme man ikctisch, wenn bei Schopenhauer von
Anfhebnng des Willens seitens des Menschen die Bede ist, anf die
Anfhebnng des bewnssten Menschen oder Ich, welches will«
hinaos. Da nnn Schopenhaner der Ansicht ist, dass dieses Ich mit
dem Aufhören des Organismus sein Ende hat, so würde dem-
nach die Consequenz und das Radicalmittel seines Pessindsrnns in der
Anpreisung der Venüchtung dieses Organismus, d. i. des Selbstmor-
des, bestehen müssen. Was er aber als Weltmord anpreist, ist eine
reine Phantasniagorie, eine Nebelliiille des Selbstmordes, wie ja aTich
sein makrokosmischer Pessimismus nur die phantastische Einkleidung
eines iiiikritkosmischen Pessimismus ist.
Buddha liatte die einfache Ponsequenz des mikrokosmischen un-
1>e<lingten Pessimismus, den Selbstmord im gewöhnlichen Sinne des
Wortes, nur scheinbar umgangen durch Hereinnähme des Glaubens an
die Seelenwandemng und des durch dieselbe bedingten langsamen,
unter UmstSnden durch viele Gfenerationen sich hinziehenden „Selbst-
mordes". Schopenhauer versteckte sich vor ihr hinter dem metaphy-
sisehen Phantaisma „Wüle" und dem phantastischen Weltmord, aber
er zog die Consequenz dennoch in der Betonung seiner ,A8kese% der
langsamen Mortification des Willens, d. L in Wirklichkeit des
wollenden Menschen.
Dieses Hauptstück, die Fordenmg des, sei es als Weltmord ver-
kleideten, sei es unter dem Namen „Askese'" auftretenden Selbstmor-
des, macht die eigentliche Sittenlehre Schopenhauers aus; die
einzige Norm, welche sein in Wirklichkeit miki-okosmischer un-
bedingter Pessimismus dem Einzelnen an die Hand gibt, ist demnach:
^orde dich, dami entiinnst du dem Leid und erfüllst damit deinen
Lebenszweck".
Man wüi'de fehlgi eifen, wenn man Schopenhauei-s bekannte Er-
örterung über das Mitleid als der im menschlichen Wesen liegenden
Gnmdlage der uneigennützigen Handlungen zui* Sittenlehre desselben
achlagen wollte, wenn anders die Sittenlehre es sein soll, die den Weg
zeigt, auf welchem der Mensch seinen persönlichen Lebenszweck er-
reichen kann.
Buddha hatte die werkthfttige Barmherzigkeit freilich in seine
pessimistilsdie Sittenlehre hereinnehmen können dadurch, dass er die-
selbe mit Hüfe des Yergeltungsglaubens als allgemeines Gebot hin-
stellte. Bei Schopenhaner aber ist das Mitleid die natürHche
Auflsenmg des all-einen „Willens'* im lndi\ iduum gegenüber den ande-
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reu Individuen der V < )r.s t eil iings weit; für den Zweck des Lehens,
die Verneinung des „Willens", leistet das Mitleid nichts imd steht
' zu demselben in gav keinem Zusammenhang. Das Mitleid ist für
Schopenhauer ein Xaturphänomen, das nicht auf dem sittlichen, d. i.
das Lebensziel erstrebenden A\'ollen, sondern, um mich in Schopen-
haiierscher Sprache auszudrücken, auf dem „Willen" des Menschen iiiht.
Sobald man das Mitleid in die Sittenlehre Schopenhauei*s einzufügea
versuchen würde, müsste man erkennen, dass man damit etwas dem
menschlichen Lebenszweck völlig Widersprechendes eingeführt hätte.
Sdtopenhauer hat dies auch nicht gethan, und nur, indem £. v. Hartmann
ihm dies untei-schiebt, kann er behaupten, dass Schopenhauers Forde-
rung des Mitleids „etwas von Grund aus Verkehrtes . . . und dem
eigentlichen Zweck des Lebens Zuwiderlaufendes ist." [Phftnomeno-
logie d. sittL Bew. 44] Schopenhauer kann diesem Vorwurf gegen-
über vielmehr erklären, in dem Mitleid zeige sich eben einmal wieder
die blinde Natur des Willens, dass sie so „Zweckwidriges", wie das
HiÜeid ist, hervorbringe; denn jede mitleidige That, welche das Lei*
den des Anderen verringere, helfe, anstatt diesen zur Verneinung des
Willens zu fOhren, nur dazu, m ihm die vorhandene Bcjahnns: des
Willens zum Leben zu krfifdgen. Hartmann ist hier wol durch die
Sdiopenhau^sche Bezeichnung des lüfleids als der „Grundlage der
Moral*' irre geführt worden, und da liegt die Schuld allerdings an
Schopenhauer, welcher eben „sittlich'' [moralisch] als identischen
Ausdruck für uneigennützig gebraucht, und in seinen Begriff „stttlieh"
nicht zugleich das Moment da* auf d^ Lebenszweck abzielenden
Selbstbestimmung hereinnimmt.
Es ist bezeichnend für den Pliilosophen des all-eineu „Willens",
dass er in seiner pessimistischen Weltan-sihaiuing keinen Platz für
das „Sollen" hat, eine Thatsache, welche zugleich ein Beweis dafür
ist, wie lose sein empirisclier Pessimismus mit dessen makrokosmischer
Basis verbunden, und wie unklar und verworren überhaupt das Ver-
hältnis vom Ansich und Vorstellung, und besonders dasjenige von dem
„Wesen" Wille und dem menschlichen 1 ndi vidualwillen in
Schopenhauei^s System entwickelt ist. J )ie Griinde , welche Schopen-
hauer das sittliche Sollen abweisen hiessen , kann ich hier nicht an-
führen. Seine Sittenlehre (^lien iiiusste sich darauf beschränken, den
Tndividualwillen auf sich selbst und damit auf den Weltwillen zn
hetzen, sowie die beiden Wege, den der Erkenntnis und des Leidens,
zu zeigen, auf denen dem „Willeir* angeblich der Krieg gegen sich
selbst im Menschen ei'möglicht wird.
(Fortsetzung folgt.)
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über die (lesundheitspflege in der Schule.
Ein Cüiü'ereuzvortrag von Kector Friesivke-FtQieüviaXde.
als in fiiiherer Zeit richtet sich jetzt die allgemeine Auf-
merksamkeit auf die Gesuudiieit.spflegfe in der Schule. Nicht nur
Pädagogen von Fach wenden dieser 1^'rage ihr lelihaftes Interesse zu,
sondern aus allen Kreisen der (xesellschaft werden Stinnnen Uber sie
laut; ganz besonders aber haben die hierzu vor allen berufenen medi-
duischen Autoritäten der Schulhygiene ihre Aufmerksamkeit zuge-
wendet und zahlreiche UntersuchungeD gewidmet. In Faclizeitschriften,
in Vorträgen ist namentlich über die zunehmende Ikurzsichtigkeitt
über die stets stärker aufti-etenden Rückgratsverki'ümmnngen des heran-
wachsenden Geschlechts bittere Klage geführt und der Schale mit
ihren ungenügenden Einrichtungen manches herbe Woit gesagt wor-
den. Ob soldie Klagen begründet, ob die den Schuleinrichtnngen nnd
den Lehrern gemachten Vorwürfe berechtigt seien, das wollen wir in
den nachfolgenden Anseinandersetasnngen m erOrtem soeben. Zn die-
sem Zwecke sei es uns gestattet» auf drei Fragen einzogehen:
A. Weldies smd die von den Staatsregieningen in gesnndheit-
licher Beziehnng gestellten Anforderangen an die Schnlränme?
B. Wie verhalten sich in Wirklichkeit die Schnlgebande nnd ihre
inneren Einiichtongen zn den gestellten Forderungen?
C. Was hat der Lehrer zn thun, nm nach Müglichkeit die Ge-
sondheit der ihm anvertranten Schuljugend zu erhalten nnd zn fördern?
A. Bei der grossen Wichtigkeit unseres Themas werden wir etwas
weiter ausgi eifen nnd uns nicht auf das engere Vateriand beschrftn-
ken, sondern audi auf Verordnungen und Gesetze unserer Nachbai>
Staaten hinweisen, wdl wir von dem Grundsatze .uns leiten lassen,
dass man das Gute nehmen müsse, wo es zu finden ist. Und dass
viele unserer Nachbarn uns in Preussen in dieser Beziehung- um ein
gutes .Stück Uberholt liaben, das dürfte wol kaum jeiuaiul in Abrede
stellen wollen, der die Schulgesetjsgebung der Neuzeit verfolgt hat.
Pxdigogim. 4. Jahrg. Hdl IZ. 35
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Meines Eracliteiis liegt das eben daran, dass< wir in Pi'eUs>t^n noch
immer kein Schulget^etz haben, das in allen inneren und äusseren An-
gelegenheiten der Schule Ordnung geschafft hätte. Zwar ist \ieles
auf dem Verordnuugswege geschehen, aber eine durchgreifende Ände-
rung und Besserung ist nur von einem allgemeinen Unterrichtsgesetze
zu erwarten, und das ist es eben, was unsere Nachbarn voraus haben.
Was nun zunächst die Lage der Sdulliäuser anbetrifft, so stim-
men die darüber erlassenen Verfügungen und die Bestimmangen in
den Unterrichtsgesetzen der verschiedensten Länder im allgemeinen
darin überein, dass sie folgende Punkte feststellen : Der Bauplatz soll
frei, trocken, sonnig und zugfrei sein, er soll fern liegen von gewerb-
lichen Anlagen, die entweder durch Lärm und Geräusch den Unter-
richt stören oder durch schädliche Ausdflnstungrai die liuft verpesten.
Die Lage an freqnenten Strassen und Plätzen ist möglichst zu ver-
meiden. Sollten Bedenken über die Wahl des Bauplatzes in gesund-
heitlicher Beziehung obwalten, so ist das Gutachten des Kreisphysicos
einzuholen. Die Grösse des Bauplatzes mnss derartig sein, dass das
Schulgebäude womöglich nach allen Seiten frei zu stehen kommt, dass
daneben ein hinreichender Raum bleibt für den nothwendigen Spiel-
und Turnplatz und für die erforderliche Anlage von Abtritten, die
jedoch niemals in unmittelbarer Nähe des Schulgebäudes sich befinden
sollen. Empfehlenswert erscheint es, die Schulhäuser so zu bauen,
dass ihre B^uptfront nach Osten, resp. Südosten gerichtet ist. Soweit
es angänglich, lege man die Sehulclassen in das Erdgeschoss, sind
dieselben jedoch über mehrere Stockwerke zu vertheilen, so weise man
den jüngeren Schülern die Räume im Erdgeschosse zu. Sind in einem
Schulhause Knaben- und Mädchenclassen unterzubringen, so suileu für
dieselben gesondeile Eingänge vorgesehen werden.
Das zu den Schulbauten verwendete Material sei gut und dauer-
haft. In der Regel sind die Schulhäuser massiv zu erbauen, Fach-
werk ist nur unter ganz besondern Verhältnissen statthaft. Säniiiit-
liche Mauern sind unterhalb der Fussböden des Erdgrst husses, aber
über dem Terrain mit einer zur Abhaltung der aufsteijrenden Erd-
feuchtigkeit geeigneten Isolirschicht zu versehen. Die Dächer sind
mit feuersicherem Material zu decken, an den Dachtraufen sind Rinnen
mit Abfallröhren anzubringen. Der Fussboden des Erdge.^cliosses
muss mindestens 0,5 m über dem Erdboden liegen. Rings um das
Gebäude ist eine Pflasterung von mindestens 1 m Breite und mit hin-
reichendem Gefälle zur Abführung des Tagewassers anzubringen.
Die Decken sind als Windelböden zu construiren, damit das
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Dtirclulnngen des Schalles von einem Stockwei'k in das andere ver-
hindert wü*d.
Es ist selbstverständlich, dass sich die Grösse der Schulzimmer
nach der Anzahl der Schaler zu richten hat. Nach einer Verfügung
der königlichen Begiening zu Düsseldorf, ebenso nach den Allgemeinen
Bestinunnngen Tom Jahre 1872, wie nach dem (österreichischen Unter-
lichtQgesetze sind GUssemäiime fOr mehr als 80 SchOler unstatthaft,
nnd soUen 80 SehfQer flbethanpt die MaximalMihl bilden, die von
einem Lehrer in einem Baume zu unterrichten sind. Die Allgemeinen
Bestfanmnngen fordern für jeden Sch&ler einen ilflchenranm von'
0,60 a m, wobei die Ginge, der Bamn ftr den Ofen nnd fllr den
Ldirertritt mit einbegriffen sind. Die Dttsseldorfer Regierung verlangt
0,75 □ m, das Lübecker Schulgesetz 0,70 Om; das Schulgesetz im
Grossherzogthum Hessen 0,80 Qm, in OsteiTeicli 0,60 Dm. Die
Höhe der Zimmer miiss so bemessen werden, dass auf jedes Kind min-
destens 1,89 cbm Tjuftnium entföUt, woraus sich ergibt, dass bei
0,60 □ m Grundriäche pro Kind eine Zimmerhöhe von 3,15 m ei*for-
derlich ist. In Östeiieicli werden tür einfoclie Schulverhältnisse 3,8 m
Höhe, in grossem Schulen, namentlich in vielclassigen Stadtschulen
aber 4,5 m Höhe gefordert und für jeden Schüler ein Luftraum von
3^ resp. 4,5 cbm. Die Düsseldorfer Regienmg erklärt Schulzimmer
unter 4,90 m Höhe fär unstatthaft. Grundfläche und Höhe müssen
so bemessen sein, dass fhr jedes £ind bei natOrlicher Luftemenernng
nicht unter 3 cbni Banm voriianden sind.
Die zweclgiiftssigste Gnmdform des Schulzimmers ist die des
Rechtecks. Damit Jedoch die vom Lehrer sm entferntesten sitzenden
Schiller die auf der 'WWdtafel mid den Wandkarten befindlichen
Sehliftzüge und Zeichnungen noch dentlidi erkennen kOnnen, darf die
Länge des Zimmers das Mass von 10 m nicht übersteigen. Das ge-
eignetste Verhältnis der Länge und Breite ist das von 5 : 3. Bei
Bestimmung der Breite ist namentlich zu beachten, dass die von der
Fensterwand entferntesten Plätze noch hinreichend beleuchtet werden.
Der Fussboden des Schulzimmers muss eben, enp: ^efiifft und mög-
lichst dicht sein, und derselbe wird zu diesem Zwecke am besten mit
Leinöl getränkt. Die Dielen sind aus festem Holze herzustellen. Die
Wände und Decken sollen glatt, ein£u:big, mit einer lichten, blan-
oder gi'ünlichgrauen, giftfreien B'arbe angestrichen sein.
Bei Anlage der Fenster ist darauf zu achten, dass das Eindiin-
gen Ton directem oder von nahe liegenden Gebäuden reflectirtem
Sonnenlicht während der Schulzeit möglichst vermieden werde;' wenn
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(lie.s nicht in allen Fällen zu erreichen ist, so muss weuigsteusj lür die
Fenster völlig deckende Rouleaux oder Marquisen von mattgi*auem
Stoffe gesorgt werden. Das Licht soll den Schülern ziu* linken Seite
einfallen, allenlalls theihveise vom Rücken her, niemals aber dürfen
Fenster in der Kathederwand an<;ebracht werden. Das Schulzimmer
wird natürlich um so besser beleuchtet sein, je höher das Licht von
oben einfällt, und deslialb sind die Fenster so hoch gegen die Decke
hinaufzuführen, als constructiv zulässig ist. Der Wandraum zwischen
zwei Fenstern darf 1.25 m nicht überschreiten. Sämmtliche Fenster
smd so anzulegen, dass sie vollständig geödet werden können.
Was die Heizung der Schnlzimmer anbelangt , so sollen die dazu
erforderlichen Anlagen so hergestellt werden, dass eine entsprechende
ErwilnniiDg leicht zu ermöglichen ist. Am zweckmäasigsten ei^scheinen
immer noch gute Kachelöfen. Sie sind den eisernen entschieden Yor>
zuziehen, welche zwar schnell das Zimmer erwärmen, aber leicht eine
zn starke und bald verfliegende Hitze yerbreiten. Gnte Kachelöfto
dagegen yerbreiten, wenn sie gehörig mit Material yeraorgt weiden,
eine angemessene, gleidunSasige und aosreidieBde W&rme, die auch
wfthrend der SchnkeH; yorhtit Bereits eine halbe Stunde yor Beginn
des Unterrichts müssen die Schuhrftume gehörig dnrchwttrmt sein, da-
mit die Kinder nicht auf ihren Plfttzen beim StüMtzen frieren müssen.
In strengen Wintertagen soll die Heizung zweimal «folgen. Der Ofen
wird am besten an der der Fensteraeite gegenflberliegenden Wand an-
zubringen sein; Ofenrohrklappen sind möglichst gänzlich zu yermeiden;
sind sie yorhanden, so sollen sie wenigstens so oonstruirt sein , dass
sie das Ofenrohr lüe yoUständig schliessen. Für grossere SchulhSnser
werden geeignete Caitralheizangen empfohlen. Als eine angemessene
Temperatur sind 15 — 16® R. zu betrachten. Um einen sichern Mass-
stab flir die Bestimmung der Temperatur zu haben, ist in jedem
Classenzimmer ein Thermometer an einer Stelle anzubrint^en , deren
Teuipejatur als die mittlere des Zimmers anzunehmen ist: das Thermo-
meter ist etwa in l.öO m Höhe iiber dem Fnssboden autzuhänsren.
Genau diese Restimmnngen finden sich in den Schulsresetzen Württem-
bergs und Sachsens. In letzteren beiden Staaten ist ausserdem noch
festgesetzt, dass bei einer Temperatur in den Schulräimien unter IS^^R.
<tlnie Rücksicht auf die Jahreszeit zu heizen sei. Steigt im Sommer
die AussenteiHi»eratur vormittags bis 10 Uhr aui' 20" K. im iicliatten,
so ist der Nachmittagsunterricht auszusetzen.
Von wesentlicliem KiiiHusse auf das Woll)etinden und die (^esuml-
heit der bchüler ist die Erneuerung der Luft in den Schulräumeu, die
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treibst während der Unterriclit^^stuiideu stattfinden muss. Es ist zu
dem Zwecke Bedacht darauf zu nehmen, dass geeignete Ventilat ioiis-
vom'chtungen angebracht werden. Das Wesen der Ventilation besteht
daiin, die schlechte Luft auszuführen und der atmosphärischen Luft
den Zutritt zu verschaffen. Die durch das Ausathmen erwärmte Luft
steigt nach oben, die oheve Lnftscliicht dagegen nach nnten. Je höher
non ein Schulzimmer ist, desto mehr zum Athmen geeignete Luft wird
es enthalten; es sind daher hohe Schulzimmer als ein Haupterfordemis
f&r gesunde Luft anzusehen. Da das Öffnen ganzer Fenster nicht
Toriheilhaft nnd statthaft ist, so sind die oberen Fenster so einzurich-
ten, dass sie um eine horizontale Achse drehbar sind. In der gegen-
flheriiegenden Wand sind in annähemd gldcher Höhe eine entspre-
diende Anzahl yerschliessharer GegenOlIhnngen anzubringen. Auch
bei der Anlage der Heizvorrichtungen ist auf die Ventilation Bftck-
sieht zu nehmen.
Die Gftnge und Treppenrftnme eines Schnlgeb&ndes mttssen hell,
gerftumig und besonders zugfrei sein. Die inneren Treppen sind so
anzulegen, dass sie mindestens eine Breite von 1,25 m haben; an der
freien Seite ist jeder Treppenraum mit einem starken Handgeländer
zu yersehen, an der Wandseite mit einfitMdiai Handgriffen. In grösse-
ren SchnDUbisem sind die Treppen masriT herzustellen; am Fuisse der
Treppen sind Scharreisen oder Eratzen anzubringen.
Von besonderer Wichtigkeit ist die Einrichtung von wenigstens
einer Lehrerwohnung im Schulhause; es sollte kein 8eliulgebäude
geben , in dem nicht wenigstens ein Lehrer Wohnung hat , der die
Oberaufsicht über die gesanimten Classenräunie führen könnte. Die
Düsseldorfer Regierung bestimmt darüber: ,.Kine im Schulgebäude be-
findliche Wohnung für einen verheiratheteu Lehrer muss fünf Wohn-
resj). Schlafräume, ausserdem Küche, Vorratliskammer, Keller und
Speicher enthalten. Für einen unverheiratheten Lehrer genügt ein
Wohn- und <'in Schlafzimmer."
Für die Reinhaltung der Schullocale hat namentlich das Ministe-
rium in Württemberg sehr dankenswerte Bestimmungen erlassen. Dar-
nach sollen die Schulzinmier, Treppen und Gänge in der Regel täglich
von Schmutz und Staub sort?fältig gereinigt und während des Jahres
wenigstens viermal, nach Bedürfnis auch öfter, gi'ündlich aufgewaschen
werden. — Durchgreifende Reinigung des ganzen Hauses» Anstreichen
der Wände u. s. w. soll in den Ferien so zeitig vorgenommen wer-
den, dass aUes vor dem Wiederbeginn des Unterrichts gehörig trock-
nen kann. Die Subsellien sind einige Zeit nach dem Auskehren des
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Schulzimmers abzuwischen, Wände, Öfen, Gesimse etc. abzustäuben. —
Nasse und sclimutzige Kleidungsstücke, Regenschii'me und dergl. sollen
womöglich ausserhalb des Schulzimmers abgelegt werden können . zu
welcliem Zweck die erforderlichen Haken oder Reellen und Behälter
zum Einstelleu der nassen Uegeuschirme in einem besondem Gelasse
anzubiingen sind.
Ein Waschbecken nebst Handtuch zum Keimgen der Hftnde daxf
in keiner Schule fehlen.
Ganz besondere Aufmerksamkeit erfordert die Anlage und Rein-
haltung der Abtritte. Nach den Vorschriften mehrerer preussischer
Bezirksregierungen ist namentlich darauf zu achten, dass die Abtritte
ausserhalb des Schulgebäudes in angemessener Entfernung von dem-
selUjn für Knaben und Mädchen getrennt angelegt werden.
Auf je 80 Knaben sind mindestens zwei, auf je 80 Mädchen min-
destens drei untereinander getrennte, zugfreie, helle Sttzrfiume zu
rechnen; letztere sind ndt von innen verschlieesbaren Thfiren zu ver-
sehen. Die Breite eines Sitzranmes darf nicht unter 0,76 m, die Tiefe
nicht unter 1,40 m betragen. Die Hohe der Sitze ist je nach dem
Alter der Kinder auf 0,35 bis 0,45 m zu bemessen. IMe SitdOcher
sind mit Deckeln zu versehen. Die Abtrittsgruben sind wassere
dicht herzustellen, gehörig luftdicht zu decken und mit einer ge-
nttgenden Zahl Uber das Dach hinausfahrender Dunstrohren zu ver-
sehen.
Für die Knaben ist ausserdem an einer geeigneten Stelle eine
genügende Zahl von Pissrnrs mit getrennten Ständen herzustellen,
welche durch eine vor denselben befindliche , freistehende , etwa 1 m
hohe ^^'and derart zu verdecken sind, dass die Schultern von aussen
sichtbar bleiben.
Die Sitzbretter der Abtritte solloi tfiglich gereinigt, der Boden
mindestens einmal in der Woche aufgewaschen werden. Die recht-
zeitige Leerung, regelmässige Lflftung und zeitweilige Desinfection ist
dringend zu empfehlen.
Zu jedem Schulgebäude gehört auch ein Spiel- und Tunii>latz:
derselbe muss in thunlichster Nähe des Schulhauses liegen und vm
demselben aus zu übersehen sein. Der Turnplatz nniss eingefriediiTt
und so angelegt sein , dass das Tagewasser einen raschen Abtluss
findet. Die Grenzen können mit schattengebenden l^;iumen bepflanzt
werden. An geeigneten Stellen sind die erforderlichen Tumgeräthe
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anzubringen. Wo die Verliältnisse es gestatten, ist jrleichzeitig auf
die Anlage gedeckter Spiel- und Turnplätze Bedacht zu nt^bmen.*)
, Für die Gesundheit ist ein gutes Trinkwasser von grösster Be-
deutung. Es sollte darum stets darauf Bedacht genommen werden,
auf jedem Schulhofe einen Brunnen henswichten , der den Kindern
jederzeit zug&nglich ist An dem Brunnen sind mehrere reinliche
Trinkgefässe anzubringen, die den Kindern zur Benutzung zn über-
geben sind. Wo ein Brunnen nicht angelegt werden kann, sollten
wenigstens vom Schuldiener mehreremale am Tage einige Eimer fri-
schen Wassers mit den dazn gehörigen Tiinkgefifassen den Kindern
dargeboten werden.
Über die Bescbaffenheit d^ Schnltische ist in den letzten Jahren
gar viel verAgt worden; wir fassen alle hierauf bezüglichen Yerord-
nongen kurz zusammen, ohne ans anf Sinzeinheiten näher einzulassen,
Die Generalforderung lautet: Die SubseUien mttssen so beschaffen sein,
dass de Jedem Schüler eine gesundheitsgem&sse Sitz- und Schreib-
stettung gewähren. Demnächst ist zu beobachten, dass sie das Stehen,
wenigstens flkr kurze Zeit, sowie das Aus- und Eüigehen, endlich die
Unterbringung der Bttcher etc., sowie die Überwachung der Schüler
gestatten. Das Hauptgewicht Ist auf die Gewährung einer gesund*
heitsgemässen Sitz- und Scbreibstellung zu legen.
Das sind in gedrängter Zusammenstellung die hauptsächlichsten
Verfügungen der einzelnen Provinzial- und Landesregienmgen, die in
prägnanter Weise die Fordenmgen enthalten, welche in gesundheit-
licher Beziehung an die liuerc , (irfisse. innere Einrichtung der Scluil-
räume etc. gestellt werden müssen und als durchaus nothwendig von
den Behörden erachtet worden sind. W as ich bisher niitgetheilt, sind
• also nicht subjective Ansichten und fromme Wünsche einzelner Lehrer,
sondern es sind behördliche Forderungen. In einer allgemeinen Ver-
fugung der Königl. Regierung zu Düsseldorf heisst es inbezug auf die
hier vorgeführten Forderungen: Es enthalten diese fTrundsätze im
wesentlichen nur die Minimalanfordenmgen , welche bei Anlage, Ein-
richtung und Ausstattung der Schulen nach dem heutigen Stan<le der
bautechnischen, ärztlichen und schulmännischen p]ifahrung gestellt
werden müssen. Bessere und vollkommenere Einrichtungen sind da-
durch selbstverständlich nicht ausgeschlossen. Den Schulaofisichts- und
*) In Fhudüreicli riiul BMh uns TorliflgendeB BoiehttB boeiu Tid&eh die Spiel-
plitM Iklieidaebt, mdass es den Kindern mUglich ist, auch bei unglliistiger Witterung
hl Ffeiai n verweilen.
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Verwaltungsbehörden wird es al)er zur Priiclit geniaclit . bei Anlafre.
Einrichtung und Ausstattung der unserer Aufsiclit unterstehenden
öffentlichen Schulen auf die Befolgung dieser Bestimmungen zu halten
und zweckwidiigti Abweichungen nicht zuzulassen. Ebenso haben diese
Bestimmungen lieim Umbau und bei Erweiterung von Schulgebäuden
Anwendung zu tinden, und es wird auch bei erheblicheren, der Ge-
sundheit der Schüler direct nachtheiligen Abweichungen und Übel-
ständen in bereits bestehenden öffentlichen, wie in Privatschulen auf
deren Bescitigong nach llassgabe der erhissenen Bestimmungen hinzu-
wirken sein."
Hiermit möge es genug sein. Wir wenden uns nunmehr dem
zweiten Punkte zn.
R Wie verhalten sich in Wiridichkeit die Schulgebtode und ihre
Inneren Einrichtungen zu den gestellten Forderungen?
Darin sind wir gewiss alle einer Meinung, dass die von den
KönigL Begierungen gestellten Forderungen höchst zweckmässige und
den Bedttrfiiissen entsprechende sind, und dass hei ein^ gewissenhaften
allseitigen Ausführung derselhen fttr die Gesundheit dw Schuljugend,
wie auch der Lehrer, au6 beste gesorgt sein würde. Es wird sich
uns allen aber bei Erwägung dieser Frage und der fhatsächlichen
Verhältnisse nur gar zu bald die Überzeugung aufdrängen , dass wir
jetzt diese Forderungen meist nur als Ideale an&u&ssen haben, deren
Eiffillung unser innigster Wunsch ist und sicherlieh noch auf lange
Zeit bleiben wird, dass die Wirklichkeit aber noch gar weit hinter
den gestellten Bedingungen zurückbleibt. Wir sprechen hier nicht von
speciellen und localen A'ei hältnissen, unser Blick ist vielmehr auf das
Allgemeine gerichtet. Ausnahmen gibt es ja bereits viele, und wir
kennen eine ganze Anzahl von Schuleinrichtungeu und von Volks-
schulgebäuden, die allen berechtigten Wünschen vollkommen enti>pre-
chen. Ich erinnere hier nur an die Prachtbauten der Berliner C'om-
muualschulenja auch in \ielen kleinen Städten sind uns Scluilanstalteu
bekannt, die nach Lage, innerer Ausstattung, Reinhaltung etc. kaum
etwas zu wünschen übrig lassen. Von ^^elen Landscliulhäusem lässt
sich dasselbe sagen. 80 haben wir in unmittelbarer Nähe in den
Dörfern Alt-Küstrinchen und Alt-Küdnitz Schulhäuser k(*iiiu'n gelernt,
die Sehl' zweckmässig angelegt und mit allem mithigen Material aufs
beste ausgestattet sind. Ganz besonders scheint man in Sachsen und
in Thüringen für zweckentsprechende Schulanlagen Sorge zu tragen.
Wer Gelegenheit gehabt hat, diese Länder am Wandei-stabe zu durch-
messen, dem wird sich die Wahrnehmung aufj^edrängt haben — wenn
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er nur Interesse daran hat — dass die Schulgebäude in Stadt und
Land vor allen andern sieh yortheilhaft durch Lage, Freundlichkeit
and Solidität dar AvsfÜhnmg ansieichnen. Das schönste, firenndlichste
imd hellste Hans im Dorfe ist meist das Scbnlhaus. In den Städten
Thüringens nnd Sachsens kann man wahre Prachtbanten ittr Schnl-
swBcke sehoi, die auch in ihrem Innem mit allem WQnschensverten
msehen sind. In PcHnmem nnd in den ftnneren Districten Schlesiens
haben vir aber anch andere keimen getemt, Ja in. unserer engem Hei-
mat haben wir genug Schulhäuser, die den gestellten Forderungen
auch nicht im entferntesten gerecht werden. Anstatt aut treien.
trockenen, sonnigen Plätzen zu lie<;;en, finden wir sie an sclimutzigeu.
engen Strassen und Gassen, versteckt z"vsischen Wirtschaftsgebäuden
und f\ibrikanlafren . wo kaum die lielie Sonne mit ihrem freundlichen
Lichte durchzudringen vermag. Ein freier, schöner Spiel- und Turn-
platz ist da vergeblich zu suchen, kaum dass ein enger Hofraum vor-
handen ist, wo die Aborte angelegt sind, oft nur allzuuahe dem Schul-
hanse. Bei vielclassigen Schul anstalten werden noch häufig die
besonderen Eingänge für Knaben und Mädchen vermisst, das zu den
Bauten verwendete Material genügt nicht, nnd die Anlage der Classen-
Tftume ist oft mehr als mangelhaft Die Schnlzimmer sollen gesund
und trocken sem, der Fussboden nundestens 0,5 m über dem Brdboden
liegen, und doch existiren noch an Terschiedenen Orten Schnlzimmer,
die geradezu in Eellerräumen untergebracht sind, derra feuchte Wände
Yon Filzen bedeckt sind, eine höchst zweifelhafte Beleuchtung haben,
und aus denen uns eine dnmpfe Luft entgegenströmt Wie viele
Schulhäuser bestellen nocli, die verfallenen Tagelöhnerhütten ähnlicher
sehen, demi Biklungsstätten für (his heranwachsende Geschlecht! Und
wie steht es mit der vorgeschriebenen Höhe, mit dem zu gewährenden
Flächenraum fiir jedes einzelne Kind? Neben vielen den Anforde-
rungen nothdürftig entsprechenden Classenräumen haben wir genug an-
dere, die weit hinter denselben zurückbleiben. Da ist weder die
notliigeHöhe, noch ist der erforderliche Flächenraum vorhanden. Die
Jlaximalzahl der Schüler für nomal angelegte Olassen ist auf 80 fest-
gesetzt Wir finden aber nicht selten in engen, niedrigen, feuchten
Bänmen eine Schülerzabl, die 90 und 100 weit überschreitet. Dass
imter solchen Verhältnissen auf die Gesundheit der SchfUer und Lehrer
nidit in der vorgeschriebenen Weise Bflcksicht genommen ist, liegt
klar auf der Hand. Auch die Dielung lässt in vielen Fällen zu wün-
schen tlbrig; häufig genug sind die Fugen nicht nur gar zu breit, so
dass sie eine bequeme Ablagemngsstätte für Sand nnd Staub bilden.
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es zeigen sich j?elbst tiefe Löcher, dazu geeignet, Hals und Bein zu
brechen. Dass die Dielen mit Öl getränkt und so widerstandsfähiger
gemaclit werden, dürfte wol nur in Ausnahmefällen voi-komnien, wenig-
stens sind uns bisher derartige Einrichtungen noch nicht zu Gesicht
gekommen. Nacli den bestehenden Bestimmungen sollen Wände und
Decke einen lichten Ansü'ich haben, und soll derselbe alle zwei Jahre
einmal erneuert werden, damit die die (^esundlieit gefthrdenden Staub-
massen und Filzbildnngen verhindert werden. Fragen wir uns aber
nach der Ausftthrong dieser Vorschriften, so mflssen wir auch hier
bekennen, dass nur in den seltensten Fällen diesen gewiss wolgemein^
ten und nothwendigen Forderungen nachgekommen wird. Betrachtoi
wir doch unsere Ckssenränme einmal nach diesen Oesichtspunkten,
wir werden da oft kaum feststellen können, wann der letzte Abputx
erfolgt ist.
Für die Schonung der Augen ist es als unerlässliche Forderung
hingestellt, dass die Schulräume hinreichende Beleuelitung, kein redec-
tirtes oder directes Sonnenlicht erhalten, und dass die F'enster mög-
lichst gi'oss und mit den nüthigen Schutzvorrichtungen, Marquisen
oder Kouleaux versehen seien. Aber wie Wele Classenzimmer finden
sich noch, die hinreicliend grosse Fenster nicht haben und die der
nöthigen Schutzvorrichtungen entbehren. Auf den Dürfern namentlich
haben wir vielfach Fenster bemerkt, die viel zu klein, deren Scheiben
oft wahre Ochsenaugen sind, die mithin die nöthige Helligkeit im
Schulraume nicht verbreiten. Selbst an hellen, freundlichen Tagen
herrscht ein Dämmerlicht, an tr&ben Tagen aber ist es auf den von
den Fenstern entfernteren Plätzen kaum möglich, etwas zu sdien.
Da mOssoi denn freilich die Augen übermässig angestrengt und za
Grunde gerichtet wei'den. Abhfllfe ist hier dringend geboten.
Von Wichtigkeit ist fftr den Winter auch die angemessene Er-
wärmung der Schulräume. Wenn man erwägt, dass die Kinder drei
bis vier Stunden still sitzen müssen, so ei*scheint die Forderung eines
genügend erwärmten Kaumes gewiss nicht als eine unberechtigte.
Dazu sind aber nach den bestehenden Verfügungen und Erlassen der
verschiedensten Regierungen bei Beginn des Unterrichts wenigstens
4- LS** R. erforderlich. Nun frage ich, wer von Ihnen hat iliese
Temperatur bei einer Aussentemperatur von nur — 10^' R. beim An-
fange der Schulstunden zu verzeichnen gehabt? Wir können hier con-
stÄtiren, dass häufig das Thermometer am Morgen mir -f- 9» höchstens
-f- 10" R. zeigte und während desUntemchts allenfalls auf -^-12^ R.
stieg. Der Lehrer hält es dabei allenfalls ans, er kann sich zur
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Noth diu-cli Bewegung envärmeii; aber für die stillsitzenden Kinder
ist ein solches Zimmer entschieden zu kalt, die Gesundheit muss
darunter leiden. Wie oft sehen wir die Kleinen mit blau gefrornen
Händen und klappernden Zähnen dasitzen. Ein Nachlegen ist in den
meisteil Fällen auch nicht Erfolg versprechend, weil die ganze Heiz-
anlage iucht yorschriftsmässig hergerichtet ist Ganz besonders ist
Klage zu führen in solchen Anstalten, wo eiserne Öfen ohne Jede
Mantelhülle in Anwendung kommen. Die Erwärmung^ erfolgt zwar
sehr sehneU, aber sie ist keine aaehbaltige. Dazu kommt, dass die
Lnft durch die ausströmende SprOhhitze nnertrftglich trocken, in der
Kopfhöhe flbermftssig erwSnnt wird, am Fassboden dagegen viel zn
kalt bleibt Eiserae Öfen müssen als der Gesmidheit schftdlich ans
den Schnlrftomen verwiesen werden; wo sie vorhanden sind, sollten
ae zmn mindestens mit einer MantelhiUle nmgeben sein. Am zweck-
rnftssigsten haben sich bisher immer noch gut angelegte nnd einge-
richtete Kachelofen erwiesen.
Znr Feststellnng der Temperator soll in jeder Glasse an geeig-
neter Stelle ein Thermometer aidiifehängt sein. In vielen Schnlan-
stalten mid namentlich in grosseren Städten finden wir dieses Instrument
angebracht, aber es gibt noch Schulen genug, in denen es fehlt; noch
wunderbarer aber ist, dass es selbst Schulmänner gibt, die dieselben
aus den Classenräumen verbannen, weil niöf^licherweise mit denselben
Unfug — besondei-s zur Sommerszeit — getrieben werden könnte.
Wie aber will man die Temperatur Lestimmen? Das Gefühl ist liier-
für ein sehr trügliclier Massstab. Und doch ist eine normale Tem-
l>eratiu' für das ^\'olbefinden der Schüler wie der Lehrer von nicht
zu unterschätzender Bedeutung; die Regierungsveifüg-ungen sollten
darum auch in dieser Beziehung von den Schulvorständen mehr be-
rücksichtigt und befolgt werden.
Dass unsere und unserer Scliüler Gesundheit selir von der in den
Schulräumen herrschenden Luft abhängig ist, haben wir alle liinläng-
lich erfahren. Bei den f«)rt währenden starken Ausdünstungen der
Kuider und der Kleider wird die Luft nur allzu bald schlecht und
bedarf dämm einer Erneuerung. Da es nun — namentlich an kalten
Wintertagen — unzulässig erscheint, ganze Fenster zu öffnen, so ist
aof andere Weise für eine möglichst sclmelle und nachlialtige Luft-
emenemng Sorge zu tragen. Es sind darum die nöthigeuVentilations-
vorrichtnngen fiberall in erforderlichem Hasse anzubringen. Hieran
fehlt es nim leider anch noch in so mandien Schnlanstalten, nnd doch
Hessen sieh dieselben oft mit einem geringen Kostenanfwande her-
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stellen, sollten es auch nur an den obei-en Fenstern aiij^braclite , um
eine horizontale Aehse sich drehende Scheiben sein; es wäre doch
besser als nichts. Bei einer guten Heizanlage ist selbstverständlich
die Ventilation schon mit bedacht und hilft dem Cksseuraume frische
Luft zuführen.
Sehr beherzigenswert sind die über die Beinhaltung der Schul-
rftnme erlassenen Bestinimmigen. Es wäre sehr dankenswert, wenn
fttr mehrdassige Sdiulsysteme die Schnldiener von den stfidtischen
Behörden beauftragt wflrden, tfiglich na«h Schlnss des Unterrichts die
Lehradmmer, Corridore niid Treppen you Staub und Schmutz zu rei-
nigen und nadi erfolgtem Ausfegen die Subseilien und Wände vom
Staube zu sftubem.. Ebenso sollte Sorge getragen werden, dass die
Schiller ihre nassen Hfintel, H&tzen u. a w. an hierfOr geeigneten
Orten ablegen könnten und nicht nöthig hätten, dieselben mit in die
Classen zu nehmen, woselbst sie die Luft nur zu bald verderben hel-
fen. Mit Freuden würde es sicherlich auch begrüsst werden, wenn in
jeder Classe ein ^^'aschl »ecken und ein Handtuch zum Reinigen und
Abtrocknen der Hände vorlianden wäre. Wie die \'erhältnisse aber
jetzt liegen, werden wir wol vorläufig nocli auf den Luxus der täg--
lichen Reinigung der Schulräume, auf besondere Räume zum AutT^e-
wahren der nassen Kleidungsstücke, wie auf das gewünschte Wasch-
becken nebst Handtuch verzichten müssen. Wir werden auch in Zu-
kunft mit unsem Kreidefingern unser Frühstück verzehren und eine
Menge Staubtheikhen zur bessern Y^^unng mit hinunterschlucken
müssen.
Mehr als leider bisher geschehen ist» sollten die Schulvorstände auf
die Anlage der Abtritte ihr Augenmerk richten und den Bestimmungen
der Begierungen nachzukommen suchen. Hier gibt es noch sehr viel
gut zu machen und nachzuholen; in den meisten FAUen lassen die
Aborte viel zu wünschen übrig. Sie sind weder in ausreichender
Grösse und Zahl vorhanden, noch genügt ihre Einrichtung auch nur
annähernd den notliwendigen Anforderungen. Es sollen helle, zugfreie
getrennte Sitzräume angelegt werden; aber wir finden sie zugig, in
vinw Reihe ohne jegliche Sclieidewand fortlaufend. Die Sitzlücher
sollen mit Deckeln zu verschliessen sein, aber wir haben nur nothdürf-
tig durch Latten liergericlitete Sitzräume aufzuweisen; die über das
Dach liinausfiilu'enden Dunströhren suchen wii* ebenfalls vergebens.
Die Reinigung der Sitzräume soll täglich erfolgen, sie gesdiieht aber
wöchentlich kaum einmal. Endlich sollen für Knaben und Mädchen
völlig getrennte Abtritte vorhanden sein, und wie viele Schulen kennen
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wii', wo dieselben hart au einander stossen. Ja noch mehr. Es gibt
Schulen, wo man diesen Luxus überhaupt nicht kennt, wo weder für
£Daben, noch für Mädchen dergleichen Bäume vorgesehen sind. Es
soll eine rechtzeitige Leening, eine regehnässige Läftimg und zeit-
ureilige Desinfection erfolgen, aber auch hiermit hat es gar vieler
Orten noch gnte Wege. In dieser Beziehnng geschieht nodi lange
nicht, was im Interesse der Gesundheit unserer Schfller geschehen
sollte.
Bekanntlich ist Wasser das gesundeste Getränk für Kinder, und
Kinder trinken es oft und gem. Darum sollte bei keinem Schnlhause
ein Brunnen mit gutem Trinkwasser vermisst werden. Wo ein solclier
>icb nicht herstellen lässt, müsste von den Schulbehörden wenigstens
dafür gesorgt werden, dass den Kindeni im Schulranme selbst zu den
verschiedenen Tageszeiten in dazu geeigneten Gefässen frisches Trink-
wasser dargeboten würde. Es sollten darum für mehrclussi^^e Schulen
eine entsi»reehende Anzahl Steinkrüge mit dazu ^a'lniriL'-eu Ti inkbecheni
vorhanden sein, die vom Schuldiener mehrmals am Tage mit frischem
Wasser gefüllt werden müssten. Leider aber gehören derartige für
die Gesundheit dringend wünschenswerte Einrichtungen nocli immer
an den Seltenheiten. Es sind das alles nur Kleinigkeiten, nnd dennoch
tragen sie zu dem allgemehien Wolbeflnden unendlich viel bei.
Wenn die Kinder mehrere Stunden hinter einander in straffer
Haltung im Chissenzfanmer haben zubringen mflss^, so ist ihnen eine
kitoperliehe Erholung entschieden noth. In den Zwischenzeiten sollte
es ihnen darum möglich gemacht wwden, auf einem dazu geeigneten
Platze, der zum Theil ttberdaeht sein mUsste, sieh frei und ungehindert
zu bewegen, um für die folgenden Stunden sich erfiischen und kräf-
tigen zu können. Doch nur in seltenen Fällen sind bei den Schul-
liäusem solche Plätze vorhanden, die den gestellten Forderungen ge-
nügen. Oft gleicht ein derartiger Platz mehr einem Sumpf, als einem
Spielplatz, so dass die Kinder genöthigt sind, sulort wieder die Zimmer
aufeiisuclien, die dann auch nicht einmal gelüftet werden können.
Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf die Subsellien, so
müssen wir gleichfaUs beklagen, dass die von den Regierungen auf-
gestellten Vorschriften bisher noch so g^r wenig Beachtung gefunden
haben. Noch sind Schulen genug vorhanden, in äenea Oberhaupt die
Subsellien kaum ausrdchende Sitzplätze für die Schfller gewähren,
geschweige denn, dass sie die yorschriftsmfissige Höhe oder gar die
geforderten B&ckenlehnen auftuweisen hätten. Man begnttgt sich da^
mit, auch bei Neubeschaffüngen, möglichst vielsitzige Subsellien herzu-
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stellen, ohne die von ärztlicliei* Seite gestellten Hedingimgen weiter
'/AI beachten. Und doch ist von Sachverständigen der Nachweis ge-
führt worden, dass selbst alte Sclmllninke mit einem ganz unerheblichen
Kostenaufwande zweckentsprechend umgeändert werden könnten. Dr.
Hippauf gibt die Kasten für eine so umgeänderte Bank auf 3 M.
an. Wahrlich eine geringfügige Kleinigkeit, die in keinem Verhältnis
steht zu den giossen Yorthdlen, die eine solche Ck>nstniction fdr die
Gesundheit der Schüler mit sich bringt.
Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, dass die auf die Gesund-
heit der Schüler abzielenden Bestimmungen dei* Schulbehöivlen als sehr
zweckmässig anerkannt werden müssen, anderseits aber anch, dass
wir noch weit davon entfernt sind, derartige Einrichtongen in allen
onsern Schalen zn besitzen. Wir würden uns glücklich schätzen
können, wenn wir die als Minimalfordemngen bezeichneten Bestim-
mungen als Mazimalausf&hrungen aufeuweisen hätten; so aber bldbt
die Klage berechtigt: «^Trostlos ist's noch allerwirts.**
G. Was hat nun der Lehrer unter den bestehenden YeihftltniBsen
^ thun, um nach Möglichkeit die Gesundheit der ihm anrertrauten
Schuljugend zu erhalten und zu fördern?
Der Lehrer muss mit d^ gegebnen Verhältnisse rechnen.
Kann er auch fUr die- Anlage und innere Einrichtung der Schule nicht
verantwortlich gemacht werden, so bleibt immerhin inneihalb seüies
Klassenzimmers noch genug zu beachten flbrig, wofllr er allein die
Verantwortung zu tragen hat. Hier heisst es: zeige mir dein Lehr-
;dmmer und ich will dir sagen, wess Geistes Kind du bist.
Zuvürdei-st hat der Lehrer dafür Sorge zu tragen, dass die Luft
im vSchullocale eine möglichst reine, der Gesundheit zuträgliche sei.
Sind genügende Ventilationsvorrichtun<ren nicht vorhanden, so muss
er doppelt bemüht sein, alles aufzuwenden, damit die Luft rein und
der Aufenthalt im Schulraume ein erträglicher werde. Da gilt es
denn, mit grösster Strenge alles das fern zu lialten. was zur Ver-
schlechterung der TiUft beitragen kann. Es wird darauf zu achten
sein, dass die Schüler, bevor sie den Glassenraum betreten, die Schuht-
gründlich von Staub und Schmutz reinigen, dass sie im WinttM* den
Schnee von den Schuhen und Kleidungsstücken entfenien und alle
nicht in die Schule gehörigen Sachen draussen lassen. Zur Ver-
schlechterung der Luft trägt auch viel die Unreinlichkeit bei, die in
vielen Schulen noch anzutreffen ist. Wenn dichte Staubmassen die
iBubseUien, Tische und I^'enster bedecken, so werden diese bei jeder
Bewegung au^ewirbelt und müssen dann eingeathmet werden; nichts
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aber ist den Lungen verderblicher, als diese feinen Staubtheilchen. Ün-
Terantwortlich ist es auch, wenn der Fussboden mit Papierschnitzeln,
mit Pflanzentheilen oder allerlei Speiseresten bedeckt ist. Diese
Liederlichkeit in äussern Dingen, die sich leider noch in gar zu vielen
Schulen findet, ist meistens nach ein Zeichen der sittlichen und gei-
stigen Sdüaflheit des Lehrers^ mit der er sein Amt verwaltet Wer
wirkliche liebe zn seinem Amte hat^ wird mit aller Conseqnenz dar-
auf halten, dass er wie die Sehfller in dem Classenranme sich wol-
läUen können. Das wirksamste Mittel, der Unordnung zn steuern
nnd abzuhelfen, wird immer das Beispiel sein, das der Lehrer gibt.
Beispiel zieht mehr, als Lelire nnd die Mensdien glauben nun einmal den
Auj^en mehr als den Ohren. Empfehlenswert erscheint es uns, wenn
der Lelirer sich in den .Schülern selbst solche Hilfen heranzielit, die
för die Sauberkeit der Classenräume Sorf^e tragen, die die Papier-
und Speisereste sammeln und dieselben gleich aus den ('lassen ent-
fernen; andere werden dafür verantwortlich gemacht, dass die Sub-
sellien, Katheder und Fenster stets staubfrei erhalten werden. Die
Kinder verrichten solche kleine Dienste — wenn sie gehörig dazu
angeleitet werden — sehr gern und gewöhnen sich dabei von vom-
herein an Ordnung nnd helfen zum Wolbefinden der Gesammtheit bei-
tragen.
Noch auf einen andern Punkt möchten wir hier verweisen. In
den Volks» und Armenscbnlen namentlich werden wir gar häufig die
Wahrnehmung machen, dass die Schiller in zerrissenen und schmutzigen
Kleidern erscheinen. Dass die von solchen Kleidungsstficken aus-
strömenden Dünste nicht zur Verbesserung der Luft beitragen, wird
jeder von Ihnen in der Praxis hinlänglich bestätigt gefunden haben.
Sind die Kinder dafür in erster Linie nicht verantwortlich zu machen,
so glaube ich dennoch dem Lehrer die Pflicht auferlegen zu sollen,
dafür einzustehen, dass die Schüler in solchen Anzügen nicht in der
Schule erscheinen. Wir können nicht verlangen, dass uns die Kinder
in neuen, ungetiickten Kleidern zugeschickt werden, wol aber, dass sie
reinlich und mit ganzen Sachen kommen. „Rein und ganz gibt
schlechtem Kleide Glanz*", sagt das Sprichwort. Und so wenigstens
wollen und dürfen wir die Kinder von den Eltern verlangen. Wirkt
der Lehrer in geeigneter Weise auf die Kmder ein, so werden diese
za Hanse bei den Eltern das Ihrige thun, um den gestellten Forde-
rangen zn genttgen. Nadel, Zwirn nnd Schere finden sich auch in
dem ännsten Hanshalt, nnd das Wasser ist Gott sei Dank auch nicht
ein solcher l^nzusartikel, dass es nicht von den Ärmsten beschafft
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— 548 —
werden könnte. In den meisten Fällen riihrt die Unsauberkeit der
Kinder von Nachlässigkeit und Faullieit der Mutter her; dieser aber
muss eut.scliiedeu entgegengetreten werden.
Wesentlich für die Erneuerung der Luft ist das zeitweise Öfinen
der Fenster, was namentlich hei mangelnder Ventilationsvorrichtung
öfter f^eschehen sollte. Im Sommer kann dies ohne Gefahr selbst
während der Unteniclitsstunden geschehen; im Winter, wo der Gegen-
satz zwischen Innen- und Aussentemperatur ein gar zu grosser ist. kann
(las nicht gut gelieissen werden, namentlich dann nicht, wenn Zug
entsteht. Im Winter werden aber dazu die Zwischenstunden verwandt
werden können, so dass nach dem ^^■iederl)eginn der Lehrstunden das
( "lassenzimmer mit frischer Luft gelullt und der Aufenthalt wieder er-
träglich gemacht ist. Nach Schluss der Lehrstunden sollten die
Fenster jedesmal geöffnet werden, um den Ihinst ausströmen zu lassen;
der Schuldiener hat dann nachzusehen und nach geschehener Lufter-
neuemng die Fenster wieder zu schliessen. Leider wird hierin von
vielen Lehrern noch viel zu wenig gethan; es ist uns immer unbe-
greiflich gewesen, wie Lehrer es feitig bringen kdmien,' den ganzen
Vormittag in solch Teipesteter Luft zuzabringen. Tritt man in der-
gleichen Käume, wenn man von draiissen kommt, so möchte man am
liebsten gleich wieder umkehren. Schon dnrch ihi'en Geimch maidit
sich die yerdorbene Luft bemerkbar, nnd Eingenommenheit des Kopfes,
lästige Empfindung in der Brnst, sodann Abspannmig und «llg^fflnffr
Unbehagen shid die Folgen. Übt sie aber solche Einwirkungen schon
auf die kräftigeren Orgtoe eines Erwachsenen ans, am wie viel nach-
theiliger mnss sie den noch zarten Organen unserer Kinder sein. So-
viel immer möglich, sollte der Lehrer darom bedacht sein, möglichst
reine Luft in seinem Lehrzimmer zn haben.
Wie auf die Athmnngsorgane Bttcksidit zu nehmen ist, so bedarf
auch das Auge des Kindes der Pflege nnd Schonung. Wird doch
genäe hi unserer Zeit so viel Über die zunehmende Kurzsichtigkeit
und Überanstrengung der Augen geklagt! Beziehen sich diese Klagen
nun auch meistens auf die höheren Lehranstalten und werden diesen
namentlich Vorwürfe wegen der Uberbürdmig mit häuslichen Arbeiten
gemilcht, so ist doch constatirt, dass das Übel auch in den Volksschulen
stärker als früher auftritt. Wenn nun auch die iiäuslii-hen Beschäl-
ligunjreu der Volksschüler sehr geringfügig sind und diese wol kaum
in Betracht gezogen werden kr»nnen, so vnrd die Schule dennoch ihr
Augenmerk aut diesen Punkt richten und alles beachten müssen, was
:5chädlich auf das Auge einwirken könnte. Zunächst liat der Lehi*er
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iluraiit' zu iicliteii, dass das Licht allen Scliiilern von der linken Seite
her zustriimt; es niilssen darum die Siibsellien so srestellt sein, dass
(lies <res(helien kann. Ferner lasse man niclit an dunkeln Tagen
solche liesL'hät'tiguniren treiben, l)ei denen die Kinder die Augen über-
mässig anstrengen niiisst n. wie beim Schreiben, Zeichnen und Lesen.
Ist für solche Bescluiltigungen das erlbrderliche Licht nicht vorhanden, so
lausche man unbedenklich mit den Lectionen und nehme dafür Kn])t-
rechnen, Singen u. s. w. Vielfach ist aucli die zu kleine Scjirift in
den Schulbüchern den Augen verderblich geworden; es sollten darum
die \'erfasser von Schulbüchern ernstlich darauf sehen, dass ein
scharfer, hini-eichend grosser und kräftiger Druck für dieselben ge-
wählt würde. Sehr bedenklich leidet das Auge, wenn die normale
Sehweite durch schlechte Körperhaltung verkürzt, oder wenn die
Sehaxe in schräge Richtung gestellt wird, endlich wenn das Ange
hei schon eingetretener £rmüdung noch angestrengt w^rd. £s muss
dämm mit aller Strenge darauf gehalten werden, dass die Schaler die
Schreibutensiüen und die Lesebücher in der richtige Lage yor sich
haben, und dass sie selbst gerade, also mit der nöthigen Entfemnng
des Auges von der Tafel oder dem Schreib- und Zeichenheft nnd in
der Torgeschiiebenen Haltung sitzen. Achtet der Lehrer darauf und
geht er von dieser Forderung nicht ab, so wird er nicht nur dem
Auge die erforderliche Schonung angedeihen lassen, sondern er wird
gleichzeitig damit der Yerkrfimmung der Rflckenwirbelsänle an& krftf-
tigste entgegenarbeiten. Da in den wenigsten F&llen die Subsellien
eine solche Einrichtung besitzen, dass sie die rechte Haltung des
Körpers bedingen oder doch wenigstens unterstiitzen, so muss der
Lehrer um so mehr darauf dringen, dass die SchtUer straif und gerade-
sitzen und durch Gewöhnung endlich dahin kommen, dass sie den aus
Gesundheitsrücksichten gestellten Forderimgen genügen.
Nach mehrstündiger geistiger Anstrentfung und längerem Still-
sitzen erscheint es geboten, die Kinder im i^'reien unter Führung und
Aufsicht des Lehrers in anständiger Weise sich bewegen zu lassen,
damit sie für die folgenden Stunden geistig erfrischt und körperlich
gestärkt am Unterriclite sich wieder betheiligen können. Es sollte
(lamm jeder Lehrer darauf halten, dass alle Schüler während der
Pausen den Classenraum — der ja überdies gelüftet werden soll —
verlassen und sich in der frischen Luft ergehen: nur bei ganz un-
günstiger Witterung, bei Kegen und strenger Kälte ist davon ab-
zugehen.
Ein fernerer Punkt der Gesundheitspflege betrütt die Befnedigung
P«tlttgogiuia. i. J«brg. Heft IX. 36
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Ö50 —
der natürliclieii Ht'dürtiiisse seitens der Kinder. Inl)ezu^ hierauf sei
der Lehrer sehr vorsichtig; lieber lasse er die Kinder einmal zu oft
als zu wenig sich aus der Classe entfernen. Xanientlich bei den
jüngeren Schülern wird häufiger die Erlaubnis zum Hinausgehen ge-
währt werden müssen, als dies bei den älteren Jahrgängen, die nach
und nach daran gewulmt werden müssen, die dafüi* bestimmten Pausen
zu benutzen, nothwendig ist. Soviel als möglich halte aber der Lehrer
darauf, dass das Hinausgehen nicht truppweise, sondern nur einzeln
erfolge. Es ist nicht gut^ wenn viele Kinder mit einem Male die
Abtritte besuchen, es werden dabei nur gar zu leicht allerlei Allotria
nnd Ungehörigkeiten getrieben; niemals aber sollte es gestattet werden,
dass Knaben nnd Mädchen zn gleicher Zeit die Bed&rfiusanstalten
betreten.
Das Capitel von den Schulatrafen steht mit dem der Gesond-
heitspflege in engster Beziehnng. Noch h&ofig genug mfissen wir be-
rechtigte nnd unberechtigte Klagen hören, dass der Lehrer das rechte
Mass der Züchtigung Überschritten habe. AUjähilich kommt eine An-
zahl solcher FfiUe zur richterlichen Entscheidung, und in vielen FftUen
muss zugegeben Verden, dass der Lehrer durch allzu grosse Straige
die Gesundheit der ihm anvertranten Kinder empfindlich geschSdigt
habe. Wir gehören durchaus nicht zu denen, die aus einer iSüsch
verstandenen Humanität den Ruf erheben: „Weg mit der körperlichen
Züchtigung ans der Schulet Uns hat sich vielmehr die Überzeugimg
aufgedrängt, dass es gänzlich ohne den Stab Wehe in den Schul-
klassen nicht geht, weiinglpich wir seinen Grebrauch so viel als mög-
lich besiliränkt sehen möchten. ,.Wer seiner Ruthe schonet, hasset
seineu Sohn", sagt die heilige Schrift, und wir meinen auch, dass eine
zur rechten Zeit und am rechten Orte angewandte körperliche Ziich-
tigimg bessere Eifolge aufzuweisen hat, als dutzendweLse gegebene
Krmahnun<2ren und Erinnerungen. Ja wir gehen noch weiter I Wir
bt'luiuplen sogar, dass die iiberliandneliniende Roheit und Frechlieit der
heranwachsenden Geschlechter im nrsäclüichen Zusammenhange steht
mit der laxen Disciplin und allzu grossen Zimperlichkeit inbezus: auf
die k/irperlichen Strafen in den Schulen/ j Wenn wir nun soklit-r-
gestalt die Küthe und den Stab Wehe aus der Schule nicht verbannen,
die körperlichen Züchtigungen niclit ganzli('h beseitigt sehen möchten,
so wünschen wir doch, dass mit möglichster Vorsicht gestraft werde,
dass der Lehrer sich httte vor Verletzung und Schädigung der Oe-
*) Dieses Capitel ist noch streitig. D. H.
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— ööl —
sundlieit seiner Schüler; namentlicli bleibe er ruhig- bei Ausübung des
Züclitigiingsrechts und schlage nicht auf edle K<»rpertheile. Ohrfeigen
und Schläge nach dem Kopf sind unbedingt zu vermeiden; am un-
schädlichsten erweisen sich immer noch einige Schläge auf den Hin-
teren oder einige Streiche mit der Ruthe in die Handfläche.
In noch einer anderen Beziehung wird der Lehrer auf die Ge-
sundheit seiner Schüler Bedacht nehmen müssen. Es gehört nicht zu
den Seltenheiten, dass Schüler der Volksschulen, obwol mit allerlei
Hautkrankheiten behaftet, dennoch von den Eltern znr Schule geschickt
werden. Kopfausschlag, Krätze und so weiter gehören hierher. Auf
diese ScbQler hat der Lehrer seine besondere Aufmerksamkeit zn
richten; er mnss zn Terhftten suchen, dass von den so erkrankten
Elndem eine Übertragung der Erankheitsstfxife anf die übrigen, gesun-
den Kinder erfolge. In dein seltensten Fftllen wird es genügen, die
kranken Kinder allein zu setzen; das erweist sich schon deshalb als
nntdoe, weil die Kinder in der Zwischenzeit ja doch zusammenkommoi.
Es dilifte vielmehr geboten erscheinen, diese Schiller so lange von
der Scbnle fem zn halten, bis ihre völlige Gesundheit nachgewiesen
ist Brechen Epidemien aus, Pocken, Scharlach n. s. w., so gilt es
doppelte Wachsamkeit, damit diese Unholde nicht in die Schulen ver-
schleppt werden. Der Lehrer erkundige sich eingehend nach den
Erkranknngsfällen, und fOr den Fall, dass er eifthrt» es sei eine an-
steckende Krankheit in einer FamiBe ausgebrochen, dulde er nicht,
dass irgend ein Kind, das mit dem erkrankten verkehrt, die Sehlde
besuche, bis dass die Krankheit vollständig gehoben ist. Bei den
häufiger vorkommenden Hautkrankheiten, Masern, Scharlach, lasse der
Lehrer es nicht zu, dass ihm Kinder geschickt werden, die noch in
der Abhäutung begilfFen sind, denn gerade während dieser Zeit über-
trägt sich der Ansteckungsstoif am leichtesten. Abgesehen aber davon
ziehen sich die Kranken selbst allerlei schlimme Xachwiikiingen da-
durch zn, dass sie zu früh ausgehen. Dahin gehören Augenübel,
Schwerhörigkeit u. s. w. Es ist von Wichtigkeit, dass der Lehrer
hier rechtzeitig seine W'arnungsstimme erhebe. — Mit den Häusern,
in denen Scharlach herrscht, sollte der Verkelir womöglich gänzlich
aufgehoben werden; man gestatte auch nicht, dass Scharlaciikranke
ach Hefte von gesunden Scliülern borgen, um etwa das Versäumte
nachzuholen; denn es liegt die Möglichkeit vor, dass an denselben bei
der Rückgabe Ansteckungsstoff haften bleibt.
Wird ein Kind in der Classe plötzlich unwol, so führe es der
Lehrer zunächst an die frische Luft; ist das Unwolsein emstlicher
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Natur, so entlasse er es aus der Stunde und gebe ihm einen Begleiter
mit, der es nacli Hause briugre.
Scliliesslic'h wollen wir iiocli darauf verweisen , dass der Lehrer
Gelegenheit noiinie. die Kinder mit den allfrenieinsteii und wic-litigsten
Eefreln der Gesuiidheitslelu'e bekannt zu iiiaclieii . aucli wenn kt-iue
liesondei'u Stunden dafür auf dem Lectiousiilan«' stehen. Namentlich
wird der Lehrer in den Naturgeschichtsstunden oft geeiirnete An-
knlii>tuii^si)unkte üudeu, um ein kurzes Capitel der Gesundlieitsleiu'e
abzuliandeln.
Deuten w endlich noch darauf hin, dass der Lehrer ein wach-
sames Auge auf die auch vorkommenden geschlechtlichen VeriiTungen^
die geheimen Jugendsünden der Schüler haben muss, um diese schänd-
lichen und schädlichen Lüste zu nnterdrticken und die jugendlichen
Körper yor Siechthnm und v<.l liger Zerrüttung zu bewahren, so dürf-
ten wir wol alle hauptsächlichen Punkte hervorgehoben haben, auf
die es bei der Gesundheitspflege in den Schulen ankommt
Ziehen wir nnn das Fadt ans unseren Erörterungen, so ergibt
sich folgendes:
1. Die von den Regierungen erlassenen Bestimmungen und Ver-
fügungen inhezng auf die Gesundheitspflege in den Schulen sind im
allgemeinen als zweckmässig und heilsam anzuerkennen und verdienen
in allen Schulanstalten grOndlich durchgefiflirt zu werden.
2. Bisher sind diese Bestimmungen in den meisten Schulen von
den zunflchst betheiligten Schul- und GemeindoYorstanden leider noch
nicht in der rechten Weise gewürdigt und zur Ausführung gebracht;
sie existiren wol auf dem Papi^, aber nicht in der Wirklichkeit.
3. Der Lebr^ hat gewissenhaft and emstlich daranf Bedacht zu
nehmen, die Gesundheit der ächfiler zu pflegen und alles das ferti zu
halten, was störend auf dieselbe einwirken könnte. In vielen Fiüen
wird von ihm noch mehi* in dieser Beziehung verlangt werden müssen,
als er bisher geleistet hat.
Digitizeo by Goü^l'
• Wiener fieschichten.
Von Dr. Friedrich mttes,
IX.
Ich habe noch einige Aufklänmgen fiber die Wandlung zn geben,
▼elehe sich EndeMftrz 1881 im Wiener Gemeinderath vollzog. Wenige
Tage nach der Gommissionssitzmig vom 1. Mftrz ftnaserte em vermdge
seiner hervorragenden Stellung mit den Verhältnissen völlig vertrautes
Mitglied des Gemeinderathes: das Pädagogium sei nicht mehr m hal-
ten, es habe in der ganzen Körperschaft nur noch drei oder vier
Freunde; unter dem vierten, auch nicht mehr ganz festen, meinte er
sidi selbst In gleicher Weise wurde mir die Situation von anderen
eingeweihten Männern chaiikterisirt Und noch imOctober 1881 ver-
dcherte ein eben&lls mit den Verhältnissen völlig vertrautes Mitglied
des Gtemeinderathes, dass in jener kritischen Zeit (im März) von allen
120 Gemeinderäthen nur noch drei für die Erhaltung des Pädagogiums
gewesen seien, nämlich der inzwischen verstorbene Dr. Weiser, ein
anderes Mitglied der Commission und ein dieser nicht angehöriger
Hen-. Gerade der letztt^re aber bewirkte die uns sclion bekannte
Wendung. Wie er ^vährend seiner langjährigen öffentliclieii Wirksam-
keit in kritischen Momenten schon so oft mit seinem praktischen Ver-
staufle einen glücklichen (-tritl* gethan hatte, so verstand er auch
diesmal den Hebel am richtigen Punkte anzusetzen. Inmitten einer
sich über das Pädafj:(»^äum unterhaltenden Gruppe von Gemeindei-atlieu
liess er die Benierkun^i; fallen: Wenn wir das Pädagogium aulheben,
wird der ganze Gemeinderath als reactionär verrufen wt'rden. Das
hatte Wirkung. Wer wollte reactionär heissen? Nicht Einer. Wer
liberal? Alle. Tn Wien kann Niemand ein ]^tandat fiir den Gemeiude-
rath erhalten oder behaupten, wenn er sich nicht liberal nennt.
Was nun folgte, war im Grunde nichts anderes, als ein Compro-
miss. Umsonst durfte der ganze Lärm nicht gewesen sein, einen Sinn
und Zweck sollte er doch gehabt haben; es konnte^ also nicht Alles
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beim Alten bleiben, es musste etwas geschehen, und nicht eine blosse
Kleinigkeit, oder eine ordnungsmässige Schlichtimg der schon lange
schwi'benden Verhältnisse, sondeni etwas Bedeutendes und Ausser-
ordentliches, das den voraiis<iegangenen Aufregungen und Anstrenguiigen
entsprach. Auf die Aufhebung des Pädagogiums freilich duiften die
Unversöhnlichen vorläufig nicht mehr rechnen; sie mussten sich mit
einer Abschlagszahlung begnügen. Tnd diese nnisste so beschälten
sein, dass sie ihnen einstweilen l-^c nügen konnte, aber auch mit dem
Liberalismus „im Princip'' vereinbar war und überdies die Dinge so
weit in Schwebe liess, dass Jeder, mochte er innerlich reactionär oder
freisinnig sein, noch immer die Hoffnung auf schliessliche Erfüllung
seiner Wünsche festhalten konnte. All dem entsprach der Antrag auf
Erhaltung und Reorganisation der Anstalt, welcher jedem Anliegen
die Bahn offen hielt und daher einstimmige Annahme fand, ein im
Wiener Gemeinderath äusserst seltenes Ereignis. Indem femer zur
Motivimng des Beform antrags nichts anderes angeführt war, als dass
der zwischen Commune und Director bestehende Vertrag für die erstere
höchst nngOnstig sei, also der Ahänderong bedürfe, und dass dem Qe-
meinderath sammt dem Ifagistrat bezüglich des Pftdagoginms eine
grössere Ingerenz zustehen müsse, zwei Pnnkte, Ton welchen leicht
ein Bmch mit dem gegenwärtigen Director ausgehen konnte — : war
überdies die Perspective erOffiiet, dass der Rücktritt des letzteren die
erste Fmcht des Beformwerkes sein dürfte. (Es ist interessant, dass
später, als der Lanf der Dinge wirklich diese Bichtnng nahm, die
„Presse'' in ihrem Localanzeiger vom 19. Hai ihr Geheimnis mit der
Bemerkung enthüllte, dass nnnmehr „die Beorganisining einen wesent-
liehen Schritt nach vorwärts gethan^ habe.)
Diese Umstände machen es begreiflich, wamm die gemeinderäth-
lichen Beschlüsse vom 30. März seitens der Wiener Lehrersdiaft kei-
neswegs mit ungetrübter Freude aufgenommen wurden. Am 2. April
machte z. B. „Österreichs Neuschule" folgende Bemerkungen:
„Die Verhandlungen über das Pädagogium füllten in letzter Zeit die Spal-
ten der politischen Jonrnale, und es paTi einen ganz niedlichen Hexensabbath
von Ansichten, Meinmifj^en und Ausleg-unj^en. SelbstverstUndlicli .scliwanim
manch lärmende Ente in dem mit grossem Behagen getrübten GewUsser, und
manche winzige Mücke, die schwirrend aus dem Verhandlongssaale der Com-
mission des P&dagoginniB in die Kedactionsstnben der yerschiedoien Blätter
flogr lieas sich in den Zeitmigsspalteii ab geflügelter EleiMit nieder. Weaa
man all die Ungelienerlichkeiten, die da zu Tage gefördert wurden, las. konnte
man sich ganz gut in jene Zeit versetzt denken, in welcher der ,.Au8länder"
Dittes, der „Antichrist' o. s. w. seine Thätigkeit hier begann. — Doch die
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— 55Ö —
gute Sache blit'b siegreich: der (.Teineinderath der Stadt Wien hat den ^fiith,
das Pädagogium zu erlialteii. Professor Frieb hat es öffentlich ausfftsjjruclicn,
dass die Commane Wien dem Pädagogiuiu „ihre besten Lehrkräfte verdanke".
Solch ein Auqpmch ans dem Ktmde eines Hannes, der das Pädagogium als
6«gner betrat nnd mit Argnsaiigea alles sich ihm dort Darbietende beobach-
tete, M'ill etwas sagen.
Nun aber die Reformarbeit. Es sei eine Enquete aus Mitf^fliedi ni der
Schulsection, der Anfsicbtscomniission, ans Landesschulinspectoren und anderen
Fachmännern einzuberufen, die Vorschläge wtgen einer Reorganisation des
Pädagogiums zu erstatten hätt*;n. So beschlo.ss der Gemeinderath. — Es klingt
vieDelcht pessimistisch, wenn wir sagen, es graat vmi vor dieser „gemischten**
Enqnlte. Aber es konnte sehr leicht der Fall eintreten, dass das Pidagogimn
n Tode retomirt wlirde/*
Als nächste Folge der gemeinderätlüicheiiBeschlasBe vom 30.M8rz
trat henror eine gesteigerte und breitere Action zu demZwedce, mich
zum B&cktritt vom Amte m bewegen. Diese Action w»r eine zwei-
foche, eine private nnd eine offideUe. Die erstere wurde ebne Zweifel
von einem Consortinm betrieben, das zwar die Anonymität seiner
pnblicistischen Leistungen zu wahren und sich der Verantwortlichkeit
für seine miindliclien Ausstreuungen zu entziehen wusste, auf "svelclies
aber alle Fäden des Gewebes deutlich zunickwiesen. Die früheren
Verdächtigungen, wie sie in dem Pressartikel vom 23. ^März Ausdruck
gefunden hatten, traten in den Hinterirrund, da gegenüber den an
officieller Stelle eingebrachten Widerlegungen sich Niemand fand, der
jene Insulten vertreten wollte. Das Anscliwärzeii verstanden nicht
Wenige vortrefflidi; wenn es aber zu einer Verantwoitung- kommen
sollte, so hatten zwar Viele etwas gehört, aber Keiner wollte etwas
gesagt haben. Dann ging das Geschäft mit ungescliwächten Mitteln
weiter. Die überall erkennbare Absicht war, mich in den Kreisen
des G^emeinderathes und vor der Öffentlichkeit hei abzusetzen, verächt-
lich zu maclien, Hass und Erbitterung gegen mich zu erzeugen. Wenn
ein Stückchen verbraucht war, wurde ein nenes producirt. Auf diese
Weise sind, soweit ich duich Zeitungen, mündliche und briefliche
Hittheilungen nnterricbtet wuide, in dem blütenreichen Lenz von 1^1
dem fruchtbaren Boden edler Herzen nach und nach folgende Blumen
entsprossen: „Die Finanzsection des Gemeinderathes beschloss, dem
Ansncben des Directors Dittes nm ESrböhung der Remuneration f&r
Sapplining an Stelle des Verstorbenen Dr. Thnmwald keine Folge za
geben«** Ich hatte niemals ein derartiges Gesuch gestellt nnd die
Sache seit dem hekanntoi Gespräch mit dem Bfirgenneister (3. Dec
1881) gar nicht mehr berührt „Die Commission des PAdagoginms
hat beschlossen, ihr Gutachten daldn abzugeben, dass es Itlr die Exi-
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Stenz dieses Institutes nicht fördersam sei, wenn Dr. Dittes nocli ler-
ner Director l)leil)e." Wurde auf Befragen in Abrede gestellt. ,. Dr. Dittes
zieht das Selbstgefühl der Lehrerschaft gross und reizt diese dadurch
zur Selbstüberhebang und Auflehnung nach oben an.^ Es soll mich
freuen, wenn ich ein berechtigtes ond heiisames Ehrgefühl in der
Lehrerschaft gross gezogen habe; was darüber hinausgeht, hat bei
mir niemals Nahrung geftmden. JBr hat ans Zöglingen des Pädago-
giums ein Ck>mit^ gebildet, welches sich regebnässig anter seinem Vor-
sitz zu Terhandlnngen über die Befonn des Pidagoginms versammelty
ohne ein Mitglied des Lehrkörpers beizoziehen, und der vomG^einde-
rath eingesetzten Reorganisationscoromission zuvorkommen will." Völlig:
unwahr; ich habe derartige Verhandlungen niemals veranlasst, oder
beeinlliisst, oder angehört. „Er hat in Siebenbürgen oder an die Sie-
benbürgen eine aufregende Rede ijehalten." Ich bin bis lieiite iiienials
in Siebenbürgen gewesen und habe niemals eine Rede an Siebenbürgen
gehalten. „Er hat den Gemeinderath beleidiget." Die Leser wissen,
"was in dieser Beziehung vorgekommen ist. „Er hat in Sachen seines
Amtes dem Gemeinderath nicht die gebührenden Vorlagen gemaelity
wie er auch schon als Schulrath in Gotha dem Ministerium keine
Berichte über abgehaltene Inspectionen geliefert hat" Völlig unwahr;
ich habe meine Amtsschriften stets ordnungsmfissig und genau geführt,
insbesondere in Gk>tha über alle meine Inspectionen eingehend berich-
tet und in Wien niemals eine mir obliegende oder sonst erforderliche
Eingabe unterlassen. — Überdies wurde die grausige Iffir vom „Herde
des Atheismus** fleissig aufgefrischt und ausserdem viel davon ge-
munkelt, dass Im Fidagogium, wo Lehrer undLehrerinn^ gemeinsain
die Hörsäle f^qnentiren, Unsittlichkeiten vorkämen, oder doch mög-
licher Weise vorkommen könnten. — Ob ich noch andere Verbrechen
begangen ]ial)e, etwa einige Mordthaten und Brandstütungen, ist mir
nicht bekannt geworden.
Dass ich midi mit dieser liästerhydra nielit in einen Kampf ein-
lassen konnte, liegt auf der Hand. Was nützt es, eine Lii^e zu w ider-
legen, wenn sie sofort durch zwei neue ersetzt wird? — Nur in einem
einzigen Falle wurde eine Berichtigung gegeben, die aber nicht von
mir ausging. Wogen der in allen Zeitungen abgedruckten Erdich-
tungen über meine angeblichen Berathnngen mit den Zöglingen näm-
lich waren diese so aufgebracht, dass sie durchaus eine Widerlegung
veröffentlichen wollten. Sie erhielten aber von der Bedaction, bei der
sie vorsprachen, die Antwort^ dass die Widerlegung nur dann auf*
genommen werden könne, wenn sie von mir unterschrieben werde^
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und auf dringendes Verlangen Hess ich mich dazu herbei. Zu ver-
wundern ist es unter solchen VerMltaissennicht, dass die alte Maxime :
Audacter calmniiiare, Semper aliquid haeret — auch hier sich be-
währte, lind dass einige der aufgestellten Verdächtigungen selbst in
Lehrerzeitungen eindrangen. Den ganzen Unfug aber cliarakterisirte
ein Schniblatt zutrefend mit dem C/itat ans Schillers Teil: „Es rast
der See und will sein Opfer haben."
Was nnn die offlcielle Addon betrifft, so blieb dieselbe bezflglich
der angeführten Beschnldignngen ganz aus. Obwol melnBechtsanwalt
mehrmals schriftlich und noch Öfter mttndlich mit Nachdruck betonte,
dass eine Untersuchung die Grundlosigkeit aUer gegen mich er-
hobenen Vorwürfe erweisen werde, ist doch eine solche niemals ange*
ordnet worden, weder in Folge des Pressartikels vom 23. März noch
in Folge der soeben angeführten und der später noch zu erwähnenden
Verdächtigungen. Dagegen wurde meinem Bechtsanwalt schon in der
ersten Hälfte des April wiederholt erOfhet, dass die beschlossene „Be-
organisation** eine wesentliche Änderung des Pädagogiums und nament-
lich der SteUung des Directors involvire, weshalb der Gemeinderath
meinen Bflcktritt wOnsehe, welcher durch gütliches Obereinkommen
bewirkt werden möge. Wenn ich zustimme, werde der Gemeinderath
meine Pensionimng beschliessen und zwar in der ehrenvollsten ^\^eise,
da er meine Verdienste vollkommen anerkeniu'. Xaehdem Dr. Kuu-
wald iiiicli hierüber inforiuirt und ich ihm die erforderliche VoUniacht
ertheilt hatt«, gab er in meinem Namen die Erklärunir ab, dass ich
in Unterhandlungen wegen meiner Pensionirmig eiuzuLiclien bereit sei.
Infolge dessen verbreiteten die Zeitungen sofort, ott'eiibar mit grosser
Hetriedignng, die Nachricht, ich habe um meine Pensionirung ..ange-
sucht'*, während in Wirklichkeit die Initiative zu dem fragliclieu
Übereinkommen vom Katlihause ausgegangen war. indessen gleicli-
viel, mein Rücktritt war jetzt im höchsten Grade wahrsclieinlicli. Wie
diese Xa<'hricht in Lelirerkreisen autgenommen wurde, zeigt ein Ar-
tikel der „Volksschule" vom 26. April, in welchem es heisst:
Uns beschäftigt heute der Verlast, den das Pädagogium doieh den Ab-
gang des Birectoro Dr. Dittes erleidet. Die Nachricht, dass derselbe um seine
Pensionimng ane-osnrlit. durchflog dieser Tage die BUlttei-. Wenn sich diese
Nachricht t)estutig-t. woian kanni zu zweifehi ist, so darf uns dieser Schritt
kaum mehr Wunder nehmen. Richtete sicli doch bei allen AnprrilVen, die seit
langem versteckt, seit kurzem olBfen gegen das Pädagogium geniaclit werden,
die Spitze derselben auf Director Dittes. Wenn er, der Hann, der gewohnt
iit| mit offenem Vishr zu kSmpfen, sich vor Boleher Oegnerschaft zurückzieht
and sebie Wirksamkeit beenden will, dort, wo man dieselbe onansgesetzt ver-
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dächtjgt, beargwöhnt aud verkennt, wer wollte ihm daraus einen Vorwurf
' acbiiiiedeii?
Ist 68 nicht bSdut beseicluiend für muereZnstlndei daBsdasFldagogiiiiii
gerade in der Zeit seiner höchsten Bifite, in der Zeit, in weldier der Besneli
desselben den hOditten Stand seit einer Beibe von Jahren erreichte, in Gefalir
gerieth, anfpelnss(*n werden? Frag-en wir nach den Ursachen dieses l'bel-
wollens, wir erfahren nichts, was dasselbe irgendwie zu rechtfertigen \ ei"ni«"ichte.
Die heftigsten Gegner des Dr. Dittes geben zu, dass er seine Pflichten auft
Gewissenhafteste stets erfüllt, ja dass er noch mehr als dies gethanhabe; dass
er der tttchtigste Fftdagoge, der beste LefarerbÜdner sei. Und doch? —
„Man sagt, Dittes sei Atheist", bemerkte nnliagst einer der VIftter der
Stadt. Sie irren, war die Antwort, gerade Dittes legt auf das religiöse Mo-
ment hei der Erziehung grossen Wert und liat dies auch in seinen VortrSigen
stets lebhaft betont; freilich aber will er die r^influssnahme der orthodoxen
Theolügen auf die Pädagogik ferngehalten wissen. ..Ja sehen Sie, war die
Gegenrede, das sind eben solche destructive Tendenzen, die am Pädagogium
nicht Wurzel iSusen dfitÜBn."
Als Diesterweg vor 30 Jahren vom If inisterinm Eächhom wegen sdner
liberalen Auschaiinngen (luiescirt wurde, konnte doch die Differenz zwischen
seinen Anschauungen und denen der Regiening als Grund gelten. Was aber
Dr. Dittes ausgesprochen, was er lehrte, ist heute bei uns in Fleisch und Blut
übergegangen und hat in den österreichischen SciiulMvsetzen, vielfa< h auch iu
Erlässen und Verordnungen der Schulbehördeu Ausdruck gefunden. Trotz alle-
dem will man eine andere PersSnliddceit an die Spitze des Pftdagogiams ge-
stellt wissen, mid die Hetze gegen den Hsnn, der stets ein Köster trenester
PflichterfttUoDg gewesen, gegen den Mann, den wir gewiss einen der ersten
Pädagogen Deutschlands nennen dürfen, wird wieder losgelassen. Die unglaub-
lichsten Dinge werden in die Welt hinansgeschlendert nud der Wiener Ge-
meinde rath — schweigt.
Mag es nun sein! Man wird aber nur allzubald den gewaltigen Verlust
Ahlen, den das Pädagoginm dnrch den Abgang des Dr. Dittes erleidet**
Ich habe nun noch über die Vorgänge zu berichten, welche sich
seit Aufwerfung der Pensionsfrage ereig^neten. Am 20. April be.scliloss
der Gemeiiulerath auf Antrag der (.'<.>niinission des Pädagogiums t Refe-
rent Frieb), dass die seit dem Austritte Pommers unterbrochenen Lehr-
fächer von Herrn Karl Hüttl (der sich bereits früher, gleichzeitis:
mit Pommer, beworben hatte) und die Lehrübungen von den beiden
Directoren der Übungs.schulen, den Herren Mossbaur und Mayer,
bis zum Sckluss des Schuljahres fortgeführt werden sollten. Die letz-
tere Massnahme hatte ich der Commission schon in den früher be-
sprochenen Conferenzen proponiit; bezüglich der ersteren habe ich
mich neutral verhalten. Die methodologischen Vorträge fielen ans.
Am 25. April richtete mein Reclitsanwalt in meinem Namen an
den Bürgermeister eine Zuschrift, in welcher nach einem einleitendea
Hinweis auf die seither in der Fensionsfrage gepflogenen Besprechungen
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zwischen den Gemeiudevertretern und Dr. Kimwald vor Allem die
gegea mich erhobenen Vorwürfe als vollständig nngegrttndet bezeich-
net und neuerdings betont wurde, dass eine genaue und unparteiische
PHIfiing der Yerhfiltniase mehie amtliche ThAtigkeit als nach jeder
Richtong yoUkommen gerechtlfortigt und comet erscheinen Uusen
würde, dann aber erklärt wurde, dass, wenn der Oemeinderath, wie
aus mfindlichen Äusserungen herrorgehe, beabsichtige, dasPftdagogium
m einer solchen Weise umzugestalten, dass die Basis, auf welcher sei-
nerzeit meine Berufhng erfolgte, ganz TerSndert werde, ichderDurch-
fthrung dieses Planes nicht im Wege stehen und daher einen Tom
Gemeinderath zu stellenden Antrag auf Pensionirung annehmen wolle,
jedoch nur unter der Bedingung, dass bei diesem Vorgange meine
Ehre und meine vertragsmässigen Rechte vollkommen gewahrt würden.
Bald darauf führte ich die vorhin genannten Lehrkräfte in ihre
provisorischen Stellungen ein, worauf ich am 3. Mai an den derzei-
tigen Obmann der Commission des Pädagogiums, Herrn Frieb, folgende
Zeilen richtete: „Sehr geehrter Herr Gemeinderath! Die Herren Hüttl,
Mayer und Mossbaur haben die ihnen vom löblichen Gemeinderath
abertragenen Functionen bereits angetreten, und da auch im übrigen dei*
Unterricht an der Anstalt in yollkommener Ordnung ist, so steht ein
befriedigender Abschluss des Schuljahres zu erwarten, um so mehr,
als die Tflchtigkeit, Pflichttreue und collegiale Harmonie des Lehr-
körpers, wie der Eifer und die ordnungsmftssige Haltung der ZOgUnge
and HArer alles Vertrauen verdienen. Bei dieser Sachlage und in
Bftcksicht darauf, dass im gegenwärtigen Stadium des Schuljahres die
Directionsgeschäfte naturgemäss auf ein Minimum reducirt sind, glaubt
rieh der ergebenst Unterzeichnete der Hoffnung hingeben zu dürfen,
dass er einmal einen Versuch machen könne, seine geschwächte Ge-
sundheit nach Möglichkeit wiederherzustellen, und dass ihm die löb-
liche Commission des Päda^^ogiuins hierzu die Füglichkeit zu bieten
geneigt sein werde, um so mehr, als dieselbe bereits vor Monaten
einen Urlaub füi* mich als geboten erachtete, imd ärztliche Zeugnisse
diese Massnahme als dringend nötliig bezeichneten. Vor Allem ist es
erforderlich, dem chi-onischen Lungenkatarrh, welcher mii* bereits seit
Jahren beschwerlich fiUlt, ohne weiteren Verzug durch eine geregelte
Cor entgegenzutreten, wozu ich bereits ärztliche Anweisung besitze,
zu deren erfolgreicher Durchführung jedoch der Aufenthalt auf dem
Lande und die Freiheit von GeschAften nöthig erscheint Es ist selbst-
verstindlich, dass ich dem löblichen Gemeinderath in seinen princi-
^en EntSchliessungen in Sachen des Pädagogiums und meiner Person
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weder vor<:ieiten, noch Scliwierigkeiteii ])ereiteii will; aber ander-
seits kann ich auch meine Gesundheit nicht allzusehr vernaclilässigen,
möge mir nun die Fortsetzung meiner ))isherigen Berufsthätigkeit ver-
gönnt oder versag^t sein. Ich ei-suche daher Euer Wolgeboren. dahin
wirken zu Wullen, dass die löbliche Aufsich tscominission beziiglick
meiner Urlaubsaagelegenlieit so bald als möglich einen Beschluss £use.
Wt dem Ausdruck u. s. w.**
Eine Antwort hierauf erhielt ich nicht Dagegen brachten am
14. Mai die Zeitungen in ihren Berichten über eine am Vorabende,
abgehaltene Sitzung des Gemeinderathes folgende Hittheilung: «6ug-
1er bringt zur Kenntnis, dass die Ckimmission des Pädagogiums dem
Director Dittes einen dreimonatliehen Urlaub gewähren will. Obwol
die Commission nach dem Statut hierzu berechtigt ist, so erhob sich
doch die ^osse Mehrzahl der Versammlung jregen die Bewilligung
eines Trlaulies an Director Dr. Dittes und genehmigte einen Antrag,
nach welchem die Angelegenheit an die Rechtssectiun zu leiten ist."
Es war doch gut, dass der\'ertrag, nach welchem „dieComnmne
alle Lasten, ich aber alle Rechte" hatte, mir gerade so viel Freilieit
liess, dass ich mich nicht direct ruiniren musste. Und so konnte ich
unter Gebrauch einer Hauscur den Gang der Dinge allenfalls weiter
abwarten, indem ich mich auf die laufenden Geschäfte, auf fleissiges
Hospitiren in den Lehrsälen und anfBerathung der neuen Lehrkräfte
beschränkte. Im Pädagogium herrschte zwar eine trabe Stimmung,
es kam aber kdnerlei Störung vor. Die Pensionsaffaire fiberliess idi
meinem Rechtsanwalt, und da der Gemeinderath es nicht für angezeigt
hielt, mich persönlich zu hören, so hatte ich nun Buhe. Ab und zu
verlautete, dass bezfiglich des zu trelfenden Übereinkommens ehie
Sitzung stattgefimden habe, ohne dass etwas Auffallendes beigefögt war.
Von sonstigen Vorkommnissen habe ich noch anzuführen, dass der
Gemeinderath am '^. Juni die Verfügung traf, dass .,in Anbetracht der
derzeit am Pädairogium obwaltenden Verhältnisse" die die.sjährige
,.AVanderung" unterbleiben solle, ferner am H. Juli beschloss, „mit Rück-
siclit auf die Haltiui'? der Zöglinge bei den diesjährigen Vtn-gängen
im Pädauo^^iuiir* di n im Budget prolBHl festgesetzten Studienbeitrag
von 3(.K)0 Fl. auf 200U Fl. herabzusetzen. Ich bemerke hierzu, dass
auf Grund unseres Statuts al^'ährlicli eine zweitägige Excursion (Wan-
derung) des Lehrkörpers mit den Zöglingen stattfand, welche den
Zweck hatte und auch stets in der wirksamsten Weise erfüllte, auf
dem Wege unmittelbarer Anschauung die Vaterlandskunde zu fördern,
und dass für diese Wanderung in unserem Budget alQährUch eme
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^'ubvention vuii (»nn Fl zur Verlüjriiug- stand, ^vl'lcllL' jedoch niemals
volLstäiiilig in Anspruch genommen worden ist. "Was die (statuten-
mässigeii) Studienbeiträge (Stipendien) betritit, so wurden dieselben
stets am Schlüsse des Schuljahres d(>n ordentlichen Zdglingen bewil-
ligt, um ihnen einigen Ei-satz für den Entgang von Privatorwerb und
fÖr ihren Studienaufwand zu bieten. Inwiefern die Haltung der Zög-
linge bei den diesjährigen Vorgängen zn einer Geldstrafe von 1000 FL
Anlass gegeben habe, ist vom Ctemeinderathe nicht declarirt worden.
Die Pensionsverhandlungen schritten sehr langsam fort Ob dies
nur ans dem gewohnten Moderato gemeinder&thliclier G^eschäftsffthrnng
in Verbindung mit den retardireaden Wirkungen der bereits ange-
brochenen Sommersaison zn erldSren sei oder ob noch geheime Motive,
vielleicht gar Zweifel gegen die Angemessenheit der ganzen Procednr
mi^ewirkt haben, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Doch er-
scheint die letztere Annahme ans folgenden GrQnden nicht als un-
wahrscheinlich. Noch als bereits alles zn Ende war, äusserte ein
sehr bekanntes Mitglied des Qemeinderathes, er f&rchte, dass man
sich in der ganzen Sache „aberaUt" habe, freilich eine seltsame Über-
eilung, zu der man viele Jahre gebraucht hatte. Ferner traten im
Stadium der Schlussverhandlungen Anzeichen hervor, dass sich ein
Umschlag der StHtmung vorbereite. So brachte eines der verbreitet-
sten Wiener Journale, die „Yorstadtzeitung", am 18. Juni folgende
Beti-achtungen:
„Als die Kunde von l'ittes' Ab^anfr noch ganz scliUchtern und unbestimmt
iu die Ofleiilliciikeit drang, kunute man sehen, welche Aufregung durch die
Lehrerwelt ging, und als dann die Kunde, die man gerne als dunkle K&re ge-
nommen hfttte, fast snr Gewissheit wurde, mochte man wol staunen Aber die
enthusiastischen Kundgebungen für diesen Mann. Worin mag diese so warm
zum Ausdruck kommendo Liebe für diesen Schulmann beg^riindet sein? Warum
dnrfto Schreiber dieses au anderer Stelle mit Hecht beh;ni]iten, wir hiltten in
Österreich keinen Mann, der berufen wäre, an Stelle Hilles' den I'osten eines
ersten Pädagogeu au dem ersten pädagogischen Institute der Monarchie einzu-
nehmen? Ist es der unbeirrt fortsdhritUiche, freie Sinn, den dieser Mann so
oft hl seinem Thun und Lanen, in Wort und Sehriflb n^bmlich bekannt? Ndn,
denn wir keimen iu ihren sozialen und politischen Anschauungen s> In- eonser^
vativ angelegte Lehrer, die ohne allen Zwang offenmüthig in da.s Lob dieses
Mannes einstimmen. Oder ist es sein oflfeuelirliches, der Schmeichelei nnzu-
{riinj.'liclies. für Lug und Trug stets das wahre Wort tindendes, stets die Sache
im Auge habendes Wesen? Auch dies nicht, denn viele recht zaghafte Päda-
gogen finden eich anter Dittes' Verehreni.
Der Gmnd liegt ganz anderswo. Er ist eben der einzige Pftdagoge un-
serer Lehrerwelt, der mit einem seltenen griindlichen Wissen, mit gediegener
akademiMher Bildnng gewiegte pSdagogiBche Kenntnis nnd Erfahrung vereint.
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Nur eiu solcher Mann kaim der Lelirerwelt imponiren. Wir besitzen in Öster-
reieh einige im pädag^ogisclieii Berofe gatbewShrte Httoner, die auch an der
Spitse trefflicher Anstalten stehen, aber diesen fehlt die wissensehaftUehe Bil*
dnng. Wieder and* ro. nns sdiwebt eine Reihe Yom Bezirks- und LandSMMdHll*
Inspectoren vor, sind akademisch gebildete Männer von hohem Wissen. enef>
g-ischer Tliatkraft. rechtlichstem Sinne, aber es fehlt ihnen die Erfahrunsr d^^s
echten Päda^^og-en. Der Mann, der dem Lehrer ein lenchtendes Vorbild sein
soll, muss wissenschaftlich hochg^ebildet sein, muss aber auch durch and durch
Pädagoge von Fadt, mit dem ganzen Apparate der Sobile auf das Innigste
Tertrant sein. Das kann nur ein Hann sedn, der yom Anfinge an ans Be-
rdUiebe, nicht erst durch Bemftmg in das Amt» Lehrer nnd Lehrerbildner ge-
"wesen ist.
Tat dem aber so, und es dürft-en Wenig^e dem niclit beipflichten, dann ?ebe
man nur von vornherein den fruchtlosen Versuch auf, jetzt sclion aus Öster-
reichs Lehrerwelt einen würdigen Nachfolger für Dittes zu finden.'*
Aber wie hätte die total verfahrene Aflfaire wieder in Ordnung
gebracht werde^i krumen? Ich meinestheils konnte liierzu nichts mehr
thmi, naclidem ich in Folge der jüngsten Urlaiibsgeschichte nnd dessen,
was ich privatim ans znverlAssigen Quellen ei&hren, auch den letzten
Best Ton Vertranen zum Gemeinderath verloren hatte. Und dieser
konnte in Backsicht anf seine WQrde mir nicht ans eigener Mtiative
entgegenkommen. So zog sich die Sache fort» bis endlich am 13. Jnli
die Jonmale berichteten, der Gemeinderath habe am Vorabende meine
Pensioninmg beschlossen. Diese Knnde kam zu sehr angelegener
Zeit nnd brachte deshalb eine ftble Wirknng hervor. Die Wiener
Lehrerwdt nnd besonders die Hdrerschaft des Pädagogiums hatte trotz
allem, was vorgekommen war, noch immer die Hoffhung auf einen
andern Ausgang der Krisis nicht ganz aufgegeben und war Jetzt durch
die erwähnte Nachricht nicht wenig aufgeregt. Nun war aber gerade
auf den 13. Juli Abends 6 Uhr der Schluss des Schuljahres angesetzt
welcher denn in Folge der neuesten Kunde durch einen fatalen Vor-
fall {retrübt wurde. Der Verlauf des Actus gestaltete sich wie folgt. Au^^r^
dem Lehrkörper und der ILirerschaft hatten sich iiucli zahlreiche
W iener Lehrer, wol meist eliemalige Frequentanten des Pädagogiuui>,
eingefunden; die Commi-ssion war durch die Herren Gugler, Hotfer,
Landsteiner und ]\iss vertreten. Kotier liatte es übernommen, Xamen.«J
der Commissiou, resp. des (Tcnieinderatlies zu sprechen, insbesondere
den Bescliluss wegen der Studit^iibeiträge zu publicireu, was aucli
früher nie dureli mich, sondern stets von Seiten der Comniission <re-
sclielien war. Ich meinestheils war durch die neue Kunde keinesweir>
alterirt, da ich schon seit Wochen meinen Rücktritt nur noch als eine
Frage der Zeit betrachtet hatte. In meiner Ansprache fasste ich
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die wesentlichen Momente zusammen, welche sich aus dem Rückblick
auf das abgelaufene Schuljahi- ergaben, und drückte die Gedanken aus,
welche mir der Augenblick nahe legte. Auf eine kunstvolle Rede
war ick keinesw^ vorbereitet, concipirt hatte ich nichts. Weuu ich
nun meine Ansprache in der Form, wie sie sich eben nach den Um-
ständen gestaltete, hier mittheile, so geschieht dies, weil sie meines
Erachtens in diesen Geschichten nicht fehlen darf. Als Quelle dient
mir die Nnnuner der „yolksschnle** Tom 19. Jnli, welche allem An-
scheine nach den Wortlaut einer stenographischen Niederschrift ent-
hielt und die Ansprache in folgender, mir richtig scheinender, Fassung
brachte.
Wir stehen heute am Schlnsse des 13. Lebensjahres nnserer Anstalt,
Blicken wir zurück auf dieses Jahr, so können wir es leider kein iilUckliches
nennen. Eine Reihe unliebsamer Uinstilnde hat in der Hörerschaft den festen
Glauben au den dauernden Bestand der Anstalt einigermassen em;hüttert, und
ao ist es gekommen, dass namentlich in den unteren Jahrgängen, eui ziemlich er-
heUieher Teil der Hörerschaft die Anstalt im Laufe der zweiten HUfte des
Jahres yeriassen hat, yieileieht in der hoffentlich unhegrOndeten BesoigniB, dass
CS nnn nicht mehr möglich sein werde, die hegonnenen Stadien zn Ende zu
fthren. Jedenfalls liegt die Thatsache vor, dass die Zahl derer, welche das
Schuljahr formell zum Abschluss gebracht haben, eine geringere ist als in einer
ganzen Reihe vorausgegangener Schuljahre. Es muss allerdings in Betracht
gezogen werden, dass eine ziemliche Anzahl von Zöglingen und Hörern noch
bei den Wiederholungen anwesend gewesen ist, ohne sich doch an denselben
aetiT SU betheiligeu, mid dass anderseits auch eine Anzahl sioh vorfindet,
welche erst die weiteren Ereignisse abzuwarten gedenkt, um dann im Herbste
die statntemnSssigen Nachtragsprttftuigen abzulegen. Aber bei alledem steht
die Thatsache fest, dass nur 79 Frequentanten, meistens ordentliche Zöglinge
nnd darunter einige Hörer, den Corsas formell vollständig abgeschlossen haben.
Allerdings hat die Anstalt schon Jahre erlebt, wolrlie ein in dieser Beziehung
noch ungünstigeres Schlussresultat anfzuweisen hatten. Das ungünstigste Jahr
der Anstalt war das dritte. Es absolvirten in diesem dritten Jalire, trotzdem
damah) bereits alle Claäseu und Abtheilungeu in der Weise bestanden, wie sie
hsnte bestdien, im ganzen nur 57 Zöglinge und Hörer der Anstalt. Im darauf-
lilgenden vierten Jahre zeigte sidi ein Stillstand des Niederganges und bereits
efaie Wendung zum Besseren. Das Pädagogium hatte 69 Angehörige auftn-
weisen. Jetzt steht die Zahl nnr nm 10 höher. Dass die Situation der An-
ftali eine nicht günstige ist, wissen Sie alle. Es ist hier nicht der geeignete
Ort und aufh noch nicht ganz die geeignete Zeit, auf die T'rsach»'n dieser ungün-
stigen Situation einzntz^ehen. Angenehmer und auch deutlicher vorliegend sind die
rnsachen. warum trotz der Ungunst der Zeitverhältnisse unsere Anstalt doch
inimerhin noch am Leben erhalten blieb und ilir 13. Jahr zurücklegen konnte.
Ich muss es hier unumwunden aussprechen und werde mich in dieser Hinsicht
niemals einer Correctur unterziehen, dass es die allergrOsste Anerkennung ver-
dieuti dsss die ZOgllnge der Anstalt auch in dieser trttben Zeit eine h9chst
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löbliche — ich muss isageii rülimliclie — Ausdauer au deu Tag gelegt haben.
Es gilt dies namentlich von dem Utesten Stamme der Anatalti von der Klasse,
welche nunmehr ihren Corsns gftnzlich ahsolvirt hat nnd mit dem heutigen
Tage wahrscheinlich ans dem Verbände der Anstalt scheidet, von der 3. Classe.
Nicht gleich an B^ahnng, haben docli alle ohne Ausnalnne bis zur letzten
Stunde in einer jreradezn musterhaften Weise ihre Ptiieht erfüllt nnd ihre
Hinjrabe an die Anstalt thatkräftig an den Tair f^eleg^t. Ich g-hmbe. sie \VfM-d.-n
sieh dieser Ausdauer Zeit ilires r^ebens treuen. Sie haben damit dit^ uesanmiTe
Lehrerschaft von Wien in elireuvullster Weise vertreten, und ohne Z^^eitel hat
ihr Bespiel anch eine bedeutende Anzahl der 2. nnd der 1. Klasse zu gleicher
Ansdaner ermnthigt. Ich bhi flberzengt, dass hiermit die Thatsache constatirt
ist, dass, fklls die Anstalt in ihrem gedeihlichen Fortgänge gelfthmt werden
sollte, mindestens nicht der Grund auf die Theilnahuilosigkeit der Lehrerschaft
geschoben werden kann. Die Theihiahme der Lehrerschaft ist im Gegeutlieil
>tis heute eine o^leieli regsame freliliebm. Aucli niUKs ieh constatiren. dass zu
diesei- Anhänglichkeit an die Anstalt ohne Zweifel keinerlei unlauteres Motiv
beifretrajren hat, sondern dass nacli wie vor die Zöglinge und Hiner der An-
stalt nur von deu besten Beweggründen veranlasst wurden, hier ilac Musse-
stnnden za verbringen« Sie sind nach allen den Lasten ihres Berufes hierher
gekommeui nm sich, frei von irgendwelchen egoistischen Bflcksichten — denn
wer die Verhflltnisse der Anstalt kennt, kann an solche gar nicht denken —
nm sich, sage Ich, hier in ihrem Berufe weiterEubilden, um sich für die wich-
tige Aufgabe za stftrken, die Jugend zn erziehen liir eine bessere Znkonlt.
(Beifall.)
Als vor 13 Jahren der löbliche Gemeiuderath von Wien diese Anstalt
ins Leben treten Hess, geschah es in dem hochherzigen Bestreben, einer Ver-
besserung des Schulwesens Balm zu brechen und kräftige Stützeu zu einem
tüchtigen Lehrerstande zu schaffen. Wir haben den Zweck dieser Anstalt imd
den Geist, in welchem sie gegründet wurde, unwandelbar festgehalten: eine
tüchtige Beruftbildung, feste sittliche Charakterbildung nnd damit allerdings
auch sociale Hebung des Lelirerstandes war im wesentlichen unsrae Aufgabe.
Der Geist, in wi lcheni diese Aufgabe gelöst werden sollte, war nach der In-
T^■lltion dt'S löblichen Genieinderathes der Geist der Freiheit, selbstverständlich
dt r i:t srtzliehen Freiheit in der niensehliciien Kntwickelung. in dem wissen-
schat fliehen Streben, in der Herausbildung des selbständigen Denkens und der
eigenen Überzeugung. Diese Ansichten habe ich geglaubt wahren zu sollen.
Es würde nicht nur gegen meine Grundsätze gewesen sein, sondern Ich würde
es auch als Felonie betrachtet haben, als eine Yerkennung der Intentionen des
löblichen Gemeinderathes, in einer andern Richtung zn wirken. Die mensch«
liehe Bildung ist keine Dressur, sondern eine freie Entwicklnng, und vor allem
muss der Lehrerstand, welcher sittlich v(dlendete Mensehen heranbilden soll,
anch selbst feste rberzcULMiiigrii und einen eigenen Willen haben. Es koinite
mir nie in den Sinn kommen, die Freiheit Ihrer Uberzeugung. Ihres Gewissens
irgendwie zu beeinträchtigen, Ihnen etwa zuzumuthen, aus schwarz — weiss,
oder ans sauer — süss zn machen, oder Ihren Nacken vor dem Hute eines
Landvogtes oder irgend eines Götzenbildes zu beugen. Nur was aus der inne-
ren Überzeugung kommt, ist des Menschen würdig, würdig eines Bildners der
Jugend. Ich für mem Theil habe in meiner Wirksamkeit nie einen Zweifel
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iTflassfii ü>>pr das, was i< li driikr und fiir fniT nnd reclit lialto. Das wenig^stens
wird mii" jedmiiaiiii nachsagen, dass er stets gewusst hat. woran er mit mir
war, Aufgeuöthigt habe ich Ihnen ineine Meinung niemals; ich habe Timen
meine Gi-ünde dafür ausgetühit, gegentheilige Meinungen erwälmt und Gründe
für diese angegeben nnd Ihnen die W&M selbst ttberlassen. In anderer Weise
wQrde idi nie wirken kSnnen und habe es nie gekonnt. Ich glanbe aoeh,
dass dies die allein zulässig«- Weise einer Hdrerschaft gegenllber ist, der man
nicht nur die Achtung schuldig ist, die man vor der Iklenschennatur überhaupt,
vor dem Wahrheitssrernhl und v<tr dem Rechte des l^Iensclien auf llherzeugung
und Wahrheit liaben muss. sf»ndern auch die. die einer Hi»rerschaft zusteht, die
ja aus gereil'ten rersoueu, aus Lehrern und Lehriuneu besteht, denen die .Stadl
ihr Bestes anvertiant» die man über Grosses setst Ich glaube anch, dass
dieses Vorgeben weeentlich dasn beigetragen hat, die Lnst nnd Liebe, die Be-
geisterung für die Studien zu heben — und ich muss jrestehen, dass mir nic-
nials — und ich habe in dieser Richtung ziemlich viele Beobachtungen ge-
macht eine so aufrichtige Hingabe an die Studien begegnet ist. als in
diesem Hause. Selbst an Sonn- und Feiertagen habe ich selten ein Lehrzimmer
leer gefunden, sondern immer Gruppen von Studii enden angetrofleu, welche ge-
meinschaftlich sieh weiter zu arbeiten versuchten. Hier habe ich aoeh dem
Xnth, der Kraft, der Trene der Überzeugung in der schSnsten Weise begegnet,
und 80 kann iöh Ihnen die Versicherong geben, dass die zshireichen Lehrer
und Lehrerinnen, welche in diesem Hause ans- nnd eingegangen sind, mir stets
in der freundlichsten ErinnerunH- bleiben werden. Was nun kommen wird —
ich weiss es nicht. Jedenfalls dürfen wir d»'nen. die nach uns kommen wer-
den, die«e Räume mit dem besten Gewissen überlassen; wir haben sie nie ent-
weiht durch niedrige Gesinnung und niedrige Handlungsweise. Uns war es
immer daran gelegen, dem Lichte der Wahrheit nachzogehen, zu denken und
zu fühlen, was recht nnd gut ist.
Wenn ich nun der Lehrerschaft von Wien, die hier, um sich fortznbilden
aus- nnd eingegangen ist, meine vollste Anerkennuns- nicht vorenthalten kann,
so muss ich a>)er auch den wackeren Milnnern, die mir zum Theil lange Jahre
zur Seite gestanden haben, heute oneinen herzlichen Dank aussprechen. Die
Herren Professoren haben gegen eine m&ssige Entschftdigung dieses mühsame
und dornenvolle Amt trotz der ehrenrührigsten Angriffe in der hingehendsten,
selhstlosestai Weise geübt, und wenn ich Neigung hatte, neidisch zu sein, so
müsste ich viele von ihnen um das amsteriiafte Lehrverfahren beneiden, welches
ich Gelegenheit hatte nn ihnen zu bewundern. Ich werde diese Herren stets
in bester Erinnerunfr bewahren und kann nur hoffen, dass auch sie mit Freuden
an diese Anstalt zurückdenken werden.
Wir werden uns, wo wir uns begegnen, mit gutem Gewissen ins Antlitz
schauen kSnnen. Zwischen uns war stets Klarheit, OflTenheit und die Harmonie,
die sich immer Undet» wenn eine grosse Gemeinschaft nach einem hlSheren
Ziele strebt. FremMtodiaft unter Bösewichtern hat keinen Bestand. Sie aber,
davon bin ich überzeugt, haben hier Freundschaftsbande geknüpft, die fürs
Leben danern werden, l'nd so kann ich nur hutfen und wünschen, dass diese
Anstalt, auch wenn ich nicht mehr an derselben weilen werde, wie in friiiieren
.Jahren blühen und gedeihen möge. Wii* dürfen ja die Hoftnung keineswegs
abthun, dass der löbliche Gemeinderath, der sdnerzeit mit der rühmlichsten
PadigogiiuB. 4. Jahif . H«fk IX. 37
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— Ö66 —
Hochherzigkeit diese Anstalt ins Leben nef, sie auch wahren wird. Er hat ja
selbst ausdrücklich in öffentlicher Sitzung anerkannt, dass diese Anstalt eine
höchst yerdienstUehe sei, dass sie die besten Erfolge aufweise, dass ihr die Stadt
Wien ihre tilehtilgsteii Lehrkrtfte verdanke, und dass sie vii dessentwiUsn e^
halten werden müsse. Diejenigen Männer aber, welche die Ehrenpflicht aaf
sich genommea haben, die für nothwendig gehaltene Seorgamsation durchzu-
führen, werden dieser Pflicht sicherlich nachkommen. Und so kann ich nur
wünschen, dass die Lehrerschaft Wiens auch ferner hier eine Quelle finde, aus
welcher sie nicht nur eine höhere Berufsbildung-, sondern auch eine tiif?li(;he.
nothwendige Stärkung der Berofsfreudigkeit schöpfen möge, ich für meinen
Theil werde jedenfalls den Überzeugungen und Grundsätzen, weiche ein nicht
ganz kleiner Kreis an mir seit ISngeren Jahren kennt, unvrandelbar tren Uei-
ben, *weil ich keine Ursache habe, ihnen untren sn werden. Die Bestrebongeo,
denen ich bisher 8:edient habe, werden auch ferner die meiniiaren sein, wenn auch in
veränderter Gestalt. Insbesondere wird mir stets die Schule und namentlich die
wichtigste Schulai-t, die Volksschule, sowie der Volkssrhullehrerstand am Herzen
liegen. (Heifall.) Ich werde, soweit meine Kräfte noch reichen, auch ferner be-
müht .sein, einiges für die weitere Fortbildung des Lehrerstandes zu thim.
wenn auch in freierer Form als bisher, und es soll mir recht sein, auch iü
einem Zustande, den man mit den Worten ^niemandes Herr niemai^eB Enedit"
bezdchnet» anf dem bisherigen Felde wirken zu können. Wenn, wie ich helfe,
meine geschwftchte Gesundheit sich wieder gehoben hat (ich habe nicht Lost
schon zu sterben), so glaube ich schon nächsten Winter einen Cursus von Vo^
trägen, welche vielleicht tür die Lehrerschaft einiges Interesse haben werden,
abhalten zu können. (Stiirmischei- Beifall.) Es liegt mir daran, soweit meine
Kraft noch reicht, in dieser Richtung thiltig zu sein, weil die Lehrt hätigkeit
jederzeit meine Freude, meine Erholung gewesen ist. Es kommt mir indes
nicht in den Siuu, andern Veranstaltungen Concurreiiz machen zu wollen; es ist
aber immerhin mSglich, dass die grossen Schwierigkeiten, die mit der gepUn-
ten Beorganisation des Pädagogiums yerbonden sind, eine IftngereZdt hindurch
gewisse Lücken lassen werden, die auszufüllen ich als Lttckenbfisser gern be*
reit sein werde. Es hat die Lehrerschaft einer andern Grossstadt, nämlich die
Berlins, das Wiener Pädagogium zum Vorbild nehmend, versucht, der Lehrer-
schaft eine weitere Fortbildung zu ermöglichen. Allerdings ist das weniger
als eine von einer angesehenen Stadt ins Leben gciufene Anstalt, ininu-riiiii
aber ist es der Anfang zu dem grösseren Werke, das der Zukunft vorbeiialteii
bleibt Sollten uns noch unangenehmere Erfahrungen bevorstehen, als die es
sind, die wir bereits gemacht haben, wir werden sie mit Würde tragen. Jedeu'
falls aber wird die Lehrerschaft Wiens die Anstrengungen des ISblicheu
Qemeinderathee, die eine Besserung in den gegebenen VerhSltnissen be-
zwecken, mit der grössten Dankbarkeit und Frradigkeit anerkennen. Und
so bin ich am Ende meiner heutigen Äusserung. Es bleibt mir nur nocli
übn<r. Ihnen allen meinen Dank für alle Mühe und für die von so vi>*l'Mi
Seiten niii- l)ewiesene Anhänglichkeit zu wiederholen und hinzuzutü^cn.
dass sich besondei-s auch die Herreu Directoren und die Lehrkörper der
beiden Übungsschulen grosse Verdienste um die praktische Fortbildung der
Zöglinge erworben haben. Selbst der treue Diener der Anstalt Terdient m
mir ein Wort der herzlichsten Anerkennung. Ich glaube kaum, dass je in
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— 667 —
t'int^r älinliclien .Stelimig eiu gescixickterei', ti-enerer, taktvollei'er Mauu ge-
fiuuleii wurden ist.
Ich sage Ihnen also noch einmal meinen herzlichsten Dank, nnd weil ich
da88 wir, wie trtlb die Zeit aneh werden masr, doeh wenigstens im Geiste
immer vereint bleiben werden, sohliesae ich mit den Worten: Auf Wieder-
eeh'nl (Stfirmischer BeifolL)
Als ich geendet hatte, gab ich Hoffem eine freundliche Anregung,
das Wort zu eigreUbn. Er lehnte aber ab und ersachte mich, die
Mittheilnng wegen der Stipendienangelegenheit selbet za machen, was
ich denn audi in aller Eflrze that Wamm Hoffer, der sonst nie eine
Abneigung gegen das Sj^echen an den Tag gelegt hatte, diesmal
schwieg, weiss ich nicht zu sagen. Im Anditorium wollte man be-
merkt haben, seine CoUegen hätten, von den lebhaften Bei&Usknnd-
gebangen siditlich verstimmt, ihn vom Beden abgehalten. Nan erhob
sich einer der Abitorienten, Mathias Zdarsky, um, dem Herkommen
gemte, Namw derselben ein Abschiedswort za sprechen. In dieses
üess er die Bemerknng einfliessen, dass der neueste Besdiloss des
Oemeinderaths (bezüglich meiner Pensionirung) im Contraste stehe zu
der Haltung, die der Gemeinderath in Betreff der achtjährigen Schul-
pflicht eingenommen halt«. Derselbe hatte nänilicli, gleicli vielen an-
deren Stadtvertietuiigeü, eine Resolution zu Gunsten der achtjähriüfen
Schulptliclit gefasst, und Zdarsky wollte nun jedenfalls iyci<^m, dass.
wer für die achtjährige Schulptliclit stimme, consequenter Weise auch
für eine innn;li( list (jründliche Lehrerbildung eintreten müsse (damit
die Kinder in acht .iahren aucli etwas Tüchtiges lernen können), dass
aber meine Pensionirung eher die entgegengesetzte Deutung zu-
lasse. Infolge dieser Äusserung verliessen die Heiren von der Com-
mission sofort den 8aal. Als Zdarsky geendet hatte, bemerkte icli,
dass ich die vorgebrachte Kritik für unzulässig erklären und dem
Sprecher eine Rüge ertlieilen müsse. Es war mii* höchst i)einlich, zu
solcher Stunde und an dieser Stelle noch zu einer solchen Amtshand-
lung genötliigt zu sein, besonders gegenüber einem Abituiienten, wel-
cher nach dem einstimmigen ürtheil des Lehrkörpei*s in jeder Hin-
«icht stets das grösste Lob verdient hatte. Leider hatte aber der
am Vorabende gefasste Gemeinderathsbeschluss die denkbar ongQn-
stigste Stimmung für den Jahresschluss hervorgemfen, imd es war
gerade kein Wander, dass sie sich in etwas drastischer Weise
kundgab.
Am 14. Juli übersandte ich der Commission meinen letzten Jahres-
bericht, and am folgenden Tage ging ich sammt Familie zum Sommer-
aofenthalt nach Pressbanm im Wiener Walde. Dort erhielt ich bald
37*
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(iif Xacliricht, dass im (-ienieiiuleratli wieder eine äusserst animose
Stimmung jrejren niieli Platz get;riffeii liabe, und zwar wegen der er-
wähnten Äusserung Zdarsky's, für die der (Temeinderath mich verant-
wortlich machen wolle. Herr Gugler hatte nänüich das Märehen
verbreitet, ich liabe die Demonstration vorausgewusst, ja mit Zdarsky
verabredet. Die Wahrheit ist, dass ich keine Ahnung davon gehabt
hatte, dass Zdarsky sprechen werde, noch weniger von dem, was er
sprechen wolle. Auch wenn ich an die fragliche Abiturient^nredeim Vor-
ans gedacht hätte, was nicht der Fall war, wttrde ich nicht vermnthet
haben, dass gerade Zdarsky von seinen CoHegen znm^ Sprecher gewählt
werden würde, da er, bei aller sonstigen Tüchtigkeit, nicht gerade als
Bedner sich auszeichnete. Nachträglich habe ich auch erfohren, dass
bei der Aufregung des 13. Juli über die fragliche Bede keine Ver-
einbarung unter den Abiturienten zu Stande gekommen war. Aber
der wackere Herr Gugler hatte wieder einmal das Gras wachsen
hören und durch die Verwertung seiner Entdeckung em^ neuen
Sturm unter den Stadtvätem hervorgerufen. Ich schrieb nun (am
7. August) an meinen Bechtsvertreter, nachdem idi ihm den Sachsa**
halt auseinandergesetzt hatte: „Nach Allem, was ich erlebt habe,
kann ich gegenwärtig nur den einen Wunsch hegen, so bald als
möglich jeder Beziehung zu dem löblichen Gemeinderath von Wi^n
ledig zu werden.'* Mein Rechtsvertreter möge also den Abschluss der
noch immer schwebenden Verhandlunireu möglichst beschlemiigen. und
dauiit endlich Jhihe werde, wulle ich auch, wie es de]- Gemeinderath
verlanizle, schon am 1. September meine Amtswoluiuug räumen usie
bliel) duun trotz der Eile, die der Genu'iiulerath gehabt hatte, ein
paar Monate unbenutzt), obwol dies ein ganz aussergewöhnlicher Ter-
min war, und ich noch nicht wusste. wo ich eine andere A\'ohnumr
finden ^^^lrde. Ich liörte nun noch von dem und jenem Anliegen ver-
schiedener Gemeinderäthe, z. B. dass ich in Zukunft keine Vorträge
tür Lehrer halten mr>ge (wozu ich sicheilich auch kein Lokal finden
S(dle), dass ich über meine Erlebnisse nichts publiciren solle u. dgl. m.
Aber für mich gab es jetzt keinen Handel mehr und endlich wurde
mein Pensionsvertrag perfect und am 19. August beiderseits unter-
zeichnet. Der Eingang desselben lautete: „Vertrag, welcher zwischen
dem Gemeinderäthe der k. k. Keicbshaupt- und Residenzstadt Namens
dieser Gemeinde und dem Herrn Di'. Friedrich Dittes. bisherigem
l)ire< t! r des städt. Pädagogiums, vereinbart und auf Grund der Ge-
meinderathsbeschlttsse vom 12. Juli und 11. August 1881 am zu Ende
gesetzten Tage errichtet worden ist, wie folgt: Da beschlossen ist.
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(las .<tä(lt. Pädairoofiiuu zu rporjranisiri'ii, so sind der (Teiiieinderatii etc.
übereiugekoinineu ii. s. \v. (tV)l^n^n die Pensioiisbestimmungen).
So weit waren wii- denn endlich gekommen. Das hätte man
leichter haben können. Leider bin ich ausser Stande, in dem tiefen
Schattin der langen Operation mildernde Lichtstrahlen zu finden.
Nor die vollkommene Unanfechtbarkeit meiner Haltung und meines
Bechtsstandpnnktes schützten mich vor einer persönlichen Katastrophe.
Bezüglich des Abschlusses meiner amtlichen Thätigkeit aber muss ich
best&tigen, was Jessen am 27. Angust 1881 in seinen „Pädagogischen
Blättern" schrieb:
„lu der Schuigescliichte Wieiis, die sich uicht künstlich luaclieu iässt,
«mdern die nach dem Zeugnisse competenter pädagogischer Schriftsteller ihre
bleibende Gestalt erhält, wird der dem ersten IMrector des Pädagogiums berei-
tete amtliche ScMffbmch einen sehr schwanen Fleeken abgeben. IMe Zei-
tungen lialirn ihn fort und fort mit Nadelstichen gepeinigt Eine ihn ver-
hetzende Notiz jagte die andere. Ihm gegenttber entschlng man sich jeder
Achtong vor der Heiligkeit der Wahrheit/'
Den waliren Kern der ganzen Action haben die 8chulblätt<?r zwar
stets geahnt und wiederholt berühit, jedenfalls aber nicht volLständig
gekannt. Konnten sie doch Vieles nicht wissen, da ich selbst behan*-
lieh schwieg, so lange ich noch hoffen konnte, dass alle dunkebn Tha-
tea in das Grab der Vergessenheit sinken wQrden.
Unserem Zdarsky erging es noch recht übel. Nicht lange vor
dem fatalen 13. Juli hatte der Glemeinderath beschlossen, dessen bis
dahin provisorische Anstellung in eine definitive zu verwandeln. Nun
machte der Gemeinderath, der sich durch die erwähnte kritische ße-
merkuiig „beleidig-t"' fühlte, diesen Beschluss rückg:äugig-, und auch
Ablauf des Scliuljahres (Ende August) wurde Zdarsky ganz aus dem
Wiener Schuldienste entlassen. Da tür die Besucher des Pädagogiums
im Statut eine besondere Disciplinarordnung bestand, welche in die-
^erD Falle hätte zur Anwendung kommen sollen, und da Zdarsky in
i^einem Schuldienste nicht das Geringste verschuldet, vielmehr stets
oud von allen Seiten die besten Zeugnisse erhalten hatte, so wai*
meines £rachtens das erwähnte Vorgehen des Gemeinderathes nicht
correct; dasselbe wurde denn auch in den Lehrenseitungen, besonders
in d^ „Neuschule'* dner scharfen Kritik unterzogen. Aber vergeb-
lich; anch in diesem Falle wollte dei* See sein Opfer haben. Ein
ttPascfaa" liess sich am Biertische im Kreise seiner Kameraden ver>
nehmen: „Um's Brot muss er kommen, und sollt' es mich den Kopf
kosten!** Nun, so gefiUirlich war das Bravourstück nidit, da, wie sich
der nmtliige Held wol denken konnte, Niemand nach seinem Haupte
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Yeilan<ren tnijr. t^biifrens konnte es dodi wnl nirlit zweifelhaft sein,
(lass einliimdertmulzwaiizig'Geniemderäthe ge^i^eii einen einziir^n l'iiter-
lebrer das Feld behaupten würden, zunial sich dieser gar nicht welirte,
sondeiTi ohne Widerstand das Feld räumte, aul' welchem er mit sau-
rem Schwdsse jälirlich 400 Fl. errungen hatte. Freilich wurde ihm
dann noch weiter nachgestellt, damit er „das Brot verliere"; zum
Glück gab es aber noch eine Schulbeliörde (wol auch mehrere ), welche
den Verfehmten und Verfolgten zu schätzen wnsste. Es ist doch gut,
dass die Macht gewisser „Herrgötter" nicht weiter reicht, als ihr Ho-
rizont, stellenweise nicht einmal so weit
Anch mir war noch ein kleiner Gennas aufgespart Wie sich die
Leser erinnern, hatte man nur ftöer Dings zngesa^, meine Pensio*
nirong solle Jsi der ehrendsten Weise** erfolgen. Als nun Im Verlaufe
der Verhandlungen beiderseits ein eigener FensionsTertrag als die
richtige Form des ahzoscfaliessend^ Übereinkommens erkannt wurde»
einigte man sich dahin, dass anss^em durch den Bfirgermeister ein
anerkennendes „Amtszengnis" amigeateUt werden solle. Diese Ange-
' legenheit wurde nun sehr in die Länge gezogen, und noch am 4. Oet
sah sich mein Rechtsanwalt veranlasst, die Eiiedigung derselben za
urgiren. Nun brachten am 13. October die Zeitungen in ihren Be*
richten über die Tags zuvor abgehaltene Sitzung des Gem^derathe»
folgende Stelle: „Gugler empfiehlt, dem gewesenen Director de»
städtischen Pädagogiums, Di*. Dittes, ein „Dienstzeugnis" des Inhaltes
auszustellen, dass sich derselbe das Vertrauen der Zöglinge und d^
Pädagogiums- Aufsichts-Commission erworben habe." — Ein Schulblatt
untei'waif diese Notiz einer sehr entschiedenen Ki'itik, und mehrere
Briete, welche ich bei dieser Gele<2^enheit erhielt, äusserten die leb-
hafteste Entiüsiuug. Ich sah die Sache ruhiger an. Es wurde mir
ja iiier nur noch ein Tr<ipflein jenes Trankes verabreicht, an den man
mich durch die stärksten Dosen schon längst gewöhnt liatte. l>as
letzte Tröpflein! Wusste icli doch nun, dass der Becher völlig geleert
war. l^nd meine Leser können sich jetzt aiicli denken, warum ich
auf dem zugesichei-teii ..elirenvollen" Amtszeuguis be.'^taud. Meinet-
wegen freilich nicht, ich kann s entbehren. Wol aber des (remeinde-
rathes wegen. Ich konnte ihm diesen allerletzten Act nicht ei lassen.
weil ich mit ihm ganz aufs Keine kommen wollte. Vielleicht halte
er doch noch etwas gegen mich vorzubringen: er sollte nichts auf dem
Herzen behalten, und ich wollte fUr alle Zukunft vor nachträglichen
Becriminationen Buhe haben. An einer Ehrenerweisung lag mir mehts,
gar nichts; aber es musste constatirt werden, dass alle Anklagen warn
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Schweigen gekommen waren, nnd da nun forderte ich das Absoluto-
rium. Nun werden meine Leser aucli noch den Wortlaut des bürger-
meisterlichen ächriltstückes keimen lernen wollen. Hier ist er:
„Sr. Wolgeboren Herrn Dr. Fr. Dittes. Anttsslich der Lösung des mit
Ihnen am 8. April ISCtH fjrt'schlossenen Vertrag-es g:ereicht es mir znin beson-
deren Verenn^en. Ihnen liiermit zu bezeugen, dass Sie das durch obbezeicli-
neten Verti a^^ iibei iionimene Amt als Dii ector des Wiener Lehrer-PUda|E:ogiam8
während der Zeit vom Beginn des Schuljahres 1868/69 bis zum Schluss des
Sehnljahies 1880/81 den Bestbnnmngen des Statuts gemSss veraehen haben,
und dass es Urnen gelungen ist, sich durch Ihre Amtsf&hnmg das Vertrauen
der Zöglinge nnd der vom Wiener GemeindeTathe zur Beanftichtignng des
Pädagogiums gewählten Commiidon zn erwerben. Wien, am 14. Oct 1881.
Der Bürgermeister: Newald."
Und 80 bin ich einstweilen mit meinen „Wiener Gesdüchten^ zn
Ende. Nutzanwendungen ans denselben zn ziehen, Überlasse ich vor-
Iftnfig meinen geneigten Lesern, deren Anfinerksamkeit ich ohnehin
lange genng in Ansprach genommen habe. Zu gelegener Zeit gedenke
idi aber auf meinen Bericht zurückzukommen, um aus demselben einige
mir wicbtig scheinende Folgenmgen bezüglich der Yerwaltimg unseres
Schulwesens und des gesammtenCulturzustandesder Gegenwart zu rieben,
vielleicht auch um meine Erzählung, wo es nöthig sein sollte, zu er^
ganzen oder in anderen Richtungen fortzusetzen. An Material hierzu
stellt mir noch weit mehr zu(Tebote, als ich bisher verarbeiten konnte.
Füi' jetzt wissen meine Leser, was sie zunächst zu wissen wünschten,
und vielleicht schöpft mancher von ihnen, den sein Schicksal nicht auf
Rosen gebettet hat, aus meinen Ges(;hichten wenigstens den Trost,
dass er niclit (;lnie Leidensgelahrten ist.
Ich meinestheils blicke auf die in Wien verlebten Jahre ohne
Bitterkeit zurück. Ich bedauere nicht, dass ich dem Rufe hierher
«gefolgt bin, und es reut mich nichts, was ich liier gethan liabe. Müsste
und könnte ich diesen Abschnitt meines Lebens nochmals von vorn
beginnen, icli würde ^^tnmi wieder so handeln, wie ich gehandelt habe.
Und mit meinem Schicksal bin ich zufrieden. Wenn es mir versagt
blieb, meine ßerufsthätigkeit fortzusetzen, so wird dies wol gut ge-
wesen sein, da ich es unter den gegebenen Verhältnissen kaum noch
lange vermocht hätte. Dass es mir aber vergönnt war, eine lange
Beihe von Jalu-en, weit länger als zu hoffen war» auf einem wichtigen
und gefährlichen Posten zu stehen, werde ich stets als eine Gunst des
>^chicksals preisen. Und wenn meine Gegner sich freuen sollten, end-
lich erreicht zu haben, was sie so lange angestrebt hatten, so sage
ich ihnen: Zu spät! Ihr künnt nicht mehr vernichten, was ich ge-
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schaffen lialic. Mötce du' Zukunft ent.«>cheiden, welclie Au.s?.aat kräfti-
gere Halme treiben wird, die eure oder die meiniire. Gewiss ist,
dass anf dem Boden, den ich bearbeitet lial)e, euer Unkraut s^riind-
lich ausgerottet ist und niemals wieder gedeiben wird! ^iit Be-
ruhigung nehme ich den \\'atfenstillstAnd an. Benutzen wir ihn, um
unsere Wunden zu heilen und unsere Sehweit^r zu schleileu. Wii*
werden blanke Watten noch bi-aucheul —
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Aphorismen über den Lehrer.
Vou Professor i*'. Müh r - Triest.
I. Der Lehrer soll ein Psychologe sein.
Das ist für di'W Lehrei-, wenn er seine Scliiilt-r richtig In^han-
deln will, sowol gesenülMT «ganzen ('hissen, wie aucli pregeniiber den
einzehien Individuen iinerlässlich. In der Jugend gerade treten die
natürlichen Eigenschaften des Menschen am ottensten zu Tage, und
eine unrichtige Behandlung der Jugend kann für Schüler und Lehrer
von den ül)elsten Folgen sein. W enn das erstelle der Fall ist, warum
ist es doch so schwer, die Jugend richtig zu beurtheilen und zu leiten?
Aas dem Grunde, weil w selbst, der Jugend entwachsen, bereits ge-
lernt haben, uns zu verstellen, und weil wir nun nicht begreifen kön-
nen, wie das ein Kind nicht auch sollte thon können, thnn müssen.
Wh* haben uns bereits entwöhnt, angenblicklich in der unserer Natur-
anhige entsprechenden Weise m reagiren und sind erstaunt,** empört,
wenn dies der Zögling thut. Wir mttssen, so calculiren wir fälschlich,
Bchweigeu, uns so und so benehmen, und der Bange da wagt es etc.
^ Hat er ja doch noch nicht gelernt, was wir gelernt haben. Ich
habe gesagt, dass in der Jugend die natüilichen Eigenschaften am
offenbarsten zu Tage treten. Ja, das ist selbst dann der l' all, wenn
«las Kind, der Zögling seine Gedanken zu verbergen, seine Handlungen
zu bescliönigen oder wegzuleugnen sucht. Das Kind ist also leichter
zu dmchschauen als der Erwachsene. Gewiss, sobald wir aus uns
selbst lierauskommen können und uns ^lühe nelmien, das Kind, als
Kind anzusehen, das noch nicht durch die Schule des Lebens hindurch-
gegangen ist, wie wir. Wenn also das Kind aufrichtiger ist als das
spätere Alter, wenn es mit elementarerer Kraft auf alle Eindrücke
reagirt, so mttssen diese Eigenschaften uns in der Behandlung der
ZO^^inge äusserst behutsam und nachdenkend machen. Wir dttrfen
die Aufrichtigkeit nicht zerstören, sondern nun mildem und mit Vor-
sicht paaren. Wir werden die jugendlichen und natürlichen Begnügen
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als einen unmittelbaren Ausflnss dei' Natur nicht ersticken ^vulleu,
sondern allmählich dahin ai'beiten, dass sie den richtigen, schicklichen
Aiis^druck annehmen.
Znrückdrängung der Natur ist schwer und sündhaft; Einschrän-
kun«^ und Mässigung derselben für das gesellscliaftliche Leben der
Menschen eine unabweisliche Xuthwendigkeit. i'bei-all wo dies ge-
schieht, ist Segen und Gedeihen, Cultur und Fortschritt. ..Wolthätig
ist des Feuers Macht, wenn sie der Mensch bezähmt, bewaclit: doch
furchtbar wird die Himmelski-aft, wenn sie der Fessel sich entratlt,
einher tritt auf der eignen Spui- die freie Tochter der Natur." Dies
gilt auch von dem Feuer des menschlichen Geistes. Wo der Verstand
regelnd, mässigend, leitend eintiitt, da erst wird der Natormensch znm
Culturmenschen.
Wodurch unterscheidet sich der Gebildete von dem Ungebildeten?
Dadurch wo! am meisten, das3 jener sich belierrsclit, während dieser
zügellos ist Die Bildung ist es, welche den blinden, elementaren
menschlichen WiUen, indem sie die Yeminiltbegnffe erbsst und zn
Motiven des Handelns «rheht, die richtigem Wege zeigt Sie erleuch-
tet das Ange des Verstandes, das vorher kurzsichtig und unkritisch
war, und dieser tritt nun in den Dienst der sittlichen Ideen.
Dass von Eltern und Lehrern gegen die natflrliche Besdiaffenheit
des kindlichen Wesens häufig gefehlt idrd, ist unzweifelhaft Der
Vater und der Lehrer möchten nicht selten dem Kinde den Eifer, den
sie selbst haben, kOnstiich und gewaltsam aufdringen. Sie bedmiken
nicht, dass ihre Motive ihnen zwar dringend erscheinen, das Kind aber
kaum berfihren. In derselben Lage war der gegenwärtige Vater als
Sohn seinem Vater gegenüber, in derselben Lage der Lehrer als ScbSt-
1er seinem frohem Lehrer gegenttber.
Man bahne und ebne dem Kinde die Wege zum Lernen, suche
seine Selbstthätigkeit besonders durch eigene Anschauung, eigenes
Suchen und Kxperimentiren anzuregen und missgönne dem kindlichen
Elemente nidit den unentbeliiliclieu Spielraum seiner Bethiitigung.
Als Hauptsatz gelte: Erinnern wir uns stets, dass wii' selbst Kin-
der waren, imd wie wir als Kinder waren. Mancher ist dieser Er-
innerung zwar fähig, möchte aber, dass sein Kind auf einmal sei,
wie er selbst ist. Das heisst, er möchte, dass sein Kind kein Kind
sei, sondeiTi bereits erfüllt von dem Ernste des Lebens, der den Mann
durchdn'ngt. Eitler, vergeblicher Wunsch!
>rau schränke ein, man führe, man leite; aber man dränge nicht
und übereile nicht. Die Natur unter vernünftiger Jü üliruug moss das
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ihrige thuii, und sie wird es tlmn, wenn üir die nöthige Kraft inne-
wohnt. Ja fi*eilich, wo die Anlage fehlt, wo die Natiu- versagt, da
mfiht sich der erste Psycholog, der erste Pädagog vergeblich ab. Und
der harte Widerstreit der Fordemngen des Lelirers und Erziehers
^egen das Wesen des Kindes kann nur zum Schaden gereichen. Hu-
manität und Vernunft mögen uns von solch nnmöglichem, weil un-
natürlichem Beginnen abhalten! —
II. Wie soll sich der Lehrer in nationaler und in kirch-
licher Beziehung verhalten?
Die KUning und Beantwortung dieser Frage ist in den gegen-
wärtigen Zeitmnstilnden und Verhältnissen eben so schwer, wie drin-
gend. Überall wohin das Auge schweift, lodert der Nationalitätenkampf
empor; von allen Seiten umtost uns das wüste Geschrei des confessio-
nellen Haders. Wie soll sich der Lehrer in diesem Streite benehmen?
Es wird wol wenige geben, die davon unberührt bleiben; sind sie vom
^ationalitätenkampfe Terschont, so bedrängt sie der Streit der Cleri-
calen und Liberalen. Wie soll man znr eigenen Ruhe und Sicherheit
und zum Heile der Sdiide Stellung nehmen?
Einer oder der andern Partei muss man angehören; keiner von
beiden zuzugehören ist ftir einen Mann von bestimmten Anschauungen
und festem Cliarakter sai" niclit möglich. Wie kann dies nun ohne
(^efälirdun;.'- unserer 8tellun<ir, oline in die objectiven Verhältnisse Ver-
wirning hineinzubringen, bewerkstellijrt werden?
Man stehe zu seiner Partei, jedoch so, dass man nie «rej^en die
andere offensiv vorgehe. Die collegialen Beziehungen dürfen deshalb
nie nnberü( ksichtig:t gelassen oder gar verletzt werden. In derScliule
muss das Benelinien und die Leistung des Schülers stets das mass-
«rebende Moment sein. Es ist nicht zu bezweifeln — ich selbst kenne
Tliat Sachen als Bestätigung hierfür — dass es Avarme Vertreter des
nationalen Princips gibt, welche in ihren Beziehungen zu denOollegen
sowol Avie in jenen zu den Schülern die unerlässliche ]\Iilde und T^n-
part^ilichkeit zu wahren wissen. Man findet begeisterte Anhänger
der Freilieit und des Fortschrittes wie des Gegentheils, die die gesel-
ligen Kücksichten nie vernaclilässigen, sowie gegenüber den Schülern
und Eltern nach rein saclüichen Motiven Urtheil und Vorgehen ein-
richten. Möchten diese Fälle die Regel, nicht die Ausnahme bilden!
Die Collegialität zwischen den einzelnen Lehrern, die Achtung vorder
Anstalt und die Friedfertigkeit unter den Schülern würden dadurch
nur zunehmen. Wo aber der Streit sich so weit ausdehnt, dassCoUegen
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sich "öffentlich und persönlich befeinden, wo die Kampfesidce und die
Streitlust otlcu oder versteckt mitten unter die Schüler getragen wird,
da lebt es sich unangenehm, da hat jeder schlechte Schüler den Vor-
wand, dass jent^ Streitigkeiten ihm nachtheilig gewesen seien, dass er
von seinem Lehrer wegen seiner Gesinnung angefeindet, zurückgesetzt
worden sei.
Also strenge "Wahrung der persönlichen Achtung zwischen den
Lehi-ern. absolutes Vei-zichten darauf, für seine Nation oder Kirche
unter den Schülern Proi)aganda zu machen, das dürften die einzigen
Mittel sein, wenigstens unerträtrliclie Scenen und Situati(men fern zu
liulten. Aber dadurch düifte audi stets der Weg otfen und geebnet
bleiben, sicli gegenseitig zu verstehen und mit einander zu vertragen.
Ein Hauptbinde- und Versöhnungsmittel zwischen wetteifernden
Tendenzen ist aaerkanntermassen die Gerechtigkeit, die Objectivität.
Hochachtung gewinnt, wer Beweise dieser Eigenschaften liefert, wer
durcli Thatsachen zeigt, dass ilim die Pflicht höher steht als seine
subjecti7en und persönlichen Neigungen. Kampf und Streit sät der-
jenige ans, welchei' auf Kosten der gerechten nnd billigen Sache sei-
ner vorgefassten Meinung zum Siege verhilft, oder gar offene Unge-
rechtigkeiten begeht, nm zu seinem Ziele zu gelangen. Verachtong
nnd Haas zieht er anf sich von Seiten Deijenigen, denen er zu nahe
tritt; ja selbst wer als unparteiischer Beobachter seine Ränke wahr-
nimmt, wird hiervon mit Absehen erf&llt. Ausserdem gerftth er auf
eine schiefe Ebene; eine Ungerechtigkeit verlangt die andere und das
Ende solchen Gebahrens ist nicht abzusehen, während der Gerechte
fest und sicher seines Weges wandelt.
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Cnltnr und Schiüe im Kampfe mit der rothen Rasse.
Von EdiMrd TeUer-Naumhury.
Die Bestimmniig des Menschen besteht in der Entwicklang seiner
■körperlichen nnd geistigen Anlagen, also in seiner Bildung oder Cultur.
Dieselbe verlangt ciiif nnansgesetzte Arbeit und leidet keinen Stillstand, denn
dieser ist Rii( k^:in£r. Sie zeifj^t sich sowol an dem einzelnen Menschen, alf?
£tiich an gan/i n NTilkern und am Cieschlechte. Die Errungrenschaften verj^an-
^ener Geueratioueu bilden die Basis, auf welcher die Bildung nachkommender
Geschlechter nnter nenem Bingen nnd Arbeiten weiter baut. Obgleich nnn
die Bildimg' eines Menschen den eigenen Willen mt Gnmdkraft hat nnd von
dem Innersten desselben ausgehen muss, woin sie wahre Bildung sein soll, so
g-ewähren doch die durch die Erziehung von aussen angewandten Nüttel da-
bei jsn'osse Hilfe, sowie auch noch manche andere zutällig-e Bildungsniittel. als
l'iiitran^ mit gebildeten ^teiischen, heri-schende gute Sitten, gesunde Zustände
in Staat und Kii'che, gebildete Sprache, Kunst und Literatur, selbst Klima,
Fmefatboikeit des Bodens, Natmsohdnheiten n. 8.w. begünstigend nnd ftrdernd
anf die Büdmig des Menschen einwirken.
Die Cnltnr mit ilirer ernsten Arbeit, mit ihrem rastlosen Drängen nadi
immer weiterer Entwicklang besitzt eine grosse Kraft und übt eine gewaltige
Herrschaft auf alle die Menschen aus, welche sich in ihrem Bereiche befinden;
sie zwingt ant h den Wilden, den rohen Naturmenschen, zur Unterwerfung,
oder — vernichtet ihn, wenn er sich nicht unterwerfen will. Arbeitsamkeit
nnd Trägheit, eifriges Streben nnd Stumpfheit, Entwicklang und Erstanimg,
mit einem Worte Cnltnr nnd Wildheit kSnnen nicht nebeneinander -
bestehen, nnd wo der Cnltnr auch noch die physische Gewalt zur Seite stehti
da wird sich die Wandelung oder der Untergang — je nachdem — nm so
schneller vollziehen. Diese Macht der Cultur schildejt Beneke mit folgenden
"Worten: „Die Cultur ist ja doch keine Ei-tinduiiir des büsen Willens oder des
Eigensinnes, die man nach Willkür wieder abschatlen künnte, sondern sie ist
mit Nothwendigkelt durch die tiefsten Grandlagen der menschlichen Natnr be-
dingt. Die menschliche Natnr, im Unterschiede von deijenigen der Thiere,
enthält wesentlich nieht nnr Cultnrfähigkeit, sondern anch Cnltnrtriebe,
welche mit nnwidersteidicliOT Macht zur Cultur hindrängen nnd, wenn es mög-
lich wäre, sich ihrer zu entJinssem. dieselbe immer wieder von nenem erzensren
wurden. Verneinen der « ultui" ist also Verneinen der menschlichen Natur
ihrem innersten Wesen nach." •
Cultiu' und Natur oder Wildheit sind aber niclit als innerliche Gegen-
Sätze anflEofusen, die Cnltnr ist keine Feindin der Natnr, denn alle Cnltnr
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soll ja natürlich sein; sie gleicht einem Pfropfreis, welches der Natur Wild-
lings entsprechen mnss, wenn es wachsen nnd Frftchte edlerer Art tragen solL
Der Einflnss nnd die Macht der Gnltor wird dnrch die Gesdüchte der
Völker in versclüedener "Weise deutlich illustrirt.
Als im Jahre 375 n. Chr. die wilden Horden der Hunnen Europa über-
schwemmten, und die \'ülkerwanderunji: eintrat, drangen die ihr Vaterland vei-
lassendeu Germunen in die Culturländer des benachbarten grossen Rönierreiches
ein; die Westgothen setzten sich in Spanien, die Normannen in Frankieich, die
Longobarden in ItaUen fest Aber es dauerte nicht allzolangey so hatten die
germanischen Eindringlinge in der anders gearteten Fremde ihre Sprache nnd
Stammeseigenthümlichkeiten verloren, denn die Cultur. die sie umting und ihren
Einfluss auf sie ausübte, raubte ihnen je länger, je mehr das Nationale, das si^
mitgebracht hatten, bis es im Laufe der Zeiten vollständig verschwand. Aut
dem Schauplatze der Weltgeschichte erschienen nun auch romanische \'iilker.
Ein solcher Culturkampf vollzieht sich jetzt in Nordameiika iu umge-
kehrter Weise. Die Einwanderer der angelsSdisischen Basse als Gnltor-
trftger zwingen die eingebomen wilden Stimme, sich entweder der vonUcken-
den und dargebotenen Büdang zu nnterw i tVu und die bisherigen uncnltivirten
Zustande und Gewohnheiten ihiTS wilden Lebens aufzugeben und mit bessern
zu vertauschen, oder — da das ausschliessliche Walten der rohen Natni- sich
mit der Cultur civilisirter Nationen in unmittelbarer Nachl)a]-schatt nicht ver-
trägt — ganz zu Grunde zu gehen. Schritt für Scliritt erobert die Cultur in
Nordamerika Immer mehr Terrain, nnd Immer entschiedener wird den wflden
Volksstämmen der Indianer daselbst das ihnen schreckliche Entweder —
Oder zugerufen. Im Laufe der Jahre sind dieselben dnrch blosses systema-
tisches Vorrücken der Civilisation, oft aber auch unter blutigen Kämpfen schon
weit nach WcKtm znrück£redi;ln?t, und wenn sie in den ausgedehnten Prärien,
wo die zahlreichen Buftelherden ihnen die Mittel zu ihrer Existenz gewälnvii.
oder in den Schluchten der Felsengebirge und iu deren Niederungen mit deu
llsehreiehein Gewisseni eine Znflndit suchen, so erreicht sie anch hier sebr
bald der warnende Znmf der Enltur: Entweder — oder!
Die Schienenstränge der unerbittlichen ^BleldigeBicbter^ reichen bereits von
der Ost- bis zur Westgrenze des Landes, vom Atlantischen 1 is /um Grossen
Oceane und dur< lischneiden die von den Rothhäuten neu autircsut hten Jagd-
gründe und Niederlassungen, sowie die Einwandeiuiiiren civilisirter Mensclien
fortwährend im Zunehmen begriffen sind. Ein Stück \\'ald nach dem andein
geht ihnen verloren, die Herden der Prärien werden immer kleiner, der Reich-
thnm der Gewiseer hat sich vor dem Dampftehiff nnd dem Getriebe der vor*
rfickenden Industrie geflüchtet nnd schwindet je länger Je mehr, so da» die
natürlichen Hilfsquellen des rothen Mannes immer sp^lrlicher fliessen. Ent-
behrunpfcn manchei' Art. ungewohnte Strapazen nnd oft bittere Notli sind im
Gefolge dieser Erscheinungen. Es ist deshalb leicht einzusehen, dass auch da-
durch die einzelnen Stämme nicht unbedetitend decinürt werden. Gerade im
Westen Nordamerikas, in Californien, ist erät seit kurzer Zeit eine neue, wun-
derbare Welt entstanden, weiche auch nicht das kleinste Fleekchen für Wilde
hat, die ihr Leben theils verschlafen, theils ön stumpfer Gleiehgfatigkeit ver-
bringen. Der Ansturm der Cultur auf die noch vorhandenen Stftmme der
Indianer erfolgt seitdem von beiden Seiten, von Osten und Westen.
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Vor 50 Jahren hatte Coliforiiieii allein noch über achtztlin Taiusend
Indianer, luid heate sind dieselben bis anf ungefähr den zwanzigsten Theil zu-
saauDengeaclimolseii; efauelne Stämme sind bereits ganz von der Erde ver-
schwnnden, und die Zahl der Zogehfirigen anderer Stimme vermindert sieh
immer mehr. In den sechziger Jahren wurden die Modocs, ein starker, krie-
gerischer Stamm der rotlien Rasse, von der Regiernng' aus ihrer Heimat ver-
trieben, und es wurde ihnen als sogenannte Reservation ein Temtoriuni ange-
wiesen, auf welchem sie die unmittelbaren Nachbarn der Mnskalnks wurden,
die aber ihre erbittertaten Feinde waren. Die Folgen dieser Anordnung waren
leicht abznseheii, ond wir wollen dahingestellt sein lassen, ob es Absicht der
Begiemng war oder nicht, genng, die Feindseligkeiten beider Stilmme loderten
bald in hellen Flammen auf und endig^ten nach wenig Jahi'en unter verzwei-
feiten Kämpfen mit dei- Unterwerfung und fast völligen Vernichtung des ver-
wiesenen Stainnus. Am Erl River hatte der mllchtige Stamm der Chuamaias
seine Xiedt rhissungen. und da derselbe in keiner Weise den Forderungen der
Regierung sich fügen wollte, so sahen sich die Pioniere der Cultur geuöthigt,
den Krieg gegen diese verbissenen Fdnde zn erSflhen. Dennoch blieb ihr
"Widerstand derselbe, so dass man zam Änssersten schreiten mnsste. IHeDSrfer
der Chuamaias wurden ^zefstSrt, Weiber und Kinder niedergemacht, und die
letzten Krieger dieses Stammes, welche sich von ihren Verfolgern eingeschlossen
sahen, gaben sich in Verzweiflung durch Herabstürzen von einem schroffen
Felsen selbst den Tod. Und so oft auch »'in Stamm aus der Wildnis seiner
Keservatiou wieder einmal hervorbricht und gegen die Coltui- der verhassteu
^Bleichgesichter" racheschnanbend nnd raabmürderlsch die bewafinete Hand
erhebt, so endet der Kampf doch regelmässig mit der blutigsten Niederlage
der Hothhäute.
Somit scheint das Schicksal der Indianer in den nordamerikanischen Frei-
staaten, d. h. der vollständige T'ntprganir demdben, unabwendbar und nur
noch eine Frage dt*r Zeit zu sein, denn das Land der freien Arbeit mit seiner
mächtig fortschreitenden Cultur hat für die geschworenen Feinde derselben
in der Gegenwart keinen Platz mehr. Schon Im Jahre 1840 antwortete der
amerikanische SIriegsministar, als er gefragt wurde, wamm sich die Nation
den rothen Bruder nicht erzöge: „Den Indianer zn zähmen, haben wir
nns Bf it lange yergeblich bemüht; es gibt daher kein anderes
iiittel, als ihn zu vertilgen." Und an diesen Gedanken hat man sich in
den Vereinigten Staaten im grossen und ijfanzen seitdem bereits gewöhnt und
bezeichnet den \'erlauf als einen natürlichen und unaufhaltsamen l'rocess, denn
die Cultur könne nnd werde vor solchen Feinden nicht zurückweichen; da
dieee aber in ihrem Trotze behairlich jede Ergebung verweigerten, und eine
Versöhnung zwischen Wildheit und Cultur nicht möglich sei, so müsse man
sie zermalmen. Darum haben denn auch in den letzten Jahrzehnten die
Kugeln der Civilisation unter dm Kingebnmen Nordamerikas gewaltig aufge-
räumt, und es Hesse sich bei difsem \'erfahren W(d mit ziemliclier Gewissheit
vorausberechnen, wann des letzten Stammes letzte Stunde schhigen werde.
Anders liegen die Verhältnisse in Mexiko und Südameiika, namentlich
in Peru und den La-Platastaaten, wo die Spanier zur Herrschaft gelangt
sind, ^ßieselben haben zwar das Land eingenommen, nachher aber gegen die
Indianer sich aller civilisirenden Einflüsse enthalten; sie haben nie besondere
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Anstreiigung^fii geiiuuht, di"' voi jji^t-t'nndeiie Wildlu it zu cultivirt'U und dadurch die,
rothe Eiisse zu sich emporzuliebeu, sondern haben sich iu ihrem gewonnenen
Eldorado dem dolce tat ni^nte ergeben und sind zu ässi 'V^den hlnniiter gestiegen.
Auf diese Weise kann in solchen Landern der Wilde neben dem Enropfter nnd
Herrn bestehen, nnd es kann deshalb aach nicht befremden, wenn eine aU-
mähliehe Verschmelzung dieser beiden Rassen eingetreten ist. Die Geschichte
zeig^ sogar, dass in diesen Staaten nicht bloss Enro])äer, sondern andi Indianer in
hohe 8tellunfj:en g"elani<en nnd selltst die liiichste Srufe der Reiri»>runir eireichen.
Angesichts der oben gesciiilderten traurigen Erscheinungen in Xurdamerika
nnd des tragischen Unterganges des rothen Menschenscbiages daselbst haben
sich in der Nenaeit H&nner von Hens nnd Verstand, getrieben von der Hnma-
nitftt, doch ernstlich gefragt: ob sieh denn dieser grsnsamen ZeratSmng nicht
Einhalt thon liesse» nnd ob es nicht möglich w.'lre, denkest dieser rothen Men-
schenrasse noch zu p-ewinnpii nnd dunli andere als die bisher verfreblich an-
gewandten Nüttel der Cnltuj- zu unterwortVii. Zn diesen M.'inneni ireliürt der
bekannte Karl Schurz, unser Landsmann, der frühere Minister des Innenj
der nordamerikanischen Union. Derselbe ist nicht bei dem blossen Gedanken
stehen geblieben, sondern hat schon wfthrend seiner Amtsthfttigkeit, noch mehr
aber in der nenesten Zeit energische Schritte gethan,- mn der Ansrottong der
rothen Rasse ein Ziel m setzen. Zuniichst diente eine Reise, welche er selbst
erst vor nnfreflUir 3 Jahren in die Nietlerlassnngen versrliirdener Indianer-
stiunme unternahm, seinem Zwecke. Die bis dahin in iliren ursprünsrliehen
Txechten allerdings benachtheiligten und schwer gekrUnkten Indianer sollten
nach Möglichkeit beruhigt und mit Vertrauen zu den Absichten derBegierung
in Washington erfüllt werden. Dann beauftragte er hervorragende Mftnner
d^ Wissenschaft, den nni^ücUichen nnd bedanemswerten Indianern ihre be-
-ondere Auftnerksamkeit nnd TTiUtigkeit zuzuwendiNi, denn Karl Schurz hatte
den idealen Gedanken irefasst. die Heranbildung der indianischen .lu-
gend der Zukunft der nttlien Kasse zu Grunde zu lej^en, also die kommende
Zeit auf der jungen bildungstahig-eu (ieneiation diesei' Stännne aufzubauen,
wie es in allen civilisirten Ländern als selbstveiiständlich schon längst geschieht.
Er beschloss deshalb im Vereine mit seinem Collegen Mr. Crary, eine India-
ner sehnle in Garlisle in Pennsylvanien anf Staatskosten zn erriditen, nndbe-
tränte mit der Organisation zwei sachkundige Personen, Herrn Pratt nnd
Frltulein Mather. welche sich in gleichem Masse, wie er selbst, fiir die Ket-
tnufir und Cultivirnnjr des rothen Stammes lebhatr iuteressiiten. Xaclidem der
Plan unter gemeinschaftlirheu Herathimgen entworfen und endgültig festü^esetzt
wai*, unteruahmen die beiden Letztern eine Heise nach dem Westen iu die Nie-
derlassungen der Indiaiier, nm — was doch die Hauptsache xnr — Z<">glinge
für die nen gegrftndete Anstalt sn gewinnen. Daselbst angelangt, wandten sie
sich an die Häuptlinge nnd gefurchteten Krieger der IndianerstUmme nnd nn-
terhandelten mit ihnen im Auftrage der Regierung wegen Überlassnug von
Kindern znm Zwecke der t'berführung in die Eildungsanstalt in r'arli>le. Grosse
Schwierigkeiten traten ihnen dabei nicht entgeiren. und ihre BeniüluMm»-u hatten
einen höchst erfreulichen Erfolg, denn die Schule konnte bald daraut mit mehr
als anderthalb hundert Zöglingen von der rothen Rasse eröffnet werden, and
es sind begrfindete Aussichten vorhanden, dass dieselbe eine immer «grössere
Ausdehnung bekommen wird.
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Diese vom liumaueu Prindp getragene und in der Ausfuhrung begriffene
Idee ist lo eigenartig und für die Zukunft der Indianerfrage so bemhigend nnd
Mstlicky dass kein hnman denkender Henacli llir seine Ziutiminnng and Aner-
ItcQBang versagen, vielmebr der Überzeugung sein wird, dam gerade dieses
Mittel, wie kein anderes, geeignet ist. den edlen Zwock zu erreichen, fis ist
dieses Unternehmen die in die Praxis Ubertrag^cne Wahrheit <lt s bei uns sehon
oft gebraufhten Satzes: „Wer die Schule hat, hat die Zukuntt."' Die
Sohnle ei-scheint hier nicht blds als liilduiiürsiuistalt. soiidmi sie liat auch noch
den humanen Nebenzweck, eine im Vci-sciuvinden bcorriftene Menschenrasse von
ihrem vollständigen Untergange zu erretten ; sie ist das Werk der sich über
OBglieUiche Uitbriider erbarmenden Nüchstenliebe, ^e Samariteranstalt mit
doppelt hohem Ziele. Nicht einem Einzelnen, nicht einer Gemeindet sondern
dner ganzen Menschenrasse soll nach MSgliehkeit für alle 2Mten leiblich, geistig
md sittlich ^'eholfen werden; ein letzter nnd friedlicher Kampf der Cnltnr
gegen die Wildheit,
Wie höchst bediiifti^^ aber diese Tvassc der griindlichcti Aufhilfe ist,
zt-ijrt schon ein flüchtiger Blick auf ihn n geistigen und moralischen Zustand.
l>t r Indianer ist am an Voi*stellunfr<Mi und Iileen, unempfänglich tTir übersinn-
liche und abstracte Begriffe, nicht gt neigt zu geistiger Thätigkeit, dem uugen-
Ueldichen Sinnengennss ergeben, leicht- und aberglilabisch, sowie sdbstsafrieden
faidolent, dabei in hohem Grade egoistisch, hartherzig, gefBhllos gegen Hensdien
and Thiere, grausam, tfickisch, d&ster nnd Feind jeder Abhängigkeit. Anch
die scheinbar guten Eigenschaften des Wilden, die Anhänglichkeit an seinen
Stamm, die Tapferkeit im Kriege, die Verachtung der Gefahr und des Todes
und die Firiheitsliebe wurzeln nur auf unedlem (Trunde, Und wie der einzelne
Indianer, so trägt auch ihr Staninieslcben — wie es nicht anders sein kann —
den Stempel der grüssten Uncultui* und Rohheit. Ein indianisches Dorf besteht
aus einer Anzahl raachgeschwftrzter, oben kuppelförmig gewölbter Hütten, die
«ntweder ans Borke ond Lehm oder ans Erde, mit Basen nnd Hds verdeckt,
in der primitivsten Weise anilgrebant sind nnd zun Theil in der Erde stecken.
Ihr innerer Raum ist sehr beschränkt, bietet nicht die geringsten Vorrichtongen
sn Bequemlichkeiten und muss die ganze Familie aufoehmen. Die in den mil-
dern Strichen lebenden Stämme emchten leichte Zelte ans Borke, Reisig, auch
wol aus Fellen. Mitten im Dorf«^ befindet sich bei den etwas y:r<>ssern Stäm-
iiii II das geräumigere Versamnilungsliaus. worin die Männer ihre Berathun^en
über Krieg oder andere gemeinschaftliche Züge abhalten, das aber nie von einer
Frau betreten werden darf.
Sind anch Wesen nnd Chsrakter der verschiedenen Stftmme im grossen
Ganzen fibereinstimmend, so zeigen sich doch die an dengrossen Wasserlftofen
wohnenden friedlicher und geselliger nnd haben anch eine vocalreichere nnd
wolklingendere Sprache, als die in den Felsengebirgen hausenden Indianer, deren
Sprache viele GutturMltitne enthält und sehr rauh klinirt. Alle aber machen
von ilirer Sprache wenig (Tcbraucli. sie sind überall schweigsam und verträu-
men — wenn sie nicht essen, rauclit ii oder seiihift ii — den grö8.sten Theil ihres
Lebens; nur das Bedürfnis nöthigt sie, auf die Jagd oder den Fischfang zu
gehen, wogegen ein beabsichtigter Krieg oder ein räuberischer Ausfall sie in
isidenschalfeUcfae Aufregung versetzt
Diesen Erscheinnngen gegenüber zeigt die indianische Jngend in
PadHosiaa- *.i»iag. DL Heft. 88
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ihrem Wesen ein sam Theil abweiehendei Bild. Die Kinder wadisen zwar
ganz wild und olme jegliche Unterweisung auf und verbringen den g^rSssten
Thoil des Tages mit spielen, l»aden oder tischen, sind abfr dabei alle heiterund
immer gut gelaunt. Bei ihren Spielen sind sie verträglich und zeigen, nament-
lich bei Parteispieleu, nie Eitersucht oder Neid, sowie auch die Schwachen und
Besiegten von den Starkem nichts zu leiden haben; keiiis von ihnen verdirbt
ein Spiel ans ünntMedeaheit oder ISiaagjaiai, wie naa das manchmal hei den
Spielea miaerer Kinder zn bemerken Gelegenheit hat Und diese Eigenachaften
der indianiaehen Jagend berechtigen zu der Hoffnung, daaa die angefangenen
Bildungsversuche dei-selben in der Schule zu Carlirie keinen grossen Schwierig-
keiten begegnen werden. Ist es doch schon ein ansserordentlicher Vortheil bei
der Erzieiniiig dieser Kinder, dass sie nicht blos den bösen Beispielen der
Alten, die den Wert ihrer Bedeutung nur nach dem Grade ihrer Grausamkeit
gegen Mitmenschen and nach der Anzahl der von ihnen erbeuteten Scalps be-
messen, sondern auch deren directen verderblichen EinflUssen gaos entaogeD
sind. Wenn nnn noch die Anstalt in CarMe anf zwedEentqmdienden Ebi-
richtongen beruht, und die Aasbildung der Zöglinge nach psychologischen Gnind-
sützen erfolgt, auch Gednld und Ausdauer dabei vorhanden sind, woran wir
nicht zweifeln wollen, so sind ja die beiden wichtigsten Faktoren der Erzielumg
beisammen, und die Anstalt kann mit ilii'em besoudem Zwecke einer erfreulichen
Zukunft entgegen sehen.
Weiter müssen wir zur nähern Kennseichniing der Indianer und ihrer
crrossen Cnltoibedfirftigkeit noch Folgendes bemerken. Die Alten lieben das
Hazardspiel mit WlirfiBln, zeigen aber weder bei Gewinn besondere Freude, noch
bei Verlust Aufregung und Schmerz, selbst dann nicht, wenn sie auch das Letzte,
was sie haben, sieh selbst, vt ispielen. Andei-s ist es bei ihren Festen, denn
bei diesen lachen oder weinen sie oft, wie Kinder. DireTodten verbrennen sie
und verbinden damit ein mehrere Tage dauerndes Fest, an welchem sich der
ganze Stamm betheiligt Die dabei stattfindenden Ceremonien sind sehr ver»
sehiedener Art, geben aber alleZengnis von ihrem krassen Aberglasben nndden
barbarischen Gefühlen, die ihnen innewohnen. Ein ganz besonders anmenseh»
licher Zug in ihi-en Sitten ist der Mangel jeglicher Pietät gegen das Alter.
Nehmen die Ki äfto eiues ^lannes mit den Jahren ab, so wii*d auch der bi.s da-
hin aiige-sehenste Krieger zum S<:laven seiner eigenen Kinder, und arbeitsnn-
tahig gewordene Frauen werden sogar oft ganz vei-stossen und in der Wihinis
ihrem beklagenswerten Schicksale überlassen. Von einer schaffenden und welt-
erhaltenden Kraft wissen sie nichts, derOottesbegriff fehlt ihnen gams. Einige
SStämme haben den Glanben, dass mit dem Tode anch die Kristwm des Menschea
überhaupt abschliesse, während andere DOOh ein anderes Leben träumen, ohne
jedoch irgend eine deutliche Vorstellung von demselben zn haben, da sie allen
abstracten Reflexiouen abhold sind. Die Nischnanis, welche diesem (rlauben am
entschiedensten anhängen. gel)en deshalb ihren Todten mancherlei Gegenstände
mit auf die Reise nach dem schönen Lande, das sie sich nach Westen liiu
denken, and verbrennen bei dem TodtenfSeste mit der Leiche anch deren ganze
mitgegebene, oft nicht anbedeatende Ansstener.
Als ein wichtiger Schritt aof dem Wege der humanen Bestrebungen der
Gegenwart in der Indianerfiage in Nordamerika ist noch folgendes m ver-
zeichnen.
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Der an der Spitze einer staatlich angeordneten geographiiehen and geo-
logischen Untemehmong stehende Major Powell hat schätzbare ethnologische
Beiträge über die in den Felsengebirgen wohnenden Indianer gesammelt and
heimgebracht, namentlich eine grosse Anzahl verschiedener Gegenstände, als
Watfen, Kleidungsstücke, Jagdgeräthe, Vorrichtungen zum Fischfang, Abbil-
dungen, Producte und dergl. Und als man zu der im vorigen Jahre (1881)
stattgefondenen Jubelfeier des hundertjährigen Bestehens der Union eine In-
dntrieanntelliiiig In Pbiladdphla yeranstaltete, wurde in derselben aoeli eine
raiehbaltige AbtfaeQongr des Indianerlebens hergerichtety am den Besuchern der
AusteDong das Leben und Treiben der Bothhflnte mOgUchst jyisohanlich vor-
snfiihren.
Dadurch ist sicherlich das Interesse für die noch vorhandenen Indianer-
stämme beim l^ublicum wieder neu belebt und der Gedanke angeregt worden,
sich der Verstossenen und so hait Bedrängten iu meuschen&'eundlicher Gesin-
nong wieder anzonehmen and — sowdt dieses ttberhaopt mOglich — ihre
Lage zu verbessem. Um diese Lidianer-Abthellong in genannter Aasstellang
hat sich ein Gelehrter, Namens Stefen Powers, besonders verdient gemachti
ein Mann, der nicht blos gfrosses Interesse für diese Angelegenheit zeigte, son-
dern damit auch umfassende Kenntnisse des Indianerlebens verband. Er hat
selbst mehi-ere Jahre unter den Indianerstänunen des Westens gelebt, ihre
Lebensart, Sitten und Gebräuche beobachtet, sowie ilire Sprache und Geschichte
mit grosser Sorgfalt studirt Diese Erfahrungen nnd Stadien liat er In einem
besondem We^e unter dem Titel Tribes of California auf Anregung deslQni-
Btoriuns des Innern veröffentlicht, um ihnen möglichste Verbreitnng m ver^
schaffen, und hat dadurch dem amerikanischen VoULe Veranlassung gegeben,
die herrschenden falschen Vorstellnng)^ und Meinungen in der Indianerfrage
zu läutern und zu berichtigen.
Dieser Mann ist in seinen Anschauungen über die Indianer vom idealen
Gesichtspunkte ausgegangen und sieht in dem Wilden immer den Menschen,
dem er, wie jedem andern, das Becht einiftnmty menschlich zaleben. Er olüBn-
hart Ar die Verstossenen nach allen Seiten hin ein fühlendes Herz, ist ihr be*
redter Anwalt und hofft, dass auch die Nation von jetst an mehr Sympathien
für die unglücklichen Indianer nnd deren Los zeigen werde.
So liegen zui'Zeit die Verhältnisse der Culturlrage der knjiferrothen Rasse
in Nordamerika, und welcher frililende Mensch sollte nicht von Herzen wün-
schen, dass es edel denkenden Männern gelingen möge, die noch in ihrer
Wildheit trotzig veilianeade Menschenrasse endlich für die Cn^tnr an ge-
winnen? Die gegrfindete Schnle, als Trägerin derselben, wird sieh nicht blos
bemniien, ihre rothen Zöglinge zu caltivirteii Menschen heranzahUden, sondern
wird jedenfalls auch Versuche machen, dorch diese eine andere nnd bessere
Lebensanschauung zu den Stammesgenossen in die Wildnis hinauszutragen. In
wie weit letzteres gelingen werde, lässt sich allerdings nicht voraussagen.
Bleibt aber auch dieses Mittel ohne den erwünschten Erfolg, so dürfte es wol
lield mit der rothen Rasse in der Wildnis ganz aus sein, and die durch die
Schale Geretteten wBren dann die einzigen Überbleibsel, deren Versdunelznng
mit andern Bassen nicht ausbleiben konnte.
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Ecziehttiig rar SelbsUliätigkeit
Das blosse scholastisclie Loi iuni dönt leicht des Kindes Seele aus. Es
btisst durch (iewinii cinor Büchei -Altkluirheit an P^nipfilnfrlichkeit des Gemüt lies
ein. l>io <'i;rentliL'ht' oriirinale Schaffenski-aft, weh hr sich in jeder Seele tiudet,
Kellt bei citVij^cr Abric.htuni!: von aussen her grösstentheils verloren. Dutzoud-
menscheii treten danu meist au die Stelle von Geiste«- und GemUthschai'aktereiL
Die Seelen der früh und ylel schnlmftseig: Lernenden sind aaoh früh schon in
gewisser Art blssirt Wer immer isst, bevor er noch rechten Appetit liat»
kennt nicht den Hunger. Der geistig-c Hunger ist nur denen bekannt, welche
nicht als Kinder schon mit dün-eni oder aufi^eputztem Wissen überladen werden.
Eine Frapre. die in unserer Seele selbststiiiHÜg erzeugt wird, tordert schon für
sich die Eijjenkraft mehr, als ein antireuoniinenes Wissen. Ja. ein ^nt&neT
Theil des Wissens wiüdc von uns selbststäudig erzeugt werden, weun wir uns
selbst viel fragten. Neurath.
In der Schule werdeu weder Entdeckungen oder Ertindungen gremacht,
noch auch Entdecker und Erfinder gezogen; aber vorgebildet dazu sollen die
Schüler (laclnich werden, dass man si(j, anleitet, das Entdeckte zu entdecken,
das i^alorsciite zu eri'orsclieni das Gefoudeue zu ündeu. Lazarus.
Zur Fröbel-Literatur.
Das FrSbel-Jubiläum, welches am 21.April vieler Orten begangen wurde,
hat eine bedeutende Anzahl neuer Schriften fiberFrSbel und seine Bestrebungen
hei vorp rufen. Für die meisten dei st^llicn dürfte j^fenuc g-eschehen, um sie in
Fachkreisen bekannt ZU machen. Auf eine abei- wollen wir besonders aufmerk-
sam machen, weil sie in einem Blatte („Sächsische Schulzeirung" ) erschienen
ist, das zwar innerhalb j^eint s Bereiches mit Recht ireschätzt und fleissis: ge-
lesen wird, aber ausserhalb desselben wenig bekannt ist. Wii- meinen die AVt-
haadluug ,,Zur Erinnerung an Friedrich FrSbel**, von einem der vor-
züglichsten Schüler desselben, Bruno Marquart in Dresden. Sie geh5rt un-
streitig- zu dem Gehaltreichsten und (lediejrensten, was bisher Über Fröbel
^eschriebeu worden i^t, und tiudet sich in Nr. 16 des laufenden Jahrgtingres dei
,.Sä< hsischeu Scholzeitung** (16. April 1882), Verlag von Julius Klinkhardt
in Leipzig.
Yenuitwortlicbcr Red«ct«ar: M. ätein. Bucbdruokeni Juliua Kliakhardt, Leipsig.
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Der Pessunismus und die Sittenlehre.
(Fortaetsmig.)
B. Eduard Ton Hartmann.
In E. V. Hartniann bat sich der europäische PessiiiiLsmus erst
gleichsam den europäisclien Berechtig:nn«:sscliein zu liolen jresuclit, in-
dem er sowol den wissenschaftlichen Anlorderungen in Betreff der
Constatirung der „Thatsache^, deren theoretisclier Ausdruck der em-
pirische Pessimismos ist, emstlich gerecht zu werden, als auch "äiesen
Pessimismus mit einem logisch entwickelten metaphysischen Unterbau
ond mit dem praktischen Ausbau einer Sittenlehre zu versehen be-
strebt ist Von diesem Oesichtspunkte aus erscheint Schopenhauer
gegen R v. Hartmann gehalten aJls der wol geistreich raisonnirende,
ab«r mit geringer systematischer Ader versehene und gegen die wissen*
sdutfüichen Anforderungen vieUSetch rücksichtslose Pessimist Nicht
Sdiopenhauer daher, sondern vielmehr v. Hartmann ist derjenige Ver-
treter des europäischen Pessimismns, mit dem man eine wissenschaft-
liche Auseinandersetzung pflegen kann. — AVas Schopenhauer zu sein
versuchte, Hartmann ist es unbestreitbai", nämlich ein Vertreter des
Diakrokosmi sehen Pessimismus.
Es würde über die (Trenze der Aufpfabe hinausgehen, wenn ich
liie Metaphysik v. Hartuianns, auf welclie sein Tessimismus von ihm
zurückgeliilirt ist, hier des Breiteren entwickeln und an derselben
philosophische Kritik üben wollte; ich kann aber nicht umhin, in kurzen
Strichen diese Metaphysik zu zeichnen und ihren logischen Zusammra-
iiang mit dem von E. v. Hartmann MinductiV* gewonnenen Pessimismus
zu prüfen.
Das Wesen der Welt ist das Unbewusste, sagt Hartmann, dieses
ist „das Eine ahsolnte Individuum, das Einzelwesen, welches Alles
ist, wahrend die Welt mit ihrer Herrlichkeit zur bloßen Erscheinung
herabgesetzt wird, aber nicht zu einer subjectiv gesetzten Erscheinung,
wie bei Kant, Fichte und Schopenhauer, sondern zu einer objectiv
Pttdago^aa. 4. Jüug. Heft X. 39
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— Ö86 —
gei^etzten Erscheinung oder, wie Hegel es ausdrückt, zur bloßen
Erscheinung ni<-ht nur für uns, soiuhirn an sich"". Was uns als Stuft
erscheint, ist bloßer Ausdruck eines Gleichgewichtes entgegengesetzter
Tbätigkeiten. Die Welt ist nur eine stetige Reihe von Sammen
eigenthümlich combinirter W^illensacte des UnbeAvussten, denn sie
ist nur, so lange sie stetig gesetzt wird; das ünbewusste höre
auf; die Welt zu wollen, and dieses Spiel sich kreuzender Thätigkeit.
des Unbewossten h(trt aiuF zn sein.^
Was die objectiy gesetzte Erscheinnngswelt immer bieten mag.
Alles ist Erscheinungsweise des Unbewussten. Dieses Unbewnssle
selbst aber hat als seme zwei Attribute Wille und Vorstellung (das
Logische, die Idee), „es sind dies nicht zwei Schubiltoher im Un*
bewussten, in deren einem der yemunftlose Wille, in deren anderem
die kraftlose Idee liegt, sondern es sind zwei Pole eines ]\Iagiieten
mit entgegengesetzten Eigenschaften, auf deren Gegensatz in ihrer
Einheit die Welt ruht. Es ist nicht ein Blinder, der den wegweisen-
den Lahmen trägt, sondern es ist ein einziger Ganzer und Heiler, der
freilich aber mit den Beinen nicht sehen kann und auf den Augen
nicht gehen kann". Dieser, um meinei-seits das Hartmannsche Bild
fortzusetzen, aber hat sich mit geschlossenen Augen vorwärts bewegt
(so hat es das Ünbewusste wenigstens bewiesen) und ist dabei in einen
Sumpf (Weltsetzung) lüneingerathen, aus dem er nun mit offenen
Augen (mit Hülfe des bewussten Logischen) sich wieder herauszu-
arbeiten sucht (Weltremeinung). Diese metaphysische Gonstmction
des Unbewussten wurde von Hartmann zur Basis des Pessunismus
gemacht Die alte, selbst in optimistischen Zeiten au%eworfene,
schwer zu lösende Frage der Theodicee erhielte durch das ünbewusste,
wenn man dasselbe nur unbeanstandet annehmen kdnnte, eine die
großen Schwierigkeiten spidend Überwindende Lösung. E. y. Hart-
mann sagt: „Wer nach einer tieferen Auffassung über den Grund des
Übels strebt, wird daher sich bei der platten Aufstellung von ein oder
zwei 8iindenbr)( ken (Lucifer und Adam) nicht beruhigen können, son-
dern nachforschen müssen, wie ein Scliöpfungsact dieser durch und
durch elenden Welt bei der Allwissenheit Uottes möglich sei. Da
ergibt sich dann nur ein Ausweg, dass die Thatsache einer Welt-
setzung ein Act des blinden Willens gewesen seL Dies ist deshalb
möglich, weil die Vorstellung an sich kein Interesse am Sein hat und
nur durch die Erhebung des WiUens aus dem Nichtsein ins Sein
gesetzt werden kann, also weder vor noch während der Erhebung des
Willens seiend ist, sondern erst durch dieselbe es wird. Gesetzt also.
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587 —
die Erhebung des blinden Willens zum actuellen Willen genügte, um
das „Dass" der Welt za setzen, so wäre hiermit erklärt, wie trotz
der Allwissenheit Gottes (während des Weltprocesses) doch der nn-
gllddiche Anfong eines solchen zn Stande kommen konnte. Non
entsteht aber eine nene Frage: warum hat Gk>tt nicht den blind be-
imgenen Fehler, im ersten Moment, wo er sehend wnrde, wieder gut
genscht und seinen Willen gegen sieh selbst gekehrt? So nnbegrdflich
und miTerzeihlich, wie der erste Anfang ohne die Annahme einer
blinden Action, so anbegreiflich nnd unverzeihlich wäre das laisser
aller dieses Elends mit sehenden Auf,^en, wenn die Möglichkeit eines
annüttelbaren Aufhebens offen stände. Hier hilft uns wiederum die
üntrennbarkeit der Vorstellung vom Willen im Unbewussten, die Un-
freiheit und Abhängigkeit der Idee vom Willen, in Folge deren diese
wol sein ^Was", sein Ziel und Inhalt, alx'r nicht sein „Dass" und
,.0b" zu bestimmen hat. Wir werden sehen, dass der ganze Welt-
process nur dem einen Zwecke dient, die Vorstellung vom Willen ver-
mittelst des ßewusstseins zu emancipiren, um durch die Opposition
derselben das Wollen zur Ruhe zu bringen." Dieses Bewusstsein aber
entwickelt sich erst im Laufe des Weltprocesses in der objectiv ge-
setzten Erscheinnngswelt; wäre ein solches schon zn An&ng des Welt-
processes da, »gibe es also in Gh>tt ein Bewusstsein im Sinne der
Enumeration der . Vocstellnng vom WiUen, so wftre das Dasein der
Welt eine unentschuldbare Grausamkeit nnd der Weltprocess eine
thörichte Zweddosigkeit Diese Erwftgung ist entscheidend gegen
die Annahme eines Bewnsstseins in Gott.**
Ich enthalte mich hier der Kritik in Betrete" der Hartmannschen
Metaphysik; diese Darstellung aber schon mag zeigen, dass offenbar
der metaphysische Unterbau nach dem Oberbau des empirischen Pessi-
misrans zurecht geschoben ist, dass also der Pessimismus, welcher die
Behauptung von der durch und durch elenden Welt vertrat, das
Directiv bei der Construction der Metaphysik gewesen ist. Die Meta-
physik des Unbewussten sollte eben eine zureichende logische Be-
gründung der für Hartmann feststehenden Thatsache vom absoluten
Weltübel bieten, und demgemäß eine Theodicee liefern, welche, weniger
rplatf* als die bisherigen, das Welträthsel löste. Den Grund des Welt-
Übels sieht Hartmann in dem blinden Willen des Unbewussten,
welcher eben als yemunftloser das* Dasein gesetzt habe; kein Wunder
dann, dass dieses Dasein sich als schlechtes erweisel
Es ist interessant zu sehen, wie in allen drei Formen des nn-
bedingten Pessimismus, welche die Geschichte zeigt, der Wille znm
89*
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gnmdlcgeudeii Factor der ,,Thatsju:Iie" des Elendes fremacht wird,
wälireud dagegen im deutlichen Unterschied der bedingte Pessimis-
mus das ungöttliclie Endliche als Erklärungsgrund jener „That-
sache'* unterschiebt.
Gegenüber Buddhas mikrokosmischer Fassung fWille des Indi-
viduums) aber hat Hariniann den „Willen", diesen angeblichen Ur-
quell des Übels, wie es ja schon Schopenhauer versucht hatte, makro-
kosmisch anl'gefasst, und zwar konnte ihm dies besser als Schopen-
hauer gelingen, weil er nicht den subjectiven idealistischen
Standpunkt in der Erkenntnistheoiie einnimmt, und daher die so
zweifelhaften „Objectivationen'' des Schopenhaaerschen Willens ia
seinem System als zweifellos objective Elrscheiniiiigeii des all-einen
Unbewussten auftreten: dieser Umstand mnss vor Allem in Ansehung
der Sittenlehre eine wichtige Bedeutung gewinnen.
Anf den Willen hat also auch Hai'tmann das Übel zurückgeführt,
er erklärt: ^Das Wollen hat seiner Natur nach einen Überschnss
Yon Unlust zur Folge. Das WoUen, welches das „Dass" der Wdt
setzt, verdammt also die Welt, gleichviel wie sie beschaffen sein ml^
zur Qual Znr Erlösung von dieser ünseligkeit des Wollens, welche
die Allweisheit oder das Logisehe der unbewussten Vorstellung direct
nicht herbeifOhren kann, weil es selbst unfrei g^gen den Willen ist,
schafft es die Emancipation der Vorstellung durch das Bewosst-
sein, indem es in der Individuation den Willen so zersplittert, das»
seine gesonderten Bichtnngen sich gegeneinander wenden. Das Lo-
gische leitet den Weltprocess anf das Weiseste zu dem Ziel der
möglichsten Bewusstseinsentwickelung, wo anlangend das Bewnsstsein
genügt, um das gesammte actuelle Wollen in das Nichts zurflcki«-
8ch]eudem, womit der Process und die Welt anfhört, und zwar
ohne irgend welchen Best aufhört, an welchem sich ein Process weiter^
spinnen könnte.**
Man wird aus diesen Sätzen ersehen, die metaphysische Voraus-
setzung Hartiiianns sei wenigstens eine derartige, dass sie in Einklang
gebracht werden kann mit der aus dem Pessimismus sich ergebenden
Forderung. Bei Schoj)enhauer ist das metaphysische All-Eine „Wille**
als Giund des Übels ein Ansich, von dem man schlechterdings die
Möglichkeit, vernichtet zu werden, nicht einsehen kann; bei Hartmann
dagegen steht der das Übel hervoi'bringende Wille da als ein Attribut
dos all-einen Individuums ..Unbewusstes-', welches, durch den Welt-
process in den Individuen gleichsam zum Bewnsstsein gelangend, sein
Wollen dann gänzlich unterdrücken, d. L verneinen wird. Das Un-
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be\Mi^>te ist liier eben als ein dem menschlichen Icli analoges In-
dividuum gedacht, welches gleich diesem sich zum Niclit wollen
bringfen kann, und zwar ia dem Sinne, in welchem wir es erfahrungs-
gemäß vom Ich wissen, dass nämlich nicht etwa »cUe Potenz zu
wollen", der „Wille^ als Attribut des Unbewossten, vernichtet wird,
sondern dass das „actnelle Wollen*" aufhört.
Wenn einmal das Unbewusste, als das mit Wille und Vorstellnng
begatte absolute „IhdiTidunm**! unbeanstandet als Grundlage des
Pessimismus angenommen wird, so lässt sich ohne logischen Wider-
spruch audi dar praktische Ausgang des Pessimismus, die Vemichtong
des WoOens, der Quelle des Elends, auf jenen all*einen Grund der
Welt aufl3auen, da in diesem alle logischen Bedingungen vorliegen,
welche das Resultat, die Vernichtung des Wollens, wenigstens denkbar
erscheinen lassen.
Denn, wenn es wahr ist, dass das Wollen, wie Hartmann sagt,
seiner Natur nach einen Überschuss von Unlust für den Wol-
lenden zur Folo:e hat, so wird auch das wollende Unbewusste, so
lange es wollend ist, d. h. zunächst hier, so lange die Welt, diese
„Summe von Willensacten des Unbewussten", da ist, einen Überschuss
von Unlust haben, also selbst elend sein, und daher streben, sich aus
dem Elend zu erlösen. Die Erlösung nun kann natürlich nur möglich
gedacht werden, wenn des Unbewussten Wollen aufhört, also zum
mindesten die ganze Welt gemordet ist
Die Situation hat sich bei Hartmann, wie man sieht, ins Große
umgesetzt: Das Unbewusste, AlUEine ist selbst Pessimist und
bemUit sldi als solcher folgerichtig, die Quelle seines Elends zu ver-
nichten. So ist V. Hartmanns Standpunkt in doppeltem Sinne
makrokosmischer Pessimismus, einmal, insofern der Grund seines
eigenen empirischen Pessimismus im Makrokosmos, in dem Wollen
des Unbewussten, gefunden ist, und zweitens, insofern der Makro-
kosmos selbst, d. i. das Unbewusste, den l'berschuss an Unlust, das
Elend seines Zustandes als Wollender erfährt, also selber ein
Pessimist ist.
Eine eigenthümliche Entwicklungsbahn hat bisher, Hartmann mit-
gerechnet, der Pessimismus durchlaufen, und man ist versucht zu
behaupten, dass schon die ganze Bahn seiner möglichen P^ntwicklung
durchlaufen sei: vom bedingten mikrokosmischen Pessimismus der Brah-
mahnen durch den unbedingten mikrokosmischen Buddhas und den
Schopenhauerschen makrokosmischeu des menschlichen Individuums
hindurch zum Hartmannschen makrokosmischen Pessimismus des Ab-
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sohlten; Hartmaniis Lehre speciell scheint dann wol die eigeiithümliche
Entwicklung^ (lurchpfeniacht zu haben, dass aus dem unbedingten makin-
kosniischen Pcssimi.Miius des Icli, welches eben sein Elend auf den
Makrukosniüs gründet, aber im Mikrokosmos, also doch allein in sich,
vorfindet, ein makrokosmischer Pessimismus des Absoluten heraustrat,
nnd nunmehr auch das Elend und die Unlust in den Makrokosmos,
d. i. in das Absolute selbst hinein verlegt ward. So lange etwa
dem Hartmannschen empirischen Pessimismus die metaphysische Gnmd-
läge fehlte, war er natürlich mikrokosmischer Pessimismus, welcher
dann durch jene Grundlage zunächst zum unbedingten makrokosmischen
des Ich wurde, um, wenn das individuelle Wollen ins Wollen de»
Unbewussten metaphysisch sich aufhebt, schließlich als nuüurokoa-
mischer Pessimismus des Absoluten dazustehen.
Vielleicht ist aber doch noch eine andere Form des Pessimismus,
nfimlich der mikrokosmisclie Pessimismus des Absoluten ttbrig,
welches also den Grund fOr die Thatsache seines Elendes nicht im
eigenen Wollen, sondern im Wollen des Ifikrokoemosi des Menschen»
findet; es wflrde dann das wollende Absolute „gehemmt" gedacht durch
das Wollen des menschlichen Individuums; solche Form eines Pessi-
mismus des Absoluten sehen wir wol^ in der Geschichte des Juden-
thums und Christenthums auftreten.
Als Pessimist will nun das ünbewusste nicht etwa seine Ezistens
überhaupt yemeinen, im Gegenthefl seine positive «Sdlgkeit'*, welche
es durch das unselige Wollen, d. L die Schafftmg der Welt verloren
hat, wiedergewinnen 'eben durch die Yenuchtung dieser Welt; sobald
diese, d. h. mit anderen Worten sein Wollen, nicht mehr ist, hat
das ünbewusste eben seinen Willen befriedigt*', und ist dann in
sein ruhiges ungestörtes Sein eingegangen.
Wie sich die älteste und die jüngste Form des Pessimismus wieder
nähern, dies ist deutlich zu erkennen an der Positivität des Ziels, das
beide noch aufstellen hinter dem pessimistisch-negativen der Vernich-
tung der Leidquelle. Der brahmanische Pessimismus kannte den
,.Selbstmord" nnr im relativen Sinne als Vernichtung des Sinnliclien,
des Körpers, zur HelVi iung des Brahman, welches in dem Körjter sich
befand. Die beiden Vertreter des unbedingten Pessimismus, Buddha
und Schopenhauer, dagegen erstrebten Vernichtung des Ganzen
und dazu gar nichts Positives: jener, als mikrokosmischer Pessimist,
wollte die radicale Vernichtung des Individuums, also absoluten
Selbstmord, dieser, .soweit er makrokosmischer Pessimist war. Ver-
nichtung des ^All-Willens", also absoluten Weltmord, Vendchtong
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alles Seins. E. v. Hartiiiami aber wiederum proclamirt nur den rela-
tiven Weltmord, d. i. die Veruiclituno: der „Objectivation" des
Unbe^vnssten, d. i. nur Aulhüreu seines Wollens, \ erniclitung gleich-
sam des „Körpers"* des Unbe\^'^lssten. So kennt also auch wieder
der jüngste der Pessimisten neben dem pessimistiscli-negativen Zweck
einen positiven, nämlich die Erlösung, die Befreiung des absoluten
Individuums zum inihigen positiven Sein.
Durch Zugrundelegung des mit Logischem, d. i. mit Veraunft
ausgestatteten ünbewussten hat v. Hartmann nun die Welt in ihrem
..Was" teleologisch aufzufassen vermocht Die Welt in ihi-em
„Was" hat der Pessimist „Unbewusstcs" zu dem Zwecke geschaffen,
um aidi wieder ans der unseligea Verfassung des Wollms heranszu-
bringen; der ganze Weltprooess hat daher zum eüudgen Ziel die
„Welterlösang", me t. Hartmann kurz sagt, oder, denflicher aus-
gedrückt, die Erl^snng des Unbewnssten yon der Welt, die
Yermchtong dieser Welt. Um solchen Zweck za erreicheii, mnsste
aber das Unbewnsste so, wie es nnn einmal beschaffen ist, gleichsam
einen Umweg machen Ober das Bewnsstsem; die Allweisheit nSmlich
des Unbewnssten ist nach Hartmann an sich selbst „unfrei gegen den
Wülen^, und allein die „bewnsste Erkenntnis*' yermag sich vom „Welt-
wülen** zu onandphren und „den negativen Willen zn erregen"; daher
heätat der yom Unbewnssten znr Vernichtung seines eigenen Welt-
willens erstrebte Oppositionswille eben des Bewnsstseins, das
TOr Allem im Menschen erscheint.'^)
Gegenüber dem oben erwähnten, in religi()sem Gewände nicht
seltenen, mikrokosmischen Pessimismus des Absoluten (Sclimerz
Gottes über die wollenden Menschen) hat der makrokosmische
Pessimismus des Unbewnssten (Absoluten) in Ansehung der wissen-
schaftlichen Constructi(m der praktischen Philosophie einen Vorzug,
nämlich denjenigen, dass hier der Individualwille niemals als in Wider-
spruch mit dem Absoluten stehend gedacht werden kann. Das Kreuz
metaphysischer Si)eculation, das Problem vom Verhältnis des ineiisch-
lichen zum göttlichen Willen, ist für v. Hartmann gar nicht vor-
handen : ihm leistet eben das Unbewusste das Unglaubliche. Das
menschliche Wollen nämlich, in welchem der Wille zum Leben, der
„Weltwüle", b€|jaht wird, ist natürlich nichts anderes, als eine Er-
*) Audi die principielle psychologische Fnge^ wie es sieh widenfniehidee
Teimen la«e, daas du ,Jiegiielie" des Uii1»ewiifl8teii „uifrei'', das des Bewneeten in-
deiHB „ftei gegen den Willen", emand^ Ton ihm, lei, mnse hier bei- Sdte ge-
stellt weiden.
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scheimmg des Allwillen.s, steht also mit diesem in keinem Widerspruch,
selbst wenn es entj2:egen dem Zweck des ünbewiissten, sich von der
Welt zu erlösen, sich bethätigt: der Wille des Unbewussten als
solcher dient diesem Zwecke ja auch selber nicht. Ebenso aber steht
selbst dann der menschliche Wille nicht in Widerspruch mit dein
Absoluten, wenn er als Oppositions^\ille gegen den ^ Welt willen**
auftritt, da er ja dann gerade mit dem Zwecke stimmt, welchen das
ünbewusste durch den Weltprocess ftn- sich zu erreichen plant.
Während bei v. Hartmann auf diese Weise das Absolute in seinem
Wesen durch den IndividualwiUen in keiner Weise geschmlUert wird,
da dieser, wie er auch immer auftreten mag, sich stets dem Unbe-
wnsstoi, sei es nun speciell dessen „Weltwillen** oder dessen „Zwecke'S
dienstbar erweist, also stets mit ihm flbereinstimmt nnd sich als Er^
scheinnngsweise des Unbewnssten stets erweist, zeigt sich anderseits
gegenüber Sehopenhaner noch der andere Vorzog, dass di^ Welt mit
ihren IndiWduen von v. Hartmann volle Objectivitftt zugesprochen
erhält, ein Umstand, welcher begreiflicherweise filr die praktische Philo-
sophie von hohei- Bedeutung ist, weil eine Sittenlehre unbedingt die
Objectivität des Individuums, die Realität der Persönlichkeit, im
Weltprocess zu Grunde legen muss. So ist der Mensch einerseits als
diese „Summe von Willensacten" eine Erscheinung des Unbe-
wussten, anderseits aber als bewusster ist er Persönlichkeit.
Was das Ünbewusste im Großen, das ist der Mensch, als die
individuelle Erscheinung des ünbewussten, im Kleinen: nämlich Pes-
simist; demnach sieht dieser auch seinen Lebenszweck zosammenÜsUen
mit dem Zweck des Unbewnssten, dessen Erscheinung er ja nur ist
„Die Zwecke des Ünbewussten zu Zwecken seines Bewnsstseins
madien, seine Persönlichkeit voll hingeben an den Weltprocess um
des Zieles, der allgemeinen WelterlGsung willen,^ das ist nach Hart-
mann das Princip der praktischen Philosophie; „nur in der vollen
Hingabe an das Leben und seine Schmerzen, nicht in feiger, i)er-
sönlicher Kutsagung uud ZuiUckziehung ist etwas füi- den Weltprocess
zu leisten."
„Kine auf diesen Principien errichtete praktische Philosophie
kann nicht die Entzweiung, sondern nur die volle Versöhnunsr mit
dem Leben enthalten. Es ist jetzt auch ersichtlich, wie nur die hier
entwickelte Einheit von Optimismus und Pessimismus, von der jeder
Mensch ein unklares Abbild als Bichtschnur seines Handelns in sich
trägt, im Stande ist, einen energischen und zwar den denkbarst
stärksten Lnpnls zum thätigen Handeln zn geben, während der ein-
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seilige Pessimismus aus niliüistisclier Verzweiflung, der einseitige und
wirklich couseiiueute Optimismus aus behaglicher Sorglosigkeit zum
Quietismus führen muss."
Dies Princii» der praktisclien Pliilosophie des Menschen, die
Zwecke des Unbewussten zu Zwecken des eigenen Bewusstseins zu
machen, er<ribt sich fiir Hartmann unmittelbar aus den beiden Prä-
missen, ,.dass erstens das Bewusstsein das Ziel der Welterldsung vom
Elend des WoUens zu seinem Ziel gemacht hat, und dass es zweitens
die Überzengimg von der Allweisheit des Unbe^^'ussten hat, in Folge
deren es alle Tom Unbewussten anfj^eirendeten Mittel als die möglichst
zweckmäßigen anerkennt, selbst wenn es im einzelnen Falle geneigt
sein sollte, hieran Zweifel zu hegen.**
Der Lebenszweck des Menschen wird demnaeb Ton Hartmann
bestimmt werden müssen als das Tkätigsein fttr die Bealisirnng
des Zweckes, welchen das Unbewnsste in dem Weltprocess
verfolgt; und ans der Theorie von diesem Lebenszwecke heraus
mnss nun auch die Sittenlehre Hartmanns 8i<;h entwickeln. Wird aber
dann noch zugegeben werden können, nnd, wenn Ja, wie stellt es sich
denn heraus, dass sich Hartmanns Sittenlehre auf den Pessimismus
gründe? Diese Frage bedarf der Überlegung.
Es ist ersichtlich, dass in Hartmanns System sich zwei Arten
von Pessimismus Torflnden, ein Pessimismus des bewussten Indivi-
duums und einer des unbewussten J]ld^Tiduums^ d«L desünbewussten;
jenen könnte man auch den empirischen, diesen den metaphysischen
Pessimismus Hartmanns nennen. Wenn Haitmann nun vom Pessi-
mismus spricht, so geschieht es immer nui- in der ^^'eise, dass der
empirische, also der des bewussten Indivitluums gemeint ist, und wo
immer Hartmann Stützen für seine pessimistische Anschauung bei-
bringt, da sind es stets empirische Belege für den Pessimismus des
Menschen. Aus diesem Pessimismus aber kann er doch jene Theorie
vom Lebenszweck des Menschen selbstverständlich nicht gewcmnen
haben, und in Folge dessen kann ^leichfalis nicht aus demselbt u die
jenem Lebenszweck entsprecliemle Sittenlehre hervorgegangen sein.
Man wird allerdings zugeben müssen, dass der empirische Pes-
simismus für Hartmann eine negative Instanz von unbestreitbarem
Wert bei Auffindung des von ihm aufgestellten Lebenszweckes des
Menschen gewesen sei; dass aber die positive Grundlage desselben
in der Lehre vom Unbewussten und im metaphysischen Pessimismus
Hartmanns zu suchen sei, wird auch nicht geleugnet werden dürfen.
Den Selbstmord, die verständige praktische Consequenz des empirischen
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Pessimismus, hätte Hartmann nicht vermeiden k<»nnen, wenn ihm dieser
die Grundlage seiner praktischen Lebensauffassung gewesen wäre; die
wirkliclie Grundlage derselben aber war eben die monistische
Lehre vom Unbcwussten, zufolge welcher der Mensch nur eine
Erscheinung des Uubewussten ist und denniacli niclit irgendwie Selbst-
zweck sein kann, sondern seinen Zweck im Zweck des Unbewussten,
insofern dieses eben in ihm zur Erscheinung gekommen ist, haben
muss. Die näliere Bestinimnng des maischlichen Lebenszweckes richtet
sich daher nach der näheren Bestimnumg deerjenigen Zweckes, welchen
das ünbewusste in seinen Erscheinmigen, im Weltprocess, Terfolgt.
Diese nähere Bestimmong des Zweckes aber wird gegeben dnrch den
metaphysischen Pessimismns, ans welchem nothwendig hervorgeht,
dass das Unbewnsste durch sein eigenes pessimistisches Bewnsstsein
zur Vernichtung seines WoUens, d. i. zunächst znr Yemichtung der
Welt, welche das Unhewusste ja audi in sdnen Elendznstand yersetzt,
angetrieben wiid, und eben diesem Antriebe thut dasselbe in seinen
zweckmäßigen Erscheinungen Genüge.
Daraus geht hervor, dass Hartmanns Sittenlehre, welche nun
den \\'eg zur Hingabe der Persönlichkeit an den Weltprocess zeigen
soll, nicht aus dem empirischen Pessimismus des bewussten
Individuums hervorgegangen ist, dass sie also auch in diesem Sinne
nicht eine pessimistische Sittenlehre genannt werden darf. In-
sofern beiiihrt sie sich also auch wieder mit der brahmanischen Sitten-
lehre, welche ja ebenfalls den empirischen Pessimismus der brahmani-
schen Inder nicht als bestimmenden Factor gehabt hat Immerhin
unterscheidet Hartmann sich yon dem Brahmanismus in eben diesem
Funkte, da er doch den empirischen Pessimismus als nothwendige
negative Instanz für Verfolgung des positiven Lebenszweckes
seitens des Menschen hereinnimmt Der Pessimismus besitzt ihm
daher einen festen Wert fttr das sittliche Leben des Menschen,
während der Brahmanismus denselben nur als die nothwendige Folge
des von Brahman abgekehrten Daseins hinnehmen kann.
Der als wahr erkannte und vom Menschen selbst erfahrene Pessi-
mismus, sagt Hartmann, dient in iiervorragender Weise dazu, das
menscliliche Individuum praktisch in die Wahrheit einzutlüiren, dass
sein Lebenszweck nicht seine individuelle Existenz und deren Wohl-
behagen sein könne, sondern dass dieser im Zweck des ganzen Welt-
processes, im Weltzweck des Unbewussten liegen müsse, und je tiefer
die Einsicht in die Wahrheit des Pessimismus gewonnen sei, desto
leichter eben erschließe sich der Mensch seinem eigentlichen Lebens-
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ZM^ecke. „Da die Selbstsuclit, der Urquell alles Bösen, welclie theo-
retisch bereits durch Anerkennuu;? des Monismus*' (dass näinlicli der
Einzelne bloße Erscheinung des AU-Einen sei) „als nichtip: constatirt
ist, praktisch durch nichts anderes w'irksamer gebrochen werden kann,
als durch die Erkenntnis von der illusorischen Beschaffenheit alles
Strebens nach positiver Glückseligkeit, so ist die geforderte völlige
Hingabe der Persönlichkeit an das Ganze auf diesem Standpunkt
leichter möglich.-' „Wer die überwiegende Unlust, die jedes Indi-
viduum mit oder olme Wissen im Leben erdulden muss, einmal ver-
standen hat, wird bald den Standpunkt des sich selbsterhalten- und
genießenwolleaden, mit einem Worte des seine Existenz bejahenden
Ich verachten und verschmähen."
Es ist hieraus endchtUch, dass bei Hartmann der empirische
Pessimismns, wenn aach keineswegs fttr die Fizirnng des Lebens-
zweckes und die positive Bestimmung der Sittenlehre, so doch f&r
die praktische Verfolgung jenes Zweckes und die praktische Be-
folgung dieser Lehre von hoher Wichtigkeit ist, und dass er nicht
etwa als eine rein theoretische unfruchtbare Behauptung
dasteht.
Die Sittenlehre Hartmanns entwickelt sich aus dem
Dogma von dem, im Zustande der Unseligkeit sich befin-
denden, wollenden Unbewussten, dessen Weltprocess die scfaliefi-
liche Verneinung dieses seines Wollens bezweckt; diese Sittenlehre
ist also aus dem metaphysischen Pessimismns des Unbe-
wussten geboren. Infolge dessen mag sie immerhin auch eine
pessimistische genannt werden, da sie ja aut die Veruiclitung
der Welt, also auf Weltmord abzielt; als eine optimistische aber
könnte sie gleichfalls bezeichnet werden, weil sie nicht weniger abzielt
auf die Restituirung jenes „ruhigen, wnnschlosen Seins des Unbewussten,
in dem dieses sich befand vor seinem „actuellen Wollen*'. \\'enn dalier
das Ziel auch des menschlichen, sittlichen Streluns Welterlösung
heißt oder interpretirt wird als Verneinung des Weltwillens, so
ist darunter doch, um dem Missverständnis vorzubeugen, genauer zu
vei'stehen die Erlösung des ewig Unbewussten von der Welt,
von seinem Wollen, und nicht etwa die absolute Vernichtung des
Seienden; denn das All-Eine ist ewig, und nur sein ,.actuelles Wollen",
wie es einen Anfang hatte, soll durch den im sittlichen Streben des
Menschen sich bewusst entfaltenden Weltprocess ein Ende finden.
Der allgemeine Sittengmndsatz dieser auf den metaphysischen
Pessimismus des Unbewussten anfgebauten Sittenlehre heißt für den
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Menschen: als Erscheinung des Unbewiissten mit Bewusstsein in dem
Zwecke des Unbewussten thätig sein; dieser (Triindsatz aber hat. in-
sofern der Mensch als Ersclieinung des UnbeNvussten doch Persun-
lichkeit ist, eine ne<rative und eine positive Seite, letztere lieiüt:
völlige Hingabe der Persönlichkeit an den Weltprocess. und
mit ihr ist auch die negative gegeben, welche lautet: völliges
Aufgeben aller persöuliclien, individuellen Zwecke: und dieses
wird im Mensclien dann eben nocli besonders unterstützt und empfohleu
durch den empirischen Pessimismus des bewussteu Individuums.
In die Bezeichnung des sittlichen Princips als der voUen Hingabe
der Persönlichkeit an den Weltprocess konunt aber erst die bestimmte
Uartmannsche Färbung hinein, wenn man sich des von Hartoiann
vertretenen Pessimismus des Unbewussten bewusst wird; durch
diesen erst erhält ja der Weltprocess» dem der Mensch sich hingeben
soll, seine nähere Bestimmung, und ans demselben mnss nun auch die
bestimmtmDirection für dasHandebi des Menschen gewonnen werden.
Indem der Weltprocess von v. Hartmaim gedacht wird als ein £r-
Utenngsprocess des Unbewussten ans seinem Elend» mttssen aoch die
näheren Bestimmnngen der Sittenlehre den Charakter dieses Erldsongs-
processes selbst an sich aufweisen und sich legitinnren als solche, in
denen der Mensch am ErlOsnngswerke des Unbewussten zuver-
sichtlich thätig sein kOnne.
Man möchte nun vielleicht meinen» dass alle diejenigen Sätze als
sittliche im Sinne des metaphysischen Pesshnismus passiren würden»
welche eine Wülensvemeinung vom Menschen fordern, da ja nadi
Hartmann der Weltprocess auf die Vernichtung des WoUens hinzielt
Dem gegenüber jedoch erhebt sich abweisend der Umstand, dass noch
nicht ohne Weiteres mit der Vemeinnng des Individualwillens der
AUwille auch nur irgendwie ,,aus seinem Wollen ins Nichts ijfeschleu-
dert wird**, denn sonst würde auch der Quietismus einen sittliclien
Charakter haben, und Hartmann hätte diesen nicht als eine ,.Tod-
sünde" brandmarken dürfen. Die quietistische Willeusverneinung
des Indi\iduums könnte nur ein ein zig- es Mal einen sittlichen Sinn
haben, nämlicli in jenem von Hartmann als möglich angedeuteten
Schlussact der ^^'elt, wenn die Erdbevrdkeruug in ..gleichzeitigem und
g-emeinsamem Kntschluss*' ein jeder seinen Individuahvillen zum Leben
verueintf und dadurch dann das Weitende herbeigrefülirt würde.
Abgesehen von die.sem Schlussacte der Welt wird aber diejenige
Willensverneinung nur eine im Hartmannsclu*n Sinne sittliche sein
können, welche zugleich eine Willensbejahung ist, das will heilten:
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nui* tliejeiiige Forderung kann Hartmann sittlich neuneu, welche den
auf persönliche Zwecke gehen<len Willen verwirft und zugleich
damit den auf deu allgemeinen Zw- eck des Weltprocesses zielenden
Willen des Individuums verlangt; denn nicht das Individuelles- Wollen,
sondern das All- Wollen stellt das Individuum in die Reihe derer,
welche das Erlösnngswerk fördern; und nicht die Vernichtung
des Wollens des Individuums, sondern diejenige deis Wollens
des All-£inen ist die Erlösung. Selbstverleugnung ist allerdings
die negftliye Forderung, und diese bedeutet, dass das Individuum in
seinem Wollen das eigene Selbst nicht ins Auge fasse, also verleugne,
weshalb schon ans diesem Ginnde der Selbstmord nnsittlieh ist, weil
er sieh als das Gegentheil der Selbstverlengnung zeigt; diese wird
um des Ganzen willen das Leben vielmehr bewahren: rastloses
Schaffen und Theilnahme an dem Allzweck ist eben die positive sitt-
liehe Forderung der Hartmannschen Lehre. Denmach mnss sich auch
jeder Satz der Hartmi^nnschen Sittodehre auf den grossen Zweck der
Welt und den SelbsterlOsungsplan des Unbewussten beziehen, dieser
• Plan und Zweck mnss sich deutlich in jedem Satze spiegeln.
In dem aus seinem metaphysischen Pessimismus hervorgegangenen
Erlösungsplan des Absoluten ist ein sicheres Kriterium alles sittlichen
Handelns nach Hartmannscher Anflkssuug gegeben, und ich will mich
desselben bedienen, um die Sittenlehre Hartmanns selbst daran zu
prüfen.
Das Schopeiihauersche Kriterium der „Sittliclikeit", die Uueigeu-
nützigkeit, könnte für den Hartmannschen Standpunkt nur dann ge-
nügren, wenn auch auf diesem das ganze Schwergewicht in die Selbst-
vcrleugnunjr gelegt und das tliätige Sichliing:eVien an den Weltprocess
nur eine zufiillige Beigabe sein würde. Da dies nun aber nicht der
Fall ist, sondern gerade Hai'tmann den „positiven Standpunkt", die
thätige, bewusste Verffd^rung des Weltzweckes, welche ihrerseits aller-
dings die Selbstverleugnung in sich schließt, gar stark betont, so ist
es angezeigt, auch diesen seinen eigenen positiven Standpunkt zur
Beuitheihmg seiner Sittenlehre zu wählen.
Unter einer Voraussetzung ließe sich allerdings auch schon das
Schopeuhauersche Kriterium der Uneifrennützigkeit hier vollgültig ver-
wenden, wenn nämlich klar auf der Hand läge, dass „eigennützige**
und „dem pessimistischen W' eltzweck dienende" Handlung contradic-
torische Begriffe wären, so dass also einzig und allein alle uneigen-
nützigen Handlungen für solche, welche dem pessimistischen Weltzweck
dienen, erklärt werden dürften. £s liegt freilich nahe, ein solches
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Verhältnis zwischen jenen BegriÖ'en anzunehmen, besonders da doch
eigennätzig und uneigennützig contradictorische Begrüfe sind und jede
dem pessimistischen Weltzweck dienende Handlung offenbar nneigen*
nützig sein mnss. Doch es steht ja eben noch in Frage, wie weit
fiartmamis Sittealehre seinem »positiven Standpunkt** von der Hin-
gabe der Perssnlichkät an den Weltprocess entspricht, und es wäre
nicht thnnüch, von yomeherein anzunehmen, dass dieses Entsprechen
schon eo ipso dann nachgewiesen wftre, wenn die Sätze der Sittenlehre
sich als Forderangen der üneigennützigkeit heranssteUten.
Wenn eine Sittenlehre von denjenigen, welche von Vertrat^
des Pessimismus überliefert worden sind, den Namen der pessimi-
stischen voll und ganz verdient, so ist es diejenige Haitmanns;
im Vergleich zu ihr führt selbst die Sittenlehre Buddhas noch viel
nicht-pessimistische Oontrebande mit sich, von den consequenzlosen
Maximen Schopenhauers gar nicht zu reden.
Hartmaiins Sittenlehre erliebt sich, wie aus einem Guss.
voll und ganz aus dem metaphysischen Pessimismus des Ab-
soluten, oder, wie Hartmann in seinen ethischen Untersuchungen *
gerne sagt, Gottes. Ich will in Küi-ze eine möglichst getreue Ent-
wicklung dieser Sittenlehre an der Hand von Hartmanns ..Philosophie
des Unbewossten" nnd seiner „Phftnomenologie des sittlichen Bewnsst-
seins** geben.
Gk>tt, dessen Attribute Wille nnd Vernunft (Logisches, Vor-
stellung) sind, hat sich als traoscendentes Wes^ schon vor dem
Weltprocess im Zustand der ünseligkeit befhnden; denn der Welt»
process ist die Erscheinung des erfttllten Wollens; der Zeit nach
vor diesem zeigte in Gh)tt der Wille, insofern er eben damals noch
keinen Inhalt hatte, also vorstellungslos, blind war, das Streben,
,,aus der Leerheit der reiiieu, uucli nicht seienden Form herauszu-
kommen''; dies bleibt aber so lange leeres Wollen, welches ver-
gebens nach seiner Verwirklichung ringt', als nicht das Logische,
die Vorstellung, hinzukommt ; geschieht dieses aber, so ist dann auch
sofort des „Willens" Verwü'klichung, die Welt, da. Vor dem Welt-
process befindet sich demnach Gott allein im Zustande des leeren un-
eifüllten Wollens, welches „ein ewiges Schmachten ist nach einer
•Erfüllung, die ihm nur durch die Vorstellung gegeben werden kann**,
d. h. also Gott ist sich in solchem Zustande „bewnsst der absoluta
ünseligkeit, der Qual ohne Lust, selbst ohne Pause**. „Dieses Be-
wusstsein ist das einzige außorweltliche Bewnsstsein; sein einzige
Inhalt ist wolgemerkt die absolute Unlust** Aber auch während
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deis \Velti»rot:esses, welcher eben erfülltes Wollen ist, also ,.neben
dem ertullten Welt wollen, kommt es in Gott noch immer zu einer
außer weltlichen Unseligkeit. Denn der Wille ist potentiell unend-
lich, und in demselben Sinne ist seine Initiative, das leere Wollen,
unendlich; die Idee (das Logische) aber ist endlich ihrem Begi'iffe
nach, so dass auch nur ein endlicher Theil des leeren Wollens von
ibr erfällt werden kann." ,.Der Wille ist unersättlich, der Potenz
nach unendlich, nnd doch kann seine Erfollnng niemals unendlich
sein, weü eine erfiillte oder vollendete Unendlichkeit der realisirte
Widersprach wäre. Eigentlich ist es also ganz gleichgültig, ob das-
jenige Stflck des leeren Wollens, welches an der Vorstellung eine Er-
füllung gefunden hat, groß oder klein ist, d. h. ob die Welt grofi
oder klein (im intenslTeu Sinne) ist» denn das edUlte WoUen ^wird
sich zum leeren Wollen stets verhalten, 'wie etwas Endliches zu einem
Unendlichen, vas dann mOglich ist, weQ es sieh zu ihm wie Actus
zur Potenz verhAlt Da mithin das leere WoUen unendlich ist und
bleibt, so ist es audi fftr die unendliche absolute Unseligkeit dieses
leeren Wollens ganz gleichgültig, ob neben ihrer unendlichen, durch
kerne nodi so geringe Lust g^nüderten Unseligkeit eine Wdt der
Qaal und Lust (denn in der Welt ist doch nur eine relative Unlust,
cL h. em Oberschuss von Unlust Aber Lust) besteht oder nicht**
Wenn nun Gk>tt in einer solchen absoluten Unseligkeit sich be-
findet, und auch sdion vor dem Wdtprocess sieh beftnd, „dann musste
von selbst der Vernnnftzweck Gottes sich darauf richten, diesen
Zustand der Unseligkeit zu beseitigen und zu dem Zustand des
Friedens und der unlustfreien Stille zu gelangen.*^ „Es ist mm zwar
richtig, (lass der Wille, genauer das leere Wollen, es ist, welches die
Idee überhaupt aus ihrem an und fiii* sich Sein in ein für anderes
Sein versetzt, indem es sie ein für alle Mal als seinen Inhalt an sich
reißt; nicht minder richtig aber ist es, dass die Idee als Ei-fiillung
des Willens sich selbst bestimmt und entwickelt kraft ihres
logischen fomuileii ]\[<>mpntes/' Angesichts seiner absoluten Unseligkeit
wird es dann ..beü^reitlich, dass das Absolute sich in die unsäglichen
Leiden eines Weltprocesses stürzt, wofern dieser Process als das
Mttel zur Beendigung jenes Zustandes der Unseligkeit gelten darf
Es ist dabei unerheblich, ob die transcendeiite au LWm weltliche) Un-
seligkeit des Absoluten der Intensität nach grösser oder kleiner ist,
als sein immanentes Leiden im Weltprocess; denn da erstere ohne
die Beendigmig durch den Weltprocess endlos wäre, letzteres aber
ebenso wie der Weltprocess selbst, wenn er Mittel zur Beendigmig
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der erstereu i^tin soll, als endlich gedacht werden muss, so winde
die endlose Unseligkeit auf jeden Fall schlimmer zu ertragen sein,
als eine noch so intensive endlii lie (^ual. Das Elend des Daseins in
der Welt wäre also gewissermaßen wie ein juckender Ausschlag am
Absoluten zu betrachten, durch welchen dessen unbe^vusst€ Heilki*aft
sich von einem inneni pathologischen Zustand befreit, oder auch als
ein schmei-zhaftes Zugpflaster, welches das all-eine Wesen sich selbst
applicirt, um einen iimern Sclmierz zimäclist nach aufien abzuleukea
und für die Folge zu beseitigen."
Der absolute Zweck des in absoluter Unseligkeit betindlichen
Gottes würde also »iii dem Zurückwerfen des Unlogischen (des WiUens)
aus dem unseligen Zustande der Actualität in den den Friedt u des
Abs<duten nicht störenden der Potentialität bestehen, und das Mittel
zur Erreichung dieses Zweckes wäre der Sieg des Logischen
ftber das Unlogische im Wege der Vollendiuig dei* sittUchen Wdt-
ordnnng." Der Zweck, den das Absolate verfolgt, „kann nur
die absolute Endämonie sein, da die Anwendung des Logischen
auf das Unlogische, oder der Vemnnft auf die Willenssphftre, gar kein
anderes Eiigebms Uefem kann als die höchstmögliche Förderang der
Endjlmonie; das Yemflnftige in praktischer Hinsicht^ das für ein ab-
solutes Leben nicht mehr aniterfaalb, sondern nur innerhalb sehier
selbst gesucht werden kann, kann nur die HeibeifDhmng des möglichst
günstigen und Tortbeflhaften Zustandes dieses Wesens, d. h. seine
Eudftmonie sem.**
„Dieser absolute eudfimonistische Zweck des Weltprocesses ist
aber kein positiver"; denn die Wahrheit des empüischen eudfimo-
nologischen Pessimismus des Individuums ist nach Hartmann unum-
stößlich, und die etwa aus dem Weltprocess als solchem sich ergebende
Seligkeit des Absoluten könnte nun doch „selbst erst als Product aus
allen Individualseligkeiten des Weltprocesses resiiltireu". Der
Zweck ist vielmehr ein „negativer eudämonistischer absoluter Zweck
(d. h. ein Zweck, der sich in der Negation eines ne^ativ-eudämonisti-
schen Zustandes erscliöpft i**. Immerhin aber ist ofl'enbar das Resultat
niclit eine Vernichtung des Absoluten, sondern eine Erlösung
desselben; was am Ende des Weltprocesses übrig bleibt, ist nicht
das reine Nichts, sondern das reine Sein, also etwas Positives.
Man beachte hier wol, welch einen bestimmenden Eintluss »ier
empirische Pessimismus auf die Formulirung des Zweckes der ^\'elt
ausgeübt hat ; denn nicht der metajthysische Pessimismus des Absoluten
erfordert es, den Zweck der Welt Als einen negativen eadämo-
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nistischen zu bestimiiini. nicht er als solcher, vde er aul die ,,Un-
sfliirkeit des leeren ^^'tlllens•' gegründet ist, würde hindern, die ge-
g^tibeue Well als das ^eei^niete Mittel zu einem positiven eudämonisti-
schen Zweck anzuerkennen, sondei-u liier tritt unmittelbar der
empirische ressiniismus des Individuums ein, und nur mittelbar der
ine taphysi seile des Absoluten, insofern als angebliches „Product aus
allen Individualuuseligkeiten'* auch eine Weltunseligkeit des Absoluten
von V. Hartmann angenommen wird; denn nach ihm ist das Welt-
wesen als absolutes Subjectaach der Träger aller Lust und Unlust der
Individuen im Weltprocesse. Auf dieses Letztem gestützt ist es eben
für Uartmann klar, dass ein Weltprocess, dessen endämonologische
(soll natürlich genauer heißen: dessen allgemeine endämonologische
der Individuen und deshalb endämonologische des Absoluten) Bilance
n^tiv ist nnd „sich günstigen Falles dem Nullpunkt asymptotisch
annähert» dem wie immer heschaffenai Glückseligkeitsziistaiid desselbeii
keinen positiven Zuwachs gewährt, sondern einen negativen, der im
brünstigsten Falle (wenn alle Ihdividnen zur sittlichen und religiösen
VoUendnng gelangt sdn werden) verschwindend klein werden könnte.**
Lassen wir nnn diesen durch den empirischen Pessünismus in
Ansehung des Weltprocesses eigenartig ausstaffirten meti^thysischen
Pesaunismus des Absoluten einmal unbeanstandet, dann ergeben sich
mit logischer Prftdsion die folgenden von v. Hartanann ftdrten Züge
seiner metaphysisch-pessimistischen Sittenlehre.
Da der Selbstzweck des absoluten Wesens nur ein eudümoniBtischer
sein, die Welt aber nach Hartmann nicht einen positiven eudämo-
nistischen, sondern allein einen negativen eudämonistischen absoluten
Zweck haben kann, so ist „das sittliche Bewusstsein, welches einen
absoluten Zweck schlechthin nicht entbehren kann" und nur jenen als
den einzigen vor sich sieht, gezwungen, will es sieh nicht ..selbst
tmd seinen ganzen phänomenologischen Entwicklungsjirocess als eine
am Schluss sich selbst aut'hebende Illusion" bezeichnen, den nega-
tiven eudämonistischen absoluten Zweck als unentbehrliche
Voraussetzung seiner sell»st anzuerkennen.
Der Lebenszweck des Individuums als einer Erscheinung
des Absoluten ist demnach der dem Weltpr.ocess immanente
Selbstzweck des Absoluten, nämlich die Krlösunsr des Absoluten
von der Welt als dem ^.erfüllten'' Wollen und damit von allem inner-
imd außerweltlichen Wollen; ist dies nun der menschliche Lebens-
zweck, so besteht die Sittlichkeit des bewussten Individuums in
der ,3Iitarbeit an der Abkürzung dieses Leidens- und £r-
Padagogiom. 4. Jftfaxg. Heft X. 40
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löf>ungsweg"es Gotti^s'\ Den Selbstzweck des Absoluten zu ^einem
Lebenszweck machen schliesj^t aber ein, dass das Individuum sich in
keiner Weise als Selbstzweck anse]u\ sich selbst also in i)i'akti>cher
Hinsiclit völliia: verleuf;ne, indem es ..den Eigenwillen ganz ge-
fügig: macht zu dem. was er sein soll, zum selbstlosen aber energischen
sittlichen \\erkzeug des absoluten Zweckprocesses". ..Nur durch
len Aufbau einer sittlichen W'eltordnung von Seiten vernünftiger,
selbstbewusster Individuen kann der Weltprocess seinem Ziele ent-
gegengeführt und nur durch schließliches Bewusstwerden der
negativen absolut-eudämonistischen Bedeutung dieses Zieles kann das-
selbe wirklich erreicht werden, daher kann ich sagen: Nur durch
mich kann Gott von der Welt erlöst werden, sofern ich nämlich
im Allgemeinen den T^'pus einer vemünitigen, selbstbewussten und
sittlichen Persönlichkeit, im Besonderen den Typns eines zum Moral-
princip der Erlösung^ vorgedrungenen sittlichen Bewosstseins repri-
sentire."
Dieser absolute Zweck ist aber für das Individuum ein unzweifel-
haft sittlicher, einerseits» weil er vom Individuum die volle Selbst-
verleugnung fordert, und anderseits, weil das Individuum auf Grund
des Bewusstseins von der Identität seiner selbst mit Gott den abso-
luten Zweck nicht als „einen dem Individual willen fremden^,
sondern „als wesentlich seinen Zweck** weift.
Der so jftu%e&S8te Weltzweck besitzt nach Hartmann nun auch
genOgende Motivationskraft zur thätigen Hingabe des von ihm
durchdrungenen bewussten Individuums an den Weltprocess; man
könne, meint er, das durch Bewusstwerden des Weltzwecks hervor-
gerufene Gefßhl des Individuums „in gewissem Sinne Mitleid mit Gott**
nennen, „nicht aber Liebe, denn zur Liebe gehört ein der Gegenliebe
fähiger Gegenstand, zum Mitleid aber gehört nichts als ein Wesen,
das leidet, und letztere Bedingung wird im denkbar höchsten Maaße
vom absoluten Subject ((4ott) erfiillt." Immerhin i.st aber auch ^die
Bezeichnung des Mitleids als eine ni( lit mehr ganz passende besser
zu vermeiden, da das Mitleid streng genominen voraussetzt, dass das
leidende Subject ein anderes sei als das Mitleid fühlende- ; indem
der Mensch sich ,.in der Beziehunir einer aVtsohiten praktischen
Solidarität mit dem AlisuUiten stehend*' weili, wird das sittlich
motivirende (lefühl ,,viehiielir einen getühlsmäßigen individuellen
Wiederschein des tiefen Welu'S des imseligen Absoluten darstellen,
einen W'iederscheiu, den man im Gegensatz zum Weltschmerz den
Gottes seh merz nennen kann, welchei' den eigenen Schmerz wie das
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Leiden Anderer und der ganzen Welt gering acliten lelirt, wie Gott
selbst ihn gering geachtet haben muss, als er ilm auf sicli nahm."
Wer sich voll und ganz zur Selbstverleugnung emporgeschwungen,
der gewinnt aus dem heiligen Gottesschnierz nicht mehr triigerische
^ Weltfreude", sondern nur noch hinimlisclien ,. Welt frieden" und jene
^freudige Willii(keit der Selbstverleugnung und Selbsthingebung
welche nur aus dem verständnisvollen Rewusstsein des abso-
luten Zweckes und seiner Bedeutung entiiuellen kann."*
Die teleologische Aufgabe der Menschheit ist daher nach Hart-
mann die Erlösung Gottes von der l'nseligkeit des Wollens durch
Zurfickweifen des Willens des Absoluten aus der Actualität in seine
Potentialität, und weil nun die Herstellung der vollendeten sittüchen
Weltordnung die nothwendige Vorbedingung für die Erfüllung jener
Aufgabe ist, so ist die fortdauernde Steigerung des sittlichen Bewusst-
seins der Menschheit die nähere oder erste Aufgabe der Menschheit,
um die Basis för die absolute Verneinung des Woll(;ns zu gewinnen-
Bei diesem seinem sittlichen Streben findet, wie Hartmann meint, der
Einzelne an den seinem Wesen eigenthflmlichen moralischen Tiieb-
federn, sowie an den moralischen Ideen und Institutionen der Welt
eine nothwendige Stütze, sowie in der thatsächlichen Entfaltung und
dem unzweifeQuiften Fortsehritt der snbjectiyen und objectiTen sitt-
lichen Weltordnung in der Menschheit eine wichtige Anfinuntemng.
Der Cnlturfortschritt und die geistige Entwicklung der Menschheit
sind die Geschichte vom Siege des Logischen über das Unlogische,
ohne welchen Sieg die Erlösung Gottes vom alogischen Wollen nicht
denkbar ist; daher gilt es f&r den Menschen, energisch in die große
Entwicklungsarbeit als thätiges Glied des Ganzen sich hineinzustellen
und dieselbe zu f5rdem, und zwar mit vollem Verzicht auf eigene
Olltekseligkeit
Die Hingabe des Eigenwillens an das Ganze ist also hier das
Kriterium der Sittlichkeit. Jeder Trieb im Menschen, welcher dahin
zielt, ist ein sittlicher, jede Institution, die das voraussetzt, ist eine
sittliche. Die Fordeiuuüf, dass „jeder das Wol aller Aii leren ftir-
dere", welche aus dem „Princij) der \\'esL'Usidentitiit der liulividuen
untereinander'* hervorgehen soll, kann das absolute Moralprincip
nicht als eine sittliche anerkennten denn es setzt an deren Stelle
4ie Aufgabe, den Entwicklungsprocess des Absoluten durch Befestigung
und FortbiUlung der sittlichen Weltordnung zu fordern. ..wobei das
fremde Wol nur in so weit (regenstand dei- Ffirdei-ung wird, als die
sittliche Weltordnung dies .verlangt oder empfiehlt, die Förderung des*
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Cnltiirfortschrittes aber als ein relativ höheres Ziel der absolnten
Teleoloprie erscheint, als die Förderung irgend welchen individuellen
Woles. Die Fördeiiinf,'- individuellen Woles kann auf diesem Stand-
punkt imnuT nur Mittel zu irgend welchem höheren Zweck sein; iu
diesem Sinne abtr kann die Förderung des eigenen Woles*) eben-
sowol sittliche Ptlicht sein, als diejenige fi-emden Woles. Das Ent-
scheidende ist immer nur die Hingebung des Eigenwillens in den
Dienst des absoluten Processes als der absoluten Teleologie."^
Dies sind in Kurzem die gi'undlegenden Züge der auf den makro-
kosmischen Pessimismus des Absoluten gegründeten Sittenlehre; die
logische Consequenz ist der letzteren nicht abzusprechen, und ebenso-
wenig eine gewisse Ähnlichkeit mit der christlichen Sittruh^hrc.
Vor dem mikrokosniischen Pessimisnms des Individuums und seiner
durch Buddha vertretenen Sittenlehre der Enthaltsamkeit und (ieduhl.
und ebenso vor dem makrokosmischen des Individuums, wie ihn etwa
Schopenhauer vertritt, hat der makrokosmische des Absoluten, d. i. der
metaphysische Pessimismus, den Hartmann lehrt, in Ansehuntr der
Sittenlehre das Große voraus, dass er dem Individuum eine i)ositive
und selbstständige Aufgabe verschatlt, und daher nicht, wie jene, eine
Verneinung der individuellen Existenz, sondern eine energische Be-
jahung derselben proclamirt zum Zwecke der rastlosen Mitarbeit an
der Erlösung des Absoluten v(m dessen transcendenter Unseligkeit
durch die immanente Qual des Weltjui icesses.
Das individuelle Leben wird vom Standpunkt des metaphysisclien
Pessimismus Hartmanns nicht allen A\'ertes entleert, wie vom mikro-
kosmischen Biuldhas, sondern gerade erfüllt mit Wert; und nicht
Ruhe, wie Schopenhauer verkündet, sondern Thätigkeit ist .seine
Losung. Diese füi* die Sittenlehre hochbedeutsame £igenart Hartr
manns gegenüber Buddha and Schopenhauer hat seine Quelle eben
darin, dass Hartmann, wenn er gleich den mikrokosmischen Pessimis-
mus des Individuums mit in sein System aufgenommen hat, doch den
Pessünismns des Absoluten zur Gimdlage seines Systems machte,
dass er also als das ^\ esen der Welt ein „absolutes Individuum,
dessen Attribute Wille und Vernunft sind", annahm, dessen Ersdiei-
nungen, die Mensclien, mit ihrem Leben unter dem Zwecke des vom
Absoluten gesetzten W^eltprocesses stehen.
Ich kann hier schon ei*klären, dass Haitmanns System es deshalb
*) Daraua ergibt deh von selbst, dass das Merkmal der UneigeiiBlItsis^eit
niflltt in allen FKllen den sittlichen Handlangen eigen ist nach Hartmann.
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zu einer positiven .Sitienlelire trotz des Pessimismus zu biiimen ver-
mochte, weil dasselbe ein lleli^ionssystem ist, d. i. weil es ein ab-
solutes, ewiges Wesen proclamirt, dessen Kreaturen, die Mensclien,
zu einem von ihm gesetzten Zweck in dem Weltj^rocess ilire Stellung
anazufiUlen haben. Daher erklärt auch Hartmaun nicht diesen Welt-
proeess f&r einen unvernünftigen, wie Schopenhauer, sondern sieht in
ihm einen vernünftigen, absolnt zweckentsprechenden.
Den Vorzug des Positiven, welchen die von Hartmann ange-
stellte Sittenlehre vor den äbrigen pessimistischen Sittenlehren voraus
hat, wird jede Kritik rundweg und rückhaltlos anerkennen
müssen; es ist aber überdies ein gewissermaßen großer Zug: in dieser
Sittenlehre nicht zu verkennen, ein Zug, welchem die Christenheit
vor Allem nicht die Anerkennung versagen wird, und ich meinerseits
kann es wenigstens begreifen, wenn ihm auch nicht zustimmen, wenn
fiartmann im zoMedenen Vollbewusstsein seines wichtigen Fundes zu
dem Ansrnf kommt: ,,yor der Erhabenheit dieser Entwicklungsstufe
des sittlichen Bewnsstseins schwindet jede Möglichkeit des Ein-
spruches; der Einzelne mag behaupten, dass er sich zum schwindel-
freien ErkUmmen einer solchen H5he bislang untüchtig und vielleicht
für immer nnffthig fühle; aber er soll sich nicht erdreisten, das Er-
habenste zu bemängehi, weÜ seine Kleinheit ihm znflllig die Hoifiiung
verwehrt, zu demselben hinauf zn reichen. Wess^ Magen nicht dazu
gemacht ist, nm von Nektar und Ambrosia zu leben, den wird niemand
schelten, wenn er sich von SchweinefleiBch nnd Sauerkohl nährt, nur
soll er nicht die Speise schlecht nennen, weil seine Constitution zu
untergeordneter Art ist**
Ich begreife, wie gesagt, den erhabenen Ton nnd den etwas mas-
siven Hohn, welcher sich in diesen Sätzen äußert; nichtsdestoweniger
werde ich aber doch auch dieses sittliche Bewusstsein kritisch zu
betrachten mir erlauben, selbst wenn Hartmann mit recht intensivem
Selbstbewusstsein, wie es fireilich wol ein Jeder einmal in Momenten
höchster Schaffensfreudigkeit erfahren hat, behauptet, dass dieser seiner
Au&tellung gegenüber Jede Möglichkeit des Einspruchs schwinde".
Die Kritik wird, wenn sie die Richtigkeit prüfen will, ihr jAugen-
merk auf die Grundlegung. der Hai*tmannschen Sittenlehre zn richten
haben, weil ans dem zu Grunde gelegten metaphysischen Pessimismus
mit logischer Nothwendigkeit alle Sätze der Hartmannschen Sitten-
lehre sich deduciren lassen.
Ich liabe die Positivität des sittlichen Princips Hartmanns gegen-
über den andern rein negativen pessimistischen Sittenlehren hervor-
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gflioluii: (liest- letzteren aber scheinen doch auch eiuen Vorziitr g"eireii-
nhvv der Haitmaunscheii Sitteulelire aufweisen zu können, nämlich
in Ansehiuig der ,.Motivationskraft" ilires sittliclien Princips. Es un-
terliegt wenigstens keinem Zweifel, dass die Sittenlehre, welche
aus dem mikrokosmischeu Pessimismus des Individuums hervorgeht
und demnach die Veiiieinung der individuellen Existenz als ihren
Gnmdsatz proclamii't, im empirischen Pessimismus, dessen sj'ste-
matischeFormulirung doch ja nur jener miki-okosmische des Individuums
ist, eine individuelle Basis besitast, welche mit Nothwendigkeit
den Willen des Individuums hier zur Verneinung der individuellen
Existenz, d. i. zum Selbstmord motivirt. Einer individuellen
Basis wird in dieser Hinsicht aber überhaupt jede Sittenlehre, wenn
sie Motivationskraft besitzen soll, nicht entrathen können, weil doch
das Individuum den „sitüichen ' Zweck als seinen eignen Zweck
wissen muss; nur dieses individuell gegründete Bewusstsein
vermag das ausreichende Motiv für das geforderte „sittliche''
Wollen, f&r das sittliche Streben der Persönlichkeit zu liefei-u. Es
muss nun untersucht werden, ob solche Motivationskraft dem Hart-
mannschen Moralpnncip üme wohne.
Aber noch ein Zweites ist es, was jenen anderen pessimistischeri
Sittenlehren wenigstens unzweiMhaft zur Seite steht, und was über-
hanpt für eine nicht utopistische Sittenlehre die nothwendigeBeding^ong
ist, nftmlich die mögliche Erreichbarkeit des proclamirten sitt-
lichen Zweckes. Wenn nun jene pessimistischen Sittenlehren die
Vernichtung der individuellen Existenz als Ziel sittlichen Strebens
setzen, so ist dieses zu erreichoi für einen Jeden, ob er Buddhas oder
Schopenhauers Anh&nger ist, wenigstens denkbar. Es fragt sich nun,
ob die Hartmannsche Sittenlehre ihre Anhänger in diesem Punkt auch
so gut zu stellen weiß.
Die beiden Fragen also nach der Motivationskraft und nach
der Erreichbarkeit des aufgestellten sittlichen Zwecks for-
dein es, die Basis der Hartmannschen Sittenlehre, den metaphysischen
Pessimismus des Absoluten, und die eigenthümliche Hinein-
Verarbeitung des empirischen Pessimismus des Individuums
in jenen Pessimismus näher zu prüfen.
Die transcendente Unseligkeit des Absoluten dedudrt Hartmann,
wie gezeigt worden ist, aus dem sogenannten „leeren Wollen** des
Absoluten. „Leeres Wollen** fireflich ist ein schwieriger Begriff;
Hartmatm sucht ihn dem Verständnis nSher zu bringen, indem er
£:chreibt: „das leere Wollen *ist noch nicht, denn es liegt noch vor
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jeiiei' ActualiTHt und Ivt^alität, welche wir allein untei- dem Prädirat
Sein zu belassen gewulint sind; es weset aber auch nicht mehr blos,
wie der Wille an sich, als reine Potenz, denn es ist ja schon F'olge
von (lieser und verhält sich mithin zu ihr als Actus; wenn wir das
richtisre i*i-ädicat anwenden wollen, so können wir nur sagen, das leere
Wollen wird. — das Werden in jenem eminenten Sinn gebraucht, wo,
es nicht Ubergang aus einer Form iti die andere, sondern aus dem
absoluten Nichtsein (seinem Wesen) ins Sein bedeutet. Das leere
Wollen ist das Ringen nach dem Sein, welches das Sein erst erreichen
kann, wenn eine gewisse äußere Bedin<rung erfüllt ist. Wenn der
Wille an sich der wolleukönnende (folglich auch niclit-wdllenküniiende,
oder velle et nolle potens) Wille ist, so ist das leere Wollen der Wille, '
der sich zum Wollen entschieden hat (also nicht mehr lüchtwollen
kann), der wollen wollende, nun aber nicht wollen könnende, genauer:
wollen nichtkönnende (velle volens, sed velle non potens) W^ille, bis
die Vorstellung hinzukommt, welche er wollen kann." Ich habe diese
Worte Hartmanns in extenso hieher gesetzt, damit sie an sieb selbst
den Beweis liefern, ein wie schwieriger Gedanke das „leere Wollen"
sei; dabei bemerke ich, dass Hartmann hier, wie es Schopenhaaer zu
thun pflegte, den Willen hypostasirt, zu einem „Ding", Subject macht»
(„der \Mlle, der sich zum W(dlen entschieden hat"), anstatt, dass er
das Unbewnsste, welches das Attribut „Wille" hat, hätte als Subject
hereinnehmen sollen.
Sehen wii* aber auch von diesem Fehler der Hypostasining ab,
so ist uns doch ein solches leeres Wollen gar nicht denkbar, in welchem
der „Wille" „in einem zwischen reiner Potenz und wahrem Actus
gleichsam in der Mitte stehenden Zustande sich befindet", ein solcher
Zwischenznstand ist nicht „leeres Wollen", sondern vielmehr eine leere
Phrase, die Hartmann, soviel er sich auch darum bemfiht, doch nicht
mit einen widerspmchslosen Inhalt erfüllen kann. Man wird auch im
Verständnis ebenfalls nicht welter gebracht, wenn man h9rt: „das leere
Wollen ist insofern actnell, als es nach sehier Yerwirklichnng ringt",
es ist ein „Streben, ans der Leerheit der reinen, noch nicht seienden
Form herauszukommen, sich als Form zu verwirklichen, seiner selbst
habhaft zu werden, znm Sein, oder was dasselbe ist, znm Wollen, d. h.
zu sich selbst zu kommen." Je wörterreicher die Erklärung wird,
desto dtmkler wird sie, denn jetzt haben wir nicht nur den „Willen",
sondern sogar auch noch das „leere Wollen desselben" selbst hy-
postasirt: „das Streben (Act) des leeren Wollens (Sabject) hat
kein anderes Ziel als das, sich selbst zu verwirklichen." Hier taucht
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die Hartmanirsche Speculation kopfüber unter in reine IMiauta-^ierei,
das „leere Wollen", welches aii<(el>li( li nicht Actus ist ,.hat Streben"
also Actuulität, und dasselbe „leere Wollen", welches angeblich nicht
..bestimmtes W^ollen'' ist, hat ein Ziel, ist also bestimmtes Wollen,
ja ül>erhaui)t das leei'e Wollen, welclies angeblich ..noch niclit ist*', wird
als seiend ungenirt 1)ehandelt, da eben auf die Wirklichkeit dessel-
ben allein sich die IJchauptung von der ^v^rklichen Unseligkeit des Absolu-
ten, d. i. die Wahrheit des metaphysischen Pessimismus stützt.
Kinn leere Plirase also, wie das ..leere Wollen" sich er-
weist, ist die Basis des von v. Hartmann verkündeten meta-
physischen l'essimismus !*) Das Ict ic Wollen ist die dem Absoluteii
angesteckte Sclimachtlocke. vermittelst welcher das Au.ssehen desselben
..ein ewiges Schmachten na<-h einer Ert'iÜlung" ist; die.ses ewii>-e
Schmachten ist dann natürlicii C^ual, abs(dute Unseligkeit, denn ..er-
lülltes Wollen" ist, wie Hartmann sagt, Lust, ..unertTdltes" dagegen
UnhLst. Mit dem leereu \\'ollen zugleicli Ideibt nun aber auch die
T'iiseligkeit des Alisoluien eine unverständliche Phrase: und
sie spielt noch dazu Hartmann selbst den sclilimmen Streich, dass er
iu sein Unbewusstes ein Loch stoßen muss, imi demselben doch
diese seine absolute Unseligkeit zum Bewusstsein zu bringen: ,.die,ses
Bewusstseiu von der absoluten Unseligkeit ist das einzige aulSerwelt-
liche Bewusstseiu,, zu dessen Annahme wir Ursacke haben**, sagt
HartmaiHi selbst.
■
Nehmen wir aber auch einmal das „vorweltliche leere Wollen**
des Absoluten als wirklich an, so sollte man doch denken, dass mit
dem Beginn des Weltprocesses, wann eben dem leeren Wollen „durch
die Vorstellung eine Erfüllung gegeben wird", die Unseligkeit des
Absoluten ein Ende erreicht habe, weil mit der Idee das „ertuUte
Wollen**, also die Lust da ist. Dem entgegen spricht aber Hartmann
noch von einer ,.auß erweltlichen Unseligkeit leeren Wollen« neben
dem erfüllten Weltwillen." Die Begründung dieser Behauptung ist
nicht minder phantastisch wie die des leeren Wolleus; sie heißt: „denn
der Wille ist potentiell unendlich, und in demselben Sinne ist seine
Initiative, das leere Wollen, nnendUch; die Idee aber ist endlich, ihrem
*) Zur Dlrection bemerke ich, dass Hartmann nicht etwa mit «I-mii leeren
Wollen das „Strebcu'* der bcwnssf losen Xixtur meint, denn di^sos letztere ist ihm
vielmehr ..erfüll l es Wolli n". Ainlcr-ieitü alier halte ich dafür, duss jeue,s l>e-
wu8ütlo.sc .Streben der ^"ulul ^laaohem wol das leere Wollen plausibler ersclieiuen
lassen wird, gleich als ob das ,4eere Wollen** nur noch efaie .,h5here Potenr* des
„bewuflstlosen Strebens'* der bewnsstloeen Dinge wire.
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Bf^iitl iiiich. so tliis.s auch nur ein endlicher Tlieil <le> leeren WolhMis
von ihr erliillt werden kann; es ))leilit also ein unendlicher Cberschuss
des hungrigen leeren Wollens." Ohne nun Phantasterei liineiuzunüschen,
wird: „der Wille ist potentiell unendliclr', doch nur heißen: „die Po-
tenz Wille des ünbewussten hört nie auf zu sein", dann kann aber
unmöglich folgen dürfen: ,,und in demselben Sinn ist das leere Wollen
unendlich", denn dieses hört doch wol auf, zu sein, sobald das ».er-
füllte Wollen", indem also die Vorstellung hinzukommt, eintritt, und
zwar müsste jenes so lange wenigstens aufliören zu sein, als ein er-
fülltes Wollen des Absoluten da ist; verschwindet dieses, dann erst
könnte wieder „leeres Wollen" auf Grund der ..ewigen Potenz W^ille*'
entstehen. Hartmann aber sieht A\'ille und leeres Wollen, indem er
8ie selbst zu Größen hyi)ostasirt , als unendliche Größen an, deren
einen Theil die endliche „ Größe Idee deckt, während der andere
Theil ungedeckt bleibt. Nur mit diesem unberechtigten und fal-
schen Bilde eines Größenunterschiedes vom „unendlichen*' lee-
ren Wollen und der endlichen" Idee wird es Hartmann möglichi die
außer weltliche Unseligkeit des Absoluten zu begründen.
Wenn es nun mit der Begiündung der vorweltlichen sowol als
auch der außerweltlichen Unseligkeit des Absoluten so bedeiiklich
steht» das8 die nüchterne Betrachtung aus reinem Selbsterhaltungstriebe
gegen solche gnostische Zumuthungen, wie das ,.leere Wollen" und
die „Unendlichkeit" dieses leeren Wollens es sind, schlechthin abwei-
send sich verhalten muss, so erscheint der ganze metaphysische
Pessimismus des Absoluten als eine wissenschaftlich anhaltbare
Postdon des Hartmannschen Systems. — Doch ich will auch diesen
metaphysischen Pessimismus einmal als wissenschaftlich gesicherte Be-
hauptung gelten lassen, insofern er sich auf jenes „leere Wollen" und
dessen „Unendlichkeit*' beruft Aber dann komme ich m der Frage,
ob für das Absolute denn der Weltprocess ein Grund der Qual sein
kann, wie Hartmann behauptet Man mfisste nämlich doch annehmen,
dass die Welt, „der erfailte Weltwi]le^ wenigstens keine Unlust
dem Absoluten einbrSchte, da das Absolute hier doch sdn Wollen
erfflllt hat Ich sage nur: „wenigstens keine Unlust**, und füge
nicht hinzu: „sicherlich sogar Lust**, um nicht mit Hartmann noch in
eine andere ColUsion zu gerathen, insofern er nämlich behauptet dass
sein Absolutes, das Unbewusste, keiner Lust sich bewusst werden
könne, weil Lust schon Bewusstsein ▼oranssetze."')
♦j Hartmanu schieiljt : ,,Da>i GefUhl der Lust oder die Befriediguu^f des WilU iw
fcaoii an und dir sich nicht bemust weiden, denn indem d^ Wille seinen Inhalt
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Soweit nun, sage icli, Welt da ist, hat das Unbewusste docli seinen
Willen eifiillt und iH-friedi^ ; Haitmann selbt nennt ja die Welt
..erfülltes Witllen", also sollte der nietai»liysist'}ie Pessimismus des Ab-
soluten weiiig^steus keine Stärkung; an dem Weltprocess linden krmnen.
Hartmann aber ist anderer Meinung! Kr erklärt, dass das Unbe\vu>ste,
„das absohlte Sul)iect selbst es ist, welches als substantieller Träü'er
der em|iiris(']ien SulijtM te, oder als das in den ErsclieiniiiiL''sindividueu
empirist li beschränkte Wesen alles denkt, will und tühlt, was im Welt-
process gedacht, <iew(»llt und <j:etTüilt wird, dass mit andern Worten
das Absolute selbst der all-eine metaphysisclie Träger aller Lust und
alles Leides ist, welclies durch den Weltprocess als solchen >lein
eudämoiiischen Zustande des Absoluten als transcendenten Wesens zu-
wächst." Diese Erklärung llartmanns schwebt al)er ganz in dei- Luft.
J)a uns indess hier nur die Unlust interessiren darf, so betrachten
wnr allein diese, wie sie in der Welt als Zustand der Ijewnssten In-
flividuen auftritt; hier ist, um mit Hartmann zu reden, unbefriedigtes
W^ollen, d. h. das Ziel, welches der wollende Mensch im Auge hatte,
ist von ihm nicht erreicht worden; der Grund dieses Fiasco war in
allen Fällen ein dem wolletiden i^fenschen entgegenstrebendes Etwas
in der Welt, dessen „Willensstärke" diejenige des .Menschen übertraf;
ein W'ollendes wurde dnrdi ein anderes Wollendes gehemmt, und die
Möglichkeit dieser Hemmung ist in der Individualität und der da-
durch bedingten Gegensätzlichkeit der wollenden Individuen der Welt
begründet. Nicht das Absolute wurde in seinem Wollen nicht befrie-
digt, sondern das Individuum, nicht das \\ olit ii überhaupt in der Welt
wurde vernichtet, sondern höchstens das \\'ollen eines Individunins,
nicht also das „ Wesen sondern die „Erscheinung^', wie ich nütHartp
mann sagen könnte. Daher kann auch nicht das Absolute, soiir
dem einzig und allein das Individuum Unlust empfinden und,
„TrSger^' dieser Unlust sein. Nicht das Wollen überhaupt, sondern
das individuelle Wollen blieb ja unbefriedigt, das menschliche Snbject,
nicht aber das absolute Subject der Welt wurde in Erreichung
Tttrwirklicht und dadurch seine Befriedigaug herbeiftthrt, ereignet sich nicht«, was
mit Wflko in Opposition kflme, und da jeder Zwang von aalten fehlt und der
Wilk: nur seinen cii^eur-u ri»nsequen/.en Raum gibt, kann es zu keinem Bewnaat-
sein k-nnncn. Aiuhrü siellt sieh dio Sache, wo sich bereits ein liewnsstseln
etabliri liar. «las Bfobachtuugeu und Ert'ahruntren sanmieh und vergleicht. —
Wir küuutu mit (jewissheit sagen, das.-* der mit Vttrstellung erlUUte Wille vor
Entstehung des organischen Bewus-stseius keine Befriedigung als Lust empfinden
kOnne.'*
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seines Ziels gehemmt; wollte das Letztere Vtehauptet werden, so
müsste das Undenkbare geschehen sein, dass nämlich das absolnte Sub-
ject durch ein „empiiisches Subjeet'*, welches doch nach Hartmann
dessen Erscheinung ist, gehemmt und also dasselbe Wollen zu glei-
cher Zeit noch ein anderes Wollen gewesen wäre.
Die Unlust also, welche aus der Nichtbefriedigung des Wollens
der Individuen für letztere resoltirt, kann unmöglich auch noch dem
Absoluten gebucht werden, ein solches doppeltes Anschreiben kann
keineswegs gestattet werden. In dieser Hinsicht behält Bnddlia l^echt,
dass die Unlust in der Welt ihre Quelle in der mensclilichen
Individualität als solcher habe, dass also nicht aus dem \\'ollen als
Thätigkeit liberhaupt, sondern aus dem individuellen \\ rillen das
Leid abzuleiten sei, so dass demnach auch einzig nnd allein das Indi-
viduum Mensch diese Unlust empfinden kann.
Die pantheistische Verwischung des Gegensatzes vom
Absolnten und dem Individuum ist Schuld daran, dass bei Hart-
mann irrthümlicher Weise die „Unsumme von Weh der Gesammtheit
der individuellen Creatoren** zur „Ineinsfassong im absoluten Subject**
gelangt; jene Verwisdiong dient hier dazu, das f&hlende menschliche
Sabject mit dem Absolnten zu identificiren, d. L dieses letztere in
die menschliche Individualität einzutanch^, an andern Orten aber
dazUf das Absolnte mit dem menschlichen Subject zu identifidren, d. i.
dieses letztere zum Absoluten anfzubanschen.*)
Eine Position also des metaphysischen Pessimismns des Absoluten
nach der andern erweist sich als unhaltbar: sowol das leere Wollen,
als auch die Unendlichkeit desselben sind grundlose und widerspmchs-
Tolle dogmatische Behauptungen, nnd anderseits das Überschreiben
des Elends der Weltindividuen anf das Conto des „absolnten Subjects**
ist eine rundweg abzuweisende ftetaßaütg ets aXXo yivos. Ich könnte
nmi hier schon mit der Kritik schließen nnd die pessimistische Sitten-
lehre Hartmanns in Folge meiner kritischen Ergebnisse fOr ungegrttndet
erklliren. Da indes immer noch behauptet werden möchte, dass jener
metaphysische Pessimismns des Absolnten dennoch wenigstens mög-
lich sei, indem eben die Einsicht in' jenes metaphysische Gebiet höchst
schwierig und daher mehr anf intuitive Divüiation abzustellen wfire,
so wird es angezeigt sein, die praktische Seite dieser Weltanschauung
*") Teil ITilire als Beispiel aus Hartmann folgenden Satz an: „Uiul das Wesen,
•las all dies unonnes>lichi' Leid träLrr und ihirch den tele">litiri''< lien Weltprcrcss iiafh
Authebnn^r dieser nanuiiloseii riistligkeit trachtet, ist kein andens uls mein We-
sen": man beachte hier auch das zweideutig gebrauchte Wort „Wesen".
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selbst ins Au^e zu lassen und zu prüfen, ob anf der hypothetischen
metai)liysiNchcn Basis, die dann auf puren Glauben hin auge-
noninien werden niiisste, wenigstens eine Sittenlehre uüt realisii-bai^em
Inlialt zu gewinnen ist.
Bevor aber zu dem Ende die ^lotivationski'aft sowol als auch die
Erreichbai'keit des aus dem metaphysischen Pessimismus irewounenen
sittliclien Zwecks zur directen Untertersuchnng )L'"elang't. gilt es noch
mit wenigen \\ oi-ten die Mfipliclikeit einer Teleologi(^ auf Hartmanns
Standpunkt zu erörtern, da ja doch der reale Zweck eine notiiwen-
dige A'nraussetzunir für jede gesunde Sittenlehre ist.
Hart mann ist es ja auch gerade, welcher stets als bestimmte>
Postulat des sittlichen Bewusstseins den Zweck und seine Realität
betont; es fragt sich nun, ob er auf Grund seiner Auffassung van
Absoluten als dem Unbewussten einen Zweck annehmen darf. Ich will
liier abseilen von jenen in der Philos(ij)lne des l'nbewussten prä>eu-
tirten sogenannten iuducliven Belegen für die gi'oße „Wahrscheinlich-
keit der teleologischen Weltanschauung", da die „Resultate" weder
durch die wissensciiaftliche Methode inducliver For.schung gewonnen
sind, noch auch, wenn sie wissenschaftlich gesichert wären, einen Beleg
bilden würden für die Teleologie eines l^nbewussten, sondern mu*
für die eines Absoluten. Auf wenige Bemerkungen aber muss ich
mich natürlich beschränken und kann hier meine Bedenken nur an-
deuten.
Ist Bewusstsein die nothwendige Voraussetzung für die
Möglichkeit des Zwecks? Die Beantwortung dieser Frage ent-
scheidet iiber die Hartmannsche ,. Teleologie des Unbewussten''. Der
Begriif des Zwecks bezieht sich auf Solches, was ich, indem ich es
vorstelle, yerwirklichen will; stets bin ich mir dessen, was ich
Zweck nenne, bewusst, streiclie i'h dieses Bewusstsein, so streiche
ich für mich auch den Zweck. Nicht der Umstand, dass etwas sich
als „vernünftig", „logisch" mir erweist, und ebenfalls nicht der Um-
stand, dass dieses Etwas die Folge der Thätigkeit eines Indinduums
(sei es „höherer^ oder „niederer Ordnung", das bleibt sich gleich) ist,
berechtig mich schon, dasselbe als Zweck des thätigen Individnoms
zn behaupten, sondern dies darf nur dann geschehen, wenn dasselbe
vom Individuum gewollt, d. L (Hartmann zwingt mich zu diesem
Pleonasmus) bewusst gewollt ist Da nun dem Unbewussten jedes
Bewusstsein einer Vorstellung abgesprochen wird, so kann es als thätiges
picht ein Zwecke verfolgendes sehi, wefl das Zwecksetzen das Be-
wusstsein voraussetzt. Hartmann hat sich bekanntlich durch die Be-
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hauptung von unbewusster Vorstellung und unbewusstem Willen des
„ünbewnssten-* ans dem Gedrünere ziehen und für das Unbewusste
dadurch den Zweck retten wollen, aber die nüchterne Wissenschaft
kann ihm hier nicht folgen, und die unbewusste Vorstellung des
Absohlten ist und bleibt gleichwie das leere Wollen desselben
eine leere Phrase. Dieses Kind Hartmannscher Phantasie ohne
Rückhalt beim rechten Namen zu nennen, ist um so mehr geboten, als
Hart mann trotz aller gegründeten wissenschaltlichen Einwürfe mit
seinem leereu Wollen und seiner unbewussten Vorstellung ungestört
■weiter zu hausiren wagt.
In Wahrheit bricht nicht nur das „leere Wollen*', sondern auch
die „unbewusste Vorstellung'* ein Loch ins Unbewusste, jenes mit dem
von Hartmann selbst behaupteten Bewusstsein des Unbew^ussten,
dieses mit dem von Hartmann gleichfalls behaupteten W'eltzweck, in
Folge dessen Hartmanu dem Unbewussten consecjuenterweise auch das
Zweckbewusstsein beilegen müsste. Für Hart mann ist es auch wol
gleichgültig, wie \iel Löcher sein Unbewusstes erhält, wenn es nur an
dem einen Punkt dicht bleibt, der das Verhältnis von Wille und Vor-
stellimg im Unbewussten, nämlich die Unmöglichkeit der „Emancipation"
der letzteren von dem ersteren, berührt. Wüi*de aach an diesem Punkte
ein Loch durchgestoßen, so mfisste der Weltprocess ein unvernünf-
tiger sein. Nach Hartmann nun ist im Unbewussten die Vor-
«tellnng das „Weib*', der Wille der ,,Mann'S jene ist unter diesen ge-
bunden; erst wenn Bewusstsein auftritt, kann sich, wie Hartmann
sagt, die Vorstellimg vom Willen emancipiren, ja denselben sogar
nun Sclaven machen. Wäre im Absoluten nicht nur steUenweise Be^
wnsstsein, so würde die Emancipation der Voi^stellung schon vor dem
Weltprocess vorhanden sein, das Absolute würde also das leere Wollen
direct zur Buhe weisen können, ohne des durch den Weltprocess
faervorgemfenen Bewusstseins der endlichen Individuen zu bedürfen.
Der Weltprocess würde aber dann auch freilich selbst als nnvemfinftige,
nnzweckmäffige, menschenquälensche und selbstquälerische Institation
des Unbewussten erscheinen. Wir müssen, so fhigwürdig uns andi jene
Gebundenheit derVorBtellnng unter den Willen im Absoluten ersehenen
mag, diese phantastische Darstellung des Verhältnisses von „Wille und
Vorstellung*^ hier einmal einikch hinnehmen, um nun endlich die zweck-
gesetzte Welt des Absoluten in Hinblick auf die Sittenlehre betrachten
zu können.
In der Hartmannsehen Ethik nimmt das Absolute diejenige Stelle
ein, welche in der Buddhistischen der Mensch inne hat, so weit es
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nämlich das Wollen nnd dessen Motiv betrifft; denn wie im Buddhis-
mus der vom Pessimismus erfüllte Mensch zum Wollen motimt wird
durch sein eigenes Leid, so kommt das Absolute nach Hartmann eben-
falls durch das Bewusstsein seiner eigenen absoluten Qual zum Wollen:
,,Krli)simg seiner selbst aus dieser (^iial" ist in beiden Fällen der
Zweck des vou der (^iial betroffenen Wollenden. Ein solches Wollen
des „Subjects" ist für eines Jeden Verständnis (dme Weiteres durch
die Situation des Gequälten hinreichend bes-ründet, nnd wii' begreifen
daher auch auf Grund desselben bei Ilartiiianu den W'eltprocess als
dieses zweckentsprechende Wollen des Absoluten.
Dieses eudä monistische Motiv aber fällt in der Hartniannschen
Sittenlehre tVir das sittliche Wollen des Menschen weg. Der
empirische Pessimismus des Individuums soll ja nicht etwa das Motiv
des W'ollens abgeben, sondern derselbe ist nur ein Mittel, um den
Menschen vor eudämonistischen Zwecken zu warnen und von endänvi-
nistiscliem Wollen zurückzuhalten; aus seinem eigenen Elendszustaiil
soll eben deshalb das sittlich wollende Individuum kein Motiv her
erhalten, weil dies Wollen nicht auf die Erl(»sung des Individuums
abzweckt. Und wenn es sich auch zeis-t. dass der Einzelne bei dem
von v. Hartmanns Absoluti'm «^geforderten sittlichen Wollen noch immer
das ».relativ erträcrlichste Leben von Allen führt", obwol auch
dieses ,.weit entfernt ist von einer positiven eudämonistischen Bilanc»'-.
so soll doch stets diese Thatsache nimmermehr den sittlich Wollen-
den bestimmen. An die Stelle des eig-eneii Leids tritt als Motiv
des mensi'hlichen sittlichen Handelns fürHartmann der G ottesschmerz,
welcher bekanntlich auf Grund der thatsächlichen Unseligkeit Gottes
in dem mit Gott sich identisch Wissenden entstehen soll. Durch
diese Wesensidentität des Menschen mit dem Unbewussten erhält das
Motiv des sittlichen Handelns, welches scheinbai* außer allem Contact
mit dem Individuum war, dennoch die so nöthige individuelle Basis:
der reale Gottesachmerz ist phänomenaler Eigenschmerz, dahei kann
er das Individuum motiviren und die Erlösung des göttlichen Wesens
ist für dieses Individuum die Erlösung des eigenen Wesens: ^wie
sollte ich", schreibt Hartmann, ,.da das Wesen, welches all dies une^
messliche Leid trägt, kein anderes als mein eigenes Wesen ist, wie
sollte ich da nicht Alles aufbieten, den Weltprocess zu befördern!"
Um diesen (rottesschmerz in sich zu tragen, ist die erste Voraus-
setzung der Glaube an die Wesensidentität des Ich mit (^ott.
der sich zu dem Ausspruch versteigt: „sofern ich Wesen bin, bio
ich Er selbst", und die zweite Voranssetznng ist der Glaube an
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die Unseliirkcit Uuttes. <lie ich, obwol ich als WV.sen er selbst bin,
eben doch nicht selbst erfaiire. denn meine Unlust ist nicht Gottes
l^nseligkeit , und meine Unlust eiialire ich. ..sofern icli Ki-scheimm^
hin**, und niclit sofei-n ich Er selbst bin. Indem icli aber den (iuttes-
schnierz liabe, weili icli mich als Kr selbst, sein Schmerz ist mein
Schmerz, und das mein ^\'olleu Motivirende in diesem Schmerz ist
eben das l^ewusstsein. dass derselbe mein Schmerz ist: so kommt hier
schließlich doch wieder der «gleiche motivirende Factor zum Vor-
schein, wie in den andern pessimistischen Sittenlehren: nämlich das
eis'ene Leid. Und zwar wird dieser Factor nun um so intensiver
wirken, je persönlicher das J^eid erfasst wird, und um so schwächer,
je allgemeiner es als Gottesleid gedacht wird. In dem Grade also,
als der makrokosmische Pessimismus des Absoluten scharf und
rein hingestellt wird, schwindet die Motivationskraft des sittlichen
Princips, das aus ihm herausentwickelt worden ist, für den Menschen,
nnd sie steigert sich, je mehr jener Pessimismus sich in den makro«
kosmischen Pessimismus des Individuums zurückbiegt.
Aber noch ein Anderes schwächt die Motivationskraft solchen
sitüichen Princips und lässt den Grottesschmerz nicht aufkommen: dies
ist der widerspruchsvolle Gedanke von der T^nseligkeit des Absoluten
selbst, den ich im Vorhergehenden erörtert habe. Das Denken sträubt
sieh dagegen, denselben anzunehmen, und ohne ihn ist der G^ttes-
schmerz, dieser indi>iduelle Widerschein des tiefen Wehes des un-
seligen Absolnten^^ für den Menschen platterdings unmöglich.
Ein Umstand aber ist es vornehmlich, welcher mich starke Be-
denken gegen die Motivationskraft des Ton v. Hartmann aufgestellten
sittlichen Princips hegen liisst: dass nAnüich das motivirende Gef&hl
des Gottesschmerzes nicht ein unmittelbares, allen Menschen ur-
sprflngliches, sondern aus wissenschaftlicher Reflexion herange-
zflchtetes ist, welches noch dazu am Widerspruch des speculativen
Phantoms ersticken muss. Insofern also ist das sittliche Prindp
Hartmanns weder für den gemeinen, nicht reflectirenden Mann prak-
tisch, denn dieser wird sagen, dass ünseUgkeit qnd Gott mit einan-
der sich nicht ftir ihn reimen lassen, noch ist dasselbe f&r den wissen-
schaftlich gebildeten Mann praktisch, da alle Anstrengungen Hartmanns
nicht den logischen Widerspruch, welcher in der Lehre vom me-
taphysischen Pessimismus liegt, verwischen können.
Auf die Gebildeten aber stellt ja offenbar Hartmann mit seiner
Lehre ab, denn nur diese werden so weit in das Verständnis des
metaphysischen Pessimismus des Absoluten eindringen können, um
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ans ihm heran«? von dem znr Sittlichkeit motivirendeii Gottesschiiu rz
durchdrungen zu werden. Von dem empirisclien ]\^s.<iinisnins
aber, der, wie Hartmann meint, mit fortschreitender Entwickhing immer
breiter in der Menschheit sicli entwickeln werde, ist für die l^^ilisirung
des von v. Hartmann aufgestellten sittlichen Zweckes etwas PosiTives
nicht zu erwarten, derselbe kann höchstens nm* negative Dienste
leisten. Alle positive Hoffnung für Haitmanns Sittenlehre ist demnach
auf die Erfassung des von ihm verti-etenen metaphysischen Pessimismus
des Absoluten gestellt; dieser aber setzt ein gebildetes, wissenschaft-
liches Bewusstsein voraus, welches jedoch seinerseits sich geireniiber
dem metaphysischen Pessimismus stets ablehnend verhalten muss,
weil es schon in dessen Tsidei'spruchsvollem Tnlialt ein unüberwindliches
Hindernis erblickt, das praktische Leben auf denselben zu gründen.
Zu dem ablehnenden Verhalten der reüectirenden \'ernunft gegen-
über dem metaphysischen Pessimismus und zu dem daraus resnltiren-
den Mangel an Motivationskraft des aus jenem Pessimismus theoretisch
entwickelten sittlichen Princips kommt, um die Ablehnung der Hart-
mannschen Sittenlehre noch bestimmter zu betonen, der Umstand hinzu,
dass die Erreichbarkeit des sittlichen Zwecks, welchen der
metaphysische Pessimismus proclamirt, für den Menschen uu-
denkbar ist.
Eine an jede Sittenlehre zu stellende Forderung besteht
darin, dass das von dei*selben ausgesteckte Ziel diu-ch das sittliche Streben
der Menschheit erreicht werden könne, d. h. dass es denkbar sei,
den Zweck durch das menscliliche Streben zu realisiren, wenn aach
die Realisiniiig fiberhaupt nicht als Erfahrungsthatsache vor-
liegen mag.
Die absolute Trostlosigkeit, welche den Anhänger des meta-
physischen Pessimismus, wenn er auf das von dessen pessimistischer
Sittenlehre dem menschlichen Streben gesteckte Ziel schaut, umschatteii
wiixl, mnss aUe Thatkraft lähmen, ireil es eben undenkbar ist,
jenes Ziel zu erreichen.
Dieses Ziel ist bekanntlich die Vernichtimg des Wollens, das heiAt
aber die Vernichtung nicht des menschlidien, sondern des Wollens des
Absoluten. Eine solche Vernichtung ist nun nach Hartmann nur erreich-
bar auf Grund der Emandpation der nVorsteUung** vom „WiUoi^,
d. h. also nur durch bewnsste Wesen, und zwar durch solche, walehe
diesen Vemichtnngszweck als eignen Lebenszweck erkannt und als
den ibrigen praktisch aufgenommen haben. Setzen wir nun zanichst
den FaUf die Vernichtung des WoUens des Absoluten, und zwar sow<d
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diejenige des ^^erfüllten" als die des ^leeren** Wollens, könne wirklich
en eiclit werden, wenn alle bewussten Wesen der Welt, wie Hartmann
es plant, in einem ,.gleichzeiti!ü^en ^gemeinsamen Entscliliiss" der Willens-
veiTieinimg obliegen und su das Wollen des Absoluten iitterliaupt in
seine ..reine Potentialitäf • zurückschleudern; so ist doch selbst schon
(lieser gemeinsame Entscliluss als realisii'bar nicht einmal denkbar,
abgesehen davon, dass nicht zu begreifen ist, wie „die menschliche
Willensverneinung, dieser kleine Ausschnitt des Weltwollens, auch
niu- den gesammteu actuellen Weltwillen ohne Rest verneinen'*
konnte.
Der gleichzeitige gemeinsame Entschluss ist el)en nicht denkbar,
weil der Entschluss selbst schon einen beträchtlichen Grad geistiger
Entwirkluii^r im Individuum voraussetzt; aber selbst wenn wir un.s
aucli denken könnten, dass bis zum letzten Australneger und Eskimo
herab einst die erwachsene Menschheit die Stufe der Entwicklung
gleichzeitig einnähme, so blieben die Kinder als ein Rest zurück,
welcher nicht hineingerechnet werden dürfte, weil die von der Ilart-
mannschen Sittlichkeit geforderte Entwicklung des (Teistes die persön-
liche Erfahrung veraussetzt und von dieser nicht unabliängig gemacht
werden kann, ohne den Menschen und sein Wesen total zu ändern:
diese Erfahrung aber kann bei dem Kinde noch nicht vorhanden sein.
Es wiii'de also in den Kindern immer not h (^in bewusster actueller
Wille an der Seite des sonstigen von Hartmann angenommenen unbe-
wussten actuellen ^^'eltwillens gegenüberstehen der Willensverneinung
der erwachsenen „sittlichen'' Menschheit. Und selbst angenommen,
dass in „femer Zukiuift die erwachsene Menschheit eine solche Menge
Geist und Willen in sich vereinigen könne, dass der in der übrigen
Welt thätige Geist und Wille durch ersteren bedeutend überwogen
wird", so lässt sich darauf doch nicht der Schluss aufbauen, dass die
Majorität mit ihrer Wiliensvemeinung die wiliensbejahende Minorität
ZQ derselbe Willensvemeinung^) werde zwingen können, da wenigstens
der unbewnsste Weltwille der Naturdinge tliesen Zwang nicht er-
fahi'en könnte und auch wol nicht der bewusste Weltwille der Kinder.
Das der Menschheit von v. Hart mann gesetste Ziel ihres sittlichen
Strebens abei- stößt noch auf weit größere und zwar undenkbar zu
beseitigende Scliwieiigkeiten. Selbst wenn da^ bewusste Wollen der
den Willen verneinenden erwachsenen Menschheit den gesammten
*) Dim ist wol gemarkt natttrlich etwas ganx anderes als die Veraichtong der
individiidleii Existenz.
4. Jüag. Heft X. 41
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actuellen Weltwillea durch gleichzeitigen gemeinsamen Entschluss
vernichten könnte, so ist es doch undenkbar, dass mit dieser Vernich-
timg des „erfiUlten Wollens" des Absoluten auch dessen ^.leeres
Wollen" aufgehoben sein würde. Man kann hier nicht entgegen-
halten, dass ja das Unbewusste nach Hartmannscher Auffassung, wie
bei den Unlustempttudungen der Menschheit, so auch beim bewussten
Wollen der Menschen als das absuliiie Subject fuugire und daher
als das eij^entliche Subject jener Willensverneinuug dajs Wollen iii)er-
haupt, also mit dem erfüllten auch das leei-e Wollen, verneine.
Wie ich schon bei dem ,,^^'eltleid•* das Unthuuliche gezeigt habe, an
Stelle der Gesaunntheit der individuellen Träger das Absolute
zum Subject dieses Leides zu proclamiren, so leuchtet dies Unthunliche
für die menschheitliche Willensverneinung wol <dine Weiteres
ein. Ich hätte schon damals, als ich das absolute Subject zuriu kwie^i
als möglichen Träger aller Lust und Unlust des Weltprocesses".
darauf hinweisen können, dass das Absolute als I^nbewusstes vnn
V. Hartmaim gar nicht zum Träger der Lust gemacht werden kann,
ohne da.ss er gegen seine eigene Auffa,ssung des Unbewussteii und
seine ?^.rklärung, dass die Lust das Bewusstsein voraussetze. Fr«»nt
mache. Diesen i)rincij>iellen Einwand, der wieder recht klar die pan-
theistische Vermischung und unklare Verquickung des absoluten und
menschlichen „Indinduums" in ihrer ^-anzen Blöße ans Licht stellt,
habe ich absichtlich bis auf den SchUiss meiner Erörterung verspart,
weil er iiier in seiner vollen Berechtigung noch zweifelloser hei-ao:»-
treten wird.
Wie ich sch(»n andeutete, ließe .sich auf Grund der von der er-
wachsenen, gebildeten Menschheit in Scene ge.^et;cten bewussten Ver-
neinung des actuellen Welt willens die Möglichkeit metaphysischer
„Willensvemeiiiung" nur dann denken, wenn das Unbewusste auch als
„absolutes Subject" jener Verneinung angesehen werden dürfte. Ließe
dich dieses denken, so bedürfte es aber nicht einmal des gewaltigen^
von Hartmann heraufbeschworenen Apparats des gleichzeitigen Ent-
schlus.ses der (resammtheit der Gebildeten, um die Vernichtung des
WoUens des Absoluten eben durch das wollende Absolute möglich zu
machen, es würde \ielmehr schon ein einziges, die Wiilensvemeinung
wollendes bewusstes Individuum genfigen, da ja mit ihm auch zugleich
das Absolute jenes die Wiilensvemeinung wollende Subject wäre nnd
demzufolge schon auf Grund dieses einen Falls sein gesammtes (..er-
fülltes-' und „leeres") Wollen vernichten könnte; auf ein Paar wollende
Individuen mehr oder weniger käme es doch hierbei gar nicht an.
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Nun ist es aber, will anders Hartmann seinem theoretischen Princip
des ünbewussten treu bleiben, für ihn i^anz unmöglich zu behaupten,
dass das Unbewusste das absolute Subject jenes Wollens sei, wenn das
,.empinsche" Subject Ich die Willensverneinung wolle, d. i. bewusst
wolle; denn das, worauf es fUr diese Willeusverneinung doch einzig
und allein ankommt, ist nicht, um Hartmannisch zu reden, das Wollen
überhaupt, sondeni das bewusste Wollen; das Bewusstsein eben
ist ja nach Hartmann selbst die noth wendige Bedingung des Er-
lösungs-Wollens; daher kaan also das Unbewasste nicht das abso-
lute Subject dieses Wollens sem, eben weil es ja kein Bewusst-
sein hat.
Ist es aber nur die Gesammtheit der bewussten gebildeten Indi-
Tidoen, welche von einem gleichzeitigen Entschluss der Willensver-
nelnmig erfUlt sein können, und kann das Unbewasste nicht als das
abaohite Snbject dieses Entschlusses gedacht werden, so verschwindet
Jede Möglichkeit, anzunehmen, dass mit einer etwaige Vernichtung
des erffillten Wollens durch die Mbewussten*' Menschen auch das
leere Wollen des Absoluten dahin&Uen werde.
Damit ist der volle Blick auch in die Trostlosigkeit der von
T. Hartmann entwickelten Sittenlehre des metaphysischen
Pessimismus eröflhet: Die gehoffte Erlösung des Absoluten
Tom Wollen durch das bewusste menschliche Streben ist und
bleibt eine Illusion, somit ist der Lebenszweck des Menschen
eine Illusion und der Zweck des Weltprocesses eine Illusion.
Denn das leere Wollen des Absoluten würde sicli, selbst wenn der
actuelle Weltwille auf die von v. Hartmann geträumte Weise vernichtet
wäre, sofort wieder der Vorstellung, die ja im außerweltlichen Tnbe-
bewussten nie ^emancipirt" werden kann, bemächtigen und ..erfülltes'*
Wollen , d. i. W e 1 1 , werden ; alles ,. s i 1 1 1 i c h e" 8 1 r e b e n de r
Ulieigennützigen Menschheit würde also zwecklos, weil um-
Bonst sein.
Wenn aber diese Einsicht gewonnen ist, fällt für uns die ganze
Grundlage der Sittenlehre Hartmanns zusammen. Ich nehme hier
Hartmann selbst beim Wort: ,.In einem Punkte (was das sittliche Be-
wnsstsein der Menschheit betrifft ) daif man eine foi*tschreitende Klärung
anerkennen, in der zunehmenden Deutlichkeit des Bewusstseins, dass,
wenn überhaupt von einem göttlichen oder absoluten Willen und dessen
Inhalt als metaphysischer Voraussetzung des sittlichen Bewusstseins
soll die Bede sein können, dass dann der Inhalt dieses Willens
als ein logischer, rationeller, vernfinftiger verstanden weiden
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mttsse, dass aber ein Wille mit veruünltigein Inhalt oder eine i»rak-
tisch sich äiißei'nde logische Idee nur als Zweck betrachtet werden
müsse." Ich neliiue Hartmaim beim \\'ort und erkläre, dass, da jener
W'eltzweck, welcher die absolute Willensvenieinung im Auge hat, sidi
als baare Illusion dem logischen Denken erweist, nicht vom \\'illen
des Absoluten gesetzt sein kann, %veil eben jener Zweck unveinünf-
tig, alogisch, irrationell ist, und dass, wenn anders das Absolute
das Attribut des Logischen soll behalten können, die Welt und ihr
Process einen anderen Zweck und demgemäß auch der Mensch
einen anderen Lebenszweck als denjenigen dei* Erlösung des Ab-
soluten vom \^'ollen, zuerkannt bekonunen muss.
\\'ii- sind mit der Untersuchung der Grundlegung der Hartmann-
schen Sittenlehre zu Ende; das Wahre und Bleibende, welches in ihr
enthalten ist, liegt in der Begründung des Lebenszwecks des
Meu seilen im Absoluten, in Gott, eine Begründung, die es eben
Hartmann trotz allem Pessimismus dennoch möglich machte, ein
positives ethisches Princip aufzustellen. Wenn sich aber tüi'
Hartmann trotzdem, dass dieses Positive nun dem Menschen jeden Ge-
danken an Selbst Verneinung, an Selbstmord, wie er aus dem
begleitenden empirischen Pessimismus resiiltiren könnte, rundweg
abschneidet, als Ziel des rastlosen Strebens der ^len.'^cliheit der
Weltmord aiit'tlmt, so hat dies wiedemm seinen Grund in jenem, dem
Absoluten selbst angedichteten Pessimismus, welcher letztere
jedoch freilich der wissenschaftlichen Kritik keinen Berechtigungs-
schein vorzuweisen vermag. — Die Verwerthung des empirischen Pes-
simismns aber durch Hartmann in der Sittenlehre wird im ITolgeudeu
noch zu näherer Untersttchung kommen.
(FortsetBung folgt.)
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Eine geHeinsave Mittelsclmle.
Vm Th, Vemaieken-€has.
In der Berathungscommission für Älittelschulen, die in Wien tagt,
wird es sich wol nicht blos dsmm bandeln, dem einen Fache weniger,
dem andern mehr Stunden znznweisen. Unsere Zeit yerlmigt eine
gründliche Umgestaltung beidei* Mittelschoien (Gymnasiam und Real-
schule); sie verlangt, kurz gesagt, Vereinigung beider Anstalten
in Eine (schon ans öconomischen Gründen), und A.ussc1ieidung alles
dessen, was die Schüler minöthigerweise belastet Schon die neuen
technischen Hochschulen ^veisen darauf hin, dass das Verhältnis der
Stände ein anderes geworden. A\'ir wissen anch, dass Naturwissen-
schaft und Volkswirtschaft die Signatur nnserer Zeit ist, und diese
muss auch von der Schule beachtet werden, aber ohne Benachtheili-
fung der allgemein menschheitUchen Bildungselemente.
Es sind darüber in den letzten Jahren viele Zeitungsartikel und
ganze Broschfiren geschrieben worden. Namentlich erinnere ich an
die Fragen ftber Zulassung der BealschQler zum medicinischenStudinnit
über die Art und Weise der ReifeprOfängen und ftber die zu lehrenden
Sprachen. Wir wollen das alles hier nicht wiederholen; die darüber
zu Bathe sitzen, werden es gelesen haben, namentlich die Broschüre
von Emil Du Bois-Beymond über ,,Onlturgeschichte und Naturwissen-
schaft^. Dieser Mann geht historisch "zu Werke und beweist, dass
der Geist des Gymnasiums nicht gehörig Schritt gehalten mit der
Entwicklung des modernen Geistes der Menschheit Dies veranlasste
die Errichtung von Realschulen, die wiederum eine andere Gklhhr in
sich bergen und hie und da im Abnehmen begriffen süid. „Sobald
das Gymnasium — sagt Beymond mit neuem Geiste sich tränkt
und geeignete Vorbildung auch solchen gewährt, welche andern als
Gelsteswissensdiaften fsich widmen, wird jene Nebenbuhlerschaft von
selber aufhören. Die viel erörterte Frage nach Zulassung der Beal-
«chul-Abiturienten zu Facnltätsstudien wäre dadurch aus der Welt
geschafft, dass die Realschule auf das ursprünglich ihr zugedachte
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•
Maß eiller in ihrem Kreise selir nützliclien Gewerbe.scliule zui-tick-
giuge.'' Keymond ^vinlscllt auch, (hiss die furniale Beschält ijuimi,^ mit
(lern (Triecliisclieii eingeschränkt werde, ebenso die unersi)neßliche
BeliaiuUuiig der bürgerlichen Parteikämpfe in der (Teschichte. Auch
sa«:eii liundei le von Schlümännern mit ihm: ..Kein e:nechisclies Scriptum
meiirl" aber Eintiiliriing in den Geist des Altertliums und iiielir Leetüre,
auch größere Berücksichtigung der Culturgeschichte und weniger natur-
wissensdiat'tliche Specialitäten, die der Hochschule und den Fachschulen
vorgreifen. Übergreifende Fachprofessoren haben der ünterrichts-
harmonie am meisten geschadet, dakei* die „ÜberbürduBg'* oud geistige
Abschwächung.
Es ist wol des Versuclies wert, die Gnmdzüge zu zeichnen zu
einer ungetrennten Mittelschule, zu einer solclien Anstalt, die für
alle Arten der Hochschule vorbereitet. Daneben müssen natürlich
bestehen: Berufsschulen, namentlicli Lehrerbiklungsanstalten, höhere
Gewerbe-, Handels- und Kunstgewerbescliulen (vergl. Dumreichers
Schrift ..Über die üntemchtspolitik")» Letztere Anstalt^ wären
äbei^all den localen Bedürfiiissen anzupassen und nicht — wie das bei
den österr. Bealscholen geschehen ist — über einen Leisten zn
schlagen.
1. In einem solchen Sclassigen Kealgynuiasilim gehen Deutsch
und Latein, Mathematik and Zeichnen stufenweise dnrch alle
Olassen.
2. In den unteren ( lassen Naturbeschreibung, Geographie
nnd Erzählungen aus der Geschichte; in den mittleren und oberen
Classen allgemeine Erdkunde in der organischen Zusamroen&ssimg
wie in dem I^eitfaden von Hann, Hochstetter und Pokomy (astrono-
mische und physikalische Geographie, Greologie, Biologie).
In den beiden obem CUssen: Cnltnrgeschichte mit EinscMoss der
ReUgionsgeschichte. Ein confessioneller Beligionsonterricht ist Frirat-
sache der betreffenden Kirchengemehiden, dagegen mnss für Gesangs-
unterricht Gelegenheit in der Anstalt geboten werden, wie auch f&r
körperliche Übungen.
3. Deutsche LectQre: In den untern Classai Episches ans der
deutschen und griechischen Dichtung. Vortragaftbungen. In den mitt-
lem und obem Classen Übersetzte Proben ans griechischen und latei-
nischen CUssikem, mittelhoehdeutsche Dichtungen mit ErUämngen,
neuhochdeutsche OUssiker, endlich eine Übersicht Über den Ent-
wicklungsgang der deutschen Literatur und das Wiclitigste ans der
griechischen und germanischen Mythologie
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Lateinische Lectüie: Ausgewählte Stiicke aus dtu Classikern
der Römer; Schulausgaben lateinisclier Scliriftsteller.
Als Seiteustück eine deutsche und eine lateinische Grammatik
für die ganze Anstalt, mit möglichst gleicher Terminologie.
4 Stilttbttngeii: Für die untem Classen Ubersetzungen aus dem
Latein, in den mittlem Referate über Hauslectüre u. a.; in den obem
Classen selbständigere Aufsätze concreter Art. In Betreff der latei-
nischen Stilübungen adhuc sab judice Iis est.
5. Während der Eintritt in die Berufsschulen erst nach den
Volkssdumahren stattfindet, gescMdit die Aufiiahme in unsere Mittel-
sehale nach vollendetem 10. LebeniEjahre, und die Knaben haben noch
2 Jahre hindurch nur Chissenlehrer, nicht Fachldirer. Nach Ahsol-
Tinmg von 4 Classen wird sich eine Anzahl den genannten Bemfe-
fldnden zuwendoi, bei andern zeigt sich die Neigung entweder f&r die
sogenannte humanistische oder ihr die technisch-industrielle Laufbahn,
und diesem Umstände soll das Bealgymnaamm Bechnung tragen. Hier
mögen sich die Wege scheiden, aber nur bezüglich der sprachlichen
Vorbereitung Üb* die zwd verschiedenen Hochschulen: die technische
und die humanistisch-gelehrte. Demgemäß wählen die Schüler in den
4 obern Classen bezüglich der Sprachen den einen oder den andern
Weg. Der lateinische und der vorbereitende Sachunterricht bleibt
allen iremeinsam. Wir haben alsdann eine Schülerabtheilung fiir die
griechi.sche Sprache und eine andere für eine der neuern Cultur-
sprachen, d. h. entweder Franzüsiscli, oder Englisch, oder Italienisch,
alter mit einer so ausgibigen Stundenzalil, dass in den 4 Jahren der
.Spraclizweck erreicht wii*d. Stndirende der Pliilulogie und Theologie,
auch wol Historiker müssen das Grieeliische an der Universität fort-
setzen, wie auch künftige Lehrer der modernen Sprachen weitere
Fachstudien zu machen haben. Die Mittelschule hat nur voi-zubereiten,
and im letzten Semester sollte statt der problematischen Propädeutik
«ine encyklopädische Übersicht über alle Gebiete der Wissen scliaften
gegeben werden, damit die Jünglinge nicht rathlos die Hochschulen
betreten.
6. Es handelt sich nun noch um die Legitimation zum Eintritt
in die akademischen Hallen, um die Beifeprüfung. Man sollte
denken, wer in die 7. und 8. Classe vorbereitet aufgestiegen ist, könne
anch mit genOgendem Abgangszeugnisse aus der letzten Classe ohne
weiteres zum Facnltätsstudium zugelassen werden. Die Staatsbehörde
sdiemt aber einer Art Controle f&r die Leistungen der Anstalt zu
bedtbrfen, und zu dem Zwecke wird ein Damoklesschwert aufgeh&ngt,
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welches den Schiilern mehr drohet als den Lehrern. Seit Jahren ist
darüber geschrieben worden, und wii* wollen auch unsere unmaßgeb-
liche Meinung nicht zurückhalten.
Wie prüft man die Reife? Darauf kommt alles an. Wiv niiisseii
sagen: Die Beantwortung liegt guteiithfils sehnn in den Lei>tiuigeu
der letzten Scluiljalire, und will man das Urtheil über die Reife ver-
vollständigen, so möge man die bereits ins Auge gefassten Wege der
Abiturienten berücksichtigen, da 2 Monate vorher jeder schon sich
für irgend eine Richtung entschlossen hat. Man kann doch nicht den
kiiutligen Juristen und den künftigen rhemiker oder Ingenieur über
den gleichen Kamm scheeren. Die allgemeine Vorbildung haben sie
gewonnen und nun soll die Ix- sondere Befähigung für diesi-n oder
jenen BtTuf endgültig bezeugt werden. Darum treten die Abitui'it^nTen
grnpiieiiweise an den giiim-n Tisdi. Es wäre aber eine wahre Tortui-.
wollte man blos auf das Gedächtniswerk ein (rewicht legen, wie es
zu einer Zeit «reschah. da fast alle Fäciier aluiepiiift wurden. Das
richtigste ist: P'ach-]\Iaturität. Fiii- den künttii^en Mediciner z. B.
nur Naturwissenschaftliches, Mathematik, Latein; für den künftigen
Juristen Latein und Geschichte, für den Philoloiren die alten S]ira<"hen
und Geschichte. In iihnli(-her Weise Beschränkuni^ auf gewisse Prüfungs-
fächer auch für die technischen Richtungen. Das Nähere wäre Auf-
gabe einer Maturitätsverordnung, \\elche die bisherige ergänzt.
7. Schließlich noch Folgendes.
Wii* haben bei obigen Bemerkungen nur diejenigen Mittelschulen
im Auge gehabt, wo eine Cultursprache zugleich Unterrichtssprache ist.
In polyglotten Staaten kann eine zweite Volkssprache wol in der all-
gemeinen Volksschule in Anwendung kommen, selbst wenn das Idiom
noch unentwickelt ist, nicht aber an ^klittel- und Hochschulen, wo es
sich nm wissenschaftliche Ausbildung handelt. Wo die Wrnunft
populflr geworden ist, da hat eine zweite Unterrichtssprache keinen
Platz, es sei denn, dass sie eine Sprache mit reicher wissenschaftlicher
und poetischer Literatur ist. Unentwickelte Sprachen oder Volks-
(lialecte. wie z. B. schwäbisch, friaulisch, slovemsch nnd selbst tsche-
chisch haben keine Berechtigung für einen höheren wissenschaftlichen
Unterricht, wie ja auch nicht jede Holzart zu allen Arbeiten geeignet ist
Diese nnvorgreiflichen Gedanken eines alten Schulmannes dürften
wol manchem nicht zusagen. Ich werde indes mit niemandem darüber
rechten nnd ihn nicht aufhalten auf seinem betretenen Pfade. Vielleicht
habe ich manches im Namen gebildeter Nicbtschulmänner gesprochen,
deren Wttnsche man bei Beformen in der Regel gänzlich ignorirt
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Wie wir unsere Schulkinder zum Lesen der Landkarten
anleiten ni$chten.
Von Johann JFreibefget^WeUerrfdd,
So mancher fremidliehe Leaer dieser Zeilen erinnert sich vielleicht
noch ans semer Studienzeit an die schweren Sorgen, welche ihm da-
Duds Glehns nnd Landkarte yerursachten. ünd doch hatte er wol
einen liebevollen, methodisch geschulten Lehrer. Heute wird Geo-
graphie bekanntlich nicht blos sn lOttel- nnd Hochschulen, sondern
auch an Volks- nnd Bfirgersehnlen gelehrt Sind nunmehr jene Sorgen
überwunden, ist hente die Einf&hrung eines Kindes in das VerstündTiis
einer fertigren Landkarte eine pädag-ocnsche Spielerei oder ein Pr(»l)l( m?
Fragen wir hierüber erfahrene Schuliiiaiiner in Stadt und Land, priilen
wii* gelej^'entlicli die Unterrichtsergebnisse in diesem Genre bei einem
Lehrer, der für Geogi-aphie eine gewisse Vorliebe hegt, prüfen wir
nach redlicher Arbeit den eigenen Unterrichtsettect ! Wir werden
Schüler treffen, welche sich nacli längerer Untemchtszeit noch wenig
oder gar nicht auf der Landkarte orientii'en krmnen. und andere
Werden uns auf unsere Fragen guten Bescheid geben. Doch wir sind
damit nicht zufrieden. Wir wollen einmal sehen, was denn den geo-
graphischen Antworten unserer bestunterrichteten Kinder in tiefster
Seele für Vorsteilungen zu Grunde liegen, welche psychischen Kräfte
diese Vorstellungen repräsentiren. Eine solche Wissbegierde ist Recht
nnd Pflicht fiir jeden Lehrer, der nicht auf äußern Glanzetfect, sondern
auf innerliche Erziehung seiner Schüler lossteuert. Ein Beispiel möge
onsere Intentionen verdeutlichen. Es steht ein Schulkind an der
Karte von Österreich-Ungarn. Dasselbe zeigt uns auf unsere Fragen
KiederOsterreich, sein Heimatland. Es findet mit Leiditigkeit die
Donau, den Ifanharteberg, den Wiener Wald, sowie die wichtigsten
Orte in Niederiteterreich. Nun interessirt uns noch zu erfthren, was
task das Kind denn eigentlich unter dem kleinen Stftckchen Leinwand,
das da fiurbig begrenzt ist nnd Niederdsterreich heißt, denkt, wir
wollen hOren, welches BUd in der kindlichen Seele von der Donan,
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von der Stadt W ieii und vun andern Orten vorhanden ist. Was be-
kommen wir vom kleinen Dor^eographen für eine Antwort? In vielen
Fällen keine, in andern Fällen hören wir, die Donau ist ein Fluß
und Wien ist eine <,n-oße Stüdt^ ist die Hauptstadt des Landes. Wenn
nur der kleine Dorffreopri-aph schon je in seinem Leben einen Fluß
oder eine große Stadt gesehen hätte! Er hat aber davon weder etwa«
in natura, noch im Bilde gesehen. Ein Vergleich in Worten durch
den Lehrer ktinnte allerdings manclies ersetzen, aber was ist z. B.
ein kleiner Schulort mit öU Strohhütten und die Großstadt Wien, was
ist der im Sommer vertrocknete Bach der Heimat und der mächtige
Donaustrom mit seinen Dampf- und Kauffahrteischiffen! Jeder Lehrer
tüldt hier eine Lücke in den geographischen Lehrmitteln und er fühlt
dieselbe doppelt, wenn sich im fortschreitenden Unterrichte immer
mehr herausstellt, wie sehr die Schüler dazu indiniren, das Lesen
einer Landkarte zu mechanisii-en und statt menschlicher Wohnorte
inhaltleere Ringelchen oder Namen, statt belebter Handelsstraßen far-
bige Linien, statt Ländern bunt bemalte Papier- odei' Leinwandstreifen
von der Karte herunter zu lesen.
Und ein Weiteres kommt hinzu. Wenn auch der Lelirer an einer
Dorfschule zuerst mit seinen Kindern den heimischen Schnlort und
dessen Umgebung in Wii'klichkeit betrachtet hat, wenn er auch diesen
Schnloit und seine Umgebung durch einfache Mittel graphisch dar*
gestellt und die SchiUer darstellen gelehrt hat, wenn er femer im
Geiste mit Ihnen Ausflüge in die entferntere Umgebung des Schul-
ortes unternommen hat, so stehen sie doch vor der ersten, fertigen
Landkai te, etwa vor der Bezirkskarte, rathlos und wissen sich lange
darauf nicht zurecht zu finden. Der Vorwurf^ manche unserer Schul-
wandkai'ten seien zn detaillirt tur Mementarschüler, trifft nicht alle;
denn wir haben heute wirklich gute, brauchbare Wandkai-ten. Wir
geben zu, dass es nothwendig sei, Kindern kleine Bilder der wiiklidien
Welt zuerst vorzufahren, ihre AntheOnahme Ittr dieselben zu wedcen
und sie dann diese geographischen Bilder graphisch darstellen und
auf einer fertigen Landkarte anfSmchen zn lehren. Der Lehrer kann
nicht laut genug betonen, dass die Landkarte nur ein Abklatedi der
Wirklichkeit sei, nur eSm Photographie, die Erde im verkleineorten
Hafistabe. Das Alles abei' sind Vorstellungen, die dem kindlichen
Geiste mehr autgedrungen werden, als natOrUch entkefanen, und die
Eindesseele reagirt dagegen und sieht dann leider nur zn hftofig in
der Landkarte — Papier nnd Farben, schön zwar auf den ersten
Anblick, aber widerwärtig wegen so mancher schwer zu meritender
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Namen, die dabei stehen. Und mag auch das bestritten werden, so
steht doch Eines fest: die erste Einlülirung in das Verständnis einer
fertigen Landkarte macht dem Lelirer wie den Scliiilern enorme Schwie-
rigkeiten. Es vergehen ^^'ocllen und Monate, bis die rudimentärsten
Dinge begriffen werden, und es herrscht hiebei nicht jene warme,
freudige Antheihiahme am Unterrichte, wie man sie sonst oft findet.
Das allein ist uns Fingerzeig genug, um in unserm Bemühen
etwas Unvollkommenes zu finden. Lieg^ diese Unvollkomraenheit in
der subjectiven Methode, oder in den objectiven Lehrmitteln? Als
subjective Methode liaben wir jene angedeutet, welche unter dem
Namen Heimatkunde längst erprobt und gesetzlich eingeführt ist
Wir konnten hier nnr von größeren Lehrera lernen, an deren Ver-
fahren es nichts zu bemäkeln gibt. Das Unvollkommene unseres
Unterrichtseffectes kann daher nur in den Lehrmitteln liegen und in
ihrem Verhältnisse zur natürlichen Geistesart des Kindes.
Die moderae Landkai*te fällt einem Kinde lange Zeit zn lesen
schwer. Wer wollte diese Thatsache leugnen! So fiUlt es einem
modernen Gelehrten schwer, die mannigfiichen Abkürzungen der demo-
tischen oder phonetischen Hieroglyphenschrift Altilgyptens zn lesen,
wfihrend die nodi weit ältere Bilderschrift desselben Volkes yerständ-
Meher erscheint Ein mäßig gebildeter Hensdi, dessen EriSgdimngen
reich, aber mehr auf bestimmte oonerete Dinge gerichtet sind, liest
sich nnr schwer in die abstracte Sprache der Philosophen hinein, die
mit ihrer Ausdincksweise oft eine Reihe von Denkproceasen um-
spannen, welche sich in jenem minder gebildeten Menschen noch nicht
vollzogen haben. Ganz ähnlich verhält mk die moderne Landkarte
zum kindlichen Denken. Die moderne Landkarte versinnlicht Wohn-
orte durch kleme Kreise oder Bingelchen. Besteht zwischen diesen
Bingelchen und dem wirklichen Wohnorte eine, auch für das Kindes-
auge wahrnehmbare Ähnlichkeit? Wenn eine Ähnlichkeit aber nicht
emmal mikroskopisch wahrgenommen werden kann, warum wählte man
- zur Darstellung von Orten gerade diese Zeichen? Die Wahl beruht
auf der Beobachtung der Wissenschaft, dass die meisten, ja alle
menschlichen Ansiedlungen sich um einen realen oder idealen Mittel-
punkt gl uppiren, mag dieser nnn dne Burg, ein Berg oder was immer
sein. Um einen solchen Mittelpunkt lagern sich die Häuser aller
Ortschaften, wie die Peripherie oder Fläche eines Kreises sich um den
Kreismittdpunkt ausbreitet Die geographische Wissenschaft wählte
daher sdur bezeichnend f&r Ortschaftsdarstellungen kleine Ringe. Ein
8— 10 jähriges Küid aber hat jene Beobachtung, Vergleichung und
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Schlnssfolqreruiig nocli nicht machen können. Es kann ihm nur das
Endergebnis niitgetheilt werden. Damit dieses aber nicht den psy-
cliohjgischen Charakter, respective Unwert eines aufgednin^enen
Dogmas erhält, sollte man dem Kinde das abstracte Symbol der Land-
karte zuvor kindlich nahe legen.
Ein Weiteres kommt hinzu. Die moderne Landkarte stellt die
Bodenplastik eines Landes mit wunderbarer Genauigkeit dar. Die
Gtebirgsländei' sind zwar grau in grau schattirt, allein der geübte
Leser weiß genau aus der Zeichnung die Form der Gebirgszüge, ihre
Kämme, Abdachung, Thäler, Gipfel, Höhe u. dgl. zu bestimmen. Und
doch finden Kinder gerade auf orographischen Karten sich so schwer
znrecht, selbst dann, wenn die Schnlkarte möglichst wenig ins Detaü
geht und flhersichtHcfa gehalten ist Woher kommt das? Kinder sehen
im Leben ein Terrain selten ans der Vogelperspectiye, wie der Oeo-
gn^h, sondern meist vom engen Kreise ihres kindlichen Lebens ans.
Kinder sehen an einem Bodenrelief weniger die Form, als den ober-
flftchlichen Inhalt, sie sehen Wald nnd Feld mit ihren bunten Bhunen
und Schmetterlingen, den Flnss oder Bach mit der klappernden Mflhle,
oder den Fische nnd Vögeln daselbst All das ist für ein Kind
wesentlich, für den Geographen zuiftUig. Man begreift die Kluft
zwischen dem Vorstellen eines Kindes und jenem eines modenien Land-
kartenzeichnei-s. Das Kind ist Kind, der Kartenzeichner Philosoph.
Damit beide sich leicht nnd freudig verständigen können, müssen sich
für den Anfang wenigstens beide in ihrem Denken entgegen gehen:
mit andern Worten, nuiss ein Lelirmittel geschaffen werden, das die
geschilderte Kluft überbrückt.
Welches dies sei, darüber kann man verschiedener Meinung sein.
Dass Anschauungstafeln, geographisclie Bilderalben bei Kindern sehr
instructiv seien, ist bekannt. Für unsere Zwecke aber scheint ein
Ausweg sehr empfehlenswert. .\uf vielen älteren Landkarten sind
die Berge so gezeichnet, dass sie jedes Kind auf den ersten Blick als
Berge erkennt. Auf denselben sieht -man Bäume, Felder u. a. m.
Auf dem Flusse schwimmt der Kahn, am Bache steht die Mühle, die
Ortschaften sind auf älteren Landkarten nach ihrer Lage zu einander
einge tragen, aber nicht durch abstracte Bingelchen, sondern als kleine
Bildchen mit ein paar Häusern, einem Schlosse oder Kirchlein in
der Mitte.
Diese Kartenbilder sind natflrlich sehr en miniatnre gehalteOt
enthalten yieles nicht, was auf unsem modernen Landkarten sich
findet und haben noch andere Schwächen. Ein grdBeres Terrain Iftsst
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sich in Form einer Sc-liulwandkaite schwer in diesem ^Faßstabe aiif-
trajren. Allein dies lliut nichts zur Suche. r)ie Fehler konnten zum
Tljeile verniie<len werden; ist ein größeres Terrain niclit zeiclipn))ar
für Schulzwecke, gut, so begnüge mau sich mit kleineren Abschnitten.
Wir Wüllen ja nicht alle Scjuükarten in diesem Genre eingeriditet,
sondern nur die ei-ste, lertige Landkarte, die nicht von Lehrers-,
sondern von fremder Hand einem Kinde vorgelegt wird, und die es
zur baldifren T^cctiire einer modernen Landkarte befähigen soll. Eine
Kalte, wie sie uns vorschwebt, hätte für ein Kind folgenden Wert:
die kleinen Ortschaftsbilder mit den dazwischen gezeichneten Bergen,
Bächen u. dgl. würden dem Kinde in natürlicher, ungezwungener
Weise nahe legen: die Landkarte ist ein Bild der wirklichen Erd-
oberfläche. Des Kindes Phantasie würde durch die kleinen Ortschafte-
bildcheu mit den Schlössern oder Kirchen in der Mitte freudig an-
geregt werden und so gewiss vom Bilde ans an die Wirklichkeit
denken. Die Entfemung dieser Ortsbilder von einander, ihre gegen**
seitige Lage würde das Kind leicht mit dem Gedanken befreunden,
das bedeute die Entfernung und Lage derselben Orte in Wii-klichkeit
zu einander. Ähnlich verhielte es sich mit dem Bodenrelief and den
oro-hydi*ographi.schen oder den Verkehrs- Verhältnissen. Dass der
Maßstab der Karte im Vergleiche zur wirklichen Walt ein veijüngter
sei, diese Voi*stellung läge auf der Hand. Eine kleine, weitere Ver-
jOngong des MaiJstabes würde dahin führen, die Ortschaften nicht
mehr dnrch Miniaturbilder, sondern durch die geographischen Binge
emzntragen, wie sie auf modernen Landkarten sich finden. Und hfttte
man inzwischen einzelne Bergfonnen mit den Kindern genauer be-
trachtet, ihre Umrisse gezeichneti so kannte das Kind leicht von dem
zufälligen Aufputz des Bodenreli^s durch Wald und Feld abstrahiren
und Berg und Ebene im modern geographischen Sinne zeichnen, respec-
tive auf einer modernen Landkarte, etwa auf jener des heimischen
Schulbezirkes lesen lernen. Damit stflnden wir natttrlich und unge-
zwungen bei der modemoi Landkarte und ihrer Lectflre, und es wäre
keine Ge&hr mdir, des Kindes Freude und Antheilnahme fttr die
Heimat- und Erdkunde gerade an der ersten Landkarte abzustumpfen,
es wäre keine Gefiüur, das geographische Vorstellen des Eindes im
Keime zu ersticken oder den ganzen Unterricht glanzvoll zu meehani-
sven. Das Kind wäre lernend Kind geblieben und hätte doch einen
bedeutsamen Schritt zum Manne, zum Geographen gemacht Dies
unsere Überzeugung; ob und in wie weit sie richtig sei, mag die
Pädagogik und die Zeit beurtheilen.
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Das Pädagogiom zu Budapest.
Von Dr, Eknertanf-Iffld,
Das ungarische Volksschulgesetz vom Jahre 1868 regelt außer
den Augelegenlieiten der Volksschulen im engeren Smne zugleich auch
die der Lehrerbildungsanstalten. Infolge dessen entwickelte sich
seither auch auf dem Gebiete der Lehrerbildung ein regeres Leben
als je zavor. — Ja man kann sagen: eigentliche LehrerbUdimgs-
anstalten entstanden in Ungarn erst nach dem Jahre 1868, insofern
die vor dem angezogenen Jahre vorhandenen dorehweg oonfessiondlen
Seminarien tiiatsftchlich Nebenanstalten, so zu sagen Anhängsel
anderer Lehranstalten waren. Das Oeseta von 1868 veifligte nftmlich
anch die Errichtang auf eigene Fftfie gestellter interconfessionelkr
Staats-Lehrerbildnngsanstalten, nnd unter der Pression dieser
snccessire ins Leben gerufenen Staatsseminarien mnssten auch die
Confessionen sich bequemen, ihre Anstalten zu erweitem, sie unab-
hängig zu stellen, oder doch der Selbständigkeit entgegen za führen.
Diese ist wol dermalen noch nicht durchgeführt, jedoch wird sie in
Bälde eintreten, indem die Confessionen auch in Ungarn gegenwärtig
weniger als je gewillt sind, ihre Volksschulen aus den Händen zu
geben; darum hauen sie niclit nur ihre vorhandenen Seminarien aus,
sondern sie gründen deren aucli noch neue.
Gegenwärtig zäldt Ungarn 70 Lehrer- und Lehrerinnen-Bilduntrs-
anstalten, T):^ ersterer, 17 letzterer Kategorie. Von der Ge.sammtzahl
sind 24 Stuatsaustalten, die übrigen confessionell. — Unter den 24
8t-aatsanstalten bestehen 18 fiir Lehrer, 6 für Lehrerinnen, Jn beiden
Kategorien sorgt je Eine für die Bedürfnisse der Bürgei'schulen, die
übrigen bilden Lehrkräfte für Elementarschulen heran. Die Gesammt-
zahl der Seminarlehrer beläuft sich auf 617, die aller Schuler
auf 4838.
Auf die Hauptstadt Budapest entfallen 7 Seminarien: davon
4 Staatsanstalten, 2 katholische, 1 israelitische. Z-wei von den haupt-
städtischen Staatsseminarien büdenr männliche, zwei weibliche Lehr-
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kräfte heran; und zwar sind davon 2 Elementar-, 2 Bürgerscliul-
1 ehre r- Seminare. Die beiden Lelirerinnen-Seniinarien bestehen unab-
hängig neben einander; die beiden tür Lehrer jedoch bilden ein
organisches Ganze. Diese Doppelanstalt ist es, welche ich mit der
in)ersclirift „Pädagogium zu Budapest" bezeichnete. — Sie wurde
im Jahre 18B9 gegründet, hat also das erste Jahrdutzend ihres Be-
stehens liinter sich. Der gegenwärtige Dirertor derselben i.st Stefan
Cryertyänffy, einer der angesehensten Pädagogen Ungarns, dessen
Name auch in (Österreich und Deutschland nicht unbekannt ist. Der-
selbe ließ dieser Tage einen umfänglichen Bericht (528 S. 8**) unter
dem Titel: „Vergangenheit und (Tegenwart des Budapester
Staats-Elementar- und Biirgerschullehrer-Seminars" er-
scheinen, auf Grund dessen wir den W^erdeprocess der fraglichen
Anstalt wiedererzählen wollen. Wir ließen uns dazu erstens durch
<len Umstand bewegen, dass eben Entstehen und Wachsen überhaupt
interessant, zweitens aber auch, weil die Geschichte dieser hervor-
ragenden Lehrerbildungsanstalt uns wie in einem Spiegel das Leben
und Streben allei* ähnlichen ungarischen Lehranstalten erkennen lässt.
Das Budapester Pädagogium wurde im Jahre 18H9 durch den
ersten ungarischen Unterrichtsminister Br. Eötvös gegi-ündet. Die
Direction wurde dem bekannten ungarischen Pädagogen und Schrift-
steller J. H. Sch wicker übertragen. Von diesem ging sie nach
2 Jahren auf S. Kozma über, an dessen Stelle 1873 Stefan Gver-
tyänft'y berufen wurde. Bis zu diesem Jahi-e zählte die Anstalt
3 Jahrgänge, hatte eine nngetheüte Übnngsschtiie, alle Schüler hörten
alle üntemchtsgegenstande, — sie glich also allen andem Staats-
Lehrerseminarien. Da jedoch das Volksschulgesetz für größere Stttdte
die Ven)flichtung der Erhaltung von Bürgerschulen ausgesprochen
hatte und derartige Anstalten nach und nach auch wirklich ins Leben
traten (gegenwärtig zählt Ungarn 101 Bürgerschulen mit 622 Lehrern),
«0 war 68 dringend geboten, auch an die Creirung von Bildungs-
anstalten für Bürgerschul-Lehrkräfte zu schreiten. Das Volksschul-
gesetz traf in dieser Hinsicht keine speciellen Vei-fugungen; das
inisterium für Cultus und Untemcht entschied sich dahin, ein Bürger-
schnllehrer-Seminar im Anschlnss an daa Badapester Elementarlehrer-
Seminar zu errichten.
Znm Beginn des Schu^ahres 1873/4 wurden drei Lehrkräfte
dieser Anstalt nach anderen Anstalten versetzt» nnd an die drei frei-
gewordenen Stellen neue berufen, unter diesen der Director Gyer
iyänitjr. Zu gleicher Zeit wurde das Bflrgerschullehrer^Seminai* er-
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öffiiet und gleichfalls untei* die Direction Gyertyänfifys gestellt. Der
Ciusiis im letzteren erstreckte sicli über 2 Jahrgänge; die Lehr-
gegenstünde wm-deii nach Fächern giiippirt.
Die erste Gruppe, für alle Zöglinge oblig-atorisch, wurde von den
pädag-ugischen Gegenständen gebildet; die übrigen waren: sprach-
wissenschaftliche und historische, — mathematisch-natur-
wissenschaftliche, — artistisclie (Zeichnen, Schönschreiben, Musik,
Gesangslehre). Als Lehrer fungirten zum Theil die Mitglieder des-
selben Lehrkörpers, welcher den Unterricht in dem Elementarlehrer-
Seminare versah, zum Theil Gymnasial- und RealschuUehi er als Stunden-
geber. Eine selbstständige Lbungsschule hatte das Sohullehrer-Seminai"
im Anfange seines Bestehens nicht, sondern die Zöglinge besuchten
eine städtische Bürgerschule. Auch im Scluiljahr 1874 o nuisste eine
nicht geringe Anzahl von Lehrgegenständen an Stundengeber ülfer-
tiajieii werden — selbstverständlich auf Kosten der Einheitliclikeit
des Unterrichts. Dieser Umstand veranlasste die Aufsicht sVtehörde
erster Instanz, den sogenannten Directionsrath, die Frage zu er-
wägen: „Wäre es nicht möglich, das Bürgei*schullehrer-Senünar mit
dem für Elementarlehrer derart in engere Verbindung zu briniren,
dass zu den vorhandenen ordentliclien Lehrern im Elementarschul lelirer-
Seminar noch so viel ordentliche Lelirer ernannt wiu'den. als nöthig
wären, damit jedes einzelne Fach von je einem Lehrer sowol
im Elementar-, als auch im Bürgerschullehrer-Seminar versehen
werden könnteV'* Der Directionsrath fand, dass die bejahende Lösung
der Frage beiden Anstalten zum gröüt^n Vortheile gereichen würde;
er machte also in diesem Sinne seine Eingabe an das Ministerium.
Durch dieses wurde dann der Directionsrath und Lelu'körper aufge-
fordert, die Vorarbeiten im Sinne der £ingabe vorzunehmen. Schon
im folgenden Schuljahre (1875/6) wurde mit der Dnrchfühiimg der
Aufgabe begonnen und zu gleicher Zeit die Aufräomong der Stunden-
geberei in Angriff genommen. Als Fachlehrer wurden anerkannte
Kräfte ernannt, wie Dr. Aron Kiss, Theodor Kozocsa. Paul
Kiräly und derDirector des Kettungshauses in Balaton-fured, Eduard
Weber. Bis zum Schuljahr 1880/1 dauerte die Ergänzung des Lehr>
körpers durch Fachlehrkräfte, in welchem Jahre zugl^ch eine neue
Fachgruppe im Bürgerschulleiirer-Seminar hinzukam, nämlich die
Gnippe flir Industrieschullehrer. Der Unterricht in den Hand-
arbeiten wurde nämlich nach nnd nach in allen Staatsseminarien
Ungarns obligat, damit er dann anch in die Elementarschule mit
Erfolg eingeführt werden könne. Weil nun aber die BOrgerschole
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nichts weiter ist und sein soll, als eine höher entwickelte Elementar-
schule, so muss conse(iuentei- \\'eise das Biirgerschullehrer-Seniinar
auch dafür sorgen, dass die Biirgtirschullelii-er als Industrielehrer zu
wiiken befähigt werden. In dieser Weise erweiterte sich die Aufgabe
des Bilrgersciiulleiirer-Seiiiiuars nielir und melir, infolge dessen auch
der Lehrplan zeitweilig ehie entsprechende stufenweise Umgestaltung
erfuhr. Im letzten Jahre wurde vom Unterrichtsministerium der vom
Schuljahr 1882/3 ab gültige Lehrplan herausgegebeu, nach welcliem
der Cursus am Büi'gerschullehrer-Seminar auf drei Jahre festgesetzt
wurde. ( Der Cursus fiir das ElementarschuUehrer-S^eminar wurde schon
im Schuljahr 1880/1 von 3 auf 4 Jahrgänge erhöht,) So umfasst das
ganze Pädagogium gegenwärtig 7 Jahrgänge. Im ElementarschuUehrer-
Seminar ist der Gruppenunterricht nach Fächern überhaupt nicht ein-
geführt; das Bfirgerschuliehre^Seminar wird in Zukunft nehen den
für alle ZOglinge obligatorischen pädagogischen Lehrgegenstftnden
noch vier Fachgruppen umfassen: a) sprachwissenschaftliche und
historische Fachgruppe; b) mathematisch-naturwissensdiaftliche Fach-
gruppe; c) Fachgruppe fOr Musiker; d) Fachgruppe fttr Industrielehrer.
An die Seuunaiien schlieften sich zwei Obungsschulen: eine unge-
theilte Elementarschule und eine im Ausbau begriffene Bürger-
schule. Das Elementar Seminar wurde während der acht Schuljahre
Yon 1873/4—1880/1 von 539 Schülern besucht. Die Aufnahme in die
erste Classe erfolgte zumeist auf Grund von Zeugnissen aus den ent-
sprechenden Classen der Mittelschule. — Proseniinarien existiren in
Ungarn überhaupt nicht; das Gesetz schreibt als Aufnahmsbedingung
da> al»solvirte lö. Lebensjahr nnd den Nachweis vor, dass der Aspii*ant
das Lehrziel der vier untern Classen der Mittelschule erreicht habe. —
Das mittlere Lebensalter der Zr>glinge im Elementarlehrer-Seminar
war 18 Jahre. Von dea Absolvirten legten 53 die Lehrbe&higungs-
prüfung ab.
In das Bürgerschullehrer-Seminar wurden während des be-
2eichneten Zeitraumes von 8 Jahren 392 Zöglinge aufgenommen. Die
Aa&ahme in diese Anstalt geschieht zumeist auf Grund eines Abi-
turienten-Zeugnisses aus einem Elementarlehrer -Seminar oder eines
Etonentarlehrer-Diploms (90%), in wenigen Fällen (10'^ ,,) auf Grund
«Ines Mittelschul-Beifezeugnisses. Das mittlere Alter der Zöglinge
betrug 21 Jahre. Der Lehramtspräfhng unterwarfen sich 91% der
Absolvirten.
Der nmiäbigliche Rechenschaftsbericht GyertyAnf^, aus wel-
chem wir die mitgetheüten Daten schöpft^!, ist das gewissen-
PaiafQfiui. 4. Jabig . X. Heft. 48
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hafte, aller Anerkenniuig werte Werk eines theoretiBch imd praktisch
wohrersirten Pftdagogen, das einerseits als reiche Fnndgrabe iür den
Geschichtsforscher auf dem Qebiete der Erztehmig und des UnterrichtSr
wie diese sich in Ungarn gestalteten, — anderseits Dank der ein-
gehenden Behandlong vieler sich darbietender Streitfragen (Internat,
Selbstbildimgsvereine im Seminar, Bildung der Seminarlehrer n. s. w.)
als eine tüchtige Arbeit von bleibendem Werte bezeichnet werden
kann. — Was die Organisation des Budapester Pädagogiums selber
anbelangt, muss es als eine überaus glückliche Idee bezeichnet werden,
eine organische Verbindung zwisclien dem Elementar- und Bürger-
schiillehrer-Seininar durch die Identität des Lehrkörpers der beiden
Bildungsanstalten herzustellen. Denn es fehlt ebenso in l ni:;ijii wie
auch anderwärts in der Methode der Erzieliung und des Unterrichts
das Mittelglied, das den i'bergang in der Behandlung von den
Elementar- zu den fortgeschritteneren Schillern herzustellen berufen
wäre. Ein Hiatus klafft dermalen zwischen der Elementar- und Mittel-
schuliiädagogik, zu dessen Ubeibriickung die Organisation deü Buda-
pester Pädagogiums uns vortrertlicJi geeignet erscheint.
Was aber die mit dem Schuljahr :> ins Eeben zu l ufende
Gnii»i'iriuig der Fächer im Bürgersrhullehrer-Senünai- anbelani:t. s<>
ersclieint uns die Errichtung ])eson(h'rer Gniiijum für Musiker und
Industrielehrer als eine }Iyi»ertrophie. Auch das Bürgerschullehrer-
Seminar muss vor allem Lehrei-, Pädagogen bilden; für Industrielle
und Musiker gibt es Industrieschulen und Conservatorien. Sollen
die beiden Gruppen für Industrie und ^[usik höheren Anforderimgen
genügen, so müssen sie eben zur Industrieschule und zum ('onser\'&-
torium sich umwandeln; daim abei' passen sie nicht mehr in den
Rahmen eines Pädagogiums.
Dabei steht es jedoch außer Frage, dass der Bttrgerschullehrer
auch beßlhigt sein muss, Musikunterricht sowie auch Unterricht in
einschlägigen Industriezweigen zu ertheilen, respective zn leiten. Die
Bewilligung hierzu kann er jedoch ganz wol erwerben, ohne Musiker
oder Industrieller von Fach zu sein. Deshalb halten wir dafür, die
beiden Fachgruppen für Musik und Indostiie werden früher oder später
wieder verschwinden uud das daraus für jeden Bürgerschallehrer
Nothwendige wird zu den für alle Zöglinge obligaten Eehrgegenständen
geschlagen werden. Auch dann ist und bleibt die Anstalt noch immer,
was sie ihrer Idee nach sein will — eine Hochschule für die nnga-
rischen Yolksschullehi-er, berufen, die an den Universitäten noch immer
fehlende pädagogische Facultät zu ersetzen.
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Lehrerpröi'iiiigen in Frankreich«
n.
In einem froheren Hefte dieser Zeitschrift (in, 2, NoYember 1880)
haben wir eine Znsammenstellnng des Wichtigsten fiber die französi-
sche LehrerprOfdng zur Erlangung des certiflcat d'aptitnde ä Tenseigne-
ment des langnes Vivantes gebracht Wir bemerkten damals» dass die
französischen StaatsprOfiingen, welche zor Anstellung als ordentlicher
Lehrer an einer höheren Lehranstalt (lyc6e oder coll^e) berechtigen,
unter dem Namen agr^gation des lycöes zosammengeftisst werden nnd
in 9 Sectionen zer&llen: 1) agr^gation de Philosophie, 2) a. des lettres,
3) a. dliistoire et de g^ographie, 4) a. de grammaire, 5) a. des langnes
TiYantes, 6) a. des seiences math^matiqaes, 7) a. des sdences physiques,
8) a. des sdoicss naturelles, 9) a. de Tenseignement secondaire spe-
cial — Diese Lehrerprfifuiigen sind wol zn unterscheiden von der
agiegation des facultas und von den akademischen Prfkfongeu: bacca-
laur^at, Ücence und doctorat
Die Prüfunp: für die agr^gation des lycees, deren verschiedene
Sectionen säniuitliche Unterriclitsgegenstände der lyctes umfassen, kann
in jeder einzelnen Abtheilung bestanden werden und entspricht etwa
dem deutsclien Examen pro facultate docendi.
Unter den 9 Sectionen der agregation des Ij'cees greifen wir noch
einiual die agr6gation des langues Wvantes heraus. Die Vorstufe zu
derselben bildet das Examen für das certiflcat d aptitude. welches wir
bereits früher besprochen haben. Wir wenden uns nun zui* agregation
des langues Vivantes im eigentlichen Sinne.
Diese agre^j^ation ist, wie die übrigen, ein concours, bei dem es
nicht gilt, nur iiberhaupt irgend eine beliebige Censur zu erlangen,
sondern darauf ankommt, das Beste zu leisten und in der am Schluss
der Prüfung von den Examinatoren nach den Leistungen der Candi-
daten aufgestellten Rangordnung zu der geringen Anzahl zu gelieren,
die jedes Jahr nm-h der Bestimmung des Ministeriums des öffentlichen
Unterrichts angenommen werden kann. Dui'ch dieses Verfahren redu-
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— 636 —
cirt sicli die Zahl der urspHinglich Angemeldeten anf ein Fünftel (Hier
gar ein Siel)entel; auf diese Weise wird aber auch dem in Deutschland
immer melir hervortretenden Übelstande vorgebeujrt. dass das Angebot
die Xachft*age weit tibei*steigt, d. h. dass die Zahl der stelienlosen
Candidaten bedeutend gi()ßer ist als die der Vakanzen. Deijenige,
welcher mehrere Male ohne Eifolg an einem conconrs Theil genom-
men hat^ überzeugt sich schließlich von selbst^ dass seine wissenschaft-
lichen Kenntnisse nnd sein Lehrgeschick nicht den gestellten Anfor-
demngen genflgen, und wird durch wiederholten Ifisseifolg von weiteren
Versuchen abgeschreckt Es liegt in der Natur des concours, das»
Candidaten ohne großen Fleifi und wirkliche Beffihigung für die T<m
ihnen gewählten XTnterrichtsfiUrher schlechterdings keine Aussichten auf
Erfolg haben, nnd dass der französische Lehrerstand sich also aus der
EUte der alljährlich an das Examen Herantretenden recrutirt
Erste Vorbedingung zur Theihiahme an dem conconrs für die
agrßgation des hingues Vivantes ist eine mehijfthrige Th&tigkeit im
Schulunterricht, und zwar entweder 3 Jahre im Staatsdienst oder 4
Jahre in Frivatschnlen. Nur die Schfiler dar "teole normale supMeure,
welche den ganzen Cursus derselben durchgemacht haben, werden ohne
vorhergegangene Wirksamkeit im Sehnldienst zugelassen. Bei den
Schülern der 'kcole normale in Cluny werden die dort zugebrachtmi 2
Jahre als ebenso viele Unterricht^ahre in Anrechnung gebracht; auch
bei den Doetoren der Philosophie (doctenrs lettres) zieht man 2
Jahre von der im allgemeinen geforderten Zeit ab.
Die zweite Vorbedingung für die agr^tion ist» dass der Güididat
das certiflcat d'aptitude k Fenseignement des langnes Vivantes oder
die licence lettres besitzt — Ans dem Gesagten gdit hervor, dass
für die agr^gation keine bestimmte, z. B. akademische Vorbildung vor-
geschrieben ist.
Die Anmeldung zum concoui*s niuss bis spätestens 2 Monate vor
Eröfinung d(?sselben stattfinden. Bei der Anmeldung sind, wie oben
schon erwähnt, beizubringen: 1) das diplonie de licencie es lettres od« r
das certiticat d'aptitude; 2) Zeugnisse zum Nachweise der im Schul-
imterriclit verbracliten Zeit; 8) ein cnrriculum vitae. — Der Tag der
Eröifnung des concours wii-d dem Candida teu wenigstens 14 Tage vor-
her mitgetlieilt.
Den ersten Theil des coucours bildet die epreuve prei»araf<'ir»^,
welche 4 Arbeiten umfasst: 1) eine Übersetzung aus dem Französix heu
ins Deutsclie, Englische, Italienische oder Spanische, 2) eine iT)er-
setzong aus einer der 4 fremden Sprachen ins Französische, 3) einen
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Autsatz in fremder Spraclie über emen gegebenen Gegenstand, 4) einen
Aufsatz in französischer Sprache.
Für die Übersetzungen werden 4, für die anderen Arbeiten 7
Stunden Zeit gelassen ; als Hilfsmittel dürfen nur Wörterbücher ge-
braucht werden. — Dieser eprenve pr^paratoire, welche unter Clansur
stattfindet, kann man sicli in Paris oder in dem Mittelpunkte jedes
akademischen Bezirks (chef-lieu acad^miqne) unterziehen.
Die Cajididaten, deren Arbeiten die Examinatoren befriedigt haben,
werden als zu dem zweiten Thefle dee ooncours znUbasig erkl&rt. Die-
ser zweite Thefl (6preuye definitive) wird in Paris abgehalten und
besteht: 1) in der Übersetzung und Erklärung einer durch das Looe
bestimmten SteUe aus einem der yon dem Ministerium aQjfthrlidi vor-
geschriebenen und wenigstens .6 Honate vorher bekannt gemachten
anslfindischen classisdien Werke; 2) in zwei Vorträgen, einem ihui-
zösischen und einem in fremder Sprache Aber ein grammatisches oder
titeratnrgeschichtliches Thema, nach 248tündiger Vorbereitung. —
Jeder Vortrag soll eüie Stunde dauern.
Nach Schluss des concours wird die Zahl der agr^4s und die
liiste derselben nach dem Verdienste festgesteUt.
Am bedeutendsten ist. in der neuesten Zeit gewöhnlich die Zahl
der Candidaten ftr das Deutsche gewesen; nur halb so viele melden
sich für das Englische, und für das Italienische und Spanische finden
sich nur wenige Bewerber. Dass der Andrang zur agregation geringer
ist als zum certificat d'aptitude, ist begreiflich und beruht auf der
größeren Schwierigkeit des ersteren Examens.
Die PrOfiingscommission setzt sich aus 3 vom Minister ernannten
Examinatoren, gewöhnlich Professoren einer philosophischen Facultät,
zusammen.
Die im Jahre 1878 bei der agregation des Englischen für die die
erste epreiive definitive bildende Übersetzung benutzten Werke waren:
Shakespeare, Merchant of Venice; Bacou, Kssays; ]\Iilton, L'Allegro
und 11 Penseroso; S. .Tolinson, Lives of tlie Poets; Cowper, Poeins.
Im Jahre 1H79 lagen zu Grunde: Sliakespeare, Measure for Measure;
Bacon, Essays; Milton, Paradise Lost, V — VI; Dryden, Essay oii T)ra-
matic Poetry; S. Jolmson, Lives of thc Poet.s. 1880: iShakespeare,
Sonnets; Bacon, Essays; Miltou Paradise Lost, XI — XU; S. Jolmson,
Lives of llie Poets; Wordswortli, Poems,
Für die deutsche agregation waren im Jahre 1880 folgende Werke
vorgeschrieben: Klopstock. Oden; Lessing, Briefe antiquarischen InlialTs;
Goethe, Faust, II; Schiller, Die Braut von Messina; Das Lied von der
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(ilocke; Schiller und Goethe: Briet Wechsel j J. (irimm, Geschichte der
deutschen Sprache, Cap. 1 — 2.
Auf Grund des besprochenen Examens der agrefration des langues
Vivantes findet man Anstellung- als ordentlicher Lehrer. Als solcher
bezieht man HUGO— 7500 ü\ Gehalt, wähi'end die charges de coars
24ÜÜ— 481M) fr. erhalten.
Zum Scliluss vei-zeichnen wir eine Reihe von l'bersetzungsstückeii
und Aufsatzthemen, welche bei der epreuve pr6paratoii-e f^egeben wor-
den sind: Deutsch, 1875: Fenelon, Education des filles; Hei*der, Ideen
zui- Geschichte der Menschheit lY, 4; Französischer Aoüsatz: „L'6cole
r^aliste moderne peut-elle l^gitimement compter Goethe parmi ses an-
c6tres et s'appuyer de Fautorit^ de son nom? (^u*etait-ce, dans La
pens^e de Goethe, que FimitAtion de la nature et le culte da r6dl?*'
Deutscher Aufsatz: „Goethe als epischer Dichter in seinen verschie-
denen Werken." 1874: Sainte-Beuve, Clement ^larot (aus Tableau de
la poesie fran(;aise au XVI'' siecle); Jean-Paul Richter, Betrachtungen
Über die Köpfe auf den Münzen. Franz. Aufsatz: „Que faut-il entendre
dans llüstoire de la littdrature allemande par Fteole romantique ? Le
mot de romantisme a-t-fl ea, dans les qnerelles litt^raires an deUi da
Rhin, le m6me sems, la m^me portöe qae nous loi arons donnis en
France? Caractörisez les denx töidanoes en dtant qaelques ezempteft,
et en esquissant ä gnmds tndts lliistoire de T^le romantiqae e&
Allemagne." Deutscher An&atz: „Dichtung und Wahrheit in der Wallen-
steinschen Trilogie von Schiller." — 1873: Bossnet, Denzitoe senmm
ponr le jonr de laPnrification de ]$. Sainte-Yierge; Niebuhr, BSmische Ge-
schichte, L Franz. An&atz: „^aii^ü fitire, dans les idta et les doctrines
littöraires de Lessing, nne part k llninence fran^^aiBe?** — Deutscher
Au&atz: „Goethe als Nachahmer der Griechen in seinen Tragödien.** —
Englisch, 1875: Bossnet, Denx maniöres de düstrer la rtformation de
r^glise (ans Histoire des Variations); Gay, The Fan. Franz. Anfsatz:
„Qne &ut-il penser du jugement que porte S. Johnson snr Ifüton?**
Englischer An£satz: Otway. — 1874: La Fontaine; Govper. Frans.
An&atz: Du caract^ de Jules Cäsar dans Shakespeare. Engl Auf-
satz: The Vicar of Wakefield. — 1873: Andr6 Chönier, Walter Scott,
The BatÜe (aus Marmion). Franz. Anftatz: Du style po^tique de
Byron. Engl Aufsatz: The origins of the English langnage. — 1872:
La Fontaine, Les compagnons dUlysse; Moore, Shall the harp Ünat
be silent? (aus den Melodies). Franz. Ansatz: Da caractto de Satan
dans le Paradis perdu de Milton. Engl An&atz: King Lear.
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Ehre, dem Ehre gebührt.
Von WiiUbald Nagl-Wien.
'S» gehört mit zur Anlisabe ^ner fiulmiftiiiiiiclieii Zeitidirift, her^oi^
ragende einschlSgige Leistungeii krftftig zu betonen und in weitesten Kreisen
bekannt so geben, einereeits am jene Persönlichkeiten, welche dnreh eolehe
Leiitnngen die Anerkennung der BerufiBgenossen verdienen, znm mathigen Fort-
schreiten, zur ferneren Vervollkomninnng in der eingeschlagenen Richtung an-
zueifern, anderseits, um vielleicht weitere Ki llfte zur Verfolgung gleicher Ziele,
ZOT Entwicklung einer ähnlichen Thätigkeit zu bewegen.
Wir sprechen heute von der Wirksamkeit des wackeren Kreisschulinspec-
toit Ton Geldern am Niederrhein, B. Klein.
Besngs seiner persönlichen VerhUtniBse hesehrlnken wir nns hier anf die
korze Erwähnung, dass er philulogisch-akademische Büdoag genossen hat, sich
nichtsdestoweniger mit voller Sicherheit in seiner ge^-eiiwärtigen Lebensstellung
als Kreis- und Localschulinspector bewegt und. wie die „Preußische Leliroi-
Zeitang" (6. Januar 1882) von ihm zu sagen weiß, mit den Volksschnllelnern
inner* und außerhalb seines Sprengeis im besten Einvernehmen steht, ja allent-
halben „als warmer Freund te Volksschnllehrer bekannt igf*.
Neben seinen Bemftgeschftften findet Klein noch Zeit zn einer fhicht-
baien literarischen Thfttigkeit, die nns hier besonders interesslrt, weil sie im
Ginnde dieselben Prineipien vertritt, die wir in diesen Bl&ttem wlederiiolt ans-
gesprochen und der Lehrerwelt ans Herz gelegt haben.
Wir können diese von Klein verfochtenen Principifii in y-edrängter Kürze
vielleicht in folgende drei Sätze zusammenstellen: L Der Lehrer begnüge sich
nicht mit dem im Öemiiuu' Augeleruten, sondei'n suche sich seiu ganzes Lebeu
hbdareh wissenschaftlidi immer mehr za vervollkommnen. 2. Der Lehrer be-
gnüge sich nicht, Mos den Kindern in der Schale die vorgeschriebenen
Kenntnisse und Fertigkeiten beizubringen, sondern er sei „ein Apostel des
Volkes-, in dessen Mitte er hineingestellt ist. 3. Die Lehrer an den Volks-
schulen sollen sich nicht in sich abschließen, sondern sollen in stetem Oontacte
Biit der höheren ünteiTichtswelt bleiben, und .so umgekehrt diese mit jenen.
Wir besprechen nun nacheinander diese diei Prineipien an der Hand der
Klefaisehen Aufsätze, und es wird dabei von selber klar werden, wie vielfach
letitete mit nnseren im „Piedagogiam'* bereits theilweise veröffentlichten
TenehlSgen iibereinstimmen.
Der erste Grundsatz hat Klein geleitet beim Niederschreiben seiner
Abhandlung „Sprachliche Sünden", welche in 0 Fortsetzungen in der
kPreoAischen Lehrerzeitang" (Monat Mai 18Ö0) erschien. Klein dringt
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in dieser Abliandlmie- — „Plnndereieu" nennt er sie — auf Tv^^inlialtun? der
dentsohon Sprachf. w niaclit das Hernm werfen mit franzöRisi lien Fremdwürterii
läclieriicli, indem er dartliut, dass diese Fremdwörter oft nur gallisirte deutsche
Wörter rind. Dadurch schärft er zugleich den etymologischen Sinn der
Lehrer nnd leitet sie zu sprachliehen Stadien an. In dem Anftatae: ^Fort-
bildnu^;: des Lehrers im Amte" („Pmißischf Lehrerztg." 10 und 11
Nov. 1881) bescln iliikt sich Klein niclit mehr darauf, die Lehrer blos zu philo-
logischen "neobachruiiü-tMi anzuregen; er citirt frleich in der Einleitung die Rede
eines Seminartlirectors, weiclier von den Lehrern veHangl, dass sie ,.gi-üudlich
das Leben, Handeln und Wandeln des Volkes, dessen Dialect studiren, dessen
S^chwttrter sammeln, sich in dar engeren Heimatsknnde orientiren nnd
überhaupt — cmn grano salls — Historiker, Geographen, Natnrfoawto seia
sollen". Klein betont hiezu noch besonders die Sprach-, speciell die Dialect-
forschung als einen wichtig'en Geg-enstand für di»^ Weiterbildung- der Lehrer,
und führt sodann ans. dass der Kreiss« liuliiispector denselben hierbei
rathend und ermunternd an die Hand gehen müsse.
Ist dieser erste, eben abgehandelte Grondsatz schon so YieUheh ansge-
sprochen nnd m praktischen Verwertung empfohlen worden, dass er unserer
Anerkennung und Betonung kaum noch bedarf, so müssen wir desto mehr den
zweiten Grundsatz Kleins hervorheben, dass der Lehrer nicht blos Schul-
meister, sondeni dass er wie ..ein Apostel des Volkes" sein soll, in dessen
Mitte er steht, — wie Klein sich ausdrückt. Er will, dass der rntemchl iu
der Schule ein lebfrischer, nicht iu der hergebrachten Weise allenthalben casti-
glrter nnd yentOmmelter sei; der Lehrer soll die Jugend nicht bloa unter-
rlditen, er soll sie erziehen, nidit zu woldressirten scheinheiligen Hanier-
menschen, sondern zu naturj^etrenen, lebendigen, frohen Charakteren. Er wBnseht^
dass der Poesie und der Poetik in der Schule ein g-rölU-res Ang-ennierk mp-e-
wendet werde (vg'l. seinen Aufsatz in der „PreuBischen Lehrerzt»-.' : „Das
Wichtigste aus der poetischen Formenlehre gehört in die Volks-
schule"): die faule Ausrede, dergleichen wSLre zu schwierig fOr Kinder, sei
ganz fhlsch und unberechtigt, vielmehr erleichtere gerade das Lebendige,
Naturfrische dieser Methode den Untenieht. Besonderen Wert legt
Klein auf die Beachtung der Mundart. Die Mundart sei der Schlüssel
zum Verständnis der kindlichen Herzen, aber auch das l^Iittel. ein Volk im
ganzen zu beurtheilen, seine Charaktereigenschaften zu erkennen und zu beein-
flussen. „Achtet die Mundart!'' ruft er in einer Ileihe von interessanten
Auftfttzen („PreuAlsche Lehierztg.", zwischen 10. HSrz und 29. Kor. 1881)
der gesummten Lehrerwelt zu, und sogar eine stAndige Rubrik wusste er im
Sonntagsblatte derselben Zeitung für die Sache der Mundart durchzusetzen.
Es freut sich unser deutsches Herz, dass innerhalb d^-r deutschen Lehrer-
schaft seiher schon Stimmen laut werden über den Beruf der Lehrer als
„Apostel des Volkes''. Die Lehrer sollen in ähnlieher Weise die weltliche
Ausbildung des gemeinen Mannes, seine Brauchbarkeit fürs Leben, überwachen,
starken, nShien, wie der Geistliche schon seit undenklicher Zelt das religiSee
Moment zu hegen nnd zu piegen hat Es wird in uns die Hoflhung immer
lebendiger, dMS die deutsche Lehrerschaft endlich einmal den skeptischen
Widerstand gegen jede höhere, erhabenere Autt'assung ihres Berufes aufgeben
und zu guter Letzt doch den ihr durch die Natur der menschlichen Verhältnisse
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■vorgezeichneten Posten zum Wole der Menschheit, zur Hebnnp: <les
Volkes und hesonders des von den größoron Cnltnrstllt t en lernen
Bauernstandes pinneliincn wird! — Und dass ein solcher wcltliclier
,,Apostel'* viel, viel autzuräumen hätte in den verschiedenen Schichten des ge-
meinen Volkes, yielleiolit mehr, als der geistliche, das wird durch ein reich-
haitiges, Tom Schreiber dieser Zeilen in seiner Heimatsgegend gesammeltes
Materiale nilchstens in d< ii geg-enwärtigen Blättern dargothan werden.
Klein fiihlt es, dass der Lehrerstand diesem Ideale seiner Wirksamkeit
noch tenie steht; dass derselbe, um es zu erreichen, des Znsammenwirkens
vieler, außer seinem Bereiche liegender, homogener Kräfte bedürfe. Und darum
hält er emsig Umschau nach allen Freunden des Volkes, und wo er einen
solchen gefunden, sncht er die Sffentliclie Anfhnerhaamkdt ond Achtung anf
denselben zn lenlten. In dieson Bestreben hat er wiederholt biographische und
sonstige Notizen über verschiedene volksfreundlich wirkende Manner in das
„National-Worhenblatt fiir Stadt und Land" in Düsseldorf eingereiht unter dem
Titel: ..Achtet des Volkes Vertreter" (z. B. 12. März 1882). Auch
auderwäi'ts, so in einem Sonntagsblatte der „Preufliscbeu Lebrerztg.'' (26. Fe-
hmar 1882), fand ich eine ähnliche Skizze unter dem Titel „Dfirener V olks-
thnm". Überall benutzt Klein dabei die Gelegenheit, anregend nnd anflnvntemd
auf seine Leser einzanvirken nnd sie zn volksthümlichen Bestrebnngen zn be-
geistem.
Einen dritten Grundsatz, dem wir unsere Zustimmung ebenfalls von
vorneherein ertheilen müssen, hat Klein verfoclilen in seinem Aufsatz „Der
moderne Unterrichtsbe trieb'* („Preuß.Lehreiztg.*^, 6., 7., 8. Januar 1882;
„NatienalesWocheDblatt^S Febroar nnd Ullrz 1882). Der angesehene PSdagog
DOrpfeld hatte nSmlich dieSdiSden wahrgenommen, welche dnrch pedantische
Gelehrte und gelahrte Akademiker dem Volksnnterrichte beigebracht werden,
•wo solche in Schulangelegenlieiten mitzureden haben; und in seinem ünmnthe
liierüber ging Döi-pfeld so weit , dass er nm- eigentliche Elementarlehrer zu
Schulinspectoren will avanciren lassen, liingegen über alle akademisch gebil-
deten Inspectoren den Stab bricht. Gegen dieses Generalisiren Ddrpfdds
erhebt Kldn gerechte Einsprache. Man darf in der That keine so durch-
greifende Sdieidmig zwischen den Volkslehrem elnerteits nnd den Professoren
nnd Gelehrten anderseits heihdfllhrra, da ein Znsammen wirken und Ineinander-
greifen beiderStände zur gegenseitigen Correotur höchst wichtig ist. Der
Volkslehrer vertritt das Einfache, Natürliche, Volksthümliche . der Humanist
das Ideale und nationalistische; soll jener nicht üde oder tiiviul, dieser nicht
zn abstract oder sophistisch werden, so müssen sich beide fortwährend an
einander messen. Dann wird der Gelehrte wissen, was im weiten labyrinthi-
sehen Bereiche des Könnens nnd Kennens zunächst und eigentlich ein wllldJges
und lohnendes Object seiner Forschunjr sei; und der Lehrer wird gerne von
ihm lernen und sicli nicht im Alltagsleben verlieren. Wir müssen daher mit
Klein es fiir angemessen eracliten, dass auch akademisch- wissenschaftliche
Kräfte in die \'ülkslehi'erschaft als Factoren aufgenommen werden können. —
Datt eine erschreckende Anzahl von „Gelehrten'' hentzntage zn dner wie immer
heißenden ernsten Lebensani^abe nnfUiiff ist, lengnen wir nicht; aber dieser
Umstand kann nur zur Verbesserung und Umgestaltung der akademischen
Stadien antreiben, nicht aber znr Beschrilnknng der Gelehrten auf sich selbst
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nnd 7A\r allmählichen AuHschließang' derselben von allen Titalen Angelegen-
heiten ilor CTCsellschaft l)e'rechtig'en.
Wir konimeu auch auf dieses Kapitel, das Zusammenwirken der Lehrer
und richtiger Oelehrten im nächsten Ao&atz zu sprechen und werden nach
uuem schwachen Kräften den Boden zn ebnen sncheo, auf dem sich dieselben
zn gemeinsamer erspriefilicher Thfttigkeit zosanunenfinden kOnnen.
FUr diesmal genügt es uns, einem wackeren Gesinnungsgenoesen, der schon
so lanee Zeit allein sein Feld behauptet hat, unsere Anerkennnng: gezollt zn
haben, Vielleieht beseelt es ihn mit neuem Eifer, wenn er sieht, dass seine
Ideen und i'iäue liier an der Dunau mitgedacht und mitgefühlt werden.
Seinem Wirken ein hersliekes „Olttek aiifl'*
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Zur Überbürdangsfrage.
dem Uizten Laudtaf^e des Königreichs Sachsen wiii'deii erusle und
eiiuuüüiige Klagen über zu groüe Belastung der Gynmasiasten und Bealschüler
«rhoben, mid das ünterriohtsmiiiisteriiim fiund diese Klagen im Wesentlichen
fenchftfflrfeigt In Folge dessen hat Hinister ?on Gerher imHtas dieses Jahres
an die Directoren sänimtlicher Gymnasien und l?ealschaleii Verordnimgen tat-
lassen, deren Hauptinhalt wir hier mittheilen, da walirsclieinlich einem erroßen
Theile unserer Leser diese amtlichen Vertlipnngeii uirlit bekannt geworden sind.
In der Verordnung au die Kectoreu der (j^mna^ien wird darauf hinge-
wiesen, dass infidge der in denselben entstandenen Übelstände ein Theil der
Gebildeten üinen die Mhere Gunst zn entaiehen droht. Es sei nun vor allem,
darauf zn sehra, „dass der dnrch eine große Menge von Unterrichtsstunden
schon sehr ermüdete Schüler nicht durch das Übermaß der Memoriraufgaben
und der schriftliclieu Arbeiten erdrückt, dass ihm nicht die Zeit der nothwen-
digen Erholung und nicht die Frische genumiiieu werde, die schließlich doch
die Voraussetzung eines wirklichen Erfolgs des Unterrichts ist/* Fenier wird
bemerkt: i,Jedem, der den filteren Znstand des pldlologisch^iStndinms anf den
UniversitSten kennt, mnss die Versehiedenheit der frflheren nnd der jetzigen
Behandlung desselben, wie es sich im Anschlüsse an den allgemeinen Gang der
Ent Wickel an L'' <ler Wissenschaften in Deutschland ausgebildet liat. entgegen-
treten. Er wird erkennen, dass die jetzige Philologie mit ihrer Art der Be-
handlung der Altcrthuniswissenschaften und der Sprachen, mit ihrer Sprachver-
gleichung, mit ihrer außerordentlichen Verzweigung in eine Menge von selbst-
stftndigen Einzeldisciplinen, den Gedanken der Specialfaehteehnik bis znr voUen
Conseqnenz geführt hat Fttr die GTmnasien sind aber liierans Erscheinungen
hervorgegangen, welche nun zu Angriffeponkten der oben angedenteten Art
werden mussten. Es ist nicht zu leugnen, dass manche unserer, namentlich
jüngeren Gymnasialiihilologen die Gesiclits{»unkte dieses auf der Universität
gewonnenen specialistischen Fachstudiums unvermittelt auf die Gymnasien über-
tragen, und dass sie die Gynmasialbedentung des Studiums der antiken Spraehen
und Literatur weniger in der Endelnng einer allgemeuien geistigen Ausbildung,
als in der Erstrebnng der Ausbildung für die fachmännische Philologie suchen.
Daraus erklilrt sich besonders das Übennaß der dogmatischen Syntax, mit wel-
cher schon die mittleren Ulassen beschwert werden. Die jetzt gebriiuchlichen
Grammatiken sind ganz von jener Eichtung l»elierrsiht: in jeder neuen Auflage
bieten sie neue, zum Theil höchst zweifelhafte syntaktische Subtilitäten, deren
praktische Applicabilitftt oft völlig unsicher und deren Erlernung in der Form
abstrakter Dogmen für die Gymnasialzwecke unfruchtbar ist. Vielfach wirken
diese Grammatiken sodann auf die Art und Einrichtung der Scripta ein, die.
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statt die GrandlAgen zu einfkchen and natfirlichen Yenndieii der Übertvagung'
in das fremde Idiom zu sein, bisweilen den Eindruck von künstlichen Samm-
Inn^en syntaktisclier Fallen machen und statt im Schüler das frohe Gefühl iIhs
Könnens die äng-stliche Empfindung: geiinillter Arbeit erzeugen. Hier ist der
Punkt, an dem die Arbeit der Rectoreii vorzugsweise einzusetzen hat. indem
sie den humanistischen (iesichtspunkt der Gymnasien gegenüber dem der fach-
nUbmischen Pliflologie wieder sor Oehong m bringen liaben.** — Endlich wird
daranf hingewiesen, dass andi hesttgliGh der Hathematik, der Natorwissen»
Schäften und der Geschichte „bisweilen eine nngesnnde Steigerung der Ansprfiche
über das der Sdiul»^ zukommende Maß zu beobachten ist, und dass man nur zu
hilutig; dem V ersuche von Anticipationen be^cirnet, neben welchen der Univer-
sität kaum noch etwas Erhebliches übrig bleibt. Und doch kann die Einheit-
lichkeit derGymnasialbildnng nnr gewahrt werdm, wmn dleaeünterriditartoffe
innerhalb der Grenzen bleiben, Ton deren Einhidtnng allein ein harmoniidier
Erfolg ihrer Verbindung mit den klassischen Stadien bedingt ist, ganz abgeiehen
davon, dass solche Anticipationen oft statt einer gesunden ^ogendbildong nnr
eine kränkliche und unfruchtbai'e Frühreife zeitigen."
Den Dircctoreu der Realschulen werden namentlich fidgend»" Erinnerungen
gemacht; „Dei- Hauptgrund dei- Klagen wird immer in der Häulung dei- häus-
licihen Aufgaben liegen, welche, wenn sie eine fibermilfiige ist, den dnreh sahi-
reiche Sehttbtnnden schon ennfideten Schflitf an einer seinem Lebensalter nnd
seinem Kräftezustand völlig widersprechenden Hausarbeit bis in die tiefen
Nachtstunden festhält, ihm die ziu' körperlichen Erholung nothwendigen Stunden
entzieht und schließlich seine geistigen Kräfte bis zur Lernmüdigkeit abstumpfen
muss. Eine besondere Aufmerksamkeit ist ferner auf die Art der Aufgal>en zu
riditen. Es handelt sich besonders nm die Überwachung der Memoriranfgaben
nnd die Wahl der Themata der AnfMUse, mathematischen Arbeiten nnd Scripta.
Endlich möge noch der ernsten ErwSgang anheimgestellt werden, da» auch die
Realschulen 1. Ordnong der Gefahr akademischer Anticipationen ausgesetzt sind,
und dass die Directoren eifrigst dem Bestreben einzelner Lehrer entgenzutreten
haben, die Si hiiler ]»ereits mit wis.senschaftlichen i'roblenien zu beschäftigen,
welche iiusschlieülich der Hochschule vorbehalten werden müssen."
Y«iBiitwoitUohor BedMtoar! M. 8t«iB. BttcMrnekent Jaliai Kliakkardt, Lüpiif.
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Der Pessimismus nnd die Sittenlehre.
Ym Frof. Dr. Joh. MehmkeSL-QiUlm,
(Fofftiotiiiiig.)
m. Der empirisohe FeaAimifliiiufl und die Sittenlehre.
Die bisherige Üntersnchang: hat gezeigt^ dass der empirische
Pessimismus oder, um im Hartmannschen Stil zu schreiben, der Pessimis-
mus des empirischen Subjects, wo immer der Versuch gemaclit wurde,
aus ilim eine Sitteiilehie zu entwickeln, sich nicht taliig" erwies, das
Subject zur positiven Selbstthätigkeit anzuleiten, sondern er wies
den Menschen vielmehr, entweder, sei es in directer, sei es in indirecter
Weise, auf den Selbstmord, oder, w<> im fTiimde schon das ei}i:ent-
liche Princip j^eknickt wurde, auf ein untliätiges quietistisches Leben
hin. Mit Sittenlehren von solch nef,^ativem Charakter kann die
Menschheit sich aber unmöglich zufrieden geben, und Hartniann hat
Recht in seiner Behauptung: „Die piaktische Philosophie und das
Leben brauchen einen positiven Standpunkt."
Die Untersuchung hat uns jedoch aucli ferner gelehrt, dass der
metaphysische Pessimismus oder der Pessimismus des Absoluten
(«des absoluten Subjects"), auf welchem Hartmann eine Sittenlehre auf-
zabaaen versucht hat, wol einen positiven Standpunkt zu beschaffen
vennag, weil derselbe das „empirische Subject"" dem Absoluten anter-
steUt, dass aber gerade der Pessimismus des Absoluten den eben aus
ihm deducirten Lebenszweck des empirischen Subjects zu einem rein
illosorischen macht. Deshalb erweist sich ebenÜEÜls diese Sittenlehre,
wenn auch scheinbar als positiT, so doch schließlich als negativ» welche
ihren Anhänger nur so lange, als die Illusion von der Erreichbarkeit
des prodamirten Lebenszwedces ihn gefimgen hftlt^ in positiver Thätig-
keit erhftlt, nach Zerstörung der Illusion aber auf den rein negativen
Standpunkt der Sittenlehre des empirischen Pessimismus, welcher ja
ein steter Appendix des metaphysischen Pessimismus ist, zurück-
sinken Ifisst.
4.Jabig. B«ftXL 43
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— 674 —
Aus diesem Resultat unserer Untersuchung ziehen wii* nun das
allgemeine Urtheil, dass die Sittenlehre, da sie ja einen unantastbaren
positiven Cliarakter liaben nmss, keine von den möglichen Formen des
Pessimismus, weder einen miki okosmischen, noch einen maki'okosmischeii
Pessimismus des Individuums, noch auch einen makrokosniischen Pes-
siniisimis des Absolnlen (metaphysischen Pessimismus) zu ihrer Basis
haben kann, will sie anders iiußerlich und innerlich positiven Charakter
behauptcu, d. Ii. wirklich Sittenlehre sein. —
Die Formen des systematischen Pessimismus haben allesanimt
einen empirischen Ausgangspunkt, nämlich den von mir den empirischen
genannten Pessimismus, d. i. jene „inductiv" auf Gruud der Erlahrung
gewonnene allgemeine Behauptung, dass die Lustbilance der ^\'elt
eine negative sei. Man muss sich non, schon um der Wissenschaft
viUen, hüten, zugleich niit der Abweisung des systematischen Pessimis-
mus überhaupt als einer möglichen Basis der Sittenlehre den em-
pirisdien Pessimisrnns außer aller Beziehung zur Sittenlehre za stellen;
wenn derselbe anch nicht der Quellpnnkt sittlichen Lebens, sei es in
welcher Form man es anch versachen möge, sein Icann, so darf doch
die Mög^eldceit noch nicht ausgeschlossen werden, dass er f&r das
sittliche Leben yon irgend welcher wesentlichen praktischen Be-
deutung sei; und wenn man dieses behauptet, so ist man doch trotzdem
noch weit entfernt von der Anerkennung einer pessümstischen, sei
es auf das Indiyidnum, sei es auf das Absolute gegründeten Ethik.*)
*) Hartmann bemerkt in der Vorrede „Zar Geschichte und Begründung des
PeariminnuB'*: „Wenn die bnten unter diesen (den gegneriachen) Arbeiten die enh
Pinache Wahrheit des Pessuninniu dnrKnmen, «o treffen eie doch atte hi dem Hanpt'
Vorwurfe zusammen, dass der Pessimismus als solcher keine Ethik suhMse, und dass
deslialb auch meine l^hilosophio, weil sie pessimistisch sei, nicht etwa blos zuf&llig,
sondern nothwcuditj und wesentlich othiklos sein und bleiben müsse. Als nun meine
„Phänomenolcirie des siftlichen Ikwusstseins'- erschien, konnte dieser Vonvurf von
den Kritikern nicht mehr aufrecht erhalten werden, denn nun lag ja die Ethik de^
Fessimismus tot ihnen. Konnten sie nun nicht mehr behaupten, dass derPeasmusmns
nichts tauge, weil er ethiklos sei, so kehrten sie nunmehr denSpieS um und fimdenr
dass meine Ethik oidits tauge, weil sie, um auf besagten ibtmmel xurttokmilEommea,
„die Ethik des Pessimismus" sei." Wir wollen Hartmann die im FrohgeftM tliätigen
Schaflens geäußerten Worte zu (Jute halten, kr.nnen aber nicht umhin, zu constatiren.
dass Hartnuiun sieh in einer Selbsttäuschung betiuih t: I j liält er nicht aus einander
den empirischen und den metaphysischen Pessimismus; jeuer lässt iu der That keine
Ethik zu, d. i. auf ihm lässt sich keine Ethik erbauen, dies ist über allen
Zweifel eriiaben. Der metai^iysisehe Pesnmismus des AbsolntNi dagegen ttsst eiae
Ethik infloHBm an, als auf Grand, nicht des Pessimisrnns sondern, des Absoluten
ein positiTer Standpunkt trota des Pessimismus desAbsoInten Ar. dasLd>eade8
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— 676 —
r)as sittliche Bewusstseiii kann sich in drei verschiedenen Weisen
zu dem Pessimismus überhaupt stellen: 1) entweder es gründet sich
auf ihn, sei es individuell dJuddha), sei es metaphysisch (Hartmann),
und hat demzufolge entweder einen negativen Inhalt (Buddha), oder
sein etwaiger positiver Zweck ist illust irisch (Hartmann"); 2) oder das
sittliche Bewnsstsein lässt den Pessimismus nehen sich herlaufen, ohne
von iiim geradezu bpriihrt zu werden (Brahmanismus); 3) oder endlich,
es gewinnt an ihm in der Praxis eine Stütze und hat nach einer he-
stinimten Seite hin an ilim einen RückhaJt ( Hartmann). In den beiden
letzten Fällen ist der beregte Pessimismus der empirische Pessi-
mismus, und weil Hartmann in seinem System mit zwei Arten, mit
dem metaphysischen und dem empirischen Pessimismus, aufmarschirt,
konnte ich ihn sowol im ersten als auch im dritten Gliede als Bei-
spiel anführen. Das zweite Glied lässt sich auch mit dem dritten vei*^
einen, insofern in ihm das sittliche Bewusstsein, wenn auch von einem
metaphysischen oder religiösen Standpunkt ausgehend, gegen die Welt
praktisch in gleicher Weise sich änßeit, und insofern die negative
Anschauung von der Welt in gleicher Weise das sittUdie Bewusstsein
Ar die Praxis bildet, wie es das dritte Glied zeigt.
So hätten wir im Gimde also doch nur zwei Verhältnisse, in
welche sich das sittliche Bewusstsein zum Pessimismus (der als em-
pirische ^V'ahrbeit hier natürlich vorausgesetzt wird) gestellt sehen
kann, indem es nämlich entweder ans dem Pessimismus entspringt, oder
in der ReaUsirung des sittlichen Zweckes irgendwie auf ihn sich stützt,
ihn als Schatzwehr gebrancht Dies Letztere ist es, was nunmehr der
nftherenUntersachnng unterzogen werden soll, ob nämlich der empirische
Pessimismns» da er, wie ich gezeigt habe, nicht Begrttnder der Sitten*
Uraaehen sagewUmen ist: dies bat Hartmaim mitAiifrtdliiiig sdner Ethik bewiesen;
biegegen dnf Niemand Fkont machen, wol aber gegen die Uöglidhkeit, den em-
p irischen Pe^simisrnns den Individnnms aur BasiB einer Ethik zn machen; 2) als
Hartinann die Ethik seines metaphysischen Pes^^imismus vorlecfte, da war freUich nur
natürlich, ila.s.s man zu dem Schluss kam, die Ethik tauge uichtn, d. h. >ii ^ei, wie ich
oben nachgewiesen habe, in dem von ihr verkündeten Zweck des sittlichen Siiebeus
^e lUnsion; sie tauge eben deshalb nichts^ weü sie die „Ethik des Fessünismiis**,
d.L die Ethik, hier nicht des onpiiiseheiisoiideni, des Pessimismvs das Absoluten
id. Nur das Verkennen der absolvten Verschiedenheit des empirischen Peisimis-
mus des Individuums und des metaphysischen des Absoluten konnte Ilartmann auf
die Meinung bringen, dassman in der Verwerfung seiner Ethik auf den „besagten
Hammel" der Verwertung des empirischen Pessimismus zurückgekommen sei;
man kann jene Ethik Hartmanns für untauglich erklären, ohne diesen Pessimismus
glnsUeh rerweifiNi au mflssen.
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— 676 —
lebre sein kann, doch ein nothwendiger Begleiter und Fftrdmr des sitt-
lichen Lebens sei, und wie weit sich derselbe in Beti'eff der RealisiruDg
des sittlichen Lebenszweckes geltend machen könne und machen müsse.
Um zunächst den allgemeinen Begriff des sittlichen Handelns zu
fixireii, so wird, wenn wir alle in der Gescliichte vorliegenden Sitten-
lehren ver(rl('i<*h(Mid heranziehen, gesagt werden können, dasjenige
Handeln sei sittlich, welches dem Lebenszweck des Menschen
entsprech(\ An diese formale Bestimmung des Sittlichen sclilieüt
sich dann die materiah' einer jeden Sittenlehre entsprechend ihier eigen-
thümlichen Auffassung des Lebenszweckes an.
Sittlichkeit heißt demnach die Arbeit des Menschen an
seinem Lebenszweck.
Mit dieser Definition werden, wie ich meine, alle Sittenlehren
einverstanden sein ktinuen ; die bestimmte Sittlichkeit einer jeden Sitten-
lehre wird sich dann in der durch den ihr eigenthümlichen Lebens-
zweck bestimmt lixirten Arbeit ihres Anhängers darstellen. Nun steht
es außer Frage, dass der empirische Pessimismus*) sich nicht mit
jedem Lebenszweck wird vereinigen, also auch nicht mit jeder Sittlichkeit
wird zusammen bestehen können; insofeni wird er daher, wenn ci- auch
für untahig erklärt ist, aus sich heraus eine Sittenlehre zu «zebäreu,
einerseits einen negativen P^influss bei der HcsTimnumir des Lebens-
zwecks ausüben, indem alle mit ihm in Widersprucli stellenden Lebens-
zwecke von vorneherein durch ilni abgewiesen werden, und anderei*seits
als Schutz und Brustwehr sich (irweisen für die piaktisclie Beliauptung
eines bestimmten sittlichen Standpunkts, wenn nämlich etwa '{'riebe
und Neigungen noch im Menschen bestehen, weldie jenen dui*cli den
Pessimismus ausgeschlossenen Lebenszwecken das Wort reden.
Wenn der Pessimismus also eine Walirheit ist, so wird man
ihm für die Sittenlehre das Verdienst zuzusciireiben haben, dass unter
den möglichen Lebenszwecken schon auf Grund dieser Wahrheit die
ihr widersprechenden als nicht-sittliche, d. h. als solche, welche nicht
Lebenszwecke des vernünftig handelnden Menschen sein können, aus-
geschieden wei-den mttssen, denn der vernQnfltige Mensch wird nicht
einen wahrheits- oder vemonftwidrigen Lebenszweck als den seinigea
anerkennen können.
^fan wird diesem Pessimismus aber, wenn er sich einmal als
eina solche Wahrheit erweist, welche die Ziele bestimmter mensch-
*) Ich werde den Memphischen Pettimiimiis** fan Fcdgenden fOat gewQkDfidi
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jicher Neig-uiiffeii als absurd*' und illusorische brandmarkt, aucli iiocli
das andere größere Verdienst beizulegen bereit sein, dass er derjenigen
Sittenlehre, welcher er, was den von ihr aufgestellten Lebenszweck
angeht, gleichsam die Existenz nicht streitig macht, durch ein gewisses
Niederhalten und Dämpfen der einen ihr widersprechenden Lebens-
zweck verfolgenden Neigungen im Menschen zu ungehemmterer prak-
tischer Wirksamkeit verhilft. Hierbei ist ohne Weiteres klar, dass
diejenigen Neigungen, welche in ihrem Ziel mit der W^ahrheit des
Pessimismus im Widerspnich stehen, ebenfalls von derjenigen Sitten-
lehre, deren Princip trotz des Pessimismas bestehen bleiben kann, als
nnsittliche verworfen werden.
Somit würde der Pessimismus für die letztgenannte Sittenlehre,
falls sich das soeben Hervergehobene an ihr zeigt, ein sehr geschätzter,
-wenn nicht sogar nothwendiger, praktischer Factor sein.
üm aber zu erfahren, ob der Pessimismus eine Wahrheit sei, ver-
langt zuerst die Bestimmung des Begriffs Pessimismus ihre Abwandlung.
Es ist angezeigt, dass sich die heutige Sittenlehre Uber diesen Begriff
bei dem neuesten Vertreter des Pessimismus, E. t. Hartmann, zu
Orientiren suche. Niemandem wird entgehen, dass diese neueste Form
des Pessimismus alle Voigftnger an sanfter Fassung flbertrilft, denn
Pessimismus nennt Hartmann „die Behauptung von der Negativität der
Lustbilance in der Wdt^: das klingt wie stilles Auslfiuten des Vesper-
glOekleins gegenüber dem wilden Geheul der Schopenhauerschen Sturm-
glocke; ließe sieh doch sogar aus jener Behauptung etwa noch f&r
diesen oder jenen der Mensdien eine private Positivität der Lustbilance
herausklQgeln, wenn nur das GesammtresultAt aus menschlicher Lust und
menschlicher Unlust die Negatiyit&t ergftbe; doch würde freilich solche
Interpretation nicht in Hartmannschem Sinn geschehen, da dieser viel-
mehr die Negativität der Lustbilance dem Leben eines jeden
Menschen znmisst 3^tive Unlust, d. h. einen Überschuss von
Unlust Aber die Lust", sagt der Pessimismus, zeigt das Leben des
Menschen überhaupt, die Differenz der einzelnen Leben zeigt sich nur
in dem grösseren oder geringeren Überfluss der Unlust.
Unter welchem Gesichtspunkt ist nun das Leben des Menschen
1)etracfatet nnd abgeweidet worden, so dass es den Ertrag, welcher
uns im Pessimismus vorliegt, hat liefern kOnnen?*) Es ist von grOfiter
*) HtTtmaim (Ph.d.s.B.S. 850) schreibt mit Recht: die neuerlichen literarischen
I>i9cussionen ühor den Pessimismus haben den zweifellosen Gewinn gebracht, das«
der triviale ( )|jtimismu.s als ein vnn allen denkenden Deutschen au%egobener Posten
zu betrachten ist, dass die empirische Berechtigung den Pessimismus nachgerade als
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W'icliligki'it, sich diese Fragte g^enau zu beantworten nnd vor Allem
sich klar zu machen, dass in der That nur von einem ganz bestimrateu
Standpunkt aus das pessimistische Lebensbild gewonnen wird, und dass
niclit etwa die Lebensbetrachtung überhaui)t, von w^elchem St<indpunkt
aus sie immer gescliehe, den Pessimismus zum Resultat habe; denn
sonst niüssten wnr die Sehwerkzeuge und die Denkorgane aller der
Jahrhunderte und aller der Menschen herzlich bedauern, welche die
Wahrheit des Pessimismus, obwolauch sie das Leben betrachteten, nicht
Luiden. Wir wollen uns auch einstweilen in unserer guten Meinung
Uber die gesunden Organe der nicht pessimistischen Menschen nicht
Irre machen lassen durch die Vertreter des Pessimismus k tout piix
welche allerdings der Meinung sind^ dass es nur der Betrachtung über-
haupt, und nicht etwa einer besonderen Betrachtung des Lebens
bedfirfe, um die Wahrheit des Pessimismus herausspringen zu sehen^
und dass eben Alle, welche dieselbe in dem Leben des Menschen nicht
entdecken, von Illusionen geblendet und am klaren Schauen dem-
zufolge gehindert seien. Dabei wfll ich freOich nicht verkeunen, dass
die Pessunisten, obgleich sie mit dieser Ihrer Bemerkung, so wie die-
selbe eben ganz allgemein hingestellt ist, im Unrecht sind, dennoch
wol Becht haben können gegenüber einer großen Anzahl von Gegnern,
was sich bald herausstellen wird.
Welclies ist nun der Standpunkt, von dem aus das Leben be-
trachtet werden muss, um die ^^'allrhe^t des Pessimismus zu demonstriren?
Die Hartmannsche Definition des Pessimismus scheint schon genügende
Antwort zu geben: der Standpunkt ist die Lust! Indes ist die-s
docli eine nur ungenügende Bezeichnung der Sache, denn diesen Stand-
punkt haben gleichfalls Alle diejenigen, welche sich zu Gegnern des Pes-
simismus aufwerfen, inne, und man muss, will man nicht gerade die
Gegner des Pessimismus einfaeli zu dummen, in Tlhisionen befangenen
Menschen stempeln, die Definition Hartmanns, wenn anders von der
Wahrheit des Pessimismus soll geredet werden können, zu weit nennen.
Wie die richtige Definition, selbst im Hartmannschen Sinn, lauten
mässte, darauf kann uns ein Ausspruch Hartmanns selbst föhren,
eine nur noch von vorurtheilsvollen und beschränkten Köpfen angefochtene Wahrheit
gelten kann, und da.^s sich die Vertheidigung des end&monologischen Optimismus tob
jefzt an lediirlich auf die Vertlieidiguni,' des ethischen und religiösen Optimismus
unter vnUer Aiierkcimiini,^ des empirischen Pessimismus zu beschränken hat. Dieser
Stand der I'essimismustrage, welcher luiuptisächlieh durch die Si^hrifien von A. Tau-
bert, £. Pfleiderer und J. Rehmke herbeigeftihrt ist, überhebt mich der Bemühung,
an dieser Stelle Uber den trivialeii OptimiBiiiiis noch mehr su sageii.**
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— 679 —
welcher lautet: „So war es in der Tbat die Reaction des sich gegen
die Zumuthung einer definitiven Abdankung empörenden Egoismus,
was sich gegen die Annahme des Pessimismus bisher so heftig sträubte"
la. a. 0. S. 58). Es ist der Standpunkt des Egoismus, welcher das
Leben in die „Wahrheit'' des Pessimismus eingetaucht erkennt, des
Egoismus, welcher die Lust nur als die Folge des erfüllten und
zwar auf das Eigene gerichteten Willens kennt, und für welchen
Unlust die Folge des nicht erfüllten Eigenwillens ist.*)
Wenn Lust überliaupt die Folge des befriedigten Willens ist, so
kann man sagen: dem Pessimisten steht das Leben im Blickpunkt der
aus dem befriedigten Eigenwillen resultirenden Lust, nicht aber der
IjUst überhaupt. Gegen die Einschränkung der Definition des Pessimis-
mus, welche ich nunmehr vorzunehmen im Begrift' bin, wird Hai tmann
angesichts seiner Darstellung des Pessimismus nichts einwenden düi-fen;
meine Definition lautet nun: Pessimisimis ist die Behauptung von der
Negativität der auf den Kigenwill en und seine Befriedigung ge-
gründeten Lust in der Welt. Icli werde diese Lust kurz Eigen-
Inst nennen! Dass nun in der That diese, und nicht die Lust über-
haupt den Blick) iinikt abgibt, aus dem man den Pessimismus erhält,
beweist jeder (rrüi in das volle Menschenleben, in welches auch Hart-
mann hineingegriffen hat zum Zwecke der Demonstration der Wahrheit
des Pessimismus. ^Man sehe z. B. die Ehe an, ein Kapitel, welches ja
ein beliebtes Bravourstück des Pessimisten bildet; die Leiden nnd
Freuden der Ehe werden von Hartmann untersucht vom Standpunkt
des Bügenwillens nnd in den BUckponkt d( i- Eigenlast gestellt, und
nini marschirt natürlich das Trauerspiel der Ehe vor unsem Augen
über die Tiebensbühne. Der Pessimist hat darin ganz Becht» dass der-
jenige, welcher die Ehe als ein Institut ansieht, um seinem Eigenwillen
in ihr genug zu thun, sich in dieser Hoffnung getäuscht sieht und
einen Unlust-Überschuss, wenn er die Zeche macht, in der Lebens-
Kasse der Eigeninst zu constatiren haben wird.
Mag nun Hartmann dieser genetischen Definition des Pessimismus
zustimmen oder nicht, ich will doch nicht unterlassen, darauf noch be-
sonders hinzuweisen, dass in der verschiedenen Auffassung des „Pes-
simismus*', ob nibnlich sein Unlnst-Überschuss das Gebiet des Willens
und die Lust ttberhaupt, oder nur das Gebiet des Eigenwillens
nnd die Eigenlust betrifft, nicht nur ein Unterschied des einfiichen
*) Der Kiir/.c hullior lirauche ich den Ausdruck „Eigenwille" für lUn ..auf
«las Eigene gerichteteu Willen de.s IndiTiduums", Eigeuwille heiitöt aläo kurz so viel
als „das sdn IiidiTidiielles wollende ibidiTidomn**.
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— 680 —
Mehr oder Weniger, sondern ein principieller Unterschied gelegen
ist, da nämlich in ersterem Fall der Grund des Pessimismus im wollen-
den Individuum überhaupt, in letzterem in dem sein lndi^iduelles
wollenden Individuum zu suchen, dort also der Wille überhaupt, hier
aber der Eigenwille anzuklagen wäre. Diese von mir betonte DiÖerenz
würde .sich als der sachlichen Begründung entbehrend herausstellen,
wenn der eigene Wille des Menschen stets ein Eigenwille wäre, d. h.
wenn der Mensch nichts frei wollen könnte, ausgenommen das Eigene,
das Individuelle: dieses letztere erweist sich aber gegenüber der That-
saclic der gerade von Pessimisten hervorgeliobenen uneigennützigen
Handlunü:en als falsch, weshalb jene Differenz mit ßecht festgehalten
werden darf.
Die beiden also wiiklich zu scheidenden Standpunkte aber be-
gegnen sich trotz ihres priiiciiiiellen üntenschiedes in der Behauptung,
dass die Wahiiieit desjenigen Pessimismus, welcher erklärt, dass aus
dem Eigenwillen stets Unlust -tl)erschuss resultire, also eirois-
tisches Handeln eine NeKativiriit der Lustbilance zeigen weiile. un-
antastbar sei. Dieser Eigenliisl-rt ssiinismus ist das, was Hart-
mann in der vorher annierkungsweise iiotirten Stelle „empirischer
Pessimismus" nennt, und ich muss der Wahrheit desselben unbedingt
beipflichten, ^\'enn ich aber den Pessimismus eine Wahrheit nenne, so
zeigt er mir doch immerhin nur eine relative Wirklichkeit, nemlich
für denjenigen, welcher das Leben mit dem ^laüstab der Eigeninst
misst. Bekannt ist es nun, dass Hartmann nicht nur diesen, von ihm
den empirischen genannten Pessimismus, sondern den Pessimisnnis
überhaupt vertritt und im Pessimismus also eine absolute Wahrheit
erkennen will, der zufolge der Mensch, welchen Standpunkt der-
selbe auch einnehme, stets in seinem zur theoretischen Prüfung in
den Blickpunkt der Lust überhaupt gestellten Leben die Negativit&t
der Lnstbilance vor sich haben werde.
Lassen wir die Prüfung der absoluten Wahrheit des Pessimismus
überhaupt zunächst dahingestellt sein und betrachten wir vorerst den
Eigenlust-Pessimismus in seiner Bedeutung für die Sittenlehre. Dass
derselbe wahr sei, unterliegt keinem Zweifel. Hartmann hat in Bezog
auf ihn das Kichtige gesprochen, wenn er behauptet, dass es auf den
sich gegen die ZumuÜiung einer definitiven Abdankung empörenden
Egoismus zurückzuführen m, wenn man sich noch gegen die Annahme
des JBigenlust- Pessimismus sträubt, und Hartmann hat femer Recht,
wenn er dieses Sich-Sträuhen auf Illusionen, die vor der klaren Be-
tracfatong der Thatsachen zerfließen mOasen, zurfickftthrt Soweit also
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— 681 —
die Geguer des Pessimismus den Standpunkt des Eifjenliist-Optimismus,
oder, wie Hartmann ihn uemit. des trivialen Optimismus einnehmen,
ist ihre Gegnerschaft in der That auf llhisionen gegründet.*)
Es ist ein niclit zu unterschätzendes Verdienst Hartuianns, die
Haltlosigkeit des Kigenlust-Optiniismus nachgewiesen zu haben; nicht
minder aber zu werten hat man die Bedeutung seiner Untersuchung
über „Die egoistische Pseudomoral oder die indi\idiial-eudämonistischen
Moralprincipien", welche den ersten Abschnitt der ersten Abtheilung
seiner „Phaenomenologie des sittlichen Bewusstseins" bildet. In dieser
üntei-suchung -wird die Wahrheit des Eigenlust -Pessimismus erhärtet
und gezeigt, dass sich alle auf Eigenlust gegründeten Moralprincipien
als unzulänglich und unhaltbar für jeden Denkenden und jeden das
Besultat seines Lebens in Hinsicht auf den hingestellten Lel)enszweck
prüfenden Menschen erweisen müssen, und dass der ehrliche Egoismus
gezwungen wird, sich bankerott zu erklären, und infolge dessen dann
den Standpunkt des Eigenlnst-Pessimismus zn dem seinigen machen
mnss an Stelle des bisher vertretenen Eigenlust-Optimismus.
Die egoistische Sittenlehre fährt ihren denkenden und prüfenden
Anhänger demnach praktisch zur Verneinung des von ihr selbst auf-
gestellten Lebenszweckes, welcher letztere sich ja im Widerspruche
beindst mit dem Eigenlust-Pessimisrnns; dass aber die egoistische
Sittenlehre praktisch den Einzelnen zn demselben negativen Besultat
Ahrt, welches jener PessinusmusTerktlndet, ist f&r dieEntwickltmg des
aittlicfaen Lebens des Menschen hoch wichtig. Denn der erwähnte
Eigenlnst-Pessinüsmns als theoretisch angenommene Wahrheit hatselbst-
yerständlich noch nicht di^'enige zwingende Macht, welche nOthig ist,
praktisch Egoistisches abzuweisen zn Gunsten des sich wahrhaft sitt-
lich bestimmenden Handehis, „denn der Egokmus verhält sich zum
positiv Ethischen wie ein urwfichsiger Riesenbaum der üppigen Tropen«
weit zn einem zarten Eeimpflänzchen, das den Schnee durchbricht; ein
Wettkampf zwischen beiden erscheint hoffiiungslos tSac letzteres, so
lange der erstere in voller Kraft steht, und die tägliche Erfahrung
kann uns bestätigen, wie ohnmächtig das Ethische der ungebändigten
Selbstsucht des Menschenherzens gegenüber ist, wenn es die Selbst-
verleugnung erst erkämpfen soll, anstatt sie vorzufinden.** (Hartmann,
Phaenomologie, S. 51.) Daher ist es nöthig, dass diese herbe Wahr-
heit des Pessimismus wenigstens vom Individuum durch gelebt, im
*) Den unomstOfilichen Nachweis hierfi'ir Imt Hartmann und sein Anhang in
vielen Schriften geliefert: Uber diesen Paukt sollte unter den ebrlicben Leuten kein
Streit mehr sein.
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eigenen Leben ci fahren, durch Selbsterfalirimg zu eigen jreinacht \\ erde:
der (roethesrhe Spruch ist für diesen Fall walir: „Was du ererl)T von
deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen." Immerhin aber
wird diese Erfahrung erleichtert und beschleunigt, wenn jeder ?jgenhist-
Pessiniismus oöen und frühzeitig dem Indinduum als theoretisclie Wahr-
heit eingeimpft wird, nnd in diesem Sinne stimme ich Hartmann bei,
dass die Ei'ziehung ihre Aufgabe riditig erfasst, wenn die Paedagogik
den Pessimismus in ihre Basis mit hereinnimmt.
Hieraus erhellt nun, dass eimnal die theoretische Wahrheit des
Eigenlust-Pessimismus für die Constmction der Sittenlehre von Wichtig-
keit ist, indem durch denselben alle egoistischen Lebenszwecke
als mögliche sittHchePrincipien definitiv abgewiesen werden,
und die Wahrheit von ihm vertreten wird, dass jedes System, welchem
ein egoistisches Princip zu Grunde liegt, keine Sittenlehre sein könne,
dass also das sittliche Princip des Menschen stets ein nicht-
egoistisches sein müsse.
Es erhellt femer, dass die praktische Wahrheit dieses Eigenlast*
Pessimismus (das will heißen: wenn er erlebt ist) für die Wirksam-
keit eines von ihm gänzlich unbeanstandeten sittlichen Princii)s an-
gesichts des „Riesenbaums" Egoismus im Menschen ein unentbehrliches
Postulat ist, um die unsitUidien egoistischen Triebe mit mehr Nach-
drnck bekämpfen zu krmnen.
Wenn ich nnn diesem Pessimismus eine derai^tige Stellung sowol
in der Sittenlehre überhaupt, als auch für die praktische Wirksamkeit
jeder bestimmten Sittenldire ohne Zwang zugestehe, so Termag ich
dodi selbst ihm nicht die Stellung einzuräumen, welche Hartmann
sogar für seinen angeblich absolut wahren empirischen Pessimismus
in der Sittenlehre fordert Dieser letztere soll nach Hartmann nicht
nur den egoistischen Lebenszweck als unhaltbaren erkennen lassen
und nicht nur eine Schutzwehr gegen die Verlockungen des Egoismus
bilden, sondern sogar die Selbstverleugnung aus sich gebären.
Hätte Hartmann in diesem Punkte Recht (denn was hier von seinem
Pessimismus gilt, wird auch vom Eigenlust-Pesaimismus im Besonderen
gelten), dann nähme der Pessimismus eine noch bei Weitem wichtigere
Stellung in Ansehung der Sittlichkeit ein. Dieses sei deshalb näher
geprüft; ich führe zu dem Ende zunächst Hartmanns Darstellung tot
an der Hand semer „Phaenomenologie des sittlichen Bewusstseins".
„An der Nichtigkeit des rein egoistisch geführten Lebens, aus
der Hohlheit und der empörenden Pi^llerei aller Hlnsionai, wenn sie
blos auf den Egoismus bezogen werdra, an der ganzen in sich zer-
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fallenden und zerbröckelnden Misere aller individual-eudämonistischen
Systeme der praktischen Philosophie erkennen w nnn auch mit Klar-
heit, dass alle Modiflcationen mid Formnlinrngen dieses Prindps in
Wahrheit keinen Anspruch anf irgend welche ethische Bedentnng haben
kSnnen, sondern dass das Ethische, wenn es eni solches flberhanpt
gibt, frühestens da anfangt, wo Jenes anfhOrt» Es ist somit nicht
blos ein negativer Gewinn, den wir ans den Betrachtangen des
IndiTidnal-Endämonismos gezogen haben, es ist nicht blos die yer-
neinende Erkenntnis, dass dies ein Ethisches nicht sein kann, sondern
es ist dnreh die begritfene Selbstaufhebung des egoistischen Prindps
mit dem Ende des einen zugleich der Anfang des anderen ge-
wonnen. Wie bei geologischen Gesteinschichten die obere Grenze der
tieferen Schicht zugleich die untere Grenze der höheren bildet, so ist
das, was den letzten Abschhiss in der KntwickliiiiLr des egoistischen
Princips bildet, zugleich das unentbehrliche Fundament für alles
JIthische, — icli meine die Selbstverleugnung, das praktische für
Wertloshalten des Ich und seiner Selbstsucht, welches allein im Stande
ist, in der Seele tabula rasa zn machen mit dem unendlichen Kram
der wichtijrthnerischen egoistischen Zwecke und Bestrebungen, die jede
etwaige Entfaltung des Ethischen wie das Unkraut den AV'eizen zu
überwuchern pflegen. — Die Selbstverleugnung ist Anfang und Grund-
lage alles Ethischen; freilich ist sie blos Anfang oder untere Grenze,
also noch nicht selbst für sich allein etwas, sondern nur als
Grundlage eines Positiven, dem sie reinen Tisch gemacht. Schon im
Namen liegt es, das die Selbstverleugnung der Thätigkeit und Leistung
nach etwas Negatives ist, das erst der Ergfinzung dnrch ein Positives
bedarf; aber dieses Positive, welcher Art es auch gefiust und ver-
standen werden mOge, bedarf nnter allen Umständen der ne-
gativen Kehrseite znr Vervollständigung des Gepräges, ohne
wekhe die Mflnze nngOltig wäre. In allen ethischen Systemen ist
letzteres mehr oder minder deutlich anerkannt, aber fast ftberall soll
das positiv Ethische aus sich selber die Kraft schöpfen, den
BIgoismns zn besiegen und die Sdbstverlengnung zn erkämpfen, während
hier das Bevers der Medaüle zuerst geschlagen wird und erst auf
dem Boden der Selbstverleugnung das Ethische freie Bahn zur un-
gehinderten Entfaltung gewinnen soll" (a. a. 0. S. 50 f.).
In diesen Sätzen liegt eine Wahrheit, die aber von Hartmatin zu
weit ausgebeutet ist. Wenn die übrigen ethisclien Systeme niciuti n,
in ihrem sittlichen Princip schon durchschlagend dem Menschen die
Ki'ätt zui' Besiegung des Egoismus bieten zu können, so war es doch
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factiscli der an ein sittliches Princip stets sich iinliänirende Eig^enlusi-
Passimismus, welcher zur Besietrung des Egoismus mithalf. Hartmann
majr deshalb Hecht haben, ^re wisse Systeme zu tadeln, dass si»^ diesen
Pessimismus wenigstens nicht deutlich genug ans Licht gestellt haben,
dass sie tiber dem Avers das Revers zu zeigen vergaßen, sich über-
haupt des letzteren vielfach selbst nicht klar genug bewusst wurden:
und Hartmann hat sicherlich Recht, dass manche Sittenieliren d;i>
pessimistische Kevei's in der That zu prägen vergaßen. Die Knl<re
davon war dann, dass diese Sittenlehren in ihrer praktischen Wirksam-
keit sicli (ift gezwungen sahen, mit dem nicht durch sie gebrochenen
P^goisnnis und mit der Eigenlust irgenwie zu pactiren, um nicht selbst
von diesen bei Seite geschoben zu werden. Kine jede Sittenlehi-e*l
aber verlangt in der That Selbstverleugnung, daher muss sie
auch unweigerlich den Eigenlust-Pessimismus in sich auf-
nehmen, ohne welchen jene J^'orderimgen stets praktisch machtlos
sein würden.
Während Hartmanns Tadel gegen die andern ethischen Systeme
wegen Nichtbeachtung des Pessimismus in Ansehung der Selbst-
verleugnung von mir als ein begründeter angesehen ist, scheint mir
indessen Hartmann seine diesfallsige Überlegenheit dort zu Gunsten
des Pessinusmns zu weit auszunutzen, indem er den Pessiinisnins schon
allein für ausreicliend erkläit, die Selbstverleugnung zn erzielen. Es
lieirt etwas Verführerisches in dem schr>nklingenden Ausdrucke ,.die
Selbstverleugnung ist das unentbehrliche Fundament alles Ethischen",
wenn man nämlich in das Bild sich weiter verliert uml dann den
Sinn jenes Satzes so fasst, dass sie als die Grundlage da sein mttsse,
bevor überhaupt das Ethische kommen und sich aufbauen könne.
Hartmann will dies in der That behaupten, und erklärt deshalb, dass
nicht das sittliche Frincipi sondern vielmehr der Pessimismus dieses
„Fundament^ erstelle. Ich bezweifle dieses.
Die y^Selbstverlengnung^, schreibt Hartmann, „ist* das prak-
tische fttr wertlos Halten des Ich und seiner Selbstsucht^; der Pes-
simismus andererseits ist nach ihm die Behauptung von der Negativit&t
der LnstbUance; es ist jetzt die Frage: kann die Erfahrung von
diesem Pessimismus allein f&r sich in der That die Selbstverleug-
nung zur Folge haben? Dieses ist nun nur in dem einen Fall denkbar,
wenn die Nogativität der Lustbilance eine absolute und das Conto
*) Da« Wort Sittenlehre gilt hier jetzt natürlich nur noch Ton den berechtigten,
d. i. nichtegoistischen ethiacben Systraien.
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der Lust durch das ganze Leben hindurcli ein unbeschriebenes Blatt
wäre: dann nur allein Nvürde die Selbstverleuirnnn? eben als die aus
dem blossen Pessimismus natürlichei'w eise resultirende Selbst Verneinung^,
d. i. Selbstmord, die zwingende Folire sein. Sobald abei- der Pessimismus,
wie g:erade derjenige Hartmanns, noch irgendweldie Eigenlast als
wirklich, als nichtillusorisch anerkennt, tritt niclit einmal theoretisch,
geschweige denn praktisch das absolute „für wertlos Halten des Ich
und seiner Selbstsucht*" ein; das Kriterium des Lebens bildet ja für
solchen Pessimismus die Eigenlust, so dass bei ihm also, sobald der
Überschnss der Unlust constatirt ist, wol eine geringere Wertschätzung
als es früher der Fall war, nicht aber ein gänzliches fiir wertlos
Halten der Eigensucht auftreten kann.
Niemals wird daher allein ans der negativen Lustbilance des
Pessimismus die Selbstverleugnung des Pessimisten hervorwachsen,
auQgenommen den Fall, da jene Bilance eine absolute ist und dann
eben zum Selbstmord führt. Auch im letzteren Fall aber würde die
sich ergebende Selbstverleugnung nicht das Fundament fÖr etwas
„Positives'S Ethisches bilden, sondern vielmehr nur die negative ,4^hr-
seite' eines Negativen, des Selbstmordes, sein, denn die rein pessi-
mistische Selbstverleugnung ist stets absolute Selbstvemeinung. Sobald
aber nur eine relative Xegativität der Lustbilance constatirt ist von
dem Individuum, wird dieses, als immerhin noch vom Eigenwillen
erffillt, an dem kleineren positiven Posten des Lustcontos sich in
seinem praktischen Verhalten festsaugen und, ohne je zur Selbst*
Verleugnung zu kommen, sidi anstatt des leider irrthfliulich erhofften
aberrdchlichen Mahls eben mit der geringen Kost der wenigen Eigen-
lust, die in der Bechnung stehen blieb, zu begnfigen wissen.
Sobald nun das Leben einzig mit der Eigenlust-EUe gemessen
wird, kann in der That» wenn auch Negativität, so doch nie absolute
Negativität der Lustbilance das wissenschaftliche Facit sein, und vor
allem wird deshalb das absolute „f&r wertlos Halten der Selbstsucht'*
als Biditschnur f&r das praktische, d. L das in positiver ThäUgkeit
das Leben fortsetzende Individuum, so lange der Pessimismus allein als
das Bestimmende hingestellt wfirde, unmöglich im Bewusstsein dieses
Individuums sich finden. —
Die absolute Wertlosigkeit der Selbstsucht ergibt sich erst
fttr den positiv praktischen, nicht dem Selbstmord vei£dlenden
Menschen, und sogar ohne allen vorhergehenden Pessimismus, freilich
nur erst als rein theoretische Annahme, aus jedem sittlichen,
d. h. nichtegoistischen Princip, weil dieses, sofern es als Mafi-
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Stab des Weites des eigensüchtigen Lebens genommen wiid, das
letztere begreiflicher Weise für absolut wertlos erklären und in-
folge tlesstii aueh die Selbs Verleugnung als Forderung aufstellen
wird. Indes, wenn das sittliche Princip auch die Theorie der Selbst-
verleugnung aus sich gebären kann, so ist dasselbe mit der Praxis
der Selbstverleugnung nicht ebenso glücklich, da das praktische
für wertlos Halten der Selbstsucht ja nicht die logisch sittliche
Berechtigung des Egoismus, sondern, was etwas ganz andei-es ist, die
Existenz desselben verneinen, d. i. den Egoismus vernichten soll. —
Dass nun das im Individuum lebendige sittliche Princip die
Existenz des Egoismus praktisch verneinen, also die Selbstverleugnung
an diesem Individuum rein von sich aus auch praktisch bestellen
könnte, wird Niemand leugnen, und man muss den von v. Hartmann
angezogenen ethischen Systemen Kecht geben, wenn sie in der That
in ihrem sittlichen Princii) selbst schon die Kraft zu besitzen glauben,
den p]goismus zu brechen. Aber freilich bedarf es immerhin einer
Vorarbeit, um diese Kraft im Individuum zur Geltung zu briniren.
und eines Mittels, das die Iiindernis.se aus dem Wege räume tVir die
Entfaltung der dem sittlichen Princip selbst innewohnenden Knift.
Dieses, sozusagen itropädeutische Sittlichkeitsmittel ist der
Eigenlust - Pessimismus; er selbst kann die Selbstverleugnung:
allerdings nicht als seine ^\'irkung aufweisen, er ist aber das probate
Mittel, durch welches das sittliche Princip sich geltend und in Folge
dessen seinerseits nun die Selbstverleugnung möglich macht.
Die Selbstverleugnung aber ist nie eine „Thätigkeit oder Leistung^'
für sich neben der sittlichen Thätigkeit, wie Hartmann meint,
so dass jene dieser etwa voranginge, sondern sie ist -eben die
sittliche Thätigkeit in ihrem Verhältnis zum Eigenwillen des
Individuums betrachtet. Daher hat es auch keinen Sinn, wenn Hart-
mann schreibt, dass „erst auf dem Boden der Selbstverleagnung
das Ethische freie Bahn zur ungehinderten Entfaltung gewinnen soll**,
denn mit dem „Ethischen" gewinnt natürlich auch erst die Selbst*
yerlengnung ihre Entdedtung, welche ja eben dieses selbe Ethische
nur unter dem soeben erwähnten speciellen Gesichtspunkte darstellt.
Dei* Pessimismus mag mir noch so sehr in Fleisch und Blut über-
gegangen sein, so werde ich doch erst, wenn ich in dem positiven
sittlichen Prininp einen, die Eigensucht absolut für wertlos erklären-
den Maßstab besitze, zur Selbstverleugnung, d. h. eben mit andeni
Worten zum sittlichen Handehi kommen könn^ denn nnr das Bewnsst-
sein der totalen Wertlosigkeit der Eigensncht ermöglicht die
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Selbstverleugnung', und ein solches Bewiisstsein kann, wie ich gezeigt
hahe, der Pessimismus, sofern er die Beliauptiing von der relativen
Negativität der Lustbilance ist, nun und nimmer liefern, sondern
das ist die Leistung des im Menschen lebendig gewordenen sitt-
liehen Princips.
Dalier ist die Sache stark verschoben und präsentirt sich scluef,
wenn es bei Hartmann heißt: ,.die Selbstverleugnung ist Anfang und
Grundlage alles Etliischen'' (Hartmann a. a. 0. S. 51), sie ist viel-
mehr ein bestimmtes Moment des Ethischen selbst, daher auch nicht
vor diesem da, und aus eben demselben Grunde nicht aus einer
anderen Quelle entsprungen als das Ethische, welches seinerseits ja
aus dem lebendig gewordenen sittlicben Princip des ludividaums
hervortritt im Leben des Menschen.
Die zugestandene Unentbehrlichkeit des Pessimismus nun für
alles Sittliche, insofern dieses ja stets auch als Selbstverleugnung auf-
tritt, muss augenscheinlich in einem anderen Punkte seine Begründung
finden; als solcher bietet sich die praktische Entfaltung, d. i. die
Darstellung des Sittlichen im Leben des Individuum». Nie würde
wol das sittliche Princip als das Princip der Selbstverleugnung festen
Boden im Menschen als wollendem finden, wenn nicht der Pessimismus
die aus dem Gesichtspunkt der Eigenlust vorgenommene Wertung des
Lebens unter dem Nullpunkte fixirte und dadurch dem Individuum
es praktisch möglich machte, auf Grund des sittlichen Princips
zu sittlichen Thaten, d. i. zur Selbstverleugnung zu kommen.
Dieses Bündnis des Pessimismus mit dem sittlichen Princip ist
aber nur anter einer Voraussetzung denkbar, dass nämlich der Mensch,
velcher das eigensüchtige Leben mit dem MaAstab dar Eigeninst
gemessen und auf Grand der Messnng den Eigenlnst-Pessimismas
gewonnen hat» mit einem wesentlich gleichen Maßstab anch das sitt-
liche Leben prüfte. Wir können ntolich von yorneherein die Über-,
legimg machen, dass das Individanm bei dieser seiner totalen Yer^
ändernng, bei dem Übergang von der rnnprOngüchen Selbstsucht zur
Selbstverleugnnng, vom ursprünglichen Egoistischen zum Sittlichen,
gewisse in seuiem eigenen Innersten liegende Motive wol hat wirken
lassen mflssen, und wie es nun die Lust war, welche er aus dem „zu
erfUlenden** Eigenwillen sich vorspiegelte, so wird es auch Lust
gewesen sein, welche ihm in seiner Lage als „sittUchen** Menschen
entgegengetreten ist So kann Lust gegen Lust sich stellen und dem-
nach eigensüchtiges und sittliches Leben unter einen gleichen Mallstab
gebracht und gegen einander abgewogen werden. So auch konunt
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in der That erst der Wert des Pessimismiis ftkr die Senntverlengnung,
d. 1 also für das Sittliche überhaupt znr Geltung, indem erkannt wird,
dass die von ihm herrorgerafene Zertrümmerung des ursprünglich in
den Augen des Individunrns absoluten Wertes des Egoistischen
Ranm schafft, um dem sittlichen Princip dadurcli die praktische Wii-k-
samkeit zu ermöglichen, dass sich nun der Wert des sittlichen Lebens
für (las Individuum erweist als einer, welcher wenigstens denjenigen
des efroistischeu Lebens überwieofe. Wie dieses aber näher zu ver-
stehen sei, dass der Sittliche mehr Lust und zwar sogar „Lustüber-
schnss" erfahre, und wo namentlich die (Quelle dieser Lust des sitt-
lichen Lidividuiuns zu suchen sei, wird erst weiter unten gezeigt
werden können. —
In jeder P^thik, deren einzelne Forderungen also mit dem positiven
Inhalt als dessen Kehrseite die Selbstverleugnung enthalten, wird
neben dem Pessimismus als seine Kehrseite der Optimismus auftreten,
insofern die Ethik ü))erhaupt dem Menschen einen i»(»sitiven Lebens-
zweck stellt. Diese oi)timistische Kehrseite fehlt den pessimistischen
Sittenlehren, welche daher, um Hartmanns Ausdruck hier zu jrebiuuchen,
nn^ültig^e Münzen ausgeben, weil diesen eben zu ihrer Gidiigkeit
unter allen Umständen die Ergänzung ihres pessimistischen Avei*s
durch das optimistische Revers ntithig wäre. Ohne ethischen Optimismus " i
ist Sittlichkeit in der Welt geradezu etwas Unmögliches; kein Mensch
würde für einen Lebenszweck frei tliätig sein, wenn diese seine
Arbeit niclit unter „Positivität der Lustbilance" vor sich ginge, und
ohne solchen Optimismus wäre auch die Selbstverleugnung,
d. i. also das Ethische überhaupt, eine Unmöglichkeit. Die
Wahrheit des Eigenlust -Pessimismus nuiss begleitet sein von der
Wahrheit des ethischen Optimismus: denn nur der letztere kann über
die Eigensucht, die freilich in ihrem geringen positiven Resultat schon
•durch jenen Pessimismus gezeichnet ist, ei"st wirklich hinweghelfen.
Es ist ein großer Irrthum Hartmanns, dass er die Selbstverleug-
nung, die ja ein integrirender Theil wirklicher Sittlichkeit ist, nicht nur
alseine rein negative Leistung nur allein für sich möglich erkl&rt»
während sie ja doch nur das negative Moment neben dem. positireaaB
Einer sittlichen Leistung oder Thätigkeit ist, sondern dass er sie auch
insbesondere als durch den Pessünismos allein schon gegeben behai^itet
*) Ethischer Optimismas hei^t nicht: Optindmiiis, welcher au das sittliche
Handeln, sondern an dot eittlich Haadeladen aaknftplt: dfe Ideiüi liegende
Di£fereiUE wird der Vcriavf der Vntenachuiig klarlegen.
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In die.^eii In tlmm ist Hartniann wol dadurch verfallen, dass er in
solchen „sittlichen" Systemen, \velclie als ix'ssiniistische nichts Positives
hatten und keinerlei Optimismus vertraten, die Selbstverleugnung vor-
fand. Bei Licht besehen aber war doch in dieser die Selbstverleug-
nung nur das eine negative Moment der rein negativen That der
Selbst Verneinung, des Selbstmordes, welche in dem Bewusstsein
geschah, besser sei es, nicht zu sein als zu sein; d. h. also, wir
haben es hier mit einem Paradoxon, mit einer eigensüchtigen
Selbstverleugnung oder, was dasselbe sagt, mit einer sich selbst
verneinenden Selbstsucht, dem Selbstmord, zu thun.
Ist es aber aucii der Fall, dass solche Selbst verneinungs-That ein
reiner Pessimismus- Act genannt werden muss, dass also hier das
Moment der Selbstverleugnung aus dem Pessimismus allein erklärt
werden kann, so ist damit noch in keiner Weise gegeben, dass nun
stets die Selbstverleugnung dem Pessimismus ihr Dasein zu ver-
danken habe. Denn in dem vorliegenden Falle ist sie solchen Ur-
si)nings einfach aus dem Grunde, weil die Leistung, der Selbstmord,
einem PessimismiLS der absoluten Negatlvität der Lustbilance ent-
stammt.
Es muss auf alle Fälle die in der positiven Sittenlehre ent-
haltene Selbstverleugnung auf das positiv- sittliche, als das
alleinige Princip und auf den mit diesem zusammenh&ngenden
Optimismus zurUckgefdhrt werden, während sie im Eigenlust-
Pessimismus dann ihre praktische Stütze erhält.
Mit der Behauptung, dass der etliische Optimismus nothwendig
sei fiir die Wii*ksamkeit der Sittenlehre und zwar jedenfalls ebenso
nothwendig, wie der mit ihm verknüpfte Eigenlust-Pessimismus, mit
dieser Behauptung trete ich in schneidenden W iderspruch zu Hartmann,
welcher seinem Pessimismus allein diejenige Stellung in der Sitten-
lehre angewiesen wissen will, welche ich den vereinigten Anschauungen,
dem EigenluBt-Pessimismns und dem ethischen Optimismus, einräumen
wollte.
Ich habe schon im Obigen darauf hingewiesen, dass die Selbst-
verlengnung nur die unabtrennbare Kehrseite der positiven Seite der
sittlichen That sei, dass aber die idttUche That als solche natürlich
ihren Ursprung im sittlichen Princip habe. Ich bin femer bedacht
gewesen, zu zeigen, dass das sich selbstverleugnende sittliche, das
ist Positives bezweckende Individuum zu dieser seiner Thätigkeit nur
dann kommen kdnne, wenn es praktisch die Eigensucht f&r wertlos
hält, und dass es zu diesem fDr wertlos Halt«i wiederum nur ge-
Padafogian. 4. Jabfg. XL Heft 44
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langen werde, wenn es an sein Leben einen andern Wertmesser, als
den der Eig^enhist zu legen im Stande ist. Ich habe endlicli darauf
hingewiesen, dass dieser andere Wertmesser nur dann jjraktiselie
Dienste leisten und die Eigensucht wirklich verneinen, wirklich also
Selbstverleugnung ei*zielen werde, wenn er die Eigensucht auf ihrem
eigenen Boden aufsuchen und mit der Lust gegen die Eigenlust auf-
treten, wenn er also mit der absoluten Verurtheilung des ^\'ertes der
Eigensucht zu gleicher Zeit den ethischen Optimismus, d. i die
Behauptung von der Positivität der Lustbüance des Lebens dem
sittlichen Individuum demonstriren könne.
Indem nun aber Hartmann dem Eigenlust-Pessimismus fälschliclier
Weise die Kraft, den Egoismus niederzukämpfen, zuschreibt, eine
Kraft, die mit vollem Recht nur dem sittlichen Princip und dem
mit ihm zusammenhängenden Optimismus des sittlichen Individunms
beigelegt werden kann, eröffnet er sich die Möglichkeit, für seine
Sittenlehre des ethischen Optimismiis entbehren za können. Denn das
ist ja die einzige Verwendung, welche eine Sittenlehre von
ihrem Optimismus machen wird und will, dass derselbe die trotz
des Pessimismus noch immer gleichsam neben diesem au&chieAende
Eigensucht als absolut wertlos dargestellt und infolge dessen für
das Individuum auch reizlos zu machen sucht, was der Pessimismus
allein fOr sich ohne aUe Aussicht auf Erfolg anstellen wQrde.
Hartmann aber will innerhalb des Pessimismus selbst das NSthlge
zur Vemichtnng des Egoismus vorfinden, durch welches das sittliche
Leben des Individuums emöglicht werde. Es kann nun den Schein
erwecken, als ob ich hier ein schon Erörtertes nur wiederhole, während
ich doch factisch eine neue Seite des Hartmannschen Systems der
Betrachtung unterstellte. ^^ ir wissen schon, dass nach Hartmann der
Egoismus vernichtet und die Selbstverleugnung gewonnen werde
durch den Pessimismus allein, sodass zugleich die Selbstverleugnung
als ein für sich vorgenommener Act der ..positiv* sittlichen That
selbst vorangehe. Da \yir aber die Trennung der zwei Momente
eines jeden sittlichen Actes in zwei aufeinander folgende Acte unbe-
dingt verurtheilen müssen, so werden wir noch einmal, wenn wir uns
nun die Möglichkeit des von Hartmann gezeichneten sittlichen
Lebens klarstellen wollen, auf den Hartmannschen empirischen
Pessimismus zurückgewiesen, weil selbstverständlich die Möglichkeit
des „positiven" sittlichen Lebens, welches Ja nur die Kehrseite des
„negativen**, d, h. der Selbstverleugnung ist, auf eben dasselb«' ge-
gründet sein muss, auf welches nach ihm diese gegründet sein solL
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Ist die Selbstverleugnung im einpiristi?ichen Pessimismus groß-
gezogen, so muss auch das sogenannte „positiv Etliisclie" Hartmanns
in diesem Pessimismus die Bedingung seiner Möglichkeit haben. Das
Nöthige findet sich hiefür nun in der That bei Hartmann vor, aber
OS wird sich der interessante Umstand herausstellen, dass auch Hart-
manii nicht umhin gekonnt hat, in diesem Fall mit der Lust gegen,
die Lust zur Ermöglichung seiner Sittlichkeit zu operiren, was eben
die Wahrheit des allgemeinen Satzes, welchen ich vorhin anführte,
wiedemm bestätigt, dass die Eigensucht nur mit einem Mittel, das
auch zugleich auf ihrem Boden heimisch sei, bek&mpft werden könne
wie Sinnoza richtig sagte: Affect lässt sich nur durch Afiect be-
kämpfen und vemichtenl Idi bin mir aber bewnsst, trotz der Herein-
nahme der Lust ins Sittliche und der Gegenstellung der Lust des
ethischen Individuums gegen die Eigenlust» nicht etwa Unsittliches
ins sittlidie Gebiet hereingeschmuggelt zu haben und nicht in An-
betracht der Vertreibung der Bigensucbt durch d«i ethischen Optimis-
mus den Vorwurf zu verdienen, dass ich Belial durch Beelzebub aus-
treiben wolle.
JDass das sittliche Leben^ erklfirt Hartmann (a. a. 0. S. 851 £),
in individueller, wie in collectiver Hinsicht das relativ erträglichste
werden musstc, war teleologisch nothwendig, wenn die Menschheit
überhaupt psycliologisch in den Stand gesetzt werden sollte, ihre
ethische Aufgabe im Weltprocess zu erfüllen, deren Lösung andernfalls
völlig unmöglich wäre;" „die Sittlichkeit zu einer die Kräfte des
Menschen nicht geradezu übersteigenden Aufgabe zu machen, ^^ird
eben durch das Zugeständnis erreicht, dass das sittliche Leben das
relativ erträglichste sei." Hieraus geht deutlich hervor, dass auch
der Hartmannsche Mensch die Kraft, den sittlichen Forderungen zu
genügen und die Selbstverleugnung praktisch durch Überwindung der
„natüi-lichen Triebfedeni der Selbstsucht" auszuführen, aus dem Be-
wusstsein schöpfe, dass das sittliche Leben erträglicher sei, d. i.
weniger Unlust und mehr Lust als das selbstsüchtige Leben aufweise,
wenngleich immer die Lustbilance noch negativ bleibe; das relative
Überwiegen der Lust auf dem sittlichen Standpunkt gegenüber der
des egoistischen ist es also, welches auch nach Hartmann die Sittlich-
keit zu einer praktisch möglichen Aufgabe macht. Es wird nun aber
hierbei von Hartmann, damit doch im Allgemeinen der pessimistische
Standpunkt gewahrt bleibe, stets betont, dass deijenige, welcher seinen
Willen ganz und gar in den Dienst des sittlichen Principe stellt,
immerhin nur „das erträglichste Leben von Allen** f&hre; dieses Zu-
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geständnis sei noch weit entfernt von d^v Behauptung, dass „die
eudäinonologische Bilance eines solchen Lebens positiv sei oder dass
ein solches Leben dem Xichtleben vorzuziehen sei" (a. a. 0. S. 851).
Also niclit der Umstand, dass der ethische Optimismus dorn
Individuum nielir Lust im Gegensatz zu dessen Eigensuchtlebcn
zutlieilt, lässt Hartmann solclien Optimismus verneinen, denn auch
Hartmunns „relativ erträglichstes Leben" weist dies „mehr Lust'* auf,
sondern dass jener Oj^timismus eben die Ansicht vertritt, es werde
dem sittlichen Individuum „ein positiver Lustüberscliuss in der
eudämonologischen Bilance des Individuallebens" zuzuschreiben sein.
Diesen angeblich illus<trischen Status des „positiven Lustüber-
schusses" nennt Hartniaun „positive Gl iickseligkeit".
Bevor ich nun die Untersuchung anhebe, ob der ethische Optimis-
mus, wie Hartmann meint, an und für sich eine, Illusion und auch in
Ansehung des Sittlichen überhaupt zu verwerfen sei, gilt es noch zu
untersuchen, ob denn in der That dasjenige, was derethisclie Optimismus
für die Selbstverleugnung leistet, gleiclifalls als jiraktische t^llge aus
der Ansicht resultire, welche das nach sittlicliem Princip geleitete
Leben freilich das relativ erträsrlichste nennt, aber demselben immer-
hiü noch „unzweifelhaft Xegativität der Lustbilance" zuschreibt.
Ich hoflfe den Nachweis geliefert zu haben, dass wenigstens die
sittliche Selbstverleugnung nicht aus dem Eigenlust-Pessimis-
mus hervorgehen kann, was sich auf den allgemeineren Satz, welchen
ich in den vorhergehenden Abschnitten erläutert habe, wiederum
znräckfüliren lässt, dass der Pessimismus für sich überhaupt nur Acte
reiner Vernichtung, d. i. nur reinen Mord zur praktischen Folge
haben kann. Wenn also die sittliche Selbstverleugnung allerdings
nicht ans dem Hartmannschen Eigenlust -Pessimismus hervorgehen
kann, so wftre vielleicht immer noch die Möglichkeit vorhanden, dass
sie sich ans dessen „ethischem" Pessimismus heransai'beiten ließe,
welcl^er letztci*e bekanntlich nach Hartmann an Lust den andern
überwiegt. Indes diese ^Möglichkeit schwindet sofort, wenn man
sich erinnert, dass dasjenige, auf welches sie sich gestützt, eben doch
Pessimismus ist. Es Iftsst sich in keiner Wei>se absehen, wie es
selbst bei einem Hartmannschen „ethischen** Pessimismus zur sitt-
lichen Selbstverleugnung soll kommen können; das Einzige, was hier
etwa als möglieh zu denken wäre, bliebe allein wieder die eigen-
süchtige Selbstverleugnung, d. L der Selbstmord.
Wir sind dieser letzteren Form der Selbstverleugnung begegnet
bei jenem Pessimismus, welcher die absolute Negativität der Lust>
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bflance, d. i. das absolute Elend des Daseins proclamirt und inf(il<^e
dessen zur That des Selbstmordes führt Dass sich nun eben dasselbe
anchf und zwar anter wesentlich veränderten Umständen, beijn
„ethischen** Pessimismns, d. h. bei der Behauptung yon der relativen
Negatiyität der Lustbilance des sittlichen Lebens, ergeben kann, hat
seinen Qrund eben in der Relativität jener negativen Lustbilance,
d. h. in dem Umstände, dass hier noch Lust ftberhaupt und zwar
mehr Lust, als auf dem Standpunkt des Eigenlust-Pessimismus, wo
ja freilich auch noch Lust neben der allerdings Überwiegenden Unlust
angenommen wird, behauptet wird.
Wir wissen nun schim, dass Hartnuums empiiisdier Eigenlnst-
Pessimismas mit seiner relativen (nicht aber absoluten, d. i. aus-
schließlichen) Unlust in sich keineswej^s das Zeug hat, die Eigensuclit
praktiscli zu verneinen, da der in diesem Pessiinisnius stellende, aber
des sittlichen positiven Princips bare Menseli trotz alledem nur noch
inniger an den geringen Bruchtheil der Eigenlust sicli anklammeim
und an ihm in toller Wuth saugen wird, bis ilin etwa in einem Augen-
blick I nicht das Bewusstsein des lielativitäts-Pessimisnms, s(mdern) das
Bewusstsein des absoluten Elends packt und er dann in eigen-
süchtiger Selbstverleugnung den großen Sprung aus dem Leben
heraus thut. Dieser selbe Mensch nun, wenn er vor solcher letzten
That etwa noch vom ethischen Pessimismus durchdrungen, d. i. sich
bewusst geworden wäre, dass diejenigen, welche sittlich streben,
freilich ebenfalls mehr Unlust als Lust, aber doch im Verhältnis zum
eigen^villigen Leben mehr Lust aufweisen, und dass, wie er wenigstens
meint, dieses „mehr Lust" aus der sittlichen That als ihre Folge
resnltirt, — dieser Mensch würde sich dann wol zur Befolgung der
sittlichen Gebote gezwungen haben, um wenigstens noch etwas mehr
Lust als vorher zu gewinnen. Dasselbe wäre daher auch hier, wie
bei jenem legten Sprung in den Tod, zu eigensüchtiger Selbst-
verl^ignung gekommen, nur dass er sich zu Gunsten der Lust, an die
er sich trotz ihrer Unterbilance mit semem ganzen Sein herangedrängt
haben würde, noch bis auf Weiteres am Leben erhalten hätte. Aber
auch diese Selbstverleugnung k5nnte, wie ohne Weiteres miehtlich
ist, nie eine sittliche gewesen sein, sondern ist stets eine die sitt-
lich geforderten „Thaten" nur benutzende, selbstsüchtige, so dass
die Behauptung richtig ist, dass auch der „ethische'* Pessimismus
mit seinem „relativ erträglichen Leben" als solcher für die Sittlich-
keit ein unbrauchbares Werkzeug ist.
Dieses Letztere aber ist der „ethische^* Pessimismus auch daun,
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wenn er, niclit etwa in einem soeben geseliildejien, auf dem Stand-
punkt des Ejroismns stellenden, sondern in einem vom sitrlirli<Mi
Tiebenszweck diirclidrungenen und auf ilm hin freithätigen Menschen
lebendig sein könnte; denn selbst diesen Fall gesetzt, so \\ürde ein
solcher Mensch zu der in seinem Lelien sich darstellenden sittlichen
Selbstverleugnung niclit etwa aus dem Grunde kdiiiinen, weil er ein-
sieht, dass der sittliche Mensch mehr Unlust als Lust hat (eine Mög-
lichkeit, die ja ein geradezu hirnverbrannter Gedanke ist), soadem
weil das ethische positive Princip in ihm lebendig ist.
Wenn ich aber den Eigenlust-Pessimismus und den prolilema-
tischen ethischen Pessimismus in ihrem Wert fiir die Sittenlehre
gegtMieinander abwäge, so ergibt sicli als Resultat, dass der erstere
immerliin die praktisclie Wirksamkeit iiirer Grundsätze im Individuum
nachdrücklich unterstützt durch die Erkenntnis, wie in sich zwecklos*
in Ansehung der Lust, die der Eigensucht dienenden Handlungen
sind; während für den letzteren anscheinend keine praktisch wirk-
same Stellung in der Sittenlehre auszufinden ist. Die einzige Wii-k-
samkeit des „ethischen" Pessimismos, welche etwa znr Erscheinung*
kommen kann, ist diejenige, dASS aaf Grund derselben der Mensch
zur eigensüchtigen Selbstverlengnnng im Selbstmord fortschreitet,
ja in Wirklichkeit der „ethische** Pessimismus sich auch nur auf
dem Standpunkt des Egoismus zeigen wird, während aaf dem-
jenigen der Sittlichkeit stets der ethische Optimismus sich
vorfinden mnss. Hiermit aber ist nun die Forderung an mich
herangetreten^ den positiven Nachweis für letztere Behauptung zn
liefern; ich will denselben aber einleiten durch eine Belenchtnng der
diametral meiner Behauptungr entgegengesetzten Anfstellang, dass der
ethisdie Pessimismns stets mit der Sittlichkeit zusammen sei und dass
der ethische Optimismus nie anf dem Standpunkt der Sittlichkeit
angetroffen vrerden kOnne, sondern immer nur anf demjenigen des
Egoismus sich vorfinde.
Ich habe im Vorhergehenden schon erörtert, dass der Quell
alles Sittlichen und damit natürlich auch des sittUchen Momente»
„Selbstverleugnung" das sittliche Princip im Menschen sei, dass
ferner dies bewusste sittliche Prindp es sei, welches den Menschen
zur theoretischen Selbstverleugnung, d. i. zom sittlichen Pflicht-
bewnsstsein, und, unterstützt vom erlebten Eigenlust-Pessimis-
mus, zur praktischen Selbstverleugnung, d. i zur Sittlichkeit
gelangen lasse, und dass der mit dem bewussten sittlichen Princip
stets zusammenhängende Optimismus das bestimmte theoretische
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Geschäft ausübt, das Egoistische als absolut wertlös hinzu-
stellen. Eigenlast-Pessimismus und ethischer Optimisiniis
erscheinen somit als zwei neben einander hergehende theo-
retische Behauptungen, welche zusammen zur praktischen
Durchführung des sittlichen Priiuips nothwendig sind. Es
gilt nun dem etliischen Optimismus seine Stelle im Leben des sitt-
liclien Individuums anzuweisen.
Gegen den ethischen Optimismus liberliaupt streitet Hartmann
mit den schärfsten \\"ortcii der Entrüstung, und es wird angezeigt
sein, iluu noch hier etwas nachzugehen, um etwaige ^lissvei'ständnisse,
auf denen sein Widerspruch bcrulien könnte, aufzuklären und etwaige
falsche Behauptungen zurückzuweisen.
Hartmann schreibt : ..Dass das sittliche Leben in individueller
wie in collect iver Hinsicht eine positive Glückseligkeit nach sich zöge,
war schon dadurch ausofeschlossen, dass alsdann sofort die Reinlieit
und Uneigeiinützigkeit der sittlichen Bestrebungen zur psycholoo-isdieu
Unmöglichkeit geworden wäre, weil die accidentielle Folfre zuiu jirak-
tisch maßgebenden Motiv «^cwiirden wäre. Wer die Sittlichkeit mit
der Glückseligkeit zu prlnHim wälint, der ist ihr sclilininister Feind,
indem er sie durch Umwandlung in eine vf ittinerte Sorte von
egoistischer Pseudomoral zunächst erniedrigt und im Falle dauernder
Geltung dieser Lehre untergräbt und vernichtet" (a. a. O. S. 8öl f.).
Man wird sich erinnern, dass die Annahme, es gebe „positive Glück-
seligkeit** (cf. S. 692 in dieser Abhandlung), für Hai-tmann sagen will,
es gebe einen „positiven Lustuberschuss in der eudämonologischen
Bilance des Individuallt bens" (a. a. 0. S. 850). Es ist von Wichtig-
keit, diese Deänition sich einzuprägen, damit nicht etwa dem Worte
Glückseligkeit ein anderer Sinn untergeschoben und unter dem Worte
verstanden werde der Zustand der absoluten Befriedigung des
eigenen, sei es egoistischen, sei es etliischen Willens, oder wie man
auch sagen könnte, der Zustand der Wunsch losigk ei t. Mit wenigen
Bemerkungen will ich die Wichtigkeit der Fixirong des Wortes Gldck-
seligkeit noch in helleres Licht rflcken.
(Schluss folgt.)
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Zur Psyebotogie der GaseUeehtsdifferenz.*)
Von Dr. Emü Stherfig-Tjnptig.
„Nach Freiheit strebt der Ifann,
daa Weib nach Sitte."
Goethe.
Zu den bedeutendsten und beziehungsreiclisten Fragen, welche
sich der Pädagogik im allgemeinen und der Didaktik im besonderen
zur Beachtung darbieten und zu einer wenn auch nur annähernden
Beantwortung drängen, sobald eine tiefere Erfassung mancher eigen-
thümlicher Jtocheinangen, die sich im Verlaufe erziehlicher Maßnahmen
ergeben, nöthig erscheint, gehört unstreitig diejenige nach der In-
dividnalität des Zöglings, Ja des Mensehen ak eines Gliedes des socialen
Oiganismns überhaupt Sobald man sich derselben niUiert und den ein-
zelnen Momenten nachspflrt« welche die Eigenthfimlichkeit eines jeden
menschlichen Einzelwesens bedingen, so gewahrt man zu seinem nicht
geringen Erstannen, dass es eine sehr große, ja, &8t könnte man sagen,
eine unendliche Anzahl yon Factoren gibt, ans deren momentanem oder
constanton Zusammenwirken die Indiyidnalit&t des Einzelnen als Be-
snltat herrorgeht Kann es demnach auch nicht die Anij^be eines
kurz bemessenen Vortrages sein, diese reiche Mannig<igkeit des
Nftheren zu beleuchten, so glaube ich doch, dass schon der eine Unter-
schied der Menschen, derjenige zwischen männlichem und weiblichem
Geblechte, dessen in wissenschaftlichen Werken entweder gar nicht»
oder nur in der allgememsten Weise gedacht wird, wichtig genug ist,
um im Interesse Terschiedener pädagogischer Erscheinungen einer be-
sonderen, wenn auch kehieswegs ergründenden Erörterung unterworfen
zu werden. Dass idi bei der Wahl eines Themas aus der großen An-
zahl von höchst fraglichen Sätzen in der Pädagogik gerade diesen
*) Vortiag, gehalten' am 18. Februar d. J. hi der „pftdagi^giMliea QewUaehaft**
SU Lei]iiig.
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Gegenstand gewälüt habe, bat seinen Grund einestheils in der eigenen,
freilich nui* kui-zen Erfahrung, die mir Gelegenheit bot, im Unterrichte
von größerea Mädchen und Knaben Beobachtungen anzustellen, anderen-
theils aber in dem, fast möchte ich sagen, egoistischen Literesse im
Kreise Yon Männern der Wis.senscliaft und praktischen Pädagogen
entweder eine Correctur oder eine Bestätigung der gewonnenen An-
sichten über diese Angelegraiheit zu erhalten.
Betrachten vir die beiden Geschlechter vom Beginne des Lebens
bis zum hohen Alter, so gewahren wür, dass sich in der frühesten Zeit
beide, sowol körperlich wie seelisch, nicht wesentlich von einander
unterscheiden, dass vielleicht erst vom 8. Lebens|jahre ab eine auf-
Mende Differenz sich zeigt, indem sich das Madchen des Besitzes
vollerer Formen und einer schnelleren psychischen Entwickelung er-
tmat, während der Knabe mit der festeren und muskulöseren äufieren
Gestaltung seines Organismus eine anfanglich zwar langsamere, aber
solidere Vervollkommnung der Seele bekundet, dass sicli beide mit dem
Eintritte der Pubertät physisch wie psychisch cluirakteristisch von
einandeT entfenien und auf Grund der geNvouiicnen Eigentliümlichkeit
sich weiter entwickeln, bis endlich im liolien Alter infolge des phy-
sischen Rückgang-es die Differenz abnimmt, so dass die seitdem H.Jahre
bemerkliai-e Divergenz in eine Convergenz übergeht, die beide Ge-
scliUn hter physiscii wie psychiseli einander wieder näher führt. Tritt
aber auch diese eigenthümliche Erscheinung noch so auffallend in die
Augen, dass man meinen sollte, von derjenigen Wissenschaft, welche
sich die f^rklärung der Lebens Vorgänge zur Aufgabe gestellt hat, Auf-
schluss über die causa len Verhältnisse derselben zu erhalten, so sieht
man sich doch in den physiologischen Werken vergeblich nach einer
Losung beregter Fragen um. ^^'enden wir uns deshalb, da wir von
dieser Seite keine genügende Auskunft erhalten, an die £rfohrung,
80 zeigt uns das weibliche Geschlecht in demjenigen Zeit des Lebens,
in welcher es eine Differenz vom männlichen bekundet, eine größere,
d. h. eine gesteigertere Beizbarkeit der Nerven, deroi Ursache in ver-
schiedenen Verhältnissen liegen kann, deren Geltendmachung aber die
physischen wie psychischen Eligenthflmlichkeiten, d.h. die Lidividualität
bedmgen muss. Physiologie und Psychologie sind also die beiden
D^saenschallen, die auf die Frage, wie die gesteigerte Beizbarkeit
desNervensystemes beim weiblichen Geschlechte die physische und psy-
chische Eigenthnmlichkeit desselben bedingen, eine Antwort zu geben
bemiiht sein müssen. Was nun die erstere anlangt, so haben wir bereits
oben bemerkt, dass sie bis jetzt außer Stande sich befindet, die cau-
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salen Verhältnisse mwh dieser Seite hin endgiltig aufzuweisen, dass sie
sicli vielmelir iiiu^ in liypotlietischer Weise darüber auszuspreclieu ver-
mag; höchst walirsclieinlicli kommt dabei unter vielen anderen Eintiiissen
dem Blute und der frrtWu'ieTi (»der geringeren Disposition zur Fett-
bildung eine bedeutende Rolle zu, da eii>teres seiner Schwere,
wie seiner Zusammensetzung nach und deshalb auch in seiner Be-
wegung bei beiden Geschlechtern sich nicht unwesentlich imterscheidet,
letztere aber besonders beim Weibe prävalirt und sow(d zu der Mei-
nung Anhuss geben könnte, dass dadurch mit der größeren Kohleu-
liydratbildung auch der deprimirende Einfluss der Kohlensäure auf die
Reizbarkeit <ler Nerven gemindert wei'de.*) Vermögen aber auch die
Physiologen in dieser Beziehung sich nur in hypothetisclier Weise
ansznsprechen, so sind sie doch mehr oder minder darin einig, dass
die Bdzbarkeit des Nervensystemes bei dem Weibe eine Terh<nis-
mäftig größere sei als beim Manne.
Legen wir uns nun im Interesse der Psychologie und der mit der-
selben nothwendig gegebenen Pädagogik die Frage vor:
Inwiefern ist mit der größeren oder geringeren Reizbar-
keit oder, um ein von Beneke sehr oft gebrauchtes Wort
anzuwenden, mit einer größeren oder geringeren Reizempföng-
lichkeit oder Receptivität ein besonders psychisch bemerk-
barer Unterschied der beiden Geschlechter gegeben?
Treten wir dieser Frage näher, indem wir sie zu beantworten suchen
bezfigUch der intellectuellen, der ästhetisch-religiösen und der moralisch-
praktischen Sdte des weiblichen wie des männlichen Geschlechtes.
Welches ist also
L
der durch die verschiedene Reizempfänglichkeit bedingte
intellectuelle Oeschlechtsnnterschied?
Anatomie wie Physiologie zeigen uns, dass es kaum einen Theil
des thierischen, mithin auch menschlichen Organismus gibt, der nicht
von der feinen Verzweigung und Verästelung der Nerven durchzogen
und somit direct oder indirect mit dem cerebro-spinalen ( entruni und
dessen wichtigstem Theile. dem (leliirne. in Verbindung gesetzt wäre.
Da nun inf(dge des Stotl'weclisels thermische, cheniische und mechanische
Veränderungen in den einzelneu Organen gegeben sind, so leuchtet
♦) 0. Funke: Lehrbuch der Physiologie, LBd., S. ü81. — J. fiaake: Lebens-
bedüigvogen der Nerren, S. 131.
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ein, dass auch die Gesaninitlieit der Geliirnzellen, suniit auch das Be-
wusstsein, die Seele, keineswegs unberührt von derselben bleiben kann,
sondern durch diese ebenfalls zuständlich verändert und mit einem
Inhalte vei-sehen werden mnss, der, als „Vitalempfindung" in der Wissen-
schaft bekannt, jederzeit ein Abbild der Lebensverhältnisse und -zustände
darstellen kann und mnss. Kann es nun aach nicht meine Absicht
sein, anf diesen Gegenstand, der einer der wichtigsten, leider aber
auch einer der schwierigsten und daher dunkelsten der Psychologie,
Physiologie und Descendenztheorie ist, nälier einzugehen, so glaube
ich doch mit Beziehung auf die oben erwälinte und wol allseitig an-
genommene und zugestandene größere Beizbai'keit des' weiblichen Ge»
sehlechtes das Eine als sicheren Schluss aussprechen za dttrfen, dass
auch bei dem Weibe dieser „vitale Heflex" im Bewusstsein ein be-
deutenderer und einflussreicherer als bei dem Manne sein wird, wie
dies denn auch ein jeder wird zu beobachten Gelegenheit gehabt haben.
Sind diese vitalen Empfindongra andi nicht immer einzeln wegen ihrer
großen Anzahl, in welcher sie in einem Zeitmomente auftreten, klar
bewnsst, so müssen wir doch auch f&r sie das Gesetz der Beharrung
und das mit diesem gegebene der Association In Ansprach nehmen,
demzufolge sie sich ebenfiUls zu Gruppen und Beihen ordnen, die erst
dami zu einer gewissen Klarheit im Bewusstsein gehmgen, wenn durch
abnorme Beize im Organismus contrastirende Elemente unter ihnen
sich geltend machen. Im gesunden wie Im kranken Zustande springt
die ThatsäehUchkeit dieser an sich kaum bemeritbaren Erscheinung
einem jeden in die Augen. Diese vitalen Empfindungscompleze, welche
infolge ihrer Gleichzeitigkeit den Charakter einer gewissen Spannung
an sich tragen, sind es, die den Empfindungen, welche sogenannten
objectiven, d. h. Sinnesreizen correspondiren, gleichsam als Hintergrund
dienen, und von dem sich diese mehr oder minder, je nach ihrer In-
tensität und Qualität, abheben werden. Da nun beim wdblichen Ge-
sddechte dieser vitale Hintergrund der gesteigerten Beizbarkeit halber
das Gepräge größerer Lebhaftigkeit tragen muss, so kQnnen «ich des-
halb jene sogenannten Sinnesempflndungen keineswegs so klar von
demselben abheben, wie dies bei dem mannlichen Geschlechte im großen
und ganzen der Fall sein wird, müssen vielmehr, da auch ihnen infolge
der Reizung der äußeren Sinnesorgane vitale Elemente beigegeben sind,
wie dies die sogenannten „Lokalzeichen" Lotzes beweisen, durch diese
dem constaiiten, des Lebensprocesses wegen aber variabeln vitalen
Niederschlage im Bewusstsein, wenn dieses Wort gestattet ist, mehr
angenähert erscheinen, als in der Seele des Mannes, in welcher sich
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diese Verhältnisse in y^eringcrer Stärke frehcnd ina<iien. Von dies.Mn
Gesiclitsi»unkte aus sclieinen sicli einip:e eif^entlunnlichc Ersrheinung-en.
die beim weibliclien Geschleelite des üt'teren bemerkt werden können
und sogar (*nltiir-histi»riscli von einer gewissen Bedrutung geworden
sind, von selbst zu erklären. Da nändieli die Sinnesemplindungen durch
ihre vitalen Reiniischungen beim Weibe S( hmdler als beim Manne dem
mehrfach erwähnten ('(imi)lexe der Vitalempfindungen angenähert werden,
so liegt es nahe, dass infolge dessen auch andere Seeleninhalle gelöst
werden, in ihren Keihen zwar wegen der Schnelligkeit des Ablaufes
mit einem minimalen Klarheitsgrade dem Jiewusstsein sich daibieten,
aber doch als Hilfen einen Bewusstseinsinhalt zu bedeutender Klarheit
heben können, welcher sich alsdann, da die Mittelglieder der Reihe
unbemerkt geblieben sind, als ein deus ex machina der Seele darstellt
und so dem \\'eibe d€ii Ruhm eines prophetischen Blickes verleihen
kann, wie uns dies nicht nur die Geschichte unserer Vorfahren in den
Gestalten sogenannter „weisen Frauen'*, von denen uns Tacitus l)e-
richtet, sondern auch die Gegenwart mit den vielbesprochenen hell-
sehenden Weibern und Mädchen beweist. Ist es ja überhaupt das
Weib, das infolge der grOfieren Erregtheit des psychischen Lebens
hervorragenden Vorstellungen sehi* leicht das Moment der ursprüng-
lichen Lebhaftigkeit und mit diesem den Schein objectiver Wirklichkeit
verleihen kann, mithin mehr zu Hallucinationen neigt und unerwarteten
Naturei'scheinungen weit eher mit Illusionen entgegenkommt als der
Mann, der, wie sich nachher zeigen wird, in Verständigkeit den natür-
lichen Zosammenhang aufzufinden sich bemüht Da ferner bei dem
schwachen Geschlechte die vitalen Momente eine gewisse Prävalenz
zeigen, so dass sich der eigentliche Inhalt der Sinnesempfindung und
mit dieser deijenige der Wahrnehmung keineswegs so vollständig dem
Bewnsstsein darHeten kann, so erklärt sieh daraus anch die Tbat-
Sache, die beim Unterrichte der Mädchen beobachtet werden kann, dass
nämlich diese nur selten einem Gegenstande eine gleichmäßige Auf-
merksamkeit zn widmen, ihn also längere Zeit anhaltend zn betrachten
vermögen, dass sie zwar leichter fassen, aber das Erfosste, weil es
nur durch physiologische und nicht durch logische Hilfen gestützt wird,
nicht immer präsent haben können, idso mit einem relativ schwächeren
Gedächtnisse ausgestattet schehien. Zeigt nämlich das Mädchen infolge
dieser Prävalenz der vitalen Elemente der Sinnesempfindmig gern die
Neigung, den äußeren Eindruck in sdner Wirkung auf das Innere zu
verfolgen, ihn aber keineswegs nach außen zu projiciren und so die
Empfindung zur Wahrnehmung und durch deren Klärung zur An-
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scliauiiii;^ zu erlieben, so kostet es ilim auch eine i^ewisse Anstrengun<j;-,
den an sich dunklen Inhalt zu zerleofen und ihn seinen einzelnen Theilen
entsprechend anderen vorhandenen Vorstellungsgruppen einzuordnen,
zu appercipiren, was doch nöthig ist, wenn von einem Interesse, also
von einer Aufmerksamkeit die Rede sein soll. Aus diesem Grunde
ist es daher höchst wünschenswert, dass das Mädchen beim Unter-
richte veranlasst werde, nicht nor Eindiücke zu erlialten, sondern die*
selben auch ^vieder nach außen zu versetzen, um sie an der Hand des
Objectes zu Wahrnehmungen und diese durch Zerlegen und objective
Ordnung der Elemente zu Anschauungen zu erheben, weil nur dann
der psychische Proeess der Einordnung des Neuen in das Alte, alsd
die Apperception stattflndai und auf diese Weise ein Interesse, eine
Aufinerksamkeit erzielt werden kann, dass sich demnach bei Mftddien
die sogenannte akroamatische Lehrweise, die bei Knaben zum Zwecke
imierer Selbsttbfttigkeit wol mitunter angewendet werden kann, eigent-
lich Ton selbst yerbietet und die erotematische die allein naturgemäße
ist Infolge des ausgeprägteren vitalen Hintergrundes mag wol auch
die IcbYorstellung und mit dieser das Selbstbewnsstsein, ja, eine ge-
wisse Spreclifähigkeit ieher als bei dem Enabm begrOndet werden, wie
dies eine genauere Beobachtung der Kleinen in den ersten Lebens-
jaliren zu bestätigen scheint; in ihm niht aber auch die Ursache einer
beweglicheren und reiclieren Phantasiethätigkeit, deren sich die Knaben
weniger zu erlVeuen haben. Die Erfahrung bestätigt auch diesen
Schluss in mehr denn einem Falle. — Da das psychische Leben der
Mädchen ein relativ regeres ist, so darf es uns nicht Wunder nehmen,
dass man bei dem weiblichen Geschlechte weit seltener als bei dem
männlichen denjenigen Bewusstseinsznstand antretten wird, <len wir mit
dem Ausdrucke der Langeweile bezeichnen und der darin besteht, dass
die continuirlich ablaufende Zeitreihe au verhältnismäßig wenigen Vor-
stellungen, die das Interesse erregen, zur Abfolge gelangt. Wiederholt
habe ich in dieser Bichtung Versuche und Beobachtungen angestellt
und des öfteren gefunden, dass sich Mädchen — selbst ohne irgend
welche äußere Beschäftigung — stundenlang allein unterhalten können,
ohne einer zweiten Person zu bedürfen, eine Erscheinung, die man bei
KnsbeUt die infolge einer geringerercn psychischen Lebhaftigkeit mehr
anf die obJectiTen Elemente ihrer Wahrnehmungen, mithm wegen deren
Constanz auf etwas Neues hingewiesen sind, nur selten wird finden
können. Infolge dieser lebhafteren Phantasiethätigkeit interessirt sich
das Mädchen bei den Objecten der Anschauung im grofien und ganzen
mehr f&r die Personen, die durch ihre theils willkttrlichen, theils nn-
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Avillkürlichen Handlungen eher dem ganzen lebhaften Charakter des
weiblielieii J^ewusstseins entsprechen, als liir die sogenannten Sachen,
welche in ihrer Abgeschlossenheit und Ruhe ein Liehlingsgegenstand
der Knaben sind, da sie l)ez liglich dieser ihrer berührten Kigenschaften
mehr dem männlichen Bewusstsein standhalten und auf diese Weise
in ihre Theile zerlegt und dementsprechend in den i)sychischen Vor-
rath eingeordnet werden können. Daher ist es auch einleuchtend, dass
sich Frauen mehr im geschwätzigen Gespräche über Personen und
deren Eigenschaften, Männer dagegen in wolerwogener Rede über
Sachen, deren Verhältnisse und causale Zusammenhänge unterhalten^
dass die Frau die überlieferte Sprache und den Wortschatz des Um-
ganges handhabt, während sich der Mann bei seiner sachlichen und
logischen f^rwägung sehr oft veranlasst sieht, im Interesse der Deutlich-
keit und gegenseitigen Verständigung neue sprachliche Combinationen,
ja, neue sprachliche Eh mente zu suchen und so, wenn auch unbewusst,
die Sprache zu bereichern. Ebenso geht daraus hervor, dass das
Mädchen, welches dem unmittelbaren Eindrucke und der durch den-
selben eingeleiteten Rei)rnduction folgt, ohne den inneren, also logischen
Klärungsprocess der Einzelvoi-stellung zum Abschlüsse gelangen zu
lassen, lieber der synthetischen Urtheilsbildung Folge gibt und so wol
auch mitunter — geführt vom psychischen Mechanismus — sofort,
wenn gleichfalls des öfteren unbewusst, das Richtige treffen wii*d
während der Knabe auf Grund der logischen Verwandtschaft seiner
Vorstellungen und Begrilfe sich entscheidet, das Ganze in seine Theile
zerlegt, diese nach ihrem eigentlichen Inhalte verbindet und so seine
ürtheile in mehr analytischer Weise entstehen lässt. Gibt sich dem-
nach das Mädchen meist mit deni .Was^ des f^druckes zuMedea
so geht der Knabe sehr gern von diesem zu dem „Warum" desselben
über, bildet seine Cansalreihen und überrascht sehr oft — besond^
in dem physikalischen und chemischen Unterrichte, wie ich mich dessen
ans meinem früheren Wirkungskreise noch deutlich zu erinnern
mag — den Lehrer durch die seltsamsten nnd firappantesten Fragen.
Kann es also demnach nicht Wunder nehmen, wenn sich das Mädchen
vor scharf und streng formulirten Begriffen, zu denen die ganze in*
tellectnelle Entwickelung des Knaben nach dem £}rwähnten von selbst
drängt, absteht und lieber in der Form der AllgemeinYorstellnng zu
verharren sncht, wie dies besonders die schriftlichen Arbeiten zn be-
weisen imstande sind, nm so weniger darf es znm Anstoße gereichen,
wenn das weibliche Geschlecht bei der Krone aller inteUectnellen
Bildung, bei der (Gestaltung yon Idealen, von hervorragenden Personen-
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Vorstellungen geleitet wii-d, deslialb zu einseitigen, weil allzu indivi-
duellen Formen gelangt, die wegen des Maii<rels an Univei*salität ihrer
einzelnen Momente bei Veränderung der Saclilage und Umgebung eine
Einordnung des Neuen niclit gestatten und deshalb oft höchst variabler
und nachtheiliger Natur werden, wie ja auch die Überspanntheit und
Unbeständigkeit der weiblichen Ideale fast sprichwörtlich und schon
sehr oft in den Erzeugnissen der Belletristik zur Anschauung gebracht
worden ist. Im Gegensatze hieran gelangen die Ideale des Knaben
auf viel breiterer, weil allgemeinerer Basis zur Existenz, und hin-
reichend ist es bekannt, dass der Mann nur selten und dann, weil
sein ganzes Innere alterirt w'ii'd, unter schweren Kämpfen dieselben
ändert, zu welcher Thatsache ein jeder den besten Beweis der Wahr-
heit aus seiner eigenen Erfahrung hinzubnngen kann.
Angesichts dieser letzten Erwägungen ergeben sich die päda-
gogischen Consequenzen fast von selbst; es mag deshalb bei einigen
Andeutimgen sein Bewenden haben!
Wenn bedeutende Pädagogen, unter denen besonders Plato, Aristo-
teles, Herbart, Schleiermacher und Beneke genannt sein mögen, der
Heinnng sind, dass die Erziehung und mit dieser auch der Unterricht
des weiblichen Geschlechtes in die Familie gehöre und dass dieser
letztere eigentlich nnr infolge eines socialen Übelstandes zu einem
öffentlichen geworden sei, dass nur die Knaben wegen ihrer späteren
öffentlichen Bestimmung in Gesellschaft erzogen und unterrichtet werden
möchten, so können wir, gestützt auf obige Eesultate, keineswegs der-
selben Meinung huldigen, müssen vielmehr, da die sich selbst ttber-
lassene Entfaltung des weiblichen Bewusstseins eine einseitige, weil
nicht den objectiven Verhältnissen entsprechende und eben darum für
die fr&heste Erziehnng des heranwachsenden Geschlechtes, die sich
doch natnrgemftfi znnfiehst und zumeist unter der mfltterlichen Ägide
vollzieht^ nicht gerade die geeignetste seinwürde, auch fUr das Mädchen
wenigstens einen öffentlichen Unterricht beanspruchen, da bei diesem,
wie dies hier nidit niilier erörtert werden kann, eme gegenseitige
psychische Berichtigung und Ergänzung von seihst gegeben ist.
Was nun die einzdnen ünteirichtsdisdplinen anlangt, so glauben
wir uns nach obigen Erwägungen und Besultaten daUn aussprechen
zu dMen, dass vor allem der Sprachunterricht bei dem Mädchen eui
tiefes Sprachverständnis, bei dem £naben eine mit diesem verbundene
Sprachgewandtheit bezwecke, dass die Unterweisung in der Geographie
und den beschreibenden Naturwissenschaften die Phantasie der Mädchen
zu einer abstrahirenden und determinirenden, diejenige der Knaben
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aber zu einer rv^en und lebhaften mache, die auch das einzelne
beachte, dass die Geschichte bei den Mädchen so ertheilt werde, dass
liiaii (liircli Yorfühnuig' traiizer Persönlichkeiten mit ihren Licht- und
iSrhattcnscitcn feste und klare Ideale schalfe, durch ihre Beziehung
auf einander aber auch den Gesetzen der historischen Causalität zum
Hewusstsein verhelfe, dass man dagegen bei den Knaben zwar zu-
nächst den Zusaunnenhang beachte, aber in denselben auch dei'
Pers(inlichkeit als solcher Rechnung trage, um dadurch einer richtigen
Beurtlieihmg den Weg zu balmen. —
Wenden wir uns nun zu dem zweiten Theile unserer Betrachtung,
so drängt sich hier die Frage ins Bewusstseiu: Inwiefern vermag
eine größere oder geringere Eeizbarkeit auch
n.
einen ästhetisch-religiösen (7 eschlechtsunterschied zu
bedingen"?
Wenn wir hier von einer Difterenz der beiden Geschlechter
sprechen, die ästhetisch wie religiös zur Erscheinung gelange, so sei,
um etwaigen Irithümern zu begegnen, darauf hingewiesen, dass wir
diese zwei Ausdrücke in einem weiteren Sinne brauchen und mit
denselben die eigentliche Gefuhlsseite und deren Ent Wickelung be-
zeichnen. Wollen wir hier der l'ntersuchung ebenfalls eine sichere
Basis verleihen, so ist es nöthig, dass wir der Frage nach dem
Wesen, d. h. nach der Genesis des Gefühles näher treten.
Über keinen Gegenstand der Psychologie gehen die Ansichten
wol mehr auseinander, als gerade über diesen. Mag man nun das
Gefühl mehr der psychischen oder mehr der physischen Seite des
Menschen angenähert haben, so ghiuben wir, dass auch hier die Wahr-
heit in der Mitte der Extreme liegen und dass das Gefühl dann ent-
stehen werde, wenn ein Eindnick auf das Be^^'usstsein nicht nach
seinen objectiven Elementen, sondern nach seinen Beziehungen auf das
seelische Leben und dessen momentane Gestaltung in Betracht gezogen
wird. Daraus geht aber sofort hervor, wie dies auch die Erfahrung
deutlich genug beweist, dass b« sonders diejenigen Empfindungen, deren
vitale Beimischung eine gewisse Prävalenz zeigt, um derenwillen sie
dem vitalen Gesammthintergrunde der Seele melir und mehr angen&hert
werden, einen bedeutenden Gefilhlston besitzen oder hervormfoi mUsBeiL
Weil nun, wie bereits oben des näheren daigethan worden ist, diese
vitalen Elemente beim weiblichen Geschlechte infolge einer gesteigerten
Reizbarkeit des Gesammtnervensystemes eine gewisse Stärke besitzen.
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— 705 —
so ist es klar, dass auch bei iliiii die (TetTilile iiiclit nur zahlreiclier
und iiittMisiver, sondern ^ve^(en ilirer dadurcli l)edingten schnelleren
Griippirimg auch tiefer, erregbarer und damit wärmer sein müssen,
als dies bei dem Knaben und dem ^Nfanne, bei welchem nach dem
Bisherij^en diese Verhältnisse minder stark auftreten, der Fall sein
kann. Zeigt also das Weib eine größere Getühlswärme und mit dieser
eine ge\nsse natürliche Disposition zur Theilnahme und zum Mitleide,
wie dies das Leben in den Tenchiedensten Lagen und Verhältnissen
nur allzu deutlich zu beweisen yennag, so tritt uns bei dem letzteren
wegen des Mangels an starken GtefÖii]sai»perceptionen eine mitunter
hst anfßülige GeföhUcfligkeit entgegen, die eineraeits eine oft girflgte
Kälte, anderseits aber infolge langsamerer und deshalb gleichmftBigerer
Ordnung der Elemente eine tdac die objective Benrtheünng nothwendige
Reinheit der Oddhle bedingen mnss. Somit ergibt sich hieraus von
selbst, dass das Mädchen mehr zur Sentimentalität und im Alter der
Pubertät zur Schwärmerei, der Knabe dagegen eher zu einer gewissen
Blasirtheit ndgt» dass ersteres gar manches mit der Bezeichnung des
Schönen belegt, für das der letztere den Ausdruck des Bichtigen und
Zweckmäßigen anwendet und so die logische an Stelle der ästhetischen
Causalität in Anspruch nimmt. Eine aufmerksame Beobachtung beider
Geschlechter im Theater, in der Gemäldegallerie, eine -renaue Lectiire
männlicher und weiblicher literarischer Producte vermag die Walirheit
dieses vorstehenden Schlusses zu erhärten.
Während das sofrenannte scliwaclie Geschlecht infolge der jre-
steigeilen Gefühlss])häre bei der Beurtheilunff von Personen und
i>achen bezüglich ihres Wertes dem unmittelbaren Eindrucke derselben
auf sein Bewusstsein ohne eine Klärung der betreffenden Vorstellungs-
{HTippen nach der logischen wie nach der Gefühlsseite abzuwarten,
nachgeht und so, durch hervorragende Eigenschaften und deren
sttbjective V^'irkung geleitet, wol auch mitunter das Richtige trelfen
kann, wie dies besonders auffallend bei der mütterlichen Auswahl des
Umganges der Kinder zu Tage tritt, ist der ^lann in betreff dieser
Angelegenheit mit seinem Urtheile zurückhaltender, indem er erst
durch einen längeren Verkehr die Personenyorstellungsgmppen zur
Klarheit und Durchsichtigkeit zu bringen sucht, um sich dann auf
Grund der erhaltenen Gefühlselemente zu entscheiden. Gibt sich
demnach dn Weib zu schnell dem ersten Eindrucke hin, so liegt es
auch nahe, dass es den Wert eines Ofejectes mehr nach dessen Er-
scheinen benrtheilen und auf diese Weise sehr oft in die Lage ver-
setzt werden wird, sich einer gewissen Überschätzimg schuldig zu
Psdafogima. 4. Jiktg. Hefk XL 45
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— 706 —
machen. Im Gegensätze hierzu geht der Mann gewöhnlich Aber die
hlose Erscheinang hinaus, am dem Wesen der zu henrthdlenden
Objecte nahe zu kommen, achtet deshalb mehr anf die Handlungen
der Personen und legt an diese den Hafistab seiner subjectiven Wert-
urtheile an; daher leuchtet es auch ein, dass bei ihm eher eine
Unterschätzung, denn eine Überschätzung zu eiTeichen sein wird.
Angesichts dieser Ergebnisse ist es deshalb von großer Wichtigkeit
und nielir als Wunsch, wenn verlangt wird, dass die Erziehung^ und
vor allem der Unterricht bestrebt sein nir»ge, auf der einen Seite eint i
allzu großen CTefiihlssentimciitalität der Mädchen, auf der anderen
einer zu auffallenden Gefiilils Verständigkeit und -nüchternlieit der
Knaben vorzubeugen, dass aber auch dahin gewirkt werde, dass mau
durch eine allseitige und wolerwogene Beurlheilung der Objecte der
Außenwelt, vor allem der Personen — eine zwar sorgfältige, aber
doch zusfleich auch schnelle und siclK-re l^eurtlieilunii: uud Wert-
schätzunji: begründe, damit auf Grund derselben das Inilividuuni sein
Verhältnis zur näheren wie fernerni Umgebung theils erkennen, theils
bestimmen und sich dem entsprechend entscheiden könne. Aus iliesem
Grunde ist es also nothwendig, dass besonders der Unterricht in der
Naturkunde, in der Geschichte und Literatur die diesen Disriplinen
eigenen Bildnngskeiiiip des Gefühles zur Entfaltung bringe und durch
Pflege in gekennzeichneter Weise einer reichen Ernte entgegenführe.
Da bei dem weiblichen Geschlechte nach dem Bisheriiren das
(Tefiihl ein reges und warmes ist, so ei'klärt es sich auch, dass äuüere
Eindrücke, die auf dasselbe einwirken, von relativ bedeutendem ICin-
tlusse auf das ganze Gemütlis- und Gefühlsleben sein müssen. da>.s
d<'mnach eine gewisse (Tieich mäßigkeit iu der (4emüthsverfassung. die
man wol des öfteren als Gemüthsruhe bezeichnet hat, bei den Frauen
seltener als bei den Männern zu finden sein wird, dass also auch bei
den ersteren eine Störung dieses Gemüthsniveaus weit leichter, die
Affecte mithin viel häußger, intensiver, aber auch viel kürzer an Dauer
sein werden, als bei den letzteren, die infolge einer schon oben be-
rähi'ten einheitlichen Ordnung der an sich minder lebhaften Gefulils-
elemente der Erregung schwieriger zugänglich sind und deshalb Aft'ecte
zeigen, welche sich zwar zunächst gering an Intensität, aber bedeutend
an Zeitdauer erweiseOi wie dies die Geschichte, das gewöhnliche Leben
an vielen Beispielen zu veranschaulichen im Stande ist. —
Wenn nach den obigen Darlegungen die Titalen Empfindungs-
complexe, welche sich infolge des Gesammtlebensprocesses in der Seele
bilden, die Basis abgeben, auf welcher sich die IchvorsteUnng und
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durch deren Entgegensetznn? zu den Vorstellungen der Außenwelt
das Selbst bewusstsein uutbaut, so darf es uns, da sich diese Ver-
hältnisse bi'iin Mädchen mit einer l)esiiii(leren Stärke und Intensität
geltend niaclien, nicht wunder nehmen, wenn wir sehen, dass sich diese
Ichvorstelhmg des Weibes keineswegs so klar und lichtvoll, wie es
beim Manne freschielit. darstellt, dass sie vielmehr sehr häntl;^ mit
Gefühlselementen (InrcliHix-liten erscheint und so jenen charakteristi-
schen Zug des weiblichen l^ewusstseins begründet, den wir in seiner
Bezieliung auf die Außenwelt als natürliche Anmuth, in seiner
subjectiveu Vertiefung aber als das Schamgefühl bezeichnen. Aus
der Natur und Kntstehung dieses letzteren geht aber hervor, dass
das Mädchen infolge dieser erregteren Gefühlsbeimischungen der Ich-
Yorstellung weit zarter erscheint und viel eher durch eine Äußerung
wegen des damit gegebenen Kontrastes sich verletzt fidilt, ja im Falle
der Wiederholung wol sogar eher eine gewisse Stumpfheit und Scham-
losigkeit zeigt, als der Knabe, bei dem sich das Selbstbewusstsein an
der Hand der klarerkannten Unterscheidung von der Außenwelt voll-
zieht, sich deshalb weniger reich an Grefühlselementen darstellt, und
infolge dessen sich lichtvoller vom psychischen Hintergmnde abhebt,
80 dass wo! einer Äußerong des Tadels mit einer scheinbaren Kälte
und Boheit begegnet werden kann. Welche Bedeutung dieses gc»-
wonncne Resultat besonders für die Verhängung von Strafen hat,
lieg^ auf der Hand und braucht nicht erst des näheren dargethan zu
werden. — Dieser Punkt ist es auch, von dem aus manche andere
Eigenthümlichkeit der Geschlechter erklärt werden kann. Da sich
nämlich das Mädchen gerne den unmittelbaren Eindrücken hingibt,
in denselben und ihrer Wirkung auf das ßewusstsein zu verharren
sucht, so erhellt auch, wie es möglich sein kann, dass das Weib mehr
ein Gefühl für die engere Heimat, also auch ein tieferes National-
gefÜM besitzt, während der Mann seinoi Blick gern über die Heimat
hinausschweifen lässt, an Stelle der AnhSngliehkeit an den heimischen
Boden eine gewisse HeimatflüchtigkeLt, an Stelle eines tieferen Nationäl-
gefOhles ein kräftiges Nationalbewusstsein bekundet, in welchem sich
die Eägenihümlichkeiten des eigenen Volkes im Gegensatze zu den-
jenigen eines änderet in Klarheit darbieten, aber doch in diesem
scheinbaren (Gegensätze auf Grund des erkannten Gemeinsamen die-
jenige Lebensansicht erhält, die wir den Kosmopolitismus nennen.
Um auch hier Einseitigkeiten in der psychischen Entwickelnng
▼orzubeugen, ist es besonders die Au{ig;abe der Geschichte und
Geographie, theils berichtigend, theils ergänzend in die Entfaltung
46*
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des Bewusstseiiis bei beiden Geschlechtern nach dieser Seite hin
einzugreifen.
Ein ähnlicher, ja gleicher Unterschied macht sich aach bezüglich
der religiösen Gefühle geltend. Eignet es dem Weibe, dem unmittel-
baren Eindrucke nachzugeben, so liegt es auch auf der Hand, dass es
bei seiner religiösen Entwickelung hauptsächlich den in der Xatnr
und im Menschenleben sich ergebenden sogenannten ästhetischen und
praktisL'lien Motiven folgt, auf Grund diiselben seine religiöse Gefühls-
welt zu entwickeln sucht und sich so mehr den pietistischen, ja
schwärmerischen Ansicliten öffnet, während dagegen der Mann haupt-
silclilich durch intellectuelle Erscheinungen veranlasst wird, etwas
Uberirdisches anzunehmen und dem entspii'chend sein religiöses Be-
dürfnis zu befriedigen. Hieraus ergibt sich, dass der Keligions-
unterricht der Mädchen unter Benutzung der vorhandenen religiösen
Stimmungen feste Stützen in der Yorstellungswelt, derjenige der
Knaben aber Anknüpfungspunkte im Gemntlie als Gesammtheit der vor-
handenen Stimmungen und Gefiilile anstreben und so auf der einen
Seite der Schwärmerei, auf der andern dagegen dem religiösen In-
diti'erentismus vorzul)eu!2'en surlien muss. —
Aber nicht blos intellectuell und ästhetisdi-religiös ist eine Differenz
zwisclien den beiden Geschlechtern zu verzeichnen, nein, auch rück-
sichtlich der praktischen Seite des Bewusstseins macht sich ein solcher
bemerkbar. Legen wir uns deshalb auch liier die Fi-age vor: Inwie-
feiii bedingt die größere oder geringere Reizbarkeit auch
III.
einen moralisch - praktischen Geschlechtsunterschied?
Da, wie bereits mehrfach erwähnt, beim weiblichen Geschlechte
infolge einer gesteigerten Reizbarkeit der Nerven die vitalen Empfin*
düngen in einer jrewissen Weise prävaliren und so ein reges, reiches
nnd tiefes Gefühls- und Gemüthsleben bedingen, so liegt es nahe^
anzunehmen, dass bei ihm auch das Triebleben, welches in jenem seine
Wurzel besitzt, in seinen niederen, wie in seinen höheren Ent-
wickelungsformen ein relativ stärkeres sei, als bei den männlichen
Individuen, bei denen dasselbe minder stark zui* Erscheinung gelangt.
Unter anderen sei hier besonders darauf hingewiesen, dass, da die
Ichvorstellung bei dem Mädchen mehr von dem Gefühle beeinflosst
nnd so anf die Vorstellung des eigenen Körpers und dessen finftere
Erscheinung bezogen wird, vor allem diejenigen Triebe, welche auf
diese äußere Erscheinung des Ichs, also des Körpers gerichtet sind,
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— 709 —
(loniiniren und zur Entfaltung kommen, wie dies mehr als zu deutlich
bei dem Nachahmungstriebe auf dem Gebiete der Mode zum sicht-
baren Ausdrucke gelangt Beachtet der Knabe, dessen Ichvorstellung
in mehr objectiver Weise sich entfaUt t, also weniger auf dem
psychischen Bilde des eigenen Körpers basirt» bezüglich dieses Gegen-
standes einen gewissen Conservatismns, der nur hin und wieder der
tyrannischen Sitte halber verlassen wird, so erscheint das Mädchen,
das Weib nach dieser Seite nur allzu liberal, ja revolutionftr, eine
Thatsache, die ein auch nur flüchtiger Blick auf unsere Damenwelt
mit ihren eigenthttmlichen Kleiderformen und mitunter grellen Farben-
combinationen klar vor die Angen stellt Wird demnach die Frau
mehr dnrch die ftnßere Erscheinung einer Pei'son infolge des Contrastes
znm eigenen Ich znr Nachahmnng gereizt, so sucht der Mann haupt-
sächlich die ihm imponirende Handlung an^ um sie in gleicher Weise
auszuführen und so dem Momente der Kraft in seiner eig«ien Ichvor-
stellung eine Stärkung zu verleihen.
Ist schon nach dem Obigen in B&cksicht auf die Gefühlswelt eine
nicht zu untersdiätzende Differenz der Geschlechter zu verzeichnen,
so wird diese, sobald eme Gruppe gleichartiger Gefühle des Öfteren
erzeugt, damit aber verstärkt und so zu einer gewissen Herrschaft
geführt wird, noch charakteristischer, da die entstandenen Neigungen
bei dem Weibe zaUreicher, lebhafter, aber auch viel variabler
auftreten, als dies bei dem Manne der Fall zu sein pflegt, bei
welchem, wie bereits erl&utert, die Gefühle langsam sich bilden,
ordnen und deshalb auch festere Complexe eingehen, welche das
Neue zu appercipiren und dem allzu schneUen Wechsel zu trotzen
vermögen.
In Bftcksicht auf dieses Ergebnis der Untersuchung erklärt es
sieh auch, dass die Leidenschaften, wdche sich ans der Constanz der
Neigungen entwickeln, bei weiblichen Individuen zwar feuriger und
momentan entschiedener sich geltend machen, dabei aber sehr bald
erlahmen und erkalten, dass dagegen bei männlichen Personen die
Entwickelung dei-selben langsamer, aber um so sicherer und fester
sich vollzieht, so dass eine Beherrschung oder Beseitigung dieser
psycliisclien Anomalien nur mit Anstrengung und Mühe zu gelinj^en
vermag. Auch hierzu liefert die tagtägliche Erfahrung der Beispiele
verschiedene. —
Die bisherigen Erwägunirt ii liaben aber den moralisch-praktisclien
Geschleclitsunterschied noch keineswegs erschöpft, fiiliren \ielmehr auf
eine der augentalligsten Ditlerenzen zwischen Manu und Weib lün,
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auf (liejenigei die sich iu betreif der Willensftufieruug und -motiviroiig
herausstellt.
Da nach den obigen Bemerkungen das Vorstellungsleben des
Weibes den Charakter der Lebhaftigkeit, aber auch einer gewissen
Verschwommenheit, dasjenige des Mannes hingegen das Gepräge der
Ruhe und Klarheit zeigt, da ferner bei dem Wollen einer Handlung-
infolge der Zweckvorstellung verschiedene psychische Keihen als
Hilfen, hier Motive genannt, ins Bewosstsein ^ngen nnd eine g^ane
Abwflgong nach ihrem Inhalte erfordern, wenn der Zustand der Über-
legung durch die Entscheidung für eine derselben seinen Abschluss
finden soll, so leuchtet es ein, dass sich das schwache Gteschlecht yiel
eher und schneller, durch hervorragende Vorstellungselemente ver-
anlasst, zu einer Entscheidung und so zum Handeln wird entschliefien
können, als das sogenannte starke, dem sich der VorsteJlungsinhalt
klarer darbietet und dem deshalb andi die Auswahl unter den ver-
schiedenen im Bewusstsein vorhandenen Motiven schwerer fiiUen und
eine längere Zeit kosten wird. Daraus erhellt also, dass sich das
Weib schneller entscheidet und deshalb auch schneller zur Handlung-
vorschreitet, sich aber auch leichter von außen, sei es durch Personen,
sei es durch das in der Sitte ausgeprägte Herkommen, bestimmen
lässt und somit seltener zu strengen und allgemeinen Maximen seiner
Willensäußerungen gelangen wird, als der Mann, bei welchem sich
infolge ruhiger Überlegung aus den gleichartigen Entscheidungen
Grundsätze bilden und einem sittliclien Charakter das Dasein geben,
unter dessen selbstgegebenen besetzen sich das Gefühl der t'reiheit
zu entfalten vermag. Deshalb hat Goethe, dieser P.sycholog untei-
den Dichtern, ganz recht, wenn er in seinem Tasso spricht: „Nach
Freiheit strebt der ;^^ann, das Weib nach Sitte!" Aus dieser Dar-
legung ergibt sich aucli, dass das Weib wegen des ^fangels an einem
consequenten und universellen Charakter eine auffallende Unselbständig-
keit und Wankelmüthigkeit zeigt und sich gerne einer Stütze ver-
sichert, an welcher es sich festhalten, emporranken nnd so den
mannigfachen Anlässen zum Handehi, die das Leben nahelegt» be-
gegnen kann, dass im Gegensatze hierzu der Mann euie Sicherheit»
Entschiedenheit nnd Selbständigkeit an den Tag legt, die von einem
ausgebildeten QeftUüe persönlicher Freiheit und VerantwortungspiUcht
spricht und von dem Adel echter Männlichkeit begrOndet, wie er in
der Autorität des Vaters inmitten der Familie am besten zum Aus-
drucke gelangt —
Da das Mädchen, das Weib bei der Erscheinung verharrt und
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— 711 —
nicht, wie der Mann es liebt, aiif Grund derselben in analytischer
"Weise zu Causalreihen zu kommen sucht, so liegt es auch auf der
Hand, dass rs nur nahelie<>ende Zwecke zu verwirklichen, im engeren
Kreise der Familie zu liandcln sich besti'ebt, wählend der ]\Iann, ja
schon der Knal)e lerne Ziele ins Auge fasst, zu deren Erreichung
woldurchda< hte Plane entwirft, um dereinvillen sogar die Gegenwart
im Liclite der unbekannten Zukunft betrachtet und seinen eigentlichen
Wirkungskreis in dii^ große Gesellschaft verlegt, um in derselben in-
mitten des Kampfes um das Dasein sein letztes Ziel, das sich als
Zweckvorstellimg seinem Bewusätsein in besonderer Stärke darbietet,
zu erstreben.
So scheint schon die natüilich-psychische Entwickelung darauf
hinzudeuten, dass das Weib für das Haus, der Mann für das öffentliche
Leben bestimmt sei, wie dies Scliüler, der Pldlosoph unter den Dichtern,
in seiner „Glocke" in so meisterhafter Weise zur Dai*stellung gebracht
hat, dass das erstere bei seinen Äußerungen mehr das Kleinliche
beachtet, über welches der letztere mit einer gewissen Sorglosigkeit
hinwegschreitet, indem er dasselbe ins Verhältnis zu höheren Zweken
setzt nnd so seine Wertlosigkeit erkennt.
t''berl)licken wir nnn die gewonnenen Resultate unserer psycho-
logischen Analyse, so werden wir sagen können, dass das weibliche
Geschlecht mehr zur Passivität nnd infolge dessen anch zam Sichyeiv
senken in das eigene Innere, das männliche dagegen mehr zur
Außenwelt disponirt ist, dass das Weib durchschnittlich mehr das
sanguinische oder melancholische, dei' Mann aber meist das cholerische
oder phlegmatische Temperament zeigt. Außerdem ergibt sich, dass,
wie die statistischen Angaben der Psychiatrie darlegen, das schwache
Geschlecht infolge der relativ größeren Lebhaftigkeit des seelischen
Lebens eher psychischen Krankheiten ausgesetzt ist, als das sogenannte
starke, dass es aber auch im Barchschnitte leiditer ist^ das Weib
seiner geistigen Gesundheit zorttckzogeben, als den Mann, bei welchem
eine Yerrackong des Selbstbewnsstseins zu tief in den psychischen
Organismus eingreift nnd um deswillen schwieriger ausgeglichen und
beseitigt werden kann.
Ist es also nach allem, was sich ergeben hat, keineswegs abzu-
leugnen, dass sowol intellectnell, wie auch ästhetisch -religids und
moralisch-praktisch eine wesentliche Geschlechtsdifferenz besteht^ so
darf dies Jedoch nicht m der Weise ge&sst werden, als ob das nächst-
beste Didividuum ein Beleg für die Wahrheit der gefundenen Besultate
sein mflsste; gibt es doch zwischen der echten Weiblichkeit und der
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— 712 —
wahren Kännlichkeit unendlich viele Grade der Annäherung, wie dies
ja deutlich das gewöhnliche Leben beweist, indem es uns nicht nur
Frauen zeigt, die sowol physisch als auch psychisch den Mann dar-
stellen und die Sprache mit dem Worte der Mannweiber" bereichei-t
haben, sondern uns aucli Männer voitiilirt, deren g-anze Erscheinung
eine weibische ist und die um deswillen sehr oft die Zielscheibe des
Spottes und Hohnes abgeben müssen. Außerdem kann diese natür-
liche Ditleienz durch verscliiedene Einflüsse in [»ositiver oder negativer
Weise Andeningen erleiden, wie denn l)esonders die Bildung den
Unterschied zwischen männlichem und weibliclieiu Geschlechte zu ver-
wischen, aber auch zu vergrößeni im Stande ist.
Sehen wir von solchen Einflüssen und den vorhin erwähnttii
doppelsinnigen Gestalten der Geschlechter, die ja nur als Ausnahmen
betrachtet werden können, ab, so müssen wii- uns auf (Tinnd obiger
Auseinandersetzungen dahin aussprechen, dass die beregte Ditlerenz
in ihrer Bedeutung für die menschliche Individualität >\ichtig geinig
ist, um einer eingehenderen praktischen Beachtung W(n-t erachtet zu
werden, dass besonders die Erziehung und der Unterricht Veran-
lassung haben, dieselbe vor einer gewissen Einseitigkeit der Ent-
Wickelung, zu welcher das Leben und die Stellung des Mannes und
des Weibes in demselben drängen, zu bewahren, um dadurch eine
naturgemäße individuelle wie sociale- Entfaltung des künftigen Ge-
schlechtes, die ja dem Vater wie der Mutter obliegt, zu begründen
und zu ei'möglicheiL
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über den (iebraiicli von Lehrbüiliern in den Volksschulen.*)
Vortrag, gduüten am 23. März JSS:' i»i Lchren-rrein zu H&-nal» bei Wien,
iH)n Dr. Friedrich IHttes.
Ich liabe mii- vorgenommen, Ihre Aufmerksamkeit heute aiif eine
Schulfrage zu richten, die in erster Linie nicht der Schulpolitik, son-
dern der Schulpädagogik zugehört, nämlicli auf die Frage der Scluil-
bücher. Dieses Thema habe ich deshalb gewählt, weil ich hinsichtlich
desselben einen Standpunkt vertrete, den gegenwärtig bei uns nur
die Minorität der Schuhnänner theilt, also einen von der vorherrschen-
den Ansicht und der üblichen Praxis abweichenden Standpunkt; da
ich nun sehe, dass die Schulbücherfrage mehr und mehr in deijenigen
Richtung, die ich als verfehlt betrachte und daher bekämpfen muss,
der Entscheidung zugeführt wird, will ich Ihnen meine Bedenken
offen darlegen. Um sogleich mein Thema näher zu bezeichnen, be-
merke ich, dass ich keineswegs beabsichtige, die vorhandenen Schnl-
bficher einer Kritik zu unterziehen; ich will viehnehr vom Gebrauch
der Sdinlbücher sprechen, aber nicht von der Art und Weise, sondern
von der Zulfissigkeit dieses Gebrauches, also nicht von der methodischen
Benutzung, sondern von der prindpiellen Berechtignng Von Lehr-
bttchem in der Vblksschula Die Frage stellt sich nun so: Sollen
in Volksschulen Lehrbücher überhaupt in Verwendung kommen? —
Erst wenn diese Frage entschieden ist, kann eventuell erörtert werden
wie diese Verwendung zu gestalten sä.
Ich bin nun der Meinung, dass die Mehrzahl der Schulbücher,
welche gegenwärtig im Gebrauche stehen, überhaupt gar nicht
verwendet werden sollen (auch wenn sie an sich fehlerlos abge&sst
wären), dass sie nicht nützlich, sondern schädlich sind, sofem sie
nämlich den Schulkindern als Leitfäd^ des Unterrichtes dienen sollen.
In den Händen der Lehrer können sie gute Dienste thun, freilich nicht
im Schubdmmer während des Unterrichtes, sondern zu Hause bei der
Vorbereitung. Aber für den Gebrauch der Schulkinder eignen sich
solche Bücher nicht Dennoch werden deren seit einiger Zeit immer
mehr angefertigt und in die Schulen eingeführt In Deutschland, nament-
*) Zwar ist dieses Thema scliou einmal in dieser Zeitschrift behandelt worden
(Jahrj?. II. S. 001), nht'r da d!issell)e streitig und wichtig ist, auch mehr und mehr
in die Schulpraxis eingreift, hielt ich eine uuchnialige Erörterung desselben für
gerechtfertigt. D'.
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licli in Preußen, kt unter den Titeln -Leittaden'', .,Wiederb(duns:sbucli~,
.. K'ealienbucli", . Er;n;ebnisse des Unterrichtes" u. s. \v. bereits eine ganze
Literatur von Abiissen der VolkssdiuldiM'iplinen entstanden, und iu
Österreich ist man niclit zurück<]:eblieben, hat man vielmehr den fiir
Sehulkinder bestimmten Handbüchern den grüßten Umfang gegeben.
Hier ^vie dort waren Acte der (4esetzgebung die Veranlassunsr zu
dieser literarischen Prodiictiou. Als nämlicli die neueren ScliuliresetZH
und Schulregulative den Kealien mehr Raum gewahrten und überhaupt
eine erliülite Volksbildung vorschrieben, tauchte ])ald die Meinunir auf,
man müsse tür die Hand der Kinder .. Leitfaden" abfassen, welche
das „Wissenswürdigste"* und „Unentbehrlichste", den ..Tnbegriflf" u. s. w.
der vorgeschriebenen Disciplinen schwarz auf weiß tixiren sollten, und
so entwickelte sich gar bald eine recht lebhafte Schulbücherindustrie.
Tn Preußen datirt diese Erscheinung von den ^Allgemeinen Be-
stiunnungen", welche der Minister Falk im Jahre 1872 erlassen hat,
in Österreich von dem Schulgesetze aus dem Jahre 18C9 und den aaf
Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen und Lehrplänen.
Dabei ist nur der Unterschied, dass in Osterreich die Lehrbücher für
Volksschulen durchschnittlich breiter und complicirter angelegt sind,
als in Preußen. In dem letzteren Staate ist meines Wissens kein
solches Werk erschienen, das nicht in einem Bande Alles enthielte,
was man äer wissbegierigen Jugend aus dem Schatze der Gelehrsam-
keit gedruckt in die Hand geben will. Die preußischen Leitfaden
sind Gesammtlehrbücher für Naturgeschichte, Physik, Chemie,
Geographie nnd Weltgeschichte, znm Theil auch für deutsche Sprach-
lehre nebst Zubehör, ausnahmsweise auch für Geometrie, und diese
Handbücher haben meist einen mäßigen Umfang. In Osterreich hin-
gegen haben wir eigene Lehrbttchei- für jede der genannten Disciplinen
und da wieder für jeden Zweig derselben, so dreibändige Lei^lden,
der Naturgeschichte, der Weltgeschichte, der Physik. Und wenn
etwa ein Familienvater nach und nach drei oder mehr Kinder zur
Schule schickt und jedem derselben die eingeführten Bfteher kaoft^ so
kann er allmählich eine kleine Bibliothek vor seüien Augen entstehen
sehen.
Es steht für mich fest, dass Bücher dieser Art zu eüier Über-
hänfimg der Kinder mit Lehrstoffen führen nnd dass es unmdgUch
ist, die eingeführten dreibändigen Naturgeschichten, Weltgeschichten
n. s. w. in einer achtdassigen Volks- oder Bürgerschule auch nur
einigermaßen gründlich zu absolviren. Die Kinder mögen wol große
Partien ihrer Leitfilden behn Abfragen hersagen; ein lebendiges Ver-
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ständnis und sicheres Belialten des gebotenen Lehrstoffes aber ist auch
bei den talentvoUsten Schillern, selbst die allergeschicktesten Lehr-
kräfte Yoransgesetzt, nicht erreichbar. Ich beschränke mich bei
meinen gegenwärtigen Erörtemngen Uber das Lehrbilchervesen anf
die Volks- (mid BQrger-) Schulen, da in den höheren Schulen, wo
zwar auch Missbränche der fraglichen Art Torkommen, doch andere
Verhältnisse und Voraossetzongen bestehen. Bezfiglich der Volks-
schulen dürfen, wir nicht vergessen, dass zum Besuch derselben eine
staatliche Verpflichtung besteht, dass also die Kinder gezwungen sind,
dem Bildungsgang derselben sich zu unterwerfen, und dass wir daher
um so weniger Anforderungen an sie stdl^ sollen, welche nicht als
nothwendig und erreichbar, ja nicht einmal als zweckmäßig erscheinen.
Es kommt weiter in Betracht, dass wir in den Volksschulen auch zalil-
reiche Kinder von minder bemittelten und guiiz armen Eltern liaben,
und aucli aus diesem Grunde können wii* die Frage: Sind Lehibüelier
nothwendig? niolit leicht nelnnen.
Ich sage: die meisten der gel)räu<'lili('hen Bücher sind, nicht
etwa blos nach ihrer speciellen Beschaffenheit, sondern ilirer ganzen
Art nach, überflüssig und unnütz. Und worauf stütze icli meine
Ansieht? — Zunächst fra<rt es sich: wie stellt sicli die Suclie nach
Maßgabe {1er gesetzlichen Bestimmungen? AVenn unser Schulgesetz die
Forderung enthielte: Es müssen Lehrbücher in den Händen der
Schulkinder sein, so müsste man dem nachkommen, so lange nicht
eine günstige Zeit zur Abänderung des Gesetzes erschiene. Nach
unserem Schulgesetze ist es aber nicht nothwendig, dass in den
Volks- (und Bürger-) Schulen Lehrbüchei- gebraucht werden. Dasselbe
enthält nur Bestimmungen über die Zulässigkcit von Lehr- und
Lesebüchern und über die Wahl der für zulässig erklärten Lehr- und
Lesebücher; aber der Gebrauch von Lehrbüchern ist weder positiv
geboten, noch positiv verboten. So ist es auch in anderen Ländern.
Die Fr«ge ist eine offene. Von den Pflichten der Eltern heißt es in
unserem Gesetze u. a.: Sie sind gehalten, die erforderlichen „Schul-
bücher" und andere Lernmittel anzuschaffen, während an den früher
erwähnten Stellen der Ausdruck „Lehr- und Lesebücher" steht Das
„ErfoiUerliche" nun wird durch das Ermessen der Schulbehdrden und
das Gutachten des Lehrstandes zu bestimmen sein. Was ist denn
nun eigentUcfa zu emem erfolgreichen Betrieb des allgemeinen Schul-
unterrichtes erforderlich? Um dies genau zu definiren, muss man,
glaube ich, vorerst die allgemeinere Frage stellen: Welche Factoren
gehören überhaupt zu einer Schule? Was muss vorhanden sein, damit
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eine Schule bestehen und gedeihen könne? Abgeselien von den äuUerea
(räumliclien und zeitlielien) Bedingungen, geliriren dazu nothwendig
Schider und Lehrer, ferner eine Lelirsubstanz, ein Lehr.stoft", und hier-
mit rücken wii* unserem Thema näher. Es fragt sich nämlich: wo
und me soll diese Lehrsabstanz, dieser Lehrstoff zur Erscheinung
kommen, so dass ilm die Einder erfassen köanen? — Ohne Zweifel
muss das den Schülern zu übermittelnde Wissen und Können vorerst
im Lehrer vorhanden sein: der Lehrer mnss die Lehrsabstanz in sich
tragen imd behenrschen. Sie ist der Bfldiingsschatz, welcher im
Lehrer leibt nnd lebt nnd den er von Qdst zu Gteist ftbertragen soll,
nämlich sein Wissen und Können, seine Einsicht, seine moralischen Gmnd-
sätze n. s. w. Und so brauchen wir in der Schule znnAchst nicht mehr
nnd nicht weniger als Schüler nnd Lehrer, in deren Wechselwirknng
sich der Schnlzweck realisirt Nnn aber Usst sich der Lehrstoff
seinen Elementen nach nicht direct von Geist zn Greist Übertragen,
weil der ganze Entwickelnngsgang des Menschen, spedell des Kindes,
anf einer realen Basis beruht, die in der Anschauung, nicht aber
im Worte liegt. Daher ist es in sehr vielen Fällen nothwendig, dass
man Tiehrobjecte in die Schule bringt, also Pflanzen, Thiere. Mineralien,
odei- auch Apparate, die das eigentliche Lehrobjeet möglichst genau
darstellen, [)hysikalisc]ie Instrumente zur Hervorbringung von Natur-
erscheinungen u. s. w., kurz Lehrmittel. Jedenfalls müssen wir zu-
g<'ben. dass neben der i»ersönlichen, hauptsächlich durcli die Sprache
statttindenden Einwirkung des Lehrers auf den Schüler auch Sachen,
Gegenstände, Lehrobjecte, Bildungsniittel nöthig sind. Gehören nun
hierzu aucli l^iicher, und sind sie unentbehrlich? Innerhalb gewisser
Grenzen: ja! Alle Bücher können wii- nicht entbehren, weil unsere
Bildung nicht mehr so primitiv ist, wie etwa die der alten Perser
und Spartaner war, bei denen Schulen bestanden ohne Schrift, ohne
Buch, nur auf persönlicher Wechselwirkung zwischen Lehrenden und
Lernenden beruhend. Unsere heutige Cultur ist einem wesentlichen
Thefle nach eine literarische: wir können der Schrift nnd des Buch-
druckes nicht entbehren. Einen Theil ihrer Lehrsubstanz mnss auch
die Volksschule aus Bttdiem entlehnen: Lesen und Schrdben smd
unentbehrliche Bestandtheile der modernen Bildung. Sollen aber die
Kinder lesen lernen^ dann im Lesen sich Üben und durch Lesen sich
bilden lernen, so muss man ihnen nothwendiger Weise Bflcher in die
Hand geben, und so zeigt sich das Lesebuch als ein nicht nur
gerechtfertigtes, sondern als ein ganz unenbehrliches Lernmittel der
modernen Volksschule; man kann es geradezu einen Lehrgegenstand,
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ein wirkliches Object der Lehr- und I^erntliätigkeit nuiinen. Dies gilt
zuerst vom Äußeren, von den Zeiclien der Sprachlaute, von der Schrift
selbst, dann aber besonders auch und für viel längere Zeit vom
Inneren, vom Gelialt und Sinn der Schrift. Ein Lesestiick ist eben-
s<AVül Lehrgeg:enstand, wie eine Pllanze oder ein g'eometrisclier Körper.
Es soll einerseits nach seinem Inlialte, anderseits nach seiner sprach-
lichen Form aulgofasst werden, und <la kann kein Zweifel sein, dass es
den Schülern vorliegen müsse. Leseluiclier sind also vollkommen
berechtigte, ja unentbelirliche Hilfsmittel unserer N'olksschulen. — Wenn
wir femer Singunterricht ertheilen wollen, so muss etwas da sein, das
gesungen werden soll: ein Text und eine Melodie. Nun kann zwar
beides direct und ausschließlich dem Gehör der Schüler überliefert
werden; aber es kann auch sichtbar, schriftlich dargestellt werden,
und es kann geradezu Unterriclitsaufgabe sein, dass die Schüler einen
Text auch lesen und eine Melodie auch in Noten auffassen lernen.
Gegen den Gebrauch eines zweckmäßigen Singbüchleins, das mindestens
zur Erleichterung des Unterrichtes dient, ist also principiell nichts
einzuwenden. — Zweifelhafter ist die Zulässigkeit von Behelfen für
den Bechemmterricht. Soll man den Kindern nicht wenigstens Auf-
gabensammlungen in die Hände geben? Wenn ein Lehrer gleichzeitig
mehrere Abtheilungen, vielleicht acht Jahrgänge von Schülern, m
unterrichten hat, wird es für ihn eine Erleichterung sein, wenn er
flie auf ihre Aufgabenhefte verweisen kann; und es lässt sich hier-
gegen ein grundsätzlicher Einwand nicht erheben, da Rechenaufgaben
wirkliche Bildungsmittel sind. Doch sind gedruckte Exempelbücher
für die Hand der Kinder nicht nothwendig, da si li Rechenaufgaben,
namentlich in nngetheilten Classen, ohne viel Zeitaufwand mittheilen
lassen; zudem hat der Gebranch von stehenden Sammlungen den Nach-
thei], dass die Kinder leicht anf unredliche Weise zn den Auflösungen
der Aufgaben zu gelangen snch^
SelbstverstSndUch brauchen die SchuUdnder solche Lenunittelt
ohne deren Benutzung die Schulzweke gar nicht erreicht werden
können, also Schreibmaterialien, Hefte zum Schreiben, Zeichnen,
Bechnen, zu geometrischen und sprachlichen Übungen, sowie alle sonst
zur Schularbeit erforderlichen Behelfe.
Fttr Uberflfissig und nachtheilig aber halte ich alle eigentUchen
Lehrbücher, sofern sie in den Händen der Schulkinder sein und
als Leitfäden f&r den Volksschuluntemcht dienen sollen, als da sind
Abrisse der muttersprachlichen Grammatik, der Literaturgeschidite,
Metrik, Poetik, Stylistik, Orthographie, femer der Geographie, der
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Naturkunde aller Zweige, ebenso der Weltgeschichte, der Arithmetik,
Geometrie, natürlich auch der Theorie des Gesang^es, des Turnens,
der weiblichen Handarbeiten, des Zeichnens, Schreibens u. s. w. Und
Avarum bin ich ge^ren solche Behelfe? Kurz gesagt deshalb: weil der
Scliul^^ebrauch derselben, also die Anknüpfung des Unterrichtes an
sie, mit der gesammten Didaktik und Meilividik im Widersi)ruch steht.
Wenn wir das mehr und mehr um sich greifende lüicherunwesen
l)lle,!;en wollen, dann dürfen wir uns nicht mehr auf Coinenius, oder
Rousseau, odi-r Pestalozzi berufen; dann sind alle Grundsätze der
naturgemäÜen, entwickelnden und geistbildenden Lehrkun>t auLier
Kraft gesetzt. Vergegenwärtigen wir uns durli diese (Grundsätze ein
wenig. Da begegnen wir zuerst dem der Anschaulichkeit. Wie
kann man von Anschaulichkeit reden, wenn man den Reahinteiricht
an ein Buch anschließt? Fridier sagte man: der Sachunterricht soll
an das Lesebuch angeschlossen werden. Mit Kecht hat uian diese
Idaxime verworfen. Die Behandlung eines Lesestückes kann sich an
die wirkliche Betrachtung eines (Gegenstandes anschließen; man kauu,
nachdem man Realien anschaulich behandelt hat, mit Kindern auch
lesen, was das Buch darüber entliält. Aber nicht umgekehrt. Denn
die Sprache als sr>lche, also auch ein Lesestück, gibt keine Sachvor-
stellungen, weil Sprache und Schrift ihrem Wesen nach abstract und
nur Zeichen (Ausdruck) von Vorstellungen sind. Daraus ergibt sich
die Beschränktheit und Bedingtheit des Nutzens aller sprachlichen
Darstellungen, also auch aller Bücher. Ersetzen können sie das
anschauliclii', directe, selbstthätige Lernen niemals. Sie wirken nur
insoweit wahrhaft bildend, als der Leser im Stande ist, ihren Gehalt
sich zu yeranscliaaiiclien, was er nni* dann vermag, wenn er die
erforderlichen concreten Vorstellungen lebendig in sich trägt, um sie
dem Worttexte imterlegen zu kdnnen. Daher können Bücher bei
geköriger Vorbildimg allerdings zur Fortbildung sehr nützlich sein;
wo aber die entsprechende Vorbildung fehlt, da bleiben sie nnver-
standen, wenn sie nicht gar Confusion erzeugen. Man darf nicht
glauben, dass das Lernen ihres Wortlautes auch schon die Aneignung
ilnes Gehaltes bedeute. Unsere Schulbücher nnn enthalte deu
Extract der betreffenden Wissenschaften, ein Gerippe von Lehrsätzen,
Übersichten, Systemen. Das ist aber naturgemäß das Letzte in der
intellectnellen Entwickelung, also das Ziel, der Schlnss, nicht der Anfang
der Bildnngsarbeit. Den natürlichen Anfang bilden die einzelnen An-
schauungen, nnd diese vor Allem muss man dem Kinde zuführen. Unsere
Lehrbücher aber &ngen mit dem Ende an. Von ihnen ausgehen heiftt
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den natürlichen Bilduno"s<?anj^ nmkehren. Wo sie heimisch sind, da
soll die Schularbeit ilineu dienen, sie ausU-f^en, erklären und einüben.
Das ist nicht das Richtige: nicht vom Lelntext zum Lehrobject. son-
dern von diesem zu jenem geht der natürliche Wei^-. Nicht von Worten,
sondern von Sachen ist auszugehen: der Avirkliclie Lehrgeg-enstand,
sei es eine Ptlanze, ein Thier, ein Modell, eine g-eometrische Fiüfur.
eine physikalische Krsdieinung, eine geof^Taphisclic Karte, oder was
immer vom Kinde aul'getasst werden soll, der -wiikliche Lelirgegen-
stand muss immer vorgeführt, betrachtet, beobachtet, zergliedert, be-
sjMochen, beschrieben, charakteiisirt werden. So wird aus dem Lehr-
object derLehrtext gewonnen, was naturgemäß ist, während das Verfahren,
aus dem Lehrtext das Lehrol)ject zu construireu, unnatürlich ist. Ilichten
wir noch einen I3lick auf den Sprachunterricht. Da sind nicht die
Paradigmen und Kegeln des Lehrbuches der natürliche Ansgangsjtunkt
sondern die lebendige Sprache, wie sie geredet und geschrieben wird,
wie sie sich dem Ohr und dem Auge darstellt; sie ist das concrete,
anschauliche Object, welches aufzufassen uud zu betrachten ist. Aus
der Sprache kann man die Grammatik ableiten, nicht aber kann man
Sprache, wirkliche Fähigkeit und Gewandtheit in Handhabung von Rede
und Schi'ift aus der Grammatik erzeugen. Auch da stellt man die na-
türliche Ordnung auf den Kopf, wenn man vom Lehrbuch, also vom
Abstracten, statt von dem eigentlichen Lehrobject, d. i. von dem Con-
creten, nändich von der Sprache selbst ausgeht. Das Büchernnwesen
verleitet überall dazu, dass man die Lehre an die Stelle der Sache
setzt Dieses Übel beruht auf dem altherkömmlichen Autoritätsglauben.
Die ersten Lehrbücher in den Volksschulen waren Katechismen. Ihr
Text galt als heilig, als absolut wahr, bedurfte keines Vernunftbeweises,
war theilweise gar nicht begreiflich. Alles kam auf den Wortlaut an.
Mit ihm in der Hand gab man den Kindern ßeligionslehre, ob auch
Beligion, das ist eine andere Frage. Es ist nicht wahr, dass di^enigen,
welche die Religionslehre auswendig wissen und hersagen können,
deshalb anch Bdigion haben. So ist es auch nicht wahr, dass alle Leute,
wddie die Sittenlehre kennen, anch gate Gesinnungen und Sitten haben.
Es kann Jemand alle zehn Gebote answendig wissen und sie doch alle
ttbertreten. JBbenso muss ein Bechtsgelehrter, der alle Gesetze kennt,
deshalb nicht ein rechtschaffener Mann sein. Pie bloße Lehre ist überall
ein Wechsdbalg, ein Bastard, ein untei^schobenes Kind; sie ist an
sich nicht wirkliche Sachkenntnis, nicht lebendige Einsicht, nicht wahre
Intelligenz, nicht Bestimmnngsgnmd des menschlichen Denkens und
Wollens. Dies gilt anch von der Naturlehre, Sprachlehre nnd jeder
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andei'en Lehre. Es ist iiiclit wahr, dass dc'rjenij,^e, welclier die Sprach-
lelire liersageii kaiin. aiicli die Sprache in seiner (^ewalt halie; wol
aber kann jemand ein Meister der Sprache sein, ohne ein Lehrbncli der
Graiiniiatik inne zu liaben. Ich bin übei-zengt, dass, wenn Goetlie,
Schillei', Lessing- von den Tudten auferstünden und vor unsere Prüfungs-
conimissionon gehideii würden, sie durchfallen würden, näuilicli im Fach
der deutschen Sprache. Denn von vielen Dingen, die in unseren Spracli-
büchern stehen, wussten sie in der That nichts. Die geistige Tüclitig-
keit ist nicht an ein Lehrsystem gebnnden, nnd die Koutine in einem
Lehrsystem ist kein Beweis von geistiLcer Tüclitigkeit. Wer eine Physik
hersagen kann, gibt damit keine Hürgschaft, dass er die Natur kenne
und verstehe. Aber gerade hierauf kommt es an. Auch die Geograpliie.
wie sie in Büchern steht, ist an sich eine abstraete Lehre. Wer sie
hersagt, beweist damit noch nicht, ilass er ihr Object, die Erde, be-
gi'itfen hat. Aber gerad«; hierauf kommt es an. Und was wird mit
dem Lernen eines Abrisses der Weltgeschichte erzielt? — Kurz: wir
kehren in der 1'hat. wenn wir die Büclier und mit ihnen die Lehre
in den Vordergrund der Schulthätigkeit stellen, den natürlichen Lehr-
gang um: wir fangen mit dem Abstracteu au und erzeugen taubes
Wortwesen statt lebendiger Einsicht.
Es hängt hiermit zusammen, dass bei solchem Unterrichte die
Selbstthätigkeit der Schüler nicht gehörig entwickelt wird. Die
Anleitung des Kindes, sich selbst einen Begrifl' zu bilden, ist nicht
möglich, wenn wir ihm den fertigen Lehrtext geben. Wozu reden wir
denn so\nel davon, dass "wir die Jugend nicht blos material, sondern
auch formal bilden sollen, wenn wir ihr gleich das Fertige geben? Das
Gedächtnis überwuchert, das Auswendiglernen drängt sich vor, das
Denken nnd Inwendiglernen tritt in den Hintergrund. Die f'olge ist
eine ganz vom Buche abhängige Meinung. In unserem papiernen Zeit-
alter spielt das Gedruckte eine ungebührlich große Holle. Darf ich
noch meinen Augen und Ohren trauen, mich auf meine eigene, wol-
envorbene Einsicht verlassen? So fragt sich der Papierglänbige, der
den Glauben an sich selbst verliert. Wo eigene Begriffe fehlen, da ver>
iSsst man sich auf fremde Worte, und die Folge ist geistige Unselb«
ständigkeit und Phrasenthum. Was man schwarz auf weiß besitzt, kann
man getrost nach Hanse tragen. Ja freilich, aber besser ist es, man
trägt etwas Ordentliches im Kopfe. Der Lehrtext kann und darf nicht
zum Lehrobject gemacht werden, wenn wir uns nicht alles bildenden
Unterrichtes entschlagen und in den todten Verbalismns zorückfidlen
wollen. Unter dem Lehrbüchemnwesen leidet die lebendige Weeh sei-
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Wirkung zwi.sclieii Lehrer und Schüler, also das Wesen der Schule
selbst. In einer guten Schule leitet der Lehrer seihst die Schüler,
dass sie sich selhstthätig, stetig und lückenlos entwickeln. Er verliert
aber seine wahre Stellung, wenn sich das Lehrbuch als ein fremdes
Wesen zwischen ihn und den Schüler stellt. Beide werden c^ebunden,
es ist keine freie Bewegung mehr, keine Entwickelnng durch Rede
nnd Gegenrede, kein heuristisches Fragen und Antworten, keine
sokratische Methode. Übrigens wd die Sprache der Lehrbücher von
den Kindern nicht leicht verstanden, es ist die Sprache der Schule, der
Wissenschaft, nicht die Sprache des Lebens, des Volkes. Stellt sich
aber der Lehrer auf den geistigen und sprachlichen Standpunkt der
Kinder, so kann er sie organisch weiter Idten. Jeder I nti i-richt soll
der Fassungskraft der SchiUer angemessen sein. Wo sich aber ein
fremder Apparat zwischen Lehrer und Schüler aufpflanzt, da ist der
unmittelbare Verkehr, das Eingehen des Lehrers in den Erfahrungs-
kreis der Kinder wesentlich beschränkt. Denn, meine Herren, wie
Sie selbst wissen, werden Sie nicht einmal mit den Bttchem fertig: was
können Sie noch weiter thnn? Da die Bflcher einmal eingef&hrt sind:
wie soll man sie durcharbeiten und dabei auch einen entwickehiden
Unterricht ertheilen? — Schon der Name „Leitfilden'* weist auf das
Bedenkliche des Bflcherwesens hin; wir haben da also eine äußerliche
Leitung des Unterrichtes. Woher kann aber die rechte, die den Ver-
hältnissen entsprechende Leitung des Lehrganges kommen? Offenbar
nur vom Lehrer. Dieser muss den allgemeinen Entwickelungsgang des
kindlichen Geistes kennen, dazu aber auch den besonderen Gesichts-
kreis seiner Schüler, ihre Sprache und sonstigen Eigenheiten, die Zu-
stände und Verhältnisse seines Ortes, seiner Gemeinde, und auf Grund
dessen kann er feste Ausgangspunkte und einen angemessenen Weg
seiner Wirksamkeit gewinnen. Aber ein abstractes Lehrbuch drängt
alle Besonderheiten zur Seite und schablonisirt den Unterricht, wo-
durch es demselben auch die Frische und Freudigkeit entzieht.
Es ist eben der „Leitfaden" fftr Lehrer und SchiUer, beide bereiten
sich aus ihm vor, es wird abg^agt^ aufgegeben, fiberhört. Der ganze
Unterricht wird langweilig und ledern, oder eigentlich papieren, statt
sachlich. Natfirlich leidet dabei auch die Aufmerksamkeit der
Schfller, da das rechte Interesse und damit die lebendige Hingabe fehlt»
nnd die Kinder leicht auf die Maxime kommen: mehr als im Buche
steht, habe ich nicht zu leisten, folglich bin ich geborgen, wenn ich
nur zu Hanse mein Pensum lerne. Um noch einige Nebenmomente an-
zuführen, weise ich auch auf die sanitäre Seite des Bücherwesens hin.
Pvdacogiun. 4. Jtlkrg. H«ft XL 46
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— 722 —
Es ist eine allfromeine Klage, dass o;egeiiw;irti<^ die Scliulkranklieilen
mehr und melir um üch greifen, dass uamentlich die Kurzsieht igkeit
überhand ninunt, ebenso übermäßige Reizbarkeit des Nervensystems.
Kopfschmerz, St/irungen in der Blutbildnng und Blutcirculation. Bleich-
suclit, Kiu'kgratsverkrUiimumgen u. s. w. Diese Übel werden gewiss
mit begründet ^\\m^\l das zuviele Sitzen bei den Büchern in und außer
der Schule, ^^'enn dei- ganze I.'nterricht überwiegenil eine Bücher-
arbeit ist. so werden natürlich die Augeu ^'iel mehr leiden, als wenn
er sich an wirkliche oltjecte anschließt, ein wahrer Sachunterricht ist.
Und was die scliultreie Zeit betrittt, so wäre es den Kindern jeden-
falls heilsamer, dann und wann ins Freie zu gehen, um Xaturobjecte
und Naturerscheinungen zu betrachten, statt etwas Gedrucktes übei"
sie zu lernen oder sonst noch stundenlang über Büchern zu sitzen. —
Auch disciplinare t'l)elstände stellen sich beün Gel>rauch von Lehr-
büchern ein. Ks kommt voi*. dass ein Kind sein Hudi vergis.st, ver-
liert, zerreiLU, oder dass ilim die Elteni keins kaufen können oder
wollen: da gibt es nun allerlei kleine Störungen und Zwischenfölle. Je
complicirter ein Apparat ist, desto mehr Mühe macht er, und man sollte
sich daher alles Unnöthigen entsciüagen. Was insbesondere die armen
Kinder betrittt, so soll denselben zwar durch die Ortiischulräthe das
Erforderliche beschattt werden. Aber welche Kinder, resp. Eltern sind
arm? Da gibt es oft weitläufige und verdrießliche Recherchen, dann
Verliaiidlimgen mit den Verlegern wegen unentgeltlicher Armen-
exemplare u. s. w. Und das Alles umsonst, nicht zu Gunsten, sondern
zum Schaden eines waln-haft bildenden Jugendunterrichtes. Kurz: die
ganze Betrachtung führt zu dem Endergebnis, dass das Lehrbücher-
wesen in den Volksschulen unnütz und vielfach schädlich ist
Jetzt könnte man sagen: das sei in der Theorie richtig, aber in
der Praxis müsse man es doch mit den Lehrbüchern halten. Nun, ich
habe auch eine langjährige und \ielseitige Praxis lünter mir, und es
ist nicht meine Art, unpraktische Ziele zu verfolgen. Ich weiß, dass
es ohne Lehi'l)iu!her recht gut geht. Wenn Sie eine Schule zu sehen
verlangen, wo dies thatsächlich erwiesen ist, so verweise ich auf die
beiden achtklassigen Burgerscliulen, die mit dem Wiener Pädagogium
verbunden sind, und wo man seit langen Jahren in meinem Sinne vor-
geht Ich habe den daselbst wirkenden Lehrern meine Ansichten nie-
mals aufgedrängt; unsere Lehrgrundsätze wurden durch £r£ifanni^,
ruhige Überlegung, allseitige Prüfung, freie Bede und Gegenrede fest-
gestellt Auf diesem Wege sind alle Lehrer einhellig zu der Über-
zeugung gelangt, dass sich ohne Lehrbttcher Besseres leisten lasse, als
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mit Lelirl)Uchern , und eine langjährige Praxis hat diesen Grundsatz
bestätigt. Ich liahe nach allen Leliriibungen in allen Fächern und
allen Classen immer wieder die Frage gestellt: \\iire es gut gewesen,
wenn wir ein Lehrbuch gehabt hätten? Und immer lautete die ein-
stimmige Antwort: Das L^bucb hätte nicht genützt, sondern geschadet.
Das von mir empfohlene und in den genannten Schulen eingeführte
Verfahren ist folgendes: der Unterricht wird immer frei ertheilt, Nie-
mand bat ein Lehrbuch in der Hand; nur auf das Lehrobject richtet
sich die Anfinerksamkeit Alier, dieses wird beti*achtet und methodisch
behandelt; wfthrend der Lection sdireibt der Lehrer, wo es ihm er-
forderlich seheint, das Ergebnis des Unterrichtes äußerlich zn fixiren,
die nothwendigsten Merkwörter an die Wandtafel, was ohne allen
Aufenthalt Tor sich geht; dadurch entsteht im Laufe der Stnnde nach
und nach eine kurze Skizze der ganzen Lection; wenn die Stunde
ziemlich zu Ende und das Pensum erledigt ist, haben die Kinder den
Inbegriff des behandelten Pensums vor Augen, eine Skizze von etwa
4, 5 Zeilen, manchmal nur etliche schwere WOrter, Namen, Jahres-
zahlen, Knnstausdrflcke; einige Minuten vorSchluss der Stunde nehmen
die Kinder ihre Hefte zur Hand und schreiben diese Skizze ab, was
durchschnittlich 2 — 3 Minuten dauert, ist das Pensum besonders schwie-
rig, so schließt man etwas früher und wiederholt; die \Viederli(»lung
gescliieht von Seiten der Kinder am Leitfaden der an der \\'andtat'el
stehenden Skizze. Da haben die Kinder (Telegenheit, die Sache sich
noch einmal ins (redächtnis zurückzurufen und zu überdenken. Dieses
\'erfaliren hat noch den Neben vortheil, dass die Orthographie der
schwierigsten Wörter zugleich mit eingeübt wird. Wahrend des Unter-
richtes dürfen die Kinder gar nichts nachschreiben, weil sonst ihre
Aufmerksamkeit gethcilt, oft auch Fehlerhaftes zn Papier gebracht
werden würde; das beliebige Nachschreiben von Seiten der Kinder ist
an sich dem Unterrichtszwecke abträglich und hat noch den Neben-
nacbtbeil, dass oft den Lehrern zur Last gelegt wird, was die Kinder
Fehlerhaftes nach Hanse bringen.
Man wird hoffentlich nicht einwenden, dass das hier empfohlene
Yerfiibren dem Gebrauch Ton Lehrbttchem fthnlich sei, insofern ja
schließlich auch eine Art Lehrtezt zu Stande komme. Aber das eben
Ist der wesentliche Unterschied, dass unser Lehrtext das Ergebnis
des Untemchtes ist, welches organisch entwickelt und schließlich fest-
gehalten wird, und dass unsere Lehrskizze sich vollständig deckt mit
dem, was methodisch entwickelt und den Kindern zum Verstftndnis ge-
bracht worden ist, wfthrend der Unterricht am Leitfaden eines im
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— 124: —
voraus festgestellton uniformen Lefartextes allen metbodischen Grund-
sätze widerspricht
Nun behauptet man aber: die Lehrbücher bieten doch grofie Tor-
theüe. Erstais kann man mit ihnen mehr leisten, mehr durchnehmen,
mehr Stoff bewältigen, als ohne sie. Ja wol, aber es ist auch danach!
— Im freien Unterricht hingegen sieht man immer, was die Kinder
fessen können, wie viel man ihnen bieten darf, er ist ein sicherer
Gradmesser für das Ausmaß des Lehrstoffes. Man sagt weiter, dass
die Lelirbücher für den Fall von Scliulversäumnissen einen Ki-satz
bieten; man könne da dem Kinde leiclit zeigen, was vorgekounnen sei,
was es nachzulioh-n haV>e. Das hat aber den Xachtheil, dass manche
Kin(b'r um so soi'gloser die Scliule vei-säumen werden, je melir sie sich
auf das Lehrbuch verlassen können, und, was die Haui>tsache ist: wie
kann man denn verlangen, dass unsere Schulkinder, welche oimeliin
genugsam in Anspruch genommen sind und oft unter selir schwieligen
Verhältnissen ihre Bildungszeit durchlaufen, zu Zeiten ein r)oi>iudtes
leisten, das Alte und das Neue? Für alle Fälle aber würden die bei
unserem Verfahren sich ergebenden l^ehrskizzen doch dasselbe leisten,
was die Lehrbücher leisten, ^^'^'iter kann man sagen: wichtiu- i>t es
doch jedenfalls, dass die Kinder durch den (.Tebrauch von Hüchern sich
für ihre spätere Fortlnldung vorbereiten: diese niuss docli outen Theils
durch Bücher cresclichen, und Avenn die Kinder im Gebrauch der.selben
schon geübt sind, su wird ihnen das später zu Statten kommen. Das
ist ein ziendich wichtigei* Einwurf. Aber auch ohne Lehrbücher kann
ihm Rechnung getragen werden. Wir liaben ja Tiesebücher in unseren
Schulen, meist sehr umfängliche, aus vielen Bänden bestehende. In
ihnen finden sich auch Abschnitte über Realien, Naturkunde, Geographie,
\\'eltoeschichte u. s. w. Wenn man diese Abschnitte mit den Kindern
durchnimmt, vorausgesetzt, dass die bezüglichen Materien vorher im
freien Unterrichte anschaulich liehandelt worden sind, so gewöhnen isich
die Kinder im Laufe ihrer acht Schuljahre genug an Bücher ; und wenn
sie ihr Lesebuch ordentlich lesen und verstehen lernen, so üben sie
sich auch in der Benutzung von Fortbildungsschriften. Endlich sagt
man, und das ist ein Einwand, den ich oft von ofßcieller Seite gehört
habe, was ich verlange, setze so tüchtige Lehrer voraus, wie wir ihrer
nui* wenige hätten. Soviel Icönne man den Lehrei-n nicht zutrauen,
wie ich von ihnen verlange: erstens hätten die Lehrer nicht geaag
Kenntnisse, um ihren Lehi'stoff genügend beherrschen zu können: zwei-
tens seien sie der Sprache nicht genügend mächtig, um den lichrstoff
correct formuliren zu können; drittens könnten sie ohneLeit&den leicht
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allerlei Irrlt^lnvii einsclimufj:t:«'lu. während sirli mittels approMi tt-r Li'lir-
biicher der rnten-iclit besser re^ulireii lasse. TUese Einwürl'e ent-
springen aus dem alten Misstratien gegen den Lehrerstand und aus
dem alten Gängelungs- und Bevormundungssystem. Ist das Alles noch
heute gerechtfertigt? — Ich glaube nicht; der Staat miisste schlecht
für Lehrerbildung gesorgt haben, der noch bei solchen Maximen zu
beharren Gnind hätte. Wo aber dies am Platze ist, da geht der Unter-
richt und die ganze Schule schlecht mit und ohne Ijehrbüther.
Ich sage: die Volksschole bedarf keiner Lehrbücher, und sie fährt
ohne diese Bebelfe besser als mit ihnen. Hiermit empfehle ich Ihnen
aber nicht, meine Herren, dass sie gleich morgen den eingeführten
Lehrbüchern den Abschied geben. Jeder Lelirer ist gehalten, sich den
Beschlüssen zu fügen, die in seinem Wirkungskreise in Kraft stehen,
80 lange sie nicht in aller Form aufgehoben sind. Aber das Recht
za opponiren hat Jeder. Jede bestehende Satzung kann der Kritik
unterzogen werden, damit fehlerhafte Einrichtungen beseitigt und Fort-
schritte eingeleitet werden. Praktisch befolgt müssen aber bestehende
Ordnungen werden, weil sonst Zwietracht und Anarchie einreißen würden.
Durch meine Meinungsäußerung wollte ich Anregung geben, dass ich
widerlegt würde, wenn ich irre. Wenn Sie aber meiner Ansicht sein
sollten, so könnte gelegentlich dahin gewirkt werden, dass nach dnem
gemeinsamen Beschluss der Gebranch von Lehrbüchern in Volksschulen
ün^ehoben würde. Ich wollte durch meinen Vortrag eine Discnssion
anregen, und es wäre mir sehr erwünscht, wenn in freier Bede und
Gegenrede Ihre Ansichten zum Ausdruck kämen. Wenn der von mir
bekämpfte Gebranch als nöthig oder doch als nützlich erwiesen wird,
so werde ich gern meme Opposition einstellen und die Freunde und
Gönner unseres Bücherwesens in Buhe lassen. Wo nicht, so werde
ich dasselbe bekämpfen, bis man es aus unseren Schnlen yerweist und
durch einen freien, lebendigen und firuchtbaren UnteiTicht ersetzt!
Naehtrag.
I>if Von inii- L'-iMvini<rlite Pi^cussion hat am 25. Miii in cinfr ziililrrii h bc-nn-hten
Ver.saniiuhing tUä ubeu ;u;euauuteu Vereins stattgetimdeu. Die Erürteruug war erust,
lebhaft, gründlich, ausftthrlich, brachte aber keine neoen Argrumente, so dass ieb Ter*
nintln ii flail". in v()i%relienilem Vortratr«^ das Wcsentliclie der Sai-li.- cr<r]ir,j.ft zu
haben. Mehrere Keduer hüben zwar hervor, dass unter den bestehenden Ver-
hSltnissen und vom Standpunkte der offieiellen PSdagogik aus das Lebibttcber»
wesen eine ?owissf relative Berechtiirunü: habe; aber auch sie stimmten mit der
ganzen Ver^nimiuug darin Uberem, dass nach den GrundsKtzen der freien, lediglich
auf dos Gedeihen der Volksbildung (gerichteten Pädagogik der Unterricht ohne
LelirblUher anzustreben sei, uml ilas^ j^cgeu die vorstehenden AusflUumngen pria-
i^ipielle Einwendungen nicht erhoben werden könnten. D.
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Der jnnge Yolkssclmllelirer.
Von J, Jit'uits-Vard.
-Wa« du bist, das wolli- «. in,
Süd Diehti wolle liober.'-
Schols.
«GroUlob, dass wir so weit sind!^ athmet der Sminarist eiielchtert anf,
wenn er das Abgaofaezamen glficklich bestanden hat Hat er ein Becht daza?
Nur bedinfaing^s weise können wir „ja** oder „nein" antworten. Ein Nein ge-
bülirt dem, der da meint, dass jetzt die Zeit des Arbeitens vorbei sei und die
Zeit dt's Genießens folge. Wenn wir aber die Frage bejahen wollen, so miisst^n
wir mit dem Ausrufe «'inen andern Sinn verbinden. Was hinter dem St-miiia-
risten liegt, ist eine Stufe auf der Bahn Heiner Entwickelung. Wer eine
solche Ubenchritten hat, darf befHedigt and erleichtert znrUcksehanen; denn
wer die Leiter hinauf will, ist nicht mit einem Spränge oben, sondern mnss
Stnfe für Stufe hinansteigen.
Nach Absolvirung des Seminars wird der Seminarist Lelirer. Als «solcher
rauss er nun ein Amt verwalten, das ihm eine Menge von Pflichten und Arbeiten
auferlegt, von denen er vorher keine Ahnung hatte. So langf^ tr noch im
Seminar war, konnte er sich lathfragend an seine Lehrer wenden: aut jeden
Fehler, jede Tactlosigkeit wurde er aufmerksam gemacht, und er wusste genau,
wie weit er gehen durfte, ohne gegen 'die Seminargesetze zu verstoBen. Das
macht sich, wenn er als Lehrer auftritt, ganz anders. Maeht er Fehler, begeht
er Tactlosigkeiten, so hat er wol daför zu büßen; aber nicht leicht wird jemand
sie ihm sagen, damit er sie vermeide. I'ber manches möchte er gerne Auf-
schlnss haben; aber die Theorien, die ihm im Seminar eingeimpft wnrden. nnd
seine Bücher lassen ihn im Stich: in manchen Stücken hält er sein Handeln
fdr vollkommen richtig und erst später erfährt er durch Schaden das Gegen-
theil. Einige von den Schwierigkeiten nun, weldie an dieXdirzahl der jungen
Volksschnllehrer berantreten und auch mir in meiner Praxis au^^toSen sind,
wiU ich in diesen Blättern besprechen, Ton spedeller Methodik mich aber voll-
ständig fernhalten.
VergegenwJlrtigen wir uns zunächst die Stellung des jungen Lehrers in
der Schule, seine Berufsthätigkeit also, und darnach seine Stellung außerhalb
der Schule.
Da der junge Lehrer gewöhnlicli als Unter- (Neben-, Hülfs-j lehrer ange-
stellt wird und einen filteren Collegen, den Hanptlehrer (Oberlehrer, Schnl-
vorsteher, Reetor), Aber sich hat, so sei es erlaubt, auch schon an dieser Stelle
von demselben zu sprechen. Glücklich kann sich deijenige schätzen, der einen
Hanptlehrer trifft, der nicht nur in seinem Berufe tüchtig ist, sondern auch m
naclisiehtiger und freundlicher Weise mit dem Nebenlehrer zu verkehren ver-
steht, ihm in zweifelhaften Fällen berathend zur Seite tritt, ihm na* hslchti;;"
die Fehler zeigt und ihn auf die rechten Bahnen weist und dadurch das Feuer
der Begeisterung wieder in ihm entfacht, wenn es zn verlöschen droht; kurz,
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— 727 —
wer einen solchen Vorgeseteten gefiuid^ hat, der ist wol berathen, und Idcht
wird er auf seiner Bahn fortschreiten. Wenn nur ein gnter Kern in ihm steckt,
80 wird er sich zu einem tüclitif^en Lehrer lieranbilden. — Es ist aber auch
der enty'ej^ent^esetzte Fall denkbar, dass nilmlich der Haupt i<'lirer trej^en die
.Schule und das Thun des Nebenlehrers gleichgültig ist, da die Laudwii tschat't,
deren Ertrag einen anaehnUohen TheO seiner Einnahme bildet, nicht nnr seine
EOrperioralt beansprucht, sondern anch die Gedanken tut ansscfalieftlich anf
sich zieht. Ebenso können Vereine, das Stndlnm eines Liebling-sfaches n. a.
den Hau^)tl^^llrpr von der Schule ablenken. Der junsje Lehrer ist alsdann tjänz-
lich auf seine eig-ene Kraft ani?ewiesen und luuss sehen, wie er sich dai'cli Irr-
thümer zur Walirheit und zu gedeihlichem Wirken empor arbeitet.
Voller Begeisterung tritt der Candidat das Amt an, welches verlangt, die
erwcnrbenen Kenntnisse an verwerten; anf die Theorie folgt die Praxis, Aber
ach! wie mandie Erwartung, anf deren ErfiUlung niaa mit Sicherheit rechnete,
wird zu Schanden. Man hätte schwören mögen, dass man mit den Kindern
das Ziel, das man sich gesteckt, erreichen würde, und muss sich am Ende doch
zu der Einsicht >)e(iuemen, dass man sich trar ^ewalti^ fretiluscht hat. Das ist
ein Fall ganz dazu angethan, die hell auflodernde Begeisternng zu dämpfen,
und sohshe FUle werden viele vorkommen. Da gilt es dann, die ganze Kraft
zusammenxunehmen, damit die Lust zum BemüB nicht gleich im Anfange
verloren gelie; denn dann hätte man den Grundstein zur Gleidigftltigkeit und
schließlichen Unbranchbarkeit gelegt. Mit rahigem Blute muss man den ge-
machten Fehler erkennen, gerade liierbei sich aber vor einem neuen, schlimmeren
Fehler hüten, nilmlich in selbsti^^etUlliger und be([nemer Weise die Schuld des
Misslingens auf die Beschränktheit der Kinder zu schieben, während sie docli
in dßr Regel auf Seltm des jungen Lehrers zu suchen ist; sei es, dass er zu
sehnen vorgeschritten ist, sd es, dass er nicht anschaulich genug verfshren
oder einen anderen methodischen Fehler beg'angen hat. ,,Mensch, ärgere dich
nicht!'' mag er pretrost über seiue Thür sdireiben und sich dann den Spruch
Jean Pauls zum (Mundsatz erwählen:
„Verzage nur nicht, wenn du einmal fehlest, und deine ganze
Reue sei eine schönere Thatl^
Zu den Missgrüfon, welche von dem jungen Lehrer Ideht begangen werden,
gehört der, dass er zu grofles Gewicht auf das schnelle Lernen legt Da ihm
das Ziel, das er zu erreichen hat, bekannt ist, so will er diesem auch gerecht
werden. In der Furcht nun. dnss er «las Voi^eschriebene niciit erreiclie, fängt
er an zu eilen, und zwar auf Kosten der (Tründliclikeit. Das hat leider nicht
nur das Böse im Gefolge, dass er nachher um soviel langsamer fortächreiteu
muss, sondern namentUeh, dass die Kinder systematisch zur Oberflftchliehkeit
eaogea. werdm, zu einem Fehler, an dem sie ihr ganzes Leben zu leiden haben.
Damm: Eile mit Weile. Zum gründlichen Lernen gehört besonders auch das
Wiederholen. Für den Lehrer aber, der den Unterricht mechanisch, ohne gründ-
liche Anschaulichkeit betreibt, wird das Wiederholen langweilig sein, weil er
alles nur schabloueumäßig wiederholen kann; er vermeidet darum ^ern die
Wiederholnng. Ist aber der Unterricht anschaulich betrieben und sind alle
Geisteskrttfte der Kinder ausgebildet worden, so wird die Wiederholung ihren
langweiligen Charakter für Lehrer und Schiller verlieren und zu freudiger
Thätigkeit werden.
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Ztun Unterrichten, und besonders znm Unterrichten der A-B-C-Schfitzen,
die meistens — olj mit Kecht oder I'nn « ht — dem jungen Lehrer zugrew lesen
Verden, gehört vor allen Dineren (inliiM. An (ielegenheit, sich in di^-s^r für
den Lrlirer m nneiithelii lii lit ii Tiiyend zu iiln-n. fehlt es nicht. Selbst dus nach
unseren Begritien Kiufaih.stt' vt isteln ii die Kleinen nicht. Für einen Erwacli-
senen ist es recht schwer, sich aut die Stute der Kinder zu stellen, in iluei'
Weise zu denken. UnwÜlkttrlich schätzt man ihre geistigen Fähigkeiten n
hoch nnd mnthet ihnen zo, mit uns, in unserer Weise zu denken nnd — wird
nicht verstanden. Dieses Denken lUsst sich mit dem Ti . i ju nsteis-en vergleichen,
wobei man sich, falls man kleine Kinder an der Hand liat, den SoliritttMi der-
selben anbt'(iuenien miifis. Wfthrend wir über jt-de Sfiiff einmal zutreten, ist
dasKiud genüthigt, zweimal zuzutreten. Geduldig mubt; iitan zum zweiten nnd
dritte Male dasselbe Pensam darchndimen und sidi dem geistigen Standpunkte
' der Kleinen mehr zu nähern suchen. Wird man hitzig dabei, so ist alles Ter^
dorben, weil man dann selber nicht ruhig, nicht stnfenmäAig mehr denkt, die
Kinder also noch w. iii^itT zu folc-en fähig- sind.
Der .junge Lehrer verfällt fcrnei- liilntig: den» Irrtiinme, dass er reforniiren
zu mü.ssen glaubt. Alte, bewährte M« tlicdt-n gefallen ihm nicht, und er ver-
meint auf selUstgeschafteuen AN'egeu schneller und sicherer zum Ziele zu ge-
langen. So habe ich von einem bewährten Lehrer gehört, dass er sich anfangs
nicht mit einem Bechenbuche für Unter- und Mitteldassen befreunden konnte
und skh selber einen Plan für den Ke< lu nunterriclit entwarf. Anfangs gelang
ihm auch allt-N rt-cht irnt; aber naehher konnte er sich dmch seinen eig-nnen
Plan nicht mehr liindurchlinden. da .sich ihm allenthalben bei den Kindi-rn un-
gealmte Lücken zeigten. Au die Stelle des ersten Eifers trat nun die Besouuen-
heiti welche ih u auf gebahnte Wege leitete
Hiermit will ich aber nicht den Standpunkt vertreten, dass der Junge
Lehrer sich sclavisch an das Althergebrachte binden solle: aber er m<%e nicht
vorechnell das Gebräuchliche unistoßen, da es in der Kegel seine gute Berech-
tignnir hat. Erst soll man i»rnfen und dann das Beste erwiihbMi. Zum sach-
lichen l'riifcn ist aber dci- Jung^c Lt'hrt*r. der häutig' nueh v^n \'orurth»-i!^*n
beherrscht wird, nicht gleich fähig; dazu kommt noch, dass vieles, was iiiin
mimgelhaft erscheint, nur durdi seine mangelhafte Behandlung fehlerhaft wird.
In vielen unserer mehrdassigen Schulen bat der junge Lehrer einige
Stunden in den oberen Classen zu unterrichten. Er thut es gern, ol^leich es
ihm in der ersten Zeit häufig-, was die Disciplin betrifft, mancherlei Schwierig-
keiten bereitet. Die trrr.Heren Kinder, besonders die Mäddien, suchen in
schlauer \\ Cise die Schwächen des jungen Lehrers zu erforschen, Welche ihnen
Gelegenheit zu allerlei Kui'zweil bieten können; sei es, dass sie über dumme
Antworten hiut auf Uchen, sei es, dass sie oft hinauszugehen verlangen u. s. w.
Von Anfiing an muss da der junge Lehrer sehr conseqnent auftreten nnd keine
Unordnungen aufkommen lassen; denn sind sie unter seinem Kegime einmal
eingerissen, so wird es ihm schwer fallen, sie zu dämiifen. Hei den kleinen
Schülern der rnterclasse kann man ohne Scha<len den Krn>t »le-^ I iiterrichts
durch einen kleinen Scherz uuterbrecheu; das gibt den Kleinen fristheu Muth,
wenn sie erschhiffen, nnd erweckt in ihnen Lust zur Schule. Aber alles mit
Italien, wie das Sprichwort sagt.
So wie die jnngen Lehrer oft durch methodische Miasgrüfe der Schule
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beiladen, so schaden die iiieisteii sich selbst und aiich dt-r Schule durch zu vieles
und zu lautes Sprechen, und es dauert oft lauge, bis sie sich das-selbe abgewöhnen.
Selber wird man nicht leicht erkennen, dass das laute und viele Spredien zum
Schaden ist, bis man andere Lehrer in WirkBamkeit sieht und sich über die
lautlose Stille der Classe und über das laute Spi-echen der Kinder wundert.
Möge das Geschick aber jeden Itt wahren. dass er nicht erst durch Schaden an
seiner (itsundheit diesen Fehler erkenne!
^'or allen ]>iii2'en niuss sieh (h'r juni»e Lt-hier davor hiittii. jeder Ge-
legenheit luit dem Stocke in der Hand als Kächer autzutreten; nur zu leicht
wird er dann zun Schultjrannen, an den die Kinder nnr mit Zittern denken.
Leicht kommt der Junge Lehrer daza, wenn er, wie schon oben dargethan, die
rrsache eines Fehlers dnrchans bei den Kindern finden will, und wenn es ihm
an Gedold fehlt
Foljjren wir jetzt dem juimeii Lehrer aus der Schulstube in sein Ziiuiiier,
tscin zweites Aibeitsfeld. Ein solches niuss sein Zimmer sein, nicht der Ort,
wo er sich dem Müßiggange hin^^eben darf; denn er ist kein fertiger Lehrer.
Kann tiberliaupt jemand sich sagen, dass er fertig sei? Hier im Zimmer gOt es
weiter zn arbeiten an dem Ban, zn dem im Seminar das Fundament gelegt ist.
Zwar wirken bei der Fortbildung noch andere Faktoren mit^ z. B. die Con-
ferenzen, auf die ich weiter unten noch zn sprechen kommen werde: doch ist
zunächst dem Privatstudiuni ein irroßcs Feld zu^-ewiesen. Natürlich iimss für
den jungen Lelnvi' >ein Hcruf der iMittelpunkt der Fortbildunir sein, doch suche
er sich eine möglichst allseitige Bildung zu eigen zu machen. Zunächst will
ich hier nnr Ton der wissenschafUicben Fortbildung sprechen. Dass diese nfithig
ist, fühlt der junge Lehrer meistens selbst, und wenn die eigene Vernunft es
nicht schon sagte, so würde doch der Gedanke an die bevorstehende zweite
Prfifnnff ein eindringlicher Mahner sein.
Weh^lies Fach soll er ansrreifen? Wenn das vorhin Oesaste wahr i!«t. (la>s
der juiia»' Lehrer weiter l>aueii muss. so steht fest, dass er, um den Hau zu
\ nllenden, nicht beliebig das eine l etreiben und das an<lere iranz vernachlässi-^en
daif; es darf um so weniger geschehen, als dei- Lehrer in der Schule in den
▼erschiedensten Fftcheni zu nntenichten hat
Um nun ehie gründliche Bildung zu erreichen, empfiehlt sich nach meiner
Erfohning neben dem rein individuellen Studium das gemeinschaftliche Arbeiten
einiirer junger, nahe zusammen wohnender CoUegen. In Städten wird das Zu-
standekommen einer solchen Vereinigung keine Sehwieriffkeiten bereiten, weniirer
leicht ist es auf dem Lande zu erreichen. In einer solchen Furtbildun^^si^oelt-
schaft. die vielleicht wöchentlich eine Sitzung hält, werden Themata aus den
verschiedenen Gebieten des Wissens behandelt, worauf sich Jeder vorbereitet.
Einer tritt in freiem Vortrage als Beferent auf und jeder ftnfiert bei der Be-
sprechung seine Ansicht Ein solches Arbeiten hat nicht blos den Vorzug der
Gründlic hkeit, sondern auch den, dass es zum Privntstudium stark anregt.
Wenn man auch der Forderung-, auf allen Gebieten zu Hause zu sein,
möglichst gerecht zu werden strebt, wii 'l <1'm h rlle Xeignne: des einzelnen dies
oder jenes Fach in den Vordergrund difm^eu. Krlanirt diese Neii^nn^ nur nicht
die ausschließliche Herrschaft, so kamt man ihr ohne Schaden eine Zeitlang
folgen. Es erscheint mir sogar sehr n&tzlich, dass ein Fach mit besonderem
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Fleifie bearbeitet, wirklich stodirt wird. Nor niiiss man beim Studium nicbt
bloB an den augenblicklichen Genuts denken, wie ihn eine «pedelle Liebhaberei
bereiten kann, sondern auch daran, ob es für die Znknnft in B.'zug auf den
Bemf nutzbriiij^end sei. Ans verschiedenen Gründen, die ich weiter nnten dar*
legen werde, möchte ich fremde Sprachen für das Stndium des junsren \'(»lks-
schullelirers empfehlen. Jetzt besteht an vielen Seniinarien die segensieiche
Einrichtung, dass die Zöglinge in einer fremden Sprache unterrichtet werden.
Biese haben es spftter Mcht, sie kSnnen auf den voriiandenen6mndlafi;en weiter
arbeiten. Sehr vid schwieriger stellt sich die Sache für den, dem diese Grund-
lagen fehlen. Indessen frisch gewagt ist halb gewonnen.
Viele soniinaristisch gebildete T.ehrer haben an Mittelschulen, höheren Bür-
gerschulen » tr. zu unterrichten. Es müs.ste beschämend fiir sie sein, wenn sie
sich hinsichtlich ihrer sprachlichen Bildung nicht mit den Schülern der betref»
fenden Anstalten messen kannten. Sodann ezhilt man durdi die fremde Sprache
ein tieferes Verständnis fttr die Uuttersprache und verschafllt sidi einen noien
Zugang zu kostbaren literarischen Schfttzen. ..Wer fremde Sprachen nicht
kmnt, weiß nichts von seiner eignen," sagt Goethe.
Bei der Wahl der fremden S|trache koniinen bei nns besonders Enirlisch
und Französisch in Betracht. Da in den Seminarien — falls überhaupt fremd-
sprachlicher Unterricht ertlieilt wird — wol meistens das Französische Berück-
sichtigung findet, so wird der abgehende Seminarist zunächst das Studium des
Französischen fortsetzen. Ans praktischen Gründen wäre fftr die KflstenlSader
das Englische wol mehr zn empfehlen. Wer fibrigens in den Geist einer frem*
. den Spraclie eingedrungen ist, der wird von seinem Arbeitstriebe, der gei-ade
durch das Studium eine heilsame StJlrkung erfahren hat, bald zum Studiniu einer
zweiten fremden Sprache getrieben werden. Kückert sagt sehr bezeichnend:
„Mit jeder Sprache mehr, die du erlerast, befreist
Du einen bis dah^ in dir gebundene Qeiit.**
Unter den Mitteln für die praktische Fortbildung stelle ich die Theilnahme
an Conferen/en oben an. Weun der Lehrer sich nicht an Collegen anschließen,
sondern allein für sich stehen will, so beraubt er sich dadurch einer (Quelle der
so nöthigeu Anregung, olm«- welche er gar leicht d<'m Sclilt-ndrian vertallt. Mag
auch der junge Lehrer mit dem Prädikat „sehr gut" aus dem Seminar entlassen
sein, so wird er doch sehr bald anerkennen müssen, dass die Erfüimng und
praktische TSd^kdt des älteren Collegen ebenso hoch zn Teranschlagen ist,
als sein Vorrath an Kenntnissen.
T>er junge Lehrer sieht auf den Conferenzen, wie Jlltere Collegen den Lehr-
stoft' nu thodisch behandeln, wie sie die Kinder anzuregen vei-stcheu. wie sie
ernst und doch liebevoll mit ihnen umgehen. Da sieht er dann den Uutei-schied
und verschiedenartigen Erfolg dieser methodischen und seiner manchmal on-
methodischen Behandlung, und was er nicht sieht, das hSrt er in der darauf
felg^den Debatte. Er hört auch an solchen Lectionen Fehler aufdecken, die
ihm junstcrgültig erschienen. Da lernt er denn beobachten, sich selbst beobach-
ten. er lernt, woran es ihm fehlt Da fühlt er, dass Schillers Wort auch in
dieser Beziehung wahr ist:
„Willst du dich selber erkeuuen,
So sieh, wie die andern es treiben.*'
In der Debatte halte er nicht aus Mscher Bescheidenheit mit sefaier Mei-
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nong zurück, sonderu sage sie frei heraus und begründe sie nach seinem besten
Können, Wim alier auch die ÄmtteUnngen der Collegen ohne Empfindlkhlcelt
oder Gereiztheit an, widerlege sie, wenn er kann, oder ffige efdi der beeaem
EinBicht. Anf diese Weise sammelt sich der angehende Lehrer einen SchataE
von Ei-tahnmj^en, der ihm füi* seine praktiache Tbtttigkeit mindeatena ebenao
viel nützt als die Theorie.
Auch lasse er es nie an einer gewissenhaften \ orbereitung auf den Unter-
richt fehlen, bereite sich immer so vor, als wenn er vor einem Zuhörer eine
Ftobeleetitm zn geben hfttte. Daaa er aicb jede Lection ToUatftndig achriftlich
aoaarbeite, yerlangen wir dnrchaua nicht, halten es sogar für nachtheüig, well
das üin erstlich ganz von seiner wissenschaftlichen Fortbildung abzieht und ihn
zweitens nnr y.n Mcht y.mn Pedanten macht, weil von dem einmal Ausgearbei-
teten unter keinen riii>t;uiilfn abgewielien werden soll. Aber von Zeit zu Zeit
thue er es, um sich zu überzeugen, wie weit er im Stande ist, das vorher Aus-
gedachte zn bewfiltigen. Zn jeder Lection mnaa er aich aber unbedingt die
Diapoeition machen and das Ziel derselben bestimmt ins Ange fosaen.
Jemehr der junge T.ehrer sich außerdem in der Schule selbst beobachtet
und sich narli den Schulstunden ohne Ein^iildnngr und Vornrtheile I'echenschaft
über sein ^'e|•fab!•t•n aliletrt, desto prrößer wird der Scliatz seiner lilinsicht und
desto segensi ei* her sein Wirken werden.
Es bleibt mir nun noch übrig, die Stellung des jungen Lehrei-s in der Ge-
aellachafb zn betrachten. Der nftdiste sich ihm darbietende gesellschaftliche
Kreis iat der Hanptlehrer mit aeiner Familie, da der Jnnge Lehrer anf dem
Lande wenigstau mit dem Hanptlehrer, in dem er nicht blos seinen nächsten
Voigesetzten, sondern aneh seinen Hauswirt zu betrachten hat, unter einem
Dache wohnt.*') Das (Irsetz kann unmöglich das \'erhalten in allen einzelnen
Fällen regeln; es kann nur die Kechte imd riliciiten jeden Theiles im Allge-
meinen beatimmen. Doch wenn nnr der Hanptlehrer sich stets bemüht, seinem
Nebenlehrer nicht nnr als Votgesetzter zo erscheinen, sondern ala berathender^
väterlicher Freund; wenn nur der Nebenldirer in dem Hanptlehrer den Frennd
und Rathgeber sucht und ihm mit Achtung und Vertrauen naht; wenn er nur
in anständiger und freundlieher Weise den Familienmitgliedern des HanptleU-
rers begegnet: dann wird ein gutes Veriiiiltnis die natürli<he FnlLn s. iii.
In der Regel heri-scht auch wol ein solch gutes \\'rhiiltuis. Doch wie
wUnschenswert und nothwendig es fOr ein gedeihliches ZnaammenwiriLon anch
iat, 80 will es leider nicht allerorten zn Stande kommen, woran vielleidit bald
*) Das oldeuburgii)che Schulgesetz bestnuiut: „Die Nebeulehrer und liilfslehrer
haben in dem Hanpuehrer ihren nichsten Vorgeseteten au erkennen. Der Hanpt-
lehrer ist verpflichtet, seiiipm Neben- oder TTifslehrcr i-'m<' mit "Retr niel <1i n notli-
wendigen Möbeln versehene Wohnung im Schulhause einzuräumen. Der üauptlehrer
iat Terpflicbtet, den im Sehnlhause wohnenden Lehrern für eine j&hriich bestimmte Svmme
,.^0') Oller 340 M.) K(»sf. Wäsche, Feuerung. Lidit ninl Aufwartung zn leisten. Die
UtUslehrer sind verpflichtet, ihre Kost bei dem liauptlehrer zu nehmen, es sei denn,
dasa daa OberschnlcoUeginm eine Ananahme gestattet. Bhie eigene Wnhnstnbe kann
der Xeben- oder Hilfsk-hrer nnr da verlangen, wo solche in dem Schulhause für iliu
eingeiiehtet und bestimmt ist. Jedenfalls aber iat ihm außer den Schulstunden ein
passendes nnd anständiges Local anzuweisen, worin er seine Privatarbeiten machen
und auf seine Lectioneu .sich unge.stört vorhereiten kann. Dies Local ist im Winter
zu heizen nnd abends Licht zu geben, bis 10 Uhr wenigstens. Die Kost genießt der
Neben- oder Hilfslehrer am Faniilientische."
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der eine, bald der andere Theil die Schuld triigl. oder auch \n-h\v: diMin ..es
kann der Frün)iu:>te nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbar nicht
gefiUIt.^' Zwar heifit es so, doch suche der jnnge Lehrer, so viel an ihm liegt,
den Frieden zn wahren und bedenke, dass er der jüngere ist
Mit den Eltei-n seiner Schüler surhe d.-r junge Lelirer einen freundlichen
Verkehr zu unterhalten. Er ü-ewinut dadurch einen Einblick in die hllusli-dieu
Wihältnii^sc, unt<i- welchen die Schiilei- autwaclisen: er sieht, wie weit das
Hau« daä Streben der Schule unterstütz: etc. Die Leistungen und das Betragen
der Schüler wird er dann manchmal ganz anders benrtheilen, als er es ohne
Kenntnis der häuslichen Verhftltnisse thnn würde.
I St' llnnüT. die der junge Volkssehullehrer in der Gesellschaft einnimmt,
wird durch sein eig:ene8 Auftreten 1iedin>;t. Achtung" und Ausehen fällt ihm
nicht Von selbst y.w. sondern will durch wiirdii,*-e Lebensweise tmd treue Beruf«;-
thätig-keit erwurlte-n sein. Dass er nichts thun darf, was g-eiien das sitt;i< lie
Bewusstsein verstößt, versteht sich von selbst. Der \'erkchr mit llöher.Htehen-
den ist dem jungen Volksschullehrer zu empfehlen; wo er kann, suche er ihn
auf, doch ohne sich au&udrftngen. Damit er aber nicht dem Volksleben ent-
fremdet werde, muss er mit allen Oi tseinwiduiein verkehren, auch mit denen,
die hinsichtlich ihrer Bilduntr untei ihm stehen. Doch sei er vorsichti»- und
hüte sich vor zu vertraulichem rniiianj^e mit letzteivn. weil sie nicht auf seine
Ideen eingehen können und ihn, falls er fast ausschlieülich mit ihnen verkelu-te.
Ton seiner Bildungsstufe herunterziehen würden. Aber er sei franndlich gegen
jedermann, damit die Leute ihn nicht (fir hochmflthig und dünkelhaft halten,
was seiner erziehlichen Wirksamkeit sehr schaden würde. Ganz ausgezeichnet
schildert Auerbach den Verkehr des jung-en \ «ilksschuUehrers mit den Ortsein-
gesessenen im ..Lauterbnclter *. Seine Schilderumr verdient von allen juntren
Lehrern jrelesen und beherzigt zu werden. El)enso .sehr mö( hte [eh allen Leh-
rern, und besonders allen jungen, zur Leetüre empfehlen: Fritz lieiuhardt. Er-
lebnisse und Erfiihmugen eines Schullehrers von Heinrich Schaumberger. (Wol-
fenbüttel, Zwissler.)
Erfüllt der jung:e Lehrer dann auch in der Si hule seine Pflicht, indem er
Geist und Gemüth der ihm anvertrauten Juirend liildet. soweit es in seinen
Kräften steht, vereinigt sich also mit der würdigen Lebensweise treue Berufs-
thäligkeit: dauu wird er der Achtung nicht entbehren.
Besteht im Orte ein Turnverein, so trete der junge Lehrer als Mitglied
ein, einmal zur Forderung der Sache, dann aber auch seiner selbst willen zur
harmonischen Ausbildung seines Körpei-s und zur Erhaltung seiner Gesundheit.
Aber er prüfe \ oi her wol, ob der Verkehr mit den Vereinsmitgliedem vielleicht
seiner Achtunir seh;iden könne. Elienso betheiljtye er sich au einem etwa be-
stehenden Ge.s;uii?vereine. in.sofern dieser edle Zweeke veitöigt. Doch tret^ er
nicht zu vieleu \ ereiuen bei, da sie ihm l'tiichten auferlegen, die mit den An-
forderungen seines Berufes sdilecht harmoniren.
Bemüht sich der jnnge Lehrer in dieser Weise, seinen Schülern stets und
in allen Dingen ein musterhaftes Vorbild zu sein, so wird ntao, wenn er d^
einst aus seinem .\mte scheidet, auch von ihm. wie Ko( how von seinem Mit-
arbeiter nud Freunde sagen können: „Ei- war ein Lelirer."
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Zur Lehrerfortbildung.
Fon Andreas Mayer-Wim.
..Die tOchtip' l'iTÄÖiilirlik« it <li H I.i'lirtTs ist uiul
blfibt Ute znverliUsigHle Uaraiitiü für lUs Gelingen
pUagogftehn Bettrebniigeii." Q. Buir.
X)a8 Ssterreichische Volkfischnlgesetz vom 14. Jfai 1869 hat sich im
Ganzen als ein gelungenes Werk bewährt. Trotz einer mehr als zehiyfthrig^
Praxis — in der sich zumeist Vieles anders stellt, als es am grünen Tische
vorauso;eselipn ^\ iid — kömu'ii selbst die Gf'tnier diesp.s Gcst fzcs keinen we.sent-
hVhen Ftlilgrirt' in deiiiselbeii iiaeliweiseii. Es stellte Foi dci uiii^en, die /.wav
uiisen r leaeiionilreu Stiinnunf? unangeuehm geworden sind, deren NotUwendig-
keit sicli aber nicht liinwegleugnen lässt.
Dies gilt insbesondere auch hinrachtlich einer Angelegenheit, die wir im
Folgenden näher ins Auge fagseu wollen: wir meinen die Fortbildung der
Lehrer. Der auf dieselbe bezügliche Abschnitt unseres Gesetzes scheint nns
von £z-i"*ßter IVdt^utnriir: denn der Lehrer ist der ontsrheidende Factr.i- alles
})äda«-o2is(lien Wirkens, der Mittelpunkt der gesamten Scimlerzieliuiig-. .Man
dürfte warhaftig nicht von .Selbstüberhebung sprechen, wenn der Lehrer den
Ausspruch thäte: l'^le c'est moi. „Die Kunst bläht oder verfilUt dunsh die
Kunstler und die Schule durch die Lehrer. Jede Schule ist — normale
Verhaltnisse vorausgesetzt — stets so, wie der Lehrer der Schule; sie ist
seine geistige Photograidiie.'* (Kehr.) Es herr^dit Lebendigkeit, Freude und
Eifer, wenn d« m Lelirer die nöthige Frische und Jiegeisternng nicht mangelt;
die Schule versinkt aber in Mechanismus, wenn der Lehrer zum IlandlaiiL'< r
wird — d. h. wenn ihm Geist und Leben, Liebe und Eifer fehlen. Dies kann
leicht dort eintreten, wo das Streben nach Fortbildung mangelt
Die Fortbildung ist fiir Jedermann, er mag hoch oder nieder gestellt sein,
eine unbedingte Xothwmdigkeit, wenn er nicht rückwärts s< breiten will; ein
Stehenbleiben gibt es nicht. Die Zeit hält nicht inne in ihrem Gang; wer
für seine l'ersoii dem F'ortsehritt i iitsairt, an dem schreitet sie vorübei" und
]«l8St ihn hinter sich zurück. Dieses Sciiicksal würde eine ganze Generation
treffen, wenn den Lehrerstand das Streben nach Fortbildung verlieBe. Wer
auf den Oeist eines Anderen belebend einwirken will, dessen Geist mnss selbst
voll Lebenskraft und Frische sein, dem muss die Sache, welche er interessant
machen will, selbst interessant sein; er darf kein verdrossener Arbeiter auf
dem Felde der Bildung sein, er mn.s.s das, was er thnt, mit Lust und Liebe,
mit jfiier lUr^ei-teriing verrichten, welche auch den Trügen, den Schlaffen
mit >kh fortreißt. F. W. Wander sagt: „Die Frische betrachte ich als die
erste Bedingung einer erfolgreichen pädagogischen Wirksamkeit Todte können
keine Todten erwecken; wer zur Auferstehung blasen soll, mnss selber frischen
Odem haben." Woher aber soll das Feuer der Begeisterung kompen, wenn
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der Lehrer imuierturt dieselben Bahnen geht, auf und ab, hin und her, ohne
jemalB den Bl^ illier seinen engen Kreis hinaus sn riditen; wenn er meBhanfsch,
wie ein Pendel sein „tik tak** erschallen Iftsst, immer dasselbe wiederkäuend;
wenn er dei'selben Sache nicht ininuM' neue Seiten abzngewinneiit sie nicht
immer wieder in ein neues, wonioji-licli helleres Liclit zu stellen vermag? Man
tf)dtHt den eigt ntlielien Lehrer und mit ihm jeden erfolgreichen Unterricht,
wenn man ihn dnrcli Voischriften. die Alles bis aufs Geringste bestimmen,
einengt, wenn man ihm die Methode raubt und seine individuelle Ansicht ganz
in den Hlntergrand drängt; man bringt dadorch den Lehrer um seine
Bemftlk«ade, um die Begeisterong ond damit nm Alles. Wir waren daher
von jeher gegen alles Maschinenmiißigc in der Schule, gegen detaiUirte
Lehrgilng-e. die Alles bis auf die einzelnen Minuten festsetzen wollen. Der
Lehrer braueht nur Markstt'inf; innerhalb dieser muss er sich frei be-
wegen können. Jede Classe muss das Gepräge das Lehrers, aber nicht alle
Classen mfissen das Gepräge des Inspectors tragen; nnr der Freiheit, die
ehedem anf dem Gebiete der Schule herrschte, verdanken wir ihre grollen
Fortschritte. Sie ist es, welche dem Lelirer Lust zur geistigen Arbeit schafft,
die ihn anregt , in eine Sache immer tiefer einzudringen. Dadurch gt'winnt
jeder Gegenstand — und wilre er der einfachste — an Interesse, und dfr
strebsame Lflner an Tüehtitrki it. (Gerade unsere Zeit aber braucht tüchtige
Männer, und wir sollen alle Mittel anwenden, unsere geistige Fiische zu be-
wahren. Sie ist es, welche den Lehrer leistungsfähig erhiUt und noch den
Greis zum Jflnglinge macht. Diese geistige Jugend und Kraft bewahrt man
sich aber hauptsächlich durch geistige Arbeit, durch Fortbildung. Leider
mangelt vielen jungen Lehrern, welche ihr Priifnngszeugnis in der Taseli>^
haben, die Theilnahme am geistigen Fortschritte. Wauder charakterisirt
dieselben mit folgenden Worten: „Die im Seminar oder in irgend einer
Prfifong „fertig gemachten'' Lehrer haben keine Zukunft; sie kennen nicht
d^ Hochgennss des Strebens; sie haben sich mit dem SaugrSssel des Genusses,
der Bequemlichkeit und Rnhe in ihr philisterhaftes Dasein eingebissen; sie
haben den ünßeren ^[echanismus des Lebens umklammert; jede Bewegung ist
ihnen liistlir nnd störend, ihr höchstes Ideal ist das der Ziegelstreicher Oosens.
der Fleist ii[iii>tV Ki;^yiiTens: nnd wenn sie den Blick einmal ei-heben, so geschieht
es nnr, um einen Mannuregen zu entdecken oder — aufzufiuigeu. So wenig
aber jene gosener Ziegelbrenner ins gelobte Land kamen, ebensowenig werdm
unsere „fertigen" Schulmeister, denen die Schule nichts ist als die milchende
Kuh, die sie mit Butter versorgt, die Organe . in i irehubenen Volksbildung
und eines gesunden Lehrk"»rpers werden, in dem der heilii^e G eist jugendliche
Frisciie. Cillei- Gesinnnn<r und thatkräftigen Strebens wulmT."
Obwol das österreichische Schulgesetz mehrere i'nnkt« zur Fortbildung
der Leluer anführt, so steht es doch noch ziemlich misslicli mit der DurcU-
fohrung der Sache. § 43 lautet: „Die pädagogische und wissenschaftliche
Fortbildung der Lehrer soll durch Schulzeitschriften, Lehrerbibliotheken,
periodische Conferenzen und Fortbildungscurse gefördert werden.** Die
ofliciellen Conferenzen halten aber für uns nicht den Wert, den eine freie^'e^-
sammlung hat. Zum üesuche der ersteren werden die Lehrer gezwungen, und
wiihrend derselben werden sie zuviel beaufsichtigt und regiert; auch nimmt
man ssuweilen ihre Ansichten sehr ftbel anf. Im Laufe der Zeit zeigte aidi femer,
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dass die in den t'i«ut'ereiizen aus^^esprocheiien Ke.sohniouen der Lehrer kaum je
berücksiditigt wuideu. Solche Ei'fahruiigen entmuthigteii die Lelu-er, und die
mefiB^ sprechen nmi gar nichts mdirniid kommen nur zorConferonz, weil sie
müssen. Dadurch ist das Interesse an der Sache Terloren gegangen, nnd die
Conferenzen tragen in ihrer jetzigen Form zur Hebnng des Ldirerstandes nichts
bei. Sollen sie ein fruchtbringendes Mittel zur Fortbildunsr wprden — und das
können sie — so müssen .sie aus dem oatergeordueteu VeiMltoisse heraosti'eten
und mehr Selbständigkeit erlangen.
Die hervorragendsten nndbestenMittel unserer Fortbildang sind: 1. Lehrer-
vereine, 2.. Zeitschriften nnd Bficher.
Üher den Wert der Lehrerrereine sagt Diesterweg: „Wer es mit einer
Sache wolmeint. ihr dient nnd dienen will, meint es anchwol mit den Personen,
die ihr gleieht'alls dienen, d. h. mit seinen Standesgenossen. Er tühlt sirli zu
ihnen hingezogen, er kann nicht von ihnen lassen, nicht (iliiie sie leben. Der
tiefste Drang zur Mittheilung seiner Ansichten und Erlahruugeu wie zum Em-
pfange der ihrigen, die Sehnsncht nadi weiterer Belehrung und nadi Erweitemng
seines Horizontes fiberhanpt treibt ihn zn seinen Amtshrfidem. Die Lehrer-
vereine sind der iUißere An.sdruck, die leibliche Erscheinung dieses treibenden
Geistes, sind ein Beweis der Lebendigkeit jenes TrieVies, sind ein Organ, welches
dieser sich schafft, sind ein Mittel zur Befriedigung seines innersten Bediirfni.sses,
sind organische Erzeugnisse eines lebendig gewordenen pädagogischen Sinnes.
Hinterher erkennt man sie auch als ein uothwendiges , in seiner Heilsamkeit,
Nachwirknnif nnd Tiefe dnrch nichts zn ersetzendes Mittel der Anregung, Be-
lebnngt ErIHschnng nnd Fortbildmig der Lehrer.'*
Was den Wert der Zeitschriften anbelangt, so gilt ja das Meiste von dem
früher liesau^ten ancli hier. Die Facliblätter enthalten Mittheiinngen von An-
sichten und Erfahruniren der ( 'ollegeu. Abhandlungen über wichtige pädiigo» ische
Zeitfragen, Anzeigen neuer Lehnnittel, Hilfsbücher etc. Der Lelirer soll aber
nicht nnr Fachblätter, sondern anch politische Tagesbfittter lesen. Er istStaats-
bfirger nnd hat als solcher das Becht, aber anch die Pflicht, sich mit den
politischen Tagesfragen zu bescliäftigen. Nichts setzt den Lehrer so herab (zur
bekannten Schulmeisterfigur) als der Abschluss vom geistigen nnd politischen
Leben. Die Tagesblätter enthalten die Gesrhichte der Geirenwarr. und wer
für dieselbe kein Interesse zeigt, dei- kann uiumiii'lieh ein Interesse haben an
der Geschichte der alten Griechen und Körner. \\ eiter sind aber auch die Zeit-
schriften Träger des Fortschrittes; sie bringen die neuesten Entdeckungen nnd
Eitindnngen anf allen Gebieten, Staatseinrichtnngen etc. etc. Der Lehrer kann
ans denselben nngmein viel lernen und praktisch verwenden.
Hierzu kommen endlieh die I?iicher als besonders wichtige Fortbildungs-
mittel. Dass hier nur wertvolle Bücher gemeint sind und nicht jene geistlosen
Producle, mit denen unser heuliger Büchermarkt überschwemmt ist, die aber
viel eher geeignet sind, den Geist zn tSdten als zu üben, ist klar. Leider
können aber wertvolle Bücher, weil sie zngleidi anch thener sind, von dem
Einzelnen meist nicht angeschafft werden, ein Umstand, der ihre Benutzung sehr
beschi-ilnken würde, wenn — es keine Bibliotheken gäbe. Diese sind die Magazine
der geistigen Nahrung; in ihnen liegen die kostbarsten Seliätze aufgespeichert.
Halten wir nun rnischau. wie die Lehier diese (Quelle der Fortbildung
benützen. Ich kann hier nur von dem Orte meines Wii'kens erzählen, von der
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Reichshauptt-tadt Wien. Hier hat jeder der zehn Bezirke eine eigene Lelnvr-
bibliothek (sog. Bezirkslehrerbibliotkek), welche eine große Anzahl bedeutender
und wertvoller Bücher enth< Diese werden aber, trotz der oftmaligen Auf-
fordemng, an reich beladenen Tiscli heranzukommen nndkrtlfti; raungreiliNi,
tast nicht benutzt. Ferner hat jeder einzelne Lehrerverein seine eigene Biblio-
tln'k. welclie aWr elicnso wriiiir ;\nsfr»'li<>iitet wird als die früher genannte. Xnn
Ira^ft'ii wii-, woran lieat ila dii' Schuldy Lie^t nie an den Lt^hrern oder an d»'r
sclil(chti-n Kinrichiuug der Bibliotheken V Wii* müssen sagen, dass die grüßte
AnzaM der Wiener Lehrer keinesfalls indolent sei, daas ihnen das Streben nach
Fortbildung, trotz ihrer schlechten materiellen Stellung, nicht mangelt, dass
aber die Zeit zur Bücheranshehnng zu besi Iii inkt sei. Da hört man fortwährend
die Klage, dio IJibliothek stehe wöchentlich nhnchin nur einmal zur Verfücrnng
und selbst an diesem Tai?e komme niemand, (iei-ade darin linden wir einen
Hauptgrund der sclüechten Ausnützung. Denken wir uns, der Lelu-er eines
Bezirkes wünsche etwa am Montag ein bestimmtes Buch; dieses ist ao diesem
Tage nicht zu haben, weü die Bibliothek nur Samstags von 7 — 8 Uhr abends
zur Verfügung steht, oder weil sieh das Buch in der LehrerbiMii»thek eines
anderen Bezirkt s l ietindet. Ein andermal ist das Buch zur bestimmten ..Bibliotheks-
stnnde'* nicht zuhalten, weil jener College, welcher die Bücher ausznsreben hätte,
durch Krankheit oder Familieuverhiiltnisse verhindert Kurz, der Lehrer
kann ein Werk lüelic iiaben, waim er dasselbe wünsclit oder braucht. Solche
Hindenisse sbid es, wel(Ae die Benützung der Bibliotheken so erkleddich
sehidigem. Um diese Übelstftnde zu bes^tigen nnd die Bibliotheken znm wirk-
lichen Fortbildnngsmittel zn gestalten, wünschten wir in jeder größeren Stadt
eine reichlialtige und gediegene Lehreiliii/liothek, welche von einem eigens be-
stellten Bibliotliekar verwaltet nnd zu jeder Zeit zugünglich ist. Die Bücher
sollen in einem möglichst großen und lichten Saale aul'gestellt sein, luid dieser Saal
BoU zugleich als Lesehalle dienen. Hier müssten nicht nnr die bedeutendsten
Fachblfttter des In- und Auslandes aufliegen, sondern auch ein gediegenes po-
litisches Tagesblatt und einige illustiirte Zeitungen. Hier soll aocb einSammel-
pnnkt der Lehrer sein, und über manches Gelesene mag hier zur bestimmten
Zeit debattirt werden. Wir sind überzeugt , dass sich die meisten Lelirer
wöchentlich ein- oder zweimal eintinden werden, um die aut liegenden Zeit-
schriften durchzusehen; der Eine heute, der Andere morgen, so wie es eben
die Zeit gestattet
Ehn kleiner Kreis von Wiener Lehrern (Zöglinge des Pädagogiums) haben.
eine solche Lesehalle unter Director Dr. Dittes gegründet. Diese entsitricht
allen Erwartungen: niit Ausnahme der Schulzeit ist die Lesehalle selten l.tr,
nnd i's ist interessant /.ii sehen, welches Leben, welcliei' Eiler und welche Streb-
samkeit hier zutage tritt.
Könnte eine derartige Lesehalle nicht für die gesammte Lefaremhaft er-
richtet werden? Oewissl Wir erblicken in der Eiriehtung Ton Lesehallen ia
allen größeren Orten das beste Mittel, den Lehrer geistig fnsch und lebendiit m
erhalten, ihm seine Jugend zn wahren, so dass er stets empfänglich bleibt für
alles Gute nnd Edle. Wahre nnd Schöne, dass er nie erlahmt in dem Streben, stets
weiter zu bauen an der begonnenen Arbeit ziu* Hebung und Veredlung des Volkes.
ycniitw«)iflidicr Bedutenr: M. Stein. BaobdniolnKi Jnliat Klinkbardt,
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Der Pessimismus und die Sittenlehre.
Von Prof. Dr. Joh. Rehmke-St-Galkn.
(Schiuss.)
AVird Glückseligkeit als absolute Befriedignng oder Wunsch-
losigkeit des Menschen anfgefasst, so mnss es einleuchten, dass Glück-
seligkeit und Sittlichkeit nicht neben einander bestel|^n k<»nnen. Ein
solcher glückseliger Mensch wäre wiinschlos^iifrieden und daher nn-
th&tig, denn die Tliätigkeit des Menschen setzt stets einen Wunsch
voraus, und so lange dieser da ist, fehlt eben die Wunschlosigkeit d. i.
die Glückseligkeit; sobald diese aber einträte, würde alle Thätigkeit^
also auch die sittliche Thätigkeit, aufliören. Sittliche Thätigkeit oder
Sittlichkeit also und diese ,.Glückselig-keit" scliließen sich aus. Wenn
nmi Leben Thätigkeit und daher sittliclu s Leben sittliche Thätigkeit
ist, so erscheint es als eine selbstverständliche Behaaptnng, dass solche
„Glückseligkeit^ während des menschlichen Lebens unmöglich sei.
Nach Glückseligkeit streben hätte dann den Sinn: zur „Verneinung
des Lebens" oder zum „Nirvana" zu gelangen streben, denn diese
„Glflckseligkeit" und Nichtleben sind Wechselbegriffe, und Hartmann
hätte somit ganz Recht, dass deijenige der schlimmste Feind der Sitt-
lichkeit genannt werden mttsse, welcher sie „durch Verkuppelung mit
der Gifickseligkeit zu erhöhen wShut**. Wo immer man ins sittliche
Lehen hineingreifen mag, nirgends wird man, so lange noch Leben da
ist, den Widersacher des Lebens, diese „Glttckseligkeit**, antreffen, und
hofihnngslos und ewig erfolglos mflsste ein solcher Glfickseligkeits-
jfiger, hnngrig im reichen Lehen, umherirren, bis er durch anhaltende
Enttäuschung veranlasst würde, von dem vergeblichen widerspruchs-
vollen Bemühen, den Tod mitten im Leben, die Wunschlosigkeit
mitten in der Thätigkeit zu besitzen, abzusehen.
Denn die Er£iihmng liefert ihm die Einsicht, dass er, so lange
er lebt, auf solche Glflckseligkeit eo ipso zu verzichten habe und
somit vor die Alt/emative gestellt sei: entweder ein Leben ohne Glfick-
PMdRgoginm. i. Jahig. Heft XIL 47
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Seligkeit, oder eine (TliK-kselig-keit ohne Lflx-n. Xacli einer solchen
Glückseligkeit steuert in Wirklichkeit nnl»e\vnsst dasStreben desEo-oislen,
und daher ist. wenn derselbe sich erst einmal recht besonnen hat. auch
der (^iiietisnius. d. i. die absolute Unthätigkeit. seiiu* Willensmaxime;
das T^elien aber bietet ihm schon aus diesem (irunde. weil es selbst-
verständlich als solches jene ..(Glückseligkeit" verwehrt, Elend, d. i.
absoluter ]\[angrel der ,.Glückselig-keit", und daher wird stets der
nüchterne und besonnene Egoist den Pessimismus als Grundan-
schaiiung für sein Dasein gewinnen.
Der ausschließende Gegensatz aber, in welchem die als absolute
W'illensbefriedigung aufgetasste „Gliu kseligkeit" zur Sittlichkeit steht,
hat seinen logischen Grund nicht in der sittlichen Thätigkeit, sofeni sie
eben eine sittliche, sondern sofern sie überhaupt Thätigkeit ist; würde
in diesem Sinne das Wort Glückseligkeit aufzufassen sein, so müsste
Hartmanns Pessimismus fiu' das Leben des ^lensclien überhaupt (ob
dieser es egoistisch oder ethisch führte, das bliebe sich gleich) als
Wahrheit anerkannt werden, denn eine solche Glückseligkeit kann es,
wir mögen ans hinwenden oder einrichten, wie wir wollen, auf der
Welt und so lange wir leben, nicht geben.
Wenn nun aber auch schon die Thätigkeit überhaupt und diese
„Glückseligkeit** nicht bei und miteinander im Menschen sich zeigen
können, so bleibt doch die Möglichkeit ihrer causalen und teleologischen
Verknüpfung damit noch unangefochten, so dass also der Mensch als
durch seine Thätigkeit das Ziel der Glückseligkeit erreichend gedacht
werden könnte, wie wir ja das Ende des Lebensleids in der
That selbst von den pessimistischen Sittenlehren eines Buddha oder
eines Schopenhauer zum reinen Zweck des Lebens und Strebens gemacht
sehen; denn das Aufhören des Wollens, d. i. des bewussten Thätigseins,
ist die Wunschlosigkeit, und diese Glückseligkeit ist das Nichtleben.
In solchem Sinne ließen sich also wirklich die Widersprüche „mensch*
liehe Thätigkeit überhaupt** und jeue „Glückseligkeit" miteinander
„verkuppeln"; es muss jedoch schon eine andere Bewandtnis haben,
wenn Hartmann die „Gluckseligkeit" wol mit der e-oi-tischen
Thätigkeit in einen, wenn auch erfolglosen, teleologischen Zu^auinu-ii-
hang bringen kann, dies dagegen bei der Sittlichkeit lur unmög-
lich erkliirt.
„Glückseligkeit" ist nun im Hartmannschen Sinne ..Lustubt-r-
schuss im Leben''; wir werden somit also auf einen ganz anderen
Boden gestellt, nämlich in das Lelien hinein, wahrend im soeben
besprochenen Falle die „Glückseligkeit" lactisch in das Mchtlebeu
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liiiiein- oder mit (leiiiselUen sogar zusammenfällt. Die M<)glichkeit eines
Lustübeisilius.<es im Lebt-ii bestreitet Hartmann und behaui>tet zu-
irleicli. dass die Annahme desselben mit der Sittlichkeit sieh nicht
vertraLfe. dass vielnieln' sclion uin der ^Hisrlichkeit der letzteren \villeu
die W'alirlit'it vom Unliistiibei'sclniss feststellen müsse. Man halte hier
nun wül fest, dass Hartmann seine iTlückseligkeit nicht etwa als
möglichen, respective unmöglichen Endzweck menschlicheu Strebens.
sondern als einen durch das Lel)en sich hindiu-chziehenclen, im Leben
also selbst zu verwirklichenden Zweck, also als einen wenigstens denk-
baren Zustand während des Lebeus aiiffasst. Seine Behauptung
geht dahin, dass Jemand, welcher diesen Lustüberschusszastand für
vereinbar halte mit der Sittlichkeit oder überhaupt nur annehme,
dass derselbe eine Folge des sittlichen Handelns sei, infolge eben
dieser Annahme schon nnmdglich ein sittlicher sein oder bleiben
könne; der Optimismus, nach welchem das sittliche Leben einen
Lustüberschnss atifweist, wird demnach von Hartmann geradezu als
Mörder der SittHchkeit angesehen.
Die Sittlichkeit trägt nach Hartmann sswei Merkmale an sich,
das nichtegoistische und das autonome; die Motive des sittlichen
Handdns sollen sich als nichtegoistische und doch als eigene prft-
aentiren, sie sollen aus mir entsprungen sein (autonom), jedoch das
Wollen nicht auf mich (nichtegoistisch) richten. Gesetzt nun den Fall,
eine soldie Sittlichkeit hätte dasjenige zur Folge, dessen Ausdruck
der ethische Optimismus sein will, so firagt sich nun, ob das Bewnsst-
sein vom letzteren die „Reinheit und Uneigennfttzigkeit der sittlichen
Bestrebungen** unter keinen Umständen bestehen lasse.
Wenn Hartmann die Gorrumpunng der Sittlichkeit durch den
«thisdien Optimismus behauptet, so geht er von der Meinung aus, dass
der Mensch zu einer sittlichen Lebensföhrung niemals gelangen werde,
wenn nicht der Pessimismus Ihm vorher schon den Gedanken an die
Olfickseligkeit, d. i den Lustttberschuss des Lebens, grflndliclist ge-
genommen habe.
Die (xlückseligkeit gilt als das Ziel des Eigenwillens: dies ist
wahr; die Sittlichkeit ist Selbstverleugnung: auch dieses sei zugegeben;
aber dann resultirt trotzdem nocli keineswegs, dass die Selbstverleug-
nung zugleich Verziclit auf die (Tlückseligkeit. d. i. absolute Ab-
weisung der Glückseligkeit, in sich schliefe. Dies wiinle sich nur
dann ergeben, wenn (ilückseligkeit. wie sie das stete Ziel des Eigen-
willens ist. zugleich nur aus der Befriedigung des Eigenwillens
hervorgehen könnte. Dies aber winl Hartmann selbst nicht behaupten
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-wollen, da er ja die Last nicht als Befriedigung des Eigenwillens,
sondern als Befriedigung des Willens fil)erhaapt definirt und neben
dem Eigenwillen doch anch einen sittlichen Willen des Menschen an-
erkennt. Wo demnach Wille auftritt, mag derselbe nun die Lust
selbst zu seinem Ziele haben, wie der egoistische, oder nicht, wie der
sittliche, und wo dieser Wille befriedigt wird, da muss also nach
Hartniann Lust vorhanden sein, und wo immer im Leben die
Betrie(li<jriuig des Willens die Nichtbefriedigung überwöge, da mü)>ste
demnach Glückseligkeit (Lustüberschuss) vorlianden sein.
Der al)solute Verzicht*^ auf Glückselifjkeit, scheint mir, ergäbe
auch tiir Hartnianns Ansehaiiiuig- iiiclit nur die absolute Selbstverleug-
nung, die ,.g:;inzlirhe Hinfral)e des Eiucnwillens", sondern überhauiU
den Verzicht aul alles Wollen, alle bewusste Tliäti<:keit, da jeg-
liche Befriedigung des Willens eben ja nach Hartmann eine Lust
ist. Mir scheint es daher durchaus nicht consequent, dass Hartraann
von der Annahme des Lustüberschusses die Corrumpirung der SittUeh-
keit türchtet und doch nicht dieselbe Furcht äußert gegenüber jeder
Lust, d. i. jeder Befriedifi-nng des Willens überliaiipt. AVeun decli die
Reinheit sittlichen Strebens ihm schon getrübt wird durch den Ge-
danken, dass Lustüberscliuss die Folge des Strebens sei, so nniss
diese Trübung nicht minder für ihn geschehen, sobald er sieb V»e\vusst
wird, dass die Befriedigung jedes Wollens eine Lust ist. Hartmann
mü.ssTe demnacli niclit nur allen Lustübersclmss, sondern alle Lust
überliaupt aus dem sittlichen Leben abweisen; th;ite <^r aber dieses.
s<» mü>ste er zuirleicli alle sittliche Thatiukeit verneinen, da d"ch
eine jede irL-'endwie eine liefiiedigung des W illens, d. i. nach Hart-
mann Lust eiitlialten wird. Auf diesem Wege würde der Philosoiili
des Unbewnssten also mit der Verneinung der Glückseligkeit
und der Lust zugleich die Verneinung der Sittlichkeit pn^-
damiren müssen, und wir unsrerseits wären hier dann bei dem Satze
angekommen, dass Glückseligkeit und Sittlichkeit, oder wenigstens
Lust und sittliches Hanchdn zusammengehören, da Sittlichkeit ohne
Lust nicht denkbar sein würde.
1 »aiiiit aber wäre das irerade tiegentheil von demjenigen, was Hart-
mann in jenen Sätzen behani»tet, lieransgelunden. A\äbrend die mit
der al>soluten Willensbefriediguug ideutiticirte ..Glückseligkeit"* in der
That in absoluten (iegensatz gestellt wui-de zur Sittlichkeit, weil
letztere eben Thätigkeit i.st, müsste im Gegentheil diejenige Glück-
seligkeit, welche von v. Hartmann als Lustüberschuss im Leben aul-
gefasst wird, mit dei* Sittlichkeit, und zwar eben, weil diese Thätig-
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keit ist, enj? verkniipft erscheinen, indem jeue dann die notU-
weudige Folgfe der Sittlichkeit zu sein scheint.
Die Behauptung? dieser anj^eblichen nothwendigen Folge von
(jliickseliirkeit. die T^ehre vom etliisdien Optimismus, soll verderbend
auf die Sittliclikeit wii'ken, beliauptet llartmauu: dies klingt, wie ich
schon alldeutele, plausibel, wenn Glückseligkeit und Eigenwille in
einem solchen Verhältnis zu einander ständen, dass die erstere nur
das Resultat und das Ziel des iletzteren sein könnte, wenn also der
Gedanke au Glückseligkeit unmittelbar die egoistischen Neigungen des
Menschen wach riefe und stärkte. Unter andern Verhältnissen als
diesem aber ist nicht einzusehen, warum Sittlichkeit in sich gefährdet
Sein sdlle, wenn der sittlich Handelnde (-i lückseligkeit genösse;
hiermit ist ja doch noch nicht sofort die Versuchung nahe gelegt, „tlie
Sittlichkeit durch die GlückseÜL'-keit zu erhöhen", denn die Sittlichkeit
steht für den Sittlichen hoch genug! Wer sittlich ist, wird durch
das Bewusstsein, glückselig zu sein, in .seiner Sittlichkeit nicht
gehemmt werden, und der begleitende Eigenlust-Pessimismus wird
ihm weiter helfen, diejenigen egoistischen Neigungen, welche dem
Menschen als Lohn und Folge der Arbeit Glückseligkeit vor-
täuschen, zu bannen. — Wer aber nicht sittlich ist, wird anderseits
auch durch den „ethischen'* Pessimismus in keiner Weise der Sitt-
lichkeit näher geführt, wol aber durch den ethischen Optimismus,
wie ihn unter dem Namen des „relativ erträglichsten Zustandes'' selbst
Hart mann verwendet So erscheint auch hier der ethische Optimismus
dem ethischen Pessimismus als in dem Wert für das sittliche Leben
überlegen; während sie beide freilich von keiner directen Bedeutung
für die Sittenlehre werden kOnnen, ist der erstere doch noch voa
erzieherischem Wert für den zur Sittlichkeit sich entwickelndeE
Menschen.
Der Irrthum in der Hartmannschen Auffassung der Unerträglich-
keit von Optimismus und Sittenlehre, von Glückseligkeit und Sittlich-
keit liegt also offenbar dann, dass Ifartmann Glückseligkeit nur
mit Erfüllung des egoistischen Willens zusammen denkt; bei
einer solchen Einschränkung des Gebietes der Glückseligkeit ergibt
sich dann Ton selbst die Gegenüberstellung, welche den Optimismas
ans dem Bewasstsein des sittlichen Menschen fem halten muss. Diese
Einschränkung hängt aber eng zusammen mit dem Umstände, dass von
v. Hartmann aller eigene Wille als Eigenwille, alles Wollen des
Individuums als ein das eigene Individuelle ollen ge£ässt wird, und
daher eben auch alle Lust, welche aus der Befriedigung des Wollens
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lierv(trgelit, sich für Ilcirtmann als Ei^-cnlnst laäsentirt. Di»* Kin-
sc'liränkunj? der Lust auf die Ei*i( iilust aber sreni]ielte natürlich auch
<lcn ( )itTiuiisnuis zu einer der Sittlichkeit widt-rsiireclieuden Lehre, deun
die Sittliclikeit sucht ja nicht das Eigene, sie kr.nnte daher auch iJi
allen Acten, welclie den Handelnden als Lustertiillten zeif;en. niclit
vorhanden sein. Diese letztere, schon oben hervoi-;:fliol»ene ('onse(iucnz
hat Hartniann freilich ni<-lit i:ezo;j:-en. da er in milderer \\'eise nur eiueu
Lust- L' berschuss des >itnichen Lelicus des Menschen bestreitet.
Die beschränkte Auffassung; der iieürit^V Lust und W ille als Kigeidu-t
und KiLrenwille und die dadurch bediug-le Einschränkung' des Begritls-
p:ebietes der (^liickscdifrkeit ist nun auch zum Theil Schuld, das^ Hart-
maim gegenüber der im sittlichen Lel)eu facti.sch liegenden (Glückselig-
keit blind ist; das sittliche Leben und seinen AVert für das Individuum
sucht er iiiuiier nur von dem gleichen Standpunkte des im Eigenwillen
lebenden Individuums zu beurtheilen, und inlblge dessen sinkt natür-
lich der Wert des erstereu so erheblich und steigert sich die Unlust
des Lebens überhaupt auch für das sittliche Individuum in den Augen
des mit der Eigenlustbrille Hewatfneten so bedeutend, dass für diesen
von einer Berechtigung des Optimismus nicht tlie Kede sein kann.
Es wird hier aber eben der Umstand vergessen, dass der sittliche
Mensch einen ganz andern Maßstab, nämlich denjenigen der sittlichen
Lust im Gegensatz zur Eigenlust, an die Wertschätzung des Lebens
überhaupt legt, und dass daher das Facit auch ein ganz anderes sein
wird. Ein ethischer Optimist i.st derjenige, welcher behauptet, dass
das sittliche Leben ihm Glückseligkeit biete, eine sittliche Lust,
die freilich vom Standpunkt des Egoismus nicht einmal gesehen,
geschweige denn begriffen werden kann.
Würde sich der Staudpunkt des Menschen und seiner Wert-
schätzung des Lebens nicht mit dem Übergang vom egoistischen zum
sittlichen Leben verschieben, so hätte Hartmann Recht, dass das sitt-
liehe Leben ebenso wenig wie das egoistische eine Glückseligkeit zeige.
Weil aber eine ganz bedeutende Verschiebung eintritt, so ist die
Beurtheilung des sittlichen Lebens vom Standpunkte des Eigenwillens
und der Eigenlust, wie sie Hartniann \'"ruimmt, sogar eine völlig
nichtige, welche ja begreiflicherweise keineswegs die richtige Bilance
von Lust und Unlust im Leben des Sittlichen zu ziehen vermag.
Alles dieses Fehlerhafte an der Hartmannschen Sittenlehre und
ihre Abweisung selbst des ethischen Optimismus lässt sich aber aut
Hartmanns metaphysischen Standpunkt zurückführen, demzufolge der
sittliche Mensch nur Erscheinungsweise des unseligen Unbewussten ist;
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daher denn die Verneinong des Eigenen bis zum Äußersten und die
sittliche Entwertung alles dessen, was den Menschen za sich selbst
als Indindnnm znrückf&hren könnte. Hartmann kennt hier nicht die
Gegenüberstellimg des egoistischen ond des sittlichen Ich, sondern nur
die des Ich nnd des Absoluten. —
Der empirische Pessimismns drängte zur „ Selbstverleugnung
d. i zum Selbstmorde; Hartmann setzte nun an dessen Stelle nicht die
sittliche Selbstverleugnung, sondern vielmehr die metaphysische
Selbstverleugnung, und infolge dessen schnitt er, trotzdem er die
Ph&nomenalität des Individuums in objectiver realer Weise auf&sste,
aus dem sittlichen Individuum doch gerade das Eigenste heraus, welches
den Kern dessen für die Sittlichkeit ausmacht, nämlich die Persön-
lichkeit Das Bewnsstsein der Solidarität des Individuums mit dem
Unbewussten ttberwucherte das sittliche Selbstbewnsstsem, so dass
dieses letztere verkfimmerte, von oben her durch das Absolute erdrückt,
von unten her durch den absoluten Pessimismus angefressen.
Das Individuum aber als ein Sittliches muss nach beiden Seiten
hin freie Bewegung haben, nnd ohne ein freudiges Herz ist diese
nicht möglich. Auch Hartmann leistet dieser Forderung trotz seines
Pessimismus einigen Tribut, wenn er von dem Weltfrieden spricht,
den der Hartmannsche sittliche Mensch besitze und von dessen freu-
diger Willigkeit zur Sittlichkeit (a. a. 0. S. 870). Woher aber
diese freudige Arbeit? Sie kann doch sicherlich nicht aus dem
Pessimismus hervorbrechen und ist doch unzweifelhaft ein Zeichen von
Glückseligkeit, ein Beweis, dass die sittliche Arbeit mit Lust für den
Menschen verknüpft ist! Diese Freude ist anscheinend ein dopiielt
gefthrücher Eindringling in Hartmanns Sittenlehre, einmal, weil sie
den Pessimismus zu vernichten droht, und dann, wefl sie aus dem
Bewnsstsein der Zusammeugehürigkeit mit dem Absoluten,
nicht aber ans einer Willensbefriedigung zu entspringen scheint.
An diesem Punkte hätte Hartmann Anlass finden sollen, seine eigene
Ansicht, dass die Lust des Menschen überhaupt stets auf Befriedigung
eines Willens zurückgeführt werden müsse, zu corrigiren, denn die
Freude an der sogenannten Mitwirkung zur Erlösung des Absoluten
kann unmöglicli einer Willensbefriedigung LUtstaumien, da jene Freude
sehen vorhanden ist, bevor das Wollen beginnt.
Hartmanns Abweisung des Optimismus, di»- hergeleitet wird aus
dem Grunde, weil derselbe nicht mit der Sittlirlikt it vt itni^^lich sei,
muss als ungei^q-iindet angesehen werden; sie ist, wennjrleicli sie ver-
wauute Züge zeigt, iiichl zu verwechseln mit der von Kaut behaupteten
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Unverträglichkeit des Glückselio:k('itvSStrebens und der Sittlichkeit; wenu
es nämlich aiK'li unzweifelhatt ist, dass der Mensch niclit zugleich nach
A'erwirklichuug seiner sittlichen Aufgabe und seiner Glückseligkeit
streben icünue, da docli immer nur Ein Ziel auf einmal für den
Menschen nitiglich ist, so ist damit noch keineswegs die Unvereinbar-
keit des Optimismus und der Sittlichkeit ausgesprochen.
Es ist klar, dass Hartmann stets nur von einer ihm alkin mög-
lich erscheinenden Combination des menschlichen Strebens und der
Glückseligkeit ausgeht, dass nämlich die Glückseligkeit eine Folge
des Strebens sei. Wenn man ausscliließlich diesen Standpunkt ein-
liinmit, so wird man nicht wol anders können, als der Glückseli<rkeit
zu Gunsten der Sittlichkeit den Rücken kehren. Auf diesem Stand-
punkte stehen nun auch alle diejenigen, welche mit Kant jedes jrlück-
selige sittliche Handeln i)erhorresciren und welche sich dalier el)enso,
wie Hartmann, vor der Möglichkeit des Optimismus bekreuzen und die
absolute A\'alirheit des Pesaimismus für das Bestehen der bittliclkeit
herbeiwünschen m üssen.
Man könnte sich wol wundern, dass noch Niemand versucht hat,
auch das umgekehrte Verhältnis zwischen Glückseligkeit und Sitt-
lichkeit als ein mögliches hinzustellen, also, dass die Sittlichkeit wenig-
stens eine zeitliche Folge jener wäre, die Glückseligkeit ihr
also voranginge, so dass der sittlich handelnde Mensch schon vor
und abgesehen von dieser seiner Thätigkeit als solcher im
glückseligen Zustande, oder, wie Hartmaim sagt, im „Lustüber-
Bchuss" sich befände.
Freilich ist es begreiflich, dass man an diese Umkehrung des
Verhältnisses, um jenen schwierigen Fall vom Zusammenbestehen des
Optimismus und der Sittlichkeit, ohne die Uneigennutadgkeit der ktz-
teren anzutasten, zu positivem Austrag zu bringen, nicht dachte —
dies ist begreiflich, weil man stets die Untersuchung anhob mit jecem
Theil des mensclilichen Sti'ebens, welchen wir den egoistischen nenaen
und welcher seine Handlungen auf die Glückseligkeit als deren erhoffte
Folgeei-scheiiunifT niid als deren Ziel anlegt; so ist ja auch die ur-
sprüngliche Meinung des Menschen, die Glückseligkeit könne durch
die Thaten des Eigenwillens erreicht werden. Wenn dann aber die
Erfahrung die Unfruchtbarkeit des J3eginnen8 lehrt und die Wahilieit
des Eigenlust-Pessimismus anerkannt werden muss, hält man dock an
der überkommenen Schablone fest und sucht nur einen anderen, den
„sittlichen" Thaten -Weg zur Glückseligkeit, einen Weg, der iller-
dings dnrch jene Wahrheit selbst wieder angehoben wird, unc der
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— 745 —
ftberiumpt in sich selbst schon nicht die Glückseligkeit» venn sie nicht
vorher da ist, als Folge garantiren kann.
Darin hat Hartmann durchaus Recht, wenn er behauptet, dass
das sittliche Streben die Glflckseligkeit nicht als Ziel
habe; er schiefit aber ttber das Ziel hinaus« wenn er deshalb die
Glftckseligkeit auch ffir das sittliche Individuum verneint und die
Wahrheit des ethischen Optimismus leugnet. Dieser Optimismus
kann wahr sein, ohne dass die Glückseligkeit das Besultat
des sittlichen Wollens sein müsste, und der sittlich Handelnde
kann in sich diese Glückseligkeit tragen, ohne dass er als
Zweck das Glückseligsein in sein Handeln aufnehmen müsst«, wie
ja das „sittliche" Handeln dann überhaupt nicht mehr sittlich
sein würde.
In dieser Umkehrungf des Folf^^everhältnisses von Glück-
seligkeit und sittliclieiu Haiuleln scheint mir luiu iu der
That die Lösung- für jenes große Problem zu liegen, wie Olück-
seligkeit, also ,,Lustiiberschuss", und Sittlichkeit zusammen bestehen
können, ohne dass doch der Gedanke an die Glückseligkeit, oder dsm
Bewusstsein von der Glückseligkeit auf die „Sittlichkeit" des
Handelnden einen bestimmenden und corrumpirenden Einfluss übe, und
damit dann die Sittlichkeit unbestreitbar vernichte. Ich bin über-
zeugt, dass durch jene Veränderung des Verhältnisses der ethische
Optimismus zwanglos sich dem sittlichen Leben einfügen lasse und
doch zugleich das sittliche Princip trotz dieses Optimismus in voller
Reinheit und Ausschlieiiiichkeit der bestimmende Factor des
Handelnden bleilte.
Es genügt nun nach den hier ausgeführten polemisclien Vorarbeiten,
in kurzen Zügen die Untersuchunir thetisch zu Ende zu tülncn, iiin
dem Pessimismus in der Sittenlelire seine feste Stellung anziisveisen.
Eine der grtUUen Verirrungen, weiclie die Geschichte der Sitten-
lehre zeigt, ist das Bestreben, die Glückseligkeit aus der Sittenlehre
iiberliaupt auszuschließen: dieses irrige Vorgehen entsprang aus dem
an und für sich richtigen Grundsatze, dass der sittlich Strebende
niemals eine zu erreichende Glückseligkeit im Augt^ hat und dass es
nur ein Versteckspielrii des Menschen mit seinem ral'tinirten Egoismus
ist, wenn dei-sellje ejklart, allerdings denke er während des sittlichen
Strebens nicht an die folgende Glückseligkeit, aber diese sei eben
doch die natürliche P^ilge der Sittlichkeit.
Die Sittenlehrer aber gehen dai'in zu weit, dass sie jegliche Ver-
bindung von Glückseligkeit und Sittlichkeit verneinen und nicht eiu-
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— 74t) —
mal die Möglichkeit erwägen» ob die Sittlichkeit ihrerseits die
Folge der Gifickseligkeit sein könne. Was jene Männer anf der
einen Seite für die echte Sittenlehre gewinnen, das brechen sie ihr
durch Blindheit auf der andern Seite wieder ab; wie sie die Sittlich-
keit ganz richtig durch Abweisung der Glückseligkeit als deren
Folgeerscheinung ttberhaupt erst als reine gewinnen, so machen
sie im gleichen Athemzuge eben diese Sittlichkeit zu einer unmög>
liehen durch die Leugnnng der Glückseligkeit des sittlich
Handelnden.
Ich hoffe im Folgenden den Nachweis kurz und bündig liefern zu
können, dass Glückseligkeit und Sittlichkeit nothwendige
Genossen sind, und durch diesen Nadiweis dann auch vielleicht einen
annehmbaren Frieden in dem Streit zwischen Pessimismus und Opti-
mismus und ihrer Bezi^ung zur Sittenlehre angebahnt zu hab^
Glückseligkeit und Wollen gehören untrennbar zusam-
men für den Menschen, nnd zwar in dem Sinne, dass ein Wollen,
d. 1 eine freie Thätigkeit des Menschen, nicht möglich ist ohne eben
die Glückseligkeit als Bewusstseinsinhalt des thätigen Menschen,
sei es, dass dieser Bewusstseinsinhalt als Vorstellung von einem zu
gewinnenden Zustande der l^ersönlichkeit den Inhalt des Wollens,
also den Zweck des freien T]iäti<rseins, sei es, dass er als be-
wusster Zustand der Persr.nlichkt'it oder, wie man aiicli sae-.-n
kann, als Gefühl, die inTsünliclic Basis des freien Tliät iirs' iiis
bilde: in beiden Fällen aber steht otit^nbar «Tliickseliokeit zu d»'ui
Wollen in euLreni \'erlialtuis, wenn auch uatiirlich dieses Verhaltiiis in
jedem Mensrhen ein durchaus ei.irenartijres ist: iiu ersteren Falle ist die
Glückseligkeit das Ziel, im zweiten dagegen die Basis des Wulleu-
den, d. i. des frei haudeiuden ^leusclien.
l'm aber die unausweichbare Verkniii)fnng von (Tliickseliskeit und
Wollen ganz zu verstehen, gilt es nocli, einen raschen Bück auf diiö
nienscldiclie Individuum id)er!iaui»t zu werfen.
Der Wunsch nach (i lückselijzkeit ist für die zum Be^vu^st-
sein gekommene Meiisclilieit nicht ein zutalligerweise allgemeiner.
Sondern er ist ein uoth wendiurer, im Wesen des Menschen betrriin-
deter; er ist eine notliweudiire Foltie des zum Bewusstsein der Existenz-
berecht iirunir seiner selbst als einer PersTtnlichkeit gekonuneneu
Menschen: die volle EntwickluuL'" und Darst ellunii: seiner Per-
sönlichkeit, das ist tiir «las menschliche Imlivitbium der Inbegriff
der (i liicksel il: keit. Zertrümmert man ihm tli<' Möglichkeit
dieser Glückseligkeit, so vernichtet mau den Menschen zugleich
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als Persönlichkeit, d. b. man niaciit ihm (his Wollen, die freie
Tliäti<i:keit unmöglich, denn des Wollens Sultject ist das Individuum,
insofern es selbstbewusste und sich seihst bestimmende Per-
sönlichkeit ist, und der Mensfli wird dann, sofern er üherliaupt
noch als thätig sich erweist, nur als ein sollender sich erweisen,
d. i. nicht als eijrene Persönlichkeit, sondeni als ein Glied oder
Theil eines Anderen, welches Andere ihn in seiner Thätiirkeit be-
stinunt. Dass nun das sich zur l^ersönlichkeit entwickelnde Individuum
nothwendig von dem Wunsch nach Glückseligkeit getragen wird, kann
also weder Wunder nehmen, noch wird dies irgendwie bestritten
werden können. Das Erste, was der Mensch zu seinem Dasein bedarf
und wünscht, ist, dass er sicli als Persönlichkeit wahrhaft .selbst finde.
Diese Glückseligkeit ist seine Selinsucht, und begreiflich ist
es, dass, bevor sie gestillt ist, nichts Anderes den frei thätigen
Menschen zum Thun entflammen kann.
Um sich als Persönlichkeit selbst zu finden, d. i um Grlückselig-
keit zu erlangen, stehen nun dem Mensclien, wie es ihm wenigstens
scheint, zwei Wege offen: der des eigenen \\'(dlens und deijenige der
Gnade Gottes; in dem ersteren Falle ist die Glückseligkeit dei* Zweck
des menschlichen Wollens und Handelns, im zweiten erwartet der
Mensch die Glückseligkeit ohne sein eigenes Zutliun von Gott,
Weil aber dort der Mensch und hier Gott als der Ertülh'r jener Sehn-
sucht des zur Persönlichkeit sich dui-chringenden Individuums auf-
tritt, hat man gewöhnlich zur Bezeichnung der Sache nicht ein und
dasselbe Wort beibehalten wollen, und hat daher jenes die Glück-
seligkeit, dieses die Seligkt it genannt, obwol die Sache in An-
sehung des Menschen und seines Bewnsstseinszustandes als
solchen, abgesehen also von dem, als was er sich findet, durchaus auf
das Gleiche heraus kommt, nämlich auf die vollendete, zur vollen
Entwicklung gelangte Persönlichkeit und das aus ihr quellende
Gefühl für das menschliche Individuum.
Welcher von den heiden Wegen eingeschlagen wird, das hängt
natürlich ab von dem Urtbdl des Bidividnums seihst, wo eben das-
selbe seine wahre Persönlichkeit zu finden glaubt, ob in der eigen-
wilUgmi Entwicklung seines Wesens, oder in der Eintanchung des-
selben in Gott nnd dessen Geist. Solches ürtheü ist natürlich ein
mamiigfiiltig bedingtes, und die Erziehung vor Allem kann f&r den
AnsM desselben von groBem, bestimmendem lünflnsse sein; wo aber
das Individuum rein nur den zufälligen Einwirkungen seiner Um-
gebung und den nothwendigen Einflüssen seiner eigenen Neigungen
i
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aberlassea ist, da wird sich zeigen, dass der Ifensch zunächst den
Weg der eigenwilligen Entwicklung einschlftgt, dass er also seine
wahre Persönlichkeit znnAchst nicht in der Gotteskindscfaafk sncht,
nicht durch die Gnade Gottes die Glftckseligkeit zu erhalten ^^laubt,
8«) lau««:«' nun die rTirickse%keit, sei es durch eigene Arbeit,
sei es in dein (Tlauhen an Gott, dein Menschen nicht zu Theil g"e-
wordeii ist. kann der Mensch zu anderem "WdIIcu (freiem Thäticrsein),
welches eben die volle, entwickelte Persönlichkeit alsSubject voraus-
setzt, d. i. zum sittlichen Wollen niclit kommen, und wo immer
daher der Mensch, V>evor er die Glückseli<?keit besitzt, als
wollender (frei thätiger) auftritt, hat sein Wille die Glück-
seligkeit zum Zweck; erst wenn diese erreicht ist, kann
überhaupt das sittliche Wollen eintreten.
Glückseligkeit und menschliches Wollen sind also stets beiein-
ander, und warn man das Wollen des Menschen eintheilen möchte^ so
ließe es sich zwanglos in diese zwei ünterahtheilungen bringen:
1. Glfickseligkeitswollen und 2. glttckseliges Wollen. In der
ersteren wQrde unterzubringen sein alles das Wollen, welches die
Glückseligkeit zum Zweck hat, also vom glflckseligkeitssüchtigen
Individuum ausgeführt wird, in der zweiten alles Wollen, welches auf
der Basis der Glflckseligkeit vor sich geht, also vom glflck-
seligen Individuum unternommen wird; jene AbtheUnng wird sieh
durchaus decken mit dem egoistischen, und diese durchaus mit dem
sittlichen Wollen.
Von den beiden mögliclieu Wegen zur Glückseligkeit zeigt sich
mm derjenige, welcher diu*ch eigene lüalt des Menschen, durch eigene
Arbeit zum Ziele führen soll, als durchaus unzulänglich, wie ja die
ruhige, objective Prüfung desjenigen Menschenlebens, welches die
Darstellung des (^lückseligkeitsverniügens, also des egoistischen Stre-
bens ist. unzweifelhaft beweist, indem hier stets die Glückseligkeit
entweder das gmße Fragezeichen der Zukunft, oder der große
Stein des Anstolies bleibt, an welcliem der unglückselige Glücksfliir-
keitsjäger den Hals bricht. Der Mensch, welclier diesen eigen wilhgen
W't'g i'iusrhlägt, wird sich somit ganz von dem Glückseligkeits-
wullen erfüllt sehen und muss wenigstens die Unmöglichkeit ein-
sehen, es von sich aus zu einein sittlichen Leben zu bringen, da
er ja eben sich nicht einmal den für die Sittliclikeit unbedingt noth-
wendigen Status der Glück-Seligkeit als Basis deb sittlichen WoUens
dui'ch sein (^egoiötiäches) WoUeu verächaüen kann.
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Wenn man von gegnerischer Seite, die ja ebenfalls zugibt, dass
Glückseligkeitswollen und sittliches Wollen nicht neben einander, oder
sogar ein und dasselbe srin könnten, hervorhebt, der Mensch müsse
eben von der Gluckseligkeit itmdweg abstrahiren und, ohne glück-
selig zu sein, sittlich wollen, so hat man damit den Knoten ein-
fach zerhanen und, ohne eine wirkliche Lösung zu schaffen, einen
Doctrinarismns geschaffen, welcher nun und nimmer mit dem
lebendigen Menschen und dem menschlichen Leben sich vereinigen
lässt Denn es ist unzweifelhaft ein utopischer Gedanke, dass der
Mensch, welcher nicht glftckselig ist, den ihm als potentieller
Persönlichkeit im Blut liegenden Wunsch nach Gifickseligkeit
in die Schanze schlagen und, auf denselben verzichtend, werde sitt-
lich wollen können. Viel&ch liegt diesem doctrinftren Gedanken
die richtige Thatsache zu Grunde, dass ein wirklich sittlich Wollender
auf diejenige Glückseligkeit, wie sie der Glückseligkeitswollende sich
in diesem egoistischen Sinne ausmalt, verzichtet oder, besser gesagt,
seinem auf dem Boden der Eigenlust stehenden Beobachter zu ver-
zichten scheint; in der That nämlich besitzt dieser sittlich
Wollende schon als seine persönliche Basis, auf der allän ihm
eben das sittliche Wollen möglich wird, seine Glückseligkeit,
die allerdings einen ganz andern Ursprung hat, als der des Eigen-
willens, da sie nämlich aus dem Gotteskindschaftsbewosstsein ihren
Ursprung herleitet.
Niemals wird man im wirklichen Le1)en einen Menschen finden,
welcher, ubwol er nicht f^lücksdig ist, sittliches Wolk-u zeif,^t; alle,
welche etwa von sich das Gefrentheil beliaupten, täuschen sich, indem
sie entweder in ihrem Wolk'ii wirklich nicht sittlich sind, sondern
egoistisch, d. i. auf ihre noch nicht erlangte (Tlückselig-keit
ihr Wollen abzwecken, oder wirklich sittlicli wollen, aber
(iaiiu auch, ohne dass sie sich dessen selbst deutlich bewusst sind, auf
jenem anderen Wege schon die Glückseligkeit {gewonnen
haben, nämlich auf dem Weire des Glaubens, der ihnen das Bewiisst-
sein ihrer Pei-sönlichkeit als eines Kindes Guttes aufgeschlossen und
sie dadurch mit Glückseli',^kei t erfüllt hat. Tcli bedieuo mich
hier für die einzip: wahre P^rfas^^uii- der eiizuen Persrtnliclikeit des
speciliscii christlichen Ausdrucks, weil in ihm so prägnant der Grund
des Glückseligkeit sbewusstseins hervortritt.
Hat sich der Mensch als Kind Gottes gefunden, dann ist er, weil
er nun als Persönlichkeit in Wahrheit sich voll und ganz gefimden
hat, glückselig, und dieses Bewusstsein verlässt ihn nicht, so lange
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in ihm der (tlaube au Gott luul die Gewiss;lieit. sein ivind zn st-in,
lebendig bleibt. Aiit diesrni A\'eg-e stillt er vollkoinnien den in
seinem A\'esen g-eg rundet en Wunsch nach Glückseligkeit
und Nvird infolge dessen in Wirklichkeit betahigt, sittlich zu wollen;
denn jetzt stört seine sittlichen Zirkel nicht mehr da> ihm nnaiis-
rottbar eiugepllanztc und >u lange es niclit ertüllt ist, stets das iranze
Bewusstsein in Ansjirucli ntliniende Streben nach Glückseligkeit,
welches sch<m, allerdings auf einem ganz anderen Wege als der
..natürliclie • .Mensch meint, befriedigt worden ist im Gutteskiud-
schaftsbewiLsstsein.
Angesichts der Erfohjlosisrkeit einerseits, welche das Glück.-elig-
keitswolleu des Individuuui> klar und d''Utlich zeig-t, uml des ebenso
thatsiichlichen Erfolges andciciseits. wcIcIh-u der (Tlaul»e an Gott
aufzuweisen hat für das seinem Wesen als rersünlichkeii gemälJ nadi
(ilückseligkeit schmachtende Tndividuuiii. tritt im volh-n Lichte die
^\'ahrheit ins iiewusstsein, dass <lie Gnade (lottes allein dem
Menschen die Seligkeit schaffe un 1 dass dieselbi- auf keinem
andern Wege, als auf demjenigen der Offenbarung fiottes im
Menschen, durch welche der Mensch sich als Kiud Gottes weiJJ,
erlaugt werde.
Hiermit wird abei- auch zuLdeich eine Streitfrag^e, welche langte
schon die Männer der W is>enschatt in unfruchtbaren Streit verwickelt
hat, erledigt, die Streitfrage nämlich, ob es eine Sittlichkeit ohne den
göttlichen Grund, ohne die Keligion. für den Menschen geben könne.
Wenn es wahr ist, dass sittliches A\'ollen nur dem glück-
seligen Menschen möglich sei. und wenn es walii" ist, dass
der Mensch die Glückseligkeit nur aus dem Bewusstsein,
Gottes Kind zn sein, alleiu gewinnt, so kann es sittliches
Wollen oder Sittlichkeit einzig und allein nur ireben. wenn
des Menschen Leben und Persönlichkeit auf göttlichem
Grunde steht, d. i. wenn er Religion hat; alle übrige so-
genannte religionslose Sittlichkeit ist bei Licht besehen doch
nur raftinirter Egoismus, d. i. Glückseligkeitswollen.
Für das sittli( he WoUeu ergibt sich demnach eine ganz andere
subjectivc Basis, als diejenige, welche Hartmann in der Selbst-
verleugnung aufstellte. Diese Basis ist die Glückseligkeil
des Menschen; wahrend Glückseligkeitswollen und sittliches Wollen
weder neben einander bestehen, uoch ein und dasselbe sein können,
ist in Wahrheit glückseliges Wollen und sittliches Wollen ein
und dasselbe! indem in ersterer Bezeichnung (glückseliges Wollen)
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der Zustand, in letzterer (sittlicli<'s Wollten) das Ziel ein und des-
selben vollenden Subjects lierv«>r2"eli(»l»eii wird. — Im sittlichen Wollen
nun Terleugnet derMcnsdi sicli nicht überhaupt, nicht sich selbst,
sofern er in dem Wollen Subject ist (es würde dies, wie ich es
oben beiUartmann nannte, eine metaphysische Selbstverleugnung:
sein, die aber unmöglich ist, wenn Überhaupt Wollen des Men-
schen noch soU bestehen können), sondern vielmehr setzt er sich
selbst und bringt seine wahre Persönlichkeit als Kind Gottes
positiv zum Ausdruck in seinen sittlichen Handlungen. Er ist
dabei als sittlich Wollender sowol autonom, denn sein Eigenstes
bringt er zur Geltung, als auch uneigennützig, denn sein auf sein
Eigenstes gehender Wunsch nach Glflckseligkeit ist ihm schon
vorher in seinem Glauben aus göttlicher Gnade voll und
ganz erffillt, also kann nun sein Wollen diesen selben Wunsch un-
möglich noch im Auge haben.
Immerhin aber ist im sittlichen Wollen stets Selbstverleug-
nung, und zwar in dem Sinne vorhanden, als in diesem Act nicht
der Mensch, insofem ei* noch egoistische d. L gottlose Neigungen
hl sieh wirksam weifi, zur Geltung kommt; wenn also der sittlich
Wollende auch „sich selbst** verleugnet zu gleicher Zeit, wo er „sich
selbst" zur Geltung bringt, so beruht dieses scheinbare Paradoxon
auf dem Umstände, dass das menschliche Individuum noch nicht
voll und ganz in seine walire Kxistenz eiu«i:etaucht ist, so dass der
,.geistige" 3Iensch nocli stets den „natürlichen" Mensdien, welclier in
jener etwa empfangenen Glückseligkeit des Kindes Gottes sicli noch
nicht mit seinem ursprünglichen Glückseligkeitsstreben abgethan
weili, als A\'iderpart neben sich hat. Insofern ist das sittliche Wollen
nicht nur eine praktische Darstellung dt^s (4otteskindschafts-
bewusstseins. sondern zugleich ein Kuini»! mit dem ,.lSelbst**,
d.i. mit denjenigen PL''oistiscln*n Xei<>ungen. welclu' der Entfal-
tung des wahren Gelüst, der wählen Persönlichkeit noch entgegeu-
blehen.
In diesem Kampfe unterstützt nun der Eigenlust -Pessimisni us,
d. i. die auf eigene I-^rfahrung gejrründete Erkenntnis vom täuschenden
fSchein jener egoistischen Neifunj^en. die sittliche, im Wollen sich zur
Darstellung bringende Persiinliclikeit. Diesei- Einfluss des Pessi-
mismus ist aber natürlich nur dann möglich, wenn auch der ethische
Optimismus das Kewusstsein des Wollenden erfüllt, tl i. wenn der
Wollende schon vorher durch seinen Glauben Glückseligkeit empfangen
hat und in ihr stehend frei das Sittliche thut
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So ist in der Tliat das Leben des durch den Glauben mit der
nutliwondi^^^en Sittliclikeitsbasis, der Glückseligkeit, ans-
geriisteteu ^fensclien allerdings nicht ein absolut seliges Leben,
sowol in der Hinsicht, dass nicht immer das sittliche Wollen in
seinem Leben sich zeigt, als auch in der anderen, dass nicht absolute
Glückseligkeit ihn erfüllt. Die egoistischen Neigungen wollen sidi
eben mit ihrem Streben, selbst den Kern der Pei*sönlichkeit im Indi-
Andnnm zu bilden, nicht zur Ruhe geben, und erfüllen, so oft das
Individuum in dem ihnen gemäßen Glückseligkeitswollen praktisch
wii'd, den ^lenschen daher mit dem Be^MlS8t8ein, die Glückseligkeit
nicht zn haben, also nicht schon glückselig zu sein.
So stellt sich denn das egoistische Grundbewnsstsein, nicht
glückselig zu sein, dem sittlichen Grundbewnsstsein, glück-
selig zu sein, stets im Menschen zur Seite, und daher gilt es ftr
diesen, dem ersteien Bewusstsein gegenüber Imiaer eng^ an Gott
sich anzuschließen und die wahre Persönlichkeit durch die Be-
lebung des Eindschaftsbewusstseins immer siegreicher in sich zir
Entfiiltung zu bringen, so dass das sich einstellende Glfickseligkeits-
bewusstsein stets „Überschüsse gegenüber dem anderen auNreise
und infolge dessen der Mensch auf Basis dieser seiner Glück-
seligkeit immer mehr Baum gewinne zum sittlichen Wollen,
und zugleich dem egoistischen Wollen der Platz immer mehr
verkleinert werde. Das absolut selige Leben aber, das stets
sittliche Wollen kann, so lang der Mensch den Egoismus nicht ganz
ertodtet hnt, nicht Torhanden sein. Wäre dasselbe einmal wirtiidi
da, so würde jenes negative Moment, die Selbstverleugnung,
ihm fehlen, was, obwol dies etwa denkbar ist, doch, so lange der
Mensch die jetzigen Lebensbedingungen an sidi trä^, nicht sn
realisiren ist. Für den sittlichen Menschen auf dieser Welt Weiht
daher stets das Leben ein Kampf, aber dieser ist der freudige
Kampf eines in <Tott seligen Menschen, der sich und sein eigenstes
Sein untrüirlich in der Gotteskindscluift gefunden hat. Das sittliche
Wollen des glückseligen Menschen in dit'scui Leben wird des-
halb auch stets die Selbstverleugnung als ihr negatives
Moment, das sich getreu die egoistischen Neigungen kehrt, in sich
tragen ninl neben dem ethischen Optimismus also den Eigen-
lust-re>si Uli Sinus in seiner vollen Berechtigung und Wahr-
heit zu Grunde lit-Lieu haben.
\\'enn man alier die Sittlichkeit mit der Selbstverleugnung be-
ginnen lässt, und diese dalier als die Basis der Sittlichkeit hin-
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stellt, so heifit dies die Sache auf den Kopf stellen und beim Ende
anfangen; Selbstverleugnung predigen, ohne vorher im Menschen
das Gottesbewusstsein gepflanzt zu haben, heißt in den Wind
hineinpredigen, weil ja für die Selbstverleugnung jeglicher Anhalt und
jeglicher Anknüpfungspunkt im gottlosen, d. 1 egoistischen Menschen
fehlt, der es gar nicht verstehen kann, aus welchem Grunde er seine
egoistischen Neigungen, die ihm ja die Erreichung der Glückseligkeit
so schon vorspiegeln, ertödten solle.
Damit die Selbstverleugnung, d. i. also nun, genauer ausgedrückt,
die Abweisung der egoistischen Neigungen für das Wollen
des Mensöhen, geschehen kdnne, muss dem sittlich wollenden Snbject
nothwendig ein Äquivalent der dem Egoisten vorschwebenden Glück-
seligkeitshofihungen gegeben sein, ohne welches der Mensch nun und
nimmer als frei thätiges Geschöpf sich von seinen egoistischen
Neigungen befreien könnte. Das Glückseligkeitsbewusstsein
muss die Glückseligkeitshoffnung verdrängen, wenn Selbstverleug-
nung da sein soll. Es ist aber nur ein einziger Weg möglich, auf
welchem diese subjective Bedingung der Selbstverleugnung, d. i. also
auch der Sittlichkeit (deren eines Moment ja die Selbstverleugnung ist)
zu erlangen ist^ nämlich derjenige, welcher absieht von dem mensch-
lichen Thun und im Ghiuben durch Gottes Offenbarung die
Glückseligkeit, auf Grund welcher dann das sittliche Wollen
des Menschen sich erhebt, herbeiführt
Der im Gottesglauben, d. L in der Religion gegebene Weg ist in
Wirklichkeit der einzige, um den nothwendigen Boden für die Selbst-
verleugnung, d. i überhaupt für die Sittlichkeit des Menschen zu ge-
winnen. Zu einer Selbstverleugnung wird daher der Mensch
nie gelangen, wenn er nicht schon glückselig ist, es sei denn
za jener, nicht sittlichen, sondern selbstsüchtigen Selbstverleugnung,
dem Selbstmord. Es ist ersichtlich, dass in dem Fall, wo ein Weg
eingeschlagen würde, auf welchem nur eine Glückseligkeitshoffnung
durch eine andere Glückseligkeitshoffnung abgelöst würde, das
Gliickseligkeitswollen des Menschen damit nicht aufhören, also
von einer Selbstverleugnung nicht die Bede sein könnte: in Wahr-
heit wüi'de dann eben nur eine Form des Egoismus die andere ab-
lösen und die Möglichkeit sittlichen Wollens wäie keineswegs
gegeben.
Den anderen freilich denkbaren Weg aber, auf weldiem die
Glückseligkeitshoffnung durch den Verzicht auf Gliickseliirkeit im
wollenden Menschen ersetzt werden soll, muss ich für ebenso uu-
Pcdagogium. 4. Jabrg. Heft XU. 48
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tauglic]i lialTeu, das sittliclie Wollen zu enmto'liclien, wie den .so-
eben g-enanuteii der Auswechslung eines vielleicht etwas rohen Egoisums
durch einen raffinirteren Egoismus; absoluter Verzicht aut Glück-
seligkeit führt nämlich mit absolntei Not h wendigkeit zur
Ve i/Av<'it'lnng, zur Verneinung der Personlirlikeit, vernichtet
also jegliches Wollen und somit auch das sittliche Wollen. T'n eigen-
nützig wollen kann der Mensch einzig dann, w^enn er sich selbst
als eigene Persönlichkeit schon besitzt; fehlt ihm diese, so strebt
er naturgemäß, sie zu irewinnen, hat er sie, so ist er glückselig
und kauu uueigeuuützig sein.
Verzicht auf Griückseligkeit ist demnach Verzicht auf die
eigene Persönlichkeit, nnd das Individuum, welches sich seinei*
Persönlichkeit begibt, kann nicht ein wollender, d. i. ein autonom
tiifttiger Keusch sein. Die Handlungen eines auf seine Persönlichkeit
Verzicht leistenden Individuums können wol in gewissem Sinne ^wor
eigennützige'' genannt werden, ja sie werden dies sogar stets sein,
insofern ein solcher Mensch in seine Thätigkdt ja niemals Eigenes
(weil er sich des Eigenen ja flberhaupt begeben hat) hineinlegen kann.
Aber diese IJneigennfitägkdt ist eine ganz andere als diejenige der
sittlich handelnden Persönlichkeit, welche letztere ja eben
gerade ihr Eigenstes, nSmlich den in ihr als eigener TVille leben-
dig sich entfaltenden (TotteswiDen in die Handlungen hineinlegt» indes
zugleich auch uneigennfttzig ist, insofern die Handlungen nicht die
Glückseligkeit des thätigen Individuums zum Zweck haben: hat doch
der sittlich wollende Mensch schon die Gl&ckseügkeit vorher aus
Gottes Hand empilHigen.
Man mag nun den Menschen und seine autonome Tliütigkeit an-
sehen, wie man will, stets wird man nur zwei ('lassen der aut(»nonien
Willeusacte des MenNchen antretteu, das (ji lückseligkeitswollen
des egoistischen Menschen und das glückselige Wollen de»
iii Gott wahrhaft aich selbst findenden Menschen.
Was man in der wahren Sittli<'hkeit „freiwilligen Verzicht auf
Glückseligkeit" nennt, das ist Ijei Licht besehen da, wo dieser Ver-
zicht nämlich im sittlichen Wollen auftritt, ein Verzicht des Men-
schen auf etwas, was ihm als natürlichem Menschen wol Gifickseligkeit
zu bieten schien, aber als sittlichem Menschen ein leerer Schein ist;
wie der Eigenlust -Pessimismus es auch bezeugt. Diese Erkenntnis
Tom leeren Schein des (riückseligkeitswollens ist dem Menschen dank
eine unerschtttterliche, weil sie sich sicher grftndet auf die EsMatag
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der aus dem GüiteskiutUciiaftsbewttöStsem (iueUendeu wii-klicheii Ulück-
seligkeit.
Ich habe selion orwälint, das« selbst Hartniaiin, welolier die Mög-
lichkeit eiues Wollens, einer freien Thäti^keit, bei Verzicht auf
alle CTlückseligkeit behauptet, in seiner vSittenlehi-e von dieser He-
hauptuug abzugehen scheint, wenn er von der freudigen Mitwirkung
an der Erlösung des Absoluten seitens des Mensehen spiicht. Solche
Freude denkt er sich uändich auch entsprossen aus dem Bewusstsein
der Solidarität des Indi^^duums mit dem Absoluten: ist aber diese
„Solidarität" nicht ein freilich blasser Abklatsch der Gotteskindschaft
des Christenthums, und die „Freude" niclit ein verschobenes Spiegel-
bild der christlichen ,,Freude im lieilicren Geist"?
Hartniann kann, um ein uneif;enniltziges autonomes Handehi
zu <:e\viunen, nicht mnliin, einen „Weltfrieden" und eine ,.Freude" in
das Bewusstsein des sittlichen Menschen aufzunehmen, wodurch auch
er zu erkennen gibt, dass Wollen und Glückseligkeit nicht ohne
einander gedacht werden können, und dass sittliches WoUeu als
Basis eben die Glückseligkeit verlangt.
Untersuche man aber nui- alle erdenkbaren Fälle menschlicher
Handlungen, in welchen wirklich absoluter Verzicht auf Glück-
seligkeit geleistet ist, so wird man alle diese Handlungen in drei Ab-
theilongen unterbringen können, die da heißen: 1. Selbstmord, 2. ge-
zwungene Handlungen, also Solleu, nicht Wollen, und 3. Handlungen,
w^elehe in Wirklichkeit nur den Verziclit auf eine Eigenlust-
Giückseligkeit mit sich fiüiren, während der Handelnde selbst als sol-
«hei'doch wahrhaftig glücksei ig. und somit ein sittlich wollender ist.
Glückseligkeit also hat der Mensch, wehdier sich seinem Gott
aufgeschlossen, welchem sich Gott offenbart, und welcher sich selbst
damit als Kind Gottes in seiner wahren, vollen Persönlichkeit
gefunden hat. Als glückseliger allein kann der Mensch, und als
Kind Gottes wird er sittlich wollen, seine Glückseligkeit gibt
ihm die einzig ausreichende Basis, seine Gotteskindschaft
den einzig ausreichenden Inhalt seines sittlichen Wollens,
seiner Sittlichkeit.
Die Selbstverlengnung aber ist nicht die Basis der Sittlich-
keit, sondern stets das negative Moment der Sittlichkeit selbst, und
der Pessimismus kann daher auch nicht die Basis der Sittenlehre
sein; er ist indes ein secund&res, jedoch ajigesiehts der Eigenthüm-
lichkeit der menschlichen Natur nothwendiges Moment für die leben-
dige Wirksamkeit der Sittenlehre im Leben des Individanms.
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Die Lehre des Pessiniisiiius verdient es, in ilirur wii'klichen Be-
deutuni^ für die Sittlichkeit heranssrestellt zu werden, ohue dass da-
mit etwa den Bestrebungen derjenig^en, welciie eine pessiiuistisclie
Sittenlelire construirt habt n, Beifall <rezollt werden raüsste. Ich we-
nigstens fühle niieli veri)tiichtet, zu jürestehen, dass icli von dem Geirnei-,
wt'lcht'r den absohiten Pessimismus vei-kiindete und mit demselben in
das (^t^bif t des sittliclien liineiuleuchtete, gar Vieles gelernt und über
Vieles klarer geworden bin.
Ks ist vor Allem nidit zu leugnen, dass Hartmann sowol in seiner
riiaeuomenologie des sittlichen Bewusstseins, als auch in seinen andern,
dem Pessimismus jrewiduieten Schriften nidit nur den sogenaimten tri-
vialen Optimismus, sondern aucli den ethischen und religiösen Opti-
mismus in dessen Veilretern so energisch gestellt liat. dass wo] viel-
fach dadurch die denkende Menschheit aus einem jahrhundeiiehuiüen
ITalbschlummer erweckt worden ist. l>em absoluten Optimismus stellte
iiartiiianu seinen absoluieu Pessimismus entgegen, und ich habe von
Anfang an diese energische und tiefgreifende Opposition mit Freuden
begrüüt. M-eil ein Oewitter. und sei es selbst nur vott einem Menschen
verursacht, stets reinigend und aufklärend wirkt.
Man kann in gewissem Sinne behaui)ten, dass Hartmann, insoweit
er den von ihm gestellten fiegner in dessen Position angreift und zu
vernichten bestrebt ist. auf der ganzen Linie seine Absicht erreicht
hat, dass er nicht nur den tri\iaJen Optimismus ii Kiürenlust-Optimismus),
sondern aucli den ethischen und religiösen Optimisnms, wenigstens so
wie er denselben versteht tnui als Gegnei' vor sifih aieht, in ihrer
ganzen Haltlosigkeit aufgedeckt hat.
Der Grund, dass bisher Hartmann und tlie Vertheidiger des
ethisch- religiösen Optimismus, vorausgesetzt dass die letzteren sich
nicht eigensinnig-blind zeigten gegen Hartmanns Ai*gumentatiouen, in
der P(demik an einander vorbeigefahren sind, ist in dei* Zweideutig-
keit des Wortes „ethischer, religiöser Optimismus" zu suchen.
In diesem ^^'ort nämlich kaun die Behauptung ausgedrückt liegen,
dass der Sittliche od^* Keligiose als Glückseliger lebe. d. i. sittlich
wolle, und es kann auch in demselben die andere Behaaptung liegen,
dass der .sittlich" Wollende durch dieses sein Wollen snr Glück-
seligkeit erst gelangen werde.
Wenn mau die letztere Bedeutung des ,.ethischen" Optimismus
ins Auge fasst, so unterliegt es keinem Zweifel, dass dann die Hart-
mannsche Behauptung, derselbe sei eine Illusion, wahi* ist Wir sehen
jetzt aber, wie ich meine, tiefer dieser lUnsion auf den Grund« als es
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liarlinaun seli)st thut; denn wir haben erkannt, dass ein wirklich
sittliches Wollen überhaupt nur auf der Basis der (iliickseligkeit niög--
lich ist, dass daher derjenige, welcher augeblich dnrch ..sittliches"
Wollen die (xliickseligkeit erstrebt, nicht sittliches, sondern egoisti-
sches d. i. Gl ückseligkcits wollen zeigt, dass also sein Fiasco nicht
etwa auf sein ..sittliches" Wollen, sondern eben aufsein egoistisches
Wollen zurückzulTdiren und sein angeblicher ethischer Optimis-
mus nichts anderes als trivialer, d. i. Eigenlust-Optimisnius
ist, der natürlich vor der Wahrheit des Eigealust-Pessimis-
Ollis in Nichts verrinnen mnss.
Was aber den religiösen Optimismus betrifft, welchen Hartinaim
vom ethischen Optimismus trennt, so tritt in Uartmanns AiiifassnDg
des reUgiösen Optimtsmns die interessante Thatsache hervor, dass er
beide von mir soeben angefährtea Bedeutungen des Wortes religiöser
Optimismus" ineinander mengt; er schreibt: ,,Die Thatsache ist un-
bestr^bar, dass eine Anzahl von Menschen anf Grund eines irgend-
wie gearteten religiösen Bevnsstseins** (Optimiamns: der Seli-
giOse ist als solcher glftdcselig und handelt als Glflckseliger) „einer
gleichsam ikberirdischen Freudigkeit sich rühmen konnten, deren 6e-
noss sie für alle irdisehe Noth, Drangsal und Phigen mehr als ent-
schädigte. Da ist es denn kein Wunder, dass die iTheologie sich den
Hinweis anf die Glftokseligkeit jucht entgehen lässt, nm einerseits
das individnnm znm Glaoben an Dogmen an&ofordem, wekhe solche
Frenden zu vei'schafiiBn im Stande sind, und andererseits die Welt als
ein Paradies zn rfthmen, in welcher nur alle Menschen dieser Anf-
fordening nachzukommen brauchen, damit eitel Freude und Seligkeit
heiTsche. Sieht man sich aber diesen religiösen Optimismus („Selig-
sein in der Hoffnung") etwas genauer an, so zerfliefit derselbe \ne
die Farbenpracht der Seeqnelle auf dem Strande, und die Faden-
scheinigkeit des Prachtgewandes, mit welchem der seligkeitslüsterne
Egoismus" (Optimismus: der Religiöse gewinnt durch sein Wollen
die Seligkeit) „in majorem dei gloriam zur Kröniniigkeit geködert
werden soll, zeigt im Sonnenschein eines klaren Denkens seine ganze
Blöße" CPhaen. d. sirtl. Bew., S. 854).
Wenn man sich dnrch die etwas seemännisch -rohe Behandlung
dieser Frage in seinem ruhigen ürtheil nicht stro-en lässt, so niu>s
mau gestehen, dass Hartniann denjenigen religitiscn (>i>tiinisimis, wel-
cher aus dem Wollen des .. Kfliirirtsen" erst die (iluekseligkeir folireu
lässt^ in seiner Blöüe. und Kadcnscheinigkeit richtig erkannt hat: der-
selbe üaitmann aber anerkennt doch auch zugleich das Nichtige,
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da«8 nämlich das reli^öse Bcwnsstsein als solches wahre Glück-
seligkeit, „Lustüberschuss'* biete.
Es ist Wahrheit, dass derjenige Menscli, welcher den Glauben an
Gott als eine Art Wollen, eine Art Selbstarlieit, welche als ihr
eigenes Resultat die Gliickscliprkeit nach sich ziehen werde, auf- '
l'asst, keinesweirs zur Glückseligkeit gelangt, so dass also dessen
„religiöser Optimismus" allerdings eine Illusion ist. Dieser sogenannte
„Religiöse", welcher durch sein Wollen die Glückseligkeit er-
strebt, bethätiirt eben, weil er angesichts dieses seines Wollens die
Gliickselig-keit uli'enbar noch nicht hat, nur die Wahrheit, dass er
auch noch keine Religion hat, dass er noch nicht religiös ist.
Die Lehre des Pessimismus brinjrt also die Einsicht zum klai'en
Bewusstsein, dass aller Optimismus, welcher die Behauptung ver-
tritt, der Menscli ktinue, sei es durch welches Wollen immer, die
Gliickseliüfkeit durch dieses sein Wollen erlangen, in Wirk-
lichkeit haltlos ist. Wo aus dem Lehen, d. i. aus der freien Be-
thätigung des ^Menschen als Persönlichkeit, erst die Gliickseligkeit als
Folge erhotlt wird, da ist der Mensch stets auf einer falschen, näm-
lich auf der egoistischen Fährte begritfen; der Sittliche oder Rf^ligfiöse
ist schon glückselig in sich und stellt in Hetretl der Gliickselig-
keit nicht auf sein Wollen Ist daher in einem Menschen sein
Glaube das Leben und Wollen selbst, so ist er noch niciit Kind
Gottes, also iuich nicht glückselig, denn dem Glück.^eligen ist der
Gottes -Glaube die Basis seines Lebens, und die Glückseligkeil die
Basis seines sittlichen Wollens; seinen Lebenszweck aber erkennt
derselbe hi der Bethätigung seiner Persönlichkeit als Gottes-
kindes, seine Sittlichkeit ist das in ihm Fleisch gewordene
Wüllen des Gr)ttlichen.
Wie ich nun dem Pessimisten Hart mann unumwunden zugestehe
dass der ethische und religiöse Optimismus, sofern dieser die Glück-
seligkeit als Folge des sittlichen Wollens behauptet, eine Illusion
sei. und zwar dies aus dem Grunde schon zugestehen muss. weil m>er-
liaupt ein sittliches Leben ohne die l^asis der Glückseligkeit uu-
m(>glich. daher, wo diese fehlt, die Sittlichkeit, welclie angeblich die
Glückseligkeit zur Folge haben soll, selbst überhaupt gar nicht
möglich ist, — so behaupte ich andererseits gegen den absoluten
Pessimismus die Wahrheit desjenigen Optimismus, den man den
ethischen nennen kann, wenn man den wollenden Menschen, und
den man den religiösen Optimismus nennen kann, wenn man den
wollenden Menschen als Gott-G^iäubigen speciell ins Auge fiisst.
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Wahl* ist also derjenige ethische (religiöse) Optunismiis, welcher be-
Imuptet, dass der Mensch als sittlich Wollender die Glückseligkeit
schon besitze und als Religiöser dieselbe von (-iott vorher empfangen
habe, so dass derselbe trotz aller natürlichen Loiilen und alles schmerz-
lichen Kampfes mit den egoLstischen Neigungen in seiner Gottselig-
keit den zum sittlichen Wollen nöthigeu „Lustüberschuss",
die G iiickseligkeit besitzt.
Außer dem Gottesbewusstsein gibt es tiir den Meusclien
keine (^uelh' der Glückseligkeit; vor Allem aber ist eine solche
nicht das menschliche Wollen: dies ist die tiefe Wahrheit, welche
Paulus in seinem Worte niedergelegt hat, dass der Mensch gerecht,
d. i. glückselig werde nicht durch des Gesetzes Werke, sondern durch
den Glauben aus gfittlicher Gnade. Weil aber der Gottes-Glaube allein
die Glückseligkeit gibt und ohne Glückseligkeit sittliches Wollen
unmöglich ist, so Ist Sittlichkeit ohne Gottesglauben undenkbar und
eine lialtbare Sittenlelire ohne Gott nicht za construiren.
An dem Mangel des göttlicheii Grundes scheiterten die pes-
gimistischen Versuche einer Sittenlehre, welche Buddha und Schopen-
hauer angestellt haben, und Hartmann hat, wenn er wirklich eine
Sittenlehre construiren kioiite, dies nur dem Umstand seines Systems
zu yerdanken, dass er vor jenen seinen pessimistischen Qesinnungs-
graossen den Vonsug einer Gotteslehre in seinem Dogma vom Un-
hewussten besitzt
Das Einlenken in das Ftindp christlicher Sittenlehre wurde
Hartanann durch die Annahme von der Unseligkeit Gottes verwehrt,
efaie Annahme, die es ehen verschuldet, dass er, ohwol er in jenem
oben dtirten «frendigen** Mitwirken des Heaschen am Weltprocess
doch schon seine eigentliche Bahn verlässt, die fanatische Perhor-
rescirung der menschlichen Glückseligkeit sich zum Gesetz
macht Dies bringt es auch mit sich, dass er in dem so echten und
nothwendigen menschlichen Bedflifhis nach Glückseligkeit schon von
vonieherein den „seligkeitslOsteiiien Egoismus** sieht, wfihrend doch
dieser letztere nur da auftritt, wo der Mensch durch eigenes Wollen
die Glückseligkeit erst zu gewinnen strebt Daraus erklärt es
sieh auch ferner, dass dieser Ihnatisehe Glttckseligkeitswttrger die so
echt menschliche und nothwendige sittliche Selbstverleugnung,
welche das hohe Gegenstück der im Selbstmord zu Tage tretenden
egoistischen Selbstvei'leugnuiig ist, in siiucr Siitenlelu-e zur un-
menschlichen und dalier unmöglichen metaphysischen Selbst-
verleugnung steigeiu zu müssen glaubt.
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— 760 —
Wenn Jlariiuaini dien' inetaidiysisclie Selbst verleiig'iumg" einen
,. ui'lialteiieu" Staiidi>iiuki iieuiit. au iluiii f^ewülmliclie Stt'rbliclie niclit
riiliren solk'ii, so inuss ich ihm in gvwissH' Biizieliiiny •lai'in Kfcht
gt'lx'ii, (h-iin (lirstT StaiKlpunkt ist so ..erhabpir', tlass er dem nu'usch-
liclu'ii Streben in (b-r That nicht eri-eichbar ist, also mit J\epht
ein unmi'nsrhliclier genannt zu werden veidient. Nicht tür .Afen-
sclien i>t die.se Hartmannsche Sittenielire zuuesclinitten. sondern für
Unmenschen, für sn]rln' Wesen, dit-, wie Harimaim seine ,,Sitt-
lichen*' ja seli)st bezeichnet, „von Nektar und Ambrosia leben".
Wir ^Menschen, wenn wii- anders sittlich, d. i. autonom und
uneigennützig- Wollende sein sollen, können unstrer sittlichen
rersfiulichkeit . des He wusst se ins, Kinder Oiotles zu sein, also
d(^r ( J lückselig-keit. nun einmal nicht entliehren, kr>nnen uns
daher auch in unserem wahren Wesen als Kinder Gottes
nicht zuerst verleugnen, ktinnen auf unsere < ; Uu kseligkeit
nicht zuerst völlig" A'erzicht leisten und aut eimnd diesei"
Verleugnung und dieses Verzichts dann, wie Hartmann
träumt, sittlich w(»llen.
Auf einem anderen Sterne nnigen vielleicht die für die Sittenlehre
des Hartmanuschen Pessinii.smus g-eei^neten M'esen getünden weiden,
wir Menschen können unserem eigensten, wahrsten \\ e>en gemäÜ
ihr nicht genüg:en. Der Mensch als Kiud Gottes kann eben nicht
uuglückseliii sein, denn in der Kind schaff selbst lieg:t die Glück-
seligkeit, und nur als Kiud Gottes kann der Menscli sittlich
wollen, denn auch nur als solches ist er sich seines wahren
Lebenszwecks bewusst.'^)
Die Untersuchung' ist zu Ende geführt, was ich in ihr geleistet
zu haben meine, fasse ich in folgenden Punkten zusammen:
*) Man pflegrt oft die Religion die Wuizel der Sittlichkeit zu nennen, es ist
dies ein Wert, das, v. rkehrt rerstanden, vielfach dazu beigetragen hnr. relig-iöses
und .sittliche-; Lel)eu als zwei j^esonderte, nnr mit einander mn Men>:i lien willkürlich
verbundene, antV.ufasseu; wenn aber unter ..Ri'lifrion" das lebendige (inttr.^lnnvussi-
seiu, der lebendige Gottcsglaube zu vei-steheu li.st und unter Sittüchkcit ein freies
Wollen des Menschen, so trfigt jener Sats Tolle Wahrheit in nch: die Religion ist
in der That die Wnnel der Sittlichkeit, ^e die allein ans der Religion dem MeudiMi
zukommende Glttckseligkeit die nothwendige religiase Basis der Sittlich-
keit ist
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1. Der Pessimismus ist iiiitaimlicli. die Basis einer Sittenlflii-e zu
l)il(len. Wjir es dem Hartniannsrlu'n Pfssiinisinus scheinbar doi-li ge-
lungen. wenigstens positive Autsteliungen für eine Sittlichkeit zu
bieten, so lag der (4ruml darin, dass in Wii-klichkeit das Absolute,
niolit aber speeiidl der Pessimismus desselben, die Basis war, aber
allerdings die Basis einer Sittenlehre, die auf ünmeuscheu zu-
gescknitten ist.
IL Den Eiuculust-Pessiniisuiiis. welclier Walirlieit ist, hat die
Sitt^iiileiire als das wiiksame i)r(»phylaktis( he Mittel gegen den Egois-
mus in ausdrückliclier \\'eise mit in «icli autzunehmen.
HI. Glückseligkeit und Wollen sind unzertrennliche Genossen.
Im egoistischen Wollen ist die Glückst Iii; keit stets das Ziel, im sitt-
lichen Wollen ist sie stets die Basis des Wollens, in jenem fehlt dem
Wollenden die Glückseligkeit, in diesem aber besitzt er sie. Ohne
Glückseligkeit zu besitzen, ist dem Menschen sittliches Wollen immöglich.
IV. Ohne ethischen Optimismus gibt es keine Sittenlehre für den
Menschen, wie es keine Sittlichkeit für ihn gibt ohne die Glück-
seligkeitsbasis.
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Sän Wort tt1>er die Ressorhrerlialtmsse der hllheien Hideliei-
sebulen in Preußen.
Von einem Mä/tkheiMdtidd^rector.
Die Frage, welebe College Th. Landmann-Schwetz im letzten
Aprilheft des „Pädagogiums" angeregt hat, veranlasst mich, auch
meinerseits einen Beitrag zor Beleuchtung derselben zu liefern. Wie
die YerhSltnisse gegenwärtig liegen, ist wol gar keine Aussieht yor-
handen, dass unser Hauptwunsch, die höheren Mädchenschulen unter
das Bessort der Frovinzial-Schulcollegien zu bnngen, erfällt werden
k<äine. Aber vielleicht wäre es möglich, durch gegenseitige Verstän-
digung und gemeinsames Handebi wenigstens soviel zu bewirken, dass
die schreiendsten Ubelstände beseitigt werden. Es wäre schon viel
gewonnen, wenn alle städtischen höheren Mädchenschulen wie die in
Elbing direet der Begierung untergeordnet wflrden, so dass sie mit
der Egl. Behörde nur durch den Magistrat zu verhandeln hätten.
Aber nach der Anstellung von Ereisschnlinspectoren wird auch diese
Forderung nur ein frommer Wunsch bleiben. Damm meine ich,
wir müssen unsere Forderungen vorläufig nur auf den einen Punkt
beschränken:
dass den städtischen Schuldeputationen das Recht ge-
nommen werde, in die iuteruen Angelegenheiten der Mäd-
chenschulen selbständig einzugreifen und den Dirigen-
ten oder die Lehrenden nach eigenem Ermessen mit
Missbilligunf^, Vorwurf oder Tadel zu belegen.
Dies Pietiit steht ihnen nacli dem Scliiilgesetz v. J. l'^ll noch
zu, und sie irr 1 »laue heu dasselbe, wie ich aus den Briefen eines mir
befreundeten Collejren mitteilen werde, liier und da noch in einer fiir
die Mädcliensclinle »ieradt'zu liTu-hst trani-i<i:en, ja gefahrlichen Weise,
Dass wir den Ki't is>cliulinspect(>ren untergeordnet sind, mag hier und
da i'belstände, nauientlirh unangenehme persönliclie Verhältnisse mit
sich bringen; aber im ailgemeineu lässt sich's eintragen. Ein mir be-
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kanuter Kreissfliulinspectur war Lelirer am hiesigen (Tyninasium.
Kui^z vor seiner Anstellung- aa.gte er einmal in hoclimiitliigem Tone zu
mir: Vom Elementar- rnterriclit verstehe ich gar nichts, ich kann nur
höheren Unterricht ertheilen. Dabei unterrichtete er, weil seine Examina
ihm das Aufrücken in eine Oberlehrerstelle versclilossen, in der Sexta,
Quinta und Quarta in Latein, Deutsch und Geographie! Es ist gar
leicht möglich, dass mir dieser Herr über kui'z oder laug als Kreis-
schulinspector zum Vorgesetzten gegeben wird. Aber was thut's? Er
wii'd voi-sichtig sein, wird sich wie jeder Eegiei'ungs-Commissarius mit
der Kgl. Behörde in Verbindung setzen und sorgfältig darnach streben,
nur das zu tbun, was er den Herren Regierangsräten gegenüber
sicher yerantworten kann. Sollte mir ein sog. Illitei-at ycngesetzt
werden, so werde ich mich darob nicht imgeberdig stellen, sondern
im Gegentheil die Anstellung eines solchen ^fannes als einen
längst ersehnten Bruch mit dem alten Literatenzopf mit
Freuden begrüßen. Die Behörde gibt solch* ein Amt nicht jedem
beliebigen Elementarlehrer, sondern nur Hftnnem, die sich dordi Tüch-
tigkeit in ihrem Berufe als Lehrer und zugleich durch tüchtige
Kenntnisse anszeichnen. Wie sie letzteren erworben haben, und ob es
gerade di^enigen sind, welche man bei den durch Gymnaainm und
Universität gebildeten Lehrern zn finden pflegt, ist mir ganz gleich-
gütig.*) Ich meine, die grGfiten Dbelstünde stammen ans unserem Yer-
'*') College TU. Laadmaim achemt mir viel zu großes Gewicht auf deu Umstand
SU legen« da» ein lAt&ttA ebem üliteraten nnteigeordnet atm soll. Ich betone dies,
weü idi «08 langjähriger Erfehnmg weiB, da» das hochmttthige Poelien auf die dnrch
Gymnasium wnA ünivfrsität tnlaiigtp BiMung" bei Lehrern wie eine Krankheit gras-
äirt nud die übelsten Folireu mit sich brintjt. "Wenn ein ^lami sicli auf irgend
eine Weise so tUchtiire Kenntni-'so erwirbt, dass er iiielir weiß und mehr kann, als
ein so^. Literat, so ist es für den letzt»'ren dueh walirlich keine „unwürdige Stel-
lung", jenem untergeordnet zu sein. Aber ich weiß sehr wol, dass dieser Gedanke
fittt Jedem, der einmal m der regebnlfligea Weise Student gewoiden, goradesu nn-
crtilglieh ist TUehteiselnildireklQr K. fai B. ist iHÜier Elementarieihrer gewesen,
hat dann IJniTCnItits.studien gemacht und scliließlicb das Examen ])ro facultate do-
eendi in den neuem Sprachen in optima forma mit X. 1 liesiandeu. Er ist ein sehr
tflchtii^er Sohulmann und Dirigent. Trotzdem weie:erteu sich zwei seiner Lehrer, die
nach längerer Studienzeit ein sehr schlechtes Examen j,'emacht hatten, unter ihm
EU arbeiten, „weil — er lUiterat sei". Sie gingen von der Schule ab und einer von
Amen an einem Dirigenten, der als üieolsge „in den Beetediafen eiogeUraftn" war.
Der war doch ein Literat! Dieser Hochmnth ist an traurig, als dass er läcberiich
genannt werden kSnute. Ich kihinte dies Beispiel noch um hunderte vermehren.
I>och genug davon. I^h tredenke diese Sache einmal einirehender zu beleuchten.
Worin besteht denn der Unterschied zwischen Literat und liliterat? Wollte man
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hältnis zu den Stadtscholdeputfttioiieii, wid wir m&ssen sanft chst
streben, ans von der BeTormnnduug und Herrschaft des Laien-
Elenents zu befreien. Wie gefährlich diese Herrschaft fOr die Ent-
wicklang der Schule und die Thatigkeit der Lehrer werden kann, vnW
ich dardi diesen Aufiüatz zu beweisen suchen. Ich will das Recht der
Stadtschuldeputaüouen, die äußeren Angelegenheiten der Schale zu
ordnen und zu beaufsichtigen, durchaus nicht angreiffen. Es kann Schule
and Hans nur zum Vortlieil «rereichen, wenn eine Behörde existirt, die
zwischen beiden die VerniitTlimjr und Verständigung übernimmt. Ich
will auch bereit^WUi«: jedem Mit^rliede der Stadtsi^huldeputation das
Recht einräumen, ..jederzeit und unang^emeldet dem I nterricht in den
einzelnen Cla.ssen beizuwohnen", und wundre mich, dass Colle:,'e
Th. Landmauu dies Recht für einen i'helst^ind ansielit. kii winde
mich freuen, wenn die Herien reclit oft kämen, um sich zu überzeugen,
dass iu unst^i'er Aii>ialt jeder l'juzelne nnt Anstreiitziuii,^ seiner besten
Jvrafte arbeitet. l)adareh würde manclies unnütze Crerede. mancher
Stadtkhitscli gar leicht beseitigt oder in die irebührenden Schranken
verwiesen werden. Sollen denn die Eltern gar keine (Tarantie haben,
dass wir ihre ivinder iu der rechten Weise unterrichten und erziehen?
Die königliche Behörde allein kann diese (Garantie nicht geuüirend
gewähren. Der Himmel ist hoch uud der König wohnt weit! Darum
kommt, liebe Kitern, so oft ihr wollt, ihr s(dlt mir, talls ihr nicht d«'U
Unterricht stört, jederzeit willkommen sein. Und wenn ihr als ^'ertrele^
die Mitglieder der Stadtschuideiuitation sendet, so soHs mich freuen.
Nur sollen die Herren sch weiirend zuhören und sich nicht
herausnehmen, mir (nler irgend einem Lehrer seines Unter-
richts wegen V(irstellun<ren zu machen oder Voi schrift en zu
geben. Das ist allein Sache der vorgesetzten Fachmänner. Wenn
sich unter letzteren auch Leute tinden. die im Schulwesen nicht s<»
bewan(h'rt sind, wie wir es wünschen, und wie es im Inteiesse der
iruteii Sai lie geladen ist, so inuss solch' ein t^belstand mit in den Kauf
geuüumieu weiden. Auf Erden iät niclits vollkommen. Immerliiu
jeden Lehrer, der das Exaiin'ii pro f;\iult!ife ducendi mit N. 1 hestainli'ii iiuil >ich
somit das Rocht zu den OberlelirersTt-llen erworben hat, als Litcratfu uuil all»- andern
Lebrur ohiu- I n i i r-sdiied ixh lllitci iten bezeichnen, s»» hiltte die ^>aohe utK-h eiueü
Sinn; aber weuu mau. wie es gewüUuUi h geächielit, jeden Lehrer, der seine Bildung
durch Gymnasinm und Universität empfangen hat, ohne die so erlangte BUdnng in
priifen, iDbpvete^d dnen Literaten und jeden andern Lehrer, mag er noch so ttkhtig
sein, Teräcbtli( Ii einen niitemten nennt, so ist das barer Unsinn und Hochmath und
kann nicht schart' genug getadelt werden.
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werden aiicli sololie Herren darnach streben, ihre Sclnvii dien aliznlep^en,
und werden eineu Leluer, dem sie verti*aueu dürleu, wahrlich nicht
behellijren.
Aber andt^is liegt die Sa(;he bei Laien. Je weniger diese Herren
vom Schulwesen verstehen, desto mehr wollen sie dreinreden, steifen
sich auf ihre Macht, niaclien dem Dirigenten das Leben sauer und
lähmen die Arbeitsfreudigkeit der Lehrer und Lehrerinnen. Wenn sie
dazu noch von ihren Weibern beherrscht und autVehetzt werden, so
wird die Sache vollends unerträglich und gefährlich. Ich könnte über
das Unheil, das diu-ch diese Einmischung des Laien -Elements in das
Schulwesen gebracht worden ist, ein Buch schreiben. Hier will ich
ans den Briefen eines intimen Freundes ein Bild entwerfoi, das hoflfent-
lich genügen wd, um alle meine Collegen au überzeugen, irie nCthig
ee ist» zonftchst unsere Forderungen auf jenen von mir oben an^:estell-
ten Satz zu concentrii*en.
Mein Freund ist Dirigent einer großen Oclassigen höheren Mäd-
chenschule in einer Stadt von circa 20000 Einwohnern. In demselben
Gebäude befindet sich eine öclassige Mädchen-Mittelschulei die ihm
glddi&Us ftbergeben ist Beide Anstalten erziehen zusammen mehr
als 600 Mädchen und beschäftigen außer dem Dirigenten 10 Ijehrer
und 8 Lehi'erinnen. Ich will ihn selbst reden hissen. Er scSureibt
Folgendes:
„In der hiesigen Stadtschuldeputation tagen Männer ron hervor-
ragender Bildung und Begabung. Der Vorsitzende, Oberbttrgermeister N.,
ist ein feiner, ideenreicher Kopf, ein täditiger Bechtsgelehrter, ein
gnter Redner, ein Frennd und Kenner des Schönen, in der Terwaltnng
durchaus* uneigennützig, ein echter Menschenfreund, im Umgange von
80 gewinnender Liebenswürdigkeit, dass Niemand ihm zu zürnen ver-
mag, dass Jung und Alt, Vornehm und Oering ihm wahrhaft zugethan
sind. Die Stadt verdankt ihm sehr viel, manche seiner segensreichen
Neuerungen wird erst die Nachwelt recht würdigen können. Neben
ihm tagen Männer von feiner Bildung, voll idealen Strebens und durch-
drungen von Gemeinsinn. Als technische Mitglieder fungiren 2 Gym-
nasial-Oberlchrer. Man sollte meinen, dass das Schulwesen durch
solch' eine Connnission wol berathen sei.
In der That ist IVir die äußeren Verliiiltiiis.se zeitgemäß und in
nianclier Hinsicht treli'licli gesorgt worden. I)ank der unermüdlichen
Sorerfalt des Oberbürgermeisters haben wir gute Sdiulgebäude, aus-
gestattet mir guten Utensilien und wertvollen Hill'siiiitteln für den Unter-
richt. Die jährlich im Ktat ausgeworlenen Summen setzen uns in den
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Stand, die Sauiiulungen iu der AS'ünschenswerten Weise zu vermehren.
Der ideal strebende Mann hat den früher liier herrsclienden Krämer-
geist gebrochen und dem sehr feinen Menschenkenner ist es bis zur
8tunde gelungen, die widerstrebenden Elemente zu besiegen. Mit Recht
heißt es von ilnn: „er vennag Alles durchzusetzen".
Nun aber die Kehrseite der Medaille. Wie alle wahrhaft schöpfe-
rischen Geister hält er an seiner einmal gefassten Meinung so ft'St.
dass Niemand ihn bewegen kann, irgen(h\ie nachzugeben. Dadurch
wird »'r uns Lehrern gefährlich, denn leider glaubt er vom .'^(•Imlwcsen
genug zu verstehen, um auch in die inneren Einrichtungen selbständig
eingi'eifcn zu dürfen. Diese Ansicht wird von seinen Freunden in
der Stadtschuldepatatioii ToUständig getheilt, ja bis ssmn Extrem ver-
theidigt. Der Eine Ton ihnen behauptete mir gegeafiber, „er verstehe
vom Scholweseii ebensoviel wie jeder Lehrer. Er sei als Student
Hauslehrer gewesen, und sein Stadium als Arzt gebe ihm vollends das
Recht, diese Behaaptong aufrecht zn erhalten." Der Andere meintet
„man könne ein gnter Kunstkenner sein, ohne. selbst die Kunst ans»
znflben''. Yemnnft-Grttnde haben sieh diesen 3 Männern gegenüber
bis zur Stunde machtlos erwiesen. Frtther war mit ibnen im Bunde
ein Vierter, der allgemein aJs der »EQnig der Stadt** bemidinet wurde.
Man wird leöelit ennenen kSnneni dass da, wo awischen der Scbil-
deputation und emem Schuldirigenten Meinungsverschiedenheit hensebt^
ein Bündnis von solchen Männern nicht nachgabctn wird. Da heiAt es
nur: sie volo sio Jnbeol Mit solchen Herren sich verstftndigen, heUt:
sich ihrer Ansicht unbedingt unterwerfen. Es whrd Usnst nur sn leieht
der Fall eintreten, dass solche schöpferische Geister bei ihrer mangel-
haften Kenntnis des Schulwesens Einrichtungen treffen, die dofa als
unhflflvoH, mindestens als foux pas erweisen. Wenn sie dann mit der
ganzen Zähigkeit ihrer Naturen daran festhalten, so ist da, wo die
*) Halten Sie dies nicht Ar Sehen. E» ist dem MaBie voller Bnet. Dev
Oberbttrgeimeister denkt aueh so, wenngl^ er ee nicht so offni aoaeptidit. Sie
meiiioii, um eift gnter Lehrer xu sein, brauche man mu* gute Kenntnisse zu b&sitzen
nml klar vortragen zu kennen; alle-; Übrigje sei Sache einer crewissen Routine. <\i>'
^ioli mit Hilfe des „{jesuiuleu Menschenverstantles" leicht erwerlien lasse, fahei
Verachten sie folgereoht die Elemeutarlehrer; denn sie trauen ihnen nur geringe
Kenntnisse zu und halten von ihrer Kunst zu wenig. Mögen diese Münuer in ihrem
bescheidenen Wirkingskieue noch so tttchtig seu: Ton BeifisU, m Anlknuntenmg«
yon Thmlnabme an ihren Bestrebnngm ist bei diesen Henren kehie Bede. Ich habe
mich bemttht, sie umzustimmen, habe mehrere Aufsätze Uber die Anforderungen dtf
rnterriclitknn«t im allcfemeinen. die der Frairekunst im besonderen drucken lassen
und ihnen zu lesen gegeben. Verlorene LiebesmUk!
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Gegbupaitt^i flteii^o energisch aul'tritt, ein Conflict unvcrincidlidi.
DilettaiUismus imiss da, wo er scliaffen will. naTiirg:t^in;ilj V^r-
kulirtheiten, ja Unheil erzeug"eu. Wie sollte es l»fiiii Schulwesen anders
seiiil Zunächst eine Eiurichtuno: , die mich i)ersr»nli( h nicht berührt
hat Der ,.König der Stadt", ein selir talentvoller Maui'ermeist^r, der
in Berlin auf der Gewerbe-Akademie seine Studien gemacht hatte,
fasste den Plan, eine Baugewerkschule ins Leben zu rufen. Es gelang
ihm, seine i?Yeunde datüi- zu gewinnen, und die Sache wui*de durch-
gesetzt. Es gelang, die sehr stai'ke Opposition zu besiegen. Die
Herren hatten tlie löbliche Absicht, den Handwerkerstand zu heben:
aber sie übersahen, wie gefahrlich es ist. eine Anstalt zu gründen,
für die Bedürfnis und Interesse erst künstlich geschaffen
werden sollen. Die Baugewerkschule musste nach kui'zem Bestehen
wegen Mangels an Schüleni geschlossen werden; tausende von Thaleni
waren in den Sumpf geworfen. Die Herren behaupten, die Schuld
liege an dem ei*sten Dirigenten. Freilich war dei-selbe ein Charlatan.
ein gewissenloser, ja onslttUcher Mensch; aber an wem lag die Schuld,
dass solch ein l^Iann berufen, dass er nicht schnell genug erkannt und
durch eine tächtige Kraft ersetzt wurde? £r war ihnen ja nicht auf-
gedrungen worden. Sie selber, die Heiren ans dem Curatonum, hatten
ihn berufen und beaufsichtigt. Wir l4ebrer wnssten sehr bald, was
wir von dem zungenfertigen Prahler zn halten hatten, und die erste
Ausstellung der Zeichnungen, die größtentheils das Werk der Lehrer
selbst waren, bestätigte unser Urtheil zur Genüge. Aber die Herren
ließen sich Uendieii, nnd so ging die Anstalt recht schnell ihrem Unter-
gänge entgegen.
Nnn an mir selber. Vor circa 8 Jahren sollte &a die höhere Mäd-
chenschule dne Lehrkraft für den Unterricht in den neueren Sprachen
berufen werden. Man bemühte sich, eine Dame za engagiren, die im
Auslande, in England und P'rankreich, Studien gemacht habe. Die
Tochter eines hochgestellten Beamten in der Stadt schien den Herren
die geeignete Persönlichkeit zu sein. Sie hatte in Frankreich und in
den letzten Jahren in England in vornehmen Familien als Gouvernante
fungirt. Zwar hatte sie kein Seminar besucht und nur Privatunter-
richt ertheilt, aber die Herren meinten, „sie werde sich ja einarbeiten^
und die technischen Mitglieder, die Gymnasiallehrer, stimmten diesem
Urtheil bei. Zwar zfihlte sie fast 40 Jahre, nnd ihr kaltes, liebloses,
hochmflthiges und verbissenes Wesen war Allen zur Genflge bekannt;
aber sie stammte doch aus einer hoduuigesehenen Familie, konnte so-
mit der Schule einen gewissen Nimbus geben und die ersten Familien
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in Stadt und Umgebung, mit denen sie yorzvickt und verschwägert
war, fttr die Anstalt gewinnen. So gründete man fOr sie eine Ans-
nahmestellnng, die, wie einer der Herren unnmwnnden zngab^ „ihr
anf den Leib zngesclmitten worde**. Während die andern Lehrerinnen
nach 20j8hriger Dienstzeit mit 1200 Mk. abschließen, erhielt sie so-
gleich 1200 Mk. Gehalt, das in je 5 Jahren nm 300 Wl bis 1800 Mk.
aufsteigen sollte. Außerdem erfällte man ihr das Verlangen, dass
sie nnr mit Stunden in Englisch und Franzdsisdi beschäftigt werden
sollte. Glttcklfcherweise genehmigte die kgL Regierung diese Berufhng
nnr mit dem Zusatz, dass sie im Nothfalle auch zu anderen Stunden
herangezogen werden dOrfe. So war flir die Dame ti'effltch gesorgt;
aber auch fflr die Schule? Armer Dirigent! Nun lass du solch
eine Dame entweder iiihig gewähren; oder mach dich auf die ärgsten
Kämpfe gefasst Die Herren hatten davon keine Ahnung. Sie glaubten
sehr klug gehandelt zu haben; meinten, „man könne nun die Anstellung
eines akademisch gebildeten Lehrers für neuere Sprachen entbehren**.
Der Conflict begcinn sehr bald schon zu Zeiten meines Yorgäugers.
Er arbeitete mit ihr nur ein halbes Jahr zusammen, eiidärte aber
schon nach dieser kurzen Zeit, dass entweder er, oder diese Lehrerin
weichen müsse. Ich wurde der Erbe seiner Kämpfe. Die Dame pochte
auf ihre Ausnahmestellung, sie erklärte ihren Unterricht kurzweg für
gut, sie wollte nicht das Ordinariat in einer CUsse übernehmen, wollte
nicht deutschen Unterricht ertheUen, wollte von pädagogischen Gründen
nichts hOren, erklärte, solche Studien seien ihr verhasst, und meinte,
„sie sei nur angestellt, um die Mädchen auf Englisch und Französisch
zu dressiien; alles Übrige mögen die andern Damen besorgen**. Auf
den unteren Classen übte sie nicht genügeud, corrigirte die Ezercitien
sehr mangeDiaft, arbeitete mit wenigen Lieblingen, den Kindern der
ihr befreundeten Familien, tractirte die andern mit Schimpfwörtern,
wie Kliinozeros, Wagenpferd, Kiitschpferd, alte Kuh, Brechmittel und
meinte als Entscliul(lig:uug, das sei nichts Schlimmes, sie habe als Kind
solche Ausdrücke iliron Geschwistern gegenüber gebraucht In den
oberen ('lassen be<rnü<ite sie sich mit Ilüchtiger l^bei'setzuug, ohne den
Inhalt zu erklären, und erging sich oft stundenlang in Plaudereien
über ihre Erlebuisse in der Fremde. Sie halte keine Ahnimg davon,
welche Aufgabe der ('lassenunter)icht an den Lehrer stellt, vda man
den GeisT dci- Kinder durch Fra«ien wecken und Itilden ktinne. Ihre
Fragen waren iri-tUUenthcils mangelhaft, unbeholfen, oft geradezu lächer-
lich. Die mangelhaften Fortschritte, welche solch ein Futerricht er-
zielen musste, suchte sie diuch Überbüiduug der Kinder mit häuslichen
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Ariieiteii auszi^leiclieii. Das durfte ich nidit dulden. Icli musste sie
erniahuen, tadeln und sdilit^ltlirli den Unteiiiclir svurdi«!:eren Händen
übeix^i^«^»- ^li^ fleni ersten Tadel bcicann ein Kampf, der in der That
zu den srliwcrsten und unani,'-enelinisten ^eliiirt. die ieli je zu bestehen
irt'Iiabt lialtp. Ihr Vater war Mit;j:iied der Srhuldeputation. wai* mit
den meisten an(U^ru ^lituiieflLrn dieser Commissiun Vtefreundet. Ich
niusste in Gegenwart des Vaters die Vorwiu-fe Vürbrin«(en und den
Tadel beantraf,'-en. Nun besannen in der Stadt die Hetzereien und
Verketzerungen. Von allen der Dame befreundeten Familien wurde
ich in die Acht und Aberacht erkläil.
Anfangs war die Schuldeputation nothgedrungen auf meiner Seite;
aber das Blatt wendete sich, als ich, gestützt auf meine pädagogischen
Stadien, fest in dem Bestreben blieb, aus der Schule jeglichen Humbug
zn entfernen, selbst den, welcher dem großen Puldicura sehr wert ist,
weil er der Eitelkeit der Eltern und der Mädchen Vorschub leistet.
Ich duldete in den franzdsischen und englischen Stunden nicht das
onntttze Schwatzen der sog. Conversationsstunden, duldete nicht» dass
den Mädchen der Nagel in den Kopf gesetzt werde, sie könnten eng-
l^h und französisch sprechen, sondern hielt fest darauf, dass sie
zu einem ernsten Studium der Sprachen angeleitet werden
sollten. Damit hatte ich^s zunächst mit den eiteln Müttern verdorhen,
die mir rundweg erklärten, sie haben einst beim Austritt aus der
Schale „fertig englisch and ihmzösisch sprechen können**, und sehliefi-
lieh anch mit den Herren der Stadtschuldepatation. Sie hatten ja die
Dame eigens berufen, um die Mädchen französisch und englisch sprechen
zu lehren und stellen noch jetzt als Forderang au( dass die Schale
dies Ziel erreichen mfisse. Vergebens wies ich in Gesprächen mit
diesen Herren darauf hin, dass alle einsichtSTollen Dirigenten höherer
Töchterschulen und andere Collegen die von mir aufgestellten Grund*
Sätze als richtig und zeitgemäß gebilligt haben*), dass man nur auf
diesem Wege der Schule dien Vorwurf der Oberflächlichkeit nnd des
Scheinwesens fem halten könne. Man hörte nicht anf mich. Die
Herren dönkten sich weiser, als die besten Lehrer in
Deutsehland und legten mir mein ernstes und festes Streben
als Eigensinn, als th<)rielite Sehrulle aus. da. man ist soweit
gegangen, hinter meinem lüicken zu beliaupien, ich sei meiner Stellung
*) Ick hatte meine Ansichten in mehreren Aufsätzen drucken lassen nnd die
volle Ziistimmiing tojü Dr. Dütes, von Director Schomateui tud andern Schiümänn^
erhalten.
Padagofpum. 1. Jabrg. Heft XII. 4ü
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nicht ganz gewachsen, die Schnle sei onAer mjeioer I^eitnng znrilek*
gekommen. Infolge dessen erfaielt die ohen erwjUuite Lehrerin in ihren
nnermttdlichen Angriffen Aofwaaser.*) Ihre Klagen fluiden fiberaU
geneigtes Gehör, und die Herren der Stadtschnldepotation schätzten
sie in solch einer Weise, dass sie sich schließlich heransnahm, in den
einzelnen Classen gegen mich Scheltworte und Drohungen auszustoßen,
die von mir corrigirten Arbeiten nach Fehlern zu durchstöbern und
die Mädchen gegen mich aufzuhetzen. Als dies in der Schuldepiitatjon
znr Sprache kam, meinte der Vorsitzende, „das sei zwar nicht zu
billigen; abei- solche Kleinigkeiten dürfe man einer Dame nicht so
hoch anrechnen'*. Ah ich ihr den Unterriclit in den Oberclas^eii ab-
genomiDt 11 haue, wurde icli gezwunjren, ihr deuselben wieder zu geben.
Inder luiL-hsteu Jiistaiiz lautete die Entscheidung: ..der Sehuldeputation
sei laut Gesetz vttm Jahre 1811 das Recht ertheilt. auch die internen
Angelegenheiten der Schule zu ordnen, und ich müsse mich lügen''.
Das Lehrer-Collegium, welches eiumüthig aut meiner Seite- .<iund. war
entrüstet; aber die Saclie war nicht zu ändern. !Mit Mühe setzte ich
in der Schuldepntation wenigstens durch, dass die Dame in einer
('lasse das Ordinariat und damit den deutsclien Unterriclit übeniehnieu
musste. Wii' waren 4 Stimmen gegen >>. iTlücklicherweise fehlte in
der Sitzung der Oberbürgermeister; dieser Herr wollte davon nicht*
Avissen und jene Stunden durcliaus einer andern Lehrerin übergeben.
Nun, die Dame ist nacli r^ jälirigem Kampfe endlich abgegangen. Sie
.sah sclilieiUicli doch ein, dass sie an mir ihren Mann gefunden hatte.
Aber die Spannung, welche durcli jene Kämpfe zwischen mir und der
Schuldeputatiou erzeugt werden musste, dauert vorläulig noch fon: ja
sie ist so gestiegen, dass die Herren jetzt jede Gelegenheit benutzen,
um mir ihre Maclit tühlbar zu machen. Haben .^ie mich doch neulich
wegen der Bestrafung einer Schülerin der Ciasse I zur Kechenschatt
*) WäUrcud ich um der guteu Öauhc willen iki- Pi-ubelecticueu Uich. Ja »ogat
mehr«» Unstcfteetioiieft fttr «ie attmrbeitete^ sdirie sie huit fXbet Yerto\giiug und
bestttmite den Oberbttrgenneister, dessen Tnn und die Mitglieder der Sebnidepntntion
mit ihren Klagen. Leider fand sie geneigtes GehSr. Die Horreu meinten in Privat«
gespräcbon. ,.ich könne die Üame nicht leiden" und gehe mindestens in meinen An-
forderuniren ziMveit; ich müsse jeden Lelirer in seiner eicrenthüniliehen Art gewähren
lassen. Wenn ich auf die .(inforderungeu der Pädagogik und der praktisches Unter-
richts- und Erziehimgskuu^t hinwies, lächelte man ungläubig und scbwi^. c^bst
der nKOnig der Stadt", welchw die Sache noch am richtigsten benrtlieflte, meinte,
ich sei in Sehnlsaohen ein Zelot; Damen gegenttber dflife ich nicht solche Anforde
rangen stellen. Daas die Kinder daruntor leiden rnttsstea, ist keinen der Herrea je
einge&Uen.
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gezojren! Das Mädchen hatte ohne Eilaubnis au dtr sog. großen Tanz-
stimde tlieilfreuommen und his nach i) ITir niororens getanzt. Am närlisten
Tage fehlte sie und brachte mir .später einen F^ntschuldigungszettel,
auf dem die Worte standen: .. ]\[eine Tocliter liat wegen Kopf-
schmerzen die Schule versäumen müssen." Ich machte das bereits er-
wachsene Mädchen darauf aufmerksam, dass der t igeut liehe Grund der
Versäumnis in der durchtanzten Nacht liege, und dass ieh erwartet
hätte, sie werde mich der Versäumnis wegen um Verzeihung bitten.
Als trotz dieser Erinnerung sich darauf steifte. Kopfsclmierzen
gehabt zu haben, sagte ich: „Sie kennen den wahren Grund sehr genau
und trotzdem stützen Sie sich auf einen Scheingrund, um der Strafe
für muthmllige Schulversäumnis zu entgehen. Mag der Umstand, dass
Sie Kopfschmerzen gehabt haben, an und für sich wahr sein: Sie
ha.ben eine Lüge ausgesprochen und zwar eine Lüge schlimmer
Art." Dieses Wortes wegen wurde ich von der Schuldeputation zur
Becheuscbaft gezogen und erhielt ein Schreiben des Inlialts, „dass
ich nicht berechtigt gewesen sei, das Wort Lüge ansza-
sprechen, veil ich nicht das Kecht habe, die in dem Ent-
schuldigungszettel angeführte Thatsache zu bezweifeln**.
Ich bemerke noch, dass das Mädchen mir offen gestand, dass sie bis
nach 6 Uhr morgens getanzt habe. Ich habe mich bei der KgL
Begienmg beschwert und kann Ihnen, lieber Freund, über den Aus-
gang dieses Kampfes noch nichts berichten; aber Sie sehen doch,
welchen Angriffen wir Dirigenten und damit auch wir
Lehrer überhaupt ausgesetzt sind, so lange das Laien-Element
über unsere Handlungen zu Gericht sitzen darf. Es bleibt
schließlich nielits übrig, als sich einen andern W^ii'kungskreis ausza-
snchen, oder sich ununterbrochen seiner Haut zu wehren. Nun, vor-
läufig weiche ich noch nicht. Mit dem ganzen Lehrercollegium lebe
ich in bester Harmonie, nnd da die Bürgerschaft im allgemeinen mir
zogethan ist und die Schülerinnen an mir hängen: so lassen sich solche
KSmpfe, so aufregend sie zuweilen sind, schon ertragen. Das Geschrei
und G^klatsch urteilsloser Menschen ist mir gleichgiltig; ich gehe fest
und unbeirrt meinen Weg. „Mache es Wenigen recht; AUen gefallen
ist sehlimnL"
Soweit mein Freund in N. £in anderer, der Dirigent einer h5hem
Mädchenschule in einer etwa ebenso großen Stadt, berichtet Ähnliches.
Er ist einmal durch die Schuldeputation sogar gezwungen worden,
«ine Sohftlerin, die er anf einstimmigen Beschlnss der Cob-
ferenz verwiesen hatte, wieder aufzunehmen. Das Mädchen,
49*
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eine ganz iiictätlu^e Schiilrriii seiner ersten l'Ia>st'. war auch wirklich
so fi'eeh, wietler zu erscheinen und auf das ihr verlitdiene Recht zu
poflieul Die Laien liaben eben davon keine Ahnung", dass wir Lehrer
in erster Linie Erzieher sind, sie verstellen ferner nichts von den
Anforderungen, welche durch die Pädair<»gik und die ünterrichtskunst
an uns irestellt werden: wie sollten sie richtig urtheilen können?
Die Einrichtung, dass der Commission ein i>aar technische Mitglieder
beigesellt sind, hilft das Schein wesen nur bestärken. Man weiß schon
seine Leute zu wählen. In kleinen Städten pflegt diese Einrichtung
weniger nacht heilig zu werden. Dort tagt als Hauptniit glied gewölin-
lich der Schulinspector oder der Kreisschulinspector. Da der BttrL'-ei'-
meister an solchen Orten nicht ein akademisch gebildeter Rechtskun-
diger ist, so pflegt er sich sammt den Beisitzern den Anordnungen nud
Vorschlägen dieses einen sachverständigen Mitgliedes willig zu fügen.
Aber in gi*ößeren Städten wird die Saclie bedenklich und namentlich
fUr die höheren Mädchenschulen; denn hier wollen neben den Männern
noch die ^^'eiber dirigii-en. Jede Frau, die einmal eine solche Anstalt
besucht und vielleicht gar in einer Selecta das Lehrerinnen-Examen
beistanden hat, glaubt das Eecht zu haben, in den wichtigsten Fragen
und Angelegenheiten unserer Schulen di'einreden und wol gar das
entscheidende Wort sprechen zu dinfen. Ich komme daher wieder
auf den Anfang zurück und bitte alle l oUegen, sich mit mir dahin zu
vereinigen, dass wir nns zunächst von der ganz ungerecht*
fertigten und für unsere Anstalten so sehr nachtheiligen
Herrschaft und Bevormundung durch die Stadtschuldeputa-
tionen zu befreien suchen. Das Verhältnis zu dieser Behönle ist
in der That eine unser nicht würdige Stellung. Es würde mich
freuen, wenn andere Collegen diese brennende Frage besprechen und
auch ihre Erfahrungen veröffentlichen möchten. Später bliebe dann
festzustellen, in welcher Weise wir petitionirend vorzugehen haben.
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Antworteehreiben an eine junge Lebrerin.
Von Frau & Kroh^Bte^lau.
Mein theures Fräulein!
Ihre Mittheilung, dass Sie in eine Familie eintreten, wo Sie vier
Kinder zu erziehen und za unterrichten haben, hat mir viel Freude
gemaclit. Das Amt ist zwar ein schweres, aber Ihrer Willenskraft^
Ihrer Hingebung und Gewissenhaftigkeit erscheint ja nichts zu schwer.
Ich beglückwünsche deshalb die Kinder, die Ihrer Leitung anvertraut
sind. Sie haben Übnng nnd Erfahmns in Ihrem Berufe. Ihr Scharf,
bück, Ihre Umsicht sind anerkannt. Dennoch wttnschen Sie meine
Ansicht za hören. Sie wollen wissen, wie ich an Ihrer Stelle mein
Amt angetreten nnd verwaltet hätte. Ich will es Ihnen sagen. Sie
mögen prüfen, urtheüen, aber dann nach eigenem Ermessen frei und
unabhängig handehL Denn eines schickt sich nicht für alle, und bei
der Erziehung ist die Individualisimng eine Hauptsache.
Ich würde damit beginnen, die Kinder zu beobachten, um ihre
guten Eigenschaften und ihre Fehler zu erforschen, und mich be-
mühen, durch liebevolles Entgegenkommen Zuneigung und Vertrauen
in ihnen zu erwecken. Mein liebes Fräulein, Sie besitzen Ja Pesta-
lozzis „Lienhard und Gertrud**. Dieser Gertrud, diesem Muster
echter Weiblichkeit nachzueifem, das ist das Beste, was eine Er-
zieherin thun kann.
Aber Ihnen liegt ja nicht blos die Pflicht der Erziehung ob, Sie
sollen auch unterrichten und vier Kinder verschiedenen Alters, das
ist wahrlich nicht leiclii. Für die beiden jiingstt^n Kinder wäre durcli
Fröbelsche Spiele gesorgt. Die Kleinen können ausschneiden, flechten,
l)auen u. s. w.. während die beiden älteren unterrichtet werden. Selbst-
verständlich würde ich mit den Kindern Fröbelsche Lieder sing-en und
sie durch Bewegungsspiele zu erlieitern suchen. Und wenn icli beim
Bauen, ebenso wie beim Stäbclienlegen darauf halten würde, dass sie
genau auf die Vurzeichnungen achteten, so wuide ich doch auch bei
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Spaziergängen ihren Gesichtskreis so viel wie möglich zu erwdtem
sttdien. Eine Windmühle, ein Eisenhahnzug» ein Wasserhehe^^eik, das
sind Anschauungen, die inmitten der schOnen Natur in der Begel
einen tiefen, bleibenden Eindruck auf geweckte Kinder machen und
sie zum Selbstprodudren anregen. Die Kleinen leisten da manchmal
Erstaunliches, und wir dürfen sie nur genau in ihrem Thun und
Lassen beobachten, um zu erkennen, was gut und zweckmäfiig und
heilsam für sie ist Mir bangt durchaus nicht, Sie werden schon da»
Biclitige treffen. Schwieriger ist es, die zehn- und die vierzehnjährige
zugleich, ohne Benachtheiligung der einen oder der anderen zu be-
achSltigen. Schreibeii, Zeichnen, weibliche Handarbeiten kOnnen gemein-
sdiaftlich betrieben werden, auch wol Naturgeschichte, Weltgeschichte
und Geographie, vorausgesetzt, dass alles dies dnfiich und leicht fass-
lieh, ohne gelehrten Beigeschmack vorgetragen wird, so dass die
Kinder das Gehörte wieder erzählen können, wodurch sie richtig
sprechen lernen, und wir im Stande sind, jeden Inthiun, der sich etwa
eingeschlichen, im Keime zu ersticken. Hauptsächlich muss, meiner
Meinung nach, dabei vermieden werden, den Kindern zu vielerlei auf
einmal zu geben, was sie nm- venvirrt, zerstreut und dünkelhaft macht.
WenijT lehren, das wenige gründlich, besonders oft wiederholt und
alles Übrige darauf l»ezugen, das ist. was Meister Jaeotot, der Stifter
des Uiüversalunterriclits, vor allem verlangt. Sie wissen, meine Ter-
ehrti', dass icli mich liir die Methode Jacotots, deren Erfolge ich in
Paris 'in seini'm Hause und in einigen Lehranstalten zu bewnnderii
Gelegenheit luitte, immer sehr begeisterte. Sie wissen ferner, dass
ich sie während meiner langjährigen Lehrthätigkeit in Breslau bei
den verschiedensten Schülern stets mit Glück befolgte und mich au
den überraschenden Resultaten ergötzte, die ich der Liebe verdankte^
mit welcher ich die Lehren des Meisters, dieses Wohlthäters der
Menschlieit, zu befolgen strebte. Ich bin überzeugt, dass einst nur
nacli dieser Methude unterrichtet werden wij-d, weil es auch dem
schlicljtesten Verslande rinleiichten muss, dass l'bung den Meister
maclit. wie es unser altes deutsches Sprüchwort besagt. Die in Kede
stehende Metliode beruht aber, wie Sie wissen, zumeist auf jtraktisclien
Übungen; die Theorie bleibt den schon tüchtig Vorgeschrittenen vor-
behalten. — Vor allem muss der Lernende von dem. was er erlernen
soll, eine klare Anschauung gewinnen. Diese Anschauung erlangt
man am siche^.^t•■n durch scharfes I^cobacliten, jrenanes Prüfen und
Vergleichen eines <iegenstandes mit einem anderen. Während sodaim
das einmal Gelernte unausgesetzt geübt und wiederholt wij'd, reift
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da.s Erkenntmsvemiögen , das aus der gleichzeitigen Mitwiikung aller
Seeleiiki'äftL' hervorgeht. Da nun durch die vereinigte Thfitigkeit
aller Seelenvenuogen (l(»r (-Jedanke erzeugt wird, dessen unmittel-
barster Ausdi'uck die Sprache, so ist es natürlich, dass .Tacotot just
beim Sprachunterricht, durch die überraschenden Erfolge aulmerksam
gemacht, seine Methode fond.
Ks ist Ihnen bekannt, dass Jacotot sich im Jahre 1789 beim
Bastillensturm als fünfzehnjäliriirer Jünglin*r an der Seite Lafayettes
betlieiligte, dass er später während der Kaiserzeit als Professor an
einem College primaire in Paris tungirte. wo er anerkannt seinen Be-
rufsptiichteu mit der gi'ößten Gewissenhaft ij^keit oblag, und dass er,
als er nach dem Sturze Napoleons I. zu emigriren genüthigt war,
nach Belgien ging, wo er bis zur Julirevolution verblieb. Während
jener fünfzehn Jahre also , in denen die wieder zur Regierung gelangten
Bourbonen (Ludwig XVIIL und Karl X.) in Frankreich herrschten,
suchte der Gründer des üniversalunterrichts, wie Jacotot seine Me-
tbode nannte, den segensreichsten £influs8 auf die Jugend Belgiens
auszuüben. — Von allem entblößt, war er mit Weib und Kind im
fremden Lande eingetroffen. Und trotzdem, dass er kein Wort fla-
mändisch verstand, verlor er doch nicht den Muth. Er sammelte
einen Kreis Jnnger Leute um sich, um diesen die französische Sprache
m lehren. — Aber wie? — Er las ihnen ans dem Telemaeh lant und
deutlich vor, sie mnssten nachlesen, Ihrer Sprache nicht mächtig,
konnte er ihnen keine ErkUnmgen geben; aber er dentete ihnen an,
dass sie das Gelesene copiren und das Geschriebene mit dem gedruckten
Texte vergldchen mfissten. Er sagte ihnen den Inhalt ans dem Ge-
dächtnis her, nnd sie begriffisn, dass^ sie üm ebenfalls auswendig zu
lernen hätten. Hierauf zeigte er ihnen, wie das Gelernte niederzuschreiben
nnd mit dem Texte zu vergleichen wäre. Doch wozn Ihnen das wieder-
holen? Sie haben ja die Eriegersche Übersetzung des Ünivarsal-
unterrichts gelesen. Sie wiesen, dass der • Meister ron Übnns^ zu
Übung gegangen, dass er seine SchfQer an das Ümbüden und Nach-
bilden einzehier Definitionen und längerer Beschreibungen gewöhnte,
dass er im Auffinden von Übungen unerschöpflich gewesen. Wissen
ist nichts! Thun ist alles! war einer seiner Kmftaussprilehe. Und
als er die erstaunlichen Erfolge sah, die durch praktische Übung
erzielt werden, Erfolge, die er früher ungeachtet des eifrigsten Er-
klärens dt-r ReL^elii iiidit erzielen konnte, da hatte er die Wahrheiten:
Wiederholiiim ist die Mutter allt^s Wissens, und tn)ung macht
den Meister! aus eigener Erfahrung kennen gelernt, und auf diese
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Walirbeiten hat er sein Unterrichtssystem aufgebaut Ein jeder, der
es versucht, wird zugestehen müssen, dass dadorch nicht bloB wissen-
schaftliche Ausbildung gefordert, sondern auch der Charakter gestärkt
und veredelt wird. Jacotot hatte die Freude, dass seine Methode
sogleich in Knulaud, s^päler in AnK'iika einfjretiiliit wurde. In Kur-
land be.sondi'is fiel sie aiü truchtliaien liodeii. Die Nadikunimen
Bacons, Locke.-« und Humes mussteii n*>tli\vendig eine Lekinnetlutde mit
Enthusiasmus begrüßen, die ihnen zui' Bestätifrung dessen diente, was
iliuen ilire großen Männer und Pliilosophen h^^rirt hatten. Baeon
strelite, alle Wissenschaft auf Anschauung zu griinden. Locke suchte
nachzuweisen, dass Kunst und \Vis>enschaft auf I hnuK der geistigen
und körperlichen Kräfte beruhe, l ud Hunie behauptete, dass ober-
tlächliches ^^'isäeu Atheisten ächaüe, gründliches Forschen zur Keligion
ZUl'ückfidire.
Mein gelielnes Fraulein, wenn Sie in lhi"er neuen Stellunir ein
Stündchen täglich für sich gewinnen kr»nuen, dann würde ich Ihnen
nichts drin;.n nder empfehlen, als dieses btUndcheu zur Lectürc guter
Bücher zu verwenden.
Das Leben bringt zu viel Unangenehmes, als dass wir nii-ht ge-
nüthigt wären, um uns selber treu und gleich zu bleiben, uns in unsem
Mußestunden in eine Welt zu versenken, in der wir gehoben und ver-
edelt werden. Selbst ^'eredelung ist aber die heilige Pflicht jedes Er-
ziehers und Lehrers. Oline dieselbe ^vird niemand im Stande sein,
veredelnd auf andere einzawirken. Die Emehungsarbeit müssen wir
zuvörderst bei uns beginnen, wenn sie von £rfolg bei der uns an-
vertrauten Jugend sein soll Ja, meine Thenere, nicht nur lehren,
lernen müssen wir bis zum letzten Moment unseres Daseins. In d^
Augenblick, wo wir zu lernen aufhören, wo wir nicht mehr jeden
unserer Gedanken, jede unserer Handlungen einer strengen Selbst-
prfifiing unterwerfen, in diesem Moment haben wir auch au^ehört,
Pädagogen zu sein. Je mehr wir mit catonischer Strenge uns selbst
ftberwachen, desto mehr werden wir gegen andere Nachsicht walten
lassen. Ohne Nachsicht aber ist Pestalozzis Gertrud undenkbar, unser
Werk somit ein verfehltes.
Indes missverstehen Sie mich nicht! ich will durchaus keinen
Bücherwurm aus Urnen machen. Im Gegentheil, ich betrachte den
Umgang mit guten Menschen auch als vorzügliches BildnngsmitteL
Aber leider auf der Stufe, auf der unsere Civilisation steht, begegnen
wir auch unter den Gebildeten noch dem Neide, der Missgnnst und
der Falschheit Seien Sie daher vorsichtig! Wenn Sie jedoch, un-
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— m —
geachtet aller Vorsicht, T&uschoiigeii erfahren, dann lassen Sie sich
dadurch nicht yerhittem. Die VerUtternng ist ein tOdtliches Gift,
welches das Leben kfirzt, jede Lebensfreude schmälert, wenn nicht
gar Temichtet. Nur wer von Menschenliebe erftUt ist, wird im Stande
sein, die Last des Lebens mit allen seinen Unbilden zu ertragen.
Drum mag es wol nicht so ganz unrichtig sein, dass, wer nach Er-
hafoung der Menschenliebe starbt, manchmal genötbigt ist, die Men-
sehen zu iUehen, d. h. sieh in die Einsamkeit zorllckzuziehen. In der
Einsamkeit aber kOnnen wir keinem besseren Freunde begegnen, als
dem, den wir in einem guten Buche finden, in dem Besten, was die
Edelsten vor uns gedacht und empfunden haben. Und welch höheren
Genuas gäbe es wol, als das Nachempfinden des Höchsten, als das
Bewnsstseiu, diese rein menschliche Fähigkeit zu besitzen, die auch
dem Geringsten, dem Besebeidensten innewohnt.
Natürlich muss der Mensch wollen! Er mnss an der Forschung
Freude finden und unausgesetzt nach Wahi'heit streben, wie es uns
unser Lessing gelehrt hat:
Und hielte die (lottlieit in der Recliteu die ^^'ahrheit. in der
Linken da.s Strel>en nach ilir und spräcdie: Wälilel Walirlich
ich grirt' nach der Linken, bekennend: Die Walu'heit, Vater, ist
doch nur für Dich allein!
Wie richtig dies ist, das können wir täglich erkennen, wenn
unsere Kurzsichtigkeit uns von Irrthum zu Irrthum führt.
Dann aber bleibt uus als einziger Trost dennoch der Ausspruch
unseres Dichterfürsten:
Es irrt der Mensch, so lang' er strebt!
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Volksthfimlicher StU.
Vom X^ramz SehUnkeH''Wim.
Im Aoschlosee an meinen im 12. Hefte des III. Jahi^gangs veröffeatlichten
Aufsatz ( „Der volksthünilicht' Stil in populären Belehrunf?s- tmd rnterhaltungs-
.schrit'ten" ) erlaube ich mir dit'.siiiiil ein Beispiel für die gedachte volks-
tliiimliche Darstellungsweise vorzulegen. Ich habe eine noveUibtische
£iiikl0iduig gewiUt «nd-lderliBi Gelegenheit gefunden, ranLUnterscluede auch
den mibertthrttn Dialect (Viertel oh den Wiener Walde) snr Geitaus zu
bringen.
Der Eisenwnrzner Franz ist ein reicher Holzbändler. Er hat etwas mehr
gelernt und ist weiter herumgekommen als seine ^litbürcer: er liest anch
Zeitum^en uud Bücher; auf diHJ>e Weis»; i^^ -t zu pim m trciereu AuJ«blic.ke
gelaugt. Just sitzt er im \Viiti»hause beim .stauden-Bartei und ist mit zwei
GeooMtcni» welche in der Gegend Vermemiageii anstdlen, in da Geqpittdi
über die Sdralpdicht verwlekelt Zwei Banem, wekhe an demielben- Ttadie
Kitzen; meinen, dass ein vieijahliger Scholbesach gerade genug wäre. Der
Eisenwnrzner ist anderer Meinung, und er versteht es auch, sie den zwei Faul-
pelzen und den Herron ans der Stadt ^e^ennber zum Ausdrucke zu bringen.
Weil es sich um » twas Auticr^^t wühjilicht'S handelt . und weil er sich auch an
die beiden Jicneu wendet, gebraucht er eine „höhere", vom Dialect abweichende
Redeweise, fir sagt:
„Wann nntereiner vom Schnlgeben snr Bed kommt, dann hebt er aUemal
an: -Ba n ins Inn Gibirg" — - dabei macht er das Maul so weit und wichtig
auf, dass man meint, er mnss Tag.s zweimal vom ntschcr über den rauchen
Kamp herunter rutschen — ,,ba n ins inn Gibirg • ; und nachher geht's halt
heraus, dass man frei glauben ktinnt. unsereiner hätt" mit Brief undSieg'el das
Recht dumm zu bleiben. Alks was richtig und erlogen ist, wird vorgebracht;
diM halt für viele der Weg gar so schreokbar weit ist; dass die kleinen
Lentel bei der Arbeit benOthigt werden und dieselbe sehen In der Joaglidt
bei Zeiten erlernen müssen. Und wie immer das Letzte das Beste ist, so ist
CS auch das Mal: Unsereinem geht just das nicht aus dem Kopf, dass die
Kinder durch ihr Schulgeli» n von der Bauernarbeit abgehalten wejden. Wenn
sie was lernen, ist s uns wol recht; aber djis halt, das ist der Sakeral Der
Alm-I'ctcr, der Kosegger, hat einmal einem kritischen Bauern die Hed in den
Hand gelegt: nBis Yiensehn Johr in d' Schnl gehn, draaf Soldot, — awe
sohofft ma Kinder, wenn ma do (Qr d* Orbat no kean hot!^ Da hat er wieder
hannitten hineingetroffen, der Ahn- Peter, denn er hat's herauBen, wie der
Hanserl sein Hemd, das muss man ihm lassen. — Na, und damit Ihr Stadt-
itutt' Euch doch anch einen Bestritt' von dem nmchen könnt, was uns gar so
schwer auf dem Herzen liegt, will ich Euch erzälileu, wie es mit der Kinder-
arbeit bei uns im Gebirge steht.
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Mit dem Konischnitt lieht alle Jahre die lustige Zeit für das junge
Bauernvölkel an, denn auf freiem Felde unter Gottes lichtem Himmel henun-
kogehi ist allemal nnterhaltlicher, ala auf der Sehnlbank ritEen — ich weiit
daa noch von mir. Da kommt dasselbe auch zur Einsicht, dass es doch auch
schon zu was nutz ist, und man sollt' nicht glanboi, was das für eine Freud
ist. Die Kinder kann man zum Wasserzii tragen und „Gorbnbandlaufle^"
brauchen; diese letztere Arbeit besteht darin, einig-e Halme so zusammenzu-
drehen und auf die Erde zu breiten, das« die Schnitter die Garben darauflegen
und dann zusammenbinden können. Na, und wann just einmal diese Bänder
gar werden nnd ktlne neuen ferüg sind, — was wiri's denn andi teb, mnss
sidh halt die Schnitterin fir sieh nnd ihren „Mann" (Schnitter) selber eines
drehen; hm — nnd wann der Meisterkneeht den Krug leer findet, trotzdem er
so v\qI dnrstip- ist — stellen bleibt man nicht, zum Nachrennen hat niemand
Zeit, und ..g^reinn thuat nöd weh", eine uralte Hed. Auch beim „iSchiebera",
das ist beim Znsammentragen und Übereinanderlegen der Garben, künnen
Kinder behilflich sein. Nach dem Schnitte mteen die Kinder die Ähren in-
samraenklanben, die ans den Oaiben gefhUen sind — wenn dleeelben nicht
den Armen ilberlasseu werden. Im Herbst baimMistffihren nnd Aekem kiftuien
Kinder zum „Weisen" des Gespannes oder zum „Sot änzoagn" verwendet
werden: im letzteren Falle schreitet ein Kind dem Sämann voraus, das ihm
anzeig-t. wie weit er das Saatkorn auszustreuen hat. Ist das ,.(ironniat" in
der Scheune, wird das Stall vieh auf die Wiesen gelassen und die Kinder zur
Anfsicht hesfieat Jodihe, das ist eine helle LutbatMt Eük j^HalderllMMr"
wird angefiMht, geeongen wird nnd hemmgesikmngen md die AnMoht den
Kiihen selber flberlassen; sie grasen gewiss nicht gar weit über ihren Bereich
hinaus, denn wo die Glockenkuh ist, sind auch die andern, und die Glocke
haben sie der krummen .,Straußel" angehängt — die springt über kein Hag.
Am besten kann man das kleine Gesinde beim B^rdHptelklanbt n brauchen; da
läSBt sich dui'ch dasselbe in der That die Arbeitskraft eines Erwachsenen zu
«Ddan SSwedten ersparen. Und anf das kommt's ja an; deswegen braneht
aneh der kleine Baner seine Kinder yiel nothwelidiger als der reichere, der
sich mehr Dienstboten halten kann. Weil ich aber schon einmal im Reden
drinnen bin, was bei unsereinem just nicht so oft vorkommt, soll gleich alles
heraus; nu, nnd da muss ich sagen, dass aber anch der kleine Bauer seine
Kinder in der „gnöthigen Zeit" nicht lange braucht, weil er mit seinen
schmalen Ackern bald fertig ist. Dem schulpflichtigen Gelumpe ist das manch-
mti fireilich nldit recht, denn, wie gesagt, arbeiten ^nt es enchreekbar gei-ne,
weQ sich allemal hftbsch was fludlehnen ISsst dabei — ich weiA das noch ans
meinen Zelten. Torans beim „Halden" tangt es ihm , und ich habe mir fttr
meinen Part solion oft gedacht: Gewöhnt sich das junge Völkel durch dieses
Hemmbasteln und halbe Schäften nicht eher an die Feier, als wenn es in die
Schule geht — selbst wenn es hie und da über Mittag nicht heinigelien kann,
weü der Weg zu weit ist und auf die Art ein paar Stunden ohne Aufsicht
bleiben mnss? Immer ein Ifal hab ich anch sdhon mit meinem Yettor, dem
Bogsteignleitner, dergleichen geredet» nnd da hat er mir inr Antwort gegeben:
..Ba n ins inn Gibirg", dabei macht er das Ötschergesioht . ,,is 's hold a so:
's Zohln liaßen mir ins no g^folln — ma thuat's jo für .seine Kinner. nnd 's kimnit
OUs wieder amoi zmck. Ober woaßt, Franzel, orbaten müassen s' lema,
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— 7öü —
orbaten mnafi inseroans kinna, und ban Sdiulgehn leroants' dos ee nSd — d0s
86 80g dr i!" Der Bogst^gnleiten -Vetter ist ein gescbeidter Kampel, weil er
sogar noch gescheidter ist als ic h . al*< r in «loiti Fall kann ich doch nicht eins
werden mit ihm. Denn wanimV ]!;int rii;ir1>oir ist ewie- kein»* Kunst, und
fremd kann sie den Kindern auch dann nicht hleil)en. wenn si<' iiiit-r Schul-
pliiciit uaclikommeu, weil sie in ilu"er freien Zeit bei jeder Gelegenheit zu dei*^
selben angehalten werden. Allzufrüh und gar za stailc dUrÜBn sie aber Behon
deswegen nicht hergenommm werden, weil sie sonst nicht gehörig wachsen
und sich entwickeln können. Ist das l('i( ht ein Protit. wenn man sich iu der
Junfflieit sdiindet und im Alt. r mieselsüclitifr ist? Xa, ich denk, das lassen
vrir j^ut sein. E.s gibt genu;!- Bauern, die das nicht einselien wollen; irenide
denen gegenüber ist die neue Schuloidnung eine wahre Wulthat, weil sie die-
selben abhillt, dass sie ihre Kinder zu Trutz einem Paar Sclinittlinge (junge
Ochsen) plagen und rackern. Na na, Bogsteignieiten-Vetter, 's Schnlgehn
schadet den Kindern nichts, anch dann nicht, wenn der Weg weit ist. £s
ist ihnen noch daza beilsam, wenn sie ans ihrer „Oandachf' (Einsamkeit)
herunterkommen zwi.eehen Leute und Kinder. Sie werden krilftigei- und ge-
sünder, fieiindlii lii'r und ireselliger. It rju'ii denken und reden — und das ist
eine llauptHUclie, denn wenn einer ht^ulzulu^e nicht das Maul am rechten Fleck
hat und fest in den Fftosten ist, bei dem ist's nm die Ecke, vorweg wenn er
nicht zn der .bShmisehen Sasse geUM. Was sieht denn so ehi Holzknecht>
oder Almbanemkind daheim? Nichts als ledig AVill k r und Berge. Es rutscht
unter Schafen und Gaißen lierum. kommt auf allerhand iJusheiten und weiÄ
nichts vom Herrgott und nidits von der Welt. Xa na, ich meine halt, das
achtjährige Sdiulgelin thuts im Ganzen recht gut, und wann es just dann
nnd wann ist, kann der Ortsschnlratli ein Wörtel reden — der Bogsteignleitea-
Vetter sitst ja anch drinn. Am mehrsten, mein ich, sollt* es in Wintmzeit
erleichtert werden, denn da ist es am sträflichsten (beschwerlichsten) bei ans
im Gebirg."
Der Eiseuwurzner hat sich ordentlidi ereiterti er vergisst sich ganz und
kommt wieder iu seinen richtisren Dialect.
„Die Seel knnnt sich einer ausreden und helfen thät's nix. WeU d' Leat
olls s' viel vernogelt sdnd. I frog nar, wia's dann immer a Hol oaner von
d& gonz Gsclieiden anftatipfelt, dass 's mit den longen Schnlgehn nix is. weil
mir nOd gnaach Classen hobn, nnd derawegn d' Kinner an etla .Tahrl in oan
Clas.s pehn müasseut. I frog nar — ban Dreschen gibt "s a nur ebn oann
Stroach. und wia long geht"« deant her. bis s oans rechtschofla kunu: wia
öfter, dass ma oan und düsselbige Ding thuat, wia besser derlemt ma 's. —
Nan nau, fohrt's nar nOd anf nnd fresst's mi nar nöd glei! I woaß 's jo eh,
Greinzellechner, i woaB 's jo eh: za Deiner Zeit wor dSs alls nSd nothwendi,
nnd zwegn den worut d' Laut erschreckbor grob') gscheidt. I woaß 's jo eh,
za der üewin'-) Zeit hobb's ledi""'' Kat^kisimus bugstawirt. und wiast ans der
Schul gonga bist, ho.st in liudeltosehen Tumerl d' Hirn oiia^schlogn. zwegn den
dass D' glerut host: „Sicbntens, Du sollst nicht stehlen". Xau gelt, i woiUi 'a.
Und Dn, Oltenbanr, holt nar Dein Goschen; Da host glemt, wia ma dfi Zoadia
1) Enchfeckbor grob — UitensiTische Bedewdse; S) der sewin — derselben;
3) ledi — ledigUch.
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— 781 —
für Kosper. ^lelcliiur uii<l i5alth;nisoi' auf d' Thür nidlt^i, mIht Dfiii'n Nuui. Ciod
verschon, kouiist uöd iuterscbreibu. — Briijgs mi ober nöd aus meiu'n üischkur,
f maass Sng jo no aOschichtel verzöhln, iirefl mir netta-) voBnSchnlgehnz'Red
sein wordn.
Olsdann in Hintern Oinßbanrn in rler Dibelleiten sein Boa, dOs is a rechter
. Lnrnpenbna. Tn st^'n»* Schulrrhiiacholn liot er mehr Sän. rds wns sein Voder in
der Gossen '), und Icrna tliat dr.s s»' (ispcnst iiüd und wonn 's < aiii a on's Lobn
gfang. Xo und do is umol sein Voder zan Sclinlmoaster kemma und liot 'n
gfirok, wia*s daim mehr mit sdn'ii Bnato Btnacl.
^fJü dn mein'*, sok der wird*s demi a stehn mit eam?^ Mit den
steht 's gor n5d: — der W-ihi sitzen, der Wlldlin, der ungsteame!"
„Ja, i hitt — wonn'.s Imlt do a wen? iniirli war." nioant der Giaßbanr.
..Geht uöd so leicht, as wia 's ös uioants!" .snk der Hchullehrer, ..Do
schauts her, i hon's schon uufgschriebn."' Und losst 'n in sein'n Katerlog
einliischaun. No, wos will er dann oft mocha. Bedea hilft do nixi, denkt er
eam nnd gdtA. In Somita draof , iria ei sein Rhirin zan Kirchagehn zmmm>
rieht, 80k er ihr, sie sullt an Zwiheanler *) Mil mitnehma, und sullt'n zan Schiil-
moaster znhi trogn. (Juat. D' Bänrin geht furt, schmiert si sclien hoaiiili inn
Schulmoaster sein Knchel einhi und sok za der Frau . dö just bau Herd steht :
„So. i bitt recht lleilSi — i bracht a \vei)g a Laekerl a Mil — V'itt gor
sehen, nöd bös sein, bau ins niuaii ma hold in guuteu Willn u dazua roateu '*).•*
No, d' Fran Udenkt d gld nnd will in d* Stabn einhiweisen; ober d'
BSnrin eok:
,^a na, nixi z' donga — zuhit nöd ans — i niuass ml 8chlenn*n"), hobnt
jo schon z^omni?lllut, ziemt mi. So — pHat God — und mein Hefii mia n 1
schon wieder ainol kriagn!" —
Nau, und wia d" Schul wieder oufong, kimmt in hintern (iiaUbaurn .sein
Malefizbna riehti in d' dritte Qa».
eok er oft za der Bänrin, „Da los, inaer Mil bot irg ernst anf-
gworfa ^ — bot gor in Bnabn anf d' Hech ghebt.*"*
So hat der Eisenwnrzner Fmnz erzithlt : darauf trank er sein ..Xoigel" aus
und verabschiedete sich. Die Geometer lobten seine Einsicht, der Altenbauer
lobte sein gutes ilundstiick und freute sich, dass er doch auch einen Schul-
lebrer ein bischen durchgelassen hat Der Greinzellechner, der sagt — gar
nichts, nnd wenn man annehmen wSrde, dass anf ihn die AnaeinanderBetzongen
vom Eisenwurzner Franz den tiefsten Eindruck gemadit haben, so kBnnte man
am Ende Becht luiben.
1: Ein aliergluubis<ln.'r < 'uuuch ; 2) netta — netto, gerade. ..just"; 3i Gössen
— Schweiueptlitze; 4) ZuilieuiU r — großer Topf mit zwei Heukehi; b) roateu —
rechnen; 0) schleun'n — be.scblcuneu; 7) iig guat aiifgwot& — intensivlsch: sig
gnt au^evorfen, d. i. sehr viel Oben sngeietst.
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y«Ikswirtocliuft und Socklphilosoplüe.
nter dem Titel: Volkswirtschaftliche und socialphilosophisehe
Essays yon Dr. Wilhelm Neurath, Docent aa der k.k. teehnfschea Hoetachnle
in Wien (Wien, Verlag von FrMk, 8^ S. 521) haben wir eine Reihe gedie-
gener Arbeiten vor uns, die wie verschieden sie beim ersten Anblick zu sein
scheinen — zij<?amnitm ein sroßes Ganzes bilden. Ein Gedanke durchzieht die
fünf gesoii(l»'rtfH Abhandlungen und eine Mct^ wird in ihnen verkörpert, .la
der Verfasser mit idealem Schwünge nach einem und demselben Ziele lossteuert.
„IdealisDun der Arbeit" — so kündigt sieh uns in der Eiakitang das Werk
an nnd Itthrt ans in ein reiehhaltiges Gedankenleben ein, das gieicfasam die
Werkstntte unseres Willens darstellt, eine WerkstÄtte, in der der BestimimiBga-
gTUud für die physische Kratrriitladnn? nnsgearbeitet und die Richtun? gMiao
vorher bestimmt wird. Der Mens« ii liat langte gearbeitet, ehe er zum Bewusst-
sein kam, dass er von Gründen geleitet wild, die sein Geist festhalten, näher
bestimmen kann. Der Mechanismus vererbte sidi von Geschlecht anf Oesdileclit,
nnd was den Vater trieb, das that der Sohn ihm nadi. Die üidlvidnellen An-
lagen blieben dabei unbeachtet. Der Socialphilosoph spricht es geradem aas,
„dass auf wirtschaftlichem Gebiete die Wissenschaft meist zu spitt komme: sie
scheine die Eule zu sein, wtdchc am Abend des historischen Tages ihren Flug
unternimmt." Die lUldunii liat in der That noch nicht den ganzen Mensehen,
soweit das innere Wesen es gestattet, vergeistigt. Die Praxis ebnet noch
immer der Theorie die Bahn, weil Theorie md Praxis dordi Herr und Knecht
getrennt sind. Da, vo die Arbeit das Leben veigeistigt, wo der die
Lebenskraft durch eine Kette von Leistnngen versinnlicht, da wirkt und arbeitet
mix Vorliebe das natürliche Interesse, die Liebe zur Besehilfligung winl immer
reger nnd der (ieist holt weit aus. um die Lebenskraft zn entladen. ..Mit
jedem großeu Fortscliritte menschlicher Cultur — sagt Neurath — erhebt sicli
die Ahnung, dass die Arbeit ein erlösendes Werk voIMBhrt zn einer immer
helleren Brkenntais". Neurath ist ganz Socialphilosoph und hat sein Spätem,
seinen Standpunkt, von dem ans er das historische Material zu verarbeiten
sn<lit. Selbst den griechischen Arbeiter hat die Arbeit in die geistice Welt
hineingetragen. ..Dieser Ai-beiter — sagt er — legte et\v;is von seiner .'^eele
in jede Linie, die er schaute, in jede Linie, die er zog, in jeden Hammerstreich,
den er fährte. Liebe zum Schönen dnrchhaachte seine Seele und eine solche
Liebe spricht aus seinem Werke." Gewiss ist, dass die Weehsehrirkung
zwischen Arbeit und geistiger Thätigkeit so beschaffen isl, dass wir nicht
immer genau angeben können, oV» wir die Ui-saihe eines neuen Fortschritte«
in die geistige Sphiiie od»-r in den Entwickelunsstrana- der ArVieitskraft ver-
setzen sollen. Der \'t'rfasser führt diesen Grundgedanken const^ucnt dnnh.
„r>ie Industrie — sagt er — steigert nicht nui- die Macht des Menücheu übi*r
die niedrigere Natur, sondern sie fördert aneh die Durcbgeistigung des
menschlichen Organismus." Mit diesem Grundgedanken entwickelt der Ver-
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— 783 —
fasser den AngrilVspunkt für die Betrachtung der socialen Frage, die er in der
folgenden liöchst interessanten Arbeit uns vorführt.
Warum in der Gesellschaft Plage und Gennss, Arbeit and Besitz SO un-
gleich Tertheilt aeien, dass man beinahe sagen könnte, dass der Lohn um so
größer, je geringer die Leistung für das sociale Ganze, und dass am traarigsten
gerade das Leos derjenigen seil die sich am scütrersten ond härtesten abmühen
im Dienste für das Ganz»', — diese Fraire sti wol so alt, wie die Cultur und
die philosophische Weltbetraclitung. Z\\ < i» i lei Antworten auf diese Frage
seien einander stets entgegengestellt worden. Man wies auf einen geheimen
göttlichen Rathschloss oder auf den aristokratischen Trieb der Natur hin, um
bestehende sociale Ungleichheiten n vertheidigeii* Man berief sich hingegen
oqf das Ideal eines WiUens im Himmel oder anf ein Ideal, das in uns spricht,
om die Ungerechtigkeit, welche im socialen Leben waUet, zu verdammen.
Wie diese zweierlei Antworten immer wieder auftauchten, vom Altoithum au
bis in imsere Tage. da.s schildert der Autor, indem er sich in den (reist der
Zeiten und Pai'teieu zu versenken und diese gleichsam belbst das Wort führen
an lassen yersmeht Jede Partei sieht die sociale vm tbat anderen
Seite. Sie eitet Wahrheit, aber nicht die volle Wahrheit, aondeni je eine
Perspective. Von einem Planeten ans betrachtet jede Partei oder Schule die
Bahnen der andern Planeten. So empfängt man Zeirl)Uder der wirklichen
Wege, welche y(n\ den AVeltkr.i-pem beschrieben werden. Man müsse in der
Wiss«'nschaft die Sonn»- als Standpunkt wUhlen. \'on einem solchen Punkte
aus will uns der Autor die sociale Frage betrachten lassen, indem er vor uu-
wtoBtm Aqge die soekde Frage in der UeDschhtitsgeaohiohto immer wieder lösen
ond irieder erstehen Iftsst. Beide Parteien sdheinen bis in einem gewiesen
Pankte in ihrem Rechte zu sein. Alle Jlenschen, jeden Menschen zn einem
vollgeistigen Leben emporzubrüigen, alle Einzelseelen zu einer Geistessymphonie,
zu einer einzigen Menschheitsseele harmonisch zu vereinen, das ist das von der
Geschichte Hnu:<'.strebte Ziel. Das wird von dem Gewissen gefordert, vom
Glauben geahnt, von der 2satur unbewusst schon, von der Gesellschaft minder
oder mehr bewnsst Schritt Ar Schritt der Whrklicbkeit näUei- gebraeht Der
Weg fordert aber die Lösung vieler Einselprobleme and Ar jedes dieser Probleme
eine bestimmte sociale Gliedemng der Nationen und bestimmte Ungleichheiten.
„Die Geschichte begünstigt stets diejenige Gesellschaftsciasse, deren die Zeit
als einer herrschenden ( lasse bedarf ... So waren der kriegerische Ad» ! und
die geistliche liieraidiie (»rganische Milchte, deren das Mittelalter beduifte.
Sie verloren ihie Macht erst dann, als dwch den Fortsckiiti des europäischen
Lebens ihre einstige Bedeatnng Ar dieses Leben verloren war. Wie ebist
Büdnng und idealer Sinn im Priestertham, kriegerisoher ond politinher Geist
im Adel concentrirt war, so in unserer Geschichtspexiode Capitalisationstrieb
und Untt-rnehmangsgeist in der Bourgeoisie. Jeder herrschende Stand sei be-
stimmt, irgend eine Richtung des Lebens in sich zu pflegen und dann das
Resultat zum Gemeingute zu niachen. Auf den Aristukrati.sinus muss der
Demokratismos folgen, wenn die erreichte Cultur nicht erstairen und absterben
soIL Auch die Concentration von CapitaJsfam und wirtschaftlichem Unter*
nehmnngsgeist in bestimmten Nationen — Holländer, Englilnder, Juden — hat
eine solche Bedeatnng and müsse dieselben Geschicke haben. So wie einst
die von der ^ziesterkaate snerst gepflegte Wissenschaft und ideale Gesinanng,
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— 784 —
sodann der vom Adel entwickelte kiiegeriscUe und politische Sinn, ^ müsse
nun wirtschaftlicher Geist und Verwaltmigsgesehick ans der Bongeoisie in alle
Classen fiberstrümen. »Auf Basis einer bestimmten Coltnrbreite ist nnr eine
bestimmte Caltnrhöhe zu erreichen" (Seite 144). Die einseitig-e Herrschart der
Capitalisten-Unternehnierclasse scheine nnn ihrem Ende nahe. Daht-r stammen,
wie der Autor (Seite 140—- 153) na» li7,inv.M"?i ii sucht, die Erscheinunj^en dei-
sügenaunti;n allj^i.'meinen ÜbeiTproductiun und der gewaltigen Wirtschiil'tskrisen
miserer Tage. Die Consiimtionshasis ist m eng geworden ond mfisse dadnrch
erweitert werden, dam man neue Vmker und Volksdassen zn grOfierer Gon-
sumtionsfitliigkeit erhel)t. Wenn nicht die Massen einem edleren Gennas-,
Familien- und (üeistt sU ben zusrefiihrt werden, dann k'"nne der Reichthnm auch
nicht ferner fortsclirtittn. Zu tiner Verbreiterung des Wohlstandes müsse
gegritteu werden, wenn es nicht mit der Erhöhung desselben — bei den We-
nigen — und mit der Coltiir übeiliaHpi zn Ende gehen soU. Der Weg, anf
welchem diese Erweiterong, welche zogleich eine Veijitognng unserer Coltnr
sein würde, zu erreichen sei, ist, nach An>ii hr des Autors, nicht eigentlich erst
zu entdecken. Es bedürfe keiner Erlinduiiir für Lr.sunar der socialen Frage.
Die zu benutzenden Eleinetite lägen bereits vor. so im Arbeiter-Vei-sichernugs-
wesen, in den wirtscliattlichen Genossenschaften mid Corporationen u. s. w.
Stetige Ausbreitung und orgiinische Fortbildung dieser Ansätze zn neuer Social-
gestaltnng werde dner nenen Periode des Gnltnrlebens den Boden bereiten.
In dem Essay „Darwinismns ond SodalSkonomie'' wird zn zeigen versacht,
dass der nnideale oder irreligiöse Charakter nnserer Zeit dnrch gewisse, von
der jetzigen Geschiditsperinde zu lösende oder schon «reinste Proldenie bedinsrt
sei. Das Versenkt sein in Industrie. 'I'echnik, Wirtschaft. Keichthiunserwerlt ii.s. \v.
sei im Weseu ein Aufspeichern von materiellen Machtmitteln und IviUfien für
die kommende Periode idealistischen Strebens ond Schaffens. Es herrscht hente
ftberall die MittelbOdong, wdl nnr diese ansgleichmd im Ganzen nnd hebend
auf die niederen Classen leicht wirken k«"»nne. j^elbst die nmterialistische und
Danvinistisclie IMiiitisophie werde sich als ein l'ionnier für die Ausitreitung
einer den wahren (ilauben mit tiefem Weissen versöhnenden Idealithi!i'Sii))hie
bewUhren. „Die Sonne des Idealismus geht uur so unter, wie die Griechen den
Untergang des Helios gedacht: Er sinkt des Abends hinab ins Heer, nm er*
frischt, veijflngt ond verschont am folgenden Korgen emporzntanchen nnd im
Glänze seine eriiAbene Dahn wieder dahiuznwandeln" (Seite ISl^ i. Der Autor
sucht nachzuweisen, d;t>s dem ..Kampf ums I^asein'* nnr eine Nebenrolle unter
den Factnren der Natur- und Menschheitentwiekelung zufalle. Nicht die Triebe,
welclie nach Brot rufen, und jene Triebe, welche auf \'erniehnmg der ilen.^chen-
zahl hinwiikeu, seieu die eigentlichen Quellen des socialen und meuschbeitlichen
Fortschrittes. In der Natur liege eine Idealwelt geborgen nnd ihr Drang zn
nnd Bewnsstsdn empor, 'das sei der eigentliche Grund alles Geschehens,
alles Strebens nnd alles Kampfes. Jedes Atom sei eine Seele, nnd jede solche
Elenientarseele sei in sich ein Abbild des gesammten Universums, berce in sich
ein Ehenbild der irt sanimten Welthistorie. Um diese Lehre ilarzustellen. rnft
der Autor die Physik, die Chemie, die Physiologie, die Psychologie und die
Philosophie der Geschichte zn Hülfe. Aus der materialistischen Entwickdnng»-
lehre wird so, gleichsam vor nnsem Angen, eine idealistische Evolutionstheorie
geboren. Der Sieg einer solchen Idealphilosophie ftber den Materialismus wurde
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— 78Ö —
jedoch, wie der Autor meiut, nicht aasreicheu, um auch unserem praktischen
Leben wieder ideale Tiefe zo YerieflieiL Ans dem Verstände aUein kSnne
der IdeaUsmns noch kein echtes Leben sangen. In nnsereu Oemtttbe, ja
vielleicht selbst in unserem Blnte, müsse sich ein Process der VerjOngung, der
Kenaissance vollziehen, wenn nnsere Cnitor nicht wieder so, wie jene der an-
tiken Welt, bankerott werden solle.
Aus dem bisher Mitgetlieilteu ist wol schon zu ersehen, dass in dem an-
gezeigten Buche ein' Vei*such vorliegt, das wirtschaftliche und sociale Leben
▼on einer nenen, den Pftdagogen sicherlidi anheimelnden Seite zn erfbrsdieii
nnd darsostellen. Der Realismus des wirtsefaaftliehen Gebietes erseheint hier
als idealistisch dnrchseelt oder als noch ideaUstiseh zu dnrchdringrader Stoff.
Die Nationalökonomie, bisiier blos den Praktikern und Fachleuten zugewendet,
will sich in diesen Essays zu einem Zweige allgemeiner Bildung erlieben. Die
Betrachtung wirtschaftlicher und socialer Probleme soll den Geist aufhellen,
vielseitig anregen, mit neuen Begriffen bereichem und zugleich dem Gemüthe
eine erfrischende nnd stftrkende Nahrung znflihren. Das sind oflbnbar die Li-
tentionen, welche den Antör so der gegenwirtigen Darstellong seiner Oedanken
bestimmt haben. Auf das Fachliche in diesem Buche einzugehen, kdnnen wir
um so eher unterlassen, als dies schon mehrfach in andern Zpitschriften geschehen
ist. Nur sei bemerkt, dass sich der Autor einer gemeinverständlichen ond an-
schaulichen Behandlung seiner Themen aufrichtig befleißt.
Wir glauben, allen Pädagogen, nicht blos den Lehrern wirtschaftlicher
nnd commercieller Fächer, dieses Werk znr Lect&re warm empfehlen zn sollen.
W. 0.
fadagogiom. 4. Jtbrg. Etü XII. SO
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Eine «Ite Cnlturkranklieit
XJnter dem Tltd: KNihülsmits, Peesimiemns nnd Weltschmerz*'
hat Stephan Gätschenb erger eine geistreiche Abhandlnngr veröffentlicht
(Berlin, bei Karl Habel, 39 S., 0,50 M.), anf die wir nnsere Leser anfinerksam
maclion wollen. Sie entliUlt eine Reihe liistorisclier Naclnveise über die Ent-
stehung und den Verlauf der im Titfl hezt'iehneten Cultnrkrankheit zu ver-
schiedenen Zeiten und in veisckiedeneu Ländern, ist also, wie wir uns aus-
drücken mochten, ein Capitel zur moralischen Pathologie der Menschheit Uan
kann diese Abhündlnng anch einen Beitrag znr VOlkerpadagogik nennen, in-
sofern sie durch abschreckende Beispiel^ als eine Art „Krebsbüchlein" großen
Stils, vor jenen Thorheiten und Sünden warnt, welche von Jeher den sittlichen
Verfall ganzer Nationen herbeigetührt haben. Und hierauf hinzuweisen, um
nicht nur eine tiefere Erkenntnis, sondern auch eine wirksame Bekämpfung
alter Schäden anzubahnen, ist oflbnhar Hauptzweck der angcfülirten Schrift.
Die enge Beziehung seiner Gedanken znr Gegenwart dentet der Verfosser
selbst in folgenden Worten an:
«"Wir leben eben jetzt in der Ära der großen Kriege, des rein materiellen
Strebens nach Besitz und ( Jenuss, im Zeitalter der (Gründer und Borsenspieler,
der \'er;l( hter ehrlicher Arbeit und idealen Strebens. Es ist dies eine schlimme
und vuraussichtlich lange Übergangsperiode. Die Wirkung kann erst mit der
Ursache verschwinden. Die Krisis vrird sich einstellen nnd erst nach ihr Hast
sich eine Bessening hoffen."
Doch in der Schildemng nnserer Zeit wollen wir Herrn Gätschenberger
nicht folgen: wir müssen in dieser Hinsicht auf seine treffliche Abhandlung
selbst verweisen. Nur einige der historischen Betrachtungen des Herni Güt-
schenberger wollen wir hervorheben, die Nutzanwendung dem geneigten
Leser fiherlassend.
Die alten Igypter und Inder wnssten von keinem Pessimismus, sondern
ffihrten ein gl&ckliches und znfHedenet Leben, so lange ilir Staatswesen nicht
verdorben war, so lange — .,e8 einer nrganisirten Prie.sterkaste im Bunde mit
Despoten noch nieht gelungen war, die Völker durch Kriege zu verwildern
und durch Aberglauben die Geister zu unterjochen". Aber das Unheil kam.
„Wie die Ägypter, verloren auch die Inder, als ihre Natai^esänge durch
Kriegs- und Heldenlieder TerdrSngt worden, als eine ESnigs- nnd Priester-
herrschaft mit strengem Kastenwesen sich gebildet, ihre Heiterkeit und Lebens-
lust der Art, dass sie das Muster aller Büßer, hartnäckiger Asketen, Mystiker,
Grübler nnd Wellverächter wurden." S(« ercing es aueh den l'ersern. As-
syrern u. s.w.. kurz allen Völkern, welche unii^arnt wurden von jener dnjtpriten
Despotie, die auf dei* einen Seite den Ekel der Übersättigung, auf der anderen
die Yerzweiflong des Elendes gebar. „Dieter Drack erzengte anch den Pet-
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— 787 —
simismns der hebräischen Propheten, uie aiulerriseits die Sardanapalische
S'clnveljLTici und das Hareiiislelien ihrer Fürstt n jent' Blasirtheit hervorrief, die
sich in dem Salomonischen Aussiinuho Concentrin: Alks auf der Welt ist eitel.
Auch das Thema vom Sündenfall, der Erbsünde, der rrUdestinaiion, der Gnade,
das von assyi-ischeu Quellen in cUe sogenannten mosaischen Schriften nnd von
da ins ChristeDthnm fibergieng» ist echt orientalischer Art . . : . Die Hagier
der Perser, wie die Pi-iester der Juden und anderer Orientalen unterliefiwi na-
türlich nicht.«, dnrcli die Schrecken ihrer Dog^nen alle Geistc!-freiheit zu ver-
nichten, das ^anze Leben der Völker unter ein sclavisches Joch tyrannischer ^
Gesetze zu bringen." — Ähnliches versuchten mit wechselndem Erfolge die
Priester in China nnd Japan. Besonders gut reussirte der Islam, welcher „d\e
freien nnd glfickUchm Araber in nnglfickliche, fwatische nnd bomirteSdaYen"
verwandelte. Bevorzugte Geister, besonders Dichter, suchten sieh dem ans
dem Unglück der Völker entsprungenen Weltschmerz durch eine Art von
Gnlc-enlmmor zu entziehen. „So reagirte das freie, denkende Individuum auch
im Grient gegen den Iksitotismus der Priester und Herrscher; die Massen aber
verfielen diesem Despotismus, und der ganze Welttheil blieb der höhei'en Ci-
vilisation nicht nnr geraubt, sondern ancli eine stete OeCdir fttr die Ent-
wickelang des Abendlandes, das sidi nnr mit Mlihe seiner Waffen nnd Dogmen
erwehren konnte. Der schöne, heitere, freie Geist des Griechenthnms, der den
asiatischen Despotismus, wie die Priesterschaft von sich abzuwehren veil>
stand, kannte, so lange er sich die politische Freiheit bewahrte,
nicht den aus persönlicher Unzufriedenheit mit den politischen und socialen
Yeriilltnissen entstelifinden PfSRimismns." Wdl aber entstand derselbe anch
hier nach dem Untergänge d«r Freiheit nnd besonders seit dem Emporkommen
des makedonischen Kaiserreiches. So ging es im Alterthnm weiter, und auch
das ]\Iittelalter zeigt die nämlichen path(dogischen Processe. „Der Rankerott
der lelijriiisen Systeme im Occident und Orient und ^«onstiprer, auch ]iolitischer
Einrichtiuigen, die dem Mittelalter einen Halt gegeben, hatten zur Kenaissance-
zeit eine wilde Skepsis erzengt, die angesichts des dem Leben folgenden Nichts
in Italien an allen Verbrechen, in andern Landern zur Ausgelassenheit nnd
Schwelgerei trieb, in edleren Geistern aber tiefe Melancholie nnd Zertissenhdt
bewirkte. Und die großen Massen erlagen immer dem gleichen Drucke.
..Es ist eben nicht zu leuL'nen. dass der Pessimismus der Völker ein welt-
^esi hichtliches Product jeder despoti.schen, selbstsüchtigen Uefrierung ist. Wem
das Leben eben gar nichts bietet, der muss es, wie Leuaus Zigeuner, dreimal
veraditen.*'
M8ge ein gütiges Geschick diesem alten Unheil endlich ein Ziel seteenl
H.
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Die beste deatsche (irammatik.
Einer unserer Leser richtet die Aufniire an ims: „Welches i;;t ireüren-
wilrtig die beste deutsche Grammatik? Ein {gewiegter Fachmann antwortet :
Falls es Ihnen um die historische Erklärung der grammatischen Formen und
* die Beorliheilimg der venchiedenea q^taktigehen Systeme zu thnn ist, ent-
spricht am besten die dentsche Grammatik in genetisoher DanteUong von
E. Götzinger (Aaran, Sanerländer, 1880). Die Schwankungen im neuhoch-
deutschen Sprachg-ehrauch aV>er hat Sanders in seinem „Wörterbuch der
Hauptscliwierigkeitt'n der deutschen Sprache" ((rroße Ausgabe [ii Mk.) Berlin,
Langenscheidt, 188Üj am Übersicht liclisteu und vollständigsten zusammen-
gestellt Vom Standpunkte des Sprachpsychologen behandelt viele Ci^tel
der nhd. Grammatik in geradesn ranstexgUtiger Weise: Panl, Prindpien
der Sprachgeschichte (Halle, Niemeyer 1880). Auch Frauer (nhd. Gram»
matik, Ileidelberff. Winter, 1881) wird sehr g-eschätzt. liH^^ondei-s weg-en des
grammatisch-stilistischen Theiles seines ausführlichen Lehrbuches. Wilmanns
deutsche Granuuatik (Berlin, Wiegand, Hempel & Pai'eyJ ist eine geistreiche
Abhandlung über gramm. Fragen, auch in methodischer Ansicht von Interesse.
W.
Schlosswort
Teil muss diesen Jahrgang mit einer Entschuldigung schließen. Es
liegen mir nändidi noch eine ganze Reihe von Manuscripteu vor, dei-en Ver-
öffentlichung mir bishei* wegen Raummangels unmöglich war. Ich bitte die
geehrten Yerfksser nm Nachsicht nnd Yenpreche den Abdruck ihrer Ab-
handlnngen möglichst zn besehleonigen. Sie mögen sich ToiUnflg damit
trösten, dass dem Weite ilirer Arbeiten dnrch die tuvrttnneidlielie VenSgemng
der Publication keinerlei Alibrnch geschieht. Den geneigten Lesern aber
kann ich die \'ersi( liHruiig ffcben, dass für den demnilchst beginnenden neuen
Jahrgang des Pädagogiums bereits ein reicher Schatz ebenso lehrreicher als
interessanter Aufsätse zur Verfügung steht Programm nnd Geist nnaerer
Zeitschrift bleiben selbstverständlich unverändert Dütes.
Verantwortlieher Betlaetenr: II. 8t«ia. nnehdreelUNi Jalim« Klinkbftrdt, Ldpsif.
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Literatürblatt
Beilage zum Paedagogium, IV, L
Vorwort.
Wir sehen niis veranlasst, den nenen Jahrgrang des Literatnrblattes mit
• inig^en aUp^emeinen Bomerkiingen zu eröffnen. Einige Autoren und Verleger
haben sidi beklagt, dass unsere Recensionen zu stjeng, ja bisweilen ungerecht
seien. Dem gegenüber glauben wir, dem vor zwei Jahren gegebenen Ver-
sprechen gemäss, ebensowol unbegründeten Tadel ab unverdientes Lob vei>
mieden sn haben. Wir woUten nnd woUen weder wahres Verdienst Terkletnem,
noch für Wertloses Beclame machen, sond^ der Wahrheit die Elire geben,
das Gediegene verbreiten, das Missinngene verbessern oder beseitigen helfen
nnd dem Leser zuverlässige Winke geben. Wir wissen reelit wol, da*s Irren
menschlicli ist und werden dalier begründeten Einwendungen stets zugänglich
sein. Aber die Verfasser und Verleger literarischer Neuigkeiten sollen auch
ihrersdts jene alte Wahrheit bedenken. Sie kOnnen ftbersengt sein, dass wir
nnr bewfthrten nnd nnparteiisehen Fachmftnnern Becensionen fiher^
tragen, und wenn die letzteren bisweilen nielit nacli Wunsch ausfallen, so möge
man doch ja genau prüfen, ob denn niclit das betreflfende Werk hieran Schuld
sei. Gegenüber der jetzt leider so hilntigen Anpreisung leioliter A\ aare halten
wir es geradezu für Pflicht und zwai- füi- eine recht ernste PÜicht, auf dem
Bfichermarkte wieder einem strengeren Massstabe Geltung zn verschaffen, schon
weil wir uns sonst einer Tftnschnng unserer Leser sehnldig machen wilrden.
. * Btttes.
Kurze pra^niatiselie Geschichte der Philosophie von Chr. C. Thilo,
Oberconsistorialrath. In zwei Theilen. Erster Theil: Geschichte der grie-
diiscben Philosophie, 403 S. Zweiter Theil: Geschichte der neueren Pbüo-
sopiiie. 4M S. Kothen 1880 u. 1881, Otto Schulze.
Der er^te Band dieses Werkes bringt nach einer orieutireuden Einleitung in
drei Abschnitten die griechische Philosophie und zwar 1. die Periode des Sokrates,
2. die Periode von Sokrates bis Aristoteles. 3. die Periode v(»u Aristoteles bis
zum Ende der nenplatonischen Schule sur Darstellung. Der zweite Band
beginnt mit einer summarischen Übersicht des Zeitraums swischen der alten
und der neueren Philosophie (Kirchenväter, Scholastik, Baeo vonVendam) und
behandelt dann die letztere in zwei Abschnitten, näuüich die Philosophie von
Des Carte« bis vat Kant und die Philosopliie von Kant bis Herbart
Dass der Verfasser mit dem zuletzt genannten Denker sein Werk absrbliesst,
hingt mit seinem eigenen philosophischen Staudpunkte, dem Herbartiauiscliett,
znsammai. Von diMem ans werden die im Lanfe der Zeiten herrorgetretenen
philoeopbi.scben Systeme im AllLreiiieiiien auff^cfasst und beurtheilt, erklären
dch auch im Besonderen manche Dispositionen des Werkes, z. B. die starke
Betonvng der Speenlatioii im Vergleiche aar Ihdvetion, ebenso der Metaphysik
gegenttber der T'sydudogie ; hiermit hingt es auch zusammen, dass Baco von
Verulam eine sehr bescheidene Stelle srhSIt und die philosophischen Leistungen
nadi Herbart nnberttcksichtigt geblieben sind.
Wenn also auch das vorlieg-ende Werk an einer trewisson Kin-;eitigkeit leidet,
SO muss es doch als eine äusserst gediegene, überall auf den Kern der Sache
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2 —
eingehende, vou reiner Liebe für philosophische Forschimg nnd redlu hem Streb» ii
nach historischer und theoretischer Wahrheit zeugende Leistuug deutscheu
Fleisses uud Geistes bezeichn«'t werden. Nur mit Bedaneni verzichten wir im
ninblicke auf den uns zu Gebote stehenden enijen Ratun auf ein näheres Eiii-
fehen in dieses vielumfasseude VV^erk, welchem selbst neben t'berwejjf's Geschichte
er Philosophie ein ehrenvoller Platz gebührt, uud welches Jedem, der mit
mässiirem Aufwaud vou Zeit und Kraft ein treue.-} Bild »len Ganges philosophi-
scher Jj'orschuug gowinuen will, als zuverlässiger und eiusichtsvoller Führer
empfohlen werun kann. D.
Die yersShnnng ron Natur und Cultw« Yortr&ge tber vasen Zeit
und natnrgemli^se Philosophie von Emil Schreiter. Ldpog 1881, L. Bohn.
176 S. 2 80 Pf.
Die Calamitäteu unseres gegeuwärtigau Culturzustandes haben den Verfasser
* veranlasst, nach einer LOsnng der Dlraoiianzen unseres Zeitalters zu forschen.
In vier Vorträgen, gehalten in dem Verein für n;iturgemäsde Lebensweise, hat
er seine Anschauuugeu ausgesprochen; die augezeigte Schrift macht nun jene
Vorträge einem grösseren Publicum zugäuglich. ISe schildern zuuächst die
soeialen Zustände unserer Zeit uud führeu dann die theoretischen Grundsätze,
femer die praktischen Maximen der Philosophie des Autors vor und bezeichnen
endlich die Mttel und Wege zur V^erbreituug dieser Philosophie. Was die
Tendenz dieser Vorträge betrifft, so will Verfasser eine Weltanschauung dar^
legen, „welche die scheiubar unvcrsiilmlichen G.'<rtiis;itze von Glauben und
Wissen, Veratand uud Gemilth. Cultur uud Natur in iianuuuie auilüst.** —
In der Durchführung dieses Vorhabens erscheiuen zwar neben Anderem aucli
etliche sehr prnbleniatische Ansichten, die, obwol schon ^i>\t längert^r Zeit auf
' der Tagesorduuug, uoch immer nur in eugen Kreisen Anklang tiuden, oft genvdeza
als Ahoglanbe betrachtet werden. Allein sie werden hier wenigstens in klarer
Fassung vorgetragen und mit Geschick vertreten, wie denn Verfas-ior illjorhivupt
sich als ein wol geschulter, fein gebildeter M;uui erweist. Und, was die Haujii-
saehe ist, der ganze Geist des Buches ist rein und edel, den schönsten Idealen
menschlicher Cultur und Wolfahrt zugewandt, mit den besten Gedanken deut-
scher Poesie und l'hilosophie genährt.- Auch der Stil des Buches ist allent-
halben ansprechend, eorreet und durchsichtig. Wer nicht pednntiieh Alles
zurückweist, was gegen sein gewohnhoitsmässiges Denken verstösst. sondern
auch Anderer 3Ieiuung unbefangen zu würdigen versteht, wird daher das au-
geseigte, viel&eh belehrende, kUrende und zum ^nsen sprechende Bach mit
Vergnügen nnd Nntzea lesen. Y.
Über die Gesundheitspflege der Sehflier und uas von ihr in den Lehr-
plan der Schule aufzunelimeu, von August G asser, Lehrer in Wiesbaden.
Wiesbaden 1881, Ciir. Limbarth. I SO Pf.
Die pädagogische Literatur wäcll^l uumer mehr and mehr an nmi es ist dabei
natürlich, dass gar vieles Halbe oder ganz Unbrauchbare mit in die Öffentlich-
keit gft*?andt wird. Wie in einer Aug' und Her/, erfreuenden Giu-^e ruht man
daher bei Krselieinungen aus, welche wie dieses ßüchelcheu einen wirklich
pralctisohen Wert habeu, der übrigens auch dadurch sich kund gibt, dass der-
selbe von fler königl. Regierung in Wiesbaden, auf Autraü: der von derselben
ernannten Preisrichter, mit dem ersten Prei.se der Seebodestitt ung gekrönt und
zur Anschaffung für die Schulbihliothek enipfolden wurde. Bei einem raässigen
Umfange t^lüi) Seiten) enthält das Werkehen eine Meni^e der für jeden S hul-
manu uud Schulfreund wichtigsten Wabriieiten der .Sehulhygieue ; es zeugt nicht
nur von grosser Belesenheit des Verfassers in der eiuschll^igen Literatur aller
Culturvülker, sondern tjewiinit nodi an Wert durcl» den l'nistaiid. dass der
Leser in zahlreicheu Pussuoteu aul die betreffenden .Specialwerke aufmerksam
gemacht wird. Das Buch gliedert meh in zwei Theile: a. Ober die Oesnndheit»-
pflef,'e der Scliüler, b. was ist von der Gesnndhoit.spflt L,n' in (b n L' liridau der
Schule aut/unehmen? Der erste Theii handelt in einem ersten Abschnitte vou
dem Gesnndlieitssustande nnd der Oesundheitsi^ege unserer Guiention, wo
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— 3 —
übt^r (Ion :illinälilichon kitriKTliclien Verfall des Menschengesclileclites £;os]irnchfell
wird uml die Ursarlien desselben iiuseiuander gesetzt werden ; durch den /weiten
AlMcliiütt, ,.di^ «iescliichte der pädagogischen Geanndheitspflege*' soll nach-
gewiesen wexlt n. (lass die Gesundheitspflege, insofern als die Entwicklung des
(ieisteslebeiis in oigauischeoi Zusammenhange mit der physLschen Entwicklung
stdit, Sache der Sriehnngr sei, und dass dies auch stet^ die Ansicht der ge-
wiegtesten Pädagogen war. Der dritte Abselinitt filhrt dm Beweis für das
Thema, dass die Gesundheitspflege nicht blos mit der leiblichen, sondern auch
mit der geistigen Natnr des Mensdieiii zu thun hat. Im vierten Abschnitte
erf'»rtert der Verfasser, welr he Factnren l>pi der Gesundheitsptlei,'e der Schiller
. mitzuwirken haben und worin ihre Aufgabe besteht; diese i'actoren sind der
Staat, die Familie, die Schule und die Schfiler adtiet Mitten in dat Püaktbche
seiner Aufgabe tritt der Verfa-isi r mit dem fünften Alisclmitte: die in der
Schule zu Tage tretenden Krankheitserscheinungen und deren wahrscheinliche
ümchen; als solche Schnlkrankheiten sfthlt er auf: Rückgradsverkrttmmnngen,
Kurzsiehtigkeit, Blutandrang zum Kopfe, Blntannuth, Verdauungsstörungen und
Uuterleibskrankheiten (auch zu Mhe Entwicklung des Geschlechtstriebes),
Kropf, ansteckende S^nkheiten vnd .endlieh Ejrankheiten nnd KranUiaftigfceit
des Nervensystems: diesen letzteren t'lu ln ^vidmet er besondere Aufmersamkeit
nnd findet ihre Ursachen in der oft fehlerhaften Art des Schulunterrichtes, in
der zu frühen Anfhahme in die Schnle und der Übeihttrdnng der Schfiler. Der
.sechste Abschnitt handelt nur von der Fnige; Was ist zur Venneidung resp.
Beseitigung der angeführten unerfreulichen Zustände zu thun? uud beantwortet
rie damn, dass a. körperliche Pflege (zweckmlssigeEmfthmng; Gewfthmng von
Wärme, Licht, Luft, überhaupt alles dessen, was ortranisi he Wesen bedllrfen);
b. Pflege der Sinne; c. geistige Pflege (Erziehung zur Tugendhaftigkeit nnd
Vorbereitung für das praktische Leben) die Mittel fQr üie Hebnng der Übel-
stfinde seien. Bei der „geistigen Pflege" bespricht der Verfasser die „geistigen
Gebrechen" der Schüler und deren Behandlung in sehr eingehender Weise
(Leichtsinn, krankhafte Empfindlichkeit, Gefühllosigkeit und GemUthsrohheit.
Trübsinn, Verdriesslichkeit und Unmuth, heftige Gemüthsart. Neid, Müssiggang.
Trägheit und Gemächlichkeit, Weichlichkeit, Unkeuschheit. Unmässigkeit uu<l
Genu.s.ssucht.) Einen eigenen und zwar sehr gelungenen Abschnitt tiuden wir
dem Thema gewidmet: die Gesundheitspflege des Schülers liegt zum grOssten
Theile in der IJnnd der Mutter und Hausfrau: hier deckt der Verfasser eine
Menge ilängel unserer socialen Verhältnisse auf und deutet die Mittel zu deren
Behebung au. — Im zweiten Theile: Was ist von der Gesundheitspflege in
den Lehrplan der Schule aufzunehmen? spriclit der Verfasser zunächst nur von
der Volk-sschule; er wünscht eine Anthropologie und < iesundlieitslehrc eingeführt,
gibt Lelirniittel und Lehrbehelfe an und entwirtt sodann einen ganzen Lehr-
gang für den pitdagogisch-antliropologiscln n Futerricht; überall führt er die
Mängel der Körperbilduug an uud regt durch Fragen zur Besprechung derselben
an. Eine Besprechung der Pflege des Kindes und des kranken Menschen reiht
sich an diese Aviseinandersetzuns:. Mit der Beantwortung der Frage: welche
andere Di.scipliuen haben den Unterricht iu der Antiiropologie und Gesundheits-
lehre zu unterstützen? und mit einem Aufsatze über die B^entnng des Lehrevs
in der Gesundheitspflege des Sdiülers schliesst das höchst anerkennenswerte
Büchlein. — Wir haben deshalb den Inhalt des Werkchens detaülirter als
sonst gewöhnlich gesdiOdert, nm anf die Reichhaltigkeit des Jbhalte desselbni
gebührend aufmerksam zu machen und bedaneni nur. nicht noch eingehender
die Vorzüge einzelner Partien hervorheben zu können. Auf das allerwännste sei
dieee »Geimdheitspflege*' Lehrern, Scholfreimden und namentUdi auch deuHttttem
empfohlen ; ^ werden vieles Behendgenswerte in demaelhen flnden. G. B. B.
Krones. Grundris.s der österreichischen Geschiclite mit hesoiulerer Rücksicht
auf Qnellen- und Literatorknnde. Wien 1881 , Hölder. Erste Liefenugr.
gr. 8". 194
Durch die reichen Literaturangahen ist der vorliegende Grundriss zu einem
gendesQ unenthehriiehen Bache für jeden geworden, ä«t an dem Ausbin der
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ÖHtcnvicliisclicn ( M'scliicht.swisseust'haft mitarl)eitt't ndt r sicli auf Gniinl des
Quellen- und Hiifsifchriltenmateriales ein selbständiges Urtheil über irgrnd eine
Streitfinge bilden will. Was an Literatur sonat mtthsam und mit Zeitverlust
/usamniengesucht wenlen nin^-^tp, olmc dnss man dabei immer die beruhigende
Sicherheit erlangen konnte, keine A urarbeit übersehen zu haben, das liegt nou
bequem und handlich, flbersichtlieh geordnet und vollständig rar.
Die AnordnuTiij ist dass vnr jfilpin Tapirel. das immer nur ein ganz,
kleines Stück Geschichte in äusserst kuaj>|)er Form erzählt, eine 1 bersicht über
die Quellen, Urkunden nnd Hilftschriflten der betreffenden Partie gesteilt ist
nnd nach dem Text eine Reihe von Anmerkungen, welche die Litei-atumach-
weise Uber die berührten Streitfragen bringen. Dadurch, dass Kronea die
einsdnen Schriften naeb ihren gemdmamen Hanptresnltaten gruppenweise m-
sammenstelU. i-^t e>! iiiiinflich geniaolit. Ach ras« Ii über die aHniilhlirhe Ent-
Die Behandlung der Frage nach der Abstamniung der RunAnen, der Bajuwaren,
deren niristiani.iimni,'' sind bcisjiiclswpise sdlche mustcrlinfto Stttcke in dieser ersten
Lieferung. Daa Buch ist auf vier Lieferungen berechnet. Um den Inhalt der
ersten kmns Munidenten, sei erwfthnt, dass nch dieselbe in ihrer ersten HiMte
mit (if r ^Icfliodik. dmi I'-t-sriff und der Behandlung der ßsterrei<^hisr-hen (ie-Johirhte
bescbättigtj^ dann die Epochen derselben flzirt (nebenbei bemerkt, liesse sich
hier eine Yereinfinchung nnd markantere Gliedemng vornehmen), endlich in
einem sehr Idmreiohen Capitel die Ent^virkelungsgesohirlite der östoirric hisdien
Historiographie vor nnd im Jahre 1526 schildert und dabei eine schwer er-
reichbare FRUe biographischen Details in den Notoi bringt. — Dhs nreit« HSlfte
erzählt in der ob« n ski/zirten Art die (■("^cliichte der flstendchischen LSuder
bis ztim Jahre lUOU. Da.s Buch wird in keiner österreichischen Lebrerbibliothek
fehlen dürfen, besonders aber üniversitÄtshörem ein hochgeschätzter Freund sein.
Kraiiso-Xorger. IVurscho Orammatik für Ausländer jeder Natimuüitftt.
3. Aufl. Rostock, Werther.
„Für Ausländer j e d e r Nationalität." Durt h diesenTitel verspricht das Bttclileiu
mehr, als es wirklich bietet; denn es nimmt nur auf solche Eigenthüniüthkeitcn
Bücksicht in denen das Englische und Franzosische vom dciitschr-n Spracligebrauch
abweicht, und die bei der Erlernung des Deutschen zu Feldern Aulass geben.
Seinem besonderen Zwecke entsprechend, gruppirt es die Declination nml < . n-
jugation, sowie die Eintheiluntr <ler starken Verba in Classen ander< als .lie
üblichen Leittäden. die für Deutsche zusamnieniiestellt sind. Die Eiuiheilung
der Declination ist nicht glücklich. Wozu eine eigene Declination der Demi-
nutiva? warum sind bei der Declinatimi der PVemdwörter die auch dem Aus-
länder nicht als Frenidwiirter ersclioineuden ..Engel, Zins, Staat"' erwälmt?
Wozu in einer fiir Anfänger bestimmten Grammatik drei verschiedene Eiu-
thcilnngen der Declinatitm? Wozu eine so eingehende Wortliil inmr-l' lire,
die doch, was die Ableitung betrifft, grösstenthcils nur theoretisches Interesse
besitzt':' W^ozu endlich die Er^^ähnung einer vierfachen Tonabstufung? Andi
der Vocativ als eicrener Casus des Deutschru und der Cnnditional ab» vierter
Modus sollte gestricheu werden; eben.so manche unrichtige Einzelheit: z. B. S. öü:
ein einseines Wort, welches als Apposition gebraucht nird, fordert keine
Interi)unction. oder S. 51: das prädicative Adjectiv bleibt stets unverändert;
oderS. 216: nur selten setzt man bei Präpositionen, welche verschiedene Casus
regieren, das Substantiv nur einmal (,.mit und dme diese Chrasd**); S. 843: an
zu :nn ni eu i:es e t ■/ 1 er Satz ist ein sulrber einfacher Patz, in welchem eine
Gruppe von 6ubjecten mit nur einem l'rädicat etc. verbunden ist, vgl. dazu
die Anmerkung: einen solchen Satz kann man in so viele einfache Sttne
fcerlcn-en als etr. S. 154 stehr ein starkes Verbum (Z. 28 T. 0.), das WM deoi
Munde eines Gebildeten nie gebort wird.
Über den Tadel dttrfen w das Lob nicht vergessen. Die Mnstersltie aiad
aus Classikem gut gewählt und die Fa-s-sung der Regeln so. dass •^ie «ich Idcbt
übersetzen lassen: klar und prftcis. Die bucbhändleriscbe Ausstattung des
W^kes verdient alle Anerkennung. — ^m.
YariintwortUclier Bedaetettr: M. Stein. Bnchdruekerei Jalia« Klinkhardt, Leipxig.
Wickelung
betreäendeu Frage zu orieutiren.
W.
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November
188L
Beilage zum Paedagogium, IV, 2.
Gnindzilge der pliilosopliiselieii Propädeutik. Für den Gebnuieli an
höheren Lehraii8talt<»n zusammengestellt von Dr. Richard Jonas. Oberlehrer
amkönigl.Fripdr.-Wilh.-Gymnasinni XU Tosen. 27 S. Berlin 1881. IJ.iJaertner.
„Diese Blätter sollen filr deu i'riiuauer einen Anhalt bei der Durchnahme des
Wichtigsten ans der philosophischen PropXdeutik Meten. Der Verfasser hat in
denselben iu aller Kttr/.e dasjenii^e ziisanuiu-ni^estellt, was nach seiner ^\jisicht der
.Schüler an po.«itiveni Material sich aneignen mn^; im Übrigen will er den Au.stüh-
rungen des Lehrers den weitesten Spielraum lassen." — So ist es recht, während
da« wo dem Schttlor fttrmlicfaeLelirbacher der Psvchologie imd Logik in die Hände
gegeben werden, dieser 7nm mechanischen Answendifrlcnien verleitet wird, und
der Lehrer ni( lit viel weiter zu thun hat. als das (lelernte /.u iiberhüren, wo-
durch ert'ahninirxniilssig da.s ithilosopliische Interesse der Jungen Leute mehr ab-
frestinni>t"t als bt'lebt wird. Der vorliegende Leitfaden ffiht mit musterhafter
Klarheit und Präcision die Hauptpunkte der Logik und r^ychulugie und kann
mit den Worten ehankteridrt waiden: Inun und gnt. D.
Erssfehmig und Oeschlchte. Ein Vortrag von IL Lazarns. öl S.
Bre.slaii 1881, Schottlaender.
Dieser schöne und uoistvfdle Vortrag skizzirt die zwischen CJeschichte und
Erzielmug «tattfindendc Wechselwirkung, indem er nachweist, wie einerseits die
in der Völkerentwickelnn^' hervortretenden Lebenaideale zu neuen Veranstaltungen
und Methoden der Jugeu(llnMunp: führen, anderseits rnterricht und Er/iehnni? Cör-
demd in die Cultnrentwickelung der Völker eiugreüenj wie letzteres iu m>ch
höherem Masse geschehen könne und solle als msher, darflber gibt Verfnaser
eine Reihe irediegener und fruehtharcr Anregungen. Der Vortrag i.st von dem
(leiste echter Humanität und hocb>inuiger Denkuug»art durchweht und wird
jedea dem Uealen mgeneigten Leser siympatbiedi Mlluren. H.
OmndäBtze und C^nindzttge zur Anflstelliuig eines LelurpUns fUr
elneTanbstiimmeiisiislftlt. Von Dr. W. Gnde, Dlrector derprovinzial-
«tftd tischen Taubstummen- An.st alt zu Stade. 148 S. Hannover 1881, Hehving.
Der als ein theoretisch und praktisch tiirhtitrer Fachmniin bereits rt\hndich
bekannte Verfasser entwickelt hier zuerst in eingehender und sicherer Weise
die Gnmdstttze, nach welchen ein Lehrplan fllr Taubst uninicnanstalten aufzu-
stellen sei, und entwirft dann die Grundzüge eines solchen Lehr]>l!ins. wobei er
einen achtjährigen Si'hulcursus vorauss«'tzt, in welchem die Schulerjahrgiinge
bis auf die der beiden letzten Uuterrichtsjahre in natürliche ('lassen geschieden
sind. \'erfas-^or arbeitet überall mit selbstsfändig prüfendem (leiste und mit steter
Berücksichtigung der anthropulogischcn Fundamentalsätze, indem er darauf au.s-
geht, an die Stelle bloeser Meinungen nnd Thiditionen xaTerlissige Lelngnind-
Sätze zu setzen. Es dürfte schwer fallen, 'jcircu <i'ine Ausführungen etwas
£rhebliüheä vorzubringen. Dabei sind dieselben nicht blos für Taubstummen-
lehrer, sondern fttrPkdagogen Uberhanpt von hohem Biterease; insbesondere gOt
diM von den lehrreichen SMrtemngen tthor die Entwickelnng von Sprache nnd
Geist bei Vnlbiunigeu. F.
Der ehr!stH<*ho Relig:loilsunt4»lT!cllt auf (ti nndlajre der heiligen Schrift
und nach pädjigogischen Grund.sätzen iu der Obercla.sse der \ (dksschule.
EinHandbndi fBr Lehrer von Dr. C. Kehr. Seniinardiiector zu Halberstadt.
2 Bände, 363 nnd 334 S. Pt«is 8Mark. 4. Anfl. Gotha 1881, Thienemann.
Obwol wir den in diesem Werke zur Ausführung gekonmienen (ii undsätzen
nicht vollständig zustimmen und der Meinung sind, dass der Keliglonsuntt rri* ht
noch einer bedeutenden Umgestaltung bedarf, mUsseu wir doch das vorliegende
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Buch iuner!i;ill> «Ut (Frenzen, welche Itis jetzt ihmIi vonseiten «ler SchuHiehönleu
festgehalten wonkii, als eiue gauz vor/iigliche Leistuiif^ schulmänniss<-ber Ein-
sicht imd Thäti^keit auorkennen. Wer nach den /ur Ztit noch bestdie&den
Nonrif^ii in der öberehissc einer evangelisch en Vi'lk<sclmle Re]ii;ionsnnterricht
/n erth(>ilcn hat, kann sich keinen besseren Füliivr wählen, aU dieses Handbuch
von Kehr. Dasselbe ist ttbrigens ISngst in weiten Kreisen geschfttst nad be-
darf dahfr tii» lir erst einer einstellenden Besprei liun^'. vnn der wir hier um so
mehr absehen künueu, als die neue Auflage keinerlei sachliche Veräuderuugeu
eifiüiren hat D.
0nindz1lge der Anthropologie. Hit besonderer BerttckriGhtagoii; der
öesundheitslehre bearbeitet von Heinrich Vogel. (Materialien für Natur-
gesdiielite in Oberelassen, erster Theil. i 148 S. Planen 1881, Xeupert.
Es dürfte übertidssig sein, den Inhalt dieses Buches näher darzulegen, da der-
selbe dnrch den Titel hinIftngUch bezeichnet ist. Verfluser hat ans denW^lrask
von Bock. Nienie.ver, Kedani n. s. w. das Wissenswerteste ausgewählt und reeht
gut wiedergegeben, klar, populär und ohne erhebliche Mängel Ohne Zweifel
xaiin der Volksschnllehrer sidi dieses Buches mit Natzen mrVorbereitnng attf
den Unterricht bedienen: das Mehr oder Weniger m praktischer Verwendung:
mnss seiner Auswahl Uberhu>sen bleiben, da in dieser Hinsicht die sehr ver-
schiedenen Zustände und Bedürftüsse der einzelnen Schulen massgebend sind. D.
Gnreke* Deutsche Schnlgraminatik. Aufgabe für österreichische Scfanlen
von Hermann Glöde, Dr. pbil. Hamburg 1881, HeiSRier.
lieferen? meint, d:\ss dieser ne»ien An.sgabe von (Inreke die Virrede vielfach
.schaden wird. Der Bearbeiter sagt hier, dass er Abstand nehmen luuMcte.
manche Capitel der Wortlebre und durchschnittlich die iresam»t«
Syntax von (irund aus uni/ugest.ilteu, wie er es am liebsten gethan
hätte. Und als Grund seiner Enthaltsamkeit führt er an, das Buch habe sich
seine Itoterreichischen Gitnner in der Form, in der es vorliegt, errungen. Wati
wenlen sich die ö.steri'eichisclien 3IittelsclinllehriM- ilenken. wenn -ie die-os
„.schmeichelliaftc'' Compliment zu Gesicht bekommen';' Auch iu der Wahl der
Sätise bekundet die heue Auflage keinen rediten Takt: Blftcher. Gustav Adolf.
liUtlier di» Calvinisten, die brajidenburgischen Kurfürsten kehren in den Mu-r* r-
sätzeu mehrfach wieder, dagegen tinclen sieh Sätze, welche von den Thateu
Österreichischer berühmter Maiuier reden, selten oder nie. — .
Herbst» Hilfsbnch für die deutsche Literaturgeschichte. I. Thefl:
Die mittelhochdeutsche Literatur bearbeitet von Boxberger. IL Theil:
Die neuhochdeutsche Literatur bearbeitet von Herbst. Dazu: Erläuternde
Bemerk 11 (IS- en zu dem liilfsbuch von If erbst, (icitlia. Fr. .\ndr. Pei-tlips.
Uie vuriiegende Scbiift wiitl, wenigstens durch ihren theoretischen TbeiL eiueu
Markstein in der Entwickeluiig des deutschen Literaturnnterridites beaaebneB.
alinlicb wie seiner Zeit die Arbeiten von Hiooke, Wackeruagcl und 1. aas. (Jeg. n-
iiber der sattsam bekannten Ait, wie au höheren Scholen die deutsche Literatur
betrieben wird, stellt der gefeierte Schulmann und Litowrbistoriker in den „Er*
läuternden Bemerkungen'" folgende Thesen auf. die er eingehend auseinander-
xetzt und begründet: „Literaturgeschichte gehört nicht in die Schale^ die
Literaturkunde in der obersten Cla^ise der G3^nuiasien und ReahMihulen hat mit
den "."^rosseu Dichtem des vorigen .Tahrhundert-vS zu beginnen und scliliesst am
be-sten mir (Joetbes Tod; sie hat innerhalb dieses Kahmens sich auf tlie vier
grossen Koryphäen Klop^tock. Lessing, Goethe, Schiller zu beschränken; nur mit
kurzen Winken als Prolog und Ejjilog hat sie mit dem Vorher und Nachher
unserer netiliot luleut.-^cben Literatur Fi'ihlung zu suchen; aus der altdeutschen
Literatur kommt in der Shuie um die classiscbe Literatur des 12. imd 13. Jahr-
hunderts zur Sprache: die Nibelungen, (iudrun. W'.iltlo r; I itln ile über Dich-
tungen sind nur dann znlässig, wenn die hetret^tiideu Wejke gelesen sind nnd
dem Schüler die Begründung des rrtheils aus der Lectilre möglich ist. Man
lese wahr und erläutere kurz, dii< N'othwendigstc durch wenig Zwi>chen-
bemeffcnogen und Zwischenfragen! ächliesalich behandelt Herbst iu den nBe>
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— 3 —
merkiniiren'' am li die Frajj^p. weldie nirlitniiiroii <lrv vu>r Kory]ilia('ii iin^oror
iieuhüchdeutsilu'ii Literatur in der Schule und iirivatim ^eU'seu werden niiissin.
Eb ma^ (lern Verfasser zur Ireuditfcn (ienuf^tluuuiu ncrpii lieii. dasif seine An-
^i<•llt(Ml in dt'ii ..Tnstnii tii>n('n t"i\r dcn rnterricht im l)iMit<i h«'ii .m "-tcir. lü ul-
.schuiuii'' benutzt mid und äomit in Udterreich bereits zur praktischen iHuch-
fRhran^ kommen.
Sieht man «Iii- beiden TlilMHichor. deren eins von Herbst selbst, das andere
von Boxberger geschrieben ist, mit Küeksicht auf die Priucipieu iu Ueu „Bc-
merkiiiigm** durch, so kann man sich einige Haie des Gedankens nicht erwekren,
da.ss die Praxis mit der Theorie nicht gleichen Schritt i^ehalten. Klopstn( k und
auch (locthe sind hier und da so behandelt, da^s wul im Hinblick darauf ein
Kritikus de^i HUfsbuches (im Archiv für das Studium der neueren Sprachen)
keinen wesentlichen Unterschied zwischen der Art des Hilfsbuches und der vor-
handenen literarcrescliiclitlichen Leitfäden herausfinden konnte. Ja. es werden,
uan/ im (iet,'ensat/. zur vortretratrencn Theorie, manchmal seihst Urtheile über
Werke ahtrej,'eben . deren Beirründuni; sich nnr aus den nicht /nr Lectiire em-
pfohlenen Tlicilen ahleiten liisst. Auch Roxhertrer zieht manches herein, das für
den Unt<:rricht, soll er auf Anschauuuj^ beruhen, ohne Wert ist (vgl. indisc he
Sloka bei Besprechung der Nibehingenstrophen). Aber, mag man noch so strenge
hieriiln r nud über eine Anzahl Fehler in den Daten zu Gericht sitzen: es bleibt
im Uerb8t'ächen Hiifübncb noch soviel deäüut€u und Neuen, das» seine Leetüre
jedem Lehrer der Literatnrknnde empfohlen werden mnss, avch wenn die An-
sichten von TTerbst uar uii lif diu Punkt bildeten, an dem jed<' weitere Disenssion
Uber den Literatur« Unterricht aukuüpl'eu wird. Dasü dies aber thattiiichUch der
Fall sei, wird schon die nichste Znlnuifl lehrai. — om—
F. Rummer. Prof. a. D. am (iymnasinm n. a. o. Professor der Mathematik
an der I niversität zu Heidelberj?. Lelii bnc h der Buchst ahenreelinnng
und der (Tleiehungen. Mit einer Sanimlun«- von Aufgaben. 1. Theil.
5. Aufl. Heidelberg IHHl, Carl Winter. 6 M. 408 8.
Den Inhalt des vorliegenden Baches bildet dieBnchstabenreclnning, einschliess-
lich der aritliuK f i-i 1h 11 und geometrischen Reihen, und die Cileichungen des
1. uud 2. (jirades. Für den Schulgebrauch erscheint es aln gut geeignet, wozu
die grosse Zahl meist passend gewählter Beispiele recht viel beitr^. Besondere
wissenschaftlidif T>p<rriindnne: scheint der A'erfasser absichtlich gemieden ZU
haben, wa« wir iudcM nicht f^uz billigen möchten. Zwar verursachen solche
Begründungen immerhin Schwierigkeiten; doch halten wir dafttr, daas sie in
den Oberclas.sen der fJymnasien und alsrlmlen iil)erwunden werden müssen,
soll der winsenschaftliche Geist in der Jugend angeregt und der so viel ge-
priesene formale Nutzen der Mathematik Wahrheit werden. Ohne dass wir
daher sonst der (lüte des Buches irgendwie nahe treten mtichteu. möchte es
doch gestattet sein, die wissenschaftheben Schwächen desselben zu l)esprechen.
Nicht Vorwürte wollen wir damit erheben, sondern unsere Ansichten über die
Abfassnui<: eines solchen Buches znni Ausdrucke bringcu.
Dil lielit bige Vertauschbarkeit der Factoren <S. .V' bildet einen wichtigen
Fuudameutalsatz und verdient in Folge dessen einen streniren Beweis. Vorerst
wird er sich natttiüch nur anf ganze Zahlen erstrecken kimnen. in dem Masse
aber erweitert werden müssen, als i]>r Zahlenbegrirt" selbst allmälig erweitert
wird. .Vuch die 3£ultiplicatiou von mehrgliederigen AuMlrücken mit Monomen
nnd von Pt^ynomen mit Polynomen finden wir recht einfiioh, aber nntnAndlich
behandelt. I)a< geht nun albs iinih hin. sn lange man es mit ganzen Zahlen
zu thuu hat; da« aWr die eben erwähnten Operationen auch gestAttet sind,
wenn die Factoren etwa irrational oder gar imaginftr sind, bedarf znm min-
desten eines Nachweise^i. Freilich finden wir nirgends den Begrift' des „Irratio-
nalen'* erörtert, was zunächst uothwendig wäre; ebenso ist der Begrift des
„TmaginKren" juir irestreift. Der Verf. sagt einfach: „Man nennt solche Grössen
imaginäre oder nnmögliche." (S. 52.) DieM überBetKOng ist recht tatal und wird
durch die beige<,'ebenen Beispiele keineswegs plausibel gemacht. Nicht Y
bestimmt an sich die „Unmöglichkeit" einer Lösung: unmöglich kann sie auch
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sein, weun da-s Resultat eine gebrotheue oder irrationale Zahl ist. lüOMeupihen
in 7 gleich grosse Abtheilnngen zubringen, gibt als arithmetiiiches Ergebnis
14%, dieses Resultat ist aber auch .,uiiiip'!jrlif h ". weil die Natur der Aufga'>e
hier eine srf'bmchpnc Znlil niiht zulilsst. Mit den imaginären Zahlen winl ja
in der höhereu Jlatheinatik so ausserordeutlii h Wel gerechnet, «ic steuern einen
riesigen Schatz bei zur Erkenntnis mathematischer Wahrheiten, und doch sind
sie — nnnitiiriii lr:' läsre vorderhand an der Sache nichr viel, doch wird sofort
der Schiller mit Mis.straucn an dies«; Zahlen herantreten, es wird ein v<»llisri'.s
Vorurtheil gegen diese Zahlenformen wacligemfen. das später nicht mehr -n
leicht gebannt wenleu kann. Wir gestehen nicht zn wissen, ob etwa der II. Theil
zum vorliegenden Lehrbuche sich darüber verbreitet, und vielleicht gut uiachr,
was der I. Theil nnklar lässt; wir Mud jedod» entioliieden der Meinung. il.-u<s
das We<entliehe über imaginfire Zahlen im Anschliuse an dieinationalen Zahlen
gelehrt werden niilsse.
Bei der I>efinition des Bruches macht sicb's der Verf. wieder Idcht Er de-
finirt: ...Teder Bruch ist eine angedeutete Division" (S. 8). Das ist der Sache,
aber nicht dem Begriffe nacli richtig. Uateriell deckt sich ^ mit a.b. denn
es ist Ja dasselbe, ob man verlangt von 1 Kilometer, oder 2 Kilometer in
5 gleiciie Theile zu theilen und einen dieser Theile zu nehmen: da.s Resxütat
ist iu beiden Fällen 4(M> :)[eter: aber der begliffliehe Unterschied ist doch auf-
fölUg genug. Die Theorie der Brüche kann unseres Erachtena nicht an den
Quotienten angeknüpft werden.
ätieimUtterlick — wie last in allen deutschen Lehrbttchem der Mathematik —
. finden wir die Theorie der PrinusaUen, des gemeinsehaftlidien Hasses vnd den
gemeinschaftliclidn Vielfaelien behandolt. oder richtiger — <xar nicht behandelt.
Selbstverständlich sind diese Dinge doch nicht, und was der SchOler in den
unteren (Massen darüber gehOrt hat, war nnr populäres Wissen, keine Tbeorie.
Jedenfalls gehört aber selbst das Wenige daittber (S. 14) nicht naeh den
Brüchen, sondern vor dieselben.
Wir sind weit entfernt von Syatemreiterei: aber auch die Reihen, die Zinses-
zinsen- und Bentenrechnung sollten nach den Gleichnugen kommen. Zuerst
muss D.n^ Kommen, was zur Behandlung des Folgenden nothwendig ist, nicht
nmgekeliit. Bei <ler Zinseszin.sen- Rechnung vemiis.sen wir übrigens Manches:
lobenswert ist aber die Beigabe von Tafeln, welche die Ziuspotenzen filr die
gebräueldi<listen Prneontsätze enthalten. Bei den Anfiraben finden wir hier
S. in Nummer 14 : „Wie lange muss femer ein Capital ausgeliehen werden,
nm )i mal grBsser zu werden, wenn der Zinsfuss = p ist?" Soll wol heissen:
Wie lange nni.ss fenier ein Caidtal ausgeliehen werden, damit es u mal so gross
wird, wenn der Zinsfuss = p ist ? n a ist n mal so gross als a; w a -f a ist
nni II mal grö.xser als al
Bei den tTleichungen mit 2 und 3 I iil ekaiinten ist der Begriff: Determinante
eiugcscbwärzt, auch von Unterdetenuinauteu ist 8. 202 die Rede; doch lässt
sich mit dieser „Determinantentheorie'' nichts machen, yielleieht war hier der
jtassende Ort, die Sache gleich bei der Wurzel anzufa.ssen.
Der schwächste von aÜen Punkten ist die Lehre von den ..entgegengesetzten
Grossen'*. „ — 8 ist um 3 kleiner als Null", nt su schliessen nur möglich,
wenn man von dem be(|uemen. aber durchaus nnpa.ssenden Vergleich von Ver-
mögen und Schulden ausgeht. Damit ist es nun nicht möglich, eine geordnete
Einsicht in das WesNi der praitiTen und negativen Zahlen zn gewinn«!. Anch
die .\rt. wie der Verf. die Midtiplication entgerrengesetzter Zahlen zn „be-
gi'ündeu- versucht, ist nur geeignet die Sache noch mehr zu verdunkeln. End-
tich vermissett wir eine Theene der Zahlensysteme vnd insbesondere derDeinmak
bhidie. ebenso da.s Reclineu mit ungenauen Zalilen nebst der Bestimmung der
Fehlergrenzen des Resultates etc. Sollte es der Httrr Verfasser angemessen
finden, den ansgesprochenen Bedenken in der Folge einige Anfknerksamkett
senwenden, so dttifte der Wert seines Lehrbuches gewiss nicht beeintrru htigt
werden. .1. H.
Vctuitwortlidiar KotUeteur: M. Stein. Bnchdruckuiui Jnlint Kliakli»xdt, Leipiis.
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Literatnrblatt
Beilage zum Paedagogium, IV, 3.
Immanael Kant*s Kritik der retnen Temiuift. Herausgegeben, er-
IftQtert imd mit einer LebeiuibescbreibiuiifKaiit's versehen von J. H. v. Kirch-
mann. 5. Aufl. Leipzig 1881, Erich Koech^y. 720 S. 3 51.
Seit «lein Erschoimn der Kritik der reinen Vernunft, de>< llauptworke"? von
Kant, int nuu gerade ein Jalii huiult rf vcrilosaen, lütKecht wird dieses epoche-
machende (leistespxodnct noch heute als (inindlage der ganzen neueren Philo»
Sophie betrachtet, von welcher abzu.sehen kein onist er Penker sich ent-schliessen
luum. Die vorliegende Ausgabe ist ein Band (der /weite) der bekannten vou
Henrn Kirchmuin herausgegeboien „Philosophischen Bibliothek" nnd gibt
allenthalben Zeu^s von der trr'jssen S(»rc:falt und (lewipsenliattitrkeit, welche
diesem umfassenden und verdieustlichen literariächeu Unternehmen vuu jeher
gewidmet war. Dms diese Ansgabe bereits in fUnfter Auflage ersehebitT ist
ein höchst rifif nliclier Reweis von dem noch immer in weiten Kreisen vor-
handenen Interefise für ernste (ieiste^arbeit und zugleich eine Auerkennujur der
Vordienste, welche rieh Hennsgeber nnd Verleger um dieses unsterbliche Werk
erworben haben, der It txtere insbesondere dadurch, das.4 er den Preii desselben
bei sehr guter Ausstattung ausserordentlich niedrig gestellt hat.
Auf den Inhalt dieses Meisterstttckes der neueren Philosophie, um da.s sieb
seit einem Jahrhundert ein gut Theil aller höheren Gedankenarbeit bewegt hat,
in einer Bücheranzeige eingehen zu wollen, wäre ein verfehltes l'ntemehraen.
Wir müssen uns darauf beschränken, der Kirchmanu' scheu Ausgabe unsem
Tollen Beifall zu zollen nnd dem Wun.sche Ausdruck in geben, dass dieselbe
fortwährend recht viele neue Leser finden müge. D.
PlldagO^iselier Jaliresboriclit tOü 1880. Im Verein mitEckardt, Eme-
riczy, Felsberg. Flinzer, Oottsehalg. Haberl. llauschild. Kleinsehniidt. Lion,
Lühen, Morf, Oberlünder, dichter, Kotlie nnd Zininiennann , bearbeitet nnd
herausgegeben von Dr. Friedrich Dittes. 33. Jalirgang. Leipzig 1881,
Friedrich Brandstetter. 872 S. 10 M.
Der erste Theil des Werkes berichtet über die im Jalire 1880 erschit innen
Schriften über Pädagogik, lieligionÄunterricht, Naturkunde, Mathematik, deutsche
Literatur, Lesen und Schreiben, deut^clie Sprachlelire. Clesang und Musik-
unterricht, (ieofi^raphie, Weltgeschichte, fran/ösisclun und eni^lischen Sprach-
nntcrriclit. Zi ii lnien, Turnen, s^wie über die Jugend- und Volksschriften aus
dem liericht-sjahr; der Anzeige und Ueuriheiluug der neuen literarischen Er-
scheinungen sind, wo es nöthig erschien, orientirende Einleitungen Torangesehickt.
Im zweiten Haupttheile des Werkes. ül)ersclirieben „Znr Entwickeln ny^si^esrliichte
der ächule", werden die wichtigsten \ urgänge darä;e8tellt, welche sich während
dee Berichtsjahres auf dem Gebiete des Unterriehtswesens zugetragen haben
(Gesetypfcbnne:, Verwaltuntr. Fort.'^chritte cd« r Rückschritte, Sclmlstatistik. He-
soldung und Stellung der Lehrer, Cuulerenzen, Vereine, pädagogische Zeit»
Schriften n. s. w.).
Was die Ausfühnine: des Werkes betrift't, .so bewährt auch der vorliegende
Band — es ist der dreiunddrei ssigste dieses einzig da.siehenden Jahrbuches —
den längst begrilndeten Ruf des „Pädaü:« »irischen Jahresberichtes '. Es ist eine
durchaus sorgfiiltige. übt r.ill den facliiniinnisclifii ^^sllrun^f bezeuf^ende und daher
tür jeden Fachmann lehrreiche Arbeit. Auch in der Ausstattung ist allenthalben
die gewohnte (Jedieijeuheit bemerkbar. Mehr über das Werk zu sagen, wäre
ftberiflUssig, da ohnehin jeder Schulmann, welcher in Sachen seines Berufes sich
mö^riiehst allseitig zu infonniren bestrebt ist, jedem neuen Bande des Jahres-
berichtes mit Interesse entgegensieht. H.
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J>cr Biiof Pnuli an die (Tjilator für die evaug^flischen Volkssflmllelnvr
uukr liiiizulüguiig eiuei geiiaueu Übersetzung nach dem Urtexte iiacli wissea-
schafltlichen. Qaellen ausgelegt Yon H. Beineeke, kgL Senünaidiraetor ete.
Kinden 1880, Hnfeland. 28 a 1 IL
Diese Arbeit ist, wie Verfasser bemerkt, aus ih-m Wunsche hervorgegangen,
dem evaugeliacheu VolkascUollehrer, welchem ja eiuerseitä um seiner persOnlichea
Übenseugung willen, andeneits in seiaer SteUmig «Is Beligimislfllirer dsnm ge-
If'ir' ii soin muss, die Quellen des christlichen nianbenf; näher kennen zu lernen,
die Möglichkeit zu bieten, den lutherischen Text mit dem Urtexte eu veigleicheu
und si(^ so «ne relatiT setbststSiidige exegetisdie Ausloht m Ulden. ^mlel»!
hat nun Herr Reinecke an dem G^laterbriefe, einer der wichtigsten Schriften
des Apoätels Paolus, seinen Plan auszofOhreu versucht, indem er der lutherischen
ubenetemiff dessdben dne auf den alelwntai Resultaten der ezegvtlBelimi Wissen-
stellt hat. Dieser doppelten Textau^abe ist eine zusammenhängende, den
natürlichen Abschnitten des Briefe folgende Bridining eingeschaltet, wdebe,
ohne anf OHginalitflt Anspruch zu eilMbeiii dem gegenwfetigen Standpunkte
der biblischen Exegese entspricht.
Sb tmteriiegt kemem Zweifel, dass VerfiMser nicht nnr durch die Omndidee
seines Unternehmens, sondern auoh durch die j^eluna^ene Ausführung derselben
au dem gewählten Beispiele unter den Volksschuliehrem viele Leser gewinnen
wird, und in diesem Pidle steht eine Portsetzung des angefangenen Werkes üu
erwarten. Jedenfalls ist die vom Verfasser gewählte Art der Einführung in die
biblischen Schriften eine glückliche, und dass er seinem Unternehmen vollkommeu
gewachsen int, dafür bürgt die gelieferte Probe. Was die beiden neben einander
gestellten ilhersetzungen betrifft, so ist allerdings die neue an vielen Stellen
dem Wortlaute des Urtextes entsprechend», die lutherische aber weitaus les»
barer und vielfach auch sinnvoller. TIl
Friedricli Rüekert's Gedankeulyrik nach ihiem pliilosophischeu Inhalte
dargestellt von Dr. Georg Voigt. 110 S. Anoaberg' 1881, Graaer.
Der Umstand, dass der iihilosuphische Gehalt der Dichtungen Rückert's in
grösseren Kreisen noch nicht genügend erkannt und gewttrdigt ist, hat den Ver-
fasser zur Herausgabe dieser trefflichen Schrift veranlasst. Zunächst bezeichnet
dmselbe in einer einleitenden Abhaudlung „den Stiiinlpnukt, von welchem au>
der so reiche Inhalt der Rückcrt'schen Gedankenlyrik überblickt werden kann/*
worauf er diesen Inhalt selbst in grossen Zügen vorftthrt und damit RUckert's
Art und Weise zu philosophiren und seine ganze Cieistesrichtung schildert. So-
dann geht Verta^^er näher in die wesentlichen Bestandtheile der RQckert'schen
Gedankenwelt ein, indem er des Dichters Ansichten nach den drei Ideen: Gott,
Gemüt h, Welt auseiBandersetzt.
Besondere Anerkennung vordient Herr Dr. Voigt deshalb, weil er es streng
yeimiedcn hat, seinen Öichter nach einem dogmatischen philosophischen Systeme
oder einer sonstigen SchiU>linie zu beurtheilen und ihm dies und jenes unter-
anlegen, statt ihn auszulegen. Vielmehr hat er durchgängig das wahre Intcr-
pretationsprincip, ihm Schriftsteller aus dem Schriftsteller selbst zu erklären, iu
mnstevhafter Weise durchgeführt. Die ganze Charakteristik Rttckert's im All-
gemeinen tuid im Gesunderen ist aus Rilckert't* Schriften selbst belegt und macht
daher Überall den Eiutlruok voller Evidenz. Und so können wir diese gründ-
liche nnd mit grosser Sorgfalt dnvd^ftthrte Arbeit als einen sehr wertvollen
Beitrag zum Specialstudium der neueren Literatur hestens empfehlen. H.
Bio Pflanzen des doutselieu Ucichos, l)eutseli-Ö.stprrol('hs und der
Schweiz. Nach der analytisclien Methode znni (Tebrauche auf Kxrni-sionen.
in Schulen und beim Selb.^tuntn richte, bearboitet von R. \VohUarlh. Berlin
1881, Xitolai'sche Verlagsbachhaiullmig [lt. Stricker).
Zu den ziemlich Tiden analytischen Uandbaehem für die PäanzenbestinunnBg
tritt mit dem hier angezeigten Buche ein nenee, welches deüKam^ mit jenen
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— 8 —
wol aufuelimeu kaun. Das Werk ist nach den neuesten Beobachtongen gearbeitet^
wie unter anderem bei den Gattungen Ranunculm, Pttlmonnria, Rosa, Ruhus.
Saxifraga eh: zu ersehen, die Charakteristiken sind nicht 80 trocken und dabei
Steril, wie man das sonst so häufig antrifft und enthalten doch nur das Noth-
wendige und zwar häufig in leicht Terständlicheu Zeichen. Auf die Synonymik
ist nur in besonderen Fällen RQckdelit genommen, BliUhc/eit und Fundort sind
stets augegeben. Eine Anweisunj? zum Gebrauche der Tabellen gibt dem An-
fanger sehr gute Rathsddäge. Ilieraut folgt eine Tabelle zum Bestimmen der
Gattungen, bei welcher die Holzpflanzen von den andereu getrennt sind, was
wir für sehr erspriesslich halten, zumal bei zweifelhaften PHanzen (Halbstriinchem''
die Voröicht angewendet ist, ihre Namen auch bei den krautigen (iewächscu
auftreten su lassen, üie Tabellen zum Bestimmen der Arten enthatten die
Gattungen nadi A. IJraun's natürlichem Systeme. Wie gewölmlidi sind die
Gefösdkiyptogamen auch hier abgehandelt, während von den Zellkiyptogamen
nichts vorkommt. In der Artenbestimmuugstabellc ist auch den Bastardformen
ein grosser Platz ere^önnt (sind doch z. B. hv\ CirsiKm 42 Bastarde angeführt),
was wir filr zu weitliiuli^' haiini. da, wie schon Xeilreich bemerkt, dieselben
selten scharf begren/t sind mul sii b bald der einen, bald der anderen Stammart
nähern, daher sich schwer beschreilien und unter eine Diagnose bringen lassen,
welche in vielen Fällen nur uut ein bestimmtes Individuum passen wUrde. Für
eine sehr gute Einrichtung halten wir folgende. Es ist beim Bestimmen nach
der dii :liotoiiii-cli''ii Methode sehr leicht miiglich. dass man ein ^ferkmal über-
sieht oder unrichtig deutet, weil mau etwa kein ganz vollständiges Exemplar
hat, und in Folge dessen auf einen Irrweg gerith. Es bleibt nun nidits ttbrig
als die mühevolle Arbeit von vom zu beginnen. Der Verlasser hat nun diese-^
Geschäft dadurch einfacher gemacht, dass er bei weiter entfernten Orientiruugs-
uummem stets jene, von welcher ausgehend man dahin gelangte, kidner in
einer Klammer nntercrcsf-tzt hat. Eine vortheilhafte EiiiricTitung ist ferner die
Accentuiruug der lateinischen Namen, um das richtige Aussprechen derselben
Bu ermöglichen. Kurs: dieses Beetimmnngsbneh bietet gegenüber anderen viele
und grnsse Vnitbiüo. Druckfehler, die leider bei einem solchen Werke selir
schwer vermieden werden können, sind zwar in ziemlicher Zahl vorhanden,
aber nur selten stSrend. — Wir emj^iBhlen das Bach den Fochgenoesen anf
das wärmste. C. R. R.
Bie MOOSO BontsehlaildH. Anleitung zur Kenntnis und Bestiraranng der
in Deutschland vorkommenden Laubmoose. Bearbeitet von P.. Sydow.
Berlin, A. Stubeurduch. 2 M.
Wie flberhavT»t das Bestimnen vtra Pflanzen und Thieren nneh analytischer
Methode viele Iinbe(|uemlichkeit€n bietet, so ist dieses am h Vh i den Kryptogamen
der Fall. Der Verfasser hat diese Methode in sehr gelungener Weise an den
Laubmoosen dnrehgeftthrt. Die Diagnosen sind prägnant und sehr charakteristisch.
Ein grosser Vortheil ist die Beigabe von Synonymen, welche bei den Krypto-
gamen eine grosse Rolle spielen. Die systematische Anordnung ist nach Ph. Schim-
per*» Synopsis mnsconm mropaeonim. Einer kurzen Einleitung, welche die
Terminologie und all«remeiiie Bemerkungen über die Entwickelung der Moose
enthält, folgt eine Übersicht des Systemes. liieranf ist eine analytische Be-
stimmungstafel fltar Ordnungen, l iitcrordnungen und Familien angefügt. Die
Bestimmungstafeln för die Gruppen sind mit denen der Gattung« n und Species
vereinigt. Bei den Species sind Fundorte und Fruchtzeit angegeben. Leider sind
keine österreichischen Fun lorte (ausser einige Male Böhmen und Mähren) bezeichnet.
Das Buch ist nur für Deutschland gearbeitet, kann aber vielfach auch in (»sterreich
benutzt werden. — Ausstattung und Druck sind sehr genillig. C. R. R.
Über Ziol und Methode des elieiiiischen riitcrriclite.s. Ein Beitrag
zur Methodik von Dr. Ferd. Wilbrand. Büdesheim 1881, Aug. Lax.
1 M. 20 Pf.
Bttohem, welche Uber die Methodik irgend eines Lehrgegenstandes sprechen,
begegnet man stets mit einer gewissen Vorsicht, da in dieselben oft mit dem
•
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grOsBteu Scheine allgt- nieiuer Bereclitigung iudividuelle Ausichteu eingeschmuggelt
werden, welche bei i>:enaner fietnchtnng Bich als vnbereclttigt zeigen. So er*
ifinc: uns aiu li. als wir dieses Büchlein (HO >;eiteii) zur ITaml nahmen. Aber
schon der Umataud, dass es einen Uonn Ton bekanntem Eule 2um Vei&aaer
hat, stimmte vna um, ond als- wir dasselbe zu Ende studirt, mnsgten wir be-
kennen, es hier mit oincr Mnrklicli gediegenen, wol durchdachten Arbeit zu tliun
zu haben. Der Verüasser theilt sein VVeritohen in. drei Abschnitte. Der erste
handelt von dem Zwecke des ehemischen Unterrichtes nnd gipfelt in dem Satze:
^Der Unterricht in der Chemie soll den Lernenden mit den iicthoden. Regeln
und Hilfsmitteln der Inductiou bekannt machen; er soll ihm eine praktische
Schule der indnctiven Logik sein.^ Durch zwei, in viele EinzelftUe getrennte,
sorgsam ausgewählte Beispiele, deren Gedankengang im Wesentlichen dem nun
schon in vierter Auflage erschienenen Leitfaden für den methodischen Unterricht
in der anorganischen Chemie desselben Verfassers entnommen ist, wird dies in
gründlichster Weise dargelegt, nämlich durch die Untersuchung der Luft und
die Besprechung der Conservation der Nahrungsmittel. Die daran sich an-
schüeasendcu Bemerkungen über den lunualen Bildungswert einer unttrsucheuden
Behandlung des Lehrstoffes sindvidlkomnioii zutreffend, und dabei sind zugleich
die wichtigsten Methoden der exporimentalen Forschung besprochen. Im zweiten
Abschnitte behandelt der Verfasser die bisher angewandten vertehlteu Methoden
deaehemischen Unfi nii htt s, nach welchen sogleich mit den Elementen begonnen
nnd diese in irereud weMier Weise gnippirt mit ihren Verbindungen besprochen
wurden, ehe noch von den Arten der chemischen Verbindungen u. dgl. ge-
sprochen war, wobei die Sache zu einer gedächtnismässigfen , aber nicht T6r>
standenen und daher unfruchtbaren Übung wurde, während die Methode so ge-
staltet sein soll, dads sie dem Schttler es m(Iglich macht, die chemischen Vur
ffänge, von doi daflushiten beginnend und zu den verwickelteren fortaehrätend,
klar aufzufassen, und dass sie ihn auch befähigt, wenigstens in einer grossen
Ansahl von Fällen nach Analogie neue ähnliche Erscheinungen zu beurtheilen.
Die Elemente sollen nicht etwas Gegebenes sein, sondern ihre Kointniss und die
ihrer Verbindungen soll aus der Untersuchung selbst L^ewonnen werden. Durch
Beispiele Uber die methodische Behandlung von Luft und Wasser weist der Ver-
füser ^6168 trefTend nach. ESne besondere Atifmerksamkeit widmet er auch
dem Experimentiren, und er will dasselbe nicht als Uroduction schöner Er-
scheinungen, sondern, einfach und systematisch geordnet, als Mittel frncht-
blinkender üntersuchung angewendet wissen. Die chemischen Aufgaben soDen
wenurer in einfachen Berechnungen bestehen, sondern selbstständige Bestimmung
der VerMndungsgewichte, Entwickelung der Formeln, Aufstellung der Um-
setsmng^leichnngen sollen neben ttOcmometrischen Berechnungen einen Thefl
der AiitViiben bilden. Aiis-;erdem soll aber der Schiller auch darin trcübt wenlen.
das Gelernte auf neue Fälle selbstätändig anzuwenden. Auch hier wird durch
Beispiele die Ansieht des Verfassers illusmrt. — Im drittm Abeehnitte endlich
entwickelt dir Verfasser seinen Lehrplau, den wir leider weyen Raummangels
nicht widergeben können; es genüge zu sagen, dass er nach den oben an-
gefahrten GrundsKtsen snsammengi^ent ist, nidera ans speciellen Verbindungen
die Elemente, ihre ander\\'eitigen Verbindungen, ihre Eigenschaften u. s. w. ab-
geleitet werden. Den Schluss bildet die Atomtheorie. Die Befolgung dieses
Planes ermöglicht gewiss sehr snMedenstellende Besultale, und wir sdnnnen
ganz und gar mit dem Verfasser ülierein. wenn er sagt, dass der chemische
Unterricht in der Schule weder die Aufgabe hat, Analytiker zu bilden, noch
die Zi^glinge mit den Arbeiten und Methoden der chemischen Industrie bekannt
zu machen, noch gar, so interessant es dem Lehrer sein mag, die inaiulierlei
schwebenden Fragen der Wissenschaft zu erörtern. Die Schüler sollen nur eine
feste Gi-undlage positiver Kenntnisse erhalten, auf welcher später weiter ge-
aibeitet werden kann. — Wir sprechen schließlich denWun.«ch aus, dass nach
diesen Grundsätzen überall vorgegangen werden mOge; dies würde der schönste
Lohn tür des Verfassers gediegene Arbeit sein. C. R. R.
V«nuitw«rtltdMr Bodietenx: M. Stsia. BnehdnekCMi Jalins Klinkhardt, Le^ai^
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LiteratnrMatt
Beilage zum Paedagogium, IV, 4.
JHe praktische' Vorbildung ziim hVheren Sehnlamte auf der Uni-
Tersität. Von Dr. Kndolf Hofmann, o. Prof. d. Tliool. n. Director des
katoch. u. pädag. i^eminai-s au der Universität 43 S. Leipzig 1881,
Edelmann.
Unter der Menge Ton Schriften, welche in neuerer Zrit ttber die Vbtbildnng
▼on Lehrkräftfu an Universitäten publicirt worden sind, ir'ddlhrt der angezeigten
RmchUre ein Ehrenplatz. Von welchen Anachanungeu der Verfasser auageht»
möge dnreh einige Citate gezeigt werden. „Die Zeiten,** bemerkt Dr. Hofmann,
psind voriibor. wo jedor luilbwotrs (Jebildete oder :iucli Xichtgebildete sich an-
matiäeu durfte, in Sachen der Schule mitreden zu wollen; und wenn er selbst
GeUtUcher wftre, ho kommt ihm dies ohne weiteres nicht zu. Die Pädagogik
ist eine selbständige Wissenschaft geworden und hat sich zur Kunstlehre ent-
wickelt. So wenig eine andere Kun.st sich von .selbst lernt, so wenig auch die
der Erziehung und des Unterrichtes. Ich meine auch, dass in Fragen der pä-
dagogischen Praxis nur die ein niao^bende^ Wort mit/ureden haben, welche
M'\h>t jn flieser Praxis gestanden. . . . Die mangelhafte V'orbildnng der be-
tretteuden (,'andidaten macht sich auf allen (iebieteu ihrer pädagoirisi hen Thä-
tigkeit bemerkbar, im besonderen in ilei unuiethodi.sohon Anfassung des Untw-
richtes und iu den pädagogisc^ien Missgriffen bei der persilnlichen Behandlung
der Schuler. Und zwar trifft der Vorwurf methüdischen, technischen und päda-
gogisehen Ungeschickes' nicht etwa blos die, welche auch wissensehafbüch an*
genügend vorbereitet sind, sondern sehr häufig gerade die wissenschaftlidj
Tüchtigen und penönlich mit dem höchsten Pflichteifer iilrfUllten (folgen Be-
lege). Also Hanget an Fachwissen kann im allgemeinen nicht als Omnd jener
beklagenswerten Verstr»ssH in der Praxis anirenouimen werden, sondern es ist
Hügel au praktischer Schulung tUr deu kUuttigeu Beruf."
Vne nun diesem Mangel abEnhelfien sei, das eben ist die Frage, welche
Ih. Hofmann zu beantworten sucht, und dies ist ihm trefflich gelungen. Voll-
Htändig vertraut mit deu hierher gehörigen mannigfaltigen Projecten und der
einschlägigen Fachliteratur, tlber^ geleitet von wahrer Hochachtung und
reinem Wol wollen für die Sohnle nnd daher bemüht, derselben die besten
Kräfte zuzuführen, bietet er aus seiner eigenen Praxis eine Reihe von Mit-
teilungen und zur Lösung des vorliegenden Pn)bleni8 einen ("omplex von Vor-
schlSgen, welche ihn als einen ganzen Pädagogen charakterisiren. Hier haben
wir einmal einen aus eigener Erfahrung und selbstständii,'eni Denken hervorge-
gangenen, theoretisch wolbegründeten und praktisch ausführbaren Plan. Die
musterhafte Prägnanz nnd Prädsion der kleinen Schrift gestattet uns nicht,
einen Auszug aus derselben zu geben. Sie muss von jedem Faehmanne im Zu-
sammenhange gelesen werden. D.
Die Entwickelunc des Simultttu-Schulwesens In der Stadt Cn'fn'ld,
im Auftrage des liberalen Scluilvereins für Rlieinland und Westfalen dar-
geatellt von L. F, Seyffardt Bonn 1«81. Kful UeorgL 79 S.
Der Kampf zwiseboi doi Freunden der gemeinsamen Sehnle nnd den Yer^
theidigern der contessionellen Schule ist Ixkanntlich seit einer Reihe von
Jahren in politischen Körperschaften, Vereinen und auch in einigen Städten des
Königreichs Preus.seu mit ziemlicher Scharfe geführt wurden; so auch in der
Stadt Crefeld, und die vorliegende S< hrift entwirft uns ein Bild dieses örtlichen
Kampfes. Das umfängliche Detail, welches dieselbe bezi\glicli der Scbnlver-
lialtnisse Crefelds vorlülirt, hat natürlich, so nothweudig es auch für deu Zweck
der Schrift war, nur eine locale Bedeutung. Von allgemeinem Interesse aber
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ist die Keunztiiclinunur (kr vun den ("lerioalen |>rakticirten KaiiiptVeise und «üc
Schilderung der günstigen Erfolge des 8iinultanschnlwesens. In ersterer Be-
ziehung erfahren wir au» der angezeigten lirns- hiirf, 'lass auch in Crefeld. wie
überall, die ultraniontane Partei nnd ihre \ cr\vaud.t,>;ohaft mit den Waffen der
Lttge, Verleumdung, Entstellung, Spionage, Verhetzung, Denunciation, Ohren-
blä:<en'i und öft'ontlichen Schmähung arbeitere, ohne jeden Funken von Schnni^etuhi.
von Wahrheit»- und Oerechtigkeitsliebe. Das ist eben überall gleich, weil die
Direction des ganzen Kampfes fttr das peraOnliche Interesse iet oltnaioiitaiieii
Gt!scliäfrsrriiger überall die n.Hmliclii^ ist. Wenn dagegen die Broschüre anführt,
da»ä in Creield die bezeichneten Umtriebe mit Geld- und Geföngniädtrafen belegt
worden sind, so ist dies eine Slllme, wehdie keineswegs tberall mOgUeh wftre.
Bezüglich ih r ^-iinstigen Erfoltre der Simultanschule bemerkt die angezeigte Schrift
unter anderem: „l^'i'ot^ ftUer Autbetzungen, trotz der künstlichen Zuspitzung deä
oonftflsionelien Standpunktes ist ein oonjtessioneUo' Oegensatz in den Simmtan-
schnlen viel weniger bemerkbar gewesen, iN in früherer Zeit, wo die Schüler
der coufessionellen Schulen gelegentlich einander Straasenkämpfe lieferten. Un-
gemein wolthuend wirkt es aof jeden nielit in Parteianschavnngen VerUssenen,
wenn er in die Simultanschule hineintritt, und die Kinder des Volkes, Katho-
liken - und Protestanten, der PHege der Allen gemeinschaftlichen Ideale des
Guten, Wahren nnd SehSnen obliegen sieht, wenn er ans den Antworten der
Schftler ihre v. lle rnlipfaiiüfenheit erkennt und die Nachwirkung der Tnu'" nd-
erinnerung der Kinder für das spätere Leben, dass sie als Angehörige derselben
Gemeinde, desselben Volkes auf derselben Schulbank ge:<essen haben, in Be-
tradit zieht. In Gegenden mit gemischt^conflBssioneUef BevOllwrang ist das
walirlich nichts (ieringes.'' H.
Der Soeialphllo.soph Franz Quesnay, der Begründer des physiokratischen
Systems. \'ou Dr. Wilhelm Neurath. Docenten der Nationalökonomie
an dei- k. k. teclmischen Hochschule in Wien. 30 S. 1881, Selbstverlag.
Der enge Zusammenhang zwischen \'olkswirtschaft und VoUcserdehumr.
zwischen XatiMnalökonomie und Pädagogik sollte ein genüj^endes Motiv für den
Lehrer uml ivr/.ieher sein, daun und wann eine Schrift, wie die angezeigte, zur
Haud zu nehmen und von seinem Standjinnkte aus zu studiren. Verfasser ist
in seinem Krei'->' iSuirst als gediegener Fachmann bekannt (be'^onders durch sein
Werk: \'(>lk.xwirt.scluittliclie und sociulphilosophische Elssays, Wien, Fae>y & Frick)
und bietet in der angezeigten Biographie nnd Charakteristik eine ftlr jeden (Ge-
bildeten anziehende und wertvolle Leetüre. Für den Pädagogen i>;T die Schrift
noch insbesondere dadurch interessant und lehrreich, dass sie einen eigenartigen,
an psychologischen Momenten reichen nnd in vieler Hinsicht bedentsunen Lebens-
und Bildnng?!gftng vorführt, sowie diidnn h. dii-j-; r-ie eine Beflie gdstToDer Bnner-
kungeu über £rziehungsfiragen enthält. Hiervon eine Piräbe: allgemeine
YolMbildung und YolksaulklBrung stellte Quesnay als die widitjgste AnH^be
staatlicher Tliäti^fkeit hin. P imals meinte man. der Bauer müs>e unwissend
und arm bleiben, wenn er nicht frech, rebellisch und mttsbig werden swlle.
Quesnay wusste in dieser Richtung tiefer und wdter zn blieten. Br unter-
sclii-'l Wdl /^vis(•ll.'ll den Erscheinungen, welclie mit dem Anfanire der Bilduni:
verbunden sind, und den bleibenden und sich entwickelnden Zuständen, die sich
einstellen, nachdem Bildun? und Wolstand sich recht eingelebt und toU entfiütet
haben. Per l.cfteite .^elavc wird vorerst meist ein Frechling, erst sjulter wird
' er — vielleicht erst nach zwei Generationen — ein wirklich tVeier Mann. Der
Emporkömmling mag nicht gerade die liebenswttrdigsten Eigenschaften «eigen:
aber die .schon lange Emj)ori,'ek<)mmenen werden nicht verrathen, dass sie - iii-i
die Ketten gebrochen. Bildung macht letzlich sicher frei, und Bildung winl
am Ende Maeht. In einer gebildeten Nation können, nach Quesnay^s Leli^, nur
gute Gesetze zur Kraft gelangen. Wo die Vernunft in der Vulksmeinung heU
leuchtet, da kann nur das (inte siegen, bestehen und herrschen." R
Dr. E. Flick von Wittinirlianson: Französische Schulgramniatik.
b) Übungsbuch tui* die Unt^i-stufe des tianzösischeu Unterrichts, c) L'bungs-
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— 3 —
buch für die Mittelstufe des fianzrisisclien Unterrichts, d) L bunirsbuch für
die Oberstufe des fran/fisiscUe!! l'ntenichtsi, e) Französische Chit-stoinatbit-
für höhere Lehi-au8taiten, mit »prachlicheu und suchlicheu hemerkuugeu
und einem volbändigvn WOrterbnche. Wien 1880 n. 1881, Alfred HiSlder.
Diese SehulbUcher sind im Anschluss an den gegenwSitig giltig^eu NoniiBl-
lehrplan fl\r die österreichischen Realschulen und au die zugrehJirige Instruction
tür den Unterricht im Französischeu bearbeitet und können als ein vollständiger,
den angeführten Normen entsprechender und in hohem Grade gelungener Läir-
cursus bezeichnet werden. Hiermit soll allerdingr? nicht gesagt sein, dasM wir
die priucipielle Auffiassnug de.s französischen Unterrichtes, welche bei Aljta>suug
dcf engeiogten Schriften massgebend war, als zweckmässig und erspriesslinh
betrachteten. Die österreichische Unterrichtsverwaltung hat nämlich den Grund-
satz adoptirt, ,.dass der französische Sprachunterricht in den Realschulen ge-
wisflenoMBen Äquivalent des lateinischen Unterriehts in Ojrmnssitti sein und
demgemäss auch analitg behandelt werden mi\>jse, so dass die wi-:s, ii<rliiifrlicbe,
fframmatische, philologische, der sogenannten formalen Bildung dienende Seite
des Üntmichts entscnieden in den Vordergrund tritt. Wir Mnnen dieser An>
s( hauiinq: nicht beistininion, sind vielmehr der Meinung, dass vor allem und
haupt:«ächlich darauf hinzuwirken sei, dass der Schüler die Sprache selbst, nicht
blos deren Orammatik, sich möglichst Tollkomnien aneigne, d. h. dass er sie
in ihrem >nrklichen Sein und ihrer gegenwärtigen Verfassung verstehen, lesen,
schreiben, .sprechen lerne. Doch das ist eine Streitfrage von so umfassender
Bedeutung, dass wir es unterlassen mUssen, in die Abwägung der Gründe pro
und contra einzugeben. Die Erfahrung wird Ichren, ob der den ör^terreidiisehen
Realschulen vorgeschriebene Weg auf die Dauer wird eingehalten werden
können. Der Verfasser der angezeigten Lehrbücher ist filr denselben ni( lit
verantwortlich, da er ihn bereits abgMteclit fand und nur ilaranf bedacht sein
rausste. ihn möglichst gangbar zu machen. Und dieser Aufgabe hat er in der
That mit vorzi^lichem Gescliicke und bestem Erfolge entsprochen. Ja es kann
behauptet werden, dass sein Lehrgang ganz geeignet ist, den fransfisischen
riiterricht von den Klippen regnlati\Tnässigen Granunatisireiis feni/uhalten,
wenn in der Schulpraxis das Hauptgewicht auf die Übungsbucher, resp. auf
die Chrestomathie gelegt vnd die Grammatik inun«r nur als schUeMÜche
Abstraction an£rc^*chlossen wird. Und in diesem .'^inne seien die in der Tliat
licrvorragenden Leistungen F'ilck's bestens cniptolileii F.
A. BoC'litel, k. k. Prof.: a) Französische (iranmiatik für Mittekchulen, erster
Theil, b) desselben Werkes zweiter Tlieil, c) Französisches Lesebuch für
die unteren nnd mittleren Clnasen der lüttelschnlen, d) Übangsbodi zor
franiOsiflchen Grammatik Ifir Mittelschulen, e) FranzSaiadte direatomathie
fiir die oboren Classen der Mittelschulen, mit sprac lilidieii und sachlichen
Erlüuterungen sowie mit literarischen und biog^phischen Einleitungen. Wien
1880 und ISSl. Jnlin.s Klinkliardt.
Diese Öchulbücher. welche in ihrer Ge-sammtheit ebenfalls einen gejjcblo.ssenen
Lelircursus der französischen Spradie bilden, sind nach denselben ofßcielleu
Normen bearbeitet, wie die soeben angezeigten von Prof. Filek, und was wir
über die letzteren gesagt habeu, gilt durchaus auch von den Arbeiten Bechtel's.
Aueb diese stehen vollkommen auf dem gegenwürtigen Standpunkte der
Sprachwissenschaft wie der Methodik und sind mit musterhafter Sorgfalt aus-
£){Uhrt, so dass sie von allen Fachmännern reichen iieitall ernten werden. In
e Details eines so umflbigHeben C^klns von SdralbOebem einzugeben, ist uns
auch hier wegen dos engen Kiunies tmsers Literaturblattes nnim'tLrlieb. Nur
bezüglich eines, bereits oben berührten Punktes hier noch einige Worte. Herr
Prof. Bechtel Äussert im Vorworte su seiner Grammatik: „Der Unterricht im
Franz' isischen an llittelschnlen (d. h. hier Realschulen und Gymnasien) kann,
schon wegen des in ihnen herrschenden Massen-Unterrichts, kein conversatio-
neller sein; das Wesen unserer höheren Schulen, vor allen der Realschnien,
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weist ihm neben der Hnttenprache die liolle eines vorzugsweise fomal bilden-
den Elementes zu.'' Das ist wähl* nach den bestehenden Verhältnissen
und Normen, die allerdings der praktische Schulmann, so lange sie nicht ge=
ändert sind, als massgebend betrachten muss. Aber wir wollen davor wanieu,
iliene Veihftltniflse nnd Normen fllr absolut richtig nnd die nadi iknm gestal-
tete LTuterrichtspmxis als diircliaus zwerkmiissijr und tlir immer ^Itip nnzii-
sehen. Die sogeuauuie formale Bildung braucht durch einen mehr dem Leueu
dienenden Betrieb des l^nterrichtes in modernen Sprachen keineswegs Schaden
7.U leiden, und solcher Betrit^b wird sich gewiss nicht auf die Dauer abweisen
hisstn. Iis kann nun eiiuiial nicht iguorirt werden, das.H die HealschUJer mo-
derne Sj rachen vorzugsweise für den praktischen Gebranch lernen wollen.
iVeilicb nniss zu diesem Behufe der Massen -Unterricht" restringirt. die
Schuldassen mUsseu zu diesem Zwecke in Parallelabtheilungen von höcbsieus
1^0 S< hülem zerlegt werden. — Doch wolleii wir mit diesen Bemericnngeu le-
diglich auf einen vorhandenen l'helstand hinweisen, keineswegs aber den Vf-r-
fassem der angezeigten Schulbücher einen Vorwun macheu. der ja uugerecht
um würde. I^istuugen derselben verdienen vielmelur nicht nur die Aner-
kennung ihrer österreichischen Fac)igai08Ben, soBdem auch Beachtoog yon
Seiten der Schulmänner Deutschlands. F.
Lanfre Rene. Der stnnme Eneeht. Zwei Ensählnngen von F. Frisch.
Wien 1881, PicMer. 66 S.
Ein köstliclies F.üchlein, eine wahre Perle der Jugend- und Volksliteratur.
Namentlich die erste der beiden Erzählungen, welche den weitaus grüssten
Thdl des Bflchleine einnimmt, ist ein HnsterstOek ihrer Art, edeS un« beden-
tungsvoll n.ich ihrem f^rhalt, inpi-^tirliaft in-der .^nlaire. pcht vnlksthümli'li
und doch durchaus sprachreiu iiu Vortrage. Jedermann wird das Gebotene mit
wahrem Genüsse lesen, auf die Jngend wird es dnen mSditigen Eindraek
machen, es wird ihr ein gntes Stück Menschen- nnd Weltkenntnis ttbemiitteln
und die heilsamsten Impulse für GemUth und Willen geben.
Die angezeigte Schrift bildet das 44. Bändchen der v<ni A. Ch. Jessen
licraii-^eirflicnen Volk- und .Tngendbibliothek . auf weldie wir bei dieser Ge-
legenheit uno re Leser anfnierksaui maclien wollen, H.
Atlas der Alpeuflora zu der von Prof. Dr. K. \V. v. Dalla Torre verfassten, vom
deat8<AaimidOBteii«iehi8chen Alpenvereineh«raQage§;«beii^ wis-
senschafkliclien Beobaditnngen anf AlpenreiaeD.** Nadi der Nator gemalt von
Ant. ITartingor. Eigenthum nnd Verlag des d. ii. ö. Alpenvereines in Wien.
J>ie Überzeugung, das» die Tonristik zu edleren Zwecken vorhanden sei, als
nur Bravouren auszuführen, bricht sich immer mehr und mehr Bahn: sie nnse
auch eine Dienerin der Wissenschaft werden. .\lle tonri>tisclH-n Vereine streben
dieses Ziel an, sei es durch Vorträge, sei es durch Herausgabe von geogr&i»hi-
schen oder naturwissenschaftlichen Si)ecialwerken. Der deutsche nnd öster-
reichische Alpenvereiu hat mit dem Beginne der Herausgabe des obengenannten
Werkes gewiss einen sehr glücklichen Wurf gemacht, da es nur einem derar-
tigen Verbände möglich ist. ohne Gewimi seinen Mitgliedern ein solches Pracht-
werk zu dnem relativ sehr billigen I'reise zu liefern, ja .selbst in den Buch-
handel um einen annehiiil>aien Preis zu bringen (die Liefenmg zu 14 Bildern
nnr 2 Mark). Die Zeichnungen sind sehr corrcct. nur hie und da etwas steif,
die Farben frisch und naturgetreu und heben <i( h lu s .nders von dem grauen
Tone des ünterdriickes sehr httb.sch ah. Von dem l)ekannten Sehoth'sehen .At-
las der Alpenpäan/cu unterscheidet sich dieser durcb das hübschiarc Format,
welches auch gri'issere i^ilder gestattet, durch die Beigabe der DetaüabbiUnngen
von Blüten- ninl anderen Pflau/.entheilen . welche das genaue Bestimmen cr-
leichteni, durch die Angahe der Verbreitung auch betreffs rler chemischen B««dt n-
beschaffenheit nnd der Hliitezeit. Für Unterrichtsanstalten, welchen der Verein
gewiss Vorzugspreise lu willii^en wird, kann dic'^er Atlas ein von^üsjliche* Lehr-
mittel sein, welches ein Herbar nicht blus ersetzt, suudeni, was die Auschaunug
anbelangt« sogar übertrifft. 0. It R.
VerMiitwortlielicr Rcducteur: M. Stein. fiuchdruckeMi Jvliv« Kliakhardt, Leipne*
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..bn- Literatlirblatt
Beilage zum Paedagogium, IV, 5.
Adolf DiostorwciJ: und Friedrich Fröbol. Dicsteiwt g's Begregmmgen
nüt Fröbel und seine Ui tlieile über ihn und sein Werk. Dargestellt von
LoviB Walter. Dresden 1881, Hohle (Adler). 171 S.
Eine sehr wichtige Bereicherung der Frijbel-Literatnr. Was die Sehrift ent-
hält, ist au>< dem an£?f'fiihrten Titel ersichtlich. Sie schildert den personlichen
Verktdir L'iesterweg s mit Fröbel, da.s ^'t rhältuirf r>ie>tcr\veg'.s zur Sache Frü-
bd's nach dessen Tode nnd «teilt die Urtheile Diestcr>vt ^^'s über FMbel und
de-J^oii Bestrebunc:en ziisamnien. — "Wie schon au.s dieser kurzen Inhalts-
augiibe zu .schlies.seu ist, ans dem Texte des Buches selbst aber allenthalben
deutlich wird, liefert dasselbe in erster Linie einen gewichtigen Beitrag zur
allseitigen Klarstellung und Würdigung der Persönlichkeit und der pädago-
gischen LeL^tuugen i^'röbers, in zweiter Linie aber auch eine nicht unwesent-
uche Ergänzung zu dem pftdagogischen GharakterUIde Diesterweg*« selbst.
T?< id(' 5Iänner waren dnrrli die Rea(■ti(»u^lle^iode, welche vor drei Jahrzehnten
begann, zur Seite gedrängt und verdunkelt worden. Das vorliegende Bu( h
stellt nun ans Lieht, was in jener Zelt von Ylden übersehen oder doch wenig
beaditct wurde. Es verdient auch um deswillen eine günstige Aufnahme in
der pädagogischen Welt, weil es das letzte vollendete Werk eines anerkannt
vorzüglichen, leider allzufrtth verstorbenen Vertreters der Pädagogik Fröbel's ist.
H.
Herbert Spencer, Die Erziehung in geistiger, sittlicher nnd leiblich. i- Hin-
sicht. Mit des \'erfas!ser8 Bewilligung nach der 3. tiiglischen Aull, in
deutscher Übersetzung herausgegeben von Dr. Fritz Schnitze, o. ö. Prof.
der Philosophie und Pädagogik und Director des pädagogischen Seminars
an der technischen Hochschnle zn Dresden. 2. Auflage. JtioA 1881,
Gnstav Fischer. 300 S. 4 M.
Schon im ersten .Tahrgange des ,.Paf'dag(tiriiHiis-' (.Seite 272 ff.) haben wir
diese bedeutende äclurift vorgelulut und charaktetisirt. Wir könueu uns daher
bei Anzeige der neuen Anflage kun fsssen. Whr haboi hier nicht eine syste-
matische und v'>!Iständige Pädagogik vor uns, sondern vier abgerundete Ab-
handlangen über die wichtigsten (Japitel dieser Wissenschaft^ nämlich über fol-
gende Tnemata: 1) Welches Wissen hat den giössten Wert? 2) IHeEiziehung
des Ver-'^tandes. 3> Die sittliclic Erziehung. 4) Die leibliche Erziehung. —
Die neue deutsche Auflage ist nicht nur äusserlich hübscher ausgestattet als
die erste, sondern auch im Texte sorglich flberarbeitet nnd vielfach verbessert,
namentlich von Anglicismen gereiniget und allenthalben dem deutschen Idiom
angepas.st, ohne jedocli vom Sinne des Original.s abzuweichen. Möge das ge-
dankenreiche, frische und anregende Bnch auch femer viele empfängliche Leser
finden. D.
a. Syllabaire f^aii^als. Ei-ste Stufe für den französischen Unterricht in
Töchterschulen. Ym Dr. Karl Plötz. 17. Auflage. Berlin 1881, fierbig.
124 S. Preis g. b. 00 Pf.
b, Coiyugasioil t'rau^'aise. Zweite Stufe tur den fi-anzösischeii Unterriclit
in Töchterschulen. Von Dr. Karl FlSts. 12. Auflage. Berlin 1881, Her-
big. 186 S. Preis nngeb. 1 M.
Es warf iU crfliissii;, Uber die Anlacre nnd den Wert der französischen Lehr-
bttcher von l'iütz heute noch zu s))recheu. Wir beschränken uns darauf Uber
die neuen Auflagen der oben angezeigten Elementarbflcher fttr Mldohensdralen
in Kürze zn berichten. Dieselben sind mit grosser Sorgfalt hergestellt, der
Text ist genau revidirt, und an einigen Stellen sind methodische Yerbes-
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spnin£r« n angeljrarht wnrden, in nrthoicfraphischer Hinsi< lit sind für da*? Dentsche
die B<)3tiniiiiuDgen des preius-sischeu UnteiTichtsiniiiisters , für das Fraiuöäische
die Normen der neuen Auflage des Dictionnaire de PAead^mie in Anwendnimr
gekommen: temer sind beidi- Hierher in einer Sdirift-Jorte und in
grösserem Formate gedruckt wurden als in den trüberen Auflagen, nnd die
ganse Auastattnng fieser SehnMcher kann nmi als musterhaft bccdduiet wer-
den; der Preis derselben ist ein sehr massiger. P,
PHaiizcii formen im DieiisU» dor blMcndon Künste. Ein Beitrag: zur
Ästhetik der Botanik, zng-leich ein Leitfaden (inrch dius T*flanzenornament
aller Stilperiodeu der Kunst. Zum Gebrauch beim Unterrichte an Bau- und
Oewerbescbttlen, für Architekten, Zeichenlelirer, Lehrer der Natorwissen-
Bchaften il s. w. sowie Ar jeden gebildeten Laien toh Frans Woenig.
Leipzig 1881, Verlag von P. P:hrlich. Preis 1 M. 20 Pf.
In unseren Schulen wird di-ni Zeichenunterriclite i-ine iinnier wachsend. • Auf-
merksamkeit ziiß:ewfn«let, und kein Sclmlmann wird da.s hohe bil<lende Element
desselben zu leug'neu waireu. Specicll das Hereinziehen der Naturobjei te in
idealer Form bat einen lie<leutt<nden Wert. Ja wir stimmen griSsstentheiis mit
dem Verfasser ül)erein, wenn er safjt : Es hrauebt wol kaum darauf hingewiesen
zu werden, welchen hoben ethischen Wert derartige ästhetische Stifte in sicli
tiapfeii. indem sie \h-\ >i>rijfältii,'er Wahl und geschickter Rehandlun!? nicht nur
die Gemütbsbilduug der heranreifenden Jugend vortheihaft beeinflussen, soudeni
auch zur Erweekung und Forderung des Schönheit^tsinnes und eines guten Ge-
schmackes wesentlich beitragen nnd — wie die in diesem Büchlein gebotene
Grabe — den Unterricht in der Botanik, im Zeichnen, in der politischen (ieo>
graphie nnd Culturgesehidite durohgeistigen und beleben. — Gewiss ist dies
ein schönes Ziel; alier es ftUt uns dabei der Spruch ein: qui nimis petit etc.
Wie Süll in unserer Sehnte deren Organisation dieses Ziel erreicht werden?
ünd femer haben wir ein Bedenken dag^ien, ob die im TOiUegenden Worfeehen
niedergelegten Ideen zum Zieh- fiihren. Dasselbe scheint uns zu viel für die
Schuler, zu wenig für den Lehrer zu enthal^n^ und so namentlich nicht die
Vielseitigkeit der Verwendung en gestatten, welche im Titel angeführt ist.
D«r Verfasser be^l)richt die Pflanzenfonnen im Öienste der ältesten Tulturvölk'^r
(besonders der Ägypter), in der römisch-griechischen, in der altchristlichen and
byzantinisch*ronianisehen, in der arabisch-maurischen Kunst, in der Gothik, im
Initialen- und Miniaturen-Ornani« iif iniil endlich in der Kunst der Renai-^sance,
Bococo- und Neuzeit. Die Ausfuhrungen bezüglich der verwendeten Pflanzen
sind sehr sntreffend und mit interessanten Details versehen, welche aber hftutig.
wie linguistische Ableitungen, dem Zwecke des Buches ganz fremd sind. W i<
das Wesentlichste des Werkchens anbelangt, die Abbildungen, so müssen wir
mit Bedauern constatiren, dass dieselben ftr ein solches Buch su primitiT sind,
soWoI was die Zeichnung als die Ansfilbrung anbelangt. Der Schönheitssinn
wird durch solche Bildnisse nicht geweckt werden, wir weisen diesbezüglich
auf die Figuren 5, 6 u. 7 nebst vielen anderen hin. Wir anerkennen daa
schone Streben, halten aber das Gebotene nicht für xnidchend. C. B. B.
H. Herzog:, Charakterzüge. Aarau 1881, Sauerlander. 271 S. 8".
Das kleine Buch, eine Art praktischer Moral ohne jede confessionelle Färbung,
erzählt in etwa öOO Geschichtchen CharakterzUge edler Menschen, mit der Ab-
sicht, zur Nachahmung anzuregen. Beispiele, theils aus der Weltgeschicbte,
theils aus dem alltäglichen Lehen genommen, illustriren die einzelnen Tnirenden
oder sonstige liebenswürdige Züge, wie Achtung vor dem Gesetz, Anhan<rlich-
keit, Anmnth nnd Freundlichkeit, Anspruchslosigkeit, Arbeitsamkeit n. s. i. Es
ist gut. dass die erzählten Tbaten nicht phantastisch aufgeputzt sind und si.-h
nicht unter spitzfindig ausgeklüirclten Voraussetzungen oder tumatürlichen Um-
ständen al»spielen. Die Glaubwüi ÜLki it mancher Erzählung wäre freilich be-
deutend erhidit nnd damit auch der bezweckte Eindruck auf das jnL'endliche
Gemütb, wenn dieselben nicht si» allgemein und unbestimmt gehalten wär«n.
Die handelnde Person ist in einigen Geschichten z. B. eine kleine TOehter eines
Bauern in Frankreich, oder em angesehener Mann in London, em anner Hand-
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■werksmann, eiu fremder Haii<lflsmann. ein Iiulianer etc.; f^enso sind Ort nml
Zeit der Haudluug manchmal nicht genannt. Viele Erzählungen w&ren auch
dem jngrendliehen Verstftndniifle nSher lüferOckt mMRleiit wenn der Endthier den
Ort der TTaudhmg. s^hald de*«en Lapfo als i;icht »UgenitMn bekannt vnran-^iri'-
Betzt werden muüs, und einige im üeächichtsuutenicht nicht genannte hiüturische
PersOnliehkeiten, natürlich in der ErsAhlnngr selbst, etwas nfther beedirieben
hatte. W.
Wilnseh, Übnngsaufg'aben zur Ausarbeit uuh: von Geschäftsbriefen und Ge-
schäftsaufsatzeu. Stattgart 1881, Metzler. 84 S. gr. 8*^.
Avil^bensannnhingen gebSren mm nothwendigen Handwerkszeug des Lehrers.
Die Vdrli' LTcude Saimidauir behandelt in 2(XJ Xinuniern, deren einige noch in
Unterabtheüungen zerfaUen, alle geschäftlichen Vorfalle, wie sie bei einem Ge-
werbetreibenden von seiner NIedenaAsung an bis mm Sehlnss seiner ThStfgkeit
vorkommen können. Sie erschöpft so das Wesen des gesammten stdiriftlichen
Qesch&ftsverkehrs. Eigenartig ist dem Büchlein, dass es die einzelnen Aufgaben
niebt nach methodischen Oesichtspnnkten, etwa Tom Leichteren zum Schwereren
furt«< breitend, zusammenstellt, sondern nach der Reihenfolge, wie sich ein Ge-
schäft in Wirklichkeit abwickelt. Eiu alphahetis^ches Sachregister ermöglicht
es Übrigens, vom vorgezeichneten Schema abzuweichen und nach ei^cfner Weise die
reichhaltige Sammlimg zu benützen. Beim Gebrauch in Osterreichischen VoT^
bildongsschulen müssten au dem Buche einige Änderungen vorsrenommen werden,
die in der Verschiedenheit des Rechtsgebrauches in Österreich vorglicheu mit
dem im deutschen Reiche! begründet sind. — r.
BPrilllJli'dt. Abris.s der mittelhoclidentschen Laut- und Flexionslehre zum
Schul^^i lirauciie. )[it einem Anhange über mittelhochdeutscUeu Versbau.
2. Aull. Halle 1881, Waisenhaus. 33 S.
^ Ptteise Fassunf der Begeht, Besehrinknng auf du AUeraothwendigste und
eine klar geschriebene Metrik sind die Yor/.')£,'e des Büchleins, das sich znr
Eililbhrung in die mittelhochdeutsche Graumiatik empfiehlt Eine neue Autlage
wird einiges Wenige nachtragen mtlssen, so den Kanon des ühtersdiiedes zwi-
schen mittelhochdeutschem und neuhochdeutschem Yorali-nms, w'u- ihn Zinikc
, in der Ausgabe des „Narrenschiffes" S. 273 aulgestellt hat, ein paar Worte
Aber die Aussprache des sp rnid st, im § 18 (Paradigma hoeren) den Imperativ.
Da Bernhardt nie auf die Etymologie eingeht, wäre der § 48 zu kürzen. Un-
Seuau ist die Fassaug einer Regel der Metrik (S. 30, Z. ö von oben und dazu
. 88, Z. 6 Ton oben^ — r.
Br. W. Kopp» Bepetitoriam der alten Gesohidite; Griechische Staataalter-
thUmer; Griechische Sacralalterth&mer; Bömische PriTatalterthfimer. Ber-
lin 1880—1881. Springer.
Die genannten lieitcheu gehören zu einer bei Julius Springer iu Berlin er-
scheinenden Sammlang: „Bömische und griechische Literaturgeschichte nnd
Alterthümer für höhere Lehranstalten und für den Selbstnuterricht," Das
„R<ip<ititorium der alten Geschichte" (öO S.) enthält links aaf jedw Seite
die J abreszahlen , daneben redile die sugehOrigen Tliatsacben natflriich in
Schlagwörtern, z. B. : 685 — 668 (?) Zweiter messenischer Krieg. Aristomenes, Yra,
Tyrtäns, Qrttndung von Mesaana auf Sicilien. Eine hübsche Beigabe sind ein-
gestreute loci memoriales ans alten Classikem nnd die „geflügelten Worte**.
Ifanchraal ist die Darstcllunff zu allcenirin z. B. S. .^5. Nudidem Cajus (irac-
chus die Reformbe;)trebungen seines Bruders in erweitertem (?) Masse auf-
ffoommen. etc.), die Orthographie der Eigennamen ist kanm m billigen (vgl.
Klaudius. Kato, Quinktins, Asiatikus gegenüber: Deoelea, Mycenä, rynosceidialä).
Sie auf den letzten Seiten mitgetheilten iS'amen von Geschichtsauellen werden
wol den beabsichlagten Zweck nicht erfOUen. Wollte maa m» niebt gans
atrdchen, so hätte man sie wcni^-^tens unter dem Text an Jenen Abscimitteii
setsen sollen, für die sie Quellen sind.
Die „griechischen Staatsaltertbttmer^ sind anm Theü nach SchOmann
geaibeitct und I»ehandelii die Entwickelung der spartanischen Verfassung, die
■ionische Gesetzgebung, deren Beform, Ausbaa und Auflösung, femer die grie-
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chipclieii EidETonossonscliaften, dir rnltaiialv t rliülrni^so. fpinov ilie Anipbiktyonie&f
die Urdkel iu ihrer staatlichen Bedeutung und die natiuualen l'eätspiele. Sehr
genau ist die Refonn des Klistheiies geMhilderl, die in den ttblichen Leitftdea
rp<"ht unverständlich dargotäti-llt wird. Nach BjTou's Viirg-antrc 1i< iirth( ilr auch
Kopp die „Plünderung" des Parthenons durch Lord Eigiu ächarf, wol zu schart.
Grosse« Interesse beanspruchen die „griechischen Sacrala'lterihttmer^
und die „römisclien Privu taltertliilnier", Sie emiifelden sieh einem jtden,
dem grössere, reich illiLstrirte Werke desselben Ue^enstandes nicht zur Hand
oder wegen ihres ümfanges nicht beqnem genug sind, als branchbare nnd sehr
hWWfff TTilfsbflcher bei der Leetüre der alteu riasj>iker und znr Einfüliruug in
die Culturgeschichte der (iriechen und fiömer. Wenn sie nur eine noeli ltö^..
sere Anzahl Illnstnitionen hSttenf Etwa Abbildungen derGOttertypen, di >
gameniselien (^[»ferallai-s. der rönüsrlien Säule n. s. w. Die iJesultate der Aus-
grabungen Schliemanu's in Mykeuä und Troja und die der preussii^ehcu Kegie-
rung zu PeiBamam sind in don Text hineingearbeitet, besonders geschickt auch
viele lehrreiwe Citate ans antiken Dichtem und Gesduchtschreitom (in Übw-
setzungX W.
Kozeuii*8 geograplilscher Schukitlus fiü' Gymnasien, Keal- und Handels-
Bchnlen, XXV. Anfl., gritestentheils neu bearbeitet von Y. v. Haardt. Ans-
gal>e in 50 Karten. Wien, Ed. H91zel. Preis 3 fl. 60 kr.
Knzenn's Atlas lässt Arh am leiehte.stcn durch einen A'ertrleich mir dem
Schulatlas vun Stieler charaktcrisiren: beide haben mit einander gemein, da.«s
sie topographische Kartensammliingen sind und den gegenwärtigen S^nd des
jreogrnpliiselion Wis-^r ns, soweit es die S.lnile lierilhrt, fixiren: Ix ide zeiohnwi
sich durch Cienauigkeit und Maturwalirheit der Zeichnung auä. Dadurch aber
nnterseheidet sichKozenn auf den ersten Blick Ton Stieler, dass fener einxigvnd
allein ein Unterrichtsmittel ist, ein Atlas iTuSilmlen »ind zwar iTirSilmlen »iiurganz
bestimmten Kategorie, während Stieler zugleich ein Atlas turZeitungsleser sein
will, wie dies die Unmasse der äafgenonimenen Ortsnamen beweist, welche nur
zum kleiiisti.n Tln^üe Vieim Unten irhr zur Sprache kommen. Die Auswahl
der Ubjecte und inPolge dessen auch die deutliche, die Augen keineswegs
anstrengende oder verderbende Schrift liessen den Referenten keinen
Moment s. liwanken. wenn er die Wahl zwischen den beiden tü(litiii;en Atlan-
ten für den Unterricht zu treffen hätte. £r, als österreichischer Lehrer, würde
sich anch noch aus einem aud'.Vn Grande fUrKozemi entscheiden. DieMr Atlas
enthält nämlich in seinen let/.ten 12 Blättern gcradc/u 3rusterleistungen der
Kartographie, so natni^etreu, so phistisch in der Terrain/eichnung, so sauber,
ja elegant und so deutlich auch in der Schrift, dass fttr das Studinra der
österreichischen Landeskunde i,'eiri'nwärti<jf kein gediegenere- Karten-
materiai in irgend einem antlem Schulatlas vorliegt. Darin überragt Kozenn
den Atlas von Stieler sowol. ah den von Steinhüul^er. In andern Punkten frei-
lich hat er noch nicht alle Vorzüge des Stieler'schen Atlas erreicht. £s man-
gelt z. B. einigen Karten die harmonische Farbcnzusammenstimmung, manchmal
wirkt ein greller Ton geradezu aufdringlich. Es mag tür gewisse Karten (z. B.
des Deutschen Keichcs) und auf einer elementaren Stufe des Unterrichts prak-
tisch !»ein, ganze Länderflärlu'n Innit anzulegen, statt blo.s die Grenzlinien,
überflüssig i.st diese llanier aus naliL-liegeneleu tirüudeu jedenfalls für Karten
wie die von Italien. Spanien-Portugal, Schweden-Norwe^n, Grossbritannien; ja
Ar- knrin sfifrar nachtheilig sein, weil dadun^h der \rla-;. im Widerspruch mit den
i'nucipieu des geographischen Unterrichts auf bitheren Schulen, das jMjlitische
Moment über das physische zu stellen scheint. Eine Departementskarte Frank-
reichs, wie sie Kozenn in hübscher Ausführung gibt, hält Keferent gleichfalls
für einen Missgrifl" in einem Seliulatlas. In einem Punkte endlich sollte Kozenn
noch dem Handatlas von Andrec folgen nnd er würde dann unbedingt alle seine
Concurrenten aus dem Felde schlagen. Wir raeinen, er sollte die wichtigsten
im Unterricht an höheren Schulen zur Sprache kommenden Thatsachcn der all-
gemeinen Geographie, speciell einige der Pflanzengeograpbie, ferner der Ethno-
graphie und Culturg«>ngraphie, karfoirmidiiscb darstellen, wenn es auch manch-
mal nur in der Weise (^Nebettcarton^>[; geschälic, wie auf der im gleichen \ erläge
era<^enen«i Wandkarte von Aftik.*; W.
Venuitworttioktr Redaoteur: M. Stein. Bnohdraokaiei Jmllms Kliakhardi, hiätai§.
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literaturblatt
Beilage ziim Paedagogium, IV, 6.
F. W. DOrpfehl, Txector. Ein Ueitniof /nr Lcldonsprrschiclite der Volks-
schale nebst Vorschlugen zur lietom der .Schul verwaltiuig. Bai-men 1881,
Wiemann. 309 S. 3 M.
Der wesentliche Inhalt dieses Buches litsüt sich iu Kürze nicht besser anzeigen,
als es der Verfasser selbst im Vorworte mit foljjendcn Sätzen ijothaii bat: „Die
vorliegende Schrift ist der zweite Abdruck einer Keihe von Aulsat /.en, welche
samt in dem vom Verfasser herausgegebenen ,,Evangelisotoi Schulblatt" (Jaln -
gancr 1880 — 81) erschienen sind. Ausserlich veranlagst waren dieselben dui' h
die bekannte Landtagsrede des Ministers von Puiikainer über den preussischen
VolksschnllehTentnnd am 11. Februar 1880. Die Schrift besteht aus drei Ab-
handlunL'^ii. Der erste Artikel entwickelt — iiikIi cinrr einleitenden Analyse
der miui:«lerielleu Kede — die allgemeinen Grundsätze einer gesunden ächui-
rerftisflung (SehnlverwaltungsordnQng). Der zweite liefert auf ueser Basii dne
Specialnntersnelun)!; ilber die Lncal- und Kreis-Prluilaufsidit - nud darin eiu-
geschloasen eine eingebende Kritik der hergebrachten Aoläichtüorduong. Der
dritte beleuchtet auf Onmd des Vorauf^^egangenen die mliÜBterieUe Bede, deren
Hauptziel die Vi rthcidi^^ing und Befestii^un^- der alten Schulaufsichtsnrdnuug
war.** Zur Ergänzung dieser Skizze mögen noch folgende Bemerkungen dienen.
Die Kritik der Patuamer'schen Rede bildet das nmfhngreichste Capitel des
Buches und unifasst mehr als 1(X) Seiten. Als Anhauy i.st dem Werke ein
Aufsatz über die politischen Parteien in ihrem Verhältnis zur \'olkssebule bei-
gegeben, in welchen» die Fehler der Parteien und die schlimmen EinHUsse der
Pwteip(ditik auf das Schulwesen beleuchtet werden.
Was nun die Ausführung der vorstehemlen Skizze, also die angezeig^te Schritt
selbst betriflft. s<> bemerkt Keferent sogleich im allgemeinen, das« er dieselbe
«Is^ dne ernste, gründliche, höchst bedeutende Arbeit anerkennen mnss und den
weitaus grJissten Theil derselben für vnllkommpn gelungen nud unwiderlegbar
hält. !Nur in einigeu, hier nicht gerade »'i erster Linie stehenden Punkten
vermag ich dem Verfasser nicht zmEastimiuen. Mit Recht will derselbe die
Local - Schulaufsicht , wie sie früher war und iu manchen Ländcni, auch iu
Preusseu, noch heute ist, wesentlich eingeschränkt wissen: auf das innere
Leben der Sebnle, auf die ])ädagogiach-diaakti8che Thtttigkeit des Lebren, auf
die eigentliche Technik der Er/it')iuni: und des fnterriehtes s(dl sie sich iiieht
erstrecken, weil die Ortsschulbehörden in der Kegel nicht über Männer ver-
fügen, welche diesen Theil der Sebulanfticbt in en^esdicher Weise m flUnen
vermöchten. Einverstanden. Aber noch immer Iäs.st Herr Dörnfeld der Local-
Scrhulanfsicht einen grossen und wichtigen Wirkungskreis. Und da hat er meines
Erachtens übersehen, dass leider noch beute in vielen Schulgemeinden (besonders
in Dörfern) nur sehr wenige, oft gar keine Personen vorhanden sind, welche
eine au.sreichende iutelleotuelle und nionilische Bffahigung zur Schulpflege
besitzen. Zalilreiche Landschullehrer und an<lere Männer, welche die Cnltur-
znstände kleinerer Cemeiudeu aus eigener Anschannng keimeD, werden wissen,
da.ss viele derselben dun haus nicht im Stande sind, eine nur einigerma-ssen
respectable und nützliche Local -Schulbchiirde zu stellen. Femer — und da
macht sich freilich der Parteistandpunkt geltend — bin icli mit Herrn Dörpfeld
über die ,.Simultans<-hule" nicht gb-i( her Meinung. Er ist ein entschiedener,
man kann sagen leidenschaftlicher Gegner der Simultauachule, gegen die er bei
jeder Gelegenheit und an sablreieben Stellen seines Boeiies, oft ohm gentlgenden
Anlas'^. den stärksten Unwillen kundgibt. Einem s<i gewiegten Schulmanne
getraut man sich kaum zu sagen, dass er hier einseitig und allem Anscheine
nach ohne hinreichende, auf e^rener Anschawmg beruhende Kenntnis des wirk-
lichen Sachverhaltes urtlu'ile. und docli ist Referent ausser Stande, zu einem
andern Schiuss zu kommen. In Zusamm«^ ihang lüermit steht folgende auf S. 32
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dcA aiiirezci^eu Bn< ho, vurkommeude Stelle: ..Wenn irgend ein An.-ipriK'h des
Scluilanite.s die kirchliclien Inttres-nen michweisbar s< Icidiurf oder auch nur g^^-
tiibrdet, «t> sei angenouiiuen , dass er verkehrt oder mit tiuem Fehler behaftet
i^t; er muas dum aufjfegebon oder so moditirirt werden, bis er mit den kirch-
lichen IntProsKen stiiniiit, ' .la ..die kirchlii lieii Tnti-n'<spTi'', du« sind S' lir ela-
stische, Ott höchst bedt'uklii lic Dinge. Wer soll .sie deliuireii und in t-rträglichen
Schranken halten? Wie «itt niiisste vieler Orten da^ Schulamt seine Massnahmen
aiUVeben oder umdifiriren. bis sie ..jiiit den kirchlichen Interessen stimraen'*? —
(iewisi meint es Herr Dorpfeld gut mit Kirche und Schule, aber seiu Friedens-
ideal, wie ;<chön man e.s sich ftuch ausmiUen vMge, ist eine niuaion, ein Dingr
der Unmöglichkeit, .so lange man noch daran denkt, unvereinbare Gegen^tze
zu verschmelzen. Hier kann nur der ürumlsatz helfen: Clara pacta boni amici.
Aber nun müssen doch auch etliche Stellen augefdhrt werden, welche den
eigentlichen Kern des angezeigten Buches erkennen lassen und als charakte-
ristische Proben der Denkungsweise Dörpfeld s dienen können. „Hau regele die
berufliche Carriere der Volk.sschullehrer und gewälu-e ihnen, was zur Erweckung
ein - gesunden Standesbcwusstseini etÜDrifltlich ist. Dann >vird die Selbst-
ilisciplin in seiner Mitte hinter der in anderen Ständen nicht zurückstehen"
(S. 29). ,.(ieräth einmal da.'^ iwliti.sch- pädagogische Scbulregiment mit der
Kirche in Krieg, dann schiebt man die ireistlichen St^hulinapectoren bei Seite,
und die Lehrer werden wider die Kirdic i:.'liet7t: vertragen i*icb nach etlicher
Zeit die beiden Mächte wieder, dann rücken die geistlichen Schuliu-spectoren
von neuem in ihre Stellen ein, and die Lelnw werden angewiesen, ihre ..natür-
lichen Autoritäten" ja zu respectiren, und wehe ihnen, wenn sie nicht schnell
genug „umzusatteln" verstehen. Dieses Spiel nennt die politische Pätlagogik
..mordlische Hebung" des Lehrerstandes^ (8. 126). „Die bisherige (privilegirte)
Local-Schnlinspection ist nicht unreine n nzweckmässige Institution, sondern
wegen der lici htskiänkungen und moralischen Versuchungen, welche der Lehrer-
stand durch sir erleidet, geradezu eine nnsittliche'- 8. i:U). „Die ineoMisdie
Reiricning bat niemals Schulinspectoren ans dem Lebrcrstande gewünscht
und eilen de.shaib auch nicht darnach gesucht; und weil sie nicht darnach
snehte, so mussten auch keine vorhanden sein" (S. 149). „Wollte man den
Lehrern gestatten — wie es doch recht und billitr wäre, und wie man es an-
deren Berufsclassen gestattet — sich in ihrem Fache als Fachmänner zu tUhlen.
und wollten dann nicht mehr so viele pnre Dilettanten im Sishnlweeen mit-
,s])rechen und regieren, wie wenn sie legitiniirte SachknmliLri' wären: so würde
mau zuverlässig im Lehrerstaude nicht mehr „Selbstüberhebuug" entdeckeu
k9nnen, als in jedem andern Stande, selbst den geistlichen Stand nicht ans-
Li 'iionimen. falls dieser viclleiclit für den demiUhig.sten gelten soll'" (S. 201).
3Ieisterbaff nnd ers( b;ti)fend ist die Kritik, welclie Drirpfeld an der Rede des
Herrn von l'iitikamer übt, und welche in dem Satze gipfelt: ..Kaum jemals
durfte eine verschuldete und verlorene Sache unglücklicher nnd verkehrter ver-
tbeidigt worden sein. ' Und wir können hinzufügen: Kaum jemals durfte <?in
Ubermüthiger Dilettant giündli<her znrecht gewiesen worden sein, als Herr
von Puttkamer von Herrn Dörpfeld. Und doch konnte der nämliche Herr
von Puttkanit'r im letzten Viertel des neunzehnten .Tabrhunderts eine Zeit lauir
Unterrichtsuiiui.ster eines ('ultur>taatcs sein! Dieses Factum allein würde Hemi
Dörpfeld genügend rechtfertigen, dass er uns ein Stück „Leidensgeschichte der
Volksschule" vorgeführt hat. Sein Buch i.st eine eminent zeitiremä>'se Krsi hei-
uung; aber es ist mehr, es ist ein Hauptwerk über die Schulverwaltung, welches
alle gegenwärtigen und künftigen Schuhegenten lesen sollten, ein Werk. welchei>
keine-.wecTs bl^s tTir den .\ugeulilick ireboren ist. So viel über divs Buch. Vmhi
Verlasser al»er müssen wir sagen, dass er sich als ein echter Schulmeister und
als ein ganzer Hann gezeigt, dass die der Schale, der er so lange
durch dieTbat ebrenvull gedient, auch mit der Feder riihmlicli vert heidigt hat.
und dass der deut>che Lehrerstaud auf ein solches Mitglied stolz sein kann. D.
Der Xatnrlllstorlkrr. niustriite "Monatsschrift fftr die Schnic imd das
Haus, herausgegeben von Dr. Fiiedrieb Knaaer. Vierter Jahrgang.
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— 3 —
L Heft. 80 S. mit 48 Illustrationen. Jährlich 12 Hefte ä 2—4 Bogen.
5 fl. A<Iii:iiiistration: WU n IIT. Sal<'siaiiori!:asso 20.
Diese Zeitschrift empüelilt sich ebenso selir durcii gediegfiieu und praktisch
Terwartbnren Inhalt wie durch ele^tinte AnsstattungT' Sie Ist bis jetzt in
österrcicli - ('nirarn ilie einzige illustrirt»' naturwlsspiischaftliche Zeitschrift wnd
erhält noch dadurch einen besondem Wert, dasa sie nicht einseitig die fach-
wtssenschaftUche Biehtnng pfle^. sondem avch den pädagogisch -mdaktisehen
Interes.-;en snrc:same Berilrksichtigung iridmet, was einerseits in den lehiTeichen
Artikeln des Hauptblattes, anderseits nodi besonders in den Bciblätiem: ^ie
Lehrerbibliothek" und ,.IMe Lehrmittebammlnng** hermtritt Wtge dieses von
t'iiirm tiirhtigeu Fach- unil Scliiilmanne geleitete und von zahlreichen renom-
inirten Mitarbeitern unterstützte zeitgemässe Unternehmen in immer weiteren
Kreisen den wolverdienten BdfikU findeiL Zar nftheren Kennzeichnung desselben
deuten wir den Inhalt des angezeigten Heft» •< an: Popnlftr-wissenschaft-
1 ich es: Dattelpalme und Dumpalme. Mit 2 Abbild. — Der Socialphilosopli
Franz Quesnay, der Begründer des phj-siokratischen Systems. Von Dr. Wilh,
Neurath. — Wie die kleinsten Tbiere wohnen. Von Rock. Mit 9 Abbild. —
Polyp, und Chamäleon. Von Karl Sylvio Köhler. — Pinie, Cypresse und Ölhainn,
drei Charakterpflanzen Südeuropa's. Mit H Abbild. — Aus dem Aquarium un-
sers Thiergartens. Eine Fütterung bei Licht. Von Dr. Max Schmidt. — Nist-
kästen fl\r V()gel. Dazu eine Tafel mit 17 Abbild. — Trinken Ringelnatter
und Schlingnatter Milch? Von Prof. J. Werchratzkv. — Der Bnnuinapparat
der.MaikSfw. Mush Dr. H. Ludois. Mit 1 Abbild.' - Schulpraktiäches:
Der Xachwei?! orarani.scher Gifte. Nach F. E. Thorpc und Pattison Muir. Mit
3 .Vbbild. — Chemisch - Technologi-sches für S -hul- und Hausgebrauch. — Wie
wird man den Schüler lehren, sich am Stemenliimmel bezQglich der wichtigste»
Sternbilder zu orientircn? Von Prof, H. C. E. Martus. Mit 12 Abbild. —
Fachwiäsenschaftliches: Scopoli'.^ Icones Eiitomoh>giae Caniiulicac. Von
Pn»f. Dr. K. W. v. Dalla Ton-'. Welche Faetoren kommen bei Betrachtung
der Färbung und Zeichnung der Kriochthiere und Lurche im alli^emciiieii in
Erwäi^iing und wie geben sich die bezüglichen Verhältnisse im specieileu bei
unseren Kriechthieren und Lurchen? Von Dr. Friedrich Knauer. — Gustar
Nachtigar.s Sahara und Sudan. IL Von Prof. Dr. Phil. Paulitschke. Cor-
respondenz der Kedaction mit ihren Lesern und dieser unter sich.
— Die Lehrerbibliothek. GO literari.sche Anzeigen und Becoisionen. —
Die Lehrmittelsammlung. Besprechung Terschiedener neuer Lehrmittd.
H.
Mine raloir! seile Tafeln. Anleitung zur Bestimmung der Mineralieu von
F. Leypold, K. W. lü yi* rungsrath a.D. Stuttgart, Verlag von JuL Maier.
Bestimmungsbtlcher tilr ]^lineralien sind ebenso nothwendig wie solche der
anderen Naturreiche und docli viel >chwieriger, weil bei der Benutznuir dei-
selben ein grö.ss^eres Ma-ss chemischer und physikalischer Kenntnisse und prak-
ti>>che Fertigkeit vorausgesetzt werden muss. Der VerfiMser vorliegender Tafeln
hat dieselben auf Grund seiner praktischen Erfabnincren zusntnmonfre<tellt. Die
Mineralien sind geordnet nach ilirem specifischen ( rewichte und nach ihrer Lös-
lichkeit im Wa-;ser und in Sturen; die anderen mineralogischen Eigenschaften,
wie Härte, t heuiische Zusamniensetzun£r. Sclimelzliarkeit und Verhalten vor dem
Löthrohre, Farbe d»'r Boraxperle. Farbe, Glanz und l)urcii.sielitigkeit des Mine-
rales. Strich. Hrmh und andere Kennzeichen sind tabellariseh angefügt. Im
Ganzen sind MH) 3Iineralien angeführt, womit weit i\ber den Rahmen der ire-
wühnlichen Mineralien hinausgegangen ist. Es ist nun die l*Vage, ob die Be-
stimmung des speci fischen Gewichtes mit einiger Genauigkeit eine gar so leichte
Sache sei. «♦■ünt m-Ai der Methode, welche der \'erlas-ier aniribt, da reine
Stückchen, deren (iewichtsverlust bestimmt werden kami, nicht so leicht für
jeden vorhanden sind, der nur seine eigene Sammlung (oder c^ne Schukümmlnng,
an der er nicht vi. 1 /erklnpfi ii darfi zur Verfügung hat. Wir irlauhen. dass
dies in vielen Fällen schwierig sein wird. Auf die Form, ob krjstallinisch oder
nicht, hätte melir Rücksicht genommen werden sollen, wmui auch, wie der
VeiAisser richtig bemerkt. Schaler selten Gelegenheit haben, deutliche Krj'staUe
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— 4 —
in Uiren Besitz /u In knimneii. Al t r abgcsolieii hiorvtai sind Tali'-Ilr s mit
grosser Gewissenhaltigkeit zusaiumeugeätelU uud werden unter Uimtdudeii vuu
nraktischem Werte sein, besonders da sow>l in dar aUgemdnen Einleitiuig als
m einigen Beispielen deren Gebrauch recht deutlich gezdgt wird. C. B. B.
Br* £. S. Uii^er, Pi-ofesäor. Leitfaden für den Unterricht im Kopfredmen
fllr Lehrer nnd Srarinnristen nach einer eigenthOmliehen Methode. 3. Auflage,
neu bearbeitrt von G. Knisclu', Oberlehrer au der höheren Schnle ÜBr USdchen
zu Leipzig. Leipzifj- 1881. Hermann MendelsMtlm. 288 S.
Da der Wert des mUndlichen Keehuens gegenwärtig an Anerkennung gewinnt,
so nrass das Erscheinen eines Bnches, welches eine hranchbare Methode dafllr
angibt, mit Freude begrübst werden. E.«i war dalu r eiu zeit*remäs9e.-< Cnter-
nehmen, das vorli^eude Buch, de&sen zweite Anliace vom Jahre 18öl datirt
nnd franz veraltet ist. neu zu bearbeiten. Die dritte Auflasre erscheint hi
verSndertor Gestalt. Der zweite Cursu.s wurde au.^^'esrhieden. der
vierte Abschnitt des ersten Theiles umgearbeitet, die l*roi)ortion.slehre aus dem
zweiten in den ersten Cursna übergetragen, und mehrfache Erweiterungen wurden
angebracht. lu der Ehiieitnng entwickelt der Verfasser seine Methode, dieselbe
geht dahin, den Sohüleni keine Keirdn zu geben, sondern sie von ihnen finden
zu lassen. Der Schüler soll an das Denken gewöhnt uud im Denken geöbt
werden. Der Verfas.ser wünst ht anstarr «U r I'nt» rsrheidung in Kopf- und Tafel-
refhufu eine solche in Iteukrechiien und lietrelreclinen einzutUhn-n. Er will
beim 1>( iikreehneii die Tafel im beschränkten Mu.^'se benutzt Ijaben. iL«i rechne
stets mit den kleinsten oder bequemsten Zahlen. Der Einleitung folgen als
ei*ster Theil: Die Lehre vom Wesen «ler Zahl, wclrlu! sich über die Zerlegung
in Factüreu, das g»'meiu!?chat'tli< he Mass und Vielfache, Uber die Lelire von den
Kesten, den DecimalbrOchen und Quadratzahlen ausbreitet; femer als zweiter
Theil: die Materialien zur weitereti Fortlllhnmg des l'nterrichtes, welche von
Factoren und Kesii n. dann v<jn (TU icliuugen. ßeiheu mid Proportionen handeln.
So sehr mau mit den Grundsätzen «b s Verfassers im allgemeinen einverstandoi
.sein mag. so fraglich bleibt die Ausdeliumig ilircr Anwendbarkeit. Der T^ntt-r-
richt im Kechnen muss allerdings auch in der \'olk.s,>clii:le auf formale Bildung
gerichtet sein, aber er muss den .Schülern auch positive Kenntnisse mitgeben;
jenes erfordert Verstandesthätiirkeir. dieses I'bnng des fiedächtnisses. Es <lrirfte
wul das Alter von zehn Jahren aln dasjenige zu setzeu sein, mit welchem jene
entschieden in erster Linie zn pflegen ist; soweit stehen wir mit demVermMor
im Einklänge, er be>;rininit sein Ilueh nirlir tTir dio unterste» l*^tnfe. Aber auch
für eine höhere Stufe eignet sich die Methode des Vertasserä nicht durchgängig;
denn die allgemeinen Zädieichen leisten in ihnr Anwendung auf die ./Ügdm
do( }] unirb'ich mehr, als dieses von IUI zu Fall sidi abmfihende Bingen nach
dem Resultate.
Wir empfelilen das vorliegende Bnch allen Fschgenossen, welche es mit dem
Unterrichte von zehn- bis dreizehnjährigen Si hiilern zn thun haben. ;tK TTaud-
bttch — nicht als Schulbuch — und sind Uberzeugt, dass sie von gewisaeu Ab-
schnitten mit Vergntlgen Oebranch machen werden. Besonders haben uns die
Paragraphe 24 Ms des ersten Theiles befriedigt, welche von dpu Dedmal-
brttchen, den (juadraucahleu uud den Zahlenreihen iuuideln« jedoch mit Ausschluss
des 31 von den Quadratwurzeln, an welchem man eben sehm kann, dass dch
Eines nirlit für Alles -. hiekt. Ans dem zweiten Theile heben wir lobend hervor
tlie i^twickeluug der periodische Deciiualbrüche in ^ ÖO, wogegen wir die
Behandlung der Gleichungen bei anderen RecheomethooBkon, s. S. bei Stidni
(Das Kopftichnen, Wien 1878, Pichler) systematischer geftmden haben. H. B.
VcnntworUiolwr BadRctenx: M. Stein. Bvchdniekeni JolU* Klinkhardt, lätftSt,
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' Literaturblatt.
Beilage zum Paedagogium, IV, 7.
Lehrbuch der Pädagogik von Dr. Gerhard yon Zezschwitz.
Leipzig 1882, Hinrichs. 291 S. 4,80 M.
Ein höchst bedeutendes Werk. In drei Haupttheilen behandelt der Ver-
fasser 1. die grundlegenden und zielsetzenden Factoren aller Ensiehnng (Familie,
Stamm, Nation, Stand, Staat, historische Entwickelnng, Religion, Ideale u. s. w,).
2. die anthropolotjisch- psychologischen Vorauasetzungen und 3. die factische
Verwirklichung (Praxis) der Erziehung uudBUdung, ttberall Theorie, geschicht-
Uchen Nachweis und methodische Anwendung mit einander verbindend. Refe-
rent hat das ganze Buch mit dem lebhaftesten Antheil und der grössten Be-
friedigung gelesen. Zwar enthält es auch einzelne Anschauungen, Uber die man
mit dem Verfasser streiten kann, z. B. bezüglich der geistigen Beföhigung der
Tliiere im Verhältnis zu der des Menschen, bezüglich der Grenzen weiblicher
Berufsthätigkeit, der Vorbedingimgen zum Universitätsstudium, mancher Details
der Elementarmethodik u. 8. w.; aber das sind in diesem Werke verhältnis-
mässig nntergeordiiete Pinire, In allem We.scntlichen niachr dan vürlieg:ende
Buch durch die iu ihm herrschende gesunde, sichere, selbststäiulige. freisinnige,
allem Trivialen entri\ckte, auf festen wissenschaftlichen Grundlagen mheude
Denknngsweise. durch seine edle, ideale und gemüthvolle Betrachtung aller
menschlichen Angelegenheiten, durch seinen logisch wolgetilgteu Bau im (irossen
und Kleinen, durch seine originelle und doch allenthalben zutreffende Sprache ei)ien
imponirenden. aber ziit^leich anziehenden und wolfhuenden Eindniik. Mau
fühlt es an jeder Stelle des Buches, dass dasselbe keine blosse Prticht- oder
gar Geschäftsarbeit, sondern eme Hmrasthat, ein Ausflnss inneren Dranges ist.
Verfasser ist Theolog; aber wer es nicht weiss, wird e.s dem Werke kaum ab-
merken. Von engherzigen Vonutheileu oder starren Dogmen keine Spur, ge-
schweig« denn von blindem 2ielotismii8 oder Fanatismus. Überall findet vielmdir
ilii< «'hnnt' Wnrt; Hiiniani nihil a me aliemim puto die schi'>u3te Anwendung.
Seit Sclileiennacher ist von theologischer Seite kein pädago^sches Buch annähernd
gleichen Ibui^s geschrieben worden; ^a Referent hält lUKRIr, Aua auch Schl^er-
macher. wenigstens in wissenschaltlicher Hinsieht, von Znachwits weit ühO'
holt isU
Wenn also das angesefgte Bneh ab eine hervoirageiide Leistung unserer
Faelilitoratur ernste Beachtung verdient, <n kann Piefereut leider des Verfassers
Uofihuug nicht theileu, dass es „für Gebildete überhaupt" lesbar ei^eiuen
werde. Gerade einige der dem W^e eigenen Vorzflge werden das unmöglich
machen. Es ist die Arbeit eines Gelehrten, zwar eine.s (ielehrteii ohne Zopf,
aber mit sehr reichem Betriebscapitalj und wenn sie auch dem Geiste desselben
ohne Anstrengung, vieneicht ohne ansdr&cicliches Bewusstsein von dem schweren
Gewichte der entwickelten Gedankenmassen, im freien Spiele genialen Schaflens.
eutllossea sein mag: so werden doch Leser, welche dem Buche nicht eine be-
deutende wissenschaftliche Vorbildung entgegenbringen, gar bald den Fftden
verlieren, ja ihn kaum sicher erfassen. Und die Dictii-ii des Buches i<t nicht nur
äusserst gedrungen, vollsinnig, wuchtig, sondern auch eminent gelehrt, dem
Laien umassbar, wenn andi dem Eingeweihten Terstftudlich . jii zusagend und
vertraut. Dazu koimnt, dass die Elemente all der Wissenschaften, welche für
die Pädagogik grundlegend sind, un«l auf denen auch das vorliegende Buch
aufgebaut ist, in demselben nicht eigentlich gelehrt, sondern nur interpretirt,
nicht genetisch entwickelt, sondern nur sinnreich verwebt, also vorausgesetzt
werden. Ohne Schulung, ohne vielseitige und gründliche Schulung kann also
dieses Werk weder recht gewürdigt, noch fruchtbringend gelesen werden.
Den natürlichen Leserkreis desselben dUrl'ten nach Ansicht des Referenten iu
erster Linie die Candidaten des höheren Schulamtes, aber auch sie erst an der
Schwelle ihres eigentlichen Berufsstudiums, ferner ausser den pädagogi.>$chen
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— 2 —
Fachgelehrten alle jene Blänner bilden, welche auf Grniid eines ^lehit«i Be-
rufsütudinms in Staat und (n^scllschaft eine leitende Rolle .spielen, zn deren
heilsamer Durchfilbrung »ie pädagogischen Sinn und Verstand ^ sehr be-
dürfen, wenn sie auch nicht eben Praktiker im Schul- und Eiraehunfi:^wesen
sind. Und wenn da.s angezeigte Buch nur in all diesen Krei.sen durch^-chlägt.
so wird 68 eine sehr woUh&tige und weitreichende Mission erfüllen. D.
Xittel zur Erreichung einer i;uteu Schul zucht. Erfahrungen, Rath-
srlililu:«^ und liedliigni.'ise für Schule und Familie zur rieht ic'-ii Kiii-lor-
eiziehung. Von Frixaz Jäger. Wien und Leipzig 1882, Jul. lüiuidianit.
S2 S. 0,60 IL
Yerfiuser geht -ron dem in der neueren Pidagos^ als Axiom geltenden
Orniulsatze aus. da-ss in der Volksschule Erziehung und Unterricht mit
gieichwässiger iSorgfalt zu pdegen seien. Wenn nun auch der letztere selbst
ein guuE vorzttglidies Mittel sni* Förderung der erateren ist, vnd jeder Lehrer
schon in seiner ünt«rricht^?methode eine wichtige, j.i die weitau-« bedeutendste
Hille und Stütze der Schuldisciplin besitzt: so bedarf C3 doch zu einer gedeih-
lieben Oestaltang des Sehnllebens, ja schon rar Sicherung des LdngesehSftes
selbst noch besonderer Mittel, Einrichtungen und Ma:*sregeln. deren Inbegriff
wir Schulzacht im engeren und eigentlichen Wortsinn nennen, und die den
Gegenstand der rorliegenden Abhandlung bilden. Dieselbe entUttt trots ihres
geringen Urafauges einen reicheren Schatz brauchbarer Ratlischläge, als manche«
weitschichtige Buch Uber den gleichen (legenstand. Man sieht ea der kleinen
Schrift auf jeder Seite an, dass der Verfasser ans Eigenem scbSpft nnd nor
.Holehe di.Hciplinariscbe Mittel nnd Vorkehrungen empfiehlt, welche ihm das
SchuUeben nahe gelegt, die er selbst hinlänglich erprobt bat, nnd die daher
aneb. wie er seihet bemerkt, „sich besonders znr praktischen Einführung in
das Schnlleben und zur Orientirung Uber die Zuchtmittel der Schule tVir neu
eintretende Lehriiersonen eignen dürften." Wenn Herr Jäger den Gnmdzug
seiner Vorschläge in dem Satze zusammenfasst: „dass das beste Disciplinar-
gesetz ein pflichteifriger Lehrer ist, nnd dte besten Disciplinarmittel Conse<|n( n/.
unermüdliches Studium der Kindesuatnr. ein richtiger pädagogischer Takt und
unbezwingbare Geduld und Gemüthsruhe von Seiten des Lehrers sind", so gibt
er selbst leutUeh zu erkennen, dass die DurchtlUirang seines Disciplinarsrstems,
namentlich in vernachlässigten Cla^^sen oder Schulen, nii ht geringe Mühe und
Anstrengung erfortlert. Datür aber >nnl » s auch dem Lehrer, wenn er es nur
einmal in Kraft gesetzt bat, seine BerutVth;itii,'keit in lioliem Masse erleichtem
und einen höchst wirksamen Kinthns auf die sittliche Eutwickeluug der Kinder
sichern. 31og6 also dieser anspruchslose, aber gediegene und praktische Bei-
trag Bur PKdii^gogik der Ycdksscbnle die wolverdiente Beachtung finden. D.
BiOg^aphisehes SehrÜlUtcllcr- Lexikon der Gregeuwart von Franz
Bornmflller, unter ICitwirtnmg namhafter Sehriftsteller. Leipzig 1882,
Bibliographisches Listitut. 800 S. 8 U.
Ein ansehnlicher Band vr>n kurzen Lebensbeschreibungen. literari>cli. n Naeh-
weisen und Kritiken betretend die bekauntisten zeitgenö.sjiischcu Schriftsteller
aller europäischen Coltnrvölker. Ausgeschlossen blieben die streng fachwissen-
scbaftlichen Autoren, da denselben besondere, in tjleicheni Verlaire erseheinende
Lexika gewidmet sind. Die ^duhrzahl der in dem vorliegenden Baude vorse-
ftihrten Schriftsteller bilden die eigentlichen BeUetrisl^er. dann die Oeschicht-
schreiher mit FSnichlllM der Cultur-. Litminir und Kunsthistoriker, sofern sie
sich einer popuUien und anziehenden Darstellung bedienen; iiierza kommen
eine Beihe ««dben Bedingungen erfüllender Autoren anf andeien wissen»
schaftlicben n iili ti ii. l> i^^ i in s > vif] nnifassende-. Werk, welches überhaupt
nnr durch die gemeinsame Arbeit \ ieler zu Staude gebracht werden konnte,
aber auch bei dem regsten Sammeleifer nicht leicht tn einem voIbtSndig be-
ftiediiri ii li n. lüf kenlosen und ganz fehlerfreien Abschluss 7\\ bringen ist und
hm. neuen Autlagen noch manche Kachbesserungen erhalten muss, versteht sieh
von selbst. Aber anch wie es yorliegt, vordient es in Text nnd Dmelc daa
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Zeugnis gitfuter Soigfalt und vmA es allen, welche sich Uber zeitgenössische
Autoren orientiren woUoi, als ein woliafoimirter nnd stets bereiter Führer
dienen. H.
Das Weltall und seine Entiiiekelung. Darlegung der neuesten Ei-geb-
nisse der kosmologischen Forschung von E. F. Theodor Moldenhaner.
Erste Liefisning. K91n 1882. Verlag yon Ed. Heintich Majer. Preis der
Lieferung 80 Pf.
Es ist sclnvieri)? ans einer ersten Lieferuns: eines grösser niiffeleijten Werkes
ein Urtheil über dasselbe abzugeben, es muss dazu der Inhalt dieses Antansres
und das Verzeichnis des Versprochenen helfen. Was nun dii- ! i i re an-
l)elan8:t. .so theilt sich der Iiilmlr iles Werkes in folgende Capiteh Das All.
d.ia Sonnensystem, die Erde, die Sonne, der Mond, die Planeten, Feuerkugeln,
Meteorite, Sternschnuppen, Kometen, der Einheitsgedanke im Sonnenqrsteui, der
SrofT tind die Kraft. Halluner nnd T'inltmf. di'' Drehung:, Verdichtunc: nnd Rinir-
bildungt die Entfaltung unserer Tlanetenwelt, der „kritische Funkt'" in der
Wdtkörperentwickeluns:. der Gestalt ungsprocess des Mondes, die Constituirung
der Erde, der Erdvulkauisraus der Vorzeit, der Sonnenviilkanismu.s. die Eiszeit
der Erde, der Erdvulkanismns der Jetztzeit, der Ui-sprung der ileteoriteu-
sdiwlrme, Penpeetiven — eine grosse Reichhaltigkeit, die sU datgenige um-
fa.sst, ^vas man von eiix'r Kosmog-onie verlanifen kann, nnd welche nach den
angegebenen Uetaüabsclmitten sehr viel des Interessanten bieten wird. Über
das Wie? betehrt uns der Inhalt des ersten Capitds: „Das AU.'* Hier sehen wir
alle neueren Forschnngcn und Beobachtungen gefrfssenhaft benutzt, wip z. P>.
Uber das Vorhandensein und die Fouderabilittt aes Äthers, Uber die Bewegungen
der Fixsterne, Vübet den Hlttelpmikt des Wettalls, tfber die Doppelsteme, Aber
die kosmischen XeViel. Diese Partien sind in i)opulSrer Weise dargestellt, ohne
verflacht zu sein, und bieten jedermann viel des Intei'essauten. Dass manche
Hypot]i(»en etwas apodiktisch als hSchst wahisdieinKeli oder nahesm wahr ge-
schildert werden, ist bei einem MiMien fttr einen weiteren Leserkreis bestimmten
Werke natürlich. Illuätratioueu würen zur Deutlichkeit recht wünschenswert.
G. fia S.
Dr. J. Worpltzky, Professor an der königl. Kri^;s-Akademie und am
Friedrich -"Werderschen Gymnasiuni zu Berlin. Elemente der ^Mathematik
für gelehrte Schulen und zum Selbststudium. Zweite umgearbeitcto Auflage.
Erstes Heft: Die Arithmetik. Berlin 1881, Weidmann. löÖ Ö. 2,40 M.
Wir sind dnrehdmmren T<m der didaktischen Wichtigkeit einer 83rste-
malischen Dai-xtt llimi: il» i .\nthmetik, weil in keinem audeni Zweige der
lückenlose Zusammenhang des ganzen Lehrgebäudes so vollstämlig zum Be-
wnsstsein gebracht werden kann, als gerade in der Arithmetik. Wir freuen
uns daher dieses Buclies als eines s'ehi- geeipu ten Mittels, diese Anschaumig
zur Geltung zu bringen. Allerdings kann wegen der Mannigfaltigkeit der
Wechselbeziehungen ein Lehrbnch vom Systeme der Arithmetik nur ein Bild
geben, und es bleibt dem geistigen Auge des Lesers Uberlassen, aus dem Bilde
das GefOge des Systems sich aufzubanen; aber wir müssen dem Verfasser zn-
gestehen. dass sein Gemälde der Arithmetik ein nahezu volKst&ndige.s ist.
Der Verfasser legt das griisste Gewicht auf möglichste KlarstaUunir r Be-
grift'e, und bat aus diesem Grunde die Einleitung. Avelche Axiome nnd wiehtiire
Definitionen enthält, neu bearbeitet; denn er meint, dass eben der Maugel klarer
Grundbegri£fe Schuld trägt an den „stutzig maolienden Folgemng^ die ver*
mittelst des arithmetischen Calculs auf dem Gebiete der Ramnaiwehannngen**
gemacht werden.
Der Verfivsser schliesst dnreh seine Definiti on des Grösflenhegriffos die „dis-
creten" Grii^^sen ans. indem er bemerkt, dass dieselben nur unter gewissen
Beilingungiu als wirkliche Grössen behandelt werden können; sein Grössenbe-
griif umfasät demnach nur Zeit und Kaum.
nDie Einleitung entln'üt eine ..t bersicht über die Abstanimunc: der Re( hnnn2'<-
arteu und ihre Nomeuclatur." Sodann folgen die Lehrsätze Uber die Auät ab-
rang der Bechnnngaarten, der Art,' dass avf derselben Seite neben einander
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I
— 4 —
sU'heud »lie l'aiallelsat^e von «lirecten und iiiverstn Rt-eliuuugsartcu auige-
frthrt sind. Der Addition und Subtraction folgen die negativen (irössen, von
denen wir aber eine riefinitinn vermissen. Der Mnltiitlication und Division
folgen die gebrochenen und irrationalen Zahlen; letztere werden als ein in-
oommensiirables Verhältnis aufgefasst, und die Art, mit ihnen zu rechnen, nach
EinlVihrnni: des Zeichens Utu .sehr clcLMut lioinliudet. Die drei letzen Rech-
imng.sarten werden in Bezug auf Monome-Zahlen ebenfalls parallel ansireJührt,
dann folgt der binomische Ldmats, die Sumniirbarkeit der Reihen und die
Exponential-Keiho; aus dieser wird nach Einftlhmng der imaLriiKiren Einheit
der Moivresche Satz abgeleitet, und de^eu vielseitige Anwendung deutlich ge-
maeht. Ali enter Anhang wird die Yeranschaulichüng der Zahlenformen durch
geometri.sche Gebilde nach Gauss, als zweiter Anhang sind * iniire wichtiflre
Reihen nebst Zinseazinärechnung gegeben, den Sclüuäs macht der Algorithmus
mit dm nnmertsehen Zahlen.
Sc»viel über den Inhalt. Zum Lobe der Ausführung wollen Avir dem friiher
Gesagten noch beifiigen, da^s bei jeder Rechnungsart besonders untersucht
wird, wie weit die Null, welche keine Zahl iit, formal als solche behandelt
werden darf; ferner d;\s.s nächst den T>efinitinnen der Lrr'i<ste Wert auf die
Correctheit der sogenannten mathematischen Orthographie gelegt wird.
Dieses Lob sollen die nachfolgenden Bemerknngen ni^t oedntrlchtigen,
vie'niehr sollen es nur etwa sj^äter zu bef)ltrende Winke tl\r den Verfasser
sein. Wir ziehen die Bezeichnungen: „Logarithmand" und „lateral'' der Be-
nennung: „Numerus** nnd „imaginär" vor, erstere sind charaktoristiBcber und
eindeutig. Femer nu« hten wir trotz der Beirrilndnng in der X<ito anf Seite 2
nicht „Zifor" sdueiben; denn wir halten es fi'ir keine „berechtigte Eigeuihttm-
Mehkeit**, dass jeier deutsehe Sehulmann seine eigene Orthographie schreibe.
Endlich möihten wir irgend im Ruche angefillirt sehen, dass die verschie-
denen Erweiterungen der Zahlenscala ihre Entstehung der nur bedingungsweisen
Ausführbarkeit der inveisen Redmnngsarten verdatuten, damit der Algorithmus
nicht de.s that^sächlichen Hintergrundes entbehre. Sowie auch der Veransehaa»
lichung der Zahlfonnen durch geometrische Gebilde eine solche durch discieta
Grössen zur Seite treten kfinnte.
Indem wir das vorliegende Buch allen Fachgenossen empfehlen, bedanem
wir. dass seine erste Hälfte als Lehrbuch für den ersten Unterricht nicht ge-
eignet erscheint, wol aber kann alles von der binomischen Reihe au in den
obersten Classen von Gymnasien nnd Realschulen zum ersten Unterricht und
das Vorausgehende auch sor Wiederholung mit gräastem Vortheile benut/t
werden. H. E.
Abriss der dcutsclieu SiUH'iniie.ssuiiü: und Verskunst von Prof.
Dr. Daniel Sauders, Berlin 1881, Langeuscheidt. gr. 8. 133 S.
Das Buch ist eine erschöpfende Behandlung der deutschen Prosodik, ja
wird, was die als Beleg gebr-achten Beispiele betrifft, wnl {\\r lange ohne
Gleichen dastehen. Man fühlt anf allen Seiten den belesenen Lexikographen
heraus, der, was er auf seinen Streifzflgen dnrch berOhmte und unbertlhmte
Werke gesammelt hat, nun behaglieh ausbreitet, kriti-ich uulersueht. irruppirt
und sondert, der in der FiUle des zusanmieu£etragenen Matehais Belriedigung
findet und — die Lösung der Streitfrage. So dürfte diu Buch auch An«UUi>
dem, denen unser Aecentgeset/, so gmsse Schwierigkeiten bereitet, t-in will-
kommenes Nachschlagebuch werden. — GegenUber der Prosodik tritt die
eigentliche Metrik in den Hintergrund. Auch da sind der Belegsteilen ge-
nuir gesammelt, aber neue Resultate sind nicht gewonnen, neuere Arbeilen,
wie z. B. Brilcke's epochemachende Schrift „Die physiologischen Gmudlagen
der neuhochdeutschen Verskunsf* oder Westphars Metoik ignorirt und auf
den deutschen Stropbenban wie die historische Entwicklung ^Metrik wenig
fittcksicht genommen. ^ — r.
yanatwocOicker BoJaeteai: IL Stvla.
Bnobdnickerei Julias Kliakkardt, Ldpiig;
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Literaturblatt
Beilage zum Paedagogium, IV, 8.
PKdagOgiseh - politische Rundschau. Herausgegeben von Johannes
Si III ml er. 1. Mit einer Kartenskijsse als Beilage. Graz 1881, Karl Habere
100 S. 80 Kr. = 1,60 M.
An der Spitze dieses ansehnlichen nud gehaltvollen Ueftea »teht eine Ah>
Itandlnng Uber das Verhältnis von Pädii^^^ogik nnd Politik, welche namentlich
die Verwandtschaft nnd Zusammengehörigkeit der erziehlichen und der staats-
roännischen Thätigkeit nachweist. Hieniuf folgt eine motivirte Auffordcnmg
zur Gründung von Schulvertiuen, deren Zweck und Organisation in kurzen
Zügen, abor soneichend und einleuchtend dsigestellt wird. Weiter bietet uns
der VertasMpr, vermuthlich aus Anlass der gegenwärtigen politisch-militärischen
Hauptaction Üstcrrcic-lis. eine vuu einer Kartenskizze unterstützte übersichtliche
Beschreibung der Länder Bosnien, Hercegowina und Novibazar. Nun^ folgt der
Haupttheil des Heftes: die iKi(l:ii::«'i,nsch-i»olitischf Rundschau über Österreich
(im engeren Sinne), Ungarn, Busnieu und Hercegowina, welche ein fiild der
achulpoUtisch«! Vorgftnge während der letsten Janre in den genannten Gebieten
entrollt. Den Schluss bilden eine Reihe von Aussprilrlini moderner (meist öster-
reichischer) Politiker über Cultur-, 8chul- und Staatstragen und ein Nachwort
di» Herausgeben, in welchem er in Klinse das Programm darlegr . nach wel-
chem er seine „Rundschau" fort/.ufiUinn gedenkt.
Der gesammte Inhalt dieses ersten Heftes ist ernst und lesenswert. Was die
soeben erwähnten aphoristisehen Anssprttdie seitgenSssiseber Politiker betrifft,
80 sind nicht wenige derselben anfechtbar, imd es erscheint daher die ihnen
gegebene Überschrift: „Perlen aus dem Meere des Lebens", nicht als durchaus
eutreffeud. Auch einzelne Sätze des Herausgebers selbst sind sehr bedenklich
und bedürfen mintotens einer Erläuterung, z. B.: „Die Pädagogik I&sst Handlun-
gen zu, die man im gesellschaftlichen Leben als unsittlich bezeichnen mtlsste../
„iSuUeu wir den Glauben an das Walt<;n einer .sittlichen Macht im Staats- und
Völkerleben nicht verlieren, .so raUs.sen wir das Phantom von der Einheit des
Moralprincips aufgeben nnd neben der l'rivatmoml eine Staatsmoral gelten
lassen" (8. 7; vergl. den Au.sspruch von Hausner, S. dti). — Im Ganzen aber
sengen die hier vorliegenden Arbeiten Ton dner nicht gewöhnlichen Begabang
und DurchbiMunir des Verfassers, «-owie von dessen sicherer Behorr^rbting des
sprachlicheu Ausdruckes. Sehr gelungen und schätzenswert ist besonders die
von ihm gegebene Überseht der neuesten Schulgeiehichte Osterreieb-Ungams.
— Ob sich diese neue .. Rnnd^elmii als selbständiges rntemehmen wird
halten können, erscheint uns, besonders im Hinblick auf die finanziellen Kr-
fbrdemine. als sehr zwelMbaft. D.
Heimat k linde von Altona und l iuiroi^end. Für den rnterricht in den
Altonaer Schulen bearbeitet von 11. Khl ers. Altona 1881, Utlacker. 64 S.
Als Basis des gesammteu geographischen Unterrichtes darf die Heimatskunde
in unseren VoUtsiehulen mit gfutem Rechte einen bestimmten Plats in Anspruch
nehmen, nnd alle einsichtigen Lehrer widTuen ilir ein lebhaftes Interesse. Pas
hier angezeigte BUchleiu behandelt diesen Gegenstand in ganz geschickter
Wdse, dnftich, klar und praktisch. Wenn nun auch die Heimatskunde in con-
creto stets als Betrachtung einer gans bestimmten < )rt>gefneinde saoUBt der
nftchsten Umgebung auftreten mass, folglich Uberall ein anderes, immer nur
kldnes Stück Erde, hier Altona und Umgegend, behandelt, also ihr specielles
Material dem eigenthümlichen Gesichtskreise einer besondem Sehule entnehmen
muss: 80 hat sie doch auch gewi.sse Oapitel. die sich allenthalben gleich blei-
ben, und die formalen Gesichtspunkte, nach denen sie sich entfaltet, der Kah-
m<ui, welcher sie umschliesst, sind im Wesentlidien allgemein gütig. Daher
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kann der Lehrer jede besondere Ueiuiaukunde, wenn äie uui, wie die vur-
liegende, den OnndeitEeii der bentiifen Keihodik enttpiiclit. auf seinen eigenen
Sdiulort anwondon. Und in dipr-oiu Sinnt- kunn das anffozeiirte, recht gelungene
Bßchlein auch weiteren Kreisen als LeittaiWn empfohlen werden. D.
Die Methodik des pliysikalisclien ruterrichtes. Von A. Lederer.
Budapest 1881, Lanipel. 40 S. O.ßO M.
Verfasser dieser Schrift, ein hervurrageuder ungarischer Schuhaaun. eiürtert
«inftchst den Zweck des physikalischen Unterrichts, skizzirt dann die Hanpt-
momente der Geschichte desselben nud entwickelt aus diesen Grundlaffeu die
an denselben zu stellenden Aniorderungan oder die Eigenschatten, welche ihm
einen erqnieeslichen Erfolg dcheni, sowie die methodischen Regeln zur Reali-
ßirnnff dieser Anforderungen (Eigens( liatti ii . Die Sclirift stützt sich auf ein
umfängliches Studium der einachluueu<l( ii Literatur, behandelt ihren Gegenstand
Ten den Tenebiedensten Seiten, ist sein- gehaltreich imd anregend. Sie wird
daher nicht nur den .^i hUlern des \ erfttssers (Lehramtsziif^linijen) zur liefesti-
gong der in persönlicher Unterweisung empfangenen Lehren dienen, sondern
auch in weiteren Kreisen mit Interesse gelesen werden, indem sie den so wich-
tigen ph.vsikalis(;hen Unterrieht naoh aUoi mfiglichen, sumTlieil neuen Gesichts-
punkten behandelt. H.
Musik -Lexikon von I)r."lIiifi:o Riemann. Lehrter am Conservatoriiun in
Hamburg. Leipzig 1882, Bibliographisches Institut. 1036 S. geb. 10 M.
Da das Pädagogium " auch zahlreiche Freunde und Kenner der Musik zu
seinen L^m zählt, so sei hier auf das angezeigte Werk autnierksam gemacht.
Dasselbe erstreckt sich auf die Theorie und Geschi« liTe ih-v Ahi^ik, sowie auf
die gesammte Instninienteukunde und bringt Bioiriapliieu der Tuuküustler alter
und neuer Zeit mir Auirabe ihrer Werke und Kennzeichnung üirer Richtuug^.
Es zeichnet si^ Ii ilur h Gemcinfasslichkeit der Darstellung ans, halt sich aber
fern von Obertiiu hkt it und wini a\u h dem Musiker von Benif eine Quelle rei-
cher Belehrung sein. Ausgezeichnete Fadimänner (Haaslick, Ehlert, Gott-
schal LT ete.i /ollen diesem Mnsik- Lexikon den grOflsten Beifall und nennen ee
geradezu das beste Werk seiner Art. F.
Hirt's ;i;eo^'^raiiiiisclu' Bildertaleln. Eiiif Eririin/uiiti- zu den Lehrburhfi ii
der Geographie. 1. Theil: AUgemeiue Erdkunde, lireslau ib8i. brosdi.
3,60 H. Einzelne Bogen 20 Pf.
Das Jahr 1880 dürfte in der Greschichte der Geographie als Schulwissenschaft
einen Markstehi bezeichnen; <lenn mit diesem .fahre ist der entscheidende
Schritt gemacht worden, das Priucip der Anschaulichkeit des Unterrichtes auch
auf die Geographie, tnsofem sie nicht bloes Heimatakunde iaty anaBndelinen.
Was vor diesem .Tahre dafür £r,>if.istet worden dor Bilder- Atlas von Vogel,
die illustrirte Geographie von lieuachle, die ZoucubÜder Leutemanns u. s. w. —
venehwindet gegenOber Werken, wie den geograptdedien Charakteibildmi na
dem Hidzelsf'heii Verlatr. dem Typenatlas von Schneider, den Lehmannschen
Wandbildern u. ä. Selbst die Lehrbücher und Leitfäden, wie z. B. Seydliiz,
Klein, ja Handbücher wie Daniel haben seit jenem Jahre ein anderes Kk4d
angelegt, um ..mndonr' zu erscheinen; -ic haben Illustrationen aufgenommen
und 80, fast könnte mau sagen, der allgemeinen .Strömung unser« Zeitalters
nach Verinldlichmig des Wortes Rechnung getragen. In keiner andnn Zeit
war freilich atich die irerstellung solcher Bilder so leicht und mit so ürt-rinirt^u
Kosten verbunden, als gegeuwärtig. Mitten in der neuen Strömung auf dem
Gebiet des geographischen ünterrichtes stehen auch „Hirts geographische
Bildertafel n". die dtr ärmsten Schule zu gute kommen werden, da selbst
einzelne Bogen aus der Sammlung verkäoäich sind. Sie sind eine Sammlung
von Holzschnitten (zumeist in derOrflsse eines Octaybiattes oder kleiner), theils
für das Werk ••i<;eiis treschnitten , theils nach Clichös aus berühmten Reise-
werkeu oder geogr. ilaudbUchera (z. B. Hann, Hochstetter, Pokomys allge-
memer Erdkunde) abgedruckt. Der Inhalt der einzelnen Tafeln ist folgender:
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B<ig. L AUgeiaeiue Oberflächenverhältnisse. 2. I'aläontolog^ie. IL Faltungen
der Erdrinde. 4. Oebirgstypen. a und iL Hochgebirgswelt. L Vulcane uud
heisre Quellen. iL Mittelgebirge, Hügelland und Ebene, ä. Inseln und Küsten,
lü. Häfen, Küstengewerbe. IL See- und Tiefseeforechung. 12. Schiffskunde.
IB- Quellen- und Flusskunde. 14, FUuunutzung. Ih und ifi. Meteorologische
Erscheinungen. 12. Ifi. ISL Zur Vegetation der BäAime. 2Ü. 2L Typen der
Völkerrassen. 22^. 23. Verkehrsmittel, insonderheit der Forschungsreisenden.
2sL Jagdbilder. Es ist nicht möglich, demjenigen, der die Bilder nicht ge-
sehen, eine anschauliche Vorstellung von der Art ihrer Ausführung zu geben.
Der Lehrer wird darum am be.sten thun, sich den einen und andern Bogen zu
verschaffen, fiir desseu Inhalt er besonderes Interesse hat oder den er zur Ver-
anschaulichung gewisser geographLs<;her Erscheinungen für seine Schule am
nothweudigsten braucht. Die Bogen 4. 5. 6, 8. 20. 2L 2i enthalten besonders
gelungene und gut verwendbare Darstellungen.
Im Laufe des heurigen .Jahres gedenkt die Verlagshandhing eine zweite
Sammlung folgen zu lassen, die landschaftliche Typen enthalten wird, also eine
illustrative Erläuterung der speciellen Erdkunde. Fehlt den Bildern auch der
Farbenschmuck, der die Hölzelsehen Wandbilder so sehr auszeichnet, so ent-
schädigt anderseits die Reii hhaltigkeit der Objecto, eine Reichhaltigkeit, welche
Wandbilder schon des Kostenpunktes wegen nie erreichen können. W.
Deutsche Sprachlehre filr hOhere Lehraiisttilten sowie zum
Selbststudium verfasst von Dr. Theodor Gelbe. L Theil: 9AH S.
II. Theil (die Satzlehre): 280 S. gr. 8* Verlag von Bacmeister (Eisenach.)
Das Studium der vorliegenden Grammatik wird dem Lehrer insofern mannig-
fache Anregung bieten , als dieselbe neben der Behandlung der allgemein
gütigen Normen unserer Sprache besonders ungewöhnliche Wendungen und
Formen in den Klassikern bertkksichtigt und erklärt und mehr als jede
andere Grammatik auf solche englische, griechische und lateinische
Constructionen hinweist, die vom deutschen Sprachgebrauch abweichen oder
mit denen das Deuts-:he übereinstimmt. Enthält Gelbes Lehrbuch so eine
Menge Dinge, die man anderswo vergeblich sucht, so ist es auch dadurch fUr
den Lehrer interessant, dass es grammatische Streitfragen bespricht,
deren es ja so viele gibt. Mau siebt es dem Buche an. dass es aus Vorträgen
entstanden i^t. Der trockene Ton ist vermieden, dafür freilich an vielen
Stellen eine gewisse Breite und ein plaudernder Conversationsstil eingetÄUscht.
Nach zwei Seiten hin könnte man mit dem Verfasser rechten, einmal, dass er
in seinem Buche, das keine Elementargrammatik ist. hie und da den geschicht-
lichen Staudpunkt verlässt, in seinen Gnippirungen (Teschichtliches und rein
Zufälliges untereinander mischt, und dann, dass er häufig in ganz allgemeiner
Weise („unten, oben, früher, später, im ersten Band'*J auf andere Stelleu seines
Buches verweist und dadurch den Gebrauch de.ssell)en erschwert. Sein Ver-
fahren ist für den Leser um .so unbequemer, als die Anordnung der Syntax nicht
nach historischen Gesichtspunkten oder nach der herkömmlichen Art getroffen
ist und Gelbe ein Freund von vielen Distinctionen ist (vgl. Genitiv). Mangel
an Raum verwelu-t es, auf alle Einzelheiten einzugehen, die bei einer neuen
Auflage zu verbessern wären. L S. Lt3 z. B. heiast es mittels (nie mittelst)
und S. 142 mittels und mit Wohllauts-t mittelst, was üblicher ist. Im ersten
Theil verwahrt sich Gelbe mit Recht entschieden gegen den Ausilruck beige-
ordnete, begründende Conjunctionen. im II. Theil S. 21 und 22 gebraucht er
ihn aber sellwt. Für ob mit dem Dativ (I. S. 153) citirt er Beispiele, die
nichts beweisen, weil da ,,ob" neben Femininls steht. Auffallend ist die
Schreibung Göthe, und unschön der Terminus „Abfühniugszeichen" für das am
Schluss der directen Rede gesetzte Anführungszeichen. Einen höchst unmelo»
dischen ,.Mu8ter8atz'' (voll ei und eu, d und ti liest man S. 42 (im II. Theil).
L S. 14H heisst es: zu bezeichnet eine Wiederholung, und als Beweis wird
citirt: Zum zweiten Male. (Wie aber ,.zum ersten Male?"') Solcher Mängel
zeigt das Buch noch mehrere; trotzdem verdient es empfohlen zu werden, weil
es vielfach neue Bahnen geht und durch kritische Besprechungen gi*ammatischer
Controversen zuui Nachdenken ttl)er die grammati.<(chen Systeme anregt. W,
Bnsclniiitini , Peutsches LcsobiK Ii für dio ov.erclassen höherer
Lelnaiistulteu (in drei Tlieilen). Trier 1881. i^iutz.
Existirte nicht die leidige ürthographieverordniuig, 8(> küuute mau das Le^^
buch von Bnschmaim gani wol auch für Q8terrei< l)i>)che LehraiBtaltai em<
l>fi'hh'U, denn <'s l>iet»^t nicht nur einen reirluMi, vielfach nenen Lese^itoff. <nn-
dem anch eine bündige inethodiiich geschriebeue Literaturge.Hchichte, Stilistik
nnd Poetik und duiebien eine durch Beispiele auf allen Jahrhunderten belebte
l'^borsii ht filier die Entwirkelnnc: miil fieschichte unserer Sprache. luirch f'on-
ceutration auf Themen des deutsctien Unterrichtes und Einheitlichkeit des
Stiles, letBteres besonders dnrch die Anfhahme xahlreicher Stftcke aus LessingB
Laitknon erreicht, bewahrt es sich ~t ine Eigenart und Existenzberechtigung
neben so vielen andern Bttcliem derselben Art. Auch im literaigeschicUtlicben
Thdle (Abtheilun^ I «nd II) neilEt man ftheraU das Bestrehen des VerfiMers,
gegenüber dem encyklopädi-jchen Gesichtspunkt seinen Standpunkt y.n betiiii' u:
nur wenige Dichter vorzutUhren, diese aber als T;ypen allseitig zu beleuchten.
Wie im ersten Th^e das Nihelvngeiilied, die Kndmn und waither (90 Ge-
dichre'i den Mitreljiunkt bilden, so im zweiten Tlieih' (wietbe 52 Poesien i.
iSchiller {öl) und Ulüaud (21) j daneben sind z. B. die literarischen Zustände
nach SchiUen Tode nur dareh wenige Dichtungen Teransehanlieht, (Mlieh solcbe,
dir irauze Richtungen der modernen iNusir verk"ir]ii'in. r»n«.'llie gilt auch
mehr minder fUr die vorclaasische Zeit. — Buschmann hat dem besprochenen
Lesehnelw fBr Oherclassen «swei Binde Ar die Unter- und Hittelelassen
▼oraiUgeft^clit , ebenso eine kurz >j:efasste dt ut-uhe Grammatik, so iLiss
also der gesammte deutsche Unterricht einer Mittelschule an der Hand eines
nnd desselben Anton hetrieheii wetdtti kann. -H»t.
Erzibliingssehrlfteii zur Heliiinii der TaterlradsUebe. Lins,
Eben hoc Ii.
Unter diesiiii Titel viiölTen flicht der Professor am Benedictinergymnasium zu
Seitenstetten, Robert Weisscnhofer, drei Erzählungen, welche die „Hebung
Qsterr.-patiiotischer nnd chriHtlich-re1igiö8er Ge.^^iuntug" In der katholischen
Jugend bezwecken. Die Büclilein sind fWr Kinder zarteren Alters bestimmt.
Das eine — ^die Waise auä dem Ibbsthal" — er/iihlt, wie eine Waise,
die gern bet«t, den Franisosen im Jahre 1800bdiilflich sein muss, das Versteck
armer Flüchtlinge aufzufinden, dafllr einige Goldstücke erhält und. da ihres
Bleibens im Ueimatdorfe nach geschlossenem Frieden nicht l&nger sein kann,
dnreh einen ftanaOsischen Oberst, dessen Bmder sie dss Leb» gerettet hat,
nach Fi-ankrei<b gebracht wird, wo sie sieh ulücklich verheiratliet. Danehen
lauten zwei Episoden her: wie die Waise ihre büse Pflegemutter, die einen
kranken Franxosen hatte halb yerhnngem lassen nnd dam berdts unter don
fJaltren steht, vom Tode rettet, und anderseits, wie die Wai.se enviesenes
Uutes au einer frommen Taglöhnerfamilie tausendfach vergilt. — In ähnlichem
Geiste sind andi die beiden andern Erzählungen gelulten: „Der Schweden-
peter'* und „das Glöcklein von Schwallenbach/* — r.
Standpunkt nnd Fortschritt in der Wissensehaft der Hykologle
von S. Schlitsb erger. Berlin 1881, Verlag yon Adolf Stnbairaiicb. Pnls
1.50 M.
Ein Werkcheu, weh hes eine ungemein grosse Literatur zum Vi.rstudium
nothwendig machte uu<l in weh hem dieselbe yon den ttltesten bis auf die jüng-
sten Tage in ausgiebiger Weise benut/t wurde, so zwar, da.ss nicht nur Speoial-
werke, sondern auch Auft^ätze in Faehzeitscbriften auf das Uewissenhafteste
angeführt und wo nutwendig auch deren Text citirt ist Wir erRehen darans^
wie gerade die Wis.sensohaft von der nie<ier8ten Pflan/.encrrupiie dur. h Trrthnmer
znr Wahrheit vorwärts ging, und wie selbst die verachteten PiUe so oft ins
Leben tiefer eingreifta. Jedermann, der sieh Ar Mykologie interessirt, wird das
Büfhh-in mit Befricdiiriinir durehstudiren nnd hie niid da durdi dasselbe zu selb«
ständiy;ein Forsehen aiiuere.,'-! werden. C, E. R.
VernntworUicUcr R«)tliict«ur : M. Stein. BacbdrucJcenii Juiiui Klinkhftrdt, Leipzig;.
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Literatlirblatt
Beilage zum Paedagogium, IV, 9.
Eneyklopidttielies HaBdbvoli der Eralehniigskiuide mit beBonderer
Berncksichtig^iing des Vulksächnlwesens. Von Br. GnstST Adolf Lindner.
1. und 2. Heft. 96 ä. 1^0 M. Wien 1882, PieUer.
In ali)ha1>etwcli geordneter Darstellung sull dieses Hamlliucli dM Wisseiis-
wUrdigüte ans der aUgemeinen F&dagogik und Didaktik, der allgenielneii und
apecieUen Hetiiodik, der flelnilktiiide, Oesehielite der PIdagugik, Sehnlgeeeta-
gebung und Schulstatistik, sowie aus den i)ft(lagoglsfheu HilfswiKseuschaften :
Psychulüg^e, Lugik, Ethik und Cultuigeschichte bringen. Porträts. Diagramme,
IVibeUen, Karten u. s. w. weiden dem Texte zur Veranschaulichung beigegeben. —
Mit den bereits vorhandenen Werken gleicher Art hat dieses Handbuch den
Nachtheil genieinHani, dass die alphabetische Ordnung der Materien ungeeignet
ist, ein znsanimenhängendes Studium der behandelten Wisaenschaftt^n zu f5r-
dem. dagegen auch den Vurtheil, <lass es ttber jedes einzelne Thema durch
einen sofort auffindbaren und Ubersichtlichen Artikel leicht zu orientiren und
Attflknuft zu ertheileu im Staude ist. Während aber derartige Werke sonst
aus der gemeinsamen Arbeit Vieler her^-orzugehen pflegen, hat es hier ein Ein-
zelner unternommen, das grosse Gebiet der Erziehung«- und Uufcrriclirsltlire
encyklopädisch zu behandeln, was dem Ganzen eine priucipiell einheiiliclie An-
schauungsweise und eine lelatiy gleichmässige Ausführung sichert, anderseits
freilich aueli die Grenzen und die individuelle Ausprägung der Wissensdiaft
dieses einzelnen Verfassers hervortreten lä-s.st. Es ist eben für die Herstellung
derartiger Werice bis jetzt noch kein befriedigender Modus gefunden. \\'o
Viele arbeiten, wird man Einheit nnd Gleichmässigkeit vermissen, während der
Einzelne natürlich nicht im Staude ist, allenthalben klar zu sehen, erachüptemle
Auskunft zu geben, die Schranken des individuellen Wissens nnd Denkens /u
llberschreiten und sich auf einen uniTerselien Standpunkt zu erheben. Eine
annähernd vollkommene Encyklopädie der Pädagogik stunde nur zu erwarten,
wenn eine grössere Anzahl tüchtiger Ftohmlnner, etwa zwanzig, mehrere Jahre
lang ausschliesslich und unter stetem persönlichem Verkehr sich diesem Unter-
nehmen widmen konnten, der Art, dass der ganze Plan gemcinschaftiich be-
rathen nnd festgestellt, in allen Details aber so ausgeführt würde, dees swer
jeder Artikel von einem Einzelnen bearbeitet, ah(!r noch von mindestens zwei
Anderen mit vorbereitet und vorberaten, dann aber namentlich mit coutrolirt
nnd approMrt würde. Sne solche Arbeit, die in der That Epoche machen
wttrde, kiinnfe ah» r, wie nun einmal die Verhältni.sse liegen, nur durcli Unter-
stützung aus öfteutlichen Mitteln zu Stande kommen, worauf wol für lange
Zeit lüeht sn rechnen sein wird, da unsere Staaten ihr Geld Ar andere Dinge
brauclien. "Sl&n sieht aber, dass eine Encyklopä<lie der Pädagogik, welche den
derzeitigen Stand der Theorie und Praxis des Erziebnngs- und Uuterrichts-
wesens getreulich abspiegeln wflrde, Ar Jetst noeh dn nneiTeidibaree Ideal iat
Und 80 müssen wir uns oenn einstweilen mit Geringerem begnügen.
Was nun das hier angezeigte literarische l'ntemehmen betrifft, so kann man
demselben a priori mit gUnstigeu Erwartumjen entgegensehen, da ein seit Jahr-
zehuten bewährter MaiA der Wiisenschatr und Schule, wie Dr. Lindner ist,
jedenfalls ein brauchbares und respectables Werk liefern wird, so weit dies
eben einem einzelnen, aber wolbewanderteu und gründlicli durchgebildeten Fach-
manne möglich ist. Die beiden ersten Liefemngen des Handbiäis entspnchen
dieser günstigen Erwartung in hohem Masse, nnd Referent, wenn auch nicht
in Allem tuit Dr. Linduer überoinstiinmeud, erkennt in dem Gebotenen die reife
Frucht tüchtiger Wissenschaft, reicher Erfahrung und emster Arbeit. Möge
also iliese neue ]iädagogische Enqrklopädie glücklich vollendet werden nnd viel-
seitige Beachtung finden. D.
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— 2 —
ndagOglsches Jahrbuch 1881. Heraas^egcben vnn der Wiener pllda-
gogischen Geaellflchaft. Wien imd Leipasig 1882, Julius Klinkhvdt.
184 S. 3 M.
Zum vierten Slale legt hier ein i»iida{?oj^igcher Verein, welcher sich durch
sein eitriges und harmouisclies Zusaninunwirken ftlr die Hebung der hlrziehuug
und des Unterrichtes benits eine hervornigeude Stellung erworben hat, die
Hauptei^bnisse seiner Jaliresarbeit den weiteren Kreisen der BerutV^euossen
zur Wi\rdigung und V erwertung vor. Auch dieses neue Jahrbu« h ist ein
sdiönes Zeii^fnis des redlichen und ernsten Strebens. sowie der tüchtigen
Schulung und reichen Erfahrung seiner Trheljer. Wir führen den Inhalt des-
selben in Kürze an, indem wir den i'berschriften der einzelnen Beitrüge in
mOg^ehst lauippen Avsdrflcken jene Erläuterungen Mifllgen, die sich uns ans
der genauen Leetftre ergeben haben. I. Vorträge und Abhandhinireii:
1. Rede zur Pestalozzifeier voji A. Bruhns, Pestalozzi als Methuiliker
und sefai Binfluss auf lierhart; 2. Über die moderne Natur* nnd Weit»
anschauniig im Verhält zur Pädagogik vtui K. II Tif l(!r, tTir den Dar-
winismus, besonders für des.scu Vertreter Hiickel im (iegeasatÄC zu Virchow
eintretend, wogegen im Anhange Dr. Pick vom pä^lagogischen Standpunkte ans
Widersiirnch crh<lit: 3. Volksschriftth tun nnd Pädagogik von A. K<tlin.
Wesen und pädagugiBche Wichtigkeit echter Volksschriften mit specielier Be-
rtleksiohtignng der Werke von Berthold Auerbach; 4. Die ktfrperliehe
Ziichtignng von St. Zajic. eine Vr?t1i< idigung dieses DisciplinannitteK
unter der Voraussetzung weiser und massvolier Anweudimg desselben; ö. Der
moderne Hidehennnterrieht von A. Hein, die gegenwftrtigen Hlngel
und die wahren Ziele desselben ; r>if ]\Ietli(ulr' di s Rechtschreihunter-
richtes von A. Wawrzyk, alle bisherigen Be^itrebungen auf diesem (iebiete
TOfftthrend nnd neneGesicAtsininkte entwidcdnd; 7. Die Plastik im Dienste
dos geographischen rnterrichtes von .T. Thetter, über den metho-
diachen Wert und Uber die Herstelltiujr von Eelief karten; 8. Über Kechen-
unterrieht von Dr. A. J. Piek, Winke sur rationeUen Bdiandlnngf dieEMS
Faches, mit besonderer Rücksicht auf das Rechnen mit entgegengesetzten
Or(lS8en; 9. Die Arbeit als Erziehungsmittel von Paul Hühner, Vor^
fnhrung der in der Jngenderziehnng anwendrann Arbeiten nnd deren itädagogisch-
prakti-seher Wert, all» aus dem wirklichen Leben, aus der Praxis des Verfa.s.sers *
gegriffen. II. Beierate Uber eine Eeihe von p&dagogiiK:b-didaktischen . Air
Lehrer wichtigen Schriften ans der Gegenwart. III. Das pädagogische
Vereinswesen in Ost erreich - Ungarn, eine Revue desselben, endlich
Thesen zu pädagogischen Themen, eine schöne Reihe von Ergebnutsen
der Verhandlungen in verschiedenen Vereinen. — Es versteht sida von .selbst,
dass in diesem .fahrbuche liie und da auch eine Ansicht zum Ansilrncke gelangt,
welche noch streitig ist; aber allenthalben bietet es wichtige nnd grttndliclie
Erörterungen, frische und fruchtbare Anregungen. Und so wird es sich seinen
LeserlEreia nicht nur erhalten, aondem auch wwdtem. D.
Erziehiingslehre fnr Israclitoii von Lsrael Singer, Rabbiner zu
SAtoralja-TTjhely (Ungani). 182 S. . geb. 1,75 M. Za beziehen vom Ver-
fasser und durch alle Buchhandlungen.
Verfasser betont die religiös-sittliche Richtung der Erziehung, daneben aber
aneb die Leibespflege nnd die Anleitung m der fllr das bflrgerliehe Leben
nothwendigen Ausbildung im weltlichen Wissen und Kennen. Im Hinblick auf
die Wichtigkeit des Jugendunterrichtes tritt er für eine bessere St4.>llung des
Lelnerstandes ein, und gegenfiber den conftsaionellen TomrtheUen predigt er
Toleranz und Frieden, wobei er ebensowol seinen eigenen Glanbensgeno.ssen ins
Gewissen redet, als die bekannten antisemitischen Bestrebungen bekämpft. Seine
Hauptquellen sind Bibel und Talmud. Wenn das Büchlein znnftclist fOr Israe*
liten bestimmt ist, so kann es doch auch recht wol von nicht-jttdischen Lesen
zur Beltilimng ttlier die Pädagogik der Israeliten benntst werden. H.
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„Der Eschcnbaner. Geldrische Dorfgeschichte von F. Banernfrennd."
Unter (liesem Titel emhien in der Gel(lern's( hon Zeitung in 12 Capiteln
(zwischen doni fi. Januar und dein 7. Milrz 1S(S2) eine Erzählniier ans dem
Bauernlclieii im (ifldcihuid. Der ri^cntlicbe Name des scliun nichrfacli lite-
rarisch thälig- geweseneu Verfassei's, eines Lehrers in Wachteudonk nächst
DÜBseldorf» tet Fritz Vieter.
Wir beirftsen g:eluiigene DoHgt schichten Ton BerthoM Anerimch, August
Silber^itf'in, unserem Ro.scggcr und mehroreu auderen berilhmteu Autoren. Und
doch halten wir es fiir wichtig, neben diesen anerkannten Prodacten der volks-
thttmlichen Literatur auf den ..Eschenbaner" noch besonders anfmerksam zn
machen. Dreierlei Gründe bewegen uns hiezu.
Erstens sind gerade die ländlichen Verhältnisse des Geldwlandes — welches
doch von jeher eine beträchtliche Rolle in der Oeschichte der Entwicklung des
deutschen Volkes spielt, und dem infolge dessen warmes Interesse von allt ii
Seiten des deutschen Vaterlandes entgegengebracht winl — bis jetzt noch
wenig und ungenügend dem grossen Publicum vorgeführt worden. Es ist
daher mit Freuden zu begriissen. wenn ein durch lange Jahre im Lande !©•
btnder, mit allen Mm- und Zustünden desselben genau vertrauter 3Iaun es
unternimmt, Land und Leute jeuer Hegend uns nach ihrem Charakter, ihren
Anschauungen und äusseren Lebensverhältnissen vorsoftlhren. Allerdings besteht
zwi.schen dem Bauemlelion im Geldt-rland und in so mancher andern Provinz
eine grosse i'bereinstimmung; allein iur den Demulogen ist es auch von Wich-
tigkeit, wenn constatirt triid, mit welchen Oaven und ganz speciell in
welchi ii Kii^enheiten sich i. B. die Gelderer verirleichen lassen, frerade
durch das viele (bleiche treten dann die wenigen Unters« hiede de.sto trreller lier-
vor und fuhren den Psychologen und Pädagogen desto leichter zur Ermittlung
der Differenzen im innern Leben, Denken und Fühlen der Bevölkemng in
verschiedenen Gegenden.
Zweitens gibt uns Vieter in seinem „Bflehenbauer" wirklieh ein gelnngenes»
sichtlich verlässliches Bild des geldrischen BauenileVtens. Der „ernste Eschen-
bauer", sein gehorsamer, stiller, ileissiger Sohn Hendrik, welcher bei dem ^Reiter-
volk" des Kiinigs gedient hatte, die bescheidene, sich selbst beherrschende, nm-
sichtige Anna, Tochter eines benachbarten Kleinbauers, welche das Hauswesen
statt der kranken Eschenbäueriu zu besorgen hat, vor allem beachtenswert
endlich der alte, treue Hannes, der schon seit einem halben Jahrhundert 'am
Eschenhofe dient und ein Glied der Familie geworden ist; die Gespräche dieser
Personen, ihre Anschauungen und Vorurtbeile, ihre Tugenden und Fehler —
letztere namraUieh anch an diiEelnen Nebenpersonen, spottsBebtijBrai Naehbam,
geld.stolzen Muhmen etc. gezeichnet. die Sitten und (Jcbräui he Ix i fc-^tlichen
Gelegenheiten, die Lieder, weiche in den verschiedensten GemUthsstimmuugen
gesungen worden, die äussere Lebensweise, Bau und Einrichtung der Wohnung
und Wirt.schaft — kurz alles ist mit einer ri\hraenswerten Tu ue und Echtheit
gezeichnet. — Nur eines müssen wir au.ssetzen: Gerado iudem sich Vieter so
sehr in die ruhige, sich selbst müssigende, jedes ^.Über" nnterdrilckende Gemttths»
und Denkungsart der Landlinte hineinlebte und vertiefte, verlenite er ein
wenig die Kunst, dieselben im Momente einer, die Selbstmässigung plötzlich
und vollends ttbcorwindenden grossen Aufregung natnrwahr wiedensugeben;
e.s i.st dies allerdings .schwer zu treffen, und selbst die Verfasser unserer besten
Dorfgeschichten haben es selten zu Stande gebracht. Wir denken hier au des
Esehenbauers Rettung ans dem Teiche und an die Teridmiig Hendriks ond
Anneus vor der Mutter; wie widthätig sticht in der letzten Soene'das natur^
wahre Benehmen des alten Hannes ab!
Aber noch aus einem dritten Grunde, der besonders vom Standpunkte der
Volk.sbildung und Volkshebung aus wichtig ist, verdient der „Eschenbauer'*
unsere Gnnst und Aufmerksamkeit, u. zw. im vollsten Masse. Recensent selber
hat in diesen Blättern vorgeschlagen, dass, nm die geistige Ode der in geistiger
und sittlicher Unwissenheit herabkommenden Baiiemwelt zu verscheuchen, die
Lehrer auf dem Lnnde anr^^ende Unterhaltungen veranstalten und besonders
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TolkBthümliche Erzähiimgen in einlachater Stilart und mit passender Tendenz
Turieseii soUen. So wichtig' uns dneraeiti eine eolehe Thfttigkeit der Leluw
erscheint, nnd sd schwer sich anderseits diese aus der lierkiimmiichen Stagnation
zu einem so ungewuhuten Wirken erheben, so fireudig; mUssen wir den eisten
Schritt zum Outen, der, wo immer es sd, in der Lebrerwelt gemadit wird,
begrüssen und kräftigst unterstützen. -Und dieser erste Scliritt, den Lehrer
Vieter am Niederrhein — ohne einer Anregung bedurft zu haben —
gewagt hat, übertrifft noch unsere Erwartung; wir wünschten und erwarteten
von den Lehrern bU>s, da&s sie volksthiimliehe Erzählungen, Schwänke etr.
vorlesen, und Vieter leistet mehr: er dichtet eine solche. Sein Stil ist
HO einfach uud so dem Volke abgelauscht, dass dieses bei ganz lockerem Zu-
hören alles auffossen und verstehen muss. Das können wenige \'ulksschrift-
steller; selbst wenn sie sich aller höher steigenden Reflexionen enthalten, wenn
sie sich ganz platt ans Äusserliche halten, bleiben nie doch dureh ihre sehul-
gerechten Satzwendun^en , Ailjectivhäufungen, dun h ihre Partikelflickereien,
wehhe den Sington der Rede ersetzen sollen, durch ihre langweiligen Satz-
verkettungen — „der Umstand, da.**«*', „in Hinsieht darauf, dass" etc. — dem
Volke schwer verständlich, helfen also eigentlich d<H:h nur den Gebildeten, sich
in ein mehr oder minder riditiir dargestelltes Volksthuni hinein zxi jdianta-
siren. — Vieters „Eschenbauer" ist aber nicht hlos wegen des Stiles, stmdem
auch besonders wegen der Tendenz zum Vorlesen in einer Bauemunterhaltun^
geeignet. So mancher ,,grote Boer", der mit verliuhlenen» Bauernstolz auf die
„Kathinhaber" herabblickt, wird im Begiinie der Erzählung am sttjlzeu Kschen-
liauer seine Freude haben nnd im Verlauf derselben mit dem Eschenbauer —
vor der Tugend und Tüditii^kcit der Kathinhaberstuchter capit ul iren. Wenn
er auch nicht dem Escheubauer nachahmt, der geheime, schädliche Bauemistolz
ist doeh dnreh die in der Erzählung wachgerufeneu Empfindungen uud Ein»
drücke untergraben. — Auch die cij^entlich nicht in den Text ;,'tlir.renden
Reflexionen über Erziehung der liauerntüchter sind von unserem Staudpunkte —
wenn anch nioht gerade m empfohlen — so doch auch nieht an yerwerfen,
letzteres um so weniger, als sie p'snude. ])r.ikti8die Gedanken enthalten, welche
dem Volke eingeschärft zu werden verdienen.
mge der „Banemflennd'' am Niedenrhein nnn neuerdings ileissig sammeln,
aufzeichnen, studiren. boobaditen — wie wir aus einem seiner Aufsätze über Art
und Sitte des Volkes ersehen, so thut er dies ja gerne — um uns bald wieder
mit einer thnliehen, vidleieht sogar noch beseerenSnShluug zu überraschen! W.N.
Die ti^rundieliren der Fliy»ik iu elementArer Darstellang fOr das
Selbetstndinm bearbeitet v<xn Lndw. Ballanf , Conreetor an der Bealediole
zu Vai-el. Langensalza, Druck und Verlag von Hennann Beyer and SShne.
Schills» 1881. Vollständig in 10 I.ieforuiigen k 1 M.
Wir haben schon, als uns die ersten Lieferungen dieses Werkes zur Be-
sprechung Torlagen, der ubenseugung Ansdrack gegeben, dass wfr es in dem-
selben mit einer getliegenen Facharbeit zu thun haben, und die uns weiter zu-
gekommenen, nunmehr das Werk ahscliliessenden Lieferungen haben diese unsere
Meinung nur bestätigt. Die methodische Grundlage, welche diese Physik durch«
zieht, das Ankni\pfen an das Experiment, die gründliche Besprechung desselben
und die klare Ableitung der Gesetze sind Vorzüge, welche dieses Buch vor vie-
len anderen gleichartigen auszeichnen; die mathematische Be^lndung ist so
viel als thunUch bescluänkt, doch da, wo sie nothwendig ist, klar durchgeführt.
Einen besonderen Vorzug des Buches bilden die znhlreichen sehr gelungenen
Blustrationeu, welche theils schematische Figuren zur Erläuterung der Voi^änge
sind, theils Abbildungen der Bndwinungen und Apparate. Die Ausstattung des
Werkes ist eine sehr anerkennenswerthe. So wird denn dieses Ruch seinen Zweck
sicher erfilllen. den Bedürfnissen des angehenden Vülks.schullelirers gerecht zu
werden und ihm die Möglichkeit zu bieten, sein etwa noch Ittekenhaftes Wi&sen
fibr die Zwecke des eigenen physikalischen Unterrichtes zu ergänzen, ja auch
über dieses Ziel hinaus wird Jedermann Belehreudes in Fülle tiuden. C. R. R,
Ver«ntworUioltür EckUcUsur: M. Stein. Buoluiruokerei Julina Klinkhardt, Leij»ig.
Digltlzed by Google
1882.
Literatnrblatt
Beilage zum Paedagogium, IV, 10.
CJeschichte dor Psyeholoj^ie. Von Dr. Hermann Siebeck, Professor
an der Universität Basel. Ei-ster Tlieil. Erste Abtheilnng-: Die Psychologie
vor Aristoteles, Gotha bei Fr. Andr. Perthes. 284 8. 6 Mark.
Die fiindameiitale Wichtigkeit der Psycholugie iui Systeme meuschliclier £r-
kenntnifl wie im Bereidie menschlicher ZweckthStigkeit, namentlich auch die maB-
irt bende Bedeutung derselben filr die Theorie und Praxis der Pädagogik, würde
llir sich allein schon hinreichen, um eine eigene Geschichte dieser Wissenschaft als
erwünscht nnd gerechtfertigt erscheinen m lassen. Dazu kommt aber, dass in
der Neuzeit auf dem Gebiete der Psychologie sehr weitgehende Coutroversen und
Reformversuche hervorgetreten .sind, welche eine historische Orientirung über
die bisherigen Leistungen psychologischer Forschung zum Bedürfnis machen.
Das angeeeigte Weric nun verspricht diesem Bedttrfoiase Beehnung zu tn^gen,
nnd •iinvo] der kliire und umfassende Plan de.sselben, wie die in der bis jetzt
vorliegenden l'artie hervortretende Gründlichkeit und Treue der Ausführung
lassen znversichtiich erwarten, dass das eben su mühevolle wie dankenswerte
Unternehmen des Vt-rtivsser^ ü;idingen werde. Schon die Einleitung, welche
einen orientirenden Überblick Uber die Grundfragen, Motive und Stufen psycho-
logischen Meinens nnd Denken.s bietet, beweist unverkennbar, dass VerfesBer
seinen Sti'tf ynllkoramen beherrscht und mit sidierem (iriffe zn gestalten ver-
steht. Dies bestätigt dann die ganze Austlihrung des vorliegenden Buches,
weldies denEntwidielnngsgang des psychologischen Denkens von den geschicht-
lich nachweisbaren Anf^än::en an bis zur BcgrilndanL' der 1 '-^ ychologie aN philo-
sophischer DiscipUn durch Sokrates und l'lato vortTihrt. Maturgemäß wird diese
Periode in zwei Ahsehnitte zerlegt: das psychologische Deiiken..und Forsehoi
vor Sokrates (die ersten Jonier, Heraklit, Erapedokles. der Überjxaui^ zum
Materialismus, Leukipp und Demokrit, Gegensatz zwischen Hylozoismus nnd
Materialismus, die Eleaten, die älteren Pythagoreer, Anaxagoras, Diogenes von
Ai)ollouia, die Anfänge der medicinischen Psychologie und die philoHopMrenden
Är/tc. AnfJinge der Sinnesphysiologie und der Erkenntnistlieorie. Untersnchnng
empirisch- j)sychologi8cher Vorgänge und psychophysisi her Fiugi ii und die Be-
grilndung der Psycho I^irii als philosophischer Disciplin im Sinne des Dualismus
durch Sokrates (zu dem die S<tj)histen den t^bergang bilden) und Plato, dessen
Sy.steni mit besonderer (iründlichkcit entwickelt und geprQft wird. Ein Vor-
blick auf Aristoteles, mit welchem die zweite Abtheilung des Werkes beginnen
soll, bildet den Siltluss des vorliegenden Buches. Wie sich ans diesen .\n-
deutuugen ergibt, hat Verfasser von der Entwickelung der Psychologie im
Orirate abgesehen nnd sich anf jene Beihen und Gruppen philosopmscher
Formeller hi>-ii lir{ii]<t , welche da-^ Uenken der abendländischen Völker einerseits
zum Ausdruck gebracht, anderseits bceiuilusst haben. Im Hinblick auf den der-
zeitig Stand der Wissensehsit wird diese Beeehränkung voriftu^ noch als
iftthlich, ja als vortheilhaft betrachtet werden müssen, zumal nicht ausgeschlossen
ist, dass die orientalischen Anschauungen Uber psydudogische Probleme, .soweit
de im IDttelalter aof die abendländische Forschung eingewirkt haben, an ge-
höriger SteUe in Betracht gezogen werden, wtis Verfiusser auch in Aussicht stellt.
Bei seiner «.ranzen .\rbeit liat sich derselbe von dem Bestreben leiten lassen,
auf Grund fremder wie eigener Speciailbrschuug einerseits die im Laufe der
Zeit hervoiyetretenen besonderes Gestaltungen nnd Bichtungen des psycholo-
irischen I''iiken>< irenau darzustellen, dabei aber anderseits den '^reriiren Zu-
siimmeuhaug aller in Betracht kommenden Entwickeluugamomente bestimmt
nachzuweisen. XThd in formaler Hinsicht suchte Profi Siebeck sein Werk so zu
gestalten, das-* es sowol den philosophischen Fachkreisen Befriedigung irewiibren,
als auch Uber dieselben hinaus verständlich sein könnte, selbstverständlich unter
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— 2 —
der Vorausäetzuug allgemeiu wiüüeiischattUclier \'oibüduiig. DeuigemäÜ öind
auch die Nechw^nngen und CItete an« denOaeU«! swar in tpentk^dem Avs-
inaßc heifi-t'hraclit, aber auf rlas Wo-sentliche beschränkt worden.
Der Aufaug dieses groß angelegten Werkes, welches bis auf die Gegenwart
fortgeflUirt werden soll, ist nneeres Eraehteiu dn rttlnnlielMB Zengnig Ton
fleut.scher Gelehrsamkeit und Grüiidlichkeit; niHg-e es dem Vprfa.sser gelinüren.
sein schwieriges Unternehmen zu einem glücklichen Ende zu fuhren and damit
eine der wichtigsten Winenioliaften in das helle Licht ihrer eigenen Gescbiehte
an stellen. D.
Wider die SelinlsiNirkasMn. Von Heinrich SehrSer. Wittenberf,
Herrosö, 1882. 64 S.
Vor etwa einem Jahrzehnt l)egannen in Osterreich und Dentschlaud einige
HSnner sehr lebhaft für Gründung von Sdiulsparkassen zn agitiren; sie fanden
einigeu Auliang, namentlich unter Nicht-Lehrern, vennocbt4'n aber nicht das
öffentliche Interesse an ihre Sache zu fesseln und .stießen überdies, namentlich
im Lebrerstande, auf zahhreiche und entschiedene Gegner derselben. Wir haben
hier keinen Aiühss, uns auf den derzeitigen Stand des, streitigen Institutes in
Belgien, Prankreich u. s. w. zu beziehen; bezüglich tisterreichs und Deutsch-
lands niiiss aber constatirt werden, das« die Agitation für die Schnlsparka-ssen
verbältuismäßig nur sehr geringe Erfolge gehabt hat und im Ganzen als ge-
sobeit^Tt 7.U betrachten ist. Dies liegt thcils in den dem ganzen ruteniehmen
an sich eigentbilmlitben Schwächen, theils darin, da.ss die Vertreter desselben
von Vorau.ssetzungeu ausgingen, welche, vom Auslände entlehnt^ in Österreich
und Doutsfbland nicht zutrctlon. Man kann mit Sicherheit annehmen, dass, so
lange unsere Schulen nicht wesentlich umgestaltet, so lange sie insbesondere
nicht Stätten materit lieu i^rw« rhes für die Kinder werden — nnd das dürfte
im A Ilgen» einen doch weder leicht noch wünschenswert sein — in ihnen
auch die Sparkassen keine solide Basis haben. Da aber einmal ein großer
Linn um dieselben gemacht wurden ist. der sich noch nicht ganz gelegt hat,
so geziemt es dem auf die ErsrheiTiungeu der Zeit achtsamen Schulmanne, sich
Klarheit üljer die Intentionen der Apo.stel dieser Neuerung, sowie über die
Schwächen und Schattenseiten derselben zu verschaffen. Einen sehr guten Be-
helf hierzu bietet die auirezeigte Schrift von Schroer, iu welcher alles, was
bisher zu Gunsten der KSchulsparkassen vorgebracht worden ist, aber auch die
ihnen entgegenstehenden Bedenken vorgetührt werden und überdies geneigt
wird, durch weh-he Maßnahmen in der Kindcrwt lr jene Tugenden zu ent-
wickeln seien, um deren willen die Freunde der Schulsparkassen sich ereifert
haben. Oass SchrOer ein entschiedener Oegner derselben ist, seigt sehen der
Titel seiner S< brift : dass er dazu gute Gründe hat, ergibt sich aus seinen Au*-
einandersetznngcn, die wir denn einer nnparteiisclien Würdigung emi)fehlen. D.
Anfailg^tirUiMle der alliroiiKMiicii Zoolouri«* tür Schüler und zur Sellist-
beiehruug von Dr. Eduard Morse, ehem. Prof. der vergleichenden Ana-
tomie nnd Zoologie am Bowdoin - College. Antorisirte dentsche Aasgabe.
Zweite verbenerte und veränderte Auflage. Berlin 1881, Adolf Stnbennacli.
Preis 1,20 M.
Ein eigenthUmliches Werkchen liegt uns in diespiu Knclu' vor. Ks ist keine
systematische Zoologie, es ist keine Anatomie, auch kt-in Pnipiuirbnch. und
dennoch enthält es von jedem ni< ht nur etwas, sondern sogar sehr viul Beach-
tenswertes für den Antlinger. Schon die Art uiul Weise der An^inlnum,'^ des
Stoffes trappirt uns. Mit Schnecken und andereu Weichthieren wird begonnen,
zu den Insekten übergegansrfii. s 'dann werdeu einige Spinneu. Krustcr und
Würmer abgehandelt, hirrauf Wirlteltbiere besprorhen, und schliesslich wird das
Besprocheue, aber auch nur dieses, in eine systematische Ordnunir gel)racht. Der
Sdiule aU solcher dürfte mit einem derartigen Leitfaden nicht gedient .'*ein, da
ja Von Einzelthieren nnd deren Beschreibunir irar nichts darin enthalten ist ; für
den Lehrer aber sowoi zu seinem eigenen Studium als auch zum Unterrichte
der Schüler, welche im Privatrerkehre oder bei einem nnsystematiiohen Hana-
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— 3 —
unterrichte Uber Lebeiiäentwickelungen und Grundbegriffe de» Körperbaues be*
lehrt werden sollen, bietet das BOcbiein .sehr riel des Interessanten. 3[an sieht,
der Verfasser hat alles, was er beschreibt, selbst gesehen und beobachtet, und
es drängt ihn, der Freude, die er dabei empfunden, auch andere tlieilhaftig
werden zo hUMen. — Die vielen Illnstrationen tragen einen eigenthUmlichen
Charakter an sich: sie sind nämlich nur in Umrissen gezeichnet und wenig
Schrat rirt; der Verfas.se r will zum Nachzeichnen anregen. So gut dies auch hie
und da sein mag, so inOehte es sich nicht empfemeii, ullgemein solche
Metbude durchzuführen, um dadurch eine genaiiere Kenntnis zu vermitteln,
wenn auch der Verfasser meint, dass mau ein natürliches Exemplar oder eine
Figur oft wrgttXtig studiren und doch nur ehie nnvoUkoinmene Idee davon
gewinnen krmne; wenn .sie aber nur ein einzigesmal nachgezeichnet wUi-den, so
lohnten die gewonnenen neuen Gesichtspunkte alle aul' diese Aufgabe verwen-
dete Mflhe reichlich. — Ee sind, yti» schon enrlhnt, eine Menge interessante
Details in IJezug auf den Fang, die Aufbewahrung, die Untersnchung iler
Thiere, Beobachtung ihrer Lebensweisen u. s. w., und zwar, was wir besonders
sehltzen, der gewöhnlichsten Thierformen, die jedem leicht zugänglich sind,
die bequem in .\(iuai icn und Vivarien zu halten sind. -Vlso Anregung nach jeder
Richtung. Belehrung nach vielen Seiten hin bietet das Werkchen, aber es ist
kein Schulbuch; wir glauben gar nicht, dass es usprUuglich ein solches sein
wollte, wenn es auch anf dem Titelblatte als solches beseiehnet wird. C.B.B.
Neue Erdkunde für höhere Sehuicu voa Dr. J. J. Egli. IV. ver-
besserte Auflage. St Gallen, Haber & Comp., 1881. kL 8^ 307 S.
Egli hat seinem Boche das altberühuite Wort: „Non niulta, sed moltam**
als 5[ntto vorangestellt. Das ganze Rm li lässt .sich durch keinen anderen Satz
kürzer und besser charakterisiren. Das „Vielerlei" spielt nirgends eine so
grosse Bolle wie im geographischen Unterricht, und darum wirkt es auch
nirgends so schädlich als hier. In Egli's Erdkumli' mi' 1it man vorgeblich uadi
Eiiuelheiten, die ohne inneren Zusanmienhang stehen. Was er entwirft, sind
Bilder, die das anf der Karte Beobachtete svsammenihssai und mit schlagender
Kürze, in grösster rifHlrJvngtheit und Anschatilichkeit wiedergeben. Da» Buch
setzt ebenso sehr einen naturwissenschaftlich geschulten Lehrer dar Geographie
voraus, ab Sehttler, die berdte die Elemente der Geographie fest eingeprägt
haben, und ebenso sehr einen geschickten Methodiker, der aus den Sclulleru
heraus den Inhalt der Karte entwickeln kann, als denkende Schiller, die ihr
Lehrbuch nur als Wiederholungsbuch zu benutzen brauchen. Referent kennt
keinen andern Leitfaden, der Überzeugender und unzweideutiger in das einillhrt,
was man „moderne** Auffassung der Schulgeogi-aphie nennt. — ^r.
Wandkjirto toii Orosshritatiiiien und Irland, herausgegeben von
E. H. Wich mann. Verhxg von Friederiohsen in Hamburg.
Auf der genannten Wandkarte ist das Berg- und Tiefland durch Anwendung
des BuntfArbendmeks markant dargestellt, so dass es selbst atu weiter Ent-
fernung hetra« htct nichts an Ausdruck verliert. Xnr Flüsse und Ortscliaften
sind zu massenhaft eingetragen und zu wenig entschieden bezeichnet. Soll
darum die Wandkarte auch als Schnlwand karte dienen, so muss der Lehrer
vorher die (Irte. die er mit den Schüleni bespreche will, greller Übermalen
und hcsnnlers die Flns-^hlufe mit blauer Furl»e so verstärken, dass sie nach
ihrer gau/en Au.sdehnung deutlich sichtbar aus dem Linieugewirr der Karte
heraustreten. Mit dieser Bemeiknng sei WichmaDns Wand&rte bestens em-
[»fohlen. — e — .
Lexikon der Kelsen und Entdeekniiffen von Dr. Friedrich Embacher.
Leipzig 1882, Bibliographisches Institut. 1594 S. geb. 4,50 M.
Allen Freundeu der Eni- und Völkerkunde wir<l dieses Handbuch der For-
schungsreisen willkommen sein, da es die systematische Geographie in vielen
Stücken ergänzt und in der wirksamsten Weise belebt. Der erste igröGere)
Theil desselben bietet uns in alphabetischer Ordnung die Bi<^n^phien der For»
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flcbungereisenden aller Libider von den Utesten Zeiten bis auf die Gegenwart;
der zAvcitc (Tilf incif i » ntwirft eine Übersichtliche. ebejifalU bis auf die Gegen-
wart fortgeluhrte Geschichte der Entdeckungsreisen in den einnlnen Erdtiieüen
(Afrika, Amerika, Aneo, Australien, Polarre^oneu). Überall zeigt sich der
Verfasser ah kundiger Fuhrer auf diesem weiten und interessanten Gebiete
menschlichen Wissens und kiUmen Heldenthums, und wer sich auf demselben
Orientiren will, dürfte aehwerlicli einen beiMNii WegwriMr Ünden, als dieses
ebenso handliche wie veiehhaltige LexiliOB der Bdsen und Entdeckungen. H.
Leitfaden der Botanik. Für die unteren Classt n hülierer Lehranstalten.
Von A. Reiüheimer, ord. Lehrer am Eealprugymnasium zu BiseUweiler.
2. Auflage. Freibni^ L Breisgan, Herdenche Verlagsbnehhandliuig 1881.
Der Chnmdsats, dass Natoigesdiidite und besonders Botanik nur an lebenden
Exemplaren TOIgetragen werden soll, wird leider noch vielfarh nieht befolgt,
und Schnld trSgt daran die sclavische Aulehnuug au die Lehrbücher, welche
gew9hnUc!h 83rBtematiseh geordnet die Oli|$eete anfalMen und besehreiben. Es
freut nn-. in vorliegendem Leitfaden die alte >'i lial>li>ne vt rla>-<*'n zu sehen, in-
dem die Püauzen nach ihrer Blütezeit geurduet sind, uud überall eine besonders
bänfii? auftretende nnd diankteristimhe Pflanse im Detail beschrieben ist,
während von iliren Yenvandten, mOgen flie gieichzeitic: hliilien ndt-r spater zur
Blüte gelaugen, nur das Unteisoheiaende angeflUut ist, wobei dann stets auf
die frtther beschriebenen Formen hingewiesen wird. Dies ist eine sehr prak-
tische und die Selbstthäticfkeit der Schüler anregende Lehnnetliode. welche
auch vom Keüerenteu seit Jahren geübt wird. Überdies sind die vielen an die
^seinen PflanKenformen geknüpften Fragen recht passend gewShlt, nnd sie
haben im Lelirlniche den Vortheil, den Schüler hei der Wiederholung auf alle
Punkte aufmerksam zu machen, die iu der iSchuie besprochen wurden. Die
Abbildungen sind sehr gut. kSnnten aber etwas reichlicher sein. Die Mbrpho»
logie ist der Specialbesprechung voransgestellt , was wir nicht zweclunä.<Mig
finden; jene würde vielmehr &U Zusammenfaä.sung an den Schluäs des Buches
gehören. Dagegen ist das Znsammenfiusen der Pflanzen zu natürlichen Familien
am richtigen Platze stets angedeutet. Die Ausstattung des Werkchens ist
durchans lobenswert. C. R. &.
Thomas H. Unxley, Ornndzfige der Physiologie« Herausgegeben
von Dr. J. Bosenthal, Pnrf. a. d. üniTersität zn Erlangen. 2. yerm. n.
verb. Auflage. Leipzig, Verlag von Leopold Voss, 1881.
Für den Lehrer der Soniatidogie des Menschen ist ein Hilfsbuch, welches nur
das Wesentlichste uud das unumstüsslich als wahr Erkannte aus der Physiologie
des Menschen enthält, jedenftüls eine recht erwünschte Sache, nnd in dem ▼oT'
liegenden Wi rke haben wir ein solches, das zugleich Lresthrieben i-^t. dass
es selbst in dcu Uäudeu reiferer Schüler Nutzen stiften kann. Es eutli< der
Beihe nach VortrSge Aber den Bau nnd die Verrichtungen des mensehHehen
Knriii r>. das Gefässsystem nnd den Kreislauf, das Blut nnd die Lynijdie. die
Athmuu^, die Quellen des Gewinnes uud Verlustes für das Blut, die Ern&hrungs-
thStigkett. Bewegung. Empfindungen nnd Empftndungsorgane. Rpeciell Aber das
Sehorgan, die Vereiuigung von Empfindunireu unter einander nnd mit anderen
Zuständen des Bewusstseins, das .Nervensystem und seine Wirksamkeit, die
Histologie und den feineren Bau der Gewebe. Viele nnd xwar zum grOmten
Theile sehr gute Abbildungen erläutern den Text; dazu hat der Heransgeher
eine Menge sehr beachtenswerter Nuten gefügt, so dass das Buch, unterstützt
durch ein genaues Sachregister, ein gutes Nachschlagebuch in jsweifelhaften
Fällen ist. Recht l>eherzigenswert ist auch der IJath, das Studium an t)l)jt-«.ten
zu betreiben, die leicht zn beschaffen sind, niindich an thierischen Präparate«,
die ja doch, zumal von höheren Säugethicren genommen, im Wesentlichen vom
Baue der menschlichen Oi^;aiie sich kaum nntendi^dak G. & B.
VeisntvwtUchet B«daot8ari M. Stein. Bvohdruekeni Jalia« Klinkhardt, Leipdf.
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literatnrblatt
Beilage ssuni Paedagogimn, IV, IL
Oruiidzüge der empirischen Psyciiologie und der Logik. Für die
Hand des Schttlera bearbeitet von J. Helm, Inspektor des k. Schullehrer-
Seminars in Sehwabacb. Dritte, verbesserte Auflage mit 10 Fiflruen. Bam-
berg, Bnebner, 1882. 73 S. 1,60 H.
Der Herr Verfluser cbaraktoiBirt seinen Leitfitden in iblgrader Weise:
vorlicffcmle Ornndriss Ist aus dem Unterricht hervorgegangen und für den
Unterricht bestimmt. £r beschränkt sich deshalb auf die liauptfittchlichsten
Partien und setst fita' sdnen Oebraiieh die helftnde vnd leitende Hand des
Lehrers voraus .... I)as.s das liier geltotene becrifflicbe Gedankenmaterial nicht
dogmatisch gegeben werden darf, sondern im Anschlnss an das £i^iiirttnffs-
nnd Wissensgemet des Sehttlen genetiscb entwickelt werden nrass, ist tttr den
denkend- n Lehrer eine selh.st verständliehe i)ädair')i,''ische Fordemng.'*
Man kann diese Grundsätze nur billigen, und das angezeigte Büchlein wird,
wenn es den ihnen entsprechenden Oetnnittcb erftbrt, rieb ab ein ntttzlicher
Lehrbehdf erweisen, zumal es in seiner neuen Anfla<:^e wesentlich verbessert,
namentlich von etlichen zweifelhaften Dogmen beö^it und in engere Beziehung
zum concreten Geistesleben gebracht worden ist. Dies wird um so mehr ge-
billigt werden, als da.s Büchlein für die Hand von LehramtszOglingen bestimmt
ist, denen nicht sowol durch Überlieferung speciilativer Theorien, als viel-
mehr durch genetische Erschließung der wirklichen Vorgänge und Gesetze in
dar nenacldiäien Seelenentwiokelnng gedient ist D.
€tom1ith und ChanilLter. Sechs Vortiilge von Dr. Hermann Wolff,
Doceut der Philosophie an der TJniveisitftt Leipzig. Leipzig, WoU^iang
Gerbard, 1882. 144 S.
Ein geistvolles, naturgetreues ( t« iiiälde des menschlichen Seelenlebens. Keine
sterile Schola.stik, keine abgel rani Ute Buchgelehrsnmkeit . keine pedantische
Wortklauberei, sondern frische Zui^^e aus der Wirklichkeit, ei;L;oui' Beobachtungen
nnd Oedanken bietet uns der Verfa-sser. Im ersten (einleitenden) Vortrage
schildert er zimächst die Macht und Bedeutung von (iemüth und Charakter in
der Kunst, im realen Leben und in der Erziehung, welch letztere er zu-
gleich ihren wesentüdien Ziigen nach umschreibt, worauf er noch die allge-
meinen Grundlagen und Triebfedern des Gemüthslebens aufzeigt. Nun folgt
eine eingehende Charakteristik der einzelnen Ciemilthsznstünde, wie sie theils
aus dem individuellen, tbeils ans dem socialen und religiöicen Leben entspringen.
Eine Skizze der mannigfaltigen Modificationen des (iemtlthslebens bildet
den Absclilu.s3 der ersten Keilie von Betrachtungen. Hierauf folgt die Erörterung
Aber das Willensleben mir dessen Festigung zum Charakter, über die nut-
teriale Seite oder die leitenden Kotive und über die formale Seite, liesonden
über die Freiheit des Willens.
Bi bedarf keines Nachweiies, dass die liier behandelten psychologisdiNi Mo-
mente nicht nur sehr interessant, sondern auch von weittraj^ender T^cdeutung
nnd Wichtigkeit für alle menschlichen Verhältnisse sind, und dass sie bes<mders
auch an Erziehung und Unterricht in engster Beziehung stehen. Das angezeigte
Bnrh, welches besonders in der größeren Partie, vom Gemttth sieben, höchst
gelungen ist, bietet daher namentlich auch dem Pädagogen einen reichen
Schats fruehtbarer Gedanken nnd Anregungen. D.
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Solleu unser« O^jnniitsleii bleiben, wie sie sind} Eia pftdagog-isches
Mahnwort von S. Czekala, Inspector der St Petet-PanU-Schiile ZU Moskao.
Moakao, Alexander Lang, 1881. 84 S.
Auch in Rasalaud fUlilt mau lebhaft das Bedürfuis einer Beform der Oym-
imsien. Es machen sich für dieselbe dort dieselben Motive Efcltend. . wie in
Deutschland und Österreich, wozu aber nwh die bekannten socialen l'bel (die
nihilistischen Umtriebe) kommen , von denen der groie osteuropäische Staat^-
körjier hfimge.snrht ist. und welche nameutlioh in denjenif^en Schichten der
Gesellsohatt, die aus höheren Schulen (besonders Gymnasien; hervorgetraugen
rind, ihren Sitz haben. In der That eröffnet auch der Yer&aser des anu:ezeig-
tcn Mahnwortes seine Erörterungen mit dem Hinweis auf die erwähnten Ka-
lamitäten, worauf er die dringende Nothweudigkeit einer Refonn der mittleren
Bildungsanstalten, besonder;; der Gymnasien, nachweist. Da dieselbcai in Buss-
land im Wcsentlichfu nach jireußischem Muster eingerichtet sind, so zeiirt der
Vertasser zunächst die fundamentalen Gebrechen der pren ßisr hen Gymnasien,
irelehe Oebfechen denn auch auf die msaisohen Nachbilder Ubergeganu'on sind,
wozu dann aber noch jene Miingel kommen, welche aus der AcconinuMlHtion an
die russischen Verhältnisse entsprungen sind. Nach einer scharfen Kritik der
bciJteheudon (TVinnasialverfassung macht Herr Czekul.i seine R^formvorschläge,
welche im Wesentlichen darauf liinanslaufen, dass eine der beiden alten .Sprachen
aufzugeben, an deren Stelle eine moderne Sprache als Hauptfach eiuzulühren,
ferner die Naturwissenscliafr in t;rößerer Ausdehnung und GiQndlichkeit zu
behandeln und überall die Lolninetlitule durcliürrcifend zu verbe«i«ieni sei. Rier-
dui-ch, besonders auch durch \'erschiebung des altsprachlichen Uüt<.Trichts bis
znm Beginn des vierten .Tahrescursns, werde zugleich eine einheitliche
Organisation aller uiitrleren Lchran-^talfen ermöglicht.
Wegeu des uns zur Verfiigimg stehenden geringen Raumes müssen wir uns
auf vorstehende kurze Inhaltsangabe beschränken. Wir bemerken nur noch,
dns-^ A'erfasser s(»wol im kritischen wie im po^iriven Tlieüe seiner Ahliandhmg
sich als woluuterrichteter, einsichtsvoller und geistreicher Schulmann bewährt,
und dass seine Schrift rieherlich jeden Fachmann lebhaft interessir»! wird.
Sie ist ni< ht nur bezüglich der i)rincipiellen Fraye der Gymnasialreform von
! hervorragender Bedeutung, sondern auch noch dadurch besonders lehrreich,
dass sie ein aascbaidiches Bild von einem wichtigen Theile des ntsaiflehes
Sdiniwesens entwirft. H.
Sehreib-Lese-Wandtafeln. Prag, F. Tempsky, 1882. Pnis; 4 M.
Diese Schreib-Lese-Wandtafeln umfassen 18 Blätrer, ,(ni le . li und T.Sem
breit, und sind durch Ministerial-Erlass vom lö. April löäl allgemein zuJ&süig
eridftrt worden.
S'ie sind nach dem Stufenc^anure der Heinrieh<( hi ii Fibel geordnet und k".nnen
mit dieser von der ersten Lesestuude an benutzt werden. £s ist selbstverständ-
lich, dass dieselben auch neben jeder anderen nach s^nithetischer Lehrart ein»
gerichteten Fibel .sehr gute Dienste leisten. Selbst neben Fibeln analyti.soh-
synthetischer Lehrart können sie ab und zu vortheilhaft verwendet werden,
namentlich dann, wenn der Lehrer mit AbschrelbObnngen grtlBeren ümfiuiges
begimien und das rii litiire AI)sehn iben ilberhaiipt erklären will. Eine sulehe
Wandtafel vereinigt Lehrer und Schüler zu gemeinsamer Arbeit. Hätte man
mit Rücksicht auf die Abschreibttbungen noch etwa 3 Tafeln derart zusammen-
gestellt, da.s.s ein kleines Lesestürk oder Gedicht in vollendeter Druckform
vor die Schülerschar gebracht werden könnte, so würden diese Lehrmittel
nnstreitig aUe Bedtbrlbbse, denen sie dienen wollen, gedeckt haben. Die
äußere Ausstattung dieser Tafeln ist zweckmäßig und lo^nswert. Der Druck
ist luäftig und rein. Die Scbreibbuclistaben sind allerdings von etwas ver-
alteten Dnctns, im Ganzen aber kann man diese Schreib- Lese -Wandtafebi
bestens empfehlÖL B. W.
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GVtziuj^er, Anfangsgründe der deutsehen Spraehlehre in Begeln
nnd Aufgaben, xm. Anflage, besorgt von Johannes Ueyer. Aaran,
Sanerländer, 1881. kl. 8« 266 S.
ÜlmiigsluiH» uikI Grammatik geht-ii hier Ilaml in Hainl; das ('hniiirshuch ist
die ürigiiiellere Arbeit. Der ^stoff ist nicht in systematischer L'uordnung mit-
getheUt, sondern, wie es für den ersten Unterricht in d«r llvttersprache auch
das veruUnftige, fortsclireitond vom Leichteren zum Schwereren; bei der Wort-
bildung ist auf die Bedeutungslehre Gewicht gelegt; als Ubungssätze dienen
dem verfiMaer selbst ausgearbeitete SStzchen, die neh dem Wissoukreise der
. Schüler anschmieden: besonders <relungen sind die Tbemm /ur Kinübuni: der
Syuon^'niik, insofern sie ganze Constructionen betriftt. Die lateinische Termi-
nologie ist nicht streng dnrefagefllhrt; so finden sich in der S3nBtax des Boches
noch Nennsätze, Beisätze etc. Ycrbes-seruiiffsriihip: sind die Definitionen der
„Periode**, des Objects (es gibt doch auch Dativ- und Genitivobjecte, siehe
Qbrigeas Seite 90) nnd des intransitiTen Yerbnms. Den Artikel omie weiteres
als Attribnt zu fassen, geht denn doch lücht; der Verfiteser llsst ihn nicht
einmal als besondere Wortart gelten. — om.
E. Bergold, Prof., Arithmetik und Algebra, nebst einer Geschichte
dieser Discipliuen för Gymnasien und Realschulen. Karlsruhe, H. Bentheri
1881. 200 S.
Der Herr Verfasser hat nicht nur ein au sich gatea Lehrbuch fUr höhere
Lehranstalten geschrieben, er hat sich anch einiges verdienst dadurch erworben,
dass er mit frischem Griff die ..nescliichte der Mathematik" heninzi<'ht und
einen Auszug aus derselben uüttheilt, den er theils im Zusammenhange! theils
in Noten dem Texte beiftlgt. Eine so uralte Wissenschaft wie die Mathematik
hat auch eine bedeutende (beschichte; es ist die (lesdiichte de-i menschlichen
Geistes und der Cnltur. Die hochbegabten und scharÜBinnigen Männer des
Alterthums und der letzten Jahrhunderte sollen dem werdenden Mathematiker
vorgeführt werden, er soll Ehrfurcht vor ihren Schöpfungen emplnden, er soll
von dem Gedanken durchdrungen werden, dass es der Anstrengungen von
Jahrtausenden bedurfte, dieses ehrwürdige Gebäude auf einen so hohen Grad
der Vollkommenheit zu bringen! Namen, wie Pythagoras. Piaton, Euklides,
Ardiimede.s. Diophautus, Boi'thius, Brahmegupta, Scipio Ferreo. Cardanus,
Ferrari, Christof Rudolf, Michel Stiefel, Vieta, Steviu, Napier, Briggs, Descartes,
Newton, Pascal, Leibnitz, Jacob BemouiUi, Format, Laplace, Euler, Lagrange,
Gauss u. a. treten hier den» Leser entgegen. Es sind die Leuchten der mathe-
matischen Wissenschaften! Den sonstigen Inhalt des Werkes betreffend tiudeu
wir SAbschnitti . Per l. Absclmitt behandelt die gemeine Arithmetik (Zahlungs-
gystem, Grundrechnungsarten, I »ecimalbrUche, gemeine Brttche, Zweisatz): der
2. Abschnitt führt uns die allgemeine Arithmetik vor; der 3. Abschnitt die
Algebra.
Ist die DurchfUhnmg dieser Materien auch an sich gut und das Ganze mit
Fleiß gearbeitet, .so mag es uns gleichwol gestattet sein, einige kleine Be-
merkungen an die.'^ oder jenes zti knüpfen. So ist die Division der Deciniai-
briK'lii' ( twas umständlich behandelt. Wozu wird erst Dividend und Divisur
auf eine gleiclie Anzahl von Decimalstelleu gebracht? Wozu die Unterscheidung,
wenn der IHvisnr grüßer als der Dividend ist, der Divisor als ganze Zahl auf-
tritt, d"r I'ividend aber ein Decimalbruch ist. oder umgekehrt? Da ist keine
rechte Kinlicitüchkeit, dafür aber ein schleppendes Ke«;ehverk. Bei der ab-
gekürzten MultipUcation und Division sollte auch das Wesentlichste Uber das
Rechnen mit nncrenanen Zahlen gesagt werden, das halten wir tiir .sehr wich-
tig. Warum die Aufeinanderfolge tler Facti »reu beliebig, d. h. fürs I'roduct
gleichgiltig i.st, wird nirgends nachgewiesen. Und doch ist die.ser Nachweis
besonders dann uothwendig, wenn das < n ltict der ganzen Zahlen verlassen wird.
Becht ^ut ist der Begriff der unendlich grulien und unendlich kleinen Zahl
ttemplificurt und daran anschlieBend das Rechnen mit solchen Zahlen erwfihnt, «
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insofern man auf eine bestimmte o(ler unbcstiiunite Form kommt. Zum Zahlen-
tbeuretischen >väre zu bemerkea, (Uum die Aufsiuchuug des grüßten gemeiuäcb.
Maßes m swei Zahlen, wie in den meisten BttdMm, so an<ä hier, reeht lang«
nicrio- ist. Das Yerfiiliren. zu drei oder mehr &h]en, das g. g. M. sn finden,
ist wol angedeutet, aber nicht begrlüiideti
FQr die Theflbaikeit einer ZaSl durch 7 gibt der Herr Vertoer ibliipende
T'osrel: ^Eine Zahl ist durch 7 theilbar. wenn es die Summe ist, die man -t-
hält, indem man die von rechts nar h linlu aufeinander folgenden Ziiiem der
Beihe nach multiplieirt mit -f i. -f- 8, -(- 2. — 1, — 3, — 2, +1, imd
die erhaltenen Profluctf mir »h-n entsprerhenden Vorzeii hen addirt. '
Damacli wird wol niemand die Theilbarkeit einer Zahl durch 7 untersuchen,
sondern offenbar den direeten Versuch, zu dividiren, rorziehen.
Die einfachste Kegel ist die: ]\ran theile die Zahl von rechts jjegrpu links in
Gruppen zu je 3 Ziffern (die äußerste links kann ein- oder zweiziffrig sein),
bilde die Differenz ans der Summe der 1., 3., 6. Gruppe und der Sname dar
2., 4., ß. Gruppe. Ist diese Differenz dnreh 7 theilbar, so ist*8 auch die tot-
gdegte Zahl.
Naeh dem Beisirfele S. 68:
876^600,184 184 + 876 = 1060
— 600
060 : 7 = 80.
Damit ist die Theabaricdt der Zahl sidhogestellt.
Bei der Zinseszinsen- Beehnnng sagt der Yerfosser nr Formel K s= 0
(P — »
1 + -iQQ ) ' "^'^ beachte, dass die Ordnungssahl eine« Gliedes jener Beihe
den gegebenen Bedingungen entsprechend nur eine ganze Zahl sein kamiL
Wird also nach der (ir<)6e des Capital.s in einer l?ruclizahl von Jahren «refragt,
so sind aus diesem Bruche die Ganzen auszuscheiden, das augewachseue Capital
lllr diese Zeit zu berechnen und dann durch besondere Rechnung das weiten
Anwachsen fiir den Rest der Zeit zu bestimmen ■ Das ist durchaus nicht
nSthig, die obige Formel gilt auch fUr beliebige Bruchwerte von x.
Von den auf S. 110 und 121 angegebenen Formeln VI und VH wird bei
Hentenborechn untren (^^ar kein Gebrauch gemaofat, weil mit mittleier Lebens-
dauer in der Praxis nicht gerechnet wird.
Zur Wahrsoheinlicbkeits • Rechnu ug möchten wir uns zum Sehlnsse noch eine
kleine Bomerining erlauben.
S. 144. Beispiel: „In zwei Urnen befinden sich Kugeln, in der einen ö weiße
nnd 7 schwarze, in der andern 8 blane und 4 grüne; welche Wahrseh^nliehkeit
hat man. durch einen zunUligen Griff eine grüne Kugel, und welche Wahr-
sdieinlichkeit, in zwei aufeinander folgenden Griffen eine grOne und eine
weiBe zu bekommen?"
14 2
Die Wahrscheinlichkeit, eine grilne Kngcl zu ziehen, ist ' "7 — 7 •
die. in zwei aufeinander folgenden Griffen eine grüne und eine weiße zu be-
2 5 5
kommen, i(<t — - • = Allein es ist nicht angegelit-n, ol» die Ordnung
hierbei festgesetzt oder willkürlich ist, d. h. ob zuerst grttn und dann weü
oder umgekehrt kommen muss, oder ob dies gleichgUtig sei. In letzteren FUle
6 ö
ist aber die Wahrscheinlichkeit 2 . -gj- = Dieser Umstand sollte her-
vorgehoben sein.
'^eUeicht findet sich der Verfesser bewogen, seinozeit diese wenigen Be-
merkungen zu berücksichtigen. Die Absiclit, seine Leistungen herabzusetzen,
lag uns fem; doch es ist ja alles verbesserungsfähig, nnd da das ßuch im
Ganzen tMVlich ist, so haben wir es um so HeMr dner gemauoen Durchsicht
unterzogen. J. H.
VmatmrllMMr BedMiMir: IL Stvia. Bsolidnieka«! Julia« Kliakharit, Latprig.
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s.p««w yteratnrblatt
Beilage zum Faedagogium, IV, 12.
Atlas der Alpenfloni, bereits in Nr. 4 diea«8 Blattes besprochen, woranf vir
verweisen. Die ims seither zugekommenen neuen Liefeniniren enthalten fast
dorchaas recht geluDffene, ja geradezu plastisch aussehende Abbildungen. Wir
sdien »itlreiite viaäSjfmaag ier FMuetasung des sehSiiniWalm entgegen.
a B. B.
Die Naturgeschichte des Cajus Pliiiius Secuiidus. Ins Deutsche
übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Pi-of. Dr. (i. C. Wittstein
in Mflnchen. Leipzig, Gressner & Schramm.
Dieses gediegene, schon in seinem Anlange Ton vns mit Frende begrttBte
Werk (vgl. Jahrg. TTI. Nr. 6 d. BL) ist bis zur 9. Lieferung furtgeschritten.
Über den Inhalt der neuen Lidinwigen etwas zu sagen, halten wir für Uber-
flttssig, kSnnen jedoch die Bemerkung nicht nnterdrSeken, dass wir beim
Durohstuflircn uns Uberzeugten, dass Pliniiis. wie so mancher andere Ciassiker
des Alterthums, zu wenig gewürdigt wird, indem in vielen Partien seines
Werkes neben mancherlei uns alleMings yeraltet und nahezu absurd £r;<chei-
nendem eine Menge von Wahrln iti n vorkommen, auf deren Entdeckung unsere
Zeit sicli viel einbildet. Die Alten haben oft durch ruhisres Nachdenken That-
saciieu erklärt, welche wir durch Experimente nur bestätigen künnen. Die
zahlreichen Anmerkungen des Herausgebers helfen auch dem minder Bewan-
derten über viele Schwierigkeiten hinweg, die sonst die fließende und correcte
Übersetzung bieten könnte. Diese Anmerkungen sind theils geographische,
theils historische, theils natnrwissenschaftliche; zum Verständnisse erscheinen
besonders jene wertvoll, welche auf andere Stellen des Autors hinweisen. Die
Ausstattung ist eine TorzügUche. C. B. B.
Teehnlk der Experimentalehemle. Anleitung zur AnsfOhrong chemi-
scher Experimente beim Unterrichte an niederen und hölieren Schulen. Fftr
Lehrer und Stadirende von Dr. Bodolf Arendt Leipzig, Verlag von
Leopold Voss,
Von diesem von uns schon in seinen ersten zwei Lieferungen gewOrdigten
Werke ist nun nach Vollendung des ersten Bandes vom zweiten Bande die
1. und 2. Lieferung erschienen. Die Vorzüge des Werkes stelle sich immer
mehr heraus. Schfine und deutliche Abbildungen der cliemischen Experimente,
ja selbst mancher in den Bereich der Experimentali)hysik gehörigen Vt-rsuche
machen n^bet einem klaren und leichtverständlichen Texte jedermann das EX"
perimentiren. .sowol in den dazu nothwendigen Vorbereitungen als in der Aus-
lührung, wahrhaft leicht. Nirgends sind die für den Experimentator und llir
das Auditorium nothwcndigen Vorsichtsmaürogeln ttbergangen. Besonders be-
lehrond sind uucli dif stiichiometrischen Bestimmungen. Viel Interessantes für
den Mineralogen enthalt das in der zweiten Lieferung begonnene Capitel von
den „Sabm". Die Ansetattung des Werkes ist TorzQglioh. C. B. B.
tirundriss der anorffaiiiseheii Chemie mit Einschaltimg zalüreicher
Repetitionsfraireii und stöchinnietrischer Aufgaben für mittlere niid höhere
Schulen und Li lirei'spniiuare. Von Dr. Rudolf Arendt. 2. verb. Auflage
mit 62 in den Text eiugednickten Holzschnitten. Leipzig, Verlag von
Leopold Voss, 188L Fnis 4 ICark.
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— 2 ~
Wir haben bei anderer Gelepeulieit den Verfasser als einen tüchtigen Tln'ore-
tiker der Methodik der Cheniif irt würditrt und sehen in dem vorliegenden
Werke die jnaktisclH! Anwenduiii; -rintr (iriiiid>ätze. Ju-r erste oder metho-
dische Theil des Buclies ist nach inductiver Lehmietlin<h' durchgeführt. Ein
Versuch geht stets voraus, so diiss er liir den Schüler das Ubject der Beob-
achtung bildet; aus dem Versuche leitet sich der SchtÜer, durch den Lebrer
gefl\hrt, dm Ergebnis ab. Auf den methodischen fulut s<ulann ein systema-
tischer Theil, au welchen sich theoretische Schlussbetrachtungen anreihen,
welche die constanten Atomgewichte, Atom- und MoleculaigröBe. mehrere
chemische Theorien und als Aiilmng eine kurze P.espn>ohnnc der Sjieotralanaljrse
enthalten. — l;^r Mittelschulen ist die Anlage des Buches etwas weitgehend,
es iat daher sehr anerkennenswert, dass dar Yerfiuner selbst jene AbKhnitte
nnd Flangraphe bezeichnet, welche ohne Srhäditrnnir <hs methodischen Zn-
sammenhuiges in solchen Schulen Übergangen werden können. Die an die
einzelnen iUiscIinitte angefügten Bepetitions&agen sbid iOt Lehrer nnd Sehlkler
gleich 'ivertvoll: auch die zahlreichen Aufgaben erhöhen den Wert des Buches
bedeutend , wobei noch der Umstand in die Wagschale tällt, dass es sehr gut
ist, dass die leichteren von den schwierigeren Aufgaben dnrch den Dmdc
unterschieden sind. Die in den Text gednickten Abbildungen sind recht gut
ausgeführt, nnd überhaupt ist die Ausstattung des Werkes eine sehr nette.
AQmi Fachgenossen sei deshalb das Buch angelegentlichst enpfohlai.
C> S* fi«
Meyers Faell-Loxika. 1. Lexikon der allgemeinen Weltgeschichte
von Dr. K. Hermann. 2. Lexikon der Geschichte des Alterthnms
nnd der alten Geographie von Dr. Heinrieh Peter. Leipzig, Biblio-
graphiachea Inatitat, 1882.
Auch die beiden genannten Lexika werden wie die bereits erschienenen
durch ilir bequemes, handliches Format, durch die geschickte Auswahl des
Stoffes und die für den ersten Moment vollkommen ausreichende Breite in der
Kehandlung desselben in kürzester Zeit ein nur ungern vermisstes l.'tensil des
Schreibtisches bilden. Die , biographische Form der Darstellung sowie die in
Zusammenhang gegebenen Übersichten über die Geschichte der einzelnen Staaten,
VlHker, ja Städte lassen das Lexikon der allgemeinen Weltgeschichte
hesnuders Lehrern willkommen erscheinen, ähnlich wie dem Zeitungsleser die
Vom uatioualliberalen Standpunkte geschriebenen eingehenden Biographien
historischer Persönlichkeiten der Gegenwart Eine zweite Auflage könnte eine
Übersicht der Entwickelung des Pnpstthnms nnd des englischen Verfassungs-
lebeus nachtragen und hier und da auch einiges in formeller Beziehung ver-
bessern (vergl. z. B. den Artikel „Conaiü"). — Das Lexikon der Geaehichte
des Alterthnms ist Studirendcn 7u empfehlen, denen es weisen seiner ]^nik-
tischen Einrichtung bei der Lectüre der alten Classiker gute l'ituste leisten
wird. Es enthält neben den specicU historischen Artikeln auch die Biographien
der classischen Schriftsteller nnd eine erschöpfende Darstellung der alten Ge«»-
Sraphie. Da in der Aulfassung vieler antiker Persönlichkeiten und That.-;acht n
[einnngBverscbi^enheiten unter den Gelehrten herrschen, dürfte es sich oi:;-
pfehlen, auch die strittigen Punkte jedesmal /u bezeichnen, damit das Bach
an Brauchbarkeit, besonders für den Lehrer, noch mehr gewönne. W.
J. Helmes, Professor am Gymnasium zu Celle a. D. Die Elemeutar-Maihe-
matik nach den Bedttrftaiasen dea Untenichta streng wisaenBcbaflUch dar>
gestellt Dritter Band: Die ebene Trigonometrie* Zweite Auflage.
Hannover, Hahn, 1881. 249 Seiten. 2,40 M.
Das vorliegende Buch zeichnet sich ans durch (Gründlichkeit nnd Klarheit
des Vortlages nnd dnrch Fülle des Stoffes m jeder Beziehung, namentlich auch
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durch die JleiJge und ilbersiehtliche Zusammenfassung der Aufgaben und thueh
die Mittheilung seltener historischer Nachrichten, welche weit über die Schule
hinaiis zu interessiren vermögen. Es verdient daher eine hervorraiiende Be-
achtung gegenüber irielen fthnlichen Titebi, welche den Maikt nnbegehrt
IIb erll Uten.
Der Verf. nennt sein Buch ein „Lehrbuch-, in welchem der Schüler den
Unterrichtsstoff in vollständig ausgearbeiteter Form so dargestellt findet, wie
er ihn schließlich sich aneignen und behalten soll. Wir haben aläo hier im
Gegensätze zu den häufig .«ehr oberflächlich aufgeführten LeitfKden ein Buch
vor uns, welches den behandelten Stoß" einer vollständigen Dnrcbarbeitung unter-
zieht, uml welches ferner eine .soUhe Menge Unterrichts-Material liefert, dass
dasselbe in täncni Curüiis nicht aufgearbeitet werden kann.
Das Biu'li gliedert sich in die Goniometrie in Bezug auf si)it7.e Winkel nebst
der Auflösung rechtwinkeliger und gleichschenkliger Dreiecke, femer in die
Goniometrie filr Winkel in allen Quadranten nebst der Auflösung schiefwinke-
b'ger Dreiecke, und endlieh in einen Anhaiii:;. l-r wieder in drei Abschnitte
zerfUUt: deren erster behandelt die Anwendung der Trigonometrie auf Aufjg;aben
der Planimetrie, der praktischen (teometrie imd der Physik; der zweite den
(lebraiH'h des Hilfswinkels für Herstellung der Gauss'schen Ldgarithmen und
zur Auflösung quadratischer und kubischer Gleichungen; der dritte die Auf-
lösungen von Dreiecken nach dem Almagest des Ptolomäus.
Zu loben ist der reiche Inhalt des Burhes: wir fanden in demselben gebam-
melt, waä uus bisher nur als au verschiedenen Orten zerstreut bekauut war,
und das Herrwlieben des Wesentlich«! der Sache; fo dieser Besiehun^ wollen
wir besonders dem § 90 Anerkennung zhUph. w. lf hrr die Dreiecks- Auflösung
in allen FäUra auf zwei Gieichungeu übereiustiuuueuder form zurückführt.
Dagegen kSnnten wir uns mit der Zatheihmg der Goniometrie nieht einrer-
standen erklären. Die Einheit der Form wird zerstört, un<l dies ist entschieden
ein didaktischer Fehler; zugleich entstehen unnötliige Wiederholungen, und es
wird ein zeitravhendee Hemmsuchen yeranlasst. Die scbwRchste Stelle des
Buches ist die goiiioiiietrisclie Auflösung von Gleichungen. Schon bei den qua-
dratischen Gieichungeu wird die an sich ziemlich ein£Eu;he Sache durch eine er-
müdende Weitlftufigkeit in die Breite geTiogen. Die Auflösung der kubischen
Glei< liiiiitren wird auf nenn Seiten nach einer Methode dargelegt, welche dem
Verlasser zwar nicht allein angehört, aber noch wenig bekaiint ist. Diese
Methode entbehrt nicht des wissenschaftliehen Interesses, wol aber der prak-
tischen Y»»rweudbarkeit, denn sie erfordert zwei Hilfsmittel, welche unter sich
und mit der Unbekannten nicht in einfacher Beziehung stehen. Wir möchten
dodi bei den quadratischen Gleichungen eine etwas gedrilngtere Form empfehlen,
und bei den kubisdien Gleichungen ratheu, die „herkömmliche Auflösung des
ineducibleu Falles*' an die erste Stelle zu setzen. H. £.
Kunz, Aus dunklen Tiefen zum Sonnenliclit. Berichte Uber die
Ausgrabunsren der Neuzeit. Leipzig und Herlin. Spamer. 1882. (194 S.)
£s ist schade, dass der Autor seinem Buche einen äo ge;>chmacklosen, bom-
bastischen Titel Torangestellt hat. Haneher konnte von der Art des Titdt auf
die Art des Buches schließen und dasselbe ungelesen lassen. T'nd das verdiente
es keinenfalls; denn es berichtet iu ebenso klarer als gewissenhafter Weise
Uber jene so mnzig dastehenden Ausgrabungen auf dem Boden Griechenlands,
Kleinasiens und Italiens, welche in den letzten zehn Jahren unteriK niiiien wurden
und Uber welche uus bislang nur hüchst kostspielige und umfangreiche wissen-
schalUiche W«rke genane Kunde verschafft haben. Dasu kommt noch, dase
dem Buche Cd Illustrationen beigegeben sind. die. den großen Originalwerken
entlehnt, Uber hundert der aufgedeckten Objecto bildlich darstellen. Von diesen
Ausgrabungen sprechen noch nicht die Kunstgeschichten, und es wird wol noch
gennune Zeit währen, ebe ein zweiter Winckolmanu die Stellung der meisten
und wichtigsten innerhalb des Kähmens der £ntwickelung der griechisch-orienta-
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Iis. Ik'u Kunst Mird unantastbar oruirt haben. Obwol den weiteren Kreisen zu-
meiüt nur durch lückenhafte Zeitungsberichte Kenntnis tou ihrer Art gebracht
wurde, nehmen sie jetzt schon das Interesse der GebQdeten vollauf in Absprach.
Ein zusammenfassender, an die Originalwerke sich anschließender, illnstrirter
Bericht, wie ihn das vorii^nde Buch bietet, kommt daram thattfchlicb einem
Bedürfnis eutgegen.
Das Buch von Kunz zerflUlt in neun Capitel und behandelt im (^pitel I und
II die Ausgrabungen Sehliemanns in Mykenii und Trnja. die Anffinduna: der
Gräber der Pclopiden (Ai^amenmons und seiner Familie Vj sowie des Schatzes
des Priaini>> wie Schlieniaun vermuthet); femer im Gap. III die englieehea
von Lciyard, Botta und Honnuzd {geleiteten Ausgrabungen der Pala,struiuen von
■ Niuive und Umgebung und dieivun L'esnola mit ebensoviel Umsicht als Schlau*
heit geführte Durchsuchung der Ruinen und Grftber anf Cypern (Gap. TV),
dann (im Cap. Vi die Resultate der beiden von Österreich ausgesandten Expe-
ditionen nach Samothrake, endlich im Cap. VI die alle Erwartungen Uber-
treffenden deutseben Auslobungen in Olympia (ISSSSeulptnien, Im Bronse,
696 Inschriften. 2935 Münzen etc.). Daran reüit sich in ebenbürti^n r Weise
(Cap. VII) die Erzählung von der Auffindung d^ Zeusaltars in Pergamum,
dessen groBartiirer Fries soeben im Berliner Museum «nammengeetetlt wild
und der neben der Schliemamiscben Sehenkuni? die Hauptstadt des deutschen
Kelchs zu einer Centrale der autiken Kunst mit eiuem Schlage erhoben hat. —
Cap. VIII schildert die jüngsten Ausgrabungen in Pompeji und Cap. IX die
von Bismarck ins „Werk gesetzte Expedition der Prof. Sepp nnd H. Prutz zur
Auffindung und Übertragung der Gebeine Friedrich Barbarossas ans Tyrns
nach Deutschland. — om —
Bnrmayer, Einfilhruii? in die deiitselie 09tter> nnd Helden-
nge. Niü-nberg, Korn. (56 S.) Preis 80 Pf.
Das Bnrblein iimfht den Versuch, die »;:ermanische Götter- und Heldensage
auf ihre ursprüngliche Bedeutuug zurückzuführen. Es fasst die erste als Alle-
gorisirung der Vorgänge in der Natur auf, insbesondere des Xaturlebens im
Kreisläufe des Taijes und der Xaelif. des Sommers und des Winters. Indem
der Verfasser dem Mythus dessen Deutung gegenüberstellt, von Zeit zu Zeit
anch Iftngrere erUftrende Bemerkungen einsenaitet, gibt er, im Anscblusse an
Simrock. (trimm und Hahn (Sagwisseuschaftliche Studien\ ein klares Bild beider.
Viele, die z. B. den altgermanischen Erzählungen von der Entstehung der Welt
ratblos gegenttbersteheo« kOnnoi hier bequeme Bddirong ilnden. 8. 18 ist eil
Bilder zur deutsclieii Oescliiehte. (Zweite Sammlung.) 30 Blätter,
(gr. Fol.) Dresden, Meiuhold & Söhne. Preis 18 Mark.
Die vorliegeuden Tafeln. Holzschnitte in jener derbkräftigen Planier, wie sie
Dürer liebte und in neuerer Zeit von Schnorr v. Carolifidd in seiner Bibel und
nm AUr. liethel in seinem Todtentanz mit (JliU-k erneuert wurde, wollen jene
Ergänzung der Lücken sein, die bei der Benutzung der „ersten Sammlung- im
Unterrichte gefühlt wurden. Die Bilder sind Reproductionen berülimterOemSide
von Schwind, Trenkwald, Pletseli. Bendemann. Steinle. Cam])-
hausen und anderen Meistern. Die aus der iiltereu Geschichte erscheinen, weil
rie in Carttmmanier gezeichnet sind und Liebt- und Färbenefiecte ignoriren,
viel plastischer uls dir ans der neuesten (teschichte. Fi\r {'ist erreichisrhe Schulen
eignet sich wegen des Inhalts höchstens eine Auswahl aus der Sammlung.
Der beigegebene erlSntemde Text Ten Reiehardt (63 S. Preis 76 Pf.) be«ehi«{bt
aumeist uiii ( in paar Strichen den rics^enstand des Bildes, erzählt dann in popu-
lärer, schlichter Weise den Verlauf der dargestellten Handlung tmd wird in
derTbat dem Gesehicbtslebrer eine ..gern gesehene Handreichung*' sein. W.
VerantwortUclior Bciiactcur; iL Stein. Bucbdruckerei Julius Klinkhurdt, Leipiic^
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